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-Á Á- a |
STRAHLENTHERAPIE.
Mitteilungen
aus dem Gebiete der Behandlung mit
Röntgenstrahlen, Licht und radioaktiven Substanzen.
Zugleich
Zentralorgan
für die
gesamte Lupusbehandlung und Lupusbekämpfung.
eines ——
In Gemeinschaft mit
Professor Dr. Bickel, Primarius Dr. Jungmann, Priv.-Doz. Dr. R. Kienböck,
Berlin Wien Wien
Dr. $. Löwenthal, Oberarzt Dr. Axel Reyn, Dr. H. E. Schmidt,
Braunschweig Kopenhagen Berlin
herausgegeben von
Professor Dr., W. Falta, Professor Dr. C. J. Gauß,
Wien Freiburg i. Br.
Priv.-Doz. Dr. Hans Meyer, Professor Dr. R. Werner,
Kiel Heidelberg.
Band Ill.
Urban & Schwarzenberg,
Berlin N. 24 ‚Wer I
Friedrichstr. 105 B. © Maxmilian.tr. 4.
1913. a
Weimar. -- Druck von R. Wagner Sohn.
Inhaltsverzeichnis.
Prof. Dr. Albers-Schönberg, Referat über die gynäkologische Tiefentherapie
(Myome). Internat. Medizin. Kongreß, London 1913. Mit einem Nachtrag
über die Entwicklung der „Hamburger Technik‘
Dr. A. Bayet, Professor der Dermato-Syphiligraphie an der Universität Brüssel,
Die Behandlung des Krebses mittels Radium. .
Dr. Beclere-Paris, Die Röntgenbehandlung der Hy E E des
Gigantismus und der Akromegalie. (Mit 11 Abbildungen)
Dr. Beclere und Henri Beclere-Paris, Die radiotherapeutische Behandlung
der Leukämie Bee ee ee aa er Sata &
Dr. J. Belot, Vizepräsident der Gesellschaft der medizinischen Radiologie in
Paris. Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit (Mitl Abbild. )
Aus der Kgl. Universilätsklinik f. Hautkrankheiten in Kiel.
(Dir. Prof. Dr. Klingmüller.)
Prof. Dr. Fr. Bering, Über die Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der
Zellen durch die Lichtstrahlen. Untersuchungen an den roten Gänse-
blutkörperchen . Ba ee Ar
Prof. Dr. Ferd. Dian enthale Scheinbarer Erfolg bei einem Fall von
Krebs durch Kombination der Atoxyl- und Strahlentherapie
Dr. G. Bucky, Über die optisch korrekte Ablesung von A Se bei
Röntgenstrahlendosimetern. (Mit 3 Abbildungen)
Prof. Dr. O. de la Camp-Freiburg i. Br., Über Strahlentherapie der experi-
mentellen und menschlichen Lungentuberkulose. (Mit 1 Abbildung) .
Privatdozent Dr. Christen, Die Be en n für die S
der Röntgenstrahlen . ;
P. Degrais-Paris, Radiumbehandlung des Rhinophymas
Aus dem Laboratoire biologique du Rudium in Paris.
Dr. Degrais und Pasteau-Paris, Die and der Prostatatumoren durch
das Radium de
Dr. Delherm, Die RW der Ischias
H. Dominici-Paris, Die Rezeptivität der normalen und pathologischen Gewebe
für die Radiumbestrahlung Be er er en eek
Privatdozent Dr. E. Engelhorn, Über den derzeitigen Stand der Strahlen-
therapie in der Gynäkologie
Aus der K. K. Radiumstation im allgem. Kenne in Wien (eiter: Prof.
Dr. Gustav Riehl).
Dr. phil. A. Fernau, Dr. med. Schramek und Dr. med. I Über
Wirkung von Polonium
Dr. Foveau de Courmelles, Die Ronen und Radiumstrahlen in der a
kologie. 1. Teil: Die Röntgenstrahlen
Aus der Universitäts-Frauenklinik Freiburg i. Br. (Direktor: Geh. Hofrat
Prof. Dr. Krönig).
Prof. Dr. C. J. Gauß, Zur Technik der Eu a
(Mit 16 Abbildungen) in Ber a aar BE ale. Aether ee ;
19,0
Co oa d Y
216
333
388
348
Aus dem Laboratorium für Radioaktivität in Gif.
Dr. Giraud-Chantilly (Oise), Untersuchung über die Absorption der y-Strahlen
des Radiums durch einige organische Substanzen. (Mit 1 Abbildung)
Aus der experimentell-biologischen Abteilung des Kgl. Pathologischen Instituts
der Universität Berlin.
Dr. D. Grineff-Charkow, Über die biologische Wirkung des Mesothoriums.
Der Einfluß des Thorium X auf die Gerinnung des Blutes
Ausd. Kgl. Untversitätsfrauenklinik zu Berlin ( Dir.: Geheimrat Prof. Dr. E. Paina:
Dr. P. Haendly, Die Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlen auf
das Karzinom, den Uterus und die Ovarien . . . : 2 2 2 2 2.0.
Dr. Haenisch-Hamburg, Ein Fall von durch Een lung günstig | be-
einflußtem Mediastinaltumor. (Mit 2 Abbildungen) .
Dr. Haret-Paris, Assistent am radiologischen Laboratorium des Hospitals Saint-
Antoine. Die an der ap op durch die Radio-
therapie
Aus dem ah nöloglchin RS der k. k. Hochschule ja Bodenkultur in Wien.
Walther Hausmann, Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatopor-
DHRYEIDE 2. nn. 8 ee ee ce A er
Ingenieur Georg er ern Der Betrieb von en mit dem Gas-
unterbrecher.
Aus der Kgl. Univ. Frauenklinik i in Breslau ia Geh.-R. Prof. Dr. O. Küstner.
Privatdozent Dr. Fritz Heimann, Zur Röntgentiefentherapie. . . ... .
Aus der Frauenklinik der Universität Tübingen (Vorstand: Professor Sellheim).
Privatdozent Dr. Ernst Holzbach, Theoretisches und Praktisches zur Röntgen-
bielentherapie: 2. = =. ung u 2 See, ee ee Wan
Dr. Jaugeas, radiotherapeutischer Assistent am Hospital ; Saint-Antoine.
Einige Betrachtungen über die Röntgentherapie der Uterusmyome . .
Aus der Kgl. Frauenklinik zu Göttingen.
Prof. Dr. Ph. Jung, Zur Mesothoriumbehandlung von Genitalkarzinomen. ..
Aus dem Laboratorium der deuischen Gasglühlicht- Aktiengesellschafl Berlin
B. Keetmann und M. Mayer, Gesichtspunkte für die Mesothorium-Therapie
“us dem Radiologischen Institut der Allgemeinen Poliklinik in Wien.
Priv.-Doz. Dr. R. Kienböck-Wien, Über die Verwendung der nn
Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen . . . . . 2 2 2.2.0.
Dr. Franz Kirchberg, Röntgenschädigungen u. ihre rechtliche Beurteilung
Aus der Kol. gynäkologischen Universitätspoliklinik München.
Prof. Dr. Gustav Klein, Erfolge der Röntgenbehandlung bei Karzinom des
Uterus, der Mamma und Övarien. (Mit 1 Tabelle u. Tafel IV—VI)
Fr. Klingelfuß-Basel,. Das Sklerometer, seine physikalischen Grundlagen und
seine Verwendung bei der Röntgenstrahlen-Therapie. (Mit 24 Abbild.)
Prof. Dr. W. Kloster-Leiden (Holland), Über die direkte onen von
Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium . . . . .
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik Greifswald.
Prof. Dr. P. Kroemer, Über die Einwirkung von Röntgen- und Mesothorium-
strahlen auf maligne Neubildungen der Genitalien. m 9 DE NOGEN
und Tafel I-1lIl) . . a u e a n g
Aus der Universitäts-Frauenklinik Freiburg i. Br.
Prof. Dr. Krönig-Freiburg i. Br., Die Strahlentherapie in der Gynäkologie.
Ausdem Institut für Strahlenbehandlung der Kgl. Dermatalogischen Klinik in Kiel
(Dir.: Professor Dr. Klingmüller, Leiter des Instituts: Privatdozent Dr. Meyer).
Dr. R. Krüger-Kiel, Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz mit
besonderer Berücksichtigung der Sekundärstrahlenwirkung. (Mit 3 Abb.)
Seite
82
94
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445
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226
429
839
Dr. R. Krüger-Kiel, Zur Frage der Fernwirkung der Röntgenstrahlen .
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Kiel (Dir.: Prof. Stoeckel).
Dr. E. Langes, Erfahrungen mit der Röntgenbehandlung bei Myomen und
Metroopäthien. = , un am. wie ae a ee
W.S. Lazarus-Barlow, M. D., F.R. C. P.-London, Die Wirkung radioaktiver
Substanzen und deren Strahlen auf normales und pathologisches Gewebe
Prof. Dr. Max Levy-Dorn, Zur Wirkung der Röntgenstrahlen auf maligne
Geschwülste. (Mit 2 Abbildungen) . . . ».: 2 2 2 2 2 2 2200.
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und ihre Kombinationen . . . » 2: 2 N Er ren
Aus dem Radiuminstitut für biologisch-therapeutische Forschung der Kgl. Charite.
(Dir.: Geh. Medizinalrat Prof. Dr. W. His.)
Dr. Walter Neumann, Der „„Curie“-Umrechnungsfaktor für das Kohlrausch-
Loewenthalsche Fontaktoskop. . . . » 2 2 2 a
Dr. Th. Nogier, Das Radiochromoskop, ein Apparat, der eine exakte
Schätzung der Röntgenstrahlendosen unter immer vergleichbaren Be-
dingungen gestattet. (Mit 2 Abbildungen) . . . . 2222200.
Aus der Frauenklinik der Universität Gießen.
Prof. Dr. Erich Opitz, Randbemerkungen über Unterstützung und Ersatz der
Strahlenbehandlung bösartiger Geschwülste . . . . 2...
Aus der chirurgischen Klinik der Universität Kiel.
Dr. 0. H. Petersen, Assistenzarzt, Die Dauerheilungen von Sarkomen durch
Röntgenstrahlen. (Referat) .: >: 2: Kr ren“
Aus der medizinischen Klinik der Universität Berlin.
Dr. phil et med. Ludwig Pincussohn-Berlin, Über die Einwirkung des Lichtes
auf den Stoffwechsel. (Mit 4 Abbildungen) . . . . . 2 2 2220.
Prof. Dr. O. Polano-Würzburg, Ein Kasten zur Entwicklung der Kienböck-
films bei Tageslicht . . ». . saoao aa a
Prof. L. Renon, Dr. Degrais und Dr. L. Dreyfus-Paris, Radiumtherapie der
myeloiden Leukämie . . . . aaoo a a
dus der Abteilung für Haut- und Geschlechtskranke des allgem. Krankenhauses
„St. Georg‘‘ Hamburg (Oberarzt Dr. Arning).
Dr. Hans Ritter, Sekundärarzt der Abteilung, Die Röntgenbehandlung des
Ekom 5. 4 ee et er een a an aa Ak a A
Aus den Verhandlungen der Royal Socteiy of Medicine, Section für Elektrotherapie.
S. Russ, Die im tierischen Gewebe entsteh. Sekundärstrahlen. (Mit 4 Abbild.)
Aus d. Radiuminstilut d. Kgl. Charite (Dir.: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. W. His).
V. Salle und A. von Domarus, Zur biologischen Wirkung von Thorium X
Dr. H. E. Schmidt-Berlin, Die Unzulänglichkeit der üblichen Schutzvorrich-
tungen in den Röntgeninstituten . . . asos sos a e e a
Aus der urologischen Abteilung des Katser-Franz-Josef-Ambulatoriums in Wien.
Dr. Hugo Schüller, Abteilungsvorstand, Zur Technik der Radium-Meso-
thoriumbestrahlung in der Urologie. (Mit 6 Abbildungen) . . .. .
J. H. Sequeira, Die Finsenlichtbehandlung am London-Hospital 1900—1913
H. Sieveking-Karlsruhe, Über Quellenmessung . . . sasoca aea’
Seite
860
287
365
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177
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-]
DD
tv
531
343
Aus der Universitäts-Frauenklinik Freiburg (Dir.: Geheimrat Krönig) und dem
pathologisch-anatomischen Institut der Universität Freiburg (Dir. Geh.- Rat Aschoff).
Cand. med. Maria Paula Sommer, Über die Ovarialveränderungen bei Mäusen
und Kaninchen nach Cholininjektionen. (Mit 3 Abbildungen) .
Dr. E. Speder, Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis
Aus d. chirurg. Klinik d. Universität Berlin (Dir.: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bier)
und a. d. Radiuminstitut d. Kgl. Charite (Leiter: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. His).
Prof. Dr. A. Sticker-Berlin, Radium- und Mesothoriumbestrahlung. Ihre
theoretischen Grundlagen und ihre DECS nr in der Heil-
kunde. (Mit 45 Abbildungen) T
Prof. Dr. A. Sticker-Berlin, Die T E der Krebse auf der
HI. Internationalen Konferenz für Krebsforschung . . . . .
Prof. Dr. A. Sticker- ru en der SEERE durch statische
Elektrizität . . . . > 2 2 2 2 nen Ek
Dr. Arthur Strau en Die äußere Tuberkulose, spez. Hauttuberkulose
und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). (Mit 28 Abbild.)
Dr. Thedering-Oldenburg, Über die Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems
Aus dem Sanatorium Solbad Rappenau für Knochen-, Gelenk- und Drüsenleiden.
(Leitender Arzt: Professor Dr. Oskar Vulpius, Heidelberg).
Prof. Dr. Oskar Vulpius-Heidelberg, Über die Behandlung der E
Tuberkulose mit natürlichem und künstlichem Licht f
Aus dem Physikal. Staatslaboratorium zu Hamburg.
Prof. Dr. B. Walter, Die E des Bleies und En anderer
Stoffe .. Ne da es
Aus der Kgl. Frauenklinik Dresden Dilor. Bir, Dr. E. Kehren),
Dr. Fritz Weitzel, Erfahrungen mit der Röntgen-Tiefentherapie.
Prof. Dr. E. Wertheim-Wien, Radium und Uteruskrebs .
Aus dem Laboratorium für Radiumbiologie in Paris.
Louis Wiekham, unter Mitwirkung von Dr. Anselme Bellot, Die durch
Strahlen hervorgerufenen histologischen Gewebsveränderungen . . .
Aus dem Laboratoire biologique du Radium.
Dr. Wickham und Dr. Degrais-Paris, Kann das Radium der Chirurgie irgend-
welche Dienste bei der Behandlung maligner Tumoren leisten ?. .
Aus dem Laboratoire biologique du Radium in Paris.
Dr. Wickham, Dr. Degrais und Dr. A. Bellot-Paris, Über die Einwirkung
des Radiums auf gewisse hypertrophische Veränderungen der Epidermis
Prof. Dr. von Zeynek, Die wissenschaftlichen Grundlagen der Thermopene-
tration oder Diathermie . . 2 2 soso o a u e l
Seite
871
314
451
137
651
620
104
Qı
D&D
-]
Aus der Chirurgischen Klinik der Universität Berlin (Dir.: Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Bier) und aus dem Radiuminstitut der Kgl. Charit& (Leiter:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. His.)
Radium- und Mesothoriumbestrahlung.
Ihre theoretischen Grundlagen und ihre praktische Anwendung in
der Heilkunde.
Von
Professor Dr. Anton Sticker in Berlin.
(Mit 45 Abbildungen.)
Einleitung.
as Studium der Strahlungen des Radiums und seiner verwandten Stoffe,
deren Entdeckung bis zum Jahre 1896 hinaufreicht und an die
Namen Becquerel und Curie unvergeßlich verknüpft ist, hat Ergebnisse
von größter Tragweite nicht nur auf dem Gebiete der Chemie und Physik,
sondern auf dem gesamten Wissensgebiete der tellurischen Natur bis hin-
auf zur kosmischen gezeitigt.
Von den großen Schwierigkeiten, die Forschungen dieser neuen exakten
Wissenschaft auf die Geschehnisse der belebten Natur zu übertragen, sind
der Biologe und der Arzt nicht zurückgeschreckt. In der kurzen Spanne
Zeit von 17 Jahren wurde nicht nur ein wissenschaftlicher Einblick in
die unsichtbaren, bisher unerklärlichen Kräfte mancher Heilquellen ge-
wonnen, sondern es wurden auch mittels einfacher Bestrahlung bei un-
heilbaren Leiden Erfolge erzielt, welche berechtigte Hoffnungen erwecken,
neben dem blutigen Messer eine neue mildere Richtung der Therapie
wieder zu finden.
Quellgeist und Talisman! Welche verlockenden Worte für die
leidende Menschheit! Aber die Sache des Arztes ist es, die Wissenschaft
immer wieder zum Worte kommen zu lassen und den Aufschwung phan-
tastischer Hoffnungen auf den Boden nüchterner Tatsachen zurückzuführen,
empirische Funde einer wissenschaftlichen Erklärung zu unterwerfen.
Vorliegende Arbeit hat sich zum Ziele gesetzt die theoretischen Grund-
lagen und die praktische Anwendung der Radium- und Mesothoriun-
bestrahlung in der Heilkunde einer erschöpfenden Besprechung zu unter-
ziehen, aber nur die strahlenden Wirkungen der in Behälter eingeschlossenen
Radium- und Mesothorsalze. Eine Darstellung der unmittelbaren Wir-
kungen der radioaktiven Substanzen, wie sie nach Aufnahme ihrer gasigen
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 1
>
f:
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m
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D
'
Zerfallzprodukte. der sogenannten Emaratien. und nach Einverleibung
ihrer geiösten Salze im Organismus sich geltend machen. also eine Dar-
stellung der internen Radium- urd M-»tzomumtherapie, überlasse ich
dazu berufenerer Feder.
Einen klinischen Teil hofe ich bald dem theoretischen und praktischen
folgen zu lassen und verweise zur Zeit auf meine ausführliche Arbeit im
Grundriß der Radiumtberapie ven Lüwentbal. welche durch ein um-
fassende
weist.
Die begonnene Arbeit soil ein Geaenzift für die vielen inhaltleeren
radivlogischen Schriften sein. mit denen in Deutschland mehr als in den
Nachbarländern die medizinische Literatur überschwemmt ist. in denen
freilich ..die Begeistisung des Tannenkwizes” sich auch forterhält.
m
Literaturverzeichnis sich dem Forscher und Arzte nützlich er-
t
Inhaitsverzeichnis.
I. Teil. Theoretische Grunċiagen der Raiium- unè Meserhoriumbestrahlung
in. der Heilkunde 2.2.2: ann wa o a e e o E e o a A
o
©
A. Physikalische Eigenschaften der ra.lioaktiven Substanzen.
Der Begriff der Radioaktivität . . .» 2...
Die radioaktiven Substanzen Ha:ioeremenie und ihre Familien . .
Transformation der Raliise.emente . l. 2 2 on re.
Energiestrahlung der Radive.erente. . 2. 2 2 N nr ne.
Lebensdauer der Radivelemente . . . 2 2 2 2 2. re ou
Deünnition der «-, 3- und y-Strahlen . . . > 2 2 2 2 nn ne
O OU e o
CIs
Reichweite und Absorption der racisaktiven Strah.en. — a a-Strah-
lung. — Reichweite 5 — Haliwertschicht % — Totale Ab-
sorption 9. — b 23-Straiien. — Geschwindiskeit 9%. — Halb-
wertschicht 10. — Absorption 10. — cı y-Strabien. — Durch-
drinzungsverm'zen 11. Absorption. — Ha.dwertschicht 12.
Sekundäre Stralung l4. — Intensität 15. — Verreichung der
sekundären R'ntzrenstrah.ung 15.
Cherische Wirkungen der radicaktiven Substanzen. — a: Auf an-
orzanische Körper 15. — b Avf organische Körper s biologische
Wirkungen 32.
jr
=!
Fiuoreszenzvermözen der ralioaktivren Substanzen. » . 2 2 22.
Iorisationsverieszen der radioaktiven Substanzen. . ». 2 22... B
Vergieichende Ionisation der Röntgenstrablen . » 2» 2 2 20.0 2
Wärmwmeentwieklung durch radivaktive Sahbstanzen . . .... 0 2l
Köntzen- und Sam ‚en ah ET. as he Tal, ey a i a 2]
Weilen- und Korpuskolarstrah ung . . 2.. . ; >
Messiniesmetuoden: a ralivgraphische >. — b\ fiuoroskopische 27.
— 1, @entrische 27. — à thermische I.
B. Bi .ori-che Wirzunzen der radioaktiven Substanzen.
Anxemeine Wirkung Ger komp.exen Strahlung auf organische Sub-
Etarnzen ga ca n nS
30
. . . e. . . . . . . e. . æ . . e . .
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 3
Wirkung der Sekundärstrahlung . . . 3i
Besondere Wirkung der Strahlen auf organische Babstanizemn: a) su
einfache organische Substanzen 32. — b) auf Fermente 32. —
c) auf niedere Organismen, insbesondere Krankheitserreger 34. —
d) auf lebende Zellen und lebendes Gewebe des normalen tierischen
Organismus 37. — Latenzzeit 38, — Absorptionsvermögen der
Gewebe 40. — e) auf pathologisches Gewebe. — Elektive Wir-
kung 41. — Histologische Veränderungen 42. — Stufenleiter der
Empfindlichkeit 43. — Biologische Unterschiede zwischen Radium-
und Mesothoriumbestrahlung 44.
II. Teil. Praktische Anwendung der Radium- und ee
in der Heilkunde . . . a a 47
Präparate. — Biologisch irkaiıne Mengen 49.
Apparatur. — a) Platten 52. — b) Röhrchen 53. — c) Filter 54.
Hilfsinstrumentarium 57. — Messungsbestimmungen 60.
Methodik. — «) Oberflächenbestrahlung 61. — 8) Fernbestrahlung 62.
— y) Tiefenbestrahlung 62. — d) Kreuzbestrahlung 63.
I. Teil.
Theoretische Grundlagen der Radiumbestrahlung in der Heilkunde,
A. Physikalische Eigenschaften der radioaktiven Substanzen.
Radioaktivität.
stanzen beobachtete Eigenschaft der Materie. Die radioaktiven Substanzen
sind Quellen von Energie, deren Abgabe sich durch mannigfaltige Wirkungen
offenbart: durch Emission von korpuskulären Strahlungen, Wärme, Licht
und Elektrizität. Diese Energieabgabe ist wesentlich an das
Atom der Substanz gebunden und erfolgt spontan, d. i.
ohne eine uns bekannte Ursache.
Die radioaktiven Substanzen (Radioelemente). — Nach dem
gegenwärtigen Stande unseres Wissens gibt es 30 Radioelemente; von
diesen sind 3 gasförmig: die Radiumemanation, die Thoriumemanation und
die Aktiniumemanation; die übrigen sind feste Körper.
Die wichtigsten Radioelemente sind gleichzeitig die Elemente mit den
höchsten Atomgewichten: Radium 226,5, Thorium 232, Uran 239. _
Die Radioelemente lassen sich in vier große Familien, die des Urans,
des Thoriums, des Radiums und des Aktiniums, unterbringen. Ihnen
schließen sich noch zwei äußere schwach radioaktive Elemente an, das
Kalium und Rubidium.
Die Radioelemente finden sich in der Natur in äußerster Verdünnung.
Von den stark radioaktiven Stoffen hat nur das Radium in Form reiner
Salze isoliert werden können. In den daran reichsten Erzen ist diese
Substanz im Verhältnis von einigen Zentigrammen in der Tonne enthalten.
]*
4 Sticker,
Es existieren keine unveränderlich radioaktiven Substanzen, sondern
eine jede von ihnen erleidet im Verlauf der Zeit einen mehr oder minder
raschen Zerfall.
Thorium 2 Uran
Aktinium Mesothorium 1 8 Radiouran
Mesothorium 2 = Uran X
Radioaktinium Radiothorium 5 Jonium
= Aktinum X 2 Thorium X Radium
5 A-Emanatin 5 Th-Emanation R.-Emanation
8 g 2 Radium A
4 Aktinium A E Thorium A 5 Radium B
2 Aktinium BB 5 Thorium B ‘g Radium C
Aktinium B, Thorium C 3
Š Radium D
Aktinium C Thorium D Radium E
Radium F
Die Familien der Radioelemente sind so angeordnet, daß die Glieder mit über-
einstimmenden Eigenschaften in derselben Horizontalreihe stehen.
Radioaktiver Niederschlag der
Emanation rasch zerfullend
zweier Radioelemente aus der-
selben Muttersubstanz beobachtet
worden.
Das Ergebnis der Trans-
formation besteht im allgemeinen
en [6 Jahre Aadıum D
Fig. 1.
Transformation. — Die Ele-
mente einer Familie sind durch ge-
meinschaftliche Abstammung verbun-
den; sie wandeln sich eins in das
andere um.
Die Transformation scheint
immer derart vor sich zu gehen, daß
eine radioaktive Substanz nur eine
einzige neue radioaktive Substanz her-
vorbringt. In keinem Falle ist bis
jetzt die gleichzeitige Entstehung
3
AađiumÉ;
6Tage
Langsam zerfallender
Niederschlag
Kaskadenförmiger Zerfall des Radiums.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 5
darin, daß Elemente von immer schwächerem elektropositivem Charakter
sebildet werden.
Strahlende Energie. — Die Umwandlung des einen Elementes
in das andere erfolgt unter Ausbruch von strahlender Energie,
welche mit æ-, B- und y-Strahlung bezeichnet wird.
So bildet sich aus dem Uran nach einigen Tausenden von Jahren
durch Abstoßung von «-Teilchen allmählich das Radium und aus diesen
unter fortgesetzter Abgabe von «-Teilchen ein gasförmiges Element, die
Radiumemanation, die sich ihrerseits wieder stufenweise in eine Reihe fester
Zerfallsprodukte, das Radium A,B,C,D, Eund Fumwandelt. Vorstehende
Tabelle gibt eine Übersicht des kaskadenförmigen Zerfalles des Radiums.
Je schneller nun die Transformation erfolgt, um so größer ist in der
Regel die Reichweite der abgestoßenen «-Teilchen. Auch die ß-Teilchen
zeigen um so größere Ge-
schwindigkeit, jeschneller 100
ie Umwandlung verläuft. LT t- Ei
KU, TEE
N ve s
A
me 77
Die Emission der «- u
und 5-Strahlen entspricht
einer spontanen Entbin-
dung von Elektrizität.
3
Dieser Zerfall bzw. 3 | Ned, | I I;
lese Umwandlung der $ 2 Gran
Radioelemente geschieht rar In Pe
nach ganz bestimmten e 8 0 NR mh t
mathematischenGesetzen, Tage Fig. 2.
ile graphisch in Expo- Exponentialkurven der Entwicklung und des Zer-
nentialkurven sich dar- falls der Radiumemanation.
stellen lassen. (Fig. 2.)
Lebensdauer. Die Lebensdauer der Radivelemente schwankt von
enigen Sekunden bis Millionen Jahren. Die Zeit, in welcher sich die Radio-
elemente zur Hälfte umwandeln, bezeichnet man als die Halbwertperiode.
Folgende Tabellen geben die mittlere Lebensdauer und die Natur der
Strahlung der einzelnen Radioelemente an.
Definition der drei Strahlenarten der radioaktiven Substanzen.
x-Strahlen oder positive korpuskuläre Strahlung, d. s. Heliumatome
nit positiver Ladung (9,3. 10-10 elektrostatische Einheiten oder 3,1 . 10-1?
Csulomb): ihre Anfangsgeschwindigkeiten betragen 15000 bis 23000 Kilo-
meter in der Sekunde.
%-Strahlen oder negative korpuskuläre Strahlung, d. s. Elektronen
nit negativer Ladung (4,65 . 10-10elektrostatische Einheiten oder 1,55. 10-19
6 Sticker,
Coulomb); ihre Größe !/,.00 des H-Atomes; ihre Geschwindigkeiten 100 000
bis 300000 Kilometer in der Sekunde; zu vergleichen den Kathoden-
strahlen.
y-Strahlen = Ätherstrahlungen, keine ausgeschleuderten materiellen
Elemente
Aktinium
Radioaktinium
Aktinium X
A. Emanation
Aktinium A
Aktinium B
Aktinium B, (?)
Aktinium C
Elemente
Thorium
Mesothorium 1
Mesothorium 2
Radiothorium
Thorium X
Th. Emanation
Thorium A
Thorium B
Thorium C
Thorium D
Die Aktiniumfamilie.
mittl. Lebensdauer
etwa 30 Jahre
19,5
Tage
10,2 Tage
39 Sekunden
0,002 Sekunden
36 Minuten
21 Minuten
4,71 Minuten
Die Thoriumfamilie.
mittl. Lebensdauer
1,3 - 101° Jahre x
5,5 Jahre —
6,2 Stunden BHY
2 Jahre x
3,65 Tage x+ p
54 Sekunden Xx
0,14 Sekunden x
16,6 Stunden B+Yy
60 Minuten
P+Y
3,1 Minuten
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 7
Die Uranfamilie.
Elemente mittl. Lebensdauer | Strahlung
Uran 1 5 -10° Jahre a
Uran 2 106 Jahre (?) a
Uran X 24,6 Tage B +y
J oäiim 2.105 Jahre (?) &
Radium 2000 Jahre æ + B
Die Radiumfamilie.
Elemente mittl. Lebensdauer | Strahlung
Radium 2000 Jahre x + B
Ra. Emanation 3,85 Tage x
Radium A 3 Minuten a
ina B 26,8 Minuten B +y
Radium C 19,5 Minuten æ + B+ y
Radium D 16,5 Jahre B
Radium E 85 Tage B +y
Radium F 136 Tage x
(Polonium)
Teilchen wie die «- und ß-Strahlen; sie sind den Röntgenstrahlen
vergleichbar.
Wir ersehen aus obiger Definition, daß die «- und ß-Strahlen
korpuskulärer Natur sind und sich durch das Vorzeichen ihrer Ladung
voneinander unterscheiden, während die y-Strahlen wahrscheinlich einen
rein elektromagnetischen Vorgang im Äther vorstellen. Die Unterschiede
zwischen den «- und ß-Strablen haben ihren Grund in der ungleichen
Größe der Teilchen und ihrer kinetischen Energie; das «-Teilchen ist ein
komplizierteres Gebilde als das ß-Teilchen, seine Energie ist im allgemeinen
größer und seine Bewegung stabiler, bis zu dem Augenblick, in dem es
die kritische Geschwindigkeit erreicht, wo es dann aller Wahrscheinlichkeit
8 Sticker,
nach seine Ladung verliert und von den Gasmolekülen in seiner Bewegung
aufgebalten wird. Seine Dimensionen sind im Vergleich zu denen eines
ß-Teilchens sehr groß; sein Durchdringungsvermögen ist viel geringer als
das der ß-Teilchen von mittlerer Geschwindigkeit, obwohl die Energie der
letzteren bedeutend
Sun Gr
kleiner ist.
ihrer verschiedenar-
tigen Natur lassen
sich die drei Strah-
lenarten im magne-
tischen Felde aus-
Fi einanderziehen, wie
g. 8. ,
Vergleich zwischen den «- und #-Strahlen des Radiums. Untenstehendes Bild
(Fig. 4)erkennen läßt.
Die Reichweite und die Absorption der radioaktiven Strahlen.
Die drei Strahlenarten der radioaktiven Substanzen besitzen eine verschie-
dene Reichweite und erleiden eine verschiedene Absorption, weshalb eine
getrennte Besprechung erfolgt.
@-Strahlung. Die «-Partikelchen werden auf ihrer Bahn bald ge-
bremst und verlieren dabei an Geschwindigkeit. Hat diese einen unteren
Grenzwert (von etwa 5.10°
Y cm/sek.) erreicht, so verschwin-
den die radioaktiven Eigen-
schaften und sie unterscheiden
sich durch nichts von ungela-
denen Heliumatomen.
Die Distanz, bei welcher
dieser Grenzwert erreicht wird,
heißt die Reichweite (r).
Die Reichweite der x«-
Fig. 4. Strahlen ist für jedes Radio-
Die drei Strahlengattungen des Radiums element eine unterschiedliche,
durch ein starkes magnetisches Feld beein-
flußt.
Entsprechend
——
i
\
|
|
wie aus nachfolgender Tabelle
(S. 9) hervorgeht.
Die Reichweite der «-Strahlen in verschiedenen Substanzen ist um-
gekehrt proportional deren Dichte (d).
Die Dichte der Luft, bezogen auf Wasser = 1, beträgt 0.00129. Die
Reichweite der «-Strahlen in der Luft verringert sich also im Wasser um
das Tausendfache, woraus folgt, daß in Körpern von der Dichte des
Wassers oder von größerer Dichte nur die «-Strahlung von Thorium C,
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 9
eine Reichweite von !/,, mm (genauer 0,10965 mm) aufweist. Alle
anderen «-Strahler besitzen eine geringere Tiefenwirkung als
',mm. Schon dünne Schichten von Papier, Aluminium, Staniol schirmen
daher die &-Strahlen ganz ab.
Reichweite der «-Strahlen in der Luft bei Zimmertem-
peratur (15° C.)
Tlorium-C, 8.60 cm Thorium-X 4,30 cm
Radium-C 6,57 „ Aktinium-X 4,40 „
Aktinium-A 6,50 „, Radiıum-Emanation 4,16 „,
Thorium-A 570 „ Radiothorium 3,87,
Aktinnum-Emanation 5,70 „, Radium-F (Polonium) 3,77 „
Aktinium-C 5,40 „, Radium 3,30 „
Thorium-Emanation 5,00 „ Jonium 3,00 ,
Thorium C, 4,80 „ Uran 2 290 y
Radium-A 4,75 „ Thorium 2,72 „
Radioaktinium 4,60 „, Uran í 2,50 ,
Halbwertschicht. Eine 4,3 cm dicke Luftschicht schwächt die
Strahlung zur Hälfte (absorbiert die Hälfte). Totale Absorption.
Eine 5 cm dicke Luftschicht und '/,, mm dicker Aluminiumschirm heben
die x-Strahlung auf (absorbieren vollständig).
#-Strahlung. Die Geschwindigkeit der ß-Strahlen ist 10 mal größer
als die der «-Strahlen; ihre Durchdringungskraft schon enorm; mehrere
Milimeter starke Metallplatten werden durchschlagen.
Je nach ihrer Herkunft zeigen die 3-Strahlen ein verschiedenes Durch-
dringungsvermögen.
Die Halbwertschicht für die verschiedenen ß-Strahler ist aus folgender
Tabelle ersichtlich.
Halbwertschichten des Aluminiums für die 3-Strahler:
Radium © 05 mm Aluminium
Thorium D 0,441 „, sr
Mesothorium II 0,34 „,
Aktinnum D 0,24 ọn ò
Radium E 0.16 „ 5
Radium B 0,09 „ “
Thorium C, 0,05 ,, &
Aktinium C 0,04 „ 4
Die Absorption der ß-Strahlen folgt einem Exponentialgesetze von der
Formel J=J,e=ul, wo px den Absorptionskoeffizienten, J, die Intensität
10 Sticker,
der Strahlung ohne Absorption. J die Intensität nach Absorption durch
die Schichtdicke l] und e die Basis der natürlichen Logarıthmen bedeutet.
Die Absorption wächst im allgemeinen mit der Dichte und mit steigen-
dem Atomgewicht der Elemente. Bei Lösungen und zusammengesetzten
Verbindungen erweist sich die Absorption im wesentlichen als eine additive
Funktion der Bestandteile.
Halbwertschicht. Ein Aluminiumblättchen von 0.5 mm Stärke
setzt die Intensität der %-Strahlung des Radiums bereits auf die Hälfte
herab. Totale Absorption. Durch 10 mm Blei werden die %-Strahlen
vollkommen absorbiert.
Da man bestimmt annehmen kann, daß alle «-Strahlen des Radıums
durch !/,, mm Aluminium zurückgehalten werden und alle Strahlen. welche
noch durch í cm Blei hindurchgehen. reine y-Strahlen sind. so sind sämt-
liche Strahlen, welche durch !/,, mm Aluminium durchgegangen und von
1 cm Blei zurückgehalten werden. als 9-Strallen anzusehen und wir be-
zeichnen als weiche 8-Strahlen solche, welche von !/, mm dickem Blei-
schirm, als mittelharte, welche von 3 mm dickem Bleischirm zurück-
gehalten werden und den Rest als harte $-Strahlen. Bei der elektro-
skopischen Messung erhält man nach Einschaltung der angegebenen
Metallschirme drei Aktivitätsbestimmungen. die sich annähernd verhalten
wie 100:50:10. mit anderen Worten: von der durch !/, mm Aluminium
hindurchtretenden Gesamtmenge der 3-Strahlen werden durch ein Bleitilter
von lọ mm ca. 50 %, absorbiert, durch ein solches von 1 mm 90 %.
Die folgende Tabelle zeigt die genaueren Absorptionszahlen für Blei-
filter von steigender Dicke:
Von den Gesamt-2-Strahlen treten bei einem Bleischirm von
0.115 mm Dicke 40.0 95.
0.23 mm „240%.
0.34 mm „173°
045 mm „137°
0.57 mm „ 121°.
069 mm „ 112°.
0.50 mm „ 105%.
0.92 mm , TO
10 mm , 905:
15 mm , 0.00
30 mm „ 7.085;
45 mm , 6.0 95.
1.5 cm - 2.0.95:
9.3 cm ý 0,4%
durch.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 11
Trägt man die vorstehenden Schirmdicken und die gewonnenen Ak-
tivitätswerte in ein Koordinatensystem ein, so entsteht folgende Kurve für
die B-Strahlen des Radium.
HA
el
| He] ee
0
90
FARB
50
en
Jo
Intensität der Strahlung
EENEEFFFFEFFFEFEFFEFEESEFR
DH
0 01.0203 0% 05 06 0.7.08 09 1 15 2 2,5
Dicke des Bleischirmes in mm
Fig. 5.
Intensitätskurve der $-Strahlung des Radiums beim Durchgang durch Bleischirme
von zunehmender Dicke (!/,—2,5d mm).
Der steil abfallende Teil der Kurve entspricht den weichen ß-Strahlen,
der horizontale Schenkel den harten ß-Strahlen und der zwischenliegende
Teil den mittelharten
ß-Strahllen. Zum Ver-
gleich wurde die Alumi-
niumschirmdicke an den
äquivalenten Punkten der
Bleikurve eingeschrieben,
woraus z. B. ersichtlich
ist, daß die weiche ß-
Strahlung durch 0,5 mm
Aluminium ganz absor-
biert wird.
y-Strahlung. Die
y-Strablen sind weit
durchdringender,hundert-
mal mehr als die schnell-
stenß-Strahlen.!) Metall-
platten von mehreren
Zentimetern Dicke halten
a 60T
$ ik = 2 Ider $ Strahlung
à N An
bs 2%
S 1
Š 01 m — 3#5
Dicke des a in mm
Fig. 6.
Intensitätskurve der £- und y-Strahlung des Ra-
diums beim Durchgang durch Bleischichten von
zunehmender Dicke.
sie nicht vollständig auf; nach Pierre Curie gibt es noch Y-Stralilen,
welche 20 cm dickes Blei durchdringen.
1) u Al 0,1 für y-Strahlen, 12 für 3-Strahlen.
12 Sticker
Die Absorption der 7-Stralilen erfolgt nach dem gleichen Gesetze wie
die der >-Stralilen.
Werden die Absorptionswerte der vereinigten $- und y-Strahlung
des Radiums nach dem Durchgang durch Bleischichten von zunehmender
Dicke gemessen. so entsteht vorstehende Kurve (Fig. 6).
Berücksichtist man. daß die Strahlen. welche von einem 10 mm
starken Bleischirm noch durchgelassen werden. als reine y-Strahlen be-
trachtet werden können und daß nach dem auf S. 10 Gesagten die
Strahlen schon durch 0.1 mm Bleischirm auf die Hälfte reduziert werden,
bei 4 mm nur noch 69% der $-Strahlung übrig bleiben, dab endlich die
Intensität der y-Strahlen erst auf die Hälfte herabgedrückt wird bei An-
wendung von Bleischichten von 12—15 mm. so entspricht der stark ab-
fallende Teil der Kurve der 5-Strahlung, der mehr horizontale Schenkel
der y-Strahlung.
Wie man sieht. folgt die Absorption mit großer Annäherung einem
einfachen Exponentialgesetz.
Die ungleiche Durchdringbarkeit der verschiedenen y-Strahler durch
Blei zeigt die nachfolgende Tabelle.
Thorium D Halbwertschicht 1.5 cm Blei
Radium C Š L385 a
Mesothorium II j LI a g
Aktinium D = 0.57 —0.S cm Blei
Halbwertschichten für Bleischirme der verschiedenen y-Strahler.
Die Absorptionswerte verschiedener Substanzen für die Yy-Strahlen
des Radiums in nachfolgender Tabellet) sind Mittelwerte für die Schicht-
dicken 2,5. 5. 10 und 15 mm. Zwischen den absorbierenden Substanzen
und dem Radium befand sich eine 8 mm starke Bleiplatte, welche die
S-Strahlen vollkommen absorbierte.
Schichtdicke: | 25 mm 5 mm i 10 mm 15 mm
Platin e g aog e 1,167
Quecksilber . . 2... 0,726: 0,661 0,538 ` 0,493
Bléi a a a A 0.641 0.563 0.450 | 0.440
Zink ce Be 0.252 0.266 O28 ' 0,266
Aluminium . .... 0.104 0.104 0.104 ' O10
Glas. 2 2 2 2 200. 0.087, 0.087 0.087 | 0.087
Wasser... . i 0.034 | 0,034 | 0,034 | 0,034
Absorptionswerte verschiedener Substanzen für die y-Strahlen des Radiums-
bei zunehmender Schichtdicke.
Die Tabelle ergibt. daß die Absorption mit wachsender Schichtdicke
abnimmt, z. B. bei Blei von 0.641 auf 0.440: nur bei Aluminium, Glas
i) Me Clelland, Phil. Mag. 8, 1904, S. 67.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 13
und Wasser, welche wegen geringer Dichte eine schwache Absorption auf-
weisen, konnte eine Veränderung der letzteren mit der Schichtdicke bei
diesen Versuchen nicht bestimmt werden.
Der Absorptionswert der y-Strahlen ist annähernd proportional der
Dichte (d) der absorbierenden Substanz.
Das Verhältnis S zwischen dem Absorptionskoeffizienten und der Dichte
bei Substanzen von geringer Dichte erweist sich konstant, bei spezifisch
schwereren ist es größer, bei sehr dicken Schichten nähert es sich aber
demselben konstanten Wert, wie folgende Tabelle zeigt.
Schichtdicke:
Platin i = 0,054 |
Quecksilber „ 0,053 0,048 0,039 0,036
Blei 5 0,056 0,049 0,042 0,037
Zink = 0,039 0,037 0,034 0,033
Aluminium „ 0,038 0,038 0,038 0,038
Glas Š 0,034 0,034 0,034 0,034
Wasser s 0,034 0,034 0,034 0,034
Verhältnis der Absorptionskoeffizienten und der Dichte der absorbierenden
Substanzen für die y-Strahlen des Radiums.
Die y-Strahlen des Urans sind leichter absorbierbar als die des
Schichtdicke y-Strahlung
Salaanz in cm des Radiums | des Uran X
| u(cm)-' 100 5 u(cm)-! 1005
Quecksilber . ee = ne | 0,642 s2 0,832 | 6,12
Ra . O „ 79 I o, | 0725 | 6,36
Sasi | Ur . 0. 45 | 0,495 IE 075 | 636
Kupfer . O „ 760 0,851 | 3,98 | 0,416 4,72
Messing . 0 „ 586 0,325 8,89 | 0,392 4,70
Eisen 0 „ 7,57 0,304 3.99 | 0,360 | 4,72
Zion . 0. 51 0,281 3,88 | 0,341 4,70
Zink . 0 „ 6,00 0,278 3,93 | 0,329 4,65
Schiefer . O „ 944 0,118 4,14 | 0,134 4,69
Aluminium O „ 11,19 0,111 4,01 | 0,130 4,69
Glas . ; 0 „ 11,26 0105 | 416 | 0122 | 4,84
Magnesiumoxyd. O „ 11,86 0,076 3,96 ` 0,0917 | 4,78
Schwefel O „ 11,59 0,0782 | 4,38 | 0,0921 | 5,16
Paraffin. . O „ 11,89 0,040 | 4,64 |! 0,0433 | 5.02
Fichtenholz 0 „ 1251 0,02926 | 7,58
|
|
14 Sticker,
Radiums; ihr mittlerer Absorptionswert (pa) beträgt in einer Bleischicht
von 0,64 cm nach Eve 1,4. Dagegen fanden Soddy und Russell für
Bleischirme von 1—5 cm p = 0,72, also einem viel kleineren Wert.
Die Absorptionswerte der y-Strahlen des Urans X und des Radiums
sind in vorstehender Tabelle nach den Messungen von Soddy und Russell
zusammengestellt. Sie beziehen sich auf Strahlen, die außer den ange-
gebenen Substanzschichten eine 1 cm starke Bleischicht durchdrungen haben.
Der mittlere Wert von È beträgt bei den y-Strahlen des Radiums
d
3 _ (Uran X) _
0,0399, bei den y-Strahlen des Urans X 0,0470; (Radium) 1,18.
Die Versuchsergeb-
nisseder voraufgehenden
Tabelle sind in der bei-
stehenden Figur gra-
phisch wiedergegeben.
Sekundäre Strah-
len. — Wenn feste
Körper, vor allem Me-
talle, von den Strahlen
radioaktiver Körper ge-
troffen werden, so wer-
den sie selbst zum Sitz
neuer Strahlenarten,
welche den sekundären
Strahlen derX-Strahlen,
dievonSagnacentdeckt
wurden, analog sind.
Fig. 7. Die «-Strahlen sind
Dicke der durchdrungenen Materie in cm. Oben wenig fähig, eine Emis-
y-Strahlen des Radiums, unten y-Strahlen des Urans. sion sekundärer Strah-
len hervorzurufen.
Die ß-Strahlen sind im Gegensatz zu den «-Strahlen sehr aktiv; die
sekundäre Strahlung ist mitunter kräftiger als die auffallende; sie sind
selbst B-Strahlen, aber von geringerer Geschwindigkeit als die ihrer Er-
zeuger. Sie stellen neue Elektronen dar, die aus der Materie durch die
elektro-magnetischen Störungen herausgedrängt werden. Diese Störungen
resultieren aus der Absorption des Elektrons, das den primären Strahl bildet.
Die y-Strahlen produzieren gleichfalls starke sekundäre Strahlen; ihrer
Natur nach scheinen sie mit ß-Strahlen identisch zu sein.
Für dieselbe primäre Strahlung ist die sekundäre
Logarithmus der durchgelassenen Intensität
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 15
Emission um so intensiver, je dichter das getroffene
Metall.
Die Erzeugung von Sekundärstrahlen durch die am stärksten durch-
dringenden Strahlen des Radiums, die y-Strahlen, wurde von Becquerel
zuerst festgestellt. Er machte die Beobachtung, daß der radiographische
Effekt der y-Strahlen nach dem Durchgang durch einen sehr undurch-
lässigen Schirm, z. B. durch eine 1 cm starke Bleiplatte, verstärkt wurde.
In wenigen Minuten erhält man auf einer photographischen Platte eine
Schwärzung, die bei direkter Einwirkung auf die Platte erst nach viel
längerer Zeit auftreten würde.
Unter den von den y-Strahlen hervorgerufenen Sekundärstrahlen be-
finden sich solche, die selbst ein sehr großes Durchdringungsvermögen be-
sitzen, besonders die Sekundäremissionsstrahlen des Bleies.
Eve zeigte, daß diese sekundären Strahlen den primären y-Strahlen,
welche die Bleiplatte durchdringen, erst an der Austrittsfläche sich hinzu-
gesellen und ihreGeschwindigkeit ungefähr halbe Lichtgeschwindigkeit erreicht.
Das Radium befand sich auf dem Boden eines sehr diekwandigen
Holzzylinders, der mit einer 12 cm starken Bleiplatte zugedeckt war. Auf
diese wurde seitlich ein Elektroskop aufgestellt. Durch ein magnetisches
Feld konnten die austretenden Strahlen nach dem Elektroskop hingelenkt
werden, gehörten also zum ß-Typus; die Entladungsgeschwindigkeit wuchs
bei positiver und nahm ab bei negativer Feldrichtung.
Die Intensität der Sekundärstrahlen hängt von der Substanz ab,
welche als Radiator dient, d. h. welche vermöge ihrer Undurchlässigkeit
für die Primärstrahlung eine neue sekundäre Strahlengattung erzeugt.
So wurden folgende Zahlen von Eve!) für die relative Intensität der
Sekundärstrahlen gefunden, die von verschiedenen Substanzen, sei es nach
gemeinsamer Einwirkung der ß- und y-Strahlen des Radiums, sei es nach
Einwirkung der y-Strahlen allein ausgesandt wurden. Zum Vergleich ist
die Intensität der von Röntgenstrahlen herrührenden Sekundärstrahlen nach
den Versuchen von Townsend beigefügt.
- + y- Röntgen-
a 7 allen Be
Blei . ... 100 100 100
Kupfer . . . 57 61 291
Messing . . . 58 59 263
Zink .. .. 57 _ 282
Aluminium. . 30 30 25
Glass . ... 3a 35 31
Puraffin.. . . 12 20 125
Intensitätsvergleich der Sekundärstrahlen.
1) Phil. Mag. 8, 1904. S 674.
-oO A yeap a O a
— — m
16 Sticker,
Die Sekundärstrahlungen der $- und der y-Strahlen stehen also in
einem annähernd konstanten Verhältnis, die der Röntgenstrahlen verhalten
sich jedoch ganz anders.
Kleemann!) fand, daß die Intensität der sekundären ß-Strahlen eine
periodische Funktion des Atomgewichts der Radiatorsubstanz ist.
Nach den Arbeiten von Geiger?) und Ramsauer?) ist bewiesen,
daß die Sekundärstrahlung ein rein energetischer Vorgang ist, der propor-
tional mit der vernichteten Energie erfolgt.
Chemische Wirkungen der radioaktiven Substanzen. — Die
von radioaktiven Substanzen ausgesandten Strahlungen rufen mannigfache
chemische Wirkungen hervor. Am genauesten sind die Veränderungen
untersucht worden, die das Radium hervorbringt. Es waren die Wirkungen
des Radiums auf Silbersalze, welche durch die photographischen Effekte
zur Entdeckung der Becquerelstralilen und der strahlenden Elemente über-
haupt geführt haben. Alle Strahlenarten rufen chemische Wirkungen hervor,
aber während die von den «-Strahlen erzeugten nicht tief eindringen, er-
streckt sich die Wirkung der durchdringenden ß- und y-Strahlen auf die
ganze Masse der Substanz. Die radiographische Wirkung der Radium-
strahlen ist auf mehr als 2 m Entfernung in Luft zu beobachten, selbst
wenn der strahlende Körper sich in einem Glasröhrchen eingeschlossen
befindet; die unter diesen Umständen wirksamen Strahlen gehören zu den
p- und y-Strahlen. Man kann auf große Entfernungen und mit Strahlen-
quellen von sehr kleinen Dimensionen arbeiten; man erhält dann sehr
scharfe Radiographien. Es ist vorteilhaft, die £-Strahlung mittels eines
magnetischen Feldes seitlich abzulenken und nur die y-Strahlung zu be-
nutzen. Die -Strahlen erleiden nämlich beim Durchgang durch das Objekt
eine gewisse Zerstreuung und machen auf diese Weise das Bild unscharf.
Wenn man sie ausschaltet, muß man mit längeren Expositionszeiten ar-
beiten. Objekte von der Größe einer Kinderhand erfordern einen Tag,
wenn man einige Zentigramm eines Radiumsalzes als Strahlungsquelle ver-
wendet, die in einem Glasröhrchen eingeschlossen sind und sich in einem
Abstand von { m von einer empfindlichen Platte befinden, vor welcher
das Objekt aufgestellt wird. Ist die Strahlungsquelle 20 cm von der
Platte entfernt, so erhält man dasselbe Resultat in einer Stunde.
Eine Anzahl natürlicher Mineralien werden unter dem Einfluß der
Strahlen anders gefärbt, ohne daß man über die Natur der chemischen
Veränderungen unterrichtet ist: Gelbroter Realgar wird karminrot, Anti-
monblende grau, Quarz färbt sich gelb bis rotbraun, Rosenquarz schwarz-
1) Phil. Mag. (6) 14, 1907, S. 618 und 15, 1908, S. 638.
2) Proceed. of the Royal Society, A. 82, 190%.
3} Jahrbuch der Radioaktivität, 9. Bd., 1912.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 47
braun, Amethyst tiefer violett, Anhydrit wird gelb, Flußspat violett oder
srünblau, Aluminiumhydroxyd blau, Diamanten bläulich oder bräunlich,
Saphire gelblich. Einfache Mineralstoffe, wie die Alkalisalze und auch
Alkalidoppelsalze erleiden vielfach Farbenveränderungen: Kaliumsulfat wird
blaugrün, Kaliumchlorid amethysten, Chlornatrium und Chlorkalium gelb-
braun, Natriumbikarbonat wird rotviolett. Die «-Strahlung zerlegt Wasser
in freien Wasserstoff und Sauerstoff; die B-Strahlung entwickelt aus dem
Wasser Wasserstoff, der Sauerstoff bildet Hydroperoxyd. Auch der um-
kelırbare Prozeß, die Bildung von Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff
und die Bildung von Chlorwasserstoff aus Wasserstoff und Chlor findet
unter dem Einfluß der Radiumstrahlen statt. Der Luftsauerstoff wird
unter dem Einfluß der radioaktiven Strahlen, namentlich der «-Strahlung
ozunisiert.
Das Fluoreszenzvermögen der radioaktiven Substanzen. — Zu
den spontanen Eigenschaften der radioaktiven Substanzen gehört auch die
Erregung von Fluoreszenzerscheinungen bei bestimmten Stoffen.
Barıumplatinzyanür wird durch alle Radiumstrahlen zur Fluores-
¿nz angeregt. Am meisten durch die B- und y-Strallen.
Zinksulfid (Sidotblende) fluoresziert hauptsächlich beim Auffallen
der x-Stralilen, wobei es hellgrün aufleuchtet; es bleibt auch nach Unter-
brechung der Bestrahlung einige Zeit selbstleuchtend, d. h. es wird phos-
phoreszierend; es strahlt nicht kontinuierlich, sondern nach Crookes
Eutdeckung in Szintillationen, d. h. in aufblitzenden Pünktchen, einem
Sternhimmel vergleichbar. Von den «-Strahlern sind es besonders die
Emanationen des Radiums und Aktiniums, welche die Szintillation be-
swuders kräftig erregen.
Das Mineral Willemit (Zinksilikat) wird durch Radiumstrallen
vorzugsweise 5- und y-Strahlen) zu grünlicher Fluoreszenz gebracht. Das
Licht, welches fast ganz aus Grün und Gelb besteht, schwärzt nur iso-
chromatische Platten und zwar nur bei langer Exposition.
Der Kunzit (Varietät des Spodumens) gibt mit Radiunstrahlen ein
rotes. mit Katliodenstrahlen ein gelbes Fluoreszenzlicht.
Der Sparteit (manganhaltiges Kalzit} leuchtet unter der Wirkung
der 5- und y-Strahlen mit orangerotem Licht.
Die Erregung von Fluoreszenz durch Radiumstrahlen ist von
Becquerel!) näher untersucht worden, der ihre Wirkung auf Uransalze,
Diamant. Sidotblende, Kalzium- und Strontiumsulfid, Rubin usw. geprüft
lat. Es zeigte sich, daß das Verhältnis der- Empfindlichkeiten dieser
Substanzen gegen Licht, Röntgen- und Radiumstrahlen sehr ungleiche
Y% Becquerel, Comptes rendus 129, S. 912, 1899.
Strablentherapie Band III, Heft 1. 2
18 Sticker,
Werte hat. Der gegen ultraviolettes Licht empfindliche Rubin ist z. B.
gegen Radiumstrahlen unempfindlich, und der Diamant, der unter der
Wirkung von Radiumstrahlen fluoresziert, tut dies nicht unter der Wirkung
von Röntgenstrahlen: gegenüber diesen letzteren ist Kaliumuranylsulfat
empfindlicher als hexagonale Blende. während bei Radiumstrahlen das
Verhältnis umgekehrt ist. Die Fluoreszenz wird bedeutend herabgesetzt.
wenn man ein Blatt schwarzes Papier zwischen die Strahlungsquelle und
die fluoreszierende Substanz bringt, woraus hervorgelit, dab ein grober
Teil des Effekts den «-Strahlen zuzuschreiben ist.
Bary?) hat gezeigt, daß die Salze der Alkali- und Erdalkalimetalle.
welche unter der Wirkung von Licht- und Röntgenstrahlen sämtlich
fluoreszieren, dies auch unter der Wirkung der Radiumstralilen tun.
Metalle scheinen nicht zur Fluoreszenz erregbar zu sein. Der Diamant
ist sehr empfindlich gegen «-Strahlen und gibt mit Polonium eine schöne
Fluoreszenz. Hierauf läßt sich eine Methode gründen, Diamanten von
Imitationen zu unterscheiden, da die letzteren nur schwach fluoreszieren.
Von organischen Stoffen phosphoreszieren bei Radiumbestrahlung
Petroleum, das stark leuchtend wird; ın schwächerem Maße Papier, Baun-
wolle, Hornsubstanz sowie Blut.
Die Salizylsäurederivate werden durch die $-Strahlen des Radiums zu
besonders lebhafter Lumineszenz angeregt, so die salızylsauren Salze, das
Salizylsäureamid und das Salipyrin (salizylsaures Antipyrin).?)
Dal5 chemische Umwandlungen bei der Fluoreszenzerregung stattfinden,
kann daraus geschlossen werden, daß die Sidotblende nach längerer Be-
strahlung die Fähigkeit zur Phosphoreszenz verliert und Bariumplatinzyanür
unter gleichzeitiger Bräunung Abnahme der Phosphoreszenz zeigt.
Auch Kaliumuranylsulfat wird von den Strahlen verändert, indem
es sich gelb färbt. Das modifizierte Bariumplatinzyanür wird durch Licht
teilweise in die ursprüngliche Form zurückverwandelt. Befindet sich Radium
unter einer auf Papier ausgebreiteten Schicht von Bariumplatinzyanür, so
wird dieses zum Leuchten erregt, führt man den Versuch unter Licht-
abschluß aus, so verändert es sich und die Leuchterscheinung geht stark
zurück. Im Lichte wird das Bariumplatinzyanür zum Teil regeneriert, und
wenn dann die Dunkelheit wieder hergestellt wird, so leuchtet es von neuem
ziemlich stark. Mittels eines fluoreszierenden und eines radioaktiven Körpers
läßt sich also ein System herstellen, das sich wie ein phosphoreszierender
Körper von lang andauernder Phosphoreszenz verhält.
Das unter der Wirkung von Radiumstrahlen fluoreszierende Glas wird
—
1) Bary, Comptes rendus 130, S. 776, 1900.
2) von Jensen, Zeitschr. f. wiss. Phot. 5, 1907.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 19
braun oder violett und gleichzeitig geht die Fluoreszenz zurück. Erhitzt
man das so veränderte Glas, so entfärbt es sich und sendet während dieses
Vorganges Licht aus. Nachher hat das Glas die Fähigkeit, zu fluoreszieren,
wieder in demselben Maße wie vor der Umwandlung.
Zinksulfid, das längere Zeit der Wirkung von Radium ausgesetzt ge-
wesen ist, verliert nach und nach die Eigenschaft, von Radiumstrahlen
oder von Licht zur Phosphoreszenz erregt zu werden. Wenn ein mit Zink-
sulfid beschicktes Glasgefäß zu einem Versuch mit Radiumemanation ge-
dient hat, und man den Apparat in gutem Zustande erhalten will, so muß
man die Emanation sofort nach dem Gebrauch daraus entfernen.
Crookes!) hat auch an Diamanten, die den Radiumstrahlen aus-
gesetzt waren, eine Veränderung beobachtet: Nach einer Exposition von
73 Tagen war ein Diamant von ursprünglich hellgelber Farbe dunkel und
undurchsichtig geworden; als er darauf 10 Tage lang mit Kaliumchlorat
auf 50° erhitzt wurde, verlor er die Oberfläche, dunkle Färbung und er-
schien durchsichtig mit blaugrüner Farbe. Bei diesem Versuch war der
Diamant mit Radium zusammen in einem Rohr eingeschlossen gewesen,
und sämtliche Strahlen waren infolgedessen zur Wirkung gekommen. Die
dunkle Oberflächenfarbe konnte dem Einfluß der absorbierbaren Strahlen
zuzuschreiben sein, während die gleichmäßige Färbung in der ganzen Masse
von den durchdringenden Strahlen hervorgerufen war. . Ä
Das Ionisierungsvermögen der radioaktiven Substanzen. — Die
von den radioaktiven Substanzen ausgesandten Strahlen erteilen der Luft,
welche sie durchdringen, eine gewisse elektrische Leitfähigkeit, d. h. sie zer-
legen ihre Gasmoleküle in Ionen und zwar eine negativ geladene Korpuskel,
das Elektron und einen positiv geladenen Teil. Die entstandenen Ionen
vermögen Elektrizität zu transportieren.
Die in unmittelbarer Nähe einer strahlenden Substanz auftretende
[onisation rührt von den «-Strahlen her. Die Energie dieser Strahlen wird
in einem verhältnismäßig kleinen Bereich im Umkreis der Substanz ver-
braucht. Die von den P- und y-Strahlen herrührende lonisation tritt um
so mehr hervor, je dicker die Schicht aktiver Substanz und je tiefer die
Ionisationskammer ist, vorausgesetzt, daß der Sättigungsstrom, d. i. der maxi-
male Strom, welcher entsteht, wenn alle im Gase sich vorfindenden Ionen zum
Transport der Elektrizität dienen, erreicht wird. Die von den y-Strahlen
hervorgerufene lonisation ist im allgemeinen unbedeutend gegenüber der
von den ß-Strahlen bewirkten; so fand z. B. P. Uurie, daß von der in
großer Entfernung von einem Radiumpräparat in Luft auftretenden Ioni-
sation nur der zehnte Teil auf die y-Strahlen zurückzuführen ist.
—,—
1) Crookes, Proc. Roy. Soc. 74, 47, 1904.
20 Sticker,
: 2 Absorption
Ionisierungskraft Penetration (Halbwertschicht)
x 10000 1 0,005 mm Aluminium
B 100 100 0,5 i j
1 10000 80,0 o jj
Vergleich zwischen «-, 8- und y-Strahlung.
Das Leitvermögen von Gasen unter dem Einfluß der «-, 9, und y-
Strahlen des Radiums ist von Strutt!) und später von Kleemann?)
untersucht worden. Der Druck des Gases wurde für jede Strahlenart so-
weit herabgesetzt, dal die Ionisation im Apparat homogen und dem Druck
proportional war; die gefundenen Werte wurden auf einen bestimmten
Normaldruck umgerechnet. Die Ionisation, welche eintrat, wenn sich kein
absorbierender Schirm im Wege der Strahlen befand, wurde als von den
«-Strahlen herrührend betrachtet, als y-Strahlen galten diejenigen, die einen
1 cm starken Bleischirm durchdrangen, der Effekt der ß-Strahlen endlich
wurde durch Zwischenschaltung eines 0,01 cm dünnen Aluminiumschirmes
erhalten. Folgende Zahlen wurden gefunden:
Relative lonisation
Gas Dichte 2
«-Strahlen | -Strahlen | y-Strahlen Röntgen-Strahlen
me 1 4 1 | 1 | 1 1
H 0,069 0,24 0,115 0,16 0,114
NH, 0,59 0,81 | 0,88 0,89 —
O 1.11 1,15 1,17 1,16 1,39
N.O 1,53 1,53 1,55 1,55 —
CO, 1,53 1,59 1,60 1,58 1,60
— 1,86 1,94 | 1,86 1,71 1,05
SO, 2,19 2,01 2,25 2,27 UN
C,H,Cl 2,24 3,12 3,24 3,19 _
C,H, 2,50 4,85 4,55 4,53 | —
CH0 2,57 4,40 4,39 4,29 en
CS, 2,64 2,99 3,62 3,66 —
CH,Br 3,30 2,75 3,73 3,81 —
CHCl; 4,32 444 4,89 4,88 87.9
CH,J 5,05 3,51 5,18 4,80 72,0
CCl, 5.31 5,34 5,83 5,67 45,3
Ni(CO), 5,99 — | = 5,98 —
i
Bei den «&-, B- und y-Strahlen ist also die Ionisation der Dichte an
genähert proportional; bei den Röntgenstrahlen treten jedoch bedeutende
Abweichungen auf (vgl. auch S. 24).
1) Proc. Roy Soc., 1903. |
2) ibid., 1907.
1
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 91
Die Wärmeentwicklung der radioaktiven Substanzen. — Die
Entwicklung von Wärme durch die radioaktiven Substanzen, insbesondere
durch das Radium ist eine der wichtigsten an diesen Substanzen beobach-
teten Erscheinungen. Die Größe der vom Radium abgegebenen Wärme
liefert den direkten Beweis dafür, daß bei den radioaktiven Prozessen er-
hebliche Energiebeträge umgesetzt werden.
Die Wärmeentwicklung durch Radiumsalze ist von P. Curie in Ge-
meinschaft mit Laborde entdeckt worden. Sie benutzten 1 Gramm
radiumhaltiges Bariumchlorid, welches ungefähr 17%, Radiumchlorid ent-
hielt, und beobachteten mit Hilfe eines Thermoelementes in dem Radium-
gefäß einen Temperaturüberschuß von 1,5%. Bei mehreren Dezigramm
reinen Radiumsalzes wurde eine Temperaturerhöhung von 3° beobachtet.
Bei einem in ähnlicher Weise mit 1 Gramm Radiumbromid ausgeführten
Versuche beobachtete Giesel eine konstante Temperaturdifferenz von 5°.
Die Wärmeentwicklung des Radiums hängt von der Zeit ab, die seit der
Darstellung des Salzes verflossen ist. Ein frisch hergestelltes Radiumsalz
gibt verhältnismäßig wenig Wärme ab; die Wärmeentwicklung steigt dann
stetig bis zu einem bestimmten Grenzwert an, der nach Verlauf eines
Monats noch nicht ganz erreicht ist. Auch Radiumsalzlösungen streben
im Laufe eines Monats einem konstanten Grenzwerte zu. Dieses Ver-
halten zeigt, daß die Wärmeproduktion in Beziehung zu dem radioaktiven
Gleichgewicht des Salzes steht, auch daß sie zum größten Teil von der
angesammelten Emanation herrührt, was von Rutherford experimentell
bestätigt wurde.
Die von 1 Gramm Radium stündlich abgegebene Wärmemenge be-
trägt ungefähr 100 Kalorien nach früheren Messungen. Nach den neuesten
Messungen von Schweidler und Hess mit 1 Gramm Radiumchlorid aus
dem Besitze der Wiener Akademie erreichte die von dem Radium hervor-
gerufene Temperatursteigerung 5,5%. Es wurden 118 Kalorien pro Gramm
Radium und Stunde gefunden.
Da die mittlere Lebensdauer des Radiums wahrscheinlich ungefähr
2800 Jahre beträgt, so ist die von 1 Gramm Radium bis zu einem voll-
ständigen Zerfall entwickelte Wärmemenge ungefähr gleich 2,9. 10° Ka-
lorien gleich zu setzen; um diese Wärmemenge zu erzeugen, müßte man
ungefähr 500 Kilogramm Kohle verbrennen.
Röntgenstrahlen und Radiumstrahlen. Bei der elektrischen
Entladung in einem unter sehr geringem Druck, etwa 1/iooọ mm
stehenden Gase, das in einem mit 2 Elektroden versehenen Rohre sich
befindet, sendet der negative Pol, die Kathode, Strahlen aus, welche aus
negativen Ionen bestehen, deren Kerne aus sich bewegenden Korpuskular-
teilchen (Elektronen) gebildet werden, die an der Katlıode durch den
22 Sticker,
Stoß der positiven Ionen gegen die Gasmoleküle entstehen, „Kathoden-
strahlen“. Eine zweite Strahlenart aus positiv geladenen Teilchen von
großer Geschwindigkeit bestehend befinden sich in dem Raume vor der
Kathode und gehen, falls Bohrlöcher in der Kathode hergestellt sind.
durch diese Kanäle hindurch, daher der Name Kanalstrahlen oder
positive Strahlen.
Beide, die Kathodenstrahlen und die positiven Strahlen werden im
elektrischen und magnetischen Felde abgelenkt, sie erregen auf ihrem
Wege eine Fluoreszenz des Gases und entgegenstehender fester Körper.
so auch der Glaswand, auf welche sie auftreffen.
Außer den positiven und den Kathodenstrahlen entsteht noch eine
dritte Strahlenart in von elektrischer Entladung durchdrungenen verdünnten
Gasen. Sie werden überall ausgesandt, wo die Kathodenstrahlen auf ein
Kathgdenstrahlen
analog ß Strahlen
X- Strahlen“ S =.
analog f- Stralen ^io
N
` `
N
> `~
N `
Röntgenröhre > EN \
N
Fig. 8.
Hindernis stoßen. Diese X- oder Röntgenstrahlen benannten Strahlen
gehen durch das Glas der Röhre und durch jede Art von Materie mit
Leichtigkeit hindurch, um so leichter, je geringer die Dichte. Um sie
besser als an der getroffenen Glaswand zu erhalten, wird meist in dem
Rohre eine Metallplatte der Kathode gegenüber angebracht, die Antikathode.
Den positiven Strahlen oder Kanalstrahlen zu vergleichen sind die
«-Strahlen der radioaktiven Substanzen, den Kathodenstrahlen die $-Strahlen.
den X-Strahlen die y-Strallen.
Ein mit einer radioaktiven Substanz beschicktes Röhrchen von dicker
Wandung, welches keine æ- und ß-Strahlen durchläßt, also nur y-Strahlen
emittiert, ist eine Röntgenröhre en miniature, nur ist ihre Strahlung noch
weit durchdringender.
Die Röntgenstrahlen wirken auf die photographische Platte, erzeugen
Phosphoreszenz verschiedener Substanzen und ionisieren Gase, durch die
sie gehen.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 23
Treffen die Röntgenstrahlen auf ein materielles Hindernis, so können
sie Kathodenstrahlen erzeugen, d. h. die Entsendung von Elektronen großer
(seschwindigkeit aus der Materie des Hindernisses veranlassen.
Je größer die Geschwindigkeit der Kathodenstrahlen war, desto größer
ist das Durchdringungsvermögen der von ihnen erzeugten Röntgenstrahlen.
Die wenig durchdringenden, weichen Strahlen entstehen in Crookesschen
Röhren, in denen eine mäßige Potentialdifferenz herrscht. Die durch-
dringenden, harten Strahlen werden in Röhren mit sehr gutem Vakuum
und bei sehr hoher Potentialdifferenz gewonnen.
Die Analogie der y-Strahlen mit den Röntgenstrahlen erhellt vor
alem aus der gleichen Entstehung beider Strahlenarten.
Die y-Strahlen kommen in allen bekannten Fällen zusammen mit
Strahlen vor, und ihre Intensität ist derjenigen der letzteren proportional.
Man kann also vermuten, daß ihre Emission von der Anwesenheit der
Strahlen in derselben Weise abhängt, wie die Emission der Röntgen-
strahlen von der der Kathodenstrahlen. Es ist jedoch noch nicht gelungen,
mit Sicherheit die Emission von y-Strahlen an Radiatoren nachzuweisen,
welche von reinen ß-Strahlen getroffen werden. Eve hat die Erzeugung
von Sekundärstrahlen des y-Typus durch die durchdringenden Strahlen
des Radiums beobachtet, aber die Entstehung von y-Strahlen auf Kosten
der 5-Strahlen ist nicht mit absoluter Sicherheit bewiesen.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den y-Strahlen und Röntgen-
strahlen ist in ihrem Ionisierungsvermögen gegenüber verschiedenen Gasen
zutage getreten. Strutt!) hat gezeigt, daß bei den y-Strahlen des Radiums
die Ionisation eines Gases annähernd proportional seiner Dichte ist, während
hingegen die Röntgenstrahlen in Schwefelwasserstoff und in Ohlorwasser-
soft eine bedeutend stärkere Ionisation hervorrufen als in Luft, obwohl
die Dichte dieser Gase von der der Luft nicht sehr verschieden ist. Man
darf jedoch nicht vergessen, daß die y-Strahlen ein bedeutend größeres
Durchdringungsvermögen besitzen als die Röntgenstrahlen und aus diesem
Grunde andere Eigenschaften zeigen können. Aus den Untersuchungen
vn Eve geht hervor, daß der hier erwähnte Unterschied bei sehr harten
Röntgenstrahlen viel weniger ausgeprägt ist; diese Strahlen waren aber
immer noch 40 mal weniger durchdringend als die y-Strahlen; der Ab-
sstptionskoeffizient in Blei betrug 22, derjenige der y-Strahlen des Radiums
unzefihr 0,5.
In folgender Tabelle sind die Ergebnisse der Versuche von Strutt
ud Eve zusammengestellt:
© Strutt, Phil. Trans. 1901.
94 Sticker,
Ionisation
Gas Dichte Röntgenstrahlen |
| y-Strahlen
weiche | harte
Wasserstoff . 0,11 0,42 0,19
Luft. AOA 1 1 1
Schwefelwasserstoff . 6 0,9 1,23
Chloroform 82 4,6 4,8
Methyljodid . 72 12,5 5,6
Tetrachlorkohlenstoff 45 4,9 3,2
(Vgl. auch die Tabelle S. 20.)
- Auch die Erregung von Sekundärstrahlen durch die y-Strahlen und
deren gleiche Entstehung bei den Röntgenstrahlen bietet eine Analogie.
Ein Metall, das von Röntgenstrahlen getroffen wird, sendet Strahlen
aus, die von den Primärstrahlen um so stärker verschieden und um so
leichter absorbierbar sind, je größer die Dichte des betreffenden Metalles
ist.!) Unter diesen Sekundärstrahlen befinden sich negativ geladene, also
ihrer Natur nach von den Primärstrahlen vollkommen verschiedene Strahlen, ?)
die im Magnetfeld abgelenkt werden und eine Geschwindigkeit von un-
gefähr 5.109 CM Besitzen. 3)
sec
Die spezifisch leichten Metalle wirken hauptsächlich in der Weise,
daß sie die primären Röntgenstrahlen zerstreuen und zurückwerfen, die
schweren Metalle und allgemein die Elemente mit hohem Atomgewicht
emittieren dagegen außerdem sowohl Kathodenstrahlen wie sekundäre
Röntgenstrahlen, welche leichter absorbierbar als die primären sind. Diese
sekundären Röntgenstrahlen sind homogen, ihr Durchdringungsvermögen
hängt nur von der Natur des als Radiator verwendeten Elementes ab und
ist eine dem Atom desselben zugehörige Eigenschaft. Die für ein ge-
gebenes Element charakteristischen homogenen Röntgenstrahlen können
nur von Primärstrahlen hervorgerufen werden, die ihrerseits ein größeres
Durchdringungsvermögen besitzen.?) Bei den Sekundärstrahlen vom Typus
der Kathodenstrahlen ist das Verhältnis < ungefähr gleich 1.7 . 107 elektro-
magnetischen Einheiten, und ihre Geschwindigkeit liegt zwischen 0,19 und
0,25 Lichtgeschwindigkeit.°) Daraus geht hervor, daß sie den mit hoher
1) Sagnac, Ann. de Chimie et de Phys. (7), 22, S. 493. 1901.
2) Curie und Sagnac, Comptes rendus 130, S. 1013. 1900.
3) Dorn, Abh. Halle. 1900.
d Barkla, Jahrb. d. Rad. 5, S. 246. 1908. — Barkla u. Sadler, Phil.
Mag. (6), 16, S. 550. 1908.
5) Bestelmeyer, Ann. d. Phys. 22, S. 429. 1907.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 25
Spannung erzeugten Kathodenstrahlen vollkommen analog sind. Ihre Ge-
schwindigkeit wächst mit dem Durchdringungsvermögen der Primärstrahlen,
scheint aber weder von der Intensität derselben, noch von der Natur des
Radiators abzuhängen.!) Über den Vergleich der Sekundärstrahlen der
Röntgen- und Radiumstrahlen siehe Seite 15.
Vergleichende Zusammenstellung des Durchdringungsver-
mögens der verschiedenen Strahlenarten. Folgende Tabelle ent-
hält die Abbsorptionskoeffizienten (p) einiger Substanzen für die verschiedenen
Strahlenarten, sowie die Weglängen (L), welche die Strahlen in Luft
zurücklegen müssen, damit ihre Intensität auf den halben Wert sinkt.
u Luft |uAluminium| wu Blei L Luft
Uem 27 cm 1/ cm cm
Kathodenstrahlen, 2.10% cm/sec 2280
Kathodenstrahlen, 10 cmjsec 3,4 7150 ’ 0,2
«-Strahlen des Urans 2740 0,43
;Strahlen des Urans 14 122 107
Harte Röntgenstrahlen 22 500
‚Strahlen des Radiums | 0,1 0,5 15000
Wellen- und Korpuskularstrahlung. — Die Stellung der radio-
aktiven Strahlen und der Röntgenstrahlen zu den Lichtstrahlen und den
elektrischen Wellen erhellt aus nachfolgenden beiden Tabellen.
Strahlenarten.
I. Strahlen von Wellennatur.
Gemeinsame Eigenschaften: Fortpflanzungsgeschwindigkeit = 3.10% m/sec;
Polarisation; Interferenz.
); Besondere Eigen-
Bezeichnung Wellenlänge Ursprung Selinften
l- Elektrische oder] mehrere 1000 m elektrische Ent- elektr. Wirkung
Hertzsche Wellen bis 3 mm ladungen
2 Ultrarote Strahlen 0,06 bis 0,00076 mm heiße Körper Wärmewirkung
3. Sichtbare Licht-| 0,00076 bis 0,0004 | glühende Körper Lichtwirkung
strahlen
4. Ultraviolette 0,0004 bie. 0001 mm'höchst weißglühendechem. Wirkungen,
lampe) gung,lonisierung
der Luft
). Röntgenstrahlen |
ca. 0,000 000 05 mm.MetallebeimAuftreffen'Durchdringen un-
von Katlıodenstrah-), durchsichtiger
len Körper
radioaktive Körper |Ionisierung derLuft
|
Strahlen Körper (Quecksilber-| Fluoreszenzerzeu-
F
6. y-Strahlen |
Tun un
l) Innes, Proc. Roy. Soc. 1907.
26 Sticker,
II. Strahlen fliegender Masseteilchen (Korpuskularstrahlen).
Gemeinsame Eigenschaften: Elektrisch und magnetisch ablenkbar, Ionisierung
der Luft,
Bezeichnung Geschwindigkeit Ursprung nm
a) Strahlen von nega- |
tiv elektr. Teilchen
(Elektronen)
1. $-Strahlen 10% bis ca. 3. 10% radioaktive Körper Durchdringen dünner
| m/sec (ca. Licht- Schichten undurch-
| geschwindigkeit) sichtiger Körper
2. schnelle Ka-,22 bis 50. 10% m/secielektr. Entladungen Durchdringen nur äu-
thodenstrahlen in luftverdünn-| Berst dünner Schich-
| ten Röhren ten, z. B. Blattmetalle
3. langsame Ka-| 1000 bis O0 m/sec ‚glühende und be- absorbiert von jeglicher
thodenstrahlen. | lichtete Körper Materie, z. B. auch
| chemische Reak- von Luft sofort, da-
tionen her nur im äußersten
b) Strahlen von posis
tiv elektr. Teilchen
| Vakuum haltbar
(Atome) | |
|
|
4. «-Strahlen radioaktive Körper;
5. Kanalstrahlen
| 1,6 . 10° m/sec
1 bis 10. 10% m/seclelektr. Entladungen!
| in juftverdinn.
| ten Röhren |
Messungsmethoden. Die von den radioaktiven Stoffen aus-
gesandten Strahlen wirken auf die photographische Platte, rufen bei ver-
schiedenen Körpern Fluoreszenz hervor, machen die Gase elektrisch leitend -
und entwickeln meßbare Wärmemengen. Auf Grund dieser Eigenschaften
gründen sich die Messungsmethoden: die radiographische, die fluoroskopische,
die elektrische und die thermische.
Die radiographische Methode besteht darin, daß die photographische
Platte den von einem radioaktiven Körper ausgehenden Strahlen bei Ausschluß
von Licht ausgesetzt wird. Die zur Erlangung eines Bildes nötige Zeit
ist sehr verschieden. Bei Anwendung von Radium können einige Sekunden
genügen, andere schwachradioaktive Substanzen erfordern oft mehrere Tage.
Grewisse Vorsichtsmaßregeln sind notwendig, besonders bei langdauernden
Versuchen, da auch nicht radivaktive Substanzen, wie Wachs, Zink, redu-
zierende Dämpfe oder Gase, welche von organischen Stoffen ausgehen, +)
die photographische Platte angreifen.
1) Russell, Proc. Roy. Soc. 1896.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 27
Die fluoroskopische Methode bedient sich der mit Schwefelzink,
Bariumplatinzyanür u. a. Stoffen (vgl. das Kapitel über Fluoreszenz) be-
deckten Schirme, um aus dem schwächeren oder stärkeren Aufleuchten
derselben auf die Menge der radioaktiven Substanz zu schließen.
Bei der elektrischen Methode wird die Intensität des Stromes
gemessen, der durch ein von der Strahlung leitend gemachtes Gas hin-
durchgeht.
Die Stromstärken bewegen sich von 10-1? bis 10-5 Ampere. Mit
1 g Radium kann man in Luft einen Strom von 10-3 Ampere erreichen.
Mittels des Galvanometers kann man Ströme bis zu 10 Ampere leicht
messen: wo es sich um schwächere Ströme handelt, wendet man die
elektrometrischen Methoden an. Als Meßapparate werden die Elek-
troskope verwendet.
Elektroskope. Jeder Meßapparat der Radioaktivität besteht aus
zwei Teilen, dem eigentlichen Meßinstrument und dem lonisationsraum.
j Erde
Fig. 9. Fig. 10.
Kondensator: A geerdete Platte, Elektroskop nach P. Curie.
B mit radioaktiver Substanz be-
streoto Platte; welche meiner Alle Meßinstrumente benutzen
galvanischen Batterie verbun-
die bekannte Eigenschaft der Elek-
trizität, daß sich elektrisch geladene
Körper gleichen Vorzeichens abstoßen, ungleichen Vorzeichens aber anziehen.
Die Meßinstrumente sind nun entweder Blättchenelektroskope oder
Quadrantelektrometer oder Quarzfadenelektrometer.
Blättchenelektroskope. Zu den Blättchenelektroskopen ge-
hört das von P. Curie angegebene Modell, nach vorstehender Abbildung.
Es besteht aus einem festen vertikalen Metallstäbchen (a), an dem
das leichte, bewegliche Blatt (b) befestigt ist. Der Streifen wird von
einem Stabe getragen, der durch einen isolierenden Stopfen in der Decke
des mit der Erde leitend verbundenen Metallgehäuses S geführt ist. An
seinem äußeren Ende trägt der Stab einen durch einen Metalldeckel ge-
schützten Ladungsknopf. Ein rechtwinklig an diesem Stabe befestigter
den ist.
28 Sticker,
zweiter Stab geht durch die Seitenwand des Gehäuses in die Ionisations-
kammer, einen Metallzylinder, der auf einer vom Gehäuse getragenen
Randleiste aufsitzt. In dieser Kammer befinden sich die Kondensator-
platten, von denen die Platte A mit dem Stabe des Elektroskops, die
Platte B, die die radioaktive Substanz trägt, mit dem Gehäuse verbunden
ist. Sobald das Elektroskop geladen ist, entsteht ein Feld zwischen A
und B, und ist die Luft daselbst durch die Gegenwart einer radioaktiven
Substanz leitend geworden, so entladet sich das Elektroskop nach und nach,
und das bewegliche Blatt nähert sich dem festen Metallstabe. Man be-
obachtet die Bewegung des Blattes mit einem
schwach vergrößernden, mit Okularmikrometer
versehenen Mikroskop, und kann aus der Ge-
schwindigkeit der Entladung den Wert des
Stromes in relativrem Maße bestimmen.
Auch der von Engler und Sieveking
„Fontaktoskop‘‘ benannte Meßapparat benutzt
das Blättchenelektroskop. Folgende Zeichnung
gibt den Apparat nach der von Löwenthal
getroffenen Veränderung wieder. Es besteht
aus einem Elektroskop und einer zwei Liter
fassenden Blechkanne, welche den lonisations-
raum darstellt.
Das Elektroskop zeigt im wesentlichen
einen vorn und hinten mit Glasscheiben be-
deckten Kopfteil, in dessen Innenraum zentrisch
eine Metallstange von oben nach unten verläuft,
welche in einer Bernsteinplatte oben isoliert
eingelassen ist. An dem Metallstab sind oben
zwei Aluminiumblättchen b befestigt, die in
der Ruhe durch zwei seitliche, bewegliche,
eingeschobene Schutzbacken S geschützt werden können. Der Metallstab
ist nach unten verlängert durch den sogenannten Zerstreuungsstab Z, welcher
eingeschraubt wird und dann in die Meßkanne durch die Öffnung des
Metallfußes hineinragt. Die Bewegung der Blättchen wird durch eine
Lupe beobachtet, während gleichzeitig die Blättchenstellung an einer sich
spiegelnden Meßskala fixiert wird. Diese Skala hat, von der Mitte be-
trachtet, nach jeder Seite 20 Teilstriche — in Summa also 40. Der
Nullpunkt befindet sich in der Mitte der Skala.
Quadrantelektrometer. Das Quadrantelektrometer ist für elek-
trische Spannung empfindlicher, aber dafür wegen seiner größeren Kapazität
für elektrische Ladung weniger empfindlich als die Blättchenelektroskope.
Fig. 11.
Fontaktoskop.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 29
Wie mit dem Quadrantelektrometer ein schwacher Strom, der unter
der Wirkung einer radioaktiven Substanz sich bildet, gemessen wird, ergibt
sich aus folgender Beschreibung.
A und B bilden die beiden Platten eines Kondensators. B trägt die
ralioaktive Substanz und ist auf ein hohes Potential gebracht. Die Platte A
ist mit dem Quadrantenpaar 1 verbunden, das beliebig zur Erde abgeleitet
oder isoliert werden kann. Das Quadrantenpaar 2 ist vollständig geerdet.
Die Nadel, die an einem Faden mit einiger Torsion hängt, erhält ein
hohes Potential. Sind beide Quadrantenpaare zur Erde abgeleitet, so findet
sich die geladene Nadel in einer Gleichgewichtslage symmetrisch zu den Sek-
toren. Isoliert man den Sektor 1, so lädt er sich durch den Strom, der
durch den Kondensator übergeht, und die Nadel geht aus der Gleich-
drantenpaar eintre-
tenden Ladungsstro-
Geschwindigkeit zu
beobachten, mit der
gewichtslage heraus. LJ
mes können verschie-
ZurMessung des
in das isolierte Qua-
dene Methoden an-
gewandt werden. Am == ==
einfachsten ist es, die
die Nadel sich be- Erge —
wert, und sich dazu T
der gewöhnlichen op- l
tischen Vorrichtung Fig. 12. erde
zu bedienen. Man
befestigt an dem Stiel,
der die Nadel trägt, einen konkaven Spiegel, der auf eine in einiger Ent-
fernung horizontal angebrachte Skala den Schein einer geeigneten Lichtquelle
wirft. Schlägt die Nadel aus, so beobachtet man die Bewegung des Licht-
scheins, die um so rascher vor sich geht, als der Strom stärker ist. Man
nennt diese Methode die Methode der Ausschlagsgeschwindigkeit.
Das gebräuchlichste Fadenelektrometer ist das nach Th. Wulf.
Es besitzt 2 Quarzfäden von 0,001 mm Dicke. Im Normalzustand setzen
die nicht leitenden Luftteilchen der Ableitung der Elektrizität vom Stabe
rings zur Glocke ein Hindernis entgegen. Treffen Radiumstrahlen auf die
Luftteilchen, so lassen diese den Übergang der Elektrizität zu.
Das Elektroskop wird von außen aufgeladen und die Quarzfäden gehen
entsprechend der Ladung auseinander. Indem wir nun bei Annäherung
Quadrantelektrometer.
30 Sticker,
eines Radiumpräparates die Verminderung der Abstoßung der beiden Fäden,
die hierdurch hervorgerufen wird, ablesen, besitzen wir ein äußerst feines
Instrument zur Messung der Radioaktivität.
Die thermische Methode, d. h. die Messungsmethode mittels
der Bestimmung der Wärmeentwicklung geht von der Tatsache aus, daß
die Gesamtenergie der Strahlung der Menge der radioaktiven Substanz
proportional ist.
Es genügt also die bei vollständiger Absorption der Strahlen produ-
zierte Wärmemenge zu messen.
B. Biologische Wirkungen der radioaktiven Substanzen.
Erstens: Allgemeine Wirkung der komplexen Strahlung auf
organische Substanzen. — Radium und Mesothorium liefern keine
homogene Strahlung und es genügt somit nicht die Menge der radio-
aktiven Substanz zu kennen, welcher der Träger enthält; die Strahlung
ist vielmehr eine gemischte (komplexe), die mit æ, B und y bezeichnet
wird und deren jede eine verschiedene Penetrationskraft und Absorptions-
größe besitzen. Dementsprechend ist auch zu erwarten, daß die bio-
logischen Wirkungen verschiedenartige sein werden, je nachdem die eine
oder andere Strahlengattung vorherrscht.
Das gegenseitige Verhältnis der Strahlengattungen ist einmal abhängig
von der Art des Bestrahlungsapparates (des Trägers inkl. des Filters),
zweitens von der Lage des zu bestrahlenden Körperorganes. Liegt das
letztere an der Oberfläche des Körpers, bildet es die Oberfläche, das
Deckorgan (äußere Haut) selber, so spielen die weniger durchdringenden
Strahlen, liegt das zu bestrahlende Organ in der Tiefe, so spielen die
tiefer durchdringenden Strahlen die Hauptrolle.
Daß die physikalische Eigenschaft der Absorption, welche nach der
Dichte der Substanz wechselt, auch für das organische Gewebe wechselnde
Grade zeigt, kann ohne weiteres beobachtet werden. Von der Absorptions-
sröße des Gewebes für die Radiumstrahlung hängt aber auch die bio-
logische Wirkung der Strahlung auf das Gewebe ab, welch letztere eine
funktionshemmende oder funktionsstörende sein kann.
Die Mannigfaltigkeit der biologischen Funktionen der Gewebe macht
das Problem oft zu einem sehr verwickelten.
Einfacher gestaltet sich das Problem der wirksamen Radiumbestrahlung
tierischer Gewebe, wenn es gilt krankhaftes Gewebe zu zerstören, wie vor
allem bei den gutartigen und bösartigen Neubildungen. Hier heißt es vor
allem diejenige Strahlungsgattung aufzusuchen, für welche das Neubildungs-
gewebe die größte Absorption besitzt und diese so anwenden und dosieren,
daß das gesunde benachbarte Gewebe den geringsten Schaden erleidet.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 31
Die deletäre Wirkung des Radiums und verwandter Stoffe auf die
lebende Substanz wurden auf vielfachem Wege studiert, hierher gehören
die Forschungen über die Vernichtung von Bakterien, die Vernichtung der
Keimkraft von Pflanzensamen, die Vernichtung von pathologischen, ins-
besondere von Geschwulstgewebe.
Die Reizwirkungen, welche nur in einer Störung der normalen biologi-
schen Vorgänge (Störung der Entwicklung, der physiologischen Funktionen)
bestehen, sind zum großen Teil nur als partielle Schädigungen einzelner
Zellen und Gewebsbestandteile aufzufassen.
Wirkung der Sekundärstrahlung der radioaktiven Sub-
stanzen auf das Körpergewebe. Wie wir oben sahen, wird jeder von
radioaktiven Strahlen getroffene Körper seinerseits wieder zur Strahlen-
quelle, wobei die in ihm neu entstehenden Strahlen einen anderen Härte-
grad haben, als die einfallenden, während aber die von den Schwermetallen
ausgehenden Sekundärstrahlen weicher, sind die von tierischem Gewebe
gebildeten Sekundärstrahlen meist härter als die einfallende Strahlung.
In der Röntgenphotographie werden deshalb bei dicken Objekten
weichere Strahlen angewendet, als eigentlich für die größtmögliche Kontrast-
bildung ersprießlich wäre, denn unter harter Strahlung entstehen weit mehr
Sekundärstrahlen als unter weicher.
Für die direkte Tiefentherapie hinwiederum sind die Sekundärstrahlen
von wenig Belang, weil sie so hart sind, daß ihre physiologische Wirkung
kaum in Betracht kommt.
Man kann sich aber die weichen Sekundärstrahlen, wie sie von Me-
tallen ausgehen, auch im Körper zu Nutzen machen. So hat Johnson
bei Darmleiden metallisches Silber einnehmen und auf den Unter-
leib sehr harte Strahlen einwirken lassen. Dasselbe erreichte Harris,!)
wenn er vor der Röntgenbehandlung des karzinomatösen Rektums Zink-
paste einführte.
Emil G. Beck brachte in die Nähe der erkrankten Gewebe (Herde
im Becken, im Hüftgelenk, in der Wirbelsäule) Wismutpaste und ließ die-
selbe erhärten. Die harten Röntgenstrahlen wurden von den Weichteilen
nur in geringer Menge absorbiert und konnten deshalb auch nur eine un-
bedeutende therapeutische Wirkung entfalten. Beim Auftreffen aber auf
das Wismutsalz wurden die harten Strahlen zum Teil in weiche Sekundär-
strahlen umgewandelt, welche nun in dem unmittelbar benachbarten kranken
Gewebe kräftig absorbiert werden und daher eine intensive therapeutische
Wirkung entfalten.
Da das Wismut aber mehrfach giftige Eigenschaften (Stomatitis, Zy-
1) Brit. Med. Ass. Birmingham 1911.
32 Sticker,
lindrurie, letaler Ausgang) entfaltet haben soll, wird es Aufgabe der For-
schung sein, ein ungiftiges Mittel ausfindig zu machen, welches weiche
Sekundärstrahlen auszusenden vermag.
Zweitens: Besondere Wirkung der komplexen Strahlung auf
organische Substanzen.
1. Strahlenwirkung auf einfache organische Substanzen. — Bei
längerer Bestrahlung von Papier, Seide, Battist, Zelluloid, Kampfer,
Pflanzenblätter, Holz werden diese Stoffe brüchig, zum Teil auch dunkel
gefärbt. Je stärker die Bestrahlungsapparate, desto kräftiger ist ihre
Wirkung und dies hängt mit ihrer Ozonisierung des Luftsauerstoffes zu-
sammen. Diese Bildung von Ozon wie die von Halogen bzw. Halogen-
oxyden spielen aber bei der Veränderung organischer Farbstoffe durch
Radiumbestrahlung eine Hauptrolle. Der Blutfarbstoff von Maus und
Kaninchen nimmt einen dunkleren, der von Huhn und Frosch einen
helleren Ton an, der von Meerschweinchen erscheint satter gefärbt. Das
gelbgrüne Biliverdin wird grasgrün.
Chlorophyll blaßt langsam aus, blaue Lackmustinktur wird wie durch
eine Säure allmählich gerötet.
Hämatoxylin nimmt die Farbe von Karmin an.
Einen Einfluß von der Radiumstrahlung auf die Aromabildung in
Gärungsflüssigkeiten saı W. Casparı. Da Röntgenstrahlen, ultraviolettes
Licht, sowie Hochfrequenzströne einen ähnlichen Effekt haben, so ist an-
zunehmen, daß es sich hier um eine Strahlenwirkung allgemeiner Art
handelt, die man als Strahlenefiekte von den direkten chemischen Wir-
kungen unterscheiden muß.
Die letzteren werden vielfach erst sekundär hervorgerufen.
2. Strahlenwirkung auf Fermente. — Um die Beeinflussung fermen-
tativer Prozesse durch radioaktive Substanzen zu studieren, hat die experi-
mentelle Untersuchung im großen und ganzen zwei Wege eingeschlagen.
Einmal wurden Fermentlösungen der Strahlung eines Radiumsalzes unter
Ausschluß der Emanation ausgesetzt, in anderen Fällen wurde die Wir-
kung der isolierten Emanation auf die Fermenttätigkeit untersucht.
Nur ausnahmsweise wurde bei den Versuchen direkt das Radiumsalz
der Fermentlösung zugesetzt und damit bewirkt, dab sämtliche vom Radium
ausgehenden Energien sich Geltung verschaffen konnten.
Bei den Bestrahlungsversuchen kamen ausschließlich B- und y-Strahlen
in Betracht, da das radioaktive Präparat in eine Metallkapsel hinter eine
Glimmerplatte eingeschlossen oder in einem zugeschmolzenen Glasröhrchen
sich befand.
Es zeigte sich nun. daD bei strenger Einhaltung dieser Versuchs-
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 33
anordnung im allgemeinen Wirkungen auf Fermente entweder gar nicht
oder nur schwach und inkonstant beobachtet wurden.
Keine Einwirkung der ß- und y-Strahlen konnte von London auf
das Pepsin, von Henri und Mayer auf das Labferment wie auf die Blut-
»rinnung festgestellt werden. Nach Danysz soll das Trypsin eine Ab-
schwächung erfahren, während es nach den zuvorgenannten Autoren un-
verändert bleibt. Bergell und Braunstein sahen gleichfalls die Hemmung
der Trypsinwirkung.
Das autolytische Ferment wird nach unveröffentlichten Versuchen, die
auf Bickels Veranlassung Wohlgemuth anstellte, gleichfalls nicht von
den $- und y-Strahlen des Radiums verändert.
In Übereinstimmung mit diesen Beobachtungen am Radium befinden
sich die Erfahrungen, die Bickel in Gemeinschaft mit Minami mit den
»- und y-Strahlen des Mesothoriums machte.
Diese Versuche zeigen in evidenter Weise, daß die B- und y-Strahlen
les Mesotlioriums genau wie diejenigen des Radiums sich gegen das auto-
Iitische Ferment inaktiv verhalten.
Den Verdauungsfermenten, der Diastase, dem Pepsin und Trypsin
gegenüber war auch kein stärkerer Einfluß dieser Strahlen nachweisbar,
immerhin verliefen die Versuche doch nicht ganz so eindeutig negativ, wie
liejenigen mit dem autolytischen Ferment. |
Aus allen diesen Beobachtungen ergibt sich demnach, daß die B- und
‘Strahlen des Mesothoriums oft überhaupt keinen und in den positiven
Fillen höchstens einen geringfügigen und wahrscheinlich öfters nur vor-
überselenden Einfluß auf die Verdauungsfermente (Diastase, Pepsin und
Trypsin) erkennen lassen, und daß dieser Einfluß bald in einer Aktivierung,
kald in einer Hemmung der Fermentwirkung besteht.
Die Beobachtungen über den Einfluß der isolierten Radiumemanation
suf Ferinente sind in Folgendem kurz zusammengefaßt.
Die ersten hierher gehörigen Mitteilungen stammen von Bergell und
Braunstein (1905), die aus Radiumbromid durch Destillation und unter
Anwendung intensiver Kühlung reine Emanation gewannen, und mit dieser
Emanation Beobachtungen über die Verstärkung der Trypsinwirkung an-
“ellten, wie von Bergell und Bickel (1905), welche die Aktivierung des
Penins durch Radiumemanation nachwiesen.
In der Folge wurden diese Versuche vielfach variiert und auf andere
Fermmente ausgedehnt. So stellten Loewenthal und Wohlgemuth (1909)
‘t. daß durch Radiumemanation bei der Diastase zunächst eine Hemmung,
ater eine Beschleunigung zustande kommt, so ermittelten Edelstein
l]Loewenthal (1908), daß reine Radiumemanation auf die Autolvse von
r rmaler Leber und Lunge, von pneumonischer Lunge. wie vom Karzinom-
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 3
34 Sticker,
und Sarkombrei einen begünstigenden Einfluß hat, alles Beobachtungen.
die im wesentlichen die älteren Befunde von Bergell, Braunstein und
Bickel im Prinzip bestätigten und die, soweit das autolytische Ferment in
Frage kommt, die Beobachtungen von Neuberg und Wohlgemuth aus
dem Jahre 1904 weiter analysierten. Auch das glykolytische Ferment
soll durch Radiumemanation nach Engelmann und Wohlgemuth ver-
stärkt werden.
Minami stellte fest, daß Thor-X und Thoremanation die mensch-
liche Speicheldiastase in der Regel zunächst hemmt, bei längerer Digestions-
dauer aber in ihrer Wirkung verstärkt. Bei noch längerer Versuchsdauer
zeigt sich dann ein unregelmäßiges Verhalten. Die Pankreasdiastase des
Hundes verhält sich in ähnlicher Weise.
Das peptische Ferment wird durch Thor-X und Thoremanation_ bei
längerer Versuchsdauer in geringem Maße aktiviert, das Trypsin wird un-
regelmäßig beeinflußt, oft zunächst stark gehemmt; später läßt die Hemmung
dann mehr und minder nach.
Das autolytische Ferment der normalen Hundeleber wird durch
Thor-X und Thoremanation anfangs beträchtlich verstärkt; bei längerer
Einwirkung kann dagegen Hemmung beobachtet werden. Der Zusatz von
Radiothorium zu der Thor-X- und Thoremanationslösung ändert das Ver-
suchsresultat nicht.
Alles in allem lehren sowohl die Versuche mit Ra-
diumemanation, als auch diejenigen mit Thor-X und
Thoremanation, daß die -Strahlen einen intensiven Ein-
fluß auf die Fermenttätigkeit ausüben können, während
die p- und y-Strahlen des Radium und des Mesothorium,
nur eine unbedeutende Wirkung auf die Fermente ent-
falten.
3. Strahlenwirkung auf niedere Organismen, inbesondere
Krankheitserreger. Die Röntgenstrahlen haben sich in zahlreichen
Versuchen als wenig wirksam gegen niedere Organismen, insbesondere
auch gegen pathogene Bakterien erwiesen: eine Erklärung hierfür liegt
in ihrem starken Durchdringungsvermögen. Die radioaktiven Substanzen
dagegen, welche neben stark durchdringenden auch weniger durchdrin-
gende Strahlen von leichter Absorbierbarkeit aussenden, üben einen wahr-
nehmbaren Reiz auf niedere einzellige Lebewesen aus, der sich vor allem
als wachstumshemmend, in einigen Fällen auch als lebenzerstörend er-
weist. Trotzdem muß man die bakteriziden Wirkungen der radioaktiven
Substanzen. wenn man sie mit den gewöhnlich verwendeten Desinfektions-
mitteln vergleicht, als wenig bedeutend anerkennen. So wirkten nach Strah-
mann die von 10 mg Radiumbromid ausgehenden B- und y-Strahlen
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 35
auf Kulturen von Prodigiosus, Staphylococcus, Streptococcus, Tricho-
phyton tonsurans, Achorion Schönleini erst nach mehrstündiger Einwirkung
wachstumshemmend. Sichere Abtötung erfolgt meist erst nach 24 bis 26-
stündiger Bestrahlung.
Wachstum frischer Kulturen unter dem Einfluß von
Radıumstrahlen.
a) Glimmerverschluß.
—
Stunde Prodigiosus | Sap2y.0- BERDOR os | Achorion
| Coccus coccus phyton
6 + | +++ +++ +++ ++
12 + +++ | ++ ++ +
18 + i ET + 0 +
24 0 | T 0 +
36 + +
48 | 0 | 0
b) Glimmer- und Glasverschluß.
6 +++ | +++ ++ +++ | +++
12 Ti +++ ++ +H | +++
18 + +++ ++ ++ ++
24 F +++ + + +
36 0 +++ 0 0 +
++ +
60 0 0
So konnte weiter Wickham bei 12stündiger Bestrahlung mit Dmg
nem Radiumsulfat keine Wachstumsstörung von Gonokokken und Sta-
phylokokkenkultur erzielen, obwohl das unlösliche Salz nur von Firnis be-
deckt war und eine 5% æ-, 80% ß- und 15 % y-Strahlung abgab.
Auch Prescott hatte negative Erfolge bei der Bestrahlung von Typhus-
und Diphtheriekulturen, sowie von Bierhefe mit etwa 150 mg Radiumbroniid
wihrend 1 Stunde und mehr.
Partielle Schädigungen der Bakterien, wie Bewegungshemmung bei
Tıphusbakterien, Zerstörung des Leuchtvermögens bei Leuchtbakterien,
wurden mehrfach beobachtet.
Man muß aber wohl beachten, daß bei den bisher geschilderten Ver-
suchen nur die B- und y-Strahlung, nicht aber die «-Strahlen und die
Emanation in Wirkung traten. |
Von letzterer steht es aber durch zahlreiche Versuche fest, daß sie
ène stark bakterizide Wirkung entfalten kann. Typhusbazillen und
Diphtheriebazillen kamen auf der Oberfläche von Schrägagar bei Zuleitung
“n Emanation nicht zur Entwicklung.
3%
36 Sticker,
Auch Mäusetyphusbazillen und Choleravibrionen wuchsen auf Schräg-
agar in emanationshaltiger Luft nur im Kondenswasser.
Die relativ schwache Wirkung der Emanation auf die in der Flüssig-
keit befindlichen Keime erklärt sich durch die geringe Löslichkeit derselben
in Wasser, welche bei Zimmertemperatur nur den dritten Teil der Sätti-
gungsmenge in Luft beträgt und bei Brutofentemperatur noch geringer
sein dürfte.
Auch Koli- und Milzbrandbazillenkulturen sistierten im Wachstum Dei
Einwirkung von Emanation.
Die Beeinflussung chromogener Bakterien durch die Emanation unter-
suchten Bouchard und Balthazard. Bei Prodigiosus und Ruber
Kieliensis vollständige Sistierung des Wachstums.
Dautwitz beobachtete nach Einwirkung der aus Uranpecherzrück-
ständen gewonnenen Emanation bei Prodigiosus deutliche Wachstumshem-
mung und verminderte Farbstoffbildung.
Mit dem emanationshaltigen Quellwasser bzw. der Quelluft in Gastein
konnte Kalmann, mit dem Kissinger Rakoczybrunnen Reinbold Prodi-
giosuskulturen schädigen.
Die Tuberkelbazillen erwiesen sich auch der Emanation gegenüber
verhältnißmäßig resistent.
Nun können die Ergebnisse dieser Versuche in vitro — die Bestrahlungs-
und Emanationsversuche — nicht ohne weiteres auf infizierte Gewebe an-
gewandt werden. In der Tat betont auch Wickham den auffallenden
Unterschied zwischen der relativ geringen bakteriziden Wirkung der
Strahlung auf Staphylokokken und Gonokokken, welche sich auf Nährboden
befanden und der auffallenden Heilwirkung der penetrierenden Radium-
strahlen bei Staphylomykosis der Haut. Man kann hier an ein Eingreifen
des Radiums in den Kampf zwischen den Bakterien und dem Gewebe
denken, welches zugunsten des Organismus geschieht, sei es, dab das
Radium einen Einfluß auf eine erhöhte Bildung der Abwehrstoffe des
Körpers (Immunstoffe) hat, sei es, daß seine partielle Schädigung der Bak-
terien, die wir oben besprochen, dem Körper zugute kommen.
Hierfür sprechen die Versuche von Flemming und Krusius, welche
nach Einspritzung von Tuberkelbazillen in die vordere Augenkammer und
nachfolgende Bestrahlung mit Radium (2,6 mg) und Mesothorium (12 me‘
eine deutliche Abschwächung des tuberkulösen Krankheitsverlaufes beob-
achteten. ‘So sah ferner Schütze nach intravenöser Injektion von Radiunı-
lösung die Agglutininbildung bei Tieren, die mit Typhus, Cholera, Prodi-
giosus infiziert waren, verstärkt.
Ein mit Milzbrand infiziertes Kaninchen erhielt (Aschkinass und
Caspari) im Verlauf von vier Wochen vier Injektionen von je 1 mg Radium-
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 37
bromid in wässeriger Lösung. Die Organe des an Entkräftung verendeten
Tieres waren steril.
4. Strahlenwirkung auf lebende Zellen und lebendes Gewebe
des tierischen Organismus. Jede lebende Zelle des tierischen
Organısmus ist durch radioaktive Strahlung angreifbar, aber
je nach ihrer Artist sie für die eine oder andere Strahlung
mehr oder weniger empfindlich (spezifische Empfindlichkeit).
Ältere und ausdifferenzierte Gewebszellen zeigen oft selbst bei längerer
Einwirkung des Radiums viel geringere Veränderungen als junge embryo-
nale Zellen oder Keimzellen, wie Eier und Samenfäden bei sehr kurzer
Bestrahlung.
Die Strahlen, die die kräftigsten Wirkungen hervorbringen, sind
die «-Strahlen. Die am meisten absorbierbaren $-Strahlen scheinen eine
chemische Wirkung auf das Protoplasma auszuüben, ähnlich der der ultra-
violetten Strahlen von sehr kurzer Wellenlänge.
Die durchdringenden Strahlen verhalten sich wie die X -Strahlen
sehr träge.
Vereinigt scheinen die ß- und y-Strahlen in genügender Stärke den
Zellen und besonders dem Zellkern eine Erregung mitzuteilen, die lange
fortdauert, nachdem die Bestrahlung aufgehört.
In sehr großen Dosen lösen dieselben Strahlen das Protoplasma auf
und zersetzen die Nährsubstanzen.
Worin die Wirkungen der radioaktiven Stoffe auf lebende Zellen be-
ruhen. ist noch ungewiß. Eine Elektrolyse des Wassers, eine Spaltung
des Ammoniaks, eine Zerlegung der C'hloride, einen direkten Abbau organi-
schen Materials bewirken sie wahrscheinlich nicht, am ehesten wird man
an katalytische Wirkungen der radioaktiven Substanzen und an Beziehungen
derselben zu enzymatischen Prozessen, welche im Leben der Zellen eine
grobe, wenn nicht die wichtigste Rolle spielen. denken müssen.
Bei Bestrahlung von Geschlechtszellen (Samenfäden und Eier des
Frosches) fand Hertwig, daß in erster Linie die Kernsubstanzen affıziert
werden und für den pathologischen Ablauf des Entwicklungsprozesses der
Eier verantwortlich zu machen sind.
Mit dieser spezifischen Empfindlichkeit der Zellen steht die der Ge-
webe im engsten Zusammenhang. Auch hier wie bei den Zellen leichte
Beeintlußbarkeit der embryonalen und jugendlichen Gewebe, größere Wider-
standsfühigkeit der ausgewachsenen; aber diese Widerstandsfähigkeit ist
keine definitive und absolute.
Aus den an Bakterien, Pilzen, Samenkörnern. Keimlingen, Blumen
und Blättern ausgeführten Versuchen geht hervor, daß die Strahlung in
starken Dosen nicht nur das Wachstum und die Entwicklung der Pflanzen
38 Sticker,
aufhalten, sondern ihr Gewebe so weit verändern, daß sie ihren Tod her-
vorrufen.
Bei mäßigen Bestrahlungen treten nur partielle Schädigungen der
Gewebe auf, die erst nach längerer Zeit infolge einer konsekutiven und
mählich fortschreitenden Störung im Stoffwechsel der betroffenen Zellen zu
sichtbaren Veränderungen führen. So beobachten wir, daß im unmittelbaren
Anschluß an eine einmalige, kurzdauernde Bestrahlung eines Hautbezirkes
mit Radium zunächst gar keine Zeichen auf die vorausgegangene Einwirkung
hinweisen. Mehrere Tage können verstreichen, ehe die erste Rötung sich
einstellt, und noch später setzt die Nekrose, die Geschwürsbildung und
nur ganz spät die Vernarbung ein. Gerade die Hartnäckigkeit, mit der
das lädierte Gewebe der Heilung widersteht und die diese Radiumgeschwüre
einen so außerordentlich protrahierten Verlauf nehmen läßt, kann wohl nur
so erklärt werden, daß durch die Bestrahlung eine partielle Schädigung
einzelner, vielleicht besonders empfindlicher Zellbestandteile herbeigeführt
wird, und daß, soweit nicht die Schädigung den zur Geschwürsbildung
führenden Zelltod bewirkt hat, die Bestrahlung die Zellen nur krank
macht und die regenerativen und produktiven Eigenschaften des Gewebes
in ihrer Einflußsphäre auf lange Zeit hinaus lähmt. Für diese Auf-
fassung der Pathogenese der Radiumgeschwüre sprechen nicht zuletzt auch
die Beobachtungen O. Hertwigs über die Entwicklungsanomalien mit
Radium bestrahlter Eier.
Alle diese Beobachtungen deuten bereits an, daß die Radiumwirkung
auf die Zelle außerordentlich kompliziert ist, und daß sie sich offenbar
ähnlich anderen bekannten physiologischen Reizen verhält, die je nach Art.
Intensität und Dauer verschiedene Reaktionen auszulösen vermögen.
Zusammenfassend also läßt sich sagen, daß die biologische Wirkung
der Radium- und Mesothorstrahlung auf das lebende normale Gewebe sich
in zweifacher Art darstellt:
1. als eine reizende=hyperämisierende und entzündungserregende,
2. als eine zerstörende = deletäre.
Konform der Wirkung anderer Agentia übt das Radium in starker
Dosis destruktive Wirkung aus; diese sinkt aber bei verminderter Dosis
bis zur bloßen Reizwirkung herab. Von der Stoffwechselanregung
bis zum Tod der Zellen, ja des Organismus spielt sich die ganze
Skala der Reizwirkungen des Radiums und des Mesothoriums ab.
Latenzzeit. Die reizende und zerstörende Wirkung der Radium-
strahlen war der Ausgangspunkt unserer biologischen Kenntnisse auf diesem
ganzen Gebiet.
Die Wirkung der Radiumstrahlung auf das Gewebe zeigt sich währenil
der Dauer der Bestrahlung weder durch subjektive noch durch objektive
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 39
Symptome an, obwohl angenommen werden muß, daß sich sofort feinste
Zellveränderungen vollziehen.
Die Zeit zwischen der Bestrahlung und dem Inerscheinungtreten der
Reaktion, die Latenzzeit, steht in einem gesetzmäßigen Verhältnis zur ab-
sorbierten Radiumstrahlenmenge und zwar ist sie derselben umgekehrt pro-
portional, d. h. je größer die absorbierte Strahlenmenge, desto kürzer die
Latenz.
Da nun mit der Größe der absorbierten Strahlenmenge auch die
Heftigkeit der Reaktion zunimmt, läßt die Dauer der Latenz auch eine
Prognose bezüglich der Höhe der zu erwartenden Reaktion und ihres Ver-
laufes zu.
Die Dauer der Latenz kann zwischen einigen Tagen und mehreren
Wochen schwanken.
Exner, Holzknecht und Wetterer sahen meist nur einige Stun-
den oder wenige Tage verstreichen, bis die durch die Bestrahlungen ver-
ursachten Störungen sichtbar wurden, Scholtz und Straßmann kon-
statierten innerhalb der ersten 24 Stunden das Auftreten eines Erythems,
Halkın, de Pissareg, Werner, Sticker sprechen von einer Inku-
bationszeit von 1—3 Wochen.
Die erheblichen Differenzen beruhen auf der Stärke der ange-
wandten Präparate, der Fassung derselben und der Bestrahlungsdauer.
P. Curie ließ ein verhältnismäßig schwach aktives Präparat 10 Stun-
den lang auf seine Haut am Arme wirken; es erschien bald ein roter
Fleck, später ein Geschwür, welches 4 Monate zur Heilung erforderte.
Nach halbstündiger Exposition erschien erst nach Verlauf von 15 Stun-
den eine Brandwunde, welche in 15 Tagen abheilte.
Eine Bestrahlung von nur 8 Minuten verursachte eine Erythembildung,
welche erst nach 2 Monaten erschien.
Eine besondere Stellung nimmt die Spätreaktion ein, welche wir nach
Anwendung der Tiefenbestrahlung in den oberflächlich gelegenen Geweben
beobachten. Durch Anwendung von Metallfiltern, welche die weiche Strah-
lung aushalten, kann die Tiefendosis erheblich gesteigert werden, ohne
die Reaktionsschwelle der Haut zu überschreiten. Jedoch gelangt man
rasch bei diesem Verfahren an eine Grenze, jenseits welcher eine weitere
Erhöhung der Gesamtstrahlung mit Rücksicht auf die Haut- und Unter-
hautgefüße sehr verhängnisvoll werden kann. Denn nur durch eine Schädi-
gung der Gefäße und zwar der Intima können wir die beobachteten Spät-
reaktionen ungezwungen erklären, die lange Latenzperiode, die Abwesenheit
«der nennenswerten Primärschädigung der Haut, der charakteristische Ver-
lauf der tiefen Krebsnekrose, deren Erscheinungen der senilen Gangrän
mit Endarteriitis obliterans sehr ähneln, sprechen entschieden für diese
40 Sticker,
Annahme. Übrigens kennen wir schon längst die ungemein langsam fort-
schreitenden Gefäßschädigungen, die nach Röntgenverbrennungen auftreten,
und die sich an den Gefäßwandungen der Kutis und Subkutis abspielen.
Wie sorgfältig man auch die Durchdringungskraft der Strahlung durch
Filtration wählen mag, wird doch immer ein Bruchteil der verabreichten
Lichtmenge durch die verschiedenen Gewebsschichten zurückgehalten. Die
Strahlenmenge, die in der Tiefe zur Absorption kommt, erreicht nie das
Quantum, das in den Hautschichten zurückbleibt und trotzdem können,
ohne vorangegangene Hautschädigungen, Spätulzerationen zum Vorschein
kommen. Dieses paradoxe Verhalten. erklärt sich leicht, wenn man be-
denkt, daß das Endothel leichter als die Epidermis durch Röntgenstrahlen
bzw. y-Strahlen geschädigt wird. Die größere Empfindlichkeit der Endo-
thelzellen entspricht überhaupt dem bekannten Gesetz der Elektivwirkung.
das Bergonie& und Tribondeau durch ihre umfangreichen Untersuchungen
festgestellt haben. Die Gefäßendothelien sind wenig differenzierte Elemente,
die sowohl in funktioneller als in morphologischer Beziehung einen gewissen
embryonalen Charakter tragen.
In den beobachteten Fällen von Spätreaktionen scheint diese Elektiv-
wirkung rein zutage zu treten. Die übergeordnete Stellung der Gefäß-
endothelien gegenüber der Kutis in bezug auf Radiosensibilität erheischt
diesem Verhalten in den Empfindlichkeitsskalen Rechnung zu tragen.
Die Anwendung der Filtration mahnt deshalb zu der größten Vorsicht,
besonders wenn es sich darum handelt, schlecht ernährte Gebiete, wie
ptotische, mit Striis gravidarum behaftete Bauchdecken zu bestrahlen.
Die Primärschädigungen werden durch weiche Strahlung
hervorgerufen und verbreiten sich von der Oberfläche nach der
Tiefe. Die Spätreaktionen dagegen sind durch härtere Strah-
lung bedingt, entstehen in den Gefäßwandungen und entwickeln
sich von der Tiefe heraus nach der Oberfläche.
Absorptionsvermögen der Gewebe gegenüber der radioaktiven
Strahlung. — Ein Einfluß der radioaktiven Strahlen auf das Körper-
gewebe hängt immer von dem Absorptionsvermögen des Gewebes ab.
Je stürker die Absorption, um so stärker die biologische Wirkung.
Man muß aber mit der doppelten Tatsache rechnen, daß nicht nur die
verschiedenen (sewebe des Körpers ein verschiedenes Absorptionsvermögen
zeigen, sondern daß auch ein und dasselbe Gewebe die verschiedenen
Arten der Radiumstrahlen verschieden stark absorbiert.
Was das verschiedene Absorptionsvermögen der verschiedenen Körper-
gewcbe betrifft, so fehlen darüber noch die genaueren exakten Untersuch-
ungen, welche nicht nur wegen der Beeinflußbarkeit des Gewebes selber
durch die Strahlen, sondern auch wegen der Abschwächung der Strahlung
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. | 41
beim Durchdringen eines überdeckenden Gewebes notwendig bekannt sein
müssen.
Was darüber in der Literatur vorliegt, sind folgende Angaben.
Wichmann benutzte die elektroskopische Meßmethode und fand, daß
die menschliche Haut (Epidermis und Kutis) in etwa 4 mm Schichtdicke
der Radiumstrahlung ausgesetzt im allgemeinen ?/, der Gesamtstrahlung
absorbiert. Wird sie durch Hinzufügung des subkutanen Fettgewebes auf
die doppelte Dicke, 8 mm, gebracht, so steigt die Absorptionsmenge nur
um ein geringes, nämlich noch nicht 2%. Die Epidermis absorbiert noch
nicht t/,, der Gesamtstrahlung, die Kutis mithin weitaus am meisten von
allen Schichten der Haut und Unterhaut, nämlich über die Hälfte der
einfallenden Strahlung.
Je tiefer eine Gewebsschicht gelegen, um so weniger Strahlung ge-
langt in ihr zur Absorption. Doch bestimmt sich dieses Quantum nicht
durch die tiefe Lage und die Art einer solchen Gewebeschicht allein,
sondern hängt auch vor allem von der Absorptionskraft der zwischenliegen-
den Medien ab. In 1 cm Tiefe erwies sich die absorbierte Menge immer-
hin noch bedeutend, wenn Haut und subkutanes Fettgewebe die Medien
abgaben. In 2 cm Tiefe sind die Absorptionsmengen sehr gering, aber
deutlich nachzuweisen. Ein in dieser Tiefe deponiertes Stück Krebsgewebe
nahm noch deutlich Strahlung in sich auf, freilich nur 1/17 des ursprüng-
lichen Absorptionswertes, den man erhielt, wenn man das Gewebe direkt
der Strahlung aussetzte.
Danysz zeigte, daß ganz unabhängig von dem größeren oder ge-
ringeren Blutreichtum die Eingeweide und die serösen Häute in sehr ge-
ringem Maße auf Radiumwirkung reagieren, während das Zentral-
nervensystem sich als äußerst empfindlich erweist.
Für die Haut stellte R. Werner fest, daß je dichter und kräf-
tiger die Haarschäfte, je spärlicher die Drüsen, je grobfaseriger und
kleinkerniger die Epithelien, je zwischensubstanzreicher das Bindegewebe,
je reicher der Fettgehalt des Unterhautzellgewebes, desto größer die Wider-
standsfühigkeit gegen Radiumstrahlen ist; weniger Bedeutung hat die Dicke
des Stratum corneum. Reichtum an kapillären Blutgefäßen, noch mehr an
Lymphgefäßen fördert die Empfindlichkeit, ebenso straffe Spannung der
Haut, geringe Abhebbarkeit, Mangel an Elastizität.
5. Strahlenwirkung auf pathologisches Gewebe. — Wie verhält
sich die Wirkung der Strahlung gegenüber dem pathologischen Gewebe?
Man hat vielfach von einer elektiven Wirkung des Radiums und Meso-
thoriums auf das pathologische Gewebe gesprochen. Tatsächlich absorbiert
das krankhaft veränderte Gewebe radioaktive Strahlung in weit höherem
Maße als normales.
42 Sticker,
So absorbierte nach Wichmann Lupus über das Doppelte im Ver-
gleich zur angrenzenden normalen Haut gleicher Schichtdicke, nämlich
66,7 % gegen 31,7 %, Karzinom der Mamma 82,7 % gegen 68,3 %.
Fibromyom 85,2 %, gegen 68,3 %.
Elektive Wirkung. — Dieser Kontrast kann sich derart ausprägen,
daß .eine ausschließliche Wirkung auf das pathologische Gewebe vorge-
täuscht wird. Es ist das jene Gradation des Effektes, die man elektive
Wirkung der Radiumstrahlen genannt hat, die es allerdings in diesem
Sinne nicht gibt. |
Die Strahlenwirkung auf pathologisches Gewebe ist gleich der auf
normales Gewebe eine zweifache. Einmal können, ohne daß sich entzünd-
liche Reaktionen bemerkbar machen, durch mehrmalige Bestrahlung Ge-
schwülste zum vollständigen Schwund gebracht werden. Die dabei auf-
tretende regressive Metamorphose bleibt entweder, weil schnelle Resorption
erfolgt unbemerkt, oder kündet sich durch zystische Erweichungsherde an.
Oder es verläuft die Radiumwirkung auf pathologisches Gewebe unter dem
Bilde einer chronischen interstitiellen Bindegewebswucherung, im Verlauf
derer die Krankheitsherde durchwuchert und zerstört werden.
Histologische Veränderungen. — Die histologischen Vorgänge,
welche sich in unter der Haut gelegenen metastatischen Karzinomknoten
nach der Radiumbestrahlung abspielen, hat Exner in ausführlicher Weise
beschrieben. Eine Woche nach halbstündiger Bestrahlung eines Karzinom-
knotens fanden sich nekrotische Herde in der Epidermis und zahlreiche
kleine Blutungen in der Kutis. Letztere waren auch in dem in den tiefen
Schichten der Kutis liegenden Karzinomherd zu sehen, in welchem zum
Unterschied von einem nicht bestrahlten Karzinomknoten die einzelnen
Zellverbände nicht mehr nahe aneinanderlagen, sondern durch ein kern-
reiches Bindegewebe von einander getrennt erschienen. Die Struktur der
Karzinomzellen war scheinbar nicht verändert.
Viel auffallender waren die Veränderungen zwei Wochen nach der
Bestrahlung. Die Nekrose der Epidermis ist kaum größer als bei dem
früher beschriebenen Präparate. Der auch wieder in den tiefen Partien
der Kutis liegende Krebsherd ist in zahlreiche Inseln gesprengt, von denen
jede aus 2—20 Zellen besteht. In einzelnen Zellen findet sich ausge-
sprochene Vakuolenbildung.
In Präparaten, die von einem vor 3 Wochen bestrahlten Knoten
stammen, bestehen die einzelnen, ziemlich spärlichen Zellnester meist aus
3—6 teilweise vakuolisierten Karzinomzellen, welche von reichlichem neu-
gebildeten, kernreichen Bindegewebe umgeben sind. Am Rande der nekro-
tischen Epidermis beginnt die Neubildung der Epithelzellen. Die Blu-
tungen in der Kutis sind gering.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 45
5 Wochen nach der Bestrahlung ist die Neubildung des oberflächlichen
Epithels bedeutend vorgeschritten, in den tieferen Schichten der Kutis
liegen, umgeben von ziemlich kernreichem Bindegewebe, einzelne zerstreute
eroße Zellen, die als Karzinomzellen kaum noch zu erkennen sind. Ihre
Kerne sind gequollen und nicht scharf konturiert. Das Protoplasma ist
spärlich, fein granuliert und unscharf begrenzt.
Die Epidermisierung war nach 7 Wochen bedeutend weiter vorgeschritten,
so daB nur eine kleine epithellose Hautstelle zu sehen war. Karzinom-
zellen ließen sich in dem bestrahlten Gebiet nicht erkennen. Wohl sind
noch sehr wenige, einzeln liegende Zellen zu sehen, die ev. als Reste von
Karzinomzellen gedeutet werden können, doch sind die Kerne stark ge-
quollen, das Protoplasma äußerst spärlich und eine Charakterisierung dieser
wenigen Zellen ist unmöglich. Das kernreiche Bindegewebe enthält sehr
zahlreiche, neugebildete Kapillaren, deren Endothel in lebhafter Prolifera-
tion ist. Bemerkenswert ist, daß das neugebildete Bindegewebe bereits
derber wird und so den Eindruck einer jungen Narbe macht.
Diese Befunde zeigen, daß eine halbstündliche Bestrahlung genügt,
um in der Kutis gelegene Karzinomknoten zum Verschwinden zu bringen
und zwar auf dem Wege einer chronischen interstitiellen Bindegewebs-
wucherung. Diese Rückbildung war nach 5 Wochen fast vollendet.
Wie für die normalen Gewebe des Körpers, so läßt sich auch für die
pathologischen Gewebe eine Stufenleiter der Empfindlichkeit für die Strahlen-
behandlung aufstellen. Wir bringen eine Tabelle zum Abdruck, welche
dem Handbuch von Wetterer entnommen und für die Röntgenstrahlen
aufgestellt wurde. Dieselbe läßt sich vielleicht mit einigen Abänderungen
für das Studium der Wirkung der mit Röntgenstrahlen verwandten y-Strahlen
des Radiums in der Folge verwerten. |
Stufenleiter der Empfindlichkeit der pathologischen Gewebe für
die Röntgenstrahlen (und die verwandten y-Strahlen des Radiuns).
Leukämisches und pseudoleukämisches Gewebe
Sarkom (partim)
Mycosis fungoides
Ekzema (partim)
Hypertrophische Prostata
Sarkom
Karzinom
Struma parenchymatosa
Lupus hypertr. exulcerans
Tuberkulöses Lymphom
Tuberkulöser Knochenherd
14 Sticker,
Chondrosarkom
Lupus plan.
Osteosarkom
Lupus verrucosus
Lipom
Myom
Fibrom
Verruca.
Es läßt sich also zusammenfassend sagen, daß der Ein-
fluß der Radium- und Mesothoriumstrahlung auf normales
und pathologisches Gewebe durch gleiche Wirkungen sich
manifestiert; daß einzellige Organismen und ihnen gleich-
lautend die selbständigeren, lebenswichtigeren Zellen
(Generationszellen, Blutzellen, Nervenzellen) höherer Or-
ganismen im Radium und Mesothorium keine fördernde,
sondern nur eine wachstumshemmende und lebenszerstö-
rende Kraft finden.
Der höhere Organismus verfügt über Abwehr- und Re-
generationskräfte, wogegen parasitäre Zellen ım engeren
und weitesten Sinne des Wortes schutzlos dieser physi-
kalisch-chemischen Kraft gegenüber stehen.
Die primär zellzerstörende, nichtdie hyperämisierende
und entzündungserregende Wirkung des Radiums und
Mesothoriums zur Geltung kommen zu lassen, halte ich für
das Ziel, welches bei einer Radium- und Mesothorium-
therapie der Geschwulstkrankheiten angestrebt werden
muß und das kann nur durch starke Präparate erreicht
werden.
Welche Unterschiede bestehen zwischen den biologischen
Wirkungen der reinen Radiumsalze und der Mesothorpräparate!
Die Frage ist in gewissem Sinne eine deutsche Frage. Hat das Mesothor
nur annähernd eine dem Radium gleiche Wirkung. so ist die Scharte,
welche die deutsche Wissenschaft durch Nichtbesitz genügender Mengen
Radiuns erlitten, durch die Entdeckung Hahns ausgewetzt.
Hören wir vor allem, was die exakte physikalische Forschung sagt!
Das Radium sendet x-, 3- und y-Strahlen aus, das Mesothor nur
> und y-Strahlen. Die Durchdringbarkeit der 8-Strahlen des Mesothor
ist geringer als die der 3-Strahlen des Radium bzw. seiner Zerfallsprodukte.
Außerdem finden sich im Mesothor neben den eigentlichen. schnellen
„Strahlen noch sehr leicht absorbierbare $-Strahlen, die beim Radium
fehlen.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 45
Auch die y-Strahlen des Mesothor sind etwas leichter absorbierbar
als die des Radium.
Nun enthält aber das technisch hergestellte Mesothor immer einen
bestimmten Prozentsatz Radium.
Durch diesen stets vorhandenen Radiumgehalt werden die Strahlungs-
verhältnisse der Mesothorpräparate daher so beeinflußt, daß sie annähernde
Wirkungen ausüben wie das reine Radium. Während wie oben gesagt
reines Mesothor nur B- und y-Strahlen aussenden, bedingt das das Meso-
thor verunreinigende Radium, daß auch ein gewisser Prozentsatz «-Strahlen
vorhanden ist. Zu diesen «-Strahlen kommen dann im Laufe der Zeit
noch die x-Strahlen des aus dem Mesothor entstehenden Radiothor.
Findet somit der Physiker eine annähernde Ausgleichung der Strah-
lung bei den Mesothorpräparaten und den Radiumsalzen, so fragt sich, ob
auch die biologischen Wirkungen der Radium- und Mesothorpräparate an-
nähernd gleich sind. Die in der Literatur niedergelegten Beobachtungen
bejalıen diese Frage. So berichtet Baumm!) in einer vor kurzem erschie-
nenen Arbeit, daß nach den bisherigen Versuchen die Mesothorpräparate
an therapeutischer Verwendbarkeit in der Dermatologie den Radium-
präparaten kaum nachstehen; so konnte Wichmann?) ein Mesothor-
präparat therapeutisch erproben, welches in seiner Aktivität diejenige von
10 mg Radiumbromid übertraf; auch nach Czerny und Caan?) leisten
Mesothorpräparate bei lokaler äußerer Applikation mindestens dasselbe wie
Radiumpräparate; die Oberflächenwirkung schien sogar eine stärkere zu
sein; endlich berichtet Oscar Hertwig?), daß die an Rana fusca mit
Mesothor angestellten Experimente zur Evidenz zeigten, daß seine physio-
logischen Wirkungen mit denen des Radiumbromids genau übereinstimmen.
Die Beobachtungen dieser und anderer Forscher lassen vor allem den
erfreulichen Schluß zu, daß die Entdeckung des Mesothor durch Professor
Hahn unsern Arzneischatz um ein wertvolles Mittel bereichert hat. Man
würde aber zu weit gehen, wenn man das Mesothor nunmehr auf Kosten
des Radium loben und die Unterschiede nicht genügend hervorheben wollte.
Nur wenige Forscher aber waren in der Lage, sichere Vergleiche zwischen
stark wirkenden Radiumpräparaten und Mesothorpräparaten zu ziehen,
weil kaum einer ein starkes Radium- und Mesothorpräparat in Händen
zehabt und damit gearbeitet hat.
Czerny klagte vor 3 Jahren auf dem Chirurgen-Kongreß, daß ihm
zu seinen Versuchen nur 10 mg Radiumbromid zur Verfügung standen
I) Berl. klin. Wochenschr. Nr. 31.
:; Vortrag im ärztlichen Verein Hamburg.
3» Münch. med. Wochenschr. Nr. 14, 1912.
1) Mittlg. vom 6. Juli, Sitzungsber. d. Preuß. Akad. d. Wissensch. 1911.
46 Sticker,
und noch jüngst berichtet Oscar Hertwig?) in seiner 3. Mitteilung über
Radium- und Mesothorversuche an tierischen Keimzellen, daß stärkere
Radiumpräparate als solche mit einer Aktivität von 7,4 mg nicht zu be-
schaffen waren.
Nahmmachers in Dresden glänzende Erfolge, welche das Staunen
der Besucher der internationalen Tagung für Krebsforschung im Jahre
1911 erregten, sind bei Anwendung von nur 10—20 mg Radiumbromid
dadurch zustande gekommen, daß dieser unermüdliche Arzt 5—10 Wochen
lang 10—20 stündige tägliche Bestrahlungen ausführte.
Mir selbst stehen seit 2 Jahren, zum Teil durch die Opferwilligkeit
einiger Patienten, zahlreiche Radiumpräparate bis zur Stärke von 100 mg
zu forschenden und humanitären Zwecken zur Verfügung.
Außerdem hatte mir die Preußische Akademie der Wissenschaften,
welche durch von Boettingers Munifizenz in den Besitz von Mesothor
gelangt, 1911 unter freundlicher Vermittlung Exzellenz Fischer eine
größere Quantität Mesothor überlassen — eine Kapsel enthielt Mesothor
von einer Aktivität von 50 mg, die andere von 30 mg reinen Radiumbromids.
Somit war ich imstande, mit genügender Menge Substanz vergleichende
Beobachtungen an einem größeren klinischen Material — zum Teil in
Gemeinschaft mit San.-Rat Isaac in der Lassarschen Klinik — an-
zustellen.
Meine Erfahrungen gehen dahin, daß die biologischen Wirkungen der
Mesothorpräparate nicht dieselben sind wie die der reinen Radiumpräparate.
Die Mesothorpräparate wirken bei Oberflächenbestrahlung, welche vor allem
in dermatologischen Fällen in Betracht kommt, rein exsudativ. Es ent-
steht ein Eczema bullosum s. pustulosum. Bei einer Kranken des Kollegen
Isaac, welche wegen eines Naevus flammeus zweimal mit Mesothor be-
strahlt wurde, entstanden nach 5—6 Tagen solche pemphigusartigen Zu-
stände, wie wir sie niemals nach Radiumbestrahlung gesehen; vielmehr
tritt hier bei Oberflächenbestrahlung eine zerstörende nekrotisierende Wir-
kung auf, welche unter starker Krustenbildung verläuft, also ein Eczema
crustosum darstellt. Dieser Unterschied ist so scharf, dab sich allein hier-
aus für den Dermatologen verschiedene Indikationsstellungen ergeben, auf
welche einzugehen hier nicht der Ort ist: es genügt mir auf dieselbe hin-
gewiesen zu haben. Was dann die Tiefenwirkungen betrifft, wie sie vor-
zugsweise bei malignen Neubildungen in Betracht kommen, so habe ich in
manchen Füllen alternierend bald das Radium, bald das Mesothor zur An-
wendung gebracht: die besten Resultate, d. h. tiefgehende, elektiv zer-
störende Wirkungen sah ich nur bei Radium.
ı Sitzungsber. d. Preuß. Akad. d. Wissensch. 1911, B. XL.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 47
II. Teil.
Praktische Anwendung der Radium- und Mesothoriumbestrahlung
in der Heilkunde.
Wir bringen in folgendem eine Beschreibung nur der von uns als
richtig befundenen und in Anwendung gebrachten Bestrahlungsapparate
und zugehörigen Instrumente.!) Wer sich für den historischen Teil, die all-
mähliche Entwicklung der Strahlungstechnik und die im In- und Aus-
lande sonst übliche Apparatur interessiert, findet darüber in dem von mir
bearbeiteten Abschnitt „Anwendung des Radiums in der Chirurgie‘ des
Löwenthalschen Grundrisses der Radiumtherapie (Wiesbaden 1912) ge-
nügende Literaturhinweise.
Soviel sei nur hier im allgemeinen gesagt, daß in der bisher ange-
wandten Technik viel Untunliches geleistet worden ist und sich dadurch
die geringen therapeutischen Erfolge mancher Forscher erklären. Ebonit-
kapseln mit Glimmerverschluß mögen für die Aufbewahrung eines Radium-
und Mesothoriumpräparates oder zur Anstellung gewisser physikalischer
und biologischer Versuche tauglich sein. Für dermatologische Zwecke, so
fern es auf eine Oberflächenbestrahlung ankommt, kommen die unten be-
schriebenen flachen Apparate, welche bald Platten-, bald Dosengestalt
haben, mit Vorteil zur Anwendung und für das große Gebiet der chirur-
gischen Anwendung des Radiums und Mesothors kommen nur zylindrische
Apparate in Betracht, welche zum Unterschied von den Kapseln und
Platten allseitig ihre Strahlen aussenden können.
x. Radiumpräparate. — Die zur Bestrahlung verwerteten Radiumsalze
(Chlorid, Bromid, Nitrat, Karbonat und Sulfat) kommen selten in reinem
Zustande in den Handel, im allgemeinen sind sie mit Bariumbromiden
oder Bariumchloriden vergesellschaftet. |
Radiumbromid (RaBr,2H,O) enthält 53,61% Ra (Mol. Gew. 422,37)
N
Radiumbromid (RaBr,) =. 208.01. 3 a „ 386,37)
Radiumsulfat (RaSO,) a DO Du ie g „ 822,51)
Radiumchlorid (RaCl],) in 26.10: u „ 297,35)
Radiumkarbonat (RaCO,) (Mol. Gew. 286)
Die reinen Salze enthalten das metallische Radium, dessen Atom-
gewicht 225,95. Ein Bruchteil der Strahlungsmenge geht im Innern des Präpa-
rates durch Absorption verloren. Hans Thirring berechnete, daß bei einem
Kugelradius von 2 cm 6,25% der Gesamtstrahlung im Innern absorbiert wird.
I) Sämtliche hier besprochenen Apparate und Instrumente werden von der
Radiogen-Gesellschaft, Charlottenburg vertrieben.
Die für gynäkologische Zwecke bestimmten Instrumente (Fig. 16—32, 40, 41,
43 sind nach Angaben der Bummschen Klinik Berlin hergestellt. Über die Art der
Anwendung erscheint demnächst eine besondere Arbeit in der Münch. med. Wochschr.
48 Sticker,
Da die Emanation von den emanierenden radioaktiven Präparaten
stärk zurückgehalten wird, findet man in letzterem auch stets die Um-
wandlungsprodukte, die durch den Zerfall der Emanation entstehen.
Hierdurch wird nach O. Hahn!) der Gewichtsverlust teilweise aus-
geglichen, der bei völliger Austreibung der Emanation durch Erwärmen für
1000 mg Radium pro Jahr rund 0,25 mg ausmachen würde.
6. Mesothoriumpräparate. — Die zur Bestrahlung verwerteten
Mesothorpräparate werden als erstes Umwandlungsprodukt aus dem
Thorium gewonnen. Das für die Herstellung des letzteren verwendete
Material ist der hauptsächlich in Brasilien vorkommende Monazitsand.
Dieser enthält durchschnittlich etwa 0,3% Uran mit 4—5 % Thoroxyd.
In den aus diesem Ausgangsmaterial hergestellten Mesothorpräparaten ist
immer ein bestimmter Prozentsatz Radium enthalten, der sich technisch
nicht abtrennen läßt, weil Radium und Mesothor die gleichen chemischen
Eigenschaften haben; und zwar richtet sich die Menge des Radium nach
dem Urangehalt des Ausgangsmaterials.. In den aus dem Monazitsand
hergestellten Mesothorpräparaten ergibt sich das Verhältnis vom Mesothor
zum Radium zu etwa 3:1. Es werden also in technisch gewonnenem
Mesothor von 100 mg Aktivität 75 mg vom Mesothor und 25 mg vom
Radium herrühren.
Je höher der Urangehalt des Monazitsandes, desto höher der Radium-
gehalt der Mesothorpräparate. Im allgemeinen hat sich das Verhältnis von
Thorgehalt zu Urangehalt in dem verwendeten Monazitsand als ziemlich
konstant erwiesen. Durch den Radiumgehalt werden nun die Aktivitäts-
änderungen der Mesothorpräparate naturgemäl) beeinflußt, so daß die für
reines Mesothor abgeleiteten Zahlen etwas verändert werden.
Das reine Mesotlhorium bildet bei seinem allmählichen Zerfall das
Radiothor, dieses seine Zerfallsprodukte, das Thorium-X, die Emanation
und den aktiven Niederschlag Th. A+B-+ÜC+D. Mit diesen Produkten
befindet sich das Radiothor, wenn es aus dem Mesothor entsteht, im
Gleichgewicht, und daher emittiert es «-, B- und y-Strahlen. Der Betrag
der Aktivitätszunahme durch die Nachbildung des Radiothors läßt sich
unter gewissen Voraussetzungen berechnen, z. B. wenn man annimmt, daß
sich die y-Strahlen des Radiothors, wenn es sich mit dem Mesothor im
Gleichgewicht befindet, ebenso stark an der durchdringenden Strahlung
beteiligen wie die des Mesothurs. Das Maximum der Aktivität wird dann
nach ungefähr 3 Jahren erreicht; hierauf tritt eine langsame Abnahme
der Aktivität ein, und erst nach 10 Jahren erfolgt die Abklingung mit
der Halbwertszeit des Mesothoriums von 5.5 Jahren.
1) Zeitschrift f. Elektrochemie 13, 1907.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 49
Bei dem mit Radium gemischten Mesothor tritt nun das Maximum
der Aktivität nach derselben Zeit, wie oben angegeben wurde, also nach
etwa 3 Jahren ein. Aber die Abklingung erfolgt nach beliebigen Zeiten
langsamer, als der Periode des Mesothors entspricht. Nach 10 Jahren
ist die Aktivität noch etwas stärker als zur Zeit der Herstellung, und
nach 20 Jahren ungefähr halb so stark, und schließlich, wenn alles Meso-
thor zerfallen ist, bleiben die 25 % Radium übrig.
Da Mesothorium in 5,5 Jahren und Radium in 1800 Jahren zur
Hälfte zerfällt und, wie wir wohl annehmen können, die Strahlungsintensi-
täten gleicher Gewichtsmengen verschiedener Substanzen sich umgekehrt
verhalten wie deren Zerfallszeiten, so wird 1 mg Gewichtsmenge Mesothor
so stark aktiv sein, wie rund 300 mg Radium. Das in den Handel ge-
brachte Mesothorium, dessen Intensitäten nicht nach Gewicht, sondern
nach Strahlungsstärke angegeben werden, enthält daher an Gewicht Meso-
thorium nur etwa !/,%, der gesamten Gewichtsmenge. Da die Aktivität
der Mesothorpräparate auf reines Radiumbromid bezogen ist, und erstere
etwa 25%, Radiumbromid enthalten, so sind beispielsweise in 100 mg
technischen Mesothors etwa 0,25 mg Mesothor Gewicht von der Strahlungs-
stärke von 75 mg Radiumbromid, 25 mg Gewicht Radiumbromid und der
Rest, also 74,75 mg inaktive Substanz. Gelingt es nun, die inaktive Sub-
stanz zu entfernen, so muß man ein Präparat erhalten, das bei einem
Gewicht von 25,25 mg die Aktivität von 100 mg reinem Radiumbromid
besitzt. Ein solches Präparat ist dann viermal so stark aktiv als reines
100 prozentiges Radiumbromid. Könnte man noch das Mesothor von
Radium trennen, so müßten sich schließlich 0,25 mg Mesothor von der
Stärke von 75 mg ergeben, also ein Präparat, das 300 mal so stark wäre
als seiner Gewichtsmenge entspräche. Hahn versuchte das technische
Mesothorium einerseits von den inaktiven Bestandteilen, andererseits vom
Radium zu trennen. Das erstere gelang ohne große Schwierigkeit, und
es wurde dabei in Übereinstimmung mit dem eben Gesagten ein Produkt
erhalten, das rund viermal so stark aktiv war, wie die gleiche Gewichts-
menge reinen Radiumbromids. Dagegen gelang es nicht, über dieses Ver-
hältnis hinauszukommen. Die Mesothor-Präparate enthalten also bei einer
Strahlungsintensität von 100 mg 0,25 mg Gewicht Mesothor und 25 mg
Gewicht Radium. Die verunreinigende Substanz ist also in diesem Fall
lediglich Radium, welches sich technisch vom Mesothorium nicht abtrennen
läßt, ein weiterer Beweis von der Ähnlichkeit des Mesothors und Radiums
in ihren chemischen Eigenschaften.
Stärke der Bestrahlungspräparate. — Mit welchen Mengen radio-
aktiver Substanzen müssen wir arbeiten, um therapeutische Erfolge zu
erzielen ?
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 4
50 Sticker,
Was die Mengen des Radiums und des Mesothoriums betrifft, so
habe ich vom Anfang meiner Forschungen, welche ich dank des Entgegen-
kommens meines Chefs, des Herrn Geh. Rat Bier, und des Wohlwollens
der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften an der Königl. Chir.
Univ.-Klinik und seit Errichtung des Radiuminstitutes der Königl. Charite
für biologisch-therapeutische Forschung unter Leitung des Herrn Geh. Rat
Prof. His dortselbst betreiben konnte, betont, daß nur Mengen von 50 mg
aufwärts genügende Energie entfalten, um Ersprießliches in der Bestrah-
lungstherapie auf dem Gebiete der Chirurgie leisten zu können.
Ich habe es nie verstehen können. daß immer noch Forscher — ıch
spreche nicht von den Dermatologen, denn zur Hauttherapie genügen in
den meisten Fällen Präparate von 5 und 10 mg — über Versuche mit
schwachen Präparaten berichten und die negativen Resultate in die Dis-
kussion warfen, wenn über wirkliche Erfolge berichtet wurde.
Es ist ein einfaches Rechenexempel. Wenn wir wissen, dad 5—-
10 mg Radium in den Händen der Dermatologen Hautschichten von
wenigen Millimetern zerstören, so müssen wir zur Zertrümmerung von 1
und mehr Zentimetern dickem Gewebe, z. B. einer haselnußgroßen karzi-
nomatösen Drüse, das 10- und 100 fache an Energie bei gleicher Bestrah-
lungszeit anwenden.
Die genauere Frage nach der wirksamen therapeutischen Menge, der
Dosis efficax, formuliert sich nun dahin, wieviel Milligrammstunden sind
in jedem einzelnen Geschwulstfalle nötig. Nahmmacher in Dresden
führte mit 10—20 mg Radiumbromid 5—10 Wochen lang 10—20 stündige
tägliche Bestrahlungen aus, um zu seinen glänzenden Erfolgen bei Uterus-
und Rektumkarzinomen zu gelangen, das macht also 3500—14000 Milli-
grammstunden. Bei schnellwachsenden Tumoren wird ein derartiger Be-
strahlungsmodus, bei welchem erst in 10 Wochen 14 000 Milligrammstunden
erreicht werden, kaum zu einem Resultat führen. Mit Präparaten aber
von 50 und 100 mg Radium bzw. Mesothorium können in 1 bzw. 2 Wochen
obige Energiemengen und mehr erreicht werden.
Will man endlich nur die reine y-Strahlung verwerten, so genügen
auch vielfach 50 bis 100 mg Radıum bzw. Mesothorium nicht, sondern es
müssen 200 bis 500 mg auf einmal angewandt werden, wobei man sich der
Kreuzbestrahlungsmethode mit Vorteil bedient. Mit starken Präparaten
ist man imstande, die Klippe der nichtzureichenden Behandlung bei schnell-
wachsenden Tumoren zu vermeiden, und es gilt weit mehr die obere Grenze
festzustellen, die Dosis tolerans, d.h. wieviel Milligrammstunden dem ein-
zelnen Patienten zugemutet werden dürfen, damit er nicht an seinem
Allgemeinbefinden Schaden davonträgt. Patienten mit größeren Tumoren.
zumal des Intestinal- und Urogenitalapparates, bei denen nach meinen
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 51
Beobachtungen schneller Abbau und schnelle Resorption eintreten, müssen,
wenn sie einer intensiven Radium- und Mesothoriumbestrahlung ausgesetzt
werden, in beständiger klinischer Beobachtung stehen. Die Intensität
der Bestrahlung wird nur so lange gesteigert, als keine üblen Neben-
erscheinungen. insbesondere Resorptionsfieber und Albuminurie, sich geltend
machen.
Ich habe in zwei Fällen von umfangreicher Karzinose des Bauchfelles
nach primärem Koekum- bzw. Uteruskarzinom die Bestrahlungen öfters
aussetzen müssen, wenn 2000 bzw. 3000 Milligrammstunden erreicht
waren, weil infolge beschleunigter Resorption kollapsähnliche Zustände sich
einstellten.
Man muß bei der äußeren Verwendung der radioaktiven Substanzen
in Form von Bestrahlungen nie vergessen, daß die radioaktiven Stoffe
auch gefährliche Wirkungen haben können, eine Warnung, welche Friedrich
Kraus auch letzthin den internen Radiumtherapeuten ans Herz legte.
Zur Dlustration der überdosierten Radium- und Mesotlioriumtherapie
mözen noch folgende bemerkenswerte Fälle dienen.
Von gynäkologischer Seite wird berichtet, daß ein 0,08 mm dickes
Silberröhrchen, welches 20 mg Mesothorium enthielt und 12 Stunden in
„nem Falle, 9 Stunden in zwei weiteren Fällen an derselben Stelle der
Vagina verblieb, tiefgehende trichterförmige Gewebsnekrosen hervorricf,
welche fast ein Vierteljahr zur völligen Abheilung gebrauchten.
In anderen Fällen klagten die Patienten bei der ersten Bestrahlung über
üigemeines Unbehagen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Ziehen im Unter-
libe. Bei einer Patientin, welcher wegen Menorrhagie bei Metritis 50 mg
Mesothoriun in die Zervix und 100 mg in die Vagina eingelegt worden,
steigerten sich diese Beschwerden bis zum Kollaps. Nach einer halben
Stunde traten Schmerzen im Unterleibe und Übelkeit auf. Da diese
Störungen bei den anderen Patienten immer schnell vorübergegangen waren,
wurde das Mesothorium liegen gelassen. Der Zustand wurde jedoch bald
ernster. Es stellte sich kalter Schweiß, Ohnmacht und Erbrechen ein.
Der Puls wurde sehr klein und frequent. Das Mesothorium wurde ent-
fernt und die Patientin erholte sich langsam unter Exzitantien. Nach
einigen Tagen wurde die Behandlung ohne Störung mit kleineren Dosen
fortgesetzt.
Ein weiterer Fall gehört hierher. Bei einer Frau mit Uterus myoma-
tosus, der exstirpiert werden sollte, wurden 20 mg Mesothorium in 0,08
mın starker Silberkapsel in den Uterus eingelegt und 48 Stunden liegen
gelassen. Am Tage nach der Herausnahme des Mesothorium trat leichte
Temperatursteigerung auf und wenige Tage später wurde ein etwa gänse-
eisroßes Exsudat im Douglas festgestellt. Probepunktion ergab sterilen
4*
52 Sticker,
Eiter. Nach Entleerung durch Punktion trat Heilung ein. Menses sind
seitdem nicht mehr aufgetreten.
Auch in zwei anderen ad exitum gekommenen Fällen wurde die
Maximaldosis bei weitem überschritten. Eine Frau wurde wegen eines
Kollumkarzinoms, das bereits die Blasenwand infiltriert hatte, mit 3880 X
Röntgenstrahlen und 29075 Milligrammstunden Mesothorium bestrahlt.
Es trat ein Zerfall der Neubildung, damit aber gleichzeitig auch ein Blasen-
defekt auf. Die Patientin erlag der Urininfiltration.
Im zweiten Falle, einem schweren Rezidiv nach vaginaler Totalexstir-
pation, kam es nach 330 X Röntgenstrahlen und 28260 Milligramm-
stunden Mesothorium zur Nekrose der Wucherung, die bis ans Kreuzbein
heranreichte und infolge davon zur Beckenzellgewebsjauchung, der die
Kranke schließlich erlag.
Apparatur. In der Radiumbestrahlungstherapie werden drei Arten
von Apparaten verwendet: Röhren, Kapseln und Platten.
Während das auf Platten aufgeklebte oder in Kapseln eingebrachte
Radium nur eine Flächenbestrahlung ermöglicht, also vorzugsweise in der
Dermatologie Verwendung findet, haben für das große Gebiet der chirur-
gischen Anwendung des Radiums sich die Röhrenapparate als die geeig-
netsten erwiesen.!)
Plattenapparate. — Ich verwende zweierlei Apparate bei der Ober-
flächenbehandlung. |
1. Metallträger, das sind Apparate, welche aus Metallplatten be-
stehen und mit Firnis fixiertes Radium- bzw. Mesotlioriumsalz tragen. Die
Metallplatten sind in Rahmen eingelassen, welche gleichzeitig die Filter-
platten aus Aluminium oder Blei aufnehmen.
2. Steinträger, d. s. Flächenapparate, welche aus gebranntem Ton
bestehen und eine aus feiner Emaille bestehende Oberflächenschicht be-
sitzen. Letztere enthält das Radium bzw. Mesothor in gleichmäßig feinster
Verteilung.
Die Steinträger haben vor den Metallträgern den Vorzug, daß die
Emailleschicht weit widerstandsfähiger ist als die Firnisschicht.. Die Vor-
sicht, welche man bei gefirnistem Träger anwenden muß, damit nicht die
aufgeklebten Salze, sei es durch Hitze, sei es durch Feuchtigkeit, sich los-
lösen und welche es mit sich bringt, daß sie niemals olıne dünnen Metall-
schirm zur Anwendung kommen, fällt bei dem emaillierten Träger ganz
fort. Deshalb ist aber auch die Intensität der biologischen Wirkung.
1) Vgl. die ausführliche Darstellung der gebräuchlichen Bestrahlungsapparate
in Sticker „Anwendung des Radiums in der Chirurgie“, Grundriß der Radiun-
therapie von Löwenthal 1912.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 53
d. i. die Nutzstrahlung weit stärker bei den Steinträgern als bei den
Metallträgern.
Die Röhrchenapparate haben den Vorteil vor den Kapseln und
Platten, daß sie allseitig ihre Strahlen aussenden können und bequem in
Körperhöhlen und Hohlorgane, Gänge und Fisteln mit Hilfe von Zangen,
Sonden oder Katheter eingeführt, ja selbst mit Hilfe von Bohrer intra-
tumoral verwendet werden können.
Mit Hilfe eines Rahmens können sie zu Flächenapparaten umgewandelt,
unter Anwendung von Guttaperchapapier oder Gummischläuchen können
die Röhren zu langen Ketten, zu Triangelform, zu Ringform, zu Petschaft-
form verwendet werden.
Für die Behandlung der Geschwülste, sei es der in der Haut und
unter der Haut, sei es der in oder unter der Schleimhaut des Mastdarms,
der Speiseröhre, des Kehlkopfes, der Harnblase, der Gebärmutter gelege-
nen sind die röhrenförmigen Apparate unentbehrlich.
Es ist ausgeschlossen, mit flachen Apparaten genügende Tiefenwirkungen
zu erzielen. Da wo es gilt, in eine Hautfalte (z. B. Genio-nasalfurche,
Temporo-aurikularfurche), in natürliche Körperhöhlen (Nasenhöhle, Mund-
höhle, Gehörgang) mit Radium einzudringen, wo es sich um zerklüftete,
blumenkohlartige Geschwülste handelt, wo wir weniger auf eine Flächen-
wirkung, als auf eine allseitige Strahlenwirkung sehen müssen, werden die
flachen Apparate der Dermatologen — ob sie nun Platten- oder Dosen-
gestalt haben, mit geringem Vorteil verwendet.
Mein Bestreben war nun darauf gerichtet, Normalröhrchen her-
stellen zu lassen, d. h. solche Röhrchen, welche die günstigste therapeu-
tische Verwertung der Strahlen ermöglichen. Dieser Zweck war nur zu er-
reichen durch Auswahl des richtigen Materials und der Ausprobung der
günstigsten Dimensionen. |
Nach Rücksprache mit hervorragenden Physikern und Chemikern,
Prof. Hahn, Prof. Markwald u. a. habe ich mich zur Aufbewahrung
der radioaktiven Substanzen für therapeutische Zwecke zu kleinen Glas-
röhrchen mit Silberumhüllung entschlossen. Das Salz füllt entweder, wenn
in großen Mengen vorhanden, das Glasröhrchen aus oder ist auf Asbest-
zylinder gleichmäßig verteilt und wird so quantitativ aufs günstigste aus-
genutzt. Die Dicken des Glases und der Silberröhren sind so gewählt,
daß sie einerseits genügenden Schutz gegen physikalische und chemische
Einflüsse gewähren, andererseits noch genügende Strahlung für thera-
peutische Verwendbarkeit durchlassen.
Nunmehr hängt die Strahlenwirkung von der Menge
der eingebrachten radioaktiven Substanz, von der Appli-
kationsdauer und von der Filteranwendung, also von 3Fak-
54 Sticker,
toren ab, welche leicht in Rechnung gebracht werden kön-
nen, sodaß es möglich ist, die Bestrahlungszeit durch Milli-
grammstunden und die Qualität der Strahlen durch Angabe
des angewandten Normalfilters zu bezeichnen.
Unsere Normalsilberröhrchen besitzen eine Wandstärke von 0,05 und
0,1 mm, einen Durchmesser von 5,3 mm und eine Länge von 30 mm
(Fig. 13).
Die Silberröhren werden einzeln in Schutzröhren aus Aluminium
(Fig. 14) aufbewahrt und in manchen Fällen auch mit diesen zur Bestrahlung
verwendet, oder zu mehreren in dicker Bleikapsel (Fig. 15) untergebracht.
Die Aluminiumschutzröhren besitzen eine Wandstärke von 0,4, einen
Durchmesser von 6,5 und eine Länge
von 30,5 mm. Ihr oberes mit einer
Öse versehenes Ende ist abschraubbar.
Die Silberröhrchen können für sich oder
in die Aluminiumschutzröhrchen einge-
schlossen zur Bestrahlung verwertet wer-
den. Ein besonderes Instrumentarium
(s. S. 57) ermöglicht eine vielfache An-
wendung derselben.
Filter. — In Wirklichkeit wird das
Radium fast immer filtriert verwendet.
Der Lack, mit dem es auf Metall oder
auf (Gewebe festgehalten wird, wirkt
schon als Filter, noch mehr der gläserne
oder metallene Behälter, in welchem es aufbewahrt und zur direkten Be-
strahlung verwendet wird.
Dazu kommen dann die als Zwischenlagen gebrauchten Schirme aus
Gaze, Papier, Gummi oder Metall.
Welchen Wert haben diese Filter hinsichtlich der Menge und der
Qualität der Strahlen, welche auf das bestrahlte Gewebe fallen?
Lack, Gaze, Papier und Gummi in dünnen Schichten absorbieren
einen großen Teil der x-Strahlen und setzen ihre Reichweite, welche in
Luft bei Zimmertemperatur 3—4 cm betragen würde, beim Durchdringen
von Substanzen von der Dichte des Wassers und darüber aber auf das
Tausendfache verringert werden, auf weniger als !/,, mm herab (vgl. S. 8).
Für die 6- und y-Strahlung haben diese Substanzen geringere Bedeutung.
Was dagegen die Filtration der Strahlung durch zwischengeschobene
Metallschirme betrifft, so leiden unter diesen am meisten die $-Strahlen.
Aus Gründen, die ich hier nicht berühren will, kommen vorzugsweise nur
2 Metalle in Betracht, die Aluminium- und Bleischirme; erstere in einer
Fig. 13. Fig. 14. Fig. 15.
1) C/i) ("/2)
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 55
Dicke von t/,, bis 1 mm, letztere in einer Dicke von ®/,, bis 4 mm. In
vereinzelten Fällen werden auch Platinschirme von 0,5 mm und Goldschirme
von 1 mm Dicke angewendet. 1 mm Blei gibt annähernd die gleiche
Strahlenfilterung mit 4,1 mm Aluminium, mit 0,58 mm Gold und 0,52 mm
Platin. Die «-Strahlung wird schon durch !/,, mm Aluminium total
absorbiert, kommt also bei unseren Apparaten gar nicht in Betracht.
Die $-Strahlung sinkt auf die Hälfte ihrer Intensität bei 0,4 mm dicken
Aluminiumschirmen, 2 bis 3 mm dicke Bleischirme absorbieren sie voll-
stindig. Die y-Strahlung wird durch 4 mm dickes Blei zum größten Teil
absorbiert, es gibt jedoch noch Yy-Strahlen, welche nach Curie 20 cm
dickes Blei durchdringen. Wir haben es also in der Hand, durch Aus-
wahl der Aluminium- und Bleifilter fast reine y-Strahlung, harte $- und
y-Strahlung, mittelharte und harte $- und y-Strahlungen in die Gewebe
Iineinzuschicken. Je mehr die weiche Strahlung abgefiltert wird, um so
darchdringender, also für die Tiefenbestrahlung geeigneter werden die
Strahlen. Aber mit der Filtrierung sinkt auch rapide die Intensität, wie
aus den beiden S. 11 abgebildeten Kurven zu ersehen. Es bedarf be-
snderer Erfahrung, die Filtrierung der Strahlen für jeden Fall richtig
durchzuführen, um das überliegende Gewebe zu schonen und das eigentlich
kranke Gewebe mit genügender Strahlung zu treffen.
Bei der Anwendung von Metallschirmen findet aber noch etwas be-
nieres statt, das ich hier nur kurz berühren will. Die durch Absorption
in Metall vernichtete Strahlung wird zum Teil energetisch in eine neue
Strahlung umgewandelt, die sogenannte Sekundärstrahlung, die zum Teil
.lbst ein sehr großes Durchdringungsvermögen hat und jedenfalls neben
den durchdringenden Primärstrahlen eine therapeutische Wirkung entfaltet.
Ihe Intensität der Sekundärstrahlung des Bleies ist im Vergleich zu der
anderer Metalle die stärkste (vgl. S. 15) und dies ist ein Hauptgrund,
weshalb wir Bleifilter anwenden und trotz starker Abschirmung therapeu-
che Erfolge erzielen.
Die von mir gebrauchten Metallfilter besitzen teils Platten-, teils
Köhrenform.
Unsere Normalplattenfilter sind aus Aluminium bzw. Blei an-
-fertist und zwar in rechteckigen und quadratischen Formen. Erstere
sitzen a) eine Länge von 4,5 cm und eine Breite von 2 cm, b) eine
Linge von 3 cm und eine Breite von 2 cm. Ihre Dicke beträgt 0,1, 0,2,
3. 0.4. 0.5 und 1 mm für Aluminium und 0,3, 0,5, 1, 2, 3. 4 mm für
Biei. Die quadratischen besitzen eine Seitenlänge von 4,5 cm. Die Dicke
vie bei den rechteckigen.
Unsere Normalfilterröhrchen sind aus Aluminium und Blei an-
¿fertigt und zwar in folgender Wandstärke:
56 Sticker,
. 0,5 mm [= 0,12 mm „ 11. 3,0 mm
. 1,0 mm [= 0,24 mm 12. 1—3 mm (konisch)
Ihre Form ist eine Doppelte. Entweder besitzen sie einen überstehen-
den Rand (Fig. 16—23) und kommen mit dem unten beschriebenen
Kettenhalter in Anwendung.
Normalfilterröhrchen
a) aus Aluminium b) aus Blei
Wandstärke Wandstärke
1. 0,1 mm [= 0,02 mm Blei] 7. 0,3 mm
2. 0,2 mm [= 0,05 mm , 8. 0,5 mm
3. 0,3 mm [= 0,075 mm „ 9. 1,0 mm
4.04 mm [= 01 mm „ 10. 2,0 mm! i De
5
6
nt I d Lead
Fig. 16—18. (!/,) Fig. 19—28. ('/ı)
Oder sie besitzen einen aufschraubbaren Deckel mit Öse und kommen
mittels Kette, Faden oder Introduktor (siehe Instrumentarium) zur An-
wendung (Fig. 24—32).
Fig. 24—31. (j,)
Die Einbringung des Radiums und Mesothoriums in Glas und Silber
verringern selbstverständlich die Intensität der Strahlung. 0,2 Glas und
0.05 bzw. 0,1 Silber lassen die mittelharten und harten ß-Strahlen und
sämtliche y-Strahlung durch. Die Aluminiumschutzröhrchen (0,4 mm) und
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 57
die Filterröhrchen von 0,1 bis 0,4 mm Aluminium lassen die weichen
ß-Strahlen noch durch und zwar 85, 70, 65 bzw. 55%, der Gesamt-
B-Strahlung.
Die Filterröhrchen von 0,5 Aluminium bis 0,5 mm Blei lassen noch
mittelharte -Strahlen durch und zwar 45, 22, 20, 12%, der Gesamt-
B-Strahlung. Die Filterröhrchen von 1 mm Blei lassen nur noch ganz
harte 5-Strahlen durch (10% der Gesamt-ß-Strahlung).
Die Filterröhrchen von 1 bis 4 mm Wandstärke bringen eine fast
reine yY-Strahlung.
IM!
Fig. 33. (1/1)
Hilfsinstrumentarium. Ein be-
sonderes Instrumentarium ermöglicht
eine vielseitige Anwendung der Normal-
silberröhrchen. Dasselbe besteht aus
einem Rahmen, einer Zange, zwei Son-
den, einer Rolle. einem Kettenhalter,
einem Stabhalter. einer Klammer und
einer Kreisplatte.
Der Rahmen ist in 2 Formen hergestellt. Rahmen A (Fig. 33) be-
steht aus vier gelenkig verbundenen Teilen, welche die in Aluminium-
schutzröhren eingebrachten Radium- und Mesothoriumröhrchen aufnehmen
und einzeln oder zu mehreren gebraucht werden können. Rahmen B
(Fig. 34) hat Petschaftform und nimmt 2 bis 4 Silberröhrcehen nebst
Plattenfilter auf.
Die Zange (Fig. 35) ist den gebräuchlichen chirurgischen Instrumenten
(Introduktoren) nachgebildet und ergreift die an den Schutzröhrchen bzw.
Filterröhrchen sich befindliche Öse.
Die Sonde kommt in 2 Formen zur Anwendung. Sonde A (Fig. 36)
58 Sticker,
gleicht den bekannten Schlundbougies; in dem vorderen olivenförmig ab-
schraubbaren Kopf kann das Silberröhrchen eingebracht werden.
Fig. 36. (2/3)
Die Sonde B (Fig. 37) stellt eine
an dem vorderen Ende leichtgekrümmte
Stabsonde dar.
Bei der Einführung der Sonden kann ein besonderer Beißring (Fig. 35),
welcher aus Metall mit Gummischutz besteht, verwendet werden.
a b
Fig. 35. (1/3)
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 59
Die Rolle (Fig. 39) ist nach der Art der Massageapparate konstruiert:
die Silberröhrchen werden in die perforierte oder solide Schutzhülle gebracht,
m ee e
Fig. 89. (/,)
Fig. 37. (/,)
|
b
(ia
welche leicht auswechselbar und auf welcher Filterröhrehen von verschie-
dener Dicke aufgebracht werden können.
Fig. 40. (/) Fig. 41. (14)
60 Sticker,
Der Kettenhalter (Fig. 40) besitzt an dem einen Ende einen Kara-
binerhaken, am anderen Ende ein mit einem Gewinde versehenes Glied,
welches einem Ring aufgeschraubt wird, der zur Aufnahme der Filter-
röhrchen dient.
Der Stabhalter (Fig. 41) nimmt an dem Hakenende die Ösen der
Filterröhrchen auf und besitzt eine Graduierung in Zentimetern.
Die Klammer (Fig. 42) faßt vier Filterröhrchen an deren Ösen und
hält sie in Quadrangelform.
Die Kreisplatte (Fig. 43) ist aus 2 mm starkem Blei gefertigt und
vereinigt vier Silberröhrchen zum Flächenapparat.
Messungsbestimmungen. — Wenn die Strahlung radioaktiver Körper
nach ihrem Ionisierungsvermögen gemessen wird, so bildet die «-Strahlung
den wichtigsten Teil. Denn der durch die gesamte Strahlung erhaltene
Wert weicht im allgemeinen nur wenig von dem Wert ab, den man bei
der Messung der «-Strahlen allein erhält. Diese Methode kann aber nur
Fig. 42. (t/,) Fig. 43. (7/3)
für freiliegende unbedeckte radioaktive Substanzen angewandt werden und
kommt daher bei der Grehaltsbestimmung der in Bestrahlungsapparaten
eingebrachten radioaktiven Substanzen nicht in Betracht. Statt der Mes-
sung des Sättigungsstromes, der durch «-Strahlen unterhalten wird, be-
dienen wir uns vielmehr der y-Strahlenmethode.
Praktische Messung nach der y-Strahlenmethode. — Um ein in
einem Grlasröhrchen luftdicht abgeschlossenes Radiumsalz zu messen, setzt
man zwischen dasselbe und das Meßinstrument einen 1/ cm dicken Blei-
schirm. Dieser hält die x- und $-Strahlen gänzlich zurück. Die Messung
geschieht durch einen Vergleich mit einem geeichten Präparat. Letztere
werden eingestellt nach dem internationalen Radiummeßpräparat (Standard),
welches von Mme. Curie im Auftrage der Radium-Standard-Kommission
aus 21,99 mg Radiumchlorid hergestellt wurde und in Paris (Sèvres) auf-
bewahrt wird. Als zweites Radiummeßpräparat wird ein von Hönigschmid
hergestelltes Radiumpräparat in Wien aufbewahrt. Beide wurden nach der
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 61
y-Strahlenmethode gemessen und besitzen eine Genauigkeit von unge-
fihr 20/00
Bestimmt man sowohl für das geeichte Radiumpräparat (n mg) als
auch für das zu messende den Voltabfall pro Stunde (V u. V,), so erhält
man den Gehalt des zu messenden Präparates an Radiumsalz nach der
x Vi
n
Formel
Die Messungen sowohl für das Standardpräparat wie auch für das
unbekannte Präparat werden in Zwischenräumen dreimal wiederholt und
der Mittelwert genommen. Nach 4 Tagen wird das Präparat nochmals
gemessen und festgestellt, ob es inzwischen stärker geworden ist. Aus den
Differenzen der beiden Messungen kann man dann den Eindwert nach
folgenden Grundsätzen bestimmen.
Nach je 4 Tagen steigt die Stärke eines jeden Präparates rund um die
Hälfte des Wertes, den es in der weiteren Zeit der Reife noch erreichen kann.
Ist ein Präparat anfänglich völlig emanationsfrei — was bei Radium-
lösungen durch Auskochen bewirkt werden kann, so erreicht es seine Reife
in ungefähr 4 Wochen.
Beispiel: Hat man den Wert eines Präparates zu 49,5 mg gefunden
und findet nach genau 4 Tagen 50,8 mg, so beträgt die Zunahme 1,3 mg.
Das Präparat wird um diesen letzten Wert noch weiter steigen, also
>2,1 mg als Endwert erreichen.
Methodik der Radium- und Mesothoriumbestrahlung. — Die
Radium- und Mesothoriumröhren mit oder ohne Filter werden vor dem
jedesmaligen Gebrauch mit einem Schutzmantel versehen, wozu sich am
besten dünne Kautschukröhren, Gummifinger, Guttaperchapapier eignen.
Bei Anwendung von Metallröhrchen und Metallfilter hat man mit den
Sekundärstrahlen zu rechnen, welche die naheliegenden Gewebe treffen und
bei beabsichtigter Tiefenwirkung eine unbeabsichtigte Nahwirkung ver-
ursachen.
Es empfiehlt sich deshalb, mattes Papier in Lagen von 10 bis 20
Blatt oder einige Millimeter dicke Gazeumhüllung dort anzuwenden, wo
die oberflächlichen Schichten geschont werden sollen.
Nach dem Gebrauch werden die Silberröhrchen durch Abreiben mit
einem der gebräuchlichsten Desinfektionsmittel (Alkohol, Formalin, Phobrol)
gereinigt; die Schutz- und Filterröhrchen sowie das Hilfsinstrumentarium
werden durch Auskochen sterilisiert, wobei man sich mit Vorteil besonderer
Kästen aus vernickeltem Blech bedient, welche gleichzeitig zur Aufbewah-
rung der Instrumente dienen.
Die praktische Anwendung der Radium- und Mesothoriumstrahlen ist
zweierlei Art, weil sie zweierlei Aufgaben zu erfüllen hat.
62 Sticker,
1: Man will oberflächliche krankhafte Prozesse, vor allem Hautleiden
beeinflussen — also Oberflächenwirkung erzielen.
2. Man will umfangreiche oder tiefliegende krankhafte Prozesse beein-
flussen — also Massen- und Tiefenwirkung erzielen.
Eine Oberflächenwirkung können wir bei Anwendung der
weichen Strahlung erreichen. Da die Radium- und Mesothoriumpräparate
sehr reich an wenig durchdringenden Strahlen sind, so beträgt die not-
wendige Dauer der Bestrahlung nur wenige Minuten.
Man legt den mit oder ohne Filter versehenen und mit Zellstoff so-
wie Guttaperchapapier umhüllten Bestrahlungsapparat entweder der kranken
Stelle unmittelbar auf ‚‚Nahbestrahlung‘‘ oder setzt denselben auf einen
konisch gestalteten Bleizylinder „Fernbestrahlung“. Letzteres Verfahren
gestattet eine Fläche, die größer
ist als der zur Verfügung stehende
Bestrahlungsapparat, auf einmal
und gleichmäßig zu bestrahlen und
es fallen die Schwierigkeiten fort,
zwei nacheinander folgende Bestrah-
lungen örtlich genau aneinander zu
reihen. Auch erweist sich die
Fernbestrahlung besonders nützlich,
wenn es sich um höckerige, ge-
furchte, faltenreiche Stellen handelt
(Fig. 44). Die Bestrahlungszeit ist
selbstverständlich um so länger, je
weiter die Entfernung des Bestrah-
ZA
TILIL;
Fig. 44.
Schema der Fernbestrahlung.
R Radiumträger. T Tumor. B Bleikonus. lungsapparates.
Die Tiefenbestrahlung
wird da angewandt, wo umfangreiches oder in der Tiefe liegendes patho-
logisches Gewebe unter Schonung der Oberfläche getroffen werden soll.
Bei der Tiefenbestrahlung haben wir zu unterscheiden zwischen der
Methode, welche durch Anwendung von mäßigen Metallfiltern die ß- und
y-Strahlung benutzt und der Methode, welche durch Anwendung von
starken Filtern nur die y-Strahlung therapeutisch verwertet.
Die erste Methode verursacht eine sehr lebhafte Reizung, die von
einer schnellen Zerstörung der krankhaften Gewebe begleitet ist. Die
Applicatio in dosi refracta, d. h. die auf Stunden ausgedehnte, aber durch
Tage getrennte Bestrahlung kommt deshalb hier zur Anwendung, da dem
Organismus nicht auf einmal eine zu große Arbeit aufgegeben werden
darf in der Fortschaffung umfangreichen zerstörten pathologischen Ge-
webes.
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 63
Die zweite Methode, die reine y-Strahlenmethode wirkt langsamer, sie
setzt keine Entzündung und Nekrose, sondern eine langsam fortschreitende
interstitielle Bindegewebswucherung, welche zu kallösen bis knorpelharten
Massen führen kann. Die Bestrahlungszeit muß auf viele Tage ausgedehnt
werden, in dosi plena d. h. ohne große Intervalle zu machen.
Kreuzbestrahlung. Ein einfaches Mittel zur Schonung der über-
iagernden Gewebe besteht darin, daß man, wo dies angeht, ein tiefliegen-
Fig. 45.
Schema der Kreuzbestrahlung.
RR Radiumträger. T Tumor. H Haut.
des krankes Gewebe von verschiedenen Seiten aus bestrahlt (Fig. 45).
Dabei verführt man in der Weise, daß entweder der Angriff gleichzeitig
ron verschiedenen Seiten erfolgt oder daß die sich folgenden Bestrahlungen
von jedes Mal wechselnden Stellen ausgeführt werden.
Die Kreuzbestrahlung wird mit Vorteil überall da angewandt, wo zwei
oler mehrere Apparate einander gegenübergestellt werden können, also
an Körperstellen wie den Lippen, Ohren, Nase, Fingern, umfangreichen
(seschwülsten,
Aus dem Laboratorium für Radiumbiologie in Paris.
Die durch Strahlen hervorgerufenen histologischen
Gewebsveränderungen.')
Von
Louis Wickham, unter Mitwirkung von Dr. Anselme Bellot.
Vorwort.
D“ Referat, das mir das Kongreßkomitee zu übertragen die Ehre er-
wies, ist scharf definiert. Es soll die Wirkung aller Strahlenarten
auf die normalen und pathologischen Gewebe vom rein histologischen
Standpunkte aus studiert und verglichen werden.
Es ist dies ein äußerst weitgehendes Thema, das so umfassend ist.
daß man unmöglich in einem kurzen Referat in die Details der Tatsachen
eindringen kann. Ich muß mich notgedrungen auf die großen allgemeinen
Gesichtspunkte beschränken.
Zudem beabsichtige ich nur, sozusagen die Diskussion zu eröffnen und
die Frage vor dem Kongreß aufzurollen.
Ich bitte deshalb die nicht ausdrücklich zitierten Autoren um Ver-
zeihung. Wir werden uns an ihrer Kritik und an ihren Ausstellungen
belehren.
Unter den Strahlen werde ich zuerst spezieller die Röntgen- und die
Radiumstrahlen sowie die Strahlen der radioaktiven Substanzen, dann die Licht-
und die Sonnenstrahlen, die sogenannten aktinischen Strahlen betrachten.
I. Einige allgemeine Tatsachen.
Bevor wir aber auf den fundamentalen Teil unseres Themas über-
gehen, müssen wir zuerst einige interessante Tatsachen allgemeinerer Art
feststellen. Es sind in Kürze folgende:
Jeder Strahl, der eine Zelle trifft, aus welcher Quelle er
auch stammt, immer übt er eine Einwirkung auf diese Zelle aus.
Woher kommt diese Einwirkung und welcher Natur ist sie? Wahr-
scheinlich handelt es sich um eine Störung des physikalisch-chemischen
Milieus, in dem die Zelle ihr Leben einrichtet, eine Störung, welche die
1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie,
Berlin 1913.
Wicekham, Durch Strahlen hervorgerufene histol. Gewebsänderungen. 65
biologischen Erscheinungen verändert, die in der Zelle vor sich gehen und
ihr vitales Gleichgewicht modifiziert.
Diese Einwirkung und die daraus resultierenden Zellveränderungen
hängen von vielfachen Faktoren ab, welche mehr oder minder in einander-
‚greifen und die Auslegung der histologischen Befunde erschweren.
Die hauptsächlichsten dieser Faktoren sind:
i. Der Grad der Aufnahmefähigkeit der Zelle oder in anderen Worten
ihre spezifische Sensibilität den Strahlen gegenüber.
2. Die in der Zeiteinheit absorbierte Strahlenmenge. Eine in kurzer
Zeit gewaltsam absorbierte Dosis wird ganz anders wirken als die gleiche
Dosis bei langsamer über eine gewisse Zeit ausgedehnter und fraktionierter
Absorption.
3. Die spezifischen Eigenschaften jeder Strahlenart.
4. Die zwischen dem Ende der Bestrahlung und der histologischen
Untersuchung verflossene Zeit. .
5. Die Filtrierung der Strahlen durch das Gewebe selber. Hieraus
ergibt sich die Folgerung, die man nie bei der Untersuchung eines
bestrahlten Gewebsstückchens außer Acht lassen darf, daß keine Zelle
weder in Qualität noch in Quantität dieselbe Strahlendosis erhalten hat,
als die über ihr liegenden Zellen.
Unter diesen verschiedenen Faktoren bietet vielleicht der Grad der
Empfänglichkeit der Zelle zu den interessantesten Betrachtungen Anlaß.
Die eine Zelle wird einer bestimmten Strahlenart widerstehen, während
eine andere schnell durch dieselbe Strahlenart modifiziert wird. Das ge-
sunde Gewebe zum Beispiel leistet sehr viel mehr Widerstand als das
Sarkomgewebe. i
Handelt es sich um eine erwachsene Zelle, die ihre volle Organisation
besitzt, so scheint ihre Widerstandsfähigkeit stärker als diejenige einer
jungen in Entwicklung begriffenen Zelle, zum Beispiel einer Sarkomzelle;
im Gegensatz zu dieser wird sich jene dann auch leichter den Bedingungen
einer neuen physikalisch-chemischen Umgebung anpassen können.
Die außerordentliche Sensibilität der jungen Zellen ist eine fest-
stehende Tatsache. Auf dieser Basis haben Bergonié und Tribondeau
ihr Gesetz aufgebaut, nach welchem die Sensibilität einer Stelle umso
rider ist
1. je intensiver ihre reproduktive Tätigkeit ist,
2. je länger ihr karyokinetisches Werden ist
3. und je weniger ihre Morphologie und ihre Funktion fixiert sind.
Regaud und Blanc haben dieses Gesetz priiziser gefaßt, indem sie
die Aufmerksamkeit auf die besondere Hypersensibilität der ersten Ent-
wicklungsstadien eines Zellelementes lenkten.
|
Strahlentherapie Band III, Heft 1.
66 | Wickham,
Wenn eine Zelle verändert wird, so ist es also nicht richtig, zu sagen.
daß der Strahl eine „spezifische Wirkung“ auf die Zellen hatte.
Es handelt sich hier nicht um Spezifizität, sondern um spezielle Sensi-
bilität der Zelle, um besondere Rezeptivität.
Diese besondere Rezeptivität ist die Ursache für die grundlegende
Tatsache, daß jeder penetrierende Strahl, nachdem er eine ganze
Schicht gesunden Gewebes, ohne dasselbe zu verändern, pas-
siert hat, therapeutisch auf schädliche Zellen von großer Re-
zeptivität, die in der Tiefe gelegen sind, einwirken kann.
Es war nicht überflüssig, diese vorausgehenden Tatsachen allgemeiner
Art festzustellen. Denn sie zeigen, von welch komplexer Natur die Be-
dingungen sind, welche zu einer bestimmten Veränderung einer bestimmten
Zelle führen und wie sehr die histologischen Befunde variieren können je
nach den Bedingungen, in welchen die Beobachter sich befinden. Nichts-
destoweniger gibt es doch manche genau definierte Tatsachen, die aus den
histologischen Befunden hervorgehen und diese wollen wir auseinander
setzen, indem wir mit der Einwirkung der Strahlen auf das gesunde Ge-
webe beginnen.
I. Einwirkung der Strahlen auf gesundes Gewebe.
Es ist natürlich das Hautgewebe, welches unter den bestrahlten ge-
sunden Geweben am besten studiert wurde.
Die Zellen, welche die Epidermis produzieren, bilden die erste Ent-
wicklungsform einer ganzen Reihe von Zellen und besitzen infolgedessen
in hohem Maße die Fähigkeit, zu reproduzieren. Sie sind deshalb auch
mit einer hohen Strahlenempfindlichkeit ausgestattet.
Die Haut ist infolgedessen ein besonders leicht verletzliches Gewebe.
Unter den verschiedensten Befunden, die bisher erhoben wurden.
konnten wir kaum scharfe und sichere Unterschiede in den histologischen
Veränderungen bei den verschiedenen Stralhlenarten vorfinden.
In den verschiedensten Fällen sind die histologischen Veränderungen
gleicher Art und variieren nur im Grade je nach der Natur der Strahlen-
art, ihrer Intensität und ihrer Penetrationskraft.
Es sind kurz zusammenfaßt folgende:
Die Bestrahlung, welcher Art sie auch gewesen ist, wird von einer
Periode der Latenz gefolgt, die melır oder minder lang ist je nach der
Strahlung und der absorbierten Dose; sie beträgt bei aktinischen Strahlen
1 bis 2 Tage und ist bei Röntgen- und Radiumstrahlen etwas länger.
Zwei Hauptcharaktere fallen dem Beobachter auf, welcher einen mit
nicht nekrotisierender Dosis bestralilten Epidermisschnitt mit einem nor-
malen vergleicht.
Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 67
1. Die verschiedene Dicke.
2. Das Fehlen der interpapillären Vorragungen. Die Epidermis ist
entweder hypertrophisch oder atrophisch. Die Hypertrophie, welche
eine der Modalitäten der Röntgendermitis und der Radiumdermitis dar-
stellt. ist besonders durch die Volumvermehrung der Zellen des Corpus
mucosum, durch die Vermehrung der Schichten dieser Zellen und auch
der Eleidinzellen bedingt.
Bei der Atrophie der Epidermis ist die Verminderung der Schicht-
dicke der Zellen des Corpus mucosum das am meisten in die Augen
springende Phänomen.
Diese Zellen büßen zuerst ihre scharfe Kontur ein, schwellen dann
auf. ihre Bestandteile färben sich mehr diffus und zeigen in verschiedenem
Grade die Leloirschen Hohlräume (altération cavitaire). Ferner frag-
mentiert sich das Chromatin der Kerne.
Das Stratum granulosum schrumpft auf eine bis zwei Reihen abge-
platteter Zellen zusammen, seine Körner verringern sich oder verschwinden.
Die Hornzellen zeigen oft Parakeratose und Dyskeratose. Sie disso-
zieren und exfoliieren sich, nachdem sie an manchen Stellen durch Blasen
in die Höhe gehoben worden waren. Diese Blasen enthalten eine an
polvnukleären und großkernigen Zellen reiche seröse Flüssigkeit.
Wie ich zusammen mit Dr. Degrais beobachten konnte, behält das
Stratum germinativum beinahe seine normale Struktur bei; einige Basal-
zellen sind oft hypertrophisch, aber ihre Funktion bleibt intakt, da diese
Epidermis sich wieder erneuert und ihre normale Entwicklung durchläuft.
Bei einer nekrotisierenden Dosis werden alle Elemente der Epidermis
zerstört, nachdem sie eine oft kolossale Schwellung ihres Körpers und ihrer
Kerne durchgemacht haben, wobei die Leukozyten ihre gewöhnliche phago-
zıtäre Rolle spielen. Ist die Basalschicht eingesunken oder zerstört, so
ist die Ulzeration da.
War die Irritation weniger heftig, so bildet sich eine energische Re-
aktion. welche durch eine Verdickung der Epidermis in allen ihren
Schichten charakterisiert ist. Die Basalschicht ist reich an Zellen in
Karvokinese, wie dies Magnus Möller, Leredde und Pautrier be-
vbachten konnten. Darier zeigte andererseits eine bedeutende Vermehrung
des Eleidins in Form von Keratohyalin.
Die ektodermalen Hautabkömmlinge erleiden frühzeitig Veränderungen.
Haarfollikel und Schweißdrüsen verwandeln sich in Schläuche, die mit
nebeneinanderliegenden, unter sich gleichartigen Epithelzellen gefüllt sind.
Die Talgdrüsen atrophieren, die Epithelzellen, welche die Fettläppchen
umgeben, vermehren sich und wuchern in die Drüse, welche in einen
festen Block mit Malpighischer Struktur verwandelt wird. Diese Ver-
Hk
68 Wickham,
änderungen erklären die Wirkung der Strahlen auf seborrhoische Läsionen.
Wenn die geringe Dicke der Epidermis das Auftreten von histologischen
Läsionen ungefähr gleichen Grades bei den verschiedenen Strahlenarten
bedingt, so ist dies bereits bei der tiefer liegenden Kutis nicht mehr der
Fall. Die geringe Tiefenwirkung der Licht- und Sonnenstrahlen ist be-
reits offenkundig. Die Alterationen, die sie hervorrufen, sind zwar analog den
durch Röntgen- und Radiumstrahlen hervorgerufenen, aber viel weniger stark.
Dominici und Barcat studierten die Kutis eines Meerschweinchens,.
das einer Serie von Radiumapplikationen therapeutischer Art unterworfen
worden war. Sie konnten folgendes konstatieren: Die Bindegewebsfibrillen
und die elastischen Fasern verschwinden fast vollständig und werden durch
unzählige fusiforme und verästelte Bindegewebszellen ersetzt, welche dicht
aneinanderliegen und in einem Netz mit länglichen und engen Maschen
anastomosieren. Dieses Zellnetz hängt zusammen mit den Wandungen von
kleinen, dilatierten Blutgefäßen, die mit roten Blutkörperchen vollgepfropft
und in embryonale Kapillaren verwandelt sind. Es ist eine reine Neubil-
dung, da ihr jeder entzündliche Charakter fehlt. An den Gefäßen sieht
man weder Thrombus noch Wandverdickung. Das Myxom trägt über das
Angiom den Sieg davon und dieses Übergewicht wird um so stärker, je
mehr die Vernarbung vorschreitet.
In einer zweiten Phase nämlich verengern sich die Gefäße, so daß
ihr Lumen schwindet, und die Bindegewebszellen treiben Fibrillen. Diese
Bindefasern und die Zellen, die sie trennen, legen sich in regelmäßigen
Lagen parallel zur Körperoberfläche übereinander und lassen dieses Ge-
webe dem jungen Fibromgewebe ähnlich erscheinen. Mit der Zeit ver-
dicken sich die Bindegewebsfasern und die elastischen Fasern treten in
steigender Menge wieder auf. Bei den hypertrophischen Formen der Radio-
dermitis ist die Kutis von zahlreichen Zellen infiltriert. Die Wände der
Arterien und Venen sind verdickt, die Endothelien sind im Zustande der
Schwellung und proliferieren, so daß die Behinderung der lokalen Zirku-
lation noch vermehrt wird.
Viel geringer sind die durch aktinische Strahlen hervorgerufenen Ver-
änderungen. Bei einem mit Finsenlicht bestrahlten Kaninchenohre koun-
statierte Hans Jansen eine sehr ausgesprochene Blutgefäßerweiterung:
mehrere Kapillaren waren thrombosiert. Es bildete sich außerdem eine
sero-fibrinöse Exsudation und der Druck der letzteren zusammen mit den
Erscheinungen der Thrombose beschleunigen das Auftreten der direkt durch
das Licht hervorgerufenen Zellnekrose. Derartige Befunde wurden von
Leredde und Pautrier nach Bestrahlung mit dem Apparat von Lortet-
Genoud erhoben und die Histologie des Sonnenerythems, welche von den-
selben Autoren und ganz vor kurzem von Miramond de la Roquette
Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 69
studiert wurde, brachte dieselben Beobachtungen, was ja nicht weiter auf-
fallend ist, da in beiden Fällen dasselbe chemische Agens eingewirkt hatte.
Was die Röntgen- und Radiumstrahlen anbetrifft, so hat sich die
histologische Untersuchung der bestrahlten, gesunden Gewebe nicht allein
auf die Haut beschränkt; alle oder fast alle Gewebe wurden bereits darauf-
hin untersucht.
So studierten Delbet, Herrenschmidt und Mocquot die Ver-
änderungen einer normalen Magenschleimhaut, die 24 Stunden lang mit
5 cgr reinem Radiumbromid bestrahlt worden war. Die erste, erst nach
einer Stägigen Latenzperiode sichtbare Läsion bestand in einer Blutgefäß-
erweiterung mit Blutextravasation. Nach 14 Tagen trat auch eine Drüsen-
alteration ein. Die Hauptzellen starben frühzeitig ab, die Belegzellen und
Schleimzellen machten eine ziemlich lange regressive Metamorphose durch.
Die oberflächlichen Schichten der Mukosa schienen nicht mehr in Mitleiden-
schaft gezogen, als die tieferen, aber alle Schichten bis zur Muskularis
waren betroffen. Das Bindegewebe der Schleimhaut und der Submukosa
waren hyperplastisch.
Das Interesse dieser Befunde liegt in dem Umstand, daß die Gewebe
direkt beeinflußt werden, d. h. daß das Epithel nicht Ernährungsstörungen
infolge einer Gefäßalteration ausgesetzt war, sondern direkt in langsamer Weise
durch die spezifische aus dem Radium emanierende Energie abgetötet wurde.
An drei Organen, deren Struktur und Funktion in ganz besonderer
Weise die Aufmerksamkeit erregen mußten, wurden interessante Versuche
mit Röntgenstrahlen vorgenommen: es sind der Hoden und das Ovarium.
Schönberg zuerst, Bergoni6 und Tribondeau später, sowie Regaud
und Blanc haben unsere Kenntnis über den Einfluß der Röntgenstrahlen
auf diese Organe am meisten gefördert.
Eine schwache Bestrahlung des Hodens erlaubt, elektiv die inter-
stitielle Drüse von der Samendrüse zu trennen, indem sie letztere zerstört
und die erstere, die weniger empfindlich ist, bestehen läßt. Bei starker
Dosis hingegen wird das ganze Organ atrophisch, bekommt eine weiche
Konsistenz und alle seine Zellelemente verschwinden. Nach Bergoni& und
Tribondeau ist die Vulnerabilität der an der Spermatogenese beteiligten
Zellen um so größer, je jünger sie sind und je lebhafter ihre Karyokinese
ist. Infolgedessen sind die Spermatogonien am sensibelsten und werden
zuerst betroffen. Nach Regaud ist die Empfänglichkeit eher an die melır
oder minder ausgesprochene Dissoziierung des Chromatins gebunden: die
Spermatogonien mit staubartigem Chromatin sollen schnell zu Grunde
gehen, während die Spermatozoen, deren Chromatin dicht gedrängt liest,
viel widerstandsfähiger sind.
Wie dem auch sei, die jungen Zellen werden, weil weniger widerstands-
70 Wickham,
fähig, zuerst ergriffen und die Azoospermie, welche in manchen Fällen
eine definitive ist, kann in anderen Fällen nur vorübergehend sein, wenn
einige den Strahlen entronnene Spermatogonien nach einer Periode ver-
langsamten Lebens ihre Tätigkeit wieder aufnehmen.
Die Veränderungen der Ovarien sind weniger bekannt, da sie infolge
ihrer tiefen Lage sich schlecht zum Experimentieren eignen. Während
die polyedrischen oder fusiformen im Zentrum des Organs gelegenen Zellen,
welche die Drüse mit innerer Sekretion darstellen, wenig oder gar nicht
betroffen werden, greift die destruktive Wirkung der Röntgenstrahlen offen-
kundig an der Kortikalis des Ovarıums an. Das Chromatin des Kerns
des Eichens verwandelt sich in einen kompakten Block, das Zellprotoplasma
schrumpft und das Epithel des Graafschen Follikels verschwindet, nach-
dem dasselbe wahrscheinlich das tote Ei resorbiert hat. Einige Monate
nachher trifft man keine Graafschen Follikel und keine Corpora lutea in
Rückbildung mehr an.
Ich will hier die sehr große Empfindlichkeit der hämatopoietischen
Organe den Röntgenstrahlen und dem Radium gegenüber nur erwähnen:
Die Veränderungen dieser Organe im Verlaufe bestrahlter Leukämien
geben ein genaues Beispiel der Alteration wieder, welche sie im normalen
Zustand erleiden würden. Wir werden sie weiter unten erörtern, wenn
wir die Veränderungen pathologischer Gewebe studieren.
Auch Muskeln, Knochen, Nervensubstanz, Leber, Thyreoidea, Niere usw.
wurden nach Bestrahlungen untersucht. Die Resultate dieser Untersuchungen
sind aber so unsicher, daß ich es nicht wage, dieselben schon zur Dis-
kussion zu stellen.
Ebenso ist es mit dem Auge. Soviel ist jedenfalls sicher, daß Kon-
junktivitis, Keratitis, Trübungen des Glaskörpers selbst durch leichte, aber
öfter wiederholte Bestrahlungen hervorgerufen werden können. Man muß
das Organ deshalb möglichst davor schützen.
Was kann man aus diesen verschiedenen histologischen Befunden für
die Vergleichung der verschiedenen Strahlenarten untereinander schließen?
Es scheint, daß man überall, wo man die Röntgenstrahlen mit den Ra-
diumstrahlen vergleichen konnte, bis jetzt wenigstens immer eine kaum je
fehlende Übereinstimmung zwischen beiden Strahlenarten fand. Auch auf
der Haut, wo die Wirkung der aktinischen Strahlen (Finsenstrahlen und
Sonne) studiert worden ist, erscheint die Analogie mit der Wirkung der
Röntgen- und Radiumstrahlen offenkundig.
Wohlgemerkt, diese Analogien schließen in keiner Weise die Diffe-
renzen aus, welche aus der Natur der Strahlung und ihrer Penetrations-
kraft herrühren. Diese Variationen sind eigentlich nur verschiedene Grade
einer an und für sich gleichartigen Alteration.
Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 71
Wir werden ungefähr auf dieselben Schlüsse kommen, wenn wir die
Strahlenwirkung auf die pathologischen Gewebe untersucht haben werden.
Mit dieser Frage wollen wir uns jetzt beschäftigen.
III. Histologische Veränderungen pathologischer Gewebe durch
Strahlenwirkung.
Ich werde sukzessive die histologischen Veränderungen
1. der malignen Tumoren,
2. der Läsionen der hämatopoietischen Organe und des Blutes,
3. der Gefäßßgeschwülste,
4. der Keloide,
5. der Hauttuberkulose
besprechen.
Was die malignen Tumoren, die hämatopoietischen Organe und das
Blut sowie die Hauttuberkulose anbetrifft, so schien es uns, wenn wir uns
nur an die rein histologischen Veränderungen hielten, ohne auf andere
Erwägungen Rücksicht zu nehmen, bis jetzt wenigstens schwer, die Wir-
kung der Röntgenstrahlen von denjenigen der Radiumstrahlen zu unter-
scheiden.
Infolgedessen möge es mir gestattet sein, da ich besonders mit den
durch Radium gesetzten histologischen Veränderungen vertraut bin, als
Grundlage meiner Beschreibung die Befunde zu wählen, die ich unter Mit-
arbeit von Degrais und Gaud erheben konnte.
Unsere Untersuchungen über maligne Geschwülste betrafen Malpighi-
sche Epitheliome, Drüsenepitheliome und Bindegewebsgeschwülste.
Als Beispiel der ersten Gruppe werde ich ein ulzeriertes, vegetierendes
Epitheliom des Kinnes vom Stachelzellentyp wählen.
Nach einer 14 Tage dauernden Periode der Latenz findet man, daß
eine große Anzahl epitheliomatöser Zellen ihr Volumen um das Doppelte
oder Dreifache vermehrt haben. Der Kern mancher Zellen ist monströs,
oft vielgelappt und wuchernd. Die Nukleolen sind hypertrophisch, das
Chromatin zerstreut oder zusammengeballt, das Protoplasma hat eine aus-
gesprochene Tendenz zur Eosinophilie. Viele Elemente keratinisieren sich
selbständig ohne Rücksicht auf ihre Umgebung unter beträchtlicher Hyper-
trophie und Erhaltenbleiben ihres Keims (atypische Keratinisation). Das
Stroma scheint sich an Bindegewebslymphzellen bereichert zu haben und
unter diesen findet man junge Fibroblasten mit reichlichem Chromoplasma
und voluminösem Kerne. Die diapedesierten polynukleären Zellen sind in
ziemlich großer Zahl vorhanden. Am 25. Tage ist beinahe die Gesamt-
heit der neugebildeten Knötchen in einen Hornblock verwandelt, der aus
sehr voluminösen, verhornten Zellen besteht. Diese Hornblöcke sind durch
72 Wickham,
gefäßreiche Bindegewebszapfen in Fragmente zerklüftet. Diese Zapfen
stammen aus dem Stroma und sind von jungen Fibroblasten, von Lymph-
zellen, von Plasma- und polynukleären Zellen gebildet.
Kurz zusammengefaßt: nach einer Periode der Latenz, welche je nach
der verabreichten Dosis mehr oder minder lang ist, machen die Epitheliom-
zellen eine bedeutende Hypertrophie aller ihrer Elemente durch und
sterben durch disseminierte, totale und atypische, monströse Verhornung.
Die Hornblöcke werden durch die bindegewebigen Lymphzellen des
zu vermehrter Tätigkeit angeregten Stromas durchwachsen und
verschwinden durch Phagozytose. Die Vernarbung geschieht auf Kosten
des Stromas der Geschwulst.
Es ist derselbe regressive Prozeß, den Cheron und Rubens-Duval
in Malpighischen Tumoren des Uterus sahen.
Gehen wir nunmehr zu den Drüsenepitheliomen über. Die hier beobach-
teten histologischen Veränderungen sind sehr ähnlich. Ich will als Beispiel
einen Brustdrüsenkrebs wählen, dessen Krankengeschichte ich zusammen
mit Degrais und Gaud im Juni 1910 der Gesellschaft der Pariser
Spitalärzte unterbreitet habe und dessen Hauptabbildungen man in der
2. Auflage unseres Buches über Radiumtherapie finden wird.
Auf der Außenseite der vollständig infiltrierten Mamma wurden
10 cgr reines Radium auf einer Fläche von 28 qcm vereinigt 48 Std.
hintereinander appliziert. 16 Tage später wurde die Mammaexstirpation
vorgenommen. Die histologischen Untersuchungen wurden an Serien-
schnitten gemacht, die sukzessive von der Oberfläche zur Tiefe gingen und
die ganze Ausdehnung des Tumors betrafen.
Bei schwacher Vergrößerung sieht man an Stelle der voluminösen und
kompakten, durch ein zellarmes Stroma begrenzten Lappen eine kleine
Anzahl Inseln mit einem geringen Gehalt an Zellen, die hypertrophisch
sind und in einem äußerst zellreichen Gewebe liegen. An einigen Stellen
findet man helle Zonen infolge von Zytolyse.
Bei stärkerer Vergrößerung ist man zunächst von der oft kolossalen
Hypertrophie der neugebildeten Zellen überrascht. Das Protoplasma neigt
zu Azidophilie. Die Kerne sind oft unregelmäßig, monströs und in
Wucherung. In manchen Zellen ist das Chromatin zusammengeballt, der
Kern eckig und in Pyknose geschrumpft. In anderen ist die Chromatin-
substanz im Zytoplasma zerstreut.
Die hellen Zonen sind gebildet durch große Zellen, die auf eine ein
Retikulum mit weiten Vakuolen begrenzende Membran reduziert sind.
Auch der Kern ist verschwunden oder auf seine Membran reduziert. Es
sind dies Elemente im Zustande der Auflösung, der Zytolyse. Die Zell-
inselchen mit 20 oder 30 Zellelementen sind durch gefäßreiche Binde-
Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 73
gewebszapfen durchwachsen, in welchen Bindegewebs-Lymphzellen, sehr
junge Fibroblasten, Plasmazellen und mittlere und kleine mononukleäre
Zellen in großer Menge vorhanden sind. Oft findet sich am Ende des
einwuchernden Zapfens ein embryonales Kapillargefäß.
Diese histologische Beobachtung ist äußerst interessant: sie hat uns
gestattet, regressive Veränderungen bis in 9 cm Tiefe zu konstatieren.
Um diese Befunde zusammenzufassen: Die Epitheliomzellen werden
zerstört, nachdem sie eine oft monströse Hypertrophie ihrer Elemente
durchgemacht haben, die zu ihrer Auflösung durch Zytolyse oder ıhrer
Resorption durch Phagozytose führt. Das hyperplastische Stroma dringt
in die Lobuli der degenerierten Zellelemente, treibt sie auseinander, um-
schließt sie und bildet ein weiches, zellreiches Narbengewebe.
Anselme Bellot konnte ganz vor kurzem ganz gleichartige regressive
Phänomene in einem Adenoepitheliom der Prostata mit epitheliomatösen
Formationen von alveolärem Typus beobachten. Unter dem Einfluß des
Radiums wurden die epitheliomatösen Kerne zerstört, während Binde-
gewebszapfen in lebhafter Wucherung an ihre Stelle treten.
| Wenn man die histologischen Veränderungen bei den Malpighischen
Epitheliomen mit denjenigen der Drüsenepitheliome vergleicht, so findet
man eine weitgehende Übereinstimmung beider. Im Grunde genommen
liegt ihr einziger nennenswerter Unterschied in der Entwicklung der
monströsen Zelle: Wenn beim Malpighischen Epitheliom die Reifung der
Zelle zum Zustande des Hornblocks führt, beim Drüsenepitheliom hin-
gegen zur Zytolyse, so ist diese Zellentwicklung lediglich durch die Zell-
funktion bedingt, an welche die Zelle auch im gesunden Zustande adaptiert ist.
Diese Befunde stimmen ganz mit denjenigen überein, welche andere
Autoren und besonders Dominici machten, der als erster dieselben be-
kannt gab. Auch die Bindegewebsgeschwülste machen eine regressive
Entwicklung durch analog dem eben beschriebenen Prozeß. Ich wähle
als Beispiel für die histologischen Veränderungen einer derartigen Ge-
schwulst ein sehr rasch wachsendes Sarkom der Thoraxwand mit poly-
morphen Elementen unter Vorwiegen von mittelgroßen Spindelzellen.
5 cgr Radium wurden zwei Nächte hindurch unter Verwendung eines
5/), mm dicken Bleifilters aufgelegt. 48 Stunden nachher war bereits ein
Lichterwerden der Neoplasmazellen zu konstatieren. Die übrigbleibenden
zeigten bereits Hypertrophie ihres Körpers und Kernes; die Diapedese,
Vorläufer einer zukünftigen Phagozytose ist bereits angedeutet. Am
10. Tage sind die Veränderungen schon sehr ausgesprochen. In einer
Tiefe von 1 cm findet man Neoplasmazellen von kolossalen Dimensionen
bis zu 80 und 90 p. Ihre Kerne sind sehr groß, enthalten enorme
Nukleolen, haben ein verdicktes Chromatingerüst. Sie sind polymorph und
74 Wickham,
ın wechselnder Zahl. Diese Elemente sind meistens von polynukleären.
neutrophilen Leukozyten überwuchert. Man trifft keine einzige karyokine-
tische Figur mehr an. Die Gefäße sind an Zahl vermindert und einzelne
auf Spaltform reduziert.
Ein drittes Gewebsstückchen, das 14 Tage nach der Bestrahlung
exzidiert wurde, zeigte auf dem Schnitt 3 Zonen: 1. eine Zone mit voll-
ständiger Nekrose; 2. eine Zone mit monströsen Zellen und den Erschei-
nungen der Phagozytose — in der Tiefe fand sich eine Umformung der
Sarkomelemente in Fibrosarkom — und 3. eine Zone, in welcher das
Sarkom am wenigsten verändert war.
Um das eben Gesagte kurz zusammenzufassen: nach einer Periode
der Latenz, welche kürzer als bei den Epitheliomen zu sein
scheint, bewirken die Bestrahlungen in der sarkomatösen Zelle eine
Steigerung der Ernährungs- und Vermehrungsvorgänge, welche
in einer kolossalen Hypertrophie zum Ausdruck kommt. Hält die
schädliche Wirkung des Radiums an, so scheinen die Elemente wie vom
Blitz getroffen und während ihres Wachstums und ihrer Vermehrung vom
Tode überrascht. Sie werden dann von den Phagozyten, polynukleären
Leukozyten überfallen und absorbiert.
Die von Mön&trier und Clunet in einem Präparate eines Spindel-
zellensarkonıs des Beines nach Bestrahlung mit Röntgenstrahlen beobachtete
fibro-sarkomatöse Zone scheint anzudeuten, daß in einer bestimmten Tiefe
die geschwächte Strahlung, die Neoplasmazellen zwar nicht getötet, aber
doch in ihre biologische Entwicklung eine Perturbation gebracht hat. Sie
veranlaßten dieselben, Kollagen zu sezernieren und verwandelte sie morpho-
logisch in Fibromzellen, also in Elemente einer gutartigen Bindegewebs-
geschwulst.
Ich konnte nun selber in einem Fall von Fibroblastom oder typischem
Sarkom des Beines, das mit Radium behandelt worden war, die Um-
wandlung der sarkomatösen Elemente in Fibrosarkom, dann in benignes
Fibrom und zuletzt in sklerotisches Gewebe beobachten. Dominici und
Faure-Beaulieu hatten vorher dieselbe Beobachtung bei einem Sarkom
des Zahnfleisches gemacht.
Den gleichen Prozeß sahen Dominici, Rubens-Duval und
le Beurmann bei der regressiven Metamorphose einer enormen Mycosis
fungoides des Gesäßes mit Lymphosarkomtypus.
Wenn wir zusammenfassend die durch Röntgen- und Radiumstrahlen
sesetzten Veränderungen der Epitheliome mit den eben besprochenen ver-
gleichen, so finden wir immer denselben Mechanismus. Die Zelle stirbt
im Zustande kolossaler Vergrößerung und ihr Schwinden geschieht durch
Phagozytose. Doch scheint die Periode der Latenz beim Sarkom kürzer
Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 75
zu sein. Die vor der Degeneration einsetzende Hypertrophie der Sarkom-
zelle scheint viel ausgesprochener als bei der Epitheliomzelle. Manche
Sarkome werden durch die Bestrahlung nicht zerstört, sondern einfach in
benigne Fibrome und diese in Narbengewebe verwandelte (Dominici.)
Wir kommen nun zu den hämatopoietischen Organen und dem Blut.
Die histologischen Untersuchungen sind noch nicht sehr zahlreich, aber
die therapeutischen Resultate sind so beweisend und so ausgezeichnet, daß
es entschieden von Interesse ist, die hauptsächlichsten bis jetzt sicher-
gestellten histologischen Befunde einer Betrachtung zu unterziehen.
Die nosologische Gruppe der Läsionen der hämatopoietischen Organe
und des Blutes vereinigt eine zu große Anzahl von Krankheiten mit den
verschiedensten Symptomen, als daß ich dieselben im Gesamten besprechen
könnte. Ich werde deshalb einerseits die eigentlichen Leukämien, anderer-
seits einige Typen pseudoleukämischer Erkrankungen vornehmen, bei
welchen die Hyperleukozytose in viel geringerem Grade angetroffen wird
als bei der wahren Leukämie.
Man teilt die Leukämien ein in eine lymphatische Leukämie, welche
durch eine intensive Leukozytose mit Hyperplasie der Drüsenapparate
charakterisiert ist, und in eine myeloide Leukämie, bei welcher die Haupt-
merkmale eine starke Milzhypertrophie und das Vorkommen im Blute von aus
dem Knochenmark stammenden Zellelementen, den Myelozyten sind. Wir
wollen zuerst die Modifikation der Organe, dann diejenigen des Blutes
betrachten.
Auf den Drüsenschnitten eines Kranken mit lymphatischer Leukämie,
der drei Tage nach der letzten Röntgenbestrahlung starb, fanden Ménétrier
und Touraine außer einer Erweiterung der Kapillaren ein helles, rarefiziertes,
an Drüsenparenchymzellen armes Gewebe; sie glaubten einen normalen
Drüsenschnitt vor sich zu haben, aus dem man mit dem Pinsel die Zellen
entfernt hätte, um das Retikulum deutlich zu machen. Die Spuren der
verschwundenen Lymphozyten sind reichlich, man findet Kernreste und
Fragmente von zusammengeballtem Chromatin, die alle meistens in Phago-
zyten eingeschlossen sind. Die Endothelzellen des Gerüstes zeigen eine
diffuse Hyperplasie. l
Ebenfalls an einem Falle von lymphatischer Leukiimie, aber mit Be-
teiligung der Milz konnten David und Desplats histologische Studien
machen. Es waren zahlreiche Röntgenbestrahlungen der Milz, des Sternums
und der Ellenbogen vorgenommen worden, ohne daß eine Abnahme der
Lymphozyten eintrat. Die mikroskopische Untersuchung der Milz zeigte
weder Makrophagen noch die von Menötrier und Touraine beobachtete
starke Kongestion. Hingegen war das ganze Organ von ausgesprochenster,
diffuser, interstitieller Sklerose ergriffen.
76 Wickham,
Bei derartig diametral sich entgegenstehenden Resultaten möchte ich
kein Urteil abgeben; es sind neue Untersuchungen unbedingt nötig. Ich
will nur das Eine hervorheben, daß wir unter Einwirkung des Radiums die
zwei Phasen der Zytolyse und der Phagozytose wieder finden, die von
Menetrier und Touraine beschrieben und von Heinecke, London,
Thies, Senn, Werner und anderen ebenfalls gesehen wurden.
Die quantitativen und qualitativen Modifikationen des Blutes sind
interessanter zu verfolgen. Wir werden dieselben zuerst an den weißen,
dann an den roten Blutkörperchen untersuchen.
Das erste Resultat einer mäßigen Röntgen- und Radiumbehandlung
ist nicht, wie man meinen könnte, eine Verminderung der Leukozytenzahl,
sondern im Gegenteil eine Vermehrung, wie dies Aubertin und Beaujard
gezeigt haben. Es handelt sich aber jedenfalls um ein sehr flüchtiges
Phänomen, das 2—3 Stunden nach der Bestrahlung zu beobachten ist.
Diese Vermehrung geschieht immer zu Gunsten der polynukleären Zellen
und sie ist bei der myeloiden Leukämie viel ausgesprochener.
An diese erste Phase schließt sich eine Verminderung der Leukozyten
an. Bei der myelogenen Leukämie resultiert diese Verminderung aus dem
teilweisen Verschwinden der Myelozyten, welche nach David und Desplats
von 34,4% vor der Bestrahlung auf 26,3% eine Stunde nachher und auf
19,6% 6 Stunden nachher fallen können; in demselben Zeitraum gingen
die polynukleären Zellen von 3 auf 66,4%. In der Folge sank die Zalıl
der Myelozyten immer mehr, während die Zahl der Polynukleären sich der
Normalen näherte. Die mononukleären Zellen hingegen vermehren sich
in wechselnder Menge, erreichen aber nie ihre normale Zahl.
Bei der lymphatischen Leukämie nehmen die eosinophilen Zellen, die
Mastzellen und besonders die Lymphozyten ab: ihre Abnahme ist eine
langsame, außerdem betrifft sie die Leukozyten insgesamt, ohne daß ihr
prozentuales Verhältnis zueinander in auffallender Weise geändert wird.
Schr selten sieht man das Blut bei einer Iymphatischen Leukämie wieder
zu einer der Normalen sich nähernden Formel kommen.
Was die roten Blutkörperchen anbetrifft, so besteht der Effekt der
Einwirkung der Röntgen- und Radiunstrahlen in einer Vermehrung der-
selben, die nach einer vorübergehenden Verminderung rapide einsetzt und an-
dauert. Diese Veränderungen sind besonders in den myeloiden Formen deutlich.
Die spezielle Sensibilität des lymphatischen Gewebes führte natürlicher-
weise zur Verwendung der Röntgen- und Radiumstrahlen bei pseudo-
leukämischen Erkrankungen, sei es, daß es sich um Lymphadenie oder
um sog. aleukämische Splenomegalie, die ja trotzdem wit leichter Hyper-
leukozytose einhergeht, handelt. Ich hatte Gelegenheit, zusammen mit
Herrn Dr. Degrais eine Kranke mit Radium zu behandeln, welche eine
Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen 77
Milz von enormen Dimensionen aufwies, die das ganze Abdomen und das
Becken ausfüllte und die Medianlinie rechts um 5 Fingerbreiten über-
schritt. Die Blutkörperchenzählung ergab 3200000 rote, 360000 weiße
von allen Varietäten. Es handelte sich um eine Splenomegalie mit
Leukozythämie ohne Lymphadenie. Eineinhalb Monate nach Beginn der
Behandlung fand man 4900000 rote und 77000 weiße Blutkörperchen.
Nach 5 Monaten war die Milz nicht mehr nachweisbar und nach
S Monaten blieb das Allgemeinbefinden tadellos. Die Blutuntersuchung
ergab 10000 weiße Blutkörperchen und die Milz blieb in normaler Größe.
In einem Falle von Iymphatischer Lymphadenie, der mit Röntgen-
strahlen behandelt wurde, konnte P. L. Weill eine Abnahme der weißen
Blutkörperchen von 8000 auf 6000 und Rückkehr zur normalen Leuko-
zytenformel feststellen.
Was den histologischen Prozeß der Regression einer Splenomegalie oder
Lymphadenie anbelangt, so handelt es sich wahrscheinlich um Veränderungen
ähnlicher Art wie die von M&n6trier und Touraine in einem Fall von
lymphatischer Leukämie beschriebenen; es wäre aber gewagt, dies absolut
sicher behaupten zu wollen.
Die Darstellung, welche ich jetzt von dem regressiven Prozeß der
Angiome und Keloide geben werde, betrifft nur die Wirkung des Radiums.
Ich habe keine Kenntnis, daß eine derartige Untersuchung nach Ein-
wirkung von Röntgenstrahlen gemacht wurde.
Die günstigen Erfolge, welche ich durch die Bestrahlung mit Radium
in hunderten von verschiedensten Fällen von Naevi plani vasculosi, von
subkutanen und submukösen Gefäßgeschwülsten und von erektilen Ge-
schwülsten erhalten habe, veranlaßten mich, den Regressionsprozeß dieser
Geschwülste histologisch zu klären, wie ich dies auch zusammen mit
Degrais und Gaud für die Keloide gemacht habe.
Ich wähle zuerst das Beispiel eines planen Angioms der Kopfhaut,
das bestrahlt und geheilt wurde.
Unter einer verschmälerten Epidermis findet man eine papillenlose
Kutis, deren differenzierte Elemente, Haare, Nerven, Muskeln, Drüsen
verschwunden sind und einem Gewebe Platz gemacht haben, das aus
einzelnen übereinander geschichteten Lagen parallel zur Epidermis aus-
einandergezogener Zellen mit einigen zerstreut liegenden hellen Spalten
besteht. Außerdem, was die Hauptsache ist, sind die zahlreichen blut-
gefüllten Kapillaren verschwunden. Einige Reste davon sind noch in
Form von vereinzelten zu engen Spalträumen reduzierten Gefäßen vor-
handen, deren Lumen von einem Endothel mit vorspringenden großkernigen
Zellen begrenzt ist; diese beinahe blutleeren Spalten enthalten einige poly-
nukleäre Leukozyten.
78 Wickham,
Die Zellen des Bindegewebes sind vom Typus der erwachsenen
Fibroblasten mit kleinem, länglichen Kerne, der von einem schmalen
Protoplasmasaum umgeben ist. Kollagen und Elastin scheinen wie in einer
normalen Kutis in parallelen Bündeln zwischen den Zellelementen ange-
ordnet. An manchen Stellen, besonders in der Umgebung der Kapillar-
reste sieht man eine schöne, voluminöse embryonale Bindegewebszelle,
sternförmig und mit zahlreichen lang ausgezogenen Protoplasmaausläufern
versehen. Die Epidermis ist verschmälert, ihre Keimschicht ruht auf
einer geradlinigen Basis.
Dieses Ersatzgewebe ist natürlich von der normalen Haut verschieden,
unterscheidet sich aber ebenso von einer banalen Narbe nach Entzündung
und zwar durch das Fehlen von Gefäßentzündung und von Inseln embrvu-
naler Zellen, ferner durch die Regelmäßigkeit und das geringe Volumen
der Bindegewebsbündel, durch das Fehlen von Sklerose und durch seinen
Reichtum an Fibroblasten.
Es ist interessant, den Regressionsprozeß der neugebildeten Kapillaren
zu verfolgen. Die Veriünderungen setzen am Endothel und am Perithel an.
Der Kern der Endothelzellen ist kugelig geworden und springt vor.
während ihr reichlicheres Protoplasma sich in dendritischen Fortsätzen aus-
wächst, die mit denen der Nachbarzellen und mit den perivaskulären Binde-
gewebselementen anastomosieren. Die platte und polygonale Endotlielzelle
wird eine sternföürmige Bindegewebszelle.
Das Perithelium wird hyperplastisch. Es ist dann von zahlreichen
fusiformen grolikernigen Zellen zusammengesetzt, die das verengte Lumen
der Kapillare begrenzen. Der Schnitt durch die Gefäße ist nicht mehr
kreisförmig, sondern wird polygonal oder elliptisch.
Um den Vorgang zusammenzufassen: Es findet keine direkte und
sofortige Zerstörung der neoplastischen Elemente, welche den
Tumor in Form von Kapillaren aufbauen statt. Es handelt sich also
um einen Prozeß, der vollständig verschieden ist von demjenigen, den wir
bei dem Schwund der epitheliomatösen und sarkomatösen Zellen oder der
leukämischen Blutkörperchen sahen.
Es handelt sich hier um paraembryonale Metaplasie des
vaskulären Bindegewebes mit Hyperplasie seiner Elemente.
Unter dem Einfluß des Radiums verändert sich das plane oder kavernöse
Angiom in sozusagen evolutiver Weise: der Prozeß besteht aus-
schließlich in einer Verjüngung des Gewebes.
Diesen selben Prozeß finden wir bei den Veränderungen der Keloide
nach der Radiumbehandlung wieder.
Diejenigen Keloide, deren histologische Transformation wir verfolgen
konnten. waren das eine nach einer Verbrennung mit Schwefelsäure, das
Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 79
andere nach einer Verbrennung durch Schießpulver entstanden. Ihr Aufbau
war ungefähr der gleiche. Unter einer reduzierten Epidermis, deren Basis
kaum gewellt war, fand sich eine durch ein dichtes Filzwerk von Binde-
gewebsfasern erfüllte Kutis. Die Bindegewebsfibrillen lagen in parallel zur
Oberfläche wellig verlaufenden einander rechtwinklig schneidenden Schichten,
zwischen denen einige wenige längliche und verkümmerte Bindegewebszellen
verborgen waren. Die wenig zahlreichen Gefäße waren von einer Zone
zellulärer Infiltration umgeben. Die elastischen Fasern waren nur spärlich.
Nach einer mehrere Wochen dauernden Behandlung, die zur Erweichung
und zum Einsinken der Tumoren bis aufs Hautniveau führte, sah man bei
der histologischen Untersuchung die Epidermis noch etwas mehr reduziert
als früher, die Zellen des Corpus mucosum aber voluminöser. Es war
ferner nur eine Zellschicht mit Eleidin zu erkennen und die Keimschicht
lag auf einer fast geradlinigen Basis.
Die Kutis, ohne Papillen, ohne Haare und Drüsen wird gebildet von
regelmäßig abwechselnden Schichten von feinen Bindegewebsfibrillen und
elastischen Fasern, die der Epidermis parallel laufen, und von zahlreichen
Zellen vom Bindegewebstypus in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung.
Wenn manche dieser Zellen die Form und Größe von erwachsenen Fibro-
blasten haben, die das Kollagen und Elastin der Umgebung ausscheiden,
so sind andere mehr in Haufen gruppiert und haben ein reichliches Chromo-
plasma, das sich in lange, mit denjenigen der Nachbarzellen anastomo-
sierenden Filamente fortsetzt, und einen großen, oft exzentrischen Kern.
Es sind dies die morphologischen Charaktere der jungen, sternförmigen
sogenannten embryonalen Bindegewebszelle. Zwischen diesen beiden ex-
tremen Typen finden wir alle Übergänge in Differenzierung begriffener
Fibroblasten. Die elastischen Fasern sind fein und reichlich.
Wenn ich das eben Gesagte zusammenfasse, so unterscheidet sich das
bestrahlte Keloid durch seinen Reichtum an Bindegewebszellen, durch die
Polymorphie seiner Zellen, die Volumverminderung des Bindegewebsbündels
und durch das Wiederauftreten der elastischen Fasern.
Das Keloid scheint also der Sitz eines evolutiven Prozesses gewesen
zu sein, der in einer Verjüngung mit Hyperplasie der Bindegewebselemente
bestand und von einer normalen Entwicklung derselben gefolgt war. Nur
die Bildung von Elastin und Kollagen ist weniger dicht als in einer nor-
malen Kutis. Der Zellreichtum des Ersatzgewebes und die Feinheit seiner
elastischen Fasern erklären seine Weichheit und seine Einebnung genügend.
Bisher haben wir nur von der Wirkung der Röntgen- und Radium-
strahlen gesprochen. Die Wirkung der aktinischen Strahlen war bisher
noch nicht Gegenstand einer histologischen Untersuchung bei den Affek-
tionen, von denen wir bisher sprachen. Übrigens scheinen die durch die
80 Wickham,
Sonnenstrahlen hervorgerufenen Modifikationen überhaupt noch nicht Anlaß
zu histopathologischen Untersuchungen gegeben zu haben. Hingegen wurde
die Wirkung der Lichtstrahlen (Finsen) von verschiedenen Autoren histo-
logisch untersucht, unter denen wir als Pionier der ersten Stunde Hans
Jansen aus Kopenhagen erwähnen müssen, dem wir die nachfolgenden
Angaben verdanken:
Diese Studien betreffen fast alle die Hauttuberkulose und wir könnten
sie mit den über die Wirkung der Röntgen- und Radiumstrahlen auf
dieselben Gewebe gemachten histologischen Untersuchungen vergleichen.
Jansen konnte nach Bestrahlung einer mit Tuberkelbazillen infizierten
Kaninchenkornea außer der Zerstörung der oberflächlichen Zellen eine
sehr ausgesprochene Erweiterung der Gefäße mit Endarteriitis und par-
tieller Thrombose konstatieren. Ein erst seröses, dann serofibrinöses Ex-
sudat imbibiert die Gewebe und zu gleicher Zeit erfolgt eine Vermehrung
der weißen Blutkörperchen mit Zellproliferation in die Tiefe. Die Zell-
zerstörung findet nur in 0,5 mm Dicke statt. Beim Lupus sieht man
dieselben Veränderungen. Doch sind hier die Gefäßmodifikationen weniger
auffallend infolge der Hefäßarmut der Lupusknötchen. Die Erscheinungen der
Vakuolisierung und Zellnekrose sind höchstens bis zu 0,7 mm Tiefe sichtbar.
Nach Jansen besteht die Lichtbehandlung in einer Zerstörung der
Schichten, die bis zu einem gewissen Punkte elektiv für die pathologischen
Elemente ist und mit einer äußerst lebhaften Degeneration einhergeht.
Nach Grouwen und Doutrelepont wirken die Röntgenstrahlen auf
den Lupus, indem sie eine Bindegewebshyperplasie hervorrufen, welche die
Lupusherde sozusagen erstickt. Scholtz hingegen konstatierte eine De-
generation der Riesenzellen und der an Stelle der Lupusknötchen, deren
Form man nicht mehr erkennen kann, zurückgebliebenen Epithelzellen.
Diese Widersprüche sind wahrscheinlich durch die Intensität der Be-
strahlungen zu erklären je nach der Tiefe der Läsion. Dasselbe ist sogar
in der Radiumtherapie der Fall, wo wir in manchen Fällen von tiefer
Intiltration gezwungen sind die sogenannte „elektive* Methode durch die
Methode der entzündlichen Reaktion zu ersetzen. Im ersteren Falle haben
wir eine Hyperämie mit Leukozytenmigration und Ersticken der Lupus-
knötchen durch das neugebildete Bindegewebe, im zweiten haben wir die
Nekrose der Zellen, deren Trümmer durch Phagozytose verschwinden, und
die Bildung einer gleichmäßigen und weichen Narbe auf Kosten des em-
bryonalen Bindegewebes. Dominici und Barcat haben speziell diese Frage
studiert.
IV. Allgemeine Betrachtungen.
Am Schluß meines Referates angelangt, möchte ich einige allgemeine,
klinische und therapeutische Betrachtungen folgen lassen.
Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 81
Aus der Gesamtheit der bis jetzt festgestellten Tatsachen haben wir
sefolgert, daß in histologischem Sinne die verschiedenen Strahlen gleich-
artige Modifikationen hervorrufen. Und doch scheinen manche klinischen
Resultate solche Folgerungen Lügen zu strafen, da therapeutisch in einem
bestimmten Falle die eine Methode besser als die andere wirkt.
Man darf aber nicht vergessen, daß diese Untersuchungen noch in
ihren Kinderschuhen stecken und daß eine nahe Zukunft viel gründlichere
Untersuchungen bringen wird,. welche auf einer viel größeren Erfahrung
fußend. wahrscheinlich histologische Unterschiede ans Licht bringen werden,
welche bis jetzt noch verborgen blieben.
Es ist nötig, ins Gedächtnis zurückzurufen, daß die Hauptgründe
dieser therapeutischen Unterschiede ganz anderer Art sind. Die eine
Methode erlaubt eine präzisere, besser passende Dosierung, die andere die
Anwendung einer mannigfaltigeren und subtileren Technik: Die Filtration
n der Radiumtherapie ist ein Beispiel hierfür.
Zuletzt spielen die materiellen Verhältnisse des Instrumentariums der
sinen oder anderen Methode eine entscheidende Rolle. Wenn wir die
Röntgentherapie mit der Radiumtherapie vergleichen, so finden wir bei der
ersteren die Möglichkeit. leicht eine große Oberfläche mit einer bedeutenden
Strahlenintensität zu bestrahlen. Bei der Radiumtherapie finden wir kleiner
!!mensionierte Apparate, welche durch künstliche und natürliche Öffnungen
en fast allen Teilen des Körpers eingeführt werden können, da wo die
Röntgentherapie nicht mehr wirken kann. Außerdem kann man Dank
des auljerordentlichen Durchdringungsvermögens der y-Strahlen des Ra-
ums nicht nur durch dicke Gewebsschichten hindurch eine Wirkung ent-
sken. sondern man kann auch eine bis zu 5 mm Blei gehende Filterserie
‚nwenden. und dies allein zeigt, zu welch multiplen Kombinationen sich
le Radiumtherapie eignet und wie sie sich den einzelnen Regionen an-
asen lißt; so kann man ganz außerordentlich schöne und unvergleich-
xie Resultate bei manchen malignen Tumoren des Uterus erzielen. Denn
man wird leicht verstehen, daß die kleinen radiumtragenden Instrumente,
“iche auf mehr als 9 Zentimeter Tiefe wirken können, außerordentlich gut
‘h dieser Region anpassen lassen, wo man mit Leichtigkeit dieselben eine
mie Anzahl von Stunden in Lage lassen kann.
Es ist außerdem klar, daß alle Methoden der Radiumtherapie, welche
ür-kt das HEmanationsgas des Radiums verwenden, so die Radiumiono-
tsrapie, die Injektionen löslicher und unlöslicher Radiumsalze usw. eine
nuz spezielle und eigenartige Technik erfordern.
(Übersetzt von Dr. A. Gunsett in Straßburg i. E.)
Strahlentherapie Band II, Heft 1. b
Aus dem Laboratorium für Radioaktivität in Gif.
Untersuchung über die Absorption der y-Strahlen des
Radiums durch einige organische Substanzen. 5
Von
Dr. Giraud, Chantilly (Oise).
(Mit 1 Abbildung.)
Einleitung.
an weiß, daß eine ungeführ 5 Millimeter dicke Bleiplatte aus einem
Radiumpräparat nur noch y-Strahlen passieren läßt.
Es ist die härteste Radiumstrahlung und diejenige, welche man speziell
dann verwendet, wenn man in die Tiefe der Gewebe wirken will.
Es schien uns deshalb wichtig, zu untersuchen, nach welchen Gesetzen
diese Strahlung absorbiert wird. Die Absorptionskoeffizienten der y-Strahlen
sind zwar für eine große Anzahl von Metallen, festen Körpern, für Wasser
und einige weniger dichte Flüssigkeiten — bei letzteren beschränkte sich
allerdings die Untersuchung auf sehr geringe Schichtdicken — bestimmt.
meines Wissens aber nicht für die Gewebe und die organischen Flüssie-
keiten.
Meine Versuche beschränkten sich bis jetzt auf das Wasser, die physio-
logische Kochsalzlösung, das Blut und das Muskelgewebe. Weitere Ver-
suche, die noch in Arbeit sind, werden die bisherigen Resultate vervoll-
stäindigen.
Ich will zuerst kurz die Absorptionskoeffizienten für einige Metalle ins
Gedächtnis zurückrufen:
Es sei Jo die ursprüngliche Intensität des y-Bündels vor der Absorption.
J die Intensität desselben Bündels nach Durchdringung der
Substanz d
und u der Absorptionskoeffizient.
Man hat dann die Formel:
J = Joo un
welche angibt, daß die Absorption einem exponentiellen Gesetze folet.
', Vortrag, gehalten auf dem 4, Internationalen Kongreß für Physiotherapie,
Berlin 1913.
Giraud, Absorption der y-Strahlen des Radiums d. organ. Substanzen. 83
Für einige Metalle seien hier die Werte von p angeführt:
Tabelle 1.
Tu D (= Schichtdicke, welche die Hälfte
der Strahlung absorbiert).
Pb = 049= 1,4 cm
Hg = 0,642= 1,08cm
Al = 0(0,Ä11ll= 6,25cm
Glas = 0,105 = 6,60 cm
Paraffin = 0,040 = 17,30 cm
In dieser Tafel gibt die Reihe D, welche der Reihe u folgt, für die
bezeichneten Substanzen diejenige Dicke an, welche nötig ist, um die Hälfte
der ursprünglichen Strahlung zu unterdrücken.
Experimentelle Anordnung.
Bei unseren Versuchen bemühten wir uns, möglichst exakte Zahlen zu
erhalten. Deshalb trafen wir eine äußerst empfind-
liche und präzis arbeitende Anordnung.
Dieselbe besteht in einem Goldblattelektroskop,
auf welchem ein zylindrischer Behälter aus Messing
von genügender Größe sitzt, um die zu unter-
suchende Substanz aufzunehmen. Das Radium in
Menge von 9 Milligramm RaBr,2H,O wurde an der
obersten Fläche dieses Zylinders angebracht.
Das Elektroskop selber war ganz aus 1 cm
dickem Blei, außer der unter dem Metallzylinder
liegenden Wand, welche aus einer 1 mm dicken
Messingplatte gebildet war.
Um das Eindringen jeglicher parasitärer Strah-
lung zu verhindern, waren die Fenster, welche zum
Beleuchten oder Ablesen dienten, durch dicke,
5 Zentimeter lange Bleirohre geschützt. (Fig. 1.)
Die Ablesung wurde bei künstlicher Beleuch-
Fig. 1.
tung vermittelst eines mikrometrischen Fernrohrs vorgenommen.
Das Elektroskop wurde an einer seitlich angebrachten genügend ge-
schützten Kontaktstelle vermittelst einer Akkumulatorenbatterie von gut
konstanter Spannung geladen.
Der Messingzylinder war 54 cm hoch und 12cm breit. An seiner
Basis waren 2 Röhren angelötet; die eine diente dazu, nach Belieben und
progressiv die Füllflüssigkeit abzulassen, die andere war in Verbindung mit
einem graduierten Manometer, welches jederzeit den Stand der Flüssigkeit
im Innern des Zylinders anzeigte.
6*
84 Giraud,
Das oberhalb des Zylinders auf einer 5 mm dicken Bleiplatte liegende
Radium war außerdem noch durch einen mehrere Zentimeter dicken Blei-
hut geschützt.
Auf diese Weise konnten die y-Strahlen nur die Substanz, deren Ab-
sorption man studieren wollte, durchdringen. Für diejenigen, welche die
Seitenwand des Messingzylinders hätte durchfiltrieren lassen, bildeten die
dicken Bleiwände des Elektroskops ein undurchdringliches Hindernis.
Versuch.
Er bestand darin, zuerst die Angaben des Elektroskops bei leerem.
dann bei mit der zu untersuchenden Substanz maximal gefülltem Zylinder
zu registrieren.
Nachdem das Radium, wie oben beschrieben, aufgesetzt und das
Elektroskop aufgeladen war, notierte man die Zeit der Entladung für ab-
steigende Schichtdicken der Substanz, die peinlichst kontrolliert wurden.
Die umgekehrten Zeiten gaben die Schnelligkeit des Fallens des Gold-
blättchens.
Für Gewebe wurde der vertikale Zylinder durch eine Reihe von Messing-
ringen gleicher Dicke von 2 Zentimetern Höhe ersetzt.
Der Boden eines jeden Ringes bestand aus dünnem Papier, dessen
Absorption man vernachlässigen kann.
Jeder dieser Ringe war mit der zu untersuchenden Substanz ge-
füllt. Indem man sie übereinanderlegte, bekam man genau bestimmbare
Schichtdicken.
Resultate.
Für Flüssigkeiten wie für Gewebe wurden die Resultate folgender-
malen dargestellt:
Man zeichnete eine Kurve, deren Abszissen die Schichtdicken der
untersuchten Substanz darstellten. Als Ordinaten wurden die Logaritlinien
der Schnelligkeit des Fallens des Goldblatts im Elektroskop, d. h. die
Logarithmen der Strahlenintensitäten, welche die sukzessiven und ent-
sprechenden Schichtdicken der Substanz passiert haben, notiert.
Bei dieser Anordnung fand man, daß bei den 4 verschiedenen Sub-
stanzen für Schichtdicken bis zu 52cm das Absorptionsgesetz streng ex-
ponentiell ist; d. h. wenn die Dicke der Substanz 2 mal größer wird. so
nimmt die Strahlung, die sie durchdringt, um die Hälfte ab.
Die erhaltenen Zahien finden sich in der folgenden Tabelle, auf
welcher x. den Absorptionskoeffizienten bei einer Temperatur von 15° und D
die Dicke der Substanz, welche die Hälfte der Strahlung unterdrückt,
bezeichnet.
Absorption der y-Stsahlen des Radiums durch organische Substanzen. 85
Tabelle 2.
p D (log =)
Wasser . . . . . . 0,034 20.4 cm
Physiolog. Kochsalzlösung 0,038 18,3 cm
Blut . . 2. . . . . 0,048 14,4 cm
Muskelgewebe . . . . 0,091 7,6 cm
Man sieht hieraus, daß für Wasser die Absorption gering ist und daß
sie steigt, wenn die Strahlung die physiologische Kochsalzlösung und das
Blut durchdringt und daß sie für die Gewebe relativ groß ist.
Konsequenzen.
Die exakte Kenntnis der Koeffizienten ist wichtig. Sie erlaubt es,
in präziser Weise den Wert der in jedem Kubikzentimeter Gewebe zurück-
gelassenen Energie zu messen, wenn man die Intensität der Strahlung:
quelle und die Entfernung de bestrahlten Gewebe kennt.
Betrachten wir z. B. den Fall, daß in einen Tumor ein Radium-
röhrchen gebracht wird. Die in einem Kubikzentimeter Gewebe, das in
einer Entfernung r vom Röhrchen liegt, zurückgelassene Energiemenge
hängt von 2 Faktoren ab, von denen der eine als Funktion der Distanz
umgekehrt mit dem Quadrate letzterer wechselt, der andere mit der Ab-
sorption variiert,
Diese beiden Faktoren können durch folgende Formeln ausgedrückt
werden: |
Distanzfaktor r= Iy (1)
r?
Absorptionsfaktor I’ = It,“
Die Kombination beider Formeln erlaubt die Aufzeichnung der Kurve
der in Funktion der Distanz r absorbierten Energie.
Diese Arbeit wurde im Laboratorium für Radioaktivität von Gif
(S. et Oise) ausgeführt, dessen Direktor, Herr Danne, mich durch
seine Ratschläge wirksam unterstützte. Ich benutze die Gelegenheit, um
ihm meinen lebhaften Dank dafür auszusprechen.
(Übersetzt von Dr. 4. Gunsett, Straßburg i. E.)
Radiumbehandlung des Rhinophymas.!)
Von
P. Degrais, Paris.
I‘; habe die Ehre. Ihnen aus der Reihe der Forschungen, welche wir im Ra-
diumlaboratorium anstellen, die sukzessiven Resultate vorzuführen, die wir
bei der Behandlung des Rhinophymas erhalten haben. Dieselben sind
besonders deshalb bemerkenswert, weil ein Parallelismus zwischen der
Natur der Affektion und der Wirkung des Radiums auf die sie konsti-
tuierenden Elemente besteht.
Das Rhinophyma, eine unregelmäßige Hypertrophie der Nase, die
oft mit roten schlecht konturierten Flecken einhergeht, wird vom ana-
tomisch-pathologischen Standpunkte aus charakterisiert:
1. durch eine Vermehrung der Talgdrüsen und Erweiterung ihrer
Ausführungsgänge,
2. durch eine Sklerosierung der Kutis mit Bildung Iymphatischer
Hohlräume, deren Wände mit Endothelzellen belegt sind. Die Blutgefübe
bilden oft weite Sinus, welche die Kutis in ein kavernöses, den Angiomen
ähnliches Gewebe verwandeln.
Leloir und Vidal unterscheiden zwei Arten des Rlıinophymas, je nach-
dem die einen oder anderen pathologisch-anatomischen Merkmale über-
wiegen: eine glanduläre Varietät, bei welcher die Drüsen sehr voluminös
sind, und eine elephantiastische Form, bei welcher die Kutissklerose und
die Blutgefäßdilatation überwiegt.
Nun wissen wir aus den Untersuchungen über die Radiumwirkung
auf die Epidermis. daß die Abkömmlinge des Ektoderms, die Haare,
Talg- und Schweißdrüsen Veränderungen durchmachen, welche zuletzt zu
ihrem vollständigen Schwunde führen. Die Haare wandeln sich in Röhren
um, die mit nebeneinanderliegenden untereinander völlig gleichen Epithel-
zellen ausgefüllt sind. Die Schweißdrüsen machen nach etwas längerer
Zeit dieselben Veränderungen durch. Die Talgdrüsen werden ihrerseits
zuerst atrophisch. Die Fettsubstanz, welche ihre Zellen ausfüllt, nimmt
ab und verschwindet dann, die Kerne schrumpfen, werden pyknotisch und
bald sind, wie dies Scholtz zeigte, Follikel und Drüsen durch Leukozyten
ersetzt, welche mit Kernresten und sich nicht mehr färbenden Fibrillen-
1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie.
Berlin 1913.
Degrais, Radiumbehandlung des Rhinophymas. 87
massen untermischt sind. Diese Elemente verfallen der Phagozytose und
werden resorbiert. Drüsen und Follikel verschwinden. Zu gleicher Zeit
vermehren sich die Epithelzellen, welche den Fettlappen umgeben und
wuchern in die Drüse, welche so in einen Block mit Malpighischer Struk-
tur umgewandelt wird.
Ferner zeigt uns die Untersuchung bestrahlter Angiome, daß die
vielen strotzend mit Blut gefüllten Kapillaren nicht mehr vorhanden sind.
Einige Reste bestehen noch als kleine, seltene, zu Spalten reduzierte Ge-
füße, deren Lumen von einem Endothel mit vorspringenden großkernigen
Zellen umkleidet ist. Diese fast blutleeren Räume enthalten einige poly-
nukleäre Zellen. Ä
Die pathologische Anatomie des Rhinophymas einerseits, die histo-
logischen Modifikationen, welche das Radium in den das Rhinophyma kon-
stituierenden Elementen hervorruft andererseits, rechtfertigten eine Radium-
behandlung dieser Erkrankung und die Erfolge bestätigten unsere Annahme,
welche durch die bei Angiomen und seborrhoischen Erkrankungen erzielten
Resultate, die wir in unserem Lehrbuch der Radiumtherapie erwähnt haben,
gestützt wurde.
Von den drei Patienten, deren Krankengeschichten wir aus der Reihe
der mit Wickham zusammen behandelten Fälle herausgreifen, zeigten
zwei die glanduläre und der dritte die elephantiastische Form. Bei den
beiden ersten, deren Nase mit unregelmäßigen Vorsprüngen besetzt war,
konnte aus den Drüsenöffnungen eine enorme Quantität Talg ausgedrückt
werden. Allmählich wird unter dem Einfluß des Radiums der Talg weniger
und verwandelt sich zuletzt in kreidige Zapfen, die schwer aus dem Ein-
führungsgang zu enucleieren sind und jede Sekretion auf Druck sistiert.
Parallel mit diesen Veränderungen nahm auch das Volumen der Nase ab,
die allmählich ihre normale Form wieder erreichte. Bei dem dritten
Kranken, bei welchem das vaskuläre Element auf Nase und Wangen über-
wog, während die Drüsensekretion nur relativ vermehrt war, verschwanden
die kongestiven Phänomene allmählich und die hypertrophischen Gewebe
sanken ein.
Unsere Technik war die folgende: Es wurden während 48 auf vier
Nächte verteilten Stunden Apparate von 4 Quadratzentimeter Oberfläche
aufgelegt, welche 1 cgr Radiumsulfat gemischt mit 3 cgr Bariumsulfat
enthielten. Als Filter wurde 2 mm dickes Blei verwendet. Die Appli-
kationen wurden als Kreuzfeuer auf die Nasenflügel gemacht. 4 Serien
in je 6 wöchentlichem Abstand waren zur Erreichung der oben beschrie-
benen Resultate nötig. |
Wir haben mit Vorliebe diese Technik angewandt, weil bei der Dimension,
welche die Drüsenelemente erreicht hatten, nur durch eine starke Filtration
88 Degrais, Radiumbehandlung des Rhinophimas.
eine genügend lange Bestrahlung und eine genügende Absorption gewähr-
leistet werden konnte, welche nötig ist, um die weit von der Oberfläche
entfernten Elemente zu modifizieren.
Natürlich variiert diese Technik, welche wir zuerst anempfohlen haben.
je nach dem Fall. Die oben angegebene darf nur als Typus für die spe-
ziellen Fälle gelten, von denen wir sprachen.
Jedenfalls muß man aber Filter von °/,, mm Blei und mehr anwenden,
denn wenn zwar mit Recht die harten Strahlen für die normalen Drüsen
als ungefährlich gelten, so sind sie doch unumgänglich nötig, um hyper-
trophische Drüsen zu modifizieren.
Ich glaube deshalb, daß in den mittelschweren Fällen, bei welchen
eine chirurgische Behandlung diskutiert werden kann, die Radiumbehand-
lung Vorteile bietet, auf die mir hinzuweisen interessant schien.
(Übersetzt von Dr. A. Gunsett, Straßburg i. E.)
Aus dem Radiuminstitut der Königlichen Charite (Dir. Geh. Med. Prof.
Dr. W. His).
Zur biologischen Wirkung von Thorium X.')
Von
V. Salle und A. von Domarus.
D: Mitteilung unserer Untersuchungen über die Wirkung des Tho-
rium X auf den Tierkörper möchten wir vorausschicken, daß der Aus-
gangspunkt unserer Arbeit nicht von therapeutischen Gesichtspunkten be-
stimmt wurde, vielmehr waren wir bestrebt, zunächst ganz allgemein ge-
wisse biologische Wirkungen von Thorium X auf den Tierkörper
näher zu erforschen. Wir berichten in folgendem nur über unsere, auf
einem abgegrenzten Gebiete erzielten Resultate und möchten gleich ein-
gangs betonen, daß bei der komplizierten Wirkung der radioaktiven Stoffe
auf den Körper die Deutung von in dieser oder jener Richtung erhobenen
Befunden auf gewisse Schwierigkeiten stößt. Die Befunde selbst können
zurzeit nur Fragmente darstellen, deren richtige Bewertung im Zusammen-
hang erst eine spätere Zukunft ermöglichen wird. Doch liegt die Not-
wendigkeit exakter sich auf Einzelgebiete erstreckender Feststellungen klar
zu Tage und dies veranlaßt uns über unsere Befunde zu berichten.
Den Ausgangspunkt unserer Untersuchungen bilden die interessanten
Beobachtungen, die vor jetzt ca. einem Jahr von Falta in Wien und
gleichzeitig von Plesch aus der Kraus’schen Klinik publiziert wurden. Letz-
terer beobachtete bei einzelnen seiner mit Thorium X behandelten Patienten
eine auffallend starke und langanhaltende Blutdrucksenkung. Gleichzeitig
wurde von mehreren Autoren — und wir können dies durchaus bestätigen —
im Tierexperiment eine starke Erweiterung der Gefäße nachgewiesen. Bei
den innigen Beziehungen, die zwischen Gefäßtonus und Blutdruck einer-
seits und den Nebennieren andererseits bestehen, schien uns der Versuch
lohnend, im Tierexperiment zu verfolgen, ob und inwieweit die Funktion
des Adrenalsystems durch Thorium X beeinflußt wird; dies umso-
mehr, als schon Falta und seine Mitarbeiter darauf hingewiesen hatten,
daß das chromaffine System degenerative Veränderungen bei Anwendung
großer Dosen zeigt und daß die Aktivität der Nebennieren von Tieren,
die Injektionen von Thorium X längere Zeit überlebten, eine sehr hohe ist.
1) Vortrag auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie. Die
ausführliche Publikation erfolgt in der Zeitschrift für Klinische Medizin.
90 Salle und v. Domarus,
Gleich den genannten Autoren haben auch wir mit relativ großen
Dosen gearbeitet, außerdem aber auch kleinere Dosen angewandt. Als
Versuchstiere dienten Kaninchen, Hunde und Meerschweinchen, die zum
Teil serienweise mit verschieden abgestuften Dosen subkutan injiziert
wurden.
Die Methodik des quantitativen Adrenalinnachweises birgt trotz der
auf diesem Gebiete erzielten Fortschritte noch manche Fehlerquelle in
sich. Wir haben deshalb, um zu möglichst sicheren Resultaten zu ge-
langen, mit verschiedenen Methoden gearbeitet. Die Untersuchungen er-
strecken sich demnach auf die Chromierung der Nebennieren im mikro-
skopischen Bilde, den Nachweis von Adrenalin in Nebennierenextrakten
mittels einer kolorimetrischen Methode und die Bestimmung von ge-
fäßverengernden Substanzen im Blutserum auf biologischem Wege; an-
schließend daran wurden fortlaufende Blutdruckmessungen bei mit
Thorium X behandelten Tieren vorgenommen.
Bei der mikroskopischen Untersuchung der Nebennieren konnten
wir eine, je nach der Dosis und der seit der Injektion verstrichenen Zeit
verschiedene Ohromierung feststellen. Da die Chromaffinität der Mark-
zellen, d. h. die Fähigkeit, sich mehr oder weniger intensiv bei Fixierung
in chromhaltigen Lösungen zu färben, als Maß für den größeren oder ge-
ringeren Adrenalingehalt des Organs betrachtet werden kann, so sei auf
unsere Befunde näher eingegangen. Große letale Dosen, die den Tod der
Versuchstiere in 4—8 Tagen herbeiführen, bedingen einen fast vollstän-
digen Schwund der Chromierung. Diesen Befund konnten wir bei zalıl-
reichen Versuchen an Kaninchennebennieren erheben; besonders deutlich
aber waren die Resultate bei der Untersuchung der Nebennieren von
Meerschweinchenserien, wobei in jeder Serie nur Tiere eines Wurfes ver-
wendet und diese mit abgestuften Dosen behandelt wurden; sämtliche
Tiere dieser Serien wurden gleichzeitig mit den Kontrolltieren an dem Tage
getötet, an dem das mit der größten Dosis injizierte Tier einging und die
Nebennieren in gleicher Weise in chromhaltigen Lösungen fixiert. Bei
den mit großen Dosen injizierten Tieren unterschied sich die Chromierung
in hohem Maße von dem normalen Bilde Während in letzterem die
Markzellen durchweg, wenn auch verschieden intensiv chromiert er-
scheinen, ist die Chromierung bei den spontan-eingegangenen Tieren fast
vollständig verschwunden. Die charakteristische Braun- resp. Gelbfärbung
weisen nur noch ganz vereinzelte Zellen auf. Die meisten Zellen ergeben
die charakteristische Reaktion nicht, was als eine sehr starke Herabsetzung
des Gehalts an spezifischem Sekret gedeutet werden darf.
Im Gegensatz zu diesen Befunden zeigten die Nebennieren der mit
kleineren Dosen behandelten Tiere dieser Serien eine mehr oder weniger
Zur biologischen Wirkung von Thorium X. 94
ausgesprochene Verstärkung der CUhromierung; hier fehlen die ganz hell-
gefärbten Zellen des Normalpräparates, die Färbung ist durchweg be-
deutend intensiver und erreicht in einzelnen Partien einen Grad, wie ıhn
die Kontrollpräparate nicht aufweisen. Denselben Befund einer verstärkten
Chromierung, der als Erhöhung des Adrenalingehalts zu deuten ist, konnten
wir übrigens auch bei Verwendung größerer Dosen erheben, wenn wir die
Tiere nicht, wie in den vorigen Versuchen, ca. 8 Tage am Leben ließen,
sondern nach kürzerer Zeit (24 Stunden) töteten. Wenn wir also aus
der Chromierung der Markzellen Schlüsse zu ziehen berechtigt sind, so
scheint es, daß das Thorium X reizend auf die Adrenalinsekretion ein-
wirkt, wobei sich die aktivierende Wirkung kleiner Dosen noch längere
‘ Zeit nach der Injektion nachweisen läßt, während große Dosen in kurzer
Zeit zu einer Erschöpfung des Adrenalingehalts fülıren. Außer diesen, die
Chromierung betreffenden Veränderungen beobachteten wir im Neben-
nierenmark auch stark geschrumpfte Zellen, die durch weite Spalträume von-
einander getrennt sind. Andere Befunde betreffen Vakuolisierung der Zellen
und Blutungen, die in einzelnen Fällen groe Gebiete des Markes zerstören.
Auch die Rinde der Nebennieren weist Veränderungen auf. Diese
beziehen sich hauptsächlich auf die an das Mark grenzende Zona reticularis.
Die Zellkerne dieser Partie weisen vielfach im Gegensatz zu demjenigen
des Markes und des übrigen Teils der Rinde eine herabgesetzte Färb-
barkeit auf; die Zellen selbst scheinen vergrößert und sehen merkwürdig
verschwollen und glasig aus.
Eine weitere Veränderung zeigt der Lipoidgehalt der Rindenschicht,
über dessen physiologische Bedeutung wir allerdings noch im Unklaren
sind. Auch hier ergeben sich verschiedene Befunde je nach der ange-
wandten Dosis. Beim normalen Meerschwein ist die Lipoidschicht ziemlich
scharf abgegrenzt und läßt einen beträchtlichen, dem Mark anliegenden Teil der
Rinde frei. Bei einer Serie von Tieren, die mit verschiedenen abgestuften Dosen
gespritzt und am achten Tage getötet wurden, konnten wir folgende Verände-
rungen feststellen. Bei Anwendung der kleinsten Dose zeigt das Präparat nur
eine gewisse Unregelmäßigkeit zwischen der Abgrenzung der lipoidhaltigen
und lipoidfreien Schicht, wobei Züge von mit Sudan gefärbten Zellen in
den normalerweise von Lipoid freien Teil der Rinde hereinziehen. Größere
Dosen bedingen eine Verbreiterung der Lipoidschicht, die so stark sein
kann, daß die lipoidfreie Rindenzone vollständig verschwindet; bei dieser
Dosierung fällt aber gleichzeitig die schwächere Färbung der einzelnen
Zelle mit Sudan auf. Diese Abschwächung kommt bei Anwendung noch
größerer Dosen sehr stark zum Ausdruck: fast die ganze Rinde ist frei
von Lipoid und nur um das Mark herum ist ein Kranz von lipoidhaltigen
Zellen, die sich aber auch nur schwach mit Sudan färben lassen. erhalten.
92 Salle und v. Domarus,
Als Kontrolle für unsere mikroskopischen Befunde bestimmten wir
mit Herrn Dr. Apolant den Adrenalingehalt der Nebennieren auch in
Örganextrakten und benutzen hierzu die von Fränkel-Allers ange-
gebene Jod-Essigsäure-Methode. In dieser Beziehung verfügen wir nun
über Befunde, die bei Anwendung letaler Dosen erzielt wurden. Auch
aus diesen Untersuchungen scheint zu folgen, daß der Adrenalingehalt der
Nebennieren thoriumvergifteter Tiere herabgesetzt ist. Der Unterschied in
der Stärke der Farbreaktion zwischen Nebennierenextrakt eines norınalen
und eines mit Thorium gespritzten Hundes entsprach demjenigen bei Ver-
wendung von Verdünnungen des käuflichen Adrenalins von 1:25000 bis
1:50000 (Farbreaktion der Organextrakte der Thoriumtiere) und 1: 10000
(Normaltiere).
Beiläufig sei bemerkt, daß man im Reagenzglasversuch einen
ähnlichen Unterschied erhält, wenn man Verdünnungen des käuflichen
Adrenalins mit Kochsalzlösung und mit Thoriumlösung herstellt, die
Fränkel-Allersche Methode vornimmt und dann die Flüssigkeiten
stehen läßt. Hervorgehoben sei aber, dal es sich um eine erst im Ver-
lauf von Tagen entwickelnde Abblassung handelt; gleich nach Vornahme
der Reaktion ist der Unterschied der Thoriumverdünnung und der Kontroll-
verdünnung zwar deutlich, aber nur sehr schwach. Wie diese Phänomene
(auf die Möglichkeit einer Adrenalinzerstörung im Reagenzglas ist schon
von Falta hingewiesen) zu deuten sind und ob sie zu unseren übrigen
Befunden in Beziehung gebracht werden dürfen, muß vorläufig unent-
schieden bleiben.
Ein weiterer Weg zur Verfolgung der uns interessierenden Frage bot
sich in der Möglichkeit des biologischen Nachweises der gefäßverengernden
Substanzen im Blutserum. Die dabei mittels der Froschdurchströmungs-
methode gewonnenen Werte sind in Übereinstimmung mit den Resultaten
der mikroskopischen Untersuchung verschieden, je nachdem, ob das Blut
mehrere Stunden nach der Injektion oder in einem späteren Stadium beı
vollentwickelten Intoxikationserscheinungen entnommen wurde. Bei der
Prüfung von drei verschiedenen Seras (Normalserum, Serum eines frisch-
injizierten Tieres und dasjenige eines schwerintoxizierten Tieres) am selben
Froschpräparat resultieren drei verschiedene Werte. Der Normalwert liegt
dabei in der Mitte, während der Gehalt an gefälsverengernden Substanzen
kurze Zeit nach der Injektion erhöht, in einem späteren Stadium aber
herabgesetzt ist.
In einer gewissen Übereinstimmung mit den Feststellungen des
Adlrenalinsgehaltes im Blutserum befinden sich die Resultate fortlaufender
Blutdruckmessungen am Kaninchen, die auf unsere Veranlassung von
den Herren Sudhoff und Wild vorgenommen wurden. Die angewandte
Zur biologischen Wirkung von Thorium X. 93
Methode ermöglichte es, den Blutdruck wochenlang nach den Injektionen
weiter zu verfolgen. Es konnten dabei zwei Typen des Blutdruckverlaufs
festgestellt werden. Bei Anwendung maximaler Dosen kommt es in kurzer
Zeit zu einem starken Anstieg des Blutdrucks, der aber dann in wenigen
Tagen rapid absinkt und in den letzten Stunden vor dem Tode bis zu
unmeßbaren Werten fällt. Wählt man kleinere Dosen, so ist der Anstieg
ein geringerer, der konsekutive Abfall ein langsamerer und allmählich
erholt sich der Blutdruck wieder, ohne allerdings die anfängliche Höhe
ganz zu erreichen; auf eine weitere Einspritzung folgt wiederum Anstieg,
Abfall, Erholung, so daß sich im allgemeinen ein staffelförmiges Ab-
sinken ergibt.
Als Ergebnis unserer Beobachtungen können wir zusammenfassen,
daß das Thorium X bei bestimmter Dosierung reizend auf die Adrenalin-
sekretion einzuwirken vermag, daß aber bei Anwendung großer Dosen in
kurzer Zeit eine Erschöpfung der spezifischen Sekretion der Nebennieren
resultiert. Es scheint auch, daß diese Befunde, die ja einem allgemeinen
toxikologischen Gesetze entsprechen, in Beziehung zu den beim Tier bei An-
wendung relativ großer Dosen beobachteten Blutdruckveränderungen stehen.
Inwieweit und ob die beim Menschen beobachteten Blutdrucksenkungen
mit unseren Feststellungen in Beziehung gebracht werden dürfen, möchten
wir dahingestellt sein lassen, da ein Vergleich durch die im Tierexperiment
angewandten, bedeutend größeren Dosen erschwert wird. Dagegen weisen
unsere Befunde einen Parallelismus auf mit den Erscheinungen, die bei
der experimentellen Phosphor- und Diphtherievergiftung beobachtet werden;
bei diesen sind wenigstens im mikroskopischen Bilde ähnliche Befunde
erhoben wie die unserigen. Auch bei der Diphtherievergiftung hat gerade
die Blutdrucksenkung die Veranlassung gegeben, die Nebennieren niiher
zu untersuchen. Zum Schluß möchten wir betonen und unterstreichen
dies: Die Mitteilung unserer Befunde soll nicht so aufgefaßt werden, als
glaubten wir, die experimentelle Thorium X-Blutdrucksenkung sei einzig
und allein auf die geschilderten Veränderungen des Adrenalsystems zurück-
zuführen. Der Blutdruck ist ja eine Komponente aus einer ganzen Reihe
von Faktoren, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen, auf die aber
hier nicht näher eingegangen werden kann. Wir müssen uns deshalb
damit begnügen, auf einen wichtigen Faktor im Syndrom der Thorium-
intoxikation hinzuweisen in der Hoffnung, daß die sich aus unseren Fest-
stellungen ergebenden Schlüsse wenigstens den heuristischen Wert einer
Arbeitshypothese für die weitere Forschung besitzen.
Aus der experimentell-biologischen Abteil. des Kgl. Pathologischen Instituts
der Universität Berlin.
Über die biologische Wirkung des Mesothoriums.
Der Einfluß des Thorium X auf die Gerinnung des Blutes.
Von
Dr. D. Grineff, Charkow.
urch die experimentellen Untersuchungen der biologischen Wirkung des
Mesothoriums und seiner Derivate von Hertwig,') Prado Tagle?)
und Loehe?) wurde festgestellt, daß das "Mesothorium und seine Derivate
einen eminenten Einfluß auf die Gewebe des tierischen Organismus ausüben.
Eine andere Serie von Versuchen, die von Bickel*) und Minami?°)
mitgeteilt wurden, beschäftigten sich mit dem Einfluß der Mesothorium-
strahlen, wie des Thorium X und seiner Emanation auf die Fermenttätigkeit
und zeigten, daß bald eine Anregung, auch unter Umständen eine Verlang-
samung der Wirksamkeit der Verdauungsfermente (Pepsin, Tripsin, Diastase ı
zustande kommt und daß speziell das Thorium X einen sehr deutlichen
Einfluß auf die autolytischen Prozesse hat.
Es war nun von Interesse, die Wirkung des Thorium X auch auf
andere fermentative Prozesse und nicht nur in vitro, sondern hauptsächlich
in vivo zu erforschen. Auf Vorschlag des Herrn Prof. Bickel habe ich
die Erforschung der Wirkung des Thorium X und seiner Emanation auf
den Prozeß der Blutgerinnung unternommen. Die Resultate dieser Unter-
suchungen sind im folgenden dargestellt. Hierzu will ich aber erwähnen,
daß die quantitative Untersuchung der fermentativen Faktoren der Blut
gerinnung von mir nach der Methode des Herrn Prof. Wohlgemuth®)
vorgenommen wurde. |
Die Methode besteht im Prinzip darın, daß man das in dem zu unter-
suchenden Blut enthaltene Fibrinferment und das Fibrinogen gesondert
bestimmt.
Das Fibrinferment gewinnt man so, daß man das Blut durch
1) Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch. 1911
2) Berl. klin. Wochenschr. 1912.
3) Virchows Arch. 1912.
4) Berl. klin. Wochenschr. 1911.
5) Berl. klin. Wochenschr. 1911, 1912.
6) Biochem. Zeitschr. Bd. 27, S. 79, 1910.
Grineff, Biologische Wirkung des Mesothoriums usw. 95
Schlagen defibriniert und das defibrinierte Blut zentrifugiert. Das
so erhaltene Serum enthält das Fibrinferment in wirksamer Form. In
ihm bestimmt man die Menge desselben in der Weise, daß man eine Reihe
von Reagenzgläsern mit absteigenden Mengen Serum (Fibrinferment) be-
schickt, zu jedem Gläschen 2 ccm Magnesiumsulfatplasma nach Alexander
Schmidt (1:10) zugibt und die ganze Reihe auf 24 Stunden in den Eis-
schrank stellt. Nach Ablauf der Frist wird kontrolliert, in welchen Gläs-
chen Grerinnung eingetreten ist.
Das Fibrinogen gewinnt man aus dem Blut in der Weise, daß man
das aus der Ader fließende Blut in eine bestimmte Menge Magnesiumsulfat-
lösung einlaufen läßt und das Plasma abzentrifugiert. Von diesem Plasma
gibt man auf eine Reihe von Reagenzgläschen absteigende Mengen, fügt
zu jedem Grläschen eine für die Gerinnung ausreichende Menge Serum
zu und stellt die ganze Reihe ebenfalls auf 24 Stunden in den Eisschrank.
Auch hier wird nach Ablauf der Frist der Grad der Gerinnung in simt-
lichen Gläschen festgestellt.
Die Versuche, welche den Einfluß von Thorium X auf die Blut-
gerinnung in vitro betreffen, sind in der Tabelle Nr. 1 und Nr. 2 an-
gegeben, wobei in der ersteren die Schwankungen des Fibrinogens, in
der zweiten dieselben des Fibrinfermentes dargestellt sind. Thorium X
wurde in die zu untersuchende Reihe der Reagenzgläser tropfenweise bei-
sefügt, wobei bei der Berechnung von Macheeinheiten (Einheiten von
Thorium X) jeder Tropfen gleich ?/,, ccm angenommen wurde. Zur Kon-
trolle wurde eine andere Reihe von Reagenzgläsern aufgestellt, in die ein
entsprechendes Quantum von NaCllösung zugefügt wurde. Das Thorium X
war in 0,9% NaCl aufgelöst ohne jeden anderen Zusatz.
Das Quantum des Fibrinogens oder Fibrinfermentes wurde nach dem
Grade der Gerinnung und der Größe des Gerinnsels im Reagenzglas be-
stimmt; die in der Tabelle gebrauchten Zeichen haben folgende Bedeutung:
# zeigt volle Gerinnung, sodaß beim Neigen des Reagenzglases Flüssig-
keit nicht wahrnehmbar ist: -+ beinahe volle Gerinnung, sodaß beim
Neigen 2—83 Tropfen Flüssigkeit austreten. X nur teilweise Gerinnung,
sodaß das Gerinnsel in der Flüssigkeit herumschwimmt; + Spuren eines
Gerinnsels, in der Gestalt eines winzigen Teilchens, das ın der Flüssig-
keit herumschwimmt; O vollständige Abwesenheit irgendeines solchen Ge-
rinnsels (klare Flüssigkeit). Das Klammernschlieljen eines der genannten
Zeichen zeigt die Verminderung gegenüber der Deutung des entsprechenden
Zeichens. Zum Beispiel zeigt (X) ein Gerinnsel, welches bedeutend größer
als +, aber kleiner als X ist.
Aus den Tabellen Nr. 1 und Nr. 2 ist leicht zu ersehen, daß bei
verhältnismäßig kleinen Dosen von Thorium X, ungefähr 4000—6000
Grineff,
96
“IN yon sA
I ıN pung 3 ıN pung
o !o to lo Jo io ]-'"|o lo io |o lo Io lo | 83000'0 ZI
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+!+|+|+Io lo jo io 10 lo |+!o Io l0 Z000 6
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97
Biologische Wirkung des Mesothoriums usw.
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OIA ut X UMLIOYT, ur Dyonsı9 A
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Strahlentherapie Band III, Heft 1.
95 oe Grineff,
Macheeinheiten Thoriumemanation, die in den Reagenzgläsern dem Blut
beigemengt wurden, keine Wirkung auf das Quantum des Fibrinogens und
des Fibrinfermentes ausüben und folglich auch für den Prozeß des Ge-
rinnens wahrscheinlich ohne Bedeutung sind (siehe Rubrik 1 und 3). Bei
etwas höheren Dosen, die bis 8500 Macheeinheiten Thorium X steigen,
macht sich eine Verfärbung der fermentativen Prozesse bemerkbar.
So konnte man winzige Gerinnsel in den Reagenzgläsern beobachten, ın
denen bei der Kontrolle helle Flüssigkeit war (siehe Tabelle Nr. 2, Reihe
7—8). In derselben Reihe (wie z. B. in der Tabelle Nr. 2, Rubrik 2),
ist die Größe des Gerinnsels in den Reagenzgläsern mit Thorium X an-
sehnlicher, als in den entsprechenden Reagenzgläsern der Kontrolle.
(Reagenzglas Nr. 5, 6. 7.)
Bei Dosen von 14 000—14500 Macheeinheiten findet wieder ein um-
gekehrter Prozeß im Sinne einer Hemmung der fermentativen Wirkung
statt. So ist in den Reagenzgläsern mit Thorium X Nr. 8 der Tabelle 1
und der Nr. 7 und 9 der Tabelle Nr. 2 eine vollständige Abwesenheit des
Gerinnsels zu konstatieren, während in den entsprechenden Reagenzgläsern
der Kontrolle ein Gerinnsel wahrnehmbar ist, obschon nur in Spuren.
Maximaldosen von 27 000—30 000 Macheeinheiten Thoriumemanation
üben auf das Fibrinogen kaum eine nennenswerte Wirkung aus (siehe
Reagenzglas Nr. 9—10 in der Rubrik 6—7, Tabelle Nr. 2.)
Wenn wir alles über die Versuche von Thorium X in vitro zusammen-
fassen, so kann man feststellen, daß Thorium X resp. Thoriumemanation,
wenn man es in vitro auf den Vorgang der Blutgerinnung einwirken läßt,
bei bestimmten Quanten einen teils hemmenden, teils fördernden Einfluß
in geringem Umfange ausübt.
Die Versuche zur Erforschung der Wirkung des Thorium X auf die
Blutgerinnung in vivo haben wir an drei kleinen Hunden angestellt (von
6 Kilo Gewicht), indem wir ihnen in die Vena saphena eines Hinterbeines
eine Lösung von Thoriumemanation einführten und dann nach Verlauf einer
Stunde und nach 24 Stunden stets unter den gleichen Arbeitsbedingungen
die Blutgerinnung in der oben beschriebenen Weise bestimmten.
Die Hunde Nr. 1 und Nr. 2 waren dieselben, deren Blut für die
Feststellung der Wirkung des Thorium X auf das Ferment in vitro diente.
Der Hund Nr. 3 war neu genommen. Zur Kontrolle der ersten zwei
dienten die Zahlen der Kontrollen bei den Versuchen in vitro (siehe Tabelle
Nr. 1 und Nr. 2).
Aus der Tabelle Nr. 3, die die Ergebnisse der Untersuchungen am
Hunde Nr. 1 enthält, ist sehr deutlich zu ersehen, 1. daß Thorium X, in
großen Dosen in die Vene des Tieres eingeführt, dasselbe im Laufe eines
Tages tötet, oder anders ausgedrückt, dieser Stoff ist giftig; und 2. dab
eo
Biologische Wirkung des Mesothoriums usw. 99
Tabelle 3.
Versuche in vivo. (Hund Nr. 1.)
Fibrinogen.
__Jonsioloroon [now] | minieme man xm x
360,000 | 370,000 | 900, 000 Einspritzung Thor. Xm.] E.
4 a 2 a 7 | a 2 s 2 — untersucht nach
d E | a | N y N S
1 105 x)0]0|+|#| 38 |x | Erste Einspr. 17/VI
05 (lll ll (360,000 m. E.)
302 I#/#I1#| #|#|%& | + | Zweite Einspr. 20/VI
106 I# I #I|#|#|#+| 2 |# (370,000 m. E.)
5 0,08 + #|+|1 +1 # = Æ- | Dritte Einspr. 23/VI
005 HIHI HT ETF TH (900,000 m. E.)
21008 |x |+] x]|+|-4+]|ÅÂ |x | Tod 24/VI
810004 Ix I x I x I x I x F
9 10.002 xi+-10|1-+I1x =
01000 I+|o|o|oklx) 0
11 (00005 1010]0/0]|0 0
lolo «ls 4 |
Fibrinferment.
1 [05 #|# e + +
05 |4] 4 +|# +
3 |012 I|+|# +H | H 4
41106 I+ | # + | # +
508 I+ | # + | + +
610,015 | +1 + PET Ar
7 {0,008 |+ |+ u a i x
310004 | + | x x. T
9 [0,002 |+ |+ FX EN
010001 10] 0 + (x) 0
110006 |0| 0}. 0] 0 0 ,
12 [0.00025] 0 | 0 ojo 0.1353:
zZ
100 Grineff,
das Thorium in merkwürdiger Weise auf die fermentativen Prozesse. die
im lebenden Organismus vor sich gehen, einwirkt. Dasselbe ersehen wir
bei der Übersicht der Versuche mit den Hunden Nr. 2 und Nr. 3
(siehe unten.)
Im einzelnen zeigte sich de Wirkung der Thoriumemanation auf das
blutgerinnende Ferment beim Hunde Nr. 1 folgendermaßen: die anfäng-
liche Einführung der Lösung vom Thorium X in den Blutkreislauf in der
Höhe von 360,000 M. E. (ungef. 60,000 m. E. auf ein Kilo Gewicht)
übt kaum eine Wirkung auf die Blutgerinnung aus, abgesehen von der
geringen Beschleunigung des Kreislaufes, die sich nach einer Stunde seit
der Einspritzung des Thorium X bemerkbar macht. Nach 24 Stunden
wird der Kreislauf wieder normal.
Die zweite, nach 3 Tagen vorgenommene Einführung des Thorium X
in derselben Höhe zeigt schon einen bemerkbaren Einfluß. Derselbe be-
steht darin, daß eine Stunde nach der Einspritzung eine Hemmung
der fermentativen Wirkung eintritt, welche jedoch 24 Stunden nach der
Einführung des Thorium X in die Vene verschwindet (siehe Tabelle Nr. 3
Rubrik 2) und sogar die Neigung zeigt, in den entgegengesetzten Prozeb
überzugehen: nämlich die Verstärkung der fermentativen Wirkung (Re-
agenzgläser Nr. 7—10 des Fibrinfermentes in der Tabelle Nr. 3 und
den Nr. 7—8 des Fibrinogens daselbst).
Die Einspritzung einer übergroßjen Dose von 900,000 M. E. Thorium X
Lösung ruft, wie erwähnt, den Tod des Tieres in 12 Stunden hervor, und
eine deutliche Vermehrung der Gerinnungsfaktoren des Blutes, welches zur
Untersuchung eine Stunde nach der Einführung genommen wurde (siehe
Tabelle Nr. 3 Rubrik 3 Reagenzglas Nr. 7—8).
Die Tabelle Nr. 4 mit den Ergebnissen der Versuche am zweiten
Hunde gibt fast dieselben Resultate.
Die erste Einführung einer sogenannten mittleren Dosis von 352.000 M. E.
Thoriumemanation bleibt fast ohne Wirkung auf den Gehalt des Fermentes
im Blute. Die zweite, nach 3 Tagen gemachte Einspritzung bleibt wihrend
der ersten Stunde seines Einwirkens ohne Einfluß auf den Organismus des
Tieres, vergrößert aber den Fermentgehalt des Blutes 24 Stunden nach
Beginn der Wirkung (siehe Tabelle Nr. 4, Rubrik Nr. 2, Reagenz-
gläser Nr. 7—9).
Die nachfolgenden 3. und 4. FEinspritzungen des Thorium X in die
Vene des Tieres, die in dreitägigen Zwischenräumen vorgenommen wurden.
vermehren schon deutlich den Gehalt des Fibrinfermentes und des Fibrino-
; gens È im Blete, wobei die: Gerinnselbildung des letzteren bedeutend zunimmt
{siche Tabele Nr. 4," Rubrik 3 und 4, Reagenzglas Nr. 6—10)
E an ie als oder Praden ‘rabelle Nr. 5 hervorgeht, ruft die Einführung
Biologische Wirkung des Mesothoriums usw. 101
Tabelle 4.
Versuche in vivo. (Hund Nr. 2.)
Fibrinogen.
1. 2. u P
352.000 | 315,000 | 590,000 | 546,000 Einspritzung m. E.
ı 8 TE ea 8 | u | 4 =
:$ mes DR | I | 0), Ef untersucht nach
An Fibrinog. nd Ss ud N as | a qai | Ss ©
110.5 +| oļl+ #ļ|ol+|-+]l|# [x] Erste Einspr. 19/6
slos lee ee ee 908
3 | 0,32 + | + #|#|#+|#|# | + |#|Drite ,„ 24/6
41006 I+/#1+!/+1+ | #[#!|# |#| Vierte „ 26/6
5 0,03 + | +1 + | + I + | +I/+ #1# Tod des Hundes 28/6
6 0,015 IR & ee re
7100068 I\+!xI|+|xIx |! x |Ix | ++
sloooa lo|+ tele
810.08: 101.810 12 Te RE NO
100,001 |0 0 Eia +I+|+=+ļ0
tioo O OT ol E oT O ra
12/0 0002D O i D TOn OTTO O 0
Fibrinfermentmenge
1 |0,5 ETE ENE ETE] E
2 0,25 A ## IF FH
so I#+ +) + #l# #|# #EH
4 0,06 # ++ / # | + #|+ | #H
5 0,03 x|x + +[+ #|+[# [+
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7 0,008 x ter I ee Re
8 0,004 + 0I+I(x)I=| x Ix | +l+
9/0002 |oJoJoIi+Il+H) x [x | x 0
10 | 0,001 0i CITI + (x)(x 0
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102
Nr.-
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X
|
WD me
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Menge y
ı Fibrinogen | Z
oder
1
168,
Grineff,
Tabelle 5.
Versuche mit Th. X in vivo,
(Hund Nr. 3.)
Fibrinfer.
0,5
0,25
0,12
0.06
0.03
0,015
0,008
0,004
0.002
0,001
0.0005
0.00025 0
Fibrinogen.
2 |
000 | 340,000 Einspritz. m. E.
Z apee aja ji mema 2 % 3 untersucht nach
N Fi a S
#1 0| 0| x | Erste Einspr. 28/VI
+ | 4# #]|# | Zweite Einspr. 1/VO
t l HI Tod dis Hundes 3/VII
+| |H
ERN TR
x IX) x x
F ORIF
0100| +10
OPV O
01ER
0 101.0 10
Fibrinferment.
#l#|#|#
EEEH
#+l#|#|#
+| # +| #
x x | xX |æ
K aE XIX
+01 +|+
+[0/o0|+
9.10 DB
OPEO
Oroi-
m u i MM
Biologische Wirkung des Mesothoriums usw. 103
einer geringen Dosis Thorium X in die Vene (168,000 M. E. oder ungef.
28,000 M. E. auf ein Kilo Gewicht) eine mäßige Vermehrung des Fer-
mentes nach einstündiger Einwirkung von Thorium X hervor, fällt aber
bald ab und nach 24 stündiger Einwirkung kommt das Blut wieder zu
seinem normalen Gehalt an blutgerinnenden Substanzen (siehe Tabelle
Nr. 5, Rubrik Nr. 1).
Die nach 3 Tagen erfolgte Einführung einer doppelten Dosis (340,000
M. E.) rief bei diesem Hunde eine Erscheinung hervor, ganz analog der-
selben, die sich beim Hunde Nr. 1 nach der zweiten Einspritzung zeigte
(siehe Tabelle Nr. 5 Rubrik Nr. 1).
Wenn wir alle Ergebnisse unserer Versuche mit der Einführung des
Thorium X in die Vene eines Tieres zusammenfassen, so können wir im
allgemeinen sagen, daß bei der wiederholten Vergiftung des tierischen Orga-
nismus durch Thoriumemanation der fermentative Prozeß der Blutgerinnung
verstärkt wird.
Zusammenfassung.
Die Lösung des Thorium X oder der Thoriumemanation, einer Mischung
von Fibrinogen und Fibrinferment in bestimmten Quanten beigemengt, übt
auf die Gerinnungsfaktoren zwar einen geringen, aber doch bemerkbaren
Einfluß aus.
Eine Lösung desselben Thorium X, das ‘in die Vene eines Tieres
eingeführt wird, ändert die Zusammensetzung seines Blutes insofern, als
nach einer einmaligen Thoriuminjektion der Gehalt des Blutes an Fibrin-
ferment und Fibrinogen schwankt, daß aber nach wiederholten Thorium-
injektionen beide Gerinnungskomponenten mehr oder weniger vermehrt sind.
Zusatz bei der Korrektur: Die Arbeit war bereits im vorigen
Sommer abgeschlossen, ihre Drucklegung mußte aber aus äußeren Gründen
bis jetzt verschoben werden. Ende 1912 ist in der Berliner klinischen
Wochenschrift Nr. 43 eine kurze Mitteilung von v. Domarus und Salle
erschienen, aus der hervorgeht, daß bei Kaninchen nach einmaliger
Thorium X-Injektion die Blutgerinnung verzögert ist. Dieser Befund steht
mit dem in vorausstehender Arbeit mitgeteilten insofern in Widerspruch,
als unter dem Einfluß von Thorium X und einmaliger Injektion bald eine
Abnahme bald eine Zunahme der einzelnen Gerinnungsfaktoren beobachtet
wurde je nach den Quantitäten des verabfolgten Thoriums. Vielleicht ist
gerade hierauf die Divergenz der Resultate zurückzuführen, vielleicht aber
auch darauf, daß in dem einen Falle Kaninchen, in dem anderen Falle
Hunde zum Versuch zur Verwendung kamen.
Aus dem Sanatorium Solbad Rappenau für Knochen-Gelenk- u. Drüsenleiden.
(Leitender Arzt: Professor Dr. Oskar Vulpius, Heidelberg).
Über die Behandlung der chirurgischen Tuberkulose mit
natürlichem und künstlichem Licht.
Von
Professor Dr. Oskar Vulpius, Heidelberg.
eel berblicken wir die Entwicklung der Therapie chirurgischer Tuberkulosen
speziell an Knochen und Gelenken während der letzten Jahrzehnte, so
können wir wohl 3 Etappen unterscheiden: Zunächst wurde unter dem er-
mutigenden Schutz der Antisepsis und Asepsis die operative Therapie dieser
Leiden bedeutend gefördert und ihr Indikationsgebiet sehr erheblich ausge-
dehnt. Die Reaktion auf dieses radikale Vorgehen konnte nicht ausbleiben
und wurde durch das Aufblühen der Orthopädie beschleunigt. Wir traten
in eine Periode streng konservativer Richtung, die allerdings gelegentlich
über das Ziel zu schießen drohte. Neben Chirurgie und Orthopädie stehen
heute physikalische Heilmethoden im Vordergrund des Interesses, welche
vor allen Dingen der Forderung intensiver Allgemeinbehandlung gerecht
werden. Und unter diesen physikalischen Heilmethoden ist es vornehmlich
die Heliotherapie und die Bestrahlung mit künstlichem Licht, welche als
besonders aktuell zu bezeichnen sind. Ä
Die Sonnenbehandlung der chirurgischen Tuberkulose wurde allerdings
schon vor 20 Jahren von Poncet mit Erfolg versucht, allein seine Emp-
fehlung des Verfaliırens blieb ziemlich unbeachtet. Vor 10 Jahren lenkte
Bernhard die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf den Wert der Sonnen-
bestrahlung für die Wundheilung und speziell für die Heilung tuberkulöser
Affektionen der Knochen und Gelenke. In vergrößertem Maßstab nalım
Rollier diese Experimente auf und verfügt heute über Hunderte von
Beobachtungen, die er in dem hochgelegenen Leysin sammeln konnte und
die mit überzeugender Eindringlichkeit dartun, welch außerordentliche und
überraschende Heilkräfte einer energisch durchgeführten Sonnenkur inne-
wohnen.
Auch die Verwendung künstlichen Lichtes in der Behandlung chirur-
gischer Tuberkulose ist älteren Datums. Sie hat allerdings ebenfalls erst
in der jüngsten Zeit ausgiebigere Beachtung gefunden. Über die Helio-
therapie der chirurgischen Tuberkulose sind in den letzten Jahren eine
ganze Reihe von Veröffentlichungen erschienen, die meisten derselben be-
Vulpius, Behandlung der Tuberkulose mit natürl. u. künstl. Licht. 105
handeln die Wirkungen der Höhensonne. Einzelne treten für die An-
wendung der Heliotherapie an der See ein, und neuestens erst finden wir
in der Literatur vereinzelte Hinweise auf die Wirksamkeit der Sonnen-
bestrahlung im Binnenlande, in geringer Höhenlage und auch in der Tief-
ebene. Publikationen über die Behandlung chirurgischer Tuberkulosen
mit künstlichem Licht sind außerordentlich spärlich. In der Hauptsache‘
hat hier wie dort die Empirie das Wort. Wohl liegen wissenschaftliche
Untersuchungen über die Wirkungsweise des Lichtes vor, aber gerade die
für die Behandlung der chirurgischen Tuberkulose mit diesem Heilmittel
wichtigsten Fragen sind noch keineswegs erschöpfend erörtert oder gar
widerspruchslos gelöst. Es ist der Zweck vorliegender Arbeit, einen kurzen
Überblick zu geben über die wichtigsten Erscheinungen. die wir bei der
Lichttherapie der chirurgischen Tuberkulose beobachten können, über die
Versuche zu ihrer Erklärung und über ihre therapeutische Bedeutung.
Ich stütze mich dabei einmal auf die Literatur, des weiteren auf die Be-
obachtungen, die ich bei wiederholtem Besuch von Spezial-Heilstätten habe
sammeln können, vor allem aber auch auf Erfahrungen, welche mir als
Leiter des Spezial-Sanatoriums für chirurgische in in Rappenau
zur Verfügung stehen.
Wir wollen mit einer Erörterung der Wirkungen der natürlichen
Höhensonne beginnen. Wenn wir diese Wirkungen studieren, so stoßen
wir sofort auf eine Schwierigkeit. Indem wir die Patienten den Strahlen
der Höhensonne aussetzen, bringen wir sie ja gleichzeitig unter den Ein-
fluß des Höhenklimas mit seinen verschiedenen charakteristischen Eigen-
schaften. Es ist also kaum möglich, die Wirkungen der Besonnung und
der übrigen klimatischen Faktoren zu trennen. Freilich ermöglicht uns
die physiologische Erforschung heute noch keineswegs eine Erkenntnis, in
welcher Weise das Hochgebirgsklima auf unsere Patienten wirkt. Der
Physiologe sieht sich vielmehr vorläufig zu der Schlußfolgerung gedrängt,
daß das wichtigste Moment eben in der Bestrahlung zu erblicken sei, so
daß die übrigen Faktoren mehr oder weniger vernachlässigt werden dürften.
Exponieren wir die Körperoberfläche den Strahlen der Höhensonne,
so entsteht je nach der Beschaffenheit der Haut in kürzerer oder längerer
Zeit eine Hautrötung. Bei Blonden oder Rothaarigen zeigt sich im allge-
meinen diese Wirkung sehr viel schneller und intensiver als bei Individuen
mit dunkler Haut. Bei unvorsichtiger Bestrahlung kann die Rötung mit
Schwellung und Blasenbildung kombiniert werden, so daß der bekannte
als „Gletscherbrand‘‘ bezeichnete Zustand mit seinen unangenehmen sub-
jektiven Begleiterscheinungen sich entwickelt. Die Rötung ist natürlich
durch eine Blutüberfüllung der Blutgefäße in der Haut bedingt. Diese
Hyperimie kommt nachgewiesenermaßen nur dann zustande, wenn das
106 Vulpius,
Sonnenlicht reich an ultravioletten Strahlen ist. Wie wir später noch
sehen werden, ist das Ultraviolett für den Körper ein Gift, wenn es dem-
selben im Übermaß zugeführt wird. Wir können in der Rötung eine
Schutzmaßregel des Organismus erblicken: Das Rotfilter der blutreichen
Haut läßt nur Strahlen der linken Spektralseite, speziell Rot, Gelb und
einiges Ultrarot eindringen. Es mag sein, daß die ultravioletten Strahlen.
welche die Gefäßwände treffen, sie direkt alterieren und zur Dilatation
führen. Eine andere Annahme aber geht dahin, dal bei der Absorption
der ultravioletten Strahlen in der Keimschicht ein chemischer Vorgang
sich abspielt, dessen Produkte weiter in die Tiefe dringen und hier lähmend
auf die Gefäßwände wirken.
Wenn die Rötung abgeklungen ist, so stellt sich sehr häufig eine
Pigmentierung der Haut ein, welche bei wiederholter Bestrahlung immer
intensiver wird. Diese Pigmentierung ist keine direkte Folge der voraus-
gegangenen Rötung, wie sich aus zweierlei Beobachtungen ableiten läßt.
Das Pigment kann nämlich auftreten, wenn gar keine Rötung voraufge-
gangen ist, ja sogar bei Patienten, welche dem direkten Sonnenlicht über-
haupt nicht ausgesetzt waren, sondern nur von reflektiertem Licht getroffen
wurden. Und zweitens sehen wir bei gewissen Patienten Rötung auf
Rötung entstehen, ohne daß weiterhin eine Pigmentierung in Erscheinung
tritt. Die Pigmentierung scheint auszubleiben bei Patienten, deren Hämo-
globingehalt weniger als 50—60% beträgt, woraus übrigens keineswegs der
Schluß gezogen werden darf, daß das Pigment aus dem Blutfarbstoff ge-
bildet würde, es ist vielmehr die Annahme ausgesprochen worden, daß es
in den Basalzellen und speziell aus Materialien des Zellkerns entstehe.
Das Pigment entwickelt sich bei Blonden nur langsam und bei rothaarigen
Personen überhaupt nur mangelhaft. Ausnahmen kommen indessen vor.
Ich habe selber bei Schwarzhaarigen eine Rötung nach der anderen ent-
stehen sehen, ohne daß Pigmentierung eintrat. Ebenso wie die Rötung
entwickelt sich das Pigment nur bei Vorhandensein von ultravioletten
Strahlen. Es liegt die Annalıme nahe, daß ebenso wie die Rötung einen
momentanen Schutz gegen eine übermäßige Belichtung darstellt, das Pig-
ment eine dauernde Schutzwehr gegen eine Überflutung des Organismus
mit Licht darstellt.
Wir kommen damit zu einer Erörterung der Lichtwirkung, die freilich
noch ziemlich in „Dunkel“ gehüllt ist. Wir wissen, daß die Lichtstrahlen
verschieden tief in den Körper eindringen. Dem Ultraviolett und nament-
lich dessen äußerem Anteil kommt nur eine geringe Penetrationskraft zu,
die Strahlen der linken Spektralseite dringen tiefer in den Körper ein.
Die Angaben über diese verschiedengradige Durchdringungskraft sind aller-
dings recht verschieden. Weitere Experimente sind um so dringlicher
Behandlung der Tuberkulose mit natürlichem und künstlichem Licht. 107
angezeigt, als wir es hier ja mit einer Frage von fundamentaler Bedeutung
zu tun haben, nämlich mit derjenigen ‘der Tiefenwirkung des Lichtes. Je
pigmentloser die Haut ist, desto reichlichere Lichtmengen können sie na-
türlich durchsetzen und in das Kapillarblut des Korium vordringen. Hier
wird unzweifelhaft ein sehr erheblicher Teil des Lichts absorbiert, und
diese Absorption ist gleichbedeutend mit dem Einsetzen komplizierter
chemischer Vorgänge. Unter dem Einfluß des Lichtes soll der Sauerstoff,
der sich in den Lungen mit dem Hämoglobin verbunden hat, freigemacht
werden. Neben dieser reduzierenden Wirkung spielen sich aber auch
Oxydationsprozesse ab, die keineswegs einfacher Natur sind. Die Oxy-
dation kommt nach den neuesten Forschungen in den Geweben mit Hilfe
eines besonderen Fermentes zustande, und auf die Bildung und Wirkung
dieses Fermentes’ hat das Licht außerordentlich großen Einfluß. Während
grüne und gelbe Strahlen keine oder nur schwache Wirkungen in dieser
Hinsicht entfalten, kommt eine solche dem Grün, Blau und inneren Ultra-
violett in erheblichem Maße zu, wenn die Strahlendosis nicht zu groß ist.
Das äußere Ultraviolett wirkt auf das Ferment hemmend und zerstörend
ein, und aus diesem Grunde wird dasselbe in der Haut absorbiert, ehe es
an das Blut herangelangt, seiner Unschädlichmachung dient der Pigment-
schirm, welcher das Ultraviolett bis zu 99%, zurückhalten soll. Freilich
werden auch alle anderen Lichtstrahlen vom Pigmentschirm zurückgehalten,
die Minderung der Strahlenmenge beträgt etwa 50%. Es ist also der
(redanke naheliegend, daß eine übermäßig starke Pigmentierung der Haut
der Lichtbehandlung keineswegs förderlich sein möchte. Nun haben aber
insbesondere Bernhardt und Rollier trotz starker Pigmentierung Heil-
wirkungen durch die Sonnenstrahlen festgestellt. Sie sind dadurch zu der
Annahme gedrängt worden, daß trotz der Pigmentierung dem Licht eine
Tiefenwirkung zukommt. Ja Rollier spricht sich geradezu dahin aus,
daß Schnelligkeit und Intensität der Pigmentierung einen prognostischen
Schluß zulassen, für günstigen Heilverlauf sprechen. Andere Autoren
allerdings, wie Lenkei und Haberling teilen diese Ansicht nicht. Ersterer
vertritt die Meinung, daß die Pigmentierung nur der Ausdruck einer über-
mäßigen Dosierung der Sonnenstrahlen sei und darum vermieden werden
müsse und könne. Auch meine bisherigen Erfahrungen haben mir zum
mindesten soviel erwiesen, daß vorzügliche Heilung ohne nennenswerte
Pigmentierung zustande kommen kann. Rollier stützt seine Behauptung
von der therapeutischen Bedeutung des Pigments auf eine Hypothese:
Er bezeichnet das Pigment als Sensibilisator, das heißt als einen Stoff,
welcher kurzwelliges Licht in Strahlen von großer Wellenlänge umwandeln
kann. Langwellige Strahlen aber können in die Tiefe dringen und dort
Heilwirkungen entfalten. Die logische Folgerung aus dieser Hypothese
108 Vulpius,
wäre aber eigentlich die, daß es zweckmäßiger wäre, von vornherein
langwelliges Licht zu verwenden und das Ultraviolett auszuschließen. Un-
klarheiten und Unsicherheiten bestehen hier also noch in recht erheblichem
Maße, praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Untersuchungen im
Verein werden die Rätsel allmählich lösen müssen. Was die eben genannte
Sensibilisierung betrifft, so ist eine solche in der Tat nachgewiesen, aber
nur in der Weise, daß langwellige Strahlen in solche der rechten Spek-
tralseite verwandelt werden. Als solche Stoffe hat man das Ferrisulfat.
die Galle, das Hämatoporphyrin gefunden. Auf Grund der vorstehenden
Ausführungen kann man sich das Zustandekommen einer Tiefenwirkung
des Lichtes in verschiedener Weise denken: Entweder dringen die roten
Lichtstrahlen in die Tiefe, erreichen und beeinflussen direkt einen tuber-
kulösen Herd; oder die in die Tiefe dringenden langwelligen Strahlen
werden auf ihrem Wege sensibilisiert, in kurzwelliges besonders intensiv
wirkendes Licht verwandelt. (Ultraviolett in statu nascendi): oder aber das
Ultraviolett wird durch das Hautpigment sensibilisiert, die langwelligen
Strahlen dringen in die Tiefe (Rollier). Endlich wäre darauf hinzu-
weisen, daß eine gewisse Strahlenenergie mit dem Blut in den Kreislauf
gebracht werden kann. Durch Tierexperimente ist die Photoaktivität des
bestrahlten Blutes im lebenden Körper nachgewiesen worden. Nicht un-
erwähnt bleiben darf eine letzte Möglichkeit, um nicht zu sagen Wahr-
scheinlichkeit: Vielleicht enthält das Licht Strahlen, die unserer Erkenntnis
bis heute entgangen sind und deren Wirkung auf den Organismus von
ausschlaggebender Bedeutung sein könnte. Nicht in Zusammenhang bringen
wir die Tiefenwirkung des Lichtes mit seiner bakteriziden Eigenschaft.
Wir wissen zwar, daß das Sonnenlicht Bakterien zu töten imstande ist.
Ob freilich das Maximum dieser Wirkung im Ultraviolett oder im Ultra-
rot zu suchen sei oder endlich nur dem gemischten Licht zukomme, da-
rüber gehen die Ansichten noch auseinander. Wir wissen ferner, dab
diese bakterizide Eigenschaft auch dann zur Geltung kommt, wenn die
Lichtstrahlen lebendes Körpergewebe durchsetzen, ehe sie auf die Bakterien
treffen. Allein stets handelte es sich bei solchen Experimenten um die
Bestrahlung von Reinkulturen, während die Abtötung von innerhalb des
Körpers sich befindenden Bakterien keineswegs klar nachgewiesen ist.
Auf die Technik der Besonnung soll hier nicht näher eingegangen
werden, doch kann nicht verschwiegen werden, dal wesentliche Meinungs-
verschiedenheiten bei den verschiedenen Vertretern der Heliotherapie vor-
handen sind. Bernhard bestrahlt den Erkrankungsherd, Rollier macht
Allgemeinbestrahlungen. Beide erzeugen mit Absicht stärkste Pigmen-
tierung. Lenkei sucht dieselbe nach Kräften zu verhüten. Von günstigen
Erfolgen berichtet der eine wie der andere. Die Vertreter der Helio-
Behandlung der Tuberkulose mit natürlichem und künstlichem Licht. 109
therapie im Hochgebirge sind der Überzeugung, daß der Reichtum des
Sonnenlichtes an Ultraviolett seine Wertigkeit bedinge; weil das Sonnen-
licht im Hochgebirge besonderen Reichtum an Ultraviolett aufweise und
weil dieser Reichtum namentlich im Winter geringeren Schwankungen
unterworfen sei als in tieferen Lagen, so sei die Heliotherapie im Hoch-
gebirge und speziell die Winterkur daselbst besonders empfehlenswert.
Ähnliche klimatische Vorzüge nimmt der Seestrand für sich in An-
spruch. Die hier zu beobachtende rasche und intensive Bräunung der
Haut beweist den hohen Gehalt des Lichts an ultravioletten Strahlen,
welcher der reinen Atmosphäre und der Reflexion des Lichtes auf Wasser
und Sand zuzuschreiben ist. Das Vorhandensein anderer günstiger klima-
tischer Bedingungen erschwert hier wie im Hochgebirge das sichere Urteil
über die Wirkung der Besonnung an sich auf die chirurgische Tuberkulose.
Jedenfalls werden wir die Mitteilungen über günstige Heilerfolge, wie sie
von Felten-Stolzenberg an der See erzielt worden sind, nicht ohne
weiteres ausschließlich auf die Heliotherapie beziehen dürfen. Diese
Autoren berichten, daß die Wirkungen der Insolation an der See auf
chirurgische Tuberkulose genau dieselben seien, wie die in Leysin und
anderen Kurorten erzielten, daß aber an der See diese Wirkungen sehr
viel rascher in Erscheinung treten und zu schnellerer Heilung führen als
dort. Ja die erwähnten Autoren sprechen sogar die Meinung aus, daß
der durch die Besonnung eingeleitete Heilungsvorgang weiterhin unter dem
ausschließlichen Einfluß des Seeklimas Fortschritte mache, auch wenn in
der Folge keine oder nur geringe Besonnung zustande komme.
Daß auch der Sonne des Mittelgebirges und der Ebene starke Heil-
kräfte innewohnen, davon berichten Publikationen neuesten Datums, dafür
sprechen insbesondere meine eigenen Beobachtungen in Rappenau. Ge-
wiB nimmt die Intensität des Sonnenlichtes ab, je dickere Iuuftschichten
es zu durchdringen hat, ehe es den kranken Körper trifft. Alle Licht-
strahlen werden ungünstig beeinflußt, insbesondere aber das Ultraviolett.
Daß trotzdem quantitativ und qualitativ durchaus hinreichendes Licht uns
auch in niedrigeren Lagen zur Verfügung steht, beweisen uns die klinischen
Beobachtungen ohne weiteres. Wir erzeugen in Rappenau Rötung und
Pıgment der Haut in jeder nur wünschenswerten Intensität, wir erhalten
aber auch Tiefenwirkungen, wie uns die günstige Beeinflussung des Heil-
verlaufs dartut. Voraussetzung ist freilich, daß wir unsere Heilstätten an
einem Ort errichten, wo die Atmosphäre frei von Staub und Ruß ist, wo
Nebelbildung fehlt, wo das Licht bei jedem Sonnenstand, während des
ganzen Tages zuströmen kann.
Trotz dieser günstigen Erfahrungen würde der Heliotherapie der
chirurgischen Tuberkulose im Hochgebirge unbestreitbare Überlegenheit
110 Vulpius,
zuerkannt werden müssen, weil die Anzahl der Sonnentage und Sonnen-
stunden insbesondere im Winter dort zugestandenermaßen eine größere ist
als bei uns, wenn nicht ein Ausgleich in anderer Weise zustande kommen
könnte. Solche Kompensationen sind aber gegeben einmal in der Möglich-
keit, die weniger intensive Besonnung durch eine längere Ausdehnung der-
selben auszugleichen, und ferner durch die Möglichkeit, künstliche Licht-
quellen heranzuziehen. Ausgiebige praktische Erfahrungen haben mich
zur Überzeugung geführt, daß wir in der künstlichen Belichtung eine für
uns überaus wertvolle Ergänzung der Heliotherapie besitzen. Sind wir
dadurch doch nicht nur von Witterungsverhältnissen unabhängig geworden,
sondern wir vermögen auch die zugeführten Lichtmengen und -qualitäten
zu dosieren. Wir verwenden in Rappenau tagtäglich sowohl das elektrische
Bogenlicht als auch das Quecksilberdampflicht der Quarzlampe bei einer
großen Zahl von Kranken in zweckmälßliger Kombination mit der natür-
lichen Besonnung.
Dem elektrischen Bogenlicht wird ein Gehalt an Ultraviolett zuerkannt,
der demjenigen des Sonnenlichts nicht viel nachgibt, die Quarzlampe aber
ist in dieser Hinsicht der Sonne weitaus überlegen. Wir gebrauchen das
elektrische Bogenlicht hauptsächlich zur örtlichen Bestrahlung, sind aber
damit beschäftigt, es auch durch eine etwas veränderte Konstruktion der
Apparate der Allgemeinbehandlung dienstbar zu machen. Das Quarzlampen-
licht dagegen ist in erster Reihe für die Allgemeinbehandlung bestimmt.
Nur in einzelnen Fällen, speziell bei Affektionen der Haut, lassen wir es
als starken örtlichen Reiz wirken. Die Wärmewirkung bleibt bei beiden
Lichtarten ausgeschaltet. Die künstliche Höhensonne macht auf der Haut
ganz die gleichen Erscheinungen, wie wir sie für die natürliche Insolation
beschrieben haben. Der überreiche Gehalt an Ultraviolett beschleunigt
natürlich die Hautröte sehr erheblich. Eine Bestrahlung von 5 Minuten
Dauer aus der Entfernung von einem Meter genügt zumeist für eine reichlich
starke Reaktion, die nach einigen Stunden beginnt, nach einem Tag ge-
wöhnlich ihren Höhepunkt erreicht und dann langsam abklingt. In ana-
loger Weise und mit den gleichen Ausnahmen, wie wir sie für die natürliche
Besonnung beschrieben haben, entwickelt sich weiterhin die Pigmentierung
der Haut. Daß dieselbe oft kein so tiefes Kolorit aufweist, wie wir es
von der natürlichen Besonnung her gewöhnt sind, mag wohl damit zusammen-
hängen, daß die Bestrahlungsdauer hier nur sehr kurz gewählt werden kann
und auch bei eintretender Gewöhnung 15—20 Minuten kaum überschreitet.
Was die Intensität der Pigmentierung anbelangt, so scheint mir dieselbe
unter dem Einflusse des elektrischen Bogenlichtes besser auszufallen als
mit der Quarzlampe. Auf technische Einzelheiten der Bestrahlung mit künst-
lichem Licht soll hier ebensowenig eingegangen werden, wie dies hinsichtlich
Behandlung der Tuberkulose mit natürlichem und künstlichem Licht. 111
der Heliotherapie geschehen ist. Wir wollen uns mit der erfreulichen Kon-
statierung begnügen, daß die Kombination der Heliotherapie mit künst-
licher Belichtung uns vorzügliche Resultate gibt und uns speziell in
Rappenau zu der Überzeugung geführt hat, daß wir berechtigt sind, die
moderne Behandlung der chirurgischen Tuberkulose auch in unserem
Klima zu empfehlen und durchzuführen. Die Arbeit in solchen Spezial-
Heilstätten wird nicht nur eine höchst erfreuliche Verbesserung unserer
therapeutischen Erfolge bei der chirurgischen Tuberkulose bringen, sondern
auch eine vertiefte Erkenntnis von der Wirkungsweise physikalischer
Heilmethoden, speziell der Lichtbehandlung. Freilich müssen wir uns
— und mit diesem Hinweis möchte ich meine Ausführung beschließen
— vor einseitiger Überschätzung der Lichttherapie hüten und uns be-
mühen, durch wohldurchdachte Kombination dieses Verfahrens mit lange
bewährten chirurgischen und orthopädischen Maßnahmen unseren Patienten
eine möglichst sichere, vollkommene und schnelle Heilung zu verschaffen.
(Aus dem physiologischen Institute der k. k. Hochschule für Boden-
kultur in Wien.)
Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins.
Von
Walther Hausmann.
eit der letzten Mitteilung!) über die photodynamische Wirkung des
Hämatoporphyrins ist eine Reihe von Arbeiten erschienen, in denen
auf diese Eigenschaft des Farbstoffes eingegangen wird.
Zunächst hat Hermann Pfeiffer?) in Übereinstimmung mit mir fest-
gestellt, daß das salzsaure Hämatoporphyrin als photobiologischer Sensi-
bilisator für Warmblüter an erster Stelle steht. Weiter hat Pfeiffer?)
den Mechanismus der Hämatoporphyrinwirkung im Lichte und die Wirkung
anderer sensibilisierender Substanzen auf Warmblüter (vgl. Raab.*)
Jodlbauer und Busk?)) einer näheren Untersuchung unterzogen. Er
fand, daß nach Injektion solcher Substanzen bei Mäusen und Meer-
schweinchen dasselbe Krankheitsbild sich entwickelt, wie es bei der
Anaphylaxie, der Hämolysinvergiftung und früher schon beim Verbrühungs-
tode beobachtet wurde. Die patlolosisch-anatomischen Veränderungen der
Tiere sind gleichfalls identisch mit jenen. Der Harn solcher Tiere tötet
in Gegensatze zum normalen Harne die Maus unter einem Krankheitsbilde,
welches von dem des photodynamisch geschädigten Tieres nicht unter-
schieden werden kann, aber auch völlig mit dem Bilde des anaphylaktischen
Shocks, der Hämolysin- und Peptonvergiftung übereinstimmt. Das An-
steigen der Harngiftigkeit erfolgt gleichsinnig wie beim parenteralen Eiweil)-
zerfalle bei der Anaphvlaxie nur bei der Kombination von Lichtwirkung und
tluoreszierendem Stoffe, es fehlt aber, wenn nur einer der beiden an sich
) W. Hausmann, Biochem. Zeitschr., Bd. 30, S. 276. 1910. Vgl. auch
Bd. 14, S. 275. 1908. Bd. 15, S. 12. 1905. Wiener klin. W., Bd. 22, S. 1820. 1909.
2) Hermann Pfeiffer, Handbuch der biochem. Arbeitsmethoden. Heraus-
gegeben von E. Abderhalden. Bd. 5, 5. 563. 1911.
3) Hermann Pfeiffer, Zeitschr. für Immunitätsforschung, Bd. 10,
S. 550. 1911.
4) Raab, Zeitschr. für Biolog., Bd. 39, S. 532. 1900.
5) Jodlbauer und Busk, Archiv. intern. de pharmac. et de Therapie,
Bd. 15, S. 269. 1908.
Hausmann, Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins. 113
unschädlichen Faktoren auf das Tier einwirkt. -Nach Pfeiffer ist dem-
nach die photodynamische Schädigung als Toxikose des parenteralen Ei-
weißzerfalles aufzufassen.
Perutz!) hat im Anschluß an seine früheren Untersuchungen zur
Ätiologie der Hydroa aestivalis Studien über die antagonistische Wirkung
photodynamischer Sensibilisatoren bei ultraviolettem Licht unternommen.
Die ‚Hämatoporphyrintiere“ (Kaninchen, die durch öftere Sulfonal-
verfütterung Hämatoporphyrinurie aufwiesen) zeigten nach Bestrahlung mit
einer Kromayerschen Quarzlampe die schon von Perutz beschriebene
starke Reaktion, mit Eosin, Methylenblau und Chin. bisulf. wurde nach
Belichtung nur Rötung konstatiert. Verabreichte der Autor den Hämato-
porphyrintieren) Eosin, so schien die Strahlenwirkung verstärkt, Chinin-
bisulfat — extern wie intern appliziert — ließ die Sensibilisation dieser
Sulfonaltiere jedoch nicht mehr zum Ausdrucke gelangen.
A. Goetzl?) untersuchte, ob durch Bleivergiftung, welche bekanntlich
oft mit Hämatoporphyrinurie einhergeht, eine gesteigerte Lichtempfindlichkeit
hervorgerufen wird. Er konnte diese in der Tat — wenn auch nur in
geringerem Grade — bei Kaninchen, die chronisch mit Blei vergiftet waren,
konstatieren.
H. Fischer und Meyer-Betz°) haben vergleichende Untersuchungen
über verschiedene Porphyrine angestellt. Sie arbeiteten zunächst das
Nencki-Zaleskische Verfahren derart aus, daß mit Sicherheit kristalli-
sierte Präparate von Mesoporphyrin erhalten wurden. Schon Nencki und
Sieber hatten festgestellt, daß man vom Hämin wie vom Hämatoporplyrin
durch Reduktion zu Mesoporphyrin gelange. Durch Oxydation des Mesopor-
phyrins erhielten Fischer und F. Meyer-Beetz Methyläthylmaleinimid
und Hämatinsäure, während es den Verfassern auf keine Weise gelang,
aus Hämatoporphyrin — auch nicht nach vorausgegangener Reduktion mit
Natriumamalgam — Methyläthylmaleinimid darzustellen. Ein weiterer charak-
teristischer Unterschied zwischen Mesoporphyrin und Hämatoporphyrin wurde
von den Autoren auf biologischem Wege gefunden, durch Vergleich der
sensibilisierenden Wirkung der beiden Körper. Während die Autoren
nach Injektion von Hämatoporphyrin bei weißen Mäusen im Lichte die
bekannten Symptome auftreten sahen, fanden sie, daß Mesoporphyrin eine
geringfügige Giftwirkung zu haben scheint, jedoch keinerlei sensibilisierende
Wirkung auf weile Mäuse ausübt. Dies gilt jedoch nur für reinstes
1) Wiener klin. Wochenschr. Bd. 25, Nr. 22. 1912.
2) A. Goetzl, Wiener klin. Wochenschr., Bd. 29, Nr. 50. 1911.
3) H. Fischer und Meyer-Betz, Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 82,
S. 96. 1912.
Strahlentherapie Band IN, Heft 1. 8
114 Hausmann,
kristallisiertes Mesoporphyrin, während unreine Präparate zweifelhafte
Resultate ergaben. Die Mäuse gehen zwar nach kurzer Belichtung zu
Grunde, jedoch nicht unter dem typischen Bilde der Hämatoporphyrin-
sensibilisierung. Das aus dem Hämin durch Reduktion mit Amalgam und
nachfolgender Oxydation dargestellte Porphyrin hatte dieselbe sensibili-
sierende Wirkung wie das Hämatoporphyrin selbst. Diese Feststellungen sınd
deshalb von Wichtigkeit, weil möglicherweise im Harn Mesoporphyrin und
nicht Hämatoporphyrin ausgeschieden wird (vgl. S. 116).
Auch F. Bering und H. Meyer!) haben im Laufe ihrer wichtigen
Arbeiten über die Wirkung des Lichtes die sensibilisierende Wirkung tie-
rıscher Farbstoffe studiert. Sie untersuchten hierbei u. a. die Wirkung
des Lichtes auf die Peroxydase, die aus Meerrettichwurzeln gewonnen wurde.
Zur Messung der Fermentwirkung wurde von den Autoren die von Bach
und Ohodat ausgearbeitete Purpurogallinreaktion benützt. Sie fanden
hierbei, daß durch geringgradige Belichtung eine fördernde, bei intensiver
Bestrahlung eine hemmende Wirkung auf die Peroxydase ausgeübt wird.
Mäßiger Lichtgenuß förderte die Fermentarbeit erheblich, von einer be-
stimmten Dosis jedoch angefangen, wurde aus der Förderung der Ferment-
wirkung eine Lähmung, die, wenn die Bestrahlung intensiv genug ist, zu
einer völligen Zerstörung führt. Charakteristisch ist hierbei der Unter-
schied in der Wirkung verschiedener Spektralbezirke. Die roten Strahlen
ließen die Peroxydase unbeeinflußt, die gelben übten bei genügender Inten-
sität einen fördernden Einfluß aus, die grünen jedoch und noch mehr die
blauen und ultravioletten Strahlen wirken abschwächend oder zerstörend.
Bering und Meyer untersuchten nun, wie weit man durch Sensibili-
satoren, die dem Tierkörper entstammen, diese Wirkung verstärken könne.
Sie studierten hierbei die von mir als optischen Sensibilisator beschriebene
tierische Galle, ferner Hämatoporphyrin, sowie Ferrisulfat, von dem wir
nach den ausgezeichneten Untersuchungen Neubergs?) wissen, daß es bei
einer ganzen Reihe chemischer Prozesse im Lichte als Energieüberträger
wirkt. Die Autoren fanden nun, daß alle drei Substanzen die fördernde
Wirkung des Lichtes auf die Peroxydase noch zu steigern vermögen und
zwar zeigten sie, daß die Galle als optischer Sensibilisator für grüne und
blaue Strahlen, Hämatoporphyrin für rote, grüne und gelbe und Ferrisulfat
für dieselben Strahlen sensibilisierend wirke. Der Befund, daß die Peroxy-
dase durch Sensibilisatoren, die dem Tierkörper entstammen, in ihrer Wirkung
bei Belichtung gesteigert werden kann, ist deshalb von Bedeutung, weil
die Peroxydasen nach den Untersuchungen von O. v. Fürth nicht nur in
!) Strahlentherapie, Bd. 1, S. 411. 1912.
2) Biochem. Zeitschr., Bd. 13, Bd. 27, Bd. 29.
Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins. 115
Pilanzen vorkommen, sondern auch im tierischen Organismus nicht fehlen.
Da nun die langwelligen Strahlen auch Tiefenwirkungen im Tierkörper aus-
zuüben vermögen, so ist, wie ich auch schon früher betont habe, eine Mit-
wirkung von Sensibilisatoren bei der normalen Belichtung des tierischen
Organismus anzunehmen.
Es war nun zunächst zu prüfen, inwiefern andere Blutfarbstoffe sich
in der Richtung der optischen Sensibilisation verhalten. Ich habe zunächst
krist. Oxyhämoglobin und krist. Hämin (Mörner) in dieser Richtung unter-
sucht und zwar mit negativem Resultate. Wohl zeigten weiße Mäuse,
denen ich Oxyhämoglobin injiziert hatte, bei intensiver Belichtung ab und
zu Reizerscheinungen seitens der Körperoberfläche (Kratzen, Beißen), doch
waren diese Erscheinungen nicht ganz konstant und im Vergleich zu
Hämatoporphyrinmäusen ganz unbedeutend. Möglich wäre es ja gewesen,
dal aus dem Oxyhämoglobin ganz geringe Mengen von Hämatoporphyrin
im Organismus der Maus gebildet worden wären und daß diese dann ganz
schwach sensibilisierend gewirkt hätten, doch blieben die Mäuse nach
vielstündiger Belichtung am Leben, ebenso Paramäzien, welche viele
Stunden lang unter entsprechender Kühlung in Hämoglobinlösungen
belichtet worden waren. Dasselbe Verhalten konnte ich bei Hämin be-
obachten.
Daß dem Oxyhämoglobin keine sensibilisierende Wirkung zu eigen ist,
kann angesichts der Eiweißnatur dieses Körpers nicht befremden, denn
wir wissen aus den Untersuchungen von Busk,'!) daß der Zusatz von
Eiweiß zu photodynamisch wirkenden Mitteln die Wirkung solcher Stoffe
aufzuheben vermag.
Um einen ganz ähnlichen Fall handelte es sich offenbar auch bei den
fHuoreszierenden Algenfarbstoffen Phykozyan und Phykoerytrin. Der letzt-
genannte Farbstoff der Rotalgen ist in wässerigen Lösungen im durch-
fallenden Lichte karminrot, im auffallenden ist eine prachtvolle orange-
gelbe Fluoreszenz zu beobachten. Die Lösungen des Phykozyans, des
Farbstoffes der Blaualgen, sind im durchfallenden Lichte blau mit intensiv
roter Fluoreszenz. Trotz dieser ausgesprochen starken Fluoreszenz ver-
mochte ich durch wässerige Auszüge solcher Algen weder Paramäzien, noch
rote Blutkörperchen auch nicht bei intensivster stundenlanger Belichtung
abzutöten. In den Farbstofflösungen war kein hemmender Körper in einer
Menge vorhanden, daß hierdurch die Wirkung von Sensibilisatoren aufge-
hoben worden wäre, denn bei Zusatz von photodynamischen Substanzen zu
1) Biochem. Zeitschr., Bd. 1, S. 425. 1906.
&*+
116 Hausmann,
solchen Algenauszügen, konnte die volle Wirksamkeit der zugesetzten Körper
konstatiert werden.
Der Umstand, daß Phykozyan und Phykverythrin trotz ihrer starken
Fluoreszenz nicht photodynamisch wirken, ist wohl auf die Eiweilnatur
dieser Algenfarbstoffe zurückzuführen. Molisch!) hat zuerst nachgewisen,
daß diese Farbstoffe aus einem eiweißartigen Körper und einer farbigen
Komponente zusammengesetzt sind: diese Erfahrungen Molischs sind
neuerdings von Harald Kylin?) bestätigt und erweitert worden.
Es ist wahrscheinlich, daß die farbige Komponente an sich sensibili-
sierend wirken würde, so wie die Farbstoffe jedoch allem Anscheine nach
in der Natur vorkommen, ist dies nicht der Fall.
Vielleicht liegen ähnliche Bindungen des Hämatoporphyrins an hem-
mende Substanz in jenen Fällen vor, in denen Hämatoporphyrinhaltige
Flüssigkeiten nicht sensibilisierend wirken. Wie seinerzeit berichtet wurde,
konnte in einem Falle von Hydroa aestivalis, bei welchem im Harn reich-
lichst Hämatoporphyrin ausgeschieden wurde, keine sensibilisierende Wir-
kung des farbstoffhaltigen Harnes konstatiert werden. Ich versuchte diese
Verhältnisse nachzuahmen und injizierte mehreren Kaninchen salzsaures
Hämatoporphyrin in schwach alkalischer Lösung in Mengen von 0,01 pro
Kilo. Die Tiere wurden im schwachen diffusen Lichte gehalten. In
Übereinstimmung mit den Beobachtungen von Nencki, Neubauer und
meinen früheren Erfahrungen wurden nur geringe Mengen des injizierten
Farbstoffes im Harn ausgeschieden und mit diesem Hämatoporphyrin-
haltigen Harne konnte ich weder rote Blutkörperchen noch Paramäzien
deutlich sensibilisieren. Es hat demnach den Anschein, als würde das
Hämatoporphyrin in einer photodynamisech nicht mehr wirksamen Form
aus dem Organismus ausgeschieden.
Um die Wirkung des Kaninchenharnes auf Paramäzien zu untersuchen,
wurden die Harne durch kurze Zeit in Diffusionshülsen von Schleicher
und Schüll gegen destilliertes Wasser dialysiert, da salzsaures Hämato-
porphyrin jedenfalls nur sehr langsam dialysiert. In einem Versuche
wurden 10 ccm einer 0.25% ıgen Lösung alkalischen salzsauren Hämato-
porphyrins gegen 250 cem destilliertes Wasser dialvsiert.
Erst nach 24 Stunden zeigte die Aubenflüssigkeit ganz schwache
Fluoreszenz, welche auf die unten beschriebene Weise konstatiert wurde.
In der letzten Mitteilung wurde darauf hingewiesen, daß die schon
von Hoppe-Seyler und von Marchlewski beobachtete Fluoreszenz
1) H. Molisch, Bot. Zeitschr., Bd. 1, S. 131. 1805.
2) Harald Kylin, Zeitschr. f. Phys. Chemie, Bd. 89, S. 169. 1910.
Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins. 117
des Farbstoffes ungemein deutlich und charakteristisch sei. Es sei hinzu-
gefügt, daß diese Eigenschaft des Hämatoporphyrins noch in Verdünnungen
zu konstatieren ist, in denen der Nachweis des Farbstoffes sonst kaum
durch Spektroskopie in langen Röhren möglich ist. Die Fluoreszenz wurde
mit dem — durch eine Konvexlinse — konzentrierten Sonnenlichte oder
dem ebenso konzentrierten Lichte einer Projektions-Bogenlampe von zirka
35 Ampere untersucht. Auch in anscheinend ganz farblosen Lösungen,
in den sauren und wie besonders in den alkalischen, hebt sich, wenn die
Verdünnung nicht eine zu große ist, der rote Strahl des F'luoreszenzlichtes
deutlich von der farblosen Flüssigkeit ab.
In der nachstehenden Tabelle ist die Empfindlichkeit der Fluoreszenz-
probe mit dem spektroskopischen Befunde verglichen. Die spektroskopische
Untersuchung wurde mittels eines Spektroskopes nach Kirchhoff-Bunsen
der Firma Schmidt & Haensch mit durch eine 18,6 cm lange Flüssigkeits-
schicht vorgenommen und es wurde nur auf das Verschwinden des stärksten
Bandes in alkalischer Lösung, resp. saurer Lösung geachtet.
Tabelle.
Verdünnung | Spektroskop. Befund | Fluoreszenz
| alkalisch | sauer | alkalisch | sauer
1 10 000 deutlich deutlich sehr intensiv intensiv
1: 100.000 J j stark stark
1 : 1 000 000 ? kaum sichtbar stark stark
1 : 4 000 000 negativ negativ deutlich | deutlich
1 : 5000 000 en = deutlich undeutlich
1 : 7 500 000 . 5 negativ negativ
|
Es lag nahe, diese Fluoreszenzprobe auch zum Nachweise von Hämato-
porphyrin im Harne zu benützen, da man hierzu ja nur wenige Tropfen
der Lösung benötigt. Ich habe deshalb in Gemeinschaft mit Herrn
Dr. Tögl eine Reihe von Harnen in dieser Richtung untersucht. Die
Harne wurden nach Garrod behandelt, hierauf die Fluoreszenz des sauren
alkoholischen Extraktes geprüft. In den Harnen, welche Hämatoporphyrin
enthielten, konnte deutlich Fluoreszenz nachgewiesen werden, doch kann
vorläufig nicht gesagt werden, ob nicht in manchen Harnen bei dem
Garrodschen Verfahren Körper mit ausgefällt und dann gelöst werden,
welche die Fluoreszenz des Hiimatoporphyrins unterdrücken könnten (vgl.
A. Götzl]. c.).
118 Hausmann,
Schon H. von Tappeiner hatte auf die Ähnlichkeit der photodyna-
mischen Erscheinung mit der Sensibilisierung photographischer Platten
durch Farbstoffe hingewiesen. Es schien mir von Interesse, festzustellen,
wie sich die Blutfarbstoffe in dieser Richtung verhalten. Bei der nahen
Verwandtschaft zwischen den Derivaten des Chlorophylis und denen des
Hämoglobins schien diese Fragestellung gerechtfertigt, da wir Chlorophyll
sowohl als Sensibilisator photographischer Platten (Becquerel, Eder),
ebenso wie als photodynamisch wirksamen Körper kennen (Hausmann).
Ich ersuchte deshalb Herrn Hofrat Eder, Direktor der graphischen Ver-
suchsanstalt in Wien, die in der vorliegenden Mitteilung besprochenen
Präparate in dieser Richtung zu untersuchen und zwar krist. Oxyhämoglobin,
krist. Hämin (Mörner) und krist. salzsaures Hämatoporphyrin.
Die Resultate Eders, die anderen Orts ausführlich mitgeteilt wurden,
sind folgende: !)
Analog den Befunden, die mit Oxyhämoglobin und Hämin bei Warm-
blütern und bei Paramäzien erhalten worden waren, konnte auch bei
diesen Farbstoffen keine Sensibilisierung von Bromsilbergelatine-Platten,
die während 5 Minuten in den Lösungen gebadet und dann mittelst eines
starken Ventilators rasch getrocknet waren, erzielt werden. Die Belichtung
wurde mittelst einer weiß leuchtenden Nernstlampe während 1—10 Minuten
im Glasspektrographen vorgenommen. Bei Hämatoporphyrin jedoch zeigten
sich auf der Bromsilberplatte schwache Sensibilisierungsbanden, die deut-
lich wurden, wenn der Sensibilisierungsflüssigkeit etwas NH, zugesetzt
wurde. Es ließen sich zwei Sensibilisierungsstreifen nachweisen, deren
Maxima bei A% 630 pu und % 580 pu lagen, ein drittes bei A 555 py
war sehr verschwommen, dann verhinderte die Eigenempfindlichkeit der
Bromsilbergelatine-Platte die Verfolgung des Spektrogramms in grün.
Bei Sensibilisierung einer Chlorsilbergelatine-Platte konnte Eder je-
doch vier schr deutliche Sensibilisierungsbänder, bei A 630 pu, % 583 wu,
A 555 um, % 525 np nachweisen.
Es geht demnach bei den bisher in dieser Richtung untersuchten
Blutfarbstoffen dem Oxyhämoglobin, dem Hämin und dem Hämatoporphyrin
die photodynamische und photographische Platten sensibilisierende Wirkung
parallel. Die erstgenannten Farbstoffe sind in beiden Beziehungen wir-
kungslos; Hämatoporphyrin jedoch ist ebenso, wie es ein photodynamisch
wirkender Körper ist, auch als Sensibilisator für Brom und Ohlorsilber zu
bezeichnen.
Anmerkung. Ich bekomme erst jetzt Kenntnis von dem Referate
I) Sitzungsberichte der Wiener Akademie d. Wissensch. Bd. 122, 1913.
Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins. 119
J. Jodlbauers „Die Sensibilisierung durch fluoreszierende Stoffe (Photo-
dynamische Erscheinung)“, diese Zeitschrift, Bd. II, S. 70, Heft 1, ausge-
geben am 14. Februar 1913. In diesem Referate schreibt Jodlbauer
nach der Besprechung der Arbeiten von Raab, Jodlbauer und Busk
u. a. über die Sensibilisierung von Warmblütern durch photodynamisch
wirkende Stoffe folgendes: „Ausführlich ging ich auf diese Versuchsergeb-
nisse ein, da Hausmann sie bei seinen Untersuchungen über die photo-
dynamische Wirkung des Hämatoporphyrins auf Warmblüter ebenfalls er-
hielt und sie in seinem in den Fortschritten der naturwisssenschaftlichen
Forschung erschienenen Artikel!) über optische Sensibilisation im Tier- und
Pflanzenreiche ausführlich mit Illustrationen wiedergibt, ohne aber die
früheren diesbezüglichen Arbeiten zu nennen und darauf hinzuweisen, daß
es sich bei seinen Versuchen nur um eine Nachprüfung der von Raab,
Jodlbauer und Busk mit Eosin gemachten Befunde handelt. Auch
im Literaturverzeichnis fehlt ein Hinweis auf die Arbeit letzterer, obwohl
sie ihm bekannt ist.“
Hierzu ist zu bemerken: In diesem populären Aufsatze über optische
Sensibilisatoren im Tier- und Pflanzenreiche?) habe ich ausdrücklich
auf die zusammenfassende Darstellung H. von Tappeiners in den Er-
gebnissen der Physiologie, Bd. 8, S. 698, 1909 mit dem Wortlaute „Be-
treffs aller Einzelheiten verweise ich auf die zusammenfassende Darstellung
Hermann von Tappeiners in den Ergebnissen der Physiologie‘ hinge-
wiesen. In dieser Zusammenfassung ist die Arbeit von Jodlbauer und
Busk besprochen. Daß ich die Arbeit gekannt habe, ergibt sich daraus,
daß ich sie in meiner ersten Mitteilung „Über die giftige Wirkung des
Hämatoporphyrins auf Warmblüter bei Belichtung‘‘?) ausdrücklich anführte,
indem ich schrieb „Diese Fragestellung mußte durch die bekannten Sen-
sibilisationsversuche von A. Jodlbauer und Busk besonders wichtig er-
scheinen“. Auch an anderer Stelle meiner wissenschaftlichen Publikationen
habe ich die in Frage stehende Arbeit zitiert (Bioch. Zeitschr., Bd. 30,
S. 312, 1910).
Wenn jedoch Jodlbauer schreibt, daß es sich in meinen Ver-
suchen?) nur um eine Nachprüfung der mit Eosin gemachten Befunde
handelt, so muß ich dieser Äußerung energisch widersprechen. Es kam
mir bei meinen Versuchen nicht darauf an, photodynamische Schädigungen
t) Fortschritte der naturwissenschaftlichen Forschung, herausgegeben von
E. Abderhalden, Bd. 6, S. 243, 1913.
2) Im Original nicht gesperrt gedruckt.
3) Wiener klin. W., Bd. 22, S. 1820, 1909.
%) Bei Jodlbauer nicht gesperrt gedruckt.
120 Hausmann, Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins,
von Warmblütern überhaupt zu erzielen, wie dies Raab, Jodlbauer
und Busk getan haben, sondern es handelte sich darum, zu untersuchen,
wie ein Farbstoff (Hämatoporphyrin), der unter normalen und patlologi-
schen Verhältnissen im Tierkörper vorkommt und den ich zuerst als photo-
dynamisch wirksam beschrieben habe, bei Warmblütern als optischer Sen-
sibilisator wirkt. Wohl hat v. Tappeiner im Jahre 1900 die Vermutung
aussprechen lassen (Raab, Zeitschr. für Biologie, Bd. 39, S. 544), dal)
im Tierkörper optische Sensibilisatoren wirksam sein könnten und darauf-
hin durch Raab ein fluoreszierendes Serum untersuchen lassen, jedoch
mit negativem Erfolge. Ein Nachweis eines tierischen Sensibilisators war
nicht gelungen und wurde erst durch die von mir nachgewiesene photo-
dynamische Wirkung der tierischen Galle und des Hämatoporphyrins acht
Jahre nach der Publikation Raabs erbracht.
Wien, Anfang Mai 1913.
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung.
Von
Dr. med. et iur. Franz Kirchberg-Berlin,
leitender Arzt des Berliner Ambulatoriums für Massage.
ereits vor einer ganzen Reihe von Jahren!) habe ich in mehreren Ar-
beiten auf die unter Umständen für den Röntgenarzt sehr peinlichen
Konsequenzen hingewiesen, welche die bei seiner Tätigkeit vorgekommenen
Röntgenschädigungen für ihn haben können und vielfach auch gehabt
haben. —
Während die meisten Röntgenlehrbücher über diese Frage sehr wenig
bringen, geht Albers-Schönberg in seiner Röntgentechnik (IV. Autlage
1913) sehr eindringlich auf diese Angelegenheit ein. “Wie häufig die aus
Röntgenschädigungen hervorgehenden Prozesse sind und um welche Summen
es sich da meist: handelt, sieht man aus der dort zusammengestellten Liste,
da allein bei dem Allgemeinen Deutschen Versicherungsverein in Stuttgart
von Januar 1910 bis Oktober 1911 11 Schadenfälle einen Aufwand von
53500 Mk. erforderten. Nach persönlich erhaltener Mitteilung sind in
Stuttgart seit 1910 29 Röntgenschäden neu angemeldet worden mit zum
Teil ganz ungeheuer hohen Forderungen. Dies bei einer einzigen Ver-
sicherungsgesellschaft! —
Bei dieser Häufigkeit und Schwere der Röntgenschadenprozesse lohnt
es sich wohl, auf dieses Gebiet näher einzugehen, den Ursachen nachzu-
forschen, nach Mitteln zur Minderung derartiger Fälle zu suchen. —
Es ist hier nicht meine Aufgabe zu untersuchen, wie weit derartige
Schädigungen zu vermeiden sind (bei Besprechung der einzelnen Fille
werde ich zwar darauf mehrfach zurückzukommen haben), sondern ich will
hier nur die rechtlichen Konsequenzen, die sich an derartige Schädigungen
anknüpfen können, betrachten. In liebenswürdiger Weise hat mir, wie
bereits vor Jahren schon einmal gelegentlich einer Arbeit über Kunst-
fehler,?) auch jetzt wieder der Stuttgarter Allgemeine Deutsche Versiche-
rungsverein das bei ihm zur Entscheidung gekommene Material an Röntgen-
1) Kirchberg, Röntgenschädigungen und ihre rechtlichen Konsequenzen.
Fortschritte a. d. Geb. der Röntgenstrahlen, Bd. IX. — Derselbe, Die Pflichten der
Krankenhausdirektoren gegen ihre Röntgenassistenten und Angestellten. Fortschritte
Bd. IX.
2) Kirchberg, Zur Kasuistik der Kunstfehler. Ärztliche Sachverständigen-
zeitung 1907, 19, 20, 22, 23. — Derselbe, Die zivil- und strafrechtliche Verantwort-
lichkeit des Arztes. Med. Klinik 1907, 19 u. 20.
122 Kirchberg,
schädigungen zur Verfügung gestellt, woraus ich dann eine Anzahl von
instruktiven Fällen hier näher besprechen will.
Die Röntgenschädigungen stehen natürlich in der hier ın Frage
kommenden Beziehung allen übrigen ärztlichen Kunstfehlern gleich.
nur daß der Röntgenarzt insofern ungünstiger dasteht, als er bei seiner
Tätigkeit mit einer Materie zu tun hat, die doch einerseits noch nicht
völlig erforscht, andrerseits anscheinend in ihrer Wirkung auf die einzelnen
Menschen nicht ganz gleichartig ist; auf die hier in Betracht kominende
Idyosynkrasie werden wir in mehreren Fällen näher eingehen müssen.
Ich brauchte eben das Wort: Kunstfehler. Das ist nun kein juristischer
Begriff, sondern nur ein Sprachgebrauch. Eine feste Definition für den
Begriff Kunstfehler aufzustellen, etwa wie sie die wissenschaftliche Depu-
tation für das Medizinalwesen vor einer Reihe von Jahren vorgeschlagen
hatte: „approbierte Personen, welche in Ausübung ihres Berufes aus
Mangel an gehöriger Aufmerksamkeit oder Vorsicht und zuwider allgemein
anerkannten Regeln der Heilkunst durch ihre Handlungen und Unter-
lassungen die Gesundheit eines ihrer Behandlung übergebenen Menschen
geschädigt haben, sollen bestraft werden“, ist bis jetzt von den gesetz-
gebenden Faktoren abgelehnt worden; m. E. mit vollem Recht. Ein Ko-
dex allgemein anerkannter Regeln der Heilkunde gibt es nicht und kann
es nicht geben, so lange am Fortschreiten der medizinischen Wissenschaft
gearbeitet wird. Jeder Fortschritt auf pathologischem wie therapeutischem
Gebiet bewirkt eine Änderung der Anschauungen. Was jahrhundertelang
als allseitig feststehender Besitz der medizinischen Wissenschaft anerkannt
war, kann durch Ergebnisse neuerer Forschungen und Versuche umge-
stoßen werden. Die Wahrheit dieses Satzes erhellt wohl durch nichts so
deutlich. als durch die Ergebnisse der Röntgen- und Strahlentherapie der
letzten Jahre.
Ganz allgemeine Gesichtspunkte müssen bei der Beurteilung des
ärztlichen Handelns Platz greifen, die Freiheit des ärztlichen Handelns
muß gewahrt werden, aber diese Freiheit darf nicht gemißbraucht werden,
darum hat seinerzeit der Reichstag mit Recht die Forderung abgelehnt.
für Kunstfehler und Fahrlässigkeiten der Ärzte mildere Bestimmungen in
(las Gesetz aufzunehmen. Der Arzt, von dessen überlegtem Handeln das
Wohl des einzelnen, wie ja schließlich auch das des Volkes abhängt, muß
es sich gefallen lassen, ja er muB stolz darauf sein, in seinem Handeln
nach denselben Gesichtspunkten beurteilt zu werden. wie die Angehörigen
jeden anderen Berufes.
Vom juristischen Standpunkt sind die Gesundheitsschädigungen, die
(durch Röntgenbestrahlungen verursacht werden, in doppelter Beziehung von
Wichtigkeit. Sie können einmal als fahrlässige Körperverletzung
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 123
den Tatbestand einer strafbaren Handlung bilden, andrerseits zivilrecht-
lich den behandelnden Arzt zum Schadenersatz verpflichten.
Ich möchte hier wieder, wie schon an verschiedenen Stellen den
jungen Arzt davor warnen, zu denken: „mir kann, wenn ich nach bestem
Ermessen und pflichttreu handele, juristisch nie etwas passieren, mich
langweilt diese ganze juristische Geschichte, kommt wirklich mal etwas
vor, so macht das schon mein Rechtsanwalt‘. Damit wird er sehr schlechte
und trübe Erfahrungen machen können, er muß die juristischen Grund-
lagen kennen, die für sein Handeln maßgebend sind. Es ist unglaublich,
wie weltenfremd und in der Hinsicht völlig unerfahren der junge Arzt
auch heute noch nach bestandenem Examen und praktischem Jahr in die
Welt hinaus spaziert, der „reine Thor‘ auch heute noch, wo Kranken-
kassengesetzgebung, Reichsversicherungsordnung, kurzum die Folgen der
ganzen Versorgungs- und Haftptlichtgesetze das gesamte soziale Empfinden
völlig umgestaltet haben. Nicht nur in Arbeiterkreisen sehen wir in
unserer ärztlichen Praxis immer und immer wieder, daß die denkbar
höchste Ausnützung der Entschädigungen bei Krankheit und Unfall als
etwas absolut selbstverständliches gilt. Der Arbeiter, der seinen Unfall
gehabt hat, denkt ja nur noch an seine Rente, er begnügt sich lieber mit
einer weit geringeren Quote seines Einkommens als bisher, bis er alles,
was er glaubt erreichen zu können, wirklich erreicht hat, so daß er oft
olıne sich dessen recht bewußt zu werden, die Folgen übertreibt, und so
schließlich wirklich arbeitsunfähig wird, obwohl ihn die Aufnahme der
Arbeit zur richtigen Zeit allmählig wieder voll oder teilweise arbeitsfähig
gemacht hätte, — in vielen anderen Kreisen ist es ceteris paribus genau
so. Jeder Unfall auf der Eisenbahn oder auf der Elektrischen oder sonst
wo wird soviel wie möglich pekuniär ausgenützt. Bei jeder körperlichen
Schädigung, die jemanden trifft, ist die erste Frage: kann ich jemanden
dafür verantwortlich machen, wie viel kann ich herausschlagen. Ein ge-
wisser, für die Zukunft unseres Volkes höchst bedenklicher neurasthenischer
Zug ist durch die Haftpflicht- und Versorgungsgesetze in unser volkswirt-
schaftliches Empfinden hineigekonmen, das zweifellos große soziale Ge-
fahren in sich birgt. Auf diesem Boden stehen nun auch eine große
Menge der sich immer mehr häufenden rechtlichen Ansprüche gegen
Ärzte wegen angeblicher Kunstfehler. Daß der Arzt in einer Haftpflicht-
versicherung ist, ist wie wir später sehen werden, eigentlich selbstverständ-
lich, aber das genügt nicht. Jeder gegen ihn erhobene Vorwurf wegen
Kunstfehler ist eine schwere Gefahr für sein ganzes ärztliches Ansehen,
wie auch in pekuniärer Beziehung, ganz abgesehen von den damit stets
verbundenen, schweren seelischen Aufregungen und Ärgernissen. Ebenso
wichtig ist, daß er die rechtliche Seite seines Berufslebens genau kennt.
124 Kirchberg,
Wohl bestehen in einer Anzahl von Universitäten nominell Lehraufträge
für soziale Medizin, wo dieses Gebiet mit behandelt werden soll; praktisch
geschieht, glaub ich, nichts auf diesem Gebiet. Der Röntgenarzt ist nun
aber, wie wir sehen werden, doppelt gefährdet; darum muß er sich mit
diesen Fragen gründlich beschäftigen und die Folgen seiner Tätigkeit nicht
nur vom Standpunkt der Therapie und der Wissenschaft im Interesse der
leidenden Menschheit betrachten, sondern auch von dem Standpunkt des
Schutzes seiner eigenen Interessen.
I. Zivilrechtliche Haftung für Röntgenschädigungen.
Betrachten wir zunächst die zivilrechtliche Seite, da sie naturgemäß
die größere Rolle spielt.
Die dem Arzt in Form rechtlicher Ansprüche gemachten Vorwürfe
gehen meist dahin, dalb er den Patienten direkt durch seine Behandlung
geschädigt habe, viel seltener dahin, dal3 seine Behandlung nicht den ge-
wünschten Erfolg gehabt habe. Imbezug auf diesen letzten Vorwurf ist
darauf hinzuweisen, daß nach der ganzen Art der ärztlichen Tätigkeit das
Verhältnis zwischen Arzt und Patienten nicht nach den Regeln des Werk-
vertrages, sondern nach denen des Dienstvertrages zu beurteilen ist. So
sehr auch die unklare Fassung des $ 631, B.G.B. „Gegenstand des Werk-
vertrages kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache, als
ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg
sein“, die Anwendung auf die ärztliche Tätigkeit unter Umständen zu er-
lauben scheint, so ergibt doch die ruhige Überlegung, daß auch bei gering-
fügigen, den klarsten Erfolg versprechenden ärztlichen Maßnahmen der
Arzt stets mit den besonderen Umständen zu rechnen hat und nicht für
den absolut günstigen Ausgang, den gewünschten Erfolg und nur diesen
allein einzustehen hat. Das Kennzeichen des Werkvertrages, daß er die
Vergütungen an den Effekt der Dienste knüpft — dem Publikum mag
das ja erstrebenswert erscheinen — kennzeichnet die Unhaltbarkeit des
ärztlichen Tuns als Werkvertrag. Das Versprechen des Arztes für den
Erfolg seines Handelns ändert an dieser Tatsache nichts, das Einstehen
für ganz unberechenbare Ereignisse: „Der unberechenbare Kampf mit den
dunklen Kräften der Natur“!) kann ihm nicht zugemutet werden.
Die zivilrechtliche Haftung des Arztes beruht auf den Regeln
des Dienstvertrages und den Bestimmungen über unerlaubte
Handlungen.
Uns interessieren hier hauptsächlich betreffs der privatrechtlichen Ver-
antwortlichkeit für Kunstfehler die in dem Abschnitt über die unerlaubten
1) Rabel, Die Haftpflicht des Arztes. Leipzig 1904.
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 125
Handlungen festgesetzten Regeln. Wir müssen zunächst die Voraus-
setzungen darlegen, an welche das B.G.B. die Verantwortlichkeit des Arztes
knüpft. die Tatbestände, die vorliegen müssen, damit diese Verantwortlich-
keit eintritt. Dann den Inhalt dieser Verantwortlichkeit selbst, d. h. die
rechtlichen Folgen, die das Gesetz an den erfüllten Tatbestand knüpft.
In Betracht kommen die grundlegenden Bestimmungen des $ 823 B.G.B.:
‚Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit,
die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen wider-
rechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden
Schadens verpflichtet.“
Das Verschulden kann vorsätzlich oder fahrlässig sein !
Daß der Arzt für Vorsatz haftet, ist selbstverständlich und braucht
Iier nicht näher ausgeführt zu werden.
Über den Begriff der Fahrlässigkeit, der ja hier die Hauptrolle
spielt, will ich mich hier beziehen auf ein Reichsgerichtsurteil (19. Februar
1900). wo er definiert wird als die pflichtwidrige Außerachtlassung
der durch die konkreten Umstände des einzelnen Falles ge-
butenen Aufmerksamkeit, beideren Anwendung der eingetretene
für den Täter vorhersehbare Erfolg sich hätte vermeiden lassen.
Ein Beispiel. das bei Röntgenschädigungen hier öfters vorkommt: „Ist das
Verlassen des Zimmers und das Alleinlassen des Patienten am Apparat
eine derartige, pflichtwidrige Fahrlässigkeit? An sich erscheint es so und
dieser Umstand wird häufig zu einer Umkehrung der Beweislast führen,
d. h. jetzt wird der Arzt beweisen müssen, daß er sich so auf sein In-
strumentarium verlassen konnte, daß nichts geschehen konnte, er wird
nachweisen müssen, daß er den Patienten genügend instruiert hatte, dab
er z. B. der Lampe nicht zu nahe kommen dürfe, daß er seine Stellung
nicht verändern dürfe, ja daß der Patient unter Umständen auf das Um-
schlagen der Lampe achten müsse. Er wird aber noch etwas nachweisen
müssen und das wird meist sehr viel schwerer sein, er wird nämlich be-
weisen müssen, daD er berechtigt war, den Patienten für so intelligent zu
halten. daß er das alles verstanden hätte. Ich habe doch in mehreren
Akten gesehen, daß manche Patienten diesen Einwand der Dummheit oder
mangelnder Intelligenz für sich ziemlich unverblümt in Anspruch nahmen.
Dummheit ist eine Gäbe Gottes, aber man soll sie nicht mißbrauchen, sagt
ein schlesisches Sprichwort. Wir können uns aber nicht darauf verlassen,
dab das nicht doch geschieht. Ich meine, das Unbeaufsichtigtlassen des
Patienten ist stets eine schwere Gefahr für den Arzt.
Als Fahrlässigkeit kennzeichnet sich sicher auch die Unkenntnis z. B.
mit den Ergebnissen der Wissenschaft. Der Röntgentherapie betreibende
Arzt (bei Röntgendiagnostik sind ja Schädigungen überhaupt seltener) muß
126 Kirchberg,
sich auf dem laufenden halten mit den Fortschritten der Röntgenwissen-
schaft. Jeweilig nach den neuen Erfahrungen wird erhandeln: Schädigungen,
die in der Literatur bekannt gemacht wurden, muß er kennen; Mittel und
Vorkehrungen, die zur Abwehr derartiger Schädigungen dienen und bekannt
gemacht werden, muß er auch kennen und eventuell anwenden. Das
Unterlassen aller dieser Momente kann ihm als Fahrlässigkeit bei einer
Schädigung eines Patienten ausgelegt werden und ihn haftbar machen; er
darf z. B. nicht sagen, ich habe keine Zeit alle Fachzeitschriften zu lesen:
treibt er Röntgentherapie, muß er auch Zeit finden, die entsprechende
Literatur zu verfolgen, das ist ganz selbstverständlich. Natürlich braucht
er nicht alle Fachzeitschriften zu lesen, aber eine spezielle Zeitung wird
er wohl regelmäßig verfolgen müssen. Ich glaube gerade, daß dieser Punkt
jetzt wieder sehr in Frage kommen kann, wo z. B. nach den letzten Aus-
führungen Bumms (Berliner med. Gesellschaft, 7. Mai 1913) sich sicher
wieder die Strahlentherapie noch mehr als bisher der Bekämpfung der
malignen Tumoren zuwenden wird. |
Der Arzt braucht sich der Fahrlässigkeit seines Handelns keineswegs
bewußt gewesen zu sein, aber daß er die Möglichkeit des schädigenden
Erfolges nicht kannte, die er „kennen mußte“, daß er nicht sah,
was ein sorgfältigerer an seiner statt gesehen hätte, das macht
ihn haftbar (Rabel a. a. 0.). Das wird z. B. in Betracht kommen, wenn
ein Neuling am Röntgenapparat eine Schädigung erlebt, die einem Er-
fahreneren nicht passiert wäre. Er kann sich nicht entschuldigen damit,
daß er es nicht verstanden hätte. Es geht natürlich nicht, daß er hin-
geht, sich einen Röntgenapparat kauft, sich ein Buch vornimmt, sich daraus
instruiert, und nun losarbeitet. Zum Betriebe eines Röntgenapparates,
namentlich zu therapeutischen Zwecken, ist selbstverständlich, wie für jede
andere Disziplin, ein vorhergegangener systematischer Unterricht unbedingt
nötig. Ich glaube wohl, daß die kurzfristigen, von den Fa-
briken ausgehenden Einführungskurse da oft gefährlich sind
und für den Arzt später bittere Lehren zur Folge haben können.
‘Die Haftpflichtversicherungen, die ja doch schließlich die Leidtragenden
sind, sollten sich bei der Versicherung davon überführen, ob die Betreffen-
den genügend ausgebildet sind für den therapeutischen Röntgenbetrieb. ?)
2) Ich stimme Alben-Schönberg durchaus zu, der an verschiedenen Stellen
(s. z. B. sein Buch a. a. O. S. 286 usw.) seine Meinung dahin präzisiert, daß er die Aus-
bildung in der Röntgentechnik den praktischen Ärzten im allgemeinen nicht anrät;
es kann wohl unter Umständen Landärzten die Anschaffung von Apparaten empfohlen
werden (wohl aber nur zur Röntgendiagnostik, nicht zur Röntgenthera-
pie, die muß unter allen Umständen Sache der Röntgenspezialisten
sein), in größeren Städten wird es wohl allmählich mehr und mehr dahin kommen,
daß die Röntgentherapie absolute Spezialität wird und das mit Recht.
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 197:
Der Arzt wird sich z. B. auch erkundigen müssen, ob schon vordem von
anderer Seite bei dem betreffenden Patienten Röntgenbestrahlungen vor-
genommen worden sind; der Patient kann nicht wissen, daß eine neue
Röntgenbestrahlung auf dieselbe Gegend binnen einer bestimmten Zeit unter
Umständen böse Folgen hat; der Arzt weiß es und darum muß er den
Patienten fragen. Er kann nicht hinterher sagen, die Patienten hätten
es sagen müssen, er muß danach fragen.
Wir werden auf diesen Punkt der Fahrlässigkeit: „daß er nicht sah,
was ein sorgfältigerer an seiner statt gesehen hätte“ noch einige Male bei
Besprechung der Fälle zurückkommen.
Außer diesen beiden ersten Grundlagen der Ersatzpflicht, also der
Widerrechtlichkeit und des Verschuldens kommen nun weitere
zwei Momente in Betracht: Es muß ein Schaden vorliegen und es muß
ein Kausalzusammenhang bestehen zwischen dieser Schädigung
des Patienten und dem schuldhaften, widerrechtlichen Ver-
halten des Arztes. Dieser Punkt ist m. E. der wichtigste: Der Nach-
weis des Kausalzusammenhangs zwischen dem schuldhaften, widerrechtlichen
Verhalten des Arztes und dem erlittenen Schaden.
So schwer dieser Beweis in der Regel bei anderen ärztlichen Kunst-
fehlern zu erbringen ist — die Beweislast hat natürlich der Kläger —
bei Röntgenschädigungen wird die Sache meist etwas einfacher liegen. Wie
gesagt, eine Schädigung des Patienten genügt nicht, das schuldhafte
widerrechtliche Verhalten des. Arztes und dieser erlittene
Schaden müssen in einem Kausalzusammenhang stehen. Es
genügt nach der bekannten Reichsgerichtsentscheidung vom 12. Januar
1894, wenn sich nach dem regelmäßigen Gang der Dinge, wie er sich
erfahrungsgemäß in den meisten Fällen zu gestalten pflegt, die Wahr-
scheinlichkeit eines gewissen hypothetisch unterstellten Kau-
salzusammenhanges ergibt, da für die Bewertung solcher hypothetischer
Fragen eine absolute Sicherheit niemals und nirgends existiert. Diese
Wahrscheinlichkeit des Kaudalzusammenhanges anzuerkennen nach dem
vom Kläger beigebrachten Material und auf Grund der im Sach-
verständigengutachten gegebenen Klarstellung ist der freien Beweiswürdi-
sung des Richters überlassen.
Über diese Sachverständigengutachten muß ich hier noch etwas
sprechen: der gehörte Sachverständige kann nicht vorsichtig genug sein,
objektiv zu urteilen; er soll nicht seine persönliche Ansicht, ob er in dem
Fall anders geurteilt hätte, darlegen. Ein solches Gutachten soll kein
subjektives Urteil über diese oder jene medizinische Richtung, keine Kritik
einer anderen medizinischen Schule darstellen, der Universitätslehrer hat
nicht zu sagen: in meiner Anstalt werden jedes Jahr 100 000 Bestrahlungen
128 Kirchberg,
vorgenommen, es kommen nie Schädigungen vor, also sind Röntgenschädi-
gungen stets eine Fahrlässigkeit und vermeidbar. Diese Gutachterfeliler
kommen sehr leicht vor; bei den jetzt studierten Röntgenschädigungenakten
habe ich nicht so oft derartige Fehler gesehen, aber bei einer vor Jahren
vorgenommenen größeren Durchsicht der Stuttgarter Kunstfehlerakten habe
ich bei Kunstfehlern auf dem Gebiet der inneren Medizin diesen Fehler
in Gutachten von Hochschullehrern sehr häufig gefunden. Da waren die
(Gutachten der Gerichtsärzte fast immer objektiver und darum für den
Beklagten meist günstiger. Ich muß das hier so scharf hervorheben, denn
ein derartiges ungünstiges Urteil einer Autorität wird dann stets von der
klagenden Partei außerdentlich ausgenützt und werden von der beklagten
Seite nicht derartige Gutachten scharf genug zurückgewiesen, vielleicht
darauf hingewiesen, daß wohl in einer Universitätsklinik, im Rahmen eines
großen tadellos eingearbeiteten Apparates derartige Schädigungen nicht
vorkommen dürfen, aber z. B. im Betrieb eines ganz kleinen Landkranken-
hauses oder in der Privatpraxis, die Verhältnisse doch ganz anders liegen.
so wird sich auch der Richter leicht dadurch bestimmen lassen. Auch
der von der klagenden Partei genommene Gutachter hat gleich objektiv
zu urteilen. Er ist nicht Partei, sondern Gutachter, wenn auch
vom Kläger bezahlter; er hat nicht nur hervorzuheben, welcher Schaden
angerichtet worden ist, er hat auch darzustellen, wie waren die Verhält-
nisse vordem (das spielt z. B. bei den sogenannten kosmetischen Schädi-
gungen eine sehr große Rolle). Jeder Gutachter hat sich die Frage vor-
zulegen: ist hier überhaupt ein Schaden durch die Behandlung eingetreten,
dann, war das Verhalten des beklagten Arztes geeignet, diesen nach-
gewiesenen Schaden anzurichten, weiter, wie weit ist diese Schädigung
zurückzuführen auf dieses Verhalten, wie weit bedingt durch die anderen
besonderen Umstände des Falles und dann noch eine fast nie gestellte,
aber für den Beklagten sehr wichtige Frage: wäre ohne das angeschuldigte
Verhalten mit Wahrscheinlichkeit der Ausgang ein anderer, ein günstigerer
gewesen.
Dal} dieses Verhalten des Arztes die einzige Ursache des schädigenden
Erfolges gewesen ist, ist natürlich nicht nötig, es genügt, daß darin eine
den Gesamtablauf mitbestimmende Kausa zu sehen ist. Vor allem ist es
nie Sache eines Sachverständigen oder Gutachters auf andere etwa vorge-
kommene Fehler hinzuweisen, er hat nur zu begutachten, ob durch das
„beschuldigte‘“ Verfahren die in Frage stehende Schädigung einge-
treten ist. Auf alle diese Momente muß schon der Sachverständige achten.
Sache des Rechtsbeistandes ist es, die Fragen dementsprechend zu formu-
lieren. Nehmen wir ein Beispiel der Praxis: eine Frau hat sich das Ge-
sicht bestrahlen lassen wegen lästigen Haarwuchses (Backen und Schnurr-
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 129
bart), nun sind infolge einer Röntgendermatitis einige Narbenstränge ent-
standen und zurückgeblieben, jetzt klagt die Frau wegen verminderter
Heiratsaussichten und verlangt eine Rente, die ihr den Lebensunter-
halt ersetzt. Das ist eine ganz ungeheuerliche Sache, denn erstens
waren mit ihrem Bartwuchs zweifellos ihre Heiratsaussichten keinesfalls
größer als mit den Narbensträngen, zweitens kann doch unter unseren
heutigen Verhältnissen die Ehe nicht als Versorgungsinstitut für Mädchen,
keinesfalls als einziges und wichtigstes angesehen werden. Auch auf diese
Frage müssen wir noch öfters zurückkommen. Man muß hier alle Fragen
billig abwägen.
Vom kollegialärztlichen, wieallgemein menschlichen Stand-
punkt haben wir darauf zu achten, daß keine Entschädigungen zur Aus-
zahlung kommen, wenn nicht wirklich durch das ärztliche Handeln diese
Schädigungen entstanden sind. Ob die Versicherungsgesellschaft nachher
das Geld zu zahlen hat oder der Arzt, ist in dieser Hinsicht ganz gleich.
Nehmen wir für die erwähnte Frage: „wieweit ist die fragliche Schädi-
gung bedingt durch das fahrlässige Verhalten des Arztes, wieweit durch
die anderen Umstände des Falles? oder wäre ohne das angeschuldigte Ver-
halten des Arztes der Ausgang, der weitere Verlauf ein anderer gewesen?“
ein konkretes Beispiel (wie gesagt, es genügt nicht, daß der Arzt eine
Fahrlässigkeit begangen hat, das kann ihn vielleicht strafrechtlich verfolg-
bar machen, zivilrechtlich muß nachgewiesen werden, daß diese Fahr-
lässiekeit wirklich den Schaden verursacht hat): eine Frau wird wegen
Karzinomrezidive in der Brust bestrahlt, der Arzt geht bewußt so vor,
daß er eine Reaktion haben will, es tritt eine starke Entzündung ein;
gleichzeitig ist aber durch eine gewisse Unachtsamkeit des Arztes eine
‚direkte Berührung der Patientin mit der heißen Röntgenröhre vorgekommen
tatsächlicher Fall), sie hat sich eine Verbrennung an der Brust zugezogen.
Die Karzinomknoten wachsen, brechen auf; die Patientin wußte, wie meist
nicht, daB sie Krebs hatte. Es ergibt sich folgender für den Laien gar
nicht zu entwirrender schwieriger, pathologischer Komplex: gewollte Röntgen-
reaktion, Karzinomulzera, Röntgenröhrenbrandwunden. Nun verlangt Pa-
tientin resp. ihr Rechtsanwalt, nach ihrem während des Prozesses dann
an Krebs erfolgten Tode ihre Erben Ersatz für alle seitdem entstandenen
Heil- und Pflegekosten. Durchaus mit Unrecht. Geben wir zu, dab
die Brandwunden durch Fahrlässigkeit entstanden sind, weiter zugegeben,
dab die Einrichtungen des Arztes nicht genügend waren, selbst angenommen,
da ıhm nachgewiesen werden könnte, daß er von der Röntgentherapie
nichts verstand, ja selbst noch angenommen (was natürlich nicht zutrifft.
aber von dem klagenden Rechtsanwalt behauptet wurde), das Heilverfahren
mit X-Strahlen wäre nicht sachgemäß, sondern durchaus fehlerhaft ge-
Strahlentherapie Band III, Hett ı. 9
130 Kirchberg,
wesen, alles das könnte zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen:
hier im Zivilprozeß kommt es aber darauf ‘gar nicht an, hier lautet die
Frage ganz einfach: „Sind die eingeklagten Heil- und Pflegekosten durch
die Röntgenverbrennung bedingt, resp. wieviel Kosten an Arzt, Medika-
menten, Pflegepersonal usw. sind durch diese Röntgenbrandwunden ent-
standen.“ Das kann natürlich in diesem Falle nur ein ganz geringer Pro-
zentsatz gewesen sein, eine Erwerbsbeschränkung kann bei dem bestehen-
den Allgemeinleiden durch die Röntgenverbrennung auch nicht angenommen
werden. Es hätte von vornherein ein Schmerzensgeld in Frage kommen
können, das war aber nicht verlangt worden. Es ergab sich also eine
außerordentlich geringe, rechtlich zu begründende Forderung, der Ausgang
war dann in der Tat auch so, daß anstelle der geforderten ca. 3000 M.
an Heil- und Pflegekosten im Vergleichswege 600 M. angeboten und an-
genommen wurden, eine Summe, die ich in Anbetracht der vorliegenden
rechtlichen Verhältnisse noch für viel zu hoch halte. Das mag für den
Außenstehenden, selbst für den Arzt, hart und grausam klingen, aber wir
müssen uns hier genau, wie bei allen Unfallsforderungen, genau wie im ganzen
Krankenkassenwesen absolut an die rechtlichen Tatsachen halten:
wir haben kein Recht, auf Kosten anderer Leute, auf Kosten von Haft-
pflichtgesellschaften, Unfallversicherungsgesellschaften, Staatsbehörden, oder
worum es sich sonst handeln mag, Mitleid zu üben. Wir haben nur die
Frage zu entscheiden, wieweit ist der Schaden durch die Fahr-
lässigkeit bedingt, wieviel ist auf die anderen für den Patienten
ungünstigen Momente des Falles zu rechnen. Das muß schon der
Gutachter im Auge behalten; ich wiederhole nochmal, ihm ist die Frage
vorzulegen: „Ist eine Röntgenschädigung entstanden, ist diese Schädigung
entstanden durch eine Fahrlässigkeit des Arztes, wieweit ist der Fortgang
oder der weitere Verlauf der durch die Röntgenschädigungen beim Patienten
gesetzten pathologischen Veränderungen nicht etwa durch andere ungünstige
Momente des Patienten (seine Krankheit, sein Verhalten, häusliche Ver-
hältnisse usw.) bedingt”‘“ Das alles sind Fragen, die bei Röntgenschädi-
sungen nur der Röntgentherapeut wird entscheiden können. Der be-
handelnde Arzt, der ja meist auch als Gutachter von der klagenden Partei
vorgeschlagen wird, wird, wenn er nicht selbst Röntgenspezialist ist, eigent-
lich nur als sachverständiger Zeuge in Betracht kommen können. nicht
als Gutachter.
Ehe ich auf die weiteren juristischen Ausführungen eingehe, möchte
ich hier gelegentlich der Besprechung der Gutachtertätigkeit noch einen
Punkt kurz erwähnen: ich habe z. B. zu meinem Erstaunen in den Akten
gesehen, daß manche Sachverständige die von ihnen geforderten Gut-
achten erst auf mehrfache Mahnung. in einem Fall z. B. erst nach über
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 131
5 Monaten erstatteten. Das müßte unter allen Umständen vermieden
werden. Gutachten in einem Zivil- oder Strafprozeß gegen einen beschul-
digten Kollegen können gar nicht schnell genug erstattet werden. Ganz
abgesehen von der durch jeden schwebenden Prozeß bedingten Schädigung
der Praxis, sind die psychischen durch die Aufregungen, Ärger usw. be-
dingten Schädigungen im Verlaufe eines derartigen Prozesses für einen
beschäftigten Arzt wirklich nichts gleichgültiges.. Das nur nebenbei.
Wir haben also jetzt die Tatbestände besprochen, an die die privat-
rechtliche Ersatzpflicht geknüpft ist. Der Inhalt der Ersatzpflicht,
den wir bereits mehrfach erwähnt haben, wird bestimmt in den
SS 812, 843, Abs. 1, 847, Abs. f, B.G.B. — $ 842 sagt: „Die Ver-
pflichtung zum Schadenersatz wegen einer gegen die Person gerichteten
unerlaubten Handlung erstreckt sich auf die Nachteile, welche die Hand-
lung für den Erwerb oder das Fortkommen des Verletzten herbeiführt.“*
Dieser Paragraph konstruiert also eine Haftpflicht nicht nur für die un-
mittelbaren, sondern auch für die mittelbaren durch ärztliche Kunstfehler
eingetretenen Nachteile. Die Leistungen des Ersatzes werden bestimmt
zunächst durch $ 843, Abs. 1: „wird infolge einer Verletzung des Körpers
oder der Gesundheit die Erwerbsfähigkeit des Verletzten aufgehoben oder
gemindert, oder tritt eine Vermehrung seiner Bedürfnisse ein, so ist dem
Verletzten durch Entrichtung einer Geldrente Schadensersatz zu leisten.
Statt der Rente kann der Verletzte eine Abfindung in Kapital verlangen,
wenn ein wichtiger Grund vorliegt“. Diese Geldrente ist nach den Be-
stimmungen des & 760 stets im Voraus für 3 Monate zu entrichten. Ist
durch den Kunstfehler der Tod herbeigeführt worden, so hat nach § 843
der Arzt nicht nur die Beerdigungskosten zu ersetzen, sondern sogar, wenn
der Verstorbene anderen Personen gegenüber unterhaltspflichtig war, und
diese durch seinen Tod ihren Unterhalt verlieren, den dadurch entstandenen
Schaden in Gestalt einer Geldrente resp. Kapitalsabfindung auszugleichen.
Die enormen Konsequenzen, die sich aus diesen Paragraphen für einen
Arzt ergeben können, machen ihm wahrlich den Beitritt zu einer
Haftpflichtversicherung zu einer unbedingt nötigen Forderung. Eine einzige
von ihm zu vertretende Fahrlässigkeit, vor der auch der Sorgsamste eigent-
lich nicht immer sicher ist, kann ihn materiell für immer vernichten.
Nach $ 847, Abs. 1: „Im Falle der Verletzung des Körpers oder der
Gesundheit . . . . kann der Verletzte auch wegen des Schadens, der nicht
Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen“ er-
gibt sich, dal) Schadenersatz zu leisten ist auch für sogenannten immateriellen
Schaden; das kommt z. B. in Betracht bei kosmetischen Entstellungen,
Haarausfall, Verbrennung im Gesicht, auch wenn sie das bürgerliche Fort-
kommen des Betreffenden nicht hindern. Der Rückgang einer Verlobung
9%*
132 Kirchberg,
aus diesen Gründen kann Anlaß zur Anwendung dieses Paragraphen
geben, ja er wird selbst herbeigezogen, wie wir oben schon gesehen haben,
bei durch eine derartige Verunstaltung bedingtem Verlust auf die Aussicht
einer Verlobung. Hier wird, wie ich oben schon erwähnte, der Gutachter
nicht nur zu begutachten haben den momentanen Zustand des Gesichtes.
sondern er wird versuchen müssen durch Vergleich mit Photographien
usw. sich ein Bild zu machen von dem Zustand und Aussehen vor der
Verletzung, ja er wird vielleicht sogar durch eine kurze allgemeine Beur-
teilung der betreffenden Persönlichkeit, ein Urteil darüber abzugeben
haben, ob nicht diese Röntgenschädigung nur ein ganz unbedeutendes
kleines Moment darstellt neben vielen andern Momenten, um derentwegen
diese Frauensperson bei der Heiratswahrscheinlichkeit schlecht abschneidet.
Vielleicht wird er sich hier sehr vorsichtig und diplomatisch ausdrücken
müssen, um sich nicht hinterher von Seiten der Klägerin oder ihren An-
gehörigen Unannehmlichkeiten auszusetzen. Wenn z. B. eine 37jährige.
bisher unvermählt gebliebene Dame wegen einer Röntgennarbenbildung im
Gesicht, die entstanden ist anstelle eines früheren Feuermales, nun wegen
verminderter Heiratsaussichten auf Mk. 10000 Schadenersatz klagt, so er-
scheint das im ersten Moment so lächerlich, daß man nicht glaubt, dab
sich hieran ein monatelang dauernder Prozeß mit all seinen Schädigungen
und Aufregungen für den Arzt knüpfen könnte. Sagt der Gutachter hier
einfach, auf der linken Backe ist eine fast zweimarkstückgroße weiße harte
Narbe, die das Gesicht etwas nach links schief verzieht, so kann das für
den Arzt recht ungünstig werden. Sagt er aber, diese Narbe ist getreten
an die Stelle eines eben so großen blauroten Males, das im schroffen
Gegensatz zu der sonst zart rosaweißen Haut der Patientin stand, so wird
die Sache ganz anders. Wenn es ja auch vollständig Geschmacksache des
einzelnen sein mag, vb er lieber ein 37 jährıges Mägdlein mit einer weißen
Narbe oder mit einem Feuermal heiratet.
Gerade bei diesen Schadenersatzklagen für immateriellen Schaden
müssen alle anderen Gesichtspunkte ganz genau in Betracht gezogen werden.
Für bestimmte Fälle kann dieser Paragraph, glaube ich, für den Röntgen-
therapeuten aber sehr unliebsame Konsequenzen haben, das ist die unge-
wollte Sterilisierung bei aus irgendeinem Grunde vorgenommenen Be-
strahlungen des Unterleibes. Auch die Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen
(potentia generandi), nicht nur die Beischlafsfähigkeit (potentia coeundi) ist
ein so ungeheuer wichtiges Recht des Menschen, daß hier mit Recht fahr-
lässige Schädigungen ganz außerordentlich hohe Entschädigungsforderungen
nach sich ziehen können, ganz abgesehen von der strafrechtlichen Ver-
folgung derartiger Fälle, von der ich später spreche. Ich gehe hier ab-
sichtlich als nicht Röntgenspezialist gar nicht auf die Frage ein, wie weit
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 133
sich durch geeignete Maßnahmen (Verwendung harter oder weicher Röhren,
ganz kurzfristige Bestrahlungen, Abdeckungen usw.) sich die ungewollte
Sterilisierung vermeiden läßt oder nicht. Der Röntgentherapeut, der aus
irgend einem Grunde Bestrahlungen des Unterleibes vornimmt, muß stets
über den zeitigen Stand der Kenntnis dieser Frage genau informiert sein,
er muß hier bei der Röntgenbestrahlung genau so exakt und gewissenhaft
sich die Frage der Möglichkeit der fahrlässigen Sterilisierung vorlegen,
wie bei jeder anderen gynäkologischen Operation; er wird sich fragen
müssen: 1. ist es möglich, daß meine Behandlung eine zeitweise oder
dauernde Sterilisierung des betreffenden Patienten (es kann sich hier
ebensogut um einen Mann bei einer Prostatabestrahlung, wie um eine Frau
bei gynäkologischen Bestrahlungen handeln) zur Folge hat, 2. wenn ja, ist
durch irgend eine andere Behandlungsmöglichkeit bei zu erwartendem
gleich günstigem Erfolg, die Sterilisierung weniger wahrscheinlich. Wenn
er diese zweite Frage glaubt bejahen zu können, so ist er meines Erachtens
verpflichtet, dem Patienten das erste Verfahren nicht nur nicht zu em-
pfelilen, sondern sogar zu verweigern. Denn meines Erachtens ist straf-
wie zivilrechtlich kein Arzt berechtigt, bei einem Patienten, ohne absolute
gesundheitliche Indikation eine dauernde Sterilisierung vorzunehmen, eine
temporäre auch nur dann, wenn sie zur Zeit unbedingt nötig ist und
jederzeit rückgängig gemacht werden kann. Diese letztere Möglichkeit be-
steht wohl bei einigen gynäkologischen Operationsverfahren, aber meines
Wissens nicht bei der Röntgensterilisierung. So wenig ich als Arzt be-
rechtigt bin, allein aus sozialen Momenten einen Abort einzuleiten, so
wenig bin ich auch selbstverständlich berechtigt, aus sozialen Momenten
eine Sterilisierung herbeizuführen. Auch ein ausdrücklicher Revers
des Patienten sichert den Arzt in diesem Falle weder vor straf-
rechtlichen noch zivilrechtlichen Folgen. Meines Erachtens ist
es ın allen diesen Fällen das zweckmäßigste, wenn der betreffende Arzt
durch eine Konsultation mit einem andern Arzt und die genaueste Dar-
lezung des Falles nebst Indikation in seinen Büchern sich in die Lage
versetzt, auch dem Richter zu jeder Zeit beweisen zu können, dal) er
nach sorgfältiger Überlegung, und nicht fahrlässig gehandelt hat.
Auch zivilrechtlich kann eine derartige Sterilisierung selbst mit aus-
drücklicher schriftlicher Einverständniserklärung des Patienten, hinterher
noch sehr üble Folgen haben. Nehmen wir an ein Junger verheirateter
Mann, der an Tuberkulose erkrankt ist, will. da er gehört hat, daß die
Röntgenbestrahlung der Hoden nur die Fortpflanzungsfühigkeit, aber nicht
die Beischlafsfähigkeit aufhebt, auf diese Weise durch Beschränkung der
Kinderzahl sich und seine Familie sozial besser stellen und läßt sich darum
bestrahlen (tatsächlich vorgekommene Fälle), meines Erachtens setzt sich
134 Kirchberg,
der Arzt hier zunächst einmal der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung
wegen schwerer Körperverletzung aus, denn das Reichsgericht hat in
konstanter Rechtsprechung (Entscheidungen in Strafsachen Band 2, S. 442.
Bd. 6, S. 61, Bd. 25, S. 275, Bd. 28, S. 200ff.) die Anschauung ver-
treten, daß auch die mit Einwilligung des Verletzten begangene Körper-
verletzung strafbar ist, weil die Gesundheit zu den Gütern gehört, deren
Erhaltung der Staat wegen ihres Wertes für die Gesamtheit fordern mub.,
auf die also nicht verzichtet werden kann. Man bedenke, der Patient
gibt unter dem Einfluß seiner momentan bestehenden Erkrankung und
kümmerlichen sozialen Lage seine Einwilligung zu diesem Vorgehen! Wie
nun, wenn er später wieder gesund geworden ist, in bessere pekuniäre
Verhältnisse gekommen ist, seine damals lebenden Kinder vielleicht tot
sind und er sich jetzt wieder Kinder wünscht oder nochmal heiraten will.
Jetzt kommt er erst zur Erkenntnis, was er damals getan hat. Da geht
er hin und denunziert den Arzt, der Arzt wird einer strafrechtlichen Ver-
urteilung nicht entgehen. Nicht genug damit, jetzt macht er eine Schaden-
ersatzforderung gegen den Arzt geltend und klagt nach $ 847. Ich glaube,
auch hier wird er ein obsiegendes Urteil erzielen und genau dasselbe ıst
natürlich der Fall bei einer derartigen gewollten Sterilisierung einer noch
in gebärfähigem Alter stehenden Frau.
Man wird dagegen einwenden wollen, daß nach allgemeinen Prinzipien
einem Beschädigten, der in die ihn beschädigende Handlung eingewillist
hat, ein Schadenersatzanspruch doch unmöglich zustehen könne. Dem ist
zu erwidern, daß der Schadenersatzanspruch durch die Einwilligung des
Verletzten jedenfalls insoweit nicht ausgeschlossen wird, als die Handlung
trotz der Einwilligung widerrechtlich, insbesondere strafbar bleibt. Komnit
also ein derartiger Fall vor — daß trotz derartiger vorher ausgesprochener
oder schriftlich gegebener Verzichte hinterher doch Schadenersatzansprüche
vorkommen, das halte ich durchaus nicht für unwahrscheinlich, sondern
im Gegenteil für recht wahrscheinlich; die wiederholten Aktenstudien und
private Mitteilungen von Kollegen, die meinen Rat in Fällen angeblicher
Kunstfehler eingeholt haben, haben meinen früheren Optimismus inbezug
auf Dankbarkeit von Patienten usw. ziemlich zerstört: der Arzt muß sich
jedenfalls, da er ja keinem Menschen von vornherein in die Seele schauen
kann, auf jede Weise schützen — kommt also ein derartiger Fall vor.
sagte ich, so wird es in der Regel so gehen, daß der Patient erst die
Strafanzeige stellt — er selbst hat sich ja durch die Einwilligung zur
Sterilisierung nicht strafbar gemacht —, um auf diese Weise die gesetzliche
Bestätigung der Widerrechtlichkeit des ärztlichen Handelns zu erhalten
und dann die Zivilklage damit begründet. Staudingers Kommentar zum
Bürgerlichen Gesetzbuch 1910. S. 1601, sagt dazu weiter: Ob in der Ein-
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 135
willigung ein im voraus erklärter Verzicht auf Ersatz des durch die ver-
letzende Handlung entstehenden Schadens zu erblicken ist und ob ein
solcher Verzicht etwa nach $ 134 oder 138 als nichtig zu erachten ist,
kann nur nach Lage des einzelnen Falles entschieden werden. ($ 134
B.G.B: „ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt,
ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“. $ 138:
„ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt ist nichtig“.)
Ganz anders wird diese Frage z. B. zu beurteilen sein bei Röntgen-
oder Radiumbestrahlungen der weiblichen Genitalien wegen Karzinom.
Auch hier wird sich der Arzt zunächst mal fragen, besteht Aussicht, dab
durch ein operatives Verfahren ein gleich günstiger Ausgang zu erzielen
ist. bei Wahrscheinlichkeit der Erhaltung der Geschlechtsfähigkeit. Ist
das der Fall, so wird er, wie wir oben bereits sagten, dieses Verfahren
wählen müssen. Denn, und damit will ich diese Frage hier auch gleich
besprechen, wie in jedem anderen Falle, hat auch hier der Arzt, und
zwar ebenso der Spezialarzt wie der praktische Arzt, die Verpflichtung,
den Patienten aufzuklären über die verschiedenen möglichen Arten der
Behandlung oder wenigstens, sich selbst darüber genau Rechenschaft zu
geben, mit welchem Verfahren er am schonendsten für den Patienten die
größten Heilungsaussichten hat. Die Röntgentherapie ist, wie jede
andere Therapie, immer nur das Verfahren der Wahl.) Wenn
anders nun aber durch eine Strahlentherapie eine Heilung erzielt wird
unter völliger Erhaltung der Organe, die sonst nur möglich gewesen wäre
durch operative. Entfernung dieser Organe, so kann die Patientin jetzt
selbstverständlich nicht darum klagen, weil diese Handlung sie steril ge-
macht hätte, sie kann jetzt hier nicht sagen, mein Unterleibsleiden ist wohl
geheilt, aber ich bin steril, jetzt gib mir Ersatz dafür, sondern hier liegt
die Rechtslage so, jedes andere Verfahren würde sie ebenfalls steril gemacht
haben und war in seinen Heilungsaussichten auch nicht sicherer. Nach
diesen Grundsätzen wird sich auch die Stellungnahme des Arztes bei der
Frage der Anwendung der Strahlentherapie bei anderen ungefährlicheren
Erkrankungen des Unterleibs zu richten haben (Myome, Menstruations-
anomalien usw.). Besteht dabei die Gefahr der Sterilisierung, so muß er
1) Ebermayer zitiert in „Rechtsfragen aus der ärztlichen Praxis‘ (Deutsche
med. Wochenschr. 1913, Nr. 12) z. B. ein Reichsgerichtsurteil, in dem es heißt: ‚In
Ermangelung einer abweichenden Vereinbarung wird der Arzt dadurch, daß der Er-
krankte sich mit seiner bestimmten Art der Behandlung einverstanden erklärt oder
sich sogar nur zum Zwecke einer solchen an den Arzt wendet, der Pflicht nicht über-
hoben, die Richtigkeit dieser Behandlung im Einzelfall zu prüfen und wenn nach
den Regeln der ärztlichen Wissenschaft ihre Erfolglosigkeit oder gar Schädlichkeit
anzunehmen ist, sie aufzugeben oder wenigstens von ihr abzuraten.“
136 Kirchberg,
sich fragen, komme ich nicht auf andere Weise ohne Schädigungen zum
Ziele Der Wunsch der Patientin dabei kann, wie schon mehrfach gesagt,
für den Arzt nicht maßgebend sein, ein Verfahren zu wählen, was durch
ein anderes Verfahren zu ersetzen wäre, mit dem voraussichtlich keine
Schädigung verbunden wäre.
Daß auch die Röntgentherapie, wie gesagt, stets nur das Verfahren
der Wahl sein kann, darüber spricht sich ein klägerischer Schriftsatz aus
den mir zur Verfügung stehenden Akten recht gut wie folgt aus: „Zuge-
geben werden kann zwar, daß der Arzt im allgemeinen in der Wahl
zwischen mehreren gleichwertigen Mitteln frei ist, daß er auch nicht ge-
halten sein kann, jeden Patienten unter allen Umständen auf die Möglich-
keit schädlicher Nebenwirkungen eines Mittels hinzuweisen. Auf der
andern Seite muß aber vom Arzt verlangt werden, daß er bei der Wahl
zwischen zwei annähernd gleichwertigen Mitteln die Vorteile und Nachteile
aus der Anwendung beider Mittel verständig abwägt. Wer anders wie der
Arzt soll denn zu solcher Abwägung berufen sein? Der Patient kennt
doch die Wirkung der einzelnen Mittel nicht. Er verläßt sich auf den
Arzt. Wenn nun der Patient mit einem unbedeutenden gefahrlosen Ekzem
zum Arzt kommt, dessen Heilung durch Anwendung von Salben in wenigen
Wochen möglich ist, und wenn andererseits die eigene Behauptung des
Beklagten richtig ist, daß Hautverbrennungen infolge Röntgenbestrahlung
aus den verschiedensten Ursachen, namentlich bei besonderer Disposition
der betreffenden Patienten, nicht selten eintreten, muß dann nicht vom
Arzte verlangt werden, daß er die Wirkungen der einzelnen Mittel gegen-
einander abwägt und bei Bekämpfung einer ganz unbedeutenden Krankheit
nicht ein Mittel anwendet, von dem er selbst weiß, daß es aus den ver-
schiedensten Ursachen, namentlich bei besonderer Disposition der Patientin
nicht selten Hautverbrennungen hervorruft? Muß solche Verpflichtung
nicht in erhöhtem Maße eintreten, wenn die Patientin sich behufs Heilung
ihres ganz unbedeutenden Leidens nicht an einen praktischen Arzt, sondern
an einen Spezialarzt für Hautleiden wendet, welcher durch die öffentliche
Bezeichnung als Spezialarzt dem Publikum die Gewähr dafür zu bieten
verspricht, daß alle für die Behandlung und Heilung maßgebenden Fak-
toren bei ihm auf Grund besonders hoher Sachkunde zur Erwägung und
eventuellen Anwendung kommen werden? Darf sich solcher Spezialarzt
damit entschuldigen, die Röntgenbestrahlung sei auch ein von der ärzt-
lichen Kunst anerkanntes Mittel, sie sei lege artis angewandt, und wenn
sie schädliche Folgen gehabt habe, so könne er nichts dafür, weil solche
Folsen eben nicht selten auch ohne Schuld des Arztes eintreten? Er
- kann es nicht. Denn eben darin, dab er die für ihn selbst als naheliegend
erkennbaren und erkannten Folgen voraussieht und erwägt, ob die Mög-
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 137
lichkeit solcher Folgeerscheinungen im Verhältnis zu der ganz unbedeutenden
Erkrankung steht, liegt ein wesentlicher Teil der ärztlichen und insbesondere
doch erst der spezialärztlichen Kunst. Denn in der ordnungsmäßigen
Anwendung eines an sich möglichen Mittels erschöpft sich die ärztliche
Kunst nicht. Ihr wichtigster Teil liegt gerade vor der Anwendung des
Mittels und besteht zum erheblichen Teile in der Erwägung darüber,
welches von mehreren Mitteln unter den vorliegenden Umständen das ge-
botene ist.“
Ich stimme dem vollständig bei, daß es ein vertretbares Maß von
Fahrlässigkeit bedeutet, wenn der Arzt sich nicht die verschiedenen mög-
lichen Behandlungsmethoden klarmacht, sondern die ihm vielleicht als
Spezialarzt grade gutliegende Therapie anwendet, obwohl er mit einer
anderen Therapie sicherer zum Ziel gekommen wäre. Auch heute noch
gilt der alte Grundsatz, daß es für den Arzt erstes Erfordernis ist, die
Heilung des Patienten „cito, tuto et jucunde“ zu erreichen.
Für die Abschätzung des Schadens ist es weiter von großer
Wichtigkeit, festzustellen, ob und inwieweit auch in dem Verhalten des
Kranken ein Verschulden zu sehen ist. Nach $ 254, B.G.B.: „Hat bei
der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mit-
gewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatze, sowie der Umfang
des zu leistenden Ersatzes von den Umständen insbesondere davon
ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem
andern Teile verursacht worden ist“ wird u. U. der Schaden nur zum
Teil von dem Arzt zu tragen sein. Auch der zweite Teil dieses Para-
graphen: „Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Be-
schädigten darauf beschränkt, daß er unterlassen hat, den Schuldner auf
die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen,
die der Schuldner weder kannte noch kennen mußte, oder daß er unter-
lassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern“ wird u. U.
für die Abschätzung des zu leistenden Schadenersatzes von ganz erheb-
licher Wichtigkeit sein. Ein Beispiel zu dem ersten Teil. Bei einer
Röntgenbestrahlung des Gesichts einer Patientin wegen lästigen Bart-
wuchses macht die Patientin hinterher wegen einer leichten Narbenbildung
sınz außerordentlich hohe Schadenersatzansprüche, indem sie verlangt, daß
ihr als zur Zeit gut bezahlten Schauspielerin eine lebenslängliche Rente in
Höhe ihres momentanen Einkommens bezahlt wird. Sie hat nicht gesagt,
dal sie Schauspielerin ist, der Arzt ist m. E. nicht verpflichtet, sehon
sicher bei einer Dame nicht, nach dem Beruf zu fragen und darum könnte
hier. wenn es überhaupt zu einer Schadenersatzpflicht kommt, nur der all-
semeine Schaden, den eine nicht im Berufsleben stehende Dame bei einer
derartigen Narbe haben würde, zu ersetzen sein. Ein Beispiel zu dem
135 Kirchberg,
zweiten Teil des Paragraphen. Hat der durch das ärztliche Handeln an-
geblich Geschädigte es unterlassen, rechtzeitig, d. h. sobald er den Schaden
bemerkt hat, ärztliche Hilfe zu nehmen, oder hat er sich der weiteren ärzt-
lichen Behandlung entzogen, so tritt die durch diesen Paragraphen gewähr-
leistete mehr oder minder vollkommene Entschuldung des Arztes ın Kraft.
Grade bei Röntgenschädigungen, bei Ekzemen und ähnlichen Sachen ist
es für den weiteren Fortgang des Leidens von ganz ungeheurer Wichtigkeit.
ob hier sofort beim Auftreten der Röntgenschädigungen sachgemäß, ertl.
energisch genug eingegriffen wird oder nicht. Wenn z. B. bei Röntgen-
rhagaden oder Röntgenulzerationen an den Fingern der die Schädigung ver-
schuldende Arzt dem Patienten dringend rät, sich diese Partien, wenn
sie nach einer bestimmten Zeit nicht heilen. exzidieren und die Defekte
nach Thiersch decken zu lassen und der Patient tut es nicht, nachher
entwickelt sich ein Kankroid an diesen Stellen, so haftet der Arzt nicht
für dieses Kankroid, sondern nur für die ersten Schädigungen. Der Arzt
ist meines Erachtens nur haftbar für den Schaden, der auch bei sach-
gemäßer, sofortiger Behandlung eingetreten und zurückgeblieben wäre.
Beide Momente, die in diesem Paragraphen 254 ganz außerordentlich zur
Herabminderung der Ersatzptlicht des Arztes dienen könnten, sind nach
meiner Überzeugung in den von mir studierten Schadenfällen viel zu wenig
zur Würdigung gekommen. Ich betone nochmal, daß ich auf dem Stand-
punkt stehe, daß jede, im Verhältnis zu dem Schaden und zu dem Ver-
halten des Geschädigten zu hohe Entschädigung demoralisierend auf diesen
Patienten und alle die, welche von dieser Entschädigung Kenntnis be-
kommen, wirkt, ganz abgeschen davon, dab sie das allgemeine Verhältnis
zwischen Patient und Arzt noch mehr herabwürdigt. Darum betone ich
auch immer wieder, daß es die Pflicht des Arztes und seines Rechtsbei-
standes ist, sich auf keinen Vergleich mit dem Geschädigten einzulassen,
wenn nicht wirklich alle die erwähnten ihn belastenden Momente wirklich
vorhanden sind und er darf den Prozeß nicht scheuen, solange er Aus-
sicht hat, ihn zu gewinnen. Ein gütlicher Vergleich wirkt in den Augen
des Publikums genau so ungünstig, wenn nicht ungünstiger, wie ein ver-
lorener Prozeß. in dem doch wenigstens alle den Arzt exkulpierenden
Momente zur Sprache gekommen sind.
Kurz erwähnen möchte ich noch eine Art von Kunstfehlern, die dem
Röntgenarzt wie jedem anderen Spezialarzt passieren können: wenn er
nämlich auf Grund einer falschen, von einem anderen Arzt ge-
stellten Diagnose bei einem ihm von diesem Arzt zur Behandlung
überwiesenen Patienten nun die für die betreffende Diagnose richtige. für
den Fall aber falsche Behandlung einleitet. Wer haftet dann? Nehmen
wir an, der betreffende Arzt diagnostiziert ein Myom. es handelt sich um
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 139
beginnende Gravidität. er überweist die Patientin einem Röntgenspezialisten
zur Bestrahlung, diese erfolgt, es tritt Abort ein, in dessen Verlauf die
Patientin schwer erkrankt. An wen wird sie sich halten? In diesem Fall
sind straf- wie zivilrechtlich beide haftbar, der Röntgenarzt ist als
Arzt wie jeder Spezialarzt verpflichtet zur Nachprüfung jeder
Diagnose und zur Prüfung der Frage, ob der Fall sich für die
betreffende Behandlung eignet oder nicht. Er kann sich nicht
damit entschuldigen, daß ihm vielleicht eine erste Autorität gesagt hätte,
es wäre das und das, er ist in erster Linie Arzt und muß darum seine
Diagnose selbst noch einmal stellen, sonst macht er den von einem anderen
Arzt gemachten Fehler zu seinem eigenen und haftet wie dieser und mit
diesem gemeinsam als Gesamtschuldner. Das ist meines Erachtens eine
sehr wichtige und den meisten Ärzten durchaus nicht bekannte Tatsache.
Rücksicht auf kollegiale Empfindlichkeit des überweisenden Arztes kann
hier gar nicht in Betracht kommen gegenüber den möglichen sehr un-
angenehmen rechtlichen Konsequenzen.
Ob an sich eine falsche Diagnose haftbar macht, richtet
sich natürlich nach den oben besprochenen allgemeinen Grundsätzen der
fahrlässigen Handlungen, ich erinnere an die Worte der pflichtwidrigen
Außerachtlassung der durch die konkreten Umstände des ein-
zelnen Falles gebotenen Aufmerksamkeit, und daß es für den
Begritf der Fahrlässigkeit des Arztes genügt, „daß er nicht sah, was ein
Sursfültigerer an seiner statt gesehen hätte“.
Haftung für die Angestellten.
Neben die Haftung für seine eigenen Handlungen tritt in gleichem
Sinne die für die Handlungen seiner Assistenten und Angestellten. Da-
rüber sagt $ 831 B.G.B.: ‚Wer einen anderen zu einer Verrichtung be-
stellt. ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Aus-
führung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt.‘‘ Von dieser
Haftung wird er nur befreit, wenn er beweist, daß er bei der Auswahl
der bestellen Person die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat;
der Arzt muß also beweisen, daß er bei der Bestellung des Assis-
tenten zu diesen Verrichtungen berechtigten Grund hatte anzunehmen, dab
derselbe hinreichend vertraut mit den Gefahren und sorgfältig und vor-
sichtig in seinem Vorgehen sein würde. Assistenten und Gehilfen haften
dann nach denselben Grundsätzen, wie der behandelnde Arzt selber. Der
Röntsenarzt wird sich also zunächst durch Prüfung der Vorbildung und
eirene Beobachtung davon zu überzeugen haben, daß seine Angestellten
wirklich Bescheid wissen mit den allgemeinen Grundsätzen des Röntgen-
betriebes und auch mit den in seinem eigenen Betrieb nun z. B. an-
140 Kirchberg,
gebrachten Schutzvorrichtungen; es ist keine Entschuldigung für ihn, wenn
die Röntgengehülfin bei einem Unfall dann sagt, ja ich habe es früher in
meiner anderen Stellung immer so gemacht, da ist nie etwas passiert, mit
den Apparaten hier wußte ich nicht so Bescheid; der Arzt muß sich über-
zeugen, dal) sie versteht mit seinen Apparaten und entsprechend seinen
Anordnungen zu arbeiten. Diese Frage, ob der Röntgenarzt berechtigt
war, sich auf die angestellte Röntgenassistentin, wie es meist üblich ist, zu
verlassen inbezug auf das Einstellen und Abstellen der Röntgengeröhre,
Bedienung der Schutzapparate usw. kehrt in den meisten der Röntgen-
schadenprozesse wieder.
Ich glaube also, der Röntgenarzt wird gut tun, mit seiner Assistentin
bei dem Engagement in dem schriftlichen Anstellungsvertrag (dab so viele
Ärzte ihr Hilfspersonal noch ohne schriftlichen Vertrag, nur auf mündliche
Abmachung ohne genaue schriftliche Abgrenzung der gegenseitigen Rechte
und Pflichten annehmen, ist auch ein Zeichen der Weltunklugheit dieser
Leute) sich bescheinigen zu lassen, wo sie ausgebildet ist, ob sie schon
irgendwo, und wie lange selbständig die Apparate bedient hat, daß sie zu-
gibt, von ihm selbst in den Betrieb seiner speziellen Arbeitsart eingeführt
zu sein usw. Dann muß er sich in seinem Haftpflichtvertrag davon über-
zeugen, ob er für diese Angestellten und in welcher Höhe und in welchem
Umfang mitversichert ist. Er muß sich überzeugen, ob seine ärztlichen
Angestellten mitversichert sind und wie es mit der Zeit der Vertretung
steht. Dann ändert sich die Sache nämlich etwas. Ich glaube, daß die
Haftptlichtversicherung Schwierigkeiten machen kann, wenn in der Zeit
der selbständigen Vertretung des Chefarztes durch den Assistenten ein
Schadensfall vorkommt, dann kann die Versicherung sagen, er war nur als
Assistent versichert, in der Zeit der Vertretung, z. B. in den Ferien, ıst
er nicht Assistent, sondern selbständiger Leiter mit eigener Verantwortlich-
keit. Das geht also ebenso den Chef wie den als Vertreter fungierenden
Assissenten an; ist das nicht extra im Haftpflichtvertrag ausgemacht, so
soll sich der Röntgenarzt das extra hineinsetzen lassen. Ich halte auch
diese Frage für sehr wesentlich.
Il. Strafrechtliche Haftung für Röntgenschädigungen.
Die strafrechtliche Beurteilung ärztlicher Kunstfehler erfolgt nach den
Paragraphen über fahrlässige Körperverletzung $ 230, 232 und 222 St.G.B.
Es kann unter Umständen auch der Fall eintreten. dab hier die Paragraphen
über vorsätzliche Körperverletzung zur Anwendung kommen, wie in den
obenerwähnten Fällen der bewußt vorgenommenen Sterilisierung eines
Menschen durch Röntgenstrahlen. Dieser Fall wäre zu beurteilen nach
s 224 St.@.B.: „Hat die Körperverletzung zur Folge, daß der Verletzte
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 141
ein wichtiges Glied des Körpers usw. usw. oder die Zeugungsfähigkeit
verliert, . . . so ist auf Zuchthaus bis zu 5 Jahren oder Gefängnis nicht
unter einem Jahr zu erkennen.“ Ich kann auf die gewaltige, von Juristen
und Medizinern verfaßte Literatur hier nicht eingehen, die sich an die
Frage knüpft, warum eine ärztliche Operation oder ein ärztlicher Eingriff,
die nach dem Wortlaut des Gesetzes sich stets als strafbare Körperverletzungen
darstellen, keine solchen sein sollen. Wie wir uns auch die rechtliche
Erklärung für diesen Fall denken können, wir müssen uns dessen stets
bewußt sein, daß, falls wir einen Eingriff bei einen Patienten machen
wollen, wir stets ein Recht zu diesem Eingriff haben müssen, wollen wir
uns nicht mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt bringen. In der Regel wird
man dieses Recht nehmen aus der Einwilligung des Patienten mit den oben
gemachten Einschränkungen, resp. aus der Einwilligung der Angehörigen.
Wir müssen nochmal zurückkommen auf die Frage der Sterilisierung.
Unter allen Umständen wird sich die Sterilisierung einer Frau ohne ihren
Willen oder gar gegen ihren Willen als schwere Körperverletzung im Sinne
des $ 224 darstellen und zu den genannten außerordentlich schweren Folgen
für den Arzt führen können. Die Einwilligung oder der Wunsch des Ehe-
mannes ändert natürlich an dieser Beurteilung absolut nichts. Der Arzt
darf also, selbst bei bester Absicht, um z. B. eine Frau vor weiteren
Schwangerschaften zu bewahren oder aus einem sonstigen Grunde bei ihr
keine sterilisierende Operation vornehmen, wenn er nicht ihre ausdrückliche
Einwilligung dazu hat. Nimmt also der Röntgenarzt bei einer Frau die
Sterilisierung selbst mit Wissen und Einverständnis des Ehemanns, aber
ohne Wissen und ohne ausdrückliche Einwilligung der Frau vor, so ist das
bewußte schwere Körperverletzung; erfolgt die Sterilisierung gelegentlich
anderer Bestrahlungen des Unterleibs, z. B. wegen einer Myombestrahlung
usw. so ist das eine fahrlässige Körperverletzung und hier wird, wie oben
gesagt, der Arzt genau alle Umstände abwägen müssen, ehe er ein Ver-
fahren wählt, das derartige Folgen haben kann. Hier steht ein derartiges
Verfahren in seiner rechtlichen Beurteilung, z. B. der Exstirpation des
Uterus und ähnlichen Operationen absolut gleich.
Die fahrlässigen Körperverletzungen werden, wie gesagt, zu-
nächst bedroht durch $ 230: „Wer durch Fahrlässigkeit die Körperver-
letzung eines anderen verursacht, wird zu Geldstrafe bis zu M. 900 oder
Gefängnisstrafe bis zu 2 Jahren bestraft‘‘ mit dem Zusatz 2, der natürlich
für Ärzte zutrifft: „war der Täter zu der Aufmerksamkeit, welche er aus
den Augen setzte, vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders
verpflichtet, so kann die Strafe auf 3 Jahre Gefängnis erhöht werden.“
Dazu kommt $ 232: „die Verfolgung leichter vorsätzlicher sowie aller durch
Fahrlässigkeit verursachten Körperverletzungen tritt nur auf Antrag ein, Inso-
142 Kirchberg,
fern nicht die Körperverletzung mit Übertretung einer Amts-, Berufs- oder
Gewerbepflicht begangen wird.‘ Wir haben also hier zwei erschwerende
Momente bei der Beurteilung des ärztlichen Handelns, es wird erstens stets
als Verletzung der Berufspflicht mit schwererer Strafe bedroht und dann
ist, selbst wenn die Körperverletzung eine leichte war, kein Antrag der
Verletzten zum Einschreiten der Staatsanwaltschaft nötig, sondern die
Staatsanwaltschaft ist, wenn sie Kenntnis von der Sachlage bekommt, ex
officio zum Einschreiten verpflichtet. Der Fall des $ 222: „wer durch
Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Gefängnis
bis zu 3 Jahren bestraft‘, wird wohl, obwohl es an sich denkbar ist, bei
Röntgenschädigungen selten eintreten. Ich denke hier z. B. an ein
Röntgenulkus bei einem Diabetiker, das doch wohl mal zu einem un-
günstigen Ausgang führen kann. Es kommt also zu den obenerwähnten
Pflichten des Röntgenarztes als Allgemeinarzt betreffs der Wahl des Ver-
fahrens auch hier wieder die dazu, daß er sich über den Allgemeinzustand
des Patienten informiert, ehe er eine Behandlung vornimmt, die u. T. durch
eine andere ungefährlichere ersetzt werden könnte. Der Begriff der Fahr-
lässigkeit wird in einem Urteil des Reichsgerichts vom 19. Februar 1900
definiert als die pflichtwidrige Außerachtlassung der durch die konkreten
Umstände des einzelnen Falles gebotenen Aufmerksamkeit, bei deren An-
wendung der eingetretene, für den Täter vorhersehbare Erfolg sich hätte
vermeiden lassen. Also: Man mußte den schädigenden Erfolg, der stets
die Vorbedingung der Strafbarkeit sein muß, bei genügender Vorsicht vor-
aussehen können. Der Arzt braucht sich der Fahrlässigkeit seines Han-
delns keineswegs bewußt gewesen zu sein. Hat außer dem Arzt der Ver-
letzte selbst oder seine Umgebung fahrlässig gehandelt, so wird die Schuld
des Arztes doch nicht ausgeschlossen, falls sein Handeln als mitbestimmende
Ursache für den Erfolg in Frage kommt. Bei der angeblichen Gesundheits-
schädigung durch das ärztliche Handeln muß nun zunächst bewiesen werden,
daß dieses Handeln eine Gesundheitsbeschädigung herbeigeführt hat; die
falsche Diagnose oder die falsche Behandlung allein genügt nicht zur straf-
rechtlichen Verurteilung. Zivil- und Strafrecht stehen sich hier nicht gleich.
Behandelt man einen Patienten auf Grund einer falschen Diagnose oder
mit fehlerhafter Behandlung unrichtig, ohne daß man ihm dabei schadet.
so kann doch dabei eine zivilrechtliche Ersatzpflicht unter Umständen kon-
struiert werden (Versäumnis der Zeit zur rechtzeitigen Heilung. Zeitver-
säumnis überhaupt, entgangener Gewinn aus Tätigkeit und Beruf usw.).
Strafrechtliche Folgen kann das ärztliche Handeln nur dann haben, wenn
wirklich dadurch eine Beschädigung des Patienten eingetreten ist. Auch
die Verschlimmerung einer Krankheit durch mangelhafte Behandlung
charakterisiert sich als fahrlässige Körperverletzung, denn weder $ 230
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 143
noch 223 setzen einen normalen Gesundheitszustand voraus, natürlich dann
nicht, wenn diese Verschlimmerung in irgendeiner Weise zunächst ein
beabsichtigter Erfolg ist. Wenn der Röntgentherapeut z. B. zur wirksamen
Beeinflussung tiefer sitzender Tumoren eine Röntgendosierung anwendet,
die dabei gleichzeitig eine Röntgendermatitis hervorruft und dabei wird
vielleicht eine gleichzeitig bestehende, von einem anderen Krebsknoten aus-
gehende Ulzeration ungünstig beeinflußt, so ist das keine fahrlässige Körper-
verletzung, wenn der Arzt bewußt nach einem bestimmten Plan dabei vor-
gegangen ist. Er kann sich sagen, die oberflächlichen Exulzerationen und
die Dermatitis sind hier das leichtere Übel, die Gefahr liegt in den tiefen
Knoten, kann ich die wirksam beeinflussen, so rette ich vielleicht das
Leben des Patienten oder verbessere sein Befinden jedenfalls für längere
Zeit, die oberflächlichen Veränderungen bekomme ich dann schon noch
weg. Hier wird für die Beurteilung derartiger, nebeneinander herlaufender
verschiedener pathologischer Prozesse stets nur der Röntgenspezialist ein
wirklich brauchbares Gutachten abgeben können, der Patient, namentlich
wenn er nicht über die Natur seines Leidens aufgeklärt ist, wird nur zu
leicht geneigt sein, eine etwaige Verschlimmerung seines Leidens, das
allein ın der Natur des Leidens begründet ist, dann auf die Behandlung
zurückzuführen, weil er hier im unmittelbaren Anschluß an die Behandlung
eine äußere Veränderung seines Körpers wahrgenommen hat. Hier wird
der Hausarzt, resp. der belandelnde Arzt, außerordentlich vorsichtig in
seinen Äußerungen sein müssen, um nicht diesen Glauben in dem Patienten
zu bestärken oder gar hervorzurufen. Gerade jetzt, wo wir die Aussicht
haben, durch die Strahlentherapie doch in manchen Fällen ein nicht mehr
operabeles Karzinom günstig zu beeinflussen, unter Umständen in ein
operabeles zurückzuführen, werden natürlich auch die Fälle sich mehren,
wo das Verfahren zunächst mal nicht von Erfolg begleitet ist. Da muß
der Röntgenarzt, der diesen mühsamen und beschwerlichen Weg geht, ge-
schützt sein vor zivil- und strafrechtlichen Unannehmlichkeiten; dabei muß
ihm der behandelnde Arzt helfen. Ich erwähne das gerade hier so aus-
führlich, weil ich hier wie in meinen früheren Aktenstudien immer wieder
gesehen sabe, daß unvorsichtige Äußerungen von Kollegen der erste An-
lab zu einem zivil- resp. strafrechtlichen Vorgehen gegen den Arzt wurden.
Jeder Prozeß gegen einen Arzt schädigt das Ansehen des gesamten Ärzte-
standes und so lange nicht ein Arzt wirklich davon überzeugt ist, daß
seitens eines anderen Kollegen wirklich eine vertretbare Fahrlässigkeit vor-
liegt. kann er den Patienten gegenüber nicht vorsichtig genug sein. Im
Gegensatz zu den eben erwähnten zivilrechtlichen Folgen der ärztlichen
Tätigkeit, ist nun zur strafrechtlichen Verfolgung notwendig wirklich eine
Schädigung des Patienten, sonst kann man in der Hinsicht das unsinnigste
144 Kirchberg,
Verfahren mit einem Kranken anstellen, wenn man ihm nicht schadet. ıst
man strafrechtlich nicht bedroht.
II. Schutz des Röntgenarztes vor zivil- und strafrechtlicher
Verfolgung.
Der beste Schutz gegen ungerechte Angriffe und Schadensersatzan-
sprüche ist zunächst mal neben sorgfältiger Arbeit die peinlich genaue
Führung der ärztlichen Tagebücher: Eintragung zunächst des Allgemein-
befundes, um stets nachweisen zu können, daß man auch den Allgemein-
zustand genügend berücksichtigt hat und warum gerade dieses Verfahren
gewählt wurde. Dann muß sich aus den Büchern der Nachweis führen
lassen, wie oft die Bestrahlungen vorgenommen worden sind, wie lange sie
jedesmal gedauert haben, der Zustand der Röhren, die Dosierung mul
notiert werden; die Notwendigkeit dieser manchen etwas unbequemen
“Forderungen ergibt sich doch mit Sicherheit aus den Akten.
Vor pekuniären Schädigungen durch zivilrechtliche Klage kann man
sich allein schützen durch eine wirklich umfassende Haftpflichtversicherung.
Man muß den Vertrag aber auch wirklich durchstudieren, verlangt man
nachher von der Versicherung einen Ersatz, der oft viele Tausende be-
trägt, so kann man sich schon der kleinen Mühe unterziehen, erst mal
seinen Vertrag gründlich durchzuarbeiten, ehe man dann hinterher, wie
ich das auch aus den Akten ersehen habe, der Versicherung den Vorwurf
der Unkulanz macht, weil sie für etwas keine Deckung übernehmen will,
was sie nicht versichert hat. Natürlich muß der Röntgenarzt sein Personal
init versichern, seine Assistenten wie seine Röntgengehilfinnen. Vielleicht
wird es sich empfehlen, da doch natürlich kolossal viel von dem Zustand
des Materials abhängt, die Fabriken der Röntgeneinrichtungen namentlich
der Röhren eine gewisse Garantie übernehmen zu lassen für das gleich-
mäßige Arbeiten. Wieweit das bis jetzt schon geschieht, entzieht sich
meiner Kenntnis. Daß der Röntgenarzt die derzeit üblichen Schutzvor-
richtungen stets kennen muß wie den Stand der Wissenschaft, ob vielleicht
ein bestimmtes Verfahren wegen bekannt gewordener Schädigungen oder
Unwirksamkeit nicht empfehlenswert ist, habe ich oben schon erwähnt.
Der Beitritt zu einer Haftpflichtversicherung ist nicht nur wegen der
Übernahme einer etwa zu zahlenden Schädigung von so ungeheuer großer
Wichtigkeit, denn es handelt sich wirklich oft um Summen, die den Arzt
sonst einfach ruinieren würden, sondern sie bietet auch den Vorteil, daß
die Haftpflichtversicherung die Prozeßhandlung völlig in die Hand nimmt
und den Arzt dadurch, dab er die Sache in geeigneter Hand weiß, da ja
diese Gesellschaften stets eingearbeitete Vertreter und Rechtsanwälte haben.
vor den mit der Führung eines solchen Prozesses verbundenen Aufregungen
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 145
bewahrt. Er muß sich natürlich einen gewissen Einfluß auf den Gang
des Verfahrens wahren, betreffs der Wahl der Sachverständigen und Gut-
achter sehr vorsichtig sein und dann soll er meines Erachtens, wie schon
mehrfach gesagt, keinesfalls auf einen Vergleich hindrängen, so lange die
Aussicht besteht, daß er Recht behält. So kulant wenigstens die Stutt-
garter Versicherungsgesellschaft (von den anderen kenne ich den Gang
des Verfahrens nicht, kann also nichts über ihr Verhalten sagen), in dem
Abschließen von Vergleichen ist, ich halte dafür, daß man unter allen
Umständen, wenn man nicht überzeugt ist, daß man fahrlässig gehan-
delt hat und daß diese Fahrlässigkeit die in Klage stehenden Folgen
auch wirklich verschuldet hat, keinen Vergleich abschließen soll. In
der Forderung, die die meisten Versicherungsgesellschaften nun weiter
stellen, daß der Arzt sofort, wenn derartige Schadensansprüche an ihn
herantreten, der Gesellschaft Mitteilung machen und ihr die Verhandlung
überlassen muß, liegt meines Erachtens ein weiterer Vorteil insofern, dal)
der Arzt gar nicht erst in die für ihn so sehr nahe liegende Versuchung
kommt, durch eine sofortige Geldzahlung die Sache aus der Welt schaffen
zu wollen. Selten wird er damit Rule bekommen, das Publikum wird
dies als Schwäche seiner Position auffassen und sicher weiter ausnützen.
Auch bei einem ihm angedrohten Strafverfahren handelt der Arzt
sicher richtig, sich nie auf persönliche Verhandlungen mit dem angeblich
Geschädigten einzulassen; erst muß er da immer abwarten, ob die Sache
nicht auf eine mehr oder minder verblümte Erpressung herauskommt oder
ob es sich um Honorarschindung handelt. Das erste, was er tut ist
vielmehr, wenn er glaubt im Recht zu sein, daß er jetzt rücksichtslos sein
Honorar einklagt; sonst übergibt er die Sache sofort seinem Rechtsanwalt
resp. wenn er in der Haftpflichtversicherung ist, sofort der Versicherung,
wenn diese auch nur für strafrechtliche Sachen meist nur für die zu
zahlende Buße (nicht für die Strafe und die Kosten des Strafverfahrens)
aufkommt, so kommt ja sehr häufig doch nach dem strafrechtlichen Ver-
fahren noch ein zivilrechtliches Verfahren; der gewiegte und gewitzigte
Großstädter macht das ja sehr häufig so, daß er erst ein Strafverfahren
einleiten läßt, weil ihn das nicht viel kostet und er sich vom Fiskus die
nötigen Feststellungen machen lassen kann, diese Feststellungen benutzt
er dann zu einer zivilrechtlichen Klage. Wir werden weiter die Forderung
an die Ärzte stellen müssen, daß sie keinesfalls röntgentherapeutisclhıe
Maßnahmen in irgendeinem nicht von Ärzten geleiteten Röntgeninstitut
vornehmen lassen. Auch die Röntgendiagnostik kommt m. E. allein dem
Arzt zu.
Die Röntgendiagnostik und Therapie ist ein durchaus be-
rechtigtes ärztliches Spezialfach geworden und es bedeutet m. E.
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 10
146 Kirchberg,
eine Verkennung der Aufgaben der ärztlichen Wissenschaft, wenn man
darauf ausgehen will, die Zahl der ärztlichen Spezialfächer zu vermindern.
Ich stimme durchaus Levy-Dorn!) bei, daß die Zahl der in der Medizin
vertretenen Sonderfächer im Interesse des Fortschritts nicht groß genug
sein kann (,je kleiner das Gebiet ist, auf welches sich jemand beschränkt,
desto eher kann er sich darin vertiefen‘), ich muß ihm aber auch durch-
aus beistimmen, wenn er sagt, daß jeder Spezialist zugleich ein tüchtiger
praktischer Arzt bleiben muß. Wenn ein Röntgenspezialist, wie oben
mehrfach erwähnt, aus Mangel an allgemeiner medizinischer Bildung.
diagnostische oder therapeutische Kunstfehler macht, so hat er sie voll zu
verantworten. Die Entschuldigung mit einer Idiosynkrasie oder besser
gesagt, Überempfindlichkeit gegen Röntgenstrahlen kann heutzutage nur
noch sehr selten gemacht werden, obwohl sie nicht ganz von der Hand
gewiesen werden kann. Die Wahrscheinlichkeit wird in dem einzelnen
Fall der Arzt nachweisen müssen, das kann aber nur der Arzt, der selbst
die Röntgenbehandlung geleitet hat, nicht irgendein Techniker. Ich er-
innere hier an die erste der Thesen des 6. Röntgenkongresses von 1910:
Nur unter der Verantwortlichkeit des Arztes dürfen die Röntgenstrahlen
zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken Anwendung finden.
IV. Fälle von Röntgenschädigungen.
Bereits 1903 hatte Albers-Schönberg in einer Anzahl Thesen die
verschiedenen Möglichkeiten von Röntgenschädigungen, die Patienten ge-
legentlich der Bestrahlung erleiden können, genau klassifiziert. Es
scheint, als ob diese treffliche Übersicht noch lange nicht Gemeingut der
Röntgenärzte geworden ist, sonst würden doch wohl nicht soviel Verstöße
gegen die dabei angegebenen Schutzmaßregeln vorkommen. Er teilt die
Schädigungen ein in solche
a) durch die Strahlen selbst:
1. bei zu langer Belichtungszeit, gibt dann die jetzt üblichen und
genügenden Zeiten an (a. a. O. 8. 345);
2. wenn der Abstand der Röhre ein zu geringer ist (mit Ausnahme
der Zalınuntersuchungen fordert er eine Entfernung des Patienten
von der Röhre von 30 cm);
3. wenn bei richtigem Röhrenabstand und richtiger Expositionszeit
die Untersuchungen zu häufig hintereinander vorgenommen werden
(näheres siehe bei Albers-Schönbers).
b) durch Zersplitterung von Röntgenröhren:
1) M. Levy-Dorn, Über die Verantwortung des Röntgenarztes und über das
Spezialistentum in der Medizin in Soziale Hygiene und praktische Medizin 1913,
Nr. 10.
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 147
Albers-Schönberg ist der Ansicht, daß für die sogenannten Im-
plosionen der Fabrikant nicht verantwortlich gemacht werden kann. Ich
glaube, es muß Sache der Technik sein, dahin zu kommen, daß die Fabri-
kanten dafür einen gewissen Schutz übernehmen, sachgemäße Behandlung
und Anwendung vorausgesetzt. So wie die Sache jetzt steht, muß der
Arzt jedenfalls einen gewissen Schutz gegen derart mögliche und an-
scheinend bis jetzt nicht ganz auszuschließende Ereignisse übernehmen,
z. B. den Schutz der Augen gegen herumfliegende Glassplitter bei Kopf-
untersuchungen.
c) Durch Übergang starker elektrischer Entladungen in den Körper
des Patienten. Dagegen kann und ist der Patient sicher zu schützen.
Schädigungen, die dadurch vorkommen, werden wohl stets vom Arzt zu
verantworten sein, da es sich hier wohl immer um vermeidbare Vorfälle
handelt. Es ist natürlich, daß bei Untersuchungen und Beleuchtungen von
Kindern oder sonst nicht voll verantwortungsfähigen Menschen alle denkbaren
Vorsichtsmaßregeln angewendet werden müssen. Daß der Arzt bei den-
jenigen Körperstellen die besonders empfindlich sind, doppelte Vorsicht
anwenden muß und wissen muß, welche Stellen einen derartig sorgsamen
Schutz bedürfen, ist selbstverständlich. Bei Beckenaufnahmen sind, wenn
möglich, die Hoden zu schützen, bei Untersuchungen des Kopfes und
Halses ist der Schutz der Kopf- und Barthaare nötig, denn schon ein-
malige Bestrahlung kann unter Umständen zu Haar- und Bartausfall führen.
Fall 1. Nach l6maliger Bestrahlung wegen einer Drüsenschwellung am Hals
rechtsseitiger Ausfall der Haare. Die Patientin fordert 1000 M. Entschädigung, da
sie sich hätte eine Perücke machen lassen müssen und nun ihre Haare nur mit Hilfe
einer Friseurin ordnen könne. Den Arzt träfe insofern ein Verschulden, als er den
Kopf nicht genügend abgedeckt hätte. Obwohl noch ein Wiederwachsen der Haare
durchaus wahrscheinlich war, wurden nach langwierigen Verhandlungen 800 Mk.
Entschädigung bezahlt.
Obwohl Beschädigungen bei Durchleuchtungen seltener als
bei Aufnahmen und therapeutischer Bestrahlung vorkommen, so ist doch
an ihre Möglichkeit zu denken. So kann leicht einmal gelegentlich der
Demonstration eines Patienten in einem Lehrkursus die Durchleuchtung
zu lange ausgedehnt oder zu oft wiederholt werden. Albers-Schönberg
fordert einen Abstand des Patienten von der Röhrenwand von 20 cm und
die Beschränkung der Belichtung ein und derselben Körperpartie auf
höchstens 2—3 Minuten.
Bei der Besprechung der einzelnen Fälle möchte ich nunmehr vor
allem auf die in den klägerischen Schriftsätzen hervorgehobenen Schuld-
punkte und ihre Berechtigung eingehen, die Erwähnung auch der grundlos
gegen den Arzt erhobenen Vorwürfe ist in mancher Hinsicht ganz lehrreich.
10*
148 Kirchberg,
Fall 2. Im Falle eines bald 70jährigen Menschen war wegen sehr lästigen und
von anderer Seite erfolglos behandelten Hautjuckens eine mehrfache Bestrahlung
vorgenommen worden, es stellten sich eine Anzahl sehr schwer heilender Röntgen-
ulzera ein. Ein Versehen des Arztes lag insofern hier vor, als er den Urin nicht unter-
sucht hatte, sondern sich mit der Angabe begnügt hatte, daß eine mehrere Monate
vorher vorgenommene Untersuchung des Urins keinen pathologischen Befund ergeben
habe. Die später nach Eintritt des Schadens vorgenommenen Untersuchungen er-
gaben 3%, Zucker. Erschwerend kam hinzu, daß der Arzt angeblich bei einer Bestrah-
lung die Röntgenschwester gerügt hatte wegen zu starker Bestrahlung. Da die Ver-
letzung ein vielwöchentliches Krankenlager bedingte, wurde ein Vergleich auf eine
Summe von 1500 Mk. als zweckdienlich angesehen und abgeschlossen.
Fall 3. Daß der Diabetes nicht nur insofern eine erhöhte Gefahr für den
Röntgenarzt bildet, als entstandene Verbrennungen, Ulzera usw. eine noch schlechtere
Heilungstendenz zeigen als sonst, sondern daß der Diabetes direkt eine Art Idiosyn-
krasie gegen Röntgenbestrahlungen schafft, wie übrigens auch H. E. Schmidt in
seinem Kompendium der Röntgentherapie erwähnt, geht auch aus einem Fall hervor,
indem sich nach 9maliger Bestrahlung wegen Psoriasis im Anschluß an eine Dermatitis
Röntgenulzera an den Beinen entwickelten, die zu ihrer Heilung über 7 Monate bean-
spruchten. Nach den genauen Angaben des betreffenden Arztes war die Dosierung
so wie er sie seit vielen Jahren bei zahlreichen anderen Fällen angewandt hat. Ent-
schädigung im Vergleichswege.
Fall 4. Ebenfalls bei einem Diabetiker, der wegen eines Hautleidens 7 mal
bestrahlt wurde, hatte sich im Anschluß an eine Verbrennung ein allmählich hand-
tellergroß gewordenes Ulkus am Oberschenkel entwickelt, dessen vollständige Heilung
erst durch eine nach mehreren Monaten vorgenommene Exzision und Transplantation
erzielt werden konnte, so daß der gesamte Heilungsprozeß fast 2 Jahre in Anspruch
nahm. Sehr schwer war hier die Feststellung, ob die behaupteten Schmerzen in einem
direkten Zusammenhang mit der Verletzung standen. Im Vergleichsverfahren wurden
hier 1800 M. bezahlt.
Eine Schuldfrage lag m. E. in diesen beiden letzten Fällen insofern nicht vor,
als die Idiosynkrasie bei Diabetes damals anscheinend noch nicht genügend wissen-
schaftlich bekannt war. Da auch in beiden Fällen bereits mehrfache andere Heil-
verfahren gegen das Grundleiden (Lichen simplex resp. Psoriasis) vergeblich versucht
worden waren, kann auch in der Anwendung der Strahlentherapie an sich ein vertret-
bares Verschulden eigentlich nicht gesehen werden.
Daß außer dem Diabetes anscheinend auch noch andere Umstände eine erhöhte
Gefahr bieten, scheint mir aus einigen weiteren Fällen hervorzugehen, vor allem
höheres Alter, dann weiter langdauernde Ekzeme usw., also Umstände, die eine schlech-
tere Ernährung der Haut zur Folge haben. Es wäre von Interesse, weiter nachzu-
forschen, wie weit arteriosklerotische Veränderungen zu einer erhöhten Idiosynkrasie
gegen Röntgenbestrahlungen beitragen.
Fall 5. Nach einer 4maligen, 4—6 Minuten dauernden Bestrahlung wegen
chronischen Ekzemsam Arm trat cine teilweise Verbrennung des Ober- und Unter-
arms ein, die schließlich mit einer entstellenden Narbenbildung heilte. Die Forderung
auf eine außerordentlich hohe Entschädigung wurde damit begründet, daß die Dame
wegen der Narbenbildung und der unästhetischen Bewegung des Armes große Ge-
sellschaften und Feste, die eine ausgeschnittene Robe bedingten, nicht mitmachen
könne, ferner wurde Ersatz für Erholungsreisen nach der Schweiz und nach der Nord-
see gefordert und schließlich auch im Vergleichswege 6000 M. bezahlt.
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 149
Betreffs der Höhe dieser Summe verweise ich auf meine oben gemachten Bemer-
kungen. Ein Ersatz für Sommerreisen konnte z. B. dann nicht gefordert und ge-
richtlich erzielt werden, wenn nachgewiesen werden konnte, daß die Dame auch in
anderen Jahren ähnliche Reisen gemacht hatte. Ob für das Mitmachen von Gesell-
schaften in ausgeschnittener Robe Narbenzüge am Arm oder ein chronisches Ekzem
mehr hindern, ist doch auch noch die Frage. War die Heilung des Ekzems auf andere
Weise schon mehrfach erfolglos probiert worden, so war eine derartige Forderung
sicher gerichtlich nicht durchführbar.
Fall 6. Bei einem über 60jährigen zeitlebens mit schwerer körperlicher Arbeit,
beschäftigt gewesenen Mann (in einem derartigen Alter und harter körperlicher Arbeit
sind die Ernährungsverhältnisse der Haut an den Händen sicherlich geschädigt) mit
chronischem Ekzem stellte sich nach einer, allerdings etwas lange ausgedehnten Be-
strahlung nach einer Reihe von Tagen eine Entzündung ein, die in ein monatelang
offenbleibendes Geschwür überging. Hier war die Entschädigung im Vergleichswege
durchaus angebracht.
Fall6a. Röntgendermatitis und Narbenbildung an der Hand nach
wegen eines Ekzems der Hand vorgenommener Röntgenbehandlung.
Die klägerische Begründung des sehr hohen Schadenersatzanspruchs (anfangs
10000 M.) war zum großen Teil hinfällig, so daß die erste Bestrahlung, vor deren Vor-
nahme der Beklagte sich ein Urteil hätte über die Empfindlichkeit nicht bilden können,
nicht 15 Minuten hätte dauern dürfen, dann die immer wiederkehrende Klagebegrün-
dung damit, daß der Beklagte sich nicht hätte aus dem Zimmer entfernen dürfen,
mit der ganz haltlosen Folgerung, „denn es bestand die Möglichkeit, daß die Klägerin
unbewußt und ohne Kenntnis der Tragweite ihrer Handlung irgendeine Verschiebung
der Hand vornahm, die eine zu intensive Bestrahlung zur Folge hatte.“ Es wird gar
nicht behauptet, daß diese Möglichkeit eingetreten ist, sondern es wird nur auf etwas
hingewiesen, was hätte eintreten können. Das gehört m. E. in den Rahmen eines
Zivilprozesses absolut nicht hinein und hätte von Anfang an sollen von der be-
klagten Partei auf das schärfste zurückgewiesen werden müssen. Es kommt, wie
ich immer wieder betone, nur darauf an nachzuweisen, daß ein Schaden entstanden
und daß dieser Schaden durch das schuldhafte Verhalten des Beklagten entstanden
ist. Alle anderen Behauptungen und Vorbringungen, die doch nur den Zweck ver-
folgen können, das Verhalten des Arztes überhaupt zu diskreditieren, gehören nicht
hierher. Ein Arzt, der als Gutachter auf diese Punkte, die nicht zum direkten Prozeß-
gegenstand gehören, eingeht, verkennt seine Aufgabe als Gutachter vollständig und
handelt unkollegial. Nach langen Verhandlungen ergab sich hier ein Vergleich auf
1500 M. Ob die Klägerin mit ihrer Forderung im Prozeßwege durchgedrungen wäre,
zumal die Forderung erst 2 Jahre später erhoben wurde, erscheint mir sehr fraglich.
Fall 7. Gelegentlich einer Bestrahlung des Gesichts wegen lästigen Bart-
wuchses war es zu einer Dermatitis und zur leichten Narbenbildung im
Gesicht gekommen. Auch hier forderte die klagende Partei ganz ähnlich wie in
dem oben bereits besprochenen Falle eine Entschädigung mit der Begründung: „da
Fräulein X. kein erhebliches Vermögen besitzt, zur Eheschließung also nur durch
ihre Persönlichkeit und die Wirkung ihres Äußeren gelangen kann, so ist die Aussicht
auf Eheschließung für meine Mandantin so gut wie ausgeschlossen, und darin liegt eine
Schädigung meiner Auftraggeberin, deren Höhe sich nach einem Kapital beziffert,
welches für eine lebenslängliche Rente die Grundlage gäbe.‘‘ Ich wiederhole, was ich
oben gesagt habe, es wäre eine Ungeheuerlichkeit, wenn ein Gericht sich auf den Stand-
punkt stellte, daß eine derartige leichte Veränderung des Äußeren nun die Grundlage
150 Kirchberg,
für eine lebenslängliche Rente wegen entgangener Heiratsmöglichkeit sein könnte.
Ja ist denn bei uns im Zeitalter der Frauenemanzipation, der soweit gesteigerten
Erwerbsmöglichkeit der gebildeten Frau die Ehe wirklich nur eine Versorgungsanstalt ?
Wird denn ein Mädchen nur wegen ihres glatten Gesichtes geheiratet? Heiratet sie
denn nur, um eine Versorgung zu haben? Was sind das für unglaubliche Vorstellun-
gen. Ich hoffe, daß zu dieser Frage noch recht häufig Ärzte recht energisch Stellung
nehmen werden.
Auch dieser Prozeß endete leider mit einem Vergleich, es wäre sehr interessant
gewesen, über diese Fragen einmal die Entscheidung der obersten Gerichte einzu-
holen.
Fall8. Röntgendermatitis ersten Grades an den Fingern nach 3maliger
Bestrahlung wegen Ekzems. Erstes Auftreten 6 Tage nach der letzten Bestrahlung:
obwohl an sich nur die Hälfte der Erythemdosis erreicht wurde, war doch ein Ver-
sehen durch die behandelnde Schwester insofern vorgekommen, als die bereits von
einer Seite bestrahlten Fingerstellen nachher bei Bestrahlung von der anderen Seite
nicht genügend abgedeckt worden waren. Der betreffende Patient behauptete dann,
außer einer andauernden Rötung ein ständiges Zittern der Hände und eine gewisse
Steifheit zurückbehalten zu haben. Wie weit diese sich wiederholt in den Akten
findenden nervösen Störungen in das Gebiet der traumatischen Neurosen hinein-
gehören oder auf einer wirklichen Neuritis oder auf trophoneuritischen Störungen
beruhen, scheint noch eingehender Erforschung zu bedürfen, ich habe jedenfalls nichts
genaucs darüber erfahren können.
Gütliche Einigung auf 500 M. Entschädigung.
Fall 9. Bestrahlung der beiden Beine wegen gichtischer Ekzeme mit starkem
Juckreiz, 3 Bestrahlungen nacheinander, danach 8tägige Pause. Da keine Reaktion
zu sehen war, an den beiden folgenden Tagen 2 schwache Bestrahlungen, darauf ca.
14 Tage später Auftreten eines intensiven Erythems, aus dem sich schließlich
ein Röntgenulkus entwickelte. Auch hier wurde seitens des behandelnden Arztes
dann darauf hingewiesen, daß die gichtisch-arteriosklerotische Verfassung des über
60jährigen Menschen eine krankhafte Disposition für die Dermatitis usw. gebildet
hätte. Ich finde hier in diesen Akten eine gutachtliche Äußerung eines Juristen zu
diesem Fall, die sich mit meinem seit Jahren vertretenen Standpunkt, der auch oben
mehrfach präzisiert worden ist, genau deckt: „ich stehe überhaupt auf dem Stand-
punkt in den Röntgenhaftpflichtfällen, die in neuester Zeit ganz kraß zunehmen,
der Haftpflichtfrage genau auf den Grund zu gehen. Ich sehe nicht ein, warum
bei Röntgenverbrennungen immer Haftpflicht gegeben sein soll. Ich halte diesen
Standpunkt für absolut falsch. Wie bei jeder ärztlichen Tätigkeit, so muß auch bei
Röntgenverbrennungen Voraussetzung der Annahme einer Haftpflicht immer ein
Verschulden oder eine Fahrlässigkeit sein. So gut Ärzte und Gerichte in dem Ab-
brechen einer Operationsnadel oder in dem Zurücklassen von Gazestreifen oder Tupfer
unter gewissen Voraussetzungen keinen ärztlichen Kunstfehler erblicken, so wenig
werden sie in einer Röntgenverbrennung einen solchen sehen, wenn diese z. B. auf
einen unglücklichen Zufall oder eine besondere Idiosynkrasie des Patienten zurück-
zuführen ist.“ Aus dem Gutachten des Röntgensachverständigen interessiert hier
der Passus: ‚bei dem über 60 Jahre alten Patienten würde demnach die Normaldosis
vor allem im Hinblick auf seine gichtisch-arteriosklerotische Verfassung und auf die
ekzematös gereizte Hautpartie unter 5 H. liegen, zumal als eine allgemeine Dosierungs-
maßregel gilt: man appliziere überall etwas weniger als diejenige Menge, welche zur
leichten entzündlichen Hautreaktion führt, also suberrthematöse Dosen.‘ Darin
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 151
hätte man aber kein vertretbares Versehen erblicken können. Das Gutachten fährt
dann fort: „nachdem also der Patient im Verlauf von 5 Tagen eine angemessene Nor-
maldosis von 4!/, Holzknechteinheiten erhalten hatte, hätte nunmehr nicht, wie in die-
sem Falle geschehen ist, eine 8tägige Pause, sondern nach unseren Erfahrungen und
Regeln eine Pause von etwa 3 Wochen eintreten müssen, um den therapeutischen
Effekt abzuwarten und erst dann von neuem zu bestrahlen.‘‘ Rechtlich käme nun
in Betracht, ob „diese Erfahrungen und Regeln“ zur Zeit der Bestrahlung bereits
allgemein in Röntgenkreisen bekannt und anerkannt waren, so daß der Betreffende
sie hätte kennen müssen. Brauchte er noch nicht zu wissen, daß diese Pause von
8 Tagen zu kurz war, so trifft ihn auch kein vertretbares Verschulden. Ich halte die
Stellung dieser und ähnlicher Fragen stets für ungemein wichtig.
Der Fall bot juristisch dann noch ein weiteres Interesse insofern, als nach Heilung
des Ulkus und Annahme der Entschädigungssumme die Wundstelle wieder aufbrach
und nun neue Entschädigungsansprüche gestellt wurden, die natürlich abgelehnt
werden konnten, da der Geschädigte sich durch Unterschrift aller weiteren Ansprüche
begeben hatte. Obwobl das kaiserliche Aufsichtsamt für Privatversicherung sich auf
denselben Standpunkt stellte, ging die Haftpflichtversicherung aus Liberalität noch
auf eine weitere Entschädigung ein. So angenehm ein derartiges Vorgehen unter
Umständen für den betreffenden Arzt sein mag, von den obenerwähnten allgemeinen
Gesichtspunkten aus kann man ein derartiges Vorgehen nicht unbedingt gutheißen,
und die Haftpflichtversicherungen tun wohl gut daran, auf ihrem sonst festgehaltenen
Standpunkt zu bleiben, nach gezahlter und anerkannter Entschädigung nicht auf wei-
tere Ansprüche einzugehen. Für den Arzt geht daraus die Lehre hervor, einmal sich
auf keine Vergleichsverhandlungen ohne Rechtsbeistand einzulassen und bei der-
artigen Schadenersatzansprüchen, selbst wenn er zunächst nicht in einer Haft-
pflichtvereicherung ist, den sachverständigen Rat einer derartigen Gesellschaft eine
zuholen.
Fall 10. Wegen eines Ekzems beider Hände waren im Verlaufe vieler Monate
ca. 16 Bestrahlungen vorgenommen worden, bei denen, da der Patient stets erst nach
Ablauf der Sprechstunden erscheinen konnte, der Arzt den Patienten nach Instru-
ierung stets allein gelassen hatte, wobei die Ausschaltung der Röntgenröhre durch
ein automatisches Uhrwerk geregelt wurde. Bei der letzten Sitzung hatte anschei-
nend das Uhrwerk nicht funktioniert und der Patient seine Hände bedeutend länger
den Strahlen ausgesetzt, so daß eine Röntgenverbrennung entstand. Auf die
Behauptung des beklagten Arztes, daß der Patient während der Bestrahlung gleich-
zeitig eine Uhr hätte sehen können, und er über die Gefährlichkeit einer zu langen
Bestrahlung genügend instruiert worden wäre, legte das Gericht kein Gewicht, viel-
mehr sahen beide Instanzen eine Fahrlässigkeit des Arztes darin, daß er den Patienten
bei der Behandlung sich selbst überlassen hätte. Diese Feststellung werden wir für
künftige Fälle zur Richtschnur nehmen müssen. Die Kosten des Rechtsstreites be-
trugen hier weit über 1000 M., mehr wie das Doppelte der gezahlten Entschädigungs-
summe; auch eine Warnung für jeden, der bis jetzt nicht in einer Haftpflichtversiche-
rung ist.
Fall 11. Wegen Röntgenverbrennung am Fuß Schadenersatzforderung
zunächst im Betrage von 13000 M.; es wurden nachher 7500 M. im Vergleichswege
gezahlt. Über die Art der Verbrennung, Verschulden des Arztes usw., war aus den
Akten nichts zu erschen, der Fall war ein gutes Beispiel dafür, wofür alles Schaden-
ersatzforderungen gestellt wurden: außer ärztlicher Behandlung, entgangener Gewinn
im Geschäft für die ganze Zeit, Annahme anderweitigen Personals, angeblich note
152 Kirchberg,
wendig gewordene Reise nach dem Süden mit der Frau, Möglichkeit einer später ein-
tretenden weiteren Schädigung usw.
Fall 12. Bei einer Frau der arbeitenden Klasse, deren Gesicht seit Jahren
mit Lupusknötchen bedeckt ist und seit Jahren in verschiedenster Weise vergeblich
behandelt worden war, war vor 2 Jahren Röntgenbehandlung mit teilweise recht
gutem Erfolge vorgenommen worden, jetzt Rezidiv. Der Arzt macht sie auf mögliche
Röntgenschädigung aufmerksam und darauf, daß ein schon einmal durch Röntgen-
strahlen beeinflußtes Gewebe sich schlechter zur Behandlung eigne. Sie wünscht
trotzdem die Behandlung. Vierzehntägige Behandlung mit allen möglichen Vor-
sichtsmaßregeln für die nichtbestrahlten Teile (4 6—8 Minuten). Behandlung wird
bei Eintritt der Reaktion abgebrochen, dann Salbenbehandlung. Trotzdem längere
Zeit Verbrennungserscheinungen. Als Rechnungsbezahlung verlangt wird,
wird wegen der entstandenen Schädigung und der dadurch nötig gewordenen Be-
handlung Schadenersatzanspruch in Höhe von 2000 M. verlangt. Für die rechtliche
Beurteilung kam hier in Betracht, daß die Patientin auf die Folgen aufmerksam ge-
macht worden war, für die Höhe einer etwaigen Entschädigung die Stellung (Näherin),
ferner daß das Gesicht bereits vorher durch die Krankheit erheblich entstellt war,
die Nasenspitze war schon vor Jahren operativ entfernt worden. Trotz der doch min-
destens zweifelhaften Lage Vergleich auf 1150 M.
Fall 13. Bei einer Bestrahlung der Brust wegen eines Krebsrezidive,
wobei die Patientin auf einem Stuhl saß, derart, daß die Röntgenröhre etwa 30 cm
von der Kranken entfernt war, ihre Augen mit einer Schutzbrille aus Blei verbunden
waren, kam die Patientin, während der behandelnde Arzt für die Zeit von einer halben
Minute den Röntgenraum verlassen hatte, um eine kleine Störung an dem in einem
anderen Raum befindlichen Unterbrecher zu beseitigen, durch Unvorsichtigkeit der
Röntgenröhre zu nahe und zog sich eine leichte Hautverbrennung an der Brust zu.
Sie war darauf hingewiesen worden, absolut ruhig zu sitzen. Da gleichzeitig sofort
kleine Verbrennungsstellen an Nase und Kinn auftraten, wurde diese Art der Ver-
brennung sichergestellt. Als nun nach Verlauf längerer Zeit die beabsichtigte
Röntgenreaktion eintrat, klagte die Patientin, die nach der letzten Bestrahlung sich
nicht mehr bei dem behandelnden Arzt hatte sehen lassen, sondern einen anderen
Arzt in ihrem Heimatsort aufgesucht hatte, wegen Körperverletzung. Es kam zu
einem straf- und zivilrechtlichen Verfahren. In dem strafrechtlichen Verfahren kam
es, nachdem durch die Gutachter erklärt worden war, daß die Behandlung an sich
sachgemäß gewesen wäre, und der gegenwärtige Zustand der Patientin tatsächlich
nur die Folge ihres Krebsleidens sei, daß aber gleichzeitig die Behandlungsart primi-
tiv gewesen wäre und doch mangels genügender Schutzvorrichtungen tatsächlich
Brandwunden erzielt worden waren, zu einer geringfügigen Verurteilung zu einer Geld-
strafe. Die Feststellung dieses strafrechtlichen Verfahrens konnte auf das zivilrecht-
liche Verfahren natürlich keinen Einfluß haben. In der Zwischenzeit war die Patien-
tin am Krebs gestorben und nun wurde noch seitens der Angehörigen versucht, auch
diesen Tod mit der Röntgenverbrennung in Verbindung zu bringen.
Es kam schließlich zu einem Vergleich auf ca. 600 M. Ich glaube nicht, daß
in einem zivilrechtlichen Verfahren der Beklagte verurteilt worden wäre, da die wahr-
scheinlich doch unbedeutenden direkten Brandwunden selbstverständlich ohne Ein-
fluß auf das Allgemeinleiden waren, die Röntgenentzündung bei dem Charakter des
Leidens eine beabsichtigte war und bei dem ganzen Verlauf des Leidens die Brand-
wunden in gar keinem Verhältnis standen zu der Schwere des Allgemeinleidens, zu
dem von diesen ausgehenden Schmerzen usw. Irgendein geschäftlicher Nachteil
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 153
hatte sich aus den Brandwunden sicher nicht ergeben, ärztliche Behandlung und
Pflege erforderte das Allgemeinleiden mehr als die Brandwunden, es hätte zivilrecht-
lich also allerhöchstens eine ganz geringfügige Entschädigung als Schmerzensgeld
in Betracht kommen können, wenn man ein Verschulden darin sehen wollte, daß der
Beklagte primitive, veraltete Apparate benutzte und die Intelligenz der Patientin
insoweit überschätzte, daß er sie nicht eine halbe Minute in sitzender Stellung allein
lassen konnte.
Fall 14. Bei einer Bestrahlungskur wegen Gürtelrose waren eine ganze Anzahl
Bestrahlungen vorgenommen worden, ohne daß der gewünschte Erfolg erzielt worden
wäre, allerdings waren die sehr erheblichen Schmerzen durch die Bestrahlung stets so
gelindert worden, daß, als der behandelnde Arzt wegen einer eingetretenen leichten
Röntgenreaktion die Bestrahlungen aussetzte, und nur noch die auch bis dahin vor-
genommene Salbenbehandlung fortsetzte, der Patient sich hinter dem Rücken des
Arztes und obwohl ihm der Arzt gesagt hatte, daß eine weitere Röntgenbehandlung jetzt
nicht angebracht wäre, sondern sogar erhebliche Schädigungen zur Folge haben
könnte, in der medico-mechanischen Anstalt des beklagten Arztes von der Röntgen-
assistentin weiter bestrahlen ließ unter der unwahren Angabe, daß der Arzt es ange-
ordnet habe. Es trat jetzt eine schwere Röntgenschädigung des ganzen Armes
ein, auf Grund deren der Patient mit Hilfe des Armenrechts auf eine lebenslängliche
Rente klagte. Bereits in der ersten Instanz wurde auf Grund der eingeholten Gut-
achten erkannt, daß die Behandlung des Arztes durchaus sachgemäß gewesen wäre
und die Röntgenschädigung nur zurückzuführen sei auf die ohne Wissen des Arztes
vorgenommenen späteren Bestrahlungen. Das Gericht sah aber das Vorliegen einer
Fahrlässigkeit des Arztes darin, daß er nicht Einrichtungen getroffen habe, welche es
ausschließen, daß eine mißbräuchliche Benutzung des Röntgenapparates und eine durch
ungeeignete Bestrahlung bewirkte Schädigung des Patienten vorkommen kann.
„Durch diese mangelhafte Einrichtung war jederzeit die Möglichkeit eines Mißbrauches
des Röntgenapparates und einer durch ungeeignete Bestrahlung bewirkten schweren
Beschädigung des Patienten gegeben und tatsächlich hat es auch der Kläger verstan-
den, ohne ärztliche Anordnung und sogar gegen ärztliches Verbot, sich die Bestrahlung
in der Anstalt des Beklagten verabreichen zu lassen, welche durch die hierdurch hervor-
gerufene Verbrennung unmittelbare Veranlassung zu der Schädigung des Klägers
gaben. Damit hat aber der Beklagte selbst nicht nur seiner vertraglichen Verpflich-
tung. solche Einrichtungen zu treffen, welche bei Benützung seiner Anstalt eine Ge-
fahr für den Patienten ausschließen, zuwider handelte, sondern er hat auch fahrlässig,
also unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt, die Gesundheit des Klägers wider-
rechtlich verletzt.‘ Dieses für die gesamte ärztliche Röntgentechnik, aber ceteris
paribus, auch für alle die Ärzte, welcho in mediko-mechanischen Anstalten usw.
Hilfspersonal benützen, geradezu verhängnisvolle Urteil wurde in der Berufungsinstanz
vollständig umgeworfen. Das Urteil des Oberlandesgerichts ist von so eminenter
Wichtigkeit für unsere gesamte ärztliche Tätigkeit, daß ich es hier in seinen Haupt-
punkten wörtlich wiedergeben möchte; das Urteil spricht sich zunächst über das Ver-
hältnis zwischen Arzt und Kassenpatient folgendermaßen aus: „Jeder Patient schließt
mit dem Arzt, in dessen Behandlung er sich begibt, unabhängig von der Frage, wer
die Kosten der Behandlung zu bezahlen hat, einen Vertrag ab, inhaltlich dessen dem
Arzte die Aufgabe zufällt, nach Möglichkeit auf die Wiederherstellung der Gesund-
heit des Patienten entsprechend den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft
bedacht zu sein, während letzterer sich verpflichtet, den ärztlichen Anordnungen
willig Folge zu leisten.
154 Kirchberg,
Ein derartiges im B.G.B. nicht eigens geregeltes, eine besondere Art von Arbeits-
vertrag bildendes und nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften, über beider-
seitige Verträge zu beurteilendes Schuldverhältnis ist auch zwischen dem Kläger und
dem Beklagten zustande gekommen, wobei es ganz gleichgültig war, ob dem Kläger
als Mitglied einer Ortskrankenkasse die Wahl unter den Ärzten freistand oder nicht.“
Über die uns hier hauptsächlich interessierende Frage sagt das Urteil nun fol-
gendes: „daß der Beklagte zur Behandlung seiner Patienten in seiner mediko-mechani-
schen Anstalt sich einer Hilfskraft bediente, konnte, soweit es sich um eine, wie schon
der Name der Anstalt besagt, rein mechanische Ausführung der von ihm auf Grund
wissenschaftlicher Prüfung des Krankheitsfalles erteilten Weisung handelte, sicher-
lich keiner Beanstandung unterliegen, vorausgesetzt daß das betreffende Hilfsper-
sonal die erforderliche Sachkenntnis besaß (das wurde hier angenommen). Entschie-
den zu weit würde es auch gehen, wenn man einem naturgemäß den größten Teil des
Tages außerhalb seiner klinischen Anstalt die Praxis ausübenden Arzte zumuten wollte,
nach genauer Untersuchung des in seine Behandlung neu eingetretenen Patienten,
dann nach entsprechender Unterweisung des etwa weiterhin mit seiner Behandlung
betrauten Hilfspersonals, und nach anfänglicher gewissenhafter Überwachung dieser
Behandlung, bei einer Heilmethode, welche wie hier, eine häufige Wiederholung sich
gleichbleibender, rein technischer Manipulationen notwendig macht, deren Vornahme
durch eine entsprechend instruierte zuverlässige Hilfskraft für jeden einzelnen Fall
eigens noch von einer mündlichen oder schriftlichen Weisung abhängig zu machen.
Noch viel weniger praktisch durchführbar wäre das vielleicht gar noch an den Beklag-
ten gestellte Verlangen, den gerade hier in Frage kommenden Röntgenapparat
stets unter persönlichem Verschluß aufzubewahren. Der Beklagte hat vielmehr im
gegebenen Falle gegen die Gefahr einer mißbräuchlichen Benutzung dieses Apparates,
soweit er eine solche seiner langjährigen erprobten Gehilfin und einem erwachsenen,
geistig völlig gesunden Patienten gegenüber, überhaupt ins Auge fassen mußte, billiger-
weise dadurch genügend Vorsorge getroffen, daß er der ersteren in Anwesenheit des
letzteren jede weitere Bestrahlung untersagte und noch dazu den Patienten auf die
voraussichtlichen schlimmen Folgen einer Zuwiderhandlung gegen dieses Gebot aus-
drücklich hinwies.‘
Über das Verschulden der Assistentin, daß sie trotzdem nachher wieder die
Bestrahlung vorgenommen habe, sagt das Urteil: „berücksichtigt man aber, daß
die Assistentin doch nicht gleich auf den Gedanken kommen konnte, der Patient werde
als vernünftiger Mann, vor den schlimmen Folgen einer weiteren Behandlung mit Rönt-
genstrahlen durch den Arzt ausdrücklich gewarnt, sich trotzdem eine solche zum Scha-
den seiner eigenen Gesundheit durch unwahre Angaben erschleichen, zieht man ferner
in Betracht, daß Kläger, wie schon erwähnt, jeden Tag wenigstens zur Erneuerung
des Verbandes die vormittägige Sprechstunde des Beklagten besuchte und daß des-
halb an den fraglichen 4 Nachmittagen für die Assistentin die Vermutung nahelag,
Dr. X. habe in der voraufgegangenen Sprechstunde auf grund einer neuen Unter-
suchung des Klägers entgegen seiner früheren Meinung nunmehr doch noch weitere
Bestrahlung für angezeigt erklärt, so stellt sich das Verschulden der X. schon von
Haus aus in schr mildem Lichte dar, zumal sie nur durch die falsche Vorspiegelung
des Klägers, Dr. R. habe weitere Bestrahlungen erlaubt, in einen für sie maßgebenden
Irrtum versetzt, tätig wurde. Da demzufolge das der Assistentin zur Last fallende
fahrlässige Verhalten im Grunde genommen einzig und allein auf das ebenso törichte
als tadeluswerte Vorgehen des Klägers zurückzuführen ist, tritt das Verschulden
der genannten Assistentin demjenigen des Klägers gegenüber, dermaßen in den Hinter-
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 155
grund, daß von einer Schadenersatzpflicht auf seiten der Assistentin und damit auch
auf seiten des Beklagten nicht mehr die Rede sein kann.‘
Auf grund dieses Urteils, das wie gesagt, für die gesamte ärztliche Tätigkeit
außerordentlich wichtig ist (K. Oberlandesgericht Augsburg, 20. Juni 1912), wurde
die Klage kostenpflichtig abgewiesen. Allerdings hatte auch hier der A. D. V. V. in
Stuttgart, da von dem Kläger, der mit Armenrecht geklagt hatte, naturgemäß nichts
zu holen war, über 400 M. Kosten zu bezahlen.
Fall 15. Infolge von 4 im Zeitraum von 10 Tagen erfolgten diagnostischen
Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule war es zu einer schweren Verbrennung der
Bauchdecke gekommen, die längere Zeit zu ihrer Heilung bedurfte und eine starke
Narbe zurückließ. Die Patientin klagte jetzt wegen Körperverletzung, weil sie durch
das Leiden fast vollständig arbeitsunfähig geworden wäre und daran gehindert sei,
eine Ehe einzugehen, da die Geburt eines Kindes für sie mit großer Lebensgefahr
verbunden sein würde. Mit zur Begründung der Klage wurde die Behauptung auf-
gestellt, daß die Behandlung insofern unsachgemäß und ein Kunstfehler gewesen sei,
weil bei der Bestrahlung kein Verstärkungsschirm angewandt wäre. Das sachverstän-
dige Gutachten spricht sich außerordentlich klar dahin aus, daß ein Kunstfehler hier
nicht vorliege: 4 Röntgenaufnahmen binnen 10 Tagen von je 2—3 Minuten Dauer
wären durchaus sachgemäß und jedenfalls handelte es sich hier um einen Fall von
Idiosvnkrasie. Daraus, ob man einen Verstärkungsschirm anwende oder nicht, könne
man nie den Schluß auf einen Kunstfehler ziehen.
Fall 16. Bei einer Dame mit sehr starkem Vollbart, der durch anderweitige
elektrische Behandlung angeblich noch stärker geworden war, wird durch eine fast
einjährige Kur mit Röntgenstrahlen zunächst ein großer Teil der Gesichtshärchen
entfernt. Da der Haarwuchs zum Teil wieder auftrat, will sie noch eine Kur durch-
machen. Bei dieser zweiten Kur kommt sie trotz wiederholter Warnungen absichtlich
dem Apparat öfters sehr nahe, so daß eine Verbrennung der einen Backe ein-
tritt, die allerdings nach kurzer Zeit verheilt. Es bleiben eine Anzahl roter Flecke
übrig und auf grund dieser Flecke klagt sie wegen „Entstellung und Beseitigung ihrer
Schönheit, Verminderung ihrer Heiratsaussichten usw.‘ und verlangt 20000 M. Ent-
schädirung. Da die Zeugenaussagen durchaus gegen eine Fahrlässigkeit bei der Be-
handlung sprechen, wird die Klage zunächst zurückgenommen.
Fall 17. Therapeutische Röntgenbestrahlung wegen pseudoleukämischer
Drusentumoren. 4 Wochen nach der letzten Bestrahlung kommt es zu einem Röntgen-
ulkus in der Nähe des Nabels, das außerordentlich schlecht heilt. Aus den
Akten geht die merkwürdige Tatsache hervor, daß die ersten Wundstellen sich an
der Stelle zeigten, wo die Pelotte des Bruchbandes sitzt (vielleicht dürfte das in ähn-
licher Weise eine Erklärung finden, wie das häufige Auftreten von Röntgenschädi-
kungen bei Arteriosklerose, langdauernden kallösen Ekzemen usw. Ich denke dabei
an eine Behinderung der Kapillartätigkeit). Ich möchte hier, da der Fall noch schwebt
(Forderung 15000 M. Entschädigung) nur einiges aus den interessanten Gutachten
mitteilen: „Für die Annahme einer Idiosynkrasie spricht der Umstand, daß Patient
an allen bestrahlten Partien durch Hautrötung reagierte, ohne daß ihm eine volle
Erythemedosis verabfolgt worden war.‘ Betreffs der Frage, ob ein Kunstfehler darin
läze, daß keine der bekannten Dosierungsmethoden angewendet worden wäre, spricht
sich das Gutachten richtig folgendermaßen aus: „Um sich gegen Schädigung zu decken,
wenden wohl alle Röntgentherapeuten Mittel an, um die Strahlendosis zu bestimmen.
Es gibt außerordentlich zahlreiche Dosierungsverfahren, die Sicherheit, welche sie
gewähren, ist dagegen durchaus noch keine so exakte, daß man ein oder
156 Kirchberg,
mehrere Verfahren empfehlen oder gar verlangen könne. Es ist daher gänzlich
ausgeschlossen, einem Arzt deswegen ein Verschulden zur Last zu legen, weil er
keine der üblichen Dosierungsverfahren angewendet hat. Die genaue Kenntnis
der Röhren und die Erfahrung, welche der Arzt bei Benutzung seiner Röhren sammelt,
reichen aus, um ihm die nötige Sicherheit in der Dosierung zu geben. Voraussetzung
ist natürlich, daß es sich um einen in der Röntgentechnik erfahrenen Mann und nicht
um einen Anfänger handelt. Vergleiche auch These 7 des 6. Kongresses der Deutschen
Röntgengesellschaft: der Arzt ist an keine der bekannten Dosierungsmethoden gebun-
den. Im eigensten Interesse empfiehlt es sich jedoch, schriftlich jedesmal die ver-
abreichte Röntgendosis in irgendeiner ungefähr reproduzierbaren Weise zu fixieren.‘‘
„Über die Zeit, nach welcher man die Wirkung der Strahlen für abgeklungen halten
kann, besteht wohl z. Zt. noch keine definitive wissenschaftliche Ansicht. Auch
Spätschädigungen der Haut liegen durchaus im Bereich der Möglichkeit.‘‘ Betreffs
der Frage, ob ein Verschulden darin zu sehen wäre, daß während der Bestrahlung
niemand im Zimmer anwesend war, sondern die Beaufsichtigung und Kontrollierung
des Apparates vom Nebenzimmer aus erfolgte, heißt es: „Eine Beaufsichtigung durch
die offene Tür von einem Nebenzimmer aus kann genügen, wenn man sich darauf ein-
geübt hat, den Gang der Apparate nach dem Geräusch, das sie verursachen, zu beur-
teilen.‘‘
Fall18u. 19. Außer diesen genau studierten Aktenfällen liegen mir noch 2 Fälle
vor, auf die ich aber nicht näher eingehen will, weil sie gerichtlich noch nicht entschie-
den sind. In dem einen Fall handelt es sich um eine Röntgendermatitis beider
Hände nach Ekzembehandlung, Schadensersatzforderung 50000 M., in dem anderen
Fall um ein Röntgenulkus an der Hand, das zu einer Kontraktur der Finger
führte, in diesem Falle waren außer den Bestrahlungen auch eine Anzahl Fibrolysin-
einspritzungen gemacht worden. Das zu grunde liegende Leiden war hier ein seit
langer Zeit bestehendes kallöses Ekzem, jedenfalls hervorgerufen durch längere Be-
schäftigung mit verschiedenen Desinfizienzien. Schadensersatzforderung 20000 M.
Außer den hier besprochenen Fällen weise ich noch hin auf die von
Albers-Schönberg (a.a.0.) angegebene Blütenlese ähnlicher Fälle:
1. Verbrennung des Gesichts bei Lupusbehandlung. Ersatzforderung
2000 M.
2. Verbrennung der Fußsohlen infolge Ekzembehandlung. Ersatz-
forderung 6000 M.
3. Verbrennung des Armes. Ersatzfurderung S000 M.
4. Verbrennung des Gesichts bei Bestrahlung zwecks Beseitigung von
Gesichtshaaren. Ersatzforderung 10000 M.
5. Verbrennung des Oberkörpers. Ersatzforderung 13700 M.
6. Verbrennung des Unterleibes bei Darmkrebsbehandlung. Ersatz-
forderung 14000 M.
7. Verbrennung des linken Handgelenks. Ersatzforderung 20000 M.
S$. Verbrennung beider Hände mit der Folge dauernder Gebrauchs-
unfähigkeit derselben. Ersatzforderung 50000 M.
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 157
V. Die Pflichten des Röntgenchefsund der Krankenhaus-
direktoren gegen ihre Röntgenassistenten und Ange-
stellten.) |
Obwohl diese Pflichten sich aus dem bisher gesagten eigentlich von
selbst ergeben, möchte ich doch kurz, zumal auch die Merkblätter der
letzten Röntgenkongresse stets darauf hingewiesen haben, noch einmal kurz
auf dieses Gebiet eingehen. Die allmählich immer mehr bekannt ge-
wordenen Schädigungen nicht nur der Hände, sondern vor allen Dingen
auch der Fortpflanzungsorgane derjenigen Menschen, die sich viel den
Röntgenstrahlen aussetzen, machen den Schutz der Röntgenangestellten zu
einem unbedingten Erfordernis. Veränderung an Netzhaut und Sehnerven
kommen hier ebenso in Betracht und sicher ist wohl auch eine schädliche
Beeinflussung des gesamten lymphadenoiden und hämatogenen Apparates bei
Personen, die oft unter dem Einfluß der Röntgenstrahlen stehen, an-
zunehmen.
Die aus diesen Gesichtspunkten sich ergebenden Pflichten für den
Röntgenchef, resp. die Krankenhausleiter regeln sich nach den Bestim-
mungen des BGB. über den Anstellungsvertrag ($ 611 BGB.). Es ist
gleichgültig, ob ein derartiger Vertrag mündlich oder schriftlich ver-
einbart und ob eine Vergütung für die Tätigkeit ausgesetzt ist oder nicht,
so daß für die hier in Frage kommende Materie die Assistenten wie
Volontäre, Krankenhausschwestern und Röntgengehilfinnen ganz gleich-
stehen. Für den Schutz dieser Angestellten trifft der $ 618, 1 Fürsorge:
„der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften so
einzurichten und zu unterhalten, und Dienstleistungen, die unter seiner
Anordnung oder unter seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dal)
der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt
ist, als die Natur der Dienstleistungen es gestattet“. Aus diesem Grunde
ergibt sich für den Röntgenchef und dem in der Beziehung stets gleich-
stehenden Krankenhausleiter die absolute Pflicht, die Röntgenschutz-
einrichtung stets nach dem neuesten Stande der Wissenschaft zu regeln.
Absatz 3 desselben Paragraphen lautet: „erfüllt der Dienstberechtigte die
ihm in Ansehung des Lebens und der Gesundheit des Verpflichteten ob-
liegenden Verpflichtungen nicht, so finden auf seine Verpflichtung zum
Schadensersatz die für unerlaubte Handlungen geltenden Vorschriften der
&S 842—16 BGB. entsprechende Anwendung.“ Wie weit das geht, haben
wir ja in den obigen Kapiteln eingehend gesehen. Der Chefarzt ist dem-
nach verpflichtet, zunächst seine Angestellten, soweit sie nicht selbst sach-
I) F. Kirchberg, unter dem gleichen Titel wie oben in Fortschritte auf dem
Gebiet der Röntgenstrahlen Bd. 9.
158 Kirchberg,
kundig sind, über die gefährlichen Einwirkungen der Röntgenstrahlen und
die Möglichkeit, sich dagegen zu schützen, in ausreichender Weise zu be-
lehren; das wird in einem größeren Betriebe am besten durch ein dauernd
dort angeschlagenes Merkblatt zu erreichen sein. Stillschweigend voraus-
setzen darf er diese Kenntnis jedenfalls nicht.
Die Verpflichtung des Dienstherrn für möglichsten Schutz des Lebens
und der Gesundheit, kann nach $ 619 BGB. durch Vertrag nicht auf-
gehoben oder beschränkt werden, m. a. W. ein in den Anstellungskontrakt
des Angestellten aufgenommener Passus, daß er von vornherein auf jeden
Schadensersatz für im Betriebe ihn treffende Schädigungen verzichtet, ist
gegenstandslos und hindert ihn an späterer Geltendmachung event. An-
sprüche nicht. Die Angestellten haben nun wohl das Recht, im Wege
der Klage die Beschaffung der nötigen Schutzmaßregeln zu verlangen,
daneben aber aus $ 626 BGB. das Recht der sofortigen Kündigung.
Ich glaube ja nun, daß diese beiden Fälle äußerst selten eintreten
werden, daß es vielmehr sehr viel eher hinterher zu Schadensersatzansprüchen
kommen wird. Gegen wen diese nun gehen, wird in manchen Fällen
zweifelhaft. sein, nämlich da, wo Assistenten und das übrige Personal von
einer Anstalt öffentlichen Rechtes angestellt sind und einem gleichfalls von
dieser angestellten Chefarzt unterstehen, der sie ausgesucht und verpflichtet
hat, z. B. bei Assistenzärzten usw., städtischer oder staatlicher Kranken-
häuser, Heilanstalten, Landesversicherungsanstalten usw. Als rechtlich ver-
pflichteter Dienstherr im Sinne des $ 611 und 618 B.G.B. kommt hier
zunächst die öffentliche Anstalt in Betracht (Stadtgemeinde, Staat usw.).
An ihrer Stelle und für sie handelt jedoch der von ihr angestellte Chefarzt,
im Hinblick auf die dem Dienstberechtigten obliegenden Verpflichtungen
tritt also an ihre Stelle ein anderer als Gehilfe im Sinne des $ 278 B.G.B.
und sie haftet infolgedessen nach $ 278 für Verschulden desselben wie für
gleiches Verschulden. Dem Geschädigten haftet also in erster Linie die
Anstalt öffentlichen Rechtes, in zweiter Linie der Chefarzt.
Der Umfang des zu leistenden Schadensersatzes wird nach $ 618 3,
„erfüllt der Dienstberechtigte die ihm in Ansehung des Lebens und der
Gesundheit des Verpflichteten obliegende Verpflichtung nicht, so finden
auf seine Verpflichtung zum Schadensersatze die für unerlaubte Handlungen
geltenden Vorschriften der §§ 842—846 entsprechende Anwendung“ be-
stimmt. Es greifen jetzt hier also alle die Erwägungen wieder Platz, die
wir oben gelegentlich der Patienten fahrlässig zugefügten Röntgenschädi-
gungen kennen gelernt haben.
Ich halte es auch für sehr gut möglich, daß später Forderungen wegen
derartiger Schädigungen an die Krankenhausleiter herantreten werden, wenn
es nicht schon geschehen ist, was mir unbekannt geblieben ist. Schadens-
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 159
ersatzansprüche wegen durch die Beschäftigung mit Röntgenstralilen ein-
getretener Sterilisierung sind sehr wohl denkbar, wenn da auch allerdings
der Nachweis sehr schwer, wenn nicht fast unmöglich erscheint. Doch
auch hier wird wohl in einem Prozeß die mehr oder minder große Wahr-
scheinlichkeit genügen.
Aus diesen Erwägungen heraus ergeben sich die von mir schon vor
7 Jahren aufgestellten Forderungen: 1. eingehender Aufklärung über die
möglichen Schädigungen beim Dienstantritt neuen Personals, oder der Ein-
fachheit halber Aufliängen von Merkblättern mit genauer Auseinander-
setzung sowohl der möglichen und wahrscheinlichen Schädigungen, die mit
der vielfachen Berührung mit X-Strahlen verbunden sind, als auch der
genauen Anweisung des (sebrauches der Schutzmaßregeln. 2. Die Be-
schaffung der Schutzvorrichtungen selbstverständlich auch in dem kleinsten
Röntgenlaboratorıum. Ich habe dann weiter vor Jahren angeregt, in
Röntgenlaboratorien, in denen viel gearbeitet wird, Käfige mit Tieren für
lange Zeit aufzuhängen, zum Teil auch so, daß sie von den Sekundär-
strahlen allein getroffen werden. Wie weit das geschehen ist, entzieht sich
meiner Kenntnis, es genügt glaube ich nicht, bei diesen Tieren die Fort-
pflanzungsorgane zu untersuchen, es wäre, glaube ich, von großer Wichtig-
keit, das gesamte hämatogene und Iymphadoide System dabei genau zu
untersuchen. !)
Sind die oben geforderten Bedingungen der Aufklärung des Personals
und der Bereitstellung der Schutzmaßregeln erfüllt und treten trotzdem
Schädigungen ein, die entweder ihre Ursache haben in unvorsichtigem Ver-
halten der Angestellten oder in außerhalb der Haftung liegenden zufälligen
oder bisher nicht erforschten Ursachen, so wird natürlich die Schadens-
ersatzpflicht der Dienstberechtigten ausgeschlossen sein, doch wird auch
hier bei Prozessen, wenn seitens der Beschädigten die Schädigung nach-
gewiesen ist, die Beweislast, daß die gestellten Forderungen erfüllt sind,
auf seiten des Beklagten liegen.?)
1) Albers-Schönberg berichtet über derartige Experimente a. a. O. S. 430.
2) Siehe auch das Merkblatt 1913 der D.R.G. über den Gebrauch von Schutz-
maßregeln gegen Röntgenstrahlen:
1. Die öfter wiederholte Bestrahlung irgendeines Teiles des menschlichen Körpers
mit Röntgenstrahlen ist gefährlich und hat auch schon mehrfach zu namhaften Schä-
digungen, ja sogar zum Tode von Röntgenärzten und anderen häufig mit Röntgen-
strahlen arbeitenden Personen geführt. Deswegen ist es unbedingt nötig, daß sowohl
derartige Personen selbst wie auch ev. deren Vorgesetzte oder Arbeitgeber darauf sehen,
daß in ihren Betrieben genügende Schutzvorrichtungen vorhanden sind, und daß alle
diese Personen auch von der Notwendigkeit und dem Gebrauche dieser Vorrichtungen
genügend unterrichtet sind. Letzteres dürfte am zweckmäßigsten dadurch erreicht
160 Kirchberg,
Röntgenschädigungen gelegentlich von Unterrichtskursen.
Nach dem Vorgesagten ergibt es sich eigentlich von selbst, dal auch
die gelegentlich von Unterrichtskursen doch möglichen Röntgenschädigungen
von den Kursleitern zu verantworten, d. h. die Kursleiter für diese haftbar
sind. Reverse des Inhaltes, daß die Kursteilnehmer die Verantwortung
selbst tragen. können. wenn dem Kursleiter Fahrlässigkeit im Betriebe
oder mangelhafte Schutzmaßregeln nachgewiesen werden, den Kursleiter
werden, daß das vorliegende Merkblatt in allen derartigen Betrieben öffentlich aus-
gehängt wird.
2. Als mindest erforderlicher Schutz gegen länger dauernde Bestrahlungen
gilt cine Bleischicht von 2 mm Dicke, die so groß ist und so angebracht sein muß, daß
sie mindestens die ganze Person gegen die direkte Strahlung der Röhre abdeckt. Das
Blei ist seiner Giftigkeit wegen beiderseits mit Deckmaterial, wie Holz, farbigem
Lack oder dergl. zu bekleiden.
3. Das Blei der Schutzschicht kann ganz oder teilweise durch Bleigummi oder
Bleiglas für Röntgenzwecke ersetzt werden, jedoch muß in diesem Falle die Dicke
dieser Materialien, entsprechend ihrer geringeren Schutzwirkung, erheblich größer
genommen werden als beim reinen Blei, bei gutem Bleigummi nämlich etwa viermal
und bei gutem Bleiglas etwa 5—10mal so dick, d. h. also bzw. 8 und 10—20 mm.
Eine Bekleidung ist bei diesen Stoffen nicht nötig. Ä
4. Auch bei Anwendung einer solchen Schutzschicht ist es empfehlenswert —
zumal wenn ces sich um länger dauernde Bestrahlungen handelt — sich soweit als
möglich von der im Betriebe befindlichen Röhre zu entfernen.
5. Der beste Schutz wäre zwar ein solcher, bei welchem eine der genannten
Schutzschichten entweder die ganze Röhre als Schutzkasten oder den ganzen Unter-
sucher als Schutzhütte umgibt; im Interesse der Beweglichkeit der Röhre erscheint
es jedoch zweckmäßig, den Schutz in der Weise zu bewirken, daB man die Röhre nur
mit einer Kappe oder einem Kasten umgibt, dann aber außerdem noch eine Schutz-
wand vorsieht, hinter welcher sich der Untersucher während des größten Teiles der
Arbeitszeit der Röhre aufzuhalten hat.
Auch der Durchleuchtungsschirm und die übrigen, im direkten Strahlenkegel
der Röhre zu benutzenden Apparate, wie Härteskalen, Fokometer u. dgl. müssen in
ihren undurchlässigen Teilen mit einer Bleiglasschicht hinterlegt sein, jedoch braucht
dieselbe in diesen Fällen, im Interesse der Handlichkeit nur etwa halb so dick zu sein
wie bei der für den dauernden Schutz bestimmten Schicht, d. h. also bei gutem Blei-
glas etwa 5—10 mm.
7. Jede der unter l genannten Personen soll ihre Schutzvorrichtungen möglichst
selbst prüfen, was am einfachsten vermittelst einer Durchleuchtung oder röntgeno-
graphischen Aufnahme, unter Benutzung einer harten Röntgenröhre, geschieht.
8. Von den unter 1 genannten Personen darf niemand wiederholt als Versuchs-
objekt zur Beurteilung der Güte cines Röntgenapparates oder einer Röntgenröhre
verwandt werden.
9. Jeder Assistent, Praktikant, Volontär, jede Krankenschwester und jeder
vom übrigen Hilfspersonal hat das Recht, die Weisung, Röntgenarheit ohne genügende
Schutzvorrichtungen auszuführen, abzulehnen. Eine solche Weigerung darf niemals
den Grund zur Entlassung bilden. Dasselbe gilt für das Personal von Fabriken und
Magazinen, die Röntgenapparate, -hilfsapparate und -röhren anfertigen oder verkaufen.
Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 161
nicht entlasten, sind also ganz überflüssig. Ich halte die Instruktion und
Aufklärung über die Röntgenschädigungen für etwas so wichtiges, daß die
Kursleiter sie von vornherein zu besprechen haben. Betreffs der Über-
nahme der Haftung durch die Gesellschaft ist es selbstverständlich, daß
die Haftpflichtgesellschaft das Risiko nur dann trägt, wenn es in der Police
extra ausgemacht ist.
Während in den meisten Röntgenlehrbüchern das Kapitel der Röntgen-
schädigungen sehr mangelhaft abgehandelt ist, macht Albers-Schönberg:
Röntgentechnik, davon eine Ausnahme. In seiner neusten Auflage (4. Auf-
lage 1913) spricht er z. B. auch über die Police. Nach seinen Angaben
soll die Police enthalten: Versicherungsnehmer ist Spezialarzt für Röntgeno-
logie und Vorstand eines Röntgeninstituts. Zu seinen Obliegenheiten ge-
hören diagnostische Untersuchungen und therapeutische Behandlung von
Patienten mit Röntgenstrahlen, ferner die Erteilung von Unterrichtskursen
auf dem Gebiet der Röntgenologie an Ärzte, Schwestern usw. Alle An-
sprüche, welche sich aus der Tätigkeit des Röntgenologen ergeben, müssen
durch die Versicherung gedeckt sein; desgleichen die Ansprüche, welche
durch Verfehlungen des Personals (Assistensarzt, Volontärarzt, Schwestern
usw.) eventuell gegen ihn erhoben werden können.“ Schließlich möchte ich
doch den Versicherungsnehmern raten, lieber die 100% als die 90% zu
nehmen.
Ich hoffe, so von allen Seiten die aus den Röntgenschädigungen sich
ergebenden rechtlichen Folgerungen beleuchtet zu haben, ich weise am
Schluß nochmals auf Levy Dorns Worte hin (a. a. O.): „Der Sach-
verständige wird heute so gut wie nie eine Röntgenverbrennung herbei-
führen“, Worte, die mir durch Professor Grunmach bestätigt wurden,
der auch angab, bei ca. 90000 X-Strahlenanwendungen zu diagnostischen
und therapeutischen Zwecken nie eine Schädigung gesehen zu haben;
gründliches Studium und sorgfältige Arbeit wird also auch auf diesem
Gebiet unser bester Schutz gegen prozessuale Unannehmlichkeiten sein.
Daneben müssen wir aber, um gegen ungerechte Vorwürfe gewappnet zu
sein, auch die bestehenden Rechtsvorschriften kennen und sie anzuwenden
verstehen. Dazu etwas mit beizutragen, war der Hauptzweck dieser Arbeit.
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 11
Die physikalischen Grundlagen für die Dosierung der
Röntgenstrahlen.
Von
Privatdozent Dr. Christen-Bern.')
bgleich die Dosierung eine eminent praktische Frage ist, und obgleich
theoretische Erörterungen im Allgemeinen nicht mit ungemischter
Freude aufgenommen werden, rechtfertigt sich dennoch eine kurze Erklärung
der theoretischen Grundlagen der Dosierung. Einmal dadurch, daß wir
als Männer der Wissenschaft verpflichtet sind, nicht an der Oberfläche zu
bleiben, sondern den Dingen auf den Grund zu gehen. Dann aber auch
deshalb, weil doch schon hier und dort in der Medizin die Überschätzung
des Experimentes auf Abwege geführt hat, die man, fußend auf einer
korrekten theoretischen Grundlage, nicht betreten hätte. Auch haben die
Vorträge und Wechselreden des heurigen Kongresses für Physiotherapie
wiederholt gezeigt, daß manche grundsätzlich verschiedenen Dinge nicht
richtig auseinandergehalten werden.
Als Beispiel erinnere ich an den Einfluß der Dispersion einerseits und
der Absorption andererseits auf das Verhältnis zwischen Oberflächendosis
und Tiefendosis (Dosenquotient), wobei die Dispersion mit der Fokaldistanz
und die Absorption mit dem Härtegrad zusammenhängt.
Ferner, wenn z. B. Herr Loose gesagt hat, man könne mit mittelharten
Strahlen bessere Tiefenwirkung (Ovarium) erzielen als mit harten und sehr
harten Strahlen, so müßte er uns doch eigentlich irgendwelche Erklärung
zu geben versuchen für die merkwürdige Tatsache, daß eine 7 mm-Strahlung,
die in 5 cm Tiefe auf 1°, ihres Oberflächenwertes reduziert ist, hier besser
wirken soll, als eine 2!/, cm-Strahlung, von der an der gleichen Stelle doch
immerhin noch 25°/, vorhanden sind.
Gewiß hat der Härtegrad für die Tiefenwirkung ein Optimum, und
wenn man die Strahlung härter wählt, als dieses Optimum, so wird die
Tiefenwirkung wieder geringer. Aber in dieses Gebiet kommen wir
praktisch ja gar nicht, weil die höchstmöglichen Härtewerte ja noch unter-
halb des Optimums für die Ovarien liegen.
Auch wäre hier eine Auseinandersetzung mit den diechertizlichen sehr
schönen und eingehenden Arbeiten von Hans Meyer und seinen Mit-
arbeitern Rost und Krüger, die das Gegenteil ergeben haben, nicht
wohl zu umgehen.
1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie,
Berlin, März 1913.
Christen, Physikalische Grundlagen f. d. Dosierung d. Röntgenstrahlen. 163
Ungelöst ist ferner noch die Filterfrage. Jedenfalls steht die Vor-
stellung eines wesentlich heterogenen Strahlengemisches in Widerspruch
mit dem Walterschen Ablenkungsversuch, wobei die Verschiebung des
Brennpunktes auf der Antikathode im magnetischen Feld keine Verbreiterung
desselben ergeben hat. Das müßte sie aber doch, wenn Kathodenstrahlen
von wesentlich verschiedener Geschwindigkeit vorhanden wären.
Unrichtig ist jedenfalls die Anschauung, auf die man immer wieder
stößt, wonach ein „Filter‘‘ die der Haut schädlichen Strahlen abfangen und
die in der Tiefe wirksamen durchlassen soll. Denn auch von der härtesten
Strahlung absorbiert die Haut stets mehr als eine gleich dicke Schicht
in der Tiefe, dank der Dispersion sowohl wie dank der Absorption in
der Überschicht.
Um diese und viele andere Fragen genau zu studieren, müssen wir
aber vor Allem mit klaren Begriffen argumentieren. Für Näheres über
diese Frage verweise ich auf meine ausführliche Monographie über Messung
und Dosierung (Verlag von Graefe & Sillem) zu der ich die Anregung
Herrn Prof. Albers-Schönberg verdanke.
Nur drei Begriffe möchte ich gern heute festlegen: Die Intensität,
die Flächenergie und die Dosis.
1. Unter Intensität hat man zu verstehen die in der Zeiteinheit
auf die Flächeneinheit fallende Menge strahlender Energie.
r= E
T.f
2. Zur Berechnung der Wirkung muß aber nicht nur die Intensität,
sondern auch die Bestrahlungszeit in Rechnung gesetzt werden. Die doppelte
Wirkung erhält man ebensogut durch Verdoppelung der Intensität, als durch
Verdoppelung der Bestrahlungszeit. Wir brauchen daher das Produkt
aus Intensität und Bestrahlungszeit, welches nach obiger Gleichung
folgenden Wert hat: E
1.I=7
Diese neue Gleichung sagt uns, daß das Produkt aus Intensität und
Zeit gleich ist der Energiemenge, welche auf die Flächeneinheit fällt.
Daher der Name „Flächenenergie‘ und die Bezeichnung mit dem
Buchstaben F: E
F=1.1=-2
3. Etwas grundsätzlich hiervon Verschiedenes ist die Dosis. Hier
handelt es sich nicht mehr um die Energie, welche auf die Flächeneinheit
füllt, sondern um diejenige, welche in der Volumeneinheit absorbiert
wird. Es kommt also in den Nenner anstatt einer Fläche ein Volumen,
anstatt der zweiten Potenz der Länge, deren dritte Potenz.
11*
164 Christen, Physikalische Grundlagen f. d. Dosierung d. Röntgenstrallen.
Es läßt sich zeigen, daß die eine Längeneinheit, welche im Nenner
hinzutritt, nichts anderes ist, als die Halbwertschicht der betreffenden
Strahlung.
Die Dosis hat den Wert
D= - 0,7
a
Zur Klärung der Ideen ist es von höchster Bedeutung, festzustellen.
daß zwar nicht die Flächenenergie, wohl aber die Dosis in hohem Maße
vom Härtegrade abhängig ist. Diese Tatsache ist an der menschlichen
Haut qualitativ von H. E. Schmidt, quantitativ von Hans Meyer fest-
gestellt worden. Sie gilt für das Kienböcksche Quantimeter ebensowohl
wie für die Sabouraudpastille.
Daß man, sowohl um den Zusammenhang zwischen Dosis und Härte-
grad zu erkennen, als auch zur Veranschaulichung der Tiefenwirkung mit
Vorteil das absolute Maß der Halbwertschicht zur Beurteilung des Härte-
grades verwendet, dürfte nach dem bisher Gesagten klar sein.
Einen wesentlichen Fortschritt für alle kommenden Untersuchungen
bedeutet es, daß wir neuerdings über ein Instrument verfügen, welches von
der Reiniger, Gebbert & Schall A.-G. konstruiert wird, das Iontoquanti-
meter. Gemessen wird damit diejenige Elektrizitätsmenge, welche eine
Kapazität über eine ionisierte Luftstrecke verliert.
Je größer die Intensität der Röntgenstrahlung ist, desto stärker ist
die Ionisation, desto mehr Elektrizität fließt in der Zeiteinheit ab. Es
fließt aber auch umsomehr Elektrizität ab, je länger man bestrahlt. Das
Iontoquantimeter mißt also das Produkt aus Intensität und Bestrahlungs-
zeit, oder mit anderen Worten die Flächenenersgie.
Da endlich der Zusammenhang zwischen Intensität und Ionisation vom
Härtegrade ziemlich unabhängig ist, so sind wir zum ersten Male in
der Lage, Intensitäten, Flächenergien und Dosen von verschie-
denem Härtegrade miteinander zu vergleichen, eine Möglichkeit.
die wir ja schon lange als dringendes Bedürfnis empfunden haben.
Auf alle Fälle ist aber eine genaue Präzision in allen unseren Dis-
kussionen dringend nötig, sonst reden wir einfach aneinander vorbei. Dazu
müssen wir aber vor Allem unsere Begriffe scharf und unzweideutig definieren.
Sind nun meine Definitionen unzulänglich, so lasse ich mich gern eines
Besseren belehren. Sind sie aber richtig, so möge man bedenken, daß ohne
wohl definierte Begriffe nicht nur ein bleibender Fortschritt bedenklich er-
schwert, sondern selbst eine gegenseitige Verständigung unmöglich ist. Ich
glaube aber bestimmt. daß mit der Einführung unzweideutiger Definitionen
unser wissenschaftliches Denken an Klarheit gewinnen und unser ex-
perimentelles Arbeiten die richtigen Bahnen finden muß.
Das Radiochromoskop,
ein Apparat, der eine exakte Schätzung der Röntgenstrahlendosen
unter immer vergleichbaren Bedingungen gestattet.!)
Von
Dr. Th. Nogier,
außerordentlichem Professor der Physik an der medizinischen Fakultät der Uni-
versität Lyon.
(Mit 2 Abbildungen.)
D“ praktischsten Apparate zur Dosierung der Röntgenstrahlen sind alle
auf dem Prinzip der Farbenveränderung des Bariumplatinzyanürs
(Villardscher Effekt) aufgebaut. Es sind: das Radiometer von Sabouraud,
das Chromoradiometer von Bordier und das Chromoradiometer von
Holzknecht.
Die beiden letzteren sind besonders verlockend, da sie nicht nur eine,
sondern mehrere Röntgenstrahlendosen abzulesen gestatten. Die Schwierig-
keit beginnt aber bei der Ablesung dieser Apparate. Man soll die ver-
änderte Farbe des Bariumplatinzyanürs mit einer künstlich gefärbten Skala
vergleichen. Nun regen aber die Strahlen des Tageslichts in hohem Maße
die Fluoreszenz des Bariumplatinzyanürs an und diese Fluoreszenz ist dem
Arzte bei der Ablesung der erhaltenen Farbe sehr hinderlich, da er eine
gelb gefärbte und mehr oder weniger lebhaft fluoreszierende Tablette mit
einem nicht fluoreszierenden gefärbten Objekt vergleichen soll. Bereits im
Jahre 1911 habe ich zusammen mit meinem Kollegen Herrn Prof. Regaud
auf die weitgehenden Irrtümer, welche bei dieser Ablesung selbst geübte
Beobachter begehen können, aufmerksam gemacht.?) |
Das Tageslicht ist nämlich großen Schwankungen ausgesetzt. Alle
Photographen wissen, daß dasselbe je nach der Tages- oder Jahreszeit oder
nach der geographischen Breite wechselt. Wenn der Himmel leicht be-
deckt ist, so wird das Licht weißlich erscheinen; ist er ganz unbedeckt,
so erscheint es blau. Am Ufer des Meeres oder eines Flusses ist es intensiv,
in einer Straße hingegen viel schwächer und gelblich. Das Licht, das man
in London um 12 Uhr mittags an einem nebligen Dezembertag hat, ist
ı) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie,
Berlin, 1913.
?) Regaud et Nogier. Estimation différente des doses de rayons X
suivant les divers modes d’eclairage du chromoradiometre. (Congrès de l’ Asso-
ciation française pour l’ Avancement des Sciences. Dijon, août 1911.)
166 Nogier,
sicherlich nicht dasselbe, das man am selben Tage und zur selben Stunde
unter dem Himmel von Neapel oder des Kaps hat.
Je ärmer aber das Tageslicht an blauen Strahlen ist (Regentage, Nebel-
und Wintertage, nördliche Breiten), um so dunkler wird die Farbe der
Pastille erscheinen. Man wird dann glauben, eine größere Dosis verabreicht
zu haben, als sie das bestrahlte Gewebe bekommen hat. Man wird also
unterdosieren.
Je reicher aber das Licht an blauen Strahlen ist (Sonnen- und Sommer-
tage, Licht des Gebirges und heißer Länder), um so mehr wird die Farbe
der Tablette die Neigung haben, sich der Originalfarbe des Bariumplatin-
zyanürs zu nähern. Sie wird mehr grün und weniger gelb erscheinen.
Man wird dann glauben, eine kleinere Dosis appliziert zu haben, als sie
die Gewebe in Wirklichkeit erhalten haben. Man wird also überdosieren
und könnte eventuell eine Röntgendermatitis erzeugen da, wo man sich in
gutem Glauben befand, eine Dosis zu applizieren, welche dieselbe nicht her-
vorrufen konnte.
Und noch mehr. Bei kleinen Dosen (1—5 H) hat sich die Tablette
nur sehr wenig verändert und wird leicht wieder am Tageslicht abblassen.
so daß selbst während der Ablesung die Tablette die Tendenz hat, eine
immer geringer werdende Dosis anzugeben: eine neue Fehlerquelle, welche
man der vorher erwähnten hinzurechnen muß und die immer im gleichen
Sinne wie diese wirkt.
Ferner ist die Vergleichung der kleinen Dosen (Teinte 0, I, II;2 des
Bordierschen Chromoradiometers mit den Testfarben infolge der geringen
Farbenunterschiede etwas mißlich und nicht immer leicht zu bewerkstelligen.
besonders im Tageslicht. Um diesen vielen Mißständen zu begegnen.
schlugen wir, Regaud und ich vor, die Vergleichung bei künstlichem
Lichte vorzunehmen. Wir hatten kaum diese Vorschläge publiziert, als
Dr. Ceresole!) in Venedig die Berechtigung derselben voll anerkannte
und zu gleicher Zeit seine Methode der Ablesung des Bordierschen
Chromoradiometers bei künstlichem Licht (einer kleinen Benzinlampe'
bekannt gab. Bordier?) selber erkannte ebenfalls die Richtigkeit unserer
Beobachtungen an und konstruierte einen kleinen Apparat, der die Ab-
lesung seines Chromoradiometers zwar im Tageslicht gestattete, aber duch
in einem gedämpften und diffusen Tageslicht und infolgedessen unter schon
eher vergleichbaren Bedingungen.
1) Ceresole. Estimation de l’effet Villard a la lumiere artificielle (Arch.
d’ Electricité médicale, 10 Janvier 1912).
23 Bordier. Facilité d'évaluation des doses faibles, soit en lumière arti-
ficielle, soit en lumiċre naturelle, par le chromoradiometre (Arch. d’Electr. med.
10 Avril 1912),
Das Radiochromoskop. 167
Ich glaube aber, daß selbst mit dem von Bordier empfohlenen In-
strument die Ablesung der Chromoradivmeter im Tageslicht fehlerhaft ist:
1. Weil nie sicher ist, ob man an verschiedenen Tagen ein qualitativ
gleiches Licht zur Verfügung hat.
2. Weil jede Röntgentherapie beim Sinken des Tages unmöglich wird.
OS... SS
F Oea =
a SIISSTSSSHUCXCUURIıIıIıIIII—U—ı
x
CELL IALL
CE EKAL E EEEKEELEÈ LE ELEĖ LEIEL OOOI O
VRREEZ,
NNNS//Z/Z
GIPLDLLDDLLLTTPIT ID SISSOIIIIIIIIIIIIIUN
Dooh iiin INN
<
Z.N:
<y
Fig. 1.
Horizontalschnitt durch das Radiochromoskop von Dr. Th. Nogier. Ansicht
von oben. Ch= Chromoradiometer von Bordier in seinem Fenster. L = Glüh-
lampe. I= Einschalter. V V’’=Rahmen, der das blaue Glas trägt und sich
von vorn nach hinten schieben läßt. B B’ = elektr. Drähte für die Lampe. cc =
undurchsichtige Wand. Der Pfeil deutet die Blickrichtung des Beobachters an.
3. Weil es unlogisch ist, präzise Messungen bei einer in Qualität
(Teinte) und Intensität wechselnden Beleuchtung zu machen. Manche
Abende sind sehr reich an gelben und roten Strahlen, aber sehr arm an
blauen und violetten. Bei dieser Beleuchtung ist dann die Ablesung der
Tablette vollständig falsch.
168 Nogier,
Man mußte sich deshalb entschließen, für die Vergleichung der Barium-
platinzyanürtabletten mit der Skala der Chromoradiometer gänzlich auf
das Tageslicht zu verzichten. Zu diesem Zwecke konstruierte ich einen
kleinen Apparat, den ich Radiochromoskop nannte und der erlaubt, die
durch die Röntgenstrahlen erzeugte Farbenveränderung der Bariumplatin-
zyanürtablette bei künstlichem Lichte abzulesen.
Ich will zuerst den Apparat selber und die Prinzipien seiner Kon-
struktion besprechen, dann eine Anweisung für seine Handhabung geben
und zuletzt seine Vorteile auseinandersetzen. Das Radiochromoskop be-
steht aus einer fast kubischen Holzkiste, deren vertikale Rückwand links
ein Fenster birgt, in welches man die Skala des Bordierschen Chromo-
radiometers einschiebt (Fig. 1).
Vor dieser Skala etwas zur rechten in einem bei allen Apparaten
festen Abstand findet sich eine Kohlenfadenglühbirne L von 16 Kerzen
und 110 Volt. Diese Lampe hat eine zylindrische Form, so daß sie das
Chromoradiometer in seiner ganzen Länge gleichmäßig beleuchtet. Außer-
dem ist sie matt, so daß das ausstrahlende Licht möglichst gleichmäßig ist.
Das Auge des Beobachters kann diese Lampe nicht sehen. Eine
kleine Holzwand cc’ versteckt sie ihm, so daß er durch dieselbe bei der
Betrachtung des Uhromoradiometers nicht gestört wird. Zwischen dieser
Wand und dem Chromoradiometer läßt sich von vorn nach hinten oder
umgekehrt ein kleiner Rahmen V V’ verschieben, der ein gefärbtes Glas
V trägt. Wir werden bald sehen, wozu dasselbe dient.
Auf dem Boden des Instruments findet sich ein Einschalter I mit
2 m langer Litze und einem Steckkontakt, der sich an jede Lichtleitung
anschließen läßt.
Die Prinzipien, die mich bei der Konstruktion des Radiochromoskops
leiteten, sind folgende:
1. Zuerst sollen Skala und Tablette mit einer Lichtquelle beleuchtet
werden, welche unfähig ist, Fluoreszenz beim Bariumplatinzyanür zu er-
regen. Man liest dann ab, wie wenn es sich um ein nicht fluoreszierendes
Salz handeln würde, oder besser, wie wenn man einen Augenblick aus
der Tabelle alles nicht veränderte Platinzyanür entfernt hätte.
2. Dann sollen Skala und Tablette durch ein besonderes blaues Licht
(blaugrünes) Glas betrachtet werden, welches der Skala und der Pastille
diejenigen Farben wieder gibt, die sie bei Tageslicht hätten, unter gleich-
zeitiger beinahe vollständiger Unterdrückung der parasitären Fluoreszenz-
farbe.
Als Lichtquelle benutzte ich keine Metallfadenlampe, da ihr Licht
zu weiß und zu reich an violetten und ultravioletten Strahlen ist, sondern
eine Kohlenfadenglühbirne.
Das Radiochromoskop. 169
Man bekommt so ein gelbliches Licht, das sich sehr gut für eine erste
Ablesung verwerten läßt und welche viel leichter reproduziert werden kann
als dasjenige einer Kerze oder einer Benzinlampe.
Was das blaue Glas anbetrifft, das zur zweiten Ablesung dient, so
handelt es sich um ein besonderes Blauglas, das bei 2 mm Dicke die
Strahlen einer Quecksilberquarzlampe bis zu 3,341 Angström - Einheiten
Fig. 2.
Radiochromoskop von Dr. Nogier im Gebrauch. Bei I erkennt man den Aus-
schalter für die Lampe und über dem Apparat einen kleinen Kamin zum Abzug
der Wärme.
passieren läßt, aber nicht mehr. Eine Reihe von spektroskopischen Unter-
suchungen zeigten mir, daß nur wenige blaue Gläser sich für diesen Zweck
eigneten. Die meisten sind überhaupt nicht zu gebrauchen. Diejenigen,
welche bei einer Dicke von 2,5 mm nur Licht bis zu einer Wellen-
länge von 3,660 m durchlassen, geben der Tablette und dem Chromo-
radiometer einen rötlichen Ton, der beim Ablesen ganz falsche Resul-
tate gibt.
170 Nogier,
Gebrauchsanweisung für den Apparat: Derselbe wird mit einer
Gleich- oder Wechselstromleitung von 110—115 Volt (er kann auch für
geringere Voltzahlen angefertigt werden) verbunden und die Lampe, die er
enthält, wird angezündet.
Man zieht dann den Rahmen mit dem blauen Glas vollständig heraus
und die Skala erscheint dann in gelbem Lichte gut beleuchtet. Man
nähert dann die Tablette der Bordierschen Skala und liest ab.
Wie ich dies in Gemeinschaft mit Dr. Regaud am Kongreß in Dijon
nachweis, erscheint die Bariumplatinzyanürtablette viel dunkler, wenn man
sie in künstlichem Lichte betrachtet. Alles spielt sich also ab, wie wenn
man die Sensibilität der Tablette vermehrt hätte.
In meinem Radiochromoskop zeigt eine bei Tageslicht bis zur Teinte I
(5 H Einheiten oder 3,6 J Einheiten) bestrahlte Tablette die Teinte III.
Die Empfindlichkeit des Chromoradiometers ist also bei Ablesung kleiner
Dosen verdreifacht und diese bei Tageslicht recht schwierige Abschätzung
wird hierdurch sehr erleichtert.
Um jeden Irrtum auszuschließen, machen wir davon eine zweite
Ablesung in blauem Licht, welche diese erste Ablesung kontrollieren wird.
Man schiebt den Rahmen mit der blauen Glasscheibe, so weit es geht.
nach hinten und sofort scheint die Skala ins Tageslicht versetzt, aber in
ein Tageslicht, welche keine Fluoreszenz erregt.
Da diese Einschiebung des blauen Glases in ganz kurzer Zeit vor sich
seht, so ist der Beobachter zuerst ein wenig überrascht und fürchtet, eine
Vergleichung der Farben nicht vornehmen zu können. In Wirklichkeit
dauert aber diese Überraschung nur wenige Sekunden und man sieht, daß
die Tablette im Verhältnis zur Testskala weniger gefärbt ist. Man muß
beim oben gewählten Beispiel dieselbe bis zur Teinte I hinaufschieben, um
eine Farbengleichheit zwischen Tablette und Testfarbe zu erreichen.
Für alle unter 8 H (5.8 J Einheiten) liegende, also für alle schwachen
Dosen sind daher zwei sich gegenseitig kontrollierende Ablesungen möglich.
Hat man bei einer Ablesung in gelbgrünem Licht eine Teinte gefun-
den, die dunkler ist als die Teinte IV des Chromoradiometers, so geht man
direkt zur Blaulichtablesung über, welche die wirklich erzielte Teinte (SH
und mehr) anzeigen wird: starke Dosen.
Dem Instrument wird eine Tabelle mitgegeben, welche es erlaubt,
jederzeit die einer jeden Beleuchtung entsprechenden Dosen vor Augen
zu haben.
Vorteile des Instruments:
Trotz seiner Einfachheit hat das Instrument folgende Vorzüge. die
aufzuzählen beinahe überflüssig ist:
Das Radiochromoskop. 171
1. Eine immer vergleichbare, von Tages- und Jahreszeit, von Lage
und geographischer Breite unabhängige Beleuchtung.
2. Möglichkeit auch bei Nacht genau zu dosieren.
3. Möglichkeit, die unter 8 H liegenden Röntgenstrahlendosen sehr
genau abzuschätzen, infolge der Verdreifachung der Sensibilität der Tablette
in gelbem Licht.
4. Möglichkeit, gerade für kleine Dosen, welche bisher schwerer zu
schätzen waren, zwei sich gegenseitig kontrollierende Ablesungen zu haben.
5. Möglichkeit die Ablesung sehr lange auszudehnen, da man ein Ab-
blassen der Tablette nicht zu befürchten hat, Die Lichtquelle enthält ja
keine ultravioletten Strahlen und ist infolgedessen ohne Einfluß auf die
Tablette.
Garantien: Alle exakten Meßapparate, die Wagen ebenso wie die
Chronometer tragen ein Garantiezeichen oder sind von einem Kontroll-
schein begleitet. Nur die Chromoradiometer, die einzigen praktischen In-
strumente, die wir zur Messung der Röntgenenergie haben, weisen keine
Garantie für ein exaktes Funktionieren auf.
Wer nur ein derartiges Instrument besitzt, ist sehr schweren Fehlern
ausgesetzt (z. B. ein Chromoradiometer kann die Teinte III auf der Stelle
für die Teinte IV und letztere auf der für Teinte III vorgesehenen Stelle
tragen.?)
Um derartige Fehler zu vermeiden, über deren Vorkommen der Phy-
siker sich mit Recht wundern darf, muß ein jedes Radiochromoskop einen
unterschriebenen Prüfungsschein enthalten, der feststellt:
1. Daß die Glühlampe und das Blauglas, am prismatischen Spektro-
graphen mit Quarzlinsen geprüft, die richtige Farbe haben.
2. Daß das Verhältnis der Teinten im Gelblicht und im Blaulicht
demjenigen eines Kontroll- oder Standardapparats genau entspricht.
Die Radiotherapeuten haben dann einstweilen wenigstens das Maxi-
mum von Garantien in Erwartung einer vollkommenen Dosierungsmethode.
Nota. — Eine einfache Anordnung erlaubt, mit demselben Radio-
chromoskop ebenfalls das Chromoradiometer von Holzknecht und das
Radiometer von Sabouraud abzulesen, wenn man diese Instrumente be-
sitzt. Der Apparat ist deshalb ein Universalapparat zur Ablesung sämt-
licher Chromoradiometer. Übersetzt von Dr. A. Gunsett-Straßburg i. E.
ı) Ich habe ein derartiges Exemplar eines Chromoradiometers auf dem Kon-
greß zu Nimes im August 1912 gezeigt.
Über die optisch korrekte Ablesung von Farbänderungen
bei Röntgenstrahlendosimetern.
Von |
Dr. med. @. Bucky, Spezialarzt für Röntgenologie.
(Mit 3 Abbildungen.)
Do- nehmen eine Reihe von Röntgenstrahlendosimetern (H olz-
knecht, Sabouraud-Noiré, Bordier) die Farbänderungen be-
stimmter chemischer Körper bei Röntgenstrahleneinwirkung als Maß der
applizierten Strahlendosis. Dabei werden verschieden gefärbte Testblättchen,
deren Nuance empirisch im Verhältnis zur Erythemdosis gefunden wird, mit
einer bestralilten Pastille verglichen. Diejenige Farbstufe, die den be-
stralilten Plättchen am nächsten kommt, gibt dann die Dosis in Einheiten
(H, X, B) an.
So einfach sich auch in der Praxis eine Ablesung mit derartigen
Dosimetern bewerkstelligen läßt, und so plausibel die Grundlagen dafür
zunächst zu sein scheinen, so ändern sich jedoch die Verhältnisse, wenn
man die Vorgänge hierbei etwas näher ins Auge faßt. Es muß zunächst
daran erinnert werden, dab jede Farbänderung eines undurchsichtigen Körpers
der Ausdruck für die Änderung der Wellenlänge der von ihm reflektierten
Lichtstrahlen ist, und daß exakte Vergleiche von Wellenlängen nur mit
Hilfe der Spektralanalyse möglich sind. Dazu kommt, daß nur wenige
Menschen auf Grund einer großen Übung imstande sind, Farben ohne
Hilfsmittel ihrer Zusammensetzung nach zu beurteilen. Trotz der
größten Übung bleibt ein derartiger Farbvergleich stets etwas unvoll-
kommenes, da unser Auge im Gegensatz z. B. zum Ohr nicht imstande
ist, ohne Hilfsmittel die einzelnen Bestandteile eines „Lichtakkordes“ zu
erkennen. Der Farbvergleich wird aber um so schwieriger, je dichter die
einzelnen Nuancen im Spektrum nebeneinander liegen, wie es ja gerade
bei den Röntgenstrahlendosimetern der Fall ist.
Weiterhin spielt bei der Ablesung die zur Verfügung stehende Licht-
quelle eine wesentliche Rolle. Wie weiter unten ausgeführt werden wird, liegen
die Farbänderungen z. B. der Sabouraudpastille hauptsächlich im Gelb-
grün und Grün. Würden wir nun zur Ablesung eine Lichtquelle benutzen,
die keine gelben und grünen Strahlen aussendet, so wäre eine Farbänderung
des Testplättchens nicht wahrnehmbar, da Strahlen, die nicht vorhanden
sind, auch nicht reflektiert werden können. In Abbildung 1 ist die
Bucky, Ablesung v. Farbänderungen b. Röntgenstrahlendosimetern. 173
Absorptionskurve (Ta) eines unbestrahlten Sabouraudplättchens dargestellt.
Es ist daraus ersichtlich, daß ein derartiges Plättchen der Hauptmasse
nach grüne, gelbe und rote Strahlen reflektiert und daß Blau und Violett
in hohem Maße absorbiert werden. In der Tat erscheint ein derartiges
Plättchen, wenn man es bei einer Lichtquelle betrachtet, die nur blaue
und violette Strahlen enthält, fast schwarz, wohingegen dasselbe Plättchen,
bei einer Lichtquelle betrachtet, die in der Hauptsache nur Grün und
Gelb enthält, nicht von Weiß zu unserscheiden ist. Daraus dürfte hervor-
gehen, daß die Zusammensetzung der Lichtquelle von größter Bedeutung
ist. Aus demselben Grunde wird bei derartigen Dosimetern eine ganz
bestimmte Lichtquelle gefordert, z. B. beim Sabouraud diffuses Tageslicht.
Aber diese Forderung allein genügt nicht zur exakten Ablesung, da das
Tageslicht seine Zusammensetzung je nach der Tageszeit ändert (Abend-
rot). Man dürfte eigentlich die Ablesung nur mittags vornehmen und
zwar möglichst bei leicht bedecktem Himmel, denn auch die Bewölkung
übt einen bedeutenden Einfluß auf die Zusammensetzung des Lichtes aus.
ROT GELB GRÜN BLAU VIOLET
Wolkenloser Himmel strahlt eine große Menge von blauen Strahlen aus,
deren Menge je nach der Dichte der Wolkenschicht abnimmt. Dazu
kommt noch, daß auch die Farbe der Tapete des Zimmers, in dem die
Ablesung vorgenommen wird, keine unwesentliche Rolle spielt. Es ist
leicht ersichtlich, daß z. B. eine blaue Tapete viele derjenigen Strahlen,
die zur Ablesung notwendig sind, verschlucken wird.
Alle diese Forderungen in der Praxis zu erfüllen, dürfte nicht ohne
weiteres möglich sein. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, hier Abhilfe zu
schaffen (Holzknecht-Skala), jedoch waren die Wege, die dabei einge-
schlagen wurden, wie ich glaube, nicht völlig genügend. Um zunächst die
Ablesung mit Rücksicht auf die Wellenlänge exakter zu gestalten, war
es zweckmäßig, den Farbvergleich in einen Intensitätsvergleich um-
zuwandeln. Anstelle der Abschätzung der Nüancen tritt dann der Ver-
gleich von Helligkeit. Diese Art von Ablesung ist schr einfach und er-
fordert keine Übung. Wie diese Umwandlung geschieht, soll in folgendem
des näheren auseinandergesetzt werden.
174 Bucky,
Wir haben oben gesehen, daß es durch geeignete Lichtquellen mög-
lich ist, das unbestrahlte Plättchen weiß erscheinen zu lassen und das be-
strahlte fast schwarz. Beim praktischen Gebrauch wäre es aber etwas unhand-
lich, wenn wir diesen Effekt durch farbige Lichtquellen erreichen wollten:
anstelle der Lichtquellen setzen wir daher Lichtfilter. Die Absorp-
tionskurve eines derartigen Filters, wie er sich als zweckmäßig erwiesen
hat, ist in der Abbildung 1 mit F bezeichnet. Lassen wir weißes Licht
einen derartigen Filter passieren, so werden fast alle Strahlen, bis auf einen
kleinen Teil der grünen Strahlen absorbiert. Also nur dieser geringe Teil
des gesamten Spektrums wird durchgelassen. In praxi haben wir dann
ein fast monochromes Licht bei dem Teinte a des Sabouraud- Dosi-
meters gleich hell wie weiß erscheinen muß, denn der Filter läßt, wie
aus der Kurve hervorgeht, auch bei weißem Licht nur den kleinen Teil
der obenerwähnten grünen Strahlen hindurchtreten. Teinte a reflektiert
aber fast alle grünen Strahlen, die überhaupt den Filter passieren können.
Anders gestalten sich die Verhältnisse bei Teinte b (Kurve T b). Im Gegen-
satz zur unbestrahlten Sabouraudpastille absorbiert die bestrahlte noch bis zum
gewissen Grade den größten Teil der grünen Strahlen (abgesehen von dem
quantitativen Unterschied im blauen und violetten Teil des Spektrums), woher
die Farbänderung nach dem Gelb hin resultiert. Gerade diese grünen
Strahlen läßt aber der Filter allein durch. Da diese Strahlen beim be-
strahlten Plättchen wesentlich verringert sind, muß also die Helligkeit
desselben durch das Filter betrachtet gleichfalls wesentlich verringert sein.
Der Filter bewirkt demnach eine Steigerung der Helligkeitsdifferenz zwischen
dem bestrahlten und unbestrahlten Plättchen und infolgedessen eine leichtere
Ablesung der Zwischenstufen. Da aber nur Strahlen einer Farbe zu be-
obachten sind, wird der Farbvergleich in einen Helligkeitsvergleich übergeführt,
was wiederum einer bedeutenden Erleichterung der Ablesung gleichkommt.
Endlich spielt bei der Ablesung mit dem Filter die Zusammensetzung der
Lichtquelle keine Rolle (vorausgesetzt, daß sie überhaupt nur grüne
Strahlen enthält), denn alle überflüssigen Strahlen, die die Ablesung be-
einflussen könnten, werden völlig ausgeschaltet. Dasselbe gilt von etwa
vorhandenen störenden Einflüssen von seiten farbiger Tapeten usw.
Schr einfach gestaltet sich die Ablesung der Zwischendosen, da als
Vergleich eine gleichmäßig verlaufende Grauskala hinter dem Filter ver-
wendet werden kann. Mit Hilfe dieser Skala macht es keine Schwierig-
keiten Dosen von 1—2 X abzulesen.
Die ganze Vorrichtung ist in einem kleinen Kästchen vereinigt. In
Abb. 2 bedeutet RL die Röntgenlampe, B ist ein Befestigungsband, welches
das Kästchen G an der Röhre fixiert. AA sind Elfenbeinstifte, die die
Entfernung des Testplättchens T von der Röhrenwand konstant auf 2 cm
Ablesung von Farbänderungen bei Röntgenstrahlendosimetern. 175
halten. Das Testplättchen T ruht auf einem kleinen Bleitisch H, der
durch die Klappvorrichtung CK gegen die Scheibe S gepreßt werden kann.
Die Scheibe S, die auf der Vorderseite die verlaufende Grauskala trägt,
wird durch die Schraube M am Blättchen T vorbeigeführt. L ist eine
Beleuchtungslampe im Innern des Kästchens. Durch den Filter F blickt
das Auge in den Blendtrichter D, der das störende seitliche Licht ab-
hält und an dessen Ende in einem Schlitz die Grauskala und das umge-
klappte Testplättchen sichtbar ist. Beim Umklappen des Tischchens H
wird automatisch die Lampe L eingeschaltet; infolgedessen erblickt man
Pastille und Skala stets bei konstanter Beleuchtung. Die Skala trägt
auf ihrem unteren Rande Zahlen, die den X-Dosen entsprechen, sodaß
diese leicht abgelesen werden können. Das ganze Kästchen ist so
klein gehalten, daß es in jedem Stativ an der Röhre bleiben kann, sodaß
die Ablesung während der Bestrahlung, indem der Hochspannungsstrom
nur für ganz kurze Zeit unterbrochen wird, vorgenommen werden kann.
Über dem Tischchen H ist ferner eine kleine Einrichtung zur Aufnahme
von Röntgenstrahlenfiltern vorgesehen.
176 Bucky, Ablesung v. Farbänderungen b. Röntgenstrahlendosimetern.
Das Kästchen wird so an der Röhre angebracht, daß die Sabouraud-
pastille von gleich intensiven Strahlen getroffen wird, wie das eigentliche
zu bestrahlende Feld F; die Anordnung ist in Abb. 3 skizziert, in der RL
die Röntgenlampe, K das Kästchen, SS Röntgenstrahlen darstellen, die den
gleichen Winkel mit dem mittleren Zentralstrahl Z bilden, mithin auch
gleiche Intensität besitzen.
Die kleine Vorrichtung!) besitzt demnach folgende Vorzüge: sie er-
möglicht
1. optisch exakte Ablesung bei konstanter Lichtquelle und Ausschal-
tung der sonstigen optischen Fehler-
quellen;
2. erleichtertes Ablesen durch
Überführung des Farbvergleichs in
Helligkeitsvergleich („Grau“);
3. Ablesung während der Be-
strahlung ohne Entfernung der Pastille
von der Röhre:
4. Ablesung von Zwischendosen
mit einer Genauigkeit von 1—2 X;
5. Vermeidung des Zurückgehens
der Teinte, da das Testplättchen
FE während der Bestrahlung und während
Fig. 8. der Ablesung vor Tageslicht völlig ge-
schützt ist.
(Auf dem diesjährigen physio-therapeutischen Kongreß hat Nogier
eine Vorrichtung demonstriert, wobei er eine Lichtquelle verwendet, deren
Spektrum dem des Tageslichtes möglichst nahekommen soll und dabei
konstant ist. Er benutzt dazu einen Blaufilter und eine Glühlampe. Der
Vorteil dieser Anordnung besteht darin, daß man dabei jedes Farbdosi-
meter benutzen kann; hingegen dürfte es nicht möglich sein, damit ohne
weiteres Zwischendosen abzulesen, denn bezüglich der Erleichterung und
Verfeinerung der Ablesung dürfte ein wesentlicher Vorteil gegenüber den
gebräuchlichen Methoden nicht resultieren, da der Blauanteil bei den Farb-
änderungen nur quantitativ verschieden und auf die charakteristischen
gelben Strahlen keine Rücksicht genommen ist.)
. 1) Der kleine Apparat wird von der Firma Siemens & Halske, Berlin herge-
stellt. Die genannte Firma hat mich bei den Vorversuchen in dankenswerter
Weise unterstützt. Namentlich Herr Ingenieur Verständig hat sich um die feinere
Konstruktion der Vorrichtung redlich und mit Erfolg bemüht.
Die Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren
und ihre Kombinationen.')
- Von
Dr. Christoph Müller in Immenstadt.
eine Herren! Alle Versuche, röntgentherapeutisch die malignen Tu-
moren nach ihrem Empfindlichkeitsgrade gegen X-Strablen zu klassi-
fizieren, haben bis jetzt fehlgeschlagen. Selbst die im großen und ganzen
richtige Erfahrung, daß die Chancen der Beeinflussungsfähigkeit mit zu-
nehmendem Tiefensitze der Geschwulst sinken, bestätigte sich sehr häufig
nicht insofern, als ganz oberflächliche Tumoren nicht allzuselten als sehr
hartnäckig sich erwiesen, und in der Tiefe sitzende Geschwülste hie und
da unerwartet schnell reagierten.
Man fand sich bis nicht vor langem mit der Annahme ab, daß unter
Anerkennung der prinzipiellen Fähigkeit der X-Strahlen, die Karzinom-
zelle zu zerstören, diese Fähigkeit in ausreichender Weise den weicheren
Strahlenarten zukommt, und daß bei der geringen Penetrationsfähigkeit der-
selben ein Tiefeneffekt nur schwer denkbar ist. Wenn trotzdem oberfläch-
lich gelegene Tumoren nicht reagierten, so schrieb man dies mangelhafter
Technik zu; die allerdings seltenen Erfolge bei tieferen Geschwülsten nahm
man, weil die Diagnose meistens mikroskopisch nicht gestützt werden
konnte, mit Skepsis auf.
Diese Irrlehre ist jetzt überwunden durch die Erkenntnis, daß wie
jede andere Strahlung, so auch die Röntgenstrahlung physikalisch und somit
auch therapeutisch nur da wirksam sein kann, wo sie absorbiert wird.
Und so ist der Schluß berechtigt, daß allen der Röntgenröhre entstam-
menden Strahlen der gleiche biologische Effekt zukommt, daß dieser Effekt
sich selbstredend nur am Orte der Absorption geltend macht und dal)
daher die harten Strahlen, die ja allein für die Tiefenbehandlung in Frage
kommen, für uns den gleichen therapeutischen Wert besitzen, wie die
weichen Strahlen, vorausgesetzt daß es uns gelingt, sie an der gewünschten
Stelle zur Absorption zu bringen, ohne die deckenden gesunden Gewebs-
schichten zu schädigen.
Diese letzte technische Forderung ist dank den enormen Fortschritten
der Bestrahlungstechnik jetzt vollauf erfüllt. Es gibt hierfür wohl keinen
1) Vortrag, gehalten am 19. Juni 1913 in der Gynäkologischen Gesellschaft,
München.
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 12
178 Müller,
schlagenderen Beweis, als die Heilung der Myome mit Röntgenstrahilen,
die von einigen Autoren schon auf hundert Prozent angegeben wird, d. h.,
daß es in allen Fällen fast ausnahmlos technisch gelingt, das nötige Quantum
Röntgenstrahlen, ja sicher noch. mehr ohne oberflächliche Schädigung an
die Uterusmyome heranzubringen.
Lehrt uns dieser ungeahnte therapeutische Effekt in eindeutiger Weise,
daß die Technik der Tiefenbestrahlung für die Lokalisation der Uterus-
myome auf eine geradezu ideale Höhe gebracht ist, so können wir weiter
daraus schließen, daß diese Tiefenbestrahlungstechnik auch für alle tief-
gelegenen malignen Tumoren eine durchaus ausreichende sein muß; denn
wenn das Myom sich auch durch eine große Empfindlichkeit gegen Röntgen-
strahlen auszeichnet, so muß doch diese Technik auch für die Karzinome
hinreichen, wenn man bedenkt, daß mit ihr es gelingt, über zweitausend X
in die Tiefe zu schicken, eine Strahlenquantität, die wenn überhaupt ein
therapeutischer Effekt erreichbar ist, den Anhängern selbst der intensivsten
Bestrahlungsforderungen genügen wird. Aus diesen Tatsachen müssen wir
weiterhin schließen, daß von jetzt ab bei der Beurteilung, warum die ver-
schiedenen malignen Tumoren in verschiedener Weise auf X-Strahlen
reagieren, die bisherige Annahme der Unmöglichkeit in alle Schichten des
Organismus entsprechend wirksame Strahlen zu bringen, wegfällt.
Man hat selbstredend auch bisher in erster Linie die Empfindlich-
keitsunterschiede im Tumor selbst gesucht, man hat mit vollem Eifer, aber
vergeblich Kriterien hiefür in der histologischen Struktur der Geschwülste,
in der Lokalisation in den einzelnen Organen und Tiefenschichten, in der
Lokalisation an gewissen Körperpartien, in der Konsistenz in der Waclıs-
tumsschnelligkeit, in der Zerfallsneigung, in der Metastasierungsfähigkeit
und in den kachektischen Begleiterscheinungen zu finden sich bestrebt, aber
man hat dann, als all diese Wege vergeblich eingeschlagen waren, immer
wieder der verschiedenen biochemischen Wirkung der Strahlenarten und
der nicht hinreichenden Bestrahlungs- hauptsächlich Tiefenbestrahlungs-
technik die Hauptschuld zugewiesen. Zusammenfassend gesagt, fand man
sich mit der Annahme ab, daß wohl ein Teil der Ursachen für die Sensi-
bilitätsverschiedenheiten in den Tumoren selbst, ein anderer, vielleicht der
Hauptteil hingegen in der verschiedenen biochemischen Wirksamkeit der
Strahlenarten und mangender Technik zu suchen ist. Können wir aber
jetzt mit Bestimmtheit festlegen, daß es eine eigentliche Strahlenqualität
in biochemischem Sinne nicht gibt, sondern daß es sich lediglich darum
handelt, ein bestimmtes Strahlenquantum, gleich viel welcher Qualität, in
einem Tumor zur Absorption zu bringen, steht es fernerhin fest, daß die
Bestrahlungstechnik uns dies in hinreichendem Maße ermöglicht, so hat
sich hiermit die Situation ganz bedeutend verschoben, insofern als die
Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 179
Ursachen für die Empfindlichkeitsverschiedenheiten der Tu-
moren nicht mehr zum Teil, sondern ausschließlich in ihnen
zu suchen sind.
Wissen wir weiterhin, daß unsere therapeutischen Erfahrungen mit
der jetzigen vervollkommneten Bestrahlungstechnik der malignen
Tumoren ebensowenig wie die Bestrahlungstechnik der früheren beschränkten
Tiefenbestrahlung irgendwelche Einteilungsmöglichkeit im Sinne der oben
angeführten Geschwulstcharakteristika, histologische Struktur, Wachstums-
schnelligkeit und dergleichen zuläßt, so sind wir gezwungen, einen anderen
Weg zur Lösung dieser wichtigen Frage des Empfindlichkeitsgrades der
Geschwülste gegen Röntgenstrahlen zu suchen, einen Weg, der die ganze
Bestrahlungstechnik und Strahlenqualität außer Acht, hingegen in der Ge-
schwulst selbst uns typische Eigenschaften erkennen läßt, die ausschließlich
oder wenigstens vornehmlich den Empfindlichkeitsgrad bestimmen. Dieser
Weg ist uns durch die exakten Studien über das biochemische Ver-
halten der Zellen gegenüber X-Strahlen vorgezeichnet.
Diese Studien setzten ein mit der Schwarzschen!) Theorie, nach
der das Lezithin den hauptsächlichsten Angriffspunkt für die Strahlen-
wirkung bildet, von ihnen zersetzt wird, und dessen Zerfallsprodukte, haupt-
sächlich das Cholin die Zelle zerstören. Die nächste Theorie, die Neu-
bergsche?) nimmt an, daß die Strahlen die wichtigsten Zellfermente
des Stoffwechsels vernichten, wobei aber die autolytischen Fermente er-
halten oder in ihrer Wirksamkeit sogar gesteigert werden sollen. Gegen
die letzte Theorie sprechen nun folgende Erfahrungen. Man wies nach,
daß in vitro das Lezithin leicht durch Lichtstrahlen,’) Radium*) und
Röntgenstrahlen?) in seine chemischen Bestandteile gespalten wird. Außer-
dem konnte Mesernitzky®) durch einwandfreie Versuche feststellen, daß
das Lezithin in gekochten Eiern, bei welchen also die Fermente zerstört
waren, durch Radiumstrahlen ohne quantitativen Unterschied ebenso ge-
spalten wird wie in frischen Eiern, so.daß also die autolytische Theorie
der Zerstörung gewisser Zellfermente durch Strahlen fallen gelassen und
die Lezithinhypothese für die Strahlenwirkung angenommen werden kann.
I! Schwarz, Pflügers Archiv 1903, Bd. 1.
2) Neuberg, Zeitschrift f. Krebsforschung 1904, Bd. 2.
3) Freund, Diskussionsbemerkung zu Schlachtas Vortrag in der Gesellschaft
für innere Medizin. Wien 1905.
4) Werner, Zur Kenntnis und Verwertung der Rolle des Lezithins bei der
biologischen Wirkung der Radium- und Röntgenstrahlen. Deutsche med. Wschr.
1905, Nr. 2.
6) Exner, Vortrag in der Wiener Gesellschaft der Ärzte am 9. Juni 1904.
6) Mesernitzky, Russky Wratsch 1907, Nr. 9 und 1910, Nr. 12.
12*
180 Müller,
Eine dritte physiko-chemische Hypothese der Strahlenwirkung
behandelt eine hochwichtige Arbeit Tschachotins,!) die sich auf Grund
der Overtonschen und H. Meyerschen Lipoidtheorie, der Studien
O. Warburgs?) über Zelloxydationen und J. Loebs’) über Einfluß der
zytolytischen Agentien auf künstliche Entwicklungserregung des tierischen
Eies mit der Möglichkeit befaßt, daß durch chemisch wirksame Strahlen
die sogenannten Plasmahautkolloide verändert, die Permeabilität dieser
dünnen Plasmahüllen modifiziert würden, so daß die de norma nicht durch-
gelassenen Jonen des umgebenden Mediums in die Zelle nunmehr eintreten
und hier die letalen Verheerungen anstiften würden.
Tschachotin kommt auf Grund exakter Experimente zu dem
Schlusse, daß die Zerstörung der Plasmahaut eine eminente Rolle bei
Hemmung und Vernichtung von vitalen Prozessen spielt, und dal; dies
auch bei der Strahlenwirkung im allgemeinen der Fall ist. Besonders
sprechen hierfür, daß in allen Zellen die Plasmahaut irreversibel ver-
ändert wird und infolgedessen der Zellkörper der Einwirkung der giftigen
Jonen des umgebenden Mediums anheimfällt, seine Versuche, nach denen
es gelungen ist, unbefruchtete Eizellen mittels peripherem mikroskopischen
Stralilenstichs künstlich zur parthenogenetischen Entwicklung anzuregen.
Weiterhin kommt er aber auch zu dem für uns hier besonders wichtigen
Schluß, daß wenn es sich um lezithinreiche, besonders auch
Krebsgeschwulstzellen handelt, für die Erklärung der elektiven
Strahlenwirkung. der Zerfall des Lezithins und Zytolyse durch
Einwirkung seiner Spaltprodukte der ausschlaggebende
Faktor ist.
Konnten wir nun bereits auf Grund der physikalischen und biolo-
logischen Erkenntnis der Absorptionsnotwendigkeit der Röntgenstrahlen
den Begriff Strahlenqualität bei der Beurteilung der Empfindlichkeitsfrage
der verschiedenen Krebszellen gegen Röntgenstrahlen ausschließen, können
wir des weiteren auf Grund der vervollkommneten Tiefenbestrahlungs-
technik für alle in den einzelnen Körpertiefen gelegenen Tumoren die
notwendigen Absorptionsmöglichkeiten als gegeben annehmen, können wir
schließlich auf Grund der eben ausgeführten durch einwandfreie wissen-
schaftliche Untersuchungen gestützte Erwägungen für die Strahleneinwirkung
1) Tschachotin., Über Strahlenwirkung auf Zellen, speziell auf Krebsgeschwulst-
zellen und die Frage der chemischen Imitation derselben. Münch. med. Wschr. 1912,
Nr. 44, 8. 2379.
®) Warburg, Über Beeinflussung der Sauerstoffatmung. Zeitschr. f. physiol.
Chemie 1911, Bd. 70, S. 413.
3) Loeb, Die chemische Entwicklungserregung des tierischen Eies (künstliche
Parthenogenese). Berlin, J. Springer 1909.
Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 181
auf die Zelle die Ferment- und Plasmahauttheorie außer Betracht lassen,
so bleibt uns für die Beurteilung dieser Frage einzig und allein
die Strahlenwirkung auf das Lezithin und die Zellgiftwirkung
des Lezithinzerfallproduktes Cholin übrig.
Steht jetzt fest, daß unter günstigen Bedingungen die Röntgenstrahlen
in der Lage sind, Lezithin zum Zerfall zu bringen und dabei als wich-
tigstes Endprodukt Cholin abzuspalten, so wissen wir aber auch nach den
bekannten Arbeiten Werners und Aschers, daß das COholin allein in
der Lage ist, wie die Strahlen die Zelle zu schädigen und durch die
Störung des fermentativen Stoffwechsels eine Zersetzung der Zellipoide
einzuleiten. Ich habe bereits die Wirkungsarten des Cholins und der
Röntgenstrahlen dahin zu charakterisieren versucht,!) daß bei der Strahlen-
wirkung das durch die Röntgenstrahlen labiler gemachte Lezithin auf
Grund einer nicht wesentlich geänderten fermentativen Tätigkeit zum
Zerfall gebracht wird, wobei sich das Zellgift Cholin abspaltet. Die
Wirkung des Cholins hingegen auf die Zelle macht sich primär in einer
Störung der fermentativen Tätigkeit geltend, mit welcher ihrerseits das
nicht oder nicht wesentlich veränderte Lezithin zu obigem Zerfall gebracht
werden kann. Diese Wechselwirkung zwischen Röntgenstrahlen auf das
Zelllezithin und des Cholins auf das Zellleben und Zelllezithin können wir
uns folgendermaßen im Tumorstoffwechsel vorstellen. Der in jedem
malienen Tumor in mehr oder weniger hohem Grade sich abspielende
Wachstumsprozeß, einhergehend mit einem mehr oder weniger hochgradigen
frühzeitigen Zellzerfall, wird als Nekrobiose bezeichnet. Bei einem
solchen schnellen Zellzerfallsprozesse spaltet sich selbstredend auch Cholin
ab. das von den zerfallenen Zellen her teils in die Gewebssäfte, teils in
den Lymphstrom resp. in den Blutkreislauf übertreten wird. Das in die
Gewebssäfte übergetretene Cholin wird nur in die Zellen der unmittelbaren
Nachbarschaft aufgenommen und dort seine oben geschilderte Giftwirkung
entfalten können, während die übrigen Partien des Tumors von der Gift-
wirkung direkt von Seite der Gewebssäfte frei bleiben werden. Diese
Partien des Tumors können höchstens von dem in das Blut übergetretenen
Cholin getroffen werden, in welchem diese Substanz aber eine derartige
Verteilung erfahren hat, daß nur ein geringer Bruchteil hiervon in Betracht
kommt. Die Verteilung des Cholins im Blutkreislauf und im Organismus
überhaupt ist dann eine derartige, dal die normalen Zellen des Körpers
hiervon nicht wesentlich geschädigt werden. Anders aber wird sich diese
geringe Menge des im Blut kreisenden Cholins geltend machen können auf
die gesamten Tumorzellen, wenn diese, an und für sich schon mehr zum
1) Müller, Christoph, Strahlentherapie Bd. 2, H. 1, S. 18?.
182 Müller,
Zerfall geneigt wie normale Zellen, noch durch Strahlenwirkung geschädigt
und für den Lipoidzerfall vorbereitet sind. Jetzt läßt sich denken, daß
eine geringe durch das kreisende Cholin hervorgerufene fermentative
Störung diese an und für sich schwachen Zellen schädigt, und der Zer-
setzungsprozeß der Lipoide eingeleitet wird, während die gleiche minimale
Cholinschädigung der noch nicht bestrahlten Tumoızelle, geschweige denn
einer normalen Zelle nichts anhaben kann. Es käme so letzten Endes
für den Zerfall der Karzinomzelle nur die Menge des in der
Zelle sich abspaltenden und des von außen an sie heran-
tretenden Cholins in Betracht. Und wenn unsere Schlußfolgerungen
richtig sind, muß nun mit dem Cholin allein ohne Hinzuziehung jeglicher
Strahlenwirkung ein der Strahlenwirkung gleicher oder nahezu gleicher
Effekt erzielt werden können, ohne Rücksicht darauf, ob das Cholin dem
Tumor oder dem Organismus künstlich einverleibt wird, oder ob dasselbe
aus dem zerfallenen Zelllezithin stammt. |
Die Arbeiten Werners’) und Aschers?) liefern uns hierfür einen
vollen Beweis. Durch Cholininjektionen dicht unter die Epidermis konnte
nach einer 6—8 tägigen Latenzzeit eine zirkumskripte Entzündung der
Haut erreicht und zum Teil auch unter Einhaltung der den verschiedenen
Stufen der Radiodermatitis entsprechenden Latenzzeit, die Röntgenver-
brennung in den verschiedenen Graden imitiert werden.
Ebenso konnten beim Kaninchen mit Cholineinspritzungen die Ver-
änderungen des Blutbildes, der gesetzmäßige Absturz der Leukozytenzahl,
sowie der ebenso regelmäßig auftretende Anstieg zur Hyperleukozytose
quantitativ und qualitativ in ganz gleicher Weise erreicht werden wie nach
intensiver Röntgenbestrahlung.
Des weiteren konnten durch Einspritzung größerer Cholindosen männ-
liche Kaninchen sterilisiert, durch geringere Dosen weibliche Kaninchen,
die vorher regelmäßig geworfen hatten, monatelang steril erhalten werden.
Bei weiterer Herabminderung der Dosis wurden zwar Würfe erzielt, doch
zeigten die Embryonen Verkümmerungen und Mißbildungen, sowie auch
Starbildungen an den Augen, wie sie v. Hippel und Pagenstecher
nach Röntgenbestrahlungen gefunden hatten. Die Versuche mit Cholin
bei Mäusekarzinom und die therapeutischen Effekte bei Sarkomen, Karzi-
nomen und Lymphomen am Menschen des näheren zu schildern, würde
zu weit führen, auch hierbei war eine auffallende Ähnlichkeit mit der
Röntgenstrahlenwirkung konstatierbar.
Doch erscheint es mir wichtig, auch hier zu betonen, daß die von
Werner beschriebenen Intoxikationserscheinungen von seiten des Cholins:
!) Werner, Strahlentherapie Bd. 1, S. 442.
2) Werner u. Ascher, Strahlentherapie Bd. 1, S. 452.
Röntgeustrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 183
Speichelfluß, Schwindel und Schwächegefühl, Herzklopfen und Übelkeiten,
dann die Vergiftungserscheinungen, die er auf Abspaltung von Trimethyl-
amin oder Übergang in Neurin zurückführt: profuse Diarrhöen, Erbrechen,
Schweißausbruch, Prostration, Herzschwäche und Schmerzen im Unterleib,
ich möchte fast sagen so wortwörtlich mit den von mir früher geschil-
derten Krankheitsbildern, die sich bei intensiver Röntgenbestrahlung von
Tumoren ergeben, übereinstimmen, daß man geneigt sein könnte, schon
daraus einen Schluß auf die Ähnlichkeit der Endwirkung der Röntgen-
strahlen und des Cholins zu ziehen.
Nach diesen beweisenden Erörterungen müssen wir
Röntgenstrahlenwirkung und Cholinwirkung auf die Zellen
als identisch bezeichnen. Der Grad der Einwirkung der Röntgen-
strahlen auf gewisse Gewebspartien wird dementsprechend abhängig sein
von der Menge des in diesen Gewebspartien aus Lezithin frei gewordenen
Cholins. Und diese Menge freigewordenen Cholins wird selbstverständlich
abhängig sein von der Menge des in diesen Gewebspartien in den einzelnen
Zellen aufgespeicherten Lezithins und von der Leichtigkeit, mit der dieses
Lezithin zum Zerfall gebracht werden kann. Zwei Hauptpunkte müssen
wir so für die Beurteilung der Intensität der Einwirkung der Röntgenstrahlen
auf die einzelnen Zellen im Auge behalten, die Lezithinmenge dieser
Zellen und die Festigkeit ihres Lezithins. Nun lehrt uns aber
die Erfahrung, daß, je mehr Lezithin die Zelle enthält, desto lockerer
ihr Lezithin ist, d. h. desto leichter ihr Lezithin zum Zerfall gebracht
werden kann. Lezithinreichtum und Lezithinfestigkeit können dement-
sprechend zusammengefaßt werden und ich komme zu dem Endschlusse,
daß der Lezithinreichtum einer Zelle allein die Leichtigkeit der Cholin-
abspaltung und die Menge des zur Abspaltung gelangenden Cholins
bestimmt und so, nachdem Oholin- und Röntgenstrahlenwirkung identisch
ist, allein maßgebend ist für die Intensität der Einwirkung der Röntgen-
strahlen auf die Zelle, oder anders ausgedrückt, daß der Grad der
Empfindlichkeit einer Zelle gegen X-Strahlen in einem direkten
Verhältnis steht zu der in der Zelle enthaltenen Menge
Lezithin.
Sind wir so durch die ganze Reihe der bisher ausgeführten, durch
einwandfreie Experimente gestützte Untersuchungen zu dieser meiner These
geführt worden, so wird die Kette der Beweise für die Richtigkeit derselben
vollkommen geschlossen durch all das, was uns über den Lezithingehalt der
einzelnen Gewebe bekannt ist. Es müssen die Gewebe, von denen wir
wissen, daß sie besonders auf Röntgenstrahlen reagieren, lezithinreicher sein,
und die Abstufung des Lezithingehalts der verschiedenen Gewebe mub
parallel laufen mit der Reaktion derselben gegen Röntgenstrahlen.
184 Müller,
Hierfür stehen uns folgende Zahlenergebnisse zur Verfügung. In
Prozenten ausgedrückt enthält:
Skeletmuskel!) . . 28% Lezithin des Trockenrückstandes
Leber?). . ...48% s5 3
Hodengewebe?) . . 73% =
Tumorgewebe®) . . 5,5—8% ,
Wie sehr dieses Zahlenverhältnis mit der Reaktionsfähigkeit der ein-
zelnen Gewebsarten gegen Röntgenstrahlen übereinstimmt, leuchtet auf den
ersten Blick ein. Es erhellt aber auch aus diesen Zahlen, wie groß der
Unterschied der Reaktionsfähigkeit der Tumorzellen dem Unterschied an
Lezithingehalt entsprechend sein kann, besonders wenn man berücksichtigt,
daß in ein und demselben Tumor der Lezithingehalt aller Zellen ja nicht
gleich ist, und wenn man beispielsweise bei einem Carcinoma hepatis 8%
Lezithingehalt des Trockenrückstandes gefunden hat, diese 8%, ja nur die
Durchschnittszahl des Lezithingehaltes aller Zellen bedeutet. Wenn dann
eine größere Anzahl von Zellen dieses Leberkarzinoms nehmen wir an nur
6% Lezithingehalt hatte, so muß eine gewisse Anzahl von Zellen dieses
Karzinoms mehr wie 8%, Lezithingehalt gehabt haben, damit die Durch-
schnittszahl 8% erreicht werden konnte. Die großen Schwankungen
der Empfindlichkeit der Tumorzellen gegen X-Strahlen
stehen alsoim vollen Einklange mit der gefundenen pro-
zentualen Differenz des Lezithingehaltes.
Es erübrigt nunmehr noch zu erwägen, inwiefern die G. Schwarz-
sche Theorie, deren Richtigkeit jetzt allgemein anerkannt ist, mit der
Lezithinerklärung in Einklang gebracht werden kann. Diese Theorie sagt
uns, dab ein und dasselbe Gewebe je nach dem Grade seiner Blutfüllung
einen verschiedenen Empfindlichkeitsgrad gegen Röntgenstrahlen hat in dem
Sinne, daß hyperämisches Gewebe mehr und anänisches Gewebe weniger
empfindlich gegen X-Strahlen ist als mit Blut normal gefülltes. Daß
hierbei auch das Lezithin, resp. Cholin die Hauptrolle mitspielt, darf wohl
daraus geschlossen werden, daß das normalerweise im Blut kreisende
Cholin, das in einem mit einem Tumor behafteten Organismus sicher ver-
mehrt ist, mit gesteigerter Blutzufuhr in erhöhter Menge an eine hyper-
änische Gewebspartie herangebracht wird und dort die Röntgenwirkung
unterstützt. Ferner geht die Hyperämie immer Hand in Hand mit
Steigerung des Stoffwechsels, und es wird in Zellen eines hyperämischen
„ „
29 >)
1) Oppenheimer, Handbuch der Biochemie Bd. 2, H. 2, S. 270.
2) Ibid. Bd. 3, H. 1, S. 154.
3) Ibid. Bd. 3, H. 1, S. 353.
4) Bossart, Zur Chemie der Verfettung in krankhaften Neubildungen usw.
Inaug.-Dissert. Basel 1902.
Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 185
(sebietes der autolytische Prozeß begünstigt und beschleunigt werden. Und
endlich haben die roten Blutkörperchen die Eigenschaft, ohne zu zerfallen,
einen Teil ihrer Lipoide abgeben zu können und ihn anderweitig wieder
zu ersetzen. Diese Lipoidabgabe von Seite der roten Blutkörperchen wird
in die Gewebssäfte einer hyperämischen Gewebspartie in erhöhtem Maße
erfolgen und damit dort die Cholinbildung und Cholinmenge, resp. die
Röntgenstrahlenwirkung in gesteigerter Weise sich geltend machen. Vice
versa gestaltet sich das Bild im anämischen Gebiete. Diese meine Er-
klärung der gesteigerten Reaktion des hyperämischen Gewebes durch ver-
mehrte resp. beschleunigte Cholinbildung und durch gesteigerte Cholin-
zufuhr wird gestützt durch die ausnahmslos makroskopisch und mikro-
skopisch nachweisbare Tatsache, daß der Rückbildungsprozeß in Tumoren
immer mit gesteigerter Blutzufuhr zum Tumor einsetzt, eine Erscheinung,
auf die ich anderweits!) bereits ausführlich hingewiesen habe und die wir in
allen Stadien unseres therapeutischen Vorgehens uns nicht oft genug vor
Augen halten können.
Trotzdem die These von der ausschlaggebenden Wichtigkeit des Lezi-
thingehaltes einer Gewebsart durch alles bisher Ausgeführte vielseitig ge-
stützt ist, so wäre der offenkundigste Beweis doch wohl der, wenn wir
verschiedene Tumoren, die nach entsprechend langer Bestrahlung eine ver-
schiedene Empfindlichkeit gegen die Bestrahlung gezeigt haben, exstirpieren
und auf ihren Lezithingehalt untersuchen würden. Bei Mäuse- und Ratten-
tumoren wäre dies wohl möglich, aber nicht beweiskräftig, weil ja leider
das Verhalten der Tiertumoren gegenüber therapeutischen Eingriffen ein
ganz anderes ist als das der Tumoren beim Menschen. : Tumoren bei
Menschen aber, die gut auf Bestrahlung reagieren, wird man nicht exstir-
pieren, sondern durch Bestrahlung vollständig zum Verschwinden zu bringen
suchen; hingegen erscheinen mir Untersuchungen von auf Bestrahlung re-
fraktär gebliebenen Tumoren nach ihrer Exstirpation auf Lezithingehalt
notwendig. Dieselben müßten dann einen Lezitlingehalt unter dem des
Hoden- event. Drüsengewebes aufweisen.
All diese Beweise wären ja überhaupt weiterhin nicht nötig, wenn,
was ja gleich anfangs nach Erkenntnis der Identität der Cholin- mit
Röntgenstrahlenwirkung versucht wurde, die chemische Imitation der Rönt-
genstrahlen mit Cholin beim Menschen in allen Punkten möglich gewesen
wäre. Die intra- und paratumoralen Injektionen von Cholin ergaben ja
diesbezügliche befriedigende Ergebnisse; aber intravenöse Injektionen von
Cholin in so hinreichender Menge, daß die Lokalwirkung in einer Ge-
schwulst einer dort durch Röntgenstrahlen erreichbaren Wirkung gleich-
1) Müller, Christoph, Strahlentherapie Bd. 2, H. 1, S. 184.
186 : Müller,
kommt, konnten bis jetzt nicht ausgeführt werden; denn das Cholinum
basicum ist eine labile chemische Verbindung, die leicht hydroxyliert wird,
in Neurin übergeht und sehr giftig ist. Es wurden nun durch Werner
und Ascher eine Reihe von Versuchen angestellt, Cholinverbindungen zu
erhalten, die auf der einen Seite möglichst ungiftige Eigenschaften haben,
andererseits das Cholin leicht abspalten sollten. Unter allen zu diesem
Behufe verwandten Cholinverbindungen erscheinen das ameisensaure
und das borsaure Oholin die geeignetsten zu sein.
Das borsaure Cholin (Borcholin, Enzytol) ist genau durchgeprüft,
vermag dieselben Hautveränderungen wie die Röntgenstrahlen nach einer
Latenzzeit von 2—9 Tagen hervorzurufen, zerstört ebenso wie die Röntgen-
strahlen die Ilymphoiden Elemente des Blutes, während die polynukleären
intakt bleiben, und übt auch die für Röntgenstrahlen typischen Ein-
wirkungen auf die Hodenzellen aus. Dabei kann es in ungleich höheren
Dosen wie das Cholinum basicum einverleibt werden, aber doch nicht in
so hohen Dosen, daß es als hinreichend elektiv auf die Krebszellen wirken-
des chemotherapeutisches Mittel bezeichnet werden kann. Denn seine
Giftigkeit ist immer noch eine so hohe, daß es allein angewandt in einer
Dosis, die keine Vergiftungsgefahr für den Organismus bringt, noch zu
wenig Cholin in einen Tumor absetzt und in einer Dosis, die entsprechend
große Mengen Cholin einem Tumor liefern würde, für den Organismus
zu gefährlich ist. Vielleicht gelingt es noch diese beiden sich diametral
gegenüberstehenden Forderungen in einer vollkommeneren Cholinverbindung
zu erfüllen, ähnlich wie es beim Arsen mit dem Salvarsan gelang. Vor-
läufig hat das Borcholin die Aufgabe, uns als Unterstützungsmittel für die
Röntgentherapie der malignen Tumoren zu dienen, d. h. die Tumorzellen
für die Strahlenwirkung zu sensibilisieren. Die darauf hinauszielenden
Versuche beim Menschen, die sehr schwierig sind und sehr vorsichtig an-
gegangen werden müssen, besonders mit Rücksicht auf die gesteigerte
Gefahr der Hautschädigung werden den praktischen Wert der Cholin-
wirkung noch zu erbringen haben.
Wir haben bis jetzt, nachdem der Empfindlichkeitsgrad einer Tumor-
zelle nur von ihrem Lezithingehalt abhängig, und das Lezithin fast aus-
schließlich im Zellprotoplasma aufgespeichert įst, eigentlich nur das Ver-
halten des Zellprotoplasmas gegenüber Strahlenwirkung geprüft. Die
Plasmahaut als solche konnten wir, wie oben ausgeführt, außer Acht lassen
und der Zellkern, der keine Lipoide, sondern hauptsächlich die Nukleo-
proteide enthält, konnte hierbei nicht in Frage kommen. Eine indirekte
Sensibilisierung der Tumorzellen für Röntgenstahlen durch den Zellkern
ist aber auch denkbar. Neuberg, Caspari und Wassermann haben
uns gelehrt, daß Kollvidalmetalle, so das Eosinselen, dann das Elektroselen,
Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 187
Elektrokuprol, Elektrokobalt, Elektrovanadium sich direkt im Zellkern
ablagern und den Zellkern zerstören. Auch diese Metallkolloide sind bis
heute noch zu giftig, um eine elektive Zerstörung der Tumorzellen ohne
allgemeine Vergiftung zu erreichen. Es läßt sich aber doch denken, daß
ohne nennenswerte Schädigung des Gesamtorganismus doch wenigstens so-
viel Metallkolloide in die Kerne der Tumorzellen gebracht werden können,
daß, wenn auch kein Zerfall der Zellen, so doch wenigstens eine derartige
Störung der Zelllebenstätigkeit erreicht wird, daß die Lipoide im Proto-
plasma gelockert und damit für die Cholin- und Strahlenwirkung vor-
bereitet werden.
So lehren uns die ausgeführten biochemischen Kenntnisse der Strahlen-
wirkung auf die Tumorzelle, daß wir aussichtsvolle, wissenschaftlich be-
gründete, wenn auch noch sehr schwierige Wege bei der therapeutischen
Beeinflussung der bösartigen Geschwülste durch Strahlenwirkung gehen.
Nachdem jetzt schon angenommen werden kann, daß auch bei einer noch
weiter vervollkommneten Bestrahlungstechnik mit den KRöntgenstrahlen
allein wir nicht auskommen werden, so sind wir eben auf Kombinationen
angewiesen, die neben der Ausnützung aller sonstigen Strahlenenergieformen
(Radium, Mesothorium), unter selbstverständlicher Hinzuziehung unserer
allgemeinen therapeutischen Erfahrungen in der Krebsbehandlung, ferner
der Ausnützung der Sensibilisierungsmöglichkeiten der Tumoren (Hoch-
frequenz, Diathermie, Wärmeapplikation) die therapeutischen Anwendungs
weisen des Cholins und der Metallkolloide heranziehen müssen.
Ich hielt es für zweckmäßig, diese biochemischen Erwägungen über
die Sensibilität der Tumorzellen vorauszuschicken, weil dieselben grundlegend
sind für die Prinzipien der einzelnen Kombinationsformen.
Die Röntgenstrahlenbehandlung kann nun kombiniert werden und zwar
in dem Sinne, daß zu der Röntgenstrahlenwirkung eine weitere, die Tumor-
zellen schädigende Strahlenwirkung hinzugefügt wird; es sind dies die
radioaktiven Substanzen, vor allem das Radium und das Mesothorium.
Die Technik dieser Kombinationen, respektive die lokalen Anwendungsweisen
des Radiums und Mesothoriums sind allgemein bekannt. Speziell haben
auch die neueren Arbeiten Döderleins!) hierüber näheren Aufschluß ge
geben. Der Wert dieser Kombinationen besteht darin, daß die Angriffsweise
spez. des Mesothoriums an vielen Stellen des Organismus eine einfachere
ist, wie die der Röntgenstrahlen, z. B. von der Vagina aus und daß auch
bei anders gelagerten malignen Erkrankungen z. B. der Zunge, im Rektum
und auch an der Oberfläche des Körpers, streng lokalisiert, nach den neueren
Erfahrungen auch mit einer exakten Dosierung, die Röntgenstrahlenwirkungen
1) Döderlein, Monatsschrift für Geburtshilfe u. Gynäkologie Bd. 37, Nr. 5.
188 Müller,
unterstützt und zum großen Teil auch ersetzt werden können. Wie weit
sich diese lokale Applikation des Mesothoriums speziell durch die neuerdings
vorgeschlagene Filtrierung der «- und ß-Strahlen noch vervollkommnen läßt,
ob sie für Kombination mit Röntgenstrahlen noch geeigneter gemacht werden
kann, oder die Röntgenstrahlentherapie in vielen Fällen sogar ganz ver-
drängen wird, muß abgewartet werden. Ich habe nur Erfahrungen der
Kombination von Röntgenstrahlen mit Radium, wobei ich die Schwierig-
keiten dieser Kombinationsmöglichkeit kennen lernte, die sich hauptsächlich
dadurch geltend machte, daß eben die Dosierung der Röntgenstrahlen, be-
sonders wenn es sich um Prozesse in der Nähe der Haut handelte, illusorisch
wurde durch die hinzukommende Radiumwirkung, wodurch die Verbrennungs-
gefahr sich erhöhte.
Die nächste von mir bis jetzt praktisch am meisten durchgeführte und
von Erfolgen begleitete Kombination besteht in der Hyperämisierung
resp. Hyperthermierung der Tumoren. Oben ist bereits gesagt worden,
daß in jedem Falle von Rückbildung eines malignen Tumors makroskopisch
und mikroskopisch eine Hyperämisierung der Geschwulst deutlich erkennbar
ist. Es ist auch bereits auseinandergesetzt worden, wie biologisch oder
biochemisch dieser Hyperämisierungsprozeß die Rückbildung begünstigt. wie
durch eine gesteigerte Cholinzufuhr von Seite des Kreislaufs, durch einen
erhöhten und beschleunigten Stoffwechsel im Tumor, durch die gesteigerte
Blutzufuhr und damit begünstigte Wegschaffungsmöglichkeiten der Zerfalls-
produkte der Zweck der Hyperämisierung im Sinne der Rückbildung auf-
zufassen ist. Nach der Schwarzschen Theorie wissen wir außerdem be-
stimmt, daß gesteigerte Blutzufuhr die Empfindlichkeit eines Gewebes gegen
Röntgenstrahlen erhöht, und es ist so ersichtlich, daß die Hyperämisierung
eines Tumors für seine Bestrahlung und für seine Rückbildung von hohem
Werte ist und therapeutisch müssen wir daraus den Schluß ziehen, diese
Hvperämisierung in diesem doppelten Sinne möglichst zu begünstigen.
Neben dem bekannten Hyperämisierungsmittel, der gewöhnlichen Wärme.
heißen Umschlägen, Heißluftduschen kommen für uns in der Therapie der
malignen Tumoren hauptsächlich die Hochfrequenz im hyperämisieren-
den Sinne und die Diathermie in Betracht. Was die Hochfrequenz uns
zu diesem Behufe leistet, habe ich bereits des öfteren betont.!) Mit Aus-
nützung des Hochfrequenzfunkens können wir eine intensive Hyperämie der
Haut erreichen und mit der Ausnützung der strömenden Hochfrequenz-
elektrizität und zum Teil auch des Funkens eine hyperämisierende Wirkung
auf die Schichten unter der Haut bis mehrere Zentimeter tief hinein. Bei
den Hautkarzinomen und bei den unmittelbar unter der Haut gelegenen
I) Müller, Christoph, Strahlentherapie Bd. 2, H. 1, S. 185ff.
Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 189
Tumoren spez. bei den Mammakarzinomen erreichen wir hier Erfolge, wie
sie mit einfacher Röntgenbestrahlung nicht zu erreichen sind.
Des weiteren gingen meine letzten Versuche darauf aus, spez auch
für die gynäkologischen Tumoren Sensibilisierung durch Einführung von
Vakuumelektroden in die Vagina, in das Uteruskavum und das Rektum zu
ermöglichen. Auch diese Sensibilisierung ist bis tief in die Bauchhöhle
hinein möglich.
Die Diathermie vollends ermöglicht es uns, in allen beliebigen
Körperpartien durch Anlegung der Elektroden im Durchmesser des
Tumors eine Hyperämie hervorzurufen und in diesem durch Hyperämie
für Röntgenstrahlen besonders empfindlich gemachten Tumor einen Be-
strahlungseffekt zu erreichen, der eben oft mit Röntgenstrahlen allein nicht
erreicht werden kann. Dabei wende ich die Diathermie nicht nur kurz
vor und während der Bestrahlung an, sondern bei sehr hartnäckigen
Tumoren wende ich sie oft wochenlang bis zu 45 Minuten täglich an, um
den Tumor möglichst lange unter Hyperämie zu setzen. Es sei hier noch
darauf hingewiesen, daß, wie ich schon vor mehreren Jahren angegeben
habe, es zu vermeiden ist, die Diathermieelektroden innerhalb des Be-
strahlungsgebietes anzulegen, um diese Partien nicht für Röntgenstrahlen
überempfindlich zu machen. Leider hat die von mir vor mehreren Jahren!)
schon angegebene Sensibilisierungsmöglichkeit der Tumoren durch Hoch-
frequenz und Diathermie, für die kurze Zeit später Bering und Hans
Meyer?) den experimentellen Nachweis gebracht haben, nicht weitere
Verbreitung gefunden. Der Grund .hierfür mag wohl zum Teil in dem
früher sehr hohen Preis der Apparatur gelegen sein, zum Teil aber auch
in einer gewissen Scheu, die man diesen wenig bekannten elektrischen
Energieformen lange entgegengebracht hat und zum Teil noch entgegen-
bringt. Dieser Standpunkt scheint aber jetzt überwunden, und es zeigt
sich immer mehr, daß der Hochfrequenz und der Diathermie nicht nur in
der Karzinombehandlung, sondern auch bei vielen anderen Erkrankungen,
bei Arthritiden, Ischias, Neuralgien, Stoffwechselkrankheiten, Adnexent-
zündungen und anderen noch eine große Zukunft bevorsteht.
Die Hebung des allgemeinen Blutdruckes steigert selbstrerständlich
auch den lokalen Blutdruck in einem Tumor. Zur Unterstützung der
Therapie gebe ich demgemäß häufig Koffein und die Hochfrequenz, die
ja bekanntlich den Gesamtblutdruck steigert, kommt uns auch in diesem
Sinne zugute. Die Selbstheilung von bösartigen Neubildungen bei lange
ı) Müller, Christoph, Münchener medizinische Wochenschrift. Eine neue
Behandlungsmethode bösartiger Geschwülste 1910, Nr. 28.
2) Bering u. Meyer, Münch. med. Wschr. 1911, Nr. 19.
190 Müller,
andauernden fieberhaften Krankheiten, z. B. Typhus läßt sich mit einer an-
haltenden Steigerung des Gesamtblutdruckes erklären, ebenso wie die
Spontanheilung von Karzinomen in Erysipelherden auf die Steigerung des
allgemeinen Blutdruckes durch das Fieber und die Steigerung des lokalen
Blutdruckes im Erysipelgebiet zurückgeführt werden kann.
Als weitere Kombination wurde von Werner die Bestrahlung
chirurgisch vorgelagerter Tumoren angegeben, eine Methode, die
sehr gute Erfolge gezeitigt hat, die auf jeden Fall aber für den Patienten
mit großen Beschwerden verbunden ist und nur dann ertragen werden
kann, wenn der Organismus noch über eine relativ große Kraft verfügt.
Der Vollständigkeit halber sei hier noch der für X-Strahlen sensibili-
sierenden Wirkung der fluoreszierenden Stoffe Fluoreszin, Eosin
und anderen gedacht, die aber therapeutisch zum Teil noch nicht durch-
geprobt, zum Teil aber auch therapeutisch noch nicht die gewünschten
Erfolge gezeitigt haben. Eine neuerdings erschienene Arbeit Jodlbauers
und von Tappeiners!) über die sensibilisierende Wirkung der fluores-
zierenden Stoffe ist diesbezüglich hoch interessant; die dort niedergelegten
Erfahrungen sprechen auch für die Möglichkeit der therapeutischen Aus-
nützung dieser Stoffe zu sensibilisierenden Zwecken.
Soviel über die lokalen Unterstützungsmöglichkeiten der
Röntgenstrahlenbehandlung, die selbst eigentlich lediglich eine lokale
Therapieform darstellt, allerdings lokal nicht in dem engen Sinne, wie die
operative Behandlung, die ja die lokale Behandlung kat exochen ist; denn
dem Messer sind immer gewisse Gebietsgrenzen gezogen, die von den Röntgen-
strahlen weit überschritten werden können. So kann man bei einem
Mammakarzinom chirurgisch die Mamma event. beide Mammae und die
regionären Drüsen entfernen. Das ist aber wohl das Äußerste, was man
tun kann; mit den Röntgenstrahlen hingegen sind wir in der Lage, den
ganzen Thorax und damit event. Lungen- und Pleurametastasen in die
Behandlung mit einzubeziehen. Und so können wir, um sicher zu gehen,
bei allen irgendwie gelagerten Tumoren unser Behandlungsgebiet fast nach
Belieben erweitern. Die jetzt so ziemlich feststehende Tatsache, daß die
Rezidivierungsmöglichkeit von durch Röntgenstrahlen zum Verschwinden
gebrachter Tumoren eine geringere ist, wie solcher durch Operation ent-
fernter, wird wohl in dieser räumlich größeren Anwendungsmöglichkeit der
Strahlentherapie zu suchen sein. Wenn man aber von der sicher berech-
tisten Annahme ausgeht, daß die Krebskrankheit als solche wohl in vielen
!) Jodbauer u. Tappeiner, H. von, Die Beziehungen der photodynamischen
Wirkung der fluoreszierenden Stoffe und ihrer Fluoreszenz. Strahlentherapie Bd. 2,
H. 1. — Die Sensibilisierung durch fluoreszierende Stoffe. Strahlentherapie Bd. 2,
H. 1.
FE mre —— „m z
Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 191
Fällen keine lokale Krankheit, sondern sagen wir einmal als Blutkrankheit
oder Krankheit des ganzen Organismus aufgefaßt werden kann, so werden
uns diese lokalen Kombinationen der Röntgenbestrahlung wohl bessere
Chancen bieten, als die Operation eines lokalen Prozesses. Aber für die
Beeinflussung des gesamten Organismus wäre eine ideale Heilmethode
zweifellos eine solche, wie sie sich in erster Linie die Chemotherapie zur
Aufgabe gesetzt hat.
Bekanntlich gehen alle chemotherapeutischen Prinzipien von der Er-
fahrung aus, daß innerhalb eines bösartigen Tumors immer wieder Zell-
zerfall stattfindet, daß, während die Partien desselben wachsen, andere
Stellen gleichzeitig absterben. Dieser Zellzerfallsprozeß beginnt aber erst
dann in hinreichendem Maße, wenn der Gesamtorganismus mit den giftigen
Zerfallsprodukten überschwemmt ist, so daß er nicht mehr Zeit und Kraft
zur Ausheilung hat. Die Behandlung hätte nun zu bezwecken, den Zell-
zerfall zu unterstützen und ihn vor allen Dingen zu einer Zeit zu ermög-
lichen, wo noch keine Kachexie vorhanden ist und eine Heilungsmöglich-
keit noch vorliegt.
Wer Krebskranke, nota bene nicht operierte und sonst therapeutisch
nicht wesentlich beeinflußte vor ihrem Tode beobachtet hat, wird sich sicher
des Bildes erinnern, das manche dieser Kranken bieten, die bei verhältnis-
mäßig gutem allgemeinem Kräftezustand ohne irgendwelche funktionelle
Örganstörungen, ohne daß sich irgendein septischer Prozeß in ihnen ab-
spielt, fast ganz plötzlich in typische Vergiftungserscheinungen fallen, Er-
scheinungen, die sich in Krämpfen, zeitweiser Bewußtlosigkeit, Angst-
zuständen, Erbrechen, Diarrhöen darstellen, und die uns den unbedingten
Eindruck einer Vergiftung machen. Die Kranken gehen dann in wenigen
Tagen zu Grunde. Das ist nicht ein Bild, das durch Kachexie, Kräfte-
verbrauch erklärt werden kann, sondern das ist ein reines Vergiftungsbild,
das keine andere Erklärung zuläßt, als die einer Überschwemmung des
Organismus mit Zellzerfallsprodukten. Und das ist das gleiche Bild, wie
ich es schon erlebt habe bei Resorption von zerfallenen Tumormassen
infolge intensiver Röntgenbestrahlung, und das gleiche Bild, daß die hoch-
gradige Cholinvergiftung bietet. In schwächerem Grade treffen wir dieses
Bild immer und immer wieder dann, wenn infolge Röntgenbestrahlung
eine plötzliche Resorption von Tumormassen eintritt, leichte Schüttelfröste,
Übelkeit, Fieber, das gleiche Bild, wie wir es nach mäßigen Dosen bekommen.
Ich glaube eingangs mit meiner biochemischen Abhandlung zur Ge-
nüge dargetan zu haben, daß nach der Lezithintheorie das Cholin in erster
Linie derjenige Stoff ist, der diese Vergiftungserscheinungen hervorruft,
daß aber auch andererseits dieses Gift die wirksamste Substanz darstellt.
die den Zellzerfall in einem Tumor bedingen kann.
192 Müller,
Nach unserer Theorie müßte demgemäß die Cholintherapie an die
Spitze gestellt werden. Wir wissen, daß Werner derartige Versuche,
allerdings in geringer Zahl und mit äußerster Vorsicht angegangen hat.
Werner hat diese Versuche meines Wissen nicht weiter verfolgt und kam
zu dem Endurteil, daß das Cholin, auch das Borcholin zu giftig ist, um
in solcher Menge dem Organismus injiziert zu werden, daß es lokal einen
Tumor zum Verschwinden bringen könnte. Dagegen stellte er sich auf
den Standpunkt, daß wenigstens soviel Cholin intravenös gegeben werden
kann, daß mit einer lokalen Hinzuziehung der Röntgenstrahlenwirkung
Tumoren beeinflußt werden können, die den Röntgenstrahlen allein nicht
weichen. Ich bin daran, diese Kombinationsform des Cholins mit Röntgen-
strahlen durchzuarbeiten und bin mir der Gefährlichkeit dieses Vorhabens
durchaus bewußt, schon deswegen, weil wir ja nicht wissen, wie sehr
einerseits die dem Körper injizierte Cholinmenge durch das im Tumor zur
Abspaltung kommende Cholin erhöht wird, andererseits aber auch nicht
wissen, wie sehr die lokale Schädigungsgefahr der Röntgenstrahlen, die
wir ja identisch setzen mit der Cholinwirkung durch die Wirkung des
injizierten Cholins gesteigert wird. Man ist aber auf diese Arbeit am
Menschen angewiesen, weil ja Tierversuche durchaus keine Anhaltspunkte
für die therapeutischen Möglichkeiten am Menschen geben.
Auf diese gleiche Vorsicht ist man unbedingt auch angewiesen bei
einer event. Kombination der Röntgenstrahlen mit den übrigen
chemotherapeutischen Agentien, mit Elektroselen, Eosinselen.
Elektrokuprol, Elektrokobalt, Elektrovanadium. Ich habe hier-
über nur Erfahrungen mit der Kombination von Röntgenstrahlen mit
Elektroselen. Ich glaube aber bestimmt konstatieren zu können, daß die
Verbrennungsgefahr durch Röntgenstrahlen bei Anwendung von Elektro-
selen gesteigert ist. Bei einem Fall, bei dem bloß zwei intravenöse
Seleninjektionen gemacht wurden und bei dem ich sicher war, nicht
mehr als eine Erytlemdosis auf die einzelnen Hautpartien gegeben
zu haben, erhielt ich eine Röntgenreaktion. Es läßt sich dies auch
sehr gut erklären. Wenn auch bei den Metallkolloiden nicht wie beim
Cholin direkt die Cholinmenge und damit die Möglichkeit der Röntgen-
verbrennung erhöht wird, so muß man eben doch bedenken, daß nach
unseren biochemischen Ausführungen infolge der Schädigung des Zell-
kernes durch die Metallkolloide der Zellzerfall vorbereitet und zum Teil
ermöglicht wird. Durch diesen Zellzerfall entsteht dann letzten Endes
wieder Cholin und dieses in den Körper übertretende Cholin steigert in
allen Hautpartien die Empfindlichkeit gegen Röntgenstrahlen. Bei Be-
rücksichtigung der gesteigerten Gefährdung für die Haut und der Mög-
lichkeit zu rapiden Zellzerfalls wären aber auch zweifellos kombinierte
Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 193
Behandlungsmethoden von Röntgenstrahlen mit Metallkolloiden sicher zu
erwägen, aber es sei nochmals betont, nur unter Anwendung der aller-
äußersten Vorsicht.
Diese Kombinationen könnten weiterhin derart ausgebaut werden,
daß man die Wirkung der Röntgenstrahlen unterstüzt einmal durch intra-
venöse Cholininjektionen, um das Zellprotoplasma zu schädigen, dann zugleich
durch Anwendung von Metallkolloiden, um den Zellkern zu schädigen,
und endlich unter gleichzeitiger Hinzuziehung von Hyperämie, um das
bestrahlte Gewebe für Röntgenstrahlen sensibler zu machen. Theoretisch
ist nach meinen Ausführungen die gleichzeitige Anwendung dieser vier
Prinzipien zweifellos zweckmäßig. Ob dabei nicht zu intensive Resorptions-
erscheinungen der Zellzerfallsprodukte eintreten, oder ob damit schließlich
nicht die Schädigungsgefahr durch Röntgenstrahlen derartig wird, daß sie
nur in so minimalen Dosen angewendet werden können, daß überhaupt
keine Wirkung mehr von ihnen zu erwarten ist, ist eine andere Frage.
Aus all dem sieht man aber, daß die Kombinationsmöglichkeit, die
nicht bloß auf leere Theorien, sondern auf wissenschaftlich feststehende
Erfahrungen aufgebaut ist, eine sehr vielgestaltige ist. Wir haben eine
große Anzahl von Agentien zur Verfügung, die in einzelnen Fällen ganz,
in vielen Fällen wenigstens teilweise eine Schädigung der Tumorzelle
veranlassen. Ich habe versucht, soweit es meine alleinige Arbeitskraft und
die mir zur Verfügung stehenden Hilfsmittel erlaubten, einen Teil dieser
Kombinationsmöglichkeiten durchzuarbeiten. Die Resultate, die ich damit
erreicht habe, die ich zum Teil publizierte und bei deren Beurteilung
ich sicher nicht zu optimistisch war, beweisen mir vollauf, daß bei indivi-
dueller Auswahl der Fälle mit Kombinationsformen ungleich mehr erreicht
werden kann, wie mit den Röntgenstrahlen allein.
Es möge mir gestattet sein, noch einige wichtige Punkte zu erwähnen,
die eigentlich keine Kombinationen darstellen, die mir aber bei Ausnützung
der Röntgenstrahlen im Kampf gegen die Krebskrankheit von großer Wichtig-
keit zu sein scheinen. Das eine ist die Ausnützung der Sekundär-
strahlung zu therapeutischen Zwecken.
Röntgenstrahlen erzeugen da, wo sie auffallen wieder Röntgenstrahlen
und zwar ist die Sekundärstrahlung, welche von hochatomigen Metallen
ausgeht, weicher als die Primärstrahlung, während die Sekundärstrahlung
des Aluminiums, insbesondere auch die Sekundärstrahlung organischer Körper,
ferner des Wassers und überhaupt der Körper mit geringem spezifischen
Gewicht hart ist.
Es liegt nun die Annahme nahe, daß man durch Einspritzung von
Metallen in kolloidaler oder sonstiger Form in das Tumorgewebe eine er-
höhte Reaktion hervorbringen kann, und die diesbezüglichen Versuche von
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 13
194 Müller,
englischen Autoren haben die Richtigkeit dieser Annahme bestätigt. Auch
in Deutschland hat man damit Versuche gemacht, die günstige Ergebnisse
geliefert haben. Systematisch ist aber die Sache noch nicht recht ausgebeutet
worden. Der Ausbau dieser Methodik ist erfolgverheißend, besonders wenn
man sich nicht mit der Einspritzung von Metallen in die Tumoren begnügt.
sondern wenn man, wie ich dies bereits getan habe, die Sekundärstrahlung
in der Weise ausnützt, daß man beispielsweise bei einem zu bestrahlenden
Zungenkarzinom, das am Zungenrand sitzt, den Kopf von der dem Karzinom
gegenüberliegenden Seite bestrahlt und unter die karzinomatöse Stelle selbst
eine Silberplatte legt. Man kann so von außen her mit einer harten Röhre
filtriert bestrahlen und die von der Silberpatte ausgehenden weichen Strahlen
im Karzinom und in unmittelbarer Umgebung desselben zur Absorption
bringen. Man vermag damit das scheinbar Unmögliche zu erreichen, von
außen her nur harte Strahlen anzuwenden und im Innern eine weiche Strah-
lung zu bekommen. Ins Rektum führt man Zinkpaste oder einen Metallkörper
ein, in die Vagina einen Metallkörper oder Kolpeurynter mit metallischer
Lösung, ebenso metallische Lösung in das Uteruskavum. Bei Magen- und
Darmtumoren gibt man Wismutbrei, kontrolliert mit Durchleuchtung, ob
der Wismutbrei an der erkrankten Stelle abgelagert ist, bestrahlt von auben
mit harten Strahlen und erreicht in der Gegend der Wismutsubstanz weiche
Strahlung. Nachdem auch hier wieder bei der Gynäkologie die Verhält-
nisse besonders günstig liegen, möchte ich die diesbezüglichen Versuche
warm empfehlen.
Habe ich im Vorausgehenden mich eingehend mit der Indikations-
stellung der Röntgenbehandlung und ihrer Kombinationen beschäftigt. so
müßte ich eigentlich, um dem gesetzten 'Thema gerecht zu werden, auch
erschöpfend auf die Technik der Röntenbestrahlung, soweit sie für die Be-
handlung maligner Tumoren in Frage kommt, eingehen. Die Technik der
Bestralilung maligner Tumoren in den oberflächlichen Körperpartien ist jedoch
allgemein bekannt, ebenso die Tiefenbestrahlungstechnik durch die große
Praxis, die sich die Röntgentherapeuten bei der Myombestrahlung angeeignet
haben, und durch die gewaltige Literatur, die sich in den letzten Monaten
über dieses Thema angehäuft hat. Die Filter- und Felderbestrahlung, die
Dosinmetrie, die Auswahl eines entsprechenden Röhrenhärtegrades sind
Prinzipien, auf die ich nicht näher einzugehen brauche. Betonen möchte ich
nur, daß bei der Bestrahlung maligner Tumoren wir wohl Erkrankungsformen
haben, die geradezu glänzend und auffallend schnell reagieren, dal aber
meist trotz Anwendung aller Kombinationsmittel nicht mit einer oder zwei
Bestrahlungsserien eine Geschwulst zur Rückbildung gebracht wird, sondern
sroße Geduld und Ausdauer notwendig ist. Und gerade hierin wird häufig
gefehlt. Wenn ein Tumor nicht schon nach kurzen Wochen in unverkenn-
Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 195
barer Weise reagiert, verlieren Arzt und Patient häufig die Geduld, und zu
einer anderen Behandlungsmethode wird gegriffen. Hier sei auf Folgendes
hingewiesen. Wir wissen, daß ein und derselbe Tumor nicht immer den
gleichen Wachstumsschnelligkeitsprozeß hat, daß ein und derselbe Tumor
einmal eine Zeit lang sehr schnell wächst und dann wiederum oft längere
Zeit stationär bleiben kann. Nehmen wir drei Tumoren von sonst vollkommen
gleichen Eigenschaften und gleicher Radiosensibilität an, die sich aber in
verschiedenen Stadien von Proliferationsfähigkeit befinden.
Tumor 1 befinde sich im stationären Stadium,
Tumor 2 im Stadium mäßigen Wachstums,
Tumor 3 im Stadium energischen Wachstums.
Die drei Tumoren werden gleichzeitig mit gleich hohen Dosen be-
handelt. Auf diese Behandlung wird
Tumor 1 sich verkleinern und verschwinden,
Tumor 2 in seinem Wachstum aufgehalten werden und sich gleich
groß bleiben,
Tumor 3 sein Wachstum verlangsamen.
Man ist nun geneigt zu behaupten,
Tumor 1 reagiert auf die Behandlung, weil er verschwindet,
Tumor 2 reagiert nicht, weil er sich nicht verkleinert,
Tumor 3 wird durch die Röntgenbestrahlung ungünstig beeinflußt,
weil er sich infolge der Röntgenbehandlung vergrößert.
Tatsache ist aber, daß alle drei Tumoren gleich reagiert haben, dab
aber der durch Röntgenstrahlen gesetzte Effekt
bei 1 uns schon eine Rückbildung und Verschwinden gebracht hat,
bei 2 nötig war, um das Wachstum zum Stillstand zu bringen,
bei 3 nötig war, um das Wachstum zu verlangsamen.
Setzt man nun mit einer neuen Bestrahlungserie ein, die
bei 1 überflüssig ist, weil der Tumor schon verschwunden ist, so
wird sie
bei 2 die Verhältnisse antreffen, wie sie bei 1 waren, weil dieser
Tumor jetzt im stationären Stadium sich befindet und daher
sich verkleinern wird, und
bei 3 die Verhältnisse antreffen, wie sie vorhin bei 2 waren,
weil dieser Tumor 3 mit seinem nunmehr verlangsamten Wachs-
tum jetzt zum stationären gemacht werden wird.
Die nächste Bestrahlungsserie braucht auch
2 nicht mehr zu treffen, weil dieser Tumor bereits zurück-
gebildet ist, und
bei 3 wird sie diesen nunmehr stationären Tumor auch zum
Schwinden bringen.
13*
196 Müller,
Diese ganzen Ausführungen mögen etwas schematisch klingen, sie kenn-
zeichnen aber nur das, was man in der Praxis häufig erlebt. Ich habe des
öfteren schnell wachsende Tumoren bestrahlt, die der Behandlung ungeheuer
hartnäckig zu trotzen schienen und noch geraume Zeit hin sich vergrößerten.
Mit Aufbietung aller Geduld und Überredungskunst dem Kranken gegen-
über brachte ich es, indem ich den Tumor sensibilisierte und ins Kreuz-
feuer nahm, nach längerer Zeit so weit, daß dann, und zwar häufig plötzlich
und mit unerwarteter Schnelligkeit, der Tumor sich zur Rückbildung ent-
schloß. Ich will damit hauptsächlich darauf hinweisen, daß man nur in
den allerseltensten Fällen bei den malignen Tumoren derartig prompte Re-
sultate wie bei den Myomen erwarten und unter keinen Umständen die
Flinte zu früh ins Korn werfen darf.
Damit wird natürlich auch die Frage, wann event. operativ eingegriffen
werden soll, eine schwierigere. Es wird bei vielen Tumoren sich erst nach
Monaten und Monaten herausstellen, ob sie refraktär sind oder nicht und
nach dieser Zeit können sich allerdings die Verhältnisse der Operations-
möglichkeit für den Patienten wesentlich verschoben haben. In solchen
Fällen wird eben das Zusammengehen eines Chirurgen und eines Röntgeno-
logen notwendig sein, um die äußerste Zeitgrenze, bis zu welcher die
Röntgenbehandlung ausgedehnt werden darf, festzusetzen.
Eine zusammenfassende Abhandlung wäre nicht vollständig und es
wäre auch nicht ehrlich, würde hierbei nicht das Kapitel der Röntgen-
verbrennung gestreift werden. Wir sind ja nunmehr soweit, daß diese
Gefahr gegen früher auf ein Minimum reduziert ist dank der ausgebildeten
Dosimetrie, die spez. durch Christen wieder eine wertvolle Bereicherung
erfahren hat. Wir müssen aber bedenken, daß die großen Vorteile, die
uns die Filter- und Felderbehandlung bei der Tiefenbestrahlung der
Myome bieten, bei der Bestrahlung einer großen Zahl von malignen
Tumoren nicht ausgenützt werden können. Bei solchen Tumoren, die un-
mittelbar unter der Haut sitzen, oder Tumoren, die tiefer sitzend bis gegen
die Körperobertläche zu sich hervordrängen, kann von der Filtrierung und
auch von der Felderbestrahlung oft nur ein geringer, oft gar kein Ge-
brauch gemacht werden. Außerdem müssen wir uns ja immer vor Augen
halten, dal unsere Dosimetrie eine optische Messungsmethode ist, die wie
alle optischen Messungen doch mehr oder minder an Unzuverlässigkeit
leiden. Und es wird jeder zugeben, dal) man trotz gewissenhafter Messung
und trotz Filtrierung, wenn man gezwungen ist, mit hohen Dosen zu
arbeiten, vor unangenehmen Überraschungen nicht geschützt ist.
Und so halte ich es für eine Pflicht, daß man das Unangenehme,
was einem in dieser Richtung passiert. nicht verheimlicht, sondern im Be-
wußtsein, gewissenhaft vorgegangen zu sein, offen und ehrlich diese un-
Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 197
angenehmen Erfahrungen mitteilt. Damit ist auf jeden Fall mehr gedient,
um in dieser wichtigen Frage Klarheit zu schaffen, als damit, daß man
über dieselben stillschweigend hinweggeht. Die gebräuchliche Dosimetrie
gibt uns annähernd nur die Strahlenmenge an, die von der Haut absor-
biert wird. Über die Christensche Halbwertmessung, die ja eine Messung
der auch in der Tiefe zur Absorption gelangten Strahlen anstrebt, habe
ich noch kein Urteil. Diese Dosimetrie der Absorption der
Röntgenstrahlen in der Haut gilt aber nur für die in normaler
Weise hierfür empfindliche Haut, sie gilt nicht für die unter ab-
normen Blutfüllungsverhältnissen stehenden Hautpartien, sie gilt nicht für
solche Hautpartien, in denen eine andere Gewebsschädigung schon erfolgt
ist und sie gilt auch nicht dann, wenn kurz nach der Bestrahlung die bis
dahin normale Haut sonstigen Gewebsschädigungen ausgesetzt wird.
Das weist uns von vornherein darauf hin, daß wir bei Hautpartien,
die in einem entzündeten und damit blutüberfüllten Zustande sind, mit
der Röntgenbehandlung nicht bis zur Erythemdosis gehen dürfen. Die
Hautröntgenologen arbeiten deshalb bei Hautkrankheiten, mit denen ja
meist Entzündungsvorgänge einhergehen, nur mit niedrigen Dosen. Abge-
sehen von diesem entzündlichen Zustand ist es auch wichtig, Wunden und
frische Operationsnarben zu vermeiden. Frische Narben in einem Alter
bis zu 8 und 10 Wochen zeichnen sich durch einen sehr großen Gefäß-
reichtum aus; sie haben demgemäß eine erhöhte Blutfüllung und reagieren
daher sehr auf Röntgenbestrahlung. Besteht also die Wahrscheinlichkeit,
daß innerhalb eines Bestrahlungsgebietes noch operiert werden muß, so
sind Partien, die der zukünftigen Schnittführung entsprechen, auf mehrere
Zentimeter breit mit dicken Bleiplatten abzudecken, um für die Operations-
wunde und deren Heilung gesunde Hautpartien zu reservieren.
Das gleiche gilt ganz besonders, wenn in einem Bestrahlungsgebiet
die Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffes unter Lokalanästhesie in
Frage kommt. Ich habe diesbezüglich eine sehr unangenehme Erfahrung
gemacht bei einer Patientin, die mir mit einem gut mannskopfgroßen
Sarkom der Bauchdecken überwiesen wurde. Bei einer anderweitig vor-
ausgegangenen Operation hatte sich der große Tumor als inoperabel heraus-
gestellt. Ich bestrahlte den Tumor kombiniert und erreichte eine Ver-
kleinerung bis zur Hälfte seines Volumens. Daraufhin stellte sich eine
zystische Erweichung des Restes des Tumors ein, die ich inzidierte,
worauf der Tumor restlos verschwand. Die Frau, die in kachektischem
Zustande ankam, erholte sich in unglaublicher Weise. Bei einer nach
mehreren Monaten vorgenommenen Nachbestrahlung entdeckte ich einen
kleinen, kaum haselnußgroßen Knoten am früheren Sitz des Tumors
und ich entschloß mich, da derselbe nicht tief lag, zur mikroskopischen
198 Müller,
Untersuchung denselben unter Kokainanästhesie zu exzidieren. Die
Haut war bis dahin pigmentiert aber sonst reizlos, lediglich an der
Stelle der 2—3 cm langen Inzisionsnarbe von der Eröffnung des zystischen
Herdes war eine Reaktion ersten Grades eingetreten, die aber bereits ab-
geheilt war. Und nun bekam ich auf die Exzision des Tumors hin an
der Stelle der Inzisionswunde und der Umgebung, soweit die Infiltration
gereicht hatte, ein sehr hartnäckiges Röntgenulkus. Die übrigen Haut-
partien, die natürlich die gleich hohen Röntgendosen hatten, blieben ver-
schont. Diese Komplikation war um so unangenehmer, als der ideale Heil-
erfolg durch die Hartnäckigkeit und Schmerzhaftigkeit des Ulkus in seinem
Eindruck wesentlich beeinträchtigt wurde.
Die Sachlage wäre so zu erklären, daß eine gewisse Schädigung des
Gewebes durch Röntgenstrahlen erfolgt war, die nicht hingereicht hatte,
eine typische Radiodermatitis zu setzen. Zu dieser Schädigung kam erstens
die mechanische Druckschädigung des Gewebes durch die Infiltration,
zweitens die Giftwirkung des Kokains auf die Zellen und drittens
die mechanische Schädigung durch die Manipulationen bei der Operation
selbst.
Auf die andere Erhöhung der Röntgenverbrennungsgefahr ist bereits
oben hingewiesen, nämlich durch die gleichzeitige Anwendung von Cholin oder
Metallkolloiden. Diese Verbrennungsgefahrerhöhung mußte ich leider auch
in einem Fall erleben. Eine Dame mit einem Magenkarzinom, die vorher
nur zweimal 5 cm einer Elektroselenlösung intravenös bekommen hatte,
bestrahlte ich unter allen Kautelen und ich bin sicher, die Erythemdosis
nicht überschritten zu haben. Trotzdem stellte sich eine Reaktion eines
Teiles der bestrahlten Hautpartien ein, die einzig und allein auf die kumu-
lierende Wirkung des Elektroselens auf die Haut zurückzuführen ist.
Überflüssig ist es wohl zu bewerken, daß man sich vor Inangriffnahme
einer Röntgenbehandlung genau erkundigen muß, ob nicht bereits eine
Röntgenbestrahluug vorausgegangen ist. Aber weniger bekannt scheint es
mir zu sein, wenigstens habe ich auch diesem Umstand eine leichte Röntgen-
reaktion zu verdanken, daß bei Durchleuchtungen und Röntgenphoto-
graphien, besonders wenn deren mehrere vorgenommen wurden, oft höhere
Dosen von der Haut absorbiert werden, als wir glauben. Ich habe einen
Fall erlebt, wo ich einen Herrn einmal durchleuchtete und zwar kurz und
mit geringer Belastung und einmal eine Momentaufnahme machte und
nach einigen Wochen ein Röntgenerythem entstehen sah. Der Herr war
vorher zweimal anderweitig photographiert worden und die durch diese
diagnostischen Röntgeneingriffe erreichte Absorption von Röntgenstrahlen
war so groß, dal) die Erytliemdosis überschritten wurde Wäre in diesem
Fall eine Erythemdosis therapeutisch gegeben worden, so wäre eine
Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 199
schwere Röntgenverbrennung die totsichere Folge gewesen. Also auch
hierauf ist besonders Rücksicht zu nehmen.
Hiermit glaube ich das Allerwichtigste zum heutigen Thema heraus-
gegriffen zu haben. Das neuerliche Vertrauen, das nach einer langen Zeit
einer durch die allerersten therapeutischen Mißerfolge und Schädigungen
durch Röntgenstrahlen veranlaßten Apathie hauptsächlich dank der großen
Erfolge der Myombehandlung eingesetzt hat, darf unter keinen Umständen
erschüttert werden, auch wenn das vielleicht in allernächster Zeit noch
nicht ganz eintritt, was man sich heute von der Röntgenbehandlung der
malignen Tumoren verspricht.
Meine Ausführungen hatten den Zweck, die Kombinationsmöglich-
keiten der Bestrahlungstherapie auf Grund unserer biochemischen Kennt-
nisse und meiner praktischen Erfahrung auseinanderzusetzen. Mit den
ausgeführten Kombinationsmöglichkeiten und mit der vervollkommneten
Technik, die sich sicher auch noch weiter ausbauen lassen wird, wird die
Zahl der beeinflussungsfähigen Tumoren immer mehr erhöht werden.
Und wenn man diese Arbeit mit der gleichen Energie und so vielseitig
verfolgt, wie es seinerzeit bei der Ausbildung der chirurgischen Inangriff-
nahme der malignen Tumoren geschehen ist, und wie es uns auch bei
dem großen Interesse, das die Chirurgen und Gynäkologen jetzt dieser
Behandlungsmethode entgegenbringen, zu werden verspricht, dann dürfen
wir überzeugt sein, daß in der Lösung des Krebsproblemes in nächster
Zeit riesige Fortschritte gemacht werden, Fortschritte, die wohl alle be-
friedigen müssen, die sich von dem Gedanken emanzipiert haben, daß für
unabsehbare Zeit das Krebsheilmittel, das die Krebskrankheit in allen
ihren Formen und Stadien zu heilen imstande wäre, eine Utopie ist, um-
somehr, als unsere Aussichten, den eigentlichen Ursachen des Krebses auf
den Grund zu kommen, trotz der vielseitigen und intensiven Forschung
keine günstigeren geworden sind.
Die wissenschaftlichen Grundlagen der Thermopenetration
oder Diathermie.
Von
Pröf. Dr. von Zeynek-Prag.
enn die Thermopenetration als eine eigene Disziplin unter den
Behandlungsmetlioden mittels hochfrequenter Ströme angesehen werden
darf, so geschieht dies erstens mit Rücksicht auf das Ziel, welches sıe ver-
folgt. nämlich die Joulesche Wärme oder Stromwärme auszunützen. zweitens
mit Rücksicht auf die speziellen Apparate, welche konstruiert wurden. um
eben dieses Ziel sicher und leicht zu erreichen. nämlich Apparate. welche
hochfrequente Ströme von geringer Spannung und möglichst geringen
stroinlosen Intervallen (Quantitätsströme) liefern.
Beobachtungen über Wärmewirkungen der Hochfrequenzströme in der
Umgebung von an den menschlichen Körper angelegten Elektroden sind
über 20 Jahre alt. Tesla und etwa gleichzeitig mit ihm d’Arsonval
haben Wärmewirkungen der Hochfrequenzströme beschrieben. Tesla
meinte, „die Erwärmung würde natürlich auf der Oberfläche, d. hb. auf
der Haut stattfinden“, trotzdem schilderte er mächtige Wirkungen. über
die ein wohl längst vergessener Satz zitiert werden möge: „In der Tat ıst
es. um es drastisch auszusprechen, denkbar, daß eine völlig nackte Persun
am Nordpol sich in dieser Weise angenehm warm halten könnte“.?)
d’Arsonval hielt anfangs die Frage offen, wie sich diese Ströme. deren
geringe Reizwirkungen auffallen mußten, im Körper verteilen: entweder
könnten sie die Eigenschaften der statischen Elektrizität annehmen und
sich nur an der Oberfläche ausbreiten oder das Gewebe verhielte sich
diesen Schwingungen gegenüber wie Hör- und Selnerv gegen besonders
rasche Schwingungen. Schon 1893 hat aber d'Arsonval?) klar gestellt.
dab die hochfrequenten Ströme den Körper durchdringen. Damit hat
d’Arsonval das Prinzip der Thermopenetration festgelegt. Es scheint aber
nach den vorliegenden Publikationen, dal die Stromwärme als eine therapeu-
tisch lästige Begleiterscheinung der hochfrequenten Ströme aufgefaßt wurde.?)
1) Untersuchungen über Mehrphasenströme, deutsche Ausgabe. W. Knapp,
Halle, S. 402. Artikel: Massage mit Strömen von hoher Frequenz, 23. Dez. 1891.
*) Comptes rendus Bd. 116, S. 630.
3) Comptes rendus Bd. 133, S. 1298 (1901) „il faut éviter . . . toute élevation
anormale de temperature‘.
v.Zeynek, Wissensch. Grundl. d. Thermopenetration oder Diathermie. 201
Da die Resultate der sog. Autokonduktion oder Arsonvalisation schlecht-
weg (nach der bisherigen Auffassung) nicht unwidersprochen blieben, so
wurden auch die geschilderten Erfahrungen d’Arsonvals über Wärme-
wirkungen nicht genügend beobachtet, wenigstens blieben sie der Allgemein-
heit (auch den meisten Physikern) unbekannt.
Erst als Nernst!) den exakten Beweis erbracht hatte, daß die Strom-
linien rasch schwingender elektrischer Ströme in Elektrolyten kein merk-
liches Auseinanderdrängen erfahren, lag für seine Schule?) die richtige
Deutung der Wärmewirkungen hochfrequenter Ströme nahe, und etwa vom
Jahre 1908 an nimmt infolge der Herstellung praktikabler Apparate die
sogenannte Thermopenetration (syn. Diathermie) in den Publi-
kationen über die Heilwirkungen der Hochfrequenzströme wohl den ersten
Platz ein.
Dieser Aufschwung ist, abgesehen von der leicht demonstrierbaren und
nunmehr allgemein plausiblen Wärmewirkung wie dem anerkannten Mangel
an Nerven-Reizwirkungen ?) der Hochfrequenzströme durch die Entwicklung
der drahtlosen Telegraphie bewirkt, durch welche die Darstellung sowohl
kompendiöser als auch ziemlich ökonomisch arbeitender Apparate gelungen
ist. Auf die verschiedenen Konstruktionen soll hier nicht eingegangen
werden, es sei auf die Zusammenstellungen von Kowarschik, Boas,
Simon“) verwiesen, ebenso braucht die Frage der Zuleitungen dieser
Ströme zum Körper nur gestreift zu werden, da die Industrie hinreichend
damit vertraut ist. Es sei nur daran erinnert, daß für die Hochfrequenz-
ströme dicke Metallmassen, dicke Drähte Hemmnisse bieten (Impedanz),
wie daß die hochfrequenten Ströme durch Drahtschleifen oder Windungen
sehr beeinflußt werden.?)
Einiger Sorgfalt bedarf die Elektrodenfrage.
Im Gegensatz zu der der gebräuchlichen Versuchstiere bietet die
menschliche Haut der Stromleitung einen recht großen Widerstand
und es ist nötig, diesen möglichst herabzusetzen, andererseits ist bei der
leichten Funkenbildung für einen guten Kontakt zu sorgen. Durch beide
Momente entstehen leicht Hautverbrennungen. Es empfiehlt sich, die Haut
an den Stellen, an welchen die Elektroden aufgesetzt werden sollen, vorher
gut mit Seife zu reinigen. Den besten Kontakt geben dann zwischen die
!) Wied. Ann. Bd. 60, S. 600.
2) v. Zeynek, Göttinger Nachr. 1899.
3) Zeynek u. Bernd, Pflügers Arch. Bd. 132.
4) Zeitschr. f. physikal. u. diät. Ther. XV, Arch. f. physik. Med. u. med. Technik
IV, Physik u. Technik der Thermopenetration, H. 10.
5) Die Theorie dieser Erscheinungen ist eingehend dargestellt in Lampa, Wechsel-
stromversuche.
202 v. Zeynek,
Metallelektroden und die Haut gelegte hydrophile, mit physiologischer
Kochsalzlösung, der eine Spur (höchstens 0,1%) Soda zugesetzt ist, ge-
tränkte Stoffe. Laquerriere und Delherm!) haben, um bei einer Aus-
trocknung dieser Schicht das Überschlagen von Funken auf die Haut zu
vermeiden, als vorteilhaft empfohlen, die Haut durch ein ganz dünnes
Drahtnetz zu schützen. Um selbst Erfahrungen über die Güte eines
Kontakts zu erwerben, verwende ich große fette Pferdewurststücke, die in
formolhaltiger 1°/,iger Kochsalzlösung aufbewahrt werden, und hatte
wiederholt Gelegenheit, für tadellos gehaltene Kontakte als mangelhaft
zu erkennen. —
Wenngleich bei der Thermopenetration die Stromwärme der hoch-
frequenten Wechselströme als das therapeutisch wirksame Agens schon
einleitend präzisiert wurde, so darf nicht übersehen werden, daß auch
andere Stromwirkungen vorhanden sein können. Auf diese Möglichkeiten
soll zum Schluß eingegangen werden, vorerst mögen die Wärmewirkungen
erörtert werden. In letzterer Hinsicht sollen zwei Anwendungsarten unter-
schieden werden: solche, bei denen der Strom nur lokal wirken soll, und
die Beeinflussung des übrigen Organismus durch die zugeführte Wärme
möglichst vermieden werden soll, wie dies bei der Behandlung von Ge-
lenken, bei der Koagulation von pathologischen Neubildungen, bei analge-
sierenden Durchwärmungen geschieht. Als zweite Anwendungsart der
Thermopenetration wäre die Durchwärmung zur Beeinflussung des Stoff-
wechsels anzusehen.
Die erste Anwendungsart ist die gegenwärtig in der Regel geübte und
in ihren Wirkungen allgemein anerkannte; doch theoretisch sind die
Wärmewirkungen, wenn der Strom Schichten verschiedenen Widerstandes
passiert, kaum von vornherein festzustellen. Walter?) hat auf zwei ver-
schiedene Fälle hingewiesen. Wenn senkrecht auf die Stromrichtung
Schichten verschiedener Leitfähigkeit liegen, so werden jene großen
Widerstandes die Hauptmenge der Wärme fixieren (der Grad der Er-
wärmung wird auch von der spezifischen Wärme der betreffenden Gewebe
abhängen), wenn hingegen Schichten verschiedenen Widerstandes parallel
zu den Stromlinien liegen, so wird der Strom und damit die Wärme den
gut leitenden Schichten folgen. Letzterer Fall könnte dann verhängnisvoll
werden, wenn gut leitende Blutbahnen in ihrer Längsrichtung durchströmt
werden, wo es, insbesondere bei gestauten Venen, leicht zu Koagulation,
Thrombose kommen kann. Darauf haben schon Bernd und Preyß,
aber wie ich nun ersche, auch d’Arsonval (1901) schon aufmerksam
t) März 1911, zit. nach Baud, Inaug.-Diss. Paris 1911.
2) Münchn. med. Wochenschr. 1910, S. 240.
Wissenschaftliche Grundlagen der Therniopenetration oder Diathermie. 203
gemacht. Durch die Erwärmung der Gewebe ändert sich aber ihr Wider-
stand, auch die spezifische Wärme, dadurch wird beim 4. Schema
Walters ein Wärmeausgleich in geringem Ausmaße erreicht. Von
größerem Einfluß ist die Blutströmung, welche bei der Erwärmung in der
Regel gesteigert ist; in der Wärmeabfuhr mit dem Blutstrome liegt aber
eine bis jetzt auch nicht annähernd zu berechnende. Größe.
Es kommt noch eine Komplikation in Betracht, daß nämlich der
wahre Widerstand des lebenden Körpers nicht genau bestimmt ist. Es
sei in dieser Hiusicht auf zwei kürzlich erschienene Arbeiten verwiesen.
Gildemeisters Schüler Galler!) hat konstatiert, daß die Polari-
sationserscheinungen des lebenden Körpers jenen an Metallen sehr ähnlich
sind und daß dadurch der Widerstand scheinbar bei den Messungen ver-
größert wird. Höber?) hat den Grad der Dämpfung, welchen tierische
Gewebe auf hochfrequente Schwingungen hervorbringen, wenn sie innerhalb
einer von diesen Schwingungen durchflossenen Selbstinduktion sich befinden,
zur Berechnung des wahren Widerstandes dieser Gewebe herangezogen
(entsprechend der Autokonduktion d’Arsonvals). Zu letzteren Ver-
suchen sei daran erinnert, daß Bergonié, Broca und Ferrié?) durch
das Einbringen eines Menschen in den Autokonduktionskreis keine
Änderung der Stromintensität in dem Solenoid gefunden haben.
Die Fortsetzung dieser Arbeiten dürfte uns mit den Widerstands-
verhältnissen des lebenden Organismus vertrauter machen; wir sehen aber
aus dem Vorgebrachten, daß hier theoretisch keine Basis zu gewinnen ist,
daß auch Versuche an toter Materie nichts wesentliches lehren, daß viel-
mehr nur von systematischen Versuchen am Lebenden Aufklärungen zu
erwarten sind.
Wir sind in dieser Auseinandersetzung immer von der Ansicht aus-
gegangen, daß die Wärmewirkungen der Hochfrequenzströme als die
Wirkung der Jouleschen oder Stromwärme aufzufassen sind. Es ist
interessant, daß der Einwand?) gemacht wurde, es könnten auch di-
elektrische Wärmewirkungen in Betracht kommen. Nach den vorliegenden
Untersuchungen ist diese Annahme wohl nicht haltbar.
Man kann sich leicht davon überzeugen, daß in den wässerigen Lösungen
und in Suspensionen von verschiedenem Widerstande die Erwärmung der
berechneten Stromwärme entspricht. Am toten Tiere wurde hinreichend
überzeugend beobachtet, daß die zugeführte Wärme den Bahnen folgt.
1) Pflügers Arch. Bd. 146, S. 156.
2) Pflügers Arch. Bd. 150, S. 15; Bd. 148, S. 189.
3) C. R. Bd. 145, S. 526.
4) Hahnemann, Hufelandsche Gesellsch. vom 14. X. 1909, zit. nach Simon.
204 v. Zeynek,
welche durch die Leitfähigkeit der Gewebe und die Elektrodenanordnung
gegeben sind.!)
Den Übergang von der lokalen Endothermie?) zur Beeinflussung des
Stoffwechsels bildet die Durchwärmung einzelner Partien des Körperinnern.
In dieser Hinsicht und in Beziehung auf die vorhergehende Ausführung
sei auf die Gefahr hingewiesen, die Darmpartien zu erwärmen, da die
Strombahnen bei einem größeren Gasgehalt des Darmes sehr zusammen-
gedrängt sein können und, wie schon v. Bernd und v. Preyß am Tier-
versuch erfahren haben, durch die Wärmewirkung Nekrosen an benach-
barten Darmschlingen leicht vorkommen.?) Größere Drüsen lassen sich
dagegen bei einiger Vorsicht ohne Schädigung durchwärmen. Telemann
konnte fast alle Organe von Versuchstieren ohne Schaden bei intakter
Haut weit über 40° erwärmen. (Deutsche med. Wo. 1911.)
Ein besonderes Interesse beansprucht die Frage, inwieweit die endo-
thermale Behandlung den Stoffwechsel beeinflussen könne. Es mögen
vorerst die Arbeiten, welche den temperaturregulierenden Mechanismus
betreffen, vorangestellt werden.
A. Schittenhelm‘) fand bei gesunden Menschen, durch deren
Körper ein Strom von 1,7 A. geschickt wurde, nach !/,—2 Minuten, ehe
also eine Steigerung der Gesamttemperatur in Betracht kam, eine starke,
plethysmographisch nachweisbare Verschiebung des Blutes an die Ober-
fläche, nach länger währenden Versuchen einen bei verschiedenen Personen
individuell verschieden starken Schweißausbruch, später eine Ermüdung der
so rasch reagierenden peripheren Gefäße. Nach 10—12 Minuten dauernden
Durchwärmungen wurden trotzdem nicht selten Temperatursteigerungen um
0,2—0,4° beobachtet. Zimmern und Turchini haben ähnliches be-
obachtet.
Die Raschheit der Temperaturregulierung ergibt sich auch aus einer
in Briegers Institut ausgeführten Untersuchung von Fürstenberg und
Schemel?) über Durchwärmung des Magens. Die Temperatur des Magens
1) Vgl. die Darstellung H. Simons inPhysik u. Technik der Thermopenetration
S. 17. Leipzig, Barth, 1912.
2) Ich gebrauche hier die Bezeichnung, welche ich zuerst bei Delherm u. La-
querriere fand (Gaz. d. höpitaux 1910, Nr. 84). Sie dürfte die passendste für dieses
Verfahren sein.
3) Die Versuche waren angeregt von der Idee, die wärmeempfindlichen Gono-
kokken im lebenden Gewebe, etwa im Uterus, abzutöten. Neuerdings macht Stein
(Münchn. med. Wochenschr. 1911) auf die Erhitzung der Darmgase durch die Er-
wärmung aufmerksam.
4) Therap. Monatsschr 1911, S. 341; vgl. Zimmern u. Turchini, Presse
med. 1910, S. 354; C. R. Bd. 146, S. 989.
5) Deutsche med. Wochenschr. 1912. S. 1780.
Wissenschaftliche Grundlagen der Thermopenetration oder Diathermie. 205
stieg nicht entsprechend der Stromstärke an; bei 0,3 A. war die Magen-
temperatur um ca. 0,5° über die Normaltemperatur gestiegen, bei An-
wendung von 2 A. starken Strömen fiel sie von dieser Temperatur rasch
um ca. 0,3°, so daß sie nun nur sehr wenig über der Normaltemperatur
war. Der Temperaturabfall war beim Wechsel der Stromstärken ein plötz-
licher und ist durch das Einsetzen des Reguliermechanismus für die
ÖOrganismustemperatur (vielleicht von der stark erwärmten Haut aus) zu
erklären, während bei geringen Strömen dieser Reguliermechanismus nicht
ausgelöst wird.
Zimmern und Turchini hatten an Hunden bei Durchwärmungen
mit 0,3 A. während 20 Minuten Temperatursteigerungen von 0,3—0,4° beob-
achtet, Schittenhelm hat solche Versuche mit dem gleichen Ergebnis wieder-
holt, die Befunde stimmten mit denen Richets an hyperthermierten Tieren
(Polypnoe) vollkommen überein, doch gelang es Schittenhelm zu zeigen,
daß auch die Haut beim Temperaturausgleich des Hundes eine Rolle spielt.
Stein?) hat beim Menschen beobachtet, daß durch kurze Thermopenetrations-
einwirkungen die allgemeine Körpertemperatur gesteigert werden kann, und
zwar in 10 Minuten bei erträglicher Stromstärke regelmäßig um 0,5°.
Für das Studium der Temperaturregulierung bietet also die Thermo-
penetration einen ausgezeichneten Behelf.
In mittelbarem Zusammenhange mit der Thermopenetration stehen
die Untersuchungen von Bergmann und Castex (Klinik Kraus?); sie
lehren, daß umgekehrt bei bloßer Hautreizung, etwa durch unipolare
Arsonvalisation, große Wärmeverluste durch Strahlung entstehen, trotzdem
die Patienten durch die warme Haut ein angenehmes Wärmegefühl hatten.
Hier setzt die chemische Regulation ein. Es sei dazu an Paalzows Ver-
suche (1871) und an Atwaters Untersuchungen erinnert.
Alle diese Untersuchungen ergeben das prompte Einsetzen der Regulier-
vorrichtungen für die Körpertemperatur, zu energetischen Betrachtungen
ist aus ihnen wenig zu entnehmen. Eben die Durchwärmung scheint
aber geeignet, durch entsprechende Zufuhr von Energie das Minimum des
chemischen Stoffwechsels kennen zu lehren.
Die einzigen mir bekannten Stoffwechselversuche mit Diathermie sind
kürzlich von Durig und Grau?) einerseits ausgeführt worden, in Bezug
auf eine kritische Erörterung über verschiedene Mitteilungen von unglaub-
würdigen Durchwärmungseffekten bei Patienten, von Röchou und Bergonie
andererseits.*) Bei Durigs Versuchen wurde gegenüber den im normalen
1) Münchn. med. Wochenschr. 1911, S. 1303.
2?) Zeitschr. exp. Path. Ther. Bd. 10, S. 339.
3) Biochem. Zeitschr. Bd. 48, S. 480.
4) Arch. d’Electr. med. 1912, Nr. 339, 1913, Nr. 353.
206 v. Zeynek,
Stoffwechsel produzierten Kalorien endothermal die 3 bis 4 fache Kalorien-
menge zugeführt (in einem Falle 627 kg Kal. im Laufe von 2!/, Stunden),
es wurden also dem Organismus kolossale Wärmemengen plötzlich auf-
gezwungen. Die Versuche zeigten dementsprechend eine Vermehrung der
Pulsfrequenz, mächtigen Schweißausbruch, anscheinend Erweiterung der
Nierengefäße (Vermehrung der Harnbildung während der Durchströmung,
n.b. bei der stärksten Durchwärmung wurde eine reichliche Menge sehr
verdünnten Harnes entleert). Der Stoffwechsel war gesteigert, die Er-
höhung des Stoffwechsels hielt sich in den Grenzen, die bei 'andersartiger
Temperaturerhöhung um denselben Betrag stattfindet.
Vielleicht war sie etwas geringer, als zu erwarten war. Es erscheint
wichtig, darauf hinzuweisen, dal nach Durig außer einem geringen Gefühl
des Unbehagens nicht die leiseste subjektiv wahrnehmbare Nachwirkung
vorhanden war. — Bei Rechou’s und Bergoniö’s Versuchen war im
Gegenteil eine deutliche Verminderung der Kohlensäureausscheidung
vorhanden. i
Es muß wohl bemerkt werden, daß Versuche, bei denen eine so
kolossale Wärmeenergie in kurzer Zeit in den Organismus geführt wurde.
mit denen der Erwärmung von außen nicht ohne weiteres vergleichbar
sind; es ist auch die Erwägung naheliegend, daß tatsächlich eine Ver-
minderung des chemischen Stoffwechsels bei Durigs Versuchen statt-
gefunden haben konnte, welche durch die sekundäre Arbeitsleistung des
Organismus zum Zwecke einer möglichst raschen Entfernung des lästigen
Wärmeüberschusses verdeckt wurde. Dann ist zu berücksichtigen, dal der
ruhende Mensch für orientierende energetische Versuche nicht sonderlich
geeignet ist. Es sei nur auf die Untersuchungen von Loewy!) und von
Johansson?) hingewiesen, welche ergeben haben, daß trotz fallender
Außentemperatur der Stoffwechsel ruhender Menschen nicht anstieg, ja
daß die Körpertemperatur erniedrigt wurde. Solche Anpassungserschei-
nungen mögen erst spät, jedenfalls nach Beendigung des Versuchs zum
Ausgleich gebracht worden sein.
Ich möchte mir erlauben, hier über eigene Versuche an hungernden
Kaninchen zu berichten, welchen nur geringe Strommengen, von denen
keine Auslösung der Wärmeregulationsvorrichtungen zu erwarten war, durch
die Leber geschickt wurden. An enthaarten Stellen, rechts vor der Leber,
links rückwärts, lagen die entsprechenden Silber- (Chlorsilber-), Kochsalz-
elektroden auf, das Tier war in einer Glocke fixiert und wurde in Inter-
vallen mit Strömen von 0,06—0,1 A durchwärmt. Die Durchwärmung
I) Zeitschr. f. Biologie Bd. 14.
2) Skandin. Arch. f. Physiol. Bd. 16.
Wissenschaftliche Grundlagen der Thermopenetration oder Diathermie. 207
verursachte nicht die mindeste bemerkbare Reaktion des Tieres. Durch
1—2 Stunden vor dem Versuche, während des meist 2 Stunden dauernden
Durchwärmungsversuches, und 1 Stunde nach der Durchwärmung wurde,
wie Rubner!) es vorgeschlagen hat. die Kohlensäure bestimmt. Die
endothermal zugeführte Wärme betrug per kg Tier und Stunde 0,6 bis
1.ö kg Kal. Die Außentemperatur war bei jedem Versuche konstant, sie
schwankte bei den einzelnen Versuchen zwischen 16—18°. In allen Fällen
konnte eine Abnahme der Kohlensäureausscheidung um im Mittel 15%
(13—18%,) nachgewiesen werden, die nach einstündiger Sistierung der
Erwärmung dem ursprünglichen Werte Platz machte. Bei Zufuhr
größerer Wärmemengen wurden, wie von Durig und Grau, geringfügige
Steigerungen der Kohlensäureausscheidung und Schnupperbewegungen des
Kaninchens beobachtet.
Die Versuche lehren nicht viel; ein ähnlicher Effekt ist ja auch durch
Erhöhung der Außentemperatur zu erreichen.?) Doch sind wohl die Hoch-
frequenzströme das einzige Mittel, bei gleichbleibenden äußeren Verhält-
nissen durch eine physikalisch, im Innern des Tieres erzeugte Wärme eine
Beeinflussung der Kohlensäureproduktion impl. des Stoffwechsels zu be-
wirken.
Es ist ausdrücklich hervorzuheben, daß diese Versuche keines-
wegs gegen die von Durig und Grau geübte Kritik sprechen; „elektrische
Mahlzeiten“, so angenehm dies wäre, müssen als eine Utopie bezeichnet
werden, und das bedeutende Wort Lavoisiers .la vie est une fonction
chimique* wird durch die Thermopenetration nicht umgestoßen.
Auf die Möglichkeit einer Wärmewirkung bei der Autokonduktion
sei hier hingewiesen. Es ist meines Erachtens nicht unmöglich, daß in
den geschlossenen, besser als die Umgebung leitenden Systemen des Or-
ganısmus, z. B. in der Blutbahn, Ströme induziert werden, welche eine
spezielle Endothermie bewirken könnten. Wenn meine Anschauung an-
erkannt werden kann, würde die anfängliche Abnahme der Kohlensäure-
ausscheidung, der später eine Steigerung folgt, gut als Wärmewirkung ge-
deutet werden können. Daraus würde noch mehr, als es bisher betont
wurde, folgen, daß kein prinzipieller Gegensatz zwischen der Arsonvalisation
und den Wärmewirkungen der Hochfrequenzströme besteht. Es ist hervor-
zuheben, daß Vittorio Maralgiano?) 1901 die Wärmewirkungen der
Hochfrequenzströme therapeutisch verwendet hat, daß Zimmern und
Turchini in Frankreich, Sommerville in England etwa um die gleiche
Zeit wie wir ınit der Thermopenetrationsidee in die Öffentlichkeit traten.
1) Gesetze des Energieverbrauchs, S. 132.
2) Richet, Chaleur animale, S. 231.
8) Nach einer brieflichen Mitteilung Herrn Dr. Schminckes.
208 v. Zeynek,
Meine ursprüngliche Ansicht, daß beim fiebernden Organismus sich
größere Differenzen im Stoffwechsel nach der Durchwärmung ergeben werden,
hat für das fiebernde (septikämische) Kaninchen sich nicht bestätigt. Aus
den wenigen Versuchen ist kein endgültiger Schluß zu ziehen, und die be-
züglichen klinischen Versuche sind nicht abgeschlossen. Wir hoffen, dab
sie von mindestens theoretischem Interesse sein werden. Bonnefoy +) hat
bei chronischer tropischer Malaria einen günstigen Einfluß des Kondensator-
stuhls beobachtet, den er allerdings nicht auf eine Wärmewirkung bezieht.
Es ist schließlich noch auf die öfters diskutierte Frage einzugehen,
ob mit der Wärmewirkung die Leistung der Hochfrequenzströme im Or-
ganismus erschöpft ist.
Wohl jeder von uns hat sich mit der Idee getragen, daß den raschen
Schwingungen besondere chemische Wirkungen zukämen, etwa mit den
Wirkungen der stillen Entladung vergleichbar. Es sei vorausgeschickt, daß
die verschiedensten Versuche mit Eiweißkörpern, auch mit Oxyhämoglobin,
auch mit Hämatin, mit Enzymen, wenn die Wärmewirkungen ausgeschaltet
waren und keine Funkenbildung stattfand, schließlich mir keine Resultate
ergeben haben. Ich teile diese Mißerfolge mit Rumpf,?) der 1910 er-
klären mußte: „ich kann hinzufügen, daß . . .. meine Versuche negativ
waren. Das kann aber sehr wohl bei anderer Anordnung anders werden.“
Von vornherein möchte man trachten, diejenige Schwingungsfrequenz zu
finden, bei welcher nach Art der Resonanz selbsttätig langsam verlaufende
Prozesse beschleunigt wurden.
Bakterienversuche, in diesem Sinne durchgeführt, mögen hier mitge-
teilt werden. Frische Kulturen von Bact. coli commune vertragen eine
Temperatur von über 40° Hochfrequenzströme verschiedener Frequenz
von 1 A. und mehr Stromstärke (Hitzdrahtablesung), mit Unterbrechungen
zur Abkühlung der Lösung, im ganzen während mindestens 10 Minuten durch
solche Kulturen geschickt, alterierten sie nicht. Im Sinne einer der an-
deuteten „Aktivierung“ wurden nun zu den Kulturen Bakteriengifte zu-
gesetzt, nachdem Vorversuche die Konzentration ergeben hatten, in welcher
diese Gifte schon eine beträchtliche Schädigung der Kolikulturen ohne
Stromwirkung hervorbrachten. Jede Probe der Bakterienkultur wurde nach
Zusatz der schädigenden Lösung in zwei Teile geteilt, der eine Teil wurde
mit den hochfrequenten Strömen (im ganzen durch 10 Minuten) behandelt,
der andere wurde in warmem Wasser auf die gleiche Temperatur erwärmt.
Die Temperatursteigerungen betrugen ca. 10°—15°. Als Bakteriengifte dienten
Bleiazetat, Quecksilberchlorid, Platinchlorid, Jodkalium in hoher Konzen-
1) Journ. de Physiother. Bd. 10.
2) Pflügers Arch. Bd. 137, S. 329.
Wissenschaftliche Grundlagen der Thermopenetration oder Diathermie. 209
tration, Hydrazinhydrat. Die mehrfach variierten Proben gaben keine Zu-
nahme der Schädigung nach der Hochfrequenzbehandlung. Herr Professor
Dr. A. Ghon hatte die Liebenswürdigkeit, die Versuche über die Wachs-
tumsbehinderung der Kolikulturen, ohne die Behandlung der einzelnen
Proben zu kennen, durchzuführen, wofür ich ihm auch wegen der größeren
Verläßlichkeit dieser Versuche zu besonderem Dank verpflichtet bin.
Durig und Grau haben jüngst mitgeteilt, daß Paramäzien, wenn eine
Schädigung durch die Stromwärme ausgeschlossen war, nicht durch Hoch-
frequenzströme alteriert wurden. Umgekehrt hat Laqueur bekanntlich
eine wesentliche Schädigung der wärmeempfindlichen Gonokokken auch
im lebenden Gewebe durch die Diathermie nachgewiesen.
Daß normale menschliche Gewebe und Karzinomgewebe keine be-
sondere Beeinflussung durch die Ströme selbst erleiden, abgesehen von den
durch Wärmewirkung erklärbaren Schädigungen, dürfte aus E. Stephans!)
histologischen Untersuchungen hervorgehen; er fand es auch wahrscheinlich,
daß in der Nachbarschaft des thermopenetrierten (z. T. koagulierten) Ge-
webes keine besondere Reizung stattfindet.
Eine Erscheinung kann ich bestätigen, die schmerzstillende Wirkung
der Ströme. Verschiedenartig angestellte Versuche der Hauterwärmung
gaben bei einer erreichten Temperatur von ca. 80° ein Schmerzgefühl,
welches während der Thermopenetration nicht auftrat. Diese Erscheinung
ist um so auffallender, als die im Verein mit Bernd!) ausgeführten
Nervenreizungsversuche ergeben hatten, daß durch die Hochfrequenzströme
die (faradische) Erregbarkeit der Nerven nicht herabgesetzt war.
Abgesehen von dieser schmerzstillenden Wirkung, für welche keine Er-
klärung gegeben ist, kann ich aber nur von der Wärmewirkung der Hoch-
frequenzströme und von negativen Resultaten in Bezug auf chemische
Wirkungen berichten. Für die praktisch-therapeutische Anwendung wäre
dieses Ergebnis, sobald es vollkommen sichergestellt ist, wohl ein Vorteil.
Vom theoretischen Standpunkt aus bedeutet es eine Enttäuschung,
daß einer der nobelsten und höchsten Triumphe, welche die Elektrizitäts-
lehre eben in den Hochfrequenzströmen erreicht hat, für unseren Organis-
mus hauptsächlich oder ausschließlich in Form der degradierten Energie,
der Wärme in Betracht kommt. Wir dürfen uns jedoch damit zufrieden
geben, wenn eben diese Energiedegradation unserem Organismus wertvoll ist.
1) Inaug.-Diss. Heidelberg 1912.
2) Pflügers Arch. Bd. 132.
Strahlentherapie Band III, Heft 1 14
Zur Wirkung der Röntgenstrahlen auf maligne Geschwülste.*)
Von
Prof. Dr. Max Levy-Dorn, Berlin,
leitender Arzt am Rudolf Virchow-Krankenhanus.
(Mit 2 Abbildungen.)
D“ Glaube an die Möglichkeit, daß die Röntgenstralilen maligne Ge-
schwülste zu heilen vermögen, erfreut sich heute noch keiner allzu-
großen Verbreitung. Wenn man auch zugeben muß, daß es verfehlt wäre,
die Hoffnungen zu hoch zu spannen, so wäre es doch ebenso verkehrt, in
das Gegenteil zu verfallen, offenbare Erfolge zu übersehen und auf ein
brauchbares Hilfsmittel im Kampf gegen den bösen Feind zu verzichten.
Die Bedingungen, unter denen die Strahlen Nutzen bringen, sind aller-
dings noch ganz ungenügend erforscht. Ich habe mich bemüht. unter
Zuhilfenahme des Tierexperimentes weiter zu kommen und möchte an
dieser Stelle über das bisherige Ergebnis meiner Versuche berichten.
Durch das Entgegenkommen des Geh.-R. v. Wassermann wurden
mir eine Reihe Krebs- und Sarkom-Mäuse zur Verfügung gestellt. Ich
nahm mir vor eine Bestrahlungsmethode auszuarbeiten, die wenigstens in
noch nicht weit vorgeschrittenen Fällen eine Heilung der Mäusegeschwülste
mit großer Walırscheinlichkeit gewährleistet. Es ist mir dies aber bisher
nur in beschränktem Maße gelungen.
Wie ich auf dem Röntgenkongreß 1910 und in der Dermatologischen
Gesellschaft zu Berlin mitgeteilt habe, vertragen die Mäuse bei Allgemein-
bestrahlungen nur geringe Dosen. Ich überzeugte mich bald davon. daß
diese nicht ausreichen, die Tumoren zum Verschwinden zu bringen. Ich
eing daher zu Partialbestrahlungen der Tumoren über. Die Tiere wurden
in Schutzstoffe eingewickelt, die an der Stelle des Tumors durchlocht
waren. Durch eine gewöhnliche photographische Klammer wurde der
Schutzstoff zusammengehalten. Die üblichen „Mäusebretter“ haben sich hier
weniger bewährt, als dieses einfache Verfahren. Es wurden von mir bis-
her höchstens SO Kienböcksche Einheiten von harten Strahlen mit und
ohne Filter (4faches Leder, 2 mm Aluminium) in 1 bis 2 Tagen appliziert.
Auch eine Wiederholung der Bestrahlungen nach 3 Wochen wurde vertragen.
) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie,
Berlin 1913.
Levy-Dorn, Zur Wirkung d. Röntgenstrahlen auf maligne Geschwülste. 241
Die Eigenart der Impfung bringt es mit sich, daß die Mäuse oft
auljer dem gewollten Tumor an der Achsel, auch an der Einstichöffnung
auf dem Rücken über dem Schwanz einen zweiten Tumor bekommen.
Die Bestrahlung der beiden Tumoren wird aber schwer ertragen und
ähnelt in der Wirkung der Allgemeinbestrahlung. So starb ein Tier, von
welchem in dreitägigen Zwischenräumen erst die (kirschgroße) Achsel-,
dann die Rückengeschwulst mit 8 Erythemdosen bestrahlt worden war,
schon 5 Tage später.
Als Beispiel für den glücklichen Verlauf nach dem radiotherapeutischen
Eingriff mag folgender Fall dienen:
Kirschgroßer Tumor an der linken Achsel, der sich in 5 Wochen
nach der Impfung entwickelt hate. An 2 aufeinanderfolgenden Tagen
werden durch ein 4faches Lederfilter je 4 Erythemdosen von 9 Wehnelt
gegeben. Nach 11 Tagen hatte sich die Geschwulst schon wesentlich ver-
kleinert. Eine Woche später fällt es auf, daß sich ein Wall um dieselbe
gebildet, ohne daß sie sonst an Größe zugenommen hat. Es wird daher
noch einmal dieselbe Dosis verabreicht. Der Wall schwindet in einigen
Wochen, die Haare fallen aus, die Tumorstelle erscheint geschrumpft.
Das Tier war bis zum Tode, der aus unbekannten Gründen eintrat, d.h.
3 Monate in Beobachtung. Die Geschwulst war nicht rezidiviert. Das
zur Zeit des Kongresses noch lebende Tier wurde demonstriert.
Eine andere Maus mit fast ebenso altem und ebenso großem Tumor
wurde durch eine einmalige Gabe von 80 X geheilt. 4 Wochen nach
der Bestrahlung war die Geschwulst wesentlich verkleinert; nach weiteren
4 Wochen war dieselbe geschwunden. Dabei war der Tumor nicht, was
sonst oft geschieht, in der Mitte aufgebrochen, sondern lediglich geschrumpft.
Die zu derselben Zeit mit demselben Stoff geimpfte, nicht bestralıilte
Kontrollmaus ging nach starker Zunahme des Tumors in 2 Monaten ein.
Nach meinen bisherigen Erfahrungen lassen sich etwa kirschgroße
Achseltumoren der Mäuse mit Dosen nicht unter 80 X harter Strahlen
mit einiger Wahrscheinlichkeit beseitigen. Doch ließen sich einige Ge-
schwülste, obwohl sie von demselben Impfmaterial stammten, nur wenig
beeinflussen. Diese Tatsache spricht dafür, daß bei den Heilungen durch
Röntgenstrahlen neben der Radiosensibilität der Geschwülste die Reaktions-
fähigkeit der Gewebe eine Rolle spielt. Die unverkennbaren Schrumpfungs-
vorgänge am Krankheitsplatze müssen als Ausdruck dieser Gewebsreaktion
angesehen werden.
Es gilt als ein Axiom, daß die Röntgenstrahlen um so eher wirken,
je schneller die Tumoren wachsen, weil dadurch die Jugendformen der
Zellen, welche sich durch besonders große Ratdivosensibilität auszeichnen,
zunehmen. Bei den Impftumoren der Mäuse scheinen aber die am schnellsten
14*
212 Levy-Dorn,
wachsenden schwerer zu beeinflussen zu sein. Wir müssen daher annehmen,
daß jenes Axiom nur innerhalb gewisser Grenzen gilt. Die heilenden
Reaktionen, welche durch die Röntgenstrahlen hervorgerufen werden, be-
dürfen einer nicht unerheblichen Zeit, um sich zu entwickeln. Wenn
Tumoren rascher wachsen, als diese Zeit beträgt, so können wir keine
durchgreifende Wirkung erwarten.
Meinem experimentellen Beitrag möchte ich eine kasuistische Mit-
teilung über die Erfolge der Röntgenstrahlen bei Sarkom hinzufügen: Die
beiden von mir in der Berliner klin. Wochenschr.') beschriebenen (Lympho-
resp. Periost-Sarkom) Patienten sind geheilt geblieben. Die Heilung hält
also jetzt über 7 Jahre an. Der erste Fall betraf eine heute 35 Jahre
alte Frau, die am 1. VII. 1904 wegen rechtsseitiger Halsdrüsengeschwulst
operiert worden war. Die mikroskopische Untersuchung ergab Lympho-
sarkom. In der ersten Hälfte des November 1905 begannen die Drüsen
der bis dahin gesunden linken Seite von der Supraklavikular- bis Sub-
maxillargegend anzuschwellen. An dem oberen Ende der Operationsnarbe
entstand ebenfalls eine neue Drüse, Narbe wie Drüse zeigten sich gegen
Druck empfindlich, das Allgemeinbefinden hielt sich gut, der Blutbefund
war normal. Der übrige Teil des Körpers zeigte sich frei von Drüsen.
Trotz Behandlung mit Arsen und Prießnitzschen Umschlägen vergrößerten
sich die Tumoren. Vor einer zweiten Operation scheute man wegen Aus-
breitung des Leidens zurück. Die Röntgenbehandlung begann am 30.
XII. 1905, also 6 Wochen nach dem Rezidiv. Die linke Halsseite erhielt
im Januar, Februar und April jedesmal in 6—7 Sitzungen 10 X, die
rechte dieselbe Dosis einmal in 3 Bestrahlungen. Schon nach der ersten
Behandlung gingen die Drüsen etwas zurück. Im April konnte eine
wesentliche Besserung bemerkt werden. Im Dezember desselben Jahres
stellte sich aber Patientin wieder vor, weil seit einigen Wochen die
Schwellungen am linken Unterkiefer und hinter dem Ohre wieder zunahmen.
Durch 11 Bestrahlungen wurde bald wieder eine wesentliche Verkleinerung
erzielt, die allmählich zum vollständigen Schwund der Drüsen führte.
Im Herbst 1909, also fast 3 Jahre später, schwollen die Leistendrüsen
an, während der Hals gut blieb. Trotz Bettruhe und Umschlägen nalım
das Leiden 1?/, Jahr zu, dann traten Schmerzen auf und die Haut ent-
zündete sich; gleichzeitig bestand Fluor. Nachdem dieser Zustand
3 Wochen ohne Neigung zu Eiterung bestanden, erinnerte man sich der
früheren Erfolge der Röntgenstralilen.
Bereits 14 Tage nach Beginn der Röntgentherapie hatten Schwellung
und Empfindlichkeit wesentlich nachgelassen und hörten bald vollständig
ı) Dauererfolge bei der Röntgentherapie von Sarkomen. Ein kasuistischer
Beitrag. Prof. Dr. Levy-Dorn, Berlin. Berl. klin. Woch. 1912, Nr. 1.
Zur Wirkung der Röntgenstrahlen auf maligne Geschwülste. 213
auf. Der Sicherheit wegen wurde aber 3 Wochen später noch einmal
bestrahlt.
Seitdem ist Patientin von ihrem Drüsenleiden befreit geblieben. Es
traten aber häufig ohne erkennbaren Grund erysipelas-artige Erkrankungen
mit hohem Fieber an den verschiedensten Stellen des Körpers auf. Es
liegt nahe daran zu denken, daß die Disposition für Infektionen, welche
dadurch verraten wird, auf Schwächung des Drüsensystems durch die
Röntgentherapie beruht, weil infolgedesssen die Phagozyten, die Krieger
gegen die Infektionskeime in zu geringer Zahl entstehen.
Im zweiten Falle handelte es sich um ein periostales Sarkom
des Oberschenkels bei einem 17 Jahre alten Patienten. Er kam im
März 1906 in meine Behandlung. Es bestanden seit ca. 2 Jahren Schmerzen
im linken Oberschenkel, die auf ein Trauma zurückgeführt wurden. Nach
einer Bergtour 1904 steigerten sich die Beschwerden so sehr, daß täglich
Narkotika verabfolgt werden mußten (Aspirin, Pyramidon). Eine Röntgen-
untersuchung ergab damals keine abnormen Befunde. Trotz energischer
Anwendung der physikalischen Heilmethoden und antineuralgischer Kuren —
unter anderem Aufenthalt in 5 Sanatorien — stellte sich keine Besse-
rung ein.
Im April 1906 wurde das erste Mal eine Auftreibung des linken
Femur festgestellt. Eine Autorität diagnostizierte „periostales Sarkom“
und schlug die Exartikulation vor. Die von mir im Mai vorgenommene
Röntgenuntersuchung ergab: Um die obere Hälfte des Femur zahlreiche
unregelmäßige, zum Teil netzförmig angeordnete, zum Teil mit dem Knochen
parallele Schattenlinien. Darin sind einige Schattenflecke eingestreut. Das
Periost ist verdickt, der Knochen spindelförmig aufgetrieben. Der Mark-
kanal scheint nicht verändert zu sein.
Die Operation wird nicht zugelassen. Ich begann daher die Röntgen-
bestrahlung: Vom 26. IV. 1906 bis 7. V. 1906 je eine Erythemdose in
3 Sitzungen von vorn nach hinten und von den Seiten. Wiederholung des
Verfahrens vom 29. V. bis 1. VI. 1906. Vom 25. VI. bis 5. VD.
wurden noch 5 Bestrahlungen hinzugefügt.
Die Röntgenuntersuchung am 19. XI. 1906 bewies, daß der Tumor
etwas zusammengeschrumpft war. Die Behandlung wurde fortgesetzt: Vom
19. XI. bis 8. XII. erhielt Patient 10 Bestrahlungen und endlich im
Februar 1907 noch 9 Bestrahlungen.
Zugleich mit der Röntgentherapie wurden Atoxylinjektionen verabfolgt.
Der Patient erholte sich so schnell, daß er bereits im September 1907 es
wagte, sich die Antineuralgika entziehen zu lassen. Obwohl hierbei schwere
Abstinenzerscheinungen auftraten, führte der Kranke die Kur erfolgreich
durch. Im Frühjahr 1908 waren fast alle Beschwerden verschwunden.
214
Levy-Dorn,
Zur Wirkung der Röntgenstrahlen auf maligne Geschwülste. 215
Patient konnte ohne Nachteil Bergtouren machen und sich seitdem un-
gestört seinen Studien widmen.
Die am 25. XI. 1911 vorgenommene Röntgenuntersuchung ließ noch
eine spindelförmige Schwellung des Femur erkennen. Die Trabekeln außer-
halb des Periosts waren aber bis auf einen kirschkerngroßen Rest, der als
isolierte Knnocheninsel erschien, vollständig geschwunden. Die Verdickung
des Knochens betraf die Kortikalis und das Periost.
Ich füge einen neuen, lehrreichen Fall mit Abbildung hinzu:
Einem 31jährigen Manne war vor 1!/, Jahren wegen Sarkom die
erste Phalanx des rechten Daumens reseziert und durch ein transplantiertes
Knochenstück ersetzt worden. Es hatte sich ein umfangreiches Rezidiv
entwickelt, so daß die Chirurgen die Amputation der Hand dringend an-
rieten. Die Zirkumferenz betrug 15 cm. Die Geschwulst wurde in
7 Monaten 6 mal von beiden Seiten mit je 10 X bestrahlt. Filter kamen
nur die letzten Male zur Anwendung. Den Erfolg zeigt die untenstehende
Tabelle:
Nach
Dat Umfang
en: der Geschwulst | Bestrahlungsserie
14. XI. 1911 15 cm
12. XII. 1911 | 15 cm Haut etwas faltig I.
17. II 1912 13 cm II.
»2, III. 1912 | nicht ganz 12 cm II.
1. IV. 1912 Ä nicht ganz 11 cm | Eine knöcherne Resistenz. ID.
| in der Basis des Daumens y
fühlbar '
10. V. 192 10 cm
24. VI. 1912 9 cm V.
4. IX. 192 8 cm VI.
Der Umfang der Geschwulst hat also etwa um die Hälfte abgenommen.
Nach dem Bericht befindet sich heute der Kranke vortrefflich, also 11
Jahre nach dem Beginn der Röntgentherapie.
Die beigefügten Röntgenbilder vom 26. II. und 24. VI. 1912 demon-
strieren 2 Stadien des Heilungsprozesses. Man erkennt auf den ersten
Blick die Abnahme der Geschwulst und die eigenartige Umbildung des
Implantierten Knochenstückes.
Schon nach der ersten Serie (je 10 X dorsal und volar) verriet das
Entstehen von kleinen Falten in der Haut über dem Tumor, dal) er be-
sonnen hatte sich zu verkleinern.
Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie in der
Gynäkologie.
(Auf Grund der Verhandlungen des XV. Gynäkologenkongresses zu Halle a. S.)
Von
Privatdozent Dr. E. Engelhorn, Erlangen.
D“ operative Gynäkologie hat sich in den letzten Jahrzehnten eine be-
achtenswerte Stellung errungen. Die therapeutischen Erfolge, die der
gynäkologische Operateur zu verzeichnen hatte, verbesserten sich mit
weiterer Ausbildung der Technik von Jahr zu Jahr, sodaß auch die früher
mit Recht so gefürchteten abdominellen Operationen bei Tumoren des
Genitales immer mehr von ihren Schrecknissen verloren und gute Resultate
gaben. Dies gilt in erster Linie von den Operationen bei Tumoren des
Ovariums und bei Myomen des Uterus, bei denen die Mortalität bei der
abdominalen radikalen Myomoperation auf ca. 5% sank, weiter auch für
das Uteruskarzinom, bei dem dank der von Winter vorgeschlagenen Auf-
klärung der Frauenwelt, der Ärzte und Hebammen die anfänglich so
schlechten und deprimierenden Dauerresultate in der letzten Zeit eine
wesentliche Besserung erfahren haben, sodaß wir heute mit einer absoluten
Heilung von ca. 20—25% rechnen dürfen. Nach diesen im Laufe weniger
Jahre errungenen bedeutenden Erfolgen erscheint die Annahme berechtigt,
daß die Zukunft uns noch weitere und größere Fortschritte auf dem Ge-
biete der operativen Gynäkologie bringen dürfte. Indessen sind, ohne
diese Erfolge abzuwarten, neue Wege eingeschlagen worden, die uns viel-
leicht in absehbarer Zeit an Stelle der operativen Behandlung die moderne
Strahlentherapie bringen werden.
Auf dem XV. Kongreß der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie
in Halle a. S. standen neben den Vorträgen zum eigentlichen Verhand-
lungsthema die Berichte über die Anwendung der Strahlentherapie in der
Gynäkologie im Mittelpunkt des Interesses.
Die Absicht, einen kurzen Überblick über die Hallenser Verhandlungen
auf dem Gebiete der Strahlentherapie zu geben, läßt sich wohl am besten
verwirklichen, wenn die gutartigen und die bösartigen Erkrankungen des
Genitales eine gesonderte Besprechung erfahren.
Gutartige Genitalerkrankungen.
An einem Erfolge der Röntgentherapie bei gutartigen Erkrankungen
des Uterus (Myome, Metropatlien usw.) kann heute nicht mehr gezweifelt
Engelhorn, Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie usw. 917
werden. Nach vielen anfänglichen Mißerfolgen, ja sogar nach äußerst be-
drohlichen Schädigungen durch die Röntgenstrahlen sind wir dank der
unermüdlichen Arbeit der Freiburger Klinik nunmehr so weit, daß wir
die Behandlung mit Röntgenstrahlen an Stelle der operativen Eingriffe
setzen können. Die Freiburger Technik (harte Strahlen, Filterung
mit 3 mm Aluminiumfilter, Nahabstand, möglichst viele Einfallspforten und
hohe Dosen) hat eine Reihe von Anhängern gefunden.
Eine Verbesserung der Freiburger Technik scheint in der von Meyer
(Kiel) angegebenen Methodik zu liegen, bei der man während der Be-
strahlung die Röntgenröhre langsam von der einen Seite des Patienten
zur anderen hinüberschwingen läßt. Dadurch werden stets wechselnde
Hautstellen zu Eintrittspforten der Strahlen, während die Strahlen der
wandernden Röhre stets auf die in der Tiefe des Körpers gelagerten zu
beeinflussenden Organe konzentriert bleiben. Die Vorteile dieser Be-
strahlungsvorrichtung sind große Gleichmäßigkeit der Bestrahlung in der
Tiefe, weitgehende Ökonomie, einfache Handhabung.
Die ausgezeichneten Erfolge der Röntgenbehandlung der Myome
namentlich in der Freiburger und Münchener Klinik sind aus früheren
Veröffentlichungen bekannt. Aus der Sellheimschen Klinik berichtet
Holzbach, der mit der Albers-Schönbergschen Technik keine ein-
deutigen Resultate erzielte, seit Einführung der Freiburger Technik über
ausgezeichnete Resultate bei Myomen. Ein gegen die Therapie refraktärer
Fall ist bis jetzt von Holzbach nicht beobachtet worden. Die Maximal-
dosis betrug bis jetzt 800 X. Die Erythemdosis von 10 X pro Feld kann
bei der 3 mm Aluminiumfilterung dreist überschritten werden. Ver-
brennungen wurden bisher nicht beobachtet. Recht gut waren die Resul-
tate mit der Strahlentherapie bei Bauchfell- und Genitaltuberkulose. Hoch-
fiebernden Tuberkulosen, denen eine schlechte Prognose gestellt wurde,
injizierte Holzbach vor der Bestrahlung Jodoformöl in die Bauchhöhle.
Das durch die Strahlen freiwerdende Jod scheint eine starke Wirkung
auf den tuberkulösen Prozeß auszuüben. Auch inoperable Blasen-Nieren-
tuberkulose wurde auf diese Weise behandelt; durch Injektion von Kollargol
ins Nierenbecken und Bestrahlung mit hohen Dosen; Nierenschädigungen
wurden nicht beobachtet.
Weitzel sah bei 20 von 21 Myomen nach durchschnittlich 5—600 X
Amenorrhoe eintreten, bei 5 Fällen von hämorrhagischer Metropathie trat
nach 250—300 X Amenorrhoe ein. 2 Fälle von Dysmenorrhoe wurden
geheilt. In der Hälfte aller Fülle traten geringe Ausfallserschei-
nungen auf.
Runge- Berlin erzielte in 86,2% «der Metropathien und bei 95,55%
der Myome durch Röntgenstrahlen Heilung. Bei fast der Hälfte aller
918 Engelhorn,
Fälle war eine Verkleinerung der Tumoren zu beobachten. Auch bei
Pruritus vulvae wurden mit Bestrahlung in 10 Fällen glänzende Resultate
erzielt.
Jung berichtet über fortdauernd gute Resultate mit dem Röntgen-
verfahren. Auf Grund von Experimenten Kuriharas an der Göttinger
Klinik glaubt Jung nicht, daß die Röntgenstrahlen die Muskulatur be-
einflussen, sondern daß der Umweg über das Ovarium zur Wirkung
nötig ist.
Füth erzielte mit der Röntgentherapie bei Metropathien in 89% Heilung
und in 11% Besserung; bei Myomen in 80% Heilung, 5% Besserung.
keine Heilung in 15%. Auffallend häufig beobachtete Füth das Auftreten
von Übelkeit und Erbrechen; die Ursache scheint in der starken Ent-
wicklung von Ozon im Röntgenzimmer zu liegen, da Ozon in stärkerem
Maße eingeatmet unangenehme Erscheinungen hervorrufen kann. Es wird
deshalb der Versuch gemacht, das Ozon auf katalytischem Wege zu zer-
setzen, ehe es in die Atmungsorgane gelangen kann. Siedentopf (Magde-
burg) hatte gute Resultate bei Menorrhagien, klimakterischen Blutungen.
Metropathien und bei Blutungen bei gonorrhoischen Adnexerkrankungen.
Über Dauerresultate kann Siedentopf noch kein Urteil abgeben.
Klein geht von dem Grundsatz aus, nicht mehr Strahlen in den
Körper der Patientin zu schicken, als zur Erreichung des Ziels unbedingt
notwendig sind und bedient sich deshalb einer Methode, die zwischen der
Albers-Schönbergschen und Krönigschen in der Mitte steht. Mit
50—100 X wurde in 2—7 Serien zu je 18—48 Einzelbestrahlungen die
erwünschte Oligo- oder Amenorrhoe stets erreicht. Jugendliche Patientinnen
mit Myomen werden operiert, da es hier berechtigt erscheint, lieber die
Myome zu entfernen und nicht nur die Ovarien, sondern auch nach Mög-
lichkeit Korpus und Zervixgewebe zu erhalten. Unter 35 Kranken mit
Fibrosis uteri war mit der von Klein geübten Bestrahlungsweise kein
Mißerfolg zu verzeichnen.
Aus dieser Zusammenstellung der Resultate der einzelnen Autoren
geht hervor, daß in der Mehrzahl der Fälle bei Metropathien. klimakte-
rischen Blutungen, Myomen, Blutungen bei gonorrhoischen Adnexerkrank-
ungen, Pruritus mit der Röntgentherapie gute Resultate erzielt worden sind.
die uns wohl berechtigen, auf dem begangenen Wege weiterzufahren. Am
meisten angewandt wird die Freiburger Technik; nur einige Autoren be-
dienen sich der Methode von Albers-Schönberg, gleichfalls mit guten
Resultaten. Interessant ist die Mitteilung von Holzbach, der erst mit
der Freiburger Methode gute Resultate erzielen konnte. Holzbachs Er-
fahrungen decken sich mit den in der Erlanger Klinik gemachten, wo
wir erst bei genauer Befolgung der Gaußschen Technik einwandfreie
Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie in der Gynäkologie. 219
Resultate erzielen konnten, ohne irgendeine nennenswerte Schädigung
unserer Patientinnen verzeichnen zu müssen.
Auf Grund der bisherigen Erfahrungen können wir also an Stelle der
operativen Eingriffe die Behandlung mit Röntgenstrahlen empfehlen, wobei
mit der Freiburger Methode bessere Resultate als mit der von Albers-
Schönberg angewandten erzielt werden.
Als Kontraindikationen für die Bestrahlung kommen polypöse, in
die Scheide geborene Myome, ferner Myome, die die Nachbarorgane (Blase,
Rektum) komprimieren und bis jetzt noch mit Karzinom kombinierte Myome
in Betracht. Ob die Kombination Myom und Karzinom tatsächlich eine
Kontraindikation für die Strahlentherapie überhaupt darstellt, wird die Zu-
kunft zeigen.
An der Erlanger Klinik haben wir die unangenehme Erfahrung
gemacht, da8 die hauptsächlich aus dem Lande sich rekrutierenden Frauen
sich vorzeitig der Röntgenbehandlung entziehen, da es ihnen an der nötigen
Geduld fehlt. Ist einmal eine Patientin nach einer Bestrahlungsserie aus
ler Klinik entlassen, so ist sie meist auf immer verschwunden. Wir sind
deshalb unter diesen Umständen gezwungen, die von Hirsch und Menge
aufgestellte „soziale‘* Kontraindikation anzuerkennen, Erfahrungen, die auch
Jung an seiner Klinik gemacht hat.
Neue Wege in der Behandlung der Myome und Metropathien hat die
Freiburger Klinik eingeschlagen mit der Mesothoriumbehandlung. Wie auf
dm Gebiet der Röntgenstrahlen gebührt hier der Freiburger Schule das
Verdienst, die Radiumtiefentherapie in bahnbrechender Weise ausgestaltet
zu haben. Die Bedeutung einer exakt ausgebauten Filtertechnik ist für
die Mesothoriumtherapie anscheinend noch erheblich wichtiger, als sie für
die Röntgentherapie schon war. Jedes Präparat ınuß biologisch geeicht
werden. Um keine schädigenden Nebenwirkungen zu bekommen, müssen
die x- und B- Strahlen abgefiltert werden, wozu Filter aus 3 mm dickem
Bleischutz, 1 mm Gold oder !/, mm Platin zur Verwendung kommen.
Dusch berichten Gauß und Krinski, daß trotz dieser Filterung auch die
y- Strahlen noch Hautschädigungen setzen können; es ist also bei Verwen-
dung des Mesothoriums mit den angegebenen Filtern vorerst noch Vorsicht
"boten. Gauß und Krinski berichten über SO mit Mesothorium be-
landelte Fülle (42 Myome, 38 Metropathien). Bestrahlt wurde je nach
der Lage der Dinge vaginal, cervical, intrauterin und auch abdominal.
30 Frauen befinden sich jetzt zur Zeit noch in Behandlung, bei 30 ist die
Behandlung abgeschlossen. Bei diesen letzteren ist Amenorrhoe und Myom-
schrumpfung bis zum völligen Schwund des Tumors eingetreten. Die
Wurchschnittliche Gesamtdauer der Bestrahlungszeit beläuft sich bei Myom
auf 176,5, bei Methropathien auf 175,8 Stunden. Die Behandlung dauert
220 Engelhorn,
je nach dem Alter der Patientin 6—8 Wochen. In 53% wurden Neben-
wirkungen im Sinne eines Mesothoriumkaters, analog dem Röntgenkäter
beobachtet. Auch Temperatursteigerungen, Schwächeanwandlungen und
Tenesmen im Bereich der Blase und des Mastdarms waren gelegentlich
zu verzeichnen.
Voigt hält auf Grund seiner Erfahrungen mit Mesothorium (9 Fälle
von klimakterischen Blutungen, 7 Menorrhagien, 3 Fälle von Adnexent-
zündung mit deutlicher Schrumpfung der Adnextumoren) bei hämorrhagi-
schen Metropathien und Menorrhagien infolge von Adnexentzündung die
Mesothoriumbehandlung der Röntgentherapie für überlegen. Für die Be-
handlung von Myomen schlägt er eine Kombination beider Verfahren vor.
In 3 Fällen (von 8 Myomen) kam es durch zu lange Bestrahlung mit un-
genügendem Filter zu Verbrennung der Vagina, 1 mal entwickelte sich
ein Douglasexsudat, in 2 Fällen kam es zu einer heftigen Entzün-
dung der Rektalschleimhaut. Pinkus-Berlin konnte mit 400—600 my
Stunden bei Metropathien und Myomen mit Mesothorium gute Erfolge
erzielen.
Wenn die Berichte über die Mesothoriumbehandlung auch sehr spär-
liche genannt werden müssen, so geht aus den Veröffentlichungen, haupt-
sichlich von Gaul soviel hervor, daß wir im Mesothorium ein prompt
und sicher wirkendes Mittel haben, um Metropathien und Myome günstig
zu beeinflussen. Wie vorsichtig man in der Anwendung des Präparates
sein muß, beweisen die von Voigt beschriebenen schweren Verbrennungen
der Scheide und die sonst von ihm beobachteten unliebsamen Nebenwir-
kungen. Es ist bis jetzt noch nicht entschieden, ob die bis heute erzielten
Erfolge auch dauernde sind; es mul) hierüber eine längere Beobachtungs-
zeit. als dies bisher möglich, zur Verfügung stehen. Gegen die Anwendung
des Mesothoriums spricht bis jetzt die Schwierigkeit des Erwerbs und der
hohe Preis (1 mg für 150 Mark bei der Radiogengesellschaft Berlin).
Die Frage, ob die Mesothoriumbehandlung bei gutartigen Erkrankungen des
Uterus die Röntgentherapie ersetzen wird, ist nach den bisherigen Erfah-
rungen nicht zu beantworten. Die Röntgentherapie ist heute in ihren
Grundzügen derart ausgebaut, daß wir ohne Nebenschädigungen gute Re-
sultate erzielen können, während in der Mesothoriumbehandlung noch
manche Frage zu lösen ist. Ehe diese Fragen gelöst sind, ist der Rönt-
gentherapie der Vorzug vor der Mesothoriumbehandlung zu geben.
Bösartige Genitalerkrankungen.
„Wir stehen im Beginn einer neuen Karzinombehandlung.““ Mit diesen
Worten Döderleins gehe ich über zur Besprechung der Strahlentherapie
bei malignen Tumoren des Uterus, in erster Linie des Karzinoms. Ver-
Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie in der Gynäkologie. 221
suche sowohl mit Röntgenstrahlen sowie mit radioaktiven Substanzen Kar-
zinome zu beeinflussen sind alt. Diese Versuche mußten alle solange un-
befriedigend ausfallen, solange mit ungeeigneten nicht gefilterten Strahlen ge-
arbeitet wurde. Auf dem internationalen Kongreß für Gynäkologie 1912
berichtete Krönig über 8 Fälle von Karzinom, welche durch Röntgen-
und Mesothoriumbehandlung so weit beeinflußt waren, daß bei Zervix- und
Mammakarzinom dort, wo früher bei tiefen Exzisionen stets Krebs nach-
zuweisen war, kein Karzinom mehr festgestellt werden konnte, und ferner
über einen Fall von Magenkarzinom, bei welchem der früher leicht pal-
pable Tumor nachträglich nicht mehr zu fühlen war. Dieser Fortschritt
in der Röntgen- und Mesothoriumbehandlung wurde durch exakte Filterung
und Verabreichung höchster Strahlendosen erreicht... Im ganzen wurden
an der Freiburger Klinik 146 Karzinomfälle mit Strahlen behandelt. Bei
26 mit ungefilterten oder nur schwach gefilterten Strahlen behandelten
Fällen war Aufhören der Blutung, oberflächliche Vernarbung und Beweg-
lichwerden des Tumors zu konstatieren, doch sind alle Fälle an ihrem
Karzinom gestorben; Krönig sieht deshalb in den ungefilterten oder nur
schwach gefilterten Strahlen nur ein vorzügliches Palliativmittel zur Ein-
schränkung der Jauchung und Blutung bei Karzinom, aber kein Heil-
mittel. Von 48 Karzinomfällen, die ausschließlich mit stark gefilterten
Röntgen- oder Mesothoriumstrahlen behandelt waren, sind 18 Fälle noch
in Behandlung, 17 Fälle als geheilt zu betrachten, in dem Sinne, daß bei
völligem Wohlbefinden und Symptomlosigkeit bei mehrfach ausgeführten
Exzisionen kein Krebs mehr nachzuweisen war. 5 Fälle sind während
der Behandlung gestorben; 7 haben sich der weiteren Behandlung ent-
zogen, die längste Dauer der Rezidivfreiheit unter den Fällen dieser
Gruppe beträgt 1 Jahr und 2 Monate. Ferner wurden von Krönig
64 operierte Karzinomfälle zur Verhütung des Rezidivs zum Teil mit un-
gefilterter, zum Teil mit gefilterter Röntgen- und Mesothoriumbestrahlung
behandelt. Von 43 fast ausschließlich mit ungefilterter Röntgenbestrahlung
behandelten Fällen sind 23 nachweislich an Karzinom gestorben, während
von 21 Fällen, die mit gefilterten Strahlen und hohen Dosen behandelt
worden waren, bei allerdings kürzerer Beobachtungszeit sämtliche 21 nach-
weislich rezidivfrei sind.
Bumm berichtet über 12 schon längere Zeit beobachtete Karzinom-
fälle, welche mit verstärkter Tiefenbestrahlung behandelt worden waren.
Die Strahlenwirkung wurde beständig gesteigert, so dal bei der einzelnen
Patientin bis zu 10000 Kienböck und 16000 mg Stunden Meso-
thorium und darüber gegeben wurden; man wird nach Ansicht von Bumm
diese Mengen noch beträchtlich steigern können. In sämtlichen Fällen
war an der Oberfläche bis auf einige Zentimeter in die Tiefe alles Kar-
2292 Engelhorn,
zinomgewebe zerstört, oder in deutlichem Zerfall, während in der Tiefe
Herde lebensfrischen Karzinomgewebes an den bei der Operation oder
Sektion gewonnenen Präparaten nachgewiesen werden konnten. Bei 2 von
den intensiv bestrahlten Fällen wurde einmal eine tiefe Nekrose der
Blasenwand, ein zweites Mal eine solche des Beckenbindegewebes bis zum
Kreuzbein beobachtet.
Haendly zeigte an mikroskopischen Präparaten aus der Klinik
Bumm, daß unter dem Einfluß der Strahlenbehandlung zweifellos ein
Absterben karzinomatösen Gewebes stattfindet; ein Ersatz durch neues
zellreiches Bindegewebe war nur einmal in größerem Maßstabe nachweis-
bar, in allen übrigen Fällen war das restierende Gewebe ein schwächliches,
infiltriertes Granulationsgewebe, oder häufig sklerotisch narbig. An Uteri.
die nach der Bestrahlung exstirpiert worden waren, zeigte sich an der
Oberfläche Nekrose, Granulationsgewebe und untergehende Karzinomzellen,
während in der Tiefe und in der Peripherie der Neubildung neben massen-
weise zu Grunde gehenden Karzinomnestern sich noch Haufen gut er-
haltener Karzinomzellen fanden, von denen sich Stränge bis unter die
Oberfläche hinzogen.
Döderlein hat bei einer Reihe von in Behandlung stehenden Kar-
zinomkranken in den verschiedenen Stadien der Behandlung Stücke aus
dem Tumor exzidiert und konnte in den verschiedenen Stadien den fort-
schreitenden Zerfall der Karzinomzellen bis zum vollständigen Verschwinden
nachweisen. Auf Grund der mikroskopischen Präparate glaubt Döder-
lein den Beweis dafür erbracht zu haben, daß Mesothoriumstralilen
spezifisch auf die Karzinomzellen einwirken. Mit den anatomisch nach-
weisbaren Veränderungen am Karzinom gingen die klinischen Erschei-
nungen Hand in Hand. In überraschend kurzer Zeit gelang es das zer-
fallende Karzinomgewebe in derbe Schwielen zu verwandeln, womit gleich-
zeitig die Blutungen und der Ausfluß verschwanden, die Schmerzen auf-
hörten und das Allgemeinbefinden sich hob. Von einer definitiven
Heilung zu reden, ist zur Zeit bei der Kürze der Beobachtung noch
verfrüht.
Jung sah nach Mesothoriumbehandlung bei 3 Karzinomen ein
rasches Sistieren der Blutung; eine endgültige Beurteilung ist noch nicht
möglich. Ob die Mesothoriumstrahlen eine rein elektive Wirkung auf
Karzinomzellen besitzen, erscheint Jung zweifelhaft, da auch Milz,
Knochenmark, Blut, Lymphe und Drüsen mit innerer Sekretion stark
durch Mesothorium beeintlußt werden.
Kroemer behandelte 9 Fälle von Kollumkarzinom mit 3000— 7000
mg-Stunden Mesothorium, kombiniert mit Röntgenbestrahlung. Gleichzeitig
erhielten die Patientinnen pro die Thorium X (100 e.s.E.) per os. Zur
Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie in der Gynäkologie. 2923
lokalen Behandlung wurde Thorium X in erheblich stärkeren Konzentra-
tionen (500—1000 e.s.E.) als Salbentampon oder Kompresse angewandt.
Eine absolute Ausstoßung bzw. Heilung des Karzinoms konnte nur in 2
Fällen festgestellt werden. Die Drüsenmetastasen wurden am wenigsten
beeinflußt, von den primären Tumoren aus nur die nach der Scheide zu
an der Oberfläche gelegenen Partien. In der Tiefe konnte in den meisten
Organen lebenskräftiges Karzinomgewebe festgestellt werden.
Heynemann sah bei zwei inoperablen Zervixkarzinomen, die mit
4700 bzw. 4800 mg-Stunden Mesothoriun und 600 Lichtminuten Röntgen-
licht behandelt worden waren, ein Verschwinden des Karzinomkraters;
Probeexzisionen ließen kein Karzinom mehr erkennen. Eine Heilung bei-
der Fälle liegt aber bis jetzt noch nicht vor, da die Parametrien noch
infiltriert sind.
Pinkus wandte bei 22 Karzinomen die Mesothoriumbehandlung an.
Nach seinen Erfahrungen vermag die Strahlung oberflächliches Karzinom-
gewebe zu heilen, während tiefgreifende Infiltrationen nicht verschwinden;
in einem Falle fand sich bereits 1 cm unter der verheilten Oberfläche noch
Karzinom.
Franque& berichtet über die Heilung eines Ovarialkarzinoms mit
Metastasenbildung durch Operation, die nicht radikal durchgeführt werden
konnte; nach der Operation Röntgenbestrahlung mit 5 Erythemdosen in
3 Monaten, worauf die vorher tastbaren Metastasen verschwanden und
Patientin jetzt ein Jahr rezidivfrei und vollkommen gesund ist.
Klein sah bei Röntgenbehandlung inoperabler und nicht radikal
operierter Ovarialkarzinome nach Röntgenbestrahlung eine Verlangsamung
des Wachstums und Härterwerden des Tumors. Bei Scheidenrezidiven
und Rezidiven eines Mammakarzinoms erzielte Klein mit Röntgenbe-
strahlung ein Verschwinden des Rezidivs.
Seeligmann behandelte ein Mädchen mit schwerem Rezidiv eines
Ovarialsarkoms mit Metastasen in der Wirbelsäule mit bisher gutem Erfolg,
kombiniert mit Röntgenstrahlen und Injektion von Arsazetin.
Holzbachs Erfolge mit der Röntgentherapie maligner Neubildungen
sind bis jetzt unbefriedigend. Um eine stark wirkende, weiche Sekundär-
strahlung in der Tiefe zu erzielen, schlägt Holzbach die Injektion sekun-
där strahlender Materie (Fulmargin usw.) in den Tumor vor; doch sind
die Versuche mit diesen Injektionen noch nicht abgeschlossen.
Wenn wir auf Grund vorliegender Mitteilungen heute noch nicht zu
einem abschließenden Urteil gelangen können, so ergibt sich aus ihnen
doch eine Reihe feststehender Tatsachen, die sich in Kürze folgendermaßen
zusammenfassen lassen:
294 Engelhorn,
Die intensive Bestrahlung von Uteruskarzinomen mit Röntgenstrahlen
in Verbindung mit Mesothorium bewirkt auf der Oberfläche des Karzinoms
einen Zerfall der Karzinomzellen. Dieser Zerfall der Zellen reicht bis in
eine gewisse Tiefe des Gewebes; auf tiefer gelegene Partien scheinen die
Strahlen nicht mehr zu wirken (Fälle von Bumm-Haendly, Kroemer.
Pinkus).
Ob die Wirkung der Strahlen für die Karzinomzellen eine spezi-
fische ist (Döderlein), kann heute noch nicht entschieden werden, da
bis jetzt zu wenig einschlägige Präparate vorliegen; jedenfalls ist schon
heute sichergestellt, daß auch anderes Gewebe (Sarkom), und wie Jung
betont hat, Milz, Knochenmark, Blut, Lymphe und Drüsen mit innerer
Sekretion durch Mesothorium beeinflußt werden.
Was die Technik der Bestrahlung anbelangt, so sind nur stark ge-
filterte Strahlen zu verwenden; die Zukunft wird zeigen, ob die bis jetzt
übliche Filtrierung des Mesothoriums (Kroenig-Gauß, siehe oben) ge-
nügt. Bei Anwendung des Mesothoriums ist besondere Vorsicht anzuwen-
den wegen der beobachteten Schädigungen des benachbarten Gewebes
(Bumm, Voigt).
Bei starker Filterung kann eine beträchtliche Steigerung der Strahlen-
wirkung angewandt werden.
Die Wirkung der Bestrahlung zeigt sich in einem rasch einsetzen-
den Verschwinden der klinischen Symptome, Aufhören der Jauchung und
der Blutung, Besserung des Allgemeinbefindens.
Wenn die Fälle klinisch auch als „geheilt“ bezeichnet werden
könnten, so ist damit die Frage, ob sie auch in anatomischem Sinne
karzinomfrei sind, heute noch nicht zu beantworten, da die Beobachtungs-
zeit bis jetzt noch eine zu kurze ist.
Welche Karzinome sollen mit der Strahlentherapie behandelt werden?
Alle inoperablen Karzinome, da bei diesen eine entschiedene
Besserung, ja sogar „Heilung‘‘ im klinischen Sinne zu erzielen ist.
Alle operierten Karzinome und zwar direkt im Anschluß an die
Operation, da es den Anschein hat, als ob durch die Bestrahlung das
Auftreten eines Rezidivs mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert wird.
Bei schon vorhandenem Rezidiv erscheint die Wirkung der Bestrah-
lung fraglich, allerdings wurde über einige gute Erfolge bei Rezidiven be-
richtet.
Operable Karzinome sind auch heute noch chirurgisch zu behan-
deln, da wir bei der Strahlentherapie uns noch kein Urteil über die Dauer-
wirkung gestatten können, während wir bei chirurgischem Eingriff heute
Dauerheilungen bis zu 25% zu verzeichnen haben. Auch bei operablen
Karzinomen empfiehlt sich die vorhergehende Strahlenbehandlung: erstens
Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie in der Gynäkologie. 295
wird mit Beseitigung der Jauchung die Gefahr der Operation an sich sicher
verringert und weiter erlaubt uns die Untersuchung vorher bestrahlter Kar-
zinompräparate Schlüsse über die Wirkung der Strahlen auf das einzelne
Gewebe zu ziehen.
Wenn die großen Hoffnungen, die wir heute beim Kampf gegen das
Karzinom in die Strahlentherapie setzen, auch nicht alle in Erfüllung
gehen sollten, wenn es sich zeigen sollte, daß eine absolute Heilung nicht
gewährleistet werden kann, so müssen wir die bis jetzt erreichten Erfolge
doch dankbar begrüßen, die gerade beim inoperablen Karzinom eine be-
deutende günstige Beeinflussung verzeichnen lassen. Der Forschung und
Arbeit der nächsten Jahre bleibt es vorbehalten, manche bis jetzt noch
dunkle Frage der Lösung näher zu bringen.
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 15
(Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik Greifswald.)
Über die Einwirkung von Röntgen- und Mesothorium-
strahlen auf maligne Neubildungen der Genitalien.
Von
Prof. Dr. P. Kroemer.
Mit 9 Abbildungen und Tafel I—III.
ie Versuche der Greifswalder Frauenklinik, durch die Strahlentherapie
die Erfolge der Krebsbehandlung zu bessern, wurden veranlaßt durch
die Erkenntnis, daß bei einem an sich dekrepiden Patientenmaterial die
Radikalität des Eingriffes nicht imstande ist, die Erfolge zu bessern, mag
man die Operabilität auch noch so hoch treiben. Die Feststellung Stickers-
Berlin, daß inoperable Fille von Rektum -Scheidenkarzinom sich durch
Radiumbehandlung so weit bessern ließen, daß Bier den Krebs später im
Gesunden exstirpieren konnte, verdiente Nachprüfung durch eigene Ver-
suche. Nachdem schon vorher die prophylaktische Röntgenbestrahlung der
Operationsnarben wie der Drüsengegenden nach Karzinomoperationen in
die Wege geleitet worden war, zog ich im vorigen Jahr zur Unterstützung
Mesothoriumpräparate und Thorium X-Lösung hinzu. Zur Verfügung
standen mir von der Firma Knöfler sowie von der Auer-Gesellschaft je
eine etwa 1 cm lange Silbertube und eine tlache markstückgroße Kapsel
mit den zugehörigen Silber- und Aluminiumfiltern. Die Radioaktivität
jedes Strahlungskörpers betrug 30—36 mg.
Zu meinen Vorversuchen bediente ich mich zunächst Tiermaterials
und zwar eines Stammes von weißen Mäusen mit einem außerordentlich
virulenten Karzinom. Ich verdanke denselben Herrn Georg Schöne.
welcher den Stamm aus dem Ehrlichschen Institut übernommen und
weiter gezüchtet hatte. Dieser rasch wachsende Adenokarzinomtumor liel
sich durch Bestrahlung mit den mir zur Verfügung stehenden Meso-
thoriummengen wenig beeinflussen. Abgesehen von der Schwierigkeit, die
Mäuse längere Zeit in nahe Berührung mit den Strahlen zu bringen, starben
die Tiere infolge ihrer Empfindlichkeit eher als eine Heilung zu erwarten
war. Ein Einbringen der Kapsel oder Tube unter die Haut wird von
den Mäusen nicht vertragen. Auch die Hinzuziehung der Thorium X-
Lösung, welche bekanntlich durch einen raschen explosiven Zerfall im
Körper die höchste Radioaktivität entfaltet, brachte uns dem ersehnten
Ziel nur wenig näher. Allerdings ergab die Injektion von kleinen Dosen
Kroemer, Einwirkung von Röntgen- und Mesothoriumstrahlen usw. 2927
(10—30 e. s. E.) vorsichtig von der gesunden Nachbarhaut in den Tumor
injiziert rasche Verkleinerung der Geschwulst, welche gegen die Tumoren
bei den Kontrollserien um die Hälfte und mehr zurückging. Karzinom-
material mit Thorium X vermischt ging bei Verimpfung auf empfängliche
Tiere nicht an. Die mikroskopische Untersuchung des Tumors zeigte als
Thorium X-Wirkung überall nekrotischen Zerfall des Gewebes durch
Blutung und Nekrose. Auch hier konnte ein Dauererfolg wiederum nicht
abgewartet werden, da die Empfindlichkeit der Mäuse gegen Thorium X
früher oder später den Tod herbeiführte. Die Tiere scheiden bekanntlich
das Thorium X niemals vollständig aus, sondern speichern es im Knochen-
mark, in Leber, Lungen und Nieren, sodaß die vorbehandelten Tiere nach
dem Tode auf einer photographischen Platte ein Selbstbild liefern. Besser
wird das Thorium X von Meerschweinchen und Kaninchen vertragen,
welche anstandslos große Quantitäten von 200— 500 e. s. E., in einem Fall
sogar 1000 e. s. E. vertragen haben. Es scheint aber auch bei einem
größeren Tier die Empfindlichkeit individuell zu schwanken. Bei meinen
Versuchen, Thorium X in Form von Aluminiumpulver- oder Kieselsäure-
emulsion einzuspritzen, sah ich wiederholt im Tierversuch gerade bei
kräftigen Kaninchen starke Reaktion; eines der injizierten Tiere ging an
einer Myelitis zugrunde. Doch ließ sich ein näherer Zusammenhang dieser
Störung mit der Art der Injektion entschieden nicht nachweisen. Mög-
licherweise haben hier embolische Prozesse durch Eindringen der fein
verteilten Injektionsmassen ins Blut die Katastrophe herbeigeführt.
Jedenfalls ging aus diesen Vorversuchen hervor, daß wir in dem
Thorium X ein Mittel besaßen, dessen Wirksamkeit fein abgestuft werden
mußte, um zerstörende Wirkungen zu vermeiden.
Bei meinen Versuchen am Menschen, die ich mit wenigen Ausnahmen
bei weit vorgeschrittenen, verjauchten Karzinomen angestellt habe, bediente
ich mich in der Folge der kombinierten Methode, d. h. die lokale Be-
strahlung mit den festen Strahlungskörpern wurde unterstützt durch An-
wendung von Thorium X in Gestalt von
a) der intravenösen Injektion von 100—1000 e. s. E.:
b) der lokalen Injektion von Thorium X in wässeriger Lösung und
Pulveraufschwemmung bzw. als Salbenpaste;
c) der Trinkkur von Thorium X-Lösung.
Die Injektion von Thorium X als Aluminiumaufschwemmung hatte
vor der Anwendung der wässerigen Lösung den Vorzug der längeren Ver-
ankerung der Strahlenenergie im Karzinomgebiet, da die Pulverteilchen
an Ort und Stelle bleiben und damit die Radioaktivität fesseln. Um Haut-
schädigungen zu vermeiden, benutzte ich nach einigen Vorversuchen, welche
trotz Glimmer und Aluminiumtilter ein Hauterythem ergeben hatten, die
15*
228 Kroemer,
Einnähung der. Körper in Hautschwarten, welche ich bei Prolapsopera-
tionen gewinnen konnte. Außerdem wurden für die Tuben Metallkapseln
konstruiert. Die in dem Filter befindlichen Strahlungskörper wurden ın
Filtrierpapier gewickelt und mit sterilem Gummikondom bedeckt, sodaß
man sie ohne Furcht vor Infektion in die Tumorhöhle selbst einbringen
konnte. Die örtliche Fixation wurde durch eine Scheidentamponade be-
wirkt. Einen Schutz vor der sog. Sekundärstrahlung habe ich in keinem
Fall angewendet und halte ihn auch bei den mäßigen Mengen, welche
zum Versuch genommen wurden, nicht für notwendig.
Von den eben genannten Anwendungsformen haben wir die intravenöse
Einverleibung der Thorium X-Lösung, welche zunächst in tastenden Versuchen
in immer steigenden Mengen ausgeführt wurde, später nach dem Vorgang
von Werner und Czerny in wöchentliche Injektionen von je 1000 e.s. E.
umgewandelt. Die Versuche wurden sowohl an Krebskranken wie auch
an gesunden Personen, die sich zu diesen Versuchen bereit erklärten, aus-
geführt. Da uns aus der Literatur bekannt war, daß die anregende Wir-
kung des Thorium X auf das hämatopoetische System rasch in das Gegen-
teil umschlagen kann (Gudzent), erforderten diese Versuche ein sorg-
fältiges Kontrollieren des Blutbildes. Es würde zu weit führen, alle müh-
samen Untersuchungen in Form von Tabellen diesem Aufsatz beizugeben.
Es genügt, zur Illustration einen besonders prägnanten Karzinomfall wieder-
zugeben, bei welchem die intravenöse Thorium X -Injektion vom 6. bis
24. Oktober erst in dreitägigen Pausen von 2—300 e. s. E. später in
achttägigen Pausen von 1000 e. s. E. ausgeführt worden ist. Nach einer
vorübergehenden geringen Steigerung der Leukozyten erfolgte rascher Ab-
fall der Leukozytenwerte und auffällige Reduzierung der Erythrozyten auf
2 Mill. Im Blutbild erschienen sehr zahlreiche Plättchen, Übergangsformen
und Poikilozyten (vgl. Tabelle I). Da sich die Patientin nach dem Aus-
setzen der Thorium X-Anwendung nicht rasch genug erholen konnte,
waren wir genötigt, durch Arsen und intramuskuläre Blutinjektionen nach-
zuhelfen. Patientin ist später mit Erfolg von ihrem Karzinom durch die
Operation befreit worden. Die Annahme, daß unsere nachteiligen Erfah-
rungen vielleicht auf dem kachektischen Zustand der Karzinonfälle be-
ruhen konnten, zwang mich zu Kontrollversuchen bei vollblütigen kräftigen
Personen. Auch hier ergab sich im Prinzip das gleiche Resultat. Aller-
dings in geringeren Grenzen und Schwankungen.
Ich halte mich daher für verpflichtet, ausdrücklich
vorderintravenösen Anwendung der Thorium X -Lösung
beiKarzinom zu warnen, da dieanregende Wirkungvon
der schädigenden nicht abgegrenzt werden kann. Da-
gegen haben wir die Trinkkur bis heute durchgeführt und bei 30 Fällen
Einwirkung v. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d. Genitalien. 299
keinerlei Beschwerden auftreten sehen. Offenbar erfolgt die Resorption
von Magen-Darmkanal aus langsamer und in einem Grade der Umsetzung,
welche den Shock vermeiden läßt. Zweifelsohne ist aber der
Erfolg der Trinkkur auf das bestehende Karzinom voll-
kommen negativ. Die Tumoren werden in keiner Weise
verändert. Wenn ich die Versuche trotzdem fortgesetzt habe, so ge-
schah es hauptsächlich bei Patientinnen nach der Operation, um eventuellen
Rezidiven vorzubeugen und die ausstrahlenden Schmerzen im Becken-
bereich zu beeinflussen. Entschieden brachte die Trinkkur wiederholt
eine Hebung des Allgemeinbefindens, Besserung des Appetits, 2 mal eine
sehr erwünschte Anregung der Peristaltik (3 Tage post operationem) bei
Orarıalkarzinom mit reichlicher Aszitesbildung, dagegen niemals bedrohliche
Symptome. Bei den eben genannten günstigen Wirkungen ist ein sugges-
tirer Einfluß natürlich nicht ganz auszuschließen.
Vielleicht wurde auch die in Pommern häufige rheumatisch-gichtische
Konstitution durch Thorium X beeinflußt. Jedenfalls setzen wir die Be-
obachtungen fort.
Tabelle I.
Einwirkung der intravenösen Injektion von Thorium X
bei einem Fallvon Kollumkarzinom (Erklärung siehe im Text).
Fall H. A. 4malige Injektion von 200—1000 e. s. E. Thorium X in die Armvene.
j5 = S = ù | 5 | =
£ %, Erythr. | % 2 S S A| ao l Bemerkungen
a S A
| |
; 1; 0/7 1/ 0/11/0//10/ ;390/| Un sf 1 1/2°/o
6/10 | 4800000 6900 57 la %, 1 fa % fa /o 1% 32% viele Biueplätichen ea:
7/10 40 ' 4500000 | 7400 581/, 1%, 1%, 12/2 [51/, 32%/,| Üvergangsformen 344%
| Se | nach 1. Injektion
10,10] 50 4000000 | 7400 ~ 2 2a, | In 85 | Üvergangstornen 12%
i : nach 2. Injektion
| vor 3. Injektien
12/101 47 | 4000000 | 7500 ‚60 i DER 21/3 Übergangsformen 31/2 %/e
= nach 3. Injektion
14/10] 42 | 4500000 | 6000 162 2 2 4 22 | Üborgangsformen 3°
16/10] 46 | 3500000 115500 65 8 | 1 5 20 | Übergangsformen 1°,
18.10| 48 | 2360000 | 7500 51!/, 13% 12 118 |14 | Cvergangstormen 1%
19/10] 48 3000000 7800 |52 10 5 12 21 | letzte Injektion
22:10| 48 ; 2200000 ; 5600 1401, ‚2 |7 |3 1201/125 | Übergangsformen 2%
i | | Poikilozytose
24:10] 48 (2000000 4700 43 p2 ale. jia 18 30] Cporzangsformen 117
Die lokale Anwendung
weder so, daß Verbandgaze
krater als Tampon eingelegt
l l
der Thorium X-Lösung
getränkt mit Thorium X in den Karzinom-
wurde, oder es wurde die Thorium X-Lösung
Poikilozy tose
gestaltete sich ent-
mit Salben vermischt in den Karzinomkrater eingedrückt, in einigen wenigen
Fillen wurde bei größeren Tumoren in die letzteren Thorium X-Lösung
230 Kroemer,
als Aluminiumoxydaufschwemmung injiziert. Von störenden Wirkungen
erlebte ich bei dieser Injektion nur 1 mal bei einer subkutanen Sarkom-
metastase in der Rippengegend eine sehr unangenehme Reaktion. Nach-
dem die erste Injektion von 2000 e. s. E. gut und schmerzlos vertragen
worden war, verursachte die zweite Injektion, noch während die Kanüle
lag, einen heftigen Shock infolge der im Moment ausgelösten starken
Schmerzen. Nach dem Zurückziehen der Nadel verfärbte sich die Haut
über dem Tumor blaurot wie bei einem Bluterguß, sodaß ich diese Reaktion
auf eine mangelhafte Technik zurückführen möchte. Die Nadel bzw. die
Injektionsmasse haben offenbar ein größeres Gefäß zum Bersten gebracht.
Die Reaktion verlief in der Folge mit Schüttelfrost und hohem Fieber bis
39,6° C. Die Umgebung des Tumors war bis auf eine Entfernung von
6 cm stark gerötet. Die Rötung und Empfindlichkeit vorlor sich unter
Anwendung von Eisblasen innerhalb der nächsten 4 Tage ohne weitere
Schädigung. Nach der Injektion war bemerkenswert, dal der Tumor sein
Wachstum nach der einen Seite vollkommen eingestellt hatte und kolla-
bierte, während er nach dem Sternum zu noch prall elastisch ist und
Spannung verursacht, sodaß hier sein Wachstum nicht geschädigt zu sein
scheint. Im übrigen haben wir die Injektion von wässeriger Thorium X-
Lösung auch in größere Drüsentumoren an den großen Beckengefiiben
ohne jede nachteilige Schädigung ausüben können. Gegenwärtig wird in
meiner Klinik ein inoperables Zervixkarzinom mit Metastasenbildung am
Scheideneingang behandelt; während der Karzinomkrater durch die An-
wendung von Mesothoriumkapseln sich reinigt und verkleinert, gelang es
zunächst nicht, die Metastase zu beeinflussen. Sie wuchs und erreichte
deutlich Haselnußgröße und pralle Konsistenz. Auch die Kombination
der Mesothoriumbestrahlung mit Röntgenintensiv-Therapie brachte keine
Besserung. Ich hahe nunmehr in Pausen von je 8 Tagen 3 mal je 2000
e. s. E. Thorium X in Pulveraufschwemmung von der gesunden Scheide
aus in den Metastasenknoten injiziert und eine auffallende Verkleinerung
und Abflachung desselben konstatieren können. In diesem Fall war
keinerlei schädliche Reaktion zu beobachten.
Die Anwendung der Mesothoriumkapseln, welche entschieden zuweilen
durch ungenügende Filterung eine zu energische Wirkung entfalteten, war
gelegentlich bei dekrepiden Fällen mit erheblichen Beschwerden verbunden.
so z. B. bei einer 71jährigen Frau mit Vulvakarzinom, aber auch bei tief-
liegenden Kollumkrebsen. Eine der Frauen weigerte sich entschieden zum
Schluß, die „Feuerkugel* einlegen zu lassen. In letzter Zeit wurde ich
von den Schwestern darauf aufmerksam gemacht, daß die bestrahlten
Frauen bei Steigerung der Dosen einen raschen Gewichtsverlust aufwiesen.
und zwar ist nach meiner Überzeugung dieser Gewichtsverlust weniser
Einwirkung d. X- u. Mesothorinmstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 231
durch Gewebseinschmelzung als durch mangelhafte Nahrungsaufnahme zu
erklären. Die Frauen verlieren den Appetit, werden unlustig zu essen und
‚verweigern häufig die Nahrungsaufnahme. Ob man berechtigt ist, nach
unseren geringen Erfahrungen von einem regelmäßigen Mesothoriumkater
zu sprechen, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls trat bei einer Patientin
nach jeder Bestrahlung Erbrechen ein. Nach 2 Wochen erfolgte die Ge-
wöhnung und das quälende Würgen blieb aus.
Vor dem Eingehen auf unsere Schlußfolgerungen mag eine kurze Über-
sicht über das bisher behandelte Material folgen.
Aus der folgenden Tabelle geht hervor, in welcher Weise wir die
\lesothoriumbestrahlung mit Thorium X-Injektionen und in letzter Zeit
auch mit Röntgentiefenbestrahlung kombinierten (Tabelle II).
In den 26 Fällen, deren Behandlung längere Zeit fortgesetzt werden
konnte, sind nur wenig beginnende Karzinome, so ein Carcinoma ovarii in-
der ersten Rubrik und das Korpuskarzinom. Alle übrigen betreffen fort-
seschrittene Fälle mit Metastasen; endlich sind drei schwere Drüsenrezidive
nach Uteruskarzinom bzw. Sarkom an letzter Stelle angeführt. Eines
dieser Rezidive hatte zur Entwicklung eines großen retroperitonealen Tumors
im Becken geführt, welcher das Mesosigmoideum vollkommen eingenommen
hatte, so daß nach Resektion der Flexura Sigmoidea eine gleichfalls voll-
kommen infiltrierte Ileumschlinge entfernt werden mußte. Nach doppelter
Enteroanastonıose konnte das Abdomen geschlossen werden. Patientin
steht gegenwärtig wegen eines hühnereigroßen metastatischen Tumors in
der Bauchhaut (vergleiche die obige Schilderung der Thorium X-Ein-
wirkung!) in meiner Behandlung. Unser Verfahren gestaltete sich für die
einzelnen Fälle wie folgt:
Behandlung der Ovarialkarzinome. Diese Fille wurden erst
in Behandlung genommen, nachdem durch die Operation ihre Diagnose
gesichert war. In allen 5 Füllen wurden beide Ovarien, wiederholt auch das
Netz, das mit Metastasen durchsetzt war, entfernt. Schon während der
Rekonvaleszenz wurde mit einer energischen Tiefenbestrahlung (Röntgen)
begonnen, unter starker Filterung mit 3—4 mm dickem Aluminiumblech
wurden alle 10—21 Tage an 2 oder 3 aufeinander folgenden Tagen bis
zu 100 X verabfolgt. In der Zwischenzeit begnügten wir uns mit der
Anwendung von Thorium X Kompressen (500—1000 e. s. E.) und mit
der Verabreichung von Thorium X (100 e. s. E. pro die) per os. Während
das Schicksal der 3 mit Netzmetastasen komplizierten Fälle als zweifelhaft.
wenn nicht infaust, betrachtet werden muß, insofern sich Aszites wieder
gebildet hat, ist das Befinden der beiden einseitigen Ovarialkarzinome bis-
her ein durchaus gutes geblieben. In einem dieser beiden Fülle trat ın
der Folge uterine Blutung auf, die nach der Probeahrasio auf ein Adeno-
232 Kroemer,
Tabelle II.
Übersicht über das mit Mesothorium und Thorium X
behandelte Karzinommaterial.
= | =
2 es: E
7 Erkrankung Bestrahlung Voroperation Nachoperas Erfolg 5
= tion z
$ $
2| Carcinoma Thorium X | Ovariektomie | gut
ovarii und Röntgen- |
| bestrahlung |
3 | Care. ovarii Thorium X | Radikalopera- | 9
utr. mit Netz- | und Röntgen- tion |
metastasen bestrahlung | Netzresektion |
2 | Carc. ovarii m. | 5 Radikaloperat. Besse-
Uterus bzw. | Magentumor rung!) |
Magenkarz. | , zurückgelassen | |
2 | Myomu.Retro- | j Gastro-Entero- 23)
peritoneal- Anastomose |
tumor, Leber- ` |
metastasen Ä | |
11 Carcinoma | lokale | Gma Radi % gut 13;
colli ‚ Thorium X-Inj. kalopera- | 2 gebessert 1
Mesothorium- tion
bestrahlung ImalGefüß_
Ä unterbin-
dung
1 Carcinoma | j Vag. Total- gut
corp. exstirpation
1 | Carcinoma cor- | 1» | abdom. vag. gut
poris et vag. | Radikal- | Rektumfis-
| operation ; tel schließt
i sich unt. Be-
| strahlung
1 | Carc. vulvae Š Radikal- gut
mit Drüsen- operation
metastasen
3 | Drüsenrezidiv | i | 2mal Revidiv- | 1?
| operation
| doppelseitige
| Entero-
1 mal Beteili- |
gungd.Flexura Ä
sigm. u.d.lleum
2 gebessert
Anastomose |
‚17 beschwerldefrei 4
| oder gebessert
1) Trotz Zurücklassen des Magentumors hat Patient. von Seiten der Magen-
darmtätigkeit keine Beschwerden. 2) Kachexie nach !/, Jahr.
3) Peritonitis postoperativa. 4) Endokarditis vor der geplanten Operation.
Einwirkuug v. X-u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 233
karzinom zurückgeführt werden mußte. Nachdem Patientin unter Röntgen-
bestrahlung und Thorium X-Trinkkur sich erholt hatte, drang sie selbst
auf Entfernung des beweglichen Uterus, in welchem wir zu unserem Er-
staunen kein Karzinom mehr entdecken konnten. Die Operation wurde
vom Abdomen her ausgeführt, sodaß wir auch über das glatte Peritoneum
Aufschluß bekommen konnten. Der andere bereits in der Klimax befind-
liche Fall mit Ovarialkrebs erfreut sich des besten Wohlbefindens und hat
keinerlei lokale Erscheinungen. Beide Fälle nehmen dauernd 100 e. s. E.
Thorium X pro die.
Die beiden kombinierten Fülle mit Vereinigung von genitalen
Tumor (Myom) und retroperitonealem Krebs ausgeliend von Magen oder
Leber konnten in keiner Weise beeinflußt werden. Allerdings erwiesen
sich diese Neubildungen als rapid wachsende Geschwülste, welche in
kurzer Zeit Leber, Magen, Netz mit markigen Tumormassen erfüllt
hatten, wie wir bei Gelegenheit der Obduktion später feststellen konnten.
In diesen beiden Fällen hatte die chemische Untersuchung des Magens
ım Stich gelassen; der von uns zugezogene konsultierende Internist hatte
in jedem Fall die annähernd normale Sekretion des Magens festgestellt.
Erst nach Entfernung des großen Myoms war der dahinter liegende retro-
peritoneale Tumor fühlbar geworden. Wir mußten uns bei der Operation
mit der Grastro-Entero- Anastomose begnügen. Beide Frauen sind schon
wenige Monate später nach dieser Palliativoperation ihrem Tumor er-
legen.
Die 11 Kollumkarzinome kamen sämtlich mit Kraterbildung
und stinkender Jauchung in unsere Behandlung. Der Einfluß unserer
Strahlenbehandlung machte sich schon in wenigen Tagen dadurch bemerk-
bar, daß alle Pflegepersonen das Verschwinden des pene-
tranten Geruches im Karzinomzimmer feststellen konnten.
Da wir Mangels an Strahlenkörpern den einzelnen Fall nur bis zu 6 Stunden
täglich unter Kapselwirkung setzen konnten, versuchten wir die Wirkung
noch durch Einlegen von Tampons, die mit Thorium X-Lösung getränkt
waren, zu unterstützen. Auffallend war namentlich bei jugendlichen Frauen
die rasche Reinigung des Kraters, von welchem wir grüne, zuweilen auch
graue Bröckel bei jeder Untersuchung in Menge abkratzen und abtupfen
konnten, bis zuletzt der äußere Krater mit seinen freien Rändern Neigung
zu kollabieren aufwies, zuweilen auch kollabierte, sodaß der vordere und
hintere Kraterrand sich berührten (vgl. Fig. 1). Wenn auch der durch
entzündliche Komplikationen und durch die Größe der Tumoren verankerte
Uterus sich nicht herabziehen ließ, so war doch bei der bimanuellen Unter-
suchung meistens schon nach wenigen Wochen eine Beweglichkeit des
Uterus wieder zu konstatieren. Bei tief reichendem Krater übten wir zu-
234 Kroemer,
weilen das Verfahren in der Weise, daß Thorium X-Lösung mit Paste zu
einem Brei verrührt wurde, welche mit Mull in den Krater eingedrückt
wurde. Bei dieser Anwendung ebenso wie bei der Kraterbestrahlung wurde
die Vaginalschleimhaut mit Dermatol-Blei-Schutzsalbe gesichert. Da in
den meisten Füllen der Kraterrand dicht am Beckenrand adhärent war.
so war es nicht zu verwundern, dab 2 mal nach dem Abstoßen der
äußeren Karzinommassen lebensgefährliche Blutungen auftraten, die uns
zur schleunigen Radikaloperation zwangen, wie folgende Krankengeschichte
beweist.
36 jährige kräftige Nullipara M. T. J. Nr. 369, 1912. Patientin leidet seit 1'/,
Jahren fast ununterbrochen an Blutungen, seit 4 Wochen gesellt sich zu der Blutung
stinkender Ausfluß. Die Patientin kommt
hauptsächlich wegen des Gestankes, weil
„die Leute nichts mehr mit ihr zu tun haben
wollen“. Mittelgroße, blasse Frau mit sehr
reduziertem Körperzustand.. Hämoglobin-
gehalt 55°,, Leukozytengehalt 11000. Ery-
throz. 2500000. Starke Vermehrung der
eosinophilen Zellen. Urin von ampho-
tärer Reaktion, trübe. Eiweißprobe posi-
tiv. Im Sediment Eiterzellen, rote Blut-
körperchen, zahlreiche Blasenepithelien,
keine Zylinder. 2 Finger breit oberhalb
des Scheideneinganges gelangt man bei der
bimanuellen Untersuchung an einen starren
Kraterrand, welcher den Beckenwänden
scheinbar unverrückbar aufsitzt. Durch den
Rand gelangt man in eine zystische Höhle,
die mit bröckligem Gewebe angefüllt ist.
In der Gegend des Scheidengewölbes eine
weitere starre Öffnung, in welche man gerade
die Spitze des Zeigefingers einlegen kann.
Vom Rektum aus lassen sich die Parametrien
nicht mehr abgrenzen, da sie offenbar in
den Tumor aufgegangen sind. Das relativ
kleine Korpus sitzt dem derben Tumorkon-
volut im Becken als Höcker auf. Jede Unter-
suchung ist von starker Blutung gefolgt. Im Blasenbild zeigt sich der Blasenboden und
Hals im Zustand des ausgesprochenen bullösen Ödems. Die Ureterenöffnungen sind
nur mit Hilfe der Chromozystoskopie festzustellen. Beide Ureteren lassen sich indessen
glatt sondieren. Ein sicherer Durchbruch des Karzinoms ist noch nicht festzustellen.
Es wird zunächst der Versuch gemacht, durch tägliche Einlegung der Mesothorium-
kapsel sowie durch Tamponade mit Thorium X Gaze das Karzinom zu reinigen. Vor
der ersten Sitzung Probeexzision aus dem brüchigen Karzinomgewebe. Vgl.Taf. I Fig.l.
Die hierdurch gewonnenen Schnitte zeigen sämtlich das Bild eines polymorphzelligen
Zervixkarzinoms mit teils soliden, teils hohlen Vegetationen. Zwischen den Karzinom-
strängen und Falten ein zellreiches Stroma, stellenweise mit Blutextravasaten durch-
Fig. 1.
Fall B. Carcinoma colli, Reinigung
des Karzinomkraters nach 2300 mg-
Stunden Mesothorium-Bestrahlung.
Der Krater kollabiert. Die Ränder
legen sich aneinander.
Einwirkung v. X-u Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 235
setzt. Die bestehende Anämie solldurch vorsichtige intravenöse Injektion von Thorium
X-Lösung gebessert werden. Es gelingt auch zunächst den Erythrozytengehalt von
2400000 im Laufe einer Woche auf 4 Mill. zu steigern. In gleicher Weise steigt der
Leukozytengehalt von 6700 auf 8900, zuletzt auf 15000. Trotzdem Patientin nur ge-
ringe Spuren von Thorium X-Lösung (2 mal 300 bzw. 400 e. s. E.) intravenös erhalten
hat, ändert sich das Bild in der 3. Woche mit einem Schlage. Abfall der Leukozyten-
werte bis auf 1800, der Erythrozyten bis auf 1900000, so daß die intravenöse Behand-
lung abgebrochen werden muß. Besseren Erfolg zeigt die lokale Intensivbestrahlung.
Jedenfalls reinigt sich der Vaginalkrater sehr rasch schon in wenigen Tagen so weit,
daß der typische Karzinomgeruch nicht mehr zu bemerken ist. Der bisher starre
Karzinomrand wird elastisch, der Tumor erhält seine Beweglichkeit wieder. Nach
Entfernung der Kapsel wird für die 2. Hälfte des Tages eine Thorium X-Paste in den
letzteren eingedrückt und durch einen Schutztampon gesichert. Nach Entfernung des
letzteren folgt eine Reinigung des Kraters durch Spülung mit Wasserstoffsuperoxyd-
lösung, gelegentlich auch durch Austupfen mit Alkohol, dabei nimmt der Krater sehr
häufig eine grau-grünliche Verfärbung an, bei dem Austupfen ebenso auch bei der
Spülung zeigen sich kleinere und größere Bröckel des Tumorgewebes. Das mikroskopische
Bild der letzteren ist in Fig. 2 u. 3 auf Taf. Tu. II wiedergegeben. Während in der ersten
Zeit noch deutliche Karzinomnester in den ausgestoßenen Sequestern sichtbar sind,
vgl. Fig. 2 Taf. 1, ist in der 4. Woche eine eigentliche Zellenstruktur nicht mehr nachzu-
weisen. Fig.3 Taf. II. Die Kerne sind flach, lassen sich schlecht färben, die Schnitte be-
stehen zum größten Teil aus einem schwammigen, lockeren Gewebe, welches fast an De-
zidua erinnert. In seinen Maschen finden sich verklumpte, zusammengeballte Zelltrüm-
mer, die als Reste von Karzinomzellen angesprochen werden. Das Einbringen des Strah-
lungskörpers in die Zervixgegend macht deswegen Schwierigkeit, weil vom Uterus
herab eine starre Gewebslamelle sich wie ein Segel vor den hinteren Kraterteil spannt.
Erst nach Anhaken dieser Lamelle läßt sie sich umgehen. Die Reinigung des Kraters
vollzieht sich unter einer serösen Absonderung. Die Temperatur ist nur selten auf
37,6 gesteigert, hält sich im allgemeinen in normalen Grenzen. Blutbeimengungen im
Sekret finden sich nur dann, wenn bei der Entfaltung des Kraters im Spiegel eine mecha-
nische Läsion nicht zu vermeiden ist. Ein Tannintampon bringt jedesmal die Blutung
prompt zum Stillstand. Zu gleicher Zeit wird durch Blasenspülung mit übermangan-
saurem Kali, durch Gebrauch von Urotropin und Wildunger Wasser die Zystitis zum
Abklingen gebracht. Die Bestrahlung macht in der Folge keinerlei Beschwerden.
5 Wochen nach Beginn der Behandlung ist das Karzinom so weit zurückgegangen, daß
an die Möglichkeit einer Radikaloperation gedacht wird. Es soll noch bis zum Ab-
nehmen der Sekretion gewartet werden. Eine Heilung durch Bestrahlung scheint des-
wegen ausgeschlossen, weil die starren Parametrien die Tumorkapsel nicht zum Kolla-
bieren kommen lassen. Am 36. Tag der Behandlung tritt nach Entfernung der Kapsel
bei hartem Stuhlgang eine profuse lebensbedrohliche Blutung auf, die zunächst durch
energische Tamponade bekämpft werden muß. Nach Entfernung der letzteren am
anderen Morgen wiederholt sich die gleiche Erscheinung. Daher wird Patientin in den
Operationssaal gebracht und nach gründlicher Desinfektion und trockener Tamponade
des Karzinomkraters die Radikaloperation vorgenommen. Lumpbalanästhesie versagt,
daher Äthernarkose. Der Uterus ist nur wenig beweglich geworden und läßt sich nicht
aus dem Becken herausziehen. Blase und Rektum sind hoch hinauf gezogen. Unter
der brüchigen Serosa schimmern strotzend gefüllte Venen durch, nach Lösung der
Verwachsungen mit Netz und Flexura sigmoidea werden die Adnexe frei gemacht,
worauf beiderseits unter Schwierigkeit der Ureter präpariert und abgeschoben wird.
236 Kroemer,
Rechterseitslebensgefährliche Blutung ausden tiefen Beckenvenen, beide Ureteren müssen
auf eine weite Strecke freigelegt werden. Blase und Rektum müssen Millimeter für Milli-
meter abpräpariert werden. Die Parakolpien werden zunächst mit Klemmen versorgt,
Fig. 2.
Durchschnitt durch den Genitaltraktus des inoperablen Scheidenkollumkrebses.
M. T. Im Bereich der Vagina ist das Karzinom vollständig zerstört und abge-
stoßen worden. Die vordere Mutttermundslippe zeigt den Krebs im Rückgang,
während der versteckte Herd in der hinteren Zervixwand intakt geblieben ist.
(Unvollk. Wirkung der Bestrahlung vielleichtinfolge zu gering. Mesothoriummengen.)
rechterseits können die letzteren durch Umstechungen ersetzt werden, links bleiben
sie hart an der Beckenwand sitzend liegen und werden mit dem Uterus in die Tiefe des
Beckens versenkt. Umlagerung zur vaginalen Operation. Kochsalzinfusion. Die
Einwirkung v. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 237
Scheide wird oberhalb der Vulva umschnitten, die Ablösung von Blase und Rektum
wird fortgesetzt, bis das gesamte Tumorkonvolut (Uterus mit Anhängen und Scheide
sich nach unten herausziehen läßt. Dabei platzt die Vulva infolge der Größe des Tu-
mors ein. Ersatz sämtlicher Klemmen durch Umstechungsligaturen. Blase und
Rektum werden, so gut es möglich ist, heruntergezogen und peritonisiert. Die seit-
lichen Wundflächen müssen unbedeckt bleiben, da sich das Peritoneum nicht ver-
schieben läßt. Die Blutung steht nach Einlegung eines Vaginaltampons absolut.
Ein Medianschnitt durch den entfernten Genitaltraktus demonstriert die unvoll-
kommene Wirkung der Mesothoriumbestrahlung in diesem Fall. Während der vaginale
Geschwulstkrater bis zu dem Kollumrest nahezu vom Karzinom gereinigt worden ist
bis auf einen im vorderen Scheidengewölbe befindlichen Rest von nekrotischem Tumor-
gewebe, waren die Strahlen nicht imstande, die eben erwähnte Lamelle zu durch-
dringen und den Tumorausläufer in der hinteren Kollumwand, der bis oberhalb des
inneren Muttermundes nach aufwärts reicht, zu beeinflussen. Hier ist das Karzinom
in voller Ausdehnung lebensfähig erhalten geblieben. Vgl. Fig. 2. Die unerwünschte
lebensbedrohende Blutung erklärt sich durch das Freilegen der Gefäßschicht an der
hinteren Vaginalwand. Vgl. Fig. 4 Taf. II. Probeexzision aus der vaginalen Kraterwand
nach Entfernung des Organs. An Stelle des Karzinoms findet sich hier nur kleinzellige
Infiltration zwischen den sklerosierten Bindegewebsfasern, auf der Oberfläche liegen
Gefäße von beträchtlichem Kaliber frei. Es liegt selbstverständlich der Gedanke nahe.
daß der unerwünschte nekrotisierende Einfluß infolge einer unzureichenden Filtrierung
der Mesothoriunistrahlen aufgetreten ist. Immerhin bleibt zu erwägen, daß bei diesem
sicher nicht einfach liegenden Fall trotz intensiver Bestrahlung keinerlei Nebenver-
letzungen eingetreten sind. Insbesondere scheint mir bemerkenswert, daß Rektum und
Blase sowie Harnröhre sich völlig intakt gezeigt haben. Man darf eben nicht vergessen,
daß diese unerwünschten Wirkungen bei inoperablem Material auch ohne die Meso-
thoriumbestrahlung früher oder später zu erwarten sind. Wir sahen dieses Ereignis
immer nur bei Fällen, in welchen der Karzinomtumor gleichsam eingemauert im Becken
stand, dabei spielt offenbar die Komplikation mit entzündlicher Infiltration eine
wesentliche und erschwerende Rolle. 2 mal handelte es sich um jugendliche Fälle mit
sehr blutreichem Genitale, 1 mal um einen markigen schr weichen Tumor, welcher
bereits vor der Behandlung in die Blase durchgebrochen war und an anderer Stelle
bereits exkochleiert worden war.
Infolge der Dekrepidität der betreffenden Patientin mußten wir uns in diesem
Fall mit der abdominalen Unterbindung aller zuführenden Gefäße sowie mit der vagi-
nalen Umstechung der Parakolpien begnügen. Die gleichzeitig vorgenommene Aus-
räumung der Beckendrüsen zu diagnostischen Zwecken zeigte allerdings, daß unsere
über 6 Wochen dauernde energische Bestrahlung, die wir durch Röntgenticfenbe-
strahlung unterstützt hatten, nicht über die Grenzen des Primärtumors hinausgegangen
war. Während der zwischen Uterus und Blase in das Abdomen hineinragende Tumor
deutliche Schrumpfungstendenz zeigte und an der Vaginaloberfläche schmierige, in-
differente Gewebe aufwies, in welchem mikroskopisch kaum noch deutlich Krebszellen
nachzuweisen waren, enthielten die entfernten Beekendrüsen vollsaftiges medulläres
Karzinom.
Günstiger lag der folgende zur Beobachtung kommende Fall.
J. Nr.8, 1913. Frau A.B. 42jährige Multipara, die erst nach !/, Jahr dauernder
starker profuser Blutung ärztliche Hilfe aufsucht und an die Klinik verwiesen wird.
Große, kräftige Frau mit stark reduziertem Fettgewebe und leidlich erhaltener Musku-
238 Kroemer,
latur. Im Urin Eiterzellen, zahlreiche Epithelien, alkalisches Sediment, keine Zylinder.
Hämoglobingehalt 60%. Blutbild annähernd normal. Aus dem Genitale entleert sich
bräunlicher stinkender Fluor. Scheide und Vulva schlaff, an Stelle der Portio ein mon-
ströser, das ganze Becken ausfüllender Tumor, welcher an seiner Oberfläche stark
zerklüftet ist. Eine eigentliche Zervixhöhle ist infolgedessen nur schwer nachzuweisen.
Die Parametrien sind beiderseits durch den Tumor aufgebraucht, der sich weder nach
abwärts noch nach aufwärts verschieben läßt. Der Uteruskörper ist als faustgroße,
flache Geschwulst oberhalb der Symphyse tastbar, er sitzt dem Tumor unverschieblich
Fig. 3.
Monströser Halskrebs. Der Durchschnitt zeigt die Auflösung der Krebsnester,
während die dazwischen liegenden Septen erhalten bleiben.
auf. Die Untersuchung mit dem Zystoskop ist sehr erschwert, da die zwischen dem
Tumor und der Symphyse eingepreßte Harnröhre das Instrument kaum passieren läßt.
Bei starker Senkung des Zystoskoptrichters gelingt es, in der mit knapp 100 ccm auf-
gefüllten Blase vorübergehend die Ureteren zu erblicken, die Schleimhaut des Blasen-
bodens liegt in Querfalten, ein Durchbruch ist nicht zu konstatieren. Wegen der Größe
des Tumors scheint die Wirkung der Kapselbestrahlung unzureichend, es wird in regel-
mäßigen Pausen von 2—3 Tagen der Tumor von der Vagina aus mit langen Nadeln
punktiert und mit Thorium X in Aluminiumoxydpulveraufschwemmung injiziert,
(1000—2000 e. s. E. pro dosi). Alle 10 Tage wird der Tumor von den Bauchdecken,
Einwirkung d. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 239
von der Scheide und vom Kreuzbein aus der Röntgenbestrahlung mit harter Röhre
(8 W.) unterworfen. Im Gegensatz zu den früheren Fällen zeigt der Tumor keine
Neigung zu Blutungen. Nach Entfernung der Thorium X-Tamponade entleeren sich
bei der Spülung trüb seröse Sekretion mit pulverförmigen Gewebsbröckeln, Patientin
klagt zu keiner Zeit über die oben erwähnten brennenden Schmerzen. Nach 4 Wochen
fortgesetzter Bestrahlung hat sich der Tumor so weit verkleinert, daß er sich bequem
in das Becken einpressen läßt, worauf der Uteruskörper den Symphysenrand erreicht.
Da es aussichtslos erscheint, den Tumor von der angegebenen Größe zur Resorption
zu bringen, wird am 17. März die Radikaloperation vorgenommen, welche im großen
und ganzen ohne be-
sondere Störung ver-
lief. Nur muß der
linke Ureter auf eine
weite Strecke freige-
legtwerden. Heilungs-
verlauf erschwert
durch eine in der
3. Woche der Rekon-
valeszenz auftretende
Nekrose des linken
Ureters, die sich spon-
tan wieder schließt.
Die Beckendrüsen er-
weisen sich als weich,
bei der späteren mi-
kroskopischen Unter-
suchung frei von Kar-
zinom. Fig. 3 veran-
schaulicht die Wir-
kung. Der Uterus
ist durch Median-
schnitt eröffnet, der
Tumor hat zu einer
Auftreibung des ge-
samten Kollums ge- Fig. 4.
führt, die bis über die Carcinoma colli in puerperio rapid erwachsend. Nach
Grenze des inneren 5 wöchentlicher Bestrahlung (7380 mg Stunden) stößt sich
Muttermundes in das der Tumor in toto als Sequester ab. Der dunkelschraffierte
Korpus hineinreicht. Teil entspricht dem Sequester.
Während im oberen
Teil noch weißliches markiges Karzinomgewebe in den Grenzschichten zu erkennen
ist, ist im unteren Bereich das Krebsgewebe gleichsam ausgelaugt, die Zwischen-
septen sind dagegen erhalten geblieben. Die grünliche Verfärbung der unteren
Wandschichten zeigt die typische nekrotisierende Wirkung der Mesothoriumstrahlen.
An den rötlichen Partien ist das Bindegewebe bereits von Karzinom gereinigt.
6 weitere inoperabel scheinende Fälle konnten nach 3—6 wöchent-
licher Bestrahlung (2000—7300 mg Stunden) zur radikalen Operation
gebracht werden, 5 mal mit gutem Erfolg, 1 mal trat eine postoperative
240 Kroemer,
Peritonitis auf, deren Erreger sich mit den aus dem Karzinom gezüch-
teten Streptokokken als identisch erwiesen. Von den übrigen 5 Fällen
starb einer an den Folgen einer in puerperio erworbenen Endokarditis.
bevor wir ihn zur Operation bringen konnten. Die noch kurz vor
dem Ende vorgenommene Totalexstirpation bewies in diesem
Falle, daß tatsächlich das gesamte Karzinommaterial
sich in nekrotischen Massen abgestoßen hatte Die
letzten dieser Bröckel ließen sich von der Blasenhinter-
Fig. 5. Fig. 6.
Medianschnitt durch den Uterus Fig. 4. Karzinom der Vulva. Das Bild zeigt
In keinem Schnitt ist Karzinom nach- als Wirkung der kombinierten Rönt-
zuweisen. Bei der Autopsie wird die gen-Mesothorium-Bestrahlung die Ab-
totale Ausstoßung des Krebsgewebes flachung des gereinigten und verklei-
festgestellt. nerten Ulons rodus. Vor allem aber
die weißliche kallöse Umwandlung der
wand, Mastdarmvorderwand nächsten Umgebung.
und Scheide bequem ab-
schaben, ohne dal) eine schädliche Wirkung auf die gesunden normalen
Nachbargewebe (Blase, Harnröhre, Darm) zu konstatieren gewesen wäre
(vgl. Fig. 4 und 5). Es bestätigt meiner Ansicht nach dieser Fall, dab
auch kleine Mengen von Mesothorium eine spezifische
Wirkung auf das Karzinommaterial ausüben können,
während die gesunden Gewebe sehr viel weniger oder
gar nicht angegriffen werden. So bedauerlich an sich dieser
Einwirkung v. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 241
Fall ıst, so war er doch für uns eine erfreuliche Mahnung, in der einmal
eingeschlagenen Richtung zu beharren. Ohne die tödliche Endokarditis
war in diesem obigen Falle die Heilung durch Mesothoriumbestrahlung
gesichert. Alle operierten Frauen, auch die nicht vorbe-
handelten wurden in der Rekonvaleszenz mit Meso-
thorium lokal behandelt, damit eventuell in den Narben sitzende
Karzinomkeime zur Vernichtung kommen sollten. Ein reines Korpus-
karzinom mußte wegen des hohen Alters der Patientin (70 Jahre) vaginal
operiert werden. Der desolate Fall mit Korpuskrebs und Vaginalmeta-
stasen zeigte trotz energischer Röntgentiefenbestrahlung und Mesothorium-
behandlung keine Tendenz zum Rückgang. Wir haben infolgedessen mög-
lichst frühzeitig die Radikaloperation ausgeführt und in der Folgezeit die
Aethoriumbestrahlung fortgesetzt bisher mit gutem Erfolge.
Am günstigsten ließ sich ein Vulvakarzinom bei einer 71jährigen Pa-
tientin an. Die in beiden Leisten zu konstatierende Drüsenschwellung
ging zurück (entzündliche Reaktion). Das Ulcus rodens verkleinerte sich,
die umgebende Haut wurde weißlich, kallös, Jauchung und Blutung ver-
schwanden. Wenn wir die Überhäutung des gereinigten abgeflachten Ge-
schwürs (vgl. Fig. 6) nicht abwarten konnten, so geschah dies in Rück-
sicht auf die unerträglichen Schmerzen, welche bei der - Patientin durch
die nachfolgende Kraurosis aufgetreten waren. Jedenfalls ergab die Vulva-
amputation und Ausräumung der beiderseitigen Drüsen, daß die letzteren
karzinomfrei waren. In dem entfernten Tumor konnten lebenskräftige
Krebsnester so gut wie gar nicht mehr mikroskopisch festgestellt werden,
die Krebszellen sind zerstört, im umgebenden Stroma zeigen sich bei reich-
licher Kernvermehrung der fixen Zellen zahlreiche Leukozyten, Lympho-
zyten und Plasmazellen, so daß also neben der Zerstörung und dem Zerfall
des Karzinommaterials reichliche Stromaentfaltung und Wanderzellen be-
telligt sein müssen (vgl. Fig. 5 und 6 auf Taf. III).
Die große Menge von Plasmazellen, welche sich allenthalben in den Ge-
weben und ebenso auch in den zugehörigen Leistendrüsen fanden, sind meines
Erachtens ein Beweis dafür, daß bei der Auflösung und Zerstörung der
Krebszellen starke zellsekretorische und resorbierende Kräfte wirksam sind.
Die Fortschaffung des zertrümmerten Krebsmaterials wird offenbar durch
die Plasmazellen übernommen.
Von Drüsenrezidiven, welche an den großen Beckengefäßen und
in der Leistengegend beobachtet wurden, wurde bereits eines im obigen
geschildert, es ist dies die Patientin mit der doppelten Enteroanastomose.
Die beiden anderen betreffen hühnereigroße bis faustgroße Tumoren an
den Ven. iliacae externae bzw. communes. Die Tumoren wurden mit
langen Kanülen punktiert und mit Thorium X-Lösung 100—600 e. s. E.
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 16
242 Kroemer,
injiziert. Die dadurch eintretende Erweichung führte insofern zu keiner
Besserung des Befindens, als die bekannten Karzinomschmerzen eher noch
gesteigert wurden. Außerdem wurden gerade diese Rezidive zwei- und
mehrmals am Tage für 2—3 Stunden mit Mesothorium bestrahlt, ja wir
gingen so weit, durch angelegte Hautschnitte die Mesothoriumtuben in den
Bereich der Drüsenmetastasen einzuführen. Wenn ich trotzdem noch die Ope-
ration ausgeführt habe, so geschah dies aus dem Grunde, um mich zu verge-
wissern, inwieweit die Behandlung zu einem Rückgang der Krebszellen geführt
hatte. Die mi-
kroskopische Un-
tersuchung der er-
weichten Drüsen-
massen ergab lei-
der die unzurei-
chende Wirkung
der angewandten
Maßnahmen. Nur
im Bereich der
Injektionsstelle
selbst war das
Karzinom zerstört
worden. In den
Kapselbezirken
war weißlich mar-
kiges Tumorge-
webe in Fülle vor-
handen; mikro-
Drüsenrezidiv von den großen Beckengefäßen abgelöst, vor- skop isch zeigten
behandelt mit Thorium X-Injektionen. Die dunkleren Par- diese Partien voll-
tien zeigen die Zerstörung des krebsigen Gewebes. Die hellen saftige, stark tin-
Randzonen links enthalten noch lebensfrisches Karzinom. gierte Zellnester.
Vgl. auch Fig. 7.
Konnten wir somit bisher nur in 2 Fällen eine radikale Beseitigung
des Tumors durch die kombinierte Mesothoriumbehandlung konstatieren,
so bleibt dieser Erfolg im ganzen doch ermutigend, namentlich im Hinblick
auf die elf Zervixkarzinome, von denen sieben nach radikaler Operation
bzw. nach Gefäßunterbindung sich eines günstigen Befindens erfreuen. Für
die Dauer des letzteren scheint mir besonders die von uns angewandte
prophylaktische Narbenbestrahlung, die wir schon in der ersten Woche
nach der Operation anwenden, von Wert gewesen zu sein. Fügen
wir zu diesem Fall noch die Ovarial- bzw. Vulva- und Körperkrebse hinzu,
Fig. 7.
Einwirkung v. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d. Genitalien. 243
so bleiben 17 gebesserte Fälle, von denen mit den einfachen chirurgischen
Methoden entschieden von vornherein die Mehrzahl nicht zu retten gewesen
wären. Der Mißerfolg bei den
metastasierenden Karzinomfällen
war von vornherein zu erwarten.
Befinden wir uns doch erst im
Anfangsstadium unserer Ver-
suche, deren Wirkung noch
weiterhin gesteigert werden muß.
Schon jetzt scheint mir aus
unseren bisherigen Versuchen
hervorzugehen, daß durch An-
wendung größerer Strahlen-
quellen, vielleicht auch durch
die Kombination mit chemischen
Antikörpern, eine Besserung mög-
lich sein wird. In keinem Fall
war durch die angewandte The-
rapie eine Schädigung der nor-
malen Gewebe zu konstatieren.
Wenn es vielleicht merkwürdig
erscheinen sollte, daß wir so
häufig die Behandlung durch
die Operation unterbrochen ha-
ben, so möchte ich darauf hin-
weisen, daß für unsere Fragen
nur der Beweis an exstirpierten
Organen bzw. der Autopsiebe-
fund leitend für unser weiteres
Vorgehen sein kann. Aus diesem
Grunde werden wir zur Kon-
trolle unserer Versuche die Ope-
ration vorderhand nicht ent-
behren können, ganz abgesehen
davon, daß wir bei inoperablem
Material durch die Ermöglichung
der Radikaloperation einen hinrei-
chenden Gewinn erzielt zu haben
glauben. Auch bei den operierten
Fällen wird die Mesothorium-
Fig. 8.
Fall von monströßen spitzen Konglomerat-
Kondylomen bei Gravidität vor der Behandlung.
-
Fig. 9.
Der Fall von Fig. 8 nach der Behandlung
mit Thorium X-Salbe. Die Kondylome sind
verschwunden bis auf einige kurze Stielreste.
bzw. Röntgenbehandlung zur Vermeidung der Rezidive unerläßlich bleiben.
16*
244 Kroemer,
Die Wirkung der Thorium X-Lösung auf epitheliale Neubildungen
wird vor allen Dingen illustriert durch einen Fall mit multiplen spitzen
Kondylomen, welche wir im sechsten Monat der Gravidität bei einer I-para
beobachten konnten. Die mit schwerer Gonorrhoe infizierte Person zeigte
einen Konglomerattumor von 5—7 cm hohen Kondylomen, deren Stiele
Fingerdicke erreicht hatten und mächtige Gefäße einschlossen. Der Tumor
reichte von der Scheide bis hinter den After und zwang Patientin, mit
weit auseinander gespreizten Beinen zu humpeln. Im Bett mußte sie:
gleichfalls mit gespreizten Beinen liegen, da die Tumoren ihr große
Schmerzen verursachten (vgl. Fig. 8).
Wir begannen die Behandlung im Oktober vorigen Jahres. Es wurden
täglich Thorium X 500—800 e. s. E. mit Vaseline zu einer Paste ver-
rieben auf die Kondylome aufgetragen. Nach wenigen Wochen schon
zeigte sich eine starke Verkleinerung der Neubildung. Die umgebende
Haut wurde mit Röntgenschutzpaste sorgfältig abgedeckt, da sich sehr bald
Reizerscheinungen in der Umgebung bemerkbar machten. Unter Besserung
des Allgemeinbefindens schwand der Fluor. Nach dem Abfallen der
Kondylome, deren Basis in der Oberfläche verstrich (Fig. 9), kam Patientin ım
Anfang Februar d. J. mit einem 8 Pfund schweren, gesunden Knaben
nieder. Die Elastizität der Vulva war wieder so weit eingetreten, dab
Patientin mit einer leichten Frenulumeinkerbung ohne Notwendigkeit der
Naht glatt und fieberfrei durch das Wochenbett kam. Die Kondylome
sind inzwischen nicht wieder aufgetreten.
Die obigen Mitteilungen sollen nicht den Zweck haben, zur Nach-
untersuchung in der gleichen Richtung anzuregen; vielmehr betrachte ıclı
das bisherige Material als im Stadium des Versuchs befindlich. Zweifel-
los kranken die Erfolge noch daran, daß einmal eine zu schwache Strahlen-
quelle zur Verwendung kam, und dann zweitens zum Teil durch unge-
nügende Filterung eine zu energische zerstörende Wirkung auf das Kar-
zinomgewebe ausgeübt wurde. Ebenso erwies sich der Umstand, daß ein
großer Teil der Fälle bereits Erscheinungen der Kachexie aufwies, als
äußerst hinderlich. Ich stehe nicht an, nunmehr auch operable Fälle zu
bestrahlen, natürlich unter fortgesetzter mikroskopischer Kontrolle. Die
letztere halte ich ich für ebenso unerläßlich wie die Kombination der Be-
strahlung mit der chırurgischen Behandlung. Wollten wir das Messer
ganz in dem Kampf gegen das Karzinom aus der Hand legen, so würde
ein Drittel sämtlicher Unterleibskrebse der Frauen von der Heilung aus-
geschlossen sein; diese Zahl deckt sich bekanntlich ungefähr mit der
Häufigkeit der Drüsenmetastasen bei Uteruskarzinom. Da die Strahlen-
energien bisher Metastasen völlig unbeeinflußt ließen, würde ohne Operation
jeder metastasierende Fall von der Heilung ausgeschlossen sein. Auch
Einwirkung v. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d. Genitalien. 245
nach den neueren Versuchen, welche mit besserer Filterung angestellt
worden sind, muß ich annehmen, daß größere Karzinommassen gewöhnlich
zum Zerfall kommen und daß auch durch gute Filterung die Nekrose sich
nicht ganz vermeiden läßt. Die Karzinomzellen werden also offenbar
durch die Strahleneinwirkung zerstört und zerfallen; vor der Schrumpfung
eines exulzerierten Karzinoms fanden wir noch immer Abstoßung der zen-
tralen Tumorpartien. Lebensgefährliche Blutungen haben wir nicht wieder
an unserem Material beobachtet.
(Aus der Kgl. Frauenklinik zu Göttingen.)
Zur Mesothoriumbehandlung von Genitalkarzinomen.
Von
Professor Dr. Ph. Jung.
n Erweiterung meiner Diskussionsbemerkung zu diesem Thema auf dem
15. Gyn.-Kongrel) in Halle berichte ich hier über einige Fälle. welche
zwar noch nicht völlig abgeschlossen sind, aber doch die lokale Wirkung des
Mesothoriums jedenfalls. entsprechend den Beobachtungen anderer Kliniker
sehr entschieden beweisen. Es handelt sich um 4 Fälle, welche ich ım
Mai dieses Jahres zu behandeln begann und welche alle vier schon jetzt
sehr deutliche Erfolge erkennen lassen.
Es standen mir 100 mg Mesotliorium von der Firma Knötler im
Plötzensee zur Verfügung. welche in einem Silberröhrchen eingeschlossen.
stets im ganzen angewendet wurden.
Als Filter benutzte ich eine Bleikapsel von 2 mn Stärke, in welche
(las Röhrchen eingeschlossen wurde. Das Ganze wurde nochmals in eine
dünne Gummikapsel eingebunden und so eingelegt. Ich habe also im
wesentlichen die Technik benutzt, wie sie auch von den übrigen Autoren
als praktisch und ungefährlich empfohlen wurde. Ich legte das in der
beschriebenen Weise eingeschlossene Präparat direkt in den Tumor ein
und schützte die Scheide durch eine weitere nach Form eines Schalen-
pessars gebildete 3 mm dicke Bleiplatte. Das Ganze wurde durch einen
Gazetampon fixiert. Nur in dem einen Fall von Vulvakarzinom wurde
einfach die Kapsel mit einigen Heftpflasterstreifen auf dem Tumor fixiert.
Die Applikation erfolgte anfangs immer je 24 Stunden lang mit einer
mehrstündigen Pause, später habe ich dann das Präparat bis zu 4 Tagen
ununterbrochen liegen lassen.
Ich lasse zunächst kurze Auszüge aus den Krankengeschichten folgen.
c) Frau S., 62 Jahre, V-Para. Vor 5 Jahren vaginale Totalexstirpation wegen
Zervixkarzinom. Damals rechte Zervixwand schon durchbrochen, Rezidiv wahr-
scheinlich (Mitteilung des damaligen Operateurs).
Nach 4!/, Jahren (12. Januar 1913) wieder Blutungen und Ausfluß. Allecmein-
befinden gut, nicht abgemagert.
12. Januar 1913 Karzin. Granulationen im Scheidengewölbe, bes. rechts. Ex-
cochleation, Paquelin. Mikr.: Plattenepithel-Karzinom. In der Folgezeit vaginale
Röntgenbestrahlung.
Jung, Zur Mesothoriumbehandlung von Genitalkarzinomen. 247
11. April 1913. Karzinom weiter vorgeschritten, knollige Tumoren im Vaginal-
gewölbe. 2. Mai desgl.
6.—10. Mai. 5800 mg-Stunden Mesothorium.
21.—24. Mai. 7200 mg-Stunden Mesothorium.
Erhebliche Besserung. Tumoren im Vaginalgewölbe stark geschrumpft, glatt
und weich. Allgemeinbefinden gut. — Anm. bei der Korrektur: 26. Juni 1913.
Tumoren im Vaginalgewölbe völlig verschwunden, glatter Scheidentrichter,
keine Infiltration mehr fühlbar. Weitere 10400 mg-Stunden Mesothorium.
2. Fr. K., 46 Jahre, V-Para. Aufn. 5. Mai 1913. Seit fast !/, Jahr treten starke,
unregelmäßige Blutungen auf, weshalb sie vom Arzt eingewiesen wird. Schr fette, gut
eenährte Frau, keine Kachexie. Starke Blutung in Koagulis. Portio zerklüftet, ein-
zelne derbe, unregelmäßige Knoten, zwischen denen nach rechts hin ein tiefer Krater
sich öffnet, mit weichen Granulationen austapeziert. Nach rechts hin setzt sich von
dem Tumor aus eine derbe Infiltration bis an die rechte Beckenwand fort, mit der sie
unverschieblich verwachsen ist. Mikroskop. Diagnose. Plattenepithelkarzinom
der Collum uteri, inop.
8. Mai. Auslöffelung großer Massen von Ka.-Gewebe, Ausbrennung mit Paquelin.
Im Anschluß hieran sofort 100 mg Mesothorium in 2 mm-Bleikapsel eingelegt, bleibt
+4x24 Stunden liegen.
3. Mai 1913. Im ganzen 11X24 Stunden 100 mg Mesothorium = 26400 mg-
Stunden.
10. Mai. Entlassen. Schmaler glattwandiger, cm tiefer Krater, Wand schmutzig
srau-gelb belegt. Keinerlei Blutung mehr. Infiltration noch wie vorher. 3 Pfund
Gewichtsabnahme (158—155 Pfd.).
Während der Mesothorium-Applikation einmal Abgang voneitrig-blutigem Schleim
aus dem Rektum. Starker Tenesmus. Unter Morphium-Suppos. bald zurückgegangen.
3. Fr. D., 50 Jahre, V-Para. Aufn. 13. Mai 1913. Seit fast Y/, Jahren Haut-
erkrankung an der Vulva, wegen deren nach 3 Monaten Arzt aufgesucht wurde, der
nurmit dem Paquelin verschorfte. Nach weiteren 5 Monaten erst
der Klinik überwiesen.
R. Labium maj. größtenteils durch breite derbe, ulzerierte Tumormassen ersetzt,
lie auch nach links hinübergreifen. Starkes Ekzem der Umgebung. Rechts ein sehr
sroßer Abszeß in der Inguinalgegend, der sich auf das obere Drittel der Innenfläche
des Oberschenkels erstreckt. Mikr. Diagnose: Verhornendes Plattenepithel-
karzinom der Klitoris. Abszeß der rechten Unterbauchgegend. Fieber.
20. Mai. Inzision des Abszesses, viel stinkender Eiter, Gegenöffnung am Öber-
schenkel, Drainage. Entfieberung.
Vom 27. Mai bis 6. Juni. 24000 mg-Stunden Mesothorium.
6. Juni. Karzinom ganz geschwunden, an seiner Stelle nur noch derbe infiltrierte
Platten, speckig belegt. Ausgedehnte Mazeration der Haut. Bis 4. Juli weiterer
Rückgang der Infiltration.
4. Frl. E., 79 Jahre, 0-Para. Menopause seit 30 Jahren. Seit einigen Monaten
wieder Blutungen, die in den letzten Tagen stark wurden; Uterus stark vergrößert,
bis 3 Querfinger unter Nabel. Am äußeren Muttermund eine Kalkplatte, die entfernt
wird. Mit Kurette einige weiche Massen entfernt! Mikr. Diagnose Adenocarci-
noma corporis uteri. inop. (wegen Alters).
Vom 10. Mai bis 22. Mai. 14000 mg-Stunden Mesothorium. Entlassung. Uterus
viel kleiner, keinerlei Blutung oder Sekretion mehr. Gutes Allgemeinbefinden, nur
Bronchitis.
248 Jung,
Demnach handelte es sich in allen 4 Fällen um inoperable Karzinome.
Ein Zweifel darüber, ob er wirklich inoperabel war, könnte nur bei Fall 3.
Vulvakarzinom, aufgeworfen werden. Es hätte jedenfalls hier rein technisch der
Tumor noch entfernt werden können. Bei der schlechten Prognose dieser
Karzinome aber glaube ich doch die eingeschlagene Therapie durchaus
verantworten zu können.
Das was aus den 4 Beobachtungen hervorgeht, ist zunächst in Be-
stätisung der Beobachtungen von Bumm, Döderlein, Krönig, Gauß u.a.
ein rascher Zerfall des oberflächlichen Krebsgewebes mit Bildung einer
glatten und harten Oberfläche. Es wird offenbar unter Zerfall des Krebs-
gewebes eine starke Bindegewebswucherung erzeugt. Auch erfolgt in der
Scheide ganz sicher eine Überhäutung des neugebildeten Bindegewebes
durch Schleimhaut, so daß also eine Art von Heilung Platz zu greifen
scheint. Jedenfalls verschwinden sehr schnell die Blutungen und die
Jauchung, was an und für sich schon zunächst einen wesentlichen Vorteil
und eine günstige psychische Beeinflussung der Patientin mit sich bringt.
Das was in allen 4 Fällen bei allerdings kurzer Beobachtung jetzt noch
zu bemerken ist, ist eine derbe Schwiele an der Stelle des früheren Tumors.
wozu in Fall 2 auch noch das Fortbestehen der derben Intiltration bis
an die Beckenwand kommt. In Fall 1 ist auch die Schwiele verschwunden.
Es ist ohne weiteres und ohne längere Beobachtung nicht zu sagen.
ob in diesen derben Schwielen alles Karzinom zugrunde gegangen ist oder
ob doch noch in der Tiefe lebendiges Krebsgewebe erhalten geblieben ist.
In den drei ersten Fällen war jedenfalls von der glatten Obertläche
nichts mehr abzuschaben, aber die Feststellungen, de Bumm, Krönig
und Aschoff an exstirpierten Uteri und Sektionspräparaten machen konnten,
beweisen doch, dal man in seinem Urteil sehr vorsichtig sein muß. Ich
möchte den Untersuchungsresultaten aus Probeabschabungen und Probe-
exzisionen, wie sie bisher gewissermaßen als Beweis für Vernichtung des
Krebsgewebes vielfach publiziert worden sind, keinerlei besonderen Wert
beilegen. Denn solche Befunde findet man schließlich überall da, wo ein
Karzinom mit irgend einem starken Ätzmittel behandelt worden ist (Chlor-
zink, Glühhitze u. a.). Überall wird dort das oberflächliche Karzinvm-
gewebe zugrunde gehen, aber in der Tiefe noch reichlich lebendes Gewebe
übrig bleiben. Es können also nur die klinischen Erfahrungen über Spät-
resultate den definitiven Wert der ganzen Mesothoriumbehandlung klarlegen.
Bis heute ist jedenfalls ein anatomischer Beweis für Dauerheilung
eines Karzinoms durch Mesothorium noch nicht erbracht.
Was nun die beobachteten 4 Fälle im besonderen angeht, so ist bei
ihnen vor allem hervorzuheben, daß sie, obgleich örtlich der Krebs schon
weit vorgeschritten war, sich doch in günstigem Allgemeinzustande be-
Zur Mesothoriumbehandlung von Genitalkarzinomen. 249
fanden, daß also eine Kachexie noch nicht bestand. Ein 5. Fall, den ich
gleichfalls behandeln wollte (es handelte sich um ein vorgeschrittenes
Zervixkarzinom mit hochgradiger Kachexie) ist inzwischen gestorben.
Ebenso ließ sich in keinem der 4 Fälle eine Metastasenbildung nachweisen
mit Ausnahme des Vulvakarzinoms, wo rechts die Leistendrüsen vereitert
waren. Es ist aber fraglich, ob hier Karzinom bestand oder ob es sich
nur um Infektion handelte. Ich halte dies für wichtig für die Beur-
teilung der späteren Resultate, denn so vorzüglich auch die Wirkung der
Strahlen örtlich sein mag, so sind sich doch alle Beobachter darüber einig,
daß sie bei weit ausgedehnten Metastasen machtlos isst. Man wird in
solchen Fällen ja den Versuch der Mesothoriumbestrahlung machen, sich
aber über die Resultate keinen Illusionen hingeben dürfen.
Damit komme ich zu dem wichtigsten Punkt, der heut im Vorder-
grund steht, nämlich zur Indikationsstellung.
Es ist selbstverständlich, daß man bei inoperablen Genitalkarzinomen
einen Versuch mit Mesothorium machen wird und muß, daß man aber bei
schon sehr vorgeschrittenen Fällen allzu große Hoffnungen bezüglich dieser
Therapie nicht hegen darf.
Dagegen kann ich mich heut noch nicht dazu entschließen, gut operable
Fälle nur mit Mesothorium zu behandeln. Man könnte ja hiergegen ein-
wenden, daß der Erfolg um so wahrscheinlicher sei, je weniger weit der
Tumor vorgeschritten ist, da man dann um so bessere Aussicht habe, alles
Krebsgewebe durch die Strahlen zu vernichten. Aber bei der von den Opera-
tionsresultaten her genügend bekannten Lebensenergie des Krebses halte ich
ein solches Vorgehen einstweilen noch für zu gewagt, ehe nicht Dauer-
resultate vorliegen; einstweilen werde ich jedenfalls gut operable Fälle nach
wie vor operieren und nur in gänzlich inoperablen order zweifelhaften Fällen
zur Bestrahlung greifen, bei letzteren deshalb, weil bei ihnen die primären
Operationsresultate schlecht sind. Dagegen glaube ich wohl, daß
mannach Exstirpationen sofort bestrahlen soll, um etwain
der Narbe stehen gebliebenes Krebsgewebe zu vernichten
(Krönig-Gauß).
Von der Kombination des Mesothoriums mit der Röntgenbestrahlung
glaube ich keine besonderen Resultate gesehen zu haben. Unter der
Röntgenbestrahlung wuchs der Tumor im Fall 1 rasch weiter, um erst
unter Mesothorium schnell zurück zu gehen. Bei oberflächlichen Karzi-
nomen mag indes in den Pausen auch die Röntgenbestrahlung gute
Dienste tun.
Was nun noch die wichtige Frage etwaiger Schädigungen angeht, so
habe ich im Falle I und III erhebliche Störungen von Seiten des Mast-
darms gesehen. In beiden Füllen entstand eine blutig-eitrige Sekretion
250 Jung, Zur Mesothorinmbehandlung von Genitalkarzinomen.
mit starken Tenesmen, welche aber nach einigen Tagen wieder ver-
schwand.
Ich glaube aber, daß derartige auch von anderer Seite beobachtete
Störungen uns in keiner Weise von der Mesothoriumbehandlung abschrecken
dürfen, da sie geringfügig sind gegenüber den Gefahren des Karzinoms.
Ein ausgebreitetes Ekzem bestand im Falle 3 schon vor der Bestrahlung
in Folge des großen Leistendrüsenabzesses. Es ist aber wahrscheinlich
durch die Mesothoriumbehandlung noch weiter ausgedehnt worden und es
handelt sich vielleicht hier um Sekundärstrahlenwirkung. Die Heilung
und Behäutung des Hautdefektes geht jetzt im übrigen unter Bäder-
behandlung rasch vor sich.
Von Dauerheilungen im üblichen Sinne, d. h. einer Heilung von
5 Jahren Dauer kann selbstverständlich bei der Mesothoriumtherapie bis-
her nicht gesprochen werden. Es mag auch noch fraglich sein, ob sie der
Operation vorzuziehen ist. Soviel aber kann heute schon gesagt werden.
daß das Mesothorium in weit vorgeschrittenen Fällen heute schon Leis-
tungen erzielt, welche wie bisher mit keinem Mittel aufzuweisen hatten
und diese Tatsache allein würde genügen, zu weiteren Versuchen anzuregen
und sich auch durch den hohen Preis des Mittels nicht abschrecken zu
lassen, jedenfalls so lange nicht, bis etwa die Chemie ein allgemeiner
wirkendes und auch billigeres Mittel gefunden haben wird.
Aus der Frauenklinik der Universität Gießen.
Randbemerkungen über Unterstützung und Ersatz der
Strahlenbehandlung bösartiger Geschwülste.
Von
Prof. Dr. Erich Opitz.
D“ günstigen Erfolge, die insbesondere von der Freiburger Schule, aber
auch in München und Berlin mit der Verwendung der Radium- bzw.
Mesothoriumstrahlen bei Behandlung bösartiger Geschwülste erzielt worden
sind. sind außerordentlich erfreulich und eröffnen die besten Aussichten
für die Zukunft. Diesen Mitteln haftete aber leider der große Übelstand
an, dab das Mesothorium, noch mehr das Radium, für die meisten Ver-
hältnisse unerschwinglich hohe Kosten verursacht und daß deshalb die An-
wendung des Mittels in breiteren Kreisen bis auf weiteres aussichtslos er-
scheint. Das ist um so bedauerlicher, als die Mehrzahl der unglücklichen
Krebskranken gerade den weniger bemittelten Volkskreisen angehört, die
natürlich nicht in der Lage sind, irgendwie erheblich zu den hohen Kosten
der Beschaffung, oder auch nur der Mietung von Mesothorium beizutragen.
Es dürfte deshalb von großem Interesse sein, sich einmal die Frage
vorzulegen, ob nicht vielleicht auch andere Wege aussichtsvoll erscheinen,
um dem ersehnten Ziele der Heilung bösartiger Geschwülste auf nicht-
operativem Wege näher zu kommen.
In diesen kurzen Bemerkungen, die rein subjektive Ansichten dar-
stellen. soll auf die Literatur nicht eingegangen werden. Sie sind die er-
weiterte Niederschrift einiger Gedanken, die bei der Besprechung der Stralı-
lenbehandlung bösartiger Geschwülste gelegentlich der Versammlung der
Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie in Halle geäußert wurden und die
ich auf Aufforderung der Redaktion in der Hoffnung wiedergebe, daß sie
vielleicht dem einen oder anderen Forscher als Anregung dienen könnten,
Untersuchungen in den angedeuteten Richtungen anzustellen.
Wenn es auch ausgemacht ist, dal vorläufig weder eine Serumbehand-
lung, noch die Anwendung des Selens, noch die Zellersche Arsenbehand-
lung. noch die Fermentbehandlung, noch sonst eines der bisher angewen-
deten Mittel imstande ist, mit Ausnahme von einzelnen besonders günstig
liegenden Füllen eine Heilwirkung zu erzielen, so darf das m. E. doch
nicht davon abhalten, weitere Versuche in dieser Richtung anzustellen.
Wie auf vielen anderen Gebieten, so könnte es auch hier vielleicht so liegen.
252 Opitz
dal erst eine gewisse Zusammenstellung von verschiedenen Mitteln eine
Heilwirkung erzielen könnte, während jedes einzelne Mittel für sich zur
Wirkungslosigkeit oder wenigstens zu ungenügender Wirkung verurteilt ist.
Insofern sind alle genannten und noch viele andere Versuche, die bisher
nicht zum Ziele geführt haben, durchaus nicht als wertlos anzusehen.
Auf einige besondere Dinge möchte ich aber noch zu sprechen kommen,
(lie vielleicht der Betrachtung nicht unwürdig erscheinen.
Zunächst das Cholin. Bekanntlich ist man zu der Anwendung des
Cholins dadurch gekommen, daß in mit Röntgenstrahlen behandelten Ge-
schwülsten sich chemische Umwandlungen nachweisen ließen, die Hand in
Hand mit der Rückbildung der Geschwulstzellen auftraten und unter
deren Produkten das Cholin eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Es
ilürfte nicht ohne Interesse sein, daß ich auf die Anwendung des Cholins
auf einem ganz anderen Wege gelangt bin. Es handelt sich um folgendes:
In Düsseldorf kam eine Patientin zu uns in die Klinik, die nach
ihrer Aussage 4 oder 5 Jahre vorher wegen eines inoperablen Karzinoms
(les Uterus in der Prager Frauenklinik behandelt worden war. Die Patien-
tin berichtete, daß sie auf Anraten von Bekannten den Versuch gemacht
habe, durch Genuß einer gewissen Pilzart, die als Heilmittel gegen Krebs
in ihrem Heimatsorte bekannt sei, sich Hilfe gegen ihr furchtbares
Leiden zu verschaffen. Sie genoß von diesen Pilzen, deren Beschaffen-
heit sie zunächst nicht näher angeben konnte, eine größere Menge,
sodaß sich Vergiftungserscheinungen einstellten. Zugleich mit diesen Ver-
giftungserscheinungen seien heftige Schmerzen im Unterleib aufgetreten,
die längere Zeit anhielten, und daraufhin seien für längere Zeit die Blu-
tungen und der jauchende Austlul verschwunden. Als die Patientin zu
uns kam, hatte sie wieder ein derbes, an der Oberfläche ein wenig bröckeln-
(des Karzinom des Uterus, das breit auf die Parametrien übergriff und sich
bei der Probelaparotomie als inoperabel erwies.
Die Tatsache, dal vor 4 oder 5 Jahren bereits ein inoperables Kar-
zinom von anderer Seite festgestellt worden war, mußte zu der Annahme
führen, dab hier durch die Pilzvergiftung doch zum mindesten ein vorüber-
schender Stillstand des Geschwulstwachstums herbeigeführt worden sei.
Ich habe nun, um der Sache näher auf den Grund zu gehen, die
Frau veranlaßt, zur entsprechenden Jahreszeit sich aus ihrer Heimat die
Pilze schicken zu lassen. Sie erwiesen sich als eine Abart des Fliegen-
pilzes, und eine chemische Untersuchung ergab die Anwesenheit von
Muscarin und Cholin in den Pilzen. Ich fütterte zunächst die Frau wie-
der mit den Pilzen, wobei wir die toxische Dosis zunächst festzustellen
suchten, und erlebten dabei nach dem Genuß der Pilze ähnliche Erschei-
nungen, wie sie das Cholin auch hervorzubringen imstande ist, nämlich
Unterstützung u. Ersatz der Strahlenbehandlung bösart. Geschwülste. 253
heftigen Speichelfluß, Übelkeit, Zittern, starke Pulsbeschleunigung und
große Neigung zu Ohnmachten. Da es weiterhin nicht möglich war, diese
Art Pilze wieder zu erhalten, so habe ich fernerhin das Cholin benutzt.
Es sind nicht sehr zahlreiche Fälle damit behandelt worden. In einigen
war es auffällig, wie das Allgemeinbefinden bei längerem Gebrauch des
Mittels in Mengen, die nahe der toxischen Dosis lagen, sich besserte und
wie sich ein, wenigstens vorübergehender Stillstand des Geschwulstwachs-
tums einzustellen schien. Eine Heilung oder ein dauernder Rückgang der
Geschwulst ist in keinem Falle erzielt worden. Jedenfalls schien mir aus
den Versuchen im ganzen, zusammengehalten mit den in der Literatur
vorliegenden Beobachtungen soviel hervorzugehen, daß ein gewisser Einfluß
des Cholins auf das Karzinom nicht zu leugnen ist, wenn er auch keines-
wegs mit Heilung gleichgesetzt werden kann. Es fragte sich nun, ob man
nicht vielleicht durch eine besondere Technik der Anwendung imstande
sein könnte, die Wirkung des Cholins zu steigern. Ich benutzte dazu zu-
nächst Erfahrungen ganz anderer Art, die ich früher bereits gesammelt
hatte.
Es ist eine bekannte Tatsache, daß im Körper kreisendes Jod mit
auf Schleimhäute aufgebrachten Quecksilberverbindungen eine stark reizende
und ätzende Verbindung, das Jodquecksilber eingeht. So schädlich wie
diese Ätzwirkung in zarten Organen, z. B. im Auge wirken kann, so nütz-
lich, dachte ich, müßte sie bei Anwendung an jauchenden Karzinomen
sein, einmal der ätzenden Wirkung wegen, die ja nur schädigend für die
Tumorzellen sein könnte, und zweitens wegen der stark desinfizierenden
Eigenschaften des Jodquecksilbers, die vielleicht Jauchung und Blutung
zu beseitigen imstande wären.
Ich ging so vor, daß ich Patienten Jodkali innerlich in nicht zu
großen Dosen eingab und auf vorher mit scharfem Löffel gereinigte und
oberflächlich verschorfte inoperable Karzinome Kalomel aufpuderte. Fast
ausnahmslos zeigte sich nun in der Tat eine Einwirkung insofern, als Blu-
tung und Jauchung für lange Zeit vollständig verschwanden, die letzteren
in den Fällen, so lange ich sie beobachten konnte, sogar dauernd; dagegen
war eine sehr erhebliche Behinderung des Geschwulstwachstums nur für
kürzeste Zeit zu beobachten. Das Ergebnis dieser Versuche schien mir
zu sein, daß es möglich ist, daß zwei Mittel, von denen das eine innerlich
verabreicht, das andere von außen herangebracht wird, sich zu einer ge-
wollten Wirkung einigen können. Diesen Gedanken habe ich nun auf die
Cholinbehandlung zu übertragen versucht. Wenn es gelänge, eine Jod-
verbindung des Cholins von der genügenden Festigkeit herzustellen, so
war zu erwarten, daß man einmal die gleiche Ätzwirkung wie bei inner-
lichem Gebrauch von Jodkali mit Hilfe von Kalomel erzielen könnte, und
254 Opitz,
zweitens durfte man hoffen, das Cholin gewissermaßen an der Stelle, wo
es seine Wirkung entfalten sollte, zu verdichten und festzuhalten. Man
konnte auch daran denken, dal) das C'holin dann gewissermaben in statu
nascendi innerhalb der Geschwulstzellen vorhanden sei, und bei dement-
sprechend stärkerer Wirkung diese zerstören könnte.
Derartige Versuche habe ich nun bisher nur in sehr geringem Um-
fange anstellen können; immerhin ist fast ausnahmslos zu sehen gewesen,
dal die reinigende Wirkung des Jodquecksilbers auf das Krebsgeschwür
vorhanden war, und manchmal wurde eine gewisse Rückbildung des Tumors
bemerkt, ohne dal dieser jedoch wirklich erhebliche Schrumpfung oder
Verkleinerung gezeigt hätte.
Wenn ich also auch nicht über größere Erfolge berichten kann. so
scheint mir doch ein Weg gegeben zu sein, der vielleicht mit gewissen
Abänderungen Erfolge erhoffen läßt. «Jedenfalls ist eins zu bemerken:
Nach Untersuchungen von van den Velden und anderen scheint
man ja das Jod gewissermaßen als Gepäckträger für Arzneimittel benutzen
zu können, um sie an bestimmten Stellen, wo ihre Wirkung von besonderer
Wichtigkeit ist, abzulagern und einwirken zu lassen; nicht unwahrschein-
lich, da auch dem Karzinom gegenüber das Jod eine solche Rolle spielt.
Genaue Untersuchungen darüber stehen jedoch noch aus. — — —
Daß die Wirkung der Röntgenstrahlen zur Heilung von tiefliegen-
den Karzinomen, wie die des Uterus es sind, im allgemeinen nicht aus-
reichen, ist ja von Krönig und Gauß kürzlich hervorgehoben worden.
Wenn man nun annimmt, daß eine gewisse Wirkung durch das Cholin.
zumal in der erwähnten Art der Anwendung, zu erzielen ist, und anderer-
seits die Wirkung der Röntgenstrahlen sicher nachgewiesen, jedoch viel-
leicht nicht ganz ausreichend ist, so läßt sich doch erhoffen, daß ein Zu-
sammenwirken von Röntgenstrahlen mit Cholin die gewünschte Wirkung
hervorrufen könnte. Derartige Versuche sind in meiner Klinik im Gange,
ich kann über sie vorläufig noch nichts berichten. Aber nicht allein das
Cholin und die Röntgenstrahlen kommen in Betracht, sondern es lassen
sich noch andere Kombinationen verwenden. Ich erinnere an die Ver-
handlungen der Münchener gynäkologischen Gesellschaft vom 13. März
1913, in denen Chr. Müller über erfolgreiche Sensibilisierung von Kar-
zinomen für die Röntgenbestrahlung durch Diathermie und Hochfrequenz
berichtete. Auch hier handelte es sich also um Kombination von zwei
Verfahren, die allein eine günstige Wirkung nicht auszuüben vermögen.
Es kann aber fraglich erscheinen, ob es sich hier wirklich um eine Sensi-
bilisierung handelt, oder ob die Hyperämie nicht an sich schon eine gün-
stige Wirkung entfaltet, wie sie Theilhaber nach seinen Untersuchungen
und Versuchen annimmt. Diese Frage kann aber vollständig offen bleiben.
Unterstützung u. Ersatz der Strahlenbehandlung bösart. Geschwülste. 9255
darüber müssen weitere Versuche Klarheit verschaffen. Jedenfalls läßt
sich nicht von der Hand weisen, daß die Verbindung mehrerer Verfahren,
die für sich allein nicht oder wenig wirksam sind, bessere Erfolge ergibt.
Ich möchte noch auf etwas anderes hinweisen. Es ist sicher, daß
Verschleppung von Krebszellen von dem Entstehungsort aus in den Kreis-
lauf und Ablagerung in entfernteren Organen noch längst nicht ohne
weiteres zur Metastasenbildung führt. Man muß sich doch vorstellen, dab
bei der schrankenlosen Wucherung eines Karzinoms Krebszellen häufig in
Blutgefäße eindringen, wie man das ja auch in mikroskopischen Präparaten
direkt sehen kann. Daß diese Zellen dann weiter verschleppt werden
können und auch wirklich verschleppt werden, steht außer allem Zweifel,
und trotzdem finden wir gerade bei Karzinomen verhältnismäßig sehr selten
eine Metastasenbildung auf dem Blutwege. Dafür läßt sich wohl kaum
eine andere Erklärung geben, als daß die Blutbahn und das strömende
Blut eine sehr ungeeignete Stätte für das Wachstum von Karzinomen dar-
stellen und daß sicherlich massenhaft Krebszellen während des Bestehens
eines Krebses innerhalb der Blutbahn oder in kleinen Lungengefäßen, oder
auch an anderen Orten, wo die Zellen stecken bleiben, vernichtet werden.
Diese Tatsache läßt sich vielleicht in dem Sinne verwerten, daß das Blut
als Ganzes eine gewisse schädigende Wirkung auf die Karzinomzellen aus-
übt. Es wäre das in gewissem Sinne eine Bestätigung der Theilhaber-
schen Ansichten über die Entstehung des Karzinoms, das er bekanntlich
auf eine mangelhafte Durchströmung von gewissen Gewebsbestandteilen
durch Blut zurückführt. Auch das würde also eine künstliche Hyperämi-
sierung von Karzinomen als etwas Günstiges erscheinen lassen.
Sicher ist ferner, daß auch in Lymphdrüsen Karzinomzellen häufig
vernichtet werden. Die Ausbreitungswege des Karzinons sind ja meisten-
teils die Lymphbahnen. Wir sehen aber doch, dal Karzinomzellen, die
in Lymphdrüsen vorgedrungen sind, dort häufig eingekapselt werden, und
es scheint fast sicher, daß gerade in Lymphdrüsen Karzinommetastasen
mit verhältnismäßiger Häufigkeit wieder der Rückbildung anheimfallen.
Das scheint mir ein Erfolg, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Tätig-
keit der Lymphzellen zu sein.
Bei Durchsicht mikroskopischer Präparate von Karzinomen, die noch
nicht geschwürig zerfallen sind, ist mir hier und da aufgefallen, daß eine
Art Reaktionszone an den Ausbreitungsgrenzen des Karzinoms sich bildet,
die in der Hauptsache aus Lymphzellen, nicht aus Leukozyten besteht.
Ich neige der Ansicht zu, daß die Lymphozyteneinlagerung eine Art Ab-
wehrmaßregel des Körpers gegen die eindringenden Krebszellen darstellen.
Die beiden genannten Beobachtungen zusammen lassen es wünschenswert
erscheinen, eine Lymphozytose, entweder im ganzen Körper, oder in der
256 Opitz,
Umgebung des Karzinoms mit künstlichen Mitteln hervorzurufen. Wie
das zu geschehen hat, will ich hier nicht weiter erörtern. Es dürften da
mehrere Möglichkeiten vorliegen, aber eine früher häufig besprochene Frage
scheint mir auch da hinein zu spielen, die ebenfalls die Wirkung der
Iymphozyten, als der Feinde der Krebsausbreitung beleuchtet; ich meine
das freilich nicht ganz ausnahmslos, aber doch mit einer gewissen Häufig-
keit beobachtete gegenseitige Ausschließen von Tuberkulose und Krebs.
Tuberkulose führt bekanntlich zu einer Lymphozyteninfiltration, und man
würde sich also wohl vorstellen können, daB eine starke Lymphozytose
oder eine starke Lymphozyteninfiltration wenigstens bis zu einem gewissen
Grade vor der Erkrankung an Karzinomen schützen kann.
Will man ein Bild vom Wesen des Karzınoms bekommen, das der
Wirklichkeit einigermaßen entspricht, so wird man allgemeinere Betrachı-
tungen anstellen müssen, die innere Zusammenhänge aufzudecken imstande
sein könnten. Die Frage, ob der Krebs eine parasitäre Ursache hat, wird
man dabei außer Betracht lassen können. Wenn auch vieles für eine
parasitäre Ursache des Krebses spricht, so scheint es doch sicher zu sein,
daß der Boden für eine Ansiedlung des fraglichen Parasiten erst vorbe-
reitet sein müßte, ehe er imstande wäre, in ihm auszuwachsen. Man muß
sich dann die Frage vorlegen, worin diese Vorbereitung besteht. Etwas
Sicheres ist darüber nicht bekannt. Ich sehe hier ganz ab von histologi-
schen Veränderungen, die z. B. nach der Ribbertschen Annahme die
Ursache des Krebses sein sollen. Es läßt sich natürlich nicht nachweisen.
ob man da nicht vielleicht schon Folgeerscheinungen statt des Beginnes
des Krebses bei solchen Dingen vor Augen hat. Wichtiger scheint mir
für unsere Betrachtung in der Beziehung das, was Theilhaber als Ur-
sache des Krebses annimmt, nämlich eine schlechte Blutversorgung des
Bindegewebes, die ein verhältnismäßiges Übergewicht der unter gewöhnlichen
Verhältnissen nicht unmittelbar mit Blut versorgten Epithelien gegenüber
dem Bindegewebe zustande bringen soll. Auch das trifft aber vielleicht
nicht den Kernpunkt der Sache.
Dagegen scheinen mir Ernährungsverhältnisse eine gewisse Rolle zu
spielen. Der Vergleich mit Verhältnissen aus der Pflanzenwelt liegt da
nahe, und ich möchte auf eine vor nicht langer Zeit erschienene Arbeit
von Packard aus amerikanischer Feder hinweisen. Nach deren Fest-
stellungen, die freilich wohl der Nachprüfung bedürfen, würde es nicht
unwahrscheinlich sein, daß der Mangel gewisser Salze, der mit der heutigen
Art der Ernährung verbunden ist, die tiefere Ursache des Krebses sein
könnte. Packard erwähnt als Beleg seiner Ansichten die Tatsache, dal
in Labrador, seit Einführung gewisser fertiger Nahrungsmittel, die grobe
Verbreitung gefunden haben, unter der Bevölkerung vorher unbekannte
Unterstützung u. Ersatz der Strahlenbehandlung bösart. Geschwülste. 957
Krebserkrankungen aufgetreten seien. Man darf sich wohl vorstellen, daß
in ähnlicher Weise, wie Pflanzen, die auf einem an Salzen armen Boden
gezogen werden, besondere Neigung zu gewissen Erkrankungen zeigen, das
auch für den tierischen und menschlichen Körper zutrifft. Es scheint ja
ausgemacht, daß auch zum Aufbau des Bindegewebes Kalk, Silizium und
andere Stoffe gehören. Es wäre also nicht unverständlich, wenn bei voll-
ständigem oder teilweisem Fehlen der Zufuhr solcher Stoffe in der Nahrung
das Bindegewebe gegenüber den Deckzellen sozusagen an Widerstandsfähig-
keit einbüßte und daß deshalb die Epithelzellen in die Unterlage einzu-
dringen und dann schließlich schrankenlos zu wuchern vermöchten. Hierin
könnte auch der Grund für das etwaige Aufkommen eines Erregers liegen,
genau so gut, wie wir an schlecht genährten Pflanzen beobachten, daß sich
gewisse Parasiten der verschiedensten Art, z. B. Blattläuse oder Pilze, mit
besonderer Vorliebe an kränkelnden Pflanzen ansiedeln.
Die von Pick veröffentlichte Beobachtung, daß bei Salmoniden nach
Art einer Endemie krebsartige Erkrankungen auftreten, würden auch am
ersten verständlich erscheinen, wenn etwa ungeeignete Beschaffenheit, d. h.
Salzarmut des Wassers, in dem die Salmoniden leben, die Gewebsbeschaffen-
heit der Fische so veränderte, daß sie dem Eindringen bestimmter Para-
siten einen geringen Widerstand entgegensetzen. Ähnliches läßt sich für
die bekannten Beobachtungen von Behla über die Häufung von Krebs-
erkrankung in gewissen Orten und sogen. Krebs-Häusern annehmen.
Auch die Häufung der Zahnerkrankungen infolge der heutigen salz-
armen Nahrung dürfte gewisse Beziehungen zu dem hier erörterten Ge-
danken haben.
Es sind das selbstverständlich vorläufig reine Vermutungen, aber
immerhin lassen sie sich doch verwerten, um die Heilungsvorgänge beim
Krebs einzuleiten und. zu unterstützen. Ansätze in dieser Richtung sind
bereits vorhanden, ich erinnere z. B. an die Verabreichung von Silikaten
durch Zeller, die angeblich in einer Reihe von Fällen die Heilung herbei-
geführt haben. Für unsere Betrachtung würde also auch die Verabreichung
von Kieselsäure, Kalk und eventuell auch anderen Salzen zur Unterstützung
anderer Behandlungsmethoden des Krebses nach diesen Überlegungen in
Frage kommen.
Schließlich noch ein Wort über die Serumbehandlung des Krebses.
die ja jetzt stark in den Hintergrund getreten ist. Ich habe schon vor
längeren Jahren ziemlich ausgedehnte Versuche mit der Behandlung von
Krebskranken durch ein nach besonderen Gesichtspunkten bereitetes Serum
angestellt.
Es ist ja zweifellos, daß es in manchen Füllen gelingt, ein für
bestimmte Zellarten spezifisch schädliches Serum herzustellen. Ich habe
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 17
258 M Opitz,
seinerzeit den Versuch gemacht, durch Behandlung von Tieren mit Kar-
zinombrei, der intraperitoneal beigebracht wurde, . ein gegen Krebszellen
spezifisches Serum herzustellen. Es zeigte sich aber sehr bald, daß dieses
Serum nicht bloß gegen Krebszellen, sondern gegen menschliches Eiweiß
reagierende Eigenschaften besaß. Durch Zusatz von Serum und später
von Blut gesunder Menschen zu dem Serum habe ich versucht, eine Bin-
dung der für menschliches Eiweiß im allgemeinen spezifischen Stoffe her-
beizuführen und dem Serum nur noch die Eigenschaften zu erhalten, die
gegen Krebszellen gerichtet sind. Insofern war der Erfolg in die Augen
springend, als die bei Benutzung des von Tieren gewonnenen unbehan-
delten Serums eintretenden derben und sehr schmerzenden Infiltrate in der
Nachbarschaft der Einspritzstellen nicht mehr auftraten, wogegen mir eine
Wirkung auf das Karzinom deutlich erschien. Selbst bei subkutaner In-
jektion größerer Mengen des vorbehandelten Serums waren Reaktions-
erscheinungen von Seiten des Karzinoms ganz unverkennbar. In einem
derartig behandelten Falle von Mastdarmkarzinom ist tatsächlich eine über
Jahre anhaltende Heilung des Karzinoms klinisch festgestellt worden, in
anderen Fällen wenigstens eine vorübergehende Rückbildung der Ge-
schwulst. Da ich nur inoperable Geschwülste zur Behandlung heran-
gezogen habe, so ist es nicht weiter verwunderlich, daß außer dem einen
erwähnten Falle dauernde Heilungen oder auch nur anhaltende Besserungen
nicht erzielt worden sind. Die Versuche habe ich aber abgebrochen, weil
in zwei Fällen sehr schwere Erscheinungen eintraten, die wir nach un-
seren heutigen Kenntnissen als anaphylaktischen Shok bezeichnen müssen.
Immerhin bin ich durch meine eigenen Versuche zu der Überzeugung
gekommen, daß vielleicht auch hier ein Weg gegeben ist, der uns, freilich
erst, wenn es gelingen sollte, die anaphylaktischen Erscheinungen auf
irgendeine Weise auszuschalten oder zu vermindern, unserem Ziele näher
führen könnte.
Hierbei möchte ich erwähnen, daß auch die Injektionen mit Alkohol
und dem vor vielen Jahren von Emmerich und Scholl hergestellten
sogenannten Krebsserum und auch noch von vielen anderen Stoffen in
Karzinomen zwar nicht so ausgedehnte, aber doch ganz ähnliche Zerfalls-
erscheinungen an den Krebszellen hervorzurufen imstande sind, wie sie
jetzt bei Anwendung der Radium- oder Röntgenstrahlen beschrieben worden
sind. Es ist freilich fraglich, ob es sich dabei um grundsätzlich gleich-
artige Vorgänge handelt. Immerhin wird man daran denken können, daß
eine gewisse Schädigung der Krebswucherung, die aber eben bloß nicht
ausgereicht hat, um eine Heilung herbeizuführen, auch auf diese Weise
herbeigeführt werden kann.
In Vorstehendem habe ich eine ganze Reihe von Versuchen erwähnt,
Unterstützung u. Ersatz der Strahlenbehandlung bösart. Geschwülste. 259
die möglicherweise bei der Krebsheilung eine Rolle zu spielen berufen sein
könnten. Es sollte selbstverständlich keine erschöpfende Darstellung sein.
Es ist mir sehr wohl bekannt, daß noch eine ganze Reihe anderer Ver-
suche gemacht worden sind, und daß auch z. B. die Arsenbehandlung und
andere Dinge da in Frage kommen. Das, was ich mit den vorstehenden
Zeilen beabsichtige, ist lediglich, darauf hinzuweisen, daß die Hoffnung
nicht unberechtigt erscheint, die bisher als am: wirksamsten befundenen
Bestrahlungsbehandlungen durch eine weniger kostspielige und deshalb all-
gemeiner verwendbare Behandlung zu ersetzen. Vor allen Dingen ist aber
dazu nötig, daß diejenigen Institute und Forscher, die im glücklichen
Besitz genügender Mengen von Mesothorium usw. sind, durch gründliche
Untersuchungen festzustellen suchen, ob sich nicht chemische und physi-
kalische Vorgänge als Folgen der Bestrahlung nachweisen lassen, die dann
auf andere Weise nachgeahmt werden könnten. |
17*
(Aus der kgl. gynäkologischen Universitätspoliklinik München.)
Erfolge der Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus,
der Mamma und der Ovarien.')
Von
Professor Dr. Gustav Klein.
(Mit 1 Tabelle und Tafel IV—VI.)
I)“ Erfolge der Strahlenbehandlung sowohl bei oberflächlichen als bei
tief liegenden Karzinomen übertreffen alle bisher bekannten Methoden
an Wirksamkeit. Aber nur für oberflächlich gelegene Karzinuvme, wie dir
der Haut, der Mamma usw. ist bisher eine „absolute Dauerheilung‘“, das
heißt ein Gesundbleiben für die Zeit von 5 Jahren und länger nachee-
wiesen. Im folgenden wird u. a. über die Heilung eines vor 5%/, Jalıren
operierten Mammakarzinoms berichtet, dessen wiederholte Rezidive durch
Exstirpation und Röntgenbestrahlung geheilt worden sind.
Für tiefliegende Karzinome z. B. des Uterus, der Ovarien. de
Magens usw. ist die Beobachtungszeit noch zu kurz, um von einer end-
gültigen Heilung zu sprechen. Trotzdem muß betont werden, daß wir be-
gründete Hoffnung haben, auch dieses heiBersehnte Ziel auf operationslosem
Wege zu erreichen. Wir stehen ja erst im Beginne der Strahlentherapie.
Von deutschen Autoren haben meines Wissens als erste Deutsch?
und unabhängig von ihm ich mit Eltze?) eine günstige Wirkung der
Röntgenstrahlen auf Uteruskarzinome nachgewiesen.
Durch die ausgezeichneten Arbeiten von Eymer*) und Kirstein’
habe ich erst erfahren, daß schon vor uns besonders amerikanische und
französische Autoren eine gute Wirkung der Röntgentherapie bei Uterus-
karzinom erzielt haben.
Es lag in der Entwicklung der Dinge, daß wir damals (1904—1907
nur inoperable Uteruskarzinome mit Röntgenstrahlen behandelt haben.
=- ——— m nn un
1) Vgl. G. Klein, Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus, der Manıma
und der Ovarien. Münch. Med. Wochenschr. 1913, Nr. 17 und Kongreß der
Deutschen Gesellsch, f. Geburtsh. und Gynäkol. in Halle, Mai 1913.
23) Münch. Med. Wochenschr. 1903, Nr. 37.
3) Festschrift für Franz v.Winckel, „Alte und neue Gynäkologie“, München
bei J. F. Lehmann, 1907.
4) Eymer, Röntgenstrahlen ın der Gynäkologie, 1913.
5» F. Kirstein, Die Röntgentherapie in der Gynäkologie, Berlin.
J. Springer, 1913.
Klein, Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus usw. 961
Niemand durfte damals wagen, operable Karzinome nicht zu operieren,
sundern zu röntgenisieren. Auch waren damals die Strahlenmengen zu
gering, die Meßmethoden (die sogar heute noch sehr der Kritik bedürfen)
ungenügend. So beschränkte sich noch 1907 Gottschalk auf den Vor-
schlag, bei Karzinom Versuche mit Röntgenstrahlen zu machen.
Deutsch hat 1904 über einen Fall von inoperablem Uteruskarzinom
berichtet. Nach 60 Bestrahlungen sah er Besserung der Beschwerden
und Zurückgehen der Ausbreitungen in den beiden Parametrien.
Eltze hat mit mir 1904—1907 6 Fälle von Uterus- und 1 Fall von
Vulvakarzinom röntgenisiert. Er faßte unsere Ergebnisse dahin zusammen:
„Kauterisierte Karzinome und frühzeitig belichtete (d. h. mit Röntgen-
strahlen behandelte) Rezidive nach Koiliotomien (oder vaginaler Total-
exstirpation) werden durch die Röntgenstrahlen an ihrem raschen Wachs-
tum gehemmt, Schmerzen und Jauchung werden während der Behandlung
dauernd vermindert.
Das den Karzinomherd umgebende Bindegewebe wird durch das
Röntgenisieren derber, es bildet oft gleichsam einen Mantel oder Wall,
der vielleicht dazu beiträgt, das Fortschreiten des Karzinoms
eine zeitlang zu hemmen. Die Lebensdauer der Frauen mit in-
operablem Karzinom des Uterus kann dadurch vielleicht manchmal ver-
lingert werden. Heilung des Kollunikarzinoms des Uterus trat durch
das Röntgenisieren nicht ein.“
Der Hauptpunkt unserer Ergebnisse ist die Wachstumshemmung
des Karzinoms, die Bildung eines Mantels oder Walles durch
das umgebende Bindegewebe. Döderlein!) verkennt diesen prin-
zıpiellen Punkt vollständig, wenn er schreibt: „Die Ergebnisse Eltze-
Kleins waren nicht ermutigend‘“, weil wir keine Heilung unserer in-
operablen Karziome erzielt hatten. Das haben auch heute Krönig,
Döderlein u. a. mit der enorm erhöhten Strahlenmenge und mit Meso-
thorium noch nicht erreicht. Jede Entwicklung erfolgt stufenweise; in den
von Eltze und mir angestellten Versuchen hat sich schon als wichtigste
(Grundlage die Hemmung des Karzinom wachstums und die Bildung
eines Bindegewebsmantels gezeigt. Alles weitere bis auf den heutigen
Tag ist nur ein gradueller Fortschritt. Auch die Bilder Krönigs und
Döderleins bestätigen nur das, was wir «damals als klinische Ergeb-
nisse fanden.
Für mich waren die Erfolge so ermutigend, daß ich mit den neuen
Apparaten der Kgl. gynäkologischen Universitätspoliklinik in München
') Monatsschrift für Geb. u. Gyn., 1913, Mai, Heft 5.
969 Klein,
schon im Mai 1911 nachdrücklich die Röntgenbehandlung des Uterus-
karzinoms und anderer Karzinome wieder aufgenommen habe.
Ein unzweifelhaftes Verdienst Krönigs!) und seiner Schule ist es,
daß sie uns gelehrt haben, selbst sehr große Strahlenmengen unter starker
Verminderung, wenn auch nicht unter vollkommener Beseitigung der Ge-
fahr durch die Filtermethode anzuwenden.
Zu diesem Fortschritt kam als ein weiterer die Mesothoriumbe-
handlung.
Von hohem Werte scheint sowohl die Kombination verschiedener
Strahlenarten (Röntgen- und Mesothoriumstrahlen) als ihre Kombination
mit chemischen Methoden zu sein; von Üzernys Borcholinbehandlung,
Arsen, andere Metallverbindungen, Einspritzung des Aszites von Bauch-
höhlenkarzinomen (Autoserotherapie) usw. Hier ist alles im Werden.
Die Erfolge Bumms?) sind in der Berliner Medizinischen Gesell-
schaft auffällig skeptisch beurteilt worden. Wohl mit Unrecht. Auf dem
Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in
Halle, Pfingsten 1913, war die Stimmung nach den Vorträgen von Krönig.
Döderlein und anderen viel zuversichtlicher, vielleicht sogar enthusiastisch.
Auch der Sturm auf den dort anwesenden Vertreter einer deutschen
Mesothorium-Gesellschaft war ein deutliches Anzeichen dafür. Die Bilder
Krönigs und Döderleins zeigten beweiskräftig, wie stark der Einfluß
der Röntgen- und Mesothoriumstrahlen wenigstens auf die zunächst liegenden
Krebspartien ist.
Wie es klinisch und mikroskopisch verschiedene Karzinome gibt, so
gibt es anscheinend auch verschiedene Karzinomursachen.
Viele Umstände sprechen dafür, daß es eine parasitäre Ursache des
Karzinoms, vielleicht auch verschiedene Karzinomerreger gibt. Zahl-
reiche Autoren (v. Leyden, Behla, Feinberg, Leopold, Fibiger u.a.)
haben verschiedene Parasiten als Karzinomursache angesprochen. Es ist
wohl denkbar, daß alle diese Erreger Karzinome erzeugen können.?)
1) Vgl. auch Aschoff, Krönig und Gauß „Zur Frage der Beeinflußbarkeit
tiefliegender Krebse durch Strahlenenergie. Münch. Med. Wochenschr. 1913,
Nr.7 und 8, ferner Krönig und Gauß, Die Strahlentherapie in der Gynäkologie:
Röntgen- oder Radiumtherapie? Zent. f. Gyn., 1913, Nr. 5.
23) Bumm, Zur Kenntnis der Wirkung der Röntgenstrahlen. Zentralblatt
für Gynäkologie 1912, Nr. 47, ferner derselbe, Berliner Medizinische Gesellschaft
und Diskussion hierüber, ref. in der Münch. Med. Wochenschr. 1913, Nr. 22,
S. 1235, ferner derselbe, Berliner klin. Woch. 1913, Nr. 22.
3) Die parasitäre Ätiologie des Karzinoms habe ich schon 1908 eingehend
vertreten: „Die operative Behandlung des Gebärmutterkrebses", Münch. Med. Woch.
1903, Nr. 11 und 12.
Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus usw. 263
Für die Wirkung der Strahlentherapie auf Karzinome habe ich nun
folgende Theorie aufgestellt: Durch die Strahlen werden die Erreger
vernichtet; das umgebende, lympho- und leukozytenreiche Gewebe, das ich
die „Kampfzone" nenne, wird dann leicht mit den Karzinomepithelien
fertig (Deutsch. Gynäk.-Kongreß in Halle, Mai 1913).
Gerade diese Tatsache wird durch einen im folgenden mitgeteilten
Fall von Heilung eines Mammakarzinoms bestätigt.
I. Röntgentherapie bei Karzinom des Uterus.
In der Münchener gynäkologischen Universitätspoliklinik haben auf
meine Veranlassung Dr. Hirsch und Dr. Monheim vom Mai 1911 bis
Juni 1913 folgende Fälle von Uteruskarzinom mit Röntgenstrahlen be-
handelt:
13 Patientinnen nach Exstirpation des Kollum- oder Korpuskarzi-
noms des Uterus,
14 Patientinnen mit inoperablem Kollumkarzinom,
rechnet man dazu die von Eltze und mir früher behandelten
6 Fälle von inoperablem Kollumkarzinom, so ergibt das
33 Fälle von Karzinom des Uterus.
Wir haben die Röntgentherapie
a) bei inoperablem Halskarzinom des Uterus,
b) besonders nach Exstirpation des karzinomatösen Uterus,
also prophylaktisch ausgeführt.
Es ist naheliegend. anzunehmen, daß die Strahlen mit kleinen, viel-
leicht nur mikroskopischen Karzinomresten leichter fertig werden, als mit
den großen Massen eines inoperablen, die Parametrien usw. ausfüllenden
Karzinoms. Ich lege deshalb auf prophylaktische Strahlenbehandlung
nach Exstirpation des Uterus ganz besonders Gewicht. Es mag ja sein,
daß schon in der nächsten Zeit die Heilung des Uteruskarzinoms durch
Strahlentherapie allein, ohne vorausgehende Exstirpation des kranken Organs
möglich ist; ja sie wäre das ideale Verfahren!). Aber ich meine, wir sind
heute noch nicht so weit. Es ist aussichtsreicher, den großen Krankheits-
herd vorher operativ zu entfernen. Wie die Myomotomie, so kann nach
meiner Ansicht auch die Exstirpation des karzinomatösen Uterus
noch nicht in die Rumpelkammer geworfen werden.
Von unseren Fällen seien folgende hervorgehoben:
Nr. 17 (der nachfolgenden Tabelle):
t) Anmerkung bei der Korrektur: Diesen Standpunkt vertrat Döderlein
in der Münch. gynäkol. Ges., Juni 1913, auf Grund seiner Erfahrungen mit
Mesothorium.
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266 Klein,
48jährige Frau, inoperables malignes Adenoma cervicis, das linke
Parametrium bis an die Beckenwand heran mit Tumor ausgefüllt; bei
zweimaliger Excochleation im Februar 1912 wird jedesmal auch aus den
tiefsten Partien malignes Adenom herausbefördert.
Vom 31. Juli 1912 bis heute (Juni 1913) 29 abdominale und 20 vagi-
nale Bestrahlungen in 211 Lichtminuten mit 142 X. Unter dem Einfluß
der Bestrahlung wird der Tumor immer derber, die Jauchung hört auf,
es bildet sich hartes, mit normalem Epithel überzogenes Gewebe, das
einer Portio ähnlich sieht, die Parametrien werden gegen die Beckenwand
hin allmählich freier, das Allgemeinbefinden ist ®/, Jahre nach der ersten
Excochleation ein ausgezeichnetes, die Patientin blüht auf.
Das ist noch keine Heilung, noch weniger eine Dauerheilung, aber
ein auffallend günstiger Erfolg der Kombination von Excochleation
mit Röntgenbestrahlung.
Man kann einwenden, ähnliche Ergebnisse seien früher mit wieder-
holter Excochleation und Kauterisation auch erzielt worden. Das ist
richtig; aber bei entsprechend hoher Strahlenmenge haben verschiedene
Autoren das günstige Ergebnis in einer früher nicht gekannten Schnelligkeit,
Ausdehnung und Häufigkeit erreicht.
Besonders günstig erscheint die prophylaktische Bestrahlung. Unsere
Fälle 2, 3, 4, 6, 7, 8, 10, 11 und 12 zeigen diese Erfolge. Auch bei
Korpuskarzinom (Fall 7, 8, 12) ist die günstige Einwirkung der Röntgen-
strahlen nach vorangegangener Totalexstirpation ersichtlich. Allerdings
kann man hier einwenden, dal Korpuskarzinome ohnedies eine günstigere
Operationsprognose haben als Halskarzinome.
Am wichtigsten aber erscheint mir unser Fall 1:
49 jährige Frau mit Cervixkarzinom, Januar 1912 Wertheims
Radikaloperation. Rezidive in den Scheidenwinkeln im Juli und
Oktober 1912; beidemale Excochleation, Kauterisation, vor- und nachher
Röntgentherapie; 35 abdominale und 31 vaginale Bestrahlungen in
238 Lichtminuten mit 240 X.
Noch im Juni 1913 (trotz der vorausgegangenen zwei Rezidive)
ist die Kranke rezidivfrei, die Scheidennarbe glatt, beweglich, Parametrium
und Parakolpium ohne jede Infiltration; Patientin ist geradezu aufgeblüht.
Auch hier muß eine Reihe von Jahren noch abgewartet werden; wir
bestrahlen die Patientin in größeren Zwischenräumen weiter.
Es ist wohl kein Zufall, daß unter 21 Fällen von Uteruskarzinom
sich so zahlreiche, geradezu auffallend gute Erfolge finden. Mit keiner
anderen Behandlung war das früher möglich. Die 5 darunter vorge-
kommenen Todesfälle (Fall 14, 15, 18, 20, 22) betreffen inoperable
Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus usw. 267
Karzinome. Der Tod ist aber nicht durch die Röntenbehandlung, sondern
trotz derselben eingetreten, weil der Prozeß zu weit vorgeschritten war.
Strahlendosis: Bei Karzinomen darf eine Strahlenmenge ange-
wandt werden, welche unter Umständen Verbrennungen erzeugen könnte;
wir selbst haben bei abdominaler Bestrahlung dank der Filtermethode
Krönigs nie Verbrennungen erlebt. Bei vaginaler Behandlung mit Rönt-
genstrahlen ist meines Wissens auch von anderen Ärzten — ebenso wie
von uns — überhaupt nie eine Röntgenverbrennung beobachtet worden.
Vielleicht handelt es sich um Epithelunterschiede, besonders bei dem immer
feuchten und normal nicht verhornten Scheidenepithel.
Bei 13 Frauen mit prophylaktischer Bestrahlung, also nach
Exstirpation des Uterus und der erkrankten Umgebung, betrug die Strahlen-
dosis bis 240 X, die Bestrahlungsdauer bis zu 240 Lichtminuten. Die
Dosis ist geringer als sie von Krönig und Döderlein angegeben
wurde und in der letzten Zeit haben wir sie auch allmählich gesteigert.
Doch genügte diese Strahlendosis bisher, um alles das zu erreichen, was
andere Autoren mit erheblich größerer Menge, ja sogar mit Kombination
von Röntgen- und Mesothoriumstrahlen erreicht haben.
Anwendungsdauer: Schwierig ist die Frage, wie lange soll man
prophylaktisch nach erfolgter Totalexstirpation bestrahlen. Zeigte sich
kein Rezidiv, so haben wir die Bestrahlungen alle 1—2 Monate doch
wiederholt, inzwischen aber die Patientin regelmäßig untersucht.
Wenn 1—2 Jahre lang kein Rezidiv auftritt, dann kann wohl die Zeit
zwischen den einzelnen Bestrahlungsserien allmählich größer gemacht
werden.
Bei inoperablen Karzinomen gibt es anscheinend für Röntgenstrahlen
keine Grenze der Dosis und der Anwendungsdauer. Hier darf und muß
alles gewagt werden. Und wenn wir es nur erreichen, daß Jauchung,
Blutung, Schmerzen aufhören oder erheblich vermindert werden, wenn wir
ferner nur eine Verlängerung des Lebens bei gebessertem Befinden erzielen,
so ist schon viel erreicht. Ausdrücklich muß hervorgehoben werden, daß
wır je nach Lage des Falles auch wiederholt zwischen den Bestrahlungen
excochleiren und kauterisieren.
Überblickt man unsere Fälle, so kommt man zu dem Ergebnis: Soweit
die Beobachtungsdauer von längstens 2 Jahren ein Urteil erlaubt, ist die
prophylaktische Wirkung der Röntgenstrahlen nach vorhergegangener
Exstirpation des kranken Organs sehr günstig; unter 12 Fällen (eine Frau
entzog sich zu früh der Bestrahlung) nur einmal ein Rezidiv. Eine sichere
Entscheidung wird allerdings erst getroffen werden, wenn alle operierten
Frauen mindestens 5 Jahre lang in Beobachtung sind. Rechnet man die
268 Klein,
absolute Heilungsziffer nach meiner Aufstellung!) für alle deutschen
ÖOperateure mit 8%, so muß es sich nach 5 Jahren zeigen, um wieviel
besser die prozentualen Erfolge bei Kombination mit
Röntgenstrahlen sind.
Aber auch für inoperable Uteruskarzinome oder solche mit
Rezidiven läßt sich schon der ausgezeichnete Einfluß der Röntgenstrahlen
erkennen. In dem schon erwähnten Fall 1 unserer Tabelle ist die Patientin
heute, also 1!/, Jahre nach der Radikaloperation trotz 2 Rezidiven
rezidivfrei.
Von den 14 inoperablen Karzinomen unserer Tabelle sind 5 zwar trotz
der Bestrahlung gestorben. Hier hat es sich aber von vornherein um ganz
desolate Zustände gehandelt; es sollte nur der Versuch gemacht werden,
wenn irgend möglich, eine Besserung zu erzielen. Diese Besserung ist tat-
sächlich bei 8 anderen Frauen erzielt worden. Ich habe schon immer be-
tont, daß die Hauptaufgabe der Strahlentherapie nicht bei inoperablen und
desolaten Fällen zu suchen ist. Trotzdem ist die Hoffnung nicht von der
Hand zu weisen, daß auch hier ein weiterer Ausbau der Methode noch
bessere Ergebnisse zeitigt.
II. Mamma-Karzinom.
Von Herrn Dr. Bruegel und Herrn Dr. Kästle wurden auf
meine Veranlassung 3 Patientinnen mit Mammakarzinom röntgenisiert.
Zwei davon waren inoperabel. Obwohl wir das wußten, habe ich, soweit
es technisch möglich war, nach Amputation der Mamma die kranken
Achseldrüsen entfernt. Danach begann sofort eine intensive Bestrahlung
durch die genannten Herren, welche sich von den Kranken ausdrücklich
die Erlaubnis geben ließen, stark zu bestrahlen, selbst auf die Gefahr hin,
daß eine Hautverbrennung erfolge. Solche sind zwar nicht eingetreten,
aber bei weiterer Bestrahlung doch möglich.
Der Erfolg war ein relativ günstiger; in beiden Fällen ist zwar keine
Heilung eingetreten, aber die in der Achselhöhle zurückgebliebenen Karzinum-
massen sind fast knorpelhart, das Wachstum ganz entschieden verlangsamt,
das Allgemeinbetinden leidlich. Es wurde also eine Besserung erzielt.
Trotzdem muß aber ohne weiteres zugegeben werden, daß auch hier die
Aufgabe der Strahlentherapie nicht bei weit vorgeschrittenen inoperablen
Mammakarzinomen zu suchen ist, sondern bei operablen, sei es mit oder
ohne Exstirpation des kranken Organs und der Drüsen. Am größten
scheint mir auch hier die Aussicht zu sein, wenn nach der Operation
prophvlaktisch bestrahlt wird.
) Klein, Klinische und (resamtergebnisse der Operation des Gebärmutter-
krebses. In „Der Frauenarzt“, 1909, Heft 2.
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Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus usw. 269
Von größter Bedeutung ist aber folgender Fall, der trotz wieder-
holter Rezidive doch als absolut geheilt zu betrachten
ist, weilseitderMammaamputation schon mehr als5 Jahre
verflossen sind.
Frau Gu...., 49 Jahre, am 18. Dezember 1907 Amputation der
linken Mamma, Adenokarzinom (Tafel IV, Figur 1). Achsel-
drüsen frei von Karzinom.
Im Bereiche der Narbe und ihrer nächsten Umgebung entwickeln sich
in der Folge wiederholt Knötchen bis zu Linsengröße, welche exstirpiert
werden und zwar: |
am 20. November 1909, Figur 2,
am 16. April 1910, Figur 3,
am 2. März 1911, Figur 4;
alle diese Knötchen zeigen Adenokarzinom.
Vor und nach den einzelnen Rezidivoperationen wurde die Patientin
durch Dr. Bruegel und Dr. Kästle intensiv bestrahlt; die beiden
Herren werden über die Strahlendosis und Technik anderen Orts berichten.
Die Bilder der Tafeln IV—VI sind durch Dr. Bux mikrophoto-
graphisch ohne jede Retouche in sorgfältigster Weise hergestellt
worden.
Das erste Rezidiv gleicht im histologischen Bau noch dem Primär-
tumor. Im 2. Rezidiv sind die Lumina des Drüsenkrebses größer ge-
worden. Im 3. Rezidiv hat sich der Charakter der Geschwulst hochgradig
geändert: sie ist stellenweise in Zerfall begriffen, in ihrer Umgebung
(„Kampfzone“) sind große Lympho- und Leukozytenmassen angehäuft; die
Epithelien sind vielfach nekrotisch gebläht.
Am 9. Dezember 1911 wurde abermals ein Knötchen und zwar das
letzte exzidiert (Figur 5 und 6): es enthält kein Karzinom mehr.
Im allgemeinen besteht es aus äußerst kernreichem Bindegewebe, also
Granulationsgewebe; nur an einzelnen Stellen sieht man spärliche Reste
von nekrotischem Epithel (Figur 5 bei*); eine solche Stelle ist in Figur 6
stärker vergrößert. Von drüsigem Bau ist keine Spur mehr vorhanden.
Bei der letzten Untersuchung im Mai 1913 ist Patientin vollkommen
rezidivfrei; sowohl die Hautnarbe als ihre Umgebung, ihre Unterlage
und die Achselhöhle sind vollkommen frei.
Das ist der einzige mir bekannte Fall einer Dauerheilung
nach 5!/, Jahren trotz dreimaliger Bildung von Rezidiven.
III. Adenom und Karzinom des Ovarıums.
In 6 Fällen wurde bisher nach Exstirpation von Adenomen, malignem
Papillom oder Karzinom des Ovariums nachträglich mit Röntgenstrahlen
270 Klein,
behandelt, weil es sich um nicht radıkal operable Fälle gehandelt hatte.
Reste des schon disseminierten malignen Tumors ließen sich vom Peritoneum
parietale und viscerale nicht vollkommen entfernen. Von den Kranken
wurden drei durch Dr. Bruegel und Dr. Kästle, drei durch Dr. Hirsch
und Dr. Monheim in unserer gynäkologischen Poliklinik bestrahlt.
Auch bei malignen und nicht sicher im Gesunden operierten Tumoren
des Ovariums ist die prophylaktische Strahlenbehandlung sicher berechtigt.
Besonders trifft das zu, wenn sicher Tumorreste in der Bauchhöhle zurück-
geblieben sind. Die Beurteilung des Erfolges ist hier allerdings sehr
schwierig. Man kann nicht wie bei Halskarzinomen des Uterus immer
wieder Probeexzisionen vornehmen. Bleiben die Frauen dauernd gesund,
so ist das noch kein Beweis für die Wirkung der Strahlentherapie.
Eine sichere Wirkung konnten wir aber in solchen Fällen beobachten,
in welchen größere Greschwulstmassen in der Bauchhöhle zurückgeblieben
waren, und der weitere Verlauf unter der Röntgenbestrahlung doch erheb-
lich günstiger war als früher ohne eine solche. Der folgende Fall ist ein
Beispiel dafür: Bei einer 34 jährigen Frau wurde im Oktober 1911 bei
einem weit vorgeschrittenen Ovarialkarzinom koiliotomiert: blutiger Aszites,
die Tumormassen füllen das kleine Becken aus, metastatische Knötchen
fanden sich schon auf der Dünndarmserosa. Soweit es technisch möglich
war, wurden die Tumormassen entfernt und bald danach mit dem Röntgeni-
sieren durch Dr. Bruegel und Dr. Kästle begonnen. Anfangs schien der
Tumor kaum weiterzuwachsen; es bildete sich zwar reichlich Aszites, aber
die Zwischenräume zwischen den einzelnen Punktionen wurden immer
größer. Zuerst vierwöchentliche Punktion, zuletzt viermonatliche. Seit
einem Jahre wächst der Tumor, aber er hat eine derbe, fast knorpelharte
Konsistenz und unterscheidet sich im Tastbefund durchaus von dem sonst
gewohnten eines markigen aus Knötchen zusammengesetzten Tumors.
Auch hier ist die Tiefentherapie erst in ihren Anfängen entwickelt;
Heilungserfolge sind bei günstiger gelagerten Fällen inzwischen von anderer
Seite schon beschrieben worden (v. Franqu&6, Seeligmann, Deutscher
Gynäkologen-Kongreß in Halle 1913).
Von Bedeutung ist auch das Sensibilisieren der Tumoren für
Tiefenbestrahlung, die Diathermie usw. nach Chr. Müller-Immenstadt.!)
Aus unseren Beobachtungen ergibt sich folgendes: Die Rönt-
gentherapie stellt ein neues Mittel im Kampfe gegen das Karzinom,
1) Christoph Müller, Therapeut. Erfahrungen an 100 mit Kombin. von
Röntgenstrahlen und Hochfrequenz, resp. Diathermie behandelten bösartigen Neu-
bildungen. Münch. med. Woch., Nr. 28, ferner derselbe in der Münch. gynäk.
Ges., 13. März 1913 und 19. Juni 1913,
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Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus usw. 271
auch für die inneren Organe, besonders des Uterus und der Ova-
rien dar.
Mit keinem anderen Mittel war es bisher möglich, gleich günstige
und gleich schnelle Erfolge zu erzielen. Am besten sind heute die Aus-
sichten, wenn die Strahlentherapie prophylaktisch, also nach Exstirpa-
tion des kranken Organs und der kranken Umgebung angewandt wird.
Aber auch bei inoperablen Tumoren ist heute schon ein günstiger Erfolg
in zahlreichen Fällen zu beobachten. Die Hoffnung ist begründet, daß wir
in einer nicht zu fernen Zeit auch inoperable Fälle (wenn sie nicht schon
desolat sind, Metastasen an anderen Organen hervorgerufen haben usw.),
der Heilung näherbringen können.
Nach meinen Erfahrungen erscheint es heute noch besser, vorher
zu operieren und dann zu bestrahlen, als auf die Operation zu ver-
zichten. Aber auch hier bringt vielleicht eine nahe Zeit die Möglichkeit
der operationslosen Heilung tiefliegender Karzinome.
Ist auch die Wirkung von Mesothorium anscheinend noch intensiver,
schneller und einfacher, als die der Röntgenstrahlen, so erscheint es
heute doch mindestens für die, welche kein Mesothorium besitzen, als ein
Recht, ja als Pflicht, die Röntgentherapie — sei es mit vorhergehender
Operation bei operablen oder ohne sie bei inoperablen Fällen — intensiv
anzuwenden.
(Aus der Kgl. Frauenklinik Dresden; Direktor: Prof. Dr. E. Kehrer.)
Erfahrungen mit der Röntgen-Tiefentherapie.
Von
Dr. Fritz Weitzel, Assistenzarzt.
eit Anfang Oktober 1912 wird in der Dresdener Frauenklinik die
Röntgentiefentherapie in größerem Maßstabe angewandt. In kurzem
sei über die Resultate berichtet, die wir bis 1. Mai 1913 erzielt haben.
Da neben der Indikationsstellung die Bestrahlungstechnik wohl der
Hauptfaktor zur Erzielung eines sicheren raschen Erfolges bei der Röntgen-
tiefentherapie ist, sei eine kurze Beschreibung der bei uns üblichen Technik
vorausgeschickt.
Wir wenden die Felderbestrahlung an und bestrahlen durch 8 Ein-
gangspforten von 7 cm Durchmesser, die gleichmäßig auf dem Abdomen.
von der Symphyse aufsteigend, rechts und links verteilt werden. Vom
Rücken aus bestralilten wir bisher nicht, da die meisten Patienten das
Liegen auf dem Abdomen sehr lästig empfinden und da die acht der vorderen
Bauchwand entsprechenden Eingangspforten zur wirksamen Strahlenapplika-
tion in unseren bisherigen Fällen genügten.
Die Röhrenhärte — wir benutzen zur Messung derselben den Apparat
von Benoist — beträgt 7—9 Benoist, die Sekundärbelastung 4—5 Milli-
ampere. Bei einem Fokushautabstand von 18 cm wird ein Aluminium-
filter von 3 mm Dicke benutzt. Die Patientin wird vollkommen mit Blei-
schutzstoff abgedeckt. Die Röhre ruht in einem Bleiglasmantel, so daß
jede Schädigung durch vagabundierende Strahlen ausgeschlossen ist. Zur
Messung der verabreichten Dosis benutzen wir das Kienböck sche Ver-
fahren.
Die Patientin wird an zwei aufeinander folgenden Tagen durch je
4 Eingangspforten bestrahlt und zwar geben wir immer je eine Erythem-
dosis, was etwa einer Bestrahlungsdauer von 5—7 Minuten entspricht.
Eine Sitzung erfordert also eine halbe bis ®/, Stunde (das Einstellen
usw. inbegriffen), was selbst den empfindlichsten Patientinnen nicht un-
angenehm ist. In einer Serie erhält die Patientin 80 X, die einzelnen
Serien lassen wir in einem Zeitraum von 14 Tagen — neuerdings, seitdem
wir Hautschädigungen nicht mehr fürchten, 10—12 Tagen — aufeinander
folgen, ohne dabei Rücksicht auf den Zeitpunkt des Eintritts der Periode
zu nehmen.
Weitzel, Erfahrungen mit der Röntgentiefentherapie. 973
Was das Instrumentarium anlangt, so benutzen wir den Dessauer-
schen Reformapparat, der es neben anderen Vorzügen erlaubt, zwei Röhren
zu gleicher Zeit zu benutzen, was sich bei größerer Patientenzahl durch
die Zeitersparnis sehr angenehm bemerkbar macht. Die Röhren werden
bei intensivster Benutzung sehr wenig angegriffen. Nach mannigfaltigen
Versuchen mit allen möglichen Systemen erwiesen sich die Müller-Wasser-
kühlröhren und Veifa-Wasserkühlröhren für die Tiefentherapie als beson-
ders geignet.
Alles in allem haben wir also vorerst einen Mittelweg zwischen der
Hamburger und Freiburger Richtung eingeschlagen, in der. Absicht, mög-
lichst rasch unsere Patienten zu heilen, ohne sie aber dabei einer event.
Spätschädigung auszusetzen.
Bestrahlt wurden bis 1. Mai 1913 im ganzen 64 Patientinnen, von
denen sich 30 noch in Behandlung befinden.
Zwei Patientinnen wurden nach Amputatio mammae prophylaktisch be-
strahlt. Ein Rezidiv ist noch nicht aufgetreten, jedoch erlaubt die Kürze
der seit der Operation verstrichenen Zeit noch keinen Schluß auf einen
etwaigen Erfolg.
Abgeschlossen ist die Behandlung bei 21 Myomkranken, 5 Patien-
tinnen mit hämorrhagischer Metropathie und 2 Fällen von Dysmenorrhoe.
Von den 21 Myomkranken wurden 20 amenorrhoisch. Bei einer Pa-
tientin stellten wir nach der 5. Serie eine ziemlich starke Wachstumszunahme
fest. Bei der wegen Verdacht auf sarkomatöse Degeneration alsbald vor-
genommenen supravaginalen Amputation fand man in einem kindskopfgroßen
Uterus myomatosus einen breiten, die Mukosa vorwölbenden Myomknoten,
der an zahlreichen Serienschnitten nirgends maligne Degeneration zeigte.
Das Alter der übrigen 20 Fälle schwankt zwischen 38 und 53 Jahren.
Indiziert war die Behandlung in den meisten Fällen durch die starken
Blutungen, in einigen wenigen Fällen durch Schmerzen und geringe
Druckerscheinungen. .
Bei allen Patientinnen, die an unregelmäßigen Blutungen leiden,
schicken wir prinzipiell der Röntgenbestrahlung eine Probekurettage voraus,
um karzinomatöse Prozesse der Uterusschleimhaut auszuschlieljen.
Amenorrhoe trat im Durchschnitt nach 2,1 Monaten auf ohne Einfluß
des Alters der Patientin. So erzielten wir bei unseren beiden jüngsten Myom-
‚patientinnen von 38 und 39 Jahren bei der einen erst nach 4!/,, bei der
anderen schon nach 1?/, Monaten Amenorrhoe. Ob ein Adnextumor, der
bei der ersten Patientin neben dem Myom bestand, etwas zur Verzögerung
des Eintritts der Amenorrhoe beigetragen hat, läßt sich mangels anderer
gleichartiger Fälle nicht sagen, ist aber nach Beobachtungen von anderer
Seite wahrscheinlich. Im Durchschnitt erhielten die Patienten 5—600 X
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 18
274 Weitzel,
in 7,4 Serien. Wir bestrahlen so lange, bis die Periode 8 Wochen aus-
gesetzt hat. In 14 Fällen war eine deutliche Verkleinerung des Myoms
zu erkennen, in 2 Fällen war das Kleinerwerden des Tumors sogar ganz
bedeutend. Zwei kleinmannskopfgroße Myome wurden kleinfaust- bezügl.
ginseeigroß. In 5 Fällen verschwanden zwar die Symptome, die Größe
des Tumors wurde aber nur wenig beeinflußt.
Nach der ersten Serie tritt in einigen wenigen Fällen die folgende
Periode stärker wie gewöhnlich auf, nimmt aber nie einen bedrohlichen
Charakter an. Im Verlaufe der weiteren Serien verschwinden zuerst die
intermenstruellen Blutungen, die Periode wird regelmäßig, um schließlich
ganz zu sistieren. Hand in Hand damit geht eine Besserung des All-
gemeinbefindens, der Hämoglobingehalt nimmt zu und die ev. vorhanden
gewesenen Druckerscheinungen lassen mit der beginnenden Schrumpfung
des Myoms nach. Die Patientinnen sind im klinischen Sinne geheilt.
Wie bei den Patientinnen mit Myom, so wurden auch in den 5 Fällen
von hämorrhagischer Metropathie die Blutungen vollkommen zum Stillstand
gebracht. Hier erzielten wir in durchschnittlich 1,4 Monaten Amenorrhoe
mit 3,6 Serien = 250—300 X. Bei Patientinnen, die in der Nähe der
Menopause standen, bemerkten wir eine schnellere Wirkung der Bestrah-
lung als bei jüngeren Frauen, im Gegensatz zu unseren Erfahrungen bei
Myom.
In zwei Fällen von Dysmenorrhoe bei Frauen im Alter von 21 und
34 Jahren konnten wir durch Bestrahlung ebenfalls günstig einwirken.
Nach 6 bezügl. 7 Serien trat Oligomenorrhoe auf mit Verschwinden der
Schmerzen bei der einen und bedeutender Besserung der Schmerzen bei
der anderen Patientin.
Interessant ist noch folgender Fall. Eine Patientin mit Myom hatte
kurz vor der ersten Bestrahlung konzipiert. 14 Tage später nach der
ersten Sitzung der zweiten Serie stellte sich eine starke Blutung ein und
das 4 Wochen alte Ei wurde ausgestoßen. In diesem Falle wurde also
ein Abort, wenn auch unbeabsichtigt, erfolgreich durch die Röntgenbestrah-
lung eingeleitet.
Typische Ausfallserscheinungen bemerkten wir in etwa der Hälfte
aller Fälle, doch stets — von 3 Fällen abgesehen — von nur geringer
Intensität. Blasen- und Darmstörungen sahen wir bis jetzt ebenso wenig
wie Hautschädigungen. Nach mehreren Serien trat in der Regel an den
bestralilten Hautpartien eine mehr oder weniger starke, meist aber ganz
seringgradige Pigmentierung auf, die keinerlei Erscheinungen machte und
nach Schluß der Behandlung in einigen Wochen verschwand.
In Betreff der Indikationsstellung stehen wir auf Grund unserer Er-
fahrungen auf folgendem Standpunkt:
Erfahrungen mit der Röntgen-Tiefentherapie. 275
Intramurale, nicht gestielte subseröse und nicht gestielte submuköse
Myome sind zur Röntgentherapie geeignet. Gestielte subseröse, sowie ge-
stielte submuköse Myome werden operiert. Starke Blutung ist keine Gegen-
indikation zur Bestrahlung, da die Erfahrung gelehrt hat, daß die inter-
menstruellen Blutungen schnell schwächer werden und verschwinden.
Sehr günstig werden außerdem die hämorrhagischen Metropathien be-
einflußt, unter diesen vor allem die klimakterischen Blutungen.
Bei hartnäckigen Fällen von Dysmenorrhoe wird sich ev. mit der
Röntgenbestrahlung ein Erfolg erzielen lassen, wie nach den zwei geheilten
und gebesserten Fällen zu erwarten ist.
Zusammenfassend kommen auch wir mit den anderen Autoren zu
folgendem Schluß: Wenn man sich mit allen Hilfsmitteln vor Fehldiagnosen
zu schützen sucht, wenn man grundsätzlich alle Patientinnen mit unregel-
mäßigen Blutungen vor Einleitung der Rönten-Tiefentherapie einer Probe-
kurettage zur Ausschließung des Karzinoms unterzieht, und während der
Behandlung alle Pat. dauernd kontrolliert, kann man mit der Röntgen-
Tiefentherapie ohne Gefahr für die Patientinnen in den meisten Fällen
eine völlige Heilung in klinischem Sinne bei Myom und hämorrhagischer
Metropathie und außerdem eine beträchtliche Größenreduktion der Myonıe
erzielen.
18*
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Breslau. (Dir. Geheimrat Prüf.
Dr. O. Küstner.)
Zur Röntgentiefentherapie.
Von
Privatdozent Dr. Fritz Heimann,
Assistent der Klinik.
ie Erfolge der Röntgentherapie, besonders bei Myomen und metritischen
Blutungen, die jetzt von allen Seiten bekannt gegeben werden, sind einzig
und allein der verbesserten Technik zu verdanken. Der Freiburger Schule ge-
bührt das Verdienst, hier bahnbrechend gewirkt zu haben. Noch vor mehreren
Jahren hätte man es als ein enormes Wagnis angesehen, die Erythemdosis zu
überschreiten und heute wird von sehr vielen Röntgentherapeuten das 10-.
ja das 10Vfache einer Erythemdosis in einer Sitzung verabreicht. Dieses
Vorgehen ist aber auch vollkommen gerechtfertigt. Man sah eben, dab
man mit der früheren Methodik nicht genügend Fortschritte machte: die
Versager, die Miberfolge häuften sich, ein Diskreditieren der Röntgen-
tiefentherapie wäre die unausbleibliche Folge gewesen. Aus diesem Grunde
wurde an Verbesserungen gearbeitet. Die Röhre wurde stärker belastet.
statt mit 2—3 M.-A. bestrahlt man jetzt mit 5—10 M.-A. Der Fokus-
Haut-Abstand, der bei Albers-Schönberg noch 38 cm betrug, wurde
auf 20 cm. also fast um die Hälfte verringert. Die Einfallspforten wurden
vermehrt und schließlich ist es noch ganz besonders der Einführung der
dickeren Aluminiumfilter zu danken, daß wir ohne jedes Risiko die hohen
Dosen applizieren können. Wie jeder, der sich mit Röntgentherapie be-
schäftigt, anfangs recht vorsichtig und niedrig dosiert und erst durch seine
Miberfulge geleitet, die Methodik verschärft, so haben auch wir an der
Breslauer Klinik gewissermaßen klein angefangen, ehe wir uns zu unserer
augenblicklichen Technik durchgearbeitet haben. Unser Rekordinstrumen-
tarium haben wir von der Firma Reiniger, Gebbert & Schall bezogen, der
Induktor hat eine Funkenlänge von 50 cm. In der ersten Zeit haben
wir den elektrolytischen Wehneltunterbrecher und den mechanischen Rekord-
unterbrecher der Firma Reiniger, Gebbert & Schall benutzt, für so hohe
Belastungen reichen jedoch diese beiden nicht mehr aus, infolgedessen hat
jetzt die Firma einen Gasunterbrecher konstruiert, der sich zur Zeit vor-
züglich bewährt. Selbstverständlich benutzen wir auch den sogenannten
Heimann, Zur Röntgentherapie. 277
Rhytlımeur, der den Primärstrom nur ca. 100-150 mal in der Minute
unterbricht und so der Antikathode Gelegenheit zum Abkühlen gibt.
Hierdurch ist es bei der starken Inanspruchnahme der Röhren überhaupt
nur möglich, sie einigermaßen konstant zu erhalten. Wir benutzen fast
ausschließlich die Müllerschen Wasserkühlröhren, sowohl die Rapid-
als die Penetransröhre da die sonst sehr brauchbaren Gundelach-Röhren
sich bei langem und intensivem Gebrauch zu schnell erhitzen. Für die
Müller-Röhren habe ich mir eine Dauerspülung anfertigen lassen — 2 Flaschen,
die auf einem Holzgestell hoch bezw. tief gestellt werden können und mit dem
Wasserbehälter der Röhre durch einen Gummischlauch verbunden sind —
die es ermöglicht, fortwährend kühles Wasser der Antikathode zuzuführen.
Die Härte beträgt ca. 10 Wehnelt. Die Regenerierung geschieht mittels
der Gasfernregulierung. Die genaueste Ausdosierung der Röhren ist selbst-
verständlich, ja es empfiehlt sich sogar, die Ausdosierung alle 8—10 Tage
zu wiederholen, um sich recht gewissenhaft von der Konstanz der Röhre
zu überzeugen. Mit der Belastung sind auch wir in letzter Zeit wesent-
lich höher gegangen; wir haben natürlich ebenfalls mit 2 M.-A. angefangen,
arbeiten aber jetzt bereits mit 7!/, M.-A., um die Zeit für die Erythem-
dosis möglichst abzukürzen. Als Dosimeter kommen bei uns die Sabouraud-
Noire-Tabletten u. das Kienböcksche Quantimeterverfahren in Anwendung.
Beim Ausdosieren werden beide Methoden verwendet, später wird bei der
Bestrahlung meist nur zur eigenen Kontrolle ein Kienböckstreifen unter-
gelegt; allerdings empfiehlt es sich bei vaginalen Bestrahlungen, nur die
Tabletten anzuwenden. Im übrigen halte ich die jedesmalige Anwendung
eines Dosimeters nicht für so unbedingt nötig. Wenn man seine Röhre
genau geeicht hat und sie kennt und die Ausdosierung von Zeit zu Zeit
wiederholt, so wird man Fehler in der Dosierung mit Sicherheit vermeiden
können. Selbstverständlich werden Filter verwendet und auf Grund der
überzeugenden Versuche von Gauss u. a. haben wir uns jetzt ausschließ-
lich dem 3 mm dicken Aluminium zugewendet und haben bisher auch
nicht die geringste Schädigung erlebt. Der Fokus-Haut-Abstand beträgt
20 cm. Wir benutzen einen quadratisch geformten Tubus von ca. 6 cm
Länge und 7 cm Breite, der auf die Haut aufgesetzt wird und mit Hilfe
des Filters eine Kompression gestattet. Auf andere desensibilisierende
Methoden verzichten wir. Mit dieser Technik gelingt es uns, in
10—12 Minuten die Erythemdosis zu erreichen. Die Einfalls-
pforten haben wir auf 8 vermehrt. Abdomen 5, Rücken rechts und links,
und eventl. namentlich bei Karzinom von der Vagina aus. Jede dieser
Stellen erhält ®/, Erythemdosis — eine Serie. Drei derartige Serien werden
gewöhnlich ohne Pause gegeben, nach der 3. Serie wird eine solche von
3—4 Wochen eingeschoben.
278 Heimann, Zur Röntgentiefentherapie.
Klinisch handelt es sich bei den Frauen, die bei uns einer Röntgen-
behandlung unterzogen werden, meist um Myome und metritische Blutungen.
In jüngster Zeit werden besonders auch Karzinome namentlich in Kombi-
nation mit Mesothorium bestrahlt. Wir verfügen bis heute über eine Er-
fahrung von ca. 40 Fällen. Was zunächst die Myome anlangt, so haben
wir noch keine Versager gesehen, d. h. wir brauchten niemals eine Patientin
wegen erfolgloser Behandlung später noch der Operation zu unterziehen.
Allerdings stellen wir für die Strahlenbehandlung eine recht enge Indikation.
Stark ausgeblutete Frauen kontraindizieren aber nicht die Behandlung:
seitdem wir mit hohen Dosen arbeiten, brauchen wir das sogenannte Reiz-
stadium, das sicherlich auch die in der Literatur beschriebenen Todesfälle
verursacht hat, nicht mehr zu fürchten. Ich will sonst auf die klinische
Seite hier nicht näher eingehen. Nur noch ein Wort zur Größe der
Dosis und der Dauer der Behandlung. In letzter Zeit verabreichen wir
ca. 200—250 X und brauchen dafür 2 Monate. In allen Fällen trat dann
die gewünschte Amenorrhoe ein. Stets konnte eine Schrumpfung der
Tumoren konstatiert werden. Als Kontraindikationen gelten auch beı uns
wie bei anderen Röntgentherapeuten gerade in Ausstoßung begrifiene
Myome, Verjauchung und Vereiterung, Komplikationen von Seiten der
Adnexe usw. Junge Frauen werden der Röntgentherapie möglichst fern-
gehalten.
Was ich bisher über die Therapie der Myome gesagt habe, gilt im
vieler Beziehung auch für die metritischen Blutungen, bei denen wir eben-
falls sehr gute Erfolge haben. Hier ist nur ein Punkt zu beachten, niim-
lich ein Corpuskarzinom nicht zu übersehen und daher wird auch jede
Patientin vor der Bestrahlung abradiert und das Geschabsel mikroskopisch
untersucht. Bei Malignität wird sofort operiert. Natürlich werden nur
solche Frauen bestrahlt, bei denen die Abrasio allein keine Heilung herbei-
geführt hat, es handelt sich ja meist um Patientinnen, die bereits 3 oder
4 mal erfolglos ausgekratzt worden sind.
Von Karzinomen werden bei uns nur inoperable Fälle und operierte
post operationem einer Strahlenbehandlung (Röntgen und Mesothorium)
unterzogen. Wir stehen mitten in diesen Versuchen und daher läßt sich
zurzeit noch nichts Abschließendes sagen; über Technik sowie Erfulge
soll später berichtet werden.
Jedenfalls muß schon heute ausgesprochen werden, daß wir mit der
Strahlentherapie ausgezeichnetes leisten können, wenn sie uns auch noch
nicht, wie von mancher Seite gesagt wird, die Operation ersetzt.
Aus der Frauenklinik der Universität Tübingen (Vorstand Professor
Sellheim).
Theoretisches und Praktisches zur Röntgentiefentherapie.
Von |
Privatdozent Dr. Ernst Holzbach.
ie überraschenden Fortschritte, welche durch die Entwicklung der
Filtertechnik in der Strahlentherapie erzielt sind, mußten dazu an-
regen, die bisher außerhalb des Organismus, auf der Körperoberfläche vor-
genommene Filterung der Strahlen einmal systematisch im Gewebe selbst
zu versuchen. Denn rein theoretisch betrachtet konnte kein Zweifel sein,
daB dieselbe Beeinflussung der Strahlen, die wir erreichen, wenn wir das
Primärstrablenbündel beim Austritt aus der Röhre durch eine Metallplatte
schlagen lassen, auch überall im Körperinnern selbst stattfindet, wo ein
Widerstand in die Strahlenbahn eingeschaltet wird. Der praktische
Nutzen sollte darın bestehen, daß penetrierende Strahlen im
Gewebe selbst aufgehalten, daßeine starke Sekundärstrahlung
in loco erzielt und das zu beeinflussende Organ damit gewisser-
malen seiner Umgebung gegenüber sensibilisiert werden sollte.
Den Vorteil schien dieses Verfahren vor der einfachen Filterung der
Primärstrahlung ganz speziell vorauszuhaben, daß die ins Gewebe ein-
fallenden (harten) Strahlen an Ort und Stelle nochmals beliebig verändert
werden konnten: sie konnten durch entsprechende Auswahl der ins Gewebe
zu injizierenden filternden Substanzen in ihrer biologischen Wirkung be-
einflußt, weicher und härter gemacht werden.
Es erhebt sich hier zunächst die Frage nach den physikalischen Grund-
laxen für ein derartiges Vorgehen, das wir rundweg einmal „Filterung
im Gewebe“ nennen wollen. Und da zeigt sich, wie mir Besprechungen
mit dem Physiker Edgar Meyer ergaben, daß die Situation wesentlich
komplizierter ist, als wie dies von vornherein den Anschein hat.
Gehen wir davon aus, daß jeder von Röntgenstrahlen getroffene Körper
eine Sekundärstrahluug emittiert, so finden wir auf der Rückseite einer
Metallplatte, deren Vorderfläche vom primären Strahlenbündel getroffen ist,
wei Arten von Strahlen: die direkt penetrierenden harten Strahlen des
Primärbündels, und die im Metall erregten Sekundärstrahlen. Nicht mehr
angetroffen werden die weichen (@- und weichen ß-)Strahlen des primären
Bündels: sie sind im Metall absorbiert. Ob sich die penetrierenden
Strahlen bezüglich ihrer Intensität genau so verhalten wie die ihnen ent-
980 Holzbach,
sprechenden Strahlen im primären Strahlenbündel — also vor dem Durch-
tritt durch das Metall — scheint noch nicht ganz geklärt. Während
Barkla und Crowther annahmen, daß sich an deren Energie — und
das bedeutet für uns den Prozent der Absorbierbarkeit im Gewebe — gar-
nichts ändere, scheinen neuere Untersucher hier zweifelhaft geworden zu
sein. Speziell Gauß’ Untersuchungen scheinen eine andere Deutung zu-
zulassen, und er nimmt in der Tat so etwas wie eine Anreicherung der
Strahlen, also eine Intensitätszunahme in der durchschlagenen Metallschicht
an: das Filter absorbiert also nicht nur weiche Strahlen; es härtet an-
scheinend die penetrierenden und macht sie dadurch penetrationsfähiger!
Ob eine derartige spontane Energiezunahme theoretisch überhaupt denkbar
ist, das zu erörtern kann meine Aufgabe nicht sein. Die rohen vorliegenden
Messungen dürfen uns da nicht zuviel bedeuten, umsoweniger als die während
der Bestrahlung fortgesetzt, und zwar meist im Sinne einer Zunahme, sich än-
dernde Energie des primären Strahlenbündels dabei gar nicht berücksichtigt ist.
Ungezwungen erklärt sich die Zunahme der Penetrationsfähigkeit für die speziellen
Verhältnisse des Aluminiums — und die lagen ja Gauß vor — nur, wenn
wir die Sekundärstrahlung heranziehen. Nach Whiddington emittiert das Alu-
minium eine charakteristische Sekundärstrahlung, deren Durchdringungs-
vermögen das der erregenden primären Strahlung erheblich über-
trifft.
Viel wichtiger für unsere Fragestellung ist das Verhalten eben dieses
im bestrahlten Medium neu entstehenden Strahlenanteils, der Fluoreszenz-
strahlung oder charakteristischen Sekundärstrahlung. Der Wert
dieser für jedes Element spezifischen Strahlung ist genau bekannt, wenig-
stens so weit das Element ein Atomgewicht von über 27 besitzt (cf. Pohl,
Physik der Röntgenstrahlen, S. 80f.). Der Absorptionskoeffizient schwankt
zwischen Bruchteilen von 1 und mehreren Hundert, ist z. B. sehr grol)
für das Aluminium, kleiner für Eisen, sehr klein für Silber usw. Darin
liegt für die praktische Ausnützung ein eminenter Vorteil. Das Penetra-
tionsvermögen der Primärstrahlen muß „etwas größer“ sein als das der
auszulösenden charakteristischen Sekundärstrahlung, wenn eine solche über-
haupt erregt werden soll. Wir haben also weitgehende Bewegungsfreiheit
dadurch, dal wir jeweils den Absorptionskoeffizienten der Fluoreszenz-
strahlung mit dem der Primärstrahlung in Beziehung setzen. Die Variation
geschieht für erstere durch Wechsel innerhalb der zur Verfügung stehen-
den Elemente — vom Aluminium bis zum Wismut — für letztere durch
Verwendung verschieden harter Röhren resp. Filter. Ja wir können noch
weiter gehen. Da wir wissen, daß ein großer Teil des primären
Strahlengemisches aus der charakteristischen Sekundärstrahlung
des Antikathodenmetalls besteht (vgl. Pohl, S. 100), so brauchen
wir nur mit verschiedenen Antikathodenmetallen zu arbeiten, um noch
ungleich reichlicher und feiner variieren zu können. Nur müssen wir
Theoretisches und Praktisches zur Röntgentiefentherapie. 98
dann die Tatsache berücksichtigen, daß die Antikathode für Filter aus
dem gleichen Metall, eine Platinantikathode also z. B. für Platinblech ein
„besonderes Durchdringungsvermögen“ besitzt (bis zu 100%!). Da uns
die Lehrbücher für die Durchlässigkeit der einzelnen Metalle bei ver-
schiedenen Antikathoden genaue Tabellen an die Hand geben, so können
Unzweckmäßigkeiten hier leicht vermieden werden.
Was nun für uns praktisch so wichtig ist, das ist die „selektive
Absorption“. Aus den Untersuchungen von Sadler und Steven, Walter,
Seitz u. a. wissen wir, daß bestimmte Metalle in der Lage sind, nicht
etwa bloß weiche Strahlen abzufangen wie der Perthessche Aluminium-
filter, sondern im Gegenteil aus dem kombinierten Strahlengemisch des
primären Büschels die durchdringenden (= harten) Strahlen herauszuholen.
Das Gemisch wird also weicher! Einwandfrei nachgewiesen ist das
für Eisen und für Silber: die Absorption der durchgelassenen Strahlen
stieg fast auf das doppelte gegenüber der ersten Messung, wenn die von
einer Aluminium-Antikathode emittierten Strahlen vorher eine 12 u dicke
Eisenplatte durchschlagen mußten (vgl. Pohl l.c.). Auf unsere praktischen
Verhältnisse übertragen heißt das, daß ins Gewebe, z. B. in ein Zervix-
karzinom gebrachtes Eisen oder Silber imstande ist, aus dem gefilterten,
die Bauchdecken durchschlagenden Strahlengemisch die penetrierenden
Strahlen abzufangen und die Absorption der Strahlen überall da, wo Metall
liegt, erheblich zu steigern. Das bedeutet für uns aber eine Erhöhung
der Strahlenwirkung überhaupt. Wir erzielen die zerstörende Wir-
kung der weichen Röntgenstrahlen tief innen im kranken Gewebe, obwohl
wir primär mit harten, penetrierenden Strahlen gearbeitet haben, arbeiten
mußten, um überhaupt in die Tiefe zu kommen. Rein theoretisch genommen
muß dadurch ein Grad von biologischer Wirkung der Strahlen in der
Tiefe erreicht werden, der nicht viel hinter dem der Oberflächenwirkung
der Röntgen- und Radiumstrahlen zurücksteht. Die Resultate, welche mit der
Bestrahlung pathologischer Prozesse auf der Körperoberfläche erreicht wurden,
sollten damit, annähernd wenigstens, auch in der Tiefe erzielt werden können.
Was nun die praktische Verwertung anlangt, so habe ich zu meinen
Versuchen, mit denen ich im Dezember 1912 begann, kolloidale Metali-
lösungen verwandt, einmal weil sie eine gewisse Affinität zu den Körper-
zellen zu haben scheinen, dann, weil ihre Dosierung usw. allgemein geläufig
war. Von der intravenösen Injektion der Mittel habe ich, trotzdem gerade
dieser Applikationsmodus recht nahe lag, deswegen Abstand genommen,
weil Versuche von Cohn, Niculescu u. a. gezeigt haben, daß die Silber-
kolloide im Organismus schnell in bestimmte Depots abgelagert werden, in
denen sie für unsere Therapie nichts nutzen. Wie das mit der immer
wieder betonten „therapeutischen Wirkung“ dieser Metalle auf maligne
282 Holzbach,
Tumoren in Einklang zu bringen ist, weiß ich nicht. Jedenfalls haben
die oben zitierten Versuche gezeigt, dal das injzierte Silber schon nach
wenigen Minuten aus der Blutbahn vollständig verschwunden ist — also
z. B. auch in den Gefäßen des Uterus nicht mehr angetroffen werten
kann — und sich in der Hauptsache in den Kupferschen Zellen der
Leber niederschlägt. In minimalen Mengen wird es auch in den Lungen.
im Herzen und in den Nieren angetroffen. Ich habe es deshalb vor-
gezogen, die Präparate mittels Kanülen direkt in das zu bestrahlende
Gewebe zu injizieren, was bei den hier vorwiegend in Frage stehenden
Karzinomen des Uteruskollums ja ohne Schwierigkeit gelingt. Da es mir
auf möglichst feine Verteilung der Metallpartikelchen ankam, so benützte
ich anstelle des gröberen chemischen kolloidalen Silbers das auf elektrischem
Wege hergestellte Kolloidmetall. Die Firma Rosenberg in Berlin hat mir zu
den Versuchen ihr „Fulmargin“ in freundlicher Weise zur Verfügung gestellt.
Aus äußeren Gründen mußten die Versuche im März d. J. abge-
brochen werden. Über definitive Ergebnisse kann also heute noch nicht
berichtet werden. Immerhin war die Methode so weit entwickelt und ın
mehreren Fällen an Karzinomkranken erprobt, daß sie als ungefährlich
und aussichtsreich zur Nachprüfung empfohlen werden darf. Ich habe
darüber im Tübinger med. Verein (10. IT. 1913) und in der Mittelrheini-
schen Gesellschaft für Gynäkologie (Frankfurt, 16. II. 1913) berichtet.
In einer soeben erscheinenden vorläufigen Mitteilung kommt Pagenstecher
(Münch. med. W., 17. VI. 1913) zu einem ganz analogen Vorschlag. Er
will Versuche mit Eiseninjektion anstellen. und zwar will er das Ferrum
oxydulatum nigrum benutzen. Zu praktischer Ausführung des Verfahrens
hat er noch keine Gelegenheit gehabt.
In anderer Form ist übrigens das Prinzip der Sekundlärstrahlen-
wirkung auch anderweitig schon nutzbar gemacht worden. Christen
schreibt in seinen „Grundlagen der Tiefentherapie‘, daß Emil G. Beck
seine Erfolge mit der Wismut-Pastenbehandlung und nachfolgender
Röntgenbestrahlung sicher wohl den weichen Scekundärstrahlen verdankt.
die in dem kranken Gewebe kräftig absorbiert werden. Johnson erreicht
das gleiche, indem er seine Darmpatienten metallisches Silber einnehmen
läßt, Harris, indem er der Röntgenbehandlung des karzinomatösen
Rektums eine Vorbehandlung mit Zinksalbe vorausschickt. Auch die
leider nicht zu Ende geführten Versuche von Gauß sind bekannt. Dab
wir in nächster Zeit mehr darüber hören werden, speziell daß sich manche
eigenartige „Filterwirkung“ sowohl in der Röntgen-, wie in der Radıum-
und Mesothoriumtherapie als Wirkung der charakteristischen Fluoreszenz-
strahlung herausstellen wird. davon bin ich überzeugt.
Eine Reihe anderweitiger Versuche zur Behandlung inoperabler Kar-
Theoretisches und Praktisches zur Röntgentiefentherapie. 283
zinome und Sarkome gingen mit den hier beschriebenen an der Klinik
Hand in Hand. Über eine kombinierte Methode der Strahlen- und intra-
venösen Chemotherapie hat Klotz letztbin auf dem Kongreß in Halle be-
richtet. Inzwischen ist weiter das Radiumbromid zur Unterstützung der
Röntgentherapie in Dienst gestellt worden. Auch die Zeit seit Beginn
dieser Versuche ist, wie Klotz mitteilte, noch zu kurz, um ein Urteil
fällen zu können. Wiederholt benütze ich dagegen die Gelegenheit, um
vor einem Verfahren zu warnen, das, ursprünglich vom Erfinder mit wissen-
schaftlicher Kritik versucht, jetzt von einer Handelsfirma ohne jede Kritik,
dafür aber mit den Mitteln der geschäftsmäßigen Reklame angepriesen wird:
die Zinnabarsana-Behandlung nach Zeller. Nachdem „bis zum
29. Juni 1912 von 57 Krebskranken Zellers 44, später 50 — darunter
ein größerer Teil vorher von der chirurgischen Operation zurückgewiesen“
— geheilt waren, „wanderten immer mehr Krebskranke nach dem stillen
Städtchen Weilheim a. Teck, das nunmehr kaum die Zahl der Hilfe-
suchenden beherbergen kann“. Die Behandlung besteht in der Applikation
einer Ätzpaste — Zinnabarsana — auf das Karzinom und gleichzeitiger
innerlicher Verabreichung von Nacasiliciumtabletten, einer Kombination
kieselsaurer Salze. „Nachdem der Krebs ausgestoßen, bleibt eine Ge-
schwürsfläche, die unter einer Salizylzinkpaste rasch mit schöner, glatter
Narbe ausheilt. Die geschützte Packung kostet pro Flacon usw.“
Wir konnten an dieser Methode, die in Württemberg und darüber
hinaus anfängt, renommiert zu werden, nicht stillschweigend vorübergehen.
Die Nachprüfung geschah an 5 Fällen von invperablem Karzinom, einmal
der Klitoris — dieses ein zirkumskripter, nur wegen seines unglücklichen
Sitzes um Harnröhre und Blasensphinkter herum inoperabler Tumor —
viermal des Collum uteri. Die Behandlung wurde strikte nach Zellers
Vorschriften und ohne jegliche Voreingenommenheit durchgeführt. Die
Ätzpaste frißt in der Tat das Gewebe an — freilich nicht nur das Kar-
zinomgewebe, sondern alles, mit dem sie in Berührung kommt — und sie
unterstützt sichtlich den Zerfall, zu dem ja bei vielen Karzinomen infolge
ihrer anatomischen Struktur an sich schon starke Tendenz vorhanden ist.
Sie wirkt also ungefähr wie ein Thermokauter. Nur hinterläßt sie nicht
wie dieser einen glasharten Schorf, sondern einen Geschwürskrater. Mehr
leistet sie aber nicht, auch nicht bei ausgiebigster Unterstützung durch das
Nacasilicium. Denn genau wie nach Exkochleation und Kauterisation in-
operabler Karzinome sehen wir auch im Verlauf der Ätzpastenbehandlung
an den Geschwulsträndern, im Zellgewebe usw. das schrankenlose
Weiterwuchern des Krebses: eine spezifische Wirkung auf die
Karzinomzelle fehlt durchaus, und unsere sämtlichen 5 Fälle sind uns im
Verlauf der Behandlung oder bald nach Abschluß derselben gestorben.
954 Holzbach,
Neben den oben beschriebenen physikalischen Eigenschaften der
Röntgenstrahlen können die chemischen Wirkungen, die wir bis jetzt noch
so gut wie nicht zu gebrauchen verstehen, therapeutisch von Bedeutung
werden. So ist es uns bis jetzt nicht gelungen, das Ionisations-
vermögen der Röntgenstrahlen irgendwie auszunützen, ihre
Fähigkeit, das elektrische Leitvermögen der bestrahlten Substanz zu ändern,
unter Umständen enorm zu steigern. Dieses Ionisationsvermögen komnit
den primären Strahlen wie der charakteristischen Sekundärstrahlung zu.
Und es erstreckt sich sowohl auf Gase wie auf Flüssigkeiten und feste
Körper. Die Ionisation innerhalb der einzelnen Elemente schwankt dabei
je nach der chemischen Bindung der Atome (cf. Pohl I. c.), „die Ioni-
sation des S-Atoms ist beispielsweise um 20% für die gleiche absorbierte
Energie größer, wenn das S mit H in SH, vereinigt ist, als bei der Bin-
dung mit O in SO,*. Die praktische Bedeutung all dieser Tatsachen
für die Medizin wird uns klar, wenn wir uns daran erinnern, daß un-
sere gebräuchlichen Desinfizientien in ihrer desinfizie-
renden Kraft abhängig sind rein vom Grade ihrer Ioni-
sation. Meyer und Gottlieb (Pharmakologie, S. 423) schreiben, dad
die Reaktionen der Schwermetallsalze, Säuren und Alkalien, mit dem Ei-
weiß der Bakterien Ionenrektionen sind. Die Desinfektionskraft z. B. der
Quecksilbersalze hängt nicht von ihrem Gehalt an löslichem Quecksilber
ab, sondern geht dem Dissoziationsgrad der Lösungen, das heißt ihrem
Gehalt an Hg-Ionen parallel. Danach haben also stark dissoziierte Lö-
sungen im allgemeinen eine stark desinfizierende Kraft, schwach dissoziierte
eine schwache. Gelingt es uns wirklich, den Ionengehalt chemischer Ver-
bindungen durch die Bestrahlung zu ändern — und daran kann nach den
vorliegenden Untersuchungen kein Zweifel sein — so eröffnen sich uns
vollständig neue Wege, mit denen wir uns an die Vernichtung von Bak-
terien, wie auch von Zellen und Zellkomplexen des Organismus, die in
dieser Bezieliung den gleichen Bedingungen unterliegen als wie die Bak-
terienzelle —, heranwagen können. Versuche in dieser Richtung sind
äußerst diffizil, wenn ihre Resultate Anspruch auf einwandfreie Gültigkeit
erheben sollen. Und es dürfte wohl eher Sache der physiologischen Chemie
als unsere eigene sein, uns hier vorwärts zu bringen.
Eine andere photochemische Wirkung der Röntgenstrahlen von viel-
leicht großer Bedeutung scheint einer Beobachtung von Heile zu Grunde
zu liegen. Die Veränderungen im Zellprotoplasma, die wir nach Bestrah-
lung lebender Gewebe auftreten sehen, deutet er im Sinne einer Autolyse.
Die beim Zellzerfall frei werdenden Fermente, mit denen er die Heilung
pathologischer Prozesse, speziell von Eiterungen glaubt beeinflussen zu
können, sucht er dadurch in großer Menge zu erhalten, daß er durch
Theoretisches und Praktisches zur Röntgentiefentherapie. 985
chemische Reize Leukozyten anlockt, die er dann mit Strahlen zerstört.
Als ein solches leukotaktisches Mittel verwendet er das Jodoform, das,
unter die Haut gespritzt, eine ziemlich starke Leukozytose bewirkt. Das-
selbe Strahlenquantum, welches an mit Kochsalzlösungen unterspritzten
Hautpartien keine Veränderung hervorrief, bewirkte an mit Jodoform in-
fizierten Stellen eine heftige Dermatitis, „scheinbar veranlaßt durch direkt
nach außen schwitzende Zersetzungsprodukte des Jodoforms“. Ich möchte
glauben, daß der Hauptbestandteil dieser „durchgeschwitzten Zersetzungs-
produkte“ freies Jod war. Denn die Jodabscheidung aus Jodo-
formverbindungen läßt sich als photochemische Wirkung der Rönt-
genstrahlen im Reagenzglas jederzeit nachweisen. Abgesehen von den
Fermentwirkungen Heiles scheint mir aber gerade diese Jodwirkung zur
Beeinflussung bestimmter pathologischer Prozesse besonders geeignet zu
sein. Seit Mikulicz im Jahre 1880 damit begonnen hat, kalte Abs-
zesse durch Jodoforminjektion zu behandeln, ist das Jod als wirksames
Prinzip des Jodoforms uns in der Bekämpfung chirurgischer Tuberkulosen
unentbehrlich geworden. Versuche, die ich an Meerschweinchen und
Kaninchen anstellte, zeigten mir, daß die Resorption in der Bauchhöhle
peritonealtuberkulöser Tiere so weit darniederliegt, daß selbst Mengen von
Jodoform ohne Erscheinungen ertragen werden, die auf das gesunde Tier
längst toxisch wirken. Schwierigkeiten macht nur das Lösungsmittel.
Benzol, Chloroform, Äther, in denen sich das Jodoform löst, waren zur
Injektion in den Peritonealsack nicht zu gebrauchen, und so mußte ich
mich schließlich damit begnügen, Öl als Vehikel zu verwenden. Ob es
gerade ein sehr geeignetes Mittel ist, scheint mir fraglich, denn es hat
selbst große Affinität zu dem freiwerdenden Jod. Immerhin kam aber
auch im ungünstigsten Falle noch genug freies Jod mit dem kranken
Bauchfell in Berührung, daß ein Effekt erwartet werden konnte. Und
gerade vom Jod in statu nascendi muß angenommen werden, daß
es eine besonders heftige Schädigung des Tuberkelbazillus bewirkt. Nach-
dem wir zunächst bei mehreren Fällen von Genital- resp. Peritonealtuber-
kulose den Eindruck gewonnen hatten, als ob intensive Bestrahlung allein
schon den Prozeß günstig zu beeinflussen imstande sei, gingen wir später
so vor, daß wir hochfiebernden Tuberkulosen, denen wir glaubten eine
schlechte Prognose stellen zu müssen, 1 proz. Jodoformöl — bis zu 60 ccm
auf einmal — mit der Kanüle in den Bauchraum injizierten und sofort
bestrahlten. Das Mittel wurde bis jetzt ohne jeden Schaden vertragen,
und ich glaube die an sich ja einfache und doch aussichtsreiche Methode
zur Nachprüfung empfehlen zu können.
Ähnlich gingen wir bei inoperabler Blasen-Nierentuberkulose vor. Auch
da wurde das Jodoform, 0,5 g in 5 ccm Chloroform gelöst und in 30 ccm
286 Holzbach, Theoretisches und Praktisches zur Röntgentiefentherapie.
Öl aufgeschwemmt, in die Blase und, wenn erst die Blase einigermaßen
gereinigt war, mit dem Ureterkatheter ins Nierenbecken injiziert, hierauf
Blase und Nieren mit entsprechender Filterung wiederholt bestrahlt. Ebenso
habe ich einer Frau mit einseitiger Nierentuberkulose, die nicht zur Ope-
ration zu bewegen war, ferner einem Fall von Oolipyelitis Kollargol ins
Nierenbecken injiziert in der Erwartung, mir von einer direkt angeschlos-
senen Bestrahlung aus den oben geschilderten Gründen einen besonders
lebhaften Effekt versprechen zu können. Ob dauernde Besserung oder Heilung
dabei resultiert, muß natürlich abgewartet werden. Immerhin sind uns schlechte
Erfahrungen, Schädigungen von Blase, Nieren oder Nebennieren, bis jetzt
nicht vorgekommen, sodaß bei diesen an sich zwar absolut nicht indifferenten
Methoden doch das Prinzip des non nocere stets gewahrt worden ist.
Dem, was ich auf dem Hallenser Kongreß über unsere Myomthe-
rapie ausführte, habe ich hier lediglich hinzuzufügen, daß von den damals
noch in Behandlung stehenden Fällen inzwischen eine weitere Anzahl als
geheilt entlassen werden konnte. Sonst hat sich an unseren Zahlen seit-
dem nicht viel geändert. Und zwar beruht das darauf, daß unser Instru-
mentarium durch die für die Karzinom- und Tuberkulosebehandlung nöti-
gen großen Dosen aufs stärkste angestrengt und nicht fähig ist, mehr zu
leisten. Interessant wird übrigens — um hier auch einem höchst prak-
tischen Gesichtspunkt einmal Raum zu geben — die Frage werden, woraus
die bei der Applikation von mehreren tausend X pro Patientin der Klinik
entstehenden Kosten auf die Dauer gedeckt werden sollen. Denn daß eine
arme Frau, der sagen wır 6—8000 X zur Behandlung ıhres inoperablen
Karzinoms verabreicht werden müssen, die Kosten von 3—4 Röhren, einigen
Drosselröhren, Quantimeterstreifen, Stromverbrauch, Amortisation usw. mit
rund 800 Mk. selbst bezahlen soll, ist doch schlechterdings nicht zu ver-
langen. Und sie deshalb von den Wohltaten einer solchen Behandlung
auszuschließen, bloß weil sie arm ist?
Zum Schluß noch eine Frage von untergeordneter Bedeutung. Ich
habe den Eindruck, als ob Filter die längere Zeit gearbeitet haben, schliel-
lich, nach Wochen oder Monaten, durchlässiger werden als zu Beginn.
Das läßt sich natürlich schlecht beweisen und noch schlechter theoretisch
fassen. Bei unseren Bleiglastuben, in die die Röhren zum Schutze der
Patientin gegen vagabundierende Strahlen eingeschlossen werden, ist es
aber doch so, daß sie jetzt im Laufe einer 3stündigen Tätigkeit etwa 10 X
durchlassen, während früher höchstens 2—3 X mit den Kienböckstreifen
nachweisbar waren. Und bei den Aluminiumfiltern habe ich mir ange-
wöhnt, sie nach einiger Zeit außer Dienst zu stellen und durch neue zu
ersetzen. Vielleicht ist einer der Herren Kollegen in der Lage, mich da-
rüber aufzuklären, ob und warum das nötig ist.
Aus der Königl. Universitätsfrauenklinik zu Kiel (Dir.: Prof. Stoeckel).
Erfahrungen mit der Röntgenbehandlung bei Myomen
und Metropathien.
Von
Dr. E. Langes, Assistent der Klinik.
s unterliegt keinem Zweifel, dal3 die Röntgentiefentherapie sich in der
kurzen Zeit ihrer Anwendung eine bevorzugte Stellung in der Be-
handlung von Myomen und Metropathien erobert hat. Es gibt wohl kaum
eine gynäkologische Klinik, die nicht diese Behandlungsmethode ihrem
"therapeutischen Schatze einverleibt hat. Gerade jetzt scheint ihr aber von
einer anderen Methode, der Behandlung mit radivaktiven Substanzen, Ge-
fahr zu drohen, die sie vielleicht von ihrer eroberten Vorzugsstellung ver-
drängen, oder doch wenigstens mit ihr in scharfe Konkurrenz treten wird.
Ob dies auch bei Myomen und Metropathien, von denen ich hier
allein sprechen will, oder nur in der Therapie der malignen Tumoren der
Fall sein wird, muĝ der Zukunft überlassen bleiben, da die Erfahrungen
trotz der lebhaften Debatte auf dem diesjährigen Gynäkologenkongreß noch
zu gering und noch nicht abgeschlossen sind.
An unserer Klinik ist bisher nur das reine Röntgenverfahren ange-
wandt worden; die abgesehen von der ersten Zeit damit erzielten Resultate
sind durchaus gut zu nennen. Unsere Technik weicht in vieler Beziehung
von der allgemein üblichen ab.
Instrumentarium.
Wir benutzen den Induktor und Rotaxunterbrecher der Firma
Sanitas-Berlin. Unsere Röntgenröhren sind die Therapieröhren der
Firma Burger-Berlin, die mit 2 M.-Amp. belastet werden und eine Härte
vom Typ 6 Benoist-Walter haben. Die Kontrolle über die Konstanz der
Röhrenhärte üben wir mit dem Heinz-Bauer'schen Qualimeter aus. Die
Röhren befinden sich in einem mit Bleigummi ausgekleideten achteckigen
Holzkasten, der an beiden Seiten Bleiglasfenster zur Einstellung des Fukus
und Beaufsichtigung des Röntgenlichtes trägt. Oben ist der Kasten offen
und unten trägt er einen kreisförmigen Ausschnitt von 10 em Durchmesser,
vor den der Filter eingeschaltet wird. Als Filter wurde zuerst Aluminium-
blech von 1 mm, jetzt nur von 3—4 mm Dicke verwendet. Zur Dosierung
befindet sich an dem Röhrenschutzkasten ein verstellbarer, mit einer Zentimeter-
288 Langes,
skala versehener Halter für die Sabouraud-Tabletten, die sich natürlich unter-
halb des Filters befinden. Die Verstellbarkeit dieses Halters und die dadurch
bedingte Variierung der Fokusdosimeterdistanz hat den großen Vorteil, daß man
auf Grund des Gesetzes von der Abnahme der Röntgenstrahlen im Quadrate
der Entfernung je nach Einstellung der Tablette eine beliebige Dosis auf
die Haut applizieren kann, ohne die Hautfokusdistanz verändern zu müssen.
Nach einer dafür berechneten Tabelle läßt sich sofort der Abstand des
Dosimeterhalters und die Meßdistanz für die gewünschte Dosis ablesen.
Der Röhrenkasten befindet sich am Ende eines am Fußende des Be-
strahlungstisches angebrachten verstellbaren Hebels in doppelter Kugel-
verbindung, so daß der Röhrenkasten mit der darin fixierten Röhre um
alle Achsen bequem gedreht und der Hautoberfläche parallel eingestellt
werden kann. Diese von Hans Meyer-Kiel angegebene Dosierungsmethude
hat sich uns als zuverlässig und einfach in der Handhabung durchaus
bewährt. 1)
Für die abdominale Bestrahlung wurde im Anfang ein Tubus von
17 cm Länge und 10 cm Durchmesser verwendet. Dieser machte
bald einem 4 geteilten Tubus Platz; die Achsen der 4 Tubusabschnitte
konvergierten nach einem Punkte in der Tiefe, der von Höhne und
Linzenmeier?) festgestellten durchschnittlichen Lage der Ovarien. Da-
durch kam ein vierfaches Kreuzfeuer im Ovarium zustande. Dieser Tubus
hat aber neben seinen zweifellosen Vorteilen den Nachteil, daß man bei
der verschiedenen Lage der Ovarien, besonders bei Myomen, nicht mit
Sicherheit sagen kann, ob von jedem Feld her das Ovarium wirklich ge-
troffen ist. Außerdem wird der Tubus mit der Zeit infolge seines Druckes
von den Patientinnen unangenehm und lästig empfunden, da bis zum Ab-
schluß der 4 Felderbestrahlung, die bei Verabfolgung einer Sabourauddosis
mit 4 mm Aluminiumfilter bei Fokus-Hautdistanz von 18 cm immerlin
60 Minuten in Anspruch nimmt, die Einstellung nicht verändert werden
darf. Infolgedessen haben wir ihn in vielen Fällen ersetzt durch Bleiblech-
vignetten, die bindenartig um den Unterleib gelegt werden und verschie-
dene Ausschnitte tragen. Eine derartige Binde trägt einen quadratischen
Ausschnitt von 12 cm Seitenlänge, eine andere Vignette hat 6 oder 8
sternförmig angeordnete Ausschnitte, die durch !/,cm breite Zwischenspangen
von einander getrennt sind. Das Bleiblech ist wegen seiner Weichheit und
Neigung zur Buckelbildung mit einer dünnen Nickelinlamelle bedeckt, die ein
Gleichbleiben der Ausschnitte gewährleistet. Um den Mittelpunkt der
Sterntisur dreht sich eine Bleigummischeibe, die einen den dreieckigen
1) Strahlentherapie 1012, Bd. I, S. 237,
?) Strahlentherapie 1912, Bd. I, S. 141.
Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 289
Feldern entsprechenden Ausschnitt trägt und die anderen Felder abdeckt.?)
Durch diese Anordnung wird die Neueinstellung eines Feldes wesentlich
beschleunigt. .
Für die vaginale Bestrahlung verwenden wir einen trichterförmigen
Tubus mit Stativ. auf den der Röhrenkasten mit dem Filter aufgesetzt
wird. An das andere dünnere Ende des Tubus werden je nach Weite
der Vagina Bleiglasspekula von verschiedener Weite und Länge angefügt,
so daß die äußeren Haut- und seitlichen Schleimhautpartien von keinen
Strahlen getroffen werden können. Die Sabouraudtabletten sind an dem
Tubus gleichfalls auf einem verschiebbaren Halter unterhalb des Filters
angebracht, also ist auch hier eine Variierung der Dosis in dem oben er-
wähnten Sinne möglich.
Dabei möchte ich auf einen Fehler aufmerksam machen, der bei der
vaginalen Bestrahlung von Röntgentherapeuten vielfach in der Dosierung
resp. in der Angabe der verabfolgten Strahlenmenge gemacht wird. Es
wird nämlich ein Kienböckstreifen nicht am Ende des Bleiglasspekulums,
sondern vor der Vulva angebracht und nun nach der Schwärze des Streifens
die applizierte Strahlenmenge angegeben. In Wirklichkeit ist dies aber
nicht die der Scheidenschleimhaut verabfolgte Dosis, sondern eine viel
erößere, da ja die Strahlenmenge im Quadrate der Entfernung abnimmt.
Dieser Fehler läßt sich bei Anwendung der Sabouraudtabletten vermeiden,
da man ohne Schwierigkeiten die Tabletten in der Mitte zwischen Fokus
und Scheidenschleimhaut am Ende des Spekulums anbringen kann. Bei
dieser Anordnung hat man wirklich eine Sabourauddosis der Scheiden-
schleimhaut verabfolgt, wenn die Teinte B erreicht ist.
Technik.
Bei unserer Technik muß man zwischen der Anfangstechnik und
der jetzigen Bestrahlungsmethode unterscheiden, da die verschiedenen
Methoden für die Erfolge von einschneidender Bedeutung sind.
Bei der Anfangstechnik wurde ähnlich wie es Albers-Schönberg
tut, der oben erwähnte 17 cm lange Tubus einmal rechts und einmal links
auf das Abdomen entsprechend der Lage des Ovariums aufgesetzt, also
eine 2-Felderbestrahlung. Jedes Feld erhielt 8—10 X, gefiltert wurde
mit 1 mm Aluminiumblech. Die Fokushautdistanz betrug 30 cm.
Zu der jetzigen Technik gehört in erster Linie eine stärkere Fil-
terung von mindestens 3, meistens aber 4 nm Aluminiumblech, zu der
wir auf Grund der experimentellen Untersuchungen, die von Hans Meyer
und seinen Mitarbeitern am hiesigen Lichtinstitut unter Verwertung der
ı) Die Binden liefert die Firma Sanitas-Berlin.
Strahlentherapie Band III. Heft 1. 19
290 Langes,
Christenschen Halbwertsschichtsbestimmung angestellt wurden übergegangen
sind. Weiter rückten wir wegen der besseren Ökonomie mit der Röhre
auf 20--15 cm an die Haut heran. Ferner wurde aus der 2 Felder-
bestrahlung eine Mehrfelderbestrahlung, für die besonders Gauss zuerst ein-
getreten ist. Während in der ersten Zeit der Mehrfelderbestrahlung dem
4 geteilten Tubus der Vorzug gegeben wurde, der einmal rechts und ein-
mal links auf die Unterbauchseite aufgesetzt wurde (8 Felderbestralilung),
wird jetzt aus den oben angeführten Gründen meist eine der Bleivignetten
verwendet, und zwar bei großen Myomen die 6—8-Feldersternfigur für das
Abdomen, bei kleinen Myomen oder Metropathien die quadratisch aus-
geschnittene Vignette, die dreimal nebeneinander auf die Unterbauchgegend
aufgesetzt wird. Auf diese Weise trat allerdings bei einer Reihe von Fällen
an Stelle der S-Felder- nur eine 3-Felderbestrahlung vom Abdomen ber.
Dafür war man aber sicher, daß man nicht Felder bestrahlte ohne Uterus
oder Ovarium zu treffen, wie es bei dem Tubus mit den kleinen Feldern
vorkommen kann und bei der vielfach üblichen Kleinfelderbestrahlung fraglos
vorkommt. Außer diesen 3 resp. 8 Feldern von vorn werden seit längerer
Zeit 3 quadratische Felder von hinten her bestrahlt und zwar 1 mal die
Kreuzbeingegend und außerdem rechts und links davon die Glutäalgegen-
den, so daß die Strahlen durch die Foramina ischiadica majora ins Becken
gelangen. In vielen Fällen, besonders bei groben Myomen kommt noch
eine vaginale Bestrahlung hinzu, und zwar gewöhnlich Verabfolgung einer
Sabourauddosis mit 3 mm Aluminiumfilter. Der Röhrenabstand wird bei
der vaginalen Bestrahlung aus technischen Gründen etwas weiter gewählt.
und zwar 20—25 cm Schleimhaut - Fokusdistanz. Bisweilen wird noch eine
1- oder 2-Felderbestrahlung gegen den Damm und seitlich davon mit dem
trichterförmigen Tubus ohne Bleiglasspekulum vorgenommen. Durch diese
Anordnung wurde statt der 8-Felderbestrahlung vom Abdomen her mit
ihren Nachteilen eine ebenso große Felderzahl von allen möglichen Seiten
erreicht, bei der von jedem Felde aus Ovarien und Uterus oder wenig-
stens eins von beiden getroffen wird. Jedes Feld erhält 15—20 X, meist.
20 X, die Vagina nur 10—15 X wegen der empfindlicheren Schleim-
haut. Durchschnittlich wird also bei Metropathien und kleinen Myomen
120 und 150 X in einer Serie, bei größeren Myomen 150—200 X ver-
abfolgt. Nach Erreichung des Zieles werden stets noch 1—2 Bestrahlungs-
serien von etwa 100 X angeschlossen.
Experimentelle Untersuchungen. |
Zur Prüfung der Zweckmäßigkeit einer Bestrahlung auch von hinten
und vom Damm her wurden einige Versuche ausgeführt, die interessante
Ergebnisse hatten.
Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 291
Es wurde bei einigen Patientinnen ein dünner Laminariastift in die
Zervix gebracht und nach 12 Stunden ein !/, cm breiter Kienböckstreifen
in das Uteruskavum eingelegt. Um die Asepsis wahren und den Streifen
vor Feuchtigkeit schützen zu können, wurde er von einem sterilen Gummi-
fingerling umhüllt. Nun wurden von verschiedenen Stellen her Felderbe-
strahlungen ausgeführt, und zwar 1 oder 2 Erythemdosen pro Feld bei
einer Fokushautdistanz von 18 cm und 3 und 4 mm Aluminiumfilter.
I. Versuchsreihe:
1-Feldbestrahlung der Mitte des Unterbauchs mit quadratischer Vig-
nette (Albers-Schönberg).
20 °, der Strahlen gelangten bei 4 mm Filter in den Uterus.
II. Versuchsreihe:
1-Feldbestrahlung (quadratische Vignette) der Kreuzbeingegend:
10 °5 der Strahlen bei 3 mm im Uterus.
20 % N N N 4 „ N N
Ill. Versuchsreihe:
Bestrahlung eines quadratischen Feldes in der Regio glutaealis.
5% der Strahlen bei 3 mm im Uterus.
O/
10 ‚o „ „ 4 ” „ `,
IV. Versuchsreihe.
Bestrahlung der Mitte des Dammes mit dem Tubus von 5 cm Durch-
messer.
17 % der Strahlen bei 3 mm im Uterus.
Die angegebenen Prozentzahlen sind Durchschnittszahlen, da nicht
alle Versuche dasselbe Ergebnis hatten. Dies ist nach der verschiedenen
Lage des Uterus im Becken und nach den verschieden dicken Bauch-
decken und Weichteilschichten nicht zu verwundern. Trotzdem glaube ich,
aus diesen Versuchen folgende Schlüsse ziehen zu können.
1. Es gelangt bei der Bestrahlung der Kreuzbeingegend dieselbe
Strahlenmenge in den Uterus wie bei der Bestrahlung des Abdomens.
2. Bei der Bestrahlung der Glutäalgegenden gelangt zwar nur eine
halb so geringe Menge Strahlen in den Uterus, jedoch ist zu berücksichtigen,
daß bei Bestrahlung vornehmlich die Ovarien getroffen werden sollen, die
zweifellos infolge ihrer größeren Nähe mehr erhalten als das Uteruskavum.
3. Die Verwendung des 4 mm Aluminiumfilters hat sich auch bei
diesen Versuchen wirksamer für die Tiefenbestrahlung erwiesen als die
3 mm Aluminiumtilterung.
19*
292 Langes,
4. Auch die Bestrahlung vom Damm her ist durchaus zweckmäßig.
Auf Grund dieser Experimente ist unsere Technik aufgebaut worden.
die in der Hauptsache aus einer Bestrahlung mehrerer nicht zu kleiner
Felder von allen Seiten her und in einer starken Aluminiumfilterung
(4 mm) besteht.
Myome.
Die Zahl unserer bestrahlten Myome beträgt bisher 24. Die Größe
schwankte von apfelgroßen Tumoren bis zu solchen, die die Nabelhöhe
überschritten. Wenn die Zahl nicht übermäßig groß ist, so muß berück-
sichtigt werden, daß besonders in der Anfangszeit nur ein geringer Prozent-
satz der Myome der Bestrahlungstherapie zugeführt wurde. Allmählich
hat sich auf Grund der günstigen Erfahrungen das Verhältnis der operierten
zu den bestrahlten Myomen nicht unbedeutend zu Gunsten der bestrahlten
verschoben, so daß jetzt die Mehrzahl der Myome bestrahlt werden.
Während zuerst für die Bestrahlung die Fälle ausgesucht wurden, bei
denen die Operation kontraindiziert erschien (Herzfehler, Nephritis usw.).
werden jetzt durchschnittlich nur die Myome operiert, bei denen die
Röntgenbestrahlung ungeeignet erscheint. So werden naturgemäß sub-
muköse Myome, die bereits in die Zervix geboren, oder im Begriff dazu
sind, durch Enukleation entfernt und es wird eine Röntgenbestrahlung zur
Beeinflussung eventuell noch vorhandener kleiner Myome angeschlossen.
Weiter schließen wir Myome, die vielleicht erst nach einer intensiven
Röntgenbestrahlung rasch wachsen, wegen Verdachts auf Malignität von
der Bestralilung aus, ebenso wie nekrotische und verjauchte oder darauf
verdächtige Myome ausscheiden. Schwer ausgeblutete Frauen mit noch
bestehenden starken Blutungen fallen ebenfalls für die Röntgenbestrahlung
fort. So beobachteten wir erst kürzlich einen Fall, der stark ausgeblutet
und noch erheblich blutend eingeliefert wurde. Trotz sofortiger Tamponade
stand die Blutung nicht, so daß noclı nachts zu einer Totalexstirpation
geschritten werden mußte, um die Frau vor der Verblutung zu bewahren.
Außer dieser vitalen Indikation zur Operation gibt es wirtschaftliche und
persönliche Gründe, die bei der Auswahl der Therapie mitsprechen. Wenn
z. B. eine Frau den dringenden Wunsch äußert, durch eine einmalige
Behandlung geheilt zu werden und die Wiederholung einer Behandlung aus
irgendwelchen stichhaltigen Gründen ablehnt, so wird man sie bei guter
Operabilität und Fehlen einer Kontraindikation operieren. Trotzdem soll
man bei der Indikationsstellung zur Operation stets die wenn auch geringe
Gefahr der Embolie mit in Betracht ziehen; denn trotz der besten Technik
läßt sich diese Gefahr nicht gänzlich ausschalten, während Todesfälle infolge
der Bestrahlung bisher nicht beobachtet sind. Zwei von unseren be-
strahlten Myomfällen sind in dieser Beziehung bemerkenswert, weil sie
Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 293
durch Herzfehler und Nephritis kompliziert waren und eine Operation
infolgedessen äußerst gefährlich erschien. Nach der Bestrahlung trat in
beiden Fällen eine deutliche Schrumpfung des Myoms ein und während
die Nephritis der Patientin nicht nennenswert beeinflußt wurde, wurden
die Beschwerden des Vitium cordis der anderen Patientin nicht unerheblich
gebessert, wahrscheinlich infolge der Schrumpfung des von Mannskopf-
größe auf Faustgröße verkleinerten myomatösen Uterus und der dadurch
bedingten Abnahme der Zirkulationserschwerung. Man ersieht also aus
diesen beiden Fällen, daß diese Erkrankungen eine Bestrahlung nicht
kontraindizieren, sondern indizieren. Von großer Bedeutung für die Indi-
kationsstellung der Röntgentherapie wird das Resultat bezüglich des Aus-
fallserscheinungen sein. Solange die aprioristische Annahme, daß mit dem
Follikelapparat auch die Fähigkeit der Ovarien zur inneren Sekretion zu
Grunde geht, nicht durch gute und genügend zahlreiche klinische Beob-
achtungen als falsch erwiesen wird, wird von meinem Chef, Prof. Stoeckel,
bei jungen Mädchen und Frauen die operative Ausschaltung des Myoms
resp. des myomatösen Uterus mit Erhaltung der Ovarien der Röntgen-
kastration im Prinzip vorgezogen werden.
Von den 24 bestrahlten Myomen sind nur 15 bisher für eine ein-
wandfreie Beurteilung zu verwerten. 5 sind aus der Behandlung fort-
geblieben oder haben auf schriftliche Anfragen nicht geantwortet, so daß
über den Erfolg bei diesen Frauen nichts gesagt werden kann. 3 befinden
sich noch in Behandlung und 1 beging infolge einer gleichzeitigen schweren
Psychose einige Zeit nach der Entlassung aus der Röntgenbehandlung
Suizid. Es bleiben also 15 genau beobachtete Fälle übrig. Von diesen
wurden 9 Patientinnen amenorrhoisch, 5 oligomenorrhoisch und 1 Fall wurde
insofern ungünstig beeinflußt, als das Myom nach einer Serienbestrahlung
größer wurde. Infolgedessen wurde wegen Verdachts auf maligne Ent-
artung die abdominale Totalexstirpation ausgeführt. Im übrigen bestätigte
die mikroskopische Untersuchung den Verdacht auf Malignität nicht. Es
handelt sich mithin zweifellos um einen Versager. Die Oligomenorrhoe
war bei einigen wegen jugendlichen Alters gewünscht und beabsichtigt.
Also bleibt ein zweifelloser Versager. Dieser wurde allerdings nach
unserer Anfangstechnik behandelt, und zwar 8-Felderbestrahlung mit dem
4 geteilten Tubus, aber nur 8 X pro Feld bei nur 1 mm Aluminium-
filterung. Berücksichtigt man weiter, daß die Frau erst 36 Jahre alt war
und das Myom bis etwas über Nabelhöhe nach oben reichte, so muß man
die Dosis und Filterung als Ursache des Versagens ansehen und als eine
Reizdosis auffassen. Von den übrigen 14 Fällen sind 7 nach der Anfangs-
methode und 7 mit der jetzigen verstärkten Technik behandelt, wozu ich
auch die Fälle hinzunelime, bei denen vielleicht die erste Serie mit der
294 Langes,
Anfangstechnik, die folgenden nach der verstärkten Methode bestrahlt
worden sind. Die Erfolge verteilen sich folgendermaßen auf die beiden
Methoden:
| amenorrhoisch | oligomenorrhoisch | Versager | Rezidive
4 3 1 1
5 2 (fast amenorrh.) — —
Anfangstechnik:
Jetzige Technik:
Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, daß mit der verstärkten
Technik bisher kein Mißerfolg zu verzeichnen ist; die 2 oligomenor-
rhoisch gewordenen Fälle müssen nämlich auch zu den absoluten Erfolgen
gerechnet werden, da die Blutungen so schwach sind, daß sie fast als
Amenorrhoen aufzufassen sind. Nimmt man hinzu, daß auch bei ihnen
ebenso wie bei den anderen 5 eine deutliche Schrumpfung der Myome
eingetreten ist, und die Beschwerden soweit sie vorhanden waren, ver-
schwunden sind, so muß man von einer Heilung von 100°/, sprechen,
soweit es überhaupt angebracht ist, bei dieser verhältnismäßig kleinen An-
zahl von Fällen Prozentzahlen auszurechnen. Möglicherweise können ja
auch Rezidive noch nachkommen. Demgegenüber ist unter den mit der
Anfangstechnik behandelten Frauen, abgesehen von der geringen
Zahl der Amenorrhoen und abgesehen von dem absoluten Versager, auch
noch bei einer Patientin 1 Rezidiv aufgetreten. Diese Patientin war zu-
nächst nach 3 Serien à 20 und 32 X amenorrhoisch geworden, bekam
jedoch nach ®?/, Jahren ein leichtes Rezidiv, das durch eine Serienbestrah-
lung nach der jetzigen Technik verschwand. Außerdem sind bei einer
oligomenorrhoisch gewordenen Patientin die recht erheblichen Dysmenor-
rhoen unbeeinflußt geblieben, so daß die Frau als nicht erfolgreich behan-
delt angesehen werden muß. Also nur 5 von 8 Fällen, d. h. 62,5 °%
sind durch die Anfangstechnik als geheilt zu betrachten.
Zur Beurteilung und Bewertung der Technik muß weiter die Größe
der Tumoren und das Alter der Patientinnen herangezogen werden. In
Bezug auf die Größe verteilen sie sich gleichmäßig auf die Behandlungs-
methoden, aber das Alter der Patientinnen verdient eine genauere Beachtung:
80—40 Jahre 41—50 Jahre über 50 Jahre
Amonorrhoe | Oligom. | Versager Amenorrhos | Oligom. Amenorrhoe| Oligom.
Anfangstechnik 1 1 3 1 1 | 1
Jetzige Technik 2 2 2 1 |
Auch hiernach wieder fraglos ein günstigeres Resultat mit der jetzigen
Bestrahlungstechnik, da sich die intensiver bestrahlten verhältnismäßig in
viel jüngeren Jahren befanden als die schwächer bestrahlten Patientinnen.
Ist doch bei einer 4Sjährigen und sogar 52jährigen Frau trotz Verabfol-
Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 295
gung von 3 Serien nach der Anfangstechnik nur eine Oligomenorrhoe er-
zielt worden, während mit der intensiveren Bestrahlung bei einer 33- und
einer 37Jjährigen Frau leicht Oligomenorrhoe erreicht worden ist.
Aus den Tabellen geht andererseits hervor, daß es zweifellos Fälle
gibt, die auf sehr kleine Dosen bereits gut reagieren, jedoch mul man im
Auge behalten, daß man von vorherein nicht sagen kann, ob das betreffende
Myom leicht reagieren oder sich refraktär verhalten wird. Aus diesem
Grunde ist es ratsam, gleich mit größeren Dosen zu beginnen, um sich
nicht Versagern und Rezidiven auszusetzen.
Die Anzahl der zur Erreichung der Heilung notwendigen Serien rich-
tete sich im allgemeinen nach dem Alter der Patientinnen. Bei jüngeren
Frauen (31, 33 und 35jährig) waren 2—3 Serien der jetzigen Me-
thode notwendig, während bei den älteren über 45 meist 1—2 Serien
senügten, um eine Amenorrhoe herbeizuführen. Die Anfangstechnik
erforderte bei unseren geheilten Fällen, die übrigens alle über 45 Jahre
waren, etwa 3—4 Serien bis zum Eintritt des Erfolgs.
Verstärkte Blutungen traten bei 3 nach der anfänglichen Technik
bestrahlten Frauen im Anschluß an die erste Serie ein, um dann allmäh-
lich schwächer zu werden. Bei allen anderen war mindestens ein Gleich-
bleiben, meist eine Abnahme der Blutungen gleich nach der 1. Bestrah-
lungsreihe festzustellen.
Zum Schluß möchte ich noch auf einen Myomfall eingehen, bei dem
wir die Strahlenwirkung histologisch genau studieren konnten. Die be-
treffende Patientin bekam hier 4 Serien mit den üblichen 4 wöchentlichen
Zwischenpausen, davon 2 nach der anfänglichen Bestrahlungsmethode
60 X und dann 2 mit stärkerer Filterung (4 mm), aber auch nur
‘0 und 90 X. 8 Wochen nach der letzten Serie starb die Patientin plötz-
lich an einem Adhäsionsileus nach einer vor 8 Jahren ausgeführten vagi-
nalen Adnexoperation. Die Myome wie auch die Uteruswand selbst und
die Ovarien wiesen eine ganz auffällige Schrumpfung auf. Die Ovarien
waren kleiner als bei einer senilen Frau, obwohl diese Patientin erst
31 Jahre alt war. Mikroskopisch fand sich in den Myomen keine gröbere
und auffällige Veränderung abgesehen von dem Reichtum an Bindegewebs-
fisern. Dagegen waren in den Ovarien nur ganz vereinzelte Primordial-
follikel vorhanden, deren Epithel und Eizellen deutliche Degenerations-
zeichen trugen. Dafür hatte eine intensive Bindegewebswucherung Platz
griffen. Die sehr zahlreichen Gefäße ließen eine hyaline Degeneration
der Wandung erkennen, mithin eine sehr schwere destruktive Veränderung
infolge der Röntgenbestrahlung, obwohl die Strahlenmenge verhältnismäßig
«ring war (im ganzen 290 X) und die Frau erst 31 Jahre alt war.
296 Langes,
Metropathien.
Die Erfahrungen bei den Metropathien waren ganz ähnlich wie bei
den Myomen. 50 sind bisher bestrahlt worden, von denen 10 ausscheiden,
da sie teilweise zur Zeit noch in Behandlung stehen, resp. noch nicht lange
genug beobachtet sind (6), zum Teil sich der Behandlung entzogen resp.
keine Auskunft über ihr jetziges Befinden erteilt haben.
Von den 40 genau beobachteten Fällen sind 24 amenorrhoisch ge-
worden und 9 oligomenorrhoisch, 6 blieben unbeeinflußt, bei 1 Patientin
verstärken sich sogar die Blutungen. Dieses wenig befriedigende Resultat
erklärt sich wiederum aus der anfänglichen unzulänglichen Technik. Es
verteilen sich auf die
Amenorrhoen | Oligomenorrhoen | unverändert verstärkt
Anfangstechnik 12 7 | 1 | 1
Jetzige Technik 12 1 | = Ä —-
Aus dieser Gegenüberstellung gehen wiederum die viel besseren Re-
sultate mit der jetzigen Bestrahlungstechnik hervor, bei der alle bis auf
eine amenorrhoisch geworden und als geheilt zu betrachten sind. Nur bei
einer trat kein völliger Erfolg ein, weil die Patientin bereits nach einer
Serie fortblieb und außerdem erst 39 Jahre alt war. Also ist diese un-
vollkommene Heilung nicht der Technik zur Last zu legen, da zweifellos
wie bei den anderen Fällen nach 1—2 weiteren Serien eine Amenorrhoe
eingetreten wäre. Demnach also bisher auch kein eigentlicher Miß-
erfolg mit der richtig durchgeführten verstärkten Technik.
Demgegenüber sind nach der Anfangstechnik zwar auch 12
amenorrhoisch geworden (46°/,) und 7 zeigten ein Schwächerwerden der
Blutung. Alle anderen 7 sind aber als vollkommene Versager aufzufassen,
da die Periodenblutungen unbeeinflußt blieben. In einem Falle wurde
sogar wegen Stärkerwerden der Blutung die Totalexstirpation vorgenommen.
Eine weitere Bestätigung der Zuverlässigkeit der jetzigen Technik
finden wir bei dem Vergleiche der verschiedenen Altersstufen der behan-
delten Patientinnen:
30—40 Jahren 41—45 J. 46—50 J. | über 50
Anehoreh: | Olirom. utvöränd: Am. lOlig. unv. | verst. Am. Olig. unv. Amenorih:
Anfangstechnik ılı |e alı Je|2lı
Jetzige Technik 2 1 4! 5 | 1
In dieser Zusammenstellung fällt wiederum die hohe Prozentzahl der
in verhältnismäßig jungem Alter intensiver bestrahlten Patientinnen auf.
Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 297
Waren doch von 13 3 Patientinnen noch nicht 40 Jahre alt, die nach
2—3 Serien amenorrhoisch und nach 1 Serie oligomenorrhoisch wurden.
Im scharfen Gegensatz dazu steht der schlechte Erfolg mit der ge-
geringen Filterung und schwachen Dosierung, besonders bei den Frauen,
die bereits in der 2. Hälfte der 40er Jahre standen. Ist doch bei einer
47jährigen Patientin trotz zweier Serien überhaupt keine Besserung er-
zielt worden und bei einer 47- und einer 46jährigen nur ein Schwächer-
werden der Blutungen. Allerdings hat ein Teil der Patientinnen nur
1 Serie erhalten, demgegenüber sind aber auch Fälle von 3 und 4 Serien
absolut unbeeinflußt geblieben, sodaß ein weites Zurückbleiben der An-
fangstechnik hinter der verstärkten Bestrahlung nicht zu verkennen ist.
Wenn vielleicht auch bei einer Reihe von Patientinnen durch Fortsetzung
der Bestrahlung noch ein Erfolg erreicht worden wäre, so erscheint doch,
abgesehen von der bei der schwachen Dosierung unvermeidlichen Gefahr
einer Verschlimmerung, diese Technik aus dem Grunde unangebracht, weil
die Patientinnen bei dem ziemlich langen Ausbleiben eines sichtbaren Er-
folges das Vertrauen zu der Behandlung verlieren. Aus diesem Grunde
sind zweifellos einige unserer Patientinnen aus der Behandlung fort-
geblieben. Dies gilt zwar in erster Linie für die Metropathien, fast in
demselben Grade aber auch für die Myome.
Dieses beachtenswerte Motiv könnte dazu Veranlassung geben, eine
noch intensivere Bestrahlung wie wir sie anwenden, auszuführen, wie sie
von der Freiburger Klinik auch empfohlen wird. Dagegen sind die zum
Teil genau beobachteten, zum Teil aber noch ungeklärten Früh- und
Spätschädigungen anzuführen, vor deren Unterschätzung bereits von ver-
schiedenen Seiten gewarnt worden ist (Wetterer, Bergoni6s, Speder,
Iselin, d’Halluin usw.).
Frühschädigungen.
Hierher gehören als wichtigste Erscheinungen die Erytlıeme, der
„Röntgenrausch“ resp. „Röntgenkater‘‘ und die Magendarmstörungen. Die
Erytheme lassen sich durch entsprechende Filterung, exakte und nicht
zu hohe Dosierung und gute Abdeckung und Auswahl möglichst harter
Strahlen vermeiden. Wir haben bisher in keinem Falle ein stärkeres
Erythem beobachtet. Der „Röntgenrausch“ resp. „Röntgenkater“ ist nach
den Veröffentlichungen zweifellos stärker, je größer die verabfolgte Stralilen-
menge ist. Auch wir haben bei unserer anfänglichen Technik fast nie
Mattigkeit oder Kopfschmerzen erlebt, während bei der verstärkten Technik
zweifellos diese Erscheinungen häufiger und stärker waren, jedoch niemals
so, daß die Patientinnen schwer darunter litten. Durchfälle sind bei keinem
unserer Fälle aufgetreten.
298 Langes,
Trotzdem scheint aus experimentellen Versuchen an Kaninchendärmen,
die wir angestellt, jedoch noch nicht abgeschlossen haben, hervorzugehen.
daß ähnlich wie es von den Franzosen Regaud, Nogier und Lacassagne!)
an Hunden beschrieben worden ist, durch Verabfolgung sehr grober
Strahlenmengen Darmschädigungen hervorgerufen werden können, obwohl
die Tiere äußerlich keine Veränderungen aufweisen. Jedenfalls geben
diese Beobachtungen, falls sie sich bestätigen, zu denken.
Spätschädigungen und Nebenerscheinungen.
Hierzu gehören die schwereren Hautveränderungen (Dermatitis, Atrophie,
Teleangiektasien, Ulzera), ferner die harmloseren Hautpigmentierungen und
weiter die noch unbekannten Veränderungen der inneren Organe speziell
des Darms und der Nebennieren. Wir beobachteten bisher in fast allen
Fällen mehr oder weniger starke Hautpigmentierungen, die jedoch keinerlei
Beschwerden verursachten. Sonst haben wir bisher keine Spätschädigungen
feststellen können. Ein Unterschied zwischen der Anfangs- und jetzigen
Technik war in dieser Beziehung nicht zu bemerken. Weiter verdienen
noch die sogenannten Nebenerscheinungen. und zwar als die wich-
tissten die Ausfallserscheinungen der Erwähnung, die wir in den
meisten Fällen beobachten konnten. Der Grad und die Schwere richtete
sich im allgemeinen nach dem Alter und der verabfolgten Strahlenmenge.
Je älter die Patientinnen waren, und je geringer die Dosis war, um so
milder verlief das künstliche Klimakterium. In keinem Falle gingen sie
über die physiologischen Grenzen hinaus. Auch aus diesen Beobachtungen
halte ich ein plötzliches zu schnelles Überführen zur Amenorrhoe durch
übermäßig hohe Dosen für nicht unbedenklich.
Alle diese Gründe haben uns bewogen, an unserer Technik, die
einen Mittelweg zwischen der Hamburger und der Freiburger Technik
darstellt, bei Myomen und Metropathien festzuhalten: denn es liegt absolut
kein Grund vor und ist sogar gefährlich, einer Patientin 1000 X und mehr
zu verabfolgen, wenn auf Grund unserer bisherigen Erfahrungen durch den
5. Teil derselbe Erfolg in etwas längerer Zeit erzielt wird. Natürlich darf
nicht eine vorübergehende Verschlimmerung oder gar Versager eintreten.
Solange wir diese nicht zu verzeichnen haben, erscheint mir auch aus
ökonomischen Gründen eine noch intensivere Bestrahlung mindestens
überflüssig.
Zusammenfassung.
1. Unsere Technik besteht in einer 6—9-Felderbestrahlung von allen
Seiten her, und zwar werden durchschnittlich 20 X pro loco mit 4 mm
Aluminiumfilter gemessen an verstellbaren Sabouraudtabletten verabfolgt.
I) Arch. d’Eleetricite medicale 1912, Nr. 343, p. 321.
Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 299
2. Experimentelle Untersuchungen haben Bestrahlungen der Kreuz-
bein-, Glutäal- und Dammgegend rationell erscheinen lassen.
3. Unsere Erfolge mit dieser Technik sind bisher sehr gut zu nennen
(100% Heilung bei Myomen und Metropathien).
4. Anfänglich wandten wir eine andere Technik an (2 Felder, 1 mm
Aluminiumfilter), die sich als unzureichend herausgestellt hat.
5. Noch größere Dosen als 200 X in einer Serie erscheinen über-
trieben, wenn nicht infolge der stärkeren Frühschädigungen (,‚Kater‘‘) und
der noch unbekannten, aber möglichen Darmschädigungen gefährlich.
6. Ernsthafte Schädigungen sind bisher bei unserer Technik nicht
beobachtet.
(Aus der Kgl. Universitätsfrauenklinik zu Berlin; Direktor: Geheimrat
Prof. Dr. E. Bumm.)
Die Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlen auf
das Karzinom, den Uterus und die Ovarien.
Von
Dr. P. Haendly, Assistent.
ur Beurteilung der Erfolge bei der Behandlung des Uteruskarzinoms
mit strahlender Energie steht uns, abgesehen von der Besserung des
rein klinischen Befundes als Hilfsmittel die mikroskopische Untersuchung
von Probeexzisionen aus den karzinomatösen Partien zur Verfügung. Wenn-
gleich uns diese Untersuchungen, wie schon an anderer Stelle auseinander-
gesetzt, über die völlige Heilung des Karzinoms kein absolut einwandfreies
Ergebnis bringen können, da beim Verschwinden des Karzinoms in den
der Probeexzision zugänglichen Stellen ein Weiterwachsen in der Tiefe der
Uteruswand sowohl wie in den Parametrien statthaben kann, so gewinnen
wir doch eine sehr wertvolle Vorstellung über die Veränderungen, die eine
Bestrahlung nach den modernen Forderungen der Tiefentherapie an dem
Karzinom und den anderen Gewebebestandteilen hervorzurufen imstande
ist. Wir sehen weiter, wie der Ersatz des zugrunde gegangenen Karzinom-
gewebes erfolgt, und wir erfahren, welche Art der Strahlentilterung, welche
Dosierung, kurz welche Technik am wirksamsten ist. Ein Urteil über die
Tiefenwirkung aber und über die elektive Wirkung der Strahlen läßt sich
nur an den nach der Behandlung exstirpierten Uteri, über die völlige Hei-
lung des Karzinoms in letzter Linie durch das weitere Verhalten der be-
handelten Kranken gewinnen. Wird eine Patientin, die mit einem durch
die mikroskopische Untersuchung sichergestellten Karzinom in die Behand-
lung eintrat, „geheilt“ entlassen, so muß die Weiterbeobachtung und die
Beurteilung des Erfolges nach den gleichen Grundsätzen geschehen, wie
sie bisher allgemein als gültig für die Resultate der Radikaloperation an-
erkannt worden sind; das heißt: eine Karzinomkranke kann erst als geheilt
bezeichnet werden, wenn sie 5 Jahre nach der Behandlung rezidivfrei ist.
Daß} diese Forderung nicht zu rigoros ist, erhellt ein von Brieger mit-
geteilter Fall, in dem eine von Lassar wegen eines Karzınoms des unteren
Augenlides mit Radium behandelte und geheilt entlassene Frau nach 8
Jahren mit einem Rezidiv in der alten Narbe wieder zur Beobachtung kam.
Haendly, Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlung usw. 301
Wir haben schon kurz an anderer Stelle über die histologischen Be-
funde an Probeexzisionen bei unseren mit Mesothorium und Röntgenstrahlen
behandelten Karzinomen berichtet. In ausführlicher Weise soll dies in den
folgenden Zeilen geschehen. Es sollen dabei nicht nur die Veränderungen
an dem Karzinomgewebe, die im allgemeinen mit den schon von anderen
Untersuchern erhobenen Befunden übereinstimmen (Exner, Perthes,
Kaiserling, Herxheimer, Wickham, Oserky und Caan, Werner,
Aschoff, Krönig, Gauß, Döderlein u. a.), sondern auch der Einfluß
der Strahlen auf den Uterus und die Ovarien berücksichtigt werden. Man
findet nun bei der mikroskopischen Untersuchung bestrahlter Gewebe natür-
lich allerlei Veränderungen, die auf irgendwelche Einflüsse zurückzuführen
sind und mit der Bestrahlung nicht das geringste zu tun haben. Als
Folge der Bestrahlung können nur die Abweichungen von dem gewohnten
histologischen Bilde eines Gewebes betrachtet werden, die regelmäßig nach
einer derartigen Behandlung beobachtet werden. Würde man z. B. die
Sklerose eines Ovarıums und das Fehlen von Primärfollikeln bei einer
Frau, die schon seit einer Reihe von Jahren in der Menopause ist, oder
jeden Zerfall von Karzinomgewebe auf die Strahlenwirkung zurückführen,
so wäre das ein Fehlschluß. Finden sich aber die gleichen Veränderungen
am Ovarium einer jungen Frau, deren Menstruation während der Behand-
lung fortgeblieben ist, steht der Zerfall des Karzinoms so im Vordergrunde,
daß er in ungewohnter Weise das Bild beherrscht, und kehren diese Be-
funde in anderen Fällen in gleicher Weise wieder, so ist man berechtigt,
daraus seine Schlüsse über die Wirkung der Strahlen zu ziehen.
Gehen wir zunächst auf die im Vordergrunde des Interesses stehende
Reaktion des Karzinomgewebes auf die Bestrahlung ein. Wenn wir ein
vor der Bestrahlung gewonnenes Präparat bei schwacher Vergrößerung mit
einem weiteren vergleichen, das nach 2—3 wöchentlicher Bestrahlungszeit
gewonnen worden ist, so fällt zu allererst einmal auf, daß die Krebsstränge
viel schmäler geworden sind, daß viel kleinere oft nur aus einigen wenigen
Zellen zusammengesetzte Häufchen zu den massigen, nur von einem spär-
lichen Zwischengewebe getrennten Karzinomalveolen gegenüberstchen.
Während ferner die Karzinomzellen in dem Tumor ursprünglich eng zu-
sammen lagen, und bei dicht stehenden Kernen vom Zelleib nur ein
schmaler Saum zu erkennen war, die Kerne selbst ungefähr von gleicher
Größe dem Beobachter ein mehr einheitliches Bild darboten, sind die Zellen
in den Präparaten nach der Bestrahlung größer, plattenepithelartiger, die
ganze Alveole durch das stärkere Hervortreten des Protoplasmas im Ganzen
heller, lichter. Bei stärkerer Vergrößerung erscheinen die Zellen gequollen:
die Kerne sind bläschenförmig und zeigen eine ungleiche Färbbarkeit.
Neben sehr dunkel tingierten, die eine feinere Struktur nicht erkennen
302 Haendly,
lassen, finden sich hypochromatische, die neben ein oder zwei dunkel tin-
gierten Kernkörperchen ein feines Netzwerk von Ohromatinfäden aufweisen,
während die übrige Kernsubstanz hell wie mit kleinen Vakuolen durch-
setzt ist. Auch das Protoplasma zeigt Variationen der Färbefähigkeit, ist
bald heller, blaß tingiert und weist hier und da Vakuolen auf, bald ist der
Farbton infolge einer feinen Körnung dunkler. Die Zellgrenzen erscheinen
infolge des plattenepithelähnlichen Charakters der Zellen schärfer. Viel-
fach findet sich auch eine Neigung zur Verhornung. Eine stärkere Perl-
bildung haben wir aber nur in den Fällen gefunden, in welchen es sich
ursprünglich um Karzinome handelte, die vom Oberflächenepithel ausgehend
schon an und für sich zur Verhornung neigten. Hier allerdings nimmt
die Verhornung unter der Behandlung oft eine sehr große Ausdehnung an,
so daß, wie wir es z. B. bei einem primären Vulvakarzinom beobachteten,
das noch vorhandene Karzinomgewebe fast nur aus verhornten Massen mit
spärlichen oft flach gedrückten Kernen besteht. die große geschichtete
Perlen oder auch breite homogene kaum gefärbte, bei Weigert-Haematoxy-
lin-van Gieson-Färbung gelblich-braune Schollen bilden. In anderen
Fällen wieder sind die Grenzen verwischt. Das Protoplasma ist in aus-
gedehntem Maße zusammengeflossen und nimmt synzytialen Charakter an.
Hier sind dann die Kerne von ungleicher Größe, Form und Färbbarkeit
regellos verteilt, oft einzeln oder an anderen Stellen in mehr oder weniger
großer Zalıl dicht bei einander liegend, so daß Bilder entstehen, die an
ein Chorionepitheliom erinnern. Schon in diesem Stadium sind die Kern-
teilungsfiguren geschwunden. Selbst in Karzinomen, die sich ursprünglich
durch eine sehr reichliche Karyokinese auszeichneten, so daß man in jedem
Gesichtsfeld ein oder mehrere Mitosen fand, können selbst bei genauer
Durchsicht eines Präparates keine mehr gefunden werden. Dagegen kommt
es, ebenfalls als ein Zeichen einer anormalen Zellvermehrung zu mehr oder
minder zahlreicher Bildung von mehrkernigen oder auch großen einkernigen
Riesenzellen. Auch eine starke Verfettung der Zellen haben wir beobachtet.
Bei länger dauernder Behandlung steigern sich die Veränderungen. Die
Menge des Karzinomgewebes nimmt immer mehr ab. Zwischen breiter
werdenden Massen von Bindegewebe, dessen Veränderungen weiter unten
beschrieben werden sollen, liegen nur noch schmale Züge und kleine
Haufen von Karzinomzellen, oft nur noch in Einzelexemplaren, an denen
die Zeichen des Unterganges immer deutlicher hervortreten. Diese wechseln
in ihrem Angriffspunkt und betreffen bald stärker den Kern, bald mehr
das Protoplosma. Während sich schon in dem oben beschriebenen Stadium
ein Kernzerfall bemerkbar machte, so daß das Protoplasma mit kleinen
und kleinsten schweren Körnchen wie bestäubt erscheint, tritt die Pyknose
jetzt noch mehr in den Vordergrund. Man findet in den Zellen immer
Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlung usw. 303
häufiger bald gröbere bald feinere unregelmäßig geformte Reste des zer-
fallenen Kernes. Schließlich schwindet er völlig — Kariolyse — und man
hat nur noch eine kernlose Protoplasmamasse vor sich, die schließlich
auch zerfällt. In anderen Fällen wieder ist der Kern mehr oder weniger
gut erhalten, während der Zellteil Vakuolen aufweist oder versprengt ist
und mit unregelmäßigem Rand wie angefressen erscheint. Schließlich findet
man nur noch schlecht gefärbte zuweilen verkalkte zerfallene Protoplasma-
schollen mit einzelnen Kerntrümmern, bis endlich in einer erneuten Ex-
zision überhaupt nichts mehr von Karzinomgewebe vorhanden ist.
Dies wären die Befunde, die sich in wechselnder Zusammenstellung
und in einer nach der Länge der Bestrahlungszeit quantitativ und qualitativ
verschiedenen Ausdehnung am Karzinomgewebe erheben lassen. Die Ein-
wirkung der Strahlen erstreckt sich aber nicht nur auf die Krebszelle, Hand
in Hand mit den Veränderungen an ihr gehen die der übrigen Gewebe.
Am auffallendsten sind zunächst die Vorgänge am Bindegewebe. Man
war früher sogar der Ansicht, daß das Bindegewebe primär den Angriffs-
punkt für die Strahlenwirkung bilde. Es sollte als erste Erscheinung eine
Wucherung und Neubildung des Bindegewebes eintreten, die durch Druck
zu einer Atrophie und einem Untergange des Karzinoms führe. Dies war
z. B. die Auffassung von Exner und er bezeichnete eine primäre Schädigung
der Karzinomzelle als zweifelhaft. Demgegenüber wird heute angenommen,
daß die Strahlen auf die Karzinomzelle eine elektive, zerstörende Wirkung
ausüben und zugleich das Bindegewebe zu einer starken Proliferation an-
regen (Aschoff, Krönig, Gau, Döderlein u. a.) Nach unserer An-
sicht dürften sich die Vorgänge folgendermaßen abspielen: zunächst tritt
als Wirkung der Bestrahlung eine Schädigung der Krebszellen ein, die wie
wir auseinandergesetzt haben, zu einer Störung in der Zellvermehrung
(Fehlen der Mitosen, Riesenzellenbildung), in gewissem Grade zu einer
Änderung des Zellcharakters (Plattenepithel, Verhornung) und dann in
fortlaufender Reihe bis zu einem völligen Zerfall der Zelle führt. Die
durch das Zugrundegehen der Krebszellen geschaffenen Defekte müssen
natürlich ersetzt, das zerfallende Gewebe muß resorbiert werden. Hier
tritt das Bindegewebe ein. Wir können an unseren Präparaten genau
verfolgen, wie bei den ersten an den Karzinomzellen auftretenden Schädi-
gungen Züge von Leukozyten in die Alveolen eindringen und eine Proli-
feration des Bindegewebes am Rande der Krebsnester beginnt, die sich
zunächst in einer starken Vermehrung von großen Rundzellen äußert.
Diese schieben sich zwischen die untergehenden Karzinomzellen und füllen,
während Phagozyten die Zellreste fortschaffen, die Lücken aus. Sehr bald
findet man zwischen den Rundzellen große spindelförmige Zellen mit blasigen
Kernen. Oft sieht man Keile in die Krehnester zwischen die Zellen vom
304 Haendly.,
Rande her hereinragen, die, olıne daß eine Rundzelleninfiltration vorhanden
ist. aus großen, dicht aneinander liegenden Spindelzellen bestehen. Während
diese Vorginge am Rande der Krebshaufen spielen, tritt in dem übrigen
Bindegewebe eine langsam zunehmende Sklerosierung und schließlich eine
ausgedelinte hyaline Degeneration der Fibrillen ein, und auch das neu-
gebildete Bindegewebe wird bald in dieser Richtung verändert. Die Fibrillen
nelımen an Menge zu, quellen immer mehr auf, verschmelzen miteinander
und bilden breite, homogen gefärbte, glasige Streifen, an denen die Ent-
stehung aus Fibrillen kaum mehr zu erkennen ist. Die Kerne schwinden.
Schließlich hat man nur noch regellos ineinander geschobene hyaline Massen.
die ungleichmäßig tingiert sind. Bindegewebskerne findet man dann nur
noch ganz vereinzelt. Die Gefäße sind spärlich. Diese Sklerose und
spätere hyaline Degeneration beherrscht des öfteren das Bild, welches das
Bindegewebe unter der Einwirkung der Strahlen zeigt. Die Bindegewebs-
neubildung trafen wir nur dort an, wo Karzinomzellen zu Grunde gehen.
Daß sie keinen sehr erheblichen Umfang annimmt, sondern sich allein auf
den Ersatz der entstandenen Defekte beschränkt, zuletzt aber zu einer
Sklerosierung und narbigen Schrumpfung führt. Wir haben nie eine
Volumenzunahme der bestrahlten Tumorpartien gesehen. wie es die Folge
einer stärkeren Bindegewebsneubildung sein müßte. sondern im Gegenteil
eine starke Volumenabnahme. Auch bei den mit Strahlen behandelten
Obertlächenkarzinomen usw. ist der Endeffekt stets die Heilung unter
Bildung einer Narbe. In vielen Fällen kommt es aber nicht einmal
zur Neubildung eines zellreichen Bindegewebes, sondern die untergehenden
Karzinomzellen werden durch ein zartes, aus einem lockeren Netzwerk
zierlicher Fibrillen mit eingelagerten Rund- und Spindelzellen bestehenden
(sranulationsgewebe ersetzt. Hier finden sich reichlich Phagozvten. seltener
Plasmazellen. An anderen Stellen kommt es wohl überhaupt nicht zu
einer Gewebsneubildung. Der Ersatz scheint hier dadurch herbeigeführt
zu werden. daB die sklerosierenden und hyalin degenerierenden Fibrillen
an Volumen zunehmend sich eng um die schwindenden Karzinomizellen
zusammenziehen und sofort zu einer festen derben Narbe führen. An der
Oberfläche tritt regelmäßig in einer schmalen Zone eine Nekrose aller
(sewebebestandteile ein. Nach dem erhaltenen Gewebe zu bildet Granu-
lationsgewebe dann den Übergang. Daran muß aber jedenfalls festgehalten
werden: kommt es zu einer Bindegewebsproliferation, so ist es immer nur
da der Fall. wo Karzinomzellen untergehen.
Im Gegensatz zum Bindegewebe kommt es bei der Muskulatur nur
zu regressiven Veränderungen. \Wieweit diese auf den Druck der sklero-
sierenden Bindegewebstibrillen oder auf die Strahlenwirkung zu schieben
sind. ist mit Sicherheit nicht zu entscheiden. Zunächst werden die Muskel-
Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlung usw. 305
bündel durch die Sklerose und hyaline Degeneration des Bindegewebes aus-
einander gedrängt. Dann quillt das Protoplasma der Muskelzellen auf, die
Zeichnung und die Zellkonturen werden verschwommen. Įm weiteren Ver-
laufe gehen die Kerne zu Grunde, die Muskelzellen atrophieren, die Fi-
brillen degenerieren hyalın. So nimmt die Muskulatur immer mehr ab
und schließlich findet man zwischen dem sklerosierten und hyalin degene-
rierten Bindegewebe nur noch kaum erkennbare Reste von Muskelzellen.
Naturgemäß sind diese Veränderungen am stärksten und machen sich am
ersten bemerkbar in den der Strahlungsquelle zunächst belegenen Partien,
also bei den Karzinombehandlungen in der Zervix. Doch wird bei lange
dauernder Behandlung auch die Korpusmuskulatur in der gleichen Weise
beeinflußt, so daß zum Schluß nur noch ein aus sklerosiertem und hyalin
degeneriertem Bindegewebe bestehendes Organ resultiert. Wie weit außer
den genannten Ursachen dafür zuletzt noch der Ausfall der Ovarienfunktion
von Bedeutung ist, kann mit Sicherheit nicht entschieden werden. Daß
letzteres jedenfalls nicht der ausschlaggebende, allein wirksame Faktor ist,
kann aus der zuerst in der Nähe der Strahlungsquelle auftretenden Atrophie
geschlossen werden.
Die eben erwähnte Schädigung der Ovarien, die in einem Untergang
der Primärfollikel und völliger Atrophie besteht, konnte von uns an einigen
nach der Behandlung durch Operation oder Sektion gewonnenen Ovarien
jüngerer zwischen 35—40 Jahre alter Frauen beobachtet werden. Es
kamen diese nach verschieden langer Bestrahlungsdauer zur Untersuchung,
so daß wir ein ziemlich vollständiges Bild der aufeinander folgenden
Stadien gewonnen haben. Bei den Fällen, die die geringsten Strahlen-
mengen appliziert erhielten, fand sich eine Sklerose der Bindegewebsfibrillen
in der Parenchymschicht, die nicht ganz gleichmäßig verteilt, am stärksten
am Rande des Ovarıums war. Von den mäßig reichlich vorhandenen
Primärfollikeln war keiner mehr normal. Sie zeigten in mehr oder minder
starkem Grade ein Aufquellen des Granulosaepithels, das schließlich in
das Lumen des Follikels abgestoßen wurde. Die Eizellen waren in allen
Primärfollikeln zerstört und lagen als farblose amorphe Detritusmasse im
Lumen. Der weitere Verlauf, der Ersatz des durch den Untergang des
Follikels entstandenen Defektes, vollzieht sich wie bei der Follikelatresie:
Reifende Follikel sind nicht mehr vorhanden. Bei länger dauernder Be-
handlung finden sich immer weniger Follikel.e. Die noch vorhandenen zeigen
in verschieden starkem Grade die Zeichen des Unterganges. Das sklero-
sierte Bindegewebe verfällt einer wiederum vom Rande her vorschreitenden
hyalinen Degeneration. In den Ovarien einer von uns sehr lange be-
handelten Patientin, die während dieser Zeit amenorrhoisch geworden war,
zeigt die Parenchymschicht ein dichtes Geflecht von sklerotischen und
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 20
306 Haendly,
hyalın degenerierten Bindegewebsfibrillen, das im allgemeinen sehr kern-
arm nur an einzelnen Stellen noch Bindegewebskerne aufweist. In der
Albuginea liegen dort, wo die hyaline Degeneration nicht zu weit fort-
geschritten ist, dichte Haufen von elastischen Fasern. Primärfollikel sind
keine vorhanden — es handelte sich um eine 37jährige Frau —. Nur
ganz vereinzelt stößt man auf kleine Hohlräume ohne Wandbekleidung, in
denen einige zerfallende kleine Protoplasmaschollen ohne Kerne liegen. An
den Gefäßen finden sich starke Veränderungen. Es muß aber bei der
Beurteilung der Gefäßveränderungen im Ovarium als Folgen der Bestrahlung
Vorsicht walten, da gerade hier sich vielfach Degenerationsvorgänge an den
Gefäßen bemerkbar machen, ohne daß eine Bestrahlung stattgefunden hat
— ÖOvulationssklerose. Bei der Beschreibung der Gefüßdegenerationen, die
wir auf die Bestrahlung beziehen, haben wir daher nur die Gefäße des
Uterus in Betracht gezogen. Entsprechend der Länge und Intensität der
Bestrahlung sind sie von Fall zu Fall graduell verschieden.
Die Vorgänge an den Wandschichten der Gefäße sind entsprechend
ihrer Zusammensetzung aus Muskulatur und Bindegewebe fast identisch
mit den degenerativen Vorgängen dieser Gewebe. Die Adventitia wird
zunächst beeinflußt und zeigt eine Sklerose der Fibrillen, und schließlich
eine Degeneration. Die Degeneration der Media durchläuft verschiedene
Stadien: zunächst quellen die Muskelzellen auf und verlieren ihre feine
Streifung und ihre Konturen. Die Färbung wird blasser. Endlich ver-
schwinden die Kerne, die Zellen verlieren ihre Färbbarkeit im Hämatexylin-
Eosin- und Weigert-van Gieson-Präparat vollständig: es resultiert eine
amorphe bei der letztgenannten Färbung grau-grünlich aussehende Masse.
Betrachtet man ein solches Präparat bei einer Elastikafärbung, so sielıt
man, daß diese Massen nur aus elastischen Fasern bestehen, die auf-
gequollen, verklumpt, zum Teil zerfallen ein unentwirrbares Netzwerk
bilden. Wieder an anderen Gefäßen besteht nur noch ein homogener
hyaliner Ring, in dem schließlich, wohl als letztes Stadium der Degenera-
tion, zuweilen breite Kalkspangen abgelagert werden. Die Intima erhält
sich am längsten normal. Erst wenn die Degeneration der übrigen Wand-
schichten schon ziemlich weit vorgeschritten ist, fängt sie an zu wuchern,
die Kerne quellen auf. Das Lumen wird immer mehr verengert, bis es
endlich obliteriert.
Von den Gewebebestandteilen, die wir noch weiterhin genauer auf ihr
Verhalten gegenüber der Bestrahlung untersuchten, sind die elastischen
Fasern, die Plasmazellen und die eosinophilen Leukozyten zu nennen. Die
ersten quellen unter der Behandlung auf, verlieren an Färbbarkeit, ver-
klumpen, um endlich in mehr oder weniger unregelmäßigen Fasern und
Klümpchen in ungleicher Menge über das Präparat verteilt sich zu zeigen.
Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlung usw. 307
Die Plasmazellen und eosinophilen Leukozyten, deren Verhalten von
Frl. Weishaupt in unserem Institut speziell untersucht worden ist, ver-
schwinden mit der zunehmenden Sklerosierung und hyalinen Degeneration
und zwar die Plasmazellen zuerst.
Fassen wir unsere Untersuchungen kurz zusammen, so können wir
sagen, daß es unter dem Einfluß der Strahlen zu einem ausgedehnten
Untergange des Karzinomgewebes kommt. Das Bindegewebe weist insofern
ein durch den Untergang der Karzinomzellen entstandener Defekt zu er-
setzen ist, eine Neubildung auf. Dieses neugebildete Bindegewebe sklero-
siert und degeneriert ebenso wie das übrige Bindegewebe. Die glatte
Muskulatur atrophiert und verschwindet fast völlig. Die Muskelfibrillen
degenerieren zum Teil hyalın. Im Ovarium werden die Primärfollikel
völlig zerstört. Die Gefälle zeigen eine hyaline Degeneration der Adven-
titia und Media. Die letztere verkalkt hin und wieder. Durch eine
Wucherung der Intima kommt es zu einer Obliteration zahlreicher Gefäße.
Den klinischen Erfolg dieser Veränderungen abzuschätzen, ist nicht die
Sache des Pathologen, ihn wird in letzter Linie die Zukunft lehren.
=u*
Aus den Verhandlungen der Royal Society of Medicine,
Section für Elektrotherapie.
Die im tierischen Gewebe entstehenden Sekundärstrahlen.
Von
N. Russ, D. Sc.
(Mit 4 Abbildungen.)
s häufen sich allmählich die Beweise dafür, daß der biologische Effekt
der verschiedenen Strahlenarten, wie sie vom Radium und der Rönteen-
röhre ausgesandt werden, parallel geht der ionisierenden Wirkung dieser
Strahlen. Die leicht absorbierbaren Strahlen, die bezüglich der Ionisativn
äußerst wirksam sind, rufen eine größere biologische Wirkung hervor als
die stärker penetrierenden.
Man hat gefunden, daß, wenn irgendeine Substanz von primärer
Röntgenstrahlung getroffen wird, diese Substanz nach allen Richtungen hın
Sekundärstrahlung aussendet. Diese Strahlung kann identisch mit der
Primärstrahlung sein; in diesem Falle nennt man sie „zerstreute (diffuse)
Primärstrahlung“. Sie kann jedoch auch bestimmte Eigenschaften haben.
die von den die betreffende Substanz zusammensetzenden Elementen ab-
hängen. So hat Barkla gezeigt, daß alle Elemente von einem höheren
Atomgewicht als 40 eine „.charakteristische homogene Strahlung‘ aussenden,
wenn sie von einer geeigneten primären Strahlung getroffen werden. Je
niedriger das Atomgewicht, desto weicher ist diese homogene Strahlung.
Whiddington hat nachgewiesen, dal Aluminium (Atomgewicht 27) eine
„charakteristische Strahlung‘‘ aussendet, die, wie nach Barklas Arbeiten
vorauszusehen war, von sehr weichem Typ ist.
Da die Gewebe des tierischen Körpers in der Hauptsache aus Ele-
menten von niedrigem Atomgewicht bestehen, so müßte man annehmen,
daß das Auftreffen von Röntgenstrahlen auf das Gewebe keine besonders
charakteristische und leicht erkennbare homogene Sekundärstrahlung er-
zeugen würde. Man müßte ferner, falls sich Unterschiede in den Sekunllür-
strahlungen einzelner Gewebe ergeben sollten, diese aller Wahrscheinlich-
keit nach auf den verschiedenen Mineralgehalt dieser Gewebe zurückführen.
Wir haben nun einige orientierende Messungen bezüglich der Sekundär-
strahlen angestellt, die in verschiedenen Geweben (des Hammels) entstehen.
wenn eine Primärstrahlung von mittlerer Härte auftrifft (Strahlung einer
gewöhnlichen Röntgenröhre mit 9 cm Funkenstrecke). In welcher Art
Russ, Im tierischen Gewebe entstehende Sekundärstrahlen. 309
diese Untersuchungen angestellt wurden, ergibt sich aus Fig. 1: Die
Primärstrahlung trifft ein Gewebsstück (T), das sich in einem Behälter
aus dünnem Glimmer von 1,5 cm Tiefe befindet. Das ganze befindet sich
in 10 cm Entfernung senkrecht unter einem Goldblattelektroskop (E).
Ein Teil der im Gewebe entstehenden Sekundärstrahlung kann durch ein
Loch in einem Bleischirm hindurch treten. Das Loch selbst kann wieder
mit Aluminiumplättchen, je nach Erfordernis bedeckt werden. Die durch
das Loch tretenden Strahlen treffen das Elektroskop, ionisieren die Luft in
diesem und bewirken, dal die Goldblättchen allmählich zusammenfallen.
Die Schnelligkeit dieses Vorganges ist dann ein Maß für die Stärke der
Ionisation. Das Elektroskop wurde, mit Ausnahme eines leichten Rah-
mens, aus Seidenpapier gefertigt, um die Entstehung von tertiären Strahlen
unter dem Einfluß der zu unter-
suchenden Sekundärstrahlung zu
vermeiden.
Nachdem die Stärke der
Ionisation zunächst allein ge-
messen war, wurden Aluminium-
scheiben über das Loch gelegt und
die schrittweise Verminderung der
Ionisation gemessen. Auf diese
Weise konnte die Penetrations- P
kraft der Sekundärstrahlung be-
stimmt werden.
Figur 2 zeigt die Absorptions- Fig. 1.
kurven für Wasser, Blut und
Knochen. Die beiden ersteren ergeben, unter diesen speziellen Versuchsbedin-
gungen, keine charakteristischen Unterschiede von einander und lassen wie wir
später sehen werden, erkennen, daß die Primärstrahlung durch sie „zer-
streut“ wird ohne irgendwelche Änderung ihres Charakters. Der plötzliche
Abfall der Ionisationskurve für die von pulverisiertem Knochen ausgehenden
Sekundärstrahlen ist höchstwahrscheinlich auf deren Kalziumgehalt zurück-
zuführen. Die charakteristische homogene Strahlung, die bestrahltes Kal-
zium aussendet, ist nach Barkla sehr weich und würde mehr als zur
Hälfte von der 10cm hohen Luftschicht zwischen Oberfläche der Substanz
und Elektroskop absorbiert werden.
Neben diesem weichen Anteil wurde der Rest der Sekundiärstrahlung
als zerstreute Primärstrahlung festgestellt.
Auf demselben Diagramm sind 2 Beispiele der charakteristischen
homogenen Strahlung dargestellt, die in Metallen bei gleicher primärer
Strahlung entsteht. Man sieht deutlich, wie diese von Blei und Wismuth
Antı Kathodle
310 Russ,
emittierte Strahlenart sehr leicht absorbiert wird. Diese Metalle wurden
gewählt, da es im besonderen klinischen Interesse zu liegen schien. Blei
wird gelegentlich als Material für Strahlenschutzwände benutzt; die Mög-
lichkeit, daß dieses Vorgehen mit Gefahren verbunden ist, liegt offenbar
vor. Man muß bedenken, daß sich die weiche Strahlung durch die ver-
schiedenen einzelnen Schichten einer Schutzwand fortpflanzt und daß der
dann austretenden Strahlenmenge wahrscheinlich eine bedeutende Intensität
zukommen dürfte. Die gleiche sekundäre Strahlung wird übrigens durch
die y-Stralhlen des
Radiums ausgelöst.
Wismuth wird be-
kanntlichzuZwecken
der Radiographie in
den Körper einge-
o Wasser
= blut
Anohen
P führt und es ist wich-
i i tig zu wissen, daß
U durch die Primär-
m , strahlung in ihm eine
j sehr weiche Sekun-
Š F därstrahlung ausge-
S 7 X ~2 a] löst wird.
š D “ og In Figur 3 geben
N eh die voll ausgezogenen
. Linien I, IJ und II
N die Absorption der
Bw n. in der Milz entste-
| Br henden Sekundär-
A Sn g 7 72 75 78
strahlung durch Alu-
minium wieder und
Fig. 2. zwar unter verschie-
dener Versuchsan-
ordnung. Kurve I bezieht sich auf Milz in natürlichem Zustande; ein Vergleich
mit Figur 2 ergibt, daß die entstehende Sekundärstrahlung nicht wesentlich
von der des Wassers und Blutes abweicht. Diese Ähnlichkeit der Kurven ixt
wahrscheinlich auf den hohen Wassergehalt des normalen Gewebes zurück-
zuführen. Dasselbe Gewebsstück wurde nachher mit Azeton behandelt.
um Wasser und Fett auszuziehen; der verbleibende Rückstand wurde ge-
trocknet und pulverisiert. Die nun gemessene Sekundärstrahlung ergibt
Kurve II. Jetzt ließen sich auch die Merkmale eines weichen Strahlen-
anteils in der sonst gleichmäßigen „zerstreuten Strahlung“ feststellen.
Vorher war das nicht möglich gewesen, da die „zerstreute Strahlung“ des
Aluminum in mm
Im tierischen Gewebe entstehende Sekundärstrahlen. 311
Wassers zu sehr überwog. Nachdem die pulverisierte Milz verascht worden
war, konnte nachgewiesen werden, daß die Asche, also die Mineralbestand-
teile, den Hauptanteil der gemessenen sekundären Strahlung erzeugen (siehe
Kurve III), der Rest der Strahlung ist wahrscheinlich bedingt durch „zer-
streute Primärstrahlung“* des Kohlenstoffs. Die sehr weiche Sekundär-
strahlung ist höchstwahrscheinlich auf den Gehalt an Eisen in der Milz
zurückzuführen, das ohne Schwierigkeiten mit den gewöhnlichen chemischen
Proben in dem veraschten Material nachweisbar war. Leider ist es nicht
möglich, den Absorptionskoeffizienten dieser überweichen Strahlung anzu-
geben, da Versuche |
mit sehr dünnen Alu-
miniumscheiben bis
jetzt nicht angestellt
werden konnten.
In derselben
Figur 3 geben die
punktierten Linien
die von Nierengewebe
emittierte Sekundär-
strahlung wieder, ge-
messen bei derselben
Versuchsanordnung
wie bei der Milz. Es
läßt sich leicht er-
kennen, daß die Än-
derung des Strahlen-
charakters viel weni-
ger ausgesprochen ist
als im vorhergehen-
den Fall.
In Figur 4 geben Fig. 3.
die Kurven I, Il und
III die Ergebnisse wieder, die bei Versuchen mit Lebergewebe angestellt
wurden und zwar bezieht sich Kurve I auf normale Leber, II auf ge-
trocknete, III auf veraschte. Die Abstufungen sind ähnlich den mit Milz
erhaltenen, nicht ganz so ausgesprochen wie bei dieser, aber jedenfalls
sehr viel deutlicher als die von Niere.
Alle diese Versuche sind mit einer Röhre angestellt, die bei ungefähr
9 cm Funkenstrecke betrieben wurde. Vorhergehende Messungen hatten
erkennen lassen, daß der weiche Strahlenanteil aus einer Röhre, die mit
8.5 cm Funkenstrecke betrieben wird, durch 0,56 mm Aluminium heraus-
312 Russ,
gefiltert wird, der Hauptteil der restierenden Strahlung hat dann einen mitt-
leren Absorptionskoeffizienten à = 5,6 cm—!. Aus weiteren Messungen
bei 4,5 und bei 19 cm Funkenstrecke kann man durch Interpolieren be-
rechnen, daß bei 9 cm die Konstante à ziemlich genau gleich 5 cm™!
sein wird. Untersucht man die Sekundärstrahlung der hier in Rede
stehenden Substanzen (mit ihrem normalen Wassergehalt) in der gleichen
Weise, so findet man folgende Werte für 2:
Sekundärstrahlung von: ^A in cm~?
Wasser— Blut 4,8
Knochen 4.4
Leber 4,6
Niere 5,6
Milz 3,6
Mit Ausnahme der Milz differieren diese Zahlen um nicht mehr as
etwa 10 %, von dem Werte 5, der angibt daß die gemessene Sekundär-
strahlung in ihren
Charakter der ein-
fallenden Primär-
strahlung praktisch
identisch ist. Der
niedrige Wert von
3,6 für Milz legt die
Annahme nahe, dab
abgesehen von der
sehr weichen Strah-
lung des in ihr
enthaltenen Eisens,
höchstwahrscheinlich
die Sekundärstrah-
lung an sich pene-
trationskräftiger als
bei den übrigen Orga-
nen ist. Dies könnte
daher kommen, dab
0 3 6 9 /2 rs 18 j i
Aluminium im mm. die weicheren Anteile
der Primärstrahlung
Fig. 4. durch die Milz in her-
vorragendem Male
absorbiert werden. Diese Elektivität der Absorption, die, wie Barkla und
Sadler gezeigt haben, ganz allgemein vorkommt, würde sonach den Effekt
Im tierischen Gewebe entstehende Sekundärstrahlen. 313
haben, daß die primäre Strahlung gehärtet wird und dies würde wieder
in der Verringerung der Größe von % zum Ausdruck kommen.
Diese Erklärung möchte ich an Stelle der bisherigen setzen, die an-
annimmt, daß normalerweise Substanzen in der Milz vorhanden sind, die
harte Sekundärstrahlung aussenden.
Von den verschiedenen untersuchten Geweben läßt sich bei Knochen
und Milz das Vorhandensein einer von der zerstreuten (diffusen) Primär-
strahlung verschiedenen Sekundärstrahlung am deutlichsten nachweisen.
Wie ich höre, gelingt es in: Krankheitsfällen, in denen die Milz ver-
größert ist, diese durch Bestrahlung zu verkleinern. Es läßt sich zwar
augenblicklich noch nicht mit voller Sicherheit sagen, ob und in welcher
Weise die besondere Sekundärstrahlung hierbei wirksam ist, aber es ist
doch nicht ganz unwahrscheinlich, daß zwischen dieser klinischen Beob-
achtung und den äußerst günstigen Bedingungen für die Entstehung einer
Eisenstrahlung, wie sie gerade dieses Organ bietet, gewisse Beziehungen
bestehen.
(Übersetzt ron Dr. G. A. Rost-Kiel.)
Aus dem Röntgenlaboratorium des Professor Bergonie- Bordeaux.
Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis.
Von
Dr. E. Speder.
ur Behandlung der Hypertrichose stehen uns zur Zeit eine ganze An-
zahl therapeutischer Maßnahmen zur Verfügung. Im folgenden sollen
nur diejenigen Methoden, bei denen die Elektrizität direkt oder indirekt
zur Anwendung kommt, erwähnt werden.
Die elektromedizinische Behandlung der Hypertrichose ist auf zweier-
lei Weise möglich; einerseits kann man sich der Elektrolyse bedienen
(direkte Anwendung), andererseits stehen uns die Röntgenstrahlen zu diesem
Zwecke zur Verfügung (indirekte Anwendung).
Über die Elektrolyse nur einige ganz kurze Bemerkungen, da es sich
ja hier um eine seit 30 Jahren wohlbekannte und in großem Umfange
ausgeübte Methode handele Die Technik derselben ist eigentlich in der
ganzen Zeit unverändert geblieben: man findet eine vollständige und vor-
zügliche Darstellung derselben in dem vor 18 Jahren erschienenen Leit-
faden von Hayes, Bergonie und Debedat: Technique pratique de
l'épilation par l’electricite.)
Der dort gegebenen Beschreibung der Technik haben wir auch heute
noch keinerlei Zusätze zu machen, wenn nicht, daß die persönliche Ge-
schicklichkeit des die Epilation ausführenden Arztes der weitaus bedeu-
tendste Faktor zum Erfolge der Operation ist.
Beherrscht der Arzt die Methode vollkommen, dann sind größere oder
geringere Abweichungen von der Technik nebensächlich. Wenn diese
Operation auch leicht ist, so ist es doch, wie Brocgq ganz richtig sagte.
außerordentlich schwer, sie tadellos auszuführen. Das Resultat wird gut
sein, wenn man mit der an den negativen Pol angeschlossenen Nadel absolut
sicher und ruhig, ohne Zucken, arbeiten kann, wenn man wirklich bis zum
Bulbus vordringt, wenn nicht zu hohe Intensitäten angewendet werden und
wenn man Einstiche in die Haut vermeidet. Nur unter diesen Bedingungen
erzeugt man nicht die entstellenden Flecke, die man in jedem von einem
ungeübten Neuling epilierten Gesicht sehen kann.
Das Röntgenverfahren ist ganz bedeutend jünger und seine Technik
ist bei weitem nicht so genau festgelegt als die der Elektrolyse. Nichts-
ı) Hayes, Bergonie et Debedat: Technique pratique de l’epilation par
l'électricité, Paris 1894 bei Octave Doin.
Speder, Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 315
destoweniger ist die Strahlenbehandlung viel bedeutender als die ältere
elektrische Methode der Epilation.
Fast alle neuen therapeutischen Maßnahmen fallen, nachdem sie eine
Zeitlang eine riesige Begeisterung entfacht haben, in einen ebenso exzes-
siven Mißkredit, werden oft sogar vollständig aufgegeben, wenngleich sie
unzweifelhaft für gewisse Fälle einen reellen Wert besitzen. Während der
Versuchsperiode werden oft irgendwelche Erfolge zu eilig und zu vorteil-
haft ausgelegt, sodaß der weniger Unterrichtete sehr leicht in den Glauben
versetzt wird, die neue Methode sei ein mehr oder weniger unfelhlbares
Allheilmittel.e. Dann kommt aber die Nachprüfung durch den Praktiker.
Mißerfolge werden erzielt, ja selbst Schädigungen kommen vor. Je größer
die Hoffnungen waren, die das neue Mittel erweckt hatte, um so energischer
wird es beim Bekanntwerden dieser Mißerfolge als vollständig wertlos er-
klärt, ohne daß man überhaupt in eine ernste und wissenschaftliche
Diskussion über die Ursachen der erzieiten Mißerfolge einzutreten für
nötig hält.
Und doch erweisen sich diese so oft, wenn man von falscher Anord-
nung vollständig absieht, als durch Mängel der noch neuen und zu wenig
bekannten Technik oder durch irrige Indikationen hervorgerufen. Sehr
viele therapeutische Methoden, die während langer Zeit als unwirksam
galten, um dann später, mit enger umschriebenen Indikationen, klassisch zu
werden, könnten als Beispiel angeführt werden. Wir glauben, daß dieses
letztere auch für die bisher verkannte Röntgenbehandlung der Hypertrichose
eintreten wird.
Geschichtliches.
Während einiger Jahre hindurch wurde die Röntgenbehandlung ge-
radezu als Idealmittel zur Epilation betrachtet, dann aber wurde sie von
der Mehrzahl der Radiotherapeuten als unwirksam und gefährlich vollstän-
dig aufgegeben. Im Jahre 1909 schrieb Wetterer!) in seinem Handbuch
der Röntgentherapie: ,„... Heute spielt die Röntgenbehandlung der Hyper-
trichosis (speziell in der Literatur) keine Rolle mehr. Die zahlreichen
schlechten Erfahrungen, die man damit machte, die Schwierigkeit und die
lange Dauer der Behandlung, haben dieselbe bei den meisten Röntgen-
therapeuten in Mißkredit gebracht; sie wird daher heute nur noch selten
geübt, nachdem ihre Indikationen schon vor mehreren Jahren durch
Holzknecht und Kienböck auf das äußerste beschränkt worden waren.
Ist nun dieser Mißkredit wirklich verdient? Wenn man die Ver-
besserungen der Technik, besonders die weitgehende Verwendung der
Filtration in Betracht zieht, muß man dann nicht dieses Urteil als zu
1) Wetterer, Handbuch der Röntgentherapie. Leipzig 1908, S. 420.
316 Speder,
scharf und als zu definitiv betrachten? Welche Fälle sind für die Strahlen-
behandlung geeignet, und worin müssen wir die Kontraindikationen sehen?
Dies sind die Fragen, die wir im folgenden nach Möglichkeit zu beantworten
trachten werden.
Im Jahre 1898 veröffentlichten Schiff und Freund!) die beachtens-
werten Resultate, die sie mit den Röntgenstrahlen bei der Behandlung der
Hypertrichose erzielt hatten. Sofort machten sich fast alle Radiologen an
den Versuch des neuen Verfahrens. Doch bald wurde es fast vollständig
wieder aufgegeben, da man ihm schwerwiegende Nachteile zur Last legen
konnte; besonders bestand man darauf. daß es: |
1. quasi unmöglich wäre, die Epilation ohne schwerwiegende Schädi-
gungen der Haut (Atrophie, Zyanose, Teleangiektasien) herbeizuführen,
2. daß die Behandlung viel zu lange Zeit in Anspruch nähme.
Bedeutende Radiotherapeuten, wie Kienböck, Holzknecht, Becl£re.,
Belot, Wetterer u. a. zeigten sich aus diesen Gründen nicht gerade als
Anhänger der Röntgenbehandlung. Belot schrieb 19052) „Die Behandlung
dieser Affektion (Hypertrichose) durch Röntgenstrahlen, ist zur Zeit schwierig.
um nicht geradezu zu sagen unmöglich.“
Brocq,?) der 1906 eine Zusammenstellung der verschiedenen Be-
handlungsmethoden der Hypertrichose veröffentlichte, sagte: „Mit unserer
aktuellen Technik können wir nicht sicher darauf rechnen, eine definitive
Enthaarung zu erzielen. Außerdem muß man bei gewissen, besonders
sensiblen Patienten darauf gefaßt sein, dauernde Hautschädigungen auf-
treten zu sehen, die oft viel häßlicher als die Hypertrichose selbst sind.“
Unserer Ansicht nach, setzte er hinzu, „sollte das Röntgenverfahren nur
in den schwersten Fällen angewandt werden‘.
Wetterer?) schrieb 1909: „Im Hinblick auf die wenig erfreulichen
Resultate, die die Röntgenbehandlung der Hypertrichose gezeitigt hat,
werden wir im allgemeinen die Röntgenbehandlung einschlägiger Fälle ab-
lehnen, speziell dann, wenn es sich um lichten nicht sehr auffallenden
Haarwuchs handelt.“ Dann etwas später: „Niemals aber sollte die Radio-
epilation bei Hypertrichosis vorgenommen werden, ohne daß derselben eine
Belehrung der Patientin über die zu erwartenden Spätfolgen der Behand-
lung vorangeht, handelt es sich doch stets um einen Eintausch der
1) Schiff und Freund, Beiträge zur Röntgentherapie. — Wiener medizinische
Wochenschrift 1898, Nr. 22.
2) Belot, Traité de Radiothérapie, 2e Edition. Paris 1905.
3) Brocq, Que doit on conseiller à l’heure actuelle à une malade atteinte d’hy per-
trichose? Bull. med. 22. Dec. 1906 und Archives d’Electrieit6 medicale 1907 p. 462.
4) Wetterer, Handbuch, S. 423.
Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 317
Gesichtsbehaarung gegen eine mehr oder weniger deutlich in
Erscheinung tretende Schädigung der Gesichtshaut.“
Worin bestand nun aber die Technik, die Brocq als unzureichend
qualifizierte?
Schiff und Freund verwandten harte Strahlen und applizierten davon
täglich eine schwache Dosis bis zum Ausfall der Haare, der von einem
Erythem mit Hautabschuppung und einem brennenden Gefühl in der be-
strahlten Region begleitet war. Zur Erreichung dieses Resultats waren
20 bis 25 Sitzungen notwendig, Um den Eiffeckt zu ergänzen und zu
stabilisieren, wurden dann noch während 12 bis 18 Monaten alle vier
Wochen je zwei Ergänzungsbestrahlungen vorgenommen.
Holzknecht und später Wetterer!) verwandten zwei verschiedene
Methoden. Die erste, für junge Frauen, bestand darin, alle drei und
später alle vier Wochen eine Dosis von 2 H in einer Härte von 7° bis 8°
Benoist von der Haut absorbieren zu lassen. Alle sechs Monate wurden
die Bestrahlungen auf acht Wochen ausgesetzt. Die Bestrahlungen wurden
solange wiederholt, bis ein Nachwuchs von Haaren nicht mehr stattfand,
oder vielmehr, bis eine mehr oder minder schwere Schädigung der Haut
die Fortsetzung der Behandlung unmöglich machte. Die zweite, energischere
Methode, die bei älteren Frauen angewandt wurde, bestand in der Appli-
kation von 31/, H in einer Sitzung, und in der drei- bis viermaligen Wieder-
holung derselben Dosis in Intervallen von 4 bis 6 Wochen.
Belot?) empfahl (1905) die Verwendung von wenig penetrationsfähigen
Strahlen, etwa von der Härte 5 des Radiochromometers Benoist, bei einer
sekundären Funkenstrecke von 2!/, cm. Die zur Epilation nötige Strahlen-
menge variiert zwischen 3 und 4 H, die man in einer einzigen oder in
mehreren aufeinanderfolgenden Sitzungen appliziert. Nach einer Pause
von 30 bis 40 Tagen wird die Bestrahlung mit einer Dosis von 3 bis 31/, H
wiederholt. In der Folge wird dann noch alle zwei Monate, oder häufiger,
je nach der Lage des Falles eine Nachbestrahlung mit 2 H vorgenommen,
um dem Nachwachsen der Haare vorzubeugen. Die Heilung, die allerdings
recht viel zu wünschen übrig läßt, wird bei dieser Technik in etwa ein bis
zwei Jahren erreicht.
Im Jahre 1911 hat Belot seine Technik etwas verändert:?)
„Um eine definitive Epilation zu erzielen, ist es vorzuziehen, nach der
ersten Bestrahlung (3—4 H.) kleinere, alle Monate wiederholte Dosen von
1) Wetterer, Handbuch.
2) Belot, Traité de Radiothérapie, 2e Edition, Paris 1905.
3) Belot et Hadengue, Traitement radiothérapique des sycosis simples et
parasitaires. Archives d’Electricit& medicale, 25 Dec. 1911, p. 565.
31s Speder,
2-3 H. etwa zu applizieren. Die Behandlung muß aber über viele
Monate fortgesetzt werden“, schreibt er.
Die von Albert-Weil im Jahre 1906 verwendete Technik unter-
scheidet sich eigentlich wenig von derjenigen der eben angeführten Autoren.
Er bestrahlt ein Jahr hindurch jeden Monat mit einer Dosis, die der
Teinte B des Sabouraud-Noir&schen Radiometers entspricht, oder er
beginnt mit dieser Dosis und verringert dieselbe in den folgenden Monaten
um geringe Bruchteile.. Während des zweiten Jahres werden dann ein bis
zwei Bestrahlungsserien wiederholt. Zur Aufrechterhaltung des erreichten
Resultats wird in den folgenden Jahren jeweils eine, wenn notwendig auch
zwei Nachbestrahlungen vorgenommen. Im Gegensatz zu den vorstehend
zitierten Autoren hält Albert-Weil die Röntgenbestrahlung für die beste
Methode zur Behandlung einer großen Zahl von Hypertrichosen, er be-
zeichnet das Verfahren als harmlos und die erzielten kosmetischen Erfolge
als durchaus zufriedenstellend.*)
Seine Ansicht steht also in einem bemerkenswerten Gegensatz zu den
Erfahrungen der übrigen Autoren, die ja gerade die Gefahren der Behand-
lung hervorheben.
Wenn nun auch die Ansichten über das Endresultat, trotz der Ahn-
lichkeit der verwandten Techniken, nicht übereinstimmt, so bleibt doch
als von allen Autoren zugegebener Nachteil der Methode, die lange Dauer
der Behandlung und die große Zahl der nötigen Sitzungen, bestehen.
Wihrend 12, 18 oder 24 Monaten wird jedes Feld 16, 18, ja selbst
67 mal bestrahlt.
(Bei der energischen Methode Holzknechts muß die Zahl von 3 bis
4 Bestrahlungen in 16 bis 24 Wochen doch recht unzureichend sein, da
andere Autoren, die fast dieselbe Dosis anwenden, zwei Jahre hindurch
bestrahlen müssen, um zu cinem Resultat zu gelangen.) Welch schwer-
wiesender Nachteil die lange Behandlung ist, geht aus der Bemerkung
Freunds hervor, der feststellte, daß mehr als die Hälfte der Patienten
die Behandlung aus diesem Grunde vorzeitig abbricht.
Bordier teilte 1906 ein Verfahren mit, welches gestattet, eine voll-
ständige Epilation in einer einigen Sitzung zu erreichen. ?)
Er applizierte eine Dosis von 6—7 I (Teinte II stark), d. h. ungefähr
7!/, H., bei einer Strahlenhärte von 9° Benoist.
Die Folge dieser Intensivbestrahlung ist eine schr heftige Reaktion,
1) Albert-Weil, Le traitement de l’hypertrichose par la radiothérapie. Journal
de physiotherapie, 15 Oct. 1906.
2) Bordier, Technique de l'épilation par la radiothérapie. (Congrès de Lyon 1906
et Archives d’Electricit& medicale 1907, p. 84.
Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 319
die durch Blasenbildung und eine nach 10 Tagen auftretende und etwa
in einem Monat wieder abheilende Ulzeration gekennzeichnet ist.
Das Verfahren ist auf jeden Fall etwas brutal und versetzt uns in
die erste Zeit der Röntgentherapie zurück, als Broca (1896) schrieb:
„Die Epilation durch Röntgenstrahlen ist in der Praxis unmöglich, da
die Haare nur mit der Haut fallen.) Außerdem waren die von Bordier
erzielten Erfolge sehr weit von der Vollkommenbheit entfernt. Er gab selbst
zu, daß man zwei bis drei Monate nach der Bestrahlung die nachwachsen-
den Haare mit der Nadel entfernen müsse.
Vom kosmetischen Standpunkte aus muß die ihrer Talg- und Schweiß-
ırüsen beraubte Haut notwendigerweise ein anormales Aussehen haben und
ihre Geschmeidigkeit kann nur durch ständige Verwendung fetter Salben
aufrecht erhalten werden. Was nun etwaige Spätschädigungen betrifft, so
ist wohl kaum zu bezweifeln, daß sich recht bedeutende Schädigungen
nach einer so intensiven Primärreaktion entwickelt haben müssen.
Aus diesen Gründen erschien die Methode auch den meisten Radio-
therapeuten unannehmbar.
Bis zum Jahre 1909 wurde keine neue Technik mehr veröffentlicht.
In dieser Zeit wurden die Wirkungen der Filtration studiert, und ihre
Vorteile erkannt. Kurz darauf begann man denn auch mit der Anwendung
von Filtern in der Röntgenbehandlung der Hypertrichose, sei es, um
Schädigungen der Haut sicherer zu vermeiden, sei es, um energischer auf
die Papille einwirken zu können.
Belot?) führt die Primärepilation ohne Filter aus, wendet aber bei
den späteren Bestrahlungen einen Filter von ®/,—”/ıo Aluminium an, um
Hautschädigungen zu vermeiden oder doch zum mindesten abzuschwächen.
1909 gab Bordier?) seine neue Technik bekannt, die nun wirklich „die
richtige Methode“ darstellen sollte. Er verwendet Aluminiumfilter von
0,5 mm und eine Strahlung, deren Härte etwas über 5--6° Benoist liegt.
Von diesen Strahlen wird in drei aufeinander folgenden Tagen jedesmal
eine der Teinte O Bordier entsprechende Dosis, im ganzen also
+!/ J (Teinte I kräftig bis Teinte II schwach) appliziert. Bordier
erzielte mit dieser Methode eine definitive Enthaarung, ohne Erythem oder
Radiodermatitis.
Ein derartiges Resultat ist aber, wie Albert-Weil seinerzeit auclı
1) Broca, Emploi des rayons X dans l'épilation (Société française de Phys.
4. Déc. 1896). |
2) Belot, Les filtres en Radiothérapie. Congrès de Radiologie et d’Electricit6
de Bruxelles 1910. Comptes rendus, p. 249.
3) Bordier, Nouvelle technique de l’6pilation radiotherapique. Archives d’Elec-
tricité médicale 1909, p. 947.
320 Speder,
ganz richtig bemerkte, recht auffallend und geeignet, das Erstaunen der
Radiotherapeuten zu erregen. Wir haben unsererseits selbst mit höheren
Teildosen und höherer Totaldosis nie eine sofortige definitive Epilation er-
zielen können.
Albert-Weil!) veröffentlichte 1910 seine Technik. Er verwendet
Strahlen von 6—7° Benoist, gefiltert durch °/,, mm Aluminium. In jeder
Sitzung wird eine der Teinte B (Sabouraud) entsprechende Dosis (unter
dem Filter gemessen) appliziert. Um die Epilation, die sich 15 Tage
nach der Bestrahlung produziert, definitiv zu gestalten, wird dieselbe Dosis
nach etwa 3 Wochen zum zweiten Male appliziert. In Intervallen von je
3 Monaten werden dann noch 2 Nachbestrahlungen vorgenommen. Dies
Verfahren gestattete ihm, eine dem Anschein nach definitive Epilation mit
einwandfreiem kosmetischem Resultat zu erzielen.
Als einzigen Nachteil erwähnte er eine Pigmentation, die er bei ver-
schiedenen, wahrscheinlich besonders empfindlichen Patienten beobachtet
hatte. Dies Resultat wäre also bedeutend annehmbarer als die Ergebnisse
der alten Methoden, und die Radiotherapie verdiente in die tägliche Praxis,
zum mindesten zur Behandlung gewisser Fälle von Hypertrichosis, einzu-
treten. Zu dieser Ansicht gelangten auch wir, trotzdem wir etwas anders
als Albert-Weil vorgingen.
Prinzip der Methode.
Sehr häufig beobachtet man bei Männern, die wegen einer schweren
Erkrankung der Mundhöhle, des Kehlkopfes oder des Pharynx mit Röntgen-
strahlen behandelt worden sind, einen vollständigen und definitiven Ausfall
der Barthaare, der ohne irgendwelche Schädigung der Haut vor sich geht.
Der Haarausfall ist ja eigentlich in diesen Fällen eine unerwünschte Bei-
gabe, die allerdings bei der Schwere der primären Affektionen ganz be-
deutungslos ist.
Bei der großen Mehrzahl der Frauen liegen die Verhältnisse anders.
Man kann bei ihnen lange Zeit hindurch mit denselben Dosen, von
gleicher Härte, bestrahlen, ohne den Ausfall der Flaumhaare der Haut
zu konstatieren. Günstiger liegen die Verhältnisse, wenn die Frau eine
sehr starke Entwicklung der Haare oder gar wirkliche Barthaare aufweist,
und vor allen Dingen dann, wenn sie sich bereits mit der Prinzette epiliert,
sich rasiert, wenn sie sich die Haare abgesengt, oder wenn sie Epilations-
salben gebraucht hat. Die dann bestehenden kräftigen Haare sind ziem-
lich leicht durch Röntgenbestrahlung zu zerstören.
1) Albert-Weil, Le traitement de !’hypertrichose par la radiothérapie. III. Con-
gres de Physiotherapie. Comptes rendus, p. 630.
Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 321
Die Radiosensibilität der verschiedenen Haararten ist sehr ungleich.
Wohl alle Radiotherapeuten, die sich mit der Epilation beschäftigten, werden
die hohe Strahlenempfindlichkeit der kräftigen Haare, z. B. der Barthaare
des Mannes, oder der Haare der Frau, die durch oft wiederholte Epila-
tionsversuche das Wachstum und die Entwicklung der Flaumhaare gereizt
und befördert hat, bemerkt haben. Weniger sensibel sind die langen
Flaumhaare, die nebenbei bemerkt 8—10 mm Länge erreichen können.
Die eigentlichen kurzen Flaumhaare, die ihrer Massenhaftigkeit und ihrer
Pigmentation wegen oft ebenso häßlich als die kräftigen Barthaare und die
langen Flaumhaare wirken, sind fast unempfindlich gegen den Einfluß der
Röntgenstrahlen. |
Die Röntgenbehandlung sollte deswegen nur in den Fällen unter-
nommen werden, in denen es sich um die beiden ersten Arten von Haaren
handelt, das heißt, in denen wirkliche kräftige Barthaare oder lange
Flaumhaare vorhanden sind.
Selbst ım letzten Falle kann die Strahlenbehandlung kontraindiziert
sein, und zwar dann, wenn es sich um sehr feine und dünne Flaum-
härchen handelt. Man kann sehr oft beobachten, wie diese Flaumhaare
selbst nach einer Radiodermatitis mit Blasenbildung und Ulzeration des
Koriums wieder nachwachsen. Dieser Unterschied in der Radiosensibilität
der verschiedenen Haararten ist übrigens normal und erklärt sich durch
die verschiedene Aktivität der Erzeugungszellen der betreffenden Haare. ,
Die Zellen der Papille des großen Barthaares mit schnellem Wachstum
besitzen eine sehr intense Reproduktionsaktivität, während diejenigen der
feinen Flaumhärchen eine sehr verlangsamte karyokinetische Aktivität auf-
weisen (1. Satz des Bergoni&-Tribondeauschen!) Gesetzes).
Mit unserer derzeitigen Technik können wir, in den zur Röntgen-
bestrahlung geeigneten Fällen, unter Verwendung harter gefilterter Strahlen
eine definitive Epilation erzielen. Die Radiosensibilität der Papillen der
großen Barthaare und der langen Flaumhaare ist größer als die der Keim-
schicht. Dies ist der Grund dafür, daß eine Strahlenmenge, die die Epi-
dermis nicht zu modifizieren scheint, einen temporären Ausfall der Haare
herbeiführen kann.
Diese Differenz in der Radiosensibilität, auf der das ganze Röntgen-
verfahren basiert, ist aber nur sehr gering, für die Flaumhärchen sogar
fast gleich Null.
!) Das Bergoni6-Tribondeau’sche Gesetz lautet: Die Röntgenwirkung auf
lebende Zellen ist um so intenser
1. je größer ihre reproduktive Kraft ist,
2. je länger ihr karyokinetisches Werden dauert,
3. je weniger definitiv ihre Morphologie und ihre Funktion bestimmt sind.
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 2]
322 Speder,
Der delikate Punkt der Technik liegt also darin, in den Zellen der
Papille eine so große Strahlenmenge zur Absorption zu bringen, daß die-
selben degenerieren, während die von der Haut absorbierte Strahlenmenge
noch gerade ungenügend sein muß, um eine merkliche Veränderung der
Epidermis hervorrufen zu können.
Die Papillen der Barthaare liegen unter dem Stratum germinativum,
um dieses letztere zu schonen, wird man also reichlich penetrationsfähige
Strahlen verwenden. Weiterhin wird man die weiche Strahlung, die ja
von den oberflächlichsten Hautschichten absorbiert werden würde, durch
Einschaltung eines Filters ausscheiden.
Man verringert so den schädlichen Einfluß der Strahlen auf die Haut,
man mildert die Hautreaktion und erhöht das Verhältnis zwischen Tiefen-
absorption und Oberflächenabsorption.
Wir arbeiten im Institut Professor Bergoni6s im allgemeinen mit
Strahlen von 71/, bis 8° B (vor dem Filter gemessen) und filtrieren mit
1 mm bis 1,5 mm Aluminium. Wie uns unsere Erfahrungen bewiesen
haben, ist bei so gefilterten Strahlen die oberflächliche Hautreaktion sehr
viel geringer, der Haarausfall dagegen viel rapider als nach Anwendung
derselben Dosis ungefilterter Strahlen. Die Verwendung von 1—1!/, mm
Aluminium wird gewiß manchem für den von uns verfolgten Zweck zu
hoch erscheinen, man muß aber im Auge behalten, daß, welches auch die
Strahlenhärte sei, und wie stark auch der verwendete Filter ist, die Ober-
flächenabsorption stets größer als die Tiefenabsorption sein wird; nur das
Verhältnis zwischen diesen beiden Größen kann variieren. In unserem
speziellen Fall, der Behandlung der Hypertrichose, wird also die von der
Epidermis absorbierte Strahlenmenge stets größer sein als die im Korium
und in den Haarpapillen zur Absorption gelangende Strahlenquantität.
Ein Ideal, das allerdings niemals erreicht werden kann, wäre die Ab-
sorption in den verschiedenen Schichten gleichmäßig zu gestalten, so daf
man nur noch mit der verschiedenen Radiosensibilität der Zellen zu rech-
nen hätte.
Wenn wir auf die Penetrationsfähigkeit und auf Homogenität der
verwandten Strahlung großen Wert legen, so glauben wir doch, daß die
Güte des Resultats ebenso sehr von der applizierten Strahlenmenge ab-
hängig ist.
Es ist unserer Ansicht nach absolut notwendig, sofort bei Beginn der
Behandlung die Maximaldosis, die die Haut vertragen kann, zu applizieren,
um die Papille so rasch als möglich zu zerstören. Obwohl kein Gewebe
sich der Röntgenwirkung anpaßt, und obwohl sich mehrere schwache Dosen
in ihrer Wirkung kumulieren, besteht doch die Tatsache, daß man in
vielen Fällen (oberflächliche Epitheliome z, B.) mit mehreren aufeinander-
Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 3923
folgenden schwachen Dosen nicht denselben guten Erfolg als mit einer
einzigen kräftigen Bestrahlung erzielen kann.
Dieselbe Beobachtung kann man auch bei den Haaren machen, die
sich gegen wiederholte schwache Bestrahlungen refraktär verhalten, durch
ein oder zwei intensive Bestrahlungen aber zerstört werden können.
Wir haben oft bei ein und demselben Patienten beobachtet, daß
irgendeine Gesichtspartie nach Applizierung einer genügend starken Dosis
in zwei oder drei Sitzungen vollständig epiliert war, ohne daß Hautschädi-
gungen aufgetreten wären, während im Gegenteil die entsprechende Partie
der anderen Gesichtshälfte nur sehr schwer enthaart werden konnte, wenn
mit drei- bis viermal so häufigen Sitzungen und mit schwächeren Dosen
gearbeitet wurde.
Wir sehen gleicherweise eine Bestätigung unserer Ansicht in einer
Beobachtung, die oft gegen die Röntgenbehandlung der Hypertrichose ins
Feld geführt wird, und die auf den ersten Blick die Wertlosigkeit der
Methode klar zu beweisen scheint.
Es handelt sich um die Tatsache, daß man oft inmitten sklerotischer
Partien auf den Händen vieler von einer chronischen Radiodermatitis er-
griffenen Personen gut entwickelte Haare findet.
Dieser Befund beweist aber gar nichts anderes, als daß die Haare
gegen wiederholte Bestrahlung geringer Intensität widerstandsfähig sind.
‚ Dieselbe Lehre kann man aus der Inkonstanz und der Unvollkommen-
heit der Resultate ziehen, die mit durch jahrelang fortgesetzter Applikation
von schwachen Dosen erzielt wurden. Die Haut weist in diesen Fällen
oft schwere Schädigungen, wie Atrophie und Teleangieektasien auf und
nichtsdestoweniger bestehen immer noch eine ganze Anzahl von Haaren.
Aus diesen Gründen sollte stets die gerade noch von der Haut vertragene
Maximaldosis appliziert werden.
Diese Maximaldosis entspricht der Strahlenmenge, welche eine Reak-
tion der Haut, etwas geringer oder höchstens gleich einem wirklichen
Erythem, hervorruft. Bei Verwendung harter gefilterter Strahlen tritt das
wirkliche Erythem etwa 12—15 Tage nach der Bestrahlung auf. Zuersi
beobachtet man eine Rötung der Haut, die aber rapide in eine braune
Verfärbung übergeht, aber auch diese Bräunung verschwindet nach etwa
15 Tagen. Die Haut zeigt zuerst eine leichte oberflächliche Abschuppung,
um dann nach und nach ihre normale Färbung wieder anzunehmen.
Das Erythem ist allerdings ein Nachteil der Methode, aber wir glau-
ben nicht, daß dieser Nachteil so schwer ist, um eine strikte Zurück wei-
sung der Röntgenbehandlung zu rechtfertigen.
Nach Freund soll man danach trachten, die definitive Epilation her-
beizuführen, ohne während der ganzen Behandlungsdauer eine wahrnehm-
21%
324 Speder,
bare Schädigung der Haut erzeugt zu haben. Wir sind absolut seiner
Meinung, wenn er unter „wahrnehmbarer Schädigung‘ eine Radiodermatitis
mit Blasenbildung, Schädigung des Stratum corneum, Ulzeration usw., also
Läsionen, die fatalerweise dauernde Spätschädigungen der Haut zur Folge
haben müssen, versteht. Unsere Ansichten gehen aber auseinandar, wenn
auch das Erythem in diese wahrnehmbaren Veränderungen mit einbezogen
ist. Zur Zeit zum mindesten ist dieses „Ideal“ leider noch nicht er-
reichbar.
Was verlangen nun unsere Patienten eigentlich?
Sie möchten gern von einem sehr häßlichen Gebrechen, das sie lächer-
lich macht, das ihre Zukunft in gewisser Beziehung zerstören kann, und
sie oft verhindert, gewisse Stellungen einzunehmen oder auf die Dauer
auszufüllen, befreit sein. Die Wichtigkeit des gewünschten Erfolges ver-
dient also doch wohl ein leichtes vorübergehendes und unschwer zu ver-
deckendes Erythem. Bevor man die Bestrahlung beginnt, muß man sich
eben bemühen, die Patienten von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich
mit der ja nur ziemlich geringfügigen Reaktion abzufinden. Das Resultat
kann dann schneller erreicht werden und ist besser, die Spätschädigungen
der Haut, die oft durch wiederholte Bestrahlungen mit geringen Dosen
verursacht werden und viel schwerer und unschöner sind, können auf diese
Weise vermieden werden. Eine ganze Menge von Patienten, die sich im
Anfange aufs energischste geweigert hatten, eine entzündliche Reaktion mit
in Kauf zu nehmen, verlangen bald darauf kräftigere Bestrahlungen, Ja
ihnen die Behandlung zu lange dauert. In vielen dieser Fälle ist es sehr
gefährlich, nun zur Intensivbestrahlung überzugehen; da die Haut schon
eine ziemliche Strahlenmenge in geringen Dosen absorbiert hat, kann eine
kräftige Bestrahlung oft die Ursache schwerer Hautveränderungen sein.
Im allgemeinen mache man es sich zum Grundsatz, die Röntgenbestrahlung
nur bei Personen zu unternehmen, die sich von vornherein mit der An-
wendung von Dosen, welche ein leichtes oder normales Erythem
provozieren, einverstanden erklärt haben.
Technik.
Wir wenden im Institut Prof. Bergonies folgende Technik an: Zu
Beginn der Behandlung stellen wir die Empfindlichkeit der Haut durch
eine Probebestrahlung mit der Normaldosis (Teinte 0—41 Bordier) fest.
Die Reaktion wird aufmerksam beobachtet, soda wir in der folgenden
Sitzung sofort die von der Haut vertragene Maximaldosis auf einen anderen
Teil der zu behandelnden Region applizieren können. Da die Radiosensi-
bilität sehr starke Variationen aufweist. teilen wir unsere Fälle in drei
Gruppen ein.
Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 325
1. Bei dicker und wenig sensibler Haut, wie man sie oft bei Patien-
tinnen, die sich an den regelmäßigen Gebrauch des Rasiermessers gewöhnt
haben, oder die sich durch Jahre hindurch mit der Pinzette oder mit
Epilationssalben epiliert haben, findet, entspricht die Maximaldosis unter
den Umständen, in denen wir arbeiten, der Verfärbung der Bordierschen
Pastille bis zur Teinte I bis II schwach (4—4!/, Einheiten I). Bei sen-
siblerer Haut, die noch nicht oder weniger durch den Gebrauch des Rasier-
messers oder chemischer Epilationsmittel gereizt ist, bestrahlen wir mit
einer der Teinte I stark entsprechenden Dosis (3,6 Einheiten I). Nach
12—15 Tagen, also gleichzeitig mit dem Auftreten des Erythems, fangen
die kräftigen Barthaare an auszufallen. Die Epilation setzt sich in
den folgenden Tagen fort, um etwa nach dem 20.—25. Tage vollständig
zu sein. In diesem Moment weist die Haut eine leichte bräunliche Ver-
färbung auf, die sich aber ständig verringert, und in den meisten Fällen
nach 30—40 Tagen vollkommen verschwunden ist. Trotz des Ausfalls
aller Barthaare beobachtet man sehr häufig das Überleben der feinen
Flaumhärchen der Haut. 7—9 Wochen nach der ersten Bestrahlung be-
merkt man das Neuwachsen der ersten Barthaare. Ohne erst zu warten,
bis dieselben ihre volle Vitalität erlangt haben, nehmen wir eine zweite
Bestrahlung mit derselben Dosis vor. Die Reaktion ist analog der soeben
beschriebenen, doch das Nachwachsen der Haare geht nach dieser zweiten
Bestrahlung viel langsamer vor sich. Der Nachwuchs besteht aus wenigen farb-
los grauen Haaren mit bedeutend kürzerer Wurzel als die der Primärhaare.
2—3 Monate nach der zweiten Bestrahlung nehmen wir eine dritte
vor und zwar mit einer Dosis, die der Teinte 0—1 = 2,7—3 Einheiten I
entspricht, also ein wenig schwächer als die beiden ersten ist. Der da-
raufhin eintretende Haarausfall ist komplett, und in den meisten Fällen
auch definitiv. Sehr selten ist es nötig, zu einer vierten Bestrahlung
(Teinte 0—1) zu schreiten.
In einigen Fällen beobachtete man einen aus weißen Haaren bestehenden
Nachwuchs, der aber vorübergehend und bedeutungslos ist, da diese Haare
sehr bald spontan ausfallen.
Es besteht übrigens ein schr deutlicher Unterschied in den nach den
verschiedensten Bestrahlungen nachwachsenden Haaren; nach der ersten
Bestrahlung besteht der Nachwuchs aus vielen dünnen Haaren mit feiner
Spitze, die sehr rasch an Länge und Volumen zunehmen und sich gleich-
zeitig dunkler färben. Der zweite Nachwuchs ist weniger zahlreich, die
Haare sind wenig pigmentiert, blaßgrau und von Anfang an ziemlich groß.
Findet ein dritter Nachwuchs statt, so besteht er aus wenigen, von Anfang
an sehr großen weißen Haaren mit kurzer Wurzel, die sehr lose sitzen und
oft spontan in der zweiten oder dritten Woche ausfallen. Ist dies nicht
326 Speder,
der Fall, so kann man sie mit der Pinzette entfernen, ohne dabei eine
Reizung zum Nachwachsen befürchten zu müssen. Wir haben mehrere
unserer Patienten nach dieser Richtung hin sehr genau beobachtet. Bei
einer derselben, die sich jahrelang mittels Pinzette und Epilationssalben
enthaart hatte und die vor der Bestrahlung einen stattlichen maskulinen
Bartwuchs zu beiden Seiten des Kinnes aufwies, wurde die vollständige
Epilation nach drei Bestrahlungen erreicht. Drei Monate später konsta-
tierten wir trotzdem 26 große weiße Haare auf der rechten Seite des
Kinnes, die mit der Pinzette entfernt wurden. Ohne daß in der Zwischen-
zeit irgendwelche Manipulation vorgenommen worden wäre, fanden sich
nach 30 Tagen wieder elf Haare ein, die in derselben Weise entfernt
wurden. Wir sahen in der Folgezeit die Patientin in regelmäßigen Zwischen-
räumen von 4 Wochen und konstatierten bei diesen Visiten fünf, zwölf.
sechs, zwanzig, neun, sieben Haare, die jedesmal entfernt wurden. Zurzeit
liegt die letzte (dritte) Bestrahlung 13 Monate zurück, und die Patientin
ist vollständig von ihrem Übel befreit, ohne daß eine Nachbestrahlung not-
wendig geworden ist und ohne daß die Haut irgendwelche Veränderung
aufweist.
Dies ist der Erfolg, den wir gewöhnlich erzielen, wenn es sich um
wenig sensible Haut und große schnellwachsende Haare handelt.
2. Besteht der Haarwuchs zum größten Teil aus langen Flaum-
haaren, ähnlich den ersten Barthaaren eines Jünglings, so ist eine längere
Behandlung notwendig. Zur definitiven Epilation müssen oft außer den
drei gewöhnlichen Bestrahlungen eine oder zwei weitere mit einer Dosis.
die der Teinte O-I stark = 3 Einheiten I entspricht, vornehmen. In ge-
wissen Fällen, in denen sich die Flaumhaare in lange feine, wirkliche
Härchen umgewandelt haben, ist es angebracht, den Patientinnen den
Gebrauch von Rasiermesser und Epilationspasten auf einige Monate an-
zuraten. Dies wird manchem paradox erscheinen, nichtsdestoweniger ist
die Röntgenbehandlung bedeutend aussichtsreicher, wenn die Härchen anf
diese Weise größer und kräftiger geworden sind. l
3. Bei Patienten mit sensiblerer Haut, die bereits nach einer geringen
Strahlenmenge (Teinte I = 3,6 Einheiten I) ein Erythem aufweisen, und
deren Haarwuchs fast nur aus langen Flaumhaaren besteht, ist das Re-
sultat noch weniger günstig. Unserer Ansicht nach sollte man bei diesen
Patienten die Röntgenbestrahlung unterlassen. Nach zwei in 1!/,- oder
2 monatlichem Intervall unternommenen Bestrahlungen mit einer der
Teinte I (3 bis 3,6 Einheiten I) entsprechenden Dosis, muß man oft bis
zu sieben weiteren Applikationen (Teinte 0—1 = 2,7 bis 3 Einheiten D)
geben, um eine definitive Epilation zu erzielen. Von der dritten Sitzung
ab besteht der Nachwuchs auch in diesen Fällen nur aus blaßgrauen
Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 327
Haaren. Handelt es sich um eine abundante Haarentwicklung, so ist
unserer Meinung nach auch in diesen Fällen die oft wiederholte Zerstörung
der äußeren Haarpartien durchaus dazu geeignet, die Hypertrichose der
Strahlenbehandlung zugänglicher zu machen.
Die zur Erzielung eines definitiven Haarausfalles nötige Totaldosis ist
für die Fälle der Gruppe I etwa gleich 10—12 Einheiten I!); für die
Fälle der zweiten Gruppe sind 16 I notwendig, und für die Fälle der
dritten Gruppe muß man 18 bis 23 I applizieren, um zum Erfolg zu ge-
langen. Diese großen Unterschiede in der benötigten Gesamtstrahlen-
menge, die zum Teil durch die geringe Radiosensibilität der feinen
Flaumhaare bedingt sind, hängen gleichzeitig und vor allen Dingen auch
damit zusammen, daß, wenn geringe Teildosen angewendet werden, um
eine sensible Haut zu schützen, die Zerstörung der Papille um bedeutendes
schwieriger wird. Wir haben einige Patienten, die ein Erythem auf keinen
Fall in Kauf nehmen wollten, mit schwachen Dosen (Teinte 0—1 schwach
= 2—7 Einheiten I) bestrahlt. Nach einer Gesamtdosis von 26—27 H
war die Epilation noch keineswegs vollkommen, und die Behandlung hatte
sich fast über zwei Jahre hin fortgezogen.
Ähnliche Fälle, die mit den alten Methoden durchaus nicht selten
sind, dürften wohl zur Genüge die Gefahren der Verwendung schwacher
Dosen und die absolute Notwendigkeit der Intensivbestrahlung beweisen.
Wenn wir die von uns in jeder Sitzung applizierten Dosen in Holz-
knecht-Einheiten umrechnen, so erhalten wir für Fälle
der Gruppe I 5th H.,
für Gruppe II 4°/,—5 H., und
für Gruppe Ill 4—4!/, H.
Man vertritt nun die Ansicht, daß eine Bestrahlung mit 5 H not-
wendigerweise eine Radiodermatitis zur Folge haben müsse.
Zuerst, was verstehen wir eigentlich unter Radiodermatitis? Dieser
Terminus ist, allein angewandt, eigentlich recht unpräzis, denn die Bräunung
der Haut und das Erythem sind ebenso wie die Blasenbildung und die
Ulzeration Radiodermatiten. Weiterhin ist es sehr schwierig, über eine
sewisse, nach den auf dem Villardschen Prinzip beruhenden Quanti-
metern festgestellte Dosis zu diskutieren. Wenn die Einheit H eine
arbiträre ist, so sind es allle übrigen ebensogut, in dem Sinne, daß die
Hautwirkung je nach der mittleren Penetrationsfähigkeit, nach der Zu-
sammensetzung des Strahlenbündels, ja selbst je nach dem Individuum und
der bestrahlten Region sehr starke Variationen aufweist. (Wir bestimmen
—n
1) 10 Einheiten I (Bordier-Galimard) entsprechen 14 H (Holzknecht) oder
28 X (Kienböck). Anmerkung des Übersetzers.
328 Speder,
die Dosis nach Einheiten I aus dem einfachen Grunde der großen Be-
quemlichkeit der Messung, sind aber weit davon entfernt, etwa auf diese
Weise die physiologische Wirkung der Strahlenmenge voraus bestimmen
zu wollen.) Der Wert der quantimetrischen Messung ist für den, der
immer in denselben Verhältnissen arbeitet, indiskutabel, aber diese Messungen
sind in keinem Falle mit den von einem anderen Beobachter erhaltenen
Werten vergleichbar, es sei denn, daß dieser unter genau denselben Ver-
hältnissen arbeitet, und dies ist nach dem heutigen Stande unserer Technik
leider als unmöglich zu betrachten. In dieser Tatsache liegt auch der
Grund dafür, daß verschiedene Radiologen oft die widersprechendsten
Resultalte erzielen, trotzdem sie glauben dieselbe Strahlenmenge appliziert
zu haben. Dann kommen noch dazu die großen Fehler, die durch die
verschiedene Art (Beleuchtung), in der die Vergleichung der verfärbten
Pastille mit der Skala vorgenommen wird, notwendigerweise entstehen
müssen.
Nach H Einheiten wären die von uns angewandten Dosen nur um
ein geringes höher als diejenigen Albert-Weils, nach der Reaktion muß
man aber annehmen, daß unsere Dosen bedeutend größer sind.
Ein Vergleich der applizierten Dosen nach den augenblicklich in Ge-
brauch befindlichen Meßmethoden ist also nach dem oben gesagten absolut
unzulässig: viel präzisere Vergleichswerte erhält man, wenn man die von
einer gewissen Strahlenmenge provozierte Reaktion in Betracht zieht. Es
wäre also wünschenswert, daß die erzeugte Reaktion stets mit ausreichender
Klarheit und Genauigkeit beschrieben würde.
Zur eigentlichen Technik unserer Bestrahlungen möchten wir noch
folgendes bemerken. Der Patient wird so bequem als möglich gelagert,
jedoch so, daß eine vollkommene Unbeweglichkeit ohne Ermüdung garantiert
ist. Man begrenzt einen Teil der zu epilierenden Region in der Weise.
daß man jedesmal eine möglichst ebene Bestrahlungsfläche erhält. Bei einer
allgemeinen Hypertrichosis bestrahlen wir nacheinander die Unterkinngegend.
die Parotisgegend, die Unterkiefergegend und eine Hälfte der Oberlippe
mit der korrespondierenden seitlichen Partie des Kinnes. Bei Bestrahlung
dieses letzten Feldes wird der freie Rand der Lippen und vor allen Dingen
die Labialkommissur, ebenso wie die nicht behaarten Regionen sorgsam
geschützt. Zur Begrenzung der Bestrahlungsfelder bedienen wir uns einer
Anzahl von Blenden aus Bleigummi, von denen einige zirkuläre Ausschnitte
von 2—7 cm Durchmesser haben, während andere in Form der bekannten
Kurvenzeichenschablonen ausgeschnitten sind. Durch Kombination und
Aufeinanderlegen dieser verschiedenen Schablonen sind wir in der Lage,
ein Bestrahlungsfeld beliebiger Gestalt und Größe sicher zu begrenzen.
Während der Bestrahlung ist es empfehlenswert. die Größe des Bestrahlungs-
Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 329
feldes leicht zu erhöhen, um eine zu brutale Begrenzung desselben, die
sich in der Periode des Erythems und der Hautbräunung zu unschön von
der nicht bestrahlten Haut abheben würde, zu vermeiden.
Nicht alle Röhrentypen können zur Erzeugung einer stark penetrations-
fähigen Strahlung benutzt werden. Die Mehrzahl der Röhrentypen funk-
tioniert unregelmäßig, der Härtegrad schwankt ständig, und man läuft
Gefahr, die Röhre zu durchschlagen, wenn die sekundäre Funkenstrecke
12 bis 15 cm erreicht hat. Dies ist der Grund, der mehrere Autoren ver-
anlaßt hat, die Möglichkeit zu verneinen, Strahlen von einer Härte über
7° Benoist mit einer genügend hohen Belastung, und ohne die Sitzung
über Stunden hinaus auszudehnen, zu erzeugen.
Die Müllerschen Wasserkühlröhren arbeiten in dieser Hinsicht zu
unserer vollsten Zufriedenheit, zum mindesten wenn sie mit dem Villard-
schen Osmo-Regulateur oder mit einem Bauerschen Luftventil versehen
sind. Besonders das kleine Therapierohr läßt sich sehr rasch einarbeiten,
und liefert dann bei einer Belastung mit 0,3—1,2 M.-Amp. und einer
sekundären Funkenlänge von 18 bis 21 cm, eine Strahlung von 7!/, bis 81/,°
Benoist (vor dem Filter gemessen).
Zu Beginn der Sitzung belastet man das Rohr mit 1 M.-Arhp., man
erhält dann eine Strahlung von Härte 6 Benoist etwa. Das gut einge-
arbeitete Rohr hat die natürliche Tendenz härter zu werden, in einigen
Minuten vergrößert sich die Funkenlänge, die Nadel des Bauerschen
Qualimeters entfernt sich immer weiter von 0, der Härtegrad der Strah-
lung nimmt zu. Während der ganzen Bestrahlung (15 bis 20 Minuten)
beobachten wir aufmerksam die Funktion des Rohres, die Hand an der
Heizvorrichtung des Osmo und am primär Rheostat, folgen wir, nach den
Angaben des Milliamperemeters, und des Bauerschen Qualimeters, den
Veränderungen des Vakumus. Hat das Rohr den gewünschten Härtegrad
erreicht, so ist es leicht, dasselbe auf diese Weise konstant in diesem Zu-
stand zu erhalten.
Das Bauersche Qualimeter ist zur Kontrolle der Wider-
standsveränderungen im Rohr sehr wertvoll, seine Angaben
müssen jedoch vorerst einmal mit denjenigen des Radiochromo-
meters verglichen werden. Hat man das Verhältnis zwischen
den Angaben bei den Methoden bei genau festgelegtem Betrieb
der Röhre fixiert, so ist esunnötig, zum zeitraubenden und ge-
fährlichen Gebrauch des Radiochromometers zurückzugreifen.
Bei unseren Arbeitsverhältnissen ist z. B., wenn das Qualimeter 6° anzeigt. die
radiochromometrische Härte der Strahlung stets 71/,° Benoist oder diesen
Werte sehr nahe kommend. Häufig zur Kontrolle angefertigte Radiographien
der Benoistschen Skala bewiesen uns, daß diese Werte vollständig konstant sind.
330 Speder,
Die Dosis wird bei uns während jeder Bestrahlung mit dem Bor-
dierschen Ohromoradiometer festgestellt. Wenn man die Messung ebenso
wie die Vergleichung der Pastille mit der Skala stets unter denselben Ver-
hältnissen vornimmt, sind die Angaben dieser Methode sehr genau. Die
Ablesung wird bei uns in einem von reflektiertem Tageslicht erleuchteten
Raum, in dem die Lichtintensität fast ständig gleich bleibt, vorgenommen.
(An dunklen Tagen kann man sich vorteilhaft des Bordierschen Luci-
meters bedienen, das ungefähr gleiche Beleuchtungsverhältnisse zu verwen-
den gestattet.) Zur größeren Sicherheit nehmen wir jedesmal eine zweite
Vergleichung bei künstlicher Beleuchtung vor (Glühlampe in halbdunklem
Raum), die auch im Notfalle, bei sehr trübem Wetter, oder nach Eintritt
der Dunkelheit, die Ablesung bei Tageslicht vollständig ersetzen kann.
Bei künstlicher Beleuchtung entspricht die Verfärbung der Pastille
bis zur Teinte 0—41 etwa der Teinte II—III; Verfärbung bis Teinte I
entspricht in unserem Falle exakt der Teinte III bei Tageslicht. Die Fest-
stellung der Teinte 0—41 ist oft recht schwierig, man kommt aber sehr
gut zum Ziel, wenn man die bestrahlte Pastille nicht auf dem Niveau der
Skala, sondern etwa !/, cm vom Schlitz derselben entfernt betrachtet. Der
Karton zu beiden Seiten des Schlitzes wirkt so als Blende gegen die störende
Fluoreszenz der Pastille.
Früh- und Spätreaktionen.
Bei verschiedenen Patienten beobachten wir mehr oder weniger inten-
sive Frühreaktionen nach jeder Bestrahlung, die Mehrzahl der Patienten
blieben übrigens ohne diese Frühreaktion.
Die Frühreaktion, die in gewissem Grade von der applizierten Dosis
unabhängig ist, besteht in einem vorübergehenden Früherythem, teilweise
schmerzhafter Schwellung des Gesichts während 12 bis 24 Stunden,
Muskelschmerzen (Musculus masseter), Schwellung der Speicheldrüsen,
Trockenheit des Mundes, Trigeminusneuralgien, Kopfschmerzen nach Art
des Druckes eines schweren Helmes (Cephalalgie en casque) oder hemi-
faziale Kopfschmerzen in der Art starker Migräne usw. Wir haben bereits
in Gemeinschaft mit Professor Bergoni& diese verschiedenen Frühreak-
tionen an anderer Stelle!) ausführlich beschrieben, so daß wir hier nicht
näher auf diese Erscheinungen eingehen brauchen. Die gewöhnliche Re-
aktion, den Verlauf des Erythems und des Haarausfalls haben wir schon
weiter oben geschildert, leichte Abweichungen von dieser Norm kommen
je nach der individuellen Sensibilität der Haut vor.
1) J. Bergonie und E. Speder, Sur quelques formes de reactions précoces.
Archives d’Electricit6 medicale 1912, Nr. 306, p. 242.
Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 331
Nach Applikation von 4!/, Einheiten I weisen gewisse Personen nur
eine einfache Bräunung der Haut auf, während andere dagegen ein starkes
Erythem davontragen.
Nach den Bestrahlungen kann man in einigen Fällen eine sehr lange
bestehen bleibende Pigmentation der Haut beobachten. Dies ist der ein-
zige Nachteil der Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. Die Pigmen-
tation stellt sich bei gewissen Personen ein, ohne daß man vor oder
während der Bestrahlung diese Erscheinung voraussehen könnte. Die
Intensität der Verfärbung ist nicht allzu groß, und die pigmentierte Stelle
kann leicht verdeckt werden. Da im übrigen die Röntgenbehandlung meist
in Fällen angewandt wird, in denen es sich um eine wirklich abundante
und sehr unschöne Haarentwicklung handelt, wird die Pigmentation von
den Patientinnen, die nichtsdestoweniger mit dem kosmetischen Resultat
sehr zufrieden sind, sehr gern mit in Kauf genommen.
Bei den von uns nach der soeben beschriebenen Methode behandelten
Fällen haben wir nur zweimal eine Atrophie der Haut feststellen müssen.
Übrigens zeigte diese Atrophie noch einen ganz besonderen Charakter: es
handelte sich um Frauen vorgeschrittenen Alters (55 und 60 Jahre), bei
denen ein Jahr nach der Bestrahlung die Haut des Kinnes und der Lippen
senil, fein gefältelt und leicht dekoloriert erschien. 8
Doch die Veränderungen der Haut sind so gering, daß sie nur von
einem vorher unterrichteten Beobachter wahrgenommen werden können.
Was die Pigmentation betrifft, so ist dieselbe besonders bei schräg ein-
fallendem Licht sichtbar; oder es besteht sogar eine ganz schwache
Dekoloration. Bei der Berührung erscheint die Haut glatter als die der
nicht bestrahlten Gesichtspartien, die Sekretion der Talg- und Schweiß-
drüsen ist im bestrahlten Gebiete verringert. In fast allen Fällen bestehen
noch einige extrem feine und sehr kurze Flaumhärchen. Teleangiektasien
haben wir nie beobachtet, obwohl mehrere unserer Fälle schon länger als
zwei Jahre zurückliegen, und obwohl nach der von uns applizierten Dosis
oder doch nach ganz wenig intensiveren Bestrahlungen, ganz feine Tele-
angiektasien als Frühschädigung in anderen Körpergegenden (Abdomen,
Halsbasis) beobachtet wurden.
Wir möchten aus unseren Erfahrungen folgende Schlußfolgerungen ziehen:
Die Elektrolyse ist strikte indiziert, wenn es sich darum handelt, wenige
zerstreute oder in Gruppen zusammenstehende Haare zu zerstören.
Die Röntgenbehandlung ist indiziert in den Fällen, in denen es sich
um viele, große gut entwickelte Haare oder um lange und zahlreiche
Flaumhaare handelt.
Die uns als beste erscheinende Technik besteht in der Verwendung
harter Strahlen (8° Benoist etwa) filtriert durch 14 mm bis 11/ mm Alu-
332 Speder, Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis.
minium, die in der gerade noch von der Haut vertragenen Maximaldosıs
auf die zu enthaarende Region appliziert werden. . Die Bestrahlung darf
keine stärkere Reaktion als das Erythem zur Folge haben. Dank der
Verwendung harter gefilterter Strahlen gelangt eine größere Menge der-
selben in den Zellen der Haarpapille als im Stratum germinativum zur
Absorption, und man kann da in wenigen Sitzungen eine zur ŽZerstörun:
der Papille genügende Strahlenmenge applizieren, ohne die Haut ın
bemerkenswerter Weise zu schädigen. Das kosmetische Resultat der Be-
strahlung ist um so besser und um so schneller erreichbar, je gröber. natür-
lich in den oben erwähnten Grenzen, die jedesmal applizierten Dosen sein
konnten. |
In den besonders für die Röntgenbehandlung geeigneten Fällen erzielt
man einen definitiven Haarausfall nach drei oder vier Bestrahlungen- der-
selben Region, die in Intervallen von 11/,—3 Monaten vorgenommen werden.
Handelt es sich um lange Flaumhaare, so wird die definitive Alopeziv
nach 6—7 Bestrahlungen erreicht.
Unter unseren Arbeitsbedingungen entspricht die in den beiden ersten
Sitzungen applizierte und mit dem Bordierschen Chromoradiometer ge-
messene Dosis der Teinte I—II oder der Teinte I je nach Lage des Falles.
In den folgenden Sitzungen applizieren wir meistens eine der Teinte 0—I
entsprechende Dosis. Die Gesamtstrahlenmenge ist um so geringer, je
stärker die jeweils applizierte Einzeldosis war. Bei den Patientinnen mit
großen, gut entwickelten Haaren und wenig sensibler Haut übersteigt die
applizierte Gesamtdosis nicht 12—16 I; in den übrigen Fällen werden
etwa 20 I appliziert.
Nach den von uns an den Patientinnen, deren Behandlung 16. 24
und mehr Monate zurückliegt, gemachten Beobachtungen gestattet diese
Technik jede Spätschädigung (schwere Atrophie der Haut, Zyanose. Tele-
angiektasien) zu vermeiden.
Die Epilation durch Röntgenbestrahlung ist kontraindiziert, wenn es
sich um Flaumhärchen (selbst bis zu einer Länge von 8—10 mm) handelt.
| Wenn es sich um eine abundante Entwicklung feiner Flaumhäre
handelt und wenn die Intervention wirklich indiziert ist, ist es zu
empfehlen, die Transformation der Flaumhäärchen in wirkliche Haare
durch Epilation mit der Pinzette, Rasieren, oder durch den Gebrauch
chemischer Epilationssalben herbeizuführen, um. sobald diese Umwandlung
eingetreten ist, die radiotherapeutische Behandlung mit größerer Aussicht
auf Erfolg durchführen zu können.
Übersetzt von Dr. Reber- Bordeanx.
Aus der K. K. Radiumstation im allgem. Krankenhause in Wien.
(Leiter: Professor Dr. Gustav Riehl.)
Über Wirkung von Polonium.
Von
Dr. phil. A. Fernau, Dr. med. Schramek und Dr. med. Zarzycki.
eber die Beeinflussung des Blutbildes durch Injektionen von Radium-
chlorid, Radiumemanation, Thorium X, liegen bereits zahlreiche Ar-
beiten vor. In Nr. 3 der Wiener klinischen Wochenschrift brachten wir
eine Mitteilung über die Wirkung des aktiven Niederschlages der Radium-
emanation, der sogenannten induzierten Aktivität auf Kaninchenblut.
Daß die biologische Wirkung einer radioaktiven Substanz nicht allein
von dem Grade der Aktivität abhängt und allzu kurzlebige Radioelemente
geringere Wirkungen ausüben, als langsamer zerfallende, erwiesen unsere
Versuche mit induzierter Aktivität, welche praktisch innerhalb 3 Stunden
auf Null abklingt. Mit relativ hoher induzierter Aktivität (7770 statistische
Einheiten) konnten die weißen Blutkörperchen nicht vollständig zum Ver-
schwinden gebracht werden. Gleich starke Aktivitäten der verschiedenen
Radioelemente müssen demnach eine nicht gleich starke Wirkung, soweit
sie wenigstens das Blutbild betrifft, hervorrufen.
Bei allen oben erwähnten radioaktiven Substanzen kommt ein kompli-
ziertes Gemisch von «&, ß, y-Strahlen in Betracht, so daß nicht feststellbar
ist, ob eine bestimmte Strahlenart das Blut hauptsächlich beeinflußt.
Unter den Zerfallsprodukten des Radiums gibt es einen reinen
x-Strahler, das Polonium. Dasselbe findet sich in der Pechblende, und
beträgt die theoretische Ausbeute ein Milligramm aus 15 Tonnen Uran
(als Element gerechnet). Es war nicht uninteressant, diesen «-Strahler be-
züglich seiner Wirkung auf die Leukozyten zu untersuchen.
Das Polonium, als dessen nächste Analoga Wismut oder Tellur an-
zusprechen sind, wird aus der Pechblende erhalten und findet sich in dem
aus salzsaurer Lösung mit Schwefelwasserstoff fällbaren Blei-Wismut-Nieder-
schlag. Eine Trennung des Polonium von Blei und Wismut ist nur elektro-
Irtisch möglich. Elektrolysiert man eine Radio-Blei-Salzlösung mit all-
mählich wachsender Stromdichte, so wird zuerst das Polonium an der
Kathode niederschlagen (bei 4 Milliampere pro gem Kathodenoberfläche),
dann Polonium und Radium E (bei 10 Milliampere pro qem Kathoden-
334 Fernau, Schramek u. Zarzycki,
fläche), während bei stärkeren Strömen alle Produkte einschließlich Blei
abgeschieden werden.
Elektrolysiert wurden ca. 2 Liter einer 15%, Radio-Blei-Nitratlösung
und als Kathode ein Platinblech von 9 qcm Oberfläche verwendet. Die
Versuch 1.
Kaninchen 8900 g. Polonium 83 st. E.
Poly: |se|s els ¥]å;
Zahl der |Zehlder Ery-| onb oS 33 13,2 a| ES,
Leukozyten | throzyten phile | ® = | m
5 600
I. | 7 400 5 012 000 |
II. 7 500 5080000 | 62 7 3 u.
1. vor d. Injekt. 7 460 |
2Std.n.Injekt. 12 400 5148000 | |
6Std.n.Injekt. | 11200 5264000 | 76 1 1 1,2
2. vormittags . 10 500 5 048 000 |
nachmittags . 8700
3. | 6940
4. | 6200 | |
5. | 5800 5 048 000
6. 4 080 5 106 000 53 1 1 8
7. 4100
8. 4 100 | !
9. 4 300 4952000 | 54 1 Ë
10. 4 100 Ä
11. 4 000 |
12. 4 000
13. 4 000 4 970 000 50 4 46
14. 4100
15. 4100
16. 4200 |
17. 3 980
18. 3 800
19. 4 000
20. 3960 |
21. 3 940 5.072 000 51 2 4
22, 3 980 |
23. 8 960 |
26. 4 000
28. 4 000 4 968000 | Ä
80. 4 200 | |
31. 4.000 | |
43. 4 800 5080000 |
Über Wirkung von Polonium. 335
Lösung war während der mehrere Tage dauernden Elektrolyse mittels
eines Grlasstabes in ständiger Bewegung gehalten.
Das Polonium schlägt sich als unsichtbarer Niederschlag auf dem
Platinblech nieder. Von Zeit zu Zeit wurde dasselbe aus der Lösung
herausgenommen und nachgemessen, ob es genügend aktiv sei. Ist das
Polonium aus der Bleilösung vollständig ausgeschieden, so nimmt die Akti-
vitit des Bleches innerhalb eines Tages unwesentlich zu. Die Lösung
Versuch II.
Kaninchen 8500 g. Polonium 10 st. E.
Poly-
Zahl der |ZahlderEry- le
Leukozyten | throzyten phile
eosino-
phile
baso-
phile
Über-
gangsf
I. 9 800 4 956 000 | 63
I. 9 600 |
1. vor d. Injekt. 10 000 4 950 000
2Std.n.Injekt. 14 800 | f
5.Std.n.Injekt. 14 000 5000000 ; 71 1 28
2. vormittags . 12 900 4 980 000
nachmittags . 11 000
3 6 800
4. 6 800
d 5 800
6. 5 400
7. 4 000
8
9
0
1
3
4100
3 900 4 900 000 55 1 1 43
3 980
3 800
3 900
5. 3 400
17
19 3 800
20 3 900
2l. 3 980
23 4 000
25 3 900 4 950 000 55 1 3 41
24;
4100
4 200
4 100
4 600 5 100 000
4 900
t%
a
‘
y
2 m
x sy x
En in
336 Fernau, Schramek u. Zarzyki,
läßt man behufs Wiederbildung kleinerer Dosen von Polonium nur mehrere
Wochen stehen. Erst nach ungefähr viereinhalb Monaten hat man die
Hälfte der Gleichgewichtsmenge wieder.
Um das Polonium für unsere intravenösen Injektionen in sterile
physiologische Kochsalzlösung zu bringen, wurde dasselbe von der Platin-
kathode abgelöst. Die Lösung gelang mit heißer verdünnter Salzsäure nur
unvollständig, und wir behandelten daher das Poloniumblech in einer Glas-
schale mit rauchender Salzsäure auf dem Wasserbade. Die salzsaure
Versuch IH.
Kaninchen 360 g. Polonium 40 st.E.
Zahl Zahl |m gelgel Elig
der Leuko- |der Erythro-| neutro- | 2 %&, 3 21153|8»
hile | ® | >
zyten zyten P =
% % i% | %|%
1 | 7500 | 5 100 000 | 62 ılıye2 la
HI 7 300 |
1. vor d. Injekt. 800 | 5000000 |
4Std.n.Injekt. | 13500 | 5200000 | 73 2 | 5
2. vormittag 11 600 |
nachmittag ) 10 300 |
3, | 9400 | 5100000 | 57 | 2 41
4. | 7800 | | |
5. | 6800 | |
6. | 4100 4 960 000 52 | 1 | #7
T. ` 4000 |
8. | 3800! |
9, 4 000
10. 8 400 4 890 000 48 3 | 49
11. 3200 |
12. 3600 |
13. 3 000 |
15. 2 800 4 900 000 43 1 1 | 5
17. 3200 |
18. 3800 |
20, 3 600 5 200 000 55 1 1 3 | 40
21. 3 500
232. 3 900
24. | 4100
27. 4500 5 390 000
30. 4 800
35. 4 500
41. 4 900 5 400 000
46. | 6 300
Über Wirkung von Polonium. | 337
Lösung wurde zur Trockene eingedampft und der Rückstand, der kaum
sichtbar war, in heißer N/7 Salzsäure gelöst. Unmittelbar vor der In-
jektion wurde mit N/7 Natronlauge neutralisiert, und so eine Polonium-
haltige physiologische Kochsalzlösung erhalten. Den Rückstand in physio-
logischer Kochsalzlösung direkt zu lösen, ist wegen der Bildung von un-
löslichem basischem Poloniumoxychlorid unzulässig. Trotz der Behandlung
mit rauchender Salzsäure gelang es nicht, das Polonium aus dem Platin
quantitativ herauszulösen, denn die Nachmesung ergab stets eine noch vor-
handene Aktivität des Bleches. Wir haben die im Platinblech zurück-
gebliebene Poloniummenge beziehungsweise dessen Stromwertäquivalent in
Abzug gebracht. Es liegt offenbar eine Legierung von Polonium mit Platin,
analog der Wasserstoff-Palladium-Verbindung, kein oberflächlicher Nieder-
schlag vor.
Die Dosen, die wir injizierten, betrugen 10 bis 400 stat. Einheiten;
es sei bemerkt, daß einem Ionisationsstrom von 400 stat. Einheiten die
(rewichtsmenge von 0,000 035 mg Polonium entspricht.
Fassen wir bei unseren Versuchen die Einwirkung auf das Blutbild
zusammen, so zeigt sich, daß bei Verabreichung von relativ kleinen Dosen
i10—40 stat. Einheiten) die Leukozytenzahl zuerst ansteigt. Dieser An-
ue
. früh Exitus
Versuch IV.
Kaninchen 3800 g. Polonium 401 st. E.
Pol TX S 1 8 y- Ò
Zahl Zahl |morphk.\e2 | 82158 38
der Leuko- |der Erythro-| neutro- S 2.183%15 S Ei R
zyten zyten phile =
% | %r | % | %
1 8770 | 5400000 | | |
u 7900 5450000 | 52 ee 1 43
l. vor d. Injekt. | 9 200 |
Std. n. Injekt. | 8 100 | Ä
9Std.n.Injekt. | 7800 Ä 5 390 000 |
3 | 5900 |
3. 5400 | | | |
t 3500 | 5350000 91 2 | 1 6
5 | 2300 | |
6. vormittag 1 000 | 78 | 2
nachmittag 350 Ä 5 360 000 |
t. vormittag 140 | |
nachmittag 120 | 5 200 000 l
z vormittag 60 | |
nachmittag | 10 į 5280 000 15 85
| |
| |
Strahlentherapie Band III, Heft ı. 22
338 Fernau, Schramek u. Zarzyki,
stieg ist aber nur 'ein vorübergehender und folgt darauf eine Leukopenie.
die bemerkenswerterweise längere Zeit anhält. Wir konnten eine solche
noch 30 Tage nach der Injektion beobachten, und selbst nach 40 Tageı
war die Anzahl der Leukozyten geringer als bei Beginn des Versuche:.
Es scheinen demnach geringe Mengen des Polonium, wie dies auch für
das Thorium X und kleine Dosen von Radiumemanation und Radium
(Gudzent, Noorden und Falta, Zehner usw.) gilt, zumeist eine Rex-
wirkung auszuüben. Bei größeren Dosen (114 stat. Einheiten) erfolgt
meist ohne früheres Ansteigen eine Abnahme der Leukozyten. Das pre
Versuch V.
Kaninchen 4100 g. Polonium 61 st. E.
Z l 4 O
Zahl Zai moi algele Eji;
der Leuko- der Erythro-| neutro- | 74.132215 g ER
zyten zyten phile “A
% 1 %»l1% 1% |%
I. 7 800 4 900 000 i
II. 7 500 5 100.000 49 1|l5 8
1. vor d. Injekt. 7 900 |
2Std.n.Injekt. 11 600
5Std.n.Injekt. | 12800 4.880 000
2. 7.000 4 900 000 47 2 1 50
3. 6 300
4. 5 600
5. 5100
6. 3 800
7. 8 200 4 800 000 45 1 1 53
8. 3 600
9. 3 100
10. 3 000 4 600 000 47 1 52
11. 3 200
12. 3 800 4 800 000
13. 3 600
14. 3 700
15. 3 300
16. 3 600
17. 3 800
19. 4100 5 100 000 42 3 5
21. 5 100 |
22. 5 200
24. 4 300 4 980 000 45 1 | 5
26. 4800 |
28. 5 100
30. 4 000
Über Wirkung von Polonium. 339
zentuale Verhältnis der einzelnen Leukozytenarten ergibt bei unseren Ver-
suchen keine regelmäßige Veränderung, doch ist auf der Höhe des Abfalls
eine deutliche Lymphozytose aufgetreten.
Große Dosen führen zu einem rapiden Leukozytensturz; sofort nach
der Injektion beginnt die Leukozytenzahl zu sinken. In dem einen hier
mitgeteilten Versuche sank innerhalb von 8 Tagen die Zahi der weißen
Blutkörperchen von 9200 auf 10. Das Tier ging auch zugrunde, während
die übrigen Kaninchen, die nicht tödliche Dosen erhielten, scheinbar keine
Störung des Allgemeinbefindens aufwiesen; die Freßsucht war nicht ver-
mindert, das Körpergewicht nahm nicht ab. Auch darin zeigt das Polo-
nium eine Übereinstimmung mit anderen radioaktiven Substanzen, welche
in großen Dosen eine Giftwirkung und zwar hauptsächlich durch Schädi-
gung des hämatopoetischen Systems verursachen.
Dafür spricht auch die in diesem Falle vorgenommene Autopsie, die
sich mit den gleichen Veränderungen bei Einverleibung von Thorium X
(Orth, Bickel, Pappenheim und Flesch, Hirschfeld und Meidner)
vollkommen deckt. Sie ergab: Stark anämische große Gefäße mit wenig
flüssigem Blut gefüllt, nirgends Blutkoagula. Beide Pleurahöhlen mit je
Versuch VI.
Kaninchen 3800 g. Polonium 57 st. E.
Poly- ô olL% 2 =
Zahl Zahl morphk. EE- gS 58 A g
der Leuko- |der Erythro-| neutro- gr 3515 A A p
zyten zyten phile A
% % i% l IA
I. 6 900 4 000 000 43 4 4 4 45
i 6 700
1. vor d. Injekt. 6 800
2Std.n.Injekt. 5 400
2 4 300
3 3840 8 890 000 36 1 63
4 3100 3 960 000
5. 2600
6. 2 900 3 870 000 40 1 2 57
7. 2 600
8. 2 600
9. 2 300
10. 1700 3 600 000 51 1 1 47
11 1 800
12 2000
13. 2 200 3 900 000 49 4 4 47
14. 2800
15. 2 100 4 100 000 47 1 1 1 51
22%
340 Fernau, Schramek u. Zarzyki,
5 ccm hämorrhagischer Flüssigkeit gefüllt. Lunge gebläht, in der Pleura
zahlreiche Blutungen. Vereinzelte bis hirsekorngroße Blutungen im Peri-
kard. Milz atrophisch, Leber ohne Besonderheiten.
Auch bei nicht tödlichen Dosen konnten, so bei Kaninchen VII, das
am 15. Tage getötet wurde, schon makroskopische Veränderungen am
hämatopoetischen System festgestellt werden. Die Milz war atrophisch.
das Knochenmark anämisch. Beim Kaninchen VI, welches Polonium in
der Stärke von 57 stat. Einheiten erhielt, konnte makroskopisch keine
Veränderung beobachtet werden. Über das Resultat der histologischen
Untersuchung wird ein später erscheinender Bericht erfolgen.
Unverändert blieb in allen Fällen die Zahl der roten Blutkörperchen.
insbesondere auch im Versuche IV. Mittels der Oxydasereaktion konnte
keine Abweichung von der Norm konstatiert werden.
Fall I wurde aus dem Versuchsprotokoll auch deshalb mitgeteilt, weil
es sich hierbei um ein gravides Tier handelt. Die Einführung des Polo-
niums hatte keine Störung zur Folge. Am 31. Tage nach der Injektion
warf das Kaninchen 5 Junge. Hirschfeld und Meidner konnten durch
Versuch VII.
Kaninchen 3900 g. Polonium 114 st. E.
|
, lo alo
E Zahl Pr Zahl moin. |22|8215 815
der Leuko- der Erythro- neutro- |23|1233|5 = | S a
zyten zyten phile | ® ha
) 9-1... 5%
I. 4200 | 530000 | 47 1 2.50
LI. 4 300 5200 000 | |
1. vor d. Injekt. 4 800
2Std.n.Injekt. 4 900 5 300 000 | |
2. 3 300 |
3. 3 800 5 280 000 48 2 50
4. 3 800 |
5. 3 800
6 2 550 | |
7. 2.000 5 160 000 ' |
8. 2.200
9. 2 600 |
10. 2.800 5 210 000 46 Ei 53
11. 2 900 | |
12. 3.000 |
13. 2 400 |
14. 2 500 5 300 000 67 | 33
l j
15. | 2200 |
Über Wirkung von Polonium. 341
intravenöse Darreichung von Thorium X unter drei Fällen in zwei Fällen
Abortus herbeiführen. Sie wollen aus der geringen Anzahl der Versuche
keine bindenden Schlüsse ziehen. Die Dosen waren aber viel größer als
die von uns angewendeten Poloniummengen.
Um eine vorläufige Feststellung zu machen, ob und wie lange Zeit
sich Polonium im Organismus noch vorfindet, wurden Stücke von Leber,
Niere und Milz bei Kaninchen VI und VII, die, wie früher erwähnt,
14 Tage nach der Injektion getötet wurden, in bezug auf ihre Aktivität
untersucht. Da Polonium bei ca. 1000° flüchtig ist, wurden Blut und
Organe nur bis zur Verkohlung gebracht. Die fein gepulverte Kohle wurde
mit konzentrieter Salzsäure ausgekocht, die salzsaure Lösung auf 100 ccm
gebracht und 5 ccm davon in einer flachen (slasschale mit geringem Rande
eingetrocknet. Es ließ sich tatsächlich eine Aktivität nachweisen, die auf
o-Strahlung beruhte.
Es tritt nach diesem Versuche, der nur eine vorläufige Feststellung
enthält. welche durch im Gange befindliche Versuche kontrolliert wird,
das Polonium in einen gewissen Gegensatz zu der Radiumemanation,
welche sich sowohl bei intravenöser als subkutaner Zuführung rasch im
ganzen Körper verteilt, aber in kurzer Zeit ausgeschieden wird.
Im allgemeinen reiht sich daher das Polonium bezüglich der Verände-
rungen, die es bei intravenöser Einführung hervorruft, den bisher unter-
suchten radioaktiven Körpern vollkommen an. Bei den bisher vorliegenden
Berichten über die Wirkungen der radioaktiven Substanzen kam durch
die Anhäufung der Zerfallsprodukte ein Gemisch «, ß und y-Strablung in
Frage. Wir gingen darauf aus, nur eine einzige Art von Strahlen zur An-
wendung zu bringen und verwendeten deshalb den reinen «-Strahler
Polonium, der ebenfalls vornehmlich auf das hämatopoetische System
einwirkt.
Es können jedoch keine Schlüsse auf die gleichartige Wirkung der
Strahlen bei den verschiedenen radioaktiven Körpern im allgemeinen ge-
zogen werden.
Die Wirkung der Alphastrahlen gegenüber gesunder Haut ist bei den
einzelnen radioaktiven Substanzen schwer abzugrenzen. Beim Auflegen von
Polonium in größeren Dosen und durch längere Zeit auf der Haut des
einen von uns (Schramek) konnte keinerlei Reaktion erzielt werden, dem-
nach die Ansicht, daß die primäre Erythemwirkung des Radiums durch
seine Alphastrahlen hervorgerufen wird, erst durch weitere Untersuchungen
zu überprüfen ist.
342 Fernau, Schramek u. Zarzyki, Über Wirkung von Polonium.
Literatur.
v. Noorden und Falta, Klinische Beobachtungen über die physiologische und
therapeutische Wirkung großer Dosen von Radiumemanation. Medizini-
sche Klinik 1911, Nr. 39.
Levy, Margarete, Über Veränderungen der weißen Blutkörperchen nach In-
jektionen therapeutischer Dosen löslicher Radiumsalze Radium in
Biologie und Heilkunde, Bd. 1, S. 256.
Brill und Zehner, Über die Wirkungen von Injektionen löslicher Radium-
salze auf das Blutbild. Berliner klin. Wochenschrift 1912, Nr. 27.
Falta, Kriser und Zehner, Über die Behandlung der Leukämie mit Thorium X.
Wiener klin. Wochenschrift 1912, Nr. 12.
Pappenheim und Plesch, Experimentelle und histologische Untersuchungen
zur Erforschung der Wirkung von Thorium X auf den tierischen Organis-
mus. Zeitschrift f. experim. Pathologie und Therapie 1913, Bd. 12.
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Strahlentherapie 1913, S. 467.
Hirschfeld und Meidner, Experimentelle Untersuchungen über die biologische
Wirkung des Thorium X nebst Beobachtungen über seinen Einfluß auf
Tier- und Menschentumoren. Zeitschrift f. klin. Medizin 1913, S. 407.
Metzener, Zur Kenntnis der Organotropie von Thorium X und Thorium B.
Zeitschrift f. klin. Medizin, 1913, S. 394.
Die Finsenlichtbehandlung am London-Hospital 1900—1913.
Von
J. H. Sequeira, M.D. Lond. F.R.C.P. Lond. F.R.C.S. Eng.
Oberarzt der Hautabteilung und Dozent für Dermatologie am London-Hospital:
Leitender Arzt der Königin Alexandra Lichtabteilung; Konsultierender Dermato-
loge am Radiuminstitut.
Aus The Lancet, 14. Juni 1913. S. 1655.
ie Finsenlichtbehandlung wurde am 1. Mai 1900 mit der von der
Königin Alexandra, damals Prinzessin von Wales, gestifteten Lampe
eröffnet. Die jüngst erfolgte Wiederkehr dieses Jahrestages legte einen
Überblick über die in den verflossenen 13 Jahren erzielten Erfolge nahe,
was, wie ich zu hoffen wage, auch für weitere ärztliche Kreise nicht ohne
Interesse sein dürfte. Im Jahre 1908 veröffentlichte ich einen Überblick
über unsere Tätigkeit in den ersten 8 Jahren.!) Die hochbefriedigenden
Resultate, über die ich damals berichten konnte, sind in vollem Umfange
auch weiterhin bis jetzt erzielt worden. Wir verfügen obendrein jetzt über
eine Reihe von Fällen, die entsprechend länger rückfallfrei geblieben sind
und ich möchte gerade auf diesen Punkt die Aufmerksamkeit beson-
ders hinlenken. Wie früher muß ich meine Fälle in mehrere Gruppen
einteilen.
A. Fälle, die nach Abschluß der Behandlung keinen Rückfall erlitten.
Diese möchte ich wieder unterteilen
1. in solche, bei denen die Behandlung An als 3 Jahre abge-
schlossen ist.
2. In diejenigen, wo die Behandlung seit weniger als 3 Jahren be-
endet ist.
B. Fälle, bei denen die Krankheit unter der Behandlung schwand,
die jedoch ab und zu wegen geringer Rückfälle einer kurzen Behandlung
bedürfen.
C. Fälle, bei denen die Behandlung zwar genützt hat, die aber nie
ganz frei von Erscheinungen gewesen sind.
D. Hoffnungslose Fälle. Bei ihnen handelt es sich um Erkrankungen
schwersten Charakters, wo die Licht- oder vielmehr jede Behandlung gänz-
lich ohne Wirkung bleibt.
1) Seven Years’ Experience of the Finsen Treatment, The Lancet, March 7th
1908, p. 718.
344 Sequeira,
E. Kranke, die aus pekuniären oder sonstigen Gründen die Behand-
lung aufgeben mußten oder die uns aus Sicht gekommen sind.
Gruppe A. Seit 3—13 Jahren rückfallfreie Fälle: 544. In den letzten
3 Jahren behandelte, bisher rückfallfreie Kranke: 186. Die Beständigkeit
des Heilungseffekts ist nun gerade bei der Finsenbehandlung von beson-
derem Interesse und ich habe es mir daher angelegen sein lassen, die
Fälle weiter zu verfolgen. Es war dies zwar mit erheblichen Schwierig-
keiten verbunden, immerhin bin ich in der glücklichen Lage, über die Re-
sultate von 544 Fällen berichten zu können. Von diesen haben wir nicht
weniger als 302 Patienten innerhalb der letzten 2 Monate gesehen oder
wenigstens mit ihnen in brieflicher Verbindung gestanden. Ich bin des-
wegen den Schwestern der Abteilung besonders zu Dank verpflichtet, die
mit unermüdlichem Eifer es unternahmen, die Patienten weiter zu verfolgen
und in Konnex mit ihnen zu bleiben. Nach unseren Untersuchungen sind
99 Patienten seit 10 Jahren und länger rückfallfrei. 277 sind rückfall-
frei zwischen 5 und 10 Jahren, und 168 zwischen 3 und 5 Jahren.
Neuerdings schenkt man besondere Aufmerksamkeit dem gleich-
zeitigen Vorkommen anderer Tuberkulosemanifestationen bei Lupuskranken
und einige Autoritäten geben hohe Prozentzahlen hierfür an. Ich bin nun
zwar nicht in der Lage, sagen zu können, wie viele von den jetzt geheilten
Patienten an Tuberkulose anderer Organe leiden, aber ich habe Nachricht
über 6 Todesfälle an Lungentuberkulose unter 23 mit dem Tode abge-
gangenen Patienten von den 544, die uns frei von Lupus verließen.
Todesfälle unter 544 geheilten Lupusfällen.
=
Lungentuberkulose (1 mit Pneumothorax)
Krebs innerer Eingeweide .
Lungenentzündung
Diabetes .
Peritonitis (nicht tubarkulös).
Perforation des Wurmfortsatzes .
Diphtherie .
Puerperalfieber
Puerperal-Eklampsie .
Meningitis (anscheinend adi tuberkulös)
Gallensteinoperation .
Ösophagus-Krebs .
Progressive Paralyse .
Unbekannte Ursache
Q9 ma pa pa pa p p p j jede O IND
Teer 23
Die Finsenlichtbehandlung am London-Hospital 19001913. 345
Die 186 ‚frisch‘‘ geheilten bedürfen keiner besonderen Erläuterung.
Die Krankheit ist bei ihnen völlig beseitigt und es liegt keinerlei Grund
vor, Rückfälle als bevorstehend anzunehmen.
Gruppe B. Hierher gehören 117 Patienten. Eine Anzahl von ihnen
ist für 1 Jahr und länger rückfallfrei gewesen, während andere in Zwischen-
räumen von einigen Monaten sich weiterer Behandlung unterziehen mußten.
In einigen Fällen kommen andauernd Rückfälle — allerdings von nur ge-
ringer Ausdehnung — zur Beobachtung; aber man kann diese Kranken
unmöglich als geheilt bezeichnen. Die Mehrzahl von diesen ist völlig im
stande, ihrer Beschäftigung nachzugehen. In der Regel wirkt die Nach-
behandlung bei ihnen außerordentlich schnell, nach wenigen Sitzungen
können sie wieder an die Arbeit gehen.
Gruppe ©. In dieser Gruppe habe ich diejenigen Patienten unter-
gebracht, die zwar durch die Behandlung gebessert wurden, die aber niclhıt
völlig frei von Krankheitserscheinungen geblieben sind. Bei einigen von
ihnen sind die Nasennebenhöhlen in zu großer Ausdehnung erkrankt, bei
anderen wieder ist der Hautlupus so erheblich und ausgebreitet, daß es
unmöglich ist, ihn völlig zu beseitigen. Die Zahl der hierher gehörigen
Kranken beträgt 161. Einige sind darunter, die jahrelang in Zwischen-
räumen behandelt werden mußten, sie werden höchstwahrscheinlich ihr
ganzes Leben lang mehr oder weniger Behandlung nötig haben. Tuber-
kulose der Drüsen und anderer Organe ist ziemlich häufig bei dieser Art
von Fällen. Es sind die Fälle, die am Kopenhagener Institut „Unsere
Invaliden‘‘!) genannt werden.
Gruppe D. Hoffnungslose Fälle. 31 Kranke, bei denen wir irgend-
eine Beeinflussung durch Licht nicht zu konstatieren vermochten. Bei
fast allen haben sich auch andere Behandlungsmethoden erfolglos erwiesen.
Trotz aller unserer Bemühungen bleibt bei ihnen der Lupus aktiv, ja breitet
sich sogar weiter aus: Teilweise ist dies zweifellos auf die schlechte körper-
liche Konstitution der Kranken zurückzuführen, in manchen Fällen liegen
dagegen gute Gründe für die Annahme vor, daß eine besondere Neigung
des Tuberkelbazillus dafür verantwortlich zu machen ist. Ich hoffe, daß
hierüber Untersuchungen, die jetzt im Gange sind, einige Aufklärung geben
werden.
Gruppe E. Unvollständig behandelte Fälle. Während des Berichts-
zeitraumes von 13 Jahren haben 127 Kranke die Behandlung vorzeitig
aufgegeben oder sind uns aus Sicht gekommen. In der Mehrzahl der
Fälle wurden finanzielle oder häusliche Umstände als Grund des Aufgebens
1) Im Original, wie vorstehend, „deutsch‘‘! (Der Übers.)
346 Sequeira,
angegeben; nur in vereinzelten Fällen machte dagegen der allgemeine Zu-
stand des Patienten die Fortsetzung der Kur unmöglich.
Noch in Behandlung bzw. Beobachtung waren am 1. Mai 1913
190 Kranke.
Todesfälle von solchen Patienten, deren Behandlung
noch nicht abgeschlossen war.
Außer den 23 Todesfällen von Kranken, deren Heilung vom Lupus
bereits länger als 3 Jahre bestand, muß ich noch über folgende berichten:
Tod durch Lungentuberkullose . . . . 7
3 » Epitheliom auf Lupus 5
Š „ Herzleiden . : 5
i „» tuberkulöse Meningitis 2
„ „ ÜUteruserkrankung 1
ss „ Eingeweidekrebs 1
„» „ Lungenentzündung 1
i „ Epilepsie 1
Eisenbahnunfall 1
y
„ ”
Unbekannte Ursache ;
Summe 31
Eine Zusammenstellung der einzelnen Gruppen ergibt folgendes Bild:
Geheilte seit 3—13 Jahren . . . 2... 54
Geheilte weniger als 3 Jahre. . . . . . 186
Noch zeitweise Behandlung erfordernd . . 117
Gebessert . s s c s s o ce șa o 161
Ungebessert . . 2 2 2 2 20... A
1039
Behandlung aufgegeben oder unbekannt . . 127
Noch in Behandlung oder Beobachtung . . 190
Summe 1356
Außer diesen Fällen von Lupus vulgaris wurden noch 94 Fälle von
Lupus erythematodes. und 13 Fälle von Ulcus rodens mit Finsenlicht
behandelt. Ferner noch 48 Fälle von anderen Hautaffektionen, als Leuko-
derma, Alopecia areata, Naevus usw.
Zum Schluß möchte ich aber nicht unterlassen zu betonen, daß die
hier erzielten Erfolge nicht ausschließlich der Finsenbehandlung zugeschrieben
werden dürfen. In manchen Fällen von ulzerösem Typ haben wir uns zur
Vorbehandlung der Röntgenstrahlen bedient, die wir auch in vielen Fällen
von Lupus der Nasennebenhöhlen anwandten. Wir erfreuten uns ferner
Sequeira, Finsenlichtbehandlung am London-Hospital 1900—1913. 347
der Unterstützung der Herren Hunter F. Tod und Dr. H. Lambert
Lack für die intranasale Behandlung, und der Herren A. B. Rox-
burgh und W. T. Lister bei Erkrankungen des Tränensackes und der
Lider. In den Fällen von Erkrankung der Nasenschleimhaut haben
wir uns auch der Pfannenstillschen Methode bedient. Diese besteht
bekanntlich darin, daß innerlich Jodnatrium gegeben wird, während die
erkrankten Höhlen mit Tampons, die mit Wasserstoffsuperoxyd getränkt
sind, austamponiert werden. Die Entwicklung von freiem Jod in den
Höhlen hat in gewissen Fällen wunderbare Resultate gegeben.
Übersetzt von Dr. G. A. Rost, Kiel.
Aus der Universitäts - Frauenklinik Freiburg i. Br.
(Direktor: Geh. Hofrat Prof. Dr. Krönig.)
Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie.
Von
Prof. Dr. C. J. Gauß, I. Assistent der Klinik.
(Mit 16 Abbildungen.)
E ist noch nicht lange her, daß man die Technik der Radiumtherapie
nur anhangsweise und kurz in den Röntgenlehrbüchern besprochen
fand; wenige historische Angaben über die Entdeckung der radioaktiven
Substanzen, einige noch knapper gehaltene Bemerkungen über ihr physikalisch-
chemisches Verhalten, im besten Falle ein paar kurze Mitteilungen über
klinische Erfolge und zum Schluß meist besonders dürftig eine Schilderung
der zur Behandlung notwendigen Instrumente bilden alles, was Wißbegierige
dort finden konnten. Trotzdem hat sich wohl kaum jemand darüber
gewundert, daß die Radiumtherapie so stiefmütterlich behandelt wurde:
war sie doch eine Methode, von der man nach allen bisher gemachten
Erfahrungen glaubte annehmen zu dürfen, daß sie kaum jemals mehr Be-
deutung erlangen würde, als die Dermatologie ihr in der Behandlung einer
Reihe von oberflächlich gelegener Erkrankungen zuwies. Die ganze in jenen
Niederschriften beschriebene Technik der Bestrahlung bestand meistens
nur in der Angabe, daß man die strahlende Materie, in einer Art Kapsel
untergebracht, auf den Krankheitsherd auflegen und an dem Orte der
Wirkung für eine gewisse Zeit fixieren müßte. Die Fixation erfolgte ge-
wöhnlich durch die Radiumträger, petschaft- oder sondenartige Instrumente.
an denen die radiumhaltige Kapsel befestigt war. Sie stellen in ihrer
primitiven Einfachheit ein getreues Spiegelbild der Radiumtherapie jener
Zeit dar, und diese bedurfte in ihrer damaligen Entwicklungsphase tatsächlich
keiner anderen Hilfsmittel. Beruhten doch die Erfolge der Radiumbe-
handlung hauptsächlich in der Wirkung der weichen Strahlen. Entsprechend
ihren physikalischen Eigenschaften waren diese weichen Strahlen durchaus
geeignet, an der Oberfläche des Körpers nachhaltige Änderungen hervor-
zubringen, unter denen die Heilung von Kankroiden und Epitheliomen am
meisten in die Augen springen mögen. Sowie aber die zu beeinflussenden
Erkrankungen nicht allein auf die Oberfläche beschränkt waren, sondern
sich mehr oder weniger nach der Tiefe zu ausbreiteten, dann versagte die
Gauß, Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 349
Radiumbehandlung, indem sie bei kurzen Sitzungen nur oberflächliche
Wirkungen entfaltete, bei längeren Sitzungen dagegen eine Tiefen-
wirkung zeigte, die in Form der von Werner so genannten falschen
Reaktion weit über das Ziel hinausschoß.
Als man dann den weichsten Anteil der Strahlen durch Interposition
von Metallfiltern ausschaltete, vermied man in der Folge zwar solche un-
erwünschten Nebenwirkungen, verminderte aber zugleich die therapeutische
Wirkung der Bestrahlung so sehr, daß sie in der Tiefe des Körpers praktisch
kaum noch in Betracht kam.
Die Isolierung der harten Strahlen verdanken wir in erster Linie
Dominici, dessen Überlegungen von Wickham, Degrais, Cheron in
die Praxis umgesetzt wurde. Es gelang tatsächlich, mit den so-
genannten ultrapenetrierenden Strahlen, unter denen die y-Strahlen und
die harten P-Strahlen zu verstehen sind, Erfolge zu erzielen, wie man sie
bis dahin nicht gekannt hatte; Myome mäßiger Größe, Uterusblutungen
bei Frauen vorgeschrittenen Alters ließen sich durch die Radiumbestrahlung
meist soweit beeinflussen, daß sie, wenigstens in einem gewissen Prozent-
satz der behandelten Fälle, als geheilt angesehen werden konnten. Eine
Reihe der behandelten Fälle zeigte sich aber auch für die ultrapenetrierenden
Strahlen in der von den Franzosen angewendeten Art der Anwendung als
schwer oder gar nicht zu beeinflussen. Die französischen Autoren zogen
daraus die Folgerung, dal die Radiotherapie nicht imstande sei, die Wirkung
des Messers zu ersetzen, daß ihre Aufgabe vielmehr darin beruhen müsse,
die chirurgische Behandlung durch Kombination mit der Strahlentherapie
in der Form einer „chirurgischen Radiumtherapie“ zu ergänzen.
Diese Auffassung der französischen Radiotherapeuten bedeutet meines
Erachtens eine Verkennung der therapeutischen Fähigkeiten der radio-
aktiven Substanzen. Nach unseren eigenen, bereits anderweitig mitgeteilten
Experimenten mußte es als erwiesen gelten, daß die y-Strahlen des Radiums
und Mesothoriums nicht nur eine besonders große Reichweite besäßen,
sondern zugleich auch eine biologische Wirkung entfalten, die man bisher
hauptsächlich wohl nur den -Strahlen zuerkannt hatte.
Um diese biologische Wirkung im klinischen Verlauf der Behandlung
erkennbar zu machen, bedurfte es natürlich größerer Mengen strahlender
Materie als man sie bisher der Regel nach gebraucht hatte, da die y-
Strahlen in der Summe des die strahlende Materie verlassenden Strahlen-
gemisches nur einen abnorm kleinen, kaum 1% der gesamten Strahlen
betragenden Anteil ausmacht. Wir sahen es daher als eine logische Folge
der von den Franzosen bei der ultrapenetrierenden Strahlung beobachteten
teilweisen Mißerfolge an, die Masse des strahlenden Materials soweit zu
vergrößern, daß die das Metallfilter passierenden y-Strahlen noch in ge-
350 Gauß,
nügender Menge vorhanden waren, um eine biologisch in die Augen
springende Wirkung erkennen zu lassen. Von dieser für die Tiefe des
Körpers wirksamen Strahlenart ließ sich nun erweisen, daß sie die durch-
strahlte Oberfläche des Körpers relativ wenig schädigt. Man mußte da-
her erwarten, daß man zur Erzielung einer ausreichend-starken y-Strah-
lung so große Mengen radioaktiver Substanzen der Oberfläche applizieren
könne, wie man es bisher nicht glaubte tun zu dürfen. Eine lange Reihe
vorsichtig angestellter Versuche legte den Grund zu der praktischen Ver-
wertung dieser unserer Überlegungen. Wir applizierten eine gewisse große
Menge von Mesothorium mit einem Metallfilter von bestimmter Dicke
der Haut einer Patientin, und versuchten durch vorsichtiges Tasten
die Zeitgrenze festzulegen, bis zu der eine leichte Hautreizuug gerade
sicher vermieden werden konnte. Durch diese, von uns sogenannte „bio-
logische Aichung‘‘ lernten wir die Bestrahlungszeit kennen, die wir zum
Zwecke einer optimalen Ausnutzung des gebrauchten Präparates innehalten
mußten. Es liegt auf der Hand, daß eine Änderung der angewandten
Filterstärke ebensowohl wie jede Änderung der Mesothoriummenge eine
neue biologische Aichung nötig machen. Die Reihe der so für jedes
Präparat mit den verschiedenen Stärken der bei ihm verwendeten Filter
festgelegten Daten der biologischen Aichung stellten für uns die Grund-
lage der zeitlichen Dosierung bei unseren Patienten dar. Wir werden an
anderer Stelle ausführlich über die hier kurz erwähnten Untersuchungen
zu berichten haben.
Wenn unsere theoretischen Überlegungen ebenso wie die auf ihnen
basierenden experimentellen Untersuchungen richtig waren, so mußte die
Praxis am Krankenbett ergeben, daß wir in der Lage wären, durch
die Verwendung biologisch geaichter Präparate ohne Schädigung der Ober-
fläche in der Tiefe biologische Veränderungen heilender Art hervorzu-
rufen.
Tatsächlich bestätigten unsere klinischen Beobachtungen die Richtig-
keit unserer Überlegungen. Wir haben mehrfach über die Erfolge unserer
Bestrahlungstechnik berichtet, so daß es sich erübrigt, an dieser Stelle
darauf zurückzukommen. Dagegen dürfte es von allgemeinem Interesse
sein, ausführlich zu besprechen, in welcher Weise wir die härtesten Meso-
thoriumstrahlen in genügend großer Intensität dem Körper zuzuführen
pflegen, um einerseits eine genügend starke Heilwirkung zu erzielen, ohne
andererseits die solch großen Dosen eigene Gefahr der Nebenwirkungen
in den Kauf nehmen zu müssen.
Zur Isolierung des harten Strahlenanteils der Mesothoriumstrablen
ist es notwendig, ein Filter von etwa 2 mm Blei zur Umhüllung der
strahlenden Kapsel anzuwenden. Ob es nötig ist, zwecks sicherer Ver-
Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 351
meidung von ÖOberflächenschädigungen die reine y-Strahlung zu isolieren
oder ob wir auch den härtesten Teil der ß-Strahlung dazu nehmen
dürfen, um durch die starke Filterung nicht unnötig viel der y-Strahlen
zu verlieren, ist eine Frage, die noch nicht definitiv beantwortet ist. Wir
stehen vorläufig auf dem Standpunkt, die Filter lieber dicker zu wählen,
um bei den von uns verwendeten außergewöhnlich hohen Dosen die Ge-
fahr einer Oberflächenschädigung unter allen Umständen vermeiden zu
können. Erst die Zukunft kann lehren, ob wir auf diesem Standpunkt
stehen bleiben werden, der zweifellos unseren Patienten die beste Sicher-
heit gegen Nebenwirkungen gibt, für uns dagegen durch den unverbältnis-
mäßig großen Strahlenverlust eine relativ sehr teure Behandlungsmethode
darstellt.
Da die Intensität der Strahlung im umgekehrten Quadrat der Ent-
fernung abnimmt, so muß es wichtig sein, die strahlende Kapsel nahe an
den Krankheitsherd heranzubringen. Es würde also für unsere gynäko-
logischen Ziele zweckmäßig sein, die Kapseln mindestens in die Vagina,
wenn nicht in den Zervix oder sogar in die Uterushöhle einzuführen. Je
mehr die Kapsel dem Zentrum des Krankheitsherdes näher kommt, desto
besser muß naturgemäß die radiär nach allen Seiten von ihr ausgehende
Strahlung für den Krankheitsherd selbst nutzbar werden.
Um die Wirkung weiter nachhaltig zu erhöhen, empfiehlt es sich, auch
das „feu croisé‘ der Franzosen zu benutzen. Ist man also im Besitz aus-
reichender Mengen strahlender Substanz, so soll man nach Möglichkeit
sowohl eine Kapsel in den Uterus, als eine in die Vagina, als endlich eine
oder mehrere auf den Leib legen, um auf diese Weise von allen Seiten
eine möglichst große Dosis auf den in der Tiefe des Körpers gelegenen
Herd einwirken zu lassen.
Endlich ist noch eine andere technische Maßnahme zu berücksichtigen.
Es ist schon vor vielen Jahren von Werner experimentell festgestellt, daß
die Konzentration einer gewissen Lichtmenge auf eine möglichst kurze Zeit
viel intensiver wirkt als die Anwendung der gleichen Lichtdosis, wenn ihre
Einwirkung über einen entsprechend größeren Zeitraum verteilt ist. Es
wird also besser sein, eine große Dosis in kurzer Zeit als in einer längeren
Zeitspanne eine Anzahl von kleinen Dosen anzuwenden.
Nach diesen Ausführungen läßt sich deutlich erkennen, daß die prak-
tische Durchführung der Mesothoriumtiefenbestrahlung sich durchaus an
die Grundlagen der Röntgentiefentherapie anlehnt: starke Strahlung aus
der Nähe in kurzer Zeit von vielen Seiten in großen Dosen mit starkem
Filter anzuwenden.
Wollten wir diese von uns als richtig erkannten theoretischen Grund-
sätze in die Praxis umsetzen, so bedurften wir vor allem außergewöhnlich
352 Gauß,
großer Mengen radioaktiver Substanzen. Ich muß auch an dieser Stelle
wiederholen, in wie großzügiger Weise die deutsche Mesothoriumindustrie
uns in der Durchführung unserer Pläne entgegengekommen ist. Ohne ihre
uns in liberalster Weise zur Verfügung gestellten großen Mengen von
Mesothorium würde es völlig unmöglich gewesen sein, nachhaltige Erfolge
zu erzielen. Dosen unter 50 mg eines hochprozentigen Radium- oder
Mesothoriumsalzes scheinen uns für eine wirksame Tiefenwirkung nicht
empfehlenswert. Wenn irgend möglich, sollten 100 mg angewendet werden,
und wo es angeht, müssen zu gleicher Zeit möglichst viel solcher Dosen
im Sinne des Kreuzfeuers auf den Krankheitsprozeß einwirken können.
Für die äußere Anwendung eignen sich aus Gründen, die hier nicht
näher erörtert werden können, am besten flache Kapseln, bei denen die
strahlende Substanz möglichst gleichmäßig verteilt ist, für die innere Appli-
kation dagegen zylindrische Tuben, in denen das Salz möglichst fest ein-
gefüllt ist, sodaß ein Hin- und Herfallen innerhalb der Tube ausgeschlossen
erscheint. Als Material für die Kapseln kommt speziell Silber und Platin
in Betracht; das letztere eignet sich besonders für die Applikation an
Orten, wo andere Metalle durch chemisch differente Körpersäfte, wie z. B.
im Magen, angegriffen werden würden. Für die zu wählende Dicke der
Kapselwand kommt in Betracht, dal3 sie einerseits eine gewisse Wider-
standsfähigkeit hat, andererseits eine gewisse Dicke aber doch nicht über-
schreitet, woraus zu starke Strahlenfilterung resultieren würde.
Die Armierung dieser flachen und zylindrischen Kapseln zum Zwecke
der Bestrahlung benötigt nun eine Reihe von Instrumenten, die von dem
Instrumentenmacher F. L. Fischer-Freiburg/Brsg. auf Grund unserer Er-
fahrungen zu einem Instrumentarium der Radium- und Mesothoriumtherapie
zusammengesetzt ist. Die Instrumente lehnen sich zum Teil an bewährte
Modelle, meist französischen Ursprungs an, stellen aber zum Teil doch
Konstruktionen dar, die sich bei uns erst allmählich entwickelt und im
praktischen Gebrauche bewährt haben. Es wird für die Allgemeinheit viel-
leicht wichtig sein, aus einer kurzen Besprechung dieses Instrumentariums
einen Eindruck gewinnen zu können, unter welchen Bedingungen die von
uns anderen Orts mitgeteilten Resultate gewonnen sind.
Ein Instrumentarium zur Radium-Mesothoriumtherapie muß, wenn es
seinen Zweck erfüllen soll, eine ganze Reihe von Forderungen erfüllen.
Mit ihm sollen durch bequem zu gebrauchende Instrumente die in richtig
gewählten Filtern armierten strahlenden Kapseln an den Ort der Wirkung
gebracht und dort fixiert gehalten werden, ohne daß die Patientin durch
Nebenwirkungen irgendwelcher Art gefährdet ist. Dieses Ziel versucht das
vorliegende Instrumentarium auf folgende Weise zu erreichen.
Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 353
Als Grundlage für das gesamte Instrumentarium sind flache und
zylindrische Bestrahlungskapseln von einer bestimmten Größe gewählt; die
flachen Kapseln (Fig. 1) haben einen äußeren Durchmesser von höchstens
27,5 mm und eine Höhe von höchstens 2,7 mm. Die zylindrischen Kapseln
(Fig. 2) sind mit einem Dickendurchmesser
von höchstens 4,2 mm und einem Längsdurch-
messer von höchstens 40 mm ausgeführt. Sind
die zur Bestrahlung benutzten Kapseln kleiner,
(u)
Fig. 2.
so könnte das vorliegende Instrumentarium trotzdem ohne weiteres Ver-
wendung finden; größere Kapseln würden dagegen die spezielle Anfertigung
dazu passender Filterhüllen verlangen.
Fig. 3.
Um eine Schädigung der Finger bei häufigem Arbeiten mit den Be-
strahlungskapseln zu vermeiden, benützen wir eine Greifpinzette (Fig. 3),
die durch zweckmäßige Biegung der greifenden Spitze gestattet, die Kap-
seln bequem und sicher zu fassen.
INN \
Il) A NIY
i CEN h uA
Fig. 5a. Fig. 5b.
Die zur Verwendung kommenden Metallfilter bestehen vorläufig der
Regel nach aus Blei, und sind in Dicken von 1, 2, 3 und 4 mm vor-
handen. Über die Wahl des zu benutzenden Filtermetalles wird weiter
unten noch gesprochen werden.
Strahlentherapie Band IH, Heft 1. 23
354 Gauß,
Die Bestrahlungskapsel sollte je nach dem Orte ihrer Applikation
verschieden geformt sein.
Für die äußere Anwendung von strahlender Substanz an der Körper-
oberfläche eignet sich wohl am besten die in Fig. 1 dargestellte flache
Kapsel. Zur Filterung ihrer Strahlen dient eine aus vernickeltem Messing
WIN iiim
MN Ih Wi WN N Y \
NN IN INN IN INT AININ
W N \ N \\ im
\ WNN \\ INN NN \\ Ni (NN
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HER
Fig. 6.
hergestellte kleine Filterbüchse (Fig. 4); in diese wird eine als Strahlen-
filter dienende runde Bleiplatte von 1-3 mm Dicke (Fig. 5 a und b) ein-
gelegt, dann die strahlende Kapsel hinzugefügt, darauf der Deckel der
Büchse geschlossen und durch die kleine seitliche Schraube fixiert.
Hat man 2 flache Mesothoriumkapseln zur Verfügung, so würde eine
in Fig. 6 dargestellte Zwillingsform der Filterbüchse gebraucht werden,
Fig. 7.
mit der durch den nach vorn zu sichtbaren, nach der Art einer Sicher-
heitsnadel konstruierten Verschluß weitere flache Filterbüchsen mit ihr zu-
sammengekoppelt werden können. Die bei der Konstruktion dieser
Zwillingsfilterbüchse innegehaltene Entfernung der einzelnen Kapseln von-
einander ist so gewählt, daß eine Summation der Strahlen an der Hautober-
fläche durch zu große Nähe der strahlenden Kapseln vermieden wird.
Für die innere Applikation von Mesothorium oder Radium müssen
wir die für uterine und vaginale Anwendung konstruierten Filterbüchsen
voneinander unterscheiden.
Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 355
Die für uterine Zwecke konstruierten Filterbüchsen (Fig. 7) stellen
eine etwas unregelmäßig zylindrische Bleibüchse dar, die entsprechend
der Größe der zylindrischen Mesothoriumkapsel gebaut ist. Sie wird nach
Einführung des Präparates durch einen aus ver-
nickeltem Messing bestehenden Schraubstöpsel ver-
schlossen. Dieser Schraubstöpsel hat 2 spezielle
Vorrichtungen. Er trägt eine Führungsrille, an deren
einem Ende eine Kette befestigt ist, deren anderes
Ennde in einer Durchlochung des Filterstöpsels endigt.
Die Kette wird mit einer Sicherheitsnadel am Hemde
der Patientin befestigt und soll so ein Verlorengehen
der gesamten Kapsel vermeiden, wenn etwa die Pa-
tientin sich unvorsichtig bewegt und dadurch die
richtige Lage der Kapsel gefährdet. Die Führungs-
rille und Durchlochung des Verschlußstöpsels dient
zum Packen vermittelst der Einführungszange. Die
Lage der uterinen Filterbüchse in der Einführungs-
zange ist in Fig. 8 dargestellt, wobei die Spitze der
Einführungszange so in die Führungsrille und die
Durchlochung des Verschlußstöpsels eingesetzt ist,
daß irgendwelche seitliche Verschiebung der Filter-
büchse, die für die Kontinuität der Zervix gefähr-
lich werden könnte, unmöglich gemacht ist. Ein
nahe der Cremalliere am Greifende der Einführungs-
zange gelegener kleiner Federverschluß dient zur
Fixation der Sicherungskette, damit diese nicht bei
der Einführung an Vulva oder Anus unnötig be-
schmutzt wird.
Da es für eine enge Zervix unbequem ist, eine
dicke Filterbüchse einzuführen, so sind für diesen
Zweck spezielle Filter dichteren Metalles z. B. aus
Gold, angefertigt, die bei gleicher Filterwirkung eine
durch ihre geringere Dichte bedingte Annehmlichkeit
für Patientin und Arzt beim Gebrauch hat. Es
würde dabei einer Bleifilterbüchse mit einer Wand-
stärke von 2 mm eine Goldbüchse von etwa 0,8—1 mm
Wandstärke entsprechen. Eine genauere Berech-
nung der in der Wirkung gleichzusetzenden Dicken
verschiedener Metallfilter ist zurzeit im Gange.
Für die intravaginale Applikation sind die eben beschriebenen Filter-
kapseln nicht geeignet, da sie, im Fornix quergestellt, der Patientin infolge
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356 Gauß,
der dem Verschlußstöpsel eigenen Form unangenehme Druckbeschwerden
machen würde. Der Verschlußstöpsel ist daher für die intravaginale
Applikation so abgerundet, daß die Patientin durch ihn nicht belästigt
wird (Fig. 9). Eine die Kapsel sichernde Kette geht durch eine Durch-
lochung des Verschlußstöpsels.
Da es nicht immer möglich ist, sich zugleich flache und zylin-
drische Kapseln anzuschaffen, so ist dafür Sorge getragen, daß die ur-
EC Th La, Tach Cal Ch Gh Ch ka
Fig. 9.
sprünglich für vaginale Anwendung gedachten zylindrischen Kapseln auch
auf der Körperoberfläche verwendet werden können. Dazu dienen zylin-
drische Metallfilterbüchsen, für die aus besonderen Gründen eine von dem
vaginalen Modell abweichende Form gewählt werden mußte. Die Filter-
büchse besteht aus zwei in der Mitte übereinander zu schiebenden Teilen,
und ist nach beiden Seiten gleichmäßig abgerundet, wie Fig. 10a—d
zeigen. Die beiden Teile werden durch eine federnde Klammer zusammen-
Fig. 10.
gehalten, an der die Sicherungskette angebracht wird (Fig. 11). Je nach-
dem ob eine, zwei oder mehrere zylindrische Bestrahlungskapseln zur Ver-
fügung stehen, werden Filterbüchsen dieser Art durch eine dafür vorge-
sehene Vorrichtung kettenartig aneinander gehängt, so daß dann eine
bewegliche und doch in gewisser Weise fixierte Reihe von äußeren Be-
strahlungspräparaten zur Verfügung steht (Fig. 12). Natürlich passen in
die eben geschilderten Klammern sowohl Filterbüchsen dünneren als
dickeren Kalıbers hinein. Der Abstand der einzelnen Mesothoriumkapseln
voneinander ist dabei so bemessen, daß auch hier eine Summation der
Strahlung auf der Hautoberfläche vermieden wird.
Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 357
Dadurch komme ich bereits zu den Vorrichtungen, die unerwünschte
Nebenwirkungen zu vermeiden bestimmt sind. Es ist selbstverständlich
nicht ganz gleichgültig, ob man 2 Präparate von einer gewissen strahlenden
Kraft in einem kleineren oder größeren Abstand voneinander dem Körper
auflegt, und zwar aus folgenden
Gründen. Von beiden Kapseln
geht eine radiär austretende
Strahlung aus, welche die Haut
direkt unter der Kapsel senk-
recht, seitwärts von ihr dagegen
mehr oder weniger schräg trifft; ALLG
dementsprechend ist die Strahlen- Fig. 11.
wirkung direkt unter der Kapsel
am stärksten, um nach den Seiten zu entsprechend dem schrägen Einfallswinkel
des Lichtes abzunehmen. Wenn nun 2 Kapseln in einer gewissen Ent-
fernung voneinander liegen, so treffen sich die radiär von ihnen ausgehenden
Strahlen in der Mitte zwischen beiden. Je weiter sie voneinander liegen,
m
r |}
|
i = Ei] | Mm
agi
Fig. 12.
desto kleiner ist der Einfallswinkel der sich in der Mitte überkreuzenden
Strahlen, so daß es an der Stelle der Überkreuzung zu einer Summation
kommt, ohne daß dabei eine Verbrennung aufzutreten brauchte. Rücken
wir nun die beiden strahlenden Kapseln näher aneinander heran, so wird
der Einfallswinkel der sich in der Mitte
zwischen ihnen überkreuzenden Strahlen
in entsprechender Weise größer und die
Lichtwirkung damit intensiver. Wird
eine gewisse Grenze überschritten, so ist
die durch die Überkreuzung auftretende Summation der Strahlenwirkung so
groß, daß sie an dieser Stelle eine Hautreizung hervorruft. Bei dem von
uns gebrauchten Instrumentarium ist der richtige Abstand der strahlenden
Kapseln voneinander durch biologische Experimente festgestellt; so ist eine
358 Gauß,
Verbrennung durch die Überkreuzung der Strahlen nach unseren Erfahrungen
als ausgeschlossen anzusehen.
Eine weitere selbstverständliche Forderung ist die in jeder Weise
exakte Ausführung der Filterbüchse selbst. Wenn sie nicht überall
gleich dick und dicht gearbeitet sind, muß es zu unangenehmen Ver-
brennungen kommen. Wir haben zu einer Zeit, wo wir noch von
Aluminiumbüchsen weitgehenden Gebrauch machten, gelegentlich ein Schad-
haftwerden des Metalls durch Ätzwirkung der Körpersäfte erlebt; an den
defekten Stellen, die nicht immer gleich dem Auge erkennbar wurden, trat
natürlich eine weit stärkere und weichere Strahlenmenge hindurch, so daß
wir dadurch gelegentlich unbeabsichtigte Reizwirkungen bekamen.
Von besonderer Bedeutung ist auch die Art des Verschlusses der
flachen Kapseln. Es genügt im allgemeinen bei den flachen Filterbüchsen
den Deckel zu schließen, nachdem die flache Mesothoriumkapsel hinein-
gesetzt ist, da eine Strahlung nach rückwärts nicht gefährlich werden kann,
solange die Kapsel der freien Körperoberfläche aufgelegt ıst. Handelt es
sich dagegen beispielsweise um die Achselhöhle, so würde die rückwärts
durch den Metallbüchsendeckel austretende Strahlung den über ihr liegen-
den Oberarm treffen. Da der Metallbüchsendeckel natürlich nur ein relativ
dünnes Filter darstellt, so wäre eine Verbrennung des Oberarms durch
Rückstrahlung des in der Axilla liegenden Präparates die unvermeidbare
Folge. Man kann eine solche nun vermeiden, wenn man ebenso wie
vor die strahlende Kapsel, so auch hinter sie ein dickes, aus einer Blei-
platte bestehendes Strahlenfilter (Fig. 5) in die Metallbüchse einlegt. Die
dann event. noch nach rückwärts austretenden Strahlen sind nunmehr so
hart gefiltert und zugleich so stark vermindert, daß sie eine Schädigung
von irgendwelcher Bedeutung nicht mehr zu machen imstande sind.
Die gleiche Vorsicht muß auch bei intravaginal und intrauterin ein-
gelegten Kapseln beobachtet werden. Da der sie verschließende Schrauben-
stöpsel aus vernickeltem Messing besteht, einem Metall, das eine geringere
Dichte als das Blei hat, da die Filterwirkung aber mit zunehmender Dichte
der benutzten Metalle ebenfalls zunimmt, so muß natürlich an der Stelle
des Verschlußstöpsels eine reichlichere und weichere Strahlung als an den
übrigen Teilen der Metallbüchsen nach hinten austreten, eine Vermutung,
die durch klinische Beobachtungen bestätigt wird. Um nun die unange-
nehmen Folgen der an diesen Stellen unbeabsichtigt starken Strahlung zu
vermeiden, wird in die Filterbüchse vor Verschluß durch den Schrauben-
stöpsel eine kleine Metallplatte eingelegt.
Mit der allseitig dicht abschließenden Metallfilterbüchse ist aber noch
nicht alles getan. Es ist nämlich festgestellt, daß die auf das Filter auf-
treffende Strahlung des Mesothoriums bzw. des Radiums in ihm eine
Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 359
Sekundärstrahlung hervorruft, die je nach Art und Dicke des benützten
Metalls verschiedenartig und verschiedenstark ist. Nach unseren Unter-
suchungen schien Blei eine besonders starke Sekundärstrahlung in diesem
Sinne zu produzieren. Wir haben infolgedessen zu Beginn unserer Unter-
suchungen die mit Mesothorium beschickte Bleifilterbüchse wiederum in
eine dünne Aluminiumbüchse getan, da wir wissen, daß dem Aluminium
eine sehr viel weniger intensiv wirkende Sekundärstrahlung eigen ist. Die
so getroffene Anordnung bewährte sich jedoch nicht, da das Aluminium
durch die Körpersäfte ziemlich schnell stark verändert wird.
Wir haben daher, dem Vorgehen der französischen Autoren folgend,
die Sekundärstrahlung durch andere Maßnahmen zu beseitigen versucht.
Handelt es sich um äußere Applikation, so werden die Filterkapseln
in eine dicke Gazelage eingewickelt, ehe wir sie dem Körper auflegen; in
ihr wird die dem Filter entstammende Sekundärstrahlung weitgehend ab-
sorbiert. so daß sie für die Haut unschädlich gemacht ist. Natürlich ist
dieser Weg nicht gangbar, wenn man die Filterkapseln in enge Höllen
und Kanäle wie z. B. den Zervix einlegen muß. Wir haben uns dann,
wiederum den Franzosen folgend, geholfen durch die Anwendung eines
Gummiüberzuges. Solche werden für unsere Kapseln passend besonders
angefertigt (Fig. 13); wir haben bisher die Erfahrung gemacht, daß ihre
Wirkung vollkommen ausreicht. Das Augenmerk sollte aber trotzdem
auf diese Sekundärstrahlung gerichtet sein, da auch in dem Gummi
wiederum eine Sekundärstrahlung auftreten kann, vor allem, wenn ihm
bei der Fabrikation metallische Substanzen beigemengt sind. Ob die
von uns gebrauchten Gummiüberzüge sich nach der Richtung hin auf die
Dauer bewähren werden, ist natürlich noch nicht mit Sicherheit voraus-
zusehen. Experimentelle Untersuchungen, die wir dem liebenswürdigen
Entgegenkommen der Auergesellschaft Berlin verdanken, lassen daran
denken, vielleicht anstelle des eine starke Sekundärstrahlung gebenden Blei-
filters andere Metalle zu verwenden, die eine schwächere Sekundärstrahlung
produzieren. Ob diese theoretischen Überlegungen wirklich auch praktisch
zutreffen, können erst biologische Experimente ergeben. Bis dahin halten
wir uns für berechtigt, unsere bisherige Technik beizubehalten.
Endlich wäre noch ein Wort über die notwendige Filterdicke zu sagen.
Die französischen Autoren bestrablen im allgemeinen mit einem Bleifiter
von 1 bis 2 mm Dicke. Das durch dieses hindurchtretende Strahlengemisch
enthält aber immerhin noch so viel 3-Strahlen, daß bei längerer Einwirkung
eine Hautschädigung auftritt. Bei den von uns verwendeten großen Dosen
ist natürlich eine solche Nebenwirkung schon relativ früh zu erwarten, so
daß wir aus diesem Grunde von vornherein dickere Metallfilter gebrauchen.
Nach Untersuchungen, die im Laboratorium der Auergesellschaft-Berlin
360 Gauß,
ausgeführt wurden, werden die B-Strahlen von 2 mm Blei soweit absorbiert,
daß nur noch ein minimaler Bruchteil von ihnen durchgeht, -der neben
den intensiven Yy-Strahlen vielleicht praktisch nicht mehr in Betracht
kommt. Es wäre also sehr wohl möglich, daß es gar nicht notwendig ist,
die ĝ-Strahlen vollkommen zu absorbieren, daß es vielmehr genügt, sie
soweit zu schwächen, daß sie gegenüber der Oberflächenwirkung der
y-Strahlung praktisch fast ganz zurücktreten. Ob das richtig ist, kann
wiederum nur durch biologische Experimente erkannt werden. Solche
Untersuchungen sind in unserer Klinik bereits seit geraumer Zeit im Gange
und werden nach ihrem Abschluß von Krinski mitgeteilt werden. Bis
zu ihrem Abschlusse halten wir uns für verpflichtet, die größere Gefähr-
lichkeit der ß-Strahlen zu respektieren und dementsprechend bei ‚größeren
Dosen und längerer Einwirkungszeit stärkere Filter anzuwenden. Wir be-
nutzen darum im allgemeinen eine Filterdicke von 3 mm Blei, die sicher
nur eine reine y-Strahlung durchläßt, und nehmen vorläufig die stärkere
Verminderung der Strah-
Fe a 7 lenquantität durch diese
ln Filterdicke für ihre Unge-
fährlichkeit in den Kauf.
Wo es, wie in der Zervix,
die Verhältnisse wünschens-
wert erscheinen lassen,
dünnere Filter zu gebrau-
chen, da benutzen wir
Filterbüchsen von Metallen größerer Dichte, wie z. B. Gold; dabei
haben wir zurzeit 1,1 mm Gold=2 mm Blei gerechnet, eine Rechnung,
deren Richtigkeit auch noch experimentell erhärtet werden muß.
Ein vollständiges Instrumentarium muß also unter allen Umständen
eine Reihe Metallfilter von verschiedener Form und Dicke enthalten, da-
mit man die für eine spezielle Behandlung als richtig befundene Appli-
kationsform sofort und jederzeit anzuwenden in der Lage ist. Ebenso sınd
noch einige bisher nicht erwähnte Hilfsinstrumente nötig, die hier kurz
Erwähnung finden sollen. Es empfiehlt sich, ein nach Art des Schustermaßes
gebautes kleines Instrument (Fig. 14) zu haben, mit dem die Dicke des
speziell-gewählten Filters gemessen werden kann. Wenngleich jedem Filter
seine Millimeterdicke in Zahlen aufgepreßt ist, so kann es durch den
dauernden Gebrauch der Filter doch vorkommen, daß die Zahlen unleserlich
werden; das Meßinstrument setzt uns in die Lage, mit einem Griff die
betreffende Filterdicke festzustellen. Ein weiteres Hilfsinstrument ist der
Trockner. Er ist ein kleines Metallstäbchen mit Griff, um dessen geriefte
Spitze dünne Wattelagen gewickelt sind. Er wird benutzt zur Austrocknung
nt |
Fig. 14.
Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 361
der zylindrischen Metallfilterbüchsen von der ihnen vom Sterilisieren noch
anhaftenden Flüssigkeit; diese kleine Vorsichtsmaßregel verhütet die un-
erwünschte Einwirkung von Flüssigkeit auf die Mesothoriumpräparate, die
schon bei intakter Kapsel theoretisch denkbar ist, praktisch aber sicher
dann eintritt, wenn eine kleine, dem Auge nicht erkennbare Kapselver-
letzung besteht, durch die das kostbare Salz in die Flüssigkeit austreten
könnte.
Das gesamte hier beschriebene, für die gynäkologische Radiumtherapie
benötigte Instrumentarium ist der besseren Handlichkeit wegen auf 3 Metall-
platten (Fig. 15) untergebracht, die fest übereinanderstehend, vermittels eines
Greifbügels in den Instrumentenauskocher eingestellt werden können (Fig. 16).
Jede der drei Platten, die zum Heben wiederum eigene Griffe tragen, hat
Fig. 15.
eine Reihe von kastenartigen Vertiefungen, in denen die einzelnen Ge-
brauchsgegenstände, speziell die Filter, zweckmäßig geordnet liegen. Diese
Vorrichtung hat sich schon deswegen als notwendig erwiesen, weil die ver-
schiedenen, an den Filtern angebrachten Sicherungsketten sonst fortwährend
unentwirrbar durcheinander liegen; außerdem trägt die Einordnung der ver-
schiedenen Filter in die verschiedenen Abteilungen nach ihrer Dicke sehr
zur Übersichtlichkeit des gesamten Instrumentariums bei. Einige der Hilfs-
instrumente sind durch geeignete Vorrichtungen auf den Platten fixiert.
Das vorliegende Instrumentarium zur Radium-Mesothoriumtherapie
eignet sich natürlich nur für den klinischen Gebrauch. Wollen wir die
Applikation der Bestrahlungskapseln außerhalb der Klinik vornehmen, so
legen wir die dazu benötigten einzelnen Teile des Instrumentariums ge-
brauchsfertig hergerichtet in einer kleinen, verschließbaren Kassette bereit,
362 Gauß,
die auch die sonst noch benötigten Gegenstände (wie Äther, Leukoplast,
Gaze und Handschuhe usw.) enthält. Soll die Beschickung der Metall-
filterbüchsen erst an Ort und Stelle vorgenommen werden, so müssen die
strahlenden Präparate zum Schutze für den Träger der Kassette in genügend
dicken Bleiklötzen mitgeführt werden.!)
Es mag von Vorteil sein, zum Schluß ganz kurz den Gang der Appli-
kation einer strahlenden Kapsel zu schildern.
Die benötigten Instrumente werden sterilisiert, die zur Einlegung be-
stimmten Mesothoriumkapseln dem diebes- und feuersicheren Schranke ent-
nommen. Eine flache und zwei zylindrische Kapseln seien zur äußeren
Fig. 16.
Anwendung, eine zylindrische für intrauterine und eine für vaginale Appli-
kation bestimmt.
Wir nehmen also die flache Filterbüchse, legen eine 3 mm dicke Blei-
filterplatte auf ihren Grund und sodann die Kapsel selbst hinein, decken
sie zur Sicherung gegen die Rückstrahlung nochmals mit einer 3 mm dicken
Bleifilterplatte und schließen den Deckel der Filterbüchse durch den seit-
lichen Schraubenverschluß.
Die für die äußere Applikation bestimmten zylindrischen zwei Meso-
thoriumkapseln werden nunmehr in die zugehörigen zylindrischen Bleifilter-
büchsen gelegt, nachdem diese zuvor mit dem Trockner von der ihnen
1) Instrumentarium und Kassette werden in der beschriebenen Form von In-
strumentenmacher F. L. Fischer-Freiburg, Kaiserstr., angefertigt und vertrieben.
Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 363
‚vom Auskochen anhaftenden Flüssigkeit befreit sind. Die geschlossenen
Bleifilterbüchsen werden sodann in die zugehörige Doppelklemmfeder gelegt
und sind damit gebrauchsfertig. |
Ehe sie aber der zu bestrahlenden Körperstelle aufgelegt werden
können, müssen die mit Mesothorium beschickten Metallfilterbüchsen mit
der die Sekundärstrahlen aufnehmenden Gazeschicht umhüllt werden. Dies
geschieht auf folgende Weise. Sie werden wie ein Postpaket in die Gaze
eingepackt und einige Leukoplaststreifen in der Weise einer Paketver-
schnürung um sie herumgeführt. Eine Markierung auf der Gaze bezeichnet
die dem Körper abgewendete, nicht strahlende Rückseite der Kapseln. In
dieser Form werden die Kapseln der zu bestrahlenden Körperstelle auf-
gelegt und dort durch breite Leukoplaststreifen befestigt. Es empfiehlt
sich, die in Bestrahlung genommene Hautpartie durch einen Tintenstift zu
umranden, damit beim Fortnehmen des strahlenden Paketes festgestellt
werden kann, ob es seine Lage während der Applikation verändert hat
oder nicht. Sind nämlich mehrfache, räumlich nebeneinander gelegene
Applikationen nach Art der Felderbestrahlung beabsichtigt, so würde eine
nicht beobachtete Verschiebung der Kapseln Überstrahlungen der Grenz-
partien und Hautschädigungen zur Folge haben können.
Zur Applikation der uterinwirkenden Kapseln bedarf es einiger größerer
Umständlichkeiten. Zuerst wird die einzuführende Kapsel hergerichtet.
Nach Austrocknen der Bleifilterbüchse mit dem Trockner wird die Meso-
thoriumkapsel mit der Greifpinzette gefaßt und in die Filterbüchse versenkt.
Nachdem die kleine, die Rückstrahlung verhindernde Bleiplatte darauf-
gelegt ist, wird der Verschlußstöpsel daraufgeschraubt und ein nach Mög-
lichkeit vorher umgeklappter Gummiüberzug vorsichtig so über die Metall-
filterbüchse gestreift, daß sie dieser überall glatt anliegt. Erst jetzt faßt
man die zum Einführen fertige Kapsel an der Rinne des Verschlußstöpsels
mit der Einführungszange, fixiert sie in dieser Lage durch Schluß der
Cremalliere und drückt die am Verschlußstöpsel angebrachte Sicherungs-
kette angezogen in die kleine Metallfeder seitlich des Griffes der Ein-
führungszange. Nach Einstellung und Einhakung der Portio wird die
Zervix nun mit Hegarschen Dilatatoren vorsichtig dilatiert bis zu einer der
Größe der Metallfilterbüchse entsprechenden Nummer und die bereit-
liegende Metallfilterbüchse sodann vermittelst der Einführungszange mög-
licht hoch in die Zervix hinaufgeschoben. Ein Tampon sorgt für die
richtige Lage der Kapsel. |
Ist zugleich eine vaginale Applikation beabsichtigt, so wird eine Vaginal-
filterbüchse unter Leitung der touchierenden Hand in die Vagina eingeführt
und im Fornix quergestellt. Die Beschickung der intravaginalen Metall-
filterbüchse geschieht genau so wie die der intrauterinen: nur wird anstelle
364 Gauß, Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie.
eines zur intrauterinen Einführung benötigten spitzigen Verschlußstöpsels
die abgerundete Form des intravaginalen Verschlußstöpsels gewählte Nach
der Einführung der Kapsel in den Fornix wird ein Wattetampon zu ihrer
Fixation in der richtigen Lage eingelegt.
Alle Bestrahlungspräparate werden übrigens vermittelst der Sicherungs-
kette an dem Hemde der Patientin befestigt, um für den Fall eines Her-
ausgleitens einige Sicherheit zu haben.
Für die Applikationsdauer jedes Präparates sind natürlich die durch
die biologische Aichung gefundenen zeitlichen Werte maßgebend. Die
Patientin hütet am besten das Bett, damit sich die Kapsel nicht verschiebt.
Diese Maßnahme ist übrigens auch im Sinne einer möglichst weitgehenden
Sicherung gegen das Verlorengehen des wertvollen Präparates zweckmäßig.
Kroemer: Röntgen-Mesothoriumstrahlen. Strahlentherapie Bd. III, Taf. I.
Fig. 1.
Fig. 2.
Carcinoma cervicis. Geschwulstbröckel nach Stägiger Bestrahlung vom Kıater
durch Abkratzen gewonnen.
Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin-Wien.
Kroemer: Röntgen-Mesothoriumstrahlen. Strahlentherapie Bd. III, Taf. II.
Fig. 3.
Dasselbe Karzinom wie in Fig. 1 und 2 naclı 4 wöchentlicher Bestrahlung. Das
Stroma ist schwammig aufgelockert. Die Karzinomzellen sind gleichsam ausgelaugt.
Fig. 4.
Randpartie vom gleichen Karzinom wie in Fig. 1—4. Das Krebsgewebe ist ver-
schwunden. In der Umgebung der Gefäße reiche kleinzellige Infiltration.
Verlag von Urban & Sch warzenberg, Berlin-Wien.
Kroemer: Röntgen-Mesothoriumstrahlen. Strahlentherapie Bd. III, Taf. III.
Fig. 6.
Probeexzisionen aus einem Vulvakrebs nach 6 wöchentlicher Bestrahlung. Fig. 5
ist dem Grunde, Fig. 6 dem Rande des flachen Ulcus rodens entnommen. An
Stelle des typischen Hornkrebses ist nur noch ein indifferentes Gewebe mit leb-
hafter kleinzelliger Infiltration vorhanden. In Fig. 5 ist ein Krebszapfen angedeutet.
Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin-Wien.
Strahlentherapie Bd. III, Taf. IV.
Klein: Röntgenbehandlung.
Adeno-Carecinoma mammae; Primär-Tumor.
Fig. 1.
25.
‚A.
3, Oc. 3, K
Op. 18. IX. 1907. — Obj.
Erstes Rezidiv.
Fig. 2.
Op. 20. XI. 09. — Zeiß-Obj. AA,
Huyg. 2, K.-A. 35.
Oc.
Auszug.
amera-
K
Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin-Wien
KA. =
| Nikrophotographie von Dr. Bux.
Klein: Röntgenbehandlung. Strahlentherapie Bd. III, Taf. V.
Fig. 3. Zweites Rezidiv.
Op. 17. IV. 1910. — Obj. 3, Oc. 3, K.-A. 25.
Fig. 4. Drittes Rezildiv.
Op. 2. III. 1911. — Obj. 3, Oc. 3, K.-A. 25.
K.-A. — Kamera-Auszug.
Klein: Röntgenbehandlung. Strahlentherapie Bd. III, Taf. VI,
Fig. 5 Letztes Knötchen.
Exzid. 9. XII. 1911. — Granulations-Gewebe mit spärlichen, atypischen Epithel-
resten, kein Karzinoın mehr. Zeiß-Obj. 35 mm, K.-A. 45.
Fig. 6. Die in Fig. 5 mit * bezeichnete Stelle, stärker vergrößert, Zeiß-Obj. DD,
Oc. Huyg. 2, K.-A. 45.
K.-A. = Kamera-Auszug.
Die Wirkung radioaktiver Substanzen und deren Strahlen
auf normales und pathologisches Gewebe.!)
Von
W. 8. Lazarus-Barlow, M.D., F.R. C.P., London.
rotz der verhältnismäßig wenigen Jahre, die seit der Entdeckung der
X-Strahlen und der ganzen Gruppe der radioaktiven Elemente vergangen
sind, ist die Literatur, die sich mit den pathologischen und klinischen
Studien über dieses Gebiet befaßt, schon geradezu enorm groß geworden.
Wie zu erwarten stand, leiden viele der publizierten Arbeiten darunter,
daß die Verfasser als Ärzte nicht imstande waren, die physikalische Seite
der Probleme, die sie in Angriff nahmen, genügend zu würdigen. Wenn
z. B. ein Gewebsteil mit Radium bestrahlt wurde, so glaubte man genug
getan zu haben, wenn man diese Tatsache feststellte, während wir jetzt
dagegen wissen, daß die Menge des Radiums, der Grad der Reinheit des
Radiumsalzes, die Entfernung, die Art des Filters, dessen Dicke, das
Emanationsgleichgewicht, die Fläche, auf die das Radium verteilt ist, die
Zeit der Bestrahlung usw. Punkte sind, denen unter Umständen funda-
mentale Bedeutung bei der Beurteilung der etwa erhaltenen Resultate zukommt.
Indem ich die Diskussion eröffne, möchte ich nicht den Versuch wagen,
einen Überblick über diese Menge von Literatur zu geben; umso weniger
als diese Aufgabe in umfassendster Weise bereits erfüllt ist durch das
jüngst erschienene Werk von Paul Lazarus, Handbuch der Radium-
biologie und Therapie, mit seinen umfangreichen bibliographischen Angaben
und seinen kritischen Beiträgen der hervorragendsten Autoritiiten auf
diesem Gebiete.
Ich halte es vielmehr für meine Pflicht, zunächst nur kurz die Punkte
zu berühren, über die allgemein Einstimmigkeit herrscht, sodann möchte
ich etwas eingehender die Fragen behandeln, über die sich die Ansichten
noch nicht geklärt haben, und schließlich will ich, als Forscher auf diesem
Gebiete, mir erlauben, Ihnen darzulegen, in welchen Richtungen die wei-
teren Forschungen nach meiner Ansicht sich bewegen sollten.
Gleich zu Beginn der Verhandlungen möchte ich noch der Bitte Aus-
druck geben, keine Gegenstände in die Diskussion hineinzuziehen, die we-
sentlich oder ganz auf klinischem Gebiet liegen. Um ein einfaches Bci-
1) Vortrag, gehalten auf dem internationalen medizin. Kongreß in London,
Aug. 1913.
Strahlentherapie Band III, Heft 2, 24
366 Lazarus-Barlow,
spiel anzuführen: Es ist an sich interessant und hochwichtig, zu wissen,
daß ein Ulcus rodens durch Radium zur Heilung gebracht worden ist, die
Einzelheiten der Behandlung interessieren uns hier z. Zt. nicht, dagegen
werden wir Mitteilungen darüber, welche Änderungen in histologischer und
chemischer Hinsicht, bezüglich der Ernährung usw. die Karzinomzellen.
das Bindegewebe, die Blutkörperchen und anderes mehr infolge der Radium-
wirkung aufweisen, sehr willkommen heißen. Ebenso gehören z. B. Aus-
führungen hauptsächlich physikalischer Natur nicht hierher, außer wenn
diese nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse in gewisser direkter
Beziehung zu einem biologischen Vorgang stehen.
Wenn man die Literatur der Radiobiologie überblickt, so ist eine
Tatsache sehr auffallend, daß nämlich der Strahlenwirkung so häufig schä-
digende, destruierende oder funktionsherabsetzende Eigenschaften zukommen.
Diese Strahlenwirkung ist aber, unter gleichen Bedingungen, nicht gleich-
artig bei den verschiedenen bestrahlten Geweben oder Substanzen. Am
lebenden Gewebe beobachten wir eine „Inkubationszeit“ zwischen Bestrah-
lung und dem Auftreten der Reaktion. Andererseits haben nicht alle
Strahlenarten am gleichen Gewebe die gleiche Wirkung. In mancher Hin-
sicht sind diese Unterschiede jetzt dahin festgestellt, daß wir annehmen
müssen, daB den «-Strahlen und den weichen ß-Strahlen die bekannten
zerstörenden Eigenschaften in weitestem Umfange zukommen, während die
härteren X-Strahlen und die höchst penetrationskräftigen y-Strahlen des
Radiums anscheinend nur eine indirekte Wirkung entfalten, nämlich infolge
der Sekundärstrahlung, die sie erzeugen, wenn sie auf eine zur Entstehung
von Sekundärstrahlen geeignete Substanz auftreffen. Die Ansichten gehen
allgemein wohl zur Zeit dahin, daß der Sekundärstrahlung die allerhöchste
Bedeutung beizumessen ist. Man muß sie natürlich wohl unterscheiden
von der sog. zerstreuten Primärstrahlung und es ist klar, daß in aller-
nächster Zeit der Grad ihrer Wirksamkeit bestimmt werden muß.
Die destruierende Wirkung der Strahlung ist nun bei einer beträcht-
lichen Anzahl von Substanzen bestimmt worden. Die Wirkung auf die
Haut kennen wir genau, einschließlich derjenigen auf die epidermoidalen
Anhangsgebilde (Haarfollikel, Nägel, Schweißdrüsen) und auf die Blutge-
füße des Unterhautbindegewebes. In Bezug auf die Blutgefäße wissen wir
allerdings bis jetzt nicht mit Sicherheit, ob die kleinen Arterien und Venen
sowie die Kapillaren in gleicher Weise beeinflußt werden, während die
grobe Schmerzhaftigkeit der Röntgen- und Radiumverbrennungen auf der
einen Seite, die Schmerzlinderung bei Krebs durch diese selben Strahlen
oder der von ihnen erzeugten Sekundärstrahlung auf der anderen Seite eine
Einwirkung auf die Nerven oder deren Endorgane vermuten lassen. Histo-
logische Untersuchungen über die Strahlenwirkung auf Nerven und deren
Wirkung radioaktiver Substanzen. 367
Endapparate sind erwünscht; allerdings kennen wir bereits den Einfluß
des Radiums auf Nerven durch experimentale Untersuchungen am Nerv-
Muskelpräparat des Frosches, über die später zu berichten sein wird. Ein
weiteres Problem: Wir wissen, daß Erythrozyten und Leukozyten durch
Radiumstrahlung stark geschädigt werden, und Chambers und Russ
haben in meinem Laboratorium nachgewiesen, daß diese Eigenschaft durch
die «-Strallen bedingt ist und zwar anscheinend durch diese allein. Unter
diesen Umständen ist die unzweifelhaft vorhandene Wirkung der Röntgen-
strahlen auf die leukämische Milz sehr schwierig zu erklären und erfordert
zweifellos weitere Untersuchungen.
In die Kategorie der Untersuchungen, die sich mit der destruierenden
Wirkung der Strahlen beschäftigen, gehört auch der sterilisierende Einfluß
gewisser Strahlen auf Bakterien. Diese Keimvernichtung kommt bei Be-
nutzung des Radıums oder seiner Emanation zustande durch die «- und
ß-Strahlen allein, die y-Strahlen sind offenbar hier wirkungslos.
Beispiele für die vernichtende oder schädigende Wirkung der Strahlen
sehen wir auch an pflanzlichen Geweben, an Samen, Wurzeln, Blüten-
und Blattknospen. Zunächst wird im allgemeinen das Wachstum vermin-
dert, bei genügend starken Dosen wird völliges Absterben des bestrahlten
Teiles erzielt. Auch hier spielen die «-Strahlen wieder die Hauptrolle,
allerdings hat man auch schädigende Wirkungen durch weiche ß-Strahlen
beobachtet. Zweifelhaft ist es weiterhin bis jetzt, ob die y- oder Röntgen-
strahlen ohne Wirkung sind oder ob die Wirkungen, die man ihnen bis-
her zugeschrieben hat, in Wirklichkeit nicht durch die Sekundärstrahlung,
die durch sie erzeugt wird, hervorgerufen sind.
Bisher habe ich hauptsächlich höher organisierte Organismen im Auge
gehabt, es besteht aber kein Zweifel, daß eine ähnliche Schädigung der
Strahlung auf einzellige Wesen statthat. Ich brauche hier nur auf die
bedeutsamen Versuche Professor O. Hertwigs hinzuweisen; er wird selbst
ausführlich darauf in seinem zu erstattenden Referat eingehen. Ich will
nur noch hinzufügen, daß Bonney und ich im Jahre 1909 Untersuchungs-
ergebnisse veröffentlichten, nach denen eine schädigende Wirkung der Strah-
len von Radium, Uranium, Thorium sowie der Röntgenstrahlen auf die
Eier von Ascaris megalocephala nachweisbar war, während Hastings 1912
in meinem Laboratorium fand, daß die Sekundärstrahlung des Kupfers,
und in geringerem Grade auch die des Eisens, ähnliche entwicklungs-
hemmende Eigenschaften besitzt.
Die Versuche, den Vorgang der schädigenden Einwirkung der Strah-
len noch weiter aufzuklären, haben dazu geführt, den Einfluß der verschie-
denen Strahlenarten auf mehr oder weniger komplexe chemische Substanzen
zu studieren. Man hat die Zersetzung von Wasser und von gewissen Elek-
24*
368 Lazarus-Barlow,
trolyten dargetan, aber im Gegensatz dazu auch Synthese beobachtet (das
bezieht sich auf H,O und NH,). Mit hochkomplexen Substanzen, be-
sonders denen, die wir in Tierkörper antreffen, wie Enzyme, Serumpro-
teine, Opsonine, Komplement, Lezithin usw., sind Versuche in großer An-
zahl angestellt worden, aber mit wenig Ausnahmen kann man nicht behaupten,
daß die vorliegenden Fragen bereits völlig gelöst sind. Bis jetzt besteht.
teils infolge der schwierigen Arbeitsbedingungen, unter denen einzelne For-
scher zu arbeiten hatten, teils infolge der sehr verwickelten Zusammen-
setzung und der Unbeständigkeit der organischen Substanzen selbst, eine
oft erhebliche Differenz zwischen den Resultaten der einzelnen Beobachter.
Im Großen und Ganzen wird es wahrscheinlich bestätigt werden können.
daß Radium und in geringerem Grade auch Uranium und Thorium (Col-
well) eine zerstörende Wirkung auf die amylolytischen Enzyme des Spei-
chels und Bauchspeichels, sowie auf die proteolytischen Enzyme des Magen-
saftes und des Bauchspeichels haben, während es zweifelhaft ist, ob Adre-
nalin, autolytische Fermente, Oxydase und Tyronase angegriffen werden.
Aber auch bei den Enzymen, bei denen eine Strahlenwirkung behauptet
wird, wird diese fast ausnahmslos der «-Strahlung zugeschrieben. Es wird
notwendig sein, darauf hinzuweisen, besonders im Hinblick auf die wichtige
Rolle, welche die Elektrolyte bei fermentativen Prozessen spielen, daB es
zur Zeit noch ganz ungewiß ist, ob irgendeine Strahlenwirkung, die etwa
vorkommt, angreift a) an den in Rede stehenden Enzymen, oder b) an
den vorhandenen Elektrolyten oder endlich c) an den Eiweißkörpern, die
mit den Fermenten verbunden sind.
Bezüglich des Opsonins liegen die Verhältnisse klarer, diese Substanz
wird nach Chambers und Russ von den «-Strahlen des Radiums oder
seiner Emanation nach einem Exponentialgesetz zerstört.
Trotz der überaus großen Zahl von Beweisen auf klinischem Gebiete,
daß die Röntgenstrahlen Veränderungen hervorrufen, ist die Ausbeute an
experimentellen Untersuchungen nur mager. Colwell und Russ unter-
warfen Blutserum, Serumalbumin, Serumglobulin, Wittepepton, Alanin,
Nukleoalbumin, Stärke, Glykogen und Rohrzucker während 2 bis 81/, Stunden
bei 2 cm Röhrendistanz der Röntgenstrahlung. Sie fanden nur bei Stärke
und Nukleoalbumin Veränderungen; namentlich bei ersterer war eine merk-
bare Verminderung der Viskosität, deutliches Auftreten von löslicher Stärke
und von geringen, aber noch wägbaren Mengen von Dextrin (0,24 g Stärke
ergaben 0,0108 Dextrin) feststellbar. Bei Nukleovalbumin konnte aller-
dings nur eine merkliche Verringerung der Viskosität beobachtet werden.
Die zerstörenden oder schädigenden Einwirkungen, die wir bisher be-
sprochen haben, sind mehr oder minder vollständiger Art, d. h. im allge-
meinen wurden die Zellen vernichtet, die chemischen Substanzen völlig
Wirkung radioaktiver Substanzen. 369
zerlegt. Ich gehe jetzt zu einer Gruppe von Reaktionen über, die un-
zweifelhaft auch durch die angewandte Strahlung verursacht werden und
den vorgenannten nahe stehen. Das sind diejenigen, bei denen weniger
eine Schädigung als vielmehr eine Veränderung hervorgerufen wird. Es
sind dies Reaktionen, bei denen wir eine sogenannte Inkubationszeit be-
merken und die nur bei lebenden tierischen oder pflanzlichen Zellen zur
Beobachtung kommen. Das markanteste Beispiel hierfür ist folgendes:
Wenn wir Eier vom Frosch oder von Askariden für kurze Zeit der Be-
strahlung unterwerfen («-Strahlen) und dann sich weiterentwickeln lassen,
so gibt sich nach einiger Zeit der Einfluß des Radiums in einer verzögerten
Zellteilung und später in der Entstehung monströser Bildungen kund, die
lebensfähig sein können oder auch nicht.
Experimente dieser Art werfen ein scharfes Licht auf die Tatsache,
daß nicht alle Zellarten, ja nicht einmal alle Zellen gleicher Art in gleicher
Weise von einer Strahlung gleicher Art beeinflußt werden. Ganz abge-
sehen von der Tatsache, daß Froscheier eine erheblich höhere Strahlen-
dosis vertragen, ohne dal Mißbildungen entstehen, als Askarideneier (bei
letzteren führt eine Bestrahlung von 10 Sekunden Dauer durch die «-Strahlung
von 7 mg Radiumbromid zu beträchtlicher Entwicklungshemmung und zur
Entstehung von Mißbildungen), kann man konstant beobachten, daß Zellen
derselben Spezies (z. B. Askarideneier), die direkt nebeneinander liegen,
ganz verschieden beeinflußt werden. Worauf diese „Idiosynkrasie“ der
Zellen beruht, ist schwer zu sagen, es ist aber sehr wahrscheinlich, daß
junge Zellen leichter angegriffen werden als ausgewachsene. Daß diese
Eigenschaft in gewisser Weise mit der erhöhten Strahlenempfänglichkeit
der Zellen während der Phasen der Kernteilung zusammenhängt, wird von
Mothram im Verlaufe der Verhandlungen noch eingehender dargetan
werden. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß die Veränderungen, die
an den bestrahlten Eiern eines Gesichtsfeldes im Mikroskop zur Beobach-
tung kommen, auf den Umstand zurückzuführen sind, daß bei den einzelnen
Eiern während der Bestrahlung nicht dieselbe mitotische Phase vor-
handen war.
Um Veränderungen durch Strahlung noch viel feinerer Art handelt es
sich bei denjenigen Einwirkungen auf Zellen, bei denen zwar diese durch die
gewöhnliche mikroskopische Untersuchung nicht festgestellt werden kann,
bei denen aber trotzdem tiefgehende Änderungen der Lebensäußerungen
der Zellen vorhanden sind. In meinem Laboratorium wurde nämlich ge-
funden — die Beweismittel hierfür werden der Versammlung noch vorge-
legt werden —, daß Zellen von Mäusekarzinom und Rattensarkom, die auf
ein anderes Tier übertragen sofort in gewohnter Weise weiterwachsen
würden, sobald sie einer bestimmten Strahlung unterworfen wurden, in
370 Lazarus-Barlow,
einem Stadium der Latenz verharren, das bis zu 80 Tagen anhalten kann.
Während dieser Zeit sind die transplantierten Zellen mikroskopisch von
den normalen Geschwulstzellen nicht zu unterscheiden, nur ihre Vermehrungs-
fähigkeit ist zur Zeit aufgehoben. Trotzdem ist Grund zur Annahme vor-
handen, daß sie doch verändert sind, denn wenn sich das transplantierte
Stück anfängt weiter zu entwickeln, so geschieht dies viel langsamer als
bei normalen Zellen (Wedd und Russ; Chambers und Russ).
Wenn wir die ganze Stufenfolge von schädigenden oder wachstums-
hemmenden Einflüssen überblicken, angefangen bei denen, die so intensiv
sind, daß Zelltod die Folge ist, bis herüber zu denjenigen, bei denen die
Proliferationsfähigkeit der Zelle nur gemindert, nicht aufgehoben ist, so
wird es uns klar, daß die Strahlungsdosis von höchster Bedeutung ist.
Diese Dosis ist für jede gegebene Strahlenart abhängig von der Stärke der
strahlenentsendenden Quelle; der Dauer der Bestrahlung, der Entfernung
der bestrahlten Substanz von der strahlenden Materie, und, wie ich schon
ausführte, höchst wahrscheinlich von den Eigenschaften der bestrahlten
Zellen. Um den Zustand zu erhalten, bei welchem Zellen des Ratten-
sarkoms vorübergehende Wachstumshemmung zeigen sollen, muß der Tumor-
brei einer Strahlung von 0,275 Millicurie von Radiumemanation für zirka
30 Minuten ausgesetzt werden, bei stärkerer Konzentration oder längerer
Expositionszeit ergibt sich eine derartige Schädigung der Zellen, daß sie
nekrotisch und resorbiert werden, sobald sie auf ein Tier übergeimpft sind.
Bei diesem Experiment wurden kräftige «-Strahlen benutzt; um eine an-
nähernd ähnliche Wirkung mit B- oder Röntgenstrahlen dagegen zu erzielen,
mußte die Bestrahlungszeit auf etwa eine Stunde ausgedehnt werden und
die Strahlenquelle müßte eine Röntgenröhre oder einige Milligramme Ra-
dium sein.
Diese Überlegungen lassen uns die Frage aufwerfen, ob das Phänomen
der Wachstumsschädigung bzw. Hemmung die einzige Strahlenwirkung ist.
Was für eine Strahlenwirkung erhält man, wenn man Gewebe oder Zellen
mit solchen Stralilendosen behandelt, die noch eben unter der geringsten
hemmenden Wirkung liegen?
Die Frage hat nicht etwa nur ein rein akademisches Interesse. Von
Hitze und Kälte und vielen chemischen Stoffen wissen wir bekanntlich,
daß sie an lebendem tierischem Gewebe bis zu einer bestimmten Stärke
kranklıafte oder degenerative Störungen hervorrufen, während sie in einer
Stärke, die unter der genannten liegt, gewisse physiologische oder wachs-
tumsreizende Veränderungen erzeugen. Überdies liegen Beweise dafür vor.
daß geringe Mengen von Radium im tierischen Körper vorhanden sein
können.
Ich habe. besonders in Rücksicht auf die Beeinflussung des Karzinoms,
Wirkung radioaktiver Substanzen. 371
die Wirkungen des Radiums bzw. der Strahlungen gemeinhin auf die Ge-
webe und Säfte des Körpers studiert. Ich fand, bei Benutzung der
Emanationsmethode, Radium in 6 von 12 primären Krebsen, in 2 von 3
sekundären Karzinomen, in 3 von 7 nicht karzinomatösen Gewebsstücken
Krebskranker, und in 1 von 3 normalen Lebern nichtkarzinomatöser Körper.
Es schien nun wichtig zu bestimmen, ob Mengen von Radium, die geringer
waren als die bisher von den Forschern angewandten, eine Wirkung her-
vorriefen und welche. Der Gedanke, daß das Vorhandensein des Radiums
in gewissem Sinne verknüpft sein könnte mit dem Vorkommen von Krebs,
wurde durch folgende Tatsachen noch wahrscheinlicher gemacht. 1. Ich
fand, daß, während die große Mehrzahl von Gallensteinen kein Radium
enthält oder höchstens nur in so geringen Spuren, daß es experimentell
nicht mehr nachweisbar ist, vier verschiedene Gallensteine von Fällen von
Gallenblasenkrebs Radium enthielten in allen Teilen und in Mengen, die
das 15 bis 16fache dessen übersteigen, was noch als innerhalb der Fehler-
grenze liegend anzusehen ist. 2. Es konnte ferner von Beckton und
Russ gezeigt werden, daß durch «-Strahlen die Altmannschen Granula,
die in normalen Zellen vorhanden sind, zum Verschwinden gebracht werden
können. Diese Tatsache muß man in Beziehung setzen zu der anderen,
daß Altmann sche Granula in den spezifischen Zellen maligner Geschwülste
nicht nachweisbar sind, während sie in den entsprechenden normalen Zell-
arten vorhanden sind (Beckton).
Die Menge des von mir festgestellten Radiums war bei allen unter-
suchten Fällen gering; die höchste nachgewiesene Menge betrug — bei
einem Zervixkarzinom — 1,49 x 10-° mg. Bei den meisten Fällen von
Gallenblasenkarzinom betrug die im Tumorgewebe oder in den Gallen-
steinen nachgewiesene gesamte Radiummenge ein vielfaches von 10-8 mg.
Besonders daraufhin angestellte Untersuchungen ergaben, dal das Ver-
aschen usw., was notwendig ist, um die Substanzen in eine in verdünnter
Salzsäure lösliche Form zu bringen, einen Verlust von 1/, bis ?/, ausmacht;
benutzt wurde dazu 10-8 mg gelöstes Radium (als Chlorid), verteilt in
50 g gehackter Leber.
Man vermißt in der medizinischen Literatur durchaus nicht Hinweise
darauf, daß Radium und Röntgenstrahlen zuweilen Gewebsreaktionen er-
zeugen, die als Wachstumsförderung anzusehen sind. Das geht hervor aus
den praktischen Erfahrungen solcher, die Karzinomkranke mit der einen
oder anderen Strahlungsart behandeln, daß nämlich zuweilen ein Krebs
unter dem Einfluß der Strahlung, namentlich wenn die verabfolgte Dosis
von Röntgen- oder Radiumstrahlen nur klein war, ein erhöhtes Wachstum
zeigt. Es ist ferner ein regelmäßiger histologischer Befund bei allen in
solcher Weise behandelten Geschwülsten, daß man eine abnorm große
372 Lazarus-Barlow,
Anzahl von Fibroblasten findet, die im Begriffe sind, sich zu Bindegewebe
umzuwandeln.
Genaue Kenntnis darüber, wann in Zellen derartige proliferierende
Erscheinungen auftreten, mit anderen Worten, über die Art und Menge
der Strahlung, die hierzu imstande ist, haben wir bisher nicht. Zwar stimmt
es, daß in der Umgebung des Randes eines Geschwürs oder einer Haut-
entzündung, die durch Röntgen- oder Radiumstrahlen hervorgerufen ist,
gewöhnlich eine Verdickung der Epidermisschichten statthat, und zwar
gilt das für den Menschen sowohl wie für Versuchstiere, wie Maus und
Kaninchen. Aber diese Verdickung der Epithelschicht und diese Wuche-
rung der Retezapfen trifft man so häufig an der Peripherie entzündlicher
Prozesse, die schon etwas länger bestehen, daß man zweifelhaft sein kann,
ob diese Erscheinung als unmittelbare Folge der die Hautschädigung er-
zeugenden Strahlen anzusehen ist.
Folgende hochwichtige Untersuchungen liegen zu diesem Punkte vor:
Oattley!) berichtet über Experimente mit Röntgenstrahlen an Wurzel-
enden von gewissen Pflanzenarten (Iris, Narzisse, Gladiole, Hyazinthe) und
stellte fest, daß eine wachstumsreizende Wirkung bei einer Bestrahlungs-
dauer von 5—30 Minuten vorhanden war. Bei 30 Minuten Bestrahlung
war die wachstumsfördernde Wirkung im Maximum, dann nahm sie mit
zunehmender Bestrahlungsdauer ab, bis nach zweistündiger Bestrahlung
eine deutliche Verminderung der Zellteilungen gegenüber den Kontrollen
vorhanden war. Cattley beschreibt die zytologischen Vorgänge bei den
einzelnen Stadien der Zellteilung eingehend und betont besonders, daß die
Zahl der Mitosen erheblich erhöht sei. Allerdings teilt er Zahlenangaben
darüber nicht mit. — In Gemeinschaft mit Bonney führte ich Unter-
suchungen aus über die Wirkung der Röntgen-, Radium-, Uranium- und
Thoriumstrahlen auf die Eier von Ascaris megalocephala (Arch. Middlesex
Hosp., 1909, vol. XV, Eighth Cancer Rep., p. 147) und fand, daß mit
allen den genannten Strahlen eine Beschleunigung der Zellteilung dann
zu erzielen war, wenn sie in kleinen Dosen angewandt wurden, daß dagegen
höhere Dosen oder verlängerte Exposition zu deutlicher Verzögerung der
Zellteilung, häufig auch zur Entstehung von Mißbildungen führte. Eier,
die mit Röntgenstrahlen während 2, 4 oder 6 Minuten bestrahlt waren,
zeigten nach 24 Stunden mehr Formen im Zweizellstadium als die Kon-
trollen, und ebenso nach 48 Stunden mehr im Vierzellstadium. Eier da-
gegen, die 9, 12, 15 Minuten bestrahlt waren, zeigten dagegen deutliche
Hemmungserscheinungen. Derselbe Versuch mit Radium ist insofern lücken-
haft, als wir die Menge Radium, die wir anwandten nicht genau kannten,
!) Journ. of Path. and Bact. 1909, vol. XIII, p. 380.
Wirkung radioaktiver Substanzen. 373
außerdem war es kein reines Präparat, Aktivität etwa 10,000 (annähernd
0,005 mg Radium). Wir benutzten es ohne Filter und stellten es in einen
verdeckten Glaskasten 70—80 mm von den Eiern entfernt auf; diese letz-
teren waren mit einer dünnen Gelatinelage bedeckt, um das Austrocknen
zu verhindern. Es ist nach dieser Versuchsanordnung wahrscheinlich, daß
die P- und y-Strahlen auf die Eier zur Wirkung kamen, und zwar, außer
vom Radium selbst, auch von der aus diesem entstehenden Emanation,
und außerdem noch die «-Strahlung desjenigen Teiles der Emanation und
des aktiven Niederschlages, der nicht durch die die Eier bedeckende Gela-
tinelage zurückgehalten wurde. 27 Stunden nach Beginn des Experiments
zeigten die bestrahlten Eier mehr Zwei- und Vierzellformen als die Kon-
trollen, aber danach trat eine Verlangsamung in der Entwicklung bei den
unter der Strahlung befindlichen Eiern ein, sie zeigten eine große Menge
von Mißbildungen und lieferten weniger lebende Würmer. Die Versuche
mit Uranium und Thorium zeigten in ähnlicher Weise vermehrte Zellteilung
während der ersten 24 Stunden, später dann eine Verlangsamung; aber
es kam nicht zur Entstehung von Mißbildungen, auch entwickelten sich
die Eier ungefähr am 12. Tage nach Beginn des Versuchs zu lebenskräftigen
Würmern. Der Versuch wurde bei Zimmertemperatur (Oktober) ausge-
führt und die Eier waren während der ganzen Zeit dem Thorium bzw.
Uranium ausgesetzt.
Obwohl die eben geschilderten Versuche und die von Cattley bis zu
einem gewissen Grade als beweisend dafür gelten können, daß den Strahlen,
wenn sie in kleinen Dosen angewandt werden, eine stimulierende oder
wachstumsfördernde Wirkung zukommt, so ist der Umstand doch so wichtig.
daß wir nach weiterer Bestätigung Umschau halten müssen.
So hat Molisch!) Versuche an Pflanzen über die Wachstumsbe-
schleunigung unter dem Einfluß der Radiumstrahlung ausgeführt. Er ver-
wandte ß- und y-Strahlen von 29—45 mg RaCl, oder Radiumemanation
(x-, B- und y-Strahlen) in einer Konzentration von 1,84—3,45 Millicuries
in einem Volumen von 1,244 ccm Luft (Konzentration = 0,0015—0,0028
Millicurie per ccm); er fand, daß die Bestrahlung von 24—48 Stunden
von Knospen des Flieders, der Roßkastanie usw. nur in deren Ruhestadium
eine deutliche Wachstumsbeschleunigung ergab. Es ist wichtig, daß die
Bestrahlung während der Dauer des Ruhestadiums erfolgt, wenn man
Wachstumsbeschleunigung erzielen will; denn erfolgte die Bestrahlung vor
dieser optimalen Periode, so trat keine Wachstumsänderung ein; erfolgte
sie später, so war Wachstumshemmung die Folge.
1) Sitzungsbericht der k. Akad. d. Wissenschaften in Wien. Math. naturw.
Klasse, Bd. CXXI, Abt. 1, März 1912.
374 Lazarus-Barlow,
In dieselbe Kategorie der Wirkungen dürften auch die Versuche ge-
hören, die von Hastings, Beckton und Wedd!) an Seidenraupen aus-
geführt wurden. Sie untersuchten in einer größeren Reihe von Versuchen.
die sich über 3 Jahre erstreckten, die Wirkung der Röntgen- und Radium-
strahlung unter steter Änderung der Versuchsbedingungen, also der Strah-
lendosis, der Häufigkeit der Bestrahlung und der Art der Entwicklungs-
formen des Insektes. Neben zahlreichen Beweisen für die schädigende oder
sogar vernichtende Wirkung der ‘Röntgenstrahlen bei intensiver Bestrahlung.
ebenso wie auch der ß- und y-Strahlen von 0,88 mg RaBr,, wenn diese
dauernd einwirken, fanden diese Autoren folgende Ergebnisse, die als für
Wachstumsreizung sprechend anzusehen sein dürften. 1. Das Stadium der
Verpuppung der Seidenraupen dauerte bei 59 Kontrollen im Durchschnitt
23,55 Tage, im Minimum 23, im Maximum 24 Tage. Bei 38 Raupen.
die mit Radium bestrahlt waren, dauerte das Verpuppungsstadium 19.5
Tage im Durchschnitt. Solche, die mit Röntgenstrahlen behandelt waren.
zeigten keinen merkbaren Unterschied in der Dauer des Puppenstadiuns
gegenüber dem nor malen. 2. Es wurde festgestellt, daß in jedem Falle bei
13 verschiedenen Serien von Versuchen (im ganzen wurden 40000 Eier
beobachtet) eine Beschleunigung des Auskriechens, berechnet am Durch-
schnitt der Gesamtsumme, bei den Eiern festzustellen war, die mit Rönt-
genstrallen behandelt waren, das Gleiche war bei den Nachkömnlingen
bestrallter Tiere der Fall. Bestätigt wurden diese Resultate durch eine
Reihe von Versuchen, die im folgenden Jahr angestellt wurden. Es ergab
sieh, daß von 1000 Kontrolleiern 55,6°/, vor dem 7. Juni auskrochen.
während von den bestrahlten Eiern (40 000), wie aus der Tafel im Texte
ler zitierten Arbeit hervorgeht, in derselben Zeit 73°/, ausgebrütet wur-
len. 3. Eine weitere Serie umfaßte Versuche an 260 einzelnen Tieren.
darunter solche, die entweder selbst verschieden lang bestrahlt waren al:
Eier oder Raupen, oder direkte Abkömmlinge von solchen, die als Puppe
oder als Schmetterlinge Röntgenbestrahlt waren. Sie alle ergaben, daß das
Durchschnittsgewicht des Kokons (Seidengespinnst+ Puppe) bei den bestralil-
ten Tieren größer ist als dasjenige bei nicht bestrahlten.
Die letzten Versuche endlich über die stimulierende Tätigkeit der
Stralilungen. über die ich noch berichten möchte, sind von mir und Dunbar
angestellt (Arch. Middlesex Hosp. 1913, Twelfth Cancer Report).?) Wir
untersuchten die Wirkung des Radiuns (7 mg RaBr,) auf das Nerv-
Muskelpräparat des Frosches. Das Radium war enthalten in einer Messing-
1) Arch. Middlesex Hosp., 1912, vol. XXVII, Eleventh Cancer Rep. p. 128.
2) Wird in Kürze veröffentlicht werden. Als Demonstrationsvortrag gehalten
ın der Sektion für Pathologie der Royal Society of Medicine; 19. November 1912.
ci Brit. Med. Journ. 1912. Vol. II p. 160.
Wirkung radioaktiver Substanzen. 375
kapsel mit einem luftdicht schließenden Glimmerfenster, das dünn genug
war, die &-Strahlen unvermindert passieren zu lassen. Das Radium war
in sehr dünner Schicht in einem Kreis von 1,38 cm Durchmesser auf Lack
aufgetragen; auf der Kapsel war ein Deckel angebracht, dessen Mitte aus
Aluminium von 0,005 mm Dicke bestand. Die Versuche wurden nun so
ausgeführt, daß entweder alle drei Strahlenarten zusammen, oder ß- und
y-Strahlen allein angewandt wurden. Diese letzteren beiden schienen nun
wirkungslos zu sein, während die «-Strahlen einen deutlichen Einfluß da-
hin hatten, dab die Erregbarkeit des Nerven und Muskels erhalten blieb.
Das ging daraus hervor, daß es eines kleineren elektrischen Reizes bedurfte,
eine Kontraktion auszulösen, als bei dem Kontrollpräparat und daß ferner
das bestrahlte Nerv-Muskelpräparat länger überlebend blieb. Wir hatten
Grund zur Annahme, daß die Wirkung der «-Strahlen sich bis zu einem
gewissen Grade auf die Muskelfasern selbst erstreckte (es war nämlich ein
günstiger Einfluß am kurarisierten Muskel nachweisbar), daß die Haupt-
wirkung aber den Nerv betraf. Da aber ein nicht kurarisierter Muskel,
dessen Nerv dicht an der Ansatzstelle abgeschnitten war, sich genau wie
ein kurarisierter Muskel verhielt, so ist es wahrscheinlich, daß eine Wirkung
auf die Nervenenden nicht vorhanden ist.
Im Zusammenhang mit der Frage, ob dasselbe physikalische Agens
je nach Höhe der Dosis imstande ist, verschiedene biologische Effekte
auszulösen, scheint folgende Frage von großer Wichtigkeit. Wie weit sind
die gewöhnlichen physikalischen Gesetze nach Zeit und Umfang auf lebende
Zellen anwendbar? Ceteris paribus ist die ionisierende Wirkung von 1 mg
Radium, das 1 Stunde wirkt, gleich demjenigen von !/, mg Radium, wenn
es 2 Stunden einwirkt. Gilt dieses Gesetz nun auch, wenn lebende Zellen
getroffen werden? Es ist gefährlich, hier vorauszusagen, aber es ist wahr-
scheinlich, daß das physikalische Gesetz in weitem Umfange den biolo-
gischen Wirkungen parallel geht, und zwar besonders dann, wenn relativ
hohe Mengen von Strahlung zur Anwendung kommen. Andererseits ist
es sehr wohl möglich und nach unseren allgemeinen Kenntnissen der bio-
logischen Gesetze wahrscheinlich, daß bei einem gewissen Grad der radio-
aktiven Intensität diese Gesetze nicht mehr gültig sind. Man könnte sich
dann denken, dal von diesem Punkte an Einheiten von Strahlung, die
auf lebende Zellen eine Stunde lang wirken, hemmende oder schädigende
X
2
Einwirkung reizende oder wachstumsfördernde Wirkungen hervorbringen
würden. Wenn jemand hierüber genauen Aufschluß geben könnte, so würde
dies ein wertvoller Beitrag für unsere Verhandlungen sein. Wenn dies
aber nicht der Fall sein sollte, so ist es zweifellos notwendig, dal möglichst
Wirkungen auslösen, während vielleicht —- Einheiten bei zwei Stunden langer
376 Lazarus-Barlow,
bald experimentelle Untersuchungen hierüber angestellt werden. A priori
könnte man annehmen, daß der genannte Punkt ziemlich an der unteren
Grenze liegt; für Radium z. B. ungefähr bei Mengen, die ein Vielfaches
von 10-7 mg oder daherum betragen.
Eine Seite dieser Frage ist von J. F. Gaskell!) bearbeitet worden.
Er bestrahlte Eier, die in der Entwicklung begriffene Hühnerembryonen
enthielten, mit Röntgenstrahlen während 5, 10, 15, 30 und 60 Minuten
und fand eine fortschreitende Verringerung der Anzahl der Kernteilungs-
figuren an den Zellen des Vorderhirns.. Er fand keine Anzeichen von
Wachstumsreizung. Bei allen anderen Versuchen, bei denen längere oder
wiederholte Bestrahlungen vorgenommen worden waren; wurde eine schä-
digende Einwirkung festgestellt. Die kritische Dosis, die das Ausbrüten
des Kückens eben noch verhinderte, lag bei 10 Minuten täglicher Be-
strahlung in 12 cm Entfernung von der Antikathode, während der 3wöchigen
Entwicklung des Tieres im Ei. Gaskell wies weiter nach, daß 20minutige
Bestrahlung in den ersten 12 Tagen den Tod zur Folge hat; während bei
Anwendung kleinerer Dosen in dieser kritischen Periode, dieselbe hohe
Dosis gegeben, an den verbleibenden 9 Tagen der Entwicklungsperiode
keinen Einfluß hatte. Er brachte daher den jeweiligen Grad der Ver-
minderung der Anzahl der Mitosen durch die Röntgenstrahlen in Vergleich
zum jeweiligen Entwicklungsstand des Embryos und konstatierte, dal
die Röntgenstrahlen direkte Antagonisten der reproduktiven Tätigkeit der
Zelle sind und schließlich die Fähigkeit zur Proliferation ganz vernichten.
Wenn die Verminderung der Mitosen keinen zu hohen Grad erreicht hatte,
trat gewöhnlich volle Erholung ein. Gaskells Untersuchungen bestätigen
also die Ansicht, daß schnell sich teilende Zellen besonders radiosensibel
sind und beweisen ferner, daß Röntgenstrahlen eine schädigende Wirkung
auszuüben vermögen.
Ich habe bisher einen kurzen Überblick über die wichtigeren Beweise,
die wir zurzeit besitzen, betreffs der wachstumshemmenden, schädigenden
oder vernichtenden Wirkung der Strahlen auf lebendes Gewebe und Zellen
gegeben. Ich habe weiter etwas mehr ins Einzelne gehend die wenigen,
aber doch in hohem Maße überzeugenden Nachweise berührt, daß die
Röntgen- bzw. Radiumstrahlen unter gewissen, schlecht festzulegenden
Bedingungen einen Reiz auf das Gewebe auszuüben vermögen. Es ist
natürlich klar, daß der Zustand erhöhten Wachstums und der Zustand
erhöhter Zellproliferation nicht notwendig das Gleiche sein müssen, ebenso-
wenig wie echte Hypertrophie das Gleiche ist wie echte Hyperplasie. Das
vermehrte Wachstum ließe sich vielleicht erklären durch Veränderungen
1) Proc. Roy. Soc., Ser. R, Vol. LXXXIII, 1911, p. 305.
Wirkung radioaktiver Substanzen. 377
im Zelleib, besonders am Kern, so daß diese, ohne daß die Nahrungs-
stoffe eine Veränderung erleiden, eher sich zu teilen bestrebt sind; oder
man kann andererseits annehmen, daß die Strahlung auf die Nahrungs-
stoffe der Zelle wirken, diese zerlegen und in eine leichter assimilierbare
Form bringen. Zur Lösung dieser ganzen Frage wird es noch viel inten-
siver Arbeit bedürfen.
Ich habe im Vorhergehenden vermieden, auf klinische Einzelheiten
einzugehen, aber es ist natürlich klar, dal das Ziel aller experimentellen
Arbeit schließlich ihre Uebertragung auf die klinische Anwendung ist.
Ich bin nicht eingegangen auf die Heilungserfolge dieser oder jener
Strahlung, auf Ulcus rodens beispielsweise, da augenblicklich genügende
wissenschaftliche Grundlagen für eine zufriedenstellende therapeutische
Anwendung noch fehlt. Das gilt vielmehr noch für die zahlreichen Er-
krankungen, für die die Strahlenbehandlung zur Zeit ganz besonders an-
gepriesen wird. Die Hauptsache dieser Behandlung beruht in letzter Linie
auf Empirie; und in vielen Fällen ist es nach unseren heutigen Kennt-
nissen so gut wie sichergestellt, daß Radioaktivität und Strahlen in so
geringem Maße bei der Behandlung eine Rolle spielen, daß man Erfolg
oder Mißerfolg dabei mit einiger Wahrscheinlichkeit ihnen nicht zuzu-
schreiben vermag. Andererseits wissen wir wiederum genug von den in Rede
stehenden Agentien, um uns klar darüber werden zu können, daß sie eine
Macht besitzen, der keine andere uns zur Zeit bekannte Substanz oder
Kraft gleichkommt; es folgt daraus, daß ihrer Anwendung ohne genügende
Kenntnis möglicherweise böse Wirkungen folgen können. Diese Mängel
unserer Kenntnisse zu verbessern, soweit das an uns liegt, war die Ursache
für die Anregung zu diesen Verhandlungen und jedes Stück exakter
wissenschaftlicher Forschung, das dazu beitragen kann, die schrecklichen
Lücken in unserem Wissen in dieser Hinsicht auszufüllen, muĝ als will-
kommener Beitrag zum Studium einer zwar schwierigen aber hochwichtigen
Serie von Problemen begrüßt werden.
Nachtrag.
Seitdem obiges veröffentlicht wurde, haben Beckton und ich Ver-
suche über folgendes angestellt: 1. Über die wachstumsreizende Wirkung
des Radiums; 2. über den „Zeitfaktor* bei Berechnung der „Radiumdosis“.
. Diese Untersuchungen sind publiziert in The Archives of the Middlesex
Hospital, Twelfth Cancer report, 1913. — Bezüglich der Wachstums-
reizung zeigen wir daselbst durch Kurven, dal Bestrahlung von Ascaris-
Eiern im Einzellstadium mit einer Radiumdosis, enthaltend die «-, B- und
y-Strahlen von 5x 10-7 mg Radium während 30 Stunden bei 0°C, nach
anschließender Lagerung bei 37,50 C während 3!/, Stunden, eine Erhöhung
378 Lazarus-Barlow, Wirkung radioaktiver Substanzen.
der Teilungsvorgänge im Zweizellstadium zur Folge hat. Der gleiche
Nachweis von Wachstumsreizung wurde erhalten, wenn P- und y-Strahlen
allein angewandt werden, aber in diesem Falle mußte die „Radiumdosis“
um das einhundertfache gesteigert werden. Für die gesamten Unter-
suchungen mußte nahezu eine halbe Million Eier gezählt werden, die er-
haltenen Zahlen wurden dann nach statistischen Methoden analysiert. Es
ist also kaum Zweifel daran möglich, daß kleine Mengen von Radium
anregend auf die Zellteilung einzuwirken vermögen.
Bezüglich des Zeitfaktors fanden wir, daß die Wirkung einer be-
stimmten „Radiumdosis‘‘ (=Menge des Radiums x Länge der Bestrahlung)
auf die Entwicklung von Ascaris-Eiern innerhalb weiter Grenzen annähernd
dasselbe ist, wenn die Änderung des einen Faktors durch eine Änderung
des anderen Faktors im entgegengesetzten Sinne ausgeglichen wurde.
1. August 1913. :
Übersetst von Dr. G. A. Rost, Kiel.
Die Rezeptivität der normalen und pathologischen
Gewebe für die Radiumstrahlung.:)
Von
H. Dominici, Paris.
ine unversiegbare Quelle von Wärme, Licht, Elektrizität und mit
Röntgenstrahlen vergleichbaren Schwingungen ist das Radium einer
derjenigen Körper, deren Anwendung in der Medizin denjenigen, die damit
arbeiten, wertvoll, denjenigen aber, die es nicht verwendet haben, ganz
märchenhaft erscheinen mag.
Wenn auch die Wärme und das Licht, das die Radiumsalze aus-
strahlen, vom therapeutischen Standpunkte aus infolge ihrer geringen
Intensität wertlos sind, so kann man dasselbe nicht behaupten von der
dreifachen Strahlung, die durch die Fortschleuderung materieller mit
positiver Elektrizität geladener Teilchen («-Strahlen), ferner materieller
mit negativer Elektrizität geladener Teilchen (ß-Strahlen) und durch
Schwingungen, welche denjenigen der Röntgenstrahlen verwandt sind,
(y-Strahlen) gebildet wird.
Diese Strahlungen sind fähig, die Physiologie und Struktur der
lebenden Gewebe zu modifizieren und der Beweis dafür wurde kurze Zeit
nach Entdeckung des Radiums durch die historischen Verbrennungen
von Beequerel und Curie gebracht. Diese Episode im Leben der beiden
berühmten Gelehrten ließ die Meinung aufkommen, daß sich die Rolle
des Radiums in der Medizin auf diejenige eines äußerst wirksamen Kausti-
kums beschränken würde.
Ist übrigens eine solche Auffassung nicht im Einklang mit derjenigen,
welche die Röntgenstrahlenwirkung auf eine destruktive oder abiotische
Wirkung auf die lebenden Zellen beschränkt’?
Deshalb ist sie auch von den meisten Radiumtherapeuten anerkannt
worden mit Ausnahme von Abbé und einigen wenigen Dissidenten, ob-
wohl die klinische Beobachtung sowohl als die Laboratoriumsversuche
die Unhaltbarkeit einer derartigen Auffassung, die ebenso wenig auf das
Radium als auf die Röntgenstrahlen paßt, beweisen.
1) Die vorstehende Abhandlung des bekannten französischen Radiumforschers
wurde geschrieben als Einleitung zu dem Kompendium der Radiumtherapie von
Barcat. Paris, Maloine 1912.
380 Dominici,
Nach Definition ist ein Kaustikum ein Mittel, das alle Gewebe zer-
stört, die es erreicht.
Wir wissen aber, daß unter gewissen Bedingungen die Radium-
strahlung ebenso wie die Röntgenstrahlung fähig ist, elektiv manche
Zellen zu töten unter Schonung anderer Elemente der bestrahlten Region.
Das Radium ist also kein Kaustikum, wie noch vor kurzem ein be-
kannter Praktiker meinte.
Es ist auch kein ‚subtiles und raffiniertes‘“ Kaustikum, wenn man
seine biologische Wirkung so definieren will. Obwohl diese Bezeichnung
besser darauf paßt als die erste, so ist sie noch lange keine Definition;
denn sie berücksichtigt nicht die wichtigste Eigenschaft des Radiums,
sondern die nebensächlichste, nämlich die Wirkung, lebende Zellen zu
verändern.
Was hingegen vor allem die Radiumstrahlung charakterisiert, ist
nicht seine destruktive Wirkung, sondern seine stimulierenden, evolu-
tiven und metabolischen Effekte auf tierische und pflanzliche Gewebe.
Ich suche seit mehreren Jahren diese Hypothese mit Hilfe meiner
Mitarbeiter Barcat, Faure-Beaulieu, Cheron und Rubens-Duval
zu beweisen und zwar durch Vergleich des biologischen Effekts der Ra-
diumstrahlen — wie merkwürdig dies auch klingt — mit demjenigen einer
chemischen Substanz, welche sich mit den Gewebselementen so in Kon-
takt bringen läßt, daß ihr morphologisches Aussehen, ihre Entwicklung
und ihre Ernährung verändert werden.
Wir wollen einmal auf die Haut eines gesunden Tieres einen flachen
Radiumträger, der auf 4 Quadratzentimeter Fläche 1 Zentigraımm reines
Radiumsulfat enthält, bringen (Dominici und Barecat).
War die Applikation lange genug, so wird die bestrahlte Region nach
3 Wochen der Sitz von Veränderungen, die sich auf drei Ebenen ver-
teilen:
1. Die Epidermis und die Cutis, deren Elemente zu einem
nekrotischen Block verschmolzen sind: es ıst die Zone, in welcher der
größte Teil der Strahlung absorbiert wurde (Gesamtheit der æ und der
weichen ß-Strahlen);
2. das subkutane Gewebe und der Hautmuskel, deren
Zellen intensiv proliferieren und ins embryonale Stadium zurückkehren.
Diese Zone hat eine geringere Quantität Strahlen abgefangen (mittlere ß)
als die vorhergehende, aber doch beträchtlichere als die folgende, die
dritte Zone, deren Gewebe der Wirkung der Strahlen gegenüber (ultra-
penetrierende B und y) indifferent erscheinen, da sie keine auffälligen
morphologischen Veränderungen aufweisen. In Wirklichkeit sind nichts-
destoweniger die Aponeurosen, die Muskeln, ja sogar das Knochengewebe
Rezeptivität der normalen und pathologischen Gewebe. 381
der letzten Zone durch die Strahlung beeinflußt worden. Nur bleibt
ihre Wirkung unsichtbar, weil sie auf Veränderungen metabolischer Art
beschränkt ist.
Fünf bis sechs Wochen nach der Applikation des Radiumträgers
haben sich die Epidermis und der nekrotisierte Cutisteil wieder hergestellt,
während die Rückkehr zur Norm beim übrigen Teil der Cutis und der
Subecutis nicht vor 6 bis 8 Monaten erfolgt.
Der so einfache Versuch, den ich beschrieben habe, zeigt:
1. die Verschiedenartigkeit der biologischen Wirkungen der Be-
strahlung (Nekrose, Exzitation zur Proliferation, embryonale Umbildung,
metabolische Modifikationen);
2. den Zusammenhang, welcher zwischen der Natur, dem Grade
und der Ausdehnung der im Hauttegument hervorgerufenen Störung
und der Quantität der von demselben in einem gegebenen Zeitabschnitt
absorbierten Strahlung besteht.
Er beweist aber absolut nicht, daß diese Veränderungen in ausschließ-
licher und absoluter Weise mit dem Verhältnis, nach welchem das Strahlen-
bündel abnimmt, übereinstimmt. Denn hier kommt noch ein anderer
Faktor in Betracht: die Rezeptivität der Zellen der Strahlung gegenüber.
Wenn ich den Ausdruck ‚‚Rezeptivität‘‘ gebrauche, so tue ich es, um
mit einem einzigen Worte die Fähigkeit der organischen Gewebe, durch die
Strahlung verändert zu werden, und die Fähigkeit der Tiere und Pflanzen,
der Einwirkung infektiöser Agentien zu unterliegen, zu bezeichnen.
Diese beiden Fähigkeiten sind zwar weit voneinander verschieden,
aber doch mit einander vergleichbar, da sie sich beide gleichartigen Ein-
flüssen, die durch Alter, Rasse und zufällig dazwischen tretende Ursachen
gegeben sind, unterordnen müssen.
Normalerweise hängt die Rezeptivität der organischen Gewebe der
Strahlung gegenüber mindestens zum Teil von ihrem Alter ab, das sowohl
nach ihrer momentanen Entwicklungsphase als nach dem Zeitpunkt
ihrer Bildung im Organismus, dem sie angehören, beurteilt werden muß.
Deshalb werden Elemente, die sich in embryonalem oder undifferen-
ziertem Zustande befinden (Basalzellen der Epidermis und der Haarbälge,
lymphoide Zellen, embryonale Geschlechtszellen) durch eine Radium-
applikation vernichtet, welche eine einfache Reaktion oder metabolische
Veränderungen der umgebenden älteren Gewebe, die weiter in ihrer Ent-
wicklung vorgeschritten sind, hervorruft.
Die Verschiedenheit der Sensibilität der lebenden Elemente den
therapeutischen Bestrahlungen gegenüber ist bekannt geworden, seitdem
Bergoniö und Tribondeau, Schiff, Freund, Heineke, Albers-
Schönberg, Regaud, Dubreuilh, Blane, Halberstädter, Ré-
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 25
382 Dominici,
camier, Oudin gezeigt haben, daß die Röntgenstrahlen die Zellen der
Haarpapillen, die lymphoiden Zellen, die Samenzellen und die Graafschen
Follikel töten, ohne die Elemente der anderen Gewebe anzugreifen.
Der Irrtum derer ist aber groß, die meinen, daß die Rezeptivität der
Zellen sich allein nach ihrem Alter mißt, denn es spielen hier noch Eigen-
schaften, die der Art oder Gattung der Elemente desselben Organismus
eigentümlich sind und zufällige Veränderungen z. B. pathologischer
Natur, eine Rolle.
Wenn wir den Untersuchungen von Danisz Glauben schenken, so
werden die differenzierten Elemente des Bindegewebes viel weniger durch
eine bestimmte Strahlung angegriffen als erwachsene Zellen einer anderen
Art,.z. B. als die erwachsenen Zellen der Haut und der Schleimhäute.
Der der Spezies und Rasse zukommende Anteil findet sich in
den embryonalen Elementen wieder, trotzdem der undifferenzierte Zu-
stand eine gleichartige Rezeptivität voraussetzen ließe.
Die jungen Zellen der Basalschicht der Epidermis gehen weniger
leicht zu Grunde als diejenigen der Haarpapillen, welche derselben Spezies,
aber einer anderen Rasse angehören.
Die Basalzellen der Epidermis des Collum uteri scheinen weniger
verwundbar als die Zellen gleichen Ranges in der Epidermis der Regio
vulvo-vaginalis. Beide gehören derselben Rasse, aber verschiedenen Va-
rietäten an.
Ferner sind die homologen Elemente mehr oder weniger empfänglich,
je nach dem Alter des Organismus, dem sie angehören, so daß die Gewebe
des Kindes leichter alteriert werden als die entsprechenden Gewebe der
Erwachsenen. l
Der Einfluß des Alters, der Spezies oder der Rasse machen sich
fernerhin bemerklich, wenn es sich um die Strahlenempfindlichkeit von
pathologisch durch einen tumorartigen Neubildungs- oder einen ent-
zündlichen Prozeß verändertem Gewebe handelt, außer wenn diese patho-
logischen Prozesse die Rezeptivität der Zellen verändern, wie sie in
manchen Fällen ihre morphologische Entwicklung und ihre Ernährung
ändern. Zu diesen radiosensiblen Tumoren gehören dank ihres Alters
Neoplasmen wie:
Die ektodermischen, baso-zellulären Epitheliome Da-
riers und Krompechers, deren Elemente morphologisch eine Struktur
beibehalten, welche der Basalzellenschicht der Epidermis verglichen
werden kann.
Die Lymphadenome, welche aus Iymphoiden Zellen gebildet. sind,
d. h. aus embryonalen Lymphzellen, welche auf diesem ersten primitiven
Entwicklungszustand stehen bleiben.
Rezeptivität der normalen und pathologischen Gewebe. 383
Die reinen Sarkome, welche gewöhnlich aus erwachsenen fixen
Bindegewebszellen hervorgehen oder aus Zellen, die sich aus dem Binde-
gewebe differenziert haben (Fibroplasten des Bindegewebes, Chondro-
plasten des Knorpelgewebes, Osteoplasten des Knochengewebes). Diese
Zellen nehmen ihre Embryonalform wieder an, nachdem sie ihre Pro-
dukte (Bindegewebsfibrillen, Knorpel- und Knochengewebe) resorbiert
haben und mehren sich progressiv, ohne weder ihre Bindegewebsfibrillen,
noch ihre Knorpel- und Knochensubstanz wieder aufbauen zu können.
Die Fibrome, deren fixe Zellen oder Fibroplasten in ungeheurer
Zahl vorhanden sind und im jungen Zustande verbleiben, anstatt sich
in erwachsene Fibroplasten zu verwandeln und Bindegewebsfasern zu
erzeugen.
Andererseits wieder sind die Plattenepitheliome, deren Zellen
unter Bildung von vielen verhornten Lappen reifen, die Fibrosarkome,
die Chondrosarkome, die Osteosarkome, deren Zellen zu einer
relativen Reife unter Bildung einer fibrösen, kartilaginösen oder ossealen
Substanz gelangen, die Fibrome mit atrophischen und in weiten fibrösen
Massen in geringer Anzahl zerstreut liegenden Fibroplasten mehr oder
weniger der Strahlung gegenüber refraktär.
Das Gesetz des Alters wird aber durch gewisse Tumoren Lügen ge-
straft, bei welchen embryonale Zellen genau wie die erwachsenen Zellen
refraktär sind, oder bei denen erwachsene Zellen beinahe ebenso sensibel
sich erweisen als embryonale Elemente.
Ein Beispiel für die erste Kategorie wird von den tuberösen Naevis
gegeben, deren Regression schwer zu erreichen ist trotz Radium und
Röntgenstrahlen.
Ich habe .mit Barcat zusammen gefunden, daß die Resistenz gegen
Radium nicht nur den am meisten differenzierten Zellen dieser Tumoren
eigen ist, sondern auch den am wenigsten entwickelten, welche einer
Strahlung gegenüber refraktär sind, welche sonst fähig ist, embryonale
Elemente jeder Art zu zerstören.
Ein Beispiel der zweiten Kategorie wird durch die verhornten Epi-
theliome, die Fibrosarkome, die Chondro- und Osteosarkome (besonders
die Epulis) gegeben, deren Rezeptivität größer ist als diejenige der meisten
übrigen Tumoren gleicher Art.
Um es zusammenzufassen, gewöhnlich finden die beiden großen
Faktoren der Rezeptivität der Gewebe (das Alter und die Herkunft) bei
der Entwicklung der Tumoren Berücksichtigung. Aber ihr Einfluß wird
oft vergrößert, verringert oder umgekehrt durch neoplastische Prozesse,
welche die Zellen derart umwandeln, daß sie sich verhalten, wie wenn sie
zu einer anderen Spezies oder Rasse gehörten.
25%
384 = Dominici,
Auch die Entzündung modifiziert verschiedentlich die Rezeptivität
der Gewebe nach Art der neoplastischen Prozesse, denn sie stört ihre
Funktion, ändert ihre Struktur und entstellt hierdurch ihre spezifischen
Charaktere.
Manche chronisch entzündliche Zustände vermehren, wie dies Wick-
ham und Degrais zeigten, die Widerstandsfähigkeit der Haut der de-
struktiven Strahlenwirkung gegenüber. Man muß aber beachten, daß
die relative Immunisierung der Gewebe gegen die nekrotisierende Wirkung
der Strahlen Hand in Hand gehen kann mit einer Sensibilisierung für ihre
stimulierenden, evolutiven und metabolischen Eigenschaften.
Aus diesem Grunde reizt die therapeutische Bestrahlung die tor-
piden, schlecht vernarbenden Wunden statt die jungen Zellen der Granu-
lationen zu töten (Chevrier), heilt sie oberflächlich oder tiefe Entzün-
dungsherde (Dominici, Chéron, Faure Fabre) unter Schonung der sie
bedeckenden Haut, bringen sie an der Hautoberfläche Keloide unter Er-
haltung der darüberliegenden Epidermis zum Schwunde.
Aus diesem Grunde endlich erfordert die Heilung der meisten ent-
zündlichen Zustände, die der Radiumtherapie zugänglich sind, ausnahms-
weise Strahlendosen, welche eine energische Kauterisation hervorrufen.
Dieses Verfahren, welches sich zur Behandlung mancher Skrofulo-
dermen eignet, ist aber kontraindiziert bei den meisten anderen entzünd-
lichen Läsionen, die unter dem Einfluß einer schwachen Strahlung, welche
kein organisches Element und keinen Infektionserreger zu töten fähig
wäre, sich zurückbilden und vernarben.
Hier wirkt das Radium besonders in der Weise, daß es das Terrain
modifiziert, so daß letzteres zur Vermehrung der pathogenen Keime un-
geeignet wird. Diese Modifikation besteht in einer Wiedererneuerung der
chemischen Konstitution der Zellen und der Zwischensubstanz.
Diesen Änderungen des Zellmetabolismus entsprechen viele morpho-
logische Modifikationen, welche ich übergehe, um kurz den histologischen
Prozeß der Regression der Neoplasnien, speziell der karzinomatösen Tu-
moren zu besprechen.
Die Wirkungen der Bestrahlung auf die neoplastischen Gewebe sind
aufhaltender, destruktiver und evolutiver Art.
Die Strahlung hält die Vermehrung der krankhaften Elemente auf,
ehe sıe dieselben zerstört, so daß das Aufhören des Wachstums des Neo-
plasmas immer der Einschmelzung der Tumorelemente vorausgeht.
Die Zerstörung dieser Elemente ist eine direkte und eine indirekte.
Direkt werden die Tumorzellen nekrotisiert, ihr Körper und Kern
fällt in Stücke und löst sich auf, ohne daß vorher eine Änderung ihrer
morphologischen Struktur erfolst wäre.
Rezeptivität der normalen und pathologischen Gewebe. 385
Indirekt geht der Zelleinschmelzung eine Metamorphose voraus,
welche vergleichbar ist mit derjenigen, welche durch die Röntgenstrahlen
nach den Untersuchungen von Chenet und Raulot-Lapointe bei den
Zellen diverser Epitheliome ausgelöst werden. Diese Metamorphose hat,
wie ich meinerseits im Verein mit Rubens-Duval zeigen konnte,
folgende Merkmale: Hypertrophie oft gigantischer Art des Kerns, der
Nukleolen und sogar der Zentrosomen, die sich wie Pseudo-Parasiten
vermehren ...
Diese Metamorphose der Neubildungszellen ist das Zeichen einer
anormalen Entwicklung, welche die Strahlung ihnen aufzwingt und welche
ihre Lebensdauer abkürzt. Denn in kurzem erfolgt ihr Absterben und ihre
Resorption.
Die evolutive Wirkung des Radiums bringt einen noch wichtigeren
Vorgang zu Wege: sie führt nämlich einen Teil der Zellen des malignen
Tumors in ihren normalen Zustand zurück (Dominici, Barcat, Rubens-
Duval, Faure-Beaulieu).
Um die Möglichkeit eines solchen Vorgangs zu verstehen, muß man
sich eine klare Vorstellung vom Mechanismus der Bildung und des Wachs-
tums der Karzinomgeschwülste machen. Wenn auch die Ursachen, aus
welchen diese Neoplasmen entstehen, schlecht bekannt sind, so wissen
wir doch, daß sie die Zellen ihrer Funktion berauben und ihnen die zu
ihrer Funktion nötige Struktur und Verbindung mit der Umgebung
nehmen, so daß sie sozusagen sich selbst und infolgedessen auch den Zellen
derselben Rasse und Spezies fremd werden. Das Wachstum selber ist
nicht nur das Resultat aus der Vermehrung einer einzigen Zellgruppe,
die sich zur malignen Wucherung mit Ausschluß aller anderen speziali-
siert, sondern es beteiligen sich daran noch andere Zellen, die anfangs
verschont geblieben waren und die erst sukzessive der karzinomatösen
Gruppe einverleibt werden.
Die Bestrahlung scheint mir nun fähig zu sein, den gegensätzlichen
Effekt als den neoplastischen Prozeß produzieren und zwar nicht nur die
Elemente, die ihrem Einfluß unterliegen, zu zerstören oder ihre Entwick-
lung zu lähmen, sondern ihnen auch ihre Form und regelmäßige Funktion
wiederzugeben, mindestens denjenigen unter ihnen, welehe am wenigsten
den Stempel des Karzinoms tragen.
Ich nehme an, daß unter dem Einfluß der Strahlung die Zellen der
Peripherie der Epitheliome fähig werden, ihre normale Funktion sowie
ihre Struktur und die zu ihrer Funktion nötigen anatomischen Beziehungen
wieder zu erhalten. Ich glaube auch, daß die fixen Bindegewebszellen,
welche zu Sarkomzellen geworden waren, d. h. zu embryonalen Zellen,
die unfähig sind, Bindegewebsbündel und elastische Fasern zu produ-
386 Dominici,
zieren, vermöge eines Wiedergewinns ihres regelmäßigen Lebensganges
wieder zu Bindegewebszellen oder Fibroplasten werden, welche nun wieder
Bindegewebsbündel und elastische Fasern erzeugen.!)
Nach dem Gesetz, das ich mit Barcat und Rubens-Duval ge-
funden habe, bringt die Bestrahlung derartige Veränderungen des neo-
plastischen Gewebes zustande, daß die Überreste mancher Karzinome
vor ihrem Verschwinden die Struktur des benignen Tumors desjenigen
Typus annehmen, der dem malignen Tumor, dessen noch lebensfähige
Reste sie sind, entspricht. Man sieht so Epitheliom- und Sarkomüberreste
die Struktur von Papillomen und Fibromen annehmen, auf welche erst
der definitive Ersatz durch ein normales oder zikatrizielles Gewebe folgt.
Unterdessen unterliegen die Entzündungsherde, welche den Tumor-
elementen beigesellt sind oder sie umgeben, der stimulierenden, evolu-
tiven und metabolischen Wirkung der Strahlung.
Die Wirkung fördert nicht nur den Vernarbungsprozeß, welcher die
Regression des Tumors begleitet oder auf sie folgt; sie spielt auch noch
bei dieser Rückbildung eine bestimmte Rolle, da sie eine Änderung des
Milieus, von welchem sich der Tumor nährte und vergrößerte, verursacht.
Die Rückbildung der äußerlichen oder innerlichen benignen Tumoren
und der oberflächlichen Hautkarzinome, welche der Radiumtherapie
zugänglich sind, ist gewöhnlich eine definitive, wenn die Bestrahlungen
mit einer richtigen Technik vorgenommen worden sind.
Ein gleiches Schicksal ist selten bei den schweren Karzinomen der
Schleimhäute oder tief gelegener Körperteile, welche die Tendenz haben,
mehrere Monate oder Jahre nach einer scheinbaren Heilungsphase zu
rezidivieren.
Die Elemente dieses neuen Neoplasmaschubes rekrutieren sich
hauptsächlich aus denjenigen Karzinomzellen, welche die Strahlung nur
gelähmt hatte, statt sie zu töten, vielleicht auch aus denjenigen, welche
die Strahlung aus dem Karzinomstadium in den normalen Zustand über-
seführt hatte, ohne sie in genügender Weise in diesem Zustande zu fixieren.
Es gibt allerdings tiefliegende Karzinome von sehr schwerem Typus,
deren Rückbildung nach der Strahlenbehandlung über 3 Jahre lang an-
hält. Sicherlich sind derartige Resultate selten, aber ihre Seltenheit
gibt in keiner Weise einen Maßstab für die Heilkraft des Radiums den
bösartigsten Geschwülsten gegenüber ab. |
Die Wertschätzung einer neuen therapeutischen Methode verlangt.
1) Fabre-Domergue in seiner bemerkenswerten Arbeit über Krebs be-
hauptet, daß manchmal der elektrische Strom fähig ist, die normale Evolution der
Zellen, deren Desorientierung nach seiner Theorie das Karzinom auszeichnet,
wiederherzustellen. Er ist so ein Vorläufer der physikalischen Therapie geworden.
Rezeptivität der normalen oder pathologischen Gewebe. 387
daß man sich aller ihrer Hilfsmittel bedient und sie in allen in Betracht
kommenden Fällen anwendet.
Keine dieser beiden Bedingungen ist bis jetzt ganz erfüllt worden
infolge der Seltenheit des Radiums und der Wahl der ihm zugedachten
Neoplasmen.
Die Seltenheit des Radiums hat zur Folge, daß die Zahl der Radium-
träger und der technischen Kombination, welche die antineoplastischen
Eigenschaften der Strahlung vollständig zur Geltung kommen lassen,
ungenügend ist.
Die ihm überlassenen Karzinome gehören gewöhnlich zur Gruppe der
verzweifelten Fälle. Es sind in der Regel Tumoren, deren anatomische
Verhältnisse sie der Chirurgie entziehen, deren Malignität sie zu Rezi-
diven und Metastasen disponiert, welche die Resultate einer noch so
gut geregelten Behandlung zunichte machen.
Ich glaube aber, daß die technischen Verbesserungen die Zahl der
refraktären Karzinome vermindern und die Dauer der Rückbildung der
der Radiumbehandlung zugänglichen Tumoren verlängern werden und
daß wir so eine Heilung mancher für unheilbar geltender tiefliegender
Karzinomformen erzielen werden.
Die Hoffnung wird nicht illusorisch erscheinen, wenn man sich ver-
gegenwärtigt, daß die Bestrahlungstechnik weit davon entfernt ist, alle
zu ihrer Wirkung nötigen Bedingungen verwirklicht zu haben und daß
die übrigen Methoden der Radiumtherapie: Einführung der Emanation
oder der durch diese Emanation radioaktiv gewordenen Substanzen,
Injektion von Radium als lösliches oder unlösliches Salz, elektrolytische
Einführung der radioaktiven Elemente des Schlammes (Bertolotti)
oder der Radiumsalzlösungen (Haret) erst seit kurzer Zeit experimentiert
werden.
Manche dieser Verfahren haben aber eine sehr große Wichtigkeit,
denn sie erlauben von vornherein im ganzen Organismus die metaboli-
schen, stimulierenden und evolutiven Wirkungen zu erreichen, welche
die Bestrahlung nur allmählich und in kleinen umschriebenen Körper-
regionen erzielt. Diese experimentellen Möglichkeiten vergrößern das
Versuchsfeld der therapeutischen Radiumapplikation ins Ungemessene.
Übersetzt von Dr. A. Gunsett-Straßburg i. E.
Die Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie.
Von
Dr. Foveau de Courmelles, Paris.!)
I. Teil.
Die Röntgenstrahlen.
ie durch Röntgenstrahlen verursachten unangenehmen Zu-
fälle. Die Elektrizität, die Röntgenstrahlen und das Radium sind
keinesfalls als Antagonisten der Chirurgie anzusehen, sondern. als ihre
Hilfsmittel und sollen nur in Anwendung kommen, wenn die Operation
systematisch vom Kranken ausgeschlagen wird oder unmöglich ist. Ich
halte es für wichtig, diese Behauptung, welche ich schon an den früheren
Kongressen in Rom (1894) und Budapest (1909) aufgestellt habe, hier zu
wiederholen.
Der Wert der Röntgenstrahlen und des Radiums ist sehr bestritten.
Es sind keine Panaceen und man darf nicht mehr von ihnen verlangen,
als sie geben können. Übrigens hat jede medizinische oder chirurgische
Methode ihre Erfolge und ihre Mißerfolge. Ich werde unter Beifügung
der Belege über die günstigen und ungünstigen Tatsachen, die zu meiner
Kenntnis gelangt sind, berichten.
Die gynäkologische Röntgenbehandlung ist der Radiumtherapie voraus-
gegangen. Viele Chirurgen, so Maunoury aus Chartres, haben aber, ohne
ihre Erfolge zu bestreiten, infolge der erfolgten Verbrennungen darauf ver-
zichtet. Navarre stellte in der Medizinischen Gesellschaft von Lyon am
20. März 1911 eine Kranke mit Röntgendermatitis der Bauchwand vor,
bei der das Myom nicht geschwunden war. G. Klemperer (Berliner
Gesellschaft für innere Medizin, 20. November 1911) konnte zwar den
Schwund eines Eingeweidetumors konstatieren. Die Patientin nahm an
Körpergewicht zu, bekam aber späterhin Krebs. Walther sprach am
21. Juli 1912 ın der Gesellschaft für Chirurgie über zwei Beobachtungen
von unangenelimen Zufällen nach der Röntgentherapie. Die erste betraf
einen seltenen Fall von Spätulzeration infolge von Atrophie der Haut mit
Arteriitis, die zweite ein Myom, das bis zu Nabelhöhe reichte und bei
welchem die Röntgentherapie — nach einigen ohne Erfolg gebrauchten
"Badekuren in Salies-de-Bearn — nur den Erfolg hatte, daß auf der Haut
1) I. Referat erstattet auf dem 17. internationalen medizinischen Kongreß in
London, 6.—12. August 1913.
Foveau de Courmelles, Röntgen- u. Radiumstrahlen i.d.Gynäkol. 389
gangränöse Zonen mit intensiver Radiodermitis der Umgebung entstanden,
und dabei hatte man die Röntgentherapie einem gewiegten Fachmann an-
vertraut. Walther mußte daraufhin chirurgisch eingreifen und zuerst die
kranke Haut in großer Ausdehnung exzidieren und später das Myom ent-
fernen. Dabei fanden sich die Ovarien von normaler Rosafarbe und ganz
normalem Aussehen. Lejars glaubt nicht, der Gesellschaft für Chirurgie
gegenüber die Röntgenbehandlung der Myome empfehlen zu können. Die
Uterusexstirpation wegen Myom ist heutzutage eine der erfolgreichsten
Operationen der Gynäkologie unter der Bedingung, daß sie nicht zu spät
und nicht in zu vorgeschrittenem Alter nach Felilschlagen der verschieden-
sten Therapien vorgenommen wird. In gleichem Sinne äußert sich
Souligoux. R. de Bovis (Semaine méd., 2. Oct. 1912) drückt sich
reservierter aus und mit Recht. (Siehe weiter unten.)
Aus einer Diskussion in der chirurgischen Gesellschaft von Lyon am
20. Juni zwischen Villard, Regaud und Destot geht hervor, daß eine
Geschwulst, die zu schnell auf Röntgenstrahlen schwindet, nur einen
Scheinerfolg bedeutet, da oft der Tod der Kranken folgt (Journ. de Physioth.,
1912, p. 499). Nogier machte auf schwere abdominale Störungen nach
Myombestrahlungen aufmerksam.
Auf dem Kongreß für den Fortschritt der Wissenschaften in Dijon 1911
studierte Arcelin die Idiosynkrasie für Röntgenstrahlen. Die Ansichten
sind hierüber geteilt, doch scheint die Mehrzahl eine verschiedene Röntgen-
empfindlichkeit bei den verschiedenen Individuen anzunehmen.
Auch die Dosierungsfrage harrt noch ihrer Lösung. Die Schwierig-
keit der Messung kommt noch hinzu. Aber selbst schwache Dosen haben
schon Röntgendermatitis hervorgerufen (Krauss aus Bonn am Röntgen-
kongreß 1911). Ich möchte aber hinzufügen, daß ich in 17 jähriger Praxis
keine gesehen habe. Allerdings wende ich seit lange ein Aluminium-
filter an, das ich schon in meinem Lehrbuch der Radiographie im Mai
1897 beschrieben habe.!)
Ich will nicht der Chirurgie gegenüber über die sehr seltenen bei
oder nach der Operation vorkommenden Todesfälle sprechen, ich will aber
nicht verschweigen, daß Nervenkrankheiten, Charakteränderungen, Reiz-
barkeit der Stimmung, ferner, wenn auch selten, richtige Geistesgestört-
heit durch eine zu schnell hervorgerufene Menopause hervorgerufen werden.
Jede Methode hat ihre Schattenseiten.
Physiologische Wirkung der Röntgenstrahlen. — Die Röntgen-
therapie der Myome entwickelte sich in zwei verschiedenen, voneinander unab-
hängigen Richtungen. Der Tierversuch zeigte die Rückbildung der jungen
1) Traité de Radiographie medicale et scientifique des Rayons X, par le Dr.
Foveau de Courmelles; Vorwort von Prof. D'Arsonval.
390 Foveau de Courmelles,
Zellen, besonders der Fortpflanzungsorgane. Die Klinik führte durch
direkte Bestrahlung der Frauen ebenfalls und von vornherein ganz unab-
hängig von den Tierexperimenten zu denselben Resultaten. Da letztere
aber dennoch der Klinik vorausgegangen sind, so wollen wir einige davon
besprechen, vor allem die ältesten. Albers-Schönberg und Fieben
setzten männliche Kaninchen und Meerschweinchen in mehreren 15—25
Minuten nicht übersteigenden Sitzungen den Röntgenstrahlen aus. Diese
Männchen wurden mit gesunden Weibchen zusammengebracht. Obwohl
diese Tiere mehrere Monate im Käfig gehalten wurden, kamen doch keine
Jungen zur Welt. Es war also Sterilität eingetreten, obwohl die Männ-
chen absolut keine Veränderung aufwiesen und ihren Appetitus sowolıl
als ihre Facultas coeundi behalten hatten. Unter der Röntgenstrahlen-
wirkung waren die Testikel der Männchen atrophisch geworden. Die die
Samenkanälchen auskleidenden Zellen waren zum Teil verschwunden und
die übriggebliebenen befanden sich im Zustande der schleimigen Degene-
ration. Die Spermatogenese hatte aufgehört und in den Samenbläschen
fanden sich keine Spermatozoen mehr. Zwischen den oberflächlich ge-
legenen Hoden dieser kleinen Tiere und den tiefliegenden Ovarien der Frau
ist nur eine geringe Analogie und es war vielleicht etwas gewagt, wenn
man auf dieselbe Art den Schwund großer und tiefgelegener karzinoma-
töser Tumoren durch Röntgenstrahlen erklären wollte! So hat auch
Bruns in Tübingen (Therapie der Gegenwart) geglaubt, daß die Heilwirkung
der Röntgenstrahlen auf das Karzinom einfach dem Umstande zu verdanken
ist, daß sie die spontane Tendenz zur Degeneration, die normaliter in der
Krebszelle vorhanden ist, begünstigen und anregen.
Im Jahre 1911 hat F. T. Brown der medizinischen Akademie in
New York (übersetzt in der Semaine médicale nach einer deutschen medi-
zinischen Zeitschrift) analoge Tatsachen vom Menschen berichtet und zwar
waren dieselben professionellen Ursprungs: mein Freund Garrigon, der
große Hydrologe aus Toulouse, machte mich darauf aufmerksam. Anderer-
seits unternahm Halberstädter eine Serie experimenteller Unter-
suchungen, um sich von den Wirkungen der Röntgenstrahlen auf die Ovarien
zu überzeugen.
Diese Versuche bestanden darin, daß er eine Anzahl weiblicher
Kaninchen den Röntgenstrahlen aussetzte und zwar bestrahlte er nur die
eine Seite des Abdomens und deckte die andere vollständig mit Blei ab;
nach einer variablen Anzahl von Sitzungen — dieselben dauerten je eine
halbe Stunde — wurden beide Ovarien exstirpiert und verglichen. Der
Autor konnte so nachweisen, daß durch Einwirkung der Röntgenstralilen
die Graafschen Follikel im Ovar zum Schwinden gebracht werden: 10 Tage
nach Beginn der Versuche sind sie schon weniger zahlreich und nach
Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 391
14 Tagen sind sie ganz verschwunden. Bei Tieren, die in ziemlich großen
Intervallen der Strahlenwirkung ausgesetzt worden waren und bei denen
die Graafschen Follikel fehlten, konnte man noch das Vorhandensein von
Eifollikeln und Primordialeiern konstatieren, so daß es nicht ausgeschlossen
ist, daß sich in ihren Ovarien noch nachträglich neue Graafsche Follikel
bilden. Hingegen in Fällen, in denen die Behandlung intensiver gewesen
war, waren die Eifollikel und die Primordialeier selber teils vollständig
zerstört, teils selten geworden oder degeneriert. Halberstädter glaubt
aber, daß neue Untersuchungen nötig sind, um festzustellen, ob solche
Ovarien ihre Eigenschaft, Graafsche Follikel zu produzieren, definitiv ver-
loren haben.
Bei der histologischen Untersuchung von Ovarien, die den Röntgen-
strahlen ausgesetzt waren, fallen eine große Anzahl von runden, scharf
begrenzten Vakuolen auf, welche keine Endothelbekleidung zu haben scheinen
und die in ihrer Mitte eine homogene Masse beherbergen, die sich diffus
mit Eosin färbt und in welcher man manchmal Kernreste findet. Diese
Vakuolen — welche vielleicht degenerierten Graafschen Follikeln ent-
sprechen — finden sich ebenfalls in normalen Ovarien, aber nur in ge-
ringer Zahl, während sie unter dem Einfluß der Röntgenstralilen sehr
zahlreich werden. Die Corpora lutea fand der Autor sogar in den Ovarien
intensiv bestrahlter Tiere, ohne daß man in denselben histologische Ver-
änderungen fand, die mit Sicherheit auf die Strahlenwirkung zurückgeführt
werden konnten.
Ich werde gleich nachweisen, daß wir auch klinisch ähnliche Ver-
änderungen sahen. Dieselben traten in einer Zeit auf, in welcher noch
absolut keine Reaktion von Seiten der Haut des Abdomens vorhanden
war. Daraus kann man den Schluß ziehen, daß die Ovarien viel radio-
sensibler sind als die Haut. Ich war sogar früher überrascht, nur die
biologischen Experimente im Bericht von Prof. Chauffard, den er zu
Gunsten der Beschränkung der Röntgenstrahlenanwendung auf Ärzte für
die Akademie der Medizin abfaßte, erwähnt zu finden. Tatsachen am
Menschen, z. B. eine Ovarienatrophie, die ebenso kriminell sein könnte
als ein Abort, hätten überzeugender gewirkt.
Man muß deshalb auch an die Prophylaxe der durch Röntgenstrahlen
erzeugten Schädigungen denken. So sollten die in Röntgenlaboratorien
beschäftigten Frauen sich in genügender Weise gegen diese Strahlen-
wirkung schützen. Andererseits muß man die schädliche Wirkung der
Röntgenstrahlen auf die Ovarien im Auge behalten, jedesmal, wenn man
bei einer Frau die Bauchgegend bestrahlt (Berlin. klin. Wochenschr., 16.
Januar 1905).
In der Sitzung vom 7. Februar 1905 der biologischen Gesellschaft in
392 Foveau de Courmelles,
Bordeaux berichteten J. Bergonie, L. Tribondeau und D. Recamier
über Versuchsergebnisse, welche in jeder Beziehung ähnlich waren.
Bei vier weiblichen Kaninchen, bei welchen das eine Ovar 60, 80, 120
und 140 Minuten den Röntgenstrahlen ausgesetzt wurde, betrug der Ge-
wichtsverlust des bestrahlten Ovars im Vergleich zu dem nicht bestrahlten
32—85 %. Die Autoren legen auch Nachdruck auf das Vorhandensein
von „Höhlen mit hyalinen Blöcken“, welche wahrscheinlich die Stelle
alter degenerierter Graafscher Follikel bezeichnen. Es ist noch hervor-
zuheben, daß nur bei dem 140 Minuten bestrahlten Tier die histo-
logischen Veränderungen deutlich waren. Seitdem gelang es Regaul
und Nogier in Lyon bei Kaninchen definitive Sterilisierung zu erzielen.
Ich kenne Röntgenologen, welche erst wieder fruchtbar wurden, nachdem
sie sich mehrere Jahre lang durch Bleischürzen geschützt hatten.
Röntgenbehandlung der Myome. Erste klinische Erfolge.
Ich könnte Beobachtungen dieser Art in großer Zahl anführen, wir wollen
aber zur Klinik übergehen.
Seit über 10 Jahren behandle ich die Myome mit Röntgenstrahlen.
Ich habe dies nicht rein empirisch getan, sondern ging von folgenden
zwei Gedanken aus: Die Röntgenstrahlen wirken auf das Karzinom. Da
nun die gutartigste Greschwulst bösartig werden kann, so muß man auf
manche Geschwülste einwirken können, wenigstens auf solche, die bösartig
werden können und schon die Keime der Malignität in sich enthalten.
Man kann zwar im Voraus diese Diagnose nicht stellen, da aber die
Röntgenstrahlen in richtiger Anwendung ungefährlich sind, darf man den
Versuch wagen. Und er glückte über Erwarten bei allen Fibromen. Dies
soll natürlich nicht heißen, daß man sie niemals mehr operieren soll. Man
wird weiter unten meine Einschränkungen finden.
Unter dem Titel „Die Röntgentherapie ein Mittel zur Diagnose und
Therapie mancher Myome‘‘ machte ich am 11. Januar 1904 der Akademie
der Wissenschaften (Überreichung durch Prof. D’Arsonval) eine reiflich
überlegte Mitteilung, in welcher ich die sicheren Resultate erwähnte, welche
ich mit Röntgentherapie in zwei zweifelhaften Fällen von Uterusmyomen
erzielte, wo das kachektische Aussehen, der gelbe Teint und die Schmerzen
an die Möglichkeit eines malignen Tumors denken ließen und wo die
Operation von den Kranken verweigert wurde. Der erste Fall betrifft eine
47jährige Frau, welche einen den Nabel um 20 Zentimeter überragenden
Tumor hatte; nach 27 Röntgensitzungen kamen Kräfte, Appetit, Schlaf
und gesunde Gesichtsfarbe wieder und der Tumor war bis unterhalb des
Nabels zurückgegangen. Im anderen Fall nahm der Tumor, der nur
Figröße hatte, in derselben Zeit um die Hälfte ab und das Allgemein-
befinden besserte sich ebenfalls. Bei vielen anderen Kranken, die später
Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 393
behandelt wurden, konnten diese Resultate bestätigt werden. Bei manchen
entleerten sich eiterige Massen durch die Vagina und in einem Fall durch
das Rektum, ohne übrigens eine Fistel zu hinterlassen. Es ist dies auf
die Röntgenstrahlenwirkung zurückzuführen und kann auch bei äußeren
Tumoren beobachtet werden.
Seitdem berichtete die Zeitschrift „Semaine médicale“ (Oktober 1904):
„Da die Wirksamkeit der Röntgentherapie bei tiefliegenden Tumoren von
den meisten Autoren angezweifelt wird, scheint es uns interessant, über
die guten Resultate zu berichten, welche Dr. J. Deutsch aus München
mit dieser Behandlungsmethode bei Uterusmyomen erzielt hat. So machte
derselbe bei einer 40jährigen Frau mit einem sehr voluminösen Myom,
welche von einer Operation nichts wissen wollte, im Laufe von zwei Jahren
120 Röntgensitzungen. Nach dieser Zeit war der Tumor um ein Be-
deutendes zurückgegangen und der Uterus war vollständig beweglich ge-
worden. Die begleitenden Störungen waren vollständig verschwunden. In
drei anderen analogen Fällen brachte die Röntgentherapie ebenfalls eine
bedeutende Volumverminderung. Deutsch glaubt, dal man die Röntgen-
strahlen immer dann anwenden soll, wenn man sich Myomen gegenüber
befindet, die aus irgendeinem Grunde inoperabel sind.“
Diese Publikation, welche von Deutsch im September 1904 gemacht
wurde, erfolgte. 9 Monate nach derjenigen von Foveau de Courmelles.
In einer anderen Mitteilung an die Akademie der Wissenschaften
(Überreichung durch Prof. D’Arsonval am 27. Februar 1905), welche
später durch eine andere am 27. November 1907 bestätigt wurde, fügte
ich hinzu:
„Ich hatte Gelegenheit, scit einer früheren Mitteilung über die Diagnose
und Therapie mancher Myome durch Röntgenstrahlen, welche nachher
durch Deutsch in München bestätigt wurde, noch eine Anzalıl dieser Ge-
schwülste zu behandeln und beinahe immer folgendes zu konstatieren: Von
der ersten Sitzung an (Dauer 5 Minuten, Intensität des Primärstroms
5 Amp. bei 110 Volt, äquivalente Funkenstrecke 25 Millimeter, 70 am
Benoistschen Radiochromometer — heutzutage gibt das Bauersche Volt-
meter diese Angabe sofort —) haben die Patientinnen ein Gefühl der
Kontraktion im Uterus und der Einengung der Gewebe, welches sich bei
Wiederholung der Sitzungen und Kleinerwerden des Tumors vermehrt.
Wenn Schmerzen vorhanden sind, so hören sie rasch auf. Die Hä-
morrhagien vermehren sich aber anfangs und nach jeder Periode ist der
Tumor kleiner. Die Blutungen werden dann immer seltener und schwächer,
die anfangs alle 3 Wochen erscheinende Periode kommt nur noch alle
4,5, 6, 7 und 8 Wochen, dann alle 5 oder 6 Monate und verschwindet
zuletzt ganz.
394 Foveau de Courmelles,
Da man am lebenden Organismus auf den Zustand eines Organs
nur nach seiner Funktion einen Schluß ziehen kann, zeigt dieses Selten-
werden und diese Verminderung der Regel sicherlich eine Atrophie der
Ovarien an. Je nach dem Alter der Patientinnen braucht man, um diesen
atrophischen Zustand zu erreichen, eine verschieden große Anzahl von
Röntgensitzungen von 5 bis 15 Minuten. Dauer je nach dem Fall und
der Art, wie sie auf das Allgemeinbefinden wirken. Eine Hautreaktion
wird immer vermieden durch Anwendung der gut geerdeten Aluminium-
platte, hingegen tritt oft Fieber und Schüttelfrost ein, sodaß man die
Sitzungen weiter voneinander entfernen muß. Nach dem 50. Jahre er-
reicht man schon eine Verminderung der ersten Menstruationen, die auf
die Bestrahlungen folgen. Gegen 40 Jahre kam ich erst nach Monaten
(5—6 Monate bei 2 Sitzungen pro Woche) zum Ziele, aber immer war
die Wirkung vorhanden. Vor 40 Jahren brauchte ich noch mehr Zeit,
um einen Erfolg zu erreichen (3—10 Monate). Bei den Patientinnen, die
ich verfolgen konnte und deren Alter zwischen 35 und 45 Jahren variierte
— es waren ihrer ungefüihr 30 — war der Erfolg konstant.
Ich will gleich meine Technik vervollständigen:
„Die Kranke kann liegen oder sitzen je nach der Lage des Myoms.
Meine Aluminiumplatte ist 1 mm dick und mit dem Erdboden verbunden.
Durch ihre Zwischenschaltung verhindert sie die Röntgendermatitis. Blei
oder altes Leder, die für Röntgenstrahlen undurchgängig sind, werden
zum Schutze der Umgebung benützt und sowohl unterhalb als oberhalb
angebracht. Sie verhüten so den Haarverlust und die Abmagerung der Brüste.
Wie ich dies schon auf dem ersten internationalen Kongreß für Medizin
und Elektromedizin in Brüssel im September 1897 erwähnte, bewirken die
Röntgenstrahlen außer der seitdem nachgewiesenen elektiven Wirkung auf
die Fortpflanzungsorgane einen Fettschwund in allen Geweben, der zwar
gering, aber tatsächlich nachweisbar ist. Zufälligerweise sah ich einmal
bei einer leberleidenden myomatösen Frau während der Röntgenbehandlung
Gallensteine mit dem Stuhl abgehen: Besteht hier ein ursächlicher Zu-
sammenhang oder ist es nur ein Zufall?
Bei Brustdrüsenkrebsen, zu deren Behandlung man die Ovariektomie
empfohlen hat, versuchte ich in drei Fällen sowohl die Brustdrüse selber,
als die Abdominalregion zu bestrahlen: Ich erhielt so eine schnellere
Rückbildung der Brustdrüsentumoren, als wenn ich nur diese allein be-
strahlte. Die Menstruation wurde ebenfalls geringer. In diesen Fällen
(Institut, 27. Februar 1905 u. folg.) färbten sich die bestrahlte Haut und
die Haare der Brust schwarz. In einem anderen Fall, den man trotzdem
bestrahlen mußte, da die zuerst verschwundenen Schmerzen sich wieder
einstellten, zeigte die mikroskopische Untersuchung des Tumors nur noch
Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 395
fibröses Gewebe; auch ist es wahrscheinlich, daß die wiederkehrenden
Schmerzen einzig und allein durch den zum lästigen Fremdkörper ge-
wordenen Tumor bedingt waren; die Achseldrüsen waren zu hanfkorn-
großen, sehr harten Körnern zusammengeschrumpft.
Um es zusammenzufassen, die Klinik hat die experimentellen Unter-
suchungen bestätigt: Die Ovarien, die Brustdrüsen, die Lymphdrüsen
schrumpfen und atrophieren unter dem Einfluß der Röntgenstrahlen ; die
Penetrationskraft letzterer variiert mit den Organen und scheint in elek-
tiver Weise besonders auf die Ovarien zu wirken, aber das Myom schrumpft
ebenfalls. Dies ist eine jetzt unbestrittene Tatsache.
Verschiedene Tatsachen und Ansichten über die Röntgen-
therapie der Myome. — Ich will jetzt einige Autoren reden lassen,
die ich übrigens schon in meiner Zeitschrift „L’Annee Electrique,
Electrotherapique et Radiographique“ zitiert habe.
Prof. Bordier schrieb in der „Presse médicale“ vom 2. November
1910 (übersetzt in den „Archives of the Röntgen Ray“ im August
1911):
„Nach den Arbeiten von Albers-Schönberg, der die deletäre
Wirkung der Röntgenstrahlen auf die Fortpflanzungszellen zeigte, nach der
Publikation von Foveau de Courmelles, der die in einigen Myomfällen
erzielten Resultate bekannt gab, nach den Mitteilungen von Deutsch und
Imbert über dasselbe Thema, habe ich mich bemüht, diese interessante
Frage zu studieren. Die Resultate, die ich sozusagen täglich dank einer
guten Technik erhielt, rechtfertigen die seit mehreren Jahren unter-
nommenen Bemühungen.“
Während aber Bordier die harten Strahlen (worüber jedermann
einig ist) und die hohen Dosen (hier gehen die Ansichten auseinander)
empfiehlt, raten Deutsch aus München und Görl aus Nürnberg, welche
als erste nach Foveau de Courmelles Myome mit Röntgenstrahlen be-
handelten, wie dieser zu kleinen und wiederholten Dosen. Görl (Mün-
chener med. Wochenschr., 23. August 1910) macht in manchen Fällen
eine große Anzahl von Sitzungen. Er gibt wiederholt kleine Dosen auf
den Bauch, die Lenden und die Sakralgegend. Er konstatiert, daß die
erste Periode abundanter, die zweite wie vor der Behandlung ist und daß
erst bei der dritten die Abnalıme sich bemerkbar macht, daß sie dann
seltener wird und ganz verschwindet. Bei Myomen ist die symptomatische
Besserung rapide. Man beobachtet eine Verminderung der Größe der
Myome sekundär zur Sterilisation der Ovarien. Diese Behandlung ist die
Methode der Wahl bei den Menorrhagien, welche nicht direkt eine
chirurgische Intervention erfordern, bei den durch Herzkrankheiten,
Nephritis und Myomen erzeugten Blutungen. Der gleichen Ansicht ist
396 Foveau de Courmelles,
Foveau de Courmelles, der sich besonders von der Dichte des Myoms.
die durch sein Alter bedingt ist, leiten läßt, welche meßbar oder wenigstens
annähernd bestimmbar ist durch den elektrischen Widerstand, der zwischen
einer stabförmigen und einer plattenförmigen Elektrode gemessen werden
kann, welche den Strom vom Cervix uteri zum Abdomen leiten.
Doumer, Ren& Horaud usw., waren mit der Röntgentherapie der
Myome zufrieden. Der erstere berichtete dies am Kongreß für Elektro-
logie und Radiologie in Barcelona 1910.
In seiner „Pratique radiologique“ (Progrès med., 7. Jan. 1911) em-
pfiehlt G. Legros, der wie Guilleminot, Laquerriöre, Delherm die
Priorität von Foveau de Courmelles anerkennt, die mehrfachen Einfalls-
pforten: „Dies hat den Vorteil, daß man 5 oder 6 H auf jeder Stelle
applizieren kann mit einem Minimum von Schaden für die Haut, da in
jeder Bestrahlung in 14 tägigem Äbstande nur 21/, bis 3 H gegeben werden.
Diese Methode scheint uns besonders empfehlenswert, da man bei Ver-
meidung einer Oberflächensummierung ein Maximum von Tiefendosis erhält.”
Schlinder ist mit der Röntgenbestrahlung der Myome zufrieden.
Bei den Kranken, die er behandelte, verschwanden die Myome vollkommen
oder gingen so 'zurück, daß sie der Patientin nicht mehr lästig waren.
Nur eine Einwendung könnte man der Röntgentherapie der Myome machen.
daß nach der Behandlung Tumorreste der Ausgang von - Degencrations-
prozessen sein könnten. Aber dieser Vorwurf, der noch durch keine Tat-
sache gestützt ist, kann ebensogut der Kastration und der supravaginalen
Amputation gemacht werden. Nach dem Autor verwandelt die Behandlung
die Myome in unschädliche Tumoren und die Menopause bringt die Reste.
welche zu Sorgen Anlaß geben könnten, zum Schwinden. Zuletzt, ein
ernsthaftes Argument, das zu Gunsten der Methode spricht, ist ihre abso-
lute Ungefährlichkeit. Man soll deshalb, ehe man zur Operation schreitet,
im Interesse der Kranken zuerst diese Behandlungsmethode versuchen.
(Deutsch. med. Wochenschr. 10. Nov. 1910, S. 2098.)
Durch die Wirkung der Röntgenstrahlen auf die Ovarien und die
Graafschen Follikel erhält man eine künstliche Sterilität der Frau, wie dies
nach mir die Deutschen Schönberg, Deutsch, Imbert, Manfred Frän-
kel, Margaret Cleaves, Görl sofort ebenfalls beweisen konnten, während
man in Frankreich noch ungläubig war. Letzterer, der bald nach Deutsch
im Jahre 1905 auftrat, sah außerdem bei 4 Frauen Fibromyome voll-
ständig schwinden. Bordier erzielte vor kurzem den totalen Schwund
von Uterusmyomen bei 4 Frauen nach einigen Wochen. Die Wirkung der
Röntgenstrahlen findet sowohl auf die Fortpflanzungszellen der Ovarien als
auf. die Zellen der uterinen Neubildung statt. Es resultiert eine vorzeitige
Menopause und eine Atrophie des Uterusmyoms. Bordier beobachtete
Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 397
die wichtige Tatsache, daß trotz des anatomischen Schwundes der Graaf-
schen Follikel die innere Sekretion des Ovariums erhalten bleibt. Im
allgemeinen gelingt die Behandlung am besten bei jungen Myomen und
besonders, wenn sie von starken Blutungen begleitet wird. In Fällen, in
welchen die Sterilität der Frau geboten ist, ist die in erfahrenen Händen
ungefährliche Röntgentherapie entschieden der chirurgischen Tubenmethode
vorzuziehen (Perdrizet, La Clinique, Paris, 16. Dez. 1910, S. 794).
Jaugeas (La Gynecol. Jan. 1911) glaubt ebenfalls, daß es feststeht,
daß die Röntgenstrahlen in richtiger Applikation eine dauernde Atrophie
der Ovarien herbeiführen können. Diese Wirkung kann therapeutisch be-
nützt werden zuerst in Fällen, in welchen die Konformation des Beckens
oder der Grenitalwege eine Schwangerschaft verbietet, ferner in Fällen von
Dysmenorrhoe und zuletzt, indirekt, beim Uterus myomatosus. Trotzdem
man eine direkte Wirkung der Strahlen auf das Myomgewebe nicht be-
weisen kann, so soll man doch die Bestrahlung nicht auf die Ovarien be-
schränken, sondern auch auf den Uterus ausdehnen, da man doch mit
einer wahrscheinlichen Einwirkung auf das Myomgewebe selber rechnen muß.
Das vorübergehende Wachstum der Myome nach den ersten Be-
strahlungen, sagt A. Baumann, ist wahrscheinlich durch eine Reaktion
der Ovarien und des Tumors auf zu weiche, zu wenig penetrationsfähige
Strahlen bei zu kleinen Dosen bedingt, welche die Eigenschaft haben zu
reizen.
„Aber, sagt Aubourg, bei 6 Kranken (Société d’Electroth6rapie)
habe ich Strahlen Nr. 8 verwendet und die Kranken haben bei einer
(resamtdauer der Behandlung von 4 bis 5 Monaten 65 bis 80 H Einheiten
absorbiert. Zu meinem großen Erstaunen verkleinerten sich die Tumoren
um mehr als die Hälfte, die Blutungen sistierten und die Kompressions-
erscheinungen gingen zurück. Dann hörten die Kranken aus verschiedenen
Gründen mit der Behandlung auf. Diese Unterbrechung wurde in 1 bis 3
Monaten von einem Rezidiv gefolgt und wie vor der Bestrahlung, kamen
die objektiven und funktionellen Symptome wieder. Ich habe zwei dieser
Rezidive ohne Erfolg behandelt; trotz hoher Dosen, trotz vielstelliger Be-
strahlungen, schwand der Tumor nicht.“
Albert Weill widerspricht dem und zeigt, daß nach dem vierzigsten
Jahre die Menopause rasch erzielt werden kann.
Berdez und Exchaquet (Schweiz. Rundsch. f. Med., 22. Juni
1912) publizieren die Resultate ihrer Erfahrungen. Sie benutzten Müller-
röhren mit gekühlter Antikathode oder Burger-Therapieröhren. Die Strah-
lung war sehr hart und die Sitzungen wurden 5 bis 6 an der Zahl zwischen
den Regeln bei 2- bis 3tägigen Zwischenräumen vorgenommen. $ie filtrierten
immer mit 1 Millimeter dicken Aluminiumfitern und komprimierten die
Strahlentherapie Band III. Heft 2. 26
398 Foveau de Courmelles,
bestrahlten Bauchregionen mit einem Luffaschwamm. Die Autoren be-
handelten 37 Fälle, darunter 28 Myome mit 27 Metrorrhagien und 9
Fälle von starken menstruellen Blutungen, Metrorrhagie oder Endometritis
ohne Fibrom. Die Metrorrhagien heilten alle im allgemeinen schnell ah.
In 15 Fällen von Myomen von 28 verkleinerte sich der Tumor bedeutend
oder verschwand vollständig und verloren sich die subjektiven Symptome.
Einmal war kein Resultat zu erzielen. 3 Fälle sind noch in Behandlung
und zwei Kranke unterbrachen ihre Behandlung gleich am Anfang. Das
Alter der geheilten oder gebesserten Kranken variierte zwischen 37 und
60 Jahren und die Anzahl der Bestrahlungen zwischen 7 und 34. Die
Bestrahlungen brachten die Schamhaare zum Ausfallen und die Bauchhaut
wurde braun pigmentiert. Es wurden aber keine ernsteren Vorkommnisse
beobachtet.
Krönig und Gauß haben die Resultate von 60 Behandlungen
publiziert, von welchen mehr als die Hälfte sehr günstig ausfielen und
Wetterer in Mannheim hat 4 Fälle mit Tiefenbestrahlung behandelt.
von denen 3 sogar starke Schmerzen hatten, 2—5 H, Ledertilter
Kreuzfeuer, harte Strahlen, 15 H pro Sitzung in 3 Zonen (übersetzt aus
Archiv of the Röntgen Ray in Gaz. med. belge, abgedruckt in der Gazette
de Gynécologie, S. 188).
Im Jahre 1910 zeigten mir, Comas und Prio in Barcelona, Cala-
taynd Costa in Valencia, im Jahre 1941, Gösta Forssell in Stock-
holm, Myome in Behandlung und in Besserung.
A. Weill (Journ. de Physioth., 15. Okt. 1911) sah bei manchen
Frauen nach Röntgentherapie die Fibrome schwinden, während ihre Regeln
erhalten blieben (bereits anfangs von Foveau de Courmelles erwähnt).
Die hämorrhagischen oder anderen Myome können zum Stillstand kommen
oder beinahe atrophisch werden. Die Verstopfung schwindet oft sofort.
Die Strahlenbehandlung ist indiziert bei langsam wachsenden und beweg-
lichen Myomen in der Zeit der Menopause ; desgleichen, wenn der Tumor
Schmerzen, Kompression oder Hämorrhagien verursacht. Die voluminösen
Myome und diejenigen mit raschem Wachstum, die einer Strahlenwirkung
entgehen oder karzinomatös entarten könnten, gehören der Chirurgie an.
Bordier betont den günstigen Effekt auf junge, höchstens 5 Jahre alte
Myome.
Laquerriere hält die großen Dosen für nötig. Man muß verschiedene
Einfallspforten verwenden, diese aber nicht über die Maßen vermehren:
vorn jederseits eine; keine Bestrahlung der Medianlinie, um den Vorwurf
der Chirurgen zu vermeiden, welche die Röntgentherapie beschuldigen, daß
sie die Operation schwieriger macht: Diese fehlende Bestrahlung wird durch
2 Bestrahlungen vom Rücken aus ersetzt. Der Autor verwirft die Be-
Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 399
strahlung junger Frauen: für ihn besteht eine Indikation erst vom 45. Jahre
an; vom 40. zum 45. Jahre kombiniert er die Röntgentherapie mit der
Elektrotherapie. Die angewandten Dosen betrugen 4—4!/, H auf jede Ein-
trittspforte während der ersten beiden Menstruationsperioden, davon 3 H
während der folgenden (Gaz. électr., S. 13).
Guilleminot (Arch. d’Electr. möd., 25. Sept. 1911) empfiehlt eben-
falls mehrere Eingangspforten, Filtration, harte Strahlen, 300 M einfallende
Strahlen, 5—8 M Einheiten absorbiert pro Millimeter. (M ist ein Bruch-
teil von H, der von Guilleminot erdacht wurde: H/125 in Nr. 6 Benoist.)
M. d’Halluin in Lille sagt in seiner schönen Studie im Journal
de Radiologie, Mai 1912, daß die Wirkung je nach der Intensität der
Bestrahlung aufs Ovarium eine definitive oder nur eine temporäre ist, wenn
nicht alle Primordialeier abgetötet worden sind. Die innere Sekretion wird
nicht direkt geschädigt, da aber die Zerstörung der Ovula die Formation
neuer Corpora lutea verhindert, so hört diese Sekretion zuletzt auf.
Griscom und Pfahler in Philadelphia (New York med. Journ.
25. Juni 1910) veröffentlichten ihre Erfolge.
Mayer, ein Schüler von Lacaille (Thèse de Paris 1911) zieht
folgende Schlüsse: Die ersten bemerkenswerten Veränderungen der Men-
struation und der Hämorrhagien erscheinen nach anderthalbmonatlicher
Behandlung: die Hämorrhagien sind zuerst weniger abundant und die
Regeln treten in längeren Zwischenräumen auf; zugleich wird ihre Dauer
reduziert. Die Menopause erscheint meistens im vierten Behandlungs-
monat, oft auch schon im dritten. Die Röntgentherapie ist besonders bei
jungen Myomen indiziert: Ein großes Volumen des Tumors oder sein
stark hämorrhagischer Charakter bilden keine Gegenindikationen, hingegen
gehören die alten Fibrome der Chirurgie an. Der Erfolg der Methode
wird um so rascher und nachhaltiger sein, als die Patientinnen sich der
Menopause nähern. Bei strenger Technik darf die Hautreaktion nie ein
Erythem übersteigen.
Weber (Münch. med. Wochenschr., 2. April 1912) bestrahlt bei
schmerzhaftem Myom sukzessive die beiden Ovarien und erst später den
Tumor. Dieser Wechsel der Applikationsstellen schützt außerdem vor
dem Hauterythem.
Die Kastration durch Operation oder durch Röntgenstrahlen von v. Herff
(Münch. med. Wochenschr., 2. Januar 1912): Die Operationsmortalität
ist eine sehr geringe, ungefähr 0,1 %. Selbst unter diesen Bedingungen
sind die Röntgenstrahlen im Vorteil, denn ihre Mortalität ist gleich Null.
Allerdings sind die zur Erreichung eines Resultats nötige Zeit und die Kosten
der Behandlung bei der Röntgenbehandlung viel größer. Die Operations-
folgen sind sicherlich bei letzterer Methode viel unsicherer, denn die
26*
400 Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie.
Dermatitis und die Ulzerationen sind furchtbare Komplikationen, die
häufiger auftreten, als es nach der Literatur scheinen würde. Bei den
Röntgenstrablen ist noch eine ernstere Gefahr vorhanden, nämlich die
immerhin möglichen diagnostischen Irrtümer: bestrahlt man Ovarialtumoren.
so riskieren die Kranken schwere Schädigungen. Außerdem können sich
nach Röntgenstrahlen Karzinome entwickeln; es gibt ungefähr 40 Fälle
davon in der Literatur.
Falk berichtet über die Krankengeschichten mehrerer Patientinnen.
denen man anfangs den chirurgischen Eingriff wegen Herzkrankheiten ver-
weigerte, die man einer mäßigen Röntgenbehandlung unterzog und die
derartige Blutungen bekamen, daß ihr Leben in Gefahr war und eine
Hysterektomie aus vitaler Indikation gemacht werden mußte. Ebenso
E. Grafenberg.
Krönig und Gauß in einer weiteren Arbeit empfehlen enorme
Dosen. Sogar vor 40 Jahren heilt die Methode (Münch. med. Wochen-
schr., 2. April). Die belgische Gesellschaft für Radiologie hat die Frage
ebenfalls diskutiert (Archiv d’Electr. med., 10. Sept.): Es gibt Verfechter
der Röntgentherapie und Verteidiger der Operation. H. Neufeld.
J. Nemenoff ziehen außer in gewissen Fällen die Röntgenstrahlen vor.
Bordier fährt fort, höhere Dosen, aber in größeren Abständen zu em-
pfehlen. Albers-Schönberg, FoveaudeCourmelles, Lacaille.
Haenisch, Renauer, d’Halluin variable oder schwache Dosen.
Laquerriere und Loubier (Archiv. d'Electr. méd., 25. Aug. 1912)
ziehen einen großen Fokusabstand vor, zeigen mit Recht die verschiedene
Wirkung auf Ovarien und Uterus, die Verkleinerung des letzteren und
selbst alter Tumoren. Zimmern hebt hauptsächlich die blutstillende
Wirkung hervor (Gaz. électr., 20. Nov. 1912), später Béclère, Siredey,
P. Ch. Petit, Veray usw.
Die Behandlung der Myome mit Röntgenstrahlen von E. Flak (Berl.
klin. Wochenschr., 29. April 1912): Die subserösen Myome sollen nicht
mit Röntgenstrahlen behandelt werden und ein Myom bei einer jungen
Frau soll eher operiert werden, da die Röntgenstrahlen eine Atrophie der
Ovarien erzeugen, während die Operation sie intakt läßt.
Andererseits darf man auch die Röntgenstrahlen nicht bei Entzün-
dung der Adnexe verwenden.
Bei Frauen über 50 Jahren soll man außer bei strikter Operations-
indikation immer mit Vorliebe die Röntgenstrahlen verwenden.
Die Strahlentherapie hat Besserungen der Myome gebracht. Zuerst
verschwinden die Hiimorrhagien und erst später verkleinert sich der Tumor.
Diese Involution geht schneller vor sich bei älteren Frauen als bei jungen.
Die Methode ist gänzlich gefahrlos, sagt Kelen (Monatsschr. f. Geburtsh.
Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynükologie. 401
u. Gynäkol., August 1911). Er rühmt auch die Röntgentherapie bei der
chronischen Metritis (Münch. med. Wochenschr., 2. April 1912), 38 Be-
obachtungen: in 20 Fällen waren mehr oder weniger abundante Meno-
und Metrorrhagien vorhanden, in 9 ein purulenter Ausfluß, in 5 ein
Uterusprolaps, die übrigen waren ohne Komplikationen. Man machte 3 bis
4 Sitzungen wöchentlich durch die Bauchhaut hindurch: 6 Fälle wurden
aus den Augen verloren, 4 sind im Beginne ihrer Behandlung.
In einem komplizierten Fall von Prolaps war das Resultat negativ
(Obesitas der Patientin). In den anderen Fällen war ein voller Erfolg zu
konstatieren. Denn in 15 Fällen war die Verkleinerung des Uterus schon
nach der 3. oder 4. Sitzung nachweisbar, in den übrigen dauerte es länger
‘6 Monate bei 3 Kranken). Die subjektive Besserung zeigte sich nach
+ bis 6 Wochen: bei 2 jungen Patientinnen setzte die Menopause schon
nach der zweiten und dritten Sitzung ein, aber die Periode kam nach 2
und 3 Monaten wieder. Die Metrorrhagien leisteten in 4 Fällen Wider-
stand und mußten lokal behandelt werden; Gonokokkenausflüsse wurden
durch Röntgenstrahlen nicht beeinflußt: Alle anderen verschwanden zuletzt.
Die Metritiden mit hartem Uterus waren hartnäckiger als die anderen:
man wird diesen Unterschied leicht verstehen, denn die Röntgenstrahlen
beeinflussen viel energischer die glatten Muskelfasern als das Bindegewebe.
In diesen 14 letzten Monaten konnten nur 3 Rezidive von Metrorrhagien
durch 2 oder 3 Bestrahlungen zum Weichen gebracht werden.
Ein von Foveau de Courmelles bestralltes Myom verhinderte
in keiner Weise eine spätere Gravidität (hat sie vielleicht begünstigt,
Apostoli hatte dies für die Elektrolyse behauptet). Kleines, gut ge-
bautes Mädchen, 3 kg 200, 48 Stunden vor der Geburt gestorben, mit
Mazerationsflecken auf dem Körper, die vielleicht durch das Gewicht des
Fibroms bedingt waren. „Während der Schwangerschaft fühlte sich die
Kranke wohl und war sehr lebhaft. Heute (4 Tage nachher, 3. April 1912),
ht es ihr so gut als möglich, wenn auch etwas Fieber vorhanden ist.“
Die Folgen waren eine Art Septikämie, die 4 Monate dauerte. Im
November 1912 kam endlich die Periode wieder. Seither hat die
Kranke ihre Kräfte und ihre Gesundheit wiedererlangt, die Periode ist
reselmäßig geworden, ohne die früheren Blutverluste und das Myom,
las wieder zu wachsen anfıng, ist auf erneute Bestrahlungen zurückgegangen
13. Februar 1913). (Wie mir der Arzt des Ehemanns, Dr. Delthil
mitteilte, hatte der Mann in einer früheren Ehe eine verdächtige Serie
‘stzeborener Kinder aufzuweisen.)
Endlich scheint mir die treffendste Darlegung im Beitrag zur Röntgen-
handlung der Myome von Bergonié und Spéder gegeben (Arch.
telect. ıned. 10. Jan. 1911):
402 Foveau de Courmelles,
„Bei der Myombehandlung beobachtet man die erste bemerkenswerte
Veränderung der Periode und der Hämorrhagien nach 2 Bestrahlungssene:
(von je 3 Sitzungen). Zuerst wird die Periode wieder regelmäßiger, kürzer
und geringer. Nach 3 oder 4 Bestrahlungsserien (2 oder 3 Monate), selten
mehr (5 Serien in 4 Monaten), hörten die Periode und die Hämorrhagıen
ganz auf. Als Begleiterscheinungen beobachtet man zu Beginn der Be-
handlung sanguinolenten Ausfluß zwischen den Perioden, welcher einige
Stunden bis zu 2 Tagen dauert und oft rötlich gefärbten Fluor, der auf
die Regel folgt. Bei einer guten Technik werden Verbrennungen immer
vermieden. Nach den Sitzungen treten oft mannigfache, übrigens sehr
leichte Störungen auf, die nie über einige Stunden dauern. Die Myome
nehmen immer ab und zwar in nicht immer gleichem Maße, ohne dab
dafür eine Erklärung gegeben werden könnte. In manchen Fällen ver-
schwinden die Tumoren ganz, in anderen, wo der Tumor den Nabel über-
ragte, verkleinert er sich bis 2 bis 3 Finger breit über die Symphyse und
reagiert dann nicht mehr auf die Behandlung. In jedem Falle hören die
durch das Myom und die Blutungen hervorgerufenen Beschwerden schnell
auf. Das Allgemeinbefinden wird besser, die Anämie verschwindet, dir
Kompressionssymptome hören auf; die Kranken nehmen ihre Beschäftigung
und ihre Lebensweise wieder ohne Beschwerden auf. Die jungen Myome
mit rapidem Wachstum reagieren am promptesten auf Röntgenstrahlen. (Dosen
von Albers-Schönberg, die ich in Hamburg in den Jahren 1909 und 1911
anwenden sah: 2 M.A., 6° Bauer, 2 bis 3 Kienböck-Einheiten, 6 Minuten.
Ich bringe den „Bauer“ an der Kathode des Induktors an, statt an der Ka-
thode der Röhren; dies ist bequemer und bei 1° Schwankung ebenso genau‘.
Die Frauen, welche sich den Wechseljahren nähern (40 Jahre un!
mehr) und besonders jüngere Frauen können einen großen Nutzen von
dieser Behandlung haben, wenn sie die Behandlung lange genug und in
intermittierender Weise (z. B. alle 6 Monate) fortsetzen. In allen Fällen.
in welchen eine nahe an der Menopause stehende Frau an Uterusmyomen
leidet und die Operation verweigert, oder für dieselbe zu schwach ist, ist
die Röntgentherapie indiziert, ebenso in allen Fällen, in welchen ein Myom
bei einer nahe der Menopause stehenden Frau Schmerzen oder Kompressions-
erscheinungen und besonders Hämorrhagien macht. Um die Hämorrhagien
in den ersten Monaten der Röntgenbehandlung zum Sistieren zu bringen.
bevor das vollständige Endresultat (gegen den dritten Monat) erreicht ist.
ist es von Vorteil, galvanischen und faradischen, rhythmisch unterbrochenen
Strom intrauterin zu applizieren (Mitteilung von Foveau de Courmelles
am Kongreß von Budapest 1909.) Die Archives of Roentgen Ray
haben in den letzten Jahren ebenfalls viele Erfolge von englischen
Röntgenologen mitgeteilt.
Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 403
Ich variiere also die Dosen je nach den Fällen und dem Alter der Fi-
brome. Das Hitzdraht-Milliamperemeter und das Bauersche Voltmeter
verglichen mit Tabletten erlauben für eine bestimmte Röhre und eine ge-
gebene Bestrahlungszeit die verabreichte Dose in vergleichbarer Weise an-
zugeben. Wir wollen aber nicht verallgemeinern und nur von Erfolgen,
seien sie chirurgischer oder radiotherapeutischer Art sprechen, sondern lieber
je nach dem besonderen Falle handeln. Wir werden mehr Vorteil davon
haben. Oft ist auch die Hydrotherapie indiziert, sogar in Verbindung mit
der Röntgentherapie bei Frauen, die die Vierziger überschritten haben.
Nach Krönig und Gauß soll jede anämisierte, bronchitische, adipöse
und herzleidende Frau mit Röntgenstrahlen behandelt werden und sie be-
richten von nur zwei Fällen von relativem Mißerfolg unter 100 (Münch. med.
Wochenschr. 10. Juli 1910). Und selbst diese relativen Mißerfolge könnten
meiner Meinung nach der späteren Operation nur nützlich sein, indem sie
die Hyperämie der Abdominalorgane beseitigten und eine Eventration ver-
hindern, welche auf eine schnelle Entfernung eines zu großen Volumens
folgen können. Die Entfernung der Ovarien und des Uterus oder des
Uterus allein bringt auch bei den Patientinnen Nervenstörungen und eine
Änderung des Charakters hervor. Andererseits gibt es auch Frauen, die
an der Spitze von Geschäftshäusern stehen, und für welche die durch eine
Operation bedingte Immobilisierung den Ruin bedeuten könnte.
Wie viele inoperable Fälle gibt es übrigens, wo eine Sterilisation in-
diziert ist! So bei einer Frau mit zahlreichen an Karzinom verstorbenen
Verwandten, bei welcher Ende der dreißiger Jahre bei jeder Regel und
nur dann eine übrigens auf Kauterisation leicht heilende Ulzeration des
Collum uteri auftritt. Ist dies nicht ein gefahrdrohender Zustand, den die
sterilisierenden Röntgenstrahlen beheben können? Ein solcher Fall, die
Frau eines Kollegen, wurde Foveau de Courmelles im Jahre 1911 zur
Behandlung übergeben. Würde man mit einer Operation nicht einfach bei
dieser schweren Heredität Gefahr laufen, ein kommendes Karzinom an eine
andere Stelle zu verpflanzen, das man mit Röntgenstrahlen aufhalten könnte?
Übrigens haben Fälle dieser Art den Verfasser dazu gebracht, die Behand-
lung des Myoms mit Röntgenstrahlen zu erdenken und auszuarbeiten.
Die konstante Wirkung der Röntgentherapie auf die Menstruation und
die Blutverluste ist eine feststehende Tatsache. Es folgt daraus, daß diese
Therapie ebenfalls bei Metrorrhagien der Wechseljahre indiziert ist. Die
Röntgentherapie der Myome ist zur Zeit kontraindiziert 1. bei den Formen
mit Wachstum nach der Vagina zu, 2. bei den Tumoren in maligner De-
generation, 3. bei Fällen mit rasch wirkenden Komplikationen. Die Röntgen-
therapie ist absolut gefahrlos; bei einer guten Technik, beim Gebrauch von
harten, filtrierten Strahlen, bei Einhalten der Abstände zwischen den ein-
404 Foveau de Courmelles,
zelnen Sitzungen und bei Kompression wird man keine Hautverbrennungen
erzeugen. Die Reaktion der Haut wird nie über ein Erythem, eine vor-
übergehende Bräunung, eine lokale Epilation und Desquamation gehen. Die
leichten Störungen, welche manchmal nach den Bestrahlungen beobachtet
wurden, sind inkonstant, gutartig und von kurzer Dauer (einige Stunden).
Zweiter Teil.
Das Radium in der Gynäkologie.
Gehen wir nun zum Gebrauch des Radiums oder der radiumhaltigen
Salze in der Gynäkologie, einer noch relativ jungen Therapie über. Ende
1901 hat der verstorbene Dr. Danlos, Arzt des Hospitals St. Louis in
Paris, das Radiumbromid in die Therapie eingeführt, indem er Hauttuber-
kulose damit behandelte. Kurze Zeit später verallgemeinerte Foveau de
Courmelles seine Anwendung, benützte es bei äußeren und inneren Kar-
zinomen und zeigte seine schmerzstillenden Eigenschaften.
In seinem kürzlich erschienenen Lehrbuch der Radiumtherapie er-
innert J. Barcat daran, daß das Radium in der Gynäkologie zuerst von
Abbe im Jahre 1905 bei 2 Karzinomen des Collum uteri, dann von
W. J. Morton in New York angewandt wurde. Später behandelten
Oudin und Verchère damit Myome und die mit Myomen oder Metritis
einhergehenden Blutungen sowie blennorrhoische Urethritiden, dann kamen
Dominici, Chéron, Rubens-Duval, Wickham und Lacapère,
Fabre und Bender: Metritis cervicalis und corporis und besonders
hämorrhagische Metritis, Uterusmyome, akute und besonders chronische
Adnexentzündungen, Perioophoritis und Perimetritis und zuletzt Karzinome
haben den größten Gewinn von dieser Behandlung.
Uteruskarzinome: Die Anwendung ultrapenetranter Strahlen in
massiven Dosen (20 bis 30 Zentigramm Radium) erlaubte Chéron und
Rubens-Duval weit mehr als einfach palliative Resultate zu erhalten.
Unter 50 behandelten Fällen konnten die Verfasser eine vollständige Ver-
narbung der Läsionen in 18 Fällen beobachten, welche sich nunmehr seit
7 bis 18 Monaten bei gutem Allgemeinzustand erhalten hat, trotz einiger
drohenden Rezidive, die sofort durch eine Applikation unterdrückt wurden:
In sehr ausgedehnten Fällen ist die Besserung zwar beträchtlich, aber
oft nur von kurzer Dauer; bei zirkumskripteren Fällen, selbst
wenn sie auf die periuterinen Zonen übergreifen, erhält
man gewöhnlich eine fibröse Umwandlung des Gewebes, ein Resultat, das
um so wertvoller ist, wenn die Drüsen noch nicht befallen sind, was ja
beim Uteruskarzinom relativ erst spät der Fall ist. Die Karzinome,
welche bereits Rektum und Blase ergriffen haben, können eben-
Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 405
falls aller Vorteile dieser Methode teilhaftig werden, wenn die Erkrankung
noch nicht zu weit vorgeschritten ist.
Iın allgemeinen sind die infiltrierenden Krebse am widerstandsfähigsten,
während die vegetierenden Krebse viel empfindlicher gegen Radium sind.
Jeanne und Née haben Besserungen veröffentlicht. Man hat empfohlen,
zu gleicher Zeit Jodkali oder chlorsaure Magnesia einzunehmen.
Louis Wickham und Paul Degrais haben in ihrer Radium-
therapie mit vielen Abbildungen eine große Anzahl von Erfolgen ver-
öffentlicht, die sie seit 1905 mit Radiumsalzen hatten. Das Uteruskarzi-
nom ist für sie (2. Auflage, p. 204) die Krankheit, bei welcher „das
Radium seine interessanteste Rolle spielt“. Man soll es — dies ist auch
unsere Ansicht — nach der chirurgischen Entfernung alles dessen, was
sich entfernen läßt, in der Nähe der Narbe applizieren. Ebenso und oft
besser als die Röntgenstrahlen verhindert oder verzögert das Radium die
Rezidive. Kranke, die von Pozzi, Hartmann, Monod, Tuffier und
anderen operiert worden waren, haben von einer rationellen postoperatori-
schen Radiumanwendung Nutzen gehabt.
Dominici, der seit 1904 mehrere Methoden der. Radiumapplikation
mit verschiedenen Filtern wie bei den Röntgenstrahlen angegeben hat und
zwar mit Salzen, die nach der Methode von Gustave Le Bon (1902)
aufgeklebt waren oder mit in Silber-, Aluminium oder Bleituben einge-
schlossenen Salzen, hat ebenfalls ein Verschwinden der Schmerzen und eine
erträgliche Verlängerung des Lebens erzielt.
Foveau de Courmelles benutzte Radium in der Vagina und radio-
aktiven Schlamm auf dem Bauch und konstatierte ebenfalls eine große
Besserung der Symptome, die natürlich je nach dem Falle varıabel war.
Uterusmyome: Die durch 5 cg Radium erzeugte ultrapenetrierende
Strahlung in 3 Sitzungen von 24 Stunden vaginal angewandt, bringt in
der großen Mehrzahl der Fälle kleiner oder mittlerer Myome ein Aufhören
der Blutungen und eine Verkleinerung der Tumoren hervor (Chéron 117
Menopausen in 120 behandelten Fällen, 108 mal Rückgang des Tumors,
6 Fälle unbeeinflußt, und 3 Myome gewachsen. Nur bei 12 von 25 großen
Myomen wurde eine Menopause erzielt).
Am 6. internationalen Kongreß für Elektrologie und Radiologie in
Prag habe ich selber gezeigt, dal in manchen Fällen, wenn die Röntgen-
strahlen zu wirken aufhören, das Radium noch ausgezeichnete Resultate
gibt. Man führt dann 1 bis 2 cg reines Radiumbromid in den Cervix oder
wickelt ein auf einem Gewebe ausgebreitetes und von einem entsprechenden
Filter umgebenes Salz um den Üervix.
Metritis: Die Gesamtstrahlung oder nur die penetrierenden Stralilen
in kurzen Applikationen von 10 bis 20 Minuten (Oudin und Verchöre,
406 Foveau de Courmelles,
Wickham und Degrais, Lacap£re) und die ultrapenetrierenden
Strahlen in 12- bis 24stündiger Anwendung (Chéron, M™° Fabre.
Bender) haben beide gute Resultate gegeben.
Salpingo-Ovaritis. H. Chéron fand, daß diese Erkrankungen
sich gut durch Radium beeinflussen lassen. Es gelang ihm über Fälle
Herr zu werden, die der klassischen Behandlung 6 Monate bis 2 Jahre
getrotzt hatten. Dabei wurde die Ovarienfunktion geschont, was durch
21 Schwangerschaften bewiesen wurde, die nach der Behandlung unter 171
Fällen eintraten. Laquerri@re und Loubier haben eine Radium-
bromidlösung vermittelst Elektrolyse in der Vagina oder dem Cervix appli-
ziert. Von der Technik der Radiumtherapie gibt Frau Dr. Faber eine
sehr gute Zusammenfassung zugleich unter Erwähnung einiger klinischer
und therapeutischer Resultate: |
„Die ultrapenetrierende Strahlung in therapeutischer Dosis sterilisiert
die Ovarien nicht.
Nach ultrapenetrierender Bestrahlung der Ovarien von 6 Meerschwein-
chen bei einer Bestrahlungsdauer und Intensität, welche mit den in der
Gynäkologie täglich gebrauchten vergleichbar sind, haben wir konstatieren
können, daß die 6 Tiere sich in Bezug auf ihre Fruchtbarkeit genau wie
6 andere nicht bestrahlte Kontrolltiere verhielten: alle wurden befruchtet
(Institut Pasteur 1910).
Technik: Alle üblichen Apparate, Tuben und Platten, können je
nach dem Sitze der Erkrankung in der Gynäkologie eine Rolle spielen.
Es ist nur nötig, daß die æ- und weichen ß-Strahlen durch ein genügend
starkes Metallfilter ausgeschaltet werden und daß die ß-Sekundärstrahlen,
welche durch das Metallfilter selber entstehen, durch eine äußere Scheide
aus Kautschuk, Gummi oder Tuch abgefangen werden.
Die Filter müssen eine Dicke von ®/,, mm bei Silber und von 1 mm
bei Verwendung von Blei oder Nickel haben.
Vaginal kann man Röhrchen oder Plattenapparate von entsprechender
Größe mit ihren eben beschriebenen Hüllen unter den notwendigen Kau-
telen der Asepsis anwenden.
Benigne Tumoren: Wir suchen nicht eine Regression der Myome
zu erreichen, sondern nur das Verschwinden der begleitenden Perimetritis
und das Aufliören der Metrorrhagien. Wir verwenden 1 bis 10 cg reines
Radiumsulfat in Röhrchen im Uterus oder Cervix während 24 bis 48
Stunden.
Maligne Tumoren: Unsere persönliche Statistik erstreckt sich über
mehr als 100 Fälle — alle inoperabel — 70%, derselben heilten genügend
aus, um noch 1 bis 4 Jahre zu leben.
Wir erzielen immer:
Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 407
1. Die Verminderung, dann das Verschwinden der Metrorrhagien.
2. Das Verschwinden der Leukorrhoe und der Jauchung.
3. Die Regression der vegetierenden Teile.
4. Die skleröse Umwandlung des Tumors.
. Die größere Beweglichkeit des Uterus infolge Verschwindens der
periuterinen Entzündung.
6. Verminderung und oft Verschwinden des Schmerzes.
7. Besserung des Allgemeinbefindens.
Unsere Technik besteht in der Einführung von aseptischen Tuben ins
Innere des Tumors. Die Dauer und die Intensität der Bestrahlung hängt
vom Falle ab bei einem Minimum von 5 cg für 24 Stunden. Sie wird
nach einem Monat wiederholt.
Entzündliche Affektionen. Metritis und nicht vereiterte Sal-
pingitis geben eine Indikation ab. Wir erhalten gewöhnlich definitive
Heilungen. Als Maximum werden 5 cg für 24 Stunden intrazervikal oder
intravaginal ins Scheidengewölbe appliziert. Es ist unbedingt notwendig,
zur Schonung der Vaginalschleimhaut die Sekundärstrahlung peinlich ab-
zufiltrieren.“
Qı
Schlußfolgerungen.
Als Zusammenfassung möchten wir sagen, daß Röntgenstrahlen und
Radium sehr gute therapeutische Mittel sind, welche jeder eklektische Arzt
kennen und je nach den Indikationen anwenden soll. Es sind keine
Panacaeen, sondern Adjuvantien, die oft sehr mächtig und oft überhaupt
nur allein anwendbar sind. Es ist selbstverständlich, daß manchmal Miß-
erfolge vorkommen. Diese kommen überall in der Medizin vor. Die Ge-
fahren, Verbrennungen, Dermatitis usw. werden immer genauer erkannt und
können durch die allzu lange mißachtete Filtrierung vermieden werden.
Wir hätten die Ansichten und Zitate noch vermehren können. Wir
hatten sogar durch die medizinische Presse einen Appell an unsere Kol-
legen gerichtet, um uns Erfolge und Mißerfolge dieser neuen Heilmittel
mitzuteilen. Wir haben relativ wenig Antworten erhalten. Auch mögen
uns die Übergangenen verzeihen, wir haben sie nicht absichtlich unerwähnt
gelassen. Manche von ihnen haben übrigens wahrscheinlich ihre Original-
arbeiten zurückbehalten, um sie selber auf diesem Kongreß vorzutragen.
Vor allem bleibt die hämostatische und analgetische Wirkung der
Röntgen- und Radiumstrahlen bestehen und über diesen Punkt sind die
zustimmenden Urteile viel zahlreicher als die absprechenden.
Die Röntgen- und Radiumstrahlen haben also mit Recht in der medi-
zinischen und chirurgischen Therapeutik der Frauenkrankheiten Bürger-
recht erworben. Übersetzt von Dr. A. Gunselt-Straßburg i. E.
Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome).
Internat. Medizin. Kongreß, London 1913.
Mit einem Nachtrag über die Entwicklung der „Hamburger Technik“.
Von
Professor Dr. Albers-Schönberg.
I’ den einleitenden Worten weist Vortragender auf das Problem der thera-
peutischen Verwertbarkeit der charakteristischen Sekundärstrahlen
der Metalle hin.!) Durch geeignete Versuchsanordnungen können die
Experimente des Vortragenden ergänzt und ausgebaut werden mit dem
Endzweck, eine biologische Skala der charakteristischen Sekundärstrahlen
der verschiedenen Metalle aufzustellen. Da es nicht ausgeschlossen ist,
daß auch bei der Mesothoriumtherapie den Sekundärstrahlen eine große
Bedeutung zukommt, da es ferner durchaus im Gebiet des Erreichbaren
liegen wird, mittels Röntgenstrahlen erheblichere Sekundärstrahlen-
wirkungen als bisher zu erzielen, so ist für die Röntgentherapie vielleicht
auf diesem Wege die Möglichkeit gegeben, die an die Mesothoriumtherapie
verlorene Position zurückzugewinnen.
Bei der Abhandlung des Themas: „Gynäkologische Tiefen-
therapie‘ ist Referent wegen des kaum noch zu übersehenden Materials
vezwungen, kurz resumierend nur die wichtigsten, sicher gestellten
J'atsachen hervorzuheben und es der Diskussion zu überlassen, ergänzendes
Material, aus welchem sich ein kritischer Überblick über den augenblick-
lichen Stand der Frage gewinnen läßt, herbeizuschaffen.
Nur selten hat das Auftreten einer neuen Therapie so viel begeisterten
Zuspruch und entschiedene Ablehnung gefunden, wie die gynäkologische
Röntgenbestrahlung. Wenn wir jetzt nach Ablauf einer Reihe von Jahren,
während welcher die Röntgenologie Schritt für Schritt ihren Eroberungs-
kampf geführt hat, mit Freuden auf eine sicher errungene Position blicken,
so bleibt der Widerspruch trotzdem noch immer lebhaft und es fehlt
nieht an Autoren, welche in der Röntgentiefentherapie gynäkologischer
Krankheiten nur eine vorübergehende Erscheinung erblicken. Wir wollen
in der heutigen Sitzung unsere gesicherten Errungenschaften Revue
passieren lassen und feststsellen, in welcher Richtung wir weiter arbeiten
müssen, um schließlich mit vollem Erfolge durchzudringen. Hierbei
möchte ich von vornherein betonen, daß wir Röntgenologen nicht im
Gegensatz zuden Gynäkologen stehen, ganzim Gegenteil sind wir davon fest
überzeugt, daß nur durch gemeinsames Arbeiten etwas Rechtes geschaffen
1) Cf. Fortschritte a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen. Bd. XXI, Heft 1. Das
Problem der Sekundärstrahlentherapie.
Albers-Schönberg, Referat über d. gynäkol. Tiefentherapie (Myome). 409
werden kann. Der Gynäkologe hat unbedingt das letzte Wort bei der
Stellung der Diagnose, bei der Frage nach der Indikation und bei der
klinischen Beurteilung des Krankheitsverlaufes zu sprechen. Ihm muß
es ferner zugestanden werden, über die Dauerresultate an der Hand des
Palpationsbefundes sein entscheidendes Urteil abzugeben. Der Röntgeno-
loge hinwiederum ist die ausschlaggebende Persönlichkeit bei allen Fragen
der Technik, der Dosierung, der Beurteilung etwaiger Schädigungen und
bei anderen mehr. — Sie werden mir zugeben, daß bei einer solchen Ar-
beitsleistung die Situation durchaus nicht einfach ist; indessen wird der
gute Wille, den Kranken zu helfen auch dort, wo die Meinungen aufein-
anderplatzen, ein gemeinsames und nutzbringendes Arbeiten ermöglichen.
Die Erkenntnis der Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die weib-
lichen Genitalorgane und damit ihr erfolgreicher Eintritt in die Gynä-
kologie, ist eine Folge der 1903 gemachten Entdeckung der Einwirkung
der Strahlen auf die männlichen Keimdrüsen der Tiere (Albers-Schön-
berg). In der Folge bestätigten Philipp, Brown und Osgood diest
Erscheinungen auch beim Menschen. Im Jahre 1905 begannen die
Untersuchungen an weiblichen Tieren durch Halberstädter, Ber-
gonie, Tribondeau, Recamier, 1906 durch Specht, Krause,
Ziegler, Lengfellner, Fraenkel, und andere. Diese Forscher wiesen
übereinstimmend schwere durch KRöntgenbestrahlung hervorgerufene
Veränderungen an den Ovarien an Tieren nach. Fassen wir die Schädi-
gungen kurz zusammen, so sind sie makroskopisch charakterisiert durch
Verkleinerung des Ovarıums. Das wesentlichste ist der histologische
Befund, nämlich der Schwund der Graafschen Follikel, ferner die Ver-
minderung der Primordialfollikel und ihre Degeneration. Sodann die
Veränderung des interstitiellen Gewebes. Ferner der Rückgang der
Trächtigkeit, vielleicht bedingt durch Bildung toxischer Substanzen,
welche Fehlgeburten veranlassen können. Die Ovarien sind nach Reiffer-
scheidt viel radiosensibler als die Testikel, so daß eine Regeneration eines
einmal zerstörten Follikels nicht möglich ist. Diese Ergebnisse wurden
von verschiedenen Autoren nachgeprüft und bestätigt. Ich hebe die
Namen Burckhard, Walter, Hippel und Pagenstecher, Fellner
und Neumann hervor. Im Jahre 1907 wurden die histologischen Unter-
suchungen am menschlichen weiblichen Ovarium zuerst von Vera Roo-
sen vorgenommen. Es folgten 1910 die grundlegenden Arbeiten von
Faber, Reifferscheidt (1911), Simon und anderen, welche feststellten,
daß die gleichen Veränderungen wie am tierischen Ovarium auch am
menschlichen Eierstock durch Bestrahlung erzielt werden. 1910 wies
Fraenkel einen Einfluß auf den Uterus durch Bestrahlung nach, was für
die myomatöse Gebärmutter 1910 vom Referenten als wahrscheinlich
410 Albers-Schönberg,
hingestellt und 1912 durch Gräfenberg und R. Meyer bestätigt wurde.
Es liegt auf der Hand, daß gleichzeitig mit dem Bekanntwerden dieser
Untersuchungen die Veranlassung gegeben war, die Röntgenstrahlen bei
solchen Affektionen der weiblichen Genitalien anzuwenden, deren Heilung
mit der Atrophierung der Ovarien Hand in Hand geht oder durch sie be-
dingt wird. Das sind in erster Linie die klimakterischen Meno- und Metror-
rhagien, die meist ihr Ende mit der Einstellung der Ovarialtätigkeit
finden, ferner die Myome, deren Heilung ebenfalls in der Menopause
zu erwarten ist, und die man früher deshalb nach Hegar in inoperablen
Fällen durch die Kastration zu heilen bestrebt war. — Außer den er-
wähnten Erkrankungen hat man auch Versuche andere Affektionen der
weiblichen Geschlechtsorgane mit Röntgenstrahlen zu behandeln gemacht,
so das Carcinoma uteri, Ovarialsarkome, Adnexerkrankungen, Kraurosis
vulvae und anderes mehr. Die Erfolge sind noch zu unsicher, um etwa
Bestimmtes schon jetzt auszusagen. Ich beschränke mich im wesentlichen
auf die Tiefentherapie der Myome und lege meinem Referat neben
eigenen Erfahrungen die in der Literatur veröffentlichten, gut beglaubigten
Fälle zugrunde. — Ferner werde ich die in Nummer 2 Bd. XX der Fort-
schritte publizierten statistischen Zusammenfassungen meines früheren
Mitarbeiters Dr. L. Mohr, welche sich auf 796 Myomfälle erstrecken,
eingehend berücksichtigen.)
Über die Priorität der neuen Therapie ist folgendes zu sagen:
Nach den chronologischen Forschungen von Eymer wurde die erste
Bestrahlung eines Myoms von F. J. Deutsch im April 1902 vorgenommen;
die Publikationen dieses Autors erfolgten im September 1904. Überhaupt
die erste Publikation über Myomtherapie stammt von William James
Morton und ist am 25. Juli 1908 im New York Med. Record erschienen.
Er führte die Bestrahlung zum ersten Mal am 4. August 1902 aus. Foveau
de Courmelles’ erste Mitteilung erschien am 11. Januar 1904 in den
Mitteilungen des „Institut de France“. Diesen drei Autoren kommt
wohl so ziemlich gleichmäßig das Recht zu, sich als die ersten Pioniere
auf dem Gebiet der gynäkologischen Röntgenbestrahlung bei Myomen
zu betrachten.?) 1905 und 1906 berichteten Laquerriöreund Delherni
über 30 Fälle mit Menopause und Verkleinerung der Tumoren. Foveau
de Courmelles und Laquerriere empfehlen 1911 bereits Felder-
bestrahlung bei Anwendung von Filtern und hohen Dosen. 1906 publi-
zieren Lengfellner, Goerl, Berdez und Saretzky einschlägige thera-
1) Die Statistik von Kirstein kam erst nach Drucklegung dieses Vortrages
in meine Hände.
2) 1909 veröffentlichte Foveau de Courmelles bereits über 100 Fälle,
welche günstig beeinflußt waren.
Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 411
peutische Resultate. Von 1907 an folgen Publikationen von Manfred
Fraenkel. 1908 teilt Albers-Schönberg im Ärztl. Verein in Hamburg
seine ersten Resultate mit und publizierte in den folgenden Jahren weiteres
Material klinisch-technischen Inhalts auf den Kongressen der Deutschen
Röntgen-Gesellschaft 1909—1912 gleichzeitig und bald darauf folgten
Arbeiten von: H. E. Schmidt, Gauß, Muskat, Abel, Frank-
Schultz, Spaeth, Haenisch, Bergoni6 und Spéder, Savill,
Marguès, Bartholomew, Hazleton, Krause, Köhler und vielen
anderen. Ab 1909 erschienen dann die bekannten zahlreichen Mitteilungen
von Gauß aus der Freiburger Universitätsklinik.
Auch die Fachgynäkologen beginnen um diese Zeit stetig in größerer
Anzahl an den Versuchen teilzunehmen. Ich erwähne die Namen Mat-
thaei, Haase, Spaeth, Prochownick, Seligmann, Veit. Ab-
1911 erschienen verschiedene Arbeiten von Döderlein, sodann sind zu
erwähnen: Menge, Kelen, Heynemann, Franz, Klein, Runge,
Zangemeister, Weber, Falk, Frangue, Sellheim, Jung,
Frankl, Abel und in letzter Zeit als Verfasser eines ausgedehnten Werkes,
Eymer. Es ist nicht möglich, bei der Fülle des Materials die Namen aller
Autoren zu nennen, ich muß mich darauf beschränken diejenigen heraus-
zugreifen, deren Arbeiten grundlegende oder wesentlich neue Gesichts-
punkte bringende waren. Auch an oppositionellen Stimmen hat es nicht
gefehlt, es sei besonders auf dia interessante Arbeit von Henkel über
Röntgenkastration hingewiesen. Die genannten und nicht genannten
Autoren bestätigen fast einstimmig die von röntgenologischer Seite be-
richteten Heilresultate. Sie klären die Frage vom gynäkologisch-klini-
schen Gesichtspunkt aus, definieren die Indikationen und bringen ein
mehr oder weniger großes Material geheilter Fälle bei. Ferner wird von
ihnen die Frage erörtert, wodurch die Heilung erzielt wird und welche
Nachteile resp. Vorteile die Röntgentherapie gegenüber den operativen
Maßnahmen gewährt.
Nach diesem allgemeinen Rückblick auf die Entwicklungsgeschichte
der Röntgentherapie in der Gynäkologie, die bei dem Umfang des Materials
selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen kann,
werde ich in großen Zügen die allgemein klinischen Gesichtspunkte
darstellen.
Indikationen und Kontraindikationen.
Auf dem Kongreß 1909 stellt der Verfasser zunächst die nach seinen
Erfahrungen für die Röntgentherapie günstigen Indikationen auf. Sie
sind enthalten in den Verhandlungen der Deutschen Röntgen-Gesellschaft
1909 und lauten folgendermaßen:
412 Albers-Schönberg,
Durch dıe Röntgenbestrahlung wird erreicht:
1. Die Erzielung der Cessatio mensium. Hierdurch wird erstrebt:
a) Die Verkleinerung von Myomen.
b) Die Herabsetzung oder Beseitigung der durch die Myome be-
dingten Blutungen, seien sie menstruell oder intermenstruell.
c) Die Beseitigung von Schmerzen infolge von Myomen.
d) Die Beseitigung von präklimakterischer Blutungen oder Schmerzen,
ohne daß Myome vorhanden sind.
e) Die Sterilisierung aus gynäkologischen Gründen.
2. Die Beseitigung von postklimakterischen Blutungen.
3. Linderung oder Heilung der von Myomen ohne Blutungen aus-
gehenden Beschwerden im postklimakterischen Alter.
4. Die Linderung von Menstrualbeschwerden in jedem Alter, wenn
möglich ohne Sterilisierung, wenn nicht möglich, mit Sterilisierung.
Im allgemeinen haben die vorstehenden Indikationen bis heute zu
Recht bestanden, in Einzelheiten sind sie indessen erweitert, zum Teil
auch eingeschränkt worden. Menge hat auf Grund seiner eigenen Er-
fahrungen und des in der Literatur niedergelegten Materials im Jahre
1912 neue Indikationen, speziell für das Gebiet der Myomtherapie auf-
gestellt. Die Wichtigkeit dieser Mengeschen Tliesen ist für die Röntgeno-
logie und die Gynäkologie so bedeutend, daß sie in folgenden auszugs-
weise wiedergegeben werden sollen.
Menge teilt die Myome in drei Gruppen:
1. Myome, die keine oder geringe Beschwerden machen und kein
rasches Wachstum aufweisen.
2. Myome, die ausgesprochene, aber erträgliche Beschwerden machen,
aber keine allgemeinen Gesundheitsschädigungen mit sich bringen.
3. Rasch wachsende Myome, die allgemeine Gesundheitsschädigungen
hervorbringen, zunehmende Anämie und Störungen im Kreislauf und den
Harnorganen.
Bei der Gruppe 2 hält Menge bei älteren Frauen über 40 Jahren,
Röntgenbehandlung indiziert.
Von Gruppe 8 werden alle über 40 Jalıre alten Kranken bestrahlt,
ausgenommen diejenigen, bei welchen beträchtlich werdende Raumbe-
.chränkungen im kleinen Becken auftreten. Ferner sind ausgeschlossen:
vereiterte, verjauchte, scheinbar maligne Tumoren, sowie submuköse,
polypöse Tumoren und Adenomyome.
Ausgeblutete Frauen mit Störungen im Zirkulationsapparat, Diabetes,
Nephritis, Schilddrüsenaffektionen, Herzerscheinungen hält Menge ganz
besonders für die Röntgentherapie geeignet.
Außor den vorstehend ausgeführten Indikationen, zu welchen noch
Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 413
ein Ratschlag von Matthaei 1911 bezüglich Behandlung des arterio-
sklerotischen Uterus mit Röntgenstrahlen kommt, sind zahlreiche Kontra-
indikationen im Laufe der Zeit aufgestellt worden, denen die Autoren
mehr oder weniger beistimmen.
Kontraindiziert sind: polypöse und gangränöse Myome, ferner solche,
die mit starker Schleimhautwucherung und Polypenbildung einhergehen,
sodann zystische, sarkomatöse und karzinomatöse Tumoren, sowie Myome,
bei denen Verdacht auf sarkomatöse (3—6 Proz.) Entartung und auf
karzinomatöse Degeneration (7,7 Proz.) besteht (Döderlein). Nach
Marek sollen alle Beschwerden machenden Myome operativ behandelt
werden. Prochownick und Klein behalten die submukösen Myome
der Operation vor. Gauß, Fränkel, Loose und andere bestrahlen
wjederum solche Tumoren. Fieberhafte Infektion, besonders in der
Schwangerschaft und im Wochenbett, sowie Stieltorsion geben nach
Straßmann, Laquerri&re und Delherm eine Kontraindikation ab.
Vereiterte, verjauchte Myome und Adenomyome, die während der Be-
handlung wachsen, sowie sehr große und rapide sich vergrößernde Tumoren
mit Kompressionserscheinungen der Blase und des Mastdarmes, schließen
Runge, Straßmann und Loose von der Röntgentherapie aus. Ge-
stielte Myome sind nach Bordier, sowie solche Knoten, die bereits von
der Scheide aus fühlbar sind, nach Straßmann operativ zu entfernen.
Eiterige Adnexerkrankungen geben nach Bordier, alte Adnexerkran-
kungen nach Haenisch eine Kontraindikation zur Myomtherapie ab.
Am weitesten wird die operative Behandlung zugunsten der Röntgen-
therapie von Krönig und Gauß eingeschränkt. — Die Operation ist nach
ihnen angezeigt:
1. Bei gestielten, aus der Cervix zum Teil ausgestoßenen Myomen.
2. Bei Verdacht auf gangränöse Myome.
8. Bei Myomen, die mit einem Schleimhautkarzinom kombiniert sind.
4. Bei Myomen, bei denen man wegen schnellen Wachstums, starker
metrorrhagischer Blutungen und erfolgloser Röntgenbehandlung eine
sarkomatöse Degeneration befürchten muß.
5. Bei Myomen, welche zu akuter Inkarzeration der Blase geführt
haben.
In allen anderen Füllen wird die Radiotherapie als das Verfalıren der
Wahl anzusehen sein.
Von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob schwer ausgeblutete
Frauen der Röntgentherapie unterzogen werden sollen oder nicht. Auf
Grund von zwei Todesfällen, die zwar nicht im direkten Zusammenhang
mit der Bestrahlung standen, stellte ich im Jahre 1909 den Satz auf:
Frauen, die an Myokarditis, Herzschwäche und schwerer Anämie leiden,
~y
Strahlentherapio Band III, Heft 2. 27
414 Albers-Schönberg,
sind deswegen nicht zu bestrahlen, weil sehr häufig die Blutungen bei
Beginn der Röntgentherapie sich steigern und dadurch lebensgefährlich
werden können. Dem ist in der Folge von verschiedenen Autoren vielfach
widersprochen, ja geradezu der Ratschlag gegeben worden, Frauen, die
an Anämie, Herz- und Nierenkrankheiten leiden, der Röntgentherapie
zuzuführen (Menge, Freund, Krönig, Gauß, Fraenkel, Loose,
Bumm, Eymer, Lorey und andere). Runge nimmt eine Mittelstellung
ein, indem er bei solchen Frauen die Bestrahlung als Ultimum refugium
betrachtete. H. E. Schmidt rät zur Vorsicht und Herzkontrolle. Er
beobachtet einen Todesfall durch Herzschwäche, der allerdings eben-
sowenig wie meine beiden Fälle der Röntgenbestrahlung zur Last fällt.
Döderlein zieht es vor, ausgeblutete Frauen zu operieren. Da seit den
von Spaeth, Schmidt und mir publizierten unglücklich verlaufenen
Fällen trotz der unzähligen Röntgenbestrahlungen keine weiteren Todes-
fälle bekannt geworden sind, so glaube ich jetzt, daß die veröffentlichten
Fälle nicht die genügende Beweiskraft haben, um derartig ausgeblutete
Frauen dauernd von der Röntgenbestrahlung zurückzuhalten. Ich rate
deswegen in Übereinstimmung mit den meisten Autoren vorsichtig zu
Werke zu gehen, die Kranken möglichst in der Klinik zur Zeit der Periode
im Bett zu halten und alle Vorkehrungen für eine Tamponade oder Ope-
ration zu treffen. Die Zukunft wird lehren, ob Blutungen und Herz-
schwäche zu den Indikationen oder Kontraindikationen zu zählen sind.
Von größter Bedeutung ist die Feststellung der Altersgrenze. Hier
sind die Autoren ziemlich einer Meinung. Als untere Grenze wird 39 Jahre
von Bordier, 40 von Laquerrière und Delherm, Eymer und Hae-
nisch, 80—35 von Dietlen und Runge angegeben. Es wurden nach
Runge amenorrhoisch von den Patientinnen im Alter von
31—35 Jahren 483 Prozent
36—40 j 31 5
41—45 5 50,
46—50 = 82 P
51—55 5 85T y
Nach meinen Erfahrungen eignen sich die Frauen Ende der 40er
Lebensjahre, und besonders solche, die älter sind, in erster Linie für die
Bestrahlung. Je näher das Individuum dem natürlichen Eintritt der
Klimax steht, um so schneller und sicherer wirken die Röntgenstrahlen.
Bei Jüngeren Individuen müssen wir die erforderliche Dosis wesentlich
erhöhen und sind auch dann nicht imstande, mit Sicherheit Rezidive zu
verhindern. Im übrigen ist das gelesentliche Auftreten von Rezidiven
nicht von Bedeutung, da man imstande ist, durch richtig geleitete Nach-
behandlung auch bei Jüngeren Frauen zu einem befriedigenden Resultat
Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 415
zu kommen. Wichtig ist die von Runge und Fießler geäußerte Be-
fürchtung, daß bei solchen Frauen, bei denen eventuell noch einmal eine
Gravidität zu erwarten wäre, eine Schädigung des Eies oder Entwicklungs-
anomalien eintreten könnten. Positive Tatsachen sind in dieser Richtung
meines Wissens bisher nicht publiziert worden.
Einwirkung der Strahlen auf die Myome.
(Schrumpfungen und Blutungen.)
Von größter Wichtigkeit ist die Beseitigung der durch die Myome
hervorgerufenen Druckbeschwerden und Blutungen. Auf letztere kommen
wir weiter unten zu sprechen. Zunächst soll mit wenig Worten auf die
Verkleinerung der Geschwülste eingegangen werden.
Anfangs wurde von Röntgenologen und Gynäkologen eine Schrum-
pfung der Myome infolge der Bestrahlung bestritten. Jetzt herrscht
völlige Übereinstimmung in dieser Frage, nachdem durch zahlreiche
Publikationen nicht allein eine Verkleinerung der Tumoren, sondern auch
ihr völliges Verschwinden einwandsfrei nachgewiesen worden ist. Deutsch
und Morton berichteten schon 1902 über Verkleinerungen. Ihnen schlie-
Ben sich unter zahlreichen anderen als erste Bordier, Foveau de Cour-
melles, Guilleminot, Laquerri&re und Delherm an. Auch Re-
ferent konnte seit 1908 Verkleinerungen einwandsfrei feststellen. 1910
veröffentlichte Gauß zehn Fälle, welche sich nach kurzer Zeit erheblich
verkleinert hatten. Im gleichen Sinne publizierten Faber, Krause,
Kaestle, Bardachzi, Matthaei, Prochownick, Spaeth, Kelen,
Zöllner und Zippel. Runge konstatierte absolut sichere Verkleine-
rungen in 25%. Immelmann dagegen sah Verkleinerungen nur selten.
Abel beobachtete nach großen Dosen Verkleinerungen und Auftreten
von Verwachsungen. Mit Recht weist Fraenkel auf die Debatte der
Wiener Medizinischen Gesellschaft hin, in welcher über die Verwachsungen
nach Bestrahlungen von Strumen berichtet wurde. Wenn die Beobach-
tungen von Abel stimmen, so hätten wir hier ein Analogon, welches,
wenn es sich um Operation vorbestrahlter Myome handelt, von großer
Bedeutung werden könnte. Ich habe in meinen Fällen rund 45% Ver-
kleinerungen nachgewiesen, ferner in 18% der Fälle ein vollständiges
oder nahezu vollständiges Verschwinden der Myome. Hierzu bemerke
ich, daß unter vollständigem Verschwinden nur solche Fälle zu verstehen
sind, bei welchen die kombinierte gynäkologische Nachuntersuchung
keine Reste der anfangs einwandsfrei festgestellten Myome mehr nachweist.
Ein Wachstum der Myome habe ich bei meinen geheilten Fällen
keinmal, dagegen bei den gebesserten einmal und bei den noch in Be-
21*
416 Albers-Schönberg,
handlung befindlichen zweimal beobachtet. Hierher gehört auch der
von H. E. Schmidt publizierte Fall, bei dem trotz günstiger Wirkung
der Röntgenstrahlen auf die Blutung, erhebliches Größenwachstum des
Myonıs zu konstatieren war. In diesem Fall steht indessen die Frage
noch offen, ob eine Kombination mit Sarkom oder Karzinom vorliegt.
Siegel konstatierte bei 36 bestrahlten Myomen 3/, Jahr nach der Behand-
lung, 20 mal vollkommenes Verschwinden, in den übrigen Fällen starke
Verkleinerung (zit. nach Gauß). Köhler berechnet die Verkleinerungen
auf 30%, Fraenkel sah Schrumpfung der Myome bei °/, seiner Fälle.
Die vorstehenden statistischen Daten dürften genügen, um die Ver-
kleinerung der Myome nach Röntgenbestrahlung als wissenschaftlich
sichergestellte Tatsache zu erklären. Das Schwinden der Myome findet
in den meisten Fällen sehr langsam statt. Den ersten Erfolg zeigen die
Patientinnen selbst an, indem sie mitteilen, daß das Gefühl von Schwere
und Vollheit im Leibe, sowie der Druck auf Blase, Mastdarm und Zwerch-
fell geringer wird. Der Grad der Verkleinerung ist je nach der Art und
dem Alter der Geschwülste wechselnd. Atembeschwerden sowie An-
schwellung der Füße beim Gehen nehmen häufig so sehr ab, daß die
Patientinnen von ihrem Leiden vollständig befreit werden. Die Figur
wird wieder schlanker, und nicht selten hört man die Angabe, daß die
Kleider enger gemacht werden müssen. Auch vor erreichter Amenorrhoe
beobachtete ich ein Kleinerwerden der Myome. Dieses bestätigen auch
Laquerriöre und Delherm, Loose, ferner Spaeth, Runge und
Haenisch. Die sich unter der Bestrahlung schnell verkleinernden
Myome zeigen manchmal besondere Neigung zu starker menstrueller
Blutung. Erst nachdem ein erheblicher Schwund des Tumors eingetreten
ist, werden die Menses schwächer, um schließlich ganz aufzuhören. Sehr
oft findet man nach langer Zeit, ein oder mehrere Jahre, bei Nachunter-
suchung geheilter Patientinnen, daß die Myome nachträglich erheblich
zurückgegangen sind. Bei manchen Frauen schwinden sie vollkommen,
bei anderen werden sie so klein, daß sie keine pathologischen Erschei-
nungen mehr hervorrufen. Starre und wenig bewegliche Uteri und Adnexe
werden oft wieder ausgiebig beweglich. Die Röntgenstrahlen zeigen in
diesen Fällen eine ausgesprochene Nachwirkung, die sich nicht nur
auf Monate, sondern auf Jahre hinaus erstreckt und zur Rückbildung
großer Tumoren führen kann. Manche Myome verkleinern sich nicht,
jedoch werden sie gelegentlich weicher. Eine Anzahl von Myomen ver-
kleinert sich auch bei intensiver Therapie nicht, trotzdem können die
Blutungen völlig aufhören und die Druckbeschwerden geringer werden
oder gar verschwinden.
Die Verkleinerung der Myome findet statt:
Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 417
1. auf dem Wege über die Ovarien, analog der Verkleinerung in der
Klimax oder nach chirurgischer Entfernung der Eierstöcke;
2. besteht eine direkte elektive Einwirkung auf die Tumorzelle.
Dieses ist anfangs vielfach bestritten worden, kann nunmehr aber als
sicher angenommen werden. 1910 stellte ich diese Tatsache bereits als
wahrscheinlich hin. In einigen meiner Fälle jenseits der Menopause
konnte ich eine Verkleinerung und ein Weicherwerden der Geschwülste
beobachten. Diese muß man bei der schon vor Jahren vollständig ein-
getretenen senilen Atrophie der Ovarien wohl mit Sicherheit als eine
direkte Wirkung auf die Myomzellen deuten. Bestätigt wurde die An-
sicht durch Gräfenberg und R. Meyer. Letzterer konnte bei ganz
kleinen, bindegewebearmen Myomen eine bedeutende Hypertrophie der
bindegewebigen, neben auffallendem Schwund der muskulären Elemente
nachweisen. Laquerriöre und Delherm 1912 nehmen unter besonderen
Bedingungen eine Einwirkung auf die Myome selbst an. Sie sind der
Ansicht, daß junge Myome besser reagieren als alte. Besonders Myome
mit reichem Gefäßnetz atrophieren analog den Angiomen. Auch nach
Runges Ansicht dürfte dieses Verhalten mit Recht als eine direkte Wir-
kung auf die Tumorzelle angesehen werden. Wetterer wies eine Ein-
wirkung auf die Myome durch Schwellung und Gefäßverschluß nach.
Eymer hat den Eindruck, daß besonders schnell wachsende Tumoren
einer raschen Rückbildung fähig sind. Nach ihm und anderen sind die
Zellen mit lebhafter Proliferation radio-sensibler als die ruhenden, eine
Beobachtung, die sich mit den röntgenologisch-biologischen Erfahrungen
deckt. Die Volumenabnahme bei noch bestehenden Blutungen ist nach
Eymer ein Beweis dafür, daß auch das Tumorgewebe direkt geschädigt
wird.
Wodurch die mangelhafte Rückbildung oder das Stationärbleiben der
Myome in ihren Größenverhältnissen bedingt ist, wissen wir zurzeit nicht.
In einzelnen Fällen konnte Eymer Kalkdurchsetzung der Geschwülste
nachweisen. Das refraktäre Verhalten ist in Vergleich zu stellen mit
dem Verhalten der Kankroide, die auch durchaus nicht in allen Fällen
auf die Röntgenbestrahlung reagieren.
Die Beseitigung der Blutungen.
Je nach der Art der Myome handelt es sich um metrorrhagische und
menorrhagische Blutungen. Beide sind durch die Röntgentherapie günstig
zu beeinflussen und zu heilen. Je nach dem Falle sucht man bei jüngeren
Individuen durch Beseitigung der Metrorrhagien einen normalen Men-
struationstyp herbeizuführen oder, was besonders bei älteren Frauen in
Betracht kommt, eine vollständige und dauernde Amenorrhoe zu erzielen.
418 Albers-Schönberg,
Schon Morton beobachtete 1902 die Umwandlung der Menorrhagien
in normale Perioden. Die Arbeiten von Laquerriöre, Guilleminot.
Bardachzi, Spaeth, Jaugeas und anderen bestätigen die Beob-
achtungen von Morton. Bereits 1907 veröffentlichte Foveau de Cour-
melles unter 58 Fällen 52 mit Erfolg erzielte Amenorrhoen. Im allge-
meinen bestätigen die Autoren in ihren Publikationen diese Ergebnisse.
Laquerriöre, Guilleminot und andere betonen, was auch Jetzt noch
maßgebend sein dürfte, daß bei jungen Frauen die Amenorrhoe schwerer
als bei älteren zu erreichen ist. Fraenkel sah die Menorrhagien schon
nach wenigen Bestrahlungen geringer werden. Aus der Beobachtung
meiner Fälle ergibt sich ebenfalls die größere Schwierigkeit, bei jugend-
lichen Individuen das Sistieren der Menses zu erreichen, dagegen lassen
sich die intermenstruellen Blutungen auch bei solchen Frauen gut beein-
flussen. In der Mehrzahl der Fälle beobachtet man nach der ersten und
zweiten Bestrahlungsserie eine beträchtliche Zunahme, bisweilen ein zu
frühes Eintreten der Periode. Die Patientinnen geben an, daß die Menses
ungewöhnlich stark und andauernder, bisweilen schmerzhafter, bisweilen
weniger schmerzhaft als gewöhnlich gewesen seien. Erst nach längerer
Bestrahlung nimmt die Intensität ab. Die Intervalle werden länger, die
einzelnen Perioden geringer und kürzer, so daß allmählich bei Schwinden
der intermenstruellen Blutungen eine normale Oligomenorrhoe eintritt.
Diese ist bisweilen dauernd, bisweilen, namentlich bei jüngeren Frauen,
nur vorübergehend. Es rezidivieren die alten Zustände, wenn nicht
energische Nachbehandlung, die dann allmählich zu vollem Erfolg führt,
einsetzt. Die Verstärkung der Periode im Beginn der Behandlung wird
von verschiedenen Autoren bestätigt. So z. B. schon 1904 von Foveau
de Courmelles, Laquerriöre und Guilleminot. Sie mahnen zur
Vorsicht bei Fällen von wesentlich verstärkter Blutung. Straßmann
sah außerordentlich starke Blutungen nach der ersten Bestrahlungsserie.
Goerl geht sehr langsam in der Behandlung vor, da er bei kräftig ein-
setzender Therapie eine vermehrte Menorrhagie befürchtet. Frank
Schultz und Schindler sahen keine Verstärkung der Blutungen beı
Beginn der Behandlung. Bisweilen beobachtet man eine Veränderung
des Menstrualblutes. Dieses wird nicht unter Schmerzen und Übelkeiten
in geronnenem, klumpigem Zustande, sondern unter geringen Beschwerden
dünnflüssig und hellrot abgesondert (Albers-Schönberg). In vielen
Fällen wird es genügen, bei erreichter Oligomenorrhoe, falls keine Druck-
symptome bestehen, die Behandlung als beendet zu betrachten. Beı
älteren Frauen dagegen ist die Erzielung einer völligen Amenorrlve
wünschenswert, dagegen nicht immer zu erreichen. So beschreibt Ey mer
einige Fälle, bei welchen irreguläre Blutungen nicht vollkommen ver-
Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 419
schwanden, wo sich vielmehr hin und wieder geringe Absonderungen
blutig-seröser Flüssigkeit einstellten. Es gibt auch zweifellos Menorrhagien,
welche der Röntgentherapie dauernd widerstehen, wie dieses unter anderen
von Haenisch, Wetterer und mir beschrieben worden ist. Es ist
ferner auf die Statistik von Runge hinzuweisen, der unter 96 Fällen
15,6% unbeeinflußbare Fälle hatte. Am leichtesten sind natürlich die
Patientinnen zu heilen, welche in oder unmittelbar vor dem Klimakte-
rium stehen. Bei ihnen bedarf es nur eines Anstoßes, um den natürlichen
Eintritt der Menopause zu beschleunigen und damit die definitive Besei-
tigung der Blutungen zu erreichen. Die physiologische Erklärung für die
geschilderte Beeinflussung der Blutungen präzisiert Flatau mit folgen-
den Worten: „Die Wirkung der Röntgenstrahlen ist ein Reiz im Sinne
der Schädlichkeit. Nach dem Gesetze Frank Schultz’ kennen wir
seine drei Stadien: 1. den Reiz der Zelle, 2. die Lähmung der Zelle, 3. den
Zelltod. Bei Berücksichtigung dieser Tatsachen ist denn auch das Ver-
halten der bestrahlten Frauen jederzeit erklärlich. Erklärlich sind die
initialen Metrorrhagien als Ausdruck des Reizes auf das Ovarium, die
nur periodischen Heilungen mit Rückfall, wenn bei nicht genügend langer
Dauer und mangelnder Strahlenquantität der Follikelapparat nur gelähmt
wird und endlich die dauernde Amenorrhoe als ganz natürliche Folge des
Eierstocktodes im Sinne der Funktion .. .“
Die Verstärkung der Blutungen im Anfang der Röntgenbehandlung
erklärt Gauß in Übereinstimmung mit dem Vorstehenden durch zu ge-
ringe Dosierung und empfiehlt Erhöhung der Strahlendosis.
Von größter Wichtigkeit ist die Bestimmung des Körpergewichtes
und des Hämoglobingehaltes. Übereinstimmend wird berichtet,
daß bei Abnahme der Blutungen die Gewichtsverhältnisse sich bessern
und der Hämoglobingehalt steigt. Ich beobachtete in einem Falle das
Heraufgehen des Hämoglobins von 80% auf 90%. Eymer sah bei fast
allen Patientinnen Zunahme des Körpergewichts und des Hämoglobin-
gehaltes, z. B. von 15 auf 55%, von 80 auf 50%, von 20 auf 45%. Man
sollte diese Hämoglobinbestimmungen in keinem Falle unterlassen, da
sie in diagnostischer und prognostischer Beziehung einen wertvollen
Fingerzeig geben. Frauen, deren Hämoglobingehalt andauernd unver-
ändert niedrig bleibt, erwecken den Verdacht, daß es sich nicht um ein
reines Myom, sondern um eine maligne Neubildung handeln könnte. Es
muß indessen hervorgehoben werden, daß auch bei völlig einwandsfreien
Myomen, die in ihrer Größe durch die Bestrahlung herabgesetzt sind, und
bei denen die Blutungen sowie die Beschwerden beseitigt wurden, trotzdem
ein niedriger Hämoglobingehalt waiter bestehen kann (Albers-Schön-
berg). Dieses trifft namentlich bei Frauen der ärmeren Bevölkerungs-
420 Albers-Schönberg,
klasse zu, die nicht imstande sind, während oder nach der Behandlung
für die allgemeine Kräftigung des Körpers das Nötige zu tun.
Ausfallserscheinungen.
Die Ausfallserscheinungen sind in den von mir beobachteten Fällen
stets milde gewesen, jedenfalls haben die Patientinnen keine nennens-
werten Klagen geführt. Hierin stimmen die meisten Autoren überein.
Reifferscheidt betont, daß die Ausfallserscheinungen, wenn langsam
vorgegangen wird, gering seien. Diesem pflichtet auch Wetterer bei.
Sippel, H. E. Schmidt, Kaestle, Kienböck, Pfahler, Haenisch,
Nemenow und andere konstatieren ebenfalls das milde Auftreten der Aus-
fallserscheinungen. Bordier vermutet, daß ihre Geringfügigkeit sich
dadurch erklärt, daß die Röntgenstrahlen keine völlige Insuffizienz der
Ovarien bedingen, daß vielmehr die Drüsenfunktion erhalten bleibt.
Menge sah im Gegensatz zu den eben erwähnten Autoren, häufig bei
Jüngeren Individuen schwere Ausfallserscheinungen, weshalb er die The-
rapie erst vom 40. Lebensjahre an für indiziert hält. Auch Jung und
Dietlen berichten von starken Ausfallserscheinungen bei jüngeren Pa-
tientinnen unter 40 Jahren. Goerl beschreibt unangenehme Ausfalls-
erscheinungen bei Anwendung höherer Dosen und Abkürzung der Behand-
lungszeit. Wir sehen also, daß die Beobachtungen über das mehr oder
weniger heftige Auftreten verschieden sind. Es scheint aber bei Betrach-
tung der ganzen vorliegenden Literatur doch überwiegend die Auffassung
dahin zu neigen, daß die Röntgenstrahlen bei nicht allzu forzierter Applı-
kation keine oder geringe Ausfallserscheinungen bedingen. Ich stimme
Reifferscheidt darin zu, daß die langsame Überführung in die Klimax
für die Patientinnen das beste sei. Das Auftreten von Wallungen, Herz-
klopfen, Transpiration usw. ist als günstiges Zeichen für einen erfolgreichen
Verlauf der Behandlung anzusehen.
Allgemeine Erscheinungen.
Die Röntgenbehandlung zeigt sich von wesentlicher Einwirkung auf
das Allgemeinbefinden der Patiertinnen. Ganz besonders günstig wird
etwa bestehender Fluor beeinflußt. Ich konnte im Jahre 1909 mitteilen,
daß, falls es sich nicht um Ausflüsse infektiöser Natur handelt, diese im
Laufe der Bestrahlung vollständig verschwinden. Das gleiche beobachtete
Fraenkel, der in 14 Fällen Fluor albus ausheilen sah. Ihm stimmt
Krause, Eymer, Haenisch bei. Runge beobachtete im Anfang der
Behandlung zunächst Verstärkung, dann völliges Verschwinden des Fluor.
Die Herztätigkeit wird nach den meisten Mitteilungen günstig gestaltet.
Ob sich das sogenannte Myomherz wirklich bessert, ist noch nicht mit
Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 421
Sicherheit zu entscheiden, Krause bestreitet dieses entschieden. Kelen
sah Herzklopfen und Ödeme verschwinden, Eymer und andere beob-
achteten deutliche Besserung der Herzbeschwerden. Daß sich der Hämo-
globingehalt wesentlich hebt, ist bereits besprochen worden. Hiermit
geht Hand in Hand die Besserung der Gesichtsfarbe, sowie auch die all-
gemeine Veränderung des Gesamthabitus, worauf H. E. Schmidt hin-
weist. Krause beobachtete günstige Beeinflussung von Asthmaanfällen,
Kelen Beseitigung von Atemnot. Haenisch konnte nervöse Beschwer-
den, physische Depressionen und allgemeine Unlustgefühle verschwinden
sehen. Auch auf den Darm wird in vielen Fällen erfolgreich eingewirkt.
Ich sah hartnäckige Obstipationen vorübergehen, was auch von anderer
Seite (Haenisch) bestätigt wird, desgleichen bessert sich etwa vorhan-
denes Erbrechen und Übelkeit. Von lokalen Veränderungen wäre noch
auf die von Kelen beschriebene senile Verengerung der Vagina hinzu-
weisen. Als unangenehme Nebenwirkung ist der von H. E. Schmidt
beobachtete sogenannte ‚„Röntgenrausch“ zu erwähnen, ein Zustand,
der bisweilen auftritt und sich durch Müdigkeit und eine gewisse Benom-
menheit kennzeichnet. Auf ihn folgt dann bisweilen der von Gauß zuerst
beschriebene „Röntgenkater‘‘, in welchem die Frauen sich mehr oder
weniger elend fühlen, über Kopfschmerzen und Übelkeit klagen. Nach
Hans Meyer beruht diese Affektion auf einer etwa 24 Stunden anhalten-
den Leukozytose, die nach etwa 400 X pro Sitzung auftritt. Beim Über-
schreiten dieser Dosis, d. h. beim Überspringen der sog. Reizdosis und
Applikation der Lähmungsdosis tritt der „Röntgenkater‘ nicht auf.
In der von Gauß beschriebenen Form wurde diese Erscheinung nicht
von allen Autoren konstatiert. Dietlen sah weder Röntgenrausch,
noch Röntgenkater, dagegen leichte vasomotorische Erscheinungen im
Anschluß an die erste Bestrahlung. Verschiedene Autoren, wie Fraenkel,
Albers-Schönberg, Immelmann, Kaestle, Haenisch haben ge-
legentlich vorübergehende Müdigkeit, Kopfschmerz, eventuell auch Übel-
keit und Schwindel, ohne dieses indessen mit Sicherheit auf die Bestreh-
lung zurückführen zu können, beobachtet. Jedenfalls war die Intensität
nicht groß genug, um die Affektion als gleichbedeutend mit dem Gauß-
schen ‚Röntgenkater‘“ betrachten zu können. Immelmann stellte
gelegentliches Auftreten von Diarrhoen fest. Wetterer sah ebenfalls
in einzelnen Fällen Diarrhoen und Erbrechen. Fraenkel konstatierte
zweimal das Eintstehen einer Zystitis nach kräftiger Bestrahlung.
Schädigungen.
Von größter Bedeutung ist das Verhalten der Haut. Hier spielen
sich in erster Linie die sichtbaren Schädigungen ab, die unter Umständen
422 Albers-Schönberg,
zu schwerer Belästigung der Kranken und unangenehmen Folgen für die
Ärzte führen können. Im Anfang der Röntgentiefentherapie gynäkolo-
gischer Leiden sind Fälle von Hautverbrennungen häufiger vorgekommen;
in der letzten Zeit dagegen hat die Entwicklung der Technik, sowie die
Vorsicht der behandelnden Ärzte Wandel geschaffen, so daß wir nur
selten von Verbrennung hören. Unter meinen Fällen habe ich eine eigent-
liche Verbrennung nicht erlebt. Vorübergehende Rötung, ein kräftige:
Erythem, eventuell Haarfollikelschwellung und Reizung, welche abblaßten
ohne in eine Verbennung überzugehen, zeigten sich gelegentlich. Einmal
bemerkte ich ein schnell heilendes Wundwerden des Nabels bei einer
Patientin, deren Haut sehr empfindlich war. Oft trat in den Fällen,
welche eine Rötung gezeigt hatten, im späteren Verlauf eine mehr oder
weniger intensive Bräunung ein, welche bisweilen, manchmal erst nach
Monaten oder Jahren, Teleangieektasien zeigte. Dietlen sah unter
8 Fällen nur einmal eine Dermatitis. Haenisch konstatierte unter 40
Fällen 18 mal objektive oder subjektive Veränderungen, 4 mal deutliche
Reaktionen, zweimal nässende Dermatitis mit konsekutiven Teleangie-
ektasien nach Jahresfrist. Die Hautschädigungen sind jedenfalls in erster
Linie durch eine vorsichtige Technik zu vermeiden. Seitdem ich als
Filter Leder und Aluminium kombiniert benutze, ist mir keine Rötung
der Haut mehr zu Gesicht gekommen (vgl. Nachtrag).
Leider hat die neuaufstrebende gynäkologische Tiefentherapie einen
erheblichen Schlag erlitten, als im Jahre 1912 Desplats, d’Halluin,
Speder, Bordier und dann Iselin Spätschädigungen ohne vorher-
gehende Reizerscheinungen der Haut publizierten. Diese Schädigungen
bestehen in gangränösen Geschwüren, welche ohne vorhergegangene Der-
matitis, nach 6 bis 10 Monaten auftreten. Sie beruhen nach Speder auf
Intimaläsionen der Gefäße. Bis jetzt sind außer den von genannten
Autoren publizierten Fällen ähnliche Vorkommnisse in der Röntgen-
literatur nicht niedergelegt worden. Allerdings ist zu bedenken, daß die
Zeit, seit welcher mit hohen Dosen gearbeitet wird, noch nicht lang genug
ist, um schon jetzt in dieser Beziehung zu einem bestimmten, sei es be-
stätigenden oder ablelınenden Resultat kommen zu können. Von außer-
ordentlicher Wichtigkeit sind ferner die Veröffentlichungen von Regaud,
Nogierund Lacassagne vom Oktober 1912, die einwandfrei an Hunden
nachwiesen, daß durch intensive Röntgenbestrahlung die Magen- und
Dünndarmschleimhaut in Mitleidenschaft gezogen werden. Im Jejunum
wurde beträchtliche Atrophie der Zotten und Lieberkühnschen Drüsen,
sowie Schädigungen der lymphoiden Elemente der Schleimhaut fest-
gestellt. Das Epithel der Zotten war aufgelockert und vom Stroma dureh
ein fibrinöses Exsudat getrennt. Ferner fand sich Schwund des Epithels
Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 423
und Verdichtung des Stroma. Nach hohen Dosen konnte innerhalb
einiger Tage das restlose Verschwinden der Drüsen festgestellt werden.
Diese Tierversuche mahnen zu großer Vorsicht, denn nach allem, was
wir wissen, ist die Wirkung der Röntgenstrahlen auf den tierischen und
menschlichen Organismus völlig die gleiche. Bestätigungen dieser Be-
funde bei Frauen, welche der gynäkologischen Tiefentherapie unterzogen
worden sind, liegen bis jetzt nicht vor. Es sei ferner, worauf v. Jacksch
wohl als erster hingewiesen hat, an die Möglichkeit erinnert, daß durch
Röntgentiefenbestrahlungen die blutbildenden Organe schwer in Mit-
leidenschaft gezogen werden können. Hierfür spricht auch die im Anfang
der Bestrahlung beobachtete vorübergehende Leukozytose, auf welche
der Gaußsche Röntgenkater nach H. Meyer zurückzubeziehen ist.
Es ergibt sich aus den zitierten Arbeiten, sowie aus der Wahrscheinlich-
keit, daß die Röntgenstrahlen Schädigungen der Gefäße und blutbildenden
Organe hervorrufen können, die ernste Mahnung, in dieser Richtung
eifrig weiter zu forschen und ganz besonders solche Frauen, welche
längere Zeit der Röntgentherapie unterzogen worden sind, Jahrelang
bezüglich ihrer Zirkulation und blutbildenden Organe in Beobachtung
zu behalten.
Von größter Bedeutung für den Erfolg der Therapie, sowie für das
Auftreten etwaiger Schädigungen ist natürlich die spezielle Technik, auf
welche der Korreferent zurückkommen wird. Ich möchte nur mit wenigen
Worten diesen Gegenstand streifen. Wie bekannt, bestehen zur Zeit
zwei Behandlungsprinzipien, das ältere, die sogenannte „Hamburger
Richtung‘, nach welchem nur so viele Strahlen appliziert werden als
unbedingt zum Erfolg nötig sind, ohne Rücksicht auf die Dauer der Be-
handlung, und das neuere Verfahren, die „Freiburger Richtung‘, die mit
großen Dosen und schneller Applikation der Strahlen arbeitet und Er-
folge in kürzerer Zeit zu erreichen strebt. Zwischen diesen beiden Stand-
punkten gibt es viele Zwischenstufen, je nach der Ansicht und dem Tem-
perament der Therapeuten. Wenn ich auch die Berechtigung der Ab-
kürzung der Behandlungszeit durchaus anerkenne und meine Technik
ınit Vorsicht wie im Nachtrag gezeigt werden wird intensiver gestalte,
so stehe ich doch im großen und ganzen mit Reifferscheidt, und
vielen anderen auf dem Standpunkt, nicht mehr Strahlen zu applizieren,
als unbedingt erforderlich sind. Da ich 78% Heilungen zu verzeichnen
habe, so liegt für mich zunächst keine Veranlassung vor, wesentliche Än-
derungen meiner speziellen Technik vorzunehmen. Die von mir gegebene
Dosis hält sich im Mittel zwischen 60 X bis 100 X, nur in zwei Fällen
bin ich wesentlich höher, bis 276 und 390 X gegangen, die niedrigste
Dosis betrug 17 X.
424 Albers-Schönberg,
Heilungen und Dauerheilungen.
Die in der Literatur veröffentlichten Heilungen und Dauerheilungen
sind durchaus befriedigend und stehen in keiner Weise hinter dem Erfolg
anderer therapeutischen Maßnahmen zurück.
Als geheilt betrachte ich die Frauen, bei welchen vollständige Ame-
norrhoe und Beseitigung aller Nachteile und Beschwerden, welche durch
die Myome verursacht waren, erzielt worden sind. Ferner solche Fälle,
bei denen die Beseitigung der Blutungen und Beschwerden bei schon in
der Klimax befindlichen Frauen dauernd gelang. Schließlich die Wieder-
herstellung eines normalen Menstruationstyps oder Oligomenorrhoe, mit
Beseitigung sämtlicher Beschwerden. Diese Bedingungen sind in 383 von
meinen Fällen (rund 78%) erfüllt worden und zwar mit den besten Dauer-
resultaten. Meine ältesten Fälle sind 5 und 4 Jahre völlig gesund und
rezidivfrei; hieran schließen sich die übrigen mit 81/,—1 Jahr, sowie die
Jüngsten, deren Heilung natürlich erst nach Monaten zählt, bei denen
man aber unter Berücksichtigung der Ausfallserscheinungen, des Hämo-
globingehaltes und des Allgemeinbefindens auf einen Dauererfolg rechnen
kann. Ich erwähne sodann die Statistik von Runge, der von 96 Fällen
59,3%, Heilungen mit erzielter Amenorrhoe, 84,4%, günstige Beeinflus-
sungen und 15,6% unbeeinflußte Fälle hatte. Köhler erreichte in 50°,
Amenorrhoe und in 50% Oligomenorrhoe. Immelmann verzeichnet
50%, Heilungen, Graeßner 80%, Haenisch 85%, (34 Fälle), Pfahler
80%, Heilungen, 5% Besserungen, 15%, unbeeinflußt.
Um einen umfassenden Überblick über die bisher erzielten Resultate
der Myomtiefentherapie zu erhalten, können die von L. Mohr zusammen-
gestellten Tabellen dienen. Mohr hat sich der großen Mühe unterzogen,
so weit es möglich war, sämtliche bis zum 1. Januar 1913 in der Literatur
niedergelegten gynäkologischen Fälle, bei denen mit der Röntgentherapie
Versuche gemacht worden sind, zu sammeln und sie tabellarisch zu be-
arbeiten. Für mein Referat kommen nur die Myomtabellen in Betracht.
Was diese und die Tabellen der übrigen gynäkologischen Erkrankungen,
wie Metrorrhagien, maligne Tumoren, Tuberkulose usw. angeht, verweise
ich auf Bd. XX Nr. 2 der Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgen-
strahlen, wo das gesamte Material in übersichtlicher Weise veröffentlicht
worden ist.
Meine Herren, ich habe versucht, Ihnen nach Möglichkeit einen ob-
jektiven Bericht über unser augenblickliches Wissen auf dem allgemein
klinsichen Gebiet der gynäkologischen Tiefenbestrahlung der Myome sine
ira et studio zugeben. Es war selbstverständlich nicht möglich, alle Autoren,
die sich an der Ausgestaltung des neuen Verfahrens beteiligten, mit Namen
Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 425
aufzuführen. Das Verdienst der Herren, welche unerwähnt blieben, ist
darum nicht geringer als das der genannten Forscher.
Wenn ich das Vorgetragene noch einmal zusammenfassen darf, so
ergeben sich folgende Schlußthesen:
1. Die gynäkologische Tiefentherapie ist aus der Tatsache hervor-
gegangen, daß die Röntgenstrahlen eine ausgesprochen deletäre Einwir-
kung auf die männlichen und weiblichen Keimdrüsen haben.
2. Die Einwirkung auf die Myome ist in erster Linie eine ovarielle,
sodann findet mit Sicherheit in einem nennenswerten Prozentsatz eine
direkte Einwirkung auf die Tumorzelle, gekennzeichnet durch Ver-
kleinerung oder Verschwinden der Geschwulst, statt.
3. Die durch die Myome hervorgerufenen Beschwerden werden viel-
fach wesentlich gebessert oder ganz behoben. Die Blutungen werden in
normalen Menstruationstyp übergeführt. Oligomenorrhoe oder Ame-
norrhoe werden erreicht. Das Allgemeinbefinden bessert sich, die Aus-
fallserscheinungen sind meist gelinde.
4. Der Prozentsatz vollständiger Heilungen ist ein hoher. Dauer-
heilungen sind in geeigneten Fällen mit Sicherheit zu erzielen, eine Anzahl
von Myomen verhält sich refraktär.
5. Nicht alle Myome eignen sich für die Röntgenbestrahlung. In-
dikationen, die sich in weiteren und engeren Grenzen bewegen, sind auf-
gestellt worden und werden im allgemeinen anerkannt. Ein großer
Prozentsatz der Myome bleibt nach wie vor der Operation vorbehalten.
6. Die Gefahren für die Haut lassen sich durch eine geeignete Technik
auf ein Minimum beschränken. Ob Spätschädigungen zu befürchten
sind, muß die Zukunft lehren.
Nachtrag Oktober 1918.
Dio Weiterentwicklung der Hamburger Technik.
Da trotz verschiedener Publikationen meinerseits bei Erwähnung der
von mir angegebenen Myomtechnik noch immer das ursprünglich vorge-
schlagene Verfahren zitiert wird, will ich in kurzem die heute von mir
benutzte modernisierte, sogenannte „Hamburger Technik“ beschreiben.
Hierzu bemerke ich, daß einige der Gesichtspunkte, welche sich aus den
verdienstvollen Arbeiten und Versuchen der Freiburger Schule ergeben
haben, für meine Methode, wenn auch sehr modifiziert, von Einfluß ge-
wesen sind.
426 Albers-Schönberg,
Ich lehne nach wie vor bei Myomen und klimakterischen Blu-
tungen die Massendosierung durchaus ab, da sie m. E. überflüssig und
schädlich ist (Röntgenkater, Spätschädigungen). Mit einer gemäßigten
Therapie erreiche ich, wie mir die Erfahrung immer wieder von neuem
bestätigt hat, genau dasselbe, wie mit der Intensivtherapie. Ausgenommen
sind natürlich die wenigen Myomfälle, welche sich für die Röntgentherapie
überhaupt nicht eignen. Die von mir erreichten 78%, Heilungen beziehen
sich auf alle bisher behandelten Fälle.
Ich beobachtete vorübergehende Erytheme und mäßige Teleangiek-
tasien, aber niemals eine nennenswerte Hautschädigung. Ferner außer
sehr selten auftretenden Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit keinen
Röntgenkater und niemals Spätschädigungen. Meine ersten Fälle sind
jetzt über 5 Jahre in Beobachtung, also eine Zeit, die wohl ausreichen
dürfte, um das Auftreten von Spätschädigungen auszuschließen. Die
Kreuzfeuermethode habe ich in den ersten Jahren der gynäkologischen
Röntgentherapie häufig verwendet. Ich bestrahlte damals von oben
senkrecht durch die Bauchdecken und in schräger Linie von rechts nach
links und umgekehrt. Zur Zeit halte ich die mehrstellige Bestrahlung
bei Myomen und klimakterischen Blutungen für überflüssig, umso-
mehr, als die Treffsicherheit viel zu wünschen übrig läßt. Dagegen be-
nutze ich jetzt mehr als früher, in Fällen, welche einer stärkeren Be-
strahlung bedürfen, sei es, daß die Zeit für die Behandlung mangelt, sei
es, daß eine schnelle Beseitigung der Blutung erwünscht ist, die zwei-
stellige Bestrahlung senkrecht durch die Bauchdecken und senkrecht
durch das Kreuzbein. Der von mir in der Monatsschrift für Geburts-
hülfe und Gynäkologie Bd. 36, Heft 1 angegebene Universalapparat
wird neuerdings so hergestellt, daß die Bestrahlung von oben und unten
gleichzeitig mit 2 Röhren, die unabhängig von einander betrieben
werden, möglich ist. Als Stromquelle kommen nach wie vor Induk-
toren mit variabler Selbstinduktion und Wehneltunterbecher in Betracht,
nebenbei benutze ich ein dem von Gauß empfohlenen ähnliches Instru-
mentarium, welches aus einem 50 cm Induktor ohne Luftkühlung, dem
Ropiquetschen Gasunterbrecher und einem Rhythmeur besteht. Der
Rhythmeur, welcher bei der Intensivbehlandlung der Karzinome gute
Dienste leistet, kommt bei der Myomtherapie nicht zur Verwendung, da
die Tiefentherapieröhren moderner Konstruktion die Beanspruchung mit
höheren Stromstärken auch ohne Rhythmeur dauernd aushalten. Es ıst
nicht in Abrede zu stellen, daß die Anwendung des Rhythmeurs Röhren-
material spart. Wo es auf möglichste Ausnutzung der Zeit nicht an-
kommt, kann man daher im Interesse des Budgets auch bei Myomen sehr
wohl den Rhythmeur gebrauchen. Der Gasunterbrecher hat sich für die
Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 497
Zwecke der Tiefentherapie außerordentlich bewährt.!) Er arbeitet ruhig
und gleichmäßig und gestattet bei geringem primären Stromverbrauch
eine sehr erhebliche Belastung der Röhre. Wie allen mechanischen Unter-
brechern haftet ihm der Nachteil an, daß er je nach seiner Benutzung,
häufiger einer Reparatur und Reinigung bedarf. Es scheidet sich im Innern
Kohle ab, die das exakte Arbeiten schädigt.
Als Filter benutze ich jetzt 2 mm Aluminium, welches 3 cm unter
der Röhre und nicht dicht über der Haut des Patienten angebracht ist.
Letztere Art ist weniger vorteilhaft, da die Sekundärstrahlen infolge der
Nähe der Haut zu fürchten sind. Aus Vorsicht lege ich stets ein Stück
Leder unter die Blende. Filter, welche eine größere Dicke als 2 mm haben,
halte ich nicht für nötig, da der Gewinn an Halbwertschicht nicht im Ver-
hältnis zum Energieverlust steht. Zur Abhaltung aller die Haut schädi-
genden Strahlen genügt bei dem von mir benutzten Fokushautabstand
2 mm durchaus. Ich habe noch niemals eine Rötung der Haut unter der
beschriebenen Aluminiumfiltrage auftreten sehen. Den Fokushautab-
stand habe ich durch Verkürzung des Kompressionszylinders um 10 cm
auf 28 cm gebracht, im Gegensatz zu 38 cm der älteren Methode. Die
Gesamtoberflächendosis, welche in einer Myom- oder Hämorrhagiekur
zur Anwendung kommt, variiert je nach dem Fall zwischen 17 und 390 X
(Kienböck). Sie entspricht also genau derselben Dosis, welche ich auch
früher empfohlen habe und welche vollständig ausreichend ist, um in allen
geeigneten Fällen, richtige Technik vorausgesetzt, den Erfolg zu garan-
tieren. Selbstverständlich erreiche ich diese Dosis jetzt wesentlich schneller
als früher, da die Anwendung des Aluminiumfilters pro Einzelbestrahlung
die Applikation von 4—5 X gestattet. In einer Serie von 4 Bestrahlungen
appliziere ich im Mittel 16—20 X, also mehr als das Doppelte der alten
Methode. Als Schemata für die Tiefenbestrahlung empfehle ich zwei
Verfahren:
1. Ein langsames für Patientinnen. welche Zeit haben und beı
denen die klinischen Symptome keine übermäßige Eile verlangen,
2. ein schnelles für Fälle, die in beschleunigtem Tempo behandelt
werden müssen:
Induktor, Wasserkühlröhre oder Gundelachsche Tiefentherapieröhre
mit stumpfem Brennpunkt. Walter 8, Wehnelt 10, Bauer 9 bis 10,
parallele Funkenstrecke 38 cm, Halbwertschicht 2 bis 2,5 em, Röhren-
belastung 2—3 M.A., Fokushautabstand 28 cm, Oberflächendosis unter
2 mm Aluminiumfilter und Lederfilter pro Serie von 4 je 8 Minuten
dauernden Einzelbestrahlungen à 4—5 X ca. 16—20 X.
1) Cf. Janus. Instrumente für Tiefentherapie usw., Fortschritte a. d. G. d.
Röntgenstrahlen. Bd. XXI, Heft 2 und Heber, Der Betrieb von Röntgenröhren
mit dem Gasunterbrecher. Strahlentherapie Bd, III, Heft 2.
428 Albers-Schönberg, Referat über die gynäk. Tiefentherapie.
1. Langsames Verfahren.
An 4 aufeinanderfolgenden Tagen je 8 Minuten Bestrahlung, hierauf
14 Tage Pause. An 4 aufeinanderfolgenden Tagen je 8 Minuten Be
strahlungen, 14 Tage Pause und so fort.
2. Beschleunigtes Verfahren.
Benutzung des vorerwähnten gynäkologischen Spezialinstrumentar:-
ums für Bestrahlung von oben und unten. Bei Bestrahlung durch das
Abdomen und das Kreuzbein, entweder hintereinander oder gleichzeitig
an 4 aufeinanderfolgenden Tagen je 8 Minuten durch das Abdomen und
je 8 Minuten durch das Kreuzbein. Hierauf 14 Tage Pause, dann in der
gleichen Weise fortfahrend bis zum Erfolg.
Aus der Universitätsfrauenklinik Freiburg i. Br.
Die Strahlentherapie in der Gynäkologie.:)
Von
Geh. Hofrat Professor Dr. B. Krönig.
ach den lichtvollen Darstellungen von Foveau de Üourmelles und
Albers-Schönberg kann ich mich betreffs der Röntgentiefen-
therapie in der Gynäkologie relativ kurz fassen.
Wie bei allen Errungenschaften in der Naturwissenschaft und in der
Medizin haben wir auch bei der Röntgen- und Radiumbehandlung nichts
Sprunghaftes; jeder Fortschritt wird vielmehr nur schrittweise unter Aus-
nützung der Erfahrungen der Vorgänger errungen. Dennoch heften sich
gewisse Abschnitte in der Entwicklung mit Recht an bestimmte Normen,
und mit Recht werden in der Röntgenbehandlung der Myome die Namen
Foveau de Courmelles und Albers-Schönberg in erster Linie genannt
werden müssen.
Soeben hat Albers-Schönberg seine Technik und seine Indikations-
stellung bei der Röntgenbehandlung gutartiger Geschwülste geschildert.
Die Technik, die Albers-Schönberg in seinen anfänglichen Fällen
angibt, haben auch wir zunächst befolgt, wie ja Albers-Schönberg
für uns Deutsche entschieden als Lehrmeister der Röntgenbehandlung in
der Gynäkologie anzusehen ist. Wenn die Freiburger Klinik entsprechend
den Untersuchungen von Gauß und Lembcke in vielen Punkten die
Hamburger Technik variierte, so geschah es deshalb, weil uns die damaligen
Erfolge nicht ganz befriedigen konnten. Wir leugnen keineswegs, daß ein
großer Prozentsatz der von uns nach den Vorschriften Albers-Schönbergs
behandelten Myome und hämorrhagischen Metropathien zur Heilung gebracht
wurde, aber wir trafen doch auch auf eine verhältnismäßig große Zahl von
sogenannten refraktären Fällen, die uns die Freude an den sonstigen Er-
folgen trübte.
Das Bestreben, diese refraktären Fälle, worunter sich vornehmlich
Frauen befanden, die noch weit vom Klimakterium entfernt waren, eben-
!) Referat, gehalten auf dem XVII, Internationalen Medizinischen Kongreß in
London 1913.
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 25
430 Krönig,
falls mit Erfolg anzugreifen, gab uns Veranlassung, die Technik in manchen
Punkten zu modifizieren.
Es kann nicht Aufgabe meines Vortrages sein, ausführlich auf die
Technik einzugehen ; ich möchte nur kurz erwähnen, daß sie im Wesent-
lichen in der Kombination verschiedener Momente beruht: Nahabstand,
Filteranwendung und Häufung der Einfallspforten — alles Maßnahmen,
die den Zweck verfolgen, dem Organismus mit möglichster Schonung der
Haut große Mengen harter Strahlen einzuverleiben. Die Inkorporation
relativ hoher Dosen hat nun in der deutschen Literatur zum Teil nicht
bloß starke Bedenken, sondern intensivsten Widerspruch hervorgerufen.
Wir geben sofort zu, dal dieser Widerspruch anfangs einer gewissen Be-
rechtigung nicht entbehrte: denn wenn wir auch allmählich und langsam
tastend vom Tierversuch zu den Erfahrungen am Menschen übergingen,
so war natürlich die obere Grenze, die wir noch als unschädlich für das
normale Gewebe aussprachen, nicht leicht zu bestimmen. Erschwerend
kam noch hinzu die von einigen Seiten gemachte Beobachtung, daß
manchmal erst nach 1—2 Jahren eine Spätwirkung eintreten könne.
Nachdem wir jetzt über eine Reihe von Jahren unsere Fälle, soweit
wir ihrer habhaft werden konnten, nachuntersucht haben, glauben wir uns
zu der Annahme berechtigt, daß die von uns gegebenen Dosen von Rönt-
genlicht wenigstens im ausgewachsenen Körper keine nachhaltigen Schädi-
gungen anatomischer oder funktioneller Art bedingen. Wohl machen sich
gelegentlich, wenn auch selten vorübergehende funktionelle Störungen gel-
tend, so bei Bauchbestrahlungen vorübergehende Obstipation oder vorüber-
gehende Diarrhöen. Besonders erwähnenswert erscheinen uns die ana-
tomischen Untersuchungen von Aschoff, welche er bei Karzinomkranken,
die mit noch viel höheren Dosen als die Myomkranken behandelt wurden,
anstellte. Sie zeigten, dal abgesehen von gewissen Veränderungen an der
Leber, die vielleicht ganz unabhängig von den Röntgenintensivbestrahlungen
entstanden waren, bei der Obduktion sonst im Körper keine histologischen
Veränderungen an den Organen, die auf die Einwirkung der Röntgen-
strahlen zurückzuführen wären, erkannt werden konnten.
Halten wir den Standpunkt für berechtigt, daß eine 2—3jährige
Nachbeobachtungszeit genügt, um sich ein Urteil über die Wirkung der
sogenannten Intensivbestrahlung zu bilden, so erscheint uns heute der
Beweis erbracht, daß Dauerschädigungen der Organe in funktioneller und
anatomischer Hinsicht wohl zu den allergrößten Seltenheiten gehören.
Dieser Punkt müßte deswegen besonders erörtert werden, da mit dieser
Annahme die Anwendung der Intensivbestrahlung steht oder fällt. Wenn
wir aber eine derartige Spätschädigung nach menschlicher Berechnung
ausschalten können, so glauben wir sagen zu dürfen, daß bei Myomen
Die Strahlentherapie in der Gynäkologie. 431
und hämorrhagischen Metropathien die Art von Bestrahlung, wie sie von
Gauß und Lembcke geschildert ist, wohl beachtenswert erscheint. Die
Zahl der refraktären Fälle ist bei ihrer Behandlung noch immer fast
gleich Null, d. h. es ist uns bisher in fast jedem Falle, allerdings oft
nach längerer Geduldsprobe gelungen, Amenorrhoe und Kleinerwerden bzw.
Verschwinden des Tumors zu erreichen. Wir können heute nicht mehr
sagen in jedem Falle, da wir 3 Fälle haben, bei denen nicht völlige
Amenorrhoe erzielt ist, sondern ein Zustand eintrat, welcher uns auf das
Vorhandensein eines submukösen Tumors im Uteruskavum schließen läßt,
nämlich vorübergehender, ganz leichter Abgang von Blut, ohne daß die
Menses sich noch deutlich zeitlich ausdrückten. Auf jeden Fall haben
wir es bisher noch nicht notwendig gehabt, ein Myom, welches wir mit
Röntgenstrahlen angegriffen haben, nach Einführung der Intensivbestrahlung
wegen Fortdauer der Blutung zu operieren. Da die Zahl der so be-
handelten Fälle nun schon das dritte Hundert übersteigt, so glauben wir
nach dem Gesetz der groljen Zahlen sagen zu dürfen, daß die Röntgen-
behandlung in der Tat ein fast sicheres Verfahren zur operationslosen Be-
handlung der Myome darstellt.
Wenn es gelungen ist, die früher refraktären Fälle heute ebenfalls
erfolgreich anzugreifen, so scheint mir die Beantwortung der Frage, ob
Operation oder Stralilenbehandlung bei Myomen und hämorrhagischen
Metropathien angewandt werden sollte, einfach zu sein. Überall dort, wo
wir früher die Indikation zur Korpusamputation oder Totalexstirpation des
myomatösen oder metropathischen Uterus stellten, ist heute die Strahlen-
behandlung der Operation vorzuziehen. Alle die Einwände, welche man
früher zugunsten der Operation und zuungunsten der Röntgenbehandlung
ins Feld führte, wie starke Ausfallerscheinungen, Hautschädigungen und
anderes mehr, sind heute als widerlegt zu betrachten. Uns sind Haut-
schädigungen anfänglich nicht erspart geblieben, aber wir dürfen bestimmt
sagen, daß uns nach Ausbildung der Technik keine Hautschädigungen
mehr vorgekommen sind. Die Ausfallserscheinungen sind nach der Röntgen-
behandlung im Vergleich zu denen nach der Exstirpation des Uterus nicht
größer, sondern vielmehr geringer.
Für die Operation bleiben nach wie vor diejenigen Myome reserviert,
bei denen man früher die Indikation zur Myomenukleation stellte, das
sind vornehmlich die Fälle, bei denen man das Myom in Zusammenhang
zu bringen glaubt mit einer vorhandenen Sterilität, und wo man zum
Zweck der Erzielung der Fertilität die Myomenukleation ausführte; ferner
auch manche derjenigen Fälle, in denen bei jugendlichen Individuen ein
isoliertes, leicht ausschälbares submuköses Myom ausschließlich Drucksym-
ptome auf Nachbarorgane bedingt hat.
28*
432 Krönig,
Mit der Röntgenbehandlung der Myome und hämorrhagischen Metro-
pathien ist nun neuerdings ein anderes, auf Strahlenbehandlung beruhendes
Verfahren in Konkurrenz getreten, nämlich die Behandlung der Myome
und hämorrhagischen Metropathien mit Radium und Mesothorium. Die
weitgehende Analogie in der Wirkung radioaktiver Substanzen mit der
Wirkung der Röntgenstrahlen forderte ja notgedrungen zu derartigen ver-
gleichenden Untersuchungen heraus. Ohne Zweifel gebührt den Franzosen
das Verdienst, auf dem Gebiete der Radiotherapie bahnbrechend gewesen
zu sein. Ich erwähne nur die Namen Oudin und Verchère, Domi-
nici, Wickham, Dégrais und Chéron.
Wir haben an der Freiburger Frauenklinik bisher in 125 Fällen von
hämorrhagischen Metropathien und Myomen anstelle der Röntgenbehand-
lung die Mesothoriumbehandlung gesetzt. Wenn ich, soweit es möglich
ist, aus diesen Erfahrungen schlußfolgern darf, so möchte ich das Urteil
im Folgenden zusammenfassen: Die Mesothoriumbehandlung — über die
Radiumbehandlung sammeln wir erst neuerdings Erfahrungen — birgt
schließlich ebenso wie die Röntgenbehandlung gewisse Gefahren in sichı.
Bei Überdosierung und bei ungenügender Abfilterung der weichen Strahlung
(«- und ß-Strahlen) können zweifellos Hautschädigungen eintreten. Wir
erachten es daher für richtig, in Jedem Falle bei Anwendung radioaktiver
Substanzen die æ- und P-Strahlung durch entsprechende Filterung aus-
zustatten. Die Anwendung des strahlenden Präparats kann in der Weise
geschehen, daß die radioaktiven Substanzen für eine bestimmte Zeit auf
die Bauchdecken oder in die Scheide gelegt werden, oder daß die Meso-
thoriumkapsel intrauterin eingeführt wird. Bei letzterer Behandlung tritt
die erwünschte Amenorrhö wohl am schnellsten ein, doch hat die intrau-
terine Behandlung vielleicht eine Gefahr in sich, die wir in 2 Fällen er-
leben mußten: eine Verklebung des Zervikalkanals infolge örtlicher Reiz-
wirkung. Beide Fälle sind übrigens nach Durchstoßung eines feinen neu-
gebildeten Häutchens im Zervikalkanal vermittelst der Uterussonde schnell
zur Ausheilung gekommen.
Der Vorteil der Mesothoriumbehandlung vor der Röntgenbehandlung
scheint uns nun darin zu liegen, dal Ausfallerscheinungen allem Anschein
nach geringer auftreten als bei der Röntgenbehandlung. Fehlen tun sie
aber auch bei der Mesothoriumbehandlung nicht ganz. Es scheint uns
weiter, als ob die Röntgenbehandlung bei abdomineller Einwirkung den
Vorteil hätte, dal die größeren Tumoren schneller und intensiver verkleinert
würden als durch die Einwirkungen radioaktiver Substanzen. Während
wir weiter bei der Röntgenbehandlung schon über Dauerresultate verfügen,
die denkbar günstige zu nennen sind, müssen wir uns bei der Kürze der
bisherigen Beobachtungszeit betr. der Dauerresultate bei der Anwendung
é
Die Strahlentherapie in der Gynäkologie. 433
radioaktiver Substanzen bisher vorsichtig ausdrücken; immerhin haben wir
bisher noch keine Enttäuschungen erlebt.
Die durch Reifferscheidt, Bondi, Aschoff und andere Autoren
bewiesenen histologischen Veränderungen des Ovariums nach Einwirkung
des Röntgenlichts und radioaktiver Substanzen ließ es angezeigt erscheinen,
auch bei Geschwülsten des Ovarıums das Röntgenlicht und die radio-
aktiven Substanzen zur Einwirkung kommen zu lassen. Wir haben bei
größeren Adenokystomen in Fällen, in denen wegen Herzfehler oder Bron-
chitis eine Kontraindikation zu ihrer operativen Behandlung bestand, durch
Strahlenbehandlung Erfolge zu erzielen versucht. Wir müssen aber ge-
stehen, daß wir abgesehen von ganz kleinen zystischen Geschwülsten in
allen Fällen Mißerfolge zu verzeichnen haben; ja trotz Anwendung größter
Dosen sind z. B. Pseudomucincystome schnell weiter gewachsen.
Während wir bei der Behandlung gutartiger Geschwülste der Gebär-
mutter, der Myome, heute schon über Erfolge verfügen, die der Strahlen-
behandlung ein großes Gebiet sichern, stehen wir in der Behandlung bös-
artiger Geschwülste vermittelst strahlender Energie noch mitten in der
Diskussion. Dennoch wird Niemand leugnen wollen, daß auch hier schon
erfulgversprechende Resultate vorliegen. Wir dürfen es als erwiesen an-
schen, daß sowohl das Röntgenlicht als auch die radioaktiven Substanzen
eine spezifische Einwirkung auf Karzinom- und Sarkomzellen haben: wir
dürfen es auch als erwiesen ansehen, daß es vermittelst radioaktiver Sub-
stanzen und Röntgenlicht gelingt, ohne wesentliche Schädigung des benach-
barten gesunden Gewebes Karzinomzellen zu zerstören. Wir dürfen es
ferner als erwiesene Tatsache betrachten, dal Röntgenlicht und radioaktive
Substanzen bei entsprechender Fixierung in der Lage sind, nicht blob
oberflächlich liegende, sondern auch tiefer im Organismus gelegene
Karzinome spezifisch zu beeinflussen. Die von Perthes wohl zuerst be-
schriebenen destruktiven Veränderungen im Zellaufbau eines an der Ober-
tläche liegenden Karzinoms nach Einwirkung von Röntgenlicht und radio-
aktiven Substanzen, wird in ganz gleicher Weise auch bei tieferliegenden
Karzinomen beobachtet. Ich erwähne die von Aschoff beschriebenen
histologischen Veränderungen an einem durch die Bauchwand hindurch
bestrahlten Magenkarzinom. Daß natürlich ceteris paribus das in der Tiefe
liegende Karzinom schwerer zu beeinflussen ist, wie das an der Oberfläche
gelegene, ergibt sich ohne weiteres aus dem physikalischen Gesetz, daß die
Energie der strahlenden radioaktiven Substanz im Quadrat der Entfernung
abnimmt. Dieser Energieverlust kann bei tieferliegenden Tumoren oder
in den größeren Organen eingeschlossenen Karzinomen so groß sein, daß
die Einwirkung auf die Karzinonzelle nicht mehr nachweisbar ist. So ist
wohl zu erklären, daß z. B. umfangreiche Karzinome des Ovariums, karzi-
434 Krönig,
nomatöse Metastasen an inneren Organen sich, wie es scheint, der Ein-
wirkung des Röntgenlichts und der radioaktiven Substanzen völlig entziehen.
Je mehr das Karzinom der strahlenden Energiequelle genähert wird, um
so deutlicher tritt die spezifische Wirkung der strahlenden Energie auf die
Karzinomzelle hervor. Daher die so verblüffend wirkenden Einwirkungen
hoher Dosen von Mesothorium speziell bei Scheiden-, Vulva-, Zervix-,
Uterus- und Rekumkarzinomen. Von allen Seiten sind die Resultate be-
stätigt, daß bei entsprechender Filterung und Anwendung hoher Mengen
radioaktiver Substanzen in Verbindung mit gefilterten Röntgenstrahlen
Karzinome an den oben erwähnten Stellen oft so beeinflußt sind, daß alle
von ihnen ausgehenden Symptome, Jauchung und Blutung verschwinden.
daß z. B. an Stelle eines blumenkohlartigen Gewächses eine glatte Narbe
tritt, in der auch bei tiefer Inzision kein Karzinom histologisch mehr
nachweisbar ist. Daher die allseitig bestätigte Erfahrung, daß bei Korpus-
karzinomen durch Einführung einer entsprechend gefilterten Mesothonun-
kapsel das Karzinom soweit verschwinden kann, daß bei später nachfolgender
Kurettage kein Karzinom mehr zu finden ist. Alle diese Resultate können,
ähnlich wie nach operativer Entfernung des Karzinoms, Augenblickserfolge
sein; wir besitzen erst dann ein abschließendes Urteil über die Einwirkung
radioaktiver Substanzen und des Röntgenlichts auf tieferliegende Karzinone,
wenn wir eine längere Beobachtungszeit besitzen, die sich mindestens über
einen Zeitraum von 4—5 Jahren erstreckt. Wie diese Resultate ausfallen
werden, entzieht sich natürlich bei der Neuheit des Verfahrens noch unserer
Kenntnis. Denn wenn auch die Behandlung des Karzinoms mit Röntgen-
licht und radioaktiven Substanzen schon viele Jahre zurückreicht, so sind
doch Beobachtungen von Fällen, die mit der heute geforderten Tiefen-
bestrahlung bei Abblendung der weichen Strahlung längere Zeit behandelt
und genügend lange nachbeobachtet worden sind, so selten, daß wir aus
ihnen weitere Schlüsse noch nicht ziehen können.
Die an der Freiburger Klinik beobachteten Fälle liegen im längsten
Falle nur 1®/, Jahre zurück, erlauben also in der Hinsicht auch noch
keinen bindenden Schluß. Wenn sich die Freiburger Klinik trotzdem für
berechtigt hält, nach Aufklärung der Patienten oder ihrer Angehörigen.
die dem Tast- und Augensinne zugängliche Karzinome, die eventl. noclı
operabel sind, mit der Strahlenbehandlung anzugreifen, so wird sie hierzu
durch die Nachbeobachtung operativ behandelter Fälle geführt. Die geradezu
trostlosen Dauerresultate nach operativer Behandlung der Scheide-, Vulva-.
Zervix- und Mastdarmkarzinome zwingen uns m. E. dazu, endlich ein-
mal auf anderem als operativem Wege den Kranken zu helfen. Leisten
wir denn wirklich unseren Kranken einen Dienst, wenn wir bei einem
primären Scheidenkarzinom eine Resektion der Scheidenpartie, Resektion
Die Strahlentherapie in der Gynäkologie. 435
des Mastdarms mit Exstirpation des Uterus und der Ovarien ausführen,
um schließlich bei der Nachkontrolle nach 4 Jahren sehen zu müssen,
daß über 95%, dieser Fälle wieder rezidiviert sind? Die absoluten Hei-
lungsziffern nach Vulvakarzinomoperationen sind noch trauriger. Um eine
absolute Heilungsziffer von 20% bei Zervixkarzinomen zu erreichen,
müssen wir Operationen ausführen, die eine primäre Mortalität von
15—25% haben. Die Rektumkarzinome sind nicht nur trostlos hinsicht-
lich der Dauererfolge, sondern auch trostlos in funktioneller Beziehung.
Es soll nicht geleugnet werden, daß zirkuläre Mastdarmresektionen wegen
Karzinom hie und dann mit annehmbarer Kontinenz ausgeführt werden.
Im allgemeinen aber ist das Leben nach solchen Operationen eine trübe
Leidenszeit. Ich spreche hier nicht von Operationen, die ich ausgeführt
habe, sondern von operativen Resultaten, hervorragender Mastdarmope-
rateure, die ich später zu beobachten Gelegenheit hatte.
Wir verlieren also wirklich nicht viel, wenn wir versuchen, operable
Fälle zunächst einmal mit der Strahlenbehandlung anzugreifen. Wir
können heute nur die Hoffnung aussprechen, daß uns die Dauerresultate
nicht ebenso enttäuschen, wie die Dauerresultate nach operativen Ein-
griffen. Sollte dieses aber wirklich der Fall sein, was heute noch niemand
voraussehen kann, dann wird der Strahlenbehandlung in der Form der
Intensivbestrahlung als Nachbehandlung operierter Karzinome immer noch
ein weites Feld bleiben. Denn es scheint mir doch bis zu einem ge-
wissen Grade erwiesen zu sein, daß es hierdurch gelingt, prophylaktisch
weitgehendst einem Rezidiv vorzubeugen. Es mag, wie ich dieses Jahr
schon auf der Hallenser Gynäkologenversammlung erwähnte, Zufall sein,
daß von 20 Fällen von Karzinomen, darunter von Ovarialkarzinomen,
Zervix- und Rektumkarzinomen, die ich über längere Zeit hindurch mit
der Röntgenintensivbestrahlung und Mesothoriumapplikationen nachbe-
handelt habe, besonders günstige Resultate vorliegen. Bei den schlechten
Dauerresultaten, die ich sonst nach operativer Entfernung von Karzinom
des Genitalapparates erlebt habe, erscheint mir das Resultat so merk-
würdig, daß ich es auch an dieser Stelle wiedergeben möchte. Von den
21 Karzinomen, deren Nachbeobachtungszeit in 9 Fällen schon über
2 Jahre beträgt, hat sich ein Fall der Kontrolle entzogen; in allen anderen
20 Fällen ist bisher ein Dauerresultat zu konstatieren.
So fehlerhaft ein überschwenglicher Enthusiasmus in der Strahlen-
behandlung der Karzinome wäre, ebenso fehlerhaft wäre es, sich durch
jedes Fehlresultat entmutigen zu lassen. Es mag sein, daß manche Hoff-
nung in der Strahlenbehandlung des Krebses durch die Dauerresultate
schwer enttäuscht werde, es mag sein, daß mancher Kritiker, der heute
tatenlos der Strahlenbehandlung zusieht, mit seinem Pessimismus bei der
436 Krönig, Die Strahlentherapie in der Gynäkologie.
Karzinombehandlung in gewissem Sinne Recht behält. Nie und nimmer
gebührt ihm deswegen ein Verdienst. Ohne einen gewissen, der Kritik
natürlich nicht entbehrenden Optimismus ist noch kein Fortschritt in der
Wissenschaft und Technik erzielt worden. Der hämische Kritiker, der
sich nur an den Mißerfolgen freut, kann entbehrt werden, ohne daß des-
wegen unsere Wissenschaft eine Einbuße erleidet. Hätten sich in den
letzten 2 Jahren die Strahlentherapeuten durch die geradezu vernichtenden
Kritiken erster deutscher gynäkologischer Autoritäten in ihrer Schaffens-
freudigkeit einschüchtern lassen, wir besäßen heute nicht die in ihren
Resultaten so glänzende, und für die Kranken so segensreiche, operations-
lose Behandlung der Myome und hämorrhagischen Metropathien.
Radium und Uterus-Krebs.')
Von
Prof. Dr. E. Wertheim, Wien.
er heurige Gynäkologen-Kongreß in Halle hat mit den daselbst ge-
brachten Mitteilungen über die Heilwirkung von Mesothorium und
Radium beim Gebärmutterkrebs mächtige Hoffnungen erweckt. Der all-
gemeine Eindruck war der, daß eine neue Ära der Krebstherapie bevor-
stehe. Ich selbst zog damals unter diesem Eindrucke einen bereits zur
Publikation fertiggestellten Bericht über die Erfolge meiner Krebsoperationen
von der Drucklegung zurück.
Es ist begreiflich, daß man unter dem Einflusse der allgemeinen Er-
regung trachtete, sich möglichst rasch in den Besitz von Radium ‘und
Mesothorium zu setzen und es ist weiter verständlich, daß die vorhandenen
Mengen dieser Substanzen der enormen Nachfrage nicht genügen konnten.
In ungemein dankenswerter Weise hat unsere Regierung damals dem
Radiuminstitute des Allgemeinen Krankenhauses zu der bereits vorhandenen
Radiummenge ein noch größeres Quantum Radium zur Verfügung gestellt,
sodaß die Wiener Kliniker hierdurch in die Lage versetzt wurden, sofort
an die Nachprüfung der in Halle mitgeteilten Resultate zu schreiten.
Es ist eine auffallende Tatsache, daß sich damals in Halle nicht die
geringste Opposition geltend machte Der Einwand lag doch so nahe.
daß es sich bei den dort mitgeteilten Erfolgen nur um vorläufige Resultate.
nicht aber um Dauererfolge handeln könne, da ja die Zeit der Beol-
achtung noch eine viel zu kurze war. Ein Grund hierfür mag vielleicht
darin zu suchen sein, daß man zur Erzielung dieser Resultate eine neue
Art Radium- bzw. Mesothoriumtherapie in Anwendung gebracht hatte.
nämlich das Prinzip der großen Dosen bei gleichzeitiger starker Filterung.
ein Prinzip, welches man von der gynäkologischen Röntgentherapie her
übernommen und dort als in der Tat außerordentlich wirksam er-
probt hatte.
Als mir nun die Aufgabe zuteil wurde, für die Naturforscherversamm-
lung auf Grund eigener Untersuchungen ein Referat über die Wirkung des
Radiums auf den Gebärmutterkrebs anszuarbeiten, wählte ich außer
!) Nach einem auf der 85. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte
in Wien gehaltenen Vortrag.
438 Wertheim,
einer Reihe von weit vorgeschrittenen inoperablen Fällen auch eine Anzahl
von Fällen aus, die der Operation noch gut zugänglich schienen. Die
Wahl derartiger guter Fälle war ja der einzige Weg, der bei der Kürze
der Zeit — mehr wie zehn Wochen hatte ich nicht zur Verfügung — in
Anwendung kommen konnte. Denn nur wo die nachträgliche Exstirpation
des Organs vorgenommen werden konnte, war ein halbwegs verläßliches
Urteil über die Wirkung der Behandlung zu gewinnen und auch da mulj
man sich noch die Einwendung machen, daß die Behandlung eine relativ
kurze und rasche war und daß sich vielleicht bei längerer Fortsetzunz
derselben resp. bei längerem Zuwarten die Resultate günstiger gestaltet
hätten.
Bei der Wahl dieses Weges zur Feststellung der Wirkung der Radium-
bzw. Mesothoriumbehandlung muß man sich darüber im Klaren sein, dab
die genaue mikroskopische Durchforschung eines ganzen Uterus mit den
größten Schwierigkeiten verbunden ist und ich möchte gleich von vorn-
herein betonen, daß wir bei der Kürze der Zeit nicht in der Lage waren,
erschöpfende Serienschnittuntersuchungen vorzunehmen. Die klinische
Beobachtung dagegen muß, falls sie zu einwandfreien Resultaten führen
soll, durch Jahre fortgesetzt werden. Dies gilt auch dann, wenn man
dieselbe durch wiederholte Probeexzisionen stützt. Wenn auch die Probe-
exzisionen imstande sind, uns über den Effekt der Behandlung in vielen
Fällen Aufschluß zu geben, so darf man doch nicht vergessen, daß sie
ein erschöpfendes Urteil nicht gestatten, indem das exzidierte Stückchen
meist nur oberflächlichen Partien angehört, während die Vorgänge in der
Tiefe unaufgeklärt bleiben. Auch ist es uns wiederholt aufgefallen, daß
die Bilder der Probeexzisionen von einem und demselben Falle wechseln.
Wo schon beträchtliche Veränderungen der Karzinomstruktur mikroskopisch
zu konstatieren gewesen waren, kam es vor, daß die mehrere Tage später
vorgenommene Exzision nur sehr geringe Veränderungen aufwies. Soll
die histologische Untersuchung einen wirklichen Wert für die Beurteilung
des Hffektes der Behandlung haben, so ist eben nötig, das Organ als
ganzes derselben zuzuführen und das ist nur auf dem Wege der nach-
träglichen Operation zu erzielen.
Der gleiche Weg, nämlich die mikroskopische Durchforschung des
nach der Radium- bzw. Mesothoriumbehandlung exstirpierten Organs ist
auch schon von anderer Seite beim Gebärmutterkrebs angewendet worden.
Wickham und Degrais, Bumm, Krömer, Döderlein, Krönig
haben über solche Fälle berichtet; es sind ihrer 18. Wenn wir die dies-
bezüglichen Mitteilungen genauer prüfen, so ersehen wir, daß in 16 von
diesen 18 Fällen durch das Mikroskop noch Karzinomreste konstatiert
werden konnten. Allerdings waren diese Karzinomreste in einzelnen Fällen
Radium und Krebs in der Gynäkologie. 439
sehr klein und es erscheint die Hoffnung der Autoren berechtigt, daß es
ihnen bei weiterer Fortsetzung der Behandlung gelungen wäre, auch diese
Reste zum Schwinden zu bringen. Aber nur in zwei Fällen war histo-
logisch eine wirkliche Heilung zu konstatieren, und zwar war dieselbe
durch ausgedehnte Verschorfungen mit konsekutiver zum Tode führender
Verjauchung erkauft worden.
Ein Fall von Wickham (Tuffier), Lazarus Handbuch S. 434: sarkom. Polyp;
fixierter Uterus, nach zwei Monaten oberabel geworden. Im exstirpierten Uterus
wird durch das Mikroskop noch lebensfähiges Sarkom nachgewiesen.
Ein Fall von Wickham und Degrais (Tuffier) (Radiumtherapie S. 249): Ur-
sprünglich inoperables, durch die Behandlung operabel gewordenes Uteruskarzinom ;
im Collum uteri noch Karzinom vorhanden.
Ein Fall von Döderlein (Monatsschr. f. Geb. und Gyn. Bd. 37, H. 3): Der durch
kombinierte Röntgen- und Mesothoriumbehandlung operabel gewordene Fall wies im
Parametrium unveränderte Karzinomzellen auf.
Ein Fall von Bumm (Zentralbl f. Gyn. 1912, Nr. 47): Der von Haendly be-
strahlte Fall weist weit über die sklerosierte Zone hinaus noch Karzinomnester auf.
Ein Fall von Krönig (Münch. med. Wschr. 1913, Nr. 7 u. 8): Uteruskarzinom
wenig beeinflußt.
7 Fälle von Bumm (Deutsche med. Wschr. 1913, Nr. 22; Münch. med. Wschr.
1913, Nr. 31):
a) In 14 Tagen 3950 Milligrammstunden Mesothorium: In der Tiefe, stellen weise
auch nahe der Oberfläche und in einer 5cm entfernt liegenden Lymphdrüse
noch gut erhaltene Karzinomzellen.
b) In 3 Wochen 13,320 Milligrammstunden Mesothorium. Es finden sich im
primären Tumor kaum mehr gut erhaltene Karzinomzellen.
c) und d) Weit vorgeschrittene inoperable Fälle, bei. denen der Exitus erfolgte.
Weitgehende Verjauchung und Nekrose: In beiden Fällen Karzinom nicht
mehr vorhanden.
e) In 38 Tagen 582 Röntgen- und 11,420 Milligrammstunden Mesothorium:
Mikroskopisch winziger Herd zerfallender Zellen in der Uteruswand und
im Parametrium.
f) In 48 Tagen 738 Röntgen- und 14,660 Milligrammstunden Mesothorium:
Mikroskopisch in der Kollumwand zum Teil zerfallene, zum Teil wohlerhaltene
Karzinomzellen. Eine Lymphdrüse enthält reichlich gut erhaltenes Kar-
zinom.
g) In 38 Tagen 612 Röntgen- und 12,290 Milligrammstunden Mesothorium;:
Mikroskopisch im Orificium internum urethrae kleine Karzinomnester, zum
Teil geschädigt, zum Teil frischer aussehend.
6 Fälle von Krömer (Strahlentherapie Bd. 3, H. 1, S. 242): In keinem dieser
Fälle wurde mikroskopisch Heilung nachgewiesen. Krömer spricht zwar von zwei ge-
heilten Fällen, doch handelt es sich einmal um ein Vulvakarzinom und in dem anderen
Falle fehlt jede Angabe über eine mikroskopische Untersuchung.
Was nun unsere eigenen Erfahrungen betrifft, so liegen diesem Be-
richt 19 mit Radium behandelte und 3 mit Mesothorium behandelte Fälle
zugrunde. Von den 19 Radiumfällen waren 9 nach der klinischen Unter-
suchung zu urteilen als operabel zu betrachten. Ein Fall war ein soge-
440 Wertheim,
nannter Grenzfall und neunmal handelt es sich um zweifellose Inopera-
bilität. Von den 9 operablen Fällen konnten 2 der Operation nicht zu-
geführt werden, da infolge der Behandlung mit zu großen Dosen schwere
Verschorfungen auftraten. In dem einen Falle entwickelte sich trotz
starker Filterung eine rektovaginale Fistel, in dem anderen Falle entstand
eine Rektumstriktur. In 7 Fällen wurde also die erweiterte abdominale
Operation ausgeführt.
Fall 1 (Wo.): Großer Blumenkohl der hinteren Lippe, rechtes Parametriun ver-
kürzt und verdickt, linkes frei (1700 Milligrammstunden innerhalb 7 Tagen (Ra-
diummetall).
Klinischer Effekt: Kolossale Einschmelzung des Blumenkohls (Lumiere-
platte), Weichwerden des Parametriums. Operation sehr erschwert durch die beträcht-
liche Hyperämie. Exitus 3 Tage post operationem: Peritonitis.
Mikroskopischer Effekt: Wohlerhaltene Karzinomreste. (Skizze: Karzinom
vor und nach Behandlung.)
Fall 2 (Zu.): Plumpe, höckerige Portio vaginalis. linkes Parametrium
verdickt.
3000 Milligrammstunden innerhalb 14 Tagen.
Klinischer Effekt: Sehr geringe, nur oberflächliche Schorfbildung.
Mikroskopischer Effekt: Qualitativ kenntlich, quantitativ nicht (2 Mikro-
photographien).
Fall 3 (Wö.): Ganz kleine papilläre karzinomatöse Erosion der vorderen
Muttermundlippe. Parametrium vollkomnien frei.
2600 Milligrammstunden in kleinen Dosen.
Klinischer Effekt: Nach 7 Tagen Verschorfung des Ulkus.
Mikroskopischer Effekt: Kein Karzinom nachweisbar (Tetrander).
Fall 4 (Wo.): Großer, umschriebener Blumenkohl der hinteren Muttermunds-
lippe, rechtes Parametrium etwas infiltriert.
9000 Milligrammstunden in 9 Tagen (große Dosen).
Klinischer Effekt: Langsames Einschmelzen des Blumenkohls, Parametrien
beiderseits verkürzt. Allgemeinbefinden schwer alteriert, hochgradige Abmagerungz,
Tenesmen, blutig-schleimige Abgänge aus dem Mastdarm. Bei der Operation wurden
frische multiple Verwachsungen zwischen den Dünndarmschlingen und dem Corpus
uteri nachgewiesen. Das Sectum recto-vaginale erwies sich sulzig infiltriert, das ganze
Beckenbindegewebe verdichtet, die Ureteren schwer fixiert. Exitus post operationem
an Peritonitis.
Mikroskopischer Effekt: Kein Karzinom nachweisbar weder im Uterus noch
in den Parametrien (Tetrander und 2 Moulagen).
Fall5 (Spi.): Pilzartige, mächtig hypertrophierte Portio vaginalis, linkes Parı-
metrium verkürzt.
14500 Milligrammstunden (große Dosen, über 200 mg auf einmal).
Klinischer Effekt: Zentraler Schwund mit Kollabieren der Ränder (2 Mou-
lagen).
Mikroskopischer Effekt: Quantitativnull(Tetrander), qualitativ die typischen
Veränderungen, aber nur angedeutet. Die hypogastrischen Drüsen voll von Karzinon:ı.
Fall 6 (Ku.): Die linke Hälfte der Portio vaginalis und das linke Scheiden-
gewölbe eingenommen von einer seichten Krebswucherung, linkes Parametrium kürzer
und dicker.
Radium und Krebs in der Gynäkologie. 441
5000 Milligrammstunden (große Dosen).
Klinischer Effekt: Schwinden des Tumors, an seiner Stelle ein flacher Sub-
stanzverlust.
Mikroskopischer Effekt: Teils erhaltene, teils zerstörte Karzinomreste (eine
‚Skizze vom Sagittalschnitt und eine Skizze vom Querschnitt).
Fall 7 (Ko.): Kolossales Scheidenkarzinom, von der rechten Wand aus-
gehend und die ganze Scheide erfüllend. Rechtes Parakolpium infiltriert, der Tumor
daselbst kaum verschieblich.
5000 Milligrammstunden (große Dosen).
Klinischer Effekt: In vier Tagen Karzinom verschwunden, nur mehr ein
flaches Ulkus vorhanden und nach 11 Tagen das Ulkus um die Hälfte kleiner.
Mikroskopischer Effekt: Am sagittalen Medianschnitt nur Spuren von zer-
störten Karzinomzellen (Tetranderskizze) und ebenso an zwei Querschnitten durch die
rechte Hälfte nur zerstörte Karzinomzellen, die bis hart an das Parakolpium heran-
reichen (Skizze der zwei Querschnitte).
Was den einen Grenzfall betrifit, der zur Behandlung kam (Fall
Scha.), so wurden 27,000 Milligramm/Stunden angewendet. Der kli-
nische Effekt ist derart, daß das Karzinom selbst geschwunden zu sein
scheint: auch die mikroskopische Untersuchung eines probeexzidierten
Stückchens spricht dafür; indessen besteht ein stark jauchender Ausfluß
und es hat sich rings um den Uterus eine diffuse ödematöse Infiltration
entwickelt, die Rektalschleimhaut ist stark geschwollen, das Septum rekto-
vaginale ist verdickt und es besteht starke Prostration, so daß der-
zeit keine Möglichkeit vorhanden ist, mit Erfolg zu operieren.
Was die neun inoperablen Fälle betrifft, so haben wir dabei über
keine eklatanten Erfolge zu berichten. Von anderer Seite wurde zu
wiederholten Malen ein Schwinden von parametranen Infiltrationen, ein
Beweglichwerden des Uterus und damit einhergehend ein Operabelwerden
vorher inoperabler Fälle berichtet, auch Verkleinerung der Tumoren wurde
mehrfach mitgeteilt. Es besteht kein Zweifel, dal3 man derartige Erfolge
auch durch andere Behandlungsmethoden erzielen kann. Jede Behand-
lung eines Uteruskarzinoms, die zu einer Reinigung der exulzerierenden
und jauchenden Höhle führt, kann unter Umständen eine günstige Ein-
wirkung auf eventuell vorhandene parametrane Infiltrate ausüben, welche
ja sehr häufig nichts anderes sind als die Reaktion auf einen derartig
Jauchigen Prozeß. Auch narbige Zusammenziehung und damit einher-
gehende beträchtliche Verkleinerungen des Karzinomherdes kommen nach
der bloßen Exkochleation vor. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die
Wirkung des Radiums in derartigen Fällen auf nichts anderes zurückzu-
führen ist, als auf die reinigende Kraft, die das Radium auf jauchende
Karzinomhöhlen äußert. Ob es eine spezifische Wirkung besitzt, muß der-
zeit noch offen bleiben.
442 Wertheim,
Mesothorium.
Von mit Mesothorium behandelten Fällen stehen uns nur drei zur
Verfügung.
Fall 1 (Br.): Beginnendes, ganz flaches Karzinom unter dem Bilde einer
papillären Erosion.
12,875 Milligramstunden (2 Moulagen).
Klinischer Effekt: Portiooberfläche verschorft.
Mikroskopischer Effekt: Noch lebensfrische Karzinomgellen (3Photographien:
1. Karzinom vor der Bestrahlung, 2. Exzision nach der Bestrahlung, hochgradiger
Effekt, 3. Partie aus dem exstirpierten Uterus, lebensfrische Karzinomnester).
Fall 2 (Au.): Weit vorgeschrittener Fall mit starker Fixation.
2,000 Milligrammstunden.
Klinischer Effekt: Bedeutende Besserung, Parametrium weich geworden,
Fixation geschwunden. Fall jetzt leicht operabel. Letzte Probeexzision: Keine sicher
erkennbaren Karzinomzellen. Operation vorläufig verweigert.
Fall 3 (Be.): An der hinteren Lippe ein nußgroßer Tumor.
16,000 Milligrammstunden.
Klinischer Effekt: Tumor verschwunden, an seiner Stelle frischer Schorf.
Mikroskopischer Effekt: Im Tetranderschnitt von Karzinom nichts zu sehen,
aber im linken Querschnitt (Skizze) vorn und hinten zum Teil erhaltenes, zum Teil
zerstörtes Karzinomgewebe in geringer Menge.
Bei der zusammenfassenden Betrachtung der von uns erzielten Re-
sultate ergibt sich, daß eine Beeinflussung des Uteruskrebses in allen
Fällen zu konstatieren war, und zwar sowohl klinisch und makroskopisch
wie mikroskopisch. Makroskopisch war in einigen Fällen eine verschieden
rasch zustande gekommene Einschmelzung eines vorhandenen Tumors zu
beobachten, in anderen Fällen nur Schorfbildung und in solchen Fällen,
wo es sich um exulzerierende Karzinomhöhlen handelte, war meist eine
Reinigung und eine Verkleinerung derselben unverkennbar. Mikroskopisch
konnten die sattsam bekannten und genügend oft beschriebenen Verän-
derungen festgestellt werden: Verklumpung der Kerne, Pyknose, Auf-
lösung der Zellstruktur.
Eine Beeinflussung bis zum vollständigen Schwinden des Tumors resp.
bis zur Heilung ergab sich nur in den Fällen, in denen es sich um ober-
flächliche bzw. exophytische Karzinome handelte, und wir haben vorläufig
den Eindruck, daß wir in den Fällen, in denen wir durch die Radium-
bzw. Mesothoriumbehandlung das Karzinom zum Schwunde gebracht haben,
durch relativ geringfügige Eingriffe, wie Exkochleation und Paquelinisation
oder Amputation der Portio vaginalis dasselbe erzielt hätten. Damit soll
nicht gesagt sein, daß die Radium- bzw. Mesothoriumbehandlung nicht
vielleicht doch gewisse Vorzüge bei der Behandlung derartiger Fälle auf-
zuweisen hat.
Eine Tiefenwirkung ist gewiß in den meisten Fällen vorhanden, aber
zweifellos schwer zu berechnen und, wie es scheint, meist unzulänglich.
Radium und Krebs in der Gynäkologie. 443
In weit vorgeschrittenen Fällen reicht ja die karzinomatöse Infiltration
oder Zerstörung oft hoch in den Uterus hinauf, andererseits kann der
parametrane Zellgewebsraum von der Karzinomwucherung schon erfüllt
sein. Nach unseren bisherigen Erfahrungen scheint in derartigen Fällen
ein vollkommenes Verschwinden des Karzinoms durch die Radium- bzw.
Mesothoriumbehandlung sehr unwahrscheinlich zu sein. Daß das Kar-
zinom in den regionären Lymphdrüsen zum Schwinden gebracht werden
könnte, ist bisher von niemand behauptet worden. Eine gewisse Ein-
wirkung auf dasselbe erscheint nach unseren Erfahrungen allerdings nicht
ausgeschlossen.
Haben wir somit bei den bisher von uns behandelten Fällen eine ge-
nügende Tiefenwirhung nicht konstatieren können, so sind andererseits in
einer Reihe von Fällen beträchtliche Schädigungen aufgetreten, Schädi-
gungen, die einerseits den (Gresamtorganismus betreffen, andererseits mehr
lokaler Natur sind. Erstere äußern sich in allgemeiner Hinfälligkeit,
Abmagerung, Herzschwäche, Kopfschmerzen, Diarrhoen, Temperatur-
steigerungen, Aufregungszuständen, Schlaflosigkeit; letztere bestehen haupt-
sächlich in Verschorfung und Nekrotisierung der Gewebe, die sich leider
nicht immer auf den primären Herd beschränken ließen, in Infiltration
des gesamten Beckenbindegewebes, sulziger Verdickung des Peritoneums,
Entzündung des untersten Dickdarms (Tenesmus), Erschwerung der
Blasenfunktion, mehr weniger heftigen Schmerzen.
Zweifellos lassen sich diese Schädigungen bei entsprechender Technik,
speziell bei entsprechender Filterung stark reduzieren. Bei großen Dosen
ist aber manchmal auch starke Filterung nicht imstande, diese Schäden
vollkommen hintanzuhalten. Wir haben den bestimmten Eindruck, daß
die Radikaloperation nach der Radium- bzw. Mesothoriumbehandlung nicht
unerheblich erschwert sein kann und daß sie eine größere Mortalität auf-
weisen wird. Das Operieren gestaltet sich infolge der starken Infiltration,
der Hyperämisierung und der Sklerosierung des gesamten Beckenbinde-
gewebes beträchtlich ungünstiger und auch die Alterationen des Allgemein-
befindens trüben die Prognose der Operation nicht unwesentlich. _
Selbstverständlich werden wir dessenungeachtet die Versuche mit der
Radium- bzw. Mesothoriumbehandlung beim Uteruskarzinom fortsetzen,
aber in außerordentlich vorsichtiger Weise. Die Technik werden wir in
Zukunft derart gestalten, daß wir gegen das Karzinom eine Filterung von
1—2 mm Blei oder äquivalent starke Filter von Piatin bzw. Messing an-
wenden, gegen die gesunde Umgebung aber Filter von 2—83 mm dickem
Blei und zum Schutz gegen die Sekundärstrahlung 10—20 Schichten
Papier, welche mit Gummistoff fixiert werden. Und was die Dosen be-
trifft, so sind wir geneigt, von den großen Dosen vollkommen abzugehen
444 Wertlieim, Radium und Krebs in der Gynäkologie.
und in continuo nicht mehr als 3,000 Milligrammstunden zu applizieren.
worauf eine mehrtägige Pause einzutreten hat. Das klinische Allgemein-
befinden: Appetit, Schlaf, allgemeiner Kräftezustand, Blutbild, Darm- und
Blasenfunktion sind sorgfältig zu kontrollieren. Zweifellos bestehen in
dieser Beziehung bedeutende individuelle Differenzen.
Auf keinen Fall geht es an, die operative Behandlung voreilig zu
diskreditieren, die ja doch bisher die weitaus sicherste Heilungsmethode
darstellt. Halten wir uns vor Augen, daß über 50 Prozent aller Frauen
mit Uteruskarzinom, die wir der Operation zuführen, dauernd geheilt
bleiben. Nur bei vorsichtiger Fortsetzung der Versuche wird es möglich
sein, Verluste an Menschenleben beim Ausprobieren der Radium- bzw.
Mesothoriumbehandlung zu vermeiden.
Einige Betrachtungen über die Röntgentherapie der
Uterusmyome.
Von
Dr. Jaugeas,
radiotherapeutischer Assistent am Hospital Saint-Antoine.
ie Röntgentherapie hat in neuer Form eine lange Zeit bei Uterus-
blutungen und Myomen angewandte Behandlung, die fast verlassen
. war, wieder aufgenommen, die Kastration. Alle Argumente, welche zum
Beweise der Berechtigung der chirurgischen Kastration herbeigezogen wur-
den, können wieder dienen, um die Röntgenkastration zu rechtfertigen. Die
Haupttatsache, welcher dieser Therapie zur Basis dient und die allgemein
bekannt ist, ist die spontane Regression der myomatösen Tumoren und
das Verschwinden der sie begleitenden Symptome nach Eintritt der Meno-
pause. So zeigt sich ein sicherer Zusammenhang zwischen der Funktion
der Ovarien und den Uterusstörungen, die wir im Sinne haben: Blutungen,
Schmerzen, Myome, Uterussklerose, ein Zusammenhang, der notwendiger-
weise zum Schlusse zwingt, daß die Entfernung der Ovarien eine Behand-
lungsart dieser Leiden bilden müsse. So ist die chirurgische Kastration
zu Hilfe gezogen worden, die übrigens viele Erfolge zu verzeichnen hat.
Die Hegarsche Statistik zeigt, daß unter 28 Fällen 20 mal eine sofortige
Beseitigung der Blutung erreicht wurde. Rossier behauptet, daß die
Ovariotomie 100 % Heilungen gibt. Letztere Ansicht ist sicher übertrieben,
denn die Heilung ist nicht in allen Fällen vorhanden, mancher Uterus,
der durch wiederholte Blutungen eingreifend verändert wurde, kann von
sich aus weiter bluten. Diese Tatsachen, welche jede für sich den Wert
eines Experiments haben, finden eine exakte Bestätigung im mikroskopi-
schen Befund der Ovarien, welche beim hämorrhagischen Uterus vorkommen.
Makroskopisch ist das Ovar oft verändert: es ist verkleinert und kystisch
oder sklerös. Oft hat es auch sein normales Aussehen behalten und die
Veränderungen sind nur mikroskopischer Natur. Sie sind gebildet durch
eine bedeutende Vermehrung der Follikelatresien, deren Zahl im normalen
Zustande gering ist, so daß das mikropolykystische Ovar sich durch eine
Hyperproduktion von interstitiellen Zellen charakterisiert, also durch eine
Hypertrophie der Drüse mit innerer Sekretion.!) Diese Hypertrophie findet
1) Emile Forgue und Massabuan. Die Metrorrhagien der Menopause.
Ovarielle Metrorrhagien. (La Presse médicale, 28. Sept. 1912.)
Strahlentherapie Rand III, Heft 2. 29
446 Jaugesas,
sich wieder bei den Ovarialveränderungen, welche die Myome begleiten.
so daß man berechtigt ist, anzunehmen, daß die Entwicklung des Myoms
durch eine Störung der Ovarienfunktion bedingt ist.
Diese verschiedenen Überlegungen berechtigen uns vom therapeutischen
Standpunkte zu dem Schluß, daß man die Ursache der beobachteten Stö-
rungen trifft, wenn man aufs Ovar wirkt und daß im Gegensatz dazu ein
nur gegen den Uterus gerichtetes Verfahren nur ein symptomatisches
Mittel bildet.
Wir können hierzu eine beweisende Beobachtung beibringen.
Eine 42jährige Kranke hatte seit 13 Jahren bei der geringsten An-
strengung Blutungen ; die äußerst reichlich und schmerzhafte Periode zwang
sie jedesmal zur Bettruhe. Die gynäkologische Untersuchung hatte einen
sklerösen Uterus ergeben.
Verschiedene Behandlungen wurden begonnen. Kurettierung:
die Schmerzen und Blutungen bleiben. Stichelung der Ovarialgegend
mit dem Spitzbrenner: die Schmerzen werden besser, aber die Blutungen
dauern an.
Applikation des konstanten Stromes 5 Monate lang, alle zwei
Tage eine Sitzung: Die intermenstruellen Hämorrhagien hören 4 Jahre
lang auf und die Perioden sind regelmäßig geworden.
Nach 4 Jahren beginnen die kleineren und größeren Blutverluste gleich
wie im Beginn wieder.
Dieser Zustand hielt 2 weitere Jahre an, die Kranke, welche die
Operation verweigert, läßt sich noch 20 Sitzungen konstanten Stromes ap-
plizieren, worauf die Blutungen aufhören, aber starke Schmerzen zurück-
bleiben. Gegen letztere wurden Hochfrequenzströme ohne jedes Resultat
versucht. Nach diesen meist gänzlich unwirksamen therapeutischen Ver-
suchen griff die Röntgentherapie ein. Unter Einwirkung der Bestrahlungen
wurden die Schmerzen weniger, die Blutungen seltener und die Perioden
weniger abundant, so daß nach 5 Bestrahlungen einer jeden Ovarialgegend
die Zeichen der Menopause sich einstellten: Verschwundensein der Periode.
Schwindel, Wallungen. Dieses rasche Resultat war ein dauerndes. Seit
mehr als 3 Monaten hat die Kranke ihr normales Leben wieder aufge-
nommen und zeigt nicht die geringste Störung mehr.
Aber die Röntgenkastration ist nicht einfach eine neue Form der
chirurgischen Kastration. Die Rolle der Röntgenstrahlen wird vervollstän-
digt durch eine direkte Wirkung auf die Uterusmyome selber. Wir haben
schon darauf hingewiesen,!) daß die Regression der Fibrome nach der
natürlichen oder chirurgisch provozierten Menopause nur langsam eintritt,
1) La Gynécologie, Januar 1911.
Einige Betrachtungen über die Röntgentherapie der Uterusmyome. 447
während manche Myome, die mit Röntgenstrahlen behandelt werden, schnell
eine Volumverminderung zeigen, selbst schon zu einer Zeit, in welcher die
Ovarialfunktion noch nicht gestört ist und mit ihren gewöhnlichen Charak-
teren fortbesteht. Es ist deshalb sicher, dal) die Myomelemente manchmal
eine Labilität zeigen, die groß genug ist, um direkt den Röntgenstrahlen
eine Wirkung zu erlauben. Diese Sensibilität findet sich am ausgepräg-
testen bei jungen Individuen mit kleinen, frisch entwickelten Myomen: So
haben wir ein sehr schnelles und sehr vollständiges Resultat erzielt, das
von für die Röntgentherapie wenig eingenommenen Gynäkologen bestätigt
werden konnte, bei 2 Kranken im Alter von 37 und 38 Jahren. Große
und alte Myome reagieren manchmal, aber ın geringerem Maße und bisher
haben uns die direkten Bestrahlungen vor und nach der Menopause nicht
gestattet, ihr vollständiges Verschwinden zu erreichen.
So zeigt uns die Klinik, gestützt durch histologische Beobachtungen,
die Röntgentherapie als rationelle Therapie der Hämorrhagien und uterinen
Schmerzen sowie gewisser Myome.
Natürlich soll man die Chirurgie nicht ganz vernachlässigen, um
systematisch nur die Röntgentherapie anzuwenden; beide Methoden sollen
von nun an ihre speziellen Indikationen haben, die wir hier nicht be-
sprechen wollen und die besonders durch das Alter der Patientin gegeben
sind, so daß es beinahe die allgemeine Regel ist, die Röntgentherapie für
die Personen, die die Vierziger erreicht oder überschrittten haben, zu
reservieren.
Wenn alle Leute (wir meinen die Radiotherapeuten und die aufge-
klärten Gynäkologen) in der Anerkennung der günstigen Wirkung der
Röntgentherapie einig sind und ihre Indikationen fixiert haben, so ist
diese Einigkeit noch nicht bezüglich der Technik der Applikation erreicht.
Die Methoden sind schnell derart mannigfaltig geworden, daß eine voll-
ständige Regellosigkeit zu herrschen scheint. Wenn man die Gesamtheit
der von den verschiedenen Autoren erhaltenen Resultate betrachtet, so
werden wir finden, dal sie alle gleichmäßig günstig sind und doch waren
diese Autoren beinahe immer bestrebt, eine persönliche Technik anzuwenden.
Die Resultate bleiben also ungefähr dieselben trotz der Besonderheiten,
welche die einzelnen Techniken trennen und ihnen den Anschein großer
Verschiedenheit geben. Es scheint deshalb, wenn man nur die klinischen
Tatsachen betrachtet und wenn man die Techniken von den theoretischen
Überlegungen, die sie begleiten, befreit, daß keine von ihnen eine aus-
schließliche Bevorzugung verdient. Infolgedessen ist es am vernünftigsten,
besonders diejenigen im Auge zu behalten, welche am einfachsten sind
und die wenigsten persönlichen Faktoren enthalten.
Die Röntgentherapie der Fibrome stellt im Grunde nur einen speziellen
29%
448 Jaugeas,
Fall der Tiefentherapie dar und es scheint uns unnötig. für diesen Fall
uns von den gewöhnlich befolgten Regeln zu entfernen und spezielle Tech-
niken zu erfinden, deren Interesse nicht immer aus der Bedeutung der
Resultate ersichtlich ist und ‚bei welchen die bisher ungenügenden Meli-
methoden es nicht gestatten, die erwünschte Präzision und Sicherheit mit-
zubringen. Wenn man neue Methoden in die Röntgentherapie einführt.
darf man nicht voreilig nach einfacher Konstatierung von unmittelbaren Re-
sultaten, auf ihre definitive Bedeutung schließen; die Zeit bringt manche
Überaschungen und ändert manches Urteil.
| Die Verschiedenheiten der Ansichten, denen man begegnet, gehen auf
die Einführung der Filter in die Technik der Röntgentherapie zurück. Der
Gebrauch von dicken Aluminiumplatten schien manchen Autoren den Ge-
brauch von hohen Röntgenstrahlendosen zu erlauben, ohne daB man frülıe
oder späte Hautreaktionen zu fürchten hätte; so wurden die hohen Dosen
zur Regel. Die Anzahl der Einheiten hat sich weit über die früher fixierte
Grenze vermehrt und die Bestrahlungen, die früher vorsichtigerweise streng
in Abständen vorgenommen wurden, sind häufiger geworden. Die Erfahrung
lehrte bald, dal die Toleranz der Gewebe stark filtrierten Strahlen gegen-
über, nicht derart war, als man voraussah und unangenehme Unfälle haben
sich ereignet. In anderen Fällen schienen hohe Dosen ungefährlich aber nur
infolge eines Mißverständnisses oder einer fehlerhaften Auslegung. Wir haben
im Radiometer von Sabouraud-Noirö zur Schätzung der von der Haut
absorbierten Strahlendosis ein chemisches Reagens, das Bariumplatinzyanür,
das aber unter dem Einfluß der stark penetrierenden Strahlen Verände-
rungen erleidet, die für die Haut nicht mehr Effekte von gleicher Grübe
wie bei nicht filtrierten Strahlen bedeuten. Das Verhältnis zwischen dem
chemischen und dem Hautreagens, das unter gewissen Bedingungen (Sa-
bouraudsche Skala) festgestellt wurde, hat in anderen Bedingungen (stark
filtrierte Strahlen) nicht mehr denselben Wert und erlaubt nicht mehr mit
Sicherheit, vom einen auf das andere zu schließen. Die Zahl der Einheiten.
welche durch das Reagens angegeben wird und die von ihm absorbierte
Strahlenquantität angibt, kann nicht mehr dazu dienen, die von der Haut
absorbierte Strahlenuantität zu messen. Diese kann nicht vorausgeselien
werden: Das Absorptionsvermögen des Reagens und dasjenige der Haut
gehen nicht mehr parallel und ihr Verhältnis ist unsicher.
Man muß deshalb die willkürlichen Vorschriften, welche die Technik
gefährlich macht, von sich weisen. Wir erlauben uns die von Holzknecht
im Jahre 1902 formulierte Regel zu wiederholen, die nichts von ihrem
Wert verloren hat, besonders da eine lange Erfahrung sie bestätigt hat:
die auf die Haut applizierte Dosis soll nicht mehrals 10bıs 12H
pro Monat betragen.
Einige Betrachtungen über die Röntgentherapie der Uterusmyome. 449
Diese Regel wurde für eine Strahlenqualität von 6—7 Benoist auf-
gestellt. Richtig angewandt, war sie der Grundpfeiler der Dosierung in der
Röntgentherapie. Allerdings ist die Größe der H-Einheit nicht mit aller
wünschenswerten Präzision definiert und wenn man die Strahlenqualität,
die für ihre Eichung angegeben wurde, verläßt, so nimmt sie ganz andere
Werte an. Jedenfalls bleibt sie aber praktisch für den Sprachgebrauch
und gibt die Möglichkeit, mit genügend großer Sicherheit die Strahlen-
quantitäten zu messen, um die gefährlichen Dosen zu vermeiden und wirk-
same Dosen zu verabfolgen.
Das Dazwischenlegen des Filters darf nicht gestatten, diese Regel zu
modifizieren: man wird höchstens die Länge der Belichtung variieren
müssen. Die Aluminiumplatte hält einen bedeutenden Bruchteil der Strah-
lung zurück, welchen man durch die präzisen Messungen von Guilleminot
und Belot berechnen kann und dem man bei Schätzung der in der
Zeiteinheit von der Haut absorbierten Dosis Rechnung tragen muß. Sei
es, daß es sich um Bestrahlung der Ovarien oder von Myomen oder von
tiefliegenden Tumoren handelt, immer bringen wir die Bariumplatinzyanür-
tablette nach den Angaben von Sabouraud-Noire und zwar über dem
Filter an. Sie wird dann von einer Strahlenqualität getroffen, die nahe
verwandt mit derjenigen ist, mit welcher sie geeicht wurde und liefert
dann richtige Vergleichswerte.. Man kennt dann die Menge der einfallenden
Strahlen. Die Menge der austretenden Strahlen, welche von der Filter-
dicke und der Qualität der Einfallsstrahlung abhängt, wird mit Hilfe der
von Guilleminot und Belot berechneten Tabellen bestimmt.!) Die so
korrigierte Dosis wird bei allen unseren Applikationen auf eine maximale
Hautdose von 5 H gebracht. Wie wir oben sagten, entspricht die H-Ein-
heit des von der Haut absorbierten filtrierten Strahlenbündels nicht genau
der vom Reagens angegebenen Dosis. Tatsächlich aber geht bei Anwendung
eines Filters von 1 mm Aluminium alles so zu, wie wenn die Haut 5 H
absorbiert hätte, d. h. eine Dosis, welche immer eine Integrität der Haut
verbürgt hatte: denn wenn die Bestrahlungszeit, die ihr entspricht, leicht
überschritten wurde, so erscheint eine leichte Rötung der Haut, die angibt,
daß die Reaktionsdosis erreicht wurde.
Auf diese Weise haben wir alle unsere Kranken behandelt, welche
an Hämorrhagien infolge von sklerösem oder fibromatösem Uterus litten:
5 H einer Strahlung 7—8 B filtriert durch 1 mm Aluminium. Die Be-
strahlungen werden auf die Ovarialregion vorgenommen und je nach dem
Fall auf verschiedene Ausschnitte der Bauchwand, die dem Myom ent-
sprechen. Jede dieser Regionen erhält 10 H pro Monat in 2 Sitzungen,
1) Societe de radiologie medicale de Paris, Januar und Februar 1%9.
450 Jaugeas, Einige Betrachtungen über die Röntgentherapie usw.
die durch einen Zwischenraum von 14 Tagen von einander getrennt sind
und wir haben nie andere Hautveränderungen als eine leichte, übrigens
vorübergehende Pigmentierung beobachtet.
Was unsere Resultate anbetrifft, so bestätigen sie alle publizierten
und stehen ihnen nicht in der Schnelligkeit der Heilung nach. Aus der
Beobachtung von 31 Kranken ergibt sich, daß die Menopause nach 4 bis
5 Sitzungen für jede Ovarialregion eintrat, wenn die Patientin 60 Jalıre
überschritten hatte und 7 bis 8, wenn die Patientin nahe an den Vier-
zigern war.
Einige Autoren verlangen, dal man nicht zögern soll, die während
oder nach der Behandlung aufgetretenen Unfälle zu publizieren, damit man
die einzelnen Methoden nach ihren Folgeerscheinungen beurteilen kann.
Von uns aus wird dieser Einladung nicht Folge geleistet werden, da wir
nicht den geringsten Unfall erlebt haben. Es handelt sich dabei keines-
wegs um Glück und der Zufall spielt dabei keine Rolle. Dieses glückliche
Resultat muß durch die Anwendung einer vorsichtigen Technik erklärt
werden, welche auf durch die klinische Erfahrung strenge kontrollierten
Erfahrungen beruht. Und wenn man bedenkt, dal diese Eigenschaft der
Methode nichts von ihrer Wirksamkeit nimmt, so kann man einsehen, daß
es absolut überflüssig war, den Radiologen neue Ausnahmetechniken vor-
zuschlagen, welche schwere Konsequenzen nach sich ziehen können und
den großen Aufschwung, den die Radiotherapie der Myome genommen
hat, gefährden würden. i
Ubersetzt von Dr. A. Gunselt-Straßburg i. E.
Die Strahlenbehandlung der Krebse
auf der III. Internationalen Konferenz für Krebsforschung.
Von
Professor Anton Sticker, Berlin.
ie erste Internationale Krebskonferenz fand 1906 in Heidelberg statt.
+ Auf ihr berichteten die Forscher zahlreicher Länder über die er-
folgreichen experimentellen Übertragungen des Krebses von Tier auf
Tier, Erfolge, welche die erste Bresche in die von einseitig anatomisch-
histologischem Standpunkte aufgebaute Lehre von der Nichtübertrag-
barkeit der Krebskrankheit schlugen.
Auf der II. internationalen Konferenz, welche 1910 in Paris zusammen-
trat, wurde die Frage der Übertragbarkeit des Krebses weiter behandelt.
Wertvolle Beiträge über epidemisches Vorkommen von Tier- und Menschen-
krebs dienten als Stütze der Anschauung von der infektiösen Natur dieser
schrecklichen Krankheit, wie sie von hervorragenden Klinikern, trotz
aller Angriffe stets aufrecht gehalten worden war.
Die III. internationale Konferenz, welche vom 1. bis zum 5. August
in Brüssel tagte, stand unter dem Eindrucke der Arbeiten von Peyton
Rous in New York und Fibiger, Kopenhagen, welche unumstößlich
bewiesen, daß es Krebskrankheiten gibt, welche durch niedere Parasiten
und übertragbares Virus erzeugt werden und deshalb mit vollstem Rechte
zu den Infektionskrankheiten zu rechnen sind.
Aber das Helle, welches sich über die Ätiologie der Krebskrankheiten
dank der mühevollen Arbeit zahlreicher Forscher vieler Länder auszu-
breiten beginnt, war nicht das allein Erfreuliche der diesjährigen Kon-
ferenz. Auch die Heilbarkeit dieser furchtbaren Geißel der Menschheit
scheint ihrem Ziele näher gerückt. Und zwar ist es vor allem das Radium,
welches wie für viele Krankheiten, so auch für den Krebs von wunderbarer
Heilwirkung zu sein scheint.
Wie von einem Alp befreit atmen die Menschen auf, daß an Stelle
der Chirurgie eine mildere Therapie sich anzubahnen scheint. Die Er-
folge der Chirurgie haben die Erwartungen enttäuscht. Einer ihrer be-
deutendsten Vertreter, Professor Czerny, muß in einem gedruckten
Schreiben, welches er als Gruß an die Teilnehmer der III. Konferenz
richtet, bekennen, daß selbst die umfangreichsten Operationen, welche
bis an die Grenzen des anatomisch Erlaubten gegangen sind und noch
gehen, nur in etwa einem Viertel der Fälle Dauerheilungen erzielten.
452 Sticker,
Die anderen Dreiviertel der Fälle rezidivierten und verlangten dringend
nach einer Erfolge versprechenden ärztlichen Behandlung.
Dieses Bekenntnis in Zusammenhang mit dem auf den beiden letzten
internationalen gynäkologischen Kongressen Gebrachtem, wo nach den
genau geführten Statistiken eines Wertheim, eines Schauta, eines
Winter, noch ungünstigere Heilungsziffern vorgebracht wurden, zeigt
wie erschreckend groß die Zahl der „Enterbten der Chirurgie‘ ist.
Gegenüber solchen entmutigenden Tatsachen geziemt es um so mehr
in diesem Bericht an erster Stelle die hervorragenden Ausführungen des
bekannten Chirurgen, des Professor Witzel-Düsseldorf zu bringen,
welcher mit gleicher Klarheit die Lage der Chirurgie gegenüber der Krebs-
krankheit schilderte und die Furcht vor den Rezidiven die Mutter der
schrecklich verstümmelnden Operationen nannte, jedoch in der ausge-
dehntesten Verbindung der Chirurgie mit der Radiotherapie Abhilfe für
die Zukunft sich verspricht.
Nach dem Gehörten und nach eigener Erfahrung, so führte Witzel
aus, haben wir für die Geschwulstbehandlung in der Strahlenanwendung
eine mächtige Gehilfin. Wir sehen täglich die Röntgen-Mesothorium-
Radiumstrahlen den erwünschten allmählichen Schwund herbeiführen,
aber auch, besonders beim Cancer apertus, die schnellere Schmelz- und
Brandwirkung. Die örtliche und allgemeine Chemotherapie wird als
weitere Gehilfin immer mehr erkannt. Wir dürfen bestimmt hoffen, durch
Kombination und kritische Weiterbildung dieser Trias dem erstrebten
Ziele der Krebsheilung näher zu kommen. Für die bisherige, hauptsäch-
lich mit dem Messer wirkende Chirurgie der Geschwülste vollzieht sich ein
großer Wandel der Indikation und Prognose. Sehr ausgedehnte und ver-
wachsene Geschwülste werden durch Bestrahlung kleiner, beweglich, der
Exstirpation zugänglich. Die Furcht vor den Rezidiven zwingt nicht mehr
zu entsetzlich verstümmelnden Operationen (Ca linguae) und läßt ein-
fachere Eingriffe, die wegen der zu großen Rezidivgefahr verdrängt wurden,
wieder mehr zu (Ca pylori — Ga Resektion — Gasteroenterostomosis).
Denn schon nach sorgfältiger Röntgenbestrahlung und wohl sicher dank
dieser blieb das Anwachsen der nachbarlichen Keimsaat aus. In hohem
Maße wird am Digestionstraktus der Zweck der Ausschaltungsoperationen
gefördert und gesichert.
Aber wir sind erst in den Anfängen der Erfahrung mit einem macht-
vollen neuen Mittel, haben sorgfältig darauf zu achten, nicht zu schaden.
Wenn nach Übereinstimmung aller in Krönigs absatzweiser Einwirkung
der höchsten erlaubten Strahlendosis das gebotene Verfahren besteht,
dann muß die Dosierung quoad quantitatem und quoad noras ungemein
sorgfältig erwogen werden.
Die Strahlentherapie der Krebse. 453
Es ist eine jede Mesothorium- und Radiumkapsel als Individuum
zu betrachten, begabt mit eigentümlicher Größe und Mischung der Strah-
lenkraft. Jeder Mensch reagiert anders, an ihm wieder verschieden die
Gewebsarten, besonders die Neubildungen. Die sogenannte elektive Wir-
kung ist doch wohl bloß eine Folge der zeitlich verschiedenen Einwirkung
auf die verschiedenen Gewebsarten und sie erfolgt zum Glück auf die
Zellen der Geschwülste um so eher, je größer ihre Jugendlichkeit ist.
Für die Berechnung des Effektes muß neben der Filterung die über-
aus verschiedene Stärke der exzentrischen und der konzentrischen Wir-
kung der Strahlenträger andererseits berücksichtigt werden.
Eingebracht in einen natürlichen oder künstlich angelegten Spalt
der Geschwulstmasse, intratumoral, kommt der Strahlenträger zu seiner
Vollwirkung, die als solche am ehesten zu berechnen ist. Die exzentrische
Wirkung ist stets anzustreben. Mit der Entfernung von der Geschwulst
nimmt die Masse der zur Geltung kommenden Strahlen, die Dichtigkeit
außerordentlich schnell ab. — Die auf nachbarlichen Verschleppungen
wirkende konzentrische Bestrahlung ist ebenso unökonomisch als un-
berechenbar für den Gesamteffekt und allein für sich nur dann anzu-
wenden, wenn die zentrale Applikation nicht durchführbar ist.
Dem Gynäkologen war die exzentrische Bestrahlung von selbst für
das Carcinoma uteri gegeben.
Auf dem chirurgischen Gebiete läßt sich dieselbe für größere äußere
Tumoren leicht bewerkstelligen durch operative Tunnellierung. Nach
Herausnahme der Strahlenträger Drainage für einige Tage zur Abheilung
der für den übrigen Körper gefährlichen Schmelzprodukte. Zu äußeren
Tumoren wurden auch inoperable Karzinome des Unterleibes durch
Einnähung gemacht, aber nur für Röntgenbestrahlung. Die so ermög-
lichte wirksame Bestrahlung hatte mit der Gefahr des Lochbrennens zu
rechnen an den Stellen, wo die inneren auch gesunden Wandungen durch
die Naht gefaßt, geschnürt wurden. Deshalb muß auch hier die Ein-
legung der Strahlenquelle in den Kanal der verengenden Geschwulst er-
strebt werden. Sie läßt sich einfach und sicher ausführen mit Benutzung
von Schrägkanalfisteln vom Magen aus zum Pylorus, zur Cardia und
retrogad zum Ösophagus, zu Darmkrebsen hin, in das Innere der Harn-
blase hinein.
Beim inoperablen Pylorus-Ca. führen wir die Gastroenterostomosis
post. an tiefster Stelle des Fundus mit großer Lochbildung aus und fügen
seit Jahren eine vordere Schrägkanalfistel hinzu, durch welche ein Schlauch
in den abführenden Schenkel gebracht wird, zur sofortigen Nahrungs-
zufuhr, zur Meidung des Circulus vitiosus. Früher verlief der Kanal von
rechts nach links, die vordere Magenwand weit ab vom Ca durchbohrend.
454 Sticker,
Jetzt wird er umgekehrt von links nach rechts angelegt, er mündet dicht
am Ca. Ohne jede Schwierigkeit läßt sich nach 8—10 Tagen von der
Fistel aus in den stenosierenden Ring eine Bleiröhre einführen, die in ihrem
abschraubbaren Spitzenteil das Mesothorium trägt. Noch leichter sind
diese Maßnahmen beim Cardiakarzinom auszuführen und zwar von einer
Schrägfistel aus, die nach oben an der kleinen Kurvatur zu verlaufen hat
und auch retrograd beim Ösophaguskarzinom im Brustteile. Hier gelingt
es hinter dem pulsierenden Herzen her die Sonde, das Ösophagoskop, das
Bleirohr einzuführen. Ohne Beschwerden liegt letzteres die gewünschte
Stundenzahl und zwar im Geschwulstkanal selbst, nicht wie gewöhnlich
beim Einführen von oben in der sackartigen Erweiterung oberhalb der
Geschwulst. Bei stenosierendem Darmkarzinom legten wir früher vor
der Enteroanastomose den künstlichen After in einiger Entfernung ober-
halb, jetzt nahe beim Tumor an, um letzteren von seinem Kanale aus be-
strahlen zu können.
Für die exzentrische Bestrahlung der Harnblase kann bei großer,
das Innere erfüllender Geschwulstmasse der natürliche Weg der Ham-
röhre, zumal bei Frauen gewählt werden. Handelt es sich um Bestrahlung
nach Resektionen, nach Ausräumungen, die von einem hohen Blasen-
schnitte aus geschahen, dann wird nach Schluß der Zystotomiewunde ein
Schrägkanal an geeigneter Stelle angelegt. Hier sind die weiteren Mani-
pulationen besonders einfach und leicht.
So bedarf es, um der neuen Gehilfin guten Zugang bei chirurgischen
Karzinomen zu schaffen, für die bisher geübten Radikal- und Palliativ-
operationen nur einfacher Abänderungen.
Zu der Bestrahlungstherapie gynäkologischer Leiden nahmen Pro-
fessor Pinkuss-Berlin, Professor Gauß-Freiburg und Dr. Klotz-Tü-
bingen in längerer Ausführung das Wort. Einstimmig war man der Mei-
nung, daß es nicht bloß des Besitzes kleinerer oder größerer Mengen der
radioaktiven Substanzen bedürfe, um als Radiotherapeut etwas zu leisten,
sondern daß es eingehender Kenntnisse der Natur der radioaktiven Sub-
stanzen und der Filtertechnik bedürfe, um die für jeden einzelnen Fall
erforderliche Dosierung anzuwenden und die mit der Bestrahlung ver-
bundenen Gefahren zu vermeiden. Auch darin waren die Vortragenden
einig, daß die direkte Bestrahlung mit Radium und Mesothorium in
manchen Fällen mit der internen Einverleibung chemischer Substanzen
kombiniert werden müsse,
So wird nach den Ausführungen von Klotz in der Tübinger Frauen-
klinik nach orientierenden Versuchen mit kolloidalem Silber und Elektro-
kupfer jetzt nur noch das Elektrokobalt verwendet in Dosen von 5 bis
Die Strahlentherapie der Krebse. 455
10 ccm. Klinische Untersuchungen erwiesen das Mittel in den angege-
benen Dosen als unschädlich für den menschlichen Organismus; nur muß
man eine schnelle Injektion in die Blutbahn vermeiden. Nach Anwen-
dung relativ kleiner Dosen strahlender Energie (ca. 350 X und 1000 mgr
Stunden Radium) ließ sich bereits eine deutliche Rückbildung bei dem
Karzinom erkennen und zwar nicht nur an den therapeutischen leicht er-
reichbaren Scheidenknoten, sondern auch an den weit abliegenden Karzi-
nomknoten des Beckenbindegewebes. Seit neuestem wurde auch noch
die Serumtherapie zugezogen: das Serum karzinomkranker Frauen,
welche auf dem Wege der Heilung sind, wird intravenös eingespritzt.
Die auf dem beschriebenen Wege erzielten Resultate sind recht gute.
Da schon nach Applikation von durchschnittlich 1000 X und 3000 bis
4000 mgr Stunden Radium ganz beträchtliche Rückbildungsvorgänge
des Karzinoms bemerkbar waren — vor allem auch in der Tiefe der Para-
metrien — so wird die kombinierte Behandlungsmethode: Strahlen- und
intravenöse Chemotherapie dringend empfohlen. Es gelingt mit ihr, wie
die erreichten Erfolge zeigten, an strahlender Energie beträchtlich zu
sparen.
Pinkuss empfiehlt in allen operablen Fällen zunächst die Vornahme
der operativen Entfernung als die sicherste und kürzeste Methode der
Beseitigung des Krebses mit nachfolgender, längere Zeit fortgesetzter
Bestrahlung. Die Bestrahlungstherapie von vornherein sei indiziert bei
allen inoperablen oder der Operation schwer zugänglichen Krebserkran-
kungen, ferner bei sonst operablen Fällen, bei denen die Operation mit
größerer Schwierigkeit und demgemäß größerer Lebensgefahr verbunden
ist oder wo Altersgebrechlichkeit oder andere schwere organische Er-
krankungen die Vornahme der Operation verbieten, sodann bei allen
Rezidiven. Die Anwendung der Bestrahlungstherapie bedarf aber des
weiteren Ausbaues der Konzentrations- und Filtertechnik, um die für
den einzelnen Fall erforderliche Dosierung festzustellen und die mit der
Bestrahlung verbundenen Gefahren bestmöglichst zu vermeiden. Gleich-
zeitig mit der Bestrahlung sind zum Zwecke der Vermeidung von Rezi-
diven und Metastasen intravenöse Injektionen von Thorium-X, Atoxyl
bzw. Thorium-X-Trinkkuren, kombiniert mit innerlicher Darreichung
von Pankreatin-Präparaten, in geeigneten Fällen auch Auto-Vakzine-
Injektionen, anzuwenden.
Dr. de Nobele-Gent berichtet über eine neue von Danne in Paris
ausgearbeitete Methode der konzentrierten Anwendung der Radium-
emanation bei Geschwulstkrankheiten. Mit Hilfe flüssiger Luft werden
Emanationsmengen, welche mehreren Zentigrammen Radiumbromid
äquivalent, in eine so konzentrierte Form gebracht, daß sie in kleinen
456 Sticker,
Kapillarröhrchen eingeschlossen oder an der Spitze feiner Nadeln nieder-
geschlagen in den Geschwülsten deponiert werden können.
Zum Thema der Radiumtherapie des Krebses sprachen noch Dr.
Odier-Genf, Dr. Jacobs-Brüssel und Professor Bayet-Brüssel.
In 25 Fällen von inoperablem Gebärmutterkrebs beobachtete Jacobs
Rückgang. Der Dauererfolg beträgt in 3 Fällen 3 bis 8!/, Jahr. Das
Radium schien keinen Einfluß zu haben beim Gebärmutterkrebs jugend-
licher Frauen; beim Krebs der Vulva, der Clitoris, der Vagina wurden
nur vorübergehende Erfolge erzielt. Mastdarmkrebs wurde dauernd
geheilt.
Professor Bayet, Brüssel bespricht die Indikationen der Radium-
behandlung und ihre Grenzen. Er studierte die Wirkung des Radiuns
auf oberflächliche und tiefliegende Hautkrebse.
Aus dem Laboratoire biologique du Radium.
Kann das Radium der Chirurgie bei der Behandlung
maligner Tumoren Dienste leisten ?
Von
Dr. Wieckham und Dr. Degrais, Paris.!)
D“ Titel unserer Mitteilung formuliert das Problem, das wir dem Kon-
grel vorzulegen für angebracht halten. Sie werden uns sicher gestatten,
daß wir die Beantwortung der darin ausgesprochenen Frage auf die von
uns beobachteten Tatsachen basieren.
Wir hielten es deshalb für notwendig, gerade dieses Problem einmal
genau zu erörtern, da es uns scheint, daß es in vielen chirurgischen und
medizinischen Kreisen doch wohl nicht recht verstanden wird, sei es aus
Mißtrauen gegen die relativ junge Methode, sei es, weil allzu enthusiastische
Radiumtherapeuten dem neuen physikalischen Agens doch wohl etwas zu-
viel Bedeutung zulegten.
Gestatten Sie uns schon gleich von vornberein unsere Antwort zu for-
mulieren, die wir dann durch die nachfolgenden Tatsachen stützen und
beweisen werden.
Diese unsere Antwort ist durchaus bejahend. Ganz sicherlich
kann das Radium der Chirurgie wertvolle Dienste in der Be-
handlung der bösartigen Neubildungen leisten.
Aber, und hier liegt der springende Punkt des Problems, das Radium kann
seine nützliche Wirkung nur unter ganz bestimmten Bedingungen entfalten.
Diese Bedingungen sind nun aber zahlreich, und es sind gerade sie,
die der therapeutischen Verwendung des Radiums den vertrauenerweckenden
wissenschaftlichen Charakter geben.
Wir werden einige derselben näher ins Auge fassen, um Ihnen zu
zeigen, in welcher Weise das Radium die Operation vorbereiten, unter-
stützen oder vervollständigen kann, und um Ihnen zu beweisen, wie
aus äußerst verschiedenen Methoden eine wirklich einheitliche Therapeutik
entstand: die Radium-Chirurgie, die imstande ist, unseren Patienten
die größtmöglichen Garantien für den Erfolg zu bieten.
Bevor wir zur Besprechung der Tatsachen übergehen, die für die
Methode, die wir Ihnen hier vorlegen wollen, sprechen, scheint es uns an-
1) Vortrag, gehalten auf dem 17. internationalen medizinischen Kongreß in
London am 6.—12. August 1913.
458 Wickham und Degrais,
gebracht, Ihnen die Gründe, die uns zur Anwendung des Radiums in der
Behandlung der bösartigen Tumoren berechtigten, darzulegen. Diese Gründe
sind physikalischer, klinischer und histologischer Art.
Physikalische Gründe. Die Radiumtherapie bietet uns ver-
schiedene äußerst wertvolle physikalische Vorteile, von denen selbst mehrere
einzigartig in der Physiotherapie sind.
Diese Therapeutik gestattet uns die Ausnützung
1. der emaniferen Methoden, die uns, unter Zuhilfenahme von In-
jektionen, der Ionotherapie usw. erlauben, das Edelgas Emanation und das
Phänomen der induzierten Radioaktivität, mitten in den betreffenden Ge-
weben selbst zu benützen ;
2. von Apparaten, die auf Grund ihres sehr geringen Volumens
mitten in den Tumor selbst, und in eine große Zahl natürlicher Körper-
höhlen, die den übrigen therapeutischen Agentien nur sehr schwer zugäng-
lich sind, eingeführt werden können;
3. von extrem leistungsfähigen radioaktiven Substanzen:
4. der «- und $-Strahlung in den Fällen oberflächlicher Krebse;
5. der y-Strahlung, die eine unvergleichliche Penetrationsfähigkeit be-
sitzt, dafür allerdings quantitativ nur gering ist; und
6. endlich ist es uns möglich, diese quantitative Schwäche der y-Strah-
lung durch Verwendung einer geeigneten Technik (Filtration, Kreuzfeuer )
auszugleichen. Dieser letzte Punkt ist von allergrößter Wichtigkeit, da
es nicht genügt, daß ein tiefgelegener Tumor von den y-Strahlen erreicht
wird, um sich zurückzubilden, sondern da es nötig ist, daß zu diesem
Zwecke eine genügende Menge von Y-Strahlen wirklich vom Neoplasma
absorbiert werden, und zwar muß, wenn ein gutes Endresultat erreicht
werden soll, diese absorbierte Strahlenmenge in allen Partien des
Tumors etwa gleich sein.
Dank unserer technischen Hilfsmittel können wir heute eine größere
Homogenität der Wirkung, eine vollständigere Bestrahlung, eine therapeu-
tisch genügende Akkumulation der wirksamen Strahlen in den tiefgelegenen
Regionen erzielen.t)
Klinische Gründe. Vom klinischen Standpunkte aus sind die
Fälle, ın denen sich das karzinomatöse Gewebe unter dem Einfluß der
Radiumstrahlung vollständig modifizierte, indem es seinen bösartigen
Charakter verlor, und es zu einer lokalen Heilung kam, äußerst zahlreich.
!) Der Hauptzweck jeder radiumtherapeutischen Behandlung des Krebses besteht.
darin, den Tumor in allen seinen Teilen und möglichst gleichmäßig mit den wirk-
samen Strahlen zu überschwemmen, und das unter Verwendung der größtmög-
lichsten Strahlenmenge. Die Integrität der Haut muß aber unter allen Bedin-
gungen dabei bewahrt werden.
Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 459
Derartige Rückbildungen konnten nicht nur allein in den Fällen gut-
artiger Epitheliome der Haut, sondern auch bei schweren epitheliomatösen
Karzinomen, die sich in größere Tiefen erstreckten, ebenso wie bei anderen
Formen maligner Tumoren, Sarkomen, Lymphosarkomen, Lymphadenomen
und bei der Mycosis fungoides, beobachtet werden.
Nun verdient eine Tatsache ganz besonders hervorgehoben zu werden.
Diese Rückbildungen wurden nicht etwa durch nekrotische und entzünd-
liche Zerstörung, durch Verbrennung, wie sie etwa ein Ätzmittel hervor-
rufen würde, sondern durch eine elektive Einwirkung der Strahlen auf die
Zellen des Tumors herbeigeführt.
Es ist unzweifelhaft, daß die malignen Tumoren zu der Gruppe
der Affektionen gehören, die gegenüber der Radiumstrahlung ein
äußerst sensibles, empfängliches Terrain darstellen, das heißt, daß eine ge-
wisse Strahlendosis, die ausreichend ist, um auf die karzinomatösen Ele-
lemente stark einwirken zu können, keinerlei alterıerende Wirkung oder
Verbrennung von den Strahlen getroffenen oder in dem durchsetzten gesunden
(Gewebe erzeugt. Man kann also in ausgezeichnet wirksamer Weise tief-
gelegene subkutane Tumoren mit Radium bestrahlen, ohne das Auftreten
einer Radiumdermatitis befürchten zu müssen.
Histologische Gründe. Die Befunde der mikroskopischen
Untersuchung bestätigen und erklären die oben angeführten Tatsachen.
Hat man zum Beispiel ein epitheliales karzinomatöses Gewebe der
elektiven Strahlenwirkung ausgesetzt, so beobachtet man nach einigen Tagen,
daß die Zellen einem Zersetzungsprozeß. der zur Zytolyse (Zelleinschmel-
zung) führt, verfallen sind, nachdem sie in den meisten Fällen ein hyper-
trophisches Stadium durchgemacht haben. Was das Bindegewebe betrifft,
das die karzinomatösen Zellnester einhüllt und stützt, so beobachtet man
eine Verjüngung desselben durch das Auftreten embryonaler Keime; es
kommt zu einer Trennung, und weiterhin zu einem Ersatz der Krebs-
nester durch das Bindegewebe.
Sind die absorbierten Dosen der radioaktiven Strahlung ungenügend,
so kann sich die Wirkung auf die Zellhypertrophie beschränken, und wir
haben es also in diesen Fällen mit einer Radio-Exzitation zu tun. Nur
bei Verwendung wirklich ausreichender Dosen kann man auf eine sichere
kurative Einwirkung rechnen.
Die unter dem Einfluß der radioaktiven Strahlung bei den ver-
schiedenen übrigen Formen der malignen Tumoren (Sarkom, Mycosis fun-
goides usw.) vor sich gehenden Modifikationen sind im großen und ganzen
mit dem soeben gesagten übereinstimmend.
Was die Tiefe anbetrifft, bis in welche die Strahlung durch die Ge-
webe hindurch eindringen und ihre Wirkung entfalten kann, ohne daß da-
4650 Wickham und Degrais,
bei eine Radiumdermatitis erzeugt wird, so haben uns unsere histologischen
Untersuchungen kurative Modifikationen der Zellen bis zu einer Tiefe von
9 Zentimetern zu konstatieren gestattet. Wenn man die Methode des
Kreuzfeuers anwendet, kann man selbst auf noch tiefer gelegene Schichten
einwirken.
Auf Grund dieser allgemeinen Betrachtungen haben wir uns eine
Richtlinie für unser therapeutisches Handeln festgelegt, nachdem wir vor-
her, vielleicht in etwas zu schematischer Weise, die Tumoren in folgende
Gruppen eingeteilt hatten:
1. Operable Tumoren,
2. Schwer operable Tinten,
3. Inoperable Tumoren,
die letzteren sind entweder inoperabel, obgleich leicht zugänglich,
oder inoperabel, weil schwer zugänglich oder aber, weil sie dem
Messer ganz und gar unzugänglich sind.
Operable Tumoren. Jedes operable Karzinom soll sofort, ohne
Aufschub operiert werden; dies ist eine nie außer Acht zu lassende Regel.
Auf Grund des möglichen Rezidivs in situ und der Metastasen, denen die
Operation die Türen öffnen könnte ist es durchaus angebracht, die post-
operative Narbe der Bestrahlung zu unterziehen. Der Nutzen dieses Ein-
griffes steht immer im Verhältnis zu der mehr oder weniger malignen Natur
des exstirpierten Tumors.
Es ist zum Beispiel leicht, im blutigen Bett, das durch die Ablation
eines Tumors entstand, einen mit Präparaten geringen Volumens aber
starker Radioaktivität beschickten Drain zu plazieren, während man die
Lappen der Wunde mit flachen Radium-Lackapparaten von großer Ober-
tläche bedeckt.
Von besonderem Interesse sind nun eine gewisse Anzahl von Beobach-
tungen, bei denen das Radium ohne jeden chirurgischen Eingriff ange-
wandt wurde. Diese Ausnahmen sind bedingt durch das Alter der
Patienten, durch ihren schlechten Gesundheitszustand, der die Narkose er-
schwert hätte und durch die unüberwindliche Abneigung dieser Kranken
gegen jeden blutigen Eingriff.
Diese Fälle haben uns gestattet, uns eine Meinung über das, was das
Radium für sich allein angewandt leisten kann, zu bilden, und wenn wir
heute, nach einer Wertheimschen Operation zum Beispiel, nicht warm
genug empfehlen können, sofort in die vaginale Bresche einen hochaktiven
Radiumapparat zu applizieren, so tun wir dies, weil wir bei Patienten.
die mit einem Zervixkarzinom behaftet waren, und jeden chirurgischen
Eingriff entschieden zurückgewiesen hatten, einen Stillstand des Neoplasma.
Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 461
der einer Heilung gleichzusetzen ist, nur durch Radiumbestrahlung allein
hervorgerufen, beobachtet haben.
In dieser Gruppe der operablen Karzinome müssen wir auch die
Fälle ins Auge fassen, in denen sich der Chirurg dank der Untersützung,
die ihm durch die Radiumbestrahlung wird, entschließt, eine begrenzte
Operation, die der Patient ertragen kann, vorzunehmen. Sicherlich ist zum
Beispiel die Amputation eines Fingers oder einer Brust bei Individuen
eines gewissen Alters von relativ minimaler Bedeutung, in die Amputation
eines Gliedes dagegen wird immer nur zögernd eingewilligt werden,
umsomehr, wenn es sich um einen Tumor handelt, der vielleicht schon
sehr bald nach der Operation an anderen Stellen Metastasen setzen kann.
Sarkom der Leistengegend. Nach Am- Nach Radiumbehandlung ging dieser
putation des Vorderfußes wegen Sarkom Tumor in 5 Wochen sehr zurück. Seit
hatte sich eine schwer operable Metastase 21/, Jahren hat sich kein lokales Rezidiv
in der Leiste gebildet. gebildet.
Die beiden folgenden Beobachtungen erscheinen uns in dieser Be-
ziehung recht interessant und vermögen die von uns vertretene Ansicht
zu befestigen.
Im ersten Falle handelte es sich um ein 11jähriges Mädchen, dem im Fe-
bruar 1910 wegen eines sarkomatösen Tumors der Vorderfuß amputiert worden
war. Ein Jahr nach dieser Operation wurde uns das Kind wegen einer in der
Leiste gelegenen Metastase überwiesen. Der Tumor ist hart, wenig beweglich,
ziemlich tief implantiert, und sein Sitz erweckt gegen einen chirurgischen Eingriff
gewisse Bedenken, da derselbe, um wirklich wertvoll zu sein, die Exartikulation
der Hüfte erfordern würde. Da die Mutter unter diesen Verhältnissen ihre Ein-
willigung zur Operation nicht gern geben möchte, behandelten wir die ganglionäre
Metastase mit Radium. Wir applizierten hochaktive Radiumträger mit Interposi-
tion von 3 mm Blei, und ließen dieselben während 72 Stunden, fraktioniert in sechs
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 30
462 Wickham und Degrais,
Applikationsnächten auf den Tumor einwirken. Außerst schnell, vom fünften Tage
ab, gewannen wir den Eindruck einer Regression. Am zehnten Tage war dies
zur Gewißheit geworden, der Tumor erweichte sich, löste sich von seiner Unter-
lage ab, wurde beweglich und verringerte sein Volumen. Diesen rapiden Rückgang
findet man übrigens häufig bei den Sarkomen, die eine besonders große Radio-
sensibilität aufzuweisen scheinen. Nach einem Monat vom Beginn der Bestrah-
lungen an gerechnet war jede Erhebung über das Niveau der Haut in der Region
des Tumors verschwunden, die palpatorische Untersuchung ergab noch eine sub-
kutane Verhärtung, etwa von der Art eines kleinen beweglichen Ganglions, auf
welches wir fortfahren die Radiumträger zu applizieren,
Wäre man nach Erzielung eines derartigen Resultates, und da doch
die Chirurgie vor allem konservativ sein soll, nicht im Recht, für die Zu-
kunft daran zu denken und darauf hinzuarbeiten, daß vor jeder bedeu-
tenderen chirurgischen Verstümmelung vorerst einmal eine intensive
Radiumbestrahlung versucht wird? Dieselbe Patientin wird uns dafür noch
einmal als Beispiel dienen. Nachdem wir den soeben geschilderten Er-
folg erzielt hatten, erschien leider ein neues Rezidiv in der tibiotarsalen
Artikulation. Da trotz intensiver Bestrahlung dieses Rezidiv nicht rasch
genug weichen wollte, wurde die Amputation des unteren Drittels des
Beines beschlossen und ausgeführt. In diesem Falle hat also das Radium
in einem Falle von malignem Tumor mit Metastasenbildung auf diesen
eine ausgesprochen günstige Wirkung entfaltet, die eine bedeutende
Verstümmelung vermeiden ließ; bei dem lokalen Rezidiv blieb allerdings
das Radium ohne direkten Einfluß auf den Tumor, gestattete aber einen
ziemlich engbegrenzten operativen Eingriff, dessen Konsequenzen unzweifel-
haft weniger schrecklich sind, als die zuerst in Betracht gezogene Opera-
tion es gewesen wäre.
Hier noch ein zweiter Fall, der für unsere Anschauung plaidiert:
Im November 1910 wird uns ein Patient wegen eines im unteren Drittel des
Beines gelegenen Tumors überwiesen. Der Patient, der seinen Zustand kannte,
wünschte aber die Operation zu umgehen. Wir baten einen Chirurgen zu in-
zisieren, um einen Radiumträger direkt in die Tiefe einführen zu können, und
ließen gleichzeitig ein Fragment des Tumors entnehmen. Die histologische Unter-
suchung ergab einen komplexen Tumor aus jungem Fibrom und Myxosarkom be-
stehend. Die Radiographie zeigte einen dichten Schatten, mit konvexer Oberfläche,
der der Fibula aufsaß und den Eindruck einer Vorwölbung des Periosts machte.
Die Länge dieses Schattens betrug vier bis fünf Zentimeter, seine Vorwölbung
war etwa einen Zentimeter breit. Der Fuß und die betreffende Region des Beines
sind Öödematös. Der Kranke kann nur unter Schwierigkeiten gehen.
Gleichzeitig mit einem Röhrchen, das zwei Zentigramm Radiumsulfat ent-
hielt und während 48 Stunden in die Inzision eingelegt wurde, applizierten wir
auf die Oberfläche mehrere flache Apparate, die mit zwei Millimeter starken Filtern
bedeckt waren, um die wirksamen Strahlungen zu multiplizieren und eine Über-
kreuzung derselben von innen nach außen zu erzielen. Nach der oben angegebe-
nen Zeit wurde die Radiumröhre entfernt, und die Bestrahlung nur unter Ver-
Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 463
wendung der flachen Apparate von der Oberfläche aus fortgesetzt. Heute, zwei
und ein halbes Jahr nach dem mit der Radiumtherapie kombinierten geringfügigen
Eingriff zeigt die. Radiographie den die Vorwölbung des Periosts wiedergebenden
Schatten nicht mehr, das Ödem ist vollständig verschwunden, und der Patient hat
zu seiner größten Zufriedenheit sein Bein konserviert.
Ganz kürzlich erst noch beobachteten wir einen Fall von osteogene-
tischem Sarkom einer Zehe, bei dem eine Auskratzung, gefolgt von der
Radiumbestrahlung, die Amputation dieser Zehe zu vermeiden gestattete.
Diese Operation wäre ja sicherlich wenig bedeutend gewesen, da es sich
aber um ein junges Mädchen von 16 Jahren handelte, wäre der Verlust
derselben zum mindesten sehr unangenehm empfunden worden.
Zum Schluß möchten wir noch ein Epithelioma der Glans penis er-
wähnen, das primär so sparsam als möglich operiert worden war, um eine
penible Verstümmelung des Patienten zu vermeiden, aber rezidivierte.
Dieses Rezidiv ist nun bereits seit drei Jahren der Radiumwirkung ge-
wichen und wäre wohl überhaupt kaum aufgetreten, wenn sofort nach der
primären Operation eine Radiumbestrahlung erfolgt wäre.
Schwer operable Tumoren. In diesen Fällen kann das Ra-
dıum in nutzbringender Weise vor, während und nach der Operation an-
gewandt werden.
Wenn es sich um eine ihrer Basis adhärente Masse handelt, die be-
deutenden Gefäß- und Nervenbündeln oder wichtigen Organen benachbart
ist, kann die vorbereitende Radiumbestrahlung diese Tumoren leichter
operationsfähig machen, indem sie eine geringe Blutfüllung derselben und
die Loslösung und Mobilisation ihrer Basis herbeiführt.
Aber die präoperative Radiumbestrahlung hat noch einen anderen
Zweck, nämlich den, das Operationsfeld weniger virulent zu machen, es
in gewisser Beziehung zu sterilisieren, das Neoplasma befindet sich bereits
in der Rückbildung, wenn zu seiner operativen Entfernung geschritten
wird. Um in Hinsicht auf die spätere Operation die günstigste Wirkung
des Radiums zu erzielen, ordnen wir die Apparate so an, daß die Strah-
lung vor allem nach der Peripherie und nach der Basis des Tumors ge-
richtet ist. Wenn man fünfzehn bis zwanzig Tage nach der intensiven
Bestrahlung zur Operation schreitet, so findet man für dieselben die gün-
stigsten Verhältnisse vor. Es ist andererseits ohne weiteres klar, dab in
diesen schwierig operierbaren Fällen auch nach der Operation bestrahlt
werden muß, und zwar in intensiver Weise, zu dem Zwecke, die Narbe
zu konsolidieren. |
In gewissen Fällen rapid wachsender Tumoren fixieren wir die
Apparate sofort nach Exstirpation des Neoplasma auf dem Grunde der
Wunde selbst.
30*
464 Wickham und Degrais,
Unter anderen möchten wir Ihnen eine Beobachtung mitteilen, die
uns besonders bemerkenswert erscheint, und uns veranlaßte, durch histo-
logische Untersuchung des bestrahlten Gewebes festzustellen, wie weit sich
die Radiumwirkung in die Tiefe hinein erstreckt.
Es handelt sich um eine Patientin des Dr. Arrou, die von einem rechts-
seitigen Brustkrebs befallen war, der nach einer langen Periode sehr langsamer
Entwicklung eine akute Exazerbation aufwies.
Der Tumor ist außerordentlich voluminös, es mißt in seiner größten Breite
151/, Zentimeter, ist sehr hart, und man gewinnt bei der Palpation den Eindruck
einer einheitlich zusammenhängenden wenig mobilisierbaren Masse. Die Brust-
warze ist retrahiert, ein thorakoaxilläres Ganglion ist vom Karzinom ergriffen,
und sehr voluminös. Die Dimensionen des Tumors sind der Operation sehr un-
günstig.
Wir schlagen Dr. Arrou vor, den Tumor vor der Exstirpation der Ein-
wirkung der Radiumstrahlen zu unterwerfen.
Auf die äußere Seite der Brust werden vier aufeinandergelagerte Radium-
lackapparate, die 19 Zentigramm reines Radium auf eine Fläche von 28 Quadrat-
zentimeter verteilt enthalten, während 48 auf einanderfolgenden Stunden appliziert.
Während dieser Bestrahlung studierten wir den Durchgang der Strahlen
durch die Gewebe vom physikalischen Standpunkt aus. Nacheinander wurde ein
geladenes Elektroskop und Bariumplatinzyanürschirm, der inneren Seite der Brust.
der Strahlenquelle gegenüber, aufgelegt. Wir konstatierten, daß sich das Elektro-
skop in 8—9 Sekunden entlud; der Schirm geriet in Fluoreszenz.
Diese Beobachtungen zeigen uns in klarster Weise die, übrigens ja
auch schon bekannte, Fähigkeit der Radiumstrahlen, eine Gewebsmasse sehr
erheblicher Dicke zu durchqueren. Jedoch es genügt wohl nicht, daß die
Strahlen das Gewebe nur passieren, um ihre therapeutische Wirkung
auf das neoplasische Gewebe zu entfalten. Wird die Strahlung dabei auf
das Karzinomgewebe einwirken? und wenn ja, bis zu welcher Tiefe? Das
war die Frage, die wir uns zu studieren vorgenommen hatten.
Die chirurgische Exstirpation der Brust wurde am 16. Tage nach der Be-
strahlung vorgenommen. Man konnte vor der Operation konstatieren, daß der
Tumor sichtlich zusammengesunken war, seine Breite hatte sich um zwei Zenti-
meter verringert, und anstelle der einheitlichen Masse, die er bei der ersten Unter-
suchung darzustellen schien, hatte man jetzt den Eindruck, als ob er aus mehreren
Knoten, die einer über dem anderen beweglich waren, gebildet sei.
Der exstirpierte Tumor wurde dann in mehrere, der Richtung des Strahlen-
durchgangs gleichlaufende Schnitte zerlegt.
Schon makroskopisch sieht man, daß die zentrale Partie des Krebsgewebes
die größte Menge der Strahlung erhalten hat, sich in ihrem Aussehen von den
weniger bestrahlten peripherischen Zonen unterscheidet.
Sie ist in mehrere glatte, harte, weißliche sklerotische Knoten eingeteilt,
während die von der Strahlungsachse weiter entfernt liegenden Zonen unregelmäßig
und von markartigem Aussehen sind. Die histologische Untersuchung ergab das
Vorhandensein regressiver Modifikationen bis zu einer Tiefe von 9 Zenti-
meter.
Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 465
Obwohl die Operation sehr weit vorgenommen wurde, war es doch auf Grund
der außerordentlichen Dimensionen des Tumors unmöglich, einen breiten Rand
normalen (Gewebes aus der Begrenzung des Neoplasma mit fortzunehmen. Nichts-
destoweniger ging die Vernarbung in normaler Weise vor sich, und heute, mehr
als zwei Jahre nach dem operativen Eingriff, befindet sich die Frau in einem
exzellenten Zustande, ohne eine Spur von Rezidiv oder Metastase.
Ist es uns in einem solchen Fall gestattet, neben dem Wert und der
Geschicklichkeit der Operation, auch der Bestrahlung einen Platz beim
Zustandekommen dieses glücklichen Resultates einzuräumen?
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Unterkiefersarkom, dessen Totalexstir- Durch Tuffier wurde zuerst der größte
pation unmöglich ist ohne Resektion Teil des Tumors exstirpiert. In das
des ganzen horizontalen Unterkiefer- übrigbleibende tiefe Sarkomgewebe wer-
astes. den Radiumtuben inplantiert. 18 Mo-
nate nach der Behandlung ist noch
kein Rezidiv im Anzug.
Es ist wohl erlaubt anzunehmen, wenn man sich dabei auf die kon-
statierten klinischen und histologischen Veränderungen stützt, daß die Be-
strahlungen das Operationsfeld für den Eingriff günstiger gestalten konnte.
Ein anderer unserer Patienten wies ein enormes Sarkom der Mandibula auf,
dessen Totalexstirpation nur durch die Resektion des ganzen horizontalen Unter-
kieferastes möglich gewesen wäre. Herr Dr. Tuffier nahm die Exstirpation der
größtmöglichsten Masse des Tumors vor; auf die sich am Grunde der so entstan-
466 Wickham und Degrais,
denen Rinne noch in großer Menge befindlichen Massen des Tumors wurden einige
Radiumröhrchen gelegt, während wir an der Oberfläche, auf die Lappen der In-
zision, flache Radiumträger applizierten.
Heute, nachdem zwei Jahre seit der Operation vergangen sind, erfreut sich
der Patient einer tadellosen Gesundheit.
In den Fällen schwierig zu operierender Tumoren müssen wir dem
Radium einen wichtigen Platz einräumen, wenn es sich darum handelt.
auf Neubildungen des Magens, des Intestinaltraktus, des Uterus und der
Prostata, einzuwirken.
Handelt es sich um eine Neubildung des Magens, so kann die Chirurgie
dem Radium einen wertvollen Zugangsweg eröffnen; eine Gastrostomie er-
laubt uns, das Radiumpräparat direkt auf die Neubildung zu bringen, und
eine Gastroenterostomie ermöglicht es uns, das erkrankte Organ in Rulıe
zu setzen. Die Verhältnisse liegen ebenso, wenn das Rektum oder die
Flexura sigmoidea befallen sind. Sicherlich ist es in gewissen Fällen mög-
lich, sich auf die Chirurgie allein zu verlassen, wir glauben aber, daß es
doch vorzuziehen ist, sich unter Zuhilfenahme eines iliaken Anus, eines Agens
zu bedienen, das, wie das Radium imstande ist, die Entwicklung des Krebses
aufzuhalten. Wir glauben andererseits, daß die Anwendung des Radiums
allein in diesen Fällen nicht gestattet, alle Vorteile, die man erwarten
kann, zu erreichen. Die Rektoskopie gestattet uns ja tatsächlich die
Diagnose zu präzisieren, die Läsion zu lokalisieren und ihren unteren Rand
genau festzulegen. Jedoch die Unmöglichkeit, den karzinomatösen Engpalj
zu überschreiten, läßt uns stets in Ungewißheit über die Ausdehnung des
Karzinoms nach der oralen Seite hin, und man ist also niemals sicher,
wirklich die Totalität des Tumors bestrahlt zu haben. Man sollte aus
diesem Grunde unserer Ansicht nach stets zur Anlegung einer intestinalen
Ausmündung, die der oberen Grenze des Neoplasma so nahe als möglich
liegt, schreiten. Diese obere Begrenzung ist nach Inzision der Abdominal-
wand leicht und sicher erkennbar. Auf diese Weise kann man dann
durch Sonden, die in ihrem Innern Radiumträger enthalten, und von oben
nach unten und in umgekehrter Richtung eingeführt werden, mit absoluter
Sicherheit den Tumor in seiner Gesamtausdehnung bestrahlen. Die Radium-
bestrahlung schützt auch vor dem Auftreten karzinomatöser Granulationen
am iliaken Anus, die man fürchtet, wenn die Einmündung dem Tumor zu
benachbart angelegt wurde. (Wir haben niemals diese Komplikation kon-
statieren müssen, wenn in der soeben angegebenen Weise vorgegangen wurde. |
Der Anus praeternaturalis bietet uns gleichzeitig den Vorteil, daß die
erkrankte Darmpartie in Ruhe gesetzt wird, und das ist für die Entwick-
lung der Krankheitserscheinungen von großer Wichtigkeit.
Die Chirurgie des Uteruskarzinoms wird durch die Unterstützung.
die ihr das Radium bringen kann, oft erweitert. Wir haben gesehen, wie
Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 467
schwer operable Tumoren nach vaginaler Radiumbestrahlung, der Operation
zugänglich wurden, dank der durch das Radium erzeugten bedeutenden
Modifikationen, wie Verschwinden der (Granulationen, und Geschmeidiger-
werden der infiltrierten Gewebe, die den Uterus immosbilisierten.
In anderen Fällen beweist die Kombination der Chirurgie und der Radium-
bestrahlung, wie wertvoll die Assoziation dieser beiden Methoden sein kann.
Aus unseren Beobachtungen möchten wir Ihnen über die Geschichte einer
Patientin des Dr. Ch. Monod berichten, die ein Zervixkarzinom aufwies, das sich
bereits auf die Mucosa der Scheide erstreckt hatte, dessen Operation äußerst
schwierig war. Die Zervix war hart, blutend, und wenig beweglich, die Induration
erstreckt sich im Douglasschen Raum 2 bis 3 cm etwa auf die Vaginalwand.
Der Allgemeinzustand beginnt in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
Dr. Monod zieht uns zu, um die Radiumbestrahlung mit dem chirurgischen
Eingriff zu kombinieren. Mit dem Thermokauter werden die granulierten und
ulzerierten Partien beseitigt, dann legen wir ein Radiumröhrchen in den Zervikal-
kanal ein, während die frische Wunde mit zwei flachen Apparaten bedeckt wird.
Diese Radiumpräparate wurden zweimal 48 Stunden hindurch an ihrem
Platze belassen.
Zwei Monate später sahen wir die Patientin wieder. Sie befindet sich nach
ihren Angaben in einem ausgezeichneten Gesundheitszustand, und empfindet
keinerlei Schwere oder Schmerzen mehr. Das Aussehen des lokalen Herdes ist
durchaus günstig, die Hämorrhagien und die Sekretion sind vollständig ver-
schwunden. Die Induration ist beträchtlich vermindert, und das Karzinom nimmt
nur noch die Hälfte seines ursprünglichen Volumens ein. Es weist weder Granu-
lationen noch Ulzerationen auf.
Eine neue, der ersten analoge Bestrahlungsserie wurde vorgenommen. Drei
Monate später ist die Besserung noch weiter fortgeschritten, so daß man sowohl
mit Rücksicht auf den Allgemeinzustand wie auf den lokalen Befund wohl so
weit gehen konnte, das Wort „Heilung“ auszusprechen. Nichtsdestoweniger ent-
schieden wir uns, mehr als Vorsichtsmaßregel, noch eine Bestrahlungsserie vor-
zunehmen. Das Röhrchen läßt sich nur schwierig einführen, da die glatte Ober-
tläche des Uterus stark retrahiert ist; eingehüllt von der vaginalen Schleimhaut
erscheint sie am Grunde der Höhle wie ein „cul de poule“.
Mit einem Troikart nimmt Dr. Monod eine Perforation vor, die ihn in die
Überreste der Uterushöhle führt; das Radiumröhrchen wird hier eingelegt, gleich-
zeitig mit einem Gasestreifen, um die Röhre während 24 Stunden an ihrem Platze
zu erhalten. Platte Radiumlackapparate werden der Oberfläche aufgelegt und
ebenfalls für 48 Stunden an ihrem Platze belassen.
Diese Bestrahlungen wurden im November 1910 vorgenommen; in den seither
verflossenen Monaten blieb die Besserung konstant, und die Patientin hat ihre
normale Lebensführung wieder aufgenommen, wie uns erst ganz kürzlich ihr
Hausarzt mitteilte.
Inoperable Tumoren. Diese können entweder inoperabel sein,
obgleich sie leicht erreichbar sind, oder inoperabel, weil sie schwer er-
reichbar sind.
Die Zahl der auf Grund ihrer schwierigen Erreichbarkeit inoperablen
Tumoren verringert sich sicherlich von Tag zu Tag: die Chirurgie verfügt
468 Wickham und Degrais,
heute über Mittel, die ihr erlauben, in jede nur mögliche Region einzu-
dringen, und kann aus diesem Grunde auch dem Radium in verschiedenen
Partien des Organismus einen Weg öffnen. Sie wird auch neue Opera-
tionsmethoden erdenken, nur um dem Radium die bestmögliche Einführung
und Applikation zu gestatten. Die Hand des Chirurgen ist zur guten
Applikation des Radiums unentbehrlich, und dieses wieder stellt eine Ver-
längerung des Messers dar.
Wir erlauben uns in dieser Beziehung unser Thema etwas auszudehnen
und auf den Kehlkopfkrebs einzugehen, der, der Chirurgie schwer zugäng-
lich, im Radium ein mächtiges Mittel zu seiner Bekämpfung gefunden hat,
wie wir uns in einem Falle, in dem das Neoplasma auf dem linken Stimn-
band lokalisiert war, überzeugen konnten.
Dank der operativen Geschicklichkeit Dr. Bellins konnten hier die
Applikationszeiten lange genug ausgedehnt werden, um eine manifeste Ver-
ringerung des Tumors herbeizuführen.
Endlich möchten wir dem Oesophaguskarzinom noch einen Platz ein-
räumen, das ja der Operation besonders unzugänglich ist. Dank der Oesophago-
skopie können wir den Sitz des Karzinoms genau lokalisieren, und die in einer
Oesophagussonde enthaltenen Radiumträger werden mit dieser verschluckt und
von dem Patienten 2 bis 3 Stunden und länger an ihrem Platze gehalten.
Nach einer derartigen Bestrahlung wird die Passage der Nahrungs-
mittel sehr schnell eine leichtere. Die eigentümlichen unangenehmen
Schmerzen verringern sich und der Patient fühlt sich sehr erleichtert.
Wir haben Fälle beobachtet, die nach der Bestrahlung während mehr als
drei Jahren in gutem Gesundheitszustand blieben.
In der Gruppe der inoperablen, aber nichtsdestoweniger leicht zu-
gänglichen Geschwülste, sind die Tumoren des Uterus noch einmal in ganz
besonders weiten Grenzen der Radiumbestrahlung zugänglich. Wenn man
durch eine vorherige Kurettage den Strahlen ermöglicht, in großer Menge
in die Tiefe der Läsion einzudringen, kann das Karzinom dieser Regionen
während langer Zeit den Patienten die Illusion einer Heilung geben. Die
Hämorrhagien verschwinden ebenso wie die besonders abundante fötide
Sekretion: die bestehenden unerträglichen Schmerzen werden in äußerst
bemerkenswerter Weise verringert.
Erwähnen möchten wir noch die vaginalen Rezidive, die nach einer
Hysterektomie auftreten, und die durch die Radiumbestrahlung allein in
äußerst dauerhafter Weise gebessert werden können. Der erste derartige
Fall in Frankreich wurde durch uns und unter unserer Leitung behandelt.
Wir konnten die Patientin durch vier Jahre hindurch beobachten, ohne
daß die geringste Spur eines Rezidivs zu konstatieren gewesen wäre, dann
verloren wir sie leider aus dem Gesicht.
469
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Radium bei der Behandlung maligner Tumoren.
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470 Wickham und Degrais,
In dieser Gruppe der inoperablen aber leicht erreichbaren Tumoren
möchten wir noch einen inoperablen Prostatatumor erwähnen, der uns in-
teressant erscheint. Durch urethrale Einführung von Radiumträgern konnten
wir den Tumor soweit modifizieren, daß seine Ablation möglich wurde.
In einem anderen Falle, in dem es sich um ein Neoplasma der Pro-
stata handelte, das sich in die Blasenhöhlung hinein verlängerte, konnten
wir durch im Oktober 1909 begonnene Radiumbestrahlung ein Ver-
schwinden der subjektiven und objektiven Symptome herbeiführen. Der
Patient, ein englischer Kollege, erfreut sich heute eines ausgezeichneten
Wohlbefindens.
Wir gelangen nun zu den, obgleich leicht erreichbaren, doch in-
operablen Tumoren, deren Inoperabilität durch die Umschließung oder die
Invasion der vaskulonervösen Bündel des Halses bedingt ist.
Das erste Beispiel liefert uns ein Patient, der, von der Chirurgie aufgegeben,
allen Voraussagungen nach in der kurzen Frist von einem oder zwei Monaten.
seiner Erkrankung hätte erliegen müssen. Dank der Radiumtherapie hat dieser
Kranke noch 2!/, Jahr länger gelebt; dann erlag er der Bildung neuer Herde im
Pharynx, die der Radiumbestrahlung leider durchaus unzugänglich waren. Während
der zwei Jahre, die der Bestrahlung folgten, wies der Patient einen hervorragend
guten Allgemeinzustand auf, er hatte sein normales Leben wieder aufgenommen und
mit seiner Frau ein gut konstituiertes Kind erzeugt. Das Karzinom, von dem er
befallen war, hatte einen Monat nach einer ersten chirurgischen Exstirpation ein
Rezidiv gesetzt, das sich äußerst rapid entwickelte. Von ganz beträchtlichem
Volumen, und die ganze rechte Seite des Halses einhüllend, war es fest in die
tieferen Schichten eingebettet. Wir baten damals Dr. Bazet, soviel als irgend-
möglich von dem bösartigen Gewebe fortzunehmen. Nach dieser ziemlich weit-
gehenden Operation blieb nichtsdestoweniger noch eine dicke Schicht karzinomatösen
Gewebes am Grunde der Wunde, die wegen der Nähe der großen Halsgefüße un-
möglich exstirpiert werden konnte. Hätte man den Tumor sich jetzt selbst über-
lassen, so hätte er in einigen Wochen seine frühere Ausdehnung wieder erlangt.
ja er wäre durch den blutigen Eingriff nur exzitiert worden.
Die Radiumträger wurden auf die frische Wunde appliziert, und dank den
großen Dosen, die wir anwendeten, gelang es uns die maligne Entwicklung des-
selben aufzuhalten, die Gewebe selbst in den tieferen Regionen zu moditizieren,
und nach und nach die Vernarbung herbeizuführen.
Indem wir der Radiumbestrahlung den chirurgischen Eingriff voraus-
gehen ließen, verfolgten wir den Zweck, die Dicke des zu bestralilenden
karzinomatösen Gewebes zu verringern, um in sichererer und vollständigerer
Weise auf die weiter entfernt gelegenen epithelialen Elemente einwirken
zu können.
Die Technik kann in allen Fällen je nach der Natur des malignen
Tumors verschieden sein, und ın den Fällen, in denen es sich um besonders
radiosensible Gewebe handelt, zum Beispiel bei den Lymphadenomen, kann
sich der chirurgische Eingriff darauf beschränken, den Tumor zu punktieren.
um die Einführung der Radiumträger zu gestatten.
471
Radium bei der Behandlung maligner Tumoren.
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472 Wickhamu.Degrais, Radium b. d. Behandlung maligner Tumoren.
So war die Technik beschaffen, die wir bei einem Patienten, der ein
Lymphosarkom aufwies, zur Anwendung brachten. Der Tumor war am
Halse situiert und verursachte Schluck- und Respirationsbeschwerden.
Heute besteht nur noch eine geringe Masse, von der Größe einer Nuß
etwa, die leicht operabel wäre, falls die Radiumstrahlung nicht imstande
sein sollte, den letzten Rest des Tumors zum Verschwinden zu bringen.
Schlußfolgerung: Aus der Gesamtheit der Tatsachen, die wir
Ihnen soeben vorlegten, möchten wir nicht allzu absolute Schlußfolgerungen
ziehen.
Wenn die Vereinigung der Chirurgie mit dem Radium uns gute Aus-
sichten im Kampf gegen den Krebs zu geben scheint, muß dennoch das
Radium ganz besondere Verhältnisse vorfinden, ehe es den Platz verdient,
den wir ihm in dieser Union einräumen möchten. Vor allem ist es not-
wendig, dab die radioaktive Strahlung alle bösartigen Elemente erreichen
kann. Die Bestrahlung muß so homogen als möglich sein und sich zur
gleichen Zeit vor allem gegen die Basis und die peripherischen Partien des
Tumors richten. Zur Schaffung dieser Verhältnisse kann die Chirurgie
in weitgehendstem Maße, durch Eröffnung der günstigsten Zugangswege
und durch Ablation der maximalen Menge des bösartigen Gewebes beitragen.
Wenn es auch, wie wir soeben sagten, in erster Linie notwendig ist, daß
die radioaktive Strahlung alle erkrankten Zellen erreicht, ist es noch viel
wichtiger, daß diese Elemente von der genügenden Strahlenmenge er-
reicht werden, um ihre anatomische Zerstörung herbeizuführen. Ist dies nicht
der Fall, dann wird die Radiumbestrahlung nur eine Reizwirkung auf
diese Zellen ausüben. Wir heben diese Tatsache besonders hervor, weil
wir nur zu oft Mißerfolge gesehen haben, die auf nichts anderes als auf
die ungenügende Aktivität des verwandten Radiums zurückzuführen waren.
Die anzuwendende Radiummenge spielt eine äußerst wichtige Rolle für
den Erfolg der Behandlung und muß vorher, je nach der mehr oder minder
großen Radiosensibilität des zu bestrahlenden Gewebes, festgelegt werden.
Nach allen unseren Erfahrungen, und weit davon entfernt,
die Chirurgie in der Behandlung des Krebses durch die Radium -
therapie ersetzen zu wollen, glauben wir, daß diese beiden thera-
peutischen Maßnahmen ihre Anstrengungen vereinigen sollten,
um durch ihre Assoziation eine ganz neue Wissenschaft zu
konstituieren, die unseren Kranken durch die gleichzeitige Er-
weiterung des Wirkungsfeldes der Chirurgie ebenso wie auch
der Strahlentherapie, neue Hilfe bringen kann.
(Übersetzt von F. Reber- Bordeaux.)
Die Behandlung des Krebses mittels Radium.
Von
Dr. A. Bayet,
Professor der Dermato-Syphiligraphie an der Universität Brüssel.
ie Frage der Behandlung des Krebses mit physikalisch-chemischen
Mitteln ist derart weit umfassend, daß es für ein und denselben Autor
beinahe unmöglich ist, dieselbe unter allen Gesichtspunkten mit derselben
Sachkenntnis zu behandeln. Ich habe mich deshalb in der folgenden
Arbeit begnügt, nur diejenigen Punkte zu besprechen, welche ich speziell
studiert habe und für welche mir eine schon lange Erfahrung zur Seite
steht.
Ich werde mich daher in dieser Arbeit darauf beschränken, die Be-
handlung des Krebses mit der wirksamsten und am besten gekannten radio-
aktiven Substanz, dem Radium, zu erörtern.
Wenn es sich um die Behandlung einer sowohl durch ihre Struktur
als durch ihre Lokalisation so verschiedenartigen Erkrankung, wie der
Krebs es ist, handelt, so kann man unmöglich für eine Methode eine ab-
solute Überlegenheit beanspruchen. Man kann höchstens präzisieren, welche
Hilfe man von dem oder dem therapeutischen Agens erwarten kann, darf
aber in keiner Weise dieses Agens exklusiv unter Ausschaltung aller an-
deren in den Himmel heben. Bei der Behandlung des Krebses ist ein
Eklektizismus schon durch die allzuvielen Mißerfolge geboten, welche jede
Methode, auch die als die beste empfohlene, leider aufzuweisen hat. Wenn
man glaubt, „das Karzinom‘‘ durch eine Radikaloperation, durch Röntgen-
strahlen, durch Radium, durch Selenium oder durch Kupfer zu heilen, so
verfällt man in einen naiven Optimismus, welcher leicht durch die Erfah-
rungen der Praxis Lügen gestraft wird.
Diese Einleitung schien mir nötig. Denn in vielen Publikationen, in
welchen man die mittelst radioaktiver Substanzen erhaltenen brillanten Re-
sultate preist, hat man der Methode dadurch geschadet, daß man es unter-
ließ, die nötigen Vorbehalte zu machen, und daß man die bei manchen
Krebsen erzielten günstigen Erfolge auf die Allgemeinheit der Krebse
übertrug.
Ich werde deshalb bei der Aufzählung der bisher erzielten Resultate
‚so objektiv als nur möglich vorgehen.
Ich enthalte mich, auf alles einzugehen, was bisher in dieser Frage
geschrieben worden ist. Die Hauptpunkte findet der Leser im Lehrbuch
474 Bayet,
der Radiumtherapie von Wickham und Degrais. Ebenso ist es über-
flüssig, alle in der Literatur verzettelten Beobachtungen von Erfolgen und
Mißerfolgen Revue passieren zu lassen, besonders auch deshalb, weil diese
Beobachtungen selten untereinander verglichen werden können. Denn bis-
her hat man mit wenigen Ausnahmen sich viel zu wenig befleißigt, die
Strahlung, die man verwandte, zu messen. Wenn auch die zur Verfügung
stehenden Meßmethoden unzulänglich sind, so würden sie doch, wenn sie
allgemein von den Radium anwendenden Ärzten geübt würden, eine wenn
auch nur ungefähre Vergleichung der benutzten Strahlung gestatten. Eine
Beobachtung einer Heilung eines Epithelioms ist recht uninterressant, wenn
man nicht aus derselben erfährt, mit welcher Methode der Radiumbestrah-
lung der Erfolg erzielt wurde.
Es ist das Verdienst von Wickham, Degrais und Dominici, in
diesem Wirrwar, welcher an die Zeit vor der Erfindung der Meßmetho-
den der Röntgenstrahlen erinnert, Abhilfe geschaffen zu haben.
Es würde in diesem Berichte zu weit führen, das Studium des Strahlen-
gemisches des Radiums wieder aufzunehmen. Es genügt, wenn ich daran
erinnere, dad man für die Praxis am besten die Strahlung des Radiums
in zwei Strahlenarten einteilt: 1. die weichen und halbweichen Strahlen,
welche die a-, die weichen und mittleren ß-Strahlen umfassen und 2. die
harten, zu welchen die ß- und die y-Strahlen gehören.
Die ersteren, die weichen Strahlen, werden leicht absorbiert und kom-
men nur für eine oberflächliche Wirkung in Betracht. Im allgemeinen geht
ihre Tiefenwirkung im Krebsgewebe nicht über einen bis zwei Zentimeter.
Die zweiten, die harten Strahlen, werden für Tiefenwirkung benützt.
Sie durchdringen den Tumor, sei er auch noch so stark. Leider sind sie
nur in geringem Verhältnis in der Gesamtstrahlung des Radiums enthalten
(1—3°/,) und ihre große Penetrationsfähigkeit macht sie nur zum Teil ver-
wertbar. Infolgedessen müssen sie immer sehr lange einwirken, wenn man
eine zerstörende Wirkung auf die Krebszelle erzielen will.
Ich füge hinzu, daß in der Radiumtherapie immer eine starke thera-
peutische Wirkung vorhanden sein muß. Eine ungenügende Bestrahlung
ist gefährlich, denn sie bewirkt nachgewiesenerweise oft eine viel aktivere
Wucherung der Krebszellen. Die das Wachstum des Tumors befördernden
„Peitschenschläge‘‘ welche man in vielen Krankengeschichten vermerkt
findet, haben oft keine andere Ursache. Die Folge davon ist, daß man,
um sich an größere Tumoren zu wagen, eine beträchtliche Menge Radium
haben muß, was wiederum ein Hindernis für eine allgemeine Einbürgerung
der Radiumtherapie ist.
Wir wollen nun sehen, welches die Wirkung des Radiums auf Krebs-
neubildungen ist.
Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 475
Vom rein praktischen Standpunkt werde ich dieselben in 1. oberfläch-
liche und 2. tiefe Krebse einteilen.
Diese Einteilung hat absolut nichts wissenschaftliches. Da aber vor-
liegende Arbeit sich besonders mit der Therapie beschäftigt, hat sie den
Vorteil, sich den beiden Strahlenvarietäten anzupassen. Denn die ober-
flächlichen Tumoren gehören den weichen, die tiefliegenden müssen mit
harten Strahlen angegriffen werden.
I. Oberflächliche Krebse.
Bei oberflächlichen Epitheliomen, sei es daß sie an der Haut oder
den Schleimhäuten sitzen, ist die Wirkung des Radiums gewöhnlich eine
sehr bemerkenswerte. Man wird zahlreiche Beispiele hierfür in dem klassi-
schen Buche von Wickham und Degrais finden,!) und ich selber habe
in einem 1911 erschienenen Werke zahlreiche und beweisende Beispiele
hierfür niedergelegt.?)
Die Methode, die man anwendet, besteht darin, daß man auf den
Tumor während einer relativ kurzen Zeit (10 bis 12 Stunden) die weichen
Strahlen eines radiumhaltigen Apparates von starker Intensität einwirken
läßt. Gewöhnlich benutzt man einen Apparat von 300000 bis 500000
Einheiten und da man die Wirkung der weichen Strahlen sucht, so filtriert
man nicht. Jeden Tag macht man eine Sitzung von 2 bis 3 Stunden.
Ist das Epitheliom relativ tiefsitzend, so fügt man einige Sitzungen
(3 bis 4) von 12 Stunden Dauer zu und benutzt diesmal aber die harten
Strahlen, was man durch Filtrierung mittels einer 1 bis 2 Millimeter
dicken Bleiplatte erreicht.
14 Tage nach der Behandlung bildet sich eine heftige Reaktion, welche
zur Eiterung und Bildung einer Kruste führt. Letztere ist dick und
schalenförmig und hat überhaupt ein für Radium charakteristisches Aus-
sehen. Man hat sie die „Radiumkruste“ genannt. Der Tumor sinkt mehr
und mehr zusammen und es erfolgt Narbenbildung.
Die resultierende Narbe kann in Bezug auf Retraktilität als ideal be-
zeichnet werden. Sie ist dünn, dehnbar und ist oft kaum von der nor-
malen Haut zu unterscheiden. Man kann sagen, dal von diesem Gesichts-
punkte aus, wenn man die ästhetische Seite betrachtet, schwerlich auf an-
derem Wege Besseres erzielt werden kann.
Die Vorteile, welche das Radium bei der Behandlung der oberfläch-
lichen Epitheliome bietet, sind zahlreich:
1. Vor allem ist diese Behandlung leicht durchzuführen. Es genügt,
1) Wickham et Degrais. Radiumthérapie 2 me édition 1912.
2) Bayet. Le radium, ses effets thérapeutiques 1911. Deutsche Übersetzung
von Prof. Schiff.
476 Bayet,
den Tumor mit einer Bleifolie zu umgeben, um die gesunden Hautpartien
zu schützen, und darüber die Radiumplatte mit Heftpflaster zu befestigen.
2. Die Behandlung ist absolut schmerzlos, sowohl während der Behand-
lung als nachher bei der entzündlichen Reaktion.
3. Die Narbe, die man erhält, kann als vollkommen bezeichnet wer-
den. Sie ist in keiner Weise eingezogen, wie ich schon erwähnt habe.
Mikroskopische Untersuchungen dieses Narbengewebes haben gezeigt, daß die
Bindegewebsbündel nicht wie in einer gewöhnlichen Narbe verlaufen. Sie
verlaufen in parallelen, leicht gewellten Bündeln, die nicht wie in retraktilen
Narben ineinander verflochten sind.
4. Wenn die Behandlung ordentlich durchgeführt ist, entsteht niemals
eine Radiumdermatitis und man hat nicht die unangenehmen Überraschungen
zu befürchten, welche bei der Behandlung mit Röntgenstrahlen selbst dem
gewiegtesten Röntgentherapeuten vorkommen können. Übrigens ist die
Radiumdermatitis lange nicht so gefährlich als die Röntgendermatitis. Wenn
sie einmal zufällig auftritt, so verläuft sie immer unter dem Bilde einer
einfachen Reizung und heilt in 14 Tagen unter ganz indifferenter Behand-
lung ab.
Diese Vorteile geben für das Radium einige Indikationen der
Wahl ab, bei welchen dasselbe Resultate erzielt, die man schwer mit an-
deren Mitteln erreichen kann.
In der Tat, die Leichtigkeit seiner Anwendung, die Möglichkeit, seinen
Aktionsradius streng zu umschreiben, zuletzt die Bildung einer in keiner Weise
eingezogenen Narbe machen das Radium zur Behandlung mancher Epitheli-
ome der Augenlider geeignet. Man weiß, wie schwierig es ist, in diesen
Fällen chirurgisch vorzugehen, ohne schwere Entstellungen hervorzurufen.
Man weiß auch, eine wie geringfügige Narbenretraktion bereits ein Ectropium
herbeiführen kann. Andererseits eignen sich die Röntgenstrahlen schwer
zu einer genauen Lokalisation der Strahlung. Das Radium hat alle diese
Unannehmlichkeiten nicht und in zahlreichen Fällen konnte ich ein Lid-
epithieliom vollständig zum Verschwinden bringen, ohne Ectropium, ja über-
haupt ohne eine nennenswerte Narbe zu erzeugen.
Ebenso erzielt man beim Epitheliom des äußeren Gehörgangs
mittels des Radiums Resultate, die man schwer mit anderen Mitteln er-
reichen würde.
Die Leichtigkeit der Applikation des Radiums erlaubt auch, mit seiner
Hilfe die Epitheliome des Zahntleisches und der Innenseite der Wangen
zu behandeln. Dies ergeben Beobachtungen, bei welchen eine vollkom-
mene anscheinend narbenlose Heilung erzielt wurde.
Außer den Indikationen der Wahl, die ich soeben erwähnt habe und
welche besonders durch den Sitz des Epithelioms bedingt sind, gibt es noch
Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 477
andere Fälle, in welchen das Radium eine Wirksamkeit entfaltet, wie sie
ähnliche Mittel, wie z. B. die Röntgenstrahlen nicht aufzuweisen haben.
Die erste Gruppe dieser Fälle wird durch das Lippenepitheliom ge-
bildet. Man weiß, daß sehr oft die Wirkung der Röntgenstrahlen auf
diese Krebsart ungenügend, oft sogar schädlich ist. Mit Radium hingegen
erzielt man eine Heilung mit staunenswerter Leichtigkeit, selbst wenn es
sich um ein recht voluminöses Epitheliom handelt. Ich habe viele Fälle
dieser Art behandelt, welche bisher noch nicht rezidiviert haben. Die
Ulzeration und der Tumor schwinden oft, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Man wird die Vorzüge einer Methode anerkennen, welche ein Lippen-
epitheliom ohne Deformierung der Mundöffnung zum Schwinden bringt.
Die zweite Gruppe wird gebildet von unerklärlichen Fällen, welche
auf Röntgenstrahlenbehandlung absolut keine Besserung zeigen, die aber
auf Radium vorzüglich reagieren. Hierher gehört hauptsächlich das Ulcus
rodens des Gesichts. Ich habe eine Anzahl Fälle gesehen, die den Röntgen-
strahlen gegenüber absolut refraktär waren, während sie mit Radium in der
üblichen Zeit geheilt wurden.
Neben diesen speziellen Indikationen, wo das Radium die Methode der
Wahl bildet, muß ich jetzt die Fälle nennen, bei welchen Mißerfolge zu
verzeichnen sind.
1. Es gibt manche seltene Varietäten von oberflächlichen Epitheliomen,
auf welche das Radium keine Wirkung ausübt. Unter diesen ist es beson-
ders eine Form, welche im Gesicht oder am behaarten Kopf ihren Sitz
hat und durch einen harten, vorspringenden Knoten mit kartilaginösen
Rändern und langsamen Verlauf charakterisiert ist. Sie kommt gewöhn-
lich bei Greisen vor. Aus unbekannten Gründen ist diese Varietät dem
Radium gegenüber absolut refraktär.
Es scheint am ungezwungensten, die Ursache dieser Mißerfolge in der
histologischen Struktur des Epithelioms zu suchen. Tatsächlich hat Darier
für die Röntgenstrahlen, deren Wirkung dem Radium so ähnlich ist, nach-
gewiesen, dal die Hautkankroide vom Stachelzellentypus nicht günstig
reagieren und daß sie sogar unter ihrem Einfluß zu stärkerem Wachstum
angeregt werden.
2. Das gleiche gilt für manche Formen von Ulcus rodens, welche der
Behandlung trotzen, ohne dab es möglich wäre, die Ursache dafür zu fin-
den. Diese Fälle sind aber relativ selten, denn gewöhnlich weicht das
Ulcus rodens mit größter Leichtigkeit.
3. Es scheint, dal manche Lokalisationen des Hautepithelioms seine
Widerstandskraft dem Radium gegenüber beeinflussen: ich will nur das
Epitheliom des inneren Augenwinkels nennen, welches auf Radium
sehr gut reagiert, so lange es nicht auf den Konjunktivalsack übergegriffen
Strahlentherapie Band III, Heft 2. al
478 | Bayet,
hat, aber sofort refraktär wird, wenn dies der Fall ist. Es ist dies ein
merkwürdiger Fall von Wechsel der Schwere eines Krebses je nach der
Lokalisation.
4. Endlich sind manche Karzinome der Schleimhäute dem Ra-
dium gegenüber refraktär, so vor allem das Karzinom der Zunge. Im
Anfang meiner Untersuchung hatte ich im Vertrauen auf einen günstigen
Fall, wo 2 kleine Zungenepitheliome beim gleichen Kranken auf eine sehr
energische Radiumbehandlung vollständig geschwunden waren, gehofft, auch
dieser furchtbaren Lokalisation Herr zu werden. Ich konnte mich später
davon überzeugen, daß ich zufällig auf einen Ausnahmefall gestoßen war.
denn keiner meiner späteren Kranken hatte einen Vorteil von der Behand-
lung. Im Gegenteil glaube ich, daß in manchen Fällen die Radiumappli-
kation wie ein Peitschenhieb auf das weitere Wachstum des Krebses ge-
wirkt hat.
Die Ursachen für diese Mißerfolge liegen in den ganz besonderen Ver-
hältnissen, die beim Zungenkrebs angetroffen werden. Vor allem ist es
sehr schwer, auf die Zunge eine genügend energische Strahlenmenge zu
applizieren, ohne die Mucosa stark zu reizen, die dem Radium gegen-
über äußerst empfindlich ist. Ferner ist der Erfolg einer Radiumbehand-
lung zum großen Teil von der Möglichkeit abhängig, die Läsion gut ab-
grenzen zu können. Bekanntlich findet man aber neben dem sichtbaren,
klinisch definierbaren Tumor häufig Krebszellenstränge, die sich in weiter
Entfernung zwischen den quergestreiften Muskelfaserbündeln hinziehen.
Dieselben Mißerfolge konstatiert man bei manchen noch schlecht de-
finierten Vulvakarzinomen, besonders aber bei solchen, die an der Innen-
fläche der kleinen Labien sitzen. Hier ist die Mucosa ebenso empfindlich
wie an der Zunge und in manchen Fällen schien mir ebenfalls die Radium-
applikation wie ein Peitschenhieb auf das Wachstum der Geschwulst zu wirken.
Um dasjenige zusammenzufassen, was wir von der Radiumwirkung auf
die Haut- und Schleimhautkrebse wissen, möchte ich folgendes als sicher
hinstellen:
1. Das Radium ist eine äußerst wirksame Behandlungsart in der groben
Mehrzahl der Fälle: es ist leicht anwendbar, nicht schmerzhaft, gibt tadel-
lose Narben sowohl in funktioneller als in ästhetischer Beziehung.
2. Bei manchen Lokalisationen bildet es die Behandlung der Walıl.
3. Manche Formen von Epitheliomen der Haut und der Schleimhäute
widerstehen seiner Wirkung.
II. Tiefliegende Krebse.
Es besteht zwar Einstimmigkeit, um anzuerkennen, daß das Radium
ein ganz erstklassiges Mittel in der Behandlung der oberflächlichen Kar-
Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 479
zinome ist; für die tiefliegenden Krebse sind aber die Ansichten sehr
geteilt.
Dies ist auch verständlich. Denn nichts ist schwerer, als sich ein
Gesamtbild dieser Wirksamkeit zu machen. Denn am Anfang jeder Dis-
kussion über dieses Thema findet sich ein variabler Punkt, der eine Ver-
allgemeinerung der durch die einzelnen Beobachtungen von Erfolg oder
Mißerfolg gegebenen Tatsachen hindert: dieser variable Punkt ist in der
Verschiedenartigkeit der Schwere des Krebses je nach dem Terrain, auf
dem er implantiert ist, gegeben. Wenn schon auf der Haut diese Ver-
schiedenartigkeit trotz der relativen Gleichartigkeit der Struktur und Funk-
tion der Haut in den verschiedenen Körpergegenden augenfällig ist, um
wie viel größer muß diese Schwankung in Organen mit so verschieden-
artiger Struktur wie den Eingeweiden sein.
Eine andere Schwierigkeit besteht in den Hindernissen, welche einer
wirksamen Bestrahlung entgegenstehen. Je nach der Tiefe, in welcher
das erkrankte Organ liegt, ist die bis zu demselben gelangende Strahlen-
menge ganz erheblichen Schwankungen ausgesetzt. Liegt der Tumor in
der Umgebung der Oberfläche, so wird die Bestrahlung genügend sein;
sitzt er tief, in der Bauchhöhle zum Beispiel, so wird die bis zu ihm hin-
gelangende Strahlenmenge zu gering sein, um einen Heileffekt zu haben.
Ist es gerechtfertigt, auf derartig von einander verschiedene Tatsachen
gestützt, sich eine Beurteilung der zerstörenden Wirkung des Radiums auf
einen Tumor zu erlauben? Ich glaube es nicht. Diese Frage muß ganz
außer Acht gelassen werden. A priori kann und muß man annehmen,
daß das Radium, da es eine so günstige Wirkung auf die zugänglichen
Karzinome entfaltet, auch auf die meisten tiefliegenden Krebse eine solche
Wirkung haben muß, unter der Bedingung, daß die Strahlenmenge ge-
nügend ist und unter Berücksichtigung mancher Ausnahmen, welche man
in späteren Untersuchungen herausfinden muß.
Stellen wir uns aber auf den Standpunkt der Praxis, so müssen wir
uns fragen, ob es möglich ist, mittels Radium tiefliegende Krebse zu
heilen. |
Da dies im Grunde nur eine Frage der Quantität der Strahlung ist,
so wollen wir die tiefliegenden Krebse in 3 Kategorien teilen:
1. Diejenigen, die tief in den großen Körperhöhlen, der Thorakal- und
Bäuchhöhle liegen und infolgedessen sehr entfernt von der Oberfläche sind.
2. Diejenigen, die unter der Haut liegen und leicht erreicht werden
können (Krebse des Halses und der Brustdrüse).
3. Diejenigen, welche trotzdem sie in der Thorakal- oder Bauchhöhle
liegen, doch durch natürliche Wege zugänglich sind (Karzinom des Oeso-
phagus, des Rektums, der Prostata, der Gebärmutter).
3l*
480 Bayet,
Technik der Bestrahlung. — Bei tiefen Krebsen benutzt man
nur Platten mit einer sehr starken Strahlung (300 000, 500000, 1000 00%
radioaktive Einheiten) und starke Filter (2 Millimeter Blei), so daß die
weichsten Strahlen ausgeschaltet und nur die ultrapenetranten (harte $ und y`
Strahlen beibehalten werden. Man benützt auch in manchen Fällen Röhr-
chen von 1l/, bis 2 Zentimeter Länge, welche 2 bis 5 Zentigramm Radium
in einem Silber- oder Platinröhrchen enthalten, dessen Wände 3 bis
5 Millimeter dick sind, und infolgedessen nur die ultrapenetranten Strahlen
passieren lassen.
1. Für die sehr tiefliegenden Krebse, welche in der Abdominal- und
Thorakalhöhle liegen, sind die Schwierigkeiten maximal. Die Distanz. in
welcher sie sich von der Oberfläche befinden, vermindert die auf den Tumor
auftreffenden Strahlen erheblich. Da man nun in diesen Fällen nur die
ultrapenetrierenden Strahlen benutzt, die nur einen ganz geringen Bruch-
teil der Gesamtstrahlung des Radiums bilden, so ist die Strahlung, die auf
den Tumor fällt, nur gering, Dazu kann man diese Tumoren erst dia-
gnostizieren, wenn sie bereits einen gewissen Umfang angenommen haben und
dann eine energische Behandlung benötigen würden. Es ist deshalb nicht
zu verwundern, daß es bis jetzt keine einer ernsten Kritik standhaltende
Beobachtung einer Heilung eines tief in der Bauch- oder Brusthöhle liegen-
den Krebses durch Radium gibt.
2. Erreichbare Krebse, welche unter der Haut sitzen. Der Typus
dieser Krebsart ist der Brustdrüsenkrebs und das Karzinom der Halsgegend.
also Krebse, die unter der Haut und dem Unterhautzellgewebe sitzend
einer genügenden Bestrahlung zugänglich sind.
In dieser Klasse von Krebsen beobachtet man beinahe in allen Fällen
eine auflösende Wirkung des Radiums.
Man könnte meinen, dal diese Tatsache beweisend ist und daß das
Radium die Behandlung der Wahl dieser Karzinome werden sollte. In der
Praxis mul man aber demgegenüber ernste Vorbehalte machen.
Vor allem ist die Radiumwirkung ziemlich langsam. Eine erste Be-
strahlung von 100 bis 200 Stunden bewirkt eine Hemmung des Wachs-
tums der Geschwulst und eine partielle Regression derselben. Man muß
dann ungefähr 8 bis 10 Wochen warten, bis man die Bestrahlung wieder
aufnehmen kann. In dieser Zeit können sich aber, besonders bei manchen
stark proliferierenden Formen Metastasen bilden, ferner können Herde, die
nicht von der Bestrahlung getroffen wurden, weiter wachsen. Kurz für
manche Krebsarten ist die Radiumbehandlung eine zu langsame.
Aus dem eben Gesagten folgt, daß man in jedem Falle mit der The-
rapie individualisieren muß.
Die erste Frage, die man aufwerfen muß, wenn man sich einem der-
Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 481
artigen Fall gegenüber sieht, ist zu wissen, ob man von vornherein das
Radium als Behandlung wählen soll.
Darauf kann es nur eine Antwort geben: Wenn das Karzinom
operabel ist und besonders wenn es sich um einen Fallim Be-
ginn handelt, muß man unbedingt zuerst so weit als möglich
im Gesunden extirpieren. Der gesunde Menschenverstand sagt, daß
man von allen Methoden die rascheste und radikalste wählen soll. Man
kann immer noch nach der Operation eine Nachkur mit Radium machen.
Diese Regel kann manche Einschränkungen erleiden:
a) Die Operation muß weit im Gesunden ausführbar sein.
Dies ist bei manchen Krebsen, selbst im Beginne, nicht immer der Fall;
ıch spreche dabei besonders von denjenigen, welche in der Parotisgegend
sitzen. In diesen Fällen kann es von Vorteil sein, die Behandlung mit
einer Radiumkur zu beginnen. Es tritt dann eine Rückbildung des Tumors
ein, seine Verwachsungen werden gelöst und die mikroskopischen aberrieren-
den Keime werden sterilisiert.
b) Das Alter der Patienten oder manche Krankheiten verbieten oft
die Operation: in diesen Fällen kann das Radium, wie wir später sehen
werden, entschieden Dienste leisten.
c) Manche Karzinomarten reagieren so prompt auf die Radiumwirkung,
dal es vorzuziehen ist, dieses Mittel allein anzuwenden. Hierher ge-
hören die scirrhösen Formen des Brustdrüsenkrebses. Wenn die
Brustdrüse einen harten, beweglichen Knoten enthält, so kann man mit
Radium seine vollkommene Resorption erreichen. Ich habe mehrere der-
artige Fälle beobachtet, außerdem hat mir Herr Dr. Degrais die Kran-
kengeschichte einer Frau übermittelt, welche in ihrer Brustdrüse einen
Knoten von 5 Zentimeter Durchmesser barg, der auf der Unterfläche be-
weglich war. Der vor 2 Jahren behandelte Tumor ist vollständig ver-
schwunden. An seiner Stelle ist eine leichte Narbe zu fühlen: nichts
deutet auf das frühere Vorhandensein eines sceirrhösen Tumors hin.
Was in diesen Fällen uns veranlassen muß, dem Radium den Vorzug
zu geben, ist der sehr langsame Verlauf dieser Tumorart, welche, wenn
sie operiert wird, oft Rezidive verursacht, welche sehr viel schneller
wachsen.
Um diese Ergebnisse zusammenzufassen: Man muß bei diesen tief-
liegenden aber zugänglichen Krebsen, wenn sie noch im Beginn sind,
operieren. Man muß aber berücksichtigen, daß wenn die Operation aus
dem einen oder anderen Grunde kontraindliziert ist, das Radium das Wachs-
tum des Tumors aufhalten und sogar denselben zum Verschwinden bringen kann.
Bei manchen scirrhösen Formen ist das Radium der Operation vor-
zuziehen.
452 Bayet,
3. Tiefliegende Krebse, die von einer natürlichen Körperöffnung aus
der Bestrahlung zugänglich sind (Karzinom des Uterus, der Prostata. des
Oesophagus).
Früher, als man als Bestrahlungsinstrumente nur Platten besaß, konnte
man diese Art tiefer Krebse nicht behandeln. Jetzt, wo man das Radium
in Tuben hat, ist es möglich, dasselbe direkt mit dem Tumor in Kontakt
zu bringen und dort während einer genügenden Zeit zu fixieren.
Unter den Karzinomen, die uns hier beschäftigen, gibt es zwei Arten.
die operabeln und die nicht mehr operabeln.
Für die ersteren sind meine Indikationen die gleichen wie für die
übrigen operabeln Karzinome: Wenn man den Tumor weit im Gesunden
exzidieren kann, so muß man vor allem chirurgisch vorgehen.
Doch sind in dieser Karzinomgruppe die Fälle häufig, welche infolge
ihrer Lokalisation oder infolge des Allgemeinbefindens und des Alters der
Kranken inoperabel sind. In diesen Fällen kann das Radium die besten
Dienste leisten, ohne von einer anderen Methode übertroffen zu werden.
Die Methode der Behandlung dieser tiefliegenden Krebse durch radıum-
haltige Tuben wurde am meisten durch Wickham und Degrais geübt.
Ich verdanke der Güte des letzteren die Beobachtungen. die ich im folgen-
den wiedergebe:
Karzinome des Uterus.
a) Cervixkarzinom. In den vegetierenden Formen des Cervix-
karzinoms gibt das Radium Erfolge, welche bereits ihre Probe bestanden
haben. Man kann der Radiumapplikation eine Auskratzung vorausschicken.
ohne dal) dies aber nötig ist.
Eine Kranke mit Cervixkarzinom und beginnender Infiltration des
Ligamentum war als inoperabel bezeichnet worden. Das Radium wurde ın
Form von Tuben angewandt. Seit 3 Jahren haben keine Blutverluste mehr
stattgefunden und beim Touchieren findet man das Vaginalgewölbe weich
und nachgiebig. Der Cervix ist gleichsam amputiert.
Eine inoperable Kranke wird zuerst probeweise kurettiert; dann wur-
den Radiumtuben appliziert und seit über 3 Jahren scheint die Kranke
vollständig geheilt.
b) Karzinome des Corpus und Cervix. In diesen Fällen kann
das Radium ebenfalls bedeutende Dienste leisten. Es löst alle schmerz-
haften Verwachsungen und Verhärtungen, welche den Uterus immobilisieren
und es gelingt auf diese Art viele Karzinome, welche inoperabel schienen.
ler Operation zugänglich zu machen.
c) Beiden Corpuskarzinomen gelingt es leicht, nach vorherge-
gangener Dilatation die Tuben ins Uterusinnere zu bringen. In diesen
Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 483
Fällen hören gewöhnlich die Blutverluste und der Ausfluß bald auf und
der unangenehme Geruch verschwindet.
Prostatakarzınome.
Auch das Prostatakarzinom reagiert auf Radium günstig. Man kann
übrigens leicht die Tuben an den Tumor heranbringen.
Wickham und Degrais haben einen englischen Arzt behandelt, bei
dem die Diagnose auf Prostatakarzinom mit Ausdehnung auf die Blase
von englischen und französischen Spezialisten gestellt worden war. Seit
bald 4 Jahren haben dank einer methodischen Behandlung die subjektiven
Symptome allmählich aufgehört und parallel dazu verschwanden auch die
objektiven Symptome mehr und mehr. Momentan kann man weder pal-
pitorisch noch zystoskopisch noch eine Veränderung finden, wo früher nie-
mand an der Diagnose gezweifelt hatte. |
In einem anderen Falle, bei einem französischen Arzt, hat das Radium,
in methodischer Weise während eines Jahres angewandt, die Hämor-
rhagien beseitigt und das Volumen der Prostata derart vermindert, daß
der vorher inoperable Fall operiert werden konnte. Der mikroskopische
Befund zeigte, daß es sich um ein Adeno-Epitheliom handelte.
In vielen anderen Fällen, in welchen die Prostata bedeutend ver-
erößert war und eine beträchtliche Retention verursachte, wich letztere
parallel mit der Volumabnahme des Organs nach und nach.
Oesophaguskarzinom.
„Die Möglichkeit, das Radium in kleinen Tuben genau an die Stelle
zu bringen, wo man die Verengerung mit Hilfe der Oesophagoskopie oder
der Radiographie feststellen konnte, macht diese Behandlung zu einer relativ
leichten. Die Kranken behalten die Sonde ein bis zwei Stunden oder
mehr, je nach ihrer Toleranz. Nach und nach verschwindet das Brechen
langsam und die Nahrungsaufnahme erfolgt leichter: die Nahrung kann
immer konsistenter werden. Die Kräfte kehren progressiv wieder und die
Kranken gewinnen an Körpergewicht. Zwei und drei Jalıre betragen die
Remissionen, während deren die Kranken ihrem normalen Leben nachgehen
konnten.“
Die Folgerungen, die man aus diesen Tatsachen ziehen muß, sind
folgende:
Wenn man diese Krebsart operieren kann, so soll man lieber sofort
operieren. Aber in den inoperablen Fällen oder in solchen, die es nur
durch ihre Lokalisation sind (Oesophaguskarzinom) ist das Radium das
einzige Mittel, welches dem Kranken Erleichterung, ein erträgliches Dasein
und in manchen Fällen den Schein einer Heilung verschafft.
484 Bayet,
III. Radiumbehandlung als Vorbehandlung für den chirurgischen
kingriff.
Ich bin überzeugter Anhänger dieser Methode, welche man meiner
Ansicht nach nicht oft genug anwendet. Die präoperatorische Bestrahlung
wirkt auf zwei verschiedene Arten:
1. Durch Zerstörung der aberrierenden Keime, die um die Haupt-
masse des Tumors zerstreut sind. Sei es dal diese Disseminierung auf
dem Wege der Metastase oder des Kontakts vor sich geht, jedenfalls exi-
stieren oft in einem gewissen Umkreise des Tumors Karzinonzellen, die
das Auge nicht wahrnehmen kann und von denen später die Rezidive aus-
gehen. Die Radium bestrahlung erreicht sie und zerstört sie. Das Opera-
tionsfeld wird sozusagen sterilisiert und zwar in jeder Tiefe und die Ur-
sachen einer weiteren Aussaat werden vermindert.
2. Durch Lösen der Verwachsungen des Tumors mit den umgebenden
Geweben. Die Lösung dieser Adhärenzen ist eine allgemein anerkannte
Eigenschaft der Radiumbehandlung. Man sieht dies besonders deutlich,
wenn man einen Brustdrüsenkrebs bestrahlt. Die Haut, die oft mit dem
Tumor verwachsen ist, wird frei beweglich, der im Drüsengewebe sitzende
Tumor selber löst sich von demselben los, Bedingungen, die für einen
chirurgischen Eingriff und besonders für eine Prophylaxe der Rezidive
äußerst günstig sind. Unter diesen Verhältnissen wirkt die Bestrahlung
zum Teil auf das den Tumor umgebende Zellgewebe, besonders aber auf
die jungen Zellen der peripheren Fortsätze des Tumors. Es tritt so ein
Beginn der Heilung schon vom Einsetzen des chirurgischen Eingriffs ein.
IV. Postoperatorische Radiumtherapie.
Man kann sagen, dal) die Behandlung der Narbenzone nach der Opera-
tion mit Radium oder Röntgenstrahlen die Prognose der chirurgischen
Eingriffe auf Krebse sehr verbessert hat. Man muß sogar beim jetzigen
Stande der Wissenschaft es als einen großen Fehler ansehen, wenn man
die Bestrahlung der Zone, in der Rezidive möglich sind, sei es mit Röntgen-
oder Radiumstralllen verabsäumt hat.
Man muß eingreifen, sobald die Narbe gebildet ist und zwar in ge-
wissen Zeiträumen, welche nach dem Fall wechseln, die aber nie 3 bis
4 Monate überschreiten dürfen.
In diesen Fällen müssen schr harte Strahlen angewendet werden mit
einem Bleitilter von 2 Millimeter Dicke. Auch die Zone, welche die Narbe
umgibt, muß breit bestrahlt werden.
Die Radiumplatten werden am besten über Nacht appliziert und jede
Stelle wird 80 bis 100 Stunden bestrahlt.
Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 485
V. Behandlung der Rezidive.
In der Behandlung der Rezidive findet das Radium eine konstante
Verwendung.
Denn aus vielen Gründen mul man in diesen Fällen oft auf eine
neue Operation verzichten.
Vor allem verweigern die Kranken oft eine zweite Operation. In
anderen Fällen sind die Rezidive infolge ihrer Lokalisation inoperabel. In
anderen Fällen sind die Rezidive multipel und bestehen in disseminierten
Knoten, die zahlreich und weit voneinander entfernt sind, so daß an eine
Operation nicht zu denken ist. In all diesen Fällen ist das Radium von
unbestreitbarem Wert. Ich gehe soweit, zu sagen, dal diese Rezidive bei
ihrer Häufigkeit eine Hauptindikation für das Radium abgeben.
Ich habe eine große Anzalıl derartiger Fälle behandelt und immer
habe ich bei einer sowieso verzweifelten Situation die möglichste Besse-
rung erzielen können. Es ist dies schon ein nennenswerter Erfolg in so
verzweifelten Fällen, wie es die Karzinomrezidive sind.
Um noch einmal darauf zurückzukommen, man muß mit kräftiger,
stark filtrierter Strahlung arbeiten, wenn das Rezidiv tief sitzt. Ich ver-
wende Platten von 300000 radioaktiven Einheiten mit 2 Millimeter Blei
als Filter und einer Bestrahlungsdauer von 100 Stunden. Für die sub-
kutanen Knoten verwende ich ein viel schwächeres Filter von einhalb Milli-
meter Blei und lasse das Radium 20 Stunden einwirken.
Wenn man über eine genügend große Anzahl von Radiumplatten ver-
fügt, kann man die weitere Aussaat der knötchenförmigen Metastasen ver-
hindern, welche in ihren Konsequenzen so schrecklich sind und gegen welche
die Chirurgie ohnmächtig ist.
Ich verfüge über die Krankengeschichte eines Falles, in welchem ich
zwei Jahre lang die weitere Ausbreitung dieser Knötchen verhindern konnte.
Die Kranke erlag einer Metastase in der Pleura.
In einem Fall von rezidiviertem Epitheliom des Halses konnte ich den
Tumor zum Verschwinden bringen und 2 Jahre lang dem Kranken ein
schmerzloses und symptomenfreies Weiterleben verschaffen. Der Kranke
erlag einer Lebermetastase.
Es wäre aber allzu optimistisch geurteilt, wenn man auf ein definitives
Verschwinden des Rezidivs zählen wollte. Sicher hat man Beispiele dafür
gesehen. Gewöhnlich kommt aber ein Augenblick, in dem aus unbekannten
Gründen der auf ein Minimum geschrumpfte Tumor wieder zu wachsen
anfängt und auf Radium nicht mehr reagiert. Man ist dann entwaffnet
und muß den Dingen ihren Lauf lassen. Dies geschieht gewöhnlich nach
1 bis 2 Jahren. Während dieser Zeit konnte der Träger eines inoperabeln
Rezidivs ein von Schmerzen und Störungen freies Leben haben. Es ist
486 Bayet,
(dies ein Vorteil, den man bisher mit keinem Mittel außer mit den Röntgen-
strahlen erreichen konnte.
VI. Radiumbehandlung der inoperabeln Karzinome.
Früher war ein inoperables Karzinom identisch mit einem unheilbaren.
Jetzt ist es in manchen Füllen anders und sicher diagnostizierte, inoperable
Karzinome sind unter Radiumwirkung für lange Zeit zum Schwinden ge-
bracht worden.
Die Gründe für die Unmöglichkeit der Operation sind zahlreich. Vor
allem kann die Ausdehnung einer Läsion dieselbe inoperabel machen. Darın
kommt die Unmöglichkeit, sie genügend im Gesunden zu exstirpieren: zuletzt
muß man die Gründe berücksichtigen, welche aus dem Allgemeinbefinden
oder dem zu großen Alter der Patienten entspringen.
Es ist selbstverständlich, daß man bei zu ausgedehnten oder zu schlecht
liegenden Karzinomen weit entfernt ist, in allen Fällen brillante Resultate
zu erhalten. In diesen verzweifelten Fällen ist es mir aber manchmal ge-
lungen, den Tumor bedeutend zu verkleinern, seine Entwicklung zu hemmen
und dem Kranken einen erträglichen Lebensrest zu verschaffen. Hier eine
Beobachtung, die dies bekundet: Es handelt sich um eine Frau mit ulze-
riertem Scirrhus der Brustdrüse und Ödem des Armes. Die Radiumappli-
kation brachte die Ulzeration zur Vernarbung, hemmte die weitere Aus-
dehnung des Tumors und verlängerte das Leben der Kranken um 3 Jalıre.
In den relativ häufigen Fällen, in denen ein zu großes Alter der
Patienten die Operation verhindert, erweist das Radium unberechenbare
Dienste. Ich muß bemerken, daß bei diesen Karzinomen des hohen Alters
- weniger die radikale Heilung als die Hemmung des Wachstums des Tumors
zu erstreben ist. Man muß eine Ulzeration desselben verhindern und ver-
hüten, daß der Kranke den Schrecken eines Krebsgeschwüres ausgesetzt
wird. In den letzten Jahren gelang es mir in drei Fällen ein unerhofites
Resultat zu erzielen und dies in Füllen von Brustdrüsenkrebsen, die auf
dem Punkte waren, zu ulzerieren und bei denen eine Operation unmög-
lich war.
In zweien dieser Fälle handelte es sich um sehr proliferierende Kar-
zinone, für welche eine Ulzeration imminent war. Unter der Radıumwir-
kung wurde der Tumor beweglich und verlor an Volumen. Bei beiden
über SO Jahre alten Kranken hielt sich dieses Resultat ungefähr 2 Jahre
lang bis zum Tode, der bei der einen infolge von Erkältungspneumonie.
bei der anderen infolge einer Apoplexie erfolgte.
Im dritten Fall handelte es sich um eine 84jährige Frau mit tief
ulzeriertem Mammakarzinom. Von einer Operation konnte keine Rede sein.
Die Radiumapplikationen brachten die Ulzeration bald zur Vernarbung: der
Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 487
Tumor wurde kleiner und wurde auf der Unterlage beweglich. Nach einem
Jahr entstand infolge von Unachtsankeit der Kranken, die mich nicht bei
Zeiten benachrichtigte, ein Rezidiv, das auf dieselbe Weise und mit dem-
selben Erfolg behandelt wurde. Der Anfang der Behandlung geht auf
21/, Jahre zurück. Die Kranke erfreut sich einer vorzüglichen Gesund-
heit. In der Höhe der Mamma findet sich ein sklerosierter Knoten
als letzter Rest des Karzinoms.
Man kann behaupten, daß in derartigen Fällen das Radium alles er-
füllt hat. was man überhaupt von ihm erwarten konnte.
VII. Radiumtherapie der Sarkome und Lymphosarkome.
Es bleibt mir noch übrig, einige Worte über die Behandlung der Sar-
kome und Lymphosarkome zu sagen.
Wie auf die Röntgenbehandlung, so reagieren auch auf die Radium-
behandlung manche äußerst rasch, andere sind refraktär.
Manche Fälle sind infolge ihrer Ausdehnung und ihrer Verwachsungen
inoperabel. Zu diesen gehören die Fälle von Lymphadenomen oder Sar-
komen des Halses, welche den Gefäß- und Nervenstrang umwachsen. Ich
habe mehrere derartige absolut verzweifelte Fälle behandelt und den Kranken
das Leben um ein bis anderthalb Jahre verlängern können.
Herr Dr. Degrais erwähnt in den Aufzeichnungen, die er mir zur
Verfügung zu stellen die Liebenswürdigkeit hatte, zwei Fälle, in welchen
er die Patienten retten konnte, wenn auch die Heilungen erst kurze Zeit
zurückliegen.
Im ersten Falle zeigte ein 18jähriges Mädchen ein Rezidiv eines Hals-
sarkoms (mit mikroskopischer Diagnose), das 6 Monate vorher operiert
worden war. Es handelt sich um einen großen Tumor, der den ganzen
Raum zwischen dem unteren Unterkieferrand und der Clavicula einnahm
und den Larynx nach vorn verlagerte. Schlucken und Atmung waren sehr
erschwert, das Allgemeinbefinden sehr schlecht. In den Tumor wurden
radıumhaltige Tuben eingeführt, die den Tumor zum Schwinden brachten.
Seit einem Jahre ist kein Rezidiv aufgetreten.
Eine andere Kranke von 54 Jahren zeigte ein großes Lymphadenom
der linken Halsseite, das stark in den Pharynx gewuchert war. Das
Schlucken war sehr beschwerlich, ebenso die Atmung. Jetzt, 3 Monate
nach der Behandlung bleibt von dem voluminösen Tumor nur ein kleiner
beweglicher Knoten, der eventuell enukleiert werden könnte. Der ganze
Teil des Tumors, der die Mandel zurückdrängte und den Pharynx verlegte,
war verschwunden.
Es ist unmöglich, zu sagen. wie lange diese Erfolge andauern werden.
488 Bayet,
Man muß aber diese guten Erfolge der Radiumtherapie hervorheben. wo
die Chirurgie ohnmächtig und die Röntgenstrahlen unwirksam waren.
Am Schlusse meiner Arbeit angelangt, die ich noch viel weiter hätte
ausführen können, wenn ich in die Details der Technik der Radiumanwen-
dung eingegangen wäre und ihre Resultate mit anderen Methoden ver-
glichen hätte, ziehe ich aus einer schon langen Praxis der Radiumtherapie
fulgende Schlußfolgerungen:
1. Das Radium bildet ein erstklassiges Mittel in der Behandlung des
Karzinons.
2. Damit die Methode alles leistet, was sie leisten kann (besonders
bei den subkutanen Karzinomen), muß man über beträchtliche Radium-
quantitäten (mindestens 10 Zentigramm) verfügen, da man auf grobe
Flächen einwirken und starke Filter anwenden muß.
3. Die Methode ist leicht anzuwenden, schmerzlos und setzt uns nicht
Zufällen aus, welche auch nur im geringsten den bei Röntgenstrahlen ein-
tretenden zu vergleichen sind, selbst wenn wir die Radiumbehandlung bis
zum Äußersten forzieren.
Oberflächliche Karzinome:
4. Bei den oberflächlichen Karzinomen der Haut und der Schleim-
häute ist die Radiumtherapie die Methode der Wahl, infolge ihrer
leichten Anwendbarkeit, der Möglichkeit streng zu lokalisieren und der
Schönheit der Narbe. Nur die Röntgenstrahlen können in dieser Be-
ziehung mit dem Radium in Konkurrenz treten.
5. Einige seltene Formen von Epitheliom der Haut und der Schlein-
häute reagieren auf Radium nicht günstig.
Tiefe Karzınome:
6. Die tiefen Karzinome der Bauch- und Brusthöhle gehören bis jetzt
nicht der Radiumtherapie an infolge der Schwierigkeit, eine genügen(le
Strahlenmenge an sie heranzubringen.
7. Die erreichbaren tiefen Krebse reagieren im allgemeinen auf Ra-
dium. Eine eingehende Untersuchung ist noch nötig, um diejenigen heraus-
zutinden, die infolge ihrer histologischen Struktur sich refraktär verhalten.
8. Wenn eine Operation genügend im Gesunden vorgenommen werden
kann, so soll man lieber operieren.
9. Die vorbereitende Bestrahlung vor der Operation ist in vielen Fällen
nützlich.
10. Die Bestrahlung nach der Operation ist erforderlich.
In diesen beiden Fällen kann die Strahlenbehandlung entweder mit
Radium oder mit harten Röntgenstrahlen erfolgen.
Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 489
11. Das Radium ist die Behandlung der Wahl der Rezidive und in-
operabeln Karzinome. |
12. Das Radium ist in Form von Tuben die Behandlung der Wahl
der inoperabeln Karzinome des Uterus, der Prostata und des Ösophagus.
13. Es wirkt in bemerkenswerter Weise in manchen Formen von
Lymphom und Lymphosarkonı.
Dies sind die Schlußfolgerungen, zu denen ich nach einem so objektiv
als möglich gehaltenen Studium der Radiumapplikationen gelangt bin. Wie
man gesehen hat, will ich durchaus nicht das Radium als das ausschließ-
liche Mittel in der Krebsbehandlung preisen. Alle diejenigen, welche eine
große Zahl Karzinome gesehen haben, wissen, dal es leider keine aus-
schließliche Behandlungsmethode gibt, ja daß es überhaupt keine Methode
gibt. Man muß eklektisch vorgehen. Diejenigen haben den besten Er-
folg, welche nur ganz zum Schlusse einen Fall als unheilbar oder nicht
besserungsfähig bezeichnen und welche alle Waffen anwenden, die zu ihrer
Verfügung stehen.
Von diesem Gesichtspunkte aus hat die Hinzufügung der Bestrahlungs-
methoden, seien es die Röntgenstrahlen oder das Radium, zur chirurgischen
Behandlung des Krebses die Prognose mancher Operationen besonders beim
Mammakarzinom sehr verbessert.
Ich wollte in dieser Arbeit zeigen, welche Vorteile man aus der Ra-
diumanwendung im Kampfe gegen das Karzinom ziehen kann und ich
glaube bewiesen zu haben, daß es immer ein kostbares Adjuvans und
häufig die Methode der Wahl ist.
Übersetzt von Dr. A. Gunsett-Straßburg i. E.
(Aus der Chirurgischen Klinik der Universität Kiel.)
Zur Frage der Dauerheilungen von Sarkomen durch
Röntgenstrahlen.
Von
Dr. 0. H. Petersen, Assistenzarzt.
Į der Reihe der bösartigen Geschwülste nehmen die Sarkome eine be-
sondere Stellung ein. Dies gilt zunächst einmal in pathologisch-anato-
mischer und histologischer Beziehung. Wir fassen unter dem Namen Sar-
kom heutzutage noch eine ganze Reihe von Tumoren zusammen, die doch
in ihrem Verhalten sowie in ihrem Bau sehr große Unterschiede aufweisen:
und es ist wohl ziemlich sicher, daß mit der fortschreitenden Kenntnis in
bezug auf manche Tumoren, die wir jetzt noch den Sarkomen zurechnen.
später einmal eine andere Gruppierung eintreten wird. Zum Teil ist dies
ja heutzutage schon geschehen. So ist z. B. von den Knochensarkomen
jetzt auf Grund neuerer Forschungen das Krankheitsbild der Ostitis fibrosa
scharf zu trennen und den entzündlichen Veränderungen zuzurechnen. ein
Unterschied, der praktisch von enormer Wichtigkeit ist. Denn während
wir bei einem Sarkom gezwungen sind, in radikalster Weise vorzugehen,
genügen bei der Ostitis fibrosa meist sehr viel kleinere Eingriffe. Ja, es
kommen hier zweifellos sogar Spontanheilungen vor. Durch die Trennung
dieser beiden Erkrankungen findet auch die Tatsache, die den Chirurgen
schon längere Zeit bekannt ist, ihre Erklärung, nämlich, daß bei manchen
bisher für Knochensarkome gehaltenen Tumoren bereits eine Heilung durch
eine einfache Exkochleation zu erzielen ist. Es sind dies eben keine Sar-
kome, sondern Fälle von Ostitis fibrosa. Ein anderes Krankheitsbild.
das früher oft den Sarkomen zugerechnet wurde, sind die sogenannten
malignen Lymphome. Jetzt sind sich wohl die meisten Forscher darüber
einig, dal} wir es hier mit einer von echtem Sarkom durchaus verschiedenen
Krankheit zu tun haben, die auch wohl den entzündlichen Veränderungen
zuzurechnen ist, deren Wesen aber auch noch weiterer Aufklärung bedarf.
So werden sich im Laufe der Zeit voraussichtlich auch noch andere Formen
abtrennen, die wir bei dem heutigen Stande unserer Kenntnisse noch den
Sarkomen zuzählen müssen. Aus dieser Schwierigkeit der Zuteilung ge-
wisser Formen von Geschwülsten im allgemeinen ergeben sich ohne weiteres
auch die diagnostischen Schwierigkeiten für emzelne Fälle. Ist es doch
Petersen, Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 491
manchmal selbst mikroskopisch kaum möglich, mit Sicherheit zu entscheiden,
ob ein Tumor als Sarkom anzusehen ist oder nicht. Es ist dies wohl eins
«ler schwierigsten Gebiete der pathologisch-histologischen Diagnostik, auf
clem es ja auch oft zu Meinungsverschiedenheiten kommt.
Unter diesen Umständen kann es nicht wundernehmen, daß die Sar-
kome auch der Behandlung mit Röntgenstrahlen gegenüber ein durchaus
verschiedenes Verhalten zeigen. Während z. B. die Karzinome im all-
gemeinen ziemlich gleichmäßig um so besser zu beeinflussen sind, je ober-
tlächlicher sie liegen, d. h. also, je größer die Strahlenmenge ist, die wir
an sie heranbringen können, sehen wir bei den Sarkomen Unterschiede
von absolut refraktärem Verhalten, ja sogar beschleunigtem Wachstum
bis zu einer geradezu frappierenden Empfindlichkeit gegen die Strahlen,
so daß manche Tumoren, um einen häufig gebrauchten Ausdruck zu
wiederholen, dahinschmelzen wie Schnee vor der Sonne. Dies ist
aber nicht von der Zugänglichkeit für die Strahlen abhängig, sondern
die verschiedenen Tumoren haben eine ganz verschiedene Radiosensi-
bilität. Bisher ist es aber noch nicht gelungen, einen sicheren Zu-
sammenhang zwischen histologischem Bau und Röntgenempfindlichkeit
festzustellen. Die Beantwortung einer solchen Frage, deren Bedeutung für
eine sichere Indikations- und Prognosestellung auf der Hand liegt, ist
natürlich nur möglich unter Verwendung des gesamten Materials einzelner,
die über eine größere Anzahl in gleicher Weise behandelter Fälle verfügen,
wie es z. B. Kienböck getan hat, ohne jedoch ein sicheres Resultat er-
halten zu haben. Denn bei den großen Verschiedenheiten, die zur Zeit
noch bei den einzelnen Röntgenologen bezüglich Dosimetrie, Dosierung,
Qualität der Strahlen, Fokus-Hautdistanz usw. bestehen, ist es nicht gut
möglich, Vergleiche zwischen den Fällen verschiedener Autoren über die
Beziehungen zwischen Bau und Röntgenempfindlichkeit anzustellen. Das
gleiche gilt bezüglich der Feststellung des Verhältnisses zwischen Erfolgen
und Mißerfolgen, d. h. also, in wieviel Prozent etwa Aussicht auf Erfolg
besteht. Auch hierbei ist nur das ganze Material eines einzelnen, nicht
aber das bisher veröffentlichte Material in seiner Gesamtheit verwertbar.
Wohl aber kann uns dieses zur Beantwortung einer anderen Frage dienen,
nämlich, ob überhaupt und wie oft nach den in der Literatur vorliegenden
Fällen durch die Behandlung mit Röntgenstrahlen bisher einwandsfreie
Dauerheilungen von Sarkomen erzielt sind.
Eine derartige Zusammenstellung dürfte zur Zeit wohl auch einen ge-
wissen historischen Wert haben. Denn was wir in der bisher vorliegenden
Literatur finden, sind zum größten Teil Fälle, die noch mit einer ziemlich
primitiven Methodik behandelt sind. Dagegen befinden wir uns jetzt auf
Grund der wissenschaftlichen Erforschung der Wirkungen der Röntgen-
492 Petersen,
strahlen und der radioaktiven Elemente, in der letzten Zeit in einen
Übergangsstadium zu einer rationellen und wirksamen Methodik, die
uns weit bessere Erfolge erhoffen läßt. Da mag es rückblickend von be-
sonderem Interesse sein festzustellen, was bisher auf einem bestimmten
Gebiete, dem der Sarkumbehandlung, geleistet ist. Diesem Zweck soll die
vorliegende Arbeit dienen.
Ich lasse nun zunächst eine Zusammenstellung der in der Literatur
als Heilungen von Sarkomen veröffentlichten Fälle folgen, indem ich die
Krankengeschichten auszugsweise, soweit sie später zur Beurteilung erfor-
derlich sind, wiedergebe.
Johnson (nach Pfahler).
I. 56jähr. Mann. Entfernung des ganzen rechten Musculus rectus wegen eines
kleinen Rundzellensarkoms. Da radikale Entfernung nicht möglich, Röntgenbestrah-
lung, 65 Sitzungen in 5 Monaten. Heilung. Nach 3!/, Jahren rezidivfrei.
II. 42jähr. Frau. Rezidiv eines Fibrosarkoms, das Haut, Unterhautzellgewebe
und Periost ergriffen hatte und nur mitVerletzung vonUrethra, Labia majora und minora
und Clitoris hätte entfernt werden können. 40 Bestrahlungen in 5 Monaten. Heilung.
3Y/, Jahre rezidivfrei.
Ill. Eine Frau, bereits dreimal operiert wegen einer Geschwulst, die die obere
Brust, die Suprasternalgegend und das linke Halsdreieck bis hinauf zum Ansatz des
M. sternocleidomastoideus einnahm. Heisere Stimme, Atemnot. Breite, krater-
förmige Ulzerationen mit jauchigem Sekret. Heilung durch Röntgenstrahlen. 3!/,
Jahre rezidivfrei.
Shoemaker (nach Pfahler).
36 jähr. Frau. Großer Tumor der unteren Bauchwand, der Blase und des Darmes,
durch Probelaparotomie als inoperabel festgestellt. Histologisch. Fibrosarkom. 49
Röntgenbestrahlungen in 9 Monaten. Rezidivfrei 3 Jahre nach Behandlung.
Judd (nach Pfahler).
Probelaparotomie bei einer Frau im Januar 1903 wegen linksseitigem Abdominal-
tumor von Kindskopfgröße. Entfernung unmöglich. Probeexzision ergab Spindel-
zellensarkom. Tumor schwand durch Röntgenbestrahlungen. Rezidiv Dezember 1904,
in 5 Monaten wieder zum Verschwinden gebracht. September 1905 abermals Rezidiv
von Zitronengröße, das in 3 Monaten verschwand. ZRezidivfrei 21 Monate nach Be-
handlung.
McMaster (nach Pfahler).
67 jähr. Mann mit Rundzellensarkom, das sich vom Kieferwinkel bis zur Clavicula
und bis zwei Zoll hinter das Ohr erstreckte; inoperabel. Besserung durch 5wöchige
Bestrahlung. Dann 3 Monate Coley’s Toxine ohne Erfolg. Darauf Wiederbestrahlung
bis zur Heilung. Rezidivfrei 2 Jahre nach der Behandlung.
Pusey.
I. 24jähr. Mann. Februar 1901 harte Geschwulst von Haselnußgröße an der
linken Halsseite am Kieferwinkel bemerkt. Allmähliches Wachstum. Mai 1901 ähn-
liche Geschwulst unter dem rechten Processus mastoideus. Rasches Wachstum.
Befund am 18. August 1901: Harte freibewegliche hühnereigroße Geschwulst unter dem
linken Kieferwinkel, nicht empfindlich. Unter dem oberen Drittel des M. sternocleidom.
links ebenfalls eine harte Geschwulst, nicht beweglich, nicht empfindlich. Faustgroße
sehr harte Geschwulst unter rechtem Ohr und Proc. mast., nicht beweglich, nicht
Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 493
empfindlich. Am 19. August operative Entfernung der Tumoren links. Mikroskopische
Untersuchung ergibt kleinzelliges Rundzellensarkom. Glatte Heilung. Am 2. Septem-
ber erstreckte sich der Tumor rechts vom Kieferwinkel bis auf einen Zoll an die hintere
Medianlinie und vom Proc. mast. fast bis zur Clavicula. Tumor jetzt druckempfindlich.
Vom 2. bis 27. Sept. 21 Bestrahlungen mit harter Röhre und schwachem Licht. Röhren-
abstand 5 cm. Dauer 10 bis 15 Min. Leichtes Erythem am 17. Sept. entwickelte sich
bis 27. zu einer ausgesprochenen Dermatitis, die anfänglich noch zunahm, dann abheilte
bis 12. Okt. Tumor in 10 Tagen deutlich geschrumpft. Halsumfang bis 17. Sept.
um 3!/, Zoll geringer. Am 11. Okt. war nur noch eine kleine freibewegliche, schmerzlose
Drüse von Mandelkerngröße vorhanden. Am 7. Sezember, laut Bericht des Patienten
hat die Drüse nur die Größe einer halben Mandel, ebenso am 12. Januar 1902. 3 Monate
nach beendigter Behandlung kein Zeichen von Rezidiv. Mikroskopisch wurde nur die
linke Seite untersucht und daraus auf die rechte geschlossen.
11.2) Sarkom der Parotis, mehrere Wochen bestrahlt: keine histologische Unter-
suchung. 14 Monate später kein Rezidiv.
IlI.!) Sarkom der Brustwand. 7 Monate bestrahlt. Keine histologische Unter-
suchung. 14 Monate später kein Rezidiv.
IV.!) Sarkom der Drüsen an der Parotis, 3 Monate bestrahlt. Keine histologische
Untersuchung. 8 Monate später kein Rezidiv.
Walker.
31 Jahre alter Farmer, erste Konsultation 20. Febr. 1902. Auf der rechten Backe
vor dem Ohr ein schwarzer Tumor von 1!/, Zoll Durchmesser. Keine geschwollenen
Halsdrüsen. Exzision des Tumors im Gesunden. Keine Heilung. Deutliches Rezidiv
nach 2 Wochen in der Umgebung der Wunde und unter dem Kieferwinkel, rasches
Wachstum. Am 22. März abermalige Operation. Weite Exzision der alten Wunde,
Verlängerung des Schnittes und Entfernung des Tumors am Halse, der sich tief zwischen
den Gefäßen bis zur Wirbelsäule erstreckte. Sternocleidomast. zum Teil infiltriert,
wurde exzidiert. Exkochleation in der Tiefe der Wunde, da Radikaloperation unmög-
lich. Tamponade. Keine Heilungstendenz, sondern rapides Fortschreiten des Pro-
zessesin der Umgebung. Als letztes Mittel am 1. Mai Bestrahlung beschlossen. Wunde
war 2 Zoll tief, die Umgebung infiltriert, nahm fast die ganze Halsseite ein. Bei der
Schwere des Falles energische Bestrahlung, selbst auf die Gefahr einer Verbrennung.
Entfernung der Röhre anfänglich 6 Zoll, später 3 Zoll. Gesicht und Schulter durch
Blei abgedeckt. Erste Sitzung 10 Minuten, später auf 20 und 30 erhöht. Einige Be-
strahlungen jeden zweiten Tag, dann täglich. Bisweilen sehr starke Reaktion, worauf
einige Tage Pause. Niemals Verbrennung oder starke Unannehmlichkeit. Nach der
ersten Bestrahlung traten keine schwarzen Flecken mehr auf, nach der dritten deut-
liche Besserung, nach 2 Wochen völlige Vernarbung. Infiltration schwand allmählich.
Am letzten Juli außer Narbe nichts mehr sichtbar. Im folgenden Monat wöchentlich
eine Bestrahlung, dann 1 mal monatlich. Histologische Untersuchung ergab alveo-
läres melanotisches Sarkom.
Krogius.
40jähr. Schiffer, am 7. Januar 1901 wegen eines Tumors des Hinterhauptes
operiert. Wegen diffuser Ausbreitung Radikaloperation nicht möglich; es wurden mit
dem Periost zusammenhängende Teile sowie in den Knochen hineingewucherte Tumor-
massen zurückgelassen. Am 21. Sept. 1901 abermalige Operation wegen Rezidiv am
Hinterhaupt sowie an der Stirn. Tumor wiederum soweit möglich entfernt. Aber-
1) Fall II-IV nach Kienböck.
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 32
494 Petersen,
malige Aufnahme am 13. Januar 1903. Es findet sich am Hinterhaupt wiederum eine
Geschwulst, 14. Aug. 6 cm groß, ohne scharfe Grenze in den Knochen übergehend.
andieser Stelle ziemlich derb, sonst mehr weich-elastisch. Ferner an der Stirn, oberhalb
des rechten Tuber frontale, 3,2 cm großer Tumor, sowie eben dort links der Medianlinie
kleinerer Tumor von der Größe eines Daumenendes. Außerdem an Stirn und Scheitel-
bein noch zahlreiche kleinere Höcker von etwa Fingerbeerengröße. Sonstige Metastasen
nicht nachweisbar. Die mikroskopische Untersuchung der früher exstirpierten Tu-
moren hatte ein zellreiches Rundzellensarkom mit mittelgroßen, etwas polymorphen
Zellen und einzelnen Riesenzellen ergeben. Der Ausgangspunkt war offenbar das
Periost des Schädeldaches. Da eine radikale Operation nicht mehr möglich war, wurde
ein Versuch mit Röntgenstrahlen beschlossen. Beginn der Röntgenbehandlung am
21. Januar. Bestrahlungszeit jeden Tag 10 Minuten, Entfernung der Röhre 15 bis 20 cm.
Strahlung meist hart, mitunter aber auch mit weicheren Röhren. Im übrigen wurden
in bezug auf Unterbrechungsfrequenz, Stromintensität usw. keine bestimmten Regeln
befolgt. Zunächst in erster Linie Bestrahlung der Stirntumoren. Nach 8 Tagen deut-
liche Verkleinerung, nach 14 Tagen Stirntumoren fast völlig verschwunden. Von jetzt
an Bestrahlung der Hinterhauptsgeschwulst, Stirn nur noch sporadisch. Am 21. Febr.
an Stelle der Stirntumoren nur noch kleine Vertiefungen des Knochens fühlbar, desgl.
Scheiteltumoren verschwunden. Hinterhauptsgeschwulst von 14. 8. 6. cm auf 8. 6. 5.
verkleinert. Bis dahin nur Haarausfall, keine sonstige Hautschädigung. Zeitweilig
Schwindelgefühl nach Bestrahlung, sonst gutes Allgemeinbefinden, 3 Kilo Gewichts-
zunahme. Fortsetzung der Behandlung in derselben Weise, an einigen Tagen sogar mit
zwei Bestrahlungen zu 10 Minuten. Am 7. März Tumor kaum noch nachweisbar. Nach
einigen Tagen wegen Nackenekzem Behandlung vorübergehend unterbrochen, dann
sporadisch fortgesetzt. Entlassung am 31. März. Tumor völlig verschwunden, Haar-
wuchs an den bestrahlten Stellen kaum vorhanden. Nachuntersuchung am 23. Juli,
also 4 Monate nach beendigter Behandlung ergibt völlige Wiederherstellung des Haar-
wuchses, keine Rezidive. Nach einer Mitteilung von Krogius in der 8. Versammlung
des nordischen chirurgischen Vereins in Helsingsfors im August 1909 war der Patient
auch nach 3 Jahren noch völlig rezidivfrei.
Chrysospathes.
35jähr. Frau, Tumor der rechten Unterbauchseite, von Form und Größe einer
Niere, hart und druckempfindlich, schwer beweglich. Tumor liegt rechts und hinten
vom Uterus, Parametrien frei. Zunächst symptomatische Therapie. Als Patientin
sich zur Opcration entschloß (August 1902), hatte der Tumor die Linea alba reichlich
überschritten. Laparotomie ergab ausgedehnte Verwachsung mit Bauchwand und
Dünndarm. Radikaloperation unmöglich, Probeexzision. Mikroskopische Unter-
suchung ergibt kleinzelliges Rundzellensarkom, wahrscheinlich vom rechten Ovarium
ausgehend. Einige Tage nach der Operation Bildung einer Dünndarmfistel. Nach
Entlassung durch Behandlung mit Arsen und Chinin anfänglich subjektive Besserung,
dann vermehrte Schmerzen. Ende September Verhärtung entlang dem Lig. rotundum
festgestellt. Fisteln bestehen noch, sarkomatöse Geschwüre der ÖOperationsnarbe
nehmen an Größe zu. Beginn der Röntgentherapie Ende November 1902. Bestrah-
lungstechnik: Anfangs jeden zweiten oder dritten Tag 2 bis 3 Minuten mit mittelweicher
Röhre, Entfernung 30 cm, 2!/, Amperes. Als die Haut dies gut vertrug, Erhöhung
auf 4 bis 5 Amperes, 5 bis 10 Minuten, Abstand 20 bis 15 cm. Zuletzt nur noch 2, dann
eine Sitzung pro Woche. Erfolg: Nach der ersten Sitzung völliges Verschwinden der
bisher ununterbrochenen Schmerzen. Im weiteren Verlaufe Erweichung der Ver-
dickungen um die Operationsnarbe, spontanes Aufbrechen und Entleeren von blutig-
Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 495
seröser Flüssigkeit. Dann Überhäuten der Geschwülste in 3 bis 4 Tagen. Weiterhin
Vernarben der sarkomatösen Hautgeschwüre, Schließen der Fistel, Besserung des All-
gemeinbefindens. Tumor selbst blieb anfänglich gleich groß. Seit Anfang Januar
1903 erst langsame, dann rasche Abnahme, dann Verschwinden der Verhärtung am Lig.
rotund. Bei Nachuntersuchung Mitte Juli 1903 nur Verwachsung der Operationsnarbe
mit den unter ihr liegenden Teilen, keine Spur eines Tumors, keine Druckempfind-
lichkeit. Anfang Dezember 1903 Befund derselbe. Patientin wird in Intervallen von
2 bis 3 Wochen noch weiter bestrahlt.
Albers-Schönberg.
44jähr. Mann. Beginn der Erkrankung mit nußgroßer Geschwulst auf dem
Scheitel. Trotz ärztlicher Behandlung erhebliche Größenzunahme und Auftreten neuer
rasch wachsender Geschwülste auf dem Kopfe. Ein Tumor über dem Ohr apfelgroß.
Tumor auf dem Scheitel zerfiel bald. Wegen der Größe der Tumoren wurde von
Operation Abstand genommen. Röntgenbestrahlung: Kompressionsblende, Müller-
sche Wasserkühlröhre von mittelweicher Qualität. Fokushautdistanz 36 cm.
Jedes Geschwulstkonglomerat einzeln in die Blende eingestellt. Bestrahlung jeder
Geschwulstpartie 12 Minuten am 16. und 17. September 1904. Mehrwöchige Pause,
da Patient fortblieb. In der Zwischenzeit Verkleinerung der Tumoren. Wiederbeginn
am 11. Oktober. Bis 12. Dezember erhielt der Scheiteltumor 18 Bestrahlungen zu je
6 Minuten, der Schläfentumor bis 4. November zehn Bestrahlungen zu je 6 Minuten.
Rapides Schwinden der Tumoren. Keine Reaktion. Es blieben nur gelblich pigmen-
tierte Narben. Mikroskpische Untersuchung ergab kleinzelliges Sarkom. Nach einer
Mitteilung von Haenisch im Röntgenkalender 1908 befand sich der Patient damals
vollkommen wohl, nachdem 2 mal noch aufgetretene Rezidive von Kirschgröße prompt
nach wenigen Sitzungen verschwanden.
Sjögren (z. T. nach Kienbök).
I. 48jähr. Eisenarbeiter. Seit Mai 1903 am rechten Nasenflügel dunkelgefärbte
Geschwulst. Langsame Größenzunahme. Probeexzision Anfang November ergibt
Spindelzellensarkom. Geschwulst jetzt bohnengroß, blaurot, fest, gut begrenzt, etwas
druckempfindlich, Oberfläche etwas exkoriiert. Beginn der Behandlung am 9. Novem-
ber. Nach einer Woche deutliche Verkleinerung. Zwei Wochen nach Beginn der Be-
handlung abermals Probeexzision: Struktur fleckenweise verwischt, an anderen Stellen
unverändert; Zellgrenzen hier und da undeutlich, ein Teil der Zellkerne färbt sich nicht.
Schluß der Behandlung am 30. Dezember nach 36 Sitzungen zu 10 Minuten in einer
Reihenfolge. Nähere Angaben über die Technik fehlen. Nach 4 Monaten an der Stelle
des Tumors geringe Hautatrophie, sonst nichts wahrnehmbar. Nach 4 Jahren noch
rezidivfrei (laut brieflicher Mitteilung von S;j.).
II. 22jähr. Frau seit 9 Monaten kleiner Knoten an der Nasenwurzel. Langsames
Wachstum, Schmerzhaftigkeit. Oberfläche etwas gerötet, knorpelartige Konsistenz.
Mikroskopische Untersuchung ergibt Spindelzellensarkom. Größe Mitte Februar wie
eine kleine Haselnuß. Beginn der Bestrahlung am 20. Februar 1904. Behandlung aus
äußeren Gründen nicht täglich, Ende Mai beendet. Geschwulst völlig verschwunden,
Nach 6 Monaten noch rezidivfrei.
Clopatt.
38jähr. Mann; taubeneigroße, bewegliche, harte Geschwulst in der rechten Fossa
supraclavicularis. Vortreibung des Thorax und Dämpfung im Bereich des oberen
Sternum. Röntgenologisch großer, in den Herzschatten übergehender medianer Schat-
ten. Diagnose: Höchstwahrscheinlich Lymphosarkom im Mediastinum anticum.
Keine histologische Untersuchung. Beginn der Röntgenbehandlung am 6. Mai 1904.
32%
496 Petersen,
Harte Röhren, abwechselnd rechts und links vom Sternum, Röhrenabstand 20 cm.
Bis 3. Juni 23 Sitzungen zu 4 bis 5 Minuten. Vom 4. bis 13. Juni ausgesetzt. Vom
14. Juni bis 8. Juli 21 Bestrahlungen. Rückgang der Beschwerden vom Ende der 2.
Woche an. Am 25. Juni Drüse am Hals nicht mehr fühlbar. Vom 8. bis 20. Juli Be-
handlung wieder ausgesetzt. Vom 21. Juli bis 26. August 29 Sitzungen. Am 27. Au-
gust 1904 aus Behandlung völlig beschwerdefrei entlassen. März 1905 noch 10 Be-
strahlungen. Untersuchung am 24. März ergab völlig normale Verhältnisse.
Kienböck.
34jähr. Mann. Vor acht Jahren (1896) Lues aquiriert. Wegen Sekundärerscher-
nungen wiederholte Kuren. Vor 4 Jahren beginnend Schmerzen in der rechten Thorax-
hälfte, stets nachts. Vor 2 Jahren begannen Schwindelanfälle und Ziehen in der linken
Kopf- und Gesichtshälfte, Druckgefühl im linken Auge, Schwellung und Rötung von
Gesicht und Hals, Aderschwellung im Gesicht, später am Rumpf, Schlingbesch werden.
Atembeschwerden. Alle Beschwerden blieben ziemlich konstant. Winter 1903:4 Ver-
schlimmerung. August 1904 Anschwellung in der Gegend des 1. und 2. Rippenknorpel=.
an Größe zunehmend. 4 Wochen später Drüsenschwellung an der rechten Halsseite.
die später an Größe wechselte. Antiluetische Behandlung ohne Einfluß auf den Tumor.
Januar 1905 Fieber, Husten, Parästhesien der linken Körperhälfte. Befund am 10. Fr-
bruar 1905: In der rechten Supraclaviculargegend eine ca. haselnußgroße und kleinere
harte Drüsen direkt hinter Sternocleidomastoideus-Ansatz. An der linken Halsseitı
eine kleinere Drüse, einige Drüsen in der linken Axilla. Keine Kubitaldrüsen. Knorpel
der zweiten und dritten Rippe vorgedrängt, Interkostalraum ausgefüllt. Große mediane
Dämpfung, das Sternum beiderseits überragend. An Brust, Bauch, Armen und Beinen
Venektasien. Röntgenologisch ebenfalls Mediastinaltumor nachgewiesen. Röntgen-
therapie vom 10. Februar bis 17. April 1905 (gleichzeitig 30 Hg-Einreibungen à 2 v):
Täglich Bestrahlung eines kreisrunden Herdes des Thorax mit ca.12 em Durchmesser.
Richtung gegen das Mediastinum. Im ganzen ca. 30 Regionen 5 bis 6 Minuten lanz
mit harter oder mittelweicher Röhre in ca. 12 cm Fokushautdistanz mit 3 bis 6 Quanti-
metereinheiten bestrahlt. Sehr rasches Zurückgehen der Beschwerden. Am 4. Marz
röntgenologisch starke Verschmälerung des Mittelschattens. Vom 18. März an auch
täglich 3g Jod. Weitere Besserung. Die mikroskopische Untersuchung einer am WW.
Mai exstirpierten kirschgroßen rechtsseitigen Supraclaviculardrüse ergab „alvevläre
Drüsensarkom.‘‘ Am 22. Mai weiterer Rückgang des Tumors festgestellt: keine Be-
schwerden. Weitere 10 Bestrahlungen. Nachuntersuchung am 10. Februar 19%:
Tumor nicht wieder gewachsen, keine Drüsenschwellungen. Prophylaktische Radır
therapie vom 10. bis 27. Februar. Dadurch Schwinden des Druckgefühles auf der
Brust und der Parästhesien in den Armen.
Wetterer. Idiopathisches Hautsarkom. Hühnereigroßer, länglicher. stark
prominenter Tumor über dem Humeruskopf des linken Armes verschieblich, Haut von
der Unterlage abhebbar. Der Tumor wurde weit im Gesunden exzidiert. Die hist
logische Untersuchung bestätigte die Diagnose. Einige Tage nach der Operation wurden
an mehreren Ein- und Ausstichstellen der Nähte dunkelblaurot verfärbte, stecknadel-
kopfgroße, wie Pilze aus der Haut hervorstehende Knötchen bemerkt. Bestrahlun:
aus 3 Richtungen, Bestrahlung der Supra- und Infraclaviculardrüsen und der der Axilla, ;
die jedoch alle nicht palpabel waren. Im ganzen 30 H. Knötchen verschwanden bis auf
eins, das trotz Bestrahlung die Größe eines Hirsekorn annahm, sich jedoch weich -
anfühlte. Nach 2 weiteren Bestrahlungen war auch diese verschwunden. Fortsetzun:
der Bestrahlungen in großen Intervallen mit Lederfilter. Nach brieflicher Mitteilunz
jetzt noch, also seit über 6 Jahren nach der Operation, rezidivfrei.
une
Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 497
Cohn.
I. 57jähr. Mann. Seit etwa einem Jahr Drüsenschwellungen unter dem Unter-
kiefer beiderseits, rasches Wachstum, zunehmende Atmungsbeschwerden. Exzision
der etwa kleinapfelgroßen Tonsillen. Befund bei Beginn der Bestrahlung: Unter-
kieferlinie verstrichen und mit haselnuß- bis hühnereigroßen Tumoren ausgefüllt. Vor
und hinter M. sternocleidomast. bis zur Clavicula vereinzelte Drüsen. Verlauf: Nach
l4tägiger Behandlung Halsdrüsen bedeutend verkleinert. Vermehrte Atembeschwerden
durch Tonsillen, aus deren Lakunen ein schwammiges Gewebe hervorwucherte. Be-
strahlung auch der Tonsillen durch Tubus. Nach mehrwöchiger Behandlung sämtliche
Schwellungen verschwunden. Gutes Allgemeinbefinden. Behandlung mit 8 wöchiger
Unterbrechung bis heute fortgesetzt. Vorübergehend Inguinaldrüsenschwellung. Zur
Zeit Milzschwellung mit Druckgefühl. Seit 7 Monaten keine Drüsenschwellungen mehr.
Histologische Diagnose der Tonsillentumoren: Lymphosarkom.
1I. 39jähr. Mann. Vor 2!/, Jahren Geschwulst der linken Halsseite, in einem
Jahr bis zu Faustgröße angewachsen. Operation ergab schwammiges Drüsengewebe,
histologische Diagnose: Lymphom. Rezidiv im Anschluß an die Operation. Schnelles
Wachstum. Befund Anfang Mai 1905: Von der linken Wange bis zum Schlüsselbein
etwa faustgroße Schwellung, knollig, gegen Unterlage wenig verschieblich, Haut
darüber gut verschieblich. Geringe Milzschwellung. Nach 4wöchiger Behandlung
Tumormassen völlig verschwunden. Trotzdem weitere 4wöchige Bestrahlung. Seit
5 Monaten nicht mehr behandelt. Jetziger Befund: Keine Tumoren mehr, gutes Allge-
meinbefinden.
III. 27jähr. Mann. Vor 9 Jahren Lues. Frühjahr 1905 Geschwulst an der
rechten Halsseite, im August exstirpiert. Nach Heilung bald wieder Schwellung.
Histologische Diagnoseder exstirpierten Drüse: Lymphosarkom. Nochmalige Operation
verweigert. Röntgenbestrahlung durch mehrere Wochen. Danach kein Tumor zu
fühlen. Vorübergehend Milzschwellung.
Nach einer Mitteilung von Max Cohn in der Sitzung der freien Vereinigung der
Chirurgen Berlins am 11. Juni 1906 sind drei von ihm behandelte Fälle von Drüsen-
sarkom bis dahin geheilt. Es dürfte sich wohl um die hier angeführten Fälle handeln,
und somit bei allen dreien eine Rezidivfreiheit von ca. !/, Jahren bestehen.
Fischer.
21jähr. Patientin mit einem übergroßen, polymorphen Sarkom in ..der rechten
Bauchhälfte, das sich bei der Probeexzision als völlig unexstirpierbar erwies. 4!/,mo-
natige Röntgenbehandlung (39 Sitzungen von zusammen 419 Stunden Dauer) brachte
völlige Heilung und Schwund der vorhanden gewesenen hyperplastischen Drüsen.
Seit 2 Jahren rezidivfrei.
Goebel.
3 Wochen altes Kind, aufgenommen den 27. Mai 1907. Den unteren Teil des
rechten Oberschenkels einnehmende, diesen ziemlich gleichmäßig spindelförmig auf-
treibende Geschwulst, bis zum mittleren Drittel des Unterschenkels hinunterreichend,
deutliche Pseudofluktuation. Haut über der Geschwulst etwas rötlich verfärbt mit
verdickten Venen. Patella undeutlich abzugrenzen. Ausgangspunkt des Tumors
scheinen die Condylen zu sein. Größter Umfang des Tumors 25,5 cm, anderes Bein
an entsprechender Stelle 13,5 cm. Der Tumor wurde am Tage nach der Geburt bemerkt
und war 2 Tage nach der Geburt bereits pflaumengroß. Anfangs langsames, in der
dritten Woche rapides Wachstum. Am 29. Mai 1907 operatives Entfernen eines mög-
lichst großen Teiles der Geschwulst. Radikaloperation nicht möglich. 31. Mai Beginn
der Bestrahlungen: 6 Minuten. Am 1. Juni 3 Minuten, 3. Juni 6 Minuten. Harte Röhre
498 Petersen,
(W. 7), Fokusabstand 30 cm. An der Haut der Außenseite und in der Kniekchle bilden
sich Nekrosen, die sich rasch demarkieren. 11. Juni erneute Auskratzung des ganzen
Tumors. Vom 14. bis 25. Juni erneute Bestrahlung mit Intervallen von 1 bis 3 Tagen
je 5 bis 10 Minuten, im ganzen 41 Minuten. Technik wie früher. Entlassung am 29.
Juni 1907 mit sezernierender Fistel an der Innenseite des Oberschenkels, der Außen-
seite und Kniekehle. Haut etwas pachydermisch verdickt. Umfang des Oberschenkels
in der Kniekehle rechts 20 cm, links 13 cm. Wiedervorstellung am 29. September und
21. Oktober. Umfang des Knies rechts 16,5 cm, links 15 cm. Haut des rechten Ober-
schenkels und der Wade etwas derber wie links. In den Inguinalbeugen kleine harte
Drüsen (von Anfang an vorhanden). Glatte Narbe an Stelle der Inzision und der
Fisteln. Keine Spur von Tumor nachweisbar. Das rechte Knie kann nur wenig über
den rechten Winkel gestreckt werden. Rechter Fuß etwas kleiner und zierlicher als der
linke. Kind sonst wohlgenährt und gesund. Später auswärts noch weiter Bestrahlun-
gen in Intervallen. Ende Februar 1908 ganz frei von Rezidiv. Mikroskopische Unter-
suchung ergibt äußerst zellreiches Spindelzellensarkom mit länglich ovalen, bläschen-
förmigen, chromatinreichen Kernen. Nach einer brieflichen Mitteilung vom Juni 1913,
also 6 Jahre nach beendeter Behandlung, ist das Kind rezidivfrei.
Price (Diskussion zum Vortrag von Pfahler).
Rezidiv eines im September 1902 operierten Rundzellensarkoms. Sitz nicht
angegeben. Röntgenbestrahlungen, Beginn Januar 1903. Technik und Dauer nicht
angegeben. Nach 15 Monaten rezidivfrei, gutes Befinden. Patient ist 16 Jahre alt.
- Skinner.
39jähr. Lehrerin. Vor acht Jahren Hysterektomie und Ovariotomie wegen eines
als Fibroid angesehenen Tumors des Uterus. Keine mikroskopische Untersuchung.
2!/, Jahre nach der Operation wurde in der Gegend der Narbe ein harter, rasch wachsen-
der Bauchwandtumor bemerkt. 10 Monate lang Behandlung mit Coley-Toxinen ohne
Dauererfolge. Januar 1902 in Behandlung von Skinner. Größe des Tumors 10.
August 5 Zoll. Mikroskopische Untersuchung ergab Fibrosarkom. Starke Störung
des Allgemeinbefindens. Beginn der Röntgenbehandlung am 29. Januar 1902. 46 Be-
strahlungen während der nächsten 4 Monate. Sehr bald Besserung des Allgemein-
befindens, während der Tumor noch etwas wuchs. Dann vorübergehende Unterbrech-
ung der Bestrahlung; Wiederaufnahme der Bestrahlungen am 17. Juni. Der Tumor
hatte sich jetzt um etwa !/, verkleinert. Bis 3. September 31 Sitzungen. Weitere
rasche Hebung des Allgemeinbefindens und Verkleinerung des Tumors. Patientin
konnte ihre für 1!/, Jahre unterbrochene Berufstätigkeit wieder aufnehmen. Im ganzen
dauerte die Bestrahlung 2 Jahre und 3 Monate mit 136 Bestrahlungen; die letzte am
20. Mai 1904. Damals war bereits seit mehreren Wochen nichts mehr von einem Tumor
vorhanden. Am 24. Mai 1906, also seit über 2 Jahren, noch rezidivfrei. Nach einer
weiteren Mitteilung im Journal of the american. med. assoc., Bd. 59, Nr. 11, 1912 ist
die Patientin noch jetzt nach 8 Jahren geheilt und arbeitsfähig.
Gocht.
35jähr. Mann, Melanosarkom des Auges. Der größte Teil wurde operativ entfernt
und die Diagnose histologisch sichergestellt. Bestrahlung mit kleinen Dosen täglich
oder einen um den anderen Tag, bis Erythem eintritt, dann 3 Wochen Pause. Heilung.
Seit 4 Jahren rezidivfrei.
Levy-Dorn.
I. 27jähr. Frau. Am 1. Juli 1904 wegen rechtsseitiger Halsdrüsengeschwulst,
die sich in einem Jahre langsam entwickelt hatte, operiert. Mikroskopische Unter-
suchung ergab Lymphosarkom. November 1905 Anschwellung der Drüsen der linken
Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 499
Halsseite von Supraclavicular- bis Submaxillargegend.. Am oberen Ende der Opera-
tionsnarbe ebenfalls neue Drüse. Narbe und Drüsen druckempfindlich. Allgemein-
befinden gut, Blut normal; keine sonstigen Drüsenschwellungen. Trotz Arsen und
Prießnitz-Umschlägen Vergrößerung. Beginn der Röntgenbehandlung am 30. De-
zember 1905, 6 Wochen nach Rezidiv. Linke Halsseite erhielt im Januar, Februar und
April jedesmal in 6 bis 7 Bestrahlungen 10 X, rechte Seite dieselbe Dosis in 3 Sitzungen.
Schon nach der ersten Behandlung geringer Rückgang. Im April wesentliche Besse-
rung. Im Dezember wieder Vorstellung wegen Zunahme der Schwellungen am linken
Unterkiefer und hinter dem Ohre. Durch 11 Bestrahlungen bald wesentliche Ver-
kleinerung und allmählich vollständiger Schwund. Herbst 1909 Anschwellung der
Leistendrüsen, Hals gut. Trotz Bettruhe und Umschlägen ein viertel Jahr lang Zu-
nahme, dann Schmerzen und Hautentzündung; gleichzeitig Fluor. Dieser Zustand
bestand 3 Wochen ohne Neigung zur Eiterung. Dann Röntgentherapie. 14 Tage nach
Beginn Schwellung und Schmerzen wesentlich zurückgegangen, hörten später völlig
auf. Der Sicherheit wegen nach 3 Wochen Wiederholung der Behandlung. Beide
Male wurde die Dosis 10 malin je 3 Sitzungen für die rechte und die linke Leistengegend
verabfolgt. Seitdem bis 28. November 1911 von ihrem Drüsenleiden gänzlich befreit.
II. Etwa 18 Jahre alter Patient kommt März 1906 in Behandlung. Seit zwei
Jahren Schmerzen im linken Oberschenkel, welche auf Trauma zurückgeführt werden.
Nach Bergtour Herbst 1906 erhebliche Steigerung der Beschwerden. Röntgenunter-
suchung ergab damals keine abnormen Befunde. Energische Anwendung physikali-
scher Heilmethoden und antineuralgischer Kuren, 5 Sanatorien. Trotzdem keine
Besserung. April 1906 zuerst Auftreibung des linken Femur festgestellt. Eine Autorität
diagnostizierte periostales Sarkom und schlug Exartikulation vor. Im Mai vorge-
nommene Röntgenuntersuchung ergab: Um die obere Hälfte des Femur zahlreiche
unregelmäßige, z. T. netzförmig angeordnete, z. T. mit dem Knochen parallele Schatten-
linien. Darin sind einige Schattenflecke eingestreut. Das Periost ist verdickt, der
Knochen spindelförmig aufgetrieben. Der Markkanal scheint nicht verändert zu sein.
Operation verweigert. Röntgenbestrahlung: Vom 26. April 1906 bis 7. Mai 1906 je eine
Erythemdosis in 3 Sitzungen von vorn nach hinten und von den Seiten. Wieder-
holung des Verfahrens vom 29. Mai bis 1. Juni 1906. Vom 25. Juni þis 5. Juli 1906
wurden noch 5 Bestrahlungen hinzugefügt. Röntgenuntersuchung am 19. November
1906 bewies geringe Schrumpfung. Behandlung wiederholt vom 19. November 1906
bis 8. Dezember 1906 im ganzen 10 Bestrahlungen. Zuletzt vom 4. bis 22. Februar 1907
noch 9 Bestrahlungen. Zugleich mit den Röntgenstrahlen Atoxylinjektionen. Sep-
tember 1907 Antineuralgika entzogen. Schwere Abstinenzerscheinungen, doch fort-
schreitende Besserung. Frühjahr 1908 fast alle Beschwerden verschwunden. Röntgen-
untersuchung am 25. November 1911 läßt noch eine spindelförmige Schwellung des
Femur erkennen. Die Trabekel außerhalb des Periostes sind bis auf einen kirschkern-
großen Rest, der als isolierte Knocheninsel erscheint, vollständig geschwunden. Die
Verdickung des Knochens kommt auf Kosten des Periostes, beziehungsweise der Cor-
ticalis zustande. Seit Beginn der Behandlung sind über 5 Jahre und 7 Monate ver-
gangen.
Nicolaysen.
Nicolaysen behandelte mit Röntgenstrahlen ein Rezidiv eines Schlüsselbein-
sarkoms, das hinter dem Brustbein saß und Rekurrens-Lähmung herbeigeführt hatte.
Patient ist seit 3 Jahren völlig gesund.
Lassen.
Lassen mußte bei Operation eines Lymphosarkoms auf dem Schenkel die tieferen
500 Petersen,
Teile der Geschwulst zurücklassen, weil sie die Gefäßscheide infiltrierten. Röntgen-
bestrahlungen heilten das Geschwür. Patient ist nunmehr — 11/, Jahr danach —
völlig gesund.
Haenisch.
75jähr. Mann, multiple Sarkome am Abdomen und rechten Oberschenkel. Haupt-
tumor füllte die rechte Inguinalbeuge vollkommen aus, der oberen Partie des rechten
Oberschenkels lag ein über kindskopfgroßer Tumor auf. Rechtes Bein stark ödematös
geschwollen, es drohte Gangrän. Operation aus äußeren Gründen unmöglich. Beginn
der Röntgenbehandlung im Juni 1908. Nach 8 Bestrahlungen von je 15 Minuten, 24
bis 28 cm Entfernung, harte Röhre mit Stanniolfilterung, jeden 2. bis 3. Tag, war Mitte
Juli Oberschenkeltumor um 1?/, verkleinert, Geschwulst in der rechten Inguinalbeuge
stark zurückgegangen. Dann linke Inguinalbeuge in gleicher Weise 4 mal bestrahlt.
Ende August Tumoren bis auf minimale Reste vollkommen verschwunden. Nach
wenigen Wochen auch hiervon nichts mehr nachweisbar. Patient war bis zu seinem
1912 erfolgten Tode, also etwa 4 Jahre später vollkommen arbeitsfähig und rezidivfrei.
Pfahler.
I. 21jähr. Mann, Sarkom von Apfelgröße rechts am Kieferwinkel. Exstirpation.
Nach 3 Wochen Rezidiv von derselben Größe, abermals exstirpiert. 5 Tage später
Rezidiv von Hühnereigröße. Darauf Röntgenbestrahlung. 20 Bestrahlungen vom
1l. Dezember 1905 bis 22. Januar 1906. Heilung; 20 Monate rezidivfrei.
II. 11jähr. Mädchen. Kleiner Tumor der rechten Nasenseite, der nach den Rönt-
genbildern sich bis in die Siebbeinzellen erstreckte. Histologisch Rundzellensarkom.
31 Röntgenbestrahlungen vom 29. Januar bis 18. April 1907. Sieben Monate nach
beendigter Behandlung rezidivfrei.
III. 30jähr. Frau. Tumor des rechten Vorderarmes, entfernt im Oktober 1905.
Histologisch Rundzellensarkom. Nach 3 Monaten Rezidiv, abermals operativ entfernt.
32 Röntgenbestrahlungen, trotzdem Rezidiv. Behandlung Mai 1906 abgebrochen.
Im Oktober 1906 fand sich am Ellenbogen eine weiche fluktuierende Masse von Hühner-
eigröße und eine zweite am Nerv. medianus und Art. brachialis. Entfernung beider
Tumoren, die im wesentlichen von den Faszien ausgingen. 2 Wochen später abermals
Rezidiv. Beginn der neucrlichen Bestrahlung im Novenber 1906, wöchentlich 3 mal
35 Minuten. Abstand 12 Zoll, Qualität Benoist 7, Belastung 1 M. Amp. Lokale Anwen-
dung von Methylenblau. Nach einem Monat war der Tumor verschwunden, jedoch
die Wunde noch nicht geschlossen. Nach 5 Minuten und 32 Bestrahlungen Wunde
geheilt, Wohlbefinden. Weiterhin 1 mal monatlich bestrahlt. In 7 Monaten kein
Rezidiv.
IV. 60jähr. Frau. 1897 Tumor unter dem rechten Ohr, der 1 Jahr später ent-
fernt wurde; histologisch Rundzellensarkom. Rezidiv, nach 9 Monaten exzidiert.
3. Operation 1900, 4. 1902. Wiederum Rezidiv. 11/, Zollim Durchmesser. April bis
Juli 1904 39 Bestrahlungen, nachdem einige Bestrahlungen bereits im Anfang des Jahres
stattgefunden hatten. Der Tumor verwandelte sich in ein offenbar fibröses Gewebe
und blieb unverändert seit Juli 1904, also 3 Jahre.
V. 18jähr. Mädchen. Trauma des linken Beins vor 10 Monaten. Im Anschluß
daran entwickelte sich eine schmerzhafte Geschwulst. Röntgenbild zeigte eine Auf-
treibung der oberen 9 cm der linken Fibula auf das Dreifache, die offenbar keine Kalk-
salze enthielt. Keine Markhöhle, aber im oberen Teil eine Höhle von 1,5 mal l cm.
Im übrigen gleichmäßige Konsistenz von wenig stärkerer Dichtigkeit als Muskulatur.
Histologische Untersuchung ergab Rundzellensarkom. Da Amputation verweigert,
Röntgenbestrahlung. 6 Bestrahlungen wöchentlich 6 Wochen lang, dann dreimal
Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 501
wöchentlich, im ganzen 47 Sitzungen in 3 Monaten. Fortlaufende Röntgenbilder zeigen
Verkleinerung des Tumors und Zunahme der Kalksalze. Seit 15 Monaten nach beendeter
Behandlung Wohlbefinden. Der Knochen hat an der erkrankten Stelle noch die
doppelte Dicke des normalen, aber gleiche Dichtigkeit.
VI. 15jähr. Knabe. Vor 2 Jahren Osteosarkom des ÖOberkiefers operativ ent-
fernt. Vor 5 Monaten zeigte sich ein Rezidiv, das die ganze Vorderseite des Ober-
kiefers einnahm. 60 Bestrahlungen in 8 Monaten. Geringer Rückgang im Umfange des
Tumors. Wohlbefinden 4 Jahre nach Behandlung.
VII. 4 Monate altes Kind. Mit 7 Wochen Entwicklung eines Tumors am rechten
unteren Augenlid. Im Februar 1907 exstirpiert. Mikroskopisch gemischt-zelliges
Sarkom. Nach 2 Wochen Rezidiv. Beginn der Bestrahlungen am 19. März 1907.
42 Sitzungen bis 31. Juli 1907. Heilung. Nach 3 Monaten rezidivfrei.
VIII. 8jähr. Mädchen. Vor 6 Wochen Schlag gegen den linken Kiefer. Vor
einer Woche ein daran anschließender Tumor exstirpiert. Da der Knochen ergriffen
war, nur Exkochleation, keine Resektion. 35 Bestrahlungen von Mai bis Juli 1907.
Heilung. Mikroskopisch Rundzellensarkom. Rezidivfrei sei 4 Monaten.
IX. 56jähr. Dame. Seit Geburt Naevus pigmentosus auf der rechten Schulter.
Auftreten eines 4 cm im Durchmesser betragenden Tumors auf dem linken Schulter-
blatt in wenigen Monaten. Exstirpation beider. Melanosarkom. Bei Beginn der Be-
strahlung Wucherungen und Verhärtung an beiden Wunden. 16 Bestrahlungen vom
Februar bis April 1906. Heilung. Rezidivfrei 19 Monate.
X. 54jähr. Mann. Entfernung eines großen Melanosarkoms der Submaxillar-
gegend vor 8 Tagen, nicht radikal. Postoperative Behandlung durch 13 Bestrahlungen
vom 17. bis 31. Mai 1907. Rezidivfrei ca. 6 Monate später.
Dies sind unter den 22 von Pfahler mitgeteilten Fällen diejenigen, bei denen man
überhaupt von Dauerheilungen sprechen kann. Nach einer späteren Mitteilung Pfah-
lers in der Sitzung der American therapeutic society Philadelphia am 7. Mai 1908
waren 10 von seinen mitgeteilten Fällen noch geheilt. Ob es sich dabei um die
hier wiedergegebenen Fälle oder teilweise um andere gehandelt hat, ließ sich nicht fest-
stellen. Immerhin dürfte das Erstere das Wahrscheinlichere sein. Die Rezidivfreiheit
würde sich dann für diese Fälle um 6 Monate verlängern.
Müller-Immenstadt.
70jähr. Frau, multiple haselnuß- bis taubeneigroße Sarkome, vom Periost aus-
gehend am Schädel und im Gesicht. Diagnose mikroskopisch festgestellt. Behandelt
mit Hochfrequenz und Röntgenstrahlen vom 7. April bis 6. Mai 1910; 9 Sitzungen.
Heilung. Rezidivfrei bis Juli 1912, also 2 Jahre.
Ferner berichtet Müller über 4 weitere Fälle von periostalem Schädelsarkom,
die völlig zum Schwinden gebracht wurden und längere Zeit rezidivfrei blieben. Nähere
‚Angaben sind nicht gemacht. Dasselbe gilt von einem Unterkiefer-, einem Brustbein-
und 4 Lymphosarkomen.
Forssell hat mehrere Fälle von Sarkomen des Schädelknochens durch Röntgen-
strahlen geheilt.
Vorstehende Zusammenstellung der Fälle von Heilungen des Sarkonıs
durch Röntgenstrahlen macht keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es
mag der eine oder andere Fall, besonders auch in der ausländischen Li-
teratur, übersehen sein. Auch konnten einige Fälle wegen Unzugänglich-
keit der Originalarbeit nur nach einem Referat angeführt werden. Die
wesentlichsten Fälle dürften aber darin enthalten sein und das Bild geben,
502 Petersen,
wie wir es in der Literatur finden. Ob dieses auch den tatsächlichen
Verhältnissen entspricht, ist eine zweite Frage. Bei manchen Fällen mag
die Rezidivfreiheit wesentlich länger angehalten haben, als wir in den Ver-
öffentlichungen verzeichnet finden, oder eine dauernde geworden sein; bei
anderen wieder, die anfänglich lange Zeit rezidivfrei waren, ist vielleicht
später doch wieder ein solches eingetreten. Wenn wir also von Heilungen
sprechen, so können wir dies immer nur in dem Sinne tun, soweit sich
die Fälle in der Literatur als solche darstellen.
Wenn wir nun die vorliegenden Fälle zur Beantwortung der Frage
nach dem Heilerfolge der Röntgenstrahlen bei Sarkomen bewerten wollen,
so ist natürlich Grundbedingung, daß es sich jedesmal auch um das ge-
handelt hat, was wir nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse als
wirkliches Sarkom bezeichnen, und daß vor allem auch die Diagnose durch
histologische Untersuchung sichergestellt ist. Denn wenn wohl oft auch
ohne Mikroskop aus dem klinischen Befund allein die Diagnose mit ziern-
licher Sicherheit zu stellen ist, so lassen sich doch solche Fälle zu wissen-
schaftlichen Zwecken nicht verwenden, weil eben doch nicht alle Mittel,
Irrtümer auszuschließen, erschöpft worden sind. Auch bei histologischer
Untersuchung bleiben ja noch immer einige Fälle übrig, bei denen Zweifel
entstehen können, aber diese lassen sich eben nicht vermeiden.
Gehen wir nun die angeführten Fälle in diesem Sinne durch, so sehen
wir, daß wir von vornherein eine ganze Anzahl ausschalten müssen. Zu-
nächst sind dies also die, die nicht als echte Sarkome anzusprechen sind.
Hierher gehören einmal die 3 Fälle von Cohn, bei denen es sich ja nach
seinen eigenen Angaben um das Krankheitsbild handelt, was bisher noch
mit den verschiedensten Bezeichnungen wie maligne Lymphome, Lympho-
sarkom, Pseudoleukämie usw. bezeichnet worden ist. Die letzten Jahre
haben ja aber in der Kenntnis dieser Krankheit bedeutende Fortschritte
gebracht und lassen es jetzt als das Wahrscheinlichste erscheinen, dab es
sich um eine Infektionskrankheit handelt; doch diese Frage ist noch nicht
endgültig entschieden. Wie dem aber auch sei, eins dürfte wohl feststehen,
nämlich dal wir die genannte Krankheit, wie auch bereits oben bemerkt,
von den echten Sarkomen, von denen allein hier die Rede sein soll, streng
zu scheiden haben. Die Röntgenbehandlung der malignen Lymphome, die
ja bekanntlich oft von ausgezeichnetem Erfolge ist, ist ein Kapitel für sich.
Hierher gehört auch ohne Zweifel der erste Fall von Levy-Dorn. Der
ganze klinische Verlauf ist gradezu typisch für diese Erkrankung; auch
wird ja dies durch die histologische Diagnose „Lymphosarkom“ vollauf be-
stätigt. Um ein Lymphosarkom handelt es sich ebenfalls offenbar in dem
Fall von Lassen.
Bei einer Reihe weiterer Fälle muß es fraglich erscheinen, ob wir
Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 503
berechtigt sind, sie den Sarkomen zuzurechnen. Es ist bei diesen zwar
die Diagnose, auch auf Grund histologischer Untersuchung, auf Sarkom
gestellt; doch gleichen sie ihren ganzen Erscheinungen nach so sehr den
sogeannten malignen Lymphomen, daß man geneigt ist, sie als solche an-
zusprechen. Hierher gehören der erste Fall von Pusey, der von Kien-
böck und der von Haenisch. Bei allen diesen hat es sich offenbar
um eine von den Lymphdrüsen ausgehende Erkrankung gehandelt, die
multipel aufgetreten ist. Welcher Art diese jedoch gewesen ist, kann nicht
als genügend geklärt angesehen werden, als daß man die Fälle zur objek-
tiven Beantwortung der gestellten Frage benutzen könnte. Ein weiterer
Fall, von dem dies auch gelten dürfte, ist der erste Fall von Pfahler.
Auch hier scheint es sich um eine Drüsenerkrankung gehandelt zu haben,
obwohl dies nicht mit Sicherheit aus der Beschreibung hervorgeht. Wir
müssen diesen Fall aber auch noch aus einem anderen Grunde außer Be-
tracht lassen, nämlich weil nicht sicher zu ersehen ist, ob der Fall histo-
logisch untersucht worden ist. Eine ausdrückliche Bemerkung darüber
findet sich nicht, auch fehlt eine Angabe über die Struktur des Tumors,
woraus man auf eine mikroskopishe Untersuchung hätte schließen können.
Wir kommen damit zu einer zweiten Gruppe von Fällen, die wir aus
unserer Betrachtung von vornherein ausscheiden müssen. Das sind näm-
lich alle diejenigen, bei denen eine histologische Untersuchung nicht an-
gestellt ist. Die Gründe sind bereits oben angeführt. Findet sich bei
einem Falle eine nähere Bezeichnung der Struktur, ohne daß ausdrücklich
bemerkt worden ist, daß er auch histologisch untersucht worden ist, so
ist dieses letztere doch angenommen worden. Andererseits mag der eine
oder andere Fall, der nur im Referat zugänglich war, doch untersucht
worden sein, und eine dahingehende Bemerkung im Bericht fehlen. Eine
Verwendung dieser Fälle ist dann aber doch für uns nicht möglich. In
diese Gruppe gehören zunächst der dritte Fall von Johnson, Fall 2, 3
und 4 von Pusey, der Fall von Clopatt, bei dem es sich außerdem
höchst wahrscheinlich wieder um maligne Lymphome handelt und ferner
der zweite Fall von Levy-Dorn. Dieser ist zwar der Ansicht, daß es
keinem Zweifel unterliegen könne, daß es sich um ein Sarkom gehandelt
hat, doch dürfte diese Ansicht kaum sehr viel Zustimmung finden. Als
Beweise für die Richtigkeit der Diagnose wird angeführt, daß erstens der
im Röntgenbilde sichtbare fächerförmige Bau dafür spräche, zweitens aber
auch die von den behandelnden Ärzten angewandten bzw. empfohlenen
Mittel, nämlich 1. Operation, 2. Exartikulation. Diese letztere war sogar
von einer Autorität vorgeschlagen, nachdem von ihr die Diagnose auf
„periostales Sarkom“ gestellt war. Hierzu ist zu bemerken, daß auf Grund
eines Röntgenbildes allein, auch von einer Autorität, die Diagnose „Sarkonı“
504 Petersen,
überhaupt nicht sicher, sondern höchstens mit Wahrscheinlichkeit gestellt
werden kann. Selbst auf Grund des mikroskopischen Befundes kann dies
noch außerordentlich schwer sein. Es sei nur an die bereits oben erwähnte
Östitis fibrosa erinnert. Ferner sind in der Literatur, besonders von fran-
zösischer Seite, Fälle beschrieben, in denen von erfahrenen Diagnostikern
die Diagnose auf Sarkom gestellt war, und wo sich bei der Operation eine
ganz chronisch verlaufende Osteomyelitis fand. Ebensowenig stichhaltig
ist der zweite Grund für die Richtigkeit der Diagnose, nämlich die vor-
geschlagenen therapeutischen Mittel. Diese sind doch erst auf Grund der
Diagnose vorgeschlagen, können also doch ihrerseits unmöglich wieder als
Stütze für die Richtigkeit eben dieser Diagnose herangezogen werden.
Zweifellos ist es ja sehr erfreulich, da der Patient durch die Röntgen-
behandlung von seinem Leiden befreit ist, als kasuistischer Beitrag aber
zu den „Dauererfolgen bei der Röntgentherapie von Sarkomen“ — als
solcher wurden dieser und der bereits oben erwähnte Fall veröffentlicht —
lassen sich diese Fälle doch unmöglich verwenden.
Fraglich, ob histologisch untersucht, ist ferner der Fall von Nico-
laysen.
Bei den übrigen in der Zusammenstellung aufgeführten Fällen müssen
wir wohl annehmen, daß es sich tatsächlich um echte Sarkome gehandelt
hat, und daß bei ihnen eine Heilung durch Röntgenstrahlen erzielt ist.
Es käme jetzt als zweites die Beantwortung der Frage, wie weit wir von
Dauerheilungen sprechen können. Da müssen wir uns zunächst einmal
klar darüber werden, was wir als Dauerheilung bezeichnen wollen. Dies
ist natürlich immer nur ein relativer Begriff. Denn wir wissen, dab Rezi-
dive maligner Tumoren noch nach vielen Jahren vorkommen können. Man
hat sich ja aber jetzt bei derartigen Aufstellungen im allgemeinen . zur
Regel gemacht, von Dauerheilungen bei einer Rezidivfreiheit von 3 Jahren
und darüber zu sprechen, da nach dieser Zeit Rezidive doch immerhin zu
den Seltenheiten gehören, jedoch auch nach 2 Jahren ist die Wahrschein-
lichkeit für ein Rezidiv nur noch gering. Wir wollen nun im folgenden
der besseren Übersicht wegen die Fälle einteilen in solche, die über 1, über
2 und über 3 Jahre rezidivfrei sind, wobei wir aber als Dauerheilungen
nur die letzten rechnen können. Ganz außer Betracht lassen müssen wir
aber die Fälle, die unter einem Jahre beobachtet sind, da in dieser Zeit
doch gar zu häufig noch Rezidive auftreten. Diese Fälle können höchstens
zum Beweise dafür verwandt werden, daß es überhaupt möglich ist, Sar-
kome durch Röntgenstrahlen zum Schwinden zu bringen, eine Tatsache,
die jedoch wohl heute allgemein anerkannt sein dürfte. Zu den letztge-
nannten, also unter einem Jahre beobachteten Fällen gehören der Fall von
Walker, von Chrysospathes, der 2. Fall von Sjögren, ferner der 2.,
Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 505
3., 7., 8. und 10. Fall von Pfahler, diese letzteren allerdings nicht unbe-
dingt, da wie oben bemerkt, sich wahrscheinlich die rezidivfreie Zeit um
6 Monate für diese Fälle verlängert. Es würden danach der 2., 3. und
10. Fall in die folgende Gruppe zu rechnen sein.
Zu dieser zählen wir die Fälle mit Rezidivfreiheit von mindestens
einem Jahr. Es sind das der Fall von Judd, der Fall von Price, der
5. und 9. Fall von Pfahler; von diesen ist der letzte ev. wiederum der
nächsten Gruppe zuzurechnen.
Über 2 Jahre rezidivfrei sind die Fälle von McMaster, Fischer und der
eine näher beschriebene Fall von Schädelsarkom von Müller-Immenstadt.
Zum Schluß bleiben dann noch die Heilungen mit Rezidivfreiheit von
3 Jahren und darüber, also die, die wir als Dauerheilungen zu bezeichnen
berechtigt sind. Es sind dies der 1. und 2. Fall von Johnson, der Fall
von Shoemaker, der von Krogius, Albers-Schönberg, Fall 1 von
Sjögren, der von Wetterer, Goebel, Skinner, Gocht, Fall 4 und
6 von Pfahler. Wir finden unter ibnen ein Rundzellensarkom des
Musculus rectus, 3 Fibrosarkome der Bauchwand, 2 Schädelsarkome, ein
Melanosarkom des Auges, ein Spindelzellensarkom des Oberschenkels,
sowie eines des Nasenflügels, ein idiopathisches Hautsarkom, ferner ein
Rundzellensarkom unter dem rechten Ohr und ein Osteosarkom des Ober-
kiefers. Diese beiden letzteren Fälle, die beide von Pfahler veröffent-
licht sind, bedürfen einer besonderen Besprechung. In beiden Fällen
hat es sich um Rezidiv nach operativer Entfernung des primären Tumors
gehandelt. Eine Beseitigung wurde in beiden Fällen durch die Bestrah-
lung nicht erreicht. Im ersten Fall soll sich der Tumor in ein offenbar
fibröses Gewebe umgewandelt haben. im zweiten trat nur eine geringe Ver-
kleinerung des Tumors ein, der Zustand blieb dann stationär. Es liegt
unter diesen Umständen die Vermutung sehr nahe, daß es sich vielleicht
gar nicht um Rezidive gehandelt hat. Natürlich läßt sich das aber jetzt
auf Grund der vorliegenden Mitteilungen nicht mehr entscheiden.
Ihrer histologischen Form nach handelt es sich um die verschiedensten
Tumoren. Wie aber bereits oben angeführt, lassen sich auf Grund der
hier gegebenen Zusammenstellung hieraus keine Rückschlüsse auf die Radio-
sensibilität der einzelnen Formen ziehen, es sei denn der negative Schluß,
daß Radiosensibilität und histologischer Bau unabhängig voneinander sind.
Es finden sich also in unserer Aufstellung Fälle mit Rezidivfreiheit
von einem Jahr und darüber 4 bzw. 6. von 2 Jahren und darüber 3 bzw.
4, von 3 Jahren und darüber 12.
Ziehen wir nun das Fazit aus unseren bisherigen Betrachtungen, so
ist das Resultat, daß von einer großen Zahl als Sarkomheilung durch
Röntgenstrahlen veröffentlichter Fälle als einwandsfreie Dauerheilungen
506 Petersen,
nur wenige Fälle übrig bleiben. So zeigt sich uns wenigstens das Bild
in der Literatur. Wie bereits oben bemerkt, mag die Zahl tatsächlich
größer sein, da wohl nicht alle Fälle veröffentlicht sind und manche, die
wir jetzt wegen zu kurzer Beobachtungszeit nicht haben verwenden
können, tatsächlich auch Dauerheilungen darstellen. Jedenfalls aber ist
das Bild bei genauer Betrachtung ein sehr viel anderes als es die
bisherigen Arbeiten vermuten ließen. Prozentsätze wie 18%, oder 25%
Heilung sind zweifellos viel zu hoch gegriffen. Wir können bis jetzt jeden-
falls nicht mehr sagen, als daß die Dauerheilungen eines Sarkomes
durch Röntgenstrahlen bis jetzt wohl möglich, aber doch außer-
ordentlich selten waren. Daß es dem Ausbau der Methodik gelingen
wird, hierin eine Änderung herbeizuführen, erscheint mir allerdings nach
den neueren Erfahrungen sehr wohl möglich. Denn, wie erwähnt, weitaus
die meisten dieser Fälle sind mit einer Methodik behandelt, die man mit
dem heutigen Stande des Wissens als durchaus unzulänglich bezeichnen
muß. Wir wissen heute, aus biologischen Versuchen, daß wir die Tiefen-
wirkung der Röntgenstrahlen auf radiosensible Organe durch Anwendung
genügend dicker Strahlenfilter (am besten 3—4 mm Aluminiumfilter) ganz
erheblich verstärken können. - In keinem der zitierten Fälle ist aber ver-
zeichnet, daß die Filtertechnik, dieses wichtige Hilfsmittel der modernen
Bestrahlungstechnik in dieser Form Anwendung gefunden hat, vielmehr ist
wiederholt erwähnt, daß auch bei den tiefliegenden Tumoren ungefiltertes
und weiches Röntgenlicht benutzt wurde.
Noch ein weiteres ergibt sich aber aus unserer Zusammenstellung.
Wollen wir ein möglichst klares Bild über die tatsächlichen Verhältnisse
auf dem besprochenen Gebiete erhalten, so ist es wünschenswert, daß
möglichst alle Fälle von Dauerheilungen der Sarkome durch Röntgenstrahlen
veröffentlicht werden. Unbedingt notwendig aber ist es, daß die veröffent-
lichten Fälle folgende Bedingungen erfüllen:
1. Es muß sich wirklich um das handeln, was wir heute als
echtes Sarkom bezeichnen.
2. Die Diagnose muß histologisch bestätigt sein, und zwar
von einem auf diesem Gebiete durchaus erfahrenen Mikro-
skopiker.
3. Der Fall mub nach erfolgter Heilung lange genug, min-
destens aber 3 Jahre, beobachtet und als rezidivfrei festge-
stellt sein. |
Erst wenn nach diesen Grundsätzen verfahren wird, werden wir über
die Leistungen der Röntgenbehandlung ins Klare kommen. Wohl auf
wenigen Gebieten ist scharfe, vorurteilsfreie Kritik an den erzielten Er-
folgen so dringend nötig, wie in der Therapie bösartiger Geschwülste.
| UT ul > m. m — tr mn
Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 507
Sonst besteht zu leicht die Gefahr eines allzugroßen Optimismus, der in
der Hoffnung auf einen Erfolg durch weniger eingreifende Mittel den Zeit-
punkt der Möglichkeit einer Radikaloperation verpassen läßt. Wir können
deshalb bezüglich der Indikationsstellung nicht ohne weiteres Kienböck
zustimmen, bei operablen Tumoren, ‚wo eine mehrwöchentliche Ver-
schiebung der Operation nicht befürchten läßt, daß der Tumor mittler-
weile inoperabel wird‘, zunächst die Radiotherapie anzuwenden. Dazu sind
eben die Erfolge doch noch zu unsichere. Vielmehr stehen wir auf dem
Standpunkte, daß operable Tumoren auch operiert werden sollen. Dagegen
ist es durchaus indiziert, die Röntgenstrahlen zur Unterstützung der operativen
Therapie zu verwenden. Daß sie ferner in allen Fällen in denen aus
irgendwelchen Gründen eine Operation nicht ausgeführt werden kann, auf
jeden Fall anzuwenden sind, ist heute wohl selbstverständlich.
Jedenfalls erwächst den Chirurgen die Pflicht der wissenschaftlichen
Strahlentherapie maligner Tumoren mehr als bisher ihre Aufmerksamkeit
zuzuwenden, und, gestützt auf eine einwandsfreie und wissen-
schaftlich exakte Methodik auch auf diesem Gebiete der Krebs-
behandlung sich mit in die vorderste Linie der Forschung zu stellen.
Literatur.
1. Albers-Schönberg, Röntgenkongreß 1%5.
2. Chrysospathes, Münchener med. Wochenschrift 1903, Nr. 50.
3. Clopatt, Deutsche med. Wochenschrift 1905, Nr. 29.
4. Cohn, Berliner klin. Wochenschrift 1906, Nr. 1. Zentralblatt für Chirurgie
1906, S. 875.
5. Fischer, Hospitalstidende 1906, Nr. 86 (ref. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgen-
strahlen, Bd. 12, S. 71).
6. Gocht, Handbuch der Röntgenlehre.
7. Goebel, Langenbecks Archiv, Bd. 87, S. 191.
8. Haenisch, Internationaler Kongreß für Physiotherapie 1913.
9. Kienböck, Fortschritt auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, Bd. 9, S. 329.
10. Krogius, Langenbecks Archiv, Bd. 71.
11. Levy-Dorn, Berliner klin. Wochenschrift 1912, H. 1.
12. Müller-Immenstadt, Münchener med. Wochenschrift 1912, Nr. 28.
13. Pfahler-NewYork, Med. Journ. 1907, S. 1153.
14. Price, Journ. of Americ. med. assoc. 1904.
15. Pusey, Journ. of Americ. med. assoc. 1902.
16. Sjögren, Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, Bd. 8, S. 264.
17. Skinner, Journ. of Americ. med. assoc., Bd. 47.
18. Walker, Journ. of Americ. med. assoc. 1903, Bd. 40.
19. Wetterer, Handbuch der Röntgentherapie.
20. Zentralblatt für Chirurgie 1909, S. 1416 (8. Versammlung des nordischen
chirurgischen Vereins in Helsingfors).
Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste, des
Gigantismus und der Akromegalie. ')
Von
Dr. Beclöre, Paris.
(Mit 11 Abbildungen.)
Me Herren! Ich habe die Absicht, Ihnen die günstigen Resultate
zu unterbreiten, die ich teils schon vor längerer Zeit, teils kürzlich
mit Röntgenstrahlen in der Behandlung der Tumoren der Hypophyse er-
zielt habe, ferner Ihnen die Technik auseinanderzusetzen, welche ich ver-
wendet habe und die ich für einen solchen Fall empfehle, zuletzt Ihnen
die Indikationen und Kontraindikationen dieser Behandlungsmethode im
Verlaufe der Hypophysengeschwülste und speziell derjenigen, die sich
klinisch durch den Symptomenkomplex des Gigantismus und der Akromegalie
kennzeichnen, zu erläutern.
Zuerst mögen mir einige Worte zur Geschichte dieser Bebandlungs-
methode gestattet sein.
Die erste Publikation, aus welcher hervorging, daß es möglich ist,
Hypophysengeschwülste durch Röntgenstrahlen günstig zu beeinflussen,
stammt von Dr. Gramegna in Turin und erschien in der „Revue Neuro-
logique“ am 15. Januar 1909 unter der Überschrift: „Ein mit Röntgen-
strahlen behandelter Fall von Akromegalie.“
Bei einer 47jährigen Frau, die an Akromegalie mit heftigen Kopf-
schmerzen, zunehmender Schwäche der Augen und konzentrischer Einengung
des Gesichtsfelds litt, wurden die Röntgenstrahlen mittelst eines in den
Mund eingeführten Lokalisators auf die Gegend des Türkensattels gerichtet.
2 mal in einem Zwischenraum von 8 Monaten gelang es Gramegna,
die Kopfschmerzen zum Verschwinden zu bringen und die Gesichtsfeld-
störungen zu beseitigen, mit einem Worte, die durch die Hypophysen-
geschwulst hervorgebrachten Druckerscheinungen rückgängig zu machen,
aber die Besserung war nur eine partielle und hielt nicht an. Die Kranke
kam trotzdem zum Exitus.
I. Die therapeutischen Resultate.
Diesem ersten Falle der Literatur kann ich bis jetzt 4 eigene Be-
obachtungen zufügen, von denen 2 noch nicht publiziert sind. Sie sind alle
1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie,
Berlin 1913.
Beclere, Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste usw. 509
ein sicherer Beweis für die günstige Wirkung der Röntgenstrahlen auf die
(reschwülste der Hypophyse.
Fall I. Als Dr. Gramegna seinen Fall publizierte, hatte ich seit eineinhalb
Monaten ein junges Mädchen in Behandlung, bei dem ich die Röntgenstrahlen ver-
mittelst einer neuen Technik applizierte. Das 16!/, Jahre alte Mädchen war mir von
Dr. Renon zur Behandlung überwiesen, nachdem er dasselbe am 4. Dezember 1908
in der Gesellschaft der Pariser Spitalärzte als typischen Fall von Hypophysenmegalie
nit vollem Symptomenkomplex vorgestellt hatte.!)
Zwei Monate nach Beginn der Bestrahlungen konnte ich meine therapeutischen
Resultate in einer ziemlich langen Abhandlung unter dem Titel: „Die Behandlung
der Tumoren der Hypophyse, des Gigantismus und der Akromegalie vermittelst der
Röntgenstrahlen“ der Gesellschaft der Pariser Spitalärzte?) unterbreiten.
Die Behandlung wurde 6 Monate fortgesetzt, dann 6 Monate unterbrochen.
Nach dieser langen Unterbrechung sah ich die Patientin wieder und ließ folgende
Bemerkungen in der Inauguraldissertation meines Assistenten Jaugeas?) veröffent-
lichen:
Das junge Mädchen, dessen Behandlung mir Herr Dr. R&non anvertraute,
zeigte den ganzen Symptomenkomplex der Hypophysenmegalie.. Sie hatte außer
einer bedeutenden, durch die Röntgenphotographie nachgewiesenen Vergrößerung des
Türkensattels, dessen dorsoventraler Durchmesser mindestens 3mal so groß war,
als er normaliter sein sollte, folgende Symptome:
l. heftige Kopfschmerzen mit Schwindel und Erbrechen,
2. schwere Sehstörungen,
3. Gigantismus,
4. Infantilismus der Genitalien mit Adipositas. Während vor der Behandlung
die Symptome in rascher Zunahme begriffen waren, begannen sie sich 14 Tage nach
der ersten Bestrahlung zu bessern.
Ein Jahr später waren die therapeutischen Resultate etwa folgende:
1. Kopfschmerzen, Schwindel, Übelsein und Erbrechen hatten vollständig auf-
gehört.
2. Die Sehkraft des rechten Auges, die vor der Behandlung bei Atrophie der
Papille vollständig geschwunden war, zeigte eine leichte Besserung. Die Kranke konnte
wieder Finger in 50 cm Entfernung zählen.
3. Die Sehkraft des linken Auges war außerordentlich gebessert. Lesen und
Schreiben waren wieder möglich, während beides vor der Behandlung aufgehoben war.
Ebenso hatte sich das Sehfeld um das Dreieinhalbfache seit der Behandlung ver-
größert.
!) Louis Renon, Arthur Delille et R. Monier-Vinard: Syndrome
pluriglandulaire par hyperactivite hypophysaire (gigantisme avec tumeur de l’hypo-
physe) et par insuffisance thyro-ovarienne. (S.té médicale des Hôpitaux Séance du
4 Decembre 1908.)
2) Le traitement médical des tumeurs hypophysaires, du gigantisme et de l’acro-
mégalie par la radiothérapie. (Bulletins de la société médicale des hôpitaux de Paris
pP. 274.)
3) Jaugeas, Les rayons de Röntgen dans le diagnostic et le traitement des
tumeurs hypophysaires, du gigantisme ct de Pacromégalie. Thèse de Doctorat. Paris
1909. — Steinheil éditeur.
Strahlentherapie Band IiI, Heft 2. 33
510
Fig. Ib.
Fig. Ic.
Beclere,
Fig. la. Gesichtsfeld vor der Behandlung.
Gesichtsfeld am 9. Januar 1909 nach einer einmonatlichen Behandlung.
Gesichtsfeld am 5. Februar 1909 nach zweimonatlicher Behandlung.
m
e
Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste usw. 511
4. Das Längen- und Dickenwachstum des Skeletts hörte auf.
5. Die Genitalfunktionen stellten sich wieder ein, die Regeln erschienen wieder,
die Brüste und Schamhaare entwickelten sich.
6. Das Körpergewicht wurde geringer, ebenso der Fettansatz und der Heißhunger.
Seit 1909 sah ich die Patientin, die außerhalb von Paris wohnt, nicht mehr,
erfuhr aber durch ihren Hausarzt, daß sie sich jetzt noch (1913) in guter Gesundheit
befindet und daß die durch die Behandlung erzielten Resultate dauernd geblieben sind.
Die folgenden Schemata zeigen die Grenzen des Sehfelds des linken Auges vor
und nach der Behandlung. Das erste zeigt den Fortschritt nach einmonatlicher Be-
handlung: das Gesichtsfeld ist verdoppelt.
Das zweite Schema zeigt die Besserung, die nach einer Behandlung von 2 Mo-
naten eintrat: das Gesichtsfeld ist mehr als verdreifacht.
Fall II. Er betraf einen 23jährigen jungen Mann, der mir von Dr. Lapersonne,
Professor der Ophthalmologie an der Universität Paris, überwiesen wurde.
Alle Einzelheiten über den Zustand dieses Patienten vor der Röntgenbehandlung
wurden von Professor Lapersonne und Dr. Cantonnet in einer Abhandlung unter
der Überschrift ‚Sehstörungen hervorgerufen durch die Hypophysengeschwülste
ohne Akromegalie‘‘ publiziert.!)
Der Kranke wurde 8 Monate lang in meiner Abteilung im Hospital Saint Antoine
durch meinen Assistenten Herrn Dr. Jaugeas mit Röntgenstrahlen behandelt. Nach-
dem durch diese Behandlung eine Besserung eingetreten war, wurde er in der ophthal-
mologischen Gesellschaft am 6. Dezember 1910 durch Herrn Dr. Cantonnet vorge-
stellt.
1) Troubles visuels produits par les tumeurs de l’hypophyse sans acromegalie
(Archives d’oph &halmologie — fevrier 1910).
33%*
512 Becl£re,
Als ich die Behandlung des Patienten übernahm, litt er seit 2 Jahren an zu-
nehmenden Sehstörungen und die Röntgenphotographie ergab, wie aus dem folgenden
Bilde ersichtlich ist, eine sehr ausgeprägte Vergrößerung des Türkensattels.
Der Augenbefund vor und nach der Behandlung war nach der Untersuchung
von Dr. Cantonnet folgender:
Fig. Ila. Gesichtsfeld am 11. Dezember 1909 vor der Behandlung.
Fig. IIb. Gesichtsfeld am 5. Dezember 1910 nach der Behandlung.
Vor der Behandlung: Mit dem Ophthalmoskop untersucht, erscheint der
Augenhintergrund des rechten Auges in seiner ganzen Ausdehnung leicht blaß, der-
jenige des linken Auges gleichmäßig weiß, mit den Zeichen einer absteigenden De-
generation der Optikusfasern ohne Neuritis.
Die zentrale Sehschärfe des rechten Auges ist normal, aber das Gesichtsfeld ist
stark verändert. Die ganze laterale Seite (rechte Seite des Raumes) fehlt. Die nasale
Seite ist zwar vorhanden, aber sehr eingeengt und von unregelmäßiger Begrenzung.
—
Die Röntgenbehandlung. der Hypophysengeschwülste usw. 513
Das linke Auge sieht nichts, hat aber die Fähigkeit behalten, in der linken Hälfte
des Raumes gelegene Lichtpunkte richtig zu lokalisieren. Es hat also quantitatives
Sehen auf der temporalen Seite behalten. Es handelt sich also um eine laterale, rechts-
seitige, homogene Hemianopsie.
Nach der Behandlung: Der Augenhintergrund zeigt denselben ophthalmo-
skopischen Befund als vor der Behandlung, wie es ja bei durch Degeneration bedingten
Optikusatrophien die Regel ist, selbst bei weitgehender funktioneller Besserung.
Die rechtsseitige homogene Hemianopsie besteht noch, aber die Sehkraft ist
bedeutend gebessert. Am rechten Auge ist sie in einer kleinen Zone der rechten Hälfte
des Sehfeldes wieder vollständig vorhanden, die linke Hälfte ist an ihrer Peripherie
beinahe wieder zur Norm angewachsen. In denjenigen Partien des Gesichtsfeldes,
die überhaupt nicht geschwunden waren oder die sich wieder eingestellt haben, ist die
Sehschärfe normal.
Das Gesichtsfeld des linken Auges fehlt in seiner rechten Hälfte, aber in der
ganzen linken Hälfte ist die Lichtempfindung vorhanden. Ein kleiner Sektor dieser
linken Hälfte, in ihrer oberen äußeren Partie gelegen, hat sogar die Farben- und Form-
empfindung bei einer Sehschärfe von !/eg-
Das vorstehende Schema zeigt die durch die Behandlung erreichten Resultatet):
Fall III (unver-
öffentlicht). Es handelt
sich um einen 46jährigen
Kranken, der mir von dem
bekannten Ophthalmolo-
gen, Herrn Dr. Darier,
überwiesen und in meiner
Abteilung von meinem
Assistenten, Herrn Dr.
Jaugeas, mit Röntgen«
strahlen behandelt wurde.
Er ist Metalldreher von
Beruf und erfreute sich
immer einer blühenden
Gesundheit. Im Juli 1911
merkte er, daß er kaum
mehr die Zeitung lesen
konnte und im Oktober
konnte er keinen Buch- Fig. 3.
staben mehr erkennen.
Höchstens die großen Buchstaben der Zeitungsüberschriften konnte er noch unter-
scheiden.
Dr. Darier konstatierte eine beträchtliche Abnahme der Sehschärfe, die am
linken Auge auf !/,„ am rechten Auge auf °/, reduziert war. Die Papillen zeigten
allerdings keine Zeichen der Atrophie. Die Messung des Gesichtsfeldes ergab eine
charakteristische bitemporale Hemianopsie, die wahrscheinlich auf eine Kompression
des Chiasmas durch eine Hypophysengeschwulst zurückgeführt werden mußte.
I) Anmerkung: In den Figuren bedeuten die schwarzen Partien blinde Zonen,
die grauen einfache Lichtempfindung, die weißen das erhaltene oder wiedererlangte
Gesichtsfeld (Licht-, Formen- und Farbenempfindung).
514 Béclère,
Die Diagnose wurde durch die Röntgenaufnahme des Schädels bestätigt, welche
eine beträchtliche Vergrößerung und eine charakteristische Deformierung der Sella
turcica erkennen ließ, wie man aus dem folgenden Bilde ersehen kann.
Die Röntgentherapie wurde am 25. Oktober 1911 begonnen und in wöchent-
lichen Intervallen 6 Monate lang fortgesetzt. Von da ab wurden nur noch seltenere
Sitzungen vorgenommen, zuletzt nur noch einmal monatlich.
Fig. IIIa. Gesichtsfeld am 21. Oktober 1911.
Fig. IIIb. Gesichtsfeld am 22. Februar 1912.
Zwei Monate nach Beginn der Behandlung erweiterte sich das Gesichtsfeld und die
Sehschärfe des linken Auges stieg auf !/,, während sie vor der Behandlung !/,, betrug.
Im September 1912, d. h. ungefähr ein Jahr nach Beginn der Behandlung, war
das Gesichtsfeld noch mehr erweitert.
Zu dieser unleugbaren Besserung der Sehstörungen gesellte sich auch eine Ver-
minderung der Impotenz, welche bei dem Patienten vor der Behandlung bestanden
Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste usw. 515
hatte. Die vorstehenden beiden Schemata zeigen die therapeutischen Resultate,
die in diesem Falle erzielt wurden.
Fall IV. Derselbe betrifft die noch unveröffentlichte Krankengeschichte eines
noch in Behandlung befindlichen Patienten. Er wurde mir von Herrn Dr. Valude,
Ophthalmologen des Hospitals ‚Quinze-Vingts‘‘ zugeschickt und wird ebenfalls von
Herrn Dr. Jaugeas auf meiner Abteilung mit Röntgenstrahlen behandelt:
Ein 39jähriger Bäcker wurde ohne bekannte Ursache im Oktober 1911 von Kopf-
schmerzen befallen, die besonders in den Stirn- und den Schläfenregionen ihren Sitz
hatten. Es war ein dumpfer, kontinuierlicher Schmerz ohne Exazerbationen, aber
doch heftig genug, um dem Patienten die Nachtruhe zu rauben. Kein Erbrechen
und kein Schwindel.
Zu gleicher Zeit bemerkte der Patient, daß seine Augen schwächer wurden und
er konsultierte deshalb mehrere Augenärzte. Ohne daß eine bestimmte Diagnose
gestellt werden konnte, wurden verschiedene Kuren eingeleitet; die Kopfschmerzen
wurden zwar geringer, aber
die Sehstörungen blieben
unverändert.
Im August 1911 kamen
die Kopfschmerzen wieder
und die Sehkraft nahm noch
mehr ab. Der Kranke kon-
sultierte wieder einen Augen-
arzt, der ihn genau unter-
suchte, aber nicht an eine
Affektion des Türkensattels
dachte. Er fand den Urin
frei von Zucker und Eiweiß,
einen negativen Blut-Was-
sermann und einen norma-
len Liquor cerebro-spinalis.
Nichtsdestoweniger erhielt
der Kranke 10 intravenöse
Injektionen von Cyanqueck- Fig. 4.
silber, welche eine Stomatitis
verursachten, die Sehkraft aber nicht besserten. Zuletzt konsultierte der Kranke
Herrn Dr. Valude im Hospital „Quinze-Vingts‘‘, der folgenden Befund aufnahm:
Rechtes Auge: äußerlich normal, leichte Mydriasis. Fehlen der Pupillenreflexe
auf Licht, Akkommodation und Konvergens. Hypermetropie ? Keine Verminderung
der Transparenz der Augenmedien. Keine bemerkenswerte Veränderung der Retina
noch der Papille.
Linkes Auge: Strabismus convergens, Hypermetropie und Astigmatismus ohne
Veränderung der Retina noch der Papille.
Die Sehschärfe ist sehr verringert und beträgt links ®/,gg, rechts */oo-
Das Gesichtsfeld ist beträchtlich eingeengt und zeigt das typische Bild einer
doppelseitigen, temporalen Hemianopsie.
Die Diagnose wurde auf Kompression des Chiasmas durch einen Hypophysen-
tumor gestellt und durch die Röntgenographie des Schädels bestätigt, auf welcher,
wie man auf nachfolgendem Schema sehen kann, eine beträchtliche Verbreiterung
und Deformation des Türkensattels konstatiert werden konnte.
516 Becl£re,
Der Kranke bekam bisher erst 9 Bestrahlungen, aber bereits zeigte eine neue
am 15. Februar vorgenommene Untersuchung eine leichte Verbreiterung des Gesichts-
feldes und eine Verbesserung der Sehschärfe des linken Auges, welche von !/,, auf !/ı;
stieg.
Die vorher sehr heftigen Kopfschmerzen haben vollkommen aufgehört und die
Verbesserung der Sehschärfe zeigt sich besonders in dem Umstande, daß der Kranke
wieder allein ausgehen und in den Straßen von Paris zirkulieren, die Straßenbezeich-
nungen lesen und sogar die Untergrundbahn benutzen kann, während er früher auf
einen Begleiter angewiesen war.
Die 4 Krankengeschichten, die ich Ihnen unterbreitet habe, beweisen
zweifellos den günstigen Einfluß der Röntgenbestrahlungen auf die Hypo-
physengeschwülste. So viel ich weiß, sind ähnliche Beobachtungen bisher nicht
veröffentlicht worden.
Il. Die Technik.
Ich glaube annehmen zu dürfen, daß die günstigen therapeutischen Resul-
tate, die ich erhielt, mindestens für einen guten Teil der besonderen Technik
zuzuschreiben sind, welche ich akzeptiert habe und für diese Fälle empfehle.
Der tiefe Sitz der Hypophyse zwingt uns selbstverständlich, Methoden
anzuwenden, welche den unvermeidlichen Unterschied zwischen der auf der
Oberfläche absorbierten Dosis und der Tiefendosis möglichst verringert.
Wir müssen eine möglichst widerstandsfähige Röhre verwenden, müssen
möglichst von der zu behandelnden Oberfläche abrücken und ein Aluminium-
filter von größerer oder geringerer Dicke benützen. Aber auf welchem
Wege soll man die Hypophyse erreichen?
Bisher war es, wenn ich nicht irre, immer der Mund, den man als
Eingangpforte für die Strahlen benützte. Diese Bestrahlung durch den
Mund genügte, um Herrn Dr. Gramegna den allerdings nur relativen
Erfolg zu gewährleisten, von dem ich weiter oben sprach.
Dieser bukkale Weg hat den unwiderleglichen Vorteil, daß die Hinder-
nisse, die den Röntgenstrahlen auf ihrem Verlauf bis zum Türkensattel im
Wege stehen, nur eine geringe Dicke haben: es sind der Gaumenbogen,
die Mukosa des Nasenrachenraumes und der Körper des Keilbeins oder
besser gesagt die beiden ziemlich dünnen Knochenwände, welche den Boden
und die Decke des Sinus sphenoidalis bilden.
Die Hypophyse ist sicherlich weniger weit von der Gaumenschleimhaut
als von der äußeren Haut entfernt. Andererseits ist aber wiederum der
in den Mund eingeführte Glaszylinder in seiner Weite beschränkt durch
den Abstand der Zähne beim Öffnen des Mundes und durch den Umstand,
dal man den Glaszylinder schief nach oben richten muß, damit seine
Achse den Gaumen an der Verbindung des weichen mit dem harten Gaumen
trifft. Sein innerer Durchmesser kann kaum über 38cm betragen. Es ist ferner
schwer, denselben in die richtige Lage zu bringen und in derselben zu fixieren.
Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste usw. 517
Trotz all dieser Übelstände bin ich weit davon entfernt, den bukkalen
Weg als Eingangspforte für die auf die Hypophyse gerichteten Strahlen
zu verwerfen, aber ich glaube, daß man großen Vorteil davon hat, außer-
dem noch von der äußeren Haut und zwar von der Stirn- und Schläfen-
gegend aus vorzugehen. Auf diese Art kann man, ohne die mit der In-
tegrität der Haut vereinbare Oberflächendosis zu überschreiten, die auf
die Hypophyse wirkende Tiefendosis durch Vermehrung der Eingangspforten
verdoppeln, vervierfachen, ja verzehnfachen. In den vier oben mitgeteilten
Fällen eigener Beobachtung wurde ausschließlich die fronto-temporale Gegend
als Eingangspforte für die Röntgenstrahlen benützt.
Ein Horizontalschnitt des Schädels, oberhalb der Arcus superciliares
in der Höhe der Processus clinoidei zeigt, daß die äußere Begrenzung der
Regio frontalis und der beiden Regiones temporales annähernd einen Halb-
kreis bildet, dessen Zentrum in der Mitte der Sella turcica liegt. Auf
einem Vertikal- und
Sagittalschnitt des
Schädels wird die
äußere Begrenzung
der Regio frontalis
ebenfalls, wenn
auch minder scharf,
durch einen Viertel-
kreis gebildet, des-
sen Zentrum eben-
falls in der Mitte Fig. 5.
der Sella turcica
liegt. Die ganze äußere Schädeloberfläche also, welche gebildet wird durch
das Os frontale, das vordere Drittel der Ossa parietalia, die Partes squamosae
der Temporalia und einem kleinen Teile der großen Flügel des Keilbeins,
bildet den vierten Teil einer Kugel, deren Zentrum die Hypophyse bildet.
Auf beistehendem Schema sind diese Verhältnisse deutlich zu erkennen.
Indem man nun dieser Form des Schädels Rechnung trägt, teilt man
die entsprechende Hautoberfläche, die Regio fronto-temporalis, in eine
Anzahl von Kreisen ein, deren jeder als Eintrittspforte für ein in richtiger
Achse einfallendes Strahlenbündel dient. Man kann so, ohne auf jedem
Kreise die mit der Integrität der Haut verträgliche Dose zu überschreiten,
eine sehr große Strahlenmenge in der Hypophyse zur Absorption bringen.
Teilt man z. B. die Regio fronto-temporalis nur in vier Kreise ein, so ist
es leicht, mit harten und filtrierten Strahlen mindestens die Hälfte der-
jenigen Dosis auf die Hypophyse zu bringen, welche die Haut erhält, wenn
nicht sogar die gleiche Dosis,
518 Beclere,
Diese verschiedenen Eingangspforten haben übrigens nicht alle den
gleichen Wert. Die beste ist sicherlich die durch die Fossa temporalis
führende. Denn hier haben wir den kürzesten Weg zur Hypophyse und
die dünnste Knochenwand.
Ich möchte hinzufügen, dab diese Technik mir sehr erleichtert wurde
durch das von Drault nach meinen Angaben konstruierte Instrumentarium.
Eine Anzahl von zylindrischen Lokalisatoren am Bleiglas lassen sich an den
Schutzkasten der Röhre so anbringen, daß die Achse jedes Zylinders genau
durch den Fokus der Röhre geht. Man braucht dann nur einen Lokalisator
von mindestens 3 cm innerem Durchmesser zu nehmen und den Rand seiner
freien Öffnung auf irgend eine Stelle der Regio frontotemporalis anzudrücken :
das Strahlenbündel wird dann mit Sicherheit auf die Hypophvse fallen.
Die Technik, die ich soeben beschrieben habe, wiegt den Nachteil.
der aus dem tiefen Sitz der Hypophyse resultiert, vollkommen wieder auf
und die Absorptionsverhältnisse in der Hypophyse sind dann mindestens
ebenso günstig als in den Ovarien von Frauen, deren klimakterische Blu-
tungen mit oder ohne Myome ja heutzutage in so günstiger Weise durch
die Röntgenbestrahlungen beeinflußt werden.
Bei vier der von mir behandelten Kranken wurden zuerst wöchentliche,
später weiter auseinanderliegende Bestrahlungen ausgeführt.
Gewöhnlich wählte ich vier Eingangspforten, die beiden Temporal-
gegenden und die beiden Hälften der Regio frontalis.
Ich habe Aluminiumfilter von nur 1 mm Dicke benutzt und die auf
jede Stelle in jeder Sitzung applizierte Obertlächendosis überstieg nie 3 H.
Man kann natürlich unter Beibehaltung des Prinzips dieser Technik
dieselbe modifizieren und verbessern, indem man die Aluminiumdicke bis
zu mehreren Millimetern vermehrt und eine größere Anzahl Eingangspforten
durch Teilung der Regio fronto-temporalis in 6, 8 und 10 Kreise wählt.
Man wird dann noch bessere Resultate und diese in noch kürzerer Zeit erzielen.
Vor einer Läsion des Zerebralgewebes oder vor funktionellen Hirn-
störungen durch Röntgenstrahlen braucht man sich, wie die Erfahrung ge-
lehrt hat. nicht zu fürchten. |
Das Gehirn verhält sich in diesen Fällen wie das Rückenmark. Die
Wiederherstellung der Rückenmarksfunktionen durch Röntgenbestrahlung
bei Kranken mit Syringomyelie ist der beste Beweis dafür, daß die ge-
sunden Nervenzellen und Nervenfasern von Dosen unberührt bleiben,
welche die neoplastischen Zellen zerstören.
III. Indikationen und Kontraindikationen der Behandlung.
Man kann die Tumoren der Hypophyse in symptomatischer Hinsicht
in zwei große Kategorien teilen, je nachdem sie nur rein lokale Symptome
Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste usw. 519
in Form von Kompressionserscheinungen der Nachbarorgane machen oder
sich in diesen lokalen Symptomen entferntere zugesellen in Form von
trophischen Störungen speziell von Hyperosteogenese, Erscheinungen, die
auf eine vermehrte Tätigkeit der Hypophysendrüse zurückzuführen sind.
Im ersten Fall sind die durch Kompression des Uhiasmas bedingten
Sehstörungen die Hauptsymptome und wir haben die ophthalmische Form
der Hypophysentumoren vor uns. Hier ist, wenn wir von den syphilitischen
einer spezifischen Behandlung zugänglichen Tumoren absehen, die Röntgenbe-
handlung in allen Stadien der Erkrankung angezeigt. Sie wird um so eher Erfolg
versprechen, je früher sie eingeleitet wird, besonders im Stadium der einfachen
Kompression vor einer nicht wieder gut zu machenden Zerstörung der Nerven-
fasern des Chiasmas und einer absteigenden Degeneration der Nervi optici.
Im zweiten Fall, d. h. in den gigantischen und akromegalischen
Formen der Hypophysentumoren, können zwar die Röntgenstrahlen das
anormale Wachstum des Skeletts in die Länge und Dicke aufhalten, sie
können aber natürlich keine organische Läsionen wieder rückgängig machen.
Die Bestrahlungen sind deshalb nur im Beginn und während des
progredienten Stadiums der Krankheit indiziert, d. h. in der Periode der
hyperplastischen Läsionen und der vermehrten Funktion der Hypophyse.
Sie sind hingegen kontraindiziert in weiter vorgeschrittenen Fällen, in
der Periode des Verfalls, wenn die hyperplastischen Läsionen der Hypo-
physenzellen regressiven und destruktiven Läsionen Platz machen, wenn
auf die Hyperfunktion der Drüse eine funktionelle Insuffizienz folgt, welche
zuletzt zum Tode führt.
Aufhören der Hyperosteogenese, Abnahme der Muskelkraft, Somno-
lenz, Erschlaffung der Gehirnfunktionen, Haarausfall, Trockenheit der Haut,
Abnahme des Körpergewichts und Verschlechterung des Allgemeinzustandes,
das sind die Hauptsymptome, welche klinisch den Übergang zu der Periode
des Verfalls anzeigen und eine Kontraindikation für die Röntgentherapie bilden.
Im allgemeinen, welches auch immer die klinische Form der Hypo-
physentumoren sein mag, mögen sie als Sehstörungen, als Gigantismus,
als Akromegalie oder als genitaler Infantilismus mit Adipositas in Er-
scheinung treten, ihre Behandlung mit Röntgenstrahlen wird um so eher
Erfolg versprechen, je früher sie begonnen wird. Daher die außerordent-
liche Wichtigkeit der Frühdiagnose der Erkrankung, die heutzutage durch
die Röntgenaufnahme des Schädels sehr erleichtert wird.
Zum Schluß mögen Sie mir gestatten, die Worte zu wiederholen, mit
denen ich vor vier Jahren meine Mitteilung an die Gesellschaft der Pariser
Spezialärzte schloß: ‚Die Röntgenstrahlen sind zugleich ein Mittel zur
Frühdiagnose und zur Behandlung der Hypophysentumoren.“
(Übersetzt von Dr. A. Gunsett, Straßburg i. E)
Ein Fall von durch Röntgenbestrahlung günstig beein-
flußtem Mediastinaltumor.')
Von
Dr. Haenisch-Hamburg.
(Mit 2 Abbildungen.)
M: Herren! Ich bin mir wohl bewußt, daß ich Ihnen mit folgendem
nichts Neues bringe. Sarkome werden schon seit 1899 mit Röntgen-
strahlen behandelt, seit fast 10 Jahren findet sich auch die Röntgen-
behandlung mit Arsenikmedikation kombiniert. Die Erfolge sind wechselnde.
Manche Fälle reagieren auf die Röntgenbehandlung, auf die kombinicrte
Behandlung, selbst auf Arsenik allein in glänzender Weise, manche weniger
gut, manche verhalten sich absolut refraktär. Nach Kienböck reagieren
ca. 75% aller Sarkomfälle auf Röntgenbehandlung, von diesen verschwindet
etwa 1/, völlig, während ®/, mehr oder weniger stark schrumpfen.
Leider haben wir keine Anhaltspunkte, von vornherein die günstig
reagierenden Fälle von den refraktären zu unterscheiden, selbst pathologisch-
anatomisch existieren hier meines Wissens keine Merkmale. Es ist so-
nach wohl in jedem inoperablen Falle von Sarkom ein Versuch mit
Röntgenisierung indiziert.
Ich selbst habe eine ganze Reihe von Sarkomen behandelt mit z. T.
glänzendem Erfolge. So entsinne ich mich besonders eines Falles von
multiplen Sarkomen am Abdomen und rechten Oberschenkel. Der Haupt-
tumor füllte die Inguinalbeuge vollkommen aus, der oberen Partie des rechten
Oberschenkels lag ein über kindskopfgroßer Tumor auf. Das rechte Bein
war stark ödematös geschwollen, es drohte Gangrän. Bei dem 73 jährigen
Herrn war wegen des Alters, der Größe des Tumors, Emphysem, Bron-
chiektasien an eine Operation nicht zu denken. Ich begann die Röntgenbe-
handlung ım Juni 1908. Nach 8 Bestrahlungen von je 15 Minuten in 24 bis
23 cm Entfernung mit Stanniolfilterung bei harter Röhre, jeden 2. bis 3. Tag.
war Mitte Juli der enorme Oberschenkeltumor um ca. ?/, verkleinert. des-
gleichen war die Geschwulst in der rechten Inguinalbeuge stark zurück-
gegangen. Es wurde dann die linke Inguinalbeuge in gleicher Weise
4 mal bestrahlt. Ende Juli waren die linksseitigen Tumoren bedeutend
verkleinert, «die rechtsseitigen fast vollkommen verschwunden. Ende August
1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie.
Berlin 1913.
Haenisch, Durch Röntgenstrahlen günstig beeinflußter Mediastinaltumor. 521
war eine leichte Dermatitis wieder vollkommen abgeheilt, die Tumoren
waren bis auf einen vollständig verschwunden. Nach einigen Wochen war
auch hiervon nichts mehr nachweisbar. Patient konnte seine volle
Tätigkeit als Redakteur wieder aufnehmen und ist bis zu seinem, Ende
1912 erfolgten Tode vollkommen rezidivfrei geblieben.
Leider sind Rezidive selbst bei so günstig verlaufenden Fällen nicht
immer auszuschließen.
Bei dem Fall, über den ich Ihnen heute besonders berichten will,
handelt es sich um einen 26 jährigen Herrn, der früher stets gesund ge-
wesen ist: 1911 hat er noch eine 8 wöchentliche Übung mit Manöver
mitgemacht. Im Laufe des Jahres stellte sich starker, bellender Husten
allmählich ein. Seit Ende 1911 in ärztlicher Behandluug, damals objektiv
nihil. Bis Anfang März 1912 langsame Verschlechterung des Befindens,
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Fig. 1. Fig. 2.
Atembeschwerden, Zyanose, später ein pfeifendes Geräusch wahrnehmbar
über dem Sternum.
Am 8. März 1912 wurde Patient mir zur Röntgenuntersuchung zu-
gewiesen. Ich konstatierte einen großen Mediastinaltumor, dessen Trans-
versaldimension 18,5 cm beträgt. (M.R. 3 Interkostalraum 6,0 cm,
M.L. 5 Interkostalraum 12,5 cm). Obwohl eine anatomische Unter-
suchung nicht möglich war, dürfte kaum etwas anderes als ein Mediastinal-
sarkom, resp. Lymphosarkom in Frage kommen (vgl. Fig. 1).
Am 20. Mai 1912 kam Patient zur Röntgenbehandlung. Nach
6 Bestrahlungen, 12 X unter 2 mm Aluminiumfilter gemessen, ist Anfang
Juni jegliche Atemnot geschwunden, die orthodiagraphische Messung ergibt
eine Transversaldimension von 16,8 cm.
592 Haenisch, Durch Röntgenstrahlen günstig beeinflußter Mediastinaltumor,
Nach einem Aufenthalt an der See kehrte Patient Anfang Juli in
desolatem Zustand zurück, starke CUyanose, bedrohliche Atemnot. Der
Tumor ist bis auf 18,6 Transversaldimension wieder gewachsen. Durch
erneute Bestrahlungen, im ganzen ca. 35 mal unter dem Filter ist die T.D.
Ende Juli auf 16,5 cm und Mitte September auf 13,0 cm zurückgegangen.
Aus äußeren Gründen mußte leider wieder eine längere Pause gemacht
werden. Am 12. November war der Tumor mit den gleichen Erschei-
nungen wieder auf 18,2 cm gewachsen.
Ich habe hier nachzuholen, daß von dem behandelnden Arzte während
der ganzen Zeit zunächst 2—3 mal pro Woche, später alle 8 Tage
Injektionen von kakodylsaurem Natron 0,02 subkutan gemacht wurden.
Trotzdem die Injektionen auch während der Röntgenpausen vorgenommen
wurden, wuchs der Tumor beim Aussetzen der Röntgenbestrahlung jedesmal.
Die jedesmalige Besserung muß in unserem Falle also allein der
Röntgeneinwirkung und nicht der angewandten Arsenmedikation zu-
geschrieben werden.
Durch die nunmehr energischer vorgenommene Röntgenisierung,
wöchentlich 2 Bestrahlungen von je 3—5 X unter 2 mm Aluminium
von verschiedenen Einfallspforten aus, ist die Transversaldimension am
27. Dezember 1912 bereits auf 11,3 cm zurückgegangen, der Husten,
die Atemnot sind vollkommen geschwunden, das Allgemeinbefinden sehr
gut. Am 28. Januar 1913 konnte ich 9,2 cm, am 15. Februar 7,0 cm
T.D. feststellen (vgl. Fig. 2). Die Übersichtsaufnahme zeigt nur noch eine
minimale Verbreiterung im oberen Abschnitt des Mittelschattens. Seit
Mitte Februar keine Bestrahlungen mit Rücksicht auf die Haut, die bisher
vollkommen intakt geblieben ist, abgesehen von etwas Bräunung. Eine
kurz vor meiner Abreise hierher vorgenommene Untersuchung ließ eine
noch weitere Schrumpfung erkennen, so daß das Thoraxbild jetzt kaum
etwas pathologisches aufweist.
Die Diapositive zeigen Ihnen an den in Serien aufgenommenen
Röntgenogrammen die fast vollständige Beseitigung des großen Me-
diastinaltumors. |
Daß von einer vollständigen oder dauernden Heilung noch nicht
gesprochen werden kann, ist selbstverständlich. Ich werde den Fall weiter
beobachten und auch noch weiter bestrahlen, er zeigt indessen wieder, daß
selbst in desolaten Fällen jederzeit eine Röntgenbehandlung indiziert ist.
Ich bestrahle in solchen Fällen absichtlich zunächst mit nicht zu
großen Dosen, um die Sensibilität des Tumors festzustellen und bei einem
eventuellen Rezidiv die Wirkung der Röntgenstrahlen nicht erschöpft zu
haben.
Scheinbarer Erfolg bei einer Krebsgeschwulst durch Kom-
bination der Atoxyl- und Strahlentherapie.
Von
Professor Dr. Ferdinand Blumenthal, Berlin.
m 5. Dezember 1912 erschien in der Fürsorgestelle für Krebskranke in der
Pallisadenstraße eine 69jährige Näherin. Sie zeigte einen leidlich guten
Ernährungszustand. Das rechte Auge war vollständig geschlossen, das
obere Augenlid stark ödematös, etwa um das dreifache vergrößert, das untere
frei. ‘Das Auge konnte nicht geöffnet werden. Das Ödem des Augenlides ging
in einen apfelgroßen Tumor über, der stark ulzeriert und verjaucht war. In dem-
selben zeigte sich eine stinkende blutige Flüssigkeit. Die Frau behauptete im
Mai und Juni 1912 mehrere Wochen lang 2—3 mal wöchentlich, im ganzen
ca. 12 mal, in einer sehr renommmierten Klinik für Hautkrankheiten mit Rönt-
genstrahlen behandelt worden zu sein. Unter dieser Behandlung habe sich
zuerst die Geschwulst nicht verändert, später habe sich ihr Zustand sehr ver-
schlechtert, indem die Geschwulst weiter in die Peripherie gewachsen sei. Das
stinkende Sekret habe sie mit Umschlägen von essigsaurer Tonerde behandelt.
Auf den Rat von Bekannten suchte sie die Fürsorgestelle auf. Als ich sie sah,
bot sie einen trostlosen Anblick dar, wozu das übelriechende Sekret des ver-
jauchenden Tumors kam. Ich schlug Behandlung mit intravenösen Einspritzungen
von Atoxyl 0,2 g und 0,004 g arseniger Säure, die ich schon wiederholt bei bös-
artigen Geschwülsten, insbesondere Sarkomen, bei letzteren nicht ohne Erfolg an-
gewandt hatte, vor.) Mit diesem Rat schickte ich. sie zur Bestrahlung in das
Lichtinstitut der König]. Charite. Ich hoffte, daß die Bestrahlungen wenigstens
eine Reinigung der schmierigen und jauchigen Ulzeration hervorbringen würden.
Von jeder lokalen Behandlung — etwa Umschläge oder Spülungen — wurde
Abstand genommen. In der Charité wurde von Geheimrat Lesser und dem
Leiter des Lichtinstituts Dr. Zehden, die Prognose für die Behandlung mit
Röntgenstrahlen nicht günstig gestellt; erstens weil in diesem Falle bereits
Röntgenbestrahlungen erfolglos stattgefunden hatten, zweitens weil nach ihren
Erfahrungen diese Art von Fällen sich nicht selten unter der Röntgenbehand-
lung geradezu verschlechtern. In Anbetracht der traurigen Sachlage, es war
nichts zu verlieren, entschlossen wir uns zu einer Kombination der früher
erfolglosen Röntgenbestrahlung mit derintravenösen Arsenbe-
handlung, die dann in folgender Weise durchgeführt wurde.
Die Patientin hatte ihre erste Einspritzung von Atoxyl und arseniger
Säure am 5. Dezember 1912 bekommen, die erste Bestrahlung am 10. Dezember,
1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie
Berlin 1913.
2) Zeitschrift für Krebsforschung Bd. X, S. 134 und Med. Klinik 1911, Nr. 30.
524 Blumenthal,
die zweite Atoxyleinspritzung am 12. Dezember, die dritte am 19. Dezember, die
vierte am 2. Januar. An diesem Tage war bereits eine deutliche Reinigung des
Tumors zu erkennen und eine Epithelisierung vom Rande des Tumors aus, weiche
ungefähr !, cm breit war. Das Körpergewicht hatte etwas zugenommen, es be-
trug am 5. Dezember b4 kr, am 2. Januar 64.7 kg. Eine fünfte Einspritzung.
immer intravenös, wurde am 9. Januar, eine sechste am 16. Januar, eine siebente
am 23. Januar vorgenommen.
Am 29. Januar ist die Bildung des Narbengewebes stark fortgeschritten.
ca. 1!, Zentimeter weit. Es hat sich vollständig neues Gewebe gebildet.
Außerdem sieht man aber auch den vollständig gereinigten Grund der
zerfallenen Geschwulstmiteiner feinen Epidermis bedeckt, und am
6. Februar ist bereits ein weiteres Drittel des Defektes ausgefüllt, so daß an diesem
Tage “ie Geschwulst etwa auf die Hälftezurückgegangen ist. Das Körper-
gewicht beträgt an diesem Tage 63.3 kg.
Am 3). Januar erhielt sie die achte; am 6. Februar die neunte, am 13. Februar
die zehnte Einspritzung, ihr Körpergewicht ist an diesem Tage 63.5 kg. Am
20. Februar wurde keine Einspritzung gemacht: sie klagte, daß sie in der ver-
gangenen Woche etwas Schwindelgefühl gehabt hätte. was sie auf eine Erkältung
bezog. Ihr Körpergewicht war herabgegangen auf 62.5 kg. Am 27. Februar er-
hielt sie die elfte Einspritzung. am 6. März die zwölfte, am 13. März die dreizehnte
ging subkutan) und am
27. März 14. Einspritzung. Körpergewicht 63.1 kg
3. April 15. = z 63.4 „
10. „ 18. 25 2 63.4 ..
24. na N. “ 2 62°.
15. Mai 18. š ʻ 62 n
2 u -19 s € 62 pn
19. Juni 2, s 5 614 „
3. Juli 21. a = 62.5 p
IT. po D, E 62.1
„
Die Behandlung wird vorläufig ausgesetzt, da von einem Tumor nichts
mehr durch äußere Betastung nachzuweisen ist.
Sehr auffällig war, daß während der Behandlung sich ein Teil des krebsigen
Gewebes erweichte und gelblich verfärbte und sich eine Art Fettgewebe bildete
und ferner. daß an dem Tage nach der Einspritzung und nach der Bestralilung
der Tuamür leicht blutete bzw. einen etwas entzündeten Eindruck machte.
Rüöntzenbestrahlungen wurden alie 3 Wochen von Herrn Dr. Zehden
am 10. Dezember. am 8. Januar usw. bis zum 1°. Juli, insgesamt 11 vorgenommen.
Es kam jedesmal eine 3>, Dosıs nach Sabouraud-Noiré. eine mittelstarke
Strahiungz —S Wernelt: zur Anwendung.
Der ıxixrosko;-ische Befund. welchen Herr Privatd.zent Dr. Arndt, Assistent
an der Universitat-kiinik für Haut- und tieschlechtskrankheiten aufgenommen
Lat, ergab ein Basalzellenkarzinom. Das Prüparat wurde in Alkohol fixiert.
die Kerne mit Eisenhämatoxylin vorgefärbt und mit van Lieson naclhgefärbt.
so dab das Bindegewebe rot erscheint.
Es handeit sich also um ein Basalzeilenkarzinom. das der alleinigen
Behandlung mit Röntzenstrählen trotzte. dagegen mit auffälliger Heiltendenz
Kombination der Atoxyl- und Strahlentherapie. 5925
auf eine kombinierte intravenöse Behandlung von Atoxyl und arseniger
Siture und Röntgenbestrahlung reagierte. Es erhebt sich natürlich die Frage,
ob nicht die intravenöse Behandlung von Atoxyl und arseniger Säure allein,
dien gleichen Erfolg .gehabt hätte. Diese Frage läßt sich weder allgemein,
noch für diesen einzelnen Fall mit Sicherheit beantworten. Im allgemeinen
habe ich bei den echten Karzinomen, wie sie die inneren Organe
(Mamma-, Leber-, Magen- und Uteruskarzinom) darbieten, mit der alleinigen
Atoxylbehandlung niemals einen entscheidenden Erfolg gesehen. Was die
Hautkarzinome anbelangt, so habe ich allerdings neuerdings einen Fall in
Behandlung, in welchem das Atoxyl allein, d. h. ohne Röntgenbestrahlung
intravenös angewandt wird, und in dem eine Heiltendenz des geschwürigern
Tumors bereits nach der ersten Einspritzung zu konstatieren war. Der
Fall ist aber noch nicht für eine endgültige Beurteilung reif.
Von anderen Autoren gibt Spude!) an, bei Hautkarzinomen von
Atoxylinjektionen allein keinen entscheidenden Erfolg gesehen zu haben,
dagegen wenn er diese mit lokaler Infiltration des Tumors mit magnetisch
gemachten Eisenteilchen kombinierte; während diese allein verwendet, gleich-
falls wenig wirksam waren. Diese Anwendung des Atoxyls bezw. Atoxyls
und arseniger Säure als kräftige Unterstützung der Bestrahlungstherapie
eröffnet uns eine Perspektive für die Behandlung solcher Hautkarzinome,
bei denen bisher die Röntgenbehandlung allein ohne Erfolg war, und es
darf erwartet werden, dal ebenso wie bei Sarkomen, bei welchen, wie ich
schon wiederholt ausgeführt habe, Atoxyleinspritzungen nicht selten auf-
fallende Besserungen, ja Heilungen herbeiführten, die Kombination mit der
Bestrahlungstherapie einen Fortschritt bedeutet. Diese Kombination liegt
Ja nahe und ist auch von anderen Autoren, z. B. Levy-Dorn!) und Seelig-
mann?) bei Sarkomen erfolgreich angewandt worden.
Noch ein Wort über die Wahl des Arsenpräparats. Nach meinen
Erfahrungen sollte man endlich aufhören, die nur wenig wirksamen
Kakodylate zur Behandlung der bösartigen Tumoren zu verwenden.
Arsenige Säure scheint dagegen oft recht wirksam zu sein. Am nütz-
lichsten, schon weil wenig giftig, scheinen die aromatischen Arsenikalien,
Atoxyl bzw. Arsazetin und Salvarsan zu sein. Da die Arsenwirkung in den
aromatischen Arsenikalien und in der arsenigen Säure eine verschiedene
ist, so halte ich es vorläufig für geraten, beide zu verwenden, bis wir mehr
über die 'Tumorwirksamkeit dieser Körper wissen. Ich möchte mich hier
auf ein bestimmtes Präparat beziehungsweise auf einen bestimmten Modus
!) Spude, Zeitschr. für Krebsforschung 1913, Berl. klin. Woch. 1913.
2) Levy-Dorn, Berl. klin. Woch. 1912.
3, Seeligmann, Münchn. med. Woch. 1913 u. Deutsche med. Woch. 1913.
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 34
226 Blumenthal, Kombination der Atoxyl- und Strahlentherapie.
der Behandlung (Dosis, Dauer der Behandlung), noch nicht festlegen, — dazu
sind noch viel zu wenig Fälle behandelt — halte aber das Atoxyl in den
hier angewandten Dosen für das relativ ungiftigste und am bequemsten
anwendbare Präparat. Eine Erblindungsgefahr kommt in den hier an-
gewandten Einzeldusen nicht in Betracht. Der angeführte Fall hat bis jetzt.
d.h. bis zu dem Moment, wo der Tumor nicht mehr von außen nachweis-
bar ist, 4,4 g Atoxyl innerhalb von 7 Monaten gebraucht. Die Menge
der arsenigen Säure. welche in 22 Einspritzungen angewandt wurde, be-
trug 0,088 g.
Aus dem Laboratoire biologique du Radium in Paris.
Ueber die Einwirkung des Radiums auf gewisse hyper-
trophische Veränderungen der Epidermis.
Von
Dr. Wickham, Dr. Degrais und Dr. A. Bellot, Paris.
nser Hauptaugenmerk war bei der therapeutischen Verwendung des
Radiums zuerst auf diejenigen Affektionen gerichtet, denen gegenüber
wir uns bis dahin nur zu oft machtlos sahen. Dieser Leitgedanke war es
auch der uns veranlaßte, vor allem die Erfolge mitzuteilen, die wir mit der
Radiumtherapie in der Behandlung der Hautkrebse, der Naevi plani und
der angiomatösen Tumoren, unter denen wirkliche Monstrositäten waren,
erreichen konnten. Nachdem aber diese Erfolge erreicht waren, schien
es uns angebracht nachzuforschen, was das Radium in der Behandlung
anderer, allerdings viel weniger schwerer Affektionen, leisten könne, bei
denen es aber nichtsdestoweniger von Wert war, ein therapeutisches Agens
zur Verfügung zu haben, das in mancher Beziehung den anderen Methoden
überlegen ist. Der Zweck dieser Zeilen ist, die Resultate unserer For-
schungen mitzuteilen über die Wirkung, welche das Radium auf gewisse
hypertrophische Zustände der Epidermis, wie die Warzen (besonders die
Verrucae plantares) und die Keratodermien entfalten kann.
Unter dem Einfluß eines wahrscheinlich parasitären Agens bei der
Warze oder einer rein mechanischen Ursache bei den Schwielen, produziert
die Epidermis hypertrophische Formationen, von verschiedenem Aus-
sehen, die je nach dem Falle einer verschiedenen histo-pathologischen
Modifikation entsprechen.
Die Warze, ganz gleich ob es sich um die flache, juvenile, die vulgäre
oder um die senile Form handelt, wird, wie es Dubreuilh festgestellt hat,
von zwei eng mit einander verbundenen Partien gebildet; nämlich von
langen vaskulären Papillen und einer Masse epithelialen Gewebes, welches
diese Papillen bedeckt und einhüllt.
Die sehr langen, dünnen, fadenförmigen Papillen der Verruca vulgarıs,
die hier nur aus einigen, von ein wenig feinem und lockerem Bindegewebe
umgebenen Blutgefäßen bestehen, zeigen bei den Verrucae planae und bei
den Verrucae seniles weit geringere Dimensionen.
Die epithelialen, interpapillären Granulationen weisen interessante
34*
528 Wickham, Degrais u. Belot,
Veränderungen auf. Die Keimschicht ist wenig modifiziert, sie umgibt
die Papillen mit einer ungefähr normalen Zellschicht.
Die Stachelschicht ist sehr verdickt, sie bildet für sich allein
bei der vulgären Warze fast die ganze tiefgelegene Partie der Läsion.
Fast normal bei den jungen Warzen und bei den stark hervorspringenden
Formen, wie zum Beispiel den Warzen des Gesichts, weisen die Zellen
dieses Stratum bei den älteren Formen eine mehr oder weniger bedeutende
vakuoläre Veränderung auf, gleichzeitig findet man in diesen Fällen zu-
weilen voluminöse keratohvaline Massen vor.
Aus dieser anormalen Verhornung resultiert dann oft eine Verdiekung
des Stratum corneum, das nun anormalerweise, wenigstens zu einen Teil.
von voluminösen Zellen, die noch ihre Kerne aufweisen, gebildet wird.
Dieser vakuoläre Zustand und die darauffolgende anormale Verhor-
nung findet sich nicht bei der flachen juvenilen Warze. Hier sind die
Hornzellen, obgleich sie nur locker untereinander verbunden sind und
ein wenig kompaktes Gewebe bilden, dennoch gut verhornt.
"Ebensowenig existiert diese Modifikation bei der senilen Warze, im
Gegenteil findet man hier zahlreiche Hornkörperchen mitten in der durch
die Verdickung der filamentösen Schicht gebildeten epithelialen Masse.
Zusammenfassend und ganz im allgemeinen stellt sich die Warze
vom histologischen Standpunkte aus als eine Verdickung des Stratum
filamentosum et granulosum der Epidermis dar, die bisweilen in den Fällen
der Verruca vulgaris von einer Verhornungsanomalie begleitet ist: zwischen
(lie so gebildeten epithelialen Granulationen wachsen die mehr oder weni-
ger lansgezogenen Papillen ein. Wenn das Stratum corneum verdickt
ist, so ist es wenig konsistent.
Die Histologie der Schwicle ist viel einfacher. Unter dem Einflusse
wiederholter Reibungen, die oft nur von leichtem, bisweilen aber sehr
schwerem Charakter sein können, vermehren sich die Zellen der Epidermis
maßlos und bilden mehrere, übereinandergelagerte, abgeflachte Schichten.
Das Stratum corneum kann bisweilen eine beträchtliche Dicke erlangen;
in seiner größten Partie ist es mit Fleidin infiltriert.
Die Papillen weisen keinerlei Modifikation auf, im Gegensatz dazu
besteht eine mehr oder weniger beträchtliche Infiltration mit Ödem der
darunterliegenden Lederhaut.
Auf Grund dieser verschiedenen histologischen Befunde gingen wir
daran, die verschiedenen Strahlungen des Radiums an diese Modifikation
der Epidermis zu adaptieren. Die Verrucae planae, bei denen keine Ab-
weichung vom Verhornungsprozeß vorliegt, haben sich als besonders
sensibel gegen die Strahlenwirkung erwiesen. Da es uns möglich war,
mächtige radioaktive Intensitäten auf eine sehr eng umschriebene Fläche
Einwirkung des Radiums auf Veränderungen der Epidermis. 599
zu konzentrieren, konnten wir durch Applikation von fünf bis zehn Mi-
nuten Dauer auf jede der juvenilen Warzen deren vollständiges Ver-
schwinden herbeiführen.
Die gewöhnlichen Warzen, die so oft gegen jede schmerzlose Be-
handlung refraktär sind, zeigten sich auch widerstandsfähiger gegen die
Radiumstrahlung. Durch Benutzung eines Apparates, der ein. Zenti-
gramm reines Radiumsulfat auf einem Quadratzentimeter Oberfläche
enthielt, und bei Verwendung der Gesamtstrahlung dieses Apparates,
erzielten wir in absolut konstanter Weise die Einschmelzung dieser Warzen,
ohne Hinterlassung einer Narbe.
Die rissigen Keratodermien der Fußsohle, die meist symme-
trısch auftreten, sind die Ursache lebhafter Schmerzen. Wie uns unsere
Erfahrungen lehrten, sind sie in äußerst günstiger Weise durch die Radium-
strahlung beeinflußbar.
Vor allem möchten wir aber die Aufmerksamkeit auf die wirklich
wichtigen Dienste lenken, die das Radium in der Behandlung der Schwie-
len und noch mehr der Warzen der Fußsohle, zu leisten vermag.
Die Schwiele der Fußsohle, die zumeist ihren Sıtz auf dem Niveau
des Kopfes der Metatarsen hat, ist in vielen Fällen der Sitz eines während
des Gehens äußerst heftigen und schwer zu ertragenden Schmerzes. Durch
Anwendung des Radiums konnten wir eine deutliche Erweichung der Horn-
schicht und damit das vollständige Verschwinden des Schmerzes erzielen.
Dieser ist übrigens noch ausgesprochener, wenn es sich um die in so
ausgezeichneter Weise von Dubreuilh beschriebene Warze der Fuß-
sohle handelt. Gewöhnlich finden sich diese Warzen am Vorderfuß, auf
den Niveau der Metatarsenköpfehen oder auch unter der Ferse. Auf
den ersten Blick scheint es sich um eine große Schwiele von besonderer
Schmerzhaftigkeit zu handeln. Diese Schmerzen selbst sind oft so stark,
daB jedes Gehen unmöglich ist. Wenn man nun diese Schwiele etwas
näher untersucht, sagt Dubreuilh, konstatiert man, daß sie in ihrem
Zentrum von einem Loch perforiert ist, in welchem nıan ein weiches,
weißlich gefärbtes Gewebe vorfindet. Bei Abschälung der Hornschicht
zeigt sich, daß dieses Loch sich in der Tiefe erweitert und daß es von dem
erwähnten, weißlichen Gewebe, das sich sehr schwer schneiden läßt, an-
gefüllt ist. Nur mit Schwierigkeiten gelingt es, die Kurette hier einzu-
führen, aber einmal eingedrungen ist es leicht, weißliche, dem Anscheine
nach fibröse Massen loszureißen, die aus weichen, parallel zu Bündeln
agglutinierten und vom Grunde nach der Oberfläche zu gerichteten,
Bündeln bestehen. Es sind dies die papillären Kolonnen der Warze.
Auf diese Weise gelingt es, eine runde Höhle, die an ihrem Grunde breiter
als an ihrer Mündung ist und sich etwa zwei Zentimeter tief in die Fuß-
sohle hinein erstrecken kann, auszuräumen.
530 Wickham, Degrais u. Belot,
Die Warze kann auf Grund des ständig auf sie ausgeübten Druckes
nicht nach außen hervorspringen, hat sich deshalb mitten in die Gewebe
eingelagert und der hyperkeratotische Ring, der sie umschließt, bildet
gleichzeitig ihre Überdeekung. Diese eigenartigen Bedingungen erfor-
dern natürlicherweise eine ganz besondere Behandlungsmethode der
plantären Warze.
Wenn wir bei den sich über dem Niveau der Haut entwickelnden
Warzen eine Therapeutik anwenden, die vor allem die große Menge der
wenig penetrierenden Strahlen des Radiums ausnützt, müssen wir bei
der mitten in das Gewebe eingelagerten plantären Warze unsere Zu-
flucht zu den stark penetrationsfähigen Strahlen des Radiums nehmen,
indem wir den ganzen Rest der übrigen Strahlung durch eine geeignete
Filtrationsmethode ausschalten.
Da nun aber die Menge der stark penetrationsfähigen Strahlung nur
eine beschränkte ist, müssen wir diesen Nachteil durch eine verlängerte
Applikationsdauer zu kompensieren suchen.
Die von uns in diesen Fällen angewandte Technik ist die folgende:
Wir applizieren einen, drei Zentigramm reinen Radiumsulfats auf sechs
Quadratzentimeter verteilt enthaltenden Apparat, dessen Strahlung
durch zwei Millimeter Blei filtriert wird, während sechzig Stunden auf die
zu behandelnde Warze, und zwar wurde die Applikationsdauer auf sechs
Nächte, Jede zu zehn Stunden verteilt.
Dank dieser Technik konnten wir bisher jedem unserer Patienten,
der sich um eine Behandlung seines Übels an uns wandte, seine Schmerzen
erleichtern.
Die Behandlung ist absolut schmerzlos, was sich von besonderem
Werte in einem unserer Fälle erwies, in dem die schwangere Patientin,
mit einer plantären Warze des Vorderfußes und einer zweiten an der
Ferse des anderen Fußes behaftet, sich nur sehr schwer zu einem ope-
rativen Eingriff hätte entschließen können.
Weiterhin führt die Behandlung, wenn der Patient sehr beschäftigt
ist, keine Unterbrechung in seiner Berufstätigkeit herbei. Diesen Vorteil
lernten wir besonders im Falle eines Kollegen schätzen, der bereits mit
Schrecken der Bettruhe entgegensah, die ja nach der Operation, die man
ihm als sicherstes Mittel, um seinen Schmerzen ein Ende zu setzen, eınpfoh-
len hatte, nötig gewesen wäre.
Die von uns erzielten Erfolge haben es uns nützlich erscheinen lassen,
die Dienste mitzuteilen, die das Radium bei einer Affektion leisten kann,
deren Prognose ja allerdings nicht allzu ungünstig ist, deren sich endlos
wiederholende Schmerzen aber unter dem Einflusse dieser ganz und gar
schmerzlosen Therapeutik verschwinden. (Tibersetzt von F. Reber-Bordeaux )
Aus der urologischen Abteilung des Kaiser-Franz-Josef-Ambulatoriums
in Wien.
Zur Technik der Radium-Mesothoriumbestrahlung
in der Urologie.
Von
Dr. Hugo Schüller, Abteilungsvorstand.
(Mit 6 Abbildungen.)
ie Ausbildung der urologischen Untersuchungs- und Operationsmethoden
konnte den Umstand nicht aus der Welt schaffen, daß ein sehr
großer Teil der im Gebiete der Prostata und Blase gelegenen malignen
Neubildungen sich zur Zeit der Konstatierung ihres Vorhandenseins als
nicht mehr radikal operabel erweist; insbesondere die infiltrierenden Kar-
zinome der Blasenwand und die Prostatakarzinome machen leider in der
überwiegenden Mehrzahl der Fälle keine Frühsymptome.
Weiter neigen bekanntlich gerade maligne Tumoren der Blase und
Prostata zur Rezidivierung. Diesem Umstande suchen die neueren Opera-
tionsmethoden von Zuckerkandl, Young usw. Rechnung zu tragen, die
alle darauf abzielen, mögligst tief in dem gesunden Gebiete, entfernt vom
Tumor, zu operieren. Haben sich auch dadurch die Resultate wesentlich
gebessert, so steht doch jeder auf urologischem Gebiete tätige Arzt unter
dem traurigen Eindrucke des Schicksals jener Kranken, denen inoperable
Blasen- oder Prostatakarzinome eines der schwersten Krankheitsschicksale
bereiten, und einen Symptomenkomplex hervorrufen, der, oft mit heftigsten
lanzinierenden Schmerzen, Qualen bei der Miktion und Defäkation einher-
gehend, nur nach Anlegung einer suprapubischen Blasenfistel oder eines
anderen Entlastungsventils in seiner Heftigkeit bisher lediglich durch Nar-
kotika bekämpfbar ist.
Unter diesen Umständen war es naheliegend, die Versuche, inoperable
Geschwülste durch Radium-Mesothoriumtherapie zu beeinflussen, auch auf
dieses Gebiet zu projizieren.
Zur Ausführung dieser Bestrahlung ist es erforderlich, die zur Zeit in
der Radiumtherapie geltenden Prinzipien auch für die Urethra, Blase und
Prostata strikt durchzuführen. Also: Anwendung genügend großer Dosen,
Applikation an Ort und Stelle, richtige Filterung respektive Distanzierung,
genügend langedauernde Applikation, Vermeidung von Sekundärstrahlen-
schädigungen.
832 Schüller,
Sofern es sich um blutige Operationen an den Harnwegen, Sectio alta.
Prostataoperation usw. handelt, sind natürlich in diesem Gebiete die
Möglichkeiten der kunstgerechten Anbringung der Radium(Mesothorium)-
träger dieselben wie an jeder anderen Stelle des menschlichen Körpers.
Uns handelt es sich im Rahmen dieser Abhandlung darum zu zeigen,
wie in den der Operation aus irgendeinem Grunde nicht zuführbaren,
also inoperabeln Fällen von Carcinoma vesicae et prostatae doch eine voll-
wertige Radiumbestrahlung ausgeführt werden kann.
Es wurde zu diesem Zwecke durch vorsichtige Steigerung der Dosen
zu eruieren versucht, in welchem Maße die Schleimhaut und die Musku-
latur der Harnblase sich gegen die Strahlung empfindlich erweisen. Es
stellte sich heraus, daß die Verträglichkeit dieses Organs für die richtig
abgefilterten Strahlen eine bedeutende ist. So wurde zum Beispiel bei
vorsichtigem Vorwärtsschreiten in der Dosierung 50 mg Mesothorium, ge-
filtert durch 1mm Gummi, durch 48 Stunden in der weiblichen Blase
ohne nachfolgende Schädigung vertragen, 30 mg Radium, gefiltert durch
11/ mm dickes 25%, Platinsilber, durch 3 Tage mittels unten beschriebenen
Verweilkatheters wiederholt ohne Schaden in der Blase belassen. Auch
die Rektalschleimhaut wurde in dieser Hinsicht geprüft, auch diese für die,
wie wir im folgenden sehen werden, in Betracht kommenden Dosen von
60 mg Mesothor, respektive Radium bei 24stündiger Applikation unter
besonders vorsichtiger Sekundärfiltrierung als genügend resistent gefunden.
Zur zweckmäßigen Applikation des Strahlungsmaterials ließ ich mir
im Laufe der Versuche mehrere Instrumente!) anfertigen. Als Filter
gelangt bei diesen nur reines Platin zur Verwendung. Die Sekundärtilterung
wird in der Urethra und im Rektum durch Gummi, in der Blase durch
Distanzierung bewerkstelligt.
Es handelt sich bei einem Teil dieser Instrumente darum, in relativ
kleinen Kapseln die genügende Menge strahlender Substanz unterzubringen.
Zu diesem Behufe ist es notwendig, über sehr hochgradiges Radiumsalz zu
verfügen. Ich verwendete Joachimstaler Radium-Barium-Chlorid von
mindestens 72% Radiumgehalt, für die flachen Träger auch Mesothorium
der Berliner Auer-Gesellschaft.
Zur endourethralen Bestrahlung beim Manne verwendete ich ein
Instrument wie in Figur 1 abgebildet.
Es besteht aus einer Nickelinspirle und trägt eine Olive. Eine
zweite Olive trägt eine Bougie filiforme. Zwischen beide Metalloliven
wird ein röhrenförmiger Radiumträger eingesetzt. Durch diesen geht ein
mit Gewinde versehener Metallstift zur Fixierung der vorderen Olive.
1) Und zwar von der Firma Joseph Leiter, Wien.
Zur Technik der Radium-Mesothoriumbestrahlung in der Urologie. 533
Dieser Träger eignet sich auch zur Bestrahlung kallöser Verengungen
der Urethra, also zur Therapie eines Teiles der Harnröhrenstrikturen.
Der Versuch, diese durch Bestrahlung zu beeinflussen, wurde in der
Erwägung unternommen, ob es möglich sei, durch derartige Einschmelzung
der kallösen Bestandteile vielleicht in einer Anzahl von Strikturen den
Patienten das immerwährende Wiederholen der Bougierungsbehandlung
zu ersparen. Ob dies tatsächlich der Fall ist, wird sich erst im Verlaufe
der Zeit ergeben. |
Die Prostata bietet anatomisch nicht ungünstige Bedingungen zur
Bestrahlung. Diese ist von der Blase und dem Rektum aus direkt, vom
Perineum her indirekt ausführbar und stellt dann ein ideales „Kreuz-
feuer“ dar.
Zur endovesikalen Bestrahlung des Blasenhalses und der Prostata
verwendete ich ursprünglich das in Figur 2 dargestellte Instrument. Es
ist nach Art eines Lithothriptors, aber bedeutend kleiner und zarter gebaut.
Durch Lüften der Schraube gehen beide Branchen auseinander. Die
vordere Branche ist aus 1!/, mm dickem Platin und hat einen Rahmen,
der zur Aufnahme des schwach gebogenen Radiumträgers (R) dient. Die
rückwärtige Branche fixiert nach Anziehen der Schraube den Träger.
Dem Träger können im Rahmen Platinfilter verschiedener Stärke vor-
gelagert werden. Da dieses Instrument von Männern auf lange Dauer
nicht ohne Schmerz und Tenesmus vertragen wird, verwende ich gegen-
wärtig statt dessen einen Katheter (Figur 3), dessen vordere Kappe aus
Platinsilber zur Aufnahme der Dominiciröhrchen abschraubbar ist. Dieser
Katheter wird wie ein Verweilkatheter befestigt.
Die Technik der Prostatabestrahlung besteht also in der Einführung
dieses Katheters, dessen Schnabel an verschiedenen Stellen der Drüse
angelegt werden kann. Eine Sekundärfilterung nehme ich, um das Instru-
ment nicht dicker, seine Einführung nicht schmerzhaft zu machen, nicht
vor. Hingegen wird die Sekundärfilterung durch Distanzierung ersetzt.
Das Katheter darf mit seinem Schnabel nicht fest an die Prostata ange-
drückt werden, außerdem wird darauf geachtet, daß stets ca. 100—150 cem
Harn in der Blase verbleiben, so daß durch die Extension die Blasenwand
immer in genügender Entfernung vom Radiumträger bleibt. Gleichzeitig
wird die Prostata vom Rektum aus bestrahlt. Bei Anwendung von Radium
wird ein exzentrisch gebohrter Platinsilberfilter (Fig. 7), der auf der einen
Seite 1!/,, auf der anderen Seite 5 mm dick ist und in seine Bohrung
das Dominiciröhrchen aufnimmt, eingeführt. Der Filter ist an einem
Gummidrain befestigt. Bei Anwendung von Mesothorium (60 mg) rektal,
wird 11/, mm Goldfilter mit Gummiüberzug verwendet. Von der dritten
Seite, perineal, kann außerdem unter genügender Filterung und Verwendung
534 Schüller,
431127
Fig. 1. Fig. 2.
Zur Technik der Radium-Mesothoriumbestrahlung in der Urologie. 535
lediglich der y-Strahlung ein dritter Träger befestigt werden, wobei der
Harnröhre sorgfältig ausgewichen und die Sekundärabblendung auch skrotal-
wärts durchgeführt werden muß. |
Zur Bestrahlung begrenzter Tumoren, Epitheliome
in der Blase unter Leitung des Auges verwende ich ein Kysto-
skop, dessen Konstruktion gestattet, die zumeist in Betracht kommenden
Stellen der Blasenwandung mit Radium zu bestrahlen (Fig. 4, 5, 6).
In einem Kanal des katheterförmigen Rohres läuft eine Metallspange
zum Auslegen des Radiumträgers, welcher in eine vorn offene Metall-
kapsel einzulegen ist. Diese Metallkapsel ist entweder konkav oder konvex
gebaut. Für beide Krümmungen kommt der gleiche aktive Träger zur
Anwendung wie beim Prostataträger (Fig. 2). Die genannte Metallkapsel
ist auf einem Metallrahmen gelenkig befestigt, aufklappbar und mit einem
Riegel zu verschließen (Fig. 6). Der Metallrahmen ist wieder mit dem
Schnabel des Katheters und der Metallspange gelenkig verbunden. Durch
die am rückwärtigen Ende des Spangenkanals fixierte Zange wird die
Spange, bzw. die Metallkapsel betätigt.
Die Zange selbst steht unter dem Drucke einer Feder. Je nachdem
nun die Zange mit Daumen und Zeigefinger zusammengedrückt wird,
schnappt eine kreissegmentförmige Zahnstange in eine Hemmung aus, den
gewünschten Winkel der Metallkapsel zum Schnabel sichernd. Durch ein-
faches Abheben der Zahnstange vermittelst des kleinen Fingers geht die
Zange auf, die Metallspange zurückziehend, wodurch die Metallkapsel in
die Ausgangsstellung gebracht wird. In dieser ist die Metallkapsel in dem
Schnabel des Katheterrohres so gelagert, daß ein bequemes Einführen in
die Blase, bzw. Entfernen aus der Blase stattfinden kann. Durch Vor-
schieben, Zurückziehen, seitliche Drehungen lassen sich die meisten Stellen
der Blasenwandung erreichen. Zur Fixierung dient ein Stativ mit einem
Ring für axiale Drehung des Kystoskops, der gestattet, die stellenweise
Radiumbestrahlung von außen zu kontrollieren.
Bei größeren blutenden oder jauchenden Tumoren kommt der Ra-
diumkatheter zur Anwendung, der als Verweilkatheter in der Blase befestigt
wird. Die große Resistenz der Blasenschleimhaut gegen die Strahlen,
also die sogenannte elektive Wirkung der Strahlen macht diese Methode
zu der für den Patienten angenehmsten und gleichzeitig auf die längste
Zeit ausdehnbarsten.
In einem Falle von Karzinom der Urethra bei einer Frau auf den
Blasengrund übergreifend habe ich einen Pezzerkatheter montiert mit einem
Mesothoriumträger von 50 mg durch 48 Stunden ohne Schaden liegen
lassen.
536 Schüller,
Uber die Resultate der Bestrahlungen kann, da die Versuche kaum
über ein halbes Jahr alt sind, selbstverständlich kein definitives Urteil alı-
gegeben werden. Fest steht, daß jeder radikal operierbare Tumor operativ
anzugehen ist.
Die Prostata scheint ein für die Bestrahlung verhältnismäßig günstiges
Objekt zu sein; sie wird auch von den Autoren (Sticker) in der Stufen-
leiter der Empfindlichkeit der Gewebe für Röntgenstrablen und die
y-Strahlen des Radium an fünfter Stelle aufgezählt, und weit vor Karzinom,
Sarkom, Lupus, Myom usw. eingereiht.
Es wird Aufgabe einer späteren Abhandlung sein, die tatsächlichen
Resultate der Radiumbehandlung der in Betracht gezogenen Krankheiten
auf Grund längerer Beobachtung der Kranken kritisch zu besprechen.
—a hin Ne o
Die Behandlung der Prostatahypertrophie durch die
Radiotherapie.
Von
Dr. Haret, Paris,
Assistent am radiologischen Laboratorium des Hospitals Saint Antoine.
an vereinigt unter der Bezeichnung Prostatahypertrophie eine Reihe
klinischer Erscheinungen, bei denen die anatomischen Läsionen und
die Symptome vielfältigsind: Schwierigkeit des Harnlassens, die sich zuerst
durch häufigen Harndrang kennzeichnet, ein wenig Schmerz, Behinderung
im Augenblick der Emission, dann Retention einer gewissen Harnmenge
in der Blase, die sich nach und nach erhöht, bis es endlich zu einer voll-
ständigen Harnverhaltung mit enormer Dehnung der Blase kommt,
die jeweils die Einführung eines Katheters notwendig macht, damit
der Patient urinieren kann.
Vom anatomisch-pathologischen Standpunkte aus beobachtet man
(rei Formen:
In der einen besteht eine Drüsenhypertrophie.
In der anderen haben wir es mit einer Hyperplasie des Bindegewebes
zu tun.
In der dritten (gemischten Form) finden wir die Hypertrophie und
dıe Hyperplasie zu gleicher Zeit.
Vom klinischen Standpunkt aus unterscheidet man eine erste, prä-
kongestive Periode, in welcher die Schwierigkeit des Harnlassens auftritt,
nichtsdestoweniger ist der Kranke noch imstande, seine Blase zu leeren;
in der zweiten Periode beobachtet man die vollständigen oder unvoll-
ständigen Retentionserscheinungen. Für die Mehrzahl der Urologen gibt
es nur eine Behandlung der Prostatahypertrophie, die Prostatektomie.
Jedoch nicht alle Patienten geben ihre Einwilligung zu diesem Eingriff,
und dieser ist Ja auch durchaus nicht so harmlos, wie es auf den ersten
Blick erscheint. Die allergünstigsten Statistiken können nicht umhin,
eine gewisse Anzahl von Todesfällen, die durch die Operation, selbst bei
Verwendung der allerneuesten und vollkommensten Methode, bedingt
sind, anzuerkennen.
Da die Prostata ein drüsiges Organ ist, war es ganz natürlich, daB
538 Haret
man zur Bekämpfung ihrer Hypertrophie an die Röntgenstralilen dacht«.
und dieser Gedanke kam auch wirklich einer großen Anzahl von Radio-
logen. Seit dem Jahre 1905 finden wir Berichte über derartige Versuche
in der medizinischen Literatur: Luraschi, Moskowicz,!) Guille-
minot?) waren die ersten, aber trotz der berichteten guten Erfolrre wur:ir
diese Behandlungsmethode nur ganz ausnahmsweise von den Uroloren
angeraten.
Was die Technik der Bestrahlungen anbetrifft, so bestehen heute
zwei verschiedene Methoden. Da das zu bestrahlende Orran tief i
Körper gelegen ist, so versuchen die einen es durch Einführung ein
Lokalisators in das Rektuın zu erreichen, während die anderen die Strahlen
durch das Perineum hindurch applizieren. Zu diesen letzteren gehören
auch wir, und zwar aus verschiedenen Gründen: Zuerst muß das Lumen
eines in das Rektumn eingeführten Lokalisators naturgemäß sehr eng sein.
man kann also denizufolge nur eine äußerst eng umschriebene Revion
bestrahlen, dann kann man weiterhin die bestrahlte Partie der Mukosa
nur sehr schwer überwachen und kontrollieren und läuft auf diese Weise
Gefahr, sehr schwere Schädigungen entstehen zu sehen.
Der ausschlaggebende Faktor aber ist, daß wir heute durch die Ver-
wendung filtrierter Strahlen eine genügende Strahlenmenge durch die
Haut des Perineums ın die Tiefe senden können, um die Prostata zu er-
reichen und zu modifizieren, ohne dabei eine Hautverbrennunr befürchten
zu müssen.
Jedoch nun erhebt sich die Frage nach den Indikationen und Kon-
traindikationen. Da wir wissen, daß die Sensibilität eines Gewebes gegen
Röntgenstrahlen um so größer ist, Je mehr karvokinetische Figuren dieses
Gewebe enthält, werden wir vor alleın bei der eine Drüsenhypertrophie
aufweisenden Form bestrahlen, während wir die Bindegewebshyper-
plasie, die ja gerade das entgegengesetzte ist, und gar keine Karyokinese
aufweist, als kontraindiziert betrachten.
Die ausschließlich durch eine Drüsenhypertrophie bedingten Formen
der Prostatahypertrophie werden also den größten Vorteil aus der radio-
therapeutischen Behandlung ziehen. Mit anderen Worten, die im Beginn
der Erkrankung zur Behandlung gelangenden Patienten werden ain
meisten von der Bestrahlung profitieren, während die sich bereits in einem
vorgeschrittenen Stadimmn befindlichen Kranken nur ganz geringe Chancen
einer Besserung ihres Leidens haben. Die Praxis hat diese theoretischen
Erwägungen vollständig bewiesen.
2) Guilleminot, Archives d’Electrieite medicale 1906, pag. 727 und
III. Congres international de Milan, Electrologie et Radiologie medicale.
a a
Behandlung der Prostatahypertrophie durch die Radiotherapie. 539
Ich werde aus meinen Beobachtungen fünf Fälle mitteilen, die mir
ziemlich typisch erscheinen, um die tatsächliche Wirksamkeit der Behand-
lung zu beweisen, wenn sie sich nur immer auf die wirklich indizierten
Formen beschränkt.
Fall I. — M. H.... Prostatiker im Alter von 65 Jahren. Miktions-
schwierigkeiten bestehen seit einigen Jahren, während der Nacht mehrmaliger
Harndrang. Am 5. Mai 1906 stellte sich plötzlich eine vollständige Harnretention
ein; der herbeigerufene Arzt entleerte die Blase mittels Katheter; seit diesem
Tage ist der Patient unfähig, ohne einen solchen zu urinieren. Der konsultierte
Urologe, Dr. Géraud, stellte eine Hypertrophie mittleren Grades fest, ziemlich
weich, mit sehr stark verlängertem Prostatakanal, der durch die weit vor-
springende mittlere Gruppe der submukösen Drüsen des Blasenhalses (mittlerer
Lappen) seitlich verlagert und nach vorn gegen den Blaseneingang gedrängt ist.
Beginn der Bestrahlungen am 10. Mai 1906. Nach der zweiten Sitzung kann
der Patient wieder selbständig Urin lassen.
Am 14. Juni 1906 stellte ich die Bestrahlungen ein. Im ganzen waren sechs
Bestrahlungen vorgenommen worden. Dabei wurden allwöchentlich 3 H auf die
Perinealhaut appliziert. Die verwendete Röhre lieferte ein Strahlenbündel von
der Härte Nummer 7 der Benoistschen Skala.
Nach Beendigung der radiotherapeutischen Behandlung wurde der Patient
von neuem von Dr. Géraud untersucht. Der jetzige Befund war: „das Prostata-
volumen ist stark herabgesetzt; Residualharn: 40 g“.
Fall II. — Dr. P..... 65 Jahre. Miktionsstörungen seit Dezember 1908.
Der konsultierte Spezialist Dr. G&nouville findet: eine stark vergrößerte Prostata,
stark mit Blut gefüllt; die Größe entspricht etwa dem Volumen einer Orange.
Im September 1909, akute und komplette Retention. Die eingeleitete Massage-
behandlung und Faradisation bringen eine geringfügige Besserung, jedoch bleiben
die Symptome immer noch so bedrohlich, daß man eine Prostatektomie in Er-
wägung zieht. Der Patient zieht es jedoch vor, sich an die Radiotherapie zu
wenden. Wir begannen die Bestrahlungen am 3. Mai 1909, und zwar wurde all-
wöchentlich eine Dosis von 3 H Einheiten, Strahlenhärte 8 bis 9 Benoist, auf das
Perineum appliziert. Nach der vierten Sitzung vermindert sich der nächtliche
Harndrang. Nach der fünften Bestrahlung muß der Patient sich notwendigerweise
auf Reisen begeben. Er kehrt im Januar 1910 zurück und nimmt die Behandlung
wieder auf. lm ganzen wurden in diesem Falle siebzehn Bestrahlungen vorge-
nommen.
Am 26. April 1910 war die Behandlung beendet.
Der Urologe, Dr. G&enouville, findet den Patienten sehr gebessert; die lokale
Untersuchung ergibt eine weiche, bewegliche Prostata, mit normaler Blutfüllung,
etwa von der Größe einer halben Mandarine. Residualharn: 30 Kubikzentimeter.
Die Miktion geht ohne Schwierigkeiten vor sich, selbst in der Nacht, während
welcher der Patient höchstens ein- bis zweimal uriniert.
Fall HI. — Herr deG.... 58 Jahre. Der Patient beklagt sich über
häufigen Harndrang und Beschwerden bei der Miktion. Außerdem ist er genötigt,
während der Nacht fünf oder sechsmal aufzustehen. Der zugezogene Urologe
Dr. Lacaille stellt eine „große, harte, glatte Prostata“ fest.
Beginn der Bestrahlungen am 6. November 1909. Wöchentlich eine Sitzung,
540 Haret,
während welcher 3 H Einheiten harter Strahlen, von der Nummer 8 bis 9 Benoist.
gefiltert durch 1!1/), mm Aluminium, appliziert werden.
Nach der dritten Bestrahlung erhebt sich der Patient nur noch einmal während
der Nacht. Nach der fünften Sitzung findet er die Symptome so sehr gemildert,
daß er die radiotherapeutische Behandlung aufgibt. Die Bestrahlungen wurden
also auf seinen Wunsch am 29. November 1909 eingestellt.
Fall IV. — Herr deN... 70 Jahre Seit einem Jahr etwa sehr häufiger
Harndrang während des Tages. Während der Nacht ist er ebenfalls genötigt. sich
mehrere male zu erheben, weiterhin klagt er über Schmerzen während der Miktion.
Dr. Lacaille diagnostiziert: „Prostata vergrößert, vor allem mittlerer Lappen.”
Wir begannen die Behandlung am 17. April 1913. In wöchentlichen Sitzungen
erhielt der Patient 3 H Einheiten, Strahlenhärte 8 bis 9 Benoist, filtriert durch
1!/, mm Aluminium auf das Perineum. Beendigung der Bestrahlungen am 26. Mai
1913, nach insgesamt sieben Sitzungen. Der Kranke empfindet keine Schmerzen
mehr, die Frequenz des Harnlassens ist verringert, während der Nacht erhebt er
sich nur noch ein Mal.
Fall V. — M. B.... 62 Jahre Seit 1907 bestehen Miktionsstörungen,
frequenter Harndrang mit Schmerzen bei der Miktion. Seit 1910 haben sich die
Symptome soweit verschlimmert, daß der Patient seit dieser Epoche nur noch mit
dem Katheter seine Blase entleeren kann. Er katheterisiert sich seit etwa 3 Jahren
fünfmal am Tage. Zahlreiche Spezialisten, sowohl in Paris als auch in der Provinz
wurden von ihm konsultiert. Die Prostatektomie wurde ihm mehrmals dringend
angeraten, aber stets vom Patienten, der vor diesem blutigen Eingriff zurück-
schreckte, verweigert. Jetzt möchte er die Wirksamkeit der Strahlenbehandlung
versuchen, ehe er sich zur Operation entscheidet. Er wird uns von Dr. Barusby,
Tours, seinem Hausarzte, zugewiesen, jedoch mit recht wenig Hoffnung auf ein
gutes Resultat, da derselbe eine stark vergrößerte und sehr harte Prostata fest-
gestellt hatte. Unter diesen Verhältnissen, und die lange Zeit, während der die
Störungen bereits bestanden in Betracht ziehend, hielten auch wir den Kranken
zur Strahlenbehandlung nicht mehr geeignet. Da der Patient jedoch auf einem
Versuch bestand, beschlossen wir einige Bestrahlungen vorzunehmen.
Wir begannen mit der Behandlung am 12. Februar 1912. Wie stets, gaben
wir auch hier in wöchentlichen Sitzungen 3 H Einheiten, Strahlenhärte 8 bis 9
Benoist, gefiltert mit 1'/, mm Aluminium auf das Perineum.
Nach sechs Bestrahlungen, am 28. März 1912, stellten wir die Behandlung
ein, da dieselbe bis dahin dem Patienten keinerlei Besserung verschafft hatte.
Bei unseren vier ersten Fällen sehen wir also eine Verminderung
(der Frequenz der Miktionen und zwar schon nach den ersten Sitzungen.
Weiterhin konstatieren wir bei der lokalen Untersuchung eine Verminde-
rung des Prostatavolumens, die bisweilen sehr beträchtlich ist (Fall II.
Verringerung um zwei Drittel der ursprünglichen Größe), wenn der Pa-
tient die Behandlung genügend lange Zeit fortsetzt. In den allermeisten
Fällen jedoch geben die Kranken, wenn eine Milderung der unangenehmen
Symptome erreicht ist, die Bestrahlungen auf, und sind durch das
erzielte Resultat, obgleich es ja unvollkommen ist, sehr zufrieden-
gestellt.
Behandlung der Prostatahypertrophie durch die Radiotherapie. 541
Weiter zeigt uns dann Fall I, daß das erzielte Resultat ein defini-
tives ist, da dieser Patient in den sieben Jahren, die jetzt
seit Beendigung der Bestrahlungen verflossen sind, nie
wieder von den Symptomen, gegen die er seinerzeit die
Hilfe der Röntgenstrahlen anrief, befallen wurde.
Die Beobachtung V endlich bestätigt uns die Unwirksamkeit der
3ehandlung in den Fällen alter Prostatahypertrophie, in denen die Binde-
vewebshyperplasie der prädominierende Faktor ist. Bei diesen Patienten
ist also die Operation doch das einzige Mittel, zu dem man raten kann.
Resume: In Fällen von Prostatahypertrophie, solange dieses Leiden
sich noch im Beginn befindet, entfalten die Röntgenstrahlen eine ausge-
zeichnete Heilwirkung. Der Erfolg der Bestrahlung tritt sehr schnell
ein und ist dauerhaft. Die einfache Bestrahlung durch das Perineum
ist vollständig ausreichend. Um des guten Erfolges sicher zu sein, sollte
man sich Jedoch ausschließlich an die Formen mit Drüsenhypertrophie
halten und die übrigen Formen dem Chirurgen überlassen. Diese Kate-
gorie von Kranken, die bisher durch keine Behandlungsmethode eine Er-
leichterung ıhrer Beschwerden fand, kann also eine ganz bedeutende
Besserung von der Strahlentherapie erhoffen, allerdings unter der einen
Bedingung, daß sie die Behandlung so früh als irgend möglich beginnen.
(Übersetzt von F. Reber- Bordeaux.)
Strahlentherapie Band III, Hoft 2. 35
Aus dem Laboratoire biologique du Radium in Parıs.
Die Behandlung der Prostatatumoren durch das Radium.
Von
Dr. Degrais und Pasteau, Paris.
(Mit 3 Abbildungen.)
ie operative Behandlung des Prostatakarzinons hat bis heute noch
keine allzu ermutigenden Resultate ergeben. Tatsächlich sehen wir.
daß nach einer Periode, über deren Dauer wir keinerlei präzise Angaben be-
sitzen, der Tumor in den weitaus meisten Fällen von neuem rapide wächst,
entfernte Metastasen setzt und schließlich zu einer Generalisierung des
Karzinons führt. Die Blase, ebenso wie die Drüsengruppen des kleinen
Beckens werden ergriffen, die allgemeine Metastasierung des Neoplasına
ist, wie man weiß, leider nur allzu häufig.
Aus all diesem resultiert, daß die Totalexstirpation eines Prostata-
karzinons gewöhnlich nicht zum Ziele führt, umsomehr als die unmittel-
bare Gefahr der Operation sehr groß ist.
Von diesen Erwägungen ausgehend, haben wir uns seit vier Jahren
bemüht, festzustellen, welchen Einfluß wohl das Radium auf Fälle dieser
Art entfalten könnte.
Wir hatten z. B. Gelegenheit, einen Patienten im Alter von 57 Jahren,
der uns im September 1909 überwiesen wurde, der Radıiumbehandlung
zu unterziehen. Es handelte sich um ein Prostatakarzınon, dessen
Wachstum sieh in die Blasenhöhle hinein erstreckte. Bei diesem Kranken
waren alle funktionellen und alle organischen Symptome eines Prostata-
karzinoms vorhanden; der Allgemeinzustand war äußerst schlecht. Unter
dem Einflusse der Radiumstrahlung, — die Radiumträger wurden einzig
und allein in die Harnröhre eingeführt —, sahen wir, wie sich das Neo-
plasma zurückbildete, um endlich vollständig za verschwinden. Heute
noch, nach mehr als drei Jahren, hat sich dieses Resultat unverändert
aufrecht erhalten.
Im ganzen haben wir bis zum heutigen Tage fünfzehn Fälle, von
denen sich sechs noch in der Behandlung befinden, aufzuweisen.
Unter diesen von uns behandelten Fällen befinden sich Patienten, deren
Allgemeinzustand vor vier Jahren geradezu hoffnungslos war, da die
Kranken in dieser Epoche schon alle Symptome einer diffusen Karzinosis
des Beckens aufwiesen. Heute erfreuen sich diese Kranken eines ausge-
Degrais und Pasteau, 543
zeichneten Allgemeinzustandes, die Prostata verringerte ihre Größe und
erwies sich bei der Untersuchung als weich und leicht beweglich.
Angesichts dieser auffallend guten Resultate könnte man geneigt
sein zu glauben, daß es sich in Wirklichkeit in diesen Fällen nicht um
maligne Neubildungen, sondern einfach um chronische Prostatitis ge-
handelt habe. Wir waren übrigens die ersten, die alle nur möglichen
derartigen Bedenken erwogen.
Wir verfügen aber über andere Beobachtungen, in denen wir mit
aller nur wünschenswerten Klarheit die Rückbildung oder das fast voll-
ständige Verschwinden der inguinalen Drüsenpakete unter dem ausschließ-
Fig. 1.
Instrumente zur Behandlung der Prostatatumoren mit Radium.
lichen Einfluß der Prostatabestrahlung konstatieren konnten; es handelt
sich also ganz sicher um Karzinom, umsomehr als einer dieser Patienten
an einer allgemeinen Metastasierung starb.
In einem unserer Fälle haben wir z. B. gesehen, wie sich eine außer:
ordentlich große und so stark fixierte Prostata, daß an eine erfolg-
reiche Operation nicht zu denken war, unter dem Einflusse der Radium-
bestrahlung in ihrer Größe sich verringerte, viel weicher wurde und sich
mobilisierte. Nach Beendigung der Radiumbestrahlung wurde eine
supra-pubienne Prostatektomie vorgenommen, die nun keinerlei Schwie-
35*
544 Degrais u. Pasteau, Behandlung der Prostatatumoren d. Radium.
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Behandlung der Prostatatumoren durch Radium. 545
rigkeiten mehr bot. Die von Herrn Dr. Anselme Bellot vorgenommene
histologische Untersuchung zeigte in äußerst klarer Weise die Einwirkung
der Radiumstrahlung auf die Struktur des Tumors.
In den entfernt liegenden Partien, die nur eine geringe Strahlenmenge
erhielten, fanden sich zahlreiche adenomatöse Nester, und in ıhrer Mitte
konstatierte man einige volle Zylinder, die uns charakteristisch für das
Epithelioma adenoide vom Typ Albarran-Halle erschienen. Im
Gegensatz dazu sieht man in der peri-urethralen Zone, d. h., in der am
stärksten bestrahlten Region des Tumors, daß das epitheliale Gewebe
fast vollständig verschwunden ist und ersetzt von Jungem, mit embryo-
nalen Zellen durchsetzten Bindegewebe.
Es ist leicht, aus den histologischen Befunden den Beweis für die
Radiumwirkung auf das epitheliale Gewebe, das sowohl in der einfachen
Prostatahypertrophie, wie auch in den bösartigen Neubildungen des
Erwachsenen, den größten Teil des Tumors darstellt, zu erbringen.
Die Schlußfolgerung für die Praxis ist einfach: Da die Radium-
therapie der Prostatatumoren keinerlei Gefahren aufweist und da ihre
Anwendung einfach ist, müssen wir diese Behandlungsmethode unseren
Patienten zu gute kommen lassen. Wenn man auf diese Weise nicht zu
einer vollständigen Heilung gelangt, so darf man zum mindesten hoffen,
eine derartige Besserung zu erzielen, daß eine vorher unmögliche Prostat-
ektomie jetzt vorgenommen werden kann. (Übersetzt von F. Reber- Bordeaux.)
Über Strahlentherapie der experimentellen und mensch-
lichen Lungentuberkulose.')
Von
Prof. Dr. O. de la Camp, Freiburg ı. Br.
(Mit 1 Abbildung.)
ersuche, die menschliche Lungentuberkulose mit Röntgenstrahlen zu
beeinflussen, sind fast so alt wie die diagnostische Anwendung der
Röntgenstrahlen. Der Grund, weshalb solche Versuche bisher erfolglos
bleiben mußten, war ein doppelter:
Es fehlte
1. die exakte Begründung des Tierversuches und
2. der technische Ausbau der Strahlenverwendung, der als sogenannte
Strahlentiefen-Therapie erreicht ist.
An meiner Klinik hat Herr Küpferle diese Fragestellung zum Gegen-
stand seiner vor Jahresfrist begonnenen Arbeiten gemacht. Die von ihn
und Herrn Bacmeister angestellten Tierversuche haben zu Resultaten
geführt, über die im einzelnen von den Herren bereits in der Fachpresse
und auf diesjährigen Kongressen größtenteils berichtet ist und die ich. wie
folgt, kurz zusammenfassen möchte:
Als Tiere wurden Kaninchen verwendet, welche möglichst gleich-
mäßig von der Ohrvene aus mit einer Aufschwemmung einer Typus
humanus Kultur infiziert wurden.
Eine erste Serie von Tieren wurde in großen Pausen, etwa alle 8 bis
10 Tage unmittelbar nach der Injektion beginnend bestrahlt. Der Fokus-
hautabstand war 23 em, die Röhrenhärte 6 bis 8 Benoist, Filter $8 mm
Aluminium. DBestrahlt wurde die rechte und linke Seite, Rücken und
Brust in einer Gesamtzeit von je 21/, bis 8 Stunden mit einer oberhalb
des Tieres gemessenen (Gresamtenergiemenge von 25 bis 30 X nach Kien-
böck, so daß insgesamt in rund 11 Stunden oberhalb des Tieres 109,5 X,
unterhalb desselben 30 X gemessen wurde. Bei dieser Versuchsanordnung,
welche in größeren Pausen, bei größerer Entfernung und relativ weichen
Röhren eine verhältnismäßig kleine Oberflächenenergie verwandte, zeigte
1) Vortrag, gehalten auf der Versammlung deutscher Naturforscher und
Ärzte, Wien 1913.
Kun or
E ë OŘ Ce un e e
De la Camp, Strahlentherapie der Lungentuberkulose. 547
sich bei der vergleichenden Serienuntersuchung der Lungen bei bestrahlten
und nichtbestrahlten Tieren keine erheblichen Differenzen.
Eine zweite Serie gleich infizierter Tiere wurde nun, nachdem die
eben als wirkungslos erkannte Technik 4 Wochen nach der Injektion
durchgeführt war, in kürzerem Fokushautabstand 20 bis 22 cm mit
härteren Röhren einen um den anderen Tag bestrahlt. Um mit den Binzel-
angaben der verwandten Energiemengen nicht zu ermüden, verweise
ich an dieser Stelle auf die andernorts veröffentlichte und noch erschei-
nende tabellarische Übersicht. Bei der Verwendung dieser weit größeren
Energiemengen, für welche uns der speziell für Tiefentherapie eingerichtete
Apparat der Veifa-Werke diente, war nun der Erfolg ein durchaus anderer.
Bei den Kontrolltieren fand sich makroskopisch und mikroskopisch das
bekannte Bild der fortgeschrittenen Lungentuberkulose mit Verkäsung
und hyperämischer allmählich in das Normalgewebe übergehender Um-
randung. Bei den Bestrahlten jedoch war auch makroskopisch wohl
die zentrale Nekrose zu erkennen, doch hatte sie ein mehr knorpeliges
Aussehen und einen etwas eingesunkenen aber gegen die Umgrenzung
scharf abgesetzten Ring. An Stelle des proliferierenden Granulations-
«webes fand sich um die Nekrose von geringerer Ausdehnung herum
junges Bindegewebe, welches sich im Gegensatz zu den Nichtbestrahlten
gegen die Umgebung scharf absetzte.
Eine dritte Serie von Tieren wurde mit der oben erwähnten Technik
größere Oberflächenenergie zuvor direkt nach der hämatogenen Infektion
bestrahlt.
Hier fanden sich folgende Gegensätze:
Nichtbestrahlte Tiere nach rund 4 Wochen: Zahlreiche kleine makro-
skopisch eben erkennbare, mikroskopisch typische subpleurale Tuberkel
nit beginnender zentraler Verkäsung und zellreicher Randzone.
Bestrahlte Tiere mikroskopisch: Kleinere Herde, welche den Cha-
rakter des typischen Tuberkels in bindegewebiger Umwandlung verloren
hatten, so daß bei der makroskopischen Untersuchung der Lungen in der
Tat sich nirgends Tuberkel erkennen ließen.
Aus diesen Tierversuchen geht also hervor, daß die hämatogen er-
zeugte Lungentuberkulose beim Kaninchen bei geeignet dosierter harter
Strahlung, sowohl im Beginn der Entwicklung als im entwickelten Sta-
dıum beeinflußbar ist. Und zwar handelt es sich bei der beginnenden
Tuberkulose um eine fibröse Umwandlung der sich bildenden Tuberkel,
bei der entwickelten um einen Ersatz der proliferierenden Randzone
durch ein junges gegen das gesunde Gewebe scharf abgegrenztes Binde-
sewebe. Eine direkte Beeinflussung der Tuberkelbazillen konnte bisher
548 De la Camp,
nicht erwiesen werden, denn Impfversuche mit größeren Lungenteilen
der bestrahlten Tiere fielen positiv aus.
Auf Grund dieser tier-experimentellen Erfahrungen wurde nun die
als erfolgreich beschriebene Verwendung größerer Energiemengen auch
beim lungenkranken Menschen verwandt. Abgeschlossen liegen die
Resultate bei 15 Lungentuberkulosen nach rund !/,jähriger Bestrahlung
vor, eine größere Anzahl befindet sich noch in laufender Beobachtung.
Bestrah- Gemessene Ober-
Name Stadium Bestrahlungszeit lungs- flächenenergie nach
minuten Kienböck
1. V. II. 8. IV.—81. VII. 1048 4711 X
2. R. I. 8. IV.— 5. IX. 1060 524 X
3. H. I. 12. IV.— 5. IX. 1018 566 X
4. L. II. 15. IV.— 5. IX. 1081 613 X
5. K. I. 16. IV.—14. V. 680 347 X
6. H. III. 16. IV.—20. V. 710 348 X
T. W. II. 20. IV.—14. VII. 810 549 X
8. R. Ill. 3. V.—11. VI 580 814 X
9. W. II. 19. V.—4. VO. 440 336 X
10. H. II. 19. V.—17. VI. 420 302 X
11. H. I. 26. VI.— 5. IX. 628 476 X
12. H. III. 26. VI.—10. VII. 275 285 X
13. Sch. III. 26. V.— 5. IX. 981 1933 X
14. F. II. 13. VI.— 5. IX. 687 3898 X
15. F. II. 4.V IIL.— 5. IX. 562 356 X
Eine kurze Übersicht über Bestrahlungszeiten, Energiemengen usw.
darf ich am Schlusse diaskopisch zeigen (vgl. beifolgende Tabelle).
Die Zahl von 15 Fällen muß von vornherein als sehr klein erscheinen,
jedoch sie wurde durch die Schwierigkeit individualisierender Technik
und einer möglichst allseitigen klinischen Beurteilung bedingt. Von
diesen 15 Fällen fanden sich vier im I., sieben im II. und vier im III.
Stadium nach Turban. Die Bestrahlung wurde unter dauernder Beur-
teilung der Temperatur- und Gewichtsverhältnisse, des Allgemeinbefindens,
des Blutbildes, der perkussorischen, auskultatorischen und röntgenologi-
schen Befunde durchgeführt. Die Fälle des III. Stadiums wurden generell
beurteilt nicht gebessert, im Gegenteil schienen sie größeren Röntgen-
dosen gegenüber zum Teil besonders empfindlich. Hingegen waren bei
den Fällen des I. und II. Stadiums klinische Zeichen der günstigen Beein-
flussung durchgehends bemerkbar. Die Temperatur zeigte in der Regel
Strahlentherapie der Lungentuberkulose. 549
nach einem Reaktionsanstieg einen Reaktionsabfall. Dieser trat nach
jeder Bestrahlung deutlicher in die Erscheinung, so daß ein Absinken zur
Norm nach einigen Wochen erreicht wurde, wie beifolgende Kurve zeigt.
Die katarrhalischen Symptome nahmen ab, schwanden zum Teil voll-
kommen. Das Verhalten des Blutbildes war im Einzelfalle durchaus
verschieden, eine Leukozytenabnahme jedenfalls nur durch große Energie-
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37.
eJ
35
34
mengen erreichbar, unerwünschte Nebenerscheinungen wie Appetit-
verminderung und Erbrechen wurden nur in schwereren Fällen beob-
achtet und verschwanden alsbald nach der Bestrahlung.
Zusammenfassend ist mithin bei Lungenkranken im I. und II. Sta-
dium bei vorsichtiger Anwendung nicht zu geringer Dosen harter Strahlen
eine günstige Wirkung zweifellos zu erzielen. Wenn jedoch für einen Er-
folg eine gewisse Energiemenge notwendig erscheint, so ist andererseits
auch eine zu intensive Bestrahlung nicht gefahrlos. Dafür sprechen
einmal die Beobachtungen bei Kranken im III. Stadium und
2. auch eine Serie von Tierversuchen, in denen nach täglicher An-
wendung sehr großer Energiemengen die früher beschriebene günstige
Beeinflussung des tuberkulösen Prozesses ausblieb und Neigung zu peri-
pneumonischen Erscheinungen sichtbar wurde.
Eine Beeinflussung der experimentellen und menschlichen Lungen-
tuberkulose ist somit nach dem Vorgebrachten erwiesen, jedoch verlangt
die Technik der Bestrahlung einen individualisierenden Charakter und
Bezugnahme auf ein umfangreiches Beobachtungs- und Erfahrungs-
material. Ob andere strahlenenergetische Kräfte wie z. B. die Strahlung
des Radiums und Mesothoriums sich einzeln oder in Kombination mit
der Röntgenstrahlentiefen-Therapie biologisch im Effekt anders verhalten,
darüber können auf breiterer Basis aus äußeren Gründen erst im nächsten
Monat Untersuchungsreihen begonnen werden. Jedenfalls wirkt nach
unseren Erfahrungen auch das Mesothorium auf den tuberkulösen Prozeß
550 De la Camp, Strahlentherapie der Lungentuberkulose.
in infizierten Drüsen in günstigem Sinne, so daß etwa die gleichzeitige
Verwendung der Röntgenstrahlenenergie und einer Bestrahlung der
Hilusdrüsen vom Ösophagus aus Empfehlung finden könnte. Über die
Beteiligung von Cholin- und Thor X-Injektionen in Kombination mit der
Röntgenbestrahlung ist Abschließendes noch nicht mitteilbar. Jedenfalls
wirken Cholininjektionen auf das Blutbild des Tieres anders als die Zu-
fuhr größerer Röntgenstrahlenenergie. Der Einfluß der letzteren ist
übrigens am Tier neben den früher bekannten Erscheinungen, wie eine
demnächst erscheinende Publikation von Reinhard erweisen wird, mit
Hilfe der vitalen Färbung einwandsfrei demonstrierbar.
Ob ferner eine Kombination der Strahlentherapie mit anderen chemo-
therapeutischen Prinzipien etwa im Sinne der Erzeugung intensiv wirken-
der Resonanzstrahlung innerhalb des kranken Gewebes von praktischer
Bedeutung sein wird, ist ein weiterer Erforschungsgegenstand. Über diese
Fragen sind an meiner Klinik Arbeiten im Gange, so daß ich hoffe, in
nächster Zeit über weitere Fortschritte an anderer Stelle einiges berichten
zu können.
Radiumtherapie der myeloiden Leukämie.')
Von
Prof. L. R6non, Dr. Degrais und Dr. L. Dreyfus-Paris.
an kennt die bemerkenswerten Wirkungen der Röntgentherapie auf
die myeloide Leukämie und diese Behandlung ist mit Recht klassisch
geworden. Seit den experimentellen Untersuchungen von Silling im
Jahre 1911 und den Arbeiten von Koranyi 1912 über den zerstörenden
Einfluß des Benzols auf die Leukozyten und das Myeloidgewebe hat die
Benzoltherapie ebenfalls einen großen Aufschwung genommen.
In Fällen, in welchen die Röntgen- und Benzoltherapie keinen nennens-
werten Fortschritt brachte, haben wir mit großem Erfolg, der schnell ein-
setzte, Radium bei vier an myeloider Leukämie Erkrankten angewandt.
Wir haben ferner noch einen fünften noch nicht vorbehandelten Patienten
behandelt.
Aus unseren 5 Beobachtungen ergibt sich, daß die Radiumtherapie
eine äußerst mächtige Wirkung auf die myeloide Leukämie hat, wenn
man massive Dosen von 30 bis 33 Zentigramm Radiumsulfat während 24
oder 48 Stunden über eine Oberfläche von 500 bis 600 qcm verteilt, an-
wendet, wobei jeder Bestrahlungsapparat von einem 2 mm dicken Bleifilter
eingehüllt sein muß. Der Effekt setzt sich noch 8 bis 14 Tage nach der
Applikation fort. Man sieht Milzen, welche die ganze Bauchhöhle erfüllten,
abnehmen und von Tag zu Tag mehr einschmelzen, bis sie nach 3 bis 4
Behandlungen auf ihre normale Größe zurückgegangen sind. Die Zahl
der weißen Blutkörperchen kann in 5 bis 10 Tagen von 330 000 auf 70.000
sinken. Die Leukozytenformel ändert sich, die Myelozyten verschwinden.
Nach 3 bis 4 Sitzungen wird die Zahl der weißen Blutkörperchen normal,
sogar oft subnormal. Die Zahl der roten Blutkörperchen steigt. Das
Allgemeinbefinden hebt sich zusehends, das Fieber verschwindet, das Körper-
gewicht hebt sich um 1 kg und sogar oft um mehr pro Woche und die
Kräfte kommen rasch wieder.
Der Kranke scheint geheilt. In Wirklichkeit ist er es nicht. Die
Heilung ist nur eine scheinbare. 2, 3, 4, 12, 18 Monate nach Beendigung
der Behandlung können die Symptome der myeloiden Leukämie wieder
auftreten. Die weißen Blutkörperchen nehmen wieder an Zahl zu, die
ı) Vortrag, gehalten auf dem 17. internationalen medizinischen Kongreß
in London.
552 Renon,Degrais, Dreyfus, Radiumtherapie d. myeloiden Leukämie.
Leukozytenformel wird wieder myelozytär. Die Milz schwillt ebenfalls
wieder an. Man beginnt dann mit der Radiumtherapie wieder, merkt
aber bald mit Erstaunen, daß die Radiumwirkung nicht mehr die gleiche
ist. Die Leukozytenzahl vermindert sich nicht so schnell und das Ab-
schwellen der Milz geht nur langsam vor sich. Es ist eine Gewöhnung
ans Radium eingetreten und zuletzt hat das Radium gar keine Wirkung
mehr, sodaß der Kranke nach kurzer oder langer Zeit sterben kann, oft
mehr als 2 Jahre nach Einsetzen der Behandlung, wie wir dies bei zweien
unserer Kranken sahen, bei welchen die Radiumtherapie nicht in syste-
matischer Weise fortgesetzt worden war. Der sofortige Erfolg war nur
vorübergehend, er verlängerte aber doch das Leben in ansehnlicher Weise.
Wir wissen nichts über den Wirkungsmechanismus des Radiums auf
die myeloide Leukämie. Doch scheint diese Wirkung ähnlich derjenigen
der Röntgenstrahlen zu sein. Wir wissen nicht, ob die eine Methode
besser ist als die andere, jedenfalls sind mit der Radiumtherapie die un-
mittelbaren Resultate äußerst rasch; auch ist sie bei nicht transportabeln
Kranken leicht anwendbar. Vielleicht würde eine stärkere Radiumdosis
und besonders eine längere Fortsetzung der Behandlung die Rezidive ver-
hindern? Vielleicht sind es, trotz der scheinbaren Gleichartigkeit der
Röntgen- und Radiumstrahlenwirkung, doch verschiedenartige physikalische
Elemente, welche bei der einen und anderen eine Rolle spielen? Wäre
es dann nicht angezeigt, wenn eine der beiden Methoden ihre Wirksamkeit
eingebüßt hat, die andere in Anspruch zu nehmen oder mit beiden ab-
zuwechseln ? Wir stellen nur diese Fragen, ohne sie bis jetzt beantworten
zu können. Es wäre aber sehr wichtig, eine Kombination von Methoden
zu finden, welche den Kranken mehr als die bisher erreichte vorüber-
gehende Besserung brächte.
Als therapeutische Methode von mächtiger unmittelbarer Wirkung,
welche den Gang der Krankheit wenigstens für eine Zeit lang aufhalten
kann, verdient die Radiumtherapie bei der myeloiden Leukämie ebenso
wie die Röntgentherapie angewendet zu werden. Wenn die Benzoltherapie
auch alle ihre Versprechungen hält, so ist vielleicht die Kombination oder
die abwechselnde Verwendung der Radium-, Röntgen- und Benzoltherapie
fähig, eine dauernde und definitive Heilwirkung bei der myeloiden Leuk-
ämie zu haben. Übersetzt von Dr. A. Gunsetl-Straßburg i. E.
Die radiotherapeutische Behandlung der Leukämie.
Von
Dr. Béclère und Henri B6clere, Paris.
5- dem Jahre 1904 begann der eine von uns die von einer Erkrankung
der hämatopoetischen Organe befallenen Patienten des Hospitals St.
André vom hämatologischen Standpunkte aus zu beobachten und seit
dieser Zeit haben wir 110 Fälle von Leukämie der radiotherapeutischen
Behandlung unterzogen.
Diese relativ hohe Zahl von Fällen einer glücklicherweise wenig ver-
breiteten Affektion ermöglichte uns, gewisse Befunde zu erheben, die
wir hier darlegen möchten. Wir werden übrigens nicht auf eine Deutung
der beobachteten Tatsachen eingehen, sondern beschränken uns darauf,
dieselben nur mitzuteilen.
Die 110 Fälle von Leukämie verteilen sich folgendermaßen:
Lymphatische Leukämie . . . 12
Myeloide Leukämie . . . . . 93
Akute Leukämie. . . . . . 5
Wir sehen also, daß von allen Formen der Leukämie die myeloide
die häufigste ist.
A. Lymphatische Leukämie.
Diese Affektion ist vom hämatologischen Standpunkte aus durch
eine beträchtliche Hyperleukozytose gekennzeichnet. Während die
mittlere Leukozytenzahl bei einem normalen Individuum je etwa
7000 im Kubikmillimeter Blut ist, findet man bei einem, von einer Leuk-
ämie des genannten Typs befallenen Kranken sehr oft 2- bis 300000
weiße Blutkörperchen pro Kubikmillimeter; es ist aber durchaus nicht
selten, ihrer 800000 und sogar noch mehr anzutreffen. Diese Leuko-
zytenvermehrung besteht vor allem in einer Mononukleose, jedoch sind,
wenn wir die absolute Zahl nehmen, auch die übrigen weißen Blutkörper-
chen, außer den Mononukleären, vermehrt. Selten findet man eine Er-
höhung der Zahl der Lymphozyten und gleichzeitig eine solche der mitt-
leren einkernigen Zellen. Die konstatierte Mononukleose kann 95,97°,.
Ja selbst 99% erreichen. Bei dieser Form der Leukämie findet man
bisweilen einige Mvelozyten, jedoch stellen diese Befunde eine Aus-
nahme dar.
554 Beclere,
Andererseits besteht immer, bisweilen sogar in sehr hohem Grade,
eine Anämie, mit mehr oder minder großer Unregelmäßigkeit in der Größe
und in der Form der roten Blutkörperchen. Die gekernten Formen sind
velativ selten.
Der Hämoglobingehalt entspricht der Verminderung der roten Blut-
körperchen.
Unter den zwölf Fällen von Iymphatischer Leukämie, die von uns
beobachtet wurden, befinden sich zwei Frauen und zehn Männer. Wir
glauben, daß es sich dabei um nichts anderes als einen Zufall handelt,
und es ist sehr wohl möglich, daß, wenn unsere Statistik eine größere
Zahl von Fällen umfaßte, man ein ganz anderes Verhältnis bekommen
hätte.
Was das Alter anbetrifft, so beziehen sich unsere Fälle in der Haupt-
sache auf Individuen in den vierziger Jahren. Zu bemerken ist aber, daß
wir die Diagnose lymphatischer Leukämie auch bei einem Kranken im
Alter von 82 Jahren und bei einem anderen im Alter von 28 Jahren stellten.
Wir haben es also mit einer Affektion zu tun, die in den allerverschiedensten
Lebensaltern auftreten kann.
Bei den zwölf untersuchten und behandelten Kranken stellten wır
fest, daß sie in 12 verschiedenen Berufen tätig waren.
Formen der Iymphatischen Leukämie. — Nach unseren Beoh-
achtungen ist es möglich, bei der Iymphatischen Leukämie drei sich
voneinander deutlich differenzierende Gruppen aufzustellen.
1. Die ausschließlich drüsige Form. — Es ist dies die am häu-
figsten zur Beobachtung gelangende Form der Leukämie. Die mehr oder
weniger stark entwickelten ganglionären Massen sind ziemlich regelmäßig
und symmetrisch verteilt. Sie finden sich in der Leistenbeuge, in der Achsel-
und in der Halsregion. Diese Lymphdrüsen sind gewöhnlich wenig en:-
pfindlich und in der weitaus größten Zahl der Fälle in eine zuweilen sehr
voluminöse Masse eingelagert, deren Konsistenz oft an ein Lipom er-
innert.
Für die Differentialdiagnose kommen in Betracht die Drüsenschwel-
lungen Tuberkulöser, oder Iympho-sarkomatöser Herkunft. Eine sorg-
same Blutuntersuchung löst aber gewöhnlich jede Schwierigkeit, denn
in den Fällen von Lymphdrüsentuberkulose besteht eine leichte Hyper-
leukozytose und Polynukleose.
2. Die ausschließlich lienale Form: Die Fälle dieser Form sınd
ziemlich selten. Außer durch die Blutuntersuchung ist es hier unmöglich
festzustellen, ob man es mit einer Iymphatischen oder mit einer myelo-
iden Leukämie zu tun hat. Die Milz kann hier von einem erheblichen
Volumen sein. Wir haben einen Fall gehabt, in dem sie den Nabel nach
Die radiotherapeutische Behandlung der Leukämie. 555
der rechten Seite hin um 8 Zentimeter überragte. Sie war in diesem Falle
bretthart mit abgerundeten Rändern, und ragte ziemlich weit in das
rechte Hypochondrium hinein.
3. Diegemischtlymphatische und lienale Form. — Wir haben
zwei Fälle dieses Typus beobachtet. Die Milz schien uns niemals die
riesigen Dimensionen der rein lienalen Form annehmen zu können. Die
Drüsenschwellungen sind ebenfalls weniger voluminös als bei der rein
ganglionären Form.
Resultate der radiotherapeutischen Behandlung. — In
allen diesen Fällen hat die radiotherapeutische Behandlung einen sehr
deutlichen Einfluß ausgeübt. Das erste Zeichen der Besserung war die
Rückkehr der Kräfte unserer Kranken; darauf, gleichzeitig mit der Vo-
lumenverminderung der Milz und der Lymphdrüsen, beobachteten wir
das Verschwinden der Schlaflosigkeit, die Rückkehr des Appetits, eine
Erhöhung des Körpergewichts. Die Blutuntersuchungen zeigten stets
eine Rückkehr der Blutzusammensetzung zu der Norm sehr nahe liegen-
den Zahlen. Die Anämie verschwand gleichzeitig mit der Erhöhung des
Hämoglobingehaltes.
In der Annahme, daß sie auf immer von ihrer Krankheit befreit
wären und trotz aller unserer guten Ratschläge, entzog sich eine gewisse
Anzahl unserer Kranken der Weiterbehandlung, die sie von nun ab für
überflüssig hielten. Einige von ihnen haben wir, von einem deutlichen
Rezidiv befallen, später wiedergesehen und dank der sofortigen Wieder-
aufnahme der Strahlenbehandlung gelang es uns auch, diese Rezidive
wieder zurückzubilden. Jedoch kann es vorkommen, daß die Behandlung
die Weiterentwicklung der Erkrankung nun nicht mehr aufhalten kann, die
Patienten werden kachektisch und erliegen endlich einer Generalisation
der Leukämie, einer Thrombose oder einer intervenierenden kardiıalen,
pulmonären, intestinalen oder renalen Komplikation.
Wir haben einen unserer von einer Iymphatischen Leukämie befalle-
nen Kranken fast fünf Jahre hindurch beobachtet. Dieser Patient
ist ganz kürzlich einer neoplastischen Affektion des Magens erlegen,
nichtsdestoweniger hätte sein Blutbild in dieser Zeit in keiner Weise die
Diagnose einer Iymphatischen Leukämie mehr erlaubt.
In unserer Behandlung befinden sich augenblicklich noch drei Pa-
tienten, die sich alle eines scheinbaren Wohlbefindens erfreuen, aber
nichtsdestoweniger ständig in weiten Zwischenräumen bestrahlt und durch
regelmäßige Blutuntersuchungen überwacht werden. Diese Pa ienten
haben übrigens ihre ursprünglichen Beschäftigungen wieder aufge-
nommen.
556 Beclere,
B. Myeloide Leukämie.
Wie unsere Statistik zu beweisen scheint, ist die myeloide Form viel
häufiger als die Iymphatische Leukämie. Diese Beobachtung stimmt
mit den anderen in Frankreich und auch im Auslande aufgestellten Sta-
tistiken überein. |
Noch mehr als von der Ivmphatischen Leukämie kann man von der
myeloiden Form sagen, daß sie die verschiedensten Altersstufen befällt.
Wir beobachteten zum Beispiel ein Kind von 18 Monaten, das an mye-
loider Leukämie erkrankt war.
Von den 93 Fällen, über die wir verfügen, betrafen 41 Frauen und
52 Männer. Von irgendeiner Bevorzugung eines der Geschlechter kann
also hier ebenfalls keine Rede sein.
Bei dieser Form der Leukämie haben wir eine Klassifizierung wie bei
der myeloiden Leukämie nicht vorgenommen. Außer den wohlbekannten
Hauptsymptomen, wie Anämie, Hämorrhagien, Appetitlosigkeit, Schlaf-
losigkeit, zuweilen Fieber, Albuminurie, Sehstörungen, gastrischen unil
intestinalen Beschwerden, ist diese Erkrankung vor allem objektiv ge-
kennzeichnet durch die konstante Hypertrophie der Milz. Diese Er-
höhung des Milzvolumens ist ja übrigens das, was die Aufmerksamkeit
des Patienten und des Arztes auf die Erkrankung lenkt. Jeder zur
Untersuchung gelangende Fall von Milzhypertrophie verlangt heute eine
sorgsame Blutuntersuchung. Diese letztere erlaubt uns dann die Diagnose
der myeloiden Leukämie zu stellen, durch den Nachweis einer mehr
oder weniger beträchtlichen Leukozytose, einer erheblichen Anämie,
einer Verminderung des Hämoglobingehaltes und der Gegenwart anor-
maler Elemente, wie Myelozyten und gekernter roter Blutkörperchen.
Solange die Krankheit noch nicht sehr weit vorgeschritten ıst, haben
wir niemals Drüsenschwellung konstatiert, die nach unseren Erfahrungen
nur im Endstadium, zur Zeit der Generalisation auftritt.
Die hämatologische Formel der von einer myeloiden Leukämie er-
eriffenen Kranken kann in sehr weiten Grenzen schwanken. Der eine von
uns veröffentlichte einen Fall, ın dem er eine tatsächliche Umkehrung
der Blutformel beobachtete: Die Zahl der weißen Blutkörperchen im
Kubikmillimeter war hier größer als die Zahl der roten Blutzellen. Dies
ist aber nur eine außergewöhnliche Erscheinung. Im allgemeinen findet
man im Höhestadium der Erkrankung etwa 300000 weiße Blutkörper-
chen im Kubikmillimeter Blut. Die Anzahl der roten Blutkörperchen in
derselben Blutmenge schwankt um die Zahl 2000000. Am Gowers ge-
messen ist der Hämoglobingehalt etwa 45 bis 50°%,. Weiterhin findet
man im Blut eine mehr oder weniger große Anzahl gekernter Blutzellen,
Die radiotherapeutische Behandlung der Leukämie. 557
Normoblasten oder Pyknoblasten. Man kann übrigens sehr häufig karyo-
kinetische Formen der Megaloblasten und der Normoblasten im strömen-
den Blut konstatieren.!)
Die anormalen weißen Blutkörperchen, die man in den Fällen mye-
loider Leukämie vorfindet, sind vor allem die granulösen Mononukleären,
dıe Myelozyten und man kann von ihnen bis zu 60%, ja selbst 70%,
konstatieren. Zuweilen besteht eine sehr deutliche Erhöhung der poly-
nukleären Eosinophilen, sowohl was ihre absolute als auch relative Zahl
anlangt. Manchmal zeigt es sich, daß wenn die neutrophilen polynukle-
ären Zellen relativ vermindert erscheinen, die Feststellung der absoluten
Zahl doch ergibt, daß trotzdem die Hyperleukozytose sich auch auf diese
Elemente erstreckt.
Technik der radiotherapeutischen Behandlung. — Seit dem
Beginn unserer Beobachtungen sind wir stets der Ansicht gewesen, daß
sich jede therapeutische Maßnahme gegen die Milzhypertrophie, die ja
das objektive Hauptsymptom der Erkrankung darstellt, richten müsse.
In allen den Fällen, in denen wir nichts anderes als die Milz behandelten,
spielte der weitere Verlauf der Krankheit sich so ab, als ob ihr Hauptsitz
vor alleın lienal wäre, und gleichzeitig mit der Verminderung des Milz-
volumens besserten sich alle übrigen Symptome.
Wir sind der Ansicht, daß die Erfolge, die wir durch die ausschließ-
liche Bestrahlung der Milz erzielten, vor allem davon abhängen, daß wir
auf diese Weise eine ganz beträchtliche Blutmenge durch die Strahlen
beeinflußten, und indem wir auf diese Weise vorgingen, applizierten wir,
wie wir nach allem leider annehmen müssen, nichts als eine symptoma-
tische Medikation.
Verschiedene Radiologen und auch wir selbst haben versucht, Be-
strahlungen des Knochenmarks anzuwenden, aber niemals erzielten wir
damit so überzeugende und rapide Erfolge als mit der Milzbestrahlung.
Während der ersten Jahre unserer Beobachtungen war die Filtration
noch nicht bekannt, wır bestrahlten damals also direkt. Heute filtrieren
wir mit Aluminiumplatten von einem Millimeter Dicke, die in der halben
Distanz zwischen der Antikathode und der zu bestrahlenden Region an-
gebracht werden.
Wir verwenden ein Strahlenbündel hoher Penetration eka von
der Härte 8 bis 9 des Benoistschen Radiochromometers. Die jeweils
applizierte Dose wird mit dem Sabouraudschen Instrument gemessen
und entspricht 4 H.
1) Henri Béclère, Mégaloblastes, normoblastes, pycnoblastes, leurs rapports
et leur évolution dans la leucémie myélloïde (Archiv des maladies du coeur, des
vaisseaux et du sang. II. année, Nr. 6).
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 36
558 Beclere,
Die Milzgegend wird mit dermographischer Kreide in nach Möglich-
keit regelmäßige geometrische Felder eingeteilt. Diese Einteilung wird
dann auf ein Ölpapier durchgepaust. Jedes Bestrahlungsfeld hat etwa
8—10 Zentimeter seitliche Länge. Die zu bestrahlende Fläche wird
durch Bleigummifolien abgegrenzt.
Die auf diese Weise eingeteilte Bestrahlungsfläche erinnert an die
Felderteilung eines Schachbrettes. Wir benutzen für die Bestrahlung
alle nur irgend möglichen Eintrittspforten, gleichviel ob vorn, hinten oder
seitlich gelegen.
Ein und dasselbe Feld wird niemals früher als 2 oder 3 Wochen nach
der letzten Sitzung wieder bestrahlt. Auf diese Weise vorgehend, haben
wir niemals auch nur den kleinsten unangenehmen Zwischenfall von
Seiten der Haut erlebt.
Erfolge der Behandlung. — Der Erfolg der in dieser Weise durch-
geführten radiotherapeutischen Behandlung war, daß wir bis heute noch
keinen Fall myeloider Leukämie beobachtet haben, der nicht eine günstige
Veränderung unter dem Einfluß der Behandlung gezeigt hätte. Im Gegen-
teil ist dies regelmäßig der Fall gewesen.!)
Der Abfall der Hyperleukozytose kann unter dem Einfluß dieser
sehr aktiven Therapeutik äußerst rapid vor sich gehen. Ganz im all-
gemeinen schöpfen die Patienten nach Ablauf von ein oder zwei Monaten,
da sie dann ihren Allgemeinzustand vollständig verändert sehen, von
neuem Mut.
Die Milz verringert sich in ihrem Volumen und bildet sich fast bis
zur Norm zurück. Das Fieber fällt ab, die okulären, gastrischen und in-
testinalen Störungen verschwinden, ebenso wie auch die Blutungen aus-
bleiben. In den Fällen, die eine Albuminurie aufwiesen, verschwindet
auch diese. Die Kranken nehmen an Gewicht zu, und die Frauen, denen
vorher eine regelmäßige Menses etwas ganz ungewohntes war, sehen diese
Erscheinung verschwinden, ihre Periode wird wieder normal und regel-
mäßig. Kurz, die Kranken fühlen sich wie neugeboren und zwar ist diese
günstige Wendung absolut die Regel.
Vom hämatologischen Standpunkt aus beobachtet man das Verschwin-
den der Hyperleukozytose und eine merkwürdige Erscheinung, nämlich
die Erhöhung der Zahl der roten Blutkörperchen. Die anormalen Ele-
mente verschwinden und der Hämoglobingehalt steigt, gerade als ob unter
dem Einflusse der Bestrahlung eine wirkliche Vergiftungsursache ver-
schwunden wäre. In vielen Fällen haben wir gesehen, daß die Zahl der
1) Dr. Beclere et Henri Be&clere, La leuc&mie myeloide est-elle par ex-
ception réfractaire à la radiothérapie? (Soc. Med. des Höpit. de Paris, Sitzung vom
30. Mai 1913).
tn O D
Ciema aa a
Die radiotherapeutische Behandlung der Leukämie. 559
roten Blutkörperchen sogar die Norm und zwar um ein ganz bedeutendes
überschritt. .
Doch alle diese glücklichen Befunde werden durch die Tatsache
getrübt, daß selbst wenn jede Krankheitserscheinung verschwunden zu
sein scheint, eine genaue und sorgsame Blutuntersuchung stets und trotz
allem noch die Gegenwart von Myelozyten im Blute ergibt.
Diese Elemente können allerdings sehr selten werden und wir haben
in gewissen Blutproben, die nicht mehr als 2000 Leukozyten pro Kubik-
millimeter aufwiesen, nur 1 auf 300 vorgefunden. Aber in allen unseren
93 Füllen fehlte dieser unangenehme Gast auch nicht ein einziges Mal.
Dies ist die offene Tür für das Rezidiv und ein nicht zu verkennender
Beweis dafür, daB wir mit der radiotherapeutischen Behandlung der Leuk-
ämie eben nichts weiter als eine symptomatische Medikation anwenden.
Daß dieselbe äußerst wertvoll ist, daran kann nicht gezweifelt werden.
Das, was wir als Resultat erhalten, ist keine Heilung, sondern eine Milde-
rung, eine Verschleierung der Symptome.
Die Erfahrung hat nun zwar erwiesen, daß, wenn die Affektion rezi-
dıvierte, sie aufs neue günstig beeinflußt werden konnte, sei es durch
lienale, sei es durch medulläre Bestrahlungen. Jedoch am Ende blieben
wir ohnmächtig gegen die intervenierenden Komplikationen und vor allem
gegen das Auftreten neuer Elemente im Blut: der Myeloblasten. Das
Erscheinen von Myeloblasten im Blute der Leukämiker ist tatsäch-
lich ein sehr schlimmes Zeichen; denn jetzt bedroht die akute Leukämie
oder eine ihrer Formen diese Individuen.
Um die Rezidive möglichst zu vermeiden, halten wir es für notwendig,
alle diese Kranken ständig und sehr sorgsam auf ihr Blutbild hin zu be-
obachten, die Behandlung niemals einzustellen, sondern im allergünstig-
sten Falle, wenn alles gut zu gehen scheint, die Bestrahlungen unter
hämatologischer Kontrolle in längeren Zwischenräumen vorzunehmen.
Auf diese Weise ist es uns gelungen, Leukämiker durch drei, vier, ja sechs
Jahre hindurch in anscheinender Gesundheit zu erhalten.
Anormale Formen. — Neben dieser typischen Form der myeloiden
Leukämie müssen wir einen vollständig paradox erscheinenden Fall
erwähnen. Es handelt sich um einen Kranken, der alle objektiven Sym-
ptome der myeloiden Leukämie aufwies und eine beträchtliche Milz-
hypertrophie zeigte. Die Blutuntersuchung ergab das Vorhandensein
einer schweren Anämie und einer Hyperleukozytose mit 340000 weißen
Elementen pro Kubikmillimeter. In diesem Falle waren aber keine Myelo-
zyten vorhanden, sondern es bestand eine intensive Polynukleose: 94%.
Wir haben diesen Patienten wie einen Leukämiker behandelt und das
sofortige Resultat war ausgezeichnet.
36*
560 Beclere, Die radiotherapeutische Behandlung der Leukämie.
In allen Fällen, die wir oben erwähnten, bestand, wie durch die Blut-
untersuchung erwiesen wurde, eine schwere Anämie.
Nur in einem unserer Fälle war dieses Symptom nicht vorhanden.
Handelt es sich bei diesem Patienten um eine Spezialform? Wir sind zu
dieser Annahme um so mehr geneigt, als die letzte Untersuchung des
Blutes dieses Kranken trotz aller Sorgfalt uns nicht gestattete, noch
Myelozyten festzustellen. Dieses Fehlen der initialen Anämie und das
vollständige Verschwinden der Myelozyten scheint uns ein äußerst gün-
stiges Zeichen für die Prognose dieses Falles zu sein.
C. Die akute Leukämie.
Wir haben von dieser Form fünf Fälle beobachtet. Die radiothera-
peutische Behandlung scheint uns aber die fatale Entwicklung dieser
Affektion nicht aufhalten zu können. (Übersetzt von F. Reber-Bordeauwr.)
Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit.:)
Von .
a
Dr. J. Belot,
Vizepräsident der Gesellschaft für medizinische Radiologie in Paris.
(Mit 1 Abbildung.)
D“ Basedowsche Krankheit ist eine noch schlecht definierte und un-
vollkommen gekannte Affektion: sie ist zwar klinisch durch 3 Haupt-
merkmale charakterisiert: Volumvermehrung der Thyreoidea, Exophthalmus,
Tachykardie und Tremor. Aus diesen Symptomen hatten Basedow,
Graves und Parry ein Krankheitsbild aufgestellt, welches sie als Ein-
heit wohl charakterisiert glaubten. Pierre Marie hat aber gezeigt, daß
es eine ganze Serie von „Formes frustes“ dieser Erkrankung gibt, bei
welchen ein oder mehrere Symptome fehlen und die doch der Basedow-
schen Krankheit angehören.
Später hat Stern unter dem Namen Basedowoid eine Krankheit be-
schrieben, die durch eine intermittierende Tachykardie, durch kardio-
vaskuläre, oft paroxystische Reizzustände charakterisiert und deren Zuge-
hörigkeit zur Basedowschen Krankheit nicht immer offenkundig ist.
Man sieht deshalb heutzutage die Basedowsche Krankheit nicht
mehr als einheitliche Krankheit an, sondern eher als Symptomenkomplex,
welchen mannigfache Ursachen hervorrufen können und der infolgedessen
mannigfache klinische Formen annehmen kann.
Es hieße, den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, wenn ich die ver-
schiedenen Hypothesen, die bezüglich der Pathogenese dieser Erkrankung
aufgestellt worden sind, besprechen wollte. Es wäre aber doch wichtig,
um eine rationelle Therapie zu finden und ihre Wirkung zu verstehen,
die Ursache des Übels zu kennen, und zu wissen, an welchem Punkte eine
Therapie angreifen soll. Nun haben aber die „Formes frustes“ der Krank-
heit, welche neben den von Graves und Basedow definierten Krank-
heitstypen aufgestellt wurden, die früheren Ansichten über ihre Pathogenese
sehr erschüttert. Zwei Theorien stehen sich heutzutage entgegen, die ner-
vöse und die glanduläre.
Die erstere schiebt die Hauptrolle dem Sympathikus zu, dessen Er-
krankung die charakteristischen Störungen dieser Erkrankung hervorrufen
1) Vortrag, gehalten auf dem 17. internationalen medizinischen Kongreß in
London am 6.—12. August 1913.
562 Belot,
sollen. Die zweite verlegt die Ursache für die Erkrankung in die Schild-
drüse selber: sekretorische Störungen dieser Drüse sollen daran Schuld
sein. Übrigens können funktionelle Störungen anderer Drüsen mit innerer
Sekretion (Ovarien, Hypophyse, Thymus, Nebennieren, Parathyreoidea usw.
den Störungen der Schilddrüse vorausgehen oder sie begleiten. Erstere
Hypothese, die von Moebius aufgestellt wurde, nimmt eine zu starke
Sekretion der Drüse, einen Hyperthyreoidismus an. Nach Gauthier,
Babinski und anderen Modernen kommt eher eine falsche Sekretion
in Frage: Die Drüse sezerniert nicht mehr ihr normales Produkt, sondern
ein anormales, toxisches, welches den Symptomenkomplex hervorruft. Es
ist die Theorie des Dysthyreoidismus.
Wie dem auch sei, immer ist es eine Veränderung der Drüsenfunk-
tion und der Drüse selber, welche als Ätiologie des Basedow in Frage
kommt.
Die in ihren Elementen schon alte Anschauung scheint mir die klarste
und logischste zu sein. Sie stimmt auch am besten mit den experimen-
tellen und klinischen Resultaten überein. Sie gestattet eine rationelle
Therapie und man kann sagen, daß sie die beiden modernen Hauptbehand-
lungsmethoden der Basedowschen Krankheit, die chirurgische Entfernung
und die Röntgentherapie inspiriert hat.
Da die beobachteten Phänomene auf eine anormale Drüsensekretion
zurückzuführen sind, so kann man dieselben durch Modifizierung dieser
Sekretion, sei es durch Verminderung oder, wenn nötig, sogar durch Unter-
drückung derselben heilen. Die blutige Entfernung der Thyreoidea fand
so eine ernste Grundlage und die Chirurgie trat in der Behandlung des
Morbus Basedow in den Vordergrund. Tatsächlich bringt auch die
Operation in manchen Formen der Krankheit Nutzen. Es handelt sich
aber immer um eine schwere Operation, die auch nicht vor Spätfolgen oder
Rezidiven schützt.
Die spezifische Wirkung der Röntgenstrahlen auf die Drüsenelemente
rechtfertigt die Röntgenbehandlung des Basedow. Unter dem Einfluß
methodisch ausgeführter Bestrahlungen wird die Thyreoidea atrophisch,
ihre Sekretion wird geringer und hört zuletzt ganz auf. Sei es, daß es
sich um einfache Hypersekretion, um Ausscheidung toxischer Produkte
oder um eine Vereinigung beider Zustände handelt, das Resultat ist das-
selbe: Die Thyreoidea bringt keine krankhaften Produkte mehr in den
Körperhaushalt.
Die Atrophie tritt rasch ein unter Wahrung der Integrität der Haut
und der Nachbarorgane. Es handelt sich dabei um eine elektive Sklerose,
welche nur die edlen Drüsenelemente betrifft. Vom theoretischen Stand-
punkt aus ist deshalb die Röntgentherapie die Therapie der Wahl des
Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 563
Basedow, wenn man, wie wir, die dysthyreoidische Ätiologie der Krank-
heit annimmt. Wir werden bald sehen, daß die Klinik diese Annahme
rechtfertigt.
Ohne in die Details einer immer langweiligen und notwendigerweise
lückenhaften Geschichte dieser Therapie einzugehen, will ich nur sagen,
daß Williams im Jahre 1902 als erster die Idee hatte, einen Fall von
Basedow mit Röntgenstrahlen zu behandeln. Carl Beck in New York
bewies endgültig, welche Erfolge man mit der Röntgentherapie allein oder
zusammen mit der chirurgischen Entfernung haben kann. Zuletzt will ich
noch die Arbeiten von Schwarz und Holzknecht, Ledoux-Lobard,
Clunet, Beclere, Bergoni6 und Speder, Delherm und Haret
nennen, um nur die wichtigeren zu erwähnen. Die übrigen will ich über-
gehen, um nicht diese Arbeit unnötig zu verlängern.
Alle haben bei ihren Versuchen ausgezeichnete Resultate erzielt und
der Wert der Methode kann heutzutage nicht mehr bezweifelt werden. Es
genügt, die Statistiken durchzugehen, um sich davon zu überzeugen.
Höchstens ist die Technik des einen Spezialisten von derjenigen eines an-
deren verschieden. Auch ist die Indikationsstellung häufig Gegenstand der
Diskussion, besonders seitdem die Thyreoidektomie allgemein gemacht wird.
Ich werde hier zuerst die Technik beschreiben, die ich anwende und
die Resultate auseinandersetzen, die ich während meiner röntgentherapeu-
tischen Tätigkeit erhalten habe. Dann werde ich das wichtige Kapitel
der Indikationen besprechen, und mich bemühen, diejenigen Formen her-
auszufinden, welche sich für diese Therapie eignen.
Technik.
Die Röntgentherapie der Basedowschen Symptomenkomplexe folgt
den allgemeinen Gesetzen der Tiefentherapie. Sie zeigt nur einige Eigen-
tümlichkeiten und variiert je nach der Erkrankungsform. Der Einfach-
heit halber wähle ich die Behandlung einer Form, welche dem von
Graves-Basedow aufgestellten klinischen Typus entspricht.
Es kommt vor allem darauf an, den immer sehr ängstlichen Patienten
von der vollständigen Gefahrlosigkeit der Behandlung zu überzeugen. Wenn
die Kranke — denn es handelt sich gewöhnlich um eine Frau — davon
überzeugt ist, daß sie keinen Schmerz empfinden wird, lasse ich sie sich
auf den Operationstisch legen. Der Kopf wird so tief als möglich gelagert,
und, um den Hals und die Thyreoidgegend frei zu bekommen, schiebe ich
ein Kissen unter die Halswirbelsäule. Nach Ablegen des Rockes bestimme
ich palpatorisch die lateralen Grenzen der Drüse und bezeichne sie etwas
darüber hinaus mit dem Blaustift. Die erhaltenen Linien nehmen die
Mitte der lateralen Seite einer jeden Zervikalregion ein. Dann bezeichne
564 Belot,
ich in der Medianebene entweder den höchsten Punkt der Drüse, oder
lieber den medianen Vorsprung des Os hyoides oder des Thyreoidknorpels.
‘Von diesem Punkte ziehe ich 2 zu den seitlichen parallel verlaufende
Linien, welche dann gewöhnlich einen dreieckigen medianen Raum be-
grenzen, welcher 2 mehr oder minder rechteckige laterale Flächen trennt.
Letztere enden an der unteren Grenze der Thyreoidea, während die
mediane, dreieckige Fläche sich nach unten fortsetzt und bis zum unteren
Rand des Manubrium sich verbreitert. Diese drei Flächen benutzte ich
für gewöhnlich als Bestrahlungsfelder. So gelingt es mir, die Thyreoidea
und die Thymus zu bestrahlen, deren Rolle vor kurzem von J. Clunet
beleuchtet worden ist und die drei Eingangsphorten erlauben mir, in der
ganzen Drüse eine ziemlich gleichmäßige Strahlendosis zur Absorption zu
bringen, ohne die Haut, so weit dies möglich ist, zu beschädigen. Ferner
kann ich mit Hilfe dieses Kunstgriffes die Reizwirkung zu Beginn der
Behandlung vermindern, indem ich nach der Bestrahlung eines jeden
Segmentes einige Tage abwarte. Auf beifolgender Abbildung ersieht man
deutlich, wie ich verfahre.
Einteilung des Kopfgebiets zur Behandlung der Basedowschen Erkrankung.
A = Manubrium. B = linksseitiges Bestrahlungsgebiet. C = rechtsseitiges Be-
strahlungsgebiet. D = mittleres und unteres Bestrahlungsgebiet.
Während man eine Region bestrahlt, muß man die übrigen exakt ab-
decken. Unterläßt man diese Vorsichtsmaßregel, so würde man eine mehr
oder weniger heftige entzündliche Reaktion hervorrufen an Stellen, welche
infolge unvollständigen Schutzes eine doppelte Strahlendosis erhalten hätten.
Ich benutze das Pflaster, das ich unter dem Namen Neotectin habe
herstellen lassen: Es besteht aus einer dünnen Lamelle vernickeltem Blei,
Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 565
die auf der Rückseite weiches Pflaster trägt. Man schneidet ein ent-
sprechendes Stück davon ab und klebt es auf die zu schützende Region.
Der freie Rand soll den mit dem Dermographen gezeichneten Strich genau
decken. Ist das erste Segment bestrahlt, so zieht man das Schutzpflaster
ab und legt es auf die eben bestrahlte Fläche.
Zugleich benutze ich, um den Verbrauch von Neotectin möglichst ein-
zuschränken, Bleigummitafeln, deren Größe nach Belieben modifiziert werden
kann: ich schütze damit die Gesamtregion, während ich das Bleipflaster
dazu verwende, die gemeinsamen Ränder zweier Segmente zu markieren.
Zuletzt ist es noch in manchen Fällen nützlich, besonders bei volumi-
nösem Hals einen Lokalisator zu benutzen, dessen lichte Weite man größer
als die zu bestrahlende Fläche wählt. Nachdem man die Hautregion mit
Hilfe der oben erwähnten Schutzmaßregeln umschrieben hat, senkt man
den Lokalisator, bis er die Haut berührt. Ein Stück Pappe wird zwischen
Lokalisatorrand und Haut gelegt und man senkt ihn dann noch mehr, so-
daß die Gegend komprimiert wird. Das Stück Pappe habe ich dem
(rummiball wegen der Topographie der Gegend vorgezogen. Man kann
aber das eine oder das andere Verfahren anwenden.
Um die Bestrahlung des lateralen Feldes zu erleichtern, lasse ich den
Kopf leicht auf die entgegengesetzte Seite drehen. So breitet sich jedes
Feld aus und ist der Bestrahlung zugänglich gemacht.
Soll man in ein und derselben Sitzung die ganze Oberfläche be-
strahlen? ©- Alles kommt da auf die Dosis an. Wenn man, wie manche
es vorschreiben, mit kleinen Dosen beginnt, so kann man ohne Nachteil
sukzessive jedes der 3 Segmente bestrahlen. Ich ziehe eine andere Methode
vor. Ich wende von vornherein mittlere oder starke Dosen an, aber ich
lasse gewöhnlich mehrere Tage zwischen der Bestrahlung eines jeden Feldes
vorübergehen. Ist die Thyreoidea voluminös und der Kranke aufgeregt wenn
mit einem Wort eine außerordentliche Reizbarkeit besteht und das Allgemein-
befinden schlecht ist, so bestrahle ich nur eine Zone mit ungefähr 4 H.
Ich warte dann 5—6 Tage und gehe erst dann zu einem weiteren Seg-
ment über: noch einige Tage später kommt dann erst das mediane Feld
an die Reihe. In anderen Fällen bestrahle ich sukzessive die beiden
Seitenfelder und schließe die Thymusbestrahlung erst etwas später an.
Ich verfahre immer in der ersten Sitzung auf diese Weise, oft auch
in der zweiten, aber selten in der dritten. Ich lasse mich durch die All-
gemeinsymptome des Patienten leiten.
Indem ich die Behandlung in dieser Weise regelte, gelang es mir, die
toxischen Reaktionen, Nausea, Brechen, Diarrhoeen, Tachykardie, die oft
auf die ersten Sitzungen folgen, auf ein Minimum zu reduzieren. Handelt
es sich in diesen Fällen um eine vorübergehende Reizung, eine toxische
566 Belot,
Hypersekretion? Jedenfalls liegt diese Annahme nahe. Wenn man die
Reize in Abständen setzt, so läßt man eine geringere Giftmenge in den
Körper übergehen und man läßt ihm Zeit, die Gifte auszuscheiden. ehe
man ihm andere zuführt. Wie dem auch sei und selbst wenn, wie ich
gern zugebe, diese toxischen Erscheinungen nur unerheblicher Natur sind.
so glaube ich doch, daß es besser ist, sie ganz zu vermeiden.
Von der dritten Sitzung an bestrahle ich sukzessive alle 3 Felder.
Allgemeinreaktionen sind dann die Ausnahme.
Zur Bestrahlung benutze ich eine konstante Röhre, welche nur Strahlen
von der Härte 8 Benoist gibt. Manche Röhren erlauben sogar eine Strah-
lung von 8—9, aber ihre Konstanz ist nicht immer vollkommen. Jeden-
falls soll man eine möglichst penetrierende Strahlung anwenden.
Die Strahlung wird durch eine Aluminiumplatte von 1 oder besser
2 Millimeter Dicke filtriert. Ich bin nie über 3 Millimeter gegangen, da
ich diese Filtrierung für die Tiefe der Läsion genügend fand. Ich habe
so ohne Hautveränderung ausgezeichnete Resultate erhalten.
Die auf die Haut auftreffende Dosis entspricht für jedes Feld 4 H
Einheiten. Ich messe vor dem Filter und mit Hilfe der Kurven, die ich
aufgestellt habe, berechne ich die Zeit, welche ich nötig habe, um die ge-
wünschte Dosis unter dem Filter zu erhalten. Diese Methode gestattete
mir, Jede schwere Hautreaktion zu vermeiden und trotzdem eine wirkungs-
volle Therapie zu erreichen.
Ich übersteige niemals die Dosis von 5 H, selbst wenn ich durch
2 oder 3 Millimeter Aluminium filtriere. Die Haut des Halses ist em-
pfindlicher als an anderen Regionen. Wenn sie durch eine Struma ge-
spannt und verändert ist, so ist ihre Empfindlichkeit noch größer. Man
muß jede lokale Reaktion vermeiden, wenn man die Bestrahlungen fort-
setzen will und man weiß ja, daß die Behandlung des Basedow eine ge-
raume Zeit in Anspruch nimmt. Ich kann nicht genug wiederholen, dab
die Filtrierung nicht vor der Röntgendermatitis schützt, aber dadurch, daß
sie den Unterschied zwischen der in der Oberfläche und in der Tiefe ab-
sorbierten Strahlendosis verringert, erlaubt sie eine bessere Tiefenwirkung
bei gleicher Oberflächenreaktion. Sobald die Haut die für eine Entzün-
dung nötige Strahlenenergie in Form von penetrierenden Strahlen absor-
biert hat, kommt die Radiodermitis: Die Reaktion hängt nur von der
wirklich absorbierten Strahlenmenge ab.
Was zu Täuschung Anlaß gibt, ist der unangemessene Ausdruck „ab-
sorbierte Quantität“. Wenn wir 5 H unfiltrierter Strahlen verabreichen, so
ist die Verteilung dieser Dosis in den verschiedenen getroffenen Ebenen sehr
verschieden von dem, was sie mit einer gleich großen Dosis (5 H) einer
äußerst gefilterten Strahlung wäre. Die Reagenzien, die wir anwenden, geben
Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 567
uns über diesen Faktor sozusagen keine Auskunft. So können sich die
ungeheuren Unterschiede erklären, welche zwischen den von verschiedenen
Operateuren angegebenen Quantitäten bestehen. Jedenfalls warne ich vor
den von anderer Seite empfohlenen hohen Dosen. Wenn es zwar darauf
ankommt, den Basedow zu heilen, so ist es doch auch nötig, eine schwere
frühzeitige oder späte Röntgendermatitis zu vermeiden.
Jede Bestrahlungsserie ist von der folgenden durch eine Ruhepause
von wenigstens 14 Tagen, oft auch von 20—25 Tagen getrennt. Je größer
die applizierte Dosis ist, um so länger soll die Ruhepause sein. Die
Schwere der Krankheitserscheinungen ist ebenfalls ein Faktor, auf den
man Rücksicht nehmen muß: Die Behandlung muß in schweren Fällen
viel energischer sein, als wenn es sich um ,Formes frustes“ handelt.
Ferner je mehr man sich vom Beginn der Behandlung entfernt, um so
linger muß man die jedesmalige Ruhepause wählen. Nach der 4. oder 5.
Sitzung lasse ich 20—25 Tage zwischen jeder Serie vorbeigehen, oft auch
noch mehr.
Eine letzte Frage wirft sich auf: Wie lange soll die Behandlung fort-
gesetzt werden? Es ist schwierig, genau darauf zu antworten, da die
Kranken in ganz verschiedener Weise auf diese Behandlung reagieren: ich
werde übrigens weiter unten, wenn ich zur Besprechung der Resultate
übergehe, zeigen, welche auffallenden Schwankungen man von Fall zu
Fall trifft.
Im Prinzip bin ich aber der Ansicht, daß die Tachykardie als Richt-
schnur für die Behandlung gelten soll. Wenn der nervöse Zustand besser
ist, wenn der Puls normal ist oder zwischen 80 und 90 schwankt, während
er früher auf 120 und mehr stieg, so kann man die Behandlung weniger
energisch werden lassen oder ganz damit aufhören. Es wäre übrigens ein
Irrtum, die Bestrahlungen bis zum vollständigen (übrigens hypothetischen)
Schwunde der Struma oder des Exophthalmus fortzusetzen. Man würde
das Endresultat dadurch verschlechtern, daß man ein Myxoedem infolge
von zu starker Zerstörung des Drüsenparenchyms erzeugen würde: dieser
Fall ist wohl möglich, man muß ihn voraussehen, um ihn zu vermeiden.
Die beim richtigen Basedow länger als bei den unvollständigen For-
men dauernde Behandlung muß mit Takt und Vorsicht vorgenommen
werden. Mancher Kranke, der infolge der Bestrahlungen toxische Sym-
ptome zeigt, muß milder behandelt werden als ein anderer. Die klinische
Beobachtung des Kranken, die Beachtung seiner Symptome sind wertvolle
Wegweiser für die zeitweilige oder gänzliche Unterbrechung der Behandlung.
Ich muß hier wiederholen, daß so wenig es eine einheitliche Basedow-
erkrankung gibt, ebenso wenig eine einheitliche Behandlung existiert. Jeder
Fall muß besonders behandelt werden: die Klinik führt den Therapeuten.
565 Belot,
Soll man in jedem Fall weiter behandeln, bis eine Besserung auftritt!
Ich glaube es nicht. Es gibt auch Krankheitsformen, welche nicht durch
Röntgenstrahlen beeinflußt werden und meistens kann man sie auch von
den günstigen Fällen unterscheiden. Deshalb glaube ich, dal die Bestrah-
lungen unterbrochen werden müssen, wenn nach 3 oder 4 Monaten keine
Besserung eingetreten ist. Der Kranke kann dann noch durch ander:
therapeutische Mittel gebessert werden, z. B. die Operation.
. Resultate.
Man kann die Resultate, welche die Röntgentherapie gibt. voraussehen.
wenn man die Wirkung der Röntgenstrahlen auf die Drüsen kennt. Auf
eine anfingliche, übrigens inkonstante Reizung, folgt die Sistierung der
Drüsenfunktion und zuletzt die Zerstörung des Parenchyms derselben.
Mein Kollege Ledoux-Lebard sagt sehr richtig: „Alles spielt sich
in günstigen Fällen ab, wie wenn unter dem Einfluß der Röntgenstralilen
der Hypertliyreoidismus gradatim einer normalen Sekretion Platz macht.
oder wie wenn die von der Drüse erzeugten Produkte wieder, was ihre
Qualität anbetrifft, sich den normalen näherten.“*
Manche Individuen und zwar besonders Frauen mit einem typischen
Basedow, klagen am Tage nach der ersten Bestrahlung oder die folgenden
Tage über Übelkeit, Kopfschmerzen, Diarrhoe und oft sogar über Er-
brechen. Diese Reizerscheinungen kann man auf ein Minimum reduzieren.
wenn man die Bestrahlung, wie ich es oben angab, fraktioniert. Die
Nebenerscheinungen treten oft nochmals nach der zweiten Serie auf, selten
noch nach der dritten.
Die erste Wirkung der Behandlung ist eine Besserung des nervösen
Zustandes der Kranken. Er ist weniger impressionabel, reagiert weniger
heftig auf die geringsten Ursachen. Die Kopfschmerzen, die Hitzewillungen
werden weniger und zu gleicher Zeit bessert sich der Schlaf. Der Kranke
fühlt sich leichter und wird tätiger: seine Gelenkschmerzen sind weniger heftig.
Der Appetit kommt wieder, die Diarrhoeen sind weniger abundant und man
kann oft eine rapide Gewichtszunahme konstatieren. Nach und nach
schwinden auch die nächtlichen Schweiße und die Urinmenge fällt zur
Normalen. Man wohnt so einer wirklichen Auferstehung bei, olıne dab
man das Geringste an den Lebensbedingungen oder dem diätetischen Ver-
halten geändert hätte. Oft deutet sich die Besserung schon 14—20 Tage
nach Beginn der Behandlung an, oft muß man mehrere Wochen warten.
Gewöhnlich hat sich der Gesundheitszustand 2 Monate nach der ersten
Serie sehr gebessert.
Zu gleicher Zeit gehen die Herzsymptome zurück: zuerst die subjek-
tiren Beschwerden wie Herzbeklemmung. pseudoanginöse Schmerzen, Kardi-
a..
ar me
Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 569
algie, dann wird auch das Herzklopfen weniger häufig, weniger heftig und
von kürzerer Dauer. Je mehr man in der Behandlung vorschreitet, uni
so mehr vermindert sich die Tachykardie: Der Puls geht von 120 beim
Erwachen auf 110, dann auf 100 und zuletzt nach kürzerer oder längerer
Zeit auf 90, um progressiv noch bis auf 80 zu sinken. Manchmal, aber
seltener geht er bis zur Normalen zurück.
Parallel hierzu werden auch die Herzkontraktionen weniger brutal und
die Pulsationen der Karotis mildern sich... . Der Kranke fühlt sein
Herz „weniger heftig schlagen“. |
Die Wirkung auf die Struma selber ist gewöhnlich weniger auffallend.
Es ist selten, daß in den günstigen Fällen die Drüse nicht unter Einfluß
der Bestrahlungen abnimmt. Aber diese Volumabnahme geht nur langsam
von statten: sie fängt oft erst nach Besserung der allgemeinen und Herz-
symptome an.
Zuerst fühlt man ein Weicherwerden des Organs: die Haut ist weniger
gespannt, sie läßt sich leichter in Falten heben und der Kranke kann
seinen Hals freier bewegen. Die Messung des Halsumfangs ergibt eine
nicht zu leugnende Verminderung desselben und es gibt Kranke, bei welchen
dieser Unterschied ein enormer ist. So habe ich eine Frau beobachtet,
deren Halsumfang zu Beginn 38,5 cm betrug und der nach einer ein-
jährigen Behandlung auf 33,5 zurückging. Bei einer anderen ging der
Halsumfang von 37,5 auf 35 cm in 3 Monaten zurück.
Natürlich reagieren nicht alle Basedowkranken in dieser Weise: bei
vielen stellt sich die Verminderung nur sehr langsam ein und der Hals
erhält nie seinen normalen Umfang wieder: man darf aber darüber die
günstigen Fälle nicht vergessen, besonders da sie in den Statistiken der
Beobachter keineswegs als Seltenheiten verzeichnet werden.
Die Volumverminderungen der Drüse Schienen mir umso rascher vor
sich zu gehen, wenn man mit der Behandlung möglichst bei Beginn der
Erkrankung einsetzte.
Die Basedow-ähnlichen Strumen sind unter allen Strumen diejenigen.
welche sich am wenigsten modifizieren. Vielleicht ist die fibröse oder
kystische Degeneration der Drüse daran schuld: je mehr sich das Paren-
chym vom Drüsentypus entfernt, um so weniger sichtbar ist die Volum-
verminderung.
Das Zurückgehen der Struma ist übrigens keineswegs das Haupt-
resultat der Behandlung: es wäre ein Irrtum, die Bestrahlungen fortsetzen
zu wollen, bis die Schilddrüse ihr normales Volumen wieder erreicht hat.
Die Besserung der Allgemeinsymptome, die Wiederkehr des fast normalen
Herzrhythmus sollen. wie ich schon sagte, der Behandlung den Weg weisen.
Wenn man sich darauf versteift, eine totale Regression der Struma zu-
570 Belot,
stande zu bringen, so kann man ein Myxödem hervorrufen: man mub um
jeden Preis bei Zeiten halt machen.
Der Exophthalmus widerstrebt oft der Wirkung der Röntgenstralilen
und bleibt bestehen, selbst wenn die anderen Krankheitserscheinung-n
verschwunden oder vermindert sind.
Ich sah oft eine leichte Besserung eintreten, die dann aber trotz
intensiver Behandlung stationär blieb. Es ist übrigens immer das Symptom.
das sich zuletzt zurückbildet. Es gibt aber auch Fälle — und ich habe
davon mehrere beobachtet —, bei welchen eine starke Besserung eintrat.
Der Blick wurde weniger starr, das Auge weniger glänzend und das
Hervortreten der Augäpfel weniger markiert. Das Aussehen der Kranken
wird weniger entstellt, ich sah aber nie eine Rückkehr zum völlig Normalen.
Neben den Resultaten muß man auch die Mißerfolge oder halben
Erfolge erwähnen.
Es gibt Basedowformen, welche durch die Röntgentherapie nicht b»-
einflußt werden. Man findet sie besonders in den Fällen. die sich am
meisten von der typischen Basedowerkrankung oder ihren „Formes frustes“
unterscheiden. So werden die einfachen Basedow-ähnlichen Strumen und
die Neoplasmen nicht oder kaum modifiziert.
Alle Basedowkranken reagieren nicht auf dieselbe Weise: es gibt Fülle.
die sich leicht bessern und die dann stationär bleiben, trotzdem man die
Behandlung fortsetzt, ohne daß die Anatomie oder Physiologie bis jetzt
gestatteten, sie von den zur Heilung führenden günstigen Fällen zu
unterscheiden.
Man hat viel von den Gefahren der Röntgentherapie gesprochen.
Alle allgemeinen kritischen Bemerkungen kehren bei dieser Affektien
wieder. Zudem hat man sehr auf die Störungen beim Beginn der Be-
handlung und auf die Möglichkeit eines Röntgenmyxödems hingewiesen.
Ich habe bereits gesagt. wie es sich mit diesen unangenehmen Neben-
erscheinungen verhält, und wie man sie umgehen oder vermindern kann.
Die Hautschädigungen müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Unter
der Wirkung der sukzessiven Bestrahlungen entzündet sich die Haut, sie
verändert sich und wird atrophisch. In manchen Fällen entstand sogar
eine ulzeröse Radiodermitis.
Man kann heutzutage eine schwere Radiodermitis verhindern, wenn
man eine präzise Technik anwendet. Harte Strahlung, Filtrierung. nor-
male Dosen, genügende Ruhepausen, Sistieren der Behandlung im richtigen
Augenblick, dies sind die Hauptfaktoren, welche dieses Resultat zu er-
reichen gestatten. In meiner Praxis, die sich über einige dreißig Fälle
erstreckt. habe ich nie eine ulzeröse oder phlyktänoide Läsion beobachtet.
Hingegen kann man sich nicht immer vor der oberflächlichen Atrophie
Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 571
oder vor Spätteleangiektasien schützen. Die Haut des Halses ist sehr
sensibel und reagiert sogar oft schon auf mittlere Dosen (4 H) filtrierter
Strahlen, besonders wenn die Behandlung sich lange ausdehnt. Diese ge-
ringe Hautveränderung spielt übrigens im Vergleich zu dem erzielten Re-
sultat keine Rolle. Übrigens sind diese leichten Reaktionen weder konstant
noch gefährlich. In der Mehrzahl der von mir behandelten Fälle sah ich
höchstens eine geringe Pigmentierung zurückbleiben und bei einigen Frauen
blieb die Haut ganz intakt, trotzdem sie als geheilt bezeichnet werden
konnten. Meine Beobachtungen gehen übrigens auf mehrere Jahre zurück
und ich sah einige meiner Kranken noch 2 Jahre nach Beendigung der
Behandlung.
Man kann sich fragen, welches der Wert dieser Resultate ist. Man
darf nämlich nicht vergessen, daß alle Basedowsymptome spontan oder
nach den verschiedensten Medikamenten heilen können. Der Parallelismus
zwischen der Regression der Symptome und der Behandlung erlaubt es
aber nicht, an der Wirkung derselben zu zweifeln. Man müßte sich auch
über das Wort ‚Heilung‘ verständigen, wenn man es auf diese bizarre
Erkrankung anwendet. Jeder weiß, mit welcher Unregelmäßigkeit sie ver-
läuft: sie hat oft Perioden des Stillstands und Perioden des Rückgangs.
Da das vollkommene Verschwinden der Affektion die Ausnahme ist, kann
man sich immer in Gegenwart einer Besserung fragen, ob sich nicht nach
längerer oder kürzerer Zeit ein Rezidiv einstellt.
Wenn sich aber seit 2 Jahren das Allgemeinbefinden konstant gut
erhält, der Puls bei ungefähr 60 verbleibt, der Nervenzustand so ist, dab
der Patient seine normale Beschäftigung wieder aufnehmen kann, so kann
man das Wort scheinbare Heilung aussprechen. Ich teile in diesem Punkte
vollkommen die Ansicht, die mein Freund Ledoux-Lebard in seinem
ausgezeichneten Referate im Jahre 1912 aussprach.
Um die Technik, die ich anwende, besser zu erklären, will ich die
Krankengeschichte einer kürzlich behandelten Patientin, bei der ich das
Resultat als ausgezeichnet bezeichnen kann, erwähnen.
Es handelte sich um eine 25 jährige junge Frau mit typischem Basedow,
der im 20. Lebensjahre begonnen hatte. Der Halsumfang betrug 38,5 cm,
der Exophthalmus war sehr ausgesprochen und der Puls variierte zwischen
100 und 120. Der nervöse Reizzustand war außerordentlich stark, der
Allgemeinzustand schlecht und das Körpergewicht war auf 50 kg gesunken.
Während 5 Jahren hatten die verschiedensten medikamentösen Behandlungen
eine leichte Besserung gebracht, aber die Krankheit blieb stationär und
schwerer Art. Vom 21. Oktober 1911 bis zum 9. Dezember 1912 erhielt
die Patientin 11 Bestrahlungsserien, so, wie ich sie oben beschrieben habe.
Dann hielt ich das Resultat für genügend, unterbrach die Behandlung und
572 Belot,
fügte nur noch 2 Bestrahlungsserien hinzu, eine im Februar 1913 und
eine andere im Juni desselben Jahres.
Seit einem Jahre ist ihr Gesundheitszustand ausgezeichnet (Juni 1912:
und jetzt läßt sich folgendes konstatieren.. Der Halsumfang ist von
38,5 auf 33,5 cm zurückgegangen; der Exophthalmus ist bedeutend ver-
ringert, die Pulszahl beträgt 80, der Allgemeinzustand ist tadellos und das
Körpergewicht hat 57 kg erreicht. Die Periode ist wieder regelmäßig, die
Nervosität verschwunden: seit über einem Jahre hat die Kranke ihr früheres
Leben wieder aufgenommen, ohne Müdigkeit und ohne sonstige unangenehme
Symptome. Die Haut ist vollkommen intakt und die Verkleinerung der
Struma ist derart, daß man jetzt in manchen Stellungen die Zeichnung
des Muskelreliefs erkennt.
Ich muß hinzufügen, daß die Frau nebenbei die Allgemeinbehandlung
(Hämatothyreoidin, salizylsaures Natron) nie unterbrochen hat und auf
meinen Rat sich noch einer (galvano-faradischen) elektrotherapeutischen
Behandlung, neben der Röntgenbehandlung, unterzieht.
Wenn ich eine Statistik der 30 Fälle, die ich behandelt habe. anstelle.
so gelange ich zu folgenden Resultaten:
Fälle, in denen keine Besserung erzielt wurde . . . 5 =
Fälle, in denen eine leichte Besserung erzielt wurde . 25 29
|
w
0.
Fälle, in denen die Besserung bedeutend und konstant war 20 = 66°,
Verminderung der nervösen Erregbarkeit und Verbesse-
rung des Allgemeinbefindens . . . . 2 2 2202020..20 = 66%
Verminderung der Tachykardie . . . . 2. 2. 2. . 18 = 60%
Verminderung der Struma . . . LO mw t e o ea,
Fast totales Verschwinden der Sirum ee er ee 9
Verminderung des Exophthalmus . . . 6 = 20°,
Ich mul) aber hinzufügen, daß die Fälle, bei welchen gar kein Erfolg
erzielt wurde, Basedow-artige einfache Strumen betrafen und diejenigen.
bei denen die Besserung von geringer Art waren, dem von Stern auf-
gestellten Typus der Basedowoide entsprachen.
Indikationen.
Die Resultate, die ich erzielt habe und welche übrigens mit den
bereits in der Literatur publizierten übereinstimmen. erlauben wenigstens
im allgemeinen Indikationen für diese Behandlung aufzustellen. Man
müßte allerdings über die verschiedenen Arten des Morbus Basedow
und besonders über die zwischen Krankheiten mit ähnlichem Verlauf be-
stehenden Unterschiede besser orientiert sein.
Ich will deshalb in ganz schematischer Weise die Hauptformen dieser
Erkrankung in 4 Gruppen einteilen.
ee oo nn u — $
ie
Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 573
Der am besten charakterisierte Typus ist derjenige, dem man den
Namen der Graves-Basedowschen Krankheit geben kann: er ist durch
ein schlechtes Allgemeinbefinden, durch eine permanente Tachykardie, einen
ganz besonderen nervösen Zustand und gewöhnlich durch eine Hyper-
trophie der Thyreoidea und Exophthalmus gekennzeichnet. Dieser klinische
Symptomenkomplex findet sich bei einer ganzen Gruppe von Affektionen,
welche mit Röntgenstrahlen behandelt werden können; sie haben ungefähr
in 50%, der Fälle Nutzen von derselben. Ist die Krankheit leicht, so
soll man mit einer medikamentösen oder hygienischen Behandlung beginnen.
Nur wenn die Besserung zu lange auf sich warten läßt, wird zur Röntgen-
therapie geschritten. Sind die Allgemeinsymptome schwerer Art, der Puls
sehr beschleunigt, so muß man von vornherein mit Röntgentherapie be-
ginnen, ohne aber die interne Behandlung zu vernachlässigen. Es ist
meiner Ansicht nach ein Fehler, zu lange mit der Röntgentherapie
zu warten, da die guten Resultate die Regel, die Mißerfolge die Aus-
nahme sind.
Die Operation kommt nur bei Versagen der physikalischen Therapie
in Betracht.
Die von Pierre Marie beschriebenen „Formes frustes“ sollen eben-
falls bestrahlt werden. Bei der Verschiedenheit der Fälle aber, welche in
dieser Gruppe vereinigt sind, sind die Erfolge variabel. Oft folgt eine
rasche Heilung wenigen Bestrahlungen, oft kommt ein Rezidiv nach einer
mehr oder minder langen Periode der Besserung. Es gibt auch Fälle,
die wenig oder gar nicht beeinflußt werden.
Der Beginn der physikalischen Behandlung hängt von der Schwere
der Symptome ab. Man hat aber alles Interesse, möglichst frühzeitig
zu beginnen.
Weniger in die Augen fallend und weniger konstant sind die Resultate,
wenn es sich um die Sternschen Basedowo de handelt, die ich mit Ledoux-
Lebard als ‚„pseudobasedowischen Symptomenkomplex‘ bezeichnen möchte.
Hier soll man zuerst mit der medikamentösen Therapie beginnen und die
Röntgentherapie hinzufügen. Dabei muß man sich aber wohl bewußt sein,
daß letztere zwar den Kranken bessern und sogar heilen kann, dal) sie
aber oft auch vollständig wirkungslos bleiben kann.
Es bleibt zuletzt noch eine letzte Gruppe, welche die einfachen Basedow-
artigen Strumen, die Neoplasmen der Schilddrüse und die zystischen Strumen
umfaßt, die mit Basedow-Symptomenkomplex einhergehen. Die Resultate
sind sehr verschieden und sehr inkonstant: beinahe alle Mißerfolge der
Methode betreffen Fälle, die dieser Kategorie angehören. Man kann die
Röntgentherapie noch versuchen, wenn das Allgemeinbefinden eine radikalere
Therapie aufzuschieben gestattet. Oft wird man zur chirurgischen Ent-
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 37
574 Belot, Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit.
fernung greifen müssen. Es ist dann gut, auf dieselbe eine Röntgen-
behandlung folgen zu lassen und Karl Beck hat sehr wohl gezeigt.
welchen Vorteil man aus dieser Kombination ziehen kann.
Schlußfolgerungen.
Bei der Ungefährlichkeit einer technisch gut ausgeführten Röntgen-
therapie und bei der guten Wirkung, welche sie auf die günstigen Fälle
ausübt, kann man sagen, daß sie beim Basedow schen Symptomenkomplex
angewendet werden soll. Wenn die Krankheit nicht von schweren Allgemein-
symptomen begleitet ist, vor allem, wenn es sich um eine „Forme fruste“
handelt, soll man zuerst eine medikamentöse und diätetische oder Elektro-
therapie beginnen. Tritt keine Besserung ein, so soll man zur Röntgen-
therapie greifen. Die Indikationen der neuen Methoden greifen also bei
den Mißerfolgen der gewöhnlichen Therapie an.
Zeigt die Krankheit von vornherein einen schweren Verlauf, so soll
die Röntgentherapie sofort angewendet werden zu gleicher Zeit mit den
anderen therapeutischen Hilfsmitteln. Die Röntgenstrahlen bilden keine
Kontraindikation für die allgemeine Therapie. In den schweren Fällen,
die der Röntgentherapie trotzen, muß man zur chirurgischen Behand-
lung greifen. Ä
Ich möchte noch auf die Tatsache hinweisen, daß ich immer mit
gutem Erfolg zwischen die Bestrahlungsserien eine elektrische Behandlung
einschaltete, welche in der Applikation des konstanten Stromes auf die
Schilddrüsengegend bestand. Ich kann die Kombination dieser beiden
Methoden nicht genug empfehlen.
Ich muß auch nochmals wiederholen, daß die Allgemeinbehandlung
nicht vernachlässigt werden darf. Man verabreicht die nötigen Medikamente,
gibt Douchen und hält den Kranken von Aufregungen und Überarbeitung
fern. Seine allgemeine Hygiene soll so vollkommen als möglich sein.
Ich schließe, indem ich wiederhole, daß die Röntgentherapie eine
mächtige Waffe gegen die Basedowschen Symptomenkomplexe bildet. In-
dem sie auf die Sekretion der Thyreoidea wirkt, vermindert sie und sistiert
sie die Bildung von toxischen Produkten, welche den Körper überschwemmen,
und die bei Wieser Erkrankung charakteristische Störungen hervorrufen.
Die Resultate, welche sie gibt, können, trotz der gegenteiligen Be-
hauptung einiger Autoren, den Vergleich mit allen anderen therapeutischen
Methoden, ja sogar der chirurgischen, aushalten.
Übersetzt von Dr. A. Gunsett-Straßburg i. E.
EEE fee A A E oa a mmea vrae
M D O O
Die Röntgentherapie der Ischias.')
Von
Dr. Delherm, Paris.
ie Röntgentherapie der Ischias ist nur ein Kapitel der Röntgentherapie
des Rückenmarks, welche ich mit Raymond für die Syringomyelie
und mit Babinski für die Paraplegien bearbeitet habe.
Im Oktober 1907 hatte ich Gelegenheit, einen Kranken zu behandeln,
der an Spondylose mit neuralgischen Schmerzen litt, die vor 7 Jahren be-
gonnen hatten und besonders heftig im Verlaufe des Nervus Ischiadicus
waren.
Der Kranke konnte seit zwei Jahren nur noch an Stöcken gehen,
der Rumpf war gebeugt, die Wirbelsäule steif, die Sehnenreflexe ziemlich
normal.
Auf die Bitte von Herrn Dr. Babinski behandelte ich den Kranken
mit Röntgenstrahlen und zwar vom 7. Oktober 1907 bis zum 24. Februar
1908. In dieser Zeit wurde die Wirbelgegend in ungefähr 22 Sitzungen
von jedesmal 10 Minuten Dauer bestrahlt. Die ganze zu bestrahlende
Gegend wurde in zwei Zonen geteilt und die Röhre so eingestellt, daß jede
Zone im Ganzen ungefähr 15 H sehr harter Strahlen erhielt. Schon nach
den ersten Sitzungen verminderten sich die Schmerzen; nach der achten
konnte der Patient ohne Stock gehen und seine Haltung wurde weniger
sebeugt. Am Schlusse der Behandlung konnte der Kranke wieder voll-
ständig aufrecht gehen, die Schmerzen im Verlauf des Ischiadicus hatten
aufgehört und er konnte ohne Stock und ohne Beschwerden einen Kilo-
meter gehen.
Als Babinski?) diese Krankengeschichte der Neurologischen Gesell-
schaft unterbreitete, drückte er sich folgendermaßen aus: „Ist das Ver-
schwinden der Spondylose und der mit ihr einhergehenden neuralgischen
Schmerzen ursächlich auf die Röntgentherapie zurückzuführen? Ich darf
es nicht behaupten, ich bin aber geneigt, es zu glauben.“ Dieser Autor
hatte sich seine Ansicht noch auf Grund einiger anderer nicht publizierter
Fälle gebildet, die in den Jahren 1906 und 1907 behandelt worden waren.
Ungefähr um dieselbe Zeit verzeichnete Freund ebenfalls die günstige
1) Vortrag, gehalten auf dem 4. internationalen Kongreß für Physiotherapie,
Berlin 1913.
23) Babinski, Revue neurologique, p. 262, séance de la Société de Neurologie,
den 5. März 1908.
378
576 Delherm,
Wirkung der Röntgenstrahlen bei schmerzhaften Erkrankungen des Ischia-
dicus.) Er publizierte vier mit Erfolg behandelte Fälle. Die Strahlen
waren auf die Synchondrosis sacro-iliaca und das Foramen ischiadicum ge-
richtet worden und zwar mit geringen Stromstärken und harten Röhren.
Babinski, Charpentier und Delherm veröffentlichten sodann vier
weitere Ischiasfälle.?)
Seitdem wurden noch Heilungen von Morat, Laquerritre und
Loubier sowie von anderen Autoren mitgeteilt, zuletzt noch von Zim-
mern und Cottenot, und ich selber habe ın der letzten Zeit 17 Fälle
behandelt. Vielleicht könnte man glauben, der rasche Erfolg der Röntgen-
therapie sei darauf zurückzuführen, daß es sich nicht um Ischias mit
organischer Nervenläsion handelte. Man kann aber nach Einsicht meiner
Krankengeschichten diese Hypothese nicht mehr aufrecht erhalten. Die
Kranken wurden aufs sorgfältigste untersucht und jede Fehlerquelle so
gut als möglich durch die gewöhnlichen Untersuchungsmethoden und be-
sonders durch die systematische Prüfung des Achillesreflexes ausgeschlossen.
Letzterer war
verstärkt: in einem Fall (mit epileptoidem Tremor),
vorhanden: in 4 Fällen,
vermindert oder ganz verschwunden: in 7 Fällen.
In zwei Krankengeschichten ist der Zustand des Reflexes nicht ver-
zeichnet.
Man weiß aber seit den Arbeiten von Babinski, daß die Änderungen
des Achillesreflexes immer auf eine anatomische Veränderung des Nerven
zurückzuführen sind.
Die Schwere einer Ischias hängt nicht nur von den Schmerzen ab.
die mit ihr einhergehen, sondern ebenso sehr von einer großen Anzalıl
konkomittierender Störungen wie Verkrümmung und Steifheit der Wirbel-
säule, besonders aber von der Widerstandsfähigkeit der Krankheit den ver-
schiedenen Behandlungsmethoden gegenüber.
Die Kranken, die ich behandelt habe, wurden den verschiedensten
teils pharmazeutischen, teils physikalischen Behandlungsmethoden unterworfen.
Im speziellen wurden bei Einzelnen Luftinjektionen und epidurale Kokain-
injektionen usw. vorgenommen, die zu keinem Resultate führten.
Was die Technik der Röntgenbehandlung anbetrifft, so wurden immer
kleine Dosen gewählt. Auf jede Region kamen 3 Bestrahlungen in Ab-
ständen von einer Woche. Dann ließ ich den Patienten 3 Wochen lang
in Ruhe. In jeder Serie von 3 Sitzungen bekam jede Region ungefähr
') Freund, Wiener klin. Wochenschr., Nr. 51, 1907.
2) Revue Neurologique, den 30. April 1911.
Die Röntgentherapie der Ischias. | 577
5 H. Die Strahlenstärke betrug 6—7 Benoist, die Filterdicke °/,, mm,
die parallele Funkenstrecke 10—12 cm bei einem Röhrenhautabstand von
25 bis 30 cm.
Die Bestrahlung wurde meistens in der Lumbalgegend vorgenommen,
dann auch an den Punkten, an denen der Ischiaticus sich der Haut nähert,
und an den verschiedenen Schmerzpunkten. Die Resultate sind aber nicht
besser und nicht schneller als wenn man nur die Lumbalgegend bestrahlt.
Erst wenn die Symptome nicht schnell genug zurückgehen, kann man ver-
suchen, auch im Verlaufe des Nerven zu bestrahlen.
In allen meinen Fällen kann man konstatieren, daß die Schmerzen
sehr schnell besser werden und zwar gleich nach den ersten Sitzungen.
Wenn der Kranke dann aussetzt, geht die Besserung, wenn sie einmal
eingesetzt hat, weiter. Im allgemeinen sind die Kranken nach der 6. oder
S. Sitzung bereits sehr gebessert.
Ich kann sogar behaupten, daß wenn die Besserung sich nicht schon
nach den ersten Sitzungen kundgibt, man auch von einer länger fort-
gesetzten Behandlung nichts zu erhoffen hat.
Zusammenfassung: Bei Versagen der gewöhnlichen und physikalischen
Behandlungsmethoden, insbesondere des galvanischen Stromes, der für mich
immer noch die Therapie der Wahl bei der gewöhnlichen Ischias darstellt,
kann man in der Röntgentherapie oft ein ganz gutes Hilfsmittel finden,
das besonders zu empfehlen ist, wenn die Ischias auf eine Kompression
der Wurzeln zurückzuführen ist.
Übersetzt von Dr. A. Gunsett-Straßburg i. E.
Einige neueste Angaben über die Anwendung der Radium-
emanation bei Gicht.!)
Von
Prof. Dr. med. et phil. P. G. Mesernitzky.
V den 158 Fällen von Gicht, bei denen ich die Radiumemanation an-
gewendet habe, sind bei weitem nicht alle in Heilung übergegangen.
Von Heilung rede ich nur dann, wenn bei purinfreier Kost die Harnsäure
aus dem Blute verschwunden, die Harnsäureausscheidung mit dem Harn
bei purinfreier Kost normal geworden ist und sowohl die subjektiven wie
auch objektiven Gichterscheinungen verschwunden sind. Vollständige Heilung
von Individuen mit Tophi habe ich kein einziges Mal beobachtet. Bisweilen
verringerten sich zwar die Tophi einigermaßen, aber von einem vollständigen
Verschwinden derselben konnte nicht die Rede sein, trotzdem sowohl der
endogene als auch der exogene Purinstoffwechsel normal wurde. Nur bei
Individuen, welche noch keine Tophi haben, kann man von Heilung sprechen.
da bei einigen derselben absolut sämtliche Gichterscheinungen verschwanden.
Als die beste Methode der Emanationseinführung betrachte ich die
innere, da sie hierbei die längste Zeit im Organismus verbleibt. Um ein
möglichst langes Verweilen der Emanation im Organismus zu erzielen, ver-
ordnete ich dieselbe 3—4 mal täglich nach der Nahrungsaufnahme in
Einzeldosen von je 10—25 Tausend Macheeinheiten täglich. Ich beginne
stets mit der Applikation von kleinen Dosen unter Überwachung des Harns
auf eventuellen Eiweißgehalt, da bisweilen Fälle vorkommen, in denen selbst
kleine Dosen Nebenwirkungen hervorrufen. Am ersten Tage verabreiche
ich 300—1000 Macheeinheiten, am zweiten bis 2000, am dritten bis 5000,
am vierten bis 10000. Wenn keine Nebenwirkungen beobachtet werden.
gehe ich rasch zu höheren Dosen über und steige in 3—4 Tagen bis zu
den oben angegebenen Zahlen. Reaktionsschmerzen werden nicht immer
beobachtet. Besonderes Interesse kommt der Tatsache zu, daB bei einer
Patientin in allen Gelenken Exazerbation der Schmerzen und Temperatur-
steigerung eintraten, wenn sie statt der Radiumemanation einfaches Wasser
zu sich nahm. Es handelte sich um eine hysterische Patientin mit
ı) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie.
Berlin 1913.
Mesernitzky, Angaben über die Anwendung der Radiumemanation. 579
außerordentlich festem Glauben an die mächtige Wirkung des Radiums.
Davon, daß sie statt Emanation einfaches Wasser bekam, hatte sie keine
Ahnung. Sie schien aber zu wissen, daß im Anfang der Behandlung mit
Emanation Exazerbationen der Schmerzen vorkommen.
Die Kur dauerte bei meinen Patienten 6—12 Wochen. Im Nach-
stehenden bringe ich die Ziffern, welche sowohl die klinisch als auch
ambulatorisch behandelten Kranken (sowie die Privatpatienten) umfaßt,
welche ich während meiner Tätigkeit in Deutschland, Frankreich und Ruß-
land beobachtet habe. Bei den ambulatorischen Patienten wurde das Blut
nach Rötlisberger, der Harn nach Krüger und Schmidt auf Harn-
säure und Purine untersucht.
Tabelle 1l.
Gesamtzahl der Kranken . . . 158 100 %
Vollständig geheilt (?). . . . 45 ungefähr 285%
Besserung bei . . .. .. 24 13,5 %
Unverändert . . . . . . . 69 43,5 %
Verschlimmerung . . . . . 28 14,5 %
Somit hat sich der Prozentsatz der Geheilten, der, wie ich schon
mehrere Male mich geäußert habe, 33 nicht übersteigt, auch an einem
großen Material als dieser Zahl nahe erwiesen — 28,5%. Ob und in-
wiefern die erzielten Resultate stabil sein werden, läßt sich schwer sagen.
Ich verfüge über 3 Fälle, in denen seit der Behandlung schon 2 Jahre
vergangen sind, ohne daß ein Rezidiv eingetreten ist, trotzdem die be-
treffenden Patienten sich mehrmals Diätfehler haben zuschulden kommen
lassen. Daß ein Rezidiv tatsächlich nicht vorhanden ist, wird nicht nur
durch die subjektive Besserung, sondern auch durch die objektive Unter-
suchung bestätigt.
Wodurch wäre nun der Erfolg der Behandlung zu erklären?
Die Theorie (von Gudzent) von der Wirkung des Radium-D wurde
durch eine Reihe Arbeiten widerlegt. Was mich betrifft, so habe ich im
Laboratorium von Mme. Curie in Paris irgend einen Einfluß des Radium-D
auf das Mononatriumurat gleichfalls nicht feststellen können, da dasselbe
sich als absolut unfähig erwiesen hat, unter dem Einflusse des Radium-D
in Lösung überzugehen.
Die ß- und y-Strahlen bleiben gleichfalls auf dieses Harnsäuresalz
ohne Wirkung. Wohl aber ist es von Interesse, daß die «-Strahlen, wie
ich im Laboratorium von Mme. Curie in Paris nachgewiesen habe, die
Auflösung und Spaltung des Mononatriumurat begünstigen. Als ich aber
auf Anraten von Roux in Petersburg Experimente unter der Bedingung
550 Mesernitzky,
der Sterilität anstellte, haben sich auch die «-Strahlen als wenig fähig er-
wiesen, das Harnsäuresalz unmittelbar in vitro zur Lösung zu bringen.
Die Experimente, welche ich mit dem umkristallisierten Salz, sowie
auch mit dem mir aus dem Wiener Pharmakologischen Institut übersandten
Mononatriumurat (mit demselben haben auch Knafl und Lenz gearbeitet
ausgeführt habe, haben ergeben, daß die Radiumemanation (bis 100 000
Macheeinheiten) in sterilem Milieu auf die Löslichkeit und Spaltbarkeit des
Mononatriumurat fast gar keinen Einfluß haben. Knafl und Lenz haben
dasselbe selbst für noch größere Emanationsquantitäten nachgewiesen.
Nun möchte ich einige Befunde aus meinen Experimenten an dieser
Stelle wiedergeben.
Nr. 1.
In der Lösung waren 0,187 g Mononatriumurat enthalten. Nach vier-
tägiger Wirkung der Emanation (ca. 100 000 Macheeinheiten) fanden sich
in der Lösung 0,149 g Mononatriumurat.
Nr. 2.
Vor der Wirkung der Emanation (ca. 100000 Macheeinheiten) be-
fanden sich in der Lösung 0,247 g, nach 5tiägiger Einwirkung 0.218 g
Mononatriumurat. Diese Experimente bestätigen in vollem Maße die An-
gaben von Lazarus und Knafl und Lenz. Es ist möglich, daß die
x-Strahlen in nicht sterilem Milieu die Schimmelpilze stimulieren, welche
unter dem Einflusse dieser Strahlen das Mononatriumurat rascher spalten
als olıne dieselben.
Da der Einfluß der Emanation auf Fermente gleichfalls noch nicht er-
wiesen ist, so mul} man inbezug auf die Erklärung des therapeutischen
Effektes, der bei der Behandlung der Gicht mit Radiumemanation be-
obachtet wird, vorläufig noch sehr vorsichtig zu Werke gehen.
Tatsache bleibt aber Tatsache. Auf den Purinstoffwechsel übt die
Emanation, wie es mir gemeinsam mit Kemen nachzuweisen gelungen ist,
und wie dieses später von Kikkoj und von anderen bestätigt wurde, un-
bedingt einen Einfluß aus. Außerdem wird ein gewisser Prozentsatz der
Podagriker unter dem Einflusse der Emanation augenscheinlich geheilt.
Literatur.
1. Mesernitzky. Das Radium in der medizinischen Klinik. Monographie,
St. Petersburg, 1912,
2, Mesernitzky. Über die Schädigung des Organismus durch hohe Dosen von
Radiumemanation. Archiv für physikalische Medizin, 1911, Bd. VI, H.1.
3. Mesernitzky. Radiumemanation und Gicht. Russki Wratsch, 1910, Nr. 51.
4. Mesernitzky. Contribution à l’etude de la decomposition de l’acide urique
par l'action de l’emanation du radium. Comiptes rendus de l’Acad. des
sciences, stance 15 mars 1912.
10.
11.
Angaben über die Anwendung der Radiumemanation bei Gicht. 581
. Mesernitzky. Contribution à létude de décomposition des purines par
l’action de l’emanation du radium. Le Radium, 1912, avril.
. Mesernitzky. Über den zerstörenden Einfluß der Radiumemanation auf die
Haut. Münchener medizinische Wochenschrift, 1912, Nr. 6.
. Mesernitzky und Kemen. Über Purinstoffwechsel bei Gichtkranken unter
Radiumemanationsbehandlung. Vortrag auf dem Internationalen Kongreß
in Brüssel 1910. Therapie der Gegenwart, November 1910.
. Mesernitzky. Die Zersetzung von Oxypurinen durch Radiumemanation.
Zentralblatt für innere Medizin, 1912, Nr. 23.
. Mesernitzky. Neue Untersuchungen mit der Radiumemanation. Deutsche
medizinische Wochenschrift, 1912, Nr. 2b.
Mesernitzky. Vortrag auf dem Internationalen Kongreß für Radiologie zu
Prag, Oktober 1912.
Mesernitzky. Vortrag auf dem russischen med. Kongreß für innere Medizin
zu Kiew, Januar 1913.
Über die direkte Behandlung von Augenerkrankungen
mit Radium und Mesothorium.
Von
Professor Dr. W. Koster, Leiden (Holland).
m Jahre 1905 begann ich einige Erkrankungen des Auges mit Radium-
strahlen zu behandeln. Seitdem haben meine Kenntnisse betreffs der
Indikationen zur Anwendung dieses Heilmittels nur sehr allmählich zu-
genommen. Da die Mitteilungen über diesen Gegenstand von anderer
Seite nur sehr spärlich waren, mußte ich mir meinen Weg fast ganz allein
suchen und erst im Jahre 1911 war ich in der Lage, die Erfolge dieser
Behandlungsweise bei verschiedenen Erkrankungen des Auges zusammen
mit meinem Assistenten Dr. J. G. Cath zu veröffentlichen. Diese erste
Veröffentlichung erschien auf Holländisch (Nederlandsch Tijdschrift voor
Geneeskunde: II, 829—1911); seitdem habe ich vielen Augenärzten
mannigfache Auskunft über Einzelheiten dieses Gegenstandes teils brieflich.
teils mündlich gegeben. Ich fand jedoch, daß außerhalb Hollands die
Radiumbehandlung des Auges nur geringe Fortschritte machte, wenigstens
soweit ich es nach der Literatur oder nach Mitteilungen der Augenärzte.
mit denen ich in Berührung kam, beurteilen konnte. Aus diesem Grunde.
aber auch, weil ich bis zu einem gewissen Grade meine Anwendungs-
weise geändert habe und weil die Indikationen sich für mich beträchtlich
erweitert haben, nehme ich die Gelegenheit wahr, auf diesem Kongreß
über meine neuesten Erfahrungen bei der Behandlung des Auges mit
Radium und ebenso mit Mesothorium zu berichten.
Es ist nicht leicht, hinsichtlich der Wirkung der Radium- und Meso-
thoriumbehandlung zu einer allgemeinen Übereinstimmung zu kommen,
weil es zunächst einmal so schwer ist, die Aktivität der angewandten
strahlenden Salze festzustellen. In einigen Fällen, wo andere, die nach
meiner Methode behandelten, über geringe Erfolge klagten, konnte ich
durch Vergleich mit dem meinigen zeigen, daß das von ihnen verwandte
Salz nicht kräftig genug war. Und doch war das ihrige von gewissenhaften
Sachverständigen geprüft und bescheinigt. Deshalb lasse ich, wenn ich
eine neue Menge Radium oder Mesothorium in Gebrauch nehme, es nicht
in der gewöhnlichen Weise hinsichtlich der Stärke der y-Strahlen allein
prüfen, sondern ich vergleiche seinen Einfluß auf das Elektroskop bei ver-
schiedenen Entfernungen (ohne Zwischenschaltung eines Bleifilters) mit dem
einer Menge, welche ich bereits mit gutem Erfolge angewandt habe; dann
Koster, Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium usw. 583
vergleiche ich ferner die beiden in ihrer Wirkung auf die menschliche
Haut, die photographische Platte, die Schirme aus Zinksulfat und Platin-
zyanür, und ebenso in ihrer fluoreszierenden Kraft auf mein eigenes Auge.
Wenn nur wenig Unterschied zwischen beiden in all diesen Punkten
besteht, so kann man annehmen, daß die Substanz sich zum Gebrauch
eignet.
Die nächste Schwierigkeit ist die, zu entscheiden, welches die beste
Anwendungsweise des Radiums ist. Zum Beispiel ist es von großer Be-
deutung, welche der drei folgenden Methoden angewandt wird: erstens, ob
das Salz in ein Pflaster von demselben Umfang wie die zu behandelnde
Partie eingebettet ist und so aufgelegt wird, oder zweitens, ob es in einer
Glas- oder Platinröhre enthalten ist und angewendet wird durch Hin- und
Herbewegen über der erkrankten Partie, oder drittens, ob es flach hinter
eine Lage von Glimmer in eine kleine Kapsel gepreßt ist und für eine
bestimmte Zeit mit Pflaster auf einer Stelle befestigt wird. Es besteht
unter den Radiologen die Neigung anzunehmen, dab es, um einen be-
stimmten Erfolg zu erzielen, ausreichend ist, eine bestimmte Anzahl von
Milligramm-Stunden zu verwenden, das heißt also, das Gewicht des benutz-
ten Salzes mit der Zeit seiner Einwirkung zu multiplizieren; ich habe aber
die Überzeugung, daß dem nicht so ist, sondern daß die Wirkung sicher-
lich auch von der Art und Weise der Anwendung der strahlenden Sub-
stanz abhängig ist. Zum Beispiel: wenn ein Quadratzentimeter normaler
Haut eine Viertelstunde lang mit vier Milligramm Mesothorium entweder
in einer Glasröhre, wie bei der zweiten oben beschriebenen Methode, oder
andererseits mit derselben Dosis in einer kleinen Kapsel, wie an dritter
Stelle angegeben, behandelt wird, so wird man finden, daß die Haut in
dem letzteren Fall sehr erheblich gerötet wird, während sie in dem ersteren
nur eine sehr geringe Veränderung zeigt, obgleich die wirksame Kraft in
beiden Fällen die gleiche ist. Um ferner ein Beispiel anzuführen, wo die
Wirksamkeit genau die entgegengesetzte ist, so fand ich, daß die bewegte
Röhre nach einstündiger Behandlung eine beträchtliche Veränderung bei
einem Epitheliom bewirkte, wohingegen die feststehende Kapsel nach der-
selben Dauer der Behandlung auf eine ähnliche Partie der Geschwulst keine
sichtbare Wirkung ausübte. Es ist natürlich schwer, diese Dinge mit
Sicherheit zu beweisen, aber diese Erfahrungen habe ich gemacht, und ich
würde es für merkwürdig halten, wenn bewiesen werden sollte, dal es sich
anders verhält. Es ist natürlich ein großer Unterschied, ob eine kleine
Stelle auf einmal, wenn auch nur für einen Augenblick, der ganzen strah-
lenden Kraft ausgesetzt wird, oder ob man eine hundertmal kleinere Kraft
hundertmal länger auf denselben Punkt wirken läßt. Obgleich wir tatsäclı-
lich noch nicht wissen, worin die Wirksamkeit des Radiums auf die Gewebe
584 Koster,
besteht, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß es dies mit allen anderen
chemischen und physikalischen Kräften gemeinsam hat.
Ein dritter Grund, weshalb eine Meinungsverschiedenheit über die
Erfolge der Behandlung bestehen mag, findet seinen Ursprung in der
großen Schwierigkeit, sie auf das Auge anzuwenden. Die Hauptsache ist,
daß das Salz in möglichst nahe Berührung mit den zu behandelnden
Teilen gebracht wird, und zweitens ist es in den meisten Fällen unbedingt
notwendig, das Radium für eine beträchtliche Zeit in einer Sitzung, d.h.
gemeinhin für eine volle Stunde, mit der Hand zu applizieren. Dies ist
für den Operateur sehr anstrengend und ermüdend, denn wenn es nicht
gewissenhaft durchgeführt wird, so bleibt der Erfolg aus oder ist unbe-
friedigend. Aus diesen drei Gründen ist es zweifellos schwer, die Mit-
teilungen von Mitarbeitern zu beurteilen, und es folgt daraus, daß, wenn
eine erfolgreiche Methode der Anwendung festgelegt ist, es ratsam ist. so
genau wie möglich die Bedingungen dieser Behandlung nachzumachen.
Deshalb beabsichtige ich, in diesem Vortrage hauptsächlich meine eigenen
Erfahrungen wiederzugeben und nur wenig Zeit auf die negativen Re-
sultate, die hier und dort über ähnliche Fälle wie die meinen veröffentlicht
sind, zu verwenden.
Um nun zu dem eigentlichen Gegenstande zu kommen, so bin ich in
der Lage festzustellen, daß ich in den letzten zwei Jahren ebenso be-
friedigende Erfolge mit Mesothorium -Knöfler (von Hillengenberg-
Amsterdam) wie mit Radium erzielt habe. In den ersten Jahren benutzte
ich beide, eine kleine Ebenholzkapsel mit 5 Milligramm Radiumbromid,
lach hinter eine dünne Lage von Glimmer gepreßt, und die gleiche
Menge von Radium in einem kleinen Glasröhrchen; die Kapsel wurde
mit Pflaster auf die weit geöffneten Augenlider befestigt und berührte
fast den Augapfel. In letzter Zeit habe ich diese Anwendungsweise fast
aufgegeben und ziehe es vor, statt dessen das Glasröhrchen zu benutzen.
welches entweder 5 mg Radiumbromid oder 4 mg Mesothorium enthält.
Die Kraft des Radiums scheint 2 mg Normalradium zu entsprechen,
während die 4 mg Mesotliorium derselben Menge der festgesetzten Normal-
substanz gleich sind. Die Kapseln mit Radium sowohl wie die mit Meso-
thorium benutze ich jetzt hauptsächlich für Affektionen der Augenlider
und der Umgebung des Auges, obwohl die Glasröhrchen ebenfalls hierbei
angewendet werden können. Diese Röhrchen sind aus Thermometerglas
gemacht, mit einer lichten Weite von etwa 1 mm und einem äußeren
Durchmesser von etwa 3 mm. An ihrem Ende ist eine kleine Erweite-
rung ausgeblasen, mit einem etwas geringeren Durchmesser als der des
Röhrchens und einer Glasdicke von etwa 1/,, bis !/i mm. Die Dicke
kann durch Messen mit einem geraden Draht und ebenso dadurch, dal)
Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 585
man das Röhrchen gegen das Licht hält, geschätzt werden. Die Stärke
des Glases wird geprüft, indem man es zwischen Finger und Daumen
drückt. Wenn das strahlende Salz hineingetan ist, so wird ein kleines
Stück Kork durch das Röhrchen bis zur Öffnung der Erweiterung durch-
geschoben. Durch leichtes Klopfen des Röhrchens sammelt sich das Salz
in dem unteren Teil der Erweiterung, und da es etwas an dem Glase
haften bleibt, wird der Inhalt durch vorsichtiges Drehen des Röhrchens bis
an die Spitze gebracht; dies ist von großer Wichtigkeit, weil wir dadurch
ın der Lage sind, das Röhrchen an den tieferen Teilen des Augapfels an-
zuwenden und nur die Dicke des Glases zwischen dem erkrankten Teil und
dem Radium haben.
Das Glasröhrchen ist 4 cm lang und hat nahe dem Ende einen Teil,
welcher etwas dünner ist, so daß man einen Seidenfaden herumschlingen
kann, zu dem Zwecke, das Radiumröhrchen sicher zu halten, wenn es für
andere Zwecke benutzt wird, wie z. B. in Fisteln, im Oesophagus usw.
Das Ende des Glasröhrchens wird dadurch geschlossen, daß man es mit
etwas Sıiegellack füllt; so ist es möglich, es zu desinfizieren, indem man
es in eine 5 proz. Karbolsäurelösung oder irgendein anderes Desinfiziens
legt. Wenn das Glasröhrchen am Auge benutzt wird, so wird es durch ein
lünnes Metallröhrchen gehalten, welches leicht daran angebracht werden kann.
Folgende Krankheiten wurden behandelt:
I. Keratitis parenchymatosa. a) Keratitis parenchymatosa
tuberculosa. Die Diagnose dieser Fälle wurde entweder nur klinisch
gestellt, oder bestätigt durch tuberkulöse Entzündung an anderen Teilen
des Auges oder des Körpers. Im letzten oder in den beiden letzten Jahren
wurde die Behandlung hier meist mittels des Radium- oder Mesothorium-
(Glasröhrchens angeordnet, da die Wirksamkeit hiermit gleichmäßiger über
die ergriffenen Teile verteilt werden kann als mit der Ebenholzkapsel.
Die Augenlider wurden so weit wie möglich mit dem vierten und dem
kleinen Finger offen gehalten, um zu vermeiden, den Zeigefinger und Dau-
men zu exponieren. Bei sehr empfindlichen Leuten wird zuweilen ein
kleines Spekulum benutzt, welches dem Patienten gestattet, das Auge in
Zwischenräumen zu schließen. Eine Behandlung von 5 bis 10 Sitzungen
von einer halben bis zu einer Stunde Dauer ist nötig, mit Zwischenräumen
von 3, 5 oder 7 Tagen, je nach dem Abklingen der leichten Reizerschei-
nungen. Weder Kokain noch irgendein anderes Anästhetikum wird an-
gewandt. Die Cornea wird nicht eigentlich berührt, aber nahezu. Wenn
Eruptionen an anderen Teilen der Cornea auftreten, so kann eine neue
Reihe von 5 Sitzungen nach einem Monat etwa folgen. Wenn der Hei-
lungsvorgang im Fortschreiten ist, darf er nicht durch weitere Radium-
behandlung gestört werden. Es besteht kein Bedenken, den Patienten
586 Koster,
gleichzeitig mit Tuberkulin zu behandeln. Die Erfolge in diesen Fällen
sind außerordentlich günstige gewesen. Viele Heilungen sind erzielt wor-
den, wo alle anderen Methoden versagt oder nur zeitweilig geholfen hatten.
Radiumreaktion der Lider verursacht hier oft Lichtscheu und Konjunk-
tivitis der Lidründer. Dies braucht erst mehrere Wochen nach der letzten
Bestrahlung aufzutreten; obgleich es etwas lästig sein mag, so ist es doch
niemals wirklich schädlich für das Auge.
b) Keratitis parenchymatosa scrophulosa. Obgleich die Behandlung
dieser Fälle nicht so leicht ist wie die der vorhergehenden wegen der sehr
starken Lichtscheu und des Tränenträufelns, so ist der Erfolg doch genau
so gut. Die Behandlung der Skrophulose kann gleichzeitig in der gewöhn-
lichen Weise fortgesetzt werden.
c) Keratitis parenchymatosa diffusa (luetica). Es ist klar, daß in
Fällen dieser Art die Behandlung der Lues vorher oder wenigstens gleich-
zeitig mit der Radiumbehandlung ausgeführt werden muß. Jedoch in
einigen wenigen Fällen war dies nicht möglich, und Radium allein wurde
versucht. Der Erfolg war dann nicht so günstig, da die Erkrankung nicht
völlig ausheilte, obgleich eine beträchtliche Besserung eintrat. Wenn die
Syphilis gleichzeitig behandelt wurde, so kürzte das Radium oder Meso-
thorium den AufhellungsprozeßB in der Cornea entschieden ab. Ebenso
gaben in solchen Fällen, in denen die Aufhellung zum Stillstand gekommen
war und noch eine trübe Cornea zurückblieb, wiederholte Radiumbehand-
lungen in langen Zwischenräumen von ein oder zwei Wochen meist eine
merkliche Besserung des Sehvermögens. Es dauert in der Regel einige
Monate, bis der Erfolg erreicht wird; da aber die Radiumbehandlung oft
die deutlichste Veränderung in dem Zustand herbeiführte, so bin ich über-
zeugt, daß der Erfolg auf diesen Einfluß allein zurückzuführen war.
U. Nebulae, Maculae und Leucomata corneae. Bei Fällen
dieser Art ist natürlich die Erwägung von größter Wichtigkeit, ob eine
Verbesserung der Durchsichtigkeit voraussichtlich das Sehvermögen bessern
wird. Die Untersuchung mittels des Keratoskopes von Placido erfüllt
diesen Zweck am besten. Bei Leukomen, wo das Sehvermögen fast bis
auf Lichtempfindung reduziert ist, ist die Frage natürlich nicht so heikel.
Bei Nebulae und Maculae ist der Erfolg der Behandlung mit den Ra-
dium- oder Mesothoriumröhrchen, von einer halben bis zu einer Stunde
Dauer, wobei die Cornea fast berührt wird, und die zwei oder drei Mal
mit einigen Tagen Zwischenraum wiederholt wird, in den meisten Fällen
günstig und in einigen Fällen auffällig. Selbst wenn der gute Erfolg sich
nicht äußerlich zeigen läßt, wird er doch von dem Patienten empfunden.
Ein vollständiges Verschwinden einer Macula habe ich bis jetzt noch nicht
bemerkt, aber die Durchsichtigkeit nimmt erheblich zu, die Oberfläche
Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 587
wird weniger unregelmäßig und der Fleck wird entschieden kleiner. In
einigen Fällen scheint es, als wenn der Ton der Macula nach einigen
Wochen wieder etwas dunkler wird, aber das Endresultat ist eine Besserung.
Bei der Behandlung der Leukome kam ich zu demselben Schluß; doch
dla eine kleine Besserung der Durchsichtigkeit oder besser der Dichtigkeit
der Trübung oft keinen Einfluß auf das Sehvermögen hat, so ist der prak-
tische Erfolg hier oft gering. Doch der Versuch schadet nichts; mit 5
Sitzungen von einer Stunde, mit dem 4 mg- Mesothoriumröhrchen, das
nahezu oder wirklich den Augapfel berührt, wird es dem ÖOperateur klar,
ob ein geringer oder ein großer Erfolg erreicht werden wird; denn in einer
kleinen Zahl von Fällen kann man eine erstaunlich gute Wirkung ver-
zeichnen. Ich habe einen Fall gesehen, wo ein 60 jähriger Mann, der
praktisch blind war und von seiner Frau geführt werden mußte, nach 14
Tagen allein gehen konnte und 3 Monate später leicht die Zeitung lesen
konnte, und der auch jetzt noch nach einigen Jahren dazu fähig ist. Dies
war ein Fall von Leukom nach Keratitis tuberculosa, welche das Auge vor
Jahren ergriffen hatte.
Es besteht somit offenbar ein großer Unterschied in der Natur der
Leukome, welcher die Tatsache erklärt, daß in einigen Fällen die milchige
Cornea — in wenigen Wochen — so durchsichtig wird, daß sie die Pupille
wieder deutlich erkennen läßt, während in anderen Fällen die Trübung
zweifellos ein anderes Aussehen zeigt, aber doch nicht einen Grad von
Durchsichtigkeit erreicht, der ein besseres Sehvermögen gewährleistet. Und
doch wird auch in diesen Fällen das Leukom im ganzen kleiner, und wenn
ein schmaler Rand klarer Cornea darum herum vorhanden ist, so wird er
entschieden breiter, und bei Mydriasis mag ein etwas besseres Sehvermögen
erreicht werden. Ich kann nicht sagen, welche Form des Leukoms sich
wahrscheinlich aufhellt; die nach Keratitis gonorrhoica hatten keine große
Neigung dazu; der Eindruck, den ich erhielt, war der, daß sofern das
Leukom hauptsächlich aus fibprösem Narbengewebe besteht, es wahrschein-
lich unter der Behandlung schrumpft; wenn aber Niederschläge exsudativer
Natur darin enthalten sind oder wenn.es gar bis zu einem gewissen Grade
als eine latente Keratitis angesehen werden muß, so ist der Einfluß der
Behandlung sehr wirksam. Doch wie ich bereits gesagt habe, kann man
keinen Schaden anrichten, wenn man die Strahlen bei allen versucht.
III. Scleritis. Bei dieser Affektion kam ich zu demselben Schluß
wie bei der Behandlung der Keratitis. Natürlich wurde, wenn die allge-
meine Ursache der Erkrankung bekannt war, diese gleichzeitig behandelt,
und in den meisten Fällen war dies tatsächlich geschehen, bevor die Ra-
diumbehandlung angewandt wurde. Die Erfolge waren sehr günstig, be-
sonders bei den tuberkulösen Erkrankungen, selbst bei der mehr akuten
5858 Koster,
pustulösen, konfluierenden Form. Die chronischen Formen zeigen aber
doch eine größere Neigung rasch zu heilen. Sitzungen von längerer Dauer
sollten hier angewandt werden, und mit kürzeren Zwischenräumen, als bei
Keratitis; das Mesothoriumröhrchen wird in direkte Berührung mit dem
erkrankten Teil gebracht und die ganze Zeit sanft darüber bewegt. In
der Regel bringe ich hier das Röhrchen unter dem Lid an, um die Haut-
reaktion zu vermeiden, da die Bindehaut die Strahlen viel besser verträgt.
Doch kann eine Radiumreaktion trotzdem auftreten, und dann muß man
eine Pause in der Behandlung eintreten lassen. Anästhetica werden nicht
benutzt; die Strahlen machen die Konjunktiva bis zu einem gewissen
Grade gefühllos.
IV. Iritis und Irido-cyclitis. Hier sollte wiederum die Allge-
meinbehandlung in erster Linie beachtet werden. Es besteht keine Kon-
traindıkation gegen irgendein Medikament, obgleich in einigen wenigen
Fällen es den Anschein hatte, als ob Jodismus der Konjunktiva leichter
hervorgerufen würde. Was die verschiedenen Formen der lIritis betrifft.
so zeigt der ausgedehnte akute, konfluierende, tuberkulöse Knoten die ge-
ringste Neigung zur Heilung, besonders wenn der Patient andere derartige
Erscheinungen in den Knochen, den Gelenken oder der Haut aufweist.
Es ist aber doch entschieden ein guter Einfluß vorhanden, und ich habe
große Knoten, die lange mit anderen Methoden, aber ohne Erfolg, be-
handelt worden waren, gänzlich verschwinden sehen, und zwar mit glänzen-
dem Ergebnis für das Auge. Die chronischen Formen der tuberkulösen
Iritis nodosa werden sofort durch die Radiumstrahlen günstig beeinflußt.
Ich bringe das Glasröhrchen hier während der einen Hälfte der Sitzung
an dem ziliaren Teil der Sklera an, selbst wenn hier keine Cyclitis vor-
handen ist, und während der anderen Hälfte über dem erkrankten Teil
der Iris, fast in Berührung mit der Cornea. Auch hier wiederum sind
keine Anästhetika erforderlich. Sitzungen von einer ganzen Stunde, mit
Zwischenräumen von 2 bis 7 Tagen, sind in der Regel nötig. Wenn die
Iridektomie nötig scheint, so wird sie möglichst lange hinausgeschoben:
bisweilen sah ich Synechien verschwinden. Einige Patienten leiden (etwa
von der vierten oder fünften Bestrahlung an) während der Behandlung
und noch einige Tage später an Lichtscheu; dies scheint eine Radiun-
reaktion der Iris zu sein; sie geht ohne Schaden für das Sehvermögen
vorüber. Ich habe viele Fälle jener sehr chronischen, sogenannten idio-
pathischen Form der Iridocyclitis auf beiden Augen bei Frauen von etwa
50 Jahren (aber auch bei erheblich jüngeren) behandelt und war mit den
Resultaten schr zufrieden; hier hält selten irgendeine andere Behand-
lungsart die Erkrankung auf; unter Radiumstrahlen wird das Sehen klarer,
die Lichtscheu schwindet, und obgleich natürlich ein gut Teil der durch
Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 589
die Krankheit gesetzten Zerstörung nicht rückgängig gemacht werden kann,
so kehren doch sehr oft stark ergriffene Augen zu einem sehr befriedigen-
den Gesundheitszustand zurück. In der Regel geben 5 Sitzungen von
einer Stunde auf jeder Seite einen guten Erfolg; wenn nötig, kann man
darauf nach einigen Monaten 2 oder 3 weitere Sitzungen folgen lassen.
Ich verordne diesen Patienten gleichzeitig 25—50 mg protojodureti hydrar-
gyri täglich innerlich.
V. Chorioiditis und Myopia gravis. Da diese Erkrankungen
Affektionen der Uvea und der Sklera sind, werden sie in derselben Weise
durch die Radiumstrahlen günstig beeinflußt. Ich darf sagen, daß in jedem
Falle, wo die ätiologische oder empirische Behandlung nicht sehr bald zur
Heilung führt, die Anwendung des Mesothorium- oder Radiumglasröhrchens
der Medikation hinzugefügt werden muß. Dies geschieht dadurch, dab
man das Röhrchen unter das Lid (wieder ohne irgendein Anästhetikum)
bringt und es langsam und sanft über die Sklera hin bewegt, erst gegen den
Zuliarkörper und dann zurück so tief wie möglich in den Konjunktivalsack,
weit nach links und nach rechts, während der Patient stetig geradeaus
sieht. Selbst bei nervösen Patienten kann man dies leicht ausführen,
wenn der Arzt hinter dem Patienten. steht, der auf einem niedrigen be-
quemen Stuhl sitzt. Meine ersten Fälle behandelte ich, indem ich das
Lid hob und den Patienten nach unten sehen ließ; ich hing die Radium-
kapsel mittels Pflaster unmittelbar vor dem Augapfel auf, für den unteren
Teil und die Seiten in entsprechender Weise; aber ich ziehe es jetzt vor,
ddas Glasröhrchen direkt an die Sklera anzulegen.
Nur ein Fall von mehr akuter Chorioiditis centralis, ohne
Myopie und unbekannten Ursprunges, wurde behandelt; der Erfolg war
sehr gut, aber es ist nicht absolut sicher, daß die Wirkung allein dem
Radium zuzuschreiben war, obgleich ich selbst die Überzeugung habe, daß
es so war. Bei der chronischen Form der zentralen Chorioiditis, be-
sonders mit fortschreitender Myopie, war die gute Wirkung klar. Doch
nur in extremen Fällen sind die Patienten bereit, sich dieser Behandlung
zu unterziehen, so, wenn sie an Metainorphopsie, schwerer Photopsie und
zentralem Skotom leiden: niemand wird erwarten, daß die Radiumbehandlung
fähig ist, diesen entarteten Augen wieder volle Sehkraft zu verleihen; die
Erfolge waren aber doch manchmal überraschend gut, da der Patient seine
Beschwerden los wurde und fähig war, wieder seine Arbeit zu tun, dank
der Besserung seines Sehvermögens. Auch hier ist es nicht möglich, im
Voraus zu sagen, wie groß die Besserung sein mag, aber es kann kein
Schaden durch eine Mesotlioriumanwendung von 3 bis 5 Stunden, und später
auch länger, angerichtet werden. Einige dieser Patienten machten auf
meinen Rat auch eine Behandlung in einem Emanatorium durch oder
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 38
590 Koster,
machten eine Emanationstrinkkur, aber ich konnte nicht sehen, daß es
einen merkbaren Einfluß hatte. Es besteht jedoch sicherlich kein Bedenken.
dies ebenfalls neben der lokalen Behandlung zu versuchen.
Vielleicht würde, wenn wir den Augenhintergrund erreichen könnten.
der Erfolg noch besser sein; nichtsdestoweniger sind die oben beschriebenen
Erfolge der Radiumbehandlung etwas, wofür wir in solch hoffnungslosen
Fällen dankbar sein können. Nur ein Fall der langsam fortschreitenden
Chorioiditis disseminata wurde von mir behandelt, aber hier ist es
sehr schwer, den Einfluß festzustellen; doch scheint seit der Behandlung
die Krankheit nahezu zum Stillstand gebracht zu sein. Bei der chronischen
Chorioiditis diffusa mit Gesichtsfeldeinschränkung bringt die Be-
handlung oft eine sehr große Besserung, da sich das Gesichtsfeld erweitert
und das Sehvermögen durch die Zunahme der Durchsichtigkeit des Glas-
körpers besser wird. In den späteren Stadien, wenn die Entartung der
Retina sich entwickelt hat, zusammen mit all den Pigmentveränderungen
in der Chorioidea, kann man eine wesentliche Besserung kaum erwarten;
doch auch hier schadet ein Versuch nichts, und oft mag man, wenn keinen
objektiven, so doch einen subjektiven Erfolg erzielen; dies zeigt in der
Regel, vermute ich, eine Besserung der Zirkulation der Choriocapillaris
und der Retinagefäße an, und somit eine Hebung der Lichtempfindung.
Es bedarf kaum der Erwähnung, daß bei dieser Entzündung eine spezifische
Behandlung der Anwendung der Strahlen vorausgehen sollte. Die um-
schriebene tuberkulöse Chorioiditis eignet sich für die Anwendung
des Radiums, wenn die intraokulare Exudation nicht zu ausgedehnt ist
und besonders, wenn sie sich im vorderen Teil des Auges findet und
Neigung zeigt, die Sklera zu ergreifen. Ich habe sie mit glänzendem Er-
folge für den Augapfel verschwinden sehen in einigen Fällen, wo die
Tuberkulinbehandlung zuerst einen heilenden Einfluß hatte, wo aber ein
Rückfall auftrat, den ich nicht zum Stillstand zu bringen vermochte. Wenn
die Exudation so weit gegangen war, dal) sie fast den ganzen Glaskörper
anfüllte, während das Auge erblindet war und Phthisis bulbi eingesetzt hatte,
so vermochte die Behandlung mit dem 4 mg Mesothoriumröhrchen nicht,
den tuberkulösen Eiter zur Einschmelzung zu bringen. Hier handelt es
sich natürlich nur darum, das Auge vom kosmetischen Standpunkt aus zu
retten. Ich bin kein Verteidiger der Enukleation in diesen Fällen.
VI. Ablatio retinae traumatica und post chorioiditidem.
In einigen Fällen der ersten Form, wo die Ablösung die Folge einer
Kontusion des Auges war, welche sich vor Jahren ereignet hatte, schien
der phthisische Bulbus nicht die geringste Besserung durch die Radium-
behandlung zu erfahren. Sie schadete nichts, wenn sie auch in einem
Falle, wo alle anderen Mittel erfolglos versucht waren und das Sehvermögen
Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 591
rapide abnahm, nicht den fast vollständigen Verlust des Sehvermögens auf-
hielt. Bei der zweiten, symptomatischen Form konnte man ebenfalls nur
einen sehr geringen Einfluß auf den Umfang der abgelösten Stelle sehen;
doch zeigte in lange bestehenden Fällen das zentrale Sehen sehr oft eine
Besserung, die dem Einfluß auf die ursprüngliche Chorioiditis zuzuschreiben
war. Und oft veranlaßte diese geringe Besserung den Patienten, sein an-
deres Auge, das ebenfalls an progressiver Myopie oder Chorioiditis litt,
mit Radium behandeln zu lassen, und im allgemeinen mit zweifellosem
Erfolge.
VII. Retinitis pigmentosa; Chorioretinitis und Hemera-
lopia congenita. Ich habe im ganzen 10 Fälle der ersten Erkrankung
behandelt: 2 wurden nicht sehr weit gefördert; der Einfluß von 5 Be-
strahlungen von einer Stunde Dauer mit dem Mesothoriumröhrchen auf
der Sklera unter den Lidern war deutlich, aber nicht sehr auffallend. Es
schien nur ein geringer Unterschied in der Hemeralopie vorhanden zu sein;
der Augenhintergrund zeigte keine Veränderung in der Pigmentierung. Da
dieses zwei langsam fortschreitende Fälle waren, ist es noch zu früh, um
über die Ausdehnung der Besserung ein Urteil zu fällen. Bei 5 mäßig
schweren Fällen sah ich keine Besserung, weder in der Hemeralopie noch
in dem zentralen Sehen, vielleicht aber eine geringe Erweiterung des Ge-
sichtsfeldes. Bei 3 sehr schweren Fällen, von denen 2 nur ein geringes
zentrales Sehen und kein Gesichtsfeld hatten und der andere nur eine
geringe Pupillenreaktion auf einem Auge bei vollständiger Blindheit, war
der Einfluß ebenfalls sehr zweifelhaft; nach der Behandlung war in den
ersten beiden Fällen geringe Lichtempfindung und Bewegung im unteren
Teil des Gesichtsfeldes zu bemerken; sie klagten etwa 6 Monate später,
daß sie eine Art Leuchten oder hellen Schleier siihen; dies war offenbar
Photopsie, und ich hoffte, daß dies vielleicht der Anfang einer Besserung
sein möchte, aber obgleich die Papille entschieden weniger blaß war und
die Retinagefüße besser sichtbar waren, so trat doch keine bessere Funk-
tion ein. Auch in dem Zustand des letzten Patienten fand sich kein
Unterschied. Ich habe keine Gelegenheit gehabt, den eigentlichen Torpor
retinae mit kongenitaler Hemeralopie zu behandeln. Mit dieser Krank-
heit könnte man wohl einen Versuch machen. Die Chorio-Retinitis,
mag sie nun durch hereditäre Lues verursacht oder unbekannten Ursprungs
sein, ist günstig zu beeinflussen durch 5 oder 10 Sitzungen von einer
Stunde, mit Zwischenräumen von einer Woche oder länger; Anwendung
des Mesothorium- oder Radium-Glasröhrchens wiederum unter den Lidern.
Von 3 Fällen, bei denen vorher die Sehkraft rapid abnahm, zeigten alle
ein besseres zentrales Sehen und entschieden ein erweitertes Gesichtsfeld;
das ringförmige Skotom verwandelte sich in partielle Skotome. Die Queck-
33%
592 Koster,
silberbehandlung oder irgendeine andere notwendige Medikation muß natür-
lich ebenfalls angewendet werden.
VIII. Ich habe einen Fall von Atrophia nervi optici (höchstwalhr-
scheinlich luetischen Ursprungs) behandelt ohne irgendein Zeichen von Er-
folg; der Patient war mit Quecksilber und Salvarsan behandelt worden
und zeigte Symptome von Tabes dorsalis. Ich wandte das Mesothorium-
röhrchen 5 Stunden lang an, und zwar möglichst nahe dem Sehnerr.
IX. Obscurationes corporis vitrei, intraoculare Blutung und
Retinablutung. Wenn das Sehvermögen durch Produkte einer abge-
laufenen Entzündung gestört ist, hat die Radiumbehandlung des hinteren
Auges eine sehr gute Wirkung. Die große Besserung des Sehvermögens
in Fällen von Chorioiditis. Cyclitis und Chorioretinitis ist zum großen Teil
die Folge der Autlösung dieser Ablagerungen. Es besteht kein Bedenken.
die Behandlung in jedem Fall von trübem oder wolkigem Glaskörper zu
versuchen. Ich bringe die Glasröhre unter den Lidern an und gebe 3 bis
5 Sitzungen von einer Stunde, mit Zwischenräumen von einer Woche. In
Fällen, wo eine arteriosklerotische Blutung stattgefunden und die Ver-
breitung des Blutes im Glaskörper aufgehört hat, bessert die Radiumbe-
handlung das Auge sehr erheblich. Im Anfang befürchtete ich, die Strah-
len könnten eine neue Blutung verursachen, aber das ist nicht der Fall:
die Retina hellt sich ebenfalls auf, und es folgt kein Rückfall. Kürzlich
habe ich die Radiumbehandlung in einem Fall von monatlich sich wieder-
holender Blutung von unbekanntem Ursprung in den zentralen Teilen der
Retina angewandt, und zwar bis jetzt mit günstigem Erfolge. Da die
Blutung in den Glaskörper in der Regel durch eine chronische Entzündung
der Uvea oder Retina verursacht wird, so mag man das Radium oder Mesc-
thorium zusammen mit der ätiologischen Medikation anwenden.
X. Stationäre und fortschreitende Katarakt. Ich war seit
langer Zeit überzeugt, daß der Eintlul3 der Radiumstrahlen auf die Katarakt
versucht werden sollte, aber meine Zeit war zu sehr durch alle diese anderen
Ausenerkrankungen in Anspruch genommen. Ich habe aber doch etwas
Erfahrung in der Sache, da natürlich viele Formen von Uveitis durch
Katarakt kompliziert waren. Das Fortschreiten der Katarakte hörte sehr
oft unter der Behandlung auf, aber das sieht man ebenso, wenn die Krank-
heit durch Quecksilber oder auf irgendeine andere Weise geheilt wird.
Dies zeigt deshalb nicht einen direkten Einfluß der Radiumstrahlen auf
die erkrankte Linse. Was die Wirkung auf die Trübungen in der Linse
betrifft, so konnte ich keine Veränderungen der Form oder eine Verkleine-
rung sehen; nur in einem Falle sah ich eine Cataracta caerulea von Stern-
form in der vorderen Rinde zerfallen und gänzlich verschwinden naclı
5 Sitzungen von einer Stunde wöchentlich, wobei das Mesothoriumröhrchen
Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 593
an die Sklera angelegt wurde. Dies war ein Fall von Chorioretinitis here-
ditaria.. In derselben Linse fand sich auch eine deutliche Cataracta cor-
ticalis posterior, aber diese änderte sich nicht. An dem anderen Auge,
wo die Verhältnisse genau dieselben waren, sah ich denselben Erfolg, ob-
gleich die Cataracta caerulea hier langsamer verschwand.
Nach meiner Erfahrung wird es wahrscheinlich, daß wir nicht mehr
(lie Hoffnung hegen können, daß eine entwickelte Katarakt unter dem Ein-
Huß der Strahlen sich wieder aufhellen oder gar resorbiert werden kann.
Aber in derselben Weise, wie das Fortschreiten der komplizierten Katarakt
gelegentlich aufgehalten werden kann, mag es möglich sein, ebenso in ge-
wissen Fällen die Cataracta senilis aufzuhalten, da diese Form zweifellos
sehr oft von einer chronischen Oyclitis oder Chorioiditis begleitet, wenn
nicht gar durch sie verursacht ist. Aber selbst wenn wir glauben würden,
dab die eigentliche Cataracta senilis eine primäre Erkrankung des Epithels
der Linse ist, würde es ratsam sein, die Wirkung des Radiums an einer
Reihe von Katarakten in höherem Alter zu versuchen und den Erfolg mit
einer gleichen Zalıl von Fällen zu vergleichen, welche nicht in dieser Weise
behandelt wurden. In einigen Fällen könnte das andere Auge desselben
Patienten das Vergleichsobjekt sein, da ich aber wiederholt wahrnahm, daß
z. B. bei tuberkulöser Keratitis die Behandlung des einen Auges gleich-
zeitig einen günstigen Einfluß auf das andere hatte, so empfiehlt es sich,
behandelte und nichtbehandelte Patienten zu vergleichen. Wie die erwähnte
Tatsache zu erklären ist, kann ich nicht entscheiden; vielleicht ist es die
Wirkung der Strahlen auf eine größere Entfernung, oder vielleicht bewirken
die Strahlen eine Veränderung des Blutes, welches unter dem angelegten
Röhrchen hindurchtließt.
XI. Angiomata palpebrae et orbitae. Die nach außen wachsen-
den können mit der durch Pflaster befestigten Kapsel behandelt werden,
aber ich halte die Erfolge für besser bei der Behandlung mit dem Glas-
röhrchen, das über die Oberfläche hin und her bewegt wird; bei diesen
Fällen kann dies von einem Familienmitglied ausgeführt werden. In der
Regel sind für jeden Quadratzentimeter 5 bis 10 Stunden notwendig. Wenn
die Tumoren sich in der Orbita finden oder in die Konjunktiva hinein-
wachsen, muß das Glasröhrchen angewandt werden und muß stetig in das
(rewächs hineingedrückt werden bei gleichzeitigem Hin- und Herbewegen.
Auch hier sind viele Sitzungen notwendig. Obgleich die Behandlung einige
Zeit erfordert, so ist der Erfolg doch ein guter. Wenn die Haut behandelt
wird, muß man ausgiebig in kurzer Zeit bestrahlen, z. B. jeden dritten
Tag eine Stunde für jeden Quadratzentimeter, bis die Reaktion Einhalt
scbietet. Dies tritt in der Regel nach 3 oder 4 Malen ein. Wenn sich
594 Koster,
dann eine Borke gebildet hat, so darf man die Bestrahlung erst wieder-
holen, nachdem diese abgefallen ist.
XII. Naevus pigmentosus wird ebenso am besten mit der Hand
mit dem Mesothorium-Glasröhrchen behandelt, und zwar für jeden Quadrat-
zentimeter eine Stunde mit Zwischenräumen von einigen Tagen, bis eine
ausgesprochene Reaktion sichtbar ist und sich eine dicke Borke gebildet
hat. Dies kann, wenn nötig, wiederholt werden. Wenn man zu früh
aufhört, verschwindet der Tumor vielleicht zeitweise, kehrt dann aber zu-
rück, und die Pigmentierung und der Haarwuchs mit ihm. Dasselbe kann
man sagen von: Ä
XIII. Xanthelasma palpebrarum. Ich habe diese in nicht zu
sehr vernachlässigten Fällen bei jüngeren Leuten wunderbar heilen sehen.
Aber in einem Falle, der bereits operiert war und wo dicke Kelvide das
Oberlid abwärts drängten, brachte das Radium den Zustand nicht zur
Heilung, obgleich eine erhebliche Besserung erreicht wurde.
XIV. Verrucae erfordern dieselbe Behandlung; auch hier füllt. wenn
sich keine dicke Borke gebildet hat, das Gewächs zwar ab, erscheint aber
nach einiger Zeit wieder.
XV. Lupus und tuberkulöse Geschwüre der Lider werden in
den meisten Fällen durch die Radiumbehandlung günstig beeinflußt: ich
ziehe auch hier wieder das Glasröhrchen der mit Pflaster befestigten Kapsel
vor, aber bei schr ausgedehnten Erkrankungen kann man beide gleichzeitig
benutzen. Auch hier sind für jeden Quadratzentimeter Sitzungen von
einer Stunde mit Zwischenräumen von 3 bis 7 Tagen erforderlich. Es
ist oft schwer, den richtigen Augenblick für die Beendigung der Behand-
lung zu treffen, da der hyperämische Zustand der Erkrankung der Radiuın-
reaktion sehr ähnlich ist. Eine Reihe von 3 oder 4 Sitzungen muß in
der Regel durch eine Pause von 3 oder 4 Wochen unterbrochen werden.
In älteren Fällen, wo die Haut in weiter Ausdehnung zerstört ist, nimmt
die Heilung des Geschwürs lange Zeit in Anspruch.
XVI. Ulcus rodens palpebrae (Epithelioma). Seit dem Beginn
meiner Radiumtätigkeit habe ich bei diesen bösartigen Geschwüren Erfolg
gehabt; ich habe sie jedoch zuerst nicht energisch genug behandelt. Ich
benutze niemals Radiumpflaster, was andere, wie ich bemerke, im allse-
meinen tun, sondern sowohl das Glasröhrchen wie die 'Kapsel. Ich bin
der Ansicht, daß jeder Kubikzentimeter Tumor eine 10 stündige An-
wendung von 4 mg Mesothorium erfordert, in einstündigen Sitzungen mit
Zwischenräumen von einigen Tagen. Ich habe enorme Geschwülste und
Geschwüre an beiden Augen, selbst bei sehr alten Leuten, vollständig
heilen sehen, und es blieb kaum eine Narbe zurück. Über andere bösartige
Geschwülste der Lider habe ich keine Erfahrungen machen können. Ein
Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 595
Karzinom der Wange wurde vollständig geheilt. Das Radium wurde
bei intraokularen Tumoren wie Gliomen und Sarkomen nicht lange genug
versucht. Vielleicht würde eine größere Menge von Mesothorium in we-
nigen Tagen eine deutliche Wirkung auf die Erkrankungen ergeben, so
daß man die chirurgische Behandlung ruhig länger hinausschieben könnte,
als ich es für geraten hielt. Die Erfahrung von Dr. Flemming mit
einem Mesothoriumpflaster bei einem Auge mit Sarkom scheint günstig
gewesen zu sein, obwohl eine Heilung nicht erzielt wurde; doch gibt uns
dies die Berechtigung für ausgedehnte Versuche in dieser Richtung, zu-
mal die Prognose nach Entfernung des Auges ebenfalls zweifelhaft ist.
Über Trachom habe ich ebenfalls keine Erfahrungen. Für follikuläres
Trachom brauche ich die Radiumbehandlung nicht, da diese Fälle in we-
nigen Wochen chirurgisch sich heilen lassen; ich sehe deshalb keinen
Grund, seine Behandlungsweise hierbei zu ändern.
XVII. Neuralgia nervi trigemini. Wenn die üblichen Mittel der
Behandlung versagt haben, was in der Regel heißt, daß wir es mit einem
Fall unklaren Ursprungs zu tun haben, sollte die Radiumbehandlung ver-
sucht werden. Ich habe dies in einigen Fällen mit sehr günstigem Erfolge
getan. Ich legte die Kapsel mit Mesothorium eine Viertelstunde lang
auf die hyperästhetische Stelle des Nerven und benutzte außerdem ein Meso-
thoriumglasröhrchen und eine zweite Kapsel gleichzeitig (im ganzen 12 mg
Mesothorium), indem ich sie dauernd über das ergriffene Gebiet des Nerven
bewegte. Sitzungen von einer ganzen Stunde oder länger, fünfmal oder
öfter, mit Zwischenräumen von 4 oder 5 Tagen, oder auch länger, wiederholt.
XVIU. Blepharospasmus, tie convulsif. Auch hier muß na-
türlich auf die Ätiologie des Falles sorgfältig eingegangen werden. Wenn
man die Ursache nicht finden kann, sind Radiumstrahlen hier auch am
Platze. Bei einem 45 Jahre bestehenden Fall, wo die sekundären Ver-
änderungen in der ergriffenen Gesichtshälfte auffallend deutlich waren,
ergab sich ein sehr befriedigender Erfolg nach etwa 10 Sitzungen von
einer Stunde mit der kleinen Kapsel auf den Hauptästen des Nervus
facialis, während gleichzeitig das Glasröhrchen über die ergriffenen Mus-
keln bewegt wurde. Obgleich keine vollständige Heilung eintrat, wurde
doch eine deutliche Besserung erreicht. In weniger vorgeschrittenen Fällen
war die Heilung vollständig und dauernd, kürzlich sah ich aber einen
Fall, wo bis jetzt 5 Sitzungen von je einer Stunde keine Veränderung
zeigten. Doch auch hier wurde durch den Versuch kein Schaden an-
gerichtet.!) Dasselbe kann man von den neuralgischen Kopfschmerzen
ohne nachweisbare Ursache sagen. Viele Patienten, die wegen anderer Leiden
1) Anmerkung bei der Korrektur: Dieser Patient ist auch geheilt worden.
596 Koster,
(wie z. B. Xanthelasma) behandelt worden waren, erklärten von selbst,
daß ihre Beschwerden sie vollkommen verlassen hätten.
XIX. Ephelides. Als ich eine Dame wegen Xanthelasmen be-
handelte, machte ich die Wahrnehmung, daß die sehr ausgesprochenen
Sommersprossen, die sie im ganzen Gesicht hatte, durch die Radium-
anwendung stark gebleicht wurden. Ich wandte dann dieser Frage mehr
Aufmerksamkeit zu und kann feststellen, daß die Ephelis fast all ihr
Pigment verliert, obgleich sie nicht ganz verschwindet; doch ist nach einem
heißen Sommer die stärkere Pigmentierung nicht wiedergekehrt, obgleich
die Patientin sich ausgiebig der Sonne aussetzte. Ich habe keine weiteren
Untersuchungen in dieser Richtung angestellt, habe aber dieselbe Wir-
kung in einigen anderen Fällen bemerkt.
XX. Conjunctivitis, Actinomycosis, Blenorrhoea sacci
lacrimalis, Dacryocystitis. Ich habe nicht viele solche File be-
handelt, da es immer mein Grundsatz war, an der bekannten Behand-
lungsweise solange festzuhalten, als ihre Erfolge wirklich befriedigend waren.
So habe ich nur zwei Fälle von chronischer eiteriger Konjunktivitis unbe-
kannten Ursprungs gehabt, wo das Glasröhrchen auf der Conjunctiva
tarsi und fornicis unter den Lidern angewandt, und wo eine Heilung
allmählich erzielt wurde. In einem dritten Fall, der seit Jahren bestand.
und der von anderen mit allen bekannten Arten von Lösungen und
Salben behandelt worden war, führte die Radiumbehandlung zur Erkennung
der Ursache; eine harte Schwellung am Oberlid wurde weich nach zwei
Sitzungen von einer Stunde. sodaß der Inhalt durch den oberen Canaliculus
herausgedrückt werden konnte: es fand sich dann, daß es ein Fall von
Aktinomykose war. Ich verordnete im ganzen 4 Stunden Radium-
strahlen, verschrieb aber gleichzeitig Jodkali. Der Patient wurde voll-
ständig geheilt: es ist natürlich schwer genau zu sagen, wieviel das Radium
zu dieser Heilung beigetragen hat. Auch bei der Blenorrhoea saccı
und Dacryocystitis mit Fistel hilft das Radium sehr oft in kompli-
zierten alten Fällen eine Heilung zustande zu bringen; in der Regel wird
Tuberkulose hier als Ursache gefunden. Sie können mit der Kapsel oder
mit dem Glasröhrchen behandelt werden; das letztere kann durch die er-
weiterte Fistel oder durch den aufgeschnittenen Canaliculus in den er-
weiterten Sack eingeführt und hier eine Stunde lang gelassen werden.
Wenn wir alle diese verschiedenen hier erwähnten Leiden betrachten,
so mag es für jeden, der mit der Wirkungsweise der Radiumstrahlen un-
bekannt ist, sinnwidrig erscheinen, daß so verschiedene Erkrankungen mit
nur einem Heilmittel so erfolgreich behandelt werden können. Wenn wir
jedoch die Tatsache erwägen, daß alle diese Erkrankungen entweder
Entzündungen oder hypertrophische Geschwülste, hervorgerufen durch
Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 597
irgendeine unbekannte Ursache, sind, so kann man die Tatsache, daß die
Radiumstrahlen wie eine Art von Universalmittel wirken, verstehen, sobald
man die Theorie annimmt, daß die Ursachen der Entzündung und des
Tumors nicht mehr die Bedingungen, die für ihr Wachstum in den Ge-
weben günstig sind, vorfinden, nachdem sie mit den Strahlen behandelt
sind. Hier ist natürlich ein weiter Raum für die Forschung: Dr.
Flemming hat in seiner letzten Arbeit einige Tatsachen über diesen
Gegenstand ans Licht gebracht, aber ich beabsichtige nicht, diese Sache
jetzt zu erörtern. Von diesem Standpunkt betrachtet, scheint es nicht so
besonders wunderbar, und deshalb gibt es meiner Meinung nach kein
Augenleiden, bei dem die Radiumstrahlen nicht versucht werden könnten,
sogar Zz. B. bei Glaukom. Ich habe es nicht getan, da wir andere Mitlel
haben, um es zu heilen; da aber bei dieser Erkrankung höchst wahrschein-
lich eine chronische Entzündung in dem Winkel der vorderen Kammer
besteht, so erscheint es durchaus nicht unmöglich, daß die Radiumstrahlen
einen wohltuenden Einfluß haben könnten. Tatsächlich sind aber alle
theoretischen Betrachtungen in einer derartigen Frage nicht am Platze;
Jetzt, wo wir wirklich bewiesen haben, daß viele Erkrankungen erfolgreich
mit Radium behandelt werden können, ist seine Anwendung in allen
Fällen, in denen alle anderen Mittel der Behandlung versagt haben, ein
rationelles Verfahren. Und das ist besonders der Fall, wenn meine hier
auseinandergesetzte Behandlungsweise befolgt wird, wobei keine Schädigung
für das Auge zu befürchten ist.
Die Literatur über die Anwendung von Radium und Mesothorium
beim Auge ist sehr spärlich. Darier!) ist zweifellos derjenige, der zuerst
den Nutzen des Radiums in der Ophtlialmologie erkannte; schon 1905
veröffentlichte er einige vielversprechende Erfolge; doch war die Dauer
seiner Radiumbestrahlung viel zu kurz, und dies war der Grund, weshalb
er nur wenig Erfolg hatte; von einer späteren Veröffentlichung von seiner
Seite ist mir nichts bekannt geworden. Lawson und Mackenzie?)
haben einige Fälle veröffentlicht, die mit Radium kurze Zeit, aber oft mit
großen Mengen, nämlich mit 59 mg auf einmal, behandelt wurden. Es
waren, wie die Fälle von Darier, Erkrankungen des vorderen Teiles des
Augapfels. Ihre Resultate waren zweifellos günstig. Schindler) be-
handelte Xanthelasmen mit 25 mg Radiumbromid — nur eine Sitzung
von 15 Minuten — und erzielte Heilung. Flemming?) benutzte eine
Art Pflaster, hauptsächlich aus Mesothorium (Knöfler). Seine Erfolge
waren sehr gut bei Tumoren, aber nicht so bei Erkrankungen des
vorderen Teiles des Auges; er verwirft die Anwendung des Radium- oder
Mesothoriumsalzes in einen kleinen Röhrchen: am Schluß seiner Arbeit
tindet sich die Literatur über die Behandlung des Trachoms mit Radium.
ps
598 Koster, Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium usw.
Literatur.
1. Darier, Die Anwendung des Radiums in der Augentherapie. Ber. d. ozit:tt.
Ges. Heidelberg 1905.
2. Arnold Lawson and J. Mackenzie Davidson, Radiumtherapv in ee
disease. The Brit. med. Journal, Nov. 12. - 1910.
3. Schindler, Über Behandlung des Xanthelasma mit Radium. Zeitschrift i.
Augenheilkunde, XXV. 1, 1911.
4. Dr. Flemming, Experimentelle und klinische Studien über den Heirer
radioaktiver Strahlen bei Augenerkrankungen (aus der Klinik Prof, Greeti
Arch. f. Ophthalmologie, LXXXIV, 2., 1913.
5. Koster en Cath, Behandeling van oogziekten met Radium. Nederl, Tijistr.
v. Geneeskunde, II. 829. 1911. .
(Übersetzt von Dr. O. H. Petersen- kwi
Aus der Abteilung für Haut- und Geschlechtskranke des Allgem.
Krankenhauses „St. Georg“ Hamburg (Oberarzt Dr. Arning).
Die Röntgenbehandlung des Ekzems.
Von
Dr. Hans Ritter, Sekundärarzt der Abteilung.
ae bald nach der Entdeckung der therapeutischen Wirksamkeit der
Röntgenstrahlen wurde das Ekzem in den Kreis der Krankheiten ein-
bezogen, bei denen die Röntgenstrahlen einen wichtigen Heilfaktor dar-
stellen. Nachdem zuerst die günstige Heilwirkung der Röntgenstrahlen
auf Lupus von Kümmel und Freund festgestellt und von anderen Au-
toren bestätigt worden war, war es zuerst der Hamburger Radiologe Hahn,
der im Verein mit Albers-Schönberg konstatieren konnte, daß ein unter
der Diagnose Lupus bestrahltes chronisches Handekzem vollständig und
rezidivfrei geheilt wurde. Dieser Fall, der in den „Fortschritten auf dem
Gebiete der Röntgenstrahlen“, Bd. I, publiziert ist, gab den Anlaß zur
weiteren Anwendung der Röntgenstrahlen bei Ekzemen, über deren Erfolge
bald von allen Seiten berichtet wurde. Heute wissen wir, daß die Rönt-
genstrahlen bei einigen Formen des Ekzems ein nahezu unentbehrlicher
Heilfaktor geworden sind.
Der Zweck dieser Arbeit ist, einen Überblick zu geben über den
heutigen Stand der Ekzemtlierapie mit Röntgenstrahlen. Es ist dabei
zweierlei berücksichtigt worden, einmal die Literatur, soweit sie mir er-
wähnenswert erschien und zweitens die Erfahrungen. die ich in dem Kieler
Institut für Strahlentherapie unter Hans Meyer und an der Abteilung
für Hautkranke des Hamburger Krankenhauses St. Georg gesammelt habe.
Im ersten Teil ist die allgemeine Wirkungsweise der Röntgenstrahlen
bei Ekzem, die Nebenwirkungen und einiges Methodisches geschildert; im
zweiten Teil ist bei jeder einzelnen Form des Ekzems die Frage beantwortet
worden: Was leistet die Röntgentherapie in diesem Fall?
Bei der Häufigkeit der Erkrankung und bei ihrer außerordentlichen
Hartnäckigkeit, ferner bei unserer manchmal unzureichenden Salbentherapie
wurden die Röntgenstrahlen erklärlicherweise als willkommener Heilfaktor
begrüßt, und man kann wohl sagen, daß diese bei einigen Formen ein
direkt souveränes Mittel darstellen. Es ist ein glücklicher Umstand, dal)
gerade bei den Fällen, bei denen unsere Salbentherapie versagt, bzw. die
sich gegen die Applikation der verschiedensten medikamentösen Mittel am
600 Ritter,
meisten refraktär verhalten, die Röntgenstrahlen von guter Wirkung sind.
So hört man oft von Fällen, die jahrelang wegen ihres Ekzems behandelt
worden sind, bei denen wohl hier und da einmal eine Besserung aber keine
Heilung eingetreten ist, daB sie nach einer oder zwei Bestrahlungen völlig
und rezidivfrei geheilt worden sind. Ich werde weiter unten derartige
Fälle zitieren.
Aber noch eine weitere, eigentümliche Eigenschaft der Röntgenstralı-
len ist sehr bald beobachtet worden. Es gibt zweifellos auch Fälle von
Ekzemen, die sich auch gegen Röntgenstrahlen refraktär erweisen. Es
sind dies meist Patienten, die auch allgemein krank sind, Iymphatische
und anämische Individuen. Bei diesen fassen die Röntgenstrahlen entweder
überhaupt nicht an, oder nach anfänglicher Besserung tritt ein Stillstand
ein, bzw. es kommen bald Rezidive. Gerade den Stillstand können wir
ab und zu beobachten und hierbei zeigt sich nun eine vorzügliche indirekte
Wirkung der Strahlen. Wir erleben es nämlich jetzt, daß die medikamen-
töse Therapie, die vor der Strahlenbehandlung absolut wirkungslos gewesen
war, jetzt auf einmal anfaßt und das Ekzem zur Heilung bringt. Wir
stehen nicht an, diese Umstimmung des Gewebes den Röntgenstrahlen aufs
Konto zu setzen, haben wir doch in dem klinischen Verlauf einen direkten
Beweis dafür. Auch haben wir ein Analogon bei der Röntgenbehandlung
des Lupus. Wir wissen genau, daß die therapeutischen Dosen die Tuberal-
bazillen in ihrer Vitalität nicht schädigen, trotzdem kennen wir eine Reihe
von Lupusfällen, die durch Röntgenstrahlen geheilt worden sind. Die Hei-
lung kann nicht in einer evtl. durch die Strahlen herbeigeführten Hyperämie
liegen, denn sonst müßte ein Lupus auch durch andere Hyperämie erzeu-
gende Mittel geheilt werden können. Das ist aber nicht der Fall. Die
Gründe für die Heilung sind allein zu suchen in einer Umstimmung des
Terrains, auf dem jetzt die Tuberkelbazillen nicht mehr gedeihen können.
Wir sehen also auch hier die Umstimmung des Terrains durch die Rönt-
genstrahlen. Diese Umstimmung hat zur Folge, daß bei der Ekzembehand-
lung früher angewandte Mittel wirkungsvoll werden und bei der Lupus-
behandlung, dal der Tuberkelbazillus keinen geeigneten Nährboden mehr
findet. Diese Beobachtung hat bereits Hahn, der ja als erster beim Ek-
zem die Röntgentherapie einführte, gemacht, und er berichtet darüber schon
1901, indem er sagt, daß etwaige Medikamente. die vorher absolut wirkungs-
los waren, nach überstandener Röntgenbehandlung wieder ihre Wirkung
zu entfalten und die durch Röntgenstrahlen eingeführte Regeneration zu
vollenden vermochten.
Wir müssen bei der Besprechung der Röntgentherapie der Ekzeme —
und zwar ist gemeint des chronischen Ekzems, das ja nach Unna das
Ekzem im wahren Sinne des Wortes ist — zwei große Gruppen unter-
Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 601
scheiden, eine Scheidung, auf die besonders Wetterer aufmerksam gemacht
hat: nämlich die Gruppe der idiopathischen und die der symptomatischen
Ekzeme. Es ist klar, daß wir die letzteren, das heißt also solche, die auf
Grund eines allgemeinen Leidens entstanden sind, wie Diabetes, exsudativer
Diathese, Anämie usw., nicht mit Röntgenstrahlen allein beseitigen können,
sondern daß wir stets auch die Grundursache beheben müssen, wollen wir
uns vor Mißerfolgen bzw. Rezidiven schützen. Wir müssen immer bedenken,
daß die Röntgenstrahlen genau wie die Salben und Pflaster nur eine Lokal-
therapie darstellen, und es ist eine selbstverständliche Forderung, daß wir
allgemeine und örtliche Schädigungen fern halten müssen. Auf diesen
Punkt komme ich noch bei der Besprechung der einzelnen Ekzemformen
zurück. Aber auch wenn die Grundursache für die Entstehung des Ek-
zems nicht zu beseitigen ist, so können wir doch, allerdings meist nur
vorübergehend, die Ekzeme bessern und manchmal heilen. In dieser Be-
ziehung ist besonders eine Eigenschaft der Röntgenstrahlen bemerkenswert.
Das ist die juckstillende Wirkung, die ihnen zu eigen ist, und die gerade
bei diesen Ekzemformen — natürlich auch bei den idiopathischen — von
hervorragender Bedeutung ist. Wir können hier mit den Röntgenstrahlen
oftmals den Circulus vitiosus durchbrechen, der darin besteht, daß das
Ekzem Jucken erzeugt, der Juckreiz den Patienten zum Kratzen veranlaßt,
und aus den Kratzeffektionen neue Ekzemschübe entstehen. Auffallend
ist, dal3 der Juckreiz meist bereits wenige Tage nach der ersten Bestrah-
lung verschwindet, also lange, bevor das Ekzem zur Heilung gekommen ist.
Die Ursache für diese Erscheinungen sucht Freund in der an der
Überfläche der Röntgenröhre angesammelten Spannungselektrizität, die nach
seiner Meinung im Stande wäre, eine derartig juckstillende Wirkung aus-
zulösen, analog den Vorgängen, die sich bei der Behandlung juckender
Dermatosen mit Hochfrequenzströmen abspielten. Diese Erklärung ist sehr
hypothetisch und Freund steht damit auch alleine da. Andere Autoren
(Scholtz, Kromayer u. a.) sehen die Wirkung in einer Beeinflussung
und zwar in einer elektiven Beeinflussung der sensiblen Nervenendigungen
in der Haut. Aber auch diese Erklärung ist unwahrscheinlich, besonders
da keine anatomisch histologischen Grundlagen dafür bestehen. Mir er-
scheint die Erklärung, die Wetterer gibt, die richtigste, die besagt, dal)
der Grund für die juckstillende Wirkung in feinsten Veränderungen inner-
halb des irritierten Gewebes liege, möglicherweise, daß es Zerfall von
kleinsten Infiltraten um die Nervenendigungen sei; also auch eine Zustands-
veränderung des Gewebes, die wir auch mit bewaffnetem Auge noch nicht
wahrnehmen können.
Es wäre müßig, alle die Autoren anzuführen, die die juckstillende
Wirkung der Röntgenstrahlen bei Ekzemen beobachtet und beschrieben
602 Ritter,
haben, denn dieses auffällige Merkmal wurde von allen Autoren berichtet.
Auf diese Wirkung komme ich auch noch bei der Besprechung der Be-
handlung der einzelnen Ekzemformen zurück. Nur einen Fall möchte ich
hier anführen, der in eklatanter Weise demonstriert, welch wunderbaren
Einfluß in dieser Beziehung die Röntgenstrahlen haben können.
Im April dieses Jahres kam ein Mann auf unsere Abteilung mit einem Ulcus
molle. Gleichzeitig fand sich bei ihm eine Neurodermitis chronica am linken Unter-
schenkel, die seit 14 Jahren bestand, mit Salben aller Art vergeblich behandelt war
und ihm wegen des enormen Juckreizes das Leben zur Qual machte. Nach einer ein-
zigen Bestrahlung von 3 X einer unfiltrierten harten Strahlung (Halbwertschicht
1,5 cm) verschwand nach 3 Tagen der Juckreiz vollständig, so daß der Patient sich wie
neugeboren fühlte. Unter zwei weiteren gleichstarken Bestrahlungen heilte danı
auch die Neurodermie ab. Ein Rezidiv ist bis heute nicht eingetreten. Ich führe den
Fall nur ganz kurz an, um die jucklindernde Eigenschaft der Röntgenstrahlen bei
Ekzembehandlung zu demonstrieren.
Wenn wir uns nun ganz allgemein nach der Wirkungsweise der
Röntgenstrahlen beim Ekzem fragen: Warum haben die Röntgenstrahlen
so günstige Wirkung bei dieser Erkrankung, so ist es auffallend, wie
wenig man sich in der Literatur gerade mit diesem Punkt beschäftigt hat.
Hahn hat 1898 eine Theorie aufgestellt, die besagt, daß wenn das Ekzem
parasitär wäre, die Röntgenstrahlen nach Rieders Versuchen die Bak-
terien zur Abtötung und so das Ekzem zur Heilung bringen müßte. Wenn
das Ekzem jedoch nicht parasitär ist, so meint Hahn, wäre die bekannte
Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die Haut in Gestalt von Dermatitiden
eine Gewähr dafür, daß durch eine Reaktion der Gewebe eine veränderte
Zirkulation und damit Heilung zu erreichen sei. Man wird zugeben
müssen, daß dies keinen ganz befriedigenden Erklärungsversuch darstellt
und wir wollen uns bemühen, die tieferen Ursachen für die Röntgen-
strahlenwirkung bei Ekzemen zu finden. Die Röntgenstrahlen stellen für
das Gewebe stets einen Reiz dar, und man könnte ja daran denken, dab
die konsekutive Hyerämie der Heilfaktor für das Ekzem sei. Nach den
Untersuchungen von Brauer und Albers-Schönberg wissen wir Ja.
daß nach jeder Röntgenbestrahlung ein hyperämisches Stadium eintritt,
das Stadium des sog. Primärerythems. Es ist von vornherein klar, dab
in dieser hyperämisierenden Wirkung nicht die Heilkraft der Röngenstrahlen
liegen kann, weil ja anderswie erzeugte Hyperämie, durch chemische oder
physikalische Mittel, nicht im entferntesten mit der Heilwirkung der
Röntgenstrahlen verglichen werden kann. Dazu kommt noch ein anderer
Punkt, nämlich der, daß wir wissen, daß der Angriffspunkt der Strahlen
nicht, wie lange Zeit angenommen wurde, in den Gefäßen liegt und somit
die Hyperämie das kurativ wirksame Agens darstellt, sondern der Angriffs-
punkt in den Epithelien selbst. Nun nimmt es uns nicht Wunder, dal
Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 603
gerade beim Ekzem die Röntgenstrahlen so vorzüglich wirken, denn fragen
wir uns nach dem, was allen Hautkrankheiten, die auf Röntgenstrahlen
gut reagieren, gemeinsam ist, so finden wir immer Veränderungen im
Epithel selbst in Gestalt von Akanthose und Parakeratose, also immer
Zellen, die sich in lebhafter Proliferation befinden, und wir begegnen hier
wiederum dem allgemein für Röntgenstrahlen gültigen biologischen Gesetz,
dab das Gewebe für die Strahlen um so sensibler ist, je mehr es sich in
Tätigkeit und Wachstum befindet. Etwas ähnliches hat wohl Scholtz
ausdrücken wollen, als er schreibt, daß die heilende Wirkung der Röntgen-
strahlen auf entzündliche Erkrankungen der Haut, wie Ekzem und Psoriasis,
durch den Einfluß der Röntgenstrahlen auf die Epithelzellen sich genügend
erklären lies, da der Erfolg hauptsächlich bei Dermatosen mit Akanthose
vorhanden sei.
An dieser Stelle möchte ich noch mit ein paar Worten auf die Neben-
wirkung der Röntgenstrahlen, also auf die unerwünschten Begleiterschei-
nungen eingehen. Allgemeinerscheinungen, wie sie bei Intensivbestrahlungen
in der Tiefentherapie als Röntgenkater beschrieben werden, haben wir bei
der Ekzembestrahlung nicht zu fürchten, da unsere therapeutischen Dosen
stets so gering sind, daß eine Beeinflussung des Gesamtorganismus aus-
geschlossen ist. Es kommen nur lokale Nebenerscheinungen in Betracht
und das sind die nach Röntgenbehandlung häufig auftretenden Pigmen-
tationen. Diese sind nicht zu vermeiden und der Patient, der ein jahre-
lang bestehendes, quälendes chronisches Ekzem hat, wird diesen späteren
Schönheitsfehler gern mit in Kauf nehmen. Es ist aber nötig, die Patienten
vorher auf das eventuelle Auftreten von Pigmentationen aufmerkam zu
machen. Um die Pigmentationen weniger sichtbar zu machen hat Kien-
böck empfohlen, und auch Wetterer macht wieder darauf aufmerksam,
während der Bestrahlung den Schutzstoff öfters zu verschieben, sodaß auf
diese Weise ein allmählicher Übergang der pigmentierten in die gesunde
Haut erzielt wird. Aber selbst wenn man diese Vorsicht übt, erlebt man
doch scharfe Pigmentränder und ich kenne Fälle, bei denen auf diese
Weise einfach mehrere Pigmentränder aufgetreten waren. Das nimmt ja
auch nicht Wunder, denn wir wissen, daß selbst ganz geringe Dosen
Pigmentationen hervorzurufen imstande sind. Deshalb mache ich die
Ekzembestrahlungen so, daß die Umgebung überhaupt nicht abgedeckt
wird; auf diese Weise erzielt man ein allmähliches kaum merkbares Über-
gehen der Pigmentationen in die normale Haut. Dieses Verfahren darf
man ruhig anwenden, ohne eine Provokation des Ekzems auf der gesunden
Umgebung befürchten zu müssen. Das Ekzem steht hier im angenehmen
Gegensatz zur Psoriasis, bei der wir es ja häufig erleben, daß bei der Be-
strahlung eines ungenügend abgedeckten Herdes, dieser zwar verschwindet,
604 Ritter,
dafür aber in der mitbestrahlten, bis dahin gesunden Umgebung neue
Psoriasisplaques auftreten.
Ich möchte hieran Einiges über die Technik der Ekzembestrahlungen
anschließen. Der Streit, ob man gleich eine Volldosis geben, oder mit
refraktierter Dosis arbeiten soll, ist längst zu Gunsten des letzteren Ver-
fahrens entschieden. Desgleichen weiß man auch, daß man wie bei der
Bestrahlung der übrigen in Betracht kommenden Hautkrankheiten, auch
bei der Ekzembestrahlung nicht bis zur Maximaldosis zu gehen braucht.
Es war vornehmlich die Breslauer Schule unter Neißer, die dafür ein-
trat, daß zur Erzielung eines Effektes eine stärkere Reaktion gesetzt werden
müsse. Schon damals im Jahre 1901, als Neißer diesen Standpunkt
auf dem Dermatologenkongreß präzisierte, erhoben sich warneude Stimmen,
besonders von Hahn, Schiff und Freund. Mit Recht wurde her-
vorgehoben, daß die Ekzeme auch ohne jede Röntgenreaktion ausheilten.
Nur beim Eczema tyloticum wollte Hahn eine Reaktion 1. Grades er-
zielt wissen. Aber auch dieses heilt erfahrungsgemäß bei Anwendung
kleiner Dosen, sodaß wir es nicht nötig haben, die gefahrvollen Erythenie
anzuwenden, wissen wir doch, daß schon nach einer einzigen
übermäßigen Reaktion sich noch nach Jahren der Zu-
stand der Röntgenatrophie mit all ihren bedrohliche n
Nebenerscheinungen und Nachkrankheiten einstellen
kann. Wir warnen deshalb aufs dringendste davor, die Bestrahlung bis
zum Eintritt auch nur eines Erythems zu treiben und schlagen folgenden
bewährten Modus vor: Man gibt bei jeder Ekzemform 3 X in Abständen
von 10 Tagen. Dreimal 3 X bilden einen Bestrahlungszyklus. Hierauf
tritt eine Pause von 3 Wochen ein, dann kann der Zyklus von neuem
beginnen. Dieser Bestrahlungsmodus schützt mit absoluter Sicherheit vor
Röntgenerythemen. In den meisten Fällen wird ein zweiter Zyklus kaum
nötig sein, da im allgemeinen die Ekzeme schon nach dreimaliger Appli-
kation von 3 X geheilt sind.
Die Wahl der Röhrenhärte ist gleichfalls ein sehr wichtiger Punkt
in der Betrahlungstechnik. Bis zum Röntgenkongreß 1912 wurden die
Ekzeme wie alle Dermatosen mit mittelweichem Röntgenlicht, Strahlen
vom Typ H.W. 0,7 cm bestrahlt. So lesen wir in dem Lehrbuch von
Frank-Schultz, daß die Ekzeme erfahrungsgemäß prompt abheilten.
sobald nur die richtige Strahlenqualität gewählt würde, es eigneten siclı
am besten dazu Strahlen von 7,0—7,5 Wehnelt Strahlengeschwindigkeit.
Auch H. E. Schmidt empfiehlt in der neuesten Auflage seines Kompen-
diums bei Ekzembehandlung eine Strahlenhärte von 5—7 Wehnelt (0.7
bis 0,9 H.W.), obwohl er bei Besprechung der allgemeinen Methodik für
refraktäre Fälle härtere Strahlen (W. 10, H.W. 1,5 cm) empfiehlt.
Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 605
Auf dem Röntgenkongreß 1912 berichteten Meyer und Ritter über
ihre Erfahrungen mit harten Strahlen. Sie hatten durch zahlreiche ex-
perimentelle Untersuchungen feststellen können, daß nicht nur — wie bis-
her von vielen Autoren, namentlich H. E. Schmidt u. a. stets verfochten
wurde — den weichen, sondern auch den härtesten Röntgenstrahlen eine
große biologische Energie zukommt. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen
haben ja zusammen mit denen von Gauß, Lembke und Heinemann,
namentlich für die Tiefentherapie eine gewisse Bedeutung erlangt (Krönig,
Gynäkologenkongreß 1912), aber auch für die Oberflächentherapie ergaben
sich daraus wichtige praktische Konsequenzen. Es ließ sich nämlich fest-
stellen, daß beim Übergang von weichen zu härteren Strahlen die Elek -
tivität der Strahlenwirkung auf die proliferierenden Zellgruppen der
gesunden nnd kranken Haut (Epithelien der Haarpapille, sowie der Zellen
der Psoriasisplaques) gesteigert wird. Diese wichtige experimentell und
klinisch gewonnene Erfahrung bestätigte sich bei der Strahlentherapie der
Ekzeme, die wir jetzt allgemein mit harten Strahlen behandeln. Wir
nehmen in der Regel eine Strahlung vom Typ B.W. 6 = ca. Wehnelt:
10—12, ja bei nicht prompt reagierenden Eikzemen und solchen mit starken
Hyperkeratosen schalten wir sogar häufig die weichen Strahlen, die er-
fahrungsgemäß keime genügende Wirkung ausüben, durch ein 0,5 mm dickes
Aluminiumfilter aus, sodaß wir jetzt einerseits nur mit wirksamen harten
Strahlen arbeiten, andererseits die Einzeldosis auf 4X Sabouraud erhöhen
können, ohne eine Schädigung der Haut befürchten zu müssen.
Auf dem genannten Kongreß 1912 sprach sich auch Frank-Schultz
für die Anwendung härterer als bis dahin üblichen Strahlen bei Ekzem-
behandlung aus, ein Vorschlag, den er auf Grund rein empirischer Er-
fahrung machen konnte. Es ist interessant zu erwähnen, daß bereits auf
dem Dermatologenkongreß 1901 entgegen allen Autoren sich Freund und
Schiff für die Anwendung möglichst harter Strahlen bei der Ekzem-
behandlung ausgesprochen haben.
In der Frage der prophylaktischen Zwischenbehandlung, die hie und
da in der Literatur auftaucht, und besonders von E. Müller empfohlen
worden ist, ist folgendes zu sagen: Wir sollen versuchen, bei einem so
differenten Mittel, wie es die Röntgenstrahlen sind, mit möglichst wenigen
Sitzungen auszukommen. Da ferner die Röntgenstrahlen bei der normalen
Haut keinen Angriffspunkt finden, um pathologische Prozesse zu beein-
flussen, so sind die sog. prophylaktischen Zwischenbestrahlungen strikte
abzulehnen. Es wäre dies in der Tat ein Verschießen der Munition nach
dem nicht vorhandenen Feind.
Vielfach diskutiert worden ist ferner die Frage, ob gleichzeitig mit
der Röntgentherapie eine Salbentherapie anzuwenden ist. Scholtz,
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 39
606 Ritter,
Löwenberg, Blaschko u. a. sind für eine Kombination beider Heil-
faktoren eingetreten. Blaschko behauptet, man könne die Röntgen-
therapie sehr günstig durch andere Behandlungsmethoden: Salben, Bäder,
Teer, unterstützen. Löwenberg hingegen sagt, bei Ekzemen aller Art
würde die übliche Teertherapie in wirksamer Weise von den Röutgen-
strahlen unterstützt. Andere Autoren, vor allem Hahn, der überhaupt
in der Röntgenbehandlung der Ekzeme von vornherein Beobachtungen ge-
macht hat, die sich später bei weiterer Nachprüfung als durchaus richtig
erwiesen, steht auf ganz entgegengesetztem Standpunkt. Sie verwerfen jede
medikamentöse Behandlung während der Anwendung der Röntgenstrahlen.
Auf Grund unserer langjährigen Erfahrungen an der Kieler Hautklinik
und der Hautabteilung des Allgem. Krankenhauses St. Georg, Hamburg
müssen wir uns der Ansicht dieser Autoren anschließen. Wir halten eine
gleichzeitige medikamentöse Behandlung der Ekzeme mit Salben nicht nur
für überflüssig, sondern sogar für gefährlich. Jedes Medikament versetzt
die Haut in einen anderen Zustand und stellt in den meisten Fällen für
die an und für sich schon entzündliche Haut einen Reiz dar. Es ist klar,
daß wenn man diesem noch den der Röntgenstrahlen zufügt, man Gefahr
läuft, eine unbeabsichtigte stärkere Reizung zu erzielen, und es ist nicht
ohne weiteres von der Hand zu weisen, daß manche Röntgenschädigung
und mancher Fall von Idiosynkrasie auf derartige fehlerhafte Kombinations-
behandlung zurückzuführen ist. Das Einzige, was wir von medikamentöser
Behandlung erlauben, ist eine Vorbehandlung mit 5—8% Salizylvaseline
bei stark tylotischen, hyperkeratotischen Ekzemen. Bei Besprechung dieser
Ekzemform werde ich noch darauf zurückkommen. Aber sonst ist jede
medikamentöse Behandlung der Ekzeme während der Anwendung der Rönt-
genstrahlen als geführlich zu unterlassen. Ich betone diesen Standpunkt.
den übrigens auch Wetterer in seinem Handbuch vertritt, besonders, da
noch in seinem neusten Kompendium über Licht-, Röntgen- und Radium-
therapie von 1913 Kromayer die Forderung aufstellt, gleichzeitig mit der
Röntgentherapie auch den ganzen medikamentösen Apparat spielen zu lassen.
Dabei gibt er selbst zu, daß man zur Zeit der stärksten Röntgenwirkung.
also 10 Tage bis 4 Wochen nach der Bestrahlung vorsichtiger Weise alle
reizenden Medikamente (Teer, Schwefel usw.) vermeiden soll. Da aber bei
der Art der Bestrahlung, wie wir sie ausführen, eine dauernde Röntgen-
wirkung vorhanden ist, so ist eben auch nach Kromayer jede Salben-
therapie während der Röntgenbehandlung zu unterlassen. Nicht billigen
kann ich auch den Standpunkt von Frank-Schultz, der in jedem Fall
von Ekzem zuerst eine Salbenbehandlung verlangt, und erst wenn diese
versagt, zur Applikation von Röntgenstrahlen rät, da diese doch manchmal
„neue Überraschungen“ und „Spätfolgen“ zeitigten. Dieser Standpunkt
Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 607
ist wohl etwas zu weitgehend, zumal wir bei richtiger Handhabung der
Technik doch jede „neue Überraschung“ und Spätfolge vermeiden können.
Wenn sich ein Ekzem für die Röntgenbehandlung eignet, so soll man es
auch gleich damit in Angriff nehmen, besonders da diese Behandlung vor
der medikamentösen Therapie auch den Vorzug der Sauberkeit hat.
Gehen wir noch mit ein paar Worten auf die Rezidive ein. Die
Röntgenstrahlen sind, daran muß festgehalten werden, nur eine sympto-
matische Therapie. Wir können wohl die Symptome, die Erscheinungen
des Ekzems beseitigen, nicht aber die Grundursache. Es ist demnach nicht
verwunderlich, daß wir genau wie bei der Salbenbehandlung natürlich auch
bei der Röntgentherapie Rezidive erleben. Sie unterscheiden sich in nichts
von den Rezidiven nach Salbentherapie. Dabei ist allerdings zweierlei zu
erwähnen, nämlich, daß bei Rezidiven mitunter die Röntgenstrahlen nicht
mehr dieselbe gute Wirkung entfalten wie in frischen Fällen und daß die
Haut nur ein bestimmtes Strahlenquantum verträgt, daß wir also nicht die
Strahlentherapie in solchen rezidivierenden, rebellischen Fällen usque ad
infinitum fortsetzen dürfen. Aus diesen Gründen ist es durchaus indiziert,
bei einem solchen Fall ab und zu eine Salbentherapie einzuschieben, um
vielleicht erst wieder bei dem nächsten Rezidiv die Röntgenstrahlen anzu-
wenden. Überhaupt wird derjenige Arzt in der Ekzemtherapie die besten
Resultate erzielen, der es versteht, der Röntgenbehandlung unter all den
übrigen Medikamenten den richtigen Platz einzuräumen, von welch letzteren
(Teer, Chrysarobin usw.) wir trotz der Röntgentherapie auch nicht ein
einziges entbehren möchten.
Wenden wir uns jetzt der Besprechung der einzelnen Formen des
Ekzems zu. Bekanntlich unterscheidet man zwei Hauptgruppen von Ek-
zemen: die akuten und die chronischen. Betrachten wir zunächst die
erstere Form.
Ein Blick in die Literatur zeigt hier im Gegensatz zu den sonst recht
zahlreichen Angaben beim chronischen Ekzem ein auffallend geringes Material;
und das hat seinen guten Grund. Im allgemeinen ist das akute Ekzem
eine relativ harmlose Erkrankung, der wir mit einer Anzahl von indiffe-
renten Mitteln beizukommen im Stande sind. Alle Stadien, welche das
akute Ekzem zu durchlaufen pflegt, von der einfachen Hyperämie bis zur
Schuppung reagieren in gleicher Weise gut auf unsere medikamentösen
Mittel, sodaß es nicht nötig ist, zu einem so differenten Mittel, wie die
Röntgenstrahlen sind, zu greifen. Es kommt noch ein zweiter Punkt hin-
zu, auf den meiner Ansicht nach mit Recht Kromayer aufmerksam macht.
Das akute Ekzem ist, wie der Name besagt, eine plötzlich einsetzende und
im Allgemeinen rasch wieder verschwindende Hautkrankheit, sodaß diese
oft bereits im Abklingen sein wird, ehe die Inkubationszeit der Röntgen-
39*
608 Ritter,
strahlenwirkung vergangen ist. Es ist ja doch meistens so, dad das akute
Ekzem durch irgend eine Schädlichkeit hervorgerufen wird, sei diese nun
chemischer, physikalischer, äußerer oder innerer Natur. Nehmen wir die
Noxe weg, und behandeln wir das Ekzem indifferent, so heilt es innerhalb
von 8—14 Tagen ab.
Gleichwohl ist das akute Ekzem Gegenstand der Röntgenbehandlung
gewesen: So berichtet Hahn auf der 73. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Ärzte 1901 in Hamburg über die guten Erfolge, die er bei
allen Formen des Ekzems mit der Röntgenbestrahlung gehabt hat. Im
Stad. papulos. verschwanden die Knötchen, ohne daß es zur Bildung des
Stad. vesicul. gekommen wäre. Im Stad. vesicul. und impetiginos. zeigten die
Ekzeme alle das Gemeinsame, daß nach nur wenigen Bestrahlungen die
Bläschen und Pustelchen eintrockneten, vielfach ohne daß es zum Platzen
der Bläschen gekommen wäre. Ekzemfälle im Stadium madidaus trockneten
gleichfalls nach wenigen Sitzungen ein.
Auch Scholtz, Königsberg, schreibt 1905, daß bei akuten nässenden
Ekzemen die Wirkung der Röntgenstrahlen bisweilen recht günstig sei.
doch fügt er gleich hinzu, daß die Resultate im ganzen nicht sehr zuver-
lässig waren.
E. Müller empfiehlt noch 1909 und Hans Merz noch 1911 die
Röntgenbehandlung des akuten Ekzems, obwohl inzwischen diese Therapie
von anderen Seiten abgelehnt war. Nach Müller sind die Röntgenstrahlen
nicht nur beim chronischen Ekzem, sondern auch bei der akuten Form
von so günstiger Wirkung, daB jede medikamentöse Therapie übertlüssig
geworden sei und in ähnlicher, wenn auch nicht ganz so optimistischer
Weise äußert sich Merz. Die Fälle, die letzterer anführt, sind nach der
Schilderung nicht ohne Weiteres als akute Ekzeme anzusehen, vielmehr
scheinen es akute Schübe von chronischen Ekzemen oder durch medika-
mentöse Behandlung gereizte Fälle von Pruritus gewesen zu sein.
Wir teilen den Standpunkt, den die meisten Autoren heute einnehmen.
daß eine Röntgenbehandlung des akuten Ekzems nicht nur nicht angebracht,
sondern im Gegenteil, dal davor zu warnen ist. Und dazu bringt uns
außer den oben angeführten Gründen noch folgender: Wir wissen genau.
wie radiosensibel die normale Haut ist, und wir wissen auch, daß die Sen-
sibilität bei krankhaft veränderter Haut gesteigert und dal die Haut im
Zustand des akuten Ekzems außerordentlich empfindlich ist. Aus diesem
Grunde verwenden wir ja auch bei der Therapie des akuten Ekzems keine
differente Mittel, weil diese in vielen Fällen nicht nur keine Besserung
sondern meistens eine Verschlimmerung herbeiführen. Die Röntgenstrahlen
sind aber bekanntlich als ein sehr differentes Mittel aufzufassen und wir
können nicht ohne weiteres voraussagen, ob wir bei der Applikation auch
Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 609
geringer Dosen nicht die Empfindlichkeitsgrenze der lädierten Haut beim
akuten Ekzem überschritten haben. Wir möchten diesen ablehnenden
Standpunkt ausdrücklich betonen, obwohl wir nicht verhehlen wollen, daß
in einigen Fällen von akuten Ekzemen besonders nach einer Richtung hin
die Röntgenstrahlen gute Dienste getan haben und diese Beeinflussung liegt
in der bekannten juckstillenden Fähigkeit der Strahlen. Immerhin ver-
schwindet der Juckreiz auch auf feuchte Verbände, so daß wir deswegen
nicht die eventuellen Schädlichkeiten der Strahlen mit in Kauf nehmen
wollen. |
Das chronische Ekzem ist zumeist auf gewisse Körperstellen lokalisiert;
ich folge deshalb dem allgemein üblichen Brauch, die einzelnen Formen
nach ihrer Lokalisation abzuhandeln.
Das chronische, tylotische Handekzem ist die klassische Domäne der
Röntgentherapie. Sowohl die Ekzeme der Hohlhaut als auch die des Hand-
rückens reagieren in vorzüglicher Weise auf die Bestrahlung. Das, was
den Patienten in erster Linie angenehm auffällt, ist außer dem Nachlassen
des Juckreizes das sehr bald eintretende Verschwinden der schmerzhaften
Rhagaden. Die Rhagaden heilen ab, es bilden sich keine neuen wieder,
die Hyperkeratosen verschwinden, die Starre der Haut und damit ihre
Unbeweglichkeit hört auf, die Haut wird allmählich geschmeidig und weich.
Dieses letztere, also gewissermaßen die Restitutio ad integrum tritt erst
langsam und allmählich ein, was mit dem ’allmählichen Abbau der Infil-
tration parallel geht. Auf diesen Umstand haben schon 1900 Sjögren
und Sederholm aufmerksam gemacht. Es sind eine große Reihe von
Autoren, die über Dauerheilungen beim Eczema tyloticum manuum berichten.
so Grön, Burns, Gamlen, Belot, Jutassy, Hahn, Albers-Schön-
berg u. a Scholtz will gerade hierbei in den Röntgenstrahlen nur eine
Unterstützung für medikamentöse Therapie sehen. Wir haben schon oben
auf die Gefährlichkeit einer derartigen Kombination aufmerksam gemacht.
Wenn überhaupt wo in der Röntgentherapie des Ekzems eine Kombination
mit Salbenbehandlung gestattet ist, so darf es nur bei stark, hyperkeratoti-
schen Formen der Fall sein, und zwar in Form von Vorbehandlungen mit
Salizylvaseline. Durch Applikation einer 5-—8 proz. Salizylvaseline be-
seitigen wir die dicken Hyperkeratosen und Schuppen, die ja einen großen
Teil der Strahlen absorbieren, und erleichtern so die Strahlenwirkung indem
der Angriffspunkt der Strahlen, das proliferierende Epithel, unvermittelt
zu Tage liegt. Diese Vorbehandlung ist verschiedentlich empfohlen worden:
so schreibt z. B. auch Alexander, die tylotischen Ekzeme der Hohlhand
und der Füße bedürfen wohl neben der Strahlenbehandlung einer erweichen-
den Salbe (Salizylvaseline).
Der Bestrahlungsmodus für das chronische Handekzem würde sich
610 Ritter.
also folgendermaßen darstellen. Bei stark hvperkeratotischen Ekzen:Hn
wird eine Vorbehandlung mit ca. 5 proz. Salızylvaseline eingeleitet. bis de
Krusten und Hyperkeratosen beseitigt sind. Dies ist meist in 2—4 Taz-u
geschehen. Dann wird eine Dosis von 3 X verabhfolgt. Strahlenyqualit.:
H. W. 1,5 cm (B. W.6). Die Dosis wird wiederholt nach 10 Tagen. uxi
die dritte Dosis nach abermals 10 Tagen. Während dieser Zeit wird keine
andere Behandlung geübt. 3x3 X bilden einen Zyklus, nach dem eıne
Pause von 3 Wochen eintritt. Sollte also nach dem ersten Zyklus das
Ekzem noch nicht geheilt sein, so wird 3 Wochen nach der letzten Be-
strahlung abermals eine Serie von 3x3 X ın Abständen von 10 Tar-ı
appliziert. Es wird in der Regel kaum nötig sein, zwei dieser Serien zu
verabfolgen, das tylotische Ekzem reagiert im allgemeinen so gut auf
Röntgenstrahlen, daß es meistens nach der ersten Serie schun geheilt ist.
ja oft sogar nach 1—2x3 X. Wenn jedoch, wie es in Ausnahmefilien
geschieht, das Ekzem auf 2 Serien von 3x3 X nicht reagiert hat. bzw.
nicht geheilt ist, so ist die Röntgentherapie vorläufig abzusetzen und Jıir
Salbenbehandlung tritt in ihre Rechte. Ich habe schon erwähnt, daß nach
der auch erfolgten Röntgenbehandlung die medikamentöse Therapie. die
vorher nichts genützt hatte, manchmal überraschend gut wirkt. 2 Kranken-
geschichten mögen illustrieren, wie prompt die Wirkung der Röntgen-
strahlen bei diesen Ekzemformen ist.
Jakob Sch. Chronisches rhagadiformes tylotisches Ekzem beider Handrück-n,
besteht seit 6 Monaten, vergeblich mit Salben und Pflastern spezialistisch behand-lt.
21. III. 13. Applikation von 3 X H. W. 1,5 cm.
1. IV. 13. Die Haut ist nach der einmaligen Bestrahlung weich und geschmeidiz
geworden, alle Rhagaden und Hyperkeratosen sind verschwunden. Es besteht noch
geringe Infiltration. Am selben Tag 3 X H.W. 1,5 cm.
12. IV. 13. Infiltration noch vorhanden. Obwohl Patient seinem Beruf al.
Schlosser nachgeht, keine Rhagaden oder Hyperkeratosen. Am selben Tag 3 X H.W.
1,5 cm.
22. IV. 13. Haut der Handrücken weich, geschmeidig ohne die Spur eines
Ekzems. Geheilt entlassen.
Luise M. Chron. rhagadif. Ekzem auf beiden Handrücken, besteht seit !’, Jahr.
bisher vergeblich behandelt.
5. IV. 13. Applikation von 3 X H. W. 1,5 cm.
15. IV. 13. Rhagaden verschwunden, Haut zart elastisch, nicht infiltnert.
Geheilt entlassen.
Hieran anzuschließen ist die Besprechung des Gewerbeekzems. da
ja auch meistens auf der Hand lokalisiert ist. Das Gewerbeekzem, das bei
den verschiedensten Berufen durch verschiedene Mittel hervorgerufen wird.
ist gleichfalls ein dankbares Gebiet der Röntgentherapie. Unsere Beub-
achtungen erstrecken sich hauptsächlich auf die durch chemische Mittel
wie Sublimat, Laugen und andere Stoffe hervorgerufenen Ekzeme der
Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 611
Ärzte, des ärztlichen Hilfspersonals, der Photographen, und auf die durch
vieles Waschen verursachte Ekzeme der Dienstmädchen, Wäscherinnen und
Kellner, von denen ich besonders bei den letzteren sehr heftige Ekzeme
gesehen habe. Auch andere Berufe, wie Tischler und Schlosser, sind nicht
selten von dem Gewerbeekzem ergriffen, hierbei ist wohl die Polierflüssig-
keit resp. das Schmiedeöl die auslösende Ursache.
Alle diese durch verschiedene Ursachen hervorgerufenen Ekzeme zeigen
ein gleiches klinisches und anatomisches Bild. Es stellt sich dar als ein
zirkumskriptes, bläschenförmiges, zum Teil nässendes, stark juckendes
Ekzem mit starkem Ödem. Bereits auf die erste Dosis von 3 X schwindet
mit großer Sicherheit das Jucken und es genügt in der Regel eine zweite,
höchstens eine dritte Gabe, um das Ekzem vollständig zum Verschwinden
zu bringen. Bedingung ist hierbei natürlich, daß das schädliche Agens
wegfällt. das die Krankheit immer wieder hervorruft (Alexander).
Immerhin habe ich einige Fälle gesehen, die rezidivfrei blieben, obwohl
die Schädlichkeiten wieder einsetzten. (Siehe auch Fall Jakob Sch.) Wir
hatten den Eindruck, als ob durch die Röntgenstrahlen das Terrain so
verändert wurde, daß gewissermaßen eine Abhärtung gegen neue Reize
eintrat. Blaschko vertritt sogar die Auffassung, daß der Vorzug der
Röntgentherapie bei den Gewerbeekzemen darin bestände, daß die Patienten
ohne Verband herumlaufen und ungehindert ihrem Beruf nachgehen könnten.
Der Turnus der Strahlenapplikation ist der gleiche wie bei tylotischem
Ekzem.
Auch das dyshidrotische Ekzem der Hand und Fußsohlen soll hier
gleich besprochen werden. Dieses durch kleine interdigitale Wasserbläschen
charakterisierte Ekzem reagiert nach meinen Erfahrungen leidlich auf
Röntgenstrahlen. Zweifellos sind diese Erfolge zu erzielen, immerhin dürfte
hierbei Vorsicht am Platze sein, wissen wir doch, daß die Haut bei Hyper-
hidrosis manuum sehr viel radiosensibler ist, als die normale, weshalb auch
für diese Erkrankung bei der Röntgentherapie besondere Vorsicht in der
Dosierung geboten ist. Beim dysidrotischen Ekzem ist ja im Übrigen die
Teerbehandlung so wirksam, daß wir wohl in den meisten Fällen auf die
Strahlentherapie verzichten können.
Das Nagelekzem, das ja meistens einen Teil des Handekzems dar-
stellt, ist auch ein dankbares Gebiet für die Röntgentherapie. Wenn man
bedenkt, wie wenig zuverlässig gerade bei dieser Erkrankung die Salben-
therapie ist, so muß man mit Freuden die Strahlen als therapeutisches
Agens begrüßen. Ich habe verschiedene Nagelekzeme mit bestem Erfolg
röntgenisiert, auch Frank-Schultz ist Anhänger dieser Therapie bei
Nagelekzem. In der ganzen Literatur findet sich sonst nur eine Mitteilung
iiber die Röntgenbehandlung dieses Leidens und zwar von Schindler.
612 Ritter,
der mit gutem Erfolg ein trockenes Nagelplattekzem bei einem Kupfer-
stecher bestrahlte. Die gelblich bräunlich verfärbten, glanzlosen, gefurchten
Nägel werden bereits nach einer Volldosis wesentlich gebessert. Ich will
jedoch nicht verhehlen, daß es auch hierbei refraktäre Fälle gibt und ich
entsinne mich eines Falles aus dem Kieler Institut für Strahlenbehandlung.
den wir monatelang ohne wesentliche Besserung bestrahlt hatten. Der
Bestrahlungsmodus ist hierbei der gleiche wie beim chronischen Handekzem.
Erwähnen möchte ich hier noch kurz die Acrodermatitis suppurativa
chronica, auf die die Röntgenstrahlen nach Hallopeau und Frank-
Schultz einen geradezu spezifischen Einfluß haben. Ich habe keine
eigenen Erfahrungen über die Behandlung dieser Erkrankung mit Rönt-
genstrahlen. Ä
Gleich gut wie auf das gewöhnliche chronische an den Händen
lokalisierte Ekzem, wirken die Röntgenstrahlen auch auf das universelle
Ekzem. Dieses geht oft von einer ekzematösen Stelle am Körper aus,
wenn diese durch irgend einen Reiz getroffen wird, springt von einem
Teil des Körpers zum andern, um schließlich unbehandelt oder oft auch
behandelt universell den ganzen Körper zu überziehen. Es ist dieses zu
unterscheiden von dem universellen seborrhoischen Ekzem, auf das ich
noch zu sprechen komme. Sowohl die Einzelplaques als auch größere
ekzematöse Flächen bieten den Röntgenstrahlen ein dankbares Arbeitsfeld.
Auf ein bis zwei Dosen von 3 X zeigt sich in der Regel schon Heilung
und auch die Rezidive, die an anderen Stellen des Körpers aufschießen,
sind leicht zu beherrschen. Bei diesen universellen Ekzemformen wird
die Röntgenbehandlung besonders dankbar empfunden, da ohne diese eine
Krankenhausbehandlung mit vollständiger Einwicklung des ganzen Körpers
nicht zu umgehen ist. Über Erfolge bei generalisierten Ekzemen berichten
Grön, Burns, Gamlen, Jutassy. Belot schreibt: Nicht nur bei
chronischem regionären Ekzem wird Besserung und Heilung erzielt, der
Behandlung sind auch die generalisierten Ekzeme zugängig. Belot
empfiehlt hierfür die Anwendung des sogenannten X-Strahlenbades. Auf
die Technik des Strahlenbades, oder der Totalbestrahlungen, wie sie
Holtzknecht genannt hat, kann ich hier nur ganz kurz eingehen.
Bekanntlich darf bei einer Einzelbestrallung der Durchmesser des zu
bestrahlenden Feldes nur halb so groß sein, als die Fokushautdistanz,
wenn wir eine für die Praxis ausreichende Oberflächengleichmäßigkeit
der Bestrahlung erzielen wollen. Ist das Feld größer, bzw. überzieht die
Erkrankung einen großen Teil des menschlichen Körpers, so tritt die
Totalbestrahlung in ihre Rechte, d. h. die Bestrahlung mit mehreren Auf-
satzpunkten ohne Abdeckung: hierbei gilt die Regel, daß die Fußpunkte
so weit auseinander gewählt werden, wie die Fokushautdistanz ist. Da
Ta m uns
Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 613
nach der Dosierungstechnik von Hans Meyer, Kiel, die Fokushaut-
distanz bei 3 X etwa 30 cm ist, so müssen die Fußpunkte, also die
Punkte, auf die wir die Röntgenröhre einstellen, 30 cm voneinander ent-
fernt sein. Ich habe-hier einen Arzt bestrahlt, der ausgehend von einem
intertriginösen Ekzem einen universellen Schub über die unteren Extre-
mitäten bekommen hatte. Der Betreffende wurde 2 Monate mit Salben
und Pinselungen vergeblich behandelt, nach der ersten Bestrahlung hörte
das Jucken auf, nach der zweiten verschwanden die Ekzemplaques und
nur geringe Pigmentationen sind der Rest des quälenden Leidens. Der
Patient ıst rezidivfrei seit 3 Monaten.
Hieran anschließen möchte ich die Besprechung der zweiten Gruppe
von universellem Ekzem, nämlich des universellen seborrhoischen Ekzems.
Von verschiedenen Seiten liegen hier günstige Berichte vor. Das sebor-
rhoische Ekzem stellt sich nach Unna in 3 Formen dar, in der schup-
penden, borkigen und nässenden Form. Alle 3 Formen reagieren gut
auf Röntgenstrahlen, ich möchte aber Wetterer Recht geben, der be-
hauptet, daß bei den nässenden Formen die günstigsten Resultate erzielt
würden, speziell bei den nur ganz leicht schuppenden erythematösen
Formen habe ich Mißerfolge erlebt. Das rührt wohl daher, daß hierbei
die Epithelproliferation am schwächsten ist, was ja die geringere Radiosen-
sihilität zur Genüge erklärt. Ganz allgemein empfehlen für die Behand-
lung des seborrhoischen Ekzems die Röntgentherapie Frank-Schultz,
Kromayer u. a. Letzterer hat aber nicht Unrecht, wenn er schreibt:
Da die Beseitigung dieser Ekzemformen durch Chrysarobin, Pyrogallus,
Wilkinson ebenfalls leicht ist, so werden äußere Umstände entscheiden,
welcher Behandlungsart man den Vorzug geben will. Auch ich bin der
Ansicht, daß, wo man des soborrhoischen Ekzems leicht durch die
Arningsche Anthrarobintumenolpinselung oder noch durch einfachere
Mittel Herr werden kann, man lieber auf die bei universeller Ausbreitung
des Ekzems doch immerhin kostspielige Röntgenbehandlung verzichten
soll. Wetterer berichtet über 8 Fälle, von denen 5 rezidivfrei durch
Röntgenstrahlen geheilt worden sind, die übrigen rezidivierten. Lust-
garten und Belot haben ebenfalls bei einigen Fällen Erfolg gehabt.
Gottwald Schwarz stellte im Wiener Ärzteverein 1908 eine 38jährige
Frau vor mit Eczema seborrhoicum, welche erfolgreich mit Röntgen-
strahlen behandelt worden war. Die Patientin, welche seit 1?/, Jahren
an universellem seborrhoischen Ekzem erkrankt war, war deshalb in den
Wiener Kliniken mit Salben und Umschlägen behandelt, sodaß zwar vor-
übergehender, aber kein dauernder Erfolg eintrat. Der Erfolg einer zwei-
maligen Röntgenbestrahlung war frappant: Das Nässen, der Juckreiz, die
Schuppung verschwanden vollkommen, und es restierte nur eine leicht
614 Ritter,
gerötete Haut. Über den Dauererfolg ist freilich nichts gesagt. Blaschko
äußert sich folgendermaßen: Außerordentlich wirksam ist die Röntgen-
behandlung bei den der Psoriasis ähnlichen trockenen Ekzemen, sowohl
bei den alten, derb infiltrierten Plaques, die so leicht mit Psoriasis ver-
wechselt werden, als auch bei den leicht schuppenden Ekzemen des Ge-
sichtes und des Körpers, die heute vielfach mit dem Namen des sebor-
rhoischen Ekzems belegt werden. Sehr Recht hat Alexander, der gleich-
falls über die günstige Wirkung der Röntgenstrahlen bei seborrhoischem
Ekzem berichtet, aber darauf aufmerksam macht, daß auch diese Be-
handlung keinen Zweck hat, wenn man nicht den Urheber des Status
seborrhoicus, die Kopfhaut, entsprechend behandelt.
Das führt uns zur Besprechung der Röntgenbehandlung des .sebor-
rhoischen Kopfekzems. In den neueren Lehrbüchern und Kompendien
steht nichts über die Röntgenbehandlung des seborrhoischen Kopfekzems.
wohl ein Beweis dafür, daß man die früher häufiger geübte Therapie auf-
gegeben hat. Nur Frank-Schultz läßt diese Behandlung gelten, rät
aber zu großer Vorsicht und gibt selbst zu, daß die Erfolge nicht glänzend
sind. In einem Fall, bei dem er auf Wunsch des Patienten die Be-
strahlung bis zur Atrophie der Kopfhaut fortgeführt hat, traten trotzdem
noch die seborrhoischen Schuppen auf. Auch wir haben einen Fall ohne
jeden Erfolg bestrahlt, es nützen da weder fraktionierte noch Epilations-
dosen. Allerdings sind in der Literatur einige Erfolge der Röntgen-
behandlung bei seborrhoischem Kopfekzem beschrieben, so von Hahn
und Albers-Schönberg, Blaschko und Alexander. Alle
mahnen jedoch zur Vorsicht in der Dosierung (2 X statt ‘3 X ist hier
am Platze); es ist ja klar, dal die Haarpapillen des seborrhoischen Kopfes
empfindlicher sind als normale und die Epilation schon bei viel geringeren
Dosen eintritt als beim normalen Kopf. Und zu der Seborrhoe noch
eine wenn auch vorübergehende Kahlheit des Kopfes ist weder eine Zierde
für den Träger, noch ein Meisterstück des Arztes. Wir behandeln die
Seborrhoe und das seborrhoische Kopfekzem nach Lassar oder mit
spirituösen Waschungen und Schwefelsalbe.e Nach Wetterer zeigt die
@Juarzlampenbestrahlung hier günstige Erfolge, auch wir haben vorüber-
gehende Besserungen danach gesehen.
Für das seborrhoische Gesichtsekzem gilt das vom universellen sebor-
rlıoischen Ekzem Gesagte. Man wird hier die einfache Salbenbehandlung
der Röntgenbehandlung vorziehen. Eine besondere Besprechung verdienen
jedoch die isolierten Ekzeme im Gesicht, an den Lippen und am äußeren
Ohr. Die ersteren treten bei Seborrhoikern besonders leicht auf, durch
den Reiz des nächtlich aus dem Munde laufenden Speichels, oder durch
beizende Mundwässer, oder an der Oberlippe durch das Nasensekret beim
——- : —ni nn +
Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 615
Schnupfen. Diese Ekzeme, die gekennzeichnet sind durch zahlreiche
F'ollikulitäten und besonders an der Oberlippe Übergänge zu der Sycosis
coccogenes barbae darbieten, sind häufig recht hartnäckig und bleiben auch
nach Aussetzen der Schädlichkeit noch lange bestehen. Diese Ekzeme
werden sehr günstig durch Röntgenstrahlen beeinflußt, was besonders
angenehm ist, da die Patienten sonst lange Zeit mit Gesichtsverbänden
herumlaufen müssen.
Auch die recht hartnäckigen Ekzeme am Ohr, besonders auch die
zum immer rezidivierenden Rhagaden hinter dem Ohr führenden Ekzeme
haben wir sehr gut mit Röntgenstrahlen beeinflußt. In der Literatur ist
über diese Ekzeme und ihre Röntgenbehandlung nichts gesagt. Die Dosis
ıst bei all diesen Ekzemen 3 X.
Über die intertriginösen Ekzeme ist nicht viel zu sagen. Sie stellen
meistens nässende Ekzemformen, welche an Stellen des Körpers lokalisiert
sind, wo sich 2 Hautflächen berühren; hauptsächlich finden wir sie in den
Oberschenkelfurchen, am Genitale und bei dicken Frauen unter der
Mammae, ın den Achselhöhlen, in der Nabelfurche und unter dem Hänge-
bauch. Obwohl auch hier gute Erfolge berichtet sind — Hahn rühmt
das schnelle Nachlassen des Nässens — werden sie uns doch wegen der
außerordentlichen Empfindlichkeit solch mazerierter Haut bei intertriginösen
Ekzemen für die Röntgenbehandlung relativ nicht häufig entschließen. Es
sind diese doch nichts anderes als akute Ekzeme und so gilt für sie bezüg-
lich der Röntgenbehandlung das für das akute Ekzem Gesagte. Sehr zu
empfehlen ist hierbei die schon erwähnte Arningsche Anthrarobin-
pinselung.
Auch die Säuglingsekzeme, bei denen die Therapie so machtlos ist.
sind meines Erachtens nicht in den Bereich der Röntgentherapie zu ziehen.
Abgesehen von allen Schwierigkeiten, die eine solche Bestrahlung mit sich
brächte, verbietet sich diese Therapie auch wegen der immmerhin doclı
nicht ganz von der Hand zu weisenden Gefahr der Wachstumsstörungen.
Ich würde diese Form des Ekzems, die exsudative Diathese der Säuglinge
und jüngsten Kinder garnicht erwähnen, wenn nicht hie und da die Mög-
lichkeit einer derartigen Behandlung erwogen worden wäre.
Eine sehr wichtige Rolle spielt die Röntgentherapie bei der Behand-
lung des perianalen und perivulvären Ekzems. Dieses Leiden kann bekannt-
lich durch 2 Umstände bedingt sein. Einmal entwickelt sich auf dem
Boden eines essentiellen Pruritus vulvae oder ani durch das andauernde
Kratzen ein Ekzem, das alle Stadien des Ekzems bis zur Lichenifikation
durchmacht, oder aber es wird hervorgerufen durch äußere Reize, die bei
dem Vulvaekzem in dem Ausfluß aus Uterus und Vagina und bei dem
Analekzem in schleimigen Ausflüssen vermischt mit kleinen Exkrement-
016 Ritter,
partikelchen bestehen. Letzteres findet man häufig bei Leuten mit chro-
nischer Obstipation mit und ohne Hämorrhoidalknoten. Diese perivul-
vären und perianalen Ekzeme stellen bekanntlich für die Träger ein
außerordentlich qualvolles Leiden dar. Ich habe starke und vernünftige
Menschen gekannt, die durch den entsetzlichen Juckreiz, den diese Ekzeme
besonders nachts hervorrufen, vollstäudig nervös geworden und durch die
dauernde Schlaflosigkeit auch körperlich heruntergekommen waren. Daraus
geht aber auch hervor, daß die medikamentöse Therapie bei diesen Leiden
keine ideale ist. Und gerade hierbei leisten die Röntgenstrahlen Vorzüg-
zügliches und sind für die mit diesem Leiden behafteten Menschen ein
Segen geworden, und zwar hauptsächlich wegen ihrer juckstillenden W ir-
kung. Es ist häufig so, daß die Patienten bereits nach Applikation der
ersten 3 X den Juckreiz verlieren und ihre Nachtruhe wiedererlangen.
Damit ist aber der Circulus vitiosus, den der Juckreiz mit Kratzen und
Ekzementstehung bildet, unterbrochen. Das Ekzem ist freilich noch nicht
geheilt, und es bedarf mehrere Sitzungen, um auch dieses zum Schwinden
zu bringen. Selbstverständlich muß man gerade bei diesen Ekzemformen
nach der Ätiologie forschen (Diabetes, Obstipation, Vermes, Gonorrhoe usw.)
und so weit es möglich ist, die Grundursache beseitigen. Wir halten für
dieses Ekzem die Röntgentherapie für eine ideale Methode und finden uns
dabei im Einverständnis mit einer Reilie von Autoren, wie Löwenberg,
Bruns, Blaschko, Hahn, H.E. Schmidt u.a. Den Standpunkt
von Frank-Schultz können wir nicht teilen, der hierfür in erster
Linie die ultravioletten Strahlen angewendet wissen will. Weder diese noch
die Hochfrequenzbehandlung leistet nach unseren Erfahrungen in Kiel und
Hamburg das Gleiche wie die Röntgenstralilen.
Sehr wichtig ist hierbei die Abdeckung der gesunden Haut, und vor allen
Dingen bei jüngeren Leuten, bei denen die Methode nur mit größter Vorsicht
anzuwenden ist, die Abdeckung der Testikel. Die Abdeckung geschieht bei
uns in eigens dazu geschnittenem aus mehren Lagen bestehenden Müller-
Bleiguinmischutzstoff. Ich bestrahle sowohl die Anal- wie die Vulvaekzeme
lieber in Rückenlage mit Beinhaltern als in Knieellenbogenlage, weil bei
letzterer der Patient zu leicht nach hinten zurücksinkt, der Strahlenquelle
näher kommt und auf diese Weise zu Dosierungsfehlern oder gar Ver-
brennungen Anlaß gibt. Der Bestrahlungsmodus ist so, daß 3 X in Ab-
stinden von 10 Tagen gegeben werden, nach dreimal 3X tritt die Pause
von 3 Wochen ein, hartes Licht ohne Filter, H. W. 1,5 cm.
Ebenfalls wegen ihrer juckstillenden Eigenschaft sehr geschätzt sind
die Röntgenstrahlen endlich bei der als Neurodermie bezeichneten Form
des chronischen Ekzems. Dieses plaqueförmig auftretende meist jahrelang
bestehende Hautleiden ist gegen (lie medikamentöse Therapie im Allgemeinen
Tin: in "
DORUM O gun 7 © iin
Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 617
sehr refraktär. Meist werden nur vorübergehende Besserungen damit er-
ziehlt. Hier feiert die Röntgentherapie Triumphe, und ich kann mich
Blaschko voll und ganz anschließen, wenn er sagt, daß bei der Neuro-
cdlermie die Röntgenbehandlung geradezu eine klassische Domäne darstellt.
Ähnlich äußert sich Bruns, indem er schreibt, daß bei den zirkumskripten
Plaques von oft über Jahre bestehender Neurodermie die Röntgenbehandlung
unseren bisherigen therapeutischen Methoden bei weitem an Wirksamkeit
überlegen sei. Über Erfolge der Röntgentherapie bei dieser Form hat
außerdem noch eine Anzahl von Autoren berichtet, so Hahn, Scholtz,
Alexander, Frank-Schultz u. a.
Es gibt bekanntlich in der Hauptsache zwei Theorien für die Ent-
stehungsmöglichkeiten der Neurodermie. Die eine besagt, daß bei neuro-
tischen Individuen ein Pruritus ohne anatomisch erkennbare Ursache die
betreffenden Personen zum Kratzen verleitet, woraus dann das Ekzem
entsteht, das nun seinerseits wieder Juckreiz erzeugt; die andere Theorie
nimmt an, dal bei diesen Individuen in der Kindheit Ekzeme bestanden
haben, welche die Kinder zum Kratzen veranlaßt haben, durch den Juck-
reiz und die daraus folgende Schlaflosigkeit werden die Personen zu ner-
vösen Individuen, die jeden Hautreiz mit der Bildung von Ekzemen be-
antworten. So entstehen die hartnäckigen Neurodermititen. Es ist müßig,
bei der Besprechung der Röntgentherapie über das Für und Wider dieser
Theorien zu reden, tatsächlich liegen hier die Verhältnisse genau wie bei
dem Anal- und Vulvaekzem, wir durchbrechen mit unserer Therapie den
Circulus vitiosus durch das sofortige Sistieren des Juckreizes. Welche
Wobltat wir damit den Patienten erweisen, können wir oft genug hören.
Ich habe einen Kollegen bestrahlt, der sich nachts festbinden ließ, um
dem Juckreiz nicht nachzugeben, er quälte sich schon monatelang mit
diesem Leiden herum und hatte alle möglichen Mittel ohne Erfolg ver-
sucht. Endlich unterzog er sich notgedrungen einer Röntgentherapie, gegen
die er, wie so mancher Arzt, eine unmotivierte spontane Abneigung hatte,
und er war glücklich, nach der ersten Bestrahlung keinen Juckreiz mehr
zu spüren und ist rezidivfrei seit einem Jahre. Einen anderen Fall habe
ich schon im allgemeinen Teile angeführt. Rezidive können wir natürlich
auch mit der Strahlentherapie nicht vermeiden, ich habe aber den Eindruck
und bei einer Reihe von Patienten die Gewißheit, daß sie viel seltener
sind als nach der Salbenbehandlung.
Zusammenfassend kann ich sagen, daß die Röntgenstrahlen bei richtiger
Indikationsstellung und fehlerfreier Verwendung in der Behandlung des
Ekzems ein wichtiger Heilfaktor geworden sind, den wir nicht missen
möchten.
618 Ritter.
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Über die Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems.
Von
Dr. Thedering, Oldenburg.
Wir die Bläschenbildung das akute -Ekzem charakterisiert, tritt
beim chronischen die ödematöse Infiltration der Haut, namentlich
des Papillarkörpers, so durchaus überwiegend in den Vordergrund, daß
der ursprüngliche Bläschencharakter dadurch bis zur Unkenntlichkeit ver-
wischt und überdeckt werden kann. Dem akuten Ekzem ist gewöhnlich
nur eine oberflächliche zellig exsudative Infiltration der Haut eigen, welche
nur gelegentlich an Örtlichkeiten mit stark entwickeltem Unterhautzell-
gewebe — Skrotum, Augenlider — mächtigeren Umfang annehmen kann.
Dem gegenüber präsentiert sich das chronische Ekzem in pathologisch-
anatomischer Hinsicht als ein chronisch entzündlicher Zustand der Haut
und ihrer Gewebsunterlagen mit allen Folgeerscheinungen. Vorwiegend
die Untersuchungen Unnas haben uns belehrt, daß beim chronischen Ek-
zem die normale Struktur der Haut in ihren sämtlichen Etagen aufgelockert
ist, daß ein zellig-seröses Exsudat die Haut in ganzer Dicke durchtränkt
und die Ausläufer des subpapillären Gefäßnetzes bis in die Tiefe des
Unterhautzellgewebes verfolgt. Dabei sind Gefäße und Lymphspalten stark
erweitert. l
Die an der Oberfläche der Haut sich abspielenden Veränderungen
der Hyperkeratose usw. sind als Folgezustände, als Ausdruck einer in
oben geschilderten pathologisch-anatomischen Verhältnissen wurzelnden Er-
nährungsstörung im Hornbildungsprozeß der Haut aufzufassen. Außerlich
betrachtet ist die chronisch-ekzematös erkrankte Haut gegenüber der ge-
sunden durch teigige Konsistenz und starre Verdickung gekennzeichnet.
Nach Ablauf des chronischen Ekzems kann die Haut in leichteren Fällen
zur Norm zurückkehren ; schwereres jahrelang bestehendes chronisches Ek-
zem hinterläßt immer eine teils einfache, teils narbige Atrophie der Haut
mit teilweisem Untergang der Schweiß- und Talgdrüsen.
Dem verschiedenen pathologisch-anatomischen Verhalten des akuten
und chronischen Ekzems entspricht eine durchaus verschiedene Therapie.
Während ersteres einen hochakuten Reizzustand der Haut darstellt, trägt
letzteres einen träg stagnierenden, in Versumpfung und Inaktivität über-
gegangenen chronischen Entzündungscharakter. Bei ersterem sind daher
beruhigende, lindernde, bei letzterem reizende, den chronischen Zustand
akut auffrischende Mittel am Platze. Beim akuten Ekzem spielen Puder.
a ae — + *
Thedering, Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 621
austrocknende, überhäutende Medikamente die erste Rolle, bei Vermeidung
von Wasser, Seifen und Salben. Das chronische Ekzem hingegen erfordert
heiße Seifenbäder, Schwefel- und Teerbehandlung, um die Niederschläge
der cbronisch-entzündlichen Stagnation in der Hochflut einer künstlich
angeregten aktiven Hyperämie fortzuschwemmen.
Als geheilt ist das chronische Ekzem erst zu betrachten,
wenn die teigige, ödematöse Konsistenz und Verdickung der
Haut auf normale Verhältnisse zurückgeführt ist.
Durch vergleichende Abhebung einer Hautfalte im Kranken und Ge-
sunden wird man sich jederzeit leicht überzeugen, wie weit die Heilung
bereits vorgeschritten, bzw. wie weit man vom Ziele der Heilung noch
entfernt ist.
Die vollständige, dauernde Ausheilung des chronischen Ekzems ist
nicht selten eine höchst schwierige, manchmal eine geradezu unmögliche
Aufgabe für den Arzt. Dies liegt teils an der Ungunst der Verhältnisse,
in denen die betr. Kranken zu leben gezwungen sind, teils an der Unzu-
länglichkeit unserer Heilmethoden. Letztere kann absolut und relativ be-
dingt sein. Abgesehen davon, daß manche Hausfrau, mancher Arbeiter
völlig außerstande ist, in seinem Berufe die ekzemerzeugende Schädlich-
keit von seinen empfindlichen Händen fernzuhalten, trägt nicht selten
Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit in der exakten Anlage der absolut notwen-
digen Salbenverbände die Schuld des Mißerfolges.. Dies ist die relative
Unzulänglichkeit unserer bisher üblichen Methoden der Ekzembehandlung
mit Salben, Teer, Seifen. Aber es läßt sich nicht leugnen, daß die Energie
der letztgenannten Reizmittel bei ganz chronischem, tiefeingewurzeltem Ek-
zem mit mächtig entwickelter Infiltration der Haut nicht immer ausreicht.
den pathologischen Zustand in normalen zu verwandeln, selbst bei sorg-
samster Anwendung derselben und Fernhaltung aller Schädlichkeiten in
klinischer Behandlung. Dies ist die absolute Unzulänglichkeit unserer
bisher gebräuchlichen Ekzemtherapie.
Hier nun ist der Punkt, wo durch Einführung der Röntgenstrahlen
ın den Heilmittelschatz der Dermatologie für die Therapie des chro-
nischen Ekzems ein wesentlicher, freudig zu begrüßender Fortschritt be-
ginnt. Für den dermatologisch und radiologisch geschulten und erfahrenen
Arzt kann es nicht zweifelhaft sein, daß die tiefgreifende, nachhaltige
Wirkung, welche die Röntgenstrahlen in der Haut erzeugen, der durch
Teer, Heißluft erweckten Reaktion an Energie, Gleichmäßigkeit, Nach-
haltigkeit unvergleichlich überlegen ist. Da die einmal verabreichte Strahlen-
dosis ihre Wirkung in der Haut ablaufend unter allen Umständen erschöpft.
unabhängig von anderen therapeutischen Maßnahmen und äußerlichem
Verhalten, so scheidet für die Röntgenstrahlen die oben genannte relative
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 40
622 Thedering,
Unzulänglichkeit aus. Da endlich die Prognose, die Dauer des erzielten
Heilerfolges abhängig ist von dem Grade, in welchem die Umwandlung
der chronisch infiltrierten Haut zur Norm gelang, so kann es nicht wunder-
nehmen, daß die Statistik in dieser Hinsicht eine eklatante Überlegenheit
der Röntgentherapie des chronischen Ekzems über die medikamentöse un-
widerleglich nachweist. Hiermit soll weder gesagt sein, daß fortan jede:
chronische Ekzem wahllos mit Röntgenstrahlen zu behandeln ist, noch dab
man mit X-Strahlen unter allen Umständen rezidivfreie Heilungen erzielt.
Nur der bedeutsame Fortschritt sei festgestellt! —
Bezüglich der Bestrahlungsmethode sei zunächst betont, dal) die Rünt-
genbehandlung des chronischen Ekzems mit den hier in Betracht kommenden
kleinen Strahlendosen keine nennenswerten Gefahren in sich birgt. welche
der ausgiebigen Verwendung für den genannten Zweck im Wege stehen
würden. Selbstverständlich ist die Röntgenbehandlung keine indifferente
Methode. Dieselbe erfordert genaue Kenntnis der biologischen Strahlen-
wirkung, der Strahlen-Qualitätsbestimmung und Meßmethodik (,‚Dosierung'* \.
wie jedes andere starkwirkende Medikament. Daneben erheischt die
Röntgentherapie des chronischen Ekzems noch ausreichende Bekanntschaft
und Erfahrung mit der für Ekzembehandlung geeignetsten Strahlenhärte
und speziellen Bestrahlungstechnik. Hierüber in Kürze zunächst einige
wichtige Regeln und Winke.
In den seltensten Fällen ist ein chronisches Ekzem ohne weitere
Vorbehandlung der Röntgenbestrahlung fähig. Vor allem erforderlich ist.
soweit möglich, die Reinigung der erkrankten Fläche von Schuppen und
Schwielen, da diese einen bedeutenden Bruchteil der wirksamsten Ober-
flächenstrahlen absorbieren. Am meisten empfehlenswert sind Verbände
mit Hebrascher Bleipflastersalbe nebst Seifenwaschungen. Aber auch
parallel mit der Bestrahlung ist eine unterstützende Therapie mit indiffe-
renten Salben zur Abkürzung der Kur durchaus ratsam. Nur vermeide
man ängstlich Kaliseife, und differente Salben, Umschläge, Pinselungen.
namentlich Teer in jeder Form und Konzentration. Die röntgen-
bestrahlte Haut ist hochempfindlich gegen Wasser und Seife; Teer kann
durch Rötung eine Röntgenreaktion vortäuschen. Am besten geeignet für
eine Parallelbehandlung ist wiederum die Hebrasche Salbe, lege artis her-
gestellt und in regelrechten Verbänden angelegt. Eine etwaige Röntgen-
reaktion wird mit Umschlägen von Tiq. al. acet. 2% behandelt bei streng-
ster Vermeidung von Wasser und Seife.
Wichtig ist ferner die gleichmäßige Belichtung des erkrankter.
Terrains. Eine zu eng gedrängte Lokalisierung der einzelnen Bestrahlung--
bezirke kann durch Kumulation gefährliche Überdosierung, das Gegent«:
unzureichende Beeinflussung zwischenliegender Hautstrecken zur Fol:
a Vai —- m mn —
Baner aae aiaa a -1 -
Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 623
haben, welche langwierige Nachbehandlung erfordert. Da nun im Strahlungs-
bereich jeder Röntgenröhre eine Region der Kern- und Halbwirkung,
ähnlich wie beim Schattenkegel, zu unterscheiden ist, deren Ausdehnung
vom Durchmesser der Röhre abhängig, so muß man in dieser Beziehung
sein Röhrenmaterial kennen.
Sodann ist es wichtig, während der ganzen Bestrahlungskur
das Reaktionsniveau der Haut auf einer gewissen mittleren
Höhe dauernd und gleichmäßig zu erhalten, eine umso schwierigere
Aufgabe, als die Reaktion die Grenze der sichtbaren Rötung nicht über-
schreiten soll, also latent verläuft. Man erreicht dies Ziel mit ziemlicher
Zuverlässigkeit durch gleichmäßige Verteilung exakt abgemessener frak-
tionierter Dosen mit Innehaltung gehöriger Bestrahlungsintervalle. Frei-
lich ist man hier dank der unberechenbar in weiten Grenzen schwankenden
individuellen Empfindlichkeit der Haut gegen en vor pein-
lichen Überraschungen nie sicher.
Die Gefährlichkeit der Strahlenüberdosierung für die Haut und der
letzteren individuell höchst wechselnde Reizbarkeit gegen Röntgenstrahlen
erfordern nach meiner Ansicht neben exakter Abmessung des Strahlen-
quantums noch eine kontrollierende Prüfung des biologischen
Bestrahlungseffektes in der Haut. Die menschliche Haut, als
lebendiges Organ, verhält sich gegenüber Röntgenstrahlen nicht gleichartig
einer leblos-konstanten chemischen Substanz, an welcher die Dosis ab-
gelesen wird. So weiß man nach Verabreichung z. B. von !/, Volldosis
nie, wie weit die Haut nach 8—14 Tagen noch von der Erythemgrenze
entfernt ist, d. h. ob man noch !/, oder !/, oder !/, E.D. oder nichts
mehr hinzufügen darf, ohne eine Röntgenröte zu riskieren. Der Haut
selbst ist äußerlich nichts anzusehen, da alle die genannten Reaktions-
grade, weil unter dem Erythemniveau liegend, latent verlaufen. Uns
fehlt also ein biologisches Meßverfahren, um den Grad der
in der Haut bereits vorhandenen Röntgenwirkung jederzeit
exakt zu bestimmen.
Die von der Haut verschluckte Röntgenenergie wird in den Zellen
in erhöhte biologische Tätigkeit, also in äquivalente biologische Energie,
umgesetzt. Der letzteren physikalisch-physiologischer Ausdruck ist ge-
steigerte Wärmeproduktion. Also aus dem Grade der Temperatur-
erhöhung der Haut nach Röntgenbestrahlung muß man einen
Maßstab für den Grad der erzielten Reaktion gewinnen können.
Es ist klar, daß für die hier in Betracht kommenden minimalen Tempe-
raturunterschiede der Haut thermometrische Messungen nicht ausreichen.
Hier kann nur das thermoelektrische Verfahren mit hochempfindlichen
Meßinstrumenten in Frage kommen. Verfasser hofft bereits in einem
40*
624 Thedering,
der nächsten Hefte dieser Zeitschrift die Ergebnisse einschlägiger Ver-
suche in einer Arbeit über „Thermoelektrische Reaktion der
Haut nach Röntgenbestrahlung‘‘ vorlegen zu können.
Nun noch ein Wort über die spezielle Methode der Röntgen-
behandlung des chronischen Ekzems. Die Strahlung wähle man „mittel-
hart“, d. h. etwa 7—11° des an anderer Stelle von mir beschriebenen
Röntgenhärtemessers.!) Bei stärkerer Infiltration der Haut nehme man
etwas härtere Strahlung (9—11°), umgekehrt etwas weichere (7— Hi
Die Dosis wird nach dem Sabouraudschen Verfahren abgemessen. In der
ersten Sitzung verabreiche man !/, E.D. Nur bei stark inveterierten
Fällen mit heftigen Juckbeschwerden gebe man !/, Volldosis zum Beginn.
Im letzteren Falle darf die zweite Bestrahlung frühestens nach Ablauf
von 14 Tagen, im ersteren frühestens nach 8 Tagen erfolgen. Die zweite
Dosis darf in beiden Fällen !/, E.D. nicht übersteigen. Hat man
zu Anfang !/, E.D. verabreicht, so darf man das dritte Drittel erst
14 Tage nach dem zweiten !/, E.D. geben, falls keine Reaktion auf
der Haut hervortritt. Nachdem man so in fraktionierten Dosen den
Ekzemherd mit ?2/,—+ Volldosis belichtet hat, ist zunächst während weiterer
2—3 Wochen unter indifferenten Salben-(Hebra)Verbänden der Erfols
abzuwarten. Auf keinen Fall darf nach Verabreichung einer Volldosis
der zweite Bestrahlungsturnus eher als nach Ablauf einer Frist von etwa
3 Wochen einsetzen. Gewöhnlich wird man die Erfahrung machen, dal)
die Haut im Verlaufe einer längeren Röntgenbehandlung allmählich
strahlenempfindlicher wird. Die zweite Volldosis wird nach diesem
Bestrahlungsschema in der Regel nicht mehr ohne Erythem ertragen.
Kein Wunder, da die Thermoreaktion der Haut noch viele Wochen naclı
der letzten Bestrahlung abnorm erhöhte Temperaturausschläge anzeigt!
Um also der Gefahr einer Kumulierung der Röntgenwirkung über das
erlaubte Maß hinaus zu entgehen, wird man im zweiten Bestrahlungsturnus zwar
nicht kleinere Teildosen verabreichen, aber längere Pausen einschalten.
Für den Zweifelsfall lassen sich bestimmte Regeln wieder nicht eher geben.
als bis wir den Grad der in der Haut noch vorhandenen Röntgenwirkung
exakt und objektiv biometrisch festzustellen in der Lage sind. Bis dahin
ist man lediglich auf allgemeine Erfahrungssätze angewiesen.
Der Erfolg zeigt sich zuerst in einer Abnahme der subjektiven
(Juck-)Beschwerden. Im Laufe der nächsten Wochen beobachtet man
dann Einschmelzung des Infiltrats, beginnend an der Peripherie des Ekzen-
herdes, ferner einen Umschlag der Färbung aus dem Rot in pigment-
braunes Hautkolorit. Am hartnäckigsten widerstehen die zentralen Par-
1) Vgl. Zentralblatt für Röntgenstrahlen, IV. Jahrgang. Heft 1/2.
Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 625
tien dem Angriff der Strahlen. Der Fortschritt der Heilung erfolgt in
peripherisch-zentraler Richtung, also umgekehrt wie die Ausbreitung des
Leidens. Im Zentrum steckt eben der Ausgangspunkt, der älteste, hart-
näckigste Kern der Krankheit. Bei pustulösem „Ekzem“ beobachten wir
ähnlich wie bei der Acne Eintrocknung und Vernarbung der follikulären
Eiterherde. Die erforderliche Zahl der Teilbestrahlungen schwankt in
außerordentlich weiten Grenzen, je nach der Hartnäckigkeit des Falles
und dem Grade der individuellen Strahlenempfänglichkeit. Hier spezielle
Regeln zu geben, ist unmöglich. Man muß eben nach obigem Schema
fortbestrahlen bis zur Heilung. Um die sehr verschiedene Behandlungs-
dauer im einzelnen Falle zu illustrieren, ist in einer größeren Zahl der
folgenden Krankengeschichten der ganze Behandlungsverlauf ausführlich
geschildert. Über die Krankengeschichten zuvor einige allgemeine Be-
merkungen :
Die Fälle entstammen den letzten vier Jahren. Die Gesamtzahl der
in dieser Frist mit Röntgenstrahlen behandelten Ekzemkranken beträgt
einige Hundert. Ich habe meine Auswahl beschränkt auf charakteristische
Fälle und namentlich auf solche Kranke, die ich bezüglich des Dauer-
erfolges entweder persönlich oder brieflich nachzuprüfen in der Lage war.
Aus dem letzten Jahre habe ich mit Absicht nur wenige Fälle in meine
Statistik aufgenommen, weil dieselben zur Beurteilung des Dauererfolges
noch zu jung sind. Die persönliche Nachprüfung in allen Fällen erwies
sich, so erwünscht sie erschien, als unmöglich. Bei Angabe des gegen-
wiirtigen Zustandes ist daher stets beigefügt, ob der Befund auf persön-
licher Nachuntersuchung oder brieflicher Mitteilung beruht. Bezüglich
der Röntgenbestrahlung habe ich Angaben über die Anzahl der erforder-
lichen Sitzungen, Strahlenhärte und -Dosis nur einer Auswahl charakte-
ristischer Fälle beigefügt. Im übrigen beziehe ich mich auf das oben
entworfene Schema. Nicht alle Kranken sind von vornherein im Rahmen
desselben behandelt, vielmehr hat sich der hier entwickelte Behandlungs-
modus aus reicher praktischer Erfahrung im Laufe der Zeit als der zweck-
entsprechendste, am meisten bewährte herauskristallisiert. Bei einer
Reihe von Krankengeschichten findet sich Kombinierung der Röntgen-
therapie mit Heißluft. Obwohl von dem Wert der Heißluftbehandlung
beim chronischen Ekzem überzeugt, bin ich nach eingehender Prüfung
doch zur Ansicht gekommen, daß die flüchtige Heißluftwirkung an der
Seite der nachhaltig-konstanten Röntgenenergie entbehrlich ist. Auch
stellt die Forderung der täglichen Anwendung von mindestens 3%/,—1
Stunde Dauer an den Kranken eine zu große Zumutung Nun die
Krankengeschichten. Der Übersichtlichkeit wegen habe ich dieselben in
vier Gruppen eingeordnet:
626 Thedering,
1. das pustulöse Ekzem;
2. das chronische Ekzem des Unterschenkels:
3. das chronische Ekzem der Hände;
4. anderweitige chronische Ekzeme.
I. Das pustulöse Ekzem.
Diese Gruppe umfaßt eine kleinere Zahl flächenhaft ausgebreite:-
follikulärer Infektion der Haut mit Eiterkokken und pustulöser Erkranku::
der behaarten Kopfhaut, ausgehend von eitriger Entzündung der Haar-
wurzeln. Die erstere beobachtete ich öfters nach Behandlung eines eitri«
Furunkels mit warmen Kompressen. Unter der Kompresse verstreicht d-r
Eiter auf der Haut und die feuchte Brutwärme schafft die günstigster
Bedingungen zur Ansiedlung und Vegetation der Eiterkokken in den fıll-
kulären Schlupfwinkeln der Haut. Die Affektion kann monatelang jed:
Behandlung trotzen; mit Röntgenstrahlen ist Heilung immer leicht und im
kurzer Zeit zu erzielen.
1. Eczema pustulos. chronic. der linken Thoraxseite nach Behuand-
lung eines eitrigen Furunkels mit warmen Breikompressen bei einer jüngeren
Dame. Vom 20. VII. — 27. VII. 1910 Trockenbehandlung ohne Erfolg. Darr
entwickelte sich ein neuer Furunkelabszeß. Spaltung. Am 10. X. und 17. X. 141"
Rüntgenbestrahlung. Darauf Heilung des Ekzems in kürzester Zeit.
2. Junge Frau mit Eczema pustulos. nasi et manus utrq. chronic
auf „skrophulöser“ Grundlage. Allgemeinbehandlung mit Salzbädern, Eisen-Arsen-
pillen. Periodische Röntgenbehandlung der erkrankten Teile vom 24. IV. bis
15. VII. 1911. Darauf Heilung. Januar 1912 trat an beiden Händen ein unte-
deutendes Rezidiv auf, während sich an der Nase bis heute keine Pustei wiede:
gezeigt hat. Nachbehandlung der Hände mit Röntgenstrahlen am 20. I. urċ
80. I. 1912. Seither geheilt.
3. Student. Eczema cap. chronic. pustulos. Röntgenbehandlung des
Kopfes bis zur Epilation von Februar bis Mai 1912. Nach Entfernung der Huare
normale Kopfhaut. Im Winter 1912/13 Rezidiv.
4. Schneider. Eczema capitis pustulos. chronic. Vom 18. NI. 1912 bis
Anfang März 1913 ohne Erfolg mit Sublimatkopfwasser, weißer Präzipitatsaive.
Lig. kal. arsenic usw. behandelt. Vielmehr wirkte jede äußere Therapie nut
den genannten Mitteln durch Reizung nur verschlimmernd. Unerträgliches Jurker.
Viermalige Röntgen-Belichtung des Kopfes am 1., 5., 13., 18. März 1912 mit ent-
spr. Teildosen führte zu reaktionsloser totaler Epilation. Jetzt normale Kopfhaut.
Jucken verschwunden. — In diesem und ähnlichen Fällen ist es für den Dauer-
erfolg von größter, entscheidender Wichtigkeit, die nachwachsenden Haare ani
ihre Gesundheit zu prüfen. Finden sich darunter in größerer Zahl wieder wurzei-
kranke Exemplare, so ist der Kopf nochmals zu epilieren. Im Falle 3 war mir
diese Kontrolle des auswärts wohnenden Kranken nicht möglich; daher das Rezikır.
5. Eczema chronic. manus utrg. pustulos. Junges Mädchen. Seit
8 Jahren bedecken sich beide Hände in immer wiederholten Ausbrüchen dorsa.
und volar mit Eiterpusteln. Das Leiden wurde während genannter Zeit von ı
Ärzten mit Salben usw. ohne jeden Erfolg behandelt. Neben Allgemeinbehandiunz
2 —
Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 627
mit Arsen-Eisen-Salzbädern wegen bestehender Anämie und „Skrophulose“ wurden
die Hände vom 19. IV. bis 21. V. 1910 fast täglich 1 Stunde lang mit Heißluft
behandelt. Wegen unvollständigen Erfolges nebenher Röntgenbehandlung der
Hände am 21. V., 31. V., 1. VI. 7. VI. 1910. Darauf vollständige Heilung. Die
llaut der Hände war rosig, zart, keine Pustel mehr vorhanden. Nachunters.
am 14. IV. 1913. Bis heute rezidivfreie Heilung. Haut der Hände zart, von
reinem Teint. Die Hände ertragen jede Arbeit.
II. Eczema chronicum des Unterschenkels.
Das chronische Ekzem des Unterschenkels verdankt seine Entstehung
meist einer Ernährungsstörung der Haut. In jüngerem Alter spielen
Varizen, namentlich bei Frauen, eine vorherrschende Rolle (Eczema chronic.
cruris e varicibus); in vorgerücktem Alter haben öfters arteriosklerotische
Adererkrankungen des Beines eine ursächliche Bedeutung. Die schlecht
ernährte Haut besitzt gegenüber den unvermeidlichen alltäglichen mecha-
nischen Insulten nicht die normale Widerstandskraft. Die Behandlung
hat diesen Verhältnissen unter allen Umständen Rechnung zu tragen.
Neben korrekter Einwicklung der Unterschenkel mit Trikot-Schlauchbinden
kommen vor allem tägliche warme Seifenbäder und Salbenbehandlung in
Betracht. Namentlich bei nässendem Ekzem des Unterschenkels empfiehlt
es sich, durch Verbände mit Hebrasalbe, Umschlägen mit Sol. argent.
nitric. (1%) zunächst den nässenden Ekzemherd zu überhäuten. Dann
erst mag die Röntgenbehandlung einsetzen.
Fall 1. Arbeiter. Nässendes Eczema chronic. cruris e varicibus
dextr. des ganzen Unterschenkels. Das Leiden wurde seit 4 bis 5 Jahren
vergeblich mit Salben behandelt und bedingte einmal längere Arbeitsunfähigkeit
Vom April 1911 ab behandelte ich den Kranken zunächst erfolglos längere Zeit
mit Teer. Darauf Röntgen am 20. VII., 27. VII., 21. VIII., 30. VIII. 1911. Da-
rauf Heilung. Nachunters. am 2. IV. 1913. Die ganze Außenseite des Unter-
schenkels war mit normaler, nur wenig atrophischer Haut bedeckt. An der Innen-
seite befand sich eine etwa thalergroße schuppende, leicht infiltrierte Stelle, nicht
nässend, nicht juckend, angeblich vor einigen Tagen entstanden. Sonst auch hier
normale Haut. Der Kranke ist seit der Röntgenbehandlung dauernd voll arbeits-
fähig und ohne Beschwerden. Das kleine Rezidiv wird mit Röntgen nachbestrahlt.
Fall 2. Frau. Eczema chronic. cruris dextr. e varicibus totius,
nässend, seit Jahren bestehend. Starkes Jucken und bedeutende Gehbeschwerden.
Vom April 1911 ab zunächst längere erfolglose Behandlung mit Arg.-Peru-Salbe.
Darauf Röntgen am 2., 10., 17. Juli 1911. Dann völlige Heilung.
Nachunters. am 2. IV. 1913. Außer einer thalergroßen trocken-schuppigen
Stelle mit oberflächlicher Infiltration war der ganze Unterschenkel mit normaler,
nur stellenweise atrophischer Haut bedeckt. Keinerlei Beschwerden und völlige
Arbeitsfähigkeit. — Das kleine Rezidiv wird mit CO, betupft und erweist sich
bereits 8 Tage später als fast völlig abgeheilt.
Fall 3. Frau. Eczema chronic. cruris e varicibus. Röntgen am
23. II., 3. III., 10. III. 1911. Geheilt bis heute.
628 Thedering,
Fall 4. Älterer Herr. Eczema chronic. cruris dextr., verbunden mit
quälendem Jucken. Röntgen am 6. XII., 30. XII. 1910. Darauf Heilung. Jucken
verschwunden. Rezidiv Febr. 1912. Röntgen am 22. II., 29. II., 7. IIL, 21. III.
1912. Geheilt bis heute.
Fall 5. Eczema chronic. cruris bei einem älteren, zuckerkranken Herrn,
verbunden mit unerträglichem Jucken. Röntgen am 28. XI., 5. XII. 1910. Darauf
dauernde, beschwerdefreie Heilung.
Fall 6 Nässendes Eczema chronic. cruris eines ganzen Unterscher-
kels, vielfach erfolglos vorbehandelt bei einem Anstreicher. Starke Beschwerden
fast bis zur Gehunfähigkeit. Bei strengster Ruhelage Vorbehandlung des Beines
mit austrocknenden Mitteln (Argent. nitric.) vom 10. bis 27. X. 1910. Keine
wesentliche Besserung. Nässen fast beseitigt. Darauf Röntgenbestrahlung vom
29. X. bis 13. XII. 1910. Im ganzen wurden 9 Teildosen verabreicht. Darauf in
Kürze völlige Heilung. Der nässende Ekzemherd bedeckte sich in ganzer Aus
dehnung mit blasser atrophischer Haut. Keinerlei Beschwerden mehr. Die Ar-
beitsfähigkeit ist komplett. Keine Neigung zum Schwellen mehr, selbst nach an-
gestrengtester Arbeit. Jucken ganz verschwunden. — Wiederholte Nachunter-
suchung dieses sehr schweren Falles haben mich vergewissert, daß bis heute nie
die Spur eines Rezidivs aufgetreten ist. Doch ist der Kranke angewiesen, sein
Bein täglich mit warmem Bad und Einwicklung weiter zu behandeln.
Fall 7. Älterer Mann mit Eczema chronic. cruris utrq. e varicibus.
Vom 20. Oktober bis 7. Dezember 1912 vergeblich mit Hebra-Salbe behandelt.
Vom 7. XII. 1912 bis 15. XII. 1912 wurde das stärker erkrankte linke Bein zwei-
mal mit je !/, E.D. mittelharter Strahlung, das schwächer erkrankte rechte nur
einmal mit !/, E.D. belichtet. Seither fortschreitende Besserung. Die Salbenverbände
konnten bald mit täglichen Bädern und Einreibung von Borlanolin vertauscht
werden und am 23. III. 1913 wurde folgender Befund festgestellt: An beiden
Beinen Ekzem bis auf braune Pigmentation abgeheilt. Infiltration der Haut ist
nirgends mehr vorhanden. Juckbeschwerden, Gefühl von Schwere in den Beinen
schon längst verschwunden. — Das Dauerresultat bleibt abzuwarten. — Bäder
und Bindeneinwicklung der Unterschenkel werden fortgesetzt.
Fall 8. Älterer Mann. Eczema chronic. cruris utrq. Die Vordertläche
des ganzen rechten Unterschenkels überzieht ein trockenes, schuppendes Ekzem.
Links geringere Ausdehnung des Leidens. Seit etwa 1 Jahr bestehend, erfolglos
mit Salben behandelt. Heftige Juckbeschwerden. Röntgenbehandlung 1 mal im
Februar 1911, 3 mal (6., 13., 24.) im März,1911l. Heilung. Nachunters. am
16. IV. 1913. Die Haut beider Unterschenkel völlig normal. Seit der Röntgen-
behandlung hat sich inzwischen kein Rezidiv gezeigt.
Fall 9. Junger Mann. Eczema chronic. cruris sin. Flächenhaft weit
ausgedehntes, nässendes Ekzem des l. Beines. Zunächst vom 6. IX. bis 17. X.
1910 Versuch mit Trockenbehandlung (Trockenpinselung und Sol. argent. nitr. 1°/,).
Kein Erfolg. Darauf im Laufe des Oktober-November 1910 Röntgenbehandlung.
Im Dezember geheilt entlassen. Nach kürzlich erfolgter Nachuntersuchung be-
steht bis heute gute Verheilung.
Fall 10. Frau in mittlerem Alter. Eczema chronic. crurise varici-
bus. Seit zwei Jahren bestehend. Ab März 1911 zunächst ein erfolgloser Ver-
such mit Tumenol-Zinkpaste (10°,). Dann Röntgen am 2, 9., 16., 31. IV. 1912.
Darauf zunächst Heilung mit völligem Schwund der Beschwerden. */, Jahr
später Rezidiv.
Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 629
Außer dem Krampfaderekzem beobachtet man am Unterschenkel nicht
selten noch eine eigenartige Affektion, welche äußerlich eine Mittelstellung
zwischen dem Lichen verrucosus und Eczema chronicum einnimmt. Es
handelt sich um flächenhafte, rote Infiltrate mit stark hyperkeratotischer
Oberfläche, von derber Beschaffenheit und äußerst chronischem Charakter.
Das Leiden ist von unerträglichem Jucken begleitet und spottet jeder
medikamentösen Therapie. Kombinierung von Arsenik, Teer, Heißluft-
dusche und heißen Seifenwaschungen vermögen nach meiner wiederholten
Erfahrung nur vorübergehend die quälenden Juckbeschwerden zu lindern.
Mit Röntgenstrahlen gelingt die Heilung leicht.
a) Junger Mann. Am r. Unterschenkel besteht seit 5 Jahren ein handgroßer,
starrinfiltrierter Plaque mit warzig rauher Oberfläche und von rotem Aussehen,
stark juckend. Ab August 1910 Teer- und Seifenbehandlung, erfolglos. Darauf
vom 23. I. bis 18. II. 1911 4 mal Röntgen. Darauf Heilung, bis heute rezidiv-
frei. Nachunters. am 2. IV. 1913. Die betr. Stelle von. normaler Haut nicht
zu unterscheiden.
b) Alterer Herr. An beiden Unterschenkeln sind mehrere derbinfiltrierte
Plaques von roter Farbe und rauher Oberfläche vorhanden. Das Leiden besteht
seit 20 Jahren und ist mit unerträglichem Jucken verbunden. Zunächst ein ganz
erfolgloser Versuch mit Liq. kal. Arsen. und Hg-Pflaster. Dann Röntgen am
12. IV., 18. IV., 26. IV, 13. V., 21. V., 28. V., 25. VI., 1. VII., 8. VII., 23. VII.
1910. Die Einzeldosen wurden so gewählt, daß ein stärkeres Erythem vermieden
wurde. Zwischendurch öftere Bestrahlung der Stellen mit dem Foen. Desgleichen
wurde Arsenik weiter genommen. Der Fall ist völlig geheilt worden. Die platten-
förmigen Infiltrate versanken im Hautniveau, indessen waren die betr. Stellen
noch lange durch braune Pigmentierung gekennzeichnet. Das Jucken war völlig
verschwunden. Nach brieflicher Mitteilung am 8. IV. 1913 hat sich seit einiger
Zeit wieder geringe Juckbeschwerde eingestellt.
c) Lichenartiges chronisches Ekzem des l. Unterschenkels mit
warzigem Infiltrat der Haut, stark juckend. Vom 17. IX. bis 28. X. 1912 ziem-
lich erfolglos mit Tumenol-Zinkpaste (10°/,) behandelt. Dann Röntgen mit je
!/, E.D. mittelharter Strahlung am 29, X., 5. XI., 12. XI., 26. XI., 10. XII. 1912,
21. I., 18. III. 1913. Daneben innerlich Arsenpillen, äußerlich Verband mit Hebra-
Salbe und Lig. al. acet. abwechselnd. Seit Anfang April 1913 ist die Krankheit
geheilt. Das starre Infiltrat ist gänzlich resorbiert und ins Niveau der Haut zu-
rückgesunken. Die Haut erscheint nicht mehr infiltriert und abgesehen von pig-
mentbrauner Färbung und einem mäßigen Grade von Atrophie normal. Jucken
und anderweitige Beschwerden sind gänzlich verschwunden. — Der Dauererfolg
bleibt abzuwarten.
d) Arbeiter. Seit ®/, Jahren lichenartiger stark juckender Ekzem-
herd am r. Unterschenkel. Röntgen 7. XI., 14. XI. 1910. Nachunters.
2. IV. 1913. Kein Jucken mehr. Peripher ist der Herd leicht pigmentiert,
zentral noch leicht infiltriert. — Die Röntgenbehandlung dieses Falles dürfte
nicht ausreichend gewesen sein. Bei Fortsetzung dürfte nicht nur dauernde
Beseitigung der Beschwerden, sondern auch völlige dauernde Heilung erzielt
worden sein.
630 Thedering,
IIM. Chronisches Ekzem der Hände.
Das chronische Ekzem der Hände ist in der Mehrzahl der Fälle eine
Berufskrankheit. Wasser, Seife, Soda und ähnliche physikalische und
chemische Schädlichkeiten rufen in ihrer alltäglichen Einwirkung auf
empfindliche Hände schließlich das Leiden hervor und unterhalten den
chronischen Zustand desselben. Die dauernde Ausheilung des chronischen
Ekzems der Hände begegnet eben deswegen so großen Schwierigkeiten, weil
es in sehr vielen Fällen nicht in der Macht des Arztes steht, den ätıo-
logischen Faktor auszuschalten. So kann es nicht wundernehmen, dab
wir unter dieser Rubrik verhältnismäßig häufig Rezidiven begegnen. Die-
selben fallen aber weniger der Methode als den Verhältnissen zur Last.
1. Turnwart. Eczema chronic. manus dextr. tylotic. Durch
Druck der Turnstange hat sich an der Maus der r. Hand seit 1 Jahr eine thaler-
große Schwiele mit ekzematöser Hautinfiltration gebildet. Röntgen am 8. und
15. IX. 1910. Darauf örtliche Reaktion und Abstoßung der Schwiele in toto. Hei-
lung. Nachunters. 31. IIl. 1913. Die betr. Hautstelle normal. Kein Rezidiv
trotz fleißigen Turnens.
2. Radfahrer. Eczema chronic. manus dextr. tyloticum. August
1910. Durch Druckwirkung der Lenkstange, ähnlicher Zustand wie 1). Verlauf
wie 1). Heilung. Brief 5. IV. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt.
3. Gendarm. Eczema chronic. tylotic. manus utrq. Vom 29. VII.
1909 bis Jan. 1910 vergeblich mit Teer behandelt. Dann Röntgen am 13. und
20. I. 1910. Starke Reaktion 1. Grades, unter deren Einwirkung die derben Schwie-
len der Vola manus utrq. platzten und in großen Lappen absprangen. Unter Ver-
bänden von Liq. al. acet. bildete sich eine zarte neue Haut. Glatter Heilungsver-
lauf. Brief vom 2. IV. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt.
4. Hausfrau. Eczema chronic. manus utrq. seit 4 Jahren. Vom
4. VIII. bis 18. IX. 1909 vergeblich mit Teer und Schwefelsalbe behandelt. Vom
18. IX. bis 5. X. 1909 jede Hand darauf 3 mal röntgenbestrahlt. Resultat:
Linke Hand bis heute geheilt. Rechte bis vor drei Wochen mit Unterbrechung
eines leichten Rezidivs geheilt. Jetzt rechts geringfügiges Rezidiv.
5. Lehrer. Eczema chronic. manus sin. Röntgen am 9. und 16. IN.
1910. Brief 2. 4. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt.
6. Hausfrau. Eczema chronic. manus utrq. Röntgenbehandlung
Oktober 1911. Brief 3. IV. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt.
7. Hausfräulein. Eczema chronic. manus sin. Juni 1911 vergebliche
Teerbehandlung. Sept. 1911. Röntgen-Heilung. Nachunters. März 1913.
Bis heute ohne Rezidiv geheilt.
8. Stationsvorstand. Eczema chronic. manus utrq. An beiden Händeu
eine Anzahl äußerst chronischer, vergeblich vorbehandelter, nummulärer, nässender
Ekzemherde Zunächst März 1911 Betupfung mit CO,. Vorübergehende Abhei-
lung. Dann Röntgen am 28. IV., 5. V., 12. V. 1911. Heilung. ‘Brief vom
3. IV. 1913. Bis heute Heilung ohne Rezidiv.
9. Hausfrau. Eczema chronic. manus utrq. Röntgen am 21. I.
28. I. 1912. Heilung. Nachunters. März 1913. Bi$ heute ohne Rezidiv geheilt.
10. Kaufmann. Eczema chronic. manus utrq. seit vielen Jahren be-
m nn et nenn.
Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 631
stehend mit quälendem Jucken. Röntgen November 1911. Mitteilung vom
3. IV. 1913. Bis auf minimale vorübergehende Rezidive bis heute dauernd
geheilt.
11. Hausfräulein. Eczema chronic. manus utrq. Röntgen im Nov.
und Dez. 1911, Jan. 1912 2 mal. Vorläufige Heilung. Rezidiv Mai 1912. Wieder
Röntgen. Seither geheilt.
12. Feldwebel. Eczema chronic. manus utrq. seit vielen Jahren be-
stehend, vielfach erfolglos behandelt. März 1910 zunächst Trockentherapie ohne
Erfolg. Dann Röntgen am 18., 22., 29. III. 1912. Darauf zunächst völlige Ab-
heilung. Seither treten von Zeit zu Zeit wieder beginnende Rezidive auf, welche
auf eine Nachbestrahlung immer wieder prompt verschwinden. So gelingt es,
einen Zustand andauernder beschwerdefreier Besserung zu erhalten.
13. Kaufmann, Seit 18 Jahren schwerstes Eczema chronic. manus et
antibrachii utrq. mit unerträglichem Jucken. Neben derben, scheibenför-
migen Infiltraten mit warziger Oberfläche an den Vorderarmen befinden sich in
der Vola manus utrq. kreisrunde, am Rande aufgeblätterte Herde. Das buntge-
mischte Bild erweckt den Eindruck einer Kombination von Lues Ill, Lichen
verrucosus und Eczema chronic. Arsenik und Jodkali erweisen sich wirkungs-
los. Unter Röntgenbehandlung im Febr. 1912 erfolgte glatte Abheilung. Einige
Monate später erforderte ein leichtes Rezidiv kurze Nachbehandlung mit Röntgen.
Mitteilung vom 3. IV. 1913. An der l. Hand noch ein minimaler Ekzemrest.
Sonst völlige Heilung. Kein Jucken mehr.
14. Hausfrau. Eczema chronic. manus d. Röntgen Juli 1911. Brief
2. IV. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt.
15. Hausfrau. Eczema chronic. manus utrq. Röntgenbehandlung
März 1912. Heilung. Nachunters. 11. IV. 1913. Hände normal.
16. Telefonistin. Eczema chronic. manus utrg. seit 2 Jahren. Rönt-
gen 28. VI., 2. VIL, 10. VII., 31. VII. 1912. Heilung. Nach Wiederaufnahme
ihres Berufs bereits 4 Wochen später Spuren eines Rezidivs. Nov. 1912 Post-
dienst quittiert. Jetzt dauernd vollständige Heilung.
17. Kaufmann. Eczema chronic. manus utrq. seit 1 Jahr bestehend,
erfolglos mit Salben vorbehandelt. Röntgen: 1 mal Sept., 2 mal Okt., 1 mal Nov.
1911. Heilung. Nachunters. 11. IV. 1913. Hände normal. Bis heute kein Rezidiv,
18. Rentner. Eczema chronic. manus utrq. seit !/, Jahr bestehend.
Vom 21. IU. bis 24. IV. 1912 Trockenbehandlung ohne völligen Erfolg. Die tei-
gige Infiltration der Haut blieb bestehen. Dann Roentgen am 24. IV. und 1. V.
1912. Heilung. Nachunters, 11. IV. 1913. Hünde normal. Bis heute kein
Rezidiv.
19. Hausfrau. Schwerstes chronisches Ekzem beider Hände seit
13 Jahren, heftig juckend. Salbenbehandlung ohne Erfolg. Röntgen um 23. X1.,
1. XII. 1912. Heilung. Nachunters. 15. IV. 1913. An beiden Händen und
Vorderarmen leichte Rezidive. Bis heute Zustand andauernder Besserung. Be-
schwerden bedeutend gemiildert.
20. Operationsschwester. Sublimatekzem beider Hände. März/April
1912 Salben- und Trockenbehandlung ohne völligen Erfolg. 3. VI. und 9. VI. 1912
Röntgen. Heilung. Brief 12. IV. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt. Je-
doch sind die Hände noch schonungsbedürftig.
21. Alter Medizinalrat. Seit Jahren juckendes chronisches Ekzem
beider Hände, mit keinen Mitteln zu heilen. Etwa viermalige Röntgenbe-
632 Thedering,
strahlung innerhalb etwa 6 Wochen verschaffte dauernde Abheilung mit sofortiger
Beseitigung der Juckbeschwerden.
22. Hausfräulein. Eczema chronic. manus dextr. Anthrasolspiritus
(10°/,) erfolglos. Röntgen — in Verbindung mit Heißluft — am 9. und 16. Juni
1910 erzielte zunächst Abheilung. Brief 2. IV. 1913. Nach !/, Jahr Rezidiv.
23. Hausfrau. Eczema chronic. manus utrq. Sept. 1911 Röntgen
3 mal, Oktober 4 mal, Nov. 2 mal, Dez. 2 mal, Jan. 1912 1 mal. Dann vorläufig
geheilt. Juli, August 1912 wegen Rezidivs je 1 mal Röntgen. Vorübergehend
wieder abgeheilt. Dann wieder Rezidiv.
24. Arbeiter. Eczema chronic. manus utrq. Vom 22. III. bis 8. IV.
1911 vergeblich Teerbehandlung. Dann Röntgen 8. IV., 22. IV., 29. IV. 1911.
Heilung. Nachunters. 2. IV. 1913. Hände normal. Bis heute kein Rezidiv.
25. Arbeiter. Eczema chronic. manus utrq. seit vier Jahren be-
stehend. Röntgenbehandlung Okt. 1911. Nachunters. am 2. IV. 1913. Zwischen
einzelnen Fingern Spuren eines Rezidivs. Sonst bis heute dauernd geheilt und
arbeitsfähig.
26. Beamter. Eczema chronic. manus utrg. mit heftigem Jucken.
seit länger als einem Jahrzehnt bestehend, vielfach ohne Erfolg behandelt. Rönt-
genbehandlung von Februar bis Mitte April 1912. Im ganzen jede Hand etwa
4 mal mit je !/, ED mittelharter Strahlung belichtet in Abständen von 8 bis 14
Tagen. Darauf zunächst vollständige Abheilung des Ekzems bis zu normaler
Haut und Beseitigung aller Juckbeschwerden. Nachunters. 17. IV. 1913. Seit
dem Frühjahr d. J. zeigen sich Spuren eines Rezidivs, welches jetzt eine kurze
Nachbestrahlung erfordert.
IV. Anderweitiges chronisches Ekzem.
1. Eczema chronic. ani pruriginos. Röntgen am 13. Il., 23. II,
2. III, 11. IH. 1911. Heilung. Jucken verschwunden. Brief 2. IV. 1913. In
letzter Zeit wieder unbedeutendes Jucken.
2. Eczema chronic. ani pruriginos. seit 15 Jahren bestehend. Nach
längerer vergeblicher Behandlung mit Pittylen, Kokain-Zäpfchen, Salizyl-Menthol-
Salbe usw. Röntgen am 11. IV., 18. IV., 25. IV. 1912. Darauf bis zum Herbst
des Jahres bedeutende Juckverminderung. Im Febr. 1913 ausgesprochenes Rezidiv.
Nachunters. Anfang April 1913 bestätigt schweres Rezidiv.
3. Eczema chronic. orbiculare oris. Kind. Sept. 1910 Behandlung
mit Teer und Salizylschwefelsalbe ohne Erfolg. Dann 1 mal Röntgen. Ekzem
verschwunden. Später Rezidiv. CO, Wieder Heilung. April 1913 zweites
Rezidiv. CO,
4. Juckendes Ekzem des ganzen Rückens, lichenartig, bei einem
Arbeiter, seit vielen Jahren bestehend, vielfach ohne Erfolg behandelt. Röntgen
am 15. II., 22. II., 2. III. 1911. Darauf Ekzem und Jucken verschwunden. Nach-
unters. Anfang April 1913. Bis heute geheilt ohne Rezidiv.
5. Eczema nummulare chronic. des Nackens, stark juckend.
August 1910 Trockenbehandlung. Heilung. 19. II. 1912 Rezidiv. Tumenol-Va-
seline erfolglos. Juni 1912 2 mal Quarzlichtbestrahlung, Linse direkt aufgesetzt,
10 Minuten lang. Geringe Abnahme von Infiltration und Jucken. 18. XI. 1912
l mal Röntgen !/, ED mittelharte Strahlung. Jucken bis heute verschwunden.
Infiltration und Schuppung fast ganz verschwunden. — Durch eine weitere Be-
strahlung würde offenbar leicht vollständige Heilung zu erzielen sein.
Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 633
Kurz zusammengefaßt ergibt also vorstehende Auslese von Kranken-
geschichten im einzelnen folgende Statistik: Die Beobachtungszeit sämt-
licher Fälle erstreckt sich über einen Zeitraum von 1—4 Jahren, mit
Ausnahme der Fälle II 7 und c, welche zur Dlustrierung des Heilungs-
verlaufes als charakteristisch in breiter Ausführlichkeit mit aufgenommen
wurden. Unter Rubrik I (pustulöses Ekzem) sind 5 Fälle vereinigt.
Hiervon sind 3 ohne Rezidiv, 1 mit annähernd vollständigem Erfolg.
1 Rezidiv nach !/,jähriger Heilung (pustulöses Kopfekzem).
Gruppe II (Ekzem des Unterschenkels) umfaßt 14 Fälle. Hiervon
sind 8 rezidivfreie Heilungen, 5 mit teilweisem Rezidiv. Die Rezidive
sind aber so geringfügig, daß das Resultat praktisch dauernder Heilung
völlig gleichkommt. Nur in 1 Falle ıst nach etwa !/, Jahr ein voll- `
ständiges Rezidiv eingetreten. Man wolle nicht übersehen, daß die erst-
genannten 13 Fälle fast sämtlich ausgedehnte Krampfaderekzeme bzw.
Fälle von schwerstem lichenoidem Ekzem des Unterschenkels umfassen,
in der Mehrzahl bereits Jahre und Jahrzehnte bestanden, zum Teil
Arbeitsunfähigkeit bzw. bedeutende Arbeitsbehinderung und Gehbeschwerden
bewirkten und meist seit Jahren mit Salben usw. ohne Erfolg behandelt
wurden. Im Lichte dieser Tatsachen erscheint die vollständige beschwerde-
freie Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit umso erfreulicher. Da es sich
meist um Arbeiter handelt, so erhellt hieraus, daß man den Kranken-
kassen die nicht unerheblichen Kosten einer Röntgenbehandlung in ähn-
lichen Fällen getrost zumuten darf zu ihrem eigenen Vorteile! Jahre-
lange Salbentherapie, vielfache ärztliche Behandlung, zeitweise wochen-
und monatelange Arbeitsunfähigkeit verursachen auf die Dauer weit höhere
Gesamtkosten als die einmalige Ausgabe für eine Röntgenkur.
Gruppe III (chronisches Ekzem der Hände) 26 Fälle. 16 mal rezidivfreie
Heilung, 9 mal Heilung mit teilweisem meist unerheblichem Rezidiv, 1 Mißerfolg.
Beim chronischen Ekzem der Hände darf man nicht außer Acht lassen.
daß wohl keine chronische Ekzemform der rezidivfreien, dauernden Aus-
heilung gleich große Schwierigkeiten bereitet. Es handelt sich ja meist
immer um Hausfrauen und Arbeiter, deren empfindliche Hände in ihrem
Berufe gewissen, chemisclien und physikalischen, ekzemerregenden Schäd-
lichkeiten ausgesetzt sind, deren dauernde Ausschaltung weder in der
Macht des Arztes noch des Kranken liegt. Ein klassisches Beispiel dieser
Art ist der eine totale Mißerfolg. So erklärt sich auch die verhältnis-
mäljig große Zahl teilweiser Erfolge in dieser Rubrik. Immerhin sind
16 von 26 Fällen rezidivfreie Dauerheilungen. Der Ausdruck „teilweiser
Erfolg‘ ist so zu verstehen, daß zunächst fast stets vollständige Abheilung
des Ekzems mit Beseitigung der Juckbeschwerden erzielt wurde, daß aber
die berufliche Schädlichkeit über kurz oder lang ein leichtes Rezidiv
634 Thedering,
hervorrief, welches Nachbehandlung erforderte. So wurde durch die
Röntgenbestrahlung wohl in allen Fällen dieser Art eine ganz wesentliche
Besserung des Gesamtzustandes erzielt. Gelegentlich kann ein immer
wieder rezidivierendes Ekzem Aufgabe des betreffenden Berufes fordern,
wie in einem unserer Fälle.
Zu Gruppe IV nur die kurze Bemerkung, daß der eine Mißerfolg
ein seit 1!/, Jahrzehnten bestehendes Eczema ani betraf, einen Zustand also.
dessen Hartnäckigkeit jedem Arzte hinlänglich bekannt. In einem zweiten
ähnlichen Falle wurde Heilung erzielt. Immerhin beabsichtigt der erste
Kranke eine Wiederholung der Röntgenbehandlung als des einzigen
Mittels, welches ihm wenigstens für längere Zeit Linderung seiner qual-
vollen Juckbeschwerden verschafft.
Im übrigen möchte ich hier noch einmal betonen, daß eine Schädigung
der Haut durch die Röntgenstrahlen in der hier geübten vorsichtigen Be-
handlungsweise mit Teildosen unter Innehaltung gehöriger Bestrahlungs-
intervalle in keinem einzigen Falle begegnet. Keine stärkere Reaktion,
keine Röntgenatrophie, kein Röntgenulkus vor allem. Dagegen liegen die
großen Vorteile der Röntgentherapie gegenüber der Behandlung des chro-
nischen Ekzems mit Teer und Salben klar genug am Tage. Die eklige
Verschmierung der Haut und Wäsche mit Teer und Salbenfett, die lästig
brennende, unvermeidliche Teerreizung, der widerwärtige hausverpestende
Teergestank, die Möglichkeit der Nierenschädigung bei ausgedehnter Teer-
anwendung. Dies alles sind üble Beigaben der Teerbehandlung, welche
dem Röntgenverfahren nicht anhaften. Also Sauberkeit ist der erste
große Vorzug der Röntgenstrahlen. Daneben Annehmlichkeit. Ein
weiterer großer Vorzug besteht darin, daß die Röntgenstrahlen nur alle
8—14—21 Tage appliziert werden brauchen, während die medikamentöse
Behandlung täglich 2mal vorgenommen werden muß, exakte Verbände
erfordert, also viel Zeit und Mühe in Anspruch nimmt. Eine Beschrän-
kung in der Anwendung der Röntgenstrahlen ist vielleicht bei allzu
großer Ausdehnung des Ekzems über weite Körperstrecken vorhanden.
Ich bin nicht sicher, daß ein solches öfters wiederholtes vollständiges
Röntgen-Lichtbad nicht doch gelegentlich Schädigungen zur Folge haben
kann. Zu einer Totalbestrahlung des Körpers habe ich mich daher nur
ganz ausnahmsweise — meiner Erinnerung nach nur in zwei gänzlich
desolaten Fällen — entschließen können. Immerhin genügt diese geringe
Erfahrung zu einem maßgebenden Urteil nicht. — Sodann habe ich die
Röntgenstrahlen nie beim chronischen Säuglingsekzem und bei chronisch-
ekzemkranken Kindern in den ersten Lebensjahren angewandt. Da wir
nicht wissen können, welches Strahlenmaß die zarte Kinderhaut ohne
Schädigung erträgt, so lassen uns hier unsere Dosierungsmethoden im
Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 635
Stich. Auch ist nach meiner Ansicht noch nicht mit genügender Sicher-
heit festgestellt, daß die Röntgenstrahlen im jugendlichen Körper keine
Wachstumsschädigung (Knochen!) bewirken können. Das chronische
Kinderekzem behandle ich daher nach wie vor ausschließlich diätetisch
und wmedikamentös-physikalisch mit Salben, Teer, Bädern. Ein wert-
volles Präparat für die Therapie des Eczema chronic. infantum ist das
Tumenol-Ammonium in Form (10%) Tumenol-Zinkpaste oder Tumenol-
Grlyzerin (10—20%). Nach vorstehendem läßt sich also unter Beobach-
tung der hier geschilderten Einschränkungen die Indikation der Röntgen-
strahlen für die Therapie des chronischen Ekzems in folgende Sätze kleiden:
1. Bei chronischem Ekzem mit relativ oberflächlicher Infiltration der
Haut, von verhältnismäßig noch kurzem Bestande, also bei den leichteren
Formen des chronischen Ekzems, ist die Röntgenbehandlung die Methode
der Wahl.
2. Bei inveterierten Fällen, welche schon vielfach mit Salben, Teer
usw. erfolglos behandelt wurden, namentlich auch bei lichenartigem chroni-
schen Ekzem, ist die Röntgentherapie die einzige in Betracht kommende
Methode, also absolut indiziert.
Aus der Kgl. Universitätsklinik für Hautkrankheiten in Kiel
(Direktor Prof. Dr. Klingmüller).
Über die Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen
durch die Lichtstrahlen.
Untersuchungen an den roten Gänseblutkörperchen.
Von
Prof. Dr. Fr. Bering, Oberarzt der Klinik.
F" die glänzenden Resultate, welche durch die Lichtbehandlung erzielt
werden können — es sei an die von Finsen inaugurierte Behandlung
des Lupus und anderer Hautkrankheiten und an die von Rollier und
Bernhard, jetzt auch von Bardenheuer, Vulpius u.a. geübte Licht-
behandlung der chirurgischen Tuberkulose erinnert — fehlt uns noch eine
wissenschaftliche Erklärung.
Während die Lupusbehandlung durch Licht heute allgemein anerkannt
und als die beste Methode, die leider sehr langwierig ist, allen anderen
vorgezogen wird, gewinnt die Behandlung der Knochen- und Gelenktuber-
kulose mit Licht eine immer größere Bedeutung und Anerkennung. Auf-
gabe der Technik wird es sein, die Sonnenstrahlen durch künstliche Licht-
quellen zu ersetzen, um so auch dort, wo die Sonne nur wenig scheint,
eine Behandlung zu ermöglichen und sie zugleich auch abzukürzen. Auf-
gabe der experimentellen Forschung ist es, die Lichtprobleme zu lösen.
Neuberg hat gefunden, daß die Eiweißkörper, Kohlehydrate und Fette
lichtempfindlich werden, wenn sie mit Mineralstofflösungen zusammen-
treffen. Bei seinen Versuchen wurden Uran und Eisenverbindungen ver-
wandt. Er fand bei den chemischen Lichtwirkungen eine durch Spaltung
hervorgerufene Molekülverkleinerung, bei der sich Substanzen von chemisch
höchster Avidität, vor allem die überaus reaktionsfähigen Aldehyde und
Ketone, bilden.
Hans Meyer und ich haben den Einfluß des Lichtes auf intrazelluläre
Fermente einer Prüfung unterworfen, Untersuchungen, die ihre Anregung
erhielten durch eine Arbeit Quinckes und die mit der Peroxydase ange-
stellt wurden. Wir fanden, daß das Licht bis zu einer gewissen Dosis
eine fördernde, bei größeren Dosen eine zerstörende Wirkung auf die
in allen pflanzlichen und tierischen Organismen tätige Peroxydase ausübt.
Bering, Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen usw. 637
An der Wirkung des Lichtes beteiligen sich sämtliche Strahlengruppen,
auch die tieferdringenden, denen durch bestimmte Stoffe — Sensibilisatoren
— ihre Wirkung erleichtert oder ermöglicht wird.
Es liegen nun noch weitere Experimente von Hertel und von mir vor,
welche sich mit dem Einfluß des Lichts auf die Sauerstoffabgabe beschäftigt
und eine Erleichterung der Abspaltung aus seiner Hämoglobinverbindung
ergeben hatten.
Nach diesen Befunden lag es nahe, auch den Einfluß des
Lichtes auf die Zelle als Ganzes zu untersuchen.
Derartige Untersuchungen konnten mit einiger Aussicht auf Erfolg
an einzelligen Lebewesen angestellt werden. Seeigeleier standen mir nicht
zur Verfügung. Deshalb wählte ich Bakterien, und zwar Staphylokokken-
aufschwemmungen. Die Experimente mit letzteren wurden jedoch bald
aufgegeben, da die erzielten Resultate keine konstanten waren, offenbar,
weil die Emulsion auch bei langem Schütteln in einem mit Glasperlen
gefüllten Gefäß nicht immer gleichmäßig ist.
In vorzüglicher Weise eigneten sich aber die kernhaltigen roten
Blutkörperchen der Gänse. Da nach Warburg bei anämischen
Tieren die Atmung erheblich wächst, wurde den Gebrauchsgänsen zum
Zwecke der Anämisierung vor dem ersten Versuch 3 mal ungefähr 50 ccm
Blut entnommen und darauf in kürzeren Zwischenräumen immer die not-
wendige Blutmenge, welche sich im Eisschrank einige Tage brauchbar er-
hielt. Das Blut wurde nach dem Vorschlag Warburgs in Lockescher
Flüssigkeit von folgender Zusammensetzung ausgewaschen: NaCl 7,2 g,
NaHCO, 1,0 g, KCI 0,3 g, CaCl, 0,3 g, Traubenzucker 5,0 auf 1000 g
Wasser. Bei der Atmung verbrauchen die Blutkörperchen den Sauerstoff,
welchen sie in Form von Oxyhämoglobin mit sich führen, wobei Hämo-
globin entsteht. |
Zur Bestimmung des Sauerstoffverbrauches wurde der Blutgasapparat
nach Haldane-Barcroft benutzt mit einigen von Warburg angegebenen
Veränderungen. Der Apparat besteht aus einem Atmungsgefäß, welches
mit einem Manometer verbunden ist. Nach Vorschlag von Brodin
besteht die Flüssigkeit im Manometer aus 500 ccm Wasser, 23 g NaCl,
5 g Natr. choleinec. Merck und etwas Thymol. Nach eingetretener Tem-
peraturgleichheit (5 Min.) wird der Hahn des Manometers geschlossen,
das Atmungsgefäß in regelmäßigen Zwischenräumen geschüttelt, bis sich das
Manometer nicht mehr verändert. Aus der Druckabnahme am Manometer
wird bestimmt, wie viel Sauerstoff vom Blut beim Schütteln aufgenommen
wird. Ein drittes Gefäß mit Wasser dient zur Temperaturkontrolle.
Man liest dann die Temperatur und die Druckveränderung ab und kann
daraus leicht den verbrauchten Sauerstoff berechnen nach der Formel
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 41
n38 | Bering,
Vo
— — Pin Kubikzentimeter Sauerstoff unter Normalbedingungen
Po 1 + at) nn
von Temperatur und Atmosphärendruck. (V ist das Volumen des Ab-
sorptionsgefäßes plus Kapillare minus eingefüllter Flüssigkeit in Kubik-
zentimeter, p Druckabnahme im Manometer, gemessen in mm wässeriger
Lösung von gallensaurem Natrium [sp. Gew. 1,033], deren spezifisches
Gewicht so eingerichtet ist, daß der Druck von 100000 mm dem vun
760 mm Hg. entspricht, p,g Normaldruck in mm der gleichen Lösunz
= 10000, t = Absorptionstemperatur in 0°C, x = Ausdehnungskoeffiziert
des Sauerstoffs bzw. der Gase = 1/73.)
Während Haldane-Barcroft in einer verschließbaren mit dem Man«-
meter verbundenen Flasche von 30—40 ccm Inhalt den Sauerstoff aus
dem Oxyhämoglobin mit Ferrozyankalium entwickeln, bestimmte ich nach
Warburg aus der Druckabnahme am Manometer, wie viel Sauerstoff von
dem Blut beim Schütteln aufgenommen wird, also das reduzierte Hä mo
globin.
Es wurde nicht das gewöhnliche Verfahren nach Haldane-Barcroft
und Warburg benutzt, sondern die neuere von O. Warburg und
O. Meyerhof angegebene Methode der Bestimmung des Sauerstoffver-
brauchs bei gleichzeitig stattfindender Atmung.
2 ccm Blut wurden in ein von Siebeck angegebenes Gefäß gebracht.
Das Gefäß hat die umgekehrte Form eines Trichters, wird oben mittels
eingeschliffenen Glasstöpsels geschlossen. In diesen mündet ein Glasrohr.
welches mit einem dickwandigen Gummischlauch an das Manometer ge-
schraubt wird. In den Boden des Gefäßes ist ein kleiner Glasbehält:r
eingeblasen, in den 0,3 ccm 2 n Natronlauge zur Absorption der Kohlen-
säure gebracht werden. Zur Vergrößerung der Laugenfläche werden in den
Behälter ein Paar Glaskapillaren gestellt, die aber nicht über den oberen
Rand des Behälters reichen dürfen.
Ich habe mich bei den Versuchen zweier Gefäße, welche stets den-
selben Inhalt hatten, bedient. Der Inhalt wurde durch Wägen mit Wasser
des öfteren bestimmt, er betrug 16 ccm bei einem Paar und bei einem
anderen Paar 16,3 ccm.
Das Volumen des Gasraumes wird berechnet: Inhalt der Gefäiie
15 ccm, Verbindung bis zur Manometerflüssigkeit (Marke 150) 1,2. Da-
von ist zu subtrahieren 2 ccm eingefüllte Blutkörperchen, 0,3 Natronlauge.
0.1 für die Glaskapillaren. Das Volumen des Gasraumes betrigt al.
16 + 1,2 = 17.2 — (2 + 0,3 + 0,1) = 148. Im Verlaufe des Versuche.
verschwindet der Sauerstoff, der Sauerstoffpartiardruck nimmt ab, dadurce?
nimmt auch der in der Flüssigkeit absorbierte Sauerstoff ab. Bei genauer
Berechnung ist die entsprechende Grölje zu der aus der Druckabnahme
Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen durch Lichtstrahlen. 639
berechneten zu addieren. Meyerhof!) hat nach dieser Methode sehr
interessante Versuche angestellt über die Atmung der Zellen (siehe Lite-
raturverzeichnis).
Wenn die Belichtung abgeschlossen ist und die Messung in der an-
geführten Weise vor sich gehen soll, so werden die Blutkörperchen in die
Atmungsgefäße gefüllt, mit dem Manometer verbunden und die Gefäße in einen
Thermostaten gebracht bei 37°. In diesem rotieren zur guten Mischung
des Wassers um eine vertikale Achse 4 horizontal gestellte Flügel. Beim
Arbeiten mit Bakterien schlagen 4 in der Höhe der Gefäße angebrachte
Federn diese regelmäßig an. Gänseblutkörperchen werden regelmäßig mit
der Hand geschüttelt, wobei durch Kontrollen festgestellt sein muß, daß
durch das Schütteln stets eine vollständige Sättigung des Hämoglobins er-
reicht wird.
Sobald die Blutkörperchen auf die Temperatur des Thermostaten ein-
gestellt sind, werden die mit der Außenluft in Verbindung stehenden
Hähne geschlossen, darauf geschüttelt. Der verbrauchte Sauerstoff ist nun
unmittelbar in der Druckabnahme am Manometer erkennbar. Ein zweiter
Kontrollapparat, ohne Blutkörperchen, ebenfalls in den Thermostaten
hängend, dient als Thermobarometer. „Die Differenz Druckänderung im
Bestimmungsapparat — Druckänderung im Thermobarometer, gibt die Druck-
änderung, die im Bestimmungsapparat bei konstanter Temperatur und kon-
stantem Barometerstande eingetreten wäre.“
Der Sauerstoffverbrauch kann in der bereits angeführten Weise be-
rechnet werden.
Ich habe in beifolgenden Tabellen jedoch nur die am Manometer ab-
gelesenen Druckänderungen angegeben, wobei die Druckveränderungen der
Manometer, die nicht durch Sauerstoffverbrauch, sondern durch Schwan-
kungen der Temperatur hervorgerufen wurden, an den gemessenen Aus-
schlägen bereits in Abzug gebracht sind.
Die Belichtung wurde in einer mit einem Quarzglasfenster versehenen
Prüfzelle, wie Meyer und ich sie zur Messung ultravioletter Strahlen-
quellen angegeben haben, vorgenommen. In diese Prüfzelle wurden 3 ccm ge-
waschene rote Gänseblutkörperchen gebracht, belichtet und hieraus 2 ccm
zur Prüfung ihrer Atmung in die Atmungsgefüße. Anfangs habe ich
versucht, den Sauerstoff während der Belichtung zu messen, zu diesem
Zwecke die Lichtquelle in den Ostwaldschen Thermostaten gebracht und
die Blutkörperchen in einem eigens hierzu angefertigten Quarzglasgefäß be-
strahlt. Wegen technischer Schwierigkeiten wurde diese Versuchsanordnung
1) Herr Dr. Meyerhof vom hiesigen physiol. Institut hat mich in die Me-
thodik eingeführt; ich sage ihm auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank.
41*
640 Bering,
jedoch aufgegeben und zunächst die Bestrahlung vorgenommen und dann
gemessen. |
Als Lichtquelle wurde die Quecksilberdampflampe benutzt. Diese
Lampe enthält zwar in erster Linie blaue und ultraviolette Strahlen, jedoch
auch gelbe und grüne. Durch Vorschalten besonderer Filter wurden nur
die in dem einzelnen Falle gewünschten Strahlengruppen zur Wirkung
gebracht. Ich verweise hier auf die Arbeit Bering u. Hans Meyer, Strahlen-
therapie Bd. I, 4. Gemessen wurde die Strahlenintensität nach Finsen-
einheiten.
Wie aus den Tabellen ersichtlich ist, sind beim Weißlicht ganz
erhebliche Dosen gegeben worden. Bei dem geringen Gehalt der Quarz-
lampe an grünen und gelben Strahlen ließen sich bei Applikation dieser
Strahlengruppen derartig hohe Dosen wegen des zu großen Zeitaufwandes
nicht erreichen. Da ja aber auch bei geringeren Dosen eine Beeinflussung
im positiven Sinne eintrat, möchte ich hierin einen Mangel in der Ver-
suchsanordnung nicht erblicken. Auch das völlige Fehlen der roten Strahlen
konnte mich wegen der Handlichkeit der Lampe und vor allem der exakten
Dosierungsmöglichkeiten nicht veranlassen, eine andere Lichtquelle zu
wählen.
p = Druckabnahme in Millimeter-Manometerlösung.
v = 14,8.
t = 39°? C.
Die Differenzen wurden stets nach 40 Minuten abgelesen.
Weißlicht | Blaulicht
Druckabnahme Druckabnahme
Dosis Kontr. Belichtet . Dosis Kontr. Belichtet
4F.. 0.39 31 4F. . 2.56 56
62 60 60 58
sF...6 60 | 6F... 62 64
45 47 | 55 53
12 F. . . 52 53 ı 8F... 6 70 = 16°;
60 67 | 63 83 = 22°,
16 F. . . 52 70=34% A10F. . . 50 77 = 54°,
69 95 =88% | 44 67 =52°,
200 F... 65 12 =109; | 2 Ee a 5 92 58=10°,
48 60 =25% | 43 77=78°,
AF...6 48 1416F. .. 60 81-8350,
67 50 | 61 87= 43°,
Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen durch Lichtstrahlen. 641
Grünlicht | Gelblicht
Druckabnahme | Druckabnahme
Dosis Kontr. Belichtet Dosis Kontr. Belichtet
1.5 F . . 63 61 | 25 F .. 34 33
' 74 76 50 52
25F .. 3 53 AF...5 67 = 20 %
61 70 28 40 =43%
SF ...78 76 Ä DE s .- 4:83 55=57%
70 72 | 43 56 = 30 %
4 F... 45 3=15% . 65 F . . 60 72=20%
60 74=233% 58 73=26 %,
+45 F .. 65 90 = 38 % | 75F .. 75 t00 = 33 9%
70 92=17% i 61 80 = 30 %
6 F... 75 86 = 15% 10 F. .. 44 60 = 36 %
40 61 =50% ` 28 46 = 64 %
Wir sehen also, daß das Weißlicht den Sauerstoffverbrauch bei einer
Dosis von 16—20 F steigert; größere Dosen vermindern den Verbrauch,
lähmen also die Zellfunktionen.
Das Blaulicht fördert den Sauerstoffverbrauch schon bei einer Dosis
von 8 F bis zu der untersuchten Dosis von 16 F, zum Teil um 50 %
und darüber hinaus.
Grünlicht und Gelblicht wirken bei noch geringerer Dosis, schon
bei 4 F, fördernd auf die Zellatmung und regen den Sauerstoffverbrauch
an bis zu 50%, und mehr bei einzelnen Untersuchungen.
Auffallend ist, daß die Gänseblutkörperchen durch das Weißlicht
erst bei einer so großen Dosis von 20 F geschädigt werden. Bei der
großen Empfindlichkeit der Peroxydase gegenüber den ungefilterten, an
äußeren Ultraviolett überreichen Strahlen (Weißlicht) wurde sehr bald eine
Schädigung der Blutkörperchen erwartet.
Die Förderung erfolgt bei einer bestimmten Dosis von 16 F Weikl-
licht, besteht auch bei 20 F noch; darüber hinaus jedoch setzt die
schädigende Wirkung des Lichtes ein: die Intensitätsgrenze für die Förde-
rung ist also hier nur eine geringe.
Die zur Förderung notwendigen Dosen des Weißlichts sind ver-
hältnismäßig groß gegenüber den der anderen Lichtarten. Genau die
halbe Lichtdosis führt schon beim Blaulicht zur Anregung, und eine
noch geringere bei dem Gelblicht und Grünlicht.
Bei diesen letzteren Strahlenarten ist die Intensitätsgrenze für die
Anregung eine breitere als beim Weißlicht, so z. B. bei Blaulicht von
642 Bering,
8—16 F und bei Gelblicht von 4—10 F (größere Dosen wurden nicht
gegeben). Es ist anzunehmen, daß erst sehr große Dosen eine schädigen.de
Wirkung im Sinne einer Lähmung ausüben.
Die Ursache dafür, daß die Strahlen des Weißlichts erst bei großen
Dosen fördern und die der anderen Strahlenarten schon bei viel geringeren
Dosen anregend wirken, liegt offenbar darin, daß die langwelligeren
Strahlen sehr viel schneller in das Zellinnere bis an den atmenden Kern
vorzudringen vermögen. Die kurzwelligen Strahlen werden in den Hüllen
der Blutkörperchen abgefangen und erst allmählich kommen die in dem
Weißlicht enthaltenen penetrationsfähigen Strahlen zur Wirkung.
Von besonderem Interesse sind die bei Applikation der
gelben und grünen Strahlen erhobenen Befunde. Auch diese
Strahlen vermögen die Atmung der Gänseblutkörperchen an-
zuregen.
Sie sind es nun, die in die tieferen Hautschichten und in die unter
der Haut liegenden Organe einzudringen vermögen. Es ist zu vermuten.
daß sie auf den Stoffwechsel der Zellen hier eine Wirkung auszuüben
imstande sind.
Aus den Versuchen geht hervor, daß die einzelnen Strahlengruppen
des Lichtes auf das Zelleben einen Einfluß im Sinne einer Anregung der
Zellatmung auszuüben imstande sind. Allerdings ist bei den roten Gänse-
blutkörperchen diese Steigerung keine sehr große. Zur definitiven Ent-
scheidung der Frage sind noch weitere Untersuchungen mit einzelligen
Organismen notwendig. Versuche mit Seeigeleiern und Spermatozoen, die
nach den Vorversuchen sehr geeignet erscheinen, werden in Aussicht ge-
stellt. Bei diesen werden auch in ausgedehntem Maße die Sensibilisatoren
berücksichtigt werden.
Die bisherigen Resultate der Experimente berechtigen jedoch schon zu
der Annahme, daß die Lichtstrahlen, auch jene mit erhöhter
Penetrationsfähigkeit, die Zellatmung im Sinne einer Änregung
zu beeinflussen vermögen.
In dieser Hinsicht scheinen meine Versuche ein Beitrag zur Erklärung
für die günstigen Heilwirkungen unter dem Einfluß des Lichtes zu sein.
Literatur:
Barcroft, Ergebn. d. Physiologie, Bd. 7, 1908. Vom Barcroftschen Gasana-
lysenapparat.
Bering, Über die Wirkung violetter und ultravioletter Lichtstrahlen. Med.-
naturw. Archiv, Bd. I.
Bering u. Meyer, Methoden zur Messung der Wirksamkeit violetter und ultra-
violetter Strahlenquellen. Strahlentherapie, Bd. 1,1.
Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zelleu durch Lichtstrablen. 643
Bering u’ Meyer, Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichts. Strahlen-
therapie, Bd. I, 4.
O. Meyerhof, Über scheinbare Atmung abgetöteter Zellen durch Farbstoffreduk-
tion. Arch. f. d. ges. Phys., Bd. 149.
Derselbe: Über Wärmetönungen chemischer Prozesse in lebenden Zellen, Arch.
£. d. ges. Phys., Bd. 146.
Derselbe: Untersuchungen über die Wärmetönung der vitalen Oxydationsvor-
gänge in Eiern. Biochem. Zeitschr., Bd. 35, H. 3 u. 4.
Derselbe: Über Energiewechsel von Bakterien. Sitzungsber. d. Heidelberger
Akademie der Wissenschaften, 1912.
O. Warburg u. O. Meyerhof: Über Atmung in abgetöteten Zellen und in Zell-
fragmenten. Arch. f. d. ges. Phys., Bd. 148.
O. Warburg, Zur Biologie der roten Blutzellen. Zeitschr. f. phys. Chemie, Bd. 59,
ferner Bd. 66.
Derselbe: Über Beeinflussung der Oxydation in lebenden Zellen nach Versuchen
an roten Blutkörperchen. Zeitschr, f. phys. Chemie, Bd. 69.
Derselbe: Über Hemmung der Blausäurewirkung in lebenden Zellen. Zeitschr.
f. phys. Chem., Bd. 76.
R. Siebeck, Über die osmotischen Eigenschaften der Nieren. Habilitationsschr.
Heidelberg 1912.
(Aus der zweiten medizinischen Klinik der Universität Berlin.)
Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel.
Von
Ludwig Pincussohn.
(Mit 4 Abbildungen.)
I“ habe schon früher!) zeigen können, dal) es gelingt, den Stoffwechsel
von Tieren durch Sensibilisierung plus Lichtwirkung zu beeinflussen.
Weiße Hunde, denen subkutan eine Lösung von Eosin injiziert worden war,
zeigten nach Bestrahlung durch eine elektrische Bogenlampe nicht un-
erhebliche Veränderungen im Abbau der Purinstoffkörper. Der Allantoin-
gehalt nahm unter dem Einfluß der Bestrahlung erheblich ab, während
andererseits, scheinbar umgekehrt proportional dazu, die Ausscheidung der
Oxalsäure stieg.
Ich habe diese Versuche nun weiter verfolgt und, ohne die Frage
völlig geklärt zu haben, was bei der Schwierigkeit der Versuche und den
vielen Variationen erst in längerer Zeit möglich sein dürfte, habe ich doch
einige neue Resultate erhalten.
Die Versuchsanordnung war die gleiche wie in den oben zitierten
Untersuchungen. Als Versuchsobjekte dienten ebenfalls weiße Hunde,
entweder kurzhaarige oder langhaarige. denen das Haar an den der Be-
lichtung ausgesetzten Stellen kurz geschoren worden war. Diese Prozedur
wurde nicht erst zur Zeit der Belichtung vorgenommen, sondern das
Tier wurde auch in der Vorperiode unter den gleichen Bedingungen geprüft.
Gehalten wurden die Tiere ın Stoffwechselkäfigen, die ihnen ein ausreichen-
des Maß von Bewegung ermöglichten. Als Lichtquelle bei diesen neuen
Versuchen diente nicht Bogenlicht, sondern teils Quecksilberdampflicht in
Glasröhre (Cooper-Hewitt-Lampe), teils eine Quarzlampe der Quarzlampen-
gesellschaft (künstliche Höhensonne).
Die Besorgung der Hunde geschah 24stündig: das Gefäß zum Auf-
fangen des Harnes enthielt stets Toluol, um eine Fäulnis zu verhindern.
Wasser wurde ad libitum gereicht. Das Futter war in den hier ge-
schilderten Versuchen zusammengesetzt aus getrocknetem Pferdefleisch,
Reis, Schweinefett und Knochenasche, Tag für Tag gleich und wurde von
den Hunden täglich vollständig gefressen. Untersucht wurde außer dem
Purinstoffwechsel auch der Stoffwechsel des Eiweißes; das Futter war
!) Berliner Klinische Wochenschrift 1913, Nr. 22.
Pincussohn, Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 645
nicht purinfrei, aber von konstantem Puringehalt. Die Untersuchung der
Ausscheidungsprodukte geschah nicht in täglichen Portionen, sondern die
Ausscheidungsprodukte mehrerer Tage wurden antiseptisch gesammelt, zu-
sammengemischt und möglichst schnell analysiert.
Bestimmt wurde der Gesamtstickstoff nach Kjeldahl, die Harnsäure
nach Hopkins-Folin und nach Krüger-Schmid, die Purinbasen nach
den letzteren Autoren, Ammoniak nach Krüger-Reich-Schittenhelm,
die Aminogruppen nach Sörensen, die Oxalsäure nach Salkowski, Allan-
toin nach Wiechowski.
Tabelle I.
Terrier II. Quecksilberlampe T per-Hewitt).
EEA |+ a
+ Fr
M-ouwy-fyN
vroyudı/y
'BInBSussy 'usst/g
En
Ta Pre Se
Basen: N
2
April Mai
Als Farbstoffe wurden verwandt das bereits in den ersten Versuchen er-
probte Eosin, das Erythrosin, das dichloranthracen-2,7-disulfosaure Natrium.
das eine sehr starke Fluoreszenz zeigt und das von Tappeiner bei seinen
Versuchen an niederen Organismen sehr stark wirksam gefunden wurde
und das nach demselben Autor ebenfalls sehr wirksame anthrachinon-2,7-
disulfosaure Natrium, das im Gegensatz zu den anderen Farbstoffen fast
keine Fluoreszenz aufweist.
Tabelle I und II geben parallele Versuche unter dem Einfluß von
Eosin, dichloranthracendisulfosaurem Natrium und anthrachinondisulfosaurenm
Natrium. Der zu Versuch I verwendete Hund, weißer Terrier, wog 4800 g:
646 Pincussohn,
das Gewicht blieb während der Versuchsdauer zunächst konstant, ging in
der letzten Periode aber um 250g zurück. Das Tier war während des
ganzen Versuches munter. Weder bei ihm noch bei meinen anderen
Versuchstieren bemerkte ich unter Bestrahlung lebhafte Bewegungen, die
für den gesteigerten Umsatz anzuschuldigen wären. Die dem Tier gereichte
Nahrung bestand aus 21g getrocknetem Fleisch, 50g Reis, 20 g Schweine-
fett, 4g Knochenasche. Sie wurde ebenso wie die Nahrung in anderen
Versuchen so dargestellt, daß der Reis auf dem Wasserbad zunächst mit
Tabelle II.
Spitz III. Quecksilberlampe (Cooper-Hewitt).
$
|
P I.
Dichlorant Ihracen -
disulfasoures No
Maupipenode 1-
Anthrachınon -
dısu/fosaures Na
> Nechperiode.
Amine -N.
IINDS/OXg
besem! Nom -Ñ
SLLEEEERS Eee
| a Zee
,13 TA u N.
Fa Aa
eA e e TTT e A
FOA pee
vrozuoyy
'BINDS WDy ussog
Nfe menman
7 LAN]
PaE ENRERE
ei A a
1913 11 16 17 w T u 29 3 5 8
Apri Ma
der entsprechenden Menge Wasser zerquollen wurde; in die aufgequollene
Masse wurden die anderen Bestandteile heiß hereingerührt und die Nahrung.,
sobald das Fett wieder erstarrt war, noch warm dem Tier vorgesetzt. Die
Nahrung wurde sowohl von diesem Hund wie auch von den anderen Tieren
gern genommen und regelmäßig in weniger als einer Stunde quantitativ
ausgefressen. Die Aufnahme an Wasser betrug zwischen 150 und 250 ccm
täglich. Der Stickstoffgehalt der Nahrung war 3,06 g pro die.
Wie schon oben erwähnt und wie auch aus den Tabellen ersichtlich,
wurden keine täglichen Analysen ausgeführt, sondern die zwei- bis dreitägige
Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 647
Harnmenge zusammen analysiert. In der Regel wurde der bereits unter
Toluol aufgefangene Harn zweimal täglich in die ebenfalls mit Toluol be-
schickte Sammelflasche ausgeleert, regelmäßig außerdem der Käfig ausge-
spült, das Waschwasser zum Harn gefügt, auf ein einheitliches Volumen
aufgefüllt, gut gemischt und analysiert.
Der für den Versuch II gebrauchte Hund war ein weißlicher, kurz
geschorener Spitz, Anfangsgewicht 6850 g, Endgewicht 6550 g. Die Nah-
rung bestand aus 30 g getrocknetem Pferdefleisch, 70g Reis, 30 g Schweine-
fett, 5 g Knochenasche mit einem Stickstoffgehalt von 4,34 g.
Die Versuche sind parallel unter ganz gleichen Bedingungen ange-
stellt und können daher gewissermaßen als ein Versuch gelten. Auf eine
hier nicht angegebene Vorbereitungszeit folgte eine Vorperiode, bestehend
aus 2 Perioden zu je 3 Tagen; es schloß sich an eine ebenfalls 6tägige
Licht-(Haupt-)Periode, es folgte eine 3tägige Zwischenperiode, darauf wieder
eine 6tägige Hauptperiode und zum Schluß eine 6tägige Nachperiode. Die
Kurven sind hier so gezeichnet, dal jede Periode nur durch einen Punkt
in ihrer Mitte charakterisiert ist: dieser Mittelpunkt fällt für die Vor-
periode auf den 11. April, die erste Hauptperiode auf den 26. April und
die Nachperiode auf den 2. Mai.
Als Lichtquelle diente für diese Versuche eine Cooper-Hewitt-
Lampe von 100 cm Länge, die dreiviertel Meter über den Versuchskäfigen
aufgehängt war. Die geringe durch die Lampe erzeugte Temperaturerhöhung
kam an den Käfigen selbst nicht zum Ausdruck. Die Lampe ist bekannt-
lich eine in einem langen Glasrohr eingeschlossene Quecksilberdampflampe,
die ultraviolette Strahlen fast gar nicht besitzt und im übrigen nur den
Teil des Spektrums vom Violett bis Grün besitzt. Die Dauer der Belich-
tung betrug in der ersten Hauptperiode 1. Hälfte insgesamt 24 Stunden,
2. Hälfte insgesamt 29!/, Stunden; in der zweiten Hauptperiode, 1. Hälfte
27 Stunden, 2. Hälfte 33 Stunden: die Belichtungsdauer schwankte also
zwischen 8 und 11 Stunden täglich. Die täglich injizierte Farbstoffmenge
schwankte zwischen 0,2 und 0,5 g.
An Hand der Tabellen ergibt sich nun für die einzelnen Ausschei-
dungsprodukte folgendes.
Der Gesamtstickstoff nimmt unter einfacher Lichtwirkung ohne Sensi-
bilisator etwas ab, mit Eosin dagegen etwas zu; eine Abnahme wurde auclı
beim dichloranthracendisulfosauren Natrium beobachtet, während unter
anthrachinondisulfosaurem Natrium der Gesamtstickstoff ziemlich erheblich
zunahm. Der Kotstickstoff steigt bei jeder Lichtwirkung, am wenigsten
unter Eosin. Der Allantoinstickstoff nimmt bei einfacher Bestrahlung kaum
ab; größer ist schon die Wirkung des dichloranthracendisulfosauren Natrium,
größer die des Eosins, am größten die des anthrachinondisulfosaurem Natrium.
618 Pincussohn,
Auch bei diesen Versuchen zeigte sich die schon früher gemachte Erfahrung,
daß trotz dieser erheblichen Veränderung der Allantoinwerte die Harnsäure-
kurve fast ganz konstant blieb: man hat es also nicht mit einem Stehen-
bleiben des Purinabbaues auf der Stufe der Harnsäure zu tun. Unter dem
Einfluß der verschiedenen Farbstoffe, nicht aber von Licht allein, nahm
der Basenstickstoff zu; es verschiebt sich hierdurch das Verhältnis Harn-
säure : Purinbasen sehr erheblich und es dürfte hier wohl ein Teil der Licht-
wirkung zu suchen sein.
Recht wichtig ist die Beobachtung, dal umgekehrt proportional mit
der Allantoinausscheidung oder zum mindesten diesem Verhältnis sehr an-
genähert die Ausscheidung der Oxalsäure verläuft. Diese Tatsache bildet
eine starke Stütze für die Autoren, welche wenigstens einen erheblichen
Teil der Oxalsäure aus dem Purinstoffwechsel herleiten und zwischen
Oxalurie und Gicht sehr nahe Übergänge konstruieren. Ich muß vorläufig
dahingestellt lassen, ob in der Tat ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
Allantoin- und Oxalsäureausscheidung besteht; die jetzt, ebenso wie die
früher erhaltenen Zahlen sprechen sehr in diesem Sinne, wenn sie auch
einen exakten Beweis nicht geben.
Was die Werte des Harn-Ammoniaks und des Aminostickstoffs des
Harnes betrifft, so finden sich weder unter einfacher Belichtung noch unter
Belichtung nach Eosin irgendwelche größeren Differenzen. Auch nach
dichloranthracendisulfosaurem Natrium sind die Unterschiede gering. Ein
deutliches Ansteigen beider Werte zeigt sich dagegen nach Sensibilisierung
mit anthrachinondisulfosaurem Natrium und besonders in der Nachperiode
finden sich exorbitant hohe Werte.
Zwei weitere Versuche (Tabelle III, IV) sollten über das Verhalten
der letztgenannten Komponenten weiteres Material bringen. Zu diesen
Versuchen diente ein gelblicher kurzgeschorener Spitz, 6700 g, Nahrung:
80 g Reis, 25 g getrocknetes Fleisch, 25 g Fett, 5 g Asche; täglicher
Nahrungsstickstoff 3,45 g; ferner ein weißer Terrier, 5100 g, tägliche Nah-
rung 20 g getrocknetes Fleisch, 60 g Reis, 20 g Fett, 5 g Knochenasche,
Gresamtstickstoff der Nahrung 2,96 g. Die Perioden waren bei diesen Ver-
suchen 2tägige. Zur Sensibilisierung benutzt wurde Erythrosin und anthra-
chinondisulfosaures Natrium. Es sind ebenfalls Parallelversuche: in den
Tabellen sind notiert die Mittelwerte aus der 5tägigen Vorperiode, der
6tägigen Hauptperiode, dem 4tägigen 1. Teil der Nachperiode und dem
ebenso langen 2. Teil der Nachperiode. Die zur Belichtung dienende Quarz-
lampe von Heraeus (künstliche Höhensonne) war ohne andere als gewöhn-
liche Kühlung 60 cm über dem oberen Teil des Käfigs angebracht. Die
gesamte Bestrahlungsdauer während der Hauptperiode betrug 190 Minuten,
auf die einzelnen Tage gleichmäßig, und zwar mehrmals täglich, verteilt.
Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 649
Wie die Tabellen zeigen, ist eine Zunahme des Gesamtstickstoffs in
etwas größerem Maße nur in der Nachperiode nach Behandlung mit dem
Anthrachinonfarbstoff festzustellen. Das Ammoniak des Harns nimmt unter
Erythrosin bei der Bestrahlung ein wenig zu, um nachher abzufallen und
Tabelle III.
Spitz II. Quarzlampe. — TEE TILL. S. 1913).
Tabelle IV.
Terrier III. Quarzlampe. — Anthrachinon — disulfosaures Na (S. S. 1918).
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niedrig zu bleiben. Der Aminostickstoff nimmt sofort ab und bleibt niedrig.
Anders beim anthrachinondisulfosauren Natrium : der Aminostickstoff nimmt
auch hier unter Bestrahlung ab, er steigt jedoch nachher über den ursprüng-
lichen Anfangswert an: der Ammoniakwert dagegen steigt schon unter
650 Pincussohn, Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel.
Bestrahlung an und wird nachher noch erheblich höher, über das 5fache
des ursprünglichen Wertes. Diese Tabellen lehren also, daß man unter
gleichen Verhältnissen, mit der gleichen Lichtquelle nur durch die Wahl
des Sensibilisators verschiedene Effekte erreichen kann.
Die hier geschilderten Versuche stehen durchaus im Anfangsstadium ;
erst weitere Reihen, unter Variierung der Versuchsbedingungen, vor allem
der Lichtquellen und der Sensibilisatoren, können bündigen Aufsschluß
darüber geben, wie weit eine Beeinflussung in dem oben skizzierten Sinne
mit Sicherheit zu erreichen ist. Ich bin mit weiteren Versuchen hierüber
beschäftigt und hoffe bald neues Material beibringen zu können. Vom Auf-
stellen von Theorien und dem Bau von Hypothesen möchte ich vorläufig
Abstand nehmen; das Erfordernis der nächsten Zukunft ist im obigen
Sinne durchgeführte experimentelle Arbeit.
Die äußere Tuberkulose, spez. Hauttuberkulose, und ihre
Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl).
Von
Dr. Artur Strauß, Barmen.
(Mit 28 Abbildungen.)
W: durch das Tierexperiment die Ätiotropie eines neuen Mittels bei
einer Infektionskrankheit festgestellt ist, so liegt die Wahrscheinlich-
keit nahe, daß es auch beim Menschen ähnliche Wirkungen entfaltet.
Wir stehen freilich nicht mehr auf dem Standpunkte, daß das positive
Tierexperiment als eine conditio sine qua non für die Wirkung neuer
Mittel oder Verbindungen beim Menschen anzusehen ist. Wenn es aber
gelingt, so bietet es eine tiefe wissenschaftliche Grundlage für diese Ver-
suche.
Wir müssen Finkler und der Gräfin Linden das große Verdienst
zusprechen, daß sie vom Kupfer den positiven Beweis seiner ätiotropen
Wirkung beim Meerschweinchen erbracht haben.
Gräfin Linden hat gezeigt, daß es an das Protoplasma der Tuberkel-
bazillen gekettet wird, dal es sie von der Blutbahn aus abtötet, ohne den Or-
ganismus zu schädigen. Es erwies sich also ein Mittel in rein chemotherapeu-
tischem Sinne, welches im weitesten Maße beim Menschen geprüft zu werden
verdiente. Und dieses um so mehr, als wir das Märchen von der hohen
giftigen Wirkung des Kupfers durch die Erfahrung am Tiere und am
Menschen selbst längst als widerlegt betrachten dürfen. Das Kupfer ist
eben besser als sein Ruf. Von dieser Tatsache habe ich mich in
zweijähriger Erprobung zahlreicher Verbindungen dieses Metalls bei der
verschiedensten Einverleibungsart (subkutane, intramuskuläre und intravenöse
Injektionen, Schmierkuren, innere Verabreichung, Klysmen, örtliche An-
wendung) an mehr als 100 Kranken überzeugt. Die einzige unangenehme
Begleiterscheinung der Kupfertherapie, die namentlich in der ersten Zeit
meiner im August 1911 begonnenen Versuche hervortrat, war die örtliche
Schmerzhaftigkeit, namentlich bei Injektionen. Ich arbeitete anfangs mit
dem Kupferchlorid, das sich auch für die örtliche Therapie als zu schmerz-
haft erwies. Von den vielen Verbindungen zeigten sich dann das Kupfer-
kaliumtartrat als sehr brauchbar, auch für Injektionen, für diese auch das
dimethylamidoessigsaure Kupfer. Die unzweifellhiaften Erfolge, die ich immer
652 Strauß,
wieder beobachten konnte, ließen mich nichtruhen, die Methodik der Kupfer-
behandlung weiter auszubilden, in erster Linie die örtliche, wie ich sie
einführte, nachdem ich ihren großen Wert erkannt hatte Ist es
schwierig, sich von dem Grade der ätiotropen Wirkung eines Mittels von
der Blutbahn aus auf die Tuberkulose, besonders die innere, mit ihren
individuellen Schwankungen und ihrer Abhängigkeit von den hygienischen
Bedingungen ein klares Bild zu verschaffen, so liegen die Verhältnisse
wesentlich einfacher, wenn man seine örtliche Wirkung prüft. Hier
kann uns kein Objekt günstiger liegen, als die Tuberkulose der Haut
in ihren verschiedenen Formen, der Schleimhäute und auch der
Lymphdrüsen, der Knochen und Gelenke. Hier können wir, sei es
mit dem Auge, sei es im Röntgenbilde, den Reaktionsprozeß verfolgen
und auch die Frage entscheiden, ob das Mittel nur eine Ätzwirkung in
mehr oder weniger elektivem Sinne oder auch eine spezifische Wir-
kung entfaltet. Und da drängt sich zunächst die Frage auf: Wie soll
man ein elektiv wirkendes Mittel von einem auch gleichzeitig
spezifisch wirkenden unterscheiden? Spezifisch ist ein Mittel.
wenn es bestimmte Parasiten vernichtet, andere dagegen nicht. Elektiv
ist ein Mittel, das nur das kranke Gewebe zerstört, ohne eine ausge-
sprochene Affinität zu den Bakterien zu entfalten. Die spezifische Wirkung
kann nur dann zu einer chemotherapeutischen sich erheben, wenn seine
außerhalb des Organismus spezifische Kraft sich in ihm mehr bakterio-
trop als organotrop erweist. Will man aus dem Gebiete der Lupusbehandlung
ein Mittel nennen, das als elektiv, aber nicht als spezifisch zu bezeichnen
ist, so ıst die Pyrogallussäure dafür ein Prototyp. Vom Blute her ist sie
überhaupt nicht verwendbar, weil sie schon in verhältnismäßig kleinen
Dosen eine Methämoglobinämie auslösen würde. Auch kann sie, schon
bei örtlicher Anwendung, Nephritis erzeugen. Auf lupösen Herden ver-
ursacht sie eine Verätzung der oberflächlichen Knötchen unter Abstoßung
des nekrotischen Gewebes. Aber sie bringt durch die unversehrte Haut
hindurch tuberkulöse Gewebe nicht zur Resorption. Ganz anders das so un-
schädliche Kupfer. Es zerstört nicht nur elektiv die lupösen Infiltrate, son-
dern leitet auch ihre Resorption ein, selbst durch die intakte Haut hindurch,
oder von der Blutbahn aus. Diese resorbierende, zur Atrophie füh-
rende tiefe Wirkung des Kupfers zeigt sich am besten bei Skrophulo-
dermen mit noch nicht zerstörter Oberhaut. Diese können unter Einreibungen
der Salbe völlig zur Resorption gelangen. Das Kupfer heilt also auch ohne
Atzwirkung und diese Fähigkeit ist auf das Konto seiner spezifischen
Eigenschaften zu setzen. Die Ätzwirkung scheint also, wie ich schon früher
betont habe, nur ein Mittel zum Zweck zu sein. Durch sie werden die
Epithelverbände gelockert, durch sie wird erst dem Kupfer die Bahn ge-
Hauttuberkulose und ihre Behandluug mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 653
ebnet, seine spezifische Wirkung in den unteren Schichten der‘ Haut zu
entfalten. Das Kupfer wirkt nicht nur ätzend auf tuberkulöse Gewebe,
d. h. elektiv, sondern auch abtötend auf die Erreger und resor-
bierend. Es ist nach meinen bisherigen Erfahrungen weniger oder gar
nicht wirksam bei anderen Infektionskrankheiten, z. B. bei Lues und auch
bei anderen Hautleiden, z. B. bei Lupus erythematodes und Psoriasis. Es
ist also spezifisch bei Tuberkulose. Mit dieser Eigenschaft rückt das
Kupfer, wie mir scheint, an die erste Stelle aller örtlich auf tuberkulöse
Gewebe wirkenden Mittel. Und wenn die Finsenbehandlung mit ihrer
Langwierigkeit, Umständlichkeit und Kostspieligkeit in den letzten Jahren
eine so gewaltige Bedeutung in der Therapie des Lupus gewann, so ver-
dankt sie diesen Vorsprung nicht zum geringsten Teile der Tatsache, daß
alle einfachen elektiven Verfahren für die dauernde Heilung des Lupus
nicht ansreichten, weil sie eben nur elektiv, aber nicht spezifisch wirken.
Hier scheint mir das Kupfer berufen zu sein, einen Wandel zu schaffen
und die teuren Heilmethoden in die zweite Linie zu drängen.
Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß das Kupfer tatsächlich
eine mehr wie elektive, auch eine spezifische Wirkung auf die Tuberkulose
besitzt, dal) aber seiner Dosierung von der Blutbahn aus bestimmte Grenzen
gesetzt sind, legte ich mir die Frage vor, wie man diese spezifische Kraft
steigern könne, zunächst bei örtlicher Verwendung.
Wenn man bedenkt, daß die Tuberkelbazillen aus 40 %, Fettsubstanz
bestehen, dab sich diese Fettmassen besonders in einer starken Wachs-
hülle anhäufen, so erscheint zunächst die Hypothese gerechtfertigt, daß
man die Lipoidlöslichkeit des Kupfers durch Fette steigern könne. Mit
gewöhnlichen Fetten, die ich zuerst verwandte, war dieses nicht zu erreichen,
da sie keine Bakteriolyse der Tuberkelbazillen bewirken. Dagegen bilden
die Lipoide fettspaltende Antikörper und von diesen am stärksten die
Phosphatide, zu denen das Lezithin gehört (Kurt Meyer). Nach den
/ntersuchungen von Deyke und Much verlieren in Gehirnemulsionen
eingesäte Tuberkelbazillen ihre Säurefestigkeit und gehen zu Grunde. Diese
bakteriolytische Fähigkeit scheint nach Ansicht der Autoren auf das Lezi-
thin zurückzuführen zu sein. Ich gab daher der Gräfin Linden die
Anregung zu Versuchen, die Lipoidlöslichkeit der Kupferpräparate zu steigern
und es gelang ihr, eine neue chemische Verbindung aus Lezithin mit an-
organischen oder organischen Kupfersalzen, also eine komplexe Lezithin-
Kupferverbindung zu finden, welches nunmehr die Grundlage für meine
weiteren Versuche bildete. Eine Bestätigung von dem Werte des Lezithins
als lipoidlöslichem Mittel gegen die Tuberkelbazillen glaube ich u. a. in den
Ergebnissen der russischen Autoren Borissjak, Sieber und Metalnikow
aus dem Institut für experimentelle Medizin in Petersburg erblicken zu
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 42
654 Strauß,
dürfen. Sie fanden, dal das beste Antigen zur Bildung antituberkulöser
Antikörper tuberkulöses Wachs, entfettete Körper und Lezithin sind und
daß bei Immunisation mit Tuberkelwachs und entfetteten Tuberkelbazillen
Antikörper nicht nur gegen Tuberkelwachs, sondern auch gegen lebende
und tote Tuberkelbazillen entstehen, daß aber insbesondere bei Immuni-
sation mit Lezithin Antikörper gegen Tuberkelwachs, Tuberkel-
bazillen und entfettete Tuberkelbazillenleiber gebildet werden.
Es sei noch darauf hingewiesen, daß das Lezithin als ein wert-
volles Mittel zur Zellenbildung und zum Aufbau des Organismus
geschätzt wird, daß es zur vermehrten Bildung der roten Blut-
körperchen und des Hämoglobins anregt und in diesem Sinne als ein
wichtiges Roborans, namentlich bei Schmierkuren mit Kupfer-Lezithin-
Salben, nicht zu unterschätzen sein dürfte. Und endlich hat sich gezeigt,
daß die Resorption der mit Lezithin und Alkohol ohne Fettzusatz her-
gestellten Salben eine schnellere und tiefere ist, als diejenige von Salben,
welche nur mit Fetten hergestellt wurden. Gräfin Linden fand, daß
bei Meerschweinchen eine ziemlich weitgehende Resorption stattfindet.
Sie rieb einem Versuchstier in 9 Tagen 73 Milligramm Kupfer in einer
besonderen Verbindung des Kupfers mit Lezithin ein, also nicht als Fett-
salbe. Die Analyse der Organe ergab, daß in den Organen allein 48 Milli-
gramm Kupfer wiedergefunden wurden, d. h. 65%. Die größte Menge
fand sich in Leber und Darm, die geringste in den Nieren. Diese Analyse
bestätigte die Beobachtung Gräfin Lindens, dal schwer erkrankte Organe
mehr Kupfer zurückhalten als gesunde, wie sie auf mikrochemischem Wege
nachgewiesen hatte.
Es scheint also der Ersatz des Fettes durch Lezithin zwei wesentliche
Vorzüge für die Behandlung der Tuberkulose zu bieten, eine erhöhte spe-
zifische Kraft der Kupferpräparate und eine Steigerung ihrer
Resorbierbarkeit.
Diesen experimentellen Ergebnissen entsprechen nun auch meine
praktischen Erfahrungen. Wenn man auch mit Kupfersalben, die mit ge-
wöhnlichen Fetten hergestellt sind, eine Zerstörung des lupösen Gewebes
erreicht, so geht sie nach meinen Eindrücken doch schneller und energi-
scher von statten, wenn man sich zu ihrer Herstellung der Kupfer-Lezithin-
Salben bedient. Die Wirkung dieser Salben scheint mir eine wesentlich
tiefere zu sein und das mul) ja gerade unser Ziel sein, zur Verhütung
von Rückfällen auch die tiefsten Infiltrate zu zerstören. Ich glaube diese
tiefere Wirkung des Lekutyls in verschiedenen Fällen deutlich festgestellt
zu haben. Ich behandelte bei mehreren Kranken einzelne Herde mit
Kupferlezithin, andere mit Kupferlanolin, beide Salben von gleichem
Kupfergehalt. Ich habe dabei beobachtet, dal die Tiefenwirkung der
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 655
Lezithinsalbe eine wesentlich stärkere war. Wir dürfen daher wohl in
dem Lezithin als Komponente der Salbe ein Mittel erblicken, das die
rationelle Tiefenwirkung des Kupfers befördert. Die ausgezeich-
nete Resorptionsfähigkeit der Kupfer-Lezithin-Salbe tritt auch in auffälliger
Weise bei Schmierkuren zutage. Die Salbe läßt sich außerordentlich leiclıt
und schnell in die Haut verreiben, besonders wenn man zum Nachreiben
sich des Kampferspiritus bedient.
Habe ich in therapeutischer Beziehung vornehmlich die spezifische
Wirkung der neuen Präparate zu heben versucht, so leiteten mich in
rein technischer Hinsicht besonders zwei Gesichtspunkte. Erstens, eine
Einheitlichkeit und Einfachheit der Behandlung auszubilden und
zweitens, die Schmerzhaftigkeit der Kur nach Möglichkeit
herabzusetzen. Es gelang, die Einheitlichkeit der Methodik durch die
Herstellung des neuen Präparates Lekutyl zu erreichen. Nach mehr als
1 jähriger Kontrolle zahlreicher Verbindungen und ihrer Erprobung am
Menschen sind wir für die äußere Tuberkulose bei einem Präparate stehen
geblieben, das im wesentlichen aus zimtsaurem Kupfer und Lezithin be-
steht. Nachdem ich mit Genugtuung die erfreuliche Tatsache habe kon-
statieren können, daß die zahlreichen Nachprüfungen meine Beobachtungen
und Resultate bestätigten, haben wir uns entschlossen, die Präparate?)
für die Behandlung der äußeren Tuberkulose freizugeben.
Über die mir bisher von etwa 25 verschiedenen Seiten zur Kenntnis
gegebenen Resultate der Nachprüfungen, die sich etwa über !/, Jahr er-
strecken (bei einigen auch über einen längeren Zeitraum), bin ich folgendes
mitzuteilen in der Lage. Sie stammen aus mehreren Universitätskliniken
und Polikliniken, aus Heilstätten für Lupusbehandlung, innere und chirur-
gische Tuberkulose, von mehreren Spezialärzten und einem Landarzte.
Was zunächst die Tuberkulose der Haut betrifft, so betonen fast alle
Autoren die entschiedene örtliche elektive Ätzwirkung der Salben. Ebenso
wird fast von allen Seiten die Schmerzhaftigkeit der örtlichen Behandlung
hervorgehoben. Freilich benutzten die nachprüfenden Herren anfänglich
die Salben mit stärkerem Kupfergehalt ohne Zusatz von Zykloform und es
wurde von mehreren Seiten ausdrücklich festgestellt, daß bei der neuen
Lekutylsalbe die Schmerzhaftigkeit viel geringer sei und nicht größer als
bei der Behandlung mit Pyrogallussalben. Daß das Lekutyl rascher wirkt
wie andere elektive Ätzmittel (vergleichsweise kommt auch hier in erster
Linie die Pyrogallussäure in Betracht), wird von 6 Autoren festgestellt.
Einige Herren schreiben, daß sie die auffallend schnelle Heilwirkung in
Erstaunen versetzt habe; von einer Seite wird bemerkt, daß die Wirkung
1) Farbenfabriken vorm. Fr. Bayer & Co. in Leverkusen bei Cöln.
42*
656 Strauß,
zuweilen auch langsamer sei als diejenige der Pyrogallussäure.. Mehrfach
wurde auch der auffallend schnelle und kosmetisch gute Vernarbungs-
prozeß, der sich nach der örtlichen Behandlung vollzieht und die resor-
bierende Wirkung auf Skrophulodermata erwähnt. Einige Herren schließen
sich meiner Ansicht an, daß die Wirkung der Salbe mehr wie eine elek-
tive, daß sie auch eine spezifische sei. Von einer Seite wird sie als eine
„stark spezifische“ bezeichnet. Und von einer anderen wird der Eindruck
geäußert, als hätte das Lekutyl Wirkungen, wie sie bisher noch nicht be-
obachtet seien. Keine Erfolge von allgemeiner Behandlung wurden
von drei Herren gesehen, während von fünf anderen, sei es örtliche Re-
aktionen in den Lupusherden, sei es Besserung derselben, konstatiert werden
konnten. Aus einer Universitätsklinik wird von einem schweren Fall von
Hauttuberkulose berichtet, bei dem unter ausschließlich interner Behand-
lung ein „glänzendes Resultat“ erzielt wurde. 18 Autoren bezeichnen die
bisher erzielten Resultate als gute, zum Teil sehr gute. Nur ein Autor
berichtet von unbefriedigenden Resultaten. Diese Mitteilung stammt aus
einer Universitätspoliklinik. Der Assistent dieser Klinik, der die Versuche
leitete, erklärte mir nach eingehender Rücksprache bei einem Besuche in
Barmen, daß die von ihm angewandte Methodik, die mir nicht richtig er-
schien, wohl die Ursache der mangelhaften Resultate sein dürfte.
Von keiner Seite wurden schädliche Neben- oder Nachwirkungen der
örtlichen Behandlung gemeldet. Nur ein Kollege sah in einem Fall regel-
mäßig bei allgemeiner Behandlung (Injektionen) Erytheme. Über gute, zum
Teil ausgezeichnete Erfolge bei chirurgischer Tuberkulose unter örtlicher
Behandlung wird von allen Autoren, die auf diesem Gebiete nachprüften.
berichtet. Fisteln und Abszeßhöhlen schlossen sich, Caries wurde zur
Heilung gebracht. Von einer Seite wird über die auffallend schnelle
Heilung einiger Fälle von Spina ventosa berichtet, nachdem monatelang
durchgeführte Röntgenbehandlung erfolglos geblieben war. Auch liegen
Berichte über günstige, ja bedeutende Besserung von Schleimhauttuber-
kulose vor, auch unter allgemeiner Behandlung.!)
!) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen gingen mir noch mehrere. nur
günstige Berichte zu. Ein Spezialkollege schreibt: „Ich habe in einem Fall,
der von mir schon monatelang vergeblich mit Pyrogallus behan-
delt war, einen glänzenden Erfolg nach kurzer Applikation der
Kupfersalbe gehabt.“
Ein anderer schreibt: „Die Salbe U®,+Cykl.10 habe ich bisher in
2 Fällen von chirurgischer Tuberkulose in der Form derSchmier-
kur angewendet und ich muß sagen, daß der Eindruck der thera-
peutischen Wirksamkeit ein ganz vorzüglicher ist.“
Von dem Chefarzt eines Knappschaftskrankenhauses liegt mir folgende Mit-
teilang vor: „Wir haben z. Z. 15 Lupuskranke in Behandlung, davon
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 657
Die eingehendere Veröffentlichung ihrer Ergebnisse bleibt den Herren
selbst, die die Nachprüfung freundlichst und in dankenswerter Weise über-
nahmen, überlassen. Zur Beurteilung der Resultate, namentlich mit Rück-
sicht auf Rezidive, wäre es erwünscht, wenn die Pathogenese der Fälle
mitgeteilt würde, ob sie exogen oder endogen entstanden, ob die Schleim-
häute usw. beteiligt waren und ob es gelang, die Ausgangsprozesse zu be-
seitigen.
Zur örtlichen und Inunktionsbehandlung dient eine Salbe aus
zımtsaurem Kupfer-Lezithin mit einem Kupfergehalt von 11/,%, der
zur Herabminderung der Schmerzhaftigkeit noch 10%, Zykloform zugesetzt
ist. Zur inneren Behandlung werden dragierte Pillen der gleichen
Kupfer-Lezithinverbindung von je 5 mg Kupfer ausgegeben. Die Pillen
können dreimal täglich gegeben werden, 1—2 Stück am besten nach den
Mahlzeiten. Die für die Injektionen bestimmten Präparate sind noch
nicht definitiv festgelegt und konnten daher auch noch nicht freigegeben
werden.
Über die Technik der Methode möchte ich folgendes sagen: In
meiner zweijährigen Erfahrung habe ich mich immer wieder davon über-
zeugen können, daß die Güte der Erfolge besonders von einer
exakten Technik abhängt. Es genügt nicht, die Salben einfach auf die
Haut aufzustreichen. Die Salben müssen bei Tag und Nacht in engster
Berührung mit den erkrankten Hautstellen sich befinden. Das kann nur
durch das Anlegen eines rationellen Verbandes geschehen. Bis zur
Exkoriation der Haut streiche man bei geschlossenen Infiltraten die Salbe
mit einem Spatel direkt auf die Haut auf. Sodann streiche man die Salbe
2 stationär, die übrigen ambulant. Alle diese Kranken sind mit
anderen Mitteln zum Teil Jahre lang ohne dauernden Erfolg be-
handelt und werden von uns ausschließlich mit Ihren neuen Prä-
paraten behandelt. Wir sind, wie wir schon früher mitgeteilt,
mit den Erfolgen recht zufrieden“
Der Leiter eines anderen Krankenhauses schreibt: „Ich bin auf Grund
meiner Erfahrungen der Ansicht, daß die Kupfersalbe für die
äußere Tuberkulose sehr wirksam ist und daß diese Medikation
eine große Zukunft hat. Ich habe bei einem tuberkulösen Zun-
gengeschwür, das gewöhnlich jeder Behandlung trotzt, eine vor-
zügliche Wirkung von der äußerlichen Anwendung des Kupfers
gesehen, außerdem bei tuberkulösen Fisteln. Endlich habe ich
versucht, Kupferlösung in ein tuberkulöses Kniegelenk einzu-
spritzen, — mit vorzüglichem Erfolg.“
Über die intravenösen Injektionen äußert sich der Direktor einer
Heilanstalt für Lungenkranke: „Der Eindruck, den ich von der Wirkung
des Präparates habe, ist bisher ein prächtiger®
658 Strauß,
auf mehrfach übereinander gelegten Mull. Die Mullkompresse soll etwas
größer sein als die zu behandelnden Hautstellen. Darüber lege man ent-
weder einen Bindenverband oder man fixiere, was besonders im Gesicht
zu empfehlen ist, die Kompressen mit Leukoplast oder Helfoplast. Man
achte besonders darauf, daß die Ränder und Ausläufer der Herde gut von
der Salbe bedeckt sind, denn erfahrungsgemäß bleiben hier am leichtesten
Reste zurück. Sitzen die Herde in Falten, so empfiehlt es sich, die Mull-
kompressen an diesen Stellen noch mit Watte auszupolstern. Wenn die
Kutis frei liegt, dann vermeide man die Salbe direkt auf die Wundfläche
zu streichen. Man lege dann nur noch die mit Salbe bestrichenen Mull-
kompressen auf, die man vor der Ablösung mit Öl tränke. Je schwäch-
licher und empfindlicher die Kranken sind, um so mehr gehe man schritt-
weise vor. Man behandle nur einzelne Herde und gehe erst zu anderen
über, wenn unter einer indifferenten Salbe die schnell einsetzende Epitheli-
sation sich vollzieht. Bei zurückbleibenden Resten der Infiltrate, aber
auch bei kleinen Herden überhaupt, kann man auch die Behandlung mit
der Kupfersalbe bis zur völligen Vernarbung zu Ende führen. Mit diesem
Verfahren kann man manchmal schon mit der ersten Kur eine restlose
Beseitigung aller Herde erreichen.
Bei geschlossenen Infiltraten bemerkt man schon am ersten Tage eine
lebhafte Rötung und Exsudation. Am zweiten Tage stoßen sich in der
Regel die obersten Epithelschichten ab. Man sieht dann schon die Lupus-
knötchen. als graue Pfröpfe im Gewebe liegen. Bei guter Technik tritt
die spezifische Reaktion in der Regel schon am dritten Tage ein, eine
schmerzhafte Entzündung und Zerstörung der Lupusknötchen. Diese Re-
aktion stellt den Höhepunkt der Kupferwirkung dar, wie ich in meinen
Arbeiten wiederholt betonte.!)
Bei empfindlichen Kranken, namentlich aber bei der Behandlung
größerer und mehrerer Herde ist es durchaus zu empfehlen, während der
ersten Nächte Morphium zu geben. Die Schmerzhaftigkeit tritt in der
Regel am meisten in der zweiten Nacht hervor. Das geübte Auge kann
jetzt schon erkennen, ob wirklich sämtliches lupöse Gewebe elektiv zerstört
1) In seiner Veröffentlichung über chemotherapeutische Versuche bei
liungentuberkulose (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1913, Nr. 28) sagt Dr.
Stefan Pekanovich-Budapest, daß Dr. Sigmund Somoggi „in einigen
Fällen von Lupus und Tuberculosis verrucosa sogar (sic!) bei Anwendung einer
1%/, proz. Salbe“ (Kupferchlorid, das von uns als „nicht geeignet für die antituber-
kulöse Therapie“ bezeichnet wurde) „eine schmerzhafte Entzündung auftreten sah,
weshalb er jede weitere Behandlung einstellte“. Er brach also die Behandlung
ab, als die spezifische Reaktion sich zeigte und geht dann soweit, auf Grund dieser
wenigen Fälle die Methode als erfolglos zu bezeichnen, obwohl er die Behandlung
nicht einmal zu Ende führte.
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezitlinkupfer (Lekutyl). 659
ist. Man bemerkt es an der lebhaft frischen rötlichen Farbe des frei-
liegenden Gewebes. Dort, wo die Salbe in nicht genügender Weise ihre
elektive Ätzung ausgeübt hat, kann man noch deutlich den bräunlichen
Farbenton der Lupus-Infiltrate feststellen. Es zeigt sich an diesen
Stellen in der Regel noch eine stärkere Schwellung des noch nicht völlig
zerstörten kranken Gewebes. Besonders bleiben noch nicht völlig zer-
störte Herde an den Rändern bestehen. Bei großer Schmerzhaftigkeit
der Kur, namentlich bei sehr empfindlichen Kranken, ist es ratsam,
jetzt schon die spezifische Behandlung für einige Zeit zu unterbrechen
und zunächst die Epithelisation des schon völlig zerstörten Gewebes abzu-
warten unter Anwendung einer indifferenten Salbe, z. B. aus essigsaurer
Tonerde (10%) und Lanolin-Vaselin oder Eucerinum anhydr., die die
Schmerzen fast augenblicklich aufhebt. Unter dieser Salbe vollzieht sich
eine schnelle Vernarbung. In der Regel bilden sich glatte und schöne
Narben, wie sie wohl kaum besser unter Lichtbehandlung erzielt werden.
Der volle kosmetische Effekt tritt nicht sofort hervor, sondern erst all-
mählich, nachdem alle reaktiven Erscheinungen verschwunden sind. Die
resorbierende Wirkung der Salbe kann man besonders daran erkennen,
daß oft auch die in den tieferen Schichten der Kutis liegenden Infiltrate,
welche noch nicht völlig bloßgelegt sind, gleichfalls einer Atrophie ver-
fallen. Lautsch hat mit Recht hervorgehoben, daß man diese resorbierende
und spezifisch in die Tiefe greifende Wirkung der Salbe besonders gut in
Fällen von geschlossenen Skrophulodermen beobachten könne, die bei konse-
quenter Einreibung der Salbe sich durch die intakte Haut hindurch völlig
resorbieren. Der Beweis der resorbierenden Wirkung des Kupfers wurde
mir des öfteren in auffälliger Weise bei allgemeiner Behandlung erbracht.
In einer Reihe von Fällen habe ich längere Zeit einzelne Stellen unbe-
handelt gelassen und mich dann davon überzeugen können, daß lediglich
unter der allgemeinen Behandlung die Infiltrate auch an diesen Stellen
sich, wenn auch sehr langsam, resorbieren. Zur Zerstörung der Reste
kann man in doppelter Weise vorgehen. Nachdem die Schmerzhaftigkeit
der ersten Kur vollständig vorübergegangen ist, nachdem mit anderen
Worten eine ziemlich weitgehende Epithelisation des zerstörten Gewebes
sich entwickelt hat, kann man die nun noch verdächtigen lupösen Infiltrate
von neuem mit der Lekutylsalbe bedecken, während man auf den heilenden
Stellen weiter die indifferente Salbe gebrauchen läßt. Oder man läßt zu-
nächst die volle Atrophie des schon zerstörten Grewebes sich abwickeln,
um dann durch eine Nachkur die zurückgebliebenen Reste zu beseitigen.
Sehr häufig kann man schon mit der ersten Kur selbst alte und tief in
die Kutis reichende Infiltrate bei einwandfreier Technik vollständig zer-
stören. Je tiefer sich allerdings die Infiltrate in die Kutis erstrecken und
660 Strauß,
je ausgedelnter die Herde der Fläche nach sind, um so mehr muß man mit
der Wahrscheinlichkeit rechnen, daß Reste zurückbleiben. Es
kann sogar nötig werden, daß man, besonders bei ambulanter Behandlung,
die Kur häufig wieder aufzunehmen hat. Man sollte sich durch mehrfache
Rezidive nicht irre machen lassen. In solchen besonders widerstehenden
Fällen, die eine große Geduld des Arztes und des Kranken voraussetzen,
kann sich die Behandlung allerdings über lange Monate erstrecken. Jeden-
falls darf man behaupten, daß man bei konsequenter Durchführung der
Behandlung auf die Dauer auch tiefe Infiltrate restlos beseitigen kann.
Bei besonders hartnäckigen Infiltraten empfiehlt es sich, die Kur nicht zu
unterbrechen, wenn die elektive Zerstörung eingetreten ist, sondern sie
bis zur vollständigen Vernarbung durchzuführen. Die Schmerz-
haftigkeit der Kur tritt um so mehr zurück, je weiter die Hei-
lung fortschreitet.!)
Es ist charakteristisch für die spezifisch-elektive Wirkung der Salbe,
daß sie nur tuberkulöses Gewebe zerstört. Es muß freilich ausdrücklich
betont werden, daß auch die gesunde Haut, besonders bei sehr anämischen
Kranken, etwas auf die Salben reagieren kann. Diese Reaktion äußert
sich in Rötung, Schwellung und auch in oberflächlicher Abschürfung, aber
niemals in einer Zerstörung der tieferen Schichten. Die Konjunktiva der
Augen kann, wenn die Herde in der Nähe sitzen, mit Entzündung reagieren.
Indessen nimmt, wie ich in zahlreichen Fällen feststellen konnte, diese
keinen unangenehmen Charakter an. Sie geht schnell wieder vorüber.
Eine restitutio ad integrum tritt unter der Salbe und auch während der
Nachbehandlung mit indifferenten Mitteln nicht sofort ein. Der Reaktions-
prozeß läuft nur sehr langsam ab. Die tuberkulös erkrankt gewesene Haut
bleibt noch lange lebhaft frisch gerötet, und geht allmählich in atrophisches
Gewebe von bläulichweißer Farbe über. Dann vermag man in der Regel
durch Glasdruck deutlich zu erkennen, ob noch tuberkulöses Gewebe
zurückgeblieben ist. Am längsten bleibt eine reaktiv entzündliche Zone an
den Rändern der behandelten Infiltrate bestehen. Viel schneller noch
als lupöse Infiltrate heilen tuberkulöse Ulzerationen sowohl der
äußeren Haut wie der Schleimhäute. Bei ihnen hat man seltener
mit Rezidiven zu rechnen. Schwammiges Gewebe bei Lupus tumidus
wird in einigen Tagen abgestoßen. Die Reinigung der Ulzerationen
vollzieht sich in der Regel in einigen Tagen, sowohl auf der äußeren Haut
wie auf den Schleimhäuten. Sie schließen sich dann langsam mit guter
1) Bei der Behandlung. von Rezidiven ist die Schmerzhaftigkeit geringer.
Man kann auch die Konzentration der Lekutylsalbe anfangs mit Fett herabsetzen
und allmählig sie steigern oder zu den Nachkuren schwächere Salben benutzen.
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 661
Narbe. Skrophulodermata reinigen sich ebenfalls auffallend schnell.
Die Schmerzhaftigkeit der örtlichen Kur konnte dadurch er-
heblich herabgesetzt werden, daß der anfänglich höhere Kupfergehalt der
Salbe vermindert werden konnte. Es stellte sich heraus, daß sich durch
eine Salbe mit einem 1?/, proz. Kupfergehalt dieselbe gute Wirkung erzielen
ließ, wie durch eine Salbe mit einem Kupfergehalt von 4,5%, wie ich sie
anfänglich gebraucht habe. Eine weitere Verminderung der Schmerzhaftigkeit
ließ sich durch einen Zusatz von Zykloform erreichen, das die Haltbarkeit
der Salbe nicht beeinträchtigt. Man darf behaupten, daß man mit dieser
Salbe unter Befolgung der von mir gegebenen Vorschriften auch bei
empfindlichen Kranken durchaus erträgliche Kuren durchführen kann, die
bis zur Zerstörung des kranken Gewebes nur kurze Zeit dauern. Man
kann übrigens auch reines Zykloform auf die zerstörten Herde aufstreuen.
In der Regel genügt bei Krankenhausbehandlung für diesen Zweck
eine Kur von mehreren Tagen bis einigen Wochen. Wie ich eben schon er-
wähnte, empfehle ich zur Beurteilung des Heilungsvorganges in ausgiebigster
Weise von dem Glasdruckverfahren, der sogenannten Diaskopie,
Gebrauch zu machen. Man kann mit einem Glasspatel oder mit einem Ob-
jektträger, den man auf die kranke Haut drückt, feststellen, ob noch Infil-
trate in den atrophischen Geweben zurückgeblieben sind. Man muß sich
freilich hüten, einfache Pigmentierungen oder Hyperämien mit
Infiltraten zu verwechseln. Dem geübten Auge wird das leicht ge-
lingen.!) Glaubt man unter dem Glasspatel noch Infiltrate lupösen Charakters
zu sehen, so lasse man nochmals eine Nachkur vornehmen. Werden diese
Infiltrate dann durch die Salbe zerstört, so hatte es sich um lupöses Ge-
webe gehandelt.
Es muß hervorgehoben werden, daß ich meine Resultate an meinen
mehr als 100 Fällen in zweijähriger Erprobung und Ausbildung des Ver-
fahrens unter ambulanter Behandlung meiner Kranken erzielt habe.
Erst in der letzten Zeit war ich in der Lage, einige Kranken auch sta-
tionär im städtischen Krankenhaus in Barmen behandeln zu können. Erst
hier habe ich erfahren, wie schnelle und gründliche Resultate
bei einwandfreier Technik und sorgfältiger Beobachtung der
Kranken zu erreichen sind.
Ich verdanke diese Möglichkeit dem warmen Interesse, das unserer Sache
1) Hyperämische Flecke verschwinden unter Glasdruck. Pigmentflecke zeigen
einen scharf begrenzten, rein bräunlichen oder gelblichen Farbenton. Lupöse Zell-
infiltrate verleihen aber der Haut nicht nur einen bräunlichen Ton, sondern auch
eine gewisse Durchsichtigkeit, eine Transparenz, die oft das Aussehen des Karamel-
zuckers hat und die dadurch entsteht, daß das Bindegewebe schwindet und an
seiner Stelle ein dichtes, weiches Zellinfiltrat sich gebildet hat.
Aus der Kgl. Universitätsklinik für Hautkrankheiten in Kiel
(Direktor Prof. Dr. Klingmüller).
Über die Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen
durch die Lichtstrahlen.
Untersuchungen an den roten Gänsehlutkörperchen.
Von |
Prof. Dr. Fr. Bering, Oberarzt der Klinik.
F" die glänzenden Resultate, welche durch die Lichtbehandlung erzielt
werden können — es sei an die von Finsen inaugurierte Behandlung
des Lupus und anderer Hautkrankheiten und an die von Rollier und
' Bernhard, jetzt auch von Bardenheuer, Vulpius u.a. geübte Licht-
behandlung der chirurgischen Tuberkulose erinnert — fehlt uns noch eine
wissenschaftliche Erklärung.
Während die Lupusbehandlung durch Licht heute allgemein anerkannt
und als die beste Methode, die leider sehr langwierig ist, allen anderen
vorgezogen wird, gewinnt die Behandlung der Knochen- und Gelenktuber-
kulose mit Licht eine immer größere Bedeutung und Anerkennung. Auf-
gabe der Technik wird es sein, die Sonnenstrahlen durch künstliche Licht-
quellen zu ersetzen, um so auch dort, wo die Sonne nur wenig scheint.
eine Behandlung zu ermöglichen und sie zugleich auch abzukürzen. Auf-
gabe der experimentellen Forschung ist es, die Lichtprobleme zu lösen.
Neuberg hat gefunden, daß die Eiweißkörper, Kohlehydrate und Fette
lichtempfindlich werden, wenn sie mit Mineralstofflösungen zusammen-
treffen. Bei seinen Versuchen wurden Uran und Eisenverbindungen ver-
wandt. Er fand bei den chemischen Lichtwirkungen eine durch Spaltung
hervorgerufene Molekülverkleinerung, bei der sich Substanzen von chemisch
höchster Avidität, vor allem die überaus reaktionsfähigen Aldehyde und
Ketone, bilden.
Hans Meyer und ich haben den Einfluß des Lichtes auf intrazellulire
Fermente einer Prüfung unterworfen, Untersuchungen, die ihre Anregung
erhielten durch eine Arbeit Quinckes und die mit der Peroxydase ange-
stellt wurden. Wir fanden, daß das Licht bis zu einer gewissen Dos
eine fördernde, bei größeren Dosen eine zerstörende Wirkung auf die
in allen pflanzlichen und tierischen Organismen tätige Peroxydase ausübt.
Bering, Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen usw. 637
An der Wirkung des Lichtes beteiligen sich sämtliche Strahlengruppen,
auch die tieferdringenden, denen durch bestimmte Stoffe — Sensibilisatoren
— ihre Wirkung erleichtert oder ermöglicht wird.
Es liegen nun noch weitere Experimente von Hertel und von mir vor,
welche sich mit dem Einfluß des Lichts auf die Sauerstoffabgabe beschäftigt
und eine Erleichterung der Abspaltung aus seiner Hämoglobinverbindung
ergeben hatten.
Nach diesen Befunden lag es nahe, auch den Einfluß des
Lichtes auf die Zelle als Ganzes zu untersuchen.
Derartige Untersuchungen konnten mit einiger Aussicht auf Erfolg
an einzelligen Lebewesen angestellt werden. Seeigeleier standen mir nicht
zur Verfügung. Deshalb wählte ich Bakterien, und zwar Staphylokokken-
aufschwemmungen. Die Experimente mit letzteren wurden jedoch bald
aufgegeben, da die erzielten Resultate keine konstanten waren, offenbar,
weil die Emulsion auch bei langem Schütteln in einem mit Glasperlen
gefüllten Gefäß nicht immer gleichmäßig ist.
In vorzüglicher Weise eigneten sich aber die kernhaltigen roten
Blutkörperchen der Gänse. Da nach Warburg bei anämischen
Tieren die Atmung erheblich wächst, wurde den Gebrauchsgänsen zum
Zwecke der Anämisierung vor dem ersten Versuch 3 mal ungefähr 50 ccm
Blut entnommen und darauf in kürzeren Zwischenräumen immer die not-
wendige Blutmenge, welche sich im Eisschrank einige Tage brauchbar er-
hielt. Das Blut wurde nach dem Vorschlag Warburgs in Lockescher
Flüssigkeit von folgender Zusammensetzung ausgewaschen: Na0l 7,2 g,
NaHCO, 1,0 g, KCI 0,3 g, CaCl, 0,3 g, Traubenzucker 5,0 auf 1000 g
Wasser. Bei der Atmung verbrauchen die Blutkörperchen den Sauerstoff,
welchen sie in Form von Oxyhämoglobin mit sich führen, wobei Hämo-
globin entsteht.
Zur Bestimmung des Sauerstoffverbrauches wurde der Blutgasapparat
nach Haldane-Barcroft benutzt mit einigen von Warburg angegebenen
Veränderungen. Der Apparat besteht aus einem Atmungsgefäß, welches
mit einem Manometer verbunden ist. Nach Vorschlag von Brodin
besteht die Flüssigkeit im Manometer aus 500 ccm Wasser, 23 g NaC],
5 g Natr. choleince. Merck und etwas Thymol. Nach eingetretener Tem-
peraturgleichheit (5 Min.) wird der Hahn des Manometers geschlossen,
das Atmungsgefäß in regelmäßigen Zwischenräumen geschüttelt, bis sich das
Manometer nicht mehr verändert. Aus der Druckabnahme am Manometer
wird bestimmt, wie viel Sauerstoff vom Blut beim Schütteln aufgenommen
wird. Ein drittes Gefäß mit Wasser dient zur Temperaturkontrolle.
Man liest dann die Temperatur und die Druckveränderung ab und kann
daraus leicht den verbrauchten Sauerstoff berechnen nach der Formel
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 41
638 | Bering,
Vo in Kubikzentimeter Sauerstoff unter Normalbedingungen
P
— Polt + xt)
von Temperatur und Atmosphärendruck. (V ist das Volumen des Ab-
sorptionsgefäßes plus Kapillare minus eingefüllter Flüssigkeit in Kubik-
zentimeter, p Druckabnahme im Manometer, gemessen in mm wässeriger
Lösung von gallensaurem Natrium [sp. Gew. 1,033], deren spezifisches
Gewicht so eingerichtet ist, daß der Druck von 100000 mm dem von
760 mm Hg. entspricht, pọ Normaldruck in mm der gleichen Lösung
= 10000, t = Absorptionstemperatur in °C, « = Ausdehnungskoeftizient
des Sauerstoffs bzw. der Gase = 1/33)
Während Haldane-Barcroft in einer verschließbaren mit dem Mano-
meter verbundenen Flasche von 30—40 ccm Inhalt den Sauerstoff aus
dem Oxyhämoglobin mit Ferrozyankalium entwickeln, bestimmte ich nach
Warburg aus der Druckabnahme am Manometer, wie viel Sauerstoff von
dem Blut beim Schütteln aufgenommen wird, also das reduzierte Hämo-
globin.
Es wurde nicht das gewöhnliche Verfahren nach Haldane-Barcreoft
und Warburg benutzt, sondern die neuere von O. Warburg und
O. Meyerhof angegebene Methode der Bestimmung des Sauerstoffver-
brauchs bei gleichzeitig stattfindender Atmung.
2 ccm Blut wurden in ein von Siebeck angegebenes Gefäß gebracht.
Das Gefäß hat die umgekehrte Form eines Trichters, wird oben mittels
eingeschliffenen Glasstöpsels geschlossen. In diesen mündet ein Glasrohr.
welches mit einem dickwandigen Gummischlauch an das Manometer ge-
schraubt wird. In den Boden des Gefäßes ist ein kleiner Glasbehälter
eingeblasen, in den 0,3 ccm 2 n Natronlauge zur Absorption der Kohlen-
säure gebracht werden. Zur Vergrößerung der Laugenfläche werden in den
Behälter ein Paar Glaskapillaren gestellt, die aber nicht über den obere
Rand des Behälters reichen dürfen.
Ich habe mich bei den Versuchen zweier Gefäße, welche stets den-
selben Inhalt hatten, bedient. Der Inhalt wurde durch Wägen mit Wasser
des öfteren bestimmt, er betrug 16 ccm bei einem Paar und bei einem
anderen Paar 16,3 ccm.
Das Volumen des Gasraumes wird berechnet: Inhalt der Gefäi«
15 ccm, Verbindung bis zur Manometerflüssigkeit (Marke 150) 1,2. Da-
von ist zu subtrahieren 2 ccm eingefüllte Blutkörperchen, 0,3 Natronlauge.
0.41 für die Glaskapillaren. Das Volumen des Gasraumes betrügt als
16 + 1,2 = 17.2 — (2 + 0,3 + 0,1) = 14,8. Im Verlaufe des Versuches
verschwindet der Sauerstoff, der Sauerstofipartiardruck nimmt ab, dadure!.
nimmt auch der in der Flüssigkeit absorbierte Sauerstoff ab. Bei genau:r
Berechnung ist die entsprechende Größe zu der aus der Druckabnalınır-
Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen durch Lichtstrahlen. 639
berechneten zu addieren. Meyerhof!) hat nach dieser Methode sehr
interessante Versuche angestellt über die Atmung der Zellen (siehe Lite-
raturverzeichnis).
Wenn die Belichtung abgeschlossen ist und die Messung in der an-
geführten Weise vor sich gehen soll, so werden die Blutkörperchen in die
Atmungsgefäße gefüllt, mit dem Manometer verbunden und die Gefäße in einen
Thermostaten gebracht bei 37°. In diesem rotieren zur guten Mischung
des Wassers um eine vertikale Achse 4 horizontal gestellte Flügel. Beim
Arbeiten mit Bakterien schlagen 4 in der Höhe der Gefäße angebrachte
Federn diese regelmäßig an. Gänseblutkörperchen werden regelmäßig mit
der Hand geschüttelt, wobei durch Kontrollen festgestellt sein muß, daß
durch das Schütteln stets eine vollständige Sättigung des Hämoglobins er-
reicht wird.
Sobald die Blutkörperchen auf die Temperatur des Thermostaten ein-
gestellt sind, werden die mit der Außenluft in Verbindung stehenden
Hähne geschlossen, darauf geschüttelt. Der verbrauchte Sauerstoff ist nun
unmittelbar in der Druckabnahme am Manometer erkennbar. Ein zweiter
Kontrollapparat, ohne Blutkörperchen, ebenfalls in den Thermostaten
hängend, dient als Thermobarometer. „Die Differenz Druckänderung im
Bestimmungsapparat — Druckänderung im Thermobarometer, gibt die Druck-
änderung, die im Bestimmungsapparat bei konstanter Temperatur und kon-
stantem Barometerstande eingetreten wäre.“
Der Sauerstoffverbrauch kann in der bereits angeführten Weise be-
rechnet werden.
Ich habe in beifolgenden Tabellen jedoch nur die am Manometer ab-
gelesenen Druckänderungen angegeben, wobei die Druckveränderungen der
Manometer, die nicht durch Sauerstoffverbrauch, sondern durch Schwan-
kungen der Temperatur hervorgerufen wurden, an den gemessenen Aus-
schlägen bereits in Abzug gebracht sind.
Die Belichtung wurde in einer mit einem Quarzglasfenster versehenen
Prüfzelle, wie Meyer und ich sie zur Messung ultravioletter Strahlen-
quellen angegeben haben, vorgenommen. In diese Prüfzelle wurden 3 ccm ge-
waschene rote Gänseblutkörperchen gebracht, belichtet und hieraus 2 ccm
zur Prüfung ihrer Atmung in die Atmungsgefäße. Anfangs habe ich
versucht, den Sauerstoff während der Belichtung zu messen, zu diesem
Zwecke die Lichtquelle in den Ostwaldschen Thermostaten gebracht und
die Blutkörperchen in einem eigens hierzu angefertigten Quarzglasgefäß be-
strahlt. Wegen technischer Schwierigkeiten wurde diese Versuchsanordnung
1) Herr Dr. Meyerhof vom hiesigen physiol. Institut hat mich in die Me-
thodik eingeführt; ich sage ihm auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank.
41*
640 Bering,
jedoch aufgegeben und zunächst die Bestrahlung vorgenommen und dann
gemessen. |
Als Lichtquelle wurde die Quecksilberdampflampe benutzt. Diese
Lampe enthält zwar in erster Linie blaue und ultraviolette Strahlen, jedoch
auch gelbe und grüne. Durch Vorschalten besonderer Filter wurden nur
die in dem einzelnen Falle gewünschten Strahlengruppen zur Wirkung
gebracht. Ich verweise hier auf die Arbeit Bering u. Hans Meyer, Strahlen-
therapie Bd. I, 4. Gemessen wurde die Strahlenintensität nach Finsen-
einheiten.
Wie aus den Tabellen ersichtlich ist, sind beim Weißlicht ganz
erhebliche Dosen gegeben worden. Bei dem geringen Gehalt der Quarz-
lampe an grünen und gelben Strahlen ließen sich bei Applikation dieser
Strahlengruppen derartig hohe Dosen wegen des zu großen Zeitaufwandes
nicht erreichen. Da ja aber auch bei geringeren Dosen eine Beeinflussung
im positiven Sinne eintrat, möchte ich hierin einen Mangel in der Ver-
suchsanordnung nicht erblicken. Auch das völlige Fehlen der roten Strahlen
konnte mich wegen der Handlichkeit der Lampe und vor allem der exakten
Dosierungsmöglichkeiten nicht veranlassen, eine andere Lichtquelle zu
wählen.
p = Druckabnahme in Millimeter-Manometerlösung.
v= 14,8.
t = 39° U.
Die Differenzen wurden stets nach 40 Minuten abgelesen.
Weißlicht | Blaulicht
Druckabnahme | Druckabnahme
Dosis Kontr. Belichtet Dosis ©- Kontr. Belichtet
AF... 2% 31 4F. .. 56 56
62 60 pi 60 58
sF... 68 60 6F... 62 64
45 47 | 55 53
2F... 52 53 ı 8F...6 70 = 10°,
60 67 | 68 83 = 22°,
16 F. . . 52 70=84% 1410F... 50 77 = 54°.
69 95 =88% | 44 67 =52°,
290 F. .. 65 72=10% ` 1412F. .. 52 58 = 10°,
48 Var 43 77 = 78°,
24 F. .. 6 48 | 46 F... 60 81 =35°,
67 50 | 61 87 = 43‘
Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen durch Lichtstrahlen. 641
Grünlicht Gelblicht
Druckabnahme | Druckabnahme
Dosis Kontr. Belichtet Dosis Kontr. Belichtet
SF... 61 25F.. 3 33
74 76 | 50 52
25 F . . 82 53 = 4F... 5 67 = 20 %
61 70 | 28 40 = 43 %
3 F.. . 78 76 BF... 55 = 57 %
70 72 | 3 56=30%
ıF...%8 53=18% 65F.. 60 72 = 20 %
60 74 =23 % 58 73 = 26 %
4.5 F . . 65 909 =38% . SF ..7 100=33%
70 92 = 17 % i 61 80 = 30 %
6F ...75 86=15% | 10 F. .. 44 60 = 36 %
40 61 = 50% 28 46 = 64 %
Wir sehen also, daß das Weißlicht den Sauerstoffverbrauch bei einer
Dosis von 16—20 F steigert; größere Dosen vermindern den Verbrauch,
lähmen also die Zellfunktionen.
Das Blaulicht fördert den Sauerstoffverbrauch schon bei einer Dosis
von 8 F bis zu der untersuchten Dosis von 16 F, zum Teil um 50 %
und darüber hinaus.
Grünlicht und Gelblicht wirken bei noch geringerer Dosis, schon
bei 4 F, fördernd auf die Zellatmung und regen den Sauerstoffverbrauch
an bis zu 50%, und mehr bei einzelnen Untersuchungen.
Auffallend ist, daß die Gänseblutkörperchen durch das Weißlicht
erst bei einer so großen Dosis von 20 F geschädigt werden. Bei der
sroßen Empfindlichkeit der Peroxydase gegenüber den ungefilterten, an
äußeren Ultraviolett überreichen Strahlen (Weißlicht) wurde sehr bald eine
Schädigung der Blutkörperchen erwartet.
Die Förderung erfolgt bei einer bestimmten Dosis von 16 F Weiß-
licht, besteht auch bei 20 F noch; darüber hinaus jedoch setzt die
schädigende Wirkung des Lichtes ein: die Intensitätsgrenze für die Förde-
rung ist also hier nur eine geringe.
Die zur Förderung notwendigen Dosen des Weißlichts sind ver-
hältnismäßig groß gegenüber den der anderen Lichtarten. Genau die
halbe Lichtdosis führt schon beim Blaulicht zur Anregung, und eine
noch geringere bei dem Gelblicht und Grünlicht.
Bei diesen letzteren Strahlenarten ist die Intensitätsgrenze für die
Anregung eine breitere als beim Weißlicht, so z. B. bei Blaulicht von
642 Bering,
8—16 F und bei Gelblicht von 4—10 F (größere Dosen wurden nicht
gegeben). Es ist anzunehmen, daß erst sehr große Dosen eine schädigen-
Wirkung im Sinne einer Lähmung ausüben.
Die Ursache dafür, daß die Strahlen des Weißlichts erst bei grubrn
Dosen fördern und die der anderen Strahlenarten schon bei viel geringeren
Dosen anregend wirken, liegt offenbar darin, daß die langwelligeren
Strahlen sehr viel schneller in das Zellinnere bis an den atmenden Kem
vorzudringen vermögen. Die kurzwelligen Strahlen werden in den Hülien
der Blutkörperchen abgefangen und erst allmählich kommen die in dem
Weißlicht enthaltenen penetrationsfähigen Strahlen zur Wirkung.
Von besonderem Interesse sind die bei Applikation der
gelben und grünen Strahlen erhobenen Befunde. Auch dies
Strahlen vermögen die Atmung der Gänseblutkörperchen an-
zuregen.
Sie sind es nun, die in die tieferen Hautschichten und in die unter
der Haut liegenden Organe einzudringen vermögen. Es ist zu vermuten.
daß sie auf den Stoffwechsel der Zellen hier eine Wirkung auszuüben
imstande sind.
Aus den Versuchen geht hervor, daß die einzelnen Strahlengruppen
des Lichtes auf das Zelleben einen Einfluß im Sinne einer Anregung der
Zellatmung auszuüben imstande sind. Allerdings ist bei den roten Gänse
blutkörperchen diese Steigerung keine sehr große. Zur definitiven Ent-
scheidung der Frage sind noch weitere Untersuchungen mit einzelligen
Organismen notwendig. Versuche mit Seeigeleiern und Spermatozoen. die
nach den Vorversuchen sehr geeignet erscheinen, werden in Aussicht ge
stellt. Bei diesen werden auch in ausgedehntem Maße die Sensibilisatoren
berücksichtigt werden.
Die bisherigen Resultate der Experimente berechtigen jedoch schon zu
der Annahme, daß die Lichtstrahlen, auch jene mit erhöhter
Penetrationsfähigkeit, die Zellatmung im Sinne einer Anregung
zu beeinflussen vermögen.
In dieser Hinsicht scheinen meine Versuche ein Beitrag zur Erklärung
für die günstigen Heilwirkungen unter dem Einfluß des Lichtes zu sein.
Literatur:
Barcroft, Ergebn. d. Physiologie, Bd. 7, 1908. Vom Barcroftschen Gasana-
lysenapparat.
Bering, Über die Wirkung violetter und ultravioletter Lichtstrahlen. Med.
naturw. Archiv, Bd. I,
Bering u. Meyer, Methoden zur Messung der Wirksamkeit violetter und ultra-
violetter Strahlenquellen. Strahlentherapie, Bd. I, 1.
Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zelleu durch Lichtstrahlen. 643
Bering u Meyer, Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichts. Strahlen-
therapie, Bd. I, 4.
O. Meyerhof, Über scheinbare Atmung abgetöteter Zellen durch Farbstoffreduk-
tion. Arch. f. d. ges. Phys., Bd. 149.
Derselbe: Über Wärmetönungen chemischer Prozesse in lebenden Zellen. Arch.
f. d. ges. Phys., Bd. 146.
Derselbe: Untersuchungen über die Wärmetönung der vitalen Oxydationsvor-
gänge in Eiern. Biochem. Zeitschr., Bd. 35, H. 3 u. 4.
Derselbe: Über Energiewechsel von Bakterien. Sitzungsber. d. Heidelberger
Akademie der Wissenschaften, 1912.
O. Warburg u. O. Meyerhof: Über Atmung in abgetöteten Zellen und in Zell-
fragmenten. Arch. f. d. ges. Phys., Bd. 148.
O. Warburg, Zur Biologie der roten Blutzellen. Zeitschr. f. phys. Chemie, Bd. 59,
ferner Bd. 66.
Derselbe: Über Beeinflussung der Oxydation in lebenden Zellen nach Versuchen
an roten Blutkörperchen. Zeitschr, f. phys. Chemie, Bd. 69.
Derselbe: Über Hemmung der Blausäurewirkung in lebenden Zellen. Zeitschr.
f. phys. Chem., Bd. 76.
R. Siebeck, Über die osmotischen Eigenschaften der Nieren. Habilitationsschr.
Heidelberg 1912.
(Aus der zweiten medizinischen Klinik der Universität Berlin.)
Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel
Von
Ludwig Pincussohn.
(Mit 4 Abbildungen.)
I“ habe schon früher!) zeigen können, daß es gelingt, den Stoffwechsel
von Tieren durch Sensibilisierung plus Lichtwirkung zu beeinflussen.
Weiße Hunde, denen subkutan eine Lösung von Eosin injiziert worden war,
zeigten nach Bestrahlung durch eine elektrische Bogenlampe nicht un-
erhebliche Veränderungen im Abbau der Purinstoffkörper. Der Allantoin-
gehalt nahm unter dem Einfluß der Bestrahlung erheblich ab, während
andererseits, scheinbar umgekehrt proportional dazu, die Ausscheidung der
Oxalsäure stieg.
Ich habe diese Versuche nun weiter verfolgt und, ohne die Frage
völlig geklärt zu haben, was bei der Schwierigkeit der Versuche und den
vielen Variationen erst in längerer Zeit möglich sein dürfte, habe ich doch
einige neue Resultate erhalten.
Die Versuchsanordnung war die gleiche wie in den oben zitierten
Untersuchungen. Als Versuchsobjekte dienten ebenfalls weile Hunde,
entweder kurzhaarige oder langhaarige, denen das Haar an den der Be-
lichtung ausgesetzten Stellen kurz geschoren worden war. Diese Prozedur
wurde nicht erst zur Zeit der Belichtung vorgenommen, sondern das
Tier wurde auch in der Vorperiode unter den gleichen Bedingungen geprüft.
(sehalten wurden die Tiere in Stoffwechselkäfigen, die ihnen ein ausreichen-
des Maß von Bewegung ermöglichten. Als Lichtquelle bei diesen neuen
Versuchen diente nicht Bogenlicht, sondern teils Quecksilberdampflicht in
(Grlasröhre (Cooper-Hewitt-Lampe), teils eine Quarzlampe der Quarzlampen-
gesellschaft (künstliche Höhensonne).
Die Besorgung der Hunde geschah 24stündig: das Gefüß zum Auf-
fangen des Harnes enthielt stets Toluol, um eine Fäulnis zu verhindern.
Wasser wurde ad libitum gereicht. Das Futter war in den hier ge-
schilderten Versuchen zusammengesetzt aus getrocknetem Pferdeftleisch.
Reis, Schweinefett und Knochenasche, Tag für Tag gleich und wurde von
den Hunden täglich vollständig gefressen. Untersucht wurde außer dem
Purinstoffwechsel auch der Stoffwechsel des Eiweißes; das Futter war
e- . — ze
1) Berliner Klinische Wochenschrift 1913, Nr. 22.
Pincussohn, Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 645
nicht purinfrei, aber von konstantem Puringehalt. Die Untersuchung der
Ausscheidungsprodukte geschah nicht in täglichen Portionen, sondern die
Ausscheidungsprodukte mehrerer Tage wurden antiseptisch gesammelt, zu-
sammengemischt und möglichst schnell analysiert.
Bestimmt wurde der Gesamtstickstoff nach Kjeldahl, die Harnsäure
nach Hopkins-Folin und nach Krüger-Schmid, die Purinbasen nach
den letzteren Autoren, Ammoniak nach Krüger-Reich-Schittenhelm,
die Aminogruppen nach Sörensen, die Oxalsäure nach Salkowski, Allan-
toin nach Wiechowski.
Tabelle I.
Terrier II. Quecksilberlampe (Cooper-Hewitt).
N -ouis -HN
NHs -M A HE B
SIZINTI] AT | Dimm] |
E HUZN Hi E
EE EN E T
la PEREI |
Basen, h
1943 2 5 8
T Me
Als Farbstoffe wurden verwandt das bereits in den ersten Versuchen er-
probte Eosin, das Erythrosin, das dichloranthracen-2,7-disulfosaure Natrium.
das eine sehr starke Fluoreszenz zeigt und das von Tappeiner bei seinen
Versuchen an niederen Organismen sehr stark wirksam gefunden wurde
und das nach demselben Autor ebenfalls sehr wirksame anthrachinon-2,7-
disulfosaure Natrium, das im Gegensatz zu den anderen Farbstoffen fast
keine Fluoreszenz aufweist.
Tabelle I und II geben parallele Versuche unter dem Einfluß von
Eosin, dichloranthracendisulfosaurem Natrium und anthrachinondisulfosauren
Natrium. Der zu Versuch I verwendete Hund, weißer Terrier, wog 4800 g:
646 Pincussohn,
das Gewicht blieb während der Versuchsdauer zunächst konstant, ging ir
der letzten Periode aber um 250g zurück. Das Tier war während de:
ganzen Versuches munter. Weder bei ihm noch bei meinen ander:
Versuchstieren bemerkte ich unter Bestrahlung lebhafte Bewegungen. di
für den gesteigerten Umsatz anzuschuldigen wären. Die dem Tier geratcht
Nahrung bestand aus 21 g getrocknetem Fleisch, 50 g Reis, 20 g Schweine-
fett, 4g Knochenasche. Sie wurde ebenso wie die Nahrung in anderer
Versuchen so dargestellt, daß der Reis auf dem Wasserbad zunächst m'i
Tabelle II.
Spitz III. Quecksilberlampe (Cooper-Hewitt).
Dıchloran racen -
S
= . j .
I Vorperiode. Mersensdt —
S Amin -Ñ
8
vrayuoyyy
'BINDSWDY 'vBs0g
Ds
ATTN EAER
N JOLE
_ Hernseit N.
—
..
BET
Kor N
der entsprechenden Menge Wasser zerquollen wurde: in die aufgequolln-
Masse wurden die anderen Bestandteile heiß hereingerührt und die Nahrunz.
sobald das Fett wieder erstarrt war. noch warm dem Tier vorgesetzt. Dr
Nahrung wurde sowohl von diesem Hund wie auch von den anderen Tiere
gern genommen und regelmäliig in weniger als einer Stunde quantitat
ausgefressen. Die Aufnahme an Wasser betrug zwischen 150 und 250 «E
täglich. Der Stickstoffrehalt der Nahrung war 3.06 g pro die.
Wie schon oben erwähnt und wie auch aus den Tabellen ersichtlich.
wurden keine täglichen Analvsen ausgeführt. sondern die zwei- bis dreitäntz
an
ne
Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 647
Harnmenge zusammen analysiert. In der Regel wurde der bereits unter
Toluol aufgefangene Harn zweimal täglich in die ebenfalls mit Toluol be-
schickte Sammelflasche ausgeleert, regelmäßig außerdem der Käfig ausge-
spült, das Waschwasser zum Harn gefügt, auf ein einheitliches Volumen
aufgefüllt, gut gemischt und analysiert.
Der für den Versuch II gebrauchte Hund war ein eßlicher: kurz
geschorener Spitz, Anfangsgewicht 6850 g, Endgewicht 6550 g. Die Nah-
rung bestand aus 30 g getrocknetem Pferdefleisch, 70g Reis, 30 g Schweine-
fett, 5 g Knochenasche mit einem Stickstoffgehalt von 4,34 g.
Die Versuche sind parallel unter ganz gleichen Bedingungen ange-
stellt und können daher gewissermaßen als ein Versuch gelten. Auf eine
hier nicht angegebene Vorbereitungszeit folgte eine Vorperiode, bestehend
aus 2 Perioden zu je 3 Tagen; es schloß sich an eine ebenfalls 6tägige
Licht-(Haupt-)Periode, es folgte eine 3tägige Zwischenperiode, darauf wieder
eine 6tägige Hauptperiode und zum Schluß eine 6tägige Nachperiode. Die
Kurven sind hier so gezeichnet, dal jede Periode nur durch einen Punkt
in ihrer Mitte charakterisiert ist: dieser Mittelpunkt fällt für die Vor-
periode auf den 11. April, die erste Hauptperiode auf den 26. April und
die Nachperiode auf den 2. Mai.
Als Lichtquelle diente für diese Versuche eine Uooper-Hewitt-
Lampe von 100 cm Länge, die dreiviertel Meter über den Versuchskäfigen
aufgehängt war. Die geringe durch die Lampe erzeugte Temperaturerhöhung
kam an den Käfigen selbst nicht zum Ausdruck. Die Lampe ist bekannt-
lich eine in einem langen Glasrohr eingeschlossene Quecksilberdampflampe,
die ultraviolette Strahlen fast gar nicht besitzt und im übrigen nur den
Teil des Spektrums vom Violett bis Grün besitzt. Die Dauer der Belich-
tung betrug in der ersten Hauptperiode 1. Hälfte insgesamt 24 Stunden,
2. Hälfte insgesamt 291/, Stunden; in der zweiten Hauptperiode, 1. Hälfte
27 Stunden, 2. Hälfte 33 Stunden: die Belichtungsdauer schwankte also
zwischen 8 und 11 Stunden täglich. Die täglich injizierte Farbstoffmenge
schwankte zwischen 0,2 und 0,5 g.
An Hand der Tabellen ergibt sich nun für die einzelnen Ausschei-
dungsprodukte folgendes.
Der Gesamtstickstoff nimmt unter einfacher Lichtwirkung ohne Sensi-
bilisator etwas ab, mit Eosin dagegen etwas zu; eine Abnahme wurde auch
beim dichloranthracendisulfosauren Natrium beobachtet, während unter
anthrachinondisulfosaurem Natrium der Gesamtstickstoff ziemlich erheblich
zunahm. Der Kotstickstoff steigt bei jeder Lichtwirkung, am wenigsten
unter Eosin. Der Allantoinstickstoff nimmt bei einfacher Bestrahlung kaum
ab; größer ist schon die Wirkung des dichloranthracendisulfosauren Natrium,
größer die des Eosins, am größten die des anthrachinondisulfosaurem Natrium.
648 Pincussohn,
Auch bei diesen Versuchen zeigte sich die schon früher gemachte Erfahrung,
daß trotz dieser erheblichen Veränderung der Allantoinwerte die Harnsäure-
kurve fast ganz konstant blieb: man hat es also nicht mit einem Stehen-
bleiben des Purinabbaues auf der Stufe der Harnsäure zu tun. Unter dem
Einfluß der verschiedenen Farbstoffe, nicht aber von Licht allein, nahm
der Basenstickstoff zu; es verschiebt sich hierdurch das Verhältnis Harn-
säure : Purinbasen sehr erheblich und es dürfte hier wohl ein Teil der Licht-
wirkung zu suchen sein.
Recht wichtig ist die Beobachtung, daß umgekehrt proportional mit
der Allantoinausscheidung oder zum mindesten diesem Verhältnis sehr an-
genähert die Ausscheidung der Oxalsäure verläuft. Diese Tatsache bildet
eine starke Stütze für die Autoren, welche wenigstens einen erheblichen
Teil der Oxalsäure aus dem Purinstoffwechsel herleiten und zwischen
Oxalurie und Gicht sehr nahe Übergänge konstruieren. Ich muß vorliuñg
dahingestellt lassen, ob in der Tat ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
Allantoin- und Oxalsäureausscheidung besteht; die jetzt, ebenso wie die
früher erhaltenen Zahlen sprechen sehr in diesem Sinne, wenn sie auch
einen exakten Beweis nicht geben.
Was die Werte des Harn-Ammoniaks und des Aminostickstofis des
Harnes betrifft, so finden sich weder unter einfacher Belichtung noch unter
Belichtung nach Eosin irgendwelche größeren Differenzen. Auch nach
dichloranthracendisulfosaurem Natrium sind die Unterschiede gering. Em
deutliches Ansteigen beider Werte zeigt sich dagegen nach Sensibilisierung
mit anthrachinondisulfosaurem Natrium und besonders in der Nachperiode
finden sich exorbitant hohe Werte.
Zwei weitere Versuche (Tabelle III, IV) sollten über das Verhalten
der letztgenannten Komponenten weiteres Material bringen. Zu diesen
Versuchen diente ein gelblicher kurzgeschorener Spitz, 6700 g. Nahrung:
80 g Reis, 25 g getrocknetes Fleisch, 25 g Fett, 5 g Asche: täglicher
Nahrungsstickstoff 3,45 g; ferner ein weißer Terrier, 5100 g, tägliche Nah-
rung 20 g getrocknetes Fleisch, 60 g Reis, 20 g Fett, 5 g Knochenasche.
Gesamtstickstoff der Nahrung 2,96 g. Die Perioden waren bei diesen Ver-
suchen 2tägige. Zur Sensibilisierung benutzt wurde Erythrosin und antlıra-
chinondisulfosaures Natrium. Es sind ebenfalls Parallelversuche: in den
Tabellen sind notiert die Mittelwerte aus der 5tägigen Vorperiode. der
6tägigen Hauptperiode, dem 4tägigen 1. Teil der Nachperiode und dem
ebenso langen 2. Teil der Nachperiode. Die zur Belichtung dienende Quarz-
lampe von Heraeus (künstliche Höhensonne) war ohne andere als gewöhn-
liche Kühlung 60 cm über dem oberen Teil des Käfigs angebracht. Die
gesamte Bestrahlungsdauer während der Hauptperiode betrug 190 Minuten.
auf die einzelnen Tage gleichmäßig, und zwar mehrmals täglich, verteilt.
Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 649
Wie die Tabellen zeigen, ist eine Zunahme des Gesamtstickstoffs in
etwas größerem Maße nur in der Nachperiode nach Behandlung mit dem
Anthrachinonfarbstoff festzustellen. Das Ammoniak des Harns nimmt unter
Erythrosin bei der Bestrahlung ein wenig zu, um nachher abzufallen und
Tabelle III.
Spitz II. Quarzlampe. — Erythrosin (S.S. 1913).
ET
S| JS = erperiode. Nachperiodel. DE
| HHH 1
ERTE FAA
Eee Tr
’
2
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Ae ARGE EN ENAR j
I
rer
Boa aea
Tabelle IV.
Terrier II. Quarzlampe. — Anthrachinon — disulfosaures Na (8.8.1913).
Vorperiode. ame +- Nachperiodel. past -+
E Te a Een
A
TE en
"IT Hr
Be
N= Tun
Wurf
c
Jun 4 6 9 f1
niedrig zu bleiben. Der Aminostickstoff nimmt sofort ab und bleibt niedrig.
Anders beim anthrachinondisulfosauren Natrium : der Aminostickstoff nimmt
auch hier unter Bestrahlung ab, er steigt jedoch nachher über den ursprüng-
lichen Anfangswert an: der Ammoniakwert dagegen steigt schon unter
650 Pincussohn, Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel.
Bestrahlung an und wird nachher noch erheblich höher, über das fac
des ursprünglichen Wertes. Diese Tabellen lehren also, daß man unter
gleichen Verhältnissen, mit der gleichen Lichtquelle nur durch die Wal
des Sensibilisators verschiedene Effekte erreichen kann.
Die hier geschilderten Versuche stehen durchaus im Anfangsstadiun:
erst weitere Reihen, unter Variierung der Versuchsbedingungen, vor allem
der Lichtquellen und der Sensibilisatoren, können bündigen Aufsschlub
darüber geben, wie weit eine Beeinflussung in dem oben skizzierten Sinne
mit Sicherheit zu erreichen ist. Ich bin mit weiteren Versuchen hierüber
beschäftigt und hoffe bald neues Material beibringen zu können. Vom Avf-
stellen von Theorien und dem Bau von Hypothesen möchte ich vorläufig
Abstand nehmen; das Erfordernis der nächsten Zukunft ist im obigen
Sinne durchgeführte experimentelle Arbeit.
Die äußere Tuberkulose, spez. Hauttuberkulose, und ihre
Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl).
Von
Dr. Artur Strauß, Barmen.
(Mit 28 Abbildungen.)
We: durch das Tierexperiment die Ätiotropie eines neuen Mittels bei
einer Infektionskrankheit festgestellt ist, so liegt die Wahrscheinlich-
keit nahe, daß es auch beim Menschen ähnliche Wirkungen entfaltet.
Wir stehen freilich nicht mehr auf dem Standpunkte, dal das positive
Tierexperiment als eine conditio sine qua non für die Wirkung neuer
Mittel oder Verbindungen beim Menschen anzusehen ist. Wenn es aber
gelingt, so bietet es eine tiefe wissenschaftliche Grundlage für diese Ver-
suche.
Wir müssen Finkler und der Gräfin Linden das große Verdienst
zusprechen, daß sie vom Kupfer den positiven Beweis seiner ätiotropen
Wirkung beim Meerschweinchen erbracht haben.
Gräfin Linden hat gezeigt, daß es an das Protoplasma der Tuberkel-
bazillen gekettet wird, daß es sie von der Blutbalın aus abtötet, ohne den Or-
ganismus zu schädigen. Es erwies sich also ein Mittel in rein chemotherapeu-
tischem Sinne, welches im weitesten Malie beim Menschen geprüft zu werden
verdiente. Und dieses um so mehr, als wir das Märchen von der hohen
giftigen Wirkung des Kupfers durch die Erfahrung am Tiere und am
Menschen selbst längst als widerlegt betrachten dürfen. Das Kupfer ist
eben besser als sein Ruf. Von dieser Tatsache habe ich mich in
zweijähriger Erprobung zahlreicher Verbindungen dieses Metalls bei der
verschiedensten Einverleibungsart (subkutane, intramuskuläre und intravenöse
Injektionen, Schmierkuren, innere Verabreichung, Klysmen, örtliche An-
wendung) an mehr als 100 Kranken überzeugt. Die einzige unangenehme
Begleiterscheinung der Kupfertherapie, die namentlich in der ersten Zeit
meiner im August 1911 begonnenen Versuche hervortrat, war die örtliche
Schmerzhaftigkeit, namentlich bei Injektionen. Ich arbeitete anfangs mit
dem Kupferchlorid, das sich auch für die örtliche Therapie als zu schmerz-
haft erwies. Von den vielen Verbindungen zeigten sich dann das Kupfer-
kaliumtartrat als sehr brauchbar, auch für Injektionen, für diese auch das
dimethylamidoessigsaure Kupfer. Die unzweifellaften Erfolge, die ıch innmer
652 Strauß,
wieder beobachten konnte, ließen mich nicht ruhen, die Methodik der Kupfer-
behandlung weiter auszubilden, in erster Linie die örtliche, wie ich sie
einführte, nachdem ich ihren großen Wert erkannt hatte. Ist es
schwierig, sich von dem Grade der ätiotropen Wirkung eines Mittels vun
der Blutbahn aus auf die Tuberkulose, besonders die innere, mit ihren
individuellen Schwankungen und ihrer Abhängigkeit von den hygienischen
Bedingungen ein klares Bild zu verschaffen, so liegen die Verhältnis
wesentlich einfacher, wenn man seine örtliche Wirkung prüft. Hier
kann uns kein Objekt günstiger liegen, als die Tuberkulose der Haut
in ihren verschiedenen Formen, der Schleimhäute und auch der
Lymphdrüsen, der Knochen und Gelenke. Hier können wir, sei e
mit dem Auge, sei es im Röntgenbilde, den Reaktionsprozeß verfolgen
und auch die Frage entscheiden, ob das Mittel nur eine Ätzwirkung ın
mehr oder weniger elektivem Sinne oder auch eine spezifische Wir-
kung entfaltet. Und da drängt sich zunächst die Frage auf: Wie sol!
man ein elektiv wirkendes Mittel von einem auch gleichzeitig
spezifisch wirkenden unterscheiden? Spezifisch ist ein Mittel.
wenn es bestimmte Parasiten vernichtet, andere dagegen nicht. Elektiv
ist ein Mittel, das nur das kranke Gewebe zerstört, ohne eine ausge-
sprochene Affinität zu den Bakterien zu entfalten. Die spezifische Wirkung
kann nur dann zu einer chemotherapeutischen sich erheben, wenn seine
außerhalb des Organismus spezifische Kraft sich in ihm mehr bakterio-
trop als organotrop erweist. Will man aus dem Gebiete der Lupusbehandlun:
ein Mittel nennen, das als elektiv, aber nicht als spezifisch zu bezeichnen
ist, so ist die Pyrogallussäure dafür ein Prototyp. Vom Blute her ist sır
überhaupt nicht verwendbar, weil sie schon in verhältnismäßig kleinen
Dosen eine Methämoglobinämie auslösen würde. Auch kann sie, schon
bei örtlicher Anwendung, Nephritis erzeugen. Auf lupösen Herden ver-
ursacht sie eine Verätzung der oberflächlichen Knötchen unter Abstolun;
des nekrotischen Gewebes. Aber sie bringt durch die unversehrte Hant
hindurch tuberkulöse Gewebe nicht zur Resorption. Ganz anders das soun-
schädliche Kupfer. Es zerstört nicht nur elektiv die lupösen Infiltrate, sen-
dern leitet auch ihre Resorption ein, selbst durch die intakte Haut hindurch.
oder von der Blutbahn aus. Diese resorbierende, zur Atrophie füh-
rende tiefe Wirkung des Kupfers zeigt sich am besten bei Skropliul.-
dermen mit noch nicht zerstörter Oberhaut. Diese können unter Einreibung:n
der Salbe völlig zur Resorption gelangen. Das Kupfer heilt also auch ohne
Atzwirkung und diese Fähigkeit ist auf das Konto seiner spezifischen
Eigenschaften zu setzen. Die Ätzwirkung scheint also, wie ich schon frül«r
betont habe, nur ein Mittel zum Zweck zu sein. Durch sie werden dir
Epithelverbände gelockert, durch sie wird erst dem Kupfer die Balın
Op-
e-
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl. 653
ebnet, seine spezifische Wirkung in den unteren Schichten der‘ Haut zu
entfalten. Das Kupfer wirkt nicht nur ätzend auf tuberkulöse Gewebe,
d. h. elektiv, sondern auch abtötend auf die Erreger und resor-
bierend. Es ist nach meinen bisherigen Erfahrungen weniger oder gar
nicht wirksam bei anderen Infektionskrankheiten, z. B. bei Lues und auch
bei anderen Hautleiden, z. B. bei Lupus erythematodes und Psoriasis. Es
ist also spezifisch bei Tuberkulose. Mit dieser Eigenschaft rückt das
Kupfer, wie mir scheint, an die erste Stelle aller örtlich auf tuberkulöse
Gewebe wirkenden Mittel. Und wenn die Finsenbehandlung mit ihrer
Langwierigkeit, Umständlichkeit und Kostspieligkeit in den letzten Jahren
eine so gewaltige Bedeutung in der Therapie des Lupus gewann, so ver-
dankt sie diesen Vorsprung nicht zum geringsten Teile der Tatsache, daß
alle einfachen elektiven Verfahren für die dauernde Heilung des Lupus
nicht ansreichten. weil sie eben nur elektiv, aber nicht spezifisch wirken.
Hier scheint mir das Kupfer berufen zu sein, einen Wandel zu schaffen
und die teuren Heilmethoden in die zweite Linie zu drängen.
Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß das Kupfer tatsächlich
eine mehr wie elektive, auch eine spezifische Wirkung auf die Tuberkulose
besitzt, daß aber seiner Dosierung von der Blutbahn aus bestimmte Grenzen
gesetzt sind, legte ich mir die Frage vor, wie man diese spezifische Kraft
steigern könne, zunächst bei örtlicher Verwendung.
Wenn man bedenkt, daß die Tuberkelbazillen aus 40 % Fettsubstanz
bestehen, daß sich diese Fettmassen besonders in einer starken Wachs-
hülle anhäufen, so erscheint zunächst die Hypothese gerechtfertigt, daß
man die Lipoidlöslichkeit des Kupfers durch Fette steigern könne. Mit
gewöhnlichen Fetten, die ich zuerst verwandte, war dieses nicht zu erreichen,
da sie keine Bakteriolyse der Tuberkelbazillen bewirken. Dagegen bilden
die Lipoide fettspaltende Antikörper und von diesen am stärksten die
Phosphatide, zu denen das Lezithin gehört (Kurt Meyer). Nach den
Untersuchungen von Deyke und Much verlieren in Gehirnemulsionen
eingesäte Tuberkelbazillen ihre Säurefestigkeit und gehen zu Grunde. Diese
bakteriolytische Fähigkeit scheint nach Ansicht der Autoren auf das Lezi-
thin zurückzuführen zu sein. Ich gab daher der Gräfin Linden die
Anregung zu Versuchen, die Lipoidlöslichkeit der Kupferpräparate zu steigern
und es gelang ihr, eine neue chemische Verbindung aus Lezithin mit an-
organischen oder organischen Kupfersalzen, also eine komplexe Lezithin-
Kupferverbindung zu finden, welches nunmehr die Grundlage für meine
weiteren Versuche bildete. Eine Bestätigung von dem Werte des Lezithins
als lipoidlöslichem Mittel gegen die Tuberkelbazillen glaube ich u. a. in den
Ergebnissen der russischen Autoren Borissjak, Sieber und Metalnikow
aus dem Institut für experimentelle Medizin in Petersburg erblicken zu
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 42
654 Strauß,
dürfen. Sie fanden, dal das beste Antigen zur Bildung antituberkulüser
Antikörper tuberkulöses Wachs, entfettete Körper und Lezithin sind und
daß bei Immunisation mit Tuberkelwachs und entfetteten Tuberkelbazillen
Antikörper nicht nur gegen Tuberkelwachs, sondern auch gegen leben
und tote Tuberkelbazillen entstehen, dal aber insbesondere bei Immuni-
sation mit Lezithin Antikörper gegen Tuberkelwachs, Tuberkel-
bazillen und entfettete Tuberkelbazillenleiber gebildet werden.
Es sei noch darauf hingewiesen, daß das Lezithin als ein wert-
volles Mittel zur Zellenbildung und zum Aufbau des Organismu:
geschätzt wird, daß es zur vermehrten Bildung der roten Blut-
körperchen und des Hämoglobins anregt und in diesem Sinne als ein
wichtiges Roborans, namentlich bei Schmierkuren mit Kupfer-Lezithin-
Salben, nicht zu unterschätzen sein dürfte. Und endlich hat sich gezeigt.
daß die Resorption der mit Lezithin und Alkohol ohne Fettzusatz her-
gestellten Salben eine schnellere und tiefere ist, als diejenige von Salben.
welche nur mit Fetten hergestellt wurden. Gräfin Linden fand, dab
bei Meerschweinchen eine ziemlich weitgehende Resorption stattfindet.
Sie rieb einem Versuchstier in 9 Tagen 73 Milligramm Kupfer in einer
besonderen Verbindung des Kupfers mit Lezithin ein, also nicht als Fett-
salbe. Die Analyse der Organe ergab, daß in den Organen allein 48 Milli-
gramm Kupfer wiedergefunden wurden, d. h. 65%. Die größte Menge
fand sich in Leber und Darm, die geringste in den Nieren. Diese Analyse
bestätigte die Beobachtung Gräfin Lindens, da schwer erkrankte Organe
mehr Kupfer zurückhalten als gesunde, wie sie auf mikrochemischem Wege
nachgewiesen hatte.
Es scheint also der Ersatz des Fettes durch Lezithin zwei wesentliche
Vorzüge für die Behandlung der Tuberkulose zu bieten, eine erhöhte spe-
zifische Kraft der Kupferpräparate und eine Steigerung ihrer
Resorbierbarkeit.
Diesen experimentellen Ergebnissen entsprechen nun auch meme
praktischen Erfahrungen. Wenn man auch mit Kupfersalben, die mit ge-
wöhnlichen Fetten hergestellt sind, eine Zerstörung des lupösen Gewebes
erreicht, so geht sie nach meinen Eindrücken doch schneller und enenn-
scher von statten, wenn man sich zu ihrer Herstellung der Kupfer-Lezitlin-
Salben bedient. Die Wirkung dieser Salben scheint mir eine wesentlich
tiefere zu sein und das mul) ja gerade unser Ziel sein, zur Verhütung
von Rückfällen auch die tiefsten Intiltrate zu zerstören. Ich glaube die:
tiefere Wirkung des Lekutyls in verschiedenen Fällen deutlich festgestel:
zu haben. Ich behandelte bei mehreren Kranken einzelne Herde m!
Kupferlezithin, andere mit Kupferlanolin, beide Salben von gleichem
Kupfergehalt. Ich habe dabei beobachtet, daß die Tiefenwirkung der
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 655
Lezithinsalbe eine wesentlich stärkere war. Wir dürfen daher wohl in
dem Lezithin als Komponente der Salbe ein Mittel erblicken, das die
rationelle Tiefenwirkung des Kupfers befördert. Die ausgezeich-
nete Resorptionsfähigkeit der Kupfer-Lezithin-Salbe tritt auch in auffälliger
Weise bei Schmierkuren zutage. Die Salbe läßt sich außerordentlich leiclıt
und schnell in die Haut verreiben, besonders wenn man zum Nachreiben
sich des Kampferspiritus bedient.
Habe ich in therapeutischer Beziehung vornehmlich die spezifische
Wirkung der neuen Präparate zu heben versucht, so leiteten mich in
rein technischer Hinsicht besonders zwei Gesichtspunkte. Erstens, eine
Einheitlichkeit und Einfachheit der Behandlung auszubilden und
zweitens, die Schmerzhaftigkeit der Kur nach Möglichkeit
herabzusetzen. Es gelang, die Einheitlichkeit der Methodik durch die
Herstellung des neuen Präparates Lekutyl zu erreichen. Nach mehr als
1 jähriger Kontrolle zahlreicher Verbindungen und ihrer Erprobung am
Menschen sind wir für die äußere Tuberkulose bei einem Präparate stehen
geblieben, das im wesentlichen aus zimtsaurem Kupfer und Lezithin be-
steht. Nachdem ich mit Genugtuung die erfreuliche Tatsache habe kon-
statieren können, daß die zahlreichen Nachprüfungen meine Beobachtungen
und Resultate bestätigten, haben wir uns entschlossen, die Präparate!)
für die Behandlung der äußeren Tuberkulose freizugeben.
Über die mir bisher von etwa 25 verschiedenen Seiten zur Kenntnis
gegebenen Resultate der Nachprüfungen, die sich etwa über !/, Jahr er-
strecken (bei einigen auch über einen längeren Zeitraum), bin ich folgendes
mitzuteilen in der Lage. Sie stammen aus mehreren Universitätskliniken
und Polikliniken, aus Heilstätten für Lupusbehandlung, innere und chirur-
gische Tuberkulose, von mehreren Spezialärzten und einem Landarzte.
Was zunächst die Tuberkulose der Haut betrifft, so betonen fast alle
Autoren die entschiedene örtliche elektive Ätzwirkung der Salben. Ebenso
wird fast von allen Seiten die Schmerzhaftigkeit der örtlichen Behandlung
hervorgehoben. Freilich benutzten die nachprüfenden Herren anfänglich
die Salben mit stärkerem Kupfergehalt ohne Zusatz von Zykloform und es
wurde von mehreren Seiten ausdrücklich festgestellt, daß bei der neuen
Lekutylsalbe die Schmerzhaftigkeit viel geringer sei und nicht größer als
bei der Behandlung mit Pyrogallussalben. Daß das Lekutyl rascher wirkt
wie andere elektive Ätzmittel (vergleichsweise kommt auch hier in erster
Linie die Pyrogallussäure in Betracht), wird von 6 Autoren festgestellt.
Einige Herren schreiben, daß sie die auffallend schnelle Heilwirkung in
Erstaunen versetzt habe; von einer Seite wird bemerkt, daß die Wirkung
1) Farbenfabriken vorm. Fr. Bayer & Co. in Leverkusen bei Cöln.
42*
656 Strauß,
zuweilen auch langsamer sei als diejenige der Pyrogallussäure. Mehrfacl:
wurde auch der auffallend schnelle und kosmetisch gute Vernarbung:-
prozeß, der sich nach der örtlichen Behandlung vollzieht und die resor-
bierende Wirkung auf Skrophulodermata erwähnt. Einige Herren schlieben
sich meiner Ansicht an, daß die Wirkung der Salbe mehr wie eine elek-
tive, daß sie auch eine spezifische sei. Von einer Seite wird sie als eine
„stark spezifische“ bezeichnet. Und von einer anderen wird der Eindruck
geäußert, als hätte das Lekutyl Wirkungen, wie sie bisher noch nicht be-
obachtet seien. Keine Erfolge von allgemeiner Behandlung wurdeu
von drei Herren gesehen, während von fünf anderen, sei es örtliche Re-
aktionen in den Lupusherden, sei es Besserung derselben, konstatiert werden
konnten. Aus einer Universitätsklinik wird von einem schweren Fall von
Hauttuberkulose berichtet, bei dem unter ausschließlich interner Behand-
lung ein „glänzendes Resultat“ erzielt wurde. 18 Autoren bezeichnen die
bisher erzielten Resultate als gute, zum Teil sehr gute. Nur ein Autor
berichtet von unbefriedigenden Resultaten. Diese Mitteilung stammt aus
einer Universitätspoliklinik. Der Assistent dieser Klinik, der die Versuche
leitete, erklärte mir nach eingehender Rücksprache bei einem Besuche in
Barmen, daß die von ihm angewandte Methodik, die mir nicht richtig er-
schien, wohl die Ursache der mangelhaften Resultate sein dürfte.
Von keiner Seite wurden schädliche Neben- oder Nachwirkungen der
örtlichen Behandlung gemeldet. Nur ein Kollege sah in einem Fall regel-
mäßig bei allgemeiner Behandlung (Injektionen) Erytheme. Über gute. zum
Teil ausgezeichnete Erfolge bei chirurgischer Tuberkulose unter örtlicher
Behandlung wird von allen Autoren, die auf diesem Gebiete nachprüften.
berichtet. Fisteln und Abszeßhöhlen schlossen sich, Caries wurde zur
Heilung gebracht. Von einer Seite wird über die auffallend schnelle
Heilung einiger Fälle von Spina ventosa berichtet, nachdem monatelang
durchgeführte Röntgenbehandlung erfolglos geblieben war. Auch liegen
Berichte über günstige, ja bedeutende Besserung von Schleimhauttuber-
kulose vor, auch unter allgemeiner Behandlung.!)
1) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen gingen mir noch mehrere. nur
günstige Berichte zu. Ein Spezialkollege schreibt: „Ich habe in einem Fall.
der von mir schon monatelang vergeblich mit Pyrogallus behan-
delt war, einen glänzenden Erfolg nach kurzer Applikation der
Kupfersalbe gehabt“
Ein anderer schreibt: „Die Salbe U%/,+Cykl.10 habe ich bisher in
2 Fällen von chirurgischer Tuberkulose in der Form der Schmier-
kur angewendet und ich muß sagen, daß der Eindruck der thera-
peutischen Wirksamkeit ein ganz vorzüglicher ist.“
Von dem Chefarzt eines Knappschaftskrankenhauses liegt mir folgende Mit-
teilung vor: „Wir haben z. Z. 15 Lupuskranke in Behandlung. daven
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 657
Die eingehendere Veröffentlichung ihrer Ergebnisse bleibt den Herren
selbst, die die Nachprüfung freundlichst und in dankenswerter Weise über-
nahmen, überlassen. Zur Beurteilung der Resultate, namentlich mit Rück-
sicht auf Rezidive, wäre es erwünscht, wenn die Pathogenese der Fälle
mitgeteilt würde, ob sie exogen oder endogen entstanden, ob die Schleim-
häute usw. beteiligt waren und ob es gelang, die Ausgangsprozesse zu be-
seitigen.
Zur örtlichen und Inunktionsbehandlung dient eine Salbe aus
zimtsaurem Kupfer-Lezithin mit einem Kupfergehalt von 11/,%, der
zur Herabminderung der Schmerzhaftigkeit noch 10%, Zykloform zugesetzt
ist. Zur inneren Behandlung werden dragierte Pillen der gleichen
Kupfer-Lezithinverbindung von je 5 mg Kupfer ausgegeben. Die Pillen
können dreimal täglich gegeben werden, 1—2 Stück am besten nach den
Mahlzeiten. Die für die Injektionen bestimmten Präparate sind noch
nicht definitiv festgelegt und konnten daher auch noch nicht freigegeben
werden.
Über die Technik der Methode möchte ich folgendes sagen: In
meiner zweijährigen Erfahrung habe ich mich immer wieder davon über-
zeugen können, daß die Güte der Erfolge besonders von einer
exakten Technik abhängt. Es genügt nicht, die Salben einfach auf die
Haut aufzustreichen. Die Salben müssen bei Tag und Nacht in engster
Berührung mit den erkrankten Hautstellen sich befinden. Das kann nur
durch das Anlegen eines rationellen Verbandes geschehen. Bis zur
Exkoriation der Haut streiche man bei geschlossenen Infiltraten die Salbe
mit einem Spatel direkt auf die Haut auf. Sodann streiche man die Salbe
2 stationär, die übrigen ambulant. Alle diese Kranken sind mit
anderen Mitteln zum Teil Jahre lang ohne dauernden Erfolg be-
handelt und werden von uns ausschließlich mit Ihren neuen Prä-
paraten behandelt. Wir sind, wie wir schon früher mitgeteilt,
mit den Erfolgen recht zufrieden“
Der Leiter eines anderen Krankenhauses schreibt: „Ich bin auf Grund
meiner Erfahrungen der Ansicht, daß die Kupfersalbe für die
äußere Tuberkulose sehr wirksam ist und daß diese Medikation
eine große Zukunft hat. Ich habe bei einem tuberkulösen Zun-
xengeschwür, das gewöhnlich jeder Behandlung trotzt, eine vor-
zügliche Wirkung von der äußerlichen Anwendung des Kupfers
gesehen, außerdem bei tuberkulösen Fisteln. Endlich habe ich
versucht, Kupferlösung in ein tuberkulöses Kniegelenk einzu-
spritzen, — mit vorzüglichem Erfolg.“
Über die intravenösen Injektionen äußert sich der Direktor einer
Heilanstalt für Lungenkranke: „Der Eindruck, den ich von der Wirkung
des Präparates habe, ist bisher ein prächtiger.“
658 Strauß,
auf mehrfach übereinander gelegten Mull. Die Mullkompresse soll etwas
größer sein als die zu behandelnden Hautstellen. Darüber lege man ent-
weder einen Bindenverband oder man fixiere, was besonders im Gesicht
zu empfehlen ist, die Kompressen mit Leukoplast oder Helfoplast. Man
achte besonders darauf, daß die Ränder und Ausläufer der Herde gut von
der Salbe bedeckt sind, denn erfahrungsgemäß bleiben hier am leichtesten
Reste zurück. Sitzen die Herde in Falten, so empfiehlt es sich, die Mull-
kompressen an diesen Stellen noch mit Watte auszupolstern. Wenn die
Kutis frei liegt, dann vermeide man die Salbe direkt auf die Wundtläche
zu streichen. Man lege dann nur noch die mit Salbe bestrichenen Mull-
kompressen auf, die man vor der Ablösung mit Öl tränke. Je schwäch-
licher und empfindlicher die Kranken sind, um so mehr gehe man schritt-
weise vor. Man behandle nur einzelne Herde und gehe erst zu anderen
über, wenn unter einer indifferenten Salbe die schnell einsetzende Epitheli-
sation sich vollzieht. Bei zurückbleibenden Resten der Infiltrate, aber
auch bei kleinen Herden überhaupt, kann man auch die Behandlung mit
der Kupfersalbe bis zur völligen Vernarbung zu Ende führen. Mit diesem
Verfahren kann man manchmal schon wit der ersten Kur eine restlose
Beseitigung aller Herde erreichen.
Bei geschlossenen Infiltraten bemerkt man schon am ersten Tage eine
lebhafte Rötung und Exsudation. Am zweiten Tage stoßen sich in der
Regel die obersten Epithelschichten ab. Man sieht dann schon die Lupus-
knötchen als graue Pfröpfe im Gewebe liegen. Bei guter Technik tritt
die spezifische Reaktion in der Regel schon am dritten Tage ein, eine
schmerzhafte Entzündung und Zerstörung der Lupusknötchen. Diese Re-
aktion stellt den Höhepunkt der Kupferwirkung dar, wie ich in meinen
Arbeiten wiederholt betonte.t)
Bei empfindlichen Kranken, namentlich aber bei der Behandlung
größerer und mehrerer Herde ist es durchaus zu empfehlen, während der
ersten Nächte Morphium zu geben. Die Schmerzhaftigkeit tritt in der
Regel am meisten in der zweiten Nacht hervor. Das geübte Auge kann
jetzt schon erkennen, ob wirklich sämtliches lupöse Gewebe elektiv zerstürt
1) In seiner Veröffentlichung über chemotherapeutische Versuche bei
Lungentuberkulose (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1913, Nr. 28) sagt Dr.
Stefan Pekanovich-Budapest, daß Dr. Sigmund Somoggi „in einigen
Fällen von Lupus und Tuberculosis verrucosa sogar (sic!) bei Anwendung einer
1/, proz. Salbe“ (Kupferchlorid, das von uns als „nicht geeignet für die antituber-
kulöse Therapie“ bezeichnet wurde) „eine schmerzhafte Entzündung auftreten sah.
weshalb er jede weitere Behandlung einstellte“. Er brach also die Behandlung
ab, als die spezifische Reaktion sich zeigte und geht dann soweit, auf Grund dieser
wenigen Fälle die Methode als erfolglos zu bezeichnen, obwohl er die Behandlung
nicht einmal zu Ende führte.
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl.. 659
ist. Man bemerkt es an der lebhaft frischen rötlichen Farbe des frei-
liegenden Gewebes. Dort, wo die Salbe in nicht genügender Weise ihre
elektive Ätzung ausgeübt hat, kann man noch deutlich den bräunlichen
Farbenton der Lupus-Infiltrate feststellen. Es zeigt sich an diesen
Stellen in der Regel noch eine stärkere Schwellung des noch nicht völlig
zerstörten kranken Gewebes. Besonders bleiben noch nicht völlig zer-
störte Herde an den Rändern bestehen. Bei großer Schmerzhaftigkeit
der Kur, namentlich bei sehr empfindlichen Kranken, ist es ratsam,
jetzt schon die spezifische Behandlung für einige Zeit zu unterbrechen
und zunächst die Epithelisation des schon völlig zerstörten Gewebes abzu-
warten unter Anwendung einer indifferenten Salbe, z. B. aus essigsaurer
Tonerde (10%) und Lanolin-Vaselin oder Eucerinum anhydr., die die
Schmerzen fast augenblicklich aufhebt. Unter dieser Salbe vollzieht sich
eine schnelle Vernarbung. In der Regel bilden sich glatte und schöne
Narben, wie sie wohl kaum besser unter Lichtbehandlung erzielt werden.
Der volle kosmetische Effekt tritt nicht sofort hervor, sondern erst all-
mählich, nachdem alle reaktiven Erscheinungen verschwunden sind. Die
resorbierende Wirkung der Salbe kann man besonders daran erkennen,
daß oft auch die in den tieferen Schichten der Kutis liegenden Infiltrate,
welche noch nicht völlig bloßgelegt sind, gleichfalls einer Atrophie ver-
fallen. Lautsch hat mit Recht hervorgehoben, daß man diese resorbierende
und spezifisch in die Tiefe greifende Wirkung der Salbe besonders gut in
Fällen von geschlossenen Skrophulodermen beobachten könne, die bei konse-
quenter Einreibung der Salbe sich durch die intakte Haut hindurch völlig
resorbieren. Der Beweis der resorbierenden Wirkung des Kupfers wurde
mir des öfteren in auffälliger Weise bei allgemeiner Behandlung erbracht.
In einer Reihe von Fällen habe ich längere Zeit einzelne Stellen unbe-
handelt gelassen und mich dann davon überzeugen können, daß lediglich
unter der allgemeinen Behandlung die Infiltrate auch an diesen Stellen
sich, wenn auch sehr langsam, resorbieren. Zur Zerstörung der Reste
kann man in doppelter Weise vorgehen. Nachdem die Schmerzhaftigkeit
der ersten Kur vollständig vorübergegangen ist, nachdem mit anderen
Worten eine ziemlich weitgehende Epithelisation des zerstörten Gewebes
sich entwickelt hat, kann man die nun noch verdächtigen lupösen Infiltrate
von neuem mit der Lekutylsalbe bedecken, während man auf den heilenden
Stellen weiter die indifferente Salbe gebrauchen läßt. Oder man läßt zu-
nächst die volle Atrophie des schon zerstörten Gewebes sich abwickeln,
um dann durch eine Nachkur die zurückgebliebenen Reste zu beseitigen.
Sehr häufig kann man schon mit der ersten Kur selbst alte und tief in
die Kutis reichende Infiltrate bei einwandfreier Technik vollständig zer-
stören. Je tiefer sich allerdings die Infiltrate in die Kutis erstrecken und
660 Strauß,
je ausgedehnter die Herde der Fläche nach sind, um so mehr muß man mit
der Wahrscheinlichkeit rechnen, daß Reste zurückbleiben. Es
kann sogar nötig werden, daß man, besonders bei ambulanter Behandlung,
die Kur häufig wieder aufzunehmen hat. Man sollte sich durch mehrfache
Rezidive nicht irre machen lassen. In solchen besonders widerstehenden
Fällen, die eine große Geduld des Arztes und des Kranken voraussetzen,
kann sich die Behandlung allerdings über lange Monate erstrecken. Jeden-
falls darf man behaupten, daß man bei konsequenter Durchführung der
Behandlung auf die Dauer auch tiefe Infiltrate restlos beseitigen kann.
Bei besonders hartnäckigen Infiltraten empfiehlt es sich, die Kur nicht zu
unterbrechen, wenn die elektive Zerstörung eingetreten ist, sondern sie
bis zur vollständigen Vernarbung durchzuführen. Die Schmerz-
haftigkeit der Kur tritt um so mehr zurück, je weiter die Hei-
lung fortschreitet.!)
Es ist charakteristisch für die spezifisch-elektive Wirkung der Salbe.
daß sie nur tuberkulöses Gewebe zerstört. Es muß freilich ausdrücklich
betont werden, daß auch die gesunde Haut, besonders bei sehr anämischen
Kranken, etwas auf die Salben reagieren kann. Diese Reaktion äubert
sich in Rötung, Schwellung und auch in oberflächlicher Abschürfung. aber
niemals in einer Zerstörung der tieferen Schichten. Die Konjunktiva der
Augen kann, wenn die Herde in der Nähe sitzen, mit Entzündung reagieren.
Indessen nimmt, wie ich in zahlreichen Fällen feststellen konnte, diese
keinen unangenehmen Charakter an. Sie geht schnell wieder vorüber.
Eine restitutio ad integrum tritt unter der Salbe und auch während der
Nachbehandlung mit indifferenten Mitteln nicht sofort ein. Der Reaktions-
prozeß läuft nur sehr langsam ab. Die tuberkulös erkrankt gewesene Haut
bleibt noch lange lebhaft frisch gerötet, und geht allmählich in atrophisches
Gewebe von bläulichweißer Farbe über. Dann vermag man in der Regel
durch Glasdruck deutlich zu erkennen, ob noch tuberkulöses Gewebe
zurückgeblieben ist. Am längsten bleibt eine reaktiv entzündliche Zone an
den Rändern der behandelten Infiltrate bestehen. Viel schneller noch
als lupöse Infiltrate heilen tuberkulöse Ulzerationen sowohl der
äußeren Haut wie der Schleimhäute. Bei ihnen hat man seltener
mit Rezidiven zu rechnen. Schwammiges Gewebe bei Lupus tumidus
wird in einigen Tagen abgestoßen. Die Reinigung der Ulzerationen
vollzieht sich in der Regel in einigen Tagen, sowohl auf der äußeren Haut
wie auf den Schleimhäuten. Sie schließen sich dann langsam mit guter
1) Bei der Behandlung von Rezidiven ist die Schmerzhaftigkeit geringer.
Man kann auch die Konzentration der Lekutylsalbe anfangs mit Fett herabsetzen
und allmählig sie steigern oder zu den Nachkuren schwächere Salben benutzen.
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezitliinkupfer (Lekutyl). 661
Narbe. Skrophulodermata reinigen sich ebenfalls auffallend schnell.
Die Schmerzhaftigkeit der örtlichen Kur konnte dadurch er-
heblich herabgesetzt werden, daß der anfänglich höhere Kupfergehalt der
Salbe vermindert werden konnte. Es stellte sich heraus, daß sich durch
eine Salbe mit einem 1!/, proz. Kupfergehalt dieselbe gute Wirkung erzielen
ließ, wie durch eine Salbe mit einem Kupfergehalt von 4,5%, wie ich sie
anfänglich gebraucht habe. Eine weitere Verminderung der Schmerzhaftigkeit
ließ sich durch einen Zusatz von Zykloform erreichen, das die Haltbarkeit
der Salbe nicht beeinträchtigt. Man darf behaupten, daß man mit dieser
Salbe unter Befolgung der von mir gegebenen Vorschriften auch bei
empfindlichen Kranken durchaus erträgliche Kuren durchführen kann, die
bis zur Zerstörung des kranken Gewebes nur kurze Zeit dauern. Man
kann übrigens auch reines Zykloform auf die zerstörten Herde aufstreuen.
In der Regel genügt bei Krankenhausbehandlung für diesen Zweck
eine Kur von mehreren Tagen bis einigen Wochen. Wie ich eben schon er-
wähnte, empfehle ich zur Beurteilung des Heilungsvorganges in ausgiebigster
Weise von dem Glasdruckverfahren, der sogenannten Diaskopie,
Gebrauch zu machen. Man kann mit einem Glasspatel oder mit einem Ob-
jektträger, den man auf die kranke Haut drückt, feststellen, ob noch Infil-
trate in den atrophischen Geweben zurückgeblieben sind. Man muß sich
freilich hüten, einfache Pigmentierungen oder Hyperämien mit
Infiltraten zu verwechseln. Dem geübten Auge wird das leicht ge-
lingen.!) Glaubt man unter dem Glasspatel noch Infiltrate Jupösen Charakters
zu sehen, so lasse man nochmals eine Nachkur vornehmen. Werden diese
Infiltrate dann durch die Salbe zerstört, so hatte es sich um lupöses Ge-
webe gehandelt.
Es muß hervorgehoben werden, daß ich meine Resultate an meinen
mehr als 100 Fällen in zweijähriger Erprobung und Ausbildung des Ver-
fahrens unter ambulanter Behandlung meiner Kranken erzielt habe.
Erst in der letzten Zeit war ich in der Lage, einige Kranken auch sta-
tionär im städtischen Krankenhaus in Barmen behandeln zu können. Erst
hier habe ich erfahren, wie schnelle und gründliche Resultate
bei einwandfreier Technik und sorgfältiger Beobachtung der
Kranken zu erreichen sind.
Ich verdanke diese Möglichkeit dem warmen Interesse, das unserer Sache
1) Hyperämische Flecke verschwinden unter Glasdruck. Pigmentflecke zeigen
einen scharf begrenzten, rein bräunlichen oder gelblichen Farbenton. Lupöse Zell-
infiltrate verleihen aber der Haut nicht nur einen bräunlichen Ton, sondern auch
eine gewisse Durchsichtigkeit, eine Transparenz, die oft das Aussehen des Karamel-
zuckers hat und die dadurch entsteht, daß das Bindegewebe schwindet und an
seiner Stelle ein dichtes, weiches Zellinfiltrat sich gebildet hat,
662 Strauß,
die Lupuskommisson des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der
Tuberkulose entgegenbrachte. Durch sie wurde ich zunächst in die Lage
versetzt, einen von ihr mir im April a. cr. überwiesenen Fall im Kranken-
hause behandeln zu dürfen. Auf den mir von der Kommission überwiesenen
Fall werde ich noch besonders zurückkommen. Ich möchte noch hier be-
tonen, daß gerade dieser mich gelehrt hat, was man mit einer ratio-
nellen Krankenhausbehandlung in kurzer Zeit erreichen kann. In der
ambulanten Praxis ist man in der Regel nicht in der Lage, die Behand-
so rationell durchzuführen, daß das erkrankte tuberkulöse Gewebe in
dauernder engster Berührung mit der Salbe bleibt. Die peinliche soziale
Stellung, die Indolenz der Kranken, die selbst bei sehr entstellten weib-
lichen Lupösen noch stark in die Erscheinung tretende Eitelkeit ver-
hindern eine zweckmäßige Durchführung der Kuren bei Tag und Nacht.
In der Regel verwenden die Kranken die Salbe zu Hause nur bei Nacht.
Bei Tage wird sie meistens nicht oder nur ungenügend aufgelegt, obwohl
dem Arzte auf seine Frage fast regelmäßig die Antwort zu Teil wird, daß
die Behandlung genau nach seinen Vorschriften durchgeführt sei. Ich
könnte von Fällen berichten, bei denen mir Monate lang von den Kranken
immer wieder die Erklärung abgegeben wurde, daß die Salbe von ihnen
bei Tag und Nacht auf das Sorgfältigste verwandt worden sei. Einige
dieser Fälle habe ich dann, als mir das Krankenhaus geöffnet war, hier
aufnehmen lassen und in kurzer Zeit, in einigen Tagen, Resultate er-
erreicht, wie sie beiambulanter Behandlung dieser Kranken nicht in einigen
Monaten zu ermöglichen waren. Erst dann gestanden mir die Kranken,
daß sie die Behandlung doch nicht in der sorgfältigen Weise zu Hause
hätten durchführen können, wie ich das gewünscht hätte Auch die
Schmerzhaftigkeit der Salben veranlaßt viele Kranke, vorzeitig die Behand-
lung zu unterbrechen und sich mit Teilerfolgen zu begnügen. Sie wischen
die Salbe nicht selten wieder ab, sobald die Zerstörung der Haut von ihnen
bemerkt wird. Da gerade am zweiten und dritten Tage die Schmerzhaftigkeit
am stärksten in Erscheinung tritt, muß man schon mit einer Unterbrechung
der Kur im Anfang rechnen. So ist der Arzt bei ambulanter Behand-
lung nur allzu sehr Täuschungen ausgesetzt, und wenn die Erfolge aus-
bleiben oder mangelhaft sind, so sollte man den Mißerfolg zunächst immer
in einem Mangel der Technik und Methode suchen. Den ersten
Verband sollte der Arzt stets selbst anlegen. Aus allen diesen Gründen
ist es empfehlenswert, Kranke mit ausgedehnter Hauttuberkulose und all-
gemeiner schlechter Körperkonstitution wenigstens einige Tage oder Wochen
in einem Krankenhaus unterzubringen, bis zur Freilegung und Zerstörung
der größten Herde. Die kleinen zurückgebliebenen Herde lassen sich später
leicht ambulant beseitigen. Der Kranke unterzieht sich dann um so lieber
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 663
einer energischen Weiterbehandlung, weil er die Technik kennen gelernt und
volles Vertrauen zu der Wirkung der Kur bekommen hat, besonders
dann, wenn er früher längere Zeit mit anderen Heilmethoden mehr oder
weniger vergeblich behandelt wurde. Im Krankenhause kann man also in
einigen Tagen unter sorgfältigster Beobachtung, bei richtiger
Methodik und unter individueller Berücksichtigung der Empfind-
lichkeit des Kranken dasselbe erreichen, was bei ambulanter
Behandlung erst in Monaten zu vollziehen ist. Ich habe die Über-
zeugung gewonnen, daß man auf solche Art auch ganz alte verzweifelte
Fälle nicht nur erheblich bessern, sondern auch völlig heilen kann. Selbst-
verständlich kann man die anderen bewährten Methoden in individueller
Weise mit der Lekutylbehandlung vereinigen.
In erster Linie kommen kurze energische Bestrahlungen mit der
Quarzlampe in Betracht, ferner empfiehlt sich manchmal vorhergehende
Ätzung mit 331/,proz. Kalilauge, ferner eine Vor- oder Nachbehand-
lung besonders tiefer gelegener Infiltrate mit Kohlensäureschnee, Nach-
behandlung sehr hartnäckiger Infiltrate mit Finsenlicht, Radium, Meso-
thorium. Je länger ich mich jedoch mit der neuen Methode be-
fasse, um so mehr hat sich mir die Überzeugung aufgedrängt,
daß man in erster Linie das Lekutylverfahren in Anwendung
ziehen sollte, und die anderen Methoden nur als aushelfende
und unterstützende heranzuziehen hat.
In ähnlicher Weise wie auf der äußeren Haut verfahre man möglichst
auch bei Lupus der Schleimhäute. Bei Nasenlupus z. B. stopfe man die
Nase mit Mull aus, der mit der Salbe bestrichen ist. (Auch Kupferlösungen
können zu Pinselungen benutzt werden.) Gerade dem Nasenlupus widme
man die sorgfältigste Beachtung, der in mindestens 50% der Fälle von
Gesichtslupus zu konstatieren ist. Solange er nicht geheilt ist, hat man
immer mit Rückfällen zu rechnen.
Bei chirurgischer Tuberkulose empfehlen sich örtliche Verbände
mit der Kupfersalbe. In Fisteln kann man die Salbe rein oder ver-
dünnt mit Öl einspritzen. Nach Herausnahme des Kolbens läßt sich die
Salbe in jede Spritze füllen. Bei chirurgischer Tuberkulose sind natürlich
Fremdkörper wie Sequester operativ zu entfernen. Eiterherde sind zu
entleeren. Wundhöhlen und Knochenherde kann man mit der Leku-
tylsalbe ausfüllen.
Weit mehr noch als für die Behandlung der Hauttuberkulose kommt die
Krankenhausbehandlung für diejenige der äußeren chirurgischen Tuber-
kulose in Betracht. Wenn auch meine Erfahrungen auf diesem Gebiete
naturgemäß sehr spärliche sind, so glaube ich doch auch hier zu dem Aus-
spruche berechtigt zu sein, daß die Kupfermethode zu einer wesentlichen
664 Strauß,
Vereinfachung und Vertiefung ihrer Behandlung führen wird.
Ich glaube hier kein besseres Beispiel anführen zu können, als den mir
von der Lupus-Kommission überwiesenen Kranken. Es handelte sich um
einen 11jährigen Knaben, welcher an einer mit mehreren Fisteln kompli-
zierten Coxitis und an Lupus des Gesichtes, der Naseneingänge und an
einem tuberkulösen Geschwüre der Oberlippe litt. Der Lupus war im
Krankenhaus in einigen Wochen bis auf kleine Reste beseitigt, die Coxitis
in etwa 21/, Monaten geheilt. Es trat eine vollständige Vernarbung der
Fisteln und eine deutliche Rückbildung des kariösen Prozesses im Hüft-
gelenk und am Oberschenkel ein. Auf der Röntgenplatte war kein kariöses
Gewebe mehr sichtbar. Im ganzen erforderte die Behandlung im Kranken-
hause eine Zeit von 3 Monaten. Klinisch war keine Tuberkulose mehr nach-
weisbar. Bisher verlief der Fall ohne Rezidiv (s. Fall XV). Mit Rücksicht da-
rauf, daß von authentischer chirurgischer Seite die durchschnittliche Heilungs-
dauer einer tuberkulösen Coxitis auf 3 Jahre angegeben wurde, scheint
mir dieser mit Lekutylbehandlung erzielte Erfolg um so bemerkenswerter
zu sein, als bei dem Knaben keine andere Behandlung vorgenommen wurde.
Er durfte sich während der ganzen Kur frei bewegen.
Es liegt mir fern, aus diesem Einzelfalle irgendwelche weiteren Schlüsse
zu ziehen. Aber in Übereinstimmung mit anderen Erfahrungen aus der ambu-
lanten Praxis habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Kupferbehandlung,
besonders die örtliche, die Chirurgen in die Lage versetzen dürfte, noch
mehr als bisher auf chirurgische Eingriffe und immobilisierende
Verbände zu verzichten. Es scheint mir auch geboten zu sein, darauf
hinzuweisen, daß die Kupfertherapie ein wertvolles Unterstützungs-
mittel in der Behandlung der äußeren chirurgischen Tuber-
kulose in Verbindung mit den hygienischen Verfahren (Luft-,
Licht- und Sonnenbehandlung) zu werden verspricht. Bei der
chirurgischen Tuberkulose kann das Kupfer, wie schon Luton
betonte, vollenden, was die Hand des Chirurgen begonnen hat.
Es kann die Ausbreitung des Prozesses von kleinen nach chirur-
gischen Eingriffen zurückgebliebenen Herden verhüten. Es
kann vor Rückfällen schützen. Die Behandlung sollte auch
hier in erster Linie eine örtliche sein. Auch bei chirurgi-
scher äußerer Tuberkulose ist neben der örtlichen Behand-
lung eine lange Zeit fortgesetzte, milde, chronische allgemeine
dringend zu empfehlen.
Auch die Kupferwirkung hatihre natürlichen Grenzen. Bei
schweren progressiven Fällen, bei denen der Organismus nicht mehr in der
Lage ist, eine genügende Menge von Antikörpern zu bilden, bei denen also
die Widerstandskraft des Organismus gebrochen ist, wird auch die Kupfer-
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 665
therapie versagen. Das ermahnt uns um so mehr, auch der äußeren Tuber-
kulose in jeder Form in den ersten Anfängen die sorgfältigste Beachtung
zu schenken, weil man dann am sichersten vollständige Heilung zu erzielen
vermag. 1 Ä |
Ich hob bereits hervor, daß ein allen Zwecken dienendes Injektions-
präparat noch nicht gefunden wurde. Wir glauben aber auch hier bald
auf dem richtigen Wege zu sein. Als ein vom technischen Standpunkte
sehr brauchbares Präparat erwies sich das dimethylamidoessigsaure Kupfer
in 1 proz. Lösung (als Lösung H bezeichnet).
Die Injektionen mit diesem Präparat mache man im allgemeinen
2 mal wöchentlich. Subkutane Injektionen sind nicht zu empfehlen, weil
sie leicht Nekrosen verursachen. Die intramuskulären Injektionen
haben wohl Infiltrate, aber keine Nekrosen zur Folge. Die Schmerzhaftig-
keit dieser Injektionen ließ sich bisher nicht ganz ausschalten, auch dann
nicht, wenn man vorher ein Anästhetikum einspritzt. Sie ist im allgemeinen
nicht stärker wie diejenige bei Quecksilbereinspritzungen. Meist ist sie am
nächsten Tage verschwunden. Vollkommen schmerzlos sind bei guter
Technik die intravenösen Injektionen. Man muß sich hüten, das Kupfer
unter die Haut zu spritzen. Dann entstehen sehr leicht, besonders bei
der Haut der Kinder und sehr anämischer Kranken nichteiternde, lang-
dauernde Nekrosen. Bei intramuskulären Injektionen beginne man mit
einem halben Kubikzentimeter (= 5 mg Kupfer) und gehe im allgemeinen
nicht über 1 ccm hinaus. Intravenös kann man bis zu 5 ccm steigern,
(= 5 cg Kupfer), aber auch höher.
Die Schmerzhaftigkeit der Injektionen im allgemeinen und ihre häufigen
Wiederholungen veranlaßten mich, zu Schmierkuren überzugehen. In
Verbindung mit der inneren Darreichung des Lekutyls in Form von Pillen
stellen sie eine einfache und lange durchführbare milde All-
gemeinkur dar, die, von leichten Hautreizungen abgesehen.
sehr gut vertragen wird und sich daher für die meist sehr
schwächlichen und empfindlichen Kranken besonders gut
eignet. Die Schmierkuren sind in derselben Weise durchzuführen, wie
sie mit Quecksilber üblich sind. Man lasse täglich 3—6 g einreiben. Man
verreibe mit Kampferspiritus so lange, bis die grüne Farbe verschwunden ist.
Die Wirkung des Kupfers von der Blutbahn aus auf die kranken
Herde äußert sich in einer mehr oder weniger starken Reaktion, die
niemals die Heftigkeit einer Tuberkulinreaktion erreicht. Je torpider der
Prozeß ist, um so weniger tritt diese Reaktion in Erscheinung. Sie fehlt
bei der umschriebenen Form des Lupus wohl immer. Die Erklärung
hierfür dürfte in seinem anatomischen Bau, auch wohl in der Anwesen-
heit kleinerer oder größerer Mengen von Bazillen, zu suchen sein. Eher
666 Strauß,
wird eine leichte Reaktion schon bei der diffusen Form des Lupus be-
obachtet, der durch ein reicheres Gefäßnetz mit der gesunden Haut in
Verbindung steht. Aber auch hier ist die Reaktion so unmerklich, dal}
sie nur selten. sichtbar in Erscheinung tritt. Sie äußert sich meist in
einer leichten Kongestion, namentlich an den Rändern.
Bei entzündlicher, chronischer, chirurgischer Tuberkulose
zeigt sich nach Injektionen eine gewisse Steigerung der örtlichen Schmerz-
haftigkeit, besonders auf Druck. Sie tritt meist um so stärker hervor, je
näher am Herd injiziert wird. Die Schmerzen können in die kranke
Extremität ausstrahlen und es ist bezeichnend für den Heilungsprozel),
wenn sie sich unter der Behandlung allmählich verlieren. Bei torpider
chronischer chirurgischer Tuberkulose tritt dieser örtliche Schmerz
viel weniger in Erscheinung. Große Störungen werden jedenfalls durch
diese Herdreaktionen nicht verursacht. Dagegen könnte bei Lungentuber-
kulose eine Hämoptoe auftreten. Bei einem geschwächten Organismus be-
ginne man jedenfalls mit kleinen Dosen. Die anfängliche Dosis soll im
umgekehrten Verhältnis zur Schwere der Erkrankung stehen. Bei Fisteln
sieht man nicht selten eine vorübergehende vermehrte Eiterung.
Bei fieberloser Tuberkulose, bei sehr torpidem Verlaufe der
Krankheit, besonders bei Lupus, bemerkt man im allgemeinen keine
Temperatursteigerung. Tritt sie dennoch auf, so muß man annehmen,
daß ein Fehler in der Technik die Ursache ist. Bei sehr empfind-
lichen und geschwächten Kranken können auch örtliche Reizwirkungen
nach Injektionen Temperatursteigerungen bewirken. Bei leichteren ent-
zündlichen Prozessen dauern die Temperatursteigerungen meist nur einen
Tag. Bei fieberhafter, fortgeschrittener und ausgedehnter Tuberkulose kann
sie 2—4 Tage dauern. Bei günstigem Verlauf der Krankheit muß die
Temperaturkurve sich senken. Hier ist die Frage aufzuwerfen, ob die
Temperatursteigerungen durch eine Schädigung der Tuberkelbazillen und
freiwerdende Endotoxine bedingt sind.
Für diese Annahme scheint mir die Beobachtung zu sprechen, dat
man Steigerungen nach Injektionen auch dann beobachtet, wenn sie ohne
Infiltrate verlaufen. Ich sah sie auch nach Schmierkuren. Hier scheint
also ein weiterer Beweis für die spezifische Natur des
Kupfers vorzuliegen.
Häufig ist eine Körpergewichtszunahme zu bemerken. Manch-
mal tritt sie in auffallender Weise in die Erscheinung. Größere
Störungen des Allgemeinbefindens werden selten beobachtet.
Wenn der Magen mit Appetitlosigkeit, Übelkeit und besonders mit Brech-
reiz reagiert, so muß man eine Unterbrechung in der allgemeinen Behandlung
eintreten lassen.
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 667
Albuminurie tritt sicher nur selten auf. Unter den mehr als
100 Fällen habe ich sie nur einmal beobachtet. Ich war in diesem Falle
nicht einmal in der Lage, sicher zu konstatieren, ob die Albuminurie eine
Folge der Kupferbehandlung war. Jedenfalls verschwand sie, nachdem der
Lupus geheilt war, unter sichtbarer Hebung des allgemeinen Befindens.
Nach den Schmierkuren lasse man die Kranken 1 Stunde ruhen. Leichte
Hautreizungen gehen unter Puderhandlung schnell vorüber. Nach intra-
venösen Injektionen habe ich mehrere Male Schüttelfrost beobachtet.
Meine Befürchtung, daß das sicher nicht indifferente Lezithin vielleicht
von der Blutbahn aus in intravenösen Injektionen nicht vertragen werden
könnte, hat sich nicht bestätigt. Ich habe verschiedene Kupfer-Lezithin-
Präparate länger als ein Jahr aufbewahrt, ohne daß sie sich verändert
hätten. Sie wurden dann bei intravenöser Injektion in allerdings kleinen
Mengen, ohne daß Schüttelfrost oder Fieber eingetreten wäre, und ohne
Störung des Allgemeinbefindens vertragen. Ein Präparat für Injektionen
wird jetzt in Ampullen hergestellt.
Inwieweit noch andere Mittel im Sinne einer Kombinationstherapie,
die in letzter Zeit gegen Tuberkulose erprobt worden sind, für die Kupfer-
behandlung nutzbar gemacht werden können, z. B. das von mir bereits
erprobte Jodmethylenblau,!) ferner Salvarsan und Gold, muß die
weitere Erfahrung lehren. Nicht unerwähnt möchte ich meine Versuche
lassen, mit kleinen Tuberkulindosen, beginnend mit ?/,, Milligramm, die
Kupfertherapie vorzubereiten. Ich ging dabei von dem Gedanken aus,
daß das Tuberkulin vielleicht das kranke Gewebe für das Kupfer sensi-
bilisieren könnte. Ich suchte keine Nekrosen hervorzurufen, sondern nur
einen Reiz auf das kranke Gewebe auszuüben. Leider kann ich nicht
sagen, daß sich meine Erwartungen erfüllt hätten. Ich habe in einer
Reihe von Fällen langsam mit Tuberkulin vorbehandelt bis zum Eintritt
leichter Reaktionen. In einer anderen Reihe von Fällen habe ich nach
vorhergegangener Kupferbehandlung eine Tuberkulinkur eingeschaltet.
In einem schweren Fall von Gelenk- und Knochentuberkulose, verbunden
mit Tuberkulose der Haut, trat sogar eine so erhebliche Verschlimmerung
unter der Tuberkulinbehandlung ein, daß ich den durch das Kupfer er-
reichten Erfolg wieder zu verlieren fürchtet. Nur langsam erholte sich
das Kind nach einer längeren Pause unter der dann wieder aufgenom-
menen Kupferkur, die in kurzer Zeit das Verlorene wiedergewinnen ließ.
Bei einigen Fällen von Lupus habe ich das Tuberkulin-Rosenbach in
ähnlicher Weise verwandt; aber auch hier konnte ich von dieser Kombi-
nationstherapie keine Vorteile erkennen.
ı) Für die örtliche Behandlung scheint mir das Jodmethylenblau entbehrlich
zu Sein.
ONS Strauß,
Bei weitem der größte Teil meiner Fälle betraf die verschiedensten
Formen der Hauttuberkulose. Soweit chirurgische Tuberkulose in Betracht
kam, war sie, wie es meinem Spezialfach entspricht, fast immer mit Haut-
tuberkulose verbunden. Von meinen Fällen war ich in der Lage die
meisten fortlaufend zu plıotographieren und ich glaube, in diesen mehreren
Hunderten von Aufnahmen das beweisendste Material meiner Versuche er-
blicken zu dürfen. Es ist oft schwer, die sozial meist so schlecht ge-
stellten Lupuskranken in dauernder Beobachtung zu behalten. Man karn
ilınen aber nicht genug einschärfen, daß sie sich nur nach einer längeren
rezidivfreien Beobachtungszeit als wirklich geheilt betrachten dürfen. ein
Rat, der leider nicht immer befolgt wird. Man darf sich dann bei der
ganzen Natur der äußeren Tuberkulose mit ihrem hartnäckigen, langwierigen
Verlauf und so oft versteckten, fast unsichtbaren Herden. nicht wundern.
wenn Rückfälle eintreten.
Eine genaue Statistik kann jetzt noch nicht gegeben werden. Sie
würde noch keinen Wert beanspruchen können, weil selbst eine zweijährige
Beobachıtungszeit noch nicht genügt und die wichtigsten Fälle, die mit deu
Lekutylpräparaten behandelt wurden, aus dem letzten Jahre stammen.
Jedenfalls suche ich alle Fälle nach Möglichkeit zu kontrollieren und ich
möchte nicht unterlassen, über die bereits veröffentlichten 12 Fälle weitere
Rechenschaft zu geben.
Über sie bin ich in der Lage, folgende weitere Angaben zu machen:
Fall I. (Beiträge zur Klinik der Tuberkulose XXIII, Heft 2.) Lupusinnl-
trat hämatogenen Ursprungs, seit 28 Jahren, an der Streckseite des rechten Ober-
armes (Beginn der Behandlung am 14. VIII. 1911), ging in völlige Atrophie über.
Die Kranke war bis April 1913 in meiner Beobachtung und ist bis dahin rezidiv-
frei geblieben.
Fall II, ebenda veröffentlicht (Caries mit Fistel am rechten Oberschenkel, seit
3 Jahren). Beginn der Behandlung am 16. VI1I. 1911, war in dauernder Kontrolle
und war bis in die letzte Zeit ohne Rückfall bei blühendem Aussehen und 10 Kil-
Gewichtszunahme (am 6. VI. 1913).
Bei Fall I (Münch. med. Wochenschrift Nr. 50, 1912), Lupusinfiltrat unter
dem Adamsapfel mit Kehlkopftuberkulose (Infiltrate und Ulzerationen) ist ein Re-
zidiv des Lupus eingetreten. Ich sah den Kranken zum letzten male am 29. V.
1913. Die Behandlung hatte am 22. 11.1912 begonnen. Der Lupus war noch am
15. XI. 1912 klinisch geheilt. Dagegen waren die Stimmbänder noch inültriert.
Seitdem blieb der Kranke ohne Behandlung, trotz meiner dringenden Mahnunz.
die allgemeine Behandlung noch Monate lang fortzusetzen. Er erschien ers:
wieder bei mir auf schriftliche Aufforderung und erklärte mir, daß sein gutes
Allgemeinbefinden (Gewichtszunahme 21/, Kilo) und seine völlig klare Stimme
(Patient war vor der Behandlung tonlos) ihn veranlaßt hätten, den Rückfall des
Lupus unbeachtet zu lassen. Die Stimmbänder waren noch infiltriert und es ist
offenbar, duß von hier aus auf dem Wege der Lymphbahn sich das Rezidiv des
Lupus entwickelt hatte.
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 669
Fall H (ebenda) (Lupusinfiltrat am linken Oberschenkel seit 12 Jahren),
dessen Behandlung vom 18. VIII. 1911 bis 25. X. 1911 in Zwischenräumen statt-
fand, ist dauernd geheilt geblieben. Letzte Konsultation am 24. VI. 1913. Ge-
wichtszunahme 6!/, Kilo.
Ebenso blieb Fall III geheilt (ebenda). Es handelte sich hier um Lupus
exulcerans der Nase und um ein tuberkulöses Geschwür der Oberlippe seit 13 Jahren.
Patient stammt aus hereditär belasteter Familie. Die Behandlung begann am
28. X. 1911. Patient blieb in dauernder Beobachtung und ohne Rückfall.
Fall IV (ebenda), Lupus der äußeren und inneren Nase und der Wangen,
taberkulöses Geschwür der linken Oberlippe, seit 10 Jahren, blieb ebenfalls in dau-
ernder Beobachtung. Beginn der Behandlung am 15. VIII. 1911. Auf den Wangen
zeigten sich im Laufe der Zeit hier und da einige Knötchen, die zunächst ambu-
lant behandelt wurden. Am 5. VII. 1913 ließ ich Patientin eine energische Nach-
kurim städtischen Krankenhause i in Barmen durchmachen, in dem sie etwa 1 Woche
verblieb. Sie ist zur Zeit als klinisch geheilt zu bezeichnen.
Fall V (ebenda) entzog sich vor völliger klinischer Heilung der Behandlung.
Es handelt sich um ausgedehnte Lupusinfiltrate des Gesichts seit 10 Jahren, die
bis auf einzelne Knötchen vom 6. VIII. 1912 bis zum 5. X. 1912 verschwanden.
Unter einer mehrwöchentlichen Nachkur gingen auch die Reste in Atrophie über.
Ich sah Patientin zum letzten male am 3. II. 1913. Sie war bis dahin ohne Rück-
fall geblieben. Patientin verzog dann von Barmen. Eine briefliche Anfrage (vom
20. VII. 1913) kam als unbestellbar zurück.
Fall VI (ebenda), Lupus der Nase, der rechten Wange, des linken Hand-
rückens und linken Mittelfingers seit 20 Jahren, hämatogenen Ursprungs, ausge-
gangen von Caries, der am 2. V. 1912 in meine Behandlung trat, ist bis jetzt
in meiner Beobachtung geblieben. Er verlief rezidivfrei.
Fall VII (ebenda), Lupus exulcerans der Nase seit 9 Jahren, der am 8. VIII.
1912 in meine Behandlung trat, blieb ebenfalls in Kontrolle. Ich sah die Kranke
zum letzten male ohne Rückfall am 25. VII. 1913.
Fall VIII, Caries der Fußknochen mit 6 Fisteln, aus stark belasteter Familie,
ist noch in Behandlung. Die 60-jährige Frau unterbrach die Behandlung oft
mehrere Monate und kam wieder, wenn die Beschwerden wieder zunahmen. Die
Behandlung erfolgte völlig ambulant. Der Tod eines Bruders brachte eine neue
Unterbrechung der Behandlung. Trotzdem nahm Patientin, die seit. dem 1, XII.
1911 sich in Behandlung befindet, bis zum 25. VII. 1913 8 Kilo zu. Nur eine
Fistel sezerniert noch etwas,!) die andern sind geschlossen geblieben. Die Funktion
des Fußes hat sich immer mehr gehoben. Patientin kann seit einiger Zeit auch
ohne Stock gehen. Sie sieht blühend aus. | |
Fall I (Deutsche med. Wochenschrift Nr. 11, 1913), eine Italienerin, gab
bei ihrer letzten Konsultation (am 3. IV. 1912) an, daß sie wahrscheinlich nach
Italien zurückkehre. Sie war an diesem Tage, nach innerhalb ca. 6 Monaten,
klinisch frei von Lupus. Eine Nachfrage (vom 20. VII. 1913) blieb ohne Antwort.
Bei Fall II (ebenda), Lupus tumidus der Nase seit 9 Jahren, mit doppelseitiger
Lungenphthise, haben sich, wie mir Patientin auf eine Anfrage am 24. VII. 1913
mitteilte, wieder einzelne Knötchen gebildet. Sie war vom 29. IX. bis 31. X. 1912
in meiner Behandlung und konnte nicht wieder erscheinen, weil sie bettlägerig
1) Anmerkung bei der Korrektur: Auch diese Fistel hat sich inzwischen ge-
schlossen. Dieser Kranken sollte schon der Fuß amputiert werden.
Strahlentherapie Band Il, Heft 2. 43
670 . Strauß,
wurde. Ihre Lungenphthise schritt weiter fort und verhinderte sie, nach Barmer
zu reisen. Sie hatte also nur eine einmonatliche Behandlung durchgemacht, die
die Lungentuberkulose nicht beeinflußte.
Fall III (ebenda) steht noch in Behandlung. Der 50 Jahre alte Lupus de
rechten Armes zeigte an den Rändern von Zeit zu Zeit Rezidive. Die sehr emr-
findliche Kranke setzt die ambulante Behandlung nur sehr unvollkommen dartt.
Sie. behandelt stets nur kleine Stellen und auch diese nur ungenügend. Ei:
völlige Heilung ist aber auch in diesem Falle auf die Dauer zu erwarten.!)
Von den veröffentlichten 12 Fällen glaube ich 7 Fälle als klinisch
geheilt (5 Fälle aus den Jahren 1911 und 1912) bezeichnen zu dürfen.
Bei 2 Fällen trat ein Rezidiv auf. In diesen Fällen ist zu beachten.
daß es sich das eine Mal um eine schwere Lungenphthise als Ausgang-
erkrankung, also um einen schweren hämatogenen Fall, das andere Mil
um eine Kehlkopfphthise als Ausgangsherd handelt, von dem aus wahr-
scheinlich auf lymphogenem Wege ein Rückfall sich ausbildete.
Ein Fall, der als klinisch geheilt zu bezeichnen war, soll weder in
positivem noch in negativem Sinne beurteilt werden, weil er sich der weiteren
Beobachtung entzog. Zwei schwere Fälle stehen noch in Behandlung.
Sie sind erheblich gebessert und lassen ebenfalls eine völlige Heilung er-
warten.
MitRücksicht auf die meist endogene Natur deräußeren
Tuberkulose kann man in der Beurteilung der endgültigen
Heilung nicht vorsichtig und selbstkritisch genug sein.
Ein kleiner versteckter innerer Herd, ein einziges noch nicht völlig atro-
phiertes örtliches Knötchen kann der Ausgangspunkt eines Rezildives
werden.
Aber ich habe den Eindruck gewonnen, da die Methode, selbst wenn
sie ambulant durchgeführt werden muß, bei gleichmäßiger Energie
des Kranken und des Arztes selbst in ganz schweren, ausgedehnten
verzweifelten Fällen noch zur völligen Heilung führen kann, auch dann noch.
wenn das operative Verfahren und die Finsenbehandlung keine Daurr-
resultate ergeben hatten oder, wegen der großen Ausdehnung der Er-
krankung, von vornherein nicht mehr in Betracht kamen. Auch scheint
mir das Lekutyl schneller und sicherer zu wirken wie die Pyrogallussäure.
Auch den unglücklichsten und entstelltesten Kranken eröffnet die Lekutyl-
methode Hoffnung auf Heilung, weil sie auch die endogene Natur
dieser Fälle erfolgreich angreift. Das macht ja gerade alle bisherige Lupus-
therapie so oft zur Sisyphusarbeit, daß sie die latente, die chirurgische, die
innere Tuberkulose, den eigentlichen Herd, das unter der Asche glimmende
!) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen ist eine fast völlige Atrophie
eingetreten.
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 671
Feuer nicht berücksichtigen konnte. Auch die Tuberkuline haben hier,
wie ich schon hervorhob, versagt, namentlich, weil ihre unangenehmen
Nebenwirkungen einer langen Behandlung, wie sie die innere Tuberkulose
ın vorgeschrittenen Fällen erfordert, eine Grenze setzt. Hier tritt das
Kupfer als verhältnismäßig unschädliches Mittel ein.
Mit Rücksicht auf den meist hartnäckigen, chronischen Charakter der
äußeren Tuberkulose, auf ihre schlechte Prognose sollte man von einer
neuen Methode nicht gleich in jedem Falle restlose Heilungen erwarten.
Junge Bäume können nicht in den Himmel ragen! Und schließlich hat
jede Therapie, mag sie auch noch so Außerordentliches leisten, ihre
Grenzen. Man sollte sich schon dann eines neuen Verfahrens freuen, wenn
es neue, einfache, aussichtsreiche Wege zur Heilung eröffnet und mehr
leistet als das, was die Wissenschaft und das heiße Streben, der Wissen-
schaft und der leidenden Menschheit zu dienen, bisher bieten konnte.
Was ich der Öffentlichkeit gegenwärtig übergebe, ist sicher noch Stück-
werk, aber, wie mir scheint, kein Stückwerk, an dem man achtlos vorüber-
gehen sollte. Wenn wir bedenken, wie arm unsere Therapie der Tuber-
kulose und speziell der äußeren Tuberkulose ist und wenn wir erwägen
wie langwierig die Behandlung mit der Finsen- Behandlung, sich hinzieht,
mit welchen Kosten und mit welchen Opfern an Zeit sie verbunden ist,
daß wir auch bei ihr mit Rückfällen zu rechnen haben, daß die Tuberkulin-
Therapie mit ihren mehr als 40 verschiedenen Präparaten bei der äußeren
Tuberkulose in der Regel versagt und von den meisten Ärzten verlassen
ist, so sollte eine Methode willkommen sein, die nach meinen Eindrücken
entschieden einen guten Kern in sich birgt und die in verhältnismäßig
kurzer Zeit zu überraschenden Resultaten führte.
Noch stehen wir in den Anfängen der Therapie, aber ich glaube sagen
zu dürfen, daß die Methode schon in der jetzigen Art eine Lücke in der
Therapie-Behandlung der äußeren Tuberkulose ausfüllt.
Aus den statistischen Angaben Prof. Nietners wissen wir, daß die Zahl
der Lupösen allein in Deutschland auf 33000 Kranke zu schätzen ist.
Wieviel tiefes Leid liegt in einer solchen Zahl! Und wie beglückend der
Gedanke, diesen armen Kranken, die sich wie wertlose Objekte, wie Aus-
sätzige und Krüppel von der menschlichen Gesellschaft bei Seite geschoben
fühlen, einen neuen, einfachen und schnellen Weg zur Heilung zeigen zu
können. Diese erschreckende Ausdehnung des Lupus macht es uns zur
eisernen Pflicht, weiter zu arbeiten und den bedauernswerten Kranken
immer mehr eine Methode nutzbar zu machen, welche nicht nur die
äußeren Erscheinungsformen der Tuberkulose zu beseitigen vermag, sondern
auch einen günstigen Einfluß auf die Blutinfektion ausüben kann.
Denn wie ich schon andeutete, alle Lupustherapie ist Stückwerk, wenn
43*
672 Strauß,
sie nur das tuberkulöse Hautleiden, und nicht zugleich auch den tuber-
kulösen Menschen berücksichtigt. In mehr als ?/, der Fälle ist der Lupus
keine primäre, sondern eine sekundäre Hauttuberkulose, die meist in der
Kindheit beginnt und von Lymphdrüsen, Lymphgefäßen, von den Knochen.
Gelenken und Sehnen, von den inneren Organen, namentlich von der
Lunge aus und von dem Schleimhäuten ihren Ausgang nimmt, sei es auf
dem Wege der Lymph- oder Blutbahn, sei es durch Verschleppung de»
infektiösen Materials per continuitatem.
Der Lupus ist also die Folgeerscheinung einer tiefen Tuberkulose und
wenn er auch seinen eigenen Gesetzen folgt, so ist seine endgültige Heilunz
von der Heilung der tiefen Tuberkulose abhängig. Eine wirklich rationelle
Behandlung hat also nicht nur die Aufgabe zu erfüllen, das Hautleiden zu
beseitigen, sondern auch die chirurgische Tuberkulose, die der Ausgangs-
punkt war, und möglichst auch den kranken tuberkulösen Organis-
mus zu heilen. Man hat daher so lange mit Rückfällen zu rechnen.
so lange nicht die Ursache beseitigt ist. Denn sie stellt die Brut-
stätte dar, welche immer wieder neue Nahrung der Haut zuführen kann.
Daher ist alle Therapie, welche nur das örtliche Leiden angreift, mag
sie noch so vortrefflich sein wie die tiefe Exstirpation mit Transplan-
tation und die Finsenbehandlung, Teiltherapie. Rezidive darf man
erst dann als ausgeschlossen betrachten, wenn nicht nur das
Hautleiden, sondern auch das Grundleiden geheilt ist. Daher
muß die Pathogenese in jedem einzelnen Falle das Leitmotiv
unserer Therapie sein.
Dasselbe gilt auch meist für die chirurgische Tuberkulose. So Vor-
treffliches auch hier das Messer zu leisten vermag, so schaltet es duch stets
nur den äußeren tuberkulösen Herd aus.
Auch im Sinne einer ätiologischen Therapie scheint
mir das Lekutyl einen Fortschritt zu bedeuten. Wenn auch
die rein chemotherapeutische Kraft des Kupfers bisher nicht zur schnellen
Heilung der äußeren Tuberkulose ausreichte, so ist uns doch zunächst
in der milden Form der Schmierkuren und der inneren Medikation
ein Weg geöffnet, auch die endogene Natur der äußeren Tuberkulos
unschädlicher und, wie mir scheint, auch wirksamer, als es mit den
Tuberkulinen möglich ist, zu bekämpfen. Der chemotherapeutische Ein-
fluß des Mittels auf Schleimhautprozesse, z. B. in Kehlkopf und Nase.
auf Knochen- und Gelenktuberkulose, wie ich ihn ohne jegliche örtliel.-
Behandlung konstatieren konnte, die von mir beobachteten Herdreaktionen
bei Lupus und chirurgischer Tuberkulose, seine Einwirkung auf die Tem-
peratur und das Allgemeinbefinden berechtigen zu dieser Erklärung. Frei-
lich ıst dieser rein chemotherapeutische Effekt des Kupfers, namentlic!.
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 673
bei Lungentuberkulose, bisher kein gleichmäßig sicherer gewesen. Aber
wir dürfen nach den bisherigen Erfahrungen uns zu der Hoffnung berech-
tigt fühlen, daß es uns gelingen wird, auch die chemotherapeutische
Kraft des Kupfers noch ergiebiger der leidenden Menschheit dienstbar
zu machen.
Bis dahin sollte es unser Bestreben sein, die unmittelbare Avidität
des Kupfers zu den Tuberkelbazillen und den kranken Zellen, wie sie mir
durch meine Versuche bei äußerer Tuberkulose erwiesen zu sein scheint,
nach Möglichkeit auch bei innerer Tuberkulose auszunutzen. Wenn wir
bedenken, daß den Meerschweinchen 150 bis 200 mal mehr Kupfer ein-
verleibt wurde als dem Menschen und daß wir Kupfermengen im gleichen
Verhältnis dem Menschen überhaupt wohl nicht zuführen können, so scheint
es geboten zu sein, die Methode auch bei innerer Tuberkulose zunächst
nach der Richtung hin nach Möglichkeit auszubilden, daß wir auch bei den
inneren Manifestationen der Tuberkulose, mag sie sich in den Drüsen, auf
den Schleimhäuten oder in den Lungen usw. abspielen, das Kupfer direkt
an die Herde zu bringen suchen. Die Versuche, die Tuberkuline direkt
in die Lunge zu injizieren, ermutigen uns um so eher auch zu einer ört-
lichen Behandlung der Lungentuberkulose mit Kupfer, als diese Injektionen
technisch viel einfacher sind, als sie theoretisch erscheinen. In letzter
Zeit versuchte ich bei Lupus-Kranken, die auch an Lungentuberkulose
litten, örtliche Schmierkuren, z. B. über den Lungenspitzen und örtliche
Dauerverbände, so weit sie die Empfindlichkeit der Haut, die manchmal
mit leichter juckender Dermatitis reagiert, zuläßt. Man muß dann zeit-
weilig unterbrechen und pudern lassen. Ich empfehle diese einfache Me-
thode zur weiteren Nachprüfung.
Möge es zielbewußter Weiterarbeit gelingen, die Kupfertherapie vor
allem auch im chemotherapeutischen Sinne immer mehr für die verbreitetste
Volksseuche, die Lungentuberkulose, auszubauen.
Ich fasse meine Ergebnisse folgendermaßen zusammen: Das Lekutyl
zerstört schnell in elektiv-spezifischer Weise das tuberkulöse Haut- und
Schleimhautgewebe. Es bringt es, wenn oft auch erst nach wiederholten,
ja mehrfachen Kuren zur völligen Atrophie und Resorption. Rezidive sind
nicht ausgeschlossen, bleiben aber beeinflußbar. Seine radikale in die Tiefe
reichende Wirkung ist von einer guten Technik und Methodik abhängig.
Seine spezifische Kraft setzt das Lekutyl an die Spitze aller auf tuber-
kulöse Gewebe wirkenden Mittel. Ulzeröse Prozesse heilen schneller und
rezidivieren seltener als geschlossene Infiltrate, beide aber heilen mit guten
kosmetischen Resultaten. Das Verfahren ist einfach und mit nur geringen
Kosten verbunden. Es läßt sich ambulant durchführen. Eine wenn auch
kurze Krankenhausbehandlung ist indessen vorzuziehen.
674 Strauß,
Es ist nicht schmerzlos. Die Schmerzen lassen sich aber bei indivi-
dueller Methodik auf ein sehr geringes Maß beschränken. Bei exogener
Hauttuberkulose genügt die örtliche Behandlung. Bei endogener Tuber-
kulose ist zugleich örtlich und allgemein zu behandeln, am einfachsten mit
Einreibungen und Pillen zugleich.
Die allgemeine Behandlung ist längere Zeit fortzusetzen. Auch bei
allen Formen von äußerer chirurgischer Tuberkulose ist die örtliche Be-
handlung von hohem Werte. In Verbindung mit der allgemeinen ersetzt
und unterstützt das Verfahren in vielen Fällen chirurgische Eingriffe und
orthopädische Maßnahmen. Die Lekutylbehandlung unterstützt auch das
hygienische Heilverfahren, z. B. die Sonnenbehandlung.
Die Lekutylmethode läßt sich mit anderen vereinigen. Aber sie kann
auch allein, selbst in schweren Fällen durch energische örtliche Kuren und.
bei endogener Natur des Leidens, durch eine gleichzeitige, milde.
längere ev. mehrfach wiederholte allgemeine Behandlung zur restlosen Hei-
lung führen.
Ich habe die Fälle,!) welche ich zum Schluß anfüge, nach verschiedenen Ge-
sichtspunkten ausgewählt, zunächst nach der Schwere der Erkrankung, sowohl
umschriebene leichtere wie ausgedehnte alte Fälle, die nach vielfachen mehr
oder weniger vergeblichen Heilversuchen mit den mannigfaltigsten Methoden soweit
fortgeschritten waren, daß sie sich nicht mehr für die operativ-plastische oder
die Finsenbehandlung eigneten. Auch in diesen Fällen erreichte ich mit meiner
Methode bemerkenswerte Resultate. Sodann nahm ich auch die Pathogenese zur
Richtschnur. Ich wählte ektogen (1, 3, [7 ?], 8), und endogen (2, 4, 5, 6, 9, 11, 14, 15)
entstandene aus, sowohl solche, bei denen die Verbreitung auf Iymphogenem (4, ö,
6, 9, 11) als auch solche, bei denen sie auf hämatogenem (2, 14, 15) Wege erfolgte.
Auch die Beteiligung der Schleimhäute (10, 12, 13) und der chirurgischen Tuber-
kulose (15) habe ich berücksichtigt. Hier dürfte namentlich der mir von der Lupus-
kommission überwiesene Fall (15) Interesse erwecken, der, wie mir scheint, in verhält-
nismäßig kurzer Zeit zu klinischer Heilung gebracht wurde und bisher rezidivfrei
verlief. Es sei nochmals hervorgehoben, daß bei dem Knaben außer der Lekutyl-
behandlung keine andere in Betracht kam. Auf dem Lande, in guter Luft, in
Licht und Sonne aufgewachsen, orthopädisch früher erfolglos behandelt, konnte
er in drei Monaten, ohne chirurgische und orthopädische Eingriffe und ohne Bett-
ruhe in einer Zeit fast beständigen Regenwetters von seiner 8 Jahre alten Coxitis
befreit werden. Hätte man ein solches Resultat mit Pyrogallussäure
erreichen können?! Endlich glaubte ich auch Fälle bringen zu sollen,
welche nur ambulant und andere, welche ambulant und auch stationär be-
handelt wurden, und den Vorteil der Krankenhausbehandlung in ein klares Licht
rücken.
Es liegt mir fern, sämtliche beschriebenen Fälle als völlig geheilt bezeichnen zu
wollen. Selbst bei denen, die als klinisch geheilt bezeichnet werden durften, kann
erst eine längere Beobachtungszeit die Frage entscheiden, ob die Heilung eine end-
1) Sämtliche Fälle wurden mehrfach photographiert, auch die hier nicht im
Bilde wiedergegebenen.
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl. 675
gültige ist. Ich glaube indessen für einige der mitgeteilten Fälle eine Dauer-
heilung annehmen, bzw. in Aussicht stellen zu dürfen, weil sie, bei längerer Be-
obachtungszeit, bisher rezidivfrei blieben.
I. G. W. aus Barmen, 11!/, Jahre alt. Seit dem 2. Lebensjahre Lupus der
rechten Wange. Fünf linsen- bis erbsengroße Infiltrate in Narben. Bisher vielfach
mit Ätzsalben behandelt. Mit Kupferlezithin verschwanden die Infiltrate in
12 Tagen (3. LI. bis 15. II. 1913). Es ist in 6-monatlicher Beobachtung kein Rezidiv
aufgetreten.
II. P. F. aus Barmen, 12 Jahre alt. Acht kleine umschriebene tiefe Lupus-
infiltrate auf der rechten ‚Wange. Doppelseitiger Spitzenkatarrh. 28 Kilo. Ört-
liche und allgemeine Behandlung mit Salbe. Die Infiltrate sind nach 3 Wochen
(25. III. bis 18. IV. 1913) verschwunden. Bisher kein Rezidiv. 21. VII. 1913
30 Kilo.
III. L.H. aus Elberfeld, in einer Metzgerei beschäftigt. Tuberculosis verru-
cosa cutis seit 2 Jahren. Heilung in ca. 2 Wochen. In mehrmonatlicher Beobach-
tung kein Rezidiv. (S. Photogr.)
Fall III,
28. V. 1912. 12. VIOL. 1912.
IV. A.M. aus Elberfeld. 8 Jahre alt. Rechtsseitiges offenes Scrofuloderma
am Halse seit 5 Jahren. Lungen gesund. Gewicht 26,5 Kilo. Heilung in 10 Tagen
(3. IX. bis 13. IX. 1912). Am 22. IX. Gewicht 28,5 Kilo. Behandlung örtlich
und allgemein (Inunktionskur). Bisher kein Rezidiv.
V. E.W. aus Barmen, 14 Jahre alt, aus gesunder Familie. Seit 7 Jahren tuber-
kulöse Drüsen am rechten und linken Unterkiefer. Am 15. I. 1912: rechts und
links offene Scofulodermata mit infiltrierter Umgebung in Narben. Gewicht 37
Kilo. Auf örtliche und allgemeine Behandlung trat Vernarbung und Resorption
in ca. 4 Monaten ein. Gewicht 39 Kilo. Patientin blieb rezidivfrei bis Ende des
Jahres 1912 in Beobachtung.
VI. Frau W. H. aus Barmen, 49 Jahre, aus gesunder Familie. Seit 1910 Scro-
fuloderma unter dem linken Ohre, das exzidiert wurde. Kurze Zeit darauf bildete
sich auf der linken Wange ein Geschwür, das mit Kohlensäureschnee behandelt
wurde. Am 11. V. 1912 war auf der linken Backe ein etwa bohnengroßes Geschwür
mit unterminiertem Rande neben einer Narbe zu konstatieren. Unter dem linken
Öhre eine am Kieferrande folgende Narbe, die am oberen Ende eine kleine sezer-
nierende Ulzeration zeigte. Die Heilung vollzog sich unter örtlicher Behandlung
in etwa 1 Monat. Patientin blieb seit Mai 1912 in dauernder Beobachtung. Es
ist kein Rezidiv eingetreten.
676 Strauß,
VII. Frau N. aus Selters im Westerwald. 35 Jahre alt. Diesen Fall habe ich
selbst nicht gesehen. Er wurde ambulant (auf dem Lande) in Selters im Wester-
wald von Herrn Dr. Nourney in Selters nach meinen Anweisungen seit 7. VII. 1912,
zunächst nur ambulant mit Injektionen, behandelt. Die Veröffentlichung geschieht
im Einverständnis mit Herrn Dr. N. Die am 14. VII. aufgenommene Photo-
graphie zeigt die Reaktion nach den Injektionen. Bis dahin war die Frau, wie
Herr Dr. N. ausdrücklich hervorhebt, nicht örtlich behandelt worden.
Laut Mitteilung des Kollegen vom 8. VI. 1912 wurde der Fall bis dahin vergeb-
lich mit Paquelin und Lichttherapie behandelt. Es traten immer wieder Rezidive
auf. Am 23. VII. 1913 antwortete mir Herr Dr. N. auf meine Anfrage nach
dem Verlaufe der Behandlung, daß „einzelne von Zeit zu Zeit sich zeigende Knöt-
Fall VII.
14, VII. 1912. Nov. 1912.
chen nach Anwendung der Salbe stets prompt abgeheilt seien und daß dann der
Fall ohne Rezidiv geblieben sei“. Die Photographien sind in Selters aufge-
nommen und mir von Herrn Dr. N. freundlichst zur Verfügung gestellt worden.
Am 2. VIII. 1913 nochmalige Mitteilung, daß der Fall rezidivfrei geblieben sei.
(S. Photogr.)
VIII. Frau W. aus Langenberg, 37 Jahre alt, aus gesunder Familie. Lupus der
linken Wange seit dem 2. Lebensjahre. Auskratzungen im 11., 14. und 16. Lebens-
jahr. Stets Rezidive, 1895 mehrfach mit Ätzsalben behandelt, auch mit Pyro-
gallus. 1891 '/, Jahr lang Tuberkulinkur ohne Erfolg. 1907 und 1908 wurde 1!
Monate lang mit Quarzlampe und Röntgenlicht behandelt; mit vorübergehendem
Erfolg. Beginn der Behandlung am 18. XI. 1912. 2 große und 3 kleinere tiefe
Infiltrate auf der linken Wange. Ein Infiltrat war am Tage vorher kräftig mit
der Quarzlampe bestrahlt. In mehrfachen Kuren vernarbten .die Infiltrate in
4 Monaten. An den Rändern zeigten sich wiederholt einzelne Knötchen, die die
—
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl.) 677
Nachkuren veranlaßten. Patientin steht noch in Beobachtung. Sie ist zur Zeit
als klinisch geheilt zu bezeichnen.
IX. J.S. aus Altendorf a. d. Ruhr, 16 Jahre alt. Seit 3. Lebensjahr an Drüsen
leidend. Seit 5 Jahren Lupus der Nase, der von der inneren Nase ausging. In
Gelsenkirchen wurde die innere und äußere Nase vor 4 Jahren ausgekratzt. Dann
machte Patientin in Köln eine 21/, Jahre dauernde Salbenkur durch (anscheinend
Pyrogallus). Immerfort Rezidive. Ich sah die Kranke nur einmal, am 11. VI.
1913. Bis dahin war sie von Herrn Dr. Heermann in Essen behandelt worden,
der die Erlaubnis zu einer Veröffentlichung mir erteilte und mir die vor der Be-
handlung aufgenommene Photographie freundlichst zur Verfügung stellte. Am
6. III. 1913 schrieb mir Kollege Heermann: „Als ich 8 Tage die Patientin mit
Ihrer Salbe behandelt hatte, kommt die Mutter zu mir und spricht ihre Befürch-
Fall IX.
11. III. 1913. 11. VI. 1913.
tung über eine zu schnelle Heilung des Leidens aus. Ich muß denn auch sagen,
daß ich selbst erstaunt war über den Erfolg in so kurzer Zeit, in der eine so
kolossale Besserung eingetreten ist.“ Patientin war vorher von Herrn Dr. Heer-
mann etwa 1 Jahr lang mit Tuberkulin behandelt worden. Nach der Kupfer-
behandlung (am 11. VI. 1913) 1 Kilo Gewichtszunahme. Patientin wird von
Herrn Dr. Heermann weiter beobachtet. Am 23. VII. 1913 schrieb Herr Kollege
Heermann, daß sich auf Glasdruck bräunliche Punkte in der sonst druck-
weißen Haut nachweisen ließen. Er lasse daher nochmals eine Kur vornehmen.
(S. Photogr.)
X. C.P., 18 Jahre, aus Rheneggein Waldeck. Vater an Lungentuberkulose ge-
storben. Seit 4 Jahren Lupus der Nasenschleimhaut. Es bildeten sich beiderseits
Geschwüre. 1910 Auskratzung der inneren Nase mit Ausmeißelung ohne Erfolg.
Patient war dann einige Zeit in einer Marburger Klinik, mehrfache Salbenbehand-
678 Strauß,
lung (Pyrogallus?) erfolglos. Aufnahme ins städtische Krankenhaus Barmen am
15. V. 1913. Lupus hypertrophicus der Nase und Oberlippe. Die ganze Schleim-
haut der inneren Nase geschwürig. Starke Borkenbildung und Eiterabsonderung.
Fall X.
15. V. 1913. 29. V. 1913.
Rechtsseitige Eiterung aus dem Tränen-
kanal.
Doppelseitiger Spitzenkatarrh, groß-
blasiges Rasseln, links mehr wie rechts,
Gewicht 49 Kilo, kein Eiweiß.
Nur 2 Tage örtliche Behandlung des
äußeren Lupus. Unter starker Reaktion
fallen die Krusten ab. Unter indifferenter
Salbenbehandlung atrophiert das kranke
Gewebe. Die innere Nase wird mit Pin-
selungen und Tamponade weiter behandelt.
Allgemeinbehandlung, Schmierkur und
Kapseln.
Am 26. V. eine intramuskuläre In-
jektion, am 30. V. und 2. VI. je eine
intravenöse. Alle Injektionen gut ver-
tragen, ohne Fieber.
29. V. 1913. Am 14. VI. aus dem Krankenhause
nach Hause entlassen. Keine örtliche
Behandlung mehr, nur noch allgemeine. Gewicht 65!/, Kilo. Äußere und innere
Nase atrophiert. An der Lunge keine deutliche Änderung.
Am 1. VII. wieder vorgestellt. Äußerer Befund derselbe Kein Rezidiv.
Über den Lungenspitzen noch Rasseln.
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 679
Am 16. VII. Derselbe örtliche Befund. Gewicht 68 Kilo. Allgemeine Kur
fortgesetzt. Von jetzt an auch tägliche örtliche Einreibungen mit Lekutylsalbe
über den Lungenspitzen.
Am 30. VII. Kein Rezidiv des Lupus. Sehr gutes Allgemeinbefinden. Ge-
Fall XI.
”: 131..:1818;
24. I. 1918. 3. ITI. 1918.
wicht 69 Kilo. Rechte Lungenspitze kein Rasseln mehr. Links nur noch ver-
einzelte Rasselgeräusche.!) (S. Photogr.) |
1) Anmerkung bei der Korrektur: Auch Anfang September rezidivfrei. Be-
680 Strauß,
XI. J.S. aus Erkrath, 49 Jahre alt. Lupus des Gesichts seit dem 16. Lebens-
jahr im Anschluß der Skrofulodermata der Submaxillardrüsen. 1910: 6 Wochen,
1911: 33 Wochen, 1912: 19 Wochen, in einer Hautklinik in Düsseldorf fast täglich
eine Stunde lang mit Finsenlicht behandelt. Immer Rezidive. Keine Heilung.
Nach Mitteilung des Kassenvorstandes betrugen die Kosten dieser Behandlung
ca. 1000 Mk. Auch alle übrige Behandlung ohne Erfolg. Schleimhäute, Lungen
gesund. Gewicht 46 Kilo. Beginn der ambulanten Behandlung am 24. IL
1913. Am rechten und linken Unterkiefer eingezogene Narben. Zahlreiche
Lupusinfiltrate im Gesicht. Behandlung örtlich und allgemein mit Lekutylsalbe.
In etwa 2!,, Monaten gehen die Infiltrate in Atrophie über. Patientin bleibt
rezidivfrei in dauernder Beobachtung. Am 22. Juli Gewicht 47\/, Kilo.)
(S. Photogr.)
Fall XI.
24. I. 1913. 3. III. 1913.
XII. Frau R. aus Barmen, 50 Jahre alt, Mutter an Phthise gestorben. Lupus seit
46 Jahren. Ausgang von der inneren Nase. Vielfach mit Ätzmitteln behandelt.
Auskratzung im 16. Lebensjahr. Später Paquelin. Tuberkulinkur 1891. Alle ohne
besonderen Erfolg. Darauf Pyrogalluskur und zweijährige Behandlung mit Röntgen-
licht und Quarzlampe. Seit 3 Jahren ohne Behandlung.
Status am 2. X. 1912. Fast das ganze Gesicht und der Hals von einem
tiefen braunroten Infiltrat eingenommen, Nasenspitze fehlt. Ulzerationen der
Nasenschleimhaut. Ektropium rechts.
Beginn der Behandlung am 2. X. 1912, ambulant, nur vom 10. VII. bis
17. VII. im städtischen Krankenhause.
Das tiefe Infiltrat wird allmählich immer oberflächlicher. Die tiefbraune Farbe
geht in eine frischrote über. Die gewulsteten Ränder des Infiltrates leisten hart-
näckigen Widerstand, flachen sich aber auch langsam ab. (S. Photogr.)
merkenswert ist in diesem Falle der Erfolg der nur zweitägigen Behandlung
der äußeren Nase.
1) Anmerkung bei der Korrektur: Auch Anfang September rezidivfrei.
|
|
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 681
XIII. J. N. aus Barmen, 18 Jahre alt, keine erbliche Phthise in der Familie. Seit
dem 5. Lebensjahre Lupus der inneren Nase, der zu Verlust der Nasenspitze führte
und sich über das Gesicht, die Ohren, die Brust und den Nacken serpiginös lang-
sam ausdehnte.
Beginn der Behandlung am 16. I. 1912. Status: Serpiginöser Lupus des
Gesichts, der Brust und des Nackens. Mit zahlreichen Infiltraten und Geschwüren
Über die Brust und den Nacken zieht sich kranzförmig ein infiltrierter, keloider
Lupusherd. Das Naseninnere tief ulzeriert. Starke Eiterabsonderung.!)
Lungen gesund. Kein Einweiß. Gewicht 39 Kilo. Die Behandlung war
schrittweise örtlich und allgemein Inunktionen, Injektionen, Kapseln) ambulant
bis zum Juli 1913 durchgeführt. Die geschwürigen Prozesse verheilten, die In-
filtrate bildeten sich zurück, die Narben glätteten sich auch ohne örtliche Behand-
Fall XII.
2. X. 1912. 2. VII. 1913.
lung. Zur Beseitigung der Reste Aufnahme ins städtische Krankenhaus Barmen
am 5. VII. 1913 (3!/ Wochen). Hier schritt die Heilung erheblich schneller fort
als unter ambulanter Behandlung. Gewicht 48 Kilo. (S. Photogr.)
XIV. L.G. aus Barmen, 15 Jahre alt. Eine Schwester an Phthise gestorben. Im
ersten Lebensjahr Caries des rechten Mittelfingers. Skrofulodermata der Sub-
maxillardrüsen und allmähliche Entwicklung der Lupusinfiltrate auf hämatogenen
Wege. Beginn der Behandlung am 12. X. 1912. Lupusinfiltrate auf der linken
Wange, zwei am rechten Oberarm, eins auf dem rechten Handrücken, Gewicht
45 Kilo. Lunge, Schleimhäute gesund. Behandlung bis zum 10. VI. 1913 am-
bulant. Die Behandlung wird nur sehr ungenügend und mit großen Unterbrechungen
durchgeführt. Trotzdem ist eine allmähliche Besserung zu konstatieren.
1) Dieser Fall war für die operative Therapie aussichtslos. Eine Finsen-
behandlung hätte eine jahrelange, äußerst mühsame und kostspielige Kur erfordert!
682 Strauß,
Aufnahme ins Krankenhaus am 10. VI. 1913. Hier verweilte Patientin
ca. 2 Monate. Örtliche und allgemeine Salbenkur. Innerlich Kapseln. Die In-
filtrate verschwinden bis auf kleine Reste an den Rändern eines Herdes am rechten
Arme. Gewichtszunahme 5!/, Kilo. Die Behandlung wird ambulant fortgesetzt.
(s. Photogr.)
XV. B. L. aus Borken i. W., 11 Jahre alt, von der Lupuskommission mir
überwiesen. In der Familie keine erbliche Phthise. Eltern und 4 jüngere Ge-
schwister gesund. Seit dem 3. Lebensjahr, im Anschluß an Masern, Coxitis dextra,
die allmählich zu Verkürzung des Beines führte. Es bildeten sich an der unteren
und seitlichen Fläche des Oberschenkels Fisteln. Zweimalige Streckverband-
Fall XIII.
26. I. 1913. „28. VLL. 1918.
behandlung je 6 Wochen lang in einem Krankenhause ohne Erfolg. Ebenso er-
folglos ein 3 Monate lang liegender Gipsverband. Im Anschluß an die Coxitis,
schon im 3. Lebensjahr, bildete sich ein tuberkulöses Geschwür an der Oberlippe.
Es zeigte sich eitriger Ausfluß aus der Nase, Geschwürsbildung in der Nase und an
der Nasenspitze. Von hier aus breitete sich der krankhafte Prozeß auf die Mund-
winkel und Wangen aus. Im Gesicht vielfache Salbenbehandlung ohne Erfolg.
Am 3. IV.1913 wurde der Knabe ins städtische Krankenhaus Barmen aufgenommen.
Status: Lupus tumidus an der Nasenspitze. Nasenspitze abgeflacht. Nasen-
eingänge exulzeriert. Mit Borken bedeckte Infiltrate an den Mundwinkeln und
auf beiden Wangen, welche namentlich rechts auch auf das Kinn übergehen. An
der Oberlippe 3 cm langes tuberkulöses Geschwür.
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 683
Oberschenkel ankylotisch, adduziert, Bein flektiert, verkürzt. An der Außen-
seite des Oberschenkels 2 Eiter absondernde, tief auf kariösen Knochen führende
Fisteln. An der hinteren Seite eine geschlossene und eine noch etwas sezer-
nierende Fistel.
Der Knabe hinkt, geht langsam, hat Schmerzen beim Gehen, namentlich in
der Ferse. Er geht nur auf der Fußspitze.
Gewicht 28 Kilo. Urin frei von Einweiß und Zucker. Lungen gesund. Das
Fall XIV.
12. X. 1012, 11. VIII. 1913.
12. X. 1912. 11. VIIL 1913,
Röntgenbild zeigt, daß Kopf und Hals des Oberschenkels fehlen. An Pfanne und
Oberschenkel kariöser Prozeß.
Örtliche Behandlung: Lekutylsalbe im Gesicht und auf dem rechten Ober-
schenkel. Pinselung der Geschwüre der Nase und der Oberlippe mit Kupferlösung.
Tamponade der Nase mit Lekutylsalbe.
Allgemeine Behandlung: Zunächst Inunktionskur mit Lekutylsalbe. Drei-
mal täglich 1 Kapsel mit Lekutyl-Jodmethylenblau (ä 0,005 Cu. 0,05 Jodmethylen-
blau). Vom 13. IV. ab nur Jodmethylenblau in Kapseln (à 0,05). An den ersten
3 Abenden kleine Morphiumdosen.
684 _ Strauß,
Unter kräftiger Reaktion fallen die Borken ab. Die Lupusinfiltrate liegen
siebförmig frei. Diese Reaktion vollzieht sich in den ersten 3 Tagen. Die örtliche |
Behandlung wird bis 13. IV. fortgesetzt. Dann indifferente Salbe. Die exkoriierten |
Fall XV.
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8, LV.: 1918, 24. IV. 1913.
|
|
Infiltrate zeigen eine frischrote Farbe und |
bedecken sich mit Epithel. Am 24. IV. |
ist das tuberkulöse Geschwür an der |
Oberlippe fast überhäutet. Die Fisteln |
sezernierten zunächst stärker. Dann nahm |
die Sekretion ab und wurde dünnflüssiger. |
Es bildet sich an ihren Mündungen |
frisches granulierendes Gewebe. Die hin-
tere, anfangs noch etwas sezernierende
Fistel hat sich geschlossen. Der Knabe
kann fester auftreten, schneller und
leichter gehen. Die Schmerzen, nament-
lich in der Ferse, haben abgenommen.
Vom 25. IV. bis 27. IV. nochmalige
örtliche Kur im Gesicht. Eine spezifische
Reaktion tritt nur noch auf der linken
Wange auf. Dann wieder indifferente
12. VI. 1913. Salbe. Vom 8. V. bis 11. V. abermals
örtliche Kur. Keine Reaktion mehr.
Die Gehfähigkeit hat sich weiter gebessert. L. kann schneller gehen. Er tritt
dabei schmerzlos mit ganzer Fußsohle auf. |
Im Gesicht zeigt sich auf den erkrankt gewesenen Stellen eine kleinblättrige |
Abschuppung.
Aus der noch etwas offenen Fistel läßt sich nur bei Druck noch seröse Flüssig-
a n,
Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 685
keit ausdrücken. Das Bein kann besser gestreckt werden. Der Knabe kann laufen.
Das Gefühl kehrt in der Haut des Oberschenkels zurück.
Die indifferente Behandlung des Gesichtes wird bis zum 4. VI. fortgesetzt.
Obwohl sich kein Rezidiv zeigte, wird die örtliche Kur nochmals (vom 5. bis 8. VI.)
wiederholt. Keine spezifische Reaktion. Die noch offene Fistel ist nur noch 1 cm
tief. Vom 25. V. bis 10. VI. wurden noch täglich mit Lekutyllösung Injektionen
in die Fisteln gemacht. Seitdem geht die Verheilung der Fisteln besonders schnell
von statten. Am 18. VI. sind beide Fisteln an der Außenseite geschlossen.
Außer den bisher täglich fortgesetzten Inunktionen und der inneren Verab-
reichung der Kapseln (vom 1. V. ab wieder Lekutyl-Jodmethylenblau) erhielt L.
noch 2 intravenöse (am 1. V. und 2. VII.) und 2 intramuskuläre Injektionen
(am 24. V. und 30. V.).
Der Urin blieb während der ganzen Kur leicht grün gefärbt, ohne Eiweiß
und Zucker. Das Gewicht betrug am Ende der Kur 30 Kilo. Das Allgemein-
befinden hob sich beständig. Fieber ist niemals aufgetreten.
Fall XV.
3. IV. 1913. 4. VII. 1913.
Der Knabe durfte sich während der ganzen Kur frei bewegen, nur nach den
Einreibungen mußte er eine Stunde liegen,
Am 5. VII. wurde er aus dem Krankenhaus in seine Heimat entlassen, klinisch
geheilt. Das letzte Röntgenbild ergab, daß an Stelle des kariösen Prozesses sich
normales Knochengewebe entwickelt hat. Die Fistelmündungen sind mit fester
Narbe verheilt.
Die Allgemeinbehandlung wird zu Hause noch fortgesetzt. Eine nochmalige
örtliche Kur zu Hause (3 Tage) löst keine Reaktion aus. L. stellt sich mir am
20. Juli wieder vor. Derselbe Befund wie bei der Entlassung. Kein Rezidiv.
Vorzügliches Befinden. Am 30. VII. 1913 schreibt mir der Vater: „Unser
Sohn Bernhard bleibt unverändert. Mund usw. und Bein hält sich tadellos.“ t)
(S. Photogr.)
1) Anmerkung bei der Korrektur: Auch Mitte September rezidivfrei.
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 44
656 Strauß, Hauttuberkulose und ihre BehandInng mit Lezithinkupfer.
Literatur.
„Beiträge zur Chemotherapie der Tuberkulose“ XXIII, Heft 2. Impftuberku.s
(Prof. Dr.Gräfinv. Linden). Lungentuberkulose (Prof. E. Meissen, H:ker.-
honnef). Äußere Tuberkulose (Dr. A. Strauß, Barmen).
Als Monographie erschienen im Verlage von Curt Kabitzsch- Würzburg.
Nach Vorträgen auf der internationalen Tuberkulosekonferenz und dem inte:
nationalen Tuberkulosekongreß in Rom, April 1912.
A. Strauß, Weiterer Beitrag zur Chemotherapie der äußeren Tuberkulose Mün«t.
med. Wochenschr. Nr. 50, 1912).
Derselbe: Die Kupferbehandlung der äußeren Tuberkulose. (Deutsche me.
Wochenschrift Nr. 11, 1913).
Derselbe: The Chemo-Therapy of External Tuberculosis. (The Urologie ari
Cutaneous Review.) Januar 1913.
Weitere Erfahrungen mit einer Chemotherapie der Tuberkulose. Naturforscher- ard
Ärzteversammlung in Münster (innere Abt.) Sept. 1913. Verhandlungen
S. 48—56:
Impftuberkulose: Gräfin Linden. Lungentuberkulose: Prof. Meissen. Aubere
Tuberkulose: A. Strauß.
Prof. Grätin von Linden: Weitere Erfabrungen mit einer Chemotherapie der
Tuberkulose. (Münch. med. Wochenschr., 9. Nov. 1912.)
Dr. K. Lautsch: Aus der Lupusheilstätte des vaterländischen Frauenvereins in
Graudenz. Naturforscherversammlung in Münster, innere Abteilung. Ver-
handlungen S. 56.
Derselbe: Vereinigung der ostdeutschen Dermatalogen in Königsberg. Archiv für
Dermatologie und Syphilis. CXVI, 1. Heft.
Aus dem Radiologischen Institut der Allgemeinen Poliklinik in Wien.
Ueber die Verwendung der photochemischen Radiometer
zur Bestimmung der Hautdosen.
Von
Privatdozent Dr. Robert Kienböck.
Einfluß der Dicke der sensiblen Schicht des Reagenzkörpers, der Dicke der
Haut und des Härtegrades des Röntgenlichtes für die Bestimmung der wirklichen
Hautdosen. Wechselnde Bedeutung der radiometrischen Dosenzahlen für die
Stärke der Belichtung der Haut, schwankende Relation der Angaben der Radio-
meter verschiedener Art.!)
W" haben in der radiotherapeutischen Praxis die Haut stets bis zu
einem gewissen Grade zu belichten und speziell bei der Be-
handlung subkutaner und in größerer Tiefe gelegener Gebilde zu berück-
sichtigen, dal die von den Strahlen zunächst getroffene gesunde Haut keinen
Schaden leide; hier sollen wir keine Hautveränderung oder höchstens Ery-
them und Pigmentierung erzeugen.
Wir bedienen uns bei den Bestrahlungen zur Bestimmung der zu er-
wartenden Hautreaktion bzw. zur Vermeidung jeglicher Reaktion bekannt-
lich vorwiegend der photochemischen Radiometer.
Es ist nun die Meinung viel verbreitet, daß die gebräuchlichen Radio-
meter die Bestimmung des Grades der zu erwartenden Hautveränderung
ohne weiteres gestatten, daß sie speziell durch eine bestimmte Reaktions-
stufe am Reagenzkörper genau die „Erythemdose“ angeben können, d. i.
die Dose, welche an der normalen Haut von Erwachsenen zu Erythem
führt und daß, wenn man nicht bis zur „Erythemdose“, sondern nur etwa
bis zur „Maximaldose* bestrahlt, ein Erythem auch in der Regel aus-
bleibt. Man fügt in der letzten Zeit nur noch hinzu, daß man bei sehr
hartem, namentlich gefiltertem Licht größere Dosen geben könne.
Nun liegen aber in Wirklichkeit die Dinge viel komplizierter, als man
gewöhnlich annımmt. Zur Erreichung oder Vermeidung einer bestimmten
Hautreaktion soll man allerdings die photochemischen Radiometer verwenden
und sie sind ein wertvoller Behelf; man besitzt derzeit gar keinen besseren ;
aber man muß daran denken, daß mehrere Umstände das Verfahren un-
I) Verfasser hat den Inhalt dieser Arbeit zum Teil bereits am Physiotherapie-
Kongreß, Berlin März 1913, vorgetragen und dort auch die geometrischen Zeich-
nungen (Figur 1—16) demonstriert.
44*
688 Kienböck,
genau machen. Diese sind zunächst die technischen, konstruktiven Mängel
der Radiometer und dann die ungleiche Radiosensibilität der Haut.
Die gebräuchlichen Radiometer, auch die guten Apparate leiden an
einigen Mängeln der Konstruktion, welche nicht zu vermeiden sind.
So kommt es vor, daß sich die einzelnen Exemplare der Reagenzkörper in
ihrer Empfindlichkeit voneinander etwas unterscheiden. Weiterhin ist der
Vergleich der belichteten Reagenzkörper mit der Skala meist ungenau.
weil die aus abgestuften Feldern zusammengesetzte Skala meist nicht aus
dem gleichen Materiale besteht wie die Reagenzkörper, sondern nur eine
mehr oder weniger gut gelungene Imitation der gefärbten Reagenzkörper
darstellt, also nicht bei jeder Beleuchtung die richtigen Nuancen zeigen kann.
Ferner ist für die schließliche Lichtwirkung im Reagenzkörper keine
vollkommene Reziprozität zwischen Stärke des einfallenden Lichtes und
Expositionszeit vorhanden, so daß die eine Größe streng reziprok für die
andere eintreten könnte; es ist nicht ganz gleichgültig, ob es sich um
starkes Licht handelt mit kurzer Exposition oder um schwaches Licht mit
entsprechend längerer Exposition. Die Gradation der Farbenreaktionen
im Reagenzkörper ist dabei eine andere. Vielleicht ist auch für weiches
und hartes Licht die Gradation der Wirkungen nicht ganz gleich.
So kommt es, daß wir an dem belichteten Reagenzkörper durch Ver-
gleich mit der Skala die der sensiblen Schicht applizierte Lichtmenge,
die „Radiometerdose“, „Reagenzdose* — wie ich es nenne —
nicht ganz genau kennen lernen.
Es entsprechen also einander 1) nicht ganz genau die Reagenzdose
(absorbierte Lichtmenge) und die Reagenzreaktion, 2) der Vergleich von
Reagenzreaktion und Skala führt überdies zu ungenauer Dosenbestimmung.
Mit der Radiosensibilität der Haut ist die Röntgenlichtempfind-
lichkeit des Gewebes im engeren und rein biologischen Sinne gemeint
(biologische RS), und nicht etwa „die größere Empfindlichkeit‘ von dünner,
„geringere Empfindlichkeit“ von dicker Haut. (Darüber später!) Die
Radiosensibilität des Gewebes ist um so größer, je lebhafter der Stoff-
wechsel im Gewebe ist; Kinder und jüngere Individuen haben eine
größere Radiosensibilität als Erwachsene, ältere Individuen und Greise
eine geringere Radiosensibilität. Diese Unterschiede betreffen also bereits
normale Individuen mit gesunder Haut, wenn die Träger ungleich alt sind.
Für dir kranke Haut gelten besondere Gesetze; ist die Haut in leichten
Reizzustande oder in ausgesprochenem Entzündungszustand, so ist
ihre Empfindlichkeit gegen alle möglichen Einwirkungen, auch gegen Rönt-
genlicht, bedeutend gesteigert.
Aber selbst wenn es ideale Instrumente ohne Fehler gäbe,
so daß wir die Reagenzdosen genau erfahren könnten, und wenn
Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 689
die Radiosensibilität der Haut eine einheitliche oder wenigstens
stets genau bekannte wäre, so könnten wir durch die Radio-
meter noch immer nicht genau den zu erwartenden Reaktions-
grad der Haut bestimmen; denn dazu müßten die Reagenzdosen
unter allen Umständen genau den Hautdosen entsprechen, was
aber nicht zutrifft.
Dies könnte nur der Fall sein, wenn die sensible Schicht des Rea-
gens genau die gleichen Eigenschaften, vor allem die gleiche Dichte und
Dicke, und demnächst die gleiche Lichtempfindlichkeit besäße wie die Haut,
oder wenn man stets mit homogenem, sehr harten Röntgenlicht arbeiten
würde. Es kommen also in Betracht:
1. die Qualität des verwendeten Röntgenlichtes,
2. die Art der Konstruktion des Radiometers, vor allem die Dicke
der sensiblen Schicht des Reagenzkörpers,
3. die Dicke der zu bestrahlenden Haut.
Mit allen diesen Punkten, welche zu einer Verschiedenheit von Re-
agenzdose und Hautdose führen, wollen wir uns in dieser Arbeit eingehend
beschäftigen.
A. Bedeutung der einzelnen Momente. Punkt 1. Lichtqualität.
Wir haben Röntgenlicht von verschiedener Art (durchschnittlicher
Penetrationskraft) und verschiedener Mischung zur Verfügung (fast homo-
genes Licht und stark gemischtes Licht); dabei kennen wir keineswegs
genau die Art des Lichtes, welches wir im konkreten Fall benutzen.
Die Art des Lichtes ist nun von großer Wichtigkeit bezüglich der
Bedeutung der Radiometerangaben für die Stärke der Bestrahlung von
Gewebe; das Licht nimmt nämlich von der Oberfläche nach der Tiefe zu
ab, und zwar um so rascher, je weicher es ist. Es ist dies sowohl für
die Reagenzkörper als auch für die Haut zu berücksichtigen; die Haut ist
gewöhnlich nicht so dünn, daß der genannte Umstand vernachlässigt werden
könnte.
Punkt 2. Dicke des Reagenzkörpers.
Wenn man die denkbaren, zum Teil bereits konstruierten und viel
gebrauchten photochemischen Radiometer überblickt, so kann man nach
der Dicke der transparenten sensiblen Schicht des Reagenzkörpers
die folgenden Arten von Apparaten unterscheiden (vgl. meine Abhandlung
in Strahlentherapie Bd. II, Seite 556); dabei wird angenommen, daß der
Reagenzkörper die Dichte von Wasser besitzt. Wenn dies nicht der Fall
ist, so ist im folgenden mit der mm-Zahl die äquivalente Dicke von
Wasser gemeint. (Die menschliche Haut hat bekanntlich beiläufig die
Dichte von Wasser.) Ferner wird dabei das eventuelle Vorhandensein
690 Kienböck,
einer deckenden Schicht (z. B. der Glaswand einer Eprouvette) vernach-
lässigt.
1. Dünnschichtradiometer (Weichradiometer) mit papierdünner
sensibler Schicht.
2. Mittelschichtradiometer (Mittelweichradiometer) oder Haut-
dosimeter.
Hierher sind besonders zu rechnen:
a) 1 mm Radiometer, Dünnhautdosimeter,
b) 2 mm ð Mittelhautdosimeter,
c) 3 mm 5 Dickhautdosimeter.
Als Anhang wären etwa noch das 4 mm- und 5 mm-Radiometer zu
nennen, für besonders dicke Haut geeignet.
3. Dicekschichtradiometer (Hartradiometer) mit 6—10 mm dicker
Schicht.
Fig. 1.
Graphische Darstellung von Reagenzkörpern 8 verschiedener Radiometer.
0. Dünnschichtradiometer.
1. 1 mm-Radiometer |
2. | gute Hautdosimeter
3. 3 mm-Radiometer
4. 4 mm-Radivmeter
l für sehr dicke Haut
5 mm-Radiometer
6. 6 mın-Radiometer
Beispiele von Dickschichtradio-
metern
10. 10 mm-Radiometer
JODU
Diese Klassifizierung ist wichtig weil bei dickeren Schichten
und weicherem, bzw. gemischtem Licht die in den aufeinander
folgenden Schichten des Reagenzkörpers deponierten Licht-
mengen ungleich groß sind und zwar nach unten abnehmen.
Eine gleichzeitig exponierte Haut erhält nur dann dieselben Lichtmengen,
wenn sie gleich dick ist.
Diese Radiometer zeigen demnach in verschieden dicken Schichten
absorbierte Lichtmengen, also verschiedene Arten von Dosen an.
Um die Angaben der Radiometer miteinander und mit tatsächlichen
Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 691
Hautdosen vergleichen zu können, sollen stets die aufeinanderfolgenden 1 mm
dicken Schichten, also die „1 mm-Schichtdosen‘ berücksichtigt werden.
Man sollte eigentlich dünnere, z. B. !/,oö mm dicke Schichten und
entsprechend ?!/,9 mm-Schichtdosen betrachten (vgl. Guilleminot), oder
wenigstens !/,, mm dicke Schichten berücksichtigen; doch genügt es für
unsere Zwecke, wenn wir 1 mm dicke Schichten und dementsprechend
1 mm-Schichtdosen unterscheiden. Bei einem 3 mm-Radiometer sind also
im Reagenzkörper drei Schichten und drei Schichtdosen, die oberste, zweite
und dritte Schicht zu berücksichtigen. Was man an der Färbung erkennt,
ist zufolge der Transparenz des Reagenzkörpers die gesamte absorbierte
Lichtmenge, also die Gesamtdickendose; aus dieser können wir die
durchschnittliche 1 mm-Schichtdose berechnen.
Ich will als Beispiel ein 3 mm- und ein 6 mm-Radiometer wählen,
die sensible Schicht der beiden Reagenzkörper in mm-Schichten (kurz
„Schichten“) zerlegen und zeigen, wie bei Bestrahlung mit weichem, mittel-
weichem und hartem Licht bis zu einem gewissen Reaktionsgrad, die Tiefen-
verteilung des Lichtes eine ganz verschiedene ist, mit approximativer An-
gabe der aufeinanderfolgenden 1 mm-Schichtdosen (kurz „Schichtdosen‘“)
(Fig. 2).
Es wird dabei von mir erstens angenommen, daß zuerst zwei Reagenz-
körper und zwar ein RK des 3 mm-Radiometers und ein RK des 6 mm-
Radiometers mit mittelweichem Licht gleichzeitig (gleich lange)
bestrahlt wurden; beide würden bei einer quantimetrischen Schichtmessung
in den 3 obersten Schichten 10, 9 und 8 Doseneinheiten zeigen. Zweitens
wird angenommen, daß nachher sowohl vom 3 mm-Radiometer als auch
vom 6 mm-Radiometer andere RK mit weichem und hartem Licht bestrahlt
wurden und zwar solange bis sie die bei Bestrahlung mit mittel-
weichem Licht gezeigte Farbenreaktion erreicht haben, also
bei Vergleich mit der zugehörigen Skala zur gleichen Dosen-
ablesung führen. Die Durchschnitts-Schichtdose ist tatsächlich sowohl
beim 3 mm-Radiometer jedesmal dieselbe (9 Einheiten), als auch beim
6 mm-Radiometer alle 3 male die gleiche (8 Einheiten). Nur ist die
Tiefenverteilung des Lichtes jedesmal eine andere. Daß die Durchschnitts-
dose bei den zwei Instrumenten ungleich hoch ist, beruht auf dem un-
gleichen Bau (Dicke) der RK; die Angaben der zwei Instrumente können
wie ersichtlich nicht ohne weiteres miteinander vergleichen werden.
Punkt 3. Hautdicke.
Bei der Haut spielt natürlich ebenfalls die Dicke eine große Rolle,
die aufeinanderfolgenden Schichten erhalten bei Bestrahlung mit weichem
oder gemischtem Licht verschiedene Dosenreihen.
692 Kienböck,
Fig. 2.
Studium zweier Radiometer, eines 3 mm- und eines 6 mm-Radiometers.
Bestrahlung von 6 Reagenzkörpern und zwar je 3 RK der ersten und zweiten
Art mit Licht verschiedener Qualität. Die 3 RK der ersten Art zeigen
trotzdem schließlich miteinander verglichen dieselbe Reaktion, ebenso ist
dies bei Vergleich der 3 RK des zweiten Radiometers der Fall. Die Ge-
samtdose und die durchschnittliche Schichtdose ist dieselbe, nur die Tiefen-
verteilung der Schichtdosen ist verschieden.
D 12
+ = ® e
ta < Ee] 9 ) weiches Licht
8 2 g 6
g 9 g
© 22 © 10
[ll s: BES a G e | mittelweiches Licht
~% a0 = 3
g 5 ©
= B h 9
: 3 Ef hartes Licht
(ap T 9
Q
N
14
10
= 5 weiches Licht
En z 5
D Ta 4
D Q
D = g
ar 9 7
' Ro T
= g S ‘
3 bo u 8
> 2 8
3 8 hartes Licht
8
8
Man kann die folgenden Hautdicken unterscheiden:
0. sehr dünne Haut,
1. dünne Haut, etwa 1 mm dick,
2. mittlere Haut, etwa 2 mm dick,
3. dicke Haut. etwa 3 mm dick,
ferner: sehr dicke Haut, über 3 mm dick.
Dem Bau nach besteht bekanntlich die Haut aus dem Korium (Leder-
haut) und der Epidermis (Oberhaut). Es kann nun einerseits das Korium,
andererseits die Epidermis dünn. mitteldick oder dick sein. Ist die Epi-
dermis dick, so ist ein großer Teil — von der untersten Epidermisschicht
abgeschen als inerte, tote Decke anzusehen; sie wirkt dabei ab-
schwächend und filtrierend auf das zu den lebenden Schichten vordringende
Licht ein.
Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 693
Es sei hier eine Tabelle mit schematischer Darstellung von
Haut mit verschiedener Dicke der Leder- und Oberhaut ange-
fügt, die ich mit Berücksichtigung der Angaben über durchschnittliche
Hautdicken an den einzelnen Körpergegenden aus anatomischen Lehr-
büchern (Langer, Merkel, Krause u. a.) zusammengestellt habe: die
Grenze zwischen Epidermis und Korium habe ich der Einfachheit halber
als eine gerade Linie gezeichnet. was bekanntlich der Wirklichkeit nicht
entspricht.
Fig. 3.
Dicke der Haut an verschiedenen Körperstellen und bei diversen
Individuen.
dickhäutige dünnhäutige
I Ep. 0.2 Ep. 0.15
Cor. 3.0 Cor. 2.0
Ia ep Ep. 08
0.30 DJ cr. 20
Ep. 2.0
Ib Ep. 1.0
Da I .
Ep. 0.2 e op, 0.1
u Ej ck 20 Cor. 17
Ep. 0.1 -e Ep. 0.1
u E E 10 Cor. 0.7
Ep. 0.1 n o 0.1
e- :
‚la Car. 0.6 Cor. 0.6
I. Dicke Haut.
Beispiele: 1. Rücken und Gesicht. 2. Streck- und Außenseite der Extremitäten.
3. Behaarter Kopf. — Ia und Ib mit dicker Epidermis: la Palma manus.
Ib Planta pedis.
II. Mittlere Haut.
Beispiele: 1. Brust und Bauch. 2. Beuge- und Innenseiten der Extremitäten.
3. Hand- und Fußrücken.
III. Dünne Haut.
Beispiele: 1. Gesicht und Hals. 2, Penis und Skrotum. — Illa. Dünnste Haut.
Beispiele: 1. Augenlider. 2. Präputium.
694 Kienböck,
B. Bedeutung der Radiometerangaben für die wirklichen Haut-
dosen bei verschiedenen Kombinationen der als Punkte 1 bıs3 |
genannten Momente.
Im folgenden soll nun an Beispielen der Einfluß der Dicke der sen-
siblen Schicht des Reagenzkörpers, ferner der Dicke der Haut und di:
Bedeutung des Härtegrades des Röntgenlichtes für die biologische Be-
deutung der Dosenzahlen der verschiedenen Radiometer besprochen werden.
wobei nur die Beziehung der Reagenzdosen und der tatsächlichen Haut-
dosen zueinander studiert werden wird.
Es sollen nicht etwa alle oben angeführten Radiometerarten besprochtn
werden, sondern nur
1. das 1 mm-Radiometer,
2. das 3 mm-Radiometer,
3. das 6 mm-Radiometer.
Und von den Hautdicken nur:
1. dünne Haut, 1 mm dick,
2. dicke Haut, 3 mm dick,
wobei wir der Einfachheit halber annehmen wollen, daß die Haut in allen
aufeinanderfolgenden Schichten dieselbe Zusammensetzung habe und dalıer
auf das Röntgenlicht in gleicher Weise reagiere.
Als Lichtarten sind gewählt:
1. weiches Licht,
2. mittelweiches Licht,
3. hartes Licht; |
und zwar sei die Tiefenverteilung der Schichtdosen in 3 aufeinanderfolgenden
1 mm dicken Wasserschichten — nach approximativen”quantimetrischen
Messungen — beiläufig die folgende:
bei weich 12, 9, 6 Einheiten,
bei mittelweich 10, 9, 8 Einheiten,
bei hart 9, 9, 9 Einheiten.
Ich nehme nun als Ausgangspunkt an, daß die drei Radiometer
verschiedener Konstruktion insgesamt zunächst für mittelweiches
Licht bestimmt sind, und nehme weiter an, daß auch speziell für dieses
Licht die Bedeutung der Dosenzahlen der Skalen für eine 3 mm dicke
Haut der Erwachsenen ermittelt worden ist.
Man hat z. B. bei allen drei Radiometern gefunden — und auch n i
den Gebrauchsanweisungen vermerkt —, daß eine Bestrahlung der Haut
les Rückens von Erwachsenen — nach 14 Tagen Latenz — einfaches
Erythem zur Folge hat, wenn man mittelweiches Licht verwendet und
die Bestrahlung unterbricht, sobald der Reagenzkörper mit der Skala ver-
Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 695
glichen eine bestimmte Färbung erreicht hat; diese Farbenstufe ist mit
„10 p“ (10 Einheiten) und „E. D.“ (Erythemdose) signiert. Sowohl beim
1 mm-Radiometer, als auch beim 2 mm- und beim 3 mm-Radiometer wird
man richtig dosieren und die gewünschte Hautreaktion erzeugen, wenn man
sich an mittelweiches Licht und dicke Haut hält.
Welche Dose wird nun in der Haut resultieren und welche
Reaktion wird entstehen, wenn die Radiometer genannter Art
bei anderem Licht oder bei anderer Hautdicke verwendet wer-
den? Oder wenn man in beiden Punkten von der Vorschrift
abweicht, sowohl in der Lichtqualität als auch in der Haut-
dicke?
Man wird bei Verwendung irgend eines der drei Radiometer der Haut
andere Dosen geben und daher auch andere Reaktionen erzeugen, wenn
man weiches oder hartes Licht anwendet oder dünnere Haut (2 oder
1 mm dick) vor sich hat und bis zur „Erythemdose“ bestrahlt. Bei jedem
der Radiometer wird der Übergang zu anderen Lichtarten nur
dann wenig ausmachen, wenn man eine mit dem Reagenzkörper
gleich dicke Haut bestrahlt.
Es ergibt sich dies im Detail aus unseren Figuren 4—9, in welchen
18 Kombinationen dargestellt sind. Jedesmal ist für jede der 3 Radio-
meterarten angenommen, daß der Apparat vor allem für Bestrahlung von
3 mm dicker Haut mit mittelweichem Licht bestimmt ist, daß
an der Skala eine Farbenstufe dementsprechend mit „10 u“ und „E.D.“
signiert ist und daß die Haut jedesmal bis zur Erreichung dieser
Farbenstufe am Radiometer bestrahlt wird. Es stellt dies den Ausgangs-
punkt aller nun folgenden Versuche dar. s ist die spezielle Schichtdose,
d die durchschnittliche Schichtdose. Beträgt in der Haut die durchschnitt-
liche Schichtdose 9 d, so ist sie richtig bestrahlt und reagiert nach unserer
Annahme mit Erythem. (Bei den Radiometern beträgt für „10 p (E. D.)“
die durchschnittliche Schichtdose bald 10, bald 9, bald 8 d.) Fig. 4—9.
Es zeigt sich also in unseren Figuren, dal man bei Beibehaltung von
mittelweichem Licht, aber bei Bestrahlung von dünner Haut mit allen
3 Radiometern überexponieren würde; man würde bei Beibehaltung von
mittelweichem Licht und bei Bestrahlung von sehr dicker Haut (etwa
6 mm) umgekehrt unterexponieren. Verwendet man statt mittelweichen
Lichtes ein weiches Licht, so wäre dies noch in höherem Grade der
Fall. Mit hartem Licht würde man geringere Fehler machen.
Es sind hier als Beispiele dreierlei Lichtarten gewählt worden.
Verwendet man Lichtarten von etwas anderen durchschnittlichen Härte-
graden oder auch nur andere Lichtmischungen (mit Beibehaltnng der als
696 Kienböck,
Fig.4. Mittelweiches Licht, dicke Haut (3 mm).
I bis III: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers bestrati.
Jeder der 3 Radiometer ist vor allem für Bestrahlung von dicker Haut mit mittel-
weichem Licht bestimmt und jede der 3 Skalen trägt bei einer bestimmten Rear-
tionstiefe dementsprechend die Signierung „E. D.“ und „10 u“; die Haut wird jece-
mal bis zur Erreichung dieser Farbenstufe am Radiometer bestrahlt. (Dieselbe Sig-
nierung der Skalen und die Bestrahlung bis zur Reaktion 10 u, E. D. ist bei allen fo!:ren-
den Fällen, Fig. 5—9, als Basis angenommen.)
Reagens Haut (3 mm)
Im
Radiometer DT LE I
3 mm-
radome L d EE a‘
6 mm-
Zerlegung in Schichten Reagens | Haut
I mm- 10 8 eg.» £,
ee 8, | 10d = 104,E.D. 9d - wirkl.E.D.
3 mm- :
Radiometer E 3” 9 | 7a oa n
9
9d - 10 u,E.D.
6 mm-
Radiometer
Fig. 5. Mittelweiches Licht, dünne Haut (1 mm».
IV bis VI: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers bestrah.t.
Signierung der Skalen und Bestrahlung wie bei Fig. 4.
i los | 488:6- 8d
8 d -= 10 U, E.D. |
SIND
w ec
E Die Haut ist richtig exponiert bei
Reagens Haut (l mm)
| mm-
Radiometer C—————— n N
3 mm-
Radiometr [OO] 25. y
6 mm- 10 4
en Ser og
Zerlegung in Schichten Reagens Haut
| mm- ul
u nr ae 108 14 Pre!
naclomerer 10d. 10 u4, E.D. ' lod > jd
Smii 10 3
i 9, 30 4:5
Radiometer E= a? OOOO ws | 5:3 9A
9d 10u, E.D..
9, |
6 mm- 8. 48 8:6 -8d | ”
ESSE r e e E
m Die Haut ist überexponiert bei
Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen.
Fig. 6.
697
Weiches Licht, dicke Haut (3 mm).
VII bis IX: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers bestrahlt.
Signierung der Skalen und Bestrahlung wie bei Fig. 4.
Reagens Haut (3 mm)
I mm- ;
Radiometer D— pn L ë d
3 mm- s
Radiomete DD £6, Lod
Radiometer E. D.
Zerlegung in Schichten
I mm-
Radiometer CO] 10 8
3 mm-
Radiometer F— 9 En 8.
6 mm- 8.
Radiometer 7»
5 y
4
Fig. 7.
Reagens Haut
10s — 10d 23 8:3 — Th d
104--104,E.D| T'hda<9d
Nee E_E
Die Haut ist unterexponiert bei ViI.
278:3 -=9d 29 8:3=9d
9 d= 108, E D. | 9d = wirkl. E.D.
Sa, D anaveu
DieHaut Ist richtig exponiert bei VII.
483:6--8d |328:3 = 10%ı d
8d - 104, E.D. 10% > 9 d
SE EEE RITTER, SCHERE EEE EEE EnGuzse ee
Die Haut Ist überexponiert bei IX.
Weiches Licht, dünne Haut (1 mm).
X bis XII: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers bestrahlt.
Signierung der Skalen und Bestrahlung wie bei Fig. 4.
Reagens Haut (1 mm)
I mm-
Radiometer C——————— ny 5 er
3 mm- 10u
Radiometer EDE Te
10 u
Radiometer
se eg
Zerlegung in Schichten
a
Radiometer 9] 10 8
12 83
3 mm-
9.
Radiometer E= hr coool es
14 8
6 mm-
Radiometer
10 „
8
m 14
a AL
4
Reagens | Haut
108 10d | 10s -10d
10d — 10 4, E.D. 10d>9d
273:3 9d 12s ë 2d
9d -WM,E.D. 2d>9d
488:6- 8d | 145 - 14d
8d 104,ED.| 11d>9d
N Gr a Emm gun, „SEEESEHFEEEE EEE more
Die Haut ist überexponiert bei
X—XII.
698 Kienböck,
Fig.8. Hartes Licht, dicke Haut (3 mm).
XIII bis XV: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers be-
strahlt. Signierung der Skalen und Bestrahlung wie bei Fig. 4
Reagens Haut (3 mm)
I mm- ou >
Radiometer CON E p, L l
3 mm- 10u XIV
Radiometer E. D.
10 4
Zerlegung in Schichten Reagens ; Haut
I mm- 10 8 108 — 10d 30s:3— 10d
Radlometr D— 10 s EE M0 p f oa ou ED. oaoa
„ N a en ererer
98 9s Die Haut Ist überexponiert bei XIll.
„ 9
n» | 9d —= 10u, E. E. | 9d — wirkl. E D.
Die Haut ist richtig exponiert bei XIV.
9
9
8
8
6 mm- 8 88 ee d
ZZ Ken iii
8
ZZ
= Die Haut Ist unterexponlert bei XV.
Fig.9. Hartes Licht, dünne Haut (1 mm).
XVI bis XVIII: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers
bestrahlt. Signierung der Skalen und Bestrahlung wie bei Fig. 4.
Reagens Haut (1 mm)
i .
a a rn
E.D
3 mm- 10 u
n E E a -4
6 mm- 10 u
Bee 0 een 9,211
Zerlegung in Schichten Reagens Haut
| mm- 108 -- 10d 10s — 10d
Radiometer C————] 0s OMMA 108 | 10d=104,E.D.) 10d>9d
Naa, E
Die Haut ist überəxponiert bel XVL
Br Zi a
9d4=:104,E.D. 9d—=wirkl.E.D,
a En are Her Ta SERVER GER een
DieHaut Ist richtig exponiertb. XVil.
48535:6 8d 88 —=-8d
[00000000788 | gsa_ 10u,E.D. 8d<9d
Die Haut ist unterexponiert bei XVIII
-
-
3 mm-
Radiometer E=
6 mm-
Radiometer
-
- ww...“
ODER DE
Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 699
Beispiele gewählten durchschnittlichen Härtegrade), so werden sich etwas
verschiedene, doch im ganzen ähnliche Resultate ergeben.
Wenn wir in der Praxis nach Angabe einer Härteskala „genau
mittelweiches‘‘ Licht zu verwenden glauben, so handelt es sich in Wirk-
lichkeit bald um diese bald um jene Mischung. Daraus folgt, daß wir,
selbst wenn die photochemischen Radiometer technisch fehlerfrei konstruiert
wären, wenn ferner in allen Fällen die Dicke und Empfindlichkeit der
Haut genau bekannt wäre, noch immer nicht derart dosieren könnten, daß
genau die gewünschte Hautdosis und genau die beabsichtigte Hautreaktion
resultiert.
Damit soll aber keineswegs gesagt werden, daß von
der Verwendung der photochemischen Radiometer bei der
Hautbestrahlung abzuraten sei. Im Gegenteil hat die große
Praxis gelehrt, daß alle genannten Ungenauigkeiten in der
Tat nicht allzusehr ins Gewicht fallen, wenn man auf Licht-
qualität, Hautdicke und Empfindlichkeit der Haut soweit
Rücksicht nimmt, als man es heute bereits in der Lage ist.
Die Bedeutung der verschiedenen Hautdicke an den einzelnen Körper-
regionen hat Verfasser bereits vor vielen Jahren (Wien. klin. Woch. 1900,
Nr. 50) hervorgehoben und hat dort angegeben, daß die diversen Regionen
dementsprechend verschieden lange zu bestrahlen seien, damit „Normal-
reaktion“, „Erythem“ resultiere. Ebenso hat Holzknecht in der Ge-
brauchsanweisung zu seinem Chromoradiometer 1902 die radiometrischen
Dosen zur Erzeugung leichter Dermatitis nach den einzelnen Körperstellen
mit ungleicher Hautdicke verschieden hoch angegeben.
Dennoch wird dieser Umstand im allgemeinen noch zu wenig berück-
sichtigt und eine einheitliche „Erythemdose* angenommen. Die Verhält-
nisse sind in der Praxis dadurch noch komplizierter, daß die Dicke der
Hornschicht der Epidermis für den Grad der Reaktion von Bedeu-
tung ist und daß auch die aufeinanderfolgenden Koriumlagen ungleich
gebaut sind, daher bei gleicher Gesamtdickendose (gleicher durchschnitt-
licher Schichtdose) ungleich reagieren dürften, wenn die Tiefenverteilung
des Lichtes variiert.
Bei unseren obigen Darstellungen wurde auf diese Details keine Rücksicht
genommen. Die Hornschicht berücksichtigende schematische Zeichnungen diverser
Hautarten und Berechnungen der wirksamen Schichtdosen wären leicht anzu-
fertigen; derartige Hautarten könnten zunächst mit den Reagenzkörpern der ab-
gebildeten Konstruktion, nämlich mit „nackten“ RK, ohne jede die sensible Schicht
deckende Hülle (Papier, Kautschuk, Glas) verglichen werden. Außerdem könnten
aber auch noch Reagenzkörper mit derartigen Hüllen studiert werden,
wobei diese so dick zu zeichnen wären, als es einer äquivalenten Wasserschicht
entspricht; die Hülle ist unempfindlich für Licht, wirkt aber als lichtschwächende
700 | Kienböck,
und filtrierende Decke, so daß die sensible Schicht des R K weniger Licht empfängt.
Es ist hier zwischen der ganzen und der wirksamen Dose zu unterscheiden.
Solche verhüllte Reagenzkörper und zwar mit verschieden dicken Hüllen wären
mit diversen Hautarten zu vergleichen; die wirksamen R K-Dosen und wirksamen
Hautdosen werden bei Bestrahlung mit verschiedenen Lichtqualitäten am besten
miteinander übereinstimmen, wenn die Hülle des RK und die Hornschicht
der Haut gleich dicht und gleich dick sind, bzw. gleichviel Licht
absorbieren.
C. Gegenseitige Relation der Angaben der Radiometer
verschiedener Art.
Schon vor Jahren (1906) erschien es mir wichtig, die Angaben der
einzelnen Radiometer, vor allem des Holzknechtschen Chromoradio-
meters (in H-Einheiten), des Sabouraud-Noiréschen Radiometers X
(Ton B „Maximaldose“) und des Quantimeters (in X- Einheiten) mit-
einander in Beziehung zu bringen.
Aus meinen Versuchen ergab sich, daß durchschnittlich gleich-
zusetzen sind:
5 H-Einheiten nach Holzknecht,
1 Sabouraud-Noire Maximaldose,
10 X -Einheiten nach Kienböck.
(Die Skala des Quantimeters wurde von mir eben derart angelegt,
daß 2 X beiläufig 1 H entsprechen.)
Diese Relation hat sich auch bei den späteren Prüfungen durch
mich und viele andere als im allgemeinen richtig erwiesen. Sie gilt nur
für den Durchschnitt der Fälle und vor allem für das am meisten ver-
wendete, mittelweiche Licht. Diese Lichtart dürfte auch bei Anferti-
gung der Skala des Chromoradiometers von Holzknecht und von „Ton B“
des Radiometers von Sabouraud-Noire& verwendet worden sein.
Es kommen nun von jener Relation sehr häufig kleinere oder größere
Abweichungen vor; und zwar ist dieses vor allem der Fall, wenn man ganz
andere Lichtarten (weiches oder hartes Licht) verwendet, aber auch wenn
man durchschnittlich mittelweiches Licht gebraucht. „Mittel-
weiches Licht“ ist nämlich nicht stets dasselbe, es ist ja nicht homogen,
sondern mit weichen und harten Strahlen gemischt und zwar mit wech-
selnder Zusammensetzung des Strahlenbündels.
Das erste Chromoradiometer von Holzknecht und das Quantimeter
vom Verfasser zeigen miteinander verglichen — zufolge einer ganz ver-
schiedenen Konstruktion der Reagenzkörper (Dicke der Schicht) — viel
Abweichungen von der Relation 5 H = 10 X. Aber auch wenn wir die
Angaben des Quantimeters und des Sabouraud-Noir6-Radiometers mit-
einander vergleichen, so finden wir häufig Abweichungen. Wenn man die
Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen, 701
Reagenzkörper beider bestrahlt, bis das Sabouraud-Noiré- Radiometer die
Maximaldose anzeigt, so findet man am Quantimeterstreifen nach der Ent-
wicklung nicht immer genau 10 X, sondern zuweilen 8 X und darunter,
‘ zuweilen 14 X und darüber.
Es handelt sich hier um das Ergebnis von Vergleichsversuchen, bei denen
Fehlerquellen möglichst vermieden wurden.
Stets wurde auf genaues Einhalten der richtigen Fokus-Distanz geachtet,
welche bei der Sabouraud-Noire-Pastille !/, so groß zu sein hat, als beim
Quantimeterstreifen.
Ebenso wurde dabei darauf geachtet, daß beide Reagenzkörper von gleich-
intensiven Teilen des Strahlenbündels getroffen werden, also gleich weit
rechts und links von der Symmetrie-Ebene der normalgestellten Röhre liegen
(„nebeneinander“, nicht „hintereinander“, verglichen mit der Richtung der
Röhrenachse).
Man könnte etwa noch glauben, daß Fehler in der Fabrikation oder An-
wendung des Sabouraud-Noire-Radiometers oder des Quantimeters: Schwan-
kungen der Empfindlichkeit der Scheibchen und Papierstreifen, Störungen
bei der Entwicklung der Streifen oder bei der Ablesung der Reagenzkörper
die Schuld an den wechselnden Ergebnissen der Versuche tragen. Dies alles
trifft aber für meine Versuche gewiß nicht zu.
Ähnliche Unstimmigkeiten ergeben sich beim Vergleich des Chromo-
radiometers von Bordier mit anderen Apparaten.
Bordier machte bei der ersten Lieferung seines Apparates Angaben
über die entsprechenden Dosenzahlen (in H-Einheiten) des ursprünglichen
Holzknechtschen Chromoradiometers:
Bordier-Grade. 2 2 2... | 0 I | II IlI | IV
Holzknechtsche Einheiten (H) | 31, | 5 | 7 | 13 | 22
Bei genauen Vergleichsversuchen mit mittelweichem Licht an dem
Bordierschen Radiometer und Quantimeter ergab sich mir aber z. B. das
folgende Resultat:
Bordier-Grade. . | 0 | I | II | n | IV
Kienböcksche Einheiten (X) . | 10; | 14 | 18 | 32 | 56
Es wären ja statt dessen die folgenden Zahlen zu erwarten gewesen:
7.10, 14, 26 und 44 X. Bei späteren Versuchen ergaben sich wieder
andere Zahlen; die Beziehung ist also keineswegs konstant.
Die Erklärung dieser Differenzen, dieser Uneinheitlichkeit der Re-
lation der einzelnen Radiometer untereinander liegt vor allem in der ver-
schiedenen Dicke der transparenten sensiblen Schicht der Reagenzkörper
und in der wechselnden Qualität des Röntgenlichtes. Dadurch resultieren
in den Reagenzkörpern nicht die gleichen Arten von Dosen; dieselben
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 45
702 Kienböck,
Reaktionsgrade (Gesamtdickendosen) können sich an den Reagenzkörpern
bei Zerlegung in Schichten bald durch diese, bald durch jene Verteilung
von Schichtdosen zusammengesetzt erkennen lassen, entsprechend Bestrah-
lung mit Licht von verschiedener Qualität.
Unterschiede in den Angaben müssen sich z. B. ergeben, wenn bei den Ver-
gleichsversuchen verschiedene Röntgenapparate (Induktoren, Gleichrichter,
Unterbrecher) verwendet werden, da daraus ganz verschiedene Stromkurven und
Lichtmischungen resultieren. Aber selbst bei Beibehaltung eines und desselben
einfachen Induktors und einfachen Quecksilber-Unterbrechers macht das Wechseln
der Quecksilberfüllung oder auch nur der Unterbrechungsgeschwindig-
keit, ferner ein Wechsel der Röhren — sei es mit Verwendung von Röhren der-
selben Type, aber verschiedenen Alters, oder mit Verwendung von diversen
Fabrikaten — für die Stromkurven und Lichtmischungen, daher auch für die
relativen Angaben der Radiometer verschiedener Art viel aus.
Es sind hier dieselben Erläuterungen am Platze wie oben beim Ver-
gleich von Radiometerdosen und Hautdosen. Wir wollen miteinander
vergleichen:
1. das 1 mm-Radiometer,
2. das 3 mm-Radiometer,
3. das 6 mm-Radiometer.
, Fig. 10.
Ausgangspunkt. Gemeinsame Bestrahlung von 3 Reagenzkörpern
verschiedener Radiometerarten mit mittelweichem Licht bis zu
einem gewissen Zeitpunkt, Signierung aller 3 Skalen an den
den 3 Färbungen entsprechenden Stufen mit „10 u“ „E. D“.
(Es stellt dieser Versuch den Ausgangspunkt der folgenden Versuche [Fälle 1—6
in Fig. 11—16] dar, in dem dort die ursprünglichen, beim „Versuch
Fig. 10“ signierten Skalen benutzt werden.)
1 mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer
Be Drehen un
Zerlegung in Schichten, Auflösung in Schichtdosen.
10 8
D ps
:| ei
coc vs E e
10 s = 10 d 278:3—=9d 48s:6=8d"
10 d = 10 u, E. D. 9d = 10 u, E. D. 8 d = 10 p, E. D.
Die Bedeutung von s und d ist hier dieselbe wie bei den frtiheren Figuren;
ferner ist wieder ersichtlich, daß die durchschnittliche Schichtdose bei den Rea-
genzkörpern der verschiedenen Radiometer ungleich ist und bałd 10, bald 9, bald
8 d beträgt, wenn bis „10 u“, „E. D.“ bestrahlt wird.
Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 703
Alle drei Instrumente tragen — von dieser Annahme wollen wir aus-
gehen — wenn man die Reagenzkörper gemeinsam mit „mittelweichem“
Licht bestrahlt, an den entsprechenden Stufen der Skalen dieselbe Sig-
nierung: „10 p“, „E.D.“.
Es ist nun in Fig. 10 unser Ausgangspunkt graphisch dargestellt; in
den folgenden Figuren sind besondere Fälle gezeichnet. Es sind dabei
stets die bei Bestrahlung mit Licht verschiedener Qualität resultierenden
Schichtdosen angegeben.
Fig. 11.
Fall 1. Gemeinsame Bestrahlung mit weichem Licht bis am
3mm-Radiometer „iO u“, „E. D.“ abgelesen wird.
1 mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer
Zerlegung in Schichten.
12 8
9 n
12 8 6„
p a; 5 >
In
12 s = 12 d 278:3 =9d 39 s : 6 = 6! d
12d >10d 9d = 10 u, E. D. 6!/ d < 8d
„ >œ 10 q, E. D. „n <10, E.D.
Ergebnis: zeigt mehr zeigt weniger
Fig. 12.
Fall 2. Gemeinsame Bestrahlung mit weichem Licht bis am
1 mm-Radiometer „10 u“, „E. D.“ abgelesen wird.
1 mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer
wip, DJ I |
Zerlegung in Schichten.
10 8
8.
| ei
msn (N m: s
10 s = 10d 238:3—=7%,d 328:6 = 5d"
10 d = 10 u, E. D. T3 d<d9 5p d< 8d
„ < 10 u, E. D. s» <10 u, E.D.
Ergebnis: zeigt weniger zeigt weniger
45*
704 Kienböck,
Fig. 18.
Fall3. Gemeinsame Bestrahlung mit weichem Licht bis am
6 mm-Radiometer „10 u“, „E. D.“ abgelesen wird.
1 mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer
10
zen Besen E. D.
Zerlegung in Schichten.
158
11 „
15 8 8.
EB ns ar; =— >
3.
lös=15d 348:3=11\,d 485:6=8d
15d > 10d 11!,d>9d 8 d = 10 u, E. D.
2» >œ>l0u, E.D.
Ergebnis: zeigt mehr zeigt mehr
Fig. 14.
Fall 4. Gemeinsame Bestrahlung mit hartem Licht bis am
3 mm-Radiometer „10 u“, „E. D.“ abgelesen wird.
1 mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer
10
Des Ceb, O
Zerlegung in Schichten.
98
vn
93 9,
u‘) E p.e Bi
“ 9,
9s =9d 278:3 =9d b4s:6=9d
9d < 10d 9d = 10 u, E. D. 9d>8d
» < 10u, E. D. „ >œ l0 qn, E. D.
Ergebnis: zeigt weniger zeigt mehr
Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 705
Fig. 15.
Fall 5. Gemeinsame Bestrahlung mit hartem Licht bis am
1 mm-Radiometer „10 u“, „E. D.“ abgelesen wird.
l mm-Radiometer : 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer
geb, I] I |
Zerlegung in Schichten.
10 r
10 „
: Ei
CO 008 — w”
10s =10d 30 s:3 =10d 60s:6=10d ”
10 d = 10 u, E. D. 10d >9d 10d >8&d
„>10u E. D. „>10u E.D.
Ergebnis: zeigt mehr zeigt mehr
Fig. 16.
Fall 6 Gemeinsame Bestrahlung mit hartem Licht bis am
6 mm-Radiometer „10 u“, „E. D.“ abgelesen wird.
l mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer
10
zn [|] | E. D.
Zerlegung in Schichten.
; 88
8„
ei
yes u: 8»
8s = 8d 248:3—8d 835:6—= Bd
8sd<10d 8d< 9d 8d = 10 u, E. D.
» < 10u, E. D. » < 10u, ED.
Ergebnis: zeigt weniger zeigt weniger
706 Kienböck,
Sobald man also von dem —- entsprechend unserer Annahme für
die 3 Radiometer vorgeschriebenen — mittelweichen Licht abgek:.
so stimmen die Angaben der Instrumente miteinander nicht mehr überein.
Verwendet man weiches Licht
und bestrahlt bis das 3 mm-Radiometer 10 u. „E. D. anzeiz
(Fall 1) ; so zeigt das 1 „ j mehr
a a a Ooa 5 weniger
bestrahlt man bis das 1 mm-Radiometer 10 u „E. D.* anzr
(Fall 2) , so zeigt „ 3 y 5 weniger
i „ „ „ 6 + 33 weniger
bestrahlt man bis das 6 mm-Radiometer 10 u „E.D.“ anzeiz
(Fall 3)| so zeigt „ 1 , 5 mehr
„ „ „ 3 2 T mehr
Verwendet man hartes Licht
und bestrahlt bis das 3 mm-Radiometer 10 p „E. D.“ anzeiz
(Fall 4) | so zeigt „ 1 „ b weniger
„ a3 39 6 „ „ mehr
bestrahlt man bis das 1 mm-Radiometer 10 p „E. D.“ anzeigt
(Fall 5)| so zeigt ” 3 „ „ mehr
„nm 6 y, „ mehr
bestrahlt man bis das 6 mm-Radiometer 10 u „E. D.“ anzeiz
(Fall 6) | so zeigt „ 1 „ z weniger
ae aa aa O a 5 weniger
Nimmt man also trotz der Vorschrift, nur mittelweiches
Licht zu verwenden, weiches Licht, so zeigt ein Radiometer
mit dickerer sensibler Schicht des Reagenzkörpers stets weniger
Licht, i.e. eine kleinere Dose an als ein Radiometer mit dün-
nerer sensibler Schicht des Reagenzkörpers.
Nimmt man dagegen hartes Licht, so zeigt ein Radiometer m:
dickerer sensibler Schicht des Reagenzkörpers mehr an als ein Radio
meter mit dünnerer Reagenzschicht.
Ebenso würden sich Differenzen in den Dosenangaben der verschie-
denen Radiometer — und daher auch in der Bedeutung der Dosenzaller:
für die Haut — ergeben, wenn die Radiometer durchweg für weiche:
(oder für hartes) Licht angefertigt wären, man sie aber nicht bei
dieser Lichtqualität anwenden würde.
Natürlich werden auch ähnliche Schwierigkeiten vorhanden sein. wen!
jedes Radiometer für eine andere Lichtqualität:
das Weichradiometer für weiches,
das Mittelradiometer für mittelweiches,
das Hartradiometer für hartes Licht
u ne un
Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 707
hergestellt wäre, man nun aber nicht die vorgeschriebene Lichtqualität
verwendete.
Ich habe bei den Auseinandersetzungen 3 spezielle Lichtqualitäten,
eine gewisse Art von weichem, von mittelweichem und von hartem Licht
angenommen. Ähnliche, wenn auch etwas differente Resultate würden sich
ergeben, wenn man andere Lichtarten, bzw. Lichtmischungen (siehe
weiter unten) gebrauchen wollte, die durchschnittlich weich, mittelweich
oder hart sind.
Anwendung auf die gebräuchlichen Radiometer.
Man kann die gebräuchlichen Radiometer nur schwer in unserem
Sinne klassifizieren, es dürfte sich hier etwa wie folgt verhalten:
das Quantimeter .... ein 1 mm-Radiometer,
das Sabouraud-Noirösche Radiometer
das Bordiersche Ohromoradiometer
das Chromoradiometer von Holzknecht 1902,
die letzten Modelle des Schwarzschen Ka-
lomelradiometers und Freundschen
Jodradiometers,
| ein 2 mm-Radiometer,
ein 3 mm-Radiometer,
die ersten Modelle des Schwarzschen Ka-
lomelradiometers und des Freundschen \ ein 6 mm-Radiometer.
Jodradiometers
Diese Rubrizierung ist übrigens nur approximativ gedacht; so stehen
wahrscheinlich das Quantimeter und das Sabouraud-Noir&sche
Radiometer einander näher. Eine genauere Rubrizierung ist nicht möglich,
da das spezifische Gewicht der sensiblen Schicht der Reagenzkörper und
die Tiefe, bis zu welcher das die Färbung prüfende Auge eindringt, nicht
genau präzisiert werden können.
Aus dem verschiedenen spezifischen Gewicht und aus der verschiedenen
Schichtdicke der Reagenzkörper aller dieser Radiometer geht aber sicher
hervor, daß, wenn die beiläufige Relation ihrer Dosenangaben für mittel-
weiches Licht bekannt ist, diese keineswegs auch für ganz andere Licht-
arten, für weiches und für hartes Licht gelten kann.
Es wurde für mittelweiches Licht angenommen:
1 Sabouraud-Noiröd-Maximaldose = 10 X des Quantimeters =
ö H des Chromoradiometers Holzknecht 1902.
Bei weichem Licht zeigt bei 1Sabouraud-Noir6- Maximaldose
das Quantimeter mehr als 10 X, das Chromoradiometer weniger als 5 H.
Bei hartem Licht zeigt bei 1 Sabouraud-Noir6-Maximaldose
708 Kienböck,
das Quantimeter weniger als 10 X, das Chromoradiometer Holzknecht
1902 mehr als 5 H.
Eine weitere Komplikation ist aber dadurch gegeben, daß das Licht,
das wir verwenden, nicht homogen ist, sondern gemischt ist und noch
dazu bald aus dieser, bald aus jener Mischung von Strahlen besteht, ohne
daß wir die Art der Mischung genau eruieren können.
D. Über die Statthaftigkeit eines Ersatzes aer Angaben
eines bestimmten Radiometers durch Umrechnung auf die
erwarteten Zahlen eines anderen Radiometers.
Man ist imstande, eine Röhre durch eine bestimmte Belastung und
unter Kontrolle des Milliamperemeters durch einige Zeit in konstante
Funktion zu setzen, allerdings meist nur während einiger Minuten, selten
durch mehrere Stunden, und zwar zuweilen auch bei wiederholter Benützung
an aufeinanderfolgenden Tagen. Hat man die Röhre anfangs mit einem
Radiometer „ausdosiert‘, so kann man nun das Radiometer für einige
Zeit beiseite lassen und einfach mit Berücksichtigung der Ent-
fernung der Röhre von der Haut und Zeit der Belichtung
zu dosieren versuchen (vgl. meine Minutentabellen). Doch ist ein
derartiger Röhrenbetrieb sehr schwierig und das ganze Verfahren recht .
ungenau; schon kleine Änderungen im Härtegrad der Röhre und in der
„Belastung“ derselben bringen eine bedeutende Änderung der Lichtstärke
mit sich. Man wird die Röhre ab und zu mit dem Radiometer kontrollieren
müssen; erweist sich die Röhre stets als gleich wirksam, so kann man mit
einem gewissen Recht aussagen, mit Verwendung einer bestimmten Ent-
fernung und Expositionszeit eine gewisse Zahl von Radiometer-Einheiten
appliziert zu haben. (Bloße Angaben über die physikalischen Umstände
bei der Verwendung der Röhre haben an sich keinen Wert.)
Manche Autoren glauben nun aber weiterhin, die Angaben eines
Radiometers einfach nach einer bekannten Relation (siehe oben) in die
Einheiten eines anderen Radiometers umrechnen und so die Angaben
des ersten Radiometers durch Dosenzahlen des zweiten Radiometers er-
setzen zu können. Man hat z. B. einer Körperstelle mit dem Sabou-
raud-Noiröschen Radiometer eine Maximaldose verabreicht und glaubt
nun statt dessen auch sagen zu dürfen, 5 H oder 10 X appliziert zu haben.
Das ist nach unserer obigen Ausführung nicht berechtigt.
Wenn man die im Laufe längerer Zeit einer Körperstelle gegebenen Dosen
summiert, würde eine Umrechnung natürlich zu sehr weit auseinander liegenden
Zahlen führen. Ich nehme an, man hätte einer Körperstelle 20 Sabouraud-
Noire-Dosen gegeben und würde meinen: 20x10 = 2% X appliziert zu haben.
Würde man aber durch einen Versuch die unter den gegebenen Umständen der
Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 709
Sabouraud-Noire-Dose entsprechende Dosenzahl am Quantimeter bestimmen,
so würde man vielleicht nicht 10 X, sondern 14 X finden. Man hätte also der
Region nicht 200 X, sondern 20 x 14 = 280 X appliziert.
Man darf umgerechnete Angaben erst dann machen, wenn man eine
bei bestimmter Belastung konstant funktionierende Röhre verwendet und bei
dieser bereits Vergleichsversuche mit beiden Radiometern angestellt hat.
Wie gesagt, behält aber eine Röhre meist ihre ursprüngliche Qualität nicht
lange bei, es ist daher das ganze Vorgehen ungenau.
E. Vorschläge für die Anwendung und Neukonstruktion
von Radiometern in Zukunft.
Um unabhängig von der verwendeten Lichtqualität mit einem Radio-
meter verschieden dicken Hautstellen die entsprechenden Hautdosen zu geben,
könnte man daran denken, in Zukunft bei Radiometern die Reagenz-
körper (die sensible Schicht) in mehreren Dicken herstellen zu lassen,
was bei transparenten Lackpastillen und vor allem bei Eprouvetten mit
Hüssigem Reagens möglich wäre, z. B. Reagenzkörper in der Dicke von 1, 2
und 3 mm (bzw. von einer Dicke, welche einer 1, 2 und 3 mm dicken
Wasserschicht äquivalent ist). Die dünnen Reagenzkörper würden für Dosen-
messung an dünner Haut, die mittleren für mittlere, die dicken für dicke
Haut dienen. Für alle drei Dicken von Reagenzkörpern wären eigene
Skalen herzustellen mit Angabe der Höhe für „Erythemdose* des Er-
wachsenen.
Wie ersichtlich, wäre aber die Konstruktion eines solchen Radiometers
kompliziert, umsomehr als für möglichste Exaktheit auch noch die ver-
schiedene Dicke der Hornschicht der Epidermis an diversen Haut-
stellen durch entsprechend dicke Deckhüllen an der sensiblen Schicht
der Reagenzkörper zu berücksichtigen wäre. Glücklicherweise kann man
in der Praxis ohne derartige Einrichtungen auskommen.
Bei dem Quantimeter mit seiner dünnen sensiblen Reagenzschicht
könnte man den genannten Zweck leichter erreichen, z. B. wie folgt vor-
gehen: bei dicker Haut (mit einem etwa 3 mm dicken Korium und ganz
dünner Epidermis) legt man auf einen Teil des Reagenzpapieres einen
Hauttiefenmesser auf, am besten eine Aluminumtreppe mit 3 Stufen:
Yo 2/10 und ?/1 Al, und mißt so beiläufig die 1 mm-, 2 mm- und 3 mm-
Tiefendose. Das Mittel gibt die durchschnittliche Dose an; auf diese Weise
unterscheidet man aber auch noch die einzelnen Hautschichtdosen vonein-
ander und geht dabei genauer vor, als es bei einem Flüssigkeitsradiometer
möglich ist.
Auch die verschiedene Epidermisdicke (Hornschicht) kann bei dem
Quantimeter leicht berücksichtigt werden. Es entspricht die doppelte Papier-
710 Kienböck, Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung usw.
hülle der Reagenzstreifen beiläufig einer mitteldicken Epidermishornschicht.
Bei Bestrahlung von Körperstellen mit dicker Epidermis (Handteller.
namentlich Fußsohle) ist der Reagenzstreifen und zwar in toto mit einer
entsprechend dicken Pappdeckellage oder entsprechend dünnen Aluminium-
schicht zu bedecken.
Alle diese Maßnahmen wären aber ganz unnötig, wenn
man ausschließlich mit homogenem, äußerst hartem Röntgen-
licht arbeiten könnte. Die Skalen der Radiometer wären für diese
Lichtqualität anzufertigen und biologisch auszuwerten; bei entsprechendem
spezifischem Gewicht der sensiblen Schicht der Reagenzkörper würden
die Reagenzdosen stets genau den wirklichen Hautdosen ent-
sprechen, welche Dicke immer die Reagenzkörperschicht besitzen möge:
es wäre auch zur Imitation der Hornschicht der Haut keine Deckhülle
auf den Reagenzkörpern notwendig. Und endlich wäre auch die Relation
der Dosenangaben der diversen Radiometerarten eine ganz fixe.
Vorläufig sind wir aber noch nicht in der Lage, in der Praxis aus-
schließlich mit homogenem, äußerst hartem Licht zu arbeiten.
Ein Kasten zur Entwicklung der Kienböckfilms bei
Tageslicht.
Von
Professor Dr. 0. Polano, Würzburg.
(Mit 1 Abbildung.)
D" Möglichkeit, die Kienböckstreifen eines Quadrates zu entwickeln,
während das nächstfolgende bestrahlt wird, hat zunächst einmal den
Vorteil, daß wir sofort während der Bestrahlung ein ergänzendes Bild
der Intensität der Dosis und der Härte der verwendeten Röhre bekommen;
außerdem ist es sicherlich angenehm, während der Bestrahlungszeit
beiläufig eine Arbeit zu erledigen, die hinterher, für sich ausgeführt, nicht
gerade zu den angenehmsten gehört. Vorbedingung für eine derartige
Doppelarbeit, Röntgenbestrahlung und gleichzeitige Filmentwicklung, ist
die Möglichkeit der Entwicklung bei Tageslicht mit gleichzeitiger Be-
dienung des Röntgenapparates (etwaiges Ausschalten des Stromes, Fern-
gasregulierung). Infolgedessen ist es unbedingt nötig, daß die eine Hand
des Arztes für die Bestrahlungsarbeit frei bleibt. Beifolgend skizzierter
Apparat ermöglicht in sehr bequemer und einfacher Weise die Entwick-
lung der Films bei Tageslicht mit einer Hand. Derselbe ist aus schwarzem
Pappkarton gearbeitet, hat eine Breite, die dem bekannten Metallgestell
mit vier Glaseprouvetten (in der Skizze punktiert gezeichnet) entspricht.
Er besteht aus einem abhebbaren Deckel A, der oben und an drei Seiten
mit Rubinglasfenstern g versehen ist; an der vierten Seite hat er eine
runde Öffnung r, die mit einem schwarzen Ärmel h gedichtet, ein Ein-
führen der Hand in das Kasteninnere ermöglicht. Bei d ist endlich. noch
ein dachförmiger Aufsatz, der die Spiegelung des im Deckel oben ange-
brachten Glases g’ aufhebt. Der Boden, von Rechteckform, hat eine
Tiefe von 14 cm und besteht aus einer nach der Ärmelseite zu gelegenen
Pappbank b zum Aufstützen der Hand und einer dahinter gelegenen
Nische, die mit Wachsstoff ausgekleidet, zur Aufnahme des Metallgestelles
dient. Der Ärmel wird nach außen hin durch einen Gummizug verengt.
Bei künstlicher Beleuchtung, die vor diesem Apparat aufgestellt wird oder
bei Tageslicht gelingt es nun, die eingeführte Hand und den Metallsatz
gut zu übersehen. Die Handhabung erklärt sich von selber; nur möchte
ich darauf aufmerksam machen, daß es sich empfiehlt, den Film vor Ein-
führen in das Ärmelstück von seiner äußeren Hülle zu befreien, was in
der trockenen, geschlossenen Hand sehr leicht unter Lichtabschluß ge-
lingt. Die zweite schwarze Hülle des Films wird im Ärmelstück, nicht
712 Polano, Kasten zur Entwicklung des Kienböckfilms bei Tageslicht.
im Kasten entfernt, indem die äußere Hand die Filmumkleidung durch
den Ärmel hindurch faßt, während die innere Hand den Film selber heraus-
zieht. Bei allen übrigen Manipulationen ist, wie gesagt, nur eine Hand
beschäftigt, die andere ist stets für die Bedienung des Röntgenapparats
zur Verfügung. Der kleine Apparat!) hat sich mir in letzter Zeit als prak-
tisch und zeitersparend erwiesen.
ı, Derselbe ist bei der Buchbinderei von P. A. Schmitt- Würzburg, Ecke
Theaterstraße, zum Preis von 6 Mark erhältlich.
EEE R. g a Oor B, G, ER BAD y EE D AE e aaa A AA a
(Aus dem Physikal. Staatslaboratorium zu Hamburg.)
Die Röntgenschutzwirkung des Bleies und einiger
anderer Stoffe.!)
Von
Prof. Dr. B. Walter.
ls Schutzmaterial gegen Röntgenstrahlen hat man von jeher in erster
Linie das Blei. benutzt; denn auch die außer dem metallischen Blei
sonst noch existierenden Schutzstoffe, wozu ja vor allem die Schutzgläser
und die Gummischutzstoffe gehören, verdanken ihre Schutzwirkung so gut
wie ausschließlich dem darin enthaltenen Blei, das darin in der Form seines
Oxyds enthalten ist. Will man daher die Schutzwirkung irgendeiner Stoff-
schicht zahlenmäßig angeben, so empfiehlt es sich, als Vergleichsstoff hierbei
das Blei zu benutzen, wie ich dies auch schon seit einer Reihe von Jahren
bei derartigen Prüfungen stets getan habe. Man hat dann zu dem ge-
nannten Zweck nur diejenige Bleidicke zu ermitteln, welche die gleiche
Durchlässigkeit für Röntgenstrahlen hat wie die zu untersuchende Schicht,
eine Aufgabe, die sich verhältnismäßig einfach lösen läßt, und auf die ich
auch weiter unten noch etwas genauer eingehen werde. Zuvor scheint es
jedoch wünschenswert, die absolute Schutzwirkung des Bleies selbst kennen
zu lernen oder mit anderen Worten die Frage zu erledigen, wie groß der
Prozentsatz ist, welcher von der Wirkung einer bestimmten Röntgenstrahlung
nach ihrem Durchgang durch Bleischichten verschiedener Dicke noch
übrig bleibt. |
Hierzu ist nun allerdings zu bemerken, daß dieser übrigbleibende
Prozentsatz nicht bloß von der Beschaffenheit der zur Messung benutzten
Röntgenstrahlung — und zwar natürlich vor allem von ihrem Durch-
dringungsvermögen — abhängt, sondern ferner auch von der Art der
Wirkung der Strahlung. Jene übrigbleibende Wirkung würde nämlich
z. B. eine ganz verschiedene werden, wenn man bei diesen Versuchen zur
Messung einerseits die erythemerregende Wirkung der Strahlen auf die
menschliche Haut und andererseits ihre färbende Wirkung auf das Barium-
platinzyanür benutzen würde. Denn wenn auch diese beiden Wirkungen
bei Anwendung der direkten Strahlung der Röhre und bei Innehaltung
eines bestimmten Härtegrades derselben ziemlich genau parallel miteinander
gehen, wie ja die allgemeine Anwendung der Sabouraud-Pastille in der
ı) Vortrag, gelialten auf dem Röntgenkongreß 1913.
714 Walter,
Strahlentherapie beweist, so folgt doch aus den neuerdings auf diesem G>
biete angestellten Versuchen mit gefilterten Strahlen, daß die durch eın
nicht zu dünnes Metallblech hindurchgegangenen Röntgenstrahlen im Ver-
gleich zu den direkten relativ sehr viel schwächer auf die Haut wirken si-
auf das Bariumplatinzynür.
In diesem Sinne haben also auch meine jetzt mitzuteilenden Versuct-
zur Bestimmung der absoluten Größe der Absorption der Röntgenstratier
in verschieden dicken Bleischichten nur einen relativen Wert. Bei den-
selben wurde stets eine Strahlung von der Härte 5 Benoist-Waiter
(= 6 Benoist = 8 Wehnelt = 7 Walter) benutzt, da diese in der Prax::
wohl am. meisten verwandt wird, und als Wirkung der Strahlung ferner
diejenige auf die photographische Platte. Es wurde nämlich für jeden
Versuch eine solche Platte zunächst in zwei Hälften zerschnitten. un!
dann die eine Hälfte a durch die zu untersuchende Bleischicht hindurch
aus 40 cm Abstand eine gewisse Zeit lang, die andere Hälfte b dagegen
aus 2—4 m Abstand ohne Bleivorlage in verschiedenen Abteilungen ver-
schieden lange bestrahlt. Beide Hälften wurden dann zusammen entwickelt
usw. und schließlich bei den fertigen Platten diejenige Stufe in b ermittelt.
welche ebenso stark geschwärzt war wie a. Aus den zugehörigen B-
strahlungszeiten und Abständen ergab sich dann das gesuchte Verhältnis
der Wirkung der von der betreffenden Bleischicht durchgelassenen Strahluns
zu der der direkten, wobei allerdings wegen der großen Abstandsunterschiede
der beiden Plattenhälften auch noch die Absorption der Strahlen in der
dazwischen liegenden Luftschicht mit zu berücksichtigen war. die durch
besondere Versuche ermittelt wurde. Schließlich sei noch erwähnt. dad bei
allen diesen Versuchen, um sekundäre Strahlungen nach Möglichkeit aus-
zuschließen, nicht bloß die Röntgenröhre allseitig von einem Kasten aus
Gummischutzstoff umgeben war, sondern daß auch die jeweilig untersuchte
Bleischicht sich stets in 20 cm Abstand vor der Plattenhälfte a befanıl
— nämlich unmittelbar hinter der Austrittsöffnung der Strahlen aus dem
genannten Röhrenkasten.
In der Tabelle I sind nun die auf ganze Vielfache von 0,1 mm Bir
abgeglichenen Ergebnisse dieser Versuche angegeben: und zwar befindet
sich darin in der ersten Horizontalreihe die mit d bezeichnete Dicke der
Bleischicht in Millimetern. in der zweiten ferner der 1000 fache Wert des
in oben beschriebener Weise bestimmten Verhältnisses aus der durch-
gelassenen Intensität J und der auffallenden J,. Im der letzten Horizontal-
reihe endlich ist der zu der betreffenden Dicke zugehörige Absorptions-
koeftizient x angegeben. der aus der Formel J=J,e” 4 berechnet wurd:.,
worin e die Basis des natürlichen Logarithmensystems bedeutet und d wie
üblich in Zentimeter ausgedrückt ist.
mini
nn 5 tn eoo-
EEE er e E i
Röntgenschutzwirkung des Bleies und einiger anderer Stoffe. 715
Tabelle I.
Absolute Schutzwirkung des Bleies gegen Röntgenstrahlen von der Härte
5 BW.
d 01 102 los |o5 lo |ıo | ı5 | 20mm
1000 J/J,ı 68 | 12 | 37 | 09 | 04 | 0,16 | (0,06)! (0,05)
a | 27 220 | 185 | 140 |112 | 87 | (65) | (50
Aus der Tabelle ergibt sich nun z. B., daß eine Bleischicht von 0,1 mm
Dicke noch 6.3 Proz. der hier zur Untersuchung benutzten Röntgenstrahlung
durchläßt, eine solche von 0,5 mm Dicke aber schon weniger als 1 pro
Mille und eine solche von 1,0 mm nur noch 0,16°/,,. Man sieht daraus,
daß die Schutzwirkung des Bleies durchaus nicht etwa proportional der
Schichtdicke geht; und wenn ich daher weiterhin, um mich einfacher aus-
drücken zu können, die Schutzwirkung einer Bleischicht von 1 mm Dicke
als „Schutzeinheit‘‘ bezeichne, so möchte ich gleich hier betonen,
daß dieser Ausdruck nicht etwa zu der Annahme verleiten darf, daß
nun z. B. eine Bleischicht von 2 mm einen Schutz von zwei Schutzein-
heiten und eine solche von !/,, mm einen Schutz von !/,, Schutzeinheiten
gewährt. Denn das würde eben eine Proportionalität zwischen der Dicke d
und dem durchgelassenen Bruchteil J/J, bedingen, was, wie die Tabelle I
zeigt, durchaus nicht der Fall ist.
Ein genaues Gesetz für die Absorption der Röntgenstrahlen in irgend-
einem Stoffe existiert vielmehr, wie wir wissen, überhaupt nicht, sondern
man kann dieselbe höchstens angenähert durch die bereits angeführte
Gleichung J= Jye «4 darstellen, worin also « dem Absorptionskoeffizienten
der Optik entspricht, jedoch nicht wie hier einen für alle Dicken des in
Frage stehenden Stoffes konstanten Wert besitzt, sondern mit zunehmender
Dicke des letzteren immer kleiner wird. Mit anderen Worten heißt dies
bekanntlich, daß die Röntgenstrahlen ein um so größeres Durchdringungs-
vermögen zeigen, je tiefer sie in einen Stoff eindringen; und diese als das
Röntgensche Absorptionsgesetz bezeichnete Tatsache gilt nun, wie die
Tabelle I zeigt, auch für das Blei. Für uns Röntgenologen hat dies die
unangenehme Bedeutung, daß die Schutzwirkung des Bleies mit zunehmen-
der Dicke immer geringer wird.
Besonders stark tritt dies hervor, wenn wir z. B. die Absorption der
Strahlung in den beiden aufeinanderfolgenden Hälften einer beliebigen
Schichtdicke betrachten. So schwächt z. B. das erste Millimeter einer
2 mm dicken Bleischicht die Strahlung nach Tabelle I auf etwa 1/60, das
zweite dagegen nur noch auf etwa !/,, und die Abnahme der Schutzwirkung
ist also hier geradezu eine rapide.!) Mit der Bleidicke noch weiter als
1) Die in den letzten beiden Spalten der Tabelle I enthaltenen Werte von
716 Walter,
2 mm zu gehen, erscheint daher nach diesen Versuchen wenig zweckmäßig:
und es bleibt also zur Erreichung eines noch größeren Schutzes nichts an-
deres übrig, als sich stets in möglichst großer Entfernung von der Röhre
aufzuhalten.
Es scheint allerdings noch eine andere Möglichkeit eines größeren
Schutzes zu geben. Denn wie uns die Benoistsche Härteskala zeigt, hat
z. B. das Silber die Eigenschaft, daß seine Durchlässigkeit relativ zum
Aluminium um so geringer ist, je größer die Härte der in Frage kommen-
den Röntgenstrahlung wird, und da nun nach früheren Versuchen von mir
das Blei in dieser Beziehung dem Alumium nahe steht, so schien mir die
Erwartung gerechtfertigt, daß das Silber und die ihm atomistisch nahe
stehenden Metalle sich auch hinsichtlich ihrer Schutzwirkung gegen harte
Röntgenstrahlen günstiger verhalten als das Blei. Dies ist nun auch, wie
die in der folgenden Tabelle II mit verschieden dicken Platten aus Silber
und Zinn angestellten Versuche beweisen, tatsächlich der Fall.
Ehe ich jedoch auf die Ergebnisse dieser Tabelle etwas näher eingehe,
möge zunächst, da wir es hier — im Gegensatz zu den Messungen in
Tabelle I — zum erstenmal mit relativen, d. h. auf unseren oben ge-
wählten Vergleichsstoff Blei bezüglichen Messungen zu tun haben, kurz
das dabei benutzte Verfahren beschrieben werden.
Die Aufgabe besteht hierbei einfach darin, diejenige Bleidicke zu er-
mitteln, welche für Röntgenstrahlen dieselbe Durchlässigkeit besitzt wie
die zu untersuchende Stoffschicht. Diese Aufgabe läßt sich nun zwar so-
wohl röntgenographisch wie auch röntgenoskopisch erledigen, der letztere
Weg ist jedoch der weitaus einfachere; denn es genügt dabei ein Blick
auf den Leuchtschirm, um die gleich durchlässige Bleischicht zu finden.
Insofern allerdings haftet den Versuchen dieser Art eine gewisse Schwierig-
keit an, als es sich hierbei meist um sehr wenig durchlässige Schichten
handelt und daher die Helligkeit des Schirmbildes nur eine sehr geringe
ist. Deswegen muß man dann auf das sorgfältigste darauf achten, dab
der Durchleuchtungsschirm weder von irgendwelchem fremden Licht noch
auch von irgendwelcher fremden Röntgenstrahlung getroffen wird. Dazu
ist es zunächst notwendig, die Röntgenröhre, deren Härte übrigens hierbei
möglichst groß sein muß, in einen sie allseitig licht- und röntgenstrahlen-
dicht umschließenden Kasten zu setzen, der nur mit einer — womöglich
verstellbaren — Öffnung zum Durchlaß des für die Untersuchung benutzten
Strahlenbündels versehen ist. Diese Öffnung wird ferner, wenn es sich
un durchsichtige Gegenstände wie Bleiglas handelt, zunächst mit einem
durch Extrapolation aus den übrigen ermittelt und deswegen in Klammern
gesetzt.
Röntgenschutzwirkung des Bleies und einiger anderer Stoffe. 717
Stück schwarzer Pappe verdeckt, um auch das gewöhnliche Licht der Röhre
abzublenden, und dann werden hinter die eine Hälfte der Öffnung die zu
untersuchende Platte und hinter die andere nacheinander Bleiplatten von
„verschiedener Dicke angebracht, jedoch so, daß diese letzteren jene Platte
zum Teil überdecken, damit nicht zwischen beiden hindurch irgendwelche
Strahlung aus dem Kasten nach außen gelangen kann.
Hinter den beiden zu vergleichenden Platten kommt dann der Leucht-
schirm und hinter diesem — zum Schutz der Augen des Beobachters —
noch eine oder mehrere Platten aus Bleiglas. Die Dicke der Bleiplatte
ist natürlich bei diesen Versuchen jedesmal so lange zu variieren, bis das
hinter ihr gelegene Stück des Leuchtschirmes ebenso hell erscheint wie
das hinter der zu untersuchenden Platte gelegene Stück. Wenn sich dies
mit den vorhandenen Bleidicken nicht ganz erreichen läßt, so hat man
natürlich aus den beiden nächstgelegenen Dicken zu interpolieren.
Will man ferner das in dieser Weise erhaltene Resultat auch rönt-
genographisch bestätigen, so bedeckt man die eine Hälfte einer photo-
graphischen Platte mit dem zu untersuchenden Schutzstoff und die andere
mit einer Skala, die man sich jedesmal erst besonders durch Aufeinander-
legen mehrerer gleich breiter aber verschieden langer Bleistreifen von je
0.1 mm Dicke zusammenstellt. Liegt z. B. die gleich durchlässige Blei-
dicke zwischen 0,5 und 0,6 mm, so wird man sich eine Bleiskala von vier
Stufen bauen, deren Felder etwa eine Dicke von 0,4, 0,5, 0,6 und 0,7 mm
haben. Diese Skala wird dann zusammen mit dem Prüfstück röntgeno-
graphisch aufgenommen, wobei aber wieder sorgfältig darauf zu achten’ ist,
daß die photographische Platte weder von vorn noch von hinten her durch
irgendwelche fremden Licht- oder Röntgenstrahlen getroffen wird.
Was nun aber meine in der oben beschriebenen Weise angestellten und
in der Tabelle II enthaltenen Versuche mit verschieden dicken Platten
aus Silber und Zinn angeht, so bedeutet von den vor den einzelnen
Zahlenreihen dieser Tabelle stehenden Buchstaben d die Dicke der be-
treffenden Silber- bzw. Zinnschicht und d’ ferner die dazugehörige gleich
durchlässige Bleischicht. Beide sind in mm ausgedrückt. In der letzten
Zahlenreihe der Tabelle ist dann noch die aus diesen beobachteten Werten
d und d‘ berechnete Verhältniszahl d'/d angegeben, die man passend als
die „relative Schutzwirkung* der betreffenden Silber- bzw. Zinnschicht
bezeichnet, wobei also das Wort relativ bedeutet, daß hierbei das Blei
als Bezugsstoff genommen ist.
Die Tabelle II zeigt nun tatsächlich, daß die relative Schutzwirkung
sowohl beim Silber als beim Zinn um so größer ist, je größer die Schicht-
dicke genommen wird. Beim Zinn allerdings bleibt d’/d stets kleiner als 1.
beim Silber dagegen wird es von d=0,4 nım an größer als 1, d. h. Silber-
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 46
18 Walter,
platten, deren Dicke > 0,4 mm ist, sind für Röntgenstrahlen von der
Härte 5 BW undurchlässiger als gleich dicke Bleiplatten.
Tabelle ID.
Relative Schutzwirkung des Silbers und Zinns.
1. Silber:
a |010 |020 |030 |040 |050 |060 | 0,80 | 100 | mm
d’ | 0.075] 0,17 | 0,28 |040 | 053 | 065 !oss | 1,08 | „
d‘/d | 0,75 | 0,85 | 0,93 | 1,00 | 1,06 | 1,08 | 1,10 | 1,08 |
2. Zinn:
d 0,20 | 0,40 | 0,80 | 1,20 | 1,60 | mm
a |010 | 0,24 | 0,58 |098 |138| ,,
d‘/d | 0,50 | 0,60 | 0,73 | 0,82 | 0,86 |
Hiernach steht also, wenn man bei dickeren Schichten dieser Metalle
die Schutzwirkung gleich dicker Schichten in Betracht zieht, das Silber an
erster und das Zinn an letzter Stelle. Demgegenüber tritt nun jedoch
das Zinn an die erste und das Blei an die letzte Stelle, wenn man nicht
die Dicke, sondern das Gewicht gleich gut schützender Schichten der
drei Metalle berücksichtigt. Denn da z. B. í mm Blei nach der Tabelle II
gleich durchlässig mit 0,92 mm Silber und mit 1,22 mm Zinn ist, so er-
gibt sich, da die spezifischen Gewichte der drei Metalle bzw. 11,3, 10,5
und 7,3 sind, das Gewicht von í qcm der „Schutzeinheit‘“ in Blei zu
1,13, in Silber zu 0,97 und in Zinn zu 0,89 g. Leider ist aber der Preis
des Zinns etwa zehnmal so hoch wie der des Bleies, so daß deswegen das
erstere als Schutzinaterial gegen Röntgenstrahlen doch wohl stets nur eine
beschränkte Anwendung finden dürfte, so sehr es auch seiner Sauberkeit
und Giftfreiheit wegen dem Blei vorzuziehen wäre. Zweckmäßig dürfte es
aber sein, das Blei beiderseits mit etwa 0,2 mm Zinn zu überziehen, da
man dann durch den Überzug Giftfreiheit und Schutzwirkung miteinander
verbindet.
Als eine besonders interessante Anwendung der Ergebnisse der
Tabelle II sei hier noch folgender Versuch erwähnt. Wenn man sich
z. B. zwei Zinnplatten von je 0,4 mm Dicke und zwei Bleiplatten von je
0,26 mm Dicke verschafft und dann zunächst eine der beiden Zinnplatten
mit einer der beiden Bleiplatten auf Durchlässigkeit vergleicht, so wird
man finden, daß die Bleiplatte die größere Absorption ausübt, hält man
jedoch beide Zinnplatten neben beide Bleiplatten, so erweist sich um-
gekehrt das Zinn als das stärker absorbierende. Das sonderbare Verhalten
der beiden Metalle bei diesem Versuch hat ja eine gewisse Ähnlichkeit mit
dem des Silbers und des Aluminiums bei der Benoistschen Härteskala,
Röntgenschutzwirkung des Bleies und einiger anderer Stoffe. 719
aber das erstere ist doch noch überraschender als das letztere, weil es sich
dabei ja stets um die Strahlen derselben Röntgenröhre handelt.
Zu den in Tabelle II angegebenen Versuchen sei schließlich noch er-
wähnt, daß dieselben auch ein gewisses theoretisches Interesse haben, in-
sofern z. B. daraus hervorgeht, daß bei größeren Schichtdicken die auf
gleiche Schichtdicke bezogene Absorption beim Silber größer ist als beim
Blei, trotzdem sowohl das Atomgewicht als auch das spezifische Gewicht
bei letzterem erheblich höher ist als bei ersterem. Offenbar absorbiert also
das Silberatom trotz seines erheblich kleineren Atomgewichtes die in Frage
kommende harte Röntgenstrahlung stärker als das Bleiatom.
An dritter Stelle habe ich dann noch über einige Versuche über die
relative Schutzwirkung verschiedener Glassorten zu berichten, die in der
nachfolgenden Tabelle III zusammengestellt sind. Diese Tabelle bezieht sich
mit Ausnahme der Nummern 1, 10 und 11 auf Glasplatten, die eigens
als „Schutzglas gegen Röntgenstrahlen“ von verschiedenen Firmen bezogen
worden waren. Unter 10 ferner ist eine von Schott und Genossen in
Jena stammende und als „sehr schweres Silikatflint‘“ bezeichnete Platte
aufgeführt, die ich früher einmal zu anderen Zwecken bezogen hatte.
Tabelle II.
Relative Schutzwirkung verschiedener Glassorten.
d d' | d/d | d/d | 8 g
1. gewöhnliches Spiegelglas 23,5 | 0,26 | 0,011 | 90,9 | 2,56 | 23,0
2. Schutzglas 4,2 | 0,33 | 0,079] 12,7 | 3,00 | 3,81
3. s 5,6 | 0,54 | 0,096| 10,4 ! 3,07 | 3,35
4 a 5,2 | 0,56 | 0,108] 93 | 3,11 | 2,89
5 f 3,2 | 0,38 | 0,118| 84 | 3,26 | 2,74
6 71 | 1,20 | 0,169| 5,9 | 3,87 | 2,29
T. 3,3 | 0,58 | 0,175] 57 | 3,67 | 2,09
8. 5 6,5 | 118 | 0,181| 5,5 | 3,88 | 2,14
9. 97 | 1,80 | 0,186! 5,4 | 3,85 ! 2,08
0. sehr schweres Silikatflint 3,01| 0,92 | 0,306 | 3,3 5,04 | 1,66
l. reines Blei — — |1000| 10 |118 1,13
mm | mm — — — g
pi jů
Von den über den einzelnen Zahlenspalten der Tabelle stehenden
Buchstaben bedeuten ferner d und d‘ wieder wie in Tabelle II die Dicke
der untersuchten Stoffschicht bzw. die der gleich durchlässigen Bleischicht,
beide wieder in mm ausgedrückt. Außer der Verhältniszahl d‘/d, der oben
als relative Schutzwirkung bezeichneten Größe, ist hier dann in der nächsten
Spalte auch noch der reziproke Wert davon, also d/d‘ angegeben, den man
passend als die „relative Durchlässigkeit“ der betreffenden Glassorte be-
zeichnen kann. Die Zahlen unter d‘/d bedeuten übrigens hier, wo es sich
46*
720 Walter,
ja in der Hauptsache stets um den gleichen absorbierenden Stoff, das Rı.:
nämlich, handelt, zugleich auch die Schutzwirkung einer 1 mm oder 1 cm
dicken Platte des betreffenden Glases, ausgedrückt durch die Dicke Jr
gleich durchlässigen Bleischicht, wobei dann diese letztere natürlich eben-
falls entweder in mm oder cm zu verstehen ist. Die Zahlen unter d!
ferner geben hier die in mm ausgedrückte Dicke der betreffenden Glassort:
an, welche man davon aufwenden muß, um damit eine Schutzwirkung zu
erzielen, welche gleich derjenigen von 1 mm Blei ist, eine Wirkung.
welche ich oben als die „Schutzeinheit“ bezeichnet habe.
In der nächsten Spalte der Tabelle III — unter s — ist sodann da.
spezifische Gewicht der einzelnen Glassorten angegeben und in der letzten
Spalte — unter g — endlich das in Gramm ausgedrückte Gewicht eines
Plattenstückes von 1 gem Größe bei der Dicke der eben genannten Sclutz-
einheit. Jede dieser Zahlen g ergibt sich einfach durch Multiplikation.
der beiden links danebenstehenden und Division durch 10. Auf ihr
praktische Bedeutung komme ich weiter unten zurück.
Schließlich ist zu der Anordnung der Tabelle III noch zu bemerken.
daß die einzelnen Gläser darin so gestellt sind, daß ihre relative Schutz-
wirkung d’/d von oben nach unten hin zunimmt oder also ihre relative
Durchlässigkeit d/d‘, in demselben Sinne betrachtet, abnimmt.
Bemerkenswert ist nun in der Tabelle III zunächst die verhiältni--
mäßig geringe Schutzwirkung des gewöhnlichen Glases; denn — nach den:
zugehörigen Werte von d/d“‘ — muß man, um aus diesem Material dir
Schutzeinheit herzustellen, schon eine Platte von 90 mm Dicke benutzen.
Dabei handelte es sich bei dem in der Tabelle unter 1. aufgeführten Glasr
nicht etwa um eine besonders durchlässige Glasart, sondern um ganz gv-
wöhnliches Spiegelglas; und es ergaben übrigens auch zwei andere solche
(Grlasplatten von ganz anderer Dicke und Färbung nahezu die gleiche relative
Durchlässigkeit.
Demgegenüber betragen nun die Glasdicken, welche man bei An-
wendung der eigentlichen Schutzgläser der Tabelle III zur Herstellung
einer Schutzeinheit anzuwenden hat, danach nur 12,7—5,4 mm, d.h. alsı
weniger als T/, von der beim gewöhnlichen Spiegelglas nötigen.
Wichtiger jedoch als diese geringere Dicke der eigentlichen Schutr-
gläser ist noch ein zweiter damit verbundener Vorteil, nämlich der d>
geringeren Gewichtes; denn nach den Zahlen der letzten Vertikalspalt
der Tabelle III wiegt 1 gem der Schutzeinheit aus gewöhnlichem Glas
33 g, aus den eigentlichen Schutzgläsern aber nur 3,8 bis 2,0 g: und in-
folge der Anordnung der Tabelle sieht man ferner auch sofort, dal) mit
zunehmender Größe der relativen Schutzwirkung des Glases das Gewicht
des qcm der Schutzeinheit im allgemeinen abnimmt.
Röntgenschutzwirkung des Bleies und einiger anderer Stoffe. 7241
Der Grund hierfür ist natürlich der, da die Schutzwirkung dieser
(zläser so gut wie ausschließlich von ihrem Bleigehalt herrührt; und je
geringer dieser Gehalt, um so mehr unnützen Ballast hat man also sowohl
an Volumen als auch an Gewicht mitzuschleppen. Oder umgekehrt: Je
höher der Bleigehalt des Glases, um so zweckmäßiger ist es in den ge-
nannten Beziehungen als Schutzglas. Wenn es also nur auf Schutzwirkung
und nicht auch auf Durchsichtigkeit ankommt, so ist natürlich von den
in der Tabelle III aufgeführten Stoffen das reine Blei das zweckmäßigste;
und tatsächlich wiegt ja auch — nach den Zahlen der letzten Vertikal-
spalte der Tabelle — 1 qcm der Schutzeinheit in diesem Material fast nur
halb so viel wie in dem der besten der in der Tabelle angeführten Schutz-
gliser, und seine Dicke beträgt sogar weniger als !/, davon (s. unter d/d^).
Alle diese Verhältnisse bilden übrigens zugleich ein schönes Beispiel
für die nicht genug hervorzuhebende Tatsache, daß die Absorption der
Röntgenstrahlen in den verschiedenen Stoffen durchaus nicht immer pro-
portional dem spezifischen Gewichte geht, sondern daß es dabei meist noclı
viel mehr auf das Atomgewicht der die Stoffe zusammensetzenden chemi-
schen Elemente ankommt. Besonders auffällig zeigt sich das hier bei den
in den beiden ersten Horizontalreihen der Tabelle aufgeführten Gläsern ;
denn während das spezifische Gewicht des unter 2. stehenden Schutzglases
nur 17%, größer ist als das des unter 1. aufgeführten Spiegelglases, ist die
relative Schutzwirkung des ersteren über siebenmal so groß. Mit anderen
Worten: die in dem ersteren Glase enthaltenen Bleiatome machen sich
darin durch ihre absorbierende Wirkung auf Röntgenstrahlen in ganz er-
heblich viel stärkerem Maße bemerkbar als durch die Vergrößerung, welche
sie dem spezifischen Gewichte des Glases mitteilen.
Bezüglich der sonstigen Eigenschaften der in der Tabelle III auf-
geführten Gläser ist noch zu erwähnen, daß die unter 2—5 sowie unter
7 stehenden nicht ganz frei von Blasen und Schlieren waren, daß dagegen
die unter 6, 8 und 9 stehenden Platten, die übrigens ebenso wie 10 von
Schott und Genossen in Jena stammten, optisch vollkommen fehlerfrei
waren. Leider sind aber gerade diese Platten nur bis zu einer Größe von
etwa 10X 16 qcm zu erhalten, so daß man sich also größere Fenster daraus
nur nach Art der Butzenscheiben herstellen kann.
Die Unzulänglichkeit der üblichen Schutzvorrichtungen
in den Röntgeninstituten.
Von
Dr. H. E. Schmidt, Berlin.
ei einer Prüfung der üblichen Schutzstoffe habe ich gefunden, daß
diese in der Dicke, in welcher sie gewöhnlich Verwendung finden, für
den Arzt, resp. das Personal, welches täglich in die Nähe der Röntgen-
röhre kommt, keinen ausreichenden Schutz vor den Röntgenstrahlen bieten.
Für den Patienten, der ja immer nur eine zeitlang den Strahlen aus-
gesetzt ist, dürfte der Schutz in der bisher allgemein üblichen Weise aus-
reichen. Wenigstens habe ich — auch bei Verwendung sehr harter Strahlen
— Schädigungen, welche etwa auf eine ungenügende Abblendung der
Strahlen zurückzuführen sind, nie gesehen.
Für den Arzt und das Personal dagegen können und müssen sich
die täglichen Bestrahlungen mit den kleinen Mengen sehr harter Strahlen,
welche wir hinter den Schutzkästen und Schutzwänden unschwer nach-
weisen können, zu einer unter Umständen recht bedenklichen Gesamt-
wirkung summieren.
Ich möchte es dabei in suspenso lassen, ob es sich um hindurch-
gelassene, filtrierte primäre oder um transformierte sekundäre Strahlen,
oder aber um beides handelt.
Den Hauptwert lege ich auf einen guten Schutzkasten, welcher alle
überflüssigen — nicht für das Bestrahlungsfeld bestimmten Strahlen —
möglichst vollständig abblendet. Der Schutzkasten ist wichtiger als die
Schutzwand und das Schutzhaus.
Die gebräuchlichen Schutzkästen sind nun mit 2 mm dickem Blei-
gummi ausgeschlagen. Hinter dem Bleigummi haben wir, wie ein Blick
auf den Leuchtschirm zeigt, trotzdem Röntgenstrahlen — und zwar sehr
harte Röntgenstrahlen — wenn wir Röhren von etwa 8—12 We. (1—2 cm
Halbwertschicht) verwenden. Das Handschattenbild erscheint ganz hell-
grau, Differenzen zwischen Knochen und Weichteilen sind kaum noch zu
erkennen. Die 1—2 cm- Strahlen durchdringen auch noch zum Teil das
gewöhnlich zur Abdeckung benutzte !/ mm dicke Bleiblech, ebenso die
Bleiglaswand an dem Tisch-Instrumentarium von Reiniger, Gebbert & Schall
und auch das Bleiglas der gebräuchlichen Schutzbrillen, resp. werden von
diesen Schutzstoffen in harte Sekundärstrahlen transformiert. Diese wiederum
Schmidt, Unzulänglichkeit d. Schutzvorrichtungen in Röntgen-Instituten. 723
durchdringen dann noch mit Leichtigkeit z. B. eine 2 mm dicke Eisen-
platte oder die Schutzschürzen aus dem 2 mm dicken Müllerschen Blei-
gummi.
Erst bei Zwischenschaltung einer 6 mm dicken Bleigummischicht ist
die Fluoreszenz des Leuchtschirmes nahezu, wenn auch noch nicht ganz
aufgehoben. Eine weitere Verdickung bis auf 10 mm hat aber keinen
Zweck, da dadurch die Sache nicht besser wird.
Wir müssen also m. E. fordern, daß die Schutzkästen mit 6 mm
dickem Bleigummi ausgeschlagen werden, wenn harte Röhren benutzt werden.
Bei weichen, resp. mittelweichen genügt 2 mm. Das Beste wäre natürlich
die Auskleidung mit 2 mm dickem Bleiblech, welche aber wegen der Ge-
fahr der Aufladung und des Durchschlagens der Röhren nicht möglich ist.
Verwendet man nur eine Schutzwand, so muß diese mit 2—3 mm
dickem Bleiblech beschlagen sein.
Jedenfalls ist es gerade für den Arzt sehr schwer, oder fast unmög-
lich, sich vollkommen zu schützen. Am sichersten geht man, wenn man
außer dem Schutzkasten auch noch eine Schutzwand und eine Schutz-
schürze benutzt — und außerdem während der Bestrahlung das Röntgen-
zimmer verläßt. Da die käuflichen Schürzen sehr schwer und unpraktisch
sind, habe ich eine kleine Schürze, welche Brust, Bauch und Genitale
deckt und eine besonders praktische Tragvorrichtung besitzt, herstellen
lassen; sie hat sich so gut bewährt, daß ich sie auch an heißen Sommer-
tagen ohne Beschwerde unter dem Öperationsmantel trage!) Sie ist
40 cm breit und 70 cm lang und paßt für jede Normalfigur. Im übrigen
versagen bei den sehr harten Strahlen hinter dem 2 mm dicken Blei-
gummi die Wehnelt-Skala und auch der Christensche Härtemesser
vollkommen. Eine Ablesung des Härtegrades ist nicht mehr möglich.
Vielleicht lassen sich diese „überharten“ Strahlen auch für die Tiefen-
therapie verwenden, wenn nicht die geringe Menge, in der sie vorhanden
sind, eine praktische Verwertung unmöglich macht.
1) Hergestellt von Curt Westphal, Berlin N., Carlstr. 16.
Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher.
Von
Ingenieur Georg Heber, Berlin.
er längere Zeit mit einem Induktorunterbrecherapparat gearbeitet
hat, kennt auch die mannigfachen Fehlerquellen, welche durch die
Eigenart des Unterbrechers veranlaßt werden können. Wohl verfügt man
heute über Röntgenapparate ohne Unterbrecherbetrieb, doch hat aus be-
stimmten Gründen der Unterbrecherapparat seinen bestimmten Platz
behaupten können. Der weniger Eingeweihte wird leicht zu der An-
nahme gelangen, daß die unterbrecherlosen Apparate, die Hochspannungs-
gleichrichter, allein nur noch in Anwendung kommen müßten, da sich
bei einem häufigen Gebrauch verschiedene Vorteile ergeben, wie z. B.
einfache Handhabung und leichte Anpassung für den Röhrenbetrieb.
Doch muß man berücksichtigen, daß besonders für röntgentherapeutische
Zwecke von vielen Praktikern: der Induktorunterbrecherapparat bevorzugt
wird. Hierfür liegen aber ganz bestimmte Gründe vor. Es dürfte nicht
unzweckmäßig sein, auf dieselben hinzuweisen, da der weniger erfahrene
Neuling oft genug vor der schwierigen Frage steht, ob ein Hochspannungs-
gleichrichter vorteilhafter ist, oder ein Induktorunterbrecherapparät.
Beide Apparate sind heute technisch so vollkommen durchgearbeitet, dal
man bei gutem Willen mit beiden zum Ziele gelangen kann. Nicht daß
man diesen oder jenen Apparat für einen bestimmten Zweck verwendet,
sondern wie man ihn hierfür benutzt, wird für den Erfolg immer ent-
scheidend sein! Und wenn heute besonders von vielen Röntgentliera-
peuten der Induktorunterbrecherapparat bevorzugt wird, so liegt es wohl
meistens daran, weil mit diesem Apparatensystem zuerst alle diejenigen
Grundlagen geschaffen wurden, worauf die heutige Röntgentherapie beruht.
Wer nun bei Beginn der Röntgenbestrahlungen mit einem Induktorunter-
brecherapparat gearbeitet hat und hierbei seine wertvollen Erfahrungen
sammelte, der wird auch heute noch dieses Apparatensystem bevorzugen.
Man denke sich doch einmal die Sache umgekehrt. Hätten wir bei Be-
ginn der Röntgenära nur Hochspannungsgleichrichter gekannt und wären
nach diesen die Induktorunterbrecherapparate aufgetaucht, so wäre von
den älteren Röntgentherapeuten sicher das unterbrecherlose Apparaten-
system bevorzugt worden. Jedenfalls muß mit der Tatsache gerechnet
werden, daß der Induktorunterbrecherapparat der Röntgentherapie wert-
volle Dienste leistet und daß es nicht an Bemühungen gefehlt hat, den
Heber, Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 795
Unterbrecher so vollkommen wie möglich auszubilden. Ein kurzer histo-
rischer Rückblick wird uns darüber belehren, welche Wandlungen sich in
der Konstruktion von Unterbrechern im Laufe von etwa zwei Jahrzehnten
vollzogen haben. Die ernsten Bemühungen, einen wirklich brauchbaren
und anpassungsfähigen Unterbrecher für röntgenologische Zwecke herzu-
stellen sind verständlich, wenn man bedenkt, daß von einem guten Uhnter-
brecher die gute Funktion der Röntgenröhre abhängig ist. Der summende
Hammerunterbrecher konnte beim Beginn der Röntgenära seine Aufgabe
noch leidlich erfüllen, weil die Induktoren jener Zeit meistens mit einer
niedervoltigen Akkumulatorenbatterie betrieben wurden. Auch der durch
sein klatschendes Geräusch sich bemerkbar machende Quecksilbertauch-
unterbrecher konnte nur bei geringen Spannungen vorteilhaft verwendet
werden. Beide Unterbrecher versagten jedoch vollständig, als mit zu-
nehmender Verwendung der Röntgenstrahlen die Induktoren mit den
Netzspannungen der elektrischen Zentralstationen betrieben werden sollten.
Hier war es der Quecksilberturbinenunterbrecher, welcher einen solchen
Betrieb ermöglichte und in der Tat konnten mit dieser Unterbrecher-
konstruktion, den damaligen Verhältnissen entsprechende, hervorragende
Leistungen erzielt werden. Der durch Wehnelt eingeführte Elektrolyt-
unterbrecher zeichnete sich zwar durch große Einfachheit aus und es
wurden besonders bei internen und chirurgischen Aufnahmen bedeutende
Fortschritte erzielt, doch hatte im allgemeinen die damals sich gerade
entwickelnde Röntgentherapie keine besonderen Erfolge mit diesem Unter-
brecher aufzuweisen. Es ist ja eine bekannte Tatsache, daß von den
Röntgentherapeuten auch heute noch der Elektromotorunterbrecher bei
Bestrahlungen bevorzugt wird, wenn es sich um die Wahl zwischen beiden
Unterbrecherarten handelt. Jedenfalls konnte trotz der vielen Vorteile.
welche der Elektrolytunterbrecher aufzuweisen hatte, der Elektromotor-
unterbrecher nicht verdrängt werden. Es wurde im Gegenteil intensiv
daran gearbeitet, diesen Unterbrecher einfacher und leistungsfähiger zu
gestalten, um ihn der allgemeinen Verwendung in der Röntgenpraxis zu-
gänglich zu machen. Der Turbinenunterbrecher der damaligen Zeit hatte
manche Nachteile aufzuweisen. Einmal war es die Verschlammung des
Kontakt gebenden Quecksilbers, dann ferner die Verstopfung der Strahl-
düsen, aus welchen das Quecksilber heraustreten mußte. Durch Einfüh-
rung des Schleifkontaktunterbrechers traten diese Mängel zwar weniger
hervor, doch konnte nur eine beschränkte Stromstärke zur Unterbrechung
gelangen. Mit den gesteigerten Anforderungen, welche durch die Fort-
schritte der Momentaufnahmetechnik und der Tiefentherapie veranlaßt
‚wurden, mußte auch der Elektromotorunterbrecher Verbesserungen erfahren.
Dieselben erstreckten sich besonders darauf, durch Vereinfachung des
726 Heber,
Kontaktsystems die Verschlammung des Quecksilbers möglichst zu ver-
ringern. Eine von Tesla benutzte Unterbrecherkonstruktion lieferte für
diese Bestrebungen eine recht brauchbare Grundlage. Es entstand der
Quecksilberzentrifugalunterbrecher, welcher längere Zeit hindurch seine
Funktion einwandfrei verrichtete, solange nicht außergewöhnliche Forde-
rungen gestellt wurden. Die Verhältnisse liegen im allgemeinen so, dab
bei den größten Stromstärken für Momentaufnahmen nur Bruchteile einer
Sekunde, bei Schnellaufnahmen dagegen nur einige Sekunden Benutzungs-
dauer in Betracht kommen. Für Durchleuchtungen, wo bei mittelweichen
bis harten Röhren eine Stromstärke von durchschnittlich 5—10 Ampère
zur Unterbrechung gelangt, ist die Benutzungsdauer ebenfalls nur kurz
bemessen, wenn man für jede normale Durchleuchtung mehrere Minuten
rechnet. Handelt es sich um Oberflächenbestrahlungen, so ist die Be-
nutzungsdauer des Unterbrechers wohl ansgedehnter, doch kommen hier-
bei Röntgenröhren mit geringen Belastungen in Anwendung und die zur
Unterbrechung gelangende Stromstärke überschreitet selten 5—8 Ampere.
Erheblich größer ist nun die Beanspruchung der Unterbrecher, wenn es
sich um Ausübung der Tiefentherapie handelt. Hier ist nicht nur die
tägliche Benutzungsdauer bedeutend länger, auch der Umstand. daß harte
Röhren mit ziemlich starken Belastungen für diese Bestrahlungsmethode
verwendet werden müssen, erfordert die Unterbrechung erheblicher Strom-
stärken. Die jetzt allerwärts angewendete Technik der Tiefenbestrahlung
hat sehr große Anforderungen an das Röntgeninstrumentarium gestellt
und nicht nur der Induktor und die Röntgenröhren, sondern auch der
Unterbrecher mußten diesen neuen Betriebsverhältnissen angepaßt werden.
Sehr lange Benutzungsdauer bei den größten Beanspruchungen und mög-
lichst einfache Handhabung in der Bedienung, das waren die Haupt-
faktoren, welche für die Wahl eines geeigneten Unterbrechers bestimmend
waren.
Es ist nun an Stelle der bisher benutzten Unterbrechungsvorrich-
tungen in vielen Röntgenbetrieben der Gasunterbrecher benutzt worden.
Die hiermit erzielten Resultate lassen schon jetzt erkennen, dal die ge-
steigerten Mehrforderungen, besonders bei Tiefenbestrahlungen, mit
Leichtigkeit erfüllt werden können, wo es sich um einen Induktorunter-
brecherapparat handelt. Wo überhaupt ein Unterbrecher in Frage kommt,
der den verschiedensten Verhältnissen im Röntgenbetrieb angepaßt werden
soll, scheint der Gasunterbrecher berufen zu sein, diesen Platz einzunehmen
und zu behaupten. Der Funktion dieses Unterbrechers liegt folgender
Sachverhalt zu Grunde. Der für den Induktorunterbrecherapparat ver-
wendete Gleichstrom muß für die Induktionswirkungen unterbrochen
werden. Jede Stromunterbrechung ist von einer Funkenerscheinung be-
Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 727
gleitet. Die Größe derselben, sowie deren Verlauf und Zeitdauer haben
einen ganz bedeutenden Einfluß auf den sekundären Öffnungsimpuls,
welcher für die Erzeugung von Röntgenstrahlen allein nur in Betracht
kommt. Nun muß noch darauf hingewiesen werden, daß die Funken-
erscheinungen an den Kontakten einer Unterbrechungsvorrichtung be-
sonders stark ausfällt, weil neben der Spannung des unterbrochenen Be-
triebsstromes noch die Spannung des Selbstinduktionsstromes hinzukommt.
Letztere ist von der Beschaffenheit der Primärspule und der verwendeten
zur Unterbrechung gelangenden Stromstärke abhängig. Durch einen
richtig bemessenen Kondensator kann die Funkenerscheinung bei der
Unterbrechung zwar wesentlich reduziert werden, doch ist diese Hilfs-
vorrichtung allein nicht ausreichend, um eine ausreichende Dämpfung
des Unterbrechungsfunkens zu erzielen. Und gerade von dieser Funken-
dämpfung ist die Intensität des sekundären Öffnungsimpulses, ist damit
auch die Intensität der hiermit erzeugten Röntgenstrahlenenergie abhängig.
Aus diesem Grunde hatte man die Unterbrecherkontakte mit isolierenden
Flüssigkeiten, Alkohol oder Petroleum, überschichtet, um hiermit eine
schnelle Löschung der Unterbrechungsfunken zu erreichen. Diese Lösch-
flüssigkeiten erfüllten ihren Zweck auch ganz gut, solange eine beschränkte
Benutzungsdauer des Unterbrechers vorlag und mäßige Stromstärken zur
Unterbrechung gelangten. Eine notwendige Folge des Vorhandenseins von
Löschflüssigkeiten und Quecksilber war bei der immerhin noch beträcht-
lichen Funkenbildung die Verschlammung. Dieselbe stellte oft den
ganzen Röhrenbetrieb in Frage. Mangelhafte Unterbrechungen, erkennbar
am stark flackernden Licht der Röntgenröhre war die gewöhnliche Be-
gleiterscheinung dieser vorgeschrittenen Quecksilberverschlammung. Wer
über keine Reserveunterbrecher verfügte, mußte die zwar keineswegs
angenehme, aber durchaus erforderliche Reinigung der verschlammten
Quecksilbermassen vornehmen. Diese Reinigung war oft genug notwendig,
wenn eine sehr lange ununterbrochene Benutzungszeit für den beabsich-
tigten Zweck innegehalten werden mußte und außerdem mit intensiven
Strömen gearbeitet wurde. Denkt man sich die Unterbrecherkontakte in
einem vollständig abgeschlossenen Raume untergebracht und an Stelle
der bisher benutzten Löschflüssigkeiten Leuchtgas, so wird nicht nur die
Verschlammung des Quecksilbers ausbleiben, auch die Unterbrechung
selbst gestaltet sich bedeutend günstiger, da im Leuchtgas eine aus-
reichende Dämpfung der Unterbrechungsfunken stattfindet. Der dämpfende
Einfluß verschiedener Gase auf Funkenentladungen ist dem Physiker
längst nicht unbekannt. Bei verschiedenen Hochfrequenzapparaten, welche
in der Elektromedizin und Funkentelegraphie Verwendung finden, kommen
die dämpfenden Eigenschaften bestimmter Gase häufig genug in Anwen-
725 Heber,
dung. Durch einen Vorlesungsversuch läßt sich in einfachster Weise
der dämpfende Einfluß des funkenlöschenden Mediums experimentell sehr
schön nachweisen. Es werden hierfür zwei Kupferkontakte verwendet,
welche mit isolierenden Handgriffen versehen sind. Diese Kupferkontakte
stehen mit den Leitungsdrähten in Verbindung, welche bei einem Induk-
torunterbrecherapparat zu den Anschluljklemmen des Unterbrechergefä lies
führen. Berührung der Kupferkontakte entspricht Stromschließung, plötz-
liche Entfernung voneinander Stromunterbrechung. Es läßt sich bei
dieser Anordnung zeigen, wie bei einer mittleren Stromstärke von etwa
5—8 Ampere die Funkenerscheinung trotz Mitwirkung des Kondensators
recht erheblich ist, wenn die Unterbrechung des primären Stromkreises
bei Luftzutritt erfolgt. Besonders bei Netzspannungen von 220—240 Volt
macht sich an der Unterbrechungsstelle ein kräftiger Flammenbogen be-
merkbar. Zwischen den Polen der sekundären Funkenstrecke bleibt bei
diesem Versuch die Funkenentladung aus, selbst dann, wenn die Ent-
ladungspole nur noch mit kurzem Abstand gegenüberstehen. Dagegen ist
bei derselben Stromstärke und Spannung die primäre Funkenerscheinung
bei der Unterbrechung wesentlich reduziert, wenn die Unterbrecher-
kontakte mit ein wenig Alkohol benetzt werden. Noch weiter wird die
Funkenerscheinung vermindert, wenn nach Entfernung des Alkohols die
Unterbrecherkontakte mit Petroleum benetzt werden, wozu eine sehr
geringe Menge ausreichend ist. Diese Versuche lassen sehr deutlich den
dämpfenden Einfluß der Löschflüssigkeit erkennen. Bei jeder Unter-
brechung unter den zuletzt erwähnten Verhältnissen tritt zwischen den
Entladungspolen der sekundären Funkenstrecke auch bei größerem
Abstand ein kräftiger Öffnungsfunken auf. Eine Steigerung dieses Effektes
läßt sich weiterhin erreichen, wenn die Unterbrechung in einem mit
Leuchtgas angefüllten Glasgefiß vorgenommen wird. Selbstverständlich
ist bei diesem Versuch darauf zu achten, dal keine Luftreste in dem
(lasgefäß zurückbleiben. Der stark dämpfende Einfluß des Leuchtgases
macht sich durch die geringe primäre Funkenerscheinung bemerkbar, die
sekundäre Funkenentladung ist bei diesem Versuch am kräftigsten. Es
kommen also bei der Anwendung von Leuchtgas zwei wichtige Faktoren
für die Leistungsfähigkeit eines Unterbrechers in Betracht. Einmal die
erhebliche Reduktion der Unterbrechungsfunken und dann durch Wegfall
der Löschflüssigkeiten die Störungen verursachende Quecksilberverschlam-
mung. Bei der Verwendung von Wasserstoffgas ist die dämpfende Wirkung
zwar noch etwas vergrößert, doch gestaltet sich aus rein technischen
Gründen die Benutzung des gewöhnlichen Leuchtgases vorteilhafter.
Diese längst bekannten Tatsachen sind besonders in Frankreich schon
seit einigen Jahren für die Röntgenpraxis vorteilhaft verwertet. In dem
Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 729
Erlanger Versuchslaboratorium der Aktiengesellschaft Reiniger, Gebbert
& Schall sind umfangreiche Versuche angestellt worden, welche mit der
erfolgreichen Einführung des jetzigen Gasunterbrechers ihren Abschluß
gefunden haben.
Wie jeder Elektromotorunterbrecher aus zwei Teilen zusammengesetzt
ist, so besteht auch der Gasunterbrecher aus dem Elektromotor und dem
Unterbrecher. Die Abb. 1 läßt links den Unterbrecherteil nebst Elektro-
motor erkennen, rechts befindet sich das Unterbrechergefäß. Dasselbe
dient zur Aufnahme des Unterbrechers, der Leuchtgasfüllung und des
Quecksilbers.
Auf dem Boden des Unterbrechergefäßes befindet sich die erforderliche
Quecksilbermenge. Wird der Unterbrecherteil auf das Gefäß gesetzt und
der Deckel mittels Flügelschrauben befestigt, so ist das Gefäß vollständig
Fig. 1.
luftdieht verschlossen. Dieser luftdichte Verschluß wird einerseits durch
einen Dichtungsring erzielt, der sich zwischen Gefäßrand und Deckel
befindet, andererseits ist die Anordnung so getroffen, dal auch bei Durch-
führung der Unterbrecherachse und der Führungsstange der Reguliervor-
richtung durch den Unterbrecherdeckel keine Gasmengen entweichen
können. Die Abb. 2 läßt den fertig zusammengestellten Gasunterbrecher
erkennen. Die Achse des Elektromotors ist mit der Turbinenachse des
Unterbrechers durch eine Kupplung fest verbunden. Befindet sich der
Elektromotor in Tätigkeit, so wird eine kleine, in das Quecksilber zum
Teil eintauchende Turbine in schnelle Umdrehung versetzt. Durch einen
dem Elektromotor vorgeschalteten Regulierwiderstand läßt sich die Um-
drehungszahl der Turbinenachse verändern, wodurch die Röntgenröhren mit
verschiedenen Unterbrecherfrequenzen betrieben werden können. Der in
das. Quecksilber eintauchende Turbinenteil arbeitet in der Weise, daß in-
folge der schnellen Rotation das Quecksilber durch zwei winkelförmige
730 Heber,
Steigrohre nach oben gedrückt wird. Diese diametral gegenüberstehenden
Steigrohre sind mit je einer Ausströmungsdüse versehen und ist die Öff-
nung derselben derartig angeordnet, daß beim Betrieb der Turbine das
Quecksilber in entgegengesetzter Richtung aus den Düsen strahlenförmig
heraustritt. Hierbei bildet das ausströmende Quecksilber zwei außerordent-
lich elastische, horizontale Stromleiter, welche beim Auftreffen auf fest-
stehende, senkrecht angeordnete Kontaktsegmente den Stromschluß, und
beim Verlassen die Stromunterbrechung hervorrufen. Das aus den Düsen
herausgespritzte Quecksilber gelangt unverändert nach dem Boden des
Unterbrechergefäßes zurück, von wo aus die Weiterbenutzung stattfindet.
Da eine Verschlammung infolge des
Ausschlusses von Löschflüssigkeiten
nicht eintreten kann, so bildet das
Quecksilber einen dauernden unver-
änderlichen Bestand des Unterbrechers.
Die am Deckel des Unterbrechergefäßes
angebrachten, aber von diesem isolierten
Kontaktsegmente sind derartig angeord-
net, daß zweidiametralgegenüberliegende
Kontaktsegmente zwei verschiedene Leis-
tungspole bilden. Solange der rotierende
Quecksilberdoppelstrahl die gegenüber-
liegenden Kontaktflächen berührt, ist
der Primärstromkreis geschlossen, dann
folgt nach dem Verlassen der rotieren-
den Stromleiter eine Unterbrechungs-
pause und darauf wiederum eine Strom-
schließung. Nach einer Umdrehung ist Fig. 2.
also eine viermalige Stromschließung
und Stromunterbrechung zu Stande gekommen. Die Einrichtung ist
so getroffen, daß zwei gegenüberliegende Kontaktsegmente ausgeschaltet
werden können. Dann finden bei jeder Umdrehung der Turbine
nur zwei Unterbrechungen statt. Welchen Einfluß diese Maßnahme auf
den Betrieb von Röntgenröhren hat, soll späterhin näher erörtert werden.
Das Ausschalten der beiden Kontaktsegmenten läßt sich durch einen
Stöpselkontakt, der sich auf dem Unterbrecherdeckel befindet, mit Leich-
tigkeit vornehmen. Eine weitere leicht vorzunehmende Änderung an den
Kontaktsegmenten ist für die Anpassungsfähigkeit des Unterbrechers recht
vorteilhaft. Für den günstigen Verlauf des sekundären Öffnungsstromes
ist neben einer exakten, möglichst funkenarmen primären Stromunter-
brechung auch die Stromschlußdauer von großem Einfluß. Diese läßt sich
Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 731
durch Veränderung der Kontaktbreite für den jeweiligen Zweck am gün-
stigsten einstellen. Wird der aus der Abb. 2 ersichtliche rechts befind-
liche Hebelgriff von unten nach oben verstellt, so erfahren 2 beweglich an-
geordnete Kontaktsegmente eine Senkung im Unterbrechergefäß. Da diese
beiden Kontaktsegmente abgeschrägt sind, so entspricht schon die geringste
Verstellung des außen befindlichen Hebelgriffes einer Änderung der Strom-
schlußdauer. Dieselbe ist am größten, wenn der Hebelgriff seine Maximal-
stellung nach oben erhalten hat, am kleinsten, wenn der Hebelgriff eine
bestimmte Stellung nach unten einnimmt. Bei größter Tiefenstellung des
Hebelgriffes sind die Kontaktsegmente ausgeschaltet und der Unterbrecher
ist dann stromlos. Es läßt sich also die Stromschlußdauer von Null bis
Maximum durch Aufwärtsbewegung des Hebelgriffes mit den allerfeinsten
Abstufungen regulieren, wodurch sich für verschiedene Röhrenbelastungen
wesentliche Vorteile ergeben. Ist die Stromschlußdauer für einen bestimmten
Zweck eingestellt, so kann die beim Ausprobieren ermittelte Einstellung
durch eine Mikrometerschraube festgehalten werden.
Die Inbetriebsetzung des Unterbrechers ist außerordentlich einfach.
Zunächst wird das Unterbrechergefäß mit der erforderlichen Quecksilber-
ınenge gefüllt und der Unterbrecherteil nebst Elektromotor (Abb. 1, links)
mit dem Gefäß fest verschraubt. Nachdem die Anschlußklemmen des
Elektromotors und des Unterbrechers mit den Leitungsdrähten verbunden
sind und die Achsenlager die übliche Ölung erhalten haben, kann mit der
(asfüllung begonnen werden. Zwei auf dem Gefäßdeckel vorhandene An-
sätze mit Hähnen dienen für die Gasfüllung und für die Entfernung der
verbrauchten Gasmengen. Der eine Ansatz wird durch einen Gummi-
schlauch mit der Leuchtgasleitung verbunden. Nach Öffnung sämtlicher
Hähne kann das Leuchtgas die im Innern des Unterbrechergefäßes einge-
schlossene Luft verdrängen. Die vollkommene Leuchtgasfüllung läßt sich
dadurch beschleunigen, daß während der Gaseinströmung nur der Elektro-
motor eingeschaltet wird. Durch die Rotation der Turbine wird eine
schnellere Durchmischung der Luft- und Gasmengen erzielt. Zur Kon-
trolle, daß der Unterbrecherraum vollständig mit Gas gefüllt ist, dient die
einfache Flammenprobe. Das aus dem freien Ansatz ausströmende Leucht-
gas wird entzündet. Die schwach leuchtende, bläuliche Flamme läßt noch
auf Anwesenheit von Luft schließen, die stark leuchtende, gelbliche Flamme
läßt die Verbrennung des reinen Leuchtgases erkennen. Hier ist der Zeit-
punkt gekommen, wo der Kontrollhahn geschlossen werden kann. Der
Hahn an dem Gaszuführungsansatz kann geöffnet bleiben, so daß die im
Unterbrecherraum eingeschlossene Gasmenge unter dem Druck der Gas-
leitung zu stehen kommt. Füllung, Flammenprobe und Abschluß nehmen
nur wenige Sekunden in Anspruch, es treten demnach so gut wie gar
732 Heber,
keine Zeitverluste ein. Kommen für den Unterbrecher täglich mehrere
Benutzungsstunden in Betracht, so ist eine Erneuerung des Leuchtgases
nach einigen Stunden empfehlenswert. Bei einer geringeren Benutzungs-
zeit ist eine tägliche Erneuerung des Leuchtgases, die sehr schnell vorge-
nommen werden kann, ausreichend. Es genügt hierfür, den Kontroll- und
Ablaßhahn zu öffnen, das ausströmende Gas zu entzünden und nach einigen
Sekunden, wenn die Flamme normal erscheint, den Hahn wieder zu schließen.
Sonst erfordert der Gasunterbrecher auf Monate hinaus keine andere Be-
dienung. Nur die Achsenlager des Elektromotors sind in bestimmten Ab-
ständen gut zu ölen. Nach Verlauf von einigen Monaten, bei sehr starker
Inanspruchnahme vielleicht schon früher, empfiehlt es sich, den Unter-
brecher auseinanderzunehmen und das Quecksilber durch eine feindurch-
lochte Spitztüte aus starkem Papier hindurch laufen zu lassen. Hierdurch
werden die aus dem Leuchtgas herrührenden feinen Kohlenteilchen, die
mit einigen Quecksilberkügelchen vermischt sind, zurückgehalten, so daß die-
selbe Quecksilbermenge ohne nennenswerte Verluste wieder zur Verwendung
gelangen kann. Wer mit den bisherigen Elektromotorunterbrechern zu
tun hatte, wird erstaunt sein, nach monatelanger Benutzung einen fast un-
veränderten Quecksilberspiegel im Gefäß des Gasunterbrechers vorzufinden.
Die an den inneren Gefäßwandungen und an den Unterbrecherteilen an-
gesetzten dünnen Niederschläge, welche meistens aus feinverteiltem Kohlen-
stoff bestehen, lassen sich durch einen Wattebausch, der mit Benzin ge-
tränkt ist, sehr leicht entfernen. Jedenfalls kann die Reinigung des Gas-
unterbrechers weit einfacher und bedeutend schneller durchgeführt werden.
als dies bei den durch Löschflüssigkeiten verschlammten Quecksilbermengen
möglich ist. Da man bei allen menschlichen Erzeugnissen einerseits mit
den Tücken des Objektes, andererseits mit den aus Unachtsamkeit hervor-
gerufenen Fehlerquellen zu rechnen hat, so ist auch beim Grasunterbrecher
eine Sicherheitsvorrichtung angebracht. Dieselbe tritt in Funktion, wenn
vergessen wurde, das Unterbrechergefäß vollständig mit Leuchtgas zu füllen.
Befindet sich ein Gemisch von Luft und Leuchtgas im Unterbrechergefäß.
so kann dieses Gemisch durch winzige Unterbrecherfunken zwar explo-
dieren, doch ist den Explosionsgasen durch ein Sicherheitsventil hinreichender
Austritt gewährt. Dazu kann es aber niemals kommen, wenn die bereits
erwähnte Flammenprobe angestellt wird. In einem vollkommen mit Leucht-
gas gefüllten Unterbrechergefäß sind Explosionen auch durch die stärksten
Unterbrechungsfunken unmöglich. Gelingt es doch ohne Schwierigkeiten,
Stromstärken bis zu 50 Ampere und darüber hinaus mit dem Gasunter-
brecher zu bewältigen. Derartige Belastungen kommen für die Tiefen-
therapie nicht in Betracht, denn die Röntgenröhre müßte noch erfunden
werden, welche für die längere Bestrahlungszeit eine solche Beanspruchung
La
Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 733
aushält. Dagegen können die hohen Belastungsmöglichkeiten für die Rönt-
genmomentaufnahmen vorteilhaft ausgenutzt werden, da es sich hier nur
um kurzzeitige Beanspruchungen handelt.
Bei der zunehmenden Verwendung des Gasunterbrechers muß damit
gerechnet werden, daß in vielen Behandlungszimmern kein Leuchtgas zur
Verfügung steht. Aber auch für solche Fälle ist für ausreichende Hilfs-
mittel gesorgt. Wo eine intensive Inanspruchnahme des Gasunterbrechers
vorliegt, wird man in Erwägung ziehen, ob die Verlegung einer Gasleitung
bis zum Röntgenapparat ohne Schwierigkeiten durchgeführt werden kann.
Gestatten die örtlichen Verhältnisse keinen Anschluß an eine entfernt
liegende Gasleitung oder ist überhaupt kein Leuchtgas erhältlich, so kann
eine kleine Stahlflasche mit komprimiertem Blaugas auf lange Zeit den
Unterbrecher mit Gas versorgen. Dieses Blaugas ist ein dem Leuchtgas
ähnliches Gas, welches für technische Zwecke häufige Verwendung findet
und daher leicht beschafft werden kann. |
Die Röntgenröhren, welche durch ein Gasunterbrecherinstrumentarium
betrieben werden, zeigen ein sehr ruhiges Verhalten. Ist in dem sekun-
dären Stromkreis ein Milliampöremeter eingeschaltet, so fällt die ruhige
Zeigerstellung am Instrument auf. Dasselbe Verhalten kann auch an dem
Zeiger des Ampöremeters im Primärstromkreis beobachtet werden. Der
ruhige Zeigerstand bei beiden Meßinstrumenten läßt auf eine außerordent-
lich regelmäßige Unterbrecherfunktion schließen. Jede Stromunterbrechung
ist der nachfolgenden vollkommen gleich; dementsprechend fallen auch die
schnell aufeinanderfolgenden sekundären Öfinungsimpulse gleichartig aus.
Nur bei härteren Röntgenröhren sind Schwankungen des sekundären
Zeigers am sekundären Milliamp£öremeter nicht ganz ausgeschlossen. Die
gleichbleibende ruhige Stellung des Zeigerss am primären Amperemeter
gibt aber darüber Aufschluß, daß nur die Eigenart der harten Röntgen-
röhre die Konstanz der sekundären Strompassage beeinflußt. Der Gas-
unterbrecher arbeitet auch bei starken Belastungen mit größter Genauig-
keit. Die ausreichende Dämpfung der Unterbrechungsfunken bei geringen
und großen Stromintensitäten, sowie die Gleichmäßigkeit des Kontakt
gebenden elastischen Stromleiters der Quecksilberturbine, lassen keinerlei
Abweichungen während der Unterbrechertätigkeit aufkommen. Vorteilhaft
erweist sich für den Betrieb verschiedener Röntgenröhren die Regulierung
der Stromschlußdauer durch Veränderung der Kontaktsegmente. Welchen
Einfluß diese Regulierung auf den Verlauf der induzierten hochgespannten
Energiemengen hat, läßt sich zunächst an den sekundären Funkenladungen
beobachten. Ist der Elektromotor eingeschaltet und der Hebelgriff des
Stromschlußregulators senkrecht nach unten eingestellt, so kann auch bei
Stellung der Regulierkurbel am Schaltapparat auf „Stark“ kein Strom
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 47
734 Heber,
durch den Unterbrecher hindurchfließen, wenn der primäre Schalter für
den Induktor auf Stromschluß gestellt wird. Bei Aufwärtsbewegung des
Hebelgriffes für den Stromschlußregulator tritt anfangs eine schwache
Funkenentladung ein. Dieselbe nimmt allmählich an Stärke zu und
erreicht ihr Maximum, wenn der Hebelgriff seine höchste Stellung ein-
nimmt. Durch den Gebrauch des Stromschlußregulators wird also ein
ähnlicher Effekt erzielt, wie beim Gebrauch des primären Stromregulators.
Aber die Regulierung erfolgt hierbei mit bedeutend feineren Abstufungen.
An einer Röntgenröhre in Verbindung mit einem Milliamperemeter kann
diese feinstufige Regulierung deutlich beobachtet werden. Die mit lang-
samer Einstellung des Stromschlußregulators erfolgende Zeigerbewegung
am Milliamp£remeter läßt erkennen, daß die Belastung der Röntgenröhre
von Y/,o zu */,o Milliampere im Zeitmal3 der Hebelbewegung fortschreitet.
Selbstverständlich erfährt auch die primäre Stromstärke entsprechende fein-
stufige Veränderungen.
Eine weitere Änderung der Röhrenbelastung läßt sich durch Reduktion
. der Unterbrecherfrequenz erzielen. Es wurde darauf hingewiesen, daß bei
Verwendung der vier Kontaktsegmente im Unterbrecher jede Umdrehung
der Turbine vier Unterbrechungen entspricht. Wird nur mit zwei Kontakt-
segmenten gearbeitet, so entspricht jede Umdrehung der Turbine zwei Unter-
brechungen. Diese Änderung der Unterbrecherfrequenz hat auf den Röhren-
betrieb folgenden Einfluß. Ist bei Verwendung von vier Kontaktsegmenten
eine bestimmte Stromstärke einreguliert. so tritt unter gleichen Verhältnissen
eine Halbierung der Stromstärke ein, wenn nur zwei Kontaktsegmente be-
nutzt werden. Diese Halbierung der Stromstärke kann sowohl am primären
Anmperemeter, als auch am sekundären Milliamperemeter mit großer Ge-
nauigkeit festgestellt werden. Die Röntgenröhre erhält bei Anwendung
der zwei Kontaktsegmente gerade die Hälfte der wirksamen Stromimpulse,
liefert also gerade die Hälfte der Strahlenenergie. Durch Zufuhr einer
größeren primären Stromstärke läßt sich aber auch bei dieser geringen
Unterbrecherfrequenz dieselbe Belastung der Röntgenröhre erzielen wie bei
Anwendung von vier Kontaktsegmenten.
Um die Vorteile des Gasunterbrechers für den Betrieb von Röntgen-
röhren auszunutzen, müssen die Regulierverhältnisse den jeweiligen Zwecken
angepaßt werden. Dann ist ferner erforderlich, daß die Funktion des
Unterbrechers mit der Kapazität des Kondensators und der Selbstinduktion
der Primärspule harmoniert. Wenn ein bisher benutzter Elektromotor-
Unterbrecher durch einen Gasunterbrecher ersetzt wird, so kann der Fall
eintreten, da die Leistung des Induktors und die Funktion der Röntgen-
röhre nicht immer befriedigen. Von Fall zu Fall muß also in sachgemäßer
Weise untersucht werden, ob der Gasunterbrecher ohne weitere Maßnahmen
Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 735
an Stelle des vorher benutzten Unterbrechers treten kann. Ist der Gas-
unterbrecher dem gesamten Instrumentarium richtig angepaßt, dann er-
geben sich in der Tat wichtige Vorteile, welche weder der Röntgen-
diagnostiker, noch der Röntgentherapeut entbehren möchte, wenn ein
Induktorunterbrecherapparat in Betracht kommt. Es lassen sich mit
dem Gasunterbrecher intensive Stromstärken gefahrlos und ohne große
Abnutzung der kontaktgebenden Teile schnell unterbrechen. Hiervon
wird der Internist Gebrauch machen, wenn es sich um die unentbehr-
lichen Momentaufnahmen handelt. Der Chirurg kann bei einer weniger
intensiven Stromstärke die Herstellung von Schnellaufnahmen vornehmen
lassen. Bei Durchleuchtungen wird durch Halbierung der Unterbrecher-
frequenz eine Entlastung der langzeitig benutzten Röntgenröhre herbei-
geführt und eine größere Röhrenökonomie gewährleistet. Für die be-
scheidenen Ansprüche der Oberflächentherapie kann der Gasunterbrecher
mehrere Stunden hindurch einen gleichmäßigen Röhrenbetrieb ermöglichen.
Die Dosierung mit dem Milliamperemeter wird durch eine feinstufige Re-
gulierung wesentlich erleichtert. Die hohen Anforderungen aber, welche
die Tiefentherapie an einen Unterbrecher stellt, sind durch den Gas-
unterbrecher erfüllbar. Sehr lange Benutzungsdauer ohne Störungspausen,
sichere Unterbrechung größerer Stromstärken ohne wesentlichen Material-
verbrauch, Anpassung an das oft renitente, harte Röhrenmaterial, das
waren die Forderungen, welche die Tiefentherapie stellte. Es sind manche
Klagen verstummt, seitdem verschiedene Röntgenröhren mit dem Gas-
unterbrecher betrieben werden. Aber es werden hier und da Klagen auf-
tauchen, welche immer wiederkelhren, solange mit Unterbrechern gearbeitet
wird. Die Funktion des Unterbrechers beruht bekanntlich darauf, daß
nach einer Stromschließung von bestimmter Zeitdauer eine plötzliche Strom-
unterbrechung eintritt. Ohne Stromschließung also keine Stromöffnung;
ohne Stromöffnung kein Sekundärimpuls, welcher sich in der Röntgenröhre
in wirksame Strahlung umsetzt. Auf Grund langjährig gesammelter Erfah-
rungstatsachen sind heute die Röntgenröhren dem zur Verfügung stehenden
Apparatensystem meistens anzupassen. Wohl kann man die berechtigte
Forderung stellen, daß eine Röntgenröhre „schließungsfrei“ arbeitet. Und
tut sie selbst es nicht, so stehen Vorschaltfunkenstrecken oder Ventilröhren
für diesen Zweck zur Verfügung. Aber es wäre ungerecht, bei jeder ab-
weichenden Röhrenfunktion zu behaupten, es läge am Unterbrecher und
zu verlangen: daß er „schließungsfrei‘‘ arbeiten soll. Wie die Verhältnisse
heute liegen, kann der gut durchkonstruierte Gasunterbrecher durch
verschiedene Maßnahmen derartig in seiner Gesamtfunktion beeinflußt
werden, daß hieraus der beste Röhrenbetrieb resultiert. Ohne Schließung
tut er es aber nicht und wenn hier und da eine Röntgenröhre plötzlich
479
736 Heber, Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher.
abweichende Lichterscheinungen zeigt und es sind die üblichen Ventil-
vorrichtungen in bester Ordnung, dann ist es wohl selten das Unterbrecher-
instrumentarium, sondern meistens die Röntgenröhre allein, welche durch
ihr oft sonderbares Verhalten selbst dem erfahrenen Röntgenologen manches
Rätsel aufgibt.
Zusammenfassung.
Die gesteigerten Anforderungen bei dem Betrieb von harten Röntgen-
röhren für Tiefenbestrahlungen haben dahin geführt, bei Verwendnng des
Unterbrecherinstrumentariums die gebräuchlichen Unterbrechungsvorrich-
tungen leistungsfähiger zu gestalten. Es kommen für die Röntgentherapie
meistens Elektromotorunterbrecher in Anwendung, bei welchen die
Dämpfung der Unterbrechungsfunken durch Alkohol oder Petroleum an-
gestrebt wird. Da für eine sichere Kontaktgebung im Unterbrechergefäl)
Quecksilber benutzt wird, so entstand bei häufiger Inanspruchnahme und
bei Anwendung von größeren Stromstärken eine Verschlammung des Queck-
silbers, welche schließlich die Unterbrecherfunktion aufhob. Die lästige
Reinigung des verschlammten Quecksilbers und die starke Abnutzung des
Kontaktmaterials fällt bei einem mit Leuchtgas gefüllten Unterbrecher
vollständig fort. Die funkendämpfende Wirkung des Leuchtgases hat sichı
in der Röntgenpraxis gut bewährt. Besonders bei langer Benutzungsdauer
treten die Vorteile des Gasunterbrechers durch die sichere Funktion und
leichte Handhabung hervor. Verschiedene mit dem Unterbrecher in Ver-
bindung stehende Reguliervorrichtungen gewähren die Möglichkeit, für die
Röhrenbelastung und Röhrenfunktion die günstigsten Betriebsverhältnisse
zu wählen. Der Gasunterbrecher wird von der Reiniger, Gebbert & Schall
A. G. in den Handel gebracht.
Steigerung der Radiumwirkung durch statische
Elektrizität.')
Von
Professor Dr. Anton Sticker, Berlin.
ur besseren therapeutischen Ausnutzung der radioaktiven Zerfallsprodukte
wurde von Lazarus auf dem Kongreß für innere Medizin in Wies-
baden 1911 vorgeschlagen, die Wände des Emanationsentwicklers auf ein
positives elektrisches Potential zu bringen, wodurch die positiv elektrischen
Zerfallsprodukte ausgetrieben und auf den Körper des Patienten nieder-
seschlagen werden. Marckwald brachte auf dem Balneologenkongresse
1911 ın Anregung, die Versuchsperson negativ elektrisch aufzuladen, um
eine vermehrte Ablagerung der positiv geladenen Teilchen auf die Haut
herheizuführen.
Hiervon wurde praktischer Gebrauch gemacht, indem Grabley den
radioaktiven Niederschlag aus der Atmosphäre, Aschoff und Haese da-
gegen aus einem aktivierten Raume (Kreuznacher-Inhalatorium) auf die
Haut von Patienten dirigierten, die unbekleidet auf Isolierstühlen auf eine
hohe negative elektrische Aufladung gebracht worden.
Als Elektrizitätsquelle diente ein Röntgeninduktor mittlerer Größe,
dessen positiver Pol in eine Metallplatte und dessen negativer Pol durch
einen Draht mit dem Isolierstuhl verbunden wurde. Messungen zeigten,
daß die Menge des während des Aufenthaltes im Radiuminhalatorium ent-
stehenden radioaktiven Niederschlages — d. s. die elektropositiven Zerfalls-
produkte der Emanation — durch die negative elektrische Aufladung der
betr. Patienten erheblich gesteigert wurde.
Ich selbst habe auf dem vorjährigen Chirurgenkongresse über Ver-
suche, die biologische Wirkung radioaktiver Substanzen durch statische
Elektrizität zu steigern berichtet.
Ich verwandte eine nach Professor Eulenburg zusammengestellte
Influenzmaschine, welche mir die Firma Reiniger, Gebbert und Schall lieferte.
Die mit Radiumpräparaten zu bestrahlenden Personen wurden auf einen
Isolierstuhl gebracht und elektropositiv aufgeladen.
Ich habe, ehe ich dazu überging, die Methode bei Kranken zu ver-
werten, dieselbe experimentell geprüft und zwar an Menschen, Hunden und
Kaninchen.
ı) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie,
Berlin 1913.
738 Sticker,
Es zeigte sich in allen Fällen, daß die Haut eines mit posi-
tiver Elektrizität aufgeladenen Körpers weit stärkere Reaktions-
grade der Bestrahlung zeigte, als bei Aufladung mit negativer
oder ohne jede Elektrizität.
Elisabeth Behnisch, 19 Jahre alt, ärztliche Präparatorin.
6. Mai. a) Rechter Unterarm Beugeseite 5 Minuten mit Mesothorium (Glinımer-
kapsel 30 mg Radiumbromid äquivalent) bestrahlt. b) Linker Unterarm Beugeseite
wie a) bestrahlt unter gleichzeitiger Aufladung der auf dem Isolierstuhl bennd-
lichen Versuchsperson mit positiver Elektrizität. c) Linker Unterarm Streck:eite
wie a) bestrahlt und negative Aufladung. Bald nach der Bestrahlung zeigten a!!e
drei Stellen leichte Röte.
In der ersten Woche Stelle a) verschwommen gerötet, b) stark gerötet, c) kleine
Punktröte.
Die Röte nahm bis zur 4. Woche zu, immer so, daß die Stelle b) vor a) unà cì
einen stärkeren Grad aufwies. Auch die Empfindlichkeit war stets bei b) stärker
als bei a) und c.)
Es kam zur leichten Blasenbildung, welche gegen Ende der 5. Woche unter
Schorfbildung abheilte.
Alle drei Stellen nicht mehr empfindlich, in der Peripherie braunrot. im
Zentrum depigmentiert.
Nach weiteren 4 Wochen zeigen alle drei Stellen eine bräunliche periphere
Pigmentation mit zentraler Depigmentierung; den stärksten Grad zeigte, wie auch
in der Reaktionszeit, die Stelle b.)
2. Elisabeth Behrends, 23 Jahre alt, Malerin.
8. Mai. a) Linker Arm Beugeseite 7 Minuten mit Mesothor (Glimmerkapsel,
30 mg Radiumbromid äquivalent) bestrahlt. b) Rechter Arm wie a) bestrahlt
unter positiver Aufladung. c) Linker Arm Streckseite wie a) bestrahlt unter nega-
tiver Aufladung.
8. Mai Stelle a) schwache undeutlich abgesetzte Röte, b) schwache kreisrunde
Röte, c) undeutlich verschwommene Röte.
In der ersten Woche nach der Bestrahlung nimmt die Röte bei b zu, bieitt
bei a) und c) schwach.
In der 2. Woche tritt an allen drei Bestrahlungsstellen ein zentrales Knötchen
auf, das bei b) bald in ein kleines Bläschen übergeht.
In der 5. Woche an allen drei Stellen starke Röte und Schmerzhaftigkeit.
Die Röte bei a) nur im Zentrum, bei b) im ganzen Bestrahlungsgebiet, bei c) nor
in der Peripherie, im Zentrum Blasenbildung.
In der 7. Woche heilten die drei Stellen unter leichten Krusten ab.
8. Großer Jagdhund. 30. April an der Innenfläche beider Oberschenke:
wurde die rasierte Haut je !/, Stunde mit Mesothor (30 mg Radiumbromid äqu-
valent) bestrahlt rechts ohne, links mit positiver Elektrizitätsaufladung.
Am 3. Tage rechts keine, links schwache Röte. Am 7. Tage rechts Spuren.
links stärkere Ausschwitzung, am 10. Tage Krustenbildung und gerötete Randzore
links stärker als rechts.
Die Heilung nahm weitere 8 Tage in Anspruch,
4. Großer Hund. An der Vorderbrust an 4 fünfmarkstückgroßen rasierteu
Stellen vorn links und rechts mit Mesothor (55 mg), hinten links und recht:
mit Mesothor (30 mg) je '/, Stunde bestrahlt. Die Stellen rechts unter Autladun:
Steigerung der Radiumwirkung durch statische Elektrizität. 739
mit positiver Elektrizität. Alle 4 Stellen bald nach der Bestrahlung leicht gerötet
an scharf kreisrund gezeichneten Stellen.
Am 4. Tage (6. Mai) vorn kreisrunde, dem Kapselfenster entsprechende Aus-
schwitzung mit !/, cm breiter leicht geröteter Randzone, rechts etwas stärker wie
links, hinten leichte Blasenbildung mit geröteter Randzone, auch hier rechts
stärker als links.
Am 7. Tage war stärkere Ausschwitzung rechterseits noch deutlich zu sehen.
Die Krusten hinten links etwas früher ab als rechts.
5. Großer Hund. An zwei zwischen den Schultern rasierten Hautstellen
lj} Stunde mit Mesothor (30 mg) links ohne, rechts mit negativer Aufladung.
Am 10. Tage stärkere Ausschwitzung und Krustenbildung an beiden Stellen,
welche erst in der 4. Woche abheilten. Ein Unterschied einer Reaktion an beiden
Stellen war nicht bemerkbar.
6. Weißes Kaninchen mit Mesothor (55 mg Radiumbromid äquivalent
16 Minuten bestrahlt a) vordere Stelle, b) hintere Stelle unter positiver Aufladung.
Am 4. Tage deutliche Verbrennung; an beiden Stellen gelbliches Zentrum,
roter Hof, bei b) stärker als bei a). Nach 9 Tagen schwand der rote Hof, die gelbe
Pustel hatte zugenommen stärker bei b) als bei a.)
Am 14. Tage war Stelle a) schon ganz verheilt, b) zeigte noch kleinen Defekt.
7. Weißes Kaninchen mit Mesothor (30 mg Radiumbromid äquivalent)
lb Minuten bestrahlt a) vordere Stelle, b) hintere Stelle unter positiver Aufladung.
Aın 9. Tage traten kleine Knötchen an beiden Stellen auf, welche sich zu
Pusteln bis zum 18. Tage vergrößerten.
Die hintere Stelle zeigte eine weit stärkere hyperämische Randzone und
stärkere Eiterpusteln als die vordere Stelle.
Die Beschaffenheit der von mir und anderen bisher angewandten Be-
strahlungsapparate (Ebonitkapseln mit Glimmerverschluß, Glastuben, Por-
zellanstein, Metallträger mit aufgelackter radioaktiver Substanz usw.) erlaubt
nur diese eine Kombination der statischen Elektrizitäts- und Radium-
bestrahlung, d. h. positive Aufladung des vollständig isolierten Körpers
während der Zeit der Radiumapplikation.
Nach den Arbeiten des englischen Physikers Eve und des deutschen
Physikers Reinganum war aber noch eine andere Kombinationswirkung
denkbar. |
Eve zeigte, daß der Einfluß von elektrischen Potentialen auf radio-
aktive Präparate sich durch Vergrößerung der Reichweite und Zubiegung
der Strahlung bemerkbar machte. Letztere konnte Reinganum nicht be-
stätigen, dagegen fand er ebenso wie Eve, dal ein elektronegatives Potential
die Reichweite der Strahlung der radioaktiven Substanzen vergrößert, also
die positive Aufladung des Präparates die der x-Teilchen, die negative Auf-
ladung die der B-Teilchen.
Das von mir hergestellte neue Instrumentarium, welches auf diesem
Kongreß zum ersten Male in der Ausstellung demonstriert wird, ermöglicht
nun nach diesem Prinzip noch eine zweite Kombination der Radium-
740 Sticker, Steigerung d. Radiumwirkung durch statische Elektrizität.
bestrahlung und Anwendung statischer Elektrizität. Ich vermag mit Hilfe
dieses Instrumentariums die auf dem Isolierstuhl sitzenden Patienten mit
einem negativ aufgeladenen radioaktiven Präparate zu behandeln, mit dem
Nutzen, daß ich eine weit stärkere Tiefenbestrahlung erziele, welche uns
bei Tumorkranken sehr zu statten kommt, und ohne den Nachteil irgend-
welcher unangenehmen Wirkungen seitens der angewandten statischen
Elektrizität.
Den Beweis hierfür erlaube ich mir in einer demnächst erscheinenden
wissenschaftlichen Studie. welche reiches Material bringt, zu liefern.
Über Quellenmessung. ')
Von
H. Sieveking, Karlsruhe.
M Herren! Ich möchte Ihnen einige Mitteilungen allgemeiner Natur
i über Erfahrungen machen, die bei Untersuchungen der Thermal-
quellen und Mineralquellen gesammelt worden sind. Ich habe gemeinsam
mit Herrn Prof. Engler mich dieser Frage seit längerer Zeit zugewandt.
Bei der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit muß ich mich auf
einige ganz allgemeine Gesichtspunkte beschränken.
Am wichtigsten dürfte die Frage nach dem Ursprung der Radioaktivität
in den Quellen sein. Wenn auch die Thermalquellen selbst meist aus
großer Tiefe stammen, so ist doch aller Wahrscheinlichkeit nach die Auf-
nahme radioaktiver Emanation und gelöster radioaktiver Stoffe ein in den
oberen Schichten erfolgender Vorgang. Da es meist vulkanische Gesteine
sind, die eine verhältnismäßig hohe Aktivität der aus ihnen austretenden
Quellen zeigen, so darf man nicht aus der Temperatur und der thermischen
Tiefenstufe auf den Ursprungsort schließen.
Die Primärquellen von hoher Aktivität treten zumeist aus verwittertem
Granit aus. Die Aktivität ist im allgemeinen am größten bei Quellen auf
Verwerfungsspalten im oder am Rande des älteren Gebirges, nahe von
Porphyrbrüchen, im Porphyr selbst und an der Auflagerungsfläche des
Oberrotliegenden auf Granit. Im Buntsandstein ist meist nur noch geringe
Radioaktivität nachzuweisen. Wenn es auch nicht ausgeschlossen ist, daß
einige Quellen in großer Tiefe aktiviert werden, so läßt doch der Umstand,
daß sich bei ein und demselben Quellenkomplex bei ganz ähnlicher chemischer
Zusammensetzung und ganz nahe zusammenliegenden Austrittsstellen sehr
beträchtliche Temperaturdifferenzen zeigen, darauf schließen, daß bei ge-
meinsamem Ursprung in der Tiefe nach oben eine Verzweigung stattfindet.
Die einzelnen Adern durchsetzen die oberen Schichten auf verschiedenen
und vor allem verschieden langen Wegen. Dies erklärt ihre Temperatur-
differenzen. Da auch die Stärke der Aktivität der Quellen einer Gruppe
sehr verschieden ist, so ist mutmaßlich die Aktivierung, wie der Vorgang
der Emanationsaufnahme und der Lösung radioaktiver Stoffe kurz genannt
werden möge, ebenfalls in den oberen Schichten erfolgt.
ı) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie,
Berlin 1913.
742 Sieveking,
Die Temperaturfrage ist sehr wichtig. Sehr häufig zeigen die kalten
Quellen eines Komplexes eine relativ hohe Aktivität (z. B. die Eisenquelle
in Karlsbad, die Grabenbäckerquelle in Gastein, die Büttquelle in Baden-
Baden). Gase werden von kaltem Wasser besser absorbiert als von heißem.
Andererseits wird der Auslaugungs- und Lösungsvorgang bei heißen Quellen
intensiver erfolgen als bei kalten, wodurch die Aktivität der Thermen als
solcher sich rechtfertigt. Denn bis zu einem gewissen Grade vermögen
die heißen Wasser begünstigt durch die Druckverhältnisse und die An-
wesenheit von CO, im Überschuß auch geringe Mengen der an sich sehr
unlöslichen Primärsubstanz zu lösen. Letztere wird dann allerdings bein
Austritt fast immer so gut wie ganz ausgeschieden. Auf die Art und
Weise komme ich noch ausführlich zurück.
Neben der Radiumemanation findet sich fast stets nachweisbare Thorium-
emanation. Auch Aktinium dürfte sich, sofern man sich die Mühe nimmt.
häufig feststellen lassen. Es möge betont werden, daß die Zusammen-
setzung einen bestimmten lokalen Charakter bedingt, und daß somit die
natürlichen Quellen stets eine gewisse Superiorität vor künstlich aktiviertem
Wasser besitzen. Sonst würde es naheliegen, an geeigneten Plätzen einen
Ersatz mittels fabrikmäßig gewonnenen Radiums auszuführen.
Die Frage, ob jede Radiumemanation führende Quelle darum als Heil-
(uelle anzusprechen sei, ist zu verneinen. Es ist bei der ungeheuren Ver-
breitung der Emanation fast eine Seltenheit, wenn eine Quelle keine
Emanation zeigt. Quellen mit 5—10 Macheeinheiten sind in so großer
Zahl vorhanden, daß sie kein Wertobjekt an sich darstellen. Es müssen
eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein, um eine nutzbringende Ausbeutung
zu garantieren. Vor allem kommt es auf die Wassermenge an und darauf,
ob dieselbe ungeschmälert zur Disposition ist. Auch spielt die Temperatur
eine wichtige Rolle. Wenn wie das z. B. in Wildbad i. W. der Fall ist,
das Wasser gerade mit der zum Baden erwünschten Temperatur austritt
und nicht weiter abgekühlt oder versetzt werden braucht, so ist das ein
eminenter Vorteil, der die geringe Aktivität wettmachen kann. Im allge-
meinen kann man eine Quelle von 20 Macheeinheiten als radioaktive Quelle
für Heilzwecke ansprechen; aber auch Quellen von 10 Macheeinheiten
können unter besonders günstigen Bedingungen inbezug auf Quantum,
Temperatur und Fassung als solche gelten. Wenn auch die Opposition
gegen die Macheeinheit unsern vollen Beifall findet, so halten wir es doch
in einer Darstellung allgemeinen Charakters für nützlich, uns derselben zu
bedienen. Sie hat sich so eingebürgert, daß zurzeit noch eine Wiedergabe
mit ihrer Anwendung ein bequemeres Bild gibt für die Praxis als die
Reduktion auf das Curie oder dessen Unterteilungen, oder die Milligramn-
minute. Was die Messung angeht, so benütze ich diese Gelegenheit, unı
Über Quellenmessung. 743
einige ständig wiederkehrende Einwände gegen den Engler-Sieveking-
schen Apparat zu widerlegen. Daß die Ionisierungskammer offen ist, be-
dingt gegenüber der unübertroffenen Luftisolation einen so erheblichen
Gewinn, daß ein eventueller Diffusionsverlust dagegen nicht in Rechnung
kommt. Wie manche Aktivität ist durch mangelhafte Isolation vorgetäuscht
worden, sobald der Bernstein feucht geworden war. Bei den geringen tat-
sächlich vorhandenen Emanationsmengen ist deren Partialdruck so gering,
daß die Diffusionszeit unendlich groß wird, wozu noch das hohe Molekular-
gewicht der Emanation kommt. Direkte Versuche, bei denen ein auf der
Achse des Fontaktoskopes verschiebbarer Bernsteinstopfen nach Belieben die
Kammer verschließen konnte, haben die Richtigkeit meiner Behauptung
bewiesen. Man bedenke ferner, daß die Prüfung einer Quelle in der Praxis
doch immer in der Weise erfolgt, daB man erst eine approximative Messung
ausführt, und dann bei den wichtigeren Quellen in aller Muße und mit
jeder Genauigkeit später den Gehalt bestimmt. Dann kann man auch in
aller Ruhe das Gleichgewicht der rasch verklingenden Zerfallsprodukte ab-
warten, was bei der primären Bestimmung nicht notwendig ist.
Was die Seaimente angeht, so scheidet sich das Radium in zahlreichen
Fällen als Sulfat aus. Dabei ist dann stets Bariumsulfat der Begleiter.
Sehr interessant sind die von Herrn Dr. Knett beobachteten stark radium-
haltigen Schwerspatkristalle, die sich auf den Wandungen einer vom Karls-
bader Thermalwasser durchströmten Spalte abgesetzt haben. Oder es treten
Karbonate auf, wie z. B. in Kreuznach. Sehr interessant ist auch die
von Engler gemachte Wahrnehmung, daB das Radium aus Lösungen mit
niedergeschlagenem Manganperoxyd ausfällt, was entweder auf eine Manganit-
bildung zurückzuführen ist, oder aber auch ein kolloidaler Niederschlags-
vorgang sein kann, analog den interessanten Beobachtungen Ebler’s, der
bekanntlich ein neues Verfahren zur Ausscheidung des Radiums hierauf
begründet hat.
Ausführlich hat C. Engler diese Frage im 4. Heft der Zeitschrift
Radium in Biologie und Heilkunde behandelt. Auf diese Abhandlung
sei hiermit verwiesen. Ich entnehme ihr ebenfalls eine interessante Berech-
nung: Radivaktive Quellen mit 15 bis 20 Macheeinheiten sind im Schwarz-
wald durchaus keine Seltenheit. Berechnet man den ungefähren Granit-
gehalt des ganzen Gebirges und nimmt man einen mittleren Gehalt von
Uranerzen, sowie darin von Radium an, so kommt man zu dem Schluß,
daß ca. 20000 kg Radium im Schwarzwald verborgen liegen. Leider ist
es nicht möglich, eine chemische Aufschließung des Gebirges durchzufüliren,
sodaß diese Schätze unbehoben bleiben werden.
Die auf Anregung von Engler unternommenen Fahndungen auf Uran
sind erfolgreich gewesen. Nachzuwcisen waren an einer ganzen Reihe von
744 Sieveking, Über Quellenmessung.
Stellen uranhaltige Mineralien, unter diesen vor allem schön smaragdgrüner
Kupferuranit, ferner grünlichgelber Kalkuranit und endlich Uranocker.
Der Nachweis von Helium in Quellen ist in zahlreichen Fällen ge-
lungen; hierüber habe ich ausführlich anläßlich des Naturforscher- und
Ärztetages in Münster berichtet.
Zum Schlusse möchte ich mir erlauben, Ihnen meinen Dank auszu-
sprechen für die ehrende Aufforderung, Ihnen hierüber vorzutragen, und
zwar möchte ich dies, da ich alle diesbezüglichen Untersuchungen gemeinsanı
mit Herrn Prof. Engler ausgeführt habe, in unser beider Namen tun.
Immer wieder werden wir gefragt, wie weit der Zusammenhang zwischen
Radioaktivität und Heilkraft gesichert sei. Wenn wir als Chemiker und
Physiker darüber kein Urteil haben, so mul uns um so mehr daran ge-
legen sein, vor dem kompetenten Forum von Ärzten diese Fragen anzu-
regen und Ihre Belehrung entgegenzunehmen.
Aus dem Laboratorium
der deutschen Gasglühlicht-Aktiengesellschaft, Berlin.
Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie.
Von
B. Keetman und M. Mayer.
(Mit 3 Abbildungen.)
D“ Beherrschung der Filtertechnik ist unerläßlich für die Anwendung
starker Mesothor- und Radiumpräparate. Über diesen Gegenstand
sind einige Abhandlungen erschienen.?)?)
Im nachfolgenden wird gezeigt, daß die Forderungen dieser Autoren
teilweise nicht im Einklang stehen mit den Ergebnissen genauer physi-
kalischer Untersuchungen.
Es muß aufs entschiedenste verlangt werden, daß alle empirischen
Gesichtspunkte, soweit es sich um die physikalische Seite der Bestrah-
lungstherapie handelt, aus der Diskussion ausgeschaltet werden.
Für die Tiefenbestrahlung mit hohen Dosen sind die a-Strahlen wegen
ihres geringen Durchdringungsvermögens nicht anwendbar; sie werden
daher nicht weiter in die Betrachtung einbezogen. Mit den £- und y-
Strahlen dagegen haben wir uns ausführlich zu beschäftigen.
Es ist einleuchtend, daß stets nur derjenige Bruchteil der in Form
von Strahlen zur Verfügung stehenden Gesamtenergie biologisch-che-
misch ausgenützt wird, der im Gewebe zur Absorption gelangt. Das
besondere Augenmerk ist also auf die Absorbierbarkeit bzw. Durch-
dringungsfähigkeit der verschiedenen Strahlensorten im Gewebe zu
richten. Damit wird gleichzeitig die Frage nach der Grenze der Tiefen-
wirkung berührt.
Weiterhin ist die Wirksamkeit der verschiedenen Metalle hinsichtlich
ihrer Durchlässigkeit für die $- und y-Strahlen zu erörtern. Man gewinnt
dann einen Anhalt, welche Metalle als Filtermaterial sowohl für 8- wie
für y-Strahlen am geeignetsten sind.
Nach Erörterung der rein physikalischen Ergebnisse soll der Versuch
gemacht werden, die Nutzanwendung daraus für die Bestrahlungstherapie
zu ziehen.
!) Gauß, „Strahlentherapie“ Band III, Heft 1, S. 348.
2) Sticker, „Strahlentherapie“ Band II, Heft 1, S. 1.
746 Keetman u. Mayer,
1. $-Strahlen.
Die Anschauung, daß die -Strahlen des Mesothors aus einer Reile
ganz verschieden weicher und harter Strahlenanteile bestehen, kann ——
wenigstens für die therapeutische Seite — nicht als richtig anerkannt
werden, sobald das radioaktive Präparat auch nur von einer Glimmer-
schicht von 0,06 mm Dicke bedeckt ist.!) Durch dieses Glimmerbla tt
werden die weichen Anteile der -Strahlen zugleich mit den a-Strahlen
vollkommen absorbiert. Die dann noch durch den Glimmer durchtreten-
den -Strahlen verhalten sich dem Gewebe gegenüber wie eine einheit-
liche, homogene Strahlung.
Setzt man die durch den Glimmer durchtretende £- plus y-Strahlun «z
gleich 100 und bestimmt, wie ihre Gesamtintensität mit steigenden Ge-
l.ogarithmen der gemessenen Aktivitäten.
mm Cerebe
Fig. 1.
websschichten abnimmt, so werden diese Verhältnisse durch Fig. 1 dar-
gestellt. Die Strahlungsintensität ist mit J bezeichnet, die Gewebs-
schichten sind auf der Abszisse in Millimetern aufgetragen. Man sieht, daß
nach Durchgang einer Gewebsschicht von 1 mm nur noch 40%, nach
2 mm nur noch 20% und nach 3mm nur noch 10% der ursprünglichen
Strahlung vorhanden ist. Nach 6 bis 8 mm Gewebsschicht verläuft die
Kurve fast horizontal, d. h. es bleibt die y-Strahlung übrig, die
bei Einschaltung weiterer Gewebsschichten nur sehr langsam vermin-
dert wird.
Subtrahiert man von den in der Fig. 1 aufgetragenen Werten die un-
gefähr konstant bleibende y-Strahlung, so erhält man das Absorptions-
gesetz für die -Strahlen in Gewebsschichten. Trägt man dann die
1) An Stelle des Glimmers können gewisse Metalle natürlich von entsprechen-
der Dicke treten.
Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 747
Logarithmen der experimentell gefundenen Aktivitäten in eine Kurve ein,
so zeigt sich, daß alle Werte auf einer Geraden liegen (Fig. 2).
Dies bedeutet, daß jedes Zehntel mm Gewebe den gleichen Bruchteil
der jeweils vorhandenen -Strahlung absorbiert und zwar, wie sich
aus der Kurve leicht ersehen läßt, ungefähr 8%,. Die £-Strahlung, die
durch ein Glimmerblatt von 0,06 mm Dicke hindurchgegangen ist, kann
also dem Gewebe gegenüber als eine einheitliche Strah-
lung betrachtet werden. Bei der Untersuchung im magnetischen Felde
erweisen sich die -Strahlen allerdings als komplex; dies gilt aber nicht
für ihre Absorption im Gewebe. Das letztere ist für den Mediziner das
Wesentliche. Fig. 1 gibt also ein ganz klares Bild darüber, wie die £-
Strahlung im Gewebe ausgenützt wird. Die Tiefenwirkung der ß-Strah-
lung ist also mit ca. 6—8 mm erschöpft.
Es erhebt sich nun die Frage, wie sich die einzelnen Metalle gegen-
über der -Strahlung verhalten. Zur Feststellung wurde ein Mesothor-
präparat mit allmählich wachsenden Schichten verschiedener Metalle
bedeckt und die durchtretenden Aktivitäten in einem mit Blei ausgelegten
Elektroskop gemessen.!) Die Logarıthmen der gefundenen Stromstärken
wurden in Kurven zusammengestellt.
S
~
N
V
x
N
9
S
x
N
w
X
S
`
N
w
x
a
>
>
~
N
Y
>
`~
N
w
t
A
|
Fig. 3 zeigt die erhaltenen Resultate für Aluminium (Al), Messing
(Cu + Zn), Silber (Ag), Gold (Au) und Blei (Pb). Wie man sieht, zeigt
sich bei allen Metallen ein scharfer Knick der Kurve dann, wenn die £-
Strahlen für praktische Zwecke vollkommen absorbiert sind. Bei Alu-
minium sind 8—3,5 mm, bei Messing und Silber je 1—1,5 mm, bei Blei
und Gold ca. 0,7 mm erforderlich. Alsdann bleibt nur die reine y-Strah-
lung übrig. Die hier gefundenen Zahlen unterscheiden sich wesentlich
ı) Die Strahlen konnten in das Elektroskop durch ein dünnes Aluminium-
fenster eintreten. In Elektroskopen aus anderem Metall ergeben sich etwas ab-
weichende Kurven.
748 Keetman u. Mayer,
von den z. B. von Sticker!) angegebenen Werten. Bisher glaubte man.
daß selbst 4 mm Blei nicht ausreichen, um sämtliche -Strahlen zu
absorbieren. Wodurch diese Differenzen zu erklären sind, soll in einer
späteren Arbeit erläutert werden. Man hat nunmehr exakte Unterlagen
für die Filterdicke verschiedener Materialien, wenn es sich um die Ab-
sorption der -Strahlen handelt.
Folgende Tabelle faßt nochmals die Filterdicken zusammen, bei
deren Anwendung die £-Strahlen sicher unschädlich gemacht werden:
Aluminium 3—4 mm
Messing 1,0—1,5 ,,
Silber 1,0—1,5 ‚,
Blei 0,8—1 ,,
Gold 0,6—0,8 ,
Platin 0,5—0,6 ,„
Wil man für bestimmte Zwecke nicht alle -Strahlen absorbieren, so
kann man Filter verwenden, die eine geringere Stärke aufweisen, als zur
Absorption sämtlicher -Strahlen notwendig ist.
Setzt man die durch ein Glimmerblatt von 0,06 mm durchtretende
ß- plus y-Strahlung gleich 100, so wird z. B. durch ein Aluminium- und
Silberfilter von 0,05 mm Dicke 28 bzw. 68%, der -Strahlen absorbiert.
Durch Variation der Filterdicken verschiedenen Materials ist man in
der Lage, ganz bestimmte Mengen der £-Strahlen neben den y-Strahlen
mit zu verwenden.
2. y-Strahlen.
Ihrer Natur nach unterscheiden sie sich sehr wesentlich von den
ß-Strahlen. Dem Gewebe und Metallen mit niedrigen Atomgewichten
gegenüber verhalten sich die y-Strahlen, ebenso wie die -Strahlen (vgl.
Abschnitt 1) einheitlich.?2) Jeder Zentimeter Gewebsschicht absorbiert
etwa 10%, der jeweils vorhandenen y-Strahlung. Neuerdings ist diese
Zahl von Giraud für die y-Strahlung des Radiums exakt zu 9% ange-
geben worden.®) Es kann daher — im Gegensatz zur Anschauung Sticker:
— von weicheren und härteren y-Strahlen wenigstens dem Gewebe gegen-
über nicht gesprochen werden.
1) 1. c, S. 10.
%, Diese Einheitlichkeit geht aus den Kurven der Figur 3 hervor. Nach der
Absorption der 8-Strahlen werden die Kurven gradlinig, d. h. die y-Strahlung ver-
hält sich wie eine homogene Strahlung, denn sie wird von diesen Metallen nach
einem Exponentialgesetz absorbiert. Dies gilt für Aluminium und Messing bis zu
sehr dicken Schichten. Beim Gold, Blei und Platin ergibt sich eine Komplikation.
von der gleich nachher bei Betrachtung der Sekundärstrahlen gesprochen werden mul.
®) „Strahlentherapie“, Bd. III, Heft 1, S. 82.
Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 749
Die Ausführungen von Sticker!) betreffend Absorption der y-
Strahlen sind durchaus unzutreffend, ebenso seine anderen Bemerkungen
über mittelharte und harte 8- und y-Strahlen.
Nach unseren jetzt dargelegten Feststellungen über g- und y-Strah-
lung ist daher zur Erzielung einer einheitlichen y-Strahlung gegenüber
Gewebe nur notwendig, die -Strahlen vollkommen zu entfernen. Hier-
zu genügt z. B., wie wir gesehen haben, schon 1 mm Messing. Es ist
daher nicht erforderlich, stärkere Filter anzuwenden, etwa in der Absicht,
eine weiche y-Strahlung abzufiltrieren. Eine weichey-Strahlung
istgegenüber Gewebe und gegenüber Metallen mit nie-
drigem Atomgewicht nicht nachweisbar.
Diese Feststellung ist therapeutisch außerordentlich wichtig. Bei
Metallen mit hohem Atomgewicht, wie Gold, Blei, Platin, ergeben sich,
wie in der Anmerkung auf Seite 748 kurz angedeutet ist, Komplikationen.
Die Art der Unstimmigkeit hat der eine von uns (B. Keetman) in Ge-
meinschaft mit F. Bahr aufgeklärt. Die genauen Ausführungen und Belege
werden an anderer Stelle mitgeteilt werden. Dieser Arbeit seien kurz
folgende Betrachtungen entnommen.
Die am Gewebe und an Metallen mit niedrigem Atomgewicht (Alu-
minium, Messing, Nickel usw.) als einheitlich erscheinende y-Strahlung
ist in Wahrheit komplex und besteht aus 2, vielleicht auch mehr Anteilen,
die sich in ihrem Durchdringungsvermögen gegenüber Elementen mit
hohem Atomgewicht erheblich unterscheiden. Ein Teil der Strahlen wird
von Gold, Platin oder Blei sehr viel stärker absorbiert. Auf diese Weise
erklärt es sich, wenn man die Absorption der harten Strahlung (y-Strah-
lung) an verschiedenen Metallen feststellt, daß bei den Schwermetallen
erheblich größere Absorption der am Gewebe einheitlich erscheinenden
-Strahlung erfolgt.
Die Tabelle gibt die Zahlenwerte:
1 mm Messing absorbiert ca. 3% der y-Strahlen
1 , Silber 5 PE e =
1 , Gold 5. » 14% 5 u
1 , Platin - 109% 5 5
1 ,„ Blei = a BY- u
2 „ Blei 5 w al +
8 „ Bla 5 28%: 35 =
4 „ Blei = „ 84% 5 A
Man sieht also, daß der Verlust an y-Strahlen umso größer wird,
Je höheres Atomgewicht und spezifisches Gewicht die Filter haben. Wäh-
rend 1 mm Messing nur 3% der Gesamt-y-Strahlung absorbiert, absor-
2) „Strahlentherapie“, Bd. III, Heft 1, S. 55.
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 48
750 Keetman u. Mayer,
biert 1 mm Silber 7%. Man sieht auch, wie zwecklos es ist, 2, 3 un.
4 mm Blei zu verwenden, denn man vergeudet nur unnütz wertvolle
Energie.
3. Sekundär-Strahlen.
Die erhebliche Schwächung der y-Strahlen ist aber keineswers der
einzige Nachteil, den die Filter mit hohen Atomgewichten in sich bera«n.
Dies wird verständlich, wenn man sich klar macht, was bei der Absorptivr
der y-Strahlen entsteht. Bekanntlich erzeugen die y-Strahlen an allen
Materien Sekundärstrahlen und zwar in umso stärkerem Maße, je stärzer
sie absorbiert werden. Man kann also sagen, daß die Energie. die bei der
Absorption der Primärstrahlen scheinbar vernichtet wird, in For von
Sekundärstrahlen zum Teil neu in Erscheinung tritt. Infolgedessen lieferz
die von deny-Strahlen getroffenen Metalle umso stärker Sekundärstralilen.
Je höher das Atomgewicht ist. Diese neu hinzutretende Strahlung verh.l:
sich ähnlich wie eine weiche £-Strahlung. Sie ist mithin für die Tiefen-
therapie durchaus unerwünscht, da sie Oberflächenschädigungen hervor-
rufen kann. Die Sekundärstrahlen müssen also durch Filter von nie
drigem Atomgewicht absorbiert werden und zwar in umso sorgfältiverer
Weise, je intensiver sie sind, d. h. je höher das Atomgewicht des Filter-
metalles ist. Darin liegt natürlich ein weiterer großer Nachteil der Bleı-.
Gold- und Platinfilter. Die Sekundärstrahlen können durch Gummu-
oder Mullhüllen vernichtet werden.
4. Nutzanwendung für die Therapie.
Bei der Anwendung von Mesothor- und Radiumpräparaten ist al:
wichtigstes Moment zu beachten, daß die Strahlung mit dem (Quadrat
der Entfernung abnimmt. Dieser Satz gilt in gleicher Weise für e-, č-
und y-Strahlen. Demnach wird pro Flächeneinheit in der Tiefe nur
ein Bruchteil der an der Oberfläche vorhandenen Strahlung übrig bleiben.
Dieser Bruchteil wird aber vermindert durch die für die einzelnen Strahlen-
sorten charakteristische Absorption im Gewebe.
Des weiteren muß vorausgeschickt werden, daß die £- und y-Strah-
len sich in dem Betrage ihrer Gesamtenergie voneinander
wenig unterscheiden. Es wird häufig davon gesprochen, daß dir
ß-Strahlen 100 mal so stark sind wie die y-Strahlen. Gegen eine solche
Ausdrucksweise muß Stellung genommen werden, denn sie läßt die irr-
tümliche Auffassung zu, als ob die Energie der y-Strahlung 100 mal
schwächer wäre als die der £-Strahlung. Die Erklärung liegt darin,
daß von der Gesamitenergie der -Strahlen in jedem Zehntel Mili-
meter Gewebe ca. 8°, absorbiert werden (s. 8. 747), während von der
Gesamt-y-Strahlung pro Zehntel Millimeter Gewebsschicht nur ungefähr
Gesichtspunkte für die Mesothoriunitherapie. 751
0,09%, vernichtet werden. Stellt man sich auf den von uns ver-
tretenen Standpunkt, daß der therapeutische Effekt wenigstens ange-
nähert bedingt ist durch den in der Einheit des Gewebes vernichteten
Energiebetrag, so ist klar, daß an der Oberfläche die -Strahlen ca. 100 mal
so stark wirken müssen wie die y-Strahlen. Der Umstand, daß die Ge-
samtenergie der $-Strahlen in Gewebsschichten von 6—8 mm Dicke fast
vollkommen ausgenutzt wird (s. S. 747) während von der Gesamtenergie
der y-Strahlung in 10 mm Gewebsschicht erst 10%, vernichtet werden,
gibt die Erklärung, warum die Dermatologen mit relativ geringen Radium-
oder Mesothoriummengen hervorragende Effekte erzielen. Diese arbeiten,
und zwar mit vollem Recht, unter möglichster Ausnutzung der -Strahlen
und dementsprechend ist es eine Kleinigkeit, Karzinome mit -Strahlen
bis zu !/, cm Tiefe vollkommen zu vernichten.
Filtriert man die -Strahlen bei schwachen Präparaten ab (ein schwa-
ches Präparat ist ein solches mit wenigen mg Radiumbromidaktivität pro
qem), so bleibt eine y-Strahlung übrig, die nicht mehr gestattet, irgendwel-
che Wirkungen hervorzurufen, obwohl die Gesamtenergie dieser y-Strahlen
ebenso groß ist, wie die der $-Strahlen. Der Grund liegt, wie schon er-
wähnt darin, daß sich die Gesamtenergie der y-Strahlung auf eine viel
größere Grewebstiefe verteilt, so daß der in der Volumeinheit des Gewebes
zur Absorption kommende Energiebetrag nicht ausreicht, um noch einen
zerstörenden Effekt hervorzubringen. Vorausgesetzt, daß der therapeuti-
sche Effekt ungefähr dem in der Volumeneinheit des Gewebes absorbierten
Energiebetrag entspricht, so wäre die Schlußfolgerung die, daß man auch
mit reiner y-Strahlung dieselbe Oberflächenwirkung im ersten Zehntel
mm Gewebsschicht hervorrufen kann, wie mit der 8-Strahlung, wenn nur
die hundertfach größere Menge radioaktiver Substanz auf genau derselben
Fläche angewendet wird und die -Strahlen restlos absorbiert werden.
An dieser Stelle sei nochmals der vielfach geäußerten, aber vollkommen
falschen Auffassung entgegengetreten, als ob die y-Strahlen in den Ober-
flächenschichten nicht absorbiert werden, sondern erst in der Tiefe zur
Absorption gelangten. Jeder Zentimeter Gewebsschicht absorbiert von
der y-Strahlung ca. 10%, der jeweils vorhandenen Menge, gleichgültig,
wie weit das Gewebe vom Präparat entfernt ist.
Reine y-Strahlung wirkt auf gesundes Gewebe schädlich, sowie sie
in der nötigen Dichte, d. h. in der nötigen Menge pro Einheit der Fläche
auftritt, selbstverständlich bei entsprechender Bestrahlungszeit.
Die Wirkung, die ein gegebenes Mesothorium- oder Radiumpräparat
ausübt, ist daher in erster Linie abhängig von der Stärke des Präparates,
d. h. davon, wieviel mg Mesothorium oder Radium (bezogen auf
y-Aktivität) pro Flächeneinheit vorhanden ist.
48*
752 Keetman u. Mayer,
Vielfach werden Angaben verbreitet, als ob die y-Strahlen des Ra-
diums und die des Mesothoriums von einander erheblich differieren, un!
dementsprechend berichten die einen Autoren, daß das Radium, die an-
deren, daß das Mesothorium besser wirke. In Wahrheit aber unterscheiden
sich diey-Strahlen des Mesothoriums 2 und des Thoriums D in ihrer Durch-
dringungsfähigkeit nicht sehr von denen des Radiums, so daß die Wirkuny
praktisch dieselbe sein muß. Es ist daher zu erörtern, wodurch Anschau-
ungen zustande kommen können, wie sie z.B. Schauta in seinem Referat
auf dem diesjährigen Naturforscherkongreß in Wien vorgebracht hat.
Schauta berichtet, Radium wirke erheblich besser als Mesothoriun..
Es muß zu diesem Zweck erläutert werden, in welcher Abhängigkeit
die Tiefenwirkung eines Mesothoriumpräparates von seiner Anordnung.
d. h. von der Dichte seiner Strahlung steht.
In der Literatur findet man durchgängig als Maß für die angewandte
Dosierung die Angabe der für den Einzelfall benutzten Milligramn:-
Stunden. Diese Bezeichnung ist gänzlich verfehlt; denn wenn es nur auf
das Produkt aus der Anzahl Milligramm und der Bestrahlungszeit ankäme,
so müßte ein Präparat von 20 mg Aktivität in 500 Bestrahlungsstunden
dasselbe leisten können wie ein Präparat von 200 mg in 50 Stunden.
Betrachten wir die strahlende Fläche in erster Annäherung als punkt-
förmig (vom Karzinom aus gesehen), so nimmt die Strahlung pro Flächen-
einheit nach der Tiefe zu mit dem Quadrat der Entfernung ab. Wir haben
also bei dem Präparat, welches 200 mg pro qem besitzt, die zehnfach
größere Strahlendichte.
Machen wir die willkürliche Annahme, daß das Präparat mit 200 mg
in der Entfernung 1 auf der Flächeneinheit 100000 y-Strahlen pro Se-
kunde liefert, so ergeben sich für die Tiefe die untenstehenden Zahlen.
Da das zweite Präparat nur den zehnten Teil der Dichte des ersten pro
Flächeneinheit hat, so ist seine Strahlendichte natürlich in jeder der Be-
trachtung unterzogenen Entfernung zehnmal geringer.
Entfernung vom Präparat: Strahlendichte:
1 100000
2 25000
3 11111
4 6250
5 4000
6 2780
T 2040
8 1564
9 1235
1000
wà
©
Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 753
Aus den bisherigen therapeutischen Erfahrungen geht mit Sicherheit
hervor, daß zur Zerstörung von Karzinomzellen eine gewisse Minimal-
dosis an Strahlen pro Flächeneinheit notwendig ist.!)
Erreicht man mit einem gegebenen Präparat die Minimaldosis nicht,
so besteht die Gefahr, daß nach langer und andauernd schwacher Bestrah-
lung das Karzinomgewebe gereizt und zu neuer Wucherung angeregt
wird, die mitunter noch bösartiger sein kann als das unbestrahlte Gewebe.
Darum muß das Ziel darauf gerichtet sein, in kürzester Zeit mit der größt-
möglichen Strahlendosis in die Tiefe zu kommen, oder mit anderen Worten,
die Dichte der Strahlen muß so hoch gewählt werden, daß auch die am
weitesten entfernte Karzinomzelle der betreffenden Geschwulst von der
Minimaldosis getroffen wird.
Welches ist nun vom theoretischen Standpunkt aus betrachtet die
günstigste Anordnung für Mesothorium und Radium für Tiefenbestrah-
lung? Es ergeben sich zwei Möglichkeiten:
1. die Anordnung auf flachen Trägern mit relativ geringer Ober-
flächendichte pro qem und
2. die Anordnung in kleinen Röhrchen mit möglichst hoher Dichte
der Strahlung pro qem.
Auf den ersten Blick scheinen beide Anordnungen genau das entgegen-
gesetzte zu ergeben. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Gesetz, daß die Strahlendichte pro Flächeneinheit mit dem Qua-
drat der Entfernung abnimmt, gilt nur für die Betrachtung punktförmiger
Strahlungsquellen. Das Gesetz gilt, falls die Strahlenquelle nicht mehr
punktförmig, sondern flächenförmig ist auch noch annähernd dann, wenn
die von der Strahlung getroffene Fläche in einem solchen Abstand vom
Bestrahlungsapparat liegt, daß der Bestrahlungskörper sehr klein er-
scheint.
Ist dagegen der Abstand des Bestrahlungskörpers klein, so daß er
von der getroffenen Fläche gesehen, groß erscheint, so gilt das Gesetz
von der Abnahme mit dem Quadrat der Entfernung nicht mehr. Die
Erklärung liegt darin, daß auf einer Fläche jeder Punkt eine Strahlenquelle
darstellt und jeder dieser Punkte nach allen Seiten Strahlen ausschickt.
Die von verschiedenen Stellen ausgesandten Strahlen überkreuzen sich
in der Tiefe, und dadurch kommt eine langsamere Abnahme der
Strahlung zustande, als dem Quadrat der Entfernung entspricht. Daraus
seht hervor, daß wenn der Abstand von dem zu bestrahlenden Karzinom
I) Was aus der im Karzinomgewebe vernichteten Energie wird, läßt sich mit
Sicherheit nicht sagen. Es besteht aber die Möglichkeit, daß bei der Absorption
der Strahlung die ursprünglich harten Strahlen in weiche Sekundärstrahlen, die
den Charakter von $-Strahlen haben, umgewandelt werden.
754 Keetman u. Mayer,
klein ist, man mit kleinen Röhrehen mit hoher Konzentration größere
Strahlendichte erhält als mit flachen Trägern. Die flachen Träger mit
geringer Oberflächenkonzentration dagegen haben dann eine Bedeutung,
wenn man von der Oberfläche der Haut aus, ohne diese bei längerer Be-
strahlungsdauer stark zu beanspruchen, in sehr große Tiefen dringen
will. Diese Fälle sind aber selten und bedingen eine große Energiever-
geudung. Die Strahlenenergie des Mesothoriums und Radiums wird am
besten ausgenutzt, wenn man am oderim Karzinom arbeitet.
Für das Arbeiten im Körperinnern kommen Platten erklärlicher-
weise so gut wie nicht in Frage. Man ist also auf den Gebrauch von Röhr-
chen angewiesen. Nur mit diesen kann man gewöhnlich die Forderung
erfüllen, möglichst im oder am Karzinom zu arbeiten. Wie die Dichte
der Strahlung mit dem Quadrat der Entfernung pro Flächeneinheit
abnimmt, läßt die auf Seite 752 gegebene Tabelle erkennen. Es ist dort
auseinandergesetzt, wieviel größere Tiefenwirkungen man erhält, wenn
auf gleicher Fläche die Menge an Mesothorium oder Radium gesteigert
wird.
Die Strahlendichte eines schwächeren Präparates kann zwar an der
Oberfläche zur Zerstörung der Krebszellen ausreichen, in der Tiefe aber
sinkt die Strahlung rasch unter die Minimaldosis. Man kann nun das
Verhältnis der Tiefen- zur Oberflächendichte dadurch günstiger gestalten,
daß man sogenanntes Kreuzfeuer anwendet. Reicht die Wirkung einer
bestimmten Anordnung nicht aus, um die Minimaldosis bis zur gewünsch-
ten Tiefe zu bringen, so kann man mehrere Röhrchen in entsprechenden
Abständen verwenden. Die Strahlen addieren sich in der Tiefe, ohne daß
die Oberflächendosis größer wird. (Auf Platten verteiltes Mesothorium
oder Radium stellt einen Spezialfall des Kreuzfeuers dar.)
Aus diesen Betrachtungen ergibt sich, daß die Anschaffung kleiner
Röhrchen mit großer Strahlendichte in den meisten Fällen vorzuziehen
ist, da sie eine allgemeinere Verwendung zulassen. Sie besitzen, eine
große Oberflächendichte, und ihre Tiefenstrahlung läßt sich durch gleich-
zeitige Anwendung mehrerer Röhrchen nach der Kreuzfeuermethode be-
liebig vergrößern.
Dies führt uns zu einem weiteren Punkt, nämlich zur Frage nach der
zweckmäßigen Konzentration der radioaktiven Substanzen. Es ist
einleuchtend, daß kleine, enge Röhrchen nur die Anwendung hochkonzen-
trierter Mesothor- oder Radiumpräparate zulassen.
Soweit eine Tiefenwirkung beabsichtigt ist, ist die Konzentration der
gelieferten Präparate von höchstem Interesse. Vielfach sind Radium-
präparate im Handel, die nur 5 proz. oder 10 proz. sind, d. h. also.
100 mg y-Aktivität sind enthalten bei 5 proz. Material in 2 g Substanz,
Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 735
bei 10 proz. Material in 1 g Substanz, bei 50 proz. Material in 200 mg
Substanz. Eine sehr konzentrierte Anordnung eines 5 oder 10 proz.
Präparates ist unmöglich, wenn die Anforderung hinzukommt, das Prä-
parat in möglichst kleine Röhrchen einzufüllen.
Es ist daher beim Kauf von radioaktiven Stoffen unbedingt zu for-
dern, daß das Material nicht unter 70 proz. ist, d. h. 100 mg y-Strahlen-
aktivität dürfen in nicht mehr als ca. 140 mg Substanz enthalten sein.
Es muß verlangt werden, daß die Flächendichte, d. h. die
Anzahl Milligramme pro gem bei Angabe der Dosierung hinzugefügt
wird. Denn nur dann läßt sich ein Anhalt gewinnen, auf welchem Wege
ein beschriebener Effekt erhalten ist. Zwei Präparate, sei es von Radium
oder von Mesothorium, müssen ganz verschiedene Wirkungen hervor-
bringen, auch wenn sie dieselbe Anzahl Milligramme enthalten, sobald
die Oberflächenverteilung der beiden Präparate verschieden ist. Ver-
sleiche von Mesothorium und Radium sind undenkbar in verschiedenen
Anordnungen und mit verschiedenen Aktivitäten. Der Vorwurf kann
der Klinik Schauta nicht erspart bleiben, daß sie versäumt hat, auf diese
Verhältnisse Rücksicht zu nehmen.
Ziehen wir die Schlußfolgerung, so ergibt sich zunächst, daß wo es
überhaupt angängig ist, im Karzinom oder am Karzinom gearbeitet
werden muß wegen der Abnahme der Strahlung mit dem Quadrat der
Entfernung.
Soll im Körper bestrahlt werden, so sind wegen der leichten Hand-
habung kleine Röhrchen mit möglichst großer Dichte der Strahlung an-
zuwenden.
Es ist beobachtet, daß bei großer Dichte der y-Strahlung diese
letztere schon nach wenigen Stunden imstande ist, an der Oberfläche
auch gesunder Haut Erscheinungen hervorzubringen, die nachher, je
nach der Art des benutzten Präparates, im Verlaufe längerer Zeiträume
zu Ulzerationen führen. Bevor man daher mit irgendeinem Bestrahlungs-
apparat Versuche anstellt, muß derselbe biologisch geeicht werden,
d. h. es ist festzustellen, welche Wirkungen die reinen y-Strahlen nach
vollkommener Absorption der -Strahlen und der Absorption evtl. auf-
tretender Sekundärstrahlen hervorbringen. Zu diesem Zweck muß das
Präparat verschieden lange Zeit an gesundem Gewebe liegen gelassen
werden, und es sind die Wirkungen zu beobachten, die im Laufe von 2—8
Wochen auftreten. Auf diese Weise gelangt man relativ schnell zu einer
Übersicht, was mit dem Präparat geleistet werden kann. Aber die Ei-
chung ist nicht nur für den Fall vorzunehmen, daß das Präparat unter Ab-
filtrierung der -Strahlen und evtl. auftretender Sekundärstrahlen direkt
an das Gewebe gebracht wird, sondern die Eichversuche sind zu wieder-
756 Ä Keetman u. Mayer,
holen in verschiedenen Abständen vom gesunden Gewebe. Um den Ab-
stand genau einhalten zu können, empfiehlt es sich, eine Lage von Gummi
oder Mull zwischen Präparat und Haut zu bringen. Der Gummi mnb
aber frei sein von Schwermetallen, sonst entstehen durch den Gummi
selbst wieder Sekundärstrahlen. Bekanntlich nimmt die Oberflächen-
intensität der Strahlung mit dem Quadrat der Entfernung ab, d.h.
sie sinkt mit den ersten Millimetern rapid, während nachher die Ab-
nahme, wie die Zahlen der Tabelle auf 8. 752 zeigen, sehr viel lang-
samer erfolgt. Hat man daher sehr starke Präparate, z. B. Röhrchen uni
will man ohne eine Schädigung der Oberfläche hervorzurufen, Tiefenwir-
kung haben, wozu längere Bestrahlungszeiten erforderlich sind, so muß
man das Präparat in einem Abstand von mehreren Millimetern vom
Gewebe benutzen. Würde man dasselbe Präparat direkt an die Ober-
fläche der Haut bringen, so könnte man z. B. nur wenige Stunden
ohne Schädigungen der Oberfläche bestrahlen. Für eine bestimmte
Tiefe würde jedoch diese Zeit noch nicht ausreichen. Geht man aber
in einen Abstand von 2 oder 8 mm, so kann man z. B. mit demselben
Präparat viele Stunden bestrahlen, ohne eine Schädigung des gesunden
Gewebes zu bekommen. Bei einem starken Präparat wird also trotz der
Abnahme der Strahlung mit dem Quadrat der Entfernung noch eine
genügende Dosis an y-Strahlen in die Tiefe dringen. Arbeitet man im
Karzinom, so wird es natürlich keine Rolle spielen, ob die direkt an den
Bestrahlungsapparat angrenzende Schicht bei längerer Bestrahlung ver-
brannt wird. Man wird daher bei Bestrahlungen im Karzinom Wert
darauf legen müssen, möglichst Röhrchen anzuwenden mit sehr hoher
Oberflächendichte, denn je dichter die y-Strahlung, um so größer die
Tiefenwirkung. Will man aber schnell entstehende Verbrennungen
(direkt am Bestrahlungsapparat) vermeiden, so muß man vorgehen wie
am gesunden Gewebe und zwischen Karzinom und Bestrahlungsapparat
einen Abstand bringen. Dies geschieht zweckmäßig durch Anwendung
eines Aluminiumfilters von ca. 8—8,5 mm Stärke (ein solches absorbiert
die £#-Strahlung restlos, gleichzeitig von der vorhandenen y-Strahlunz
nur ca. 3%). 5. S. 749.
Man hat in diesem Falle 97%, der Gesamt-y-Strahlung zur Verfü-
gung und hat die schädliche Oberflächendichte erheblich herabgeminldert.
indem man zwischen Röhrchen und Karzinom 3 mm Abstand gebracht
hat. Man kann auch so verfahren, daß man das eigentliche Bestrahlungs-
röhrchen in einen Korkzylinder von 2 mm Dicke und diesen seinerseits
in ein Messingfilter von 1 mm Wandstärke Dicke bringt. Der Ver-
lust an y-Strahlung unter vollkommener Absorption der -Strahlung
und unter Einhaltung eines Abstandes von 3 mm ist auch in diesem Fall
n
Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 737
sehr gering. Diese Arbeitsweise ist dieselbe, wie wenn man mit Röhrchen
von hoher Oberflächendichte durch gesunde Haut hindurch längere Zeit
bestrahlen will.
Die Bestrahlungszeit, die man beim Arbeiten im Karzinom wählen
muß, hängt ab von der Gestalt des Karzinoms. Ist das Karzinom von
unregelmäßiger ‚Gestalt, so wird von Fall zu Fall zu entscheiden sein, wie
lang die Bestrahlungsdauer gewählt werden darf. Kommt z. B. das
Röhrchen an eine Stelle, wo der Abstand nach der einen Richtung vom
gesunden Gewebe 1 cm beträgt, der Abstand nach der anderen Richtung
nur 5 mm, so ist ganz klar, daß an dieser Stelle nur die Zeit bestrahlt
werden darf, die der Eichversuch in einem Abstand von 5 mm als zu-
lässig ergeben hat. Will man trotzdem mit diesem Röhrchen länger
bestrahlen, so muß die Strahlenmenge nach der Seite, wo der Abstand
nur 5 mm vom gesunden Gewebe beträgt, verringert werden; dies kann
durch Zwischenschaltung eines Filters geschehen. Es wäre also not-
wendig, über das £-Strahlenfilter nach der einen Seite zu z. B. Bleifilter
von 1, 2 oder 3 mm Dicke, je nach der Menge der zu vernichtenden y-Strah-
lung, zu bringen (siehe Tabelle S. 749). (Selbstredend ist dabei die vom
Filtermetall ausgehende Sekundärstrahlung, die stark verbrennend wirkt,
durch Gummihüllen auszuschalten.) Am besten würden sich für solche
Absorptionszwecke nicht Blei- sondern Platinfilter eignen, da 1 mmu
Platin ca. 17% der y-Strahlen absorbiert. Man wird also für die
Bestrahlungsapparate Filter mit beliebigen dem jeweiligen Zweck ange-
paßten Ausschnitten herstellen müssen.
Arbeitet man am Karzinom mit starken Präparaten, so ist das seit-
lich und rückwärts befindliche gesunde Gewebe entsprechend zu schützen.
Hat der Eichversuch ergeben, daß man z. B. am gesunden Gewebe
nach einigen Stunden schon mit der y-Strahlung Verbrennungen be-
kommt, so muß ein solcher Teil der y-Strahlung abfiltriert werden, daß
man die Bestrahlungszeit entsprechend vergrößern kann. Dies ist dadurch
möglich, daß man ein nur die Hälfte des Röhrchens bedeckendes Filter
aus Platin oder Blei einschaltet und außerden die Sekundärstrahlen
abfiltriert. Der Eichversuch mit dieser Anordnung am gesunden Ge-
webe ergibt die mögliche Bestrahlungszeit. Natürlich läßt sich die Be-
strahlungszeit noch vergrößern, wenn zwischen Röhrchen und gesundem
Gewebe durch Tamponade (z. B. mit Mull) ein weiterer Abstand ge-
schaffen werden kann.
Dies sind im wesentlichen die Gesichtspunkte für die Bestrahlung im
oder am Karzinom. Wenn es sich darum handelt, von der Hautoberfläche
her Karzinom zu beeinflussen, so kann man ebenfalls Röhrchen, zweck-
mäßig unter Anwendung von Kreuzfeuer, benutzen, jedoch mit der Maß-
758 Keetman u. Mayer, Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie.
gabe, daB diese, wenn sie hohe Strahlendichte haben, in gewissem Ab-
stand von der Hautoberfläche verwendet werden. Dann ist es möglich.
längere Zeit und ohne Schädigung zu bestrahlen. Für solche Fälle kommen
die Überlegungen in Betracht, die über die Verwendung flacher Be-
strahlungsapparate bereits oben besprochen worden sind (vgl. S. 753).
Daß auch die Platten biologisch geeicht werden müssen, bedarf nur kurz
der Erwähnung.
Es ist auch besonders darauf zu achten, daß die Verteilung der radio-
aktiven Substanzen in den Röhrchen und auf den Trägern möglichst
gleichmäßig ist.!)
Zusammenfassung.
1. Die £-Strahlen dringen bis zu einer Gewebstiefe von höchstens
6—8 mm ein. Darüber hinaus können nur y-Strahlen wirksam sein.
Die -Strahlen verhalten sich (abgesehen von einem sehr weichen Bestand-
teil) dem Gewebe gegenüber wie eine einheitliche Strahlung. Zur praktisch
vollkommenen Absorption der -Strahlen benutzt man am zweckmäßig-
sten Metalle mit niedrigem Atomgewicht, z. B. ein Nickel- oder vernickelte
Messingfilter von 1—1,5 mm Stärke.
2. Die y-Strahlen verhalten sich dem Gewebe gegenüber wie eine
einheitliche Strahlung. 1 cm Gewebe absorbiert ca. 10%. Diey-Strahlen
erzeugen beim Auftreffen auf Materie Sekundärstrahlen, die umso stärker
sind, je höher das Atomgewicht der Substanz ist. Die Erzeugung von
Sekundärstrahlen ist mit einem entsprechenden Verlust an y-Strahlen
verbunden. Man wählt daher Filter aus Gold, Platin und Blei nur in den
Fällen, in denen die wirksamen y-Strahlen abgeschwächt werden sollen.
3. Sekundärstrahlen haben nur Oberflächenwirkung und müssen
entfernt werden.
4. Die Strahlendichte nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab,
Infolgedessen muß, wenn irgend angängig, im oder am Karzinom bestrahlt
werden. Durch Anwendung von Kreuzfeuer läßt sich die Tiefendosis
verstärken, ohne daß die Oberfläche mehr geschädigt wird als durch ein
einzelnes Präparat. |
5. Zur Zerstörung der Krebszellen ist eine Minimaldosis erforderlich.
Es müssen also starke Präparate mit großer Strahlendichte verwendet
werden. Zu schwache Dosen können Reizwirkungen ausüben. Das
Produkt aus Aktivität und Zeit (Milligrammstunde) ist für den therapeuti-
schen Effekt nicht maßgebend.
6. Die Präparate sind biologisch zu eichen, damit beim Gebrauch
Schädigungen des gesunden Gewebes vermieden werden können.
1) Die Prüfung ist mit Hilfe eines Fluoreszenzschirms möglich.
Aus der Klinik der tierärztlichen Hochschule zu Hannover.
Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin.
Von
Dr. W. Liebert, Hannover.
m Jahre 1898 machte Finsen in therapeutischer Beziehung von der
Sonne und später von Kohlenbogenlicht Gebrauch, von zwei Licht-
quellen, die reich sind an blauen, violetten und ultravioletten Strahlen.
Mit Hilfe seines nach ihm benannten Apparates nahm er als erster eine
erfolgreiche Behandlung des Lupus mittels Licht auf, in dem Glauben, daß
besonders die ultravioletten Strahlen die erwiesene bakterientötende
Wirkung auf die in der Haut befindlichen Tuberkelbazillen ausübten.
Trotzdem die Finsenmethode so glänzende Resultate aufzuweisen
vermochte, blieb diese Therapie nur größeren und staatlichen Instituten
vorbehalten, weil die Benutzung der Finsenapparate mit großen Kosten
verknüpft war.
Das Bestreben billigere, dem Finsenlicht gleichwertige Lichtquellen
zu benutzen, führten zu der Konstruktion einer Anzahl Lampen, von denen
die Reynlampe, die Eisenlampe, die Uviollampe und schließlich die medi-
zinische Quarzlampe genannt werden mögen.
Von letzteren hat Schachtner (4) mit der Kromayerschen Quarz-
lampe in der Klinik für kleine Haustiere zu Hannover im Jahre 1911
Versuche vorgenommen und sie auf ihre Verwendbarkeit in der Veterinär-
dermotherapie geprüft.
Er kam zu dem Schluß, daß es sehr wohl möglich ist, gewisse Haut-
krankheiten des Hundes, z. B. das Ekzem mittels der Quarzlampe zur
Abheilung zu bringen, doch äußert er sich dahin, daß die Lichttherapie,
die in der Menschenheilkunde einen so hochbedeutsamen Platz einnimmt,
sich wohl kaum in die Tierheilkunde Eingang verschaffen werde.
Auch ich, der ich mich damals ebenfalls mit der Quarzlampe be-
schäftigte, mußte Schachtner in gewissem Sinne beipflichten. Es darf
dabei jedoch nicht vergessen werden, daß diese Anschauung auf Grund der
eigenartigen Konstruktion der Quarzlampe zustande kam. Mit der medi-
zinischen Quarzlampe konnte immer nur eine relativ kleine Stelle auf ein-
mal belichtet werden. Auch konnte die Bestrahlung immer nur von der
Seite erfolgen, Umstände, die die Lampe für die allgemein verbreitete
Behandlung von Tieren nicht zweckmäßig’ erscheinen ließen.
760 Liebert,
Basierend auf der von Arons (8) im Jahre 1892 gemachten Ent-
deckung, im luftleeren Raum Quecksilberdämpfe zum Glühen zu bringen.
wurde eine modifizierte Quarzlampe „Künstliche Höhensonne‘ nach Bact
und Nagelschmidt von der Quarzlampengesellschaft in Hanau her-
gestellt.
Das Quarz hat die Eigenschaft, die ultravioletten Strahlen dureh-
zulassen im Gegensatz zu anderen durchsichtigen Medien, wie z.B. Gla-,
nnd besitzt ferner eine große Widerstandsfähigkeit gegen hohe Hitze
grade.
Die Konstruktion der Quarzlampe ist kurz folgende: In einer gebure-
nen, fast luftleer gemachten Quarzröhre befindet sich an beiden Schenkel-
enden flüssiges Quecksilber. Beide Schenkelenden (Pole) sind an eine
für elektrische Zimmerbeleuchtung angelegte Gleichstromanlage von etwa
120 Volt und 5—10 Ampere angeschlossen.
Im ruhenden Zustande ist der Strom in der luftleeren Quarzrühr:
unterbrochen; kippt man jedoch die Röhre in der Weise, daß das Queck-
silber von einem Pol zum anderen fließt, so ist der Strom geschlossen und
die im luftleeren Raum ständig angesammelten Quecksilberdämpfe werden
sogleich glühend. Jetzt wird die Quarzröhre in ihre ursprüngliche Rubr-
stellung zurückgekippt. Das Quecksilber fließt zu den beiden Polen
zurück und nur die im Quarzbogen befindlichen glühenden Quecksilber-
dämpfe bringen das an roten, violetten und ultravioletten Strahlen reiche
Licht hervor, das nach etwa 10 Minuten langer Brenndauer der Lampe
ihre größte Intensität entfaltet.
Zur weiteren Erläuterung der Lampenkonstruktion sei gesagt, daß
an den beiden Polen je ein fächerartiger Kühler aus Aluminium angebracht
ist. Die Lampe ist ın einem kuppel- resp. glockenartigen Blechsehäuse
montiert, das außen einen Hebel aufweist, mittels dessen die Lampe ge-
kippt werden kann. Das Gehäuse wird an der Zimmerdecke oder einen:
geeigneten Stativ aufgehängt und kann durch eine Aufzugvorrichtunz
in Jede gewünschte Höhe gebracht werden. Die Bestrahlung erfolgt in:
allgemeinen von oben herab, doch kann mittels einer an der Kupp-
seitlich angebrachten Kulissen-Schiebevorrichtung auch eine Belichtun:
des Objektes von der Seite erfolgen.
Alle Quecksilberdampflampen, die aus einem Quarzgehäuse bestehen.
vermögen drei verschiedene Wirkungen auszuüben, eine bakterizide, ein-
chemische und eine spezifische Lichtwirkung. Für den Mediziner hat von
diesen die letztere vor der Hand die größere Bedeutung erlangt. doc}:
ist noch nicht zu übersehen, ob in Zukunft die bakterizide Wirkung für
den Hygieniker ein nıindestens ebenso großer Faktor sein wird, mit dem
er rechnet. |
ae a
Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 761
So stellten unter anderen Autoren Schreiber und Herman (1) fest,
daß es nicht die Wärme oder das beim Brennen der Lampe sich ent-
wickelnde Ozon ist, sondern einzig die kurzwelligen ultravioletten Licht-
strahlen sind, die die in einem Quarzglase untergebrachten Kulturen von
Streptokokken, Staphylokokken, Kolibazillen abtöten konnten, während
Röntgenstrahlen keine derartige Wirkung auszuüben vermochten.
Bezüglich der chemischen Wirkung geben nach Stümpke (8) die
französischen Forscher Bordier und Nogier an, daß außer der Ver-
änderung von Chlorsilber- und Bromsilberpapier, auch in Ferrocyan-
kaliumlösung getränktes Filtrierpapier nach Belichtung mittels Queck-
silberquarzlicht einen tief ockergelben Farbenton annimmt. Ferner
sahen Bordier und Nogier bei Belichtungen von Blut und Galle neben
Veränderungen der Farbe auch solche des Spektrums dieser flüssigen
Medien. Nach einer Bestrahlung von 2—3 Minuten konnte durch die
spektroskopische Untersuchung des Blutes ein Verschwinden der Ab-
sorptionsstreifen des Oxyhämoglobins und ein Auftreten des Methämo-
globinstreifens im Rot beobachtet werden.
Nach Berings (8) Untersuchungen ist der Hauptheilfaktor der
Lichtstrahlen in einer Steigerung des Stoffwechsels zu suchen, speziell
in einer Steigerung der reduzierenden und oxydierenden Prozesse im
Gewebe, in einer Vermehrung der roten Blutkörperchen und in einer
Steigerung des Hämoglobingehalts, verbunden mit einer Steigerung der
Hauttemperatur bei gleichzeitigem Abfall der Innentemperatur.
Die eigentliche Lichtwirkung, die als eine Lichtentzündung an der
menschlichen Haut aufgefaßt werden muß, kann mittels zweier verschie-
dener Methoden zustandegebracht werden, der Fernbestrahlung und der
Kompressionsbestrahlung. |
Nach beiden Bestrahlungen treten je nach der Dauer der Bestrahlung
und nach dem Abstand zwischen dem Objekt und der Lichtquelle Ent-
zündungen der Haut auf, die die verschiedenen Grade der Verbrennung
durchmachen — von der einfachen Hyperämie bis zu tiefergehenden
destruktiven, sogar nekrotischen Prozessen.
Die Abheilung dieser entzündlichen Prozesse erfolgt dann ähnlich
wie bei den gewöhnlichen Verbrennungen. War nur eine Hyperämie
und im Anschluß daran ein entzündliches Ödem vorhanden, so trat nach
einiger Zeit eine Abschwellung ein, die Haut wurde blasser und es machte
sich eine oberflächliche Abschuppung bemerkbar. War Blasenbildung
eingetreten, so vollzog sich nach dem Eintrocknen der Blasen und naclı
einer Krustenbildung die Heilung unter dem Schorf. Tiefergehende
nekrotische Prozesse erforderten entsprechende längere Zeit zur Abheilung
und hinterließen Narben.
762 .Liebert,
An der im allgemeinen pigmentlosen Haut der Menschen zeigen sich
einige Zeit nach der Bestrahlung diffuse gelbbraune Pigmentierungen, die
vielfach erst nach monatelangem Bestehen verschwinden.
Bei der Fernbestrahlung wird mit der Quarzlampe im allgemeinen
nur eine Oberflächenwirkung ausgelöst. Da die Quecksilberlichtstrahlen
bereits von den oberflächlichen Blutgefäßschlingen absorbiert werden,
sucht man dieses Hindernis auszuschalten, wenn tiefergehende Wirkungen
erzeugt werden sollen.
Diesen Zweck erreicht man mittels der Kompression. Die von
Schachtner benutzte Kromayersche Quarzlampe war in einem etwa
faustgroßen festen Metallgehäuse eingeschlossen, das vorn ein Quarz-
fenster und hinten einen Handgriff besaß, mittels dessen man die Lampe
auf die zu behandelnde Stelle pressen und die Haut so gleichzeitig anä-
misch machen konnte.
Es ist einleuchtend, daß man letztere Methode in der Veterinär-
medizin nicht bei allen Patienten und nicht an allen Stellen des Körpers
in Anwendung bringen konnte und daß daher nur die Fernbestrahlung
für die Veterinärmedizin in Frage kam.
Mittels der Kromayerschen Quarzlampe sind in den letzten Jahren
eine ganze Reihe von Hauterkrankungen beim Menschen erfolgreich
behandelt worden, unter denen Lupus vulgaris und Alopecia areata die
erste Stelle einnehmen.
Schachtner (4) fand bei seinen Untersuchungen an Hunden, daß
das Licht an pigmentierter Haut länger als an pigmentloser Haut ein-
wirken mußte, um dieselbe Reaktion zu erzielen. Dagegen konnte er nicht
finden, daß ein wesentlicher Unterschied in der Reaktion eintrat, wenn er
statt einer Belichtung auf 10 cm Entfernung Kompressionsbestrahlung
anwandte. Zu Verbrennungen, wie sie beim Menschen auftreten, wenn
die Entfernung geringer als 10 cm ist, kam es nicht. Es trat vielmehr
nach einer Latenzzeit die Reaktion an der Haut ein, wie er sie nach Be-
strahlung aus 10 cm Entfernung beobachtete.
Die Hautreaktionen, die Schachtner erzielte, waren makroskopisch
etwa folgende: es trat Hyperämie, Infiltration, seröse oder eitrige Exsu-
dation ein, der dann eine Krustenbildung von mehreren Millimetern Dicke
folgte. Im weiteren Verlaufe, spätestens nach 4 Wochen, lösten sich die
Krusten und die zum Vorschein kommende Haut hatte normales Aus-
sehen, abgesehen von einer oberflächlichen Abschuppung, die noch einige
Zeit anhielt.
Mikroskopisch machte sich im ersten Stadium der Lichtreaktion
Hyperämie, ein Zerfall und eine Abstoßung der Epithelzellen bemerkbar.
Daneben ging eine pralle Füllung der erweiterten Blutgefäße und eine
Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 763
Infiltration der Epidermis von Rundzellen einher, besonders auf der
Höhe des Papillarkörpers. Später nach dem Zurückgehen der Infiltration,
zeigte das Epithel Nekrose, die sich in einem Zerfall der Kerne der Epi-
thelien dokumentierte. Die Kutis blieb unverändert.
Bevor ich an meine Untersuchungen mit der modifizierten Form
der Quecksilberquarzlampe, der „Künstlichen Höhensonne“ herantrat,
stellte ich thermometrische Beobachtungen über die durch die Lampe -
zu erzeugenden Wärmegrade an.
Was nun den Abstand, der bei der Lichttherapie in Frage kommt,
anbelangt, so habe ich stets die Entfernung vom unteren Rande der
Lampenkuppel bis zu dem Objekt zu Grunde gelegt.
Ihre größte Leuchtkraft entwickelt die Quecksilberdampflampe nach
etwa 10 Minuten langer Brenndauer. Bei 10 cm Abstand beträgt die
Wärme 32° C, bei 80 cm 21° C, bei 50 cm 20° C und bei 70 cm 19° C.
Dicht unter dem Quarzgehäuse der Lampe, innerhalb der Metallglocke,.
beträgt dagegen die Wärme 66° C.
Bringt man die Extremität eines Hundes in die Kuppel und läßt die
Bestrahlung aus allernächster Nähe einwirken, so kann es schon nach
10 Minuten langer Bestrahlung zu einer tiefgehenden Verbrennung der
pigmentierten gesunden Haut mit Nekrose nicht allein der Epidermis
sondern auch des Stratum reticulare der Kutis kommen.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß hier einzig die Wärmeintensität
die Verbrennungsursache war, erkenntlich zugleich dadurch, daß das
Tier während der Behandlung große Schmerzen empfand und sich der
Lichtbestrahlung zu entziehen versuchte,
Vergrößert man den Abstand zwischen Lampe und Objekt, so wird
die Wärmeentwicklung entsprechend geringer und man muß die durch
die „Höhensonne“ erzielte Reaktion auf der tierischen Haut größtenteils
als eine spezifische Lichtwirkung ansehen.
Am eigenen linken Unterarm belichtete ich mittels der Höhensonne
eine Stelle 5 Minuten lang auf 10 em Entfernung. Ein geringes Wärme-
gefühl machte sich während der Bestrahlung bemerkbar; bald hinterher
zeigte sich Rötung, später geringe Schwellung. Am Abend des 3. Tages
trat Juckgefühl auf; am 4. Tage traten kleine Bläschen in Erscheinung,
die serösen Inhalt aufwiesen und am 7. Tage unter Krustenbildung ab-
heilen. Dann bestand etwa 10 Tage lang eine lebhafte lamelläre Ab-
schuppung. Wochenlang blieb eine schwache Pigmentierung zurück.
Haarausfall wurde nach der Behandlung nicht beobachtet.
Eine andere Stelle wurde 10 Minuten lang belichtet. Die Reaktion
trat hiernach ähnlich, jedoch stärker auf. Am 3. Tage machte sich in
der bestrahlten Hautpartie spontan ein gelinder Schmerz bemerkbar,
764 Liebert,
um die Stelle herum zeigte sich auf ca. 3 cm Entfernung eine diffuse
Rötung. Am 4. Tage traten auch hier größere Blasen auf, die nach dem:
Aufplatzen den freien Papillarkörper erkennen ließen. Die Abheilun:r
erfolgte ähnlich wie zuvor.
An der pigmentlosen behaarten sowie geschorenen Haut eines Hundes
(Seitenbrust) konnte ich nach 10 Minuten langer Bestrahlung keine
'makroskopisch wahrnehmbare Veränderung erzielen; erst eine 20 Minuten
dauernde Bestrahlung auf 10 cm Entfernung bewirkte auf behaartem
Fell 4 Tage nach der Bestrahlung eine ganz geringfügige Rötung und An-
schwellung.
Wurde dagegen die Haut rasiert und in einem Abstand von 10 cm
einer Bestrahlung von 20 oder 30 Minuten ausgesetzt, so trat meist nach
einigen Stunden Rötung, nach 2 Tagen Schwellung und bei der Berührung
Schmerzhaftigkeit auf. Es bildeten sich ferner Bläschen, die mit einen:
gelblichen serös-eitrigen Inhalt angefüllt waren. Hierauf folgten Ein-
trocknung, Krustenbildung und Abschuppung. Die Schwellung war
nach 14 Tagen zurückgegangen.
Die histologische Untersuchung der reaktiv entzündeten, 3 Tage
nach erfolgter Bestrahlung entnonmmenen Haut ergab im Vergleich zu
der normalen Haut desselben Hundes etwa folgendes Bild:
Die ganze Epidermis ist um das Doppelte verdickt; das Stratum
corneum zeigt Auflockerung. Das Stratum corneum und das Stratuni
lucidum sind von Ihrer Unterlage abgehoben, wodurch spaltenartige
Hohlräume entstanden sind, in denen einzelne Lymphozyten und Leuko-
zyten sich befinden. An einigen Stellen befinden sich unter den kuppel-
förmigen Abhebungen des Stratum lucidum große Haufen von Kern-
trümmern. Durch die Hohlräume ziehen sich faserige Spangen, die wahr-
scheinlich von Protoplasmaresten zu Grunde gegangener Epithelzellen
herrühren. Die Zellkerne des Rete malphigi weisen eine starke Kern-
färbung auf und erscheinen vermehrt, ein Zustand, der für eine vermehrte
Zellwucherung spricht. Die eigentliche Kutis ist verbreitert, die einzelnen
Bindegewebsfasern sind aufgequollen; die spindelförmigen Kerne haben
sich gut gefärbt. In den Maschen befinden sich vielerorts Leukozyten.
Die Blutgefäße der Kutis sowie der Subkutis sind erweitert und mit Blut-
körperchen gefüllt. Die Leukozyten nehmen Randstellung ein. Ferner
befinden sich in der Nachbarschaft aller Blutgefäße eine Menge Lympho-
zyten und Leukozyten.
Bei einem Hunde wurde die normale pigmentlose, rasierte Haut
nach 14 Tagen einer 2. Bestrahlung von 30 Minuten unterzogen. Es
machten sich die Reaktionserscheinungen nicht in dem Maße wie bei der
1. Bestrahlung bemerkbar. Zwar trat auch hier Rötung auf, aber die
Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 765
Schwellung blieb geringer, die Bläschenbildung blieb ganz aus. Es machte
sıch nur eine intensive Abschuppung bemerkbar.
Es geht hieraus hervor, daß die Haut bei wiederholter Belichtung
unempfindlicher wird gegen die ultravioletten Strahlen.
Wurde die Bestrahlung der rasierten Haut längere Zeit fortgesetzt,
so konnte tiefgehende Nekrose der gesamten Haut erzeugt werden. Es
war hierbei gleichgültig, ob die Haut pigmentiert war oder nicht. Einem
Hunde wurde beispielsweise die äußere kurzgeschorene Seite des Ober-
arınes 60 Minuten lang (10 cm Entfernung) bestrahlt. Nach Schluß der
Belichtung wies die behandelte Hautpartie inselartige zerstreute Haut-
infiltrationen auf. Am nächsten Tage war die betreffende Hautpartie
diffus geschwollen und schmerzhaft bei Berührung. Die bezeichneten
inselartigen Stellen wiesen schwärzliche Verfärbung auf. Nach weiteren
24 Stunden war die Haut in etwa Handtellergröße in eine schwarze ne-
krotische Masse verwandelt, die sich fast bis zur Unterhaut erstreckte.
Der Arm des Tieres war stark gespannt und bereitete ihm anscheinend
große Schmerzen. Nach weiteren 8 Tagen fing die nekrotische Haut-
partie an sich zunächst am Rande unter Eiterung abzustoßen. Erst im
Verlauf von mehreren Wochen vollzog sich die Ausfüllung des tiefen Haut-
defektes per granulationen.
Ich möchte hierbei nicht unerwähnt lassen, daß diese schweren Ver-
brennungsprozesse nur dann eintraten, wenn alle die ultravioletten
Strahlen absorbierenden Medien ausgeschaltet wurden, wenn also z. B.
die Haut mittels Äther entfettet wurde.
Wurde beispielsweise die Haut mit Seife oder Seifenspiritus vor dem
Rasieren eingerieben und die Stelle bis zur Trockne abgerleben, dann traten
nach einer 60 Minuten langen Bestrahlung keine derartig destruktiven
Prozesse an der Haut auf, wovon ich mich bei demselben Hunde an einer
anderen Hautstelle überzeugen konnte. Hier kam es nach ebensolanger
Belichtung nur zu einer ödematösen Anschwellung der Haut, die nach
7 Tagen völlig verschwunden war. Eine Rötung konnte ınfolge der be-
stehenden Pigmentierung nicht beobachtet werden.
Ähnlich wie sich die Reaktion an der pigmentlosen Haut gestaltete,
vollzog sich auch die Lichtwirkung an der pigmentierten Haut des Hundes
bei kürzerer Dauer der Bestrahlung, nur mit dem Unterschiede, daß die
Wirkung um ein Geringes schwächer war.
Beachtenswert ist der Umstand, daß die Haut des Hundes an den
verschiedenen Körperstellen verschiedene Reaktion gegenüber dem
Quecksilberquarzlicht aufweist. So ist die Rückenhaut am unempfind-
lichsten, dann folgt die Haut an den Außenseiten des Rumpfes, der Extre-
mitäten und die Kopfhaut. Die heftigste Reaktion weist die feine, dünne
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 49
766 Liebert,
Haut an der Unterfläche des Körpers, an der Innenfläche der Schenkel
und in der Schamgegend auf. Hier kann es nach Belichtungen von 10
Minuten langer Dauer bereits zu Verbrennungen mit Blasenbildung der
Haut kommen, wenn die Distanz zu kurz gewählt ist. In einem Falle
wurde die Schamgegend eines Jagdhundes wegen Seborrhoe 2 mal je
20 Minuten bei 20 cm Entfernung bestrahlt mit einem Zwischenraum
von 7 Tagen. Auch hier zeigte sich neben dem Praeputium eine fünfmark-
stückgroße Verbrennungsstelle mit Blasenbildung, die wie die obige nach
ca. 10 Tagen trocken wurde und sich mit Epithel eindeckte.
Von den für die Therapie mittels der „künstlichen Höhensonne‘“ in
Betracht kommenden Hauterkrankungen sind die nichtparasitären, mehr
lokalisierten die geeigneten. Es ist auch möglich multiple, über den ganzen
Körper verbreitete Ausschläge zu behandeln, doch liegt hier die Gefahr
nahe, daß, infolge der zuweilen auftretenden Unruhe der Patienten,
Hautstellen doppelt und dreifach bestrahlt werden, wenn die zur Ab-
deckung benutzten Tücher verrutschen. Auf diese Weise können an
empfindlichen Körperstellen Verbrennungen hervorgerufen werden.
Das ureigenste Gebiet der Quarzlampentherapie ist das des Rücken-
ekzems des Hundes in seiner mannigfaltigen Form.
Mittels der Höhensonne habe ich 26 hautkranke Patienten behandelt
und bei dem größten Teil derselben eine schnelle Besserung und Heilung
eintreten sehen, wie ich sie bei keinem anderen Verfahren in demselben
Maße beobachten konnte.
Es würde zu weit führen, jeden Fall einzeln zu beschreiben. Ich
möchte vielmehr aus den einzelnen Gruppen einen Fall zur Erläuterung
anführen, um die Wirkung der Höhensonne zu demonstrieren.
Ekzema madidans.
Ein 4 Jahre alter gelber Boxer zeigt hinter der linken Schulter zwei hand-
tellergroße, feuchte Stellen, an denen die Haare teils ausgefallen, teils mit dem
vorhandenen eitrig-schmierigen Sekret zu Büscheln verklebt sind. Stellenweise ist
das Sekret serös und blutig. Patient sucht die Stellen fortwährend zu belecken.
Nach einmaliger Bestrahlung von 10 Minuten Dauer und 30 cm Entfernung
wurden die Partien nach 2 Tagen trockener. Der Juckreiz war verschwunden.
Der ersten Bestrahlung folgte 4 Tage später eine zweite. Die Partien waren
jetzt völlig trocken. Es bildeten sich Krusten, die nach weiteren 4 Tagen sich
„bstießen, worauf die trockene, mit Epidermis eingedeckte Haut zu Tage trat.
Heilung in 9 Tagen.
Ekzema rubrum et crustosum.
Patient, ein Wolfshund-Rüde, ca. 6 Jahre alt, soll bereits ein Jahr lang tier-
ärztlich ohne Erfolg behandelt worden sein.
Befund: Die Haare sind auf dem Rücken teilweise ausgefallen. An mehreren
Stellen befinden sich größere Partien, die mit dicken, hellbraunen, trockenen Krusten
bedeckt sind, unter denen die Rückenhaut gerötet erscheint. In der Schulterpartie
Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 767
sind mehrere, etwa fünfmarkstückgroße, längliche, wunde, feuchte, vom Epithel
entblößte Stellen vorhanden, die teils rot, teils graugelb und graugrün aussehen
und mit einem eitrigen Exsudat, teils mit graugelben Hautfetzen bedeckt sind.
Die hier vorliegende Nekrose erstreckt sich bis auf die Kutis.
Zwecks Vornahme der Therapie wurden die Rückenhaare abgeschoren. Bereits
nach einmaliger Belichtung von 5 Minuten Dauer und 10 cm Abstand, begann am
nächsten Tage der heftige Juckreiz nachzulassen. Nach 48 Stunden wurden die
feuchten Stellen trockener, die Borken fingen an sich abzustoßen. Der Juckreiz
war 3 Tage seit Beginn der Behandlung vollkommen verschwunden. Die Aus-
heilung der nekrotischen Stellen und die Epithelisierung machte rasche Fort-
schritte, sodaß 18 Tage nach begonnener Lichttherapie Patient als geheilt ent-
lassen werden konnte.
Der in 2 Segmente geteilte Rücken war 3 Tage hintereinander nur je
5 Minuten lang mit der „Höhensonne“ bestrahlt worden. Eine weitere Behandlung
hatte nicht stattgefunden.
Ekzema nodosum chronicum dorsi.
Patient, bunter Boxer-Rüde, 5 Jahre alt, soll seit mehreren Monaten an
einem heftig juckenden Ausschlag des Rückens leiden und mit Pasten ohne
Erfolg behandelt sein. |
Befund: Vom Kopfe bis zur Rute sind die Haare auf dem Rücken inselartig
gesträubt. Überall an diesen Stellen befinden sich linsengroße Knötchen von
derber Beschaffenheit, die vielfach an ihrer Kuppe feucht und blutig erscheinen.
Die dazwischenliegende Haut ist geringgradig gerötet. — Der Rücken wurde
durch Abdecken mit einem dunklen Tuch in zwei Partien je 20 Minuten lang
auf 20 cm Entfernung bestrahlt.
Der Juckreiz war am nächsten Tage verschwunden. Vom 5. Tage ab fingen
die Knötchen an abzuschilfern, wurden flacher und gingen im Laufe der weiteren
Behandlung völlig zurück, sodaß das Haar des Rückens wieder gleichmäßig glatt
wurde. Die Heilung vollzog sich innerhalb 14 Tagen, in welcher Zeit der Patient
im ganzen 3 mal durch die „Höhensonne“ bestrahlt war.
Bei einem Dobermann-Pinscher, der wegen eines ähnlichen chronischen
Rückenekzems im vorigen Jahre in hiesiger Klinik 6 Wochen lang mit Teer-
präparaten bis zur Heilung behandelt war, konnte mittels der „Höhensonne“ nach
3 maliger Bestrahlung von je 10 Minuten Brenndauer und 12—20 cm Entfernung
eine Abheilung des Leidens bereits nach 3 Wochen konstatiert werden.
Ekzema indurativum dorsi crustosum et nodosum.
Patient, Schäferhund, 4 Jahre alt, bereits mehrere Wochen mit Teerpräparaten
ohne Erfolg behandelt.
Befund: Im Verlauf der Rückenhaut haben sich die Haare mäßig gelichtet.
Die Haut ist verdickt mit grauen Krusten uud Knötchen bedeckt Der Hund
bekundet lebhaften Juckreiz.
Nach dem Scheren der Rückenhaare wurde die Rückenhaut in zwei geson-
derten Abschnitten je 15 Minuten lang auf 10 cm Entfernung mittels der „Höhen-
sonne“ bestrahlt. Am 2, Tage nach der Lichtbehandlung legte sich der Juckreiz;
es machte sich eine lamellöse Abschuppung der kranken Hautpartien bemerkbar,
die Knötchen flachten ab und die Krusten stießen sich ab. Im Laufe von weiteren
49*
708 Liebert,
8 Tagen ging die Hautinfiltration zurück. Das Fell des Rückens wurde weich,
geschmeidig und ließ sich leicht falten.
Patient konnte nach 15 Tagen geheilt entlassen werden. Es hatten im
ganzen 3 Bestrahlungen stattgefunden.
Bei einem anderen Schäferhund, der an einem ähnlichen Ekzem litt und
bereits viele Monate tierärztlich ohne Erfolg behandelt war, trat nach 16 Tagen
Heilung ein. Infolge des heftigen Juckreizes war der Rücken des Patienten an
vielen Stellen wundgescheuert. Durch die Belichtung, die im ganzen 4 mal je
15 Minuten lang auf eine Entfernung von 10 cm vorgenommen wurde, trockneten
und heilten die Erosionen bald ab, die Rückenhaut wurde bald dünn, weich
und glatt.
In zwei Fällen von Ekzema chronicum dorsi, die mit der „Höhensonne“
schnell zur Abheilung gebracht waren, trat nach einigen Wochen ein Rezidiv ein.
Es ist dieses darauf zurückzuführen, daß bei diesen Patienten bereits nach
zweimaliger Beleuchtung eine derartig günstige Regeneration der Haut zustande
kam, daß eine weitere klinische Behandlung überflüssig erschien.
In allen Fällen, wo die Heilung überraschend schnell eintritt, ist es zweck-
mäßig, den Patienten noch im Auge zu behalten und trotz des gesunden Aus-
sehens der Haut, die ehemals kranken Partien noch einigen weiteren Bestrahlungen
zu unterziehen.
Ekzema ventralis papulosum chronicum.
Patient, Collie-Rüde, 5 Jahre alt, seit 10 Monaten wegen eines hartnäckigen
Hautausschlages am Bauch in tierärztlicher Behandlung.
Befund: An der pigmentlosen zarten Haut am Bauch, an der Innenfläche der
Hinterschenkel und an der Unterseite der Rute machen sich fleckenweise diffuse
Rötungen bemerkbar. An vielen Stellen befinden sich hochrote linsen- bis erbsen-
große flache Knötchen, die an ihrer Kuppe entweder mit einem serösen Sekret
oder gelblichbraunen trockenen Krusten bedeckt sind. Der Patient bekundet
starken Juckreiz,
Mittels der „Höhensonne“ wurde die benannte Partie aus möglichster Nähe
(1—8 cm) in Rückenlage des Patienten von oben herab 10 Minuten lang bestrahlt.
Am nächsten Tage sah die behandelte Hautpartie gerötet aus, fühlte sich
vermehrt warm an und erschien infiltriert. Nach weiteren 24 Stunden wies eine
etwa fünfmarkstückgroße längliche Stelle neben dem Präputium Blasenbildung
auf. Letztere platzten und ließen auf ihrem Grunde den roten Papiilarkörper er-
kennen. Der Juckreiz war verschwunden; die belichteten Hautpartien verloren
ihre Rötung und stießen großlamellige Epithelschichten ab.
Am 6. Tage erfolgte eine 2. Bestrahlung von 10 Minuten Dauer in einem
Abstande von 10 cm. Darauf trat am nächsten Tage eine Entzündungsreaktion
in Erscheinung, die aber der ersteren an Intensität nachstand. Es wurde jedoch
die Desquamation von neuem angeregt. Die Papeln flachten ab und verschwanden
allmählich ganz, so daß der Patient 2 Wochen nach begonnener Therapie als
geheilt betrachtet werden konnte, abgesehen von der Verbrennungsstelle, die nach
weiteren 4 Tagen ohne weitere Behandlung trocken und mit Epithel eingedeckt war.
Seborrhoea sicca.
Patient, brauner Jagdhund-Rüde, 7 Jahre alt, wurde 3 Jahre lang wegen
dieses hartnäckigen Hautleidens behandelt.
Befund: Die Innenfläche der Hinterschenkel, Bauchpartie bis zum Brustbein,
Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 769
das Skrotum und die Skrotalgegend ist stark gefaltet, verdickt und von grauer
Farbe. Die Haut fühlt sich hart und trocken an.
Patient erhielt 0,08 Morphin. muriat., wurde in Rückenlage gebracht und
20 Minuten lang auf 15 cm Entfernung mit der „Künstlichen Höhensonne“
bestrahlt.
Nach 24 Stunden sahen die behandelten Hautpartien gerötet aus und fühlten
sich weicher und feuchter an.
Im Laufe der nächsten Tage ging die Rötung und auch die Faltenbildung
zurück ; die Haut fühlte sich weich und fettig an.
Die Bestrahlung wurde in Intervallen von 5 Tagen im ganzen 4 mal vor-
genommen. Es trat nach jeder Bestrahlung eine neue Rötung auf, die jedoch bei
jeder weiteren Behandlung von geringer Reaktion war, woraus sich deutlich eine
Gewöhnung der Haut an die ultravioletten Strahlen erkennen ließ.
Am 22. Tage nach Beginn der Behandlung konnte der Patient als geheilt
betrachtet werden. Es fand jedoch noch eine vier Wochen lange Beobachtung des
Patienten statt, in welcher Zeit noch einige weitere Bestrahlungen vorgenommen
wurden. Ein Rezidiv wurde in dieser Zeit nicht beobachtet.
Seborrhoea oleosa.
Bei diesem wohl als unheilbar zu betrachtenden Leiden ließ sich vermittelst
der „Höhensonne“ nach 6 maliger Bestrahlung, die je 20 Minuten dauerte und in
einem Abstand von 20 cm ausgeführt wurde, eine erhebliche Besserung erzielen,
derart, daß die starken Hautverdickungen in der Regio pubis und an den Innen-
tlächen der Hinterschenkel sich größtenteils glätteten und weicher wurden. Es
gelang jedoch nicht vollständig, die dem Skrotum benachbarte Hautpartie zum
Status quo zu bringen. Doch war auch hier eine erhebliche Besserung eingetreten.
Störend bei dieser Hauterkrankung sind die in den erweiterten Drüsen und Haar-
bälgen befindlichen großen Talgmassen, die vor Beginn des radiotherapeutischen
Eingriffs nicht oft genug nach dem Ausdrücken der Haut mittels Ätherbausch
entfernt werden können.
In einem Falle von Ekzema chronicum dorsi crustosum et nodosum belichtete
ich den ganzen Rücken des Hundes auf einmal in einem Abstand von 40 cm
während 20 Minuten mehrere Male in Intervallen von je 2 Tagen. Auch hier voll-
zog sich die Regeneration der Rückenhaut ähnlich wie bei der Bestrahlung aus
geringerer Nähe. Die Reaktionserscheinungen wie Rötung und Abschuppung
vollzogen sich in kaum merklicher und sehr gelinder Weise.
Allgemeine, feststehende Regeln für die Radiotherapie mittels der
„Höhensonne“ lassen sich nicht für alle Hauterkrankungen aufstellen.
Es ist vielmehr von Fall zu Fall zu individualisieren und die nach der Be-
strahlung eintretende Reaktion zu beobachten. Akute Formen sollen
nicht oder nur aus weiterer Entfernung für kürzere Zeit bestralilt werden.
Man kann dann beobachten, daß frische Erosionen schnell abtrocknen und
abheilen. Alte Ekzeme mit chronischen Hautinfiltrationen verlangen
besonders an unempfindlichen Hautstellen eine längerdauernde Beleuch-
tung aus geringer Nähe. Man braucht z. B. an der Rückenhaut nicht zu
ängstlich mit der Wiederholung der Bestrahlung zurückzuhalten, habe
770 Liebert,
ich hier doch nie eine Verbrennung beobachten können. Eine gewisse
Vorsicht ist allerdings an den übrigen Hautstellen geboten und ist es hier
empfehlenswert, anfänglich erst kleinere Dosen zu verabfolgen, da sich
die Haut an die Belichtung mit ultravioletten Strahlen gewöhnt.
Treten an den zarteren Hautstellen heftigere Reaktionserscheinungen
auf, so muß der wiederholte radiotherapeutische Eingriff so lange unter-
bleiben, bis die entzündlichen Erscheinungen sich gelegt haben, was meist
in 5—6 Tagen der Fall ist.
Die Bestrahlung lassen sich die Patienten im allgemeinen ohne Fesse-
lung gefallen. Nur wenn man längere Bestrahlungen aus 10 cm Ent-
fernung vornimmt, suchen sich die Tiere dem eindringlichen unangenehmen
Wärmegefühl zu entziehen. Sehr empfindliche Hunde fangen sogar zu-
weilen leise an zu wimmern, doch habe ich auch gegenteilig zu beobachten
Gelegenheit gehabt, daß Patienten die aus der Lichtquelle strömende
Wärme angenehm empfanden.
Sobald den Hunden gut zugeredet wird, bleiben sie bei der Bestrah-
lung ruhig stehen oder liegen. Soll die Unterseite eines Hundes erstmalig
belichtet werden, dann ist es zu empfehlen, den Hund in leichte Morphium-
hypnose zu versetzen, die für die 2. Bestrahlung nicht mehr notwendig ist.
Die Handhabung der Höhensonne ist eine sehr saubere. Man ist
in der Lage, die Patienten sofort nach erfolgter Bestrahlung nach Hause
zu lassen; der Hund kann nicht, wie das bei der Verwendung von Salben
und Teerpräparaten der Fall ist, die Zimmer und Möbel zu Hause be-
schmutzen.
Da man infolge Überempfindlichkeit mancher Hunde gegen gewisse
Arzneien, wie z. B. Teerpräparate, letztere nicht anwenden darf, wenn
man Intoxikationen vermeiden will, muß man die Behandlung mittels
der „künstlichen Höhensonne‘“ als eine wertvolle Bereicherung unserer
dermotherapeutischen Methoden erachten.
Wenn ich die bei Hunden erzielten äußerst günstigen Erfolge in Be-
tracht ziehe und die relativ kleinen Anschaffungs- und Betriebskosten
der Höhensonne berücksichtige, so muß ich diese Lampe als eine glückliche
Erfindung erachten, die nicht allein den Kliniken, sondern auch dem
Praktiker von großem Nutzen sein wird.
Es läßt sich heute noch nicht übersehen, wie weit das Indikations-
gebiet der ultravioletten Strahlen nicht nur in Bezug auf die Behandlung
von Dermatosen bei Hunden und den übrigen Haustieren (Hufkrebs der
Pferde), sondern auch bei manchen inneren Erkrankungen, besonders
Stoffwechselerkrankungen, z. B. Lumbago der Pferde, reicht.
Der Umstand ferner, daß die Quarzlampe einfach und bequem zu
handhaben ist, in jedem Raum und auf dem Hofe, überall wo elektrischer
Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 771
Anschluß vorhanden ist, Verwendung finden kann, daß ferner die Bestrah-
lung von oben und von der Seite erfolgen kann, läßt mich vermuten, daß
der „künstlichen Höhensonne‘ noch eine Zukunft beschieden ist.
to
Literatur.
. Schreiber und Hermann: „Über die Wirkung der Quecksilberquarzlampe.“
Münchener Med. Wochenschrift 1906, Nr. 39.
. Fr. Kalmus: „Die Quarzlampe in der Dermatologie.“ Sammelreferat in der
Therapeutischen Rundschau 1908, Nr. 18/19.
. G. Stümpke: „Die medizinische Quarzlampe, ihre Handhabung und Wirkungs-
weise.“ Berlin 1912. Verlag von H. Menssor.
. Franz Schachtner: „Versuche mit der medizinischen Quarzlampe bezüglich
ihrer Wirkung und Anwendung bei Hunden.“ Dissertation. Hannover 1911.
. Wiesner: „Die Kromayer’sche Quarzlampe.“ Sammelreferat aus „Archiv für
physikalische Medizin und medizinische Technik.“ Bd. VI, Heft 4.
. E. Pincrower: „Die Kromayer’sche Quecksilberlampe.“ Sammelreferat aus
„Archiv für physikalische Medizin und medizinische Technik“. 1909.
Bd. V, Heft 1.
. Hans Jansen: „Histologische Untersuchungen der durch die Kromayer’sche
Quecksilberdampflampe erregten Lichtentzündung.“ Archiv für Dermatologie
und Syphilis. 1908. Bd. %, Heft 1 u. 2.
. Bering: „Über die Wirkung violetter und ultravioletter Lichtstrahlen.*“ (Aus
der Kgl. Universitätsklinik für Hautkrankheiten. Kiel) Medizin.-natur-
wissenschaftl. Archiv. Berlin 1909, 1.
Das Sklerometer, seine physikalischen Grundlagen und
seine Verwendung bei der Röntgenstrahlen-Therapie.
Von
Fr. Klingelfuß, Basel.
(Mit 24 Abbildungen.)
Inhalt:
I. Gasentladungen . . . m
II. Entladungen von induktori darth Luft von A tmösphärendruck 0.0100
DI. Einrichtung zur Messung der Röntgenstrahlen mit dem Sklerometer . 19
IV. Absolute Härtemessung mit der Sklerometerskala . . . . . . . . 79l
V. Das Meßbereich der Sklerometerskala . . . . Eee e a
VI. Die Änderung der Strahlenhärte mit der Belastung E ne u et. ee
V1I. Die Änderung der Röhrenkonstanz. . . : 2. 2 2 2 mn nenn. A
VII. Charakteristik und spezifische Härte . . . ... Bm
IX. Das Strahlengemisch einer Röntgenröhre und die Charakteristik a aal
X. Die Dosierung mit dem Sklerometer, dem Milliamperemeter und der Zeit
in absoluten Einheiten . . . s au. w BIO
a) Messung der Röntgenstrahlen für cherapeutiäche Dosen, s e Bö
b) Praktische Eichung einer Röntgenröhre . . . . 2.20.20... 818
c) Die Belastungskonstante einer Röntgenröhre . . . . 822
d) Dosierung mit einer geeichten Röhre für Obertlächen ind darch
Aluminium-Filter bis zulmm Dicke. . 2. 2. 2. 2 2m nn. 804
XI. Das Sklerometer als Halbwertschichtmesser . . . 89
XII. Ein Vorschlag für die Tiefendosierung mit dem Sklerometen dem Milliam-
peremeter und der Zeit in absoluten Einheiten . . . . 2 22.2... 84
D“ Anwendung der Röntgenstrahlen in der ärztlichen Praxis zur Be-
einflussung mancher Krankheiten hat zur Zeit einen ungeahnten
Umfang angenommen. Hand in Hand damit ist auch die Frage nach prak-
tischen Verfahren für die qualitative und quantitative Meßbarkeit der
Strahlen immer mehr in den Vordergrund des Interesses getreten. Kein
Wunder, hängt doch die weitere praktische und wissenschaftliche Ent-
wicklung des einschlägigen Gebietes in hohem Grade von der einwand-
freien Meßbarkeit der in Betracht kommenden Größen ab. Es hat seit
der Einführung der Röntgenstrahlen in der physikalischen Therapie an
Vorschlägen. die Messung der Röntgenstrahlen betreffend, nicht gefehlt.
Darunter sind manche sehr gute und brauchbare Verfahren angegeben
worden, die wenigstens eine annähernd richtige Kontrolle gewährleisten.
Klingelfuß, Das Sklerometer und seine Verwendung usw. 773
andere aber sind sehr ungeschickt und beruhen auf einer mehr oder weniger
falschen Grundlage, so daß deren Benützung als Kontrollmittel eine nicht
zu unterschätzende Gefahr in sich birgt. Bedauerlicherweise ist eine der
Folgen davon, daß in der Dosierungsfrage eine große Unsicherheit sich
geltend macht, und daß der in physikalischen Fragen weniger bewanderte
nicht weiß, wem er Glauben schenken soll.
Einen mehr passiven Widerstand hat das für die Messung der Härte,
sowie für die Dosierung der Strahlen vom Verfasser im Jahre 1908 in Vor-
schlag gebrachte Sklerometer gefunden. Man hatte dem Instrumente
vorgeworfen, daß es sich nicht an jedes Instrumentarium anbringen lasse,
aber auch selbst dann, als diese Meinung widerlegt worden war, und be-
kannt gemacht werden konnte, daß sich jedes einigermaßen richtig kon-
struierte Induktorium dazu eigne, hat die große Mehrzahl der sich mit
Röntgenstrahlenapplikation befassenden Ärzte nicht für die Anschaffung
des Sklerometers bestimmen lassen können. Das liegt zu einem guten
Teil daran, daß die Einschaltung dieses Instrumentes nicht so ohne
weiteres vorgenommen werden kann, sondern einer geeichten und in
besonderer Art angebrachten Meßspule bedarf, daß ferner die Bedingung
daran geknüpft ist, daß die Frequenz der Stromimpulse bei der Messung
mit derjenigen, für die die Meßspule geeicht ist, übereinstimmen müsse.
Beide Forderungen, ohne deren Erfüllung ein exaktes Messen mit dem
Sklerometer nicht möglich wäre, liegen eben etwas unbequem und sind,
aber wie gesagt nur zum Teil, der Einführung hinderlich. Der Haupt-
„rund liegt vielmehr in der ungenügenden Kenntnis der in Frage kommen-
den physikalischen Vorgänge, die ein eigenes Urteil über den Wert oder
Unwert des dem Sklerometer zu Grunde liegenden Prinzips und damit
des Instrumentes selbst nicht aufkommen lassen.
Über die Brauchbarkeit, die Zuverlässigkeit und Präzision des Sklero-
ıneters für eine Reihe von Messungen in der Röntgenstrahlentechnik kann
heute kein Zweifel mehr bestehen. Nachdem es seit fünf Jahren in die
Praxis eingeführt ist, hat es sich langsam einen zunehmenden Freundes-
kreis erworben. Erst derjenige, der das Sklerometer einmal benützt hat,
erkennt dessen große Vorzüge gegenüber jedem anderen Härtemesser. In
der Literatur ist dasselbe mit wenigen Ausnahmen sehr günstig beurteilt wor-
den.!) Wenn Autoren wie Friedmann-Katzmann,?) oder Christen?)
(die einzigen, die das in einer Publikation getan haben) den absoluten
1) Jaubert de Beaujeu, Hans Meyer, Hans Ritter, Bering, Rost,
Krüger, Schatz. Ferner Phys. Ztschr. XI, 1910, S. 917.
2) Zeitschrift f. Röntgenkunde Bd. 14, S. 277, 1912.
3) Messung u. Dosierung d. Röntgenstrahlen, Hamburg, Gräfe & Sillem, S. 21.
774 Klingelfuß,
Wert des Sklerometers in Zweifel ziehen, so ist das ohne stichhaltisen
Beweis geschehen und die Herren sollen durch die nachfolgenden Mit-
teilungen darüber belehrt werden, daß es nicht nur ein subtiles, sondern
auch ein in absolutem Maß messendes Instrument ist. Aber es genügt
noch nicht, daß ein Maß physikalisch richtig begründet wird, es muB
das darauf beruhende Instrument oder Meßwerkzeug für die in Frag-
kommenden Messungen auch geeignet sein. Wollte jemand z. B. mit
einem noch so guten Metermaßstab, der doch unzweifelhaft von einer
physikalisch begründeten absoluten Maßeinheit abgeleitet ist, die Dick:
eines Papierblattes messen, so fällt die Messung unter Anwendung aller
Kunstkniffe sehr roh aus, während die Messung mit einem dazu geeir-
neten Mikrometer spielend und mit größter Genauigkeit ausgeführt werden
kann. So etwa liegen auch die Verhältnisse, wenn man das von Christen
in Vorschlag gebrachte Instrument für die Messung der Halbwertschicht
dem Sklerometer gegenüberstellt.
Da das Sklerometer wie kein anderes Instrument geeignet ist, dir
Dosierungsfrage sowohl für Oberflächen- als für Tiefenbestrahlung in
eine sichere Bahn zu lenken, weil mit diesem Instrumente eine Reihe von
Messungen an den Röntgenstrahlen sicher und mühelos, und dazu noch
ohne die geringste Gefahr für den Beobachter, durchführbar sind, wie mit
keinem anderen bekannten Meßinstrument, das auch nur annähernd
möglich wäre, so soll im Interesse der guten Sache nachstehend versucht
werden, ohne mathematische Hilfsmittel die physikalischen Grundlagen.
auf denen das Sklerometermeßprizip beruht, klarzustellen. Dazu ist e
notwendig, einiges über Gasentladungen und die Vorgänge im Induktomunı
beı Gasentladungen zu besprechen. Daran anschließend soll dann ge-
zeigt werden, wie sich das Sklerometer in der einfachsten Weise zur
Messung der spezifischen Härte, zur Untersuchung der Charakeristik einer
Röhre, zur Eichung von Röntgenröhren, zur Verabreichung von Röntgen-
strablendosen sowohl für Haut- als Tiefenbestrahlung, zur Überwachun:
eingeschalteter Röhren ın Bezug auf Vakuum oder Temperaturänderungen
und schließlich für die Bestimmung der sogenannten Halbwertschich:t
eignet, und wie die damit ausgeführten Härtemessungen um ein vielfach:
genauer ausfallen, als mit irgendwelchem der bekannten anderen Härt:-
messer und wie dementsprechend auch die Dosierung mit größerer Prä-
zision an Hand des Sklerometers durchführbar ist.
Um den Zusammenhang in dieser Mitteilung, die den Zweck haber
soll, eine möglichst abgerundete Arbeit über das Sklerometer und sein-
Verwendbarkeit bei dem heutigen Stand der Meßfragen zu geben, wahren
zu können, war es nötig, einige frühere an verschiedenen Orten erschienen:
Mitteilungen des Verfassers einzufügen. Die betreffenden Abhandlungen
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 775
sind jedoch teils durch Erläuterungen, teils durch Zusätze ergänzt, und
wo es zweckmäßig erschien, gekürzt worden.
I. Gasentladungen.
Unter Gasentladungen versteht der Physiker den Durchgang von
Elektrizität durch Luft oder andere Gase unter beliebigen Drucken.
Die dabei auftretenden Erscheinungen sind je nach den begleitenden Um-
ständen von der mannigfaltigsten Art. Durchschneidet man die Leitung
einer gewöhnlichen elektrischen Stromquelle, etwa die zu den Glühlampen
einer Hausbeleuchtung führenden Drähte und entfernt die durchschnitte-
nen Enden auch nur um eine Papierdicke voneinander, so ist dadurch
die Stromleitung unterbrochen und die Glühlampen brennen nicht eher
wieder, als bis die beiden Enden der Drähte sich wieder metallisch be-
rühren. Die durch die Entfernung der Drahtenden zwischen dieselben
eingetretene, noch so kleine Luftstrecke hat genügt, den Stromdurchgang
vollkommen zu verhindern. Würde man die beiden Drahtenden um einen
Millimeter auseinanderziehen, so müßte man die Spannung des elektri-
schen Stromes schon auf etwa 5000 Volt bringen, ehe der Strom in Form
eines Fünkchens diese kurze Luftstrecke zu überwinden vermöchte. Bei
einer atmosphärischen Luftstrecke von 30 cm Länge ist dazu schon eine
Spannung von beiläufig 175000 Volt erforderlich. Je höher der Wider-
stand, oder was dasselbe reziprok ist, je geringer die Leitfähigkeit der
Bahn für einen elektrischen Strom ist, um so größer muß die elektromoto-
rische Kraft (Spannung) sein, damit ein Stromübergang zustande kommen
kann. Man erhält durch das vorige Beispiel einen Begriff von der außer-
ordentlichen Vergrößerung des Leitungswiderstandes für den elektrischen
Strom, sobald derselbe statt durch metallene Drähte durch eine Luft-
oder Gasstrecke geleitet werden soll. Bei hohen Verdünnungen wächst
der Widerstand noch bedeutend höher an. Eine derartige und zwar wegen
der hohen Verdünnung recht ungünstige Gasstrecke in Bezug auf die
Leitfähigkeit stellt die Röntgenröhre dar.
Es bedarf daher auch ganz besonderer Apparate, um die zum Be-
triebe von Röntgenröhren erforderlichen hohen Spannungen zu erzeugen.
Die Spannung, um eine mittelharte Röntgenröhre in Betrieb setzen zu
können, ist höher als 200000 Volt. Wie viel höher sie ist, entzieht sich
einstweilen jeder Beurteilung. Es ist hier ausdrücklich gesagt, um die
Röntgenröhre in Betrieb setzen zu können, sei diese außerordentlich
hohe Spannung nötig, denn ist der Stromdurchgang einmal eingeleitet, so
sinkt der Widerstand und damit die Spannung für den sogleich nach-
folgenden Strom erheblich. Das hat seine Ursache darin, daß Luft und
andere Gase, sowohl unter atmosphärischem Druck als in verdünntem
776 Klingelfuß,
Zustande ohne eine gewisse Zustandsänderung einen unmeßbar hohen
Widerstand für den elektrischen Strom darstellen. Wird aber die Luft
oder das Gas z. B. mit ultraviolettem Licht von sehr kleiner Wellenlänge
bestrahlt, so vermindert sich der Widerstand das Gases. Diese Wirkung
schreibt man der Ionisation zu. Unter Ionisation versteht man eine
Anreicherung des Gasvolumens mit Ionen, das sind elektrisch geladene
Teilchen, die es in natürlichem Zustande nur in sehr geringem Maße ent-
hält. Die Anreicherung von lonen vermindert den Leitungswiderstand
des Gases, bzw. macht das Gas leitend. Die Mittel, die Leitfähigkeit
eines Gases herbeizuführen, sind außer dem genannten ultravioletten
Licht, Röntgen-, Becquerel- und Kathodenstrahlen; ferner gewisse che-
mische Prozesse. Außerdem besitzen sehr schnelle elektrische Schwin-
gungen, sogenannter Hochfrequenzstrom, die Eigenschaft ein Gas leitend
zu machen. Solche Ströme erreichen in der Sekunde bis zu einigen Milli-
onen Schwingungen. Um sie zu so hohen Schwingungszahlen bringen zu
können, bedarf es außerordentlich hoher elektromotorischer Kräfte, die
ihrerseits wieder in die Millionen Volt gehen können. Spannungen, die
jedenfalls für uns nur schätzbar, nicht meßbar sind.
Von den hier genannten Mitteln, die Ionisation eines Gases herbei-
zuführen, interessieren uns in unserem speziellen Falle zunächst nur die
Hochfrequenzschwingungen, denn nur diesen haben wir es zuzuschreiben,
daß mit dem scheinbar so einfachen Apparat, wie sich ein Induktorium
äußerlich präsentiert, eine Röntgenröhre betrieben werden kann. Was
dieser Apparat an komplizierten Funktionen auszuführen hat, damit uns
dıe Vakuumröhre Röntgenstrahlen liefert, überblickt man aber erst einiger-
maßen, wenn man sich die Mühe nimmt, diesen Apparat in seiner Wir-
kungsweise etwas näher zu studieren.
II. Entladungen eines Induktoriums durch Luft von Atmosphärendruck.!)
Die Erscheinungen bei den Entladungen eines Induktoriums durch
luft von Atmosphärendruck hängen auf das innigste zusammen mit
len Vorgängen bei Entladungen durch Röntgenröhren und es sind deshalb
die Untersuchungen, die an Hand von Funkenentladungen gemacht
werden, in hohem Grade geeignet, uns einen Einblick in die komplizierten
Funktionen des Induktoriums bei den Entladungen durch Röntgenröhren
zu verschaffen.
Man beobachtet bei einem Induktorium dreierlei Arten von Ent-
ladungen. Ist die Entfernung der Entladepole in Bezug auf das Induk-
torıum groß, dagegen der Magnetisierungsstrom für die Primärspule klein,
1) Arbeiten des Verfassers aus den Verh. der Naturf. Ges. Basel Bd. XIII,
1900, Bd. XV, 1901, Bd. XXI, 1910 entnommen.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 777
so daß kein eigentlicher Funke entstehen kann, so beobachtet man im
Dunkeln an beiden Polen bläuliche Lichtbüschel, die nach einiger Zeit
in die umgebende Luft einen starken Ozongeruch verbreiten. Diese Ent-
ladungserscheinung wird als Büschellicht bezeichnet.
Erhöht man die Magnetisierungsstromstärke soweit, daß eben kräftige
Funken die Strecke von Pol zu Pol durchschlagen, so erkennt man eine
intensiv blauweiße Funkenbahn. Das Spektrum dieser Funken zeigt
vorwiegend die Linien des Elektrodenmaterials.
Erhöht man nun den Magnetisierungsstrom noch weiter, so bemerkt
man zunächst bei den nunmehr folgenden Entladungen eine den blauen
Kern umgebende rötliche Hülle, die „Aureole“. Je mehr der Magnetisie-
rungsstrom erhöht wird, umsomehr nimmt die Dicke dieser Aureole zu,
während der blaue Kern dünner wird und schließlich ganz verschwindet,
wenn die Aureole einer dicken Raupe gleich sieht. Das Spektrum dieser
Entladung zeigt neben den Metallinien noch diejenige des Stickstoffs.
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Kalınlachung f Rildung Acy Ionen.
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arösstenteilbs in Aöntgenstratllın Lansformiet.
Fig. 1.
Die weitaus größte Intensität nimmt die letztere Entladungsart an.
Bei einem Funken von 50cm zeigte sich mit einer Magnetisierungsstroni-
stärke bis zu 4,1 Ampere Büschellicht, bei 4,2 Ampere setzten einzelne
schwache Funken ein, bei 6,38 Ampere wurde der Funke intensiv blauweiß
und bei 7 Ampere zeigte sich die Aureole als Umhüllung des blauen Fun-
kens. Mit 27 Ampère wurde die Aureole sehr dick und der blaue Funken
war nicht mehr in derselben zu erkennen. Belastet man nun dieses In-
duktorium, wie das heute für Momentaufnahmen zu geschehen pflegt,
mit einem Magnetisierungsstrom von 60—80 oder mehr Ampère, so er-
sieht man, daß der weitaus größte Teil der Entladung in der sogenannten
Aureole übergeht.
Figur 1 zergt eine graphische Zusammenstellung der obigen Zahlen.
7783 Klingelfuß,
Untersucht man diese Entladungen im drehbaren Spiegel, oder was
noch besser ist, mittels bewegter photographischer Platte, so zeigt sich,
daß der intensiv blauweiße Funke aus mehreren sich zeitlich folgenden
Partialentladungen besteht. Figur? zeigt einen solchen einzelnen Funken,
der mit einer ruhenden Platte photographiert wurde, während Figur 3
das Aussehen eines ähnlichen ‚‚einzelnen‘‘ Funkens darstellt, wenn die
Platte an einer rotierenden Scheibe befestigt ist. Der zeitliche Verlauf
aller sichtbaren sieben Partialentladungen dieses ‚„Einzelfunkens‘“ lieb
sich aus der Geschwindigkeit der Rotation ermitteln und ergab sich für
Fig. 2.
ein mittelgroßes Induktorium zu 0,0028 Sek. und daraus die Zeit zwischen
zwei aufeinander folgenden Partialentladungen zu vier zehntausendstel
Sekunde, was einer Schwingungszahl von 2500 in der Sekunde gleichkommt.
Aber damit ist noch nicht alles gesagt, was dies aufgelöste Funkenbild
uns zeigt. Betrachtet man die Originalplatte genauer (in der Reproduk-
tion der Figur 3 ist das nicht mehr zu erkennen), so findet man, daß die
Fig. 3.
erste Partialentladung der sieben Linien wiederum nicht aus einer ein-
zigen, sondern aus vier Linien und die zweite Partialentladung aus zwei
Linien besteht. Diese Entladungen sind aber nicht, wie die vorgenannten
Partialentladungen in gleichen Zeitintervallen sich gefolgt, sondern die
Intervalle werden von Linie zu Linie größer. Die sieben Partialentla-
dungen der Figur 3 mit der Schwingungsperiode von 2500 i./S. rühren von
den Grundschwingungen des betreffenden Induktoriums her, während die
noch schneller aufeinander folgenden Entladungen, die neben den ersten
beiden Grundschwingungsentladungen erkenntlich sind, von Ober-
schwingungen herrühren. Die Entladungen der Grundschwingungen
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 779
ändern ihre Polarität nicht, sie haben den Charakter eines Gleichstromes,
während diejenigen der ÖOberschwingungen umsomehr den Charakter
eines Wechselstromes annehmen, je kürzer die Wellenlänge ist. Damit
jedoch die Entladungen ohne einen Wechsel der Polarität vor sich gehen
können, müssen sich stehende Wellen bilden, mit je einem Spannungs-
bauch an den Spulenenden des Induktoriums und mit einem Spannungs-
knoten in der Spulenmitte.
Diese Erkenntnis gibt uns eine Erklärung der komplizierten Funkti-
onen des Induktoriums. ' Das was wir als Büschellicht beobachten, rührt
von den hochfrequenten Oberschwingungen her. Infolge des außer-
ordentlich hohen Widerstandes der zunächst unbeeinflußten Funken-
strecke (Länge der Luftstrecke zwischen den Entladepolen) werden die
Wellenbäuche an den beiden Stellen, wo die Funkenständer der Sekundär-
spule sich befinden, reflektiert. Nach jeder Reflexion verliert der Wellen-
zug eine halbe Wellenlänge. Zugleich aber wächst durch jede Reflexion
die Schwingungsamplitude, oder mit anderen Worten die elektromoto-
rische Kraft. Das setzt sich so lange fort, bis die elektromotorische
Kraft hoch genug ist, um die ionisierte Funkenstrecke als sichtbaren blau-
weißen Funken vom positiven zum negativen Pol zu durchbrechen.
Es ist von verschiedenen Seiten versucht worden, die elektromoto-
rischen Kräfte zu messen, die für größere Luftstrecken erforderlich sind,
damit ein erster blauer Funke die Strecke durchschlagen kann. In der
folgenden Tabelle über das Funkenpotential bei verschiedenen Schlag-
weiten findet sich eine Zusammenstellung der hierfür gefundenen Zahlen.!)
5 | 20 | 25 | 30 | 35 | 40 | 45 | 50 | 60 |70 80,90
| | | | | | | |
|
Schlagweitein cm § 10
Kilovolt n. Klin- |
gelfuß Messun- |
t
|
!
E,
|
|
gen v. 1900 1075 1155,9) 182,7 220.4 268 8'329 5387 4731618
Amer. Inst. M 73,5 97,8 122 146 170 19% | | | E |
B. Walter ‚176,6. 196,4 are | | | |
W. Vöge | 132 96,5 1199 140, ‚6165, 7190,9 9| | !
W. Weickert 64 | 76 ' 98 '120 142 | | | | | |
M. Töpler 75,9 106,2135 164 192,1 219,9 2475 274.5 |
Klingelfuß neuere ' | | |
Messungen 888111 | 133 ‚2, 155,4 4: 177. 6, 199, 8 222 244, 2 266, 4310 REN
Für den Betrieb von Röntgenröhren kommen heute Schlagweiten
von mehr als 50 cm kaum noch in Betracht, aber man ersieht aus der
Tabelle, daß man bei Luftstrecken dieser Größe schon mit einem Funken-
potential von beiläufig einer Viertel Million Volt zu rechnen hat. Dieses
1) Vgl. M. Töpler, Ann. d. Phys. 19, S. 208, 1906, woselbst die ersten
sechs Messungsreihen der Tabelle entnommen sind.
780 Klingelfuß,
hohe Funkenpotential ist aber nur deshalb nötig, weil die Luftstrecke
zunächst für die nachfolgende Entladung der gedämpften Welle (die wir
im Funken als „Aureole“ erkannt haben und die eigentliche Stromentladung
darstellt) leitend gemacht werden muß. Die „gedämpfte Welle‘ ist es,
der wir die größere oder geringere Intensität der Röntgenstrahlen zuzu-
schreiben haben.
Photographiert man eine Funkenentladung, die eine sehr kräftige
Aureole zeigt, mittels einer rotierenden photographischen Platte, so be-
kommt das Bild ein ganz anderes Aussehen, als wie wir es beim blauen
Funken (Fig. 3) erhalten haben. In Figur 4, die der Deutlichkeit
halber der photographischen Aufnahme entsprechend gezeichnet ist,
zeigt der Pfeil die Richtung, in der die Platte verschoben wurde, während
ein Funke mit Aureole, der durch eine einmalige Unterbrechung des
È Pie Pi akte WUrdL AN Ac: SHelrichtung verschoben
È —
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A Q 3 t 5 ö ? $
O aite en a ir
Oscllogamm am po». To des Andukteriumos
Fig. 4.
Magnetisierungsstromes hervorgerufen war, in der Richtung von + nach
— zur Entladung kam. Die einzelnen Teilentladungen sind der Reihe
nach nummeriert. Bei 1 ging ein erster, bei 3 ein zweiter blauer Partial-
funke über. Zwischen diesen beiden, die um eine ganze Schwingungs-
periode auseinander liegen, ist die erste Teilentladung des als Aureole
sichtbaren Stromes erfolgt. Weitere Teilentladungen folgen sich bei
4,6 usw. Während die ersten Teilentladungen der Aureole, oder wie wir
sie nennen, der gedämpften Welle deutliche stromlose Intervalle zeigen,
werden diese von Entladung zu Entladung enger und verschwinden
schließlich ganz; die gesamte Restentladung zeigt sich kontinuierlich.
Wir haben es demnach hier mit einer Entladung zu tun, die einer sehr
starken Dämpfung unterworfen ist. Die auf diese Untersuchung Bezug
habende Mitteilung wurde an anderer Stelle ausführlich publiziert.!)
1) Fr. Klingelfuß, Verh. f. Naturf. Gesellschaft Basel XXI, S. 51, 1910.
Ann. d. Physik 9, S. 1198—1216, 1902.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 781
Die photographischen Aufnahmen von Funkenentladungen haben die
Kenntnis über die Entladungsvorgänge in Gasen sehr gefördert, die er-
haltenen Bilder sind einwandfreie Oszillogramme von rein blauen Funken
und von Funken mit starker Aureole. Von den, der blauen Funkenent-
ladung vorausgehenden Büschelentladungen lassen sich solche Oszillo-
gramme nicht herstellen und man muß deshalb deren Mitwirkung an der
Entladung in anderer Weise untersuchen.
Daß die Hochfrequenzschwingungen nach jedem einzelnen Strom-
impuls (Unterbrechung des Primärstromes) auftreten, also für jeden
Stromimpuls die Gasstrecke von neuem aufionisieren, geht aus dem
folgenden Experiment deutlich hervor: Man schiebt über eine lange Pri-
märspule, die sich in dem Hartgummirohr P (Figur 5) befindet, zwei
mit je einer Sekundärwicklung ver-
sehene Spulen S, S, derart, daß die
Fig. 5. Fig. 6.
Verbindung der beiden Spulenhälften über einige sichtbare Windungen J
aus blankem Kupferdraht gehen, die am Hartgummirohr eng anliegen,
daß ferner auch die äußeren Enden der Sekundärwicklung über sichtbare
Drahtwindungen A, A, zur Funkenstrecke F,—F, führen. Setzt man
nun das Induktorium in Betrieb, so daß Funken zwischen F, und F,
überspringen, dann beobachtet man im verdunkelten Raum an den
Drahtwindungen A, und A, helle Liehtbüschel, während die Windungen J
in der Spulenmitte dunkel bleiben. Die Liehtwirkung ist in dem photo-
graphierten Versuch (Fig. 6) an den äußeren blanken Drahtwindungen
deutlich ersichtlich, während die Mitte vollkommen lichtfrei ist. Aber
auch an den Enden der Primärwicklung, innerhalb des Hartgummi-
rohres P Figur 5 kann man die Lichtbüschel beobachten. — Figur 7 zeigt
eine photographische Aufnahme von einem Ende her in das Innere des
Hartgummirohres hinein. (Die Exzentrizität des inneren dunklen Kreises
gegenüber dem äußeren rührt davon her, daß die dünnere Primärspule
einseitig in dem weiteren Hartgummirohr liegt.) Die Lichterscheinung
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 50
782 Klingelfuß,
hat vollkommen das Aussehen wie bei einer auf eine Viertelwellenlänge
abgestimmten Resonanzspule für Hochfrequenzströme. Ihre Entstehung
muß auch beim Induktorium Schwingungen von ähnlich hoher Frequenz
zugeschrieben werden. Der Magnetismus des Eisenkerns folgt bekanntlich
diesen schnellen Schwingungen nicht, so daß man annehmen darf, daß
sich das Magnetfeld und die hochfrequenten Schwingungen gegenseitig
nicht beeinflussen.
Über die Spannung dieser Schwingungen ist nichts bekannt: wahr-
scheinlich ist sie bedeutend höher, als das meßbare Funkenpotential.
Dafür spricht auch die Erfahrung, daß das Dielektrikum eines Indukto-
riums durch die hochfrequenten Schwingungen bei Abwesenheit von
Funkenentladungen eher durchbohrt wird, als wenn in der Funkenstrecke
kräftige Funken regel-
mäßıg übergehen. Befes-
tigt man auf dem einen
Entladepol ein Elektros-
kop, so beobachtet man
an demselben vor dem
Funkenübergang einen
größeren Ausschlag, als
nach dem Einsetzen der
ersten Funken. Es unter-
liegt kaum einem Zweifel,
daß diese Hochfrequenz-
schwingungen eine Vor-
bedingung für das Zu-
standekommen von Fun-
kenentladungen sind, indem denselben die Aufgabe zufällt, das Gas der
Entladestrecke zu ionisieren, ohne welches der Widerstand erfahrungs-
gemäß eine solch große Höhe hat, daß voraussichtlich eine Entladung
selbst mit den als Funkenpotential gemessenen Spannungen nicht zustande
kommen würde. Daß übrigens dıe Lichterscheinung vor dem Funken-
übergang als Büschellicht an den Entladepolen des Induktoriums sich
zeigt, ist ja bekannt. Hier ist gezeigt worden, daß die hochfrequenten
Schwingungen auch noch weiter bestehen, nachdem mit Einsetzen regel-
mäßiger Funkenentladungen das Büschellicht an den Entladepolen nicht
mehr sichtbar ist. Es ist ferner gezeigt worden, daß die hochfrequenten
Schwingungen mit Büschellicht auch an den Enden der Primärspule auf-
treten, wo sie ebenfalls während der Funkenentladung bestehen bleiben.
Vor allen Dingen haben wir gesehen, daß sich die Oberschwingungen nicht
nach der Spulenmitte hin fortpflanzen und auf diesen für uns wichtigen
Umstand kommen wir noch zurück.
Fig 7.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 783
Die hochfrequenten Ströme, die dem Funkenpotential vorausgehen,
sind von wechselnder Polarität — Wechselstrom —, während die Ent-
ladungen selbst gleichgerichtete Polarität besitzen. Das läßt sich durch
den folgenden Versuch experimentell nachweisen. Schaltet man in die
Mitte der in zwei ganz genau gleichen Hälften gewickelten Sekundär-
spule zwei Strommeßinstrumente (Fig. 8), von denen das eine nur auf
gleichgerichtete, das andere aber zugleich auf wechselnden Strom reagiert,
so macht man an diesen Instrumenten folgende, höchst interessante Beob-
achtung. Das Wechselstrominstrument schlägt sogleich aus, sobald der
unterbrochene Magnetisierungsstrom durch die Primärspule geleitet
wird, und noch keine Funken, sondern nur Büschelentladungen zustande
kommen. Das Gleichstrominstrument hingegen bleibt noch in Ruhe und
gibt erst dann einen Ausschlag, nachdem der Magnetisierungsstrom so-
ay
è
silliampi
weit erhöht ist, daß sich Funken entladen. Es liegt in diesem Versuche
der experimentelle Nachweis des hiervor gesagten, daß nämlich dem gleich-
gerichteten Strom der Funkenentladung ein Wechselstrom vorangeht.
Wird das vorgenannte Wechselstrominstrument als Spannungsmesser
eingeschaltet, so beobachtet man, daß der Ausschlag desselben in dem
Moment kleiner wird, in dem die Funkenentladungen einsetzen (Fig. 9
und Fig. 18). Daraus geht ferner hervor, daß die Spannung vor dem Ein-
setzen des ersten Funkens tatsächlich höher war.
Die Erscheinung ist nicht ohne Bedeutung für die Strommessung
bei Röntgenröhren. Wenn diese richtig sein sollen, so darf das Instrument
den für die Ionisationsarbeit verbrauchten Strom nicht mit messen.
Benutzt man daher, wie es üblich ist, für den Zweck das Milliampöre-
meter nach Deprez-d’Arsonval, dessen Zeiger bei Wechselstrom in
50*
784 Klingelfuß,
der Nullage verbleibt und bei Gleichstrom ausschlägt, so mißt uns dieses
Instrument in der Tat nur den nach Abschluß der Ionisation erübrigten
und für die Transformation in Röntgenstrahlen in Betracht kommenden
Strom. Dabei ist es, wie man sich durch das Experiment überzeugen
kann, ganz gleichgültig, ob das Milliampöremeter in die zur Röhre führende
Leitung oder in die Mitte der durchschnittenen Sekundärspule des In-
duktoriums eingeschaltet wird (vom Verfasser angegebene Schaltung).
Ersetzt man das hiervor genannte Milliamperemeter durch ein
Hitzdrahtinstrument, so ist dessen Ausschlag c. p. größer, weil sowohl
der Ionisationsstrom, als der Transformationsstrom von ihm gemessen
wird. Die Differenz beider Ausschläge gibt dann die Höhe des Ionisations-
stromes an.
Zusammenfassend haben wir uns die Vorgänge bei der Entladung
der von einem Induktorium gelieferten Elektrizität durch größere Luft-
strecken folgendermaßen vorzustellen: Nach der Unterbrechung des
Primärstromes (Magnetisierungsstromes) entstehen in der Primär- und
Sekundärspule Schwingungen mit einer sehr hohen Schwingungszahl,
die Schwingungen werden an den Spulenenden reflektiert. Es entstehen
stehende Wellen, die nach jeder Reflexion eine halbe Wellenlänge ver-
lieren, während deren Amplitude nach jeder Reflexion größer wird. Ist
schließlich die Amplitude der Spannung groß genug, so setzen Büschel-
entladungen ein, die die Luft ionisieren, bis ein erster blauer Funke über-
schlägt, womit die Ionisationsarbeit ihren Abschluß gefunden hat. Die
Spannung beim Übergang des blauen Funkens ist meßbar, und nennen
wir das Funkenpotential (vgl. Tabelle 8.779). Durch den Übergang dieses
Funkens werden die Schwingungsamplituden, die unmittelbar vorher
ihren höchsten Wert hatten, plötzlich stark gedämpft. War die Auf-
ladung der Primärspule durch den Magnetisierungsstrom gerade ebenso
groß, um dieses Ziel zu erreichen, so ist nach der Entladung des blauen
Funkens die Kapazität der Ladung erschöpft und die Entladung hat mit
dem blauen Funken ihr Ende erreicht. War aber die Aufladung größer,
so setzen nachfolgende Entladungen, die einer noch stärkeren Dämpfung
unterworfen sind, ein. Diese sind befähigt, ganz erheblich größere Elektri-
zitätsmengen zu tragen, als der vorauseilende blaue Funke. Aber die
nachfolgenden gedämpften Schwingungen würden nicht zur Entladung
durch die eingeschaltete Luftstrecke und damit überhaupt nicht zustande
kommen können, wenn nicht der vorausgeeilte blaue Funke den Wider-
stand ın der Luftstrecke noch mehr herabgesetzt hätte, denn die elektro-
motorische Kraft der gedämpften Wellen ist bedeutend niedriger, als
diejenige des blauen Funkens. Der blaue Funke erniedrigt nämlich den
Widerstand der Gasstrecke dadurch noch weiter, als es durch die Ioni-
D mn
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 785
sation schon geschehen ist, daß er Metall in Dampfform von den Elektro-
den mitreißt, der die vom Funken hinterlassene Bahn erfüllt. Durch
diese Metalldampfbahn kann die nachfolgende Entladung mit relativ
niedriger Spannung vor sich gehen. Die Vorgänge hängen aufs innigste
zusammen mit der durch die Elektronentheorie geschaffenen Anschauung
über Gasentladungen, doch kann hierauf an dieser Stelle nicht eingetreten
werden.
Nach den vom Verfasser durchgeführten Messungen beträgt die
elektromotorische Kraft der gedämpften Schwingungen für
5 10 15 20 25 80 85 40
10400 18600 17200 20000 22500 24500 27200 30600
45 50 cm ionisierte Luftstrecke
88500 36200 Volt, und ist somit im Mittel etwa siebenmal niedriger als
das Funkenpotential.
Die Schwingungsperiode sowohl während der Entladung des schwächer
gedämpften blauen Funkens, als auch der stark gedämpften nachfolgen-
den Entladungen ist bei beiden diejenige der Grundschwingungen. Die
Schwingungsamplitude dagegen ist bei der ersteren Entladungsart unter
sonst gleichen Umständen etwa 7mal größer als bei der letzteren.
Auf die Vorgänge, die sich bei der Entladung der gedämpften Schwin-
gungen durch eine Röntgenröhre abspielen, kommen wir später noch aus-
führlich zurück (vgl. 8. 803).
Während ein Wechselstromtransformator nur eine und dieselbe,
seinen Dimensionen entsprechende Spannung geben soll, muß die Span-
nung bei einem Induktorium zwischen zwei extremen Werten hin und her
pendeln können, damit bei größeren Gasstrecken ein Stromfluß überhaupt
zustande kommen kann. Die vielfach herrschende Meinung, daß wegen
der häufig äußeren Ähnlichkeit in der Bauart!) zwischen einem Induk-
torrium und einem Wechselstromtransformator kein Unterschied be-
stehe, ist unrichtig, sobald es sich um Entladungen durch Gasstrecken
handelt und beruht auf dem Mangel an genügendem Einblick in die Vor-
gänge bei einem Induktorium.
Der Hauptunterschied in der Wirkungsweise eines Induktoriunis
gegenüber derjenigen eines, sagen wir Hochspannungs-Wechselstron-
transformators ist dadurch charakterisiert, daß bei ersterem Typus von
Apparaten die Oberschwingungen mit möglichst großer Amplitude eine
Bedingung für das Zustandekommen der vom Induktorium geforderten
Wirkungen sind, während das Auftreten von Oberschwingungen beim
!) Vgl. die Abbildung eines Induktoriums mit geschlossenem Eisenkern in
Verb. der Naturf. Gesellschaft Basel, XIII, S. 267, 1900.
736 Klingelfuß,
Wechselstromtransformator als schädliche Nebenwirkung mit allen zu
Gebote stehenden Mitteln zu verhüten gesucht wird. Das Induktorium
muß aus diesem Grunde sowohl in Bezug auf das Magnetfeld, als insbeson-
dere auch in Bezug auf die Sekundärspule und deren Dielektrikum erheb-
lich abweichend von den für leistungsfähige Wechselstromtransformatoren
üblichen Normen gebaut sein. Infolge dieser verschiedenartigen Be-
dingungen, die man an diese beiden Apparattypen stellt, kann auch nie-
mals der eine Apparattyp mit Erfolg als Ersatz an Stelle des anderen
gebracht werden.
Der hiervor genannte Unterschied hängt aufs innigste zusammen
mit den Verhältnissen im äußeren Schließungskreise derartiger Apparate.
Der Schließungskreis eines Wechselstromtransformators besteht aus solchen
Leitern, deren Widerstand nicht größer wird, als daß die gewünschte
Stromstärke durch die, ein für allemal angelegte Spannung in Fluß kommt.
Ganz anders liegen die Verhältnisse beim Schließungskreis eines Induk-
toriums. Die hierbei in der Regel eingeschaltete Gasstrecke (praktisch,
bei Röntgenröhren, äquivalent einer Strecke bis zu 45 cm in Luft von
Atmosphärendruck) besitzt unter gewöhnlichen Umständen einen so hohen
Widerstand, daB sie sogar für das angelegte Funkenpotential ein guter
Isolator sein kann. Darauf beruht ja die Möglichkeit, hochgespannte
Wechselströme über blanke Leiter frei durch die Luft fortleiten zu können.
Das Induktorium muß befähigt sein, diesen Widerstand durch lonisation
des Gases hinreichend zu erniedrigen, damit nicht nur das Funken-
potential, sondern die noch viel niedrigere elektromotorische Kraft in der
gedämpften Welle, deren Spannung, wie wir gesehen haben, der Größen-
ordnung nach nicht höher ist, als die bei Wechselstrom üblichen Hoch-
spannungen, hinreicht, sich über eine solche Gasstrecke entladen zu
können.
Für die Ermittlung des Effektes hat man im Funkenpotential als Über-
gangsspannung keinen Anhalt. Im Moment, wo diese Spannung herrscht,
ist die untere Grenze für die Ionisationsspannung eingetreten. Die
Ionisationsarbeit findet erst mit dem Überspringen des blauen Funkens
ihren Abschluß für die betreffende Entladung. Damit hat aber das ln-
duktorium im Sinne eines Transformators noch keine Arbeit geleistet, das
geschieht erst in der Entladung der nunmehr dem blauen Funken zeit-
lich folgenden!) gedämpften Welle. Wenn man daher den Wirkungsgrad
eines Induktoriunis bestimmen wollte, müßte man außer der elektrischen
1) Man vgl. diesbezüglich die Arbeit in den Verhandlungen der Baseler
Naturf. Gesellschaft, Bd. XV, S. 149 und Annalen der Phys. 9, 8. 1205, 1902
(daselbst wurde die Entladung der gedämpften Welle nach früherer Sprachge-
brauch als Aureole bezeichnet.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 787
Arbeit auch die für die Ionisation geleistete Arbeit ermitteln können, denn
ohne diese Arbeit leisten zu müssen, wäre der Apparat eben kein In-
duktornum mehr, sondern ein einfacher Transformator. Das Induktorium
wird aber nach jeder von ihm durchgeführten Ionisation in seiner Arbeits-
weise ein Transformator. Man könnte deshalb das Induktorium zum
Unterschied vom einfachen Transformator als die Kombination eines
Ionisators mit einem Transformator bezeichnen. Das hier gesagte gilt
sowohl für Induktorien mit offenem als für solche mit geschlossenem
Eisenkern. Sobald der Apparat geeignet ist, eine Röntgenröhre zu be-
treiben, soll er unabhängig von der Form desselben als Induktorium
und nicht als Transformator bezeichnet werden, weil die Technik darunter
einen anderen Apparat versteht.
Die den Entladungen voraneilenden Hochfrequenzschwingungen
sind, wie leicht einzusehen ist, nicht ohne Einfluß auf Spannungs-
messungen, die im äußeren Entladekreis oder an den Entladepolen des
Induktoriums vorgenommen werden. Sie beeinflussen derartige Messungen
in ganz unkontrollierbarer Weise. Das ist in erhöhtem Maße der Fall,
wenn die Entladungen statt durch Luft von Atmosphärendruck, durch eva-
kuierte Gefäße, wie Röntgenröhren gehen, deren Drucke bald höher,
bald niedriger und oft einem plötzlichen Wechsel unterworfen sind und
deren Elektroden zu neuen Oberschwingungen Veranlassung geben
können. Es sind deshalb auch alle Versuche, Spannungs- oder Härte-
messungen an Röntgenröhren durch Anlegen an die zur Röhre führenden
Entladepole (Elektrometer Bergonie, Qualimeter Bauer), aus den vor-
genannten Gründen gescheitert.
Aus den Beobachtungen geht hervor, daß nach jeder Stromunter-
brechung bei einem Induktorium mit drei zeitlich getrennten
Spannungszuständen zu rechnen ist, nämlich:
1. Der Ionisationsspannung (bisher unmeBbar) ;
2. der Spannung des beim Abschluß der Ionisationsarbeit ent-
stehenden blauen Funkens — des Funkenpotentials — und
8. der Spannung des eigentlichen — in Röntgenstrahlen trans-
formierten Stromes.
Will man daher aus der elektrischen Spannung auf die Härte der
Röntgenstrahlen einen sicheren Schluß ziehen können, so muß die Meß-
einrichtung so beschaffen sein, daß nur die Spannung dieser letzteren
Entladungsart gemessen wird, ohne durch die Spannung der anderen
beiden Entladungsarten beeinflußt zu werden.
In dem Seite 781 beschriebenen Versuche haben wir uns davon über-
zeugen können, daß sich die Lichterscheinung an den blanken Drähten
zwischen den beiden Scekundärspulenhälften, also in der Spulenmitte,
788 | Klingelfuß,
nicht zeigt. Da die Lichterscheinung (das Büschellicht) durch die hoch-
gespannten Oberschwingungen hervorgerufen wird, so müssen wir daraus
schließen, daß sich die Oberschwingungen nicht nach der Spulenmitte
hin fortpflanzen. Daß das nicht geschieht, ist dem Physiker und Elektro-
techniker auch ohne diesen experimentellen Beweis bekannt. Es ist
nämlich die Selbstinduktion in den Spulen eines Induktoriums so außer-
ordentlich groß, daß sich schnelle elektrische Schwingungen darin über-
haupt nicht fortpflanzen können. Es spielen sich daher die höchsten
Oberschwingungen nur an den Spulenenden ab. Diejenigen Schwingungen
aber, die die sämtlichen Drahtwindungen der Spulen von einem Ende der-
selben bis zum anderen durchlaufen, sind außerordentlich stark gedämpft.
Wir nennen sie deshalb in der Folge kurz die gedämpften Wellen oder
Schwingungen. Da sie den hauptsächlich für unsere weiteren Unter-
suchungen in Betracht kommenden Elektrizitätsträger darstellen, werden
wir uns noch mehrfach damit beschäftigen. Sie sind es, die in eigentliche
Röntgenstrahlenenergie transformiert werden, während die Oberschwin-
gungen nur die Gasstrecke ionisieren, aber keine Röntgenstrahlen liefern.
Schaltet man daher in der Spulenmitte eine bestimmte Anzahl Draht-
windungen zwischen die Windungen der beiden Sekundärspulenhälften
ein, so können wir an diesen Windungen eine gewisse Spannung ablesen,
die von den Oberschwingungen nicht beeinflußt wird. Kennen wir nun
auch noch die Anzahl der Windungen der Sekundärspulen, ferner die-
jenige der dazwischen geschalteten Meßwicklung, so können wir aus
der an der letzteren abgelesenen Spannung und dem Verhältnis der Win-
dungszahlen die Spannung, die die gedämpfte Welle an den Enden der
Röntgenröhre hat, berechnen. Was das für die Messung der Härte der
Röntgenstrahlen bedeutet, werden wir noch kennen lernen.
Christen!) sagt, es falle die Tatsache auf, daß die Spannungen
für die Härtegrade nach Bergoni6 höher gefunden werden, als nach
Klingelfuß. Das ist nun nach dem vorstehenden leicht zu verstehen.
Das Bergoniösche Elektrometer wird, wie das Bauersche Qualimeter,
in den äußeren Stromkreis eingeschaltet (an die Enden der Sekundär-
spule, bzw. an die Leitung zur Röhre), also da, wo die hochgespannten
Oberschwingungen sich der gedämpften Welle überlagern. Die Ober-
schwingungen erhöhen den Ausschlag am Bergoniöschen und Bauerschen
Instrument, so daß diese für die Härten zu hohe Werte anzeigen. Die
Spannung der hochgespannten Oberschwingungen entzieht sich aber
jeder Meßbarkeit und es ist außerdem sehr wahrscheinlich, daß sie sich
1) Th. Christen, Messung und Dosierung der Röntgenstrahlen, Hamburg
Lucas Gräfe & Sillem, 1913, Bd. 21, S. 30 und Tafel 1.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 789
mit dem jeweiligen Zustande der Röhre unabhängig von der Härte ändert.
Aus dem Grunde können auch die Angaben dieser Instrumente nicht
wie diejenigen des Sklerometers zur Berechnung der Röntgenstrahlen-
energie benutzt werden. (Vgl. IV 8. 791.)
III. Die Einrichtung zur Messung der Röntgenstrahlen mit dem Sklero-
meter.
Das Sklerometer ist ein mit Gleichstrom geeichter Spannungs-
messer, der an eine bestimmte Anzahl Windungen des Induktoriums,
der sogenannten Meßspule, die für das Meßbereich des Instrumentes
abgeglichen ist, angeschlossen wird. Streng genommen müßte anstatt
dieses Spannungsmessers ein Elek-
trometer benützt werden, wie es
vom Verfasser auch bei seinen ur-
sprünglichen Messungen geschehen
Fig. 10.
ist. Wegen der Trägheit der
Zeigereinstellung und noch aus
anderen Gründen ist das Instru-
ment für praktische Messungen
nicht bequem und wurde deshalb
später durch ein Hitzdrahtinstru-
ment mit gutem Erfolg ersetzt. Die
Windungen der Meßspule müssen in der Mitte der Sekundärspule des
Induktoriums angeordnet sein, weil die hochfrequenten Oberschwin-
gungen sich infolge der hohen Selbstinduktion nicht nach der Spulen-
mitte hin fortpflanzen und daher das Sklerometer nicht beeinflussen
(vgl. Fig. 10). Da außerdem in der Spulenmitte ein Spannungsknoten
ist, so kann diese ohne den geringsten Einfluß auf den Wirkungsgrad
Fig. 11.
790 . Klingelfuß,
mit der Erde leitend verbunden werden, so daß das hier eingeschaltete
Sklerometer ebenfalls geerdet ist und deshalb ohne weiteres und ohne
besondere Vorsicht an jedem beliebigen Ort — also auch in einer Schutz-
kabine aufgestellt werden kann.
Es sei hier beiläufig bemerkt, daß bei der von mir angegebenen
Schaltung auch das Milliampöremeter in der Spulenmitte eingeschaltet
wird und daher aus dem gleichen Grunde, wie das Sklerometer, auf
der Schalttafel in der Schutzkabine unmittelbar unter dem Sklerometer
angebracht werden kann. Vergl. Fig. 14. Dadurch, daß der Strom-
und Härtemesser, also die für quantitative und qualitative Messungen
der Röntgenstrahlen nötigen beiden Instrumente neben einander und
an strahlengeschütztem Orte, ferner in nächster Nähe des Beobachters
bequem ablesbar angebracht sind, wird das Messen außerordentlich er-
leichtert. ` Die Spannung in den zum Sklerometer und Milliampöre-
meter führenden Drähten sind bei dieser Schaltungsart so niedrig, daß
man die Instrumente bei eingeschaltetem Strom berühren darf, ohne
dabei den Strom zu fühlen, oder gar das Abspringen eines Funkens be-
fürchten zu müssen.
Fig. 11 zeigt eine Schutzkabine, bei der das Sklerometer und das
Milliampöremeter auf der Schalttafel innerhalb der Kabine angebracht
sind. Man hat sich also für die Ablesungen der Härte an diesem Instru-
ment in keiner Weise den direkten Röntgenstrahlen auszusetzen, wie das
bei sämtlichen übrigen, bekannten Härtemessern ausnahmslos der Fall
ist. Würde das Instrument nicht andere, ebenso wichtige Vorteile in sich
schließen, dieser eine müßte genügen, dem Sklerometer jedem anderen
gegenüber den Vorzug zu geben.
Die Eichung der Meßspule wird unter Berücksichtigung des Meß-
bereiches des Instrumentes in Bezug auf gewisse Funkenlängen, die unter
ganz bestinmten Bedingungen erhalten werden, vorgenommen (vgl. Seite
800 bis 807). Während die Funkenlänge als Maß der Spannung, wenn der
Funkenstrecke eine Röntgenröhre parallel geschaltet ist, ganz unzu-
verlässig ist,') bleibt die Spannung bei Funkenentladungen in Luft
von Atmosphärendruck und bei Beobachtung gewisser Vorsichtsmaß-
regeln, in hohem Grade konstant, und kann als Maß für die Abgleichung
der Meßspule ohne Bedenken benutzt werden (vgl. 8.801). Da bei jedem
Induktorıum für eine bestimmte Funkenlänge die Spannung gleich und
praktisch unabhängig von der größeren oder kleineren Anzahl der auf
der Spule untergebrachten Windungen ist, so ist für einen bestimmten
Ausschlag am Sklerometer ein ganz bestimmter Teil der ganzen Draht-
1) Vgl. Verhandlungen der Deutschen Röntgengesellschaft, Bd. VII, 1910,
S. 128—129.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 791
länge der Sekundärwicklung nötig. Der Ausschlag am Sklerometer gibt
also zunächst die Funkenlänge in Luft von Atmosphärendruck an, wenn
jelweder störende Einfluß auf die Funkenentladungen sorgfältig ab-
zuhalten gesucht wird. Dieser Funkenlänge entsprechen aber mehrere
bestimmte, sich zeitlich in Bruchteilen der Sekunde folgende Spannungen,
nämlich wie wir oben gesehen haben, eine lonisationsspannung, eine
Spannung des Funkenpotentials (das ist einer schwach gedämpften
Grundschwingung) und eine Spannung der stark gedämpften Grund-
schwingung oder kurz der gedämpften Welle. Das Sklerometer wmißt
aber infolge seiner besonderen Einschaltung in den Schwingungskreis
nur eine dieser Spannungen, nämlich die der gedämpften Welle, denn nur
dieser Teil der Entladungen wird, wie wir jetzt wissen, in Kathoden- und
Röntgenstrahlen transformiert und nur diese Spannung hat zu der Härte
der Röntgenstrahlen eine bestimmte Beziehung. Je größer die Funken-
länge ist, um so mehr steigt der Ausschlag am Sklerometer; aber wir
wissen ja auch andererseits, daß die Funkenlänge, die ein Induktorium
zu geben vermag, um so größer sein muß, je härter c. p. die Röhre ist.
Da nun bestimmte Beziehungen zwischen der Härte der Röntgenstrahlen
und der Spannungen der gedämpften Welle bei Funkenentladungen be-
bestehen, so mißt uns das Sklerometer indirekt die Härte der Röntgen-
strahlen. Wie bei allen Instrumenten, die für die Messung an periodischen
Strömen in Betracht kommen, muß die Eichung für jede andere Frequenz
besonders ausgeführt werden. Die Meßspule des Sklerometers ist demnach
für 50 Unterbrechungen in der Sekunde geeicht und es muß, wenn die An-
gaben genau sein sollen, bei der Benützung des Sklerometers diese Unter-
brechungszahl eingehalten werden. Für den Wehnelt- oder Simon-
Unterbrecher z. B. wird die Eichung der Meßspule entsprechend der Fre-
quenz derselben bei voller Belastung ausgeführt. Die Angaben des
Sklerometers sind dann auch nur bei voller Belastung gültig, weil die
Frequenz mit der kleineren Belastung kleiner wird. Ebenso darf dann die
Stiftlänge des Wehnelt-Unterbrechers nicht verändert werden. Die
dann durch Abnutzung des Stiftes verursachte Änderung läßt sich durch
Nachregulierung korrigieren.
IV. Absolute Härtemessung mit der Sklerometerskala.
Die einmal abgeglichene Meßspule stellt in Bezug auf das zugehörige
Induktorium eine unveränderliche Größe dar, ihre Windungszahl ist ein
ganz bestimmter Teil der Gesamtwindungszahl der Sekundärspule. Ist
sie so abgeglichen, daß das Sklerometer bei einer bestimmten Funkenlänge,
in Zentimetern ausgedrückt, bestimmte Ausschläge gibt, wird anderer-
seits die Skala des Sklerometers an Hand bekannter Spannungen mit
792 Klingelfuß,
Gleichstrom geeicht, so besitzen wir in diesem Instrumentarium eine auf
absolute Werte zurückgeführte Meßeinrichtung von großer Genauigkeit
für praktische Messungen an Röntgenstrahlen. Da sich die Spannungen
auf Spulen verhalten, wie deren Windungszahlen, so haben wir nur die am
Sklerometer abgelesene Spannung mit dem Windungsverhältnis der Se-
kundärspule zur Meßspule zu multiplizieren, um die Härte der Röntgen-
strahlen direkt in Volt auszudrücken. Macht man das, so ergeben sich
für die Benoistskala folgende absolute Werte, d. h. in Volt ausgedrückte
Härtegrade:
2 8 4 5 6 7 8 Benoist
7700 8800 10400. 13600 19000 26000 84000 Volt oder absoluter
Härtegrade.
Diese großen Zahlen würden aber für die Praxis unbequem sein.
Nun hat man überall in der Meßtechnik danach getrachtet, die Größen-
ordnung der Zahlen den Bedürfnissen anzupassen und hat danach Maß-
ableitungen gemacht. Man drückt z. B. große Wegstrecken in Kilo-
metern, kleinere Längen in Metern, noch kleinere in Zentimetern oder
Millimetern und sogar die kleinsten meßbaren Längen in p und pgu, d. h.
tausendstel und millionstel Millimeter aus. Alle diese Maße sind durch
Zehnteilung von dem Grundmaß des Zentimeters abgeleitet. Warum soll
man nun nicht auch für die Härtemessung eine Ableitung einführen
dürfen, die bequemere Zahlen für die Praxis liefert. Man könnte nun ent-
sprechend hier die Zahlen in Kilovolt ausdrücken und erhielte für
2 383 4 5 6 7 8 Benoist
die entsprechenden Härte-
grade in absoluten Einheiten 7,7 8,8 10,4 18,6 19 26 34
Diese Skala würde das 226,5fache, d. h. die durch Multiplikation
des Windungsverhältnisses mit der vom Sklerometer in Wirklichkeit ge-
messenen niederen Spannung anzeigen.
Dieser Faktor ist aber eine konstante Größe, so daß es gar keinen
Zweck hat, den komplizierteren Weg einzuschlagen und zunächst die Ab-
lesungen an der Meßspule mit der Konstanten des Windungsverhältnisses
zu multiplizieren und dann durch 1000 zu dividieren. Es ist viel einfacher,
diese beiden Operationen wegzulassen und die Spannungswerte der Meß-
spule direkt als Härtegrade zu bezeichnen. Dadurch wird der absolute
Wert der gemessenen Größen ebensowenig beeinflußt, als wenn eine Tei-
lung oder Multiplikation des Meters vorgenommen wird.
Aber es liegt noch ein gewichtiger Grund vor, die Härte nicht direkt
in der an der Röhre angelegten Spannung in Volt auszudrücken. Wir
kennen diese Spannung nämlich nicht durch direkte Messung, sondern
nur aus der Spannung an der Meßspule unter der Annahme, daß auch bei
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 793
diesen schnellen Schwingungen die Spannungen sich verhalten wie die
Windungszahlen. Wir kennen daher auch nicht den Grad der Genauigkeit
für die so gefundenen Werte. Die Spannung der gedämpften Schwingun-
gen läßt sich aber einstweilen in anderer als der hier angegebenen Weise
nicht bestimmen, derart daß die Messung durch die Oberschwingungen
nicht beeinflußt würde, ganz abgesehen davon, daß Spannungsmessungen
bei der in Betracht kommenden Größenordnung nicht so einfach aus-
führbar sind.
Der einzige sichere Anhaltspunkt zur Abgleichung der Meßspule
bleibt daher die bei Funkenentladungen von bestimmter Länge unter be-
stimmten Bedingungen (vgl. S. 800—807) herrschende Spannung (vgl.
5. 807). Diese Spannung ist praktisch konstant für die gleiche Funken-
länge und unabhängig von der Stromstärke innerhalb des Normalzustandes
bei Induktorien.!)
Die von mir benutzte und eingeführte Skala des Sklerometers zeigt
dementsprechend auch die Spannungen an der Meßspule und zwar ist
die Meßspule so abgeglichen, daß ein Hitzdraht-Spannungsmesser mit
einem Eigenverbrauch von 150 Milliampere bei 90° Ausschlag bei einer
Funkenlänge von
5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 cm
einen Ausschlag von 49 61 73 85 97 109 121 133 145 157 Volt gibt.
Wir erhalten dementsprechend für die
Benoistskala . . ». ». . 2.. a... 2 3 4 5 6 7 8
die entsprechenden Härtegrade in ab-
soluten Einheiten. . . . . . . 34 39 4 60 8 115 150
Äquivalente Funkenlänge bei nicht ein-
geschalteter Röhre annähernd cm 3—4 98 195 325 47
Es gelingt mit der härtesten Röhre ohne die Anwendung eines Filters
nicht, einen höheren Wert als 8 Benoist photographisch zu bekommen.
Durch Extrapolation erhält man für den Skalenwert 9 Benoist = 190 und
für 10 Benoist = 240 Härtegrade am Sklerometer.
Die Berechtigung, das Sklerometer einen absoluten?) Härtemesser
zu nennen, ist von Christen?) mit Unrecht kritisiert worden. Der beste
Beweis, daß das Sklerometer ein absolutes Maß ist, liegt darin, daß analog
ähnlichen Wirkungen beim elektrischen Strom sich experimentell nach-
weisen läßt, daß das Produkt der von diesem Instrument angezeigten
t) Klingelfuß, Annalen der Physik 5, S. 837, 1901.
23) Das Wort „absolut“ bezieht sich hierbei auf die für physikalische Größen
übliche Bezeichnungsweise; ein weiterer Anspruch wird damit bekanntlich nicht
erhoben.
794 Klingelfuß,
Strahlenhärte multipliziert mit der am Milliamperemeter abgelesenen
Strahlenstärke und der Bestrahlungszeit eine gleich starke Schwärzung
der photographierten Platte durch eine Metalltreppe hervorruft, wenn das
Produkt der drei Fak-
toren konstant gehalten
wird. Dabei dürfen die
WMA N yo a einzelnen Faktoren inner-
| =æ halb gewissen Grenzen
AAN E y | geändert werden. So er-
g hielt ich das Bild der
AOE R Wht. ;; nebenstehenden Figur 12.
Die sechs Streifen
wurden auf eine und die-
selbe Platte exponiert, um
Entwicklungsdifferenzen
auszuschalten. Die 3 Fak-
Fig. 12. toren hatten der Reihe
nach die folgenden Werte:
Strahlenhärte Expositionszeit | Produkt dee
Strahlenstärke |
in Milliampere | in Sklero?) | Sekunden | drei Faktoren
Streifen 1 | 0,4 | 63 | 198 | 4989
+ 0,7 | 68 104,5 | 4974
3 o| 1,0 | 73 | 68,5 | 4990
y | 1,35 | 80 46 4976
Br 1,5 | 83 40 4980
6 | 1,8 92 30 | 4968
Mittel der Produkte 4979.
Das Produkt in den 6 Reihen ist im Mittel 4979, wovon die einzelnen
Produkte nur sehr wenig abweichen. Das Produkt stellt uns aber die
Röntgenstrahlenarbeit dar und man könnte kurzweg sagen, es seien im
Mittel auf jeden Streifen 4980 Sekunden-Röntgenstrahlen appliziert
worden. Die dazu verwendeten Milliampère waren beim ersten Streifen
0,4 beim sechsten 1,8, die entsprechende Härte 63 und 92 und es wurde
beim ersten Streifen 198 Sekunden, beim sechsten nur 30 Sekunden be-
strahlt, und doch sind die Streifen, wie auch alle übrigen gleich geschwärt.
Wir erhalten demnach die gleiche Röntgenstrahlenarbeit mıt 63 Sklero-
1) Christen, Archiv und Atlas, Messung und Dosierung der Röntgenstrahlen
Hamburg, Lucas Gräfe & Sillem 1913, S. 21, Absatz 8,
2) Man vergleiche die Fußnote Seite 814.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 795
und 0,4 Milliampere in 198 Sekunden oder 92 Sklero- und 1,8 Milliampöre
in 80 Sekunden. Innerhalb der zulässigen Grenzen genügt aber jeder
Wert der Faktoren dieser Bedingung, wenn das Produkt konstant ge-
halten wird. Haben wir z. B. eine Röhre mit 100 Sklero- bei 1 Milliampöre,
. 4980 | | |
so müßten wir 1 x 100 = 50 Sekunden bestrahlen, um die gleich hohe
Strahlendosis zu bekommen. Es kann also z. B. auch
die Härte die Strahlenstärke | die Zeit
60 Sklero 1 Milliampere | 29 Minuten
84 99 1,2 1 17 ?9 l
115 , 1,5 „ ; 10,»
betragen, das Produkt in den 3 Reihen ist stets 1725 Minuten-Röntgen-
strahlen (das entspricht in 24 cm Fokushautdistanz einer Sabourauddose).
Es sind aber 60 Sklero = 5 Benoist, 84 Sklero = 6 Benoist und 115 Sklero
= 7 Benoist, und wir können demnach auch sayen, daß wir die Dose er-
halten haben, bei der Strahlenhärte
6 Benoist in 29 Minuten mit 1 Milliampère
7 ” „ 17 „ 39 1,2 2
8 7 , „ 10 ” ” 1,5 ”
es sind aber 6 x 29x 1 = 174
7 x 17 x 1,2 = 148
8 x 10 x 1,5 = 120
und wir erhalten somit, wenn wir statt der Sklerometer- die Benoisthärte
einsetzen, drei sehr ungleiche Produkte. Würden wir die Eichung mit der
Härte 6 Benoist vorgenommen haben, wobei wir als Produkt 174 erhielten
und nun mit einer Röhre von 8 Benoist mit 1,5 Milliampöre eine Bestrah-
lung vornehmen und würden die Bestrahlungszeit ermitteln, wie das beim
Sklerometer geschieht, so müßten wir analog das Produkt durch die Härte
| 174
mal der Strahlenstärke dividieren und erhielten a 14,5 Minuten
,
statt der tatsächlich nötigen 10 Minuten, so daß dadurch ein Dosierungs-
fehler von + 45°/, begangen würde.
Ganz gleich würde es uns gehen, wenn wir die Rechnung nit Wehnelt,
oder mit Walter oder mit Qualimeter oder irgendeinem anderen will-
kürlichen Härtemaß durchführen.
Vernachlässigen wir aber unter der trügerischen Annahme einer
konstanten Röhre die Härte ganz und rechnen nur die Millianıpere X Mi-
nuten, so wird der Dosieruugsfehler noch größer. |
Der Grund, weshalb das Sklerometer ein absolutes Maß der Röntgen-
796 . Klingelfuß,
strahlenhärte ist, liegt darin, daß es die in absolutem Wert ausgedrückte
elektrische Spannung der gedämpften Schwingungen in ganz bestimmter
Weise angibt, und daß die Röntgenstrahlenhärte dieser Spannung propor-
tional ist. Streng genommen mißt das Instrument eine bestimmte mittlere
Spannung aus einer mehr oder weniger großen Anzahl verschiedener mitt-
lerer Spannungen, was an anderer Stelle (S. 802—807) näher erklärt ist.
Das Produkt aus der Sklerometer- und Milliampère-
meter-Ablesung bezeichnet die Röntgenstrahlenleistung ent-
sprechend wie eine elektrische Leistung sich aus der Spannung x der
Stromstärke ergibt.
So hat z. B. bei einem Sklerometerausschlag 120 und einem
Milliampereausschlag 1,2 die Röntgenstrahlung eine Leistung 144; bei
80 Sklero und 1,8 Milliampere beträgt die Leistung ebenfalls 144. Lassen
wir diese Leistungen jede eine gleich lange Zeit wirken, so erhalten wir
die gleiche Strahlenarbeit.
Man muß dabei nur berücksichtigen, daß ein härterer Strahlenkom-
plex in Bezug auf die Absorptionsfähigkeit sich anders verhält als ein
weicherer. Da muß die Prüfung der spezifischen Härte und eventl. der
Halbwertschicht (Christen) einsetzen (vgl. S. 708 und 829).
V. Das Meßbereich der Sklerometerskala.
Wie wir weiter oben gesehen haben, entspricht der Wert 8 Benoist oder
150 absolute Einheiten einer Funkenlänge von nahezu 50 cm. Das Meß-
bereich des Sklerometers kann aber beliebig weiter ausgedehnt werden,
falls noch härtere Röhren (Strahlen) gemessen werden sollen. Es
braucht dann nur die Skala des Instrumentes statt bis 8 Benoist oder 150
bıs 160 absoluten Härtegraden bis 10 oder 12 Benoist oder noch weiter
ausgedehnt werden. Es ist mir bis heute aber wie gesagt nicht gelungen,
mit den härtesten erreichbaren Röhren Benoistwerte über 8 hinaus photo-
graphisch zu erhalten. Sobald man versucht, die Röhre noch weiter hinauf
zu belasten, springen Funken außen um die Glaskugel herum, die der
Röhre gefährlich werden. Die Annahme von Wetterer,!) daß das Meß-
t) J. Wetterer, Handbuch der Röntgentherapie, Leipzig, Nemnich. I. Auf-
lage 1913, Seite 116—117. In der bezüglichen Vergleichstabelle der gebräuchlichsten
Härtemesser für Röntgenstrahlen sind die Funkenlängen viel niedriger angegeben,
als sie sich aus meinen Messungen ergeben haben. Das rührt wahrscheinlich
daher, daß hier die parallele Funkenstrecke anstatt der äquivalenten Funkenstrecke
als Maß angegeben ist (vgl. S. 807). Daß aber die parallele Funkenstrecke ganz
unrichtige Verhältnisse vortäuscht, habe ich in einer Publikation in den Verhandl.
der Deutschen Röntgen-Gesellschaft Bd. VII, 1911, S. 129 nachgewiesen. Die den
Härtegraden äquivalenten Funkenlängen sind in der Tabelle S. 798 richtig ange-
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 797
bereich des Sklerometers für Tiefenbestrahlung nicht ausreiche, scheint
demnach nicht zutreffend. Möglicherweise liegt hier eine Verwechslung
zwischen der Härte von ungefilterten mit der Härte von gefilterten Strah-
len vor. Um in dem Falle, wo das Meßbereich weiter ausgedehnt werden
soll, keine Einbuße in Bezug auf die Genauigkeit der niederen Härtegrade
zu erleiden, wäre es zweck-
mäßig, eine Skala für 2. r 120
harte Röhren erst etwa 9 ye ul el, ly, w
bei 6 oder 7 Benoist = 84
oder 115 absoluten Härte- N [JaA
einheiten beginnen zu SRS B
lassen. Andererseits läßt Fig. 18. a
sich auch eine spezielle
Skala für weiche und
extrem weiche Strahlen,
wie sie etwa an Röhren
mit Lindemannfenster er-
hältlich sind, anbringen,
so daß das Meßbereich
dıeser Skala von etwa !/,
oder 1 bis zu 5 oder
6 Benoist bzw. bis 60 oder
84 absoluten Härtegraden
reicht. Diese Skala käme
ausschließlich für die Ober-
flächentherapie in Be-
tracht, und würde dabei
äußerste Genauigkeit in
der Messung und Dosie-
rung gewährleisten.
Die Skala mit dem Fig. 14.
Meßbereich von 2 bis 8
Benoist bzw. 30 bis 160 absoluten Härtegraden (Fig. 13 und 14) hat sich
als zweckmäßig und vollkommen ausreichend für alle normalen Arbeiten
mit Röntgenstrahlen, sowohl für die Röntgenographie und -skopie als
auch für Oberflächen- und Tiefentherapie erwiesen. Mit dieser Skala
geben. Es sei hier ferner darauf aufmerksam gemacht, daß auch die Vergleichs-
zahlen zwischen der Benoistskala und dem Sklerometer in dieser Tabelle nicht
alle mit den von mir angegebenen Zahlen übereinstimmen. So ist z. B. für
4 Benoist der Sklerometergrad mit 55 statt 46 angegeben; bei einigen anderen
sind die Abweichungen von meinen Zahlen kleiner.
Strahlentnerapie Band III, Heft 2. 51
798 Klingelfuß,
lassen sich alle hierbei vorkommenden Härten, von den praktisch weich-
sten bis härtesten Strahlen messen; sie erlaubt daher auch die univer-
sellste Anwendung in der Praxis.
Die Skala mit dem Meßbereich für extremweiche Röhren einerseits
und diejenige für extrem harte Röhren andererseits sind daher Spezial-
skalen.
Es hindert aber auch nichts, eine Skala am Sklerometer anzubringen,
deren Meßbereich sowohl nach unten wie nach oben weiter ausgedehnt
würde, also für alle überhaupt in Betracht kommenden Härten ausreichte.
Aber bei den weit auseinander liegenden unteren und oberen Grenzen
dieser Skala würden die Unterabteilungen der Härte nicht mit der gleich
großen Genauigkeit ablesbar sein, als das bei den oben genannten Skalen
der Fall und meistens auch wünschenswert ist.
Neben der absoluten Skala des Sklerometers läßt sich jede der be-
kannten anderen Skalen auftragen. Das erleichtert den Vergleich der ab-
soluten Härtewerte mit den altgewohnten Härteskalen. In der Regel
ist dann auch noch die Benoistskala eingetragen.!) Die Figur 15 gibt eine
graphische Darstellung zum Vergleich der verschiedenen gebräuchlichen
Skalen, sowie der Funkenlängen mit der absoluten Skala. Wie man aus
dieser Vergleichung ersieht, besitzt das Sklerometer eine weitaus größere
Empfindlichkeit, als irgendeines der übrigen Härtemeßinstrumente.
Während Härteunterschiede von einer Einheit bei den Instrumenten nach
Benoist, Walter, Wehnelt usw., deren Angaben an sich ja richtig sind,
wenn sie nur richtig beobachtet werden, nur äußerst schwierig und durch
direktes Ansehen niemals einwandfrei festgestellt werden können, zeigt
das Sklerometer schon Änderungen der Härte an, die einem kleinen Bruch-
teil einer der obigen Einheiten entsprechen.?)
VI. Die Änderung der Strahlenhärte mit der Belastung.?)
Die Härte einer Röntgenröhre, oder genauer ausgedrückt der von ihr
ausgesandten Röntgenstrahlen ist einerseits gegeben durch den Zustand
des Vakuums der Röhre, andererseits aber wird die Härte beeinflußt
durch die mehr oder weniger hohe Belastung einer Röhre in der Weise,
daß mit der höheren Belastung auch Strahlen von größerer Härte aus-
gelöst werden.
Hat man die Härte einer Röntgenrühre in einem bestimmten Falle
mit irgendeinem der bekannten Härtemeßinstrumente nach Benoist, oder
1) Über die Anbringung des Halbwertschichtmaßes nach Christen am
Sklerometer vgl. 8. 829.
2) Vgl. Schatz, „Strahlentherapie“, Berlin 1912, S. 544—545,
3) Nicht zu verwechseln mit der Änderung der Röhrenkonstanz, vgl. VII.
799
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie.
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Fig. 15.
800 Klingelfuß,
Walter, oder Wehnelt usw. ermittelt und erhöht oder erniedrigt nun
die bei dieser Ablesung vorhanden gewesene Stromstärke, so wird eine
neue Ablesung an dem betreffenden Härtemeßinstrument dem Beobachter
zeigen, daß die Härte nicht mehr mit der vorhergehenden Ablesung über-
einstimmt. Nun sind die genannten Instrumente zur Ermittelung der
Härte nicht von sehr großer Empfindlichkeit, und der Beobachter wird
finden, daß er oft die Stromstärke ganz erheblich ändern muß, um durch
okulare Beobachtung am betreffenden Instrument eine Härteänderung
konstatieren zu können. Viel genauer läßt sich die Härteänderung, die
eine Röhre durch die Belastung erfährt, auf photographischem Weg fest-
stellen, indem man anstatt die Vergleichung durch direktes Ansehen der
beleuchteten Felder am Härtemeßinstrument vorzunehmen, die Töne
des photographisch erhaltenen Negativs der betreffenden Härteskala
vergleicht. |
Das Sklerometer eröffnet dem Röntgenologen Einblicke in die Vor-
gänge bei einer unter Strom gesetzten Röhre, von denen er ohne dieses
Instrument gar keine oder im günstigsten Falle dann erst Kenntnis erhält,
wenn größere Veränderungen oder schädliche Wirkungen eingetreten sind.
Die bequeme Zugänglichkeit zu diesem Instrument, ohne daß man sich
dabei den Röntgenstrahlen auszusetzen hat, die außerordentliche Empfind-
lichkeit desselben bei der geringsten Änderung (sogar eine leichte Tempe-
raturzunahme der Röhre wird vom Sklerometer sofort angezeigt), der
fortwährende Zeigerausschlag solange die Röhre eingeschaltet ist, erleich-
tern die Härtemessung und Röhrenkontrolle.!) Man ist deshalb auch im-
stande, die Messungen mit einer Gründlichkeit vorzunehmen, wie sie
irgendeines der anderen bekannten Härtemeßinstrumente nicht im Ent-
ferntesten ahnen läßt. Und trotz der Gründlichkeit, mit der das Sklero-
meter die Messungen vorzunehmen gestattet, werden dieselben dank der
Einfachheit, mit der dieses Instrument arbeitet, zu einer mühelosen, ja
freudigen Arbeit. Wer sich einmal an das Messen mit dem Sklerometer
gewöhnt hat, will dieses Instrument nicht mehr missen, wofür wiederholte
Beweise aus der Praxis vorliegen. Die Überlegenheit des Sklerometers
über jedes andere bekannte Härtemeßinstrument wird aus dem Nach-
folgenden zur Genüge hervorgehen, denn die hiernach mitgeteilten Beob-
achtungen wären ohne die Hilfe des Sklerometers überhaupt nicht oder
dann doch nicht mit jener Zuverlässigkeit und Gründlichkeit durchführbar
gewesen.
Wir machen zunächst folgende, höchst interessante Beobachtungen:
Es werde an das mit dem Sklerometer ausgerüstete Induktorium
1) Vgl. Schatz, „Strahlentherapie‘‘, Berlin 1912, S. 544—545.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 801
vorläufig noch keine Röhre angeschlossen, ferner werde die Funkenstrecke
auf z. B. 390 cm Länge ausgezogen und während dem Versuche nicht ver-
ändert. Wir schalten nun den Primärstrom mit 50 Impulsen per Sekunde
(Unterbrechungen) ein und regulieren ihn bis zu eben der Höhe, daß
regelmäßige Funken überspringen. Der dabei beobachtete Ausschlag
am Sklerometer beträgt ungefähr 110 Skalenteile (Volt). Das einge-
schaltete Milliamperemeter zeige in diesem Falle z. B. 0,5 Milliampere an.
Wir erhöhen nun, ohne sonst irgendwelche Änderung an der Einstellung
vorzunehmen den Primärstrom, bis das Milliamperemeter 5 Milliampere
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Fig. 16.
anzeigt und machen die höchst wichtige Beobachtung, daß obwohl die
Stromstärke auf das Zehnfache erhöht worden ist, der Ausschlag am
Sklerometer sich nicht oder doch nur so wenig verändert hat, daß dies
praktisch vernachlässigt werden kann. Vgl. Fig. 16.
Bei ein und derselben Funkenlänge ändert sich durch
Erhöhung der Entladestromstärke die Spannung nicht, so-
lange nur Funkenentladungen auftreten und eine Röntgen-
röhre nicht in den Entladekreis eingeschaltet ist. Das gilt
innerhalb der Grenzen des Normalzustandes!) eines Induktoriums.
Schaltet man nun eine Röntgenröhre ein, ohne sonst eine Änderung
vorzunehmen und reguliert zunächst den Primärstrom, wie vorher bei den
) Klingelfuß, Verhandl. der Baseler Naturf. Gesellschaft, Bd. XIII, S. 264,
1900 und Annalen der Physik 5, 837, 1901.
802 Klingelfuß,
Funkenentladungen, bis zur Höhe von 0,5 Milliampödre, so lesen wir ent-
sprechend der benutzten Röhre einen gewissen Ausschlag am Sklerometer
ab; dieser möge wie vorhin 110 Skalenteile betragen. Nun erhöhen wir
ebenfalls wie vorhin bei den Funkenentladungen den Primärstrom und
machen dabei eine von der vorigen abweichende Beobachtung, nämlich
daß der Zeigerausschalg des Sklerometers größer wird, wenn die Zahl der
Milllampöre zunimmt. Die Spannung des durch die Röhre geschickten
Stromes nimmt also mit steigender Stromstärke zu und da, wie wir wissen,
die größere Spannung härtere Röntgenstrahlen auslöst, so wird unsere
Röhre mit der höheren Belastung in gewissem Sinne härter. Erhöhen wir
die Milliampöre auf 5, wie im vorigen Falle, bei den Funkenentladungen,
bis zu welcher Höhe das Sklerometer daselbst keine Änderung der Span-
nung anzeigte, so finden wir
jetzt den Zeigerausschlag bei-
spielsweise auf 150—160 Härte-
grade angewachsen, d. h. auf
WA eine Höhe, die in der freien
ZN 6 Funkenstrecke und wenn eine
Röhre nicht eingeschaltet ist,
Entladungen von 50 cm Länge
è Anois
i entspricht. In der Figur 17
h ist die Härteänderung mit der
1 2 $ 4 $ ar.a. Belastung für eine mittelweiche
CBarahteriotik N Müller -Röbus Iype Ik A 62517. Wasserkühlröhre dargestellt.
| Fig. 17. Diese Röhre hatte bei 0,5 Milli-
ampère eine Härte von 50 abso-
luten Graden oder 4,2 Benoist. Bei 1 Milliampère stieg die Härte auf 60
oder 5 Benoist, bei 2 Milliampère auf 80 oder nahezu 6 Benoist und bei
einer Belastung von 5 Milliampère schon auf 120 oder über 7 Benoist.
Bei ein und derselben Röhre ändert sich durch Erhöhung
der Entladestromstärke die Spannung und damit die Härte
der Strahlen. 1.4
Die Zunahme der Härte einer Röntgenröhre mit der Belastung, ab-
weichend von dem gleichbleibenden Sklerometerausschlag bei Funken-
entladungen in Luft von Atmosphärendruck erscheint zunächst etwas
merkwürdig und physikalisch auch nicht so ohne weiteres erklärlich.
Denn der größeren Härte muß auch eine höhere Spannung entsprechen,
während es sich doch gezeigt hat, daß bei Funkenentladungen bei ein und
derselben Länge durch Erhöhung der Intensität innerhalb gewisser Grenzen
der Sklerometerausschlag (die Spannung) sich nicht ändert. Die Er-
klärung dafür läßt sich aber einwandfrei geben. Wir haben uns nur an
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 803
die Funkenoszillogramme zu erinnern, die wir bei rein blauen Funken
und bei Funken mit starker Aureole erhalten haben (vgl. 8. 778 u. 780).
Wir haben dort gesehen, daß durch die einmalige Unterbrechung des
Primärstromes Schwingungen im Primär- und Sekundärkreis des Induk-
toriums entstehen, die eine periodische Entladung der aufgespeicherten
Elektrizität zur Folge haben. Wir erhielten infolgedessen auf der bewegten
photographischen Platte das Bild mehrerer sich zeitlich folgenden Funken-
bahnen. Diese sind bei den rein blauen Funken durch größere Zwischen-
räume getrennt, als bei den Entladungen mit starker Aureole. Bei den
letzteren werden die Zwischenräume von Entladung zu Entladung kleiner
und verschwinden schließlich ganz, so daß es den Anschein hat, daß die
ursprünglich stoßweise Entladung schließlich in einen kontinuierlichen
Abfluß übergeht. Wir ha-
ben aber gesehen, daß die w
letztere Art der Entladung
mit einer etwa siebenmal
niedrigeren Spannung vor
sich geht, als die Entla-
dung beim Funkenpotential
(rein blauer Funke). Wir
haben ferner gesehen, daß
bis zum Eintritt des Fun-
kenpotentials die Entla-
dungen in lonisationsener-
gie und erst die von da ab
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118
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folgenden Entladungen in
Röntgenstrahlenenergie
transformiert werden. Das
Sr
3 577 3
Nagnslisiemgsrkom
Fig. 18.
Funkenpotential und die
Spannung der nachfolgenden Entladungen haben wir abhängig von
der Funkenlänge, für ersteres vom Widerstand vor der lonisation,
für letztere von demjenigen nach der Ionisation gefunden. Wird in den
nachfolgenden Entladungen die Intensität sehr hoch, so daß sich infolge
der Dissoziation und Verbrennung des Luftstickstoffes der Flammbogen
bildet, so sinkt der Widerstand in der Funkenentladung noch weiter.
Erhöhen wir also den Primärstrom, ohne zugleich die Länge der Funken-
strecke zu vergrößern, so kann die Spannung in der Funkenentladung
aus den geannten Gründen nicht nur nicht steigen, sondern muß schließ-
lich bei sehr hohen Intensitäten sinken. Das ergeben auch die Messungen
(vgl. Fig. 18).
Setzen wir nun an die Stelle der Funkenstrecke in Luft eine Röntgen-
804 . Klingelfuß,
röhre, so haben wir in allen Punkten die gleichen Verhältnisse, bis in einem,
den Abschluß der freien Luft, der uns in der Röhre die Flammbogenbildung
und die damit in Zusammenhang stehenden Wirkungen verhindert. Die
Röhre stellt uns einen Widerstand dar, der abweichend vom Widerstand
der Funkenstrecke nur durch die lonisation, in viel geringerem Maße da-
gegen durch hohe Gastemperaturen beeinflußt wird. Das findet erst
statt, nachdem eine Röhre durch Überlastung auf hohe Temperatur
gebracht worden ist, wobei dann allerdings eine ähnliche rapide Wider-
standsverminderung eintreten kann, wie beim Flammbogen.
Wir haben uns also klar zu machen, daß wenn die Aufladung groß
genug war, nach Ablauf der lonısationsarbeit noch ein größerer oder
kleinerer Laderest übrig ist. Dieser Rest, wir wollen ihn die disponible
Kapazität nennen, wird bei seiner Entladung durch die evakuierte
Röhre in Kathodenstrahlen und Röntgenstrahlen transformiert. Weil
in dem abgeschlossenen Gefäß die atmosphärische Luft keinen Zutritt
Fig. 19.
hat und somit die Flammbogenbildung verhindert wird, so ändert sich
auch der Widerstand, den das Gefäß nach der Ionisation besitzt solange
nicht, als die Temperatur des Gefäßes sich nicht wesentlich ändert.
Durch einen solchen Widerstand nun entlädt sich die disponible
Kapazität gleich wie bei der Entladung eines Kondensators, und zwar,
wie aus der nebenstehenden Figur 19 und auch aus der Fig. 4 S. 780 hervor-
geht, periodisch mit gedämpften Oszillationen. Dem Physiker ist das
bekannt, daß Entladungen von Kondensatoren durch sehr große Wider-
stände periodisch vor sich gehen und von Schwingungen herrühren, ferner
daß die Schwingungsamplitude, und das ist in unserem Falle die Spannung,
wie bei einem sich selbst überlassenen, schwingenden Pendel immer kleiner
wird.!) Bei der Entladung der disponiblen Kapazität wird also die Span-
1) Vgl. Kohlrausch, „Praktische Physik“, Leipzig, Teubner, 11. Auflage
1910, S. 572.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 805
nung von einem höchsten Wert an von Entladung zu Entladung kleiner.
Die Abnahme folgt einer Exponentialfunktion.
Nun haben wir uns daran zu erinnern, daß die Härte der Röntgen-
strahlen der Spannung proportional ist. Kommt also die disponible
Kapazität zur Entladung, so ändert sich dabei auch die Härte nach dem
Exponentialgesetz von einem höchsten Wert bis dahin, wo die Spannung
in Bezug auf den eingeschalteten Widerstand zu klein wird. Dann hören
die Entladungen auf, bis durch eine nächstfolgende Aufladung (Unter-
brechung des Primärstromes) das Spiel von neuem beginnt. Wir erhalten
demnach fortgesetzt nach jeder Unterbrechung des Primärstromes und
nach Ablauf der Ionisationsarbeit Röntgenstrahlengruppen, deren Härte
nach einem bestimmten Gesetz von Gruppe zu Gruppe abnimmt. Die
untere Grenze dieser Härte liegt um so höher, je größer der Widerstand
nach der lIonisation ist. Messen wir also die Härte bei einer so
niedrigen Belastung, daß eben erkennbare Röntgenstrahlen entstehen,
d. h. also bei der die disponible Kapazität sehr klein war, so messen
wir annähernd richtig die Härte der weichsten Strahlengruppe, die die
betreffende Röhre liefert. Unterhalb dieser Strahlenhärte gibt die Röhre
praktisch keine Strahlen ab. Im Verlauf dieser Arbeit haben wir diese
Härte einer Röhre die spezifische Härte genannt und wir
wissen somit, daß die spezifische Härte, wenn sie mit sehr niedriger Be-
lastung gemessen wird, uns die weichsten von der Röhre emittierten
Strahlen erkennen läßt. Diese Erkenntnis ist für die Therapie von großer
Bedeutung; weil sie uns in den Stand setzt, die untere Grenze des Strahlen-
gemisches direkt messen zu können. (Es ist das selbstverständlich die
Härte der Strahlen vor dem Durchgang durch die Glaswand des Gefäßes.
Vgl. Anmerkung $. 832.)
Jetzt haben wir nur noch zu sehen, was geschieht, wenn wir die Be-
lastung erhöhen, wenn wir also den Primärstrom verstärken. Zunächst
erhalten wir dadurch eine größere disponible Kapazität, denn die Ioni-
sation braucht c. p. die gleich große Energie, ob die Röhre höher oder
niedriger belastet wird, immer keine Zustandsänderung in der stromlosen
Röhre voraussetzt. Durch die höhere Belastung steigt die elektromotori-
sche Kraft im Induktorium, das erkennen wir experimentell schon daran,
daß die erreichbare Funkenlänge c. p. um so größer wird, je höher wir den
Primärstrom nehmen. Durch das Ausziehen der Funkenstrecke ver-
ringern wir die Dämpfung, wenn es sich um Funkenentladungen handelt,
und die Entladungsspannung steigt daher durch das Ausziehen der Funken-
strecke, obwohl wir die primäre Stromstärke nicht erhöhen. Die Dän-
pfung also ist es, die es verhindert, daß bei gleichbleibender Funkenlänge
durch eine Intensitätserhöhung die Spannung zunimmt, d. h. daß die
806 | Klingelfuß,
Potentialdifferenz der disponiblen Kapazität wächst. Diese Dämpfung
wird verursacht durch die heiße Flamme in der freien Luft, die den Wider-
stand stark herabsetzt.
Schalten wir dagegen wieder die Röntgenröhre ein, so ist die durch
die Intensitätserhöhung gesteigerte elektromotorische Kraft befähigt, die
disponible Kapazität auf ein entsprechend höheres Potential aufzuladen.
Bei der Entladung durch die Röhre steigen die Schwingungsamplituden
der Spannung entsprechend höher an und es beginnt demnach die Ent-
ladung der disponiblen Kapazıtät mit entsprechend härteren Röntgen-
strahlengruppen, diese werden von Entladung zu Entladung, entsprechend
der Abnahme der Spannung, weicher und die Emission hört bei derjenigen
Härte auf, bei der die Spannung der disponiblen Kapazität so weit gesunken
ist, daß sie den gegebenen Widerstand nicht mehr zu überbrücken vermag.
Jede der nachfolgenden Unterbrechungen wiederholt auch diese Vorgänge.
Es ist uns jetzt klar, warum die Spannung am Sklerometer bei zu-
nehmender Belastung steigt, wenn eine Röhre eingeschaltet ist, und warum
das nicht der Fall sein kann, wenn die Entladungen durch die freie Luft
gehen, solange die Funkenlänge nicht verändert wird.
Aber diese Betrachtung, die etwas langatmig erscheint, belehrt uns
dafür noch mit einer anderen, äußerst wichtigen Erkenntnis, sie zeigt
uns, daß der Härteunterschied zwischen den härtesten und den weichsten
Strahlen, die nach jeder Unterbrechung erzeugt werden, um so größer
wird, je höher wir die Röhre belasten, d. h. je höher wir die disponible
Kapazität aufladen. Wir haben auch gesehen, daß die verschieden harten
Strahlen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander mit abnehmender Härte
(nach jeder Aufladung des Induktoriums durch den Primärstrom) emittiert
werden.
Wollen wir daher eine Strahlung erzeugen, die einen möglichst
kleinen Härteunterschied hat, so dürfen wir die disponible Kapazität
nur niedrig aufladen, mit anderen Worten, die Röhre nicht hoch be-
lasten.
Durch den Umstand, daß die Spannung bei Funkenentladungen
innerhalb bestimmter Grenzen sich praktisch nicht ändert, bietet sich die
Möglichkeit, die Meßspule für das Sklerometer einwandfrei eichen zu
können, was sonst bei den in Betracht kommenden Spannungen, die direkt
nicht meßbar sind, seine besonderen Schwierigkeiten haben würde.
Wer bisher noch irgend an die Möglichkeit glaubte, die parallele
Funkenstrecke als ein Maß für die Härte mit einiger Annäherung benutzen
zu können, wird nach der Durchsicht der vorstehenden Auseinander-
setzungen wohl anderer Meinung werden. |
Bezüglich der Funkenstrecke als Maß für die Härte beachte man,
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 807
daß streng zu unterscheiden ist zwischen einer äquivalenten und einer
parallelen Funkenstrecke. Erstere kann bei Einhaltung gewisser Be-
dingungen ein einwandfreiss Maß der Spannung sein, letztere nicht,
weil die geforderten Bedingungen dabei nicht mehr in allen Teilen aufrecht
erhalten sind.
Die Änderung der Härte durch die Belastungshöhe kann bei verschie-
denen Röhren sehr verschieden sein. Die Abhängigkeit der Härte von der
Belastung nennen wir die Charakteristik einer Röhre.
Vo. Die Änderung der Röhrenkonstanz.!)
Außer der Beeinflussung der Strahlenqualität durch die Belastung
der Röhre, die man die aktive Beeinflussung nennen könnte, gibt es
noch eine passive Beeinflussung, die durch sekundäre Wirkungen,
wie Erhitzung der Elektroden durch zu hohe oder zu lange Belastung,
Metallzerstäubung und deren starke Einwirkung auf das Vakuum der Röhre
und anderes mehr hervorgerufen werden kann. Die passive Beeinflussung
einer Röhre ist fast ohne Ausnahme für die guten Eigenschaften derselben
schädlich und sie ist daher mit Anwendung aller Sorgfalt zu vermeiden.
Eine auch nur um Weniges zu hohe Belastung der Röhre hat nach kurzer
Einschaltung stets eine Herabsetzung der Härte zur Folge. Da die Be-
lastungshöhe einer Röhre ein Produkt aus Strahlenhärte x Strahlenstärke
ist, so müssen beide Faktoren für die Beurteilung der Belastung in Rech-
nung gezogen werden. Es genügt dazu durchaus nicht, die Milliampöre
allein konstant zu erhalten und die Härte mit der rohen Benoist- oder
Wehnelt-Skala usw. gelegentlich nachzuprüfen. Eine Änderung der Härte
heißt mit anderen Worten, daß von dem ursprünglichen Strahlengemisch
die Zahl der härteren Strahlen ab-, die der weicheren dagegen zunimmt.
Da die Änderung nicht plötzlich, sondern ganz allmählich eintritt, wird
man ohne sorgfältige Überwachung des Röhrenzustandes mit einem dazu
geeigneten Instrument die Änderung erst wahrnehmen, wenn eine größere
Abweichung eingetreten ist, und von einer zuverlässigen Dosierung kann
in dem Falle, d. h. mit einer Röhre, deren Härte fortgesetzt abnimmt,
nicht die Rede sein. Ähnlich, nur im umgekehrten Sinne liegen die Ver-
hältnisse, wenn die Härte des Strahlengemisches wächst, wie es z. B. bei
Unterbelastung mancher Röhren vorkommt. |
Deshalb muß auch ausdrücklich davor gewarnt werden, die Dosierung
der Röntgenstrahlen unter der Annahme einer konstanten Röhre an Hand
der am Milliampèremeter abgelesenen Stromstärke und der Zeit, d. h.
nach der sogenannten Milliampsreminutenmethode vorzunehnien,
I) Man vgl. auch „die Belastungskonstante einer Röhre“ Seite 822.
808 Klingelfuß,
ohne zugleich eine subtile Kontrolle über die Konstanz der
Röhrenhärte ausüben zu können.!) Denn die Dosis ergibt sich, abge-
sehen von der Fokushautdistanz aus den drei Faktoren: der Härte (Strah-
lenspannung), der Stromstärke (Strahlenstärke) und der Zeit. Wird nun
auch der Milliampöremeterausschlag sorgfältig auf konstanter Höhe ge-
halten und die Zeit richtig bemessen, die Einhaltung der erforderlichen
Härte aber nicht sorgfältig überwacht, so kann man mit Sicherheit an-
nehmen, daß sich die Härte in den meisten Fällen während der Einschaltung
ändert, so daß in der Dosierung ein dementsprechend mehr oder weniger
großer Fehler gemacht wird, der unter Umständen verhängnisvoll werden
kann. Die Überwachung der Härte in dem Maße, wie es die Dosierung
in absolutem Maß verlangt, ist aber nachgewiesenermaßen nur mit dem
Sklerometer durchführbar, dessen große Zeigerschwankungen mit wechseln-
der Härte die einzige Möglichkeit bieten, den Härtegrad einer Röhre zu
überwachen.?)
VII. Charakteristik und spezifische Härte.
Unter der Charakteristik einer Röntgenröhre hat man die
Änderung zu verstehen, die die Strahlenqualität (Härte)
erfährt, sobald bei ein und derselben Röhre die Strahlen-
quantität (oder die Belastung) geändert wird.
Unter spezifischer Härte hat man dagegen den Wert der
Strahlenqualität (Härte) zu verstehen, den eine Röhre bei
einer ganz bestimmten Belastung (abgelesen in Milliampere) be-
sitzt.
Zwei Röhren, von denen jede bei der Belastung mit z. B. !/, Milli-
ampère die Härte 4 Benoist (= 4 Benoist-Walter = 7 Wehnelt?)) oder
was dasselbe ist, 46 Sklerometereinheiten zeigen, sind für die Belastung mit
1/, Müliampère spezifisch gleich hart. Belasten wir nun diese Röhren
jede statt mit !/, mit 5 Milliampöre und es steigt bei der einen dadurch
die Härte auf 8 Benoist (= 6 Benoist-Walter oder 131/, Wehnelt) bzw.
150 Sklerometereinheiten, bei der anderen jedoch nur auf 6!/, Benoist,
(= 5!/, Benoist-Walter oder 11!/, Wehnelt) bzw. 100 Sklerometereinheiten,
so ist durch die Belastungsänderung ein großer Härteunterschied in den
spezifisch gleich harten Röhren entstanden. Wir sagen in einem solchen
1) Man vgl. Verhandl. der Deutschen Röntgen-Gesellschaft VI, 1910, S. 128,
Abs. 4, woselbst der Beweis hierfür zahlenmäßig erbracht ist.
2) Man vgl. Schatz, Strahlentherapie I, S. 545, 1912; Rost u. Krüger,
l. c. II, S. 817, 1913; Bering u. Meyer, l.c. I, S. 191, 1912; Hans Meyer u.
Hans Ritter, Berliner klin. Wochenschrift 1912, Nr. 2.
3) Alle Wehneltangaben beziehen sich auf die neuere Wehneltskala.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 809
Falle, die erstere der Röhre habe eine steilere Charakteristik als die
zweite Röhre. Zwei Röhren können aber auch, und der Fall zeigt sich in
der Praxis häufiger, eine verschiedene Charakteristik und zugleich verschie-
dene spezifische Härte haben. Es wäre nun etwas unpraktisch, die spezi-
fische Härte als Vergleichsmaß auf jeden beliebigen Belastungswert beziehen
zu wollen und deshalb ist es zweckmäßig, dieselbe für eine ganz bestimmte
Belastung der Röhre, z. B. !/, oder 1 Milliampere anzugeben. Auf einen
der beiden Werte muß man sich dann einigen. Geschieht das für den Wert
1 Milliampöre, so heißt ein für allemal spezifische Härte diejenige Härte,
die eine Röhre hat, wenn sie bei einer Belastung von einem Milliampöre
gemessen wird. Ich selbst ziehe den Wert 0,5 Milliampere für die spezi-
fische Härtemessung aus Gründen vor, die Seite 805 besprochen wurden.
Es geht auch hieraus hervor, daß die Bezeichnung „harte Röhre‘
oder „weiche Röhre‘ ohne Angabe der Belastung ganz unbestimmt ist.
Spricht man dagegen von einer spezifisch harten, oder spezifisch
weichen Röhre, so heißt das, daß die Röhre, gemessen bei einem halben,
bzw. einem Milliampöre hart oder weich sei. Will man aus Bequemlichkeit
das Wort „spezifische‘“ weglassen, so sollte man sich doch an die spezifische
Messung halten, damit die Bezeichnung ‚„hart‘“ und „weich“ eine be-
stimmtere Form annimmt.
Es kann nicht genug betont werden, bei der Angabe der Härte auch
anzugeben, bei welcher Belastung die betreffende Härte abgelesen wurde.
Ja es wäre in den meisten Fällen sogar auch die Angabe der Charakteristik
wünschenswert. Das Lesen von Literaturstellen mit Härteangaben ist
zur Zeit mit wenigen löblichen Ausnahmen eine wahre Qual. Die unge-
nügenden Angaben machen den Wert einer Arbeit unter Umständen
geradezu zweifelhaft.
Bei dieser Gelegenheit sei auch auf die große Willkürlichkeit mancher
Härteskalen hingewiesen, die das leidige Durcheinander ın den Härte-
angaben noch vermehren. So hatte die Wehnelt-Skala früher eine andere
Einteilung als heute. Dem alten Härtegrad 2 entspricht an der neuen
Skala der Wert 6, dem alten Wert 6 entspricht der neue Wert 7, dem alten
Wert 8 entspricht der neue Wert 10. Dem alten Wert 9 entspricht der
neue 12—13. Wer also Härteangaben nach dieser Skala macht, muß sagen,
ob sie für die alte oder neue Skala gelten. Auch Walter scheint seine
BW-Skala seit einiger Zeit geändert zu haben, hierbei sind allerdings die
Abweichungen nicht so erheblich. Ganz ungenügend sind die Härte-
angaben nach der Walter-Skala, wenn nicht außer der Belastung auch die
Distanz, in der abgelesen wurde, angegeben wird. Wer daher seinen
Mitteilungen einigen Wert beilegt, und über ein Sklerometer nicht verfügt,
suche seine Härteangaben in Benoist oder Benoist- Walter-Einheiten, die
810 Klingelfuß,
womöglich photographisch festgestellt sind, anzugeben, und unterlass
dabei aber nicht die Milliamperezahl, bei der gemessen wurde, zu be
merken.
Je einfacher und klarer die physikalischen Verhältnisse eines Instru-
mentes angebbar sind, um so exakter läßt sich einsolches reproduzieren un!
um so größer ist die Gewähr, ein exakt zeigendes Instrument erhalten zu
können. Das trifft zu für die Benoist- und Benoist-Walter-Skala, bei
denen die Härte durch die Dicke der durchstrahlten Metallsechichten
definiert ist. Aber auch diese Instrumente sind nicht ganz einwandirei,
weil die dünnen Silberbleche nicht bei allen Instrumenten übereinstimmeng
zu sein scheinen. Bei einem in meinem Besitz befindlichen Original-
Benoist-Instrument zeigt sogar das Silberblech in der Photograptie
dunklere und hellere Stellen (Wolken). Trotzdem sind die beiden genarn-
ten Instrumente zuverlässiger als die anderen, besonders als die Wehnelt-
Skala, die wegen ihrer ganz unkontrollierbaren und schwer reproduzier-
baren Kurve des Aluminiumstreifens großer Willkür ausgesetzt ist.
Ob der sehr unempfindliche Christensche Halbwertschichtmesser
genügen werde, um die Härte einwandfrei anzugeben, muß die Erfahrung
erst lehren. Es scheint aber doch bedenklich, die Halbwertschicht — die
allerdings in erster Linie für die Tiefenbestrahlung in Betracht kommt —
als Maßstab für die primäre Härte, also der ungefilterten Strahlen ein-
zusetzen. Die Empfindlichkeit des Instrumentes ist so gering. daß Härte-
unterschiede, für die das Sklerometer 25 Skalenteile anzeigt, damit nicht
unterschieden werden können. Nach den Messungen von Schatzi;
läßt z. B. die Halbwertschicht 1,2 zwischen 85—110 des Sklerometers
sich nicht unterscheiden, also in Benoist ausgedrückt, liegt die Halbwert-
schicht 1,2 sowohl bei 6 als 7 Benoist. Daß aber so große Härteunter:chiede
nicht vernachlässigt werden dürfen, ohne sich der Gefahr eines Dosierung:
fehlers auszusetzen, bedarf kaum einer besonderen Erwähnung.
Für den praktischen Röntgenologen ist die Kenntnis der (haras-
teristik einer Röhre von unschätzbarem Werte. Zur Bestimmung der-
selben sind die Ablesungen an einem Härtemesser und an einem Milli-
amperemeter erforderlich, in der Weise, daß man die jeweilige Härte der
Röhre ermittelt, die sie bei der Belastung mit Y,, 1, 2, 8 usw. Milliampere
besitzt. Die Ablesungen stellt man in einer Tabelle zusammen. Es it
zweckmäßig. diese Eintragungen In einem dafür angelegten Buche vor-
zunehmen, das etwa die Einteilung der nachstehenden Tabelle hat.
Dieses Buch ist zugleich ein für jeden Röntgenologen praktisches
Röhrenresister. Die Zahllenreihe bei jeder Röhre läßt sowoll deren spe2-
I) Schatz l. c.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. $8411
fische Härte (in der Kolonne unter !;, Milliampöre), als auch die Charak-
teristik derselben erkennen. Ein sehr anschauliches Bild einer Charak-
teristik gibt die graphische Zusammenstellung der Zahlen, in der Weise,
wie das in Fig. 17 dargestellt ist.
Maximal- Belas- Charak-
g Härtein Sklero bei Milliampère bel istik
8 (Charakteristik) olas- | tungg- | "eristi
A tung konstante nach
H Kurve
1/,)1|2]3]4]5 |10ļ20|80'40]50je0] 7 X
III
Fig. 20.
Dazu eignet sich das käufliche sogenannte Millimeterpapier, oder auch
das billigere Schreibpapier mit quadratischer Lineatur. Trägt man die
Charakteristiken mehrerer Röhren in dasselbe Quadratnetz ein, Fig. 21,
so erkennt man aus dem verschie-
denartigen Verlauf der Kurven,
wie verschiedenartig die Charakte-
ristik bei Röhren sein kann.
Die obere Grenze der
Belastung und damit auch
der Charakteristik, ist für
Jede Röhre gegeben durch
die obere Grenze der Härte,
vorausgesetzt, daß nicht andere
Verhältnisse in der Röhre diese
Grenze herabsetzen. Man erinnere
sich daran, daß die Härte mit der
Belastung zunimmt. Steigt die
Härte einer Röhre über eine ge-
wisse Grenze hinaus, so gehen
Entladungen außen an der Glas-
wand entlang, während die Rönt-
genstrahlenemission erheblich ge- Milliampirs
ringer wird, oder ganz aufhört. Fig. 21.
In diesem Zustande wird eine
Röhre leicht durch Perforation der Glaswand zerstört. Die größte Härte,
die eine Röhre verträgt, liegt praktisch bei 160 Sklerometergraden (etwa
Ye
812 Klingelfuß,
über 8 Benoist\. Hierunter ist die von der Röhre emittierte, nicht fil-
trıerte Strahlung zu verstehen.
Diese Grenze kann jedoch bei verschiedenen Röhren bei sehr ver-
schieden hoher Belastung liegen. Letztere ist umso niedriger, je schneller
die Härte mit der Belastung anwächst, d. h. je steiler die Charakteristik
ist (wenn man von dem Gang der Kurven in den Quadratnetzen aus-
geht). Die von einer Röhre in der Zeiteinheit geleistete Röntgen-
strahlenarbeit ist ein Produkt aus Härte und Strahlenmenge.
Es wird somit eine Röhre eine um so größere Röntgenstrahlenarbeit leisten
können, je höher dieselbe belastet werden darf. Um das wieder an einem
Beispiel zu veranschaulichen, denken wir uns zwei Röhren, von denen die
eine die maximal zulässige Härte, sagen wir 160 Sklerometergrade mit
5 Milliampere erreiche, wobei das Produkt 5.160 = 800 JH-Einheiten
die maximal von dieser Röhre geleistete Röntgenstrahlenarbeit darstellt.
Die andere erreiche dagegen die Härte von 160 Sklerometergraden erst
bei einer Belastung mit 50 Milliampere, also 50 . 160 = 8000 JH-Einheiten.
Es leistet demnach die zweite Röhre bei Vollbelastung eine zehnfach
größere Röntgenstrahlenarbeit, als die erste bei Vollbelastung zu leisten
imstande ist. Das ist zweifellos richtig, aber es liegt doch ein Unterschied
in beiden Röhren, der unter Umständen zu Gunsten der weniger hoch
belastbaren Röhre sprechen kann, und das erkennen wir aus der Cha-
rakteristik. |
IX. Das Strahlengemisch einer Röntgenröhre und die Charakteristik.
Jede Röntgenröhre sendet ein mehr oder weniger umfangreiches
Gemisch von verschieden harten Strahlen aus. Je höher die Stromstärke
ist, mit der eine Röhre belastet wird, um so umfangreicher ist c. p. das
(remisch ihrer Strahlen (vgl. S. 806).
Diesem Umstande verdankt die Röntgenographie den Erfolg, reichlich
differenzierte Bilder erzielen zu können. Mit einer Röhre, deren spezi-
fische Härte zu groß ist, bei der also die unterhalb derselben liegenden
weicheren Strahlengemische fehlten, erhält der Röntgenograph bekannt-
lich ein Bild, in welchem sich die Knochen von den Weichteilen nur wenig
unterscheiden und das daher einen geringen Wert für die Diagnose besitzt.
Soll das Bild gut ausfallen, so muß das Strahlengemisch so zusammen-
gesetzt sein, daß in allen durchstrahlten Körperteilen eine Anzahl Strahlen
absorbiert wird und ein genügend großer Rest noch die photographische
Platte trifft. Es muß mit anderen Worten die Röhre eine passende spezi-
fische Härte, und ein passendes Strahlengemisch besitzen. Daraus geht
aber hervor, daß das Strahlengemisch nicht bei allen Röhren gleicher
Härte gleich ist. Auf das Vorhandensein von weichen und harten Strahlen
Das Sklerometer u, seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 813
gründet sich auch das Härtemeßinstrument nach Benoist, das auf die
verschiedenartige Absorption weicher und harter Strahlen im Silber
bzw. Aluminium beruht, aber es bietet keinen Anhaltspunkt für die Be-
urteilung des Verhältnisses der Anzahl von weicheren zu der Anzahl der
härteren Strahlen.
Ganz besonders für die praktische Röntgenstrahlentherapie wäre
es von unschätzbarem Werte, den Anteil jeder einzelnen Strahlenqualität
oder doch gewisser Gruppen von Solchen, die im Gesamtstrahlengemisch
enthalten sind, zahlenmäßig bestimmen zu können. Es ist aber bisher
nicht gelungen, eine quantitative Auswertung eines Strahlengemisches
einwandfrei durchzuführen und man bleibt in dieser Beziehung mehr oder
weniger auf eine Schätzung angewiesen, wobei man sich allerdings sehr
stark täuschen kann.
Man darf aber mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß zwei Röhren,
die ein gleichartig zusammengesetztes Strahlengemisch emittieren,
erstens eine gleiche spezifische Härte und zweitens die gleiche Änderung
der Härte mit der Belastung zeigen, d. h. mit anderen Worten, daß zwei
Röhren mit der gleichen Charakteristik auch ein ähnliches
Strahlengemisch haben, wenn sie gleich hoch belastet sind.
Um die Richtigkeit dieses Satzes einzusehen, dürfen wir uns nur daran
erinnern, was wir als die Ursache der Härtezunahmen mit steigender Be-
lastung erkannt haben (vgl. S. 808—807). Jede Härtegruppe im Strahlen-
gemisch entspricht einer bestimmten Spannungsamplitude einer abklin-
genden oszillatorischen Entladung der disponibeln Kapazität.
Nun muß man sich klar machen, daß das Sklerometer, ähnlich wie
bei einem Wechselstrommeßgerät und auch ähnlich wie das für das Milli-
amperemeter der Fall ist, worüber eine Arbeit von Walter!) publiziert
wurde, nicht die obere Grenze der Spannung, sondern nur einen gewissen
„mittleren‘‘ ‘Wert derselben angeben kann. Dieser Wert ist, wie bei
allen Wechselstrommeßgeräten, abhängig von der Form der Schwingungs-
kurve, und liegt bei steilen oder spitzen Kurven im Verhältnis niedriger
als bei flachen. Nehmen wir nun die Periode der Eigenschwingungen der
gedämpften Welle bei einem Induktorium als konstant an, wozu die ex-
perimentellen Beobachtungen berechtigen, so ist auch die Wellenlänge
konstant. Behalten wir das im Auge, so können wir uns leicht vorstellen,
daß die Kurve der Spannung, wenn man sie in üblicher Weise in ein Ko-
ordinatennetz einträgt, um so steiler ansteigt, je höher die Spannung der
betreffenden Schwingung ist, und andererseits um so flacher verläuft,
je weniger hoch die Spannung ansteigt. Es wird also das Sklerometer
ı, B. Walter, Verhandl. der Deutschen Röntgen-Gesellschaft V, S. 53, 190%.
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 52
814
Klingelfuß,
c. p. einen anderen „mittleren“ Wert für die Wellen mit hoher Spannung,
als für diejenigen mit niederer Spannung anzeigen.
Wir wissen aber, daß die Härten der Röntgenstrahlen den Spannung
proportional sind und es mißt daher das Sklerometer die harten Strahlen
im Verhältnis etwas niedriger, als die weichen. In Wirklichkeit zeigt aber
das Sklerometer die mittlere Gesamtspannung aus den mittleren Einzel-
spannungen sämtlicher Amplituden an. Haben wir daher zwei Strahlen-
komplexe, von denen der eine bei 0,5 Milliamp£re 100 Sklero und bei
2,5 Milliampere 160 Sklero zeigt (Kurve I, Fig. 22), der andere bei 0,5
Milliampere 80 Sklero und erst bei 50 Milliampere auf 160 Sklero an-
steigt (Kurve V) so mißt uns das Sklerometer, wenn die Belastung bei
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Milam té.
Fig. 22.
beiden Röhren bis zu 160 Sklero gesteigert wird, bei beiden einen gleich-
hohen „mittleren“ Wert, bezogen auf das Strahlengemisch, ob-
wohl unserer Überlegung nach in der ersteren Röhre die Zahl der härteren
Strahlen größer sein muß, als bei der zweiten.
Das läßt sich durch direkte Messung leider einstweilen nicht nach-
weisen. Es sei uns daher erlaubt, ein naheliegendes Beispiel, das uns die
Richtigkeit des hiervor Gesagten bestätigt, anzuführen. Wir müssen
uns zu dem Zweck für einen Augenblick auf das Gebiet der Röntgeno-
graphie begeben und geben uns die Mühe, zwei Aufnahmen eines Beckens
Wir halten dabei alle in Betracht kommenden Verhältnisse
zu machen.
genau gleich, auch die Härte der Strahlen sei beidemal 160 Sklero.!) Aber
t) Ich schlage an dieser Stelle vor, das Wort „Sklero“ für die mit dem
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 815
wir benutzen für die erste Aufnahme eine Röhre nach der Kurve I mit
einer spezifischen Härte von 110 und belasten sie mit 2,5 Milliampöre,
damit die Härte auf 160 ansteigt, und für die zweite Aufnahme eine Röhre
mit der spezifischen Härte 80 Sklero, die mit 80 Milliampöre belastet
wird, wobei deren Härte ebenfalls auf 160 Sklero ansteigt (Kurve IV—.V).
Wir leisten in beiden Fällen, in der gleichen Fokushautdistanz, wie ich
früher wiederholt nachgewiesen habe, dann die gleiche Röntgenstrahlen-
Arbeit, wenn wir das Produkt aus Milliampere x Sklero x Expo-
sitionszeit für beide Aufnahmen gleich halten. Es seien nun für die be-
treffende Beckenaufnahme 27000 Röntgenstrahleneinheiten nötig, für
die wir entsprechend der Belastung der beiden Röhren die Expositions-
zeiten berechnen und genau einhalten. Obwohl wir nun in beiden Fällen
die genau gleich große Röntgenstrahlenenergie angewendet haben, und
auch die ‚„Härte‘“ bei beiden Aufnahmen genau gleich war, werden wir
doch finden, daß nur die mit der ersten Röhre gemachte Platte tauglich
ist, während die zweite Platte zeigt, daß die betreffende Röhre zu ‚weich‘
war. Die Röhren waren aber nach den Sklerometerangaben gleich hart,
und wenn wir mit beiden Röhren nunmehr unter den gleichen Verhält-
nissen die Benoist-Skala photographieren, so zeigen tatsächlich beide
Negative die gleiche Härte dieser Skala!
Dieses Resultat können wir uns eben nur dadurch erklären, daB bei
der ersten Röhre die härteren Strahlen in größerer Menge in dem Strahlen-
komplex vorhanden sind, als bei der zweiten. Es war demnach wohl
die Härte richtig, aber das Strahlengemisch war nicht
gleich in den beiden Röhren. Um bei dem speziellen Fall zu bleiben,
werde ich also, wenn ich eine Beckenaufnahme zu machen habe, mir eine
Röhre aussuchen, die eine dazu passende Charakteristik besitzt, und die
Aufnahme gar nicht versuchen mit einer Röhre, deren Charakteristik
weit davon abweicht.
In das Gebiet der Therapie übersetzt, heißt das aber, daß man da
wo das Strahlengemisch nicht vernachlässigt werden darf, ohne einen
Fehler in die Dosierung zu bringen, gut tut, eine solche Röhre zu
wählen, deren Charakteristik das Strahlengemisch passend
erscheinend läßt.
Je niedriger die Belastung ist, bei der eine Röhre das Härtemaximum
(ca. 160 Sklero) erreicht, um so mehr wiegen in dem Gemisch die härteren
Strahlen vor, und andererseits je höher die Belastung genommen werden
muß, um dieses Härtemaximum zu erreichen, umsomehr überwiegen die
weicheren die härteren Strahlen in dem Gemisch.
Sklerometer ermittelte Härte anzuwenden, in Übereinstimmung mit Milliampere,
die mit dem Milliamperemeter gemessen werden.
52%
816 Klingelfuß,
Es ist daher die Charakteristik geeignet, uns gewissermaßen einen Ein-
blick in die Zusammensetzung des Strahlengemisches zu geben.
Wenn die Frage des Strahlengemisches hier etwas breit angeschnitten
worden ist, so geschah das u. a. auch deshalb, weil die verdienstvolle
mathematische Behandlung der Strahlenabsorption im Körper von
Christen,?!) die für die Tiefenbestrahlung zu der Aufstellung des Größen-
begriffes der Halbwertschicht geführt hat, sich auf eine homogene
Strahlung stützt. Es ıst daher von besonderem Interesse zu prüfen, in-
wieweit die von Christen gezogenen Schlüsse Gültigkeit behalten für
den Fall, wie er in der Praxis wirklich liegt, d. h. für eine inhomogene
Strahlung. Christen sagt selbst, daß die mathematische Durchführung
der Rechnung für eine nicht homogene Strahlung zu außerordentlichen
Schwierigkeiten führen würde. Sie ist aber tatsächlich undurchführbar,
solange das Strahlengemisch selbst nicht quantitativ auswertbar ist.
Glücklicherweise stellt dıe Tiefentherapie eine Forderung, die nicht
zu umgehen ist, nämlich die Anwendung von Filtern, die in erster Linie
einen Hautschutz darstellen, die zugleich auch aber die entgegenkommende
Eigenschaft besitzen, die Reichhaltigkeit des Strahlengemisches wesent-
lich herabzusetzen. Es hat nun nach den sehr exakten Messungen von
Schatz?) den Anschein, als ob es bei hinreichend filtrierten Strahlen
praktisch keinen Unterschied mache, ob die angewendete Strahlung ein
reicheres oder ärmeres Strahlengemisch besitzt.
Trotzdem empfiehlt es sich, das Strahlengemisch nicht in allen Fällen
einfach zu vernachlässigen, da es unter Umständen doch einen Einfluß
auf die Größe einer abgemessenen Dose haben kann. Man merke sich
daher neben den anderen Faktoren auch die Charakteristik der benutzten
Röhre.
X. Die Dosierung mit dem Sklerometer, dem Milliampdremeter und der
Zeit in absoluten Einheiten.
a) Messung der Röntgenstrahlen für therapeutische Dosen.
Mit einem Instrumentarium, bei dem die Härte der Röntgenstrahlen
mit dem Sklerometer gemessen werden kann, gestaltet sich die Dosierung
äußerst einfach. Über den Grad der Genauigkeit, mit dem die Röntgen-
strahlen mittels dieser Meßmethode gemessen werden können, habe ich
früher berichtet.?)
1) Christen, l. c.
2) Schatz, Strahlentherapie I, S. 546, 1912.
8) Verh. der Deutschen Röntgen-Gesellschaft, Bd. IV, 1908, S. 145 und eben-
daselbst Bd. VI, 1910, S. 123. Zentralblatt für Röntgenstrahlen usw., I. Bd.,
1910, S. 330.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 817
Nachdem sowohl durch Vergleich mit der photographischen Reaktion
(Verfahren von Kienböck), als durch Verfärbung des Bariumplatin-
zyanürs!) (Verfahren von Sabouraud-Noire) und endlich durch Ent-
ladung eines Elektrometers?) (physikalische Prüfung) festgestellt ist,
daß die von den Röntgenstrahlen in einer bestimmten Zeit T geäußerte
Energie dem Produkt der Ausschläge am Sklerometer H und am Milli-
ampöremeter J proportional ist, kann es auch keinem Zweifel mehr unter-
liegen, daß die so gemessenen Größen einer bestimmten therapeutischen
Reaktion gleichgesetzt werden können.?)
Zahlreiche Versuche haben ergeben, daß die Verfärbung des Barium-
platinzyanürs von Teinte A bis Teinte B nach Sabouraud-Noire mit
1000 JHTp Einheiten bei 9 cm Fokuspastillendistanz erhalten wird.
Alle diese Größen sind mit dem Instrumentarium meßbar, bis auf den
Faktor p. Dieser ist bei verschiedenen Röhren verschieden groß, und
schwankt zwischen etwa 0,6 und 1,4. Röhren, bei denen dieser Faktor
größer als 1,4 ist, sind für Therapie unzweckmäßig. Der Faktor hängt
ab vom Grade der in Röntgenstrahlen transformierten Kathodenstrahlen
einerseits, und von der Durchlässigkeit (Dicke, spez. Durchlässigkeit)
des Glases andererseits. Er muß durch Eichung der Röhre ermittelt
werden.
In verschiedenen Entfernungen vom Röhrenmittelpunkt verhalten
sich die Röntgenstrahlenmengen zueinander umgekehrt wie die Quadrate
dieser Entfernungen.
Das läßt sich in folgendem Satz zusammenfassen:
Die von einer Röhre an einer bestimmten Stelle des
Vakuumgefäßes durch die Flächeneinheit in der Zeiteinheit
austretende Röntgenstrahlenmenge (M) ist proportional dem
Spannungsgefälle der Kathodenstrahlen (H), der Strommenge
(J) und dem Güteverhältnis (1), (Verhältnis der in Röntgenstrahlen
transformierten Kathodenstrahlen und Durchlässigkeit der Gefäßwand
für Röntgenstrahlen), fernerumgekehrt proportionaldem Quadrat
der Entfernung vom Brennfleck der Röhre.
Für gefilterte Strahlen ergibt sich dann die Röntgenstrahlenmenge,
die unterhalb des Filters austritt durch Multiplikation mit dem Filter-
faktor. Der Tabelle (8. 837) läßt sich die Größe der Hautdose in abso-
luten Einheiten für ungefilterte und für durch 1—4 cm dicke Aluminium-
— — —
1) Ebendaselbst.
3) A. Jaubert de Beaujeu, Archives d’Electricite medicale, Nr. 286, 1910
übersetzt in den Verh. der Deutschen Röntgen-Gesellschaft Bd. VII, S. 130, 1911.
3) Vgl. das in Bezug auf das Milliamperemeter S. 783 gesagte.
818 Klingelfuß,
platten gefilterte Strahlen einer Volldose für verschieden große Fokus-
hautdistanzen direkt entnehmen.
b) Praktische Eichung einer Röntgenröhre.
Das Dosierungsverfahren stützt sich darauf, daß die Röntgen-
strahlenmenge, die bei einer erstmaligen Bestrahlung mit einer be-
stimmten Röhre, bei einer bestimmten Belastungshöhe (Produkt aus
Sklero und Milliampöre) in einer bestimmten Zeit emittiert wird, bei
jeder folgenden Bestrahlung, die mit der gleichen Röhre vorgenommen
wird, die gleiche ist, wenn die Belastungshöhe, die Härte und die Zeit
gleich sind, wie bei der erstmaligen Bestrahlung. Werden daher die Be-
lastungshöhe und Zeit für eine Röhre ermittelt, in der damit eine Sabou-
raud oder Kienböck-Reaktion in einer gewissen Fokushautdistanz und
mit einer bestimmten Härte in Sklero hervorgerufen wird und notiert man
diese Größen für einen späteren Gebrauch auf der Röhre, so ist die Röhre
geeicht und man braucht für eine spätere Bestrahlung keinen Kienböck-
streifen und keine Saboraudpastille mehr mitzubestrahlen, weil man sich
auf die geeichte Röhre bei Einhaltung der gefundenen Belastungshöhe,
Härte und Zeit mit größter Sicherheit verlassen kann. Die Bestrahlung
kann mit der geeichten Röhre unter Berücksichtigung des Distanzquoti-
enten in jeder beliebigen anderen als der Eichdistanz vorgenommen
werden.
Wer über ein Sklerometer oder ein ihm in Bezug auf seine Empfind-
lichkeit gleichwertiges Instrument nicht verfügt, dem ist anzuraten, eine
Dosierung mit einer geeichten Röhre unter Kontrolle der Millianıpere-
höhe und der Zeit nicht auszuführen, wenn er sich damit nicht der
Gefahr, einen mehr oder weniger großen Dosierungsfehler zu begehen,
aussetzen will. .
Für alle Messungen, bei denen die Angaben des Sklerometers Gültig-
keit haben sollen, ist die Zahl der primären Stromimpulse (ÜUnter-
brechungen), für die die Meßspule geeicht ist, einzuhalten. Diese Zahl
ist auf dem Sklerometer angegeben.
Wir bedienen uns also für die Verabreichung therapeutischer Dosen
geeichter Röhren. Bei Verwendung solcher Röhren ist darauf zu achten,
daß der benützte Strahlenkegel an der geeichten Stelle durch die Glas-
kugel tritt. Diese Stelle ist also bei der Eichung zu bezeichnen.
Es empfiehlt sich das mit Rücksicht auf allfällige Dickenunterschiede
in der Wandung der Röhre.
Die Eichung hat ferner nur Gültigkeit, wenn bei der Bestrahlung
die mittlere Härte der Röhre nicht wesentlich von der Härte bei der Ei-
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 819
Fig. 23.
Induktorium Pat. Klingelfuß mit eingebauter Meßspule und eingeschaltetem
Sklerometer und Milliamperemeter. Beide Instrumente sind spannungslos gegen
Erde und können in beliebiger Entfernung vom Induktorium und der Röntgen-
röhre aufgestellt werden.
Fig. 24.
Induktorium gewöhnlicher Bauart, bei dem die Meßspule nachträglich adaptiert
ist, mit eingeschaltetem Sklerometer. Das Milliamperemeter muß hierbei in der
sonst üblichen Weise in die Leitung zur Röhre eingeschaltet und daher gut iso-
liert angebracht werden,
820 Klingelfuß,
chung abweicht, deshalb ist im Prüfschein der betreffenden Röhre die
mittlere Härte bei der Eichung zu vermerken.
Der Prüfschein trägt die Angabe der Type und Nummer der Röhre,
die Angabe des Durchmessers, sowie derjenigen Belastung, bei der die
Röhre während der Dauer einer Bestrahlung ihre Härte möglichst wenig
ändert (Belastungskonstante). Schließlich gibt der Prüfschein noch an,
in welcher Zeit die Normalreaktion (Erythemdose), die auf diese oder
jene Art gemessen wird, erhalten wurde. Die Belastung der Röhre, aus-
gedrückt durch das Produkt der Härte (Sklero-) und der Stromintensität
(Milliampöre) multipliziert mit der gefundenen Zeit gibt die Reaktions-
konstante für die betreffende Röhre in der Eichdistanz.
Ein Beispiel erklärt das schneller. Wir hätten eine Röhre von 20 ecm
Durchmesser zu eichen. Die Bestrahlung des Bariumplatinzyanürs wird
in 12 cm Fokusdistanz ausgeführt. Das Sklerometer gebe einen Aus-
schlag von 87 Sklero (H), das Milliamperemeter einen solchen von 1,15
Milliampere (J). Der Versuch zeigt uns, daß zur Verfärbung von Teinte
A bis Teinte B 12 Minuten nötig sind, dann ist
HJT oder C,, = 87 x 1,15 x 12 = 1200.
Setzt man p. = 1, wenn in der Entfernung 9 cm Fokusdistanz die Ver-
färbung mit 1000 Einheiten erhalten wird, so ist für unsere vorstehend
geeichte Röhre
1200 9\2
9\8
In dieser Formel heißt der Bruch (1) der Distanzquotient.
Je kleiner p ist, um so schneller arbeitet die Röhre. p hat nur
Gültigkeit für annähernd die gleiche Härte, die die Röhre bei seiner Er-
mittlung aufwies. Wird die Röhre erheblich weicher, so wird u. größer,
d. h. es erfolgt dann die normale Reaktion nicht mehr in der bei der
Eichung ermittelten Zeit. Wird umgekehrt die Röhre erheblich härter,
so wird u. kleiner und die Verfärbung kann in der durch Eichung ermittelten
Zeit zu groß ausfallen, oder mit anderen Worten die Normalreaktion
würde dann in kürzerer Zeit erreicht. Es darf demnach bei einer
Bestrahlung die Härte der Röhre nicht zu weit von der bei
der Eichung ermittelten Härte abweichen. Es ist hier als selbst-
verständlich vorausgesetzt, daß auch die Härte dem Verwendungszweck
angepaßt sein muß. Da sich die Härte mit der Belastung ändert, so ist
es zweckmäßig, dieselbe bei einer bestimmten Stromintensität, z. B. bei
0,5 MA anzugeben. Diese Angabe bezeichne ich als spezifische Härte
(vgl. S. 808) einer Röhre, die ebenfalls im Prüfschein anzugeben ist.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 821
Nachstehend ist ein unausgefülltes Schema eines Prüfscheines, wie ich
solche verwende, angegeben.
PRÜFSCHEIN
für-die Röhre 4... u 2 3.4 2
NO. 2 was
Kugeldurchmesser ........ cm
Härte bei 05 IJ=........ H
ee BO Eeen H
e E TEE H
m a ne eier H
(J in Milliampere, H in Sklero)
Belastungskonstante!) für Bestrahlungen ...... JH, gemessen
bei J..... Milliampere und...... H
Erythemdose:
Wird die Röhre mit der Konstante... .... JH belastet, so verfärbt sich
eine frische Sabouraud & Noire-Pastille von Teinte A bis Teinte B (mit) (ohne)
Filter in...... cm Abstand vom Röhrenmittelpunkt und bei einer mittleren
Strahlenhärte von ...... H in........ Minuten, oder .... .. JHT-
Einheiten.
Bei einer Bestrahlung muß dann die Fokushautdistanzd=........ cm
oder die Abmessung zwischen der Röhrenwand und Haut....... betragen
(Meßstab No... ...... )
Zur Einstellung der erforderlichen J & H für die Belastungskonstante ist
die J-H-Tabelle zu benützen.
Soll die Bestrahlung in einer anderen Fokushautdistanz d, gemacht
werden, so berechnet man die Bestrahlungszeit für eine Volldose mit dieser Röhre
nach der Formel |
2
Eichzeit X (=) =... . Minuten
z.B. für, =... 28%: cm statt obiger... ..... cm
ee re - —— =. , . . Minuten
e > è ọ 9% o
Die Zeit für die Bestrahlung mit Bruchteilen einer Volldose wird durch
Multiplikation des Bruchteiles mit der für eine Volldose angegebenen Zeit ermittelt.
z. B. Y, Erythemdose in 1, X... ....=...... Minuten
1/io Erythemdose in tp X ...... Ruue R D Minuten
Geprüft durch:
Basel, den... .......
In der Tabelle II sind die Zahlen einiger Prüfscheine über verschiedene
Röhren zusammengestellt. Man ersieht daraus, wie verschieden groß
der Faktor p ausfällt, und wie verschieden demnach die Zeit ist, in der
bei verschiedenen Röhren eine Normalreaktion erhalten werden kann. /
u ist ein wichtiger Faktor für die Beurteilung der Röhrenqualität.
1) Vgl. S. 822.
522 Klingelfuß,
Tabelle 11.
|
Fokus-
Pastillen
Härte
. bei Milliampere
|
i
H
i
Distanz
Belastung
JH
Beobachtete
Zeit
T Minuten
Beobachtete |
JHT
Röhre Nr.
0,5l 1,0 | 1,5 2,0
cm
1fj1ı4! 9 '60' 80i — —' 89122 960 1000u 089 —
2115: 9, ee a 0 ey 0.97 -
| N ı 67 |
3120, 12 i70 84'100 — j 100 19 1900 ;1780u 1.07 =
4 =) 16 — 40 — 62 150 14 2100 | 3160 u 0,66 sehr weirh
5120 12 R0 — — —: 100 12 1200 ı 1777 u 0.57 mittelhart
6ļ16! 10 '78 85 98 108: 100 12 : 1200 '1200u 10 =
7|ao.! 10% 100 Per. 18° 256 4,7 1203 120 u 10 =
8(do.! 10 :& 100 Per. 185 20 55 1210 i1200 u 1,0 u
| Ä ‚120, |
9|20| 12 70; — —.— 100 14 1400 178u 081 =
101201 12 60! 72 77 82 100 . >30 :>3000 1800 u. 1,7 spez. ri
1|20: 12 —' 39 — 50 180 >29 >5000 180u >25 | "le
Die Zeit für die Normalreaktion hängt aber außer von dem genannten
Faktor u noch ab von der Entfernung. in der eine Bestrahlung ausgefülirt
wird. Diese ändert sich mit dem Quadrat der Entfernung. Wird diese
halb so groß als bei der Eichung genommen, so erfolgt die Reaktion in
1/, der durch Eichung gefundenen Zeit. Der Bequemlichkeit halber ist
auch das im Prüfschein angegeben.
Sollen Bruchteile einer Volldose verabreicht werden, so geschieht
das in der allereinfachsten Weise mit einer Präzision, die kein anderes
Meßverfahren nur annähernd aufweisen kann. Eine halbe Dose erhält
man in der halben. eine Dritteldose in ein Drittel, eine Zehnteldose ın ein
Zehntel der durch Eichung für die Volldose ermittelten Zeit.
c. Die Belastungskonstante einer Röntgenröhre,
Für die Kalibrierung einer Röhre kommt außer den genannten Pri-
fungen auch die Belastungskonstante in Betracht. Bei der thera-
peutischen Bestrahlung müssen, für Tiefendosen z. B. die Röhren selır
lange Zeit eingeschaltet sein, um eine volle Sabouraud-Verfärbun:z zu
erreichen. Wird dabei die Röhre überlastet, so wird sie heiß und infolge-
1) JHT berechnet sich nach der Formel:
1000
JHT = u y > d? = 12,346 u d?
d? JHT
= 12346 u. A A
a e “= To 346. d?
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 823
dessen zu früh ermüdet. Bei Unterbelastung dagegen wird die Röhre in
der Regel härter, oft bis über die Grenze der Zulässigkeit hinaus. In
beiden Fällen wird man mit der Röhre eine volle Sabouraud-Verfärbung
ın ununterbrochener Reihe nicht ausführen können. Zwischen den beiden
genannten Belastungen liegt jedoch für jede Röhre ein Mittelwert, der so
beschaffen ist, daß dabei die Röhre längere Zeit, ja bis zu einigen Stunden
unter Strom belassen werden kann, ohne daß sie dabei von ihrem ursprüng-
lichen Zustand erheblich abweicht.
Mit dem Sklerometer läßt sich dieser Wert mit groBer Genauigkeit
bestimmen. Zunächst ist zu bemerken, daß die Belastung einer Röhre
sich aus dem Produkt von Strom und Härte, also aus J x H ergibt. Für
Röhren gleicher Größe, die unter ähnlichen Bedingungen betrieben
werden, liegt die JH-Größe ähnlich, so daß aus der Erfahrung an einer
Röhre auf eine andere ähnliche Röhre die Konstante beiläufig abgeschätzt
werden kann, was insofern angenehm ist, als die Bestimmung der Be-
lastungskonstante dann schneller ausgeführt werden kann.
Man schaltet nun die zu kalikrierende Röhre mit einer passend
scheinenden Belastung ein; je nachdem nun dabei der Sklerometerausschlag
steigt oder fällt, d. h. die Röhre härter oder weicher wird, ist die Belastung
zu erhöhen oder zu erniedrigen, bis man zu einer Einstellung kommt,
bei der sich die Härte der Röhre nicht mehr, oder abwechselnd nach oben
und unten innerhalb kleiner Grenzen ändert. Ändert sich bei dieser
Belastung die Härte während 15—80 Minuten nicht erheblich, so kann
ınan annehmen, daß sie auch für noch längere Zeit konstant bleiben wird.
Die sich hierbei ergebenden Ausschläge am Sklerometer und Milliampere-
meter werden multipliziert und als Belastungskonstante auf der Röhre
vermerkt. Bei der späteren Benutzung können die Bedingungen sich
etwas ändern, z. B. die Abkühlung der Röhre eine andere sein, das läßt
sich aber dann durch entsprechendes Nachregulieren korrigieren.
Es kommt natürlich vor, daß eine Röhre bei einer nachfolgenden
Einschaltung durch die Abkühlung und vielleicht auch aus anderen Ursachen
eine größere Härte als bei der Kalibrierung hat. In dem Falle kann man
durch eine vorübergehende Überlastung die Röhre wärmen, bis sie den
früheren Härtegrad wieder erreicht hat, worauf man mit der ihr eignen
Belastungskonstante belastet. Nur wenn die Härte so hoch angestiegen
ist, daß eine Überlastung behufs Erwärmung der Röhre für die letztere
gefährlich erscheint, benutzt man die Regeneriervorrichtung, um das
Vakuum herabzusetzen.
Mit einiger Übung wird man die Bestimmung der Belastungskonstante
leicht ausführen können. Wer seine Röhre dann dementsprechend be-
handelt, wird dadurch sehr bald eine ganz erhebliche Röhrenersparnis
824 Klingelfuß,
erzielen, die für größere Institute einen nicht zu unterschätzenden Posten
im Jahresbudget ausmachen wird.
d) Dosierung mit einer geeichten Röhre für Oberflächen und
durch Aluminiumfilter bis zul mm Dicke.
Zusammengefaßt ist das Meßverfahren eine Dosierung nach der Zeit,
wobei die Intensität H x J während dieser Zeit auf einer konstanten
Höhe zu halten ist.
J-H-Tabelle.
J und H-Tabelle (für mittelweiche Röhren [50—80 H spez.) für Oberflächenbestrahlung
ohne Filter).
(für mittelharte Röhren [70—% H spez.) für Tiefenbestrahlung mit Aluminiumfilter
von 1 mm en
NN —] — — HH mh I m nn
Amp. | 0,75 /0,80|0, 80 085 |100| 106 11,10] 1. 1,45 1,50
70 83 98.3187,5| 82,8 |77,8| 73.7 | 70 = 68,7. e T - | |
50 106,6 100 100|94.1 88,9) 84,2| 80 |76,2 rn ar | E
o) | josie waama |e a
2100| 15 Inn 1os3 10 m8 91 | 87 |838| 80 | 77 |741 |714 69 '66,7
Šo | TRIERER PATE HET
| |
to 120 | T I DE a 109 1043 100 | 96 |923 Er 257,828 30
H, u el U ns [man 101] 10 100 | 96,3 93 189,7 88,7
Š er
ER u
F
|
S E nez 112 |107.71103.7! 100 |96.6 93.3
Fate e — | en
150 | Zu ai 5 115,4|111,1/107, 107,1|10344] 100 100
: | | | |
sss unterstrichene Ziffern bedeuten spezifische Härte 50—80 (für Oberflächen-
bestrahlung).
unterstrichene Ziffern bedeuten spezifische Härte 70—% (für Tiefenbestrah-
lung durch 1 mm Al.-Filter).
Um das Produkt H x J, dessen Faktoren H und J sich im Laufe
einer Bestrahlung etwas ändern können, dennoch konstant zu halten,
1) Die Eichung einer Röhre für Tiefenbestrahlung durch 1 mm Al.-Filter
nehme ich in der Weise vor, daß die Sabouraudpastille durch den Filter von dieser
Dicke hindurch bestrahlt wird. Der von Schatz angegebene Faktor für die
Schwächung der Strahlenintensität durch 1 mm Filter mit Röhren von passender.
Härte (70—90 spez.) und deren u=1 ist, stimmt gut mit dem von mir häufig
gefundenen Werte überein.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 895
benutze ich die JH-Tabelle 8.824. Z. B.'war bei unserer geeichten Röhre J =
1,15; H = 87, also Jx H=100 JH. Es kann nun leicht vorkommen, daß
sich während der Bestrahlung H ändert, z. B. von 87 nach 91. Würde J
dann noch 1,15 betragen, so würde das Produkt 1,15 x 91 = 104,6 JH also
4,6%, zu groß. Aus meiner Tabelle ersehe ich aber, daß zu 91 H 1,1 J
gehört, und das Produkt wird wieder 100 JH, wie vorher. Oder es ändert
sich die Härte nach unten, z. B. von 87 nach 80 H. Die Tabelle sagt
mir, daß 1,25 J multipliziert mit 80 H = 100 JH geben. Man hat also
während einer Bestrahlung nur darauf zu achten, daß das Produkt Jx H
sich nicht ändert. Beachten wir das, und bestrahlen nun z. B. mit dieser
Röhre 3 Minuten ın 24 cm Fokus-Hautdistanz, so erhalten wir 3 x 100
= 800 JHT Einheiten. 1200 JHT Einheiten geben laut Prüfschein
800
dieser Röhre eine Volldose, also haben wir 100, 1/, Dose verabreicht.
Wie schon erwähnt, hat die Fokus-Hautdistanz auf die Bestrahlungs-
dauer sehr großen Einfluß, der sich mit dem Quadrat der Entfernung
geltend macht. Würden wir wie in obigem Falle während 3 Minuten
mit 100 JH Einheiten statt in 24 cm Fokus-Hautdistanz in 16 cm Distanz
bestrahlen, so hätten wir nicht mehr 800 JHT Einheiten appliziert, sondern
2
2
800 x i6 ~ 675 JHT Einheiten, also über eine halbe Volldose. Wollen
1200 162
4 242
= 188 JHT Einheiten statt 300 verabfolgen und da wir die Röhre mit
wir 1/, Dose in 16 cm Distanz verabreichen, so müssen wir
| 133
100 JH belasten 100 ~ 1,33 Minuten bestrahlen, denn 1,33 T x 100
242
JH x 16: 800 JHT in Normaldistanz = !Y/, Volldose.
Um auch diese Rechnungen nicht durchführen zu müssen, bediene
ich mich ebenfalls einer Tabelle IV, aus der ich für verschieden große
J x H und für verschieden große Fokus-Hautdistanzen die für eine Voll-
dose nötige Expositionszeit für eine Röhre, deren Faktor x =1 ist,
entnehmen kann. Ist für eine Röhre u von 1 verschieden, so multipli-
ziere ich damit die der Tabelle entnommene Zeit, und falls nicht eine Voll-
dose, sondern ein Bruchteil einer solchen verabfolgt werden soll, multi-
pliziere ich noch mit dem Bruchteil. Das klingt alles viel umständlicher,
als es in Wirklichkeit ist. Wer sich jedoch die kleine Mühe nimmt, sich
in dieses Meßverfahren einzuarbeiten, wird das Sklerometer nachher nie
mehr missen wollen.
826 Klingelfuß,
Tabelle IV.
Expositionsdauer in Minuten und Sekunden für 1 Sabouraud-Volldose
(ohne Filter und für u = 1) in:
E 10 | 12 | 14 | 16 a | a | a2 | oa | ge poa
m 70 |8 84 |4 24 |621% |8 39" |11 1714 17°17 89“ l21 20°25 24] E S 3
á 80 [3°07" |351” |584” |7 34” | 9° 52”|1% 30”|15' 26”|18' 40"|22 14” Sof
p 90 |246" |326” |4 57” |643“ | 8 47”|11' 07“|13 4316 36"|19 46| 8 5
g 100 |2 30” |8 05” |427 |603“ | 754°) 10 fi 2114 5617 47! À 5 = 5
„ 110 |216 |248" |4 Er = 7 11«| Hos“i1r 14h13 35°16" 10" 3383
T 120 |205" |234" |8 43“ |5 08| 6°35” 8207/10 18712 2714 49/3 5 E$
g 180 |155” |222 |a 25" |4 39" | ero” Tar 9 soir 29/13 a1“ o g w E
Z 140 |147 a 11“ |419" | 589| 709%] 8 49”l10° 4012 42 È S È a
m 150 |140" |2% 08” |2X 58” |402” | 5 16“| 6'40”| 8 14“| 9571r 5i aÈ a
18
Eine Röhre, die in > cm Fokus-Sabourauddistanz in 10 Minuten bei der
Belastung 100 JH = 1000 JHt einen Sabouraud von Teinte A bis B verfärbt, hat
u=l.
Wird in der angegebenen Distanz die Verfärbung z. B. schon mit 960 JHt
erreicht, so ist u = 0,96.
Sind jedoch zur Verfärbung z. B. 1150 JHt erforderlich, so ist u = 1,15.
u ist abhängig vom Transformationskoeffizienten der Röhre und von der
Durchlässigkeit (Dicke und spez. Durchlässigkeit) des Glases.
Dieses Meßverfahren macht auch von der lästigen Einstellung z. B.
der Sabouraud-Pastille auf halbe Fokus-Hautdistanz vollständig unab-
hängig. Man kann die Bestrahlung auf eine beliebige, passend scheinende
Distanz vornehmen und ohne weiteres für jede dieser Distanzen mit großer
Genauigkeit die Zeit für die Verabreichung einer Voll- oder Teildose fest-
stellen. Man kann vor allen Dingen in viel größerer Fokusnähe eine Be-
strahlung vornehmen, da man nicht mehr mit dem doppelten Abstand
der Pastille, deren kleinste Entfernung selbst schon nicht weniger als 1 enı
zuzüglich dem Kugelradius betragen kann, abhängig ist. Bei einer Röhre
von 18 cm Durchmesser ist bei Anwendung des Sabouraud-Noir6-MeB-
verfahrens die kleinste mögliche Fokus-Hautdistanz demnach 20 cm oder
il cm Abstand von der Röhre. Mißt man mit dem Sklerometer, so kann
man, falls andere Umstände das zulassen, was ja häufig genug der Fall
sein mag, die Bestrahlung in kürzerer Distanz, z. B.5 cm Abstand von der
Röhre, oder 14 em Fokus-Hautdistanz vornehmen und verkürzt dadurch
im Verhältnis 142 :202 oder =1 :2 die Expositionszeit, d. h. die Dose
wird in der halben Zeit erhalten. Damit wird nicht nur Zeit gespart,
sondern auch Röhrenmaterial.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 897
Auch die Frage der genauen Abgleichung von Teildosen scheint mit
diesem Meßverfahren befriedigend gelöst. Denn geben 1000 JHT Ein-
heiten in einer bestimmten Distanz eine Volldose, so geben zweifellos
500 JHT Einheiten in der gleichen Distanz eine halbe Volldose. Was das
für eine Größe ist, bleibt sich schließlich gleich, es handelt sich ja nur
darum, dieselbe reproduzieren zu können, und das ist mit dem vorge-
schlagenen Meßverfahren mit viel größerer Sicherheit möglich, als durch
das Vergleichen mit einer Farbenskala, bei der schon benachbarte Farben-
töne der Skala selbst schwer zu unterscheiden sind, und die Übereinstim-
mung mehrerer Skalen außerdem sehr fragwürdig ist.
Gelegentlich des VI. Röntgenkongresses hatte ich geäußert (vgl.
Verhandl. Bd. VI 1910 8. 123, Absatz 3 und Zentralblatt für Röntgen-
strahlen Bd. 11910, S. 331 oben), daß ich es nach Durchführung der da-
selbst mitgeteilten physikalischen Untersuchung als eine Aufgabe des
Arztes ansehe, die für die Therapie in Betracht kommenden Konstanten
ın absolutem Maß zu bestimmen. Nun in Wirklichkeit war sie ja eigent-
lich in der Untersuchung schon ermittelt, denn wenn die Konstante für
die Verfärbung einer Sabouraud-Noire-Dose bestimmt ist, und letztere
als ein Maß für die Therapie Gültigkeit hat, so ist damit auch die Gültig-
keit der absoluten Größe für die Therapie unanfechtbar. Ich hatte des-
halb bald darauf auch den Mut gehabt, einigen mir befreundeten Ärzten
den Vorschlag zu machen, die Dosierung in absolutem Maße vorzunehmen.
Diese Herren dosieren seit einigen Jahren genau nach der hier gegebenen
Vorschrift. Die Herren waren sofort mit dem Meßverfahren vertraut
und in einem Falle war eine Dame, die vorher keinen Röntgenkurs be-
sucht hatte und der ganzen Technik fremd gegenüberstand, nach wenigen
Tagen befähigt, die Dosierung unter Leitung des Arztes fehlerfrei
vorzunehmen.
Besonders auffallend ist der geringere Verbrauch von Röhren in allen
Fällen, wo das Sklerometer für die Härtekontrolle benutzt wird. Das
Instrument ist eben außerordentlich empfindlich und zeigt die kleinsten
Härteänderungen unmittelbar an. Man ist infolgedessen imstande, die
Belastungshöhe einer Röhre, das ist das Produkt aus Strahlenhärte x
Strahlenstärke absolut konstant zu halten. Mit dem Belastungsoptimum,
das sich mit dem Sklerometer leicht ermitteln läßt, kann auf diese Weise
eine Röhre stundenlang eingeschaltet bleiben, ohne daß sie sich im ge-
ringsten dabei ändert.
Diesen Abschnitt möchte ich nicht schließen, ohne einen Punkt be-
rührt zu haben; es betrifft dies den Grad der Genauigkeit, der bei der
Dosierung erreicht werden kann oder soll. Wenn Kromayer sagt, daß
es in der Praxis eben nicht darauf ankomme, mathematisch genau eine
828 Klingelfuß,
bestimmte Röntgendosis zu geben — was ja wohl stets unmöglich bleiben
werde — sondern daß es genüge, mit dem eigenen Instrumentarium an-
nähernd diejenige Dosis wiederholen zu können, die nach früheren Er-
fahrungen eine bestimmte therapeutische Wirkung gehabt hat, so liegt in
seinen eigenen Worten ein gewisser Widerspruch. Denn dadurch, daß
er mit dem „eigenen Instrumentarium‘ annähernd diejenige Dose zu
wiederholen sucht, bei der er in einem früheren Falle eine gewisse Wirkung
erzielt hat, liegt zum mindesten das Bestreben, diese Dosis so gut wie
möglich gleich groß zu machen wie die frühere; d. h. er strebt danach, sie
möglichst exakt zu wiederholen. Das wird aber umso besser gelingen, je
vollkommener einerseits die Meßmittel sind und gehandhabt werden,
und andererseits, je vollkommener man alle unvermeidlichen Fehler-
quellen dabei in Rechnung zieht, und dennoch — und darin muß man
Kromayer recht geben — wird die Dosierung unter Heranziehung aller
Kautelen einen nur bedingten Grad von Genauigkeit erreichen. Aber
ob eine Dose mit Sicherheit auf 5—10%, genau abgemessen werden kann,
oder ob man dabei einen Fehler von 30 —100%, in Kauf nimmt, darin liegt
doch ein Unterschied. Wenn man die von der Röntgenröhre emittierte
Röntgenstrahlenenergie nach der hiervor angegebenen Methode noch so
genau bestimmt, daß der mögliche Fehler mit Sicherheit 5—10% nicht
übersteigt, und nennt dies, wie es allgemein geschieht, die gemessene
Dose, wenn diese Energie eine bestimmte Zeit zur Wirkung gekommen
ist, so wird die wirkliche Dose, d.h. die in der Haut oder den Gewebe-
schichten zur Absorption gekommene Röntgenstrahlenmenge nicht in
allen Fällen an den gleichen Stellen gleich groß sein, selbst bei gleichem
Strahlengemisch, gleicher spezifischer Stärke, gleichem Wirkungsgrad
der Röhre und allen sonst in Betracht kommenden, auf gleicher Höhe
gehaltenen Bedingungen. Das liegt daran, daß die Bestrahlungsdistanz
von zu großem Einfluß auf die wirkliche Dosis ist, und daß die zu bestrah-
lenden Körperteile meist einen sehr verschiedenen, niemals genau repro-
duzierbaren Abstand haben. Hier liegt jedenfalls die große Fehlerquelle,
weil in Bezug auf die Bestrahlungsdistanz eine erhebliche Vernachlässigung
bei der Bestimmung der Dose gemacht wird. Das gilt sowohl bei Ober-
flächen- als bei Tiefenbestrahlung. Die Annäherung an die genaue ‚wirk-
liche Dose“ wird aber um so größer, je genauer die „gemessene Dose“
bestimmt worden ist. Und wenn schließlich die als gut befundene Dose
außer mit dem eigenen Instrumentarium auch von jedermann einwandfrei
wiederholt werden kann, so ist der Entwicklung des einschlägigen Gebietes
damit offenbar besser gedient.
1) Kromayer, Münch. med. Wochenschr. 177, 1909.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 829
XI. Das Sklerometer als Halbwertschichtmesser.
Wenn das Sklerometer ein absolutes Härtemaß repräsentiert, so muß
sich das Instrument auch für die von Christen mathematisch abgeleitete
Halbwertschicht eichen lassen, und wenn das möglich ist, so liegt darin
wohl der beste Beweis für die außerordentliche Leistungsfähigkeit dieses
Instrumentes. Christen!) gibt in einer Arbeit eine Kurve über den
Zusammenhang von Halbwertschicht und den bekannten Härtemessern.
Dabei fällt der gerade Verlauf der Kurve für das Sklerometer auf. Die
von Christen an jener Stelle aufgestellte Formel, wonach sich die Halb-
wertschicht aus dem Sklerometerausschlag berechnen läßt, ist aber wenig
ermutigend, denn es würde nach den Zahlen derselben einer Halbwert-
schicht von 2 cm ein Sklerometerausschlag von beiläufig 540 Skalenteilen
entsprechen, eine Forderung, die mit keiner Röhre zu erfüllen gewesen
wäre. Es hat sich aber nachträglich herausgestellt, daß die Formel un-
richtig ist (den Zahlenfehler im zweiten Faktor rechts der Gleichung ab-
gerechnet).
Neuere Untersuchungen, die ich in beschränktem Maße selbst ange-
stellt (ich bin außerordentlich empfindlich auch für gut abgeblendete
harte Strahlen geworden und das Beobachten des Halbwertschichtmessers
nach Christen setzte mir neuerdings wieder stark zu), in größerem Um-
fange aber den außerordentlich wertvollen Arbeiten aus dem Institut für
Strahlenbehandlung der Königl. Dermatologischen Klinik in Kiel ent-
nommen habe, ermöglichten es mir, ganz bestimmte Beziehungen zwischen
der Halbwertschicht und dem Sklerometer festzustellen, so daß es den
Anschein hat, daß sich in der Tat das Sklerometer hervorragend zur
Bestimmung der Halbwertschicht eignet.
Besonders sorgfältig scheinen die Beobachtungen über den Zusammen-
hang zwischen Sklerometerausschlag und Halbwertschicht von Schatz?)
durchgeführt zu sein. Aus den Zahlen der in seiner Arbeit publizierten
Tabelle I, die ich durch sorgfältige Kontrollversuche bestätigt fand,
ließ sich eine Formel aufstellen, wonach sich die Halbwertschicht a be-
rechnet,
a = 0,8 + H. 0,009
wo H der Sklerometerausschlag ist. Das konstante Glied 0,3 rührt
daher, daß die mit dem Halbwertschichtmesser beobachteten Strahlen
die Glaswand der Röhre passiert haben und dadurch schon etwas gefiltert
worden sind. Filtert man z. B. noch durch ein Aluminiumblech von
1 mm Dicke, so steigt diese Zahl von 0,3 auf 0,6.
1) Christen, Strahlentherapie 1, S. 325ff., 1912.
2 Schatz, Strahlentherapie I, S. 540ff., 1912.
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 53
830 . Klingelfuß,
Nach dieser Formel entsprechen für ungefilterte Strahlen folgende
Werte der Sklerometerausschläge und Halbwertschichten einander:
Halbwertschicht Sklerometer Halbwertschicht Sklerometer
0,6 33,5 1,4 122
0,7 | 44,5 1.5 133,5
0,8 55.5 1.6 144,5
0.9 | 67 1,7 155,5
1,0 18 1,8 167
1,1 89 1,9 178
1,2 100 20 189
1,3 | 111
Die Zahlen zeigen nun, wie nmiinutiös sich an dem dafür geeichten
Sklerometer die Halbwertschichten ablesen lassen. Wer mit dem von
Christen angegebenen Instrument mit der Bakelittreppe und dem
durchlochten Blech je versucht hat, die Halbwertschicht einer Strahlung
zu bestimmen, der kennt die unendlich große Mühe, die man dabei hat und
er wird mir bestätigen, daß es nötig ist, um einigermaßen einwandfreie
Ablesungen zu bekommen, viele Beobachtungen zu machen und um sich
dennoch nicht Täuschungen auszusetzen, die Ablesungen von verschiede-
nen Beobachtern wiederholen zu lassen. Das Photographieren, wie bei
der Benoist-Skala, womit man einwandfreie Resultate erzielen könnte,
läßt sich an dem Christenschen Instrument nicht durchführen, weil das
photographische Bild des Siebes dunklere und hellere Stellen (das ver-
schwommene Siebbild) zeigt, und keine zusammenhängende homogene
Färbung, die der halben Strahlenintensität entspricht. Deshalb ist die
(renauigkeit der obigen Zahlen auch durch die Genauigkeit der Ablesungs-
möglichkeit an dem Instrument beschränkt. Siesind also so genau, wie bei
einer exakten Abschätzung am Christenschen Instrument sich aus den
Mittel vieler Beobachtungen ergibt und mehr läßt sich einstweilen nicht
verlangen. Aber die Ablesefehler, die bei dein Christenschen Instrument
allzuleicht vorkommen, sind an dem einmal auf die Halbwertschicht
geeichten Sklerometer ausgeschlossen.
Die gleichen Vorteile, die das Skleronieter gegenüber den Härteskalen
von Typus Benoist besitzt, machen sich in erhöhtem Maße gegenüber dem
Christenschen Halbwertschichtmesser geltend
Die in der Tabelle angegebenen Sklerometerwerte sind so zutreffend,
daß, wenn man den Christenschen Halbwertschichtmesser vor der Beob-
achtung auf die dem Sklerometerwert entsprechende Bakelitdicke ein-
stellt, dann die Röhre an Iland des Sklerometers auf den betreffenden
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 831
Härtegrad einstellt, man beim Betrachten des Christenschen Halbwert-
schichtmessers nicht imstande ist, eine Differenz in der Helligkeit der beiden
Felder zu entdecken. In Bezug auf die absolute Genauigkeit will nun
das nicht viel sagen, denn das Christensche Instrument ist weit davon
entfernt, die Halbwertschicht daran genau ablesen zu können.
In der Praxis scheint das aber auch keine so wichtige Rolle zu spielen,
denn wie Christen selbst in seiner mathematischen Behandlung des
Themas nachgewiesen hat, sind Strahlen, deren Härte eine Halbwert-
schicht von mehr als 2!/, cm geben, praktisch nicht zu bekommen.
Nun liegt aber heute das weitaus größere Interesse der meisten Ärzte
bei einer Bestrahlungstiefe, die das erreichbare Maß der Halbwertschicht
um mehr als das Doppelte übersteigt. Es ıst also ausgeschlossen, mit
den praktisch härtesten Strahlen in dieser Tiefe die Hälfte von einer
Hautdose bekommen zu können.
Es kommt noch hinzu, daß die Strahlendichte in größeren Tiefen
durch Dispersion noch weiter geschwächt wird. Beträgt z. B. die Fokus-
hautdistanz 16 cm und liegt die zu bestrahlende Stelle 6 cm unter der Haut,
so vermindert sich die Strahlendichte daselbst gegenüber der Dichte auf
der Haut im Verhältnis 16? : 222, also auf rund die Hälfte, was doch ge-
wiß auch nicht vernachlässigt werden darf. Es müßten demnach der
Haut enorme Dosen zugemutet werden, wenn in solcher Tiefe derartig
große Dosen eintreffen sollten, als sie durch die Halbwertschicht in höch-
stens 2 bis 2!/, cm Tiefe erreichbar sind. Ist das nicht möglich, so muß
man sich fragen, ob das Maß der Halbwertschicht in größeren Tiefen über-
haupt noch Berechtigung hat, benutzt zu werden.
Daß zur Absorption in großen Tiefen harte Strahlen gebraucht werden,
ist ganz selbstverständlich. Aber zur Kontrolle dieser Härte ist das
Sklerometer weit besser geeignet, als der Halbwertschichtmesser.
Man muß sich auch fragen, ob die Anwendung allzugroßer Härten,
zu der man sich in dem Bestreben, große Tiefen als Halbwertschicht zu
erreichen, leicht verleiten läßt, nicht überhaupt eine unnötige Energie-
vergeudung bedeutet.
Als Filter für die Homogenisierung der Stralilen und für den Haut-
schutz kommen nach den Untersuchungen von Schatz heute kaum mehr
andere als solche aus Aluminium in Betracht. Die größte Dicke für die-
selben braucht dabeı 4 mm nicht zu überschreiten, weil dadurch eine
weitere Härtung praktisch nicht mehr erzielt wird und andererseits die
Bestrahlungsdauer ungebührlich in die Länge gezogen wird.
Aus den ebenfalls schon mehrfach genannten Arbeiten von Schatz
war es nun ferner möglich, die Halbwertschichten filtrierter Strah-
len für verschiedene Filterdecken zu berechnen und in
DF
832 Klingelfuß,
Sklerometerauszudrücken. Für die Rechnung ließ sich eine ähnliche
Formel aufstellen, wir für die Berechnung der Halbwertschicht unfiltrierter
Strahlen. Bezeichnet man mit a, die Halbwertschicht für Strahlen,
die ein n mm dickes Aluminium passiert haben, mit Apn eine Konstante.
mit H die Sklero und mit C einen Faktor, so lautet die Formel analog
der früheren
an = An + HC
Es ergab sich unter Benutzung der Tabelle 5 von Schatz
für 1 mm dickes Aluminium!) A, = 0,600
ee 5 5 A, = 0,785
a O g x “0. A, = 0,870
4 ,„ a ʻ A, = 0,995
und für C = 0,0116.
Danach wurden die in folgender Tabelle zusammengestellten, einander
zugehörigen Werte für das Sklerometer und die filtrierte Halbwertschicht
berechnet. |
Halbwertschichten für filtrierte Strahlen,
berechnet nach der Formel an = An + HC, wo a, die Halbwertschicht durch
Aluminiumfilter von 1—4 mm A, die zugehörigen Konstanten und C ein
Faktor ist. Es ist A, = 0,6; A, = 0,735; A, = 0,870; A, = 0,995 uni
C = 0,0116.
Diese Tabelle S. 833 ermöglicht es also, aus dem Sklerometeraus-
schlag die Halbwertschicht für 1—4 mm dicke Aluminiumfilter direkt
abzulesen.
Wird z. B. nıit einer Strahlenhärte von 130 Sklero eine ganze Sabou-
raud-Dose (unter dem Filter auf der Haut gemessen) verabreicht, so ist bei
der Filtrierung durch 1 min in 2,1 cm, bei 2 mm in 2,24 em, bei 3 nım in
2,88 cm und bei 4 mm Aluminiumfilter endlich in 2,5 cm Tiefe eine halbe
Sabouraud-Dose verabreicht, wenn die Dispersion vernachlässigt wird.
1) Für die Glaswandung der Röntgenröhre, deren Absorptionskoefiizient
=1 ist (vgl. S. 817) ergibt sich A zu 03. Daraus geht hervor, daß die vom
Sklerometer gemessene Härte, wie das ja auch nicht anders sein kann, für die
Strahlen innerhalb der Röhre gilt. Man erhält also außerhalb einer solchen Röhre
nur Strahlen von der Härte von 0,3 cm Halbwertschicht an aufwärts. Ist der
Absorptionskoeffizient größer oder kleiner, so ändert sich dementsprechend die
„Röhrenhalbwertschicht“.
In gleicher Weise erhält man durch die Filterung bei 1 mm Aluminium keine
Strahlen unter Halbwertschicht 0,6, bei 2 mm nicht unterhalb 0,735, bei 3 mm
nicht unter 0,87 und bei 4 mm nicht unter 0,995 cm.
Dadurch beantwortet sich auch die von Christen aufgeworfene Frage.
aus welchem Grunde Halbwertschichten unterhalb dieser Grenzen mit dem Sklerv-
meter nicht meßbar seien.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 833
cxH re Dicke des Filters
AUSSeh BE 1 mm 2 mm | 3 mm | 4 mm
0,464 40 1,064 1,199 1,334 | 1,89
0,522 45 1.122 1,257 1,392 1,517
0,580 50 1,180 1,316 1,450 1,575
0,638 55 1,238 1,373 1,508 1,633
0,696 60 1,296 | ° 1,431 1,566 1,691
0,754 65 1,854 1,489 1,624 1,749
0,812 70 1,412 1,547 1,682 1,807
0,870 75 1,470 1,605 1,740 1,865
0,928 80 1,528 1,663 1,798 1,924
0,986 85 1,586 1,718 1,856 1,981
1,044 90 1,644 1,779 1,914 2,039
1,102 95 1,702 1,837 1,972 2,097
1,160 100 1,760 1,895 2,030 2,155
1,218 105 1,818 1,953 2,088 2,213
1,276 110 1,876 2,011 2,146 2,271.
1,334 115 1,934 2,069 2,204 2,329
1,392 120 1,992 2,127 2,262 2,387
1,450 125 2,050 2,185 2,320 2,445
1.508 130 2,108 2,243 2,378 2,508
1,566 185 2,166 2,301 2,436 2,561
1,624 140 2,224 2,359 2,494 2,619
1.682 145 2 282 2,417 2,552 2,677
1,740 150 2,340 2,475 2,610 2,735
1,798 155 2,398 2,533 2,668 2,793
1,866 160 2456 | 2,591 2,726 2,851
Die filtrierte Strahlenhärte läßt sich rückwärts wieder auf Sklero
umrechnen. So hat z. B. die durch 4 mm filtrierte 160 Sklerostrahlung
nach der Filtrierung die Halbwertschicht 2,851. Um hierfür die Härte in
Sklero kennen zu lernen, brauchen wir nur unter Benutzung der früheren
Formel
an—0,3 2,851 —0,8
0000 0,009
zu setzen und erhalten 283 Sklero für die Halbwertschicht von 2,851.
Analog erhalten wir für die durch 3 mm filtrierte 100 Sklero-Strahlung.
2,08—0,8
0,009 = 192 Sklero
und für die durch 1 mm filtrierte 50 Sklero-Strahlung
1,18—0,3
= 2/98 Sklero;
0,009
834 Klingelfuß,
Vergleichen wir die letzten beiden Resultate mit der Halbwertschicht
für ungefilterte Strahlen in Tabelle 3.830, so finden wir für die ungefilter-
ten Strahlen bei der Halbwertschicht 2 = 189 und bei der Halbwert-
schicht 1,2 = 100 Sklero.
Wir erhalten also für die durch 3 mm gefilterte Strahlung mit der
primären Härte von 100 Sklero jenseits des Filters eine Härte, die gleich
ist einer primären Härte von 191 Sklero und für die durch 1 mm gefilterte
Strahlung mit der primären Härte von 50 Sklero jenseits des Filters eine
Härte, die gleich ist einer primären Härte von 98 Sklero.
Wir haben aber früher gesehen, daß die gefilterten und ungefilterten
Strahlen sich nicht gleich verhalten in Bezug auf das Strahlengemisch,
indem die gefilterte Strahlung ein weniger umfangreiches Strahlengemisch
besitzt, als die ungefilterte und es wäre daher durchaus nicht richtig,
wenn man eine gefilterte Strahlung einfach durch eine ungefilterte von
entsprechender Härte ersetzen wollte. Deshalb muß man die Filtrierung
nicht nur als eine Härtung, sondern auch als eine Homogenisierung
der Strahlen ansehen.
Darin liegt auch die Erklärung, wonach einerseits nach den Unter-
suchungen von H. E. Schmidt die normale Haut bei Anwendung sehr
harter unfiltrierter Strahlen die doppelte Dosis, wie von mittelweichen
Strahlen verträgt, während nach den Beobachtungen von Gauß ungefähr
das Dreifache davon zulässig sein soll bei Strahlen, die einen 3—4 mm
Aluminiumfilter passiert haben, ohne daß ein Erythem sich einstelle.
Aber ich möchte bei diesen Anlasse nicht versäumen, auf die Mahnung
zur Vorsicht von Hans Meyer!) hinzuweisen, die dahin geht, mit einer
2,5 cm-Strahlung (HW) als Maximaldosis 20 X und mit einer 2 cm (HW)
durch 1 mm Filter 15 X auf der Haut nicht zu überschreiten.
XU. Ein Vorschlag für die Tiefendosierung mit dem Sklerometer, dem
Milliampdremeter und der Zeit in absoluten Einheiten. |
Bei der Benutzung des Christenschen Halbwertschichtmessers als
Dosenmaß macht eine Reihe von Vernachlässigungen das Resultat unsicher,
z. B. wird das Strahlengemisch und die Dispersion für große Schichttiefen
dabei vernachlässigt, ganz abgesehen davon, daß die Halbwertschicht nicht
einwandfrei genau mit dem Christenschen Instrument feststellbar ist.
Man weiß aus der Ablesung mit mehr oder weniger großer Annäherung nur,
daß man genügend oder nicht genügend harte Strahlen habe. Das zu messen
sind aber die Skalen vom Typus Benoist besser geeignet, weitaus am besten
1) Hans Meyer- Kiel, Strahlentherapie I, S. 401, 1912.
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 835
jedoch das Sklerometer. Wenn man daher auf Grund von experimentellen
Ergebnissen eine Vereinfachung in die Messung der Tiefendosen bringen
kann, wobei das Meßresultat eher noch auf eine sicherere Basis gebracht
wird, wenn es auch immer noch eine genügende Anzahl Vernachlässigungen
in sich schließt, so scheint dadurch die Einführung einer zuverlässigeren
Dosierung doch mehr gefördert zu werden, als es sonst möglich wäre.
Dieser Erwägung entspringt der nachfolgende Vorschlag. Es sei ausdrück-
lich betont, daß der wertvollen mathematischen Behandlung dieses Themas
durch Christen, die viel Klarheit in die Anschauung über die Tiefendose
gebracht hat und der volle Anerkennung zu zollen ist, hiermit durchaus
nicht etwa nahe getreten werden soll.
Für die erfolgreiche Durchführung von Messungen im allgemeinen,
ist die Einfachheit der Meßmittel neben der Sicherheit mit der bei ein-
fachster Handhabung derselben alle in Betracht kommenden Messungen
ausgeführt werden können, von ausschlaggebender Bedeutung. Diese
Bedingung erfüllt aber der Halbwertschichtmesser in der Christenschen
Ausführung in mehrfacher Beziehung nicht. Ganz abgesehen davon,
daB die Angaben des Instrumentes zu roh sind, um mit einiger Sicherheit
sich darauf verlassen zu können, beansprucht eine Ablesung sehr viel Zeit
und außerdem ist diese Mühe unter Umständen vergebens aufgewendet
worden, weil keine Gewähr besteht, daß das ermittelte Maß während
der ganzen Dauer der Bestrahlung aufrecht erhalten bleibe. Dazu kommt
ferner, daß wenn eine zu bestrahlende Gegend in einer Tiefe von mehr
als 2,5 cm unter der Haut liegt, sich Dosen, die der Größe einer halben
Hautdose gleichkommen, nicht mehr verabreichen lassen. Dann hat es
auch eigentlich keinen Sinn mehr, von einer Halbwertschicht zu reden,
sobald es sich um die Bestrahlung tiefer liegender Schichten handelt.
Das trifft vollends zu bei der Bestrahlung der Ovarien, deren Schicht
bis zur Haut etwa 6 cm dick ist. Berücksichtigt man bei so großen Tiefen
auch noch die erhebliche Abnahme der Strahlendichte durch die Dispersion,
so ist man geneist den Schluß zu ziehen, daß der Maßstab für die zu-
lässige Größe einer Dose die der Haut zugemutete Strahlung
ist. Diese mag nun bei der Anwendung von Filtern mehr oder weniger
das zulässige Maß für Oberflächendosen übersteigen dürfen, so ändert das
nichts. Man weiß, daß man der Haut von ungefilterten Strahlen als maximal
zulässig 1 Sabouraud oder 10 X Kienböck verabreichen darf, ohne nor-
malerweise ein Erythem befürchten zu müssen. Es kann Ja sein, daß dieses
Maß bei gefilterten Strahlen um einen gewissen Prozentsatz überschritten
werden darf, aber es liegt kein unbestrittener Beweis dafür vor. Wer
vorsichtig ist, wird sich an diese Grenze halten, solange nicht auf Grund
einwandfreier Messungen genaue Angaben vorliegen. Geht man davon
836 Klingelfuß,
aus, so geht das Verfahren der Tiefenbestrahlung unter Berücksichtigung
gewisser anderer Verhältnisse in eine Oberflächendosierung über.
In welcher Art die ÖOberflächendose mit dem Sklerometer, dein
Milliampöremeter und der Zeit verabreicht wird, haben wir schon unter
X. kennen gelernt. Alles was daselbst in Bezug auf die Oberflächendosie-
rung und die Eichung einer Röhre gesagt worden ist, soll hier auch für die
Tiefentherapie gelten. Das einzige was sich dabei ändert, ist die spezifische
Härte der Strahlen, die um so größer sein muß, in je größerer Tiefe be-
strahlt werden soll.
Aber wir haben ja aus der Tabelle Seite 8383 entnehmen können,
daB die Halbwertschicht nur um 3—4 mm zunimmt, wenn die primäre
Strahlenhärte um 80 Sklerometergrade, z. B. von 130 auf 160 steigt.
Diese 3 mm können in der Praxis kaum ernst genommen werden, denn es
müssen aus rein technischen Gründen meist viel größere unvermeidliche
Differenzen in der Fokus-Absorptionsdistanz vernachlässigt werden.
Es wird also in das Resultat der Tiefenbestrahlung kaum eine Ände-
rung hineinbringen, wenn die Röhre etwas nach oben oder unten von der
optimalen Härte abweicht. Bei der Hautbestrahlung ohne Filter läßt sich
: z. B. kein Unterschied feststellen, der durch die Härtedifferenz innerhalb
ziemlich weiten Grenzen hervorgerufen worden wäre, wenn die Röhren
sonst gute Eigenschaften besitzen. So habe ich des öfteren die normale
Sabouraud-Verfärbung mit der gleichen Anzahl JHT Einheiten erhalten,
ob die Röhrenhärte bei der Bestrahlung 60 oder 120 Sklero zeigte und diese
Härtedifferenz ist doch wahrlich groß genug.
Wir wissen eben noch viel zu wenig über die Art, wie die Röntgenstrah-
len ihre Wirkung ausüben und sind deshalb genötigt, der durch die Praxis
gesammelten Erfahrung einstweilen alle Beachtung zu schenken.
Es wird also, solange das Gegenteil dafür nicht bewiesen wird, nicht
so schwerwiegend sein, ob die primäre Strahlung für die Tiefentherapie
nun 150 oder 130 oder gar 110 Sklero, also 8 oder 7 Benoist, beträgt. (Man
sieht hier wieder, wie ausgiebig das Sklerometer ist, das erlaubt, von
7—8 Benoist 35 Skalenteile abzulesen). Aber das ist von großer Wichtig-
keit, daß diese Härte mit einer solchen Belastung erzielt wird, bei der die
Auslösung allzuweit unterhalb dieser Härte liegender Strahlung in größerer
Menge ausgeschlossen ist, d. h. daß die Röhren diese Härte mit relativ
niederer Belastung geben. Wird das Strahlengemisch nach unten sehr
erweitert, so kommen unter allen Umständen große Fehler in die Tiefen-
dose, d. h. sie wird dann kleiner ausfallen, als sie gewollt war. Deshalb
muß die Röhre auch während der Bestrahlungsdauer sorgfältig vor einer
Härteänderung, besonders einer Abnahme der spezifischen Härte bewahrt
werden.
837
Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie.
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838 Klingelfuß, Das Sklerometer und seine Verwendung bei der usw.
Bei der glatten Umwandelbarkeit des Halbwertschichtmaßes in das
Sklerometermaß einerseits, bei der großen Empfindlichkeit des Sklero-
meters gegenüber dem Halbwertschichtmesser anderseits und der Mög-
lichkeit, die Zahlen der Originalsklerometerskala für die Rechnung in
absoluten Einheiten bei der Dosierung einsetzen zu können, erscheint es
natürlich im höchsten Grade verlockend, sich des Sklerometers an Stell
des Halbwertschichtmessers für die Verabreichung der Tiefendosen zu
bedienen.
Um das praktisch durchzuführen, habe ich die Tabelle Seite 837
angefertigt, der die Zahlen von Schatz aus der Kieler Dermatologischen
Klinik zugrunde liegen.
Die erste Reihe derselben enthält die Fokushautdistanz für 9—98 cm.
Die zweite Reihe enthält die absoluten Minuten-Röntgenstrahleneinheiten
(JHT = dem Produkt aus den Milliampöre, den Sklero und der Zeit), die in
den betreffenden Fokushautdistanzen für eine Oberflächendosis (ohne
Filter) und mit einer normalen Röhre (u = 1) nötig sind. Die folgenden
vier Zeilen enthalten-dann für Filter von 1—4 mm Aluminiumdicke die
Größe der absoluten Minuten-Röntgenstrahleneinheiten, die von der Röhre
emittiert werden müssen, damit unter dem Filter die für eine Hautdosis
erforderlichen JHT Einheiten erreicht, aber nicht überschritten werden.
Die Tabelle gründet sich also darauf, daß man die Hautdosis als
Maßstab annimmt und die Tiefendosis dann einfach so groß werden
läßt, als es unter den gegebenen Umständen möglich ist.
Bestrahlen wir z. B.in 15 cm Fokus-Hautdistanz, wobei die Hautdosi:
700 JHT Einheiten beträgt, durch 8 mm Aluminiumfilter, so müssen oder
dürfen wir 2500 JHT Einheiten auf den Filter geben, damit unterhalb
desselben die Hautdosis mit den 700 JHT Einheiten erreicht, bzw. nicht
überschritten wird.
In analoger Weise werden die Zahlen für andere Fokus-Hautdistanzen
oder für andere Filterdicken der Tabelle entnommen.
Die Belastung der Röhre wird unter Benutzung der JH Tabelle
Seite 824 ın der gleichen Weise kontrolliert, wie für die Oberflächenbestral-
lung angegeben worden ist. Besitzt man neben dem Sklerometer und
Milllampöremeter auch einen sicher funktionierenden Zeitschalter, der
in den Primärstromkreis eingeschaltet und zwangläufig mit dem Unter-
brecher gekuppelt ist, und der nach Ablauf der eingestellten Zeit den Strom
automatisch abstellt, so gibt es kein zweites Verfahren für die Dosierung.
das diesem an Einfachheit und Zuverlässigkeit nahe käme.
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Königl. Dermatologischen
Klinik in Kiel (Dir. Professor Dr. Klingmüller, Leiter des Instituts:
Privatdozent Dr. Meyer).
Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz mit be-
sonderer Berücksichtigung der Sekundärstrahlenwirkung.
Von
Dr. Rudolf Krüger.
(Mit 3 Abbildungen.)
D: moderne Tiefentherapie mit der viele Stunden lang dauernden
Verwendung sehr wirksamer und tiefdringender Strahlung, bei welcher
gegenüber früher eine ungleich größere Strahlenenergie in der Röntgen-
röhre produziert wird und zur Anwendung gelangt, drängt uns von neuem
die Frage auf, ob die bisher üblichen Vorrichtungen zum Röntgen-
schutz des Arztes und der Angestellten des Röntgenlaboratoriums den
Anforderungen genügen, die wir unbedingt heute stellen müssen — denn
der Grundsatz des nihil nocere, der stets das oberste Gesetz in unserem
röntgentherapeutischen Handeln einnehmen und die Grundlage und Richt-
schnur bilden muß für allen Ausbau röntgentherapeutischer Methodik,
hat nicht nur für unsere Kranken Gültigkeit, sondern er gilt auch für uns
selbst und unsere Angestellten.
Wenn die Frage der Röntgenschädigungen und der Mittel, wie sie
zu vermeiden sind zur Erörterung steht, so drängt sich ja wohl uns allen
zuerst das Gefühl einer tiefen Dankbarkeit auf für alle diejenigen Männer,
die als die Pioniere der Röntgenologie nichts von der so eminent wirksamen
biologischen Energie der Strahlen ahnen konnten, und die nicht nur unsere
Lehrmeister waren in einer neuen Wissenschaft, sondern an ihrem eigenen
Körper die schwersten Schädigungen davontrugen, uns Jüngeren zur
dauernden Warnung und Lehre. Wie manche von ihnen, die an ihrer
Haut unter dem Einfluß der Strahlen alle Stadien der Röntgenverände-
rungen durchmachen mußten — von der einfachen Röntgenatrophie
beginnend und beim entsetzlich torpiden und schmerzhaften Ulkus und
Karzinom endigend — konnten erst durch schwere Operationen, Ampu-
tationen und Exartikulationen gerettet werden — wie manche von ihnen
ließen ihr Leben als Opfer ihres Berufes und ihrer Wissenschaft! Es ist
sehr bemerkenswert, wie gerade in den letzten Jahren die Zahl der Fälle
840 Krüger,
von Röntgenkrebs, welche bekannt geworden sind, sich vermehrt hat.
Während wir im Jahre 1907 in dem Handbuch von Wetterer nur
7 Fälle erwähnt finden, 1909 dagegen von Coenen im ganzen schon 33,
hat Borntree in Amerika Anfang 1910 20 Fälle und in England 11 Fälle
gezählt, und in dem Sammelbericht von Krause werden 54 sichere Fälle
aufgeführt (in Deutschland 13, in Amerika 26, in England 12), von denen
26 Ärzte bzw. Röntgenassistenten betrafen, 24 Röntgentechniker und nur
4 Patienten. Die Mortalität dieser Fälle war ca. 20%. Hoffen wir,
daß die Zahl dieser Fälle sich nicht noch weiter vermehren wird, da ja
bekanntlich auf röntgenatrophischer Haut noch nach Jahren — auch
nachdem der Röntgenreiz gar nicht mehr eingewirkt hat — sich unter dem
Einflusse anderer Schädlichkeiten noch Karzinom nachträglich entwickeln
kann. Alle diese Fälle, bei denen bekanntlich das Unglück vor allem
dadurch herbeigeführt wurde, daß man die Hände als Testobjekt für die
Beurteilung der Strahlenqualität benutzte, sind ja so warnende Bei-
spiele, daß heute kein Mensch sich in dieser Art den Strahlen mehr aus-
setzen wird, und wenn auch, wie Wetterer sehr richtig hervorhebt, in-
folge der Sorglosigkeit der Menschen einer Gefahr gegenüber, an die sie sich
gewöhnt haben, sich vielleicht bei einigen unvorsichtigen Röntgeno-
logen hier und da noch leichte Hautveränderungen zeigen werden, so
ist doch mit Sicherheit anzunehmen, daß diesen schwersten Hautschädi-
gungen, die noch aus der ersten Zeit ohne alle Schutzmaßregeln stammten,
sich keine neuen derartigen Fälle hinzugesellen werden. Die Gefahr liegt
- heute in einer anderen Richtung. Denn wir wissen ja seit langem, daß nicht.
nur die Haut von den Strahlen bei ungenügendem Schutze im Sinne einer
Schädigung betroffen werden kann, sondern daß einige innere Organe
noch radiosensibler sind, daß also gerade sie in noch höherem Maße ge-
fährdet sind als die äußere Haut. Besonders sind es zwei Organsysteme,
die in Betracht kommen, das sind die Sexualorgane und das Blut.
Was zunächst die Schädigungen der Testikel anlangt, so sind ja
die unter dem Strahleneinfluß hier sich vollziehenden Veränderungen
aus den tierexperimentellen Untersuchungen allbekannt: Die spezifischen
Zellen des samenbildenden Apparates werden durch die Strahlenwirkung
vollkommen vernichtet, an Stelle der normalerweise von einer mehrfachen
Epithelschicht ausgekleideten und zahlreiche Spermatoblasten führenden
Hodenkanälchen zeigt in den typischen Fällen das mikroskopische Bild
nur weite Hohlräume, angefüllt von amorphen fadenförmigen Massen,
den Trümmern der zugrunde gegangenen Samenzellen. Es ist nun aller-
dings namentlich durch die schönen Untersuchungen von Simmonds
erwiesen, daB wenn einzelne Inseln von Spermatogonien von der Strahlen-
wirkung verschont geblieben sind, von diesen aus eine Regeneration und
Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 841
Reparation des Organes zustande kommen kann, und diesen Befunden
entsprechen ja auch die Beobachtungen an Ärzten, bei welchen Azoospermie
festgestellt war, bei welchen aber, nachdem längere Zeit Röntgenschutz
angewendet wurde, die Spermatogenese wieder vollständig in Gang kam
Aber es ist eben so sicher, daß, wenn die einmalige Dosis groß genug war
oder wenn durch ständige Summation kleinster Röntgenstrahleneinwir-
kungen die Regenerationskraft der samenbildenden Zellen überwunden
wurde, eine solche Reparation nicht einzutreten braucht. Es ist ja be-
kannt, daß eine ganze Reihe von Ärzten, die sich dem Röntgenfach ge-
widmet haben, ın kinderloser Ehe leben, bei denen keine andere Ursache
zu eruleren ist als die Röntgenschädigung. Die schweren Veränderungen,
welche die weibliche Keimdrüse unter der Strahlenwirkung erleiden kann,
legen natürlich hinsichtlich des Schutzes der weiblichen Angestellten von
Röntgenlaboratorien uns nicht minder ernste Pflichten auf. Diese Schädi-
gungen verdienen noch deswegen eine besondere Beachtung, weil hier,
wie Reifferscheidt in seinen interessanten Untersuchungen an der
Maus erwiesen hat, von einer Restitutio der einmal degenerierten Ovarial-
zellen nicht die Rede sein kann, also eine Reparation in dem Sinne wie bei
den Testikeln nicht möglich ist.
Weniger bekannt aber nicht weniger beachtenswert sind die Ver-
änderungen im Blute der Röntgenologen, die auf mangelhaften Röntgen-
schutz zu beziehen sind. Wenn wir uns erinnern an die schweren Ver-
änderungen der blutbildenden Organe, wie sie in den experimentellen
Untersuchungen von Heinecke, Helber und Linser, Krause und
Ziegler u. a. am Versuchstiere konstatiert werden konnten, wenn wir
ferner bedenken, daß nach einer einzigen längeren Durchleuchtung oder
therapeutischen Bestrahlung sich bei fast jedem Kranken eine ausge-
sprochene Störung des Blutbildes nachweisen läßt, so ist es nicht auffällig.
daß nun auch bei Röntgenologen, die nicht in genügendem Maße vor den
Strahlen geschützt waren, die dauernde Einwirkung, wenn auch nur
geringer Strahlenmengen, auf das Blut sich geltend machen muß. In der
Tat haben auch die drei Wiener Autoren v.Jagié, Schwarz und Sieben-
rock,!) welche das Blut einer Reihe von Radiologen untersuchten, diese
Vermutung bestätigt gefunden und haben Veränderungen des qualitativen
und quantitativen Blutbildes festgestellt. Diese bestanden hauptsäch-
lich in einer Verminderung der weißen Blutkörperchen, deren Zahl zwischen
5300 und 6000 schwankte, und zwar betraf die Verminderung hauptsäch-
lieh die dem Knochenmark entstammenden Elemente, speziell die poly-
morphkernigen neutrophilen Leukozyten und die azidophilen Leukozyten,
ı) Zit. nach Wetterer, Handbuch der Röntgentherapie 1913.
842 Krüger,
während die Lymphozyten in derabsoluten Menge im Kubikmillimeter ver-
mehrt waren. Die roten Blutkörperchen waren in normaler Qualität und
Quantität erhalten. Aubertin,!) der ähnliche Untersuchungen anstellte,
kam zwar in Einzelheiten zu etwas abweichenden Resultaten — er fand
z. B. im Gegensatz zu den drei Wiener Autoren keine Verminderung,
sondern eine Vermehrung der azidophilen Leukozyten — aber den Haupt-
befund: Leukopenie und speziell Verminderung der neutrophilen, poly-
morphkernigen Leukozyten konnte auch er bestätigen. Auch Lher-
mitte fand bei seinen Untersuchungen im Blute von Röntgenologen
ganz ähnliche Befunde: In 8 Fällen war die geringe Verminderung der Zahl
der polynukleären Leukozyten bei gleichzeitiger Zunahme der Lympho-
zyten zu konstatieren. Sind diese Befunde schon an sich beachtenswert,
so mahnt uns die von Vaquezund Schwarz!) hervorgehobene Tatsache,
daß in mehreren Fällen bei Personen, die sich berufsmäßig mit Röntgen-
strahlen beschäftigten, myelogene und lymphatischeLeukämie sich ent-
wickelte zu weiterer Vorsicht.
Außer den genannten Organsystemen ist es vor allem noch das Auge,
bei dem eine Schädigung durch Strahlenwirkung bei Röntgenologen
und Röntgentechnikern beobachtet wurde. Daß das äußere Auge (Con-
Junctiva, Cornea) bei seiner exponierten Lage genau wie die äußere Haut
der Sitz von Röntgenschädigungen werden kann, ist ja von vornherein
zu erwarten — so sah z. B. Albers-Schönberg bei in der Röntgen-
fabrikation beschäftigten Arbeitern häufig das Auftreten von Konjunktivi-
tiden, aber auch im inneren Auge können sich durch die summierenden
und kumulierenden kleinsten Röntgenreize chronische Röntgenschädi-
gungen entwickeln. So haben Gutmann und Treutler über je einen
Fall von Star berichtet, für dessen Genese sie die Einwirkung von Röntgen-
strahlen in Betracht zogen?) Der Gutmannsche Fall betraf einen
jugendlichen gesunden Ingenieur, der sich viel mit Herstellung von Rönt-
genröhren beschäftigte und Sehstörungen verspürte. Gutmann fand
Tropfenbildung in der hinteren Corticalis beider Linsen, die bei Aussetzen
der Beschäftigung stationär blieb. Treutlers Patient war Angestellter
eines Röntgenlaboratoriums und hatte beiderseits hinteren Polarkatarakt
und eine Sehschärfe von 6/60, während er vor seiner Anstellung als Rönt-
genassistent gut gesehen haben wollte. Die experimentelle Grundlage
für diese Schädigung wurde von Alphonse erbracht, der nachweisen
konnte, daß nach Bestrahlungen des Auges Degeneration des Kapsel-
epithels der Linse zu erzeugen Ist.
1) Zit. nach Wetterer, Handbuch der Röntgentherapie 1913.
2) Zit. nach Hans Meyer, Strahlentherapie, Bd. I, S. 155.
Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 843
Neben diesen objektiv feststellbaren ÖOrganveränderungen sind es
hauptsächlich noch nervöse Störungen: Herzarythmien, Kopfschmerzen,
Schlaflosigkeit usw., die von einzelnen Autoren auf mangelhaften Röntgen-
schutz bezogen werden.
Aus all diesen Befunden ergibt sich für den Arzt, welcher die Röntgeno-
logie ausübt, die zwingende Notwendigkeit, für sich und seine Angestellten
für genügenden Röntgenschutz zu sorgen. Nun aber erhebt sich sofort
die vieldiskutierte, auch heute noch nicht restlos gelöste Frage: Was sollen
wir unter einem genügenden Röntgenschutz verstehen ?
Das Problem des Röntgenschutzes ist nicht so einfach, wie es bei
oberflächlicher Betrachtung erscheinen möchte. Die Fragestellung, die
hier in Betracht kommt, ist aber ganz präzise zu fassen. Es handelt
sich um folgendes: Genügt ein Schutz, der nur Rücksicht nimmt auf die
primären Strahlen, welche vom Brennpunkt der Antikathode ausgehen,
kleinen Geschossen gleich in gradliniger Bahn in den Raum hinausge-
schleudert werden oder bedarf es auch der Rücksichtnahme auf die sekun-
dären, durch Streuung und Fluoreszenz erzeugten Strahlungen, welche,
da sie unendlich viele Emissionszentren haben, rings den Raum durch-
fluten. Ein paar physikalische Bemerkungen seien hier eingefügt.
Wir unterscheiden, wie besonders Walter in seinen sehr lesenswerten
Ausführungen auf dem Röntgenkongreß 1910 hervorgehoben hat, mehrere
Arten der Sekundärstrahlung, die für den Röntgenschutz eine Rolle
spielen, einmal die sogenannte Glasstrahlung und weiter die Körperstrah-
lung. In dem hochevakuierten Glasraum der Röntgenröhre entsteht
bekanntlich beim Durchgang des hochgespannten elektrischen Stromes
von der Kathode ausgehend ein Bündel von Strahlen (Kathodenstrahlen),
die, da sie von einem Hohlspiegel kommen, in einem Brennpunkt auf der
Antikathode sich vereinigen. Diese Kathodenstrahlen erzeugen bei ihrem
Aufprallen auf die Antikathode die Röntgenstrahlen, welche nun in gerad-
liniger Bahn von dem Fokus ausgehen, das Glas der Röhre durchsetzen
und nach außen geschleudert werden. Gleichzeitig mit den Röntgenstrah-
len gehen nun aber von der Antikathode auch reflektierte Kathoden-
strahlen aus und diese haben eine doppelte Wirkung: sie sind es, welche
die bekannte Fluoreszenz des Glases der Röhrenkugel bedingen und sie
sind es, welche bei ihrem Auftreffen auf die Glaswand der Röntgenröhre
eine zweite Röntgenstrahlung erzeugen, die sogenannten Glasstrahlen.
Diese ist nun in ihrer Ausbreitung nicht auf die vor dem Horizonte ihrer
Antikathode gelegene Halkbugel beschränkt, sondern sie kann sich nach
allen Seiten des Zimmers frei ausbreiten, da sie Ja von jedem Punkte der
fluoreszierenden Glaswand ausgehen, also eine große Zahl kleinster Emissi-
onszentren hat. Die Stärke dieser Sekundärstrahlung beträgt, wi»
844 Krüger,
Walter berechnet hat, in ihrer Gesamtheit etwa 15%, von derjenigen der
Primärstrahlung der betreffenden Röhre, ein Bruchteil, der immerhin
groß genug ist, um unsere volle Aufmerksamkeit zu verdienen. Es ist
also wohl zu beachten, daß auch bei Verwendung eines Blendenkastens,
der allseitig die Röhre umgibt und aus der Gesamtstrahlung derselben
nur den zur Therapie benutzten Strahlenkegel austreten läßt, seitlich von
diesem primären Strahlenbündel durch die Blendenöffnung noch Glas-
strahlen die Röhre verlassen, deren Ausbreitungsbezirk also erheblich
größer ist als der des primären Strahlenkegels. Wichtiger noch als diese
sekundäre Glasstrahlung ist für die Frage des Röntgenschutzes die sogen.
Körperstrahlung. Wenn Röntgenstrahlen auf irgend einem Körper auf-
treffen, so entsteht durch Streuung und Fluoreszenz in all diesen Körpern
wieder eine neue Strahlung. Also die Luft, welche die Strahlen durch-
setzen, der Körper des Kranken, den wir bestrahlen, der Fußboden des
Zimmers, in dem wir uns aufhalten — sie alle sind der Ausgangspunkt
dieser Sekundärstrahlung, die sich noch weit mehr wie die Glasstrahlung
ganz diffus im Raume ausbreiten. Diese sekundäre Körperstrahlung ist
keine einheitliche Strahlenart, sie setzt sich im wesentlichen aus zwei
Komponenten zusammen: einer Strahlung, welcher durch diffuse Brechung
der primären Strahlung entsteht, die also in ihren Eigenschaften (im we-
sentlichen dieser letzteren entsprechen muß und zweitens einer solchen.
welche in den Körpern durch Fluoreszenz entsteht. Diese letztere ist
also eine Eigenstrahlung, die für jeden Körper charakteristisch ist, welche
stets weicher ist als die sie auslösende primäre Strahlung und mit der
Größe des Atomgewichtes des betreffenden Körpers (bzw. der den Körper
zusammensetzenden Elemente) an Härte zunimmt.
Auch bezüglich dieser Körperstrahlung verdanken wir dem Hamburger
Physiker Walter sehr wichtige Untersuchungen, die sich auf die zahlen-
mäßige Intensität dieser sekundären Strahlen im Vergleich zu der sie er-
zeugenden Primärstrahlung beziehen. Walter konnte z. B. durch Ver-
suche feststellen, daß beim Durchgang einer Strahlung vom Typus W T
durch eine 16 cm dicke Wasserschicht die Intensität der sich in der Rich-
tung der Primärstrahlung ausbreitenden Sekundärstrahlung etwa 1!/, mal
so stark ist wie die hindurchgegangene Primärstrahlung selbst, und er
rechnete aus, daß ein Arzt, der täglich seine Finger nur 2 Minuten lang
jener Sekundärstrahlung aussetzen würde, die also der bei einer
Durchleuchtung im Körper des Kranken produzierten Strahlenmenge
entsprechen würde, im Laufe eines Jahres eine Erythemdosis erhalten
würde. Wenn man nun auch hiergegen einwenden kann, daß diese
„Erythemdosis“ ja nur eine physikalische ist, da ja die so berechnete
Strahlendosis, wenn sie sich auf den Zeitraum eines ganzen Jahres ver-
Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 845
teilt, einen unendlich viel geringeren biologischen Effekt hat, als wenn sie
auf einmal appliziert wird, so ist doch auf der anderen Seite wieder zu be-
tonen, daß es sich in der Röntgentherapie, namentlich in der Tiefenthe-
rapie, wo mit harten Strahlen gearbeitet wird, wo also die Sekundärstrahlen-
erzeugung eine weit intensivere sein wird, die in Betracht kommende
Sekundärstrahlendosis eine sehr viel größere sein muß als wie bei der
Walterschen Berechnung, die sich auf die Durchleuchtung eines Kranken
zu diagnostischen Zwecken bezieht. Und während bei der letzteren der
Arzt sich doch immer nur eine relative kurze Zeit in den Sekundärstrahlen-
bereich begibt, verlangen wir jetzt in den therapeutischen Laboratorien
von unseren Angestellten, daß sie sich tagtäglich viele Stunden lang
bei den Dauerbestrahlungen in dem Raume aufhalten, um die Bestrahlung
zu überwachen. Wir meinen, die Frage, ob wir die Verantwortung auf
uns nehmen können, diese Personen tagtäglıch stundenlang den wenn
auch nur relativ geringen Strahlenmengen der Sekundärstrahlen auszu-
setzen, wo wir doch wissen, daß alle diese kleinsten Einzelwirkungen sich
mit der Zeit kumulieren, verdient von neuem unsere volle Aufmerk-
samkeit. Diese Verantwortung tragen wir ja auch vor dem Gesetz und es
ist wiederholt von juristischen Sachverständigen (Kirchberg, Schrö-
der u. a.) hervorgehoben worden, daß ein Arzt, der seine Pflichten für
größtmöglichen Schutz seiner Angestellten verabsäumt, nicht nur zivil-
rechtlich haftet — und zwar auch für immateriellen Schaden, so daß er
z. B. für die durch mangelhaften Röntgenschutz entstandene Sterilität
einer Hilfsperson diese angemessen zu entschädigen hat — sondern daß
er auch strafrechtlich wegen fahrlässiger Körperverletzung zur Verant-
wortung gezogen werden kann, falls ihm nachgewiesen ist, daß die Für-
sorge für den Schutz der Angestellten (Assistenten, Volontäre, Kranken-
hausschwestern, Röntgengehilfinnen) ein ungenügender war.
Die Ansichten über die Frage, wie weit man den Röntgenschutz im
Hinblick auf die Sekundärstrahlen ausdehnen soll, gehen heute noch
ziemlich weit auseinander. Albers-Schönberg steht seit langem auf
dem Standpunkt des absoluten Röntgenschutzes, d. h. er fordert, daß
der ganze Körper gegen die primären und sekundären Strahlen geschützt
ist. Da ja eine einfache mit Blei belegte Schutzwand, die in ihren Dimen-
sionen so bemessen ist, daß sie den Körper gegen die primären Strahlen
deckt, nicht diesen absoluten Schutz auch gegen die rings den Raum
diffus durchflutenden sekundären Strahlen gewähren kann, da, wenn
die primären Strahlen auf Gegenstände innerhalb des Zimmers wirken,
diese der Ausgangspunkt einer Sekundärstrahlung werden, welche ihrer-
seits unter Umständen auch hinter eine Bleiwand, die zwischen Röhre
und Arzt steht, gelangen können, so konstruierte er ein Bleigehäuse,
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 54
846 Krüger,
welches so beschaffen ist, daß von keiner Seite aus Strahlen in dasselbe
hineingelangen können. Der Beweis, daß die Konstruktion des mit Bleı
gepanzerten Hauses die denkbar größte Sicherheit bietet, wurde dadurch
erbracht, daß photographische Platten, welche wochenlang in diesem
Schutzhause gehangen hatten, nicht die geringsten Spuren einer Belich-
tung zeigten. Diese Schutzmaßregeln, wie sie Albers-Schönberg und
Walter forderten, wurden aber von vielen Seiten für übertrieben erklärt,
namentlich war es die Wiener Schule, welche opponierte und noch ganz
neuerdings bei der Neueinrichtung des Zentralröntgeninstitutes in Wien
ist auch im therapeutischen Raum ein besonderer Schutz gegen Sekundär-
strahlen nicht vorgesehen, ausgehend von der Erfahrung, daß bis jetzt
bei den Ärzten der Wiener Röntgenlaboratorien, welche die Durchleuch-
tungen vornehmen, und sich dabei ständig den Sekundärstrahlen aus-
setzen, eine Schädigung, abgesehen von der erwähnten Leukopenie niemals
beobachtet ist. Man nimmt eben dort an, daß die Regenerationskraft
unserer Gewebe diese kleinsten Sekundärstrahlenmengen überwinden
kann. Wetterer nimmt in seinem soeben erschienenen Handbuch eine
vermittelnde Stellung ein. Während er auf der einen Seite die von Albers-
Schönberg empfohlenen Schutzvorrichtungen als die einzigen bezeichnet,
die vollkommenen Schutz gewähren, hält er andererseits doch eine ein-
fache fahrbare Schutzwand für durchaus genügend und er zieht das Fazit,
daß die Frage, welche Schutzmaßregeln die besten seien, nicht allgemein-
gültig zu beantworten sei und daß der Arzt sich aus den verschiedenen
Möglichkeiten denjenigen Modus auswählen solle, der seinen persönlichen
Bedürfnissen und dem ihm zur Verfügung stehenden Raum am besten
entspreche. Er kommt also bezüglich des Sekundärstrahlenschutzes
zu einem non liquet. Auch das Merkblatt der deutschen Röntgengesell-
schaft nimmt in dieser Frage keine klare Stellung. Es wird dort zwar zu-
gegeben, daß der beste Schutz ein solcher ist, bei welchen die Schutz-
schichten entweder die ganze Röhre als Schutzkasten oder den ganzen
Untersucher als Schutzhütte umgibt, aber diese Tatsache wird wieder
abgeschwächt, denn es heißt weiter: „Im Interesse der Beweglichkeit
der Röhre erscheint es jedoch zweckmäßig, den Schutz in der Weise zu
bewirken, daß man die Röhre nur mit einer Kappe umgibt, dann aber
außerdem noch eine Schutzwand vorsieht, hinter welcher sich der Arzt
während des größten Teiles der Arbeitszeit aufzuhalten hat.“ Auch bei
dieser letzten Anordnung ist natürlich ein absoluter Schutz, d. h. ein
Schutz auch gegen Sekundärstrahlen nicht gegeben.
Diese nicht unerheblichen Differenzen in den Anschauungen sind
vielleicht z. T. darauf zurückzuführen, daß diejenigen Autoren, welche
Sekundärstrahlenschutz für unnötig halten, sich darauf berufen können,
Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 847
daß die tierexperimentellen Untersuchungen, welche angestellt wurden,
um die Frage zu entscheiden, ob den Sekundärstrahlen eine nennenswerte
biologische Energie innewohne, zu einem Ergebnis bisher nicht geführt
haben. Diese Versuche waren alle negativ. Albers-Schönberg betont
ausdrücklich, daß er Meerschweinchen monatelang während der regulären
Röntgenarbeit auf 1,50 m Distanz den sekundären Glasstrahlen ausge-
setzt hätte, wodurch aber die durch direkte Bestrahlung hervorgerufenen
Testikel-Ovarienschädigungen nicht zustande gekommen seien. Auch
die neueren Untersuchungen von Albers-Schönberg über Sekundär-
strahlenwirkung, die mit ganz ähnlicher Versuchsanordnung angestellt
sind wie die unserigen, aber zur Beantwortung einer anderen Fragestellung
dienten, fielen völlig negativ aus,!) und wenn dieser Autor stets für einen
absoluten Röntgenschutzplädierte,
so geschah das mehr aus Vorsicht,
denn er sagt in seinem Lehrbuche,
ob die Sekundärstrahlen imstande
seien, Schädigungen an der Haut
oder den inneren Organen hervor-
zurufen, müsse unentschieden blei- ER
ben. Angesichts dieser Sachlage DI hströhlenspender
schien es uns von einem gewissen Fig. 1.
Interesse zu sein, in einer Reihe
experimenteller Untersuchungen der biologischen Wirkung der Sekundär-
strahlen unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
DELTZIITITITTIIIIIIDIIITIEI IE
D a Object
Die Versuche wurden an Tieren und Pflanzen angestellt. Bei den
ersten Versuchen wählten wir eine Versuchsanordnung, ähnlich der von
Guilloz angegebenen.?) Ein 100 gem großes Stahlstück, das der besseren
Undurchlässigkeit wegen unter den 15 mm starken Stahl noch eine 2? mm
starke Bleiplatte trägt, hat in der Mitte einen rechteckigen Ausschnitt,
dessen lange Seite 10 em und dessen kurze Seite 4 cm lang sind. Über
der Mitte des Rechtecks wurde eine in einem Röhrenkasten befindliche
Burger-Tiefentherapieröhre derartig aufgestellt, daß der Brennpunkt
1) Das Ergebnis unserer Versuche wurde in der Kieler medizinischen Gesell-
schaft Juni 1913 zuerst mitgeteilt. Da die Versuche von Albers-Schönberg
in dem akademischen Ferienkurse Juli 1913 zuerst mitgeteilt sind, so sind sie
gleichzeitig angestellt. Die Kaulquappenversuche von Gauß und Lembke, so-
wie die Experimente von Pagenstecher wurden in Verfolgung ganz anderer
Probleme angestellt, und kommen für die Frage des Röntgenschutzes nicht in
Betracht.
2, Guilloz, Comptes rendus 1900/01. Zit. nach Gauß und Lembke, Sonder-
band der „Strahlentherapie“ 1912.
54*
848 Krüger,
8 cm, die tiefste Stelle des Röhrenglases 38 cm von der Oberfläche des Eisens
entfernt war. Durch das Rechteck der Stahlplatte gelangten die Strahlen
auf einen in einer gewissen Entfernung darunter liegenden Körper (Leder,
Glas, Aluminium, Blei) der als Sekundärstrahlenspender fungierte. Die
durch die Sekundärstrahlen zu beeinflussenden Objekte wurden so unter
der Eisenplatte angebracht, daß sie nur von Körpersekundärstrahlen,
nicht aber von Primärstrahlen oder den Glasstrahlen der Röntgenröhre
getroffen wurden, die natürlich nicht diese dicke Metallplatte durchsetzen
konnten. Zunächst prüften wir die Sekundärstrahlenwirkung mit Hilfe
von Kienböckstreifen, die wir in einer Entfernung von je 5 cm von den
beiden langen Rechteckseiten entfernt an der Unterseite der Eisenplatte
anklebten. Die Sekundärstrahlenspender wurden parallel zur Eisen-
bleiplatte in einer Entfernung von 5 cm von ihrer Unterfläche angebracht,
und um Vergleiche anstellen zu können über die Intensität der von den
einzelnen Objekten gelieferten Sekundärstrahlung, nahmen wir immer
zwei Sekundärstrahlenspender auf einmal, die dann so plaziert wurden,
daß sie sich unter der Mitte des Rechtecks berührten, so daß der eine
Kienböckstreifen z. B. vom Holz, der andere vom Leder die Sekundär-
strahlen erhielt. Wir bestrahlten dann in dieser Anordnung jedesmal
1!/, Stunden bei einer Belastung von 2!/, Milliampere, Härte B.W. 6.
Die Versuche gaben folgendes Resultat: Der Kienböckstreifen, der von
den Sekundärstrahlen des Holzes getroffen war, zeigte die Dosis 7X,
der mit ihm zu gleicher Zeit mit den Sekundärstrahlen des Leders bestrahlte
Streifen zeigte 7!/, X. Leder und Holz erwiesen sich also in ihrer Eigen-
schaft als Sekundärstrahlenspender beinahe gleich. Die in derselben Art
angestellten Versuche mit Holz und Glas ergaben für Holz 7 X, für Glas
91/, X. Die ebenso durchgeführten Versuche mit Holz und Blei ergaben
für Holz 71/, X, für Blei 2X. Daraus folgt also, daß das Glas, verglichen
mit Holz und Leder, nur die Hälfte an Sekundärstrahlen aussendet
(gemessen am photographischen Objekt), Blei dagegen weniger: nur un-
gefähr 1/4-
Wir gingen nun zu den Pflanzenversuchen über und zwar wählten
wir als Versuchsobjekt wieder Erbsenkeimlinge, d. h. Keimlinge des
zweiten Quellungstages, die sich uns schon wiederholt bei Experimenten
als ein sehr zweckmäßiges Objekt erwiesen hatten.!) Die Erbsen wurden
parallel zu den Längsseiten des Rechteckes so gelagert (am zweckmäßigsten
erwies cs sich, sie in einem dünnen Schleier unter der Eisenblende auf-
zuhängen), daß sie vollständig von der darüber befindlichen Eisenblende
1) Vgl. auch G. Schwarz, Mitteilungen aus dem Laboratorium für radio-
logische Diagnostik und Therapie zu Wien. Heft 2. 1907.
Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 849
bedeckt waren und durch das Rechteck auch keine sekundären Glas-
strahlen der Röntgenröhre an sie gelangen konnten. Auf der einen Seite
lagen drei Reihen Erbsen, auf der anderen Seite lagen zwei Reihen. Als
Sekundärstrahlenspender diente in der ersten Versuchsreihe Leder.
Bestrahlt wurde drei Stunden bei einer Belastung von 8!/, MA. und einer
Härte von B.W. 6. Die Erbsen wurden jetzt in 2 Beete gepflanzt, und zwar
kamen die drei Reihen der einen Seite zusammen mit den unbestrahlten
Kontrollerbsen in ein Beet und die zwei Reihen der anderen Seite auch mit
Kontrollerbsen zusammen in ein zweites Beet. Das Resultat war ganz
eindeutig, wie aus folgender Tabelle hervorgeht:
Tabelle I.
Länge der bestr. Pflanzen
Länge der Kontrollen am
am
13. Tage | 18. Tage | 13. Tage | 18. Tage
I j 1. Reihe Erbsen . 47 149
Beet ) 2. Reihe Erbsen . 49 149 65 193
3. Reihe Erbsen . 57 166
LI. 1. Reihe Erbsen . 39 127 68 194
Beet | 2. Reihe Erbsen . 58 179
Tabelle II.
Grad der Wachstum-
schädigung am
13. Tage | 18. Tage
1. 1. Reihe Erbsen. . 27% 23%
Beet 2. Reihe Erbsen. . 25% 23%
3. Reihe Erbsen. . 12 % 14%
II. | 1. Reihe Erbsen. . 45% ! 341%
Beet | 2. Reihe Erbsen. . 15 % | 8%
Man sieht aus diesen Tabellen die Wachstumsbehinderung der be-
strahlten Erbsen im Vergleich zu den unbestrahlten Kontrollerbsen, und
zwar ist die schädigende Wirkung der sekundären Strahlen auf die Erbsen
um so größer, je näher sie dem Emissionszentrum gelegen haben. Das
ist ja auch ganz begreiflich, da die Sekundärstrahlen an Intensität mit
der Entfernung abnehmen. Aus der 2. Messung am 18. Tage nach
der Bestrahlung ersieht man ferner noch, daß die Wirkung der Strahlen
nachzulassen beginnt; die geschädigten Erbsen erholen sich wieder, eine
Beobachtung, die wir schon früher bei unseren anderen Erbsenversuchen
850 Krüger,
gemacht hatten und die mit der bekannten biologischen Wirkung der
primären Strahlen übereinstimmt, daß nämlich durch mittlere Dosen
die Zellen in ihrer Strahlungsenergie nur vorübergehend gelähmt werden,
so daß nach einiger Zeit eine Erholung eintritt.
In einer zweiten Versuchsreihe bestrahlten wir wiederum mit gleich-
zeitiger Verwendung von 2 Sekundärstrahlenspendern: Leder und Glas.
Wir legten daher eine quadratische Leder- und Glasplatte so aneinander,
daß sich die beiden Kanten berührten und stellten die Eisenbleiblende
darüber so auf, daß die Mitte des ausgeschnittenen Rechtecks sich genau
über der Berührungslinie des Leders und des Glases befand. Um elektri-
sche Entladungen zu vermeiden, wurde die Oberfläche der Blende noch mit
zweifacher Lage von Müllerschem Schutzstoff belegt. Die Erbsenkeim-
linge befanden sich auf der einen Seite unter der Einwirkung der Leder-
sekundärstrahlen, auf der anderen Seite unter der Einwirkung der Glas-
sekundärstrahlen, sie waren auf beiden Seiten gleich weit von der Mittel-
linie entfernt. Um die Keimlinge frisch und feucht zu erhalten, wie die
Kontrollen, wurde zwischen sie und und die Blende eine Lage feuchter
Watte gebracht. Die einzelnen Maße waren folgende:
Abstand des tiefsten Punktes des Röhrenglases von der Oberfläche
der Blende 2,5 cm
Abstand des tiefsten Punktes des Röhrenglases von der Oberfläche
der Sekundärstrahlenspender 6 cm
Abstand der ersten Erbsenreihe vom Rande des Rechtecks 8 cm
Bestrahlt wurde nun mit einer harten Röhre 1!/, Stunden mit einer
Belastung von 2!/, MA. und Strahlenhärte B. W. 6. Die bestrahlten
Erbsen wurden mit den Kontrollerbsen in zwei Beete gepflanzt derart,
daß in jedes Beet von jeder Erbsenreihe die halbe Anzahl Keimlinge kam.
Es war nun zu erwarten und es war eine Probe auf die Exaktheit dieser
Versuche, daß eine Differenz im Wachstum der Keimlinge eintrat: Die
von den Ledersekundärstrahlen getroffenen Keimlinge mußten stärker
beeinflußt werden als die von den Sekundärstrahlen des Glases beein-
flußten. Das Resultat ergibt sich aus Tabelle III.
Die Tabelle zeigt deutlich eine verschiedenartige Beeinflussung der
Erbsen, je nachdem ob sie vom Leder oder vom Glas beeinflußt sind.
Beim ersten Beet sehen wir am 13. Tage nach der Bestrahlung, daß
die erste Reihe der über dem Leder gelegenen Erbsen um 18%, geschädigt
ist, denen nur eine Schädigung von 7%, bei den entsprechenden mit den
Sekundärstrahlen des Glases bestralilten Erbsen gegenübersteht. Die
zweite Erbsenreihe weist infolge des größeren Abstandes von der Sekundär-
strahlenquelle eine geringere Wachstumshemmung auf, 9%, auf der einen
und 2% auf der anderen Seite, und bei den am entferntesten gelegenen
Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 851
Erbsen der 3. Reihe sehen wir, ähnlich wie in früheren Versuchen, einen
Umschlag der Wachstumshemmung in eine Wachstumsbeschleunigung, da
hierher die Strahlen nur in einer reizenden, nicht lähmenden Dosis gelangt
sind. Die am 17. Tage vorgenommenen Messungen zeigen analoges Ver-
halten. Es kommt bei dieser zweiten Messung außerdem noch zum Aus-
druck, wie allmählich eine Erholung der Pflanzen von der Strahlen-
beeinflussung eingetreten ist. Im zweiten Beet finden wir durchaus
analoge Verhältnisse.
Tabelle III.
Grad der Wachstums-
beeinflussung im Ver-
gleich zu den Kon-
trollerbsen am
Länge der Pflanzen
am
13. Tage | 17. Tage | 13. Tage | 17. Tage
1. Reihe 45 117 — 18% | — 9%
| Leder-Erbsen {2. Reihe 50 138 — 9%] + 7%
3. Reihe 61 130 + 10% | + 1%
LB 1. Reihe 51 120 — 7% 6%
‚ Beet | Glas-Erbsen | 2. Reihe 54 132 — 2% | + 3%
3. Reihe 58 139 + 5% 8%
Kontrollerbsen 55 128
1. Reihe 48 125 — 11% | — 5%
Í Leder-Erbsen 1 Reihe 55 133 + 2% | + 2%
3. Reihe 64 145 + 16% | + 10%
II. Beet 1. Reihe 65 136 + 2% | + 4%
« Deet 1 Glas-Erbsen | 2. Reihe 63 142 +14% | + 8%
3. Reihe 13 149 + 26% | + 12%
| Kontrollerbsen 54 131
Noch ein dritter Versuch sei hier erwähnt, wobei als Sekundärstrahlen-
spender auf der einen Seite Leder und auf der anderen Blei genommen
wurde.
Die Bestrahlung dauerte 2!1/, Stunden bei einer Röhrenbelastung
von 2i/ MA. und einer Härte von B. W. 6. Gepflanzt wurden die Erbsen
wieder wie im vorigen Versuche. Aus Tabelle IV ersehen wir die Wirkung
dieser Bestrahlung:
852 Krüger,
Tabelle IV.
Grad d. Wachstum-
beeinflussung im Ver-
gleichzu den Kontroll-
erbsen
Länge der
Pflanzen am
12. Tage
1.
Leder-Erbsen | 9,
3.
1. Reihe 13 — 42%
Blei-Erbsen | 2. Reihe 113 — 1%
3. Reihe 135 + 7%
Kontroll-Erbsen 127
1. Reihe 45 — 64%
Leder-Erbsen | 2. Reihe 89 — 29%
3. Reihe 109 — 13%
nn 1. Reihe 62 — 50%
= Blei-Erbsen | 2. Reihe 121 — 3%
3. Reihe 133 + 6%
Kontroll-Erbsen 124
Auch bei diesem Versuche erkennen wir dieselbe biologische Wirkung
der sekundären Strahlen wie bei den vorigen Versuchen. Infolge der län-
geren Bestrahlungsdauer ist die Beeinflussung der Keimlinge aber grübßer
als das vorige Mal. Der Unterschied in der Wirkung der Sekundärstrahlen
des Leders und des Bleis tritt in den einzelnen Zahlen besonders schön
hervor.
Im ersten Beet z. B. entspricht eine Schädigung der von Leder-
sekundärstrahlen getroffenen Erbsen von 75% einer Schädigung der von
Bleisekundärstrahlen beeinflußten Erbsen von nur 42% und in der letzten
Erbsenreihe steht den 7% Hemmung eine Förderung von 7% gegenüber.
Im zweiten Beet ist der Befund analog.
Aus den bisher angeführten Versuchen geht unzweideutig hervor,
daß die sekundären Röntgenstrahlen, die in anorganischen Massen ent-
stehen, wie sie das Glas und das Blei darstellen, und in totem tierischen
Gewebe, wie es das Leder ist, eine biologische Wirksamkeit entfalten.
die derjenigen primärer Strahlung durchaus analog ist. Wir steht es nun
aber mit den sekundären Strahlen, die in lebendem Gewebe entstehen?
Darüber sollte uns folgender Versuch Aufschluß geben.
Geprüft wurden die Sekundärstrahlen, die in einem lebenden Merr-
Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 853
schweinchen entstehen. Dazu eignete sich die alte Versuchsanordnung
nicht wegen der durch die Eisenblende beschränkten Verhältnisse. Daher
gingen wir zu einer ganz anderen Versuchsanordnung über und konstru-
ierten eine neue Blende. Zu diesem Zweck nahmen wir 6 Bleiplatten von
l mm Dicke, in die wir in der Mitte verschieden große kreisrunde Löcher
schnitten. Das engste Loch hatte einen Durchmesser von 4!/, em, das
weiteste einen solchen von 12 cm. Diese Bleiblenden fügten wir unter
einander in Zwischenräumen je von 1 cm zusammen, so daß die Blende
mit der kleinsten Öffnung der Röhre am nächsten war und die nächst-
größere Blende dann immer der kleineren folgte. Diese so treppenartig
zusammengesetzte Blende, die also einen nach unten offenen Trichter
darstellte, wurde nun an einem Tiefentherapieröhrenkasten befestigt.
Sie sollte vor allem dazu dienen, die sekundären Glasstrahlen abzublenden.
In der Ebene der weitesten, also der untersten, Blende, an ihrem Außen-
rande, wurde nun ein nach der Seite zu offener Zylinder, 5 cm lang, ange-
bracht, der mit 5 mm starkem Blei bedeckt war. Um die äußere Öffnung
dieses Zylinders wurde noch ein großes 5 mm dickes Bleiblech aufgestellt,
so daß dadurch der ganze Blendenapparat und der Kasten mit der Röhre
verdeckt wurden. Diese Anordnung war so getroffen, daß wir sicher waren,
daß keine primären Strahlen und auch keine sekundären Glasstrahlen
der Röhrenkugel mehr durch die Außenöffnung des Seitenzylinders ge-
langen konnten. Der Beweis dafür wurde folgendermaßen erbracht.
Setzte man die Röhre in Betrieb und hielt nach völliger Dunkeladaption
der Augen einen Leuchtschirm vor dieses große Bleiblech, in dem sich
unten der Ausschnitt des Zylinders befand, so blieb der ganze Schirm
in völliges Dunkel gehüllt; nur eine ganz schwache gerade eben wahr-
nehmbare Fluoreszenz war an der Stelle des Zylinderausschnittes zu kon-
statieren. Diese Fluoreszenz rührte offenbar von den Sekundärstrahlen
her, die sich in der Luft unter der Röhre bildeten. Hielt man nun unter
die zusammengesetzte Röhrenblende irgend welche Körper, auf die die
primären Strahlen trafen, dann leuchtete der Baryumplatinzyanürschirm
deutlich auf. Dieses Aufleuchten stammte ohne Zweifel von den sekun-
dären Strahlen, die aus den unter die Röhre gehaltenen Körpern herrührten
und durch den Seitenzylinder hindurchtraten; denn es verschwand sofort
wieder, wenn man die betreffenden Körper fortnahm. Ganz bequem
konnte man auf diese Weise wieder die Unterschiede in der Intensität
der Strahlenemission, z. B. in Holz und Blei, feststellen.!)
Für unseren neuen Versuch nahmen wir jetzt ein Meerschweinchen,
!) Unsere Blende ist ähnlich wie die von Bauer angegebene („Fortschritte‘
Bd. XX), ist aber völlig unabhängig von dieser Publikation entstanden, denn sie
war längst fertig, bevor uns die Bauersche Anordnung zu Gesicht kam.
854 Krüger,
das wir in einer Hängematte aus Mull unter der Blende aufhingen, so daß
die sekundären Strahlen, welche durch den seitlichen Bleizylinder traten,
nur aus dem Meerschweinchen ohne Beimengung von sekundären Strahlen
anderer Körper stammen mußten, denn die in dem dünnen weitmaschiren
Mullgewebe der Hängematte entstehenden Strahlen konnten wir vernach-
lässigen, da sie kaum eine wahrnehmbare Fluoreszenz erzeugten. Unsere
Erbsenkeimlinge brachten wir nun in dem äußeren Ausschnitt des Blei-
zylinders an und bestrahlten dann den Sekundärstrahlenspender, also
das Tier 3 Stunden bei einer Röhrenbelastung von 1 MA. und einer Härte
von B. W. 6. Die interessierenden Maße waren folgende:
Entfernung der Mitte des Meerschweinchens vom Brennpunkt der
Röhre 22 cın
Entfernung der Erbsen von der Seitenfläche des Meerschweinchens 12 cm
Gepflanzt wurden die Erbsen mit ihren Kontrollen zusammen in
zwei Beete. Da alle bestrahlten Erbsen ungefähr gleich weit von der
Sekundärstrahlenquelle entfernt waren und somit dieselbe Dosis erhalten
hatten, wurden sie nicht in besonderen Reihen gepflanzt wie früher.
Folgende Tabelle zeigt das Ergebnis der Bestrahlung:
Tabelle V.
Grad der Wachstum-
beeinflussung am
11. Tage | 13. Tage
+ 18% +6%
Länge der Pflanzen am
11. Tage | 13. Tage
I. Bestrahlte Erbsen .
Beet ! Kontroll-Erbsen .
II. Bestrahlte Erbsen .
Beet ! Kontroll-Erbsen .
+19% | +6%
Wir sehen also aus dieser Tabelle, daß auch im lebenden Tier biolo-
gisch wirksame Sekundärstrahlen entstehen, woran wir schon nach den
vorigen Versuchen nicht mehr gezweifelt hatten. Die biologische Wirk-
samkeit kommt hier zum Ausdruck in einer Wachstumsförderung der
bestrahlten Pflanzen, was uns nicht Wunder nimmt, wenn wir die größeren
Entfernungen berücksichtigen, die sowohl die primären wie die sekundären
Strahlen in dieser Versuchsanordnung zurückzulegen hatten, und die
geringere Röhrenbelastung, bei der die Bestrahlung ausgeführt wurde.
Die Erbsen waren übrigens in beiden Beeten selten gleichmäßig gewachsen.
Als Nebenbefund registrieren wir, daß das primär bestrahlte Meerschwein-
chen unter Reizerscheinungen von Seiten des Nervensystems nach wenigen
Stunden einging.
+
Experimentelle Untersuchungen zam Röntgenschutz. 855
Unsere Untersuchungsreihe über die biologische Sekundärstrahlen-
wirkung beendigten wir mit einem Versuche, der uns demonstrierte,
daß die in einem Tier entstehenden Sekundärstrahlen die
radiosensiblen Organe eines anderen Tieres in hohem Maße
zu schädigen vermögen.
Zu diesem Zwecke benutzten wir wieder die soeben beschriebene
zusammengesetzte Blende mit einem lebenden Meerschweinchen als
Sekundärstrahlenspender. Die Versuchsanordnung war also die gleiche
wie das vorige Mal. Das zu bestrahlende Kaninchen brachten wir in
solcher Stellung an, daß die Hoden und ihre nächste Umgebung vor den
Zylinderausschnitt kamen, also nur diese Stellen von sekundären Strahlen
getroffen werden konnten. Das ganze übrige Kaninchen war geschützt
sowohl vor primären wie vor sekundären Strahlen. Der eine Hoden des
Tieres wurde in dem Versuche mit Y/, mm Blei abgedeckt, damit er uns
zur Kontrolle diente zum Vergleich mit dem zweiten. von Sekundär-
strahlen getroffenen Hoden. Das Tier wurde 3 mal bestrahlt. Die Be-
strahlungszeiten seien im folgenden wiedergegeben:
1. Bestrahlung: 4 Stunden bei 2 MA., nach 2 Tagen
2. Bestrahlung: 3 Stunden bei 1,2 MA., nach 4 Wochen
9. Bestrahlung: 4 Stunden bei 1,7 MA.
Die Entfernungen waren genau wie in dem vorigen Versuche:
Strahlenquelle bis Mitte des Sekundärstrahlenspenders: 22 cm und
Seitenfläche des primär getroffenen Tieres bis zu den Testikeln des
zweiten: 12 cm.
4 Wochen nach der letzten Bestrahlung wurde das Kaninchen, das
gesund geblieben war, getötet. Schon makroskopisch unterschied sich der
bestrahlte Hoden von dem unbestrahlten dadurch, daß er völlig ge-
schrumpft war, er war nur noch ungefähr halb so groß wie dieser.
Im mikroskopischen Bilde sahen wir dann all die schweren Verände-
rungen genau wie bei primär bestrahlten Hoden und wie sie zur Ge-
nüge bekannt sind, so daß sich eine weitere Beschreibung erübrigt. Deı
Kontrollhoden wich vom normalen Befunde nicht ab. Die beiden Bilder
mögen den Unterschied in den beiden Hoden veranschaulichen.
Wenn wir resumieren, so sehen wir, daß von drei Tieren (Meerschwein-
chen), die im Laufe von vier Wochen in drei Sitzungen aus einer bei
Tiefenbestrahlungen üblichen Entfernung von 22 cm zusammen 11 Stunden
mit einer harten Strahlung vom Typ B. W. 6 bestrahlt wurden, eine Sekun-
därstrahlenmenge ausgeht, die genügte, in einer Entfernung von 12cm von
dem tierischen Sekundärstrahlenspender in den Testikeln eines anderen
Versuchstieres die schwersten Zerstörungen des sammenbildenden Apparates
Krüger.
856
Fig. 2.
Normaler Hoden.
Fig. 3.
Zerstörung der Spermatogenese durch sekundäre Röntgenstrahlen.
Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 857
herbeizuführen, also eine Wirkung ausüben, die der Strahlenwirkung
primärer Strahlung durchaus analog ist.
Ferner ließ sich nachweisen, daß Holz und Leder und ebenso Glas
und Blei eine Sekundärstrahlung emittiert, die in einer Entfernung von
einigen Zentimetern von ihrem Ausgangspunkt biologische Wirkungen
auf Pflanzenkeimlinge auslöst, die ebenfalls qualitativ und quantitativ
sich in nichts von derjenigen primärer Stellungen unterscheiden. Die
mit Hilfe von Kienböckstreifen registrierten Sekundärstrahlendosen
ergaben Wirkungen, die wir bei einer gleichen Dosis primärer Strahlung
in allen Einzelheiten bei früheren Versuchen genau so beobachten konnten,
Wirkungen, die sich an Pflanzenkeimlingen ganz vorzüglich studieren
ließen: Bei kleineren Dosen Anreiz zu schnellerem Wachstum gegenüber
den Kontrollpflanzen, von einer ganz bestimmten Strahlendosis an schlägt
dieser Wachstumsanreiz in eine Wachstumshemmung um, deren Grad
durchaus proportional der absorbierten Strahlenmenge ist. Nach Ablauf
einer bestimmten Zeit tritt eine Erholung der geschäligten Zellen ein, die
Regenerationskraft der Zelle überwindet allmählich die durch die Strahlen
bedingte Zellschädigung. Die biologische Wirkung des Sekundärstrahlen-
gemisches, welche von Holz oder Leder emittiert sind, erwies sich bei
unserer Versuchsanordnung immer stärker als die von Glas oder Blei aus-
gehende Strahlung.
Eine genauere Analyse der Sekundärstrahlengruppen und ein genaueres
Studium der Wirkung jeder einzelnen derselben wird Gegenstand einer
besonderen Arbeit sein. In dieser Beziehung wollen wir nur hervorheben,
daB das von Blei ausgehenden Sekundärstrahlengemisch, in dem die
homogenen charakteristischen Sekundärstrahlen entsprechend dem hohen
Atomgewicht des Bleis überwiegen, bei der Bestrahlung mit primärer
harter Strahlung vom Typ B. W.6in einer Entfernung von einigen
Zentimetern von ihrem Ausgangspunkt eine wesentlich schwä-
chere Wirkung entfaltete als das z. B. durch Leder entstandene Sekun-
därstrahlengenisch, in welchem die durch Streuung entstandene Strahlung
allein in Betracht kommt.
Wir glauben aus diesen Untersuchungen den Schluß ziehen zu dürfen,
daß wir bei Einrichtung des Röntgenschutzes in röntgentherapeutischen
Laboratorien dem Schutz vor Sekundärstrahlen erhöhte Beachtung
schenken müssen. Das gilt namentlich für solche Institute, wo täglich
viele Stunden lang mit harten Strahlen gearbeitet wird. Wenn die Ge-
fahr auch nicht übertrieben zu werden braucht, so liegt es
doch durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß mit der Zeit durch
Summierung der täglichen Einwirkung der Sekundärstrahlen sich bei
den Angestellten gerade dieser Laboratorien schwere Schädigungen ein-
858 Krüger, Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz.
stellen können. Wir schließen uns daher insoweit der Anschauung von
Albers- Schönberg und Walter an, als wir für röntgentherapeuti-
scheLaboratorien einen absoluten Röntgenschutz empfehlen. Die Ver-
hältnisse liegen hier insofern anders wie bei der Röntgendurchleuchtung,
als hier sicher die zur Einwirkung kommenden Sekundärstrahlendosen
größere sind und sie liegen insofern günstiger, als die Einrichtung eines
absoluten Röntgenschutzes sich für röntgentherapeutische Laboratorien
viel einfacher durchführen läßt. Die praktische Durchführung derselben
ist in mehrfacher Art möglich: einmal durch Einbau des von Albers-
Schönberg angegebenen Schutzgehäuses oder aber dadurch, daß man
den Standpunkt des Arztes gänzlich aus dem Bestrahlungszimmer in ein
mit Blei geschütztes Nebenzimmer verlegt, oder durch Einrichtung eines
getrennten großen Regulierraumes. Bei diesem letzteren Modus, der
vielleicht für größere Laboratorien mit mehreren Röntgenapparaten der
zweckmäßigste ist, wird nicht, wie Albers-Schönberg es will, der Arzt,
sondern der Patient mit der ihn bestrahlenden Röntgenröhre vollkommen
in Bleiwände eingeschlossen, so daß jetzt der Arzt sich frei bewegen kann,
ohne sich den Strahlen auszusetzen. Hat man z. B. drei Röntgenapparate,
die nebeneinander in Betrieb sind, so bedient jeder Röntgenapparat
einen Bestrahlungsraum, der allseitig von bleibedeckten
Wänden umgeben ist. Die drei Bestrahlungskammern sind zugängig
von dem großen Regulierraum, in dem alle Schaltapparate und alle Hilfs-
instrumente, die zur Kontrolle der Konstanz der Röhren dienen, montiert
sind, von dem aus die Distanzregulierung für die Röhrenhärte gehandhabt
wird, und von dem aus durch je ein Bleiglasfenster der Patient und die
ihn bestrahlende in einen Kasten eingeschlossene Röhre überwacht werden
kann. Diese letztere Form des absoluten Röntgenschutzes ist z. B. schon
seit mehreren Jahren in dem Kieler Institut für Strahlentherapie ein-
gerichtet und hat sich sehr bewährt.
Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Dermatol. Klinik in Kiel
(Dir. Prof. Dr. Klingmüller, Leiter des Instituts Priv.-Doz. Dr. Meyer).
Zur Frage der Fernwirkung der Röntgenstrahlen.
Von
Dr. R. Krüger, Kiel.
Er viel diskutierte Frage in der biologischen Strahlenwirkung ist die,
ob eine Fernwirkung der Strahlen in dem Sinne möglich ist, daß bei
der Röntgen- bzw. Radiumbestrahlung sich unter der Wirkung der ab-
sorbierten Strahlenenergie gewisse Substanzen bilden, welche auf dem
Blut- oder Lymphwege sich verbreiten und fern von dem Ort ihrer Ent-
stehung an bestimmten Geweben, zu denen sie eine besondere Affinität
haben, ähnliche Wirkungen entfalten können, wie solche bei der direkten
Bestrahlung auftreten würden.
Die theoretischen Grundlagen für die Möglichkeit einer solchen
Fernwirkung sind ja gegeben in den klassischen Arbeiten Werners über
die chemische Imitation der Strahlenwirkung. Dieser Autor konnte
nachweisen, daß, wenn ein unter der Strahlenwirkung aus dem Lezithin
sich abspaltender Körper, das Cholin, in die Blutbahn gebracht wird,
dieses an radiosensiblen Organen dieselben Veränderungen setzt, als wenn
diese Organe der direkten Strahlenwirkung ausgesetzt worden wären,
und da den vier Wiener Autoren Benjamin, Reuß, Skluka und
Schwarz der Nachweis eines quantitativ gesteigerten Cholingehaltes des
Blutes nach intensiven Röntgenbestrahlungen im Tierversuch gelang,
so ist damit der theoretische Beweis für die Möglichkeit einer Fernwirkung
gegeben. Der Vorgang könnte sich also so abspielen, daß in einem primär
von Strahlen getroffenen Gewebe bei dem Zerfall der Zellen neben den
anderen Bausteinen der Zelle auch das Lezithin gespalten wird, bei der
Lezithinspaltung wird Cholin entstehen, dieses wird mit den anderen
Abbauprodukten der Zelle dem Blutstrom beigemischt und wird auf diesem
Transportweg zum Teil durch die Nieren ausgeschieden, zum anderen Teil
auch zu anderen radiosensiblen Organen gelangen und hier der Strahlen-
wirkung analoge Veränderungen auslösen.
Es liegen eine Reihe von Beobachtungen vor, welche dafür sprechen,
daß dieser Modus möglich ist. Wir wissen, daß nach einer Röntgenbe-
strahlung eine Röntgenisierungsleukozytose einsetzt, die etwa zwel
Stunden nach der Bestrahlung beginnt, im Laufe von 24 Stunden aber
860 Krüger,
wieder abklingt, so daß das Blutbild nach dieser Zeit zur Norm wieder
zurückgekehrt ist. Es ıst nun sehr wesentlich, daß diese Leukozytose,
wie die erwähnten Wiener Forscher fanden, zeitlich zusammenfällt mit.
dem Auftreten des Cholins im Blute, so daß nicht daran zu zweifeln ist,
daß zwischen diesen beiden Erscheinungen ein Zusammenhang besteht.
Da diese Leukozytose nun — wie wir in zahlreichen Untersuchungen nach-
weisen konnten, besonders ausgesprochen ist bei Bestrahlung der Abdomi-
nalregion, der Halsgegend (namentlich bei derBestrahlung der Halsdrüsen),
bei Bestrahlung des Thorax, der Achselhöhle und der Inguinalbeugen —
weniger stark, aber doch immerhin deutlich nachweisbar bei Extre-
mitätenbestrahlung — niemals aber von uns beobachtet wurde bei iso-
lierter Bestrahlung des Schädels (bei Epilationen), trotzdem gerade doch
hier relativ große Dosen zur Verwendung gelangen, so liegt die Annahme
nahe, daß es die Zellen des Ilymphoiden Gewebes (Lymphdrüsen, Darm-
follikel, Milz) sind, welche diese Erscheinung auslöst. Dieses Gewebe ist
außerordentlich strahlenempfindlich, so daß schon relativ geringe Dosen
genügen, um einen, wenn auch nur geringfügigen Zerfall des Iymphoiden
Gewebes herbeizuführen. Das dabei spurenweise auftretende Cholin
wirkt jetzt im Sinne einer Reizung auf die hämatopoetischen Organe,
so daß eine Hyperleukozytose resultiert. Der Beweis für die Richtigkeit
dieser Anschauung konnte dadurch erbracht werden, daß Cholin in ge-
ringen Dosen einem Tier in die Blutbahn gespritzt in der Tat zu einer Leuko-
zytose führt, die der beschriebenen Röntgenisierungsleukozytose analog
ist. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß genau wie die Hyper-
leukozytose auch die bekannten Allgemeinsymptome (Übelkeit, Er-
brechen, Mattigkeit), welche nicht nur bei Abdominalbestrahlungen, son-
dern auch bei Bestrahlung der Halsregion und anderer Körpergegenden,
wo lymphoides Gewebe getroffen werden kann, auftreten, auf einer Wir-
kung des aus zerfallenen Zellen sich abspaltenden Cholins beruht, eine
Anschauung, die ja auch von Christoph Müller vertreten worden ist und
dıe weiter an Wahrscheinlichkeit gewinnt durch die Erfahrung, daß die
Intensität dieser Allgemeinsymptome parallel zu gehen pflegt mit der
Größe des Zellzerfalls. Dieser ganze Vorgang ist also eine
Fernwirkung.
Mit diesen Ausführungen lassen sich die Beobachtungen, die man bei
der Radiotherapie der Leukämie machen kann und die ebenfalls für
eine Fern wirkung sprechen, sehr gut in Einklang bringen. Wir wissen
namentlich aus den Untersuchungen von Kienböck und Decastello,
daß die Beobachtungen, welche bei den Röntgenbestrahlungen der mye-
loiden Leukämie gemacht werden, sich ohne die Annahme einer Fernwir-
kung nicht erklären lassen. Es gelingt ja bei der Behandlung der myeloiden
Zur Frage der Fernwirkung der Röntgenstrallen, 861
Leukämie, durch alleinige Bestrahlung der Milz bezüglich der Gestaltung
des Blutbildes denselben Effekt zu erzielen, wie durch die gleichzeitige
Bestrahlung der übrigen bei der Leukämie in Funktion tretenden Blutbil-
dungsstätten (Knochenmark, Leber, infiltrierte Lymphdrüsen), es wird
infolgedessen angenommen, daß bei der Bestrahlung der Milz des Leu-
kämikers Substanzen auftreten, welche in die Zirkulation gelangen und
welche imstande sind, auch fernvon derRegion derdirekten
Strahlenwirkung im Sinne einer Verminderung der Wucherung des
nıyeloiden Gewebes, z. B. im Knochenmark und dadurch im Sinne einer
Hemmung der Neubildung von Leukozyten einzuwirken. Das es sich
hierbei um eine Wirkung des Cholins handelt, ist wohl das Wahrschein-
lichste, nachdem die Annalıme, daß bei dieser Wirkung Leukolysine im
Spiele seien, durch die Untersuchungen von Klieneberger und Zöppritz
widerlegt sind. Es handelt sich also nach dieser Anschauung bei dem
normalen Menschen um eine Anreizung, bei dem Myelämiker um eine
Hemmung der Leukopoese unter dem Einflusse des zirkulierenden Cholins.
Dieser Unterschied der Wirkungsweise erklärt sich natürlich zwanglos so,
daß bei dem Myelämiker in der röntgenbestrahlten leukämischen Milz
viel größere Zellmassen zerfallen, also auch viel größere Quantitäten
Cholin frei werden müssen und andererseits dieses letztere auf ein Organ
wirkt, das sich gegenüber der Norm im Zustand einer stark gesteigerten
Radiosensibilität befindet. Dieses Beispiel der myeloiden Leukämie ist
insofern lehrreich, als wir sehen, daß zweierlei erforderlich ist, damit es zu
einer solchen Fernwirkung kommt: Zunächst muß eine sehr intensive Ge-
webseinschmelzung vorliegen, so daB eine große Menge der in Wirkung
tretenden Substanzen frei werden und weiter muß das indirekt zu beein-
flussende Organ sehr röntyenempfindlich sein, damit das abgespaltene
Cholin eine nachhaltige Wirkung entfalten kann.
Fragen wir uns, wie weit eine solche Fernwirkung auch sonst in der
Therapie auftritt, so ist es dem Röntgenologen bekannt, daß die bei der
myeloiden Leukämie in Betracht zu ziehende Erscheinung für die
Iymphatische Leukämie schon nicht mehr zutrifft. Wird hier experi-
menti causa ein Drüsenpaket bestrahlt, ein anderes in der Nähe gelegene aber
ausgespart, so schwindet nur das erstere unter der Strahlenwirkung, das
letztere aber bleibt unbeeinflußt. Daraus ziehen wir Ja für die Behandlung
der lymphatischen Leukämie die praktische Konsequenz, alle nur irgend-
wie erreichbare Drüsen auf das energischste unter Kreuzfeuer anzugreifen,
mit einer Fernwirkung aber nicht zu rechnen. Theoretisch wäre diese
wohl möglich, in Wirklichkeit aber reicht hier in den allermeisten Fällen
das aus den bestrahlten Drüsen freiwerdende und in die Zirkulation ge-
langende Cholin nieht aus, um eine solche Fernwirkung herbeizuführen.
Le w
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 99
862 Krüger,
Ähnlich liegen die Erfahrungen in der Dermatotherapie, auch hier wird
eine Fernwirkung niemals beobachtet. Wenn wir z. B. bei einer Psoriasis
die Hälfte einer Effloreszenz mit Blei abdecken, die andere Hälfte aber
bestrahlen, so sehen wir nach einiger Zeit eine haarscharfe Grenze der
Wirkungszone: Die bestrahlte Partie der Effloreszenz ist verschwunden,
die mit Blei beschützte ganz unverändert. Da diese Erscheinung auch bei
hochempfindlichen Psoriasplaques zu beobachten ist, wo doch schon eine
geringe Fernwirkung genügen müßte, um den vor den primären Strahlen
geschützten Anteil der Plaque zu beeinflussen, so spricht das dafür, daß
hier eine Fernwirkung nicht in Betracht kommen kann: was nicht primär
betroffen wird, wird nicht beeinflußt.)
Für Jdie gynäkologische Therapie ist das Problem nicht gelöst. Es
ist wiederholt von einzelnen Autoren die Ansicht ausgesprochen worden,
daß fast bei jeder Bestrahlung eines beliebigen Körperteils, namentlich
aber bei Bestrahlung der Schilddrüse sich Menstrationsstörungen zeigen
und daß diese daher rühren sollen, daß sich in dem bestrahlten Gewebe
Toxine bilden, die dann durch den Kreislauf zu den Ovarien gelangen
und dort die Veränderungen bewirken. Diese Anschauung konnte von
Ritter durch systematische Untersuchungen an einem größeren Kranken-
material widerlegt werden. Bei insgesamt 30 Frauen, bei denen eine
Bestrahlung der Halsregion wegen Drüsentuberkulose indiziert war,
bei welchen aber die Bauchregion durch dicke Bleiplatten sorgfältig vor
direkter Strahlenwirkung geschützt wurde, konnte in keinem Falle, auch
bei wiederholter Bestrahlung und längerer Beobachtungszeit, eine auf
die Strahlenwirkung zu beziehende Menstruationsstörung festgestellt
werden. Wir glauben, daß diese Frage nur durch systematische Unter-
suchungen an einem großen Krankenmaterlal zu entscheiden ist. Eine
einzige Beobachtung, wie die z. B. von H. E. Schmidt jüngst publizierte
(Röntgenkalender 1913), daß nach einer Bestrahlung eines zehnpfennig-
stückgroßen Hautbezirkes an der großen Zehe mit einer mittelweichen
Röhre die Periode um 10 Tage verspätet eintrat, dann aber nach einer
zweiten Bestrahlung keine weitere Störung erlitt, kann natürlich, wie
Schmidt ja auch selbst zugibt, diese schwierige Frage nicht klären.
Auch Wetterer hat ganz ähnlich wie Ritter bei Bestrahlung tuberkulöser
Drüsen niemals Menstruationsstörungen gesehen, die auf eine Fern-
wirkung der Röntgenstrahlen zu beziehen gewesen wären.
Das vorliegende Thema hat aber nicht nur wissenschaftliches Interesse,
sondern es Ist auch von Bedeutung für die Ausgestaltung der röntgenolo-
gischen Methodik. Denn wenn wir eine Fernwirkung annehmen
t) Diese Beobachtung verdanken wir Dr. Hans Ritter, Hamburg.
Zur Frage der Fernwirkung der Röntgenstrahlen. 863
müßten, so wäre es vielleicht gar nicht nötig, die Strahlen z. B. auf
die Eierstöcke zu konzentrieren, sondern es würde genügen, nur in die
Nähe derselben zu kommen, um ebenfalls eine Wirkung zu erzielen — wir
brauchten also z. B. bei der Felderbestrahlung uns gar nicht so sehr um
die Lage der Ovarien zu kümmern, da ja, wenn die Ovarien nicht direkt
getroffen werden, man sich immer noch damit trösten kann, daß dann
wenigstens eine indirekte Wirkung auf dem Blutwege erfolgt. Aus diesem
Grunde schien es uns erwünscht, noch eine Reihe weiterer Studien im
Tierexperiment über diese wichtige Frage vorzunehmen und zwar wählten
wir als Versuchsobjekt die Testikel von Kaninchen, da sich diese Organe
für die Versuchsanordnung geeigneter erwiesen als die Ovarien und da
es Ja wohl gestattet ist, die hier zu erhebenden Befunde bis zu einem ge-
wissen Grade auch auf die weibliche Keimdrüse zu übertragen. Die Ex-
perimente wurden angestellt, um die Frage zu entscheiden, ob eine
äußerst intensive Bestrahlung der ganzen Umgebung des Sexual-
organes durch Fernwirkung auf dem Blutwege zu einer objektiv nach-
weisbaren Veränderung des letzteren führen kann. Zu diesem Zwecke
wurden die Testikel des Kaninchens vorgelagert und mit einer strahlen-
undurchlässigen 1 cm dicken Bleikapsel bedeckt. Der ganze Unter-
bauch des Tieres, Oberschenkel der Hinterbeine, sowie ein Teil der
Brust werden dagegen mit den größten für das Tier eben noch erträg-
lichen Strahlendosen beschickt. Es wurden drei Serien Tiere bestrahlt:
In Serie A. erhielten die Tiere die Dosis 80 X einer durch 2 mm
Aluminium gefilterten Strahlung.
In Serie B. erhielten die Tiere die Dosis 50 X einer durch 1 mm
Aluminium gefilterten Strahlung.
In Serie C. war die Dosis 100 X derselben Strahlung wie bei Serie B.
Diese Dosen wurden, soweit die Tiere die Bestrahlung vertrugen, nach
einer gewissen Zeit wiederholt. Starben die Tiere nicht spontan, so
wurden sie eine bestimmte Zeit nach der letzten Bestrahlung, also mit
Berücksichtigung der Röntgenlatenz getötet und die Testikel mikrosko-
pisch untersucht.
Trotzdem die Tiere — und zwar gleichzeitig die ganze Bauch- und
Brustregion und Extremitäten derselben — Strahlendosen bekommen
hatten, wie sie in dieser Intensität in der Therapie niemals möglich
sind, so zeigte die mikroskopische Untersuchung der mit Blei abge-
deckten Testikel sämtlicher getöteten oder an Entkräftigung zugrunde
gegangenen Tiere keine Spur einer degenerativen Veränderung der
Samenzellen: die Tubuli contorti sind vollgestopft mit Spermatozoen
und den Zellen der Spermiogenese. Von einer durch Fernwirkung
55*
864 Krüger,
bedingten Schädigang war trotz dieser enormen Strahlen-
dosen, welche auf die Umgebung des Sexualorganes appli-
ziert warden, nichts zu bemerken. Von einer funktionellen
Serie A.
1. Tier. 29. 11. 12: 30 X 2 mm Filter
15. 1. 13: 30 X 2 mm Filter
32. 3. 13: Tötung. Das Tier ist in der ganzen Zeit gesund und
munter gewesen. Außer einem mäßigen Haarausfall an
der Bauchseite und der Innenfläche der Oberschenkel
der Hinterbeine sind keine Veränderungen zu bemerken.
2. Tier. 15. 1. 13: 30 X 1 mm Filter
15. 2. 13: 50 X 1 mm Filter
14. 3. 13: Spontaner Exitus. Der Haarausfall ist etwas stärker
ausgeprägt als beim vorigen Tier.
Serie B.
1. Tier 9.
19.
13. 3. 13: Spontaner Exitus. Starker Haarausfall am Bauch und
Oberschenkeln. Das Tier war in der letzten Zeit nicht so
munter wie früher.
ph
. 13: 50 X 1 mm Filter
. 13: 50 X 1 mm Filter
DY
2. Tier Nicht zu verwerten.
Serie C.
1. Tier. 10. 1. 13: 100 X 1 mm Filter
19. 2. 13: Spontaner Exitus. Das Tier war sehr matt und sein
Allgemeinbefinden offenbar sehr beeinträchtigt. Starker
Haarausfall. Keine Ulcerationen.
2. Tier. 11. 1. 13: 100 X 1 mm Filter
12. 3. 13: Tötung. Starker Haarausfall. Keine Ulceration. Das
Tier war zwar nicht munter, machte aber keinen beson-
ders kranken Eindruck.
Prüfung, ähnlich wie Wertheimer?) sie an Mäusen vorgenommen
hat, mußte Abstand genommen werden, weil die Tiere zum Weibchen
gesetzt, nicht rammelten, hauptsächlich wohl deswegen, weil sie von
1) Zit. nach Gauß und Lembke, Tiefentherapie.
Zur Frage der Fernwirkung der Röntgenstrahlen. 865
der Bestrahlung sehr ermattet waren, vielleicht auch, weil keine Brunst-
zeit war.
Wir glauben, daß wir aus diesen Untersuchungen den Schluß ziehen
dürfen, daß die Bedingungen zum Zustandekommen einer Fernwirkung,
welche für die Therapie von Bedeutung sein könnte, nur unter ganz
besonders günstigen Umständen (Leukämie) gegeben sind, daß wir
aber gut daran tun, im übrigen mit der Annahme einer solchen Fern-
wirkung vorsichtig zu sein, jedenfalls aber, bevor sie nicht einwandsfrei
bewiesen ist, nicht darauf unsere röntgenologische Methodik zu basieren.
Aus dem Radiuminstitut für biologisch-therapeutische Forschung der könig-
lichen Charité, Direktor: Geh. Medizinalrat Professor Dr. W. His.
Der „Curie“-Umrechnungsfaktor für das Kohlrausch-
Loewenthalsche Fontaktoskop.
Von
Walter Neumann.
ur Messung von Radiumemanationsmengen und zur Bestimmung von
Radiummengen nach der Emanationsmethode eignet sich für medizi-
nische Zwecke, bei denen weitgehende Genauigkeit nicht erreicht zu werden
braucht, besonders gut das Fontaktoskop in derGestalt nach Kohlrauseh-
Löwenthal. Neben der einfachen Handhabung des Apparats und der
speziell für den Transport an verschiedene Orte äußerst bequemen Gestalt
der Kannen, kommt die Wohlfeilheit der letzteren sehr zu statten, denn
selbst bei vorsichtigem Arbeiten leiden die Zerstreuungsgefäße raseclı
durch ‚Infektion‘ und müssen häufig erneuert werden. Dieser Umstand
bedeutet z. B. bei dem sonst zweifellos wesentlich vollkommeneren Mache-
Meyerschen Fontaktometer eine weit empfindlichere Belastung des
Laboratoriumsbudgets. Das Ansteigen des Normalverlustes tritt selbst
bei Kannen auf, die ausschließlich zur Messung des Emanationsgehaältes
von Emanatorien benutzt werden. Eine Erklärung hierfür findet sich
wohl darin, daß bei dem Ausblasen der Emanation aus den Radiunilö-
sungen durch den Luft- bzw. Sauerstoffstrom winzige Tröpfchen aus der
Lösung mitgerissen werden und dann in der Emanationsatmosphäre
schweben bleiben. Bei der Messung des Emanationsgehaltes gelangen
diese Tröpfchen in das Meßgefäß, setzen sich an den Wandungen ab und
geben zur Bildung einer Haut von Radiumsalz Veranlassung. Auf solche
Weise verdorbene Zerstreuungsgefäße sind selbst mit vieler Mühe kaum
wieder in ihren ursprünglichen, nicht-leitenden Zustand zurückzuver-
setzen.
In einer Hinsicht allerdings bietet das Kohlrausch-Löwenthalsche
Fontaktoskop einen gewissen Nachteil; es besitzt eine Gestalt, die es
unmöglich macht, ohne weiteres aus der beobachteten Stromstärke auf
die im Apparat enthaltene Emanationsmenge zu schließen, mit anderen
Worten, für die unvollkommene Ausnutzung der Strahlung zu korrigieren,
wie dies die Duane-Labordesche Formel für zylindrische, gewisse
Dimensionsverhältnisse nicht überschreitende Gefäße in ausreichendem
Neumann, Der „‚Curie“-Umrechnungsfaktor. 867
Maße gestattet. Daher bleibt nur der Weg der empirischen Eichung
mittels bekannter Radiumemanationsmengen übrig. Ist der Umrechnungs-
faktor einmal gewonnen, so gestattet er für alle Apparate dieser Art durch
einfache Multiplikation mit der beobachteten Stromstärke (nicht dem
Voltabfall pro Stunde!) die Emanationsmenge in Curies, oder bei ent-
sprechender Umrechnung natürlich auch in Mache-Einheiten, zu erhalten.
Es war der Zweck der hier mitgeteilten Messungen, diesen Umrechnungs-
faktor zu ermitteln. Die erforderliche Radiumstandardlösung ist mir
von Herrn Geheimrat Marckwald in liebenswürdigster Weise zur Ver-
fügung gestellt worden, wofür ich auch hier besten Dank aussprechen
möchte.
Verfahren. Eine bestimmte Menge der Standardlösung wurde in
einem Jenaer Glaskölbehen ca. 20 Minuten lang ausgekocht, um die Ema-
nation vollkommen zu vertreiben, die Lösung hierauf in ein Maßkölbchen
Messungsergebnisse.
A. Kanne enthält nur Emanationsluft (kein Wasser).
Elektroskop Anzahl Curies Beob. Stromstärke Stromstärke, die von einem
Nr. in der Kanne in elektr. Einheiten Curie hervorgebracht wird
3083 3,66 x 10-9 0,0119 3,25 x 106
24 , 0,0078 8,27 „
3399 3,21 x 10-9 0,0098 3,07 x 106
3,36 5 0,0105 3,12: »
3400 3,95 x 10-9 0,0122 3,08 x 106
320 , 0,0120 302 „
61 „ 0,0209 312 „
228 „ 0,0078 341 „
8,88 „ 0,0129 34 „
3401 3,96 x 10-9 0,0121 3,06 x 106
7,34 j 0,0227 310 ,
376 , 0,0119 3,18 ,
3787 8,65 x 10-9 0,0126 3,45 x 106
236 „ 0,00850 392 „
11 „ 0,00672 352 „
3788 8,39 x 10-9 0,0113 8,34 x 106
35 „ 0,0133 84 „
3% 0.0180 327,
214 , 0,00736 34 5
3,05 „ 0,0103 8,37 „
3338 „ 0,0115 342
218 p 0,00715 8,27 „
751 „ 0,0244 825 n
Gesamtmittel aller Vers. 3,30 x 106+ 0,02
868 Neumann,
übergespült und auf ein bestimmtes Volum gebracht. Von der so herge-
stellten Lösung wurden 2 bis 10 ccm in kleine Jenaer Glasgefüße eın-
pipettiert, die aus dünnwandigen Glaskugeln mit angeschmolzenen, etwa
10 cm langen Glasröhren bestanden. Nach dem Beschicken der Kugel
wurde das Glasrohr abgeschmolzen und die auf diese Weise luftdicht ab-
geschlossene Lösung wurde dann zur Emanationsansammlung eine be-
stimmte Zeit lang aufbewahrt und hierauf zur Messung verwandt. Alla
benutzten Glaskolben, sowohl die zum Auskochen wie auch die zum Ver
dünnen und Aufbewahren verwendeten, waren sorfältig mit Kalıum-
bichromat-Schwefelsäure behandelt, mit destilliertem Wasser reichlich
nachgewaschen und dann mindestens 20 Minuten lang ausgedämpft
worden. Zur Messung des Ionisationsstromes wurden die zugeschmolzenen
Kölbehen in der 2-Liter-Kanne, die mit einem stanniolüberzorenen
Gummistopfen verschlossen war, zertrümmert. Die Messung erfolgt
stets nach 81/, Stunden. Mithin beziehen sich sämtliche hier mitgeteilten
Zahlen auf den maximalen lonisationsstrom. Die Zimmertemperatur
lag zwischen 19 und 23°. Sie ist im Mittel zu 20° angenommen worden.
Von den sechs benutzten Elektroskopen ist das eine bereits mehrere
Jahre in Gebrauch, allerdings 1912 von der Firma Günther und Teget-
meyer neu geeicht, die Apparate 3399, 3400 und 8401 waren im Frühjahr
1912, die Elektroskope 38787 und 3788 ganz neu (Sommer 1913) bezogen.
B. Kanne enthält !/, 1 Wasser.
Elektroskop Anzahl Curies Beob. Strome Stromst. d.v. 1 Curie Der Wert der vorigen Kolonne
Nr. in der Kanne stärke hervorgebr. wird. st.E. für Wasserabsorption kornıert
8083 3,96 x 10-9 0,0113 [2,85 x 10°] [2,93 x 10°]
3788 327, 0,0123 3,31 x 108 3,43 x 10%
3788 35 „ 0,0121 3.08 „ 17x „
C. Kanne enthält Y1l Wasser.
Elektroskop Anzahl Curies Beob. Strom» Stromst. d. v. 1 Carie Der Wert der voriren Kolonne
Nr. in der Kanne stärke hervorgebr. wird. st. E. für Wasserabsorption kornstert
3188 2,27 x 109 0,0069 3,03 x 10° 3.23 x 10%
8788 888 „ 0,0113 293 „ 312 „
D. Kanneenthält 11Wasser.
Elektroskop Anzahl Carios Beob. Strom- Stromst. d. v. 1 Curie Der Wert der rorizen Klonna
Nr. in der Kanne stärke hervorgebr. wird. st. E. für Wasserabsorption kurriziert
3788 2,00 x 10-9 0,00565 2,82 x 10° 3,32 x 10
3788 236 5 0,00630 2,67 x 108 3,15
je den bedeutenden Schwankungen der Resultate war es zur Er-
zielung eines zuverlässigen Mittelwertes nötig, eine beträchtliche Anzahl
von Versuchen auszuführen. Auf diese Weise aber ist der wahrscheinliche
Fehler des Mittelwertes der Zahlen unter A auf + 0,02 heruntergedrückt.
Für die Ermittlung der Werte unter B, C und D konnten leider nicht
Der „Curie“-Umrechnungsfaktor. 869
ebenso viele Versuche angestellt werden. Indessen fallen die für die Wasser-
absorption korrigierten Werte (abgesehen von dem eingeklammerten
ersten unter B) ganz in das Bereich der auch mit leeren Kannen gefundenen
Zahlen und überdies liegen die beiden Werte für 1 1 Wasser, in welchem
Falle die Abweichungen am größten sein sollten, immer noch ganz dicht
bei dem Mittelwert für leere Kannen. Deshalb darf man wohl annehmen,
daß die relative Ausnutzung der Strahlung in den Kannen bis zum Gehalt
von 1 1 Wasser nicht nennenswert varliert, so daß man den unter A ge-
fundenen Mittelwert von 8,80 x 106 st. E. pro Curie auch bei Unter-
suchungen von Flüssigkeiten in Mengen bis zu 1 1 benutzen darf, natürlich
unter Korrektion für die von der Flüssigkeit absorbierte Emanations-
menge. Für Wasser von 20° ist oben, bei der Berechnung der Werte unter
B, C und D der Absorptionskoeffizient gleich 0,245 gesetzt worden.!)
Um eine gewisse Kontrolle des Eichverfahrens zu gewinnen, sind auch
einige Messungen mit dem Engler-Sievekingschen 10 l-Fontaktoskop
ausgeführt worden.
Elektroskop Anzahl Curies Bob. Stromstärke S Carlo hervorgebr, Laborde schen Formel
Nr. in der Kanne in elst. Einheiten wird, elst. Einheiten ber. Wert
3400 3.96><10—-9 0.0191 4.82><106
8.76 „ 0.0198 5.28 „
3401 3.96 „ 0.0222 5.62 „
8.08 „ 0.0446 555 „
325 „ 0.0188 6.87 „
3399 745 „ 0.0422 5.68 „
7.63 „ 0.0399 5.24 „
Mittelwert 5.44 „, 5.39><106
Die Zahlen stimmen mit dem theoretischen, d. h. mit Hilfe der
Duane-Labordeschen Formel berechneten Wert in befriedigender Weise
überein. Bei der Berechnung ist der Einfachheit halber von der Kegel-
förmigkeit des oberen Teils der Gefäße abgesehen worden. Während hier,
bei dem Engler-Sievekingschen Fontaktoskop, theoretischer und prak-
tischer Wert demnach miteinander im Einklang stehen, gilt dies nicht
mehr für das Fontaktoskop nach Kohlrausch und Löwenthal. Hier
findet man mit Hilfe der Duane-Labordeschen Korrektur den Wert
4,57 x 106 st. E. für ein Curie anstelle des experimentell gefundenen
3,30 x 10%, also eine beträchtliche Abweichung. Im Hinblick auf die
besondere Gestalt der Löwenthalschen 2-Liter-Kanne ist diese Ver-
schiedenheit allerdings nicht verwunderlich.
Anwendung des gefundenen Umrecehnungsfaktors auf die
Berechnung der Resultate.
—_
ı) Interpoliert aus den Angaben von R. W. Boyle, Phil. Mag. 22,840 (1911).
870 Neumann, Der „Curie“-Umrechnungsfaktor.
Man findet das Resultat, ausgedrückt in Curies
1. für Emanationsluft
a) aus der beobachteten Stromstärke, durch Division mit 3,3 x 108,
Stromstärke
8,3 x 108 '
b) aus dem beobachteten Voltabfall pro Stunde nach der Formel
(Voltabfall pro Stunde) x (Kapazität des Elektroskops)
300 x 3600 x 3,3 x 106
also Curies =
Curies =
2. Für Lösungen
a) aus der beobachteten Stromstärke nach der Formel
en Stromstärke [V— v (1—«)]
Curies = g 106 x (Vy)
b) aus dem beobachteten Voltabfall pro Stunde nach der Formel
, (Voltabfall pro Stunde) x (Kapazität) [V—v (1—«)]
Ma 300 x 3600 x 8,8 x 10° (V—y) i
wo V das Volum der ,2-Liter-Kanne“, v das eingefüllte Flüssigkeits-
volum und a den Absorptionskoeffizienten der Flüssigkeit für die Radium-
emanation bedeuten.
Will man das Resultat in Mache-Einheiten umformen, so ist der für
1 1 Luft bzw. 1 l Flüssigkeit gefundene Emanationsgehalt in Curies
mit 2,75 x 10° zu multiplizieren. Dieser Faktor ergibt sich durch Multi-
plikation der von einem Curie pro Sekunde ausgeschleuderten Anzahl
a-Teilchen 3,4 x 101°, der von einem a-Teilchen der Emanation insgesamt
erzeugten Anzahl Ionen 1,74 x 105 und der Ladung eines Ions 4,65 x 10.
st. E.}) und schließlich durch Multiplikation mit 1000.
1) Rutherford, Radioactive Substances and their Radiations 1913. Seite
140 und 164. |
Aus der Universitätsfrauenklinik Freiburg (Direktor: Geheimrat Krönig)
and dem pathologisch- anatomischen Institut der Universität Freiburg
(Direktor: Geheimrat Aschoff).
Über die Ovarialveränderungen bei Mäusen und Kaninchen
nach Cholininjektionen.
Von
cand. med. Maria Paula Sommer.
(Mit 3 Abbildungen.)
B“ der Bedeutung, die die Chemotherapie und besonders die chemi-
sche Imitation der biologischen Strahlenwirkung im Cholin neben
der Radium- und Röntgenbestrahlung gewinnt, scheint es von Interesse,
das Resultat einiger, besonders für die Gynäkologie wichtiger Experi-
mente mitzuteilen.
Werner, der wohl über die größten Erfahrungen auf diesem Gebiete
verfügt, hat in zahlreichen Publikationen über die Wirkung des Cholins
auf tierisches und menschliches Gewebe genau berichtet, besonders was die
Wirkung auf die Haut, den Hoden und die Geschwulstzellen des Sarkoms
und Karzinoms anbelangt. Der Durchführung ausgedehnter Versuche
an Mensch und Tier stand die Giftigkeit des Cholins im Wege, bis es
Werner gelang, im Borcholin ein ungiftiges und doch wirksames Cholin-
präparat zu finden. In den Organismus in Form von teils intravenösen,
teils subkutanen Injektionen eingeführt, übt das Cholin eine spezifische
Wirkung auf proliferisierende Gewebe aus. Wie Cholin speziell auf die
weiblichen Geschlechtsorgane wirkt, ist bisher noch nicht sicher festge-
stell. Daß ein Einfluß auf die Schwangerschaft vorliegt, steht fest, nur
sind die Ansichten über die Art der Wirkung geteilt. Einerseits soll es
sich um eine direkte Einwirkung des im mütterlichen Blute kreisenden
Cholins (v. Hippel und Pagenstecher) auf den Fötus handeln, anderer-
seits wird von einer monatelangen Sterilität bei den mit Cholin gespritzten
Kaninchen berichtet (Werner), was die Annahme einer direkten Ein-
wirkung auf das Ovarium unterstützen würde.
Da Angaben über die Einwirkung von Cholin auf das Ovarium, so-
weit ich die Literatur übersehe, noch nicht vorliegen (abgesehen von einer
Arbeit von Hippels und Pagenstechers, in der sie mitteilen, daß
die Ovarien ihrer Versuchstiere nur normale Verhältnisse aufgewiesen
872 Sommer,
hätten), so wurden an der Freiburger Frauenklinik auf Anregung von
Professor Gauß Untersuchungen angestellt, inwieweit durch Cholin-
injektionen Ovarialveränderungen bewirkt werden können.
Untersucht wurden eine Reihe von Mäuse- und Kaninchenovarien.
Die Mäuse wurden teils subkutan, teils intraperitoneal, die Kaninchen
intravenös gespritzt, benutzt wurde eine t/,—1 proz. Borcholinlösung.
Die Tiere gingen teils spontan zu Grunde, teils wurden sie in einem be-
stimmten Zeitintervall getötet. Auf die nähere Methodik wird in einer
ausführlichen Arbeit eingegangen werden. Einige der bis jetzt erhobenen
Befunde sollen hier mitgeteilt werden.!) Die in Formalin gehärteten und
in Paraffin eingebetteten Präparate wurden mit Hämat. Eosin gefärbt.
| Maus Nr. 1. 0,0055
Cholin subkutan. Spon-
tantod nach 8 Tagen.
Im Ovarium befinden
sich zahlreiche Follikel
dicht nebeneinander.
Die Gefäße sind prall
mit Blut gefüllt. Im
Ovarium finden sich an
den Follikelepithelien
dergrößerenFollikelau-
Berordentlich schwere
Zellveränderungen, die
in Desquamation de
Epithels und Kernde-
generation (Kernwand-
sprossung) bestehen.
In manchen Follikeln
ist von dem Ei über-
Fig. 1. haupt nichts mehr zu
Der Reifung naher normaler Follikel der Maus. sehen, die oberste Epi-
thelschicht des einen
Follikels ist an manchen Stellen vollkommen nekrotisch. Die Eier in den
Primordialanlagen sind kernlos, die der kleineren zeigen einen deut-
lichen Kern.
Maus Nr. 2. 0,005 g Cholin intraperitoneal. Spontantod nach
15 Tagen. Zahlreiche wohlausgebildete Follikel. Die Blutgefäße sind
prall gefüllt. Die Primordialeier erscheinen unverändert. An einem
1) Auf dem Kongreß für Gynäkologie, Halle Mai 1913, wurde ein Teil dieser
mikroskopischen Präparate von Professor Gauß demonstriert.
Ovarialveränderungen bei Mäusen u, Kaninchen nach Cholininjektionen. 873
Follikel findet sich eine
leichte Degeneration der
Zellen der Theca follieuli
interna.
Das andere Ovarium
zeigt schwerere Verände-
rungen. Der eine Pol
des Organs istin nekroti-
sche Massen umgewandelt,
in denen noch die Folli-
kelzeichnung zu sehen ist.
Ein breites venöses Ge-
fäß zieht mitten durch
die nekrotischen (post-
mortal?) Massen in das
Ovarium ein. In den
Zellen der Theca folliculi
interna findet sich Kern-
degeneration und leichte
Desquamation. An dem
interstitiellen Gewebe ist
nichts besonderes festzu-
stellen. Die Eier in den
wohl ausgebildeten Folli-
keln sind kernlos.
Maus Nr. 3. 0,01 g
Cholin intraperitoneal.
Nach 4 Tagen getötet.
Zahlreiche Follikel in al-
len Stadien der Reifung.
Ovarialstroma ohne we-
sentlicheVeränderung, da-
gegen an den Eiern auffal-
lende hydropische Schwel-
lungen, Chromatolyse und
reichliche Degeneration
des Follikelepithels. In
den Follikeln stark dege-
nerierte Eier. Auffallen-
der Weise in einem Folli-
kel mit bereits ausge-
Fig. 2.
Infolge sukutaner Cholininjektion entstanden schwere
Destruktion des Follikels. a) Ei und 5) Epithel.
Fig. 3.
Detail von Figur 2. a) Karyolyse in Form der
Kernwandsprossung an den Epithelien deutlich
zu sehen. 5) Ein Teil der Zellen nur noch im
Umriß sichtbar, also vollkommen nekrotisch.
c) Rest des Eies.
874 | Sommer,
sprochener Epitheldegeneration ein Ei mit gut erhaltener Zona pellucida
und schön ausgeprägter Kernspindel.
Maus Nr. 4. 0,015 g Cholin subkutan. Nach 4 Tagen getötet. Das
Ovarium enthält zahlreiche Follikel. Die Gefäße sind prall gefüllt. In
den größeren Follikel findet sich sowohl Desquamation des Epithels wie
tropfige Degeneration der oberen Zellschichten. Die Eier erscheinen
hier und da kernlos, gefaltelt. Die geringsten Veränderungen finden sich
an den Ureiern.
Maus Nr. 5. 0,015 g Cholin intraperitoneal. Nach 4 Tagen getötet.
Das Ovarıum enthält zahlreiche Follikel mit Eiern. Die Eier sind meist
kernhaltig. Die Follikelepithelveränderungen sind meist nicht sehr
hochgradig. -
Maus Nr. 6. 0,02 g Cholin subkutan. Nach 8 Tagen getötet. Hier
finden sich neben einigen Corpora lutea auch Follikel mit Desquamation
Kerndegeneration. Die Veränderungen sind nicht sehr ausgesprochen.
Kaninchen Nr. 1. 0,505 g Cholin. In Einzeldosen bis zu 0,025 g
Cholin während 6 Wochen. 10 Tage nach der letzten Injektion getötet.
Zahlreiche Primordialeier und Graafsche Follikel. Während an den
Primordialfollikeln kaum Veränderungen irgend welcher Art nachzu-
weisen sind, finden sich schwere Desquamation und Kerndegeneration
in den wohlausgebildeten Follikeln. In einem Follikel ist von der Theca
folliculi interna überhaupt nichts mehr außer dem Colliculus oophorus
vorhanden. Im übrigen ist nur eine nekrotische Masse als Überrest der
früheren Theca folliculi interna zu sehen. Der ebenfalls aus stark degene-
rierten, aber noch nicht vollkommen nekrotischen Zellen bestehende
Colliculus oophorus enthält in seinem Zentrum eine Lücke für das Ei, als
dessen Überreste vielleicht stark geschrumpfte Massen angesprochen
werden können. Daneben sind vollerhaltene Eier ohne Kerndegeneration
vorhanden.
Kaninchen Nr. 2. 0,505 g Cholin intravenös in Einzeldosen bis
zu 0,025 g Cholin während 6 Wochen. Getötet 20 Tage nach der letzten
Injektion. Das Ovarium enthält zahlreiche Ureier und Primordialfollikel.
Die vollausgebildeten Graafschen Follikel zeigen schwerste Zellverände-
rungen der Epithelien der Theca folliculi interna. Hier finden sich so-
wohl Zelldesquamation wie Kerndegeneration in der Form von Kern-
wandsprossung und zwar geht diese Kerndegeneration bis zu den Zellen
der Theca folliculi externa hindurch. Die Zellen der Theca folliculi ex-
terna sind scheinbar unverändert. An einer Stelle findet sich ein Follikel,
in dem ein Ei nicht zu sehen ist, der aus einem Kranz der Zellen der Epi-
tlielien der Theca follieuli externa besteht, der das Zellkonglomorat der
inneren Epithelien umschließt. Die Zellen der Theca folliculi externa
Ovarialveränderungen bei Mäusen u. Kaninchen nach Cholininjektionen. 875
scheinen hier gequollen, in wirrer Anordnung; Zelldegenerationen sind
nicht zu sehen. Dieselben finden sich jedoch in ausgesprochenem Maße
an den Zellen der Follikelepithelien. Eier sind übrigens in den vollent-
wickelten, aber jetzt Degenerationszeichen aufweisenden Follikeln häufig
nicht zu sehen.
Kaninchen Nr. 3. Dieselbe Dosis, wie 1 und 2, getötet 30 Tage
nach der letzten Injektion. Ovarium mit zahlreichen Ureiern und Graaf-
schen Follikeln. Im Follikelepithel der Ureier finden sich viele Kern-
teilungsfiguren. Obwohl das Epithel der ausgebildeten Follikel zerrissen
erscheint, findet sich in ihm wenig Kerndegeneration, dagegen sind auch
im Follikelepithel zahlreiche Kernteilungsfiguren zu sehen. In diesem
Ovarium werden daher im allgemeinen die schweren Degenerationserschei-
nungen der Theca folliculi interna vermißt. Es finden sich vielmehr
ausgesprochene Proliferationsvorgänge in dieser Zellschicht. Eier sind
in den vollausgebildeten Follikeln nicht zu sehen.
Kaninchen Nr. 4. 0,275 g Cholin in Einzeldosen bis zu 0,06 g
während 12 Tagen. Getötet am 1. Tag nach der letzten Injektion. In
diesem Ovarium sind relativ wenig Ureier vorhanden. Vor allem fallen
die besonders diekwandigen Gefäße in der Substanz des Ovariums auf.
Die vollausgebildeten Graafschen Follikel, die nur in geringer Anzahl
vorhanden sind, zeigen ausgesprochene Veränderung des Follikelepithels,
Desquam ation und Kerndegeneration.
Aus den vorliegenden mikroskopischen Befunden der Ovarien der
mit Chokin gespritzten Mäuse und Kaninchen geht folgendes hervor:
Während das Stroma des Ovariums keine wesentlichen Veränderungen
aufweist, finden sich in manchen Follikeln, ganz besonders in den am
meisten ausgereiften, ausgesprochene Veränderungen, die sowohl das
Ei wie das Follikelepithel betreffen. In solchen Follikeln findet sich ent-
weder ein stark verändertes Ovulum oder dasselbe fehlt ganz. Bei letzte-
rem Befund kann ein Kunstprodukt nicht mit Sicherheit ausgeschlossen
werden; immerhin besteht eine große Wahrscheinlichkeit, daß es sich
um eine spezifische Veränderung handelt, da in normalen Ovarien solche
Bilder vermißt wurden. In dem Protoplasma sehr vieler Ovula findet
Sich ausgesprochene Vakuolenbildung des Protoplasmas, hochgradige
hydropische Schwellungen, ferner Lösungserscheinungen. Die größten
Veränderungen zeigen die Zellen der Theca folliculi interna. Hier sind
Starke Kerndegenerationen der gequollenen Follikelepithelzellen, haupt-
sächlich in der Form der Kernwandsprossung und Pyknose vorhanden.
In den sehr häufig aus ihrem Zusammenhang gelösten Zellen finden sich
mehrere kleinere und größere tropfige Gebilde umgewandelter Chroma-
tinsubstanz, die sich mit Hämatoxylin tief dunkelblau färben. Die
3 Sommer, Övarialveränderungren bei Mäusen und Kaninchen usw.
, B
Primordialfollikel zeigen anscheinend keine stärker hervortretenden Ver-
änderungen; doch bedürfen die etwaigen feineren Strukturstörungen
der Protoplasma- und Kernsubstanz der Eier in den Primordialfollikeln
noch der genaueren Analyse.
Wenn es auch keinem Zweifel unterliegt, daß auch im normalen aus-
gereiften Follikelepithel sich Degenerationen in Form der beschriebenen
Kernwandsprossung findet, so sind diese physiologisch vorkommenden
Degenerationserscheinungen im Verhältnis zu denen der Cholinovarien
so gering und verschwindend, daß die ausgesprochenen Follikelepithel-
und Eischädigungen der letzteren mit außerordentlich großer Wahrschein-
lichkeit, soweit aus den bisherigen wenigen Tierexperimenten geschlossen
werden darf, als Cholinwirkung anzusehen sind. Wir können das umso-
mehr, als die beschriebenen Degenerationserscheinungen fast die gleichen
sind, wie sie nach Röntgen- und Radiumbestrahlung aufzutreten pflegen,
zumal wir wissen, daß Cholin auf andere Zellen des tierischen Organismus,
die Geschwulstzellen, fast gleichartig wie Röntgen- und Radiumbestrah-
lung wirkt. Übrigens ist die Cholinwirkung auf die Zellen des Hodens
schon von anderer Seite (Werner u. a.) einwandfrei festgestellt worden.
Es ist bei Durchsicht der durch Cholininjektion erzeugten mikro-
skopischen Ovarialveränderungen vielleicht auffallend, daß bei kleiner
Dosis, aber längerer Lebensdauer des Versuchstieres post injectionem
sich hochgradigere Follikelveränderungen finden, als bei größerer Dosis
und kürzerer Lebensdauer post injectionem. Auch hier läßt sich ohne
weiteres feststellen, daß die mikroskopischen Veränderungen an den
Ovarien, genau so wie an dem Hoden, erst nach einer verhältnismäßig
langen Latenzzeit in Erscheinung treten. Eventuell könnte man auch
eine individuelle Resistenzfähigkeit gegen die toxische Wirkung des
Cholins auf die Follikelzellen annehmen. Diese Frage bedarf natürlich
noch der näheren Untersuchung. Jedenfalls dürfte aus obigen Versuchen
hervorgehen, daß Cholininjektionen eine spezifische Wirkung auf das
Ovarıum der Maus und des Kaninchens haben.
Daß wir aus obigen mikroskopischen Befunden auch therapeutische
Schlüsse ziehen mußten, war ohne weiteres klar. Wir haben an einer
Reihe von Myomen und Metropathieen die Cholinbehandlung durchge-
führt, deren Resultate in einer späteren Publikation mitgeteilt werden
sollen.
Zur Würdigung des Aufsatzes von Prof. Dr. Anton Sticker-Berlin
„Radium- und Mesothoriumbestrahlung“
Strahlentherapie Band III, Heft 1.
Von
A. Bickel.
In dem Aufsatze „Radium- und Mesothoriumbestrahlung“ (Strahlentherapie
Bå. III, H. I.) schreibt Anton Sticker einführend von seinem Werke: „Die
begonnene Arbeit soll ein Gegengift für die vielen inhaltsleeren radiologischen
Schriften sein, mit denen in Deutschland mehr als in den Nachbarländern die
medizinische Literatur überschwemmt ist... .* `
Ein Vergleich des von mir verfaßten Kapitels „Radioaktive Stoffe und
Fermente“ in dem von P. Lazarus herausgegebenen Handbuch der Radium-
Biologie und Therapie mit dem Kapitel „Strahlenwirkung auf Fermente“
aus der Stickerschen Arbeit belehrte mich nun, daß Sticker sein Gegengift im
wesentlichen mit Hilfe der Papierschere erzeugt hat. Wort für Wort sind ganze
Sätze, sind ganze Abschnitte meiner Arbeit von Sticker abgedruckt worden,
ohne auch nur durch Anführungszeichen oder sonst einen Hinweis kenntlich
gemacht zu sein, daß es sich um wörtlichen Abdruck handele.
Auch ein Vergleich anderer Abschnitte der Stickerschen Arbeit mit den
entsprechenden Kapiteln aus dem Lazarusschen Handbuch zeigte, daß dieSticker-
sche Papierschere noch an anderen Stellen dieses Handbuches arg gewütet hat.
Außerdem hat Sticker aber auch Arbeiten von Curie, Bayet, in analoger
Weise benutzt. Nach dieser Methode ist es wirklich leicht, viele bogenstarke
Arbeiten ausgezeichneter Qualität in kurzer Frist zusammen zu schneidern.
Man kann ja nicht verlangen, daß man jedes Handbuch zitiert, aus dem
man Gedanken, die man in neue Worte kleidet, resümiert. Aber wenn man ganze
Abschnitte eines Handbuchartikels wörtlich abdruckt, in dem unter bekanntem auch
neues Tatsachenmaterial zusammengefaßt wird und bei dem diese Zusammen-
fassung zur Erschließung neuer Erkenntnisse geführt hat — eine solche Erkenntnis
tindet sich in dem Stickerschen Aufsatz z. B. im Sperrdruck — dann ist es
billig, — und das ist der Kernpunkt der ganzen Sache — daß man den betreffenden
Verfasser auch als Urheber des ganzen Artikels zitiert und ihn nicht nur an
denjenigen Stellen (der Kopie) mit Namen nennt, an denen er selbst im Original
in der ersten Person von sich spricht.
Mit der Verurteilung des Stickerschen Vorgehens stehe ich überdies nicht
allein, sondern auch die anderen geschädigten Autoren, wie Degrais, Bayet,
Lazarus, Neuberg fühlen sich in gleicher Weise beeinträchtigt.
Erwiderung.
Meine in der Strahlentherapie veröffentlichte Arbeit zerfällt in zwei auch
äußerlich schaıf getrennte Teile. Der I. Teil betitelt sich „Theoretische Grund-
lagen der Radiumbestrahlung in der Heilkunde“, der II. Teil „Praktische An-
wendung der Radium- und Mesothoriumbestrahlung in der Heilkunde.“
Der II. Teil war als selbständige Arbeit im Manuskript fertig und war für
die Strahlentherapie bestimmt; er bringt eigene Erfahrungen und Gedanken in
diesem schwierigen neuen Gebiet nebst 31 Originalabbildungen.
Als die mächtige Radium- und Mesothoriumbewegung in Deutschland, die
auch heute noch fortflutet, einsetzte, sah ich voraus, daß von mancher Seite die
Bestrahlungstherapie mit radioaktiven Substanzen als eine ausgebaute Disziplin
angesehen werden würde und daß zu diesem Irrtum auch die von mir mitgeteilte
Technik wesentlich beitragen könnte. Dies war mein Motiv, als Schwergewicht
einen theoretischen Teil vorauszuschicken und dem denkenden Arzt den gewaltigen
Umfang der neuen Disziplin vor Augen zu führen.
Ich bedaure in jeder Weise, daß sich im I. Teile, welcher nur ein Sammel-
referat darstellen soll, ganze Sätze und Abschnitte ohne Namennennung aus
anderen wissenschaftlichen Arbeiten vorfinden, um so mehr, als ich dadurch an-
gesehene, von mir hochgeschätzte wissenschaftliche Forscher aufgebracht habe
und dies doch so leicht hätte vermieden werden können, und ich erkenne die
Berechtigung der von Bickel im vorletzten Satz seiner Erklärung gemachten
Ausführungen im vollen Umfang an.
A. Sticker.
LLY 2L