Skip to main content

Full text of "Strahlentherapie 3.1913"

See other formats


mn aa 


-Á Á- a | 





STRAHLENTHERAPIE. 


Mitteilungen 
aus dem Gebiete der Behandlung mit 


Röntgenstrahlen, Licht und radioaktiven Substanzen. 
Zugleich 


Zentralorgan 
für die 
gesamte Lupusbehandlung und Lupusbekämpfung. 


eines —— 


In Gemeinschaft mit 


Professor Dr. Bickel, Primarius Dr. Jungmann, Priv.-Doz. Dr. R. Kienböck, 
Berlin Wien Wien 
Dr. $. Löwenthal, Oberarzt Dr. Axel Reyn, Dr. H. E. Schmidt, 
Braunschweig Kopenhagen Berlin 


herausgegeben von 


Professor Dr., W. Falta, Professor Dr. C. J. Gauß, 
Wien Freiburg i. Br. 
Priv.-Doz. Dr. Hans Meyer, Professor Dr. R. Werner, 
Kiel Heidelberg. 
Band Ill. 


Urban & Schwarzenberg, 


Berlin N. 24 ‚Wer I 
Friedrichstr. 105 B. © Maxmilian.tr. 4. 
1913. a 


Weimar. -- Druck von R. Wagner Sohn. 


Inhaltsverzeichnis. 


Prof. Dr. Albers-Schönberg, Referat über die gynäkologische Tiefentherapie 
(Myome). Internat. Medizin. Kongreß, London 1913. Mit einem Nachtrag 
über die Entwicklung der „Hamburger Technik‘ 


Dr. A. Bayet, Professor der Dermato-Syphiligraphie an der Universität Brüssel, 
Die Behandlung des Krebses mittels Radium. . 


Dr. Beclere-Paris, Die Röntgenbehandlung der Hy E E des 
Gigantismus und der Akromegalie. (Mit 11 Abbildungen) 

Dr. Beclere und Henri Beclere-Paris, Die radiotherapeutische Behandlung 
der Leukämie Bee ee ee aa er Sata & 


Dr. J. Belot, Vizepräsident der Gesellschaft der medizinischen Radiologie in 
Paris. Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit (Mitl Abbild. ) 


Aus der Kgl. Universilätsklinik f. Hautkrankheiten in Kiel. 
(Dir. Prof. Dr. Klingmüller.) 
Prof. Dr. Fr. Bering, Über die Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der 
Zellen durch die Lichtstrahlen. Untersuchungen an den roten Gänse- 
blutkörperchen . Ba ee Ar 


Prof. Dr. Ferd. Dian enthale Scheinbarer Erfolg bei einem Fall von 
Krebs durch Kombination der Atoxyl- und Strahlentherapie 


Dr. G. Bucky, Über die optisch korrekte Ablesung von A Se bei 
Röntgenstrahlendosimetern. (Mit 3 Abbildungen) 


Prof. Dr. O. de la Camp-Freiburg i. Br., Über Strahlentherapie der experi- 
mentellen und menschlichen Lungentuberkulose. (Mit 1 Abbildung) . 


Privatdozent Dr. Christen, Die Be en n für die S 
der Röntgenstrahlen . ; 


P. Degrais-Paris, Radiumbehandlung des Rhinophymas 


Aus dem Laboratoire biologique du Rudium in Paris. 
Dr. Degrais und Pasteau-Paris, Die and der Prostatatumoren durch 
das Radium de 
Dr. Delherm, Die RW der Ischias 


H. Dominici-Paris, Die Rezeptivität der normalen und pathologischen Gewebe 
für die Radiumbestrahlung Be er er en eek 


Privatdozent Dr. E. Engelhorn, Über den derzeitigen Stand der Strahlen- 
therapie in der Gynäkologie 


Aus der K. K. Radiumstation im allgem. Kenne in Wien (eiter: Prof. 
Dr. Gustav Riehl). 
Dr. phil. A. Fernau, Dr. med. Schramek und Dr. med. I Über 
Wirkung von Polonium 


Dr. Foveau de Courmelles, Die Ronen und Radiumstrahlen in der a 
kologie. 1. Teil: Die Röntgenstrahlen 


Aus der Universitäts-Frauenklinik Freiburg i. Br. (Direktor: Geh. Hofrat 
Prof. Dr. Krönig). 


Prof. Dr. C. J. Gauß, Zur Technik der Eu a 
(Mit 16 Abbildungen) in Ber a aar BE ale. Aether ee ; 


19,0 
Co oa d Y 


216 


333 


388 


348 


Aus dem Laboratorium für Radioaktivität in Gif. 
Dr. Giraud-Chantilly (Oise), Untersuchung über die Absorption der y-Strahlen 
des Radiums durch einige organische Substanzen. (Mit 1 Abbildung) 
Aus der experimentell-biologischen Abteilung des Kgl. Pathologischen Instituts 
der Universität Berlin. 
Dr. D. Grineff-Charkow, Über die biologische Wirkung des Mesothoriums. 
Der Einfluß des Thorium X auf die Gerinnung des Blutes 
Ausd. Kgl. Untversitätsfrauenklinik zu Berlin ( Dir.: Geheimrat Prof. Dr. E. Paina: 
Dr. P. Haendly, Die Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlen auf 
das Karzinom, den Uterus und die Ovarien . . . : 2 2 2 2 2.0. 


Dr. Haenisch-Hamburg, Ein Fall von durch Een lung günstig | be- 
einflußtem Mediastinaltumor. (Mit 2 Abbildungen) . 


Dr. Haret-Paris, Assistent am radiologischen Laboratorium des Hospitals Saint- 
Antoine. Die an der ap op durch die Radio- 
therapie 

Aus dem ah nöloglchin RS der k. k. Hochschule ja Bodenkultur in Wien. 

Walther Hausmann, Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatopor- 
DHRYEIDE 2. nn. 8 ee ee ce A er 


Ingenieur Georg er ern Der Betrieb von en mit dem Gas- 
unterbrecher. 

Aus der Kgl. Univ. Frauenklinik i in Breslau ia Geh.-R. Prof. Dr. O. Küstner. 

Privatdozent Dr. Fritz Heimann, Zur Röntgentiefentherapie. . . ... . 


Aus der Frauenklinik der Universität Tübingen (Vorstand: Professor Sellheim). 
Privatdozent Dr. Ernst Holzbach, Theoretisches und Praktisches zur Röntgen- 
bielentherapie: 2. = =. ung u 2 See, ee ee Wan 


Dr. Jaugeas, radiotherapeutischer Assistent am Hospital ; Saint-Antoine. 
Einige Betrachtungen über die Röntgentherapie der Uterusmyome . . 
Aus der Kgl. Frauenklinik zu Göttingen. 
Prof. Dr. Ph. Jung, Zur Mesothoriumbehandlung von Genitalkarzinomen. .. 
Aus dem Laboratorium der deuischen Gasglühlicht- Aktiengesellschafl Berlin 


B. Keetmann und M. Mayer, Gesichtspunkte für die Mesothorium-Therapie 
“us dem Radiologischen Institut der Allgemeinen Poliklinik in Wien. 


Priv.-Doz. Dr. R. Kienböck-Wien, Über die Verwendung der nn 
Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen . . . . . 2 2 2.2.0. 


Dr. Franz Kirchberg, Röntgenschädigungen u. ihre rechtliche Beurteilung 
Aus der Kol. gynäkologischen Universitätspoliklinik München. 

Prof. Dr. Gustav Klein, Erfolge der Röntgenbehandlung bei Karzinom des 
Uterus, der Mamma und Övarien. (Mit 1 Tabelle u. Tafel IV—VI) 


Fr. Klingelfuß-Basel,. Das Sklerometer, seine physikalischen Grundlagen und 
seine Verwendung bei der Röntgenstrahlen-Therapie. (Mit 24 Abbild.) 


Prof. Dr. W. Kloster-Leiden (Holland), Über die direkte onen von 
Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium . . . . . 
Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik Greifswald. 
Prof. Dr. P. Kroemer, Über die Einwirkung von Röntgen- und Mesothorium- 
strahlen auf maligne Neubildungen der Genitalien. m 9 DE NOGEN 
und Tafel I-1lIl) . . a u e a n g 
Aus der Universitäts-Frauenklinik Freiburg i. Br. 
Prof. Dr. Krönig-Freiburg i. Br., Die Strahlentherapie in der Gynäkologie. 
Ausdem Institut für Strahlenbehandlung der Kgl. Dermatalogischen Klinik in Kiel 
(Dir.: Professor Dr. Klingmüller, Leiter des Instituts: Privatdozent Dr. Meyer). 


Dr. R. Krüger-Kiel, Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz mit 
besonderer Berücksichtigung der Sekundärstrahlenwirkung. (Mit 3 Abb.) 


Seite 


82 


94 


300 


621 


112 


124 


276 


445 


246 


145 


260 


772 


582 


226 


429 


839 


Dr. R. Krüger-Kiel, Zur Frage der Fernwirkung der Röntgenstrahlen . 


Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Kiel (Dir.: Prof. Stoeckel). 
Dr. E. Langes, Erfahrungen mit der Röntgenbehandlung bei Myomen und 
Metroopäthien. = , un am. wie ae a ee 


W.S. Lazarus-Barlow, M. D., F.R. C. P.-London, Die Wirkung radioaktiver 
Substanzen und deren Strahlen auf normales und pathologisches Gewebe 


Prof. Dr. Max Levy-Dorn, Zur Wirkung der Röntgenstrahlen auf maligne 
Geschwülste. (Mit 2 Abbildungen) . . . ».: 2 2 2 2 2 2 2200. 
Aus der Klinik der tierärztlichen Hochschule zu Hannover. 

Dr. W. Liebert-Hannover, Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. . . 


Prof. Dr. med. et phil. P. G. Mesernitzki, Einige neueste Angaben über die An- 
wendung der Radiumemanation bei Gicht . . . . 2». 2 2 2.2.2.0. 


Dr. Christoph Müller, Die Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren 
und ihre Kombinationen . . . » 2: 2 N Er ren 


Aus dem Radiuminstitut für biologisch-therapeutische Forschung der Kgl. Charite. 
(Dir.: Geh. Medizinalrat Prof. Dr. W. His.) 


Dr. Walter Neumann, Der „„Curie“-Umrechnungsfaktor für das Kohlrausch- 
Loewenthalsche Fontaktoskop. . . . » 2 2 2 a 


Dr. Th. Nogier, Das Radiochromoskop, ein Apparat, der eine exakte 
Schätzung der Röntgenstrahlendosen unter immer vergleichbaren Be- 
dingungen gestattet. (Mit 2 Abbildungen) . . . . 2222200. 

Aus der Frauenklinik der Universität Gießen. 

Prof. Dr. Erich Opitz, Randbemerkungen über Unterstützung und Ersatz der 

Strahlenbehandlung bösartiger Geschwülste . . . . 2... 
Aus der chirurgischen Klinik der Universität Kiel. 

Dr. 0. H. Petersen, Assistenzarzt, Die Dauerheilungen von Sarkomen durch 

Röntgenstrahlen. (Referat) .: >: 2: Kr ren“ 
Aus der medizinischen Klinik der Universität Berlin. 
Dr. phil et med. Ludwig Pincussohn-Berlin, Über die Einwirkung des Lichtes 


auf den Stoffwechsel. (Mit 4 Abbildungen) . . . . . 2 2 2220. 
Prof. Dr. O. Polano-Würzburg, Ein Kasten zur Entwicklung der Kienböck- 
films bei Tageslicht . . ». . saoao aa a 


Prof. L. Renon, Dr. Degrais und Dr. L. Dreyfus-Paris, Radiumtherapie der 
myeloiden Leukämie . . . . aaoo a a 


dus der Abteilung für Haut- und Geschlechtskranke des allgem. Krankenhauses 
„St. Georg‘‘ Hamburg (Oberarzt Dr. Arning). 

Dr. Hans Ritter, Sekundärarzt der Abteilung, Die Röntgenbehandlung des 

Ekom 5. 4 ee et er een a an aa Ak a A 

Aus den Verhandlungen der Royal Socteiy of Medicine, Section für Elektrotherapie. 

S. Russ, Die im tierischen Gewebe entsteh. Sekundärstrahlen. (Mit 4 Abbild.) 


Aus d. Radiuminstilut d. Kgl. Charite (Dir.: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. W. His). 
V. Salle und A. von Domarus, Zur biologischen Wirkung von Thorium X 


Dr. H. E. Schmidt-Berlin, Die Unzulänglichkeit der üblichen Schutzvorrich- 
tungen in den Röntgeninstituten . . . asos sos a e e a 


Aus der urologischen Abteilung des Katser-Franz-Josef-Ambulatoriums in Wien. 


Dr. Hugo Schüller, Abteilungsvorstand, Zur Technik der Radium-Meso- 
thoriumbestrahlung in der Urologie. (Mit 6 Abbildungen) . . .. . 


J. H. Sequeira, Die Finsenlichtbehandlung am London-Hospital 1900—1913 
H. Sieveking-Karlsruhe, Über Quellenmessung . . . sasoca aea’ 


Seite 
860 


287 


365 


210 


159 


579 


177 


866 


165 


251 


490 


644 


711 


551 


599 


308 


89 


-] 
DD 
tv 


531 
343 


Aus der Universitäts-Frauenklinik Freiburg (Dir.: Geheimrat Krönig) und dem 

pathologisch-anatomischen Institut der Universität Freiburg (Dir. Geh.- Rat Aschoff). 

Cand. med. Maria Paula Sommer, Über die Ovarialveränderungen bei Mäusen 
und Kaninchen nach Cholininjektionen. (Mit 3 Abbildungen) . 

Dr. E. Speder, Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis 

Aus d. chirurg. Klinik d. Universität Berlin (Dir.: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bier) 

und a. d. Radiuminstitut d. Kgl. Charite (Leiter: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. His). 


Prof. Dr. A. Sticker-Berlin, Radium- und Mesothoriumbestrahlung. Ihre 
theoretischen Grundlagen und ihre DECS nr in der Heil- 
kunde. (Mit 45 Abbildungen) T 


Prof. Dr. A. Sticker-Berlin, Die T E der Krebse auf der 
HI. Internationalen Konferenz für Krebsforschung . . . . . 


Prof. Dr. A. Sticker- ru en der SEERE durch statische 
Elektrizität . . . . > 2 2 2 2 nen Ek 


Dr. Arthur Strau en Die äußere Tuberkulose, spez. Hauttuberkulose 
und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). (Mit 28 Abbild.) 


Dr. Thedering-Oldenburg, Über die Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems 


Aus dem Sanatorium Solbad Rappenau für Knochen-, Gelenk- und Drüsenleiden. 
(Leitender Arzt: Professor Dr. Oskar Vulpius, Heidelberg). 


Prof. Dr. Oskar Vulpius-Heidelberg, Über die Behandlung der E 
Tuberkulose mit natürlichem und künstlichem Licht f 
Aus dem Physikal. Staatslaboratorium zu Hamburg. 
Prof. Dr. B. Walter, Die E des Bleies und En anderer 
Stoffe .. Ne da es 
Aus der Kgl. Frauenklinik Dresden Dilor. Bir, Dr. E. Kehren), 
Dr. Fritz Weitzel, Erfahrungen mit der Röntgen-Tiefentherapie. 


Prof. Dr. E. Wertheim-Wien, Radium und Uteruskrebs . 
Aus dem Laboratorium für Radiumbiologie in Paris. 
Louis Wiekham, unter Mitwirkung von Dr. Anselme Bellot, Die durch 
Strahlen hervorgerufenen histologischen Gewebsveränderungen . . . 
Aus dem Laboratoire biologique du Radium. 
Dr. Wickham und Dr. Degrais-Paris, Kann das Radium der Chirurgie irgend- 
welche Dienste bei der Behandlung maligner Tumoren leisten ?. . 
Aus dem Laboratoire biologique du Radium in Paris. 
Dr. Wickham, Dr. Degrais und Dr. A. Bellot-Paris, Über die Einwirkung 
des Radiums auf gewisse hypertrophische Veränderungen der Epidermis 
Prof. Dr. von Zeynek, Die wissenschaftlichen Grundlagen der Thermopene- 
tration oder Diathermie . . 2 2 soso o a u e l 


Seite 


871 
314 


451 


137 


651 
620 


104 


Qı 
D&D 
-] 


Aus der Chirurgischen Klinik der Universität Berlin (Dir.: Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. Bier) und aus dem Radiuminstitut der Kgl. Charit& (Leiter: 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. His.) 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 
Ihre theoretischen Grundlagen und ihre praktische Anwendung in 
der Heilkunde. 


Von 
Professor Dr. Anton Sticker in Berlin. 


(Mit 45 Abbildungen.) 


Einleitung. 
as Studium der Strahlungen des Radiums und seiner verwandten Stoffe, 
deren Entdeckung bis zum Jahre 1896 hinaufreicht und an die 
Namen Becquerel und Curie unvergeßlich verknüpft ist, hat Ergebnisse 
von größter Tragweite nicht nur auf dem Gebiete der Chemie und Physik, 
sondern auf dem gesamten Wissensgebiete der tellurischen Natur bis hin- 
auf zur kosmischen gezeitigt. 

Von den großen Schwierigkeiten, die Forschungen dieser neuen exakten 
Wissenschaft auf die Geschehnisse der belebten Natur zu übertragen, sind 
der Biologe und der Arzt nicht zurückgeschreckt. In der kurzen Spanne 
Zeit von 17 Jahren wurde nicht nur ein wissenschaftlicher Einblick in 
die unsichtbaren, bisher unerklärlichen Kräfte mancher Heilquellen ge- 
wonnen, sondern es wurden auch mittels einfacher Bestrahlung bei un- 
heilbaren Leiden Erfolge erzielt, welche berechtigte Hoffnungen erwecken, 
neben dem blutigen Messer eine neue mildere Richtung der Therapie 
wieder zu finden. 

Quellgeist und Talisman! Welche verlockenden Worte für die 
leidende Menschheit! Aber die Sache des Arztes ist es, die Wissenschaft 
immer wieder zum Worte kommen zu lassen und den Aufschwung phan- 
tastischer Hoffnungen auf den Boden nüchterner Tatsachen zurückzuführen, 
empirische Funde einer wissenschaftlichen Erklärung zu unterwerfen. 

Vorliegende Arbeit hat sich zum Ziele gesetzt die theoretischen Grund- 
lagen und die praktische Anwendung der Radium- und Mesothoriun- 
bestrahlung in der Heilkunde einer erschöpfenden Besprechung zu unter- 
ziehen, aber nur die strahlenden Wirkungen der in Behälter eingeschlossenen 
Radium- und Mesothorsalze. Eine Darstellung der unmittelbaren Wir- 
kungen der radioaktiven Substanzen, wie sie nach Aufnahme ihrer gasigen 

Strahlentherapie Band III, Heft 1. 1 


> 


f: 
.r 
m 
pr’ 
D 
' 


Zerfallzprodukte. der sogenannten Emaratien. und nach Einverleibung 
ihrer geiösten Salze im Organismus sich geltend machen. also eine Dar- 
stellung der internen Radium- urd M-»tzomumtherapie, überlasse ich 
dazu berufenerer Feder. 

Einen klinischen Teil hofe ich bald dem theoretischen und praktischen 
folgen zu lassen und verweise zur Zeit auf meine ausführliche Arbeit im 
Grundriß der Radiumtberapie ven Lüwentbal. welche durch ein um- 
fassende 
weist. 

Die begonnene Arbeit soil ein Geaenzift für die vielen inhaltleeren 
radivlogischen Schriften sein. mit denen in Deutschland mehr als in den 
Nachbarländern die medizinische Literatur überschwemmt ist. in denen 
freilich ..die Begeistisung des Tannenkwizes” sich auch forterhält. 


m 


Literaturverzeichnis sich dem Forscher und Arzte nützlich er- 


t 


Inhaitsverzeichnis. 
I. Teil. Theoretische Grunċiagen der Raiium- unè Meserhoriumbestrahlung 
in. der Heilkunde 2.2.2: ann wa o a e e o E e o a A 


o 


© 


A. Physikalische Eigenschaften der ra.lioaktiven Substanzen. 
Der Begriff der Radioaktivität . . .» 2... 
Die radioaktiven Substanzen Ha:ioeremenie und ihre Familien . . 
Transformation der Raliise.emente . l. 2 2 on re. 
Energiestrahlung der Radive.erente. . 2. 2 2 N nr ne. 
Lebensdauer der Radivelemente . . . 2 2 2 2 2. re ou 
Deünnition der «-, 3- und y-Strahlen . . . > 2 2 2 2 nn ne 


O OU e o 


CIs 


Reichweite und Absorption der racisaktiven Strah.en. — a a-Strah- 
lung. — Reichweite 5 — Haliwertschicht % — Totale Ab- 
sorption 9. — b 23-Straiien. — Geschwindiskeit 9%. — Halb- 
wertschicht 10. — Absorption 10. — cı y-Strabien. — Durch- 
drinzungsverm'zen 11. Absorption. — Ha.dwertschicht 12. 

Sekundäre Stralung l4. — Intensität 15. — Verreichung der 
sekundären R'ntzrenstrah.ung 15. 

Cherische Wirkungen der radicaktiven Substanzen. — a: Auf an- 
orzanische Körper 15. — b Avf organische Körper s biologische 
Wirkungen 32. 


jr 
=! 


Fiuoreszenzvermözen der ralioaktivren Substanzen. » . 2 2 22. 


Iorisationsverieszen der radioaktiven Substanzen. . ». 2 22... B 
Vergieichende Ionisation der Röntgenstrablen . » 2» 2 2 20.0 2 
Wärmwmeentwieklung durch radivaktive Sahbstanzen . . .... 0 2l 
Köntzen- und Sam ‚en ah ET. as he Tal, ey a i a 2] 
Weilen- und Korpuskolarstrah ung . . 2.. . ; > 


Messiniesmetuoden: a ralivgraphische >. — b\ fiuoroskopische 27. 
— 1, @entrische 27. — à thermische I. 
B. Bi .ori-che Wirzunzen der radioaktiven Substanzen. 
Anxemeine Wirkung Ger komp.exen Strahlung auf organische Sub- 


Etarnzen ga ca n nS 


30 


. . . e. . . . . . . e. . æ . . e . . 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 3 


Wirkung der Sekundärstrahlung . . . 3i 
Besondere Wirkung der Strahlen auf organische Babstanizemn: a) su 
einfache organische Substanzen 32. — b) auf Fermente 32. — 


c) auf niedere Organismen, insbesondere Krankheitserreger 34. — 
d) auf lebende Zellen und lebendes Gewebe des normalen tierischen 
Organismus 37. — Latenzzeit 38, — Absorptionsvermögen der 
Gewebe 40. — e) auf pathologisches Gewebe. — Elektive Wir- 
kung 41. — Histologische Veränderungen 42. — Stufenleiter der 
Empfindlichkeit 43. — Biologische Unterschiede zwischen Radium- 
und Mesothoriumbestrahlung 44. 


II. Teil. Praktische Anwendung der Radium- und ee 


in der Heilkunde . . . a a 47 
Präparate. — Biologisch irkaiıne Mengen 49. 
Apparatur. — a) Platten 52. — b) Röhrchen 53. — c) Filter 54. 
Hilfsinstrumentarium 57. — Messungsbestimmungen 60. 


Methodik. — «) Oberflächenbestrahlung 61. — 8) Fernbestrahlung 62. 
— y) Tiefenbestrahlung 62. — d) Kreuzbestrahlung 63. 


I. Teil. 


Theoretische Grundlagen der Radiumbestrahlung in der Heilkunde, 
A. Physikalische Eigenschaften der radioaktiven Substanzen. 

Radioaktivität. 
stanzen beobachtete Eigenschaft der Materie. Die radioaktiven Substanzen 
sind Quellen von Energie, deren Abgabe sich durch mannigfaltige Wirkungen 
offenbart: durch Emission von korpuskulären Strahlungen, Wärme, Licht 
und Elektrizität. Diese Energieabgabe ist wesentlich an das 
Atom der Substanz gebunden und erfolgt spontan, d. i. 
ohne eine uns bekannte Ursache. 

Die radioaktiven Substanzen (Radioelemente). — Nach dem 
gegenwärtigen Stande unseres Wissens gibt es 30 Radioelemente; von 
diesen sind 3 gasförmig: die Radiumemanation, die Thoriumemanation und 
die Aktiniumemanation; die übrigen sind feste Körper. 

Die wichtigsten Radioelemente sind gleichzeitig die Elemente mit den 
höchsten Atomgewichten: Radium 226,5, Thorium 232, Uran 239. _ 

Die Radioelemente lassen sich in vier große Familien, die des Urans, 
des Thoriums, des Radiums und des Aktiniums, unterbringen. Ihnen 
schließen sich noch zwei äußere schwach radioaktive Elemente an, das 
Kalium und Rubidium. 

Die Radioelemente finden sich in der Natur in äußerster Verdünnung. 
Von den stark radioaktiven Stoffen hat nur das Radium in Form reiner 
Salze isoliert werden können. In den daran reichsten Erzen ist diese 
Substanz im Verhältnis von einigen Zentigrammen in der Tonne enthalten. 

]* 





4 Sticker, 


Es existieren keine unveränderlich radioaktiven Substanzen, sondern 
eine jede von ihnen erleidet im Verlauf der Zeit einen mehr oder minder 


raschen Zerfall. 


Thorium 2 Uran 
Aktinium Mesothorium 1 8 Radiouran 
Mesothorium 2 = Uran X 
Radioaktinium Radiothorium 5 Jonium 
= Aktinum X 2 Thorium X Radium 
5 A-Emanatin 5 Th-Emanation R.-Emanation 
8 g 2 Radium A 
4 Aktinium A E Thorium A 5 Radium B 
2 Aktinium BB 5 Thorium B ‘g Radium C 
Aktinium B, Thorium C 3 
Š Radium D 
Aktinium C Thorium D Radium E 
Radium F 


Die Familien der Radioelemente sind so angeordnet, daß die Glieder mit über- 
einstimmenden Eigenschaften in derselben Horizontalreihe stehen. 


Radioaktiver Niederschlag der 
Emanation rasch zerfullend 





zweier Radioelemente aus der- 
selben Muttersubstanz beobachtet 
worden. 

Das Ergebnis der Trans- 
formation besteht im allgemeinen 


en [6 Jahre Aadıum D 


Fig. 1. 


Transformation. — Die Ele- 
mente einer Familie sind durch ge- 
meinschaftliche Abstammung verbun- 
den; sie wandeln sich eins in das 
andere um. 

Die Transformation scheint 
immer derart vor sich zu gehen, daß 
eine radioaktive Substanz nur eine 
einzige neue radioaktive Substanz her- 
vorbringt. In keinem Falle ist bis 
jetzt die gleichzeitige Entstehung 


3 


AađiumÉ; 


6Tage 


Langsam zerfallender 
Niederschlag 





Kaskadenförmiger Zerfall des Radiums. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 5 


darin, daß Elemente von immer schwächerem elektropositivem Charakter 
sebildet werden. 

Strahlende Energie. — Die Umwandlung des einen Elementes 
in das andere erfolgt unter Ausbruch von strahlender Energie, 
welche mit æ-, B- und y-Strahlung bezeichnet wird. 

So bildet sich aus dem Uran nach einigen Tausenden von Jahren 
durch Abstoßung von «-Teilchen allmählich das Radium und aus diesen 
unter fortgesetzter Abgabe von «-Teilchen ein gasförmiges Element, die 
Radiumemanation, die sich ihrerseits wieder stufenweise in eine Reihe fester 
Zerfallsprodukte, das Radium A,B,C,D, Eund Fumwandelt. Vorstehende 
Tabelle gibt eine Übersicht des kaskadenförmigen Zerfalles des Radiums. 

Je schneller nun die Transformation erfolgt, um so größer ist in der 
Regel die Reichweite der abgestoßenen «-Teilchen. Auch die ß-Teilchen 


zeigen um so größere Ge- 
schwindigkeit, jeschneller 100 
ie Umwandlung verläuft. LT t- Ei 
KU, TEE 
N ve s 
A 





me 77 







Die Emission der «- u 
und 5-Strahlen entspricht 
einer spontanen Entbin- 
dung von Elektrizität. 










3 
Dieser Zerfall bzw. 3 | Ned, | I I; 
lese Umwandlung der $ 2 Gran 
Radioelemente geschieht rar In Pe 
nach ganz bestimmten e 8 0 NR mh t 
mathematischenGesetzen, Tage Fig. 2. 
ile graphisch in Expo- Exponentialkurven der Entwicklung und des Zer- 


nentialkurven sich dar- falls der Radiumemanation. 


stellen lassen. (Fig. 2.) 

Lebensdauer. Die Lebensdauer der Radivelemente schwankt von 
enigen Sekunden bis Millionen Jahren. Die Zeit, in welcher sich die Radio- 
elemente zur Hälfte umwandeln, bezeichnet man als die Halbwertperiode. 

Folgende Tabellen geben die mittlere Lebensdauer und die Natur der 
Strahlung der einzelnen Radioelemente an. 





Definition der drei Strahlenarten der radioaktiven Substanzen. 
x-Strahlen oder positive korpuskuläre Strahlung, d. s. Heliumatome 
nit positiver Ladung (9,3. 10-10 elektrostatische Einheiten oder 3,1 . 10-1? 
Csulomb): ihre Anfangsgeschwindigkeiten betragen 15000 bis 23000 Kilo- 
meter in der Sekunde. 
%-Strahlen oder negative korpuskuläre Strahlung, d. s. Elektronen 
nit negativer Ladung (4,65 . 10-10elektrostatische Einheiten oder 1,55. 10-19 


6 Sticker, 


Coulomb); ihre Größe !/,.00 des H-Atomes; ihre Geschwindigkeiten 100 000 
bis 300000 Kilometer in der Sekunde; zu vergleichen den Kathoden- 
strahlen. 

y-Strahlen = Ätherstrahlungen, keine ausgeschleuderten materiellen 


Elemente 
Aktinium 
Radioaktinium 
Aktinium X 
A. Emanation 
Aktinium A 
Aktinium B 
Aktinium B, (?) 


Aktinium C 


Elemente 





Thorium 


Mesothorium 1 


Mesothorium 2 


Radiothorium 


Thorium X 


Th. Emanation 


Thorium A 


Thorium B 


Thorium C 


Thorium D 


Die Aktiniumfamilie. 





mittl. Lebensdauer 


etwa 30 Jahre 


19,5 


Tage 


10,2 Tage 
39 Sekunden 
0,002 Sekunden 
36 Minuten 


21 Minuten 


4,71 Minuten 


Die Thoriumfamilie. 





mittl. Lebensdauer 


1,3 - 101° Jahre x 
5,5 Jahre — 
6,2 Stunden BHY 
2 Jahre x 
3,65 Tage x+ p 
54 Sekunden Xx 
0,14 Sekunden x 
16,6 Stunden B+Yy 


60 Minuten 


P+Y 


3,1 Minuten 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 7 


Die Uranfamilie. 


Elemente mittl. Lebensdauer | Strahlung 


Uran 1 5 -10° Jahre a 
Uran 2 106 Jahre (?) a 
Uran X 24,6 Tage B +y 
J oäiim 2.105 Jahre (?) & 
Radium 2000 Jahre æ + B 


Die Radiumfamilie. 


Elemente mittl. Lebensdauer | Strahlung 














Radium 2000 Jahre x + B 
Ra. Emanation 3,85 Tage x 
Radium A 3 Minuten a 
ina B 26,8 Minuten B +y 
Radium C 19,5 Minuten æ + B+ y 
Radium D 16,5 Jahre B 
Radium E 85 Tage B +y 
Radium F 136 Tage x 
(Polonium) 


Teilchen wie die «- und ß-Strahlen; sie sind den Röntgenstrahlen 
vergleichbar. 


Wir ersehen aus obiger Definition, daß die «- und ß-Strahlen 
korpuskulärer Natur sind und sich durch das Vorzeichen ihrer Ladung 
voneinander unterscheiden, während die y-Strahlen wahrscheinlich einen 
rein elektromagnetischen Vorgang im Äther vorstellen. Die Unterschiede 
zwischen den «- und ß-Strablen haben ihren Grund in der ungleichen 
Größe der Teilchen und ihrer kinetischen Energie; das «-Teilchen ist ein 
komplizierteres Gebilde als das ß-Teilchen, seine Energie ist im allgemeinen 
größer und seine Bewegung stabiler, bis zu dem Augenblick, in dem es 
die kritische Geschwindigkeit erreicht, wo es dann aller Wahrscheinlichkeit 


8 Sticker, 


nach seine Ladung verliert und von den Gasmolekülen in seiner Bewegung 
aufgebalten wird. Seine Dimensionen sind im Vergleich zu denen eines 
ß-Teilchens sehr groß; sein Durchdringungsvermögen ist viel geringer als 
das der ß-Teilchen von mittlerer Geschwindigkeit, obwohl die Energie der 


letzteren bedeutend 
Sun Gr 


kleiner ist. 





ihrer verschiedenar- 
tigen Natur lassen 
sich die drei Strah- 
lenarten im magne- 
tischen Felde aus- 
Fi einanderziehen, wie 
g. 8. , 

Vergleich zwischen den «- und #-Strahlen des Radiums. Untenstehendes Bild 
(Fig. 4)erkennen läßt. 

Die Reichweite und die Absorption der radioaktiven Strahlen. 
Die drei Strahlenarten der radioaktiven Substanzen besitzen eine verschie- 
dene Reichweite und erleiden eine verschiedene Absorption, weshalb eine 
getrennte Besprechung erfolgt. 

@-Strahlung. Die «-Partikelchen werden auf ihrer Bahn bald ge- 
bremst und verlieren dabei an Geschwindigkeit. Hat diese einen unteren 

Grenzwert (von etwa 5.10° 
Y cm/sek.) erreicht, so verschwin- 
den die radioaktiven Eigen- 
schaften und sie unterscheiden 
sich durch nichts von ungela- 
denen Heliumatomen. 

Die Distanz, bei welcher 
dieser Grenzwert erreicht wird, 
heißt die Reichweite (r). 

Die Reichweite der x«- 


Fig. 4. Strahlen ist für jedes Radio- 
Die drei Strahlengattungen des Radiums element eine unterschiedliche, 
durch ein starkes magnetisches Feld beein- 
flußt. 


Entsprechend 
—— 


i 
\ 








| 
| 





wie aus nachfolgender Tabelle 
(S. 9) hervorgeht. 

Die Reichweite der «-Strahlen in verschiedenen Substanzen ist um- 
gekehrt proportional deren Dichte (d). 

Die Dichte der Luft, bezogen auf Wasser = 1, beträgt 0.00129. Die 
Reichweite der «-Strahlen in der Luft verringert sich also im Wasser um 
das Tausendfache, woraus folgt, daß in Körpern von der Dichte des 
Wassers oder von größerer Dichte nur die «-Strahlung von Thorium C, 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 9 


eine Reichweite von !/,, mm (genauer 0,10965 mm) aufweist. Alle 
anderen «-Strahler besitzen eine geringere Tiefenwirkung als 
',mm. Schon dünne Schichten von Papier, Aluminium, Staniol schirmen 
daher die &-Strahlen ganz ab. 


Reichweite der «-Strahlen in der Luft bei Zimmertem- 
peratur (15° C.) 


Tlorium-C, 8.60 cm Thorium-X 4,30 cm 
Radium-C 6,57 „ Aktinium-X 4,40 „ 
Aktinium-A 6,50 „, Radiıum-Emanation 4,16 „, 
Thorium-A 570 „ Radiothorium 3,87, 
Aktinnum-Emanation 5,70 „, Radium-F (Polonium) 3,77 „ 
Aktinium-C 5,40 „, Radium 3,30 „ 
Thorium-Emanation 5,00 „ Jonium 3,00 , 
Thorium C, 4,80 „ Uran 2 290 y 
Radium-A 4,75 „ Thorium 2,72 „ 
Radioaktinium 4,60 „, Uran í 2,50  , 


Halbwertschicht. Eine 4,3 cm dicke Luftschicht schwächt die 
Strahlung zur Hälfte (absorbiert die Hälfte). Totale Absorption. 
Eine 5 cm dicke Luftschicht und '/,, mm dicker Aluminiumschirm heben 
die x-Strahlung auf (absorbieren vollständig). 

#-Strahlung. Die Geschwindigkeit der ß-Strahlen ist 10 mal größer 
als die der «-Strahlen; ihre Durchdringungskraft schon enorm; mehrere 
Milimeter starke Metallplatten werden durchschlagen. 

Je nach ihrer Herkunft zeigen die 3-Strahlen ein verschiedenes Durch- 
dringungsvermögen. 

Die Halbwertschicht für die verschiedenen ß-Strahler ist aus folgender 
Tabelle ersichtlich. 


Halbwertschichten des Aluminiums für die 3-Strahler: 


Radium © 05 mm Aluminium 
Thorium D 0,441 „, sr 
Mesothorium II 0,34 „, 

Aktinnum D 0,24 ọn ò 
Radium E 0.16 „ 5 
Radium B 0,09  „ “ 
Thorium C, 0,05 ,, & 
Aktinium C 0,04  „ 4 


Die Absorption der ß-Strahlen folgt einem Exponentialgesetze von der 
Formel J=J,e=ul, wo px den Absorptionskoeffizienten, J, die Intensität 


10 Sticker, 


der Strahlung ohne Absorption. J die Intensität nach Absorption durch 
die Schichtdicke l] und e die Basis der natürlichen Logarıthmen bedeutet. 
Die Absorption wächst im allgemeinen mit der Dichte und mit steigen- 
dem Atomgewicht der Elemente. Bei Lösungen und zusammengesetzten 
Verbindungen erweist sich die Absorption im wesentlichen als eine additive 
Funktion der Bestandteile. 

Halbwertschicht. Ein Aluminiumblättchen von 0.5 mm Stärke 
setzt die Intensität der %-Strahlung des Radiums bereits auf die Hälfte 
herab. Totale Absorption. Durch 10 mm Blei werden die %-Strahlen 
vollkommen absorbiert. 

Da man bestimmt annehmen kann, daß alle «-Strahlen des Radıums 
durch !/,, mm Aluminium zurückgehalten werden und alle Strahlen. welche 
noch durch í cm Blei hindurchgehen. reine y-Strahlen sind. so sind sämt- 
liche Strahlen, welche durch !/,, mm Aluminium durchgegangen und von 
1 cm Blei zurückgehalten werden. als 9-Strallen anzusehen und wir be- 
zeichnen als weiche 8-Strahlen solche, welche von !/, mm dickem Blei- 
schirm, als mittelharte, welche von 3 mm dickem Bleischirm zurück- 
gehalten werden und den Rest als harte $-Strahlen. Bei der elektro- 
skopischen Messung erhält man nach Einschaltung der angegebenen 
Metallschirme drei Aktivitätsbestimmungen. die sich annähernd verhalten 
wie 100:50:10. mit anderen Worten: von der durch !/, mm Aluminium 
hindurchtretenden Gesamtmenge der 3-Strahlen werden durch ein Bleitilter 
von lọ mm ca. 50 %, absorbiert, durch ein solches von 1 mm 90 %. 

Die folgende Tabelle zeigt die genaueren Absorptionszahlen für Blei- 
filter von steigender Dicke: 

Von den Gesamt-2-Strahlen treten bei einem Bleischirm von 

0.115 mm Dicke 40.0 95. 
0.23 mm „240%. 


0.34 mm „173° 
045 mm „137° 
0.57 mm „ 121°. 
069 mm „ 112°. 
0.50 mm „ 105%. 
0.92 mm , TO 
10 mm , 905: 
15 mm , 0.00 
30 mm „ 7.085; 
45 mm , 6.0 95. 
1.5 cm - 2.0.95: 
9.3 cm ý 0,4% 


durch. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 11 


Trägt man die vorstehenden Schirmdicken und die gewonnenen Ak- 
tivitätswerte in ein Koordinatensystem ein, so entsteht folgende Kurve für 


die B-Strahlen des Radium. 


HA 
el 
| He] ee 















0 
90 


FARB 
50 
en 
Jo 


Intensität der Strahlung 


EENEEFFFFEFFFEFEFFEFEESEFR 
DH 


0 01.0203 0% 05 06 0.7.08 09 1 15 2 2,5 
Dicke des Bleischirmes in mm 


Fig. 5. 


Intensitätskurve der $-Strahlung des Radiums beim Durchgang durch Bleischirme 
von zunehmender Dicke (!/,—2,5d mm). 


Der steil abfallende Teil der Kurve entspricht den weichen ß-Strahlen, 
der horizontale Schenkel den harten ß-Strahlen und der zwischenliegende 


Teil den mittelharten 
ß-Strahllen. Zum Ver- 
gleich wurde die Alumi- 
niumschirmdicke an den 
äquivalenten Punkten der 
Bleikurve eingeschrieben, 
woraus z. B. ersichtlich 
ist, daß die weiche ß- 
Strahlung durch 0,5 mm 
Aluminium ganz absor- 
biert wird. 
y-Strahlung. Die 
y-Strablen sind weit 
durchdringender,hundert- 
mal mehr als die schnell- 
stenß-Strahlen.!) Metall- 
platten von mehreren 
Zentimetern Dicke halten 









a 60T 
$ ik = 2 Ider $ Strahlung 
à N An 
bs 2% 
S 1 
Š 01 m — 3#5 
Dicke des a in mm 


Fig. 6. 
Intensitätskurve der £- und y-Strahlung des Ra- 
diums beim Durchgang durch Bleischichten von 
zunehmender Dicke. 


sie nicht vollständig auf; nach Pierre Curie gibt es noch Y-Stralilen, 
welche 20 cm dickes Blei durchdringen. 


1) u Al 0,1 für y-Strahlen, 12 für 3-Strahlen. 


12 Sticker 


Die Absorption der 7-Stralilen erfolgt nach dem gleichen Gesetze wie 
die der >-Stralilen. 

Werden die Absorptionswerte der vereinigten $- und y-Strahlung 
des Radiums nach dem Durchgang durch Bleischichten von zunehmender 
Dicke gemessen. so entsteht vorstehende Kurve (Fig. 6). 

Berücksichtist man. daß die Strahlen. welche von einem 10 mm 
starken Bleischirm noch durchgelassen werden. als reine y-Strahlen be- 
trachtet werden können und daß nach dem auf S. 10 Gesagten die 
Strahlen schon durch 0.1 mm Bleischirm auf die Hälfte reduziert werden, 
bei 4 mm nur noch 69% der $-Strahlung übrig bleiben, dab endlich die 
Intensität der y-Strahlen erst auf die Hälfte herabgedrückt wird bei An- 
wendung von Bleischichten von 12—15 mm. so entspricht der stark ab- 
fallende Teil der Kurve der 5-Strahlung, der mehr horizontale Schenkel 
der y-Strahlung. 

Wie man sieht. folgt die Absorption mit großer Annäherung einem 
einfachen Exponentialgesetz. 

Die ungleiche Durchdringbarkeit der verschiedenen y-Strahler durch 
Blei zeigt die nachfolgende Tabelle. 


Thorium D Halbwertschicht 1.5 cm Blei 
Radium C Š L385 a 
Mesothorium II j LI a g 
Aktinium D = 0.57 —0.S cm Blei 


Halbwertschichten für Bleischirme der verschiedenen y-Strahler. 

Die Absorptionswerte verschiedener Substanzen für die Yy-Strahlen 
des Radiums in nachfolgender Tabellet) sind Mittelwerte für die Schicht- 
dicken 2,5. 5. 10 und 15 mm. Zwischen den absorbierenden Substanzen 
und dem Radium befand sich eine 8 mm starke Bleiplatte, welche die 
S-Strahlen vollkommen absorbierte. 








Schichtdicke: | 25 mm 5 mm i 10 mm 15 mm 
Platin e g aog e 1,167 
Quecksilber . . 2... 0,726: 0,661 0,538 ` 0,493 
Bléi a a a A 0.641 0.563 0.450 | 0.440 
Zink ce Be 0.252 0.266 O28 ' 0,266 
Aluminium . .... 0.104 0.104 0.104 ' O10 
Glas. 2 2 2 2 200. 0.087, 0.087 0.087 | 0.087 
Wasser... . i 0.034 | 0,034 | 0,034 | 0,034 


Absorptionswerte verschiedener Substanzen für die y-Strahlen des Radiums- 
bei zunehmender Schichtdicke. 


Die Tabelle ergibt. daß die Absorption mit wachsender Schichtdicke 
abnimmt, z. B. bei Blei von 0.641 auf 0.440: nur bei Aluminium, Glas 





i) Me Clelland, Phil. Mag. 8, 1904, S. 67. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 13 


und Wasser, welche wegen geringer Dichte eine schwache Absorption auf- 
weisen, konnte eine Veränderung der letzteren mit der Schichtdicke bei 
diesen Versuchen nicht bestimmt werden. 

Der Absorptionswert der y-Strahlen ist annähernd proportional der 
Dichte (d) der absorbierenden Substanz. 


Das Verhältnis S zwischen dem Absorptionskoeffizienten und der Dichte 


bei Substanzen von geringer Dichte erweist sich konstant, bei spezifisch 
schwereren ist es größer, bei sehr dicken Schichten nähert es sich aber 
demselben konstanten Wert, wie folgende Tabelle zeigt. 


Schichtdicke: 





Platin i = 0,054 | 

Quecksilber „ 0,053 0,048 0,039 0,036 
Blei 5 0,056 0,049 0,042 0,037 
Zink = 0,039 0,037 0,034 0,033 
Aluminium „ 0,038 0,038 0,038 0,038 
Glas Š 0,034 0,034 0,034 0,034 
Wasser s 0,034 0,034 0,034 0,034 


Verhältnis der Absorptionskoeffizienten und der Dichte der absorbierenden 
Substanzen für die y-Strahlen des Radiums. 


Die y-Strahlen des Urans sind leichter absorbierbar als die des 




















Schichtdicke y-Strahlung 

Salaanz in cm des Radiums | des Uran X 

| u(cm)-' 100 5 u(cm)-! 1005 

Quecksilber . ee = ne | 0,642 s2 0,832 | 6,12 
Ra . O „ 79 I o, | 0725 | 6,36 

Sasi | Ur . 0. 45 | 0,495 IE 075 | 636 
Kupfer . O „ 760 0,851 | 3,98 | 0,416 4,72 
Messing . 0 „ 586 0,325 8,89 | 0,392 4,70 
Eisen 0 „ 7,57 0,304 3.99 | 0,360 | 4,72 
Zion . 0. 51 0,281 3,88 | 0,341 4,70 
Zink . 0 „ 6,00 0,278 3,93 | 0,329 4,65 
Schiefer . O „ 944 0,118 4,14 | 0,134 4,69 
Aluminium O „ 11,19 0,111 4,01 | 0,130 4,69 
Glas . ; 0 „ 11,26 0105 | 416 | 0122 | 4,84 
Magnesiumoxyd. O „ 11,86 0,076 3,96 ` 0,0917 | 4,78 
Schwefel O „ 11,59 0,0782 | 4,38 | 0,0921 | 5,16 
Paraffin. . O „ 11,89 0,040 | 4,64 |! 0,0433 | 5.02 
Fichtenholz 0 „ 1251 0,02926 | 7,58 


| 
| 


14 Sticker, 


Radiums; ihr mittlerer Absorptionswert (pa) beträgt in einer Bleischicht 
von 0,64 cm nach Eve 1,4. Dagegen fanden Soddy und Russell für 
Bleischirme von 1—5 cm p = 0,72, also einem viel kleineren Wert. 

Die Absorptionswerte der y-Strahlen des Urans X und des Radiums 
sind in vorstehender Tabelle nach den Messungen von Soddy und Russell 
zusammengestellt. Sie beziehen sich auf Strahlen, die außer den ange- 
gebenen Substanzschichten eine 1 cm starke Bleischicht durchdrungen haben. 


Der mittlere Wert von È beträgt bei den y-Strahlen des Radiums 


d 
3 _ (Uran X) _ 
0,0399, bei den y-Strahlen des Urans X 0,0470; (Radium) 1,18. 
Die Versuchsergeb- 


nisseder voraufgehenden 
Tabelle sind in der bei- 
stehenden Figur gra- 
phisch wiedergegeben. 

Sekundäre Strah- 
len. — Wenn feste 
Körper, vor allem Me- 
talle, von den Strahlen 
radioaktiver Körper ge- 
troffen werden, so wer- 
den sie selbst zum Sitz 

neuer Strahlenarten, 
welche den sekundären 
Strahlen derX-Strahlen, 
dievonSagnacentdeckt 
wurden, analog sind. 
Fig. 7. Die «-Strahlen sind 
Dicke der durchdrungenen Materie in cm. Oben wenig fähig, eine Emis- 
y-Strahlen des Radiums, unten y-Strahlen des Urans. sion sekundärer Strah- 
len hervorzurufen. 

Die ß-Strahlen sind im Gegensatz zu den «-Strahlen sehr aktiv; die 
sekundäre Strahlung ist mitunter kräftiger als die auffallende; sie sind 
selbst B-Strahlen, aber von geringerer Geschwindigkeit als die ihrer Er- 
zeuger. Sie stellen neue Elektronen dar, die aus der Materie durch die 
elektro-magnetischen Störungen herausgedrängt werden. Diese Störungen 
resultieren aus der Absorption des Elektrons, das den primären Strahl bildet. 

Die y-Strahlen produzieren gleichfalls starke sekundäre Strahlen; ihrer 
Natur nach scheinen sie mit ß-Strahlen identisch zu sein. 

Für dieselbe primäre Strahlung ist die sekundäre 


Logarithmus der durchgelassenen Intensität 





Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 15 


Emission um so intensiver, je dichter das getroffene 
Metall. 

Die Erzeugung von Sekundärstrahlen durch die am stärksten durch- 
dringenden Strahlen des Radiums, die y-Strahlen, wurde von Becquerel 
zuerst festgestellt. Er machte die Beobachtung, daß der radiographische 
Effekt der y-Strahlen nach dem Durchgang durch einen sehr undurch- 
lässigen Schirm, z. B. durch eine 1 cm starke Bleiplatte, verstärkt wurde. 
In wenigen Minuten erhält man auf einer photographischen Platte eine 
Schwärzung, die bei direkter Einwirkung auf die Platte erst nach viel 
längerer Zeit auftreten würde. 

Unter den von den y-Strahlen hervorgerufenen Sekundärstrahlen be- 
finden sich solche, die selbst ein sehr großes Durchdringungsvermögen be- 
sitzen, besonders die Sekundäremissionsstrahlen des Bleies. 

Eve zeigte, daß diese sekundären Strahlen den primären y-Strahlen, 
welche die Bleiplatte durchdringen, erst an der Austrittsfläche sich hinzu- 
gesellen und ihreGeschwindigkeit ungefähr halbe Lichtgeschwindigkeit erreicht. 

Das Radium befand sich auf dem Boden eines sehr diekwandigen 
Holzzylinders, der mit einer 12 cm starken Bleiplatte zugedeckt war. Auf 
diese wurde seitlich ein Elektroskop aufgestellt. Durch ein magnetisches 
Feld konnten die austretenden Strahlen nach dem Elektroskop hingelenkt 
werden, gehörten also zum ß-Typus; die Entladungsgeschwindigkeit wuchs 
bei positiver und nahm ab bei negativer Feldrichtung. 

Die Intensität der Sekundärstrahlen hängt von der Substanz ab, 
welche als Radiator dient, d. h. welche vermöge ihrer Undurchlässigkeit 
für die Primärstrahlung eine neue sekundäre Strahlengattung erzeugt. 

So wurden folgende Zahlen von Eve!) für die relative Intensität der 
Sekundärstrahlen gefunden, die von verschiedenen Substanzen, sei es nach 
gemeinsamer Einwirkung der ß- und y-Strahlen des Radiums, sei es nach 
Einwirkung der y-Strahlen allein ausgesandt wurden. Zum Vergleich ist 
die Intensität der von Röntgenstrahlen herrührenden Sekundärstrahlen nach 
den Versuchen von Townsend beigefügt. 














- + y- Röntgen- 

a 7 allen Be 
Blei . ... 100 100 100 
Kupfer . . . 57 61 291 
Messing . . . 58 59 263 
Zink .. .. 57 _ 282 
Aluminium. . 30 30 25 
Glass . ... 3a 35 31 
Puraffin.. . . 12 20 125 


Intensitätsvergleich der Sekundärstrahlen. 
1) Phil. Mag. 8, 1904. S 674. 


-oO A yeap a O a 


— — m 


16 Sticker, 


Die Sekundärstrahlungen der $- und der y-Strahlen stehen also in 
einem annähernd konstanten Verhältnis, die der Röntgenstrahlen verhalten 
sich jedoch ganz anders. 

Kleemann!) fand, daß die Intensität der sekundären ß-Strahlen eine 
periodische Funktion des Atomgewichts der Radiatorsubstanz ist. 

Nach den Arbeiten von Geiger?) und Ramsauer?) ist bewiesen, 
daß die Sekundärstrahlung ein rein energetischer Vorgang ist, der propor- 
tional mit der vernichteten Energie erfolgt. 

Chemische Wirkungen der radioaktiven Substanzen. — Die 
von radioaktiven Substanzen ausgesandten Strahlungen rufen mannigfache 
chemische Wirkungen hervor. Am genauesten sind die Veränderungen 
untersucht worden, die das Radium hervorbringt. Es waren die Wirkungen 
des Radiums auf Silbersalze, welche durch die photographischen Effekte 
zur Entdeckung der Becquerelstralilen und der strahlenden Elemente über- 
haupt geführt haben. Alle Strahlenarten rufen chemische Wirkungen hervor, 
aber während die von den «-Strahlen erzeugten nicht tief eindringen, er- 
streckt sich die Wirkung der durchdringenden ß- und y-Strahlen auf die 
ganze Masse der Substanz. Die radiographische Wirkung der Radium- 
strahlen ist auf mehr als 2 m Entfernung in Luft zu beobachten, selbst 
wenn der strahlende Körper sich in einem Glasröhrchen eingeschlossen 
befindet; die unter diesen Umständen wirksamen Strahlen gehören zu den 
p- und y-Strahlen. Man kann auf große Entfernungen und mit Strahlen- 
quellen von sehr kleinen Dimensionen arbeiten; man erhält dann sehr 
scharfe Radiographien. Es ist vorteilhaft, die £-Strahlung mittels eines 
magnetischen Feldes seitlich abzulenken und nur die y-Strahlung zu be- 
nutzen. Die -Strahlen erleiden nämlich beim Durchgang durch das Objekt 
eine gewisse Zerstreuung und machen auf diese Weise das Bild unscharf. 
Wenn man sie ausschaltet, muß man mit längeren Expositionszeiten ar- 
beiten. Objekte von der Größe einer Kinderhand erfordern einen Tag, 
wenn man einige Zentigramm eines Radiumsalzes als Strahlungsquelle ver- 
wendet, die in einem Glasröhrchen eingeschlossen sind und sich in einem 
Abstand von { m von einer empfindlichen Platte befinden, vor welcher 
das Objekt aufgestellt wird. Ist die Strahlungsquelle 20 cm von der 
Platte entfernt, so erhält man dasselbe Resultat in einer Stunde. 

Eine Anzahl natürlicher Mineralien werden unter dem Einfluß der 
Strahlen anders gefärbt, ohne daß man über die Natur der chemischen 
Veränderungen unterrichtet ist: Gelbroter Realgar wird karminrot, Anti- 
monblende grau, Quarz färbt sich gelb bis rotbraun, Rosenquarz schwarz- 

1) Phil. Mag. (6) 14, 1907, S. 618 und 15, 1908, S. 638. 

2) Proceed. of the Royal Society, A. 82, 190%. 

3} Jahrbuch der Radioaktivität, 9. Bd., 1912. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 47 


braun, Amethyst tiefer violett, Anhydrit wird gelb, Flußspat violett oder 
srünblau, Aluminiumhydroxyd blau, Diamanten bläulich oder bräunlich, 
Saphire gelblich. Einfache Mineralstoffe, wie die Alkalisalze und auch 
Alkalidoppelsalze erleiden vielfach Farbenveränderungen: Kaliumsulfat wird 
blaugrün, Kaliumchlorid amethysten, Chlornatrium und Chlorkalium gelb- 
braun, Natriumbikarbonat wird rotviolett. Die «-Strahlung zerlegt Wasser 
in freien Wasserstoff und Sauerstoff; die B-Strahlung entwickelt aus dem 
Wasser Wasserstoff, der Sauerstoff bildet Hydroperoxyd. Auch der um- 
kelırbare Prozeß, die Bildung von Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff 
und die Bildung von Chlorwasserstoff aus Wasserstoff und Chlor findet 
unter dem Einfluß der Radiumstrahlen statt. Der Luftsauerstoff wird 
unter dem Einfluß der radioaktiven Strahlen, namentlich der «-Strahlung 
ozunisiert. 

Das Fluoreszenzvermögen der radioaktiven Substanzen. — Zu 
den spontanen Eigenschaften der radioaktiven Substanzen gehört auch die 
Erregung von Fluoreszenzerscheinungen bei bestimmten Stoffen. 

Barıumplatinzyanür wird durch alle Radiumstrahlen zur Fluores- 
¿nz angeregt. Am meisten durch die B- und y-Strallen. 

Zinksulfid (Sidotblende) fluoresziert hauptsächlich beim Auffallen 
der x-Stralilen, wobei es hellgrün aufleuchtet; es bleibt auch nach Unter- 
brechung der Bestrahlung einige Zeit selbstleuchtend, d. h. es wird phos- 
phoreszierend; es strahlt nicht kontinuierlich, sondern nach Crookes 
Eutdeckung in Szintillationen, d. h. in aufblitzenden Pünktchen, einem 
Sternhimmel vergleichbar. Von den «-Strahlern sind es besonders die 
Emanationen des Radiums und Aktiniums, welche die Szintillation be- 
swuders kräftig erregen. 

Das Mineral Willemit (Zinksilikat) wird durch Radiumstrallen 
vorzugsweise 5- und y-Strahlen) zu grünlicher Fluoreszenz gebracht. Das 
Licht, welches fast ganz aus Grün und Gelb besteht, schwärzt nur iso- 
chromatische Platten und zwar nur bei langer Exposition. 

Der Kunzit (Varietät des Spodumens) gibt mit Radiunstrahlen ein 
rotes. mit Katliodenstrahlen ein gelbes Fluoreszenzlicht. 

Der Sparteit (manganhaltiges Kalzit} leuchtet unter der Wirkung 
der 5- und y-Strahlen mit orangerotem Licht. 

Die Erregung von Fluoreszenz durch Radiumstrahlen ist von 
Becquerel!) näher untersucht worden, der ihre Wirkung auf Uransalze, 
Diamant. Sidotblende, Kalzium- und Strontiumsulfid, Rubin usw. geprüft 
lat. Es zeigte sich, daß das Verhältnis der- Empfindlichkeiten dieser 
Substanzen gegen Licht, Röntgen- und Radiumstrahlen sehr ungleiche 





Y% Becquerel, Comptes rendus 129, S. 912, 1899. 


Strablentherapie Band III, Heft 1. 2 


18 Sticker, 


Werte hat. Der gegen ultraviolettes Licht empfindliche Rubin ist z. B. 
gegen Radiumstrahlen unempfindlich, und der Diamant, der unter der 
Wirkung von Radiumstrahlen fluoresziert, tut dies nicht unter der Wirkung 
von Röntgenstrahlen: gegenüber diesen letzteren ist Kaliumuranylsulfat 
empfindlicher als hexagonale Blende. während bei Radiumstrahlen das 
Verhältnis umgekehrt ist. Die Fluoreszenz wird bedeutend herabgesetzt. 
wenn man ein Blatt schwarzes Papier zwischen die Strahlungsquelle und 
die fluoreszierende Substanz bringt, woraus hervorgelit, dab ein grober 
Teil des Effekts den «-Strahlen zuzuschreiben ist. 

Bary?) hat gezeigt, daß die Salze der Alkali- und Erdalkalimetalle. 
welche unter der Wirkung von Licht- und Röntgenstrahlen sämtlich 
fluoreszieren, dies auch unter der Wirkung der Radiumstralilen tun. 

Metalle scheinen nicht zur Fluoreszenz erregbar zu sein. Der Diamant 
ist sehr empfindlich gegen «-Strahlen und gibt mit Polonium eine schöne 
Fluoreszenz. Hierauf läßt sich eine Methode gründen, Diamanten von 
Imitationen zu unterscheiden, da die letzteren nur schwach fluoreszieren. 

Von organischen Stoffen phosphoreszieren bei Radiumbestrahlung 
Petroleum, das stark leuchtend wird; ın schwächerem Maße Papier, Baun- 
wolle, Hornsubstanz sowie Blut. 

Die Salizylsäurederivate werden durch die $-Strahlen des Radiums zu 
besonders lebhafter Lumineszenz angeregt, so die salızylsauren Salze, das 
Salizylsäureamid und das Salipyrin (salizylsaures Antipyrin).?) 

Dal5 chemische Umwandlungen bei der Fluoreszenzerregung stattfinden, 
kann daraus geschlossen werden, daß die Sidotblende nach längerer Be- 
strahlung die Fähigkeit zur Phosphoreszenz verliert und Bariumplatinzyanür 
unter gleichzeitiger Bräunung Abnahme der Phosphoreszenz zeigt. 

Auch Kaliumuranylsulfat wird von den Strahlen verändert, indem 
es sich gelb färbt. Das modifizierte Bariumplatinzyanür wird durch Licht 
teilweise in die ursprüngliche Form zurückverwandelt. Befindet sich Radium 
unter einer auf Papier ausgebreiteten Schicht von Bariumplatinzyanür, so 
wird dieses zum Leuchten erregt, führt man den Versuch unter Licht- 
abschluß aus, so verändert es sich und die Leuchterscheinung geht stark 
zurück. Im Lichte wird das Bariumplatinzyanür zum Teil regeneriert, und 
wenn dann die Dunkelheit wieder hergestellt wird, so leuchtet es von neuem 
ziemlich stark. Mittels eines fluoreszierenden und eines radioaktiven Körpers 
läßt sich also ein System herstellen, das sich wie ein phosphoreszierender 
Körper von lang andauernder Phosphoreszenz verhält. 

Das unter der Wirkung von Radiumstrahlen fluoreszierende Glas wird 


— 


1) Bary, Comptes rendus 130, S. 776, 1900. 
2) von Jensen, Zeitschr. f. wiss. Phot. 5, 1907. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 19 


braun oder violett und gleichzeitig geht die Fluoreszenz zurück. Erhitzt 
man das so veränderte Glas, so entfärbt es sich und sendet während dieses 
Vorganges Licht aus. Nachher hat das Glas die Fähigkeit, zu fluoreszieren, 
wieder in demselben Maße wie vor der Umwandlung. 

Zinksulfid, das längere Zeit der Wirkung von Radium ausgesetzt ge- 
wesen ist, verliert nach und nach die Eigenschaft, von Radiumstrahlen 
oder von Licht zur Phosphoreszenz erregt zu werden. Wenn ein mit Zink- 
sulfid beschicktes Glasgefäß zu einem Versuch mit Radiumemanation ge- 
dient hat, und man den Apparat in gutem Zustande erhalten will, so muß 
man die Emanation sofort nach dem Gebrauch daraus entfernen. 

Crookes!) hat auch an Diamanten, die den Radiumstrahlen aus- 
gesetzt waren, eine Veränderung beobachtet: Nach einer Exposition von 
73 Tagen war ein Diamant von ursprünglich hellgelber Farbe dunkel und 
undurchsichtig geworden; als er darauf 10 Tage lang mit Kaliumchlorat 
auf 50° erhitzt wurde, verlor er die Oberfläche, dunkle Färbung und er- 
schien durchsichtig mit blaugrüner Farbe. Bei diesem Versuch war der 
Diamant mit Radium zusammen in einem Rohr eingeschlossen gewesen, 
und sämtliche Strahlen waren infolgedessen zur Wirkung gekommen. Die 
dunkle Oberflächenfarbe konnte dem Einfluß der absorbierbaren Strahlen 
zuzuschreiben sein, während die gleichmäßige Färbung in der ganzen Masse 
von den durchdringenden Strahlen hervorgerufen war. . Ä 

Das Ionisierungsvermögen der radioaktiven Substanzen. — Die 
von den radioaktiven Substanzen ausgesandten Strahlen erteilen der Luft, 
welche sie durchdringen, eine gewisse elektrische Leitfähigkeit, d. h. sie zer- 
legen ihre Gasmoleküle in Ionen und zwar eine negativ geladene Korpuskel, 
das Elektron und einen positiv geladenen Teil. Die entstandenen Ionen 
vermögen Elektrizität zu transportieren. 

Die in unmittelbarer Nähe einer strahlenden Substanz auftretende 
[onisation rührt von den «-Strahlen her. Die Energie dieser Strahlen wird 
in einem verhältnismäßig kleinen Bereich im Umkreis der Substanz ver- 
braucht. Die von den P- und y-Strahlen herrührende lonisation tritt um 
so mehr hervor, je dicker die Schicht aktiver Substanz und je tiefer die 
Ionisationskammer ist, vorausgesetzt, daß der Sättigungsstrom, d. i. der maxi- 
male Strom, welcher entsteht, wenn alle im Gase sich vorfindenden Ionen zum 
Transport der Elektrizität dienen, erreicht wird. Die von den y-Strahlen 
hervorgerufene lonisation ist im allgemeinen unbedeutend gegenüber der 
von den ß-Strahlen bewirkten; so fand z. B. P. Uurie, daß von der in 
großer Entfernung von einem Radiumpräparat in Luft auftretenden Ioni- 
sation nur der zehnte Teil auf die y-Strahlen zurückzuführen ist. 





—,— 


1) Crookes, Proc. Roy. Soc. 74, 47, 1904. 


20 Sticker, 


: 2 Absorption 
Ionisierungskraft Penetration (Halbwertschicht) 
x 10000 1 0,005 mm Aluminium 
B 100 100 0,5 i j 
1 10000 80,0 o jj 


Vergleich zwischen «-, 8- und y-Strahlung. 


Das Leitvermögen von Gasen unter dem Einfluß der «-, 9, und y- 
Strahlen des Radiums ist von Strutt!) und später von Kleemann?) 
untersucht worden. Der Druck des Gases wurde für jede Strahlenart so- 
weit herabgesetzt, dal die Ionisation im Apparat homogen und dem Druck 
proportional war; die gefundenen Werte wurden auf einen bestimmten 
Normaldruck umgerechnet. Die Ionisation, welche eintrat, wenn sich kein 
absorbierender Schirm im Wege der Strahlen befand, wurde als von den 
«-Strahlen herrührend betrachtet, als y-Strahlen galten diejenigen, die einen 
1 cm starken Bleischirm durchdrangen, der Effekt der ß-Strahlen endlich 
wurde durch Zwischenschaltung eines 0,01 cm dünnen Aluminiumschirmes 
erhalten. Folgende Zahlen wurden gefunden: 











Relative lonisation 
Gas Dichte 2 
«-Strahlen | -Strahlen | y-Strahlen Röntgen-Strahlen 
me 1 4 1 | 1 | 1 1 
H 0,069 0,24 0,115 0,16 0,114 
NH, 0,59 0,81 | 0,88 0,89 — 
O 1.11 1,15 1,17 1,16 1,39 
N.O 1,53 1,53 1,55 1,55 — 
CO, 1,53 1,59 1,60 1,58 1,60 
— 1,86 1,94 | 1,86 1,71 1,05 
SO, 2,19 2,01 2,25 2,27 UN 
C,H,Cl 2,24 3,12 3,24 3,19 _ 
C,H, 2,50 4,85 4,55 4,53 | — 
CH0 2,57 4,40 4,39 4,29 en 
CS, 2,64 2,99 3,62 3,66 — 
CH,Br 3,30 2,75 3,73 3,81 — 
CHCl; 4,32 444 4,89 4,88 87.9 
CH,J 5,05 3,51 5,18 4,80 72,0 
CCl, 5.31 5,34 5,83 5,67 45,3 
Ni(CO), 5,99 — | = 5,98 — 


i 

Bei den «&-, B- und y-Strahlen ist also die Ionisation der Dichte an 
genähert proportional; bei den Röntgenstrahlen treten jedoch bedeutende 
Abweichungen auf (vgl. auch S. 24). 
1) Proc. Roy Soc., 1903. | 
2) ibid., 1907. 


1 








Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 91 


Die Wärmeentwicklung der radioaktiven Substanzen. — Die 
Entwicklung von Wärme durch die radioaktiven Substanzen, insbesondere 
durch das Radium ist eine der wichtigsten an diesen Substanzen beobach- 
teten Erscheinungen. Die Größe der vom Radium abgegebenen Wärme 
liefert den direkten Beweis dafür, daß bei den radioaktiven Prozessen er- 
hebliche Energiebeträge umgesetzt werden. 

Die Wärmeentwicklung durch Radiumsalze ist von P. Curie in Ge- 
meinschaft mit Laborde entdeckt worden. Sie benutzten 1 Gramm 
radiumhaltiges Bariumchlorid, welches ungefähr 17%, Radiumchlorid ent- 
hielt, und beobachteten mit Hilfe eines Thermoelementes in dem Radium- 
gefäß einen Temperaturüberschuß von 1,5%. Bei mehreren Dezigramm 
reinen Radiumsalzes wurde eine Temperaturerhöhung von 3° beobachtet. 
Bei einem in ähnlicher Weise mit 1 Gramm Radiumbromid ausgeführten 
Versuche beobachtete Giesel eine konstante Temperaturdifferenz von 5°. 
Die Wärmeentwicklung des Radiums hängt von der Zeit ab, die seit der 
Darstellung des Salzes verflossen ist. Ein frisch hergestelltes Radiumsalz 
gibt verhältnismäßig wenig Wärme ab; die Wärmeentwicklung steigt dann 
stetig bis zu einem bestimmten Grenzwert an, der nach Verlauf eines 
Monats noch nicht ganz erreicht ist. Auch Radiumsalzlösungen streben 
im Laufe eines Monats einem konstanten Grenzwerte zu. Dieses Ver- 
halten zeigt, daß die Wärmeproduktion in Beziehung zu dem radioaktiven 
Gleichgewicht des Salzes steht, auch daß sie zum größten Teil von der 
angesammelten Emanation herrührt, was von Rutherford experimentell 
bestätigt wurde. 

Die von 1 Gramm Radium stündlich abgegebene Wärmemenge be- 
trägt ungefähr 100 Kalorien nach früheren Messungen. Nach den neuesten 
Messungen von Schweidler und Hess mit 1 Gramm Radiumchlorid aus 
dem Besitze der Wiener Akademie erreichte die von dem Radium hervor- 
gerufene Temperatursteigerung 5,5%. Es wurden 118 Kalorien pro Gramm 
Radium und Stunde gefunden. 

Da die mittlere Lebensdauer des Radiums wahrscheinlich ungefähr 
2800 Jahre beträgt, so ist die von 1 Gramm Radium bis zu einem voll- 
ständigen Zerfall entwickelte Wärmemenge ungefähr gleich 2,9. 10° Ka- 
lorien gleich zu setzen; um diese Wärmemenge zu erzeugen, müßte man 
ungefähr 500 Kilogramm Kohle verbrennen. 

Röntgenstrahlen und Radiumstrahlen. Bei der elektrischen 
Entladung in einem unter sehr geringem Druck, etwa 1/iooọ mm 
stehenden Gase, das in einem mit 2 Elektroden versehenen Rohre sich 
befindet, sendet der negative Pol, die Kathode, Strahlen aus, welche aus 
negativen Ionen bestehen, deren Kerne aus sich bewegenden Korpuskular- 
teilchen (Elektronen) gebildet werden, die an der Katlıode durch den 





22 Sticker, 


Stoß der positiven Ionen gegen die Gasmoleküle entstehen, „Kathoden- 
strahlen“. Eine zweite Strahlenart aus positiv geladenen Teilchen von 
großer Geschwindigkeit bestehend befinden sich in dem Raume vor der 
Kathode und gehen, falls Bohrlöcher in der Kathode hergestellt sind. 
durch diese Kanäle hindurch, daher der Name Kanalstrahlen oder 
positive Strahlen. 

Beide, die Kathodenstrahlen und die positiven Strahlen werden im 
elektrischen und magnetischen Felde abgelenkt, sie erregen auf ihrem 
Wege eine Fluoreszenz des Gases und entgegenstehender fester Körper. 
so auch der Glaswand, auf welche sie auftreffen. 

Außer den positiven und den Kathodenstrahlen entsteht noch eine 
dritte Strahlenart in von elektrischer Entladung durchdrungenen verdünnten 
Gasen. Sie werden überall ausgesandt, wo die Kathodenstrahlen auf ein 


Kathgdenstrahlen 
analog ß Strahlen 






X- Strahlen“ S =. 
analog f- Stralen ^io 
N 


` ` 
N 
> `~ 
N ` 


Röntgenröhre > EN \ 


N 


Fig. 8. 


Hindernis stoßen. Diese X- oder Röntgenstrahlen benannten Strahlen 
gehen durch das Glas der Röhre und durch jede Art von Materie mit 
Leichtigkeit hindurch, um so leichter, je geringer die Dichte. Um sie 
besser als an der getroffenen Glaswand zu erhalten, wird meist in dem 
Rohre eine Metallplatte der Kathode gegenüber angebracht, die Antikathode. 

Den positiven Strahlen oder Kanalstrahlen zu vergleichen sind die 
«-Strahlen der radioaktiven Substanzen, den Kathodenstrahlen die $-Strahlen. 
den X-Strahlen die y-Strallen. 

Ein mit einer radioaktiven Substanz beschicktes Röhrchen von dicker 
Wandung, welches keine æ- und ß-Strahlen durchläßt, also nur y-Strahlen 
emittiert, ist eine Röntgenröhre en miniature, nur ist ihre Strahlung noch 
weit durchdringender. 

Die Röntgenstrahlen wirken auf die photographische Platte, erzeugen 
Phosphoreszenz verschiedener Substanzen und ionisieren Gase, durch die 
sie gehen. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 23 


Treffen die Röntgenstrahlen auf ein materielles Hindernis, so können 
sie Kathodenstrahlen erzeugen, d. h. die Entsendung von Elektronen großer 
(seschwindigkeit aus der Materie des Hindernisses veranlassen. 


Je größer die Geschwindigkeit der Kathodenstrahlen war, desto größer 
ist das Durchdringungsvermögen der von ihnen erzeugten Röntgenstrahlen. 
Die wenig durchdringenden, weichen Strahlen entstehen in Crookesschen 
Röhren, in denen eine mäßige Potentialdifferenz herrscht. Die durch- 
dringenden, harten Strahlen werden in Röhren mit sehr gutem Vakuum 
und bei sehr hoher Potentialdifferenz gewonnen. 


Die Analogie der y-Strahlen mit den Röntgenstrahlen erhellt vor 
alem aus der gleichen Entstehung beider Strahlenarten. 


Die y-Strahlen kommen in allen bekannten Fällen zusammen mit 
Strahlen vor, und ihre Intensität ist derjenigen der letzteren proportional. 
Man kann also vermuten, daß ihre Emission von der Anwesenheit der 
Strahlen in derselben Weise abhängt, wie die Emission der Röntgen- 
strahlen von der der Kathodenstrahlen. Es ist jedoch noch nicht gelungen, 
mit Sicherheit die Emission von y-Strahlen an Radiatoren nachzuweisen, 
welche von reinen ß-Strahlen getroffen werden. Eve hat die Erzeugung 
von Sekundärstrahlen des y-Typus durch die durchdringenden Strahlen 
des Radiums beobachtet, aber die Entstehung von y-Strahlen auf Kosten 
der 5-Strahlen ist nicht mit absoluter Sicherheit bewiesen. 


Ein wesentlicher Unterschied zwischen den y-Strahlen und Röntgen- 
strahlen ist in ihrem Ionisierungsvermögen gegenüber verschiedenen Gasen 
zutage getreten. Strutt!) hat gezeigt, daß bei den y-Strahlen des Radiums 
die Ionisation eines Gases annähernd proportional seiner Dichte ist, während 
hingegen die Röntgenstrahlen in Schwefelwasserstoff und in Ohlorwasser- 
soft eine bedeutend stärkere Ionisation hervorrufen als in Luft, obwohl 
die Dichte dieser Gase von der der Luft nicht sehr verschieden ist. Man 
darf jedoch nicht vergessen, daß die y-Strahlen ein bedeutend größeres 
Durchdringungsvermögen besitzen als die Röntgenstrahlen und aus diesem 
Grunde andere Eigenschaften zeigen können. Aus den Untersuchungen 
vn Eve geht hervor, daß der hier erwähnte Unterschied bei sehr harten 
Röntgenstrahlen viel weniger ausgeprägt ist; diese Strahlen waren aber 
immer noch 40 mal weniger durchdringend als die y-Strahlen; der Ab- 
sstptionskoeffizient in Blei betrug 22, derjenige der y-Strahlen des Radiums 
unzefihr 0,5. 

In folgender Tabelle sind die Ergebnisse der Versuche von Strutt 
ud Eve zusammengestellt: 


© Strutt, Phil. Trans. 1901. 


94 Sticker, 





Ionisation 
Gas Dichte Röntgenstrahlen | 
| y-Strahlen 
weiche | harte 

Wasserstoff . 0,11 0,42 0,19 
Luft. AOA 1 1 1 
Schwefelwasserstoff . 6 0,9 1,23 
Chloroform 82 4,6 4,8 
Methyljodid . 72 12,5 5,6 
Tetrachlorkohlenstoff 45 4,9 3,2 


(Vgl. auch die Tabelle S. 20.) 


- Auch die Erregung von Sekundärstrahlen durch die y-Strahlen und 
deren gleiche Entstehung bei den Röntgenstrahlen bietet eine Analogie. 
Ein Metall, das von Röntgenstrahlen getroffen wird, sendet Strahlen 
aus, die von den Primärstrahlen um so stärker verschieden und um so 
leichter absorbierbar sind, je größer die Dichte des betreffenden Metalles 
ist.!) Unter diesen Sekundärstrahlen befinden sich negativ geladene, also 
ihrer Natur nach von den Primärstrahlen vollkommen verschiedene Strahlen, ?) 
die im Magnetfeld abgelenkt werden und eine Geschwindigkeit von un- 


gefähr 5.109 CM Besitzen. 3) 
sec 


Die spezifisch leichten Metalle wirken hauptsächlich in der Weise, 
daß sie die primären Röntgenstrahlen zerstreuen und zurückwerfen, die 
schweren Metalle und allgemein die Elemente mit hohem Atomgewicht 
emittieren dagegen außerdem sowohl Kathodenstrahlen wie sekundäre 
Röntgenstrahlen, welche leichter absorbierbar als die primären sind. Diese 
sekundären Röntgenstrahlen sind homogen, ihr Durchdringungsvermögen 
hängt nur von der Natur des als Radiator verwendeten Elementes ab und 
ist eine dem Atom desselben zugehörige Eigenschaft. Die für ein ge- 
gebenes Element charakteristischen homogenen Röntgenstrahlen können 
nur von Primärstrahlen hervorgerufen werden, die ihrerseits ein größeres 
Durchdringungsvermögen besitzen.?) Bei den Sekundärstrahlen vom Typus 


der Kathodenstrahlen ist das Verhältnis < ungefähr gleich 1.7 . 107 elektro- 


magnetischen Einheiten, und ihre Geschwindigkeit liegt zwischen 0,19 und 
0,25 Lichtgeschwindigkeit.°) Daraus geht hervor, daß sie den mit hoher 

1) Sagnac, Ann. de Chimie et de Phys. (7), 22, S. 493. 1901. 

2) Curie und Sagnac, Comptes rendus 130, S. 1013. 1900. 

3) Dorn, Abh. Halle. 1900. 

d Barkla, Jahrb. d. Rad. 5, S. 246. 1908. — Barkla u. Sadler, Phil. 
Mag. (6), 16, S. 550. 1908. 

5) Bestelmeyer, Ann. d. Phys. 22, S. 429. 1907. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 25 


Spannung erzeugten Kathodenstrahlen vollkommen analog sind. Ihre Ge- 
schwindigkeit wächst mit dem Durchdringungsvermögen der Primärstrahlen, 
scheint aber weder von der Intensität derselben, noch von der Natur des 
Radiators abzuhängen.!) Über den Vergleich der Sekundärstrahlen der 
Röntgen- und Radiumstrahlen siehe Seite 15. 

Vergleichende Zusammenstellung des Durchdringungsver- 
mögens der verschiedenen Strahlenarten. Folgende Tabelle ent- 
hält die Abbsorptionskoeffizienten (p) einiger Substanzen für die verschiedenen 
Strahlenarten, sowie die Weglängen (L), welche die Strahlen in Luft 
zurücklegen müssen, damit ihre Intensität auf den halben Wert sinkt. 








u Luft |uAluminium| wu Blei L Luft 
Uem 27 cm 1/ cm cm 
Kathodenstrahlen, 2.10% cm/sec 2280 
Kathodenstrahlen, 10 cmjsec 3,4 7150 ’ 0,2 
«-Strahlen des Urans 2740 0,43 
;Strahlen des Urans 14 122 107 
Harte Röntgenstrahlen 22 500 
‚Strahlen des Radiums | 0,1 0,5 15000 


Wellen- und Korpuskularstrahlung. — Die Stellung der radio- 
aktiven Strahlen und der Röntgenstrahlen zu den Lichtstrahlen und den 
elektrischen Wellen erhellt aus nachfolgenden beiden Tabellen. 


Strahlenarten. 
I. Strahlen von Wellennatur. 
Gemeinsame Eigenschaften: Fortpflanzungsgeschwindigkeit = 3.10% m/sec; 
Polarisation; Interferenz. 








); Besondere Eigen- 
Bezeichnung Wellenlänge Ursprung Selinften 
l- Elektrische oder] mehrere 1000 m elektrische Ent- elektr. Wirkung 
Hertzsche Wellen bis 3 mm ladungen 
2 Ultrarote Strahlen 0,06 bis 0,00076 mm heiße Körper Wärmewirkung 
3. Sichtbare Licht-| 0,00076 bis 0,0004 | glühende Körper Lichtwirkung 
strahlen 
4. Ultraviolette 0,0004 bie. 0001 mm'höchst weißglühendechem. Wirkungen, 
lampe) gung,lonisierung 
der Luft 


). Röntgenstrahlen | 





ca. 0,000 000 05 mm.MetallebeimAuftreffen'Durchdringen un- 
von Katlıodenstrah-), durchsichtiger 
len Körper 


radioaktive Körper |Ionisierung derLuft 


| 

Strahlen Körper (Quecksilber-| Fluoreszenzerzeu- 
F 

6. y-Strahlen | 


Tun un 


l) Innes, Proc. Roy. Soc. 1907. 


26 Sticker, 


II. Strahlen fliegender Masseteilchen (Korpuskularstrahlen). 
Gemeinsame Eigenschaften: Elektrisch und magnetisch ablenkbar, Ionisierung 

















der Luft, 
Bezeichnung Geschwindigkeit Ursprung nm 
a) Strahlen von nega- | 
tiv elektr. Teilchen 
(Elektronen) 

1. $-Strahlen 10% bis ca. 3. 10% radioaktive Körper Durchdringen dünner 
| m/sec (ca. Licht- Schichten undurch- 
| geschwindigkeit) sichtiger Körper 

2. schnelle Ka-,22 bis 50. 10% m/secielektr. Entladungen Durchdringen nur äu- 

thodenstrahlen in luftverdünn-| Berst dünner Schich- 
| ten Röhren ten, z. B. Blattmetalle 

3. langsame Ka-| 1000 bis O0 m/sec ‚glühende und be- absorbiert von jeglicher 

thodenstrahlen. | lichtete Körper Materie, z. B. auch 
| chemische Reak- von Luft sofort, da- 
tionen her nur im äußersten 





b) Strahlen von posis 
tiv elektr. Teilchen 


| Vakuum haltbar 
(Atome) | | 
| 


| 


4. «-Strahlen radioaktive Körper; 


5. Kanalstrahlen 


| 1,6 . 10° m/sec 

1 bis 10. 10% m/seclelektr. Entladungen! 
| in juftverdinn. 
| ten Röhren | 





Messungsmethoden. Die von den radioaktiven Stoffen aus- 
gesandten Strahlen wirken auf die photographische Platte, rufen bei ver- 
schiedenen Körpern Fluoreszenz hervor, machen die Gase elektrisch leitend - 
und entwickeln meßbare Wärmemengen. Auf Grund dieser Eigenschaften 
gründen sich die Messungsmethoden: die radiographische, die fluoroskopische, 
die elektrische und die thermische. 

Die radiographische Methode besteht darin, daß die photographische 
Platte den von einem radioaktiven Körper ausgehenden Strahlen bei Ausschluß 
von Licht ausgesetzt wird. Die zur Erlangung eines Bildes nötige Zeit 
ist sehr verschieden. Bei Anwendung von Radium können einige Sekunden 
genügen, andere schwachradioaktive Substanzen erfordern oft mehrere Tage. 
Grewisse Vorsichtsmaßregeln sind notwendig, besonders bei langdauernden 
Versuchen, da auch nicht radivaktive Substanzen, wie Wachs, Zink, redu- 
zierende Dämpfe oder Gase, welche von organischen Stoffen ausgehen, +) 
die photographische Platte angreifen. 


1) Russell, Proc. Roy. Soc. 1896. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 27 


Die fluoroskopische Methode bedient sich der mit Schwefelzink, 
Bariumplatinzyanür u. a. Stoffen (vgl. das Kapitel über Fluoreszenz) be- 
deckten Schirme, um aus dem schwächeren oder stärkeren Aufleuchten 
derselben auf die Menge der radioaktiven Substanz zu schließen. 

Bei der elektrischen Methode wird die Intensität des Stromes 
gemessen, der durch ein von der Strahlung leitend gemachtes Gas hin- 
durchgeht. 

Die Stromstärken bewegen sich von 10-1? bis 10-5 Ampere. Mit 
1 g Radium kann man in Luft einen Strom von 10-3 Ampere erreichen. 
Mittels des Galvanometers kann man Ströme bis zu 10 Ampere leicht 
messen: wo es sich um schwächere Ströme handelt, wendet man die 
elektrometrischen Methoden an. Als Meßapparate werden die Elek- 
troskope verwendet. 

Elektroskope. Jeder Meßapparat der Radioaktivität besteht aus 
zwei Teilen, dem eigentlichen Meßinstrument und dem lonisationsraum. 


j Erde 





Fig. 9. Fig. 10. 
Kondensator: A geerdete Platte, Elektroskop nach P. Curie. 
B mit radioaktiver Substanz be- 
streoto Platte; welche meiner Alle Meßinstrumente benutzen 
galvanischen Batterie verbun- 


die bekannte Eigenschaft der Elek- 
trizität, daß sich elektrisch geladene 
Körper gleichen Vorzeichens abstoßen, ungleichen Vorzeichens aber anziehen. 
Die Meßinstrumente sind nun entweder Blättchenelektroskope oder 
Quadrantelektrometer oder Quarzfadenelektrometer. 
Blättchenelektroskope. Zu den Blättchenelektroskopen ge- 
hört das von P. Curie angegebene Modell, nach vorstehender Abbildung. 
Es besteht aus einem festen vertikalen Metallstäbchen (a), an dem 
das leichte, bewegliche Blatt (b) befestigt ist. Der Streifen wird von 
einem Stabe getragen, der durch einen isolierenden Stopfen in der Decke 
des mit der Erde leitend verbundenen Metallgehäuses S geführt ist. An 
seinem äußeren Ende trägt der Stab einen durch einen Metalldeckel ge- 
schützten Ladungsknopf. Ein rechtwinklig an diesem Stabe befestigter 


den ist. 


28 Sticker, 


zweiter Stab geht durch die Seitenwand des Gehäuses in die Ionisations- 
kammer, einen Metallzylinder, der auf einer vom Gehäuse getragenen 
Randleiste aufsitzt. In dieser Kammer befinden sich die Kondensator- 
platten, von denen die Platte A mit dem Stabe des Elektroskops, die 
Platte B, die die radioaktive Substanz trägt, mit dem Gehäuse verbunden 
ist. Sobald das Elektroskop geladen ist, entsteht ein Feld zwischen A 
und B, und ist die Luft daselbst durch die Gegenwart einer radioaktiven 
Substanz leitend geworden, so entladet sich das Elektroskop nach und nach, 
und das bewegliche Blatt nähert sich dem festen Metallstabe. Man be- 
obachtet die Bewegung des Blattes mit einem 
schwach vergrößernden, mit Okularmikrometer 
versehenen Mikroskop, und kann aus der Ge- 
schwindigkeit der Entladung den Wert des 
Stromes in relativrem Maße bestimmen. 

Auch der von Engler und Sieveking 
„Fontaktoskop‘‘ benannte Meßapparat benutzt 
das Blättchenelektroskop. Folgende Zeichnung 
gibt den Apparat nach der von Löwenthal 
getroffenen Veränderung wieder. Es besteht 
aus einem Elektroskop und einer zwei Liter 
fassenden Blechkanne, welche den lonisations- 
raum darstellt. 

Das Elektroskop zeigt im wesentlichen 
einen vorn und hinten mit Glasscheiben be- 
deckten Kopfteil, in dessen Innenraum zentrisch 
eine Metallstange von oben nach unten verläuft, 
welche in einer Bernsteinplatte oben isoliert 
eingelassen ist. An dem Metallstab sind oben 
zwei Aluminiumblättchen b befestigt, die in 
der Ruhe durch zwei seitliche, bewegliche, 
eingeschobene Schutzbacken S geschützt werden können. Der Metallstab 
ist nach unten verlängert durch den sogenannten Zerstreuungsstab Z, welcher 
eingeschraubt wird und dann in die Meßkanne durch die Öffnung des 
Metallfußes hineinragt. Die Bewegung der Blättchen wird durch eine 
Lupe beobachtet, während gleichzeitig die Blättchenstellung an einer sich 
spiegelnden Meßskala fixiert wird. Diese Skala hat, von der Mitte be- 
trachtet, nach jeder Seite 20 Teilstriche — in Summa also 40. Der 
Nullpunkt befindet sich in der Mitte der Skala. 

Quadrantelektrometer. Das Quadrantelektrometer ist für elek- 
trische Spannung empfindlicher, aber dafür wegen seiner größeren Kapazität 
für elektrische Ladung weniger empfindlich als die Blättchenelektroskope. 





Fig. 11. 
Fontaktoskop. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 29 


Wie mit dem Quadrantelektrometer ein schwacher Strom, der unter 
der Wirkung einer radioaktiven Substanz sich bildet, gemessen wird, ergibt 
sich aus folgender Beschreibung. 

A und B bilden die beiden Platten eines Kondensators. B trägt die 
ralioaktive Substanz und ist auf ein hohes Potential gebracht. Die Platte A 
ist mit dem Quadrantenpaar 1 verbunden, das beliebig zur Erde abgeleitet 
oder isoliert werden kann. Das Quadrantenpaar 2 ist vollständig geerdet. 
Die Nadel, die an einem Faden mit einiger Torsion hängt, erhält ein 
hohes Potential. Sind beide Quadrantenpaare zur Erde abgeleitet, so findet 
sich die geladene Nadel in einer Gleichgewichtslage symmetrisch zu den Sek- 
toren. Isoliert man den Sektor 1, so lädt er sich durch den Strom, der 
durch den Kondensator übergeht, und die Nadel geht aus der Gleich- 
drantenpaar eintre- 
tenden Ladungsstro- 

Geschwindigkeit zu 
beobachten, mit der 








gewichtslage heraus. LJ 
mes können verschie- 


ZurMessung des 
in das isolierte Qua- 
dene Methoden an- 
gewandt werden. Am == == 
einfachsten ist es, die 


die Nadel sich be- Erge — 
wert, und sich dazu T 
der gewöhnlichen op- l 
tischen Vorrichtung Fig. 12. erde 


zu bedienen. Man 
befestigt an dem Stiel, 
der die Nadel trägt, einen konkaven Spiegel, der auf eine in einiger Ent- 
fernung horizontal angebrachte Skala den Schein einer geeigneten Lichtquelle 
wirft. Schlägt die Nadel aus, so beobachtet man die Bewegung des Licht- 
scheins, die um so rascher vor sich geht, als der Strom stärker ist. Man 
nennt diese Methode die Methode der Ausschlagsgeschwindigkeit. 

Das gebräuchlichste Fadenelektrometer ist das nach Th. Wulf. 
Es besitzt 2 Quarzfäden von 0,001 mm Dicke. Im Normalzustand setzen 
die nicht leitenden Luftteilchen der Ableitung der Elektrizität vom Stabe 
rings zur Glocke ein Hindernis entgegen. Treffen Radiumstrahlen auf die 
Luftteilchen, so lassen diese den Übergang der Elektrizität zu. 

Das Elektroskop wird von außen aufgeladen und die Quarzfäden gehen 
entsprechend der Ladung auseinander. Indem wir nun bei Annäherung 


Quadrantelektrometer. 


30 Sticker, 


eines Radiumpräparates die Verminderung der Abstoßung der beiden Fäden, 
die hierdurch hervorgerufen wird, ablesen, besitzen wir ein äußerst feines 
Instrument zur Messung der Radioaktivität. 

Die thermische Methode, d. h. die Messungsmethode mittels 
der Bestimmung der Wärmeentwicklung geht von der Tatsache aus, daß 
die Gesamtenergie der Strahlung der Menge der radioaktiven Substanz 
proportional ist. 

Es genügt also die bei vollständiger Absorption der Strahlen produ- 
zierte Wärmemenge zu messen. 


B. Biologische Wirkungen der radioaktiven Substanzen. 

Erstens: Allgemeine Wirkung der komplexen Strahlung auf 
organische Substanzen. — Radium und Mesothorium liefern keine 
homogene Strahlung und es genügt somit nicht die Menge der radio- 
aktiven Substanz zu kennen, welcher der Träger enthält; die Strahlung 
ist vielmehr eine gemischte (komplexe), die mit æ, B und y bezeichnet 
wird und deren jede eine verschiedene Penetrationskraft und Absorptions- 
größe besitzen. Dementsprechend ist auch zu erwarten, daß die bio- 
logischen Wirkungen verschiedenartige sein werden, je nachdem die eine 
oder andere Strahlengattung vorherrscht. 

Das gegenseitige Verhältnis der Strahlengattungen ist einmal abhängig 
von der Art des Bestrahlungsapparates (des Trägers inkl. des Filters), 
zweitens von der Lage des zu bestrahlenden Körperorganes. Liegt das 
letztere an der Oberfläche des Körpers, bildet es die Oberfläche, das 
Deckorgan (äußere Haut) selber, so spielen die weniger durchdringenden 
Strahlen, liegt das zu bestrahlende Organ in der Tiefe, so spielen die 
tiefer durchdringenden Strahlen die Hauptrolle. 

Daß die physikalische Eigenschaft der Absorption, welche nach der 
Dichte der Substanz wechselt, auch für das organische Gewebe wechselnde 
Grade zeigt, kann ohne weiteres beobachtet werden. Von der Absorptions- 
sröße des Gewebes für die Radiumstrahlung hängt aber auch die bio- 
logische Wirkung der Strahlung auf das Gewebe ab, welch letztere eine 
funktionshemmende oder funktionsstörende sein kann. 

Die Mannigfaltigkeit der biologischen Funktionen der Gewebe macht 
das Problem oft zu einem sehr verwickelten. 

Einfacher gestaltet sich das Problem der wirksamen Radiumbestrahlung 
tierischer Gewebe, wenn es gilt krankhaftes Gewebe zu zerstören, wie vor 
allem bei den gutartigen und bösartigen Neubildungen. Hier heißt es vor 
allem diejenige Strahlungsgattung aufzusuchen, für welche das Neubildungs- 
gewebe die größte Absorption besitzt und diese so anwenden und dosieren, 
daß das gesunde benachbarte Gewebe den geringsten Schaden erleidet. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 31 


Die deletäre Wirkung des Radiums und verwandter Stoffe auf die 
lebende Substanz wurden auf vielfachem Wege studiert, hierher gehören 
die Forschungen über die Vernichtung von Bakterien, die Vernichtung der 
Keimkraft von Pflanzensamen, die Vernichtung von pathologischen, ins- 
besondere von Geschwulstgewebe. 

Die Reizwirkungen, welche nur in einer Störung der normalen biologi- 
schen Vorgänge (Störung der Entwicklung, der physiologischen Funktionen) 
bestehen, sind zum großen Teil nur als partielle Schädigungen einzelner 
Zellen und Gewebsbestandteile aufzufassen. 

Wirkung der Sekundärstrahlung der radioaktiven Sub- 
stanzen auf das Körpergewebe. Wie wir oben sahen, wird jeder von 
radioaktiven Strahlen getroffene Körper seinerseits wieder zur Strahlen- 
quelle, wobei die in ihm neu entstehenden Strahlen einen anderen Härte- 
grad haben, als die einfallenden, während aber die von den Schwermetallen 
ausgehenden Sekundärstrahlen weicher, sind die von tierischem Gewebe 
gebildeten Sekundärstrahlen meist härter als die einfallende Strahlung. 

In der Röntgenphotographie werden deshalb bei dicken Objekten 
weichere Strahlen angewendet, als eigentlich für die größtmögliche Kontrast- 
bildung ersprießlich wäre, denn unter harter Strahlung entstehen weit mehr 
Sekundärstrahlen als unter weicher. 

Für die direkte Tiefentherapie hinwiederum sind die Sekundärstrahlen 
von wenig Belang, weil sie so hart sind, daß ihre physiologische Wirkung 
kaum in Betracht kommt. 

Man kann sich aber die weichen Sekundärstrahlen, wie sie von Me- 
tallen ausgehen, auch im Körper zu Nutzen machen. So hat Johnson 
bei Darmleiden metallisches Silber einnehmen und auf den Unter- 
leib sehr harte Strahlen einwirken lassen. Dasselbe erreichte Harris,!) 
wenn er vor der Röntgenbehandlung des karzinomatösen Rektums Zink- 
paste einführte. 

Emil G. Beck brachte in die Nähe der erkrankten Gewebe (Herde 
im Becken, im Hüftgelenk, in der Wirbelsäule) Wismutpaste und ließ die- 
selbe erhärten. Die harten Röntgenstrahlen wurden von den Weichteilen 
nur in geringer Menge absorbiert und konnten deshalb auch nur eine un- 
bedeutende therapeutische Wirkung entfalten. Beim Auftreffen aber auf 
das Wismutsalz wurden die harten Strahlen zum Teil in weiche Sekundär- 
strahlen umgewandelt, welche nun in dem unmittelbar benachbarten kranken 
Gewebe kräftig absorbiert werden und daher eine intensive therapeutische 
Wirkung entfalten. 

Da das Wismut aber mehrfach giftige Eigenschaften (Stomatitis, Zy- 


1) Brit. Med. Ass. Birmingham 1911. 


32 Sticker, 


lindrurie, letaler Ausgang) entfaltet haben soll, wird es Aufgabe der For- 
schung sein, ein ungiftiges Mittel ausfindig zu machen, welches weiche 
Sekundärstrahlen auszusenden vermag. 


Zweitens: Besondere Wirkung der komplexen Strahlung auf 
organische Substanzen. 


1. Strahlenwirkung auf einfache organische Substanzen. — Bei 
längerer Bestrahlung von Papier, Seide, Battist, Zelluloid, Kampfer, 
Pflanzenblätter, Holz werden diese Stoffe brüchig, zum Teil auch dunkel 
gefärbt. Je stärker die Bestrahlungsapparate, desto kräftiger ist ihre 
Wirkung und dies hängt mit ihrer Ozonisierung des Luftsauerstoffes zu- 
sammen. Diese Bildung von Ozon wie die von Halogen bzw. Halogen- 
oxyden spielen aber bei der Veränderung organischer Farbstoffe durch 
Radiumbestrahlung eine Hauptrolle. Der Blutfarbstoff von Maus und 
Kaninchen nimmt einen dunkleren, der von Huhn und Frosch einen 
helleren Ton an, der von Meerschweinchen erscheint satter gefärbt. Das 
gelbgrüne Biliverdin wird grasgrün. 

Chlorophyll blaßt langsam aus, blaue Lackmustinktur wird wie durch 
eine Säure allmählich gerötet. 

Hämatoxylin nimmt die Farbe von Karmin an. 

Einen Einfluß von der Radiumstrahlung auf die Aromabildung in 
Gärungsflüssigkeiten saı W. Casparı. Da Röntgenstrahlen, ultraviolettes 
Licht, sowie Hochfrequenzströne einen ähnlichen Effekt haben, so ist an- 
zunehmen, daß es sich hier um eine Strahlenwirkung allgemeiner Art 
handelt, die man als Strahlenefiekte von den direkten chemischen Wir- 
kungen unterscheiden muß. 

Die letzteren werden vielfach erst sekundär hervorgerufen. 


2. Strahlenwirkung auf Fermente. — Um die Beeinflussung fermen- 
tativer Prozesse durch radioaktive Substanzen zu studieren, hat die experi- 
mentelle Untersuchung im großen und ganzen zwei Wege eingeschlagen. 
Einmal wurden Fermentlösungen der Strahlung eines Radiumsalzes unter 
Ausschluß der Emanation ausgesetzt, in anderen Fällen wurde die Wir- 
kung der isolierten Emanation auf die Fermenttätigkeit untersucht. 

Nur ausnahmsweise wurde bei den Versuchen direkt das Radiumsalz 
der Fermentlösung zugesetzt und damit bewirkt, dab sämtliche vom Radium 
ausgehenden Energien sich Geltung verschaffen konnten. 

Bei den Bestrahlungsversuchen kamen ausschließlich B- und y-Strahlen 
in Betracht, da das radioaktive Präparat in eine Metallkapsel hinter eine 
Glimmerplatte eingeschlossen oder in einem zugeschmolzenen Glasröhrchen 
sich befand. 

Es zeigte sich nun. daD bei strenger Einhaltung dieser Versuchs- 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 33 


anordnung im allgemeinen Wirkungen auf Fermente entweder gar nicht 
oder nur schwach und inkonstant beobachtet wurden. 

Keine Einwirkung der ß- und y-Strahlen konnte von London auf 
das Pepsin, von Henri und Mayer auf das Labferment wie auf die Blut- 
»rinnung festgestellt werden. Nach Danysz soll das Trypsin eine Ab- 
schwächung erfahren, während es nach den zuvorgenannten Autoren un- 
verändert bleibt. Bergell und Braunstein sahen gleichfalls die Hemmung 
der Trypsinwirkung. 

Das autolytische Ferment wird nach unveröffentlichten Versuchen, die 
auf Bickels Veranlassung Wohlgemuth anstellte, gleichfalls nicht von 
den $- und y-Strahlen des Radiums verändert. 

In Übereinstimmung mit diesen Beobachtungen am Radium befinden 
sich die Erfahrungen, die Bickel in Gemeinschaft mit Minami mit den 
»- und y-Strahlen des Mesothoriums machte. 

Diese Versuche zeigen in evidenter Weise, daß die B- und y-Strahlen 
les Mesotlioriums genau wie diejenigen des Radiums sich gegen das auto- 
Iitische Ferment inaktiv verhalten. 

Den Verdauungsfermenten, der Diastase, dem Pepsin und Trypsin 
gegenüber war auch kein stärkerer Einfluß dieser Strahlen nachweisbar, 
immerhin verliefen die Versuche doch nicht ganz so eindeutig negativ, wie 
liejenigen mit dem autolytischen Ferment. | 

Aus allen diesen Beobachtungen ergibt sich demnach, daß die B- und 
‘Strahlen des Mesothoriums oft überhaupt keinen und in den positiven 
Fillen höchstens einen geringfügigen und wahrscheinlich öfters nur vor- 
überselenden Einfluß auf die Verdauungsfermente (Diastase, Pepsin und 
Trypsin) erkennen lassen, und daß dieser Einfluß bald in einer Aktivierung, 
kald in einer Hemmung der Fermentwirkung besteht. 

Die Beobachtungen über den Einfluß der isolierten Radiumemanation 
suf Ferinente sind in Folgendem kurz zusammengefaßt. 

Die ersten hierher gehörigen Mitteilungen stammen von Bergell und 
Braunstein (1905), die aus Radiumbromid durch Destillation und unter 
Anwendung intensiver Kühlung reine Emanation gewannen, und mit dieser 
Emanation Beobachtungen über die Verstärkung der Trypsinwirkung an- 
“ellten, wie von Bergell und Bickel (1905), welche die Aktivierung des 
Penins durch Radiumemanation nachwiesen. 

In der Folge wurden diese Versuche vielfach variiert und auf andere 
Fermmente ausgedehnt. So stellten Loewenthal und Wohlgemuth (1909) 
‘t. daß durch Radiumemanation bei der Diastase zunächst eine Hemmung, 
ater eine Beschleunigung zustande kommt, so ermittelten Edelstein 
l]Loewenthal (1908), daß reine Radiumemanation auf die Autolvse von 
r rmaler Leber und Lunge, von pneumonischer Lunge. wie vom Karzinom- 


Strahlentherapie Band III, Heft 1. 3 


34 Sticker, 


und Sarkombrei einen begünstigenden Einfluß hat, alles Beobachtungen. 
die im wesentlichen die älteren Befunde von Bergell, Braunstein und 
Bickel im Prinzip bestätigten und die, soweit das autolytische Ferment in 
Frage kommt, die Beobachtungen von Neuberg und Wohlgemuth aus 
dem Jahre 1904 weiter analysierten. Auch das glykolytische Ferment 
soll durch Radiumemanation nach Engelmann und Wohlgemuth ver- 
stärkt werden. 

Minami stellte fest, daß Thor-X und Thoremanation die mensch- 
liche Speicheldiastase in der Regel zunächst hemmt, bei längerer Digestions- 
dauer aber in ihrer Wirkung verstärkt. Bei noch längerer Versuchsdauer 
zeigt sich dann ein unregelmäßiges Verhalten. Die Pankreasdiastase des 
Hundes verhält sich in ähnlicher Weise. 

Das peptische Ferment wird durch Thor-X und Thoremanation_ bei 
längerer Versuchsdauer in geringem Maße aktiviert, das Trypsin wird un- 
regelmäßig beeinflußt, oft zunächst stark gehemmt; später läßt die Hemmung 
dann mehr und minder nach. 

Das autolytische Ferment der normalen Hundeleber wird durch 
Thor-X und Thoremanation anfangs beträchtlich verstärkt; bei längerer 
Einwirkung kann dagegen Hemmung beobachtet werden. Der Zusatz von 
Radiothorium zu der Thor-X- und Thoremanationslösung ändert das Ver- 
suchsresultat nicht. 

Alles in allem lehren sowohl die Versuche mit Ra- 
diumemanation, als auch diejenigen mit Thor-X und 
Thoremanation, daß die -Strahlen einen intensiven Ein- 
fluß auf die Fermenttätigkeit ausüben können, während 
die p- und y-Strahlen des Radium und des Mesothorium, 
nur eine unbedeutende Wirkung auf die Fermente ent- 
falten. 

3. Strahlenwirkung auf niedere Organismen, inbesondere 
Krankheitserreger. Die Röntgenstrahlen haben sich in zahlreichen 
Versuchen als wenig wirksam gegen niedere Organismen, insbesondere 
auch gegen pathogene Bakterien erwiesen: eine Erklärung hierfür liegt 
in ihrem starken Durchdringungsvermögen. Die radioaktiven Substanzen 
dagegen, welche neben stark durchdringenden auch weniger durchdrin- 
gende Strahlen von leichter Absorbierbarkeit aussenden, üben einen wahr- 
nehmbaren Reiz auf niedere einzellige Lebewesen aus, der sich vor allem 
als wachstumshemmend, in einigen Fällen auch als lebenzerstörend er- 
weist. Trotzdem muß man die bakteriziden Wirkungen der radioaktiven 
Substanzen. wenn man sie mit den gewöhnlich verwendeten Desinfektions- 
mitteln vergleicht, als wenig bedeutend anerkennen. So wirkten nach Strah- 
mann die von 10 mg Radiumbromid ausgehenden B- und y-Strahlen 





Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 35 


auf Kulturen von Prodigiosus, Staphylococcus, Streptococcus, Tricho- 
phyton tonsurans, Achorion Schönleini erst nach mehrstündiger Einwirkung 
wachstumshemmend. Sichere Abtötung erfolgt meist erst nach 24 bis 26- 
stündiger Bestrahlung. 


Wachstum frischer Kulturen unter dem Einfluß von 
Radıumstrahlen. 


a) Glimmerverschluß. 


— 








Stunde Prodigiosus | Sap2y.0- BERDOR os | Achorion 
| Coccus coccus phyton 
6 + | +++ +++ +++ ++ 
12 + +++ | ++ ++ + 
18 + i ET + 0 + 
24 0 | T 0 + 
36 + + 
48 | 0 | 0 
b) Glimmer- und Glasverschluß. 
6 +++ | +++ ++ +++ | +++ 
12 Ti +++ ++ +H | +++ 
18 + +++ ++ ++ ++ 
24 F +++ + + + 
36 0 +++ 0 0 + 
++ + 
60 0 0 


So konnte weiter Wickham bei 12stündiger Bestrahlung mit Dmg 
nem Radiumsulfat keine Wachstumsstörung von Gonokokken und Sta- 
phylokokkenkultur erzielen, obwohl das unlösliche Salz nur von Firnis be- 
deckt war und eine 5% æ-, 80% ß- und 15 % y-Strahlung abgab. 

Auch Prescott hatte negative Erfolge bei der Bestrahlung von Typhus- 
und Diphtheriekulturen, sowie von Bierhefe mit etwa 150 mg Radiumbroniid 
wihrend 1 Stunde und mehr. 

Partielle Schädigungen der Bakterien, wie Bewegungshemmung bei 
Tıphusbakterien, Zerstörung des Leuchtvermögens bei Leuchtbakterien, 
wurden mehrfach beobachtet. 

Man muß aber wohl beachten, daß bei den bisher geschilderten Ver- 
suchen nur die B- und y-Strahlung, nicht aber die «-Strahlen und die 
Emanation in Wirkung traten. | 

Von letzterer steht es aber durch zahlreiche Versuche fest, daß sie 
ène stark bakterizide Wirkung entfalten kann. Typhusbazillen und 
Diphtheriebazillen kamen auf der Oberfläche von Schrägagar bei Zuleitung 
“n Emanation nicht zur Entwicklung. 

3% 


36 Sticker, 


Auch Mäusetyphusbazillen und Choleravibrionen wuchsen auf Schräg- 
agar in emanationshaltiger Luft nur im Kondenswasser. 

Die relativ schwache Wirkung der Emanation auf die in der Flüssig- 
keit befindlichen Keime erklärt sich durch die geringe Löslichkeit derselben 
in Wasser, welche bei Zimmertemperatur nur den dritten Teil der Sätti- 
gungsmenge in Luft beträgt und bei Brutofentemperatur noch geringer 
sein dürfte. 

Auch Koli- und Milzbrandbazillenkulturen sistierten im Wachstum Dei 
Einwirkung von Emanation. 

Die Beeinflussung chromogener Bakterien durch die Emanation unter- 
suchten Bouchard und Balthazard. Bei Prodigiosus und Ruber 
Kieliensis vollständige Sistierung des Wachstums. 

Dautwitz beobachtete nach Einwirkung der aus Uranpecherzrück- 
ständen gewonnenen Emanation bei Prodigiosus deutliche Wachstumshem- 
mung und verminderte Farbstoffbildung. 

Mit dem emanationshaltigen Quellwasser bzw. der Quelluft in Gastein 
konnte Kalmann, mit dem Kissinger Rakoczybrunnen Reinbold Prodi- 
giosuskulturen schädigen. 

Die Tuberkelbazillen erwiesen sich auch der Emanation gegenüber 
verhältnißmäßig resistent. 

Nun können die Ergebnisse dieser Versuche in vitro — die Bestrahlungs- 
und Emanationsversuche — nicht ohne weiteres auf infizierte Gewebe an- 
gewandt werden. In der Tat betont auch Wickham den auffallenden 
Unterschied zwischen der relativ geringen bakteriziden Wirkung der 
Strahlung auf Staphylokokken und Gonokokken, welche sich auf Nährboden 
befanden und der auffallenden Heilwirkung der penetrierenden Radium- 
strahlen bei Staphylomykosis der Haut. Man kann hier an ein Eingreifen 
des Radiums in den Kampf zwischen den Bakterien und dem Gewebe 
denken, welches zugunsten des Organismus geschieht, sei es, dab das 
Radium einen Einfluß auf eine erhöhte Bildung der Abwehrstoffe des 
Körpers (Immunstoffe) hat, sei es, daß seine partielle Schädigung der Bak- 
terien, die wir oben besprochen, dem Körper zugute kommen. 

Hierfür sprechen die Versuche von Flemming und Krusius, welche 
nach Einspritzung von Tuberkelbazillen in die vordere Augenkammer und 
nachfolgende Bestrahlung mit Radium (2,6 mg) und Mesothorium (12 me‘ 
eine deutliche Abschwächung des tuberkulösen Krankheitsverlaufes beob- 
achteten. ‘So sah ferner Schütze nach intravenöser Injektion von Radiunı- 
lösung die Agglutininbildung bei Tieren, die mit Typhus, Cholera, Prodi- 
giosus infiziert waren, verstärkt. 

Ein mit Milzbrand infiziertes Kaninchen erhielt (Aschkinass und 
Caspari) im Verlauf von vier Wochen vier Injektionen von je 1 mg Radium- 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 37 


bromid in wässeriger Lösung. Die Organe des an Entkräftung verendeten 
Tieres waren steril. 

4. Strahlenwirkung auf lebende Zellen und lebendes Gewebe 
des tierischen Organismus. Jede lebende Zelle des tierischen 
Organısmus ist durch radioaktive Strahlung angreifbar, aber 
je nach ihrer Artist sie für die eine oder andere Strahlung 
mehr oder weniger empfindlich (spezifische Empfindlichkeit). 

Ältere und ausdifferenzierte Gewebszellen zeigen oft selbst bei längerer 
Einwirkung des Radiums viel geringere Veränderungen als junge embryo- 
nale Zellen oder Keimzellen, wie Eier und Samenfäden bei sehr kurzer 
Bestrahlung. 

Die Strahlen, die die kräftigsten Wirkungen hervorbringen, sind 
die «-Strahlen. Die am meisten absorbierbaren $-Strahlen scheinen eine 
chemische Wirkung auf das Protoplasma auszuüben, ähnlich der der ultra- 
violetten Strahlen von sehr kurzer Wellenlänge. 

Die durchdringenden Strahlen verhalten sich wie die X -Strahlen 
sehr träge. 

Vereinigt scheinen die ß- und y-Strahlen in genügender Stärke den 
Zellen und besonders dem Zellkern eine Erregung mitzuteilen, die lange 
fortdauert, nachdem die Bestrahlung aufgehört. 

In sehr großen Dosen lösen dieselben Strahlen das Protoplasma auf 
und zersetzen die Nährsubstanzen. 

Worin die Wirkungen der radioaktiven Stoffe auf lebende Zellen be- 
ruhen. ist noch ungewiß. Eine Elektrolyse des Wassers, eine Spaltung 
des Ammoniaks, eine Zerlegung der C'hloride, einen direkten Abbau organi- 
schen Materials bewirken sie wahrscheinlich nicht, am ehesten wird man 
an katalytische Wirkungen der radioaktiven Substanzen und an Beziehungen 
derselben zu enzymatischen Prozessen, welche im Leben der Zellen eine 
grobe, wenn nicht die wichtigste Rolle spielen. denken müssen. 

Bei Bestrahlung von Geschlechtszellen (Samenfäden und Eier des 
Frosches) fand Hertwig, daß in erster Linie die Kernsubstanzen affıziert 
werden und für den pathologischen Ablauf des Entwicklungsprozesses der 
Eier verantwortlich zu machen sind. 

Mit dieser spezifischen Empfindlichkeit der Zellen steht die der Ge- 
webe im engsten Zusammenhang. Auch hier wie bei den Zellen leichte 
Beeintlußbarkeit der embryonalen und jugendlichen Gewebe, größere Wider- 
standsfühigkeit der ausgewachsenen; aber diese Widerstandsfähigkeit ist 
keine definitive und absolute. 

Aus den an Bakterien, Pilzen, Samenkörnern. Keimlingen, Blumen 
und Blättern ausgeführten Versuchen geht hervor, daß die Strahlung in 
starken Dosen nicht nur das Wachstum und die Entwicklung der Pflanzen 





38 Sticker, 


aufhalten, sondern ihr Gewebe so weit verändern, daß sie ihren Tod her- 
vorrufen. 

Bei mäßigen Bestrahlungen treten nur partielle Schädigungen der 
Gewebe auf, die erst nach längerer Zeit infolge einer konsekutiven und 
mählich fortschreitenden Störung im Stoffwechsel der betroffenen Zellen zu 
sichtbaren Veränderungen führen. So beobachten wir, daß im unmittelbaren 
Anschluß an eine einmalige, kurzdauernde Bestrahlung eines Hautbezirkes 
mit Radium zunächst gar keine Zeichen auf die vorausgegangene Einwirkung 
hinweisen. Mehrere Tage können verstreichen, ehe die erste Rötung sich 
einstellt, und noch später setzt die Nekrose, die Geschwürsbildung und 
nur ganz spät die Vernarbung ein. Gerade die Hartnäckigkeit, mit der 
das lädierte Gewebe der Heilung widersteht und die diese Radiumgeschwüre 
einen so außerordentlich protrahierten Verlauf nehmen läßt, kann wohl nur 
so erklärt werden, daß durch die Bestrahlung eine partielle Schädigung 
einzelner, vielleicht besonders empfindlicher Zellbestandteile herbeigeführt 
wird, und daß, soweit nicht die Schädigung den zur Geschwürsbildung 
führenden Zelltod bewirkt hat, die Bestrahlung die Zellen nur krank 
macht und die regenerativen und produktiven Eigenschaften des Gewebes 
in ihrer Einflußsphäre auf lange Zeit hinaus lähmt. Für diese Auf- 
fassung der Pathogenese der Radiumgeschwüre sprechen nicht zuletzt auch 
die Beobachtungen O. Hertwigs über die Entwicklungsanomalien mit 
Radium bestrahlter Eier. 

Alle diese Beobachtungen deuten bereits an, daß die Radiumwirkung 
auf die Zelle außerordentlich kompliziert ist, und daß sie sich offenbar 
ähnlich anderen bekannten physiologischen Reizen verhält, die je nach Art. 
Intensität und Dauer verschiedene Reaktionen auszulösen vermögen. 

Zusammenfassend also läßt sich sagen, daß die biologische Wirkung 
der Radium- und Mesothorstrahlung auf das lebende normale Gewebe sich 
in zweifacher Art darstellt: 

1. als eine reizende=hyperämisierende und entzündungserregende, 

2. als eine zerstörende = deletäre. 

Konform der Wirkung anderer Agentia übt das Radium in starker 
Dosis destruktive Wirkung aus; diese sinkt aber bei verminderter Dosis 
bis zur bloßen Reizwirkung herab. Von der Stoffwechselanregung 
bis zum Tod der Zellen, ja des Organismus spielt sich die ganze 
Skala der Reizwirkungen des Radiums und des Mesothoriums ab. 

Latenzzeit. Die reizende und zerstörende Wirkung der Radium- 
strahlen war der Ausgangspunkt unserer biologischen Kenntnisse auf diesem 
ganzen Gebiet. 

Die Wirkung der Radiumstrahlung auf das Gewebe zeigt sich währenil 
der Dauer der Bestrahlung weder durch subjektive noch durch objektive 





Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 39 


Symptome an, obwohl angenommen werden muß, daß sich sofort feinste 
Zellveränderungen vollziehen. 

Die Zeit zwischen der Bestrahlung und dem Inerscheinungtreten der 
Reaktion, die Latenzzeit, steht in einem gesetzmäßigen Verhältnis zur ab- 
sorbierten Radiumstrahlenmenge und zwar ist sie derselben umgekehrt pro- 
portional, d. h. je größer die absorbierte Strahlenmenge, desto kürzer die 
Latenz. 

Da nun mit der Größe der absorbierten Strahlenmenge auch die 
Heftigkeit der Reaktion zunimmt, läßt die Dauer der Latenz auch eine 
Prognose bezüglich der Höhe der zu erwartenden Reaktion und ihres Ver- 
laufes zu. 

Die Dauer der Latenz kann zwischen einigen Tagen und mehreren 
Wochen schwanken. 

Exner, Holzknecht und Wetterer sahen meist nur einige Stun- 
den oder wenige Tage verstreichen, bis die durch die Bestrahlungen ver- 
ursachten Störungen sichtbar wurden, Scholtz und Straßmann kon- 
statierten innerhalb der ersten 24 Stunden das Auftreten eines Erythems, 
Halkın, de Pissareg, Werner, Sticker sprechen von einer Inku- 
bationszeit von 1—3 Wochen. 

Die erheblichen Differenzen beruhen auf der Stärke der ange- 
wandten Präparate, der Fassung derselben und der Bestrahlungsdauer. 

P. Curie ließ ein verhältnismäßig schwach aktives Präparat 10 Stun- 
den lang auf seine Haut am Arme wirken; es erschien bald ein roter 
Fleck, später ein Geschwür, welches 4 Monate zur Heilung erforderte. 

Nach halbstündiger Exposition erschien erst nach Verlauf von 15 Stun- 
den eine Brandwunde, welche in 15 Tagen abheilte. 

Eine Bestrahlung von nur 8 Minuten verursachte eine Erythembildung, 
welche erst nach 2 Monaten erschien. 

Eine besondere Stellung nimmt die Spätreaktion ein, welche wir nach 
Anwendung der Tiefenbestrahlung in den oberflächlich gelegenen Geweben 
beobachten. Durch Anwendung von Metallfiltern, welche die weiche Strah- 
lung aushalten, kann die Tiefendosis erheblich gesteigert werden, ohne 
die Reaktionsschwelle der Haut zu überschreiten. Jedoch gelangt man 
rasch bei diesem Verfahren an eine Grenze, jenseits welcher eine weitere 
Erhöhung der Gesamtstrahlung mit Rücksicht auf die Haut- und Unter- 
hautgefüße sehr verhängnisvoll werden kann. Denn nur durch eine Schädi- 
gung der Gefäße und zwar der Intima können wir die beobachteten Spät- 
reaktionen ungezwungen erklären, die lange Latenzperiode, die Abwesenheit 
«der nennenswerten Primärschädigung der Haut, der charakteristische Ver- 
lauf der tiefen Krebsnekrose, deren Erscheinungen der senilen Gangrän 
mit Endarteriitis obliterans sehr ähneln, sprechen entschieden für diese 


40 Sticker, 


Annahme. Übrigens kennen wir schon längst die ungemein langsam fort- 
schreitenden Gefäßschädigungen, die nach Röntgenverbrennungen auftreten, 
und die sich an den Gefäßwandungen der Kutis und Subkutis abspielen. 

Wie sorgfältig man auch die Durchdringungskraft der Strahlung durch 
Filtration wählen mag, wird doch immer ein Bruchteil der verabreichten 
Lichtmenge durch die verschiedenen Gewebsschichten zurückgehalten. Die 
Strahlenmenge, die in der Tiefe zur Absorption kommt, erreicht nie das 
Quantum, das in den Hautschichten zurückbleibt und trotzdem können, 
ohne vorangegangene Hautschädigungen, Spätulzerationen zum Vorschein 
kommen. Dieses paradoxe Verhalten. erklärt sich leicht, wenn man be- 
denkt, daß das Endothel leichter als die Epidermis durch Röntgenstrahlen 
bzw. y-Strahlen geschädigt wird. Die größere Empfindlichkeit der Endo- 
thelzellen entspricht überhaupt dem bekannten Gesetz der Elektivwirkung. 
das Bergonie& und Tribondeau durch ihre umfangreichen Untersuchungen 
festgestellt haben. Die Gefäßendothelien sind wenig differenzierte Elemente, 
die sowohl in funktioneller als in morphologischer Beziehung einen gewissen 
embryonalen Charakter tragen. 

In den beobachteten Fällen von Spätreaktionen scheint diese Elektiv- 
wirkung rein zutage zu treten. Die übergeordnete Stellung der Gefäß- 
endothelien gegenüber der Kutis in bezug auf Radiosensibilität erheischt 
diesem Verhalten in den Empfindlichkeitsskalen Rechnung zu tragen. 

Die Anwendung der Filtration mahnt deshalb zu der größten Vorsicht, 
besonders wenn es sich darum handelt, schlecht ernährte Gebiete, wie 
ptotische, mit Striis gravidarum behaftete Bauchdecken zu bestrahlen. 

Die Primärschädigungen werden durch weiche Strahlung 
hervorgerufen und verbreiten sich von der Oberfläche nach der 
Tiefe. Die Spätreaktionen dagegen sind durch härtere Strah- 
lung bedingt, entstehen in den Gefäßwandungen und entwickeln 
sich von der Tiefe heraus nach der Oberfläche. 

Absorptionsvermögen der Gewebe gegenüber der radioaktiven 
Strahlung. — Ein Einfluß der radioaktiven Strahlen auf das Körper- 
gewebe hängt immer von dem Absorptionsvermögen des Gewebes ab. 
Je stürker die Absorption, um so stärker die biologische Wirkung. 
Man muß aber mit der doppelten Tatsache rechnen, daß nicht nur die 
verschiedenen (sewebe des Körpers ein verschiedenes Absorptionsvermögen 
zeigen, sondern daß auch ein und dasselbe Gewebe die verschiedenen 
Arten der Radiumstrahlen verschieden stark absorbiert. 

Was das verschiedene Absorptionsvermögen der verschiedenen Körper- 
gewcbe betrifft, so fehlen darüber noch die genaueren exakten Untersuch- 
ungen, welche nicht nur wegen der Beeinflußbarkeit des Gewebes selber 
durch die Strahlen, sondern auch wegen der Abschwächung der Strahlung 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. | 41 


beim Durchdringen eines überdeckenden Gewebes notwendig bekannt sein 
müssen. 

Was darüber in der Literatur vorliegt, sind folgende Angaben. 

Wichmann benutzte die elektroskopische Meßmethode und fand, daß 
die menschliche Haut (Epidermis und Kutis) in etwa 4 mm Schichtdicke 
der Radiumstrahlung ausgesetzt im allgemeinen ?/, der Gesamtstrahlung 
absorbiert. Wird sie durch Hinzufügung des subkutanen Fettgewebes auf 
die doppelte Dicke, 8 mm, gebracht, so steigt die Absorptionsmenge nur 
um ein geringes, nämlich noch nicht 2%. Die Epidermis absorbiert noch 
nicht t/,, der Gesamtstrahlung, die Kutis mithin weitaus am meisten von 
allen Schichten der Haut und Unterhaut, nämlich über die Hälfte der 
einfallenden Strahlung. 

Je tiefer eine Gewebsschicht gelegen, um so weniger Strahlung ge- 
langt in ihr zur Absorption. Doch bestimmt sich dieses Quantum nicht 
durch die tiefe Lage und die Art einer solchen Gewebeschicht allein, 
sondern hängt auch vor allem von der Absorptionskraft der zwischenliegen- 
den Medien ab. In 1 cm Tiefe erwies sich die absorbierte Menge immer- 
hin noch bedeutend, wenn Haut und subkutanes Fettgewebe die Medien 
abgaben. In 2 cm Tiefe sind die Absorptionsmengen sehr gering, aber 
deutlich nachzuweisen. Ein in dieser Tiefe deponiertes Stück Krebsgewebe 
nahm noch deutlich Strahlung in sich auf, freilich nur 1/17 des ursprüng- 
lichen Absorptionswertes, den man erhielt, wenn man das Gewebe direkt 
der Strahlung aussetzte. 

Danysz zeigte, daß ganz unabhängig von dem größeren oder ge- 
ringeren Blutreichtum die Eingeweide und die serösen Häute in sehr ge- 
ringem Maße auf Radiumwirkung reagieren, während das Zentral- 
nervensystem sich als äußerst empfindlich erweist. 

Für die Haut stellte R. Werner fest, daß je dichter und kräf- 
tiger die Haarschäfte, je spärlicher die Drüsen, je grobfaseriger und 
kleinkerniger die Epithelien, je zwischensubstanzreicher das Bindegewebe, 
je reicher der Fettgehalt des Unterhautzellgewebes, desto größer die Wider- 
standsfühigkeit gegen Radiumstrahlen ist; weniger Bedeutung hat die Dicke 
des Stratum corneum. Reichtum an kapillären Blutgefäßen, noch mehr an 
Lymphgefäßen fördert die Empfindlichkeit, ebenso straffe Spannung der 
Haut, geringe Abhebbarkeit, Mangel an Elastizität. 

5. Strahlenwirkung auf pathologisches Gewebe. — Wie verhält 
sich die Wirkung der Strahlung gegenüber dem pathologischen Gewebe? 

Man hat vielfach von einer elektiven Wirkung des Radiums und Meso- 
thoriums auf das pathologische Gewebe gesprochen. Tatsächlich absorbiert 
das krankhaft veränderte Gewebe radioaktive Strahlung in weit höherem 
Maße als normales. 


42 Sticker, 


So absorbierte nach Wichmann Lupus über das Doppelte im Ver- 
gleich zur angrenzenden normalen Haut gleicher Schichtdicke, nämlich 
66,7 % gegen 31,7 %, Karzinom der Mamma 82,7 % gegen 68,3 %. 
Fibromyom 85,2 %, gegen 68,3 %. 

Elektive Wirkung. — Dieser Kontrast kann sich derart ausprägen, 
daß .eine ausschließliche Wirkung auf das pathologische Gewebe vorge- 
täuscht wird. Es ist das jene Gradation des Effektes, die man elektive 
Wirkung der Radiumstrahlen genannt hat, die es allerdings in diesem 
Sinne nicht gibt. | 

Die Strahlenwirkung auf pathologisches Gewebe ist gleich der auf 
normales Gewebe eine zweifache. Einmal können, ohne daß sich entzünd- 
liche Reaktionen bemerkbar machen, durch mehrmalige Bestrahlung Ge- 
schwülste zum vollständigen Schwund gebracht werden. Die dabei auf- 
tretende regressive Metamorphose bleibt entweder, weil schnelle Resorption 
erfolgt unbemerkt, oder kündet sich durch zystische Erweichungsherde an. 
Oder es verläuft die Radiumwirkung auf pathologisches Gewebe unter dem 
Bilde einer chronischen interstitiellen Bindegewebswucherung, im Verlauf 
derer die Krankheitsherde durchwuchert und zerstört werden. 

Histologische Veränderungen. — Die histologischen Vorgänge, 
welche sich in unter der Haut gelegenen metastatischen Karzinomknoten 
nach der Radiumbestrahlung abspielen, hat Exner in ausführlicher Weise 
beschrieben. Eine Woche nach halbstündiger Bestrahlung eines Karzinom- 
knotens fanden sich nekrotische Herde in der Epidermis und zahlreiche 
kleine Blutungen in der Kutis. Letztere waren auch in dem in den tiefen 
Schichten der Kutis liegenden Karzinomherd zu sehen, in welchem zum 
Unterschied von einem nicht bestrahlten Karzinomknoten die einzelnen 
Zellverbände nicht mehr nahe aneinanderlagen, sondern durch ein kern- 
reiches Bindegewebe von einander getrennt erschienen. Die Struktur der 
Karzinomzellen war scheinbar nicht verändert. 

Viel auffallender waren die Veränderungen zwei Wochen nach der 
Bestrahlung. Die Nekrose der Epidermis ist kaum größer als bei dem 
früher beschriebenen Präparate. Der auch wieder in den tiefen Partien 
der Kutis liegende Krebsherd ist in zahlreiche Inseln gesprengt, von denen 
jede aus 2—20 Zellen besteht. In einzelnen Zellen findet sich ausge- 
sprochene Vakuolenbildung. 

In Präparaten, die von einem vor 3 Wochen bestrahlten Knoten 
stammen, bestehen die einzelnen, ziemlich spärlichen Zellnester meist aus 
3—6 teilweise vakuolisierten Karzinomzellen, welche von reichlichem neu- 
gebildeten, kernreichen Bindegewebe umgeben sind. Am Rande der nekro- 
tischen Epidermis beginnt die Neubildung der Epithelzellen. Die Blu- 
tungen in der Kutis sind gering. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 45 


5 Wochen nach der Bestrahlung ist die Neubildung des oberflächlichen 
Epithels bedeutend vorgeschritten, in den tieferen Schichten der Kutis 
liegen, umgeben von ziemlich kernreichem Bindegewebe, einzelne zerstreute 
eroße Zellen, die als Karzinomzellen kaum noch zu erkennen sind. Ihre 
Kerne sind gequollen und nicht scharf konturiert. Das Protoplasma ist 
spärlich, fein granuliert und unscharf begrenzt. 

Die Epidermisierung war nach 7 Wochen bedeutend weiter vorgeschritten, 
so daB nur eine kleine epithellose Hautstelle zu sehen war. Karzinom- 
zellen ließen sich in dem bestrahlten Gebiet nicht erkennen. Wohl sind 
noch sehr wenige, einzeln liegende Zellen zu sehen, die ev. als Reste von 
Karzinomzellen gedeutet werden können, doch sind die Kerne stark ge- 
quollen, das Protoplasma äußerst spärlich und eine Charakterisierung dieser 
wenigen Zellen ist unmöglich. Das kernreiche Bindegewebe enthält sehr 
zahlreiche, neugebildete Kapillaren, deren Endothel in lebhafter Prolifera- 
tion ist. Bemerkenswert ist, daß das neugebildete Bindegewebe bereits 
derber wird und so den Eindruck einer jungen Narbe macht. 

Diese Befunde zeigen, daß eine halbstündliche Bestrahlung genügt, 
um in der Kutis gelegene Karzinomknoten zum Verschwinden zu bringen 
und zwar auf dem Wege einer chronischen interstitiellen Bindegewebs- 
wucherung. Diese Rückbildung war nach 5 Wochen fast vollendet. 

Wie für die normalen Gewebe des Körpers, so läßt sich auch für die 
pathologischen Gewebe eine Stufenleiter der Empfindlichkeit für die Strahlen- 
behandlung aufstellen. Wir bringen eine Tabelle zum Abdruck, welche 
dem Handbuch von Wetterer entnommen und für die Röntgenstrahlen 
aufgestellt wurde. Dieselbe läßt sich vielleicht mit einigen Abänderungen 
für das Studium der Wirkung der mit Röntgenstrahlen verwandten y-Strahlen 
des Radiums in der Folge verwerten. | 


Stufenleiter der Empfindlichkeit der pathologischen Gewebe für 
die Röntgenstrahlen (und die verwandten y-Strahlen des Radiuns). 


Leukämisches und pseudoleukämisches Gewebe 
Sarkom (partim) 

Mycosis fungoides 

Ekzema (partim) 
Hypertrophische Prostata 
Sarkom 

Karzinom 

Struma parenchymatosa 
Lupus hypertr. exulcerans 
Tuberkulöses Lymphom 
Tuberkulöser Knochenherd 


14 Sticker, 


Chondrosarkom 
Lupus plan. 
Osteosarkom 
Lupus verrucosus 
Lipom 

Myom 

Fibrom 

Verruca. 

Es läßt sich also zusammenfassend sagen, daß der Ein- 
fluß der Radium- und Mesothoriumstrahlung auf normales 
und pathologisches Gewebe durch gleiche Wirkungen sich 
manifestiert; daß einzellige Organismen und ihnen gleich- 
lautend die selbständigeren, lebenswichtigeren Zellen 
(Generationszellen, Blutzellen, Nervenzellen) höherer Or- 
ganismen im Radium und Mesothorium keine fördernde, 
sondern nur eine wachstumshemmende und lebenszerstö- 
rende Kraft finden. 

Der höhere Organismus verfügt über Abwehr- und Re- 
generationskräfte, wogegen parasitäre Zellen ım engeren 
und weitesten Sinne des Wortes schutzlos dieser physi- 
kalisch-chemischen Kraft gegenüber stehen. 

Die primär zellzerstörende, nichtdie hyperämisierende 
und entzündungserregende Wirkung des Radiums und 
Mesothoriums zur Geltung kommen zu lassen, halte ich für 
das Ziel, welches bei einer Radium- und Mesothorium- 
therapie der Geschwulstkrankheiten angestrebt werden 
muß und das kann nur durch starke Präparate erreicht 
werden. 

Welche Unterschiede bestehen zwischen den biologischen 
Wirkungen der reinen Radiumsalze und der Mesothorpräparate! 
Die Frage ist in gewissem Sinne eine deutsche Frage. Hat das Mesothor 
nur annähernd eine dem Radium gleiche Wirkung. so ist die Scharte, 
welche die deutsche Wissenschaft durch Nichtbesitz genügender Mengen 
Radiuns erlitten, durch die Entdeckung Hahns ausgewetzt. 

Hören wir vor allem, was die exakte physikalische Forschung sagt! 

Das Radium sendet x-, 3- und y-Strahlen aus, das Mesothor nur 
> und y-Strahlen. Die Durchdringbarkeit der 8-Strahlen des Mesothor 
ist geringer als die der 3-Strahlen des Radium bzw. seiner Zerfallsprodukte. 
Außerdem finden sich im Mesothor neben den eigentlichen. schnellen 
„Strahlen noch sehr leicht absorbierbare $-Strahlen, die beim Radium 
fehlen. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 45 


Auch die y-Strahlen des Mesothor sind etwas leichter absorbierbar 
als die des Radium. 

Nun enthält aber das technisch hergestellte Mesothor immer einen 
bestimmten Prozentsatz Radium. 

Durch diesen stets vorhandenen Radiumgehalt werden die Strahlungs- 
verhältnisse der Mesothorpräparate daher so beeinflußt, daß sie annähernde 
Wirkungen ausüben wie das reine Radium. Während wie oben gesagt 
reines Mesothor nur B- und y-Strahlen aussenden, bedingt das das Meso- 
thor verunreinigende Radium, daß auch ein gewisser Prozentsatz «-Strahlen 
vorhanden ist. Zu diesen «-Strahlen kommen dann im Laufe der Zeit 
noch die x-Strahlen des aus dem Mesothor entstehenden Radiothor. 

Findet somit der Physiker eine annähernde Ausgleichung der Strah- 
lung bei den Mesothorpräparaten und den Radiumsalzen, so fragt sich, ob 
auch die biologischen Wirkungen der Radium- und Mesothorpräparate an- 
nähernd gleich sind. Die in der Literatur niedergelegten Beobachtungen 
bejalıen diese Frage. So berichtet Baumm!) in einer vor kurzem erschie- 
nenen Arbeit, daß nach den bisherigen Versuchen die Mesothorpräparate 
an therapeutischer Verwendbarkeit in der Dermatologie den Radium- 
präparaten kaum nachstehen; so konnte Wichmann?) ein Mesothor- 
präparat therapeutisch erproben, welches in seiner Aktivität diejenige von 
10 mg Radiumbromid übertraf; auch nach Czerny und Caan?) leisten 
Mesothorpräparate bei lokaler äußerer Applikation mindestens dasselbe wie 
Radiumpräparate; die Oberflächenwirkung schien sogar eine stärkere zu 
sein; endlich berichtet Oscar Hertwig?), daß die an Rana fusca mit 
Mesothor angestellten Experimente zur Evidenz zeigten, daß seine physio- 
logischen Wirkungen mit denen des Radiumbromids genau übereinstimmen. 

Die Beobachtungen dieser und anderer Forscher lassen vor allem den 
erfreulichen Schluß zu, daß die Entdeckung des Mesothor durch Professor 
Hahn unsern Arzneischatz um ein wertvolles Mittel bereichert hat. Man 
würde aber zu weit gehen, wenn man das Mesothor nunmehr auf Kosten 
des Radium loben und die Unterschiede nicht genügend hervorheben wollte. 

Nur wenige Forscher aber waren in der Lage, sichere Vergleiche zwischen 
stark wirkenden Radiumpräparaten und Mesothorpräparaten zu ziehen, 
weil kaum einer ein starkes Radium- und Mesothorpräparat in Händen 
zehabt und damit gearbeitet hat. 

Czerny klagte vor 3 Jahren auf dem Chirurgen-Kongreß, daß ihm 
zu seinen Versuchen nur 10 mg Radiumbromid zur Verfügung standen 


I) Berl. klin. Wochenschr. Nr. 31. 

:; Vortrag im ärztlichen Verein Hamburg. 

3» Münch. med. Wochenschr. Nr. 14, 1912. 

1) Mittlg. vom 6. Juli, Sitzungsber. d. Preuß. Akad. d. Wissensch. 1911. 


46 Sticker, 


und noch jüngst berichtet Oscar Hertwig?) in seiner 3. Mitteilung über 
Radium- und Mesothorversuche an tierischen Keimzellen, daß stärkere 
Radiumpräparate als solche mit einer Aktivität von 7,4 mg nicht zu be- 
schaffen waren. 

Nahmmachers in Dresden glänzende Erfolge, welche das Staunen 
der Besucher der internationalen Tagung für Krebsforschung im Jahre 
1911 erregten, sind bei Anwendung von nur 10—20 mg Radiumbromid 
dadurch zustande gekommen, daß dieser unermüdliche Arzt 5—10 Wochen 
lang 10—20 stündige tägliche Bestrahlungen ausführte. 

Mir selbst stehen seit 2 Jahren, zum Teil durch die Opferwilligkeit 
einiger Patienten, zahlreiche Radiumpräparate bis zur Stärke von 100 mg 
zu forschenden und humanitären Zwecken zur Verfügung. 

Außerdem hatte mir die Preußische Akademie der Wissenschaften, 
welche durch von Boettingers Munifizenz in den Besitz von Mesothor 
gelangt, 1911 unter freundlicher Vermittlung Exzellenz Fischer eine 
größere Quantität Mesothor überlassen — eine Kapsel enthielt Mesothor 
von einer Aktivität von 50 mg, die andere von 30 mg reinen Radiumbromids. 

Somit war ich imstande, mit genügender Menge Substanz vergleichende 


Beobachtungen an einem größeren klinischen Material — zum Teil in 
Gemeinschaft mit San.-Rat Isaac in der Lassarschen Klinik — an- 
zustellen. 


Meine Erfahrungen gehen dahin, daß die biologischen Wirkungen der 
Mesothorpräparate nicht dieselben sind wie die der reinen Radiumpräparate. 
Die Mesothorpräparate wirken bei Oberflächenbestrahlung, welche vor allem 
in dermatologischen Fällen in Betracht kommt, rein exsudativ. Es ent- 
steht ein Eczema bullosum s. pustulosum. Bei einer Kranken des Kollegen 
Isaac, welche wegen eines Naevus flammeus zweimal mit Mesothor be- 
strahlt wurde, entstanden nach 5—6 Tagen solche pemphigusartigen Zu- 
stände, wie wir sie niemals nach Radiumbestrahlung gesehen; vielmehr 
tritt hier bei Oberflächenbestrahlung eine zerstörende nekrotisierende Wir- 
kung auf, welche unter starker Krustenbildung verläuft, also ein Eczema 
crustosum darstellt. Dieser Unterschied ist so scharf, dab sich allein hier- 
aus für den Dermatologen verschiedene Indikationsstellungen ergeben, auf 
welche einzugehen hier nicht der Ort ist: es genügt mir auf dieselbe hin- 
gewiesen zu haben. Was dann die Tiefenwirkungen betrifft, wie sie vor- 
zugsweise bei malignen Neubildungen in Betracht kommen, so habe ich in 
manchen Füllen alternierend bald das Radium, bald das Mesothor zur An- 
wendung gebracht: die besten Resultate, d. h. tiefgehende, elektiv zer- 
störende Wirkungen sah ich nur bei Radium. 


ı Sitzungsber. d. Preuß. Akad. d. Wissensch. 1911, B. XL. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 47 


II. Teil. 


Praktische Anwendung der Radium- und Mesothoriumbestrahlung 
in der Heilkunde. 


Wir bringen in folgendem eine Beschreibung nur der von uns als 
richtig befundenen und in Anwendung gebrachten Bestrahlungsapparate 
und zugehörigen Instrumente.!) Wer sich für den historischen Teil, die all- 
mähliche Entwicklung der Strahlungstechnik und die im In- und Aus- 
lande sonst übliche Apparatur interessiert, findet darüber in dem von mir 
bearbeiteten Abschnitt „Anwendung des Radiums in der Chirurgie‘ des 
Löwenthalschen Grundrisses der Radiumtherapie (Wiesbaden 1912) ge- 
nügende Literaturhinweise. 

Soviel sei nur hier im allgemeinen gesagt, daß in der bisher ange- 
wandten Technik viel Untunliches geleistet worden ist und sich dadurch 
die geringen therapeutischen Erfolge mancher Forscher erklären. Ebonit- 
kapseln mit Glimmerverschluß mögen für die Aufbewahrung eines Radium- 
und Mesothoriumpräparates oder zur Anstellung gewisser physikalischer 
und biologischer Versuche tauglich sein. Für dermatologische Zwecke, so 
fern es auf eine Oberflächenbestrahlung ankommt, kommen die unten be- 
schriebenen flachen Apparate, welche bald Platten-, bald Dosengestalt 
haben, mit Vorteil zur Anwendung und für das große Gebiet der chirur- 
gischen Anwendung des Radiums und Mesothors kommen nur zylindrische 
Apparate in Betracht, welche zum Unterschied von den Kapseln und 
Platten allseitig ihre Strahlen aussenden können. 

x. Radiumpräparate. — Die zur Bestrahlung verwerteten Radiumsalze 
(Chlorid, Bromid, Nitrat, Karbonat und Sulfat) kommen selten in reinem 
Zustande in den Handel, im allgemeinen sind sie mit Bariumbromiden 
oder Bariumchloriden vergesellschaftet. | 

Radiumbromid (RaBr,2H,O) enthält 53,61% Ra (Mol. Gew. 422,37) 


N 


Radiumbromid (RaBr,) =. 208.01. 3 a „ 386,37) 
Radiumsulfat (RaSO,) a DO Du ie g „ 822,51) 
Radiumchlorid (RaCl],) in 26.10: u „ 297,35) 


Radiumkarbonat (RaCO,) (Mol. Gew. 286) 

Die reinen Salze enthalten das metallische Radium, dessen Atom- 
gewicht 225,95. Ein Bruchteil der Strahlungsmenge geht im Innern des Präpa- 
rates durch Absorption verloren. Hans Thirring berechnete, daß bei einem 
Kugelradius von 2 cm 6,25% der Gesamtstrahlung im Innern absorbiert wird. 

I) Sämtliche hier besprochenen Apparate und Instrumente werden von der 
Radiogen-Gesellschaft, Charlottenburg vertrieben. 

Die für gynäkologische Zwecke bestimmten Instrumente (Fig. 16—32, 40, 41, 


43 sind nach Angaben der Bummschen Klinik Berlin hergestellt. Über die Art der 
Anwendung erscheint demnächst eine besondere Arbeit in der Münch. med. Wochschr. 


48 Sticker, 


Da die Emanation von den emanierenden radioaktiven Präparaten 
stärk zurückgehalten wird, findet man in letzterem auch stets die Um- 
wandlungsprodukte, die durch den Zerfall der Emanation entstehen. 

Hierdurch wird nach O. Hahn!) der Gewichtsverlust teilweise aus- 
geglichen, der bei völliger Austreibung der Emanation durch Erwärmen für 
1000 mg Radium pro Jahr rund 0,25 mg ausmachen würde. 

6. Mesothoriumpräparate. — Die zur Bestrahlung verwerteten 
Mesothorpräparate werden als erstes Umwandlungsprodukt aus dem 
Thorium gewonnen. Das für die Herstellung des letzteren verwendete 
Material ist der hauptsächlich in Brasilien vorkommende Monazitsand. 
Dieser enthält durchschnittlich etwa 0,3% Uran mit 4—5 % Thoroxyd. 
In den aus diesem Ausgangsmaterial hergestellten Mesothorpräparaten ist 
immer ein bestimmter Prozentsatz Radium enthalten, der sich technisch 
nicht abtrennen läßt, weil Radium und Mesothor die gleichen chemischen 
Eigenschaften haben; und zwar richtet sich die Menge des Radium nach 
dem Urangehalt des Ausgangsmaterials.. In den aus dem Monazitsand 
hergestellten Mesothorpräparaten ergibt sich das Verhältnis vom Mesothor 
zum Radium zu etwa 3:1. Es werden also in technisch gewonnenem 
Mesothor von 100 mg Aktivität 75 mg vom Mesothor und 25 mg vom 
Radium herrühren. 

Je höher der Urangehalt des Monazitsandes, desto höher der Radium- 
gehalt der Mesothorpräparate. Im allgemeinen hat sich das Verhältnis von 
Thorgehalt zu Urangehalt in dem verwendeten Monazitsand als ziemlich 
konstant erwiesen. Durch den Radiumgehalt werden nun die Aktivitäts- 
änderungen der Mesothorpräparate naturgemäl) beeinflußt, so daß die für 
reines Mesothor abgeleiteten Zahlen etwas verändert werden. 

Das reine Mesotlhorium bildet bei seinem allmählichen Zerfall das 
Radiothor, dieses seine Zerfallsprodukte, das Thorium-X, die Emanation 
und den aktiven Niederschlag Th. A+B-+ÜC+D. Mit diesen Produkten 
befindet sich das Radiothor, wenn es aus dem Mesothor entsteht, im 
Gleichgewicht, und daher emittiert es «-, B- und y-Strahlen. Der Betrag 
der Aktivitätszunahme durch die Nachbildung des Radiothors läßt sich 
unter gewissen Voraussetzungen berechnen, z. B. wenn man annimmt, daß 
sich die y-Strahlen des Radiothors, wenn es sich mit dem Mesothor im 
Gleichgewicht befindet, ebenso stark an der durchdringenden Strahlung 
beteiligen wie die des Mesothurs. Das Maximum der Aktivität wird dann 
nach ungefähr 3 Jahren erreicht; hierauf tritt eine langsame Abnahme 
der Aktivität ein, und erst nach 10 Jahren erfolgt die Abklingung mit 
der Halbwertszeit des Mesothoriums von 5.5 Jahren. 





1) Zeitschrift f. Elektrochemie 13, 1907. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 49 


Bei dem mit Radium gemischten Mesothor tritt nun das Maximum 
der Aktivität nach derselben Zeit, wie oben angegeben wurde, also nach 
etwa 3 Jahren ein. Aber die Abklingung erfolgt nach beliebigen Zeiten 
langsamer, als der Periode des Mesothors entspricht. Nach 10 Jahren 
ist die Aktivität noch etwas stärker als zur Zeit der Herstellung, und 
nach 20 Jahren ungefähr halb so stark, und schließlich, wenn alles Meso- 
thor zerfallen ist, bleiben die 25 % Radium übrig. 

Da Mesothorium in 5,5 Jahren und Radium in 1800 Jahren zur 
Hälfte zerfällt und, wie wir wohl annehmen können, die Strahlungsintensi- 
täten gleicher Gewichtsmengen verschiedener Substanzen sich umgekehrt 
verhalten wie deren Zerfallszeiten, so wird 1 mg Gewichtsmenge Mesothor 
so stark aktiv sein, wie rund 300 mg Radium. Das in den Handel ge- 
brachte Mesothorium, dessen Intensitäten nicht nach Gewicht, sondern 
nach Strahlungsstärke angegeben werden, enthält daher an Gewicht Meso- 
thorium nur etwa !/,%, der gesamten Gewichtsmenge. Da die Aktivität 
der Mesothorpräparate auf reines Radiumbromid bezogen ist, und erstere 
etwa 25%, Radiumbromid enthalten, so sind beispielsweise in 100 mg 
technischen Mesothors etwa 0,25 mg Mesothor Gewicht von der Strahlungs- 
stärke von 75 mg Radiumbromid, 25 mg Gewicht Radiumbromid und der 
Rest, also 74,75 mg inaktive Substanz. Gelingt es nun, die inaktive Sub- 
stanz zu entfernen, so muß man ein Präparat erhalten, das bei einem 
Gewicht von 25,25 mg die Aktivität von 100 mg reinem Radiumbromid 
besitzt. Ein solches Präparat ist dann viermal so stark aktiv als reines 
100 prozentiges Radiumbromid. Könnte man noch das Mesothor von 
Radium trennen, so müßten sich schließlich 0,25 mg Mesothor von der 
Stärke von 75 mg ergeben, also ein Präparat, das 300 mal so stark wäre 
als seiner Gewichtsmenge entspräche. Hahn versuchte das technische 
Mesothorium einerseits von den inaktiven Bestandteilen, andererseits vom 
Radium zu trennen. Das erstere gelang ohne große Schwierigkeit, und 
es wurde dabei in Übereinstimmung mit dem eben Gesagten ein Produkt 
erhalten, das rund viermal so stark aktiv war, wie die gleiche Gewichts- 
menge reinen Radiumbromids. Dagegen gelang es nicht, über dieses Ver- 
hältnis hinauszukommen. Die Mesothor-Präparate enthalten also bei einer 
Strahlungsintensität von 100 mg 0,25 mg Gewicht Mesothor und 25 mg 
Gewicht Radium. Die verunreinigende Substanz ist also in diesem Fall 
lediglich Radium, welches sich technisch vom Mesothorium nicht abtrennen 
läßt, ein weiterer Beweis von der Ähnlichkeit des Mesothors und Radiums 
in ihren chemischen Eigenschaften. 

Stärke der Bestrahlungspräparate. — Mit welchen Mengen radio- 
aktiver Substanzen müssen wir arbeiten, um therapeutische Erfolge zu 
erzielen ? 


Strahlentherapie Band III, Heft 1. 4 


50 Sticker, 


Was die Mengen des Radiums und des Mesothoriums betrifft, so 
habe ich vom Anfang meiner Forschungen, welche ich dank des Entgegen- 
kommens meines Chefs, des Herrn Geh. Rat Bier, und des Wohlwollens 
der Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften an der Königl. Chir. 
Univ.-Klinik und seit Errichtung des Radiuminstitutes der Königl. Charite 
für biologisch-therapeutische Forschung unter Leitung des Herrn Geh. Rat 
Prof. His dortselbst betreiben konnte, betont, daß nur Mengen von 50 mg 
aufwärts genügende Energie entfalten, um Ersprießliches in der Bestrah- 
lungstherapie auf dem Gebiete der Chirurgie leisten zu können. 

Ich habe es nie verstehen können. daß immer noch Forscher — ıch 
spreche nicht von den Dermatologen, denn zur Hauttherapie genügen in 
den meisten Fällen Präparate von 5 und 10 mg — über Versuche mit 
schwachen Präparaten berichten und die negativen Resultate in die Dis- 
kussion warfen, wenn über wirkliche Erfolge berichtet wurde. 

Es ist ein einfaches Rechenexempel. Wenn wir wissen, dad 5—- 
10 mg Radium in den Händen der Dermatologen Hautschichten von 
wenigen Millimetern zerstören, so müssen wir zur Zertrümmerung von 1 
und mehr Zentimetern dickem Gewebe, z. B. einer haselnußgroßen karzi- 
nomatösen Drüse, das 10- und 100 fache an Energie bei gleicher Bestrah- 
lungszeit anwenden. 

Die genauere Frage nach der wirksamen therapeutischen Menge, der 
Dosis efficax, formuliert sich nun dahin, wieviel Milligrammstunden sind 
in jedem einzelnen Geschwulstfalle nötig. Nahmmacher in Dresden 
führte mit 10—20 mg Radiumbromid 5—10 Wochen lang 10—20 stündige 
tägliche Bestrahlungen aus, um zu seinen glänzenden Erfolgen bei Uterus- 
und Rektumkarzinomen zu gelangen, das macht also 3500—14000 Milli- 
grammstunden. Bei schnellwachsenden Tumoren wird ein derartiger Be- 
strahlungsmodus, bei welchem erst in 10 Wochen 14 000 Milligrammstunden 
erreicht werden, kaum zu einem Resultat führen. Mit Präparaten aber 
von 50 und 100 mg Radium bzw. Mesothorium können in 1 bzw. 2 Wochen 
obige Energiemengen und mehr erreicht werden. 

Will man endlich nur die reine y-Strahlung verwerten, so genügen 
auch vielfach 50 bis 100 mg Radıum bzw. Mesothorium nicht, sondern es 
müssen 200 bis 500 mg auf einmal angewandt werden, wobei man sich der 
Kreuzbestrahlungsmethode mit Vorteil bedient. Mit starken Präparaten 
ist man imstande, die Klippe der nichtzureichenden Behandlung bei schnell- 
wachsenden Tumoren zu vermeiden, und es gilt weit mehr die obere Grenze 
festzustellen, die Dosis tolerans, d.h. wieviel Milligrammstunden dem ein- 
zelnen Patienten zugemutet werden dürfen, damit er nicht an seinem 
Allgemeinbefinden Schaden davonträgt. Patienten mit größeren Tumoren. 
zumal des Intestinal- und Urogenitalapparates, bei denen nach meinen 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 51 


Beobachtungen schneller Abbau und schnelle Resorption eintreten, müssen, 
wenn sie einer intensiven Radium- und Mesothoriumbestrahlung ausgesetzt 
werden, in beständiger klinischer Beobachtung stehen. Die Intensität 
der Bestrahlung wird nur so lange gesteigert, als keine üblen Neben- 
erscheinungen. insbesondere Resorptionsfieber und Albuminurie, sich geltend 
machen. 

Ich habe in zwei Fällen von umfangreicher Karzinose des Bauchfelles 
nach primärem Koekum- bzw. Uteruskarzinom die Bestrahlungen öfters 
aussetzen müssen, wenn 2000 bzw. 3000 Milligrammstunden erreicht 
waren, weil infolge beschleunigter Resorption kollapsähnliche Zustände sich 
einstellten. 

Man muß bei der äußeren Verwendung der radioaktiven Substanzen 
in Form von Bestrahlungen nie vergessen, daß die radioaktiven Stoffe 
auch gefährliche Wirkungen haben können, eine Warnung, welche Friedrich 
Kraus auch letzthin den internen Radiumtherapeuten ans Herz legte. 

Zur Dlustration der überdosierten Radium- und Mesotlioriumtherapie 
mözen noch folgende bemerkenswerte Fälle dienen. 

Von gynäkologischer Seite wird berichtet, daß ein 0,08 mm dickes 
Silberröhrchen, welches 20 mg Mesothorium enthielt und 12 Stunden in 
„nem Falle, 9 Stunden in zwei weiteren Fällen an derselben Stelle der 
Vagina verblieb, tiefgehende trichterförmige Gewebsnekrosen hervorricf, 
welche fast ein Vierteljahr zur völligen Abheilung gebrauchten. 

In anderen Fällen klagten die Patienten bei der ersten Bestrahlung über 
üigemeines Unbehagen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Ziehen im Unter- 
libe. Bei einer Patientin, welcher wegen Menorrhagie bei Metritis 50 mg 
Mesothoriun in die Zervix und 100 mg in die Vagina eingelegt worden, 
steigerten sich diese Beschwerden bis zum Kollaps. Nach einer halben 
Stunde traten Schmerzen im Unterleibe und Übelkeit auf. Da diese 
Störungen bei den anderen Patienten immer schnell vorübergegangen waren, 
wurde das Mesothorium liegen gelassen. Der Zustand wurde jedoch bald 
ernster. Es stellte sich kalter Schweiß, Ohnmacht und Erbrechen ein. 
Der Puls wurde sehr klein und frequent. Das Mesothorium wurde ent- 
fernt und die Patientin erholte sich langsam unter Exzitantien. Nach 
einigen Tagen wurde die Behandlung ohne Störung mit kleineren Dosen 
fortgesetzt. 

Ein weiterer Fall gehört hierher. Bei einer Frau mit Uterus myoma- 
tosus, der exstirpiert werden sollte, wurden 20 mg Mesothorium in 0,08 
mın starker Silberkapsel in den Uterus eingelegt und 48 Stunden liegen 
gelassen. Am Tage nach der Herausnahme des Mesothorium trat leichte 
Temperatursteigerung auf und wenige Tage später wurde ein etwa gänse- 
eisroßes Exsudat im Douglas festgestellt. Probepunktion ergab sterilen 

4* 


52 Sticker, 


Eiter. Nach Entleerung durch Punktion trat Heilung ein. Menses sind 
seitdem nicht mehr aufgetreten. 

Auch in zwei anderen ad exitum gekommenen Fällen wurde die 
Maximaldosis bei weitem überschritten. Eine Frau wurde wegen eines 
Kollumkarzinoms, das bereits die Blasenwand infiltriert hatte, mit 3880 X 
Röntgenstrahlen und 29075 Milligrammstunden Mesothorium bestrahlt. 
Es trat ein Zerfall der Neubildung, damit aber gleichzeitig auch ein Blasen- 
defekt auf. Die Patientin erlag der Urininfiltration. 

Im zweiten Falle, einem schweren Rezidiv nach vaginaler Totalexstir- 
pation, kam es nach 330 X Röntgenstrahlen und 28260 Milligramm- 
stunden Mesothorium zur Nekrose der Wucherung, die bis ans Kreuzbein 
heranreichte und infolge davon zur Beckenzellgewebsjauchung, der die 
Kranke schließlich erlag. 

Apparatur. In der Radiumbestrahlungstherapie werden drei Arten 
von Apparaten verwendet: Röhren, Kapseln und Platten. 

Während das auf Platten aufgeklebte oder in Kapseln eingebrachte 
Radium nur eine Flächenbestrahlung ermöglicht, also vorzugsweise in der 
Dermatologie Verwendung findet, haben für das große Gebiet der chirur- 
gischen Anwendung des Radiums sich die Röhrenapparate als die geeig- 
netsten erwiesen.!) 


Plattenapparate. — Ich verwende zweierlei Apparate bei der Ober- 
flächenbehandlung. | 

1. Metallträger, das sind Apparate, welche aus Metallplatten be- 
stehen und mit Firnis fixiertes Radium- bzw. Mesotlioriumsalz tragen. Die 
Metallplatten sind in Rahmen eingelassen, welche gleichzeitig die Filter- 
platten aus Aluminium oder Blei aufnehmen. 

2. Steinträger, d. s. Flächenapparate, welche aus gebranntem Ton 
bestehen und eine aus feiner Emaille bestehende Oberflächenschicht be- 
sitzen. Letztere enthält das Radium bzw. Mesothor in gleichmäßig feinster 
Verteilung. 

Die Steinträger haben vor den Metallträgern den Vorzug, daß die 
Emailleschicht weit widerstandsfähiger ist als die Firnisschicht.. Die Vor- 
sicht, welche man bei gefirnistem Träger anwenden muß, damit nicht die 
aufgeklebten Salze, sei es durch Hitze, sei es durch Feuchtigkeit, sich los- 
lösen und welche es mit sich bringt, daß sie niemals olıne dünnen Metall- 
schirm zur Anwendung kommen, fällt bei dem emaillierten Träger ganz 
fort. Deshalb ist aber auch die Intensität der biologischen Wirkung. 





1) Vgl. die ausführliche Darstellung der gebräuchlichen Bestrahlungsapparate 
in Sticker „Anwendung des Radiums in der Chirurgie“, Grundriß der Radiun- 
therapie von Löwenthal 1912. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 53 


d. i. die Nutzstrahlung weit stärker bei den Steinträgern als bei den 
Metallträgern. 

Die Röhrchenapparate haben den Vorteil vor den Kapseln und 
Platten, daß sie allseitig ihre Strahlen aussenden können und bequem in 
Körperhöhlen und Hohlorgane, Gänge und Fisteln mit Hilfe von Zangen, 
Sonden oder Katheter eingeführt, ja selbst mit Hilfe von Bohrer intra- 
tumoral verwendet werden können. 

Mit Hilfe eines Rahmens können sie zu Flächenapparaten umgewandelt, 
unter Anwendung von Guttaperchapapier oder Gummischläuchen können 
die Röhren zu langen Ketten, zu Triangelform, zu Ringform, zu Petschaft- 
form verwendet werden. 

Für die Behandlung der Geschwülste, sei es der in der Haut und 
unter der Haut, sei es der in oder unter der Schleimhaut des Mastdarms, 
der Speiseröhre, des Kehlkopfes, der Harnblase, der Gebärmutter gelege- 
nen sind die röhrenförmigen Apparate unentbehrlich. 

Es ist ausgeschlossen, mit flachen Apparaten genügende Tiefenwirkungen 
zu erzielen. Da wo es gilt, in eine Hautfalte (z. B. Genio-nasalfurche, 
Temporo-aurikularfurche), in natürliche Körperhöhlen (Nasenhöhle, Mund- 
höhle, Gehörgang) mit Radium einzudringen, wo es sich um zerklüftete, 
blumenkohlartige Geschwülste handelt, wo wir weniger auf eine Flächen- 
wirkung, als auf eine allseitige Strahlenwirkung sehen müssen, werden die 
flachen Apparate der Dermatologen — ob sie nun Platten- oder Dosen- 
gestalt haben, mit geringem Vorteil verwendet. 

Mein Bestreben war nun darauf gerichtet, Normalröhrchen her- 
stellen zu lassen, d. h. solche Röhrchen, welche die günstigste therapeu- 
tische Verwertung der Strahlen ermöglichen. Dieser Zweck war nur zu er- 
reichen durch Auswahl des richtigen Materials und der Ausprobung der 
günstigsten Dimensionen. | 

Nach Rücksprache mit hervorragenden Physikern und Chemikern, 
Prof. Hahn, Prof. Markwald u. a. habe ich mich zur Aufbewahrung 
der radioaktiven Substanzen für therapeutische Zwecke zu kleinen Glas- 
röhrchen mit Silberumhüllung entschlossen. Das Salz füllt entweder, wenn 
in großen Mengen vorhanden, das Glasröhrchen aus oder ist auf Asbest- 
zylinder gleichmäßig verteilt und wird so quantitativ aufs günstigste aus- 
genutzt. Die Dicken des Glases und der Silberröhren sind so gewählt, 
daß sie einerseits genügenden Schutz gegen physikalische und chemische 
Einflüsse gewähren, andererseits noch genügende Strahlung für thera- 
peutische Verwendbarkeit durchlassen. 

Nunmehr hängt die Strahlenwirkung von der Menge 
der eingebrachten radioaktiven Substanz, von der Appli- 
kationsdauer und von der Filteranwendung, also von 3Fak- 


54 Sticker, 


toren ab, welche leicht in Rechnung gebracht werden kön- 
nen, sodaß es möglich ist, die Bestrahlungszeit durch Milli- 
grammstunden und die Qualität der Strahlen durch Angabe 
des angewandten Normalfilters zu bezeichnen. 

Unsere Normalsilberröhrchen besitzen eine Wandstärke von 0,05 und 
0,1 mm, einen Durchmesser von 5,3 mm und eine Länge von 30 mm 
(Fig. 13). 

Die Silberröhren werden einzeln in Schutzröhren aus Aluminium 
(Fig. 14) aufbewahrt und in manchen Fällen auch mit diesen zur Bestrahlung 
verwendet, oder zu mehreren in dicker Bleikapsel (Fig. 15) untergebracht. 
Die Aluminiumschutzröhren besitzen eine Wandstärke von 0,4, einen 
Durchmesser von 6,5 und eine Länge 
von 30,5 mm. Ihr oberes mit einer 
Öse versehenes Ende ist abschraubbar. 
Die Silberröhrchen können für sich oder 
in die Aluminiumschutzröhrchen einge- 
schlossen zur Bestrahlung verwertet wer- 
den. Ein besonderes Instrumentarium 
(s. S. 57) ermöglicht eine vielfache An- 
wendung derselben. 

Filter. — In Wirklichkeit wird das 
Radium fast immer filtriert verwendet. 
Der Lack, mit dem es auf Metall oder 
auf (Gewebe festgehalten wird, wirkt 
schon als Filter, noch mehr der gläserne 
oder metallene Behälter, in welchem es aufbewahrt und zur direkten Be- 
strahlung verwendet wird. 

Dazu kommen dann die als Zwischenlagen gebrauchten Schirme aus 
Gaze, Papier, Gummi oder Metall. 

Welchen Wert haben diese Filter hinsichtlich der Menge und der 
Qualität der Strahlen, welche auf das bestrahlte Gewebe fallen? 

Lack, Gaze, Papier und Gummi in dünnen Schichten absorbieren 
einen großen Teil der x-Strahlen und setzen ihre Reichweite, welche in 
Luft bei Zimmertemperatur 3—4 cm betragen würde, beim Durchdringen 
von Substanzen von der Dichte des Wassers und darüber aber auf das 
Tausendfache verringert werden, auf weniger als !/,, mm herab (vgl. S. 8). 
Für die 6- und y-Strahlung haben diese Substanzen geringere Bedeutung. 

Was dagegen die Filtration der Strahlung durch zwischengeschobene 
Metallschirme betrifft, so leiden unter diesen am meisten die $-Strahlen. 
Aus Gründen, die ich hier nicht berühren will, kommen vorzugsweise nur 
2 Metalle in Betracht, die Aluminium- und Bleischirme; erstere in einer 








Fig. 13. Fig. 14. Fig. 15. 
1) C/i) ("/2) 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 55 


Dicke von t/,, bis 1 mm, letztere in einer Dicke von ®/,, bis 4 mm. In 
vereinzelten Fällen werden auch Platinschirme von 0,5 mm und Goldschirme 
von 1 mm Dicke angewendet. 1 mm Blei gibt annähernd die gleiche 
Strahlenfilterung mit 4,1 mm Aluminium, mit 0,58 mm Gold und 0,52 mm 
Platin. Die «-Strahlung wird schon durch !/,, mm Aluminium total 
absorbiert, kommt also bei unseren Apparaten gar nicht in Betracht. 
Die $-Strahlung sinkt auf die Hälfte ihrer Intensität bei 0,4 mm dicken 
Aluminiumschirmen, 2 bis 3 mm dicke Bleischirme absorbieren sie voll- 
stindig. Die y-Strahlung wird durch 4 mm dickes Blei zum größten Teil 
absorbiert, es gibt jedoch noch Yy-Strahlen, welche nach Curie 20 cm 
dickes Blei durchdringen. Wir haben es also in der Hand, durch Aus- 
wahl der Aluminium- und Bleifilter fast reine y-Strahlung, harte $- und 
y-Strahlung, mittelharte und harte $- und y-Strahlungen in die Gewebe 
Iineinzuschicken. Je mehr die weiche Strahlung abgefiltert wird, um so 
darchdringender, also für die Tiefenbestrahlung geeigneter werden die 
Strahlen. Aber mit der Filtrierung sinkt auch rapide die Intensität, wie 
aus den beiden S. 11 abgebildeten Kurven zu ersehen. Es bedarf be- 
snderer Erfahrung, die Filtrierung der Strahlen für jeden Fall richtig 
durchzuführen, um das überliegende Gewebe zu schonen und das eigentlich 
kranke Gewebe mit genügender Strahlung zu treffen. 

Bei der Anwendung von Metallschirmen findet aber noch etwas be- 
nieres statt, das ich hier nur kurz berühren will. Die durch Absorption 
in Metall vernichtete Strahlung wird zum Teil energetisch in eine neue 
Strahlung umgewandelt, die sogenannte Sekundärstrahlung, die zum Teil 
.lbst ein sehr großes Durchdringungsvermögen hat und jedenfalls neben 
den durchdringenden Primärstrahlen eine therapeutische Wirkung entfaltet. 
Ihe Intensität der Sekundärstrahlung des Bleies ist im Vergleich zu der 
anderer Metalle die stärkste (vgl. S. 15) und dies ist ein Hauptgrund, 
weshalb wir Bleifilter anwenden und trotz starker Abschirmung therapeu- 
che Erfolge erzielen. 

Die von mir gebrauchten Metallfilter besitzen teils Platten-, teils 
Köhrenform. 

Unsere Normalplattenfilter sind aus Aluminium bzw. Blei an- 
-fertist und zwar in rechteckigen und quadratischen Formen. Erstere 
sitzen a) eine Länge von 4,5 cm und eine Breite von 2 cm, b) eine 
Linge von 3 cm und eine Breite von 2 cm. Ihre Dicke beträgt 0,1, 0,2, 
3. 0.4. 0.5 und 1 mm für Aluminium und 0,3, 0,5, 1, 2, 3. 4 mm für 
Biei. Die quadratischen besitzen eine Seitenlänge von 4,5 cm. Die Dicke 
vie bei den rechteckigen. 

Unsere Normalfilterröhrchen sind aus Aluminium und Blei an- 
¿fertigt und zwar in folgender Wandstärke: 


56 Sticker, 


. 0,5 mm [= 0,12 mm „ 11. 3,0 mm 
. 1,0 mm [= 0,24 mm 12. 1—3 mm (konisch) 

Ihre Form ist eine Doppelte. Entweder besitzen sie einen überstehen- 
den Rand (Fig. 16—23) und kommen mit dem unten beschriebenen 
Kettenhalter in Anwendung. 


Normalfilterröhrchen 
a) aus Aluminium b) aus Blei 
Wandstärke Wandstärke 
1. 0,1 mm [= 0,02 mm Blei] 7. 0,3 mm 
2. 0,2 mm [= 0,05 mm , 8. 0,5 mm 
3. 0,3 mm [= 0,075 mm „ 9. 1,0 mm 
4.04 mm [= 01 mm „ 10. 2,0 mm! i De 
5 
6 


nt I d Lead 












Fig. 16—18. (!/,) Fig. 19—28. ('/ı) 


Oder sie besitzen einen aufschraubbaren Deckel mit Öse und kommen 
mittels Kette, Faden oder Introduktor (siehe Instrumentarium) zur An- 
wendung (Fig. 24—32). 





Fig. 24—31. (j,) 
Die Einbringung des Radiums und Mesothoriums in Glas und Silber 
verringern selbstverständlich die Intensität der Strahlung. 0,2 Glas und 


0.05 bzw. 0,1 Silber lassen die mittelharten und harten ß-Strahlen und 
sämtliche y-Strahlung durch. Die Aluminiumschutzröhrchen (0,4 mm) und 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 57 


die Filterröhrchen von 0,1 bis 0,4 mm Aluminium lassen die weichen 
ß-Strahlen noch durch und zwar 85, 70, 65 bzw. 55%, der Gesamt- 
B-Strahlung. 

Die Filterröhrchen von 0,5 Aluminium bis 0,5 mm Blei lassen noch 
mittelharte -Strahlen durch und zwar 45, 22, 20, 12%, der Gesamt- 
B-Strahlung. Die Filterröhrchen von 1 mm Blei lassen nur noch ganz 
harte 5-Strahlen durch (10% der Gesamt-ß-Strahlung). 

Die Filterröhrchen von 1 bis 4 mm Wandstärke bringen eine fast 
reine yY-Strahlung. 





IM! 


Fig. 33. (1/1) 





Hilfsinstrumentarium. Ein be- 
sonderes Instrumentarium ermöglicht 
eine vielseitige Anwendung der Normal- 
silberröhrchen. Dasselbe besteht aus 
einem Rahmen, einer Zange, zwei Son- 
den, einer Rolle. einem Kettenhalter, 
einem Stabhalter. einer Klammer und 
einer Kreisplatte. 

Der Rahmen ist in 2 Formen hergestellt. Rahmen A (Fig. 33) be- 
steht aus vier gelenkig verbundenen Teilen, welche die in Aluminium- 
schutzröhren eingebrachten Radium- und Mesothoriumröhrchen aufnehmen 
und einzeln oder zu mehreren gebraucht werden können. Rahmen B 
(Fig. 34) hat Petschaftform und nimmt 2 bis 4 Silberröhrcehen nebst 
Plattenfilter auf. 

Die Zange (Fig. 35) ist den gebräuchlichen chirurgischen Instrumenten 
(Introduktoren) nachgebildet und ergreift die an den Schutzröhrchen bzw. 
Filterröhrchen sich befindliche Öse. 

Die Sonde kommt in 2 Formen zur Anwendung. Sonde A (Fig. 36) 





58 Sticker, 


gleicht den bekannten Schlundbougies; in dem vorderen olivenförmig ab- 
schraubbaren Kopf kann das Silberröhrchen eingebracht werden. 





Fig. 36. (2/3) 





Die Sonde B (Fig. 37) stellt eine 
an dem vorderen Ende leichtgekrümmte 
Stabsonde dar. 

Bei der Einführung der Sonden kann ein besonderer Beißring (Fig. 35), 
welcher aus Metall mit Gummischutz besteht, verwendet werden. 


a b 
Fig. 35. (1/3) 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 59 


Die Rolle (Fig. 39) ist nach der Art der Massageapparate konstruiert: 
die Silberröhrchen werden in die perforierte oder solide Schutzhülle gebracht, 


m ee e 





Fig. 89. (/,) 





Fig. 37. (/,) 





| 
b 
(ia 


welche leicht auswechselbar und auf welcher Filterröhrehen von verschie- 
dener Dicke aufgebracht werden können. 


Fig. 40. (/) Fig. 41. (14) 


60 Sticker, 


Der Kettenhalter (Fig. 40) besitzt an dem einen Ende einen Kara- 
binerhaken, am anderen Ende ein mit einem Gewinde versehenes Glied, 
welches einem Ring aufgeschraubt wird, der zur Aufnahme der Filter- 
röhrchen dient. 

Der Stabhalter (Fig. 41) nimmt an dem Hakenende die Ösen der 
Filterröhrchen auf und besitzt eine Graduierung in Zentimetern. 

Die Klammer (Fig. 42) faßt vier Filterröhrchen an deren Ösen und 
hält sie in Quadrangelform. 

Die Kreisplatte (Fig. 43) ist aus 2 mm starkem Blei gefertigt und 
vereinigt vier Silberröhrchen zum Flächenapparat. 

Messungsbestimmungen. — Wenn die Strahlung radioaktiver Körper 
nach ihrem Ionisierungsvermögen gemessen wird, so bildet die «-Strahlung 
den wichtigsten Teil. Denn der durch die gesamte Strahlung erhaltene 
Wert weicht im allgemeinen nur wenig von dem Wert ab, den man bei 
der Messung der «-Strahlen allein erhält. Diese Methode kann aber nur 





Fig. 42. (t/,) Fig. 43. (7/3) 


für freiliegende unbedeckte radioaktive Substanzen angewandt werden und 
kommt daher bei der Grehaltsbestimmung der in Bestrahlungsapparaten 
eingebrachten radioaktiven Substanzen nicht in Betracht. Statt der Mes- 
sung des Sättigungsstromes, der durch «-Strahlen unterhalten wird, be- 
dienen wir uns vielmehr der y-Strahlenmethode. 

Praktische Messung nach der y-Strahlenmethode. — Um ein in 
einem Grlasröhrchen luftdicht abgeschlossenes Radiumsalz zu messen, setzt 
man zwischen dasselbe und das Meßinstrument einen 1/ cm dicken Blei- 
schirm. Dieser hält die x- und $-Strahlen gänzlich zurück. Die Messung 
geschieht durch einen Vergleich mit einem geeichten Präparat. Letztere 
werden eingestellt nach dem internationalen Radiummeßpräparat (Standard), 
welches von Mme. Curie im Auftrage der Radium-Standard-Kommission 
aus 21,99 mg Radiumchlorid hergestellt wurde und in Paris (Sèvres) auf- 
bewahrt wird. Als zweites Radiummeßpräparat wird ein von Hönigschmid 
hergestelltes Radiumpräparat in Wien aufbewahrt. Beide wurden nach der 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 61 


y-Strahlenmethode gemessen und besitzen eine Genauigkeit von unge- 
fihr 20/00 

Bestimmt man sowohl für das geeichte Radiumpräparat (n mg) als 
auch für das zu messende den Voltabfall pro Stunde (V u. V,), so erhält 
man den Gehalt des zu messenden Präparates an Radiumsalz nach der 
x Vi 


n 
Formel 





Die Messungen sowohl für das Standardpräparat wie auch für das 
unbekannte Präparat werden in Zwischenräumen dreimal wiederholt und 
der Mittelwert genommen. Nach 4 Tagen wird das Präparat nochmals 
gemessen und festgestellt, ob es inzwischen stärker geworden ist. Aus den 
Differenzen der beiden Messungen kann man dann den Eindwert nach 
folgenden Grundsätzen bestimmen. 

Nach je 4 Tagen steigt die Stärke eines jeden Präparates rund um die 
Hälfte des Wertes, den es in der weiteren Zeit der Reife noch erreichen kann. 

Ist ein Präparat anfänglich völlig emanationsfrei — was bei Radium- 
lösungen durch Auskochen bewirkt werden kann, so erreicht es seine Reife 
in ungefähr 4 Wochen. 

Beispiel: Hat man den Wert eines Präparates zu 49,5 mg gefunden 
und findet nach genau 4 Tagen 50,8 mg, so beträgt die Zunahme 1,3 mg. 
Das Präparat wird um diesen letzten Wert noch weiter steigen, also 
>2,1 mg als Endwert erreichen. 

Methodik der Radium- und Mesothoriumbestrahlung. — Die 
Radium- und Mesothoriumröhren mit oder ohne Filter werden vor dem 
jedesmaligen Gebrauch mit einem Schutzmantel versehen, wozu sich am 
besten dünne Kautschukröhren, Gummifinger, Guttaperchapapier eignen. 

Bei Anwendung von Metallröhrchen und Metallfilter hat man mit den 
Sekundärstrahlen zu rechnen, welche die naheliegenden Gewebe treffen und 
bei beabsichtigter Tiefenwirkung eine unbeabsichtigte Nahwirkung ver- 
ursachen. 

Es empfiehlt sich deshalb, mattes Papier in Lagen von 10 bis 20 
Blatt oder einige Millimeter dicke Gazeumhüllung dort anzuwenden, wo 
die oberflächlichen Schichten geschont werden sollen. 

Nach dem Gebrauch werden die Silberröhrchen durch Abreiben mit 
einem der gebräuchlichsten Desinfektionsmittel (Alkohol, Formalin, Phobrol) 
gereinigt; die Schutz- und Filterröhrchen sowie das Hilfsinstrumentarium 
werden durch Auskochen sterilisiert, wobei man sich mit Vorteil besonderer 
Kästen aus vernickeltem Blech bedient, welche gleichzeitig zur Aufbewah- 
rung der Instrumente dienen. 

Die praktische Anwendung der Radium- und Mesothoriumstrahlen ist 
zweierlei Art, weil sie zweierlei Aufgaben zu erfüllen hat. 


62 Sticker, 


1: Man will oberflächliche krankhafte Prozesse, vor allem Hautleiden 
beeinflussen — also Oberflächenwirkung erzielen. 

2. Man will umfangreiche oder tiefliegende krankhafte Prozesse beein- 
flussen — also Massen- und Tiefenwirkung erzielen. 

Eine Oberflächenwirkung können wir bei Anwendung der 
weichen Strahlung erreichen. Da die Radium- und Mesothoriumpräparate 
sehr reich an wenig durchdringenden Strahlen sind, so beträgt die not- 
wendige Dauer der Bestrahlung nur wenige Minuten. 

Man legt den mit oder ohne Filter versehenen und mit Zellstoff so- 
wie Guttaperchapapier umhüllten Bestrahlungsapparat entweder der kranken 
Stelle unmittelbar auf ‚‚Nahbestrahlung‘‘ oder setzt denselben auf einen 
konisch gestalteten Bleizylinder „Fernbestrahlung“. Letzteres Verfahren 
gestattet eine Fläche, die größer 
ist als der zur Verfügung stehende 
Bestrahlungsapparat, auf einmal 
und gleichmäßig zu bestrahlen und 
es fallen die Schwierigkeiten fort, 
zwei nacheinander folgende Bestrah- 
lungen örtlich genau aneinander zu 
reihen. Auch erweist sich die 
Fernbestrahlung besonders nützlich, 
wenn es sich um höckerige, ge- 
furchte, faltenreiche Stellen handelt 
(Fig. 44). Die Bestrahlungszeit ist 
selbstverständlich um so länger, je 
weiter die Entfernung des Bestrah- 


ZA 
TILIL; 





Fig. 44. 
Schema der Fernbestrahlung. 
R Radiumträger. T Tumor. B Bleikonus. lungsapparates. 
Die Tiefenbestrahlung 


wird da angewandt, wo umfangreiches oder in der Tiefe liegendes patho- 
logisches Gewebe unter Schonung der Oberfläche getroffen werden soll. 

Bei der Tiefenbestrahlung haben wir zu unterscheiden zwischen der 
Methode, welche durch Anwendung von mäßigen Metallfiltern die ß- und 
y-Strahlung benutzt und der Methode, welche durch Anwendung von 
starken Filtern nur die y-Strahlung therapeutisch verwertet. 

Die erste Methode verursacht eine sehr lebhafte Reizung, die von 
einer schnellen Zerstörung der krankhaften Gewebe begleitet ist. Die 
Applicatio in dosi refracta, d. h. die auf Stunden ausgedehnte, aber durch 
Tage getrennte Bestrahlung kommt deshalb hier zur Anwendung, da dem 
Organismus nicht auf einmal eine zu große Arbeit aufgegeben werden 
darf in der Fortschaffung umfangreichen zerstörten pathologischen Ge- 
webes. 


Radium- und Mesothoriumbestrahlung. 63 


Die zweite Methode, die reine y-Strahlenmethode wirkt langsamer, sie 
setzt keine Entzündung und Nekrose, sondern eine langsam fortschreitende 
interstitielle Bindegewebswucherung, welche zu kallösen bis knorpelharten 
Massen führen kann. Die Bestrahlungszeit muß auf viele Tage ausgedehnt 
werden, in dosi plena d. h. ohne große Intervalle zu machen. 

Kreuzbestrahlung. Ein einfaches Mittel zur Schonung der über- 
iagernden Gewebe besteht darin, daß man, wo dies angeht, ein tiefliegen- 





Fig. 45. 


Schema der Kreuzbestrahlung. 
RR Radiumträger. T Tumor. H Haut. 


des krankes Gewebe von verschiedenen Seiten aus bestrahlt (Fig. 45). 
Dabei verführt man in der Weise, daß entweder der Angriff gleichzeitig 
ron verschiedenen Seiten erfolgt oder daß die sich folgenden Bestrahlungen 
von jedes Mal wechselnden Stellen ausgeführt werden. 

Die Kreuzbestrahlung wird mit Vorteil überall da angewandt, wo zwei 
oler mehrere Apparate einander gegenübergestellt werden können, also 
an Körperstellen wie den Lippen, Ohren, Nase, Fingern, umfangreichen 
(seschwülsten, 


Aus dem Laboratorium für Radiumbiologie in Paris. 


Die durch Strahlen hervorgerufenen histologischen 
Gewebsveränderungen.') 
Von 
Louis Wickham, unter Mitwirkung von Dr. Anselme Bellot. 


Vorwort. 


D“ Referat, das mir das Kongreßkomitee zu übertragen die Ehre er- 
wies, ist scharf definiert. Es soll die Wirkung aller Strahlenarten 
auf die normalen und pathologischen Gewebe vom rein histologischen 
Standpunkte aus studiert und verglichen werden. 

Es ist dies ein äußerst weitgehendes Thema, das so umfassend ist. 
daß man unmöglich in einem kurzen Referat in die Details der Tatsachen 
eindringen kann. Ich muß mich notgedrungen auf die großen allgemeinen 
Gesichtspunkte beschränken. 

Zudem beabsichtige ich nur, sozusagen die Diskussion zu eröffnen und 
die Frage vor dem Kongreß aufzurollen. 

Ich bitte deshalb die nicht ausdrücklich zitierten Autoren um Ver- 
zeihung. Wir werden uns an ihrer Kritik und an ihren Ausstellungen 
belehren. 

Unter den Strahlen werde ich zuerst spezieller die Röntgen- und die 
Radiumstrahlen sowie die Strahlen der radioaktiven Substanzen, dann die Licht- 
und die Sonnenstrahlen, die sogenannten aktinischen Strahlen betrachten. 


I. Einige allgemeine Tatsachen. 


Bevor wir aber auf den fundamentalen Teil unseres Themas über- 
gehen, müssen wir zuerst einige interessante Tatsachen allgemeinerer Art 
feststellen. Es sind in Kürze folgende: 

Jeder Strahl, der eine Zelle trifft, aus welcher Quelle er 
auch stammt, immer übt er eine Einwirkung auf diese Zelle aus. 

Woher kommt diese Einwirkung und welcher Natur ist sie? Wahr- 
scheinlich handelt es sich um eine Störung des physikalisch-chemischen 
Milieus, in dem die Zelle ihr Leben einrichtet, eine Störung, welche die 


1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie, 
Berlin 1913. 


Wicekham, Durch Strahlen hervorgerufene histol. Gewebsänderungen. 65 


biologischen Erscheinungen verändert, die in der Zelle vor sich gehen und 
ihr vitales Gleichgewicht modifiziert. 

Diese Einwirkung und die daraus resultierenden Zellveränderungen 
hängen von vielfachen Faktoren ab, welche mehr oder minder in einander- 
‚greifen und die Auslegung der histologischen Befunde erschweren. 

Die hauptsächlichsten dieser Faktoren sind: 

i. Der Grad der Aufnahmefähigkeit der Zelle oder in anderen Worten 
ihre spezifische Sensibilität den Strahlen gegenüber. 

2. Die in der Zeiteinheit absorbierte Strahlenmenge. Eine in kurzer 
Zeit gewaltsam absorbierte Dosis wird ganz anders wirken als die gleiche 
Dosis bei langsamer über eine gewisse Zeit ausgedehnter und fraktionierter 
Absorption. 

3. Die spezifischen Eigenschaften jeder Strahlenart. 

4. Die zwischen dem Ende der Bestrahlung und der histologischen 
Untersuchung verflossene Zeit. . 

5. Die Filtrierung der Strahlen durch das Gewebe selber. Hieraus 
ergibt sich die Folgerung, die man nie bei der Untersuchung eines 
bestrahlten Gewebsstückchens außer Acht lassen darf, daß keine Zelle 
weder in Qualität noch in Quantität dieselbe Strahlendosis erhalten hat, 
als die über ihr liegenden Zellen. 

Unter diesen verschiedenen Faktoren bietet vielleicht der Grad der 
Empfänglichkeit der Zelle zu den interessantesten Betrachtungen Anlaß. 

Die eine Zelle wird einer bestimmten Strahlenart widerstehen, während 
eine andere schnell durch dieselbe Strahlenart modifiziert wird. Das ge- 
sunde Gewebe zum Beispiel leistet sehr viel mehr Widerstand als das 
Sarkomgewebe. i 

Handelt es sich um eine erwachsene Zelle, die ihre volle Organisation 
besitzt, so scheint ihre Widerstandsfähigkeit stärker als diejenige einer 
jungen in Entwicklung begriffenen Zelle, zum Beispiel einer Sarkomzelle; 
im Gegensatz zu dieser wird sich jene dann auch leichter den Bedingungen 
einer neuen physikalisch-chemischen Umgebung anpassen können. 

Die außerordentliche Sensibilität der jungen Zellen ist eine fest- 
stehende Tatsache. Auf dieser Basis haben Bergonié und Tribondeau 
ihr Gesetz aufgebaut, nach welchem die Sensibilität einer Stelle umso 
rider ist 

1. je intensiver ihre reproduktive Tätigkeit ist, 

2. je länger ihr karyokinetisches Werden ist 

3. und je weniger ihre Morphologie und ihre Funktion fixiert sind. 

Regaud und Blanc haben dieses Gesetz priiziser gefaßt, indem sie 
die Aufmerksamkeit auf die besondere Hypersensibilität der ersten Ent- 
wicklungsstadien eines Zellelementes lenkten. 


| 


Strahlentherapie Band III, Heft 1. 


66 | Wickham, 


Wenn eine Zelle verändert wird, so ist es also nicht richtig, zu sagen. 
daß der Strahl eine „spezifische Wirkung“ auf die Zellen hatte. 
Es handelt sich hier nicht um Spezifizität, sondern um spezielle Sensi- 
bilität der Zelle, um besondere Rezeptivität. 

Diese besondere Rezeptivität ist die Ursache für die grundlegende 
Tatsache, daß jeder penetrierende Strahl, nachdem er eine ganze 
Schicht gesunden Gewebes, ohne dasselbe zu verändern, pas- 
siert hat, therapeutisch auf schädliche Zellen von großer Re- 
zeptivität, die in der Tiefe gelegen sind, einwirken kann. 

Es war nicht überflüssig, diese vorausgehenden Tatsachen allgemeiner 
Art festzustellen. Denn sie zeigen, von welch komplexer Natur die Be- 
dingungen sind, welche zu einer bestimmten Veränderung einer bestimmten 
Zelle führen und wie sehr die histologischen Befunde variieren können je 
nach den Bedingungen, in welchen die Beobachter sich befinden. Nichts- 
destoweniger gibt es doch manche genau definierte Tatsachen, die aus den 
histologischen Befunden hervorgehen und diese wollen wir auseinander 
setzen, indem wir mit der Einwirkung der Strahlen auf das gesunde Ge- 
webe beginnen. 


I. Einwirkung der Strahlen auf gesundes Gewebe. 


Es ist natürlich das Hautgewebe, welches unter den bestrahlten ge- 
sunden Geweben am besten studiert wurde. 

Die Zellen, welche die Epidermis produzieren, bilden die erste Ent- 
wicklungsform einer ganzen Reihe von Zellen und besitzen infolgedessen 
in hohem Maße die Fähigkeit, zu reproduzieren. Sie sind deshalb auch 
mit einer hohen Strahlenempfindlichkeit ausgestattet. 

Die Haut ist infolgedessen ein besonders leicht verletzliches Gewebe. 

Unter den verschiedensten Befunden, die bisher erhoben wurden. 
konnten wir kaum scharfe und sichere Unterschiede in den histologischen 
Veränderungen bei den verschiedenen Stralhlenarten vorfinden. 

In den verschiedensten Fällen sind die histologischen Veränderungen 
gleicher Art und variieren nur im Grade je nach der Natur der Strahlen- 
art, ihrer Intensität und ihrer Penetrationskraft. 

Es sind kurz zusammenfaßt folgende: 

Die Bestrahlung, welcher Art sie auch gewesen ist, wird von einer 
Periode der Latenz gefolgt, die melır oder minder lang ist je nach der 
Strahlung und der absorbierten Dose; sie beträgt bei aktinischen Strahlen 
1 bis 2 Tage und ist bei Röntgen- und Radiumstrahlen etwas länger. 

Zwei Hauptcharaktere fallen dem Beobachter auf, welcher einen mit 
nicht nekrotisierender Dosis bestralilten Epidermisschnitt mit einem nor- 
malen vergleicht. 


Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 67 


1. Die verschiedene Dicke. 

2. Das Fehlen der interpapillären Vorragungen. Die Epidermis ist 
entweder hypertrophisch oder atrophisch. Die Hypertrophie, welche 
eine der Modalitäten der Röntgendermitis und der Radiumdermitis dar- 
stellt. ist besonders durch die Volumvermehrung der Zellen des Corpus 
mucosum, durch die Vermehrung der Schichten dieser Zellen und auch 
der Eleidinzellen bedingt. 

Bei der Atrophie der Epidermis ist die Verminderung der Schicht- 
dicke der Zellen des Corpus mucosum das am meisten in die Augen 
springende Phänomen. 

Diese Zellen büßen zuerst ihre scharfe Kontur ein, schwellen dann 
auf. ihre Bestandteile färben sich mehr diffus und zeigen in verschiedenem 
Grade die Leloirschen Hohlräume (altération cavitaire). Ferner frag- 
mentiert sich das Chromatin der Kerne. 

Das Stratum granulosum schrumpft auf eine bis zwei Reihen abge- 
platteter Zellen zusammen, seine Körner verringern sich oder verschwinden. 

Die Hornzellen zeigen oft Parakeratose und Dyskeratose. Sie disso- 
zieren und exfoliieren sich, nachdem sie an manchen Stellen durch Blasen 
in die Höhe gehoben worden waren. Diese Blasen enthalten eine an 
polvnukleären und großkernigen Zellen reiche seröse Flüssigkeit. 

Wie ich zusammen mit Dr. Degrais beobachten konnte, behält das 
Stratum germinativum beinahe seine normale Struktur bei; einige Basal- 
zellen sind oft hypertrophisch, aber ihre Funktion bleibt intakt, da diese 
Epidermis sich wieder erneuert und ihre normale Entwicklung durchläuft. 

Bei einer nekrotisierenden Dosis werden alle Elemente der Epidermis 
zerstört, nachdem sie eine oft kolossale Schwellung ihres Körpers und ihrer 
Kerne durchgemacht haben, wobei die Leukozyten ihre gewöhnliche phago- 
zıtäre Rolle spielen. Ist die Basalschicht eingesunken oder zerstört, so 
ist die Ulzeration da. 

War die Irritation weniger heftig, so bildet sich eine energische Re- 
aktion. welche durch eine Verdickung der Epidermis in allen ihren 
Schichten charakterisiert ist. Die Basalschicht ist reich an Zellen in 
Karvokinese, wie dies Magnus Möller, Leredde und Pautrier be- 
vbachten konnten. Darier zeigte andererseits eine bedeutende Vermehrung 
des Eleidins in Form von Keratohyalin. 

Die ektodermalen Hautabkömmlinge erleiden frühzeitig Veränderungen. 
Haarfollikel und Schweißdrüsen verwandeln sich in Schläuche, die mit 
nebeneinanderliegenden, unter sich gleichartigen Epithelzellen gefüllt sind. 
Die Talgdrüsen atrophieren, die Epithelzellen, welche die Fettläppchen 
umgeben, vermehren sich und wuchern in die Drüse, welche in einen 
festen Block mit Malpighischer Struktur verwandelt wird. Diese Ver- 


Hk 


68 Wickham, 


änderungen erklären die Wirkung der Strahlen auf seborrhoische Läsionen. 
Wenn die geringe Dicke der Epidermis das Auftreten von histologischen 
Läsionen ungefähr gleichen Grades bei den verschiedenen Strahlenarten 
bedingt, so ist dies bereits bei der tiefer liegenden Kutis nicht mehr der 
Fall. Die geringe Tiefenwirkung der Licht- und Sonnenstrahlen ist be- 
reits offenkundig. Die Alterationen, die sie hervorrufen, sind zwar analog den 
durch Röntgen- und Radiumstrahlen hervorgerufenen, aber viel weniger stark. 

Dominici und Barcat studierten die Kutis eines Meerschweinchens,. 
das einer Serie von Radiumapplikationen therapeutischer Art unterworfen 
worden war. Sie konnten folgendes konstatieren: Die Bindegewebsfibrillen 
und die elastischen Fasern verschwinden fast vollständig und werden durch 
unzählige fusiforme und verästelte Bindegewebszellen ersetzt, welche dicht 
aneinanderliegen und in einem Netz mit länglichen und engen Maschen 
anastomosieren. Dieses Zellnetz hängt zusammen mit den Wandungen von 
kleinen, dilatierten Blutgefäßen, die mit roten Blutkörperchen vollgepfropft 
und in embryonale Kapillaren verwandelt sind. Es ist eine reine Neubil- 
dung, da ihr jeder entzündliche Charakter fehlt. An den Gefäßen sieht 
man weder Thrombus noch Wandverdickung. Das Myxom trägt über das 
Angiom den Sieg davon und dieses Übergewicht wird um so stärker, je 
mehr die Vernarbung vorschreitet. 

In einer zweiten Phase nämlich verengern sich die Gefäße, so daß 
ihr Lumen schwindet, und die Bindegewebszellen treiben Fibrillen. Diese 
Bindefasern und die Zellen, die sie trennen, legen sich in regelmäßigen 
Lagen parallel zur Körperoberfläche übereinander und lassen dieses Ge- 
webe dem jungen Fibromgewebe ähnlich erscheinen. Mit der Zeit ver- 
dicken sich die Bindegewebsfasern und die elastischen Fasern treten in 
steigender Menge wieder auf. Bei den hypertrophischen Formen der Radio- 
dermitis ist die Kutis von zahlreichen Zellen infiltriert. Die Wände der 
Arterien und Venen sind verdickt, die Endothelien sind im Zustande der 
Schwellung und proliferieren, so daß die Behinderung der lokalen Zirku- 
lation noch vermehrt wird. 

Viel geringer sind die durch aktinische Strahlen hervorgerufenen Ver- 
änderungen. Bei einem mit Finsenlicht bestrahlten Kaninchenohre koun- 
statierte Hans Jansen eine sehr ausgesprochene Blutgefäßerweiterung: 
mehrere Kapillaren waren thrombosiert. Es bildete sich außerdem eine 
sero-fibrinöse Exsudation und der Druck der letzteren zusammen mit den 
Erscheinungen der Thrombose beschleunigen das Auftreten der direkt durch 
das Licht hervorgerufenen Zellnekrose. Derartige Befunde wurden von 
Leredde und Pautrier nach Bestrahlung mit dem Apparat von Lortet- 
Genoud erhoben und die Histologie des Sonnenerythems, welche von den- 
selben Autoren und ganz vor kurzem von Miramond de la Roquette 


Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 69 


studiert wurde, brachte dieselben Beobachtungen, was ja nicht weiter auf- 
fallend ist, da in beiden Fällen dasselbe chemische Agens eingewirkt hatte. 

Was die Röntgen- und Radiumstrahlen anbetrifft, so hat sich die 
histologische Untersuchung der bestrahlten, gesunden Gewebe nicht allein 
auf die Haut beschränkt; alle oder fast alle Gewebe wurden bereits darauf- 
hin untersucht. 

So studierten Delbet, Herrenschmidt und Mocquot die Ver- 
änderungen einer normalen Magenschleimhaut, die 24 Stunden lang mit 
5 cgr reinem Radiumbromid bestrahlt worden war. Die erste, erst nach 
einer Stägigen Latenzperiode sichtbare Läsion bestand in einer Blutgefäß- 
erweiterung mit Blutextravasation. Nach 14 Tagen trat auch eine Drüsen- 
alteration ein. Die Hauptzellen starben frühzeitig ab, die Belegzellen und 
Schleimzellen machten eine ziemlich lange regressive Metamorphose durch. 
Die oberflächlichen Schichten der Mukosa schienen nicht mehr in Mitleiden- 
schaft gezogen, als die tieferen, aber alle Schichten bis zur Muskularis 
waren betroffen. Das Bindegewebe der Schleimhaut und der Submukosa 
waren hyperplastisch. 

Das Interesse dieser Befunde liegt in dem Umstand, daß die Gewebe 
direkt beeinflußt werden, d. h. daß das Epithel nicht Ernährungsstörungen 
infolge einer Gefäßalteration ausgesetzt war, sondern direkt in langsamer Weise 
durch die spezifische aus dem Radium emanierende Energie abgetötet wurde. 

An drei Organen, deren Struktur und Funktion in ganz besonderer 
Weise die Aufmerksamkeit erregen mußten, wurden interessante Versuche 
mit Röntgenstrahlen vorgenommen: es sind der Hoden und das Ovarium. 
Schönberg zuerst, Bergoni6 und Tribondeau später, sowie Regaud 
und Blanc haben unsere Kenntnis über den Einfluß der Röntgenstrahlen 
auf diese Organe am meisten gefördert. 

Eine schwache Bestrahlung des Hodens erlaubt, elektiv die inter- 
stitielle Drüse von der Samendrüse zu trennen, indem sie letztere zerstört 
und die erstere, die weniger empfindlich ist, bestehen läßt. Bei starker 
Dosis hingegen wird das ganze Organ atrophisch, bekommt eine weiche 
Konsistenz und alle seine Zellelemente verschwinden. Nach Bergoni& und 
Tribondeau ist die Vulnerabilität der an der Spermatogenese beteiligten 
Zellen um so größer, je jünger sie sind und je lebhafter ihre Karyokinese 
ist. Infolgedessen sind die Spermatogonien am sensibelsten und werden 
zuerst betroffen. Nach Regaud ist die Empfänglichkeit eher an die melır 
oder minder ausgesprochene Dissoziierung des Chromatins gebunden: die 
Spermatogonien mit staubartigem Chromatin sollen schnell zu Grunde 
gehen, während die Spermatozoen, deren Chromatin dicht gedrängt liest, 
viel widerstandsfähiger sind. 

Wie dem auch sei, die jungen Zellen werden, weil weniger widerstands- 


70 Wickham, 


fähig, zuerst ergriffen und die Azoospermie, welche in manchen Fällen 
eine definitive ist, kann in anderen Fällen nur vorübergehend sein, wenn 
einige den Strahlen entronnene Spermatogonien nach einer Periode ver- 
langsamten Lebens ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. 

Die Veränderungen der Ovarien sind weniger bekannt, da sie infolge 
ihrer tiefen Lage sich schlecht zum Experimentieren eignen. Während 
die polyedrischen oder fusiformen im Zentrum des Organs gelegenen Zellen, 
welche die Drüse mit innerer Sekretion darstellen, wenig oder gar nicht 
betroffen werden, greift die destruktive Wirkung der Röntgenstrahlen offen- 
kundig an der Kortikalis des Ovarıums an. Das Chromatin des Kerns 
des Eichens verwandelt sich in einen kompakten Block, das Zellprotoplasma 
schrumpft und das Epithel des Graafschen Follikels verschwindet, nach- 
dem dasselbe wahrscheinlich das tote Ei resorbiert hat. Einige Monate 
nachher trifft man keine Graafschen Follikel und keine Corpora lutea in 
Rückbildung mehr an. 

Ich will hier die sehr große Empfindlichkeit der hämatopoietischen 
Organe den Röntgenstrahlen und dem Radium gegenüber nur erwähnen: 
Die Veränderungen dieser Organe im Verlaufe bestrahlter Leukämien 
geben ein genaues Beispiel der Alteration wieder, welche sie im normalen 
Zustand erleiden würden. Wir werden sie weiter unten erörtern, wenn 
wir die Veränderungen pathologischer Gewebe studieren. 

Auch Muskeln, Knochen, Nervensubstanz, Leber, Thyreoidea, Niere usw. 
wurden nach Bestrahlungen untersucht. Die Resultate dieser Untersuchungen 
sind aber so unsicher, daß ich es nicht wage, dieselben schon zur Dis- 
kussion zu stellen. 

Ebenso ist es mit dem Auge. Soviel ist jedenfalls sicher, daß Kon- 
junktivitis, Keratitis, Trübungen des Glaskörpers selbst durch leichte, aber 
öfter wiederholte Bestrahlungen hervorgerufen werden können. Man muß 
das Organ deshalb möglichst davor schützen. 

Was kann man aus diesen verschiedenen histologischen Befunden für 
die Vergleichung der verschiedenen Strahlenarten untereinander schließen? 
Es scheint, daß man überall, wo man die Röntgenstrahlen mit den Ra- 
diumstrahlen vergleichen konnte, bis jetzt wenigstens immer eine kaum je 
fehlende Übereinstimmung zwischen beiden Strahlenarten fand. Auch auf 
der Haut, wo die Wirkung der aktinischen Strahlen (Finsenstrahlen und 
Sonne) studiert worden ist, erscheint die Analogie mit der Wirkung der 
Röntgen- und Radiumstrahlen offenkundig. 

Wohlgemerkt, diese Analogien schließen in keiner Weise die Diffe- 
renzen aus, welche aus der Natur der Strahlung und ihrer Penetrations- 
kraft herrühren. Diese Variationen sind eigentlich nur verschiedene Grade 
einer an und für sich gleichartigen Alteration. 


Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 71 


Wir werden ungefähr auf dieselben Schlüsse kommen, wenn wir die 
Strahlenwirkung auf die pathologischen Gewebe untersucht haben werden. 
Mit dieser Frage wollen wir uns jetzt beschäftigen. 


III. Histologische Veränderungen pathologischer Gewebe durch 
Strahlenwirkung. 


Ich werde sukzessive die histologischen Veränderungen 

1. der malignen Tumoren, 

2. der Läsionen der hämatopoietischen Organe und des Blutes, 

3. der Gefäßßgeschwülste, 

4. der Keloide, 

5. der Hauttuberkulose 
besprechen. 

Was die malignen Tumoren, die hämatopoietischen Organe und das 
Blut sowie die Hauttuberkulose anbetrifft, so schien es uns, wenn wir uns 
nur an die rein histologischen Veränderungen hielten, ohne auf andere 
Erwägungen Rücksicht zu nehmen, bis jetzt wenigstens schwer, die Wir- 
kung der Röntgenstrahlen von denjenigen der Radiumstrahlen zu unter- 
scheiden. 

Infolgedessen möge es mir gestattet sein, da ich besonders mit den 
durch Radium gesetzten histologischen Veränderungen vertraut bin, als 
Grundlage meiner Beschreibung die Befunde zu wählen, die ich unter Mit- 
arbeit von Degrais und Gaud erheben konnte. 

Unsere Untersuchungen über maligne Geschwülste betrafen Malpighi- 
sche Epitheliome, Drüsenepitheliome und Bindegewebsgeschwülste. 

Als Beispiel der ersten Gruppe werde ich ein ulzeriertes, vegetierendes 
Epitheliom des Kinnes vom Stachelzellentyp wählen. 

Nach einer 14 Tage dauernden Periode der Latenz findet man, daß 
eine große Anzahl epitheliomatöser Zellen ihr Volumen um das Doppelte 
oder Dreifache vermehrt haben. Der Kern mancher Zellen ist monströs, 
oft vielgelappt und wuchernd. Die Nukleolen sind hypertrophisch, das 
Chromatin zerstreut oder zusammengeballt, das Protoplasma hat eine aus- 
gesprochene Tendenz zur Eosinophilie. Viele Elemente keratinisieren sich 
selbständig ohne Rücksicht auf ihre Umgebung unter beträchtlicher Hyper- 
trophie und Erhaltenbleiben ihres Keims (atypische Keratinisation). Das 
Stroma scheint sich an Bindegewebslymphzellen bereichert zu haben und 
unter diesen findet man junge Fibroblasten mit reichlichem Chromoplasma 
und voluminösem Kerne. Die diapedesierten polynukleären Zellen sind in 
ziemlich großer Zahl vorhanden. Am 25. Tage ist beinahe die Gesamt- 
heit der neugebildeten Knötchen in einen Hornblock verwandelt, der aus 
sehr voluminösen, verhornten Zellen besteht. Diese Hornblöcke sind durch 


72 Wickham, 


gefäßreiche Bindegewebszapfen in Fragmente zerklüftet. Diese Zapfen 
stammen aus dem Stroma und sind von jungen Fibroblasten, von Lymph- 
zellen, von Plasma- und polynukleären Zellen gebildet. 

Kurz zusammengefaßt: nach einer Periode der Latenz, welche je nach 
der verabreichten Dosis mehr oder minder lang ist, machen die Epitheliom- 
zellen eine bedeutende Hypertrophie aller ihrer Elemente durch und 
sterben durch disseminierte, totale und atypische, monströse Verhornung. 
Die Hornblöcke werden durch die bindegewebigen Lymphzellen des 
zu vermehrter Tätigkeit angeregten Stromas durchwachsen und 
verschwinden durch Phagozytose. Die Vernarbung geschieht auf Kosten 
des Stromas der Geschwulst. 

Es ist derselbe regressive Prozeß, den Cheron und Rubens-Duval 
in Malpighischen Tumoren des Uterus sahen. 

Gehen wir nunmehr zu den Drüsenepitheliomen über. Die hier beobach- 
teten histologischen Veränderungen sind sehr ähnlich. Ich will als Beispiel 
einen Brustdrüsenkrebs wählen, dessen Krankengeschichte ich zusammen 
mit Degrais und Gaud im Juni 1910 der Gesellschaft der Pariser 
Spitalärzte unterbreitet habe und dessen Hauptabbildungen man in der 
2. Auflage unseres Buches über Radiumtherapie finden wird. 

Auf der Außenseite der vollständig infiltrierten Mamma wurden 
10 cgr reines Radium auf einer Fläche von 28 qcm vereinigt 48 Std. 
hintereinander appliziert. 16 Tage später wurde die Mammaexstirpation 
vorgenommen. Die histologischen Untersuchungen wurden an Serien- 
schnitten gemacht, die sukzessive von der Oberfläche zur Tiefe gingen und 
die ganze Ausdehnung des Tumors betrafen. 

Bei schwacher Vergrößerung sieht man an Stelle der voluminösen und 
kompakten, durch ein zellarmes Stroma begrenzten Lappen eine kleine 
Anzahl Inseln mit einem geringen Gehalt an Zellen, die hypertrophisch 
sind und in einem äußerst zellreichen Gewebe liegen. An einigen Stellen 
findet man helle Zonen infolge von Zytolyse. 

Bei stärkerer Vergrößerung ist man zunächst von der oft kolossalen 
Hypertrophie der neugebildeten Zellen überrascht. Das Protoplasma neigt 
zu Azidophilie. Die Kerne sind oft unregelmäßig, monströs und in 
Wucherung. In manchen Zellen ist das Chromatin zusammengeballt, der 
Kern eckig und in Pyknose geschrumpft. In anderen ist die Chromatin- 
substanz im Zytoplasma zerstreut. 

Die hellen Zonen sind gebildet durch große Zellen, die auf eine ein 
Retikulum mit weiten Vakuolen begrenzende Membran reduziert sind. 
Auch der Kern ist verschwunden oder auf seine Membran reduziert. Es 
sind dies Elemente im Zustande der Auflösung, der Zytolyse. Die Zell- 
inselchen mit 20 oder 30 Zellelementen sind durch gefäßreiche Binde- 


Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 73 


gewebszapfen durchwachsen, in welchen Bindegewebs-Lymphzellen, sehr 
junge Fibroblasten, Plasmazellen und mittlere und kleine mononukleäre 
Zellen in großer Menge vorhanden sind. Oft findet sich am Ende des 
einwuchernden Zapfens ein embryonales Kapillargefäß. 

Diese histologische Beobachtung ist äußerst interessant: sie hat uns 
gestattet, regressive Veränderungen bis in 9 cm Tiefe zu konstatieren. 

Um diese Befunde zusammenzufassen: Die Epitheliomzellen werden 
zerstört, nachdem sie eine oft monströse Hypertrophie ihrer Elemente 
durchgemacht haben, die zu ihrer Auflösung durch Zytolyse oder ıhrer 
Resorption durch Phagozytose führt. Das hyperplastische Stroma dringt 
in die Lobuli der degenerierten Zellelemente, treibt sie auseinander, um- 
schließt sie und bildet ein weiches, zellreiches Narbengewebe. 

Anselme Bellot konnte ganz vor kurzem ganz gleichartige regressive 
Phänomene in einem Adenoepitheliom der Prostata mit epitheliomatösen 
Formationen von alveolärem Typus beobachten. Unter dem Einfluß des 
Radiums wurden die epitheliomatösen Kerne zerstört, während Binde- 
gewebszapfen in lebhafter Wucherung an ihre Stelle treten. 
| Wenn man die histologischen Veränderungen bei den Malpighischen 
Epitheliomen mit denjenigen der Drüsenepitheliome vergleicht, so findet 
man eine weitgehende Übereinstimmung beider. Im Grunde genommen 
liegt ihr einziger nennenswerter Unterschied in der Entwicklung der 
monströsen Zelle: Wenn beim Malpighischen Epitheliom die Reifung der 
Zelle zum Zustande des Hornblocks führt, beim Drüsenepitheliom hin- 
gegen zur Zytolyse, so ist diese Zellentwicklung lediglich durch die Zell- 
funktion bedingt, an welche die Zelle auch im gesunden Zustande adaptiert ist. 

Diese Befunde stimmen ganz mit denjenigen überein, welche andere 
Autoren und besonders Dominici machten, der als erster dieselben be- 
kannt gab. Auch die Bindegewebsgeschwülste machen eine regressive 
Entwicklung durch analog dem eben beschriebenen Prozeß. Ich wähle 
als Beispiel für die histologischen Veränderungen einer derartigen Ge- 
schwulst ein sehr rasch wachsendes Sarkom der Thoraxwand mit poly- 
morphen Elementen unter Vorwiegen von mittelgroßen Spindelzellen. 
5 cgr Radium wurden zwei Nächte hindurch unter Verwendung eines 
5/), mm dicken Bleifilters aufgelegt. 48 Stunden nachher war bereits ein 
Lichterwerden der Neoplasmazellen zu konstatieren. Die übrigbleibenden 
zeigten bereits Hypertrophie ihres Körpers und Kernes; die Diapedese, 
Vorläufer einer zukünftigen Phagozytose ist bereits angedeutet. Am 
10. Tage sind die Veränderungen schon sehr ausgesprochen. In einer 
Tiefe von 1 cm findet man Neoplasmazellen von kolossalen Dimensionen 
bis zu 80 und 90 p. Ihre Kerne sind sehr groß, enthalten enorme 
Nukleolen, haben ein verdicktes Chromatingerüst. Sie sind polymorph und 


74 Wickham, 


ın wechselnder Zahl. Diese Elemente sind meistens von polynukleären. 
neutrophilen Leukozyten überwuchert. Man trifft keine einzige karyokine- 
tische Figur mehr an. Die Gefäße sind an Zahl vermindert und einzelne 
auf Spaltform reduziert. 

Ein drittes Gewebsstückchen, das 14 Tage nach der Bestrahlung 
exzidiert wurde, zeigte auf dem Schnitt 3 Zonen: 1. eine Zone mit voll- 
ständiger Nekrose; 2. eine Zone mit monströsen Zellen und den Erschei- 
nungen der Phagozytose — in der Tiefe fand sich eine Umformung der 
Sarkomelemente in Fibrosarkom — und 3. eine Zone, in welcher das 
Sarkom am wenigsten verändert war. 

Um das eben Gesagte kurz zusammenzufassen: nach einer Periode 
der Latenz, welche kürzer als bei den Epitheliomen zu sein 
scheint, bewirken die Bestrahlungen in der sarkomatösen Zelle eine 
Steigerung der Ernährungs- und Vermehrungsvorgänge, welche 
in einer kolossalen Hypertrophie zum Ausdruck kommt. Hält die 
schädliche Wirkung des Radiums an, so scheinen die Elemente wie vom 
Blitz getroffen und während ihres Wachstums und ihrer Vermehrung vom 
Tode überrascht. Sie werden dann von den Phagozyten, polynukleären 
Leukozyten überfallen und absorbiert. 

Die von Mön&trier und Clunet in einem Präparate eines Spindel- 
zellensarkonıs des Beines nach Bestrahlung mit Röntgenstrahlen beobachtete 
fibro-sarkomatöse Zone scheint anzudeuten, daß in einer bestimmten Tiefe 
die geschwächte Strahlung, die Neoplasmazellen zwar nicht getötet, aber 
doch in ihre biologische Entwicklung eine Perturbation gebracht hat. Sie 
veranlaßten dieselben, Kollagen zu sezernieren und verwandelte sie morpho- 
logisch in Fibromzellen, also in Elemente einer gutartigen Bindegewebs- 
geschwulst. 

Ich konnte nun selber in einem Fall von Fibroblastom oder typischem 
Sarkom des Beines, das mit Radium behandelt worden war, die Um- 
wandlung der sarkomatösen Elemente in Fibrosarkom, dann in benignes 
Fibrom und zuletzt in sklerotisches Gewebe beobachten. Dominici und 
Faure-Beaulieu hatten vorher dieselbe Beobachtung bei einem Sarkom 
des Zahnfleisches gemacht. 

Den gleichen Prozeß sahen Dominici, Rubens-Duval und 
le Beurmann bei der regressiven Metamorphose einer enormen Mycosis 
fungoides des Gesäßes mit Lymphosarkomtypus. 

Wenn wir zusammenfassend die durch Röntgen- und Radiumstrahlen 
sesetzten Veränderungen der Epitheliome mit den eben besprochenen ver- 
gleichen, so finden wir immer denselben Mechanismus. Die Zelle stirbt 
im Zustande kolossaler Vergrößerung und ihr Schwinden geschieht durch 
Phagozytose. Doch scheint die Periode der Latenz beim Sarkom kürzer 


Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 75 


zu sein. Die vor der Degeneration einsetzende Hypertrophie der Sarkom- 
zelle scheint viel ausgesprochener als bei der Epitheliomzelle. Manche 
Sarkome werden durch die Bestrahlung nicht zerstört, sondern einfach in 
benigne Fibrome und diese in Narbengewebe verwandelte (Dominici.) 

Wir kommen nun zu den hämatopoietischen Organen und dem Blut. 
Die histologischen Untersuchungen sind noch nicht sehr zahlreich, aber 
die therapeutischen Resultate sind so beweisend und so ausgezeichnet, daß 
es entschieden von Interesse ist, die hauptsächlichsten bis jetzt sicher- 
gestellten histologischen Befunde einer Betrachtung zu unterziehen. 

Die nosologische Gruppe der Läsionen der hämatopoietischen Organe 
und des Blutes vereinigt eine zu große Anzahl von Krankheiten mit den 
verschiedensten Symptomen, als daß ich dieselben im Gesamten besprechen 
könnte. Ich werde deshalb einerseits die eigentlichen Leukämien, anderer- 
seits einige Typen pseudoleukämischer Erkrankungen vornehmen, bei 
welchen die Hyperleukozytose in viel geringerem Grade angetroffen wird 
als bei der wahren Leukämie. 

Man teilt die Leukämien ein in eine lymphatische Leukämie, welche 
durch eine intensive Leukozytose mit Hyperplasie der Drüsenapparate 
charakterisiert ist, und in eine myeloide Leukämie, bei welcher die Haupt- 
merkmale eine starke Milzhypertrophie und das Vorkommen im Blute von aus 
dem Knochenmark stammenden Zellelementen, den Myelozyten sind. Wir 
wollen zuerst die Modifikation der Organe, dann diejenigen des Blutes 
betrachten. 

Auf den Drüsenschnitten eines Kranken mit lymphatischer Leukämie, 
der drei Tage nach der letzten Röntgenbestrahlung starb, fanden Ménétrier 
und Touraine außer einer Erweiterung der Kapillaren ein helles, rarefiziertes, 
an Drüsenparenchymzellen armes Gewebe; sie glaubten einen normalen 
Drüsenschnitt vor sich zu haben, aus dem man mit dem Pinsel die Zellen 
entfernt hätte, um das Retikulum deutlich zu machen. Die Spuren der 
verschwundenen Lymphozyten sind reichlich, man findet Kernreste und 
Fragmente von zusammengeballtem Chromatin, die alle meistens in Phago- 
zyten eingeschlossen sind. Die Endothelzellen des Gerüstes zeigen eine 
diffuse Hyperplasie. l 

Ebenfalls an einem Falle von lymphatischer Leukiimie, aber mit Be- 
teiligung der Milz konnten David und Desplats histologische Studien 
machen. Es waren zahlreiche Röntgenbestrahlungen der Milz, des Sternums 
und der Ellenbogen vorgenommen worden, ohne daß eine Abnahme der 
Lymphozyten eintrat. Die mikroskopische Untersuchung der Milz zeigte 
weder Makrophagen noch die von Menötrier und Touraine beobachtete 
starke Kongestion. Hingegen war das ganze Organ von ausgesprochenster, 
diffuser, interstitieller Sklerose ergriffen. 


76 Wickham, 


Bei derartig diametral sich entgegenstehenden Resultaten möchte ich 
kein Urteil abgeben; es sind neue Untersuchungen unbedingt nötig. Ich 
will nur das Eine hervorheben, daß wir unter Einwirkung des Radiums die 
zwei Phasen der Zytolyse und der Phagozytose wieder finden, die von 
Menetrier und Touraine beschrieben und von Heinecke, London, 
Thies, Senn, Werner und anderen ebenfalls gesehen wurden. 

Die quantitativen und qualitativen Modifikationen des Blutes sind 
interessanter zu verfolgen. Wir werden dieselben zuerst an den weißen, 
dann an den roten Blutkörperchen untersuchen. 

Das erste Resultat einer mäßigen Röntgen- und Radiumbehandlung 
ist nicht, wie man meinen könnte, eine Verminderung der Leukozytenzahl, 
sondern im Gegenteil eine Vermehrung, wie dies Aubertin und Beaujard 
gezeigt haben. Es handelt sich aber jedenfalls um ein sehr flüchtiges 
Phänomen, das 2—3 Stunden nach der Bestrahlung zu beobachten ist. 
Diese Vermehrung geschieht immer zu Gunsten der polynukleären Zellen 
und sie ist bei der myeloiden Leukämie viel ausgesprochener. 

An diese erste Phase schließt sich eine Verminderung der Leukozyten 
an. Bei der myelogenen Leukämie resultiert diese Verminderung aus dem 
teilweisen Verschwinden der Myelozyten, welche nach David und Desplats 
von 34,4% vor der Bestrahlung auf 26,3% eine Stunde nachher und auf 
19,6% 6 Stunden nachher fallen können; in demselben Zeitraum gingen 
die polynukleären Zellen von 3 auf 66,4%. In der Folge sank die Zalıl 
der Myelozyten immer mehr, während die Zahl der Polynukleären sich der 
Normalen näherte. Die mononukleären Zellen hingegen vermehren sich 
in wechselnder Menge, erreichen aber nie ihre normale Zahl. 

Bei der lymphatischen Leukämie nehmen die eosinophilen Zellen, die 
Mastzellen und besonders die Lymphozyten ab: ihre Abnahme ist eine 
langsame, außerdem betrifft sie die Leukozyten insgesamt, ohne daß ihr 
prozentuales Verhältnis zueinander in auffallender Weise geändert wird. 
Schr selten sieht man das Blut bei einer Iymphatischen Leukämie wieder 
zu einer der Normalen sich nähernden Formel kommen. 

Was die roten Blutkörperchen anbetrifft, so besteht der Effekt der 
Einwirkung der Röntgen- und Radiunstrahlen in einer Vermehrung der- 
selben, die nach einer vorübergehenden Verminderung rapide einsetzt und an- 
dauert. Diese Veränderungen sind besonders in den myeloiden Formen deutlich. 

Die spezielle Sensibilität des lymphatischen Gewebes führte natürlicher- 
weise zur Verwendung der Röntgen- und Radiumstrahlen bei pseudo- 
leukämischen Erkrankungen, sei es, daß es sich um Lymphadenie oder 
um sog. aleukämische Splenomegalie, die ja trotzdem wit leichter Hyper- 
leukozytose einhergeht, handelt. Ich hatte Gelegenheit, zusammen mit 
Herrn Dr. Degrais eine Kranke mit Radium zu behandeln, welche eine 


Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen 77 


Milz von enormen Dimensionen aufwies, die das ganze Abdomen und das 
Becken ausfüllte und die Medianlinie rechts um 5 Fingerbreiten über- 
schritt. Die Blutkörperchenzählung ergab 3200000 rote, 360000 weiße 
von allen Varietäten. Es handelte sich um eine Splenomegalie mit 
Leukozythämie ohne Lymphadenie. Eineinhalb Monate nach Beginn der 
Behandlung fand man 4900000 rote und 77000 weiße Blutkörperchen. 
Nach 5 Monaten war die Milz nicht mehr nachweisbar und nach 
S Monaten blieb das Allgemeinbefinden tadellos. Die Blutuntersuchung 
ergab 10000 weiße Blutkörperchen und die Milz blieb in normaler Größe. 

In einem Falle von Iymphatischer Lymphadenie, der mit Röntgen- 
strahlen behandelt wurde, konnte P. L. Weill eine Abnahme der weißen 
Blutkörperchen von 8000 auf 6000 und Rückkehr zur normalen Leuko- 
zytenformel feststellen. 

Was den histologischen Prozeß der Regression einer Splenomegalie oder 
Lymphadenie anbelangt, so handelt es sich wahrscheinlich um Veränderungen 
ähnlicher Art wie die von M&n6trier und Touraine in einem Fall von 
lymphatischer Leukämie beschriebenen; es wäre aber gewagt, dies absolut 
sicher behaupten zu wollen. 

Die Darstellung, welche ich jetzt von dem regressiven Prozeß der 
Angiome und Keloide geben werde, betrifft nur die Wirkung des Radiums. 
Ich habe keine Kenntnis, daß eine derartige Untersuchung nach Ein- 
wirkung von Röntgenstrahlen gemacht wurde. 

Die günstigen Erfolge, welche ich durch die Bestrahlung mit Radium 
in hunderten von verschiedensten Fällen von Naevi plani vasculosi, von 
subkutanen und submukösen Gefäßgeschwülsten und von erektilen Ge- 
schwülsten erhalten habe, veranlaßten mich, den Regressionsprozeß dieser 
Geschwülste histologisch zu klären, wie ich dies auch zusammen mit 
Degrais und Gaud für die Keloide gemacht habe. 

Ich wähle zuerst das Beispiel eines planen Angioms der Kopfhaut, 
das bestrahlt und geheilt wurde. 

Unter einer verschmälerten Epidermis findet man eine papillenlose 
Kutis, deren differenzierte Elemente, Haare, Nerven, Muskeln, Drüsen 
verschwunden sind und einem Gewebe Platz gemacht haben, das aus 
einzelnen übereinander geschichteten Lagen parallel zur Epidermis aus- 
einandergezogener Zellen mit einigen zerstreut liegenden hellen Spalten 
besteht. Außerdem, was die Hauptsache ist, sind die zahlreichen blut- 
gefüllten Kapillaren verschwunden. Einige Reste davon sind noch in 
Form von vereinzelten zu engen Spalträumen reduzierten Gefäßen vor- 
handen, deren Lumen von einem Endothel mit vorspringenden großkernigen 
Zellen begrenzt ist; diese beinahe blutleeren Spalten enthalten einige poly- 
nukleäre Leukozyten. 


78 Wickham, 


Die Zellen des Bindegewebes sind vom Typus der erwachsenen 
Fibroblasten mit kleinem, länglichen Kerne, der von einem schmalen 
Protoplasmasaum umgeben ist. Kollagen und Elastin scheinen wie in einer 
normalen Kutis in parallelen Bündeln zwischen den Zellelementen ange- 
ordnet. An manchen Stellen, besonders in der Umgebung der Kapillar- 
reste sieht man eine schöne, voluminöse embryonale Bindegewebszelle, 
sternförmig und mit zahlreichen lang ausgezogenen Protoplasmaausläufern 
versehen. Die Epidermis ist verschmälert, ihre Keimschicht ruht auf 
einer geradlinigen Basis. 

Dieses Ersatzgewebe ist natürlich von der normalen Haut verschieden, 
unterscheidet sich aber ebenso von einer banalen Narbe nach Entzündung 
und zwar durch das Fehlen von Gefäßentzündung und von Inseln embrvu- 
naler Zellen, ferner durch die Regelmäßigkeit und das geringe Volumen 
der Bindegewebsbündel, durch das Fehlen von Sklerose und durch seinen 
Reichtum an Fibroblasten. 

Es ist interessant, den Regressionsprozeß der neugebildeten Kapillaren 
zu verfolgen. Die Veriünderungen setzen am Endothel und am Perithel an. 

Der Kern der Endothelzellen ist kugelig geworden und springt vor. 
während ihr reichlicheres Protoplasma sich in dendritischen Fortsätzen aus- 
wächst, die mit denen der Nachbarzellen und mit den perivaskulären Binde- 
gewebselementen anastomosieren. Die platte und polygonale Endotlielzelle 
wird eine sternföürmige Bindegewebszelle. 

Das Perithelium wird hyperplastisch. Es ist dann von zahlreichen 
fusiformen grolikernigen Zellen zusammengesetzt, die das verengte Lumen 
der Kapillare begrenzen. Der Schnitt durch die Gefäße ist nicht mehr 
kreisförmig, sondern wird polygonal oder elliptisch. 

Um den Vorgang zusammenzufassen: Es findet keine direkte und 
sofortige Zerstörung der neoplastischen Elemente, welche den 
Tumor in Form von Kapillaren aufbauen statt. Es handelt sich also 
um einen Prozeß, der vollständig verschieden ist von demjenigen, den wir 
bei dem Schwund der epitheliomatösen und sarkomatösen Zellen oder der 
leukämischen Blutkörperchen sahen. 

Es handelt sich hier um paraembryonale Metaplasie des 
vaskulären Bindegewebes mit Hyperplasie seiner Elemente. 
Unter dem Einfluß des Radiums verändert sich das plane oder kavernöse 
Angiom in sozusagen evolutiver Weise: der Prozeß besteht aus- 
schließlich in einer Verjüngung des Gewebes. 

Diesen selben Prozeß finden wir bei den Veränderungen der Keloide 
nach der Radiumbehandlung wieder. 

Diejenigen Keloide, deren histologische Transformation wir verfolgen 
konnten. waren das eine nach einer Verbrennung mit Schwefelsäure, das 


Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 79 


andere nach einer Verbrennung durch Schießpulver entstanden. Ihr Aufbau 
war ungefähr der gleiche. Unter einer reduzierten Epidermis, deren Basis 
kaum gewellt war, fand sich eine durch ein dichtes Filzwerk von Binde- 
gewebsfasern erfüllte Kutis. Die Bindegewebsfibrillen lagen in parallel zur 
Oberfläche wellig verlaufenden einander rechtwinklig schneidenden Schichten, 
zwischen denen einige wenige längliche und verkümmerte Bindegewebszellen 
verborgen waren. Die wenig zahlreichen Gefäße waren von einer Zone 
zellulärer Infiltration umgeben. Die elastischen Fasern waren nur spärlich. 

Nach einer mehrere Wochen dauernden Behandlung, die zur Erweichung 
und zum Einsinken der Tumoren bis aufs Hautniveau führte, sah man bei 
der histologischen Untersuchung die Epidermis noch etwas mehr reduziert 
als früher, die Zellen des Corpus mucosum aber voluminöser. Es war 
ferner nur eine Zellschicht mit Eleidin zu erkennen und die Keimschicht 
lag auf einer fast geradlinigen Basis. 

Die Kutis, ohne Papillen, ohne Haare und Drüsen wird gebildet von 
regelmäßig abwechselnden Schichten von feinen Bindegewebsfibrillen und 
elastischen Fasern, die der Epidermis parallel laufen, und von zahlreichen 
Zellen vom Bindegewebstypus in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung. 
Wenn manche dieser Zellen die Form und Größe von erwachsenen Fibro- 
blasten haben, die das Kollagen und Elastin der Umgebung ausscheiden, 
so sind andere mehr in Haufen gruppiert und haben ein reichliches Chromo- 
plasma, das sich in lange, mit denjenigen der Nachbarzellen anastomo- 
sierenden Filamente fortsetzt, und einen großen, oft exzentrischen Kern. 
Es sind dies die morphologischen Charaktere der jungen, sternförmigen 
sogenannten embryonalen Bindegewebszelle. Zwischen diesen beiden ex- 
tremen Typen finden wir alle Übergänge in Differenzierung begriffener 
Fibroblasten. Die elastischen Fasern sind fein und reichlich. 

Wenn ich das eben Gesagte zusammenfasse, so unterscheidet sich das 
bestrahlte Keloid durch seinen Reichtum an Bindegewebszellen, durch die 
Polymorphie seiner Zellen, die Volumverminderung des Bindegewebsbündels 
und durch das Wiederauftreten der elastischen Fasern. 

Das Keloid scheint also der Sitz eines evolutiven Prozesses gewesen 
zu sein, der in einer Verjüngung mit Hyperplasie der Bindegewebselemente 
bestand und von einer normalen Entwicklung derselben gefolgt war. Nur 
die Bildung von Elastin und Kollagen ist weniger dicht als in einer nor- 
malen Kutis. Der Zellreichtum des Ersatzgewebes und die Feinheit seiner 
elastischen Fasern erklären seine Weichheit und seine Einebnung genügend. 

Bisher haben wir nur von der Wirkung der Röntgen- und Radium- 
strahlen gesprochen. Die Wirkung der aktinischen Strahlen war bisher 
noch nicht Gegenstand einer histologischen Untersuchung bei den Affek- 
tionen, von denen wir bisher sprachen. Übrigens scheinen die durch die 


80 Wickham, 


Sonnenstrahlen hervorgerufenen Modifikationen überhaupt noch nicht Anlaß 
zu histopathologischen Untersuchungen gegeben zu haben. Hingegen wurde 
die Wirkung der Lichtstrahlen (Finsen) von verschiedenen Autoren histo- 
logisch untersucht, unter denen wir als Pionier der ersten Stunde Hans 
Jansen aus Kopenhagen erwähnen müssen, dem wir die nachfolgenden 
Angaben verdanken: 

Diese Studien betreffen fast alle die Hauttuberkulose und wir könnten 
sie mit den über die Wirkung der Röntgen- und Radiumstrahlen auf 
dieselben Gewebe gemachten histologischen Untersuchungen vergleichen. 

Jansen konnte nach Bestrahlung einer mit Tuberkelbazillen infizierten 
Kaninchenkornea außer der Zerstörung der oberflächlichen Zellen eine 
sehr ausgesprochene Erweiterung der Gefäße mit Endarteriitis und par- 
tieller Thrombose konstatieren. Ein erst seröses, dann serofibrinöses Ex- 
sudat imbibiert die Gewebe und zu gleicher Zeit erfolgt eine Vermehrung 
der weißen Blutkörperchen mit Zellproliferation in die Tiefe. Die Zell- 
zerstörung findet nur in 0,5 mm Dicke statt. Beim Lupus sieht man 
dieselben Veränderungen. Doch sind hier die Gefäßmodifikationen weniger 
auffallend infolge der Hefäßarmut der Lupusknötchen. Die Erscheinungen der 
Vakuolisierung und Zellnekrose sind höchstens bis zu 0,7 mm Tiefe sichtbar. 

Nach Jansen besteht die Lichtbehandlung in einer Zerstörung der 
Schichten, die bis zu einem gewissen Punkte elektiv für die pathologischen 
Elemente ist und mit einer äußerst lebhaften Degeneration einhergeht. 

Nach Grouwen und Doutrelepont wirken die Röntgenstrahlen auf 
den Lupus, indem sie eine Bindegewebshyperplasie hervorrufen, welche die 
Lupusherde sozusagen erstickt. Scholtz hingegen konstatierte eine De- 
generation der Riesenzellen und der an Stelle der Lupusknötchen, deren 
Form man nicht mehr erkennen kann, zurückgebliebenen Epithelzellen. 
Diese Widersprüche sind wahrscheinlich durch die Intensität der Be- 
strahlungen zu erklären je nach der Tiefe der Läsion. Dasselbe ist sogar 
in der Radiumtherapie der Fall, wo wir in manchen Fällen von tiefer 
Intiltration gezwungen sind die sogenannte „elektive* Methode durch die 
Methode der entzündlichen Reaktion zu ersetzen. Im ersteren Falle haben 
wir eine Hyperämie mit Leukozytenmigration und Ersticken der Lupus- 
knötchen durch das neugebildete Bindegewebe, im zweiten haben wir die 
Nekrose der Zellen, deren Trümmer durch Phagozytose verschwinden, und 
die Bildung einer gleichmäßigen und weichen Narbe auf Kosten des em- 
bryonalen Bindegewebes. Dominici und Barcat haben speziell diese Frage 
studiert. 

IV. Allgemeine Betrachtungen. 

Am Schluß meines Referates angelangt, möchte ich einige allgemeine, 

klinische und therapeutische Betrachtungen folgen lassen. 


Durch Strahlen hervorgerufene histologische Gewebsänderungen. 81 


Aus der Gesamtheit der bis jetzt festgestellten Tatsachen haben wir 
sefolgert, daß in histologischem Sinne die verschiedenen Strahlen gleich- 
artige Modifikationen hervorrufen. Und doch scheinen manche klinischen 
Resultate solche Folgerungen Lügen zu strafen, da therapeutisch in einem 
bestimmten Falle die eine Methode besser als die andere wirkt. 

Man darf aber nicht vergessen, daß diese Untersuchungen noch in 
ihren Kinderschuhen stecken und daß eine nahe Zukunft viel gründlichere 
Untersuchungen bringen wird,. welche auf einer viel größeren Erfahrung 
fußend. wahrscheinlich histologische Unterschiede ans Licht bringen werden, 
welche bis jetzt noch verborgen blieben. 

Es ist nötig, ins Gedächtnis zurückzurufen, daß die Hauptgründe 
dieser therapeutischen Unterschiede ganz anderer Art sind. Die eine 
Methode erlaubt eine präzisere, besser passende Dosierung, die andere die 
Anwendung einer mannigfaltigeren und subtileren Technik: Die Filtration 
n der Radiumtherapie ist ein Beispiel hierfür. 

Zuletzt spielen die materiellen Verhältnisse des Instrumentariums der 
sinen oder anderen Methode eine entscheidende Rolle. Wenn wir die 
Röntgentherapie mit der Radiumtherapie vergleichen, so finden wir bei der 
ersteren die Möglichkeit. leicht eine große Oberfläche mit einer bedeutenden 
Strahlenintensität zu bestrahlen. Bei der Radiumtherapie finden wir kleiner 
!!mensionierte Apparate, welche durch künstliche und natürliche Öffnungen 
en fast allen Teilen des Körpers eingeführt werden können, da wo die 
Röntgentherapie nicht mehr wirken kann. Außerdem kann man Dank 
des auljerordentlichen Durchdringungsvermögens der y-Strahlen des Ra- 
ums nicht nur durch dicke Gewebsschichten hindurch eine Wirkung ent- 
sken. sondern man kann auch eine bis zu 5 mm Blei gehende Filterserie 
‚nwenden. und dies allein zeigt, zu welch multiplen Kombinationen sich 
le Radiumtherapie eignet und wie sie sich den einzelnen Regionen an- 
asen lißt; so kann man ganz außerordentlich schöne und unvergleich- 
xie Resultate bei manchen malignen Tumoren des Uterus erzielen. Denn 
man wird leicht verstehen, daß die kleinen radiumtragenden Instrumente, 
“iche auf mehr als 9 Zentimeter Tiefe wirken können, außerordentlich gut 
‘h dieser Region anpassen lassen, wo man mit Leichtigkeit dieselben eine 
mie Anzahl von Stunden in Lage lassen kann. 

Es ist außerdem klar, daß alle Methoden der Radiumtherapie, welche 
ür-kt das HEmanationsgas des Radiums verwenden, so die Radiumiono- 
tsrapie, die Injektionen löslicher und unlöslicher Radiumsalze usw. eine 


nuz spezielle und eigenartige Technik erfordern. 
(Übersetzt von Dr. A. Gunsett in Straßburg i. E.) 


Strahlentherapie Band II, Heft 1. b 


Aus dem Laboratorium für Radioaktivität in Gif. 


Untersuchung über die Absorption der y-Strahlen des 
Radiums durch einige organische Substanzen. 5 


Von 
Dr. Giraud, Chantilly (Oise). 
(Mit 1 Abbildung.) 


Einleitung. 
an weiß, daß eine ungeführ 5 Millimeter dicke Bleiplatte aus einem 
Radiumpräparat nur noch y-Strahlen passieren läßt. 

Es ist die härteste Radiumstrahlung und diejenige, welche man speziell 
dann verwendet, wenn man in die Tiefe der Gewebe wirken will. 

Es schien uns deshalb wichtig, zu untersuchen, nach welchen Gesetzen 
diese Strahlung absorbiert wird. Die Absorptionskoeffizienten der y-Strahlen 
sind zwar für eine große Anzahl von Metallen, festen Körpern, für Wasser 


und einige weniger dichte Flüssigkeiten — bei letzteren beschränkte sich 
allerdings die Untersuchung auf sehr geringe Schichtdicken — bestimmt. 


meines Wissens aber nicht für die Gewebe und die organischen Flüssie- 
keiten. 

Meine Versuche beschränkten sich bis jetzt auf das Wasser, die physio- 
logische Kochsalzlösung, das Blut und das Muskelgewebe. Weitere Ver- 
suche, die noch in Arbeit sind, werden die bisherigen Resultate vervoll- 
stäindigen. 

Ich will zuerst kurz die Absorptionskoeffizienten für einige Metalle ins 
Gedächtnis zurückrufen: 

Es sei Jo die ursprüngliche Intensität des y-Bündels vor der Absorption. 

J die Intensität desselben Bündels nach Durchdringung der 
Substanz d 
und u der Absorptionskoeffizient. 
Man hat dann die Formel: 
J = Joo un 
welche angibt, daß die Absorption einem exponentiellen Gesetze folet. 


', Vortrag, gehalten auf dem 4, Internationalen Kongreß für Physiotherapie, 
Berlin 1913. 


Giraud, Absorption der y-Strahlen des Radiums d. organ. Substanzen. 83 


Für einige Metalle seien hier die Werte von p angeführt: 


Tabelle 1. 
Tu D (= Schichtdicke, welche die Hälfte 
der Strahlung absorbiert). 
Pb = 049= 1,4 cm 
Hg = 0,642= 1,08cm 
Al = 0(0,Ä11ll= 6,25cm 
Glas = 0,105 = 6,60 cm 


Paraffin = 0,040 = 17,30 cm 


In dieser Tafel gibt die Reihe D, welche der Reihe u folgt, für die 
bezeichneten Substanzen diejenige Dicke an, welche nötig ist, um die Hälfte 


der ursprünglichen Strahlung zu unterdrücken. 


Experimentelle Anordnung. 


Bei unseren Versuchen bemühten wir uns, möglichst exakte Zahlen zu 


erhalten. Deshalb trafen wir eine äußerst empfind- 
liche und präzis arbeitende Anordnung. 

Dieselbe besteht in einem Goldblattelektroskop, 
auf welchem ein zylindrischer Behälter aus Messing 
von genügender Größe sitzt, um die zu unter- 
suchende Substanz aufzunehmen. Das Radium in 
Menge von 9 Milligramm RaBr,2H,O wurde an der 
obersten Fläche dieses Zylinders angebracht. 

Das Elektroskop selber war ganz aus 1 cm 
dickem Blei, außer der unter dem Metallzylinder 
liegenden Wand, welche aus einer 1 mm dicken 
Messingplatte gebildet war. 

Um das Eindringen jeglicher parasitärer Strah- 
lung zu verhindern, waren die Fenster, welche zum 
Beleuchten oder Ablesen dienten, durch dicke, 
5 Zentimeter lange Bleirohre geschützt. (Fig. 1.) 

Die Ablesung wurde bei künstlicher Beleuch- 





Fig. 1. 


tung vermittelst eines mikrometrischen Fernrohrs vorgenommen. 
Das Elektroskop wurde an einer seitlich angebrachten genügend ge- 
schützten Kontaktstelle vermittelst einer Akkumulatorenbatterie von gut 


konstanter Spannung geladen. 


Der Messingzylinder war 54 cm hoch und 12cm breit. An seiner 
Basis waren 2 Röhren angelötet; die eine diente dazu, nach Belieben und 
progressiv die Füllflüssigkeit abzulassen, die andere war in Verbindung mit 
einem graduierten Manometer, welches jederzeit den Stand der Flüssigkeit 


im Innern des Zylinders anzeigte. 


6* 


84 Giraud, 


Das oberhalb des Zylinders auf einer 5 mm dicken Bleiplatte liegende 
Radium war außerdem noch durch einen mehrere Zentimeter dicken Blei- 
hut geschützt. 

Auf diese Weise konnten die y-Strahlen nur die Substanz, deren Ab- 
sorption man studieren wollte, durchdringen. Für diejenigen, welche die 
Seitenwand des Messingzylinders hätte durchfiltrieren lassen, bildeten die 
dicken Bleiwände des Elektroskops ein undurchdringliches Hindernis. 


Versuch. 

Er bestand darin, zuerst die Angaben des Elektroskops bei leerem. 
dann bei mit der zu untersuchenden Substanz maximal gefülltem Zylinder 
zu registrieren. 

Nachdem das Radium, wie oben beschrieben, aufgesetzt und das 
Elektroskop aufgeladen war, notierte man die Zeit der Entladung für ab- 
steigende Schichtdicken der Substanz, die peinlichst kontrolliert wurden. 

Die umgekehrten Zeiten gaben die Schnelligkeit des Fallens des Gold- 
blättchens. 

Für Gewebe wurde der vertikale Zylinder durch eine Reihe von Messing- 
ringen gleicher Dicke von 2 Zentimetern Höhe ersetzt. 

Der Boden eines jeden Ringes bestand aus dünnem Papier, dessen 
Absorption man vernachlässigen kann. 

Jeder dieser Ringe war mit der zu untersuchenden Substanz ge- 
füllt. Indem man sie übereinanderlegte, bekam man genau bestimmbare 
Schichtdicken. 

Resultate. 

Für Flüssigkeiten wie für Gewebe wurden die Resultate folgender- 
malen dargestellt: 

Man zeichnete eine Kurve, deren Abszissen die Schichtdicken der 
untersuchten Substanz darstellten. Als Ordinaten wurden die Logaritlinien 
der Schnelligkeit des Fallens des Goldblatts im Elektroskop, d. h. die 
Logarithmen der Strahlenintensitäten, welche die sukzessiven und ent- 
sprechenden Schichtdicken der Substanz passiert haben, notiert. 

Bei dieser Anordnung fand man, daß bei den 4 verschiedenen Sub- 
stanzen für Schichtdicken bis zu 52cm das Absorptionsgesetz streng ex- 
ponentiell ist; d. h. wenn die Dicke der Substanz 2 mal größer wird. so 
nimmt die Strahlung, die sie durchdringt, um die Hälfte ab. 

Die erhaltenen Zahien finden sich in der folgenden Tabelle, auf 
welcher x. den Absorptionskoeffizienten bei einer Temperatur von 15° und D 
die Dicke der Substanz, welche die Hälfte der Strahlung unterdrückt, 
bezeichnet. 


Absorption der y-Stsahlen des Radiums durch organische Substanzen. 85 


Tabelle 2. 
p D (log =) 
Wasser . . . . . . 0,034 20.4 cm 
Physiolog. Kochsalzlösung 0,038 18,3 cm 
Blut . . 2. . . . . 0,048 14,4 cm 
Muskelgewebe . . . . 0,091 7,6 cm 


Man sieht hieraus, daß für Wasser die Absorption gering ist und daß 
sie steigt, wenn die Strahlung die physiologische Kochsalzlösung und das 
Blut durchdringt und daß sie für die Gewebe relativ groß ist. 


Konsequenzen. 

Die exakte Kenntnis der Koeffizienten ist wichtig. Sie erlaubt es, 
in präziser Weise den Wert der in jedem Kubikzentimeter Gewebe zurück- 
gelassenen Energie zu messen, wenn man die Intensität der Strahlung: 
quelle und die Entfernung de bestrahlten Gewebe kennt. 

Betrachten wir z. B. den Fall, daß in einen Tumor ein Radium- 
röhrchen gebracht wird. Die in einem Kubikzentimeter Gewebe, das in 
einer Entfernung r vom Röhrchen liegt, zurückgelassene Energiemenge 
hängt von 2 Faktoren ab, von denen der eine als Funktion der Distanz 
umgekehrt mit dem Quadrate letzterer wechselt, der andere mit der Ab- 
sorption variiert, 

Diese beiden Faktoren können durch folgende Formeln ausgedrückt 
werden: | 
Distanzfaktor r= Iy (1) 

r? 
Absorptionsfaktor I’ = It,“ 


Die Kombination beider Formeln erlaubt die Aufzeichnung der Kurve 
der in Funktion der Distanz r absorbierten Energie. 


Diese Arbeit wurde im Laboratorium für Radioaktivität von Gif 

(S. et Oise) ausgeführt, dessen Direktor, Herr Danne, mich durch 

seine Ratschläge wirksam unterstützte. Ich benutze die Gelegenheit, um 
ihm meinen lebhaften Dank dafür auszusprechen. 

(Übersetzt von Dr. 4. Gunsett, Straßburg i. E.) 


Radiumbehandlung des Rhinophymas.!) 
Von 
P. Degrais, Paris. 


I‘; habe die Ehre. Ihnen aus der Reihe der Forschungen, welche wir im Ra- 
diumlaboratorium anstellen, die sukzessiven Resultate vorzuführen, die wir 
bei der Behandlung des Rhinophymas erhalten haben. Dieselben sind 
besonders deshalb bemerkenswert, weil ein Parallelismus zwischen der 
Natur der Affektion und der Wirkung des Radiums auf die sie konsti- 
tuierenden Elemente besteht. 

Das Rhinophyma, eine unregelmäßige Hypertrophie der Nase, die 
oft mit roten schlecht konturierten Flecken einhergeht, wird vom ana- 
tomisch-pathologischen Standpunkte aus charakterisiert: 

1. durch eine Vermehrung der Talgdrüsen und Erweiterung ihrer 
Ausführungsgänge, 

2. durch eine Sklerosierung der Kutis mit Bildung Iymphatischer 
Hohlräume, deren Wände mit Endothelzellen belegt sind. Die Blutgefübe 
bilden oft weite Sinus, welche die Kutis in ein kavernöses, den Angiomen 
ähnliches Gewebe verwandeln. 

Leloir und Vidal unterscheiden zwei Arten des Rlıinophymas, je nach- 
dem die einen oder anderen pathologisch-anatomischen Merkmale über- 
wiegen: eine glanduläre Varietät, bei welcher die Drüsen sehr voluminös 
sind, und eine elephantiastische Form, bei welcher die Kutissklerose und 
die Blutgefäßdilatation überwiegt. 

Nun wissen wir aus den Untersuchungen über die Radiumwirkung 
auf die Epidermis. daß die Abkömmlinge des Ektoderms, die Haare, 
Talg- und Schweißdrüsen Veränderungen durchmachen, welche zuletzt zu 
ihrem vollständigen Schwunde führen. Die Haare wandeln sich in Röhren 
um, die mit nebeneinanderliegenden untereinander völlig gleichen Epithel- 
zellen ausgefüllt sind. Die Schweißdrüsen machen nach etwas längerer 
Zeit dieselben Veränderungen durch. Die Talgdrüsen werden ihrerseits 
zuerst atrophisch. Die Fettsubstanz, welche ihre Zellen ausfüllt, nimmt 
ab und verschwindet dann, die Kerne schrumpfen, werden pyknotisch und 
bald sind, wie dies Scholtz zeigte, Follikel und Drüsen durch Leukozyten 
ersetzt, welche mit Kernresten und sich nicht mehr färbenden Fibrillen- 


1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie. 
Berlin 1913. 


Degrais, Radiumbehandlung des Rhinophymas. 87 


massen untermischt sind. Diese Elemente verfallen der Phagozytose und 
werden resorbiert. Drüsen und Follikel verschwinden. Zu gleicher Zeit 
vermehren sich die Epithelzellen, welche den Fettlappen umgeben und 
wuchern in die Drüse, welche so in einen Block mit Malpighischer Struk- 
tur umgewandelt wird. 

Ferner zeigt uns die Untersuchung bestrahlter Angiome, daß die 
vielen strotzend mit Blut gefüllten Kapillaren nicht mehr vorhanden sind. 
Einige Reste bestehen noch als kleine, seltene, zu Spalten reduzierte Ge- 
füße, deren Lumen von einem Endothel mit vorspringenden großkernigen 
Zellen umkleidet ist. Diese fast blutleeren Räume enthalten einige poly- 
nukleäre Zellen. Ä 

Die pathologische Anatomie des Rhinophymas einerseits, die histo- 
logischen Modifikationen, welche das Radium in den das Rhinophyma kon- 
stituierenden Elementen hervorruft andererseits, rechtfertigten eine Radium- 
behandlung dieser Erkrankung und die Erfolge bestätigten unsere Annahme, 
welche durch die bei Angiomen und seborrhoischen Erkrankungen erzielten 
Resultate, die wir in unserem Lehrbuch der Radiumtherapie erwähnt haben, 
gestützt wurde. 

Von den drei Patienten, deren Krankengeschichten wir aus der Reihe 
der mit Wickham zusammen behandelten Fälle herausgreifen, zeigten 
zwei die glanduläre und der dritte die elephantiastische Form. Bei den 
beiden ersten, deren Nase mit unregelmäßigen Vorsprüngen besetzt war, 
konnte aus den Drüsenöffnungen eine enorme Quantität Talg ausgedrückt 
werden. Allmählich wird unter dem Einfluß des Radiums der Talg weniger 
und verwandelt sich zuletzt in kreidige Zapfen, die schwer aus dem Ein- 
führungsgang zu enucleieren sind und jede Sekretion auf Druck sistiert. 
Parallel mit diesen Veränderungen nahm auch das Volumen der Nase ab, 
die allmählich ihre normale Form wieder erreichte. Bei dem dritten 
Kranken, bei welchem das vaskuläre Element auf Nase und Wangen über- 
wog, während die Drüsensekretion nur relativ vermehrt war, verschwanden 
die kongestiven Phänomene allmählich und die hypertrophischen Gewebe 
sanken ein. 

Unsere Technik war die folgende: Es wurden während 48 auf vier 
Nächte verteilten Stunden Apparate von 4 Quadratzentimeter Oberfläche 
aufgelegt, welche 1 cgr Radiumsulfat gemischt mit 3 cgr Bariumsulfat 
enthielten. Als Filter wurde 2 mm dickes Blei verwendet. Die Appli- 
kationen wurden als Kreuzfeuer auf die Nasenflügel gemacht. 4 Serien 
in je 6 wöchentlichem Abstand waren zur Erreichung der oben beschrie- 
benen Resultate nötig. | 

Wir haben mit Vorliebe diese Technik angewandt, weil bei der Dimension, 
welche die Drüsenelemente erreicht hatten, nur durch eine starke Filtration 


88 Degrais, Radiumbehandlung des Rhinophimas. 


eine genügend lange Bestrahlung und eine genügende Absorption gewähr- 
leistet werden konnte, welche nötig ist, um die weit von der Oberfläche 
entfernten Elemente zu modifizieren. 

Natürlich variiert diese Technik, welche wir zuerst anempfohlen haben. 
je nach dem Fall. Die oben angegebene darf nur als Typus für die spe- 
ziellen Fälle gelten, von denen wir sprachen. 

Jedenfalls muß man aber Filter von °/,, mm Blei und mehr anwenden, 
denn wenn zwar mit Recht die harten Strahlen für die normalen Drüsen 
als ungefährlich gelten, so sind sie doch unumgänglich nötig, um hyper- 
trophische Drüsen zu modifizieren. 

Ich glaube deshalb, daß in den mittelschweren Fällen, bei welchen 
eine chirurgische Behandlung diskutiert werden kann, die Radiumbehand- 
lung Vorteile bietet, auf die mir hinzuweisen interessant schien. 

(Übersetzt von Dr. A. Gunsett, Straßburg i. E.) 


Aus dem Radiuminstitut der Königlichen Charite (Dir. Geh. Med. Prof. 
Dr. W. His). 


Zur biologischen Wirkung von Thorium X.') 
Von 
V. Salle und A. von Domarus. 


D: Mitteilung unserer Untersuchungen über die Wirkung des Tho- 
rium X auf den Tierkörper möchten wir vorausschicken, daß der Aus- 
gangspunkt unserer Arbeit nicht von therapeutischen Gesichtspunkten be- 
stimmt wurde, vielmehr waren wir bestrebt, zunächst ganz allgemein ge- 
wisse biologische Wirkungen von Thorium X auf den Tierkörper 
näher zu erforschen. Wir berichten in folgendem nur über unsere, auf 
einem abgegrenzten Gebiete erzielten Resultate und möchten gleich ein- 
gangs betonen, daß bei der komplizierten Wirkung der radioaktiven Stoffe 
auf den Körper die Deutung von in dieser oder jener Richtung erhobenen 
Befunden auf gewisse Schwierigkeiten stößt. Die Befunde selbst können 
zurzeit nur Fragmente darstellen, deren richtige Bewertung im Zusammen- 
hang erst eine spätere Zukunft ermöglichen wird. Doch liegt die Not- 
wendigkeit exakter sich auf Einzelgebiete erstreckender Feststellungen klar 
zu Tage und dies veranlaßt uns über unsere Befunde zu berichten. 

Den Ausgangspunkt unserer Untersuchungen bilden die interessanten 
Beobachtungen, die vor jetzt ca. einem Jahr von Falta in Wien und 
gleichzeitig von Plesch aus der Kraus’schen Klinik publiziert wurden. Letz- 
terer beobachtete bei einzelnen seiner mit Thorium X behandelten Patienten 
eine auffallend starke und langanhaltende Blutdrucksenkung. Gleichzeitig 
wurde von mehreren Autoren — und wir können dies durchaus bestätigen — 
im Tierexperiment eine starke Erweiterung der Gefäße nachgewiesen. Bei 
den innigen Beziehungen, die zwischen Gefäßtonus und Blutdruck einer- 
seits und den Nebennieren andererseits bestehen, schien uns der Versuch 
lohnend, im Tierexperiment zu verfolgen, ob und inwieweit die Funktion 
des Adrenalsystems durch Thorium X beeinflußt wird; dies umso- 
mehr, als schon Falta und seine Mitarbeiter darauf hingewiesen hatten, 
daß das chromaffine System degenerative Veränderungen bei Anwendung 
großer Dosen zeigt und daß die Aktivität der Nebennieren von Tieren, 
die Injektionen von Thorium X längere Zeit überlebten, eine sehr hohe ist. 


1) Vortrag auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie. Die 
ausführliche Publikation erfolgt in der Zeitschrift für Klinische Medizin. 


90 Salle und v. Domarus, 


Gleich den genannten Autoren haben auch wir mit relativ großen 
Dosen gearbeitet, außerdem aber auch kleinere Dosen angewandt. Als 
Versuchstiere dienten Kaninchen, Hunde und Meerschweinchen, die zum 
Teil serienweise mit verschieden abgestuften Dosen subkutan injiziert 
wurden. 

Die Methodik des quantitativen Adrenalinnachweises birgt trotz der 
auf diesem Gebiete erzielten Fortschritte noch manche Fehlerquelle in 
sich. Wir haben deshalb, um zu möglichst sicheren Resultaten zu ge- 
langen, mit verschiedenen Methoden gearbeitet. Die Untersuchungen er- 
strecken sich demnach auf die Chromierung der Nebennieren im mikro- 
skopischen Bilde, den Nachweis von Adrenalin in Nebennierenextrakten 
mittels einer kolorimetrischen Methode und die Bestimmung von ge- 
fäßverengernden Substanzen im Blutserum auf biologischem Wege; an- 
schließend daran wurden fortlaufende Blutdruckmessungen bei mit 
Thorium X behandelten Tieren vorgenommen. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung der Nebennieren konnten 
wir eine, je nach der Dosis und der seit der Injektion verstrichenen Zeit 
verschiedene Ohromierung feststellen. Da die Chromaffinität der Mark- 
zellen, d. h. die Fähigkeit, sich mehr oder weniger intensiv bei Fixierung 
in chromhaltigen Lösungen zu färben, als Maß für den größeren oder ge- 
ringeren Adrenalingehalt des Organs betrachtet werden kann, so sei auf 
unsere Befunde näher eingegangen. Große letale Dosen, die den Tod der 
Versuchstiere in 4—8 Tagen herbeiführen, bedingen einen fast vollstän- 
digen Schwund der Chromierung. Diesen Befund konnten wir bei zalıl- 
reichen Versuchen an Kaninchennebennieren erheben; besonders deutlich 
aber waren die Resultate bei der Untersuchung der Nebennieren von 
Meerschweinchenserien, wobei in jeder Serie nur Tiere eines Wurfes ver- 
wendet und diese mit abgestuften Dosen behandelt wurden; sämtliche 
Tiere dieser Serien wurden gleichzeitig mit den Kontrolltieren an dem Tage 
getötet, an dem das mit der größten Dosis injizierte Tier einging und die 
Nebennieren in gleicher Weise in chromhaltigen Lösungen fixiert. Bei 
den mit großen Dosen injizierten Tieren unterschied sich die Chromierung 
in hohem Maße von dem normalen Bilde Während in letzterem die 
Markzellen durchweg, wenn auch verschieden intensiv chromiert er- 
scheinen, ist die Chromierung bei den spontan-eingegangenen Tieren fast 
vollständig verschwunden. Die charakteristische Braun- resp. Gelbfärbung 
weisen nur noch ganz vereinzelte Zellen auf. Die meisten Zellen ergeben 
die charakteristische Reaktion nicht, was als eine sehr starke Herabsetzung 
des Gehalts an spezifischem Sekret gedeutet werden darf. 

Im Gegensatz zu diesen Befunden zeigten die Nebennieren der mit 
kleineren Dosen behandelten Tiere dieser Serien eine mehr oder weniger 


Zur biologischen Wirkung von Thorium X. 94 


ausgesprochene Verstärkung der CUhromierung; hier fehlen die ganz hell- 
gefärbten Zellen des Normalpräparates, die Färbung ist durchweg be- 
deutend intensiver und erreicht in einzelnen Partien einen Grad, wie ıhn 
die Kontrollpräparate nicht aufweisen. Denselben Befund einer verstärkten 
Chromierung, der als Erhöhung des Adrenalingehalts zu deuten ist, konnten 
wir übrigens auch bei Verwendung größerer Dosen erheben, wenn wir die 
Tiere nicht, wie in den vorigen Versuchen, ca. 8 Tage am Leben ließen, 
sondern nach kürzerer Zeit (24 Stunden) töteten. Wenn wir also aus 
der Chromierung der Markzellen Schlüsse zu ziehen berechtigt sind, so 
scheint es, daß das Thorium X reizend auf die Adrenalinsekretion ein- 
wirkt, wobei sich die aktivierende Wirkung kleiner Dosen noch längere 
‘ Zeit nach der Injektion nachweisen läßt, während große Dosen in kurzer 
Zeit zu einer Erschöpfung des Adrenalingehalts fülıren. Außer diesen, die 
Chromierung betreffenden Veränderungen beobachteten wir im Neben- 
nierenmark auch stark geschrumpfte Zellen, die durch weite Spalträume von- 
einander getrennt sind. Andere Befunde betreffen Vakuolisierung der Zellen 
und Blutungen, die in einzelnen Fällen groe Gebiete des Markes zerstören. 

Auch die Rinde der Nebennieren weist Veränderungen auf. Diese 
beziehen sich hauptsächlich auf die an das Mark grenzende Zona reticularis. 
Die Zellkerne dieser Partie weisen vielfach im Gegensatz zu demjenigen 
des Markes und des übrigen Teils der Rinde eine herabgesetzte Färb- 
barkeit auf; die Zellen selbst scheinen vergrößert und sehen merkwürdig 
verschwollen und glasig aus. 

Eine weitere Veränderung zeigt der Lipoidgehalt der Rindenschicht, 
über dessen physiologische Bedeutung wir allerdings noch im Unklaren 
sind. Auch hier ergeben sich verschiedene Befunde je nach der ange- 
wandten Dosis. Beim normalen Meerschwein ist die Lipoidschicht ziemlich 
scharf abgegrenzt und läßt einen beträchtlichen, dem Mark anliegenden Teil der 
Rinde frei. Bei einer Serie von Tieren, die mit verschiedenen abgestuften Dosen 
gespritzt und am achten Tage getötet wurden, konnten wir folgende Verände- 
rungen feststellen. Bei Anwendung der kleinsten Dose zeigt das Präparat nur 
eine gewisse Unregelmäßigkeit zwischen der Abgrenzung der lipoidhaltigen 
und lipoidfreien Schicht, wobei Züge von mit Sudan gefärbten Zellen in 
den normalerweise von Lipoid freien Teil der Rinde hereinziehen. Größere 
Dosen bedingen eine Verbreiterung der Lipoidschicht, die so stark sein 
kann, daß die lipoidfreie Rindenzone vollständig verschwindet; bei dieser 
Dosierung fällt aber gleichzeitig die schwächere Färbung der einzelnen 
Zelle mit Sudan auf. Diese Abschwächung kommt bei Anwendung noch 
größerer Dosen sehr stark zum Ausdruck: fast die ganze Rinde ist frei 
von Lipoid und nur um das Mark herum ist ein Kranz von lipoidhaltigen 
Zellen, die sich aber auch nur schwach mit Sudan färben lassen. erhalten. 


92 Salle und v. Domarus, 


Als Kontrolle für unsere mikroskopischen Befunde bestimmten wir 
mit Herrn Dr. Apolant den Adrenalingehalt der Nebennieren auch in 
Örganextrakten und benutzen hierzu die von Fränkel-Allers ange- 
gebene Jod-Essigsäure-Methode. In dieser Beziehung verfügen wir nun 
über Befunde, die bei Anwendung letaler Dosen erzielt wurden. Auch 
aus diesen Untersuchungen scheint zu folgen, daß der Adrenalingehalt der 
Nebennieren thoriumvergifteter Tiere herabgesetzt ist. Der Unterschied in 
der Stärke der Farbreaktion zwischen Nebennierenextrakt eines norınalen 
und eines mit Thorium gespritzten Hundes entsprach demjenigen bei Ver- 
wendung von Verdünnungen des käuflichen Adrenalins von 1:25000 bis 
1:50000 (Farbreaktion der Organextrakte der Thoriumtiere) und 1: 10000 
(Normaltiere). 

Beiläufig sei bemerkt, daß man im Reagenzglasversuch einen 
ähnlichen Unterschied erhält, wenn man Verdünnungen des käuflichen 
Adrenalins mit Kochsalzlösung und mit Thoriumlösung herstellt, die 
Fränkel-Allersche Methode vornimmt und dann die Flüssigkeiten 
stehen läßt. Hervorgehoben sei aber, dal es sich um eine erst im Ver- 
lauf von Tagen entwickelnde Abblassung handelt; gleich nach Vornahme 
der Reaktion ist der Unterschied der Thoriumverdünnung und der Kontroll- 
verdünnung zwar deutlich, aber nur sehr schwach. Wie diese Phänomene 
(auf die Möglichkeit einer Adrenalinzerstörung im Reagenzglas ist schon 
von Falta hingewiesen) zu deuten sind und ob sie zu unseren übrigen 
Befunden in Beziehung gebracht werden dürfen, muß vorläufig unent- 
schieden bleiben. 

Ein weiterer Weg zur Verfolgung der uns interessierenden Frage bot 
sich in der Möglichkeit des biologischen Nachweises der gefäßverengernden 
Substanzen im Blutserum. Die dabei mittels der Froschdurchströmungs- 
methode gewonnenen Werte sind in Übereinstimmung mit den Resultaten 
der mikroskopischen Untersuchung verschieden, je nachdem, ob das Blut 
mehrere Stunden nach der Injektion oder in einem späteren Stadium beı 
vollentwickelten Intoxikationserscheinungen entnommen wurde. Bei der 
Prüfung von drei verschiedenen Seras (Normalserum, Serum eines frisch- 
injizierten Tieres und dasjenige eines schwerintoxizierten Tieres) am selben 
Froschpräparat resultieren drei verschiedene Werte. Der Normalwert liegt 
dabei in der Mitte, während der Gehalt an gefälsverengernden Substanzen 
kurze Zeit nach der Injektion erhöht, in einem späteren Stadium aber 
herabgesetzt ist. 

In einer gewissen Übereinstimmung mit den Feststellungen des 
Adlrenalinsgehaltes im Blutserum befinden sich die Resultate fortlaufender 
Blutdruckmessungen am Kaninchen, die auf unsere Veranlassung von 
den Herren Sudhoff und Wild vorgenommen wurden. Die angewandte 


Zur biologischen Wirkung von Thorium X. 93 


Methode ermöglichte es, den Blutdruck wochenlang nach den Injektionen 
weiter zu verfolgen. Es konnten dabei zwei Typen des Blutdruckverlaufs 
festgestellt werden. Bei Anwendung maximaler Dosen kommt es in kurzer 
Zeit zu einem starken Anstieg des Blutdrucks, der aber dann in wenigen 
Tagen rapid absinkt und in den letzten Stunden vor dem Tode bis zu 
unmeßbaren Werten fällt. Wählt man kleinere Dosen, so ist der Anstieg 
ein geringerer, der konsekutive Abfall ein langsamerer und allmählich 
erholt sich der Blutdruck wieder, ohne allerdings die anfängliche Höhe 
ganz zu erreichen; auf eine weitere Einspritzung folgt wiederum Anstieg, 
Abfall, Erholung, so daß sich im allgemeinen ein staffelförmiges Ab- 
sinken ergibt. 

Als Ergebnis unserer Beobachtungen können wir zusammenfassen, 
daß das Thorium X bei bestimmter Dosierung reizend auf die Adrenalin- 
sekretion einzuwirken vermag, daß aber bei Anwendung großer Dosen in 
kurzer Zeit eine Erschöpfung der spezifischen Sekretion der Nebennieren 
resultiert. Es scheint auch, daß diese Befunde, die ja einem allgemeinen 
toxikologischen Gesetze entsprechen, in Beziehung zu den beim Tier bei An- 
wendung relativ großer Dosen beobachteten Blutdruckveränderungen stehen. 
Inwieweit und ob die beim Menschen beobachteten Blutdrucksenkungen 
mit unseren Feststellungen in Beziehung gebracht werden dürfen, möchten 
wir dahingestellt sein lassen, da ein Vergleich durch die im Tierexperiment 
angewandten, bedeutend größeren Dosen erschwert wird. Dagegen weisen 
unsere Befunde einen Parallelismus auf mit den Erscheinungen, die bei 
der experimentellen Phosphor- und Diphtherievergiftung beobachtet werden; 
bei diesen sind wenigstens im mikroskopischen Bilde ähnliche Befunde 
erhoben wie die unserigen. Auch bei der Diphtherievergiftung hat gerade 
die Blutdrucksenkung die Veranlassung gegeben, die Nebennieren niiher 
zu untersuchen. Zum Schluß möchten wir betonen und unterstreichen 
dies: Die Mitteilung unserer Befunde soll nicht so aufgefaßt werden, als 
glaubten wir, die experimentelle Thorium X-Blutdrucksenkung sei einzig 
und allein auf die geschilderten Veränderungen des Adrenalsystems zurück- 
zuführen. Der Blutdruck ist ja eine Komponente aus einer ganzen Reihe 
von Faktoren, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen, auf die aber 
hier nicht näher eingegangen werden kann. Wir müssen uns deshalb 
damit begnügen, auf einen wichtigen Faktor im Syndrom der Thorium- 
intoxikation hinzuweisen in der Hoffnung, daß die sich aus unseren Fest- 
stellungen ergebenden Schlüsse wenigstens den heuristischen Wert einer 
Arbeitshypothese für die weitere Forschung besitzen. 


Aus der experimentell-biologischen Abteil. des Kgl. Pathologischen Instituts 
der Universität Berlin. 


Über die biologische Wirkung des Mesothoriums. 
Der Einfluß des Thorium X auf die Gerinnung des Blutes. 
Von 
Dr. D. Grineff, Charkow. 


urch die experimentellen Untersuchungen der biologischen Wirkung des 

Mesothoriums und seiner Derivate von Hertwig,') Prado Tagle?) 
und Loehe?) wurde festgestellt, daß das "Mesothorium und seine Derivate 
einen eminenten Einfluß auf die Gewebe des tierischen Organismus ausüben. 

Eine andere Serie von Versuchen, die von Bickel*) und Minami?°) 
mitgeteilt wurden, beschäftigten sich mit dem Einfluß der Mesothorium- 
strahlen, wie des Thorium X und seiner Emanation auf die Fermenttätigkeit 
und zeigten, daß bald eine Anregung, auch unter Umständen eine Verlang- 
samung der Wirksamkeit der Verdauungsfermente (Pepsin, Tripsin, Diastase ı 
zustande kommt und daß speziell das Thorium X einen sehr deutlichen 
Einfluß auf die autolytischen Prozesse hat. 

Es war nun von Interesse, die Wirkung des Thorium X auch auf 
andere fermentative Prozesse und nicht nur in vitro, sondern hauptsächlich 
in vivo zu erforschen. Auf Vorschlag des Herrn Prof. Bickel habe ich 
die Erforschung der Wirkung des Thorium X und seiner Emanation auf 
den Prozeß der Blutgerinnung unternommen. Die Resultate dieser Unter- 
suchungen sind im folgenden dargestellt. Hierzu will ich aber erwähnen, 
daß die quantitative Untersuchung der fermentativen Faktoren der Blut 
gerinnung von mir nach der Methode des Herrn Prof. Wohlgemuth®) 
vorgenommen wurde. | 

Die Methode besteht im Prinzip darın, daß man das in dem zu unter- 
suchenden Blut enthaltene Fibrinferment und das Fibrinogen gesondert 
bestimmt. 

Das Fibrinferment gewinnt man so, daß man das Blut durch 


1) Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch. 1911 
2) Berl. klin. Wochenschr. 1912. 

3) Virchows Arch. 1912. 

4) Berl. klin. Wochenschr. 1911. 

5) Berl. klin. Wochenschr. 1911, 1912. 

6) Biochem. Zeitschr. Bd. 27, S. 79, 1910. 


Grineff, Biologische Wirkung des Mesothoriums usw. 95 


Schlagen defibriniert und das defibrinierte Blut zentrifugiert. Das 
so erhaltene Serum enthält das Fibrinferment in wirksamer Form. In 
ihm bestimmt man die Menge desselben in der Weise, daß man eine Reihe 
von Reagenzgläsern mit absteigenden Mengen Serum (Fibrinferment) be- 
schickt, zu jedem Gläschen 2 ccm Magnesiumsulfatplasma nach Alexander 
Schmidt (1:10) zugibt und die ganze Reihe auf 24 Stunden in den Eis- 
schrank stellt. Nach Ablauf der Frist wird kontrolliert, in welchen Gläs- 
chen Grerinnung eingetreten ist. 

Das Fibrinogen gewinnt man aus dem Blut in der Weise, daß man 
das aus der Ader fließende Blut in eine bestimmte Menge Magnesiumsulfat- 
lösung einlaufen läßt und das Plasma abzentrifugiert. Von diesem Plasma 
gibt man auf eine Reihe von Reagenzgläschen absteigende Mengen, fügt 
zu jedem Grläschen eine für die Gerinnung ausreichende Menge Serum 
zu und stellt die ganze Reihe ebenfalls auf 24 Stunden in den Eisschrank. 
Auch hier wird nach Ablauf der Frist der Grad der Gerinnung in simt- 
lichen Gläschen festgestellt. 

Die Versuche, welche den Einfluß von Thorium X auf die Blut- 
gerinnung in vitro betreffen, sind in der Tabelle Nr. 1 und Nr. 2 an- 
gegeben, wobei in der ersteren die Schwankungen des Fibrinogens, in 
der zweiten dieselben des Fibrinfermentes dargestellt sind. Thorium X 
wurde in die zu untersuchende Reihe der Reagenzgläser tropfenweise bei- 
sefügt, wobei bei der Berechnung von Macheeinheiten (Einheiten von 
Thorium X) jeder Tropfen gleich ?/,, ccm angenommen wurde. Zur Kon- 
trolle wurde eine andere Reihe von Reagenzgläsern aufgestellt, in die ein 
entsprechendes Quantum von NaCllösung zugefügt wurde. Das Thorium X 
war in 0,9% NaCl aufgelöst ohne jeden anderen Zusatz. 

Das Quantum des Fibrinogens oder Fibrinfermentes wurde nach dem 
Grade der Gerinnung und der Größe des Gerinnsels im Reagenzglas be- 
stimmt; die in der Tabelle gebrauchten Zeichen haben folgende Bedeutung: 
# zeigt volle Gerinnung, sodaß beim Neigen des Reagenzglases Flüssig- 
keit nicht wahrnehmbar ist: -+ beinahe volle Gerinnung, sodaß beim 
Neigen 2—83 Tropfen Flüssigkeit austreten. X nur teilweise Gerinnung, 
sodaß das Gerinnsel in der Flüssigkeit herumschwimmt; + Spuren eines 
Gerinnsels, in der Gestalt eines winzigen Teilchens, das ın der Flüssig- 
keit herumschwimmt; O vollständige Abwesenheit irgendeines solchen Ge- 
rinnsels (klare Flüssigkeit). Das Klammernschlieljen eines der genannten 
Zeichen zeigt die Verminderung gegenüber der Deutung des entsprechenden 
Zeichens. Zum Beispiel zeigt (X) ein Gerinnsel, welches bedeutend größer 
als +, aber kleiner als X ist. 

Aus den Tabellen Nr. 1 und Nr. 2 ist leicht zu ersehen, daß bei 
verhältnismäßig kleinen Dosen von Thorium X, ungefähr 4000—6000 


Grineff, 


96 





“IN yon sA 











I ıN pung 3 ıN pung 

o !o to lo Jo io ]-'"|o lo io |o lo Io lo | 83000'0 ZI 

o lo Jo lo Jo lo |— lo Io lo Io lo Jo Io G000°0 $! 

0o io lo lo lo io lo lo lo io jo lo Io lo 100‘0 ol 

+!+|+|+Io lo jo io 10 lo |+!o Io l0 Z000 6 

xI+1x|+Ilo |+]Jo I+ļoọ0 | +|+I+|J+ F00°0 8 

KRKA A R A R PO AS o s ae 8000 L 

+ | x I+|+#+1x !+1[#+ 1x 1x 1x I# 1x |x Ix | gr0o 9 ce 
ae ee ee ee ae ae el et e0‘0 e (andog) sesgo = + 
IHIEL EJ + |r )# |# | #|+# 90'0 F j er 
#+\#|#1|1#|#|# + |# |+ |# |# |# [+ |# vo | € RR TE 
Paa e e ee ee ae, ee 
+ | +1+1!1x1x[o jo |o |#+|#|+Jo |+ | # so | 1 ;uapuapaq LUD ONI 

uayostıH) 
yru puqof yru uyo] yu puyo | yu auyo| yw euqo| yu udaa yu Puyo oduauı X umuoqys ur 19pP0 ƏUO 
1 = 2 FU9SOUNGIg je ee a un 
09463 | oos2a | oozrı | osser | oseo seo | os 0998 | zer | ernıosay = Q u 10p0 
G | G | G | e | e e | Z | I | usJdoI], FnJ9dnzuy apına ST 

ooo6rr | oooorı | oosss | oooes | o09zr | o0s98 | 0098 | = "wwenio %6‘0 uryuo Bsp x aour wo y 











uU9SZOULIQLT 
OIA UL Y WMO WU INSI A 


T aPqLL 


97 


Biologische Wirkung des Mesothoriums usw. 


| IN yonsıaa 








09163 | 00223 | oo4rr | osseı 09463 | ooeza | oorr | ocser | osen oeeo | 0998 





HEERA © | 


#HHE#+ ++ 44900 
FFHHrFFrxXxx++0 0° 
ee pe eg 
HEHFFF FH DO 
HFHF#F+F+F+x++7 09 
nee seonce 

F#F#rrx+07 0900 

HH FH x 470m 
HFHFH#F FF xX +79 90 





pu aur ouqo| grar louqo| gru Jouyo| rar Jouuo| yu puyo yu puyo yur ouyo| yu au ouqo| yru [uyo] yu | 








| ses | eje | es |: 


FHFHFHHrrF+xX HT 


HH4b+EXKHO9 9 > 








| 





EEE EOS 





IGE? 
} 


Ju3uLIaJuplglg 


###+4+4+x4S 200 


30000 
G000°0 
1000 
800°0 
F00°0 
800°0 
700 
E00 
900 
a) 
30 
go Į 


uayoseIg) 


O ~ N 
wi m m 


A N Y O OMNO 


əuyo j FUSULIOFULIAG x wnLoy]J Aw A9po suyo 


-\7 o3usam 


eInjosqy = ‘H 'uı I9po 


000617 | 000017 | oogsg | oooge | oosar | oosas | oogos | 


| uajdors, Yanppänzum opına SQ 





= U NID %60 ur 'ygua ds] X OL W F} 














OIA ut X UMLIOYT, ur Dyonsı9 A 


E 


əƏrpPpq rE 


Strahlentherapie Band III, Heft 1. 


95 oe Grineff, 


Macheeinheiten Thoriumemanation, die in den Reagenzgläsern dem Blut 
beigemengt wurden, keine Wirkung auf das Quantum des Fibrinogens und 
des Fibrinfermentes ausüben und folglich auch für den Prozeß des Ge- 
rinnens wahrscheinlich ohne Bedeutung sind (siehe Rubrik 1 und 3). Bei 
etwas höheren Dosen, die bis 8500 Macheeinheiten Thorium X steigen, 
macht sich eine Verfärbung der fermentativen Prozesse bemerkbar. 
So konnte man winzige Gerinnsel in den Reagenzgläsern beobachten, ın 
denen bei der Kontrolle helle Flüssigkeit war (siehe Tabelle Nr. 2, Reihe 
7—8). In derselben Reihe (wie z. B. in der Tabelle Nr. 2, Rubrik 2), 
ist die Größe des Gerinnsels in den Reagenzgläsern mit Thorium X an- 
sehnlicher, als in den entsprechenden Reagenzgläsern der Kontrolle. 
(Reagenzglas Nr. 5, 6. 7.) 

Bei Dosen von 14 000—14500 Macheeinheiten findet wieder ein um- 
gekehrter Prozeß im Sinne einer Hemmung der fermentativen Wirkung 
statt. So ist in den Reagenzgläsern mit Thorium X Nr. 8 der Tabelle 1 
und der Nr. 7 und 9 der Tabelle Nr. 2 eine vollständige Abwesenheit des 
Gerinnsels zu konstatieren, während in den entsprechenden Reagenzgläsern 
der Kontrolle ein Gerinnsel wahrnehmbar ist, obschon nur in Spuren. 

Maximaldosen von 27 000—30 000 Macheeinheiten Thoriumemanation 
üben auf das Fibrinogen kaum eine nennenswerte Wirkung aus (siehe 
Reagenzglas Nr. 9—10 in der Rubrik 6—7, Tabelle Nr. 2.) 

Wenn wir alles über die Versuche von Thorium X in vitro zusammen- 
fassen, so kann man feststellen, daß Thorium X resp. Thoriumemanation, 
wenn man es in vitro auf den Vorgang der Blutgerinnung einwirken läßt, 
bei bestimmten Quanten einen teils hemmenden, teils fördernden Einfluß 
in geringem Umfange ausübt. 

Die Versuche zur Erforschung der Wirkung des Thorium X auf die 
Blutgerinnung in vivo haben wir an drei kleinen Hunden angestellt (von 
6 Kilo Gewicht), indem wir ihnen in die Vena saphena eines Hinterbeines 
eine Lösung von Thoriumemanation einführten und dann nach Verlauf einer 
Stunde und nach 24 Stunden stets unter den gleichen Arbeitsbedingungen 
die Blutgerinnung in der oben beschriebenen Weise bestimmten. 

Die Hunde Nr. 1 und Nr. 2 waren dieselben, deren Blut für die 
Feststellung der Wirkung des Thorium X auf das Ferment in vitro diente. 
Der Hund Nr. 3 war neu genommen. Zur Kontrolle der ersten zwei 
dienten die Zahlen der Kontrollen bei den Versuchen in vitro (siehe Tabelle 
Nr. 1 und Nr. 2). 

Aus der Tabelle Nr. 3, die die Ergebnisse der Untersuchungen am 
Hunde Nr. 1 enthält, ist sehr deutlich zu ersehen, 1. daß Thorium X, in 
großen Dosen in die Vene des Tieres eingeführt, dasselbe im Laufe eines 
Tages tötet, oder anders ausgedrückt, dieser Stoff ist giftig; und 2. dab 


eo 


Biologische Wirkung des Mesothoriums usw. 99 























Tabelle 3. 
Versuche in vivo. (Hund Nr. 1.) 
Fibrinogen. 
__Jonsioloroon [now] | minieme man xm x 
360,000 | 370,000 | 900, 000 Einspritzung Thor. Xm.] E. 

4 a 2 a 7 | a 2 s 2 — untersucht nach 
d E | a | N y N S 
1 105 x)0]0|+|#| 38 |x | Erste Einspr. 17/VI 
05 (lll ll (360,000 m. E.) 
302 I#/#I1#| #|#|%& | + | Zweite Einspr. 20/VI 
106 I# I #I|#|#|#+| 2 |# (370,000 m. E.) 
5 0,08 + #|+|1 +1 # = Æ- | Dritte Einspr. 23/VI 
005 HIHI HT ETF TH (900,000 m. E.) 
21008 |x |+] x]|+|-4+]|ÅÂ |x | Tod 24/VI 
810004 Ix I x I x I x I x F 
9 10.002 xi+-10|1-+I1x = 
01000 I+|o|o|oklx) 0 
11 (00005 1010]0/0]|0 0 
lolo «ls 4 | 

Fibrinferment. 
1 [05 #|# e + + 
05 |4] 4 +|# + 
3 |012 I|+|# +H | H 4 
41106 I+ | # + | # + 
508 I+ | # + | + + 
610,015 | +1 + PET Ar 
7 {0,008 |+ |+ u a i x 
310004 | + | x x. T 
9 [0,002 |+ |+ FX EN 
010001 10] 0 + (x) 0 
110006 |0| 0}. 0] 0 0 , 
12 [0.00025] 0 | 0 ojo 0.1353: 


zZ 


100 Grineff, 


das Thorium in merkwürdiger Weise auf die fermentativen Prozesse. die 
im lebenden Organismus vor sich gehen, einwirkt. Dasselbe ersehen wir 
bei der Übersicht der Versuche mit den Hunden Nr. 2 und Nr. 3 
(siehe unten.) 

Im einzelnen zeigte sich de Wirkung der Thoriumemanation auf das 
blutgerinnende Ferment beim Hunde Nr. 1 folgendermaßen: die anfäng- 
liche Einführung der Lösung vom Thorium X in den Blutkreislauf in der 
Höhe von 360,000 M. E. (ungef. 60,000 m. E. auf ein Kilo Gewicht) 
übt kaum eine Wirkung auf die Blutgerinnung aus, abgesehen von der 
geringen Beschleunigung des Kreislaufes, die sich nach einer Stunde seit 
der Einspritzung des Thorium X bemerkbar macht. Nach 24 Stunden 
wird der Kreislauf wieder normal. 

Die zweite, nach 3 Tagen vorgenommene Einführung des Thorium X 
in derselben Höhe zeigt schon einen bemerkbaren Einfluß. Derselbe be- 
steht darin, daß eine Stunde nach der Einspritzung eine Hemmung 
der fermentativen Wirkung eintritt, welche jedoch 24 Stunden nach der 
Einführung des Thorium X in die Vene verschwindet (siehe Tabelle Nr. 3 
Rubrik 2) und sogar die Neigung zeigt, in den entgegengesetzten Prozeb 
überzugehen: nämlich die Verstärkung der fermentativen Wirkung (Re- 
agenzgläser Nr. 7—10 des Fibrinfermentes in der Tabelle Nr. 3 und 
den Nr. 7—8 des Fibrinogens daselbst). 

Die Einspritzung einer übergroßjen Dose von 900,000 M. E. Thorium X 
Lösung ruft, wie erwähnt, den Tod des Tieres in 12 Stunden hervor, und 
eine deutliche Vermehrung der Gerinnungsfaktoren des Blutes, welches zur 
Untersuchung eine Stunde nach der Einführung genommen wurde (siehe 
Tabelle Nr. 3 Rubrik 3 Reagenzglas Nr. 7—8). 

Die Tabelle Nr. 4 mit den Ergebnissen der Versuche am zweiten 
Hunde gibt fast dieselben Resultate. 

Die erste Einführung einer sogenannten mittleren Dosis von 352.000 M. E. 
Thoriumemanation bleibt fast ohne Wirkung auf den Gehalt des Fermentes 
im Blute. Die zweite, nach 3 Tagen gemachte Einspritzung bleibt wihrend 
der ersten Stunde seines Einwirkens ohne Einfluß auf den Organismus des 
Tieres, vergrößert aber den Fermentgehalt des Blutes 24 Stunden nach 
Beginn der Wirkung (siehe Tabelle Nr. 4, Rubrik Nr. 2, Reagenz- 
gläser Nr. 7—9). 

Die nachfolgenden 3. und 4. FEinspritzungen des Thorium X in die 
Vene des Tieres, die in dreitägigen Zwischenräumen vorgenommen wurden. 
vermehren schon deutlich den Gehalt des Fibrinfermentes und des Fibrino- 

; gens È im Blete, wobei die: Gerinnselbildung des letzteren bedeutend zunimmt 
{siche Tabele Nr. 4," Rubrik 3 und 4, Reagenzglas Nr. 6—10) 
E an ie als oder Praden ‘rabelle Nr. 5 hervorgeht, ruft die Einführung 


Biologische Wirkung des Mesothoriums usw. 101 



























Tabelle 4. 
Versuche in vivo. (Hund Nr. 2.) 
Fibrinogen. 
1. 2. u P 
352.000 | 315,000 | 590,000 | 546,000 Einspritzung m. E. 
ı 8 TE ea 8 | u | 4 = 
:$ mes DR | I | 0), Ef untersucht nach 
An Fibrinog. nd Ss ud N as | a qai | Ss © 





























110.5 +| oļl+ #ļ|ol+|-+]l|# [x] Erste Einspr. 19/6 
slos lee ee ee 908 
3 | 0,32 + | + #|#|#+|#|# | + |#|Drite ,„ 24/6 
41006 I+/#1+!/+1+ | #[#!|# |#| Vierte „ 26/6 
5 0,03 + | +1 + | + I + | +I/+ #1# Tod des Hundes 28/6 
6 0,015 IR & ee re 
7100068 I\+!xI|+|xIx |! x |Ix | ++ 
sloooa lo|+ tele 
810.08: 101.810 12 Te RE NO 
100,001 |0 0 Eia +I+|+=+ļ0 
tioo O OT ol E oT O ra 
12/0 0002D O i D TOn OTTO O 0 
Fibrinfermentmenge 
1 |0,5 ETE ENE ETE] E 
2 0,25 A ## IF FH 
so I#+ +) + #l# #|# #EH 
4 0,06 # ++ / # | + #|+ | #H 
5 0,03 x|x + +[+ #|+[# [+ 
6 005 I|x x Ix I +1 x 1+JCH! + Ix 
7 0,008 x ter I ee Re 
8 0,004 + 0I+I(x)I=| x Ix | +l+ 
9/0002 |oJoJoIi+Il+H) x [x | x 0 
10 | 0,001 0i CITI + (x)(x 0 
11100006 Jo'ololo|ok+) o!oJo 
12 0.000650 oloo Elo o ofo 





102 


Nr.- 


fin pa 
> O © X NS 9 GP OD1PRD me 


p 
X 


| 


WD me 


Q e U 


Menge y 
ı Fibrinogen | Z 


oder 


1 
168, 


Grineff, 


Tabelle 5. 
Versuche mit Th. X in vivo, 


(Hund Nr. 3.) 














Fibrinfer. 


0,5 
0,25 
0,12 
0.06 
0.03 
0,015 
0,008 
0,004 
0.002 
0,001 


0.0005 


0.00025 0 





Fibrinogen. 
2 | 
000 | 340,000  Einspritz. m. E. 
Z apee aja ji mema 2 % 3 untersucht nach 
N Fi a S 
#1 0| 0| x | Erste Einspr. 28/VI 
+ | 4# #]|# | Zweite Einspr. 1/VO 
t l HI Tod dis Hundes 3/VII 
+| |H 
ERN TR 
x IX) x x 
F ORIF 
0100| +10 
OPV O 
01ER 
0 101.0 10 
Fibrinferment. 
#l#|#|# 
EEEH 
#+l#|#|# 
+| # +| # 
x x | xX |æ 
K aE XIX 
+01 +|+ 
+[0/o0|+ 
9.10 DB 
OPEO 
Oroi- 


m u i MM 


Biologische Wirkung des Mesothoriums usw. 103 


einer geringen Dosis Thorium X in die Vene (168,000 M. E. oder ungef. 
28,000 M. E. auf ein Kilo Gewicht) eine mäßige Vermehrung des Fer- 
mentes nach einstündiger Einwirkung von Thorium X hervor, fällt aber 
bald ab und nach 24 stündiger Einwirkung kommt das Blut wieder zu 
seinem normalen Gehalt an blutgerinnenden Substanzen (siehe Tabelle 
Nr. 5, Rubrik Nr. 1). 

Die nach 3 Tagen erfolgte Einführung einer doppelten Dosis (340,000 
M. E.) rief bei diesem Hunde eine Erscheinung hervor, ganz analog der- 
selben, die sich beim Hunde Nr. 1 nach der zweiten Einspritzung zeigte 
(siehe Tabelle Nr. 5 Rubrik Nr. 1). 

Wenn wir alle Ergebnisse unserer Versuche mit der Einführung des 
Thorium X in die Vene eines Tieres zusammenfassen, so können wir im 
allgemeinen sagen, daß bei der wiederholten Vergiftung des tierischen Orga- 
nismus durch Thoriumemanation der fermentative Prozeß der Blutgerinnung 
verstärkt wird. 

Zusammenfassung. 

Die Lösung des Thorium X oder der Thoriumemanation, einer Mischung 
von Fibrinogen und Fibrinferment in bestimmten Quanten beigemengt, übt 
auf die Gerinnungsfaktoren zwar einen geringen, aber doch bemerkbaren 
Einfluß aus. 

Eine Lösung desselben Thorium X, das ‘in die Vene eines Tieres 
eingeführt wird, ändert die Zusammensetzung seines Blutes insofern, als 
nach einer einmaligen Thoriuminjektion der Gehalt des Blutes an Fibrin- 
ferment und Fibrinogen schwankt, daß aber nach wiederholten Thorium- 
injektionen beide Gerinnungskomponenten mehr oder weniger vermehrt sind. 

Zusatz bei der Korrektur: Die Arbeit war bereits im vorigen 
Sommer abgeschlossen, ihre Drucklegung mußte aber aus äußeren Gründen 
bis jetzt verschoben werden. Ende 1912 ist in der Berliner klinischen 
Wochenschrift Nr. 43 eine kurze Mitteilung von v. Domarus und Salle 
erschienen, aus der hervorgeht, daß bei Kaninchen nach einmaliger 
Thorium X-Injektion die Blutgerinnung verzögert ist. Dieser Befund steht 
mit dem in vorausstehender Arbeit mitgeteilten insofern in Widerspruch, 
als unter dem Einfluß von Thorium X und einmaliger Injektion bald eine 
Abnahme bald eine Zunahme der einzelnen Gerinnungsfaktoren beobachtet 
wurde je nach den Quantitäten des verabfolgten Thoriums. Vielleicht ist 
gerade hierauf die Divergenz der Resultate zurückzuführen, vielleicht aber 
auch darauf, daß in dem einen Falle Kaninchen, in dem anderen Falle 
Hunde zum Versuch zur Verwendung kamen. 


Aus dem Sanatorium Solbad Rappenau für Knochen-Gelenk- u. Drüsenleiden. 
(Leitender Arzt: Professor Dr. Oskar Vulpius, Heidelberg). 


Über die Behandlung der chirurgischen Tuberkulose mit 
natürlichem und künstlichem Licht. 
Von 


Professor Dr. Oskar Vulpius, Heidelberg. 


eel berblicken wir die Entwicklung der Therapie chirurgischer Tuberkulosen 
speziell an Knochen und Gelenken während der letzten Jahrzehnte, so 
können wir wohl 3 Etappen unterscheiden: Zunächst wurde unter dem er- 
mutigenden Schutz der Antisepsis und Asepsis die operative Therapie dieser 
Leiden bedeutend gefördert und ihr Indikationsgebiet sehr erheblich ausge- 
dehnt. Die Reaktion auf dieses radikale Vorgehen konnte nicht ausbleiben 
und wurde durch das Aufblühen der Orthopädie beschleunigt. Wir traten 
in eine Periode streng konservativer Richtung, die allerdings gelegentlich 
über das Ziel zu schießen drohte. Neben Chirurgie und Orthopädie stehen 
heute physikalische Heilmethoden im Vordergrund des Interesses, welche 
vor allen Dingen der Forderung intensiver Allgemeinbehandlung gerecht 
werden. Und unter diesen physikalischen Heilmethoden ist es vornehmlich 
die Heliotherapie und die Bestrahlung mit künstlichem Licht, welche als 
besonders aktuell zu bezeichnen sind. Ä 

Die Sonnenbehandlung der chirurgischen Tuberkulose wurde allerdings 
schon vor 20 Jahren von Poncet mit Erfolg versucht, allein seine Emp- 
fehlung des Verfaliırens blieb ziemlich unbeachtet. Vor 10 Jahren lenkte 
Bernhard die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf den Wert der Sonnen- 
bestrahlung für die Wundheilung und speziell für die Heilung tuberkulöser 
Affektionen der Knochen und Gelenke. In vergrößertem Maßstab nalım 
Rollier diese Experimente auf und verfügt heute über Hunderte von 
Beobachtungen, die er in dem hochgelegenen Leysin sammeln konnte und 
die mit überzeugender Eindringlichkeit dartun, welch außerordentliche und 
überraschende Heilkräfte einer energisch durchgeführten Sonnenkur inne- 
wohnen. 

Auch die Verwendung künstlichen Lichtes in der Behandlung chirur- 
gischer Tuberkulose ist älteren Datums. Sie hat allerdings ebenfalls erst 
in der jüngsten Zeit ausgiebigere Beachtung gefunden. Über die Helio- 
therapie der chirurgischen Tuberkulose sind in den letzten Jahren eine 
ganze Reihe von Veröffentlichungen erschienen, die meisten derselben be- 


Vulpius, Behandlung der Tuberkulose mit natürl. u. künstl. Licht. 105 


handeln die Wirkungen der Höhensonne. Einzelne treten für die An- 
wendung der Heliotherapie an der See ein, und neuestens erst finden wir 
in der Literatur vereinzelte Hinweise auf die Wirksamkeit der Sonnen- 
bestrahlung im Binnenlande, in geringer Höhenlage und auch in der Tief- 
ebene. Publikationen über die Behandlung chirurgischer Tuberkulosen 
mit künstlichem Licht sind außerordentlich spärlich. In der Hauptsache‘ 
hat hier wie dort die Empirie das Wort. Wohl liegen wissenschaftliche 
Untersuchungen über die Wirkungsweise des Lichtes vor, aber gerade die 
für die Behandlung der chirurgischen Tuberkulose mit diesem Heilmittel 
wichtigsten Fragen sind noch keineswegs erschöpfend erörtert oder gar 
widerspruchslos gelöst. Es ist der Zweck vorliegender Arbeit, einen kurzen 
Überblick zu geben über die wichtigsten Erscheinungen. die wir bei der 
Lichttherapie der chirurgischen Tuberkulose beobachten können, über die 
Versuche zu ihrer Erklärung und über ihre therapeutische Bedeutung. 
Ich stütze mich dabei einmal auf die Literatur, des weiteren auf die Be- 
obachtungen, die ich bei wiederholtem Besuch von Spezial-Heilstätten habe 
sammeln können, vor allem aber auch auf Erfahrungen, welche mir als 
Leiter des Spezial-Sanatoriums für chirurgische in in Rappenau 
zur Verfügung stehen. 

Wir wollen mit einer Erörterung der Wirkungen der natürlichen 
Höhensonne beginnen. Wenn wir diese Wirkungen studieren, so stoßen 
wir sofort auf eine Schwierigkeit. Indem wir die Patienten den Strahlen 
der Höhensonne aussetzen, bringen wir sie ja gleichzeitig unter den Ein- 
fluß des Höhenklimas mit seinen verschiedenen charakteristischen Eigen- 
schaften. Es ist also kaum möglich, die Wirkungen der Besonnung und 
der übrigen klimatischen Faktoren zu trennen. Freilich ermöglicht uns 
die physiologische Erforschung heute noch keineswegs eine Erkenntnis, in 
welcher Weise das Hochgebirgsklima auf unsere Patienten wirkt. Der 
Physiologe sieht sich vielmehr vorläufig zu der Schlußfolgerung gedrängt, 
daß das wichtigste Moment eben in der Bestrahlung zu erblicken sei, so 
daß die übrigen Faktoren mehr oder weniger vernachlässigt werden dürften. 

Exponieren wir die Körperoberfläche den Strahlen der Höhensonne, 
so entsteht je nach der Beschaffenheit der Haut in kürzerer oder längerer 
Zeit eine Hautrötung. Bei Blonden oder Rothaarigen zeigt sich im allge- 
meinen diese Wirkung sehr viel schneller und intensiver als bei Individuen 
mit dunkler Haut. Bei unvorsichtiger Bestrahlung kann die Rötung mit 
Schwellung und Blasenbildung kombiniert werden, so daß der bekannte 
als „Gletscherbrand‘‘ bezeichnete Zustand mit seinen unangenehmen sub- 
jektiven Begleiterscheinungen sich entwickelt. Die Rötung ist natürlich 
durch eine Blutüberfüllung der Blutgefäße in der Haut bedingt. Diese 
Hyperimie kommt nachgewiesenermaßen nur dann zustande, wenn das 


106 Vulpius, 


Sonnenlicht reich an ultravioletten Strahlen ist. Wie wir später noch 
sehen werden, ist das Ultraviolett für den Körper ein Gift, wenn es dem- 
selben im Übermaß zugeführt wird. Wir können in der Rötung eine 
Schutzmaßregel des Organismus erblicken: Das Rotfilter der blutreichen 
Haut läßt nur Strahlen der linken Spektralseite, speziell Rot, Gelb und 
einiges Ultrarot eindringen. Es mag sein, daß die ultravioletten Strahlen. 
welche die Gefäßwände treffen, sie direkt alterieren und zur Dilatation 
führen. Eine andere Annahme aber geht dahin, dal bei der Absorption 
der ultravioletten Strahlen in der Keimschicht ein chemischer Vorgang 
sich abspielt, dessen Produkte weiter in die Tiefe dringen und hier lähmend 
auf die Gefäßwände wirken. 

Wenn die Rötung abgeklungen ist, so stellt sich sehr häufig eine 
Pigmentierung der Haut ein, welche bei wiederholter Bestrahlung immer 
intensiver wird. Diese Pigmentierung ist keine direkte Folge der voraus- 
gegangenen Rötung, wie sich aus zweierlei Beobachtungen ableiten läßt. 
Das Pigment kann nämlich auftreten, wenn gar keine Rötung voraufge- 
gangen ist, ja sogar bei Patienten, welche dem direkten Sonnenlicht über- 
haupt nicht ausgesetzt waren, sondern nur von reflektiertem Licht getroffen 
wurden. Und zweitens sehen wir bei gewissen Patienten Rötung auf 
Rötung entstehen, ohne daß weiterhin eine Pigmentierung in Erscheinung 
tritt. Die Pigmentierung scheint auszubleiben bei Patienten, deren Hämo- 
globingehalt weniger als 50—60% beträgt, woraus übrigens keineswegs der 
Schluß gezogen werden darf, daß das Pigment aus dem Blutfarbstoff ge- 
bildet würde, es ist vielmehr die Annahme ausgesprochen worden, daß es 
in den Basalzellen und speziell aus Materialien des Zellkerns entstehe. 
Das Pigment entwickelt sich bei Blonden nur langsam und bei rothaarigen 
Personen überhaupt nur mangelhaft. Ausnahmen kommen indessen vor. 
Ich habe selber bei Schwarzhaarigen eine Rötung nach der anderen ent- 
stehen sehen, ohne daß Pigmentierung eintrat. Ebenso wie die Rötung 
entwickelt sich das Pigment nur bei Vorhandensein von ultravioletten 
Strahlen. Es liegt die Annalıme nahe, daß ebenso wie die Rötung einen 
momentanen Schutz gegen eine übermäßige Belichtung darstellt, das Pig- 
ment eine dauernde Schutzwehr gegen eine Überflutung des Organismus 
mit Licht darstellt. 

Wir kommen damit zu einer Erörterung der Lichtwirkung, die freilich 
noch ziemlich in „Dunkel“ gehüllt ist. Wir wissen, daß die Lichtstrahlen 
verschieden tief in den Körper eindringen. Dem Ultraviolett und nament- 
lich dessen äußerem Anteil kommt nur eine geringe Penetrationskraft zu, 
die Strahlen der linken Spektralseite dringen tiefer in den Körper ein. 
Die Angaben über diese verschiedengradige Durchdringungskraft sind aller- 
dings recht verschieden. Weitere Experimente sind um so dringlicher 


Behandlung der Tuberkulose mit natürlichem und künstlichem Licht. 107 


angezeigt, als wir es hier ja mit einer Frage von fundamentaler Bedeutung 
zu tun haben, nämlich mit derjenigen ‘der Tiefenwirkung des Lichtes. Je 
pigmentloser die Haut ist, desto reichlichere Lichtmengen können sie na- 
türlich durchsetzen und in das Kapillarblut des Korium vordringen. Hier 
wird unzweifelhaft ein sehr erheblicher Teil des Lichts absorbiert, und 
diese Absorption ist gleichbedeutend mit dem Einsetzen komplizierter 
chemischer Vorgänge. Unter dem Einfluß des Lichtes soll der Sauerstoff, 
der sich in den Lungen mit dem Hämoglobin verbunden hat, freigemacht 
werden. Neben dieser reduzierenden Wirkung spielen sich aber auch 
Oxydationsprozesse ab, die keineswegs einfacher Natur sind. Die Oxy- 
dation kommt nach den neuesten Forschungen in den Geweben mit Hilfe 
eines besonderen Fermentes zustande, und auf die Bildung und Wirkung 
dieses Fermentes’ hat das Licht außerordentlich großen Einfluß. Während 
grüne und gelbe Strahlen keine oder nur schwache Wirkungen in dieser 
Hinsicht entfalten, kommt eine solche dem Grün, Blau und inneren Ultra- 
violett in erheblichem Maße zu, wenn die Strahlendosis nicht zu groß ist. 
Das äußere Ultraviolett wirkt auf das Ferment hemmend und zerstörend 
ein, und aus diesem Grunde wird dasselbe in der Haut absorbiert, ehe es 
an das Blut herangelangt, seiner Unschädlichmachung dient der Pigment- 
schirm, welcher das Ultraviolett bis zu 99%, zurückhalten soll. Freilich 
werden auch alle anderen Lichtstrahlen vom Pigmentschirm zurückgehalten, 
die Minderung der Strahlenmenge beträgt etwa 50%. Es ist also der 
(redanke naheliegend, daß eine übermäßig starke Pigmentierung der Haut 
der Lichtbehandlung keineswegs förderlich sein möchte. Nun haben aber 
insbesondere Bernhardt und Rollier trotz starker Pigmentierung Heil- 
wirkungen durch die Sonnenstrahlen festgestellt. Sie sind dadurch zu der 
Annahme gedrängt worden, daß trotz der Pigmentierung dem Licht eine 
Tiefenwirkung zukommt. Ja Rollier spricht sich geradezu dahin aus, 
daß Schnelligkeit und Intensität der Pigmentierung einen prognostischen 
Schluß zulassen, für günstigen Heilverlauf sprechen. Andere Autoren 
allerdings, wie Lenkei und Haberling teilen diese Ansicht nicht. Ersterer 
vertritt die Meinung, daß die Pigmentierung nur der Ausdruck einer über- 
mäßigen Dosierung der Sonnenstrahlen sei und darum vermieden werden 
müsse und könne. Auch meine bisherigen Erfahrungen haben mir zum 
mindesten soviel erwiesen, daß vorzügliche Heilung ohne nennenswerte 
Pigmentierung zustande kommen kann. Rollier stützt seine Behauptung 
von der therapeutischen Bedeutung des Pigments auf eine Hypothese: 

Er bezeichnet das Pigment als Sensibilisator, das heißt als einen Stoff, 
welcher kurzwelliges Licht in Strahlen von großer Wellenlänge umwandeln 
kann. Langwellige Strahlen aber können in die Tiefe dringen und dort 
Heilwirkungen entfalten. Die logische Folgerung aus dieser Hypothese 


108 Vulpius, 


wäre aber eigentlich die, daß es zweckmäßiger wäre, von vornherein 
langwelliges Licht zu verwenden und das Ultraviolett auszuschließen. Un- 
klarheiten und Unsicherheiten bestehen hier also noch in recht erheblichem 
Maße, praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Untersuchungen im 
Verein werden die Rätsel allmählich lösen müssen. Was die eben genannte 
Sensibilisierung betrifft, so ist eine solche in der Tat nachgewiesen, aber 
nur in der Weise, daß langwellige Strahlen in solche der rechten Spek- 
tralseite verwandelt werden. Als solche Stoffe hat man das Ferrisulfat. 
die Galle, das Hämatoporphyrin gefunden. Auf Grund der vorstehenden 
Ausführungen kann man sich das Zustandekommen einer Tiefenwirkung 
des Lichtes in verschiedener Weise denken: Entweder dringen die roten 
Lichtstrahlen in die Tiefe, erreichen und beeinflussen direkt einen tuber- 
kulösen Herd; oder die in die Tiefe dringenden langwelligen Strahlen 
werden auf ihrem Wege sensibilisiert, in kurzwelliges besonders intensiv 
wirkendes Licht verwandelt. (Ultraviolett in statu nascendi): oder aber das 
Ultraviolett wird durch das Hautpigment sensibilisiert, die langwelligen 
Strahlen dringen in die Tiefe (Rollier). Endlich wäre darauf hinzu- 
weisen, daß eine gewisse Strahlenenergie mit dem Blut in den Kreislauf 
gebracht werden kann. Durch Tierexperimente ist die Photoaktivität des 
bestrahlten Blutes im lebenden Körper nachgewiesen worden. Nicht un- 
erwähnt bleiben darf eine letzte Möglichkeit, um nicht zu sagen Wahr- 
scheinlichkeit: Vielleicht enthält das Licht Strahlen, die unserer Erkenntnis 
bis heute entgangen sind und deren Wirkung auf den Organismus von 
ausschlaggebender Bedeutung sein könnte. Nicht in Zusammenhang bringen 
wir die Tiefenwirkung des Lichtes mit seiner bakteriziden Eigenschaft. 
Wir wissen zwar, daß das Sonnenlicht Bakterien zu töten imstande ist. 
Ob freilich das Maximum dieser Wirkung im Ultraviolett oder im Ultra- 
rot zu suchen sei oder endlich nur dem gemischten Licht zukomme, da- 
rüber gehen die Ansichten noch auseinander. Wir wissen ferner, dab 
diese bakterizide Eigenschaft auch dann zur Geltung kommt, wenn die 
Lichtstrahlen lebendes Körpergewebe durchsetzen, ehe sie auf die Bakterien 
treffen. Allein stets handelte es sich bei solchen Experimenten um die 
Bestrahlung von Reinkulturen, während die Abtötung von innerhalb des 
Körpers sich befindenden Bakterien keineswegs klar nachgewiesen ist. 
Auf die Technik der Besonnung soll hier nicht näher eingegangen 
werden, doch kann nicht verschwiegen werden, dal wesentliche Meinungs- 
verschiedenheiten bei den verschiedenen Vertretern der Heliotherapie vor- 
handen sind. Bernhard bestrahlt den Erkrankungsherd, Rollier macht 
Allgemeinbestrahlungen. Beide erzeugen mit Absicht stärkste Pigmen- 
tierung. Lenkei sucht dieselbe nach Kräften zu verhüten. Von günstigen 
Erfolgen berichtet der eine wie der andere. Die Vertreter der Helio- 


Behandlung der Tuberkulose mit natürlichem und künstlichem Licht. 109 


therapie im Hochgebirge sind der Überzeugung, daß der Reichtum des 
Sonnenlichtes an Ultraviolett seine Wertigkeit bedinge; weil das Sonnen- 
licht im Hochgebirge besonderen Reichtum an Ultraviolett aufweise und 
weil dieser Reichtum namentlich im Winter geringeren Schwankungen 
unterworfen sei als in tieferen Lagen, so sei die Heliotherapie im Hoch- 
gebirge und speziell die Winterkur daselbst besonders empfehlenswert. 

Ähnliche klimatische Vorzüge nimmt der Seestrand für sich in An- 
spruch. Die hier zu beobachtende rasche und intensive Bräunung der 
Haut beweist den hohen Gehalt des Lichts an ultravioletten Strahlen, 
welcher der reinen Atmosphäre und der Reflexion des Lichtes auf Wasser 
und Sand zuzuschreiben ist. Das Vorhandensein anderer günstiger klima- 
tischer Bedingungen erschwert hier wie im Hochgebirge das sichere Urteil 
über die Wirkung der Besonnung an sich auf die chirurgische Tuberkulose. 
Jedenfalls werden wir die Mitteilungen über günstige Heilerfolge, wie sie 
von Felten-Stolzenberg an der See erzielt worden sind, nicht ohne 
weiteres ausschließlich auf die Heliotherapie beziehen dürfen. Diese 
Autoren berichten, daß die Wirkungen der Insolation an der See auf 
chirurgische Tuberkulose genau dieselben seien, wie die in Leysin und 
anderen Kurorten erzielten, daß aber an der See diese Wirkungen sehr 
viel rascher in Erscheinung treten und zu schnellerer Heilung führen als 
dort. Ja die erwähnten Autoren sprechen sogar die Meinung aus, daß 
der durch die Besonnung eingeleitete Heilungsvorgang weiterhin unter dem 
ausschließlichen Einfluß des Seeklimas Fortschritte mache, auch wenn in 
der Folge keine oder nur geringe Besonnung zustande komme. 

Daß auch der Sonne des Mittelgebirges und der Ebene starke Heil- 
kräfte innewohnen, davon berichten Publikationen neuesten Datums, dafür 
sprechen insbesondere meine eigenen Beobachtungen in Rappenau. Ge- 
wiB nimmt die Intensität des Sonnenlichtes ab, je dickere Iuuftschichten 
es zu durchdringen hat, ehe es den kranken Körper trifft. Alle Licht- 
strahlen werden ungünstig beeinflußt, insbesondere aber das Ultraviolett. 
Daß trotzdem quantitativ und qualitativ durchaus hinreichendes Licht uns 
auch in niedrigeren Lagen zur Verfügung steht, beweisen uns die klinischen 
Beobachtungen ohne weiteres. Wir erzeugen in Rappenau Rötung und 
Pıgment der Haut in jeder nur wünschenswerten Intensität, wir erhalten 
aber auch Tiefenwirkungen, wie uns die günstige Beeinflussung des Heil- 
verlaufs dartut. Voraussetzung ist freilich, daß wir unsere Heilstätten an 
einem Ort errichten, wo die Atmosphäre frei von Staub und Ruß ist, wo 
Nebelbildung fehlt, wo das Licht bei jedem Sonnenstand, während des 
ganzen Tages zuströmen kann. 

Trotz dieser günstigen Erfahrungen würde der Heliotherapie der 
chirurgischen Tuberkulose im Hochgebirge unbestreitbare Überlegenheit 


110 Vulpius, 


zuerkannt werden müssen, weil die Anzahl der Sonnentage und Sonnen- 
stunden insbesondere im Winter dort zugestandenermaßen eine größere ist 
als bei uns, wenn nicht ein Ausgleich in anderer Weise zustande kommen 
könnte. Solche Kompensationen sind aber gegeben einmal in der Möglich- 
keit, die weniger intensive Besonnung durch eine längere Ausdehnung der- 
selben auszugleichen, und ferner durch die Möglichkeit, künstliche Licht- 
quellen heranzuziehen. Ausgiebige praktische Erfahrungen haben mich 
zur Überzeugung geführt, daß wir in der künstlichen Belichtung eine für 
uns überaus wertvolle Ergänzung der Heliotherapie besitzen. Sind wir 
dadurch doch nicht nur von Witterungsverhältnissen unabhängig geworden, 
sondern wir vermögen auch die zugeführten Lichtmengen und -qualitäten 
zu dosieren. Wir verwenden in Rappenau tagtäglich sowohl das elektrische 
Bogenlicht als auch das Quecksilberdampflicht der Quarzlampe bei einer 
großen Zahl von Kranken in zweckmälßliger Kombination mit der natür- 
lichen Besonnung. 

Dem elektrischen Bogenlicht wird ein Gehalt an Ultraviolett zuerkannt, 
der demjenigen des Sonnenlichts nicht viel nachgibt, die Quarzlampe aber 
ist in dieser Hinsicht der Sonne weitaus überlegen. Wir gebrauchen das 
elektrische Bogenlicht hauptsächlich zur örtlichen Bestrahlung, sind aber 
damit beschäftigt, es auch durch eine etwas veränderte Konstruktion der 
Apparate der Allgemeinbehandlung dienstbar zu machen. Das Quarzlampen- 
licht dagegen ist in erster Reihe für die Allgemeinbehandlung bestimmt. 
Nur in einzelnen Fällen, speziell bei Affektionen der Haut, lassen wir es 
als starken örtlichen Reiz wirken. Die Wärmewirkung bleibt bei beiden 
Lichtarten ausgeschaltet. Die künstliche Höhensonne macht auf der Haut 
ganz die gleichen Erscheinungen, wie wir sie für die natürliche Insolation 
beschrieben haben. Der überreiche Gehalt an Ultraviolett beschleunigt 
natürlich die Hautröte sehr erheblich. Eine Bestrahlung von 5 Minuten 
Dauer aus der Entfernung von einem Meter genügt zumeist für eine reichlich 
starke Reaktion, die nach einigen Stunden beginnt, nach einem Tag ge- 
wöhnlich ihren Höhepunkt erreicht und dann langsam abklingt. In ana- 
loger Weise und mit den gleichen Ausnahmen, wie wir sie für die natürliche 
Besonnung beschrieben haben, entwickelt sich weiterhin die Pigmentierung 
der Haut. Daß dieselbe oft kein so tiefes Kolorit aufweist, wie wir es 
von der natürlichen Besonnung her gewöhnt sind, mag wohl damit zusammen- 
hängen, daß die Bestrahlungsdauer hier nur sehr kurz gewählt werden kann 
und auch bei eintretender Gewöhnung 15—20 Minuten kaum überschreitet. 
Was die Intensität der Pigmentierung anbelangt, so scheint mir dieselbe 
unter dem Einflusse des elektrischen Bogenlichtes besser auszufallen als 
mit der Quarzlampe. Auf technische Einzelheiten der Bestrahlung mit künst- 
lichem Licht soll hier ebensowenig eingegangen werden, wie dies hinsichtlich 


Behandlung der Tuberkulose mit natürlichem und künstlichem Licht. 111 


der Heliotherapie geschehen ist. Wir wollen uns mit der erfreulichen Kon- 
statierung begnügen, daß die Kombination der Heliotherapie mit künst- 
licher Belichtung uns vorzügliche Resultate gibt und uns speziell in 
Rappenau zu der Überzeugung geführt hat, daß wir berechtigt sind, die 
moderne Behandlung der chirurgischen Tuberkulose auch in unserem 
Klima zu empfehlen und durchzuführen. Die Arbeit in solchen Spezial- 
Heilstätten wird nicht nur eine höchst erfreuliche Verbesserung unserer 
therapeutischen Erfolge bei der chirurgischen Tuberkulose bringen, sondern 
auch eine vertiefte Erkenntnis von der Wirkungsweise physikalischer 
Heilmethoden, speziell der Lichtbehandlung. Freilich müssen wir uns 
— und mit diesem Hinweis möchte ich meine Ausführung beschließen 
— vor einseitiger Überschätzung der Lichttherapie hüten und uns be- 
mühen, durch wohldurchdachte Kombination dieses Verfahrens mit lange 
bewährten chirurgischen und orthopädischen Maßnahmen unseren Patienten 
eine möglichst sichere, vollkommene und schnelle Heilung zu verschaffen. 


(Aus dem physiologischen Institute der k. k. Hochschule für Boden- 
kultur in Wien.) 


Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins. 


Von 
Walther Hausmann. 


eit der letzten Mitteilung!) über die photodynamische Wirkung des 

Hämatoporphyrins ist eine Reihe von Arbeiten erschienen, in denen 
auf diese Eigenschaft des Farbstoffes eingegangen wird. 

Zunächst hat Hermann Pfeiffer?) in Übereinstimmung mit mir fest- 
gestellt, daß das salzsaure Hämatoporphyrin als photobiologischer Sensi- 
bilisator für Warmblüter an erster Stelle steht. Weiter hat Pfeiffer?) 
den Mechanismus der Hämatoporphyrinwirkung im Lichte und die Wirkung 
anderer sensibilisierender Substanzen auf Warmblüter (vgl. Raab.*) 
Jodlbauer und Busk?)) einer näheren Untersuchung unterzogen. Er 
fand, daß nach Injektion solcher Substanzen bei Mäusen und Meer- 
schweinchen dasselbe Krankheitsbild sich entwickelt, wie es bei der 
Anaphylaxie, der Hämolysinvergiftung und früher schon beim Verbrühungs- 
tode beobachtet wurde. Die patlolosisch-anatomischen Veränderungen der 
Tiere sind gleichfalls identisch mit jenen. Der Harn solcher Tiere tötet 
in Gegensatze zum normalen Harne die Maus unter einem Krankheitsbilde, 
welches von dem des photodynamisch geschädigten Tieres nicht unter- 
schieden werden kann, aber auch völlig mit dem Bilde des anaphylaktischen 
Shocks, der Hämolysin- und Peptonvergiftung übereinstimmt. Das An- 
steigen der Harngiftigkeit erfolgt gleichsinnig wie beim parenteralen Eiweil)- 
zerfalle bei der Anaphvlaxie nur bei der Kombination von Lichtwirkung und 
tluoreszierendem Stoffe, es fehlt aber, wenn nur einer der beiden an sich 








) W. Hausmann, Biochem. Zeitschr., Bd. 30, S. 276. 1910. Vgl. auch 
Bd. 14, S. 275. 1908. Bd. 15, S. 12. 1905. Wiener klin. W., Bd. 22, S. 1820. 1909. 

2) Hermann Pfeiffer, Handbuch der biochem. Arbeitsmethoden. Heraus- 
gegeben von E. Abderhalden. Bd. 5, 5. 563. 1911. 

3) Hermann Pfeiffer, Zeitschr. für Immunitätsforschung, Bd. 10, 
S. 550. 1911. 

4) Raab, Zeitschr. für Biolog., Bd. 39, S. 532. 1900. 

5) Jodlbauer und Busk, Archiv. intern. de pharmac. et de Therapie, 
Bd. 15, S. 269. 1908. 


Hausmann, Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins. 113 


unschädlichen Faktoren auf das Tier einwirkt. -Nach Pfeiffer ist dem- 
nach die photodynamische Schädigung als Toxikose des parenteralen Ei- 
weißzerfalles aufzufassen. 


Perutz!) hat im Anschluß an seine früheren Untersuchungen zur 
Ätiologie der Hydroa aestivalis Studien über die antagonistische Wirkung 
photodynamischer Sensibilisatoren bei ultraviolettem Licht unternommen. 
Die ‚Hämatoporphyrintiere“ (Kaninchen, die durch öftere Sulfonal- 
verfütterung Hämatoporphyrinurie aufwiesen) zeigten nach Bestrahlung mit 
einer Kromayerschen Quarzlampe die schon von Perutz beschriebene 
starke Reaktion, mit Eosin, Methylenblau und Chin. bisulf. wurde nach 
Belichtung nur Rötung konstatiert. Verabreichte der Autor den Hämato- 
porphyrintieren) Eosin, so schien die Strahlenwirkung verstärkt, Chinin- 
bisulfat — extern wie intern appliziert — ließ die Sensibilisation dieser 
Sulfonaltiere jedoch nicht mehr zum Ausdrucke gelangen. 


A. Goetzl?) untersuchte, ob durch Bleivergiftung, welche bekanntlich 
oft mit Hämatoporphyrinurie einhergeht, eine gesteigerte Lichtempfindlichkeit 
hervorgerufen wird. Er konnte diese in der Tat — wenn auch nur in 
geringerem Grade — bei Kaninchen, die chronisch mit Blei vergiftet waren, 
konstatieren. 


H. Fischer und Meyer-Betz°) haben vergleichende Untersuchungen 
über verschiedene Porphyrine angestellt. Sie arbeiteten zunächst das 
Nencki-Zaleskische Verfahren derart aus, daß mit Sicherheit kristalli- 
sierte Präparate von Mesoporphyrin erhalten wurden. Schon Nencki und 
Sieber hatten festgestellt, daß man vom Hämin wie vom Hämatoporplyrin 
durch Reduktion zu Mesoporphyrin gelange. Durch Oxydation des Mesopor- 
phyrins erhielten Fischer und F. Meyer-Beetz Methyläthylmaleinimid 
und Hämatinsäure, während es den Verfassern auf keine Weise gelang, 
aus Hämatoporphyrin — auch nicht nach vorausgegangener Reduktion mit 
Natriumamalgam — Methyläthylmaleinimid darzustellen. Ein weiterer charak- 
teristischer Unterschied zwischen Mesoporphyrin und Hämatoporphyrin wurde 
von den Autoren auf biologischem Wege gefunden, durch Vergleich der 
sensibilisierenden Wirkung der beiden Körper. Während die Autoren 
nach Injektion von Hämatoporphyrin bei weißen Mäusen im Lichte die 
bekannten Symptome auftreten sahen, fanden sie, daß Mesoporphyrin eine 
geringfügige Giftwirkung zu haben scheint, jedoch keinerlei sensibilisierende 
Wirkung auf weile Mäuse ausübt. Dies gilt jedoch nur für reinstes 


1) Wiener klin. Wochenschr. Bd. 25, Nr. 22. 1912. 

2) A. Goetzl, Wiener klin. Wochenschr., Bd. 29, Nr. 50. 1911. 

3) H. Fischer und Meyer-Betz, Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 82, 
S. 96. 1912. 


Strahlentherapie Band IN, Heft 1. 8 


114 Hausmann, 


kristallisiertes Mesoporphyrin, während unreine Präparate zweifelhafte 
Resultate ergaben. Die Mäuse gehen zwar nach kurzer Belichtung zu 
Grunde, jedoch nicht unter dem typischen Bilde der Hämatoporphyrin- 
sensibilisierung. Das aus dem Hämin durch Reduktion mit Amalgam und 
nachfolgender Oxydation dargestellte Porphyrin hatte dieselbe sensibili- 
sierende Wirkung wie das Hämatoporphyrin selbst. Diese Feststellungen sınd 
deshalb von Wichtigkeit, weil möglicherweise im Harn Mesoporphyrin und 
nicht Hämatoporphyrin ausgeschieden wird (vgl. S. 116). 

Auch F. Bering und H. Meyer!) haben im Laufe ihrer wichtigen 
Arbeiten über die Wirkung des Lichtes die sensibilisierende Wirkung tie- 
rıscher Farbstoffe studiert. Sie untersuchten hierbei u. a. die Wirkung 
des Lichtes auf die Peroxydase, die aus Meerrettichwurzeln gewonnen wurde. 
Zur Messung der Fermentwirkung wurde von den Autoren die von Bach 
und Ohodat ausgearbeitete Purpurogallinreaktion benützt. Sie fanden 
hierbei, daß durch geringgradige Belichtung eine fördernde, bei intensiver 
Bestrahlung eine hemmende Wirkung auf die Peroxydase ausgeübt wird. 
Mäßiger Lichtgenuß förderte die Fermentarbeit erheblich, von einer be- 
stimmten Dosis jedoch angefangen, wurde aus der Förderung der Ferment- 
wirkung eine Lähmung, die, wenn die Bestrahlung intensiv genug ist, zu 
einer völligen Zerstörung führt. Charakteristisch ist hierbei der Unter- 
schied in der Wirkung verschiedener Spektralbezirke. Die roten Strahlen 
ließen die Peroxydase unbeeinflußt, die gelben übten bei genügender Inten- 
sität einen fördernden Einfluß aus, die grünen jedoch und noch mehr die 
blauen und ultravioletten Strahlen wirken abschwächend oder zerstörend. 

Bering und Meyer untersuchten nun, wie weit man durch Sensibili- 
satoren, die dem Tierkörper entstammen, diese Wirkung verstärken könne. 
Sie studierten hierbei die von mir als optischen Sensibilisator beschriebene 
tierische Galle, ferner Hämatoporphyrin, sowie Ferrisulfat, von dem wir 
nach den ausgezeichneten Untersuchungen Neubergs?) wissen, daß es bei 
einer ganzen Reihe chemischer Prozesse im Lichte als Energieüberträger 
wirkt. Die Autoren fanden nun, daß alle drei Substanzen die fördernde 
Wirkung des Lichtes auf die Peroxydase noch zu steigern vermögen und 
zwar zeigten sie, daß die Galle als optischer Sensibilisator für grüne und 
blaue Strahlen, Hämatoporphyrin für rote, grüne und gelbe und Ferrisulfat 
für dieselben Strahlen sensibilisierend wirke. Der Befund, daß die Peroxy- 
dase durch Sensibilisatoren, die dem Tierkörper entstammen, in ihrer Wirkung 
bei Belichtung gesteigert werden kann, ist deshalb von Bedeutung, weil 
die Peroxydasen nach den Untersuchungen von O. v. Fürth nicht nur in 


!) Strahlentherapie, Bd. 1, S. 411. 1912. 
2) Biochem. Zeitschr., Bd. 13, Bd. 27, Bd. 29. 





Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins. 115 


Pilanzen vorkommen, sondern auch im tierischen Organismus nicht fehlen. 
Da nun die langwelligen Strahlen auch Tiefenwirkungen im Tierkörper aus- 
zuüben vermögen, so ist, wie ich auch schon früher betont habe, eine Mit- 
wirkung von Sensibilisatoren bei der normalen Belichtung des tierischen 
Organismus anzunehmen. 


Es war nun zunächst zu prüfen, inwiefern andere Blutfarbstoffe sich 
in der Richtung der optischen Sensibilisation verhalten. Ich habe zunächst 
krist. Oxyhämoglobin und krist. Hämin (Mörner) in dieser Richtung unter- 
sucht und zwar mit negativem Resultate. Wohl zeigten weiße Mäuse, 
denen ich Oxyhämoglobin injiziert hatte, bei intensiver Belichtung ab und 
zu Reizerscheinungen seitens der Körperoberfläche (Kratzen, Beißen), doch 
waren diese Erscheinungen nicht ganz konstant und im Vergleich zu 
Hämatoporphyrinmäusen ganz unbedeutend. Möglich wäre es ja gewesen, 
dal aus dem Oxyhämoglobin ganz geringe Mengen von Hämatoporphyrin 
im Organismus der Maus gebildet worden wären und daß diese dann ganz 
schwach sensibilisierend gewirkt hätten, doch blieben die Mäuse nach 
vielstündiger Belichtung am Leben, ebenso Paramäzien, welche viele 
Stunden lang unter entsprechender Kühlung in Hämoglobinlösungen 
belichtet worden waren. Dasselbe Verhalten konnte ich bei Hämin be- 
obachten. 


Daß dem Oxyhämoglobin keine sensibilisierende Wirkung zu eigen ist, 
kann angesichts der Eiweißnatur dieses Körpers nicht befremden, denn 
wir wissen aus den Untersuchungen von Busk,'!) daß der Zusatz von 
Eiweiß zu photodynamisch wirkenden Mitteln die Wirkung solcher Stoffe 
aufzuheben vermag. 


Um einen ganz ähnlichen Fall handelte es sich offenbar auch bei den 
fHuoreszierenden Algenfarbstoffen Phykozyan und Phykoerytrin. Der letzt- 
genannte Farbstoff der Rotalgen ist in wässerigen Lösungen im durch- 
fallenden Lichte karminrot, im auffallenden ist eine prachtvolle orange- 
gelbe Fluoreszenz zu beobachten. Die Lösungen des Phykozyans, des 
Farbstoffes der Blaualgen, sind im durchfallenden Lichte blau mit intensiv 
roter Fluoreszenz. Trotz dieser ausgesprochen starken Fluoreszenz ver- 
mochte ich durch wässerige Auszüge solcher Algen weder Paramäzien, noch 
rote Blutkörperchen auch nicht bei intensivster stundenlanger Belichtung 
abzutöten. In den Farbstofflösungen war kein hemmender Körper in einer 
Menge vorhanden, daß hierdurch die Wirkung von Sensibilisatoren aufge- 
hoben worden wäre, denn bei Zusatz von photodynamischen Substanzen zu 


1) Biochem. Zeitschr., Bd. 1, S. 425. 1906. 
&*+ 


116 Hausmann, 


solchen Algenauszügen, konnte die volle Wirksamkeit der zugesetzten Körper 
konstatiert werden. 

Der Umstand, daß Phykozyan und Phykverythrin trotz ihrer starken 
Fluoreszenz nicht photodynamisch wirken, ist wohl auf die Eiweilnatur 
dieser Algenfarbstoffe zurückzuführen. Molisch!) hat zuerst nachgewisen, 
daß diese Farbstoffe aus einem eiweißartigen Körper und einer farbigen 
Komponente zusammengesetzt sind: diese Erfahrungen Molischs sind 
neuerdings von Harald Kylin?) bestätigt und erweitert worden. 


Es ist wahrscheinlich, daß die farbige Komponente an sich sensibili- 
sierend wirken würde, so wie die Farbstoffe jedoch allem Anscheine nach 
in der Natur vorkommen, ist dies nicht der Fall. 


Vielleicht liegen ähnliche Bindungen des Hämatoporphyrins an hem- 
mende Substanz in jenen Fällen vor, in denen Hämatoporphyrinhaltige 
Flüssigkeiten nicht sensibilisierend wirken. Wie seinerzeit berichtet wurde, 
konnte in einem Falle von Hydroa aestivalis, bei welchem im Harn reich- 
lichst Hämatoporphyrin ausgeschieden wurde, keine sensibilisierende Wir- 
kung des farbstoffhaltigen Harnes konstatiert werden. Ich versuchte diese 
Verhältnisse nachzuahmen und injizierte mehreren Kaninchen salzsaures 
Hämatoporphyrin in schwach alkalischer Lösung in Mengen von 0,01 pro 
Kilo. Die Tiere wurden im schwachen diffusen Lichte gehalten. In 
Übereinstimmung mit den Beobachtungen von Nencki, Neubauer und 
meinen früheren Erfahrungen wurden nur geringe Mengen des injizierten 
Farbstoffes im Harn ausgeschieden und mit diesem Hämatoporphyrin- 
haltigen Harne konnte ich weder rote Blutkörperchen noch Paramäzien 
deutlich sensibilisieren. Es hat demnach den Anschein, als würde das 
Hämatoporphyrin in einer photodynamisech nicht mehr wirksamen Form 
aus dem Organismus ausgeschieden. 

Um die Wirkung des Kaninchenharnes auf Paramäzien zu untersuchen, 
wurden die Harne durch kurze Zeit in Diffusionshülsen von Schleicher 
und Schüll gegen destilliertes Wasser dialysiert, da salzsaures Hämato- 
porphyrin jedenfalls nur sehr langsam dialysiert. In einem Versuche 
wurden 10 ccm einer 0.25% ıgen Lösung alkalischen salzsauren Hämato- 
porphyrins gegen 250 cem destilliertes Wasser dialvsiert. 

Erst nach 24 Stunden zeigte die Aubenflüssigkeit ganz schwache 
Fluoreszenz, welche auf die unten beschriebene Weise konstatiert wurde. 

In der letzten Mitteilung wurde darauf hingewiesen, daß die schon 
von Hoppe-Seyler und von Marchlewski beobachtete Fluoreszenz 


1) H. Molisch, Bot. Zeitschr., Bd. 1, S. 131. 1805. 
2) Harald Kylin, Zeitschr. f. Phys. Chemie, Bd. 89, S. 169. 1910. 


Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins. 117 


des Farbstoffes ungemein deutlich und charakteristisch sei. Es sei hinzu- 
gefügt, daß diese Eigenschaft des Hämatoporphyrins noch in Verdünnungen 
zu konstatieren ist, in denen der Nachweis des Farbstoffes sonst kaum 
durch Spektroskopie in langen Röhren möglich ist. Die Fluoreszenz wurde 
mit dem — durch eine Konvexlinse — konzentrierten Sonnenlichte oder 
dem ebenso konzentrierten Lichte einer Projektions-Bogenlampe von zirka 
35 Ampere untersucht. Auch in anscheinend ganz farblosen Lösungen, 
in den sauren und wie besonders in den alkalischen, hebt sich, wenn die 
Verdünnung nicht eine zu große ist, der rote Strahl des F'luoreszenzlichtes 
deutlich von der farblosen Flüssigkeit ab. 


In der nachstehenden Tabelle ist die Empfindlichkeit der Fluoreszenz- 
probe mit dem spektroskopischen Befunde verglichen. Die spektroskopische 
Untersuchung wurde mittels eines Spektroskopes nach Kirchhoff-Bunsen 
der Firma Schmidt & Haensch mit durch eine 18,6 cm lange Flüssigkeits- 
schicht vorgenommen und es wurde nur auf das Verschwinden des stärksten 
Bandes in alkalischer Lösung, resp. saurer Lösung geachtet. 





Tabelle. 
Verdünnung | Spektroskop. Befund | Fluoreszenz 

| alkalisch | sauer | alkalisch | sauer 
1 10 000 deutlich deutlich sehr intensiv intensiv 
1: 100.000 J j stark stark 
1 : 1 000 000 ? kaum sichtbar stark stark 
1 : 4 000 000 negativ negativ deutlich | deutlich 
1 : 5000 000 en = deutlich undeutlich 
1 : 7 500 000 . 5 negativ negativ 

| 





Es lag nahe, diese Fluoreszenzprobe auch zum Nachweise von Hämato- 
porphyrin im Harne zu benützen, da man hierzu ja nur wenige Tropfen 
der Lösung benötigt. Ich habe deshalb in Gemeinschaft mit Herrn 
Dr. Tögl eine Reihe von Harnen in dieser Richtung untersucht. Die 
Harne wurden nach Garrod behandelt, hierauf die Fluoreszenz des sauren 
alkoholischen Extraktes geprüft. In den Harnen, welche Hämatoporphyrin 
enthielten, konnte deutlich Fluoreszenz nachgewiesen werden, doch kann 
vorläufig nicht gesagt werden, ob nicht in manchen Harnen bei dem 
Garrodschen Verfahren Körper mit ausgefällt und dann gelöst werden, 
welche die Fluoreszenz des Hiimatoporphyrins unterdrücken könnten (vgl. 


A. Götzl]. c.). 


118 Hausmann, 


Schon H. von Tappeiner hatte auf die Ähnlichkeit der photodyna- 
mischen Erscheinung mit der Sensibilisierung photographischer Platten 
durch Farbstoffe hingewiesen. Es schien mir von Interesse, festzustellen, 
wie sich die Blutfarbstoffe in dieser Richtung verhalten. Bei der nahen 
Verwandtschaft zwischen den Derivaten des Chlorophylis und denen des 
Hämoglobins schien diese Fragestellung gerechtfertigt, da wir Chlorophyll 
sowohl als Sensibilisator photographischer Platten (Becquerel, Eder), 
ebenso wie als photodynamisch wirksamen Körper kennen (Hausmann). 
Ich ersuchte deshalb Herrn Hofrat Eder, Direktor der graphischen Ver- 
suchsanstalt in Wien, die in der vorliegenden Mitteilung besprochenen 
Präparate in dieser Richtung zu untersuchen und zwar krist. Oxyhämoglobin, 
krist. Hämin (Mörner) und krist. salzsaures Hämatoporphyrin. 

Die Resultate Eders, die anderen Orts ausführlich mitgeteilt wurden, 
sind folgende: !) 

Analog den Befunden, die mit Oxyhämoglobin und Hämin bei Warm- 
blütern und bei Paramäzien erhalten worden waren, konnte auch bei 
diesen Farbstoffen keine Sensibilisierung von Bromsilbergelatine-Platten, 
die während 5 Minuten in den Lösungen gebadet und dann mittelst eines 
starken Ventilators rasch getrocknet waren, erzielt werden. Die Belichtung 
wurde mittelst einer weiß leuchtenden Nernstlampe während 1—10 Minuten 
im Glasspektrographen vorgenommen. Bei Hämatoporphyrin jedoch zeigten 
sich auf der Bromsilberplatte schwache Sensibilisierungsbanden, die deut- 
lich wurden, wenn der Sensibilisierungsflüssigkeit etwas NH, zugesetzt 
wurde. Es ließen sich zwei Sensibilisierungsstreifen nachweisen, deren 
Maxima bei A% 630 pu und % 580 pu lagen, ein drittes bei A 555 py 
war sehr verschwommen, dann verhinderte die Eigenempfindlichkeit der 
Bromsilbergelatine-Platte die Verfolgung des Spektrogramms in grün. 

Bei Sensibilisierung einer Chlorsilbergelatine-Platte konnte Eder je- 
doch vier schr deutliche Sensibilisierungsbänder, bei A 630 pu, % 583 wu, 
A 555 um, % 525 np nachweisen. 

Es geht demnach bei den bisher in dieser Richtung untersuchten 
Blutfarbstoffen dem Oxyhämoglobin, dem Hämin und dem Hämatoporphyrin 
die photodynamische und photographische Platten sensibilisierende Wirkung 
parallel. Die erstgenannten Farbstoffe sind in beiden Beziehungen wir- 
kungslos; Hämatoporphyrin jedoch ist ebenso, wie es ein photodynamisch 
wirkender Körper ist, auch als Sensibilisator für Brom und Ohlorsilber zu 
bezeichnen. 


Anmerkung. Ich bekomme erst jetzt Kenntnis von dem Referate 


I) Sitzungsberichte der Wiener Akademie d. Wissensch. Bd. 122, 1913. 


Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins. 119 


J. Jodlbauers „Die Sensibilisierung durch fluoreszierende Stoffe (Photo- 
dynamische Erscheinung)“, diese Zeitschrift, Bd. II, S. 70, Heft 1, ausge- 
geben am 14. Februar 1913. In diesem Referate schreibt Jodlbauer 
nach der Besprechung der Arbeiten von Raab, Jodlbauer und Busk 
u. a. über die Sensibilisierung von Warmblütern durch photodynamisch 
wirkende Stoffe folgendes: „Ausführlich ging ich auf diese Versuchsergeb- 
nisse ein, da Hausmann sie bei seinen Untersuchungen über die photo- 
dynamische Wirkung des Hämatoporphyrins auf Warmblüter ebenfalls er- 
hielt und sie in seinem in den Fortschritten der naturwisssenschaftlichen 
Forschung erschienenen Artikel!) über optische Sensibilisation im Tier- und 
Pflanzenreiche ausführlich mit Illustrationen wiedergibt, ohne aber die 
früheren diesbezüglichen Arbeiten zu nennen und darauf hinzuweisen, daß 
es sich bei seinen Versuchen nur um eine Nachprüfung der von Raab, 
Jodlbauer und Busk mit Eosin gemachten Befunde handelt. Auch 
im Literaturverzeichnis fehlt ein Hinweis auf die Arbeit letzterer, obwohl 
sie ihm bekannt ist.“ 


Hierzu ist zu bemerken: In diesem populären Aufsatze über optische 
Sensibilisatoren im Tier- und Pflanzenreiche?) habe ich ausdrücklich 
auf die zusammenfassende Darstellung H. von Tappeiners in den Er- 
gebnissen der Physiologie, Bd. 8, S. 698, 1909 mit dem Wortlaute „Be- 
treffs aller Einzelheiten verweise ich auf die zusammenfassende Darstellung 
Hermann von Tappeiners in den Ergebnissen der Physiologie‘ hinge- 
wiesen. In dieser Zusammenfassung ist die Arbeit von Jodlbauer und 
Busk besprochen. Daß ich die Arbeit gekannt habe, ergibt sich daraus, 
daß ich sie in meiner ersten Mitteilung „Über die giftige Wirkung des 
Hämatoporphyrins auf Warmblüter bei Belichtung‘‘?) ausdrücklich anführte, 
indem ich schrieb „Diese Fragestellung mußte durch die bekannten Sen- 
sibilisationsversuche von A. Jodlbauer und Busk besonders wichtig er- 
scheinen“. Auch an anderer Stelle meiner wissenschaftlichen Publikationen 
habe ich die in Frage stehende Arbeit zitiert (Bioch. Zeitschr., Bd. 30, 
S. 312, 1910). 


Wenn jedoch Jodlbauer schreibt, daß es sich in meinen Ver- 
suchen?) nur um eine Nachprüfung der mit Eosin gemachten Befunde 
handelt, so muß ich dieser Äußerung energisch widersprechen. Es kam 
mir bei meinen Versuchen nicht darauf an, photodynamische Schädigungen 


t) Fortschritte der naturwissenschaftlichen Forschung, herausgegeben von 
E. Abderhalden, Bd. 6, S. 243, 1913. 

2) Im Original nicht gesperrt gedruckt. 

3) Wiener klin. W., Bd. 22, S. 1820, 1909. 

%) Bei Jodlbauer nicht gesperrt gedruckt. 


120 Hausmann, Über die sensibilisierende Wirkung des Hämatoporphyrins, 


von Warmblütern überhaupt zu erzielen, wie dies Raab, Jodlbauer 
und Busk getan haben, sondern es handelte sich darum, zu untersuchen, 
wie ein Farbstoff (Hämatoporphyrin), der unter normalen und patlologi- 
schen Verhältnissen im Tierkörper vorkommt und den ich zuerst als photo- 
dynamisch wirksam beschrieben habe, bei Warmblütern als optischer Sen- 
sibilisator wirkt. Wohl hat v. Tappeiner im Jahre 1900 die Vermutung 
aussprechen lassen (Raab, Zeitschr. für Biologie, Bd. 39, S. 544), dal) 
im Tierkörper optische Sensibilisatoren wirksam sein könnten und darauf- 
hin durch Raab ein fluoreszierendes Serum untersuchen lassen, jedoch 
mit negativem Erfolge. Ein Nachweis eines tierischen Sensibilisators war 
nicht gelungen und wurde erst durch die von mir nachgewiesene photo- 
dynamische Wirkung der tierischen Galle und des Hämatoporphyrins acht 
Jahre nach der Publikation Raabs erbracht. 


Wien, Anfang Mai 1913. 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 
Von 
Dr. med. et iur. Franz Kirchberg-Berlin, 


leitender Arzt des Berliner Ambulatoriums für Massage. 


ereits vor einer ganzen Reihe von Jahren!) habe ich in mehreren Ar- 

beiten auf die unter Umständen für den Röntgenarzt sehr peinlichen 
Konsequenzen hingewiesen, welche die bei seiner Tätigkeit vorgekommenen 
Röntgenschädigungen für ihn haben können und vielfach auch gehabt 
haben. — 

Während die meisten Röntgenlehrbücher über diese Frage sehr wenig 
bringen, geht Albers-Schönberg in seiner Röntgentechnik (IV. Autlage 
1913) sehr eindringlich auf diese Angelegenheit ein. “Wie häufig die aus 
Röntgenschädigungen hervorgehenden Prozesse sind und um welche Summen 
es sich da meist: handelt, sieht man aus der dort zusammengestellten Liste, 
da allein bei dem Allgemeinen Deutschen Versicherungsverein in Stuttgart 
von Januar 1910 bis Oktober 1911 11 Schadenfälle einen Aufwand von 
53500 Mk. erforderten. Nach persönlich erhaltener Mitteilung sind in 
Stuttgart seit 1910 29 Röntgenschäden neu angemeldet worden mit zum 
Teil ganz ungeheuer hohen Forderungen. Dies bei einer einzigen Ver- 
sicherungsgesellschaft! — 

Bei dieser Häufigkeit und Schwere der Röntgenschadenprozesse lohnt 
es sich wohl, auf dieses Gebiet näher einzugehen, den Ursachen nachzu- 
forschen, nach Mitteln zur Minderung derartiger Fälle zu suchen. — 

Es ist hier nicht meine Aufgabe zu untersuchen, wie weit derartige 
Schädigungen zu vermeiden sind (bei Besprechung der einzelnen Fille 
werde ich zwar darauf mehrfach zurückzukommen haben), sondern ich will 
hier nur die rechtlichen Konsequenzen, die sich an derartige Schädigungen 
anknüpfen können, betrachten. In liebenswürdiger Weise hat mir, wie 
bereits vor Jahren schon einmal gelegentlich einer Arbeit über Kunst- 
fehler,?) auch jetzt wieder der Stuttgarter Allgemeine Deutsche Versiche- 
rungsverein das bei ihm zur Entscheidung gekommene Material an Röntgen- 


1) Kirchberg, Röntgenschädigungen und ihre rechtlichen Konsequenzen. 
Fortschritte a. d. Geb. der Röntgenstrahlen, Bd. IX. — Derselbe, Die Pflichten der 
Krankenhausdirektoren gegen ihre Röntgenassistenten und Angestellten. Fortschritte 
Bd. IX. 

2) Kirchberg, Zur Kasuistik der Kunstfehler. Ärztliche Sachverständigen- 
zeitung 1907, 19, 20, 22, 23. — Derselbe, Die zivil- und strafrechtliche Verantwort- 
lichkeit des Arztes. Med. Klinik 1907, 19 u. 20. 


122 Kirchberg, 


schädigungen zur Verfügung gestellt, woraus ich dann eine Anzahl von 
instruktiven Fällen hier näher besprechen will. 

Die Röntgenschädigungen stehen natürlich in der hier ın Frage 
kommenden Beziehung allen übrigen ärztlichen Kunstfehlern gleich. 
nur daß der Röntgenarzt insofern ungünstiger dasteht, als er bei seiner 
Tätigkeit mit einer Materie zu tun hat, die doch einerseits noch nicht 
völlig erforscht, andrerseits anscheinend in ihrer Wirkung auf die einzelnen 
Menschen nicht ganz gleichartig ist; auf die hier in Betracht kominende 
Idyosynkrasie werden wir in mehreren Fällen näher eingehen müssen. 
Ich brauchte eben das Wort: Kunstfehler. Das ist nun kein juristischer 
Begriff, sondern nur ein Sprachgebrauch. Eine feste Definition für den 
Begriff Kunstfehler aufzustellen, etwa wie sie die wissenschaftliche Depu- 
tation für das Medizinalwesen vor einer Reihe von Jahren vorgeschlagen 
hatte: „approbierte Personen, welche in Ausübung ihres Berufes aus 
Mangel an gehöriger Aufmerksamkeit oder Vorsicht und zuwider allgemein 
anerkannten Regeln der Heilkunst durch ihre Handlungen und Unter- 
lassungen die Gesundheit eines ihrer Behandlung übergebenen Menschen 
geschädigt haben, sollen bestraft werden“, ist bis jetzt von den gesetz- 
gebenden Faktoren abgelehnt worden; m. E. mit vollem Recht. Ein Ko- 
dex allgemein anerkannter Regeln der Heilkunde gibt es nicht und kann 
es nicht geben, so lange am Fortschreiten der medizinischen Wissenschaft 
gearbeitet wird. Jeder Fortschritt auf pathologischem wie therapeutischem 
Gebiet bewirkt eine Änderung der Anschauungen. Was jahrhundertelang 
als allseitig feststehender Besitz der medizinischen Wissenschaft anerkannt 
war, kann durch Ergebnisse neuerer Forschungen und Versuche umge- 
stoßen werden. Die Wahrheit dieses Satzes erhellt wohl durch nichts so 
deutlich. als durch die Ergebnisse der Röntgen- und Strahlentherapie der 
letzten Jahre. 

Ganz allgemeine Gesichtspunkte müssen bei der Beurteilung des 
ärztlichen Handelns Platz greifen, die Freiheit des ärztlichen Handelns 
muß gewahrt werden, aber diese Freiheit darf nicht gemißbraucht werden, 
darum hat seinerzeit der Reichstag mit Recht die Forderung abgelehnt. 
für Kunstfehler und Fahrlässigkeiten der Ärzte mildere Bestimmungen in 
(las Gesetz aufzunehmen. Der Arzt, von dessen überlegtem Handeln das 
Wohl des einzelnen, wie ja schließlich auch das des Volkes abhängt, muß 
es sich gefallen lassen, ja er muB stolz darauf sein, in seinem Handeln 
nach denselben Gesichtspunkten beurteilt zu werden. wie die Angehörigen 
jeden anderen Berufes. 

Vom juristischen Standpunkt sind die Gesundheitsschädigungen, die 
(durch Röntgenbestrahlungen verursacht werden, in doppelter Beziehung von 
Wichtigkeit. Sie können einmal als fahrlässige Körperverletzung 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 123 


den Tatbestand einer strafbaren Handlung bilden, andrerseits zivilrecht- 
lich den behandelnden Arzt zum Schadenersatz verpflichten. 

Ich möchte hier wieder, wie schon an verschiedenen Stellen den 
jungen Arzt davor warnen, zu denken: „mir kann, wenn ich nach bestem 
Ermessen und pflichttreu handele, juristisch nie etwas passieren, mich 
langweilt diese ganze juristische Geschichte, kommt wirklich mal etwas 
vor, so macht das schon mein Rechtsanwalt‘. Damit wird er sehr schlechte 
und trübe Erfahrungen machen können, er muß die juristischen Grund- 
lagen kennen, die für sein Handeln maßgebend sind. Es ist unglaublich, 
wie weltenfremd und in der Hinsicht völlig unerfahren der junge Arzt 
auch heute noch nach bestandenem Examen und praktischem Jahr in die 
Welt hinaus spaziert, der „reine Thor‘ auch heute noch, wo Kranken- 
kassengesetzgebung, Reichsversicherungsordnung, kurzum die Folgen der 
ganzen Versorgungs- und Haftptlichtgesetze das gesamte soziale Empfinden 
völlig umgestaltet haben. Nicht nur in Arbeiterkreisen sehen wir in 
unserer ärztlichen Praxis immer und immer wieder, daß die denkbar 
höchste Ausnützung der Entschädigungen bei Krankheit und Unfall als 
etwas absolut selbstverständliches gilt. Der Arbeiter, der seinen Unfall 
gehabt hat, denkt ja nur noch an seine Rente, er begnügt sich lieber mit 
einer weit geringeren Quote seines Einkommens als bisher, bis er alles, 
was er glaubt erreichen zu können, wirklich erreicht hat, so daß er oft 
olıne sich dessen recht bewußt zu werden, die Folgen übertreibt, und so 
schließlich wirklich arbeitsunfähig wird, obwohl ihn die Aufnahme der 
Arbeit zur richtigen Zeit allmählig wieder voll oder teilweise arbeitsfähig 
gemacht hätte, — in vielen anderen Kreisen ist es ceteris paribus genau 
so. Jeder Unfall auf der Eisenbahn oder auf der Elektrischen oder sonst 
wo wird soviel wie möglich pekuniär ausgenützt. Bei jeder körperlichen 
Schädigung, die jemanden trifft, ist die erste Frage: kann ich jemanden 
dafür verantwortlich machen, wie viel kann ich herausschlagen. Ein ge- 
wisser, für die Zukunft unseres Volkes höchst bedenklicher neurasthenischer 
Zug ist durch die Haftpflicht- und Versorgungsgesetze in unser volkswirt- 
schaftliches Empfinden hineigekonmen, das zweifellos große soziale Ge- 
fahren in sich birgt. Auf diesem Boden stehen nun auch eine große 
Menge der sich immer mehr häufenden rechtlichen Ansprüche gegen 
Ärzte wegen angeblicher Kunstfehler. Daß der Arzt in einer Haftpflicht- 
versicherung ist, ist wie wir später sehen werden, eigentlich selbstverständ- 
lich, aber das genügt nicht. Jeder gegen ihn erhobene Vorwurf wegen 
Kunstfehler ist eine schwere Gefahr für sein ganzes ärztliches Ansehen, 
wie auch in pekuniärer Beziehung, ganz abgesehen von den damit stets 
verbundenen, schweren seelischen Aufregungen und Ärgernissen. Ebenso 
wichtig ist, daß er die rechtliche Seite seines Berufslebens genau kennt. 


124 Kirchberg, 


Wohl bestehen in einer Anzahl von Universitäten nominell Lehraufträge 
für soziale Medizin, wo dieses Gebiet mit behandelt werden soll; praktisch 
geschieht, glaub ich, nichts auf diesem Gebiet. Der Röntgenarzt ist nun 
aber, wie wir sehen werden, doppelt gefährdet; darum muß er sich mit 
diesen Fragen gründlich beschäftigen und die Folgen seiner Tätigkeit nicht 
nur vom Standpunkt der Therapie und der Wissenschaft im Interesse der 
leidenden Menschheit betrachten, sondern auch von dem Standpunkt des 
Schutzes seiner eigenen Interessen. 


I. Zivilrechtliche Haftung für Röntgenschädigungen. 

Betrachten wir zunächst die zivilrechtliche Seite, da sie naturgemäß 
die größere Rolle spielt. 

Die dem Arzt in Form rechtlicher Ansprüche gemachten Vorwürfe 
gehen meist dahin, dalb er den Patienten direkt durch seine Behandlung 
geschädigt habe, viel seltener dahin, dal3 seine Behandlung nicht den ge- 
wünschten Erfolg gehabt habe. Imbezug auf diesen letzten Vorwurf ist 
darauf hinzuweisen, daß nach der ganzen Art der ärztlichen Tätigkeit das 
Verhältnis zwischen Arzt und Patienten nicht nach den Regeln des Werk- 
vertrages, sondern nach denen des Dienstvertrages zu beurteilen ist. So 
sehr auch die unklare Fassung des $ 631, B.G.B. „Gegenstand des Werk- 
vertrages kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache, als 
ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg 
sein“, die Anwendung auf die ärztliche Tätigkeit unter Umständen zu er- 
lauben scheint, so ergibt doch die ruhige Überlegung, daß auch bei gering- 
fügigen, den klarsten Erfolg versprechenden ärztlichen Maßnahmen der 
Arzt stets mit den besonderen Umständen zu rechnen hat und nicht für 
den absolut günstigen Ausgang, den gewünschten Erfolg und nur diesen 
allein einzustehen hat. Das Kennzeichen des Werkvertrages, daß er die 
Vergütungen an den Effekt der Dienste knüpft — dem Publikum mag 
das ja erstrebenswert erscheinen — kennzeichnet die Unhaltbarkeit des 
ärztlichen Tuns als Werkvertrag. Das Versprechen des Arztes für den 
Erfolg seines Handelns ändert an dieser Tatsache nichts, das Einstehen 
für ganz unberechenbare Ereignisse: „Der unberechenbare Kampf mit den 
dunklen Kräften der Natur“!) kann ihm nicht zugemutet werden. 

Die zivilrechtliche Haftung des Arztes beruht auf den Regeln 
des Dienstvertrages und den Bestimmungen über unerlaubte 
Handlungen. 

Uns interessieren hier hauptsächlich betreffs der privatrechtlichen Ver- 
antwortlichkeit für Kunstfehler die in dem Abschnitt über die unerlaubten 


1) Rabel, Die Haftpflicht des Arztes. Leipzig 1904. 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 125 
Handlungen festgesetzten Regeln. Wir müssen zunächst die Voraus- 
setzungen darlegen, an welche das B.G.B. die Verantwortlichkeit des Arztes 
knüpft. die Tatbestände, die vorliegen müssen, damit diese Verantwortlich- 
keit eintritt. Dann den Inhalt dieser Verantwortlichkeit selbst, d. h. die 
rechtlichen Folgen, die das Gesetz an den erfüllten Tatbestand knüpft. 
In Betracht kommen die grundlegenden Bestimmungen des $ 823 B.G.B.: 
‚Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, 
die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen wider- 
rechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden 
Schadens verpflichtet.“ 

Das Verschulden kann vorsätzlich oder fahrlässig sein ! 

Daß der Arzt für Vorsatz haftet, ist selbstverständlich und braucht 
Iier nicht näher ausgeführt zu werden. 

Über den Begriff der Fahrlässigkeit, der ja hier die Hauptrolle 
spielt, will ich mich hier beziehen auf ein Reichsgerichtsurteil (19. Februar 
1900). wo er definiert wird als die pflichtwidrige Außerachtlassung 
der durch die konkreten Umstände des einzelnen Falles ge- 
butenen Aufmerksamkeit, beideren Anwendung der eingetretene 
für den Täter vorhersehbare Erfolg sich hätte vermeiden lassen. 
Ein Beispiel. das bei Röntgenschädigungen hier öfters vorkommt: „Ist das 
Verlassen des Zimmers und das Alleinlassen des Patienten am Apparat 
eine derartige, pflichtwidrige Fahrlässigkeit? An sich erscheint es so und 
dieser Umstand wird häufig zu einer Umkehrung der Beweislast führen, 
d. h. jetzt wird der Arzt beweisen müssen, daß er sich so auf sein In- 
strumentarium verlassen konnte, daß nichts geschehen konnte, er wird 
nachweisen müssen, daß er den Patienten genügend instruiert hatte, dab 
er z. B. der Lampe nicht zu nahe kommen dürfe, daß er seine Stellung 
nicht verändern dürfe, ja daß der Patient unter Umständen auf das Um- 
schlagen der Lampe achten müsse. Er wird aber noch etwas nachweisen 
müssen und das wird meist sehr viel schwerer sein, er wird nämlich be- 
weisen müssen, daD er berechtigt war, den Patienten für so intelligent zu 
halten. daß er das alles verstanden hätte. Ich habe doch in mehreren 
Akten gesehen, daß manche Patienten diesen Einwand der Dummheit oder 
mangelnder Intelligenz für sich ziemlich unverblümt in Anspruch nahmen. 
Dummheit ist eine Gäbe Gottes, aber man soll sie nicht mißbrauchen, sagt 
ein schlesisches Sprichwort. Wir können uns aber nicht darauf verlassen, 
dab das nicht doch geschieht. Ich meine, das Unbeaufsichtigtlassen des 
Patienten ist stets eine schwere Gefahr für den Arzt. 

Als Fahrlässigkeit kennzeichnet sich sicher auch die Unkenntnis z. B. 
mit den Ergebnissen der Wissenschaft. Der Röntgentherapie betreibende 
Arzt (bei Röntgendiagnostik sind ja Schädigungen überhaupt seltener) muß 


126 Kirchberg, 


sich auf dem laufenden halten mit den Fortschritten der Röntgenwissen- 
schaft. Jeweilig nach den neuen Erfahrungen wird erhandeln: Schädigungen, 
die in der Literatur bekannt gemacht wurden, muß er kennen; Mittel und 
Vorkehrungen, die zur Abwehr derartiger Schädigungen dienen und bekannt 
gemacht werden, muß er auch kennen und eventuell anwenden. Das 
Unterlassen aller dieser Momente kann ihm als Fahrlässigkeit bei einer 
Schädigung eines Patienten ausgelegt werden und ihn haftbar machen; er 
darf z. B. nicht sagen, ich habe keine Zeit alle Fachzeitschriften zu lesen: 
treibt er Röntgentherapie, muß er auch Zeit finden, die entsprechende 
Literatur zu verfolgen, das ist ganz selbstverständlich. Natürlich braucht 
er nicht alle Fachzeitschriften zu lesen, aber eine spezielle Zeitung wird 
er wohl regelmäßig verfolgen müssen. Ich glaube gerade, daß dieser Punkt 
jetzt wieder sehr in Frage kommen kann, wo z. B. nach den letzten Aus- 
führungen Bumms (Berliner med. Gesellschaft, 7. Mai 1913) sich sicher 
wieder die Strahlentherapie noch mehr als bisher der Bekämpfung der 
malignen Tumoren zuwenden wird. | 

Der Arzt braucht sich der Fahrlässigkeit seines Handelns keineswegs 
bewußt gewesen zu sein, aber daß er die Möglichkeit des schädigenden 
Erfolges nicht kannte, die er „kennen mußte“, daß er nicht sah, 
was ein sorgfältigerer an seiner statt gesehen hätte, das macht 
ihn haftbar (Rabel a. a. 0.). Das wird z. B. in Betracht kommen, wenn 
ein Neuling am Röntgenapparat eine Schädigung erlebt, die einem Er- 
fahreneren nicht passiert wäre. Er kann sich nicht entschuldigen damit, 
daß er es nicht verstanden hätte. Es geht natürlich nicht, daß er hin- 
geht, sich einen Röntgenapparat kauft, sich ein Buch vornimmt, sich daraus 
instruiert, und nun losarbeitet. Zum Betriebe eines Röntgenapparates, 
namentlich zu therapeutischen Zwecken, ist selbstverständlich, wie für jede 
andere Disziplin, ein vorhergegangener systematischer Unterricht unbedingt 
nötig. Ich glaube wohl, daß die kurzfristigen, von den Fa- 
briken ausgehenden Einführungskurse da oft gefährlich sind 
und für den Arzt später bittere Lehren zur Folge haben können. 
‘Die Haftpflichtversicherungen, die ja doch schließlich die Leidtragenden 
sind, sollten sich bei der Versicherung davon überführen, ob die Betreffen- 
den genügend ausgebildet sind für den therapeutischen Röntgenbetrieb. ?) 


2) Ich stimme Alben-Schönberg durchaus zu, der an verschiedenen Stellen 
(s. z. B. sein Buch a. a. O. S. 286 usw.) seine Meinung dahin präzisiert, daß er die Aus- 
bildung in der Röntgentechnik den praktischen Ärzten im allgemeinen nicht anrät; 
es kann wohl unter Umständen Landärzten die Anschaffung von Apparaten empfohlen 
werden (wohl aber nur zur Röntgendiagnostik, nicht zur Röntgenthera- 
pie, die muß unter allen Umständen Sache der Röntgenspezialisten 
sein), in größeren Städten wird es wohl allmählich mehr und mehr dahin kommen, 
daß die Röntgentherapie absolute Spezialität wird und das mit Recht. 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 197: 


Der Arzt wird sich z. B. auch erkundigen müssen, ob schon vordem von 
anderer Seite bei dem betreffenden Patienten Röntgenbestrahlungen vor- 
genommen worden sind; der Patient kann nicht wissen, daß eine neue 
Röntgenbestrahlung auf dieselbe Gegend binnen einer bestimmten Zeit unter 
Umständen böse Folgen hat; der Arzt weiß es und darum muß er den 
Patienten fragen. Er kann nicht hinterher sagen, die Patienten hätten 
es sagen müssen, er muß danach fragen. 

Wir werden auf diesen Punkt der Fahrlässigkeit: „daß er nicht sah, 
was ein sorgfältigerer an seiner statt gesehen hätte“ noch einige Male bei 
Besprechung der Fälle zurückkommen. 

Außer diesen beiden ersten Grundlagen der Ersatzpflicht, also der 
Widerrechtlichkeit und des Verschuldens kommen nun weitere 
zwei Momente in Betracht: Es muß ein Schaden vorliegen und es muß 
ein Kausalzusammenhang bestehen zwischen dieser Schädigung 
des Patienten und dem schuldhaften, widerrechtlichen Ver- 
halten des Arztes. Dieser Punkt ist m. E. der wichtigste: Der Nach- 
weis des Kausalzusammenhangs zwischen dem schuldhaften, widerrechtlichen 
Verhalten des Arztes und dem erlittenen Schaden. 

So schwer dieser Beweis in der Regel bei anderen ärztlichen Kunst- 
fehlern zu erbringen ist — die Beweislast hat natürlich der Kläger — 
bei Röntgenschädigungen wird die Sache meist etwas einfacher liegen. Wie 
gesagt, eine Schädigung des Patienten genügt nicht, das schuldhafte 
widerrechtliche Verhalten des. Arztes und dieser erlittene 
Schaden müssen in einem Kausalzusammenhang stehen. Es 
genügt nach der bekannten Reichsgerichtsentscheidung vom 12. Januar 
1894, wenn sich nach dem regelmäßigen Gang der Dinge, wie er sich 
erfahrungsgemäß in den meisten Fällen zu gestalten pflegt, die Wahr- 
scheinlichkeit eines gewissen hypothetisch unterstellten Kau- 
salzusammenhanges ergibt, da für die Bewertung solcher hypothetischer 
Fragen eine absolute Sicherheit niemals und nirgends existiert. Diese 
Wahrscheinlichkeit des Kaudalzusammenhanges anzuerkennen nach dem 
vom Kläger beigebrachten Material und auf Grund der im Sach- 
verständigengutachten gegebenen Klarstellung ist der freien Beweiswürdi- 
sung des Richters überlassen. 

Über diese Sachverständigengutachten muß ich hier noch etwas 
sprechen: der gehörte Sachverständige kann nicht vorsichtig genug sein, 
objektiv zu urteilen; er soll nicht seine persönliche Ansicht, ob er in dem 
Fall anders geurteilt hätte, darlegen. Ein solches Gutachten soll kein 
subjektives Urteil über diese oder jene medizinische Richtung, keine Kritik 
einer anderen medizinischen Schule darstellen, der Universitätslehrer hat 
nicht zu sagen: in meiner Anstalt werden jedes Jahr 100 000 Bestrahlungen 


128 Kirchberg, 


vorgenommen, es kommen nie Schädigungen vor, also sind Röntgenschädi- 
gungen stets eine Fahrlässigkeit und vermeidbar. Diese Gutachterfeliler 
kommen sehr leicht vor; bei den jetzt studierten Röntgenschädigungenakten 
habe ich nicht so oft derartige Fehler gesehen, aber bei einer vor Jahren 
vorgenommenen größeren Durchsicht der Stuttgarter Kunstfehlerakten habe 
ich bei Kunstfehlern auf dem Gebiet der inneren Medizin diesen Fehler 
in Gutachten von Hochschullehrern sehr häufig gefunden. Da waren die 
(Gutachten der Gerichtsärzte fast immer objektiver und darum für den 
Beklagten meist günstiger. Ich muß das hier so scharf hervorheben, denn 
ein derartiges ungünstiges Urteil einer Autorität wird dann stets von der 
klagenden Partei außerdentlich ausgenützt und werden von der beklagten 
Seite nicht derartige Gutachten scharf genug zurückgewiesen, vielleicht 
darauf hingewiesen, daß wohl in einer Universitätsklinik, im Rahmen eines 
großen tadellos eingearbeiteten Apparates derartige Schädigungen nicht 
vorkommen dürfen, aber z. B. im Betrieb eines ganz kleinen Landkranken- 
hauses oder in der Privatpraxis, die Verhältnisse doch ganz anders liegen. 
so wird sich auch der Richter leicht dadurch bestimmen lassen. Auch 
der von der klagenden Partei genommene Gutachter hat gleich objektiv 
zu urteilen. Er ist nicht Partei, sondern Gutachter, wenn auch 
vom Kläger bezahlter; er hat nicht nur hervorzuheben, welcher Schaden 
angerichtet worden ist, er hat auch darzustellen, wie waren die Verhält- 
nisse vordem (das spielt z. B. bei den sogenannten kosmetischen Schädi- 
gungen eine sehr große Rolle). Jeder Gutachter hat sich die Frage vor- 
zulegen: ist hier überhaupt ein Schaden durch die Behandlung eingetreten, 
dann, war das Verhalten des beklagten Arztes geeignet, diesen nach- 
gewiesenen Schaden anzurichten, weiter, wie weit ist diese Schädigung 
zurückzuführen auf dieses Verhalten, wie weit bedingt durch die anderen 
besonderen Umstände des Falles und dann noch eine fast nie gestellte, 
aber für den Beklagten sehr wichtige Frage: wäre ohne das angeschuldigte 
Verhalten mit Wahrscheinlichkeit der Ausgang ein anderer, ein günstigerer 
gewesen. 

Dal} dieses Verhalten des Arztes die einzige Ursache des schädigenden 
Erfolges gewesen ist, ist natürlich nicht nötig, es genügt, daß darin eine 
den Gesamtablauf mitbestimmende Kausa zu sehen ist. Vor allem ist es 
nie Sache eines Sachverständigen oder Gutachters auf andere etwa vorge- 
kommene Fehler hinzuweisen, er hat nur zu begutachten, ob durch das 
„beschuldigte‘“ Verfahren die in Frage stehende Schädigung einge- 
treten ist. Auf alle diese Momente muß schon der Sachverständige achten. 
Sache des Rechtsbeistandes ist es, die Fragen dementsprechend zu formu- 
lieren. Nehmen wir ein Beispiel der Praxis: eine Frau hat sich das Ge- 
sicht bestrahlen lassen wegen lästigen Haarwuchses (Backen und Schnurr- 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 129 


bart), nun sind infolge einer Röntgendermatitis einige Narbenstränge ent- 
standen und zurückgeblieben, jetzt klagt die Frau wegen verminderter 
Heiratsaussichten und verlangt eine Rente, die ihr den Lebensunter- 
halt ersetzt. Das ist eine ganz ungeheuerliche Sache, denn erstens 
waren mit ihrem Bartwuchs zweifellos ihre Heiratsaussichten keinesfalls 
größer als mit den Narbensträngen, zweitens kann doch unter unseren 
heutigen Verhältnissen die Ehe nicht als Versorgungsinstitut für Mädchen, 
keinesfalls als einziges und wichtigstes angesehen werden. Auch auf diese 
Frage müssen wir noch öfters zurückkommen. Man muß hier alle Fragen 
billig abwägen. 

Vom kollegialärztlichen, wieallgemein menschlichen Stand- 
punkt haben wir darauf zu achten, daß keine Entschädigungen zur Aus- 
zahlung kommen, wenn nicht wirklich durch das ärztliche Handeln diese 
Schädigungen entstanden sind. Ob die Versicherungsgesellschaft nachher 
das Geld zu zahlen hat oder der Arzt, ist in dieser Hinsicht ganz gleich. 

Nehmen wir für die erwähnte Frage: „wieweit ist die fragliche Schädi- 
gung bedingt durch das fahrlässige Verhalten des Arztes, wieweit durch 
die anderen Umstände des Falles? oder wäre ohne das angeschuldigte Ver- 
halten des Arztes der Ausgang, der weitere Verlauf ein anderer gewesen?“ 
ein konkretes Beispiel (wie gesagt, es genügt nicht, daß der Arzt eine 
Fahrlässigkeit begangen hat, das kann ihn vielleicht strafrechtlich verfolg- 
bar machen, zivilrechtlich muß nachgewiesen werden, daß diese Fahr- 
lässiekeit wirklich den Schaden verursacht hat): eine Frau wird wegen 
Karzinomrezidive in der Brust bestrahlt, der Arzt geht bewußt so vor, 
daß er eine Reaktion haben will, es tritt eine starke Entzündung ein; 
gleichzeitig ist aber durch eine gewisse Unachtsamkeit des Arztes eine 
‚direkte Berührung der Patientin mit der heißen Röntgenröhre vorgekommen 
tatsächlicher Fall), sie hat sich eine Verbrennung an der Brust zugezogen. 
Die Karzinomknoten wachsen, brechen auf; die Patientin wußte, wie meist 
nicht, daB sie Krebs hatte. Es ergibt sich folgender für den Laien gar 
nicht zu entwirrender schwieriger, pathologischer Komplex: gewollte Röntgen- 
reaktion, Karzinomulzera, Röntgenröhrenbrandwunden. Nun verlangt Pa- 
tientin resp. ihr Rechtsanwalt, nach ihrem während des Prozesses dann 
an Krebs erfolgten Tode ihre Erben Ersatz für alle seitdem entstandenen 
Heil- und Pflegekosten. Durchaus mit Unrecht. Geben wir zu, dab 
die Brandwunden durch Fahrlässigkeit entstanden sind, weiter zugegeben, 
dab die Einrichtungen des Arztes nicht genügend waren, selbst angenommen, 
da ıhm nachgewiesen werden könnte, daß er von der Röntgentherapie 
nichts verstand, ja selbst noch angenommen (was natürlich nicht zutrifft. 
aber von dem klagenden Rechtsanwalt behauptet wurde), das Heilverfahren 
mit X-Strahlen wäre nicht sachgemäß, sondern durchaus fehlerhaft ge- 

Strahlentherapie Band III, Hett ı. 9 


130 Kirchberg, 


wesen, alles das könnte zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen: 
hier im Zivilprozeß kommt es aber darauf ‘gar nicht an, hier lautet die 
Frage ganz einfach: „Sind die eingeklagten Heil- und Pflegekosten durch 
die Röntgenverbrennung bedingt, resp. wieviel Kosten an Arzt, Medika- 
menten, Pflegepersonal usw. sind durch diese Röntgenbrandwunden ent- 
standen.“ Das kann natürlich in diesem Falle nur ein ganz geringer Pro- 
zentsatz gewesen sein, eine Erwerbsbeschränkung kann bei dem bestehen- 
den Allgemeinleiden durch die Röntgenverbrennung auch nicht angenommen 
werden. Es hätte von vornherein ein Schmerzensgeld in Frage kommen 
können, das war aber nicht verlangt worden. Es ergab sich also eine 
außerordentlich geringe, rechtlich zu begründende Forderung, der Ausgang 
war dann in der Tat auch so, daß anstelle der geforderten ca. 3000 M. 
an Heil- und Pflegekosten im Vergleichswege 600 M. angeboten und an- 
genommen wurden, eine Summe, die ich in Anbetracht der vorliegenden 
rechtlichen Verhältnisse noch für viel zu hoch halte. Das mag für den 
Außenstehenden, selbst für den Arzt, hart und grausam klingen, aber wir 
müssen uns hier genau, wie bei allen Unfallsforderungen, genau wie im ganzen 
Krankenkassenwesen absolut an die rechtlichen Tatsachen halten: 
wir haben kein Recht, auf Kosten anderer Leute, auf Kosten von Haft- 
pflichtgesellschaften, Unfallversicherungsgesellschaften, Staatsbehörden, oder 
worum es sich sonst handeln mag, Mitleid zu üben. Wir haben nur die 
Frage zu entscheiden, wieweit ist der Schaden durch die Fahr- 
lässigkeit bedingt, wieviel ist auf die anderen für den Patienten 
ungünstigen Momente des Falles zu rechnen. Das muß schon der 
Gutachter im Auge behalten; ich wiederhole nochmal, ihm ist die Frage 
vorzulegen: „Ist eine Röntgenschädigung entstanden, ist diese Schädigung 
entstanden durch eine Fahrlässigkeit des Arztes, wieweit ist der Fortgang 
oder der weitere Verlauf der durch die Röntgenschädigungen beim Patienten 
gesetzten pathologischen Veränderungen nicht etwa durch andere ungünstige 
Momente des Patienten (seine Krankheit, sein Verhalten, häusliche Ver- 
hältnisse usw.) bedingt”‘“ Das alles sind Fragen, die bei Röntgenschädi- 
sungen nur der Röntgentherapeut wird entscheiden können. Der be- 
handelnde Arzt, der ja meist auch als Gutachter von der klagenden Partei 
vorgeschlagen wird, wird, wenn er nicht selbst Röntgenspezialist ist, eigent- 
lich nur als sachverständiger Zeuge in Betracht kommen können. nicht 
als Gutachter. 

Ehe ich auf die weiteren juristischen Ausführungen eingehe, möchte 
ich hier gelegentlich der Besprechung der Gutachtertätigkeit noch einen 
Punkt kurz erwähnen: ich habe z. B. zu meinem Erstaunen in den Akten 
gesehen, daß manche Sachverständige die von ihnen geforderten Gut- 
achten erst auf mehrfache Mahnung. in einem Fall z. B. erst nach über 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 131 


5 Monaten erstatteten. Das müßte unter allen Umständen vermieden 
werden. Gutachten in einem Zivil- oder Strafprozeß gegen einen beschul- 
digten Kollegen können gar nicht schnell genug erstattet werden. Ganz 
abgesehen von der durch jeden schwebenden Prozeß bedingten Schädigung 
der Praxis, sind die psychischen durch die Aufregungen, Ärger usw. be- 
dingten Schädigungen im Verlaufe eines derartigen Prozesses für einen 
beschäftigten Arzt wirklich nichts gleichgültiges.. Das nur nebenbei. 

Wir haben also jetzt die Tatbestände besprochen, an die die privat- 
rechtliche Ersatzpflicht geknüpft ist. Der Inhalt der Ersatzpflicht, 
den wir bereits mehrfach erwähnt haben, wird bestimmt in den 
SS 812, 843, Abs. 1, 847, Abs. f, B.G.B. — $ 842 sagt: „Die Ver- 
pflichtung zum Schadenersatz wegen einer gegen die Person gerichteten 
unerlaubten Handlung erstreckt sich auf die Nachteile, welche die Hand- 
lung für den Erwerb oder das Fortkommen des Verletzten herbeiführt.“* 
Dieser Paragraph konstruiert also eine Haftpflicht nicht nur für die un- 
mittelbaren, sondern auch für die mittelbaren durch ärztliche Kunstfehler 
eingetretenen Nachteile. Die Leistungen des Ersatzes werden bestimmt 
zunächst durch $ 843, Abs. 1: „wird infolge einer Verletzung des Körpers 
oder der Gesundheit die Erwerbsfähigkeit des Verletzten aufgehoben oder 
gemindert, oder tritt eine Vermehrung seiner Bedürfnisse ein, so ist dem 
Verletzten durch Entrichtung einer Geldrente Schadensersatz zu leisten. 
Statt der Rente kann der Verletzte eine Abfindung in Kapital verlangen, 
wenn ein wichtiger Grund vorliegt“. Diese Geldrente ist nach den Be- 
stimmungen des & 760 stets im Voraus für 3 Monate zu entrichten. Ist 
durch den Kunstfehler der Tod herbeigeführt worden, so hat nach § 843 
der Arzt nicht nur die Beerdigungskosten zu ersetzen, sondern sogar, wenn 
der Verstorbene anderen Personen gegenüber unterhaltspflichtig war, und 
diese durch seinen Tod ihren Unterhalt verlieren, den dadurch entstandenen 
Schaden in Gestalt einer Geldrente resp. Kapitalsabfindung auszugleichen. 
Die enormen Konsequenzen, die sich aus diesen Paragraphen für einen 
Arzt ergeben können, machen ihm wahrlich den Beitritt zu einer 
Haftpflichtversicherung zu einer unbedingt nötigen Forderung. Eine einzige 
von ihm zu vertretende Fahrlässigkeit, vor der auch der Sorgsamste eigent- 
lich nicht immer sicher ist, kann ihn materiell für immer vernichten. 

Nach $ 847, Abs. 1: „Im Falle der Verletzung des Körpers oder der 
Gesundheit . . . . kann der Verletzte auch wegen des Schadens, der nicht 
Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen“ er- 
gibt sich, dal) Schadenersatz zu leisten ist auch für sogenannten immateriellen 
Schaden; das kommt z. B. in Betracht bei kosmetischen Entstellungen, 
Haarausfall, Verbrennung im Gesicht, auch wenn sie das bürgerliche Fort- 
kommen des Betreffenden nicht hindern. Der Rückgang einer Verlobung 

9%* 


132 Kirchberg, 


aus diesen Gründen kann Anlaß zur Anwendung dieses Paragraphen 
geben, ja er wird selbst herbeigezogen, wie wir oben schon gesehen haben, 
bei durch eine derartige Verunstaltung bedingtem Verlust auf die Aussicht 
einer Verlobung. Hier wird, wie ich oben schon erwähnte, der Gutachter 
nicht nur zu begutachten haben den momentanen Zustand des Gesichtes. 
sondern er wird versuchen müssen durch Vergleich mit Photographien 
usw. sich ein Bild zu machen von dem Zustand und Aussehen vor der 
Verletzung, ja er wird vielleicht sogar durch eine kurze allgemeine Beur- 
teilung der betreffenden Persönlichkeit, ein Urteil darüber abzugeben 
haben, ob nicht diese Röntgenschädigung nur ein ganz unbedeutendes 
kleines Moment darstellt neben vielen andern Momenten, um derentwegen 
diese Frauensperson bei der Heiratswahrscheinlichkeit schlecht abschneidet. 
Vielleicht wird er sich hier sehr vorsichtig und diplomatisch ausdrücken 
müssen, um sich nicht hinterher von Seiten der Klägerin oder ihren An- 
gehörigen Unannehmlichkeiten auszusetzen. Wenn z. B. eine 37jährige. 
bisher unvermählt gebliebene Dame wegen einer Röntgennarbenbildung im 
Gesicht, die entstanden ist anstelle eines früheren Feuermales, nun wegen 
verminderter Heiratsaussichten auf Mk. 10000 Schadenersatz klagt, so er- 
scheint das im ersten Moment so lächerlich, daß man nicht glaubt, dab 
sich hieran ein monatelang dauernder Prozeß mit all seinen Schädigungen 
und Aufregungen für den Arzt knüpfen könnte. Sagt der Gutachter hier 
einfach, auf der linken Backe ist eine fast zweimarkstückgroße weiße harte 
Narbe, die das Gesicht etwas nach links schief verzieht, so kann das für 
den Arzt recht ungünstig werden. Sagt er aber, diese Narbe ist getreten 
an die Stelle eines eben so großen blauroten Males, das im schroffen 
Gegensatz zu der sonst zart rosaweißen Haut der Patientin stand, so wird 
die Sache ganz anders. Wenn es ja auch vollständig Geschmacksache des 
einzelnen sein mag, vb er lieber ein 37 jährıges Mägdlein mit einer weißen 
Narbe oder mit einem Feuermal heiratet. 

Gerade bei diesen Schadenersatzklagen für immateriellen Schaden 
müssen alle anderen Gesichtspunkte ganz genau in Betracht gezogen werden. 
Für bestimmte Fälle kann dieser Paragraph, glaube ich, für den Röntgen- 
therapeuten aber sehr unliebsame Konsequenzen haben, das ist die unge- 
wollte Sterilisierung bei aus irgendeinem Grunde vorgenommenen Be- 
strahlungen des Unterleibes. Auch die Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen 
(potentia generandi), nicht nur die Beischlafsfähigkeit (potentia coeundi) ist 
ein so ungeheuer wichtiges Recht des Menschen, daß hier mit Recht fahr- 
lässige Schädigungen ganz außerordentlich hohe Entschädigungsforderungen 
nach sich ziehen können, ganz abgesehen von der strafrechtlichen Ver- 
folgung derartiger Fälle, von der ich später spreche. Ich gehe hier ab- 
sichtlich als nicht Röntgenspezialist gar nicht auf die Frage ein, wie weit 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 133 


sich durch geeignete Maßnahmen (Verwendung harter oder weicher Röhren, 
ganz kurzfristige Bestrahlungen, Abdeckungen usw.) sich die ungewollte 
Sterilisierung vermeiden läßt oder nicht. Der Röntgentherapeut, der aus 
irgend einem Grunde Bestrahlungen des Unterleibes vornimmt, muß stets 
über den zeitigen Stand der Kenntnis dieser Frage genau informiert sein, 
er muß hier bei der Röntgenbestrahlung genau so exakt und gewissenhaft 
sich die Frage der Möglichkeit der fahrlässigen Sterilisierung vorlegen, 
wie bei jeder anderen gynäkologischen Operation; er wird sich fragen 
müssen: 1. ist es möglich, daß meine Behandlung eine zeitweise oder 
dauernde Sterilisierung des betreffenden Patienten (es kann sich hier 
ebensogut um einen Mann bei einer Prostatabestrahlung, wie um eine Frau 
bei gynäkologischen Bestrahlungen handeln) zur Folge hat, 2. wenn ja, ist 
durch irgend eine andere Behandlungsmöglichkeit bei zu erwartendem 
gleich günstigem Erfolg, die Sterilisierung weniger wahrscheinlich. Wenn 
er diese zweite Frage glaubt bejahen zu können, so ist er meines Erachtens 
verpflichtet, dem Patienten das erste Verfahren nicht nur nicht zu em- 
pfelilen, sondern sogar zu verweigern. Denn meines Erachtens ist straf- 
wie zivilrechtlich kein Arzt berechtigt, bei einem Patienten, ohne absolute 
gesundheitliche Indikation eine dauernde Sterilisierung vorzunehmen, eine 
temporäre auch nur dann, wenn sie zur Zeit unbedingt nötig ist und 
jederzeit rückgängig gemacht werden kann. Diese letztere Möglichkeit be- 
steht wohl bei einigen gynäkologischen Operationsverfahren, aber meines 
Wissens nicht bei der Röntgensterilisierung. So wenig ich als Arzt be- 
rechtigt bin, allein aus sozialen Momenten einen Abort einzuleiten, so 
wenig bin ich auch selbstverständlich berechtigt, aus sozialen Momenten 
eine Sterilisierung herbeizuführen. Auch ein ausdrücklicher Revers 
des Patienten sichert den Arzt in diesem Falle weder vor straf- 
rechtlichen noch zivilrechtlichen Folgen. Meines Erachtens ist 
es ın allen diesen Fällen das zweckmäßigste, wenn der betreffende Arzt 
durch eine Konsultation mit einem andern Arzt und die genaueste Dar- 
lezung des Falles nebst Indikation in seinen Büchern sich in die Lage 
versetzt, auch dem Richter zu jeder Zeit beweisen zu können, dal) er 
nach sorgfältiger Überlegung, und nicht fahrlässig gehandelt hat. 

Auch zivilrechtlich kann eine derartige Sterilisierung selbst mit aus- 
drücklicher schriftlicher Einverständniserklärung des Patienten, hinterher 
noch sehr üble Folgen haben. Nehmen wir an ein Junger verheirateter 
Mann, der an Tuberkulose erkrankt ist, will. da er gehört hat, daß die 
Röntgenbestrahlung der Hoden nur die Fortpflanzungsfühigkeit, aber nicht 
die Beischlafsfähigkeit aufhebt, auf diese Weise durch Beschränkung der 
Kinderzahl sich und seine Familie sozial besser stellen und läßt sich darum 
bestrahlen (tatsächlich vorgekommene Fälle), meines Erachtens setzt sich 


134 Kirchberg, 


der Arzt hier zunächst einmal der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung 
wegen schwerer Körperverletzung aus, denn das Reichsgericht hat in 
konstanter Rechtsprechung (Entscheidungen in Strafsachen Band 2, S. 442. 
Bd. 6, S. 61, Bd. 25, S. 275, Bd. 28, S. 200ff.) die Anschauung ver- 
treten, daß auch die mit Einwilligung des Verletzten begangene Körper- 
verletzung strafbar ist, weil die Gesundheit zu den Gütern gehört, deren 
Erhaltung der Staat wegen ihres Wertes für die Gesamtheit fordern mub., 
auf die also nicht verzichtet werden kann. Man bedenke, der Patient 
gibt unter dem Einfluß seiner momentan bestehenden Erkrankung und 
kümmerlichen sozialen Lage seine Einwilligung zu diesem Vorgehen! Wie 
nun, wenn er später wieder gesund geworden ist, in bessere pekuniäre 
Verhältnisse gekommen ist, seine damals lebenden Kinder vielleicht tot 
sind und er sich jetzt wieder Kinder wünscht oder nochmal heiraten will. 
Jetzt kommt er erst zur Erkenntnis, was er damals getan hat. Da geht 
er hin und denunziert den Arzt, der Arzt wird einer strafrechtlichen Ver- 
urteilung nicht entgehen. Nicht genug damit, jetzt macht er eine Schaden- 
ersatzforderung gegen den Arzt geltend und klagt nach $ 847. Ich glaube, 
auch hier wird er ein obsiegendes Urteil erzielen und genau dasselbe ıst 
natürlich der Fall bei einer derartigen gewollten Sterilisierung einer noch 
in gebärfähigem Alter stehenden Frau. 

Man wird dagegen einwenden wollen, daß nach allgemeinen Prinzipien 
einem Beschädigten, der in die ihn beschädigende Handlung eingewillist 
hat, ein Schadenersatzanspruch doch unmöglich zustehen könne. Dem ist 
zu erwidern, daß der Schadenersatzanspruch durch die Einwilligung des 
Verletzten jedenfalls insoweit nicht ausgeschlossen wird, als die Handlung 
trotz der Einwilligung widerrechtlich, insbesondere strafbar bleibt. Komnit 
also ein derartiger Fall vor — daß trotz derartiger vorher ausgesprochener 
oder schriftlich gegebener Verzichte hinterher doch Schadenersatzansprüche 
vorkommen, das halte ich durchaus nicht für unwahrscheinlich, sondern 
im Gegenteil für recht wahrscheinlich; die wiederholten Aktenstudien und 
private Mitteilungen von Kollegen, die meinen Rat in Fällen angeblicher 
Kunstfehler eingeholt haben, haben meinen früheren Optimismus inbezug 
auf Dankbarkeit von Patienten usw. ziemlich zerstört: der Arzt muß sich 
jedenfalls, da er ja keinem Menschen von vornherein in die Seele schauen 
kann, auf jede Weise schützen — kommt also ein derartiger Fall vor. 
sagte ich, so wird es in der Regel so gehen, daß der Patient erst die 
Strafanzeige stellt — er selbst hat sich ja durch die Einwilligung zur 
Sterilisierung nicht strafbar gemacht —, um auf diese Weise die gesetzliche 
Bestätigung der Widerrechtlichkeit des ärztlichen Handelns zu erhalten 
und dann die Zivilklage damit begründet. Staudingers Kommentar zum 
Bürgerlichen Gesetzbuch 1910. S. 1601, sagt dazu weiter: Ob in der Ein- 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 135 


willigung ein im voraus erklärter Verzicht auf Ersatz des durch die ver- 
letzende Handlung entstehenden Schadens zu erblicken ist und ob ein 
solcher Verzicht etwa nach $ 134 oder 138 als nichtig zu erachten ist, 
kann nur nach Lage des einzelnen Falles entschieden werden. ($ 134 
B.G.B: „ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, 
ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“. $ 138: 
„ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt ist nichtig“.) 
Ganz anders wird diese Frage z. B. zu beurteilen sein bei Röntgen- 
oder Radiumbestrahlungen der weiblichen Genitalien wegen Karzinom. 
Auch hier wird sich der Arzt zunächst mal fragen, besteht Aussicht, dab 
durch ein operatives Verfahren ein gleich günstiger Ausgang zu erzielen 
ist. bei Wahrscheinlichkeit der Erhaltung der Geschlechtsfähigkeit. Ist 
das der Fall, so wird er, wie wir oben bereits sagten, dieses Verfahren 
wählen müssen. Denn, und damit will ich diese Frage hier auch gleich 
besprechen, wie in jedem anderen Falle, hat auch hier der Arzt, und 
zwar ebenso der Spezialarzt wie der praktische Arzt, die Verpflichtung, 
den Patienten aufzuklären über die verschiedenen möglichen Arten der 
Behandlung oder wenigstens, sich selbst darüber genau Rechenschaft zu 
geben, mit welchem Verfahren er am schonendsten für den Patienten die 
größten Heilungsaussichten hat. Die Röntgentherapie ist, wie jede 
andere Therapie, immer nur das Verfahren der Wahl.) Wenn 
anders nun aber durch eine Strahlentherapie eine Heilung erzielt wird 
unter völliger Erhaltung der Organe, die sonst nur möglich gewesen wäre 
durch operative. Entfernung dieser Organe, so kann die Patientin jetzt 
selbstverständlich nicht darum klagen, weil diese Handlung sie steril ge- 
macht hätte, sie kann jetzt hier nicht sagen, mein Unterleibsleiden ist wohl 
geheilt, aber ich bin steril, jetzt gib mir Ersatz dafür, sondern hier liegt 
die Rechtslage so, jedes andere Verfahren würde sie ebenfalls steril gemacht 
haben und war in seinen Heilungsaussichten auch nicht sicherer. Nach 
diesen Grundsätzen wird sich auch die Stellungnahme des Arztes bei der 
Frage der Anwendung der Strahlentherapie bei anderen ungefährlicheren 
Erkrankungen des Unterleibs zu richten haben (Myome, Menstruations- 
anomalien usw.). Besteht dabei die Gefahr der Sterilisierung, so muß er 





1) Ebermayer zitiert in „Rechtsfragen aus der ärztlichen Praxis‘ (Deutsche 
med. Wochenschr. 1913, Nr. 12) z. B. ein Reichsgerichtsurteil, in dem es heißt: ‚In 
Ermangelung einer abweichenden Vereinbarung wird der Arzt dadurch, daß der Er- 
krankte sich mit seiner bestimmten Art der Behandlung einverstanden erklärt oder 
sich sogar nur zum Zwecke einer solchen an den Arzt wendet, der Pflicht nicht über- 
hoben, die Richtigkeit dieser Behandlung im Einzelfall zu prüfen und wenn nach 
den Regeln der ärztlichen Wissenschaft ihre Erfolglosigkeit oder gar Schädlichkeit 
anzunehmen ist, sie aufzugeben oder wenigstens von ihr abzuraten.“ 


136 Kirchberg, 


sich fragen, komme ich nicht auf andere Weise ohne Schädigungen zum 
Ziele Der Wunsch der Patientin dabei kann, wie schon mehrfach gesagt, 
für den Arzt nicht maßgebend sein, ein Verfahren zu wählen, was durch 
ein anderes Verfahren zu ersetzen wäre, mit dem voraussichtlich keine 
Schädigung verbunden wäre. 

Daß auch die Röntgentherapie, wie gesagt, stets nur das Verfahren 
der Wahl sein kann, darüber spricht sich ein klägerischer Schriftsatz aus 
den mir zur Verfügung stehenden Akten recht gut wie folgt aus: „Zuge- 
geben werden kann zwar, daß der Arzt im allgemeinen in der Wahl 
zwischen mehreren gleichwertigen Mitteln frei ist, daß er auch nicht ge- 
halten sein kann, jeden Patienten unter allen Umständen auf die Möglich- 
keit schädlicher Nebenwirkungen eines Mittels hinzuweisen. Auf der 
andern Seite muß aber vom Arzt verlangt werden, daß er bei der Wahl 
zwischen zwei annähernd gleichwertigen Mitteln die Vorteile und Nachteile 
aus der Anwendung beider Mittel verständig abwägt. Wer anders wie der 
Arzt soll denn zu solcher Abwägung berufen sein? Der Patient kennt 
doch die Wirkung der einzelnen Mittel nicht. Er verläßt sich auf den 
Arzt. Wenn nun der Patient mit einem unbedeutenden gefahrlosen Ekzem 
zum Arzt kommt, dessen Heilung durch Anwendung von Salben in wenigen 
Wochen möglich ist, und wenn andererseits die eigene Behauptung des 
Beklagten richtig ist, daß Hautverbrennungen infolge Röntgenbestrahlung 
aus den verschiedensten Ursachen, namentlich bei besonderer Disposition 
der betreffenden Patienten, nicht selten eintreten, muß dann nicht vom 
Arzte verlangt werden, daß er die Wirkungen der einzelnen Mittel gegen- 
einander abwägt und bei Bekämpfung einer ganz unbedeutenden Krankheit 
nicht ein Mittel anwendet, von dem er selbst weiß, daß es aus den ver- 
schiedensten Ursachen, namentlich bei besonderer Disposition der Patientin 
nicht selten Hautverbrennungen hervorruft? Muß solche Verpflichtung 
nicht in erhöhtem Maße eintreten, wenn die Patientin sich behufs Heilung 
ihres ganz unbedeutenden Leidens nicht an einen praktischen Arzt, sondern 
an einen Spezialarzt für Hautleiden wendet, welcher durch die öffentliche 
Bezeichnung als Spezialarzt dem Publikum die Gewähr dafür zu bieten 
verspricht, daß alle für die Behandlung und Heilung maßgebenden Fak- 
toren bei ihm auf Grund besonders hoher Sachkunde zur Erwägung und 
eventuellen Anwendung kommen werden? Darf sich solcher Spezialarzt 
damit entschuldigen, die Röntgenbestrahlung sei auch ein von der ärzt- 
lichen Kunst anerkanntes Mittel, sie sei lege artis angewandt, und wenn 
sie schädliche Folgen gehabt habe, so könne er nichts dafür, weil solche 
Folsen eben nicht selten auch ohne Schuld des Arztes eintreten? Er 
- kann es nicht. Denn eben darin, dab er die für ihn selbst als naheliegend 
erkennbaren und erkannten Folgen voraussieht und erwägt, ob die Mög- 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 137 


lichkeit solcher Folgeerscheinungen im Verhältnis zu der ganz unbedeutenden 
Erkrankung steht, liegt ein wesentlicher Teil der ärztlichen und insbesondere 
doch erst der spezialärztlichen Kunst. Denn in der ordnungsmäßigen 
Anwendung eines an sich möglichen Mittels erschöpft sich die ärztliche 
Kunst nicht. Ihr wichtigster Teil liegt gerade vor der Anwendung des 
Mittels und besteht zum erheblichen Teile in der Erwägung darüber, 
welches von mehreren Mitteln unter den vorliegenden Umständen das ge- 
botene ist.“ 

Ich stimme dem vollständig bei, daß es ein vertretbares Maß von 
Fahrlässigkeit bedeutet, wenn der Arzt sich nicht die verschiedenen mög- 
lichen Behandlungsmethoden klarmacht, sondern die ihm vielleicht als 
Spezialarzt grade gutliegende Therapie anwendet, obwohl er mit einer 
anderen Therapie sicherer zum Ziel gekommen wäre. Auch heute noch 
gilt der alte Grundsatz, daß es für den Arzt erstes Erfordernis ist, die 
Heilung des Patienten „cito, tuto et jucunde“ zu erreichen. 

Für die Abschätzung des Schadens ist es weiter von großer 
Wichtigkeit, festzustellen, ob und inwieweit auch in dem Verhalten des 
Kranken ein Verschulden zu sehen ist. Nach $ 254, B.G.B.: „Hat bei 
der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mit- 
gewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatze, sowie der Umfang 
des zu leistenden Ersatzes von den Umständen insbesondere davon 
ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem 
andern Teile verursacht worden ist“ wird u. U. der Schaden nur zum 
Teil von dem Arzt zu tragen sein. Auch der zweite Teil dieses Para- 
graphen: „Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Be- 
schädigten darauf beschränkt, daß er unterlassen hat, den Schuldner auf 
die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, 
die der Schuldner weder kannte noch kennen mußte, oder daß er unter- 
lassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern“ wird u. U. 
für die Abschätzung des zu leistenden Schadenersatzes von ganz erheb- 
licher Wichtigkeit sein. Ein Beispiel zu dem ersten Teil. Bei einer 
Röntgenbestrahlung des Gesichts einer Patientin wegen lästigen Bart- 
wuchses macht die Patientin hinterher wegen einer leichten Narbenbildung 
sınz außerordentlich hohe Schadenersatzansprüche, indem sie verlangt, daß 
ihr als zur Zeit gut bezahlten Schauspielerin eine lebenslängliche Rente in 
Höhe ihres momentanen Einkommens bezahlt wird. Sie hat nicht gesagt, 
dal sie Schauspielerin ist, der Arzt ist m. E. nicht verpflichtet, sehon 
sicher bei einer Dame nicht, nach dem Beruf zu fragen und darum könnte 
hier. wenn es überhaupt zu einer Schadenersatzpflicht kommt, nur der all- 
semeine Schaden, den eine nicht im Berufsleben stehende Dame bei einer 
derartigen Narbe haben würde, zu ersetzen sein. Ein Beispiel zu dem 


135 Kirchberg, 


zweiten Teil des Paragraphen. Hat der durch das ärztliche Handeln an- 
geblich Geschädigte es unterlassen, rechtzeitig, d. h. sobald er den Schaden 
bemerkt hat, ärztliche Hilfe zu nehmen, oder hat er sich der weiteren ärzt- 
lichen Behandlung entzogen, so tritt die durch diesen Paragraphen gewähr- 
leistete mehr oder minder vollkommene Entschuldung des Arztes ın Kraft. 
Grade bei Röntgenschädigungen, bei Ekzemen und ähnlichen Sachen ist 
es für den weiteren Fortgang des Leidens von ganz ungeheurer Wichtigkeit. 
ob hier sofort beim Auftreten der Röntgenschädigungen sachgemäß, ertl. 
energisch genug eingegriffen wird oder nicht. Wenn z. B. bei Röntgen- 
rhagaden oder Röntgenulzerationen an den Fingern der die Schädigung ver- 
schuldende Arzt dem Patienten dringend rät, sich diese Partien, wenn 
sie nach einer bestimmten Zeit nicht heilen. exzidieren und die Defekte 
nach Thiersch decken zu lassen und der Patient tut es nicht, nachher 
entwickelt sich ein Kankroid an diesen Stellen, so haftet der Arzt nicht 
für dieses Kankroid, sondern nur für die ersten Schädigungen. Der Arzt 
ist meines Erachtens nur haftbar für den Schaden, der auch bei sach- 
gemäßer, sofortiger Behandlung eingetreten und zurückgeblieben wäre. 
Beide Momente, die in diesem Paragraphen 254 ganz außerordentlich zur 
Herabminderung der Ersatzptlicht des Arztes dienen könnten, sind nach 
meiner Überzeugung in den von mir studierten Schadenfällen viel zu wenig 
zur Würdigung gekommen. Ich betone nochmal, daß ich auf dem Stand- 
punkt stehe, daß jede, im Verhältnis zu dem Schaden und zu dem Ver- 
halten des Geschädigten zu hohe Entschädigung demoralisierend auf diesen 
Patienten und alle die, welche von dieser Entschädigung Kenntnis be- 
kommen, wirkt, ganz abgeschen davon, dab sie das allgemeine Verhältnis 
zwischen Patient und Arzt noch mehr herabwürdigt. Darum betone ich 
auch immer wieder, daß es die Pflicht des Arztes und seines Rechtsbei- 
standes ist, sich auf keinen Vergleich mit dem Geschädigten einzulassen, 
wenn nicht wirklich alle die erwähnten ihn belastenden Momente wirklich 
vorhanden sind und er darf den Prozeß nicht scheuen, solange er Aus- 
sicht hat, ihn zu gewinnen. Ein gütlicher Vergleich wirkt in den Augen 
des Publikums genau so ungünstig, wenn nicht ungünstiger, wie ein ver- 
lorener Prozeß. in dem doch wenigstens alle den Arzt exkulpierenden 
Momente zur Sprache gekommen sind. 

Kurz erwähnen möchte ich noch eine Art von Kunstfehlern, die dem 
Röntgenarzt wie jedem anderen Spezialarzt passieren können: wenn er 
nämlich auf Grund einer falschen, von einem anderen Arzt ge- 
stellten Diagnose bei einem ihm von diesem Arzt zur Behandlung 
überwiesenen Patienten nun die für die betreffende Diagnose richtige. für 
den Fall aber falsche Behandlung einleitet. Wer haftet dann? Nehmen 
wir an, der betreffende Arzt diagnostiziert ein Myom. es handelt sich um 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 139 


beginnende Gravidität. er überweist die Patientin einem Röntgenspezialisten 
zur Bestrahlung, diese erfolgt, es tritt Abort ein, in dessen Verlauf die 
Patientin schwer erkrankt. An wen wird sie sich halten? In diesem Fall 
sind straf- wie zivilrechtlich beide haftbar, der Röntgenarzt ist als 
Arzt wie jeder Spezialarzt verpflichtet zur Nachprüfung jeder 
Diagnose und zur Prüfung der Frage, ob der Fall sich für die 
betreffende Behandlung eignet oder nicht. Er kann sich nicht 
damit entschuldigen, daß ihm vielleicht eine erste Autorität gesagt hätte, 
es wäre das und das, er ist in erster Linie Arzt und muß darum seine 
Diagnose selbst noch einmal stellen, sonst macht er den von einem anderen 
Arzt gemachten Fehler zu seinem eigenen und haftet wie dieser und mit 
diesem gemeinsam als Gesamtschuldner. Das ist meines Erachtens eine 
sehr wichtige und den meisten Ärzten durchaus nicht bekannte Tatsache. 
Rücksicht auf kollegiale Empfindlichkeit des überweisenden Arztes kann 
hier gar nicht in Betracht kommen gegenüber den möglichen sehr un- 
angenehmen rechtlichen Konsequenzen. 

Ob an sich eine falsche Diagnose haftbar macht, richtet 
sich natürlich nach den oben besprochenen allgemeinen Grundsätzen der 
fahrlässigen Handlungen, ich erinnere an die Worte der pflichtwidrigen 
Außerachtlassung der durch die konkreten Umstände des ein- 
zelnen Falles gebotenen Aufmerksamkeit, und daß es für den 
Begritf der Fahrlässigkeit des Arztes genügt, „daß er nicht sah, was ein 
Sursfültigerer an seiner statt gesehen hätte“. 


Haftung für die Angestellten. 


Neben die Haftung für seine eigenen Handlungen tritt in gleichem 
Sinne die für die Handlungen seiner Assistenten und Angestellten. Da- 
rüber sagt $ 831 B.G.B.: ‚Wer einen anderen zu einer Verrichtung be- 
stellt. ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Aus- 
führung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt.‘‘ Von dieser 
Haftung wird er nur befreit, wenn er beweist, daß er bei der Auswahl 
der bestellen Person die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat; 
der Arzt muß also beweisen, daß er bei der Bestellung des Assis- 
tenten zu diesen Verrichtungen berechtigten Grund hatte anzunehmen, dab 
derselbe hinreichend vertraut mit den Gefahren und sorgfältig und vor- 
sichtig in seinem Vorgehen sein würde. Assistenten und Gehilfen haften 
dann nach denselben Grundsätzen, wie der behandelnde Arzt selber. Der 
Röntsenarzt wird sich also zunächst durch Prüfung der Vorbildung und 
eirene Beobachtung davon zu überzeugen haben, daß seine Angestellten 
wirklich Bescheid wissen mit den allgemeinen Grundsätzen des Röntgen- 
betriebes und auch mit den in seinem eigenen Betrieb nun z. B. an- 


140 Kirchberg, 


gebrachten Schutzvorrichtungen; es ist keine Entschuldigung für ihn, wenn 
die Röntgengehülfin bei einem Unfall dann sagt, ja ich habe es früher in 
meiner anderen Stellung immer so gemacht, da ist nie etwas passiert, mit 
den Apparaten hier wußte ich nicht so Bescheid; der Arzt muß sich über- 
zeugen, dal) sie versteht mit seinen Apparaten und entsprechend seinen 
Anordnungen zu arbeiten. Diese Frage, ob der Röntgenarzt berechtigt 
war, sich auf die angestellte Röntgenassistentin, wie es meist üblich ist, zu 
verlassen inbezug auf das Einstellen und Abstellen der Röntgengeröhre, 
Bedienung der Schutzapparate usw. kehrt in den meisten der Röntgen- 
schadenprozesse wieder. 

Ich glaube also, der Röntgenarzt wird gut tun, mit seiner Assistentin 
bei dem Engagement in dem schriftlichen Anstellungsvertrag (dab so viele 
Ärzte ihr Hilfspersonal noch ohne schriftlichen Vertrag, nur auf mündliche 
Abmachung ohne genaue schriftliche Abgrenzung der gegenseitigen Rechte 
und Pflichten annehmen, ist auch ein Zeichen der Weltunklugheit dieser 
Leute) sich bescheinigen zu lassen, wo sie ausgebildet ist, ob sie schon 
irgendwo, und wie lange selbständig die Apparate bedient hat, daß sie zu- 
gibt, von ihm selbst in den Betrieb seiner speziellen Arbeitsart eingeführt 
zu sein usw. Dann muß er sich in seinem Haftpflichtvertrag davon über- 
zeugen, ob er für diese Angestellten und in welcher Höhe und in welchem 
Umfang mitversichert ist. Er muß sich überzeugen, ob seine ärztlichen 
Angestellten mitversichert sind und wie es mit der Zeit der Vertretung 
steht. Dann ändert sich die Sache nämlich etwas. Ich glaube, daß die 
Haftptlichtversicherung Schwierigkeiten machen kann, wenn in der Zeit 
der selbständigen Vertretung des Chefarztes durch den Assistenten ein 
Schadensfall vorkommt, dann kann die Versicherung sagen, er war nur als 
Assistent versichert, in der Zeit der Vertretung, z. B. in den Ferien, ıst 
er nicht Assistent, sondern selbständiger Leiter mit eigener Verantwortlich- 
keit. Das geht also ebenso den Chef wie den als Vertreter fungierenden 
Assissenten an; ist das nicht extra im Haftpflichtvertrag ausgemacht, so 
soll sich der Röntgenarzt das extra hineinsetzen lassen. Ich halte auch 
diese Frage für sehr wesentlich. 


Il. Strafrechtliche Haftung für Röntgenschädigungen. 
Die strafrechtliche Beurteilung ärztlicher Kunstfehler erfolgt nach den 
Paragraphen über fahrlässige Körperverletzung $ 230, 232 und 222 St.G.B. 
Es kann unter Umständen auch der Fall eintreten. dab hier die Paragraphen 
über vorsätzliche Körperverletzung zur Anwendung kommen, wie in den 
obenerwähnten Fällen der bewußt vorgenommenen Sterilisierung eines 
Menschen durch Röntgenstrahlen. Dieser Fall wäre zu beurteilen nach 


s 224 St.@.B.: „Hat die Körperverletzung zur Folge, daß der Verletzte 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 141 


ein wichtiges Glied des Körpers usw. usw. oder die Zeugungsfähigkeit 
verliert, . . . so ist auf Zuchthaus bis zu 5 Jahren oder Gefängnis nicht 
unter einem Jahr zu erkennen.“ Ich kann auf die gewaltige, von Juristen 
und Medizinern verfaßte Literatur hier nicht eingehen, die sich an die 
Frage knüpft, warum eine ärztliche Operation oder ein ärztlicher Eingriff, 
die nach dem Wortlaut des Gesetzes sich stets als strafbare Körperverletzungen 
darstellen, keine solchen sein sollen. Wie wir uns auch die rechtliche 
Erklärung für diesen Fall denken können, wir müssen uns dessen stets 
bewußt sein, daß, falls wir einen Eingriff bei einen Patienten machen 
wollen, wir stets ein Recht zu diesem Eingriff haben müssen, wollen wir 
uns nicht mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt bringen. In der Regel wird 
man dieses Recht nehmen aus der Einwilligung des Patienten mit den oben 
gemachten Einschränkungen, resp. aus der Einwilligung der Angehörigen. 
Wir müssen nochmal zurückkommen auf die Frage der Sterilisierung. 
Unter allen Umständen wird sich die Sterilisierung einer Frau ohne ihren 
Willen oder gar gegen ihren Willen als schwere Körperverletzung im Sinne 
des $ 224 darstellen und zu den genannten außerordentlich schweren Folgen 
für den Arzt führen können. Die Einwilligung oder der Wunsch des Ehe- 
mannes ändert natürlich an dieser Beurteilung absolut nichts. Der Arzt 
darf also, selbst bei bester Absicht, um z. B. eine Frau vor weiteren 
Schwangerschaften zu bewahren oder aus einem sonstigen Grunde bei ihr 
keine sterilisierende Operation vornehmen, wenn er nicht ihre ausdrückliche 
Einwilligung dazu hat. Nimmt also der Röntgenarzt bei einer Frau die 
Sterilisierung selbst mit Wissen und Einverständnis des Ehemanns, aber 
ohne Wissen und ohne ausdrückliche Einwilligung der Frau vor, so ist das 
bewußte schwere Körperverletzung; erfolgt die Sterilisierung gelegentlich 
anderer Bestrahlungen des Unterleibs, z. B. wegen einer Myombestrahlung 
usw. so ist das eine fahrlässige Körperverletzung und hier wird, wie oben 
gesagt, der Arzt genau alle Umstände abwägen müssen, ehe er ein Ver- 
fahren wählt, das derartige Folgen haben kann. Hier steht ein derartiges 
Verfahren in seiner rechtlichen Beurteilung, z. B. der Exstirpation des 
Uterus und ähnlichen Operationen absolut gleich. 

Die fahrlässigen Körperverletzungen werden, wie gesagt, zu- 
nächst bedroht durch $ 230: „Wer durch Fahrlässigkeit die Körperver- 
letzung eines anderen verursacht, wird zu Geldstrafe bis zu M. 900 oder 
Gefängnisstrafe bis zu 2 Jahren bestraft‘‘ mit dem Zusatz 2, der natürlich 
für Ärzte zutrifft: „war der Täter zu der Aufmerksamkeit, welche er aus 
den Augen setzte, vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders 
verpflichtet, so kann die Strafe auf 3 Jahre Gefängnis erhöht werden.“ 
Dazu kommt $ 232: „die Verfolgung leichter vorsätzlicher sowie aller durch 
Fahrlässigkeit verursachten Körperverletzungen tritt nur auf Antrag ein, Inso- 


142 Kirchberg, 


fern nicht die Körperverletzung mit Übertretung einer Amts-, Berufs- oder 
Gewerbepflicht begangen wird.‘ Wir haben also hier zwei erschwerende 
Momente bei der Beurteilung des ärztlichen Handelns, es wird erstens stets 
als Verletzung der Berufspflicht mit schwererer Strafe bedroht und dann 
ist, selbst wenn die Körperverletzung eine leichte war, kein Antrag der 
Verletzten zum Einschreiten der Staatsanwaltschaft nötig, sondern die 
Staatsanwaltschaft ist, wenn sie Kenntnis von der Sachlage bekommt, ex 
officio zum Einschreiten verpflichtet. Der Fall des $ 222: „wer durch 
Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Gefängnis 
bis zu 3 Jahren bestraft‘, wird wohl, obwohl es an sich denkbar ist, bei 
Röntgenschädigungen selten eintreten. Ich denke hier z. B. an ein 
Röntgenulkus bei einem Diabetiker, das doch wohl mal zu einem un- 
günstigen Ausgang führen kann. Es kommt also zu den obenerwähnten 
Pflichten des Röntgenarztes als Allgemeinarzt betreffs der Wahl des Ver- 
fahrens auch hier wieder die dazu, daß er sich über den Allgemeinzustand 
des Patienten informiert, ehe er eine Behandlung vornimmt, die u. T. durch 
eine andere ungefährlichere ersetzt werden könnte. Der Begriff der Fahr- 
lässigkeit wird in einem Urteil des Reichsgerichts vom 19. Februar 1900 
definiert als die pflichtwidrige Außerachtlassung der durch die konkreten 
Umstände des einzelnen Falles gebotenen Aufmerksamkeit, bei deren An- 
wendung der eingetretene, für den Täter vorhersehbare Erfolg sich hätte 
vermeiden lassen. Also: Man mußte den schädigenden Erfolg, der stets 
die Vorbedingung der Strafbarkeit sein muß, bei genügender Vorsicht vor- 
aussehen können. Der Arzt braucht sich der Fahrlässigkeit seines Han- 
delns keineswegs bewußt gewesen zu sein. Hat außer dem Arzt der Ver- 
letzte selbst oder seine Umgebung fahrlässig gehandelt, so wird die Schuld 
des Arztes doch nicht ausgeschlossen, falls sein Handeln als mitbestimmende 
Ursache für den Erfolg in Frage kommt. Bei der angeblichen Gesundheits- 
schädigung durch das ärztliche Handeln muß nun zunächst bewiesen werden, 
daß dieses Handeln eine Gesundheitsbeschädigung herbeigeführt hat; die 
falsche Diagnose oder die falsche Behandlung allein genügt nicht zur straf- 
rechtlichen Verurteilung. Zivil- und Strafrecht stehen sich hier nicht gleich. 
Behandelt man einen Patienten auf Grund einer falschen Diagnose oder 
mit fehlerhafter Behandlung unrichtig, ohne daß man ihm dabei schadet. 
so kann doch dabei eine zivilrechtliche Ersatzpflicht unter Umständen kon- 
struiert werden (Versäumnis der Zeit zur rechtzeitigen Heilung. Zeitver- 
säumnis überhaupt, entgangener Gewinn aus Tätigkeit und Beruf usw.). 
Strafrechtliche Folgen kann das ärztliche Handeln nur dann haben, wenn 
wirklich dadurch eine Beschädigung des Patienten eingetreten ist. Auch 
die Verschlimmerung einer Krankheit durch mangelhafte Behandlung 
charakterisiert sich als fahrlässige Körperverletzung, denn weder $ 230 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 143 


noch 223 setzen einen normalen Gesundheitszustand voraus, natürlich dann 
nicht, wenn diese Verschlimmerung in irgendeiner Weise zunächst ein 
beabsichtigter Erfolg ist. Wenn der Röntgentherapeut z. B. zur wirksamen 
Beeinflussung tiefer sitzender Tumoren eine Röntgendosierung anwendet, 
die dabei gleichzeitig eine Röntgendermatitis hervorruft und dabei wird 
vielleicht eine gleichzeitig bestehende, von einem anderen Krebsknoten aus- 
gehende Ulzeration ungünstig beeinflußt, so ist das keine fahrlässige Körper- 
verletzung, wenn der Arzt bewußt nach einem bestimmten Plan dabei vor- 
gegangen ist. Er kann sich sagen, die oberflächlichen Exulzerationen und 
die Dermatitis sind hier das leichtere Übel, die Gefahr liegt in den tiefen 
Knoten, kann ich die wirksam beeinflussen, so rette ich vielleicht das 
Leben des Patienten oder verbessere sein Befinden jedenfalls für längere 
Zeit, die oberflächlichen Veränderungen bekomme ich dann schon noch 
weg. Hier wird für die Beurteilung derartiger, nebeneinander herlaufender 
verschiedener pathologischer Prozesse stets nur der Röntgenspezialist ein 
wirklich brauchbares Gutachten abgeben können, der Patient, namentlich 
wenn er nicht über die Natur seines Leidens aufgeklärt ist, wird nur zu 
leicht geneigt sein, eine etwaige Verschlimmerung seines Leidens, das 
allein ın der Natur des Leidens begründet ist, dann auf die Behandlung 
zurückzuführen, weil er hier im unmittelbaren Anschluß an die Behandlung 
eine äußere Veränderung seines Körpers wahrgenommen hat. Hier wird 
der Hausarzt, resp. der belandelnde Arzt, außerordentlich vorsichtig in 
seinen Äußerungen sein müssen, um nicht diesen Glauben in dem Patienten 
zu bestärken oder gar hervorzurufen. Gerade jetzt, wo wir die Aussicht 
haben, durch die Strahlentherapie doch in manchen Fällen ein nicht mehr 
operabeles Karzinom günstig zu beeinflussen, unter Umständen in ein 
operabeles zurückzuführen, werden natürlich auch die Fälle sich mehren, 
wo das Verfahren zunächst mal nicht von Erfolg begleitet ist. Da muß 
der Röntgenarzt, der diesen mühsamen und beschwerlichen Weg geht, ge- 
schützt sein vor zivil- und strafrechtlichen Unannehmlichkeiten; dabei muß 
ihm der behandelnde Arzt helfen. Ich erwähne das gerade hier so aus- 
führlich, weil ich hier wie in meinen früheren Aktenstudien immer wieder 
gesehen sabe, daß unvorsichtige Äußerungen von Kollegen der erste An- 
lab zu einem zivil- resp. strafrechtlichen Vorgehen gegen den Arzt wurden. 
Jeder Prozeß gegen einen Arzt schädigt das Ansehen des gesamten Ärzte- 
standes und so lange nicht ein Arzt wirklich davon überzeugt ist, daß 
seitens eines anderen Kollegen wirklich eine vertretbare Fahrlässigkeit vor- 
liegt. kann er den Patienten gegenüber nicht vorsichtig genug sein. Im 
Gegensatz zu den eben erwähnten zivilrechtlichen Folgen der ärztlichen 
Tätigkeit, ist nun zur strafrechtlichen Verfolgung notwendig wirklich eine 
Schädigung des Patienten, sonst kann man in der Hinsicht das unsinnigste 


144 Kirchberg, 


Verfahren mit einem Kranken anstellen, wenn man ihm nicht schadet. ıst 
man strafrechtlich nicht bedroht. 


II. Schutz des Röntgenarztes vor zivil- und strafrechtlicher 
Verfolgung. 


Der beste Schutz gegen ungerechte Angriffe und Schadensersatzan- 
sprüche ist zunächst mal neben sorgfältiger Arbeit die peinlich genaue 
Führung der ärztlichen Tagebücher: Eintragung zunächst des Allgemein- 
befundes, um stets nachweisen zu können, daß man auch den Allgemein- 
zustand genügend berücksichtigt hat und warum gerade dieses Verfahren 
gewählt wurde. Dann muß sich aus den Büchern der Nachweis führen 
lassen, wie oft die Bestrahlungen vorgenommen worden sind, wie lange sie 
jedesmal gedauert haben, der Zustand der Röhren, die Dosierung mul 
notiert werden; die Notwendigkeit dieser manchen etwas unbequemen 
“Forderungen ergibt sich doch mit Sicherheit aus den Akten. 

Vor pekuniären Schädigungen durch zivilrechtliche Klage kann man 
sich allein schützen durch eine wirklich umfassende Haftpflichtversicherung. 
Man muß den Vertrag aber auch wirklich durchstudieren, verlangt man 
nachher von der Versicherung einen Ersatz, der oft viele Tausende be- 
trägt, so kann man sich schon der kleinen Mühe unterziehen, erst mal 
seinen Vertrag gründlich durchzuarbeiten, ehe man dann hinterher, wie 
ich das auch aus den Akten ersehen habe, der Versicherung den Vorwurf 
der Unkulanz macht, weil sie für etwas keine Deckung übernehmen will, 
was sie nicht versichert hat. Natürlich muß der Röntgenarzt sein Personal 
init versichern, seine Assistenten wie seine Röntgengehilfinnen. Vielleicht 
wird es sich empfehlen, da doch natürlich kolossal viel von dem Zustand 
des Materials abhängt, die Fabriken der Röntgeneinrichtungen namentlich 
der Röhren eine gewisse Garantie übernehmen zu lassen für das gleich- 
mäßige Arbeiten. Wieweit das bis jetzt schon geschieht, entzieht sich 
meiner Kenntnis. Daß der Röntgenarzt die derzeit üblichen Schutzvor- 
richtungen stets kennen muß wie den Stand der Wissenschaft, ob vielleicht 
ein bestimmtes Verfahren wegen bekannt gewordener Schädigungen oder 
Unwirksamkeit nicht empfehlenswert ist, habe ich oben schon erwähnt. 
Der Beitritt zu einer Haftpflichtversicherung ist nicht nur wegen der 
Übernahme einer etwa zu zahlenden Schädigung von so ungeheuer großer 
Wichtigkeit, denn es handelt sich wirklich oft um Summen, die den Arzt 
sonst einfach ruinieren würden, sondern sie bietet auch den Vorteil, daß 
die Haftpflichtversicherung die Prozeßhandlung völlig in die Hand nimmt 
und den Arzt dadurch, dab er die Sache in geeigneter Hand weiß, da ja 
diese Gesellschaften stets eingearbeitete Vertreter und Rechtsanwälte haben. 
vor den mit der Führung eines solchen Prozesses verbundenen Aufregungen 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 145 


bewahrt. Er muß sich natürlich einen gewissen Einfluß auf den Gang 
des Verfahrens wahren, betreffs der Wahl der Sachverständigen und Gut- 
achter sehr vorsichtig sein und dann soll er meines Erachtens, wie schon 
mehrfach gesagt, keinesfalls auf einen Vergleich hindrängen, so lange die 
Aussicht besteht, daß er Recht behält. So kulant wenigstens die Stutt- 
garter Versicherungsgesellschaft (von den anderen kenne ich den Gang 
des Verfahrens nicht, kann also nichts über ihr Verhalten sagen), in dem 
Abschließen von Vergleichen ist, ich halte dafür, daß man unter allen 
Umständen, wenn man nicht überzeugt ist, daß man fahrlässig gehan- 
delt hat und daß diese Fahrlässigkeit die in Klage stehenden Folgen 
auch wirklich verschuldet hat, keinen Vergleich abschließen soll. In 
der Forderung, die die meisten Versicherungsgesellschaften nun weiter 
stellen, daß der Arzt sofort, wenn derartige Schadensansprüche an ihn 
herantreten, der Gesellschaft Mitteilung machen und ihr die Verhandlung 
überlassen muß, liegt meines Erachtens ein weiterer Vorteil insofern, dal) 
der Arzt gar nicht erst in die für ihn so sehr nahe liegende Versuchung 
kommt, durch eine sofortige Geldzahlung die Sache aus der Welt schaffen 
zu wollen. Selten wird er damit Rule bekommen, das Publikum wird 
dies als Schwäche seiner Position auffassen und sicher weiter ausnützen. 

Auch bei einem ihm angedrohten Strafverfahren handelt der Arzt 
sicher richtig, sich nie auf persönliche Verhandlungen mit dem angeblich 
Geschädigten einzulassen; erst muß er da immer abwarten, ob die Sache 
nicht auf eine mehr oder minder verblümte Erpressung herauskommt oder 
ob es sich um Honorarschindung handelt. Das erste, was er tut ist 
vielmehr, wenn er glaubt im Recht zu sein, daß er jetzt rücksichtslos sein 
Honorar einklagt; sonst übergibt er die Sache sofort seinem Rechtsanwalt 
resp. wenn er in der Haftpflichtversicherung ist, sofort der Versicherung, 
wenn diese auch nur für strafrechtliche Sachen meist nur für die zu 
zahlende Buße (nicht für die Strafe und die Kosten des Strafverfahrens) 
aufkommt, so kommt ja sehr häufig doch nach dem strafrechtlichen Ver- 
fahren noch ein zivilrechtliches Verfahren; der gewiegte und gewitzigte 
Großstädter macht das ja sehr häufig so, daß er erst ein Strafverfahren 
einleiten läßt, weil ihn das nicht viel kostet und er sich vom Fiskus die 
nötigen Feststellungen machen lassen kann, diese Feststellungen benutzt 
er dann zu einer zivilrechtlichen Klage. Wir werden weiter die Forderung 
an die Ärzte stellen müssen, daß sie keinesfalls röntgentherapeutisclhıe 
Maßnahmen in irgendeinem nicht von Ärzten geleiteten Röntgeninstitut 
vornehmen lassen. Auch die Röntgendiagnostik kommt m. E. allein dem 
Arzt zu. 

Die Röntgendiagnostik und Therapie ist ein durchaus be- 
rechtigtes ärztliches Spezialfach geworden und es bedeutet m. E. 

Strahlentherapie Band III, Heft 1. 10 


146 Kirchberg, 


eine Verkennung der Aufgaben der ärztlichen Wissenschaft, wenn man 
darauf ausgehen will, die Zahl der ärztlichen Spezialfächer zu vermindern. 
Ich stimme durchaus Levy-Dorn!) bei, daß die Zahl der in der Medizin 
vertretenen Sonderfächer im Interesse des Fortschritts nicht groß genug 
sein kann (,je kleiner das Gebiet ist, auf welches sich jemand beschränkt, 
desto eher kann er sich darin vertiefen‘), ich muß ihm aber auch durch- 
aus beistimmen, wenn er sagt, daß jeder Spezialist zugleich ein tüchtiger 
praktischer Arzt bleiben muß. Wenn ein Röntgenspezialist, wie oben 
mehrfach erwähnt, aus Mangel an allgemeiner medizinischer Bildung. 
diagnostische oder therapeutische Kunstfehler macht, so hat er sie voll zu 
verantworten. Die Entschuldigung mit einer Idiosynkrasie oder besser 
gesagt, Überempfindlichkeit gegen Röntgenstrahlen kann heutzutage nur 
noch sehr selten gemacht werden, obwohl sie nicht ganz von der Hand 
gewiesen werden kann. Die Wahrscheinlichkeit wird in dem einzelnen 
Fall der Arzt nachweisen müssen, das kann aber nur der Arzt, der selbst 
die Röntgenbehandlung geleitet hat, nicht irgendein Techniker. Ich er- 
innere hier an die erste der Thesen des 6. Röntgenkongresses von 1910: 
Nur unter der Verantwortlichkeit des Arztes dürfen die Röntgenstrahlen 
zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken Anwendung finden. 


IV. Fälle von Röntgenschädigungen. 

Bereits 1903 hatte Albers-Schönberg in einer Anzahl Thesen die 
verschiedenen Möglichkeiten von Röntgenschädigungen, die Patienten ge- 
legentlich der Bestrahlung erleiden können, genau klassifiziert. Es 
scheint, als ob diese treffliche Übersicht noch lange nicht Gemeingut der 
Röntgenärzte geworden ist, sonst würden doch wohl nicht soviel Verstöße 
gegen die dabei angegebenen Schutzmaßregeln vorkommen. Er teilt die 
Schädigungen ein in solche 

a) durch die Strahlen selbst: 

1. bei zu langer Belichtungszeit, gibt dann die jetzt üblichen und 

genügenden Zeiten an (a. a. O. 8. 345); 

2. wenn der Abstand der Röhre ein zu geringer ist (mit Ausnahme 
der Zalınuntersuchungen fordert er eine Entfernung des Patienten 
von der Röhre von 30 cm); 

3. wenn bei richtigem Röhrenabstand und richtiger Expositionszeit 
die Untersuchungen zu häufig hintereinander vorgenommen werden 
(näheres siehe bei Albers-Schönbers). 

b) durch Zersplitterung von Röntgenröhren: 


1) M. Levy-Dorn, Über die Verantwortung des Röntgenarztes und über das 
Spezialistentum in der Medizin in Soziale Hygiene und praktische Medizin 1913, 
Nr. 10. 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 147 


Albers-Schönberg ist der Ansicht, daß für die sogenannten Im- 
plosionen der Fabrikant nicht verantwortlich gemacht werden kann. Ich 
glaube, es muß Sache der Technik sein, dahin zu kommen, daß die Fabri- 
kanten dafür einen gewissen Schutz übernehmen, sachgemäße Behandlung 
und Anwendung vorausgesetzt. So wie die Sache jetzt steht, muß der 
Arzt jedenfalls einen gewissen Schutz gegen derart mögliche und an- 
scheinend bis jetzt nicht ganz auszuschließende Ereignisse übernehmen, 
z. B. den Schutz der Augen gegen herumfliegende Glassplitter bei Kopf- 
untersuchungen. 

c) Durch Übergang starker elektrischer Entladungen in den Körper 
des Patienten. Dagegen kann und ist der Patient sicher zu schützen. 
Schädigungen, die dadurch vorkommen, werden wohl stets vom Arzt zu 
verantworten sein, da es sich hier wohl immer um vermeidbare Vorfälle 
handelt. Es ist natürlich, daß bei Untersuchungen und Beleuchtungen von 
Kindern oder sonst nicht voll verantwortungsfähigen Menschen alle denkbaren 
Vorsichtsmaßregeln angewendet werden müssen. Daß der Arzt bei den- 
jenigen Körperstellen die besonders empfindlich sind, doppelte Vorsicht 
anwenden muß und wissen muß, welche Stellen einen derartig sorgsamen 
Schutz bedürfen, ist selbstverständlich. Bei Beckenaufnahmen sind, wenn 
möglich, die Hoden zu schützen, bei Untersuchungen des Kopfes und 
Halses ist der Schutz der Kopf- und Barthaare nötig, denn schon ein- 
malige Bestrahlung kann unter Umständen zu Haar- und Bartausfall führen. 

Fall 1. Nach l6maliger Bestrahlung wegen einer Drüsenschwellung am Hals 
rechtsseitiger Ausfall der Haare. Die Patientin fordert 1000 M. Entschädigung, da 
sie sich hätte eine Perücke machen lassen müssen und nun ihre Haare nur mit Hilfe 
einer Friseurin ordnen könne. Den Arzt träfe insofern ein Verschulden, als er den 
Kopf nicht genügend abgedeckt hätte. Obwohl noch ein Wiederwachsen der Haare 
durchaus wahrscheinlich war, wurden nach langwierigen Verhandlungen 800 Mk. 
Entschädigung bezahlt. 


Obwohl Beschädigungen bei Durchleuchtungen seltener als 
bei Aufnahmen und therapeutischer Bestrahlung vorkommen, so ist doch 
an ihre Möglichkeit zu denken. So kann leicht einmal gelegentlich der 
Demonstration eines Patienten in einem Lehrkursus die Durchleuchtung 
zu lange ausgedehnt oder zu oft wiederholt werden. Albers-Schönberg 
fordert einen Abstand des Patienten von der Röhrenwand von 20 cm und 
die Beschränkung der Belichtung ein und derselben Körperpartie auf 
höchstens 2—3 Minuten. 

Bei der Besprechung der einzelnen Fälle möchte ich nunmehr vor 
allem auf die in den klägerischen Schriftsätzen hervorgehobenen Schuld- 
punkte und ihre Berechtigung eingehen, die Erwähnung auch der grundlos 
gegen den Arzt erhobenen Vorwürfe ist in mancher Hinsicht ganz lehrreich. 


10* 


148 Kirchberg, 


Fall 2. Im Falle eines bald 70jährigen Menschen war wegen sehr lästigen und 
von anderer Seite erfolglos behandelten Hautjuckens eine mehrfache Bestrahlung 
vorgenommen worden, es stellten sich eine Anzahl sehr schwer heilender Röntgen- 
ulzera ein. Ein Versehen des Arztes lag insofern hier vor, als er den Urin nicht unter- 
sucht hatte, sondern sich mit der Angabe begnügt hatte, daß eine mehrere Monate 
vorher vorgenommene Untersuchung des Urins keinen pathologischen Befund ergeben 
habe. Die später nach Eintritt des Schadens vorgenommenen Untersuchungen er- 
gaben 3%, Zucker. Erschwerend kam hinzu, daß der Arzt angeblich bei einer Bestrah- 
lung die Röntgenschwester gerügt hatte wegen zu starker Bestrahlung. Da die Ver- 
letzung ein vielwöchentliches Krankenlager bedingte, wurde ein Vergleich auf eine 
Summe von 1500 Mk. als zweckdienlich angesehen und abgeschlossen. 

Fall 3. Daß der Diabetes nicht nur insofern eine erhöhte Gefahr für den 
Röntgenarzt bildet, als entstandene Verbrennungen, Ulzera usw. eine noch schlechtere 
Heilungstendenz zeigen als sonst, sondern daß der Diabetes direkt eine Art Idiosyn- 
krasie gegen Röntgenbestrahlungen schafft, wie übrigens auch H. E. Schmidt in 
seinem Kompendium der Röntgentherapie erwähnt, geht auch aus einem Fall hervor, 
indem sich nach 9maliger Bestrahlung wegen Psoriasis im Anschluß an eine Dermatitis 
Röntgenulzera an den Beinen entwickelten, die zu ihrer Heilung über 7 Monate bean- 
spruchten. Nach den genauen Angaben des betreffenden Arztes war die Dosierung 
so wie er sie seit vielen Jahren bei zahlreichen anderen Fällen angewandt hat. Ent- 
schädigung im Vergleichswege. 

Fall 4. Ebenfalls bei einem Diabetiker, der wegen eines Hautleidens 7 mal 
bestrahlt wurde, hatte sich im Anschluß an eine Verbrennung ein allmählich hand- 
tellergroß gewordenes Ulkus am Oberschenkel entwickelt, dessen vollständige Heilung 
erst durch eine nach mehreren Monaten vorgenommene Exzision und Transplantation 
erzielt werden konnte, so daß der gesamte Heilungsprozeß fast 2 Jahre in Anspruch 
nahm. Sehr schwer war hier die Feststellung, ob die behaupteten Schmerzen in einem 
direkten Zusammenhang mit der Verletzung standen. Im Vergleichsverfahren wurden 
hier 1800 M. bezahlt. 

Eine Schuldfrage lag m. E. in diesen beiden letzten Fällen insofern nicht vor, 
als die Idiosynkrasie bei Diabetes damals anscheinend noch nicht genügend wissen- 
schaftlich bekannt war. Da auch in beiden Fällen bereits mehrfache andere Heil- 
verfahren gegen das Grundleiden (Lichen simplex resp. Psoriasis) vergeblich versucht 
worden waren, kann auch in der Anwendung der Strahlentherapie an sich ein vertret- 
bares Verschulden eigentlich nicht gesehen werden. 

Daß außer dem Diabetes anscheinend auch noch andere Umstände eine erhöhte 
Gefahr bieten, scheint mir aus einigen weiteren Fällen hervorzugehen, vor allem 
höheres Alter, dann weiter langdauernde Ekzeme usw., also Umstände, die eine schlech- 
tere Ernährung der Haut zur Folge haben. Es wäre von Interesse, weiter nachzu- 
forschen, wie weit arteriosklerotische Veränderungen zu einer erhöhten Idiosynkrasie 
gegen Röntgenbestrahlungen beitragen. 

Fall 5. Nach einer 4maligen, 4—6 Minuten dauernden Bestrahlung wegen 
chronischen Ekzemsam Arm trat cine teilweise Verbrennung des Ober- und Unter- 
arms ein, die schließlich mit einer entstellenden Narbenbildung heilte. Die Forderung 
auf eine außerordentlich hohe Entschädigung wurde damit begründet, daß die Dame 
wegen der Narbenbildung und der unästhetischen Bewegung des Armes große Ge- 
sellschaften und Feste, die eine ausgeschnittene Robe bedingten, nicht mitmachen 
könne, ferner wurde Ersatz für Erholungsreisen nach der Schweiz und nach der Nord- 
see gefordert und schließlich auch im Vergleichswege 6000 M. bezahlt. 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 149 


Betreffs der Höhe dieser Summe verweise ich auf meine oben gemachten Bemer- 
kungen. Ein Ersatz für Sommerreisen konnte z. B. dann nicht gefordert und ge- 
richtlich erzielt werden, wenn nachgewiesen werden konnte, daß die Dame auch in 
anderen Jahren ähnliche Reisen gemacht hatte. Ob für das Mitmachen von Gesell- 
schaften in ausgeschnittener Robe Narbenzüge am Arm oder ein chronisches Ekzem 
mehr hindern, ist doch auch noch die Frage. War die Heilung des Ekzems auf andere 
Weise schon mehrfach erfolglos probiert worden, so war eine derartige Forderung 
sicher gerichtlich nicht durchführbar. 

Fall 6. Bei einem über 60jährigen zeitlebens mit schwerer körperlicher Arbeit, 
beschäftigt gewesenen Mann (in einem derartigen Alter und harter körperlicher Arbeit 
sind die Ernährungsverhältnisse der Haut an den Händen sicherlich geschädigt) mit 
chronischem Ekzem stellte sich nach einer, allerdings etwas lange ausgedehnten Be- 
strahlung nach einer Reihe von Tagen eine Entzündung ein, die in ein monatelang 
offenbleibendes Geschwür überging. Hier war die Entschädigung im Vergleichswege 
durchaus angebracht. 

Fall6a. Röntgendermatitis und Narbenbildung an der Hand nach 
wegen eines Ekzems der Hand vorgenommener Röntgenbehandlung. 

Die klägerische Begründung des sehr hohen Schadenersatzanspruchs (anfangs 
10000 M.) war zum großen Teil hinfällig, so daß die erste Bestrahlung, vor deren Vor- 
nahme der Beklagte sich ein Urteil hätte über die Empfindlichkeit nicht bilden können, 
nicht 15 Minuten hätte dauern dürfen, dann die immer wiederkehrende Klagebegrün- 
dung damit, daß der Beklagte sich nicht hätte aus dem Zimmer entfernen dürfen, 
mit der ganz haltlosen Folgerung, „denn es bestand die Möglichkeit, daß die Klägerin 
unbewußt und ohne Kenntnis der Tragweite ihrer Handlung irgendeine Verschiebung 
der Hand vornahm, die eine zu intensive Bestrahlung zur Folge hatte.“ Es wird gar 
nicht behauptet, daß diese Möglichkeit eingetreten ist, sondern es wird nur auf etwas 
hingewiesen, was hätte eintreten können. Das gehört m. E. in den Rahmen eines 
Zivilprozesses absolut nicht hinein und hätte von Anfang an sollen von der be- 
klagten Partei auf das schärfste zurückgewiesen werden müssen. Es kommt, wie 
ich immer wieder betone, nur darauf an nachzuweisen, daß ein Schaden entstanden 
und daß dieser Schaden durch das schuldhafte Verhalten des Beklagten entstanden 
ist. Alle anderen Behauptungen und Vorbringungen, die doch nur den Zweck ver- 
folgen können, das Verhalten des Arztes überhaupt zu diskreditieren, gehören nicht 
hierher. Ein Arzt, der als Gutachter auf diese Punkte, die nicht zum direkten Prozeß- 
gegenstand gehören, eingeht, verkennt seine Aufgabe als Gutachter vollständig und 
handelt unkollegial. Nach langen Verhandlungen ergab sich hier ein Vergleich auf 
1500 M. Ob die Klägerin mit ihrer Forderung im Prozeßwege durchgedrungen wäre, 
zumal die Forderung erst 2 Jahre später erhoben wurde, erscheint mir sehr fraglich. 

Fall 7. Gelegentlich einer Bestrahlung des Gesichts wegen lästigen Bart- 
wuchses war es zu einer Dermatitis und zur leichten Narbenbildung im 
Gesicht gekommen. Auch hier forderte die klagende Partei ganz ähnlich wie in 
dem oben bereits besprochenen Falle eine Entschädigung mit der Begründung: „da 
Fräulein X. kein erhebliches Vermögen besitzt, zur Eheschließung also nur durch 
ihre Persönlichkeit und die Wirkung ihres Äußeren gelangen kann, so ist die Aussicht 
auf Eheschließung für meine Mandantin so gut wie ausgeschlossen, und darin liegt eine 
Schädigung meiner Auftraggeberin, deren Höhe sich nach einem Kapital beziffert, 
welches für eine lebenslängliche Rente die Grundlage gäbe.‘‘ Ich wiederhole, was ich 
oben gesagt habe, es wäre eine Ungeheuerlichkeit, wenn ein Gericht sich auf den Stand- 
punkt stellte, daß eine derartige leichte Veränderung des Äußeren nun die Grundlage 


150 Kirchberg, 


für eine lebenslängliche Rente wegen entgangener Heiratsmöglichkeit sein könnte. 
Ja ist denn bei uns im Zeitalter der Frauenemanzipation, der soweit gesteigerten 
Erwerbsmöglichkeit der gebildeten Frau die Ehe wirklich nur eine Versorgungsanstalt ? 
Wird denn ein Mädchen nur wegen ihres glatten Gesichtes geheiratet? Heiratet sie 
denn nur, um eine Versorgung zu haben? Was sind das für unglaubliche Vorstellun- 
gen. Ich hoffe, daß zu dieser Frage noch recht häufig Ärzte recht energisch Stellung 
nehmen werden. 

Auch dieser Prozeß endete leider mit einem Vergleich, es wäre sehr interessant 
gewesen, über diese Fragen einmal die Entscheidung der obersten Gerichte einzu- 
holen. 

Fall8. Röntgendermatitis ersten Grades an den Fingern nach 3maliger 
Bestrahlung wegen Ekzems. Erstes Auftreten 6 Tage nach der letzten Bestrahlung: 
obwohl an sich nur die Hälfte der Erythemdosis erreicht wurde, war doch ein Ver- 
sehen durch die behandelnde Schwester insofern vorgekommen, als die bereits von 
einer Seite bestrahlten Fingerstellen nachher bei Bestrahlung von der anderen Seite 
nicht genügend abgedeckt worden waren. Der betreffende Patient behauptete dann, 
außer einer andauernden Rötung ein ständiges Zittern der Hände und eine gewisse 
Steifheit zurückbehalten zu haben. Wie weit diese sich wiederholt in den Akten 
findenden nervösen Störungen in das Gebiet der traumatischen Neurosen hinein- 
gehören oder auf einer wirklichen Neuritis oder auf trophoneuritischen Störungen 
beruhen, scheint noch eingehender Erforschung zu bedürfen, ich habe jedenfalls nichts 
genaucs darüber erfahren können. 

Gütliche Einigung auf 500 M. Entschädigung. 

Fall 9. Bestrahlung der beiden Beine wegen gichtischer Ekzeme mit starkem 
Juckreiz, 3 Bestrahlungen nacheinander, danach 8tägige Pause. Da keine Reaktion 
zu sehen war, an den beiden folgenden Tagen 2 schwache Bestrahlungen, darauf ca. 
14 Tage später Auftreten eines intensiven Erythems, aus dem sich schließlich 
ein Röntgenulkus entwickelte. Auch hier wurde seitens des behandelnden Arztes 
dann darauf hingewiesen, daß die gichtisch-arteriosklerotische Verfassung des über 
60jährigen Menschen eine krankhafte Disposition für die Dermatitis usw. gebildet 
hätte. Ich finde hier in diesen Akten eine gutachtliche Äußerung eines Juristen zu 
diesem Fall, die sich mit meinem seit Jahren vertretenen Standpunkt, der auch oben 
mehrfach präzisiert worden ist, genau deckt: „ich stehe überhaupt auf dem Stand- 
punkt in den Röntgenhaftpflichtfällen, die in neuester Zeit ganz kraß zunehmen, 
der Haftpflichtfrage genau auf den Grund zu gehen. Ich sehe nicht ein, warum 
bei Röntgenverbrennungen immer Haftpflicht gegeben sein soll. Ich halte diesen 
Standpunkt für absolut falsch. Wie bei jeder ärztlichen Tätigkeit, so muß auch bei 
Röntgenverbrennungen Voraussetzung der Annahme einer Haftpflicht immer ein 
Verschulden oder eine Fahrlässigkeit sein. So gut Ärzte und Gerichte in dem Ab- 
brechen einer Operationsnadel oder in dem Zurücklassen von Gazestreifen oder Tupfer 
unter gewissen Voraussetzungen keinen ärztlichen Kunstfehler erblicken, so wenig 
werden sie in einer Röntgenverbrennung einen solchen sehen, wenn diese z. B. auf 
einen unglücklichen Zufall oder eine besondere Idiosynkrasie des Patienten zurück- 
zuführen ist.“ Aus dem Gutachten des Röntgensachverständigen interessiert hier 
der Passus: ‚bei dem über 60 Jahre alten Patienten würde demnach die Normaldosis 
vor allem im Hinblick auf seine gichtisch-arteriosklerotische Verfassung und auf die 
ekzematös gereizte Hautpartie unter 5 H. liegen, zumal als eine allgemeine Dosierungs- 
maßregel gilt: man appliziere überall etwas weniger als diejenige Menge, welche zur 
leichten entzündlichen Hautreaktion führt, also suberrthematöse Dosen.‘ Darin 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 151 


hätte man aber kein vertretbares Versehen erblicken können. Das Gutachten fährt 
dann fort: „nachdem also der Patient im Verlauf von 5 Tagen eine angemessene Nor- 
maldosis von 4!/, Holzknechteinheiten erhalten hatte, hätte nunmehr nicht, wie in die- 
sem Falle geschehen ist, eine 8tägige Pause, sondern nach unseren Erfahrungen und 
Regeln eine Pause von etwa 3 Wochen eintreten müssen, um den therapeutischen 
Effekt abzuwarten und erst dann von neuem zu bestrahlen.‘‘ Rechtlich käme nun 
in Betracht, ob „diese Erfahrungen und Regeln“ zur Zeit der Bestrahlung bereits 
allgemein in Röntgenkreisen bekannt und anerkannt waren, so daß der Betreffende 
sie hätte kennen müssen. Brauchte er noch nicht zu wissen, daß diese Pause von 
8 Tagen zu kurz war, so trifft ihn auch kein vertretbares Verschulden. Ich halte die 
Stellung dieser und ähnlicher Fragen stets für ungemein wichtig. 

Der Fall bot juristisch dann noch ein weiteres Interesse insofern, als nach Heilung 
des Ulkus und Annahme der Entschädigungssumme die Wundstelle wieder aufbrach 
und nun neue Entschädigungsansprüche gestellt wurden, die natürlich abgelehnt 
werden konnten, da der Geschädigte sich durch Unterschrift aller weiteren Ansprüche 
begeben hatte. Obwobl das kaiserliche Aufsichtsamt für Privatversicherung sich auf 
denselben Standpunkt stellte, ging die Haftpflichtversicherung aus Liberalität noch 
auf eine weitere Entschädigung ein. So angenehm ein derartiges Vorgehen unter 
Umständen für den betreffenden Arzt sein mag, von den obenerwähnten allgemeinen 
Gesichtspunkten aus kann man ein derartiges Vorgehen nicht unbedingt gutheißen, 
und die Haftpflichtversicherungen tun wohl gut daran, auf ihrem sonst festgehaltenen 
Standpunkt zu bleiben, nach gezahlter und anerkannter Entschädigung nicht auf wei- 
tere Ansprüche einzugehen. Für den Arzt geht daraus die Lehre hervor, einmal sich 
auf keine Vergleichsverhandlungen ohne Rechtsbeistand einzulassen und bei der- 
artigen Schadenersatzansprüchen, selbst wenn er zunächst nicht in einer Haft- 
pflichtvereicherung ist, den sachverständigen Rat einer derartigen Gesellschaft eine 
zuholen. 

Fall 10. Wegen eines Ekzems beider Hände waren im Verlaufe vieler Monate 
ca. 16 Bestrahlungen vorgenommen worden, bei denen, da der Patient stets erst nach 
Ablauf der Sprechstunden erscheinen konnte, der Arzt den Patienten nach Instru- 
ierung stets allein gelassen hatte, wobei die Ausschaltung der Röntgenröhre durch 
ein automatisches Uhrwerk geregelt wurde. Bei der letzten Sitzung hatte anschei- 
nend das Uhrwerk nicht funktioniert und der Patient seine Hände bedeutend länger 
den Strahlen ausgesetzt, so daß eine Röntgenverbrennung entstand. Auf die 
Behauptung des beklagten Arztes, daß der Patient während der Bestrahlung gleich- 
zeitig eine Uhr hätte sehen können, und er über die Gefährlichkeit einer zu langen 
Bestrahlung genügend instruiert worden wäre, legte das Gericht kein Gewicht, viel- 
mehr sahen beide Instanzen eine Fahrlässigkeit des Arztes darin, daß er den Patienten 
bei der Behandlung sich selbst überlassen hätte. Diese Feststellung werden wir für 
künftige Fälle zur Richtschnur nehmen müssen. Die Kosten des Rechtsstreites be- 
trugen hier weit über 1000 M., mehr wie das Doppelte der gezahlten Entschädigungs- 
summe; auch eine Warnung für jeden, der bis jetzt nicht in einer Haftpflichtversiche- 
rung ist. 

Fall 11. Wegen Röntgenverbrennung am Fuß Schadenersatzforderung 
zunächst im Betrage von 13000 M.; es wurden nachher 7500 M. im Vergleichswege 
gezahlt. Über die Art der Verbrennung, Verschulden des Arztes usw., war aus den 
Akten nichts zu erschen, der Fall war ein gutes Beispiel dafür, wofür alles Schaden- 
ersatzforderungen gestellt wurden: außer ärztlicher Behandlung, entgangener Gewinn 
im Geschäft für die ganze Zeit, Annahme anderweitigen Personals, angeblich note 


152 Kirchberg, 


wendig gewordene Reise nach dem Süden mit der Frau, Möglichkeit einer später ein- 
tretenden weiteren Schädigung usw. 

Fall 12. Bei einer Frau der arbeitenden Klasse, deren Gesicht seit Jahren 
mit Lupusknötchen bedeckt ist und seit Jahren in verschiedenster Weise vergeblich 
behandelt worden war, war vor 2 Jahren Röntgenbehandlung mit teilweise recht 
gutem Erfolge vorgenommen worden, jetzt Rezidiv. Der Arzt macht sie auf mögliche 
Röntgenschädigung aufmerksam und darauf, daß ein schon einmal durch Röntgen- 
strahlen beeinflußtes Gewebe sich schlechter zur Behandlung eigne. Sie wünscht 
trotzdem die Behandlung. Vierzehntägige Behandlung mit allen möglichen Vor- 
sichtsmaßregeln für die nichtbestrahlten Teile (4 6—8 Minuten). Behandlung wird 
bei Eintritt der Reaktion abgebrochen, dann Salbenbehandlung. Trotzdem längere 
Zeit Verbrennungserscheinungen. Als Rechnungsbezahlung verlangt wird, 
wird wegen der entstandenen Schädigung und der dadurch nötig gewordenen Be- 
handlung Schadenersatzanspruch in Höhe von 2000 M. verlangt. Für die rechtliche 
Beurteilung kam hier in Betracht, daß die Patientin auf die Folgen aufmerksam ge- 
macht worden war, für die Höhe einer etwaigen Entschädigung die Stellung (Näherin), 
ferner daß das Gesicht bereits vorher durch die Krankheit erheblich entstellt war, 
die Nasenspitze war schon vor Jahren operativ entfernt worden. Trotz der doch min- 
destens zweifelhaften Lage Vergleich auf 1150 M. 

Fall 13. Bei einer Bestrahlung der Brust wegen eines Krebsrezidive, 
wobei die Patientin auf einem Stuhl saß, derart, daß die Röntgenröhre etwa 30 cm 
von der Kranken entfernt war, ihre Augen mit einer Schutzbrille aus Blei verbunden 
waren, kam die Patientin, während der behandelnde Arzt für die Zeit von einer halben 
Minute den Röntgenraum verlassen hatte, um eine kleine Störung an dem in einem 
anderen Raum befindlichen Unterbrecher zu beseitigen, durch Unvorsichtigkeit der 
Röntgenröhre zu nahe und zog sich eine leichte Hautverbrennung an der Brust zu. 
Sie war darauf hingewiesen worden, absolut ruhig zu sitzen. Da gleichzeitig sofort 
kleine Verbrennungsstellen an Nase und Kinn auftraten, wurde diese Art der Ver- 
brennung sichergestellt. Als nun nach Verlauf längerer Zeit die beabsichtigte 
Röntgenreaktion eintrat, klagte die Patientin, die nach der letzten Bestrahlung sich 
nicht mehr bei dem behandelnden Arzt hatte sehen lassen, sondern einen anderen 
Arzt in ihrem Heimatsort aufgesucht hatte, wegen Körperverletzung. Es kam zu 
einem straf- und zivilrechtlichen Verfahren. In dem strafrechtlichen Verfahren kam 
es, nachdem durch die Gutachter erklärt worden war, daß die Behandlung an sich 
sachgemäß gewesen wäre, und der gegenwärtige Zustand der Patientin tatsächlich 
nur die Folge ihres Krebsleidens sei, daß aber gleichzeitig die Behandlungsart primi- 
tiv gewesen wäre und doch mangels genügender Schutzvorrichtungen tatsächlich 
Brandwunden erzielt worden waren, zu einer geringfügigen Verurteilung zu einer Geld- 
strafe. Die Feststellung dieses strafrechtlichen Verfahrens konnte auf das zivilrecht- 
liche Verfahren natürlich keinen Einfluß haben. In der Zwischenzeit war die Patien- 
tin am Krebs gestorben und nun wurde noch seitens der Angehörigen versucht, auch 
diesen Tod mit der Röntgenverbrennung in Verbindung zu bringen. 

Es kam schließlich zu einem Vergleich auf ca. 600 M. Ich glaube nicht, daß 
in einem zivilrechtlichen Verfahren der Beklagte verurteilt worden wäre, da die wahr- 
scheinlich doch unbedeutenden direkten Brandwunden selbstverständlich ohne Ein- 
fluß auf das Allgemeinleiden waren, die Röntgenentzündung bei dem Charakter des 
Leidens eine beabsichtigte war und bei dem ganzen Verlauf des Leidens die Brand- 
wunden in gar keinem Verhältnis standen zu der Schwere des Allgemeinleidens, zu 
dem von diesen ausgehenden Schmerzen usw. Irgendein geschäftlicher Nachteil 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 153 


hatte sich aus den Brandwunden sicher nicht ergeben, ärztliche Behandlung und 
Pflege erforderte das Allgemeinleiden mehr als die Brandwunden, es hätte zivilrecht- 
lich also allerhöchstens eine ganz geringfügige Entschädigung als Schmerzensgeld 
in Betracht kommen können, wenn man ein Verschulden darin sehen wollte, daß der 
Beklagte primitive, veraltete Apparate benutzte und die Intelligenz der Patientin 
insoweit überschätzte, daß er sie nicht eine halbe Minute in sitzender Stellung allein 
lassen konnte. 

Fall 14. Bei einer Bestrahlungskur wegen Gürtelrose waren eine ganze Anzahl 
Bestrahlungen vorgenommen worden, ohne daß der gewünschte Erfolg erzielt worden 
wäre, allerdings waren die sehr erheblichen Schmerzen durch die Bestrahlung stets so 
gelindert worden, daß, als der behandelnde Arzt wegen einer eingetretenen leichten 
Röntgenreaktion die Bestrahlungen aussetzte, und nur noch die auch bis dahin vor- 
genommene Salbenbehandlung fortsetzte, der Patient sich hinter dem Rücken des 
Arztes und obwohl ihm der Arzt gesagt hatte, daß eine weitere Röntgenbehandlung jetzt 
nicht angebracht wäre, sondern sogar erhebliche Schädigungen zur Folge haben 
könnte, in der medico-mechanischen Anstalt des beklagten Arztes von der Röntgen- 
assistentin weiter bestrahlen ließ unter der unwahren Angabe, daß der Arzt es ange- 
ordnet habe. Es trat jetzt eine schwere Röntgenschädigung des ganzen Armes 
ein, auf Grund deren der Patient mit Hilfe des Armenrechts auf eine lebenslängliche 
Rente klagte. Bereits in der ersten Instanz wurde auf Grund der eingeholten Gut- 
achten erkannt, daß die Behandlung des Arztes durchaus sachgemäß gewesen wäre 
und die Röntgenschädigung nur zurückzuführen sei auf die ohne Wissen des Arztes 
vorgenommenen späteren Bestrahlungen. Das Gericht sah aber das Vorliegen einer 
Fahrlässigkeit des Arztes darin, daß er nicht Einrichtungen getroffen habe, welche es 
ausschließen, daß eine mißbräuchliche Benutzung des Röntgenapparates und eine durch 
ungeeignete Bestrahlung bewirkte Schädigung des Patienten vorkommen kann. 
„Durch diese mangelhafte Einrichtung war jederzeit die Möglichkeit eines Mißbrauches 
des Röntgenapparates und einer durch ungeeignete Bestrahlung bewirkten schweren 
Beschädigung des Patienten gegeben und tatsächlich hat es auch der Kläger verstan- 
den, ohne ärztliche Anordnung und sogar gegen ärztliches Verbot, sich die Bestrahlung 
in der Anstalt des Beklagten verabreichen zu lassen, welche durch die hierdurch hervor- 
gerufene Verbrennung unmittelbare Veranlassung zu der Schädigung des Klägers 
gaben. Damit hat aber der Beklagte selbst nicht nur seiner vertraglichen Verpflich- 
tung. solche Einrichtungen zu treffen, welche bei Benützung seiner Anstalt eine Ge- 
fahr für den Patienten ausschließen, zuwider handelte, sondern er hat auch fahrlässig, 
also unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt, die Gesundheit des Klägers wider- 
rechtlich verletzt.‘ Dieses für die gesamte ärztliche Röntgentechnik, aber ceteris 
paribus, auch für alle die Ärzte, welcho in mediko-mechanischen Anstalten usw. 
Hilfspersonal benützen, geradezu verhängnisvolle Urteil wurde in der Berufungsinstanz 
vollständig umgeworfen. Das Urteil des Oberlandesgerichts ist von so eminenter 
Wichtigkeit für unsere gesamte ärztliche Tätigkeit, daß ich es hier in seinen Haupt- 
punkten wörtlich wiedergeben möchte; das Urteil spricht sich zunächst über das Ver- 
hältnis zwischen Arzt und Kassenpatient folgendermaßen aus: „Jeder Patient schließt 
mit dem Arzt, in dessen Behandlung er sich begibt, unabhängig von der Frage, wer 
die Kosten der Behandlung zu bezahlen hat, einen Vertrag ab, inhaltlich dessen dem 
Arzte die Aufgabe zufällt, nach Möglichkeit auf die Wiederherstellung der Gesund- 
heit des Patienten entsprechend den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft 
bedacht zu sein, während letzterer sich verpflichtet, den ärztlichen Anordnungen 
willig Folge zu leisten. 


154 Kirchberg, 


Ein derartiges im B.G.B. nicht eigens geregeltes, eine besondere Art von Arbeits- 
vertrag bildendes und nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften, über beider- 
seitige Verträge zu beurteilendes Schuldverhältnis ist auch zwischen dem Kläger und 
dem Beklagten zustande gekommen, wobei es ganz gleichgültig war, ob dem Kläger 
als Mitglied einer Ortskrankenkasse die Wahl unter den Ärzten freistand oder nicht.“ 

Über die uns hier hauptsächlich interessierende Frage sagt das Urteil nun fol- 
gendes: „daß der Beklagte zur Behandlung seiner Patienten in seiner mediko-mechani- 
schen Anstalt sich einer Hilfskraft bediente, konnte, soweit es sich um eine, wie schon 
der Name der Anstalt besagt, rein mechanische Ausführung der von ihm auf Grund 
wissenschaftlicher Prüfung des Krankheitsfalles erteilten Weisung handelte, sicher- 
lich keiner Beanstandung unterliegen, vorausgesetzt daß das betreffende Hilfsper- 
sonal die erforderliche Sachkenntnis besaß (das wurde hier angenommen). Entschie- 
den zu weit würde es auch gehen, wenn man einem naturgemäß den größten Teil des 
Tages außerhalb seiner klinischen Anstalt die Praxis ausübenden Arzte zumuten wollte, 
nach genauer Untersuchung des in seine Behandlung neu eingetretenen Patienten, 
dann nach entsprechender Unterweisung des etwa weiterhin mit seiner Behandlung 
betrauten Hilfspersonals, und nach anfänglicher gewissenhafter Überwachung dieser 
Behandlung, bei einer Heilmethode, welche wie hier, eine häufige Wiederholung sich 
gleichbleibender, rein technischer Manipulationen notwendig macht, deren Vornahme 
durch eine entsprechend instruierte zuverlässige Hilfskraft für jeden einzelnen Fall 
eigens noch von einer mündlichen oder schriftlichen Weisung abhängig zu machen. 
Noch viel weniger praktisch durchführbar wäre das vielleicht gar noch an den Beklag- 
ten gestellte Verlangen, den gerade hier in Frage kommenden Röntgenapparat 
stets unter persönlichem Verschluß aufzubewahren. Der Beklagte hat vielmehr im 
gegebenen Falle gegen die Gefahr einer mißbräuchlichen Benutzung dieses Apparates, 
soweit er eine solche seiner langjährigen erprobten Gehilfin und einem erwachsenen, 
geistig völlig gesunden Patienten gegenüber, überhaupt ins Auge fassen mußte, billiger- 
weise dadurch genügend Vorsorge getroffen, daß er der ersteren in Anwesenheit des 
letzteren jede weitere Bestrahlung untersagte und noch dazu den Patienten auf die 
voraussichtlichen schlimmen Folgen einer Zuwiderhandlung gegen dieses Gebot aus- 
drücklich hinwies.‘ 

Über das Verschulden der Assistentin, daß sie trotzdem nachher wieder die 
Bestrahlung vorgenommen habe, sagt das Urteil: „berücksichtigt man aber, daß 
die Assistentin doch nicht gleich auf den Gedanken kommen konnte, der Patient werde 
als vernünftiger Mann, vor den schlimmen Folgen einer weiteren Behandlung mit Rönt- 
genstrahlen durch den Arzt ausdrücklich gewarnt, sich trotzdem eine solche zum Scha- 
den seiner eigenen Gesundheit durch unwahre Angaben erschleichen, zieht man ferner 
in Betracht, daß Kläger, wie schon erwähnt, jeden Tag wenigstens zur Erneuerung 
des Verbandes die vormittägige Sprechstunde des Beklagten besuchte und daß des- 
halb an den fraglichen 4 Nachmittagen für die Assistentin die Vermutung nahelag, 
Dr. X. habe in der voraufgegangenen Sprechstunde auf grund einer neuen Unter- 
suchung des Klägers entgegen seiner früheren Meinung nunmehr doch noch weitere 
Bestrahlung für angezeigt erklärt, so stellt sich das Verschulden der X. schon von 
Haus aus in schr mildem Lichte dar, zumal sie nur durch die falsche Vorspiegelung 
des Klägers, Dr. R. habe weitere Bestrahlungen erlaubt, in einen für sie maßgebenden 
Irrtum versetzt, tätig wurde. Da demzufolge das der Assistentin zur Last fallende 
fahrlässige Verhalten im Grunde genommen einzig und allein auf das ebenso törichte 
als tadeluswerte Vorgehen des Klägers zurückzuführen ist, tritt das Verschulden 
der genannten Assistentin demjenigen des Klägers gegenüber, dermaßen in den Hinter- 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 155 


grund, daß von einer Schadenersatzpflicht auf seiten der Assistentin und damit auch 
auf seiten des Beklagten nicht mehr die Rede sein kann.‘ 

Auf grund dieses Urteils, das wie gesagt, für die gesamte ärztliche Tätigkeit 
außerordentlich wichtig ist (K. Oberlandesgericht Augsburg, 20. Juni 1912), wurde 
die Klage kostenpflichtig abgewiesen. Allerdings hatte auch hier der A. D. V. V. in 
Stuttgart, da von dem Kläger, der mit Armenrecht geklagt hatte, naturgemäß nichts 
zu holen war, über 400 M. Kosten zu bezahlen. 

Fall 15. Infolge von 4 im Zeitraum von 10 Tagen erfolgten diagnostischen 
Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule war es zu einer schweren Verbrennung der 
Bauchdecke gekommen, die längere Zeit zu ihrer Heilung bedurfte und eine starke 
Narbe zurückließ. Die Patientin klagte jetzt wegen Körperverletzung, weil sie durch 
das Leiden fast vollständig arbeitsunfähig geworden wäre und daran gehindert sei, 
eine Ehe einzugehen, da die Geburt eines Kindes für sie mit großer Lebensgefahr 
verbunden sein würde. Mit zur Begründung der Klage wurde die Behauptung auf- 
gestellt, daß die Behandlung insofern unsachgemäß und ein Kunstfehler gewesen sei, 
weil bei der Bestrahlung kein Verstärkungsschirm angewandt wäre. Das sachverstän- 
dige Gutachten spricht sich außerordentlich klar dahin aus, daß ein Kunstfehler hier 
nicht vorliege: 4 Röntgenaufnahmen binnen 10 Tagen von je 2—3 Minuten Dauer 
wären durchaus sachgemäß und jedenfalls handelte es sich hier um einen Fall von 
Idiosvnkrasie. Daraus, ob man einen Verstärkungsschirm anwende oder nicht, könne 
man nie den Schluß auf einen Kunstfehler ziehen. 

Fall 16. Bei einer Dame mit sehr starkem Vollbart, der durch anderweitige 
elektrische Behandlung angeblich noch stärker geworden war, wird durch eine fast 
einjährige Kur mit Röntgenstrahlen zunächst ein großer Teil der Gesichtshärchen 
entfernt. Da der Haarwuchs zum Teil wieder auftrat, will sie noch eine Kur durch- 
machen. Bei dieser zweiten Kur kommt sie trotz wiederholter Warnungen absichtlich 
dem Apparat öfters sehr nahe, so daß eine Verbrennung der einen Backe ein- 
tritt, die allerdings nach kurzer Zeit verheilt. Es bleiben eine Anzahl roter Flecke 
übrig und auf grund dieser Flecke klagt sie wegen „Entstellung und Beseitigung ihrer 
Schönheit, Verminderung ihrer Heiratsaussichten usw.‘ und verlangt 20000 M. Ent- 
schädirung. Da die Zeugenaussagen durchaus gegen eine Fahrlässigkeit bei der Be- 
handlung sprechen, wird die Klage zunächst zurückgenommen. 

Fall 17. Therapeutische Röntgenbestrahlung wegen pseudoleukämischer 
Drusentumoren. 4 Wochen nach der letzten Bestrahlung kommt es zu einem Röntgen- 
ulkus in der Nähe des Nabels, das außerordentlich schlecht heilt. Aus den 
Akten geht die merkwürdige Tatsache hervor, daß die ersten Wundstellen sich an 
der Stelle zeigten, wo die Pelotte des Bruchbandes sitzt (vielleicht dürfte das in ähn- 
licher Weise eine Erklärung finden, wie das häufige Auftreten von Röntgenschädi- 
kungen bei Arteriosklerose, langdauernden kallösen Ekzemen usw. Ich denke dabei 
an eine Behinderung der Kapillartätigkeit). Ich möchte hier, da der Fall noch schwebt 
(Forderung 15000 M. Entschädigung) nur einiges aus den interessanten Gutachten 
mitteilen: „Für die Annahme einer Idiosynkrasie spricht der Umstand, daß Patient 
an allen bestrahlten Partien durch Hautrötung reagierte, ohne daß ihm eine volle 
Erythemedosis verabfolgt worden war.‘ Betreffs der Frage, ob ein Kunstfehler darin 
läze, daß keine der bekannten Dosierungsmethoden angewendet worden wäre, spricht 
sich das Gutachten richtig folgendermaßen aus: „Um sich gegen Schädigung zu decken, 
wenden wohl alle Röntgentherapeuten Mittel an, um die Strahlendosis zu bestimmen. 
Es gibt außerordentlich zahlreiche Dosierungsverfahren, die Sicherheit, welche sie 
gewähren, ist dagegen durchaus noch keine so exakte, daß man ein oder 


156 Kirchberg, 


mehrere Verfahren empfehlen oder gar verlangen könne. Es ist daher gänzlich 
ausgeschlossen, einem Arzt deswegen ein Verschulden zur Last zu legen, weil er 
keine der üblichen Dosierungsverfahren angewendet hat. Die genaue Kenntnis 
der Röhren und die Erfahrung, welche der Arzt bei Benutzung seiner Röhren sammelt, 
reichen aus, um ihm die nötige Sicherheit in der Dosierung zu geben. Voraussetzung 
ist natürlich, daß es sich um einen in der Röntgentechnik erfahrenen Mann und nicht 
um einen Anfänger handelt. Vergleiche auch These 7 des 6. Kongresses der Deutschen 
Röntgengesellschaft: der Arzt ist an keine der bekannten Dosierungsmethoden gebun- 
den. Im eigensten Interesse empfiehlt es sich jedoch, schriftlich jedesmal die ver- 
abreichte Röntgendosis in irgendeiner ungefähr reproduzierbaren Weise zu fixieren.‘‘ 
„Über die Zeit, nach welcher man die Wirkung der Strahlen für abgeklungen halten 
kann, besteht wohl z. Zt. noch keine definitive wissenschaftliche Ansicht. Auch 
Spätschädigungen der Haut liegen durchaus im Bereich der Möglichkeit.‘‘ Betreffs 
der Frage, ob ein Verschulden darin zu sehen wäre, daß während der Bestrahlung 
niemand im Zimmer anwesend war, sondern die Beaufsichtigung und Kontrollierung 
des Apparates vom Nebenzimmer aus erfolgte, heißt es: „Eine Beaufsichtigung durch 
die offene Tür von einem Nebenzimmer aus kann genügen, wenn man sich darauf ein- 
geübt hat, den Gang der Apparate nach dem Geräusch, das sie verursachen, zu beur- 
teilen.‘‘ 

Fall18u. 19. Außer diesen genau studierten Aktenfällen liegen mir noch 2 Fälle 
vor, auf die ich aber nicht näher eingehen will, weil sie gerichtlich noch nicht entschie- 
den sind. In dem einen Fall handelt es sich um eine Röntgendermatitis beider 
Hände nach Ekzembehandlung, Schadensersatzforderung 50000 M., in dem anderen 
Fall um ein Röntgenulkus an der Hand, das zu einer Kontraktur der Finger 
führte, in diesem Falle waren außer den Bestrahlungen auch eine Anzahl Fibrolysin- 
einspritzungen gemacht worden. Das zu grunde liegende Leiden war hier ein seit 
langer Zeit bestehendes kallöses Ekzem, jedenfalls hervorgerufen durch längere Be- 
schäftigung mit verschiedenen Desinfizienzien. Schadensersatzforderung 20000 M. 


Außer den hier besprochenen Fällen weise ich noch hin auf die von 
Albers-Schönberg (a.a.0.) angegebene Blütenlese ähnlicher Fälle: 

1. Verbrennung des Gesichts bei Lupusbehandlung. Ersatzforderung 
2000 M. 

2. Verbrennung der Fußsohlen infolge Ekzembehandlung. Ersatz- 
forderung 6000 M. 

3. Verbrennung des Armes. Ersatzfurderung S000 M. 

4. Verbrennung des Gesichts bei Bestrahlung zwecks Beseitigung von 
Gesichtshaaren. Ersatzforderung 10000 M. 

5. Verbrennung des Oberkörpers. Ersatzforderung 13700 M. 

6. Verbrennung des Unterleibes bei Darmkrebsbehandlung. Ersatz- 
forderung 14000 M. 

7. Verbrennung des linken Handgelenks. Ersatzforderung 20000 M. 

S$. Verbrennung beider Hände mit der Folge dauernder Gebrauchs- 
unfähigkeit derselben. Ersatzforderung 50000 M. 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 157 


V. Die Pflichten des Röntgenchefsund der Krankenhaus- 
direktoren gegen ihre Röntgenassistenten und Ange- 
stellten.) | 

Obwohl diese Pflichten sich aus dem bisher gesagten eigentlich von 
selbst ergeben, möchte ich doch kurz, zumal auch die Merkblätter der 
letzten Röntgenkongresse stets darauf hingewiesen haben, noch einmal kurz 
auf dieses Gebiet eingehen. Die allmählich immer mehr bekannt ge- 
wordenen Schädigungen nicht nur der Hände, sondern vor allen Dingen 
auch der Fortpflanzungsorgane derjenigen Menschen, die sich viel den 
Röntgenstrahlen aussetzen, machen den Schutz der Röntgenangestellten zu 
einem unbedingten Erfordernis. Veränderung an Netzhaut und Sehnerven 
kommen hier ebenso in Betracht und sicher ist wohl auch eine schädliche 
Beeinflussung des gesamten lymphadenoiden und hämatogenen Apparates bei 
Personen, die oft unter dem Einfluß der Röntgenstrahlen stehen, an- 
zunehmen. 

Die aus diesen Gesichtspunkten sich ergebenden Pflichten für den 
Röntgenchef, resp. die Krankenhausleiter regeln sich nach den Bestim- 
mungen des BGB. über den Anstellungsvertrag ($ 611 BGB.). Es ist 
gleichgültig, ob ein derartiger Vertrag mündlich oder schriftlich ver- 
einbart und ob eine Vergütung für die Tätigkeit ausgesetzt ist oder nicht, 
so daß für die hier in Frage kommende Materie die Assistenten wie 
Volontäre, Krankenhausschwestern und Röntgengehilfinnen ganz gleich- 
stehen. Für den Schutz dieser Angestellten trifft der $ 618, 1 Fürsorge: 
„der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften so 
einzurichten und zu unterhalten, und Dienstleistungen, die unter seiner 
Anordnung oder unter seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dal) 
der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt 
ist, als die Natur der Dienstleistungen es gestattet“. Aus diesem Grunde 
ergibt sich für den Röntgenchef und dem in der Beziehung stets gleich- 
stehenden Krankenhausleiter die absolute Pflicht, die Röntgenschutz- 
einrichtung stets nach dem neuesten Stande der Wissenschaft zu regeln. 
Absatz 3 desselben Paragraphen lautet: „erfüllt der Dienstberechtigte die 
ihm in Ansehung des Lebens und der Gesundheit des Verpflichteten ob- 
liegenden Verpflichtungen nicht, so finden auf seine Verpflichtung zum 
Schadensersatz die für unerlaubte Handlungen geltenden Vorschriften der 
&S 842—16 BGB. entsprechende Anwendung.“ Wie weit das geht, haben 
wir ja in den obigen Kapiteln eingehend gesehen. Der Chefarzt ist dem- 
nach verpflichtet, zunächst seine Angestellten, soweit sie nicht selbst sach- 


I) F. Kirchberg, unter dem gleichen Titel wie oben in Fortschritte auf dem 
Gebiet der Röntgenstrahlen Bd. 9. 


158 Kirchberg, 


kundig sind, über die gefährlichen Einwirkungen der Röntgenstrahlen und 
die Möglichkeit, sich dagegen zu schützen, in ausreichender Weise zu be- 
lehren; das wird in einem größeren Betriebe am besten durch ein dauernd 
dort angeschlagenes Merkblatt zu erreichen sein. Stillschweigend voraus- 
setzen darf er diese Kenntnis jedenfalls nicht. 

Die Verpflichtung des Dienstherrn für möglichsten Schutz des Lebens 
und der Gesundheit, kann nach $ 619 BGB. durch Vertrag nicht auf- 
gehoben oder beschränkt werden, m. a. W. ein in den Anstellungskontrakt 
des Angestellten aufgenommener Passus, daß er von vornherein auf jeden 
Schadensersatz für im Betriebe ihn treffende Schädigungen verzichtet, ist 
gegenstandslos und hindert ihn an späterer Geltendmachung event. An- 
sprüche nicht. Die Angestellten haben nun wohl das Recht, im Wege 
der Klage die Beschaffung der nötigen Schutzmaßregeln zu verlangen, 
daneben aber aus $ 626 BGB. das Recht der sofortigen Kündigung. 

Ich glaube ja nun, daß diese beiden Fälle äußerst selten eintreten 
werden, daß es vielmehr sehr viel eher hinterher zu Schadensersatzansprüchen 
kommen wird. Gegen wen diese nun gehen, wird in manchen Fällen 
zweifelhaft. sein, nämlich da, wo Assistenten und das übrige Personal von 
einer Anstalt öffentlichen Rechtes angestellt sind und einem gleichfalls von 
dieser angestellten Chefarzt unterstehen, der sie ausgesucht und verpflichtet 
hat, z. B. bei Assistenzärzten usw., städtischer oder staatlicher Kranken- 
häuser, Heilanstalten, Landesversicherungsanstalten usw. Als rechtlich ver- 
pflichteter Dienstherr im Sinne des $ 611 und 618 B.G.B. kommt hier 
zunächst die öffentliche Anstalt in Betracht (Stadtgemeinde, Staat usw.). 
An ihrer Stelle und für sie handelt jedoch der von ihr angestellte Chefarzt, 
im Hinblick auf die dem Dienstberechtigten obliegenden Verpflichtungen 
tritt also an ihre Stelle ein anderer als Gehilfe im Sinne des $ 278 B.G.B. 
und sie haftet infolgedessen nach $ 278 für Verschulden desselben wie für 
gleiches Verschulden. Dem Geschädigten haftet also in erster Linie die 
Anstalt öffentlichen Rechtes, in zweiter Linie der Chefarzt. 

Der Umfang des zu leistenden Schadensersatzes wird nach $ 618 3, 
„erfüllt der Dienstberechtigte die ihm in Ansehung des Lebens und der 
Gesundheit des Verpflichteten obliegende Verpflichtung nicht, so finden 
auf seine Verpflichtung zum Schadensersatze die für unerlaubte Handlungen 
geltenden Vorschriften der §§ 842—846 entsprechende Anwendung“ be- 
stimmt. Es greifen jetzt hier also alle die Erwägungen wieder Platz, die 
wir oben gelegentlich der Patienten fahrlässig zugefügten Röntgenschädi- 
gungen kennen gelernt haben. 

Ich halte es auch für sehr gut möglich, daß später Forderungen wegen 
derartiger Schädigungen an die Krankenhausleiter herantreten werden, wenn 
es nicht schon geschehen ist, was mir unbekannt geblieben ist. Schadens- 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 159 


ersatzansprüche wegen durch die Beschäftigung mit Röntgenstralilen ein- 
getretener Sterilisierung sind sehr wohl denkbar, wenn da auch allerdings 
der Nachweis sehr schwer, wenn nicht fast unmöglich erscheint. Doch 
auch hier wird wohl in einem Prozeß die mehr oder minder große Wahr- 
scheinlichkeit genügen. 


Aus diesen Erwägungen heraus ergeben sich die von mir schon vor 
7 Jahren aufgestellten Forderungen: 1. eingehender Aufklärung über die 
möglichen Schädigungen beim Dienstantritt neuen Personals, oder der Ein- 
fachheit halber Aufliängen von Merkblättern mit genauer Auseinander- 
setzung sowohl der möglichen und wahrscheinlichen Schädigungen, die mit 
der vielfachen Berührung mit X-Strahlen verbunden sind, als auch der 
genauen Anweisung des (sebrauches der Schutzmaßregeln. 2. Die Be- 
schaffung der Schutzvorrichtungen selbstverständlich auch in dem kleinsten 
Röntgenlaboratorıum. Ich habe dann weiter vor Jahren angeregt, in 
Röntgenlaboratorien, in denen viel gearbeitet wird, Käfige mit Tieren für 
lange Zeit aufzuhängen, zum Teil auch so, daß sie von den Sekundär- 
strahlen allein getroffen werden. Wie weit das geschehen ist, entzieht sich 
meiner Kenntnis, es genügt glaube ich nicht, bei diesen Tieren die Fort- 
pflanzungsorgane zu untersuchen, es wäre, glaube ich, von großer Wichtig- 
keit, das gesamte hämatogene und Iymphadoide System dabei genau zu 
untersuchen. !) 


Sind die oben geforderten Bedingungen der Aufklärung des Personals 
und der Bereitstellung der Schutzmaßregeln erfüllt und treten trotzdem 
Schädigungen ein, die entweder ihre Ursache haben in unvorsichtigem Ver- 
halten der Angestellten oder in außerhalb der Haftung liegenden zufälligen 
oder bisher nicht erforschten Ursachen, so wird natürlich die Schadens- 
ersatzpflicht der Dienstberechtigten ausgeschlossen sein, doch wird auch 
hier bei Prozessen, wenn seitens der Beschädigten die Schädigung nach- 
gewiesen ist, die Beweislast, daß die gestellten Forderungen erfüllt sind, 
auf seiten des Beklagten liegen.?) 


1) Albers-Schönberg berichtet über derartige Experimente a. a. O. S. 430. 


2) Siehe auch das Merkblatt 1913 der D.R.G. über den Gebrauch von Schutz- 
maßregeln gegen Röntgenstrahlen: 

1. Die öfter wiederholte Bestrahlung irgendeines Teiles des menschlichen Körpers 
mit Röntgenstrahlen ist gefährlich und hat auch schon mehrfach zu namhaften Schä- 
digungen, ja sogar zum Tode von Röntgenärzten und anderen häufig mit Röntgen- 
strahlen arbeitenden Personen geführt. Deswegen ist es unbedingt nötig, daß sowohl 
derartige Personen selbst wie auch ev. deren Vorgesetzte oder Arbeitgeber darauf sehen, 
daß in ihren Betrieben genügende Schutzvorrichtungen vorhanden sind, und daß alle 
diese Personen auch von der Notwendigkeit und dem Gebrauche dieser Vorrichtungen 
genügend unterrichtet sind. Letzteres dürfte am zweckmäßigsten dadurch erreicht 


160 Kirchberg, 


Röntgenschädigungen gelegentlich von Unterrichtskursen. 


Nach dem Vorgesagten ergibt es sich eigentlich von selbst, dal auch 
die gelegentlich von Unterrichtskursen doch möglichen Röntgenschädigungen 
von den Kursleitern zu verantworten, d. h. die Kursleiter für diese haftbar 
sind. Reverse des Inhaltes, daß die Kursteilnehmer die Verantwortung 
selbst tragen. können. wenn dem Kursleiter Fahrlässigkeit im Betriebe 
oder mangelhafte Schutzmaßregeln nachgewiesen werden, den Kursleiter 


werden, daß das vorliegende Merkblatt in allen derartigen Betrieben öffentlich aus- 
gehängt wird. 

2. Als mindest erforderlicher Schutz gegen länger dauernde Bestrahlungen 
gilt cine Bleischicht von 2 mm Dicke, die so groß ist und so angebracht sein muß, daß 
sie mindestens die ganze Person gegen die direkte Strahlung der Röhre abdeckt. Das 
Blei ist seiner Giftigkeit wegen beiderseits mit Deckmaterial, wie Holz, farbigem 
Lack oder dergl. zu bekleiden. 

3. Das Blei der Schutzschicht kann ganz oder teilweise durch Bleigummi oder 
Bleiglas für Röntgenzwecke ersetzt werden, jedoch muß in diesem Falle die Dicke 
dieser Materialien, entsprechend ihrer geringeren Schutzwirkung, erheblich größer 
genommen werden als beim reinen Blei, bei gutem Bleigummi nämlich etwa viermal 
und bei gutem Bleiglas etwa 5—10mal so dick, d. h. also bzw. 8 und 10—20 mm. 
Eine Bekleidung ist bei diesen Stoffen nicht nötig. Ä 

4. Auch bei Anwendung einer solchen Schutzschicht ist es empfehlenswert — 
zumal wenn ces sich um länger dauernde Bestrahlungen handelt — sich soweit als 
möglich von der im Betriebe befindlichen Röhre zu entfernen. 

5. Der beste Schutz wäre zwar ein solcher, bei welchem eine der genannten 
Schutzschichten entweder die ganze Röhre als Schutzkasten oder den ganzen Unter- 
sucher als Schutzhütte umgibt; im Interesse der Beweglichkeit der Röhre erscheint 
es jedoch zweckmäßig, den Schutz in der Weise zu bewirken, daB man die Röhre nur 
mit einer Kappe oder einem Kasten umgibt, dann aber außerdem noch eine Schutz- 
wand vorsieht, hinter welcher sich der Untersucher während des größten Teiles der 
Arbeitszeit der Röhre aufzuhalten hat. 

Auch der Durchleuchtungsschirm und die übrigen, im direkten Strahlenkegel 
der Röhre zu benutzenden Apparate, wie Härteskalen, Fokometer u. dgl. müssen in 
ihren undurchlässigen Teilen mit einer Bleiglasschicht hinterlegt sein, jedoch braucht 
dieselbe in diesen Fällen, im Interesse der Handlichkeit nur etwa halb so dick zu sein 
wie bei der für den dauernden Schutz bestimmten Schicht, d. h. also bei gutem Blei- 
glas etwa 5—10 mm. 

7. Jede der unter l genannten Personen soll ihre Schutzvorrichtungen möglichst 
selbst prüfen, was am einfachsten vermittelst einer Durchleuchtung oder röntgeno- 
graphischen Aufnahme, unter Benutzung einer harten Röntgenröhre, geschieht. 

8. Von den unter 1 genannten Personen darf niemand wiederholt als Versuchs- 
objekt zur Beurteilung der Güte cines Röntgenapparates oder einer Röntgenröhre 
verwandt werden. 

9. Jeder Assistent, Praktikant, Volontär, jede Krankenschwester und jeder 
vom übrigen Hilfspersonal hat das Recht, die Weisung, Röntgenarheit ohne genügende 
Schutzvorrichtungen auszuführen, abzulehnen. Eine solche Weigerung darf niemals 
den Grund zur Entlassung bilden. Dasselbe gilt für das Personal von Fabriken und 
Magazinen, die Röntgenapparate, -hilfsapparate und -röhren anfertigen oder verkaufen. 


Röntgenschädigungen und ihre rechtliche Beurteilung. 161 


nicht entlasten, sind also ganz überflüssig. Ich halte die Instruktion und 
Aufklärung über die Röntgenschädigungen für etwas so wichtiges, daß die 
Kursleiter sie von vornherein zu besprechen haben. Betreffs der Über- 
nahme der Haftung durch die Gesellschaft ist es selbstverständlich, daß 
die Haftpflichtgesellschaft das Risiko nur dann trägt, wenn es in der Police 
extra ausgemacht ist. 

Während in den meisten Röntgenlehrbüchern das Kapitel der Röntgen- 
schädigungen sehr mangelhaft abgehandelt ist, macht Albers-Schönberg: 
Röntgentechnik, davon eine Ausnahme. In seiner neusten Auflage (4. Auf- 
lage 1913) spricht er z. B. auch über die Police. Nach seinen Angaben 
soll die Police enthalten: Versicherungsnehmer ist Spezialarzt für Röntgeno- 
logie und Vorstand eines Röntgeninstituts. Zu seinen Obliegenheiten ge- 
hören diagnostische Untersuchungen und therapeutische Behandlung von 
Patienten mit Röntgenstrahlen, ferner die Erteilung von Unterrichtskursen 
auf dem Gebiet der Röntgenologie an Ärzte, Schwestern usw. Alle An- 
sprüche, welche sich aus der Tätigkeit des Röntgenologen ergeben, müssen 
durch die Versicherung gedeckt sein; desgleichen die Ansprüche, welche 
durch Verfehlungen des Personals (Assistensarzt, Volontärarzt, Schwestern 
usw.) eventuell gegen ihn erhoben werden können.“ Schließlich möchte ich 
doch den Versicherungsnehmern raten, lieber die 100% als die 90% zu 
nehmen. 

Ich hoffe, so von allen Seiten die aus den Röntgenschädigungen sich 
ergebenden rechtlichen Folgerungen beleuchtet zu haben, ich weise am 
Schluß nochmals auf Levy Dorns Worte hin (a. a. O.): „Der Sach- 
verständige wird heute so gut wie nie eine Röntgenverbrennung herbei- 
führen“, Worte, die mir durch Professor Grunmach bestätigt wurden, 
der auch angab, bei ca. 90000 X-Strahlenanwendungen zu diagnostischen 
und therapeutischen Zwecken nie eine Schädigung gesehen zu haben; 
gründliches Studium und sorgfältige Arbeit wird also auch auf diesem 
Gebiet unser bester Schutz gegen prozessuale Unannehmlichkeiten sein. 
Daneben müssen wir aber, um gegen ungerechte Vorwürfe gewappnet zu 
sein, auch die bestehenden Rechtsvorschriften kennen und sie anzuwenden 
verstehen. Dazu etwas mit beizutragen, war der Hauptzweck dieser Arbeit. 


Strahlentherapie Band III, Heft 1. 11 


Die physikalischen Grundlagen für die Dosierung der 


Röntgenstrahlen. 
Von 
Privatdozent Dr. Christen-Bern.') 

bgleich die Dosierung eine eminent praktische Frage ist, und obgleich 

theoretische Erörterungen im Allgemeinen nicht mit ungemischter 
Freude aufgenommen werden, rechtfertigt sich dennoch eine kurze Erklärung 
der theoretischen Grundlagen der Dosierung. Einmal dadurch, daß wir 
als Männer der Wissenschaft verpflichtet sind, nicht an der Oberfläche zu 
bleiben, sondern den Dingen auf den Grund zu gehen. Dann aber auch 
deshalb, weil doch schon hier und dort in der Medizin die Überschätzung 
des Experimentes auf Abwege geführt hat, die man, fußend auf einer 
korrekten theoretischen Grundlage, nicht betreten hätte. Auch haben die 
Vorträge und Wechselreden des heurigen Kongresses für Physiotherapie 
wiederholt gezeigt, daß manche grundsätzlich verschiedenen Dinge nicht 
richtig auseinandergehalten werden. 

Als Beispiel erinnere ich an den Einfluß der Dispersion einerseits und 
der Absorption andererseits auf das Verhältnis zwischen Oberflächendosis 
und Tiefendosis (Dosenquotient), wobei die Dispersion mit der Fokaldistanz 
und die Absorption mit dem Härtegrad zusammenhängt. 

Ferner, wenn z. B. Herr Loose gesagt hat, man könne mit mittelharten 
Strahlen bessere Tiefenwirkung (Ovarium) erzielen als mit harten und sehr 
harten Strahlen, so müßte er uns doch eigentlich irgendwelche Erklärung 
zu geben versuchen für die merkwürdige Tatsache, daß eine 7 mm-Strahlung, 
die in 5 cm Tiefe auf 1°, ihres Oberflächenwertes reduziert ist, hier besser 
wirken soll, als eine 2!/, cm-Strahlung, von der an der gleichen Stelle doch 
immerhin noch 25°/, vorhanden sind. 

Gewiß hat der Härtegrad für die Tiefenwirkung ein Optimum, und 
wenn man die Strahlung härter wählt, als dieses Optimum, so wird die 
Tiefenwirkung wieder geringer. Aber in dieses Gebiet kommen wir 
praktisch ja gar nicht, weil die höchstmöglichen Härtewerte ja noch unter- 
halb des Optimums für die Ovarien liegen. 

Auch wäre hier eine Auseinandersetzung mit den diechertizlichen sehr 
schönen und eingehenden Arbeiten von Hans Meyer und seinen Mit- 
arbeitern Rost und Krüger, die das Gegenteil ergeben haben, nicht 
wohl zu umgehen. 








1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie, 
Berlin, März 1913. 


Christen, Physikalische Grundlagen f. d. Dosierung d. Röntgenstrahlen. 163 


Ungelöst ist ferner noch die Filterfrage. Jedenfalls steht die Vor- 
stellung eines wesentlich heterogenen Strahlengemisches in Widerspruch 
mit dem Walterschen Ablenkungsversuch, wobei die Verschiebung des 
Brennpunktes auf der Antikathode im magnetischen Feld keine Verbreiterung 
desselben ergeben hat. Das müßte sie aber doch, wenn Kathodenstrahlen 
von wesentlich verschiedener Geschwindigkeit vorhanden wären. 

Unrichtig ist jedenfalls die Anschauung, auf die man immer wieder 
stößt, wonach ein „Filter‘‘ die der Haut schädlichen Strahlen abfangen und 
die in der Tiefe wirksamen durchlassen soll. Denn auch von der härtesten 
Strahlung absorbiert die Haut stets mehr als eine gleich dicke Schicht 
in der Tiefe, dank der Dispersion sowohl wie dank der Absorption in 
der Überschicht. 

Um diese und viele andere Fragen genau zu studieren, müssen wir 
aber vor Allem mit klaren Begriffen argumentieren. Für Näheres über 
diese Frage verweise ich auf meine ausführliche Monographie über Messung 
und Dosierung (Verlag von Graefe & Sillem) zu der ich die Anregung 
Herrn Prof. Albers-Schönberg verdanke. 

Nur drei Begriffe möchte ich gern heute festlegen: Die Intensität, 
die Flächenergie und die Dosis. 

1. Unter Intensität hat man zu verstehen die in der Zeiteinheit 
auf die Flächeneinheit fallende Menge strahlender Energie. 

r= E 
T.f 

2. Zur Berechnung der Wirkung muß aber nicht nur die Intensität, 
sondern auch die Bestrahlungszeit in Rechnung gesetzt werden. Die doppelte 
Wirkung erhält man ebensogut durch Verdoppelung der Intensität, als durch 
Verdoppelung der Bestrahlungszeit. Wir brauchen daher das Produkt 
aus Intensität und Bestrahlungszeit, welches nach obiger Gleichung 


folgenden Wert hat: E 


1.I=7 


Diese neue Gleichung sagt uns, daß das Produkt aus Intensität und 
Zeit gleich ist der Energiemenge, welche auf die Flächeneinheit fällt. 
Daher der Name „Flächenenergie‘ und die Bezeichnung mit dem 


Buchstaben F: E 


F=1.1=-2 


3. Etwas grundsätzlich hiervon Verschiedenes ist die Dosis. Hier 
handelt es sich nicht mehr um die Energie, welche auf die Flächeneinheit 
füllt, sondern um diejenige, welche in der Volumeneinheit absorbiert 
wird. Es kommt also in den Nenner anstatt einer Fläche ein Volumen, 
anstatt der zweiten Potenz der Länge, deren dritte Potenz. 

11* 


164 Christen, Physikalische Grundlagen f. d. Dosierung d. Röntgenstrallen. 


Es läßt sich zeigen, daß die eine Längeneinheit, welche im Nenner 
hinzutritt, nichts anderes ist, als die Halbwertschicht der betreffenden 
Strahlung. 

Die Dosis hat den Wert 

D= - 0,7 
a 

Zur Klärung der Ideen ist es von höchster Bedeutung, festzustellen. 
daß zwar nicht die Flächenenergie, wohl aber die Dosis in hohem Maße 
vom Härtegrade abhängig ist. Diese Tatsache ist an der menschlichen 
Haut qualitativ von H. E. Schmidt, quantitativ von Hans Meyer fest- 
gestellt worden. Sie gilt für das Kienböcksche Quantimeter ebensowohl 
wie für die Sabouraudpastille. 

Daß man, sowohl um den Zusammenhang zwischen Dosis und Härte- 
grad zu erkennen, als auch zur Veranschaulichung der Tiefenwirkung mit 
Vorteil das absolute Maß der Halbwertschicht zur Beurteilung des Härte- 
grades verwendet, dürfte nach dem bisher Gesagten klar sein. 

Einen wesentlichen Fortschritt für alle kommenden Untersuchungen 
bedeutet es, daß wir neuerdings über ein Instrument verfügen, welches von 
der Reiniger, Gebbert & Schall A.-G. konstruiert wird, das Iontoquanti- 
meter. Gemessen wird damit diejenige Elektrizitätsmenge, welche eine 
Kapazität über eine ionisierte Luftstrecke verliert. 

Je größer die Intensität der Röntgenstrahlung ist, desto stärker ist 
die Ionisation, desto mehr Elektrizität fließt in der Zeiteinheit ab. Es 
fließt aber auch umsomehr Elektrizität ab, je länger man bestrahlt. Das 
Iontoquantimeter mißt also das Produkt aus Intensität und Bestrahlungs- 
zeit, oder mit anderen Worten die Flächenenersgie. 

Da endlich der Zusammenhang zwischen Intensität und Ionisation vom 
Härtegrade ziemlich unabhängig ist, so sind wir zum ersten Male in 
der Lage, Intensitäten, Flächenergien und Dosen von verschie- 
denem Härtegrade miteinander zu vergleichen, eine Möglichkeit. 
die wir ja schon lange als dringendes Bedürfnis empfunden haben. 

Auf alle Fälle ist aber eine genaue Präzision in allen unseren Dis- 
kussionen dringend nötig, sonst reden wir einfach aneinander vorbei. Dazu 
müssen wir aber vor Allem unsere Begriffe scharf und unzweideutig definieren. 

Sind nun meine Definitionen unzulänglich, so lasse ich mich gern eines 
Besseren belehren. Sind sie aber richtig, so möge man bedenken, daß ohne 
wohl definierte Begriffe nicht nur ein bleibender Fortschritt bedenklich er- 
schwert, sondern selbst eine gegenseitige Verständigung unmöglich ist. Ich 
glaube aber bestimmt. daß mit der Einführung unzweideutiger Definitionen 
unser wissenschaftliches Denken an Klarheit gewinnen und unser ex- 
perimentelles Arbeiten die richtigen Bahnen finden muß. 


Das Radiochromoskop, 
ein Apparat, der eine exakte Schätzung der Röntgenstrahlendosen 
unter immer vergleichbaren Bedingungen gestattet.!) 


Von 
Dr. Th. Nogier, 


außerordentlichem Professor der Physik an der medizinischen Fakultät der Uni- 
versität Lyon. 


(Mit 2 Abbildungen.) 


D“ praktischsten Apparate zur Dosierung der Röntgenstrahlen sind alle 
auf dem Prinzip der Farbenveränderung des Bariumplatinzyanürs 
(Villardscher Effekt) aufgebaut. Es sind: das Radiometer von Sabouraud, 
das Chromoradiometer von Bordier und das Chromoradiometer von 
Holzknecht. 

Die beiden letzteren sind besonders verlockend, da sie nicht nur eine, 
sondern mehrere Röntgenstrahlendosen abzulesen gestatten. Die Schwierig- 
keit beginnt aber bei der Ablesung dieser Apparate. Man soll die ver- 
änderte Farbe des Bariumplatinzyanürs mit einer künstlich gefärbten Skala 
vergleichen. Nun regen aber die Strahlen des Tageslichts in hohem Maße 
die Fluoreszenz des Bariumplatinzyanürs an und diese Fluoreszenz ist dem 
Arzte bei der Ablesung der erhaltenen Farbe sehr hinderlich, da er eine 
gelb gefärbte und mehr oder weniger lebhaft fluoreszierende Tablette mit 
einem nicht fluoreszierenden gefärbten Objekt vergleichen soll. Bereits im 
Jahre 1911 habe ich zusammen mit meinem Kollegen Herrn Prof. Regaud 
auf die weitgehenden Irrtümer, welche bei dieser Ablesung selbst geübte 
Beobachter begehen können, aufmerksam gemacht.?) | 

Das Tageslicht ist nämlich großen Schwankungen ausgesetzt. Alle 
Photographen wissen, daß dasselbe je nach der Tages- oder Jahreszeit oder 
nach der geographischen Breite wechselt. Wenn der Himmel leicht be- 
deckt ist, so wird das Licht weißlich erscheinen; ist er ganz unbedeckt, 
so erscheint es blau. Am Ufer des Meeres oder eines Flusses ist es intensiv, 
in einer Straße hingegen viel schwächer und gelblich. Das Licht, das man 
in London um 12 Uhr mittags an einem nebligen Dezembertag hat, ist 


ı) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie, 
Berlin, 1913. 

?) Regaud et Nogier. Estimation différente des doses de rayons X 
suivant les divers modes d’eclairage du chromoradiometre. (Congrès de l’ Asso- 
ciation française pour l’ Avancement des Sciences. Dijon, août 1911.) 


166 Nogier, 


sicherlich nicht dasselbe, das man am selben Tage und zur selben Stunde 
unter dem Himmel von Neapel oder des Kaps hat. 

Je ärmer aber das Tageslicht an blauen Strahlen ist (Regentage, Nebel- 
und Wintertage, nördliche Breiten), um so dunkler wird die Farbe der 
Pastille erscheinen. Man wird dann glauben, eine größere Dosis verabreicht 
zu haben, als sie das bestrahlte Gewebe bekommen hat. Man wird also 
unterdosieren. 

Je reicher aber das Licht an blauen Strahlen ist (Sonnen- und Sommer- 
tage, Licht des Gebirges und heißer Länder), um so mehr wird die Farbe 
der Tablette die Neigung haben, sich der Originalfarbe des Bariumplatin- 
zyanürs zu nähern. Sie wird mehr grün und weniger gelb erscheinen. 
Man wird dann glauben, eine kleinere Dosis appliziert zu haben, als sie 
die Gewebe in Wirklichkeit erhalten haben. Man wird also überdosieren 
und könnte eventuell eine Röntgendermatitis erzeugen da, wo man sich in 
gutem Glauben befand, eine Dosis zu applizieren, welche dieselbe nicht her- 
vorrufen konnte. 

Und noch mehr. Bei kleinen Dosen (1—5 H) hat sich die Tablette 
nur sehr wenig verändert und wird leicht wieder am Tageslicht abblassen. 
so daß selbst während der Ablesung die Tablette die Tendenz hat, eine 
immer geringer werdende Dosis anzugeben: eine neue Fehlerquelle, welche 
man der vorher erwähnten hinzurechnen muß und die immer im gleichen 
Sinne wie diese wirkt. 

Ferner ist die Vergleichung der kleinen Dosen (Teinte 0, I, II;2 des 
Bordierschen Chromoradiometers mit den Testfarben infolge der geringen 
Farbenunterschiede etwas mißlich und nicht immer leicht zu bewerkstelligen. 
besonders im Tageslicht. Um diesen vielen Mißständen zu begegnen. 
schlugen wir, Regaud und ich vor, die Vergleichung bei künstlichem 
Lichte vorzunehmen. Wir hatten kaum diese Vorschläge publiziert, als 
Dr. Ceresole!) in Venedig die Berechtigung derselben voll anerkannte 
und zu gleicher Zeit seine Methode der Ablesung des Bordierschen 
Chromoradiometers bei künstlichem Licht (einer kleinen Benzinlampe' 
bekannt gab. Bordier?) selber erkannte ebenfalls die Richtigkeit unserer 
Beobachtungen an und konstruierte einen kleinen Apparat, der die Ab- 
lesung seines Chromoradiometers zwar im Tageslicht gestattete, aber duch 
in einem gedämpften und diffusen Tageslicht und infolgedessen unter schon 
eher vergleichbaren Bedingungen. 


1) Ceresole. Estimation de l’effet Villard a la lumiere artificielle (Arch. 
d’ Electricité médicale, 10 Janvier 1912). 

23 Bordier. Facilité d'évaluation des doses faibles, soit en lumière arti- 
ficielle, soit en lumiċre naturelle, par le chromoradiometre (Arch. d’Electr. med. 
10 Avril 1912), 


Das Radiochromoskop. 167 


Ich glaube aber, daß selbst mit dem von Bordier empfohlenen In- 
strument die Ablesung der Chromoradivmeter im Tageslicht fehlerhaft ist: 

1. Weil nie sicher ist, ob man an verschiedenen Tagen ein qualitativ 
gleiches Licht zur Verfügung hat. 

2. Weil jede Röntgentherapie beim Sinken des Tages unmöglich wird. 


OS... SS 
F Oea = 
a SIISSTSSSHUCXCUURIıIıIıIIII—U—ı 


x 


CELL IALL 


CE EKAL E EEEKEELEÈ LE ELEĖ LEIEL OOOI O 





VRREEZ, 
NNNS//Z/Z 


GIPLDLLDDLLLTTPIT ID SISSOIIIIIIIIIIIIIUN 





Dooh iiin INN 


< 
Z.N: 


<y 





Fig. 1. 
Horizontalschnitt durch das Radiochromoskop von Dr. Th. Nogier. Ansicht 
von oben. Ch= Chromoradiometer von Bordier in seinem Fenster. L = Glüh- 
lampe. I= Einschalter. V V’’=Rahmen, der das blaue Glas trägt und sich 
von vorn nach hinten schieben läßt. B B’ = elektr. Drähte für die Lampe. cc = 
undurchsichtige Wand. Der Pfeil deutet die Blickrichtung des Beobachters an. 


3. Weil es unlogisch ist, präzise Messungen bei einer in Qualität 
(Teinte) und Intensität wechselnden Beleuchtung zu machen. Manche 
Abende sind sehr reich an gelben und roten Strahlen, aber sehr arm an 
blauen und violetten. Bei dieser Beleuchtung ist dann die Ablesung der 
Tablette vollständig falsch. 


168 Nogier, 


Man mußte sich deshalb entschließen, für die Vergleichung der Barium- 
platinzyanürtabletten mit der Skala der Chromoradiometer gänzlich auf 
das Tageslicht zu verzichten. Zu diesem Zwecke konstruierte ich einen 
kleinen Apparat, den ich Radiochromoskop nannte und der erlaubt, die 
durch die Röntgenstrahlen erzeugte Farbenveränderung der Bariumplatin- 
zyanürtablette bei künstlichem Lichte abzulesen. 

Ich will zuerst den Apparat selber und die Prinzipien seiner Kon- 
struktion besprechen, dann eine Anweisung für seine Handhabung geben 
und zuletzt seine Vorteile auseinandersetzen. Das Radiochromoskop be- 
steht aus einer fast kubischen Holzkiste, deren vertikale Rückwand links 
ein Fenster birgt, in welches man die Skala des Bordierschen Chromo- 
radiometers einschiebt (Fig. 1). 

Vor dieser Skala etwas zur rechten in einem bei allen Apparaten 
festen Abstand findet sich eine Kohlenfadenglühbirne L von 16 Kerzen 
und 110 Volt. Diese Lampe hat eine zylindrische Form, so daß sie das 
Chromoradiometer in seiner ganzen Länge gleichmäßig beleuchtet. Außer- 
dem ist sie matt, so daß das ausstrahlende Licht möglichst gleichmäßig ist. 

Das Auge des Beobachters kann diese Lampe nicht sehen. Eine 
kleine Holzwand cc’ versteckt sie ihm, so daß er durch dieselbe bei der 
Betrachtung des Uhromoradiometers nicht gestört wird. Zwischen dieser 
Wand und dem Chromoradiometer läßt sich von vorn nach hinten oder 
umgekehrt ein kleiner Rahmen V V’ verschieben, der ein gefärbtes Glas 
V trägt. Wir werden bald sehen, wozu dasselbe dient. 

Auf dem Boden des Instruments findet sich ein Einschalter I mit 
2 m langer Litze und einem Steckkontakt, der sich an jede Lichtleitung 
anschließen läßt. 

Die Prinzipien, die mich bei der Konstruktion des Radiochromoskops 
leiteten, sind folgende: 

1. Zuerst sollen Skala und Tablette mit einer Lichtquelle beleuchtet 
werden, welche unfähig ist, Fluoreszenz beim Bariumplatinzyanür zu er- 
regen. Man liest dann ab, wie wenn es sich um ein nicht fluoreszierendes 
Salz handeln würde, oder besser, wie wenn man einen Augenblick aus 
der Tabelle alles nicht veränderte Platinzyanür entfernt hätte. 

2. Dann sollen Skala und Tablette durch ein besonderes blaues Licht 
(blaugrünes) Glas betrachtet werden, welches der Skala und der Pastille 
diejenigen Farben wieder gibt, die sie bei Tageslicht hätten, unter gleich- 
zeitiger beinahe vollständiger Unterdrückung der parasitären Fluoreszenz- 
farbe. 

Als Lichtquelle benutzte ich keine Metallfadenlampe, da ihr Licht 
zu weiß und zu reich an violetten und ultravioletten Strahlen ist, sondern 
eine Kohlenfadenglühbirne. 


Das Radiochromoskop. 169 


Man bekommt so ein gelbliches Licht, das sich sehr gut für eine erste 
Ablesung verwerten läßt und welche viel leichter reproduziert werden kann 
als dasjenige einer Kerze oder einer Benzinlampe. 

Was das blaue Glas anbetrifft, das zur zweiten Ablesung dient, so 
handelt es sich um ein besonderes Blauglas, das bei 2 mm Dicke die 
Strahlen einer Quecksilberquarzlampe bis zu 3,341 Angström - Einheiten 





Fig. 2. 


Radiochromoskop von Dr. Nogier im Gebrauch. Bei I erkennt man den Aus- 
schalter für die Lampe und über dem Apparat einen kleinen Kamin zum Abzug 
der Wärme. 


passieren läßt, aber nicht mehr. Eine Reihe von spektroskopischen Unter- 
suchungen zeigten mir, daß nur wenige blaue Gläser sich für diesen Zweck 
eigneten. Die meisten sind überhaupt nicht zu gebrauchen. Diejenigen, 
welche bei einer Dicke von 2,5 mm nur Licht bis zu einer Wellen- 
länge von 3,660 m durchlassen, geben der Tablette und dem Chromo- 
radiometer einen rötlichen Ton, der beim Ablesen ganz falsche Resul- 
tate gibt. 


170 Nogier, 


Gebrauchsanweisung für den Apparat: Derselbe wird mit einer 
Gleich- oder Wechselstromleitung von 110—115 Volt (er kann auch für 
geringere Voltzahlen angefertigt werden) verbunden und die Lampe, die er 
enthält, wird angezündet. 

Man zieht dann den Rahmen mit dem blauen Glas vollständig heraus 
und die Skala erscheint dann in gelbem Lichte gut beleuchtet. Man 
nähert dann die Tablette der Bordierschen Skala und liest ab. 

Wie ich dies in Gemeinschaft mit Dr. Regaud am Kongreß in Dijon 
nachweis, erscheint die Bariumplatinzyanürtablette viel dunkler, wenn man 
sie in künstlichem Lichte betrachtet. Alles spielt sich also ab, wie wenn 
man die Sensibilität der Tablette vermehrt hätte. 

In meinem Radiochromoskop zeigt eine bei Tageslicht bis zur Teinte I 
(5 H Einheiten oder 3,6 J Einheiten) bestrahlte Tablette die Teinte III. 
Die Empfindlichkeit des Chromoradiometers ist also bei Ablesung kleiner 
Dosen verdreifacht und diese bei Tageslicht recht schwierige Abschätzung 
wird hierdurch sehr erleichtert. 

Um jeden Irrtum auszuschließen, machen wir davon eine zweite 
Ablesung in blauem Licht, welche diese erste Ablesung kontrollieren wird. 
Man schiebt den Rahmen mit der blauen Glasscheibe, so weit es geht. 
nach hinten und sofort scheint die Skala ins Tageslicht versetzt, aber in 
ein Tageslicht, welche keine Fluoreszenz erregt. 


Da diese Einschiebung des blauen Glases in ganz kurzer Zeit vor sich 
seht, so ist der Beobachter zuerst ein wenig überrascht und fürchtet, eine 
Vergleichung der Farben nicht vornehmen zu können. In Wirklichkeit 
dauert aber diese Überraschung nur wenige Sekunden und man sieht, daß 
die Tablette im Verhältnis zur Testskala weniger gefärbt ist. Man muß 
beim oben gewählten Beispiel dieselbe bis zur Teinte I hinaufschieben, um 
eine Farbengleichheit zwischen Tablette und Testfarbe zu erreichen. 

Für alle unter 8 H (5.8 J Einheiten) liegende, also für alle schwachen 
Dosen sind daher zwei sich gegenseitig kontrollierende Ablesungen möglich. 

Hat man bei einer Ablesung in gelbgrünem Licht eine Teinte gefun- 
den, die dunkler ist als die Teinte IV des Chromoradiometers, so geht man 
direkt zur Blaulichtablesung über, welche die wirklich erzielte Teinte (SH 
und mehr) anzeigen wird: starke Dosen. 

Dem Instrument wird eine Tabelle mitgegeben, welche es erlaubt, 
jederzeit die einer jeden Beleuchtung entsprechenden Dosen vor Augen 
zu haben. 

Vorteile des Instruments: 


Trotz seiner Einfachheit hat das Instrument folgende Vorzüge. die 
aufzuzählen beinahe überflüssig ist: 


Das Radiochromoskop. 171 


1. Eine immer vergleichbare, von Tages- und Jahreszeit, von Lage 
und geographischer Breite unabhängige Beleuchtung. 

2. Möglichkeit auch bei Nacht genau zu dosieren. 

3. Möglichkeit, die unter 8 H liegenden Röntgenstrahlendosen sehr 
genau abzuschätzen, infolge der Verdreifachung der Sensibilität der Tablette 
in gelbem Licht. 

4. Möglichkeit, gerade für kleine Dosen, welche bisher schwerer zu 
schätzen waren, zwei sich gegenseitig kontrollierende Ablesungen zu haben. 

5. Möglichkeit die Ablesung sehr lange auszudehnen, da man ein Ab- 
blassen der Tablette nicht zu befürchten hat, Die Lichtquelle enthält ja 
keine ultravioletten Strahlen und ist infolgedessen ohne Einfluß auf die 
Tablette. 

Garantien: Alle exakten Meßapparate, die Wagen ebenso wie die 
Chronometer tragen ein Garantiezeichen oder sind von einem Kontroll- 
schein begleitet. Nur die Chromoradiometer, die einzigen praktischen In- 
strumente, die wir zur Messung der Röntgenenergie haben, weisen keine 
Garantie für ein exaktes Funktionieren auf. 

Wer nur ein derartiges Instrument besitzt, ist sehr schweren Fehlern 
ausgesetzt (z. B. ein Chromoradiometer kann die Teinte III auf der Stelle 
für die Teinte IV und letztere auf der für Teinte III vorgesehenen Stelle 
tragen.?) 

Um derartige Fehler zu vermeiden, über deren Vorkommen der Phy- 
siker sich mit Recht wundern darf, muß ein jedes Radiochromoskop einen 
unterschriebenen Prüfungsschein enthalten, der feststellt: 

1. Daß die Glühlampe und das Blauglas, am prismatischen Spektro- 
graphen mit Quarzlinsen geprüft, die richtige Farbe haben. 

2. Daß das Verhältnis der Teinten im Gelblicht und im Blaulicht 
demjenigen eines Kontroll- oder Standardapparats genau entspricht. 

Die Radiotherapeuten haben dann einstweilen wenigstens das Maxi- 
mum von Garantien in Erwartung einer vollkommenen Dosierungsmethode. 

Nota. — Eine einfache Anordnung erlaubt, mit demselben Radio- 
chromoskop ebenfalls das Chromoradiometer von Holzknecht und das 
Radiometer von Sabouraud abzulesen, wenn man diese Instrumente be- 
sitzt. Der Apparat ist deshalb ein Universalapparat zur Ablesung sämt- 
licher Chromoradiometer. Übersetzt von Dr. A. Gunsett-Straßburg i. E. 


ı) Ich habe ein derartiges Exemplar eines Chromoradiometers auf dem Kon- 
greß zu Nimes im August 1912 gezeigt. 





Über die optisch korrekte Ablesung von Farbänderungen 
bei Röntgenstrahlendosimetern. 


Von | 
Dr. med. @. Bucky, Spezialarzt für Röntgenologie. 
(Mit 3 Abbildungen.) 


Do- nehmen eine Reihe von Röntgenstrahlendosimetern (H olz- 
knecht, Sabouraud-Noiré, Bordier) die Farbänderungen be- 
stimmter chemischer Körper bei Röntgenstrahleneinwirkung als Maß der 
applizierten Strahlendosis. Dabei werden verschieden gefärbte Testblättchen, 
deren Nuance empirisch im Verhältnis zur Erythemdosis gefunden wird, mit 
einer bestralilten Pastille verglichen. Diejenige Farbstufe, die den be- 
stralilten Plättchen am nächsten kommt, gibt dann die Dosis in Einheiten 
(H, X, B) an. 

So einfach sich auch in der Praxis eine Ablesung mit derartigen 
Dosimetern bewerkstelligen läßt, und so plausibel die Grundlagen dafür 
zunächst zu sein scheinen, so ändern sich jedoch die Verhältnisse, wenn 
man die Vorgänge hierbei etwas näher ins Auge faßt. Es muß zunächst 
daran erinnert werden, dab jede Farbänderung eines undurchsichtigen Körpers 
der Ausdruck für die Änderung der Wellenlänge der von ihm reflektierten 
Lichtstrahlen ist, und daß exakte Vergleiche von Wellenlängen nur mit 
Hilfe der Spektralanalyse möglich sind. Dazu kommt, daß nur wenige 
Menschen auf Grund einer großen Übung imstande sind, Farben ohne 
Hilfsmittel ihrer Zusammensetzung nach zu beurteilen. Trotz der 
größten Übung bleibt ein derartiger Farbvergleich stets etwas unvoll- 
kommenes, da unser Auge im Gegensatz z. B. zum Ohr nicht imstande 
ist, ohne Hilfsmittel die einzelnen Bestandteile eines „Lichtakkordes“ zu 
erkennen. Der Farbvergleich wird aber um so schwieriger, je dichter die 
einzelnen Nuancen im Spektrum nebeneinander liegen, wie es ja gerade 
bei den Röntgenstrahlendosimetern der Fall ist. 

Weiterhin spielt bei der Ablesung die zur Verfügung stehende Licht- 
quelle eine wesentliche Rolle. Wie weiter unten ausgeführt werden wird, liegen 
die Farbänderungen z. B. der Sabouraudpastille hauptsächlich im Gelb- 
grün und Grün. Würden wir nun zur Ablesung eine Lichtquelle benutzen, 
die keine gelben und grünen Strahlen aussendet, so wäre eine Farbänderung 
des Testplättchens nicht wahrnehmbar, da Strahlen, die nicht vorhanden 
sind, auch nicht reflektiert werden können. In Abbildung 1 ist die 


Bucky, Ablesung v. Farbänderungen b. Röntgenstrahlendosimetern. 173 


Absorptionskurve (Ta) eines unbestrahlten Sabouraudplättchens dargestellt. 
Es ist daraus ersichtlich, daß ein derartiges Plättchen der Hauptmasse 
nach grüne, gelbe und rote Strahlen reflektiert und daß Blau und Violett 
in hohem Maße absorbiert werden. In der Tat erscheint ein derartiges 
Plättchen, wenn man es bei einer Lichtquelle betrachtet, die nur blaue 
und violette Strahlen enthält, fast schwarz, wohingegen dasselbe Plättchen, 
bei einer Lichtquelle betrachtet, die in der Hauptsache nur Grün und 
Gelb enthält, nicht von Weiß zu unserscheiden ist. Daraus dürfte hervor- 
gehen, daß die Zusammensetzung der Lichtquelle von größter Bedeutung 
ist. Aus demselben Grunde wird bei derartigen Dosimetern eine ganz 
bestimmte Lichtquelle gefordert, z. B. beim Sabouraud diffuses Tageslicht. 
Aber diese Forderung allein genügt nicht zur exakten Ablesung, da das 
Tageslicht seine Zusammensetzung je nach der Tageszeit ändert (Abend- 
rot). Man dürfte eigentlich die Ablesung nur mittags vornehmen und 
zwar möglichst bei leicht bedecktem Himmel, denn auch die Bewölkung 
übt einen bedeutenden Einfluß auf die Zusammensetzung des Lichtes aus. 





ROT GELB GRÜN BLAU VIOLET 


Wolkenloser Himmel strahlt eine große Menge von blauen Strahlen aus, 
deren Menge je nach der Dichte der Wolkenschicht abnimmt. Dazu 
kommt noch, daß auch die Farbe der Tapete des Zimmers, in dem die 
Ablesung vorgenommen wird, keine unwesentliche Rolle spielt. Es ist 
leicht ersichtlich, daß z. B. eine blaue Tapete viele derjenigen Strahlen, 
die zur Ablesung notwendig sind, verschlucken wird. 


Alle diese Forderungen in der Praxis zu erfüllen, dürfte nicht ohne 
weiteres möglich sein. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, hier Abhilfe zu 
schaffen (Holzknecht-Skala), jedoch waren die Wege, die dabei einge- 
schlagen wurden, wie ich glaube, nicht völlig genügend. Um zunächst die 
Ablesung mit Rücksicht auf die Wellenlänge exakter zu gestalten, war 
es zweckmäßig, den Farbvergleich in einen Intensitätsvergleich um- 
zuwandeln. Anstelle der Abschätzung der Nüancen tritt dann der Ver- 
gleich von Helligkeit. Diese Art von Ablesung ist schr einfach und er- 
fordert keine Übung. Wie diese Umwandlung geschieht, soll in folgendem 
des näheren auseinandergesetzt werden. 


174 Bucky, 


Wir haben oben gesehen, daß es durch geeignete Lichtquellen mög- 
lich ist, das unbestrahlte Plättchen weiß erscheinen zu lassen und das be- 
strahlte fast schwarz. Beim praktischen Gebrauch wäre es aber etwas unhand- 
lich, wenn wir diesen Effekt durch farbige Lichtquellen erreichen wollten: 
anstelle der Lichtquellen setzen wir daher Lichtfilter. Die Absorp- 
tionskurve eines derartigen Filters, wie er sich als zweckmäßig erwiesen 
hat, ist in der Abbildung 1 mit F bezeichnet. Lassen wir weißes Licht 
einen derartigen Filter passieren, so werden fast alle Strahlen, bis auf einen 
kleinen Teil der grünen Strahlen absorbiert. Also nur dieser geringe Teil 
des gesamten Spektrums wird durchgelassen. In praxi haben wir dann 
ein fast monochromes Licht bei dem Teinte a des Sabouraud- Dosi- 
meters gleich hell wie weiß erscheinen muß, denn der Filter läßt, wie 
aus der Kurve hervorgeht, auch bei weißem Licht nur den kleinen Teil 
der obenerwähnten grünen Strahlen hindurchtreten. Teinte a reflektiert 
aber fast alle grünen Strahlen, die überhaupt den Filter passieren können. 
Anders gestalten sich die Verhältnisse bei Teinte b (Kurve T b). Im Gegen- 
satz zur unbestrahlten Sabouraudpastille absorbiert die bestrahlte noch bis zum 
gewissen Grade den größten Teil der grünen Strahlen (abgesehen von dem 
quantitativen Unterschied im blauen und violetten Teil des Spektrums), woher 
die Farbänderung nach dem Gelb hin resultiert. Gerade diese grünen 
Strahlen läßt aber der Filter allein durch. Da diese Strahlen beim be- 
strahlten Plättchen wesentlich verringert sind, muß also die Helligkeit 
desselben durch das Filter betrachtet gleichfalls wesentlich verringert sein. 
Der Filter bewirkt demnach eine Steigerung der Helligkeitsdifferenz zwischen 
dem bestrahlten und unbestrahlten Plättchen und infolgedessen eine leichtere 
Ablesung der Zwischenstufen. Da aber nur Strahlen einer Farbe zu be- 
obachten sind, wird der Farbvergleich in einen Helligkeitsvergleich übergeführt, 
was wiederum einer bedeutenden Erleichterung der Ablesung gleichkommt. 
Endlich spielt bei der Ablesung mit dem Filter die Zusammensetzung der 
Lichtquelle keine Rolle (vorausgesetzt, daß sie überhaupt nur grüne 
Strahlen enthält), denn alle überflüssigen Strahlen, die die Ablesung be- 
einflussen könnten, werden völlig ausgeschaltet. Dasselbe gilt von etwa 
vorhandenen störenden Einflüssen von seiten farbiger Tapeten usw. 

Schr einfach gestaltet sich die Ablesung der Zwischendosen, da als 
Vergleich eine gleichmäßig verlaufende Grauskala hinter dem Filter ver- 
wendet werden kann. Mit Hilfe dieser Skala macht es keine Schwierig- 
keiten Dosen von 1—2 X abzulesen. 

Die ganze Vorrichtung ist in einem kleinen Kästchen vereinigt. In 
Abb. 2 bedeutet RL die Röntgenlampe, B ist ein Befestigungsband, welches 
das Kästchen G an der Röhre fixiert. AA sind Elfenbeinstifte, die die 
Entfernung des Testplättchens T von der Röhrenwand konstant auf 2 cm 


Ablesung von Farbänderungen bei Röntgenstrahlendosimetern. 175 


halten. Das Testplättchen T ruht auf einem kleinen Bleitisch H, der 
durch die Klappvorrichtung CK gegen die Scheibe S gepreßt werden kann. 
Die Scheibe S, die auf der Vorderseite die verlaufende Grauskala trägt, 
wird durch die Schraube M am Blättchen T vorbeigeführt. L ist eine 
Beleuchtungslampe im Innern des Kästchens. Durch den Filter F blickt 
das Auge in den Blendtrichter D, der das störende seitliche Licht ab- 
hält und an dessen Ende in einem Schlitz die Grauskala und das umge- 
klappte Testplättchen sichtbar ist. Beim Umklappen des Tischchens H 





wird automatisch die Lampe L eingeschaltet; infolgedessen erblickt man 
Pastille und Skala stets bei konstanter Beleuchtung. Die Skala trägt 
auf ihrem unteren Rande Zahlen, die den X-Dosen entsprechen, sodaß 
diese leicht abgelesen werden können. Das ganze Kästchen ist so 
klein gehalten, daß es in jedem Stativ an der Röhre bleiben kann, sodaß 
die Ablesung während der Bestrahlung, indem der Hochspannungsstrom 
nur für ganz kurze Zeit unterbrochen wird, vorgenommen werden kann. 
Über dem Tischchen H ist ferner eine kleine Einrichtung zur Aufnahme 
von Röntgenstrahlenfiltern vorgesehen. 


176 Bucky, Ablesung v. Farbänderungen b. Röntgenstrahlendosimetern. 


Das Kästchen wird so an der Röhre angebracht, daß die Sabouraud- 
pastille von gleich intensiven Strahlen getroffen wird, wie das eigentliche 
zu bestrahlende Feld F; die Anordnung ist in Abb. 3 skizziert, in der RL 
die Röntgenlampe, K das Kästchen, SS Röntgenstrahlen darstellen, die den 
gleichen Winkel mit dem mittleren Zentralstrahl Z bilden, mithin auch 
gleiche Intensität besitzen. 

Die kleine Vorrichtung!) besitzt demnach folgende Vorzüge: sie er- 
möglicht 

1. optisch exakte Ablesung bei konstanter Lichtquelle und Ausschal- 
tung der sonstigen optischen Fehler- 
quellen; 

2. erleichtertes Ablesen durch 
Überführung des Farbvergleichs in 
Helligkeitsvergleich („Grau“); 

3. Ablesung während der Be- 
strahlung ohne Entfernung der Pastille 
von der Röhre: 

4. Ablesung von Zwischendosen 
mit einer Genauigkeit von 1—2 X; 

5. Vermeidung des Zurückgehens 
der Teinte, da das Testplättchen 
FE während der Bestrahlung und während 

Fig. 8. der Ablesung vor Tageslicht völlig ge- 
schützt ist. 

(Auf dem diesjährigen physio-therapeutischen Kongreß hat Nogier 
eine Vorrichtung demonstriert, wobei er eine Lichtquelle verwendet, deren 
Spektrum dem des Tageslichtes möglichst nahekommen soll und dabei 
konstant ist. Er benutzt dazu einen Blaufilter und eine Glühlampe. Der 
Vorteil dieser Anordnung besteht darin, daß man dabei jedes Farbdosi- 
meter benutzen kann; hingegen dürfte es nicht möglich sein, damit ohne 
weiteres Zwischendosen abzulesen, denn bezüglich der Erleichterung und 
Verfeinerung der Ablesung dürfte ein wesentlicher Vorteil gegenüber den 
gebräuchlichen Methoden nicht resultieren, da der Blauanteil bei den Farb- 
änderungen nur quantitativ verschieden und auf die charakteristischen 
gelben Strahlen keine Rücksicht genommen ist.) 





. 1) Der kleine Apparat wird von der Firma Siemens & Halske, Berlin herge- 
stellt. Die genannte Firma hat mich bei den Vorversuchen in dankenswerter 
Weise unterstützt. Namentlich Herr Ingenieur Verständig hat sich um die feinere 
Konstruktion der Vorrichtung redlich und mit Erfolg bemüht. 


Die Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren 
und ihre Kombinationen.') 


- Von 
Dr. Christoph Müller in Immenstadt. 


eine Herren! Alle Versuche, röntgentherapeutisch die malignen Tu- 

moren nach ihrem Empfindlichkeitsgrade gegen X-Strablen zu klassi- 
fizieren, haben bis jetzt fehlgeschlagen. Selbst die im großen und ganzen 
richtige Erfahrung, daß die Chancen der Beeinflussungsfähigkeit mit zu- 
nehmendem Tiefensitze der Geschwulst sinken, bestätigte sich sehr häufig 
nicht insofern, als ganz oberflächliche Tumoren nicht allzuselten als sehr 
hartnäckig sich erwiesen, und in der Tiefe sitzende Geschwülste hie und 
da unerwartet schnell reagierten. 

Man fand sich bis nicht vor langem mit der Annahme ab, daß unter 
Anerkennung der prinzipiellen Fähigkeit der X-Strahlen, die Karzinom- 
zelle zu zerstören, diese Fähigkeit in ausreichender Weise den weicheren 
Strahlenarten zukommt, und daß bei der geringen Penetrationsfähigkeit der- 
selben ein Tiefeneffekt nur schwer denkbar ist. Wenn trotzdem oberfläch- 
lich gelegene Tumoren nicht reagierten, so schrieb man dies mangelhafter 
Technik zu; die allerdings seltenen Erfolge bei tieferen Geschwülsten nahm 
man, weil die Diagnose meistens mikroskopisch nicht gestützt werden 
konnte, mit Skepsis auf. 

Diese Irrlehre ist jetzt überwunden durch die Erkenntnis, daß wie 
jede andere Strahlung, so auch die Röntgenstrahlung physikalisch und somit 
auch therapeutisch nur da wirksam sein kann, wo sie absorbiert wird. 
Und so ist der Schluß berechtigt, daß allen der Röntgenröhre entstam- 
menden Strahlen der gleiche biologische Effekt zukommt, daß dieser Effekt 
sich selbstredend nur am Orte der Absorption geltend macht und dal) 
daher die harten Strahlen, die ja allein für die Tiefenbehandlung in Frage 
kommen, für uns den gleichen therapeutischen Wert besitzen, wie die 
weichen Strahlen, vorausgesetzt daß es uns gelingt, sie an der gewünschten 
Stelle zur Absorption zu bringen, ohne die deckenden gesunden Gewebs- 
schichten zu schädigen. 

Diese letzte technische Forderung ist dank den enormen Fortschritten 
der Bestrahlungstechnik jetzt vollauf erfüllt. Es gibt hierfür wohl keinen 


1) Vortrag, gehalten am 19. Juni 1913 in der Gynäkologischen Gesellschaft, 
München. 


Strahlentherapie Band III, Heft 1. 12 


178 Müller, 


schlagenderen Beweis, als die Heilung der Myome mit Röntgenstrahilen, 
die von einigen Autoren schon auf hundert Prozent angegeben wird, d. h., 
daß es in allen Fällen fast ausnahmlos technisch gelingt, das nötige Quantum 
Röntgenstrahlen, ja sicher noch. mehr ohne oberflächliche Schädigung an 
die Uterusmyome heranzubringen. 

Lehrt uns dieser ungeahnte therapeutische Effekt in eindeutiger Weise, 
daß die Technik der Tiefenbestrahlung für die Lokalisation der Uterus- 
myome auf eine geradezu ideale Höhe gebracht ist, so können wir weiter 
daraus schließen, daß diese Tiefenbestrahlungstechnik auch für alle tief- 
gelegenen malignen Tumoren eine durchaus ausreichende sein muß; denn 
wenn das Myom sich auch durch eine große Empfindlichkeit gegen Röntgen- 
strahlen auszeichnet, so muß doch diese Technik auch für die Karzinome 
hinreichen, wenn man bedenkt, daß mit ihr es gelingt, über zweitausend X 
in die Tiefe zu schicken, eine Strahlenquantität, die wenn überhaupt ein 
therapeutischer Effekt erreichbar ist, den Anhängern selbst der intensivsten 
Bestrahlungsforderungen genügen wird. Aus diesen Tatsachen müssen wir 
weiterhin schließen, daß von jetzt ab bei der Beurteilung, warum die ver- 
schiedenen malignen Tumoren in verschiedener Weise auf X-Strahlen 
reagieren, die bisherige Annahme der Unmöglichkeit in alle Schichten des 
Organismus entsprechend wirksame Strahlen zu bringen, wegfällt. 

Man hat selbstredend auch bisher in erster Linie die Empfindlich- 
keitsunterschiede im Tumor selbst gesucht, man hat mit vollem Eifer, aber 
vergeblich Kriterien hiefür in der histologischen Struktur der Geschwülste, 
in der Lokalisation in den einzelnen Organen und Tiefenschichten, in der 
Lokalisation an gewissen Körperpartien, in der Konsistenz in der Waclıs- 
tumsschnelligkeit, in der Zerfallsneigung, in der Metastasierungsfähigkeit 
und in den kachektischen Begleiterscheinungen zu finden sich bestrebt, aber 
man hat dann, als all diese Wege vergeblich eingeschlagen waren, immer 
wieder der verschiedenen biochemischen Wirkung der Strahlenarten und 
der nicht hinreichenden Bestrahlungs- hauptsächlich Tiefenbestrahlungs- 
technik die Hauptschuld zugewiesen. Zusammenfassend gesagt, fand man 
sich mit der Annahme ab, daß wohl ein Teil der Ursachen für die Sensi- 
bilitätsverschiedenheiten in den Tumoren selbst, ein anderer, vielleicht der 
Hauptteil hingegen in der verschiedenen biochemischen Wirksamkeit der 
Strahlenarten und mangender Technik zu suchen ist. Können wir aber 
jetzt mit Bestimmtheit festlegen, daß es eine eigentliche Strahlenqualität 
in biochemischem Sinne nicht gibt, sondern daß es sich lediglich darum 
handelt, ein bestimmtes Strahlenquantum, gleich viel welcher Qualität, in 
einem Tumor zur Absorption zu bringen, steht es fernerhin fest, daß die 
Bestrahlungstechnik uns dies in hinreichendem Maße ermöglicht, so hat 
sich hiermit die Situation ganz bedeutend verschoben, insofern als die 


Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 179 


Ursachen für die Empfindlichkeitsverschiedenheiten der Tu- 
moren nicht mehr zum Teil, sondern ausschließlich in ihnen 
zu suchen sind. 

Wissen wir weiterhin, daß unsere therapeutischen Erfahrungen mit 
der jetzigen vervollkommneten Bestrahlungstechnik der malignen 
Tumoren ebensowenig wie die Bestrahlungstechnik der früheren beschränkten 
Tiefenbestrahlung irgendwelche Einteilungsmöglichkeit im Sinne der oben 
angeführten Geschwulstcharakteristika, histologische Struktur, Wachstums- 
schnelligkeit und dergleichen zuläßt, so sind wir gezwungen, einen anderen 
Weg zur Lösung dieser wichtigen Frage des Empfindlichkeitsgrades der 
Geschwülste gegen Röntgenstrahlen zu suchen, einen Weg, der die ganze 
Bestrahlungstechnik und Strahlenqualität außer Acht, hingegen in der Ge- 
schwulst selbst uns typische Eigenschaften erkennen läßt, die ausschließlich 
oder wenigstens vornehmlich den Empfindlichkeitsgrad bestimmen. Dieser 
Weg ist uns durch die exakten Studien über das biochemische Ver- 
halten der Zellen gegenüber X-Strahlen vorgezeichnet. 

Diese Studien setzten ein mit der Schwarzschen!) Theorie, nach 
der das Lezithin den hauptsächlichsten Angriffspunkt für die Strahlen- 
wirkung bildet, von ihnen zersetzt wird, und dessen Zerfallsprodukte, haupt- 
sächlich das Cholin die Zelle zerstören. Die nächste Theorie, die Neu- 
bergsche?) nimmt an, daß die Strahlen die wichtigsten Zellfermente 
des Stoffwechsels vernichten, wobei aber die autolytischen Fermente er- 
halten oder in ihrer Wirksamkeit sogar gesteigert werden sollen. Gegen 
die letzte Theorie sprechen nun folgende Erfahrungen. Man wies nach, 
daß in vitro das Lezithin leicht durch Lichtstrahlen,’) Radium*) und 
Röntgenstrahlen?) in seine chemischen Bestandteile gespalten wird. Außer- 
dem konnte Mesernitzky®) durch einwandfreie Versuche feststellen, daß 
das Lezithin in gekochten Eiern, bei welchen also die Fermente zerstört 
waren, durch Radiumstrahlen ohne quantitativen Unterschied ebenso ge- 
spalten wird wie in frischen Eiern, so.daß also die autolytische Theorie 
der Zerstörung gewisser Zellfermente durch Strahlen fallen gelassen und 
die Lezithinhypothese für die Strahlenwirkung angenommen werden kann. 


I! Schwarz, Pflügers Archiv 1903, Bd. 1. 

2) Neuberg, Zeitschrift f. Krebsforschung 1904, Bd. 2. 

3) Freund, Diskussionsbemerkung zu Schlachtas Vortrag in der Gesellschaft 
für innere Medizin. Wien 1905. 

4) Werner, Zur Kenntnis und Verwertung der Rolle des Lezithins bei der 
biologischen Wirkung der Radium- und Röntgenstrahlen. Deutsche med. Wschr. 
1905, Nr. 2. 

6) Exner, Vortrag in der Wiener Gesellschaft der Ärzte am 9. Juni 1904. 

6) Mesernitzky, Russky Wratsch 1907, Nr. 9 und 1910, Nr. 12. 


12* 


180 Müller, 


Eine dritte physiko-chemische Hypothese der Strahlenwirkung 
behandelt eine hochwichtige Arbeit Tschachotins,!) die sich auf Grund 
der Overtonschen und H. Meyerschen Lipoidtheorie, der Studien 
O. Warburgs?) über Zelloxydationen und J. Loebs’) über Einfluß der 
zytolytischen Agentien auf künstliche Entwicklungserregung des tierischen 
Eies mit der Möglichkeit befaßt, daß durch chemisch wirksame Strahlen 
die sogenannten Plasmahautkolloide verändert, die Permeabilität dieser 
dünnen Plasmahüllen modifiziert würden, so daß die de norma nicht durch- 
gelassenen Jonen des umgebenden Mediums in die Zelle nunmehr eintreten 
und hier die letalen Verheerungen anstiften würden. 

Tschachotin kommt auf Grund exakter Experimente zu dem 
Schlusse, daß die Zerstörung der Plasmahaut eine eminente Rolle bei 
Hemmung und Vernichtung von vitalen Prozessen spielt, und dal; dies 
auch bei der Strahlenwirkung im allgemeinen der Fall ist. Besonders 
sprechen hierfür, daß in allen Zellen die Plasmahaut irreversibel ver- 
ändert wird und infolgedessen der Zellkörper der Einwirkung der giftigen 
Jonen des umgebenden Mediums anheimfällt, seine Versuche, nach denen 
es gelungen ist, unbefruchtete Eizellen mittels peripherem mikroskopischen 
Stralilenstichs künstlich zur parthenogenetischen Entwicklung anzuregen. 
Weiterhin kommt er aber auch zu dem für uns hier besonders wichtigen 
Schluß, daß wenn es sich um lezithinreiche, besonders auch 
Krebsgeschwulstzellen handelt, für die Erklärung der elektiven 
Strahlenwirkung. der Zerfall des Lezithins und Zytolyse durch 
Einwirkung seiner Spaltprodukte der ausschlaggebende 
Faktor ist. 

Konnten wir nun bereits auf Grund der physikalischen und biolo- 
logischen Erkenntnis der Absorptionsnotwendigkeit der Röntgenstrahlen 
den Begriff Strahlenqualität bei der Beurteilung der Empfindlichkeitsfrage 
der verschiedenen Krebszellen gegen Röntgenstrahlen ausschließen, können 
wir des weiteren auf Grund der vervollkommneten Tiefenbestrahlungs- 
technik für alle in den einzelnen Körpertiefen gelegenen Tumoren die 
notwendigen Absorptionsmöglichkeiten als gegeben annehmen, können wir 
schließlich auf Grund der eben ausgeführten durch einwandfreie wissen- 
schaftliche Untersuchungen gestützte Erwägungen für die Strahleneinwirkung 





1) Tschachotin., Über Strahlenwirkung auf Zellen, speziell auf Krebsgeschwulst- 
zellen und die Frage der chemischen Imitation derselben. Münch. med. Wschr. 1912, 
Nr. 44, 8. 2379. 

®) Warburg, Über Beeinflussung der Sauerstoffatmung. Zeitschr. f. physiol. 
Chemie 1911, Bd. 70, S. 413. 

3) Loeb, Die chemische Entwicklungserregung des tierischen Eies (künstliche 
Parthenogenese). Berlin, J. Springer 1909. 


Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 181 


auf die Zelle die Ferment- und Plasmahauttheorie außer Betracht lassen, 
so bleibt uns für die Beurteilung dieser Frage einzig und allein 
die Strahlenwirkung auf das Lezithin und die Zellgiftwirkung 
des Lezithinzerfallproduktes Cholin übrig. 

Steht jetzt fest, daß unter günstigen Bedingungen die Röntgenstrahlen 
in der Lage sind, Lezithin zum Zerfall zu bringen und dabei als wich- 
tigstes Endprodukt Cholin abzuspalten, so wissen wir aber auch nach den 
bekannten Arbeiten Werners und Aschers, daß das COholin allein in 
der Lage ist, wie die Strahlen die Zelle zu schädigen und durch die 
Störung des fermentativen Stoffwechsels eine Zersetzung der Zellipoide 
einzuleiten. Ich habe bereits die Wirkungsarten des Cholins und der 
Röntgenstrahlen dahin zu charakterisieren versucht,!) daß bei der Strahlen- 
wirkung das durch die Röntgenstrahlen labiler gemachte Lezithin auf 
Grund einer nicht wesentlich geänderten fermentativen Tätigkeit zum 
Zerfall gebracht wird, wobei sich das Zellgift Cholin abspaltet. Die 
Wirkung des Cholins hingegen auf die Zelle macht sich primär in einer 
Störung der fermentativen Tätigkeit geltend, mit welcher ihrerseits das 
nicht oder nicht wesentlich veränderte Lezithin zu obigem Zerfall gebracht 
werden kann. Diese Wechselwirkung zwischen Röntgenstrahlen auf das 
Zelllezithin und des Cholins auf das Zellleben und Zelllezithin können wir 
uns folgendermaßen im Tumorstoffwechsel vorstellen. Der in jedem 
malienen Tumor in mehr oder weniger hohem Grade sich abspielende 
Wachstumsprozeß, einhergehend mit einem mehr oder weniger hochgradigen 
frühzeitigen Zellzerfall, wird als Nekrobiose bezeichnet. Bei einem 
solchen schnellen Zellzerfallsprozesse spaltet sich selbstredend auch Cholin 
ab. das von den zerfallenen Zellen her teils in die Gewebssäfte, teils in 
den Lymphstrom resp. in den Blutkreislauf übertreten wird. Das in die 
Gewebssäfte übergetretene Cholin wird nur in die Zellen der unmittelbaren 
Nachbarschaft aufgenommen und dort seine oben geschilderte Giftwirkung 
entfalten können, während die übrigen Partien des Tumors von der Gift- 
wirkung direkt von Seite der Gewebssäfte frei bleiben werden. Diese 
Partien des Tumors können höchstens von dem in das Blut übergetretenen 
Cholin getroffen werden, in welchem diese Substanz aber eine derartige 
Verteilung erfahren hat, daß nur ein geringer Bruchteil hiervon in Betracht 
kommt. Die Verteilung des Cholins im Blutkreislauf und im Organismus 
überhaupt ist dann eine derartige, dal die normalen Zellen des Körpers 
hiervon nicht wesentlich geschädigt werden. Anders aber wird sich diese 
geringe Menge des im Blut kreisenden Cholins geltend machen können auf 
die gesamten Tumorzellen, wenn diese, an und für sich schon mehr zum 


1) Müller, Christoph, Strahlentherapie Bd. 2, H. 1, S. 18?. 


182 Müller, 


Zerfall geneigt wie normale Zellen, noch durch Strahlenwirkung geschädigt 
und für den Lipoidzerfall vorbereitet sind. Jetzt läßt sich denken, daß 
eine geringe durch das kreisende Cholin hervorgerufene fermentative 
Störung diese an und für sich schwachen Zellen schädigt, und der Zer- 
setzungsprozeß der Lipoide eingeleitet wird, während die gleiche minimale 
Cholinschädigung der noch nicht bestrahlten Tumoızelle, geschweige denn 
einer normalen Zelle nichts anhaben kann. Es käme so letzten Endes 
für den Zerfall der Karzinomzelle nur die Menge des in der 
Zelle sich abspaltenden und des von außen an sie heran- 
tretenden Cholins in Betracht. Und wenn unsere Schlußfolgerungen 
richtig sind, muß nun mit dem Cholin allein ohne Hinzuziehung jeglicher 
Strahlenwirkung ein der Strahlenwirkung gleicher oder nahezu gleicher 
Effekt erzielt werden können, ohne Rücksicht darauf, ob das Cholin dem 
Tumor oder dem Organismus künstlich einverleibt wird, oder ob dasselbe 
aus dem zerfallenen Zelllezithin stammt. | 

Die Arbeiten Werners’) und Aschers?) liefern uns hierfür einen 
vollen Beweis. Durch Cholininjektionen dicht unter die Epidermis konnte 
nach einer 6—8 tägigen Latenzzeit eine zirkumskripte Entzündung der 
Haut erreicht und zum Teil auch unter Einhaltung der den verschiedenen 
Stufen der Radiodermatitis entsprechenden Latenzzeit, die Röntgenver- 
brennung in den verschiedenen Graden imitiert werden. 

Ebenso konnten beim Kaninchen mit Cholineinspritzungen die Ver- 
änderungen des Blutbildes, der gesetzmäßige Absturz der Leukozytenzahl, 
sowie der ebenso regelmäßig auftretende Anstieg zur Hyperleukozytose 
quantitativ und qualitativ in ganz gleicher Weise erreicht werden wie nach 
intensiver Röntgenbestrahlung. 

Des weiteren konnten durch Einspritzung größerer Cholindosen männ- 
liche Kaninchen sterilisiert, durch geringere Dosen weibliche Kaninchen, 
die vorher regelmäßig geworfen hatten, monatelang steril erhalten werden. 
Bei weiterer Herabminderung der Dosis wurden zwar Würfe erzielt, doch 
zeigten die Embryonen Verkümmerungen und Mißbildungen, sowie auch 
Starbildungen an den Augen, wie sie v. Hippel und Pagenstecher 
nach Röntgenbestrahlungen gefunden hatten. Die Versuche mit Cholin 
bei Mäusekarzinom und die therapeutischen Effekte bei Sarkomen, Karzi- 
nomen und Lymphomen am Menschen des näheren zu schildern, würde 
zu weit führen, auch hierbei war eine auffallende Ähnlichkeit mit der 
Röntgenstrahlenwirkung konstatierbar. 

Doch erscheint es mir wichtig, auch hier zu betonen, daß die von 
Werner beschriebenen Intoxikationserscheinungen von seiten des Cholins: 


!) Werner, Strahlentherapie Bd. 1, S. 442. 
2) Werner u. Ascher, Strahlentherapie Bd. 1, S. 452. 


Röntgeustrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 183 


Speichelfluß, Schwindel und Schwächegefühl, Herzklopfen und Übelkeiten, 
dann die Vergiftungserscheinungen, die er auf Abspaltung von Trimethyl- 
amin oder Übergang in Neurin zurückführt: profuse Diarrhöen, Erbrechen, 
Schweißausbruch, Prostration, Herzschwäche und Schmerzen im Unterleib, 
ich möchte fast sagen so wortwörtlich mit den von mir früher geschil- 
derten Krankheitsbildern, die sich bei intensiver Röntgenbestrahlung von 
Tumoren ergeben, übereinstimmen, daß man geneigt sein könnte, schon 
daraus einen Schluß auf die Ähnlichkeit der Endwirkung der Röntgen- 
strahlen und des Cholins zu ziehen. 

Nach diesen beweisenden Erörterungen müssen wir 
Röntgenstrahlenwirkung und Cholinwirkung auf die Zellen 
als identisch bezeichnen. Der Grad der Einwirkung der Röntgen- 
strahlen auf gewisse Gewebspartien wird dementsprechend abhängig sein 
von der Menge des in diesen Gewebspartien aus Lezithin frei gewordenen 
Cholins. Und diese Menge freigewordenen Cholins wird selbstverständlich 
abhängig sein von der Menge des in diesen Gewebspartien in den einzelnen 
Zellen aufgespeicherten Lezithins und von der Leichtigkeit, mit der dieses 
Lezithin zum Zerfall gebracht werden kann. Zwei Hauptpunkte müssen 
wir so für die Beurteilung der Intensität der Einwirkung der Röntgenstrahlen 
auf die einzelnen Zellen im Auge behalten, die Lezithinmenge dieser 
Zellen und die Festigkeit ihres Lezithins. Nun lehrt uns aber 
die Erfahrung, daß, je mehr Lezithin die Zelle enthält, desto lockerer 
ihr Lezithin ist, d. h. desto leichter ihr Lezithin zum Zerfall gebracht 
werden kann. Lezithinreichtum und Lezithinfestigkeit können dement- 
sprechend zusammengefaßt werden und ich komme zu dem Endschlusse, 
daß der Lezithinreichtum einer Zelle allein die Leichtigkeit der Cholin- 
abspaltung und die Menge des zur Abspaltung gelangenden Cholins 
bestimmt und so, nachdem Oholin- und Röntgenstrahlenwirkung identisch 
ist, allein maßgebend ist für die Intensität der Einwirkung der Röntgen- 
strahlen auf die Zelle, oder anders ausgedrückt, daß der Grad der 
Empfindlichkeit einer Zelle gegen X-Strahlen in einem direkten 
Verhältnis steht zu der in der Zelle enthaltenen Menge 
Lezithin. 

Sind wir so durch die ganze Reihe der bisher ausgeführten, durch 
einwandfreie Experimente gestützte Untersuchungen zu dieser meiner These 
geführt worden, so wird die Kette der Beweise für die Richtigkeit derselben 
vollkommen geschlossen durch all das, was uns über den Lezithingehalt der 
einzelnen Gewebe bekannt ist. Es müssen die Gewebe, von denen wir 
wissen, daß sie besonders auf Röntgenstrahlen reagieren, lezithinreicher sein, 
und die Abstufung des Lezithingehalts der verschiedenen Gewebe mub 
parallel laufen mit der Reaktion derselben gegen Röntgenstrahlen. 


184 Müller, 


Hierfür stehen uns folgende Zahlenergebnisse zur Verfügung. In 
Prozenten ausgedrückt enthält: 

Skeletmuskel!) . . 28% Lezithin des Trockenrückstandes 

Leber?). . ...48% s5 3 

Hodengewebe?) . . 73% = 

Tumorgewebe®) . . 5,5—8% , 


Wie sehr dieses Zahlenverhältnis mit der Reaktionsfähigkeit der ein- 
zelnen Gewebsarten gegen Röntgenstrahlen übereinstimmt, leuchtet auf den 
ersten Blick ein. Es erhellt aber auch aus diesen Zahlen, wie groß der 
Unterschied der Reaktionsfähigkeit der Tumorzellen dem Unterschied an 
Lezithingehalt entsprechend sein kann, besonders wenn man berücksichtigt, 
daß in ein und demselben Tumor der Lezithingehalt aller Zellen ja nicht 
gleich ist, und wenn man beispielsweise bei einem Carcinoma hepatis 8% 
Lezithingehalt des Trockenrückstandes gefunden hat, diese 8%, ja nur die 
Durchschnittszahl des Lezithingehaltes aller Zellen bedeutet. Wenn dann 
eine größere Anzahl von Zellen dieses Leberkarzinoms nehmen wir an nur 
6% Lezithingehalt hatte, so muß eine gewisse Anzahl von Zellen dieses 
Karzinoms mehr wie 8%, Lezithingehalt gehabt haben, damit die Durch- 
schnittszahl 8% erreicht werden konnte. Die großen Schwankungen 
der Empfindlichkeit der Tumorzellen gegen X-Strahlen 
stehen alsoim vollen Einklange mit der gefundenen pro- 
zentualen Differenz des Lezithingehaltes. 

Es erübrigt nunmehr noch zu erwägen, inwiefern die G. Schwarz- 
sche Theorie, deren Richtigkeit jetzt allgemein anerkannt ist, mit der 
Lezithinerklärung in Einklang gebracht werden kann. Diese Theorie sagt 
uns, dab ein und dasselbe Gewebe je nach dem Grade seiner Blutfüllung 
einen verschiedenen Empfindlichkeitsgrad gegen Röntgenstrahlen hat in dem 
Sinne, daß hyperämisches Gewebe mehr und anänisches Gewebe weniger 
empfindlich gegen X-Strahlen ist als mit Blut normal gefülltes. Daß 
hierbei auch das Lezithin, resp. Cholin die Hauptrolle mitspielt, darf wohl 
daraus geschlossen werden, daß das normalerweise im Blut kreisende 
Cholin, das in einem mit einem Tumor behafteten Organismus sicher ver- 
mehrt ist, mit gesteigerter Blutzufuhr in erhöhter Menge an eine hyper- 
änische Gewebspartie herangebracht wird und dort die Röntgenwirkung 
unterstützt. Ferner geht die Hyperämie immer Hand in Hand mit 
Steigerung des Stoffwechsels, und es wird in Zellen eines hyperämischen 


„ „ 


29 >) 





1) Oppenheimer, Handbuch der Biochemie Bd. 2, H. 2, S. 270. 

2) Ibid. Bd. 3, H. 1, S. 154. 

3) Ibid. Bd. 3, H. 1, S. 353. 

4) Bossart, Zur Chemie der Verfettung in krankhaften Neubildungen usw. 
Inaug.-Dissert. Basel 1902. 


Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 185 


(sebietes der autolytische Prozeß begünstigt und beschleunigt werden. Und 
endlich haben die roten Blutkörperchen die Eigenschaft, ohne zu zerfallen, 
einen Teil ihrer Lipoide abgeben zu können und ihn anderweitig wieder 
zu ersetzen. Diese Lipoidabgabe von Seite der roten Blutkörperchen wird 
in die Gewebssäfte einer hyperämischen Gewebspartie in erhöhtem Maße 
erfolgen und damit dort die Cholinbildung und Cholinmenge, resp. die 
Röntgenstrahlenwirkung in gesteigerter Weise sich geltend machen. Vice 
versa gestaltet sich das Bild im anämischen Gebiete. Diese meine Er- 
klärung der gesteigerten Reaktion des hyperämischen Gewebes durch ver- 
mehrte resp. beschleunigte Cholinbildung und durch gesteigerte Cholin- 
zufuhr wird gestützt durch die ausnahmslos makroskopisch und mikro- 
skopisch nachweisbare Tatsache, daß der Rückbildungsprozeß in Tumoren 
immer mit gesteigerter Blutzufuhr zum Tumor einsetzt, eine Erscheinung, 
auf die ich anderweits!) bereits ausführlich hingewiesen habe und die wir in 
allen Stadien unseres therapeutischen Vorgehens uns nicht oft genug vor 
Augen halten können. 

Trotzdem die These von der ausschlaggebenden Wichtigkeit des Lezi- 
thingehaltes einer Gewebsart durch alles bisher Ausgeführte vielseitig ge- 
stützt ist, so wäre der offenkundigste Beweis doch wohl der, wenn wir 
verschiedene Tumoren, die nach entsprechend langer Bestrahlung eine ver- 
schiedene Empfindlichkeit gegen die Bestrahlung gezeigt haben, exstirpieren 
und auf ihren Lezithingehalt untersuchen würden. Bei Mäuse- und Ratten- 
tumoren wäre dies wohl möglich, aber nicht beweiskräftig, weil ja leider 
das Verhalten der Tiertumoren gegenüber therapeutischen Eingriffen ein 
ganz anderes ist als das der Tumoren beim Menschen. : Tumoren bei 
Menschen aber, die gut auf Bestrahlung reagieren, wird man nicht exstir- 
pieren, sondern durch Bestrahlung vollständig zum Verschwinden zu bringen 
suchen; hingegen erscheinen mir Untersuchungen von auf Bestrahlung re- 
fraktär gebliebenen Tumoren nach ihrer Exstirpation auf Lezithingehalt 
notwendig. Dieselben müßten dann einen Lezitlingehalt unter dem des 
Hoden- event. Drüsengewebes aufweisen. 

All diese Beweise wären ja überhaupt weiterhin nicht nötig, wenn, 
was ja gleich anfangs nach Erkenntnis der Identität der Cholin- mit 
Röntgenstrahlenwirkung versucht wurde, die chemische Imitation der Rönt- 
genstrahlen mit Cholin beim Menschen in allen Punkten möglich gewesen 
wäre. Die intra- und paratumoralen Injektionen von Cholin ergaben ja 
diesbezügliche befriedigende Ergebnisse; aber intravenöse Injektionen von 
Cholin in so hinreichender Menge, daß die Lokalwirkung in einer Ge- 
schwulst einer dort durch Röntgenstrahlen erreichbaren Wirkung gleich- 


1) Müller, Christoph, Strahlentherapie Bd. 2, H. 1, S. 184. 








186 : Müller, 


kommt, konnten bis jetzt nicht ausgeführt werden; denn das Cholinum 
basicum ist eine labile chemische Verbindung, die leicht hydroxyliert wird, 
in Neurin übergeht und sehr giftig ist. Es wurden nun durch Werner 
und Ascher eine Reihe von Versuchen angestellt, Cholinverbindungen zu 
erhalten, die auf der einen Seite möglichst ungiftige Eigenschaften haben, 
andererseits das Cholin leicht abspalten sollten. Unter allen zu diesem 
Behufe verwandten Cholinverbindungen erscheinen das ameisensaure 
und das borsaure Oholin die geeignetsten zu sein. 

Das borsaure Cholin (Borcholin, Enzytol) ist genau durchgeprüft, 
vermag dieselben Hautveränderungen wie die Röntgenstrahlen nach einer 
Latenzzeit von 2—9 Tagen hervorzurufen, zerstört ebenso wie die Röntgen- 
strahlen die Ilymphoiden Elemente des Blutes, während die polynukleären 
intakt bleiben, und übt auch die für Röntgenstrahlen typischen Ein- 
wirkungen auf die Hodenzellen aus. Dabei kann es in ungleich höheren 
Dosen wie das Cholinum basicum einverleibt werden, aber doch nicht in 
so hohen Dosen, daß es als hinreichend elektiv auf die Krebszellen wirken- 
des chemotherapeutisches Mittel bezeichnet werden kann. Denn seine 
Giftigkeit ist immer noch eine so hohe, daß es allein angewandt in einer 
Dosis, die keine Vergiftungsgefahr für den Organismus bringt, noch zu 
wenig Cholin in einen Tumor absetzt und in einer Dosis, die entsprechend 
große Mengen Cholin einem Tumor liefern würde, für den Organismus 
zu gefährlich ist. Vielleicht gelingt es noch diese beiden sich diametral 
gegenüberstehenden Forderungen in einer vollkommeneren Cholinverbindung 
zu erfüllen, ähnlich wie es beim Arsen mit dem Salvarsan gelang. Vor- 
läufig hat das Borcholin die Aufgabe, uns als Unterstützungsmittel für die 
Röntgentherapie der malignen Tumoren zu dienen, d. h. die Tumorzellen 
für die Strahlenwirkung zu sensibilisieren. Die darauf hinauszielenden 
Versuche beim Menschen, die sehr schwierig sind und sehr vorsichtig an- 
gegangen werden müssen, besonders mit Rücksicht auf die gesteigerte 
Gefahr der Hautschädigung werden den praktischen Wert der Cholin- 
wirkung noch zu erbringen haben. 

Wir haben bis jetzt, nachdem der Empfindlichkeitsgrad einer Tumor- 
zelle nur von ihrem Lezithingehalt abhängig, und das Lezithin fast aus- 
schließlich im Zellprotoplasma aufgespeichert įst, eigentlich nur das Ver- 
halten des Zellprotoplasmas gegenüber Strahlenwirkung geprüft. Die 
Plasmahaut als solche konnten wir, wie oben ausgeführt, außer Acht lassen 
und der Zellkern, der keine Lipoide, sondern hauptsächlich die Nukleo- 
proteide enthält, konnte hierbei nicht in Frage kommen. Eine indirekte 
Sensibilisierung der Tumorzellen für Röntgenstahlen durch den Zellkern 
ist aber auch denkbar. Neuberg, Caspari und Wassermann haben 
uns gelehrt, daß Kollvidalmetalle, so das Eosinselen, dann das Elektroselen, 


Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 187 


Elektrokuprol, Elektrokobalt, Elektrovanadium sich direkt im Zellkern 
ablagern und den Zellkern zerstören. Auch diese Metallkolloide sind bis 
heute noch zu giftig, um eine elektive Zerstörung der Tumorzellen ohne 
allgemeine Vergiftung zu erreichen. Es läßt sich aber doch denken, daß 
ohne nennenswerte Schädigung des Gesamtorganismus doch wenigstens so- 
viel Metallkolloide in die Kerne der Tumorzellen gebracht werden können, 
daß, wenn auch kein Zerfall der Zellen, so doch wenigstens eine derartige 
Störung der Zelllebenstätigkeit erreicht wird, daß die Lipoide im Proto- 
plasma gelockert und damit für die Cholin- und Strahlenwirkung vor- 
bereitet werden. 

So lehren uns die ausgeführten biochemischen Kenntnisse der Strahlen- 
wirkung auf die Tumorzelle, daß wir aussichtsvolle, wissenschaftlich be- 
gründete, wenn auch noch sehr schwierige Wege bei der therapeutischen 
Beeinflussung der bösartigen Geschwülste durch Strahlenwirkung gehen. 
Nachdem jetzt schon angenommen werden kann, daß auch bei einer noch 
weiter vervollkommneten Bestrahlungstechnik mit den KRöntgenstrahlen 
allein wir nicht auskommen werden, so sind wir eben auf Kombinationen 
angewiesen, die neben der Ausnützung aller sonstigen Strahlenenergieformen 
(Radium, Mesothorium), unter selbstverständlicher Hinzuziehung unserer 
allgemeinen therapeutischen Erfahrungen in der Krebsbehandlung, ferner 
der Ausnützung der Sensibilisierungsmöglichkeiten der Tumoren (Hoch- 
frequenz, Diathermie, Wärmeapplikation) die therapeutischen Anwendungs 
weisen des Cholins und der Metallkolloide heranziehen müssen. 

Ich hielt es für zweckmäßig, diese biochemischen Erwägungen über 
die Sensibilität der Tumorzellen vorauszuschicken, weil dieselben grundlegend 
sind für die Prinzipien der einzelnen Kombinationsformen. 

Die Röntgenstrahlenbehandlung kann nun kombiniert werden und zwar 
in dem Sinne, daß zu der Röntgenstrahlenwirkung eine weitere, die Tumor- 
zellen schädigende Strahlenwirkung hinzugefügt wird; es sind dies die 
radioaktiven Substanzen, vor allem das Radium und das Mesothorium. 
Die Technik dieser Kombinationen, respektive die lokalen Anwendungsweisen 
des Radiums und Mesothoriums sind allgemein bekannt. Speziell haben 
auch die neueren Arbeiten Döderleins!) hierüber näheren Aufschluß ge 
geben. Der Wert dieser Kombinationen besteht darin, daß die Angriffsweise 
spez. des Mesothoriums an vielen Stellen des Organismus eine einfachere 
ist, wie die der Röntgenstrahlen, z. B. von der Vagina aus und daß auch 
bei anders gelagerten malignen Erkrankungen z. B. der Zunge, im Rektum 
und auch an der Oberfläche des Körpers, streng lokalisiert, nach den neueren 
Erfahrungen auch mit einer exakten Dosierung, die Röntgenstrahlenwirkungen 





1) Döderlein, Monatsschrift für Geburtshilfe u. Gynäkologie Bd. 37, Nr. 5. 


188 Müller, 


unterstützt und zum großen Teil auch ersetzt werden können. Wie weit 
sich diese lokale Applikation des Mesothoriums speziell durch die neuerdings 
vorgeschlagene Filtrierung der «- und ß-Strahlen noch vervollkommnen läßt, 
ob sie für Kombination mit Röntgenstrahlen noch geeigneter gemacht werden 
kann, oder die Röntgenstrahlentherapie in vielen Fällen sogar ganz ver- 
drängen wird, muß abgewartet werden. Ich habe nur Erfahrungen der 
Kombination von Röntgenstrahlen mit Radium, wobei ich die Schwierig- 
keiten dieser Kombinationsmöglichkeit kennen lernte, die sich hauptsächlich 
dadurch geltend machte, daß eben die Dosierung der Röntgenstrahlen, be- 
sonders wenn es sich um Prozesse in der Nähe der Haut handelte, illusorisch 
wurde durch die hinzukommende Radiumwirkung, wodurch die Verbrennungs- 
gefahr sich erhöhte. 

Die nächste von mir bis jetzt praktisch am meisten durchgeführte und 
von Erfolgen begleitete Kombination besteht in der Hyperämisierung 
resp. Hyperthermierung der Tumoren. Oben ist bereits gesagt worden, 
daß in jedem Falle von Rückbildung eines malignen Tumors makroskopisch 
und mikroskopisch eine Hyperämisierung der Geschwulst deutlich erkennbar 
ist. Es ist auch bereits auseinandergesetzt worden, wie biologisch oder 
biochemisch dieser Hyperämisierungsprozeß die Rückbildung begünstigt. wie 
durch eine gesteigerte Cholinzufuhr von Seite des Kreislaufs, durch einen 
erhöhten und beschleunigten Stoffwechsel im Tumor, durch die gesteigerte 
Blutzufuhr und damit begünstigte Wegschaffungsmöglichkeiten der Zerfalls- 
produkte der Zweck der Hyperämisierung im Sinne der Rückbildung auf- 
zufassen ist. Nach der Schwarzschen Theorie wissen wir außerdem be- 
stimmt, daß gesteigerte Blutzufuhr die Empfindlichkeit eines Gewebes gegen 
Röntgenstrahlen erhöht, und es ist so ersichtlich, daß die Hyperämisierung 
eines Tumors für seine Bestrahlung und für seine Rückbildung von hohem 
Werte ist und therapeutisch müssen wir daraus den Schluß ziehen, diese 
Hvperämisierung in diesem doppelten Sinne möglichst zu begünstigen. 

Neben dem bekannten Hyperämisierungsmittel, der gewöhnlichen Wärme. 
heißen Umschlägen, Heißluftduschen kommen für uns in der Therapie der 
malignen Tumoren hauptsächlich die Hochfrequenz im hyperämisieren- 
den Sinne und die Diathermie in Betracht. Was die Hochfrequenz uns 
zu diesem Behufe leistet, habe ich bereits des öfteren betont.!) Mit Aus- 
nützung des Hochfrequenzfunkens können wir eine intensive Hyperämie der 
Haut erreichen und mit der Ausnützung der strömenden Hochfrequenz- 
elektrizität und zum Teil auch des Funkens eine hyperämisierende Wirkung 
auf die Schichten unter der Haut bis mehrere Zentimeter tief hinein. Bei 
den Hautkarzinomen und bei den unmittelbar unter der Haut gelegenen 


I) Müller, Christoph, Strahlentherapie Bd. 2, H. 1, S. 185ff. 


Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 189 


Tumoren spez. bei den Mammakarzinomen erreichen wir hier Erfolge, wie 
sie mit einfacher Röntgenbestrahlung nicht zu erreichen sind. 


Des weiteren gingen meine letzten Versuche darauf aus, spez auch 
für die gynäkologischen Tumoren Sensibilisierung durch Einführung von 
Vakuumelektroden in die Vagina, in das Uteruskavum und das Rektum zu 
ermöglichen. Auch diese Sensibilisierung ist bis tief in die Bauchhöhle 
hinein möglich. 

Die Diathermie vollends ermöglicht es uns, in allen beliebigen 
Körperpartien durch Anlegung der Elektroden im Durchmesser des 
Tumors eine Hyperämie hervorzurufen und in diesem durch Hyperämie 
für Röntgenstrahlen besonders empfindlich gemachten Tumor einen Be- 
strahlungseffekt zu erreichen, der eben oft mit Röntgenstrahlen allein nicht 
erreicht werden kann. Dabei wende ich die Diathermie nicht nur kurz 
vor und während der Bestrahlung an, sondern bei sehr hartnäckigen 
Tumoren wende ich sie oft wochenlang bis zu 45 Minuten täglich an, um 
den Tumor möglichst lange unter Hyperämie zu setzen. Es sei hier noch 
darauf hingewiesen, daß, wie ich schon vor mehreren Jahren angegeben 
habe, es zu vermeiden ist, die Diathermieelektroden innerhalb des Be- 
strahlungsgebietes anzulegen, um diese Partien nicht für Röntgenstrahlen 
überempfindlich zu machen. Leider hat die von mir vor mehreren Jahren!) 
schon angegebene Sensibilisierungsmöglichkeit der Tumoren durch Hoch- 
frequenz und Diathermie, für die kurze Zeit später Bering und Hans 
Meyer?) den experimentellen Nachweis gebracht haben, nicht weitere 
Verbreitung gefunden. Der Grund .hierfür mag wohl zum Teil in dem 
früher sehr hohen Preis der Apparatur gelegen sein, zum Teil aber auch 
in einer gewissen Scheu, die man diesen wenig bekannten elektrischen 
Energieformen lange entgegengebracht hat und zum Teil noch entgegen- 
bringt. Dieser Standpunkt scheint aber jetzt überwunden, und es zeigt 
sich immer mehr, daß der Hochfrequenz und der Diathermie nicht nur in 
der Karzinombehandlung, sondern auch bei vielen anderen Erkrankungen, 
bei Arthritiden, Ischias, Neuralgien, Stoffwechselkrankheiten, Adnexent- 
zündungen und anderen noch eine große Zukunft bevorsteht. 

Die Hebung des allgemeinen Blutdruckes steigert selbstrerständlich 
auch den lokalen Blutdruck in einem Tumor. Zur Unterstützung der 
Therapie gebe ich demgemäß häufig Koffein und die Hochfrequenz, die 
ja bekanntlich den Gesamtblutdruck steigert, kommt uns auch in diesem 
Sinne zugute. Die Selbstheilung von bösartigen Neubildungen bei lange 


ı) Müller, Christoph, Münchener medizinische Wochenschrift. Eine neue 
Behandlungsmethode bösartiger Geschwülste 1910, Nr. 28. 
2) Bering u. Meyer, Münch. med. Wschr. 1911, Nr. 19. 


190 Müller, 


andauernden fieberhaften Krankheiten, z. B. Typhus läßt sich mit einer an- 
haltenden Steigerung des Gesamtblutdruckes erklären, ebenso wie die 
Spontanheilung von Karzinomen in Erysipelherden auf die Steigerung des 
allgemeinen Blutdruckes durch das Fieber und die Steigerung des lokalen 
Blutdruckes im Erysipelgebiet zurückgeführt werden kann. 

Als weitere Kombination wurde von Werner die Bestrahlung 
chirurgisch vorgelagerter Tumoren angegeben, eine Methode, die 
sehr gute Erfolge gezeitigt hat, die auf jeden Fall aber für den Patienten 
mit großen Beschwerden verbunden ist und nur dann ertragen werden 
kann, wenn der Organismus noch über eine relativ große Kraft verfügt. 

Der Vollständigkeit halber sei hier noch der für X-Strahlen sensibili- 
sierenden Wirkung der fluoreszierenden Stoffe Fluoreszin, Eosin 
und anderen gedacht, die aber therapeutisch zum Teil noch nicht durch- 
geprobt, zum Teil aber auch therapeutisch noch nicht die gewünschten 
Erfolge gezeitigt haben. Eine neuerdings erschienene Arbeit Jodlbauers 
und von Tappeiners!) über die sensibilisierende Wirkung der fluores- 
zierenden Stoffe ist diesbezüglich hoch interessant; die dort niedergelegten 
Erfahrungen sprechen auch für die Möglichkeit der therapeutischen Aus- 
nützung dieser Stoffe zu sensibilisierenden Zwecken. 

Soviel über die lokalen Unterstützungsmöglichkeiten der 
Röntgenstrahlenbehandlung, die selbst eigentlich lediglich eine lokale 
Therapieform darstellt, allerdings lokal nicht in dem engen Sinne, wie die 
operative Behandlung, die ja die lokale Behandlung kat exochen ist; denn 
dem Messer sind immer gewisse Gebietsgrenzen gezogen, die von den Röntgen- 
strahlen weit überschritten werden können. So kann man bei einem 
Mammakarzinom chirurgisch die Mamma event. beide Mammae und die 
regionären Drüsen entfernen. Das ist aber wohl das Äußerste, was man 
tun kann; mit den Röntgenstrahlen hingegen sind wir in der Lage, den 
ganzen Thorax und damit event. Lungen- und Pleurametastasen in die 
Behandlung mit einzubeziehen. Und so können wir, um sicher zu gehen, 
bei allen irgendwie gelagerten Tumoren unser Behandlungsgebiet fast nach 
Belieben erweitern. Die jetzt so ziemlich feststehende Tatsache, daß die 
Rezidivierungsmöglichkeit von durch Röntgenstrahlen zum Verschwinden 
gebrachter Tumoren eine geringere ist, wie solcher durch Operation ent- 
fernter, wird wohl in dieser räumlich größeren Anwendungsmöglichkeit der 
Strahlentherapie zu suchen sein. Wenn man aber von der sicher berech- 
tisten Annahme ausgeht, daß die Krebskrankheit als solche wohl in vielen 


!) Jodbauer u. Tappeiner, H. von, Die Beziehungen der photodynamischen 
Wirkung der fluoreszierenden Stoffe und ihrer Fluoreszenz. Strahlentherapie Bd. 2, 
H. 1. — Die Sensibilisierung durch fluoreszierende Stoffe. Strahlentherapie Bd. 2, 
H. 1. 


FE mre —— „m z 


Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 191 


Fällen keine lokale Krankheit, sondern sagen wir einmal als Blutkrankheit 
oder Krankheit des ganzen Organismus aufgefaßt werden kann, so werden 
uns diese lokalen Kombinationen der Röntgenbestrahlung wohl bessere 
Chancen bieten, als die Operation eines lokalen Prozesses. Aber für die 
Beeinflussung des gesamten Organismus wäre eine ideale Heilmethode 
zweifellos eine solche, wie sie sich in erster Linie die Chemotherapie zur 
Aufgabe gesetzt hat. 

Bekanntlich gehen alle chemotherapeutischen Prinzipien von der Er- 
fahrung aus, daß innerhalb eines bösartigen Tumors immer wieder Zell- 
zerfall stattfindet, daß, während die Partien desselben wachsen, andere 
Stellen gleichzeitig absterben. Dieser Zellzerfallsprozeß beginnt aber erst 
dann in hinreichendem Maße, wenn der Gesamtorganismus mit den giftigen 
Zerfallsprodukten überschwemmt ist, so daß er nicht mehr Zeit und Kraft 
zur Ausheilung hat. Die Behandlung hätte nun zu bezwecken, den Zell- 
zerfall zu unterstützen und ihn vor allen Dingen zu einer Zeit zu ermög- 
lichen, wo noch keine Kachexie vorhanden ist und eine Heilungsmöglich- 
keit noch vorliegt. 

Wer Krebskranke, nota bene nicht operierte und sonst therapeutisch 
nicht wesentlich beeinflußte vor ihrem Tode beobachtet hat, wird sich sicher 
des Bildes erinnern, das manche dieser Kranken bieten, die bei verhältnis- 
mäßig gutem allgemeinem Kräftezustand ohne irgendwelche funktionelle 
Örganstörungen, ohne daß sich irgendein septischer Prozeß in ihnen ab- 
spielt, fast ganz plötzlich in typische Vergiftungserscheinungen fallen, Er- 
scheinungen, die sich in Krämpfen, zeitweiser Bewußtlosigkeit, Angst- 
zuständen, Erbrechen, Diarrhöen darstellen, und die uns den unbedingten 
Eindruck einer Vergiftung machen. Die Kranken gehen dann in wenigen 
Tagen zu Grunde. Das ist nicht ein Bild, das durch Kachexie, Kräfte- 
verbrauch erklärt werden kann, sondern das ist ein reines Vergiftungsbild, 
das keine andere Erklärung zuläßt, als die einer Überschwemmung des 
Organismus mit Zellzerfallsprodukten. Und das ist das gleiche Bild, wie 
ich es schon erlebt habe bei Resorption von zerfallenen Tumormassen 
infolge intensiver Röntgenbestrahlung, und das gleiche Bild, daß die hoch- 
gradige Cholinvergiftung bietet. In schwächerem Grade treffen wir dieses 
Bild immer und immer wieder dann, wenn infolge Röntgenbestrahlung 
eine plötzliche Resorption von Tumormassen eintritt, leichte Schüttelfröste, 
Übelkeit, Fieber, das gleiche Bild, wie wir es nach mäßigen Dosen bekommen. 

Ich glaube eingangs mit meiner biochemischen Abhandlung zur Ge- 
nüge dargetan zu haben, daß nach der Lezithintheorie das Cholin in erster 
Linie derjenige Stoff ist, der diese Vergiftungserscheinungen hervorruft, 
daß aber auch andererseits dieses Gift die wirksamste Substanz darstellt. 
die den Zellzerfall in einem Tumor bedingen kann. 


192 Müller, 


Nach unserer Theorie müßte demgemäß die Cholintherapie an die 
Spitze gestellt werden. Wir wissen, daß Werner derartige Versuche, 
allerdings in geringer Zahl und mit äußerster Vorsicht angegangen hat. 
Werner hat diese Versuche meines Wissen nicht weiter verfolgt und kam 
zu dem Endurteil, daß das Cholin, auch das Borcholin zu giftig ist, um 
in solcher Menge dem Organismus injiziert zu werden, daß es lokal einen 
Tumor zum Verschwinden bringen könnte. Dagegen stellte er sich auf 
den Standpunkt, daß wenigstens soviel Cholin intravenös gegeben werden 
kann, daß mit einer lokalen Hinzuziehung der Röntgenstrahlenwirkung 
Tumoren beeinflußt werden können, die den Röntgenstrahlen allein nicht 
weichen. Ich bin daran, diese Kombinationsform des Cholins mit Röntgen- 
strahlen durchzuarbeiten und bin mir der Gefährlichkeit dieses Vorhabens 
durchaus bewußt, schon deswegen, weil wir ja nicht wissen, wie sehr 
einerseits die dem Körper injizierte Cholinmenge durch das im Tumor zur 
Abspaltung kommende Cholin erhöht wird, andererseits aber auch nicht 
wissen, wie sehr die lokale Schädigungsgefahr der Röntgenstrahlen, die 
wir ja identisch setzen mit der Cholinwirkung durch die Wirkung des 
injizierten Cholins gesteigert wird. Man ist aber auf diese Arbeit am 
Menschen angewiesen, weil ja Tierversuche durchaus keine Anhaltspunkte 
für die therapeutischen Möglichkeiten am Menschen geben. 

Auf diese gleiche Vorsicht ist man unbedingt auch angewiesen bei 
einer event. Kombination der Röntgenstrahlen mit den übrigen 
chemotherapeutischen Agentien, mit Elektroselen, Eosinselen. 
Elektrokuprol, Elektrokobalt, Elektrovanadium. Ich habe hier- 
über nur Erfahrungen mit der Kombination von Röntgenstrahlen mit 
Elektroselen. Ich glaube aber bestimmt konstatieren zu können, daß die 
Verbrennungsgefahr durch Röntgenstrahlen bei Anwendung von Elektro- 
selen gesteigert ist. Bei einem Fall, bei dem bloß zwei intravenöse 
Seleninjektionen gemacht wurden und bei dem ich sicher war, nicht 
mehr als eine Erytlemdosis auf die einzelnen Hautpartien gegeben 
zu haben, erhielt ich eine Röntgenreaktion. Es läßt sich dies auch 
sehr gut erklären. Wenn auch bei den Metallkolloiden nicht wie beim 
Cholin direkt die Cholinmenge und damit die Möglichkeit der Röntgen- 
verbrennung erhöht wird, so muß man eben doch bedenken, daß nach 
unseren biochemischen Ausführungen infolge der Schädigung des Zell- 
kernes durch die Metallkolloide der Zellzerfall vorbereitet und zum Teil 
ermöglicht wird. Durch diesen Zellzerfall entsteht dann letzten Endes 
wieder Cholin und dieses in den Körper übertretende Cholin steigert in 
allen Hautpartien die Empfindlichkeit gegen Röntgenstrahlen. Bei Be- 
rücksichtigung der gesteigerten Gefährdung für die Haut und der Mög- 
lichkeit zu rapiden Zellzerfalls wären aber auch zweifellos kombinierte 


Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 193 


Behandlungsmethoden von Röntgenstrahlen mit Metallkolloiden sicher zu 
erwägen, aber es sei nochmals betont, nur unter Anwendung der aller- 
äußersten Vorsicht. 

Diese Kombinationen könnten weiterhin derart ausgebaut werden, 
daß man die Wirkung der Röntgenstrahlen unterstüzt einmal durch intra- 
venöse Cholininjektionen, um das Zellprotoplasma zu schädigen, dann zugleich 
durch Anwendung von Metallkolloiden, um den Zellkern zu schädigen, 
und endlich unter gleichzeitiger Hinzuziehung von Hyperämie, um das 
bestrahlte Gewebe für Röntgenstrahlen sensibler zu machen. Theoretisch 
ist nach meinen Ausführungen die gleichzeitige Anwendung dieser vier 
Prinzipien zweifellos zweckmäßig. Ob dabei nicht zu intensive Resorptions- 
erscheinungen der Zellzerfallsprodukte eintreten, oder ob damit schließlich 
nicht die Schädigungsgefahr durch Röntgenstrahlen derartig wird, daß sie 
nur in so minimalen Dosen angewendet werden können, daß überhaupt 
keine Wirkung mehr von ihnen zu erwarten ist, ist eine andere Frage. 

Aus all dem sieht man aber, daß die Kombinationsmöglichkeit, die 
nicht bloß auf leere Theorien, sondern auf wissenschaftlich feststehende 
Erfahrungen aufgebaut ist, eine sehr vielgestaltige ist. Wir haben eine 
große Anzahl von Agentien zur Verfügung, die in einzelnen Fällen ganz, 
in vielen Fällen wenigstens teilweise eine Schädigung der Tumorzelle 
veranlassen. Ich habe versucht, soweit es meine alleinige Arbeitskraft und 
die mir zur Verfügung stehenden Hilfsmittel erlaubten, einen Teil dieser 
Kombinationsmöglichkeiten durchzuarbeiten. Die Resultate, die ich damit 
erreicht habe, die ich zum Teil publizierte und bei deren Beurteilung 
ich sicher nicht zu optimistisch war, beweisen mir vollauf, daß bei indivi- 
dueller Auswahl der Fälle mit Kombinationsformen ungleich mehr erreicht 
werden kann, wie mit den Röntgenstrahlen allein. 

Es möge mir gestattet sein, noch einige wichtige Punkte zu erwähnen, 
die eigentlich keine Kombinationen darstellen, die mir aber bei Ausnützung 
der Röntgenstrahlen im Kampf gegen die Krebskrankheit von großer Wichtig- 
keit zu sein scheinen. Das eine ist die Ausnützung der Sekundär- 
strahlung zu therapeutischen Zwecken. 

Röntgenstrahlen erzeugen da, wo sie auffallen wieder Röntgenstrahlen 
und zwar ist die Sekundärstrahlung, welche von hochatomigen Metallen 
ausgeht, weicher als die Primärstrahlung, während die Sekundärstrahlung 
des Aluminiums, insbesondere auch die Sekundärstrahlung organischer Körper, 
ferner des Wassers und überhaupt der Körper mit geringem spezifischen 
Gewicht hart ist. 

Es liegt nun die Annahme nahe, daß man durch Einspritzung von 
Metallen in kolloidaler oder sonstiger Form in das Tumorgewebe eine er- 
höhte Reaktion hervorbringen kann, und die diesbezüglichen Versuche von 


Strahlentherapie Band III, Heft 1. 13 


194 Müller, 


englischen Autoren haben die Richtigkeit dieser Annahme bestätigt. Auch 
in Deutschland hat man damit Versuche gemacht, die günstige Ergebnisse 
geliefert haben. Systematisch ist aber die Sache noch nicht recht ausgebeutet 
worden. Der Ausbau dieser Methodik ist erfolgverheißend, besonders wenn 
man sich nicht mit der Einspritzung von Metallen in die Tumoren begnügt. 
sondern wenn man, wie ich dies bereits getan habe, die Sekundärstrahlung 
in der Weise ausnützt, daß man beispielsweise bei einem zu bestrahlenden 
Zungenkarzinom, das am Zungenrand sitzt, den Kopf von der dem Karzinom 
gegenüberliegenden Seite bestrahlt und unter die karzinomatöse Stelle selbst 
eine Silberplatte legt. Man kann so von außen her mit einer harten Röhre 
filtriert bestrahlen und die von der Silberpatte ausgehenden weichen Strahlen 
im Karzinom und in unmittelbarer Umgebung desselben zur Absorption 
bringen. Man vermag damit das scheinbar Unmögliche zu erreichen, von 
außen her nur harte Strahlen anzuwenden und im Innern eine weiche Strah- 
lung zu bekommen. Ins Rektum führt man Zinkpaste oder einen Metallkörper 
ein, in die Vagina einen Metallkörper oder Kolpeurynter mit metallischer 
Lösung, ebenso metallische Lösung in das Uteruskavum. Bei Magen- und 
Darmtumoren gibt man Wismutbrei, kontrolliert mit Durchleuchtung, ob 
der Wismutbrei an der erkrankten Stelle abgelagert ist, bestrahlt von auben 
mit harten Strahlen und erreicht in der Gegend der Wismutsubstanz weiche 
Strahlung. Nachdem auch hier wieder bei der Gynäkologie die Verhält- 
nisse besonders günstig liegen, möchte ich die diesbezüglichen Versuche 
warm empfehlen. 

Habe ich im Vorausgehenden mich eingehend mit der Indikations- 
stellung der Röntgenbehandlung und ihrer Kombinationen beschäftigt. so 
müßte ich eigentlich, um dem gesetzten 'Thema gerecht zu werden, auch 
erschöpfend auf die Technik der Röntenbestrahlung, soweit sie für die Be- 
handlung maligner Tumoren in Frage kommt, eingehen. Die Technik der 
Bestralilung maligner Tumoren in den oberflächlichen Körperpartien ist jedoch 
allgemein bekannt, ebenso die Tiefenbestrahlungstechnik durch die große 
Praxis, die sich die Röntgentherapeuten bei der Myombestrahlung angeeignet 
haben, und durch die gewaltige Literatur, die sich in den letzten Monaten 
über dieses Thema angehäuft hat. Die Filter- und Felderbestrahlung, die 
Dosinmetrie, die Auswahl eines entsprechenden Röhrenhärtegrades sind 
Prinzipien, auf die ich nicht näher einzugehen brauche. Betonen möchte ich 
nur, daß bei der Bestrahlung maligner Tumoren wir wohl Erkrankungsformen 
haben, die geradezu glänzend und auffallend schnell reagieren, dal aber 
meist trotz Anwendung aller Kombinationsmittel nicht mit einer oder zwei 
Bestrahlungsserien eine Geschwulst zur Rückbildung gebracht wird, sondern 
sroße Geduld und Ausdauer notwendig ist. Und gerade hierin wird häufig 
gefehlt. Wenn ein Tumor nicht schon nach kurzen Wochen in unverkenn- 


Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 195 


barer Weise reagiert, verlieren Arzt und Patient häufig die Geduld, und zu 
einer anderen Behandlungsmethode wird gegriffen. Hier sei auf Folgendes 
hingewiesen. Wir wissen, daß ein und derselbe Tumor nicht immer den 
gleichen Wachstumsschnelligkeitsprozeß hat, daß ein und derselbe Tumor 
einmal eine Zeit lang sehr schnell wächst und dann wiederum oft längere 
Zeit stationär bleiben kann. Nehmen wir drei Tumoren von sonst vollkommen 
gleichen Eigenschaften und gleicher Radiosensibilität an, die sich aber in 
verschiedenen Stadien von Proliferationsfähigkeit befinden. 
Tumor 1 befinde sich im stationären Stadium, 
Tumor 2 im Stadium mäßigen Wachstums, 
Tumor 3 im Stadium energischen Wachstums. 
Die drei Tumoren werden gleichzeitig mit gleich hohen Dosen be- 
handelt. Auf diese Behandlung wird 
Tumor 1 sich verkleinern und verschwinden, 
Tumor 2 in seinem Wachstum aufgehalten werden und sich gleich 
groß bleiben, 
Tumor 3 sein Wachstum verlangsamen. 
Man ist nun geneigt zu behaupten, 
Tumor 1 reagiert auf die Behandlung, weil er verschwindet, 
Tumor 2 reagiert nicht, weil er sich nicht verkleinert, 
Tumor 3 wird durch die Röntgenbestrahlung ungünstig beeinflußt, 
weil er sich infolge der Röntgenbehandlung vergrößert. 
Tatsache ist aber, daß alle drei Tumoren gleich reagiert haben, dab 
aber der durch Röntgenstrahlen gesetzte Effekt 
bei 1 uns schon eine Rückbildung und Verschwinden gebracht hat, 
bei 2 nötig war, um das Wachstum zum Stillstand zu bringen, 
bei 3 nötig war, um das Wachstum zu verlangsamen. 
Setzt man nun mit einer neuen Bestrahlungserie ein, die 
bei 1 überflüssig ist, weil der Tumor schon verschwunden ist, so 
wird sie 
bei 2 die Verhältnisse antreffen, wie sie bei 1 waren, weil dieser 
Tumor jetzt im stationären Stadium sich befindet und daher 
sich verkleinern wird, und 
bei 3 die Verhältnisse antreffen, wie sie vorhin bei 2 waren, 
weil dieser Tumor 3 mit seinem nunmehr verlangsamten Wachs- 
tum jetzt zum stationären gemacht werden wird. 
Die nächste Bestrahlungsserie braucht auch 
2 nicht mehr zu treffen, weil dieser Tumor bereits zurück- 
gebildet ist, und 
bei 3 wird sie diesen nunmehr stationären Tumor auch zum 
Schwinden bringen. 
13* 


196 Müller, 


Diese ganzen Ausführungen mögen etwas schematisch klingen, sie kenn- 
zeichnen aber nur das, was man in der Praxis häufig erlebt. Ich habe des 
öfteren schnell wachsende Tumoren bestrahlt, die der Behandlung ungeheuer 
hartnäckig zu trotzen schienen und noch geraume Zeit hin sich vergrößerten. 
Mit Aufbietung aller Geduld und Überredungskunst dem Kranken gegen- 
über brachte ich es, indem ich den Tumor sensibilisierte und ins Kreuz- 
feuer nahm, nach längerer Zeit so weit, daß dann, und zwar häufig plötzlich 
und mit unerwarteter Schnelligkeit, der Tumor sich zur Rückbildung ent- 
schloß. Ich will damit hauptsächlich darauf hinweisen, daß man nur in 
den allerseltensten Fällen bei den malignen Tumoren derartig prompte Re- 
sultate wie bei den Myomen erwarten und unter keinen Umständen die 
Flinte zu früh ins Korn werfen darf. 

Damit wird natürlich auch die Frage, wann event. operativ eingegriffen 
werden soll, eine schwierigere. Es wird bei vielen Tumoren sich erst nach 
Monaten und Monaten herausstellen, ob sie refraktär sind oder nicht und 
nach dieser Zeit können sich allerdings die Verhältnisse der Operations- 
möglichkeit für den Patienten wesentlich verschoben haben. In solchen 
Fällen wird eben das Zusammengehen eines Chirurgen und eines Röntgeno- 
logen notwendig sein, um die äußerste Zeitgrenze, bis zu welcher die 
Röntgenbehandlung ausgedehnt werden darf, festzusetzen. 

Eine zusammenfassende Abhandlung wäre nicht vollständig und es 
wäre auch nicht ehrlich, würde hierbei nicht das Kapitel der Röntgen- 
verbrennung gestreift werden. Wir sind ja nunmehr soweit, daß diese 
Gefahr gegen früher auf ein Minimum reduziert ist dank der ausgebildeten 
Dosimetrie, die spez. durch Christen wieder eine wertvolle Bereicherung 
erfahren hat. Wir müssen aber bedenken, daß die großen Vorteile, die 
uns die Filter- und Felderbehandlung bei der Tiefenbestrahlung der 
Myome bieten, bei der Bestrahlung einer großen Zahl von malignen 
Tumoren nicht ausgenützt werden können. Bei solchen Tumoren, die un- 
mittelbar unter der Haut sitzen, oder Tumoren, die tiefer sitzend bis gegen 
die Körperobertläche zu sich hervordrängen, kann von der Filtrierung und 
auch von der Felderbestrahlung oft nur ein geringer, oft gar kein Ge- 
brauch gemacht werden. Außerdem müssen wir uns ja immer vor Augen 
halten, dal unsere Dosimetrie eine optische Messungsmethode ist, die wie 
alle optischen Messungen doch mehr oder minder an Unzuverlässigkeit 
leiden. Und es wird jeder zugeben, dal) man trotz gewissenhafter Messung 
und trotz Filtrierung, wenn man gezwungen ist, mit hohen Dosen zu 
arbeiten, vor unangenehmen Überraschungen nicht geschützt ist. 

Und so halte ich es für eine Pflicht, daß man das Unangenehme, 
was einem in dieser Richtung passiert. nicht verheimlicht, sondern im Be- 
wußtsein, gewissenhaft vorgegangen zu sein, offen und ehrlich diese un- 


Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 197 


angenehmen Erfahrungen mitteilt. Damit ist auf jeden Fall mehr gedient, 
um in dieser wichtigen Frage Klarheit zu schaffen, als damit, daß man 
über dieselben stillschweigend hinweggeht. Die gebräuchliche Dosimetrie 
gibt uns annähernd nur die Strahlenmenge an, die von der Haut absor- 
biert wird. Über die Christensche Halbwertmessung, die ja eine Messung 
der auch in der Tiefe zur Absorption gelangten Strahlen anstrebt, habe 
ich noch kein Urteil. Diese Dosimetrie der Absorption der 
Röntgenstrahlen in der Haut gilt aber nur für die in normaler 
Weise hierfür empfindliche Haut, sie gilt nicht für die unter ab- 
normen Blutfüllungsverhältnissen stehenden Hautpartien, sie gilt nicht für 
solche Hautpartien, in denen eine andere Gewebsschädigung schon erfolgt 
ist und sie gilt auch nicht dann, wenn kurz nach der Bestrahlung die bis 
dahin normale Haut sonstigen Gewebsschädigungen ausgesetzt wird. 

Das weist uns von vornherein darauf hin, daß wir bei Hautpartien, 
die in einem entzündeten und damit blutüberfüllten Zustande sind, mit 
der Röntgenbehandlung nicht bis zur Erythemdosis gehen dürfen. Die 
Hautröntgenologen arbeiten deshalb bei Hautkrankheiten, mit denen ja 
meist Entzündungsvorgänge einhergehen, nur mit niedrigen Dosen. Abge- 
sehen von diesem entzündlichen Zustand ist es auch wichtig, Wunden und 
frische Operationsnarben zu vermeiden. Frische Narben in einem Alter 
bis zu 8 und 10 Wochen zeichnen sich durch einen sehr großen Gefäß- 
reichtum aus; sie haben demgemäß eine erhöhte Blutfüllung und reagieren 
daher sehr auf Röntgenbestrahlung. Besteht also die Wahrscheinlichkeit, 
daß innerhalb eines Bestrahlungsgebietes noch operiert werden muß, so 
sind Partien, die der zukünftigen Schnittführung entsprechen, auf mehrere 
Zentimeter breit mit dicken Bleiplatten abzudecken, um für die Operations- 
wunde und deren Heilung gesunde Hautpartien zu reservieren. 

Das gleiche gilt ganz besonders, wenn in einem Bestrahlungsgebiet 
die Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffes unter Lokalanästhesie in 
Frage kommt. Ich habe diesbezüglich eine sehr unangenehme Erfahrung 
gemacht bei einer Patientin, die mir mit einem gut mannskopfgroßen 
Sarkom der Bauchdecken überwiesen wurde. Bei einer anderweitig vor- 
ausgegangenen Operation hatte sich der große Tumor als inoperabel heraus- 
gestellt. Ich bestrahlte den Tumor kombiniert und erreichte eine Ver- 
kleinerung bis zur Hälfte seines Volumens. Daraufhin stellte sich eine 
zystische Erweichung des Restes des Tumors ein, die ich inzidierte, 
worauf der Tumor restlos verschwand. Die Frau, die in kachektischem 
Zustande ankam, erholte sich in unglaublicher Weise. Bei einer nach 
mehreren Monaten vorgenommenen Nachbestrahlung entdeckte ich einen 
kleinen, kaum haselnußgroßen Knoten am früheren Sitz des Tumors 
und ich entschloß mich, da derselbe nicht tief lag, zur mikroskopischen 


198 Müller, 


Untersuchung denselben unter Kokainanästhesie zu exzidieren. Die 
Haut war bis dahin pigmentiert aber sonst reizlos, lediglich an der 
Stelle der 2—3 cm langen Inzisionsnarbe von der Eröffnung des zystischen 
Herdes war eine Reaktion ersten Grades eingetreten, die aber bereits ab- 
geheilt war. Und nun bekam ich auf die Exzision des Tumors hin an 
der Stelle der Inzisionswunde und der Umgebung, soweit die Infiltration 
gereicht hatte, ein sehr hartnäckiges Röntgenulkus. Die übrigen Haut- 
partien, die natürlich die gleich hohen Röntgendosen hatten, blieben ver- 
schont. Diese Komplikation war um so unangenehmer, als der ideale Heil- 
erfolg durch die Hartnäckigkeit und Schmerzhaftigkeit des Ulkus in seinem 
Eindruck wesentlich beeinträchtigt wurde. 

Die Sachlage wäre so zu erklären, daß eine gewisse Schädigung des 
Gewebes durch Röntgenstrahlen erfolgt war, die nicht hingereicht hatte, 
eine typische Radiodermatitis zu setzen. Zu dieser Schädigung kam erstens 
die mechanische Druckschädigung des Gewebes durch die Infiltration, 
zweitens die Giftwirkung des Kokains auf die Zellen und drittens 
die mechanische Schädigung durch die Manipulationen bei der Operation 
selbst. 

Auf die andere Erhöhung der Röntgenverbrennungsgefahr ist bereits 
oben hingewiesen, nämlich durch die gleichzeitige Anwendung von Cholin oder 
Metallkolloiden. Diese Verbrennungsgefahrerhöhung mußte ich leider auch 
in einem Fall erleben. Eine Dame mit einem Magenkarzinom, die vorher 
nur zweimal 5 cm einer Elektroselenlösung intravenös bekommen hatte, 
bestrahlte ich unter allen Kautelen und ich bin sicher, die Erythemdosis 
nicht überschritten zu haben. Trotzdem stellte sich eine Reaktion eines 
Teiles der bestrahlten Hautpartien ein, die einzig und allein auf die kumu- 
lierende Wirkung des Elektroselens auf die Haut zurückzuführen ist. 

Überflüssig ist es wohl zu bewerken, daß man sich vor Inangriffnahme 
einer Röntgenbehandlung genau erkundigen muß, ob nicht bereits eine 
Röntgenbestrahluug vorausgegangen ist. Aber weniger bekannt scheint es 
mir zu sein, wenigstens habe ich auch diesem Umstand eine leichte Röntgen- 
reaktion zu verdanken, daß bei Durchleuchtungen und Röntgenphoto- 
graphien, besonders wenn deren mehrere vorgenommen wurden, oft höhere 
Dosen von der Haut absorbiert werden, als wir glauben. Ich habe einen 
Fall erlebt, wo ich einen Herrn einmal durchleuchtete und zwar kurz und 
mit geringer Belastung und einmal eine Momentaufnahme machte und 
nach einigen Wochen ein Röntgenerythem entstehen sah. Der Herr war 
vorher zweimal anderweitig photographiert worden und die durch diese 
diagnostischen Röntgeneingriffe erreichte Absorption von Röntgenstrahlen 
war so groß, dal) die Erytliemdosis überschritten wurde Wäre in diesem 
Fall eine Erythemdosis therapeutisch gegeben worden, so wäre eine 


Röntgenstrahlenbehandlung der malignen Tumoren. 199 


schwere Röntgenverbrennung die totsichere Folge gewesen. Also auch 
hierauf ist besonders Rücksicht zu nehmen. 

Hiermit glaube ich das Allerwichtigste zum heutigen Thema heraus- 
gegriffen zu haben. Das neuerliche Vertrauen, das nach einer langen Zeit 
einer durch die allerersten therapeutischen Mißerfolge und Schädigungen 
durch Röntgenstrahlen veranlaßten Apathie hauptsächlich dank der großen 
Erfolge der Myombehandlung eingesetzt hat, darf unter keinen Umständen 
erschüttert werden, auch wenn das vielleicht in allernächster Zeit noch 
nicht ganz eintritt, was man sich heute von der Röntgenbehandlung der 
malignen Tumoren verspricht. 

Meine Ausführungen hatten den Zweck, die Kombinationsmöglich- 
keiten der Bestrahlungstherapie auf Grund unserer biochemischen Kennt- 
nisse und meiner praktischen Erfahrung auseinanderzusetzen. Mit den 
ausgeführten Kombinationsmöglichkeiten und mit der vervollkommneten 
Technik, die sich sicher auch noch weiter ausbauen lassen wird, wird die 
Zahl der beeinflussungsfähigen Tumoren immer mehr erhöht werden. 
Und wenn man diese Arbeit mit der gleichen Energie und so vielseitig 
verfolgt, wie es seinerzeit bei der Ausbildung der chirurgischen Inangriff- 
nahme der malignen Tumoren geschehen ist, und wie es uns auch bei 
dem großen Interesse, das die Chirurgen und Gynäkologen jetzt dieser 
Behandlungsmethode entgegenbringen, zu werden verspricht, dann dürfen 
wir überzeugt sein, daß in der Lösung des Krebsproblemes in nächster 
Zeit riesige Fortschritte gemacht werden, Fortschritte, die wohl alle be- 
friedigen müssen, die sich von dem Gedanken emanzipiert haben, daß für 
unabsehbare Zeit das Krebsheilmittel, das die Krebskrankheit in allen 
ihren Formen und Stadien zu heilen imstande wäre, eine Utopie ist, um- 
somehr, als unsere Aussichten, den eigentlichen Ursachen des Krebses auf 
den Grund zu kommen, trotz der vielseitigen und intensiven Forschung 
keine günstigeren geworden sind. 


Die wissenschaftlichen Grundlagen der Thermopenetration 
oder Diathermie. 


Von 
Pröf. Dr. von Zeynek-Prag. 


enn die Thermopenetration als eine eigene Disziplin unter den 

Behandlungsmetlioden mittels hochfrequenter Ströme angesehen werden 
darf, so geschieht dies erstens mit Rücksicht auf das Ziel, welches sıe ver- 
folgt. nämlich die Joulesche Wärme oder Stromwärme auszunützen. zweitens 
mit Rücksicht auf die speziellen Apparate, welche konstruiert wurden. um 
eben dieses Ziel sicher und leicht zu erreichen. nämlich Apparate. welche 
hochfrequente Ströme von geringer Spannung und möglichst geringen 
stroinlosen Intervallen (Quantitätsströme) liefern. 

Beobachtungen über Wärmewirkungen der Hochfrequenzströme in der 
Umgebung von an den menschlichen Körper angelegten Elektroden sind 
über 20 Jahre alt. Tesla und etwa gleichzeitig mit ihm d’Arsonval 
haben Wärmewirkungen der Hochfrequenzströme beschrieben. Tesla 
meinte, „die Erwärmung würde natürlich auf der Oberfläche, d. hb. auf 
der Haut stattfinden“, trotzdem schilderte er mächtige Wirkungen. über 
die ein wohl längst vergessener Satz zitiert werden möge: „In der Tat ıst 
es. um es drastisch auszusprechen, denkbar, daß eine völlig nackte Persun 
am Nordpol sich in dieser Weise angenehm warm halten könnte“.?) 
d’Arsonval hielt anfangs die Frage offen, wie sich diese Ströme. deren 
geringe Reizwirkungen auffallen mußten, im Körper verteilen: entweder 
könnten sie die Eigenschaften der statischen Elektrizität annehmen und 
sich nur an der Oberfläche ausbreiten oder das Gewebe verhielte sich 
diesen Schwingungen gegenüber wie Hör- und Selnerv gegen besonders 
rasche Schwingungen. Schon 1893 hat aber d'Arsonval?) klar gestellt. 
dab die hochfrequenten Ströme den Körper durchdringen. Damit hat 
d’Arsonval das Prinzip der Thermopenetration festgelegt. Es scheint aber 
nach den vorliegenden Publikationen, dal die Stromwärme als eine therapeu- 
tisch lästige Begleiterscheinung der hochfrequenten Ströme aufgefaßt wurde.?) 


1) Untersuchungen über Mehrphasenströme, deutsche Ausgabe. W. Knapp, 
Halle, S. 402. Artikel: Massage mit Strömen von hoher Frequenz, 23. Dez. 1891. 

*) Comptes rendus Bd. 116, S. 630. 

3) Comptes rendus Bd. 133, S. 1298 (1901) „il faut éviter . . . toute élevation 
anormale de temperature‘. 


v.Zeynek, Wissensch. Grundl. d. Thermopenetration oder Diathermie. 201 


Da die Resultate der sog. Autokonduktion oder Arsonvalisation schlecht- 
weg (nach der bisherigen Auffassung) nicht unwidersprochen blieben, so 
wurden auch die geschilderten Erfahrungen d’Arsonvals über Wärme- 
wirkungen nicht genügend beobachtet, wenigstens blieben sie der Allgemein- 
heit (auch den meisten Physikern) unbekannt. 

Erst als Nernst!) den exakten Beweis erbracht hatte, daß die Strom- 
linien rasch schwingender elektrischer Ströme in Elektrolyten kein merk- 
liches Auseinanderdrängen erfahren, lag für seine Schule?) die richtige 
Deutung der Wärmewirkungen hochfrequenter Ströme nahe, und etwa vom 
Jahre 1908 an nimmt infolge der Herstellung praktikabler Apparate die 
sogenannte Thermopenetration (syn. Diathermie) in den Publi- 
kationen über die Heilwirkungen der Hochfrequenzströme wohl den ersten 
Platz ein. 

Dieser Aufschwung ist, abgesehen von der leicht demonstrierbaren und 
nunmehr allgemein plausiblen Wärmewirkung wie dem anerkannten Mangel 
an Nerven-Reizwirkungen ?) der Hochfrequenzströme durch die Entwicklung 
der drahtlosen Telegraphie bewirkt, durch welche die Darstellung sowohl 
kompendiöser als auch ziemlich ökonomisch arbeitender Apparate gelungen 
ist. Auf die verschiedenen Konstruktionen soll hier nicht eingegangen 
werden, es sei auf die Zusammenstellungen von Kowarschik, Boas, 
Simon“) verwiesen, ebenso braucht die Frage der Zuleitungen dieser 
Ströme zum Körper nur gestreift zu werden, da die Industrie hinreichend 
damit vertraut ist. Es sei nur daran erinnert, daß für die Hochfrequenz- 
ströme dicke Metallmassen, dicke Drähte Hemmnisse bieten (Impedanz), 
wie daß die hochfrequenten Ströme durch Drahtschleifen oder Windungen 
sehr beeinflußt werden.?) 

Einiger Sorgfalt bedarf die Elektrodenfrage. 

Im Gegensatz zu der der gebräuchlichen Versuchstiere bietet die 
menschliche Haut der Stromleitung einen recht großen Widerstand 
und es ist nötig, diesen möglichst herabzusetzen, andererseits ist bei der 
leichten Funkenbildung für einen guten Kontakt zu sorgen. Durch beide 
Momente entstehen leicht Hautverbrennungen. Es empfiehlt sich, die Haut 
an den Stellen, an welchen die Elektroden aufgesetzt werden sollen, vorher 
gut mit Seife zu reinigen. Den besten Kontakt geben dann zwischen die 





!) Wied. Ann. Bd. 60, S. 600. 

2) v. Zeynek, Göttinger Nachr. 1899. 

3) Zeynek u. Bernd, Pflügers Arch. Bd. 132. 

4) Zeitschr. f. physikal. u. diät. Ther. XV, Arch. f. physik. Med. u. med. Technik 
IV, Physik u. Technik der Thermopenetration, H. 10. 

5) Die Theorie dieser Erscheinungen ist eingehend dargestellt in Lampa, Wechsel- 
stromversuche. 


202 v. Zeynek, 


Metallelektroden und die Haut gelegte hydrophile, mit physiologischer 
Kochsalzlösung, der eine Spur (höchstens 0,1%) Soda zugesetzt ist, ge- 
tränkte Stoffe. Laquerriere und Delherm!) haben, um bei einer Aus- 
trocknung dieser Schicht das Überschlagen von Funken auf die Haut zu 
vermeiden, als vorteilhaft empfohlen, die Haut durch ein ganz dünnes 
Drahtnetz zu schützen. Um selbst Erfahrungen über die Güte eines 
Kontakts zu erwerben, verwende ich große fette Pferdewurststücke, die in 
formolhaltiger 1°/,iger Kochsalzlösung aufbewahrt werden, und hatte 
wiederholt Gelegenheit, für tadellos gehaltene Kontakte als mangelhaft 
zu erkennen. — 

Wenngleich bei der Thermopenetration die Stromwärme der hoch- 
frequenten Wechselströme als das therapeutisch wirksame Agens schon 
einleitend präzisiert wurde, so darf nicht übersehen werden, daß auch 
andere Stromwirkungen vorhanden sein können. Auf diese Möglichkeiten 
soll zum Schluß eingegangen werden, vorerst mögen die Wärmewirkungen 
erörtert werden. In letzterer Hinsicht sollen zwei Anwendungsarten unter- 
schieden werden: solche, bei denen der Strom nur lokal wirken soll, und 
die Beeinflussung des übrigen Organismus durch die zugeführte Wärme 
möglichst vermieden werden soll, wie dies bei der Behandlung von Ge- 
lenken, bei der Koagulation von pathologischen Neubildungen, bei analge- 
sierenden Durchwärmungen geschieht. Als zweite Anwendungsart der 
Thermopenetration wäre die Durchwärmung zur Beeinflussung des Stoff- 
wechsels anzusehen. 

Die erste Anwendungsart ist die gegenwärtig in der Regel geübte und 
in ihren Wirkungen allgemein anerkannte; doch theoretisch sind die 
Wärmewirkungen, wenn der Strom Schichten verschiedenen Widerstandes 
passiert, kaum von vornherein festzustellen. Walter?) hat auf zwei ver- 
schiedene Fälle hingewiesen. Wenn senkrecht auf die Stromrichtung 
Schichten verschiedener Leitfähigkeit liegen, so werden jene großen 
Widerstandes die Hauptmenge der Wärme fixieren (der Grad der Er- 
wärmung wird auch von der spezifischen Wärme der betreffenden Gewebe 
abhängen), wenn hingegen Schichten verschiedenen Widerstandes parallel 
zu den Stromlinien liegen, so wird der Strom und damit die Wärme den 
gut leitenden Schichten folgen. Letzterer Fall könnte dann verhängnisvoll 
werden, wenn gut leitende Blutbahnen in ihrer Längsrichtung durchströmt 
werden, wo es, insbesondere bei gestauten Venen, leicht zu Koagulation, 
Thrombose kommen kann. Darauf haben schon Bernd und Preyß, 
aber wie ich nun ersche, auch d’Arsonval (1901) schon aufmerksam 


t) März 1911, zit. nach Baud, Inaug.-Diss. Paris 1911. 
2) Münchn. med. Wochenschr. 1910, S. 240. 


Wissenschaftliche Grundlagen der Therniopenetration oder Diathermie. 203 


gemacht. Durch die Erwärmung der Gewebe ändert sich aber ihr Wider- 
stand, auch die spezifische Wärme, dadurch wird beim 4. Schema 
Walters ein Wärmeausgleich in geringem Ausmaße erreicht. Von 
größerem Einfluß ist die Blutströmung, welche bei der Erwärmung in der 
Regel gesteigert ist; in der Wärmeabfuhr mit dem Blutstrome liegt aber 
eine bis jetzt auch nicht annähernd zu berechnende. Größe. 


Es kommt noch eine Komplikation in Betracht, daß nämlich der 
wahre Widerstand des lebenden Körpers nicht genau bestimmt ist. Es 
sei in dieser Hiusicht auf zwei kürzlich erschienene Arbeiten verwiesen. 
Gildemeisters Schüler Galler!) hat konstatiert, daß die Polari- 
sationserscheinungen des lebenden Körpers jenen an Metallen sehr ähnlich 
sind und daß dadurch der Widerstand scheinbar bei den Messungen ver- 
größert wird. Höber?) hat den Grad der Dämpfung, welchen tierische 
Gewebe auf hochfrequente Schwingungen hervorbringen, wenn sie innerhalb 
einer von diesen Schwingungen durchflossenen Selbstinduktion sich befinden, 
zur Berechnung des wahren Widerstandes dieser Gewebe herangezogen 
(entsprechend der Autokonduktion d’Arsonvals). Zu letzteren Ver- 
suchen sei daran erinnert, daß Bergonié, Broca und Ferrié?) durch 
das Einbringen eines Menschen in den Autokonduktionskreis keine 
Änderung der Stromintensität in dem Solenoid gefunden haben. 


Die Fortsetzung dieser Arbeiten dürfte uns mit den Widerstands- 
verhältnissen des lebenden Organismus vertrauter machen; wir sehen aber 
aus dem Vorgebrachten, daß hier theoretisch keine Basis zu gewinnen ist, 
daß auch Versuche an toter Materie nichts wesentliches lehren, daß viel- 
mehr nur von systematischen Versuchen am Lebenden Aufklärungen zu 
erwarten sind. 


Wir sind in dieser Auseinandersetzung immer von der Ansicht aus- 
gegangen, daß die Wärmewirkungen der Hochfrequenzströme als die 
Wirkung der Jouleschen oder Stromwärme aufzufassen sind. Es ist 
interessant, daß der Einwand?) gemacht wurde, es könnten auch di- 
elektrische Wärmewirkungen in Betracht kommen. Nach den vorliegenden 
Untersuchungen ist diese Annahme wohl nicht haltbar. 


Man kann sich leicht davon überzeugen, daß in den wässerigen Lösungen 
und in Suspensionen von verschiedenem Widerstande die Erwärmung der 
berechneten Stromwärme entspricht. Am toten Tiere wurde hinreichend 
überzeugend beobachtet, daß die zugeführte Wärme den Bahnen folgt. 


1) Pflügers Arch. Bd. 146, S. 156. 

2) Pflügers Arch. Bd. 150, S. 15; Bd. 148, S. 189. 

3) C. R. Bd. 145, S. 526. 

4) Hahnemann, Hufelandsche Gesellsch. vom 14. X. 1909, zit. nach Simon. 


204 v. Zeynek, 


welche durch die Leitfähigkeit der Gewebe und die Elektrodenanordnung 
gegeben sind.!) 

Den Übergang von der lokalen Endothermie?) zur Beeinflussung des 
Stoffwechsels bildet die Durchwärmung einzelner Partien des Körperinnern. 
In dieser Hinsicht und in Beziehung auf die vorhergehende Ausführung 
sei auf die Gefahr hingewiesen, die Darmpartien zu erwärmen, da die 
Strombahnen bei einem größeren Gasgehalt des Darmes sehr zusammen- 
gedrängt sein können und, wie schon v. Bernd und v. Preyß am Tier- 
versuch erfahren haben, durch die Wärmewirkung Nekrosen an benach- 
barten Darmschlingen leicht vorkommen.?) Größere Drüsen lassen sich 
dagegen bei einiger Vorsicht ohne Schädigung durchwärmen. Telemann 
konnte fast alle Organe von Versuchstieren ohne Schaden bei intakter 
Haut weit über 40° erwärmen. (Deutsche med. Wo. 1911.) 

Ein besonderes Interesse beansprucht die Frage, inwieweit die endo- 
thermale Behandlung den Stoffwechsel beeinflussen könne. Es mögen 
vorerst die Arbeiten, welche den temperaturregulierenden Mechanismus 
betreffen, vorangestellt werden. 

A. Schittenhelm‘) fand bei gesunden Menschen, durch deren 
Körper ein Strom von 1,7 A. geschickt wurde, nach !/,—2 Minuten, ehe 
also eine Steigerung der Gesamttemperatur in Betracht kam, eine starke, 
plethysmographisch nachweisbare Verschiebung des Blutes an die Ober- 
fläche, nach länger währenden Versuchen einen bei verschiedenen Personen 
individuell verschieden starken Schweißausbruch, später eine Ermüdung der 
so rasch reagierenden peripheren Gefäße. Nach 10—12 Minuten dauernden 
Durchwärmungen wurden trotzdem nicht selten Temperatursteigerungen um 
0,2—0,4° beobachtet. Zimmern und Turchini haben ähnliches be- 
obachtet. 

Die Raschheit der Temperaturregulierung ergibt sich auch aus einer 
in Briegers Institut ausgeführten Untersuchung von Fürstenberg und 
Schemel?) über Durchwärmung des Magens. Die Temperatur des Magens 


1) Vgl. die Darstellung H. Simons inPhysik u. Technik der Thermopenetration 
S. 17. Leipzig, Barth, 1912. 

2) Ich gebrauche hier die Bezeichnung, welche ich zuerst bei Delherm u. La- 
querriere fand (Gaz. d. höpitaux 1910, Nr. 84). Sie dürfte die passendste für dieses 
Verfahren sein. 

3) Die Versuche waren angeregt von der Idee, die wärmeempfindlichen Gono- 
kokken im lebenden Gewebe, etwa im Uterus, abzutöten. Neuerdings macht Stein 
(Münchn. med. Wochenschr. 1911) auf die Erhitzung der Darmgase durch die Er- 
wärmung aufmerksam. 

4) Therap. Monatsschr 1911, S. 341; vgl. Zimmern u. Turchini, Presse 
med. 1910, S. 354; C. R. Bd. 146, S. 989. 

5) Deutsche med. Wochenschr. 1912. S. 1780. 


Wissenschaftliche Grundlagen der Thermopenetration oder Diathermie. 205 


stieg nicht entsprechend der Stromstärke an; bei 0,3 A. war die Magen- 
temperatur um ca. 0,5° über die Normaltemperatur gestiegen, bei An- 
wendung von 2 A. starken Strömen fiel sie von dieser Temperatur rasch 
um ca. 0,3°, so daß sie nun nur sehr wenig über der Normaltemperatur 
war. Der Temperaturabfall war beim Wechsel der Stromstärken ein plötz- 
licher und ist durch das Einsetzen des Reguliermechanismus für die 
ÖOrganismustemperatur (vielleicht von der stark erwärmten Haut aus) zu 
erklären, während bei geringen Strömen dieser Reguliermechanismus nicht 
ausgelöst wird. 

Zimmern und Turchini hatten an Hunden bei Durchwärmungen 
mit 0,3 A. während 20 Minuten Temperatursteigerungen von 0,3—0,4° beob- 
achtet, Schittenhelm hat solche Versuche mit dem gleichen Ergebnis wieder- 
holt, die Befunde stimmten mit denen Richets an hyperthermierten Tieren 
(Polypnoe) vollkommen überein, doch gelang es Schittenhelm zu zeigen, 
daß auch die Haut beim Temperaturausgleich des Hundes eine Rolle spielt. 
Stein?) hat beim Menschen beobachtet, daß durch kurze Thermopenetrations- 
einwirkungen die allgemeine Körpertemperatur gesteigert werden kann, und 
zwar in 10 Minuten bei erträglicher Stromstärke regelmäßig um 0,5°. 

Für das Studium der Temperaturregulierung bietet also die Thermo- 
penetration einen ausgezeichneten Behelf. 

In mittelbarem Zusammenhange mit der Thermopenetration stehen 
die Untersuchungen von Bergmann und Castex (Klinik Kraus?); sie 
lehren, daß umgekehrt bei bloßer Hautreizung, etwa durch unipolare 
Arsonvalisation, große Wärmeverluste durch Strahlung entstehen, trotzdem 
die Patienten durch die warme Haut ein angenehmes Wärmegefühl hatten. 
Hier setzt die chemische Regulation ein. Es sei dazu an Paalzows Ver- 
suche (1871) und an Atwaters Untersuchungen erinnert. 

Alle diese Untersuchungen ergeben das prompte Einsetzen der Regulier- 
vorrichtungen für die Körpertemperatur, zu energetischen Betrachtungen 
ist aus ihnen wenig zu entnehmen. Eben die Durchwärmung scheint 
aber geeignet, durch entsprechende Zufuhr von Energie das Minimum des 
chemischen Stoffwechsels kennen zu lehren. 

Die einzigen mir bekannten Stoffwechselversuche mit Diathermie sind 
kürzlich von Durig und Grau?) einerseits ausgeführt worden, in Bezug 
auf eine kritische Erörterung über verschiedene Mitteilungen von unglaub- 
würdigen Durchwärmungseffekten bei Patienten, von Röchou und Bergonie 
andererseits.*) Bei Durigs Versuchen wurde gegenüber den im normalen 


1) Münchn. med. Wochenschr. 1911, S. 1303. 

2?) Zeitschr. exp. Path. Ther. Bd. 10, S. 339. 

3) Biochem. Zeitschr. Bd. 48, S. 480. 

4) Arch. d’Electr. med. 1912, Nr. 339, 1913, Nr. 353. 


206 v. Zeynek, 


Stoffwechsel produzierten Kalorien endothermal die 3 bis 4 fache Kalorien- 
menge zugeführt (in einem Falle 627 kg Kal. im Laufe von 2!/, Stunden), 
es wurden also dem Organismus kolossale Wärmemengen plötzlich auf- 
gezwungen. Die Versuche zeigten dementsprechend eine Vermehrung der 
Pulsfrequenz, mächtigen Schweißausbruch, anscheinend Erweiterung der 
Nierengefäße (Vermehrung der Harnbildung während der Durchströmung, 
n.b. bei der stärksten Durchwärmung wurde eine reichliche Menge sehr 
verdünnten Harnes entleert). Der Stoffwechsel war gesteigert, die Er- 
höhung des Stoffwechsels hielt sich in den Grenzen, die bei 'andersartiger 
Temperaturerhöhung um denselben Betrag stattfindet. 

Vielleicht war sie etwas geringer, als zu erwarten war. Es erscheint 
wichtig, darauf hinzuweisen, dal nach Durig außer einem geringen Gefühl 
des Unbehagens nicht die leiseste subjektiv wahrnehmbare Nachwirkung 
vorhanden war. — Bei Rechou’s und Bergoniö’s Versuchen war im 
Gegenteil eine deutliche Verminderung der Kohlensäureausscheidung 
vorhanden. i 

Es muß wohl bemerkt werden, daß Versuche, bei denen eine so 
kolossale Wärmeenergie in kurzer Zeit in den Organismus geführt wurde. 
mit denen der Erwärmung von außen nicht ohne weiteres vergleichbar 
sind; es ist auch die Erwägung naheliegend, daß tatsächlich eine Ver- 
minderung des chemischen Stoffwechsels bei Durigs Versuchen statt- 
gefunden haben konnte, welche durch die sekundäre Arbeitsleistung des 
Organismus zum Zwecke einer möglichst raschen Entfernung des lästigen 
Wärmeüberschusses verdeckt wurde. Dann ist zu berücksichtigen, dal der 
ruhende Mensch für orientierende energetische Versuche nicht sonderlich 
geeignet ist. Es sei nur auf die Untersuchungen von Loewy!) und von 
Johansson?) hingewiesen, welche ergeben haben, daß trotz fallender 
Außentemperatur der Stoffwechsel ruhender Menschen nicht anstieg, ja 
daß die Körpertemperatur erniedrigt wurde. Solche Anpassungserschei- 
nungen mögen erst spät, jedenfalls nach Beendigung des Versuchs zum 
Ausgleich gebracht worden sein. 

Ich möchte mir erlauben, hier über eigene Versuche an hungernden 
Kaninchen zu berichten, welchen nur geringe Strommengen, von denen 
keine Auslösung der Wärmeregulationsvorrichtungen zu erwarten war, durch 
die Leber geschickt wurden. An enthaarten Stellen, rechts vor der Leber, 
links rückwärts, lagen die entsprechenden Silber- (Chlorsilber-), Kochsalz- 
elektroden auf, das Tier war in einer Glocke fixiert und wurde in Inter- 
vallen mit Strömen von 0,06—0,1 A durchwärmt. Die Durchwärmung 


I) Zeitschr. f. Biologie Bd. 14. 
2) Skandin. Arch. f. Physiol. Bd. 16. 


Wissenschaftliche Grundlagen der Thermopenetration oder Diathermie. 207 


verursachte nicht die mindeste bemerkbare Reaktion des Tieres. Durch 
1—2 Stunden vor dem Versuche, während des meist 2 Stunden dauernden 
Durchwärmungsversuches, und 1 Stunde nach der Durchwärmung wurde, 
wie Rubner!) es vorgeschlagen hat. die Kohlensäure bestimmt. Die 
endothermal zugeführte Wärme betrug per kg Tier und Stunde 0,6 bis 
1.ö kg Kal. Die Außentemperatur war bei jedem Versuche konstant, sie 
schwankte bei den einzelnen Versuchen zwischen 16—18°. In allen Fällen 
konnte eine Abnahme der Kohlensäureausscheidung um im Mittel 15% 
(13—18%,) nachgewiesen werden, die nach einstündiger Sistierung der 
Erwärmung dem ursprünglichen Werte Platz machte. Bei Zufuhr 
größerer Wärmemengen wurden, wie von Durig und Grau, geringfügige 
Steigerungen der Kohlensäureausscheidung und Schnupperbewegungen des 
Kaninchens beobachtet. 

Die Versuche lehren nicht viel; ein ähnlicher Effekt ist ja auch durch 
Erhöhung der Außentemperatur zu erreichen.?) Doch sind wohl die Hoch- 
frequenzströme das einzige Mittel, bei gleichbleibenden äußeren Verhält- 
nissen durch eine physikalisch, im Innern des Tieres erzeugte Wärme eine 
Beeinflussung der Kohlensäureproduktion impl. des Stoffwechsels zu be- 
wirken. 

Es ist ausdrücklich hervorzuheben, daß diese Versuche keines- 
wegs gegen die von Durig und Grau geübte Kritik sprechen; „elektrische 
Mahlzeiten“, so angenehm dies wäre, müssen als eine Utopie bezeichnet 
werden, und das bedeutende Wort Lavoisiers .la vie est une fonction 
chimique* wird durch die Thermopenetration nicht umgestoßen. 

Auf die Möglichkeit einer Wärmewirkung bei der Autokonduktion 
sei hier hingewiesen. Es ist meines Erachtens nicht unmöglich, daß in 
den geschlossenen, besser als die Umgebung leitenden Systemen des Or- 
ganısmus, z. B. in der Blutbahn, Ströme induziert werden, welche eine 
spezielle Endothermie bewirken könnten. Wenn meine Anschauung an- 
erkannt werden kann, würde die anfängliche Abnahme der Kohlensäure- 
ausscheidung, der später eine Steigerung folgt, gut als Wärmewirkung ge- 
deutet werden können. Daraus würde noch mehr, als es bisher betont 
wurde, folgen, daß kein prinzipieller Gegensatz zwischen der Arsonvalisation 
und den Wärmewirkungen der Hochfrequenzströme besteht. Es ist hervor- 
zuheben, daß Vittorio Maralgiano?) 1901 die Wärmewirkungen der 
Hochfrequenzströme therapeutisch verwendet hat, daß Zimmern und 
Turchini in Frankreich, Sommerville in England etwa um die gleiche 
Zeit wie wir ınit der Thermopenetrationsidee in die Öffentlichkeit traten. 

1) Gesetze des Energieverbrauchs, S. 132. 


2) Richet, Chaleur animale, S. 231. 
8) Nach einer brieflichen Mitteilung Herrn Dr. Schminckes. 


208 v. Zeynek, 


Meine ursprüngliche Ansicht, daß beim fiebernden Organismus sich 
größere Differenzen im Stoffwechsel nach der Durchwärmung ergeben werden, 
hat für das fiebernde (septikämische) Kaninchen sich nicht bestätigt. Aus 
den wenigen Versuchen ist kein endgültiger Schluß zu ziehen, und die be- 
züglichen klinischen Versuche sind nicht abgeschlossen. Wir hoffen, dab 
sie von mindestens theoretischem Interesse sein werden. Bonnefoy +) hat 
bei chronischer tropischer Malaria einen günstigen Einfluß des Kondensator- 
stuhls beobachtet, den er allerdings nicht auf eine Wärmewirkung bezieht. 

Es ist schließlich noch auf die öfters diskutierte Frage einzugehen, 
ob mit der Wärmewirkung die Leistung der Hochfrequenzströme im Or- 
ganismus erschöpft ist. 

Wohl jeder von uns hat sich mit der Idee getragen, daß den raschen 
Schwingungen besondere chemische Wirkungen zukämen, etwa mit den 
Wirkungen der stillen Entladung vergleichbar. Es sei vorausgeschickt, daß 
die verschiedensten Versuche mit Eiweißkörpern, auch mit Oxyhämoglobin, 
auch mit Hämatin, mit Enzymen, wenn die Wärmewirkungen ausgeschaltet 
waren und keine Funkenbildung stattfand, schließlich mir keine Resultate 
ergeben haben. Ich teile diese Mißerfolge mit Rumpf,?) der 1910 er- 
klären mußte: „ich kann hinzufügen, daß . . .. meine Versuche negativ 
waren. Das kann aber sehr wohl bei anderer Anordnung anders werden.“ 
Von vornherein möchte man trachten, diejenige Schwingungsfrequenz zu 
finden, bei welcher nach Art der Resonanz selbsttätig langsam verlaufende 
Prozesse beschleunigt wurden. 

Bakterienversuche, in diesem Sinne durchgeführt, mögen hier mitge- 
teilt werden. Frische Kulturen von Bact. coli commune vertragen eine 
Temperatur von über 40° Hochfrequenzströme verschiedener Frequenz 
von 1 A. und mehr Stromstärke (Hitzdrahtablesung), mit Unterbrechungen 
zur Abkühlung der Lösung, im ganzen während mindestens 10 Minuten durch 
solche Kulturen geschickt, alterierten sie nicht. Im Sinne einer der an- 
deuteten „Aktivierung“ wurden nun zu den Kulturen Bakteriengifte zu- 
gesetzt, nachdem Vorversuche die Konzentration ergeben hatten, in welcher 
diese Gifte schon eine beträchtliche Schädigung der Kolikulturen ohne 
Stromwirkung hervorbrachten. Jede Probe der Bakterienkultur wurde nach 
Zusatz der schädigenden Lösung in zwei Teile geteilt, der eine Teil wurde 
mit den hochfrequenten Strömen (im ganzen durch 10 Minuten) behandelt, 
der andere wurde in warmem Wasser auf die gleiche Temperatur erwärmt. 
Die Temperatursteigerungen betrugen ca. 10°—15°. Als Bakteriengifte dienten 
Bleiazetat, Quecksilberchlorid, Platinchlorid, Jodkalium in hoher Konzen- 





1) Journ. de Physiother. Bd. 10. 
2) Pflügers Arch. Bd. 137, S. 329. 


Wissenschaftliche Grundlagen der Thermopenetration oder Diathermie. 209 


tration, Hydrazinhydrat. Die mehrfach variierten Proben gaben keine Zu- 
nahme der Schädigung nach der Hochfrequenzbehandlung. Herr Professor 
Dr. A. Ghon hatte die Liebenswürdigkeit, die Versuche über die Wachs- 
tumsbehinderung der Kolikulturen, ohne die Behandlung der einzelnen 
Proben zu kennen, durchzuführen, wofür ich ihm auch wegen der größeren 
Verläßlichkeit dieser Versuche zu besonderem Dank verpflichtet bin. 

Durig und Grau haben jüngst mitgeteilt, daß Paramäzien, wenn eine 
Schädigung durch die Stromwärme ausgeschlossen war, nicht durch Hoch- 
frequenzströme alteriert wurden. Umgekehrt hat Laqueur bekanntlich 
eine wesentliche Schädigung der wärmeempfindlichen Gonokokken auch 
im lebenden Gewebe durch die Diathermie nachgewiesen. 

Daß normale menschliche Gewebe und Karzinomgewebe keine be- 
sondere Beeinflussung durch die Ströme selbst erleiden, abgesehen von den 
durch Wärmewirkung erklärbaren Schädigungen, dürfte aus E. Stephans!) 
histologischen Untersuchungen hervorgehen; er fand es auch wahrscheinlich, 
daß in der Nachbarschaft des thermopenetrierten (z. T. koagulierten) Ge- 
webes keine besondere Reizung stattfindet. 

Eine Erscheinung kann ich bestätigen, die schmerzstillende Wirkung 
der Ströme. Verschiedenartig angestellte Versuche der Hauterwärmung 
gaben bei einer erreichten Temperatur von ca. 80° ein Schmerzgefühl, 
welches während der Thermopenetration nicht auftrat. Diese Erscheinung 
ist um so auffallender, als die im Verein mit Bernd!) ausgeführten 
Nervenreizungsversuche ergeben hatten, daß durch die Hochfrequenzströme 
die (faradische) Erregbarkeit der Nerven nicht herabgesetzt war. 

Abgesehen von dieser schmerzstillenden Wirkung, für welche keine Er- 
klärung gegeben ist, kann ich aber nur von der Wärmewirkung der Hoch- 
frequenzströme und von negativen Resultaten in Bezug auf chemische 
Wirkungen berichten. Für die praktisch-therapeutische Anwendung wäre 
dieses Ergebnis, sobald es vollkommen sichergestellt ist, wohl ein Vorteil. 

Vom theoretischen Standpunkt aus bedeutet es eine Enttäuschung, 
daß einer der nobelsten und höchsten Triumphe, welche die Elektrizitäts- 
lehre eben in den Hochfrequenzströmen erreicht hat, für unseren Organis- 
mus hauptsächlich oder ausschließlich in Form der degradierten Energie, 
der Wärme in Betracht kommt. Wir dürfen uns jedoch damit zufrieden 
geben, wenn eben diese Energiedegradation unserem Organismus wertvoll ist. 


1) Inaug.-Diss. Heidelberg 1912. 
2) Pflügers Arch. Bd. 132. 


Strahlentherapie Band III, Heft 1 14 


Zur Wirkung der Röntgenstrahlen auf maligne Geschwülste.*) 


Von 
Prof. Dr. Max Levy-Dorn, Berlin, 


leitender Arzt am Rudolf Virchow-Krankenhanus. 
(Mit 2 Abbildungen.) 


D“ Glaube an die Möglichkeit, daß die Röntgenstralilen maligne Ge- 
schwülste zu heilen vermögen, erfreut sich heute noch keiner allzu- 
großen Verbreitung. Wenn man auch zugeben muß, daß es verfehlt wäre, 
die Hoffnungen zu hoch zu spannen, so wäre es doch ebenso verkehrt, in 
das Gegenteil zu verfallen, offenbare Erfolge zu übersehen und auf ein 
brauchbares Hilfsmittel im Kampf gegen den bösen Feind zu verzichten. 
Die Bedingungen, unter denen die Strahlen Nutzen bringen, sind aller- 
dings noch ganz ungenügend erforscht. Ich habe mich bemüht. unter 
Zuhilfenahme des Tierexperimentes weiter zu kommen und möchte an 
dieser Stelle über das bisherige Ergebnis meiner Versuche berichten. 

Durch das Entgegenkommen des Geh.-R. v. Wassermann wurden 
mir eine Reihe Krebs- und Sarkom-Mäuse zur Verfügung gestellt. Ich 
nahm mir vor eine Bestrahlungsmethode auszuarbeiten, die wenigstens in 
noch nicht weit vorgeschrittenen Fällen eine Heilung der Mäusegeschwülste 
mit großer Walırscheinlichkeit gewährleistet. Es ist mir dies aber bisher 
nur in beschränktem Maße gelungen. 

Wie ich auf dem Röntgenkongreß 1910 und in der Dermatologischen 
Gesellschaft zu Berlin mitgeteilt habe, vertragen die Mäuse bei Allgemein- 
bestrahlungen nur geringe Dosen. Ich überzeugte mich bald davon. daß 
diese nicht ausreichen, die Tumoren zum Verschwinden zu bringen. Ich 
eing daher zu Partialbestrahlungen der Tumoren über. Die Tiere wurden 
in Schutzstoffe eingewickelt, die an der Stelle des Tumors durchlocht 
waren. Durch eine gewöhnliche photographische Klammer wurde der 
Schutzstoff zusammengehalten. Die üblichen „Mäusebretter“ haben sich hier 
weniger bewährt, als dieses einfache Verfahren. Es wurden von mir bis- 
her höchstens SO Kienböcksche Einheiten von harten Strahlen mit und 
ohne Filter (4faches Leder, 2 mm Aluminium) in 1 bis 2 Tagen appliziert. 
Auch eine Wiederholung der Bestrahlungen nach 3 Wochen wurde vertragen. 


) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie, 
Berlin 1913. 


Levy-Dorn, Zur Wirkung d. Röntgenstrahlen auf maligne Geschwülste. 241 


Die Eigenart der Impfung bringt es mit sich, daß die Mäuse oft 
auljer dem gewollten Tumor an der Achsel, auch an der Einstichöffnung 
auf dem Rücken über dem Schwanz einen zweiten Tumor bekommen. 
Die Bestrahlung der beiden Tumoren wird aber schwer ertragen und 
ähnelt in der Wirkung der Allgemeinbestrahlung. So starb ein Tier, von 
welchem in dreitägigen Zwischenräumen erst die (kirschgroße) Achsel-, 
dann die Rückengeschwulst mit 8 Erythemdosen bestrahlt worden war, 
schon 5 Tage später. 

Als Beispiel für den glücklichen Verlauf nach dem radiotherapeutischen 
Eingriff mag folgender Fall dienen: 

Kirschgroßer Tumor an der linken Achsel, der sich in 5 Wochen 
nach der Impfung entwickelt hate. An 2 aufeinanderfolgenden Tagen 
werden durch ein 4faches Lederfilter je 4 Erythemdosen von 9 Wehnelt 
gegeben. Nach 11 Tagen hatte sich die Geschwulst schon wesentlich ver- 
kleinert. Eine Woche später fällt es auf, daß sich ein Wall um dieselbe 
gebildet, ohne daß sie sonst an Größe zugenommen hat. Es wird daher 
noch einmal dieselbe Dosis verabreicht. Der Wall schwindet in einigen 
Wochen, die Haare fallen aus, die Tumorstelle erscheint geschrumpft. 
Das Tier war bis zum Tode, der aus unbekannten Gründen eintrat, d.h. 
3 Monate in Beobachtung. Die Geschwulst war nicht rezidiviert. Das 
zur Zeit des Kongresses noch lebende Tier wurde demonstriert. 

Eine andere Maus mit fast ebenso altem und ebenso großem Tumor 
wurde durch eine einmalige Gabe von 80 X geheilt. 4 Wochen nach 
der Bestrahlung war die Geschwulst wesentlich verkleinert; nach weiteren 
4 Wochen war dieselbe geschwunden. Dabei war der Tumor nicht, was 
sonst oft geschieht, in der Mitte aufgebrochen, sondern lediglich geschrumpft. 

Die zu derselben Zeit mit demselben Stoff geimpfte, nicht bestralıilte 
Kontrollmaus ging nach starker Zunahme des Tumors in 2 Monaten ein. 

Nach meinen bisherigen Erfahrungen lassen sich etwa kirschgroße 
Achseltumoren der Mäuse mit Dosen nicht unter 80 X harter Strahlen 
mit einiger Wahrscheinlichkeit beseitigen. Doch ließen sich einige Ge- 
schwülste, obwohl sie von demselben Impfmaterial stammten, nur wenig 
beeinflussen. Diese Tatsache spricht dafür, daß bei den Heilungen durch 
Röntgenstrahlen neben der Radiosensibilität der Geschwülste die Reaktions- 
fähigkeit der Gewebe eine Rolle spielt. Die unverkennbaren Schrumpfungs- 
vorgänge am Krankheitsplatze müssen als Ausdruck dieser Gewebsreaktion 
angesehen werden. 

Es gilt als ein Axiom, daß die Röntgenstrahlen um so eher wirken, 
je schneller die Tumoren wachsen, weil dadurch die Jugendformen der 
Zellen, welche sich durch besonders große Ratdivosensibilität auszeichnen, 
zunehmen. Bei den Impftumoren der Mäuse scheinen aber die am schnellsten 

14* 


212 Levy-Dorn, 


wachsenden schwerer zu beeinflussen zu sein. Wir müssen daher annehmen, 
daß jenes Axiom nur innerhalb gewisser Grenzen gilt. Die heilenden 
Reaktionen, welche durch die Röntgenstrahlen hervorgerufen werden, be- 
dürfen einer nicht unerheblichen Zeit, um sich zu entwickeln. Wenn 
Tumoren rascher wachsen, als diese Zeit beträgt, so können wir keine 
durchgreifende Wirkung erwarten. 

Meinem experimentellen Beitrag möchte ich eine kasuistische Mit- 
teilung über die Erfolge der Röntgenstrahlen bei Sarkom hinzufügen: Die 
beiden von mir in der Berliner klin. Wochenschr.') beschriebenen (Lympho- 
resp. Periost-Sarkom) Patienten sind geheilt geblieben. Die Heilung hält 
also jetzt über 7 Jahre an. Der erste Fall betraf eine heute 35 Jahre 
alte Frau, die am 1. VII. 1904 wegen rechtsseitiger Halsdrüsengeschwulst 
operiert worden war. Die mikroskopische Untersuchung ergab Lympho- 
sarkom. In der ersten Hälfte des November 1905 begannen die Drüsen 
der bis dahin gesunden linken Seite von der Supraklavikular- bis Sub- 
maxillargegend anzuschwellen. An dem oberen Ende der Operationsnarbe 
entstand ebenfalls eine neue Drüse, Narbe wie Drüse zeigten sich gegen 
Druck empfindlich, das Allgemeinbefinden hielt sich gut, der Blutbefund 
war normal. Der übrige Teil des Körpers zeigte sich frei von Drüsen. 
Trotz Behandlung mit Arsen und Prießnitzschen Umschlägen vergrößerten 
sich die Tumoren. Vor einer zweiten Operation scheute man wegen Aus- 
breitung des Leidens zurück. Die Röntgenbehandlung begann am 30. 
XII. 1905, also 6 Wochen nach dem Rezidiv. Die linke Halsseite erhielt 
im Januar, Februar und April jedesmal in 6—7 Sitzungen 10 X, die 
rechte dieselbe Dosis einmal in 3 Bestrahlungen. Schon nach der ersten 
Behandlung gingen die Drüsen etwas zurück. Im April konnte eine 
wesentliche Besserung bemerkt werden. Im Dezember desselben Jahres 
stellte sich aber Patientin wieder vor, weil seit einigen Wochen die 
Schwellungen am linken Unterkiefer und hinter dem Ohre wieder zunahmen. 
Durch 11 Bestrahlungen wurde bald wieder eine wesentliche Verkleinerung 
erzielt, die allmählich zum vollständigen Schwund der Drüsen führte. 

Im Herbst 1909, also fast 3 Jahre später, schwollen die Leistendrüsen 
an, während der Hals gut blieb. Trotz Bettruhe und Umschlägen nalım 
das Leiden 1?/, Jahr zu, dann traten Schmerzen auf und die Haut ent- 
zündete sich; gleichzeitig bestand Fluor. Nachdem dieser Zustand 
3 Wochen ohne Neigung zu Eiterung bestanden, erinnerte man sich der 
früheren Erfolge der Röntgenstralilen. 

Bereits 14 Tage nach Beginn der Röntgentherapie hatten Schwellung 
und Empfindlichkeit wesentlich nachgelassen und hörten bald vollständig 


ı) Dauererfolge bei der Röntgentherapie von Sarkomen. Ein kasuistischer 
Beitrag. Prof. Dr. Levy-Dorn, Berlin. Berl. klin. Woch. 1912, Nr. 1. 


Zur Wirkung der Röntgenstrahlen auf maligne Geschwülste. 213 


auf. Der Sicherheit wegen wurde aber 3 Wochen später noch einmal 
bestrahlt. 

Seitdem ist Patientin von ihrem Drüsenleiden befreit geblieben. Es 
traten aber häufig ohne erkennbaren Grund erysipelas-artige Erkrankungen 
mit hohem Fieber an den verschiedensten Stellen des Körpers auf. Es 
liegt nahe daran zu denken, daß die Disposition für Infektionen, welche 
dadurch verraten wird, auf Schwächung des Drüsensystems durch die 
Röntgentherapie beruht, weil infolgedesssen die Phagozyten, die Krieger 
gegen die Infektionskeime in zu geringer Zahl entstehen. 

Im zweiten Falle handelte es sich um ein periostales Sarkom 
des Oberschenkels bei einem 17 Jahre alten Patienten. Er kam im 
März 1906 in meine Behandlung. Es bestanden seit ca. 2 Jahren Schmerzen 
im linken Oberschenkel, die auf ein Trauma zurückgeführt wurden. Nach 
einer Bergtour 1904 steigerten sich die Beschwerden so sehr, daß täglich 
Narkotika verabfolgt werden mußten (Aspirin, Pyramidon). Eine Röntgen- 
untersuchung ergab damals keine abnormen Befunde. Trotz energischer 
Anwendung der physikalischen Heilmethoden und antineuralgischer Kuren — 
unter anderem Aufenthalt in 5 Sanatorien — stellte sich keine Besse- 
rung ein. 

Im April 1906 wurde das erste Mal eine Auftreibung des linken 
Femur festgestellt. Eine Autorität diagnostizierte „periostales Sarkom“ 
und schlug die Exartikulation vor. Die von mir im Mai vorgenommene 
Röntgenuntersuchung ergab: Um die obere Hälfte des Femur zahlreiche 
unregelmäßige, zum Teil netzförmig angeordnete, zum Teil mit dem Knochen 
parallele Schattenlinien. Darin sind einige Schattenflecke eingestreut. Das 
Periost ist verdickt, der Knochen spindelförmig aufgetrieben. Der Mark- 
kanal scheint nicht verändert zu sein. 

Die Operation wird nicht zugelassen. Ich begann daher die Röntgen- 
bestrahlung: Vom 26. IV. 1906 bis 7. V. 1906 je eine Erythemdose in 
3 Sitzungen von vorn nach hinten und von den Seiten. Wiederholung des 
Verfahrens vom 29. V. bis 1. VI. 1906. Vom 25. VI. bis 5. VD. 
wurden noch 5 Bestrahlungen hinzugefügt. 

Die Röntgenuntersuchung am 19. XI. 1906 bewies, daß der Tumor 
etwas zusammengeschrumpft war. Die Behandlung wurde fortgesetzt: Vom 
19. XI. bis 8. XII. erhielt Patient 10 Bestrahlungen und endlich im 
Februar 1907 noch 9 Bestrahlungen. 

Zugleich mit der Röntgentherapie wurden Atoxylinjektionen verabfolgt. 
Der Patient erholte sich so schnell, daß er bereits im September 1907 es 
wagte, sich die Antineuralgika entziehen zu lassen. Obwohl hierbei schwere 
Abstinenzerscheinungen auftraten, führte der Kranke die Kur erfolgreich 
durch. Im Frühjahr 1908 waren fast alle Beschwerden verschwunden. 


214 


Levy-Dorn, 





Zur Wirkung der Röntgenstrahlen auf maligne Geschwülste. 215 


Patient konnte ohne Nachteil Bergtouren machen und sich seitdem un- 
gestört seinen Studien widmen. 

Die am 25. XI. 1911 vorgenommene Röntgenuntersuchung ließ noch 
eine spindelförmige Schwellung des Femur erkennen. Die Trabekeln außer- 
halb des Periosts waren aber bis auf einen kirschkerngroßen Rest, der als 
isolierte Knnocheninsel erschien, vollständig geschwunden. Die Verdickung 
des Knochens betraf die Kortikalis und das Periost. 

Ich füge einen neuen, lehrreichen Fall mit Abbildung hinzu: 

Einem 31jährigen Manne war vor 1!/, Jahren wegen Sarkom die 
erste Phalanx des rechten Daumens reseziert und durch ein transplantiertes 
Knochenstück ersetzt worden. Es hatte sich ein umfangreiches Rezidiv 
entwickelt, so daß die Chirurgen die Amputation der Hand dringend an- 
rieten. Die Zirkumferenz betrug 15 cm. Die Geschwulst wurde in 
7 Monaten 6 mal von beiden Seiten mit je 10 X bestrahlt. Filter kamen 
nur die letzten Male zur Anwendung. Den Erfolg zeigt die untenstehende 
Tabelle: 











Nach 








Dat Umfang 
en: der Geschwulst | Bestrahlungsserie 

14. XI. 1911 15 cm 
12. XII. 1911 | 15 cm Haut etwas faltig I. 
17. II 1912 13 cm II. 
»2, III. 1912 | nicht ganz 12 cm II. 
1. IV. 1912 Ä nicht ganz 11 cm | Eine knöcherne Resistenz. ID. 
| in der Basis des Daumens y 
fühlbar ' 

10. V. 192 10 cm 
24. VI. 1912 9 cm V. 
4. IX. 192 8 cm VI. 





Der Umfang der Geschwulst hat also etwa um die Hälfte abgenommen. 
Nach dem Bericht befindet sich heute der Kranke vortrefflich, also 11 
Jahre nach dem Beginn der Röntgentherapie. 

Die beigefügten Röntgenbilder vom 26. II. und 24. VI. 1912 demon- 
strieren 2 Stadien des Heilungsprozesses. Man erkennt auf den ersten 
Blick die Abnahme der Geschwulst und die eigenartige Umbildung des 
Implantierten Knochenstückes. 

Schon nach der ersten Serie (je 10 X dorsal und volar) verriet das 
Entstehen von kleinen Falten in der Haut über dem Tumor, dal) er be- 
sonnen hatte sich zu verkleinern. 


Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie in der 
Gynäkologie. 
(Auf Grund der Verhandlungen des XV. Gynäkologenkongresses zu Halle a. S.) 
Von 
Privatdozent Dr. E. Engelhorn, Erlangen. 


D“ operative Gynäkologie hat sich in den letzten Jahrzehnten eine be- 
achtenswerte Stellung errungen. Die therapeutischen Erfolge, die der 
gynäkologische Operateur zu verzeichnen hatte, verbesserten sich mit 
weiterer Ausbildung der Technik von Jahr zu Jahr, sodaß auch die früher 
mit Recht so gefürchteten abdominellen Operationen bei Tumoren des 
Genitales immer mehr von ihren Schrecknissen verloren und gute Resultate 
gaben. Dies gilt in erster Linie von den Operationen bei Tumoren des 
Ovariums und bei Myomen des Uterus, bei denen die Mortalität bei der 
abdominalen radikalen Myomoperation auf ca. 5% sank, weiter auch für 
das Uteruskarzinom, bei dem dank der von Winter vorgeschlagenen Auf- 
klärung der Frauenwelt, der Ärzte und Hebammen die anfänglich so 
schlechten und deprimierenden Dauerresultate in der letzten Zeit eine 
wesentliche Besserung erfahren haben, sodaß wir heute mit einer absoluten 
Heilung von ca. 20—25% rechnen dürfen. Nach diesen im Laufe weniger 
Jahre errungenen bedeutenden Erfolgen erscheint die Annahme berechtigt, 
daß die Zukunft uns noch weitere und größere Fortschritte auf dem Ge- 
biete der operativen Gynäkologie bringen dürfte. Indessen sind, ohne 
diese Erfolge abzuwarten, neue Wege eingeschlagen worden, die uns viel- 
leicht in absehbarer Zeit an Stelle der operativen Behandlung die moderne 
Strahlentherapie bringen werden. 

Auf dem XV. Kongreß der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie 
in Halle a. S. standen neben den Vorträgen zum eigentlichen Verhand- 
lungsthema die Berichte über die Anwendung der Strahlentherapie in der 
Gynäkologie im Mittelpunkt des Interesses. 

Die Absicht, einen kurzen Überblick über die Hallenser Verhandlungen 
auf dem Gebiete der Strahlentherapie zu geben, läßt sich wohl am besten 
verwirklichen, wenn die gutartigen und die bösartigen Erkrankungen des 
Genitales eine gesonderte Besprechung erfahren. 


Gutartige Genitalerkrankungen. 
An einem Erfolge der Röntgentherapie bei gutartigen Erkrankungen 
des Uterus (Myome, Metropatlien usw.) kann heute nicht mehr gezweifelt 


Engelhorn, Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie usw. 917 


werden. Nach vielen anfänglichen Mißerfolgen, ja sogar nach äußerst be- 
drohlichen Schädigungen durch die Röntgenstrahlen sind wir dank der 
unermüdlichen Arbeit der Freiburger Klinik nunmehr so weit, daß wir 
die Behandlung mit Röntgenstrahlen an Stelle der operativen Eingriffe 
setzen können. Die Freiburger Technik (harte Strahlen, Filterung 
mit 3 mm Aluminiumfilter, Nahabstand, möglichst viele Einfallspforten und 
hohe Dosen) hat eine Reihe von Anhängern gefunden. 

Eine Verbesserung der Freiburger Technik scheint in der von Meyer 
(Kiel) angegebenen Methodik zu liegen, bei der man während der Be- 
strahlung die Röntgenröhre langsam von der einen Seite des Patienten 
zur anderen hinüberschwingen läßt. Dadurch werden stets wechselnde 
Hautstellen zu Eintrittspforten der Strahlen, während die Strahlen der 
wandernden Röhre stets auf die in der Tiefe des Körpers gelagerten zu 
beeinflussenden Organe konzentriert bleiben. Die Vorteile dieser Be- 
strahlungsvorrichtung sind große Gleichmäßigkeit der Bestrahlung in der 
Tiefe, weitgehende Ökonomie, einfache Handhabung. 

Die ausgezeichneten Erfolge der Röntgenbehandlung der Myome 
namentlich in der Freiburger und Münchener Klinik sind aus früheren 
Veröffentlichungen bekannt. Aus der Sellheimschen Klinik berichtet 
Holzbach, der mit der Albers-Schönbergschen Technik keine ein- 
deutigen Resultate erzielte, seit Einführung der Freiburger Technik über 
ausgezeichnete Resultate bei Myomen. Ein gegen die Therapie refraktärer 
Fall ist bis jetzt von Holzbach nicht beobachtet worden. Die Maximal- 
dosis betrug bis jetzt 800 X. Die Erythemdosis von 10 X pro Feld kann 
bei der 3 mm Aluminiumfilterung dreist überschritten werden. Ver- 
brennungen wurden bisher nicht beobachtet. Recht gut waren die Resul- 
tate mit der Strahlentherapie bei Bauchfell- und Genitaltuberkulose. Hoch- 
fiebernden Tuberkulosen, denen eine schlechte Prognose gestellt wurde, 
injizierte Holzbach vor der Bestrahlung Jodoformöl in die Bauchhöhle. 
Das durch die Strahlen freiwerdende Jod scheint eine starke Wirkung 
auf den tuberkulösen Prozeß auszuüben. Auch inoperable Blasen-Nieren- 
tuberkulose wurde auf diese Weise behandelt; durch Injektion von Kollargol 
ins Nierenbecken und Bestrahlung mit hohen Dosen; Nierenschädigungen 
wurden nicht beobachtet. 

Weitzel sah bei 20 von 21 Myomen nach durchschnittlich 5—600 X 
Amenorrhoe eintreten, bei 5 Fällen von hämorrhagischer Metropathie trat 
nach 250—300 X Amenorrhoe ein. 2 Fälle von Dysmenorrhoe wurden 
geheilt. In der Hälfte aller Fülle traten geringe Ausfallserschei- 
nungen auf. 

Runge- Berlin erzielte in 86,2% «der Metropathien und bei 95,55% 
der Myome durch Röntgenstrahlen Heilung. Bei fast der Hälfte aller 


918 Engelhorn, 


Fälle war eine Verkleinerung der Tumoren zu beobachten. Auch bei 
Pruritus vulvae wurden mit Bestrahlung in 10 Fällen glänzende Resultate 
erzielt. 

Jung berichtet über fortdauernd gute Resultate mit dem Röntgen- 
verfahren. Auf Grund von Experimenten Kuriharas an der Göttinger 
Klinik glaubt Jung nicht, daß die Röntgenstrahlen die Muskulatur be- 
einflussen, sondern daß der Umweg über das Ovarium zur Wirkung 
nötig ist. 

Füth erzielte mit der Röntgentherapie bei Metropathien in 89% Heilung 
und in 11% Besserung; bei Myomen in 80% Heilung, 5% Besserung. 
keine Heilung in 15%. Auffallend häufig beobachtete Füth das Auftreten 
von Übelkeit und Erbrechen; die Ursache scheint in der starken Ent- 
wicklung von Ozon im Röntgenzimmer zu liegen, da Ozon in stärkerem 
Maße eingeatmet unangenehme Erscheinungen hervorrufen kann. Es wird 
deshalb der Versuch gemacht, das Ozon auf katalytischem Wege zu zer- 
setzen, ehe es in die Atmungsorgane gelangen kann. Siedentopf (Magde- 
burg) hatte gute Resultate bei Menorrhagien, klimakterischen Blutungen. 
Metropathien und bei Blutungen bei gonorrhoischen Adnexerkrankungen. 
Über Dauerresultate kann Siedentopf noch kein Urteil abgeben. 

Klein geht von dem Grundsatz aus, nicht mehr Strahlen in den 
Körper der Patientin zu schicken, als zur Erreichung des Ziels unbedingt 
notwendig sind und bedient sich deshalb einer Methode, die zwischen der 
Albers-Schönbergschen und Krönigschen in der Mitte steht. Mit 
50—100 X wurde in 2—7 Serien zu je 18—48 Einzelbestrahlungen die 
erwünschte Oligo- oder Amenorrhoe stets erreicht. Jugendliche Patientinnen 
mit Myomen werden operiert, da es hier berechtigt erscheint, lieber die 
Myome zu entfernen und nicht nur die Ovarien, sondern auch nach Mög- 
lichkeit Korpus und Zervixgewebe zu erhalten. Unter 35 Kranken mit 
Fibrosis uteri war mit der von Klein geübten Bestrahlungsweise kein 
Mißerfolg zu verzeichnen. 

Aus dieser Zusammenstellung der Resultate der einzelnen Autoren 
geht hervor, daß in der Mehrzahl der Fälle bei Metropathien. klimakte- 
rischen Blutungen, Myomen, Blutungen bei gonorrhoischen Adnexerkrank- 
ungen, Pruritus mit der Röntgentherapie gute Resultate erzielt worden sind. 
die uns wohl berechtigen, auf dem begangenen Wege weiterzufahren. Am 
meisten angewandt wird die Freiburger Technik; nur einige Autoren be- 
dienen sich der Methode von Albers-Schönberg, gleichfalls mit guten 
Resultaten. Interessant ist die Mitteilung von Holzbach, der erst mit 
der Freiburger Methode gute Resultate erzielen konnte. Holzbachs Er- 
fahrungen decken sich mit den in der Erlanger Klinik gemachten, wo 
wir erst bei genauer Befolgung der Gaußschen Technik einwandfreie 


Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie in der Gynäkologie. 219 


Resultate erzielen konnten, ohne irgendeine nennenswerte Schädigung 
unserer Patientinnen verzeichnen zu müssen. 

Auf Grund der bisherigen Erfahrungen können wir also an Stelle der 
operativen Eingriffe die Behandlung mit Röntgenstrahlen empfehlen, wobei 
mit der Freiburger Methode bessere Resultate als mit der von Albers- 
Schönberg angewandten erzielt werden. 

Als Kontraindikationen für die Bestrahlung kommen polypöse, in 
die Scheide geborene Myome, ferner Myome, die die Nachbarorgane (Blase, 
Rektum) komprimieren und bis jetzt noch mit Karzinom kombinierte Myome 
in Betracht. Ob die Kombination Myom und Karzinom tatsächlich eine 
Kontraindikation für die Strahlentherapie überhaupt darstellt, wird die Zu- 
kunft zeigen. 

An der Erlanger Klinik haben wir die unangenehme Erfahrung 
gemacht, da8 die hauptsächlich aus dem Lande sich rekrutierenden Frauen 
sich vorzeitig der Röntgenbehandlung entziehen, da es ihnen an der nötigen 
Geduld fehlt. Ist einmal eine Patientin nach einer Bestrahlungsserie aus 
ler Klinik entlassen, so ist sie meist auf immer verschwunden. Wir sind 
deshalb unter diesen Umständen gezwungen, die von Hirsch und Menge 
aufgestellte „soziale‘* Kontraindikation anzuerkennen, Erfahrungen, die auch 
Jung an seiner Klinik gemacht hat. 

Neue Wege in der Behandlung der Myome und Metropathien hat die 
Freiburger Klinik eingeschlagen mit der Mesothoriumbehandlung. Wie auf 
dm Gebiet der Röntgenstrahlen gebührt hier der Freiburger Schule das 
Verdienst, die Radiumtiefentherapie in bahnbrechender Weise ausgestaltet 
zu haben. Die Bedeutung einer exakt ausgebauten Filtertechnik ist für 
die Mesothoriumtherapie anscheinend noch erheblich wichtiger, als sie für 
die Röntgentherapie schon war. Jedes Präparat ınuß biologisch geeicht 
werden. Um keine schädigenden Nebenwirkungen zu bekommen, müssen 
die x- und B- Strahlen abgefiltert werden, wozu Filter aus 3 mm dickem 
Bleischutz, 1 mm Gold oder !/, mm Platin zur Verwendung kommen. 
Dusch berichten Gauß und Krinski, daß trotz dieser Filterung auch die 
y- Strahlen noch Hautschädigungen setzen können; es ist also bei Verwen- 
dung des Mesothoriums mit den angegebenen Filtern vorerst noch Vorsicht 
"boten. Gauß und Krinski berichten über SO mit Mesothorium be- 
landelte Fülle (42 Myome, 38 Metropathien). Bestrahlt wurde je nach 
der Lage der Dinge vaginal, cervical, intrauterin und auch abdominal. 
30 Frauen befinden sich jetzt zur Zeit noch in Behandlung, bei 30 ist die 
Behandlung abgeschlossen. Bei diesen letzteren ist Amenorrhoe und Myom- 
schrumpfung bis zum völligen Schwund des Tumors eingetreten. Die 
Wurchschnittliche Gesamtdauer der Bestrahlungszeit beläuft sich bei Myom 
auf 176,5, bei Methropathien auf 175,8 Stunden. Die Behandlung dauert 


220 Engelhorn, 


je nach dem Alter der Patientin 6—8 Wochen. In 53% wurden Neben- 
wirkungen im Sinne eines Mesothoriumkaters, analog dem Röntgenkäter 
beobachtet. Auch Temperatursteigerungen, Schwächeanwandlungen und 
Tenesmen im Bereich der Blase und des Mastdarms waren gelegentlich 
zu verzeichnen. 

Voigt hält auf Grund seiner Erfahrungen mit Mesothorium (9 Fälle 
von klimakterischen Blutungen, 7 Menorrhagien, 3 Fälle von Adnexent- 
zündung mit deutlicher Schrumpfung der Adnextumoren) bei hämorrhagi- 
schen Metropathien und Menorrhagien infolge von Adnexentzündung die 
Mesothoriumbehandlung der Röntgentherapie für überlegen. Für die Be- 
handlung von Myomen schlägt er eine Kombination beider Verfahren vor. 
In 3 Fällen (von 8 Myomen) kam es durch zu lange Bestrahlung mit un- 
genügendem Filter zu Verbrennung der Vagina, 1 mal entwickelte sich 
ein Douglasexsudat, in 2 Fällen kam es zu einer heftigen Entzün- 
dung der Rektalschleimhaut. Pinkus-Berlin konnte mit 400—600 my 
Stunden bei Metropathien und Myomen mit Mesothorium gute Erfolge 
erzielen. 

Wenn die Berichte über die Mesothoriumbehandlung auch sehr spär- 
liche genannt werden müssen, so geht aus den Veröffentlichungen, haupt- 
sichlich von Gaul soviel hervor, daß wir im Mesothorium ein prompt 
und sicher wirkendes Mittel haben, um Metropathien und Myome günstig 
zu beeinflussen. Wie vorsichtig man in der Anwendung des Präparates 
sein muß, beweisen die von Voigt beschriebenen schweren Verbrennungen 
der Scheide und die sonst von ihm beobachteten unliebsamen Nebenwir- 
kungen. Es ist bis jetzt noch nicht entschieden, ob die bis heute erzielten 
Erfolge auch dauernde sind; es mul) hierüber eine längere Beobachtungs- 
zeit. als dies bisher möglich, zur Verfügung stehen. Gegen die Anwendung 
des Mesothoriums spricht bis jetzt die Schwierigkeit des Erwerbs und der 
hohe Preis (1 mg für 150 Mark bei der Radiogengesellschaft Berlin). 
Die Frage, ob die Mesothoriumbehandlung bei gutartigen Erkrankungen des 
Uterus die Röntgentherapie ersetzen wird, ist nach den bisherigen Erfah- 
rungen nicht zu beantworten. Die Röntgentherapie ist heute in ihren 
Grundzügen derart ausgebaut, daß wir ohne Nebenschädigungen gute Re- 
sultate erzielen können, während in der Mesothoriumbehandlung noch 
manche Frage zu lösen ist. Ehe diese Fragen gelöst sind, ist der Rönt- 
gentherapie der Vorzug vor der Mesothoriumbehandlung zu geben. 


Bösartige Genitalerkrankungen. 
„Wir stehen im Beginn einer neuen Karzinombehandlung.““ Mit diesen 
Worten Döderleins gehe ich über zur Besprechung der Strahlentherapie 
bei malignen Tumoren des Uterus, in erster Linie des Karzinoms. Ver- 


Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie in der Gynäkologie. 221 


suche sowohl mit Röntgenstrahlen sowie mit radioaktiven Substanzen Kar- 
zinome zu beeinflussen sind alt. Diese Versuche mußten alle solange un- 
befriedigend ausfallen, solange mit ungeeigneten nicht gefilterten Strahlen ge- 
arbeitet wurde. Auf dem internationalen Kongreß für Gynäkologie 1912 
berichtete Krönig über 8 Fälle von Karzinom, welche durch Röntgen- 
und Mesothoriumbehandlung so weit beeinflußt waren, daß bei Zervix- und 
Mammakarzinom dort, wo früher bei tiefen Exzisionen stets Krebs nach- 
zuweisen war, kein Karzinom mehr festgestellt werden konnte, und ferner 
über einen Fall von Magenkarzinom, bei welchem der früher leicht pal- 
pable Tumor nachträglich nicht mehr zu fühlen war. Dieser Fortschritt 
in der Röntgen- und Mesothoriumbehandlung wurde durch exakte Filterung 
und Verabreichung höchster Strahlendosen erreicht... Im ganzen wurden 
an der Freiburger Klinik 146 Karzinomfälle mit Strahlen behandelt. Bei 
26 mit ungefilterten oder nur schwach gefilterten Strahlen behandelten 
Fällen war Aufhören der Blutung, oberflächliche Vernarbung und Beweg- 
lichwerden des Tumors zu konstatieren, doch sind alle Fälle an ihrem 
Karzinom gestorben; Krönig sieht deshalb in den ungefilterten oder nur 
schwach gefilterten Strahlen nur ein vorzügliches Palliativmittel zur Ein- 
schränkung der Jauchung und Blutung bei Karzinom, aber kein Heil- 
mittel. Von 48 Karzinomfällen, die ausschließlich mit stark gefilterten 
Röntgen- oder Mesothoriumstrahlen behandelt waren, sind 18 Fälle noch 
in Behandlung, 17 Fälle als geheilt zu betrachten, in dem Sinne, daß bei 
völligem Wohlbefinden und Symptomlosigkeit bei mehrfach ausgeführten 
Exzisionen kein Krebs mehr nachzuweisen war. 5 Fälle sind während 
der Behandlung gestorben; 7 haben sich der weiteren Behandlung ent- 
zogen, die längste Dauer der Rezidivfreiheit unter den Fällen dieser 
Gruppe beträgt 1 Jahr und 2 Monate. Ferner wurden von Krönig 
64 operierte Karzinomfälle zur Verhütung des Rezidivs zum Teil mit un- 
gefilterter, zum Teil mit gefilterter Röntgen- und Mesothoriumbestrahlung 
behandelt. Von 43 fast ausschließlich mit ungefilterter Röntgenbestrahlung 
behandelten Fällen sind 23 nachweislich an Karzinom gestorben, während 
von 21 Fällen, die mit gefilterten Strahlen und hohen Dosen behandelt 
worden waren, bei allerdings kürzerer Beobachtungszeit sämtliche 21 nach- 
weislich rezidivfrei sind. 

Bumm berichtet über 12 schon längere Zeit beobachtete Karzinom- 
fälle, welche mit verstärkter Tiefenbestrahlung behandelt worden waren. 
Die Strahlenwirkung wurde beständig gesteigert, so dal bei der einzelnen 
Patientin bis zu 10000 Kienböck und 16000 mg Stunden Meso- 
thorium und darüber gegeben wurden; man wird nach Ansicht von Bumm 
diese Mengen noch beträchtlich steigern können. In sämtlichen Fällen 
war an der Oberfläche bis auf einige Zentimeter in die Tiefe alles Kar- 


2292 Engelhorn, 


zinomgewebe zerstört, oder in deutlichem Zerfall, während in der Tiefe 
Herde lebensfrischen Karzinomgewebes an den bei der Operation oder 
Sektion gewonnenen Präparaten nachgewiesen werden konnten. Bei 2 von 
den intensiv bestrahlten Fällen wurde einmal eine tiefe Nekrose der 
Blasenwand, ein zweites Mal eine solche des Beckenbindegewebes bis zum 
Kreuzbein beobachtet. 

Haendly zeigte an mikroskopischen Präparaten aus der Klinik 
Bumm, daß unter dem Einfluß der Strahlenbehandlung zweifellos ein 
Absterben karzinomatösen Gewebes stattfindet; ein Ersatz durch neues 
zellreiches Bindegewebe war nur einmal in größerem Maßstabe nachweis- 
bar, in allen übrigen Fällen war das restierende Gewebe ein schwächliches, 
infiltriertes Granulationsgewebe, oder häufig sklerotisch narbig. An Uteri. 
die nach der Bestrahlung exstirpiert worden waren, zeigte sich an der 
Oberfläche Nekrose, Granulationsgewebe und untergehende Karzinomzellen, 
während in der Tiefe und in der Peripherie der Neubildung neben massen- 
weise zu Grunde gehenden Karzinomnestern sich noch Haufen gut er- 
haltener Karzinomzellen fanden, von denen sich Stränge bis unter die 
Oberfläche hinzogen. 

Döderlein hat bei einer Reihe von in Behandlung stehenden Kar- 
zinomkranken in den verschiedenen Stadien der Behandlung Stücke aus 
dem Tumor exzidiert und konnte in den verschiedenen Stadien den fort- 
schreitenden Zerfall der Karzinomzellen bis zum vollständigen Verschwinden 
nachweisen. Auf Grund der mikroskopischen Präparate glaubt Döder- 
lein den Beweis dafür erbracht zu haben, daß Mesothoriumstralilen 
spezifisch auf die Karzinomzellen einwirken. Mit den anatomisch nach- 
weisbaren Veränderungen am Karzinom gingen die klinischen Erschei- 
nungen Hand in Hand. In überraschend kurzer Zeit gelang es das zer- 
fallende Karzinomgewebe in derbe Schwielen zu verwandeln, womit gleich- 
zeitig die Blutungen und der Ausfluß verschwanden, die Schmerzen auf- 
hörten und das Allgemeinbefinden sich hob. Von einer definitiven 
Heilung zu reden, ist zur Zeit bei der Kürze der Beobachtung noch 
verfrüht. 

Jung sah nach Mesothoriumbehandlung bei 3 Karzinomen ein 
rasches Sistieren der Blutung; eine endgültige Beurteilung ist noch nicht 
möglich. Ob die Mesothoriumstrahlen eine rein elektive Wirkung auf 
Karzinomzellen besitzen, erscheint Jung zweifelhaft, da auch Milz, 
Knochenmark, Blut, Lymphe und Drüsen mit innerer Sekretion stark 
durch Mesothorium beeintlußt werden. 

Kroemer behandelte 9 Fälle von Kollumkarzinom mit 3000— 7000 
mg-Stunden Mesothorium, kombiniert mit Röntgenbestrahlung. Gleichzeitig 
erhielten die Patientinnen pro die Thorium X (100 e.s.E.) per os. Zur 


Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie in der Gynäkologie. 2923 


lokalen Behandlung wurde Thorium X in erheblich stärkeren Konzentra- 
tionen (500—1000 e.s.E.) als Salbentampon oder Kompresse angewandt. 
Eine absolute Ausstoßung bzw. Heilung des Karzinoms konnte nur in 2 
Fällen festgestellt werden. Die Drüsenmetastasen wurden am wenigsten 
beeinflußt, von den primären Tumoren aus nur die nach der Scheide zu 
an der Oberfläche gelegenen Partien. In der Tiefe konnte in den meisten 
Organen lebenskräftiges Karzinomgewebe festgestellt werden. 

Heynemann sah bei zwei inoperablen Zervixkarzinomen, die mit 
4700 bzw. 4800 mg-Stunden Mesothoriun und 600 Lichtminuten Röntgen- 
licht behandelt worden waren, ein Verschwinden des Karzinomkraters; 
Probeexzisionen ließen kein Karzinom mehr erkennen. Eine Heilung bei- 
der Fälle liegt aber bis jetzt noch nicht vor, da die Parametrien noch 
infiltriert sind. 

Pinkus wandte bei 22 Karzinomen die Mesothoriumbehandlung an. 
Nach seinen Erfahrungen vermag die Strahlung oberflächliches Karzinom- 
gewebe zu heilen, während tiefgreifende Infiltrationen nicht verschwinden; 
in einem Falle fand sich bereits 1 cm unter der verheilten Oberfläche noch 
Karzinom. 


Franque& berichtet über die Heilung eines Ovarialkarzinoms mit 
Metastasenbildung durch Operation, die nicht radikal durchgeführt werden 
konnte; nach der Operation Röntgenbestrahlung mit 5 Erythemdosen in 
3 Monaten, worauf die vorher tastbaren Metastasen verschwanden und 
Patientin jetzt ein Jahr rezidivfrei und vollkommen gesund ist. 


Klein sah bei Röntgenbehandlung inoperabler und nicht radikal 
operierter Ovarialkarzinome nach Röntgenbestrahlung eine Verlangsamung 
des Wachstums und Härterwerden des Tumors. Bei Scheidenrezidiven 
und Rezidiven eines Mammakarzinoms erzielte Klein mit Röntgenbe- 
strahlung ein Verschwinden des Rezidivs. 


Seeligmann behandelte ein Mädchen mit schwerem Rezidiv eines 
Ovarialsarkoms mit Metastasen in der Wirbelsäule mit bisher gutem Erfolg, 
kombiniert mit Röntgenstrahlen und Injektion von Arsazetin. 


Holzbachs Erfolge mit der Röntgentherapie maligner Neubildungen 
sind bis jetzt unbefriedigend. Um eine stark wirkende, weiche Sekundär- 
strahlung in der Tiefe zu erzielen, schlägt Holzbach die Injektion sekun- 
där strahlender Materie (Fulmargin usw.) in den Tumor vor; doch sind 
die Versuche mit diesen Injektionen noch nicht abgeschlossen. 


Wenn wir auf Grund vorliegender Mitteilungen heute noch nicht zu 
einem abschließenden Urteil gelangen können, so ergibt sich aus ihnen 
doch eine Reihe feststehender Tatsachen, die sich in Kürze folgendermaßen 
zusammenfassen lassen: 


294 Engelhorn, 


Die intensive Bestrahlung von Uteruskarzinomen mit Röntgenstrahlen 
in Verbindung mit Mesothorium bewirkt auf der Oberfläche des Karzinoms 
einen Zerfall der Karzinomzellen. Dieser Zerfall der Zellen reicht bis in 
eine gewisse Tiefe des Gewebes; auf tiefer gelegene Partien scheinen die 
Strahlen nicht mehr zu wirken (Fälle von Bumm-Haendly, Kroemer. 
Pinkus). 

Ob die Wirkung der Strahlen für die Karzinomzellen eine spezi- 
fische ist (Döderlein), kann heute noch nicht entschieden werden, da 
bis jetzt zu wenig einschlägige Präparate vorliegen; jedenfalls ist schon 
heute sichergestellt, daß auch anderes Gewebe (Sarkom), und wie Jung 
betont hat, Milz, Knochenmark, Blut, Lymphe und Drüsen mit innerer 
Sekretion durch Mesothorium beeinflußt werden. 

Was die Technik der Bestrahlung anbelangt, so sind nur stark ge- 
filterte Strahlen zu verwenden; die Zukunft wird zeigen, ob die bis jetzt 
übliche Filtrierung des Mesothoriums (Kroenig-Gauß, siehe oben) ge- 
nügt. Bei Anwendung des Mesothoriums ist besondere Vorsicht anzuwen- 
den wegen der beobachteten Schädigungen des benachbarten Gewebes 
(Bumm, Voigt). 

Bei starker Filterung kann eine beträchtliche Steigerung der Strahlen- 
wirkung angewandt werden. 

Die Wirkung der Bestrahlung zeigt sich in einem rasch einsetzen- 
den Verschwinden der klinischen Symptome, Aufhören der Jauchung und 
der Blutung, Besserung des Allgemeinbefindens. 

Wenn die Fälle klinisch auch als „geheilt“ bezeichnet werden 
könnten, so ist damit die Frage, ob sie auch in anatomischem Sinne 
karzinomfrei sind, heute noch nicht zu beantworten, da die Beobachtungs- 
zeit bis jetzt noch eine zu kurze ist. 

Welche Karzinome sollen mit der Strahlentherapie behandelt werden? 

Alle inoperablen Karzinome, da bei diesen eine entschiedene 
Besserung, ja sogar „Heilung‘‘ im klinischen Sinne zu erzielen ist. 

Alle operierten Karzinome und zwar direkt im Anschluß an die 
Operation, da es den Anschein hat, als ob durch die Bestrahlung das 
Auftreten eines Rezidivs mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert wird. 
Bei schon vorhandenem Rezidiv erscheint die Wirkung der Bestrah- 
lung fraglich, allerdings wurde über einige gute Erfolge bei Rezidiven be- 
richtet. 

Operable Karzinome sind auch heute noch chirurgisch zu behan- 
deln, da wir bei der Strahlentherapie uns noch kein Urteil über die Dauer- 
wirkung gestatten können, während wir bei chirurgischem Eingriff heute 
Dauerheilungen bis zu 25% zu verzeichnen haben. Auch bei operablen 
Karzinomen empfiehlt sich die vorhergehende Strahlenbehandlung: erstens 


Über den derzeitigen Stand der Strahlentherapie in der Gynäkologie. 295 


wird mit Beseitigung der Jauchung die Gefahr der Operation an sich sicher 
verringert und weiter erlaubt uns die Untersuchung vorher bestrahlter Kar- 
zinompräparate Schlüsse über die Wirkung der Strahlen auf das einzelne 
Gewebe zu ziehen. 

Wenn die großen Hoffnungen, die wir heute beim Kampf gegen das 
Karzinom in die Strahlentherapie setzen, auch nicht alle in Erfüllung 
gehen sollten, wenn es sich zeigen sollte, daß eine absolute Heilung nicht 
gewährleistet werden kann, so müssen wir die bis jetzt erreichten Erfolge 
doch dankbar begrüßen, die gerade beim inoperablen Karzinom eine be- 
deutende günstige Beeinflussung verzeichnen lassen. Der Forschung und 
Arbeit der nächsten Jahre bleibt es vorbehalten, manche bis jetzt noch 
dunkle Frage der Lösung näher zu bringen. 


Strahlentherapie Band III, Heft 1. 15 


(Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik Greifswald.) 


Über die Einwirkung von Röntgen- und Mesothorium- 
strahlen auf maligne Neubildungen der Genitalien. 
Von 
Prof. Dr. P. Kroemer. 

Mit 9 Abbildungen und Tafel I—III. 


ie Versuche der Greifswalder Frauenklinik, durch die Strahlentherapie 

die Erfolge der Krebsbehandlung zu bessern, wurden veranlaßt durch 
die Erkenntnis, daß bei einem an sich dekrepiden Patientenmaterial die 
Radikalität des Eingriffes nicht imstande ist, die Erfolge zu bessern, mag 
man die Operabilität auch noch so hoch treiben. Die Feststellung Stickers- 
Berlin, daß inoperable Fille von Rektum -Scheidenkarzinom sich durch 
Radiumbehandlung so weit bessern ließen, daß Bier den Krebs später im 
Gesunden exstirpieren konnte, verdiente Nachprüfung durch eigene Ver- 
suche. Nachdem schon vorher die prophylaktische Röntgenbestrahlung der 
Operationsnarben wie der Drüsengegenden nach Karzinomoperationen in 
die Wege geleitet worden war, zog ich im vorigen Jahr zur Unterstützung 
Mesothoriumpräparate und Thorium X-Lösung hinzu. Zur Verfügung 
standen mir von der Firma Knöfler sowie von der Auer-Gesellschaft je 
eine etwa 1 cm lange Silbertube und eine tlache markstückgroße Kapsel 
mit den zugehörigen Silber- und Aluminiumfiltern. Die Radioaktivität 
jedes Strahlungskörpers betrug 30—36 mg. 

Zu meinen Vorversuchen bediente ich mich zunächst Tiermaterials 
und zwar eines Stammes von weißen Mäusen mit einem außerordentlich 
virulenten Karzinom. Ich verdanke denselben Herrn Georg Schöne. 
welcher den Stamm aus dem Ehrlichschen Institut übernommen und 
weiter gezüchtet hatte. Dieser rasch wachsende Adenokarzinomtumor liel 
sich durch Bestrahlung mit den mir zur Verfügung stehenden Meso- 
thoriummengen wenig beeinflussen. Abgesehen von der Schwierigkeit, die 
Mäuse längere Zeit in nahe Berührung mit den Strahlen zu bringen, starben 
die Tiere infolge ihrer Empfindlichkeit eher als eine Heilung zu erwarten 
war. Ein Einbringen der Kapsel oder Tube unter die Haut wird von 
den Mäusen nicht vertragen. Auch die Hinzuziehung der Thorium X- 
Lösung, welche bekanntlich durch einen raschen explosiven Zerfall im 
Körper die höchste Radioaktivität entfaltet, brachte uns dem ersehnten 
Ziel nur wenig näher. Allerdings ergab die Injektion von kleinen Dosen 


Kroemer, Einwirkung von Röntgen- und Mesothoriumstrahlen usw. 2927 


(10—30 e. s. E.) vorsichtig von der gesunden Nachbarhaut in den Tumor 
injiziert rasche Verkleinerung der Geschwulst, welche gegen die Tumoren 
bei den Kontrollserien um die Hälfte und mehr zurückging. Karzinom- 
material mit Thorium X vermischt ging bei Verimpfung auf empfängliche 
Tiere nicht an. Die mikroskopische Untersuchung des Tumors zeigte als 
Thorium X-Wirkung überall nekrotischen Zerfall des Gewebes durch 
Blutung und Nekrose. Auch hier konnte ein Dauererfolg wiederum nicht 
abgewartet werden, da die Empfindlichkeit der Mäuse gegen Thorium X 
früher oder später den Tod herbeiführte. Die Tiere scheiden bekanntlich 
das Thorium X niemals vollständig aus, sondern speichern es im Knochen- 
mark, in Leber, Lungen und Nieren, sodaß die vorbehandelten Tiere nach 
dem Tode auf einer photographischen Platte ein Selbstbild liefern. Besser 
wird das Thorium X von Meerschweinchen und Kaninchen vertragen, 
welche anstandslos große Quantitäten von 200— 500 e. s. E., in einem Fall 
sogar 1000 e. s. E. vertragen haben. Es scheint aber auch bei einem 
größeren Tier die Empfindlichkeit individuell zu schwanken. Bei meinen 
Versuchen, Thorium X in Form von Aluminiumpulver- oder Kieselsäure- 
emulsion einzuspritzen, sah ich wiederholt im Tierversuch gerade bei 
kräftigen Kaninchen starke Reaktion; eines der injizierten Tiere ging an 
einer Myelitis zugrunde. Doch ließ sich ein näherer Zusammenhang dieser 
Störung mit der Art der Injektion entschieden nicht nachweisen. Mög- 
licherweise haben hier embolische Prozesse durch Eindringen der fein 
verteilten Injektionsmassen ins Blut die Katastrophe herbeigeführt. 

Jedenfalls ging aus diesen Vorversuchen hervor, daß wir in dem 
Thorium X ein Mittel besaßen, dessen Wirksamkeit fein abgestuft werden 
mußte, um zerstörende Wirkungen zu vermeiden. 

Bei meinen Versuchen am Menschen, die ich mit wenigen Ausnahmen 
bei weit vorgeschrittenen, verjauchten Karzinomen angestellt habe, bediente 
ich mich in der Folge der kombinierten Methode, d. h. die lokale Be- 
strahlung mit den festen Strahlungskörpern wurde unterstützt durch An- 
wendung von Thorium X in Gestalt von 

a) der intravenösen Injektion von 100—1000 e. s. E.: 

b) der lokalen Injektion von Thorium X in wässeriger Lösung und 

Pulveraufschwemmung bzw. als Salbenpaste; 

c) der Trinkkur von Thorium X-Lösung. 

Die Injektion von Thorium X als Aluminiumaufschwemmung hatte 
vor der Anwendung der wässerigen Lösung den Vorzug der längeren Ver- 
ankerung der Strahlenenergie im Karzinomgebiet, da die Pulverteilchen 
an Ort und Stelle bleiben und damit die Radioaktivität fesseln. Um Haut- 
schädigungen zu vermeiden, benutzte ich nach einigen Vorversuchen, welche 
trotz Glimmer und Aluminiumtilter ein Hauterythem ergeben hatten, die 


15* 


228 Kroemer, 


Einnähung der. Körper in Hautschwarten, welche ich bei Prolapsopera- 
tionen gewinnen konnte. Außerdem wurden für die Tuben Metallkapseln 
konstruiert. Die in dem Filter befindlichen Strahlungskörper wurden ın 
Filtrierpapier gewickelt und mit sterilem Gummikondom bedeckt, sodaß 
man sie ohne Furcht vor Infektion in die Tumorhöhle selbst einbringen 
konnte. Die örtliche Fixation wurde durch eine Scheidentamponade be- 
wirkt. Einen Schutz vor der sog. Sekundärstrahlung habe ich in keinem 
Fall angewendet und halte ihn auch bei den mäßigen Mengen, welche 
zum Versuch genommen wurden, nicht für notwendig. 

Von den eben genannten Anwendungsformen haben wir die intravenöse 
Einverleibung der Thorium X-Lösung, welche zunächst in tastenden Versuchen 
in immer steigenden Mengen ausgeführt wurde, später nach dem Vorgang 
von Werner und Czerny in wöchentliche Injektionen von je 1000 e.s. E. 
umgewandelt. Die Versuche wurden sowohl an Krebskranken wie auch 
an gesunden Personen, die sich zu diesen Versuchen bereit erklärten, aus- 
geführt. Da uns aus der Literatur bekannt war, daß die anregende Wir- 
kung des Thorium X auf das hämatopoetische System rasch in das Gegen- 
teil umschlagen kann (Gudzent), erforderten diese Versuche ein sorg- 
fältiges Kontrollieren des Blutbildes. Es würde zu weit führen, alle müh- 
samen Untersuchungen in Form von Tabellen diesem Aufsatz beizugeben. 
Es genügt, zur Illustration einen besonders prägnanten Karzinomfall wieder- 
zugeben, bei welchem die intravenöse Thorium X -Injektion vom 6. bis 
24. Oktober erst in dreitägigen Pausen von 2—300 e. s. E. später in 
achttägigen Pausen von 1000 e. s. E. ausgeführt worden ist. Nach einer 
vorübergehenden geringen Steigerung der Leukozyten erfolgte rascher Ab- 
fall der Leukozytenwerte und auffällige Reduzierung der Erythrozyten auf 
2 Mill. Im Blutbild erschienen sehr zahlreiche Plättchen, Übergangsformen 
und Poikilozyten (vgl. Tabelle I). Da sich die Patientin nach dem Aus- 
setzen der Thorium X-Anwendung nicht rasch genug erholen konnte, 
waren wir genötigt, durch Arsen und intramuskuläre Blutinjektionen nach- 
zuhelfen. Patientin ist später mit Erfolg von ihrem Karzinom durch die 
Operation befreit worden. Die Annahme, daß unsere nachteiligen Erfah- 
rungen vielleicht auf dem kachektischen Zustand der Karzinonfälle be- 
ruhen konnten, zwang mich zu Kontrollversuchen bei vollblütigen kräftigen 
Personen. Auch hier ergab sich im Prinzip das gleiche Resultat. Aller- 
dings in geringeren Grenzen und Schwankungen. 

Ich halte mich daher für verpflichtet, ausdrücklich 
vorderintravenösen Anwendung der Thorium X -Lösung 
beiKarzinom zu warnen, da dieanregende Wirkungvon 
der schädigenden nicht abgegrenzt werden kann. Da- 
gegen haben wir die Trinkkur bis heute durchgeführt und bei 30 Fällen 


Einwirkung v. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d. Genitalien. 299 
keinerlei Beschwerden auftreten sehen. Offenbar erfolgt die Resorption 
von Magen-Darmkanal aus langsamer und in einem Grade der Umsetzung, 
welche den Shock vermeiden läßt. Zweifelsohne ist aber der 
Erfolg der Trinkkur auf das bestehende Karzinom voll- 
kommen negativ. Die Tumoren werden in keiner Weise 
verändert. Wenn ich die Versuche trotzdem fortgesetzt habe, so ge- 
schah es hauptsächlich bei Patientinnen nach der Operation, um eventuellen 
Rezidiven vorzubeugen und die ausstrahlenden Schmerzen im Becken- 
bereich zu beeinflussen. Entschieden brachte die Trinkkur wiederholt 
eine Hebung des Allgemeinbefindens, Besserung des Appetits, 2 mal eine 
sehr erwünschte Anregung der Peristaltik (3 Tage post operationem) bei 
Orarıalkarzinom mit reichlicher Aszitesbildung, dagegen niemals bedrohliche 
Symptome. Bei den eben genannten günstigen Wirkungen ist ein sugges- 
tirer Einfluß natürlich nicht ganz auszuschließen. 

Vielleicht wurde auch die in Pommern häufige rheumatisch-gichtische 
Konstitution durch Thorium X beeinflußt. Jedenfalls setzen wir die Be- 
obachtungen fort. 

Tabelle I. 
Einwirkung der intravenösen Injektion von Thorium X 
bei einem Fallvon Kollumkarzinom (Erklärung siehe im Text). 
Fall H. A. 4malige Injektion von 200—1000 e. s. E. Thorium X in die Armvene. 


























j5 = S = ù | 5 | = 
£ %, Erythr. | % 2 S S A| ao l Bemerkungen 
a S A 
| | 
; 1; 0/7 1/ 0/11/0//10/ ;390/| Un sf 1 1/2°/o 
6/10 | 4800000 6900 57 la %, 1 fa % fa /o 1% 32% viele Biueplätichen ea: 
7/10 40 ' 4500000 | 7400 581/, 1%, 1%, 12/2 [51/, 32%/,| Üvergangsformen 344% 
| Se | nach 1. Injektion 
10,10] 50 4000000 | 7400 ~ 2 2a, | In 85 | Üvergangstornen 12% 
i : nach 2. Injektion 
| vor 3. Injektien 
12/101 47 | 4000000 | 7500 ‚60 i DER 21/3 Übergangsformen 31/2 %/e 
= nach 3. Injektion 
14/10] 42 | 4500000 | 6000 162 2 2 4 22 | Üborgangsformen 3° 
16/10] 46 | 3500000 115500 65 8 | 1 5 20 | Übergangsformen 1°, 
18.10| 48 | 2360000 | 7500 51!/, 13% 12 118 |14 | Cvergangstormen 1% 
19/10] 48 3000000 7800 |52 10 5 12 21 | letzte Injektion 
22:10| 48 ; 2200000 ; 5600 1401, ‚2 |7 |3 1201/125 | Übergangsformen 2% 
i | | Poikilozytose 
24:10] 48 (2000000 4700 43 p2 ale. jia 18 30] Cporzangsformen 117 


Die lokale Anwendung 
weder so, daß Verbandgaze 
krater als Tampon eingelegt 








l l 


der Thorium X-Lösung 
getränkt mit Thorium X in den Karzinom- 
wurde, oder es wurde die Thorium X-Lösung 


Poikilozy tose 


gestaltete sich ent- 


mit Salben vermischt in den Karzinomkrater eingedrückt, in einigen wenigen 
Fillen wurde bei größeren Tumoren in die letzteren Thorium X-Lösung 


230 Kroemer, 


als Aluminiumoxydaufschwemmung injiziert. Von störenden Wirkungen 
erlebte ich bei dieser Injektion nur 1 mal bei einer subkutanen Sarkom- 
metastase in der Rippengegend eine sehr unangenehme Reaktion. Nach- 
dem die erste Injektion von 2000 e. s. E. gut und schmerzlos vertragen 
worden war, verursachte die zweite Injektion, noch während die Kanüle 
lag, einen heftigen Shock infolge der im Moment ausgelösten starken 
Schmerzen. Nach dem Zurückziehen der Nadel verfärbte sich die Haut 
über dem Tumor blaurot wie bei einem Bluterguß, sodaß ich diese Reaktion 
auf eine mangelhafte Technik zurückführen möchte. Die Nadel bzw. die 
Injektionsmasse haben offenbar ein größeres Gefäß zum Bersten gebracht. 
Die Reaktion verlief in der Folge mit Schüttelfrost und hohem Fieber bis 
39,6° C. Die Umgebung des Tumors war bis auf eine Entfernung von 
6 cm stark gerötet. Die Rötung und Empfindlichkeit vorlor sich unter 
Anwendung von Eisblasen innerhalb der nächsten 4 Tage ohne weitere 
Schädigung. Nach der Injektion war bemerkenswert, dal der Tumor sein 
Wachstum nach der einen Seite vollkommen eingestellt hatte und kolla- 
bierte, während er nach dem Sternum zu noch prall elastisch ist und 
Spannung verursacht, sodaß hier sein Wachstum nicht geschädigt zu sein 
scheint. Im übrigen haben wir die Injektion von wässeriger Thorium X- 
Lösung auch in größere Drüsentumoren an den großen Beckengefiiben 
ohne jede nachteilige Schädigung ausüben können. Gegenwärtig wird in 
meiner Klinik ein inoperables Zervixkarzinom mit Metastasenbildung am 
Scheideneingang behandelt; während der Karzinomkrater durch die An- 
wendung von Mesothoriumkapseln sich reinigt und verkleinert, gelang es 
zunächst nicht, die Metastase zu beeinflussen. Sie wuchs und erreichte 
deutlich Haselnußgröße und pralle Konsistenz. Auch die Kombination 
der Mesothoriumbestrahlung mit Röntgenintensiv-Therapie brachte keine 
Besserung. Ich hahe nunmehr in Pausen von je 8 Tagen 3 mal je 2000 
e. s. E. Thorium X in Pulveraufschwemmung von der gesunden Scheide 
aus in den Metastasenknoten injiziert und eine auffallende Verkleinerung 
und Abflachung desselben konstatieren können. In diesem Fall war 
keinerlei schädliche Reaktion zu beobachten. 

Die Anwendung der Mesothoriumkapseln, welche entschieden zuweilen 
durch ungenügende Filterung eine zu energische Wirkung entfalteten, war 
gelegentlich bei dekrepiden Fällen mit erheblichen Beschwerden verbunden. 
so z. B. bei einer 71jährigen Frau mit Vulvakarzinom, aber auch bei tief- 
liegenden Kollumkrebsen. Eine der Frauen weigerte sich entschieden zum 
Schluß, die „Feuerkugel* einlegen zu lassen. In letzter Zeit wurde ich 
von den Schwestern darauf aufmerksam gemacht, daß die bestrahlten 
Frauen bei Steigerung der Dosen einen raschen Gewichtsverlust aufwiesen. 
und zwar ist nach meiner Überzeugung dieser Gewichtsverlust weniser 


Einwirkung d. X- u. Mesothorinmstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 231 


durch Gewebseinschmelzung als durch mangelhafte Nahrungsaufnahme zu 
erklären. Die Frauen verlieren den Appetit, werden unlustig zu essen und 
‚verweigern häufig die Nahrungsaufnahme. Ob man berechtigt ist, nach 
unseren geringen Erfahrungen von einem regelmäßigen Mesothoriumkater 
zu sprechen, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls trat bei einer Patientin 
nach jeder Bestrahlung Erbrechen ein. Nach 2 Wochen erfolgte die Ge- 
wöhnung und das quälende Würgen blieb aus. 

Vor dem Eingehen auf unsere Schlußfolgerungen mag eine kurze Über- 
sicht über das bisher behandelte Material folgen. 

Aus der folgenden Tabelle geht hervor, in welcher Weise wir die 
\lesothoriumbestrahlung mit Thorium X-Injektionen und in letzter Zeit 
auch mit Röntgentiefenbestrahlung kombinierten (Tabelle II). 

In den 26 Fällen, deren Behandlung längere Zeit fortgesetzt werden 
konnte, sind nur wenig beginnende Karzinome, so ein Carcinoma ovarii in- 
der ersten Rubrik und das Korpuskarzinom. Alle übrigen betreffen fort- 
seschrittene Fälle mit Metastasen; endlich sind drei schwere Drüsenrezidive 
nach Uteruskarzinom bzw. Sarkom an letzter Stelle angeführt. Eines 
dieser Rezidive hatte zur Entwicklung eines großen retroperitonealen Tumors 
im Becken geführt, welcher das Mesosigmoideum vollkommen eingenommen 
hatte, so daß nach Resektion der Flexura Sigmoidea eine gleichfalls voll- 
kommen infiltrierte Ileumschlinge entfernt werden mußte. Nach doppelter 
Enteroanastonıose konnte das Abdomen geschlossen werden. Patientin 
steht gegenwärtig wegen eines hühnereigroßen metastatischen Tumors in 
der Bauchhaut (vergleiche die obige Schilderung der Thorium X-Ein- 
wirkung!) in meiner Behandlung. Unser Verfahren gestaltete sich für die 
einzelnen Fälle wie folgt: 

Behandlung der Ovarialkarzinome. Diese Fille wurden erst 
in Behandlung genommen, nachdem durch die Operation ihre Diagnose 
gesichert war. In allen 5 Füllen wurden beide Ovarien, wiederholt auch das 
Netz, das mit Metastasen durchsetzt war, entfernt. Schon während der 
Rekonvaleszenz wurde mit einer energischen Tiefenbestrahlung (Röntgen) 
begonnen, unter starker Filterung mit 3—4 mm dickem Aluminiumblech 
wurden alle 10—21 Tage an 2 oder 3 aufeinander folgenden Tagen bis 
zu 100 X verabfolgt. In der Zwischenzeit begnügten wir uns mit der 
Anwendung von Thorium X Kompressen (500—1000 e. s. E.) und mit 
der Verabreichung von Thorium X (100 e. s. E. pro die) per os. Während 
das Schicksal der 3 mit Netzmetastasen komplizierten Fälle als zweifelhaft. 
wenn nicht infaust, betrachtet werden muß, insofern sich Aszites wieder 
gebildet hat, ist das Befinden der beiden einseitigen Ovarialkarzinome bis- 
her ein durchaus gutes geblieben. In einem dieser beiden Fülle trat ın 
der Folge uterine Blutung auf, die nach der Probeahrasio auf ein Adeno- 


232 Kroemer, 


Tabelle II. 


Übersicht über das mit Mesothorium und Thorium X 
behandelte Karzinommaterial. 























= | = 
2 es: E 
7 Erkrankung Bestrahlung Voroperation Nachoperas Erfolg 5 
= tion z 
$ $ 
2| Carcinoma Thorium X | Ovariektomie | gut 
ovarii und Röntgen- | 
| bestrahlung | 
3 | Care. ovarii Thorium X | Radikalopera- | 9 
utr. mit Netz- | und Röntgen- tion | 
metastasen bestrahlung | Netzresektion | 
2 | Carc. ovarii m. | 5 Radikaloperat.  Besse- 
Uterus bzw. | Magentumor rung!) | 
Magenkarz. | , zurückgelassen | | 
2 | Myomu.Retro- | j Gastro-Entero- 23) 
peritoneal- Anastomose | 
tumor, Leber- ` | 
metastasen Ä | | 
11 Carcinoma | lokale | Gma Radi % gut 13; 
colli ‚ Thorium X-Inj. kalopera- | 2 gebessert 1 
Mesothorium- tion 
bestrahlung ImalGefüß_ 
Ä unterbin- 
dung 
1 Carcinoma | j Vag. Total- gut 
corp. exstirpation 
1 | Carcinoma cor- | 1» | abdom. vag. gut 
poris et vag. | Radikal- | Rektumfis- 
| operation ; tel schließt 
i sich unt. Be- 
| strahlung 
1 | Carc. vulvae Š Radikal- gut 
mit Drüsen- operation 
metastasen 
3 | Drüsenrezidiv | i | 2mal Revidiv- | 1? 





| operation 
| doppelseitige 
| Entero- 


1 mal Beteili- | 
gungd.Flexura Ä 
sigm. u.d.lleum 


2 gebessert 





Anastomose | 






‚17 beschwerldefrei 4 
| oder gebessert 


1) Trotz Zurücklassen des Magentumors hat Patient. von Seiten der Magen- 
darmtätigkeit keine Beschwerden. 2) Kachexie nach !/, Jahr. 
3) Peritonitis postoperativa. 4) Endokarditis vor der geplanten Operation. 


Einwirkuug v. X-u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 233 


karzinom zurückgeführt werden mußte. Nachdem Patientin unter Röntgen- 
bestrahlung und Thorium X-Trinkkur sich erholt hatte, drang sie selbst 
auf Entfernung des beweglichen Uterus, in welchem wir zu unserem Er- 
staunen kein Karzinom mehr entdecken konnten. Die Operation wurde 
vom Abdomen her ausgeführt, sodaß wir auch über das glatte Peritoneum 
Aufschluß bekommen konnten. Der andere bereits in der Klimax befind- 
liche Fall mit Ovarialkrebs erfreut sich des besten Wohlbefindens und hat 
keinerlei lokale Erscheinungen. Beide Fälle nehmen dauernd 100 e. s. E. 
Thorium X pro die. 

Die beiden kombinierten Fülle mit Vereinigung von genitalen 
Tumor (Myom) und retroperitonealem Krebs ausgeliend von Magen oder 
Leber konnten in keiner Weise beeinflußt werden. Allerdings erwiesen 
sich diese Neubildungen als rapid wachsende Geschwülste, welche in 
kurzer Zeit Leber, Magen, Netz mit markigen Tumormassen erfüllt 
hatten, wie wir bei Gelegenheit der Obduktion später feststellen konnten. 
In diesen beiden Fällen hatte die chemische Untersuchung des Magens 
ım Stich gelassen; der von uns zugezogene konsultierende Internist hatte 
in jedem Fall die annähernd normale Sekretion des Magens festgestellt. 
Erst nach Entfernung des großen Myoms war der dahinter liegende retro- 
peritoneale Tumor fühlbar geworden. Wir mußten uns bei der Operation 
mit der Grastro-Entero- Anastomose begnügen. Beide Frauen sind schon 
wenige Monate später nach dieser Palliativoperation ihrem Tumor er- 
legen. 

Die 11 Kollumkarzinome kamen sämtlich mit Kraterbildung 
und stinkender Jauchung in unsere Behandlung. Der Einfluß unserer 
Strahlenbehandlung machte sich schon in wenigen Tagen dadurch bemerk- 
bar, daß alle Pflegepersonen das Verschwinden des pene- 
tranten Geruches im Karzinomzimmer feststellen konnten. 
Da wir Mangels an Strahlenkörpern den einzelnen Fall nur bis zu 6 Stunden 
täglich unter Kapselwirkung setzen konnten, versuchten wir die Wirkung 
noch durch Einlegen von Tampons, die mit Thorium X-Lösung getränkt 
waren, zu unterstützen. Auffallend war namentlich bei jugendlichen Frauen 
die rasche Reinigung des Kraters, von welchem wir grüne, zuweilen auch 
graue Bröckel bei jeder Untersuchung in Menge abkratzen und abtupfen 
konnten, bis zuletzt der äußere Krater mit seinen freien Rändern Neigung 
zu kollabieren aufwies, zuweilen auch kollabierte, sodaß der vordere und 
hintere Kraterrand sich berührten (vgl. Fig. 1). Wenn auch der durch 
entzündliche Komplikationen und durch die Größe der Tumoren verankerte 
Uterus sich nicht herabziehen ließ, so war doch bei der bimanuellen Unter- 
suchung meistens schon nach wenigen Wochen eine Beweglichkeit des 
Uterus wieder zu konstatieren. Bei tief reichendem Krater übten wir zu- 


234 Kroemer, 


weilen das Verfahren in der Weise, daß Thorium X-Lösung mit Paste zu 
einem Brei verrührt wurde, welche mit Mull in den Krater eingedrückt 
wurde. Bei dieser Anwendung ebenso wie bei der Kraterbestrahlung wurde 
die Vaginalschleimhaut mit Dermatol-Blei-Schutzsalbe gesichert. Da in 
den meisten Füllen der Kraterrand dicht am Beckenrand adhärent war. 
so war es nicht zu verwundern, dab 2 mal nach dem Abstoßen der 
äußeren Karzinommassen lebensgefährliche Blutungen auftraten, die uns 
zur schleunigen Radikaloperation zwangen, wie folgende Krankengeschichte 
beweist. 


36 jährige kräftige Nullipara M. T. J. Nr. 369, 1912. Patientin leidet seit 1'/, 
Jahren fast ununterbrochen an Blutungen, seit 4 Wochen gesellt sich zu der Blutung 
stinkender Ausfluß. Die Patientin kommt 
hauptsächlich wegen des Gestankes, weil 
„die Leute nichts mehr mit ihr zu tun haben 
wollen“. Mittelgroße, blasse Frau mit sehr 
reduziertem Körperzustand.. Hämoglobin- 
gehalt 55°,, Leukozytengehalt 11000. Ery- 
throz. 2500000. Starke Vermehrung der 
eosinophilen Zellen. Urin von ampho- 
tärer Reaktion, trübe. Eiweißprobe posi- 
tiv. Im Sediment Eiterzellen, rote Blut- 
körperchen, zahlreiche Blasenepithelien, 
keine Zylinder. 2 Finger breit oberhalb 
des Scheideneinganges gelangt man bei der 
bimanuellen Untersuchung an einen starren 
Kraterrand, welcher den Beckenwänden 
scheinbar unverrückbar aufsitzt. Durch den 
Rand gelangt man in eine zystische Höhle, 
die mit bröckligem Gewebe angefüllt ist. 
In der Gegend des Scheidengewölbes eine 
weitere starre Öffnung, in welche man gerade 
die Spitze des Zeigefingers einlegen kann. 
Vom Rektum aus lassen sich die Parametrien 
nicht mehr abgrenzen, da sie offenbar in 
den Tumor aufgegangen sind. Das relativ 
kleine Korpus sitzt dem derben Tumorkon- 
volut im Becken als Höcker auf. Jede Unter- 
suchung ist von starker Blutung gefolgt. Im Blasenbild zeigt sich der Blasenboden und 
Hals im Zustand des ausgesprochenen bullösen Ödems. Die Ureterenöffnungen sind 
nur mit Hilfe der Chromozystoskopie festzustellen. Beide Ureteren lassen sich indessen 
glatt sondieren. Ein sicherer Durchbruch des Karzinoms ist noch nicht festzustellen. 
Es wird zunächst der Versuch gemacht, durch tägliche Einlegung der Mesothorium- 
kapsel sowie durch Tamponade mit Thorium X Gaze das Karzinom zu reinigen. Vor 
der ersten Sitzung Probeexzision aus dem brüchigen Karzinomgewebe. Vgl.Taf. I Fig.l. 
Die hierdurch gewonnenen Schnitte zeigen sämtlich das Bild eines polymorphzelligen 
Zervixkarzinoms mit teils soliden, teils hohlen Vegetationen. Zwischen den Karzinom- 
strängen und Falten ein zellreiches Stroma, stellenweise mit Blutextravasaten durch- 





Fig. 1. 


Fall B. Carcinoma colli, Reinigung 
des Karzinomkraters nach 2300 mg- 
Stunden Mesothorium-Bestrahlung. 
Der Krater kollabiert. Die Ränder 
legen sich aneinander. 


Einwirkung v. X-u Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 235 


setzt. Die bestehende Anämie solldurch vorsichtige intravenöse Injektion von Thorium 
X-Lösung gebessert werden. Es gelingt auch zunächst den Erythrozytengehalt von 
2400000 im Laufe einer Woche auf 4 Mill. zu steigern. In gleicher Weise steigt der 
Leukozytengehalt von 6700 auf 8900, zuletzt auf 15000. Trotzdem Patientin nur ge- 
ringe Spuren von Thorium X-Lösung (2 mal 300 bzw. 400 e. s. E.) intravenös erhalten 
hat, ändert sich das Bild in der 3. Woche mit einem Schlage. Abfall der Leukozyten- 
werte bis auf 1800, der Erythrozyten bis auf 1900000, so daß die intravenöse Behand- 
lung abgebrochen werden muß. Besseren Erfolg zeigt die lokale Intensivbestrahlung. 
Jedenfalls reinigt sich der Vaginalkrater sehr rasch schon in wenigen Tagen so weit, 
daß der typische Karzinomgeruch nicht mehr zu bemerken ist. Der bisher starre 
Karzinomrand wird elastisch, der Tumor erhält seine Beweglichkeit wieder. Nach 
Entfernung der Kapsel wird für die 2. Hälfte des Tages eine Thorium X-Paste in den 
letzteren eingedrückt und durch einen Schutztampon gesichert. Nach Entfernung des 
letzteren folgt eine Reinigung des Kraters durch Spülung mit Wasserstoffsuperoxyd- 
lösung, gelegentlich auch durch Austupfen mit Alkohol, dabei nimmt der Krater sehr 
häufig eine grau-grünliche Verfärbung an, bei dem Austupfen ebenso auch bei der 
Spülung zeigen sich kleinere und größere Bröckel des Tumorgewebes. Das mikroskopische 
Bild der letzteren ist in Fig. 2 u. 3 auf Taf. Tu. II wiedergegeben. Während in der ersten 
Zeit noch deutliche Karzinomnester in den ausgestoßenen Sequestern sichtbar sind, 
vgl. Fig. 2 Taf. 1, ist in der 4. Woche eine eigentliche Zellenstruktur nicht mehr nachzu- 
weisen. Fig.3 Taf. II. Die Kerne sind flach, lassen sich schlecht färben, die Schnitte be- 
stehen zum größten Teil aus einem schwammigen, lockeren Gewebe, welches fast an De- 
zidua erinnert. In seinen Maschen finden sich verklumpte, zusammengeballte Zelltrüm- 
mer, die als Reste von Karzinomzellen angesprochen werden. Das Einbringen des Strah- 
lungskörpers in die Zervixgegend macht deswegen Schwierigkeit, weil vom Uterus 
herab eine starre Gewebslamelle sich wie ein Segel vor den hinteren Kraterteil spannt. 
Erst nach Anhaken dieser Lamelle läßt sie sich umgehen. Die Reinigung des Kraters 
vollzieht sich unter einer serösen Absonderung. Die Temperatur ist nur selten auf 
37,6 gesteigert, hält sich im allgemeinen in normalen Grenzen. Blutbeimengungen im 
Sekret finden sich nur dann, wenn bei der Entfaltung des Kraters im Spiegel eine mecha- 
nische Läsion nicht zu vermeiden ist. Ein Tannintampon bringt jedesmal die Blutung 
prompt zum Stillstand. Zu gleicher Zeit wird durch Blasenspülung mit übermangan- 
saurem Kali, durch Gebrauch von Urotropin und Wildunger Wasser die Zystitis zum 
Abklingen gebracht. Die Bestrahlung macht in der Folge keinerlei Beschwerden. 
5 Wochen nach Beginn der Behandlung ist das Karzinom so weit zurückgegangen, daß 
an die Möglichkeit einer Radikaloperation gedacht wird. Es soll noch bis zum Ab- 
nehmen der Sekretion gewartet werden. Eine Heilung durch Bestrahlung scheint des- 
wegen ausgeschlossen, weil die starren Parametrien die Tumorkapsel nicht zum Kolla- 
bieren kommen lassen. Am 36. Tag der Behandlung tritt nach Entfernung der Kapsel 
bei hartem Stuhlgang eine profuse lebensbedrohliche Blutung auf, die zunächst durch 
energische Tamponade bekämpft werden muß. Nach Entfernung der letzteren am 
anderen Morgen wiederholt sich die gleiche Erscheinung. Daher wird Patientin in den 
Operationssaal gebracht und nach gründlicher Desinfektion und trockener Tamponade 
des Karzinomkraters die Radikaloperation vorgenommen. Lumpbalanästhesie versagt, 
daher Äthernarkose. Der Uterus ist nur wenig beweglich geworden und läßt sich nicht 
aus dem Becken herausziehen. Blase und Rektum sind hoch hinauf gezogen. Unter 
der brüchigen Serosa schimmern strotzend gefüllte Venen durch, nach Lösung der 
Verwachsungen mit Netz und Flexura sigmoidea werden die Adnexe frei gemacht, 
worauf beiderseits unter Schwierigkeit der Ureter präpariert und abgeschoben wird. 


236 Kroemer, 


Rechterseitslebensgefährliche Blutung ausden tiefen Beckenvenen, beide Ureteren müssen 
auf eine weite Strecke freigelegt werden. Blase und Rektum müssen Millimeter für Milli- 
meter abpräpariert werden. Die Parakolpien werden zunächst mit Klemmen versorgt, 





Fig. 2. 
Durchschnitt durch den Genitaltraktus des inoperablen Scheidenkollumkrebses. 
M. T. Im Bereich der Vagina ist das Karzinom vollständig zerstört und abge- 
stoßen worden. Die vordere Mutttermundslippe zeigt den Krebs im Rückgang, 
während der versteckte Herd in der hinteren Zervixwand intakt geblieben ist. 
(Unvollk. Wirkung der Bestrahlung vielleichtinfolge zu gering. Mesothoriummengen.) 


rechterseits können die letzteren durch Umstechungen ersetzt werden, links bleiben 
sie hart an der Beckenwand sitzend liegen und werden mit dem Uterus in die Tiefe des 
Beckens versenkt. Umlagerung zur vaginalen Operation. Kochsalzinfusion. Die 


Einwirkung v. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 237 


Scheide wird oberhalb der Vulva umschnitten, die Ablösung von Blase und Rektum 
wird fortgesetzt, bis das gesamte Tumorkonvolut (Uterus mit Anhängen und Scheide 
sich nach unten herausziehen läßt. Dabei platzt die Vulva infolge der Größe des Tu- 
mors ein. Ersatz sämtlicher Klemmen durch Umstechungsligaturen. Blase und 
Rektum werden, so gut es möglich ist, heruntergezogen und peritonisiert. Die seit- 
lichen Wundflächen müssen unbedeckt bleiben, da sich das Peritoneum nicht ver- 
schieben läßt. Die Blutung steht nach Einlegung eines Vaginaltampons absolut. 

Ein Medianschnitt durch den entfernten Genitaltraktus demonstriert die unvoll- 
kommene Wirkung der Mesothoriumbestrahlung in diesem Fall. Während der vaginale 
Geschwulstkrater bis zu dem Kollumrest nahezu vom Karzinom gereinigt worden ist 
bis auf einen im vorderen Scheidengewölbe befindlichen Rest von nekrotischem Tumor- 
gewebe, waren die Strahlen nicht imstande, die eben erwähnte Lamelle zu durch- 
dringen und den Tumorausläufer in der hinteren Kollumwand, der bis oberhalb des 
inneren Muttermundes nach aufwärts reicht, zu beeinflussen. Hier ist das Karzinom 
in voller Ausdehnung lebensfähig erhalten geblieben. Vgl. Fig. 2. Die unerwünschte 
lebensbedrohende Blutung erklärt sich durch das Freilegen der Gefäßschicht an der 
hinteren Vaginalwand. Vgl. Fig. 4 Taf. II. Probeexzision aus der vaginalen Kraterwand 
nach Entfernung des Organs. An Stelle des Karzinoms findet sich hier nur kleinzellige 
Infiltration zwischen den sklerosierten Bindegewebsfasern, auf der Oberfläche liegen 
Gefäße von beträchtlichem Kaliber frei. Es liegt selbstverständlich der Gedanke nahe. 
daß der unerwünschte nekrotisierende Einfluß infolge einer unzureichenden Filtrierung 
der Mesothoriunistrahlen aufgetreten ist. Immerhin bleibt zu erwägen, daß bei diesem 
sicher nicht einfach liegenden Fall trotz intensiver Bestrahlung keinerlei Nebenver- 
letzungen eingetreten sind. Insbesondere scheint mir bemerkenswert, daß Rektum und 
Blase sowie Harnröhre sich völlig intakt gezeigt haben. Man darf eben nicht vergessen, 
daß diese unerwünschten Wirkungen bei inoperablem Material auch ohne die Meso- 
thoriumbestrahlung früher oder später zu erwarten sind. Wir sahen dieses Ereignis 
immer nur bei Fällen, in welchen der Karzinomtumor gleichsam eingemauert im Becken 
stand, dabei spielt offenbar die Komplikation mit entzündlicher Infiltration eine 
wesentliche und erschwerende Rolle. 2 mal handelte es sich um jugendliche Fälle mit 
sehr blutreichem Genitale, 1 mal um einen markigen schr weichen Tumor, welcher 
bereits vor der Behandlung in die Blase durchgebrochen war und an anderer Stelle 
bereits exkochleiert worden war. 


Infolge der Dekrepidität der betreffenden Patientin mußten wir uns in diesem 
Fall mit der abdominalen Unterbindung aller zuführenden Gefäße sowie mit der vagi- 
nalen Umstechung der Parakolpien begnügen. Die gleichzeitig vorgenommene Aus- 
räumung der Beckendrüsen zu diagnostischen Zwecken zeigte allerdings, daß unsere 
über 6 Wochen dauernde energische Bestrahlung, die wir durch Röntgenticfenbe- 
strahlung unterstützt hatten, nicht über die Grenzen des Primärtumors hinausgegangen 
war. Während der zwischen Uterus und Blase in das Abdomen hineinragende Tumor 
deutliche Schrumpfungstendenz zeigte und an der Vaginaloberfläche schmierige, in- 
differente Gewebe aufwies, in welchem mikroskopisch kaum noch deutlich Krebszellen 
nachzuweisen waren, enthielten die entfernten Beekendrüsen vollsaftiges medulläres 
Karzinom. 


Günstiger lag der folgende zur Beobachtung kommende Fall. 


J. Nr.8, 1913. Frau A.B. 42jährige Multipara, die erst nach !/, Jahr dauernder 
starker profuser Blutung ärztliche Hilfe aufsucht und an die Klinik verwiesen wird. 
Große, kräftige Frau mit stark reduziertem Fettgewebe und leidlich erhaltener Musku- 


238 Kroemer, 


latur. Im Urin Eiterzellen, zahlreiche Epithelien, alkalisches Sediment, keine Zylinder. 
Hämoglobingehalt 60%. Blutbild annähernd normal. Aus dem Genitale entleert sich 
bräunlicher stinkender Fluor. Scheide und Vulva schlaff, an Stelle der Portio ein mon- 
ströser, das ganze Becken ausfüllender Tumor, welcher an seiner Oberfläche stark 
zerklüftet ist. Eine eigentliche Zervixhöhle ist infolgedessen nur schwer nachzuweisen. 
Die Parametrien sind beiderseits durch den Tumor aufgebraucht, der sich weder nach 
abwärts noch nach aufwärts verschieben läßt. Der Uteruskörper ist als faustgroße, 
flache Geschwulst oberhalb der Symphyse tastbar, er sitzt dem Tumor unverschieblich 





Fig. 3. 


Monströser Halskrebs. Der Durchschnitt zeigt die Auflösung der Krebsnester, 
während die dazwischen liegenden Septen erhalten bleiben. 


auf. Die Untersuchung mit dem Zystoskop ist sehr erschwert, da die zwischen dem 
Tumor und der Symphyse eingepreßte Harnröhre das Instrument kaum passieren läßt. 
Bei starker Senkung des Zystoskoptrichters gelingt es, in der mit knapp 100 ccm auf- 
gefüllten Blase vorübergehend die Ureteren zu erblicken, die Schleimhaut des Blasen- 
bodens liegt in Querfalten, ein Durchbruch ist nicht zu konstatieren. Wegen der Größe 
des Tumors scheint die Wirkung der Kapselbestrahlung unzureichend, es wird in regel- 
mäßigen Pausen von 2—3 Tagen der Tumor von der Vagina aus mit langen Nadeln 
punktiert und mit Thorium X in Aluminiumoxydpulveraufschwemmung injiziert, 
(1000—2000 e. s. E. pro dosi). Alle 10 Tage wird der Tumor von den Bauchdecken, 


Einwirkung d. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 239 


von der Scheide und vom Kreuzbein aus der Röntgenbestrahlung mit harter Röhre 
(8 W.) unterworfen. Im Gegensatz zu den früheren Fällen zeigt der Tumor keine 
Neigung zu Blutungen. Nach Entfernung der Thorium X-Tamponade entleeren sich 
bei der Spülung trüb seröse Sekretion mit pulverförmigen Gewebsbröckeln, Patientin 
klagt zu keiner Zeit über die oben erwähnten brennenden Schmerzen. Nach 4 Wochen 
fortgesetzter Bestrahlung hat sich der Tumor so weit verkleinert, daß er sich bequem 
in das Becken einpressen läßt, worauf der Uteruskörper den Symphysenrand erreicht. 
Da es aussichtslos erscheint, den Tumor von der angegebenen Größe zur Resorption 
zu bringen, wird am 17. März die Radikaloperation vorgenommen, welche im großen 
und ganzen ohne be- 
sondere Störung ver- 
lief. Nur muß der 
linke Ureter auf eine 
weite Strecke freige- 
legtwerden. Heilungs- 
verlauf erschwert 
durch eine in der 
3. Woche der Rekon- 
valeszenz auftretende 
Nekrose des linken 
Ureters, die sich spon- 
tan wieder schließt. 
Die Beckendrüsen er- 
weisen sich als weich, 
bei der späteren mi- 
kroskopischen Unter- 
suchung frei von Kar- 
zinom. Fig. 3 veran- 
schaulicht die Wir- 
kung. Der Uterus 
ist durch Median- 
schnitt eröffnet, der 
Tumor hat zu einer 
Auftreibung des ge- 
samten Kollums ge- Fig. 4. 
führt, die bis über die Carcinoma colli in puerperio rapid erwachsend. Nach 
Grenze des inneren 5 wöchentlicher Bestrahlung (7380 mg Stunden) stößt sich 
Muttermundes in das der Tumor in toto als Sequester ab. Der dunkelschraffierte 
Korpus hineinreicht. Teil entspricht dem Sequester. 
Während im oberen 
Teil noch weißliches markiges Karzinomgewebe in den Grenzschichten zu erkennen 
ist, ist im unteren Bereich das Krebsgewebe gleichsam ausgelaugt, die Zwischen- 
septen sind dagegen erhalten geblieben. Die grünliche Verfärbung der unteren 
Wandschichten zeigt die typische nekrotisierende Wirkung der Mesothoriumstrahlen. 
An den rötlichen Partien ist das Bindegewebe bereits von Karzinom gereinigt. 





6 weitere inoperabel scheinende Fälle konnten nach 3—6 wöchent- 
licher Bestrahlung (2000—7300 mg Stunden) zur radikalen Operation 
gebracht werden, 5 mal mit gutem Erfolg, 1 mal trat eine postoperative 


240 Kroemer, 


Peritonitis auf, deren Erreger sich mit den aus dem Karzinom gezüch- 
teten Streptokokken als identisch erwiesen. Von den übrigen 5 Fällen 
starb einer an den Folgen einer in puerperio erworbenen Endokarditis. 
bevor wir ihn zur Operation bringen konnten. Die noch kurz vor 
dem Ende vorgenommene Totalexstirpation bewies in diesem 
Falle, daß tatsächlich das gesamte Karzinommaterial 
sich in nekrotischen Massen abgestoßen hatte Die 
letzten dieser Bröckel ließen sich von der Blasenhinter- 





Fig. 5. Fig. 6. 
Medianschnitt durch den Uterus Fig. 4. Karzinom der Vulva. Das Bild zeigt 
In keinem Schnitt ist Karzinom nach- als Wirkung der kombinierten Rönt- 
zuweisen. Bei der Autopsie wird die gen-Mesothorium-Bestrahlung die Ab- 
totale Ausstoßung des Krebsgewebes flachung des gereinigten und verklei- 
festgestellt. nerten Ulons rodus. Vor allem aber 


die weißliche kallöse Umwandlung der 


wand, Mastdarmvorderwand nächsten Umgebung. 


und Scheide bequem ab- 

schaben, ohne dal) eine schädliche Wirkung auf die gesunden normalen 
Nachbargewebe (Blase, Harnröhre, Darm) zu konstatieren gewesen wäre 
(vgl. Fig. 4 und 5). Es bestätigt meiner Ansicht nach dieser Fall, dab 
auch kleine Mengen von Mesothorium eine spezifische 
Wirkung auf das Karzinommaterial ausüben können, 
während die gesunden Gewebe sehr viel weniger oder 
gar nicht angegriffen werden. So bedauerlich an sich dieser 


Einwirkung v. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d.Genitalien. 241 


Fall ıst, so war er doch für uns eine erfreuliche Mahnung, in der einmal 
eingeschlagenen Richtung zu beharren. Ohne die tödliche Endokarditis 
war in diesem obigen Falle die Heilung durch Mesothoriumbestrahlung 
gesichert. Alle operierten Frauen, auch die nicht vorbe- 
handelten wurden in der Rekonvaleszenz mit Meso- 
thorium lokal behandelt, damit eventuell in den Narben sitzende 
Karzinomkeime zur Vernichtung kommen sollten. Ein reines Korpus- 
karzinom mußte wegen des hohen Alters der Patientin (70 Jahre) vaginal 
operiert werden. Der desolate Fall mit Korpuskrebs und Vaginalmeta- 
stasen zeigte trotz energischer Röntgentiefenbestrahlung und Mesothorium- 
behandlung keine Tendenz zum Rückgang. Wir haben infolgedessen mög- 
lichst frühzeitig die Radikaloperation ausgeführt und in der Folgezeit die 
Aethoriumbestrahlung fortgesetzt bisher mit gutem Erfolge. 

Am günstigsten ließ sich ein Vulvakarzinom bei einer 71jährigen Pa- 
tientin an. Die in beiden Leisten zu konstatierende Drüsenschwellung 
ging zurück (entzündliche Reaktion). Das Ulcus rodens verkleinerte sich, 
die umgebende Haut wurde weißlich, kallös, Jauchung und Blutung ver- 
schwanden. Wenn wir die Überhäutung des gereinigten abgeflachten Ge- 
schwürs (vgl. Fig. 6) nicht abwarten konnten, so geschah dies in Rück- 
sicht auf die unerträglichen Schmerzen, welche bei der - Patientin durch 
die nachfolgende Kraurosis aufgetreten waren. Jedenfalls ergab die Vulva- 
amputation und Ausräumung der beiderseitigen Drüsen, daß die letzteren 
karzinomfrei waren. In dem entfernten Tumor konnten lebenskräftige 
Krebsnester so gut wie gar nicht mehr mikroskopisch festgestellt werden, 
die Krebszellen sind zerstört, im umgebenden Stroma zeigen sich bei reich- 
licher Kernvermehrung der fixen Zellen zahlreiche Leukozyten, Lympho- 
zyten und Plasmazellen, so daß also neben der Zerstörung und dem Zerfall 
des Karzinommaterials reichliche Stromaentfaltung und Wanderzellen be- 
telligt sein müssen (vgl. Fig. 5 und 6 auf Taf. III). 

Die große Menge von Plasmazellen, welche sich allenthalben in den Ge- 
weben und ebenso auch in den zugehörigen Leistendrüsen fanden, sind meines 
Erachtens ein Beweis dafür, daß bei der Auflösung und Zerstörung der 
Krebszellen starke zellsekretorische und resorbierende Kräfte wirksam sind. 
Die Fortschaffung des zertrümmerten Krebsmaterials wird offenbar durch 
die Plasmazellen übernommen. 

Von Drüsenrezidiven, welche an den großen Beckengefäßen und 
in der Leistengegend beobachtet wurden, wurde bereits eines im obigen 
geschildert, es ist dies die Patientin mit der doppelten Enteroanastomose. 
Die beiden anderen betreffen hühnereigroße bis faustgroße Tumoren an 
den Ven. iliacae externae bzw. communes. Die Tumoren wurden mit 
langen Kanülen punktiert und mit Thorium X-Lösung 100—600 e. s. E. 


Strahlentherapie Band III, Heft 1. 16 


242 Kroemer, 


injiziert. Die dadurch eintretende Erweichung führte insofern zu keiner 
Besserung des Befindens, als die bekannten Karzinomschmerzen eher noch 
gesteigert wurden. Außerdem wurden gerade diese Rezidive zwei- und 
mehrmals am Tage für 2—3 Stunden mit Mesothorium bestrahlt, ja wir 
gingen so weit, durch angelegte Hautschnitte die Mesothoriumtuben in den 
Bereich der Drüsenmetastasen einzuführen. Wenn ich trotzdem noch die Ope- 
ration ausgeführt habe, so geschah dies aus dem Grunde, um mich zu verge- 
wissern, inwieweit die Behandlung zu einem Rückgang der Krebszellen geführt 
hatte. Die mi- 
kroskopische Un- 
tersuchung der er- 
weichten Drüsen- 
massen ergab lei- 
der die unzurei- 
chende Wirkung 
der angewandten 
Maßnahmen. Nur 
im Bereich der 
Injektionsstelle 
selbst war das 
Karzinom zerstört 
worden. In den 
Kapselbezirken 
war weißlich mar- 
kiges Tumorge- 
webe in Fülle vor- 
handen; mikro- 
Drüsenrezidiv von den großen Beckengefäßen abgelöst, vor- skop isch zeigten 
behandelt mit Thorium X-Injektionen. Die dunkleren Par- diese Partien voll- 


tien zeigen die Zerstörung des krebsigen Gewebes. Die hellen saftige, stark tin- 
Randzonen links enthalten noch lebensfrisches Karzinom. gierte Zellnester. 


Vgl. auch Fig. 7. 

Konnten wir somit bisher nur in 2 Fällen eine radikale Beseitigung 

des Tumors durch die kombinierte Mesothoriumbehandlung konstatieren, 
so bleibt dieser Erfolg im ganzen doch ermutigend, namentlich im Hinblick 
auf die elf Zervixkarzinome, von denen sieben nach radikaler Operation 
bzw. nach Gefäßunterbindung sich eines günstigen Befindens erfreuen. Für 
die Dauer des letzteren scheint mir besonders die von uns angewandte 
prophylaktische Narbenbestrahlung, die wir schon in der ersten Woche 
nach der Operation anwenden, von Wert gewesen zu sein. Fügen 
wir zu diesem Fall noch die Ovarial- bzw. Vulva- und Körperkrebse hinzu, 





Fig. 7. 


Einwirkung v. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d. Genitalien. 243 


so bleiben 17 gebesserte Fälle, von denen mit den einfachen chirurgischen 
Methoden entschieden von vornherein die Mehrzahl nicht zu retten gewesen 


wären. Der Mißerfolg bei den 
metastasierenden Karzinomfällen 
war von vornherein zu erwarten. 
Befinden wir uns doch erst im 
Anfangsstadium unserer Ver- 
suche, deren Wirkung noch 
weiterhin gesteigert werden muß. 
Schon jetzt scheint mir aus 
unseren bisherigen Versuchen 
hervorzugehen, daß durch An- 
wendung größerer Strahlen- 
quellen, vielleicht auch durch 
die Kombination mit chemischen 
Antikörpern, eine Besserung mög- 
lich sein wird. In keinem Fall 
war durch die angewandte The- 
rapie eine Schädigung der nor- 
malen Gewebe zu konstatieren. 
Wenn es vielleicht merkwürdig 
erscheinen sollte, daß wir so 
häufig die Behandlung durch 
die Operation unterbrochen ha- 
ben, so möchte ich darauf hin- 
weisen, daß für unsere Fragen 
nur der Beweis an exstirpierten 
Organen bzw. der Autopsiebe- 
fund leitend für unser weiteres 
Vorgehen sein kann. Aus diesem 
Grunde werden wir zur Kon- 
trolle unserer Versuche die Ope- 
ration vorderhand nicht ent- 
behren können, ganz abgesehen 
davon, daß wir bei inoperablem 
Material durch die Ermöglichung 
der Radikaloperation einen hinrei- 
chenden Gewinn erzielt zu haben 
glauben. Auch bei den operierten 
Fällen wird die Mesothorium- 





Fig. 8. 
Fall von monströßen spitzen Konglomerat- 
Kondylomen bei Gravidität vor der Behandlung. 





- 


Fig. 9. 
Der Fall von Fig. 8 nach der Behandlung 
mit Thorium X-Salbe. Die Kondylome sind 
verschwunden bis auf einige kurze Stielreste. 


bzw. Röntgenbehandlung zur Vermeidung der Rezidive unerläßlich bleiben. 


16* 


244 Kroemer, 


Die Wirkung der Thorium X-Lösung auf epitheliale Neubildungen 
wird vor allen Dingen illustriert durch einen Fall mit multiplen spitzen 
Kondylomen, welche wir im sechsten Monat der Gravidität bei einer I-para 
beobachten konnten. Die mit schwerer Gonorrhoe infizierte Person zeigte 
einen Konglomerattumor von 5—7 cm hohen Kondylomen, deren Stiele 
Fingerdicke erreicht hatten und mächtige Gefäße einschlossen. Der Tumor 
reichte von der Scheide bis hinter den After und zwang Patientin, mit 
weit auseinander gespreizten Beinen zu humpeln. Im Bett mußte sie: 
gleichfalls mit gespreizten Beinen liegen, da die Tumoren ihr große 
Schmerzen verursachten (vgl. Fig. 8). 

Wir begannen die Behandlung im Oktober vorigen Jahres. Es wurden 
täglich Thorium X 500—800 e. s. E. mit Vaseline zu einer Paste ver- 
rieben auf die Kondylome aufgetragen. Nach wenigen Wochen schon 
zeigte sich eine starke Verkleinerung der Neubildung. Die umgebende 
Haut wurde mit Röntgenschutzpaste sorgfältig abgedeckt, da sich sehr bald 
Reizerscheinungen in der Umgebung bemerkbar machten. Unter Besserung 
des Allgemeinbefindens schwand der Fluor. Nach dem Abfallen der 
Kondylome, deren Basis in der Oberfläche verstrich (Fig. 9), kam Patientin ım 
Anfang Februar d. J. mit einem 8 Pfund schweren, gesunden Knaben 
nieder. Die Elastizität der Vulva war wieder so weit eingetreten, dab 
Patientin mit einer leichten Frenulumeinkerbung ohne Notwendigkeit der 
Naht glatt und fieberfrei durch das Wochenbett kam. Die Kondylome 
sind inzwischen nicht wieder aufgetreten. 

Die obigen Mitteilungen sollen nicht den Zweck haben, zur Nach- 
untersuchung in der gleichen Richtung anzuregen; vielmehr betrachte ıclı 
das bisherige Material als im Stadium des Versuchs befindlich. Zweifel- 
los kranken die Erfolge noch daran, daß einmal eine zu schwache Strahlen- 
quelle zur Verwendung kam, und dann zweitens zum Teil durch unge- 
nügende Filterung eine zu energische zerstörende Wirkung auf das Kar- 
zinomgewebe ausgeübt wurde. Ebenso erwies sich der Umstand, daß ein 
großer Teil der Fälle bereits Erscheinungen der Kachexie aufwies, als 
äußerst hinderlich. Ich stehe nicht an, nunmehr auch operable Fälle zu 
bestrahlen, natürlich unter fortgesetzter mikroskopischer Kontrolle. Die 
letztere halte ich ich für ebenso unerläßlich wie die Kombination der Be- 
strahlung mit der chırurgischen Behandlung. Wollten wir das Messer 
ganz in dem Kampf gegen das Karzinom aus der Hand legen, so würde 
ein Drittel sämtlicher Unterleibskrebse der Frauen von der Heilung aus- 
geschlossen sein; diese Zahl deckt sich bekanntlich ungefähr mit der 
Häufigkeit der Drüsenmetastasen bei Uteruskarzinom. Da die Strahlen- 
energien bisher Metastasen völlig unbeeinflußt ließen, würde ohne Operation 
jeder metastasierende Fall von der Heilung ausgeschlossen sein. Auch 


Einwirkung v. X- u. Mesothoriumstrahlen a. Neubildungen d. Genitalien. 245 


nach den neueren Versuchen, welche mit besserer Filterung angestellt 
worden sind, muß ich annehmen, daß größere Karzinommassen gewöhnlich 
zum Zerfall kommen und daß auch durch gute Filterung die Nekrose sich 
nicht ganz vermeiden läßt. Die Karzinomzellen werden also offenbar 
durch die Strahleneinwirkung zerstört und zerfallen; vor der Schrumpfung 
eines exulzerierten Karzinoms fanden wir noch immer Abstoßung der zen- 
tralen Tumorpartien. Lebensgefährliche Blutungen haben wir nicht wieder 
an unserem Material beobachtet. 


(Aus der Kgl. Frauenklinik zu Göttingen.) 


Zur Mesothoriumbehandlung von Genitalkarzinomen. 


Von 
Professor Dr. Ph. Jung. 


n Erweiterung meiner Diskussionsbemerkung zu diesem Thema auf dem 

15. Gyn.-Kongrel) in Halle berichte ich hier über einige Fälle. welche 
zwar noch nicht völlig abgeschlossen sind, aber doch die lokale Wirkung des 
Mesothoriums jedenfalls. entsprechend den Beobachtungen anderer Kliniker 
sehr entschieden beweisen. Es handelt sich um 4 Fälle, welche ich ım 
Mai dieses Jahres zu behandeln begann und welche alle vier schon jetzt 
sehr deutliche Erfolge erkennen lassen. 


Es standen mir 100 mg Mesotliorium von der Firma Knötler im 
Plötzensee zur Verfügung. welche in einem Silberröhrchen eingeschlossen. 
stets im ganzen angewendet wurden. 

Als Filter benutzte ich eine Bleikapsel von 2 mn Stärke, in welche 
(las Röhrchen eingeschlossen wurde. Das Ganze wurde nochmals in eine 
dünne Gummikapsel eingebunden und so eingelegt. Ich habe also im 
wesentlichen die Technik benutzt, wie sie auch von den übrigen Autoren 
als praktisch und ungefährlich empfohlen wurde. Ich legte das in der 
beschriebenen Weise eingeschlossene Präparat direkt in den Tumor ein 
und schützte die Scheide durch eine weitere nach Form eines Schalen- 
pessars gebildete 3 mm dicke Bleiplatte. Das Ganze wurde durch einen 
Gazetampon fixiert. Nur in dem einen Fall von Vulvakarzinom wurde 
einfach die Kapsel mit einigen Heftpflasterstreifen auf dem Tumor fixiert. 

Die Applikation erfolgte anfangs immer je 24 Stunden lang mit einer 
mehrstündigen Pause, später habe ich dann das Präparat bis zu 4 Tagen 
ununterbrochen liegen lassen. 

Ich lasse zunächst kurze Auszüge aus den Krankengeschichten folgen. 

c) Frau S., 62 Jahre, V-Para. Vor 5 Jahren vaginale Totalexstirpation wegen 
Zervixkarzinom. Damals rechte Zervixwand schon durchbrochen, Rezidiv wahr- 
scheinlich (Mitteilung des damaligen Operateurs). 

Nach 4!/, Jahren (12. Januar 1913) wieder Blutungen und Ausfluß. Allecmein- 
befinden gut, nicht abgemagert. 

12. Januar 1913 Karzin. Granulationen im Scheidengewölbe, bes. rechts. Ex- 
cochleation, Paquelin. Mikr.: Plattenepithel-Karzinom. In der Folgezeit vaginale 
Röntgenbestrahlung. 


Jung, Zur Mesothoriumbehandlung von Genitalkarzinomen. 247 


11. April 1913. Karzinom weiter vorgeschritten, knollige Tumoren im Vaginal- 
gewölbe. 2. Mai desgl. 

6.—10. Mai. 5800 mg-Stunden Mesothorium. 

21.—24. Mai. 7200 mg-Stunden Mesothorium. 

Erhebliche Besserung. Tumoren im Vaginalgewölbe stark geschrumpft, glatt 
und weich. Allgemeinbefinden gut. — Anm. bei der Korrektur: 26. Juni 1913. 
Tumoren im Vaginalgewölbe völlig verschwunden, glatter Scheidentrichter, 
keine Infiltration mehr fühlbar. Weitere 10400 mg-Stunden Mesothorium. 

2. Fr. K., 46 Jahre, V-Para. Aufn. 5. Mai 1913. Seit fast !/, Jahr treten starke, 
unregelmäßige Blutungen auf, weshalb sie vom Arzt eingewiesen wird. Schr fette, gut 
eenährte Frau, keine Kachexie. Starke Blutung in Koagulis. Portio zerklüftet, ein- 
zelne derbe, unregelmäßige Knoten, zwischen denen nach rechts hin ein tiefer Krater 
sich öffnet, mit weichen Granulationen austapeziert. Nach rechts hin setzt sich von 
dem Tumor aus eine derbe Infiltration bis an die rechte Beckenwand fort, mit der sie 
unverschieblich verwachsen ist. Mikroskop. Diagnose. Plattenepithelkarzinom 
der Collum uteri, inop. 

8. Mai. Auslöffelung großer Massen von Ka.-Gewebe, Ausbrennung mit Paquelin. 
Im Anschluß hieran sofort 100 mg Mesothorium in 2 mm-Bleikapsel eingelegt, bleibt 
+4x24 Stunden liegen. 

3. Mai 1913. Im ganzen 11X24 Stunden 100 mg Mesothorium = 26400 mg- 
Stunden. 

10. Mai. Entlassen. Schmaler glattwandiger, cm tiefer Krater, Wand schmutzig 
srau-gelb belegt. Keinerlei Blutung mehr. Infiltration noch wie vorher. 3 Pfund 
Gewichtsabnahme (158—155 Pfd.). 

Während der Mesothorium-Applikation einmal Abgang voneitrig-blutigem Schleim 
aus dem Rektum. Starker Tenesmus. Unter Morphium-Suppos. bald zurückgegangen. 

3. Fr. D., 50 Jahre, V-Para. Aufn. 13. Mai 1913. Seit fast Y/, Jahren Haut- 
erkrankung an der Vulva, wegen deren nach 3 Monaten Arzt aufgesucht wurde, der 
nurmit dem Paquelin verschorfte. Nach weiteren 5 Monaten erst 
der Klinik überwiesen. 

R. Labium maj. größtenteils durch breite derbe, ulzerierte Tumormassen ersetzt, 
lie auch nach links hinübergreifen. Starkes Ekzem der Umgebung. Rechts ein sehr 
sroßer Abszeß in der Inguinalgegend, der sich auf das obere Drittel der Innenfläche 
des Oberschenkels erstreckt. Mikr. Diagnose: Verhornendes Plattenepithel- 
karzinom der Klitoris. Abszeß der rechten Unterbauchgegend. Fieber. 

20. Mai. Inzision des Abszesses, viel stinkender Eiter, Gegenöffnung am Öber- 
schenkel, Drainage. Entfieberung. 

Vom 27. Mai bis 6. Juni. 24000 mg-Stunden Mesothorium. 

6. Juni. Karzinom ganz geschwunden, an seiner Stelle nur noch derbe infiltrierte 
Platten, speckig belegt. Ausgedehnte Mazeration der Haut. Bis 4. Juli weiterer 
Rückgang der Infiltration. 

4. Frl. E., 79 Jahre, 0-Para. Menopause seit 30 Jahren. Seit einigen Monaten 
wieder Blutungen, die in den letzten Tagen stark wurden; Uterus stark vergrößert, 
bis 3 Querfinger unter Nabel. Am äußeren Muttermund eine Kalkplatte, die entfernt 
wird. Mit Kurette einige weiche Massen entfernt! Mikr. Diagnose Adenocarci- 
noma corporis uteri. inop. (wegen Alters). 

Vom 10. Mai bis 22. Mai. 14000 mg-Stunden Mesothorium. Entlassung. Uterus 
viel kleiner, keinerlei Blutung oder Sekretion mehr. Gutes Allgemeinbefinden, nur 
Bronchitis. 


248 Jung, 


Demnach handelte es sich in allen 4 Fällen um inoperable Karzinome. 
Ein Zweifel darüber, ob er wirklich inoperabel war, könnte nur bei Fall 3. 
Vulvakarzinom, aufgeworfen werden. Es hätte jedenfalls hier rein technisch der 
Tumor noch entfernt werden können. Bei der schlechten Prognose dieser 
Karzinome aber glaube ich doch die eingeschlagene Therapie durchaus 
verantworten zu können. 

Das was aus den 4 Beobachtungen hervorgeht, ist zunächst in Be- 
stätisung der Beobachtungen von Bumm, Döderlein, Krönig, Gauß u.a. 
ein rascher Zerfall des oberflächlichen Krebsgewebes mit Bildung einer 
glatten und harten Oberfläche. Es wird offenbar unter Zerfall des Krebs- 
gewebes eine starke Bindegewebswucherung erzeugt. Auch erfolgt in der 
Scheide ganz sicher eine Überhäutung des neugebildeten Bindegewebes 
durch Schleimhaut, so daß also eine Art von Heilung Platz zu greifen 
scheint. Jedenfalls verschwinden sehr schnell die Blutungen und die 
Jauchung, was an und für sich schon zunächst einen wesentlichen Vorteil 
und eine günstige psychische Beeinflussung der Patientin mit sich bringt. 
Das was in allen 4 Fällen bei allerdings kurzer Beobachtung jetzt noch 
zu bemerken ist, ist eine derbe Schwiele an der Stelle des früheren Tumors. 
wozu in Fall 2 auch noch das Fortbestehen der derben Intiltration bis 
an die Beckenwand kommt. In Fall 1 ist auch die Schwiele verschwunden. 

Es ist ohne weiteres und ohne längere Beobachtung nicht zu sagen. 
ob in diesen derben Schwielen alles Karzinom zugrunde gegangen ist oder 
ob doch noch in der Tiefe lebendiges Krebsgewebe erhalten geblieben ist. 

In den drei ersten Fällen war jedenfalls von der glatten Obertläche 
nichts mehr abzuschaben, aber die Feststellungen, de Bumm, Krönig 
und Aschoff an exstirpierten Uteri und Sektionspräparaten machen konnten, 
beweisen doch, dal man in seinem Urteil sehr vorsichtig sein muß. Ich 
möchte den Untersuchungsresultaten aus Probeabschabungen und Probe- 
exzisionen, wie sie bisher gewissermaßen als Beweis für Vernichtung des 
Krebsgewebes vielfach publiziert worden sind, keinerlei besonderen Wert 
beilegen. Denn solche Befunde findet man schließlich überall da, wo ein 
Karzinom mit irgend einem starken Ätzmittel behandelt worden ist (Chlor- 
zink, Glühhitze u. a.). Überall wird dort das oberflächliche Karzinvm- 
gewebe zugrunde gehen, aber in der Tiefe noch reichlich lebendes Gewebe 
übrig bleiben. Es können also nur die klinischen Erfahrungen über Spät- 
resultate den definitiven Wert der ganzen Mesothoriumbehandlung klarlegen. 

Bis heute ist jedenfalls ein anatomischer Beweis für Dauerheilung 
eines Karzinoms durch Mesothorium noch nicht erbracht. 

Was nun die beobachteten 4 Fälle im besonderen angeht, so ist bei 
ihnen vor allem hervorzuheben, daß sie, obgleich örtlich der Krebs schon 
weit vorgeschritten war, sich doch in günstigem Allgemeinzustande be- 


Zur Mesothoriumbehandlung von Genitalkarzinomen. 249 


fanden, daß also eine Kachexie noch nicht bestand. Ein 5. Fall, den ich 
gleichfalls behandeln wollte (es handelte sich um ein vorgeschrittenes 
Zervixkarzinom mit hochgradiger Kachexie) ist inzwischen gestorben. 
Ebenso ließ sich in keinem der 4 Fälle eine Metastasenbildung nachweisen 
mit Ausnahme des Vulvakarzinoms, wo rechts die Leistendrüsen vereitert 
waren. Es ist aber fraglich, ob hier Karzinom bestand oder ob es sich 
nur um Infektion handelte. Ich halte dies für wichtig für die Beur- 
teilung der späteren Resultate, denn so vorzüglich auch die Wirkung der 
Strahlen örtlich sein mag, so sind sich doch alle Beobachter darüber einig, 
daß sie bei weit ausgedehnten Metastasen machtlos isst. Man wird in 
solchen Fällen ja den Versuch der Mesothoriumbestrahlung machen, sich 
aber über die Resultate keinen Illusionen hingeben dürfen. 

Damit komme ich zu dem wichtigsten Punkt, der heut im Vorder- 
grund steht, nämlich zur Indikationsstellung. 

Es ist selbstverständlich, daß man bei inoperablen Genitalkarzinomen 
einen Versuch mit Mesothorium machen wird und muß, daß man aber bei 
schon sehr vorgeschrittenen Fällen allzu große Hoffnungen bezüglich dieser 
Therapie nicht hegen darf. 

Dagegen kann ich mich heut noch nicht dazu entschließen, gut operable 
Fälle nur mit Mesothorium zu behandeln. Man könnte ja hiergegen ein- 
wenden, daß der Erfolg um so wahrscheinlicher sei, je weniger weit der 
Tumor vorgeschritten ist, da man dann um so bessere Aussicht habe, alles 
Krebsgewebe durch die Strahlen zu vernichten. Aber bei der von den Opera- 
tionsresultaten her genügend bekannten Lebensenergie des Krebses halte ich 
ein solches Vorgehen einstweilen noch für zu gewagt, ehe nicht Dauer- 
resultate vorliegen; einstweilen werde ich jedenfalls gut operable Fälle nach 
wie vor operieren und nur in gänzlich inoperablen order zweifelhaften Fällen 
zur Bestrahlung greifen, bei letzteren deshalb, weil bei ihnen die primären 
Operationsresultate schlecht sind. Dagegen glaube ich wohl, daß 
mannach Exstirpationen sofort bestrahlen soll, um etwain 
der Narbe stehen gebliebenes Krebsgewebe zu vernichten 
(Krönig-Gauß). 

Von der Kombination des Mesothoriums mit der Röntgenbestrahlung 
glaube ich keine besonderen Resultate gesehen zu haben. Unter der 
Röntgenbestrahlung wuchs der Tumor im Fall 1 rasch weiter, um erst 
unter Mesothorium schnell zurück zu gehen. Bei oberflächlichen Karzi- 
nomen mag indes in den Pausen auch die Röntgenbestrahlung gute 
Dienste tun. 

Was nun noch die wichtige Frage etwaiger Schädigungen angeht, so 
habe ich im Falle I und III erhebliche Störungen von Seiten des Mast- 
darms gesehen. In beiden Füllen entstand eine blutig-eitrige Sekretion 


250 Jung, Zur Mesothorinmbehandlung von Genitalkarzinomen. 


mit starken Tenesmen, welche aber nach einigen Tagen wieder ver- 
schwand. 

Ich glaube aber, daß derartige auch von anderer Seite beobachtete 
Störungen uns in keiner Weise von der Mesothoriumbehandlung abschrecken 
dürfen, da sie geringfügig sind gegenüber den Gefahren des Karzinoms. 
Ein ausgebreitetes Ekzem bestand im Falle 3 schon vor der Bestrahlung 
in Folge des großen Leistendrüsenabzesses. Es ist aber wahrscheinlich 
durch die Mesothoriumbehandlung noch weiter ausgedehnt worden und es 
handelt sich vielleicht hier um Sekundärstrahlenwirkung. Die Heilung 
und Behäutung des Hautdefektes geht jetzt im übrigen unter Bäder- 
behandlung rasch vor sich. 

Von Dauerheilungen im üblichen Sinne, d. h. einer Heilung von 
5 Jahren Dauer kann selbstverständlich bei der Mesothoriumtherapie bis- 
her nicht gesprochen werden. Es mag auch noch fraglich sein, ob sie der 
Operation vorzuziehen ist. Soviel aber kann heute schon gesagt werden. 
daß das Mesothorium in weit vorgeschrittenen Fällen heute schon Leis- 
tungen erzielt, welche wie bisher mit keinem Mittel aufzuweisen hatten 
und diese Tatsache allein würde genügen, zu weiteren Versuchen anzuregen 
und sich auch durch den hohen Preis des Mittels nicht abschrecken zu 
lassen, jedenfalls so lange nicht, bis etwa die Chemie ein allgemeiner 
wirkendes und auch billigeres Mittel gefunden haben wird. 


Aus der Frauenklinik der Universität Gießen. 


Randbemerkungen über Unterstützung und Ersatz der 
Strahlenbehandlung bösartiger Geschwülste. 


Von 
Prof. Dr. Erich Opitz. 


D“ günstigen Erfolge, die insbesondere von der Freiburger Schule, aber 
auch in München und Berlin mit der Verwendung der Radium- bzw. 
Mesothoriumstrahlen bei Behandlung bösartiger Geschwülste erzielt worden 
sind. sind außerordentlich erfreulich und eröffnen die besten Aussichten 
für die Zukunft. Diesen Mitteln haftete aber leider der große Übelstand 
an, dab das Mesothorium, noch mehr das Radium, für die meisten Ver- 
hältnisse unerschwinglich hohe Kosten verursacht und daß deshalb die An- 
wendung des Mittels in breiteren Kreisen bis auf weiteres aussichtslos er- 
scheint. Das ist um so bedauerlicher, als die Mehrzahl der unglücklichen 
Krebskranken gerade den weniger bemittelten Volkskreisen angehört, die 
natürlich nicht in der Lage sind, irgendwie erheblich zu den hohen Kosten 
der Beschaffung, oder auch nur der Mietung von Mesothorium beizutragen. 

Es dürfte deshalb von großem Interesse sein, sich einmal die Frage 
vorzulegen, ob nicht vielleicht auch andere Wege aussichtsvoll erscheinen, 
um dem ersehnten Ziele der Heilung bösartiger Geschwülste auf nicht- 
operativem Wege näher zu kommen. 

In diesen kurzen Bemerkungen, die rein subjektive Ansichten dar- 
stellen. soll auf die Literatur nicht eingegangen werden. Sie sind die er- 
weiterte Niederschrift einiger Gedanken, die bei der Besprechung der Stralı- 
lenbehandlung bösartiger Geschwülste gelegentlich der Versammlung der 
Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie in Halle geäußert wurden und die 
ich auf Aufforderung der Redaktion in der Hoffnung wiedergebe, daß sie 
vielleicht dem einen oder anderen Forscher als Anregung dienen könnten, 
Untersuchungen in den angedeuteten Richtungen anzustellen. 

Wenn es auch ausgemacht ist, dal vorläufig weder eine Serumbehand- 
lung, noch die Anwendung des Selens, noch die Zellersche Arsenbehand- 
lung. noch die Fermentbehandlung, noch sonst eines der bisher angewen- 
deten Mittel imstande ist, mit Ausnahme von einzelnen besonders günstig 
liegenden Füllen eine Heilwirkung zu erzielen, so darf das m. E. doch 
nicht davon abhalten, weitere Versuche in dieser Richtung anzustellen. 
Wie auf vielen anderen Gebieten, so könnte es auch hier vielleicht so liegen. 


252 Opitz 


dal erst eine gewisse Zusammenstellung von verschiedenen Mitteln eine 
Heilwirkung erzielen könnte, während jedes einzelne Mittel für sich zur 
Wirkungslosigkeit oder wenigstens zu ungenügender Wirkung verurteilt ist. 
Insofern sind alle genannten und noch viele andere Versuche, die bisher 
nicht zum Ziele geführt haben, durchaus nicht als wertlos anzusehen. 
Auf einige besondere Dinge möchte ich aber noch zu sprechen kommen, 
(lie vielleicht der Betrachtung nicht unwürdig erscheinen. 

Zunächst das Cholin. Bekanntlich ist man zu der Anwendung des 
Cholins dadurch gekommen, daß in mit Röntgenstrahlen behandelten Ge- 
schwülsten sich chemische Umwandlungen nachweisen ließen, die Hand in 
Hand mit der Rückbildung der Geschwulstzellen auftraten und unter 
deren Produkten das Cholin eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Es 
ilürfte nicht ohne Interesse sein, daß ich auf die Anwendung des Cholins 
auf einem ganz anderen Wege gelangt bin. Es handelt sich um folgendes: 

In Düsseldorf kam eine Patientin zu uns in die Klinik, die nach 
ihrer Aussage 4 oder 5 Jahre vorher wegen eines inoperablen Karzinoms 
(les Uterus in der Prager Frauenklinik behandelt worden war. Die Patien- 
tin berichtete, daß sie auf Anraten von Bekannten den Versuch gemacht 
habe, durch Genuß einer gewissen Pilzart, die als Heilmittel gegen Krebs 
in ihrem Heimatsorte bekannt sei, sich Hilfe gegen ihr furchtbares 
Leiden zu verschaffen. Sie genoß von diesen Pilzen, deren Beschaffen- 
heit sie zunächst nicht näher angeben konnte, eine größere Menge, 
sodaß sich Vergiftungserscheinungen einstellten. Zugleich mit diesen Ver- 
giftungserscheinungen seien heftige Schmerzen im Unterleib aufgetreten, 
die längere Zeit anhielten, und daraufhin seien für längere Zeit die Blu- 
tungen und der jauchende Austlul verschwunden. Als die Patientin zu 
uns kam, hatte sie wieder ein derbes, an der Oberfläche ein wenig bröckeln- 
(des Karzinom des Uterus, das breit auf die Parametrien übergriff und sich 
bei der Probelaparotomie als inoperabel erwies. 

Die Tatsache, dal vor 4 oder 5 Jahren bereits ein inoperables Kar- 
zinom von anderer Seite festgestellt worden war, mußte zu der Annahme 
führen, dab hier durch die Pilzvergiftung doch zum mindesten ein vorüber- 
schender Stillstand des Geschwulstwachstums herbeigeführt worden sei. 

Ich habe nun, um der Sache näher auf den Grund zu gehen, die 
Frau veranlaßt, zur entsprechenden Jahreszeit sich aus ihrer Heimat die 
Pilze schicken zu lassen. Sie erwiesen sich als eine Abart des Fliegen- 
pilzes, und eine chemische Untersuchung ergab die Anwesenheit von 
Muscarin und Cholin in den Pilzen. Ich fütterte zunächst die Frau wie- 
der mit den Pilzen, wobei wir die toxische Dosis zunächst festzustellen 
suchten, und erlebten dabei nach dem Genuß der Pilze ähnliche Erschei- 
nungen, wie sie das Cholin auch hervorzubringen imstande ist, nämlich 


Unterstützung u. Ersatz der Strahlenbehandlung bösart. Geschwülste. 253 


heftigen Speichelfluß, Übelkeit, Zittern, starke Pulsbeschleunigung und 
große Neigung zu Ohnmachten. Da es weiterhin nicht möglich war, diese 
Art Pilze wieder zu erhalten, so habe ich fernerhin das Cholin benutzt. 
Es sind nicht sehr zahlreiche Fälle damit behandelt worden. In einigen 
war es auffällig, wie das Allgemeinbefinden bei längerem Gebrauch des 
Mittels in Mengen, die nahe der toxischen Dosis lagen, sich besserte und 
wie sich ein, wenigstens vorübergehender Stillstand des Geschwulstwachs- 
tums einzustellen schien. Eine Heilung oder ein dauernder Rückgang der 
Geschwulst ist in keinem Falle erzielt worden. Jedenfalls schien mir aus 
den Versuchen im ganzen, zusammengehalten mit den in der Literatur 
vorliegenden Beobachtungen soviel hervorzugehen, daß ein gewisser Einfluß 
des Cholins auf das Karzinom nicht zu leugnen ist, wenn er auch keines- 
wegs mit Heilung gleichgesetzt werden kann. Es fragte sich nun, ob man 
nicht vielleicht durch eine besondere Technik der Anwendung imstande 
sein könnte, die Wirkung des Cholins zu steigern. Ich benutzte dazu zu- 
nächst Erfahrungen ganz anderer Art, die ich früher bereits gesammelt 
hatte. 

Es ist eine bekannte Tatsache, daß im Körper kreisendes Jod mit 
auf Schleimhäute aufgebrachten Quecksilberverbindungen eine stark reizende 
und ätzende Verbindung, das Jodquecksilber eingeht. So schädlich wie 
diese Ätzwirkung in zarten Organen, z. B. im Auge wirken kann, so nütz- 
lich, dachte ich, müßte sie bei Anwendung an jauchenden Karzinomen 
sein, einmal der ätzenden Wirkung wegen, die ja nur schädigend für die 
Tumorzellen sein könnte, und zweitens wegen der stark desinfizierenden 
Eigenschaften des Jodquecksilbers, die vielleicht Jauchung und Blutung 
zu beseitigen imstande wären. 

Ich ging so vor, daß ich Patienten Jodkali innerlich in nicht zu 
großen Dosen eingab und auf vorher mit scharfem Löffel gereinigte und 
oberflächlich verschorfte inoperable Karzinome Kalomel aufpuderte. Fast 
ausnahmslos zeigte sich nun in der Tat eine Einwirkung insofern, als Blu- 
tung und Jauchung für lange Zeit vollständig verschwanden, die letzteren 
in den Fällen, so lange ich sie beobachten konnte, sogar dauernd; dagegen 
war eine sehr erhebliche Behinderung des Geschwulstwachstums nur für 
kürzeste Zeit zu beobachten. Das Ergebnis dieser Versuche schien mir 
zu sein, daß es möglich ist, daß zwei Mittel, von denen das eine innerlich 
verabreicht, das andere von außen herangebracht wird, sich zu einer ge- 
wollten Wirkung einigen können. Diesen Gedanken habe ich nun auf die 
Cholinbehandlung zu übertragen versucht. Wenn es gelänge, eine Jod- 
verbindung des Cholins von der genügenden Festigkeit herzustellen, so 
war zu erwarten, daß man einmal die gleiche Ätzwirkung wie bei inner- 
lichem Gebrauch von Jodkali mit Hilfe von Kalomel erzielen könnte, und 


254 Opitz, 


zweitens durfte man hoffen, das Cholin gewissermaßen an der Stelle, wo 
es seine Wirkung entfalten sollte, zu verdichten und festzuhalten. Man 
konnte auch daran denken, dal) das C'holin dann gewissermaben in statu 
nascendi innerhalb der Geschwulstzellen vorhanden sei, und bei dement- 
sprechend stärkerer Wirkung diese zerstören könnte. 

Derartige Versuche habe ich nun bisher nur in sehr geringem Um- 
fange anstellen können; immerhin ist fast ausnahmslos zu sehen gewesen, 
dal die reinigende Wirkung des Jodquecksilbers auf das Krebsgeschwür 
vorhanden war, und manchmal wurde eine gewisse Rückbildung des Tumors 
bemerkt, ohne dal dieser jedoch wirklich erhebliche Schrumpfung oder 
Verkleinerung gezeigt hätte. 

Wenn ich also auch nicht über größere Erfolge berichten kann. so 
scheint mir doch ein Weg gegeben zu sein, der vielleicht mit gewissen 
Abänderungen Erfolge erhoffen läßt. «Jedenfalls ist eins zu bemerken: 

Nach Untersuchungen von van den Velden und anderen scheint 
man ja das Jod gewissermaßen als Gepäckträger für Arzneimittel benutzen 
zu können, um sie an bestimmten Stellen, wo ihre Wirkung von besonderer 
Wichtigkeit ist, abzulagern und einwirken zu lassen; nicht unwahrschein- 
lich, da auch dem Karzinom gegenüber das Jod eine solche Rolle spielt. 
Genaue Untersuchungen darüber stehen jedoch noch aus. — — — 

Daß die Wirkung der Röntgenstrahlen zur Heilung von tiefliegen- 
den Karzinomen, wie die des Uterus es sind, im allgemeinen nicht aus- 
reichen, ist ja von Krönig und Gauß kürzlich hervorgehoben worden. 
Wenn man nun annimmt, daß eine gewisse Wirkung durch das Cholin. 
zumal in der erwähnten Art der Anwendung, zu erzielen ist, und anderer- 
seits die Wirkung der Röntgenstrahlen sicher nachgewiesen, jedoch viel- 
leicht nicht ganz ausreichend ist, so läßt sich doch erhoffen, daß ein Zu- 
sammenwirken von Röntgenstrahlen mit Cholin die gewünschte Wirkung 
hervorrufen könnte. Derartige Versuche sind in meiner Klinik im Gange, 
ich kann über sie vorläufig noch nichts berichten. Aber nicht allein das 
Cholin und die Röntgenstrahlen kommen in Betracht, sondern es lassen 
sich noch andere Kombinationen verwenden. Ich erinnere an die Ver- 
handlungen der Münchener gynäkologischen Gesellschaft vom 13. März 
1913, in denen Chr. Müller über erfolgreiche Sensibilisierung von Kar- 
zinomen für die Röntgenbestrahlung durch Diathermie und Hochfrequenz 
berichtete. Auch hier handelte es sich also um Kombination von zwei 
Verfahren, die allein eine günstige Wirkung nicht auszuüben vermögen. 
Es kann aber fraglich erscheinen, ob es sich hier wirklich um eine Sensi- 
bilisierung handelt, oder ob die Hyperämie nicht an sich schon eine gün- 
stige Wirkung entfaltet, wie sie Theilhaber nach seinen Untersuchungen 
und Versuchen annimmt. Diese Frage kann aber vollständig offen bleiben. 


Unterstützung u. Ersatz der Strahlenbehandlung bösart. Geschwülste. 9255 


darüber müssen weitere Versuche Klarheit verschaffen. Jedenfalls läßt 
sich nicht von der Hand weisen, daß die Verbindung mehrerer Verfahren, 
die für sich allein nicht oder wenig wirksam sind, bessere Erfolge ergibt. 

Ich möchte noch auf etwas anderes hinweisen. Es ist sicher, daß 
Verschleppung von Krebszellen von dem Entstehungsort aus in den Kreis- 
lauf und Ablagerung in entfernteren Organen noch längst nicht ohne 
weiteres zur Metastasenbildung führt. Man muß sich doch vorstellen, dab 
bei der schrankenlosen Wucherung eines Karzinoms Krebszellen häufig in 
Blutgefäße eindringen, wie man das ja auch in mikroskopischen Präparaten 
direkt sehen kann. Daß diese Zellen dann weiter verschleppt werden 
können und auch wirklich verschleppt werden, steht außer allem Zweifel, 
und trotzdem finden wir gerade bei Karzinomen verhältnismäßig sehr selten 
eine Metastasenbildung auf dem Blutwege. Dafür läßt sich wohl kaum 
eine andere Erklärung geben, als daß die Blutbahn und das strömende 
Blut eine sehr ungeeignete Stätte für das Wachstum von Karzinomen dar- 
stellen und daß sicherlich massenhaft Krebszellen während des Bestehens 
eines Krebses innerhalb der Blutbahn oder in kleinen Lungengefäßen, oder 
auch an anderen Orten, wo die Zellen stecken bleiben, vernichtet werden. 
Diese Tatsache läßt sich vielleicht in dem Sinne verwerten, daß das Blut 
als Ganzes eine gewisse schädigende Wirkung auf die Karzinomzellen aus- 
übt. Es wäre das in gewissem Sinne eine Bestätigung der Theilhaber- 
schen Ansichten über die Entstehung des Karzinoms, das er bekanntlich 
auf eine mangelhafte Durchströmung von gewissen Gewebsbestandteilen 
durch Blut zurückführt. Auch das würde also eine künstliche Hyperämi- 
sierung von Karzinomen als etwas Günstiges erscheinen lassen. 

Sicher ist ferner, daß auch in Lymphdrüsen Karzinomzellen häufig 
vernichtet werden. Die Ausbreitungswege des Karzinons sind ja meisten- 
teils die Lymphbahnen. Wir sehen aber doch, dal Karzinomzellen, die 
in Lymphdrüsen vorgedrungen sind, dort häufig eingekapselt werden, und 
es scheint fast sicher, daß gerade in Lymphdrüsen Karzinommetastasen 
mit verhältnismäßiger Häufigkeit wieder der Rückbildung anheimfallen. 
Das scheint mir ein Erfolg, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Tätig- 
keit der Lymphzellen zu sein. 

Bei Durchsicht mikroskopischer Präparate von Karzinomen, die noch 
nicht geschwürig zerfallen sind, ist mir hier und da aufgefallen, daß eine 
Art Reaktionszone an den Ausbreitungsgrenzen des Karzinoms sich bildet, 
die in der Hauptsache aus Lymphzellen, nicht aus Leukozyten besteht. 
Ich neige der Ansicht zu, daß die Lymphozyteneinlagerung eine Art Ab- 
wehrmaßregel des Körpers gegen die eindringenden Krebszellen darstellen. 
Die beiden genannten Beobachtungen zusammen lassen es wünschenswert 
erscheinen, eine Lymphozytose, entweder im ganzen Körper, oder in der 


256 Opitz, 


Umgebung des Karzinoms mit künstlichen Mitteln hervorzurufen. Wie 
das zu geschehen hat, will ich hier nicht weiter erörtern. Es dürften da 
mehrere Möglichkeiten vorliegen, aber eine früher häufig besprochene Frage 
scheint mir auch da hinein zu spielen, die ebenfalls die Wirkung der 
Iymphozyten, als der Feinde der Krebsausbreitung beleuchtet; ich meine 
das freilich nicht ganz ausnahmslos, aber doch mit einer gewissen Häufig- 
keit beobachtete gegenseitige Ausschließen von Tuberkulose und Krebs. 
Tuberkulose führt bekanntlich zu einer Lymphozyteninfiltration, und man 
würde sich also wohl vorstellen können, daB eine starke Lymphozytose 
oder eine starke Lymphozyteninfiltration wenigstens bis zu einem gewissen 
Grade vor der Erkrankung an Karzinomen schützen kann. 

Will man ein Bild vom Wesen des Karzınoms bekommen, das der 
Wirklichkeit einigermaßen entspricht, so wird man allgemeinere Betrachı- 
tungen anstellen müssen, die innere Zusammenhänge aufzudecken imstande 
sein könnten. Die Frage, ob der Krebs eine parasitäre Ursache hat, wird 
man dabei außer Betracht lassen können. Wenn auch vieles für eine 
parasitäre Ursache des Krebses spricht, so scheint es doch sicher zu sein, 
daß der Boden für eine Ansiedlung des fraglichen Parasiten erst vorbe- 
reitet sein müßte, ehe er imstande wäre, in ihm auszuwachsen. Man muß 
sich dann die Frage vorlegen, worin diese Vorbereitung besteht. Etwas 
Sicheres ist darüber nicht bekannt. Ich sehe hier ganz ab von histologi- 
schen Veränderungen, die z. B. nach der Ribbertschen Annahme die 
Ursache des Krebses sein sollen. Es läßt sich natürlich nicht nachweisen. 
ob man da nicht vielleicht schon Folgeerscheinungen statt des Beginnes 
des Krebses bei solchen Dingen vor Augen hat. Wichtiger scheint mir 
für unsere Betrachtung in der Beziehung das, was Theilhaber als Ur- 
sache des Krebses annimmt, nämlich eine schlechte Blutversorgung des 
Bindegewebes, die ein verhältnismäßiges Übergewicht der unter gewöhnlichen 
Verhältnissen nicht unmittelbar mit Blut versorgten Epithelien gegenüber 
dem Bindegewebe zustande bringen soll. Auch das trifft aber vielleicht 
nicht den Kernpunkt der Sache. 

Dagegen scheinen mir Ernährungsverhältnisse eine gewisse Rolle zu 
spielen. Der Vergleich mit Verhältnissen aus der Pflanzenwelt liegt da 
nahe, und ich möchte auf eine vor nicht langer Zeit erschienene Arbeit 
von Packard aus amerikanischer Feder hinweisen. Nach deren Fest- 
stellungen, die freilich wohl der Nachprüfung bedürfen, würde es nicht 
unwahrscheinlich sein, daß der Mangel gewisser Salze, der mit der heutigen 
Art der Ernährung verbunden ist, die tiefere Ursache des Krebses sein 
könnte. Packard erwähnt als Beleg seiner Ansichten die Tatsache, dal 
in Labrador, seit Einführung gewisser fertiger Nahrungsmittel, die grobe 
Verbreitung gefunden haben, unter der Bevölkerung vorher unbekannte 


Unterstützung u. Ersatz der Strahlenbehandlung bösart. Geschwülste. 957 


Krebserkrankungen aufgetreten seien. Man darf sich wohl vorstellen, daß 
in ähnlicher Weise, wie Pflanzen, die auf einem an Salzen armen Boden 
gezogen werden, besondere Neigung zu gewissen Erkrankungen zeigen, das 
auch für den tierischen und menschlichen Körper zutrifft. Es scheint ja 
ausgemacht, daß auch zum Aufbau des Bindegewebes Kalk, Silizium und 
andere Stoffe gehören. Es wäre also nicht unverständlich, wenn bei voll- 
ständigem oder teilweisem Fehlen der Zufuhr solcher Stoffe in der Nahrung 
das Bindegewebe gegenüber den Deckzellen sozusagen an Widerstandsfähig- 
keit einbüßte und daß deshalb die Epithelzellen in die Unterlage einzu- 
dringen und dann schließlich schrankenlos zu wuchern vermöchten. Hierin 
könnte auch der Grund für das etwaige Aufkommen eines Erregers liegen, 
genau so gut, wie wir an schlecht genährten Pflanzen beobachten, daß sich 
gewisse Parasiten der verschiedensten Art, z. B. Blattläuse oder Pilze, mit 
besonderer Vorliebe an kränkelnden Pflanzen ansiedeln. 

Die von Pick veröffentlichte Beobachtung, daß bei Salmoniden nach 
Art einer Endemie krebsartige Erkrankungen auftreten, würden auch am 
ersten verständlich erscheinen, wenn etwa ungeeignete Beschaffenheit, d. h. 
Salzarmut des Wassers, in dem die Salmoniden leben, die Gewebsbeschaffen- 
heit der Fische so veränderte, daß sie dem Eindringen bestimmter Para- 
siten einen geringen Widerstand entgegensetzen. Ähnliches läßt sich für 
die bekannten Beobachtungen von Behla über die Häufung von Krebs- 
erkrankung in gewissen Orten und sogen. Krebs-Häusern annehmen. 

Auch die Häufung der Zahnerkrankungen infolge der heutigen salz- 
armen Nahrung dürfte gewisse Beziehungen zu dem hier erörterten Ge- 
danken haben. 

Es sind das selbstverständlich vorläufig reine Vermutungen, aber 
immerhin lassen sie sich doch verwerten, um die Heilungsvorgänge beim 
Krebs einzuleiten und. zu unterstützen. Ansätze in dieser Richtung sind 
bereits vorhanden, ich erinnere z. B. an die Verabreichung von Silikaten 
durch Zeller, die angeblich in einer Reihe von Fällen die Heilung herbei- 
geführt haben. Für unsere Betrachtung würde also auch die Verabreichung 
von Kieselsäure, Kalk und eventuell auch anderen Salzen zur Unterstützung 
anderer Behandlungsmethoden des Krebses nach diesen Überlegungen in 
Frage kommen. 

Schließlich noch ein Wort über die Serumbehandlung des Krebses. 
die ja jetzt stark in den Hintergrund getreten ist. Ich habe schon vor 
längeren Jahren ziemlich ausgedehnte Versuche mit der Behandlung von 
Krebskranken durch ein nach besonderen Gesichtspunkten bereitetes Serum 
angestellt. 

Es ist ja zweifellos, daß es in manchen Füllen gelingt, ein für 
bestimmte Zellarten spezifisch schädliches Serum herzustellen. Ich habe 

Strahlentherapie Band III, Heft 1. 17 


258 M Opitz, 


seinerzeit den Versuch gemacht, durch Behandlung von Tieren mit Kar- 
zinombrei, der intraperitoneal beigebracht wurde, . ein gegen Krebszellen 
spezifisches Serum herzustellen. Es zeigte sich aber sehr bald, daß dieses 
Serum nicht bloß gegen Krebszellen, sondern gegen menschliches Eiweiß 
reagierende Eigenschaften besaß. Durch Zusatz von Serum und später 
von Blut gesunder Menschen zu dem Serum habe ich versucht, eine Bin- 
dung der für menschliches Eiweiß im allgemeinen spezifischen Stoffe her- 
beizuführen und dem Serum nur noch die Eigenschaften zu erhalten, die 
gegen Krebszellen gerichtet sind. Insofern war der Erfolg in die Augen 
springend, als die bei Benutzung des von Tieren gewonnenen unbehan- 
delten Serums eintretenden derben und sehr schmerzenden Infiltrate in der 
Nachbarschaft der Einspritzstellen nicht mehr auftraten, wogegen mir eine 
Wirkung auf das Karzinom deutlich erschien. Selbst bei subkutaner In- 
jektion größerer Mengen des vorbehandelten Serums waren Reaktions- 
erscheinungen von Seiten des Karzinoms ganz unverkennbar. In einem 
derartig behandelten Falle von Mastdarmkarzinom ist tatsächlich eine über 
Jahre anhaltende Heilung des Karzinoms klinisch festgestellt worden, in 
anderen Fällen wenigstens eine vorübergehende Rückbildung der Ge- 
schwulst. Da ich nur inoperable Geschwülste zur Behandlung heran- 
gezogen habe, so ist es nicht weiter verwunderlich, daß außer dem einen 
erwähnten Falle dauernde Heilungen oder auch nur anhaltende Besserungen 
nicht erzielt worden sind. Die Versuche habe ich aber abgebrochen, weil 
in zwei Fällen sehr schwere Erscheinungen eintraten, die wir nach un- 
seren heutigen Kenntnissen als anaphylaktischen Shok bezeichnen müssen. 

Immerhin bin ich durch meine eigenen Versuche zu der Überzeugung 
gekommen, daß vielleicht auch hier ein Weg gegeben ist, der uns, freilich 
erst, wenn es gelingen sollte, die anaphylaktischen Erscheinungen auf 
irgendeine Weise auszuschalten oder zu vermindern, unserem Ziele näher 
führen könnte. 

Hierbei möchte ich erwähnen, daß auch die Injektionen mit Alkohol 
und dem vor vielen Jahren von Emmerich und Scholl hergestellten 
sogenannten Krebsserum und auch noch von vielen anderen Stoffen in 
Karzinomen zwar nicht so ausgedehnte, aber doch ganz ähnliche Zerfalls- 
erscheinungen an den Krebszellen hervorzurufen imstande sind, wie sie 
jetzt bei Anwendung der Radium- oder Röntgenstrahlen beschrieben worden 
sind. Es ist freilich fraglich, ob es sich dabei um grundsätzlich gleich- 
artige Vorgänge handelt. Immerhin wird man daran denken können, daß 
eine gewisse Schädigung der Krebswucherung, die aber eben bloß nicht 
ausgereicht hat, um eine Heilung herbeizuführen, auch auf diese Weise 
herbeigeführt werden kann. 

In Vorstehendem habe ich eine ganze Reihe von Versuchen erwähnt, 


Unterstützung u. Ersatz der Strahlenbehandlung bösart. Geschwülste. 259 


die möglicherweise bei der Krebsheilung eine Rolle zu spielen berufen sein 
könnten. Es sollte selbstverständlich keine erschöpfende Darstellung sein. 
Es ist mir sehr wohl bekannt, daß noch eine ganze Reihe anderer Ver- 
suche gemacht worden sind, und daß auch z. B. die Arsenbehandlung und 
andere Dinge da in Frage kommen. Das, was ich mit den vorstehenden 
Zeilen beabsichtige, ist lediglich, darauf hinzuweisen, daß die Hoffnung 
nicht unberechtigt erscheint, die bisher als am: wirksamsten befundenen 
Bestrahlungsbehandlungen durch eine weniger kostspielige und deshalb all- 
gemeiner verwendbare Behandlung zu ersetzen. Vor allen Dingen ist aber 
dazu nötig, daß diejenigen Institute und Forscher, die im glücklichen 
Besitz genügender Mengen von Mesothorium usw. sind, durch gründliche 
Untersuchungen festzustellen suchen, ob sich nicht chemische und physi- 
kalische Vorgänge als Folgen der Bestrahlung nachweisen lassen, die dann 
auf andere Weise nachgeahmt werden könnten. | 


17* 


(Aus der kgl. gynäkologischen Universitätspoliklinik München.) 


Erfolge der Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus, 
der Mamma und der Ovarien.') 
Von 
Professor Dr. Gustav Klein. 
(Mit 1 Tabelle und Tafel IV—VI.) 


I)“ Erfolge der Strahlenbehandlung sowohl bei oberflächlichen als bei 
tief liegenden Karzinomen übertreffen alle bisher bekannten Methoden 
an Wirksamkeit. Aber nur für oberflächlich gelegene Karzinuvme, wie dir 
der Haut, der Mamma usw. ist bisher eine „absolute Dauerheilung‘“, das 
heißt ein Gesundbleiben für die Zeit von 5 Jahren und länger nachee- 
wiesen. Im folgenden wird u. a. über die Heilung eines vor 5%/, Jalıren 
operierten Mammakarzinoms berichtet, dessen wiederholte Rezidive durch 
Exstirpation und Röntgenbestrahlung geheilt worden sind. 

Für tiefliegende Karzinome z. B. des Uterus, der Ovarien. de 
Magens usw. ist die Beobachtungszeit noch zu kurz, um von einer end- 
gültigen Heilung zu sprechen. Trotzdem muß betont werden, daß wir be- 
gründete Hoffnung haben, auch dieses heiBersehnte Ziel auf operationslosem 
Wege zu erreichen. Wir stehen ja erst im Beginne der Strahlentherapie. 

Von deutschen Autoren haben meines Wissens als erste Deutsch? 
und unabhängig von ihm ich mit Eltze?) eine günstige Wirkung der 
Röntgenstrahlen auf Uteruskarzinome nachgewiesen. 

Durch die ausgezeichneten Arbeiten von Eymer*) und Kirstein’ 
habe ich erst erfahren, daß schon vor uns besonders amerikanische und 
französische Autoren eine gute Wirkung der Röntgentherapie bei Uterus- 
karzinom erzielt haben. 

Es lag in der Entwicklung der Dinge, daß wir damals (1904—1907 
nur inoperable Uteruskarzinome mit Röntgenstrahlen behandelt haben. 


=- ——— m nn un 


1) Vgl. G. Klein, Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus, der Manıma 
und der Ovarien. Münch. Med. Wochenschr. 1913, Nr. 17 und Kongreß der 
Deutschen Gesellsch, f. Geburtsh. und Gynäkol. in Halle, Mai 1913. 

23) Münch. Med. Wochenschr. 1903, Nr. 37. 

3) Festschrift für Franz v.Winckel, „Alte und neue Gynäkologie“, München 
bei J. F. Lehmann, 1907. 

4) Eymer, Röntgenstrahlen ın der Gynäkologie, 1913. 

5» F. Kirstein, Die Röntgentherapie in der Gynäkologie, Berlin. 
J. Springer, 1913. 


Klein, Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus usw. 961 


Niemand durfte damals wagen, operable Karzinome nicht zu operieren, 
sundern zu röntgenisieren. Auch waren damals die Strahlenmengen zu 
gering, die Meßmethoden (die sogar heute noch sehr der Kritik bedürfen) 
ungenügend. So beschränkte sich noch 1907 Gottschalk auf den Vor- 
schlag, bei Karzinom Versuche mit Röntgenstrahlen zu machen. 


Deutsch hat 1904 über einen Fall von inoperablem Uteruskarzinom 
berichtet. Nach 60 Bestrahlungen sah er Besserung der Beschwerden 
und Zurückgehen der Ausbreitungen in den beiden Parametrien. 


Eltze hat mit mir 1904—1907 6 Fälle von Uterus- und 1 Fall von 
Vulvakarzinom röntgenisiert. Er faßte unsere Ergebnisse dahin zusammen: 


„Kauterisierte Karzinome und frühzeitig belichtete (d. h. mit Röntgen- 
strahlen behandelte) Rezidive nach Koiliotomien (oder vaginaler Total- 
exstirpation) werden durch die Röntgenstrahlen an ihrem raschen Wachs- 
tum gehemmt, Schmerzen und Jauchung werden während der Behandlung 
dauernd vermindert. 


Das den Karzinomherd umgebende Bindegewebe wird durch das 
Röntgenisieren derber, es bildet oft gleichsam einen Mantel oder Wall, 
der vielleicht dazu beiträgt, das Fortschreiten des Karzinoms 
eine zeitlang zu hemmen. Die Lebensdauer der Frauen mit in- 
operablem Karzinom des Uterus kann dadurch vielleicht manchmal ver- 
lingert werden. Heilung des Kollunikarzinoms des Uterus trat durch 
das Röntgenisieren nicht ein.“ 


Der Hauptpunkt unserer Ergebnisse ist die Wachstumshemmung 
des Karzinoms, die Bildung eines Mantels oder Walles durch 
das umgebende Bindegewebe. Döderlein!) verkennt diesen prin- 
zıpiellen Punkt vollständig, wenn er schreibt: „Die Ergebnisse Eltze- 
Kleins waren nicht ermutigend‘“, weil wir keine Heilung unserer in- 
operablen Karziome erzielt hatten. Das haben auch heute Krönig, 
Döderlein u. a. mit der enorm erhöhten Strahlenmenge und mit Meso- 
thorium noch nicht erreicht. Jede Entwicklung erfolgt stufenweise; in den 
von Eltze und mir angestellten Versuchen hat sich schon als wichtigste 
(Grundlage die Hemmung des Karzinom wachstums und die Bildung 
eines Bindegewebsmantels gezeigt. Alles weitere bis auf den heutigen 
Tag ist nur ein gradueller Fortschritt. Auch die Bilder Krönigs und 
Döderleins bestätigen nur das, was wir «damals als klinische Ergeb- 
nisse fanden. 

Für mich waren die Erfolge so ermutigend, daß ich mit den neuen 
Apparaten der Kgl. gynäkologischen Universitätspoliklinik in München 


') Monatsschrift für Geb. u. Gyn., 1913, Mai, Heft 5. 


969 Klein, 


schon im Mai 1911 nachdrücklich die Röntgenbehandlung des Uterus- 
karzinoms und anderer Karzinome wieder aufgenommen habe. 

Ein unzweifelhaftes Verdienst Krönigs!) und seiner Schule ist es, 
daß sie uns gelehrt haben, selbst sehr große Strahlenmengen unter starker 
Verminderung, wenn auch nicht unter vollkommener Beseitigung der Ge- 
fahr durch die Filtermethode anzuwenden. 

Zu diesem Fortschritt kam als ein weiterer die Mesothoriumbe- 
handlung. 

Von hohem Werte scheint sowohl die Kombination verschiedener 
Strahlenarten (Röntgen- und Mesothoriumstrahlen) als ihre Kombination 
mit chemischen Methoden zu sein; von Üzernys Borcholinbehandlung, 
Arsen, andere Metallverbindungen, Einspritzung des Aszites von Bauch- 
höhlenkarzinomen (Autoserotherapie) usw. Hier ist alles im Werden. 

Die Erfolge Bumms?) sind in der Berliner Medizinischen Gesell- 
schaft auffällig skeptisch beurteilt worden. Wohl mit Unrecht. Auf dem 
Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in 
Halle, Pfingsten 1913, war die Stimmung nach den Vorträgen von Krönig. 
Döderlein und anderen viel zuversichtlicher, vielleicht sogar enthusiastisch. 
Auch der Sturm auf den dort anwesenden Vertreter einer deutschen 
Mesothorium-Gesellschaft war ein deutliches Anzeichen dafür. Die Bilder 
Krönigs und Döderleins zeigten beweiskräftig, wie stark der Einfluß 
der Röntgen- und Mesothoriumstrahlen wenigstens auf die zunächst liegenden 
Krebspartien ist. 

Wie es klinisch und mikroskopisch verschiedene Karzinome gibt, so 
gibt es anscheinend auch verschiedene Karzinomursachen. 

Viele Umstände sprechen dafür, daß es eine parasitäre Ursache des 
Karzinoms, vielleicht auch verschiedene Karzinomerreger gibt. Zahl- 
reiche Autoren (v. Leyden, Behla, Feinberg, Leopold, Fibiger u.a.) 
haben verschiedene Parasiten als Karzinomursache angesprochen. Es ist 
wohl denkbar, daß alle diese Erreger Karzinome erzeugen können.?) 


1) Vgl. auch Aschoff, Krönig und Gauß „Zur Frage der Beeinflußbarkeit 
tiefliegender Krebse durch Strahlenenergie. Münch. Med. Wochenschr. 1913, 
Nr.7 und 8, ferner Krönig und Gauß, Die Strahlentherapie in der Gynäkologie: 
Röntgen- oder Radiumtherapie? Zent. f. Gyn., 1913, Nr. 5. 

23) Bumm, Zur Kenntnis der Wirkung der Röntgenstrahlen. Zentralblatt 
für Gynäkologie 1912, Nr. 47, ferner derselbe, Berliner Medizinische Gesellschaft 
und Diskussion hierüber, ref. in der Münch. Med. Wochenschr. 1913, Nr. 22, 
S. 1235, ferner derselbe, Berliner klin. Woch. 1913, Nr. 22. 

3) Die parasitäre Ätiologie des Karzinoms habe ich schon 1908 eingehend 
vertreten: „Die operative Behandlung des Gebärmutterkrebses", Münch. Med. Woch. 
1903, Nr. 11 und 12. 


Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus usw. 263 


Für die Wirkung der Strahlentherapie auf Karzinome habe ich nun 
folgende Theorie aufgestellt: Durch die Strahlen werden die Erreger 
vernichtet; das umgebende, lympho- und leukozytenreiche Gewebe, das ich 
die „Kampfzone" nenne, wird dann leicht mit den Karzinomepithelien 
fertig (Deutsch. Gynäk.-Kongreß in Halle, Mai 1913). 

Gerade diese Tatsache wird durch einen im folgenden mitgeteilten 
Fall von Heilung eines Mammakarzinoms bestätigt. 


I. Röntgentherapie bei Karzinom des Uterus. 


In der Münchener gynäkologischen Universitätspoliklinik haben auf 
meine Veranlassung Dr. Hirsch und Dr. Monheim vom Mai 1911 bis 
Juni 1913 folgende Fälle von Uteruskarzinom mit Röntgenstrahlen be- 
handelt: 

13 Patientinnen nach Exstirpation des Kollum- oder Korpuskarzi- 
noms des Uterus, 
14 Patientinnen mit inoperablem Kollumkarzinom, 
rechnet man dazu die von Eltze und mir früher behandelten 
6 Fälle von inoperablem Kollumkarzinom, so ergibt das 


33 Fälle von Karzinom des Uterus. 


Wir haben die Röntgentherapie 

a) bei inoperablem Halskarzinom des Uterus, 

b) besonders nach Exstirpation des karzinomatösen Uterus, 
also prophylaktisch ausgeführt. 

Es ist naheliegend. anzunehmen, daß die Strahlen mit kleinen, viel- 
leicht nur mikroskopischen Karzinomresten leichter fertig werden, als mit 
den großen Massen eines inoperablen, die Parametrien usw. ausfüllenden 
Karzinoms. Ich lege deshalb auf prophylaktische Strahlenbehandlung 
nach Exstirpation des Uterus ganz besonders Gewicht. Es mag ja sein, 
daß schon in der nächsten Zeit die Heilung des Uteruskarzinoms durch 
Strahlentherapie allein, ohne vorausgehende Exstirpation des kranken Organs 
möglich ist; ja sie wäre das ideale Verfahren!). Aber ich meine, wir sind 
heute noch nicht so weit. Es ist aussichtsreicher, den großen Krankheits- 
herd vorher operativ zu entfernen. Wie die Myomotomie, so kann nach 
meiner Ansicht auch die Exstirpation des karzinomatösen Uterus 
noch nicht in die Rumpelkammer geworfen werden. 


Von unseren Fällen seien folgende hervorgehoben: 
Nr. 17 (der nachfolgenden Tabelle): 





t) Anmerkung bei der Korrektur: Diesen Standpunkt vertrat Döderlein 
in der Münch. gynäkol. Ges., Juni 1913, auf Grund seiner Erfahrungen mit 
Mesothorium. 


— un on a e ) — 


"$ etet ‘uur 
"uepIom uHgesodyne 1əporm uedunynig 'Bpjoy 
uoĝom 1098 eygnw *"ulopujf nz UEPIOMYOE 
-g BIP ‘yonsıeA wnz uouuodoq AUNyEIB 


m 


! 


-g Toqusedouf 'ysqoga A0XIRIS 10w , ‚(TT’OT ’OT "Up# outs "JsxepugoL'pqV) 
sup wuldua ‘pur ampızoy — wg ‘Zt g LTS | GT CI 9T | Sl ST EI |81 |ZI £ 6 WOUTIBIOUSPY BEI6ITI Ig |6 
uepunsqjyoay 'lqns (isgaJou) NATE : 
uezıouyos;doy ER annuun entry -UORBA [gu] nz RR _ (21 01 08 ee wopqy) , 
euloy “oyıoa a3 opunum ‘uea (giet g'ozi EI 9 °G GT TI 68 |GET | OTS; 9I E6 | 0 '8) LSIEIT| 18H |8 
"usepuyagjyoA\ '‘t4uOp10 j 
-19gnu [ang aino emoy ionet E en | (81 01 on "wopqY) 
-uj euy ‘ieur eqiwuuopeyag :EI6L 'T etf EI 9 P | ZT TP |FPTI |918) 8I 66 109 ‘89 9F | STT oS] L 


| 


'IGQSIOMÇIVU UONVJYU 4əPO ZU9,S SIY 

















auIey ZI6I ‘ZI SAU ZUO}8160} pun uone 
p eA E E A zued' Hore | (Z1 ‘1 '8 ‘do-moıpeny "uopqY) 
3qnuj3‘‘ “jeszopıemyoseq uewworoa 381 ud | ET '9 8 GT E 3T | Tos I OFE | OF GE ‘OTAJ UN) 6f | 89 FI |9 
(ZT ZT PI ISX SeA) 
oaj SI T TI SI T 8 GE |96 ! 9 9 i SIOTAIOD "&/) 9€ | LI| 3H |S 
‘AIpizoy uoy ‘nz wuu ‘aopiomyosog | (Z161 ‘zaq `3SxH-30 ‘urĝe g) ; 
~  lepeupy ‘qos qow yp :ET6I junr Zuvzjuy | ET 9 `F ST T 8 LET | IST EI cG | suol1od ‘80 GPI] TIM IF 
A ‘Apzog uoy SIIT g -dıysxj-'30], "uldeA) 
= ‘nd ıyos uepugeg "fang :gI6T qoq opuy | EI E SI | 81 SI 6I | OST j| Pl; PI 8I SIOTAIOD UQ EE] EST] AO JE 
hd (zi61 'AoN) 
do swieu21o A E 
(isojaqeiq) ‘qoa yo auna | ST TS ‘TE | STET 6 GIT | 98T! 8T 06 'SIOTAISO “BO €G | LTI] 18g |3 
; (21617 ‘to pun ap 'iyoooxg 
= “193 Aıpız34 A aa 
gior mp — ‘hugy “Iypooxg 'oqıwuuop 
-10yOg 190p ul OsIpizey ZI ‘OT g pun 'zı 2 08 | EI 'S 9 GI "L 98 | 076 G| TE cE | ‘STOJAJ3O 8C) 6f | S8 H jI 
= er] = 
Zunfyengsog] Zunfyeı1sog] F E pjesa Pay] (uopvIodo 'dsoı) >| 2 z 2 
99290] Jop uuldog S = S- (3unpyungsag| osouFelg "uıy T = + 5 n 
i u: 7 | -ua3yuoy | i i j 2 B 











-8n.19Y/) "WOUTZIEN SOp uopyedır)sxz uD8N 'V 
"EIG ZIY SJZUVJUV SQ ORJ OIsun INU JRYIUO OQUI OueqeJəJsne Iu uoa ‘GIGI IW ‘elle ur geıduoy-"X1guÄg 'yosynoq wep jne op) 
-uaydung JIUINI[OJ-8IENSIOAIUN) “[oyeuA3 [34 
ETGT NF sIq TI6T KR 
-HWOUIZIBY-SNIHIN OPIOPUVYIQ UAYBIJSUISJUO M NNM 


264 


265 


Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus usw. 


"Aunjpuryog] ur YIoN 


"ZI6T 1oquiezeg 4 


-ydeu uuep Jar Sunyanefornp one oqo yo 
-JUOSEM Junjywizsagj 109p yaru yə!s ONJ Wd 


“4 geist 'zeq opug 


"UEPIEA UENHÄHAFINR IEPOIA UEFUNINIET ION1WIS 


nuz uosoa oyynu 


uojyuijseg nZ YnsıeA 101 


8) 'p UosıjoR A) SOJNAUI® 


Joq ‘Jungynjg eutox ‘ZIGI 'ze(] 310S H0YLIOUEWMY 


wef 66 


"+ E161 
"UOPIEM 7779887107 Judıu Funjywı1s 


-og BIP EYuuox Junyujgg IeXınjs n2 uoo M 


"own, Joyjjemwn oqemeßepug wWoqgIep LOA 


‘mouzıey sepuey>nu[ uloy :EIGI 'Z 'QL 
ıanzzq 
‘2167 !apepug + 


"IIGT zoquıeaon 4 


"Zunjpuegeg ut UDoN 
-[01)8P1I9AY959q UHWWONTOA 
"uopugeqigom "fans 


'uonenjyug owog “wopugegiyom "fang 


—— 


ET 9 
el 
gT 
el 


uA 


A 


GT ` 


[ie] 


a  ı 


el 
ST ` 


GI 
ST 9 
GI L 
ET 9 
GI I 
SI'L 
118 


9 
Co 


'sI 


TI 
Og 


'8T 
€ 
"66 
'G 
"TE 


el 
ET 
ST 
gT 
€T 
TI 
gT 


GI 
GI 
GI 
GI 
GI 


GT 
m 


939 |6 
G Po jel 
7 9T JOE 
76 161 
E c | ool 
9 06 | 26 
T 66 |64 
18 Il 
OT PT | 286 
L P Ja 
L 718 | 
‘GT '6T | 9E 
9 9% | EI 
8 98 IG 


6E 





© 


= 


IT 


06 


RG 


66 
G 
F 
& 


| (EIGT ZIEW pun "np 'TyD0Ox7) 
| doug SIAII WA 9E 


(KIT AAT TYPO) 


| "doup SITATA RA cge 
| (EIHT IE INPOON) 
| "dour sI91A199 8O tr 
| (er pa poaxy 
| "doug Sraa 8A g9 





"Sj 19gnBy pUN 'PYIOIXT OWoujZIgVy-snIgA OqvIodour ‘Q 


ET `9 
&1 `g 
TI '8 
61% 


L 

6T 
"66 
‘cl 


€T 
£T 
H 


CIT 6 | s% Ids | 


97I/W 
S FPI |89 
1% aal 


68 
991 
gl 


| 


| 


| 


|, 
|, 
t 
| 


| 


| 


9 
01 
6 


6 
pI 


| -dour SID1A189 wA oe 

: (509x072) 

Ä -dout st91A199 8A 0% 

| (yPO9xS EL TI) 

| dour ‘daoo g3 ‘agao R) | HC 

| COX AT OL EE 

| CIPON ZTR S) 

i "dour SOAI3I 09 29 

(Bop poxy ZIB GZ) 

l "dour 'uoraod 0 FF 

(219 °T 3219 [nz uarposxa < g) 

| edout joo o ec 
(EI 2 CT 'TQDOOXZ) 

CSIO TID UDIR BWOUIIPY | SP 

| (BI TT 8a TPooxq) 

edout S@AI3d AN ZP 

| (SIGT wR ‘zwy Suvfp ppooxg) 

' edout SAJID Ni) cc 

| (OL CZT COZ TPO) 

edout Storadad A gF 

| (ot 'or 6r nsxommog mar) 

| SIITA.AIRD 8) 09 

(GT'T gI upe outs IsxopmoL'pqYV) 

| odao oRoouopy EG 

| (0161 'aoN "dansxopmo, mopy y) 

i 'uonod 'e:) 9g 


C UPR OUR SXIPO PAE ETIT IE) 
ĮdAjodopuog “upansouspyl og 


CLI 
L91 


~ 
ta 
5 
— 


LOT 
coI 


O8 
38 
EOT 
8L 
gI 


GLT 
RPT 


661 


‘S431 H] 


ur 


Yo 


Peg 


wong 


Lo 
96 
GG 
F6 
EG 
CC 


Io 


06 


6I 


-p ER 
v= —{ 


Gl 
el 


udang] TT 


wıMIOT 


266 Klein, 


48jährige Frau, inoperables malignes Adenoma cervicis, das linke 
Parametrium bis an die Beckenwand heran mit Tumor ausgefüllt; bei 
zweimaliger Excochleation im Februar 1912 wird jedesmal auch aus den 
tiefsten Partien malignes Adenom herausbefördert. 


Vom 31. Juli 1912 bis heute (Juni 1913) 29 abdominale und 20 vagi- 
nale Bestrahlungen in 211 Lichtminuten mit 142 X. Unter dem Einfluß 
der Bestrahlung wird der Tumor immer derber, die Jauchung hört auf, 
es bildet sich hartes, mit normalem Epithel überzogenes Gewebe, das 
einer Portio ähnlich sieht, die Parametrien werden gegen die Beckenwand 
hin allmählich freier, das Allgemeinbefinden ist ®/, Jahre nach der ersten 
Excochleation ein ausgezeichnetes, die Patientin blüht auf. 

Das ist noch keine Heilung, noch weniger eine Dauerheilung, aber 
ein auffallend günstiger Erfolg der Kombination von Excochleation 
mit Röntgenbestrahlung. 

Man kann einwenden, ähnliche Ergebnisse seien früher mit wieder- 
holter Excochleation und Kauterisation auch erzielt worden. Das ist 
richtig; aber bei entsprechend hoher Strahlenmenge haben verschiedene 
Autoren das günstige Ergebnis in einer früher nicht gekannten Schnelligkeit, 
Ausdehnung und Häufigkeit erreicht. 


Besonders günstig erscheint die prophylaktische Bestrahlung. Unsere 
Fälle 2, 3, 4, 6, 7, 8, 10, 11 und 12 zeigen diese Erfolge. Auch bei 
Korpuskarzinom (Fall 7, 8, 12) ist die günstige Einwirkung der Röntgen- 
strahlen nach vorangegangener Totalexstirpation ersichtlich. Allerdings 
kann man hier einwenden, dal Korpuskarzinome ohnedies eine günstigere 
Operationsprognose haben als Halskarzinome. 

Am wichtigsten aber erscheint mir unser Fall 1: 

49 jährige Frau mit Cervixkarzinom, Januar 1912 Wertheims 
Radikaloperation. Rezidive in den Scheidenwinkeln im Juli und 
Oktober 1912; beidemale Excochleation, Kauterisation, vor- und nachher 
Röntgentherapie; 35 abdominale und 31 vaginale Bestrahlungen in 
238 Lichtminuten mit 240 X. 

Noch im Juni 1913 (trotz der vorausgegangenen zwei Rezidive) 
ist die Kranke rezidivfrei, die Scheidennarbe glatt, beweglich, Parametrium 
und Parakolpium ohne jede Infiltration; Patientin ist geradezu aufgeblüht. 

Auch hier muß eine Reihe von Jahren noch abgewartet werden; wir 
bestrahlen die Patientin in größeren Zwischenräumen weiter. 

Es ist wohl kein Zufall, daß unter 21 Fällen von Uteruskarzinom 
sich so zahlreiche, geradezu auffallend gute Erfolge finden. Mit keiner 
anderen Behandlung war das früher möglich. Die 5 darunter vorge- 
kommenen Todesfälle (Fall 14, 15, 18, 20, 22) betreffen inoperable 


Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus usw. 267 


Karzinome. Der Tod ist aber nicht durch die Röntenbehandlung, sondern 
trotz derselben eingetreten, weil der Prozeß zu weit vorgeschritten war. 


Strahlendosis: Bei Karzinomen darf eine Strahlenmenge ange- 
wandt werden, welche unter Umständen Verbrennungen erzeugen könnte; 
wir selbst haben bei abdominaler Bestrahlung dank der Filtermethode 
Krönigs nie Verbrennungen erlebt. Bei vaginaler Behandlung mit Rönt- 
genstrahlen ist meines Wissens auch von anderen Ärzten — ebenso wie 
von uns — überhaupt nie eine Röntgenverbrennung beobachtet worden. 
Vielleicht handelt es sich um Epithelunterschiede, besonders bei dem immer 
feuchten und normal nicht verhornten Scheidenepithel. 


Bei 13 Frauen mit prophylaktischer Bestrahlung, also nach 
Exstirpation des Uterus und der erkrankten Umgebung, betrug die Strahlen- 
dosis bis 240 X, die Bestrahlungsdauer bis zu 240 Lichtminuten. Die 
Dosis ist geringer als sie von Krönig und Döderlein angegeben 
wurde und in der letzten Zeit haben wir sie auch allmählich gesteigert. 
Doch genügte diese Strahlendosis bisher, um alles das zu erreichen, was 
andere Autoren mit erheblich größerer Menge, ja sogar mit Kombination 
von Röntgen- und Mesothoriumstrahlen erreicht haben. 


Anwendungsdauer: Schwierig ist die Frage, wie lange soll man 
prophylaktisch nach erfolgter Totalexstirpation bestrahlen. Zeigte sich 
kein Rezidiv, so haben wir die Bestrahlungen alle 1—2 Monate doch 
wiederholt, inzwischen aber die Patientin regelmäßig untersucht. 


Wenn 1—2 Jahre lang kein Rezidiv auftritt, dann kann wohl die Zeit 
zwischen den einzelnen Bestrahlungsserien allmählich größer gemacht 
werden. 


Bei inoperablen Karzinomen gibt es anscheinend für Röntgenstrahlen 
keine Grenze der Dosis und der Anwendungsdauer. Hier darf und muß 
alles gewagt werden. Und wenn wir es nur erreichen, daß Jauchung, 
Blutung, Schmerzen aufhören oder erheblich vermindert werden, wenn wir 
ferner nur eine Verlängerung des Lebens bei gebessertem Befinden erzielen, 
so ist schon viel erreicht. Ausdrücklich muß hervorgehoben werden, daß 
wır je nach Lage des Falles auch wiederholt zwischen den Bestrahlungen 
excochleiren und kauterisieren. 


Überblickt man unsere Fälle, so kommt man zu dem Ergebnis: Soweit 
die Beobachtungsdauer von längstens 2 Jahren ein Urteil erlaubt, ist die 
prophylaktische Wirkung der Röntgenstrahlen nach vorhergegangener 
Exstirpation des kranken Organs sehr günstig; unter 12 Fällen (eine Frau 
entzog sich zu früh der Bestrahlung) nur einmal ein Rezidiv. Eine sichere 
Entscheidung wird allerdings erst getroffen werden, wenn alle operierten 
Frauen mindestens 5 Jahre lang in Beobachtung sind. Rechnet man die 


268 Klein, 


absolute Heilungsziffer nach meiner Aufstellung!) für alle deutschen 
ÖOperateure mit 8%, so muß es sich nach 5 Jahren zeigen, um wieviel 
besser die prozentualen Erfolge bei Kombination mit 
Röntgenstrahlen sind. 

Aber auch für inoperable Uteruskarzinome oder solche mit 
Rezidiven läßt sich schon der ausgezeichnete Einfluß der Röntgenstrahlen 
erkennen. In dem schon erwähnten Fall 1 unserer Tabelle ist die Patientin 
heute, also 1!/, Jahre nach der Radikaloperation trotz 2 Rezidiven 
rezidivfrei. 

Von den 14 inoperablen Karzinomen unserer Tabelle sind 5 zwar trotz 
der Bestrahlung gestorben. Hier hat es sich aber von vornherein um ganz 
desolate Zustände gehandelt; es sollte nur der Versuch gemacht werden, 
wenn irgend möglich, eine Besserung zu erzielen. Diese Besserung ist tat- 
sächlich bei 8 anderen Frauen erzielt worden. Ich habe schon immer be- 
tont, daß die Hauptaufgabe der Strahlentherapie nicht bei inoperablen und 
desolaten Fällen zu suchen ist. Trotzdem ist die Hoffnung nicht von der 
Hand zu weisen, daß auch hier ein weiterer Ausbau der Methode noch 
bessere Ergebnisse zeitigt. 


II. Mamma-Karzinom. 

Von Herrn Dr. Bruegel und Herrn Dr. Kästle wurden auf 
meine Veranlassung 3 Patientinnen mit Mammakarzinom röntgenisiert. 
Zwei davon waren inoperabel. Obwohl wir das wußten, habe ich, soweit 
es technisch möglich war, nach Amputation der Mamma die kranken 
Achseldrüsen entfernt. Danach begann sofort eine intensive Bestrahlung 
durch die genannten Herren, welche sich von den Kranken ausdrücklich 
die Erlaubnis geben ließen, stark zu bestrahlen, selbst auf die Gefahr hin, 
daß eine Hautverbrennung erfolge. Solche sind zwar nicht eingetreten, 
aber bei weiterer Bestrahlung doch möglich. 

Der Erfolg war ein relativ günstiger; in beiden Fällen ist zwar keine 
Heilung eingetreten, aber die in der Achselhöhle zurückgebliebenen Karzinum- 
massen sind fast knorpelhart, das Wachstum ganz entschieden verlangsamt, 
das Allgemeinbetinden leidlich. Es wurde also eine Besserung erzielt. 
Trotzdem muß aber ohne weiteres zugegeben werden, daß auch hier die 
Aufgabe der Strahlentherapie nicht bei weit vorgeschrittenen inoperablen 
Mammakarzinomen zu suchen ist, sondern bei operablen, sei es mit oder 
ohne Exstirpation des kranken Organs und der Drüsen. Am größten 
scheint mir auch hier die Aussicht zu sein, wenn nach der Operation 
prophvlaktisch bestrahlt wird. 

) Klein, Klinische und (resamtergebnisse der Operation des Gebärmutter- 
krebses. In „Der Frauenarzt“, 1909, Heft 2. 


-o EES ` TEDE TEN ETEN m 


Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus usw. 269 


Von größter Bedeutung ist aber folgender Fall, der trotz wieder- 
holter Rezidive doch als absolut geheilt zu betrachten 
ist, weilseitderMammaamputation schon mehr als5 Jahre 
verflossen sind. 
Frau Gu...., 49 Jahre, am 18. Dezember 1907 Amputation der 
linken Mamma, Adenokarzinom (Tafel IV, Figur 1). Achsel- 
drüsen frei von Karzinom. 
Im Bereiche der Narbe und ihrer nächsten Umgebung entwickeln sich 
in der Folge wiederholt Knötchen bis zu Linsengröße, welche exstirpiert 
werden und zwar: | 
am 20. November 1909, Figur 2, 
am 16. April 1910, Figur 3, 
am 2. März 1911, Figur 4; 

alle diese Knötchen zeigen Adenokarzinom. 

Vor und nach den einzelnen Rezidivoperationen wurde die Patientin 
durch Dr. Bruegel und Dr. Kästle intensiv bestrahlt; die beiden 
Herren werden über die Strahlendosis und Technik anderen Orts berichten. 

Die Bilder der Tafeln IV—VI sind durch Dr. Bux mikrophoto- 
graphisch ohne jede Retouche in sorgfältigster Weise hergestellt 
worden. 

Das erste Rezidiv gleicht im histologischen Bau noch dem Primär- 
tumor. Im 2. Rezidiv sind die Lumina des Drüsenkrebses größer ge- 
worden. Im 3. Rezidiv hat sich der Charakter der Geschwulst hochgradig 
geändert: sie ist stellenweise in Zerfall begriffen, in ihrer Umgebung 
(„Kampfzone“) sind große Lympho- und Leukozytenmassen angehäuft; die 
Epithelien sind vielfach nekrotisch gebläht. 

Am 9. Dezember 1911 wurde abermals ein Knötchen und zwar das 
letzte exzidiert (Figur 5 und 6): es enthält kein Karzinom mehr. 
Im allgemeinen besteht es aus äußerst kernreichem Bindegewebe, also 
Granulationsgewebe; nur an einzelnen Stellen sieht man spärliche Reste 
von nekrotischem Epithel (Figur 5 bei*); eine solche Stelle ist in Figur 6 
stärker vergrößert. Von drüsigem Bau ist keine Spur mehr vorhanden. 
Bei der letzten Untersuchung im Mai 1913 ist Patientin vollkommen 
rezidivfrei; sowohl die Hautnarbe als ihre Umgebung, ihre Unterlage 
und die Achselhöhle sind vollkommen frei. 

Das ist der einzige mir bekannte Fall einer Dauerheilung 
nach 5!/, Jahren trotz dreimaliger Bildung von Rezidiven. 


III. Adenom und Karzinom des Ovarıums. 


In 6 Fällen wurde bisher nach Exstirpation von Adenomen, malignem 
Papillom oder Karzinom des Ovariums nachträglich mit Röntgenstrahlen 


270 Klein, 


behandelt, weil es sich um nicht radıkal operable Fälle gehandelt hatte. 
Reste des schon disseminierten malignen Tumors ließen sich vom Peritoneum 
parietale und viscerale nicht vollkommen entfernen. Von den Kranken 
wurden drei durch Dr. Bruegel und Dr. Kästle, drei durch Dr. Hirsch 
und Dr. Monheim in unserer gynäkologischen Poliklinik bestrahlt. 

Auch bei malignen und nicht sicher im Gesunden operierten Tumoren 
des Ovariums ist die prophylaktische Strahlenbehandlung sicher berechtigt. 
Besonders trifft das zu, wenn sicher Tumorreste in der Bauchhöhle zurück- 
geblieben sind. Die Beurteilung des Erfolges ist hier allerdings sehr 
schwierig. Man kann nicht wie bei Halskarzinomen des Uterus immer 
wieder Probeexzisionen vornehmen. Bleiben die Frauen dauernd gesund, 
so ist das noch kein Beweis für die Wirkung der Strahlentherapie. 

Eine sichere Wirkung konnten wir aber in solchen Fällen beobachten, 
in welchen größere Greschwulstmassen in der Bauchhöhle zurückgeblieben 
waren, und der weitere Verlauf unter der Röntgenbestrahlung doch erheb- 
lich günstiger war als früher ohne eine solche. Der folgende Fall ist ein 
Beispiel dafür: Bei einer 34 jährigen Frau wurde im Oktober 1911 bei 
einem weit vorgeschrittenen Ovarialkarzinom koiliotomiert: blutiger Aszites, 
die Tumormassen füllen das kleine Becken aus, metastatische Knötchen 
fanden sich schon auf der Dünndarmserosa. Soweit es technisch möglich 
war, wurden die Tumormassen entfernt und bald danach mit dem Röntgeni- 
sieren durch Dr. Bruegel und Dr. Kästle begonnen. Anfangs schien der 
Tumor kaum weiterzuwachsen; es bildete sich zwar reichlich Aszites, aber 
die Zwischenräume zwischen den einzelnen Punktionen wurden immer 
größer. Zuerst vierwöchentliche Punktion, zuletzt viermonatliche. Seit 
einem Jahre wächst der Tumor, aber er hat eine derbe, fast knorpelharte 
Konsistenz und unterscheidet sich im Tastbefund durchaus von dem sonst 
gewohnten eines markigen aus Knötchen zusammengesetzten Tumors. 

Auch hier ist die Tiefentherapie erst in ihren Anfängen entwickelt; 
Heilungserfolge sind bei günstiger gelagerten Fällen inzwischen von anderer 
Seite schon beschrieben worden (v. Franqu&6, Seeligmann, Deutscher 
Gynäkologen-Kongreß in Halle 1913). 

Von Bedeutung ist auch das Sensibilisieren der Tumoren für 
Tiefenbestrahlung, die Diathermie usw. nach Chr. Müller-Immenstadt.!) 


Aus unseren Beobachtungen ergibt sich folgendes: Die Rönt- 
gentherapie stellt ein neues Mittel im Kampfe gegen das Karzinom, 


1) Christoph Müller, Therapeut. Erfahrungen an 100 mit Kombin. von 
Röntgenstrahlen und Hochfrequenz, resp. Diathermie behandelten bösartigen Neu- 
bildungen. Münch. med. Woch., Nr. 28, ferner derselbe in der Münch. gynäk. 
Ges., 13. März 1913 und 19. Juni 1913, 


nn nn ee ER TE OS E AR EET 


Röntgenbehandlung bei Karzinom des Uterus usw. 271 


auch für die inneren Organe, besonders des Uterus und der Ova- 
rien dar. 

Mit keinem anderen Mittel war es bisher möglich, gleich günstige 
und gleich schnelle Erfolge zu erzielen. Am besten sind heute die Aus- 
sichten, wenn die Strahlentherapie prophylaktisch, also nach Exstirpa- 
tion des kranken Organs und der kranken Umgebung angewandt wird. 
Aber auch bei inoperablen Tumoren ist heute schon ein günstiger Erfolg 
in zahlreichen Fällen zu beobachten. Die Hoffnung ist begründet, daß wir 
in einer nicht zu fernen Zeit auch inoperable Fälle (wenn sie nicht schon 
desolat sind, Metastasen an anderen Organen hervorgerufen haben usw.), 
der Heilung näherbringen können. 

Nach meinen Erfahrungen erscheint es heute noch besser, vorher 
zu operieren und dann zu bestrahlen, als auf die Operation zu ver- 
zichten. Aber auch hier bringt vielleicht eine nahe Zeit die Möglichkeit 
der operationslosen Heilung tiefliegender Karzinome. 

Ist auch die Wirkung von Mesothorium anscheinend noch intensiver, 
schneller und einfacher, als die der Röntgenstrahlen, so erscheint es 
heute doch mindestens für die, welche kein Mesothorium besitzen, als ein 
Recht, ja als Pflicht, die Röntgentherapie — sei es mit vorhergehender 
Operation bei operablen oder ohne sie bei inoperablen Fällen — intensiv 
anzuwenden. 


(Aus der Kgl. Frauenklinik Dresden; Direktor: Prof. Dr. E. Kehrer.) 


Erfahrungen mit der Röntgen-Tiefentherapie. 
Von 
Dr. Fritz Weitzel, Assistenzarzt. 


eit Anfang Oktober 1912 wird in der Dresdener Frauenklinik die 

Röntgentiefentherapie in größerem Maßstabe angewandt. In kurzem 
sei über die Resultate berichtet, die wir bis 1. Mai 1913 erzielt haben. 

Da neben der Indikationsstellung die Bestrahlungstechnik wohl der 
Hauptfaktor zur Erzielung eines sicheren raschen Erfolges bei der Röntgen- 
tiefentherapie ist, sei eine kurze Beschreibung der bei uns üblichen Technik 
vorausgeschickt. 

Wir wenden die Felderbestrahlung an und bestrahlen durch 8 Ein- 
gangspforten von 7 cm Durchmesser, die gleichmäßig auf dem Abdomen. 
von der Symphyse aufsteigend, rechts und links verteilt werden. Vom 
Rücken aus bestralilten wir bisher nicht, da die meisten Patienten das 
Liegen auf dem Abdomen sehr lästig empfinden und da die acht der vorderen 
Bauchwand entsprechenden Eingangspforten zur wirksamen Strahlenapplika- 
tion in unseren bisherigen Fällen genügten. 

Die Röhrenhärte — wir benutzen zur Messung derselben den Apparat 
von Benoist — beträgt 7—9 Benoist, die Sekundärbelastung 4—5 Milli- 
ampere. Bei einem Fokushautabstand von 18 cm wird ein Aluminium- 
filter von 3 mm Dicke benutzt. Die Patientin wird vollkommen mit Blei- 
schutzstoff abgedeckt. Die Röhre ruht in einem Bleiglasmantel, so daß 
jede Schädigung durch vagabundierende Strahlen ausgeschlossen ist. Zur 
Messung der verabreichten Dosis benutzen wir das Kienböck sche Ver- 
fahren. 

Die Patientin wird an zwei aufeinander folgenden Tagen durch je 
4 Eingangspforten bestrahlt und zwar geben wir immer je eine Erythem- 
dosis, was etwa einer Bestrahlungsdauer von 5—7 Minuten entspricht. 
Eine Sitzung erfordert also eine halbe bis ®/, Stunde (das Einstellen 
usw. inbegriffen), was selbst den empfindlichsten Patientinnen nicht un- 
angenehm ist. In einer Serie erhält die Patientin 80 X, die einzelnen 
Serien lassen wir in einem Zeitraum von 14 Tagen — neuerdings, seitdem 
wir Hautschädigungen nicht mehr fürchten, 10—12 Tagen — aufeinander 
folgen, ohne dabei Rücksicht auf den Zeitpunkt des Eintritts der Periode 
zu nehmen. 


Weitzel, Erfahrungen mit der Röntgentiefentherapie. 973 


Was das Instrumentarium anlangt, so benutzen wir den Dessauer- 
schen Reformapparat, der es neben anderen Vorzügen erlaubt, zwei Röhren 
zu gleicher Zeit zu benutzen, was sich bei größerer Patientenzahl durch 
die Zeitersparnis sehr angenehm bemerkbar macht. Die Röhren werden 
bei intensivster Benutzung sehr wenig angegriffen. Nach mannigfaltigen 
Versuchen mit allen möglichen Systemen erwiesen sich die Müller-Wasser- 
kühlröhren und Veifa-Wasserkühlröhren für die Tiefentherapie als beson- 
ders geignet. 

Alles in allem haben wir also vorerst einen Mittelweg zwischen der 
Hamburger und Freiburger Richtung eingeschlagen, in der. Absicht, mög- 
lichst rasch unsere Patienten zu heilen, ohne sie aber dabei einer event. 
Spätschädigung auszusetzen. 

Bestrahlt wurden bis 1. Mai 1913 im ganzen 64 Patientinnen, von 
denen sich 30 noch in Behandlung befinden. 

Zwei Patientinnen wurden nach Amputatio mammae prophylaktisch be- 
strahlt. Ein Rezidiv ist noch nicht aufgetreten, jedoch erlaubt die Kürze 
der seit der Operation verstrichenen Zeit noch keinen Schluß auf einen 
etwaigen Erfolg. 

Abgeschlossen ist die Behandlung bei 21 Myomkranken, 5 Patien- 
tinnen mit hämorrhagischer Metropathie und 2 Fällen von Dysmenorrhoe. 

Von den 21 Myomkranken wurden 20 amenorrhoisch. Bei einer Pa- 
tientin stellten wir nach der 5. Serie eine ziemlich starke Wachstumszunahme 
fest. Bei der wegen Verdacht auf sarkomatöse Degeneration alsbald vor- 
genommenen supravaginalen Amputation fand man in einem kindskopfgroßen 
Uterus myomatosus einen breiten, die Mukosa vorwölbenden Myomknoten, 
der an zahlreichen Serienschnitten nirgends maligne Degeneration zeigte. 

Das Alter der übrigen 20 Fälle schwankt zwischen 38 und 53 Jahren. 
Indiziert war die Behandlung in den meisten Fällen durch die starken 
Blutungen, in einigen wenigen Fällen durch Schmerzen und geringe 
Druckerscheinungen. . 

Bei allen Patientinnen, die an unregelmäßigen Blutungen leiden, 
schicken wir prinzipiell der Röntgenbestrahlung eine Probekurettage voraus, 
um karzinomatöse Prozesse der Uterusschleimhaut auszuschlieljen. 

Amenorrhoe trat im Durchschnitt nach 2,1 Monaten auf ohne Einfluß 
des Alters der Patientin. So erzielten wir bei unseren beiden jüngsten Myom- 
‚patientinnen von 38 und 39 Jahren bei der einen erst nach 4!/,, bei der 
anderen schon nach 1?/, Monaten Amenorrhoe. Ob ein Adnextumor, der 
bei der ersten Patientin neben dem Myom bestand, etwas zur Verzögerung 
des Eintritts der Amenorrhoe beigetragen hat, läßt sich mangels anderer 
gleichartiger Fälle nicht sagen, ist aber nach Beobachtungen von anderer 
Seite wahrscheinlich. Im Durchschnitt erhielten die Patienten 5—600 X 

Strahlentherapie Band III, Heft 1. 18 


274 Weitzel, 
in 7,4 Serien. Wir bestrahlen so lange, bis die Periode 8 Wochen aus- 
gesetzt hat. In 14 Fällen war eine deutliche Verkleinerung des Myoms 
zu erkennen, in 2 Fällen war das Kleinerwerden des Tumors sogar ganz 
bedeutend. Zwei kleinmannskopfgroße Myome wurden kleinfaust- bezügl. 
ginseeigroß. In 5 Fällen verschwanden zwar die Symptome, die Größe 
des Tumors wurde aber nur wenig beeinflußt. 

Nach der ersten Serie tritt in einigen wenigen Fällen die folgende 
Periode stärker wie gewöhnlich auf, nimmt aber nie einen bedrohlichen 
Charakter an. Im Verlaufe der weiteren Serien verschwinden zuerst die 
intermenstruellen Blutungen, die Periode wird regelmäßig, um schließlich 
ganz zu sistieren. Hand in Hand damit geht eine Besserung des All- 
gemeinbefindens, der Hämoglobingehalt nimmt zu und die ev. vorhanden 
gewesenen Druckerscheinungen lassen mit der beginnenden Schrumpfung 
des Myoms nach. Die Patientinnen sind im klinischen Sinne geheilt. 

Wie bei den Patientinnen mit Myom, so wurden auch in den 5 Fällen 
von hämorrhagischer Metropathie die Blutungen vollkommen zum Stillstand 
gebracht. Hier erzielten wir in durchschnittlich 1,4 Monaten Amenorrhoe 
mit 3,6 Serien = 250—300 X. Bei Patientinnen, die in der Nähe der 
Menopause standen, bemerkten wir eine schnellere Wirkung der Bestrah- 
lung als bei jüngeren Frauen, im Gegensatz zu unseren Erfahrungen bei 
Myom. 

In zwei Fällen von Dysmenorrhoe bei Frauen im Alter von 21 und 
34 Jahren konnten wir durch Bestrahlung ebenfalls günstig einwirken. 
Nach 6 bezügl. 7 Serien trat Oligomenorrhoe auf mit Verschwinden der 
Schmerzen bei der einen und bedeutender Besserung der Schmerzen bei 
der anderen Patientin. 

Interessant ist noch folgender Fall. Eine Patientin mit Myom hatte 
kurz vor der ersten Bestrahlung konzipiert. 14 Tage später nach der 
ersten Sitzung der zweiten Serie stellte sich eine starke Blutung ein und 
das 4 Wochen alte Ei wurde ausgestoßen. In diesem Falle wurde also 
ein Abort, wenn auch unbeabsichtigt, erfolgreich durch die Röntgenbestrah- 
lung eingeleitet. 

Typische Ausfallserscheinungen bemerkten wir in etwa der Hälfte 
aller Fälle, doch stets — von 3 Fällen abgesehen — von nur geringer 
Intensität. Blasen- und Darmstörungen sahen wir bis jetzt ebenso wenig 
wie Hautschädigungen. Nach mehreren Serien trat in der Regel an den 
bestralilten Hautpartien eine mehr oder weniger starke, meist aber ganz 
seringgradige Pigmentierung auf, die keinerlei Erscheinungen machte und 
nach Schluß der Behandlung in einigen Wochen verschwand. 

In Betreff der Indikationsstellung stehen wir auf Grund unserer Er- 
fahrungen auf folgendem Standpunkt: 


Erfahrungen mit der Röntgen-Tiefentherapie. 275 


Intramurale, nicht gestielte subseröse und nicht gestielte submuköse 
Myome sind zur Röntgentherapie geeignet. Gestielte subseröse, sowie ge- 
stielte submuköse Myome werden operiert. Starke Blutung ist keine Gegen- 
indikation zur Bestrahlung, da die Erfahrung gelehrt hat, daß die inter- 
menstruellen Blutungen schnell schwächer werden und verschwinden. 

Sehr günstig werden außerdem die hämorrhagischen Metropathien be- 
einflußt, unter diesen vor allem die klimakterischen Blutungen. 

Bei hartnäckigen Fällen von Dysmenorrhoe wird sich ev. mit der 
Röntgenbestrahlung ein Erfolg erzielen lassen, wie nach den zwei geheilten 
und gebesserten Fällen zu erwarten ist. 

Zusammenfassend kommen auch wir mit den anderen Autoren zu 
folgendem Schluß: Wenn man sich mit allen Hilfsmitteln vor Fehldiagnosen 
zu schützen sucht, wenn man grundsätzlich alle Patientinnen mit unregel- 
mäßigen Blutungen vor Einleitung der Rönten-Tiefentherapie einer Probe- 
kurettage zur Ausschließung des Karzinoms unterzieht, und während der 
Behandlung alle Pat. dauernd kontrolliert, kann man mit der Röntgen- 
Tiefentherapie ohne Gefahr für die Patientinnen in den meisten Fällen 
eine völlige Heilung in klinischem Sinne bei Myom und hämorrhagischer 
Metropathie und außerdem eine beträchtliche Größenreduktion der Myonıe 
erzielen. 


18* 


Aus der Kgl. Universitäts-Frauenklinik zu Breslau. (Dir. Geheimrat Prüf. 
Dr. O. Küstner.) 


Zur Röntgentiefentherapie. 
Von 
Privatdozent Dr. Fritz Heimann, 
Assistent der Klinik. 


ie Erfolge der Röntgentherapie, besonders bei Myomen und metritischen 

Blutungen, die jetzt von allen Seiten bekannt gegeben werden, sind einzig 
und allein der verbesserten Technik zu verdanken. Der Freiburger Schule ge- 
bührt das Verdienst, hier bahnbrechend gewirkt zu haben. Noch vor mehreren 
Jahren hätte man es als ein enormes Wagnis angesehen, die Erythemdosis zu 
überschreiten und heute wird von sehr vielen Röntgentherapeuten das 10-. 
ja das 10Vfache einer Erythemdosis in einer Sitzung verabreicht. Dieses 
Vorgehen ist aber auch vollkommen gerechtfertigt. Man sah eben, dab 
man mit der früheren Methodik nicht genügend Fortschritte machte: die 
Versager, die Miberfolge häuften sich, ein Diskreditieren der Röntgen- 
tiefentherapie wäre die unausbleibliche Folge gewesen. Aus diesem Grunde 
wurde an Verbesserungen gearbeitet. Die Röhre wurde stärker belastet. 
statt mit 2—3 M.-A. bestrahlt man jetzt mit 5—10 M.-A. Der Fokus- 
Haut-Abstand, der bei Albers-Schönberg noch 38 cm betrug, wurde 
auf 20 cm. also fast um die Hälfte verringert. Die Einfallspforten wurden 
vermehrt und schließlich ist es noch ganz besonders der Einführung der 
dickeren Aluminiumfilter zu danken, daß wir ohne jedes Risiko die hohen 
Dosen applizieren können. Wie jeder, der sich mit Röntgentherapie be- 
schäftigt, anfangs recht vorsichtig und niedrig dosiert und erst durch seine 
Miberfulge geleitet, die Methodik verschärft, so haben auch wir an der 
Breslauer Klinik gewissermaßen klein angefangen, ehe wir uns zu unserer 
augenblicklichen Technik durchgearbeitet haben. Unser Rekordinstrumen- 
tarium haben wir von der Firma Reiniger, Gebbert & Schall bezogen, der 
Induktor hat eine Funkenlänge von 50 cm. In der ersten Zeit haben 
wir den elektrolytischen Wehneltunterbrecher und den mechanischen Rekord- 
unterbrecher der Firma Reiniger, Gebbert & Schall benutzt, für so hohe 
Belastungen reichen jedoch diese beiden nicht mehr aus, infolgedessen hat 
jetzt die Firma einen Gasunterbrecher konstruiert, der sich zur Zeit vor- 
züglich bewährt. Selbstverständlich benutzen wir auch den sogenannten 


Heimann, Zur Röntgentherapie. 277 


Rhytlımeur, der den Primärstrom nur ca. 100-150 mal in der Minute 
unterbricht und so der Antikathode Gelegenheit zum Abkühlen gibt. 
Hierdurch ist es bei der starken Inanspruchnahme der Röhren überhaupt 
nur möglich, sie einigermaßen konstant zu erhalten. Wir benutzen fast 
ausschließlich die Müllerschen Wasserkühlröhren, sowohl die Rapid- 
als die Penetransröhre da die sonst sehr brauchbaren Gundelach-Röhren 
sich bei langem und intensivem Gebrauch zu schnell erhitzen. Für die 
Müller-Röhren habe ich mir eine Dauerspülung anfertigen lassen — 2 Flaschen, 
die auf einem Holzgestell hoch bezw. tief gestellt werden können und mit dem 
Wasserbehälter der Röhre durch einen Gummischlauch verbunden sind — 
die es ermöglicht, fortwährend kühles Wasser der Antikathode zuzuführen. 
Die Härte beträgt ca. 10 Wehnelt. Die Regenerierung geschieht mittels 
der Gasfernregulierung. Die genaueste Ausdosierung der Röhren ist selbst- 
verständlich, ja es empfiehlt sich sogar, die Ausdosierung alle 8—10 Tage 
zu wiederholen, um sich recht gewissenhaft von der Konstanz der Röhre 
zu überzeugen. Mit der Belastung sind auch wir in letzter Zeit wesent- 
lich höher gegangen; wir haben natürlich ebenfalls mit 2 M.-A. angefangen, 
arbeiten aber jetzt bereits mit 7!/, M.-A., um die Zeit für die Erythem- 
dosis möglichst abzukürzen. Als Dosimeter kommen bei uns die Sabouraud- 
Noire-Tabletten u. das Kienböcksche Quantimeterverfahren in Anwendung. 
Beim Ausdosieren werden beide Methoden verwendet, später wird bei der 
Bestrahlung meist nur zur eigenen Kontrolle ein Kienböckstreifen unter- 
gelegt; allerdings empfiehlt es sich bei vaginalen Bestrahlungen, nur die 
Tabletten anzuwenden. Im übrigen halte ich die jedesmalige Anwendung 
eines Dosimeters nicht für so unbedingt nötig. Wenn man seine Röhre 
genau geeicht hat und sie kennt und die Ausdosierung von Zeit zu Zeit 
wiederholt, so wird man Fehler in der Dosierung mit Sicherheit vermeiden 
können. Selbstverständlich werden Filter verwendet und auf Grund der 
überzeugenden Versuche von Gauss u. a. haben wir uns jetzt ausschließ- 
lich dem 3 mm dicken Aluminium zugewendet und haben bisher auch 
nicht die geringste Schädigung erlebt. Der Fokus-Haut-Abstand beträgt 
20 cm. Wir benutzen einen quadratisch geformten Tubus von ca. 6 cm 
Länge und 7 cm Breite, der auf die Haut aufgesetzt wird und mit Hilfe 
des Filters eine Kompression gestattet. Auf andere desensibilisierende 
Methoden verzichten wir. Mit dieser Technik gelingt es uns, in 
10—12 Minuten die Erythemdosis zu erreichen. Die Einfalls- 
pforten haben wir auf 8 vermehrt. Abdomen 5, Rücken rechts und links, 
und eventl. namentlich bei Karzinom von der Vagina aus. Jede dieser 
Stellen erhält ®/, Erythemdosis — eine Serie. Drei derartige Serien werden 
gewöhnlich ohne Pause gegeben, nach der 3. Serie wird eine solche von 
3—4 Wochen eingeschoben. 


278 Heimann, Zur Röntgentiefentherapie. 


Klinisch handelt es sich bei den Frauen, die bei uns einer Röntgen- 
behandlung unterzogen werden, meist um Myome und metritische Blutungen. 
In jüngster Zeit werden besonders auch Karzinome namentlich in Kombi- 
nation mit Mesothorium bestrahlt. Wir verfügen bis heute über eine Er- 
fahrung von ca. 40 Fällen. Was zunächst die Myome anlangt, so haben 
wir noch keine Versager gesehen, d. h. wir brauchten niemals eine Patientin 
wegen erfolgloser Behandlung später noch der Operation zu unterziehen. 
Allerdings stellen wir für die Strahlenbehandlung eine recht enge Indikation. 
Stark ausgeblutete Frauen kontraindizieren aber nicht die Behandlung: 
seitdem wir mit hohen Dosen arbeiten, brauchen wir das sogenannte Reiz- 
stadium, das sicherlich auch die in der Literatur beschriebenen Todesfälle 
verursacht hat, nicht mehr zu fürchten. Ich will sonst auf die klinische 
Seite hier nicht näher eingehen. Nur noch ein Wort zur Größe der 
Dosis und der Dauer der Behandlung. In letzter Zeit verabreichen wir 
ca. 200—250 X und brauchen dafür 2 Monate. In allen Fällen trat dann 
die gewünschte Amenorrhoe ein. Stets konnte eine Schrumpfung der 
Tumoren konstatiert werden. Als Kontraindikationen gelten auch beı uns 
wie bei anderen Röntgentherapeuten gerade in Ausstoßung begrifiene 
Myome, Verjauchung und Vereiterung, Komplikationen von Seiten der 
Adnexe usw. Junge Frauen werden der Röntgentherapie möglichst fern- 
gehalten. 

Was ich bisher über die Therapie der Myome gesagt habe, gilt im 
vieler Beziehung auch für die metritischen Blutungen, bei denen wir eben- 
falls sehr gute Erfolge haben. Hier ist nur ein Punkt zu beachten, niim- 
lich ein Corpuskarzinom nicht zu übersehen und daher wird auch jede 
Patientin vor der Bestrahlung abradiert und das Geschabsel mikroskopisch 
untersucht. Bei Malignität wird sofort operiert. Natürlich werden nur 
solche Frauen bestrahlt, bei denen die Abrasio allein keine Heilung herbei- 
geführt hat, es handelt sich ja meist um Patientinnen, die bereits 3 oder 
4 mal erfolglos ausgekratzt worden sind. 

Von Karzinomen werden bei uns nur inoperable Fälle und operierte 
post operationem einer Strahlenbehandlung (Röntgen und Mesothorium) 
unterzogen. Wir stehen mitten in diesen Versuchen und daher läßt sich 
zurzeit noch nichts Abschließendes sagen; über Technik sowie Erfulge 
soll später berichtet werden. 

Jedenfalls muß schon heute ausgesprochen werden, daß wir mit der 
Strahlentherapie ausgezeichnetes leisten können, wenn sie uns auch noch 
nicht, wie von mancher Seite gesagt wird, die Operation ersetzt. 


Aus der Frauenklinik der Universität Tübingen (Vorstand Professor 


Sellheim). 
Theoretisches und Praktisches zur Röntgentiefentherapie. 
Von | 


Privatdozent Dr. Ernst Holzbach. 


ie überraschenden Fortschritte, welche durch die Entwicklung der 

Filtertechnik in der Strahlentherapie erzielt sind, mußten dazu an- 
regen, die bisher außerhalb des Organismus, auf der Körperoberfläche vor- 
genommene Filterung der Strahlen einmal systematisch im Gewebe selbst 
zu versuchen. Denn rein theoretisch betrachtet konnte kein Zweifel sein, 
daB dieselbe Beeinflussung der Strahlen, die wir erreichen, wenn wir das 
Primärstrablenbündel beim Austritt aus der Röhre durch eine Metallplatte 
schlagen lassen, auch überall im Körperinnern selbst stattfindet, wo ein 
Widerstand in die Strahlenbahn eingeschaltet wird. Der praktische 
Nutzen sollte darın bestehen, daß penetrierende Strahlen im 
Gewebe selbst aufgehalten, daßeine starke Sekundärstrahlung 
in loco erzielt und das zu beeinflussende Organ damit gewisser- 
malen seiner Umgebung gegenüber sensibilisiert werden sollte. 
Den Vorteil schien dieses Verfahren vor der einfachen Filterung der 
Primärstrahlung ganz speziell vorauszuhaben, daß die ins Gewebe ein- 
fallenden (harten) Strahlen an Ort und Stelle nochmals beliebig verändert 
werden konnten: sie konnten durch entsprechende Auswahl der ins Gewebe 
zu injizierenden filternden Substanzen in ihrer biologischen Wirkung be- 
einflußt, weicher und härter gemacht werden. 

Es erhebt sich hier zunächst die Frage nach den physikalischen Grund- 
laxen für ein derartiges Vorgehen, das wir rundweg einmal „Filterung 
im Gewebe“ nennen wollen. Und da zeigt sich, wie mir Besprechungen 
mit dem Physiker Edgar Meyer ergaben, daß die Situation wesentlich 
komplizierter ist, als wie dies von vornherein den Anschein hat. 

Gehen wir davon aus, daß jeder von Röntgenstrahlen getroffene Körper 
eine Sekundärstrahluug emittiert, so finden wir auf der Rückseite einer 
Metallplatte, deren Vorderfläche vom primären Strahlenbündel getroffen ist, 
wei Arten von Strahlen: die direkt penetrierenden harten Strahlen des 
Primärbündels, und die im Metall erregten Sekundärstrahlen. Nicht mehr 
angetroffen werden die weichen (@- und weichen ß-)Strahlen des primären 
Bündels: sie sind im Metall absorbiert. Ob sich die penetrierenden 
Strahlen bezüglich ihrer Intensität genau so verhalten wie die ihnen ent- 


980 Holzbach, 


sprechenden Strahlen im primären Strahlenbündel — also vor dem Durch- 
tritt durch das Metall — scheint noch nicht ganz geklärt. Während 
Barkla und Crowther annahmen, daß sich an deren Energie — und 


das bedeutet für uns den Prozent der Absorbierbarkeit im Gewebe — gar- 
nichts ändere, scheinen neuere Untersucher hier zweifelhaft geworden zu 
sein. Speziell Gauß’ Untersuchungen scheinen eine andere Deutung zu- 
zulassen, und er nimmt in der Tat so etwas wie eine Anreicherung der 
Strahlen, also eine Intensitätszunahme in der durchschlagenen Metallschicht 
an: das Filter absorbiert also nicht nur weiche Strahlen; es härtet an- 


scheinend die penetrierenden und macht sie dadurch penetrationsfähiger! 

Ob eine derartige spontane Energiezunahme theoretisch überhaupt denkbar 
ist, das zu erörtern kann meine Aufgabe nicht sein. Die rohen vorliegenden 
Messungen dürfen uns da nicht zuviel bedeuten, umsoweniger als die während 
der Bestrahlung fortgesetzt, und zwar meist im Sinne einer Zunahme, sich än- 
dernde Energie des primären Strahlenbündels dabei gar nicht berücksichtigt ist. 
Ungezwungen erklärt sich die Zunahme der Penetrationsfähigkeit für die speziellen 
Verhältnisse des Aluminiums — und die lagen ja Gauß vor — nur, wenn 
wir die Sekundärstrahlung heranziehen. Nach Whiddington emittiert das Alu- 
minium eine charakteristische Sekundärstrahlung, deren Durchdringungs- 
vermögen das der erregenden primären Strahlung erheblich über- 
trifft. 


Viel wichtiger für unsere Fragestellung ist das Verhalten eben dieses 
im bestrahlten Medium neu entstehenden Strahlenanteils, der Fluoreszenz- 
strahlung oder charakteristischen Sekundärstrahlung. Der Wert 
dieser für jedes Element spezifischen Strahlung ist genau bekannt, wenig- 
stens so weit das Element ein Atomgewicht von über 27 besitzt (cf. Pohl, 
Physik der Röntgenstrahlen, S. 80f.). Der Absorptionskoeffizient schwankt 
zwischen Bruchteilen von 1 und mehreren Hundert, ist z. B. sehr grol) 
für das Aluminium, kleiner für Eisen, sehr klein für Silber usw. Darin 
liegt für die praktische Ausnützung ein eminenter Vorteil. Das Penetra- 
tionsvermögen der Primärstrahlen muß „etwas größer“ sein als das der 
auszulösenden charakteristischen Sekundärstrahlung, wenn eine solche über- 
haupt erregt werden soll. Wir haben also weitgehende Bewegungsfreiheit 
dadurch, dal wir jeweils den Absorptionskoeffizienten der Fluoreszenz- 
strahlung mit dem der Primärstrahlung in Beziehung setzen. Die Variation 
geschieht für erstere durch Wechsel innerhalb der zur Verfügung stehen- 
den Elemente — vom Aluminium bis zum Wismut — für letztere durch 
Verwendung verschieden harter Röhren resp. Filter. Ja wir können noch 
weiter gehen. Da wir wissen, daß ein großer Teil des primären 
Strahlengemisches aus der charakteristischen Sekundärstrahlung 
des Antikathodenmetalls besteht (vgl. Pohl, S. 100), so brauchen 
wir nur mit verschiedenen Antikathodenmetallen zu arbeiten, um noch 
ungleich reichlicher und feiner variieren zu können. Nur müssen wir 


Theoretisches und Praktisches zur Röntgentiefentherapie. 98 


dann die Tatsache berücksichtigen, daß die Antikathode für Filter aus 
dem gleichen Metall, eine Platinantikathode also z. B. für Platinblech ein 
„besonderes Durchdringungsvermögen“ besitzt (bis zu 100%!). Da uns 
die Lehrbücher für die Durchlässigkeit der einzelnen Metalle bei ver- 
schiedenen Antikathoden genaue Tabellen an die Hand geben, so können 
Unzweckmäßigkeiten hier leicht vermieden werden. 

Was nun für uns praktisch so wichtig ist, das ist die „selektive 
Absorption“. Aus den Untersuchungen von Sadler und Steven, Walter, 
Seitz u. a. wissen wir, daß bestimmte Metalle in der Lage sind, nicht 
etwa bloß weiche Strahlen abzufangen wie der Perthessche Aluminium- 
filter, sondern im Gegenteil aus dem kombinierten Strahlengemisch des 
primären Büschels die durchdringenden (= harten) Strahlen herauszuholen. 
Das Gemisch wird also weicher! Einwandfrei nachgewiesen ist das 
für Eisen und für Silber: die Absorption der durchgelassenen Strahlen 
stieg fast auf das doppelte gegenüber der ersten Messung, wenn die von 
einer Aluminium-Antikathode emittierten Strahlen vorher eine 12 u dicke 
Eisenplatte durchschlagen mußten (vgl. Pohl l.c.). Auf unsere praktischen 
Verhältnisse übertragen heißt das, daß ins Gewebe, z. B. in ein Zervix- 
karzinom gebrachtes Eisen oder Silber imstande ist, aus dem gefilterten, 
die Bauchdecken durchschlagenden Strahlengemisch die penetrierenden 
Strahlen abzufangen und die Absorption der Strahlen überall da, wo Metall 
liegt, erheblich zu steigern. Das bedeutet für uns aber eine Erhöhung 
der Strahlenwirkung überhaupt. Wir erzielen die zerstörende Wir- 
kung der weichen Röntgenstrahlen tief innen im kranken Gewebe, obwohl 
wir primär mit harten, penetrierenden Strahlen gearbeitet haben, arbeiten 
mußten, um überhaupt in die Tiefe zu kommen. Rein theoretisch genommen 
muß dadurch ein Grad von biologischer Wirkung der Strahlen in der 
Tiefe erreicht werden, der nicht viel hinter dem der Oberflächenwirkung 
der Röntgen- und Radiumstrahlen zurücksteht. Die Resultate, welche mit der 
Bestrahlung pathologischer Prozesse auf der Körperoberfläche erreicht wurden, 
sollten damit, annähernd wenigstens, auch in der Tiefe erzielt werden können. 

Was nun die praktische Verwertung anlangt, so habe ich zu meinen 
Versuchen, mit denen ich im Dezember 1912 begann, kolloidale Metali- 
lösungen verwandt, einmal weil sie eine gewisse Affinität zu den Körper- 
zellen zu haben scheinen, dann, weil ihre Dosierung usw. allgemein geläufig 
war. Von der intravenösen Injektion der Mittel habe ich, trotzdem gerade 
dieser Applikationsmodus recht nahe lag, deswegen Abstand genommen, 
weil Versuche von Cohn, Niculescu u. a. gezeigt haben, daß die Silber- 
kolloide im Organismus schnell in bestimmte Depots abgelagert werden, in 
denen sie für unsere Therapie nichts nutzen. Wie das mit der immer 
wieder betonten „therapeutischen Wirkung“ dieser Metalle auf maligne 


282 Holzbach, 


Tumoren in Einklang zu bringen ist, weiß ich nicht. Jedenfalls haben 
die oben zitierten Versuche gezeigt, dal das injzierte Silber schon nach 
wenigen Minuten aus der Blutbahn vollständig verschwunden ist — also 
z. B. auch in den Gefäßen des Uterus nicht mehr angetroffen werten 
kann — und sich in der Hauptsache in den Kupferschen Zellen der 
Leber niederschlägt. In minimalen Mengen wird es auch in den Lungen. 
im Herzen und in den Nieren angetroffen. Ich habe es deshalb vor- 
gezogen, die Präparate mittels Kanülen direkt in das zu bestrahlende 
Gewebe zu injizieren, was bei den hier vorwiegend in Frage stehenden 
Karzinomen des Uteruskollums ja ohne Schwierigkeit gelingt. Da es mir 
auf möglichst feine Verteilung der Metallpartikelchen ankam, so benützte 
ich anstelle des gröberen chemischen kolloidalen Silbers das auf elektrischem 
Wege hergestellte Kolloidmetall. Die Firma Rosenberg in Berlin hat mir zu 
den Versuchen ihr „Fulmargin“ in freundlicher Weise zur Verfügung gestellt. 

Aus äußeren Gründen mußten die Versuche im März d. J. abge- 
brochen werden. Über definitive Ergebnisse kann also heute noch nicht 
berichtet werden. Immerhin war die Methode so weit entwickelt und ın 
mehreren Fällen an Karzinomkranken erprobt, daß sie als ungefährlich 
und aussichtsreich zur Nachprüfung empfohlen werden darf. Ich habe 
darüber im Tübinger med. Verein (10. IT. 1913) und in der Mittelrheini- 
schen Gesellschaft für Gynäkologie (Frankfurt, 16. II. 1913) berichtet. 
In einer soeben erscheinenden vorläufigen Mitteilung kommt Pagenstecher 
(Münch. med. W., 17. VI. 1913) zu einem ganz analogen Vorschlag. Er 
will Versuche mit Eiseninjektion anstellen. und zwar will er das Ferrum 
oxydulatum nigrum benutzen. Zu praktischer Ausführung des Verfahrens 
hat er noch keine Gelegenheit gehabt. 

In anderer Form ist übrigens das Prinzip der Sekundlärstrahlen- 
wirkung auch anderweitig schon nutzbar gemacht worden. Christen 
schreibt in seinen „Grundlagen der Tiefentherapie‘, daß Emil G. Beck 
seine Erfolge mit der Wismut-Pastenbehandlung und nachfolgender 
Röntgenbestrahlung sicher wohl den weichen Scekundärstrahlen verdankt. 
die in dem kranken Gewebe kräftig absorbiert werden. Johnson erreicht 
das gleiche, indem er seine Darmpatienten metallisches Silber einnehmen 
läßt, Harris, indem er der Röntgenbehandlung des karzinomatösen 
Rektums eine Vorbehandlung mit Zinksalbe vorausschickt. Auch die 
leider nicht zu Ende geführten Versuche von Gauß sind bekannt. Dab 
wir in nächster Zeit mehr darüber hören werden, speziell daß sich manche 
eigenartige „Filterwirkung“ sowohl in der Röntgen-, wie in der Radıum- 
und Mesothoriumtherapie als Wirkung der charakteristischen Fluoreszenz- 
strahlung herausstellen wird. davon bin ich überzeugt. 

Eine Reihe anderweitiger Versuche zur Behandlung inoperabler Kar- 


Theoretisches und Praktisches zur Röntgentiefentherapie. 283 


zinome und Sarkome gingen mit den hier beschriebenen an der Klinik 
Hand in Hand. Über eine kombinierte Methode der Strahlen- und intra- 
venösen Chemotherapie hat Klotz letztbin auf dem Kongreß in Halle be- 
richtet. Inzwischen ist weiter das Radiumbromid zur Unterstützung der 
Röntgentherapie in Dienst gestellt worden. Auch die Zeit seit Beginn 
dieser Versuche ist, wie Klotz mitteilte, noch zu kurz, um ein Urteil 
fällen zu können. Wiederholt benütze ich dagegen die Gelegenheit, um 
vor einem Verfahren zu warnen, das, ursprünglich vom Erfinder mit wissen- 
schaftlicher Kritik versucht, jetzt von einer Handelsfirma ohne jede Kritik, 
dafür aber mit den Mitteln der geschäftsmäßigen Reklame angepriesen wird: 
die Zinnabarsana-Behandlung nach Zeller. Nachdem „bis zum 
29. Juni 1912 von 57 Krebskranken Zellers 44, später 50 — darunter 
ein größerer Teil vorher von der chirurgischen Operation zurückgewiesen“ 
— geheilt waren, „wanderten immer mehr Krebskranke nach dem stillen 
Städtchen Weilheim a. Teck, das nunmehr kaum die Zahl der Hilfe- 
suchenden beherbergen kann“. Die Behandlung besteht in der Applikation 
einer Ätzpaste — Zinnabarsana — auf das Karzinom und gleichzeitiger 
innerlicher Verabreichung von Nacasiliciumtabletten, einer Kombination 
kieselsaurer Salze. „Nachdem der Krebs ausgestoßen, bleibt eine Ge- 
schwürsfläche, die unter einer Salizylzinkpaste rasch mit schöner, glatter 
Narbe ausheilt. Die geschützte Packung kostet pro Flacon usw.“ 

Wir konnten an dieser Methode, die in Württemberg und darüber 
hinaus anfängt, renommiert zu werden, nicht stillschweigend vorübergehen. 
Die Nachprüfung geschah an 5 Fällen von invperablem Karzinom, einmal 
der Klitoris — dieses ein zirkumskripter, nur wegen seines unglücklichen 
Sitzes um Harnröhre und Blasensphinkter herum inoperabler Tumor — 
viermal des Collum uteri. Die Behandlung wurde strikte nach Zellers 
Vorschriften und ohne jegliche Voreingenommenheit durchgeführt. Die 
Ätzpaste frißt in der Tat das Gewebe an — freilich nicht nur das Kar- 
zinomgewebe, sondern alles, mit dem sie in Berührung kommt — und sie 
unterstützt sichtlich den Zerfall, zu dem ja bei vielen Karzinomen infolge 
ihrer anatomischen Struktur an sich schon starke Tendenz vorhanden ist. 
Sie wirkt also ungefähr wie ein Thermokauter. Nur hinterläßt sie nicht 
wie dieser einen glasharten Schorf, sondern einen Geschwürskrater. Mehr 
leistet sie aber nicht, auch nicht bei ausgiebigster Unterstützung durch das 
Nacasilicium. Denn genau wie nach Exkochleation und Kauterisation in- 
operabler Karzinome sehen wir auch im Verlauf der Ätzpastenbehandlung 
an den Geschwulsträndern, im Zellgewebe usw. das schrankenlose 
Weiterwuchern des Krebses: eine spezifische Wirkung auf die 
Karzinomzelle fehlt durchaus, und unsere sämtlichen 5 Fälle sind uns im 
Verlauf der Behandlung oder bald nach Abschluß derselben gestorben. 


954 Holzbach, 


Neben den oben beschriebenen physikalischen Eigenschaften der 
Röntgenstrahlen können die chemischen Wirkungen, die wir bis jetzt noch 
so gut wie nicht zu gebrauchen verstehen, therapeutisch von Bedeutung 
werden. So ist es uns bis jetzt nicht gelungen, das Ionisations- 
vermögen der Röntgenstrahlen irgendwie auszunützen, ihre 
Fähigkeit, das elektrische Leitvermögen der bestrahlten Substanz zu ändern, 
unter Umständen enorm zu steigern. Dieses Ionisationsvermögen komnit 
den primären Strahlen wie der charakteristischen Sekundärstrahlung zu. 
Und es erstreckt sich sowohl auf Gase wie auf Flüssigkeiten und feste 
Körper. Die Ionisation innerhalb der einzelnen Elemente schwankt dabei 
je nach der chemischen Bindung der Atome (cf. Pohl I. c.), „die Ioni- 
sation des S-Atoms ist beispielsweise um 20% für die gleiche absorbierte 
Energie größer, wenn das S mit H in SH, vereinigt ist, als bei der Bin- 
dung mit O in SO,*. Die praktische Bedeutung all dieser Tatsachen 
für die Medizin wird uns klar, wenn wir uns daran erinnern, daß un- 
sere gebräuchlichen Desinfizientien in ihrer desinfizie- 
renden Kraft abhängig sind rein vom Grade ihrer Ioni- 
sation. Meyer und Gottlieb (Pharmakologie, S. 423) schreiben, dad 
die Reaktionen der Schwermetallsalze, Säuren und Alkalien, mit dem Ei- 
weiß der Bakterien Ionenrektionen sind. Die Desinfektionskraft z. B. der 
Quecksilbersalze hängt nicht von ihrem Gehalt an löslichem Quecksilber 
ab, sondern geht dem Dissoziationsgrad der Lösungen, das heißt ihrem 
Gehalt an Hg-Ionen parallel. Danach haben also stark dissoziierte Lö- 
sungen im allgemeinen eine stark desinfizierende Kraft, schwach dissoziierte 
eine schwache. Gelingt es uns wirklich, den Ionengehalt chemischer Ver- 
bindungen durch die Bestrahlung zu ändern — und daran kann nach den 
vorliegenden Untersuchungen kein Zweifel sein — so eröffnen sich uns 
vollständig neue Wege, mit denen wir uns an die Vernichtung von Bak- 
terien, wie auch von Zellen und Zellkomplexen des Organismus, die in 
dieser Bezieliung den gleichen Bedingungen unterliegen als wie die Bak- 
terienzelle —, heranwagen können. Versuche in dieser Richtung sind 
äußerst diffizil, wenn ihre Resultate Anspruch auf einwandfreie Gültigkeit 
erheben sollen. Und es dürfte wohl eher Sache der physiologischen Chemie 
als unsere eigene sein, uns hier vorwärts zu bringen. 

Eine andere photochemische Wirkung der Röntgenstrahlen von viel- 
leicht großer Bedeutung scheint einer Beobachtung von Heile zu Grunde 
zu liegen. Die Veränderungen im Zellprotoplasma, die wir nach Bestrah- 
lung lebender Gewebe auftreten sehen, deutet er im Sinne einer Autolyse. 
Die beim Zellzerfall frei werdenden Fermente, mit denen er die Heilung 
pathologischer Prozesse, speziell von Eiterungen glaubt beeinflussen zu 
können, sucht er dadurch in großer Menge zu erhalten, daß er durch 


Theoretisches und Praktisches zur Röntgentiefentherapie. 985 


chemische Reize Leukozyten anlockt, die er dann mit Strahlen zerstört. 
Als ein solches leukotaktisches Mittel verwendet er das Jodoform, das, 
unter die Haut gespritzt, eine ziemlich starke Leukozytose bewirkt. Das- 
selbe Strahlenquantum, welches an mit Kochsalzlösungen unterspritzten 
Hautpartien keine Veränderung hervorrief, bewirkte an mit Jodoform in- 
fizierten Stellen eine heftige Dermatitis, „scheinbar veranlaßt durch direkt 
nach außen schwitzende Zersetzungsprodukte des Jodoforms“. Ich möchte 
glauben, daß der Hauptbestandteil dieser „durchgeschwitzten Zersetzungs- 
produkte“ freies Jod war. Denn die Jodabscheidung aus Jodo- 
formverbindungen läßt sich als photochemische Wirkung der  Rönt- 
genstrahlen im Reagenzglas jederzeit nachweisen. Abgesehen von den 
Fermentwirkungen Heiles scheint mir aber gerade diese Jodwirkung zur 
Beeinflussung bestimmter pathologischer Prozesse besonders geeignet zu 
sein. Seit Mikulicz im Jahre 1880 damit begonnen hat, kalte Abs- 
zesse durch Jodoforminjektion zu behandeln, ist das Jod als wirksames 
Prinzip des Jodoforms uns in der Bekämpfung chirurgischer Tuberkulosen 
unentbehrlich geworden. Versuche, die ich an Meerschweinchen und 
Kaninchen anstellte, zeigten mir, daß die Resorption in der Bauchhöhle 
peritonealtuberkulöser Tiere so weit darniederliegt, daß selbst Mengen von 
Jodoform ohne Erscheinungen ertragen werden, die auf das gesunde Tier 
längst toxisch wirken. Schwierigkeiten macht nur das Lösungsmittel. 
Benzol, Chloroform, Äther, in denen sich das Jodoform löst, waren zur 
Injektion in den Peritonealsack nicht zu gebrauchen, und so mußte ich 
mich schließlich damit begnügen, Öl als Vehikel zu verwenden. Ob es 
gerade ein sehr geeignetes Mittel ist, scheint mir fraglich, denn es hat 
selbst große Affinität zu dem freiwerdenden Jod. Immerhin kam aber 
auch im ungünstigsten Falle noch genug freies Jod mit dem kranken 
Bauchfell in Berührung, daß ein Effekt erwartet werden konnte. Und 
gerade vom Jod in statu nascendi muß angenommen werden, daß 
es eine besonders heftige Schädigung des Tuberkelbazillus bewirkt. Nach- 
dem wir zunächst bei mehreren Fällen von Genital- resp. Peritonealtuber- 
kulose den Eindruck gewonnen hatten, als ob intensive Bestrahlung allein 
schon den Prozeß günstig zu beeinflussen imstande sei, gingen wir später 
so vor, daß wir hochfiebernden Tuberkulosen, denen wir glaubten eine 
schlechte Prognose stellen zu müssen, 1 proz. Jodoformöl — bis zu 60 ccm 
auf einmal — mit der Kanüle in den Bauchraum injizierten und sofort 
bestrahlten. Das Mittel wurde bis jetzt ohne jeden Schaden vertragen, 
und ich glaube die an sich ja einfache und doch aussichtsreiche Methode 
zur Nachprüfung empfehlen zu können. 

Ähnlich gingen wir bei inoperabler Blasen-Nierentuberkulose vor. Auch 
da wurde das Jodoform, 0,5 g in 5 ccm Chloroform gelöst und in 30 ccm 


286 Holzbach, Theoretisches und Praktisches zur Röntgentiefentherapie. 


Öl aufgeschwemmt, in die Blase und, wenn erst die Blase einigermaßen 
gereinigt war, mit dem Ureterkatheter ins Nierenbecken injiziert, hierauf 
Blase und Nieren mit entsprechender Filterung wiederholt bestrahlt. Ebenso 
habe ich einer Frau mit einseitiger Nierentuberkulose, die nicht zur Ope- 
ration zu bewegen war, ferner einem Fall von Oolipyelitis Kollargol ins 
Nierenbecken injiziert in der Erwartung, mir von einer direkt angeschlos- 
senen Bestrahlung aus den oben geschilderten Gründen einen besonders 
lebhaften Effekt versprechen zu können. Ob dauernde Besserung oder Heilung 
dabei resultiert, muß natürlich abgewartet werden. Immerhin sind uns schlechte 
Erfahrungen, Schädigungen von Blase, Nieren oder Nebennieren, bis jetzt 
nicht vorgekommen, sodaß bei diesen an sich zwar absolut nicht indifferenten 
Methoden doch das Prinzip des non nocere stets gewahrt worden ist. 

Dem, was ich auf dem Hallenser Kongreß über unsere Myomthe- 
rapie ausführte, habe ich hier lediglich hinzuzufügen, daß von den damals 
noch in Behandlung stehenden Fällen inzwischen eine weitere Anzahl als 
geheilt entlassen werden konnte. Sonst hat sich an unseren Zahlen seit- 
dem nicht viel geändert. Und zwar beruht das darauf, daß unser Instru- 
mentarium durch die für die Karzinom- und Tuberkulosebehandlung nöti- 
gen großen Dosen aufs stärkste angestrengt und nicht fähig ist, mehr zu 
leisten. Interessant wird übrigens — um hier auch einem höchst prak- 
tischen Gesichtspunkt einmal Raum zu geben — die Frage werden, woraus 
die bei der Applikation von mehreren tausend X pro Patientin der Klinik 
entstehenden Kosten auf die Dauer gedeckt werden sollen. Denn daß eine 
arme Frau, der sagen wır 6—8000 X zur Behandlung ıhres inoperablen 
Karzinoms verabreicht werden müssen, die Kosten von 3—4 Röhren, einigen 
Drosselröhren, Quantimeterstreifen, Stromverbrauch, Amortisation usw. mit 
rund 800 Mk. selbst bezahlen soll, ist doch schlechterdings nicht zu ver- 
langen. Und sie deshalb von den Wohltaten einer solchen Behandlung 
auszuschließen, bloß weil sie arm ist? 

Zum Schluß noch eine Frage von untergeordneter Bedeutung. Ich 
habe den Eindruck, als ob Filter die längere Zeit gearbeitet haben, schliel- 
lich, nach Wochen oder Monaten, durchlässiger werden als zu Beginn. 
Das läßt sich natürlich schlecht beweisen und noch schlechter theoretisch 
fassen. Bei unseren Bleiglastuben, in die die Röhren zum Schutze der 
Patientin gegen vagabundierende Strahlen eingeschlossen werden, ist es 
aber doch so, daß sie jetzt im Laufe einer 3stündigen Tätigkeit etwa 10 X 
durchlassen, während früher höchstens 2—3 X mit den Kienböckstreifen 
nachweisbar waren. Und bei den Aluminiumfiltern habe ich mir ange- 
wöhnt, sie nach einiger Zeit außer Dienst zu stellen und durch neue zu 
ersetzen. Vielleicht ist einer der Herren Kollegen in der Lage, mich da- 
rüber aufzuklären, ob und warum das nötig ist. 





Aus der Königl. Universitätsfrauenklinik zu Kiel (Dir.: Prof. Stoeckel). 


Erfahrungen mit der Röntgenbehandlung bei Myomen 
und Metropathien. 


Von 


Dr. E. Langes, Assistent der Klinik. 


s unterliegt keinem Zweifel, dal3 die Röntgentiefentherapie sich in der 

kurzen Zeit ihrer Anwendung eine bevorzugte Stellung in der Be- 
handlung von Myomen und Metropathien erobert hat. Es gibt wohl kaum 
eine gynäkologische Klinik, die nicht diese Behandlungsmethode ihrem 
"therapeutischen Schatze einverleibt hat. Gerade jetzt scheint ihr aber von 
einer anderen Methode, der Behandlung mit radivaktiven Substanzen, Ge- 
fahr zu drohen, die sie vielleicht von ihrer eroberten Vorzugsstellung ver- 
drängen, oder doch wenigstens mit ihr in scharfe Konkurrenz treten wird. 

Ob dies auch bei Myomen und Metropathien, von denen ich hier 
allein sprechen will, oder nur in der Therapie der malignen Tumoren der 
Fall sein wird, muĝ der Zukunft überlassen bleiben, da die Erfahrungen 
trotz der lebhaften Debatte auf dem diesjährigen Gynäkologenkongreß noch 
zu gering und noch nicht abgeschlossen sind. 

An unserer Klinik ist bisher nur das reine Röntgenverfahren ange- 
wandt worden; die abgesehen von der ersten Zeit damit erzielten Resultate 
sind durchaus gut zu nennen. Unsere Technik weicht in vieler Beziehung 
von der allgemein üblichen ab. 


Instrumentarium. 


Wir benutzen den Induktor und Rotaxunterbrecher der Firma 
Sanitas-Berlin. Unsere Röntgenröhren sind die Therapieröhren der 
Firma Burger-Berlin, die mit 2 M.-Amp. belastet werden und eine Härte 
vom Typ 6 Benoist-Walter haben. Die Kontrolle über die Konstanz der 
Röhrenhärte üben wir mit dem Heinz-Bauer'schen Qualimeter aus. Die 
Röhren befinden sich in einem mit Bleigummi ausgekleideten achteckigen 
Holzkasten, der an beiden Seiten Bleiglasfenster zur Einstellung des Fukus 
und Beaufsichtigung des Röntgenlichtes trägt. Oben ist der Kasten offen 
und unten trägt er einen kreisförmigen Ausschnitt von 10 em Durchmesser, 
vor den der Filter eingeschaltet wird. Als Filter wurde zuerst Aluminium- 
blech von 1 mm, jetzt nur von 3—4 mm Dicke verwendet. Zur Dosierung 
befindet sich an dem Röhrenschutzkasten ein verstellbarer, mit einer Zentimeter- 


288 Langes, 


skala versehener Halter für die Sabouraud-Tabletten, die sich natürlich unter- 
halb des Filters befinden. Die Verstellbarkeit dieses Halters und die dadurch 
bedingte Variierung der Fokusdosimeterdistanz hat den großen Vorteil, daß man 
auf Grund des Gesetzes von der Abnahme der Röntgenstrahlen im Quadrate 
der Entfernung je nach Einstellung der Tablette eine beliebige Dosis auf 
die Haut applizieren kann, ohne die Hautfokusdistanz verändern zu müssen. 
Nach einer dafür berechneten Tabelle läßt sich sofort der Abstand des 
Dosimeterhalters und die Meßdistanz für die gewünschte Dosis ablesen. 
Der Röhrenkasten befindet sich am Ende eines am Fußende des Be- 
strahlungstisches angebrachten verstellbaren Hebels in doppelter Kugel- 
verbindung, so daß der Röhrenkasten mit der darin fixierten Röhre um 
alle Achsen bequem gedreht und der Hautoberfläche parallel eingestellt 
werden kann. Diese von Hans Meyer-Kiel angegebene Dosierungsmethude 
hat sich uns als zuverlässig und einfach in der Handhabung durchaus 
bewährt. 1) 

Für die abdominale Bestrahlung wurde im Anfang ein Tubus von 
17 cm Länge und 10 cm Durchmesser verwendet. Dieser machte 
bald einem 4 geteilten Tubus Platz; die Achsen der 4 Tubusabschnitte 
konvergierten nach einem Punkte in der Tiefe, der von Höhne und 
Linzenmeier?) festgestellten durchschnittlichen Lage der Ovarien. Da- 
durch kam ein vierfaches Kreuzfeuer im Ovarium zustande. Dieser Tubus 
hat aber neben seinen zweifellosen Vorteilen den Nachteil, daß man bei 
der verschiedenen Lage der Ovarien, besonders bei Myomen, nicht mit 
Sicherheit sagen kann, ob von jedem Feld her das Ovarium wirklich ge- 
troffen ist. Außerdem wird der Tubus mit der Zeit infolge seines Druckes 
von den Patientinnen unangenehm und lästig empfunden, da bis zum Ab- 
schluß der 4 Felderbestrahlung, die bei Verabfolgung einer Sabourauddosis 
mit 4 mm Aluminiumfilter bei Fokus-Hautdistanz von 18 cm immerlin 
60 Minuten in Anspruch nimmt, die Einstellung nicht verändert werden 
darf. Infolgedessen haben wir ihn in vielen Fällen ersetzt durch Bleiblech- 
vignetten, die bindenartig um den Unterleib gelegt werden und verschie- 
dene Ausschnitte tragen. Eine derartige Binde trägt einen quadratischen 
Ausschnitt von 12 cm Seitenlänge, eine andere Vignette hat 6 oder 8 
sternförmig angeordnete Ausschnitte, die durch !/,cm breite Zwischenspangen 
von einander getrennt sind. Das Bleiblech ist wegen seiner Weichheit und 
Neigung zur Buckelbildung mit einer dünnen Nickelinlamelle bedeckt, die ein 
Gleichbleiben der Ausschnitte gewährleistet. Um den Mittelpunkt der 
Sterntisur dreht sich eine Bleigummischeibe, die einen den dreieckigen 


1) Strahlentherapie 1012, Bd. I, S. 237, 
?) Strahlentherapie 1912, Bd. I, S. 141. 


Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 289 


Feldern entsprechenden Ausschnitt trägt und die anderen Felder abdeckt.?) 
Durch diese Anordnung wird die Neueinstellung eines Feldes wesentlich 
beschleunigt. . 

Für die vaginale Bestrahlung verwenden wir einen trichterförmigen 
Tubus mit Stativ. auf den der Röhrenkasten mit dem Filter aufgesetzt 
wird. An das andere dünnere Ende des Tubus werden je nach Weite 
der Vagina Bleiglasspekula von verschiedener Weite und Länge angefügt, 
so daß die äußeren Haut- und seitlichen Schleimhautpartien von keinen 
Strahlen getroffen werden können. Die Sabouraudtabletten sind an dem 
Tubus gleichfalls auf einem verschiebbaren Halter unterhalb des Filters 
angebracht, also ist auch hier eine Variierung der Dosis in dem oben er- 
wähnten Sinne möglich. 

Dabei möchte ich auf einen Fehler aufmerksam machen, der bei der 
vaginalen Bestrahlung von Röntgentherapeuten vielfach in der Dosierung 
resp. in der Angabe der verabfolgten Strahlenmenge gemacht wird. Es 
wird nämlich ein Kienböckstreifen nicht am Ende des Bleiglasspekulums, 
sondern vor der Vulva angebracht und nun nach der Schwärze des Streifens 
die applizierte Strahlenmenge angegeben. In Wirklichkeit ist dies aber 
nicht die der Scheidenschleimhaut verabfolgte Dosis, sondern eine viel 
erößere, da ja die Strahlenmenge im Quadrate der Entfernung abnimmt. 
Dieser Fehler läßt sich bei Anwendung der Sabouraudtabletten vermeiden, 
da man ohne Schwierigkeiten die Tabletten in der Mitte zwischen Fokus 
und Scheidenschleimhaut am Ende des Spekulums anbringen kann. Bei 
dieser Anordnung hat man wirklich eine Sabourauddosis der Scheiden- 
schleimhaut verabfolgt, wenn die Teinte B erreicht ist. 


Technik. 


Bei unserer Technik muß man zwischen der Anfangstechnik und 
der jetzigen Bestrahlungsmethode unterscheiden, da die verschiedenen 
Methoden für die Erfolge von einschneidender Bedeutung sind. 

Bei der Anfangstechnik wurde ähnlich wie es Albers-Schönberg 
tut, der oben erwähnte 17 cm lange Tubus einmal rechts und einmal links 
auf das Abdomen entsprechend der Lage des Ovariums aufgesetzt, also 
eine 2-Felderbestrahlung. Jedes Feld erhielt 8—10 X, gefiltert wurde 
mit 1 mm Aluminiumblech. Die Fokushautdistanz betrug 30 cm. 

Zu der jetzigen Technik gehört in erster Linie eine stärkere Fil- 
terung von mindestens 3, meistens aber 4 nm Aluminiumblech, zu der 
wir auf Grund der experimentellen Untersuchungen, die von Hans Meyer 
und seinen Mitarbeitern am hiesigen Lichtinstitut unter Verwertung der 


ı) Die Binden liefert die Firma Sanitas-Berlin. 
Strahlentherapie Band III. Heft 1. 19 


290 Langes, 


Christenschen Halbwertsschichtsbestimmung angestellt wurden übergegangen 
sind. Weiter rückten wir wegen der besseren Ökonomie mit der Röhre 
auf 20--15 cm an die Haut heran. Ferner wurde aus der 2 Felder- 
bestrahlung eine Mehrfelderbestrahlung, für die besonders Gauss zuerst ein- 
getreten ist. Während in der ersten Zeit der Mehrfelderbestrahlung dem 
4 geteilten Tubus der Vorzug gegeben wurde, der einmal rechts und ein- 
mal links auf die Unterbauchseite aufgesetzt wurde (8 Felderbestralilung), 
wird jetzt aus den oben angeführten Gründen meist eine der Bleivignetten 
verwendet, und zwar bei großen Myomen die 6—8-Feldersternfigur für das 
Abdomen, bei kleinen Myomen oder Metropathien die quadratisch aus- 
geschnittene Vignette, die dreimal nebeneinander auf die Unterbauchgegend 
aufgesetzt wird. Auf diese Weise trat allerdings bei einer Reihe von Fällen 
an Stelle der S-Felder- nur eine 3-Felderbestrahlung vom Abdomen ber. 
Dafür war man aber sicher, daß man nicht Felder bestrahlte ohne Uterus 
oder Ovarium zu treffen, wie es bei dem Tubus mit den kleinen Feldern 
vorkommen kann und bei der vielfach üblichen Kleinfelderbestrahlung fraglos 
vorkommt. Außer diesen 3 resp. 8 Feldern von vorn werden seit längerer 
Zeit 3 quadratische Felder von hinten her bestrahlt und zwar 1 mal die 
Kreuzbeingegend und außerdem rechts und links davon die Glutäalgegen- 
den, so daß die Strahlen durch die Foramina ischiadica majora ins Becken 
gelangen. In vielen Fällen, besonders bei groben Myomen kommt noch 
eine vaginale Bestrahlung hinzu, und zwar gewöhnlich Verabfolgung einer 
Sabourauddosis mit 3 mm Aluminiumfilter. Der Röhrenabstand wird bei 
der vaginalen Bestrahlung aus technischen Gründen etwas weiter gewählt. 
und zwar 20—25 cm Schleimhaut - Fokusdistanz. Bisweilen wird noch eine 
1- oder 2-Felderbestrahlung gegen den Damm und seitlich davon mit dem 
trichterförmigen Tubus ohne Bleiglasspekulum vorgenommen. Durch diese 
Anordnung wurde statt der 8-Felderbestrahlung vom Abdomen her mit 
ihren Nachteilen eine ebenso große Felderzahl von allen möglichen Seiten 
erreicht, bei der von jedem Felde aus Ovarien und Uterus oder wenig- 
stens eins von beiden getroffen wird. Jedes Feld erhält 15—20 X, meist. 
20 X, die Vagina nur 10—15 X wegen der empfindlicheren Schleim- 
haut. Durchschnittlich wird also bei Metropathien und kleinen Myomen 
120 und 150 X in einer Serie, bei größeren Myomen 150—200 X ver- 
abfolgt. Nach Erreichung des Zieles werden stets noch 1—2 Bestrahlungs- 
serien von etwa 100 X angeschlossen. 


Experimentelle Untersuchungen. | 
Zur Prüfung der Zweckmäßigkeit einer Bestrahlung auch von hinten 
und vom Damm her wurden einige Versuche ausgeführt, die interessante 
Ergebnisse hatten. 


Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 291 


Es wurde bei einigen Patientinnen ein dünner Laminariastift in die 
Zervix gebracht und nach 12 Stunden ein !/, cm breiter Kienböckstreifen 
in das Uteruskavum eingelegt. Um die Asepsis wahren und den Streifen 
vor Feuchtigkeit schützen zu können, wurde er von einem sterilen Gummi- 
fingerling umhüllt. Nun wurden von verschiedenen Stellen her Felderbe- 
strahlungen ausgeführt, und zwar 1 oder 2 Erythemdosen pro Feld bei 
einer Fokushautdistanz von 18 cm und 3 und 4 mm Aluminiumfilter. 


I. Versuchsreihe: 
1-Feldbestrahlung der Mitte des Unterbauchs mit quadratischer Vig- 
nette (Albers-Schönberg). 
20 °, der Strahlen gelangten bei 4 mm Filter in den Uterus. 


II. Versuchsreihe: 
1-Feldbestrahlung (quadratische Vignette) der Kreuzbeingegend: 
10 °5 der Strahlen bei 3 mm im Uterus. 
20 % N N N 4 „ N N 
Ill. Versuchsreihe: 
Bestrahlung eines quadratischen Feldes in der Regio glutaealis. 


5% der Strahlen bei 3 mm im Uterus. 


O/ 
10 ‚o „ „ 4 ” „ `, 
IV. Versuchsreihe. 
Bestrahlung der Mitte des Dammes mit dem Tubus von 5 cm Durch- 
messer. 
17 % der Strahlen bei 3 mm im Uterus. 


Die angegebenen Prozentzahlen sind Durchschnittszahlen, da nicht 
alle Versuche dasselbe Ergebnis hatten. Dies ist nach der verschiedenen 
Lage des Uterus im Becken und nach den verschieden dicken Bauch- 
decken und Weichteilschichten nicht zu verwundern. Trotzdem glaube ich, 
aus diesen Versuchen folgende Schlüsse ziehen zu können. 

1. Es gelangt bei der Bestrahlung der Kreuzbeingegend dieselbe 
Strahlenmenge in den Uterus wie bei der Bestrahlung des Abdomens. 

2. Bei der Bestrahlung der Glutäalgegenden gelangt zwar nur eine 
halb so geringe Menge Strahlen in den Uterus, jedoch ist zu berücksichtigen, 
daß bei Bestrahlung vornehmlich die Ovarien getroffen werden sollen, die 
zweifellos infolge ihrer größeren Nähe mehr erhalten als das Uteruskavum. 

3. Die Verwendung des 4 mm Aluminiumfilters hat sich auch bei 
diesen Versuchen wirksamer für die Tiefenbestrahlung erwiesen als die 
3 mm Aluminiumtilterung. 


19* 


292 Langes, 


4. Auch die Bestrahlung vom Damm her ist durchaus zweckmäßig. 
Auf Grund dieser Experimente ist unsere Technik aufgebaut worden. 
die in der Hauptsache aus einer Bestrahlung mehrerer nicht zu kleiner 
Felder von allen Seiten her und in einer starken Aluminiumfilterung 
(4 mm) besteht. 
Myome. 

Die Zahl unserer bestrahlten Myome beträgt bisher 24. Die Größe 
schwankte von apfelgroßen Tumoren bis zu solchen, die die Nabelhöhe 
überschritten. Wenn die Zahl nicht übermäßig groß ist, so muß berück- 
sichtigt werden, daß besonders in der Anfangszeit nur ein geringer Prozent- 
satz der Myome der Bestrahlungstherapie zugeführt wurde. Allmählich 
hat sich auf Grund der günstigen Erfahrungen das Verhältnis der operierten 
zu den bestrahlten Myomen nicht unbedeutend zu Gunsten der bestrahlten 
verschoben, so daß jetzt die Mehrzahl der Myome bestrahlt werden. 
Während zuerst für die Bestrahlung die Fälle ausgesucht wurden, bei 
denen die Operation kontraindiziert erschien (Herzfehler, Nephritis usw.). 
werden jetzt durchschnittlich nur die Myome operiert, bei denen die 
Röntgenbestrahlung ungeeignet erscheint. So werden naturgemäß sub- 
muköse Myome, die bereits in die Zervix geboren, oder im Begriff dazu 
sind, durch Enukleation entfernt und es wird eine Röntgenbestrahlung zur 
Beeinflussung eventuell noch vorhandener kleiner Myome angeschlossen. 
Weiter schließen wir Myome, die vielleicht erst nach einer intensiven 
Röntgenbestrahlung rasch wachsen, wegen Verdachts auf Malignität von 
der Bestralilung aus, ebenso wie nekrotische und verjauchte oder darauf 
verdächtige Myome ausscheiden. Schwer ausgeblutete Frauen mit noch 
bestehenden starken Blutungen fallen ebenfalls für die Röntgenbestrahlung 
fort. So beobachteten wir erst kürzlich einen Fall, der stark ausgeblutet 
und noch erheblich blutend eingeliefert wurde. Trotz sofortiger Tamponade 
stand die Blutung nicht, so daß noclı nachts zu einer Totalexstirpation 
geschritten werden mußte, um die Frau vor der Verblutung zu bewahren. 
Außer dieser vitalen Indikation zur Operation gibt es wirtschaftliche und 
persönliche Gründe, die bei der Auswahl der Therapie mitsprechen. Wenn 
z. B. eine Frau den dringenden Wunsch äußert, durch eine einmalige 
Behandlung geheilt zu werden und die Wiederholung einer Behandlung aus 
irgendwelchen stichhaltigen Gründen ablehnt, so wird man sie bei guter 
Operabilität und Fehlen einer Kontraindikation operieren. Trotzdem soll 
man bei der Indikationsstellung zur Operation stets die wenn auch geringe 
Gefahr der Embolie mit in Betracht ziehen; denn trotz der besten Technik 
läßt sich diese Gefahr nicht gänzlich ausschalten, während Todesfälle infolge 
der Bestrahlung bisher nicht beobachtet sind. Zwei von unseren be- 
strahlten Myomfällen sind in dieser Beziehung bemerkenswert, weil sie 


Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 293 


durch Herzfehler und Nephritis kompliziert waren und eine Operation 
infolgedessen äußerst gefährlich erschien. Nach der Bestrahlung trat in 
beiden Fällen eine deutliche Schrumpfung des Myoms ein und während 
die Nephritis der Patientin nicht nennenswert beeinflußt wurde, wurden 
die Beschwerden des Vitium cordis der anderen Patientin nicht unerheblich 
gebessert, wahrscheinlich infolge der Schrumpfung des von Mannskopf- 
größe auf Faustgröße verkleinerten myomatösen Uterus und der dadurch 
bedingten Abnahme der Zirkulationserschwerung. Man ersieht also aus 
diesen beiden Fällen, daß diese Erkrankungen eine Bestrahlung nicht 
kontraindizieren, sondern indizieren. Von großer Bedeutung für die Indi- 
kationsstellung der Röntgentherapie wird das Resultat bezüglich des Aus- 
fallserscheinungen sein. Solange die aprioristische Annahme, daß mit dem 
Follikelapparat auch die Fähigkeit der Ovarien zur inneren Sekretion zu 
Grunde geht, nicht durch gute und genügend zahlreiche klinische Beob- 
achtungen als falsch erwiesen wird, wird von meinem Chef, Prof. Stoeckel, 
bei jungen Mädchen und Frauen die operative Ausschaltung des Myoms 
resp. des myomatösen Uterus mit Erhaltung der Ovarien der Röntgen- 
kastration im Prinzip vorgezogen werden. 

Von den 24 bestrahlten Myomen sind nur 15 bisher für eine ein- 
wandfreie Beurteilung zu verwerten. 5 sind aus der Behandlung fort- 
geblieben oder haben auf schriftliche Anfragen nicht geantwortet, so daß 
über den Erfolg bei diesen Frauen nichts gesagt werden kann. 3 befinden 
sich noch in Behandlung und 1 beging infolge einer gleichzeitigen schweren 
Psychose einige Zeit nach der Entlassung aus der Röntgenbehandlung 
Suizid. Es bleiben also 15 genau beobachtete Fälle übrig. Von diesen 
wurden 9 Patientinnen amenorrhoisch, 5 oligomenorrhoisch und 1 Fall wurde 
insofern ungünstig beeinflußt, als das Myom nach einer Serienbestrahlung 
größer wurde. Infolgedessen wurde wegen Verdachts auf maligne Ent- 
artung die abdominale Totalexstirpation ausgeführt. Im übrigen bestätigte 
die mikroskopische Untersuchung den Verdacht auf Malignität nicht. Es 
handelt sich mithin zweifellos um einen Versager. Die Oligomenorrhoe 
war bei einigen wegen jugendlichen Alters gewünscht und beabsichtigt. 

Also bleibt ein zweifelloser Versager. Dieser wurde allerdings nach 
unserer Anfangstechnik behandelt, und zwar 8-Felderbestrahlung mit dem 
4 geteilten Tubus, aber nur 8 X pro Feld bei nur 1 mm Aluminium- 
filterung. Berücksichtigt man weiter, daß die Frau erst 36 Jahre alt war 
und das Myom bis etwas über Nabelhöhe nach oben reichte, so muß man 
die Dosis und Filterung als Ursache des Versagens ansehen und als eine 
Reizdosis auffassen. Von den übrigen 14 Fällen sind 7 nach der Anfangs- 
methode und 7 mit der jetzigen verstärkten Technik behandelt, wozu ich 
auch die Fälle hinzunelime, bei denen vielleicht die erste Serie mit der 


294 Langes, 


Anfangstechnik, die folgenden nach der verstärkten Methode bestrahlt 
worden sind. Die Erfolge verteilen sich folgendermaßen auf die beiden 
Methoden: 


| amenorrhoisch | oligomenorrhoisch | Versager | Rezidive 


4 3 1 1 
5 2 (fast amenorrh.) — — 


Anfangstechnik: 
Jetzige Technik: 











Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, daß mit der verstärkten 
Technik bisher kein Mißerfolg zu verzeichnen ist; die 2 oligomenor- 
rhoisch gewordenen Fälle müssen nämlich auch zu den absoluten Erfolgen 
gerechnet werden, da die Blutungen so schwach sind, daß sie fast als 
Amenorrhoen aufzufassen sind. Nimmt man hinzu, daß auch bei ihnen 
ebenso wie bei den anderen 5 eine deutliche Schrumpfung der Myome 
eingetreten ist, und die Beschwerden soweit sie vorhanden waren, ver- 
schwunden sind, so muß man von einer Heilung von 100°/, sprechen, 
soweit es überhaupt angebracht ist, bei dieser verhältnismäßig kleinen An- 
zahl von Fällen Prozentzahlen auszurechnen. Möglicherweise können ja 
auch Rezidive noch nachkommen. Demgegenüber ist unter den mit der 
Anfangstechnik behandelten Frauen, abgesehen von der geringen 
Zahl der Amenorrhoen und abgesehen von dem absoluten Versager, auch 
noch bei einer Patientin 1 Rezidiv aufgetreten. Diese Patientin war zu- 
nächst nach 3 Serien à 20 und 32 X amenorrhoisch geworden, bekam 
jedoch nach ®?/, Jahren ein leichtes Rezidiv, das durch eine Serienbestrah- 
lung nach der jetzigen Technik verschwand. Außerdem sind bei einer 
oligomenorrhoisch gewordenen Patientin die recht erheblichen Dysmenor- 
rhoen unbeeinflußt geblieben, so daß die Frau als nicht erfolgreich behan- 
delt angesehen werden muß. Also nur 5 von 8 Fällen, d. h. 62,5 °% 
sind durch die Anfangstechnik als geheilt zu betrachten. 

Zur Beurteilung und Bewertung der Technik muß weiter die Größe 
der Tumoren und das Alter der Patientinnen herangezogen werden. In 
Bezug auf die Größe verteilen sie sich gleichmäßig auf die Behandlungs- 
methoden, aber das Alter der Patientinnen verdient eine genauere Beachtung: 

















80—40 Jahre 41—50 Jahre über 50 Jahre 
Amonorrhoe | Oligom. | Versager Amenorrhos | Oligom. Amenorrhoe| Oligom. 
Anfangstechnik 1 1 3 1 1 | 1 
Jetzige Technik 2 2 2 1 | 














Auch hiernach wieder fraglos ein günstigeres Resultat mit der jetzigen 
Bestrahlungstechnik, da sich die intensiver bestrahlten verhältnismäßig in 
viel jüngeren Jahren befanden als die schwächer bestrahlten Patientinnen. 
Ist doch bei einer 4Sjährigen und sogar 52jährigen Frau trotz Verabfol- 


Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 295 


gung von 3 Serien nach der Anfangstechnik nur eine Oligomenorrhoe er- 
zielt worden, während mit der intensiveren Bestrahlung bei einer 33- und 
einer 37Jjährigen Frau leicht Oligomenorrhoe erreicht worden ist. 


Aus den Tabellen geht andererseits hervor, daß es zweifellos Fälle 
gibt, die auf sehr kleine Dosen bereits gut reagieren, jedoch mul man im 
Auge behalten, daß man von vorherein nicht sagen kann, ob das betreffende 
Myom leicht reagieren oder sich refraktär verhalten wird. Aus diesem 
Grunde ist es ratsam, gleich mit größeren Dosen zu beginnen, um sich 
nicht Versagern und Rezidiven auszusetzen. 


Die Anzahl der zur Erreichung der Heilung notwendigen Serien rich- 
tete sich im allgemeinen nach dem Alter der Patientinnen. Bei jüngeren 
Frauen (31, 33 und 35jährig) waren 2—3 Serien der jetzigen Me- 
thode notwendig, während bei den älteren über 45 meist 1—2 Serien 
senügten, um eine Amenorrhoe herbeizuführen. Die Anfangstechnik 
erforderte bei unseren geheilten Fällen, die übrigens alle über 45 Jahre 
waren, etwa 3—4 Serien bis zum Eintritt des Erfolgs. 


Verstärkte Blutungen traten bei 3 nach der anfänglichen Technik 
bestrahlten Frauen im Anschluß an die erste Serie ein, um dann allmäh- 
lich schwächer zu werden. Bei allen anderen war mindestens ein Gleich- 
bleiben, meist eine Abnahme der Blutungen gleich nach der 1. Bestrah- 
lungsreihe festzustellen. 


Zum Schluß möchte ich noch auf einen Myomfall eingehen, bei dem 
wir die Strahlenwirkung histologisch genau studieren konnten. Die be- 
treffende Patientin bekam hier 4 Serien mit den üblichen 4 wöchentlichen 
Zwischenpausen, davon 2 nach der anfänglichen Bestrahlungsmethode 
60 X und dann 2 mit stärkerer Filterung (4 mm), aber auch nur 
‘0 und 90 X. 8 Wochen nach der letzten Serie starb die Patientin plötz- 
lich an einem Adhäsionsileus nach einer vor 8 Jahren ausgeführten vagi- 
nalen Adnexoperation. Die Myome wie auch die Uteruswand selbst und 
die Ovarien wiesen eine ganz auffällige Schrumpfung auf. Die Ovarien 
waren kleiner als bei einer senilen Frau, obwohl diese Patientin erst 
31 Jahre alt war. Mikroskopisch fand sich in den Myomen keine gröbere 
und auffällige Veränderung abgesehen von dem Reichtum an Bindegewebs- 
fisern. Dagegen waren in den Ovarien nur ganz vereinzelte Primordial- 
follikel vorhanden, deren Epithel und Eizellen deutliche Degenerations- 
zeichen trugen. Dafür hatte eine intensive Bindegewebswucherung Platz 
griffen. Die sehr zahlreichen Gefäße ließen eine hyaline Degeneration 
der Wandung erkennen, mithin eine sehr schwere destruktive Veränderung 
infolge der Röntgenbestrahlung, obwohl die Strahlenmenge verhältnismäßig 
«ring war (im ganzen 290 X) und die Frau erst 31 Jahre alt war. 


296 Langes, 


Metropathien. 


Die Erfahrungen bei den Metropathien waren ganz ähnlich wie bei 
den Myomen. 50 sind bisher bestrahlt worden, von denen 10 ausscheiden, 
da sie teilweise zur Zeit noch in Behandlung stehen, resp. noch nicht lange 
genug beobachtet sind (6), zum Teil sich der Behandlung entzogen resp. 
keine Auskunft über ihr jetziges Befinden erteilt haben. 

Von den 40 genau beobachteten Fällen sind 24 amenorrhoisch ge- 
worden und 9 oligomenorrhoisch, 6 blieben unbeeinflußt, bei 1 Patientin 
verstärken sich sogar die Blutungen. Dieses wenig befriedigende Resultat 
erklärt sich wiederum aus der anfänglichen unzulänglichen Technik. Es 
verteilen sich auf die 








Amenorrhoen | Oligomenorrhoen | unverändert verstärkt 
Anfangstechnik 12 7 | 1 | 1 
Jetzige Technik 12 1 | = Ä —- 








Aus dieser Gegenüberstellung gehen wiederum die viel besseren Re- 
sultate mit der jetzigen Bestrahlungstechnik hervor, bei der alle bis auf 
eine amenorrhoisch geworden und als geheilt zu betrachten sind. Nur bei 
einer trat kein völliger Erfolg ein, weil die Patientin bereits nach einer 
Serie fortblieb und außerdem erst 39 Jahre alt war. Also ist diese un- 
vollkommene Heilung nicht der Technik zur Last zu legen, da zweifellos 
wie bei den anderen Fällen nach 1—2 weiteren Serien eine Amenorrhoe 
eingetreten wäre. Demnach also bisher auch kein eigentlicher Miß- 
erfolg mit der richtig durchgeführten verstärkten Technik. 

Demgegenüber sind nach der Anfangstechnik zwar auch 12 
amenorrhoisch geworden (46°/,) und 7 zeigten ein Schwächerwerden der 
Blutung. Alle anderen 7 sind aber als vollkommene Versager aufzufassen, 
da die Periodenblutungen unbeeinflußt blieben. In einem Falle wurde 
sogar wegen Stärkerwerden der Blutung die Totalexstirpation vorgenommen. 

Eine weitere Bestätigung der Zuverlässigkeit der jetzigen Technik 
finden wir bei dem Vergleiche der verschiedenen Altersstufen der behan- 
delten Patientinnen: 
























30—40 Jahren 41—45 J. 46—50 J. | über 50 
Anehoreh: | Olirom. utvöränd: Am. lOlig. unv. | verst. Am. Olig. unv. Amenorih: 
Anfangstechnik ılı |e alı Je|2lı 
Jetzige Technik 2 1 4! 5 | 1 




















In dieser Zusammenstellung fällt wiederum die hohe Prozentzahl der 
in verhältnismäßig jungem Alter intensiver bestrahlten Patientinnen auf. 


Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 297 


Waren doch von 13 3 Patientinnen noch nicht 40 Jahre alt, die nach 
2—3 Serien amenorrhoisch und nach 1 Serie oligomenorrhoisch wurden. 

Im scharfen Gegensatz dazu steht der schlechte Erfolg mit der ge- 
geringen Filterung und schwachen Dosierung, besonders bei den Frauen, 
die bereits in der 2. Hälfte der 40er Jahre standen. Ist doch bei einer 
47jährigen Patientin trotz zweier Serien überhaupt keine Besserung er- 
zielt worden und bei einer 47- und einer 46jährigen nur ein Schwächer- 
werden der Blutungen. Allerdings hat ein Teil der Patientinnen nur 
1 Serie erhalten, demgegenüber sind aber auch Fälle von 3 und 4 Serien 
absolut unbeeinflußt geblieben, sodaß ein weites Zurückbleiben der An- 
fangstechnik hinter der verstärkten Bestrahlung nicht zu verkennen ist. 
Wenn vielleicht auch bei einer Reihe von Patientinnen durch Fortsetzung 
der Bestrahlung noch ein Erfolg erreicht worden wäre, so erscheint doch, 
abgesehen von der bei der schwachen Dosierung unvermeidlichen Gefahr 
einer Verschlimmerung, diese Technik aus dem Grunde unangebracht, weil 
die Patientinnen bei dem ziemlich langen Ausbleiben eines sichtbaren Er- 
folges das Vertrauen zu der Behandlung verlieren. Aus diesem Grunde 
sind zweifellos einige unserer Patientinnen aus der Behandlung fort- 
geblieben. Dies gilt zwar in erster Linie für die Metropathien, fast in 
demselben Grade aber auch für die Myome. 

Dieses beachtenswerte Motiv könnte dazu Veranlassung geben, eine 
noch intensivere Bestrahlung wie wir sie anwenden, auszuführen, wie sie 
von der Freiburger Klinik auch empfohlen wird. Dagegen sind die zum 
Teil genau beobachteten, zum Teil aber noch ungeklärten Früh- und 
Spätschädigungen anzuführen, vor deren Unterschätzung bereits von ver- 
schiedenen Seiten gewarnt worden ist (Wetterer, Bergoni6s, Speder, 
Iselin, d’Halluin usw.). 


Frühschädigungen. 

Hierher gehören als wichtigste Erscheinungen die Erytlıeme, der 
„Röntgenrausch“ resp. „Röntgenkater‘‘ und die Magendarmstörungen. Die 
Erytheme lassen sich durch entsprechende Filterung, exakte und nicht 
zu hohe Dosierung und gute Abdeckung und Auswahl möglichst harter 
Strahlen vermeiden. Wir haben bisher in keinem Falle ein stärkeres 
Erythem beobachtet. Der „Röntgenrausch“ resp. „Röntgenkater“ ist nach 
den Veröffentlichungen zweifellos stärker, je größer die verabfolgte Stralilen- 
menge ist. Auch wir haben bei unserer anfänglichen Technik fast nie 
Mattigkeit oder Kopfschmerzen erlebt, während bei der verstärkten Technik 
zweifellos diese Erscheinungen häufiger und stärker waren, jedoch niemals 
so, daß die Patientinnen schwer darunter litten. Durchfälle sind bei keinem 
unserer Fälle aufgetreten. 


298 Langes, 


Trotzdem scheint aus experimentellen Versuchen an Kaninchendärmen, 
die wir angestellt, jedoch noch nicht abgeschlossen haben, hervorzugehen. 
daß ähnlich wie es von den Franzosen Regaud, Nogier und Lacassagne!) 
an Hunden beschrieben worden ist, durch Verabfolgung sehr grober 
Strahlenmengen Darmschädigungen hervorgerufen werden können, obwohl 
die Tiere äußerlich keine Veränderungen aufweisen. Jedenfalls geben 
diese Beobachtungen, falls sie sich bestätigen, zu denken. 


Spätschädigungen und Nebenerscheinungen. 

Hierzu gehören die schwereren Hautveränderungen (Dermatitis, Atrophie, 
Teleangiektasien, Ulzera), ferner die harmloseren Hautpigmentierungen und 
weiter die noch unbekannten Veränderungen der inneren Organe speziell 
des Darms und der Nebennieren. Wir beobachteten bisher in fast allen 
Fällen mehr oder weniger starke Hautpigmentierungen, die jedoch keinerlei 
Beschwerden verursachten. Sonst haben wir bisher keine Spätschädigungen 
feststellen können. Ein Unterschied zwischen der Anfangs- und jetzigen 
Technik war in dieser Beziehung nicht zu bemerken. Weiter verdienen 
noch die sogenannten Nebenerscheinungen. und zwar als die wich- 
tissten die Ausfallserscheinungen der Erwähnung, die wir in den 
meisten Fällen beobachten konnten. Der Grad und die Schwere richtete 
sich im allgemeinen nach dem Alter und der verabfolgten Strahlenmenge. 
Je älter die Patientinnen waren, und je geringer die Dosis war, um so 
milder verlief das künstliche Klimakterium. In keinem Falle gingen sie 
über die physiologischen Grenzen hinaus. Auch aus diesen Beobachtungen 
halte ich ein plötzliches zu schnelles Überführen zur Amenorrhoe durch 
übermäßig hohe Dosen für nicht unbedenklich. 

Alle diese Gründe haben uns bewogen, an unserer Technik, die 
einen Mittelweg zwischen der Hamburger und der Freiburger Technik 
darstellt, bei Myomen und Metropathien festzuhalten: denn es liegt absolut 
kein Grund vor und ist sogar gefährlich, einer Patientin 1000 X und mehr 
zu verabfolgen, wenn auf Grund unserer bisherigen Erfahrungen durch den 
5. Teil derselbe Erfolg in etwas längerer Zeit erzielt wird. Natürlich darf 
nicht eine vorübergehende Verschlimmerung oder gar Versager eintreten. 
Solange wir diese nicht zu verzeichnen haben, erscheint mir auch aus 
ökonomischen Gründen eine noch intensivere Bestrahlung mindestens 
überflüssig. 

Zusammenfassung. 

1. Unsere Technik besteht in einer 6—9-Felderbestrahlung von allen 
Seiten her, und zwar werden durchschnittlich 20 X pro loco mit 4 mm 
Aluminiumfilter gemessen an verstellbaren Sabouraudtabletten verabfolgt. 


I) Arch. d’Eleetricite medicale 1912, Nr. 343, p. 321. 


Röntgenbehandlung bei Myomen und Metropathien. 299 


2. Experimentelle Untersuchungen haben Bestrahlungen der Kreuz- 
bein-, Glutäal- und Dammgegend rationell erscheinen lassen. 

3. Unsere Erfolge mit dieser Technik sind bisher sehr gut zu nennen 
(100% Heilung bei Myomen und Metropathien). 

4. Anfänglich wandten wir eine andere Technik an (2 Felder, 1 mm 
Aluminiumfilter), die sich als unzureichend herausgestellt hat. 

5. Noch größere Dosen als 200 X in einer Serie erscheinen über- 
trieben, wenn nicht infolge der stärkeren Frühschädigungen (,‚Kater‘‘) und 
der noch unbekannten, aber möglichen Darmschädigungen gefährlich. 

6. Ernsthafte Schädigungen sind bisher bei unserer Technik nicht 
beobachtet. 


(Aus der Kgl. Universitätsfrauenklinik zu Berlin; Direktor: Geheimrat 
Prof. Dr. E. Bumm.) 


Die Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlen auf 
das Karzinom, den Uterus und die Ovarien. 
Von 


Dr. P. Haendly, Assistent. 


ur Beurteilung der Erfolge bei der Behandlung des Uteruskarzinoms 

mit strahlender Energie steht uns, abgesehen von der Besserung des 
rein klinischen Befundes als Hilfsmittel die mikroskopische Untersuchung 
von Probeexzisionen aus den karzinomatösen Partien zur Verfügung. Wenn- 
gleich uns diese Untersuchungen, wie schon an anderer Stelle auseinander- 
gesetzt, über die völlige Heilung des Karzinoms kein absolut einwandfreies 
Ergebnis bringen können, da beim Verschwinden des Karzinoms in den 
der Probeexzision zugänglichen Stellen ein Weiterwachsen in der Tiefe der 
Uteruswand sowohl wie in den Parametrien statthaben kann, so gewinnen 
wir doch eine sehr wertvolle Vorstellung über die Veränderungen, die eine 
Bestrahlung nach den modernen Forderungen der Tiefentherapie an dem 
Karzinom und den anderen Gewebebestandteilen hervorzurufen imstande 
ist. Wir sehen weiter, wie der Ersatz des zugrunde gegangenen Karzinom- 
gewebes erfolgt, und wir erfahren, welche Art der Strahlentilterung, welche 
Dosierung, kurz welche Technik am wirksamsten ist. Ein Urteil über die 
Tiefenwirkung aber und über die elektive Wirkung der Strahlen läßt sich 
nur an den nach der Behandlung exstirpierten Uteri, über die völlige Hei- 
lung des Karzinoms in letzter Linie durch das weitere Verhalten der be- 
handelten Kranken gewinnen. Wird eine Patientin, die mit einem durch 
die mikroskopische Untersuchung sichergestellten Karzinom in die Behand- 
lung eintrat, „geheilt“ entlassen, so muß die Weiterbeobachtung und die 
Beurteilung des Erfolges nach den gleichen Grundsätzen geschehen, wie 
sie bisher allgemein als gültig für die Resultate der Radikaloperation an- 
erkannt worden sind; das heißt: eine Karzinomkranke kann erst als geheilt 
bezeichnet werden, wenn sie 5 Jahre nach der Behandlung rezidivfrei ist. 
Daß} diese Forderung nicht zu rigoros ist, erhellt ein von Brieger mit- 
geteilter Fall, in dem eine von Lassar wegen eines Karzınoms des unteren 
Augenlides mit Radium behandelte und geheilt entlassene Frau nach 8 
Jahren mit einem Rezidiv in der alten Narbe wieder zur Beobachtung kam. 


Haendly, Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlung usw. 301 


Wir haben schon kurz an anderer Stelle über die histologischen Be- 
funde an Probeexzisionen bei unseren mit Mesothorium und Röntgenstrahlen 
behandelten Karzinomen berichtet. In ausführlicher Weise soll dies in den 
folgenden Zeilen geschehen. Es sollen dabei nicht nur die Veränderungen 
an dem Karzinomgewebe, die im allgemeinen mit den schon von anderen 
Untersuchern erhobenen Befunden übereinstimmen (Exner, Perthes, 
Kaiserling, Herxheimer, Wickham, Oserky und Caan, Werner, 
Aschoff, Krönig, Gauß, Döderlein u. a.), sondern auch der Einfluß 
der Strahlen auf den Uterus und die Ovarien berücksichtigt werden. Man 
findet nun bei der mikroskopischen Untersuchung bestrahlter Gewebe natür- 
lich allerlei Veränderungen, die auf irgendwelche Einflüsse zurückzuführen 
sind und mit der Bestrahlung nicht das geringste zu tun haben. Als 
Folge der Bestrahlung können nur die Abweichungen von dem gewohnten 
histologischen Bilde eines Gewebes betrachtet werden, die regelmäßig nach 
einer derartigen Behandlung beobachtet werden. Würde man z. B. die 
Sklerose eines Ovarıums und das Fehlen von Primärfollikeln bei einer 
Frau, die schon seit einer Reihe von Jahren in der Menopause ist, oder 
jeden Zerfall von Karzinomgewebe auf die Strahlenwirkung zurückführen, 
so wäre das ein Fehlschluß. Finden sich aber die gleichen Veränderungen 
am Ovarium einer jungen Frau, deren Menstruation während der Behand- 
lung fortgeblieben ist, steht der Zerfall des Karzinoms so im Vordergrunde, 
daß er in ungewohnter Weise das Bild beherrscht, und kehren diese Be- 
funde in anderen Fällen in gleicher Weise wieder, so ist man berechtigt, 
daraus seine Schlüsse über die Wirkung der Strahlen zu ziehen. 

Gehen wir zunächst auf die im Vordergrunde des Interesses stehende 
Reaktion des Karzinomgewebes auf die Bestrahlung ein. Wenn wir ein 
vor der Bestrahlung gewonnenes Präparat bei schwacher Vergrößerung mit 
einem weiteren vergleichen, das nach 2—3 wöchentlicher Bestrahlungszeit 
gewonnen worden ist, so fällt zu allererst einmal auf, daß die Krebsstränge 
viel schmäler geworden sind, daß viel kleinere oft nur aus einigen wenigen 
Zellen zusammengesetzte Häufchen zu den massigen, nur von einem spär- 
lichen Zwischengewebe getrennten Karzinomalveolen gegenüberstchen. 
Während ferner die Karzinomzellen in dem Tumor ursprünglich eng zu- 
sammen lagen, und bei dicht stehenden Kernen vom Zelleib nur ein 
schmaler Saum zu erkennen war, die Kerne selbst ungefähr von gleicher 
Größe dem Beobachter ein mehr einheitliches Bild darboten, sind die Zellen 
in den Präparaten nach der Bestrahlung größer, plattenepithelartiger, die 
ganze Alveole durch das stärkere Hervortreten des Protoplasmas im Ganzen 
heller, lichter. Bei stärkerer Vergrößerung erscheinen die Zellen gequollen: 
die Kerne sind bläschenförmig und zeigen eine ungleiche Färbbarkeit. 
Neben sehr dunkel tingierten, die eine feinere Struktur nicht erkennen 


302 Haendly, 


lassen, finden sich hypochromatische, die neben ein oder zwei dunkel tin- 
gierten Kernkörperchen ein feines Netzwerk von Ohromatinfäden aufweisen, 
während die übrige Kernsubstanz hell wie mit kleinen Vakuolen durch- 
setzt ist. Auch das Protoplasma zeigt Variationen der Färbefähigkeit, ist 
bald heller, blaß tingiert und weist hier und da Vakuolen auf, bald ist der 
Farbton infolge einer feinen Körnung dunkler. Die Zellgrenzen erscheinen 
infolge des plattenepithelähnlichen Charakters der Zellen schärfer. Viel- 
fach findet sich auch eine Neigung zur Verhornung. Eine stärkere Perl- 
bildung haben wir aber nur in den Fällen gefunden, in welchen es sich 
ursprünglich um Karzinome handelte, die vom Oberflächenepithel ausgehend 
schon an und für sich zur Verhornung neigten. Hier allerdings nimmt 
die Verhornung unter der Behandlung oft eine sehr große Ausdehnung an, 
so daß, wie wir es z. B. bei einem primären Vulvakarzinom beobachteten, 
das noch vorhandene Karzinomgewebe fast nur aus verhornten Massen mit 
spärlichen oft flach gedrückten Kernen besteht. die große geschichtete 
Perlen oder auch breite homogene kaum gefärbte, bei Weigert-Haematoxy- 
lin-van Gieson-Färbung gelblich-braune Schollen bilden. In anderen 
Fällen wieder sind die Grenzen verwischt. Das Protoplasma ist in aus- 
gedehntem Maße zusammengeflossen und nimmt synzytialen Charakter an. 
Hier sind dann die Kerne von ungleicher Größe, Form und Färbbarkeit 
regellos verteilt, oft einzeln oder an anderen Stellen in mehr oder weniger 
großer Zalıl dicht bei einander liegend, so daß Bilder entstehen, die an 
ein Chorionepitheliom erinnern. Schon in diesem Stadium sind die Kern- 
teilungsfiguren geschwunden. Selbst in Karzinomen, die sich ursprünglich 
durch eine sehr reichliche Karyokinese auszeichneten, so daß man in jedem 
Gesichtsfeld ein oder mehrere Mitosen fand, können selbst bei genauer 
Durchsicht eines Präparates keine mehr gefunden werden. Dagegen kommt 
es, ebenfalls als ein Zeichen einer anormalen Zellvermehrung zu mehr oder 
minder zahlreicher Bildung von mehrkernigen oder auch großen einkernigen 
Riesenzellen. Auch eine starke Verfettung der Zellen haben wir beobachtet. 
Bei länger dauernder Behandlung steigern sich die Veränderungen. Die 
Menge des Karzinomgewebes nimmt immer mehr ab. Zwischen breiter 
werdenden Massen von Bindegewebe, dessen Veränderungen weiter unten 
beschrieben werden sollen, liegen nur noch schmale Züge und kleine 
Haufen von Karzinomzellen, oft nur noch in Einzelexemplaren, an denen 
die Zeichen des Unterganges immer deutlicher hervortreten. Diese wechseln 
in ihrem Angriffspunkt und betreffen bald stärker den Kern, bald mehr 
das Protoplosma. Während sich schon in dem oben beschriebenen Stadium 
ein Kernzerfall bemerkbar machte, so daß das Protoplasma mit kleinen 
und kleinsten schweren Körnchen wie bestäubt erscheint, tritt die Pyknose 
jetzt noch mehr in den Vordergrund. Man findet in den Zellen immer 


Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlung usw. 303 


häufiger bald gröbere bald feinere unregelmäßig geformte Reste des zer- 
fallenen Kernes. Schließlich schwindet er völlig — Kariolyse — und man 
hat nur noch eine kernlose Protoplasmamasse vor sich, die schließlich 
auch zerfällt. In anderen Fällen wieder ist der Kern mehr oder weniger 
gut erhalten, während der Zellteil Vakuolen aufweist oder versprengt ist 
und mit unregelmäßigem Rand wie angefressen erscheint. Schließlich findet 
man nur noch schlecht gefärbte zuweilen verkalkte zerfallene Protoplasma- 
schollen mit einzelnen Kerntrümmern, bis endlich in einer erneuten Ex- 
zision überhaupt nichts mehr von Karzinomgewebe vorhanden ist. 

Dies wären die Befunde, die sich in wechselnder Zusammenstellung 
und in einer nach der Länge der Bestrahlungszeit quantitativ und qualitativ 
verschiedenen Ausdehnung am Karzinomgewebe erheben lassen. Die Ein- 
wirkung der Strahlen erstreckt sich aber nicht nur auf die Krebszelle, Hand 
in Hand mit den Veränderungen an ihr gehen die der übrigen Gewebe. 
Am auffallendsten sind zunächst die Vorgänge am Bindegewebe. Man 
war früher sogar der Ansicht, daß das Bindegewebe primär den Angriffs- 
punkt für die Strahlenwirkung bilde. Es sollte als erste Erscheinung eine 
Wucherung und Neubildung des Bindegewebes eintreten, die durch Druck 
zu einer Atrophie und einem Untergange des Karzinoms führe. Dies war 
z. B. die Auffassung von Exner und er bezeichnete eine primäre Schädigung 
der Karzinomzelle als zweifelhaft. Demgegenüber wird heute angenommen, 
daß die Strahlen auf die Karzinomzelle eine elektive, zerstörende Wirkung 
ausüben und zugleich das Bindegewebe zu einer starken Proliferation an- 
regen (Aschoff, Krönig, Gau, Döderlein u. a.) Nach unserer An- 
sicht dürften sich die Vorgänge folgendermaßen abspielen: zunächst tritt 
als Wirkung der Bestrahlung eine Schädigung der Krebszellen ein, die wie 
wir auseinandergesetzt haben, zu einer Störung in der Zellvermehrung 
(Fehlen der Mitosen, Riesenzellenbildung), in gewissem Grade zu einer 
Änderung des Zellcharakters (Plattenepithel, Verhornung) und dann in 
fortlaufender Reihe bis zu einem völligen Zerfall der Zelle führt. Die 
durch das Zugrundegehen der Krebszellen geschaffenen Defekte müssen 
natürlich ersetzt, das zerfallende Gewebe muß resorbiert werden. Hier 
tritt das Bindegewebe ein. Wir können an unseren Präparaten genau 
verfolgen, wie bei den ersten an den Karzinomzellen auftretenden Schädi- 
gungen Züge von Leukozyten in die Alveolen eindringen und eine Proli- 
feration des Bindegewebes am Rande der Krebsnester beginnt, die sich 
zunächst in einer starken Vermehrung von großen Rundzellen äußert. 
Diese schieben sich zwischen die untergehenden Karzinomzellen und füllen, 
während Phagozyten die Zellreste fortschaffen, die Lücken aus. Sehr bald 
findet man zwischen den Rundzellen große spindelförmige Zellen mit blasigen 
Kernen. Oft sieht man Keile in die Krehnester zwischen die Zellen vom 


304 Haendly., 


Rande her hereinragen, die, olıne daß eine Rundzelleninfiltration vorhanden 
ist. aus großen, dicht aneinander liegenden Spindelzellen bestehen. Während 
diese Vorginge am Rande der Krebshaufen spielen, tritt in dem übrigen 
Bindegewebe eine langsam zunehmende Sklerosierung und schließlich eine 
ausgedelinte hyaline Degeneration der Fibrillen ein, und auch das neu- 
gebildete Bindegewebe wird bald in dieser Richtung verändert. Die Fibrillen 
nelımen an Menge zu, quellen immer mehr auf, verschmelzen miteinander 
und bilden breite, homogen gefärbte, glasige Streifen, an denen die Ent- 
stehung aus Fibrillen kaum mehr zu erkennen ist. Die Kerne schwinden. 
Schließlich hat man nur noch regellos ineinander geschobene hyaline Massen. 
die ungleichmäßig tingiert sind. Bindegewebskerne findet man dann nur 
noch ganz vereinzelt. Die Gefäße sind spärlich. Diese Sklerose und 
spätere hyaline Degeneration beherrscht des öfteren das Bild, welches das 
Bindegewebe unter der Einwirkung der Strahlen zeigt. Die Bindegewebs- 
neubildung trafen wir nur dort an, wo Karzinomzellen zu Grunde gehen. 
Daß sie keinen sehr erheblichen Umfang annimmt, sondern sich allein auf 
den Ersatz der entstandenen Defekte beschränkt, zuletzt aber zu einer 
Sklerosierung und narbigen Schrumpfung führt. Wir haben nie eine 
Volumenzunahme der bestrahlten Tumorpartien gesehen. wie es die Folge 
einer stärkeren Bindegewebsneubildung sein müßte. sondern im Gegenteil 
eine starke Volumenabnahme. Auch bei den mit Strahlen behandelten 
Obertlächenkarzinomen usw. ist der Endeffekt stets die Heilung unter 
Bildung einer Narbe. In vielen Fällen kommt es aber nicht einmal 
zur Neubildung eines zellreichen Bindegewebes, sondern die untergehenden 
Karzinomzellen werden durch ein zartes, aus einem lockeren Netzwerk 
zierlicher Fibrillen mit eingelagerten Rund- und Spindelzellen bestehenden 
(sranulationsgewebe ersetzt. Hier finden sich reichlich Phagozvten. seltener 
Plasmazellen. An anderen Stellen kommt es wohl überhaupt nicht zu 
einer Gewebsneubildung. Der Ersatz scheint hier dadurch herbeigeführt 
zu werden. daB die sklerosierenden und hyalin degenerierenden Fibrillen 
an Volumen zunehmend sich eng um die schwindenden Karzinomizellen 
zusammenziehen und sofort zu einer festen derben Narbe führen. An der 
Oberfläche tritt regelmäßig in einer schmalen Zone eine Nekrose aller 
(sewebebestandteile ein. Nach dem erhaltenen Gewebe zu bildet Granu- 
lationsgewebe dann den Übergang. Daran muß aber jedenfalls festgehalten 
werden: kommt es zu einer Bindegewebsproliferation, so ist es immer nur 
da der Fall. wo Karzinomzellen untergehen. 

Im Gegensatz zum Bindegewebe kommt es bei der Muskulatur nur 
zu regressiven Veränderungen. \Wieweit diese auf den Druck der sklero- 
sierenden Bindegewebstibrillen oder auf die Strahlenwirkung zu schieben 
sind. ist mit Sicherheit nicht zu entscheiden. Zunächst werden die Muskel- 


Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlung usw. 305 


bündel durch die Sklerose und hyaline Degeneration des Bindegewebes aus- 
einander gedrängt. Dann quillt das Protoplasma der Muskelzellen auf, die 
Zeichnung und die Zellkonturen werden verschwommen. Įm weiteren Ver- 
laufe gehen die Kerne zu Grunde, die Muskelzellen atrophieren, die Fi- 
brillen degenerieren hyalın. So nimmt die Muskulatur immer mehr ab 
und schließlich findet man zwischen dem sklerosierten und hyalin degene- 
rierten Bindegewebe nur noch kaum erkennbare Reste von Muskelzellen. 
Naturgemäß sind diese Veränderungen am stärksten und machen sich am 
ersten bemerkbar in den der Strahlungsquelle zunächst belegenen Partien, 
also bei den Karzinombehandlungen in der Zervix. Doch wird bei lange 
dauernder Behandlung auch die Korpusmuskulatur in der gleichen Weise 
beeinflußt, so daß zum Schluß nur noch ein aus sklerosiertem und hyalin 
degeneriertem Bindegewebe bestehendes Organ resultiert. Wie weit außer 
den genannten Ursachen dafür zuletzt noch der Ausfall der Ovarienfunktion 
von Bedeutung ist, kann mit Sicherheit nicht entschieden werden. Daß 
letzteres jedenfalls nicht der ausschlaggebende, allein wirksame Faktor ist, 
kann aus der zuerst in der Nähe der Strahlungsquelle auftretenden Atrophie 
geschlossen werden. 

Die eben erwähnte Schädigung der Ovarien, die in einem Untergang 
der Primärfollikel und völliger Atrophie besteht, konnte von uns an einigen 
nach der Behandlung durch Operation oder Sektion gewonnenen Ovarien 
jüngerer zwischen 35—40 Jahre alter Frauen beobachtet werden. Es 
kamen diese nach verschieden langer Bestrahlungsdauer zur Untersuchung, 
so daß wir ein ziemlich vollständiges Bild der aufeinander folgenden 
Stadien gewonnen haben. Bei den Fällen, die die geringsten Strahlen- 
mengen appliziert erhielten, fand sich eine Sklerose der Bindegewebsfibrillen 
in der Parenchymschicht, die nicht ganz gleichmäßig verteilt, am stärksten 
am Rande des Ovarıums war. Von den mäßig reichlich vorhandenen 
Primärfollikeln war keiner mehr normal. Sie zeigten in mehr oder minder 
starkem Grade ein Aufquellen des Granulosaepithels, das schließlich in 
das Lumen des Follikels abgestoßen wurde. Die Eizellen waren in allen 
Primärfollikeln zerstört und lagen als farblose amorphe Detritusmasse im 
Lumen. Der weitere Verlauf, der Ersatz des durch den Untergang des 
Follikels entstandenen Defektes, vollzieht sich wie bei der Follikelatresie: 
Reifende Follikel sind nicht mehr vorhanden. Bei länger dauernder Be- 
handlung finden sich immer weniger Follikel.e. Die noch vorhandenen zeigen 
in verschieden starkem Grade die Zeichen des Unterganges. Das sklero- 
sierte Bindegewebe verfällt einer wiederum vom Rande her vorschreitenden 
hyalinen Degeneration. In den Ovarien einer von uns sehr lange be- 
handelten Patientin, die während dieser Zeit amenorrhoisch geworden war, 
zeigt die Parenchymschicht ein dichtes Geflecht von sklerotischen und 

Strahlentherapie Band III, Heft 1. 20 


306 Haendly, 


hyalın degenerierten Bindegewebsfibrillen, das im allgemeinen sehr kern- 
arm nur an einzelnen Stellen noch Bindegewebskerne aufweist. In der 
Albuginea liegen dort, wo die hyaline Degeneration nicht zu weit fort- 
geschritten ist, dichte Haufen von elastischen Fasern. Primärfollikel sind 
keine vorhanden — es handelte sich um eine 37jährige Frau —. Nur 
ganz vereinzelt stößt man auf kleine Hohlräume ohne Wandbekleidung, in 
denen einige zerfallende kleine Protoplasmaschollen ohne Kerne liegen. An 
den Gefäßen finden sich starke Veränderungen. Es muß aber bei der 
Beurteilung der Gefäßveränderungen im Ovarium als Folgen der Bestrahlung 
Vorsicht walten, da gerade hier sich vielfach Degenerationsvorgänge an den 
Gefäßen bemerkbar machen, ohne daß eine Bestrahlung stattgefunden hat 
— ÖOvulationssklerose. Bei der Beschreibung der Gefüßdegenerationen, die 
wir auf die Bestrahlung beziehen, haben wir daher nur die Gefäße des 
Uterus in Betracht gezogen. Entsprechend der Länge und Intensität der 
Bestrahlung sind sie von Fall zu Fall graduell verschieden. 

Die Vorgänge an den Wandschichten der Gefäße sind entsprechend 
ihrer Zusammensetzung aus Muskulatur und Bindegewebe fast identisch 
mit den degenerativen Vorgängen dieser Gewebe. Die Adventitia wird 
zunächst beeinflußt und zeigt eine Sklerose der Fibrillen, und schließlich 
eine Degeneration. Die Degeneration der Media durchläuft verschiedene 
Stadien: zunächst quellen die Muskelzellen auf und verlieren ihre feine 
Streifung und ihre Konturen. Die Färbung wird blasser. Endlich ver- 
schwinden die Kerne, die Zellen verlieren ihre Färbbarkeit im Hämatexylin- 
Eosin- und Weigert-van Gieson-Präparat vollständig: es resultiert eine 
amorphe bei der letztgenannten Färbung grau-grünlich aussehende Masse. 
Betrachtet man ein solches Präparat bei einer Elastikafärbung, so sielıt 
man, daß diese Massen nur aus elastischen Fasern bestehen, die auf- 
gequollen, verklumpt, zum Teil zerfallen ein unentwirrbares Netzwerk 
bilden. Wieder an anderen Gefäßen besteht nur noch ein homogener 
hyaliner Ring, in dem schließlich, wohl als letztes Stadium der Degenera- 
tion, zuweilen breite Kalkspangen abgelagert werden. Die Intima erhält 
sich am längsten normal. Erst wenn die Degeneration der übrigen Wand- 
schichten schon ziemlich weit vorgeschritten ist, fängt sie an zu wuchern, 
die Kerne quellen auf. Das Lumen wird immer mehr verengert, bis es 
endlich obliteriert. 

Von den Gewebebestandteilen, die wir noch weiterhin genauer auf ihr 
Verhalten gegenüber der Bestrahlung untersuchten, sind die elastischen 
Fasern, die Plasmazellen und die eosinophilen Leukozyten zu nennen. Die 
ersten quellen unter der Behandlung auf, verlieren an Färbbarkeit, ver- 
klumpen, um endlich in mehr oder weniger unregelmäßigen Fasern und 
Klümpchen in ungleicher Menge über das Präparat verteilt sich zu zeigen. 


Wirkung der Mesothorium- und Röntgenstrahlung usw. 307 


Die Plasmazellen und eosinophilen Leukozyten, deren Verhalten von 
Frl. Weishaupt in unserem Institut speziell untersucht worden ist, ver- 
schwinden mit der zunehmenden Sklerosierung und hyalinen Degeneration 
und zwar die Plasmazellen zuerst. 

Fassen wir unsere Untersuchungen kurz zusammen, so können wir 
sagen, daß es unter dem Einfluß der Strahlen zu einem ausgedehnten 
Untergange des Karzinomgewebes kommt. Das Bindegewebe weist insofern 
ein durch den Untergang der Karzinomzellen entstandener Defekt zu er- 
setzen ist, eine Neubildung auf. Dieses neugebildete Bindegewebe sklero- 
siert und degeneriert ebenso wie das übrige Bindegewebe. Die glatte 
Muskulatur atrophiert und verschwindet fast völlig. Die Muskelfibrillen 
degenerieren zum Teil hyalın. Im Ovarium werden die Primärfollikel 
völlig zerstört. Die Gefälle zeigen eine hyaline Degeneration der Adven- 
titia und Media. Die letztere verkalkt hin und wieder. Durch eine 
Wucherung der Intima kommt es zu einer Obliteration zahlreicher Gefäße. 
Den klinischen Erfolg dieser Veränderungen abzuschätzen, ist nicht die 
Sache des Pathologen, ihn wird in letzter Linie die Zukunft lehren. 


=u* 


Aus den Verhandlungen der Royal Society of Medicine, 
Section für Elektrotherapie. 


Die im tierischen Gewebe entstehenden Sekundärstrahlen. 
Von 
N. Russ, D. Sc. 
(Mit 4 Abbildungen.) 

s häufen sich allmählich die Beweise dafür, daß der biologische Effekt 

der verschiedenen Strahlenarten, wie sie vom Radium und der Rönteen- 
röhre ausgesandt werden, parallel geht der ionisierenden Wirkung dieser 
Strahlen. Die leicht absorbierbaren Strahlen, die bezüglich der Ionisativn 
äußerst wirksam sind, rufen eine größere biologische Wirkung hervor als 
die stärker penetrierenden. 

Man hat gefunden, daß, wenn irgendeine Substanz von primärer 
Röntgenstrahlung getroffen wird, diese Substanz nach allen Richtungen hın 
Sekundärstrahlung aussendet. Diese Strahlung kann identisch mit der 
Primärstrahlung sein; in diesem Falle nennt man sie „zerstreute (diffuse) 
Primärstrahlung“. Sie kann jedoch auch bestimmte Eigenschaften haben. 
die von den die betreffende Substanz zusammensetzenden Elementen ab- 
hängen. So hat Barkla gezeigt, daß alle Elemente von einem höheren 
Atomgewicht als 40 eine „.charakteristische homogene Strahlung‘ aussenden, 
wenn sie von einer geeigneten primären Strahlung getroffen werden. Je 
niedriger das Atomgewicht, desto weicher ist diese homogene Strahlung. 
Whiddington hat nachgewiesen, dal Aluminium (Atomgewicht 27) eine 
„charakteristische Strahlung‘‘ aussendet, die, wie nach Barklas Arbeiten 
vorauszusehen war, von sehr weichem Typ ist. 

Da die Gewebe des tierischen Körpers in der Hauptsache aus Ele- 
menten von niedrigem Atomgewicht bestehen, so müßte man annehmen, 
daß das Auftreffen von Röntgenstrahlen auf das Gewebe keine besonders 
charakteristische und leicht erkennbare homogene Sekundärstrahlung er- 
zeugen würde. Man müßte ferner, falls sich Unterschiede in den Sekunllür- 
strahlungen einzelner Gewebe ergeben sollten, diese aller Wahrscheinlich- 
keit nach auf den verschiedenen Mineralgehalt dieser Gewebe zurückführen. 

Wir haben nun einige orientierende Messungen bezüglich der Sekundär- 
strahlen angestellt, die in verschiedenen Geweben (des Hammels) entstehen. 
wenn eine Primärstrahlung von mittlerer Härte auftrifft (Strahlung einer 
gewöhnlichen Röntgenröhre mit 9 cm Funkenstrecke). In welcher Art 


Russ, Im tierischen Gewebe entstehende Sekundärstrahlen. 309 


diese Untersuchungen angestellt wurden, ergibt sich aus Fig. 1: Die 
Primärstrahlung trifft ein Gewebsstück (T), das sich in einem Behälter 
aus dünnem Glimmer von 1,5 cm Tiefe befindet. Das ganze befindet sich 
in 10 cm Entfernung senkrecht unter einem Goldblattelektroskop (E). 
Ein Teil der im Gewebe entstehenden Sekundärstrahlung kann durch ein 
Loch in einem Bleischirm hindurch treten. Das Loch selbst kann wieder 
mit Aluminiumplättchen, je nach Erfordernis bedeckt werden. Die durch 
das Loch tretenden Strahlen treffen das Elektroskop, ionisieren die Luft in 
diesem und bewirken, dal die Goldblättchen allmählich zusammenfallen. 
Die Schnelligkeit dieses Vorganges ist dann ein Maß für die Stärke der 
Ionisation. Das Elektroskop wurde, mit Ausnahme eines leichten Rah- 
mens, aus Seidenpapier gefertigt, um die Entstehung von tertiären Strahlen 
unter dem Einfluß der zu unter- 
suchenden Sekundärstrahlung zu 
vermeiden. 

Nachdem die Stärke der 
Ionisation zunächst allein ge- 
messen war, wurden Aluminium- 
scheiben über das Loch gelegt und 
die schrittweise Verminderung der 
Ionisation gemessen. Auf diese 
Weise konnte die Penetrations- P 
kraft der Sekundärstrahlung be- 
stimmt werden. 

Figur 2 zeigt die Absorptions- Fig. 1. 
kurven für Wasser, Blut und 
Knochen. Die beiden ersteren ergeben, unter diesen speziellen Versuchsbedin- 
gungen, keine charakteristischen Unterschiede von einander und lassen wie wir 
später sehen werden, erkennen, daß die Primärstrahlung durch sie „zer- 
streut“ wird ohne irgendwelche Änderung ihres Charakters. Der plötzliche 
Abfall der Ionisationskurve für die von pulverisiertem Knochen ausgehenden 
Sekundärstrahlen ist höchstwahrscheinlich auf deren Kalziumgehalt zurück- 
zuführen. Die charakteristische homogene Strahlung, die bestrahltes Kal- 
zium aussendet, ist nach Barkla sehr weich und würde mehr als zur 
Hälfte von der 10cm hohen Luftschicht zwischen Oberfläche der Substanz 
und Elektroskop absorbiert werden. 

Neben diesem weichen Anteil wurde der Rest der Sekundiärstrahlung 
als zerstreute Primärstrahlung festgestellt. 

Auf demselben Diagramm sind 2 Beispiele der charakteristischen 
homogenen Strahlung dargestellt, die in Metallen bei gleicher primärer 
Strahlung entsteht. Man sieht deutlich, wie diese von Blei und Wismuth 





Antı Kathodle 


310 Russ, 


emittierte Strahlenart sehr leicht absorbiert wird. Diese Metalle wurden 
gewählt, da es im besonderen klinischen Interesse zu liegen schien. Blei 
wird gelegentlich als Material für Strahlenschutzwände benutzt; die Mög- 
lichkeit, daß dieses Vorgehen mit Gefahren verbunden ist, liegt offenbar 
vor. Man muß bedenken, daß sich die weiche Strahlung durch die ver- 
schiedenen einzelnen Schichten einer Schutzwand fortpflanzt und daß der 
dann austretenden Strahlenmenge wahrscheinlich eine bedeutende Intensität 
zukommen dürfte. Die gleiche sekundäre Strahlung wird übrigens durch 
die y-Stralhlen des 
Radiums ausgelöst. 
Wismuth wird be- 
kanntlichzuZwecken 
der Radiographie in 
den Körper einge- 





o Wasser 
= blut 
Anohen 






P führt und es ist wich- 
i i tig zu wissen, daß 
U durch die Primär- 
m , strahlung in ihm eine 
j sehr weiche Sekun- 
Š F därstrahlung ausge- 

S 7 X ~2 a] löst wird. 
š D “ og In Figur 3 geben 
N eh die voll ausgezogenen 
. Linien I, IJ und II 
N die Absorption der 
Bw n. in der Milz entste- 
| Br henden Sekundär- 

A Sn g 7 72 75 78 


strahlung durch Alu- 
minium wieder und 
Fig. 2. zwar unter verschie- 

dener Versuchsan- 

ordnung. Kurve I bezieht sich auf Milz in natürlichem Zustande; ein Vergleich 
mit Figur 2 ergibt, daß die entstehende Sekundärstrahlung nicht wesentlich 
von der des Wassers und Blutes abweicht. Diese Ähnlichkeit der Kurven ixt 
wahrscheinlich auf den hohen Wassergehalt des normalen Gewebes zurück- 
zuführen. Dasselbe Gewebsstück wurde nachher mit Azeton behandelt. 
um Wasser und Fett auszuziehen; der verbleibende Rückstand wurde ge- 
trocknet und pulverisiert. Die nun gemessene Sekundärstrahlung ergibt 
Kurve II. Jetzt ließen sich auch die Merkmale eines weichen Strahlen- 
anteils in der sonst gleichmäßigen „zerstreuten Strahlung“ feststellen. 
Vorher war das nicht möglich gewesen, da die „zerstreute Strahlung“ des 


Aluminum in mm 


Im tierischen Gewebe entstehende Sekundärstrahlen. 311 


Wassers zu sehr überwog. Nachdem die pulverisierte Milz verascht worden 
war, konnte nachgewiesen werden, daß die Asche, also die Mineralbestand- 
teile, den Hauptanteil der gemessenen sekundären Strahlung erzeugen (siehe 
Kurve III), der Rest der Strahlung ist wahrscheinlich bedingt durch „zer- 
streute Primärstrahlung“* des Kohlenstoffs. Die sehr weiche Sekundär- 
strahlung ist höchstwahrscheinlich auf den Gehalt an Eisen in der Milz 
zurückzuführen, das ohne Schwierigkeiten mit den gewöhnlichen chemischen 
Proben in dem veraschten Material nachweisbar war. Leider ist es nicht 
möglich, den Absorptionskoeffizienten dieser überweichen Strahlung anzu- 
geben, da Versuche | 
mit sehr dünnen Alu- 
miniumscheiben bis 
jetzt nicht angestellt 
werden konnten. 

In derselben 
Figur 3 geben die 
punktierten Linien 
die von Nierengewebe 
emittierte Sekundär- 
strahlung wieder, ge- 
messen bei derselben 
Versuchsanordnung 
wie bei der Milz. Es 
läßt sich leicht er- 
kennen, daß die Än- 
derung des Strahlen- 
charakters viel weni- 
ger ausgesprochen ist 
als im vorhergehen- 
den Fall. 

In Figur 4 geben Fig. 3. 
die Kurven I, Il und 
III die Ergebnisse wieder, die bei Versuchen mit Lebergewebe angestellt 
wurden und zwar bezieht sich Kurve I auf normale Leber, II auf ge- 
trocknete, III auf veraschte. Die Abstufungen sind ähnlich den mit Milz 
erhaltenen, nicht ganz so ausgesprochen wie bei dieser, aber jedenfalls 
sehr viel deutlicher als die von Niere. 

Alle diese Versuche sind mit einer Röhre angestellt, die bei ungefähr 
9 cm Funkenstrecke betrieben wurde. Vorhergehende Messungen hatten 
erkennen lassen, daß der weiche Strahlenanteil aus einer Röhre, die mit 
8.5 cm Funkenstrecke betrieben wird, durch 0,56 mm Aluminium heraus- 





312 Russ, 


gefiltert wird, der Hauptteil der restierenden Strahlung hat dann einen mitt- 
leren Absorptionskoeffizienten à = 5,6 cm—!. Aus weiteren Messungen 
bei 4,5 und bei 19 cm Funkenstrecke kann man durch Interpolieren be- 
rechnen, daß bei 9 cm die Konstante à ziemlich genau gleich 5 cm™! 
sein wird. Untersucht man die Sekundärstrahlung der hier in Rede 
stehenden Substanzen (mit ihrem normalen Wassergehalt) in der gleichen 
Weise, so findet man folgende Werte für 2: 


Sekundärstrahlung von: ^A in cm~? 


Wasser— Blut 4,8 
Knochen 4.4 
Leber 4,6 
Niere 5,6 
Milz 3,6 


Mit Ausnahme der Milz differieren diese Zahlen um nicht mehr as 
etwa 10 %, von dem Werte 5, der angibt daß die gemessene Sekundär- 
strahlung in ihren 
Charakter der ein- 
fallenden Primär- 
strahlung praktisch 
identisch ist. Der 
niedrige Wert von 
3,6 für Milz legt die 
Annahme nahe, dab 
abgesehen von der 
sehr weichen Strah- 
lung des in ihr 
enthaltenen Eisens, 
höchstwahrscheinlich 
die Sekundärstrah- 
lung an sich pene- 
trationskräftiger als 
bei den übrigen Orga- 
nen ist. Dies könnte 
daher kommen, dab 





0 3 6 9 /2 rs 18 j i 
Aluminium im mm. die weicheren Anteile 

der Primärstrahlung 

Fig. 4. durch die Milz in her- 


vorragendem Male 
absorbiert werden. Diese Elektivität der Absorption, die, wie Barkla und 
Sadler gezeigt haben, ganz allgemein vorkommt, würde sonach den Effekt 


Im tierischen Gewebe entstehende Sekundärstrahlen. 313 


haben, daß die primäre Strahlung gehärtet wird und dies würde wieder 
in der Verringerung der Größe von % zum Ausdruck kommen. 

Diese Erklärung möchte ich an Stelle der bisherigen setzen, die an- 
annimmt, daß normalerweise Substanzen in der Milz vorhanden sind, die 
harte Sekundärstrahlung aussenden. 

Von den verschiedenen untersuchten Geweben läßt sich bei Knochen 
und Milz das Vorhandensein einer von der zerstreuten (diffusen) Primär- 
strahlung verschiedenen Sekundärstrahlung am deutlichsten nachweisen. 

Wie ich höre, gelingt es in: Krankheitsfällen, in denen die Milz ver- 
größert ist, diese durch Bestrahlung zu verkleinern. Es läßt sich zwar 
augenblicklich noch nicht mit voller Sicherheit sagen, ob und in welcher 
Weise die besondere Sekundärstrahlung hierbei wirksam ist, aber es ist 
doch nicht ganz unwahrscheinlich, daß zwischen dieser klinischen Beob- 
achtung und den äußerst günstigen Bedingungen für die Entstehung einer 
Eisenstrahlung, wie sie gerade dieses Organ bietet, gewisse Beziehungen 
bestehen. 

(Übersetzt ron Dr. G. A. Rost-Kiel.) 


Aus dem Röntgenlaboratorium des Professor Bergonie- Bordeaux. 


Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 
Von 
Dr. E. Speder. 


ur Behandlung der Hypertrichose stehen uns zur Zeit eine ganze An- 

zahl therapeutischer Maßnahmen zur Verfügung. Im folgenden sollen 
nur diejenigen Methoden, bei denen die Elektrizität direkt oder indirekt 
zur Anwendung kommt, erwähnt werden. 

Die elektromedizinische Behandlung der Hypertrichose ist auf zweier- 
lei Weise möglich; einerseits kann man sich der Elektrolyse bedienen 
(direkte Anwendung), andererseits stehen uns die Röntgenstrahlen zu diesem 
Zwecke zur Verfügung (indirekte Anwendung). 

Über die Elektrolyse nur einige ganz kurze Bemerkungen, da es sich 
ja hier um eine seit 30 Jahren wohlbekannte und in großem Umfange 
ausgeübte Methode handele Die Technik derselben ist eigentlich in der 
ganzen Zeit unverändert geblieben: man findet eine vollständige und vor- 
zügliche Darstellung derselben in dem vor 18 Jahren erschienenen Leit- 
faden von Hayes, Bergonie und Debedat: Technique pratique de 
l'épilation par l’electricite.) 

Der dort gegebenen Beschreibung der Technik haben wir auch heute 
noch keinerlei Zusätze zu machen, wenn nicht, daß die persönliche Ge- 
schicklichkeit des die Epilation ausführenden Arztes der weitaus bedeu- 
tendste Faktor zum Erfolge der Operation ist. 

Beherrscht der Arzt die Methode vollkommen, dann sind größere oder 
geringere Abweichungen von der Technik nebensächlich. Wenn diese 
Operation auch leicht ist, so ist es doch, wie Brocgq ganz richtig sagte. 
außerordentlich schwer, sie tadellos auszuführen. Das Resultat wird gut 
sein, wenn man mit der an den negativen Pol angeschlossenen Nadel absolut 
sicher und ruhig, ohne Zucken, arbeiten kann, wenn man wirklich bis zum 
Bulbus vordringt, wenn nicht zu hohe Intensitäten angewendet werden und 
wenn man Einstiche in die Haut vermeidet. Nur unter diesen Bedingungen 
erzeugt man nicht die entstellenden Flecke, die man in jedem von einem 
ungeübten Neuling epilierten Gesicht sehen kann. 

Das Röntgenverfahren ist ganz bedeutend jünger und seine Technik 
ist bei weitem nicht so genau festgelegt als die der Elektrolyse. Nichts- 


ı) Hayes, Bergonie et Debedat: Technique pratique de l’epilation par 
l'électricité, Paris 1894 bei Octave Doin. 


Speder, Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 315 


destoweniger ist die Strahlenbehandlung viel bedeutender als die ältere 
elektrische Methode der Epilation. 

Fast alle neuen therapeutischen Maßnahmen fallen, nachdem sie eine 
Zeitlang eine riesige Begeisterung entfacht haben, in einen ebenso exzes- 
siven Mißkredit, werden oft sogar vollständig aufgegeben, wenngleich sie 
unzweifelhaft für gewisse Fälle einen reellen Wert besitzen. Während der 
Versuchsperiode werden oft irgendwelche Erfolge zu eilig und zu vorteil- 
haft ausgelegt, sodaß der weniger Unterrichtete sehr leicht in den Glauben 
versetzt wird, die neue Methode sei ein mehr oder weniger unfelhlbares 
Allheilmittel.e. Dann kommt aber die Nachprüfung durch den Praktiker. 
Mißerfolge werden erzielt, ja selbst Schädigungen kommen vor. Je größer 
die Hoffnungen waren, die das neue Mittel erweckt hatte, um so energischer 
wird es beim Bekanntwerden dieser Mißerfolge als vollständig wertlos er- 
klärt, ohne daß man überhaupt in eine ernste und wissenschaftliche 
Diskussion über die Ursachen der erzieiten Mißerfolge einzutreten für 
nötig hält. 

Und doch erweisen sich diese so oft, wenn man von falscher Anord- 
nung vollständig absieht, als durch Mängel der noch neuen und zu wenig 
bekannten Technik oder durch irrige Indikationen hervorgerufen. Sehr 
viele therapeutische Methoden, die während langer Zeit als unwirksam 
galten, um dann später, mit enger umschriebenen Indikationen, klassisch zu 
werden, könnten als Beispiel angeführt werden. Wir glauben, daß dieses 
letztere auch für die bisher verkannte Röntgenbehandlung der Hypertrichose 
eintreten wird. 

Geschichtliches. 


Während einiger Jahre hindurch wurde die Röntgenbehandlung ge- 
radezu als Idealmittel zur Epilation betrachtet, dann aber wurde sie von 
der Mehrzahl der Radiotherapeuten als unwirksam und gefährlich vollstän- 
dig aufgegeben. Im Jahre 1909 schrieb Wetterer!) in seinem Handbuch 
der Röntgentherapie: ,„... Heute spielt die Röntgenbehandlung der Hyper- 
trichosis (speziell in der Literatur) keine Rolle mehr. Die zahlreichen 
schlechten Erfahrungen, die man damit machte, die Schwierigkeit und die 
lange Dauer der Behandlung, haben dieselbe bei den meisten Röntgen- 
therapeuten in Mißkredit gebracht; sie wird daher heute nur noch selten 
geübt, nachdem ihre Indikationen schon vor mehreren Jahren durch 
Holzknecht und Kienböck auf das äußerste beschränkt worden waren. 

Ist nun dieser Mißkredit wirklich verdient? Wenn man die Ver- 
besserungen der Technik, besonders die weitgehende Verwendung der 
Filtration in Betracht zieht, muß man dann nicht dieses Urteil als zu 





1) Wetterer, Handbuch der Röntgentherapie. Leipzig 1908, S. 420. 


316 Speder, 


scharf und als zu definitiv betrachten? Welche Fälle sind für die Strahlen- 
behandlung geeignet, und worin müssen wir die Kontraindikationen sehen? 
Dies sind die Fragen, die wir im folgenden nach Möglichkeit zu beantworten 
trachten werden. 


Im Jahre 1898 veröffentlichten Schiff und Freund!) die beachtens- 
werten Resultate, die sie mit den Röntgenstrahlen bei der Behandlung der 
Hypertrichose erzielt hatten. Sofort machten sich fast alle Radiologen an 
den Versuch des neuen Verfahrens. Doch bald wurde es fast vollständig 
wieder aufgegeben, da man ihm schwerwiegende Nachteile zur Last legen 
konnte; besonders bestand man darauf. daß es: | 

1. quasi unmöglich wäre, die Epilation ohne schwerwiegende Schädi- 
gungen der Haut (Atrophie, Zyanose, Teleangiektasien) herbeizuführen, 

2. daß die Behandlung viel zu lange Zeit in Anspruch nähme. 


Bedeutende Radiotherapeuten, wie Kienböck, Holzknecht, Becl£re., 
Belot, Wetterer u. a. zeigten sich aus diesen Gründen nicht gerade als 
Anhänger der Röntgenbehandlung. Belot schrieb 19052) „Die Behandlung 
dieser Affektion (Hypertrichose) durch Röntgenstrahlen, ist zur Zeit schwierig. 
um nicht geradezu zu sagen unmöglich.“ 


Brocq,?) der 1906 eine Zusammenstellung der verschiedenen Be- 
handlungsmethoden der Hypertrichose veröffentlichte, sagte: „Mit unserer 
aktuellen Technik können wir nicht sicher darauf rechnen, eine definitive 
Enthaarung zu erzielen. Außerdem muß man bei gewissen, besonders 
sensiblen Patienten darauf gefaßt sein, dauernde Hautschädigungen auf- 
treten zu sehen, die oft viel häßlicher als die Hypertrichose selbst sind.“ 
Unserer Ansicht nach, setzte er hinzu, „sollte das Röntgenverfahren nur 
in den schwersten Fällen angewandt werden‘. 


Wetterer?) schrieb 1909: „Im Hinblick auf die wenig erfreulichen 
Resultate, die die Röntgenbehandlung der Hypertrichose gezeitigt hat, 
werden wir im allgemeinen die Röntgenbehandlung einschlägiger Fälle ab- 
lehnen, speziell dann, wenn es sich um lichten nicht sehr auffallenden 
Haarwuchs handelt.“ Dann etwas später: „Niemals aber sollte die Radio- 
epilation bei Hypertrichosis vorgenommen werden, ohne daß derselben eine 
Belehrung der Patientin über die zu erwartenden Spätfolgen der Behand- 
lung vorangeht, handelt es sich doch stets um einen Eintausch der 





1) Schiff und Freund, Beiträge zur Röntgentherapie. — Wiener medizinische 
Wochenschrift 1898, Nr. 22. 

2) Belot, Traité de Radiothérapie, 2e Edition. Paris 1905. 

3) Brocq, Que doit on conseiller à l’heure actuelle à une malade atteinte d’hy per- 
trichose? Bull. med. 22. Dec. 1906 und Archives d’Electrieit6 medicale 1907 p. 462. 

4) Wetterer, Handbuch, S. 423. 


Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 317 


Gesichtsbehaarung gegen eine mehr oder weniger deutlich in 
Erscheinung tretende Schädigung der Gesichtshaut.“ 


Worin bestand nun aber die Technik, die Brocq als unzureichend 
qualifizierte? 

Schiff und Freund verwandten harte Strahlen und applizierten davon 
täglich eine schwache Dosis bis zum Ausfall der Haare, der von einem 
Erythem mit Hautabschuppung und einem brennenden Gefühl in der be- 
strahlten Region begleitet war. Zur Erreichung dieses Resultats waren 
20 bis 25 Sitzungen notwendig, Um den Eiffeckt zu ergänzen und zu 
stabilisieren, wurden dann noch während 12 bis 18 Monaten alle vier 
Wochen je zwei Ergänzungsbestrahlungen vorgenommen. 


Holzknecht und später Wetterer!) verwandten zwei verschiedene 
Methoden. Die erste, für junge Frauen, bestand darin, alle drei und 
später alle vier Wochen eine Dosis von 2 H in einer Härte von 7° bis 8° 
Benoist von der Haut absorbieren zu lassen. Alle sechs Monate wurden 
die Bestrahlungen auf acht Wochen ausgesetzt. Die Bestrahlungen wurden 
solange wiederholt, bis ein Nachwuchs von Haaren nicht mehr stattfand, 
oder vielmehr, bis eine mehr oder minder schwere Schädigung der Haut 
die Fortsetzung der Behandlung unmöglich machte. Die zweite, energischere 
Methode, die bei älteren Frauen angewandt wurde, bestand in der Appli- 
kation von 31/, H in einer Sitzung, und in der drei- bis viermaligen Wieder- 
holung derselben Dosis in Intervallen von 4 bis 6 Wochen. 


Belot?) empfahl (1905) die Verwendung von wenig penetrationsfähigen 
Strahlen, etwa von der Härte 5 des Radiochromometers Benoist, bei einer 
sekundären Funkenstrecke von 2!/, cm. Die zur Epilation nötige Strahlen- 
menge variiert zwischen 3 und 4 H, die man in einer einzigen oder in 
mehreren aufeinanderfolgenden Sitzungen appliziert. Nach einer Pause 
von 30 bis 40 Tagen wird die Bestrahlung mit einer Dosis von 3 bis 31/, H 
wiederholt. In der Folge wird dann noch alle zwei Monate, oder häufiger, 
je nach der Lage des Falles eine Nachbestrahlung mit 2 H vorgenommen, 
um dem Nachwachsen der Haare vorzubeugen. Die Heilung, die allerdings 
recht viel zu wünschen übrig läßt, wird bei dieser Technik in etwa ein bis 
zwei Jahren erreicht. 

Im Jahre 1911 hat Belot seine Technik etwas verändert:?) 

„Um eine definitive Epilation zu erzielen, ist es vorzuziehen, nach der 
ersten Bestrahlung (3—4 H.) kleinere, alle Monate wiederholte Dosen von 


1) Wetterer, Handbuch. 

2) Belot, Traité de Radiothérapie, 2e Edition, Paris 1905. 

3) Belot et Hadengue, Traitement radiothérapique des sycosis simples et 
parasitaires. Archives d’Electricit& medicale, 25 Dec. 1911, p. 565. 


31s Speder, 


2-3 H. etwa zu applizieren. Die Behandlung muß aber über viele 
Monate fortgesetzt werden“, schreibt er. 


Die von Albert-Weil im Jahre 1906 verwendete Technik unter- 
scheidet sich eigentlich wenig von derjenigen der eben angeführten Autoren. 
Er bestrahlt ein Jahr hindurch jeden Monat mit einer Dosis, die der 
Teinte B des Sabouraud-Noir&schen Radiometers entspricht, oder er 
beginnt mit dieser Dosis und verringert dieselbe in den folgenden Monaten 
um geringe Bruchteile.. Während des zweiten Jahres werden dann ein bis 
zwei Bestrahlungsserien wiederholt. Zur Aufrechterhaltung des erreichten 
Resultats wird in den folgenden Jahren jeweils eine, wenn notwendig auch 
zwei Nachbestrahlungen vorgenommen. Im Gegensatz zu den vorstehend 
zitierten Autoren hält Albert-Weil die Röntgenbestrahlung für die beste 
Methode zur Behandlung einer großen Zahl von Hypertrichosen, er be- 
zeichnet das Verfahren als harmlos und die erzielten kosmetischen Erfolge 
als durchaus zufriedenstellend.*) 

Seine Ansicht steht also in einem bemerkenswerten Gegensatz zu den 
Erfahrungen der übrigen Autoren, die ja gerade die Gefahren der Behand- 
lung hervorheben. 

Wenn nun auch die Ansichten über das Endresultat, trotz der Ahn- 
lichkeit der verwandten Techniken, nicht übereinstimmt, so bleibt doch 
als von allen Autoren zugegebener Nachteil der Methode, die lange Dauer 
der Behandlung und die große Zahl der nötigen Sitzungen, bestehen. 

Wihrend 12, 18 oder 24 Monaten wird jedes Feld 16, 18, ja selbst 
67 mal bestrahlt. 

(Bei der energischen Methode Holzknechts muß die Zahl von 3 bis 
4 Bestrahlungen in 16 bis 24 Wochen doch recht unzureichend sein, da 
andere Autoren, die fast dieselbe Dosis anwenden, zwei Jahre hindurch 
bestrahlen müssen, um zu cinem Resultat zu gelangen.) Welch schwer- 
wiesender Nachteil die lange Behandlung ist, geht aus der Bemerkung 
Freunds hervor, der feststellte, daß mehr als die Hälfte der Patienten 
die Behandlung aus diesem Grunde vorzeitig abbricht. 

Bordier teilte 1906 ein Verfahren mit, welches gestattet, eine voll- 
ständige Epilation in einer einigen Sitzung zu erreichen. ?) 

Er applizierte eine Dosis von 6—7 I (Teinte II stark), d. h. ungefähr 
7!/, H., bei einer Strahlenhärte von 9° Benoist. 

Die Folge dieser Intensivbestrahlung ist eine schr heftige Reaktion, 

1) Albert-Weil, Le traitement de l’hypertrichose par la radiothérapie. Journal 
de physiotherapie, 15 Oct. 1906. 

2) Bordier, Technique de l'épilation par la radiothérapie. (Congrès de Lyon 1906 
et Archives d’Electricit& medicale 1907, p. 84. 


Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 319 


die durch Blasenbildung und eine nach 10 Tagen auftretende und etwa 
in einem Monat wieder abheilende Ulzeration gekennzeichnet ist. 

Das Verfahren ist auf jeden Fall etwas brutal und versetzt uns in 
die erste Zeit der Röntgentherapie zurück, als Broca (1896) schrieb: 

„Die Epilation durch Röntgenstrahlen ist in der Praxis unmöglich, da 
die Haare nur mit der Haut fallen.) Außerdem waren die von Bordier 
erzielten Erfolge sehr weit von der Vollkommenbheit entfernt. Er gab selbst 
zu, daß man zwei bis drei Monate nach der Bestrahlung die nachwachsen- 
den Haare mit der Nadel entfernen müsse. 

Vom kosmetischen Standpunkte aus muß die ihrer Talg- und Schweiß- 
ırüsen beraubte Haut notwendigerweise ein anormales Aussehen haben und 
ihre Geschmeidigkeit kann nur durch ständige Verwendung fetter Salben 
aufrecht erhalten werden. Was nun etwaige Spätschädigungen betrifft, so 
ist wohl kaum zu bezweifeln, daß sich recht bedeutende Schädigungen 
nach einer so intensiven Primärreaktion entwickelt haben müssen. 

Aus diesen Gründen erschien die Methode auch den meisten Radio- 
therapeuten unannehmbar. 

Bis zum Jahre 1909 wurde keine neue Technik mehr veröffentlicht. 
In dieser Zeit wurden die Wirkungen der Filtration studiert, und ihre 
Vorteile erkannt. Kurz darauf begann man denn auch mit der Anwendung 
von Filtern in der Röntgenbehandlung der Hypertrichose, sei es, um 
Schädigungen der Haut sicherer zu vermeiden, sei es, um energischer auf 
die Papille einwirken zu können. 

Belot?) führt die Primärepilation ohne Filter aus, wendet aber bei 
den späteren Bestrahlungen einen Filter von ®/,—”/ıo Aluminium an, um 
Hautschädigungen zu vermeiden oder doch zum mindesten abzuschwächen. 
1909 gab Bordier?) seine neue Technik bekannt, die nun wirklich „die 
richtige Methode“ darstellen sollte. Er verwendet Aluminiumfilter von 
0,5 mm und eine Strahlung, deren Härte etwas über 5--6° Benoist liegt. 
Von diesen Strahlen wird in drei aufeinander folgenden Tagen jedesmal 
eine der Teinte O Bordier entsprechende Dosis, im ganzen also 
+!/ J (Teinte I kräftig bis Teinte II schwach) appliziert. Bordier 
erzielte mit dieser Methode eine definitive Enthaarung, ohne Erythem oder 
Radiodermatitis. 

Ein derartiges Resultat ist aber, wie Albert-Weil seinerzeit auclı 


1) Broca, Emploi des rayons X dans l'épilation (Société française de Phys. 
4. Déc. 1896). | 

2) Belot, Les filtres en Radiothérapie. Congrès de Radiologie et d’Electricit6 
de Bruxelles 1910. Comptes rendus, p. 249. 

3) Bordier, Nouvelle technique de l’6pilation radiotherapique. Archives d’Elec- 
tricité médicale 1909, p. 947. 


320 Speder, 


ganz richtig bemerkte, recht auffallend und geeignet, das Erstaunen der 
Radiotherapeuten zu erregen. Wir haben unsererseits selbst mit höheren 
Teildosen und höherer Totaldosis nie eine sofortige definitive Epilation er- 
zielen können. 

Albert-Weil!) veröffentlichte 1910 seine Technik. Er verwendet 
Strahlen von 6—7° Benoist, gefiltert durch °/,, mm Aluminium. In jeder 
Sitzung wird eine der Teinte B (Sabouraud) entsprechende Dosis (unter 
dem Filter gemessen) appliziert. Um die Epilation, die sich 15 Tage 
nach der Bestrahlung produziert, definitiv zu gestalten, wird dieselbe Dosis 
nach etwa 3 Wochen zum zweiten Male appliziert. In Intervallen von je 
3 Monaten werden dann noch 2 Nachbestrahlungen vorgenommen. Dies 
Verfahren gestattete ihm, eine dem Anschein nach definitive Epilation mit 
einwandfreiem kosmetischem Resultat zu erzielen. 

Als einzigen Nachteil erwähnte er eine Pigmentation, die er bei ver- 
schiedenen, wahrscheinlich besonders empfindlichen Patienten beobachtet 
hatte. Dies Resultat wäre also bedeutend annehmbarer als die Ergebnisse 
der alten Methoden, und die Radiotherapie verdiente in die tägliche Praxis, 
zum mindesten zur Behandlung gewisser Fälle von Hypertrichosis, einzu- 
treten. Zu dieser Ansicht gelangten auch wir, trotzdem wir etwas anders 
als Albert-Weil vorgingen. 


Prinzip der Methode. 


Sehr häufig beobachtet man bei Männern, die wegen einer schweren 
Erkrankung der Mundhöhle, des Kehlkopfes oder des Pharynx mit Röntgen- 
strahlen behandelt worden sind, einen vollständigen und definitiven Ausfall 
der Barthaare, der ohne irgendwelche Schädigung der Haut vor sich geht. 
Der Haarausfall ist ja eigentlich in diesen Fällen eine unerwünschte Bei- 
gabe, die allerdings bei der Schwere der primären Affektionen ganz be- 
deutungslos ist. 

Bei der großen Mehrzahl der Frauen liegen die Verhältnisse anders. 

Man kann bei ihnen lange Zeit hindurch mit denselben Dosen, von 
gleicher Härte, bestrahlen, ohne den Ausfall der Flaumhaare der Haut 
zu konstatieren. Günstiger liegen die Verhältnisse, wenn die Frau eine 
sehr starke Entwicklung der Haare oder gar wirkliche Barthaare aufweist, 
und vor allen Dingen dann, wenn sie sich bereits mit der Prinzette epiliert, 
sich rasiert, wenn sie sich die Haare abgesengt, oder wenn sie Epilations- 
salben gebraucht hat. Die dann bestehenden kräftigen Haare sind ziem- 
lich leicht durch Röntgenbestrahlung zu zerstören. 


1) Albert-Weil, Le traitement de !’hypertrichose par la radiothérapie. III. Con- 
gres de Physiotherapie. Comptes rendus, p. 630. 


Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 321 


Die Radiosensibilität der verschiedenen Haararten ist sehr ungleich. 
Wohl alle Radiotherapeuten, die sich mit der Epilation beschäftigten, werden 
die hohe Strahlenempfindlichkeit der kräftigen Haare, z. B. der Barthaare 
des Mannes, oder der Haare der Frau, die durch oft wiederholte Epila- 
tionsversuche das Wachstum und die Entwicklung der Flaumhaare gereizt 
und befördert hat, bemerkt haben. Weniger sensibel sind die langen 
Flaumhaare, die nebenbei bemerkt 8—10 mm Länge erreichen können. 
Die eigentlichen kurzen Flaumhaare, die ihrer Massenhaftigkeit und ihrer 
Pigmentation wegen oft ebenso häßlich als die kräftigen Barthaare und die 
langen Flaumhaare wirken, sind fast unempfindlich gegen den Einfluß der 
Röntgenstrahlen. | 

Die Röntgenbehandlung sollte deswegen nur in den Fällen unter- 
nommen werden, in denen es sich um die beiden ersten Arten von Haaren 
handelt, das heißt, in denen wirkliche kräftige Barthaare oder lange 
Flaumhaare vorhanden sind. 

Selbst ım letzten Falle kann die Strahlenbehandlung kontraindiziert 
sein, und zwar dann, wenn es sich um sehr feine und dünne Flaum- 
härchen handelt. Man kann sehr oft beobachten, wie diese Flaumhaare 
selbst nach einer Radiodermatitis mit Blasenbildung und Ulzeration des 
Koriums wieder nachwachsen. Dieser Unterschied in der Radiosensibilität 
der verschiedenen Haararten ist übrigens normal und erklärt sich durch 
die verschiedene Aktivität der Erzeugungszellen der betreffenden Haare. , 
Die Zellen der Papille des großen Barthaares mit schnellem Wachstum 
besitzen eine sehr intense Reproduktionsaktivität, während diejenigen der 
feinen Flaumhärchen eine sehr verlangsamte karyokinetische Aktivität auf- 
weisen (1. Satz des Bergoni&-Tribondeauschen!) Gesetzes). 

Mit unserer derzeitigen Technik können wir, in den zur Röntgen- 
bestrahlung geeigneten Fällen, unter Verwendung harter gefilterter Strahlen 
eine definitive Epilation erzielen. Die Radiosensibilität der Papillen der 
großen Barthaare und der langen Flaumhaare ist größer als die der Keim- 
schicht. Dies ist der Grund dafür, daß eine Strahlenmenge, die die Epi- 
dermis nicht zu modifizieren scheint, einen temporären Ausfall der Haare 
herbeiführen kann. 

Diese Differenz in der Radiosensibilität, auf der das ganze Röntgen- 


verfahren basiert, ist aber nur sehr gering, für die Flaumhärchen sogar 
fast gleich Null. 


!) Das Bergoni6-Tribondeau’sche Gesetz lautet: Die Röntgenwirkung auf 
lebende Zellen ist um so intenser 

1. je größer ihre reproduktive Kraft ist, 

2. je länger ihr karyokinetisches Werden dauert, 

3. je weniger definitiv ihre Morphologie und ihre Funktion bestimmt sind. 


Strahlentherapie Band III, Heft 1. 2] 


322 Speder, 


Der delikate Punkt der Technik liegt also darin, in den Zellen der 
Papille eine so große Strahlenmenge zur Absorption zu bringen, daß die- 
selben degenerieren, während die von der Haut absorbierte Strahlenmenge 
noch gerade ungenügend sein muß, um eine merkliche Veränderung der 
Epidermis hervorrufen zu können. 

Die Papillen der Barthaare liegen unter dem Stratum germinativum, 
um dieses letztere zu schonen, wird man also reichlich penetrationsfähige 
Strahlen verwenden. Weiterhin wird man die weiche Strahlung, die ja 
von den oberflächlichsten Hautschichten absorbiert werden würde, durch 
Einschaltung eines Filters ausscheiden. 

Man verringert so den schädlichen Einfluß der Strahlen auf die Haut, 
man mildert die Hautreaktion und erhöht das Verhältnis zwischen Tiefen- 
absorption und Oberflächenabsorption. 

Wir arbeiten im Institut Professor Bergoni6s im allgemeinen mit 
Strahlen von 71/, bis 8° B (vor dem Filter gemessen) und filtrieren mit 
1 mm bis 1,5 mm Aluminium. Wie uns unsere Erfahrungen bewiesen 
haben, ist bei so gefilterten Strahlen die oberflächliche Hautreaktion sehr 
viel geringer, der Haarausfall dagegen viel rapider als nach Anwendung 
derselben Dosis ungefilterter Strahlen. Die Verwendung von 1—1!/, mm 
Aluminium wird gewiß manchem für den von uns verfolgten Zweck zu 
hoch erscheinen, man muß aber im Auge behalten, daß, welches auch die 
Strahlenhärte sei, und wie stark auch der verwendete Filter ist, die Ober- 
flächenabsorption stets größer als die Tiefenabsorption sein wird; nur das 
Verhältnis zwischen diesen beiden Größen kann variieren. In unserem 
speziellen Fall, der Behandlung der Hypertrichose, wird also die von der 
Epidermis absorbierte Strahlenmenge stets größer sein als die im Korium 
und in den Haarpapillen zur Absorption gelangende Strahlenquantität. 

Ein Ideal, das allerdings niemals erreicht werden kann, wäre die Ab- 
sorption in den verschiedenen Schichten gleichmäßig zu gestalten, so daf 
man nur noch mit der verschiedenen Radiosensibilität der Zellen zu rech- 
nen hätte. 

Wenn wir auf die Penetrationsfähigkeit und auf Homogenität der 
verwandten Strahlung großen Wert legen, so glauben wir doch, daß die 
Güte des Resultats ebenso sehr von der applizierten Strahlenmenge ab- 
hängig ist. 

Es ist unserer Ansicht nach absolut notwendig, sofort bei Beginn der 
Behandlung die Maximaldosis, die die Haut vertragen kann, zu applizieren, 
um die Papille so rasch als möglich zu zerstören. Obwohl kein Gewebe 
sich der Röntgenwirkung anpaßt, und obwohl sich mehrere schwache Dosen 
in ihrer Wirkung kumulieren, besteht doch die Tatsache, daß man in 
vielen Fällen (oberflächliche Epitheliome z, B.) mit mehreren aufeinander- 


Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 3923 


folgenden schwachen Dosen nicht denselben guten Erfolg als mit einer 
einzigen kräftigen Bestrahlung erzielen kann. 

Dieselbe Beobachtung kann man auch bei den Haaren machen, die 
sich gegen wiederholte schwache Bestrahlungen refraktär verhalten, durch 
ein oder zwei intensive Bestrahlungen aber zerstört werden können. 

Wir haben oft bei ein und demselben Patienten beobachtet, daß 
irgendeine Gesichtspartie nach Applizierung einer genügend starken Dosis 
in zwei oder drei Sitzungen vollständig epiliert war, ohne daß Hautschädi- 
gungen aufgetreten wären, während im Gegenteil die entsprechende Partie 
der anderen Gesichtshälfte nur sehr schwer enthaart werden konnte, wenn 
mit drei- bis viermal so häufigen Sitzungen und mit schwächeren Dosen 
gearbeitet wurde. 

Wir sehen gleicherweise eine Bestätigung unserer Ansicht in einer 
Beobachtung, die oft gegen die Röntgenbehandlung der Hypertrichose ins 
Feld geführt wird, und die auf den ersten Blick die Wertlosigkeit der 
Methode klar zu beweisen scheint. 

Es handelt sich um die Tatsache, daß man oft inmitten sklerotischer 
Partien auf den Händen vieler von einer chronischen Radiodermatitis er- 
griffenen Personen gut entwickelte Haare findet. 

Dieser Befund beweist aber gar nichts anderes, als daß die Haare 
gegen wiederholte Bestrahlung geringer Intensität widerstandsfähig sind. 

‚ Dieselbe Lehre kann man aus der Inkonstanz und der Unvollkommen- 
heit der Resultate ziehen, die mit durch jahrelang fortgesetzter Applikation 
von schwachen Dosen erzielt wurden. Die Haut weist in diesen Fällen 
oft schwere Schädigungen, wie Atrophie und Teleangieektasien auf und 
nichtsdestoweniger bestehen immer noch eine ganze Anzahl von Haaren. 
Aus diesen Gründen sollte stets die gerade noch von der Haut vertragene 
Maximaldosis appliziert werden. 

Diese Maximaldosis entspricht der Strahlenmenge, welche eine Reak- 
tion der Haut, etwas geringer oder höchstens gleich einem wirklichen 
Erythem, hervorruft. Bei Verwendung harter gefilterter Strahlen tritt das 
wirkliche Erythem etwa 12—15 Tage nach der Bestrahlung auf. Zuersi 
beobachtet man eine Rötung der Haut, die aber rapide in eine braune 
Verfärbung übergeht, aber auch diese Bräunung verschwindet nach etwa 
15 Tagen. Die Haut zeigt zuerst eine leichte oberflächliche Abschuppung, 
um dann nach und nach ihre normale Färbung wieder anzunehmen. 

Das Erythem ist allerdings ein Nachteil der Methode, aber wir glau- 
ben nicht, daß dieser Nachteil so schwer ist, um eine strikte Zurück wei- 
sung der Röntgenbehandlung zu rechtfertigen. 

Nach Freund soll man danach trachten, die definitive Epilation her- 


beizuführen, ohne während der ganzen Behandlungsdauer eine wahrnehm- 
21% 


324 Speder, 


bare Schädigung der Haut erzeugt zu haben. Wir sind absolut seiner 
Meinung, wenn er unter „wahrnehmbarer Schädigung‘ eine Radiodermatitis 
mit Blasenbildung, Schädigung des Stratum corneum, Ulzeration usw., also 
Läsionen, die fatalerweise dauernde Spätschädigungen der Haut zur Folge 
haben müssen, versteht. Unsere Ansichten gehen aber auseinandar, wenn 
auch das Erythem in diese wahrnehmbaren Veränderungen mit einbezogen 
ist. Zur Zeit zum mindesten ist dieses „Ideal“ leider noch nicht er- 
reichbar. 

Was verlangen nun unsere Patienten eigentlich? 

Sie möchten gern von einem sehr häßlichen Gebrechen, das sie lächer- 
lich macht, das ihre Zukunft in gewisser Beziehung zerstören kann, und 
sie oft verhindert, gewisse Stellungen einzunehmen oder auf die Dauer 
auszufüllen, befreit sein. Die Wichtigkeit des gewünschten Erfolges ver- 
dient also doch wohl ein leichtes vorübergehendes und unschwer zu ver- 
deckendes Erythem. Bevor man die Bestrahlung beginnt, muß man sich 
eben bemühen, die Patienten von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich 
mit der ja nur ziemlich geringfügigen Reaktion abzufinden. Das Resultat 
kann dann schneller erreicht werden und ist besser, die Spätschädigungen 
der Haut, die oft durch wiederholte Bestrahlungen mit geringen Dosen 
verursacht werden und viel schwerer und unschöner sind, können auf diese 
Weise vermieden werden. Eine ganze Menge von Patienten, die sich im 
Anfange aufs energischste geweigert hatten, eine entzündliche Reaktion mit 
in Kauf zu nehmen, verlangen bald darauf kräftigere Bestrahlungen, Ja 
ihnen die Behandlung zu lange dauert. In vielen dieser Fälle ist es sehr 
gefährlich, nun zur Intensivbestrahlung überzugehen; da die Haut schon 
eine ziemliche Strahlenmenge in geringen Dosen absorbiert hat, kann eine 
kräftige Bestrahlung oft die Ursache schwerer Hautveränderungen sein. 
Im allgemeinen mache man es sich zum Grundsatz, die Röntgenbestrahlung 
nur bei Personen zu unternehmen, die sich von vornherein mit der An- 
wendung von Dosen, welche ein leichtes oder normales Erythem 
provozieren, einverstanden erklärt haben. 


Technik. 


Wir wenden im Institut Prof. Bergonies folgende Technik an: Zu 
Beginn der Behandlung stellen wir die Empfindlichkeit der Haut durch 
eine Probebestrahlung mit der Normaldosis (Teinte 0—41 Bordier) fest. 
Die Reaktion wird aufmerksam beobachtet, soda wir in der folgenden 
Sitzung sofort die von der Haut vertragene Maximaldosis auf einen anderen 
Teil der zu behandelnden Region applizieren können. Da die Radiosensi- 
bilität sehr starke Variationen aufweist. teilen wir unsere Fälle in drei 
Gruppen ein. 


Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 325 


1. Bei dicker und wenig sensibler Haut, wie man sie oft bei Patien- 
tinnen, die sich an den regelmäßigen Gebrauch des Rasiermessers gewöhnt 
haben, oder die sich durch Jahre hindurch mit der Pinzette oder mit 
Epilationssalben epiliert haben, findet, entspricht die Maximaldosis unter 
den Umständen, in denen wir arbeiten, der Verfärbung der Bordierschen 
Pastille bis zur Teinte I bis II schwach (4—4!/, Einheiten I). Bei sen- 
siblerer Haut, die noch nicht oder weniger durch den Gebrauch des Rasier- 
messers oder chemischer Epilationsmittel gereizt ist, bestrahlen wir mit 
einer der Teinte I stark entsprechenden Dosis (3,6 Einheiten I). Nach 
12—15 Tagen, also gleichzeitig mit dem Auftreten des Erythems, fangen 
die kräftigen Barthaare an auszufallen. Die Epilation setzt sich in 
den folgenden Tagen fort, um etwa nach dem 20.—25. Tage vollständig 
zu sein. In diesem Moment weist die Haut eine leichte bräunliche Ver- 
färbung auf, die sich aber ständig verringert, und in den meisten Fällen 
nach 30—40 Tagen vollkommen verschwunden ist. Trotz des Ausfalls 
aller Barthaare beobachtet man sehr häufig das Überleben der feinen 
Flaumhärchen der Haut. 7—9 Wochen nach der ersten Bestrahlung be- 
merkt man das Neuwachsen der ersten Barthaare. Ohne erst zu warten, 
bis dieselben ihre volle Vitalität erlangt haben, nehmen wir eine zweite 
Bestrahlung mit derselben Dosis vor. Die Reaktion ist analog der soeben 
beschriebenen, doch das Nachwachsen der Haare geht nach dieser zweiten 
Bestrahlung viel langsamer vor sich. Der Nachwuchs besteht aus wenigen farb- 
los grauen Haaren mit bedeutend kürzerer Wurzel als die der Primärhaare. 

2—3 Monate nach der zweiten Bestrahlung nehmen wir eine dritte 
vor und zwar mit einer Dosis, die der Teinte 0—1 = 2,7—3 Einheiten I 
entspricht, also ein wenig schwächer als die beiden ersten ist. Der da- 
raufhin eintretende Haarausfall ist komplett, und in den meisten Fällen 
auch definitiv. Sehr selten ist es nötig, zu einer vierten Bestrahlung 
(Teinte 0—1) zu schreiten. 

In einigen Fällen beobachtete man einen aus weißen Haaren bestehenden 
Nachwuchs, der aber vorübergehend und bedeutungslos ist, da diese Haare 
sehr bald spontan ausfallen. 

Es besteht übrigens ein schr deutlicher Unterschied in den nach den 
verschiedensten Bestrahlungen nachwachsenden Haaren; nach der ersten 
Bestrahlung besteht der Nachwuchs aus vielen dünnen Haaren mit feiner 
Spitze, die sehr rasch an Länge und Volumen zunehmen und sich gleich- 
zeitig dunkler färben. Der zweite Nachwuchs ist weniger zahlreich, die 
Haare sind wenig pigmentiert, blaßgrau und von Anfang an ziemlich groß. 
Findet ein dritter Nachwuchs statt, so besteht er aus wenigen, von Anfang 
an sehr großen weißen Haaren mit kurzer Wurzel, die sehr lose sitzen und 
oft spontan in der zweiten oder dritten Woche ausfallen. Ist dies nicht 


326 Speder, 


der Fall, so kann man sie mit der Pinzette entfernen, ohne dabei eine 
Reizung zum Nachwachsen befürchten zu müssen. Wir haben mehrere 
unserer Patienten nach dieser Richtung hin sehr genau beobachtet. Bei 
einer derselben, die sich jahrelang mittels Pinzette und Epilationssalben 
enthaart hatte und die vor der Bestrahlung einen stattlichen maskulinen 
Bartwuchs zu beiden Seiten des Kinnes aufwies, wurde die vollständige 
Epilation nach drei Bestrahlungen erreicht. Drei Monate später konsta- 
tierten wir trotzdem 26 große weiße Haare auf der rechten Seite des 
Kinnes, die mit der Pinzette entfernt wurden. Ohne daß in der Zwischen- 
zeit irgendwelche Manipulation vorgenommen worden wäre, fanden sich 
nach 30 Tagen wieder elf Haare ein, die in derselben Weise entfernt 
wurden. Wir sahen in der Folgezeit die Patientin in regelmäßigen Zwischen- 
räumen von 4 Wochen und konstatierten bei diesen Visiten fünf, zwölf. 
sechs, zwanzig, neun, sieben Haare, die jedesmal entfernt wurden. Zurzeit 
liegt die letzte (dritte) Bestrahlung 13 Monate zurück, und die Patientin 
ist vollständig von ihrem Übel befreit, ohne daß eine Nachbestrahlung not- 
wendig geworden ist und ohne daß die Haut irgendwelche Veränderung 
aufweist. 

Dies ist der Erfolg, den wir gewöhnlich erzielen, wenn es sich um 
wenig sensible Haut und große schnellwachsende Haare handelt. 

2. Besteht der Haarwuchs zum größten Teil aus langen Flaum- 
haaren, ähnlich den ersten Barthaaren eines Jünglings, so ist eine längere 
Behandlung notwendig. Zur definitiven Epilation müssen oft außer den 
drei gewöhnlichen Bestrahlungen eine oder zwei weitere mit einer Dosis. 
die der Teinte O-I stark = 3 Einheiten I entspricht, vornehmen. In ge- 
wissen Fällen, in denen sich die Flaumhaare in lange feine, wirkliche 
Härchen umgewandelt haben, ist es angebracht, den Patientinnen den 
Gebrauch von Rasiermesser und Epilationspasten auf einige Monate an- 
zuraten. Dies wird manchem paradox erscheinen, nichtsdestoweniger ist 
die Röntgenbehandlung bedeutend aussichtsreicher, wenn die Härchen anf 
diese Weise größer und kräftiger geworden sind. l 

3. Bei Patienten mit sensiblerer Haut, die bereits nach einer geringen 
Strahlenmenge (Teinte I = 3,6 Einheiten I) ein Erythem aufweisen, und 
deren Haarwuchs fast nur aus langen Flaumhaaren besteht, ist das Re- 
sultat noch weniger günstig. Unserer Ansicht nach sollte man bei diesen 
Patienten die Röntgenbestrahlung unterlassen. Nach zwei in 1!/,- oder 
2 monatlichem Intervall unternommenen Bestrahlungen mit einer der 
Teinte I (3 bis 3,6 Einheiten I) entsprechenden Dosis, muß man oft bis 
zu sieben weiteren Applikationen (Teinte 0—1 = 2,7 bis 3 Einheiten D) 
geben, um eine definitive Epilation zu erzielen. Von der dritten Sitzung 
ab besteht der Nachwuchs auch in diesen Fällen nur aus blaßgrauen 


Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 327 


Haaren. Handelt es sich um eine abundante Haarentwicklung, so ist 
unserer Meinung nach auch in diesen Fällen die oft wiederholte Zerstörung 
der äußeren Haarpartien durchaus dazu geeignet, die Hypertrichose der 
Strahlenbehandlung zugänglicher zu machen. 

Die zur Erzielung eines definitiven Haarausfalles nötige Totaldosis ist 
für die Fälle der Gruppe I etwa gleich 10—12 Einheiten I!); für die 
Fälle der zweiten Gruppe sind 16 I notwendig, und für die Fälle der 
dritten Gruppe muß man 18 bis 23 I applizieren, um zum Erfolg zu ge- 
langen. Diese großen Unterschiede in der benötigten Gesamtstrahlen- 
menge, die zum Teil durch die geringe Radiosensibilität der feinen 
Flaumhaare bedingt sind, hängen gleichzeitig und vor allen Dingen auch 
damit zusammen, daß, wenn geringe Teildosen angewendet werden, um 
eine sensible Haut zu schützen, die Zerstörung der Papille um bedeutendes 
schwieriger wird. Wir haben einige Patienten, die ein Erythem auf keinen 
Fall in Kauf nehmen wollten, mit schwachen Dosen (Teinte 0—1 schwach 
= 2—7 Einheiten I) bestrahlt. Nach einer Gesamtdosis von 26—27 H 
war die Epilation noch keineswegs vollkommen, und die Behandlung hatte 
sich fast über zwei Jahre hin fortgezogen. 

Ähnliche Fälle, die mit den alten Methoden durchaus nicht selten 
sind, dürften wohl zur Genüge die Gefahren der Verwendung schwacher 
Dosen und die absolute Notwendigkeit der Intensivbestrahlung beweisen. 

Wenn wir die von uns in jeder Sitzung applizierten Dosen in Holz- 
knecht-Einheiten umrechnen, so erhalten wir für Fälle 


der Gruppe I 5th H., 
für Gruppe II 4°/,—5 H., und 
für Gruppe Ill 4—4!/, H. 


Man vertritt nun die Ansicht, daß eine Bestrahlung mit 5 H not- 
wendigerweise eine Radiodermatitis zur Folge haben müsse. 

Zuerst, was verstehen wir eigentlich unter Radiodermatitis? Dieser 
Terminus ist, allein angewandt, eigentlich recht unpräzis, denn die Bräunung 
der Haut und das Erythem sind ebenso wie die Blasenbildung und die 
Ulzeration Radiodermatiten. Weiterhin ist es sehr schwierig, über eine 
sewisse, nach den auf dem Villardschen Prinzip beruhenden Quanti- 
metern festgestellte Dosis zu diskutieren. Wenn die Einheit H eine 
arbiträre ist, so sind es allle übrigen ebensogut, in dem Sinne, daß die 
Hautwirkung je nach der mittleren Penetrationsfähigkeit, nach der Zu- 
sammensetzung des Strahlenbündels, ja selbst je nach dem Individuum und 
der bestrahlten Region sehr starke Variationen aufweist. (Wir bestimmen 


—n 


1) 10 Einheiten I (Bordier-Galimard) entsprechen 14 H (Holzknecht) oder 
28 X (Kienböck). Anmerkung des Übersetzers. 





328 Speder, 


die Dosis nach Einheiten I aus dem einfachen Grunde der großen Be- 
quemlichkeit der Messung, sind aber weit davon entfernt, etwa auf diese 
Weise die physiologische Wirkung der Strahlenmenge voraus bestimmen 
zu wollen.) Der Wert der quantimetrischen Messung ist für den, der 
immer in denselben Verhältnissen arbeitet, indiskutabel, aber diese Messungen 
sind in keinem Falle mit den von einem anderen Beobachter erhaltenen 
Werten vergleichbar, es sei denn, daß dieser unter genau denselben Ver- 
hältnissen arbeitet, und dies ist nach dem heutigen Stande unserer Technik 
leider als unmöglich zu betrachten. In dieser Tatsache liegt auch der 
Grund dafür, daß verschiedene Radiologen oft die widersprechendsten 
Resultalte erzielen, trotzdem sie glauben dieselbe Strahlenmenge appliziert 
zu haben. Dann kommen noch dazu die großen Fehler, die durch die 
verschiedene Art (Beleuchtung), in der die Vergleichung der verfärbten 
Pastille mit der Skala vorgenommen wird, notwendigerweise entstehen 
müssen. 

Nach H Einheiten wären die von uns angewandten Dosen nur um 
ein geringes höher als diejenigen Albert-Weils, nach der Reaktion muß 
man aber annehmen, daß unsere Dosen bedeutend größer sind. 

Ein Vergleich der applizierten Dosen nach den augenblicklich in Ge- 
brauch befindlichen Meßmethoden ist also nach dem oben gesagten absolut 
unzulässig: viel präzisere Vergleichswerte erhält man, wenn man die von 
einer gewissen Strahlenmenge provozierte Reaktion in Betracht zieht. Es 
wäre also wünschenswert, daß die erzeugte Reaktion stets mit ausreichender 
Klarheit und Genauigkeit beschrieben würde. 

Zur eigentlichen Technik unserer Bestrahlungen möchten wir noch 
folgendes bemerken. Der Patient wird so bequem als möglich gelagert, 
jedoch so, daß eine vollkommene Unbeweglichkeit ohne Ermüdung garantiert 
ist. Man begrenzt einen Teil der zu epilierenden Region in der Weise. 
daß man jedesmal eine möglichst ebene Bestrahlungsfläche erhält. Bei einer 
allgemeinen Hypertrichosis bestrahlen wir nacheinander die Unterkinngegend. 
die Parotisgegend, die Unterkiefergegend und eine Hälfte der Oberlippe 
mit der korrespondierenden seitlichen Partie des Kinnes. Bei Bestrahlung 
dieses letzten Feldes wird der freie Rand der Lippen und vor allen Dingen 
die Labialkommissur, ebenso wie die nicht behaarten Regionen sorgsam 
geschützt. Zur Begrenzung der Bestrahlungsfelder bedienen wir uns einer 
Anzahl von Blenden aus Bleigummi, von denen einige zirkuläre Ausschnitte 
von 2—7 cm Durchmesser haben, während andere in Form der bekannten 
Kurvenzeichenschablonen ausgeschnitten sind. Durch Kombination und 
Aufeinanderlegen dieser verschiedenen Schablonen sind wir in der Lage, 
ein Bestrahlungsfeld beliebiger Gestalt und Größe sicher zu begrenzen. 
Während der Bestrahlung ist es empfehlenswert. die Größe des Bestrahlungs- 


Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 329 


feldes leicht zu erhöhen, um eine zu brutale Begrenzung desselben, die 
sich in der Periode des Erythems und der Hautbräunung zu unschön von 
der nicht bestrahlten Haut abheben würde, zu vermeiden. 

Nicht alle Röhrentypen können zur Erzeugung einer stark penetrations- 
fähigen Strahlung benutzt werden. Die Mehrzahl der Röhrentypen funk- 
tioniert unregelmäßig, der Härtegrad schwankt ständig, und man läuft 
Gefahr, die Röhre zu durchschlagen, wenn die sekundäre Funkenstrecke 
12 bis 15 cm erreicht hat. Dies ist der Grund, der mehrere Autoren ver- 
anlaßt hat, die Möglichkeit zu verneinen, Strahlen von einer Härte über 
7° Benoist mit einer genügend hohen Belastung, und ohne die Sitzung 
über Stunden hinaus auszudehnen, zu erzeugen. 

Die Müllerschen Wasserkühlröhren arbeiten in dieser Hinsicht zu 
unserer vollsten Zufriedenheit, zum mindesten wenn sie mit dem Villard- 
schen Osmo-Regulateur oder mit einem Bauerschen Luftventil versehen 
sind. Besonders das kleine Therapierohr läßt sich sehr rasch einarbeiten, 
und liefert dann bei einer Belastung mit 0,3—1,2 M.-Amp. und einer 
sekundären Funkenlänge von 18 bis 21 cm, eine Strahlung von 7!/, bis 81/,° 
Benoist (vor dem Filter gemessen). 

Zu Beginn der Sitzung belastet man das Rohr mit 1 M.-Arhp., man 
erhält dann eine Strahlung von Härte 6 Benoist etwa. Das gut einge- 
arbeitete Rohr hat die natürliche Tendenz härter zu werden, in einigen 
Minuten vergrößert sich die Funkenlänge, die Nadel des Bauerschen 
Qualimeters entfernt sich immer weiter von 0, der Härtegrad der Strah- 
lung nimmt zu. Während der ganzen Bestrahlung (15 bis 20 Minuten) 
beobachten wir aufmerksam die Funktion des Rohres, die Hand an der 
Heizvorrichtung des Osmo und am primär Rheostat, folgen wir, nach den 
Angaben des Milliamperemeters, und des Bauerschen Qualimeters, den 
Veränderungen des Vakumus. Hat das Rohr den gewünschten Härtegrad 
erreicht, so ist es leicht, dasselbe auf diese Weise konstant in diesem Zu- 
stand zu erhalten. 

Das Bauersche Qualimeter ist zur Kontrolle der Wider- 
standsveränderungen im Rohr sehr wertvoll, seine Angaben 
müssen jedoch vorerst einmal mit denjenigen des Radiochromo- 
meters verglichen werden. Hat man das Verhältnis zwischen 
den Angaben bei den Methoden bei genau festgelegtem Betrieb 
der Röhre fixiert, so ist esunnötig, zum zeitraubenden und ge- 
fährlichen Gebrauch des Radiochromometers zurückzugreifen. 
Bei unseren Arbeitsverhältnissen ist z. B., wenn das Qualimeter 6° anzeigt. die 
radiochromometrische Härte der Strahlung stets 71/,° Benoist oder diesen 
Werte sehr nahe kommend. Häufig zur Kontrolle angefertigte Radiographien 
der Benoistschen Skala bewiesen uns, daß diese Werte vollständig konstant sind. 


330 Speder, 


Die Dosis wird bei uns während jeder Bestrahlung mit dem Bor- 
dierschen Ohromoradiometer festgestellt. Wenn man die Messung ebenso 
wie die Vergleichung der Pastille mit der Skala stets unter denselben Ver- 
hältnissen vornimmt, sind die Angaben dieser Methode sehr genau. Die 
Ablesung wird bei uns in einem von reflektiertem Tageslicht erleuchteten 
Raum, in dem die Lichtintensität fast ständig gleich bleibt, vorgenommen. 
(An dunklen Tagen kann man sich vorteilhaft des Bordierschen Luci- 
meters bedienen, das ungefähr gleiche Beleuchtungsverhältnisse zu verwen- 
den gestattet.) Zur größeren Sicherheit nehmen wir jedesmal eine zweite 
Vergleichung bei künstlicher Beleuchtung vor (Glühlampe in halbdunklem 
Raum), die auch im Notfalle, bei sehr trübem Wetter, oder nach Eintritt 
der Dunkelheit, die Ablesung bei Tageslicht vollständig ersetzen kann. 

Bei künstlicher Beleuchtung entspricht die Verfärbung der Pastille 
bis zur Teinte 0—41 etwa der Teinte II—III; Verfärbung bis Teinte I 
entspricht in unserem Falle exakt der Teinte III bei Tageslicht. Die Fest- 
stellung der Teinte 0—41 ist oft recht schwierig, man kommt aber sehr 
gut zum Ziel, wenn man die bestrahlte Pastille nicht auf dem Niveau der 
Skala, sondern etwa !/, cm vom Schlitz derselben entfernt betrachtet. Der 
Karton zu beiden Seiten des Schlitzes wirkt so als Blende gegen die störende 
Fluoreszenz der Pastille. 


Früh- und Spätreaktionen. 


Bei verschiedenen Patienten beobachten wir mehr oder weniger inten- 
sive Frühreaktionen nach jeder Bestrahlung, die Mehrzahl der Patienten 
blieben übrigens ohne diese Frühreaktion. 

Die Frühreaktion, die in gewissem Grade von der applizierten Dosis 
unabhängig ist, besteht in einem vorübergehenden Früherythem, teilweise 
schmerzhafter Schwellung des Gesichts während 12 bis 24 Stunden, 
Muskelschmerzen (Musculus masseter), Schwellung der Speicheldrüsen, 
Trockenheit des Mundes, Trigeminusneuralgien, Kopfschmerzen nach Art 
des Druckes eines schweren Helmes (Cephalalgie en casque) oder hemi- 
faziale Kopfschmerzen in der Art starker Migräne usw. Wir haben bereits 
in Gemeinschaft mit Professor Bergoni& diese verschiedenen Frühreak- 
tionen an anderer Stelle!) ausführlich beschrieben, so daß wir hier nicht 
näher auf diese Erscheinungen eingehen brauchen. Die gewöhnliche Re- 
aktion, den Verlauf des Erythems und des Haarausfalls haben wir schon 
weiter oben geschildert, leichte Abweichungen von dieser Norm kommen 
je nach der individuellen Sensibilität der Haut vor. 


1) J. Bergonie und E. Speder, Sur quelques formes de reactions précoces. 
Archives d’Electricit6 medicale 1912, Nr. 306, p. 242. 


Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 331 


Nach Applikation von 4!/, Einheiten I weisen gewisse Personen nur 
eine einfache Bräunung der Haut auf, während andere dagegen ein starkes 
Erythem davontragen. 

Nach den Bestrahlungen kann man in einigen Fällen eine sehr lange 
bestehen bleibende Pigmentation der Haut beobachten. Dies ist der ein- 
zige Nachteil der Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. Die Pigmen- 
tation stellt sich bei gewissen Personen ein, ohne daß man vor oder 
während der Bestrahlung diese Erscheinung voraussehen könnte. Die 
Intensität der Verfärbung ist nicht allzu groß, und die pigmentierte Stelle 
kann leicht verdeckt werden. Da im übrigen die Röntgenbehandlung meist 
in Fällen angewandt wird, in denen es sich um eine wirklich abundante 
und sehr unschöne Haarentwicklung handelt, wird die Pigmentation von 
den Patientinnen, die nichtsdestoweniger mit dem kosmetischen Resultat 
sehr zufrieden sind, sehr gern mit in Kauf genommen. 

Bei den von uns nach der soeben beschriebenen Methode behandelten 
Fällen haben wir nur zweimal eine Atrophie der Haut feststellen müssen. 
Übrigens zeigte diese Atrophie noch einen ganz besonderen Charakter: es 
handelte sich um Frauen vorgeschrittenen Alters (55 und 60 Jahre), bei 
denen ein Jahr nach der Bestrahlung die Haut des Kinnes und der Lippen 
senil, fein gefältelt und leicht dekoloriert erschien. 8 

Doch die Veränderungen der Haut sind so gering, daß sie nur von 
einem vorher unterrichteten Beobachter wahrgenommen werden können. 
Was die Pigmentation betrifft, so ist dieselbe besonders bei schräg ein- 
fallendem Licht sichtbar; oder es besteht sogar eine ganz schwache 
Dekoloration. Bei der Berührung erscheint die Haut glatter als die der 
nicht bestrahlten Gesichtspartien, die Sekretion der Talg- und Schweiß- 
drüsen ist im bestrahlten Gebiete verringert. In fast allen Fällen bestehen 
noch einige extrem feine und sehr kurze Flaumhärchen. Teleangiektasien 
haben wir nie beobachtet, obwohl mehrere unserer Fälle schon länger als 
zwei Jahre zurückliegen, und obwohl nach der von uns applizierten Dosis 
oder doch nach ganz wenig intensiveren Bestrahlungen, ganz feine Tele- 
angiektasien als Frühschädigung in anderen Körpergegenden (Abdomen, 
Halsbasis) beobachtet wurden. 

Wir möchten aus unseren Erfahrungen folgende Schlußfolgerungen ziehen: 

Die Elektrolyse ist strikte indiziert, wenn es sich darum handelt, wenige 
zerstreute oder in Gruppen zusammenstehende Haare zu zerstören. 

Die Röntgenbehandlung ist indiziert in den Fällen, in denen es sich 
um viele, große gut entwickelte Haare oder um lange und zahlreiche 
Flaumhaare handelt. 

Die uns als beste erscheinende Technik besteht in der Verwendung 
harter Strahlen (8° Benoist etwa) filtriert durch 14 mm bis 11/ mm Alu- 


332 Speder, Die Röntgenbehandlung der Hypertrichosis. 


minium, die in der gerade noch von der Haut vertragenen Maximaldosıs 
auf die zu enthaarende Region appliziert werden. . Die Bestrahlung darf 
keine stärkere Reaktion als das Erythem zur Folge haben. Dank der 
Verwendung harter gefilterter Strahlen gelangt eine größere Menge der- 
selben in den Zellen der Haarpapille als im Stratum germinativum zur 
Absorption, und man kann da in wenigen Sitzungen eine zur ŽZerstörun: 
der Papille genügende Strahlenmenge applizieren, ohne die Haut ın 
bemerkenswerter Weise zu schädigen. Das kosmetische Resultat der Be- 
strahlung ist um so besser und um so schneller erreichbar, je gröber. natür- 
lich in den oben erwähnten Grenzen, die jedesmal applizierten Dosen sein 
konnten. | 

In den besonders für die Röntgenbehandlung geeigneten Fällen erzielt 
man einen definitiven Haarausfall nach drei oder vier Bestrahlungen- der- 
selben Region, die in Intervallen von 11/,—3 Monaten vorgenommen werden. 

Handelt es sich um lange Flaumhaare, so wird die definitive Alopeziv 
nach 6—7 Bestrahlungen erreicht. 

Unter unseren Arbeitsbedingungen entspricht die in den beiden ersten 
Sitzungen applizierte und mit dem Bordierschen Chromoradiometer ge- 
messene Dosis der Teinte I—II oder der Teinte I je nach Lage des Falles. 
In den folgenden Sitzungen applizieren wir meistens eine der Teinte 0—I 
entsprechende Dosis. Die Gesamtstrahlenmenge ist um so geringer, je 
stärker die jeweils applizierte Einzeldosis war. Bei den Patientinnen mit 
großen, gut entwickelten Haaren und wenig sensibler Haut übersteigt die 
applizierte Gesamtdosis nicht 12—16 I; in den übrigen Fällen werden 
etwa 20 I appliziert. 

Nach den von uns an den Patientinnen, deren Behandlung 16. 24 
und mehr Monate zurückliegt, gemachten Beobachtungen gestattet diese 
Technik jede Spätschädigung (schwere Atrophie der Haut, Zyanose. Tele- 
angiektasien) zu vermeiden. 

Die Epilation durch Röntgenbestrahlung ist kontraindiziert, wenn es 
sich um Flaumhärchen (selbst bis zu einer Länge von 8—10 mm) handelt. 
| Wenn es sich um eine abundante Entwicklung feiner Flaumhäre 
handelt und wenn die Intervention wirklich indiziert ist, ist es zu 
empfehlen, die Transformation der Flaumhäärchen in wirkliche Haare 
durch Epilation mit der Pinzette, Rasieren, oder durch den Gebrauch 
chemischer Epilationssalben herbeizuführen, um. sobald diese Umwandlung 
eingetreten ist, die radiotherapeutische Behandlung mit größerer Aussicht 
auf Erfolg durchführen zu können. 

Übersetzt von Dr. Reber- Bordeanx. 


Aus der K. K. Radiumstation im allgem. Krankenhause in Wien. 
(Leiter: Professor Dr. Gustav Riehl.) 


Über Wirkung von Polonium. 
Von 
Dr. phil. A. Fernau, Dr. med. Schramek und Dr. med. Zarzycki. 


eber die Beeinflussung des Blutbildes durch Injektionen von Radium- 
chlorid, Radiumemanation, Thorium X, liegen bereits zahlreiche Ar- 
beiten vor. In Nr. 3 der Wiener klinischen Wochenschrift brachten wir 
eine Mitteilung über die Wirkung des aktiven Niederschlages der Radium- 
emanation, der sogenannten induzierten Aktivität auf Kaninchenblut. 

Daß die biologische Wirkung einer radioaktiven Substanz nicht allein 
von dem Grade der Aktivität abhängt und allzu kurzlebige Radioelemente 
geringere Wirkungen ausüben, als langsamer zerfallende, erwiesen unsere 
Versuche mit induzierter Aktivität, welche praktisch innerhalb 3 Stunden 
auf Null abklingt. Mit relativ hoher induzierter Aktivität (7770 statistische 
Einheiten) konnten die weißen Blutkörperchen nicht vollständig zum Ver- 
schwinden gebracht werden. Gleich starke Aktivitäten der verschiedenen 
Radioelemente müssen demnach eine nicht gleich starke Wirkung, soweit 
sie wenigstens das Blutbild betrifft, hervorrufen. 

Bei allen oben erwähnten radioaktiven Substanzen kommt ein kompli- 
ziertes Gemisch von «&, ß, y-Strahlen in Betracht, so daß nicht feststellbar 
ist, ob eine bestimmte Strahlenart das Blut hauptsächlich beeinflußt. 

Unter den Zerfallsprodukten des Radiums gibt es einen reinen 
x-Strahler, das Polonium. Dasselbe findet sich in der Pechblende, und 
beträgt die theoretische Ausbeute ein Milligramm aus 15 Tonnen Uran 
(als Element gerechnet). Es war nicht uninteressant, diesen «-Strahler be- 
züglich seiner Wirkung auf die Leukozyten zu untersuchen. 

Das Polonium, als dessen nächste Analoga Wismut oder Tellur an- 
zusprechen sind, wird aus der Pechblende erhalten und findet sich in dem 
aus salzsaurer Lösung mit Schwefelwasserstoff fällbaren Blei-Wismut-Nieder- 
schlag. Eine Trennung des Polonium von Blei und Wismut ist nur elektro- 
Irtisch möglich. Elektrolysiert man eine Radio-Blei-Salzlösung mit all- 
mählich wachsender Stromdichte, so wird zuerst das Polonium an der 
Kathode niederschlagen (bei 4 Milliampere pro gem Kathodenoberfläche), 
dann Polonium und Radium E (bei 10 Milliampere pro qem Kathoden- 


334 Fernau, Schramek u. Zarzycki, 


fläche), während bei stärkeren Strömen alle Produkte einschließlich Blei 
abgeschieden werden. 

Elektrolysiert wurden ca. 2 Liter einer 15%, Radio-Blei-Nitratlösung 
und als Kathode ein Platinblech von 9 qcm Oberfläche verwendet. Die 


Versuch 1. 
Kaninchen 8900 g. Polonium 83 st. E. 





Poly: |se|s els ¥]å; 
Zahl der |Zehlder Ery-| onb oS 33 13,2 a| ES, 
Leukozyten | throzyten phile | ® = | m 











5 600 


I. | 7 400 5 012 000 | 
II. 7 500 5080000 | 62 7 3 u. 
1. vor d. Injekt. 7 460 | 
2Std.n.Injekt. 12 400 5148000 | | 
6Std.n.Injekt. | 11200 5264000 | 76 1 1 1,2 
2. vormittags . 10 500 5 048 000 | 
nachmittags . 8700 
3. | 6940 
4. | 6200 | | 
5. | 5800 5 048 000 
6. 4 080 5 106 000 53 1 1 8 
7. 4100 
8. 4 100 | ! 
9. 4 300 4952000 | 54 1 Ë 
10. 4 100 Ä 
11. 4 000 | 
12. 4 000 
13. 4 000 4 970 000 50 4 46 
14. 4100 
15. 4100 
16. 4200 | 
17. 3 980 
18. 3 800 
19. 4 000 
20. 3960 | 
21. 3 940 5.072 000 51 2 4 
22, 3 980 | 
23. 8 960 | 
26. 4 000 
28. 4 000 4 968000 | Ä 
80. 4 200 | | 
31. 4.000 | | 
43. 4 800 5080000 | 


Über Wirkung von Polonium. 335 


Lösung war während der mehrere Tage dauernden Elektrolyse mittels 
eines Grlasstabes in ständiger Bewegung gehalten. 

Das Polonium schlägt sich als unsichtbarer Niederschlag auf dem 
Platinblech nieder. Von Zeit zu Zeit wurde dasselbe aus der Lösung 
herausgenommen und nachgemessen, ob es genügend aktiv sei. Ist das 
Polonium aus der Bleilösung vollständig ausgeschieden, so nimmt die Akti- 
vitit des Bleches innerhalb eines Tages unwesentlich zu. Die Lösung 


Versuch II. 
Kaninchen 8500 g. Polonium 10 st. E. 


Poly- 


Zahl der |ZahlderEry- le 


Leukozyten | throzyten phile 


eosino- 
phile 
baso- 
phile 
Über- 

gangsf 





I. 9 800 4 956 000 | 63 
I. 9 600 | 
1. vor d. Injekt. 10 000 4 950 000 
2Std.n.Injekt. 14 800 | f 
5.Std.n.Injekt. 14 000 5000000 ; 71 1 28 
2. vormittags . 12 900 4 980 000 
nachmittags . 11 000 
3 6 800 
4. 6 800 
d 5 800 
6. 5 400 
7. 4 000 
8 
9 
0 
1 
3 











4100 
3 900 4 900 000 55 1 1 43 





3 980 
3 800 
3 900 
5. 3 400 


17 

19 3 800 

20 3 900 

2l. 3 980 

23 4 000 

25 3 900 4 950 000 55 1 3 41 
24; 


4100 
4 200 
4 100 
4 600 5 100 000 
4 900 


t% 
a 
‘ 


y 


2 m 


x sy x 
En in 


336 Fernau, Schramek u. Zarzyki, 


läßt man behufs Wiederbildung kleinerer Dosen von Polonium nur mehrere 
Wochen stehen. Erst nach ungefähr viereinhalb Monaten hat man die 
Hälfte der Gleichgewichtsmenge wieder. 


Um das Polonium für unsere intravenösen Injektionen in sterile 
physiologische Kochsalzlösung zu bringen, wurde dasselbe von der Platin- 
kathode abgelöst. Die Lösung gelang mit heißer verdünnter Salzsäure nur 
unvollständig, und wir behandelten daher das Poloniumblech in einer Glas- 
schale mit rauchender Salzsäure auf dem Wasserbade. Die salzsaure 


Versuch IH. 
Kaninchen 360 g. Polonium 40 st.E. 

















Zahl Zahl |m gelgel Elig 
der Leuko- |der Erythro-| neutro- | 2 %&, 3 21153|8» 
hile | ® | > 
zyten zyten P = 
% % i% | %|% 
1 | 7500 | 5 100 000 | 62 ılıye2 la 
HI 7 300 | 
1. vor d. Injekt. 800 | 5000000 | 
4Std.n.Injekt. | 13500 | 5200000 | 73 2 | 5 
2. vormittag 11 600 | 
nachmittag ) 10 300 | 
3, | 9400 | 5100000 | 57 | 2 41 
4. | 7800 | | | 
5. | 6800 | | 
6. | 4100 4 960 000 52 | 1 | #7 
T. ` 4000 | 
8. | 3800! | 
9, 4 000 
10. 8 400 4 890 000 48 3 | 49 
11. 3200 | 
12. 3600 | 
13. 3 000 | 
15. 2 800 4 900 000 43 1 1 | 5 
17. 3200 | 
18. 3800 | 
20, 3 600 5 200 000 55 1 1 3 | 40 
21. 3 500 
232. 3 900 
24. | 4100 
27. 4500 5 390 000 
30. 4 800 
35. 4 500 
41. 4 900 5 400 000 
46. | 6 300 


Über Wirkung von Polonium. | 337 


Lösung wurde zur Trockene eingedampft und der Rückstand, der kaum 
sichtbar war, in heißer N/7 Salzsäure gelöst. Unmittelbar vor der In- 
jektion wurde mit N/7 Natronlauge neutralisiert, und so eine Polonium- 
haltige physiologische Kochsalzlösung erhalten. Den Rückstand in physio- 
logischer Kochsalzlösung direkt zu lösen, ist wegen der Bildung von un- 
löslichem basischem Poloniumoxychlorid unzulässig. Trotz der Behandlung 
mit rauchender Salzsäure gelang es nicht, das Polonium aus dem Platin 
quantitativ herauszulösen, denn die Nachmesung ergab stets eine noch vor- 
handene Aktivität des Bleches. Wir haben die im Platinblech zurück- 
gebliebene Poloniummenge beziehungsweise dessen Stromwertäquivalent in 
Abzug gebracht. Es liegt offenbar eine Legierung von Polonium mit Platin, 
analog der Wasserstoff-Palladium-Verbindung, kein oberflächlicher Nieder- 
schlag vor. 

Die Dosen, die wir injizierten, betrugen 10 bis 400 stat. Einheiten; 
es sei bemerkt, daß einem Ionisationsstrom von 400 stat. Einheiten die 
(rewichtsmenge von 0,000 035 mg Polonium entspricht. 

Fassen wir bei unseren Versuchen die Einwirkung auf das Blutbild 
zusammen, so zeigt sich, daß bei Verabreichung von relativ kleinen Dosen 
i10—40 stat. Einheiten) die Leukozytenzahl zuerst ansteigt. Dieser An- 











ue 


. früh Exitus 


Versuch IV. 
Kaninchen 3800 g. Polonium 401 st. E. 
Pol TX S 1 8 y- Ò 
Zahl Zahl |morphk.\e2 | 82158 38 
der Leuko- |der Erythro-| neutro- S 2.183%15 S Ei R 
zyten zyten phile = 
% | %r | % | % 
1 8770 | 5400000 | | | 
u 7900 5450000 | 52 ee 1 43 
l. vor d. Injekt. | 9 200 | 
Std. n. Injekt. | 8 100 | Ä 
9Std.n.Injekt. | 7800 Ä 5 390 000 | 
3 | 5900 | 
3. 5400 | | | | 
t 3500 | 5350000 91 2 | 1 6 
5 | 2300 | | 
6. vormittag 1 000 | 78 | 2 
nachmittag 350 Ä 5 360 000 | 
t. vormittag 140 | | 
nachmittag 120 | 5 200 000 l 
z vormittag 60 | | 
nachmittag | 10 į 5280 000 15 85 
| | 
| | 





Strahlentherapie Band III, Heft ı. 22 


338 Fernau, Schramek u. Zarzyki, 


stieg ist aber nur 'ein vorübergehender und folgt darauf eine Leukopenie. 
die bemerkenswerterweise längere Zeit anhält. Wir konnten eine solche 
noch 30 Tage nach der Injektion beobachten, und selbst nach 40 Tageı 
war die Anzahl der Leukozyten geringer als bei Beginn des Versuche:. 
Es scheinen demnach geringe Mengen des Polonium, wie dies auch für 
das Thorium X und kleine Dosen von Radiumemanation und Radium 
(Gudzent, Noorden und Falta, Zehner usw.) gilt, zumeist eine Rex- 
wirkung auszuüben. Bei größeren Dosen (114 stat. Einheiten) erfolgt 
meist ohne früheres Ansteigen eine Abnahme der Leukozyten. Das pre 





Versuch V. 
Kaninchen 4100 g. Polonium 61 st. E. 
Z l 4 O 
Zahl Zai moi algele Eji; 
der Leuko- der Erythro-| neutro- | 74.132215 g ER 
zyten zyten phile “A 
% 1 %»l1% 1% |% 
I. 7 800 4 900 000 i 
II. 7 500 5 100.000 49 1|l5 8 
1. vor d. Injekt. 7 900 | 
2Std.n.Injekt. 11 600 
5Std.n.Injekt. | 12800 4.880 000 
2. 7.000 4 900 000 47 2 1 50 
3. 6 300 
4. 5 600 
5. 5100 
6. 3 800 
7. 8 200 4 800 000 45 1 1 53 
8. 3 600 
9. 3 100 
10. 3 000 4 600 000 47 1 52 
11. 3 200 
12. 3 800 4 800 000 
13. 3 600 
14. 3 700 
15. 3 300 
16. 3 600 
17. 3 800 
19. 4100 5 100 000 42 3 5 
21. 5 100 | 
22. 5 200 
24. 4 300 4 980 000 45 1 | 5 
26. 4800 | 
28. 5 100 
30. 4 000 


Über Wirkung von Polonium. 339 


zentuale Verhältnis der einzelnen Leukozytenarten ergibt bei unseren Ver- 
suchen keine regelmäßige Veränderung, doch ist auf der Höhe des Abfalls 
eine deutliche Lymphozytose aufgetreten. 

Große Dosen führen zu einem rapiden Leukozytensturz; sofort nach 
der Injektion beginnt die Leukozytenzahl zu sinken. In dem einen hier 
mitgeteilten Versuche sank innerhalb von 8 Tagen die Zahi der weißen 
Blutkörperchen von 9200 auf 10. Das Tier ging auch zugrunde, während 
die übrigen Kaninchen, die nicht tödliche Dosen erhielten, scheinbar keine 
Störung des Allgemeinbefindens aufwiesen; die Freßsucht war nicht ver- 
mindert, das Körpergewicht nahm nicht ab. Auch darin zeigt das Polo- 
nium eine Übereinstimmung mit anderen radioaktiven Substanzen, welche 
in großen Dosen eine Giftwirkung und zwar hauptsächlich durch Schädi- 
gung des hämatopoetischen Systems verursachen. 

Dafür spricht auch die in diesem Falle vorgenommene Autopsie, die 
sich mit den gleichen Veränderungen bei Einverleibung von Thorium X 
(Orth, Bickel, Pappenheim und Flesch, Hirschfeld und Meidner) 
vollkommen deckt. Sie ergab: Stark anämische große Gefäße mit wenig 
flüssigem Blut gefüllt, nirgends Blutkoagula. Beide Pleurahöhlen mit je 





Versuch VI. 
Kaninchen 3800 g. Polonium 57 st. E. 
Poly- ô olL% 2 = 
Zahl Zahl morphk. EE- gS 58 A g 
der Leuko- |der Erythro-| neutro- gr 3515 A A p 
zyten zyten phile A 
% % i% l IA 
I. 6 900 4 000 000 43 4 4 4 45 
i 6 700 
1. vor d. Injekt. 6 800 
2Std.n.Injekt. 5 400 
2 4 300 
3 3840 8 890 000 36 1 63 
4 3100 3 960 000 
5. 2600 
6. 2 900 3 870 000 40 1 2 57 
7. 2 600 
8. 2 600 
9. 2 300 
10. 1700 3 600 000 51 1 1 47 
11 1 800 
12 2000 
13. 2 200 3 900 000 49 4 4 47 
14. 2800 
15. 2 100 4 100 000 47 1 1 1 51 


22% 


340 Fernau, Schramek u. Zarzyki, 


5 ccm hämorrhagischer Flüssigkeit gefüllt. Lunge gebläht, in der Pleura 
zahlreiche Blutungen. Vereinzelte bis hirsekorngroße Blutungen im Peri- 
kard. Milz atrophisch, Leber ohne Besonderheiten. 


Auch bei nicht tödlichen Dosen konnten, so bei Kaninchen VII, das 
am 15. Tage getötet wurde, schon makroskopische Veränderungen am 
hämatopoetischen System festgestellt werden. Die Milz war atrophisch. 
das Knochenmark anämisch. Beim Kaninchen VI, welches Polonium in 
der Stärke von 57 stat. Einheiten erhielt, konnte makroskopisch keine 
Veränderung beobachtet werden. Über das Resultat der histologischen 
Untersuchung wird ein später erscheinender Bericht erfolgen. 

Unverändert blieb in allen Fällen die Zahl der roten Blutkörperchen. 
insbesondere auch im Versuche IV. Mittels der Oxydasereaktion konnte 
keine Abweichung von der Norm konstatiert werden. 

Fall I wurde aus dem Versuchsprotokoll auch deshalb mitgeteilt, weil 
es sich hierbei um ein gravides Tier handelt. Die Einführung des Polo- 
niums hatte keine Störung zur Folge. Am 31. Tage nach der Injektion 
warf das Kaninchen 5 Junge. Hirschfeld und Meidner konnten durch 


Versuch VII. 
Kaninchen 3900 g. Polonium 114 st. E. 


| 
































, lo alo 
E Zahl Pr Zahl moin. |22|8215 815 
der Leuko- der Erythro- neutro- |23|1233|5 = | S a 
zyten zyten phile | ® ha 
) 9-1... 5% 
I. 4200 | 530000 | 47 1 2.50 
LI. 4 300 5200 000 | | 
1. vor d. Injekt. 4 800 
2Std.n.Injekt. 4 900 5 300 000 | | 
2. 3 300 | 
3. 3 800 5 280 000 48 2 50 
4. 3 800 | 
5. 3 800 
6 2 550 | | 
7. 2.000 5 160 000 ' | 
8. 2.200 
9. 2 600 | 
10. 2.800 5 210 000 46 Ei 53 
11. 2 900 | | 
12. 3.000 | 
13. 2 400 | 
14. 2 500 5 300 000 67 | 33 
l j 


15. | 2200 | 


Über Wirkung von Polonium. 341 


intravenöse Darreichung von Thorium X unter drei Fällen in zwei Fällen 
Abortus herbeiführen. Sie wollen aus der geringen Anzahl der Versuche 
keine bindenden Schlüsse ziehen. Die Dosen waren aber viel größer als 
die von uns angewendeten Poloniummengen. 


Um eine vorläufige Feststellung zu machen, ob und wie lange Zeit 
sich Polonium im Organismus noch vorfindet, wurden Stücke von Leber, 
Niere und Milz bei Kaninchen VI und VII, die, wie früher erwähnt, 
14 Tage nach der Injektion getötet wurden, in bezug auf ihre Aktivität 
untersucht. Da Polonium bei ca. 1000° flüchtig ist, wurden Blut und 
Organe nur bis zur Verkohlung gebracht. Die fein gepulverte Kohle wurde 
mit konzentrieter Salzsäure ausgekocht, die salzsaure Lösung auf 100 ccm 
gebracht und 5 ccm davon in einer flachen (slasschale mit geringem Rande 
eingetrocknet. Es ließ sich tatsächlich eine Aktivität nachweisen, die auf 
o-Strahlung beruhte. 


Es tritt nach diesem Versuche, der nur eine vorläufige Feststellung 
enthält. welche durch im Gange befindliche Versuche kontrolliert wird, 
das Polonium in einen gewissen Gegensatz zu der Radiumemanation, 
welche sich sowohl bei intravenöser als subkutaner Zuführung rasch im 
ganzen Körper verteilt, aber in kurzer Zeit ausgeschieden wird. 


Im allgemeinen reiht sich daher das Polonium bezüglich der Verände- 
rungen, die es bei intravenöser Einführung hervorruft, den bisher unter- 
suchten radioaktiven Körpern vollkommen an. Bei den bisher vorliegenden 
Berichten über die Wirkungen der radioaktiven Substanzen kam durch 
die Anhäufung der Zerfallsprodukte ein Gemisch «, ß und y-Strablung in 
Frage. Wir gingen darauf aus, nur eine einzige Art von Strahlen zur An- 
wendung zu bringen und verwendeten deshalb den reinen «-Strahler 
Polonium, der ebenfalls vornehmlich auf das hämatopoetische System 
einwirkt. 

Es können jedoch keine Schlüsse auf die gleichartige Wirkung der 
Strahlen bei den verschiedenen radioaktiven Körpern im allgemeinen ge- 
zogen werden. 


Die Wirkung der Alphastrahlen gegenüber gesunder Haut ist bei den 
einzelnen radioaktiven Substanzen schwer abzugrenzen. Beim Auflegen von 
Polonium in größeren Dosen und durch längere Zeit auf der Haut des 
einen von uns (Schramek) konnte keinerlei Reaktion erzielt werden, dem- 
nach die Ansicht, daß die primäre Erythemwirkung des Radiums durch 
seine Alphastrahlen hervorgerufen wird, erst durch weitere Untersuchungen 
zu überprüfen ist. 


342 Fernau, Schramek u. Zarzyki, Über Wirkung von Polonium. 


Literatur. 


v. Noorden und Falta, Klinische Beobachtungen über die physiologische und 
therapeutische Wirkung großer Dosen von Radiumemanation. Medizini- 
sche Klinik 1911, Nr. 39. 

Levy, Margarete, Über Veränderungen der weißen Blutkörperchen nach In- 
jektionen therapeutischer Dosen löslicher Radiumsalze Radium in 
Biologie und Heilkunde, Bd. 1, S. 256. 

Brill und Zehner, Über die Wirkungen von Injektionen löslicher Radium- 
salze auf das Blutbild. Berliner klin. Wochenschrift 1912, Nr. 27. 

Falta, Kriser und Zehner, Über die Behandlung der Leukämie mit Thorium X. 
Wiener klin. Wochenschrift 1912, Nr. 12. 

Pappenheim und Plesch, Experimentelle und histologische Untersuchungen 
zur Erforschung der Wirkung von Thorium X auf den tierischen Organis- 
mus. Zeitschrift f. experim. Pathologie und Therapie 1913, Bd. 12. 

Gudzent, Einwirkung von Strahlen und radioaktiven Substanzen auf das Blut. 
Strahlentherapie 1913, S. 467. 

Hirschfeld und Meidner, Experimentelle Untersuchungen über die biologische 
Wirkung des Thorium X nebst Beobachtungen über seinen Einfluß auf 
Tier- und Menschentumoren. Zeitschrift f. klin. Medizin 1913, S. 407. 

Metzener, Zur Kenntnis der Organotropie von Thorium X und Thorium B. 
Zeitschrift f. klin. Medizin, 1913, S. 394. 


Die Finsenlichtbehandlung am London-Hospital 1900—1913. 


Von 


J. H. Sequeira, M.D. Lond. F.R.C.P. Lond. F.R.C.S. Eng. 


Oberarzt der Hautabteilung und Dozent für Dermatologie am London-Hospital: 
Leitender Arzt der Königin Alexandra Lichtabteilung; Konsultierender Dermato- 
loge am Radiuminstitut. 


Aus The Lancet, 14. Juni 1913. S. 1655. 
ie Finsenlichtbehandlung wurde am 1. Mai 1900 mit der von der 

Königin Alexandra, damals Prinzessin von Wales, gestifteten Lampe 
eröffnet. Die jüngst erfolgte Wiederkehr dieses Jahrestages legte einen 
Überblick über die in den verflossenen 13 Jahren erzielten Erfolge nahe, 
was, wie ich zu hoffen wage, auch für weitere ärztliche Kreise nicht ohne 
Interesse sein dürfte. Im Jahre 1908 veröffentlichte ich einen Überblick 
über unsere Tätigkeit in den ersten 8 Jahren.!) Die hochbefriedigenden 
Resultate, über die ich damals berichten konnte, sind in vollem Umfange 
auch weiterhin bis jetzt erzielt worden. Wir verfügen obendrein jetzt über 
eine Reihe von Fällen, die entsprechend länger rückfallfrei geblieben sind 
und ich möchte gerade auf diesen Punkt die Aufmerksamkeit beson- 
ders hinlenken. Wie früher muß ich meine Fälle in mehrere Gruppen 
einteilen. 

A. Fälle, die nach Abschluß der Behandlung keinen Rückfall erlitten. 
Diese möchte ich wieder unterteilen 

1. in solche, bei denen die Behandlung An als 3 Jahre abge- 

schlossen ist. 

2. In diejenigen, wo die Behandlung seit weniger als 3 Jahren be- 

endet ist. 

B. Fälle, bei denen die Krankheit unter der Behandlung schwand, 
die jedoch ab und zu wegen geringer Rückfälle einer kurzen Behandlung 
bedürfen. 

C. Fälle, bei denen die Behandlung zwar genützt hat, die aber nie 
ganz frei von Erscheinungen gewesen sind. 

D. Hoffnungslose Fälle. Bei ihnen handelt es sich um Erkrankungen 
schwersten Charakters, wo die Licht- oder vielmehr jede Behandlung gänz- 
lich ohne Wirkung bleibt. 


1) Seven Years’ Experience of the Finsen Treatment, The Lancet, March 7th 
1908, p. 718. 


344 Sequeira, 


E. Kranke, die aus pekuniären oder sonstigen Gründen die Behand- 
lung aufgeben mußten oder die uns aus Sicht gekommen sind. 


Gruppe A. Seit 3—13 Jahren rückfallfreie Fälle: 544. In den letzten 
3 Jahren behandelte, bisher rückfallfreie Kranke: 186. Die Beständigkeit 
des Heilungseffekts ist nun gerade bei der Finsenbehandlung von beson- 
derem Interesse und ich habe es mir daher angelegen sein lassen, die 
Fälle weiter zu verfolgen. Es war dies zwar mit erheblichen Schwierig- 
keiten verbunden, immerhin bin ich in der glücklichen Lage, über die Re- 
sultate von 544 Fällen berichten zu können. Von diesen haben wir nicht 
weniger als 302 Patienten innerhalb der letzten 2 Monate gesehen oder 
wenigstens mit ihnen in brieflicher Verbindung gestanden. Ich bin des- 
wegen den Schwestern der Abteilung besonders zu Dank verpflichtet, die 
mit unermüdlichem Eifer es unternahmen, die Patienten weiter zu verfolgen 
und in Konnex mit ihnen zu bleiben. Nach unseren Untersuchungen sind 
99 Patienten seit 10 Jahren und länger rückfallfrei. 277 sind rückfall- 
frei zwischen 5 und 10 Jahren, und 168 zwischen 3 und 5 Jahren. 


Neuerdings schenkt man besondere Aufmerksamkeit dem gleich- 
zeitigen Vorkommen anderer Tuberkulosemanifestationen bei Lupuskranken 
und einige Autoritäten geben hohe Prozentzahlen hierfür an. Ich bin nun 
zwar nicht in der Lage, sagen zu können, wie viele von den jetzt geheilten 
Patienten an Tuberkulose anderer Organe leiden, aber ich habe Nachricht 
über 6 Todesfälle an Lungentuberkulose unter 23 mit dem Tode abge- 
gangenen Patienten von den 544, die uns frei von Lupus verließen. 


Todesfälle unter 544 geheilten Lupusfällen. 


= 


Lungentuberkulose (1 mit Pneumothorax) 
Krebs innerer Eingeweide . 
Lungenentzündung 

Diabetes . 

Peritonitis (nicht tubarkulös). 

Perforation des Wurmfortsatzes . 
Diphtherie . 

Puerperalfieber 

Puerperal-Eklampsie . 

Meningitis (anscheinend adi tuberkulös) 
Gallensteinoperation . 

Ösophagus-Krebs . 

Progressive Paralyse . 

Unbekannte Ursache 


Q9 ma pa pa pa p p p j jede O IND 


Teer 23 


Die Finsenlichtbehandlung am London-Hospital 19001913. 345 


Die 186 ‚frisch‘‘ geheilten bedürfen keiner besonderen Erläuterung. 
Die Krankheit ist bei ihnen völlig beseitigt und es liegt keinerlei Grund 
vor, Rückfälle als bevorstehend anzunehmen. 


Gruppe B. Hierher gehören 117 Patienten. Eine Anzahl von ihnen 
ist für 1 Jahr und länger rückfallfrei gewesen, während andere in Zwischen- 
räumen von einigen Monaten sich weiterer Behandlung unterziehen mußten. 
In einigen Fällen kommen andauernd Rückfälle — allerdings von nur ge- 
ringer Ausdehnung — zur Beobachtung; aber man kann diese Kranken 
unmöglich als geheilt bezeichnen. Die Mehrzahl von diesen ist völlig im 
stande, ihrer Beschäftigung nachzugehen. In der Regel wirkt die Nach- 
behandlung bei ihnen außerordentlich schnell, nach wenigen Sitzungen 
können sie wieder an die Arbeit gehen. 


Gruppe ©. In dieser Gruppe habe ich diejenigen Patienten unter- 
gebracht, die zwar durch die Behandlung gebessert wurden, die aber niclhıt 
völlig frei von Krankheitserscheinungen geblieben sind. Bei einigen von 
ihnen sind die Nasennebenhöhlen in zu großer Ausdehnung erkrankt, bei 
anderen wieder ist der Hautlupus so erheblich und ausgebreitet, daß es 
unmöglich ist, ihn völlig zu beseitigen. Die Zahl der hierher gehörigen 
Kranken beträgt 161. Einige sind darunter, die jahrelang in Zwischen- 
räumen behandelt werden mußten, sie werden höchstwahrscheinlich ihr 
ganzes Leben lang mehr oder weniger Behandlung nötig haben. Tuber- 
kulose der Drüsen und anderer Organe ist ziemlich häufig bei dieser Art 
von Fällen. Es sind die Fälle, die am Kopenhagener Institut „Unsere 
Invaliden‘‘!) genannt werden. 


Gruppe D. Hoffnungslose Fälle. 31 Kranke, bei denen wir irgend- 
eine Beeinflussung durch Licht nicht zu konstatieren vermochten. Bei 
fast allen haben sich auch andere Behandlungsmethoden erfolglos erwiesen. 
Trotz aller unserer Bemühungen bleibt bei ihnen der Lupus aktiv, ja breitet 
sich sogar weiter aus: Teilweise ist dies zweifellos auf die schlechte körper- 
liche Konstitution der Kranken zurückzuführen, in manchen Fällen liegen 
dagegen gute Gründe für die Annahme vor, daß eine besondere Neigung 
des Tuberkelbazillus dafür verantwortlich zu machen ist. Ich hoffe, daß 
hierüber Untersuchungen, die jetzt im Gange sind, einige Aufklärung geben 
werden. 

Gruppe E. Unvollständig behandelte Fälle. Während des Berichts- 
zeitraumes von 13 Jahren haben 127 Kranke die Behandlung vorzeitig 
aufgegeben oder sind uns aus Sicht gekommen. In der Mehrzahl der 
Fälle wurden finanzielle oder häusliche Umstände als Grund des Aufgebens 


1) Im Original, wie vorstehend, „deutsch‘‘! (Der Übers.) 


346 Sequeira, 


angegeben; nur in vereinzelten Fällen machte dagegen der allgemeine Zu- 
stand des Patienten die Fortsetzung der Kur unmöglich. 


Noch in Behandlung bzw. Beobachtung waren am 1. Mai 1913 
190 Kranke. 


Todesfälle von solchen Patienten, deren Behandlung 
noch nicht abgeschlossen war. 


Außer den 23 Todesfällen von Kranken, deren Heilung vom Lupus 
bereits länger als 3 Jahre bestand, muß ich noch über folgende berichten: 


Tod durch Lungentuberkullose . . . . 7 


3 »  Epitheliom auf Lupus 5 
Š „  Herzleiden . : 5 
i „»  tuberkulöse Meningitis 2 
„ „ ÜUteruserkrankung 1 
ss „ Eingeweidekrebs 1 
„» „ Lungenentzündung 1 
i „ Epilepsie 1 
Eisenbahnunfall 1 
y 


„ ” 
Unbekannte Ursache ; 

Summe 31 
Eine Zusammenstellung der einzelnen Gruppen ergibt folgendes Bild: 


Geheilte seit 3—13 Jahren . . . 2... 54 
Geheilte weniger als 3 Jahre. . . . . . 186 
Noch zeitweise Behandlung erfordernd . . 117 


Gebessert . s s c s s o ce șa o 161 
Ungebessert . . 2 2 2 2 20... A 
1039 


Behandlung aufgegeben oder unbekannt . . 127 
Noch in Behandlung oder Beobachtung . . 190 


Summe 1356 


Außer diesen Fällen von Lupus vulgaris wurden noch 94 Fälle von 
Lupus erythematodes. und 13 Fälle von Ulcus rodens mit Finsenlicht 
behandelt. Ferner noch 48 Fälle von anderen Hautaffektionen, als Leuko- 
derma, Alopecia areata, Naevus usw. 


Zum Schluß möchte ich aber nicht unterlassen zu betonen, daß die 
hier erzielten Erfolge nicht ausschließlich der Finsenbehandlung zugeschrieben 
werden dürfen. In manchen Fällen von ulzerösem Typ haben wir uns zur 
Vorbehandlung der Röntgenstrahlen bedient, die wir auch in vielen Fällen 
von Lupus der Nasennebenhöhlen anwandten. Wir erfreuten uns ferner 





Sequeira, Finsenlichtbehandlung am London-Hospital 1900—1913. 347 


der Unterstützung der Herren Hunter F. Tod und Dr. H. Lambert 
Lack für die intranasale Behandlung, und der Herren A. B. Rox- 
burgh und W. T. Lister bei Erkrankungen des Tränensackes und der 
Lider. In den Fällen von Erkrankung der Nasenschleimhaut haben 
wir uns auch der Pfannenstillschen Methode bedient. Diese besteht 
bekanntlich darin, daß innerlich Jodnatrium gegeben wird, während die 
erkrankten Höhlen mit Tampons, die mit Wasserstoffsuperoxyd getränkt 
sind, austamponiert werden. Die Entwicklung von freiem Jod in den 
Höhlen hat in gewissen Fällen wunderbare Resultate gegeben. 
Übersetzt von Dr. G. A. Rost, Kiel. 


Aus der Universitäts - Frauenklinik Freiburg i. Br. 
(Direktor: Geh. Hofrat Prof. Dr. Krönig.) 


Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 
Von 


Prof. Dr. C. J. Gauß, I. Assistent der Klinik. 
(Mit 16 Abbildungen.) 


E ist noch nicht lange her, daß man die Technik der Radiumtherapie 
nur anhangsweise und kurz in den Röntgenlehrbüchern besprochen 
fand; wenige historische Angaben über die Entdeckung der radioaktiven 
Substanzen, einige noch knapper gehaltene Bemerkungen über ihr physikalisch- 
chemisches Verhalten, im besten Falle ein paar kurze Mitteilungen über 
klinische Erfolge und zum Schluß meist besonders dürftig eine Schilderung 
der zur Behandlung notwendigen Instrumente bilden alles, was Wißbegierige 
dort finden konnten. Trotzdem hat sich wohl kaum jemand darüber 
gewundert, daß die Radiumtherapie so stiefmütterlich behandelt wurde: 
war sie doch eine Methode, von der man nach allen bisher gemachten 
Erfahrungen glaubte annehmen zu dürfen, daß sie kaum jemals mehr Be- 
deutung erlangen würde, als die Dermatologie ihr in der Behandlung einer 
Reihe von oberflächlich gelegener Erkrankungen zuwies. Die ganze in jenen 
Niederschriften beschriebene Technik der Bestrahlung bestand meistens 
nur in der Angabe, daß man die strahlende Materie, in einer Art Kapsel 
untergebracht, auf den Krankheitsherd auflegen und an dem Orte der 
Wirkung für eine gewisse Zeit fixieren müßte. Die Fixation erfolgte ge- 
wöhnlich durch die Radiumträger, petschaft- oder sondenartige Instrumente. 
an denen die radiumhaltige Kapsel befestigt war. Sie stellen in ihrer 
primitiven Einfachheit ein getreues Spiegelbild der Radiumtherapie jener 
Zeit dar, und diese bedurfte in ihrer damaligen Entwicklungsphase tatsächlich 
keiner anderen Hilfsmittel. Beruhten doch die Erfolge der Radiumbe- 
handlung hauptsächlich in der Wirkung der weichen Strahlen. Entsprechend 
ihren physikalischen Eigenschaften waren diese weichen Strahlen durchaus 
geeignet, an der Oberfläche des Körpers nachhaltige Änderungen hervor- 
zubringen, unter denen die Heilung von Kankroiden und Epitheliomen am 
meisten in die Augen springen mögen. Sowie aber die zu beeinflussenden 
Erkrankungen nicht allein auf die Oberfläche beschränkt waren, sondern 
sich mehr oder weniger nach der Tiefe zu ausbreiteten, dann versagte die 


Gauß, Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 349 


Radiumbehandlung, indem sie bei kurzen Sitzungen nur oberflächliche 
Wirkungen entfaltete, bei längeren Sitzungen dagegen eine Tiefen- 
wirkung zeigte, die in Form der von Werner so genannten falschen 
Reaktion weit über das Ziel hinausschoß. 

Als man dann den weichsten Anteil der Strahlen durch Interposition 
von Metallfiltern ausschaltete, vermied man in der Folge zwar solche un- 
erwünschten Nebenwirkungen, verminderte aber zugleich die therapeutische 
Wirkung der Bestrahlung so sehr, daß sie in der Tiefe des Körpers praktisch 
kaum noch in Betracht kam. 

Die Isolierung der harten Strahlen verdanken wir in erster Linie 
Dominici, dessen Überlegungen von Wickham, Degrais, Cheron in 
die Praxis umgesetzt wurde. Es gelang tatsächlich, mit den so- 
genannten ultrapenetrierenden Strahlen, unter denen die y-Strahlen und 
die harten P-Strahlen zu verstehen sind, Erfolge zu erzielen, wie man sie 
bis dahin nicht gekannt hatte; Myome mäßiger Größe, Uterusblutungen 
bei Frauen vorgeschrittenen Alters ließen sich durch die Radiumbestrahlung 
meist soweit beeinflussen, daß sie, wenigstens in einem gewissen Prozent- 
satz der behandelten Fälle, als geheilt angesehen werden konnten. Eine 
Reihe der behandelten Fälle zeigte sich aber auch für die ultrapenetrierenden 
Strahlen in der von den Franzosen angewendeten Art der Anwendung als 
schwer oder gar nicht zu beeinflussen. Die französischen Autoren zogen 
daraus die Folgerung, dal die Radiotherapie nicht imstande sei, die Wirkung 
des Messers zu ersetzen, daß ihre Aufgabe vielmehr darin beruhen müsse, 
die chirurgische Behandlung durch Kombination mit der Strahlentherapie 
in der Form einer „chirurgischen Radiumtherapie“ zu ergänzen. 

Diese Auffassung der französischen Radiotherapeuten bedeutet meines 
Erachtens eine Verkennung der therapeutischen Fähigkeiten der radio- 
aktiven Substanzen. Nach unseren eigenen, bereits anderweitig mitgeteilten 
Experimenten mußte es als erwiesen gelten, daß die y-Strahlen des Radiums 
und Mesothoriums nicht nur eine besonders große Reichweite besäßen, 
sondern zugleich auch eine biologische Wirkung entfalten, die man bisher 
hauptsächlich wohl nur den -Strahlen zuerkannt hatte. 

Um diese biologische Wirkung im klinischen Verlauf der Behandlung 
erkennbar zu machen, bedurfte es natürlich größerer Mengen strahlender 
Materie als man sie bisher der Regel nach gebraucht hatte, da die y- 
Strahlen in der Summe des die strahlende Materie verlassenden Strahlen- 
gemisches nur einen abnorm kleinen, kaum 1% der gesamten Strahlen 
betragenden Anteil ausmacht. Wir sahen es daher als eine logische Folge 
der von den Franzosen bei der ultrapenetrierenden Strahlung beobachteten 
teilweisen Mißerfolge an, die Masse des strahlenden Materials soweit zu 
vergrößern, daß die das Metallfilter passierenden y-Strahlen noch in ge- 


350 Gauß, 


nügender Menge vorhanden waren, um eine biologisch in die Augen 
springende Wirkung erkennen zu lassen. Von dieser für die Tiefe des 
Körpers wirksamen Strahlenart ließ sich nun erweisen, daß sie die durch- 
strahlte Oberfläche des Körpers relativ wenig schädigt. Man mußte da- 
her erwarten, daß man zur Erzielung einer ausreichend-starken y-Strah- 
lung so große Mengen radioaktiver Substanzen der Oberfläche applizieren 
könne, wie man es bisher nicht glaubte tun zu dürfen. Eine lange Reihe 
vorsichtig angestellter Versuche legte den Grund zu der praktischen Ver- 
wertung dieser unserer Überlegungen. Wir applizierten eine gewisse große 
Menge von Mesothorium mit einem Metallfilter von bestimmter Dicke 
der Haut einer Patientin, und versuchten durch vorsichtiges Tasten 
die Zeitgrenze festzulegen, bis zu der eine leichte Hautreizuug gerade 
sicher vermieden werden konnte. Durch diese, von uns sogenannte „bio- 
logische Aichung‘‘ lernten wir die Bestrahlungszeit kennen, die wir zum 
Zwecke einer optimalen Ausnutzung des gebrauchten Präparates innehalten 
mußten. Es liegt auf der Hand, daß eine Änderung der angewandten 
Filterstärke ebensowohl wie jede Änderung der Mesothoriummenge eine 
neue biologische Aichung nötig machen. Die Reihe der so für jedes 
Präparat mit den verschiedenen Stärken der bei ihm verwendeten Filter 
festgelegten Daten der biologischen Aichung stellten für uns die Grund- 
lage der zeitlichen Dosierung bei unseren Patienten dar. Wir werden an 
anderer Stelle ausführlich über die hier kurz erwähnten Untersuchungen 
zu berichten haben. 

Wenn unsere theoretischen Überlegungen ebenso wie die auf ihnen 
basierenden experimentellen Untersuchungen richtig waren, so mußte die 
Praxis am Krankenbett ergeben, daß wir in der Lage wären, durch 
die Verwendung biologisch geaichter Präparate ohne Schädigung der Ober- 
fläche in der Tiefe biologische Veränderungen heilender Art hervorzu- 
rufen. 

Tatsächlich bestätigten unsere klinischen Beobachtungen die Richtig- 
keit unserer Überlegungen. Wir haben mehrfach über die Erfolge unserer 
Bestrahlungstechnik berichtet, so daß es sich erübrigt, an dieser Stelle 
darauf zurückzukommen. Dagegen dürfte es von allgemeinem Interesse 
sein, ausführlich zu besprechen, in welcher Weise wir die härtesten Meso- 
thoriumstrahlen in genügend großer Intensität dem Körper zuzuführen 
pflegen, um einerseits eine genügend starke Heilwirkung zu erzielen, ohne 
andererseits die solch großen Dosen eigene Gefahr der Nebenwirkungen 
in den Kauf nehmen zu müssen. 

Zur Isolierung des harten Strahlenanteils der Mesothoriumstrablen 
ist es notwendig, ein Filter von etwa 2 mm Blei zur Umhüllung der 
strahlenden Kapsel anzuwenden. Ob es nötig ist, zwecks sicherer Ver- 


Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 351 


meidung von ÖOberflächenschädigungen die reine y-Strahlung zu isolieren 
oder ob wir auch den härtesten Teil der ß-Strahlung dazu nehmen 
dürfen, um durch die starke Filterung nicht unnötig viel der y-Strahlen 
zu verlieren, ist eine Frage, die noch nicht definitiv beantwortet ist. Wir 
stehen vorläufig auf dem Standpunkt, die Filter lieber dicker zu wählen, 
um bei den von uns verwendeten außergewöhnlich hohen Dosen die Ge- 
fahr einer Oberflächenschädigung unter allen Umständen vermeiden zu 
können. Erst die Zukunft kann lehren, ob wir auf diesem Standpunkt 
stehen bleiben werden, der zweifellos unseren Patienten die beste Sicher- 
heit gegen Nebenwirkungen gibt, für uns dagegen durch den unverbältnis- 
mäßig großen Strahlenverlust eine relativ sehr teure Behandlungsmethode 
darstellt. 

Da die Intensität der Strahlung im umgekehrten Quadrat der Ent- 
fernung abnimmt, so muß es wichtig sein, die strahlende Kapsel nahe an 
den Krankheitsherd heranzubringen. Es würde also für unsere gynäko- 
logischen Ziele zweckmäßig sein, die Kapseln mindestens in die Vagina, 
wenn nicht in den Zervix oder sogar in die Uterushöhle einzuführen. Je 
mehr die Kapsel dem Zentrum des Krankheitsherdes näher kommt, desto 
besser muß naturgemäß die radiär nach allen Seiten von ihr ausgehende 
Strahlung für den Krankheitsherd selbst nutzbar werden. 

Um die Wirkung weiter nachhaltig zu erhöhen, empfiehlt es sich, auch 
das „feu croisé‘ der Franzosen zu benutzen. Ist man also im Besitz aus- 
reichender Mengen strahlender Substanz, so soll man nach Möglichkeit 
sowohl eine Kapsel in den Uterus, als eine in die Vagina, als endlich eine 
oder mehrere auf den Leib legen, um auf diese Weise von allen Seiten 
eine möglichst große Dosis auf den in der Tiefe des Körpers gelegenen 
Herd einwirken zu lassen. 

Endlich ist noch eine andere technische Maßnahme zu berücksichtigen. 
Es ist schon vor vielen Jahren von Werner experimentell festgestellt, daß 
die Konzentration einer gewissen Lichtmenge auf eine möglichst kurze Zeit 
viel intensiver wirkt als die Anwendung der gleichen Lichtdosis, wenn ihre 
Einwirkung über einen entsprechend größeren Zeitraum verteilt ist. Es 
wird also besser sein, eine große Dosis in kurzer Zeit als in einer längeren 
Zeitspanne eine Anzahl von kleinen Dosen anzuwenden. 

Nach diesen Ausführungen läßt sich deutlich erkennen, daß die prak- 
tische Durchführung der Mesothoriumtiefenbestrahlung sich durchaus an 
die Grundlagen der Röntgentiefentherapie anlehnt: starke Strahlung aus 
der Nähe in kurzer Zeit von vielen Seiten in großen Dosen mit starkem 
Filter anzuwenden. 

Wollten wir diese von uns als richtig erkannten theoretischen Grund- 
sätze in die Praxis umsetzen, so bedurften wir vor allem außergewöhnlich 


352 Gauß, 


großer Mengen radioaktiver Substanzen. Ich muß auch an dieser Stelle 
wiederholen, in wie großzügiger Weise die deutsche Mesothoriumindustrie 
uns in der Durchführung unserer Pläne entgegengekommen ist. Ohne ihre 
uns in liberalster Weise zur Verfügung gestellten großen Mengen von 
Mesothorium würde es völlig unmöglich gewesen sein, nachhaltige Erfolge 
zu erzielen. Dosen unter 50 mg eines hochprozentigen Radium- oder 
Mesothoriumsalzes scheinen uns für eine wirksame Tiefenwirkung nicht 
empfehlenswert. Wenn irgend möglich, sollten 100 mg angewendet werden, 
und wo es angeht, müssen zu gleicher Zeit möglichst viel solcher Dosen 
im Sinne des Kreuzfeuers auf den Krankheitsprozeß einwirken können. 

Für die äußere Anwendung eignen sich aus Gründen, die hier nicht 
näher erörtert werden können, am besten flache Kapseln, bei denen die 
strahlende Substanz möglichst gleichmäßig verteilt ist, für die innere Appli- 
kation dagegen zylindrische Tuben, in denen das Salz möglichst fest ein- 
gefüllt ist, sodaß ein Hin- und Herfallen innerhalb der Tube ausgeschlossen 
erscheint. Als Material für die Kapseln kommt speziell Silber und Platin 
in Betracht; das letztere eignet sich besonders für die Applikation an 
Orten, wo andere Metalle durch chemisch differente Körpersäfte, wie z. B. 
im Magen, angegriffen werden würden. Für die zu wählende Dicke der 
Kapselwand kommt in Betracht, dal3 sie einerseits eine gewisse Wider- 
standsfähigkeit hat, andererseits eine gewisse Dicke aber doch nicht über- 
schreitet, woraus zu starke Strahlenfilterung resultieren würde. 

Die Armierung dieser flachen und zylindrischen Kapseln zum Zwecke 
der Bestrahlung benötigt nun eine Reihe von Instrumenten, die von dem 
Instrumentenmacher F. L. Fischer-Freiburg/Brsg. auf Grund unserer Er- 
fahrungen zu einem Instrumentarium der Radium- und Mesothoriumtherapie 
zusammengesetzt ist. Die Instrumente lehnen sich zum Teil an bewährte 
Modelle, meist französischen Ursprungs an, stellen aber zum Teil doch 
Konstruktionen dar, die sich bei uns erst allmählich entwickelt und im 
praktischen Gebrauche bewährt haben. Es wird für die Allgemeinheit viel- 
leicht wichtig sein, aus einer kurzen Besprechung dieses Instrumentariums 
einen Eindruck gewinnen zu können, unter welchen Bedingungen die von 
uns anderen Orts mitgeteilten Resultate gewonnen sind. 


Ein Instrumentarium zur Radium-Mesothoriumtherapie muß, wenn es 
seinen Zweck erfüllen soll, eine ganze Reihe von Forderungen erfüllen. 
Mit ihm sollen durch bequem zu gebrauchende Instrumente die in richtig 
gewählten Filtern armierten strahlenden Kapseln an den Ort der Wirkung 
gebracht und dort fixiert gehalten werden, ohne daß die Patientin durch 
Nebenwirkungen irgendwelcher Art gefährdet ist. Dieses Ziel versucht das 
vorliegende Instrumentarium auf folgende Weise zu erreichen. 


Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 353 


Als Grundlage für das gesamte Instrumentarium sind flache und 
zylindrische Bestrahlungskapseln von einer bestimmten Größe gewählt; die 
flachen Kapseln (Fig. 1) haben einen äußeren Durchmesser von höchstens 
27,5 mm und eine Höhe von höchstens 2,7 mm. Die zylindrischen Kapseln 
(Fig. 2) sind mit einem Dickendurchmesser 
von höchstens 4,2 mm und einem Längsdurch- 
messer von höchstens 40 mm ausgeführt. Sind 
die zur Bestrahlung benutzten Kapseln kleiner, 


(u) 


Fig. 2. 





so könnte das vorliegende Instrumentarium trotzdem ohne weiteres Ver- 
wendung finden; größere Kapseln würden dagegen die spezielle Anfertigung 
dazu passender Filterhüllen verlangen. 





Fig. 3. 


Um eine Schädigung der Finger bei häufigem Arbeiten mit den Be- 
strahlungskapseln zu vermeiden, benützen wir eine Greifpinzette (Fig. 3), 
die durch zweckmäßige Biegung der greifenden Spitze gestattet, die Kap- 
seln bequem und sicher zu fassen. 


INN \ 
Il) A NIY 
i CEN h uA 





Fig. 5a. Fig. 5b. 


Die zur Verwendung kommenden Metallfilter bestehen vorläufig der 
Regel nach aus Blei, und sind in Dicken von 1, 2, 3 und 4 mm vor- 
handen. Über die Wahl des zu benutzenden Filtermetalles wird weiter 
unten noch gesprochen werden. 

Strahlentherapie Band IH, Heft 1. 23 


354 Gauß, 


Die Bestrahlungskapsel sollte je nach dem Orte ihrer Applikation 
verschieden geformt sein. 

Für die äußere Anwendung von strahlender Substanz an der Körper- 
oberfläche eignet sich wohl am besten die in Fig. 1 dargestellte flache 
Kapsel. Zur Filterung ihrer Strahlen dient eine aus vernickeltem Messing 





WIN iiim 


MN Ih Wi WN N Y \ 
NN IN INN IN INT AININ 
W N \ N \\ im 
\ WNN \\ INN NN \\ Ni (NN 














NN 





trii 
HER 


Fig. 6. 


hergestellte kleine Filterbüchse (Fig. 4); in diese wird eine als Strahlen- 
filter dienende runde Bleiplatte von 1-3 mm Dicke (Fig. 5 a und b) ein- 
gelegt, dann die strahlende Kapsel hinzugefügt, darauf der Deckel der 
Büchse geschlossen und durch die kleine seitliche Schraube fixiert. 

Hat man 2 flache Mesothoriumkapseln zur Verfügung, so würde eine 
in Fig. 6 dargestellte Zwillingsform der Filterbüchse gebraucht werden, 





Fig. 7. 


mit der durch den nach vorn zu sichtbaren, nach der Art einer Sicher- 
heitsnadel konstruierten Verschluß weitere flache Filterbüchsen mit ihr zu- 
sammengekoppelt werden können. Die bei der Konstruktion dieser 
Zwillingsfilterbüchse innegehaltene Entfernung der einzelnen Kapseln von- 
einander ist so gewählt, daß eine Summation der Strahlen an der Hautober- 
fläche durch zu große Nähe der strahlenden Kapseln vermieden wird. 

Für die innere Applikation von Mesothorium oder Radium müssen 
wir die für uterine und vaginale Anwendung konstruierten Filterbüchsen 
voneinander unterscheiden. 


Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 355 


Die für uterine Zwecke konstruierten Filterbüchsen (Fig. 7) stellen 
eine etwas unregelmäßig zylindrische Bleibüchse dar, die entsprechend 
der Größe der zylindrischen Mesothoriumkapsel gebaut ist. Sie wird nach 
Einführung des Präparates durch einen aus ver- 
nickeltem Messing bestehenden Schraubstöpsel ver- 
schlossen. Dieser Schraubstöpsel hat 2 spezielle 
Vorrichtungen. Er trägt eine Führungsrille, an deren 
einem Ende eine Kette befestigt ist, deren anderes 
Ennde in einer Durchlochung des Filterstöpsels endigt. 
Die Kette wird mit einer Sicherheitsnadel am Hemde 
der Patientin befestigt und soll so ein Verlorengehen 
der gesamten Kapsel vermeiden, wenn etwa die Pa- 
tientin sich unvorsichtig bewegt und dadurch die 
richtige Lage der Kapsel gefährdet. Die Führungs- 
rille und Durchlochung des Verschlußstöpsels dient 
zum Packen vermittelst der Einführungszange. Die 
Lage der uterinen Filterbüchse in der Einführungs- 
zange ist in Fig. 8 dargestellt, wobei die Spitze der 
Einführungszange so in die Führungsrille und die 
Durchlochung des Verschlußstöpsels eingesetzt ist, 
daß irgendwelche seitliche Verschiebung der Filter- 
büchse, die für die Kontinuität der Zervix gefähr- 
lich werden könnte, unmöglich gemacht ist. Ein 
nahe der Cremalliere am Greifende der Einführungs- 
zange gelegener kleiner Federverschluß dient zur 
Fixation der Sicherungskette, damit diese nicht bei 
der Einführung an Vulva oder Anus unnötig be- 
schmutzt wird. 

Da es für eine enge Zervix unbequem ist, eine 
dicke Filterbüchse einzuführen, so sind für diesen 
Zweck spezielle Filter dichteren Metalles z. B. aus 
Gold, angefertigt, die bei gleicher Filterwirkung eine 
durch ihre geringere Dichte bedingte Annehmlichkeit 
für Patientin und Arzt beim Gebrauch hat. Es 
würde dabei einer Bleifilterbüchse mit einer Wand- 
stärke von 2 mm eine Goldbüchse von etwa 0,8—1 mm 
Wandstärke entsprechen. Eine genauere Berech- 
nung der in der Wirkung gleichzusetzenden Dicken 
verschiedener Metallfilter ist zurzeit im Gange. 

Für die intravaginale Applikation sind die eben beschriebenen Filter- 
kapseln nicht geeignet, da sie, im Fornix quergestellt, der Patientin infolge 

23* 


g 
i 
N 
R 
a 
es 
d 
a n 
t K 
R} 
o 
Ry 
A w 
Ì 
ERC 


TIIE 


ae 


— 


edredoi maay ar e r a a 
uf 


OEEO 





356 Gauß, 


der dem Verschlußstöpsel eigenen Form unangenehme Druckbeschwerden 
machen würde. Der Verschlußstöpsel ist daher für die intravaginale 
Applikation so abgerundet, daß die Patientin durch ihn nicht belästigt 
wird (Fig. 9). Eine die Kapsel sichernde Kette geht durch eine Durch- 
lochung des Verschlußstöpsels. 

Da es nicht immer möglich ist, sich zugleich flache und zylin- 
drische Kapseln anzuschaffen, so ist dafür Sorge getragen, daß die ur- 


EC Th La, Tach Cal Ch Gh Ch ka 





Fig. 9. 


sprünglich für vaginale Anwendung gedachten zylindrischen Kapseln auch 
auf der Körperoberfläche verwendet werden können. Dazu dienen zylin- 
drische Metallfilterbüchsen, für die aus besonderen Gründen eine von dem 
vaginalen Modell abweichende Form gewählt werden mußte. Die Filter- 
büchse besteht aus zwei in der Mitte übereinander zu schiebenden Teilen, 
und ist nach beiden Seiten gleichmäßig abgerundet, wie Fig. 10a—d 
zeigen. Die beiden Teile werden durch eine federnde Klammer zusammen- 





Fig. 10. 


gehalten, an der die Sicherungskette angebracht wird (Fig. 11). Je nach- 
dem ob eine, zwei oder mehrere zylindrische Bestrahlungskapseln zur Ver- 
fügung stehen, werden Filterbüchsen dieser Art durch eine dafür vorge- 
sehene Vorrichtung kettenartig aneinander gehängt, so daß dann eine 
bewegliche und doch in gewisser Weise fixierte Reihe von äußeren Be- 
strahlungspräparaten zur Verfügung steht (Fig. 12). Natürlich passen in 
die eben geschilderten Klammern sowohl Filterbüchsen dünneren als 
dickeren Kalıbers hinein. Der Abstand der einzelnen Mesothoriumkapseln 
voneinander ist dabei so bemessen, daß auch hier eine Summation der 
Strahlung auf der Hautoberfläche vermieden wird. 


Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 357 


Dadurch komme ich bereits zu den Vorrichtungen, die unerwünschte 
Nebenwirkungen zu vermeiden bestimmt sind. Es ist selbstverständlich 
nicht ganz gleichgültig, ob man 2 Präparate von einer gewissen strahlenden 
Kraft in einem kleineren oder größeren Abstand voneinander dem Körper 
auflegt, und zwar aus folgenden 
Gründen. Von beiden Kapseln 
geht eine radiär austretende 
Strahlung aus, welche die Haut 
direkt unter der Kapsel senk- 
recht, seitwärts von ihr dagegen 
mehr oder weniger schräg trifft; ALLG 
dementsprechend ist die Strahlen- Fig. 11. 
wirkung direkt unter der Kapsel 
am stärksten, um nach den Seiten zu entsprechend dem schrägen Einfallswinkel 
des Lichtes abzunehmen. Wenn nun 2 Kapseln in einer gewissen Ent- 
fernung voneinander liegen, so treffen sich die radiär von ihnen ausgehenden 
Strahlen in der Mitte zwischen beiden. Je weiter sie voneinander liegen, 





m 
r |} 
| 


i = Ei] | Mm 
agi 





Fig. 12. 


desto kleiner ist der Einfallswinkel der sich in der Mitte überkreuzenden 
Strahlen, so daß es an der Stelle der Überkreuzung zu einer Summation 
kommt, ohne daß dabei eine Verbrennung aufzutreten brauchte. Rücken 
wir nun die beiden strahlenden Kapseln näher aneinander heran, so wird 
der Einfallswinkel der sich in der Mitte 
zwischen ihnen überkreuzenden Strahlen 
in entsprechender Weise größer und die 
Lichtwirkung damit intensiver. Wird 
eine gewisse Grenze überschritten, so ist 
die durch die Überkreuzung auftretende Summation der Strahlenwirkung so 
groß, daß sie an dieser Stelle eine Hautreizung hervorruft. Bei dem von 
uns gebrauchten Instrumentarium ist der richtige Abstand der strahlenden 
Kapseln voneinander durch biologische Experimente festgestellt; so ist eine 





358 Gauß, 


Verbrennung durch die Überkreuzung der Strahlen nach unseren Erfahrungen 
als ausgeschlossen anzusehen. 

Eine weitere selbstverständliche Forderung ist die in jeder Weise 
exakte Ausführung der Filterbüchse selbst. Wenn sie nicht überall 
gleich dick und dicht gearbeitet sind, muß es zu unangenehmen Ver- 
brennungen kommen. Wir haben zu einer Zeit, wo wir noch von 
Aluminiumbüchsen weitgehenden Gebrauch machten, gelegentlich ein Schad- 
haftwerden des Metalls durch Ätzwirkung der Körpersäfte erlebt; an den 
defekten Stellen, die nicht immer gleich dem Auge erkennbar wurden, trat 
natürlich eine weit stärkere und weichere Strahlenmenge hindurch, so daß 
wir dadurch gelegentlich unbeabsichtigte Reizwirkungen bekamen. 

Von besonderer Bedeutung ist auch die Art des Verschlusses der 
flachen Kapseln. Es genügt im allgemeinen bei den flachen Filterbüchsen 
den Deckel zu schließen, nachdem die flache Mesothoriumkapsel hinein- 
gesetzt ist, da eine Strahlung nach rückwärts nicht gefährlich werden kann, 
solange die Kapsel der freien Körperoberfläche aufgelegt ıst. Handelt es 
sich dagegen beispielsweise um die Achselhöhle, so würde die rückwärts 
durch den Metallbüchsendeckel austretende Strahlung den über ihr liegen- 
den Oberarm treffen. Da der Metallbüchsendeckel natürlich nur ein relativ 
dünnes Filter darstellt, so wäre eine Verbrennung des Oberarms durch 
Rückstrahlung des in der Axilla liegenden Präparates die unvermeidbare 
Folge. Man kann eine solche nun vermeiden, wenn man ebenso wie 
vor die strahlende Kapsel, so auch hinter sie ein dickes, aus einer Blei- 
platte bestehendes Strahlenfilter (Fig. 5) in die Metallbüchse einlegt. Die 
dann event. noch nach rückwärts austretenden Strahlen sind nunmehr so 
hart gefiltert und zugleich so stark vermindert, daß sie eine Schädigung 
von irgendwelcher Bedeutung nicht mehr zu machen imstande sind. 

Die gleiche Vorsicht muß auch bei intravaginal und intrauterin ein- 
gelegten Kapseln beobachtet werden. Da der sie verschließende Schrauben- 
stöpsel aus vernickeltem Messing besteht, einem Metall, das eine geringere 
Dichte als das Blei hat, da die Filterwirkung aber mit zunehmender Dichte 
der benutzten Metalle ebenfalls zunimmt, so muß natürlich an der Stelle 
des Verschlußstöpsels eine reichlichere und weichere Strahlung als an den 
übrigen Teilen der Metallbüchsen nach hinten austreten, eine Vermutung, 
die durch klinische Beobachtungen bestätigt wird. Um nun die unange- 
nehmen Folgen der an diesen Stellen unbeabsichtigt starken Strahlung zu 
vermeiden, wird in die Filterbüchse vor Verschluß durch den Schrauben- 
stöpsel eine kleine Metallplatte eingelegt. 

Mit der allseitig dicht abschließenden Metallfilterbüchse ist aber noch 
nicht alles getan. Es ist nämlich festgestellt, daß die auf das Filter auf- 
treffende Strahlung des Mesothoriums bzw. des Radiums in ihm eine 


Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 359 


Sekundärstrahlung hervorruft, die je nach Art und Dicke des benützten 
Metalls verschiedenartig und verschiedenstark ist. Nach unseren Unter- 
suchungen schien Blei eine besonders starke Sekundärstrahlung in diesem 
Sinne zu produzieren. Wir haben infolgedessen zu Beginn unserer Unter- 
suchungen die mit Mesothorium beschickte Bleifilterbüchse wiederum in 
eine dünne Aluminiumbüchse getan, da wir wissen, daß dem Aluminium 
eine sehr viel weniger intensiv wirkende Sekundärstrahlung eigen ist. Die 
so getroffene Anordnung bewährte sich jedoch nicht, da das Aluminium 
durch die Körpersäfte ziemlich schnell stark verändert wird. 

Wir haben daher, dem Vorgehen der französischen Autoren folgend, 
die Sekundärstrahlung durch andere Maßnahmen zu beseitigen versucht. 

Handelt es sich um äußere Applikation, so werden die Filterkapseln 
in eine dicke Gazelage eingewickelt, ehe wir sie dem Körper auflegen; in 
ihr wird die dem Filter entstammende Sekundärstrahlung weitgehend ab- 
sorbiert. so daß sie für die Haut unschädlich gemacht ist. Natürlich ist 
dieser Weg nicht gangbar, wenn man die Filterkapseln in enge Höllen 
und Kanäle wie z. B. den Zervix einlegen muß. Wir haben uns dann, 
wiederum den Franzosen folgend, geholfen durch die Anwendung eines 
Gummiüberzuges. Solche werden für unsere Kapseln passend besonders 
angefertigt (Fig. 13); wir haben bisher die Erfahrung gemacht, daß ihre 
Wirkung vollkommen ausreicht. Das Augenmerk sollte aber trotzdem 
auf diese Sekundärstrahlung gerichtet sein, da auch in dem Gummi 
wiederum eine Sekundärstrahlung auftreten kann, vor allem, wenn ihm 
bei der Fabrikation metallische Substanzen beigemengt sind. Ob die 
von uns gebrauchten Gummiüberzüge sich nach der Richtung hin auf die 
Dauer bewähren werden, ist natürlich noch nicht mit Sicherheit voraus- 
zusehen. Experimentelle Untersuchungen, die wir dem liebenswürdigen 
Entgegenkommen der Auergesellschaft Berlin verdanken, lassen daran 
denken, vielleicht anstelle des eine starke Sekundärstrahlung gebenden Blei- 
filters andere Metalle zu verwenden, die eine schwächere Sekundärstrahlung 
produzieren. Ob diese theoretischen Überlegungen wirklich auch praktisch 
zutreffen, können erst biologische Experimente ergeben. Bis dahin halten 
wir uns für berechtigt, unsere bisherige Technik beizubehalten. 

Endlich wäre noch ein Wort über die notwendige Filterdicke zu sagen. 
Die französischen Autoren bestrablen im allgemeinen mit einem Bleifiter 
von 1 bis 2 mm Dicke. Das durch dieses hindurchtretende Strahlengemisch 
enthält aber immerhin noch so viel 3-Strahlen, daß bei längerer Einwirkung 
eine Hautschädigung auftritt. Bei den von uns verwendeten großen Dosen 
ist natürlich eine solche Nebenwirkung schon relativ früh zu erwarten, so 
daß wir aus diesem Grunde von vornherein dickere Metallfilter gebrauchen. 
Nach Untersuchungen, die im Laboratorium der Auergesellschaft-Berlin 


360 Gauß, 


ausgeführt wurden, werden die B-Strahlen von 2 mm Blei soweit absorbiert, 
daß nur noch ein minimaler Bruchteil von ihnen durchgeht, -der neben 
den intensiven Yy-Strahlen vielleicht praktisch nicht mehr in Betracht 
kommt. Es wäre also sehr wohl möglich, daß es gar nicht notwendig ist, 
die ĝ-Strahlen vollkommen zu absorbieren, daß es vielmehr genügt, sie 
soweit zu schwächen, daß sie gegenüber der Oberflächenwirkung der 
y-Strahlung praktisch fast ganz zurücktreten. Ob das richtig ist, kann 
wiederum nur durch biologische Experimente erkannt werden. Solche 
Untersuchungen sind in unserer Klinik bereits seit geraumer Zeit im Gange 
und werden nach ihrem Abschluß von Krinski mitgeteilt werden. Bis 
zu ihrem Abschlusse halten wir uns für verpflichtet, die größere Gefähr- 
lichkeit der ß-Strahlen zu respektieren und dementsprechend bei ‚größeren 
Dosen und längerer Einwirkungszeit stärkere Filter anzuwenden. Wir be- 
nutzen darum im allgemeinen eine Filterdicke von 3 mm Blei, die sicher 
nur eine reine y-Strahlung durchläßt, und nehmen vorläufig die stärkere 
Verminderung der Strah- 

Fe a 7 lenquantität durch diese 
ln Filterdicke für ihre Unge- 
fährlichkeit in den Kauf. 
Wo es, wie in der Zervix, 
die Verhältnisse wünschens- 
wert erscheinen lassen, 
dünnere Filter zu gebrau- 
chen, da benutzen wir 
Filterbüchsen von Metallen größerer Dichte, wie z. B. Gold; dabei 
haben wir zurzeit 1,1 mm Gold=2 mm Blei gerechnet, eine Rechnung, 
deren Richtigkeit auch noch experimentell erhärtet werden muß. 

Ein vollständiges Instrumentarium muß also unter allen Umständen 
eine Reihe Metallfilter von verschiedener Form und Dicke enthalten, da- 
mit man die für eine spezielle Behandlung als richtig befundene Appli- 
kationsform sofort und jederzeit anzuwenden in der Lage ist. Ebenso sınd 
noch einige bisher nicht erwähnte Hilfsinstrumente nötig, die hier kurz 
Erwähnung finden sollen. Es empfiehlt sich, ein nach Art des Schustermaßes 
gebautes kleines Instrument (Fig. 14) zu haben, mit dem die Dicke des 
speziell-gewählten Filters gemessen werden kann. Wenngleich jedem Filter 
seine Millimeterdicke in Zahlen aufgepreßt ist, so kann es durch den 
dauernden Gebrauch der Filter doch vorkommen, daß die Zahlen unleserlich 
werden; das Meßinstrument setzt uns in die Lage, mit einem Griff die 
betreffende Filterdicke festzustellen. Ein weiteres Hilfsinstrument ist der 
Trockner. Er ist ein kleines Metallstäbchen mit Griff, um dessen geriefte 
Spitze dünne Wattelagen gewickelt sind. Er wird benutzt zur Austrocknung 


nt | 





Fig. 14. 


Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 361 


der zylindrischen Metallfilterbüchsen von der ihnen vom Sterilisieren noch 
anhaftenden Flüssigkeit; diese kleine Vorsichtsmaßregel verhütet die un- 
erwünschte Einwirkung von Flüssigkeit auf die Mesothoriumpräparate, die 
schon bei intakter Kapsel theoretisch denkbar ist, praktisch aber sicher 
dann eintritt, wenn eine kleine, dem Auge nicht erkennbare Kapselver- 


letzung besteht, durch die das kostbare Salz in die Flüssigkeit austreten 
könnte. 


Das gesamte hier beschriebene, für die gynäkologische Radiumtherapie 
benötigte Instrumentarium ist der besseren Handlichkeit wegen auf 3 Metall- 
platten (Fig. 15) untergebracht, die fest übereinanderstehend, vermittels eines 
Greifbügels in den Instrumentenauskocher eingestellt werden können (Fig. 16). 
Jede der drei Platten, die zum Heben wiederum eigene Griffe tragen, hat 





Fig. 15. 


eine Reihe von kastenartigen Vertiefungen, in denen die einzelnen Ge- 
brauchsgegenstände, speziell die Filter, zweckmäßig geordnet liegen. Diese 
Vorrichtung hat sich schon deswegen als notwendig erwiesen, weil die ver- 
schiedenen, an den Filtern angebrachten Sicherungsketten sonst fortwährend 
unentwirrbar durcheinander liegen; außerdem trägt die Einordnung der ver- 
schiedenen Filter in die verschiedenen Abteilungen nach ihrer Dicke sehr 
zur Übersichtlichkeit des gesamten Instrumentariums bei. Einige der Hilfs- 
instrumente sind durch geeignete Vorrichtungen auf den Platten fixiert. 


Das vorliegende Instrumentarium zur Radium-Mesothoriumtherapie 
eignet sich natürlich nur für den klinischen Gebrauch. Wollen wir die 
Applikation der Bestrahlungskapseln außerhalb der Klinik vornehmen, so 
legen wir die dazu benötigten einzelnen Teile des Instrumentariums ge- 
brauchsfertig hergerichtet in einer kleinen, verschließbaren Kassette bereit, 


362 Gauß, 


die auch die sonst noch benötigten Gegenstände (wie Äther, Leukoplast, 
Gaze und Handschuhe usw.) enthält. Soll die Beschickung der Metall- 
filterbüchsen erst an Ort und Stelle vorgenommen werden, so müssen die 
strahlenden Präparate zum Schutze für den Träger der Kassette in genügend 
dicken Bleiklötzen mitgeführt werden.!) 


Es mag von Vorteil sein, zum Schluß ganz kurz den Gang der Appli- 
kation einer strahlenden Kapsel zu schildern. 

Die benötigten Instrumente werden sterilisiert, die zur Einlegung be- 
stimmten Mesothoriumkapseln dem diebes- und feuersicheren Schranke ent- 
nommen. Eine flache und zwei zylindrische Kapseln seien zur äußeren 





Fig. 16. 


Anwendung, eine zylindrische für intrauterine und eine für vaginale Appli- 
kation bestimmt. 

Wir nehmen also die flache Filterbüchse, legen eine 3 mm dicke Blei- 
filterplatte auf ihren Grund und sodann die Kapsel selbst hinein, decken 
sie zur Sicherung gegen die Rückstrahlung nochmals mit einer 3 mm dicken 
Bleifilterplatte und schließen den Deckel der Filterbüchse durch den seit- 
lichen Schraubenverschluß. 

Die für die äußere Applikation bestimmten zylindrischen zwei Meso- 
thoriumkapseln werden nunmehr in die zugehörigen zylindrischen Bleifilter- 
büchsen gelegt, nachdem diese zuvor mit dem Trockner von der ihnen 


1) Instrumentarium und Kassette werden in der beschriebenen Form von In- 
strumentenmacher F. L. Fischer-Freiburg, Kaiserstr., angefertigt und vertrieben. 


Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 363 


‚vom Auskochen anhaftenden Flüssigkeit befreit sind. Die geschlossenen 
Bleifilterbüchsen werden sodann in die zugehörige Doppelklemmfeder gelegt 
und sind damit gebrauchsfertig. | 

Ehe sie aber der zu bestrahlenden Körperstelle aufgelegt werden 
können, müssen die mit Mesothorium beschickten Metallfilterbüchsen mit 
der die Sekundärstrahlen aufnehmenden Gazeschicht umhüllt werden. Dies 
geschieht auf folgende Weise. Sie werden wie ein Postpaket in die Gaze 
eingepackt und einige Leukoplaststreifen in der Weise einer Paketver- 
schnürung um sie herumgeführt. Eine Markierung auf der Gaze bezeichnet 
die dem Körper abgewendete, nicht strahlende Rückseite der Kapseln. In 
dieser Form werden die Kapseln der zu bestrahlenden Körperstelle auf- 
gelegt und dort durch breite Leukoplaststreifen befestigt. Es empfiehlt 
sich, die in Bestrahlung genommene Hautpartie durch einen Tintenstift zu 
umranden, damit beim Fortnehmen des strahlenden Paketes festgestellt 
werden kann, ob es seine Lage während der Applikation verändert hat 
oder nicht. Sind nämlich mehrfache, räumlich nebeneinander gelegene 
Applikationen nach Art der Felderbestrahlung beabsichtigt, so würde eine 
nicht beobachtete Verschiebung der Kapseln Überstrahlungen der Grenz- 
partien und Hautschädigungen zur Folge haben können. 

Zur Applikation der uterinwirkenden Kapseln bedarf es einiger größerer 
Umständlichkeiten. Zuerst wird die einzuführende Kapsel hergerichtet. 
Nach Austrocknen der Bleifilterbüchse mit dem Trockner wird die Meso- 
thoriumkapsel mit der Greifpinzette gefaßt und in die Filterbüchse versenkt. 
Nachdem die kleine, die Rückstrahlung verhindernde Bleiplatte darauf- 
gelegt ist, wird der Verschlußstöpsel daraufgeschraubt und ein nach Mög- 
lichkeit vorher umgeklappter Gummiüberzug vorsichtig so über die Metall- 
filterbüchse gestreift, daß sie dieser überall glatt anliegt. Erst jetzt faßt 
man die zum Einführen fertige Kapsel an der Rinne des Verschlußstöpsels 
mit der Einführungszange, fixiert sie in dieser Lage durch Schluß der 
Cremalliere und drückt die am Verschlußstöpsel angebrachte Sicherungs- 
kette angezogen in die kleine Metallfeder seitlich des Griffes der Ein- 
führungszange. Nach Einstellung und Einhakung der Portio wird die 
Zervix nun mit Hegarschen Dilatatoren vorsichtig dilatiert bis zu einer der 
Größe der Metallfilterbüchse entsprechenden Nummer und die bereit- 
liegende Metallfilterbüchse sodann vermittelst der Einführungszange mög- 
licht hoch in die Zervix hinaufgeschoben. Ein Tampon sorgt für die 
richtige Lage der Kapsel. | 

Ist zugleich eine vaginale Applikation beabsichtigt, so wird eine Vaginal- 
filterbüchse unter Leitung der touchierenden Hand in die Vagina eingeführt 
und im Fornix quergestellt. Die Beschickung der intravaginalen Metall- 
filterbüchse geschieht genau so wie die der intrauterinen: nur wird anstelle 


364 Gauß, Zur Technik der gynäkologischen Mesothoriumtherapie. 


eines zur intrauterinen Einführung benötigten spitzigen Verschlußstöpsels 
die abgerundete Form des intravaginalen Verschlußstöpsels gewählte Nach 
der Einführung der Kapsel in den Fornix wird ein Wattetampon zu ihrer 
Fixation in der richtigen Lage eingelegt. 

Alle Bestrahlungspräparate werden übrigens vermittelst der Sicherungs- 
kette an dem Hemde der Patientin befestigt, um für den Fall eines Her- 
ausgleitens einige Sicherheit zu haben. 

Für die Applikationsdauer jedes Präparates sind natürlich die durch 
die biologische Aichung gefundenen zeitlichen Werte maßgebend. Die 
Patientin hütet am besten das Bett, damit sich die Kapsel nicht verschiebt. 
Diese Maßnahme ist übrigens auch im Sinne einer möglichst weitgehenden 
Sicherung gegen das Verlorengehen des wertvollen Präparates zweckmäßig. 


Kroemer: Röntgen-Mesothoriumstrahlen. Strahlentherapie Bd. III, Taf. I. 





Fig. 1. 





Fig. 2. 
Carcinoma cervicis. Geschwulstbröckel nach Stägiger Bestrahlung vom Kıater 
durch Abkratzen gewonnen. 


Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin-Wien. 


Kroemer: Röntgen-Mesothoriumstrahlen. Strahlentherapie Bd. III, Taf. II. 





Fig. 3. 
Dasselbe Karzinom wie in Fig. 1 und 2 naclı 4 wöchentlicher Bestrahlung. Das 
Stroma ist schwammig aufgelockert. Die Karzinomzellen sind gleichsam ausgelaugt. 





Fig. 4. 
Randpartie vom gleichen Karzinom wie in Fig. 1—4. Das Krebsgewebe ist ver- 
schwunden. In der Umgebung der Gefäße reiche kleinzellige Infiltration. 


Verlag von Urban & Sch warzenberg, Berlin-Wien. 


Kroemer: Röntgen-Mesothoriumstrahlen. Strahlentherapie Bd. III, Taf. III. 





Fig. 6. 


Probeexzisionen aus einem Vulvakrebs nach 6 wöchentlicher Bestrahlung. Fig. 5 
ist dem Grunde, Fig. 6 dem Rande des flachen Ulcus rodens entnommen. An 
Stelle des typischen Hornkrebses ist nur noch ein indifferentes Gewebe mit leb- 
hafter kleinzelliger Infiltration vorhanden. In Fig. 5 ist ein Krebszapfen angedeutet. 


Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin-Wien. 


Strahlentherapie Bd. III, Taf. IV. 


Klein: Röntgenbehandlung. 





Adeno-Carecinoma mammae; Primär-Tumor. 


Fig. 1. 


25. 


‚A. 


3, Oc. 3, K 


Op. 18. IX. 1907. — Obj. 





Erstes Rezidiv. 


Fig. 2. 


Op. 20. XI. 09. — Zeiß-Obj. AA, 


Huyg. 2, K.-A. 35. 


Oc. 
Auszug. 


amera- 


K 


Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin-Wien 


KA. = 


| Nikrophotographie von Dr. Bux. 


Klein: Röntgenbehandlung. Strahlentherapie Bd. III, Taf. V. 





Fig. 3. Zweites Rezidiv. 
Op. 17. IV. 1910. — Obj. 3, Oc. 3, K.-A. 25. 





Fig. 4. Drittes Rezildiv. 
Op. 2. III. 1911. — Obj. 3, Oc. 3, K.-A. 25. 


K.-A. — Kamera-Auszug. 


Klein: Röntgenbehandlung. Strahlentherapie Bd. III, Taf. VI, 





Fig. 5 Letztes Knötchen. 
Exzid. 9. XII. 1911. — Granulations-Gewebe mit spärlichen, atypischen Epithel- 
resten, kein Karzinoın mehr. Zeiß-Obj. 35 mm, K.-A. 45. 





Fig. 6. Die in Fig. 5 mit * bezeichnete Stelle, stärker vergrößert, Zeiß-Obj. DD, 
Oc. Huyg. 2, K.-A. 45. 


K.-A. = Kamera-Auszug. 


Die Wirkung radioaktiver Substanzen und deren Strahlen 
auf normales und pathologisches Gewebe.!) 
Von 
W. 8. Lazarus-Barlow, M.D., F.R. C.P., London. 


rotz der verhältnismäßig wenigen Jahre, die seit der Entdeckung der 

X-Strahlen und der ganzen Gruppe der radioaktiven Elemente vergangen 
sind, ist die Literatur, die sich mit den pathologischen und klinischen 
Studien über dieses Gebiet befaßt, schon geradezu enorm groß geworden. 
Wie zu erwarten stand, leiden viele der publizierten Arbeiten darunter, 
daß die Verfasser als Ärzte nicht imstande waren, die physikalische Seite 
der Probleme, die sie in Angriff nahmen, genügend zu würdigen. Wenn 
z. B. ein Gewebsteil mit Radium bestrahlt wurde, so glaubte man genug 
getan zu haben, wenn man diese Tatsache feststellte, während wir jetzt 
dagegen wissen, daß die Menge des Radiums, der Grad der Reinheit des 
Radiumsalzes, die Entfernung, die Art des Filters, dessen Dicke, das 
Emanationsgleichgewicht, die Fläche, auf die das Radium verteilt ist, die 
Zeit der Bestrahlung usw. Punkte sind, denen unter Umständen funda- 
mentale Bedeutung bei der Beurteilung der etwa erhaltenen Resultate zukommt. 

Indem ich die Diskussion eröffne, möchte ich nicht den Versuch wagen, 
einen Überblick über diese Menge von Literatur zu geben; umso weniger 
als diese Aufgabe in umfassendster Weise bereits erfüllt ist durch das 
jüngst erschienene Werk von Paul Lazarus, Handbuch der Radium- 
biologie und Therapie, mit seinen umfangreichen bibliographischen Angaben 
und seinen kritischen Beiträgen der hervorragendsten Autoritiiten auf 
diesem Gebiete. 

Ich halte es vielmehr für meine Pflicht, zunächst nur kurz die Punkte 
zu berühren, über die allgemein Einstimmigkeit herrscht, sodann möchte 
ich etwas eingehender die Fragen behandeln, über die sich die Ansichten 
noch nicht geklärt haben, und schließlich will ich, als Forscher auf diesem 
Gebiete, mir erlauben, Ihnen darzulegen, in welchen Richtungen die wei- 
teren Forschungen nach meiner Ansicht sich bewegen sollten. 

Gleich zu Beginn der Verhandlungen möchte ich noch der Bitte Aus- 
druck geben, keine Gegenstände in die Diskussion hineinzuziehen, die we- 
sentlich oder ganz auf klinischem Gebiet liegen. Um ein einfaches Bci- 





1) Vortrag, gehalten auf dem internationalen medizin. Kongreß in London, 
Aug. 1913. 


Strahlentherapie Band III, Heft 2, 24 


366 Lazarus-Barlow, 


spiel anzuführen: Es ist an sich interessant und hochwichtig, zu wissen, 
daß ein Ulcus rodens durch Radium zur Heilung gebracht worden ist, die 
Einzelheiten der Behandlung interessieren uns hier z. Zt. nicht, dagegen 
werden wir Mitteilungen darüber, welche Änderungen in histologischer und 
chemischer Hinsicht, bezüglich der Ernährung usw. die Karzinomzellen. 
das Bindegewebe, die Blutkörperchen und anderes mehr infolge der Radium- 
wirkung aufweisen, sehr willkommen heißen. Ebenso gehören z. B. Aus- 
führungen hauptsächlich physikalischer Natur nicht hierher, außer wenn 
diese nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse in gewisser direkter 
Beziehung zu einem biologischen Vorgang stehen. 

Wenn man die Literatur der Radiobiologie überblickt, so ist eine 
Tatsache sehr auffallend, daß nämlich der Strahlenwirkung so häufig schä- 
digende, destruierende oder funktionsherabsetzende Eigenschaften zukommen. 
Diese Strahlenwirkung ist aber, unter gleichen Bedingungen, nicht gleich- 
artig bei den verschiedenen bestrahlten Geweben oder Substanzen. Am 
lebenden Gewebe beobachten wir eine „Inkubationszeit“ zwischen Bestrah- 
lung und dem Auftreten der Reaktion. Andererseits haben nicht alle 
Strahlenarten am gleichen Gewebe die gleiche Wirkung. In mancher Hin- 
sicht sind diese Unterschiede jetzt dahin festgestellt, daß wir annehmen 
müssen, daB den «-Strahlen und den weichen ß-Strahlen die bekannten 
zerstörenden Eigenschaften in weitestem Umfange zukommen, während die 
härteren X-Strahlen und die höchst penetrationskräftigen y-Strahlen des 
Radiums anscheinend nur eine indirekte Wirkung entfalten, nämlich infolge 
der Sekundärstrahlung, die sie erzeugen, wenn sie auf eine zur Entstehung 
von Sekundärstrahlen geeignete Substanz auftreffen. Die Ansichten gehen 
allgemein wohl zur Zeit dahin, daß der Sekundärstrahlung die allerhöchste 
Bedeutung beizumessen ist. Man muß sie natürlich wohl unterscheiden 
von der sog. zerstreuten Primärstrahlung und es ist klar, daß in aller- 
nächster Zeit der Grad ihrer Wirksamkeit bestimmt werden muß. 

Die destruierende Wirkung der Strahlung ist nun bei einer beträcht- 
lichen Anzahl von Substanzen bestimmt worden. Die Wirkung auf die 
Haut kennen wir genau, einschließlich derjenigen auf die epidermoidalen 
Anhangsgebilde (Haarfollikel, Nägel, Schweißdrüsen) und auf die Blutge- 
füße des Unterhautbindegewebes. In Bezug auf die Blutgefäße wissen wir 
allerdings bis jetzt nicht mit Sicherheit, ob die kleinen Arterien und Venen 
sowie die Kapillaren in gleicher Weise beeinflußt werden, während die 
grobe Schmerzhaftigkeit der Röntgen- und Radiumverbrennungen auf der 
einen Seite, die Schmerzlinderung bei Krebs durch diese selben Strahlen 
oder der von ihnen erzeugten Sekundärstrahlung auf der anderen Seite eine 
Einwirkung auf die Nerven oder deren Endorgane vermuten lassen. Histo- 
logische Untersuchungen über die Strahlenwirkung auf Nerven und deren 


Wirkung radioaktiver Substanzen. 367 


Endapparate sind erwünscht; allerdings kennen wir bereits den Einfluß 
des Radiums auf Nerven durch experimentale Untersuchungen am Nerv- 
Muskelpräparat des Frosches, über die später zu berichten sein wird. Ein 
weiteres Problem: Wir wissen, daß Erythrozyten und Leukozyten durch 
Radiumstrahlung stark geschädigt werden, und Chambers und Russ 
haben in meinem Laboratorium nachgewiesen, daß diese Eigenschaft durch 
die «-Strallen bedingt ist und zwar anscheinend durch diese allein. Unter 
diesen Umständen ist die unzweifelhaft vorhandene Wirkung der Röntgen- 
strahlen auf die leukämische Milz sehr schwierig zu erklären und erfordert 
zweifellos weitere Untersuchungen. 

In die Kategorie der Untersuchungen, die sich mit der destruierenden 
Wirkung der Strahlen beschäftigen, gehört auch der sterilisierende Einfluß 
gewisser Strahlen auf Bakterien. Diese Keimvernichtung kommt bei Be- 
nutzung des Radıums oder seiner Emanation zustande durch die «- und 
ß-Strahlen allein, die y-Strahlen sind offenbar hier wirkungslos. 

Beispiele für die vernichtende oder schädigende Wirkung der Strahlen 
sehen wir auch an pflanzlichen Geweben, an Samen, Wurzeln, Blüten- 
und Blattknospen. Zunächst wird im allgemeinen das Wachstum vermin- 
dert, bei genügend starken Dosen wird völliges Absterben des bestrahlten 
Teiles erzielt. Auch hier spielen die «-Strahlen wieder die Hauptrolle, 
allerdings hat man auch schädigende Wirkungen durch weiche ß-Strahlen 
beobachtet. Zweifelhaft ist es weiterhin bis jetzt, ob die y- oder Röntgen- 
strahlen ohne Wirkung sind oder ob die Wirkungen, die man ihnen bis- 
her zugeschrieben hat, in Wirklichkeit nicht durch die Sekundärstrahlung, 
die durch sie erzeugt wird, hervorgerufen sind. 

Bisher habe ich hauptsächlich höher organisierte Organismen im Auge 
gehabt, es besteht aber kein Zweifel, daß eine ähnliche Schädigung der 
Strahlung auf einzellige Wesen statthat. Ich brauche hier nur auf die 
bedeutsamen Versuche Professor O. Hertwigs hinzuweisen; er wird selbst 
ausführlich darauf in seinem zu erstattenden Referat eingehen. Ich will 
nur noch hinzufügen, daß Bonney und ich im Jahre 1909 Untersuchungs- 
ergebnisse veröffentlichten, nach denen eine schädigende Wirkung der Strah- 
len von Radium, Uranium, Thorium sowie der Röntgenstrahlen auf die 
Eier von Ascaris megalocephala nachweisbar war, während Hastings 1912 
in meinem Laboratorium fand, daß die Sekundärstrahlung des Kupfers, 
und in geringerem Grade auch die des Eisens, ähnliche entwicklungs- 
hemmende Eigenschaften besitzt. 

Die Versuche, den Vorgang der schädigenden Einwirkung der Strah- 
len noch weiter aufzuklären, haben dazu geführt, den Einfluß der verschie- 
denen Strahlenarten auf mehr oder weniger komplexe chemische Substanzen 
zu studieren. Man hat die Zersetzung von Wasser und von gewissen Elek- 

24* 


368 Lazarus-Barlow, 


trolyten dargetan, aber im Gegensatz dazu auch Synthese beobachtet (das 
bezieht sich auf H,O und NH,). Mit hochkomplexen Substanzen, be- 
sonders denen, die wir in Tierkörper antreffen, wie Enzyme, Serumpro- 
teine, Opsonine, Komplement, Lezithin usw., sind Versuche in großer An- 
zahl angestellt worden, aber mit wenig Ausnahmen kann man nicht behaupten, 
daß die vorliegenden Fragen bereits völlig gelöst sind. Bis jetzt besteht. 
teils infolge der schwierigen Arbeitsbedingungen, unter denen einzelne For- 
scher zu arbeiten hatten, teils infolge der sehr verwickelten Zusammen- 
setzung und der Unbeständigkeit der organischen Substanzen selbst, eine 
oft erhebliche Differenz zwischen den Resultaten der einzelnen Beobachter. 
Im Großen und Ganzen wird es wahrscheinlich bestätigt werden können. 
daß Radium und in geringerem Grade auch Uranium und Thorium (Col- 
well) eine zerstörende Wirkung auf die amylolytischen Enzyme des Spei- 
chels und Bauchspeichels, sowie auf die proteolytischen Enzyme des Magen- 
saftes und des Bauchspeichels haben, während es zweifelhaft ist, ob Adre- 
nalin, autolytische Fermente, Oxydase und Tyronase angegriffen werden. 
Aber auch bei den Enzymen, bei denen eine Strahlenwirkung behauptet 
wird, wird diese fast ausnahmslos der «-Strahlung zugeschrieben. Es wird 
notwendig sein, darauf hinzuweisen, besonders im Hinblick auf die wichtige 
Rolle, welche die Elektrolyte bei fermentativen Prozessen spielen, daB es 
zur Zeit noch ganz ungewiß ist, ob irgendeine Strahlenwirkung, die etwa 
vorkommt, angreift a) an den in Rede stehenden Enzymen, oder b) an 
den vorhandenen Elektrolyten oder endlich c) an den Eiweißkörpern, die 
mit den Fermenten verbunden sind. 

Bezüglich des Opsonins liegen die Verhältnisse klarer, diese Substanz 
wird nach Chambers und Russ von den «-Strahlen des Radiums oder 
seiner Emanation nach einem Exponentialgesetz zerstört. 

Trotz der überaus großen Zahl von Beweisen auf klinischem Gebiete, 
daß die Röntgenstrahlen Veränderungen hervorrufen, ist die Ausbeute an 
experimentellen Untersuchungen nur mager. Colwell und Russ unter- 
warfen Blutserum, Serumalbumin, Serumglobulin, Wittepepton, Alanin, 
Nukleoalbumin, Stärke, Glykogen und Rohrzucker während 2 bis 81/, Stunden 
bei 2 cm Röhrendistanz der Röntgenstrahlung. Sie fanden nur bei Stärke 
und Nukleoalbumin Veränderungen; namentlich bei ersterer war eine merk- 
bare Verminderung der Viskosität, deutliches Auftreten von löslicher Stärke 
und von geringen, aber noch wägbaren Mengen von Dextrin (0,24 g Stärke 
ergaben 0,0108 Dextrin) feststellbar. Bei Nukleovalbumin konnte aller- 
dings nur eine merkliche Verringerung der Viskosität beobachtet werden. 

Die zerstörenden oder schädigenden Einwirkungen, die wir bisher be- 
sprochen haben, sind mehr oder minder vollständiger Art, d. h. im allge- 
meinen wurden die Zellen vernichtet, die chemischen Substanzen völlig 


Wirkung radioaktiver Substanzen. 369 


zerlegt. Ich gehe jetzt zu einer Gruppe von Reaktionen über, die un- 
zweifelhaft auch durch die angewandte Strahlung verursacht werden und 
den vorgenannten nahe stehen. Das sind diejenigen, bei denen weniger 
eine Schädigung als vielmehr eine Veränderung hervorgerufen wird. Es 
sind dies Reaktionen, bei denen wir eine sogenannte Inkubationszeit be- 
merken und die nur bei lebenden tierischen oder pflanzlichen Zellen zur 
Beobachtung kommen. Das markanteste Beispiel hierfür ist folgendes: 
Wenn wir Eier vom Frosch oder von Askariden für kurze Zeit der Be- 
strahlung unterwerfen («-Strahlen) und dann sich weiterentwickeln lassen, 
so gibt sich nach einiger Zeit der Einfluß des Radiums in einer verzögerten 
Zellteilung und später in der Entstehung monströser Bildungen kund, die 
lebensfähig sein können oder auch nicht. 

Experimente dieser Art werfen ein scharfes Licht auf die Tatsache, 
daß nicht alle Zellarten, ja nicht einmal alle Zellen gleicher Art in gleicher 
Weise von einer Strahlung gleicher Art beeinflußt werden. Ganz abge- 
sehen von der Tatsache, daß Froscheier eine erheblich höhere Strahlen- 
dosis vertragen, ohne dal Mißbildungen entstehen, als Askarideneier (bei 
letzteren führt eine Bestrahlung von 10 Sekunden Dauer durch die «-Strahlung 
von 7 mg Radiumbromid zu beträchtlicher Entwicklungshemmung und zur 
Entstehung von Mißbildungen), kann man konstant beobachten, daß Zellen 
derselben Spezies (z. B. Askarideneier), die direkt nebeneinander liegen, 
ganz verschieden beeinflußt werden. Worauf diese „Idiosynkrasie“ der 
Zellen beruht, ist schwer zu sagen, es ist aber sehr wahrscheinlich, daß 
junge Zellen leichter angegriffen werden als ausgewachsene. Daß diese 
Eigenschaft in gewisser Weise mit der erhöhten Strahlenempfänglichkeit 
der Zellen während der Phasen der Kernteilung zusammenhängt, wird von 
Mothram im Verlaufe der Verhandlungen noch eingehender dargetan 
werden. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß die Veränderungen, die 
an den bestrahlten Eiern eines Gesichtsfeldes im Mikroskop zur Beobach- 
tung kommen, auf den Umstand zurückzuführen sind, daß bei den einzelnen 
Eiern während der Bestrahlung nicht dieselbe mitotische Phase vor- 
handen war. 

Um Veränderungen durch Strahlung noch viel feinerer Art handelt es 
sich bei denjenigen Einwirkungen auf Zellen, bei denen zwar diese durch die 
gewöhnliche mikroskopische Untersuchung nicht festgestellt werden kann, 
bei denen aber trotzdem tiefgehende Änderungen der Lebensäußerungen 
der Zellen vorhanden sind. In meinem Laboratorium wurde nämlich ge- 
funden — die Beweismittel hierfür werden der Versammlung noch vorge- 
legt werden —, daß Zellen von Mäusekarzinom und Rattensarkom, die auf 
ein anderes Tier übertragen sofort in gewohnter Weise weiterwachsen 
würden, sobald sie einer bestimmten Strahlung unterworfen wurden, in 


370 Lazarus-Barlow, 


einem Stadium der Latenz verharren, das bis zu 80 Tagen anhalten kann. 
Während dieser Zeit sind die transplantierten Zellen mikroskopisch von 
den normalen Geschwulstzellen nicht zu unterscheiden, nur ihre Vermehrungs- 
fähigkeit ist zur Zeit aufgehoben. Trotzdem ist Grund zur Annahme vor- 
handen, daß sie doch verändert sind, denn wenn sich das transplantierte 
Stück anfängt weiter zu entwickeln, so geschieht dies viel langsamer als 
bei normalen Zellen (Wedd und Russ; Chambers und Russ). 

Wenn wir die ganze Stufenfolge von schädigenden oder wachstums- 
hemmenden Einflüssen überblicken, angefangen bei denen, die so intensiv 
sind, daß Zelltod die Folge ist, bis herüber zu denjenigen, bei denen die 
Proliferationsfähigkeit der Zelle nur gemindert, nicht aufgehoben ist, so 
wird es uns klar, daß die Strahlungsdosis von höchster Bedeutung ist. 
Diese Dosis ist für jede gegebene Strahlenart abhängig von der Stärke der 
strahlenentsendenden Quelle; der Dauer der Bestrahlung, der Entfernung 
der bestrahlten Substanz von der strahlenden Materie, und, wie ich schon 
ausführte, höchst wahrscheinlich von den Eigenschaften der bestrahlten 
Zellen. Um den Zustand zu erhalten, bei welchem Zellen des Ratten- 
sarkoms vorübergehende Wachstumshemmung zeigen sollen, muß der Tumor- 
brei einer Strahlung von 0,275 Millicurie von Radiumemanation für zirka 
30 Minuten ausgesetzt werden, bei stärkerer Konzentration oder längerer 
Expositionszeit ergibt sich eine derartige Schädigung der Zellen, daß sie 
nekrotisch und resorbiert werden, sobald sie auf ein Tier übergeimpft sind. 
Bei diesem Experiment wurden kräftige «-Strahlen benutzt; um eine an- 
nähernd ähnliche Wirkung mit B- oder Röntgenstrahlen dagegen zu erzielen, 
mußte die Bestrahlungszeit auf etwa eine Stunde ausgedehnt werden und 
die Strahlenquelle müßte eine Röntgenröhre oder einige Milligramme Ra- 
dium sein. 

Diese Überlegungen lassen uns die Frage aufwerfen, ob das Phänomen 
der Wachstumsschädigung bzw. Hemmung die einzige Strahlenwirkung ist. 
Was für eine Strahlenwirkung erhält man, wenn man Gewebe oder Zellen 
mit solchen Stralilendosen behandelt, die noch eben unter der geringsten 
hemmenden Wirkung liegen? 

Die Frage hat nicht etwa nur ein rein akademisches Interesse. Von 
Hitze und Kälte und vielen chemischen Stoffen wissen wir bekanntlich, 
daß sie an lebendem tierischem Gewebe bis zu einer bestimmten Stärke 
kranklıafte oder degenerative Störungen hervorrufen, während sie in einer 
Stärke, die unter der genannten liegt, gewisse physiologische oder wachs- 
tumsreizende Veränderungen erzeugen. Überdies liegen Beweise dafür vor. 
daß geringe Mengen von Radium im tierischen Körper vorhanden sein 
können. 

Ich habe. besonders in Rücksicht auf die Beeinflussung des Karzinoms, 


Wirkung radioaktiver Substanzen. 371 


die Wirkungen des Radiums bzw. der Strahlungen gemeinhin auf die Ge- 
webe und Säfte des Körpers studiert. Ich fand, bei Benutzung der 
Emanationsmethode, Radium in 6 von 12 primären Krebsen, in 2 von 3 
sekundären Karzinomen, in 3 von 7 nicht karzinomatösen Gewebsstücken 
Krebskranker, und in 1 von 3 normalen Lebern nichtkarzinomatöser Körper. 
Es schien nun wichtig zu bestimmen, ob Mengen von Radium, die geringer 
waren als die bisher von den Forschern angewandten, eine Wirkung her- 
vorriefen und welche. Der Gedanke, daß das Vorhandensein des Radiums 
in gewissem Sinne verknüpft sein könnte mit dem Vorkommen von Krebs, 
wurde durch folgende Tatsachen noch wahrscheinlicher gemacht. 1. Ich 
fand, daß, während die große Mehrzahl von Gallensteinen kein Radium 
enthält oder höchstens nur in so geringen Spuren, daß es experimentell 
nicht mehr nachweisbar ist, vier verschiedene Gallensteine von Fällen von 
Gallenblasenkrebs Radium enthielten in allen Teilen und in Mengen, die 
das 15 bis 16fache dessen übersteigen, was noch als innerhalb der Fehler- 
grenze liegend anzusehen ist. 2. Es konnte ferner von Beckton und 
Russ gezeigt werden, daß durch «-Strahlen die Altmannschen Granula, 
die in normalen Zellen vorhanden sind, zum Verschwinden gebracht werden 
können. Diese Tatsache muß man in Beziehung setzen zu der anderen, 
daß Altmann sche Granula in den spezifischen Zellen maligner Geschwülste 
nicht nachweisbar sind, während sie in den entsprechenden normalen Zell- 
arten vorhanden sind (Beckton). 

Die Menge des von mir festgestellten Radiums war bei allen unter- 
suchten Fällen gering; die höchste nachgewiesene Menge betrug — bei 
einem Zervixkarzinom — 1,49 x 10-° mg. Bei den meisten Fällen von 
Gallenblasenkarzinom betrug die im Tumorgewebe oder in den Gallen- 
steinen nachgewiesene gesamte Radiummenge ein vielfaches von 10-8 mg. 
Besonders daraufhin angestellte Untersuchungen ergaben, dal das Ver- 
aschen usw., was notwendig ist, um die Substanzen in eine in verdünnter 
Salzsäure lösliche Form zu bringen, einen Verlust von 1/, bis ?/, ausmacht; 
benutzt wurde dazu 10-8 mg gelöstes Radium (als Chlorid), verteilt in 
50 g gehackter Leber. 

Man vermißt in der medizinischen Literatur durchaus nicht Hinweise 
darauf, daß Radium und Röntgenstrahlen zuweilen Gewebsreaktionen er- 
zeugen, die als Wachstumsförderung anzusehen sind. Das geht hervor aus 
den praktischen Erfahrungen solcher, die Karzinomkranke mit der einen 
oder anderen Strahlungsart behandeln, daß nämlich zuweilen ein Krebs 
unter dem Einfluß der Strahlung, namentlich wenn die verabfolgte Dosis 
von Röntgen- oder Radiumstrahlen nur klein war, ein erhöhtes Wachstum 
zeigt. Es ist ferner ein regelmäßiger histologischer Befund bei allen in 
solcher Weise behandelten Geschwülsten, daß man eine abnorm große 


372 Lazarus-Barlow, 


Anzahl von Fibroblasten findet, die im Begriffe sind, sich zu Bindegewebe 
umzuwandeln. 

Genaue Kenntnis darüber, wann in Zellen derartige proliferierende 
Erscheinungen auftreten, mit anderen Worten, über die Art und Menge 
der Strahlung, die hierzu imstande ist, haben wir bisher nicht. Zwar stimmt 
es, daß in der Umgebung des Randes eines Geschwürs oder einer Haut- 
entzündung, die durch Röntgen- oder Radiumstrahlen hervorgerufen ist, 
gewöhnlich eine Verdickung der Epidermisschichten statthat, und zwar 
gilt das für den Menschen sowohl wie für Versuchstiere, wie Maus und 
Kaninchen. Aber diese Verdickung der Epithelschicht und diese Wuche- 
rung der Retezapfen trifft man so häufig an der Peripherie entzündlicher 
Prozesse, die schon etwas länger bestehen, daß man zweifelhaft sein kann, 
ob diese Erscheinung als unmittelbare Folge der die Hautschädigung er- 
zeugenden Strahlen anzusehen ist. 

Folgende hochwichtige Untersuchungen liegen zu diesem Punkte vor: 
Oattley!) berichtet über Experimente mit Röntgenstrahlen an Wurzel- 
enden von gewissen Pflanzenarten (Iris, Narzisse, Gladiole, Hyazinthe) und 
stellte fest, daß eine wachstumsreizende Wirkung bei einer Bestrahlungs- 
dauer von 5—30 Minuten vorhanden war. Bei 30 Minuten Bestrahlung 
war die wachstumsfördernde Wirkung im Maximum, dann nahm sie mit 
zunehmender Bestrahlungsdauer ab, bis nach zweistündiger Bestrahlung 
eine deutliche Verminderung der Zellteilungen gegenüber den Kontrollen 
vorhanden war. Cattley beschreibt die zytologischen Vorgänge bei den 
einzelnen Stadien der Zellteilung eingehend und betont besonders, daß die 
Zahl der Mitosen erheblich erhöht sei. Allerdings teilt er Zahlenangaben 
darüber nicht mit. — In Gemeinschaft mit Bonney führte ich Unter- 
suchungen aus über die Wirkung der Röntgen-, Radium-, Uranium- und 
Thoriumstrahlen auf die Eier von Ascaris megalocephala (Arch. Middlesex 
Hosp., 1909, vol. XV, Eighth Cancer Rep., p. 147) und fand, daß mit 
allen den genannten Strahlen eine Beschleunigung der Zellteilung dann 
zu erzielen war, wenn sie in kleinen Dosen angewandt wurden, daß dagegen 
höhere Dosen oder verlängerte Exposition zu deutlicher Verzögerung der 
Zellteilung, häufig auch zur Entstehung von Mißbildungen führte. Eier, 
die mit Röntgenstrahlen während 2, 4 oder 6 Minuten bestrahlt waren, 
zeigten nach 24 Stunden mehr Formen im Zweizellstadium als die Kon- 
trollen, und ebenso nach 48 Stunden mehr im Vierzellstadium. Eier da- 
gegen, die 9, 12, 15 Minuten bestrahlt waren, zeigten dagegen deutliche 
Hemmungserscheinungen. Derselbe Versuch mit Radium ist insofern lücken- 
haft, als wir die Menge Radium, die wir anwandten nicht genau kannten, 


!) Journ. of Path. and Bact. 1909, vol. XIII, p. 380. 


Wirkung radioaktiver Substanzen. 373 


außerdem war es kein reines Präparat, Aktivität etwa 10,000 (annähernd 
0,005 mg Radium). Wir benutzten es ohne Filter und stellten es in einen 
verdeckten Glaskasten 70—80 mm von den Eiern entfernt auf; diese letz- 
teren waren mit einer dünnen Gelatinelage bedeckt, um das Austrocknen 
zu verhindern. Es ist nach dieser Versuchsanordnung wahrscheinlich, daß 
die P- und y-Strahlen auf die Eier zur Wirkung kamen, und zwar, außer 
vom Radium selbst, auch von der aus diesem entstehenden Emanation, 
und außerdem noch die «-Strahlung desjenigen Teiles der Emanation und 
des aktiven Niederschlages, der nicht durch die die Eier bedeckende Gela- 
tinelage zurückgehalten wurde. 27 Stunden nach Beginn des Experiments 
zeigten die bestrahlten Eier mehr Zwei- und Vierzellformen als die Kon- 
trollen, aber danach trat eine Verlangsamung in der Entwicklung bei den 
unter der Strahlung befindlichen Eiern ein, sie zeigten eine große Menge 
von Mißbildungen und lieferten weniger lebende Würmer. Die Versuche 
mit Uranium und Thorium zeigten in ähnlicher Weise vermehrte Zellteilung 
während der ersten 24 Stunden, später dann eine Verlangsamung; aber 
es kam nicht zur Entstehung von Mißbildungen, auch entwickelten sich 
die Eier ungefähr am 12. Tage nach Beginn des Versuchs zu lebenskräftigen 
Würmern. Der Versuch wurde bei Zimmertemperatur (Oktober) ausge- 
führt und die Eier waren während der ganzen Zeit dem Thorium bzw. 
Uranium ausgesetzt. 


Obwohl die eben geschilderten Versuche und die von Cattley bis zu 
einem gewissen Grade als beweisend dafür gelten können, daß den Strahlen, 
wenn sie in kleinen Dosen angewandt werden, eine stimulierende oder 
wachstumsfördernde Wirkung zukommt, so ist der Umstand doch so wichtig. 
daß wir nach weiterer Bestätigung Umschau halten müssen. 


So hat Molisch!) Versuche an Pflanzen über die Wachstumsbe- 
schleunigung unter dem Einfluß der Radiumstrahlung ausgeführt. Er ver- 
wandte ß- und y-Strahlen von 29—45 mg RaCl, oder Radiumemanation 
(x-, B- und y-Strahlen) in einer Konzentration von 1,84—3,45 Millicuries 
in einem Volumen von 1,244 ccm Luft (Konzentration = 0,0015—0,0028 
Millicurie per ccm); er fand, daß die Bestrahlung von 24—48 Stunden 
von Knospen des Flieders, der Roßkastanie usw. nur in deren Ruhestadium 
eine deutliche Wachstumsbeschleunigung ergab. Es ist wichtig, daß die 
Bestrahlung während der Dauer des Ruhestadiums erfolgt, wenn man 
Wachstumsbeschleunigung erzielen will; denn erfolgte die Bestrahlung vor 
dieser optimalen Periode, so trat keine Wachstumsänderung ein; erfolgte 
sie später, so war Wachstumshemmung die Folge. 


1) Sitzungsbericht der k. Akad. d. Wissenschaften in Wien. Math. naturw. 
Klasse, Bd. CXXI, Abt. 1, März 1912. 


374 Lazarus-Barlow, 


In dieselbe Kategorie der Wirkungen dürften auch die Versuche ge- 
hören, die von Hastings, Beckton und Wedd!) an Seidenraupen aus- 
geführt wurden. Sie untersuchten in einer größeren Reihe von Versuchen. 
die sich über 3 Jahre erstreckten, die Wirkung der Röntgen- und Radium- 
strahlung unter steter Änderung der Versuchsbedingungen, also der Strah- 
lendosis, der Häufigkeit der Bestrahlung und der Art der Entwicklungs- 
formen des Insektes. Neben zahlreichen Beweisen für die schädigende oder 
sogar vernichtende Wirkung der ‘Röntgenstrahlen bei intensiver Bestrahlung. 
ebenso wie auch der ß- und y-Strahlen von 0,88 mg RaBr,, wenn diese 
dauernd einwirken, fanden diese Autoren folgende Ergebnisse, die als für 
Wachstumsreizung sprechend anzusehen sein dürften. 1. Das Stadium der 
Verpuppung der Seidenraupen dauerte bei 59 Kontrollen im Durchschnitt 
23,55 Tage, im Minimum 23, im Maximum 24 Tage. Bei 38 Raupen. 
die mit Radium bestrahlt waren, dauerte das Verpuppungsstadium 19.5 
Tage im Durchschnitt. Solche, die mit Röntgenstrahlen behandelt waren. 
zeigten keinen merkbaren Unterschied in der Dauer des Puppenstadiuns 
gegenüber dem nor malen. 2. Es wurde festgestellt, daß in jedem Falle bei 
13 verschiedenen Serien von Versuchen (im ganzen wurden 40000 Eier 
beobachtet) eine Beschleunigung des Auskriechens, berechnet am Durch- 
schnitt der Gesamtsumme, bei den Eiern festzustellen war, die mit Rönt- 
genstrallen behandelt waren, das Gleiche war bei den Nachkömnlingen 
bestrallter Tiere der Fall. Bestätigt wurden diese Resultate durch eine 
Reihe von Versuchen, die im folgenden Jahr angestellt wurden. Es ergab 
sieh, daß von 1000 Kontrolleiern 55,6°/, vor dem 7. Juni auskrochen. 
während von den bestrahlten Eiern (40 000), wie aus der Tafel im Texte 
ler zitierten Arbeit hervorgeht, in derselben Zeit 73°/, ausgebrütet wur- 
len. 3. Eine weitere Serie umfaßte Versuche an 260 einzelnen Tieren. 
darunter solche, die entweder selbst verschieden lang bestrahlt waren al: 
Eier oder Raupen, oder direkte Abkömmlinge von solchen, die als Puppe 
oder als Schmetterlinge Röntgenbestrahlt waren. Sie alle ergaben, daß das 
Durchschnittsgewicht des Kokons (Seidengespinnst+ Puppe) bei den bestralil- 
ten Tieren größer ist als dasjenige bei nicht bestrahlten. 

Die letzten Versuche endlich über die stimulierende Tätigkeit der 
Stralilungen. über die ich noch berichten möchte, sind von mir und Dunbar 
angestellt (Arch. Middlesex Hosp. 1913, Twelfth Cancer Report).?) Wir 
untersuchten die Wirkung des Radiuns (7 mg RaBr,) auf das Nerv- 
Muskelpräparat des Frosches. Das Radium war enthalten in einer Messing- 

1) Arch. Middlesex Hosp., 1912, vol. XXVII, Eleventh Cancer Rep. p. 128. 

2) Wird in Kürze veröffentlicht werden. Als Demonstrationsvortrag gehalten 


ın der Sektion für Pathologie der Royal Society of Medicine; 19. November 1912. 
ci Brit. Med. Journ. 1912. Vol. II p. 160. 


Wirkung radioaktiver Substanzen. 375 


kapsel mit einem luftdicht schließenden Glimmerfenster, das dünn genug 
war, die &-Strahlen unvermindert passieren zu lassen. Das Radium war 
in sehr dünner Schicht in einem Kreis von 1,38 cm Durchmesser auf Lack 
aufgetragen; auf der Kapsel war ein Deckel angebracht, dessen Mitte aus 
Aluminium von 0,005 mm Dicke bestand. Die Versuche wurden nun so 
ausgeführt, daß entweder alle drei Strahlenarten zusammen, oder ß- und 
y-Strahlen allein angewandt wurden. Diese letzteren beiden schienen nun 
wirkungslos zu sein, während die «-Strahlen einen deutlichen Einfluß da- 
hin hatten, dab die Erregbarkeit des Nerven und Muskels erhalten blieb. 
Das ging daraus hervor, daß es eines kleineren elektrischen Reizes bedurfte, 
eine Kontraktion auszulösen, als bei dem Kontrollpräparat und daß ferner 
das bestrahlte Nerv-Muskelpräparat länger überlebend blieb. Wir hatten 
Grund zur Annahme, daß die Wirkung der «-Strahlen sich bis zu einem 
gewissen Grade auf die Muskelfasern selbst erstreckte (es war nämlich ein 
günstiger Einfluß am kurarisierten Muskel nachweisbar), daß die Haupt- 
wirkung aber den Nerv betraf. Da aber ein nicht kurarisierter Muskel, 
dessen Nerv dicht an der Ansatzstelle abgeschnitten war, sich genau wie 
ein kurarisierter Muskel verhielt, so ist es wahrscheinlich, daß eine Wirkung 
auf die Nervenenden nicht vorhanden ist. 

Im Zusammenhang mit der Frage, ob dasselbe physikalische Agens 
je nach Höhe der Dosis imstande ist, verschiedene biologische Effekte 
auszulösen, scheint folgende Frage von großer Wichtigkeit. Wie weit sind 
die gewöhnlichen physikalischen Gesetze nach Zeit und Umfang auf lebende 
Zellen anwendbar? Ceteris paribus ist die ionisierende Wirkung von 1 mg 
Radium, das 1 Stunde wirkt, gleich demjenigen von !/, mg Radium, wenn 
es 2 Stunden einwirkt. Gilt dieses Gesetz nun auch, wenn lebende Zellen 
getroffen werden? Es ist gefährlich, hier vorauszusagen, aber es ist wahr- 
scheinlich, daß das physikalische Gesetz in weitem Umfange den biolo- 
gischen Wirkungen parallel geht, und zwar besonders dann, wenn relativ 
hohe Mengen von Strahlung zur Anwendung kommen. Andererseits ist 
es sehr wohl möglich und nach unseren allgemeinen Kenntnissen der bio- 
logischen Gesetze wahrscheinlich, daß bei einem gewissen Grad der radio- 
aktiven Intensität diese Gesetze nicht mehr gültig sind. Man könnte sich 
dann denken, dal von diesem Punkte an Einheiten von Strahlung, die 
auf lebende Zellen eine Stunde lang wirken, hemmende oder schädigende 
X 
2 
Einwirkung reizende oder wachstumsfördernde Wirkungen hervorbringen 
würden. Wenn jemand hierüber genauen Aufschluß geben könnte, so würde 
dies ein wertvoller Beitrag für unsere Verhandlungen sein. Wenn dies 
aber nicht der Fall sein sollte, so ist es zweifellos notwendig, dal möglichst 


Wirkungen auslösen, während vielleicht —- Einheiten bei zwei Stunden langer 


376 Lazarus-Barlow, 


bald experimentelle Untersuchungen hierüber angestellt werden. A priori 
könnte man annehmen, daß der genannte Punkt ziemlich an der unteren 
Grenze liegt; für Radium z. B. ungefähr bei Mengen, die ein Vielfaches 
von 10-7 mg oder daherum betragen. 

Eine Seite dieser Frage ist von J. F. Gaskell!) bearbeitet worden. 
Er bestrahlte Eier, die in der Entwicklung begriffene Hühnerembryonen 
enthielten, mit Röntgenstrahlen während 5, 10, 15, 30 und 60 Minuten 
und fand eine fortschreitende Verringerung der Anzahl der Kernteilungs- 
figuren an den Zellen des Vorderhirns.. Er fand keine Anzeichen von 
Wachstumsreizung. Bei allen anderen Versuchen, bei denen längere oder 
wiederholte Bestrahlungen vorgenommen worden waren; wurde eine schä- 
digende Einwirkung festgestellt. Die kritische Dosis, die das Ausbrüten 
des Kückens eben noch verhinderte, lag bei 10 Minuten täglicher Be- 
strahlung in 12 cm Entfernung von der Antikathode, während der 3wöchigen 
Entwicklung des Tieres im Ei. Gaskell wies weiter nach, daß 20minutige 
Bestrahlung in den ersten 12 Tagen den Tod zur Folge hat; während bei 
Anwendung kleinerer Dosen in dieser kritischen Periode, dieselbe hohe 
Dosis gegeben, an den verbleibenden 9 Tagen der Entwicklungsperiode 
keinen Einfluß hatte. Er brachte daher den jeweiligen Grad der Ver- 
minderung der Anzahl der Mitosen durch die Röntgenstrahlen in Vergleich 
zum jeweiligen Entwicklungsstand des Embryos und konstatierte, dal 
die Röntgenstrahlen direkte Antagonisten der reproduktiven Tätigkeit der 
Zelle sind und schließlich die Fähigkeit zur Proliferation ganz vernichten. 
Wenn die Verminderung der Mitosen keinen zu hohen Grad erreicht hatte, 
trat gewöhnlich volle Erholung ein. Gaskells Untersuchungen bestätigen 
also die Ansicht, daß schnell sich teilende Zellen besonders radiosensibel 
sind und beweisen ferner, daß Röntgenstrahlen eine schädigende Wirkung 
auszuüben vermögen. 

Ich habe bisher einen kurzen Überblick über die wichtigeren Beweise, 
die wir zurzeit besitzen, betreffs der wachstumshemmenden, schädigenden 
oder vernichtenden Wirkung der Strahlen auf lebendes Gewebe und Zellen 
gegeben. Ich habe weiter etwas mehr ins Einzelne gehend die wenigen, 
aber doch in hohem Maße überzeugenden Nachweise berührt, daß die 
Röntgen- bzw. Radiumstrahlen unter gewissen, schlecht festzulegenden 
Bedingungen einen Reiz auf das Gewebe auszuüben vermögen. Es ist 
natürlich klar, daß der Zustand erhöhten Wachstums und der Zustand 
erhöhter Zellproliferation nicht notwendig das Gleiche sein müssen, ebenso- 
wenig wie echte Hypertrophie das Gleiche ist wie echte Hyperplasie. Das 
vermehrte Wachstum ließe sich vielleicht erklären durch Veränderungen 





1) Proc. Roy. Soc., Ser. R, Vol. LXXXIII, 1911, p. 305. 


Wirkung radioaktiver Substanzen. 377 


im Zelleib, besonders am Kern, so daß diese, ohne daß die Nahrungs- 
stoffe eine Veränderung erleiden, eher sich zu teilen bestrebt sind; oder 
man kann andererseits annehmen, daß die Strahlung auf die Nahrungs- 
stoffe der Zelle wirken, diese zerlegen und in eine leichter assimilierbare 
Form bringen. Zur Lösung dieser ganzen Frage wird es noch viel inten- 
siver Arbeit bedürfen. 

Ich habe im Vorhergehenden vermieden, auf klinische Einzelheiten 
einzugehen, aber es ist natürlich klar, dal das Ziel aller experimentellen 
Arbeit schließlich ihre Uebertragung auf die klinische Anwendung ist. 
Ich bin nicht eingegangen auf die Heilungserfolge dieser oder jener 
Strahlung, auf Ulcus rodens beispielsweise, da augenblicklich genügende 
wissenschaftliche Grundlagen für eine zufriedenstellende therapeutische 
Anwendung noch fehlt. Das gilt vielmehr noch für die zahlreichen Er- 
krankungen, für die die Strahlenbehandlung zur Zeit ganz besonders an- 
gepriesen wird. Die Hauptsache dieser Behandlung beruht in letzter Linie 
auf Empirie; und in vielen Fällen ist es nach unseren heutigen Kennt- 
nissen so gut wie sichergestellt, daß Radioaktivität und Strahlen in so 
geringem Maße bei der Behandlung eine Rolle spielen, daß man Erfolg 
oder Mißerfolg dabei mit einiger Wahrscheinlichkeit ihnen nicht zuzu- 
schreiben vermag. Andererseits wissen wir wiederum genug von den in Rede 
stehenden Agentien, um uns klar darüber werden zu können, daß sie eine 
Macht besitzen, der keine andere uns zur Zeit bekannte Substanz oder 
Kraft gleichkommt; es folgt daraus, daß ihrer Anwendung ohne genügende 
Kenntnis möglicherweise böse Wirkungen folgen können. Diese Mängel 
unserer Kenntnisse zu verbessern, soweit das an uns liegt, war die Ursache 
für die Anregung zu diesen Verhandlungen und jedes Stück exakter 
wissenschaftlicher Forschung, das dazu beitragen kann, die schrecklichen 
Lücken in unserem Wissen in dieser Hinsicht auszufüllen, muĝ als will- 
kommener Beitrag zum Studium einer zwar schwierigen aber hochwichtigen 
Serie von Problemen begrüßt werden. 


Nachtrag. 

Seitdem obiges veröffentlicht wurde, haben Beckton und ich Ver- 
suche über folgendes angestellt: 1. Über die wachstumsreizende Wirkung 
des Radiums; 2. über den „Zeitfaktor* bei Berechnung der „Radiumdosis“. 
. Diese Untersuchungen sind publiziert in The Archives of the Middlesex 
Hospital, Twelfth Cancer report, 1913. — Bezüglich der Wachstums- 
reizung zeigen wir daselbst durch Kurven, dal Bestrahlung von Ascaris- 
Eiern im Einzellstadium mit einer Radiumdosis, enthaltend die «-, B- und 
y-Strahlen von 5x 10-7 mg Radium während 30 Stunden bei 0°C, nach 
anschließender Lagerung bei 37,50 C während 3!/, Stunden, eine Erhöhung 


378 Lazarus-Barlow, Wirkung radioaktiver Substanzen. 


der Teilungsvorgänge im Zweizellstadium zur Folge hat. Der gleiche 
Nachweis von Wachstumsreizung wurde erhalten, wenn P- und y-Strahlen 
allein angewandt werden, aber in diesem Falle mußte die „Radiumdosis“ 
um das einhundertfache gesteigert werden. Für die gesamten Unter- 
suchungen mußte nahezu eine halbe Million Eier gezählt werden, die er- 
haltenen Zahlen wurden dann nach statistischen Methoden analysiert. Es 
ist also kaum Zweifel daran möglich, daß kleine Mengen von Radium 
anregend auf die Zellteilung einzuwirken vermögen. 

Bezüglich des Zeitfaktors fanden wir, daß die Wirkung einer be- 
stimmten „Radiumdosis‘‘ (=Menge des Radiums x Länge der Bestrahlung) 
auf die Entwicklung von Ascaris-Eiern innerhalb weiter Grenzen annähernd 
dasselbe ist, wenn die Änderung des einen Faktors durch eine Änderung 
des anderen Faktors im entgegengesetzten Sinne ausgeglichen wurde. 


1. August 1913. : 
Übersetst von Dr. G. A. Rost, Kiel. 


Die Rezeptivität der normalen und pathologischen 
Gewebe für die Radiumstrahlung.:) 
Von 
H. Dominici, Paris. 


ine unversiegbare Quelle von Wärme, Licht, Elektrizität und mit 

Röntgenstrahlen vergleichbaren Schwingungen ist das Radium einer 
derjenigen Körper, deren Anwendung in der Medizin denjenigen, die damit 
arbeiten, wertvoll, denjenigen aber, die es nicht verwendet haben, ganz 
märchenhaft erscheinen mag. 

Wenn auch die Wärme und das Licht, das die Radiumsalze aus- 
strahlen, vom therapeutischen Standpunkte aus infolge ihrer geringen 
Intensität wertlos sind, so kann man dasselbe nicht behaupten von der 
dreifachen Strahlung, die durch die Fortschleuderung materieller mit 
positiver Elektrizität geladener Teilchen («-Strahlen), ferner materieller 
mit negativer Elektrizität geladener Teilchen (ß-Strahlen) und durch 
Schwingungen, welche denjenigen der Röntgenstrahlen verwandt sind, 
(y-Strahlen) gebildet wird. 

Diese Strahlungen sind fähig, die Physiologie und Struktur der 
lebenden Gewebe zu modifizieren und der Beweis dafür wurde kurze Zeit 
nach Entdeckung des Radiums durch die historischen Verbrennungen 
von Beequerel und Curie gebracht. Diese Episode im Leben der beiden 
berühmten Gelehrten ließ die Meinung aufkommen, daß sich die Rolle 
des Radiums in der Medizin auf diejenige eines äußerst wirksamen Kausti- 
kums beschränken würde. 

Ist übrigens eine solche Auffassung nicht im Einklang mit derjenigen, 
welche die Röntgenstrahlenwirkung auf eine destruktive oder abiotische 
Wirkung auf die lebenden Zellen beschränkt’? 

Deshalb ist sie auch von den meisten Radiumtherapeuten anerkannt 
worden mit Ausnahme von Abbé und einigen wenigen Dissidenten, ob- 
wohl die klinische Beobachtung sowohl als die Laboratoriumsversuche 
die Unhaltbarkeit einer derartigen Auffassung, die ebenso wenig auf das 
Radium als auf die Röntgenstrahlen paßt, beweisen. 


1) Die vorstehende Abhandlung des bekannten französischen Radiumforschers 
wurde geschrieben als Einleitung zu dem Kompendium der Radiumtherapie von 
Barcat. Paris, Maloine 1912. 


380 Dominici, 


Nach Definition ist ein Kaustikum ein Mittel, das alle Gewebe zer- 
stört, die es erreicht. 

Wir wissen aber, daß unter gewissen Bedingungen die Radium- 
strahlung ebenso wie die Röntgenstrahlung fähig ist, elektiv manche 
Zellen zu töten unter Schonung anderer Elemente der bestrahlten Region. 

Das Radium ist also kein Kaustikum, wie noch vor kurzem ein be- 
kannter Praktiker meinte. 

Es ist auch kein ‚subtiles und raffiniertes‘“ Kaustikum, wenn man 
seine biologische Wirkung so definieren will. Obwohl diese Bezeichnung 
besser darauf paßt als die erste, so ist sie noch lange keine Definition; 
denn sie berücksichtigt nicht die wichtigste Eigenschaft des Radiums, 
sondern die nebensächlichste, nämlich die Wirkung, lebende Zellen zu 
verändern. 

Was hingegen vor allem die Radiumstrahlung charakterisiert, ist 
nicht seine destruktive Wirkung, sondern seine stimulierenden, evolu- 
tiven und metabolischen Effekte auf tierische und pflanzliche Gewebe. 

Ich suche seit mehreren Jahren diese Hypothese mit Hilfe meiner 
Mitarbeiter Barcat, Faure-Beaulieu, Cheron und Rubens-Duval 
zu beweisen und zwar durch Vergleich des biologischen Effekts der Ra- 
diumstrahlen — wie merkwürdig dies auch klingt — mit demjenigen einer 
chemischen Substanz, welche sich mit den Gewebselementen so in Kon- 
takt bringen läßt, daß ihr morphologisches Aussehen, ihre Entwicklung 
und ihre Ernährung verändert werden. 

Wir wollen einmal auf die Haut eines gesunden Tieres einen flachen 
Radiumträger, der auf 4 Quadratzentimeter Fläche 1 Zentigraımm reines 
Radiumsulfat enthält, bringen (Dominici und Barecat). 

War die Applikation lange genug, so wird die bestrahlte Region nach 
3 Wochen der Sitz von Veränderungen, die sich auf drei Ebenen ver- 
teilen: 

1. Die Epidermis und die Cutis, deren Elemente zu einem 
nekrotischen Block verschmolzen sind: es ıst die Zone, in welcher der 
größte Teil der Strahlung absorbiert wurde (Gesamtheit der æ und der 
weichen ß-Strahlen); 

2. das subkutane Gewebe und der Hautmuskel, deren 
Zellen intensiv proliferieren und ins embryonale Stadium zurückkehren. 
Diese Zone hat eine geringere Quantität Strahlen abgefangen (mittlere ß) 
als die vorhergehende, aber doch beträchtlichere als die folgende, die 
dritte Zone, deren Gewebe der Wirkung der Strahlen gegenüber (ultra- 
penetrierende B und y) indifferent erscheinen, da sie keine auffälligen 
morphologischen Veränderungen aufweisen. In Wirklichkeit sind nichts- 
destoweniger die Aponeurosen, die Muskeln, ja sogar das Knochengewebe 


Rezeptivität der normalen und pathologischen Gewebe. 381 


der letzten Zone durch die Strahlung beeinflußt worden. Nur bleibt 
ihre Wirkung unsichtbar, weil sie auf Veränderungen metabolischer Art 
beschränkt ist. 

Fünf bis sechs Wochen nach der Applikation des Radiumträgers 
haben sich die Epidermis und der nekrotisierte Cutisteil wieder hergestellt, 
während die Rückkehr zur Norm beim übrigen Teil der Cutis und der 
Subecutis nicht vor 6 bis 8 Monaten erfolgt. 

Der so einfache Versuch, den ich beschrieben habe, zeigt: 

1. die Verschiedenartigkeit der biologischen Wirkungen der Be- 
strahlung (Nekrose, Exzitation zur Proliferation, embryonale Umbildung, 
metabolische Modifikationen); 

2. den Zusammenhang, welcher zwischen der Natur, dem Grade 
und der Ausdehnung der im Hauttegument hervorgerufenen Störung 
und der Quantität der von demselben in einem gegebenen Zeitabschnitt 
absorbierten Strahlung besteht. 

Er beweist aber absolut nicht, daß diese Veränderungen in ausschließ- 
licher und absoluter Weise mit dem Verhältnis, nach welchem das Strahlen- 
bündel abnimmt, übereinstimmt. Denn hier kommt noch ein anderer 
Faktor in Betracht: die Rezeptivität der Zellen der Strahlung gegenüber. 

Wenn ich den Ausdruck ‚‚Rezeptivität‘‘ gebrauche, so tue ich es, um 
mit einem einzigen Worte die Fähigkeit der organischen Gewebe, durch die 
Strahlung verändert zu werden, und die Fähigkeit der Tiere und Pflanzen, 
der Einwirkung infektiöser Agentien zu unterliegen, zu bezeichnen. 

Diese beiden Fähigkeiten sind zwar weit voneinander verschieden, 
aber doch mit einander vergleichbar, da sie sich beide gleichartigen Ein- 
flüssen, die durch Alter, Rasse und zufällig dazwischen tretende Ursachen 
gegeben sind, unterordnen müssen. 

Normalerweise hängt die Rezeptivität der organischen Gewebe der 
Strahlung gegenüber mindestens zum Teil von ihrem Alter ab, das sowohl 
nach ihrer momentanen Entwicklungsphase als nach dem Zeitpunkt 
ihrer Bildung im Organismus, dem sie angehören, beurteilt werden muß. 

Deshalb werden Elemente, die sich in embryonalem oder undifferen- 
ziertem Zustande befinden (Basalzellen der Epidermis und der Haarbälge, 
lymphoide Zellen, embryonale Geschlechtszellen) durch eine Radium- 
applikation vernichtet, welche eine einfache Reaktion oder metabolische 
Veränderungen der umgebenden älteren Gewebe, die weiter in ihrer Ent- 
wicklung vorgeschritten sind, hervorruft. 

Die Verschiedenheit der Sensibilität der lebenden Elemente den 
therapeutischen Bestrahlungen gegenüber ist bekannt geworden, seitdem 
Bergoniö und Tribondeau, Schiff, Freund, Heineke, Albers- 
Schönberg, Regaud, Dubreuilh, Blane, Halberstädter, Ré- 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 25 


382 Dominici, 


camier, Oudin gezeigt haben, daß die Röntgenstrahlen die Zellen der 
Haarpapillen, die lymphoiden Zellen, die Samenzellen und die Graafschen 
Follikel töten, ohne die Elemente der anderen Gewebe anzugreifen. 

Der Irrtum derer ist aber groß, die meinen, daß die Rezeptivität der 
Zellen sich allein nach ihrem Alter mißt, denn es spielen hier noch Eigen- 
schaften, die der Art oder Gattung der Elemente desselben Organismus 
eigentümlich sind und zufällige Veränderungen z. B. pathologischer 
Natur, eine Rolle. 

Wenn wir den Untersuchungen von Danisz Glauben schenken, so 
werden die differenzierten Elemente des Bindegewebes viel weniger durch 
eine bestimmte Strahlung angegriffen als erwachsene Zellen einer anderen 
Art,.z. B. als die erwachsenen Zellen der Haut und der Schleimhäute. 

Der der Spezies und Rasse zukommende Anteil findet sich in 
den embryonalen Elementen wieder, trotzdem der undifferenzierte Zu- 
stand eine gleichartige Rezeptivität voraussetzen ließe. 

Die jungen Zellen der Basalschicht der Epidermis gehen weniger 
leicht zu Grunde als diejenigen der Haarpapillen, welche derselben Spezies, 
aber einer anderen Rasse angehören. 

Die Basalzellen der Epidermis des Collum uteri scheinen weniger 
verwundbar als die Zellen gleichen Ranges in der Epidermis der Regio 
vulvo-vaginalis. Beide gehören derselben Rasse, aber verschiedenen Va- 
rietäten an. 

Ferner sind die homologen Elemente mehr oder weniger empfänglich, 
je nach dem Alter des Organismus, dem sie angehören, so daß die Gewebe 
des Kindes leichter alteriert werden als die entsprechenden Gewebe der 
Erwachsenen. l 

Der Einfluß des Alters, der Spezies oder der Rasse machen sich 
fernerhin bemerklich, wenn es sich um die Strahlenempfindlichkeit von 
pathologisch durch einen tumorartigen Neubildungs- oder einen ent- 
zündlichen Prozeß verändertem Gewebe handelt, außer wenn diese patho- 
logischen Prozesse die Rezeptivität der Zellen verändern, wie sie in 
manchen Fällen ihre morphologische Entwicklung und ihre Ernährung 
ändern. Zu diesen radiosensiblen Tumoren gehören dank ihres Alters 
Neoplasmen wie: 

Die ektodermischen, baso-zellulären Epitheliome Da- 
riers und Krompechers, deren Elemente morphologisch eine Struktur 
beibehalten, welche der Basalzellenschicht der Epidermis verglichen 
werden kann. 

Die Lymphadenome, welche aus Iymphoiden Zellen gebildet. sind, 
d. h. aus embryonalen Lymphzellen, welche auf diesem ersten primitiven 
Entwicklungszustand stehen bleiben. 


Rezeptivität der normalen und pathologischen Gewebe. 383 


Die reinen Sarkome, welche gewöhnlich aus erwachsenen fixen 
Bindegewebszellen hervorgehen oder aus Zellen, die sich aus dem Binde- 
gewebe differenziert haben (Fibroplasten des Bindegewebes, Chondro- 
plasten des Knorpelgewebes, Osteoplasten des Knochengewebes). Diese 
Zellen nehmen ihre Embryonalform wieder an, nachdem sie ihre Pro- 
dukte (Bindegewebsfibrillen, Knorpel- und Knochengewebe) resorbiert 
haben und mehren sich progressiv, ohne weder ihre Bindegewebsfibrillen, 
noch ihre Knorpel- und Knochensubstanz wieder aufbauen zu können. 

Die Fibrome, deren fixe Zellen oder Fibroplasten in ungeheurer 
Zahl vorhanden sind und im jungen Zustande verbleiben, anstatt sich 
in erwachsene Fibroplasten zu verwandeln und Bindegewebsfasern zu 
erzeugen. 

Andererseits wieder sind die Plattenepitheliome, deren Zellen 
unter Bildung von vielen verhornten Lappen reifen, die Fibrosarkome, 
die Chondrosarkome, die Osteosarkome, deren Zellen zu einer 
relativen Reife unter Bildung einer fibrösen, kartilaginösen oder ossealen 
Substanz gelangen, die Fibrome mit atrophischen und in weiten fibrösen 
Massen in geringer Anzahl zerstreut liegenden Fibroplasten mehr oder 
weniger der Strahlung gegenüber refraktär. 

Das Gesetz des Alters wird aber durch gewisse Tumoren Lügen ge- 
straft, bei welchen embryonale Zellen genau wie die erwachsenen Zellen 
refraktär sind, oder bei denen erwachsene Zellen beinahe ebenso sensibel 
sich erweisen als embryonale Elemente. 

Ein Beispiel für die erste Kategorie wird von den tuberösen Naevis 
gegeben, deren Regression schwer zu erreichen ist trotz Radium und 
Röntgenstrahlen. 

Ich habe .mit Barcat zusammen gefunden, daß die Resistenz gegen 
Radium nicht nur den am meisten differenzierten Zellen dieser Tumoren 
eigen ist, sondern auch den am wenigsten entwickelten, welche einer 
Strahlung gegenüber refraktär sind, welche sonst fähig ist, embryonale 
Elemente jeder Art zu zerstören. 

Ein Beispiel der zweiten Kategorie wird durch die verhornten Epi- 
theliome, die Fibrosarkome, die Chondro- und Osteosarkome (besonders 
die Epulis) gegeben, deren Rezeptivität größer ist als diejenige der meisten 
übrigen Tumoren gleicher Art. 

Um es zusammenzufassen, gewöhnlich finden die beiden großen 
Faktoren der Rezeptivität der Gewebe (das Alter und die Herkunft) bei 
der Entwicklung der Tumoren Berücksichtigung. Aber ihr Einfluß wird 
oft vergrößert, verringert oder umgekehrt durch neoplastische Prozesse, 
welche die Zellen derart umwandeln, daß sie sich verhalten, wie wenn sie 
zu einer anderen Spezies oder Rasse gehörten. 


25% 


384 = Dominici, 


Auch die Entzündung modifiziert verschiedentlich die Rezeptivität 
der Gewebe nach Art der neoplastischen Prozesse, denn sie stört ihre 
Funktion, ändert ihre Struktur und entstellt hierdurch ihre spezifischen 
Charaktere. 

Manche chronisch entzündliche Zustände vermehren, wie dies Wick- 
ham und Degrais zeigten, die Widerstandsfähigkeit der Haut der de- 
struktiven Strahlenwirkung gegenüber. Man muß aber beachten, daß 
die relative Immunisierung der Gewebe gegen die nekrotisierende Wirkung 
der Strahlen Hand in Hand gehen kann mit einer Sensibilisierung für ihre 
stimulierenden, evolutiven und metabolischen Eigenschaften. 

Aus diesem Grunde reizt die therapeutische Bestrahlung die tor- 
piden, schlecht vernarbenden Wunden statt die jungen Zellen der Granu- 
lationen zu töten (Chevrier), heilt sie oberflächlich oder tiefe Entzün- 
dungsherde (Dominici, Chéron, Faure Fabre) unter Schonung der sie 
bedeckenden Haut, bringen sie an der Hautoberfläche Keloide unter Er- 
haltung der darüberliegenden Epidermis zum Schwunde. 

Aus diesem Grunde endlich erfordert die Heilung der meisten ent- 
zündlichen Zustände, die der Radiumtherapie zugänglich sind, ausnahms- 
weise Strahlendosen, welche eine energische Kauterisation hervorrufen. 

Dieses Verfahren, welches sich zur Behandlung mancher Skrofulo- 
dermen eignet, ist aber kontraindiziert bei den meisten anderen entzünd- 
lichen Läsionen, die unter dem Einfluß einer schwachen Strahlung, welche 
kein organisches Element und keinen Infektionserreger zu töten fähig 
wäre, sich zurückbilden und vernarben. 

Hier wirkt das Radium besonders in der Weise, daß es das Terrain 
modifiziert, so daß letzteres zur Vermehrung der pathogenen Keime un- 
geeignet wird. Diese Modifikation besteht in einer Wiedererneuerung der 
chemischen Konstitution der Zellen und der Zwischensubstanz. 

Diesen Änderungen des Zellmetabolismus entsprechen viele morpho- 
logische Modifikationen, welche ich übergehe, um kurz den histologischen 
Prozeß der Regression der Neoplasnien, speziell der karzinomatösen Tu- 
moren zu besprechen. 

Die Wirkungen der Bestrahlung auf die neoplastischen Gewebe sind 
aufhaltender, destruktiver und evolutiver Art. 

Die Strahlung hält die Vermehrung der krankhaften Elemente auf, 
ehe sıe dieselben zerstört, so daß das Aufhören des Wachstums des Neo- 
plasmas immer der Einschmelzung der Tumorelemente vorausgeht. 

Die Zerstörung dieser Elemente ist eine direkte und eine indirekte. 

Direkt werden die Tumorzellen nekrotisiert, ihr Körper und Kern 
fällt in Stücke und löst sich auf, ohne daß vorher eine Änderung ihrer 
morphologischen Struktur erfolst wäre. 


Rezeptivität der normalen und pathologischen Gewebe. 385 


Indirekt geht der Zelleinschmelzung eine Metamorphose voraus, 
welche vergleichbar ist mit derjenigen, welche durch die Röntgenstrahlen 
nach den Untersuchungen von Chenet und Raulot-Lapointe bei den 
Zellen diverser Epitheliome ausgelöst werden. Diese Metamorphose hat, 
wie ich meinerseits im Verein mit Rubens-Duval zeigen konnte, 
folgende Merkmale: Hypertrophie oft gigantischer Art des Kerns, der 
Nukleolen und sogar der Zentrosomen, die sich wie Pseudo-Parasiten 
vermehren ... 

Diese Metamorphose der Neubildungszellen ist das Zeichen einer 
anormalen Entwicklung, welche die Strahlung ihnen aufzwingt und welche 
ihre Lebensdauer abkürzt. Denn in kurzem erfolgt ihr Absterben und ihre 
Resorption. 

Die evolutive Wirkung des Radiums bringt einen noch wichtigeren 
Vorgang zu Wege: sie führt nämlich einen Teil der Zellen des malignen 
Tumors in ihren normalen Zustand zurück (Dominici, Barcat, Rubens- 
Duval, Faure-Beaulieu). 

Um die Möglichkeit eines solchen Vorgangs zu verstehen, muß man 
sich eine klare Vorstellung vom Mechanismus der Bildung und des Wachs- 
tums der Karzinomgeschwülste machen. Wenn auch die Ursachen, aus 
welchen diese Neoplasmen entstehen, schlecht bekannt sind, so wissen 
wir doch, daß sie die Zellen ihrer Funktion berauben und ihnen die zu 
ihrer Funktion nötige Struktur und Verbindung mit der Umgebung 
nehmen, so daß sie sozusagen sich selbst und infolgedessen auch den Zellen 
derselben Rasse und Spezies fremd werden. Das Wachstum selber ist 
nicht nur das Resultat aus der Vermehrung einer einzigen Zellgruppe, 
die sich zur malignen Wucherung mit Ausschluß aller anderen speziali- 
siert, sondern es beteiligen sich daran noch andere Zellen, die anfangs 
verschont geblieben waren und die erst sukzessive der karzinomatösen 
Gruppe einverleibt werden. 

Die Bestrahlung scheint mir nun fähig zu sein, den gegensätzlichen 
Effekt als den neoplastischen Prozeß produzieren und zwar nicht nur die 
Elemente, die ihrem Einfluß unterliegen, zu zerstören oder ihre Entwick- 
lung zu lähmen, sondern ihnen auch ihre Form und regelmäßige Funktion 
wiederzugeben, mindestens denjenigen unter ihnen, welehe am wenigsten 
den Stempel des Karzinoms tragen. 

Ich nehme an, daß unter dem Einfluß der Strahlung die Zellen der 
Peripherie der Epitheliome fähig werden, ihre normale Funktion sowie 
ihre Struktur und die zu ihrer Funktion nötigen anatomischen Beziehungen 
wieder zu erhalten. Ich glaube auch, daß die fixen Bindegewebszellen, 
welche zu Sarkomzellen geworden waren, d. h. zu embryonalen Zellen, 
die unfähig sind, Bindegewebsbündel und elastische Fasern zu produ- 


386 Dominici, 


zieren, vermöge eines Wiedergewinns ihres regelmäßigen Lebensganges 
wieder zu Bindegewebszellen oder Fibroplasten werden, welche nun wieder 
Bindegewebsbündel und elastische Fasern erzeugen.!) 

Nach dem Gesetz, das ich mit Barcat und Rubens-Duval ge- 
funden habe, bringt die Bestrahlung derartige Veränderungen des neo- 
plastischen Gewebes zustande, daß die Überreste mancher Karzinome 
vor ihrem Verschwinden die Struktur des benignen Tumors desjenigen 
Typus annehmen, der dem malignen Tumor, dessen noch lebensfähige 
Reste sie sind, entspricht. Man sieht so Epitheliom- und Sarkomüberreste 
die Struktur von Papillomen und Fibromen annehmen, auf welche erst 
der definitive Ersatz durch ein normales oder zikatrizielles Gewebe folgt. 

Unterdessen unterliegen die Entzündungsherde, welche den Tumor- 
elementen beigesellt sind oder sie umgeben, der stimulierenden, evolu- 
tiven und metabolischen Wirkung der Strahlung. 

Die Wirkung fördert nicht nur den Vernarbungsprozeß, welcher die 
Regression des Tumors begleitet oder auf sie folgt; sie spielt auch noch 
bei dieser Rückbildung eine bestimmte Rolle, da sie eine Änderung des 
Milieus, von welchem sich der Tumor nährte und vergrößerte, verursacht. 

Die Rückbildung der äußerlichen oder innerlichen benignen Tumoren 
und der oberflächlichen Hautkarzinome, welche der Radiumtherapie 
zugänglich sind, ist gewöhnlich eine definitive, wenn die Bestrahlungen 
mit einer richtigen Technik vorgenommen worden sind. 

Ein gleiches Schicksal ist selten bei den schweren Karzinomen der 
Schleimhäute oder tief gelegener Körperteile, welche die Tendenz haben, 
mehrere Monate oder Jahre nach einer scheinbaren Heilungsphase zu 
rezidivieren. 

Die Elemente dieses neuen Neoplasmaschubes rekrutieren sich 
hauptsächlich aus denjenigen Karzinomzellen, welche die Strahlung nur 
gelähmt hatte, statt sie zu töten, vielleicht auch aus denjenigen, welche 
die Strahlung aus dem Karzinomstadium in den normalen Zustand über- 
seführt hatte, ohne sie in genügender Weise in diesem Zustande zu fixieren. 

Es gibt allerdings tiefliegende Karzinome von sehr schwerem Typus, 
deren Rückbildung nach der Strahlenbehandlung über 3 Jahre lang an- 
hält. Sicherlich sind derartige Resultate selten, aber ihre Seltenheit 
gibt in keiner Weise einen Maßstab für die Heilkraft des Radiums den 
bösartigsten Geschwülsten gegenüber ab. | 

Die Wertschätzung einer neuen therapeutischen Methode verlangt. 


1) Fabre-Domergue in seiner bemerkenswerten Arbeit über Krebs be- 
hauptet, daß manchmal der elektrische Strom fähig ist, die normale Evolution der 
Zellen, deren Desorientierung nach seiner Theorie das Karzinom auszeichnet, 
wiederherzustellen. Er ist so ein Vorläufer der physikalischen Therapie geworden. 


Rezeptivität der normalen oder pathologischen Gewebe. 387 


daß man sich aller ihrer Hilfsmittel bedient und sie in allen in Betracht 
kommenden Fällen anwendet. 

Keine dieser beiden Bedingungen ist bis jetzt ganz erfüllt worden 
infolge der Seltenheit des Radiums und der Wahl der ihm zugedachten 
Neoplasmen. 

Die Seltenheit des Radiums hat zur Folge, daß die Zahl der Radium- 
träger und der technischen Kombination, welche die antineoplastischen 
Eigenschaften der Strahlung vollständig zur Geltung kommen lassen, 
ungenügend ist. 

Die ihm überlassenen Karzinome gehören gewöhnlich zur Gruppe der 
verzweifelten Fälle. Es sind in der Regel Tumoren, deren anatomische 
Verhältnisse sie der Chirurgie entziehen, deren Malignität sie zu Rezi- 
diven und Metastasen disponiert, welche die Resultate einer noch so 
gut geregelten Behandlung zunichte machen. 

Ich glaube aber, daß die technischen Verbesserungen die Zahl der 
refraktären Karzinome vermindern und die Dauer der Rückbildung der 
der Radiumbehandlung zugänglichen Tumoren verlängern werden und 
daß wir so eine Heilung mancher für unheilbar geltender tiefliegender 
Karzinomformen erzielen werden. 

Die Hoffnung wird nicht illusorisch erscheinen, wenn man sich ver- 
gegenwärtigt, daß die Bestrahlungstechnik weit davon entfernt ist, alle 
zu ihrer Wirkung nötigen Bedingungen verwirklicht zu haben und daß 
die übrigen Methoden der Radiumtherapie: Einführung der Emanation 
oder der durch diese Emanation radioaktiv gewordenen Substanzen, 
Injektion von Radium als lösliches oder unlösliches Salz, elektrolytische 
Einführung der radioaktiven Elemente des Schlammes (Bertolotti) 
oder der Radiumsalzlösungen (Haret) erst seit kurzer Zeit experimentiert 
werden. 

Manche dieser Verfahren haben aber eine sehr große Wichtigkeit, 
denn sie erlauben von vornherein im ganzen Organismus die metaboli- 
schen, stimulierenden und evolutiven Wirkungen zu erreichen, welche 
die Bestrahlung nur allmählich und in kleinen umschriebenen Körper- 
regionen erzielt. Diese experimentellen Möglichkeiten vergrößern das 
Versuchsfeld der therapeutischen Radiumapplikation ins Ungemessene. 


Übersetzt von Dr. A. Gunsett-Straßburg i. E. 


Die Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 
Von 
Dr. Foveau de Courmelles, Paris.!) 


I. Teil. 
Die Röntgenstrahlen. 


ie durch Röntgenstrahlen verursachten unangenehmen Zu- 

fälle. Die Elektrizität, die Röntgenstrahlen und das Radium sind 
keinesfalls als Antagonisten der Chirurgie anzusehen, sondern. als ihre 
Hilfsmittel und sollen nur in Anwendung kommen, wenn die Operation 
systematisch vom Kranken ausgeschlagen wird oder unmöglich ist. Ich 
halte es für wichtig, diese Behauptung, welche ich schon an den früheren 
Kongressen in Rom (1894) und Budapest (1909) aufgestellt habe, hier zu 
wiederholen. 

Der Wert der Röntgenstrahlen und des Radiums ist sehr bestritten. 
Es sind keine Panaceen und man darf nicht mehr von ihnen verlangen, 
als sie geben können. Übrigens hat jede medizinische oder chirurgische 
Methode ihre Erfolge und ihre Mißerfolge. Ich werde unter Beifügung 
der Belege über die günstigen und ungünstigen Tatsachen, die zu meiner 
Kenntnis gelangt sind, berichten. 

Die gynäkologische Röntgenbehandlung ist der Radiumtherapie voraus- 
gegangen. Viele Chirurgen, so Maunoury aus Chartres, haben aber, ohne 
ihre Erfolge zu bestreiten, infolge der erfolgten Verbrennungen darauf ver- 
zichtet. Navarre stellte in der Medizinischen Gesellschaft von Lyon am 
20. März 1911 eine Kranke mit Röntgendermatitis der Bauchwand vor, 
bei der das Myom nicht geschwunden war. G. Klemperer (Berliner 
Gesellschaft für innere Medizin, 20. November 1911) konnte zwar den 
Schwund eines Eingeweidetumors konstatieren. Die Patientin nahm an 
Körpergewicht zu, bekam aber späterhin Krebs. Walther sprach am 
21. Juli 1912 ın der Gesellschaft für Chirurgie über zwei Beobachtungen 
von unangenelimen Zufällen nach der Röntgentherapie. Die erste betraf 
einen seltenen Fall von Spätulzeration infolge von Atrophie der Haut mit 
Arteriitis, die zweite ein Myom, das bis zu Nabelhöhe reichte und bei 
welchem die Röntgentherapie — nach einigen ohne Erfolg gebrauchten 
"Badekuren in Salies-de-Bearn — nur den Erfolg hatte, daß auf der Haut 





1) I. Referat erstattet auf dem 17. internationalen medizinischen Kongreß in 
London, 6.—12. August 1913. 


Foveau de Courmelles, Röntgen- u. Radiumstrahlen i.d.Gynäkol. 389 


gangränöse Zonen mit intensiver Radiodermitis der Umgebung entstanden, 
und dabei hatte man die Röntgentherapie einem gewiegten Fachmann an- 
vertraut. Walther mußte daraufhin chirurgisch eingreifen und zuerst die 
kranke Haut in großer Ausdehnung exzidieren und später das Myom ent- 
fernen. Dabei fanden sich die Ovarien von normaler Rosafarbe und ganz 
normalem Aussehen. Lejars glaubt nicht, der Gesellschaft für Chirurgie 
gegenüber die Röntgenbehandlung der Myome empfehlen zu können. Die 
Uterusexstirpation wegen Myom ist heutzutage eine der erfolgreichsten 
Operationen der Gynäkologie unter der Bedingung, daß sie nicht zu spät 
und nicht in zu vorgeschrittenem Alter nach Felilschlagen der verschieden- 
sten Therapien vorgenommen wird. In gleichem Sinne äußert sich 
Souligoux. R. de Bovis (Semaine méd., 2. Oct. 1912) drückt sich 
reservierter aus und mit Recht. (Siehe weiter unten.) 

Aus einer Diskussion in der chirurgischen Gesellschaft von Lyon am 
20. Juni zwischen Villard, Regaud und Destot geht hervor, daß eine 
Geschwulst, die zu schnell auf Röntgenstrahlen schwindet, nur einen 
Scheinerfolg bedeutet, da oft der Tod der Kranken folgt (Journ. de Physioth., 
1912, p. 499). Nogier machte auf schwere abdominale Störungen nach 
Myombestrahlungen aufmerksam. 

Auf dem Kongreß für den Fortschritt der Wissenschaften in Dijon 1911 
studierte Arcelin die Idiosynkrasie für Röntgenstrahlen. Die Ansichten 
sind hierüber geteilt, doch scheint die Mehrzahl eine verschiedene Röntgen- 
empfindlichkeit bei den verschiedenen Individuen anzunehmen. 

Auch die Dosierungsfrage harrt noch ihrer Lösung. Die Schwierig- 
keit der Messung kommt noch hinzu. Aber selbst schwache Dosen haben 
schon Röntgendermatitis hervorgerufen (Krauss aus Bonn am Röntgen- 
kongreß 1911). Ich möchte aber hinzufügen, daß ich in 17 jähriger Praxis 
keine gesehen habe. Allerdings wende ich seit lange ein Aluminium- 
filter an, das ich schon in meinem Lehrbuch der Radiographie im Mai 
1897 beschrieben habe.!) 

Ich will nicht der Chirurgie gegenüber über die sehr seltenen bei 
oder nach der Operation vorkommenden Todesfälle sprechen, ich will aber 
nicht verschweigen, daß Nervenkrankheiten, Charakteränderungen, Reiz- 
barkeit der Stimmung, ferner, wenn auch selten, richtige Geistesgestört- 
heit durch eine zu schnell hervorgerufene Menopause hervorgerufen werden. 
Jede Methode hat ihre Schattenseiten. 

Physiologische Wirkung der Röntgenstrahlen. — Die Röntgen- 
therapie der Myome entwickelte sich in zwei verschiedenen, voneinander unab- 
hängigen Richtungen. Der Tierversuch zeigte die Rückbildung der jungen 

1) Traité de Radiographie medicale et scientifique des Rayons X, par le Dr. 
Foveau de Courmelles; Vorwort von Prof. D'Arsonval. 


390 Foveau de Courmelles, 


Zellen, besonders der Fortpflanzungsorgane. Die Klinik führte durch 
direkte Bestrahlung der Frauen ebenfalls und von vornherein ganz unab- 
hängig von den Tierexperimenten zu denselben Resultaten. Da letztere 
aber dennoch der Klinik vorausgegangen sind, so wollen wir einige davon 
besprechen, vor allem die ältesten. Albers-Schönberg und Fieben 
setzten männliche Kaninchen und Meerschweinchen in mehreren 15—25 
Minuten nicht übersteigenden Sitzungen den Röntgenstrahlen aus. Diese 
Männchen wurden mit gesunden Weibchen zusammengebracht. Obwohl 
diese Tiere mehrere Monate im Käfig gehalten wurden, kamen doch keine 
Jungen zur Welt. Es war also Sterilität eingetreten, obwohl die Männ- 
chen absolut keine Veränderung aufwiesen und ihren Appetitus sowolıl 
als ihre Facultas coeundi behalten hatten. Unter der Röntgenstrahlen- 
wirkung waren die Testikel der Männchen atrophisch geworden. Die die 
Samenkanälchen auskleidenden Zellen waren zum Teil verschwunden und 
die übriggebliebenen befanden sich im Zustande der schleimigen Degene- 
ration. Die Spermatogenese hatte aufgehört und in den Samenbläschen 
fanden sich keine Spermatozoen mehr. Zwischen den oberflächlich ge- 
legenen Hoden dieser kleinen Tiere und den tiefliegenden Ovarien der Frau 
ist nur eine geringe Analogie und es war vielleicht etwas gewagt, wenn 
man auf dieselbe Art den Schwund großer und tiefgelegener karzinoma- 
töser Tumoren durch Röntgenstrahlen erklären wollte! So hat auch 
Bruns in Tübingen (Therapie der Gegenwart) geglaubt, daß die Heilwirkung 
der Röntgenstrahlen auf das Karzinom einfach dem Umstande zu verdanken 
ist, daß sie die spontane Tendenz zur Degeneration, die normaliter in der 
Krebszelle vorhanden ist, begünstigen und anregen. 

Im Jahre 1911 hat F. T. Brown der medizinischen Akademie in 
New York (übersetzt in der Semaine médicale nach einer deutschen medi- 
zinischen Zeitschrift) analoge Tatsachen vom Menschen berichtet und zwar 
waren dieselben professionellen Ursprungs: mein Freund Garrigon, der 
große Hydrologe aus Toulouse, machte mich darauf aufmerksam. Anderer- 
seits unternahm Halberstädter eine Serie experimenteller Unter- 
suchungen, um sich von den Wirkungen der Röntgenstrahlen auf die Ovarien 
zu überzeugen. 

Diese Versuche bestanden darin, daß er eine Anzahl weiblicher 
Kaninchen den Röntgenstrahlen aussetzte und zwar bestrahlte er nur die 
eine Seite des Abdomens und deckte die andere vollständig mit Blei ab; 
nach einer variablen Anzahl von Sitzungen — dieselben dauerten je eine 
halbe Stunde — wurden beide Ovarien exstirpiert und verglichen. Der 
Autor konnte so nachweisen, daß durch Einwirkung der Röntgenstralilen 
die Graafschen Follikel im Ovar zum Schwinden gebracht werden: 10 Tage 
nach Beginn der Versuche sind sie schon weniger zahlreich und nach 


Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 391 


14 Tagen sind sie ganz verschwunden. Bei Tieren, die in ziemlich großen 
Intervallen der Strahlenwirkung ausgesetzt worden waren und bei denen 
die Graafschen Follikel fehlten, konnte man noch das Vorhandensein von 
Eifollikeln und Primordialeiern konstatieren, so daß es nicht ausgeschlossen 
ist, daß sich in ihren Ovarien noch nachträglich neue Graafsche Follikel 
bilden. Hingegen in Fällen, in denen die Behandlung intensiver gewesen 
war, waren die Eifollikel und die Primordialeier selber teils vollständig 
zerstört, teils selten geworden oder degeneriert. Halberstädter glaubt 
aber, daß neue Untersuchungen nötig sind, um festzustellen, ob solche 
Ovarien ihre Eigenschaft, Graafsche Follikel zu produzieren, definitiv ver- 
loren haben. 

Bei der histologischen Untersuchung von Ovarien, die den Röntgen- 
strahlen ausgesetzt waren, fallen eine große Anzahl von runden, scharf 
begrenzten Vakuolen auf, welche keine Endothelbekleidung zu haben scheinen 
und die in ihrer Mitte eine homogene Masse beherbergen, die sich diffus 
mit Eosin färbt und in welcher man manchmal Kernreste findet. Diese 
Vakuolen — welche vielleicht degenerierten Graafschen Follikeln ent- 
sprechen — finden sich ebenfalls in normalen Ovarien, aber nur in ge- 
ringer Zahl, während sie unter dem Einfluß der Röntgenstralilen sehr 
zahlreich werden. Die Corpora lutea fand der Autor sogar in den Ovarien 
intensiv bestrahlter Tiere, ohne daß man in denselben histologische Ver- 
änderungen fand, die mit Sicherheit auf die Strahlenwirkung zurückgeführt 
werden konnten. 

Ich werde gleich nachweisen, daß wir auch klinisch ähnliche Ver- 
änderungen sahen. Dieselben traten in einer Zeit auf, in welcher noch 
absolut keine Reaktion von Seiten der Haut des Abdomens vorhanden 
war. Daraus kann man den Schluß ziehen, daß die Ovarien viel radio- 
sensibler sind als die Haut. Ich war sogar früher überrascht, nur die 
biologischen Experimente im Bericht von Prof. Chauffard, den er zu 
Gunsten der Beschränkung der Röntgenstrahlenanwendung auf Ärzte für 
die Akademie der Medizin abfaßte, erwähnt zu finden. Tatsachen am 
Menschen, z. B. eine Ovarienatrophie, die ebenso kriminell sein könnte 
als ein Abort, hätten überzeugender gewirkt. 

Man muß deshalb auch an die Prophylaxe der durch Röntgenstrahlen 
erzeugten Schädigungen denken. So sollten die in Röntgenlaboratorien 
beschäftigten Frauen sich in genügender Weise gegen diese Strahlen- 
wirkung schützen. Andererseits muß man die schädliche Wirkung der 
Röntgenstrahlen auf die Ovarien im Auge behalten, jedesmal, wenn man 
bei einer Frau die Bauchgegend bestrahlt (Berlin. klin. Wochenschr., 16. 
Januar 1905). 

In der Sitzung vom 7. Februar 1905 der biologischen Gesellschaft in 


392 Foveau de Courmelles, 


Bordeaux berichteten J. Bergonie, L. Tribondeau und D. Recamier 
über Versuchsergebnisse, welche in jeder Beziehung ähnlich waren. 
Bei vier weiblichen Kaninchen, bei welchen das eine Ovar 60, 80, 120 
und 140 Minuten den Röntgenstrahlen ausgesetzt wurde, betrug der Ge- 
wichtsverlust des bestrahlten Ovars im Vergleich zu dem nicht bestrahlten 
32—85 %. Die Autoren legen auch Nachdruck auf das Vorhandensein 
von „Höhlen mit hyalinen Blöcken“, welche wahrscheinlich die Stelle 
alter degenerierter Graafscher Follikel bezeichnen. Es ist noch hervor- 
zuheben, daß nur bei dem 140 Minuten bestrahlten Tier die histo- 
logischen Veränderungen deutlich waren. Seitdem gelang es Regaul 
und Nogier in Lyon bei Kaninchen definitive Sterilisierung zu erzielen. 
Ich kenne Röntgenologen, welche erst wieder fruchtbar wurden, nachdem 
sie sich mehrere Jahre lang durch Bleischürzen geschützt hatten. 

Röntgenbehandlung der Myome. Erste klinische Erfolge. 
Ich könnte Beobachtungen dieser Art in großer Zahl anführen, wir wollen 
aber zur Klinik übergehen. 

Seit über 10 Jahren behandle ich die Myome mit Röntgenstrahlen. 
Ich habe dies nicht rein empirisch getan, sondern ging von folgenden 
zwei Gedanken aus: Die Röntgenstrahlen wirken auf das Karzinom. Da 
nun die gutartigste Greschwulst bösartig werden kann, so muß man auf 
manche Geschwülste einwirken können, wenigstens auf solche, die bösartig 
werden können und schon die Keime der Malignität in sich enthalten. 
Man kann zwar im Voraus diese Diagnose nicht stellen, da aber die 
Röntgenstrahlen in richtiger Anwendung ungefährlich sind, darf man den 
Versuch wagen. Und er glückte über Erwarten bei allen Fibromen. Dies 
soll natürlich nicht heißen, daß man sie niemals mehr operieren soll. Man 
wird weiter unten meine Einschränkungen finden. 

Unter dem Titel „Die Röntgentherapie ein Mittel zur Diagnose und 
Therapie mancher Myome‘‘ machte ich am 11. Januar 1904 der Akademie 
der Wissenschaften (Überreichung durch Prof. D’Arsonval) eine reiflich 
überlegte Mitteilung, in welcher ich die sicheren Resultate erwähnte, welche 
ich mit Röntgentherapie in zwei zweifelhaften Fällen von Uterusmyomen 
erzielte, wo das kachektische Aussehen, der gelbe Teint und die Schmerzen 
an die Möglichkeit eines malignen Tumors denken ließen und wo die 
Operation von den Kranken verweigert wurde. Der erste Fall betrifft eine 
47jährige Frau, welche einen den Nabel um 20 Zentimeter überragenden 
Tumor hatte; nach 27 Röntgensitzungen kamen Kräfte, Appetit, Schlaf 
und gesunde Gesichtsfarbe wieder und der Tumor war bis unterhalb des 
Nabels zurückgegangen. Im anderen Fall nahm der Tumor, der nur 
Figröße hatte, in derselben Zeit um die Hälfte ab und das Allgemein- 
befinden besserte sich ebenfalls. Bei vielen anderen Kranken, die später 


Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 393 


behandelt wurden, konnten diese Resultate bestätigt werden. Bei manchen 
entleerten sich eiterige Massen durch die Vagina und in einem Fall durch 
das Rektum, ohne übrigens eine Fistel zu hinterlassen. Es ist dies auf 
die Röntgenstrahlenwirkung zurückzuführen und kann auch bei äußeren 
Tumoren beobachtet werden. 

Seitdem berichtete die Zeitschrift „Semaine médicale“ (Oktober 1904): 
„Da die Wirksamkeit der Röntgentherapie bei tiefliegenden Tumoren von 
den meisten Autoren angezweifelt wird, scheint es uns interessant, über 
die guten Resultate zu berichten, welche Dr. J. Deutsch aus München 
mit dieser Behandlungsmethode bei Uterusmyomen erzielt hat. So machte 
derselbe bei einer 40jährigen Frau mit einem sehr voluminösen Myom, 
welche von einer Operation nichts wissen wollte, im Laufe von zwei Jahren 
120 Röntgensitzungen. Nach dieser Zeit war der Tumor um ein Be- 
deutendes zurückgegangen und der Uterus war vollständig beweglich ge- 
worden. Die begleitenden Störungen waren vollständig verschwunden. In 
drei anderen analogen Fällen brachte die Röntgentherapie ebenfalls eine 
bedeutende Volumverminderung. Deutsch glaubt, dal man die Röntgen- 
strahlen immer dann anwenden soll, wenn man sich Myomen gegenüber 
befindet, die aus irgendeinem Grunde inoperabel sind.“ 

Diese Publikation, welche von Deutsch im September 1904 gemacht 
wurde, erfolgte. 9 Monate nach derjenigen von Foveau de Courmelles. 

In einer anderen Mitteilung an die Akademie der Wissenschaften 
(Überreichung durch Prof. D’Arsonval am 27. Februar 1905), welche 
später durch eine andere am 27. November 1907 bestätigt wurde, fügte 
ich hinzu: 

„Ich hatte Gelegenheit, scit einer früheren Mitteilung über die Diagnose 
und Therapie mancher Myome durch Röntgenstrahlen, welche nachher 
durch Deutsch in München bestätigt wurde, noch eine Anzalıl dieser Ge- 
schwülste zu behandeln und beinahe immer folgendes zu konstatieren: Von 
der ersten Sitzung an (Dauer 5 Minuten, Intensität des Primärstroms 
5 Amp. bei 110 Volt, äquivalente Funkenstrecke 25 Millimeter, 70 am 
Benoistschen Radiochromometer — heutzutage gibt das Bauersche Volt- 
meter diese Angabe sofort —) haben die Patientinnen ein Gefühl der 
Kontraktion im Uterus und der Einengung der Gewebe, welches sich bei 
Wiederholung der Sitzungen und Kleinerwerden des Tumors vermehrt. 
Wenn Schmerzen vorhanden sind, so hören sie rasch auf. Die Hä- 
morrhagien vermehren sich aber anfangs und nach jeder Periode ist der 
Tumor kleiner. Die Blutungen werden dann immer seltener und schwächer, 
die anfangs alle 3 Wochen erscheinende Periode kommt nur noch alle 
4,5, 6, 7 und 8 Wochen, dann alle 5 oder 6 Monate und verschwindet 
zuletzt ganz. 


394 Foveau de Courmelles, 


Da man am lebenden Organismus auf den Zustand eines Organs 
nur nach seiner Funktion einen Schluß ziehen kann, zeigt dieses Selten- 
werden und diese Verminderung der Regel sicherlich eine Atrophie der 
Ovarien an. Je nach dem Alter der Patientinnen braucht man, um diesen 
atrophischen Zustand zu erreichen, eine verschieden große Anzahl von 
Röntgensitzungen von 5 bis 15 Minuten. Dauer je nach dem Fall und 
der Art, wie sie auf das Allgemeinbefinden wirken. Eine Hautreaktion 
wird immer vermieden durch Anwendung der gut geerdeten Aluminium- 
platte, hingegen tritt oft Fieber und Schüttelfrost ein, sodaß man die 
Sitzungen weiter voneinander entfernen muß. Nach dem 50. Jahre er- 
reicht man schon eine Verminderung der ersten Menstruationen, die auf 
die Bestrahlungen folgen. Gegen 40 Jahre kam ich erst nach Monaten 
(5—6 Monate bei 2 Sitzungen pro Woche) zum Ziele, aber immer war 
die Wirkung vorhanden. Vor 40 Jahren brauchte ich noch mehr Zeit, 
um einen Erfolg zu erreichen (3—10 Monate). Bei den Patientinnen, die 
ich verfolgen konnte und deren Alter zwischen 35 und 45 Jahren variierte 
— es waren ihrer ungefüihr 30 — war der Erfolg konstant. 

Ich will gleich meine Technik vervollständigen: 

„Die Kranke kann liegen oder sitzen je nach der Lage des Myoms. 
Meine Aluminiumplatte ist 1 mm dick und mit dem Erdboden verbunden. 
Durch ihre Zwischenschaltung verhindert sie die Röntgendermatitis. Blei 
oder altes Leder, die für Röntgenstrahlen undurchgängig sind, werden 
zum Schutze der Umgebung benützt und sowohl unterhalb als oberhalb 
angebracht. Sie verhüten so den Haarverlust und die Abmagerung der Brüste. 
Wie ich dies schon auf dem ersten internationalen Kongreß für Medizin 
und Elektromedizin in Brüssel im September 1897 erwähnte, bewirken die 
Röntgenstrahlen außer der seitdem nachgewiesenen elektiven Wirkung auf 
die Fortpflanzungsorgane einen Fettschwund in allen Geweben, der zwar 
gering, aber tatsächlich nachweisbar ist. Zufälligerweise sah ich einmal 
bei einer leberleidenden myomatösen Frau während der Röntgenbehandlung 
Gallensteine mit dem Stuhl abgehen: Besteht hier ein ursächlicher Zu- 
sammenhang oder ist es nur ein Zufall? 

Bei Brustdrüsenkrebsen, zu deren Behandlung man die Ovariektomie 
empfohlen hat, versuchte ich in drei Fällen sowohl die Brustdrüse selber, 
als die Abdominalregion zu bestrahlen: Ich erhielt so eine schnellere 
Rückbildung der Brustdrüsentumoren, als wenn ich nur diese allein be- 
strahlte. Die Menstruation wurde ebenfalls geringer. In diesen Fällen 
(Institut, 27. Februar 1905 u. folg.) färbten sich die bestrahlte Haut und 
die Haare der Brust schwarz. In einem anderen Fall, den man trotzdem 
bestrahlen mußte, da die zuerst verschwundenen Schmerzen sich wieder 
einstellten, zeigte die mikroskopische Untersuchung des Tumors nur noch 


Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 395 


fibröses Gewebe; auch ist es wahrscheinlich, daß die wiederkehrenden 
Schmerzen einzig und allein durch den zum lästigen Fremdkörper ge- 
wordenen Tumor bedingt waren; die Achseldrüsen waren zu hanfkorn- 
großen, sehr harten Körnern zusammengeschrumpft. 

Um es zusammenzufassen, die Klinik hat die experimentellen Unter- 
suchungen bestätigt: Die Ovarien, die Brustdrüsen, die Lymphdrüsen 
schrumpfen und atrophieren unter dem Einfluß der Röntgenstrahlen ; die 
Penetrationskraft letzterer variiert mit den Organen und scheint in elek- 
tiver Weise besonders auf die Ovarien zu wirken, aber das Myom schrumpft 
ebenfalls. Dies ist eine jetzt unbestrittene Tatsache. 

Verschiedene Tatsachen und Ansichten über die Röntgen- 
therapie der Myome. — Ich will jetzt einige Autoren reden lassen, 
die ich übrigens schon in meiner Zeitschrift „L’Annee Electrique, 
Electrotherapique et Radiographique“ zitiert habe. 

Prof. Bordier schrieb in der „Presse médicale“ vom 2. November 
1910 (übersetzt in den „Archives of the Röntgen Ray“ im August 
1911): 

„Nach den Arbeiten von Albers-Schönberg, der die deletäre 
Wirkung der Röntgenstrahlen auf die Fortpflanzungszellen zeigte, nach der 
Publikation von Foveau de Courmelles, der die in einigen Myomfällen 
erzielten Resultate bekannt gab, nach den Mitteilungen von Deutsch und 
Imbert über dasselbe Thema, habe ich mich bemüht, diese interessante 
Frage zu studieren. Die Resultate, die ich sozusagen täglich dank einer 
guten Technik erhielt, rechtfertigen die seit mehreren Jahren unter- 
nommenen Bemühungen.“ 

Während aber Bordier die harten Strahlen (worüber jedermann 
einig ist) und die hohen Dosen (hier gehen die Ansichten auseinander) 
empfiehlt, raten Deutsch aus München und Görl aus Nürnberg, welche 
als erste nach Foveau de Courmelles Myome mit Röntgenstrahlen be- 
handelten, wie dieser zu kleinen und wiederholten Dosen. Görl (Mün- 
chener med. Wochenschr., 23. August 1910) macht in manchen Fällen 
eine große Anzahl von Sitzungen. Er gibt wiederholt kleine Dosen auf 
den Bauch, die Lenden und die Sakralgegend. Er konstatiert, daß die 
erste Periode abundanter, die zweite wie vor der Behandlung ist und daß 
erst bei der dritten die Abnalıme sich bemerkbar macht, daß sie dann 
seltener wird und ganz verschwindet. Bei Myomen ist die symptomatische 
Besserung rapide. Man beobachtet eine Verminderung der Größe der 
Myome sekundär zur Sterilisation der Ovarien. Diese Behandlung ist die 
Methode der Wahl bei den Menorrhagien, welche nicht direkt eine 
chirurgische Intervention erfordern, bei den durch Herzkrankheiten, 
Nephritis und Myomen erzeugten Blutungen. Der gleichen Ansicht ist 


396 Foveau de Courmelles, 


Foveau de Courmelles, der sich besonders von der Dichte des Myoms. 
die durch sein Alter bedingt ist, leiten läßt, welche meßbar oder wenigstens 
annähernd bestimmbar ist durch den elektrischen Widerstand, der zwischen 
einer stabförmigen und einer plattenförmigen Elektrode gemessen werden 
kann, welche den Strom vom Cervix uteri zum Abdomen leiten. 

Doumer, Ren& Horaud usw., waren mit der Röntgentherapie der 
Myome zufrieden. Der erstere berichtete dies am Kongreß für Elektro- 
logie und Radiologie in Barcelona 1910. 

In seiner „Pratique radiologique“ (Progrès med., 7. Jan. 1911) em- 
pfiehlt G. Legros, der wie Guilleminot, Laquerriöre, Delherm die 
Priorität von Foveau de Courmelles anerkennt, die mehrfachen Einfalls- 
pforten: „Dies hat den Vorteil, daß man 5 oder 6 H auf jeder Stelle 
applizieren kann mit einem Minimum von Schaden für die Haut, da in 
jeder Bestrahlung in 14 tägigem Äbstande nur 21/, bis 3 H gegeben werden. 
Diese Methode scheint uns besonders empfehlenswert, da man bei Ver- 
meidung einer Oberflächensummierung ein Maximum von Tiefendosis erhält.” 

Schlinder ist mit der Röntgenbestrahlung der Myome zufrieden. 
Bei den Kranken, die er behandelte, verschwanden die Myome vollkommen 
oder gingen so 'zurück, daß sie der Patientin nicht mehr lästig waren. 
Nur eine Einwendung könnte man der Röntgentherapie der Myome machen. 
daß nach der Behandlung Tumorreste der Ausgang von - Degencrations- 
prozessen sein könnten. Aber dieser Vorwurf, der noch durch keine Tat- 
sache gestützt ist, kann ebensogut der Kastration und der supravaginalen 
Amputation gemacht werden. Nach dem Autor verwandelt die Behandlung 
die Myome in unschädliche Tumoren und die Menopause bringt die Reste. 
welche zu Sorgen Anlaß geben könnten, zum Schwinden. Zuletzt, ein 
ernsthaftes Argument, das zu Gunsten der Methode spricht, ist ihre abso- 
lute Ungefährlichkeit. Man soll deshalb, ehe man zur Operation schreitet, 
im Interesse der Kranken zuerst diese Behandlungsmethode versuchen. 
(Deutsch. med. Wochenschr. 10. Nov. 1910, S. 2098.) 

Durch die Wirkung der Röntgenstrahlen auf die Ovarien und die 
Graafschen Follikel erhält man eine künstliche Sterilität der Frau, wie dies 
nach mir die Deutschen Schönberg, Deutsch, Imbert, Manfred Frän- 
kel, Margaret Cleaves, Görl sofort ebenfalls beweisen konnten, während 
man in Frankreich noch ungläubig war. Letzterer, der bald nach Deutsch 
im Jahre 1905 auftrat, sah außerdem bei 4 Frauen Fibromyome voll- 
ständig schwinden. Bordier erzielte vor kurzem den totalen Schwund 
von Uterusmyomen bei 4 Frauen nach einigen Wochen. Die Wirkung der 
Röntgenstrahlen findet sowohl auf die Fortpflanzungszellen der Ovarien als 
auf. die Zellen der uterinen Neubildung statt. Es resultiert eine vorzeitige 
Menopause und eine Atrophie des Uterusmyoms. Bordier beobachtete 


Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 397 


die wichtige Tatsache, daß trotz des anatomischen Schwundes der Graaf- 
schen Follikel die innere Sekretion des Ovariums erhalten bleibt. Im 
allgemeinen gelingt die Behandlung am besten bei jungen Myomen und 
besonders, wenn sie von starken Blutungen begleitet wird. In Fällen, in 
welchen die Sterilität der Frau geboten ist, ist die in erfahrenen Händen 
ungefährliche Röntgentherapie entschieden der chirurgischen Tubenmethode 
vorzuziehen (Perdrizet, La Clinique, Paris, 16. Dez. 1910, S. 794). 

Jaugeas (La Gynecol. Jan. 1911) glaubt ebenfalls, daß es feststeht, 
daß die Röntgenstrahlen in richtiger Applikation eine dauernde Atrophie 
der Ovarien herbeiführen können. Diese Wirkung kann therapeutisch be- 
nützt werden zuerst in Fällen, in welchen die Konformation des Beckens 
oder der Grenitalwege eine Schwangerschaft verbietet, ferner in Fällen von 
Dysmenorrhoe und zuletzt, indirekt, beim Uterus myomatosus. Trotzdem 
man eine direkte Wirkung der Strahlen auf das Myomgewebe nicht be- 
weisen kann, so soll man doch die Bestrahlung nicht auf die Ovarien be- 
schränken, sondern auch auf den Uterus ausdehnen, da man doch mit 
einer wahrscheinlichen Einwirkung auf das Myomgewebe selber rechnen muß. 

Das vorübergehende Wachstum der Myome nach den ersten Be- 
strahlungen, sagt A. Baumann, ist wahrscheinlich durch eine Reaktion 
der Ovarien und des Tumors auf zu weiche, zu wenig penetrationsfähige 
Strahlen bei zu kleinen Dosen bedingt, welche die Eigenschaft haben zu 
reizen. 

„Aber, sagt Aubourg, bei 6 Kranken (Société d’Electroth6rapie) 
habe ich Strahlen Nr. 8 verwendet und die Kranken haben bei einer 
(resamtdauer der Behandlung von 4 bis 5 Monaten 65 bis 80 H Einheiten 
absorbiert. Zu meinem großen Erstaunen verkleinerten sich die Tumoren 
um mehr als die Hälfte, die Blutungen sistierten und die Kompressions- 
erscheinungen gingen zurück. Dann hörten die Kranken aus verschiedenen 
Gründen mit der Behandlung auf. Diese Unterbrechung wurde in 1 bis 3 
Monaten von einem Rezidiv gefolgt und wie vor der Bestrahlung, kamen 
die objektiven und funktionellen Symptome wieder. Ich habe zwei dieser 
Rezidive ohne Erfolg behandelt; trotz hoher Dosen, trotz vielstelliger Be- 
strahlungen, schwand der Tumor nicht.“ 

Albert Weill widerspricht dem und zeigt, daß nach dem vierzigsten 
Jahre die Menopause rasch erzielt werden kann. 

Berdez und Exchaquet (Schweiz. Rundsch. f. Med., 22. Juni 
1912) publizieren die Resultate ihrer Erfahrungen. Sie benutzten Müller- 
röhren mit gekühlter Antikathode oder Burger-Therapieröhren. Die Strah- 
lung war sehr hart und die Sitzungen wurden 5 bis 6 an der Zahl zwischen 
den Regeln bei 2- bis 3tägigen Zwischenräumen vorgenommen. $ie filtrierten 
immer mit 1 Millimeter dicken Aluminiumfitern und komprimierten die 


Strahlentherapie Band III. Heft 2. 26 


398 Foveau de Courmelles, 


bestrahlten Bauchregionen mit einem Luffaschwamm. Die Autoren be- 
handelten 37 Fälle, darunter 28 Myome mit 27 Metrorrhagien und 9 
Fälle von starken menstruellen Blutungen, Metrorrhagie oder Endometritis 
ohne Fibrom. Die Metrorrhagien heilten alle im allgemeinen schnell ah. 
In 15 Fällen von Myomen von 28 verkleinerte sich der Tumor bedeutend 
oder verschwand vollständig und verloren sich die subjektiven Symptome. 
Einmal war kein Resultat zu erzielen. 3 Fälle sind noch in Behandlung 
und zwei Kranke unterbrachen ihre Behandlung gleich am Anfang. Das 
Alter der geheilten oder gebesserten Kranken variierte zwischen 37 und 
60 Jahren und die Anzahl der Bestrahlungen zwischen 7 und 34. Die 
Bestrahlungen brachten die Schamhaare zum Ausfallen und die Bauchhaut 
wurde braun pigmentiert. Es wurden aber keine ernsteren Vorkommnisse 
beobachtet. 

Krönig und Gauß haben die Resultate von 60 Behandlungen 
publiziert, von welchen mehr als die Hälfte sehr günstig ausfielen und 
Wetterer in Mannheim hat 4 Fälle mit Tiefenbestrahlung behandelt. 
von denen 3 sogar starke Schmerzen hatten, 2—5 H, Ledertilter 
Kreuzfeuer, harte Strahlen, 15 H pro Sitzung in 3 Zonen (übersetzt aus 
Archiv of the Röntgen Ray in Gaz. med. belge, abgedruckt in der Gazette 
de Gynécologie, S. 188). 

Im Jahre 1910 zeigten mir, Comas und Prio in Barcelona, Cala- 
taynd Costa in Valencia, im Jahre 1941, Gösta Forssell in Stock- 
holm, Myome in Behandlung und in Besserung. 

A. Weill (Journ. de Physioth., 15. Okt. 1911) sah bei manchen 
Frauen nach Röntgentherapie die Fibrome schwinden, während ihre Regeln 
erhalten blieben (bereits anfangs von Foveau de Courmelles erwähnt). 
Die hämorrhagischen oder anderen Myome können zum Stillstand kommen 
oder beinahe atrophisch werden. Die Verstopfung schwindet oft sofort. 
Die Strahlenbehandlung ist indiziert bei langsam wachsenden und beweg- 
lichen Myomen in der Zeit der Menopause ; desgleichen, wenn der Tumor 
Schmerzen, Kompression oder Hämorrhagien verursacht. Die voluminösen 
Myome und diejenigen mit raschem Wachstum, die einer Strahlenwirkung 
entgehen oder karzinomatös entarten könnten, gehören der Chirurgie an. 
Bordier betont den günstigen Effekt auf junge, höchstens 5 Jahre alte 
Myome. 

Laquerriere hält die großen Dosen für nötig. Man muß verschiedene 
Einfallspforten verwenden, diese aber nicht über die Maßen vermehren: 
vorn jederseits eine; keine Bestrahlung der Medianlinie, um den Vorwurf 
der Chirurgen zu vermeiden, welche die Röntgentherapie beschuldigen, daß 
sie die Operation schwieriger macht: Diese fehlende Bestrahlung wird durch 
2 Bestrahlungen vom Rücken aus ersetzt. Der Autor verwirft die Be- 


Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 399 


strahlung junger Frauen: für ihn besteht eine Indikation erst vom 45. Jahre 
an; vom 40. zum 45. Jahre kombiniert er die Röntgentherapie mit der 
Elektrotherapie. Die angewandten Dosen betrugen 4—4!/, H auf jede Ein- 
trittspforte während der ersten beiden Menstruationsperioden, davon 3 H 
während der folgenden (Gaz. électr., S. 13). 

Guilleminot (Arch. d’Electr. möd., 25. Sept. 1911) empfiehlt eben- 
falls mehrere Eingangspforten, Filtration, harte Strahlen, 300 M einfallende 
Strahlen, 5—8 M Einheiten absorbiert pro Millimeter. (M ist ein Bruch- 
teil von H, der von Guilleminot erdacht wurde: H/125 in Nr. 6 Benoist.) 

M. d’Halluin in Lille sagt in seiner schönen Studie im Journal 
de Radiologie, Mai 1912, daß die Wirkung je nach der Intensität der 
Bestrahlung aufs Ovarium eine definitive oder nur eine temporäre ist, wenn 
nicht alle Primordialeier abgetötet worden sind. Die innere Sekretion wird 
nicht direkt geschädigt, da aber die Zerstörung der Ovula die Formation 
neuer Corpora lutea verhindert, so hört diese Sekretion zuletzt auf. 

Griscom und Pfahler in Philadelphia (New York med. Journ. 
25. Juni 1910) veröffentlichten ihre Erfolge. 

Mayer, ein Schüler von Lacaille (Thèse de Paris 1911) zieht 
folgende Schlüsse: Die ersten bemerkenswerten Veränderungen der Men- 
struation und der Hämorrhagien erscheinen nach anderthalbmonatlicher 
Behandlung: die Hämorrhagien sind zuerst weniger abundant und die 
Regeln treten in längeren Zwischenräumen auf; zugleich wird ihre Dauer 
reduziert. Die Menopause erscheint meistens im vierten Behandlungs- 
monat, oft auch schon im dritten. Die Röntgentherapie ist besonders bei 
jungen Myomen indiziert: Ein großes Volumen des Tumors oder sein 
stark hämorrhagischer Charakter bilden keine Gegenindikationen, hingegen 
gehören die alten Fibrome der Chirurgie an. Der Erfolg der Methode 
wird um so rascher und nachhaltiger sein, als die Patientinnen sich der 
Menopause nähern. Bei strenger Technik darf die Hautreaktion nie ein 
Erythem übersteigen. 

Weber (Münch. med. Wochenschr., 2. April 1912) bestrahlt bei 
schmerzhaftem Myom sukzessive die beiden Ovarien und erst später den 
Tumor. Dieser Wechsel der Applikationsstellen schützt außerdem vor 
dem Hauterythem. 

Die Kastration durch Operation oder durch Röntgenstrahlen von v. Herff 
(Münch. med. Wochenschr., 2. Januar 1912): Die Operationsmortalität 
ist eine sehr geringe, ungefähr 0,1 %. Selbst unter diesen Bedingungen 
sind die Röntgenstrahlen im Vorteil, denn ihre Mortalität ist gleich Null. 
Allerdings sind die zur Erreichung eines Resultats nötige Zeit und die Kosten 
der Behandlung bei der Röntgenbehandlung viel größer. Die Operations- 
folgen sind sicherlich bei letzterer Methode viel unsicherer, denn die 

26* 


400 Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 


Dermatitis und die Ulzerationen sind furchtbare Komplikationen, die 
häufiger auftreten, als es nach der Literatur scheinen würde. Bei den 
Röntgenstrablen ist noch eine ernstere Gefahr vorhanden, nämlich die 
immerhin möglichen diagnostischen Irrtümer: bestrahlt man Ovarialtumoren. 
so riskieren die Kranken schwere Schädigungen. Außerdem können sich 
nach Röntgenstrahlen Karzinome entwickeln; es gibt ungefähr 40 Fälle 
davon in der Literatur. 

Falk berichtet über die Krankengeschichten mehrerer Patientinnen. 
denen man anfangs den chirurgischen Eingriff wegen Herzkrankheiten ver- 
weigerte, die man einer mäßigen Röntgenbehandlung unterzog und die 
derartige Blutungen bekamen, daß ihr Leben in Gefahr war und eine 
Hysterektomie aus vitaler Indikation gemacht werden mußte. Ebenso 
E. Grafenberg. 

Krönig und Gauß in einer weiteren Arbeit empfehlen enorme 
Dosen. Sogar vor 40 Jahren heilt die Methode (Münch. med. Wochen- 
schr., 2. April). Die belgische Gesellschaft für Radiologie hat die Frage 
ebenfalls diskutiert (Archiv d’Electr. med., 10. Sept.): Es gibt Verfechter 
der Röntgentherapie und Verteidiger der Operation. H. Neufeld. 
J. Nemenoff ziehen außer in gewissen Fällen die Röntgenstrahlen vor. 
Bordier fährt fort, höhere Dosen, aber in größeren Abständen zu em- 
pfehlen. Albers-Schönberg, FoveaudeCourmelles, Lacaille. 
Haenisch, Renauer, d’Halluin variable oder schwache Dosen. 
Laquerriere und Loubier (Archiv. d'Electr. méd., 25. Aug. 1912) 
ziehen einen großen Fokusabstand vor, zeigen mit Recht die verschiedene 
Wirkung auf Ovarien und Uterus, die Verkleinerung des letzteren und 
selbst alter Tumoren. Zimmern hebt hauptsächlich die blutstillende 
Wirkung hervor (Gaz. électr., 20. Nov. 1912), später Béclère, Siredey, 
P. Ch. Petit, Veray usw. 

Die Behandlung der Myome mit Röntgenstrahlen von E. Flak (Berl. 
klin. Wochenschr., 29. April 1912): Die subserösen Myome sollen nicht 
mit Röntgenstrahlen behandelt werden und ein Myom bei einer jungen 
Frau soll eher operiert werden, da die Röntgenstrahlen eine Atrophie der 
Ovarien erzeugen, während die Operation sie intakt läßt. 

Andererseits darf man auch die Röntgenstrahlen nicht bei Entzün- 
dung der Adnexe verwenden. 

Bei Frauen über 50 Jahren soll man außer bei strikter Operations- 
indikation immer mit Vorliebe die Röntgenstrahlen verwenden. 

Die Strahlentherapie hat Besserungen der Myome gebracht. Zuerst 
verschwinden die Hiimorrhagien und erst später verkleinert sich der Tumor. 
Diese Involution geht schneller vor sich bei älteren Frauen als bei jungen. 
Die Methode ist gänzlich gefahrlos, sagt Kelen (Monatsschr. f. Geburtsh. 


Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynükologie. 401 


u. Gynäkol., August 1911). Er rühmt auch die Röntgentherapie bei der 
chronischen Metritis (Münch. med. Wochenschr., 2. April 1912), 38 Be- 
obachtungen: in 20 Fällen waren mehr oder weniger abundante Meno- 
und Metrorrhagien vorhanden, in 9 ein purulenter Ausfluß, in 5 ein 
Uterusprolaps, die übrigen waren ohne Komplikationen. Man machte 3 bis 
4 Sitzungen wöchentlich durch die Bauchhaut hindurch: 6 Fälle wurden 
aus den Augen verloren, 4 sind im Beginne ihrer Behandlung. 

In einem komplizierten Fall von Prolaps war das Resultat negativ 
(Obesitas der Patientin). In den anderen Fällen war ein voller Erfolg zu 
konstatieren. Denn in 15 Fällen war die Verkleinerung des Uterus schon 
nach der 3. oder 4. Sitzung nachweisbar, in den übrigen dauerte es länger 
‘6 Monate bei 3 Kranken). Die subjektive Besserung zeigte sich nach 
+ bis 6 Wochen: bei 2 jungen Patientinnen setzte die Menopause schon 
nach der zweiten und dritten Sitzung ein, aber die Periode kam nach 2 
und 3 Monaten wieder. Die Metrorrhagien leisteten in 4 Fällen Wider- 
stand und mußten lokal behandelt werden; Gonokokkenausflüsse wurden 
durch Röntgenstrahlen nicht beeinflußt: Alle anderen verschwanden zuletzt. 
Die Metritiden mit hartem Uterus waren hartnäckiger als die anderen: 
man wird diesen Unterschied leicht verstehen, denn die Röntgenstrahlen 
beeinflussen viel energischer die glatten Muskelfasern als das Bindegewebe. 
In diesen 14 letzten Monaten konnten nur 3 Rezidive von Metrorrhagien 
durch 2 oder 3 Bestrahlungen zum Weichen gebracht werden. 

Ein von Foveau de Courmelles bestralltes Myom verhinderte 
in keiner Weise eine spätere Gravidität (hat sie vielleicht begünstigt, 
Apostoli hatte dies für die Elektrolyse behauptet). Kleines, gut ge- 
bautes Mädchen, 3 kg 200, 48 Stunden vor der Geburt gestorben, mit 
Mazerationsflecken auf dem Körper, die vielleicht durch das Gewicht des 
Fibroms bedingt waren. „Während der Schwangerschaft fühlte sich die 
Kranke wohl und war sehr lebhaft. Heute (4 Tage nachher, 3. April 1912), 
ht es ihr so gut als möglich, wenn auch etwas Fieber vorhanden ist.“ 
Die Folgen waren eine Art Septikämie, die 4 Monate dauerte. Im 
November 1912 kam endlich die Periode wieder. Seither hat die 
Kranke ihre Kräfte und ihre Gesundheit wiedererlangt, die Periode ist 
reselmäßig geworden, ohne die früheren Blutverluste und das Myom, 
las wieder zu wachsen anfıng, ist auf erneute Bestrahlungen zurückgegangen 
13. Februar 1913). (Wie mir der Arzt des Ehemanns, Dr. Delthil 
mitteilte, hatte der Mann in einer früheren Ehe eine verdächtige Serie 
‘stzeborener Kinder aufzuweisen.) 

Endlich scheint mir die treffendste Darlegung im Beitrag zur Röntgen- 
handlung der Myome von Bergonié und Spéder gegeben (Arch. 
telect. ıned. 10. Jan. 1911): 


402 Foveau de Courmelles, 


„Bei der Myombehandlung beobachtet man die erste bemerkenswerte 
Veränderung der Periode und der Hämorrhagien nach 2 Bestrahlungssene: 
(von je 3 Sitzungen). Zuerst wird die Periode wieder regelmäßiger, kürzer 
und geringer. Nach 3 oder 4 Bestrahlungsserien (2 oder 3 Monate), selten 
mehr (5 Serien in 4 Monaten), hörten die Periode und die Hämorrhagıen 
ganz auf. Als Begleiterscheinungen beobachtet man zu Beginn der Be- 
handlung sanguinolenten Ausfluß zwischen den Perioden, welcher einige 
Stunden bis zu 2 Tagen dauert und oft rötlich gefärbten Fluor, der auf 
die Regel folgt. Bei einer guten Technik werden Verbrennungen immer 
vermieden. Nach den Sitzungen treten oft mannigfache, übrigens sehr 
leichte Störungen auf, die nie über einige Stunden dauern. Die Myome 
nehmen immer ab und zwar in nicht immer gleichem Maße, ohne dab 
dafür eine Erklärung gegeben werden könnte. In manchen Fällen ver- 
schwinden die Tumoren ganz, in anderen, wo der Tumor den Nabel über- 
ragte, verkleinert er sich bis 2 bis 3 Finger breit über die Symphyse und 
reagiert dann nicht mehr auf die Behandlung. In jedem Falle hören die 
durch das Myom und die Blutungen hervorgerufenen Beschwerden schnell 
auf. Das Allgemeinbefinden wird besser, die Anämie verschwindet, dir 
Kompressionssymptome hören auf; die Kranken nehmen ihre Beschäftigung 
und ihre Lebensweise wieder ohne Beschwerden auf. Die jungen Myome 
mit rapidem Wachstum reagieren am promptesten auf Röntgenstrahlen. (Dosen 
von Albers-Schönberg, die ich in Hamburg in den Jahren 1909 und 1911 
anwenden sah: 2 M.A., 6° Bauer, 2 bis 3 Kienböck-Einheiten, 6 Minuten. 
Ich bringe den „Bauer“ an der Kathode des Induktors an, statt an der Ka- 
thode der Röhren; dies ist bequemer und bei 1° Schwankung ebenso genau‘. 

Die Frauen, welche sich den Wechseljahren nähern (40 Jahre un! 
mehr) und besonders jüngere Frauen können einen großen Nutzen von 
dieser Behandlung haben, wenn sie die Behandlung lange genug und in 
intermittierender Weise (z. B. alle 6 Monate) fortsetzen. In allen Fällen. 
in welchen eine nahe an der Menopause stehende Frau an Uterusmyomen 
leidet und die Operation verweigert, oder für dieselbe zu schwach ist, ist 
die Röntgentherapie indiziert, ebenso in allen Fällen, in welchen ein Myom 
bei einer nahe der Menopause stehenden Frau Schmerzen oder Kompressions- 
erscheinungen und besonders Hämorrhagien macht. Um die Hämorrhagien 
in den ersten Monaten der Röntgenbehandlung zum Sistieren zu bringen. 
bevor das vollständige Endresultat (gegen den dritten Monat) erreicht ist. 
ist es von Vorteil, galvanischen und faradischen, rhythmisch unterbrochenen 
Strom intrauterin zu applizieren (Mitteilung von Foveau de Courmelles 
am Kongreß von Budapest 1909.) Die Archives of Roentgen Ray 
haben in den letzten Jahren ebenfalls viele Erfolge von englischen 
Röntgenologen mitgeteilt. 


Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 403 


Ich variiere also die Dosen je nach den Fällen und dem Alter der Fi- 
brome. Das Hitzdraht-Milliamperemeter und das Bauersche Voltmeter 
verglichen mit Tabletten erlauben für eine bestimmte Röhre und eine ge- 
gebene Bestrahlungszeit die verabreichte Dose in vergleichbarer Weise an- 
zugeben. Wir wollen aber nicht verallgemeinern und nur von Erfolgen, 
seien sie chirurgischer oder radiotherapeutischer Art sprechen, sondern lieber 
je nach dem besonderen Falle handeln. Wir werden mehr Vorteil davon 
haben. Oft ist auch die Hydrotherapie indiziert, sogar in Verbindung mit 
der Röntgentherapie bei Frauen, die die Vierziger überschritten haben. 
Nach Krönig und Gauß soll jede anämisierte, bronchitische, adipöse 
und herzleidende Frau mit Röntgenstrahlen behandelt werden und sie be- 
richten von nur zwei Fällen von relativem Mißerfolg unter 100 (Münch. med. 
Wochenschr. 10. Juli 1910). Und selbst diese relativen Mißerfolge könnten 
meiner Meinung nach der späteren Operation nur nützlich sein, indem sie 
die Hyperämie der Abdominalorgane beseitigten und eine Eventration ver- 
hindern, welche auf eine schnelle Entfernung eines zu großen Volumens 
folgen können. Die Entfernung der Ovarien und des Uterus oder des 
Uterus allein bringt auch bei den Patientinnen Nervenstörungen und eine 
Änderung des Charakters hervor. Andererseits gibt es auch Frauen, die 
an der Spitze von Geschäftshäusern stehen, und für welche die durch eine 
Operation bedingte Immobilisierung den Ruin bedeuten könnte. 

Wie viele inoperable Fälle gibt es übrigens, wo eine Sterilisation in- 
diziert ist! So bei einer Frau mit zahlreichen an Karzinom verstorbenen 
Verwandten, bei welcher Ende der dreißiger Jahre bei jeder Regel und 
nur dann eine übrigens auf Kauterisation leicht heilende Ulzeration des 
Collum uteri auftritt. Ist dies nicht ein gefahrdrohender Zustand, den die 
sterilisierenden Röntgenstrahlen beheben können? Ein solcher Fall, die 
Frau eines Kollegen, wurde Foveau de Courmelles im Jahre 1911 zur 
Behandlung übergeben. Würde man mit einer Operation nicht einfach bei 
dieser schweren Heredität Gefahr laufen, ein kommendes Karzinom an eine 
andere Stelle zu verpflanzen, das man mit Röntgenstrahlen aufhalten könnte? 
Übrigens haben Fälle dieser Art den Verfasser dazu gebracht, die Behand- 
lung des Myoms mit Röntgenstrahlen zu erdenken und auszuarbeiten. 

Die konstante Wirkung der Röntgentherapie auf die Menstruation und 
die Blutverluste ist eine feststehende Tatsache. Es folgt daraus, daß diese 
Therapie ebenfalls bei Metrorrhagien der Wechseljahre indiziert ist. Die 
Röntgentherapie der Myome ist zur Zeit kontraindiziert 1. bei den Formen 
mit Wachstum nach der Vagina zu, 2. bei den Tumoren in maligner De- 
generation, 3. bei Fällen mit rasch wirkenden Komplikationen. Die Röntgen- 
therapie ist absolut gefahrlos; bei einer guten Technik, beim Gebrauch von 
harten, filtrierten Strahlen, bei Einhalten der Abstände zwischen den ein- 


404 Foveau de Courmelles, 


zelnen Sitzungen und bei Kompression wird man keine Hautverbrennungen 
erzeugen. Die Reaktion der Haut wird nie über ein Erythem, eine vor- 
übergehende Bräunung, eine lokale Epilation und Desquamation gehen. Die 
leichten Störungen, welche manchmal nach den Bestrahlungen beobachtet 
wurden, sind inkonstant, gutartig und von kurzer Dauer (einige Stunden). 


Zweiter Teil. 
Das Radium in der Gynäkologie. 


Gehen wir nun zum Gebrauch des Radiums oder der radiumhaltigen 
Salze in der Gynäkologie, einer noch relativ jungen Therapie über. Ende 
1901 hat der verstorbene Dr. Danlos, Arzt des Hospitals St. Louis in 
Paris, das Radiumbromid in die Therapie eingeführt, indem er Hauttuber- 
kulose damit behandelte. Kurze Zeit später verallgemeinerte Foveau de 
Courmelles seine Anwendung, benützte es bei äußeren und inneren Kar- 
zinomen und zeigte seine schmerzstillenden Eigenschaften. 

In seinem kürzlich erschienenen Lehrbuch der Radiumtherapie er- 
innert J. Barcat daran, daß das Radium in der Gynäkologie zuerst von 
Abbe im Jahre 1905 bei 2 Karzinomen des Collum uteri, dann von 
W. J. Morton in New York angewandt wurde. Später behandelten 
Oudin und Verchère damit Myome und die mit Myomen oder Metritis 
einhergehenden Blutungen sowie blennorrhoische Urethritiden, dann kamen 
Dominici, Chéron, Rubens-Duval, Wickham und Lacapère, 
Fabre und Bender: Metritis cervicalis und corporis und besonders 
hämorrhagische Metritis, Uterusmyome, akute und besonders chronische 
Adnexentzündungen, Perioophoritis und Perimetritis und zuletzt Karzinome 
haben den größten Gewinn von dieser Behandlung. 

Uteruskarzinome: Die Anwendung ultrapenetranter Strahlen in 
massiven Dosen (20 bis 30 Zentigramm Radium) erlaubte Chéron und 
Rubens-Duval weit mehr als einfach palliative Resultate zu erhalten. 
Unter 50 behandelten Fällen konnten die Verfasser eine vollständige Ver- 
narbung der Läsionen in 18 Fällen beobachten, welche sich nunmehr seit 
7 bis 18 Monaten bei gutem Allgemeinzustand erhalten hat, trotz einiger 
drohenden Rezidive, die sofort durch eine Applikation unterdrückt wurden: 
In sehr ausgedehnten Fällen ist die Besserung zwar beträchtlich, aber 
oft nur von kurzer Dauer; bei zirkumskripteren Fällen, selbst 
wenn sie auf die periuterinen Zonen übergreifen, erhält 
man gewöhnlich eine fibröse Umwandlung des Gewebes, ein Resultat, das 
um so wertvoller ist, wenn die Drüsen noch nicht befallen sind, was ja 
beim Uteruskarzinom relativ erst spät der Fall ist. Die Karzinome, 
welche bereits Rektum und Blase ergriffen haben, können eben- 


Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 405 


falls aller Vorteile dieser Methode teilhaftig werden, wenn die Erkrankung 
noch nicht zu weit vorgeschritten ist. 

Iın allgemeinen sind die infiltrierenden Krebse am widerstandsfähigsten, 
während die vegetierenden Krebse viel empfindlicher gegen Radium sind. 
Jeanne und Née haben Besserungen veröffentlicht. Man hat empfohlen, 
zu gleicher Zeit Jodkali oder chlorsaure Magnesia einzunehmen. 

Louis Wickham und Paul Degrais haben in ihrer Radium- 
therapie mit vielen Abbildungen eine große Anzahl von Erfolgen ver- 
öffentlicht, die sie seit 1905 mit Radiumsalzen hatten. Das Uteruskarzi- 
nom ist für sie (2. Auflage, p. 204) die Krankheit, bei welcher „das 
Radium seine interessanteste Rolle spielt“. Man soll es — dies ist auch 
unsere Ansicht — nach der chirurgischen Entfernung alles dessen, was 
sich entfernen läßt, in der Nähe der Narbe applizieren. Ebenso und oft 
besser als die Röntgenstrahlen verhindert oder verzögert das Radium die 
Rezidive. Kranke, die von Pozzi, Hartmann, Monod, Tuffier und 
anderen operiert worden waren, haben von einer rationellen postoperatori- 
schen Radiumanwendung Nutzen gehabt. 

Dominici, der seit 1904 mehrere Methoden der. Radiumapplikation 
mit verschiedenen Filtern wie bei den Röntgenstrahlen angegeben hat und 
zwar mit Salzen, die nach der Methode von Gustave Le Bon (1902) 
aufgeklebt waren oder mit in Silber-, Aluminium oder Bleituben einge- 
schlossenen Salzen, hat ebenfalls ein Verschwinden der Schmerzen und eine 
erträgliche Verlängerung des Lebens erzielt. 

Foveau de Courmelles benutzte Radium in der Vagina und radio- 
aktiven Schlamm auf dem Bauch und konstatierte ebenfalls eine große 
Besserung der Symptome, die natürlich je nach dem Falle varıabel war. 

Uterusmyome: Die durch 5 cg Radium erzeugte ultrapenetrierende 
Strahlung in 3 Sitzungen von 24 Stunden vaginal angewandt, bringt in 
der großen Mehrzahl der Fälle kleiner oder mittlerer Myome ein Aufhören 
der Blutungen und eine Verkleinerung der Tumoren hervor (Chéron 117 
Menopausen in 120 behandelten Fällen, 108 mal Rückgang des Tumors, 
6 Fälle unbeeinflußt, und 3 Myome gewachsen. Nur bei 12 von 25 großen 
Myomen wurde eine Menopause erzielt). 

Am 6. internationalen Kongreß für Elektrologie und Radiologie in 
Prag habe ich selber gezeigt, dal in manchen Fällen, wenn die Röntgen- 
strahlen zu wirken aufhören, das Radium noch ausgezeichnete Resultate 
gibt. Man führt dann 1 bis 2 cg reines Radiumbromid in den Cervix oder 
wickelt ein auf einem Gewebe ausgebreitetes und von einem entsprechenden 
Filter umgebenes Salz um den Üervix. 

Metritis: Die Gesamtstrahlung oder nur die penetrierenden Stralilen 
in kurzen Applikationen von 10 bis 20 Minuten (Oudin und Verchöre, 


406 Foveau de Courmelles, 


Wickham und Degrais, Lacap£re) und die ultrapenetrierenden 
Strahlen in 12- bis 24stündiger Anwendung (Chéron, M™° Fabre. 
Bender) haben beide gute Resultate gegeben. 

Salpingo-Ovaritis. H. Chéron fand, daß diese Erkrankungen 
sich gut durch Radium beeinflussen lassen. Es gelang ihm über Fälle 
Herr zu werden, die der klassischen Behandlung 6 Monate bis 2 Jahre 
getrotzt hatten. Dabei wurde die Ovarienfunktion geschont, was durch 
21 Schwangerschaften bewiesen wurde, die nach der Behandlung unter 171 
Fällen eintraten. Laquerri@re und Loubier haben eine Radium- 
bromidlösung vermittelst Elektrolyse in der Vagina oder dem Cervix appli- 
ziert. Von der Technik der Radiumtherapie gibt Frau Dr. Faber eine 
sehr gute Zusammenfassung zugleich unter Erwähnung einiger klinischer 
und therapeutischer Resultate: | 

„Die ultrapenetrierende Strahlung in therapeutischer Dosis sterilisiert 
die Ovarien nicht. 

Nach ultrapenetrierender Bestrahlung der Ovarien von 6 Meerschwein- 
chen bei einer Bestrahlungsdauer und Intensität, welche mit den in der 
Gynäkologie täglich gebrauchten vergleichbar sind, haben wir konstatieren 
können, daß die 6 Tiere sich in Bezug auf ihre Fruchtbarkeit genau wie 
6 andere nicht bestrahlte Kontrolltiere verhielten: alle wurden befruchtet 
(Institut Pasteur 1910). 

Technik: Alle üblichen Apparate, Tuben und Platten, können je 
nach dem Sitze der Erkrankung in der Gynäkologie eine Rolle spielen. 
Es ist nur nötig, daß die æ- und weichen ß-Strahlen durch ein genügend 
starkes Metallfilter ausgeschaltet werden und daß die ß-Sekundärstrahlen, 
welche durch das Metallfilter selber entstehen, durch eine äußere Scheide 
aus Kautschuk, Gummi oder Tuch abgefangen werden. 

Die Filter müssen eine Dicke von ®/,, mm bei Silber und von 1 mm 
bei Verwendung von Blei oder Nickel haben. 

Vaginal kann man Röhrchen oder Plattenapparate von entsprechender 
Größe mit ihren eben beschriebenen Hüllen unter den notwendigen Kau- 
telen der Asepsis anwenden. 

Benigne Tumoren: Wir suchen nicht eine Regression der Myome 
zu erreichen, sondern nur das Verschwinden der begleitenden Perimetritis 
und das Aufliören der Metrorrhagien. Wir verwenden 1 bis 10 cg reines 
Radiumsulfat in Röhrchen im Uterus oder Cervix während 24 bis 48 
Stunden. 

Maligne Tumoren: Unsere persönliche Statistik erstreckt sich über 
mehr als 100 Fälle — alle inoperabel — 70%, derselben heilten genügend 
aus, um noch 1 bis 4 Jahre zu leben. 

Wir erzielen immer: 


Röntgen- und Radiumstrahlen in der Gynäkologie. 407 


1. Die Verminderung, dann das Verschwinden der Metrorrhagien. 

2. Das Verschwinden der Leukorrhoe und der Jauchung. 

3. Die Regression der vegetierenden Teile. 

4. Die skleröse Umwandlung des Tumors. 

. Die größere Beweglichkeit des Uterus infolge Verschwindens der 
periuterinen Entzündung. 

6. Verminderung und oft Verschwinden des Schmerzes. 

7. Besserung des Allgemeinbefindens. 

Unsere Technik besteht in der Einführung von aseptischen Tuben ins 
Innere des Tumors. Die Dauer und die Intensität der Bestrahlung hängt 
vom Falle ab bei einem Minimum von 5 cg für 24 Stunden. Sie wird 
nach einem Monat wiederholt. 

Entzündliche Affektionen. Metritis und nicht vereiterte Sal- 
pingitis geben eine Indikation ab. Wir erhalten gewöhnlich definitive 
Heilungen. Als Maximum werden 5 cg für 24 Stunden intrazervikal oder 
intravaginal ins Scheidengewölbe appliziert. Es ist unbedingt notwendig, 
zur Schonung der Vaginalschleimhaut die Sekundärstrahlung peinlich ab- 
zufiltrieren.“ 


Qı 


Schlußfolgerungen. 

Als Zusammenfassung möchten wir sagen, daß Röntgenstrahlen und 
Radium sehr gute therapeutische Mittel sind, welche jeder eklektische Arzt 
kennen und je nach den Indikationen anwenden soll. Es sind keine 
Panacaeen, sondern Adjuvantien, die oft sehr mächtig und oft überhaupt 
nur allein anwendbar sind. Es ist selbstverständlich, daß manchmal Miß- 
erfolge vorkommen. Diese kommen überall in der Medizin vor. Die Ge- 
fahren, Verbrennungen, Dermatitis usw. werden immer genauer erkannt und 
können durch die allzu lange mißachtete Filtrierung vermieden werden. 

Wir hätten die Ansichten und Zitate noch vermehren können. Wir 
hatten sogar durch die medizinische Presse einen Appell an unsere Kol- 
legen gerichtet, um uns Erfolge und Mißerfolge dieser neuen Heilmittel 
mitzuteilen. Wir haben relativ wenig Antworten erhalten. Auch mögen 
uns die Übergangenen verzeihen, wir haben sie nicht absichtlich unerwähnt 
gelassen. Manche von ihnen haben übrigens wahrscheinlich ihre Original- 
arbeiten zurückbehalten, um sie selber auf diesem Kongreß vorzutragen. 

Vor allem bleibt die hämostatische und analgetische Wirkung der 
Röntgen- und Radiumstrahlen bestehen und über diesen Punkt sind die 
zustimmenden Urteile viel zahlreicher als die absprechenden. 

Die Röntgen- und Radiumstrahlen haben also mit Recht in der medi- 
zinischen und chirurgischen Therapeutik der Frauenkrankheiten Bürger- 
recht erworben. Übersetzt von Dr. A. Gunselt-Straßburg i. E. 


Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 
Internat. Medizin. Kongreß, London 1913. 
Mit einem Nachtrag über die Entwicklung der „Hamburger Technik“. 
Von 
Professor Dr. Albers-Schönberg. 


I’ den einleitenden Worten weist Vortragender auf das Problem der thera- 

peutischen Verwertbarkeit der charakteristischen Sekundärstrahlen 
der Metalle hin.!) Durch geeignete Versuchsanordnungen können die 
Experimente des Vortragenden ergänzt und ausgebaut werden mit dem 
Endzweck, eine biologische Skala der charakteristischen Sekundärstrahlen 
der verschiedenen Metalle aufzustellen. Da es nicht ausgeschlossen ist, 
daß auch bei der Mesothoriumtherapie den Sekundärstrahlen eine große 
Bedeutung zukommt, da es ferner durchaus im Gebiet des Erreichbaren 
liegen wird, mittels Röntgenstrahlen erheblichere Sekundärstrahlen- 
wirkungen als bisher zu erzielen, so ist für die Röntgentherapie vielleicht 
auf diesem Wege die Möglichkeit gegeben, die an die Mesothoriumtherapie 
verlorene Position zurückzugewinnen. 

Bei der Abhandlung des Themas: „Gynäkologische Tiefen- 
therapie‘ ist Referent wegen des kaum noch zu übersehenden Materials 
vezwungen, kurz resumierend nur die wichtigsten, sicher gestellten 
J'atsachen hervorzuheben und es der Diskussion zu überlassen, ergänzendes 
Material, aus welchem sich ein kritischer Überblick über den augenblick- 
lichen Stand der Frage gewinnen läßt, herbeizuschaffen. 

Nur selten hat das Auftreten einer neuen Therapie so viel begeisterten 
Zuspruch und entschiedene Ablehnung gefunden, wie die gynäkologische 
Röntgenbestrahlung. Wenn wir jetzt nach Ablauf einer Reihe von Jahren, 
während welcher die Röntgenologie Schritt für Schritt ihren Eroberungs- 
kampf geführt hat, mit Freuden auf eine sicher errungene Position blicken, 
so bleibt der Widerspruch trotzdem noch immer lebhaft und es fehlt 
nieht an Autoren, welche in der Röntgentiefentherapie gynäkologischer 
Krankheiten nur eine vorübergehende Erscheinung erblicken. Wir wollen 
in der heutigen Sitzung unsere gesicherten Errungenschaften Revue 
passieren lassen und feststsellen, in welcher Richtung wir weiter arbeiten 
müssen, um schließlich mit vollem Erfolge durchzudringen. Hierbei 
möchte ich von vornherein betonen, daß wir Röntgenologen nicht im 
Gegensatz zuden Gynäkologen stehen, ganzim Gegenteil sind wir davon fest 
überzeugt, daß nur durch gemeinsames Arbeiten etwas Rechtes geschaffen 








1) Cf. Fortschritte a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen. Bd. XXI, Heft 1. Das 
Problem der Sekundärstrahlentherapie. 


Albers-Schönberg, Referat über d. gynäkol. Tiefentherapie (Myome). 409 


werden kann. Der Gynäkologe hat unbedingt das letzte Wort bei der 
Stellung der Diagnose, bei der Frage nach der Indikation und bei der 
klinischen Beurteilung des Krankheitsverlaufes zu sprechen. Ihm muß 
es ferner zugestanden werden, über die Dauerresultate an der Hand des 
Palpationsbefundes sein entscheidendes Urteil abzugeben. Der Röntgeno- 
loge hinwiederum ist die ausschlaggebende Persönlichkeit bei allen Fragen 
der Technik, der Dosierung, der Beurteilung etwaiger Schädigungen und 
bei anderen mehr. — Sie werden mir zugeben, daß bei einer solchen Ar- 
beitsleistung die Situation durchaus nicht einfach ist; indessen wird der 
gute Wille, den Kranken zu helfen auch dort, wo die Meinungen aufein- 
anderplatzen, ein gemeinsames und nutzbringendes Arbeiten ermöglichen. 

Die Erkenntnis der Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die weib- 
lichen Genitalorgane und damit ihr erfolgreicher Eintritt in die Gynä- 
kologie, ist eine Folge der 1903 gemachten Entdeckung der Einwirkung 
der Strahlen auf die männlichen Keimdrüsen der Tiere (Albers-Schön- 
berg). In der Folge bestätigten Philipp, Brown und Osgood diest 
Erscheinungen auch beim Menschen. Im Jahre 1905 begannen die 
Untersuchungen an weiblichen Tieren durch Halberstädter, Ber- 
gonie, Tribondeau, Recamier, 1906 durch Specht, Krause, 
Ziegler, Lengfellner, Fraenkel, und andere. Diese Forscher wiesen 
übereinstimmend schwere durch KRöntgenbestrahlung hervorgerufene 
Veränderungen an den Ovarien an Tieren nach. Fassen wir die Schädi- 
gungen kurz zusammen, so sind sie makroskopisch charakterisiert durch 
Verkleinerung des Ovarıums. Das wesentlichste ist der histologische 
Befund, nämlich der Schwund der Graafschen Follikel, ferner die Ver- 
minderung der Primordialfollikel und ihre Degeneration. Sodann die 
Veränderung des interstitiellen Gewebes. Ferner der Rückgang der 
Trächtigkeit, vielleicht bedingt durch Bildung toxischer Substanzen, 
welche Fehlgeburten veranlassen können. Die Ovarien sind nach Reiffer- 
scheidt viel radiosensibler als die Testikel, so daß eine Regeneration eines 
einmal zerstörten Follikels nicht möglich ist. Diese Ergebnisse wurden 
von verschiedenen Autoren nachgeprüft und bestätigt. Ich hebe die 
Namen Burckhard, Walter, Hippel und Pagenstecher, Fellner 
und Neumann hervor. Im Jahre 1907 wurden die histologischen Unter- 
suchungen am menschlichen weiblichen Ovarium zuerst von Vera Roo- 
sen vorgenommen. Es folgten 1910 die grundlegenden Arbeiten von 
Faber, Reifferscheidt (1911), Simon und anderen, welche feststellten, 
daß die gleichen Veränderungen wie am tierischen Ovarium auch am 
menschlichen Eierstock durch Bestrahlung erzielt werden. 1910 wies 
Fraenkel einen Einfluß auf den Uterus durch Bestrahlung nach, was für 
die myomatöse Gebärmutter 1910 vom Referenten als wahrscheinlich 


410 Albers-Schönberg, 


hingestellt und 1912 durch Gräfenberg und R. Meyer bestätigt wurde. 
Es liegt auf der Hand, daß gleichzeitig mit dem Bekanntwerden dieser 
Untersuchungen die Veranlassung gegeben war, die Röntgenstrahlen bei 
solchen Affektionen der weiblichen Genitalien anzuwenden, deren Heilung 
mit der Atrophierung der Ovarien Hand in Hand geht oder durch sie be- 
dingt wird. Das sind in erster Linie die klimakterischen Meno- und Metror- 
rhagien, die meist ihr Ende mit der Einstellung der Ovarialtätigkeit 
finden, ferner die Myome, deren Heilung ebenfalls in der Menopause 
zu erwarten ist, und die man früher deshalb nach Hegar in inoperablen 
Fällen durch die Kastration zu heilen bestrebt war. — Außer den er- 
wähnten Erkrankungen hat man auch Versuche andere Affektionen der 
weiblichen Geschlechtsorgane mit Röntgenstrahlen zu behandeln gemacht, 
so das Carcinoma uteri, Ovarialsarkome, Adnexerkrankungen, Kraurosis 
vulvae und anderes mehr. Die Erfolge sind noch zu unsicher, um etwa 
Bestimmtes schon jetzt auszusagen. Ich beschränke mich im wesentlichen 
auf die Tiefentherapie der Myome und lege meinem Referat neben 
eigenen Erfahrungen die in der Literatur veröffentlichten, gut beglaubigten 
Fälle zugrunde. — Ferner werde ich die in Nummer 2 Bd. XX der Fort- 
schritte publizierten statistischen Zusammenfassungen meines früheren 
Mitarbeiters Dr. L. Mohr, welche sich auf 796 Myomfälle erstrecken, 
eingehend berücksichtigen.) 

Über die Priorität der neuen Therapie ist folgendes zu sagen: 

Nach den chronologischen Forschungen von Eymer wurde die erste 
Bestrahlung eines Myoms von F. J. Deutsch im April 1902 vorgenommen; 
die Publikationen dieses Autors erfolgten im September 1904. Überhaupt 
die erste Publikation über Myomtherapie stammt von William James 
Morton und ist am 25. Juli 1908 im New York Med. Record erschienen. 
Er führte die Bestrahlung zum ersten Mal am 4. August 1902 aus. Foveau 
de Courmelles’ erste Mitteilung erschien am 11. Januar 1904 in den 
Mitteilungen des „Institut de France“. Diesen drei Autoren kommt 
wohl so ziemlich gleichmäßig das Recht zu, sich als die ersten Pioniere 
auf dem Gebiet der gynäkologischen Röntgenbestrahlung bei Myomen 
zu betrachten.?) 1905 und 1906 berichteten Laquerriöreund Delherni 
über 30 Fälle mit Menopause und Verkleinerung der Tumoren. Foveau 
de Courmelles und Laquerriere empfehlen 1911 bereits Felder- 
bestrahlung bei Anwendung von Filtern und hohen Dosen. 1906 publi- 
zieren Lengfellner, Goerl, Berdez und Saretzky einschlägige thera- 


1) Die Statistik von Kirstein kam erst nach Drucklegung dieses Vortrages 
in meine Hände. 

2) 1909 veröffentlichte Foveau de Courmelles bereits über 100 Fälle, 
welche günstig beeinflußt waren. 





Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 411 


peutische Resultate. Von 1907 an folgen Publikationen von Manfred 
Fraenkel. 1908 teilt Albers-Schönberg im Ärztl. Verein in Hamburg 
seine ersten Resultate mit und publizierte in den folgenden Jahren weiteres 
Material klinisch-technischen Inhalts auf den Kongressen der Deutschen 
Röntgen-Gesellschaft 1909—1912 gleichzeitig und bald darauf folgten 
Arbeiten von: H. E. Schmidt, Gauß, Muskat, Abel, Frank- 
Schultz, Spaeth, Haenisch, Bergoni6 und Spéder, Savill, 
Marguès, Bartholomew, Hazleton, Krause, Köhler und vielen 
anderen. Ab 1909 erschienen dann die bekannten zahlreichen Mitteilungen 
von Gauß aus der Freiburger Universitätsklinik. 


Auch die Fachgynäkologen beginnen um diese Zeit stetig in größerer 
Anzahl an den Versuchen teilzunehmen. Ich erwähne die Namen Mat- 
thaei, Haase, Spaeth, Prochownick, Seligmann, Veit. Ab- 
1911 erschienen verschiedene Arbeiten von Döderlein, sodann sind zu 
erwähnen: Menge, Kelen, Heynemann, Franz, Klein, Runge, 
Zangemeister, Weber, Falk, Frangue, Sellheim, Jung, 
Frankl, Abel und in letzter Zeit als Verfasser eines ausgedehnten Werkes, 
Eymer. Es ist nicht möglich, bei der Fülle des Materials die Namen aller 
Autoren zu nennen, ich muß mich darauf beschränken diejenigen heraus- 
zugreifen, deren Arbeiten grundlegende oder wesentlich neue Gesichts- 
punkte bringende waren. Auch an oppositionellen Stimmen hat es nicht 
gefehlt, es sei besonders auf dia interessante Arbeit von Henkel über 
Röntgenkastration hingewiesen. Die genannten und nicht genannten 
Autoren bestätigen fast einstimmig die von röntgenologischer Seite be- 
richteten Heilresultate. Sie klären die Frage vom gynäkologisch-klini- 
schen Gesichtspunkt aus, definieren die Indikationen und bringen ein 
mehr oder weniger großes Material geheilter Fälle bei. Ferner wird von 
ihnen die Frage erörtert, wodurch die Heilung erzielt wird und welche 
Nachteile resp. Vorteile die Röntgentherapie gegenüber den operativen 
Maßnahmen gewährt. 


Nach diesem allgemeinen Rückblick auf die Entwicklungsgeschichte 
der Röntgentherapie in der Gynäkologie, die bei dem Umfang des Materials 
selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen kann, 
werde ich in großen Zügen die allgemein klinischen Gesichtspunkte 
darstellen. 


Indikationen und Kontraindikationen. 


Auf dem Kongreß 1909 stellt der Verfasser zunächst die nach seinen 
Erfahrungen für die Röntgentherapie günstigen Indikationen auf. Sie 
sind enthalten in den Verhandlungen der Deutschen Röntgen-Gesellschaft 
1909 und lauten folgendermaßen: 


412 Albers-Schönberg, 


Durch dıe Röntgenbestrahlung wird erreicht: 

1. Die Erzielung der Cessatio mensium. Hierdurch wird erstrebt: 

a) Die Verkleinerung von Myomen. 

b) Die Herabsetzung oder Beseitigung der durch die Myome be- 
dingten Blutungen, seien sie menstruell oder intermenstruell. 

c) Die Beseitigung von Schmerzen infolge von Myomen. 

d) Die Beseitigung von präklimakterischer Blutungen oder Schmerzen, 
ohne daß Myome vorhanden sind. 

e) Die Sterilisierung aus gynäkologischen Gründen. 

2. Die Beseitigung von postklimakterischen Blutungen. 

3. Linderung oder Heilung der von Myomen ohne Blutungen aus- 
gehenden Beschwerden im postklimakterischen Alter. 

4. Die Linderung von Menstrualbeschwerden in jedem Alter, wenn 
möglich ohne Sterilisierung, wenn nicht möglich, mit Sterilisierung. 

Im allgemeinen haben die vorstehenden Indikationen bis heute zu 
Recht bestanden, in Einzelheiten sind sie indessen erweitert, zum Teil 
auch eingeschränkt worden. Menge hat auf Grund seiner eigenen Er- 
fahrungen und des in der Literatur niedergelegten Materials im Jahre 
1912 neue Indikationen, speziell für das Gebiet der Myomtherapie auf- 
gestellt. Die Wichtigkeit dieser Mengeschen Tliesen ist für die Röntgeno- 
logie und die Gynäkologie so bedeutend, daß sie in folgenden auszugs- 
weise wiedergegeben werden sollen. 

Menge teilt die Myome in drei Gruppen: 

1. Myome, die keine oder geringe Beschwerden machen und kein 
rasches Wachstum aufweisen. 

2. Myome, die ausgesprochene, aber erträgliche Beschwerden machen, 
aber keine allgemeinen Gesundheitsschädigungen mit sich bringen. 

3. Rasch wachsende Myome, die allgemeine Gesundheitsschädigungen 
hervorbringen, zunehmende Anämie und Störungen im Kreislauf und den 
Harnorganen. 

Bei der Gruppe 2 hält Menge bei älteren Frauen über 40 Jahren, 
Röntgenbehandlung indiziert. 

Von Gruppe 8 werden alle über 40 Jalıre alten Kranken bestrahlt, 
ausgenommen diejenigen, bei welchen beträchtlich werdende Raumbe- 
.chränkungen im kleinen Becken auftreten. Ferner sind ausgeschlossen: 
vereiterte, verjauchte, scheinbar maligne Tumoren, sowie submuköse, 
polypöse Tumoren und Adenomyome. 

Ausgeblutete Frauen mit Störungen im Zirkulationsapparat, Diabetes, 
Nephritis, Schilddrüsenaffektionen, Herzerscheinungen hält Menge ganz 
besonders für die Röntgentherapie geeignet. 

Außor den vorstehend ausgeführten Indikationen, zu welchen noch 


Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 413 


ein Ratschlag von Matthaei 1911 bezüglich Behandlung des arterio- 
sklerotischen Uterus mit Röntgenstrahlen kommt, sind zahlreiche Kontra- 
indikationen im Laufe der Zeit aufgestellt worden, denen die Autoren 
mehr oder weniger beistimmen. 

Kontraindiziert sind: polypöse und gangränöse Myome, ferner solche, 
die mit starker Schleimhautwucherung und Polypenbildung einhergehen, 
sodann zystische, sarkomatöse und karzinomatöse Tumoren, sowie Myome, 
bei denen Verdacht auf sarkomatöse (3—6 Proz.) Entartung und auf 
karzinomatöse Degeneration (7,7 Proz.) besteht (Döderlein). Nach 
Marek sollen alle Beschwerden machenden Myome operativ behandelt 
werden. Prochownick und Klein behalten die submukösen Myome 
der Operation vor. Gauß, Fränkel, Loose und andere bestrahlen 
wjederum solche Tumoren. Fieberhafte Infektion, besonders in der 
Schwangerschaft und im Wochenbett, sowie Stieltorsion geben nach 
Straßmann, Laquerri&re und Delherm eine Kontraindikation ab. 
Vereiterte, verjauchte Myome und Adenomyome, die während der Be- 
handlung wachsen, sowie sehr große und rapide sich vergrößernde Tumoren 
mit Kompressionserscheinungen der Blase und des Mastdarmes, schließen 
Runge, Straßmann und Loose von der Röntgentherapie aus. Ge- 
stielte Myome sind nach Bordier, sowie solche Knoten, die bereits von 
der Scheide aus fühlbar sind, nach Straßmann operativ zu entfernen. 
Eiterige Adnexerkrankungen geben nach Bordier, alte Adnexerkran- 
kungen nach Haenisch eine Kontraindikation zur Myomtherapie ab. 
Am weitesten wird die operative Behandlung zugunsten der Röntgen- 
therapie von Krönig und Gauß eingeschränkt. — Die Operation ist nach 
ihnen angezeigt: 

1. Bei gestielten, aus der Cervix zum Teil ausgestoßenen Myomen. 

2. Bei Verdacht auf gangränöse Myome. 

8. Bei Myomen, die mit einem Schleimhautkarzinom kombiniert sind. 

4. Bei Myomen, bei denen man wegen schnellen Wachstums, starker 
metrorrhagischer Blutungen und erfolgloser Röntgenbehandlung eine 
sarkomatöse Degeneration befürchten muß. 

5. Bei Myomen, welche zu akuter Inkarzeration der Blase geführt 
haben. 

In allen anderen Füllen wird die Radiotherapie als das Verfalıren der 
Wahl anzusehen sein. 

Von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob schwer ausgeblutete 
Frauen der Röntgentherapie unterzogen werden sollen oder nicht. Auf 
Grund von zwei Todesfällen, die zwar nicht im direkten Zusammenhang 
mit der Bestrahlung standen, stellte ich im Jahre 1909 den Satz auf: 
Frauen, die an Myokarditis, Herzschwäche und schwerer Anämie leiden, 


~y 


Strahlentherapio Band III, Heft 2. 27 


414 Albers-Schönberg, 


sind deswegen nicht zu bestrahlen, weil sehr häufig die Blutungen bei 
Beginn der Röntgentherapie sich steigern und dadurch lebensgefährlich 
werden können. Dem ist in der Folge von verschiedenen Autoren vielfach 
widersprochen, ja geradezu der Ratschlag gegeben worden, Frauen, die 
an Anämie, Herz- und Nierenkrankheiten leiden, der Röntgentherapie 
zuzuführen (Menge, Freund, Krönig, Gauß, Fraenkel, Loose, 
Bumm, Eymer, Lorey und andere). Runge nimmt eine Mittelstellung 
ein, indem er bei solchen Frauen die Bestrahlung als Ultimum refugium 
betrachtete. H. E. Schmidt rät zur Vorsicht und Herzkontrolle. Er 
beobachtet einen Todesfall durch Herzschwäche, der allerdings eben- 
sowenig wie meine beiden Fälle der Röntgenbestrahlung zur Last fällt. 
Döderlein zieht es vor, ausgeblutete Frauen zu operieren. Da seit den 
von Spaeth, Schmidt und mir publizierten unglücklich verlaufenen 
Fällen trotz der unzähligen Röntgenbestrahlungen keine weiteren Todes- 
fälle bekannt geworden sind, so glaube ich jetzt, daß die veröffentlichten 
Fälle nicht die genügende Beweiskraft haben, um derartig ausgeblutete 
Frauen dauernd von der Röntgenbestrahlung zurückzuhalten. Ich rate 
deswegen in Übereinstimmung mit den meisten Autoren vorsichtig zu 
Werke zu gehen, die Kranken möglichst in der Klinik zur Zeit der Periode 
im Bett zu halten und alle Vorkehrungen für eine Tamponade oder Ope- 
ration zu treffen. Die Zukunft wird lehren, ob Blutungen und Herz- 
schwäche zu den Indikationen oder Kontraindikationen zu zählen sind. 
Von größter Bedeutung ist die Feststellung der Altersgrenze. Hier 

sind die Autoren ziemlich einer Meinung. Als untere Grenze wird 39 Jahre 
von Bordier, 40 von Laquerrière und Delherm, Eymer und Hae- 
nisch, 80—35 von Dietlen und Runge angegeben. Es wurden nach 
Runge amenorrhoisch von den Patientinnen im Alter von 

31—35 Jahren 483 Prozent 

36—40 j 31 5 

41—45 5 50, 

46—50 = 82 P 

51—55 5 85T y 

Nach meinen Erfahrungen eignen sich die Frauen Ende der 40er 

Lebensjahre, und besonders solche, die älter sind, in erster Linie für die 
Bestrahlung. Je näher das Individuum dem natürlichen Eintritt der 
Klimax steht, um so schneller und sicherer wirken die Röntgenstrahlen. 
Bei Jüngeren Individuen müssen wir die erforderliche Dosis wesentlich 
erhöhen und sind auch dann nicht imstande, mit Sicherheit Rezidive zu 
verhindern. Im übrigen ist das gelesentliche Auftreten von Rezidiven 
nicht von Bedeutung, da man imstande ist, durch richtig geleitete Nach- 
behandlung auch bei Jüngeren Frauen zu einem befriedigenden Resultat 


Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 415 


zu kommen. Wichtig ist die von Runge und Fießler geäußerte Be- 
fürchtung, daß bei solchen Frauen, bei denen eventuell noch einmal eine 
Gravidität zu erwarten wäre, eine Schädigung des Eies oder Entwicklungs- 
anomalien eintreten könnten. Positive Tatsachen sind in dieser Richtung 
meines Wissens bisher nicht publiziert worden. 


Einwirkung der Strahlen auf die Myome. 


(Schrumpfungen und Blutungen.) 


Von größter Wichtigkeit ist die Beseitigung der durch die Myome 
hervorgerufenen Druckbeschwerden und Blutungen. Auf letztere kommen 
wir weiter unten zu sprechen. Zunächst soll mit wenig Worten auf die 
Verkleinerung der Geschwülste eingegangen werden. 

Anfangs wurde von Röntgenologen und Gynäkologen eine Schrum- 
pfung der Myome infolge der Bestrahlung bestritten. Jetzt herrscht 
völlige Übereinstimmung in dieser Frage, nachdem durch zahlreiche 
Publikationen nicht allein eine Verkleinerung der Tumoren, sondern auch 
ihr völliges Verschwinden einwandsfrei nachgewiesen worden ist. Deutsch 
und Morton berichteten schon 1902 über Verkleinerungen. Ihnen schlie- 
Ben sich unter zahlreichen anderen als erste Bordier, Foveau de Cour- 
melles, Guilleminot, Laquerri&re und Delherm an. Auch Re- 
ferent konnte seit 1908 Verkleinerungen einwandsfrei feststellen. 1910 
veröffentlichte Gauß zehn Fälle, welche sich nach kurzer Zeit erheblich 
verkleinert hatten. Im gleichen Sinne publizierten Faber, Krause, 
Kaestle, Bardachzi, Matthaei, Prochownick, Spaeth, Kelen, 
Zöllner und Zippel. Runge konstatierte absolut sichere Verkleine- 
rungen in 25%. Immelmann dagegen sah Verkleinerungen nur selten. 
Abel beobachtete nach großen Dosen Verkleinerungen und Auftreten 
von Verwachsungen. Mit Recht weist Fraenkel auf die Debatte der 
Wiener Medizinischen Gesellschaft hin, in welcher über die Verwachsungen 
nach Bestrahlungen von Strumen berichtet wurde. Wenn die Beobach- 
tungen von Abel stimmen, so hätten wir hier ein Analogon, welches, 
wenn es sich um Operation vorbestrahlter Myome handelt, von großer 
Bedeutung werden könnte. Ich habe in meinen Fällen rund 45% Ver- 
kleinerungen nachgewiesen, ferner in 18% der Fälle ein vollständiges 
oder nahezu vollständiges Verschwinden der Myome. Hierzu bemerke 
ich, daß unter vollständigem Verschwinden nur solche Fälle zu verstehen 
sind, bei welchen die kombinierte gynäkologische Nachuntersuchung 
keine Reste der anfangs einwandsfrei festgestellten Myome mehr nachweist. 

Ein Wachstum der Myome habe ich bei meinen geheilten Fällen 
keinmal, dagegen bei den gebesserten einmal und bei den noch in Be- 


21* 


416 Albers-Schönberg, 


handlung befindlichen zweimal beobachtet. Hierher gehört auch der 
von H. E. Schmidt publizierte Fall, bei dem trotz günstiger Wirkung 
der Röntgenstrahlen auf die Blutung, erhebliches Größenwachstum des 
Myonıs zu konstatieren war. In diesem Fall steht indessen die Frage 
noch offen, ob eine Kombination mit Sarkom oder Karzinom vorliegt. 
Siegel konstatierte bei 36 bestrahlten Myomen 3/, Jahr nach der Behand- 
lung, 20 mal vollkommenes Verschwinden, in den übrigen Fällen starke 
Verkleinerung (zit. nach Gauß). Köhler berechnet die Verkleinerungen 
auf 30%, Fraenkel sah Schrumpfung der Myome bei °/, seiner Fälle. 

Die vorstehenden statistischen Daten dürften genügen, um die Ver- 
kleinerung der Myome nach Röntgenbestrahlung als wissenschaftlich 
sichergestellte Tatsache zu erklären. Das Schwinden der Myome findet 
in den meisten Fällen sehr langsam statt. Den ersten Erfolg zeigen die 
Patientinnen selbst an, indem sie mitteilen, daß das Gefühl von Schwere 
und Vollheit im Leibe, sowie der Druck auf Blase, Mastdarm und Zwerch- 
fell geringer wird. Der Grad der Verkleinerung ist je nach der Art und 
dem Alter der Geschwülste wechselnd. Atembeschwerden sowie An- 
schwellung der Füße beim Gehen nehmen häufig so sehr ab, daß die 
Patientinnen von ihrem Leiden vollständig befreit werden. Die Figur 
wird wieder schlanker, und nicht selten hört man die Angabe, daß die 
Kleider enger gemacht werden müssen. Auch vor erreichter Amenorrhoe 
beobachtete ich ein Kleinerwerden der Myome. Dieses bestätigen auch 
Laquerriöre und Delherm, Loose, ferner Spaeth, Runge und 
Haenisch. Die sich unter der Bestrahlung schnell verkleinernden 
Myome zeigen manchmal besondere Neigung zu starker menstrueller 
Blutung. Erst nachdem ein erheblicher Schwund des Tumors eingetreten 
ist, werden die Menses schwächer, um schließlich ganz aufzuhören. Sehr 
oft findet man nach langer Zeit, ein oder mehrere Jahre, bei Nachunter- 
suchung geheilter Patientinnen, daß die Myome nachträglich erheblich 
zurückgegangen sind. Bei manchen Frauen schwinden sie vollkommen, 
bei anderen werden sie so klein, daß sie keine pathologischen Erschei- 
nungen mehr hervorrufen. Starre und wenig bewegliche Uteri und Adnexe 
werden oft wieder ausgiebig beweglich. Die Röntgenstrahlen zeigen in 
diesen Fällen eine ausgesprochene Nachwirkung, die sich nicht nur 
auf Monate, sondern auf Jahre hinaus erstreckt und zur Rückbildung 
großer Tumoren führen kann. Manche Myome verkleinern sich nicht, 
jedoch werden sie gelegentlich weicher. Eine Anzahl von Myomen ver- 
kleinert sich auch bei intensiver Therapie nicht, trotzdem können die 
Blutungen völlig aufhören und die Druckbeschwerden geringer werden 
oder gar verschwinden. 

Die Verkleinerung der Myome findet statt: 


Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 417 


1. auf dem Wege über die Ovarien, analog der Verkleinerung in der 
Klimax oder nach chirurgischer Entfernung der Eierstöcke; 

2. besteht eine direkte elektive Einwirkung auf die Tumorzelle. 
Dieses ist anfangs vielfach bestritten worden, kann nunmehr aber als 
sicher angenommen werden. 1910 stellte ich diese Tatsache bereits als 
wahrscheinlich hin. In einigen meiner Fälle jenseits der Menopause 
konnte ich eine Verkleinerung und ein Weicherwerden der Geschwülste 
beobachten. Diese muß man bei der schon vor Jahren vollständig ein- 
getretenen senilen Atrophie der Ovarien wohl mit Sicherheit als eine 
direkte Wirkung auf die Myomzellen deuten. Bestätigt wurde die An- 
sicht durch Gräfenberg und R. Meyer. Letzterer konnte bei ganz 
kleinen, bindegewebearmen Myomen eine bedeutende Hypertrophie der 
bindegewebigen, neben auffallendem Schwund der muskulären Elemente 
nachweisen. Laquerriöre und Delherm 1912 nehmen unter besonderen 
Bedingungen eine Einwirkung auf die Myome selbst an. Sie sind der 
Ansicht, daß junge Myome besser reagieren als alte. Besonders Myome 
mit reichem Gefäßnetz atrophieren analog den Angiomen. Auch nach 
Runges Ansicht dürfte dieses Verhalten mit Recht als eine direkte Wir- 
kung auf die Tumorzelle angesehen werden. Wetterer wies eine Ein- 
wirkung auf die Myome durch Schwellung und Gefäßverschluß nach. 
Eymer hat den Eindruck, daß besonders schnell wachsende Tumoren 
einer raschen Rückbildung fähig sind. Nach ihm und anderen sind die 
Zellen mit lebhafter Proliferation radio-sensibler als die ruhenden, eine 
Beobachtung, die sich mit den röntgenologisch-biologischen Erfahrungen 
deckt. Die Volumenabnahme bei noch bestehenden Blutungen ist nach 
Eymer ein Beweis dafür, daß auch das Tumorgewebe direkt geschädigt 
wird. 

Wodurch die mangelhafte Rückbildung oder das Stationärbleiben der 
Myome in ihren Größenverhältnissen bedingt ist, wissen wir zurzeit nicht. 
In einzelnen Fällen konnte Eymer Kalkdurchsetzung der Geschwülste 
nachweisen. Das refraktäre Verhalten ist in Vergleich zu stellen mit 
dem Verhalten der Kankroide, die auch durchaus nicht in allen Fällen 
auf die Röntgenbestrahlung reagieren. 


Die Beseitigung der Blutungen. 


Je nach der Art der Myome handelt es sich um metrorrhagische und 
menorrhagische Blutungen. Beide sind durch die Röntgentherapie günstig 
zu beeinflussen und zu heilen. Je nach dem Falle sucht man bei jüngeren 
Individuen durch Beseitigung der Metrorrhagien einen normalen Men- 
struationstyp herbeizuführen oder, was besonders bei älteren Frauen in 
Betracht kommt, eine vollständige und dauernde Amenorrhoe zu erzielen. 


418 Albers-Schönberg, 


Schon Morton beobachtete 1902 die Umwandlung der Menorrhagien 
in normale Perioden. Die Arbeiten von Laquerriöre, Guilleminot. 
Bardachzi, Spaeth, Jaugeas und anderen bestätigen die Beob- 
achtungen von Morton. Bereits 1907 veröffentlichte Foveau de Cour- 
melles unter 58 Fällen 52 mit Erfolg erzielte Amenorrhoen. Im allge- 
meinen bestätigen die Autoren in ihren Publikationen diese Ergebnisse. 
Laquerriöre, Guilleminot und andere betonen, was auch Jetzt noch 
maßgebend sein dürfte, daß bei jungen Frauen die Amenorrhoe schwerer 
als bei älteren zu erreichen ist. Fraenkel sah die Menorrhagien schon 
nach wenigen Bestrahlungen geringer werden. Aus der Beobachtung 
meiner Fälle ergibt sich ebenfalls die größere Schwierigkeit, bei jugend- 
lichen Individuen das Sistieren der Menses zu erreichen, dagegen lassen 
sich die intermenstruellen Blutungen auch bei solchen Frauen gut beein- 
flussen. In der Mehrzahl der Fälle beobachtet man nach der ersten und 
zweiten Bestrahlungsserie eine beträchtliche Zunahme, bisweilen ein zu 
frühes Eintreten der Periode. Die Patientinnen geben an, daß die Menses 
ungewöhnlich stark und andauernder, bisweilen schmerzhafter, bisweilen 
weniger schmerzhaft als gewöhnlich gewesen seien. Erst nach längerer 
Bestrahlung nimmt die Intensität ab. Die Intervalle werden länger, die 
einzelnen Perioden geringer und kürzer, so daß allmählich bei Schwinden 
der intermenstruellen Blutungen eine normale Oligomenorrhoe eintritt. 
Diese ist bisweilen dauernd, bisweilen, namentlich bei jüngeren Frauen, 
nur vorübergehend. Es rezidivieren die alten Zustände, wenn nicht 
energische Nachbehandlung, die dann allmählich zu vollem Erfolg führt, 
einsetzt. Die Verstärkung der Periode im Beginn der Behandlung wird 
von verschiedenen Autoren bestätigt. So z. B. schon 1904 von Foveau 
de Courmelles, Laquerriöre und Guilleminot. Sie mahnen zur 
Vorsicht bei Fällen von wesentlich verstärkter Blutung. Straßmann 
sah außerordentlich starke Blutungen nach der ersten Bestrahlungsserie. 
Goerl geht sehr langsam in der Behandlung vor, da er bei kräftig ein- 
setzender Therapie eine vermehrte Menorrhagie befürchtet. Frank 
Schultz und Schindler sahen keine Verstärkung der Blutungen beı 
Beginn der Behandlung. Bisweilen beobachtet man eine Veränderung 
des Menstrualblutes. Dieses wird nicht unter Schmerzen und Übelkeiten 
in geronnenem, klumpigem Zustande, sondern unter geringen Beschwerden 
dünnflüssig und hellrot abgesondert (Albers-Schönberg). In vielen 
Fällen wird es genügen, bei erreichter Oligomenorrhoe, falls keine Druck- 
symptome bestehen, die Behandlung als beendet zu betrachten. Beı 
älteren Frauen dagegen ist die Erzielung einer völligen Amenorrlve 
wünschenswert, dagegen nicht immer zu erreichen. So beschreibt Ey mer 
einige Fälle, bei welchen irreguläre Blutungen nicht vollkommen ver- 


Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 419 


schwanden, wo sich vielmehr hin und wieder geringe Absonderungen 
blutig-seröser Flüssigkeit einstellten. Es gibt auch zweifellos Menorrhagien, 
welche der Röntgentherapie dauernd widerstehen, wie dieses unter anderen 
von Haenisch, Wetterer und mir beschrieben worden ist. Es ist 
ferner auf die Statistik von Runge hinzuweisen, der unter 96 Fällen 
15,6% unbeeinflußbare Fälle hatte. Am leichtesten sind natürlich die 
Patientinnen zu heilen, welche in oder unmittelbar vor dem Klimakte- 
rium stehen. Bei ihnen bedarf es nur eines Anstoßes, um den natürlichen 
Eintritt der Menopause zu beschleunigen und damit die definitive Besei- 
tigung der Blutungen zu erreichen. Die physiologische Erklärung für die 
geschilderte Beeinflussung der Blutungen präzisiert Flatau mit folgen- 
den Worten: „Die Wirkung der Röntgenstrahlen ist ein Reiz im Sinne 
der Schädlichkeit. Nach dem Gesetze Frank Schultz’ kennen wir 
seine drei Stadien: 1. den Reiz der Zelle, 2. die Lähmung der Zelle, 3. den 
Zelltod. Bei Berücksichtigung dieser Tatsachen ist denn auch das Ver- 
halten der bestrahlten Frauen jederzeit erklärlich. Erklärlich sind die 
initialen Metrorrhagien als Ausdruck des Reizes auf das Ovarium, die 
nur periodischen Heilungen mit Rückfall, wenn bei nicht genügend langer 
Dauer und mangelnder Strahlenquantität der Follikelapparat nur gelähmt 
wird und endlich die dauernde Amenorrhoe als ganz natürliche Folge des 
Eierstocktodes im Sinne der Funktion .. .“ 

Die Verstärkung der Blutungen im Anfang der Röntgenbehandlung 
erklärt Gauß in Übereinstimmung mit dem Vorstehenden durch zu ge- 
ringe Dosierung und empfiehlt Erhöhung der Strahlendosis. 

Von größter Wichtigkeit ist die Bestimmung des Körpergewichtes 
und des Hämoglobingehaltes. Übereinstimmend wird berichtet, 
daß bei Abnahme der Blutungen die Gewichtsverhältnisse sich bessern 
und der Hämoglobingehalt steigt. Ich beobachtete in einem Falle das 
Heraufgehen des Hämoglobins von 80% auf 90%. Eymer sah bei fast 
allen Patientinnen Zunahme des Körpergewichts und des Hämoglobin- 
gehaltes, z. B. von 15 auf 55%, von 80 auf 50%, von 20 auf 45%. Man 
sollte diese Hämoglobinbestimmungen in keinem Falle unterlassen, da 
sie in diagnostischer und prognostischer Beziehung einen wertvollen 
Fingerzeig geben. Frauen, deren Hämoglobingehalt andauernd unver- 
ändert niedrig bleibt, erwecken den Verdacht, daß es sich nicht um ein 
reines Myom, sondern um eine maligne Neubildung handeln könnte. Es 
muß indessen hervorgehoben werden, daß auch bei völlig einwandsfreien 
Myomen, die in ihrer Größe durch die Bestrahlung herabgesetzt sind, und 
bei denen die Blutungen sowie die Beschwerden beseitigt wurden, trotzdem 
ein niedriger Hämoglobingehalt waiter bestehen kann (Albers-Schön- 
berg). Dieses trifft namentlich bei Frauen der ärmeren Bevölkerungs- 


420 Albers-Schönberg, 


klasse zu, die nicht imstande sind, während oder nach der Behandlung 
für die allgemeine Kräftigung des Körpers das Nötige zu tun. 


Ausfallserscheinungen. 


Die Ausfallserscheinungen sind in den von mir beobachteten Fällen 
stets milde gewesen, jedenfalls haben die Patientinnen keine nennens- 
werten Klagen geführt. Hierin stimmen die meisten Autoren überein. 
Reifferscheidt betont, daß die Ausfallserscheinungen, wenn langsam 
vorgegangen wird, gering seien. Diesem pflichtet auch Wetterer bei. 
Sippel, H. E. Schmidt, Kaestle, Kienböck, Pfahler, Haenisch, 
Nemenow und andere konstatieren ebenfalls das milde Auftreten der Aus- 
fallserscheinungen. Bordier vermutet, daß ihre Geringfügigkeit sich 
dadurch erklärt, daß die Röntgenstrahlen keine völlige Insuffizienz der 
Ovarien bedingen, daß vielmehr die Drüsenfunktion erhalten bleibt. 
Menge sah im Gegensatz zu den eben erwähnten Autoren, häufig bei 
Jüngeren Individuen schwere Ausfallserscheinungen, weshalb er die The- 
rapie erst vom 40. Lebensjahre an für indiziert hält. Auch Jung und 
Dietlen berichten von starken Ausfallserscheinungen bei jüngeren Pa- 
tientinnen unter 40 Jahren. Goerl beschreibt unangenehme Ausfalls- 
erscheinungen bei Anwendung höherer Dosen und Abkürzung der Behand- 
lungszeit. Wir sehen also, daß die Beobachtungen über das mehr oder 
weniger heftige Auftreten verschieden sind. Es scheint aber bei Betrach- 
tung der ganzen vorliegenden Literatur doch überwiegend die Auffassung 
dahin zu neigen, daß die Röntgenstrahlen bei nicht allzu forzierter Applı- 
kation keine oder geringe Ausfallserscheinungen bedingen. Ich stimme 
Reifferscheidt darin zu, daß die langsame Überführung in die Klimax 
für die Patientinnen das beste sei. Das Auftreten von Wallungen, Herz- 
klopfen, Transpiration usw. ist als günstiges Zeichen für einen erfolgreichen 
Verlauf der Behandlung anzusehen. 


Allgemeine Erscheinungen. 


Die Röntgenbehandlung zeigt sich von wesentlicher Einwirkung auf 
das Allgemeinbefinden der Patiertinnen. Ganz besonders günstig wird 
etwa bestehender Fluor beeinflußt. Ich konnte im Jahre 1909 mitteilen, 
daß, falls es sich nicht um Ausflüsse infektiöser Natur handelt, diese im 
Laufe der Bestrahlung vollständig verschwinden. Das gleiche beobachtete 
Fraenkel, der in 14 Fällen Fluor albus ausheilen sah. Ihm stimmt 
Krause, Eymer, Haenisch bei. Runge beobachtete im Anfang der 
Behandlung zunächst Verstärkung, dann völliges Verschwinden des Fluor. 
Die Herztätigkeit wird nach den meisten Mitteilungen günstig gestaltet. 
Ob sich das sogenannte Myomherz wirklich bessert, ist noch nicht mit 


Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 421 


Sicherheit zu entscheiden, Krause bestreitet dieses entschieden. Kelen 
sah Herzklopfen und Ödeme verschwinden, Eymer und andere beob- 
achteten deutliche Besserung der Herzbeschwerden. Daß sich der Hämo- 
globingehalt wesentlich hebt, ist bereits besprochen worden. Hiermit 
geht Hand in Hand die Besserung der Gesichtsfarbe, sowie auch die all- 
gemeine Veränderung des Gesamthabitus, worauf H. E. Schmidt hin- 
weist. Krause beobachtete günstige Beeinflussung von Asthmaanfällen, 
Kelen Beseitigung von Atemnot. Haenisch konnte nervöse Beschwer- 
den, physische Depressionen und allgemeine Unlustgefühle verschwinden 
sehen. Auch auf den Darm wird in vielen Fällen erfolgreich eingewirkt. 
Ich sah hartnäckige Obstipationen vorübergehen, was auch von anderer 
Seite (Haenisch) bestätigt wird, desgleichen bessert sich etwa vorhan- 
denes Erbrechen und Übelkeit. Von lokalen Veränderungen wäre noch 
auf die von Kelen beschriebene senile Verengerung der Vagina hinzu- 
weisen. Als unangenehme Nebenwirkung ist der von H. E. Schmidt 
beobachtete sogenannte ‚„Röntgenrausch“ zu erwähnen, ein Zustand, 
der bisweilen auftritt und sich durch Müdigkeit und eine gewisse Benom- 
menheit kennzeichnet. Auf ihn folgt dann bisweilen der von Gauß zuerst 
beschriebene „Röntgenkater‘‘, in welchem die Frauen sich mehr oder 
weniger elend fühlen, über Kopfschmerzen und Übelkeit klagen. Nach 
Hans Meyer beruht diese Affektion auf einer etwa 24 Stunden anhalten- 
den Leukozytose, die nach etwa 400 X pro Sitzung auftritt. Beim Über- 
schreiten dieser Dosis, d. h. beim Überspringen der sog. Reizdosis und 
Applikation der Lähmungsdosis tritt der „Röntgenkater‘ nicht auf. 
In der von Gauß beschriebenen Form wurde diese Erscheinung nicht 
von allen Autoren konstatiert. Dietlen sah weder Röntgenrausch, 
noch Röntgenkater, dagegen leichte vasomotorische Erscheinungen im 
Anschluß an die erste Bestrahlung. Verschiedene Autoren, wie Fraenkel, 
Albers-Schönberg, Immelmann, Kaestle, Haenisch haben ge- 
legentlich vorübergehende Müdigkeit, Kopfschmerz, eventuell auch Übel- 
keit und Schwindel, ohne dieses indessen mit Sicherheit auf die Bestreh- 
lung zurückführen zu können, beobachtet. Jedenfalls war die Intensität 
nicht groß genug, um die Affektion als gleichbedeutend mit dem Gauß- 
schen ‚Röntgenkater‘“ betrachten zu können. Immelmann stellte 
gelegentliches Auftreten von Diarrhoen fest. Wetterer sah ebenfalls 
in einzelnen Fällen Diarrhoen und Erbrechen. Fraenkel konstatierte 
zweimal das Eintstehen einer Zystitis nach kräftiger Bestrahlung. 


Schädigungen. 


Von größter Bedeutung ist das Verhalten der Haut. Hier spielen 
sich in erster Linie die sichtbaren Schädigungen ab, die unter Umständen 


422 Albers-Schönberg, 


zu schwerer Belästigung der Kranken und unangenehmen Folgen für die 
Ärzte führen können. Im Anfang der Röntgentiefentherapie gynäkolo- 
gischer Leiden sind Fälle von Hautverbrennungen häufiger vorgekommen; 
in der letzten Zeit dagegen hat die Entwicklung der Technik, sowie die 
Vorsicht der behandelnden Ärzte Wandel geschaffen, so daß wir nur 
selten von Verbrennung hören. Unter meinen Fällen habe ich eine eigent- 
liche Verbrennung nicht erlebt. Vorübergehende Rötung, ein kräftige: 
Erythem, eventuell Haarfollikelschwellung und Reizung, welche abblaßten 
ohne in eine Verbennung überzugehen, zeigten sich gelegentlich. Einmal 
bemerkte ich ein schnell heilendes Wundwerden des Nabels bei einer 
Patientin, deren Haut sehr empfindlich war. Oft trat in den Fällen, 
welche eine Rötung gezeigt hatten, im späteren Verlauf eine mehr oder 
weniger intensive Bräunung ein, welche bisweilen, manchmal erst nach 
Monaten oder Jahren, Teleangieektasien zeigte. Dietlen sah unter 
8 Fällen nur einmal eine Dermatitis. Haenisch konstatierte unter 40 
Fällen 18 mal objektive oder subjektive Veränderungen, 4 mal deutliche 
Reaktionen, zweimal nässende Dermatitis mit konsekutiven Teleangie- 
ektasien nach Jahresfrist. Die Hautschädigungen sind jedenfalls in erster 
Linie durch eine vorsichtige Technik zu vermeiden. Seitdem ich als 
Filter Leder und Aluminium kombiniert benutze, ist mir keine Rötung 
der Haut mehr zu Gesicht gekommen (vgl. Nachtrag). 

Leider hat die neuaufstrebende gynäkologische Tiefentherapie einen 
erheblichen Schlag erlitten, als im Jahre 1912 Desplats, d’Halluin, 
Speder, Bordier und dann Iselin Spätschädigungen ohne vorher- 
gehende Reizerscheinungen der Haut publizierten. Diese Schädigungen 
bestehen in gangränösen Geschwüren, welche ohne vorhergegangene Der- 
matitis, nach 6 bis 10 Monaten auftreten. Sie beruhen nach Speder auf 
Intimaläsionen der Gefäße. Bis jetzt sind außer den von genannten 
Autoren publizierten Fällen ähnliche Vorkommnisse in der Röntgen- 
literatur nicht niedergelegt worden. Allerdings ist zu bedenken, daß die 
Zeit, seit welcher mit hohen Dosen gearbeitet wird, noch nicht lang genug 
ist, um schon jetzt in dieser Beziehung zu einem bestimmten, sei es be- 
stätigenden oder ablelınenden Resultat kommen zu können. Von außer- 
ordentlicher Wichtigkeit sind ferner die Veröffentlichungen von Regaud, 
Nogierund Lacassagne vom Oktober 1912, die einwandfrei an Hunden 
nachwiesen, daß durch intensive Röntgenbestrahlung die Magen- und 
Dünndarmschleimhaut in Mitleidenschaft gezogen werden. Im Jejunum 
wurde beträchtliche Atrophie der Zotten und Lieberkühnschen Drüsen, 
sowie Schädigungen der lymphoiden Elemente der Schleimhaut fest- 
gestellt. Das Epithel der Zotten war aufgelockert und vom Stroma dureh 
ein fibrinöses Exsudat getrennt. Ferner fand sich Schwund des Epithels 


Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 423 


und Verdichtung des Stroma. Nach hohen Dosen konnte innerhalb 
einiger Tage das restlose Verschwinden der Drüsen festgestellt werden. 
Diese Tierversuche mahnen zu großer Vorsicht, denn nach allem, was 
wir wissen, ist die Wirkung der Röntgenstrahlen auf den tierischen und 
menschlichen Organismus völlig die gleiche. Bestätigungen dieser Be- 
funde bei Frauen, welche der gynäkologischen Tiefentherapie unterzogen 
worden sind, liegen bis jetzt nicht vor. Es sei ferner, worauf v. Jacksch 
wohl als erster hingewiesen hat, an die Möglichkeit erinnert, daß durch 
Röntgentiefenbestrahlungen die blutbildenden Organe schwer in Mit- 
leidenschaft gezogen werden können. Hierfür spricht auch die im Anfang 
der Bestrahlung beobachtete vorübergehende Leukozytose, auf welche 
der Gaußsche Röntgenkater nach H. Meyer zurückzubeziehen ist. 
Es ergibt sich aus den zitierten Arbeiten, sowie aus der Wahrscheinlich- 
keit, daß die Röntgenstrahlen Schädigungen der Gefäße und blutbildenden 
Organe hervorrufen können, die ernste Mahnung, in dieser Richtung 
eifrig weiter zu forschen und ganz besonders solche Frauen, welche 
längere Zeit der Röntgentherapie unterzogen worden sind, Jahrelang 
bezüglich ihrer Zirkulation und blutbildenden Organe in Beobachtung 
zu behalten. 

Von größter Bedeutung für den Erfolg der Therapie, sowie für das 
Auftreten etwaiger Schädigungen ist natürlich die spezielle Technik, auf 
welche der Korreferent zurückkommen wird. Ich möchte nur mit wenigen 
Worten diesen Gegenstand streifen. Wie bekannt, bestehen zur Zeit 
zwei Behandlungsprinzipien, das ältere, die sogenannte „Hamburger 
Richtung‘, nach welchem nur so viele Strahlen appliziert werden als 
unbedingt zum Erfolg nötig sind, ohne Rücksicht auf die Dauer der Be- 
handlung, und das neuere Verfahren, die „Freiburger Richtung‘, die mit 
großen Dosen und schneller Applikation der Strahlen arbeitet und Er- 
folge in kürzerer Zeit zu erreichen strebt. Zwischen diesen beiden Stand- 
punkten gibt es viele Zwischenstufen, je nach der Ansicht und dem Tem- 
perament der Therapeuten. Wenn ich auch die Berechtigung der Ab- 
kürzung der Behandlungszeit durchaus anerkenne und meine Technik 
ınit Vorsicht wie im Nachtrag gezeigt werden wird intensiver gestalte, 
so stehe ich doch im großen und ganzen mit Reifferscheidt, und 
vielen anderen auf dem Standpunkt, nicht mehr Strahlen zu applizieren, 
als unbedingt erforderlich sind. Da ich 78% Heilungen zu verzeichnen 
habe, so liegt für mich zunächst keine Veranlassung vor, wesentliche Än- 
derungen meiner speziellen Technik vorzunehmen. Die von mir gegebene 
Dosis hält sich im Mittel zwischen 60 X bis 100 X, nur in zwei Fällen 
bin ich wesentlich höher, bis 276 und 390 X gegangen, die niedrigste 
Dosis betrug 17 X. 


424 Albers-Schönberg, 


Heilungen und Dauerheilungen. 


Die in der Literatur veröffentlichten Heilungen und Dauerheilungen 
sind durchaus befriedigend und stehen in keiner Weise hinter dem Erfolg 
anderer therapeutischen Maßnahmen zurück. 


Als geheilt betrachte ich die Frauen, bei welchen vollständige Ame- 
norrhoe und Beseitigung aller Nachteile und Beschwerden, welche durch 
die Myome verursacht waren, erzielt worden sind. Ferner solche Fälle, 
bei denen die Beseitigung der Blutungen und Beschwerden bei schon in 
der Klimax befindlichen Frauen dauernd gelang. Schließlich die Wieder- 
herstellung eines normalen Menstruationstyps oder Oligomenorrhoe, mit 
Beseitigung sämtlicher Beschwerden. Diese Bedingungen sind in 383 von 
meinen Fällen (rund 78%) erfüllt worden und zwar mit den besten Dauer- 
resultaten. Meine ältesten Fälle sind 5 und 4 Jahre völlig gesund und 
rezidivfrei; hieran schließen sich die übrigen mit 81/,—1 Jahr, sowie die 
Jüngsten, deren Heilung natürlich erst nach Monaten zählt, bei denen 
man aber unter Berücksichtigung der Ausfallserscheinungen, des Hämo- 
globingehaltes und des Allgemeinbefindens auf einen Dauererfolg rechnen 
kann. Ich erwähne sodann die Statistik von Runge, der von 96 Fällen 
59,3%, Heilungen mit erzielter Amenorrhoe, 84,4%, günstige Beeinflus- 
sungen und 15,6% unbeeinflußte Fälle hatte. Köhler erreichte in 50°, 
Amenorrhoe und in 50% Oligomenorrhoe. Immelmann verzeichnet 
50%, Heilungen, Graeßner 80%, Haenisch 85%, (34 Fälle), Pfahler 
80%, Heilungen, 5% Besserungen, 15%, unbeeinflußt. 

Um einen umfassenden Überblick über die bisher erzielten Resultate 
der Myomtiefentherapie zu erhalten, können die von L. Mohr zusammen- 
gestellten Tabellen dienen. Mohr hat sich der großen Mühe unterzogen, 
so weit es möglich war, sämtliche bis zum 1. Januar 1913 in der Literatur 
niedergelegten gynäkologischen Fälle, bei denen mit der Röntgentherapie 
Versuche gemacht worden sind, zu sammeln und sie tabellarisch zu be- 
arbeiten. Für mein Referat kommen nur die Myomtabellen in Betracht. 
Was diese und die Tabellen der übrigen gynäkologischen Erkrankungen, 
wie Metrorrhagien, maligne Tumoren, Tuberkulose usw. angeht, verweise 
ich auf Bd. XX Nr. 2 der Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgen- 
strahlen, wo das gesamte Material in übersichtlicher Weise veröffentlicht 
worden ist. 

Meine Herren, ich habe versucht, Ihnen nach Möglichkeit einen ob- 
jektiven Bericht über unser augenblickliches Wissen auf dem allgemein 
klinsichen Gebiet der gynäkologischen Tiefenbestrahlung der Myome sine 
ira et studio zugeben. Es war selbstverständlich nicht möglich, alle Autoren, 
die sich an der Ausgestaltung des neuen Verfahrens beteiligten, mit Namen 


Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 425 


aufzuführen. Das Verdienst der Herren, welche unerwähnt blieben, ist 
darum nicht geringer als das der genannten Forscher. 


Wenn ich das Vorgetragene noch einmal zusammenfassen darf, so 
ergeben sich folgende Schlußthesen: 


1. Die gynäkologische Tiefentherapie ist aus der Tatsache hervor- 
gegangen, daß die Röntgenstrahlen eine ausgesprochen deletäre Einwir- 
kung auf die männlichen und weiblichen Keimdrüsen haben. 


2. Die Einwirkung auf die Myome ist in erster Linie eine ovarielle, 
sodann findet mit Sicherheit in einem nennenswerten Prozentsatz eine 
direkte Einwirkung auf die Tumorzelle, gekennzeichnet durch Ver- 
kleinerung oder Verschwinden der Geschwulst, statt. 


3. Die durch die Myome hervorgerufenen Beschwerden werden viel- 
fach wesentlich gebessert oder ganz behoben. Die Blutungen werden in 
normalen Menstruationstyp übergeführt. Oligomenorrhoe oder Ame- 
norrhoe werden erreicht. Das Allgemeinbefinden bessert sich, die Aus- 
fallserscheinungen sind meist gelinde. 


4. Der Prozentsatz vollständiger Heilungen ist ein hoher. Dauer- 
heilungen sind in geeigneten Fällen mit Sicherheit zu erzielen, eine Anzahl 
von Myomen verhält sich refraktär. 


5. Nicht alle Myome eignen sich für die Röntgenbestrahlung. In- 
dikationen, die sich in weiteren und engeren Grenzen bewegen, sind auf- 
gestellt worden und werden im allgemeinen anerkannt. Ein großer 
Prozentsatz der Myome bleibt nach wie vor der Operation vorbehalten. 


6. Die Gefahren für die Haut lassen sich durch eine geeignete Technik 
auf ein Minimum beschränken. Ob Spätschädigungen zu befürchten 
sind, muß die Zukunft lehren. 


Nachtrag Oktober 1918. 


Dio Weiterentwicklung der Hamburger Technik. 


Da trotz verschiedener Publikationen meinerseits bei Erwähnung der 
von mir angegebenen Myomtechnik noch immer das ursprünglich vorge- 
schlagene Verfahren zitiert wird, will ich in kurzem die heute von mir 
benutzte modernisierte, sogenannte „Hamburger Technik“ beschreiben. 
Hierzu bemerke ich, daß einige der Gesichtspunkte, welche sich aus den 
verdienstvollen Arbeiten und Versuchen der Freiburger Schule ergeben 
haben, für meine Methode, wenn auch sehr modifiziert, von Einfluß ge- 
wesen sind. 


426 Albers-Schönberg, 


Ich lehne nach wie vor bei Myomen und klimakterischen Blu- 
tungen die Massendosierung durchaus ab, da sie m. E. überflüssig und 
schädlich ist (Röntgenkater, Spätschädigungen). Mit einer gemäßigten 
Therapie erreiche ich, wie mir die Erfahrung immer wieder von neuem 
bestätigt hat, genau dasselbe, wie mit der Intensivtherapie. Ausgenommen 
sind natürlich die wenigen Myomfälle, welche sich für die Röntgentherapie 
überhaupt nicht eignen. Die von mir erreichten 78%, Heilungen beziehen 
sich auf alle bisher behandelten Fälle. 

Ich beobachtete vorübergehende Erytheme und mäßige Teleangiek- 
tasien, aber niemals eine nennenswerte Hautschädigung. Ferner außer 
sehr selten auftretenden Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit keinen 
Röntgenkater und niemals Spätschädigungen. Meine ersten Fälle sind 
jetzt über 5 Jahre in Beobachtung, also eine Zeit, die wohl ausreichen 
dürfte, um das Auftreten von Spätschädigungen auszuschließen. Die 
Kreuzfeuermethode habe ich in den ersten Jahren der gynäkologischen 
Röntgentherapie häufig verwendet. Ich bestrahlte damals von oben 
senkrecht durch die Bauchdecken und in schräger Linie von rechts nach 
links und umgekehrt. Zur Zeit halte ich die mehrstellige Bestrahlung 
bei Myomen und klimakterischen Blutungen für überflüssig, umso- 
mehr, als die Treffsicherheit viel zu wünschen übrig läßt. Dagegen be- 
nutze ich jetzt mehr als früher, in Fällen, welche einer stärkeren Be- 
strahlung bedürfen, sei es, daß die Zeit für die Behandlung mangelt, sei 
es, daß eine schnelle Beseitigung der Blutung erwünscht ist, die zwei- 
stellige Bestrahlung senkrecht durch die Bauchdecken und senkrecht 
durch das Kreuzbein. Der von mir in der Monatsschrift für Geburts- 
hülfe und Gynäkologie Bd. 36, Heft 1 angegebene Universalapparat 
wird neuerdings so hergestellt, daß die Bestrahlung von oben und unten 
gleichzeitig mit 2 Röhren, die unabhängig von einander betrieben 
werden, möglich ist. Als Stromquelle kommen nach wie vor Induk- 
toren mit variabler Selbstinduktion und Wehneltunterbecher in Betracht, 
nebenbei benutze ich ein dem von Gauß empfohlenen ähnliches Instru- 
mentarium, welches aus einem 50 cm Induktor ohne Luftkühlung, dem 
Ropiquetschen Gasunterbrecher und einem Rhythmeur besteht. Der 
Rhythmeur, welcher bei der Intensivbehlandlung der Karzinome gute 
Dienste leistet, kommt bei der Myomtherapie nicht zur Verwendung, da 
die Tiefentherapieröhren moderner Konstruktion die Beanspruchung mit 
höheren Stromstärken auch ohne Rhythmeur dauernd aushalten. Es ıst 
nicht in Abrede zu stellen, daß die Anwendung des Rhythmeurs Röhren- 
material spart. Wo es auf möglichste Ausnutzung der Zeit nicht an- 
kommt, kann man daher im Interesse des Budgets auch bei Myomen sehr 
wohl den Rhythmeur gebrauchen. Der Gasunterbrecher hat sich für die 


Referat über die gynäkologische Tiefentherapie (Myome). 497 


Zwecke der Tiefentherapie außerordentlich bewährt.!) Er arbeitet ruhig 
und gleichmäßig und gestattet bei geringem primären Stromverbrauch 
eine sehr erhebliche Belastung der Röhre. Wie allen mechanischen Unter- 
brechern haftet ihm der Nachteil an, daß er je nach seiner Benutzung, 
häufiger einer Reparatur und Reinigung bedarf. Es scheidet sich im Innern 
Kohle ab, die das exakte Arbeiten schädigt. 

Als Filter benutze ich jetzt 2 mm Aluminium, welches 3 cm unter 
der Röhre und nicht dicht über der Haut des Patienten angebracht ist. 
Letztere Art ist weniger vorteilhaft, da die Sekundärstrahlen infolge der 
Nähe der Haut zu fürchten sind. Aus Vorsicht lege ich stets ein Stück 
Leder unter die Blende. Filter, welche eine größere Dicke als 2 mm haben, 
halte ich nicht für nötig, da der Gewinn an Halbwertschicht nicht im Ver- 
hältnis zum Energieverlust steht. Zur Abhaltung aller die Haut schädi- 
genden Strahlen genügt bei dem von mir benutzten Fokushautabstand 
2 mm durchaus. Ich habe noch niemals eine Rötung der Haut unter der 
beschriebenen Aluminiumfiltrage auftreten sehen. Den Fokushautab- 
stand habe ich durch Verkürzung des Kompressionszylinders um 10 cm 
auf 28 cm gebracht, im Gegensatz zu 38 cm der älteren Methode. Die 
Gesamtoberflächendosis, welche in einer Myom- oder Hämorrhagiekur 
zur Anwendung kommt, variiert je nach dem Fall zwischen 17 und 390 X 
(Kienböck). Sie entspricht also genau derselben Dosis, welche ich auch 
früher empfohlen habe und welche vollständig ausreichend ist, um in allen 
geeigneten Fällen, richtige Technik vorausgesetzt, den Erfolg zu garan- 
tieren. Selbstverständlich erreiche ich diese Dosis jetzt wesentlich schneller 
als früher, da die Anwendung des Aluminiumfilters pro Einzelbestrahlung 
die Applikation von 4—5 X gestattet. In einer Serie von 4 Bestrahlungen 
appliziere ich im Mittel 16—20 X, also mehr als das Doppelte der alten 
Methode. Als Schemata für die Tiefenbestrahlung empfehle ich zwei 
Verfahren: 

1. Ein langsames für Patientinnen. welche Zeit haben und beı 
denen die klinischen Symptome keine übermäßige Eile verlangen, 

2. ein schnelles für Fälle, die in beschleunigtem Tempo behandelt 
werden müssen: 

Induktor, Wasserkühlröhre oder Gundelachsche Tiefentherapieröhre 
mit stumpfem Brennpunkt. Walter 8, Wehnelt 10, Bauer 9 bis 10, 
parallele Funkenstrecke 38 cm, Halbwertschicht 2 bis 2,5 em, Röhren- 
belastung 2—3 M.A., Fokushautabstand 28 cm, Oberflächendosis unter 
2 mm Aluminiumfilter und Lederfilter pro Serie von 4 je 8 Minuten 
dauernden Einzelbestrahlungen à 4—5 X ca. 16—20 X. 


1) Cf. Janus. Instrumente für Tiefentherapie usw., Fortschritte a. d. G. d. 
Röntgenstrahlen. Bd. XXI, Heft 2 und Heber, Der Betrieb von Röntgenröhren 
mit dem Gasunterbrecher. Strahlentherapie Bd, III, Heft 2. 


428 Albers-Schönberg, Referat über die gynäk. Tiefentherapie. 


1. Langsames Verfahren. 


An 4 aufeinanderfolgenden Tagen je 8 Minuten Bestrahlung, hierauf 
14 Tage Pause. An 4 aufeinanderfolgenden Tagen je 8 Minuten Be 
strahlungen, 14 Tage Pause und so fort. 


2. Beschleunigtes Verfahren. 


Benutzung des vorerwähnten gynäkologischen Spezialinstrumentar:- 
ums für Bestrahlung von oben und unten. Bei Bestrahlung durch das 
Abdomen und das Kreuzbein, entweder hintereinander oder gleichzeitig 
an 4 aufeinanderfolgenden Tagen je 8 Minuten durch das Abdomen und 
je 8 Minuten durch das Kreuzbein. Hierauf 14 Tage Pause, dann in der 
gleichen Weise fortfahrend bis zum Erfolg. 


Aus der Universitätsfrauenklinik Freiburg i. Br. 


Die Strahlentherapie in der Gynäkologie.:) 
Von 
Geh. Hofrat Professor Dr. B. Krönig. 


ach den lichtvollen Darstellungen von Foveau de Üourmelles und 
Albers-Schönberg kann ich mich betreffs der Röntgentiefen- 
therapie in der Gynäkologie relativ kurz fassen. 


Wie bei allen Errungenschaften in der Naturwissenschaft und in der 
Medizin haben wir auch bei der Röntgen- und Radiumbehandlung nichts 
Sprunghaftes; jeder Fortschritt wird vielmehr nur schrittweise unter Aus- 
nützung der Erfahrungen der Vorgänger errungen. Dennoch heften sich 
gewisse Abschnitte in der Entwicklung mit Recht an bestimmte Normen, 
und mit Recht werden in der Röntgenbehandlung der Myome die Namen 
Foveau de Courmelles und Albers-Schönberg in erster Linie genannt 
werden müssen. 


Soeben hat Albers-Schönberg seine Technik und seine Indikations- 
stellung bei der Röntgenbehandlung gutartiger Geschwülste geschildert. 
Die Technik, die Albers-Schönberg in seinen anfänglichen Fällen 
angibt, haben auch wir zunächst befolgt, wie ja Albers-Schönberg 
für uns Deutsche entschieden als Lehrmeister der Röntgenbehandlung in 
der Gynäkologie anzusehen ist. Wenn die Freiburger Klinik entsprechend 
den Untersuchungen von Gauß und Lembcke in vielen Punkten die 
Hamburger Technik variierte, so geschah es deshalb, weil uns die damaligen 
Erfolge nicht ganz befriedigen konnten. Wir leugnen keineswegs, daß ein 
großer Prozentsatz der von uns nach den Vorschriften Albers-Schönbergs 
behandelten Myome und hämorrhagischen Metropathien zur Heilung gebracht 
wurde, aber wir trafen doch auch auf eine verhältnismäßig große Zahl von 
sogenannten refraktären Fällen, die uns die Freude an den sonstigen Er- 
folgen trübte. 


Das Bestreben, diese refraktären Fälle, worunter sich vornehmlich 
Frauen befanden, die noch weit vom Klimakterium entfernt waren, eben- 


!) Referat, gehalten auf dem XVII, Internationalen Medizinischen Kongreß in 
London 1913. 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 25 


430 Krönig, 


falls mit Erfolg anzugreifen, gab uns Veranlassung, die Technik in manchen 
Punkten zu modifizieren. 

Es kann nicht Aufgabe meines Vortrages sein, ausführlich auf die 
Technik einzugehen ; ich möchte nur kurz erwähnen, daß sie im Wesent- 
lichen in der Kombination verschiedener Momente beruht: Nahabstand, 
Filteranwendung und Häufung der Einfallspforten — alles Maßnahmen, 
die den Zweck verfolgen, dem Organismus mit möglichster Schonung der 
Haut große Mengen harter Strahlen einzuverleiben. Die Inkorporation 
relativ hoher Dosen hat nun in der deutschen Literatur zum Teil nicht 
bloß starke Bedenken, sondern intensivsten Widerspruch hervorgerufen. 
Wir geben sofort zu, dal dieser Widerspruch anfangs einer gewissen Be- 
rechtigung nicht entbehrte: denn wenn wir auch allmählich und langsam 
tastend vom Tierversuch zu den Erfahrungen am Menschen übergingen, 
so war natürlich die obere Grenze, die wir noch als unschädlich für das 
normale Gewebe aussprachen, nicht leicht zu bestimmen. Erschwerend 
kam noch hinzu die von einigen Seiten gemachte Beobachtung, daß 
manchmal erst nach 1—2 Jahren eine Spätwirkung eintreten könne. 

Nachdem wir jetzt über eine Reihe von Jahren unsere Fälle, soweit 
wir ihrer habhaft werden konnten, nachuntersucht haben, glauben wir uns 
zu der Annahme berechtigt, daß die von uns gegebenen Dosen von Rönt- 
genlicht wenigstens im ausgewachsenen Körper keine nachhaltigen Schädi- 
gungen anatomischer oder funktioneller Art bedingen. Wohl machen sich 
gelegentlich, wenn auch selten vorübergehende funktionelle Störungen gel- 
tend, so bei Bauchbestrahlungen vorübergehende Obstipation oder vorüber- 
gehende Diarrhöen. Besonders erwähnenswert erscheinen uns die ana- 
tomischen Untersuchungen von Aschoff, welche er bei Karzinomkranken, 
die mit noch viel höheren Dosen als die Myomkranken behandelt wurden, 
anstellte. Sie zeigten, dal abgesehen von gewissen Veränderungen an der 
Leber, die vielleicht ganz unabhängig von den Röntgenintensivbestrahlungen 
entstanden waren, bei der Obduktion sonst im Körper keine histologischen 
Veränderungen an den Organen, die auf die Einwirkung der Röntgen- 
strahlen zurückzuführen wären, erkannt werden konnten. 

Halten wir den Standpunkt für berechtigt, daß eine 2—3jährige 
Nachbeobachtungszeit genügt, um sich ein Urteil über die Wirkung der 
sogenannten Intensivbestrahlung zu bilden, so erscheint uns heute der 
Beweis erbracht, daß Dauerschädigungen der Organe in funktioneller und 
anatomischer Hinsicht wohl zu den allergrößten Seltenheiten gehören. 
Dieser Punkt müßte deswegen besonders erörtert werden, da mit dieser 
Annahme die Anwendung der Intensivbestrahlung steht oder fällt. Wenn 
wir aber eine derartige Spätschädigung nach menschlicher Berechnung 
ausschalten können, so glauben wir sagen zu dürfen, daß bei Myomen 


Die Strahlentherapie in der Gynäkologie. 431 


und hämorrhagischen Metropathien die Art von Bestrahlung, wie sie von 
Gauß und Lembcke geschildert ist, wohl beachtenswert erscheint. Die 
Zahl der refraktären Fälle ist bei ihrer Behandlung noch immer fast 
gleich Null, d. h. es ist uns bisher in fast jedem Falle, allerdings oft 
nach längerer Geduldsprobe gelungen, Amenorrhoe und Kleinerwerden bzw. 
Verschwinden des Tumors zu erreichen. Wir können heute nicht mehr 
sagen in jedem Falle, da wir 3 Fälle haben, bei denen nicht völlige 
Amenorrhoe erzielt ist, sondern ein Zustand eintrat, welcher uns auf das 
Vorhandensein eines submukösen Tumors im Uteruskavum schließen läßt, 
nämlich vorübergehender, ganz leichter Abgang von Blut, ohne daß die 
Menses sich noch deutlich zeitlich ausdrückten. Auf jeden Fall haben 
wir es bisher noch nicht notwendig gehabt, ein Myom, welches wir mit 
Röntgenstrahlen angegriffen haben, nach Einführung der Intensivbestrahlung 
wegen Fortdauer der Blutung zu operieren. Da die Zahl der so be- 
handelten Fälle nun schon das dritte Hundert übersteigt, so glauben wir 
nach dem Gesetz der groljen Zahlen sagen zu dürfen, daß die Röntgen- 
behandlung in der Tat ein fast sicheres Verfahren zur operationslosen Be- 
handlung der Myome darstellt. 

Wenn es gelungen ist, die früher refraktären Fälle heute ebenfalls 
erfolgreich anzugreifen, so scheint mir die Beantwortung der Frage, ob 
Operation oder Stralilenbehandlung bei Myomen und hämorrhagischen 
Metropathien angewandt werden sollte, einfach zu sein. Überall dort, wo 
wir früher die Indikation zur Korpusamputation oder Totalexstirpation des 
myomatösen oder metropathischen Uterus stellten, ist heute die Strahlen- 
behandlung der Operation vorzuziehen. Alle die Einwände, welche man 
früher zugunsten der Operation und zuungunsten der Röntgenbehandlung 
ins Feld führte, wie starke Ausfallerscheinungen, Hautschädigungen und 
anderes mehr, sind heute als widerlegt zu betrachten. Uns sind Haut- 
schädigungen anfänglich nicht erspart geblieben, aber wir dürfen bestimmt 
sagen, daß uns nach Ausbildung der Technik keine Hautschädigungen 
mehr vorgekommen sind. Die Ausfallserscheinungen sind nach der Röntgen- 
behandlung im Vergleich zu denen nach der Exstirpation des Uterus nicht 
größer, sondern vielmehr geringer. 

Für die Operation bleiben nach wie vor diejenigen Myome reserviert, 
bei denen man früher die Indikation zur Myomenukleation stellte, das 
sind vornehmlich die Fälle, bei denen man das Myom in Zusammenhang 
zu bringen glaubt mit einer vorhandenen Sterilität, und wo man zum 
Zweck der Erzielung der Fertilität die Myomenukleation ausführte; ferner 
auch manche derjenigen Fälle, in denen bei jugendlichen Individuen ein 
isoliertes, leicht ausschälbares submuköses Myom ausschließlich Drucksym- 
ptome auf Nachbarorgane bedingt hat. 

28* 


432 Krönig, 


Mit der Röntgenbehandlung der Myome und hämorrhagischen Metro- 
pathien ist nun neuerdings ein anderes, auf Strahlenbehandlung beruhendes 
Verfahren in Konkurrenz getreten, nämlich die Behandlung der Myome 
und hämorrhagischen Metropathien mit Radium und Mesothorium. Die 
weitgehende Analogie in der Wirkung radioaktiver Substanzen mit der 
Wirkung der Röntgenstrahlen forderte ja notgedrungen zu derartigen ver- 
gleichenden Untersuchungen heraus. Ohne Zweifel gebührt den Franzosen 
das Verdienst, auf dem Gebiete der Radiotherapie bahnbrechend gewesen 
zu sein. Ich erwähne nur die Namen Oudin und Verchère, Domi- 
nici, Wickham, Dégrais und Chéron. 

Wir haben an der Freiburger Frauenklinik bisher in 125 Fällen von 
hämorrhagischen Metropathien und Myomen anstelle der Röntgenbehand- 
lung die Mesothoriumbehandlung gesetzt. Wenn ich, soweit es möglich 
ist, aus diesen Erfahrungen schlußfolgern darf, so möchte ich das Urteil 


im Folgenden zusammenfassen: Die Mesothoriumbehandlung — über die 
Radiumbehandlung sammeln wir erst neuerdings Erfahrungen — birgt 


schließlich ebenso wie die Röntgenbehandlung gewisse Gefahren in sichı. 
Bei Überdosierung und bei ungenügender Abfilterung der weichen Strahlung 
(«- und ß-Strahlen) können zweifellos Hautschädigungen eintreten. Wir 
erachten es daher für richtig, in Jedem Falle bei Anwendung radioaktiver 
Substanzen die æ- und P-Strahlung durch entsprechende Filterung aus- 
zustatten. Die Anwendung des strahlenden Präparats kann in der Weise 
geschehen, daß die radioaktiven Substanzen für eine bestimmte Zeit auf 
die Bauchdecken oder in die Scheide gelegt werden, oder daß die Meso- 
thoriumkapsel intrauterin eingeführt wird. Bei letzterer Behandlung tritt 
die erwünschte Amenorrhö wohl am schnellsten ein, doch hat die intrau- 
terine Behandlung vielleicht eine Gefahr in sich, die wir in 2 Fällen er- 
leben mußten: eine Verklebung des Zervikalkanals infolge örtlicher Reiz- 
wirkung. Beide Fälle sind übrigens nach Durchstoßung eines feinen neu- 
gebildeten Häutchens im Zervikalkanal vermittelst der Uterussonde schnell 
zur Ausheilung gekommen. 

Der Vorteil der Mesothoriumbehandlung vor der Röntgenbehandlung 
scheint uns nun darin zu liegen, dal Ausfallerscheinungen allem Anschein 
nach geringer auftreten als bei der Röntgenbehandlung. Fehlen tun sie 
aber auch bei der Mesothoriumbehandlung nicht ganz. Es scheint uns 
weiter, als ob die Röntgenbehandlung bei abdomineller Einwirkung den 
Vorteil hätte, dal die größeren Tumoren schneller und intensiver verkleinert 
würden als durch die Einwirkungen radioaktiver Substanzen. Während 
wir weiter bei der Röntgenbehandlung schon über Dauerresultate verfügen, 
die denkbar günstige zu nennen sind, müssen wir uns bei der Kürze der 
bisherigen Beobachtungszeit betr. der Dauerresultate bei der Anwendung 


é 


Die Strahlentherapie in der Gynäkologie. 433 


radioaktiver Substanzen bisher vorsichtig ausdrücken; immerhin haben wir 
bisher noch keine Enttäuschungen erlebt. 

Die durch Reifferscheidt, Bondi, Aschoff und andere Autoren 
bewiesenen histologischen Veränderungen des Ovariums nach Einwirkung 
des Röntgenlichts und radioaktiver Substanzen ließ es angezeigt erscheinen, 
auch bei Geschwülsten des Ovarıums das Röntgenlicht und die radio- 
aktiven Substanzen zur Einwirkung kommen zu lassen. Wir haben bei 
größeren Adenokystomen in Fällen, in denen wegen Herzfehler oder Bron- 
chitis eine Kontraindikation zu ihrer operativen Behandlung bestand, durch 
Strahlenbehandlung Erfolge zu erzielen versucht. Wir müssen aber ge- 
stehen, daß wir abgesehen von ganz kleinen zystischen Geschwülsten in 
allen Fällen Mißerfolge zu verzeichnen haben; ja trotz Anwendung größter 
Dosen sind z. B. Pseudomucincystome schnell weiter gewachsen. 

Während wir bei der Behandlung gutartiger Geschwülste der Gebär- 
mutter, der Myome, heute schon über Erfolge verfügen, die der Strahlen- 
behandlung ein großes Gebiet sichern, stehen wir in der Behandlung bös- 
artiger Geschwülste vermittelst strahlender Energie noch mitten in der 
Diskussion. Dennoch wird Niemand leugnen wollen, daß auch hier schon 
erfulgversprechende Resultate vorliegen. Wir dürfen es als erwiesen an- 
schen, daß sowohl das Röntgenlicht als auch die radioaktiven Substanzen 
eine spezifische Einwirkung auf Karzinom- und Sarkomzellen haben: wir 
dürfen es auch als erwiesen ansehen, daß es vermittelst radioaktiver Sub- 
stanzen und Röntgenlicht gelingt, ohne wesentliche Schädigung des benach- 
barten gesunden Gewebes Karzinomzellen zu zerstören. Wir dürfen es 
ferner als erwiesene Tatsache betrachten, dal Röntgenlicht und radioaktive 
Substanzen bei entsprechender Fixierung in der Lage sind, nicht blob 
oberflächlich liegende, sondern auch tiefer im Organismus gelegene 
Karzinome spezifisch zu beeinflussen. Die von Perthes wohl zuerst be- 
schriebenen destruktiven Veränderungen im Zellaufbau eines an der Ober- 
tläche liegenden Karzinoms nach Einwirkung von Röntgenlicht und radio- 
aktiven Substanzen, wird in ganz gleicher Weise auch bei tieferliegenden 
Karzinomen beobachtet. Ich erwähne die von Aschoff beschriebenen 
histologischen Veränderungen an einem durch die Bauchwand hindurch 
bestrahlten Magenkarzinom. Daß natürlich ceteris paribus das in der Tiefe 
liegende Karzinom schwerer zu beeinflussen ist, wie das an der Oberfläche 
gelegene, ergibt sich ohne weiteres aus dem physikalischen Gesetz, daß die 
Energie der strahlenden radioaktiven Substanz im Quadrat der Entfernung 
abnimmt. Dieser Energieverlust kann bei tieferliegenden Tumoren oder 
in den größeren Organen eingeschlossenen Karzinomen so groß sein, daß 
die Einwirkung auf die Karzinonzelle nicht mehr nachweisbar ist. So ist 
wohl zu erklären, daß z. B. umfangreiche Karzinome des Ovariums, karzi- 


434 Krönig, 


nomatöse Metastasen an inneren Organen sich, wie es scheint, der Ein- 
wirkung des Röntgenlichts und der radioaktiven Substanzen völlig entziehen. 
Je mehr das Karzinom der strahlenden Energiequelle genähert wird, um 
so deutlicher tritt die spezifische Wirkung der strahlenden Energie auf die 
Karzinomzelle hervor. Daher die so verblüffend wirkenden Einwirkungen 
hoher Dosen von Mesothorium speziell bei Scheiden-, Vulva-, Zervix-, 
Uterus- und Rekumkarzinomen. Von allen Seiten sind die Resultate be- 
stätigt, daß bei entsprechender Filterung und Anwendung hoher Mengen 
radioaktiver Substanzen in Verbindung mit gefilterten Röntgenstrahlen 
Karzinome an den oben erwähnten Stellen oft so beeinflußt sind, daß alle 
von ihnen ausgehenden Symptome, Jauchung und Blutung verschwinden. 
daß z. B. an Stelle eines blumenkohlartigen Gewächses eine glatte Narbe 
tritt, in der auch bei tiefer Inzision kein Karzinom histologisch mehr 
nachweisbar ist. Daher die allseitig bestätigte Erfahrung, daß bei Korpus- 
karzinomen durch Einführung einer entsprechend gefilterten Mesothonun- 
kapsel das Karzinom soweit verschwinden kann, daß bei später nachfolgender 
Kurettage kein Karzinom mehr zu finden ist. Alle diese Resultate können, 
ähnlich wie nach operativer Entfernung des Karzinoms, Augenblickserfolge 
sein; wir besitzen erst dann ein abschließendes Urteil über die Einwirkung 
radioaktiver Substanzen und des Röntgenlichts auf tieferliegende Karzinone, 
wenn wir eine längere Beobachtungszeit besitzen, die sich mindestens über 
einen Zeitraum von 4—5 Jahren erstreckt. Wie diese Resultate ausfallen 
werden, entzieht sich natürlich bei der Neuheit des Verfahrens noch unserer 
Kenntnis. Denn wenn auch die Behandlung des Karzinoms mit Röntgen- 
licht und radioaktiven Substanzen schon viele Jahre zurückreicht, so sind 
doch Beobachtungen von Fällen, die mit der heute geforderten Tiefen- 
bestrahlung bei Abblendung der weichen Strahlung längere Zeit behandelt 
und genügend lange nachbeobachtet worden sind, so selten, daß wir aus 
ihnen weitere Schlüsse noch nicht ziehen können. 

Die an der Freiburger Klinik beobachteten Fälle liegen im längsten 
Falle nur 1®/, Jahre zurück, erlauben also in der Hinsicht auch noch 
keinen bindenden Schluß. Wenn sich die Freiburger Klinik trotzdem für 
berechtigt hält, nach Aufklärung der Patienten oder ihrer Angehörigen. 
die dem Tast- und Augensinne zugängliche Karzinome, die eventl. noclı 
operabel sind, mit der Strahlenbehandlung anzugreifen, so wird sie hierzu 
durch die Nachbeobachtung operativ behandelter Fälle geführt. Die geradezu 
trostlosen Dauerresultate nach operativer Behandlung der Scheide-, Vulva-. 
Zervix- und Mastdarmkarzinome zwingen uns m. E. dazu, endlich ein- 
mal auf anderem als operativem Wege den Kranken zu helfen. Leisten 
wir denn wirklich unseren Kranken einen Dienst, wenn wir bei einem 
primären Scheidenkarzinom eine Resektion der Scheidenpartie, Resektion 


Die Strahlentherapie in der Gynäkologie. 435 


des Mastdarms mit Exstirpation des Uterus und der Ovarien ausführen, 
um schließlich bei der Nachkontrolle nach 4 Jahren sehen zu müssen, 
daß über 95%, dieser Fälle wieder rezidiviert sind? Die absoluten Hei- 
lungsziffern nach Vulvakarzinomoperationen sind noch trauriger. Um eine 
absolute Heilungsziffer von 20% bei Zervixkarzinomen zu erreichen, 
müssen wir Operationen ausführen, die eine primäre Mortalität von 
15—25% haben. Die Rektumkarzinome sind nicht nur trostlos hinsicht- 
lich der Dauererfolge, sondern auch trostlos in funktioneller Beziehung. 
Es soll nicht geleugnet werden, daß zirkuläre Mastdarmresektionen wegen 
Karzinom hie und dann mit annehmbarer Kontinenz ausgeführt werden. 
Im allgemeinen aber ist das Leben nach solchen Operationen eine trübe 
Leidenszeit. Ich spreche hier nicht von Operationen, die ich ausgeführt 
habe, sondern von operativen Resultaten, hervorragender Mastdarmope- 
rateure, die ich später zu beobachten Gelegenheit hatte. 

Wir verlieren also wirklich nicht viel, wenn wir versuchen, operable 
Fälle zunächst einmal mit der Strahlenbehandlung anzugreifen. Wir 
können heute nur die Hoffnung aussprechen, daß uns die Dauerresultate 
nicht ebenso enttäuschen, wie die Dauerresultate nach operativen Ein- 
griffen. Sollte dieses aber wirklich der Fall sein, was heute noch niemand 
voraussehen kann, dann wird der Strahlenbehandlung in der Form der 
Intensivbestrahlung als Nachbehandlung operierter Karzinome immer noch 
ein weites Feld bleiben. Denn es scheint mir doch bis zu einem ge- 
wissen Grade erwiesen zu sein, daß es hierdurch gelingt, prophylaktisch 
weitgehendst einem Rezidiv vorzubeugen. Es mag, wie ich dieses Jahr 
schon auf der Hallenser Gynäkologenversammlung erwähnte, Zufall sein, 
daß von 20 Fällen von Karzinomen, darunter von Ovarialkarzinomen, 
Zervix- und Rektumkarzinomen, die ich über längere Zeit hindurch mit 
der Röntgenintensivbestrahlung und Mesothoriumapplikationen nachbe- 
handelt habe, besonders günstige Resultate vorliegen. Bei den schlechten 
Dauerresultaten, die ich sonst nach operativer Entfernung von Karzinom 
des Genitalapparates erlebt habe, erscheint mir das Resultat so merk- 
würdig, daß ich es auch an dieser Stelle wiedergeben möchte. Von den 
21 Karzinomen, deren Nachbeobachtungszeit in 9 Fällen schon über 
2 Jahre beträgt, hat sich ein Fall der Kontrolle entzogen; in allen anderen 
20 Fällen ist bisher ein Dauerresultat zu konstatieren. 

So fehlerhaft ein überschwenglicher Enthusiasmus in der Strahlen- 
behandlung der Karzinome wäre, ebenso fehlerhaft wäre es, sich durch 
jedes Fehlresultat entmutigen zu lassen. Es mag sein, daß manche Hoff- 
nung in der Strahlenbehandlung des Krebses durch die Dauerresultate 
schwer enttäuscht werde, es mag sein, daß mancher Kritiker, der heute 
tatenlos der Strahlenbehandlung zusieht, mit seinem Pessimismus bei der 


436 Krönig, Die Strahlentherapie in der Gynäkologie. 


Karzinombehandlung in gewissem Sinne Recht behält. Nie und nimmer 
gebührt ihm deswegen ein Verdienst. Ohne einen gewissen, der Kritik 
natürlich nicht entbehrenden Optimismus ist noch kein Fortschritt in der 
Wissenschaft und Technik erzielt worden. Der hämische Kritiker, der 
sich nur an den Mißerfolgen freut, kann entbehrt werden, ohne daß des- 
wegen unsere Wissenschaft eine Einbuße erleidet. Hätten sich in den 
letzten 2 Jahren die Strahlentherapeuten durch die geradezu vernichtenden 
Kritiken erster deutscher gynäkologischer Autoritäten in ihrer Schaffens- 
freudigkeit einschüchtern lassen, wir besäßen heute nicht die in ihren 
Resultaten so glänzende, und für die Kranken so segensreiche, operations- 
lose Behandlung der Myome und hämorrhagischen Metropathien. 


Radium und Uterus-Krebs.') 


Von 


Prof. Dr. E. Wertheim, Wien. 


er heurige Gynäkologen-Kongreß in Halle hat mit den daselbst ge- 

brachten Mitteilungen über die Heilwirkung von Mesothorium und 
Radium beim Gebärmutterkrebs mächtige Hoffnungen erweckt. Der all- 
gemeine Eindruck war der, daß eine neue Ära der Krebstherapie bevor- 
stehe. Ich selbst zog damals unter diesem Eindrucke einen bereits zur 
Publikation fertiggestellten Bericht über die Erfolge meiner Krebsoperationen 
von der Drucklegung zurück. 


Es ist begreiflich, daß man unter dem Einflusse der allgemeinen Er- 
regung trachtete, sich möglichst rasch in den Besitz von Radium ‘und 
Mesothorium zu setzen und es ist weiter verständlich, daß die vorhandenen 
Mengen dieser Substanzen der enormen Nachfrage nicht genügen konnten. 
In ungemein dankenswerter Weise hat unsere Regierung damals dem 
Radiuminstitute des Allgemeinen Krankenhauses zu der bereits vorhandenen 
Radiummenge ein noch größeres Quantum Radium zur Verfügung gestellt, 
sodaß die Wiener Kliniker hierdurch in die Lage versetzt wurden, sofort 
an die Nachprüfung der in Halle mitgeteilten Resultate zu schreiten. 


Es ist eine auffallende Tatsache, daß sich damals in Halle nicht die 
geringste Opposition geltend machte Der Einwand lag doch so nahe. 
daß es sich bei den dort mitgeteilten Erfolgen nur um vorläufige Resultate. 
nicht aber um Dauererfolge handeln könne, da ja die Zeit der Beol- 
achtung noch eine viel zu kurze war. Ein Grund hierfür mag vielleicht 
darin zu suchen sein, daß man zur Erzielung dieser Resultate eine neue 
Art Radium- bzw. Mesothoriumtherapie in Anwendung gebracht hatte. 
nämlich das Prinzip der großen Dosen bei gleichzeitiger starker Filterung. 
ein Prinzip, welches man von der gynäkologischen Röntgentherapie her 
übernommen und dort als in der Tat außerordentlich wirksam er- 
probt hatte. 


Als mir nun die Aufgabe zuteil wurde, für die Naturforscherversamm- 


lung auf Grund eigener Untersuchungen ein Referat über die Wirkung des 
Radiums auf den Gebärmutterkrebs anszuarbeiten, wählte ich außer 





!) Nach einem auf der 85. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte 
in Wien gehaltenen Vortrag. 


438 Wertheim, 


einer Reihe von weit vorgeschrittenen inoperablen Fällen auch eine Anzahl 
von Fällen aus, die der Operation noch gut zugänglich schienen. Die 
Wahl derartiger guter Fälle war ja der einzige Weg, der bei der Kürze 
der Zeit — mehr wie zehn Wochen hatte ich nicht zur Verfügung — in 
Anwendung kommen konnte. Denn nur wo die nachträgliche Exstirpation 
des Organs vorgenommen werden konnte, war ein halbwegs verläßliches 
Urteil über die Wirkung der Behandlung zu gewinnen und auch da mulj 
man sich noch die Einwendung machen, daß die Behandlung eine relativ 
kurze und rasche war und daß sich vielleicht bei längerer Fortsetzunz 
derselben resp. bei längerem Zuwarten die Resultate günstiger gestaltet 
hätten. 

Bei der Wahl dieses Weges zur Feststellung der Wirkung der Radium- 
bzw. Mesothoriumbehandlung muß man sich darüber im Klaren sein, dab 
die genaue mikroskopische Durchforschung eines ganzen Uterus mit den 
größten Schwierigkeiten verbunden ist und ich möchte gleich von vorn- 
herein betonen, daß wir bei der Kürze der Zeit nicht in der Lage waren, 
erschöpfende Serienschnittuntersuchungen vorzunehmen. Die klinische 
Beobachtung dagegen muß, falls sie zu einwandfreien Resultaten führen 
soll, durch Jahre fortgesetzt werden. Dies gilt auch dann, wenn man 
dieselbe durch wiederholte Probeexzisionen stützt. Wenn auch die Probe- 
exzisionen imstande sind, uns über den Effekt der Behandlung in vielen 
Fällen Aufschluß zu geben, so darf man doch nicht vergessen, daß sie 
ein erschöpfendes Urteil nicht gestatten, indem das exzidierte Stückchen 
meist nur oberflächlichen Partien angehört, während die Vorgänge in der 
Tiefe unaufgeklärt bleiben. Auch ist es uns wiederholt aufgefallen, daß 
die Bilder der Probeexzisionen von einem und demselben Falle wechseln. 
Wo schon beträchtliche Veränderungen der Karzinomstruktur mikroskopisch 
zu konstatieren gewesen waren, kam es vor, daß die mehrere Tage später 
vorgenommene Exzision nur sehr geringe Veränderungen aufwies. Soll 
die histologische Untersuchung einen wirklichen Wert für die Beurteilung 
des Hffektes der Behandlung haben, so ist eben nötig, das Organ als 
ganzes derselben zuzuführen und das ist nur auf dem Wege der nach- 
träglichen Operation zu erzielen. 

Der gleiche Weg, nämlich die mikroskopische Durchforschung des 
nach der Radium- bzw. Mesothoriumbehandlung exstirpierten Organs ist 
auch schon von anderer Seite beim Gebärmutterkrebs angewendet worden. 
Wickham und Degrais, Bumm, Krömer, Döderlein, Krönig 
haben über solche Fälle berichtet; es sind ihrer 18. Wenn wir die dies- 
bezüglichen Mitteilungen genauer prüfen, so ersehen wir, daß in 16 von 
diesen 18 Fällen durch das Mikroskop noch Karzinomreste konstatiert 
werden konnten. Allerdings waren diese Karzinomreste in einzelnen Fällen 


Radium und Krebs in der Gynäkologie. 439 


sehr klein und es erscheint die Hoffnung der Autoren berechtigt, daß es 
ihnen bei weiterer Fortsetzung der Behandlung gelungen wäre, auch diese 
Reste zum Schwinden zu bringen. Aber nur in zwei Fällen war histo- 
logisch eine wirkliche Heilung zu konstatieren, und zwar war dieselbe 
durch ausgedehnte Verschorfungen mit konsekutiver zum Tode führender 
Verjauchung erkauft worden. 


Ein Fall von Wickham (Tuffier), Lazarus Handbuch S. 434: sarkom. Polyp; 
fixierter Uterus, nach zwei Monaten oberabel geworden. Im exstirpierten Uterus 
wird durch das Mikroskop noch lebensfähiges Sarkom nachgewiesen. 

Ein Fall von Wickham und Degrais (Tuffier) (Radiumtherapie S. 249): Ur- 
sprünglich inoperables, durch die Behandlung operabel gewordenes Uteruskarzinom ; 
im Collum uteri noch Karzinom vorhanden. 

Ein Fall von Döderlein (Monatsschr. f. Geb. und Gyn. Bd. 37, H. 3): Der durch 
kombinierte Röntgen- und Mesothoriumbehandlung operabel gewordene Fall wies im 
Parametrium unveränderte Karzinomzellen auf. 

Ein Fall von Bumm (Zentralbl f. Gyn. 1912, Nr. 47): Der von Haendly be- 
strahlte Fall weist weit über die sklerosierte Zone hinaus noch Karzinomnester auf. 

Ein Fall von Krönig (Münch. med. Wschr. 1913, Nr. 7 u. 8): Uteruskarzinom 
wenig beeinflußt. 

7 Fälle von Bumm (Deutsche med. Wschr. 1913, Nr. 22; Münch. med. Wschr. 
1913, Nr. 31): 

a) In 14 Tagen 3950 Milligrammstunden Mesothorium: In der Tiefe, stellen weise 
auch nahe der Oberfläche und in einer 5cm entfernt liegenden Lymphdrüse 
noch gut erhaltene Karzinomzellen. 

b) In 3 Wochen 13,320 Milligrammstunden Mesothorium. Es finden sich im 
primären Tumor kaum mehr gut erhaltene Karzinomzellen. 

c) und d) Weit vorgeschrittene inoperable Fälle, bei. denen der Exitus erfolgte. 
Weitgehende Verjauchung und Nekrose: In beiden Fällen Karzinom nicht 
mehr vorhanden. 

e) In 38 Tagen 582 Röntgen- und 11,420 Milligrammstunden Mesothorium: 
Mikroskopisch winziger Herd zerfallender Zellen in der Uteruswand und 
im Parametrium. 

f) In 48 Tagen 738 Röntgen- und 14,660 Milligrammstunden Mesothorium: 
Mikroskopisch in der Kollumwand zum Teil zerfallene, zum Teil wohlerhaltene 
Karzinomzellen. Eine Lymphdrüse enthält reichlich gut erhaltenes Kar- 
zinom. 

g) In 38 Tagen 612 Röntgen- und 12,290 Milligrammstunden Mesothorium;: 
Mikroskopisch im Orificium internum urethrae kleine Karzinomnester, zum 
Teil geschädigt, zum Teil frischer aussehend. 

6 Fälle von Krömer (Strahlentherapie Bd. 3, H. 1, S. 242): In keinem dieser 
Fälle wurde mikroskopisch Heilung nachgewiesen. Krömer spricht zwar von zwei ge- 
heilten Fällen, doch handelt es sich einmal um ein Vulvakarzinom und in dem anderen 
Falle fehlt jede Angabe über eine mikroskopische Untersuchung. 


Was nun unsere eigenen Erfahrungen betrifft, so liegen diesem Be- 
richt 19 mit Radium behandelte und 3 mit Mesothorium behandelte Fälle 
zugrunde. Von den 19 Radiumfällen waren 9 nach der klinischen Unter- 
suchung zu urteilen als operabel zu betrachten. Ein Fall war ein soge- 


440 Wertheim, 


nannter Grenzfall und neunmal handelt es sich um zweifellose Inopera- 
bilität. Von den 9 operablen Fällen konnten 2 der Operation nicht zu- 
geführt werden, da infolge der Behandlung mit zu großen Dosen schwere 
Verschorfungen auftraten. In dem einen Falle entwickelte sich trotz 
starker Filterung eine rektovaginale Fistel, in dem anderen Falle entstand 
eine Rektumstriktur. In 7 Fällen wurde also die erweiterte abdominale 
Operation ausgeführt. 

Fall 1 (Wo.): Großer Blumenkohl der hinteren Lippe, rechtes Parametriun ver- 


kürzt und verdickt, linkes frei (1700 Milligrammstunden innerhalb 7 Tagen (Ra- 
diummetall). 

Klinischer Effekt: Kolossale Einschmelzung des Blumenkohls (Lumiere- 
platte), Weichwerden des Parametriums. Operation sehr erschwert durch die beträcht- 
liche Hyperämie. Exitus 3 Tage post operationem: Peritonitis. 

Mikroskopischer Effekt: Wohlerhaltene Karzinomreste. (Skizze: Karzinom 
vor und nach Behandlung.) 

Fall 2 (Zu.): Plumpe, höckerige Portio vaginalis. linkes Parametrium 
verdickt. 

3000 Milligrammstunden innerhalb 14 Tagen. 

Klinischer Effekt: Sehr geringe, nur oberflächliche Schorfbildung. 

Mikroskopischer Effekt: Qualitativ kenntlich, quantitativ nicht (2 Mikro- 
photographien). 

Fall 3 (Wö.): Ganz kleine papilläre karzinomatöse Erosion der vorderen 
Muttermundlippe. Parametrium vollkomnien frei. 

2600 Milligrammstunden in kleinen Dosen. 

Klinischer Effekt: Nach 7 Tagen Verschorfung des Ulkus. 

Mikroskopischer Effekt: Kein Karzinom nachweisbar (Tetrander). 

Fall 4 (Wo.): Großer, umschriebener Blumenkohl der hinteren Muttermunds- 
lippe, rechtes Parametrium etwas infiltriert. 

9000 Milligrammstunden in 9 Tagen (große Dosen). 

Klinischer Effekt: Langsames Einschmelzen des Blumenkohls, Parametrien 
beiderseits verkürzt. Allgemeinbefinden schwer alteriert, hochgradige Abmagerungz, 
Tenesmen, blutig-schleimige Abgänge aus dem Mastdarm. Bei der Operation wurden 
frische multiple Verwachsungen zwischen den Dünndarmschlingen und dem Corpus 
uteri nachgewiesen. Das Sectum recto-vaginale erwies sich sulzig infiltriert, das ganze 
Beckenbindegewebe verdichtet, die Ureteren schwer fixiert. Exitus post operationem 
an Peritonitis. 

Mikroskopischer Effekt: Kein Karzinom nachweisbar weder im Uterus noch 
in den Parametrien (Tetrander und 2 Moulagen). 

Fall5 (Spi.): Pilzartige, mächtig hypertrophierte Portio vaginalis, linkes Parı- 
metrium verkürzt. 

14500 Milligrammstunden (große Dosen, über 200 mg auf einmal). 

Klinischer Effekt: Zentraler Schwund mit Kollabieren der Ränder (2 Mou- 
lagen). 

Mikroskopischer Effekt: Quantitativnull(Tetrander), qualitativ die typischen 
Veränderungen, aber nur angedeutet. Die hypogastrischen Drüsen voll von Karzinon:ı. 

Fall 6 (Ku.): Die linke Hälfte der Portio vaginalis und das linke Scheiden- 
gewölbe eingenommen von einer seichten Krebswucherung, linkes Parametrium kürzer 
und dicker. 


Radium und Krebs in der Gynäkologie. 441 


5000 Milligrammstunden (große Dosen). 


Klinischer Effekt: Schwinden des Tumors, an seiner Stelle ein flacher Sub- 
stanzverlust. 


Mikroskopischer Effekt: Teils erhaltene, teils zerstörte Karzinomreste (eine 
‚Skizze vom Sagittalschnitt und eine Skizze vom Querschnitt). 


Fall 7 (Ko.): Kolossales Scheidenkarzinom, von der rechten Wand aus- 
gehend und die ganze Scheide erfüllend. Rechtes Parakolpium infiltriert, der Tumor 
daselbst kaum verschieblich. 

5000 Milligrammstunden (große Dosen). 


Klinischer Effekt: In vier Tagen Karzinom verschwunden, nur mehr ein 
flaches Ulkus vorhanden und nach 11 Tagen das Ulkus um die Hälfte kleiner. 


Mikroskopischer Effekt: Am sagittalen Medianschnitt nur Spuren von zer- 
störten Karzinomzellen (Tetranderskizze) und ebenso an zwei Querschnitten durch die 
rechte Hälfte nur zerstörte Karzinomzellen, die bis hart an das Parakolpium heran- 
reichen (Skizze der zwei Querschnitte). 

Was den einen Grenzfall betrifit, der zur Behandlung kam (Fall 
Scha.), so wurden 27,000 Milligramm/Stunden angewendet. Der kli- 
nische Effekt ist derart, daß das Karzinom selbst geschwunden zu sein 
scheint: auch die mikroskopische Untersuchung eines probeexzidierten 
Stückchens spricht dafür; indessen besteht ein stark jauchender Ausfluß 
und es hat sich rings um den Uterus eine diffuse ödematöse Infiltration 
entwickelt, die Rektalschleimhaut ist stark geschwollen, das Septum rekto- 
vaginale ist verdickt und es besteht starke Prostration, so daß der- 
zeit keine Möglichkeit vorhanden ist, mit Erfolg zu operieren. 


Was die neun inoperablen Fälle betrifft, so haben wir dabei über 
keine eklatanten Erfolge zu berichten. Von anderer Seite wurde zu 
wiederholten Malen ein Schwinden von parametranen Infiltrationen, ein 
Beweglichwerden des Uterus und damit einhergehend ein Operabelwerden 
vorher inoperabler Fälle berichtet, auch Verkleinerung der Tumoren wurde 
mehrfach mitgeteilt. Es besteht kein Zweifel, dal3 man derartige Erfolge 
auch durch andere Behandlungsmethoden erzielen kann. Jede Behand- 
lung eines Uteruskarzinoms, die zu einer Reinigung der exulzerierenden 
und jauchenden Höhle führt, kann unter Umständen eine günstige Ein- 
wirkung auf eventuell vorhandene parametrane Infiltrate ausüben, welche 
ja sehr häufig nichts anderes sind als die Reaktion auf einen derartig 
Jauchigen Prozeß. Auch narbige Zusammenziehung und damit einher- 
gehende beträchtliche Verkleinerungen des Karzinomherdes kommen nach 
der bloßen Exkochleation vor. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die 
Wirkung des Radiums in derartigen Fällen auf nichts anderes zurückzu- 
führen ist, als auf die reinigende Kraft, die das Radium auf jauchende 
Karzinomhöhlen äußert. Ob es eine spezifische Wirkung besitzt, muß der- 
zeit noch offen bleiben. 


442 Wertheim, 


Mesothorium. 
Von mit Mesothorium behandelten Fällen stehen uns nur drei zur 
Verfügung. 


Fall 1 (Br.): Beginnendes, ganz flaches Karzinom unter dem Bilde einer 
papillären Erosion. 

12,875 Milligramstunden (2 Moulagen). 

Klinischer Effekt: Portiooberfläche verschorft. 

Mikroskopischer Effekt: Noch lebensfrische Karzinomgellen (3Photographien: 
1. Karzinom vor der Bestrahlung, 2. Exzision nach der Bestrahlung, hochgradiger 
Effekt, 3. Partie aus dem exstirpierten Uterus, lebensfrische Karzinomnester). 

Fall 2 (Au.): Weit vorgeschrittener Fall mit starker Fixation. 

2,000 Milligrammstunden. 

Klinischer Effekt: Bedeutende Besserung, Parametrium weich geworden, 
Fixation geschwunden. Fall jetzt leicht operabel. Letzte Probeexzision: Keine sicher 
erkennbaren Karzinomzellen. Operation vorläufig verweigert. 

Fall 3 (Be.): An der hinteren Lippe ein nußgroßer Tumor. 

16,000 Milligrammstunden. 

Klinischer Effekt: Tumor verschwunden, an seiner Stelle frischer Schorf. 

Mikroskopischer Effekt: Im Tetranderschnitt von Karzinom nichts zu sehen, 
aber im linken Querschnitt (Skizze) vorn und hinten zum Teil erhaltenes, zum Teil 
zerstörtes Karzinomgewebe in geringer Menge. 


Bei der zusammenfassenden Betrachtung der von uns erzielten Re- 
sultate ergibt sich, daß eine Beeinflussung des Uteruskrebses in allen 
Fällen zu konstatieren war, und zwar sowohl klinisch und makroskopisch 
wie mikroskopisch. Makroskopisch war in einigen Fällen eine verschieden 
rasch zustande gekommene Einschmelzung eines vorhandenen Tumors zu 
beobachten, in anderen Fällen nur Schorfbildung und in solchen Fällen, 
wo es sich um exulzerierende Karzinomhöhlen handelte, war meist eine 
Reinigung und eine Verkleinerung derselben unverkennbar. Mikroskopisch 
konnten die sattsam bekannten und genügend oft beschriebenen Verän- 
derungen festgestellt werden: Verklumpung der Kerne, Pyknose, Auf- 
lösung der Zellstruktur. 

Eine Beeinflussung bis zum vollständigen Schwinden des Tumors resp. 
bis zur Heilung ergab sich nur in den Fällen, in denen es sich um ober- 
flächliche bzw. exophytische Karzinome handelte, und wir haben vorläufig 
den Eindruck, daß wir in den Fällen, in denen wir durch die Radium- 
bzw. Mesothoriumbehandlung das Karzinom zum Schwunde gebracht haben, 
durch relativ geringfügige Eingriffe, wie Exkochleation und Paquelinisation 
oder Amputation der Portio vaginalis dasselbe erzielt hätten. Damit soll 
nicht gesagt sein, daß die Radium- bzw. Mesothoriumbehandlung nicht 
vielleicht doch gewisse Vorzüge bei der Behandlung derartiger Fälle auf- 
zuweisen hat. 

Eine Tiefenwirkung ist gewiß in den meisten Fällen vorhanden, aber 
zweifellos schwer zu berechnen und, wie es scheint, meist unzulänglich. 


Radium und Krebs in der Gynäkologie. 443 


In weit vorgeschrittenen Fällen reicht ja die karzinomatöse Infiltration 
oder Zerstörung oft hoch in den Uterus hinauf, andererseits kann der 
parametrane Zellgewebsraum von der Karzinomwucherung schon erfüllt 
sein. Nach unseren bisherigen Erfahrungen scheint in derartigen Fällen 
ein vollkommenes Verschwinden des Karzinoms durch die Radium- bzw. 
Mesothoriumbehandlung sehr unwahrscheinlich zu sein. Daß das Kar- 
zinom in den regionären Lymphdrüsen zum Schwinden gebracht werden 
könnte, ist bisher von niemand behauptet worden. Eine gewisse Ein- 
wirkung auf dasselbe erscheint nach unseren Erfahrungen allerdings nicht 
ausgeschlossen. 

Haben wir somit bei den bisher von uns behandelten Fällen eine ge- 
nügende Tiefenwirhung nicht konstatieren können, so sind andererseits in 
einer Reihe von Fällen beträchtliche Schädigungen aufgetreten, Schädi- 
gungen, die einerseits den (Gresamtorganismus betreffen, andererseits mehr 
lokaler Natur sind. Erstere äußern sich in allgemeiner Hinfälligkeit, 
Abmagerung, Herzschwäche, Kopfschmerzen, Diarrhoen, Temperatur- 
steigerungen, Aufregungszuständen, Schlaflosigkeit; letztere bestehen haupt- 
sächlich in Verschorfung und Nekrotisierung der Gewebe, die sich leider 
nicht immer auf den primären Herd beschränken ließen, in Infiltration 
des gesamten Beckenbindegewebes, sulziger Verdickung des Peritoneums, 
Entzündung des untersten Dickdarms (Tenesmus), Erschwerung der 
Blasenfunktion, mehr weniger heftigen Schmerzen. 

Zweifellos lassen sich diese Schädigungen bei entsprechender Technik, 
speziell bei entsprechender Filterung stark reduzieren. Bei großen Dosen 
ist aber manchmal auch starke Filterung nicht imstande, diese Schäden 
vollkommen hintanzuhalten. Wir haben den bestimmten Eindruck, daß 
die Radikaloperation nach der Radium- bzw. Mesothoriumbehandlung nicht 
unerheblich erschwert sein kann und daß sie eine größere Mortalität auf- 
weisen wird. Das Operieren gestaltet sich infolge der starken Infiltration, 
der Hyperämisierung und der Sklerosierung des gesamten Beckenbinde- 
gewebes beträchtlich ungünstiger und auch die Alterationen des Allgemein- 
befindens trüben die Prognose der Operation nicht unwesentlich. _ 

Selbstverständlich werden wir dessenungeachtet die Versuche mit der 
Radium- bzw. Mesothoriumbehandlung beim Uteruskarzinom fortsetzen, 
aber in außerordentlich vorsichtiger Weise. Die Technik werden wir in 
Zukunft derart gestalten, daß wir gegen das Karzinom eine Filterung von 
1—2 mm Blei oder äquivalent starke Filter von Piatin bzw. Messing an- 
wenden, gegen die gesunde Umgebung aber Filter von 2—83 mm dickem 
Blei und zum Schutz gegen die Sekundärstrahlung 10—20 Schichten 
Papier, welche mit Gummistoff fixiert werden. Und was die Dosen be- 
trifft, so sind wir geneigt, von den großen Dosen vollkommen abzugehen 


444 Wertlieim, Radium und Krebs in der Gynäkologie. 


und in continuo nicht mehr als 3,000 Milligrammstunden zu applizieren. 
worauf eine mehrtägige Pause einzutreten hat. Das klinische Allgemein- 
befinden: Appetit, Schlaf, allgemeiner Kräftezustand, Blutbild, Darm- und 
Blasenfunktion sind sorgfältig zu kontrollieren. Zweifellos bestehen in 
dieser Beziehung bedeutende individuelle Differenzen. 

Auf keinen Fall geht es an, die operative Behandlung voreilig zu 
diskreditieren, die ja doch bisher die weitaus sicherste Heilungsmethode 
darstellt. Halten wir uns vor Augen, daß über 50 Prozent aller Frauen 
mit Uteruskarzinom, die wir der Operation zuführen, dauernd geheilt 
bleiben. Nur bei vorsichtiger Fortsetzung der Versuche wird es möglich 
sein, Verluste an Menschenleben beim Ausprobieren der Radium- bzw. 
Mesothoriumbehandlung zu vermeiden. 


Einige Betrachtungen über die Röntgentherapie der 
Uterusmyome. 
Von 


Dr. Jaugeas, 
radiotherapeutischer Assistent am Hospital Saint-Antoine. 


ie Röntgentherapie hat in neuer Form eine lange Zeit bei Uterus- 
blutungen und Myomen angewandte Behandlung, die fast verlassen 

. war, wieder aufgenommen, die Kastration. Alle Argumente, welche zum 
Beweise der Berechtigung der chirurgischen Kastration herbeigezogen wur- 
den, können wieder dienen, um die Röntgenkastration zu rechtfertigen. Die 
Haupttatsache, welcher dieser Therapie zur Basis dient und die allgemein 
bekannt ist, ist die spontane Regression der myomatösen Tumoren und 
das Verschwinden der sie begleitenden Symptome nach Eintritt der Meno- 
pause. So zeigt sich ein sicherer Zusammenhang zwischen der Funktion 
der Ovarien und den Uterusstörungen, die wir im Sinne haben: Blutungen, 
Schmerzen, Myome, Uterussklerose, ein Zusammenhang, der notwendiger- 
weise zum Schlusse zwingt, daß die Entfernung der Ovarien eine Behand- 
lungsart dieser Leiden bilden müsse. So ist die chirurgische Kastration 
zu Hilfe gezogen worden, die übrigens viele Erfolge zu verzeichnen hat. 
Die Hegarsche Statistik zeigt, daß unter 28 Fällen 20 mal eine sofortige 
Beseitigung der Blutung erreicht wurde. Rossier behauptet, daß die 
Ovariotomie 100 % Heilungen gibt. Letztere Ansicht ist sicher übertrieben, 
denn die Heilung ist nicht in allen Fällen vorhanden, mancher Uterus, 
der durch wiederholte Blutungen eingreifend verändert wurde, kann von 
sich aus weiter bluten. Diese Tatsachen, welche jede für sich den Wert 
eines Experiments haben, finden eine exakte Bestätigung im mikroskopi- 
schen Befund der Ovarien, welche beim hämorrhagischen Uterus vorkommen. 
Makroskopisch ist das Ovar oft verändert: es ist verkleinert und kystisch 
oder sklerös. Oft hat es auch sein normales Aussehen behalten und die 
Veränderungen sind nur mikroskopischer Natur. Sie sind gebildet durch 
eine bedeutende Vermehrung der Follikelatresien, deren Zahl im normalen 
Zustande gering ist, so daß das mikropolykystische Ovar sich durch eine 
Hyperproduktion von interstitiellen Zellen charakterisiert, also durch eine 
Hypertrophie der Drüse mit innerer Sekretion.!) Diese Hypertrophie findet 


1) Emile Forgue und Massabuan. Die Metrorrhagien der Menopause. 
Ovarielle Metrorrhagien. (La Presse médicale, 28. Sept. 1912.) 


Strahlentherapie Rand III, Heft 2. 29 


446 Jaugesas, 


sich wieder bei den Ovarialveränderungen, welche die Myome begleiten. 
so daß man berechtigt ist, anzunehmen, daß die Entwicklung des Myoms 
durch eine Störung der Ovarienfunktion bedingt ist. 


Diese verschiedenen Überlegungen berechtigen uns vom therapeutischen 
Standpunkte zu dem Schluß, daß man die Ursache der beobachteten Stö- 
rungen trifft, wenn man aufs Ovar wirkt und daß im Gegensatz dazu ein 
nur gegen den Uterus gerichtetes Verfahren nur ein symptomatisches 
Mittel bildet. 


Wir können hierzu eine beweisende Beobachtung beibringen. 


Eine 42jährige Kranke hatte seit 13 Jahren bei der geringsten An- 
strengung Blutungen ; die äußerst reichlich und schmerzhafte Periode zwang 
sie jedesmal zur Bettruhe. Die gynäkologische Untersuchung hatte einen 
sklerösen Uterus ergeben. 


Verschiedene Behandlungen wurden begonnen. Kurettierung: 
die Schmerzen und Blutungen bleiben. Stichelung der Ovarialgegend 
mit dem Spitzbrenner: die Schmerzen werden besser, aber die Blutungen 
dauern an. 


Applikation des konstanten Stromes 5 Monate lang, alle zwei 
Tage eine Sitzung: Die intermenstruellen Hämorrhagien hören 4 Jahre 
lang auf und die Perioden sind regelmäßig geworden. 


Nach 4 Jahren beginnen die kleineren und größeren Blutverluste gleich 
wie im Beginn wieder. 


Dieser Zustand hielt 2 weitere Jahre an, die Kranke, welche die 
Operation verweigert, läßt sich noch 20 Sitzungen konstanten Stromes ap- 
plizieren, worauf die Blutungen aufhören, aber starke Schmerzen zurück- 
bleiben. Gegen letztere wurden Hochfrequenzströme ohne jedes Resultat 
versucht. Nach diesen meist gänzlich unwirksamen therapeutischen Ver- 
suchen griff die Röntgentherapie ein. Unter Einwirkung der Bestrahlungen 
wurden die Schmerzen weniger, die Blutungen seltener und die Perioden 
weniger abundant, so daß nach 5 Bestrahlungen einer jeden Ovarialgegend 
die Zeichen der Menopause sich einstellten: Verschwundensein der Periode. 
Schwindel, Wallungen. Dieses rasche Resultat war ein dauerndes. Seit 
mehr als 3 Monaten hat die Kranke ihr normales Leben wieder aufge- 
nommen und zeigt nicht die geringste Störung mehr. 


Aber die Röntgenkastration ist nicht einfach eine neue Form der 
chirurgischen Kastration. Die Rolle der Röntgenstrahlen wird vervollstän- 
digt durch eine direkte Wirkung auf die Uterusmyome selber. Wir haben 
schon darauf hingewiesen,!) daß die Regression der Fibrome nach der 
natürlichen oder chirurgisch provozierten Menopause nur langsam eintritt, 


1) La Gynécologie, Januar 1911. 


Einige Betrachtungen über die Röntgentherapie der Uterusmyome. 447 


während manche Myome, die mit Röntgenstrahlen behandelt werden, schnell 
eine Volumverminderung zeigen, selbst schon zu einer Zeit, in welcher die 
Ovarialfunktion noch nicht gestört ist und mit ihren gewöhnlichen Charak- 
teren fortbesteht. Es ist deshalb sicher, dal) die Myomelemente manchmal 
eine Labilität zeigen, die groß genug ist, um direkt den Röntgenstrahlen 
eine Wirkung zu erlauben. Diese Sensibilität findet sich am ausgepräg- 
testen bei jungen Individuen mit kleinen, frisch entwickelten Myomen: So 
haben wir ein sehr schnelles und sehr vollständiges Resultat erzielt, das 
von für die Röntgentherapie wenig eingenommenen Gynäkologen bestätigt 
werden konnte, bei 2 Kranken im Alter von 37 und 38 Jahren. Große 
und alte Myome reagieren manchmal, aber ın geringerem Maße und bisher 
haben uns die direkten Bestrahlungen vor und nach der Menopause nicht 
gestattet, ihr vollständiges Verschwinden zu erreichen. 

So zeigt uns die Klinik, gestützt durch histologische Beobachtungen, 
die Röntgentherapie als rationelle Therapie der Hämorrhagien und uterinen 
Schmerzen sowie gewisser Myome. 

Natürlich soll man die Chirurgie nicht ganz vernachlässigen, um 
systematisch nur die Röntgentherapie anzuwenden; beide Methoden sollen 
von nun an ihre speziellen Indikationen haben, die wir hier nicht be- 
sprechen wollen und die besonders durch das Alter der Patientin gegeben 
sind, so daß es beinahe die allgemeine Regel ist, die Röntgentherapie für 
die Personen, die die Vierziger erreicht oder überschrittten haben, zu 
reservieren. 

Wenn alle Leute (wir meinen die Radiotherapeuten und die aufge- 
klärten Gynäkologen) in der Anerkennung der günstigen Wirkung der 
Röntgentherapie einig sind und ihre Indikationen fixiert haben, so ist 
diese Einigkeit noch nicht bezüglich der Technik der Applikation erreicht. 
Die Methoden sind schnell derart mannigfaltig geworden, daß eine voll- 
ständige Regellosigkeit zu herrschen scheint. Wenn man die Gesamtheit 
der von den verschiedenen Autoren erhaltenen Resultate betrachtet, so 
werden wir finden, dal sie alle gleichmäßig günstig sind und doch waren 
diese Autoren beinahe immer bestrebt, eine persönliche Technik anzuwenden. 
Die Resultate bleiben also ungefähr dieselben trotz der Besonderheiten, 
welche die einzelnen Techniken trennen und ihnen den Anschein großer 
Verschiedenheit geben. Es scheint deshalb, wenn man nur die klinischen 
Tatsachen betrachtet und wenn man die Techniken von den theoretischen 
Überlegungen, die sie begleiten, befreit, daß keine von ihnen eine aus- 
schließliche Bevorzugung verdient. Infolgedessen ist es am vernünftigsten, 
besonders diejenigen im Auge zu behalten, welche am einfachsten sind 
und die wenigsten persönlichen Faktoren enthalten. 

Die Röntgentherapie der Fibrome stellt im Grunde nur einen speziellen 

29% 


448 Jaugeas, 


Fall der Tiefentherapie dar und es scheint uns unnötig. für diesen Fall 
uns von den gewöhnlich befolgten Regeln zu entfernen und spezielle Tech- 
niken zu erfinden, deren Interesse nicht immer aus der Bedeutung der 
Resultate ersichtlich ist und ‚bei welchen die bisher ungenügenden Meli- 
methoden es nicht gestatten, die erwünschte Präzision und Sicherheit mit- 
zubringen. Wenn man neue Methoden in die Röntgentherapie einführt. 
darf man nicht voreilig nach einfacher Konstatierung von unmittelbaren Re- 
sultaten, auf ihre definitive Bedeutung schließen; die Zeit bringt manche 
Überaschungen und ändert manches Urteil. 

| Die Verschiedenheiten der Ansichten, denen man begegnet, gehen auf 
die Einführung der Filter in die Technik der Röntgentherapie zurück. Der 
Gebrauch von dicken Aluminiumplatten schien manchen Autoren den Ge- 
brauch von hohen Röntgenstrahlendosen zu erlauben, ohne daB man frülıe 
oder späte Hautreaktionen zu fürchten hätte; so wurden die hohen Dosen 
zur Regel. Die Anzahl der Einheiten hat sich weit über die früher fixierte 
Grenze vermehrt und die Bestrahlungen, die früher vorsichtigerweise streng 
in Abständen vorgenommen wurden, sind häufiger geworden. Die Erfahrung 
lehrte bald, dal die Toleranz der Gewebe stark filtrierten Strahlen gegen- 
über, nicht derart war, als man voraussah und unangenehme Unfälle haben 
sich ereignet. In anderen Fällen schienen hohe Dosen ungefährlich aber nur 
infolge eines Mißverständnisses oder einer fehlerhaften Auslegung. Wir haben 
im Radiometer von Sabouraud-Noirö zur Schätzung der von der Haut 
absorbierten Strahlendosis ein chemisches Reagens, das Bariumplatinzyanür, 
das aber unter dem Einfluß der stark penetrierenden Strahlen Verände- 
rungen erleidet, die für die Haut nicht mehr Effekte von gleicher Grübe 
wie bei nicht filtrierten Strahlen bedeuten. Das Verhältnis zwischen dem 
chemischen und dem Hautreagens, das unter gewissen Bedingungen (Sa- 
bouraudsche Skala) festgestellt wurde, hat in anderen Bedingungen (stark 
filtrierte Strahlen) nicht mehr denselben Wert und erlaubt nicht mehr mit 
Sicherheit, vom einen auf das andere zu schließen. Die Zahl der Einheiten. 
welche durch das Reagens angegeben wird und die von ihm absorbierte 
Strahlenquantität angibt, kann nicht mehr dazu dienen, die von der Haut 
absorbierte Strahlenuantität zu messen. Diese kann nicht vorausgeselien 
werden: Das Absorptionsvermögen des Reagens und dasjenige der Haut 
gehen nicht mehr parallel und ihr Verhältnis ist unsicher. 

Man muß deshalb die willkürlichen Vorschriften, welche die Technik 
gefährlich macht, von sich weisen. Wir erlauben uns die von Holzknecht 
im Jahre 1902 formulierte Regel zu wiederholen, die nichts von ihrem 
Wert verloren hat, besonders da eine lange Erfahrung sie bestätigt hat: 
die auf die Haut applizierte Dosis soll nicht mehrals 10bıs 12H 
pro Monat betragen. 


Einige Betrachtungen über die Röntgentherapie der Uterusmyome. 449 


Diese Regel wurde für eine Strahlenqualität von 6—7 Benoist auf- 
gestellt. Richtig angewandt, war sie der Grundpfeiler der Dosierung in der 
Röntgentherapie. Allerdings ist die Größe der H-Einheit nicht mit aller 
wünschenswerten Präzision definiert und wenn man die Strahlenqualität, 
die für ihre Eichung angegeben wurde, verläßt, so nimmt sie ganz andere 
Werte an. Jedenfalls bleibt sie aber praktisch für den Sprachgebrauch 
und gibt die Möglichkeit, mit genügend großer Sicherheit die Strahlen- 
quantitäten zu messen, um die gefährlichen Dosen zu vermeiden und wirk- 
same Dosen zu verabfolgen. 

Das Dazwischenlegen des Filters darf nicht gestatten, diese Regel zu 
modifizieren: man wird höchstens die Länge der Belichtung variieren 
müssen. Die Aluminiumplatte hält einen bedeutenden Bruchteil der Strah- 
lung zurück, welchen man durch die präzisen Messungen von Guilleminot 
und Belot berechnen kann und dem man bei Schätzung der in der 
Zeiteinheit von der Haut absorbierten Dosis Rechnung tragen muß. Sei 
es, daß es sich um Bestrahlung der Ovarien oder von Myomen oder von 
tiefliegenden Tumoren handelt, immer bringen wir die Bariumplatinzyanür- 
tablette nach den Angaben von Sabouraud-Noire und zwar über dem 
Filter an. Sie wird dann von einer Strahlenqualität getroffen, die nahe 
verwandt mit derjenigen ist, mit welcher sie geeicht wurde und liefert 
dann richtige Vergleichswerte.. Man kennt dann die Menge der einfallenden 
Strahlen. Die Menge der austretenden Strahlen, welche von der Filter- 
dicke und der Qualität der Einfallsstrahlung abhängt, wird mit Hilfe der 
von Guilleminot und Belot berechneten Tabellen bestimmt.!) Die so 
korrigierte Dosis wird bei allen unseren Applikationen auf eine maximale 
Hautdose von 5 H gebracht. Wie wir oben sagten, entspricht die H-Ein- 
heit des von der Haut absorbierten filtrierten Strahlenbündels nicht genau 
der vom Reagens angegebenen Dosis. Tatsächlich aber geht bei Anwendung 
eines Filters von 1 mm Aluminium alles so zu, wie wenn die Haut 5 H 
absorbiert hätte, d. h. eine Dosis, welche immer eine Integrität der Haut 
verbürgt hatte: denn wenn die Bestrahlungszeit, die ihr entspricht, leicht 
überschritten wurde, so erscheint eine leichte Rötung der Haut, die angibt, 
daß die Reaktionsdosis erreicht wurde. 

Auf diese Weise haben wir alle unsere Kranken behandelt, welche 
an Hämorrhagien infolge von sklerösem oder fibromatösem Uterus litten: 
5 H einer Strahlung 7—8 B filtriert durch 1 mm Aluminium. Die Be- 
strahlungen werden auf die Ovarialregion vorgenommen und je nach dem 
Fall auf verschiedene Ausschnitte der Bauchwand, die dem Myom ent- 
sprechen. Jede dieser Regionen erhält 10 H pro Monat in 2 Sitzungen, 


1) Societe de radiologie medicale de Paris, Januar und Februar 1%9. 


450 Jaugeas, Einige Betrachtungen über die Röntgentherapie usw. 


die durch einen Zwischenraum von 14 Tagen von einander getrennt sind 
und wir haben nie andere Hautveränderungen als eine leichte, übrigens 
vorübergehende Pigmentierung beobachtet. 

Was unsere Resultate anbetrifft, so bestätigen sie alle publizierten 
und stehen ihnen nicht in der Schnelligkeit der Heilung nach. Aus der 
Beobachtung von 31 Kranken ergibt sich, daß die Menopause nach 4 bis 
5 Sitzungen für jede Ovarialregion eintrat, wenn die Patientin 60 Jalıre 
überschritten hatte und 7 bis 8, wenn die Patientin nahe an den Vier- 
zigern war. 

Einige Autoren verlangen, dal man nicht zögern soll, die während 
oder nach der Behandlung aufgetretenen Unfälle zu publizieren, damit man 
die einzelnen Methoden nach ihren Folgeerscheinungen beurteilen kann. 
Von uns aus wird dieser Einladung nicht Folge geleistet werden, da wir 
nicht den geringsten Unfall erlebt haben. Es handelt sich dabei keines- 
wegs um Glück und der Zufall spielt dabei keine Rolle. Dieses glückliche 
Resultat muß durch die Anwendung einer vorsichtigen Technik erklärt 
werden, welche auf durch die klinische Erfahrung strenge kontrollierten 
Erfahrungen beruht. Und wenn man bedenkt, dal diese Eigenschaft der 
Methode nichts von ihrer Wirksamkeit nimmt, so kann man einsehen, daß 
es absolut überflüssig war, den Radiologen neue Ausnahmetechniken vor- 
zuschlagen, welche schwere Konsequenzen nach sich ziehen können und 
den großen Aufschwung, den die Radiotherapie der Myome genommen 


hat, gefährden würden. i 
Ubersetzt von Dr. A. Gunselt-Straßburg i. E. 


Die Strahlenbehandlung der Krebse 


auf der III. Internationalen Konferenz für Krebsforschung. 
Von 
Professor Anton Sticker, Berlin. 


ie erste Internationale Krebskonferenz fand 1906 in Heidelberg statt. 

+ Auf ihr berichteten die Forscher zahlreicher Länder über die er- 

folgreichen experimentellen Übertragungen des Krebses von Tier auf 

Tier, Erfolge, welche die erste Bresche in die von einseitig anatomisch- 

histologischem Standpunkte aufgebaute Lehre von der Nichtübertrag- 
barkeit der Krebskrankheit schlugen. 

Auf der II. internationalen Konferenz, welche 1910 in Paris zusammen- 
trat, wurde die Frage der Übertragbarkeit des Krebses weiter behandelt. 
Wertvolle Beiträge über epidemisches Vorkommen von Tier- und Menschen- 
krebs dienten als Stütze der Anschauung von der infektiösen Natur dieser 
schrecklichen Krankheit, wie sie von hervorragenden Klinikern, trotz 
aller Angriffe stets aufrecht gehalten worden war. 

Die III. internationale Konferenz, welche vom 1. bis zum 5. August 
in Brüssel tagte, stand unter dem Eindrucke der Arbeiten von Peyton 
Rous in New York und Fibiger, Kopenhagen, welche unumstößlich 
bewiesen, daß es Krebskrankheiten gibt, welche durch niedere Parasiten 
und übertragbares Virus erzeugt werden und deshalb mit vollstem Rechte 
zu den Infektionskrankheiten zu rechnen sind. 

Aber das Helle, welches sich über die Ätiologie der Krebskrankheiten 
dank der mühevollen Arbeit zahlreicher Forscher vieler Länder auszu- 
breiten beginnt, war nicht das allein Erfreuliche der diesjährigen Kon- 
ferenz. Auch die Heilbarkeit dieser furchtbaren Geißel der Menschheit 
scheint ihrem Ziele näher gerückt. Und zwar ist es vor allem das Radium, 
welches wie für viele Krankheiten, so auch für den Krebs von wunderbarer 
Heilwirkung zu sein scheint. 

Wie von einem Alp befreit atmen die Menschen auf, daß an Stelle 
der Chirurgie eine mildere Therapie sich anzubahnen scheint. Die Er- 
folge der Chirurgie haben die Erwartungen enttäuscht. Einer ihrer be- 
deutendsten Vertreter, Professor Czerny, muß in einem gedruckten 
Schreiben, welches er als Gruß an die Teilnehmer der III. Konferenz 
richtet, bekennen, daß selbst die umfangreichsten Operationen, welche 
bis an die Grenzen des anatomisch Erlaubten gegangen sind und noch 
gehen, nur in etwa einem Viertel der Fälle Dauerheilungen erzielten. 


452 Sticker, 


Die anderen Dreiviertel der Fälle rezidivierten und verlangten dringend 
nach einer Erfolge versprechenden ärztlichen Behandlung. 

Dieses Bekenntnis in Zusammenhang mit dem auf den beiden letzten 
internationalen gynäkologischen Kongressen Gebrachtem, wo nach den 
genau geführten Statistiken eines Wertheim, eines Schauta, eines 
Winter, noch ungünstigere Heilungsziffern vorgebracht wurden, zeigt 
wie erschreckend groß die Zahl der „Enterbten der Chirurgie‘ ist. 

Gegenüber solchen entmutigenden Tatsachen geziemt es um so mehr 
in diesem Bericht an erster Stelle die hervorragenden Ausführungen des 
bekannten Chirurgen, des Professor Witzel-Düsseldorf zu bringen, 
welcher mit gleicher Klarheit die Lage der Chirurgie gegenüber der Krebs- 
krankheit schilderte und die Furcht vor den Rezidiven die Mutter der 
schrecklich verstümmelnden Operationen nannte, jedoch in der ausge- 
dehntesten Verbindung der Chirurgie mit der Radiotherapie Abhilfe für 
die Zukunft sich verspricht. 

Nach dem Gehörten und nach eigener Erfahrung, so führte Witzel 
aus, haben wir für die Geschwulstbehandlung in der Strahlenanwendung 
eine mächtige Gehilfin. Wir sehen täglich die Röntgen-Mesothorium- 
Radiumstrahlen den erwünschten allmählichen Schwund herbeiführen, 
aber auch, besonders beim Cancer apertus, die schnellere Schmelz- und 
Brandwirkung. Die örtliche und allgemeine Chemotherapie wird als 
weitere Gehilfin immer mehr erkannt. Wir dürfen bestimmt hoffen, durch 
Kombination und kritische Weiterbildung dieser Trias dem erstrebten 
Ziele der Krebsheilung näher zu kommen. Für die bisherige, hauptsäch- 
lich mit dem Messer wirkende Chirurgie der Geschwülste vollzieht sich ein 
großer Wandel der Indikation und Prognose. Sehr ausgedehnte und ver- 
wachsene Geschwülste werden durch Bestrahlung kleiner, beweglich, der 
Exstirpation zugänglich. Die Furcht vor den Rezidiven zwingt nicht mehr 
zu entsetzlich verstümmelnden Operationen (Ca linguae) und läßt ein- 
fachere Eingriffe, die wegen der zu großen Rezidivgefahr verdrängt wurden, 
wieder mehr zu (Ca pylori — Ga Resektion — Gasteroenterostomosis). 
Denn schon nach sorgfältiger Röntgenbestrahlung und wohl sicher dank 
dieser blieb das Anwachsen der nachbarlichen Keimsaat aus. In hohem 
Maße wird am Digestionstraktus der Zweck der Ausschaltungsoperationen 
gefördert und gesichert. 

Aber wir sind erst in den Anfängen der Erfahrung mit einem macht- 
vollen neuen Mittel, haben sorgfältig darauf zu achten, nicht zu schaden. 
Wenn nach Übereinstimmung aller in Krönigs absatzweiser Einwirkung 
der höchsten erlaubten Strahlendosis das gebotene Verfahren besteht, 
dann muß die Dosierung quoad quantitatem und quoad noras ungemein 
sorgfältig erwogen werden. 


Die Strahlentherapie der Krebse. 453 


Es ist eine jede Mesothorium- und Radiumkapsel als Individuum 
zu betrachten, begabt mit eigentümlicher Größe und Mischung der Strah- 
lenkraft. Jeder Mensch reagiert anders, an ihm wieder verschieden die 
Gewebsarten, besonders die Neubildungen. Die sogenannte elektive Wir- 
kung ist doch wohl bloß eine Folge der zeitlich verschiedenen Einwirkung 
auf die verschiedenen Gewebsarten und sie erfolgt zum Glück auf die 
Zellen der Geschwülste um so eher, je größer ihre Jugendlichkeit ist. 

Für die Berechnung des Effektes muß neben der Filterung die über- 
aus verschiedene Stärke der exzentrischen und der konzentrischen Wir- 
kung der Strahlenträger andererseits berücksichtigt werden. 

Eingebracht in einen natürlichen oder künstlich angelegten Spalt 
der Geschwulstmasse, intratumoral, kommt der Strahlenträger zu seiner 
Vollwirkung, die als solche am ehesten zu berechnen ist. Die exzentrische 
Wirkung ist stets anzustreben. Mit der Entfernung von der Geschwulst 
nimmt die Masse der zur Geltung kommenden Strahlen, die Dichtigkeit 
außerordentlich schnell ab. — Die auf nachbarlichen Verschleppungen 
wirkende konzentrische Bestrahlung ist ebenso unökonomisch als un- 
berechenbar für den Gesamteffekt und allein für sich nur dann anzu- 
wenden, wenn die zentrale Applikation nicht durchführbar ist. 

Dem Gynäkologen war die exzentrische Bestrahlung von selbst für 
das Carcinoma uteri gegeben. 

Auf dem chirurgischen Gebiete läßt sich dieselbe für größere äußere 
Tumoren leicht bewerkstelligen durch operative Tunnellierung. Nach 
Herausnahme der Strahlenträger Drainage für einige Tage zur Abheilung 
der für den übrigen Körper gefährlichen Schmelzprodukte. Zu äußeren 
Tumoren wurden auch inoperable Karzinome des Unterleibes durch 
Einnähung gemacht, aber nur für Röntgenbestrahlung. Die so ermög- 
lichte wirksame Bestrahlung hatte mit der Gefahr des Lochbrennens zu 
rechnen an den Stellen, wo die inneren auch gesunden Wandungen durch 
die Naht gefaßt, geschnürt wurden. Deshalb muß auch hier die Ein- 
legung der Strahlenquelle in den Kanal der verengenden Geschwulst er- 
strebt werden. Sie läßt sich einfach und sicher ausführen mit Benutzung 
von Schrägkanalfisteln vom Magen aus zum Pylorus, zur Cardia und 
retrogad zum Ösophagus, zu Darmkrebsen hin, in das Innere der Harn- 
blase hinein. 

Beim inoperablen Pylorus-Ca. führen wir die Gastroenterostomosis 
post. an tiefster Stelle des Fundus mit großer Lochbildung aus und fügen 
seit Jahren eine vordere Schrägkanalfistel hinzu, durch welche ein Schlauch 
in den abführenden Schenkel gebracht wird, zur sofortigen Nahrungs- 
zufuhr, zur Meidung des Circulus vitiosus. Früher verlief der Kanal von 
rechts nach links, die vordere Magenwand weit ab vom Ca durchbohrend. 


454 Sticker, 


Jetzt wird er umgekehrt von links nach rechts angelegt, er mündet dicht 
am Ca. Ohne jede Schwierigkeit läßt sich nach 8—10 Tagen von der 
Fistel aus in den stenosierenden Ring eine Bleiröhre einführen, die in ihrem 
abschraubbaren Spitzenteil das Mesothorium trägt. Noch leichter sind 
diese Maßnahmen beim Cardiakarzinom auszuführen und zwar von einer 
Schrägfistel aus, die nach oben an der kleinen Kurvatur zu verlaufen hat 
und auch retrograd beim Ösophaguskarzinom im Brustteile. Hier gelingt 
es hinter dem pulsierenden Herzen her die Sonde, das Ösophagoskop, das 
Bleirohr einzuführen. Ohne Beschwerden liegt letzteres die gewünschte 
Stundenzahl und zwar im Geschwulstkanal selbst, nicht wie gewöhnlich 
beim Einführen von oben in der sackartigen Erweiterung oberhalb der 
Geschwulst. Bei stenosierendem Darmkarzinom legten wir früher vor 
der Enteroanastomose den künstlichen After in einiger Entfernung ober- 
halb, jetzt nahe beim Tumor an, um letzteren von seinem Kanale aus be- 
strahlen zu können. 


Für die exzentrische Bestrahlung der Harnblase kann bei großer, 
das Innere erfüllender Geschwulstmasse der natürliche Weg der Ham- 
röhre, zumal bei Frauen gewählt werden. Handelt es sich um Bestrahlung 
nach Resektionen, nach Ausräumungen, die von einem hohen Blasen- 
schnitte aus geschahen, dann wird nach Schluß der Zystotomiewunde ein 
Schrägkanal an geeigneter Stelle angelegt. Hier sind die weiteren Mani- 
pulationen besonders einfach und leicht. 


So bedarf es, um der neuen Gehilfin guten Zugang bei chirurgischen 
Karzinomen zu schaffen, für die bisher geübten Radikal- und Palliativ- 
operationen nur einfacher Abänderungen. 


Zu der Bestrahlungstherapie gynäkologischer Leiden nahmen Pro- 
fessor Pinkuss-Berlin, Professor Gauß-Freiburg und Dr. Klotz-Tü- 
bingen in längerer Ausführung das Wort. Einstimmig war man der Mei- 
nung, daß es nicht bloß des Besitzes kleinerer oder größerer Mengen der 
radioaktiven Substanzen bedürfe, um als Radiotherapeut etwas zu leisten, 
sondern daß es eingehender Kenntnisse der Natur der radioaktiven Sub- 
stanzen und der Filtertechnik bedürfe, um die für jeden einzelnen Fall 
erforderliche Dosierung anzuwenden und die mit der Bestrahlung ver- 
bundenen Gefahren zu vermeiden. Auch darin waren die Vortragenden 
einig, daß die direkte Bestrahlung mit Radium und Mesothorium in 
manchen Fällen mit der internen Einverleibung chemischer Substanzen 
kombiniert werden müsse, 


So wird nach den Ausführungen von Klotz in der Tübinger Frauen- 
klinik nach orientierenden Versuchen mit kolloidalem Silber und Elektro- 
kupfer jetzt nur noch das Elektrokobalt verwendet in Dosen von 5 bis 


Die Strahlentherapie der Krebse. 455 


10 ccm. Klinische Untersuchungen erwiesen das Mittel in den angege- 
benen Dosen als unschädlich für den menschlichen Organismus; nur muß 
man eine schnelle Injektion in die Blutbahn vermeiden. Nach Anwen- 
dung relativ kleiner Dosen strahlender Energie (ca. 350 X und 1000 mgr 
Stunden Radium) ließ sich bereits eine deutliche Rückbildung bei dem 
Karzinom erkennen und zwar nicht nur an den therapeutischen leicht er- 
reichbaren Scheidenknoten, sondern auch an den weit abliegenden Karzi- 
nomknoten des Beckenbindegewebes. Seit neuestem wurde auch noch 
die Serumtherapie zugezogen: das Serum karzinomkranker Frauen, 
welche auf dem Wege der Heilung sind, wird intravenös eingespritzt. 
Die auf dem beschriebenen Wege erzielten Resultate sind recht gute. 
Da schon nach Applikation von durchschnittlich 1000 X und 3000 bis 
4000 mgr Stunden Radium ganz beträchtliche Rückbildungsvorgänge 
des Karzinoms bemerkbar waren — vor allem auch in der Tiefe der Para- 
metrien — so wird die kombinierte Behandlungsmethode: Strahlen- und 
intravenöse Chemotherapie dringend empfohlen. Es gelingt mit ihr, wie 
die erreichten Erfolge zeigten, an strahlender Energie beträchtlich zu 
sparen. 

Pinkuss empfiehlt in allen operablen Fällen zunächst die Vornahme 
der operativen Entfernung als die sicherste und kürzeste Methode der 
Beseitigung des Krebses mit nachfolgender, längere Zeit fortgesetzter 
Bestrahlung. Die Bestrahlungstherapie von vornherein sei indiziert bei 
allen inoperablen oder der Operation schwer zugänglichen Krebserkran- 
kungen, ferner bei sonst operablen Fällen, bei denen die Operation mit 
größerer Schwierigkeit und demgemäß größerer Lebensgefahr verbunden 
ist oder wo Altersgebrechlichkeit oder andere schwere organische Er- 
krankungen die Vornahme der Operation verbieten, sodann bei allen 
Rezidiven. Die Anwendung der Bestrahlungstherapie bedarf aber des 
weiteren Ausbaues der Konzentrations- und Filtertechnik, um die für 
den einzelnen Fall erforderliche Dosierung festzustellen und die mit der 
Bestrahlung verbundenen Gefahren bestmöglichst zu vermeiden. Gleich- 
zeitig mit der Bestrahlung sind zum Zwecke der Vermeidung von Rezi- 
diven und Metastasen intravenöse Injektionen von Thorium-X, Atoxyl 
bzw. Thorium-X-Trinkkuren, kombiniert mit innerlicher Darreichung 
von Pankreatin-Präparaten, in geeigneten Fällen auch Auto-Vakzine- 
Injektionen, anzuwenden. 

Dr. de Nobele-Gent berichtet über eine neue von Danne in Paris 
ausgearbeitete Methode der konzentrierten Anwendung der Radium- 
emanation bei Geschwulstkrankheiten. Mit Hilfe flüssiger Luft werden 
Emanationsmengen, welche mehreren Zentigrammen Radiumbromid 
äquivalent, in eine so konzentrierte Form gebracht, daß sie in kleinen 


456 Sticker, 


Kapillarröhrchen eingeschlossen oder an der Spitze feiner Nadeln nieder- 
geschlagen in den Geschwülsten deponiert werden können. 

Zum Thema der Radiumtherapie des Krebses sprachen noch Dr. 
Odier-Genf, Dr. Jacobs-Brüssel und Professor Bayet-Brüssel. 

In 25 Fällen von inoperablem Gebärmutterkrebs beobachtete Jacobs 
Rückgang. Der Dauererfolg beträgt in 3 Fällen 3 bis 8!/, Jahr. Das 
Radium schien keinen Einfluß zu haben beim Gebärmutterkrebs jugend- 
licher Frauen; beim Krebs der Vulva, der Clitoris, der Vagina wurden 
nur vorübergehende Erfolge erzielt. Mastdarmkrebs wurde dauernd 
geheilt. 

Professor Bayet, Brüssel bespricht die Indikationen der Radium- 
behandlung und ihre Grenzen. Er studierte die Wirkung des Radiuns 
auf oberflächliche und tiefliegende Hautkrebse. 


Aus dem Laboratoire biologique du Radium. 


Kann das Radium der Chirurgie bei der Behandlung 
maligner Tumoren Dienste leisten ? 
Von 
Dr. Wieckham und Dr. Degrais, Paris.!) 


D“ Titel unserer Mitteilung formuliert das Problem, das wir dem Kon- 
grel vorzulegen für angebracht halten. Sie werden uns sicher gestatten, 
daß wir die Beantwortung der darin ausgesprochenen Frage auf die von 
uns beobachteten Tatsachen basieren. 

Wir hielten es deshalb für notwendig, gerade dieses Problem einmal 
genau zu erörtern, da es uns scheint, daß es in vielen chirurgischen und 
medizinischen Kreisen doch wohl nicht recht verstanden wird, sei es aus 
Mißtrauen gegen die relativ junge Methode, sei es, weil allzu enthusiastische 
Radiumtherapeuten dem neuen physikalischen Agens doch wohl etwas zu- 
viel Bedeutung zulegten. 

Gestatten Sie uns schon gleich von vornberein unsere Antwort zu for- 
mulieren, die wir dann durch die nachfolgenden Tatsachen stützen und 
beweisen werden. 

Diese unsere Antwort ist durchaus bejahend. Ganz sicherlich 
kann das Radium der Chirurgie wertvolle Dienste in der Be- 
handlung der bösartigen Neubildungen leisten. 

Aber, und hier liegt der springende Punkt des Problems, das Radium kann 
seine nützliche Wirkung nur unter ganz bestimmten Bedingungen entfalten. 

Diese Bedingungen sind nun aber zahlreich, und es sind gerade sie, 
die der therapeutischen Verwendung des Radiums den vertrauenerweckenden 
wissenschaftlichen Charakter geben. 

Wir werden einige derselben näher ins Auge fassen, um Ihnen zu 
zeigen, in welcher Weise das Radium die Operation vorbereiten, unter- 
stützen oder vervollständigen kann, und um Ihnen zu beweisen, wie 
aus äußerst verschiedenen Methoden eine wirklich einheitliche Therapeutik 
entstand: die Radium-Chirurgie, die imstande ist, unseren Patienten 
die größtmöglichen Garantien für den Erfolg zu bieten. 

Bevor wir zur Besprechung der Tatsachen übergehen, die für die 
Methode, die wir Ihnen hier vorlegen wollen, sprechen, scheint es uns an- 


1) Vortrag, gehalten auf dem 17. internationalen medizinischen Kongreß in 
London am 6.—12. August 1913. 


458 Wickham und Degrais, 


gebracht, Ihnen die Gründe, die uns zur Anwendung des Radiums in der 
Behandlung der bösartigen Tumoren berechtigten, darzulegen. Diese Gründe 
sind physikalischer, klinischer und histologischer Art. 

Physikalische Gründe. Die Radiumtherapie bietet uns ver- 
schiedene äußerst wertvolle physikalische Vorteile, von denen selbst mehrere 
einzigartig in der Physiotherapie sind. 

Diese Therapeutik gestattet uns die Ausnützung 

1. der emaniferen Methoden, die uns, unter Zuhilfenahme von In- 
jektionen, der Ionotherapie usw. erlauben, das Edelgas Emanation und das 
Phänomen der induzierten Radioaktivität, mitten in den betreffenden Ge- 
weben selbst zu benützen ; 

2. von Apparaten, die auf Grund ihres sehr geringen Volumens 
mitten in den Tumor selbst, und in eine große Zahl natürlicher Körper- 
höhlen, die den übrigen therapeutischen Agentien nur sehr schwer zugäng- 
lich sind, eingeführt werden können; 

3. von extrem leistungsfähigen radioaktiven Substanzen: 

4. der «- und $-Strahlung in den Fällen oberflächlicher Krebse; 

5. der y-Strahlung, die eine unvergleichliche Penetrationsfähigkeit be- 
sitzt, dafür allerdings quantitativ nur gering ist; und 

6. endlich ist es uns möglich, diese quantitative Schwäche der y-Strah- 
lung durch Verwendung einer geeigneten Technik (Filtration, Kreuzfeuer ) 
auszugleichen. Dieser letzte Punkt ist von allergrößter Wichtigkeit, da 
es nicht genügt, daß ein tiefgelegener Tumor von den y-Strahlen erreicht 
wird, um sich zurückzubilden, sondern da es nötig ist, daß zu diesem 
Zwecke eine genügende Menge von Y-Strahlen wirklich vom Neoplasma 
absorbiert werden, und zwar muß, wenn ein gutes Endresultat erreicht 
werden soll, diese absorbierte Strahlenmenge in allen Partien des 
Tumors etwa gleich sein. 

Dank unserer technischen Hilfsmittel können wir heute eine größere 
Homogenität der Wirkung, eine vollständigere Bestrahlung, eine therapeu- 
tisch genügende Akkumulation der wirksamen Strahlen in den tiefgelegenen 
Regionen erzielen.t) 

Klinische Gründe. Vom klinischen Standpunkte aus sind die 
Fälle, ın denen sich das karzinomatöse Gewebe unter dem Einfluß der 
Radiumstrahlung vollständig modifizierte, indem es seinen bösartigen 
Charakter verlor, und es zu einer lokalen Heilung kam, äußerst zahlreich. 


!) Der Hauptzweck jeder radiumtherapeutischen Behandlung des Krebses besteht. 
darin, den Tumor in allen seinen Teilen und möglichst gleichmäßig mit den wirk- 
samen Strahlen zu überschwemmen, und das unter Verwendung der größtmög- 
lichsten Strahlenmenge. Die Integrität der Haut muß aber unter allen Bedin- 
gungen dabei bewahrt werden. 


Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 459 


Derartige Rückbildungen konnten nicht nur allein in den Fällen gut- 
artiger Epitheliome der Haut, sondern auch bei schweren epitheliomatösen 
Karzinomen, die sich in größere Tiefen erstreckten, ebenso wie bei anderen 
Formen maligner Tumoren, Sarkomen, Lymphosarkomen, Lymphadenomen 
und bei der Mycosis fungoides, beobachtet werden. 

Nun verdient eine Tatsache ganz besonders hervorgehoben zu werden. 
Diese Rückbildungen wurden nicht etwa durch nekrotische und entzünd- 
liche Zerstörung, durch Verbrennung, wie sie etwa ein Ätzmittel hervor- 
rufen würde, sondern durch eine elektive Einwirkung der Strahlen auf die 
Zellen des Tumors herbeigeführt. 

Es ist unzweifelhaft, daß die malignen Tumoren zu der Gruppe 
der Affektionen gehören, die gegenüber der Radiumstrahlung ein 
äußerst sensibles, empfängliches Terrain darstellen, das heißt, daß eine ge- 
wisse Strahlendosis, die ausreichend ist, um auf die karzinomatösen Ele- 
lemente stark einwirken zu können, keinerlei alterıerende Wirkung oder 
Verbrennung von den Strahlen getroffenen oder in dem durchsetzten gesunden 
(Gewebe erzeugt. Man kann also in ausgezeichnet wirksamer Weise tief- 
gelegene subkutane Tumoren mit Radium bestrahlen, ohne das Auftreten 
einer Radiumdermatitis befürchten zu müssen. 

Histologische Gründe. Die Befunde der mikroskopischen 
Untersuchung bestätigen und erklären die oben angeführten Tatsachen. 

Hat man zum Beispiel ein epitheliales karzinomatöses Gewebe der 
elektiven Strahlenwirkung ausgesetzt, so beobachtet man nach einigen Tagen, 
daß die Zellen einem Zersetzungsprozeß. der zur Zytolyse (Zelleinschmel- 
zung) führt, verfallen sind, nachdem sie in den meisten Fällen ein hyper- 
trophisches Stadium durchgemacht haben. Was das Bindegewebe betrifft, 
das die karzinomatösen Zellnester einhüllt und stützt, so beobachtet man 
eine Verjüngung desselben durch das Auftreten embryonaler Keime; es 
kommt zu einer Trennung, und weiterhin zu einem Ersatz der Krebs- 
nester durch das Bindegewebe. 

Sind die absorbierten Dosen der radioaktiven Strahlung ungenügend, 
so kann sich die Wirkung auf die Zellhypertrophie beschränken, und wir 
haben es also in diesen Fällen mit einer Radio-Exzitation zu tun. Nur 
bei Verwendung wirklich ausreichender Dosen kann man auf eine sichere 
kurative Einwirkung rechnen. 

Die unter dem Einfluß der radioaktiven Strahlung bei den ver- 
schiedenen übrigen Formen der malignen Tumoren (Sarkom, Mycosis fun- 
goides usw.) vor sich gehenden Modifikationen sind im großen und ganzen 
mit dem soeben gesagten übereinstimmend. 

Was die Tiefe anbetrifft, bis in welche die Strahlung durch die Ge- 
webe hindurch eindringen und ihre Wirkung entfalten kann, ohne daß da- 


4650 Wickham und Degrais, 


bei eine Radiumdermatitis erzeugt wird, so haben uns unsere histologischen 
Untersuchungen kurative Modifikationen der Zellen bis zu einer Tiefe von 
9 Zentimetern zu konstatieren gestattet. Wenn man die Methode des 
Kreuzfeuers anwendet, kann man selbst auf noch tiefer gelegene Schichten 
einwirken. 


Auf Grund dieser allgemeinen Betrachtungen haben wir uns eine 
Richtlinie für unser therapeutisches Handeln festgelegt, nachdem wir vor- 
her, vielleicht in etwas zu schematischer Weise, die Tumoren in folgende 
Gruppen eingeteilt hatten: 

1. Operable Tumoren, 

2. Schwer operable Tinten, 

3. Inoperable Tumoren, 
die letzteren sind entweder inoperabel, obgleich leicht zugänglich, 
oder inoperabel, weil schwer zugänglich oder aber, weil sie dem 
Messer ganz und gar unzugänglich sind. 


Operable Tumoren. Jedes operable Karzinom soll sofort, ohne 
Aufschub operiert werden; dies ist eine nie außer Acht zu lassende Regel. 
Auf Grund des möglichen Rezidivs in situ und der Metastasen, denen die 
Operation die Türen öffnen könnte ist es durchaus angebracht, die post- 
operative Narbe der Bestrahlung zu unterziehen. Der Nutzen dieses Ein- 
griffes steht immer im Verhältnis zu der mehr oder weniger malignen Natur 
des exstirpierten Tumors. 


Es ist zum Beispiel leicht, im blutigen Bett, das durch die Ablation 
eines Tumors entstand, einen mit Präparaten geringen Volumens aber 
starker Radioaktivität beschickten Drain zu plazieren, während man die 
Lappen der Wunde mit flachen Radium-Lackapparaten von großer Ober- 
tläche bedeckt. 


Von besonderem Interesse sind nun eine gewisse Anzahl von Beobach- 
tungen, bei denen das Radium ohne jeden chirurgischen Eingriff ange- 
wandt wurde. Diese Ausnahmen sind bedingt durch das Alter der 
Patienten, durch ihren schlechten Gesundheitszustand, der die Narkose er- 
schwert hätte und durch die unüberwindliche Abneigung dieser Kranken 
gegen jeden blutigen Eingriff. 

Diese Fälle haben uns gestattet, uns eine Meinung über das, was das 
Radium für sich allein angewandt leisten kann, zu bilden, und wenn wir 
heute, nach einer Wertheimschen Operation zum Beispiel, nicht warm 
genug empfehlen können, sofort in die vaginale Bresche einen hochaktiven 
Radiumapparat zu applizieren, so tun wir dies, weil wir bei Patienten. 
die mit einem Zervixkarzinom behaftet waren, und jeden chirurgischen 
Eingriff entschieden zurückgewiesen hatten, einen Stillstand des Neoplasma. 


Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 461 


der einer Heilung gleichzusetzen ist, nur durch Radiumbestrahlung allein 
hervorgerufen, beobachtet haben. 

In dieser Gruppe der operablen Karzinome müssen wir auch die 
Fälle ins Auge fassen, in denen sich der Chirurg dank der Untersützung, 
die ihm durch die Radiumbestrahlung wird, entschließt, eine begrenzte 
Operation, die der Patient ertragen kann, vorzunehmen. Sicherlich ist zum 
Beispiel die Amputation eines Fingers oder einer Brust bei Individuen 
eines gewissen Alters von relativ minimaler Bedeutung, in die Amputation 
eines Gliedes dagegen wird immer nur zögernd eingewilligt werden, 
umsomehr, wenn es sich um einen Tumor handelt, der vielleicht schon 
sehr bald nach der Operation an anderen Stellen Metastasen setzen kann. 





Sarkom der Leistengegend. Nach Am- Nach Radiumbehandlung ging dieser 

putation des Vorderfußes wegen Sarkom Tumor in 5 Wochen sehr zurück. Seit 

hatte sich eine schwer operable Metastase 21/, Jahren hat sich kein lokales Rezidiv 
in der Leiste gebildet. gebildet. 


Die beiden folgenden Beobachtungen erscheinen uns in dieser Be- 
ziehung recht interessant und vermögen die von uns vertretene Ansicht 
zu befestigen. 


Im ersten Falle handelte es sich um ein 11jähriges Mädchen, dem im Fe- 
bruar 1910 wegen eines sarkomatösen Tumors der Vorderfuß amputiert worden 
war. Ein Jahr nach dieser Operation wurde uns das Kind wegen einer in der 
Leiste gelegenen Metastase überwiesen. Der Tumor ist hart, wenig beweglich, 
ziemlich tief implantiert, und sein Sitz erweckt gegen einen chirurgischen Eingriff 
gewisse Bedenken, da derselbe, um wirklich wertvoll zu sein, die Exartikulation 
der Hüfte erfordern würde. Da die Mutter unter diesen Verhältnissen ihre Ein- 
willigung zur Operation nicht gern geben möchte, behandelten wir die ganglionäre 
Metastase mit Radium. Wir applizierten hochaktive Radiumträger mit Interposi- 
tion von 3 mm Blei, und ließen dieselben während 72 Stunden, fraktioniert in sechs 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 30 


462 Wickham und Degrais, 


Applikationsnächten auf den Tumor einwirken. Außerst schnell, vom fünften Tage 
ab, gewannen wir den Eindruck einer Regression. Am zehnten Tage war dies 
zur Gewißheit geworden, der Tumor erweichte sich, löste sich von seiner Unter- 
lage ab, wurde beweglich und verringerte sein Volumen. Diesen rapiden Rückgang 
findet man übrigens häufig bei den Sarkomen, die eine besonders große Radio- 
sensibilität aufzuweisen scheinen. Nach einem Monat vom Beginn der Bestrah- 
lungen an gerechnet war jede Erhebung über das Niveau der Haut in der Region 
des Tumors verschwunden, die palpatorische Untersuchung ergab noch eine sub- 
kutane Verhärtung, etwa von der Art eines kleinen beweglichen Ganglions, auf 
welches wir fortfahren die Radiumträger zu applizieren, 


Wäre man nach Erzielung eines derartigen Resultates, und da doch 
die Chirurgie vor allem konservativ sein soll, nicht im Recht, für die Zu- 
kunft daran zu denken und darauf hinzuarbeiten, daß vor jeder bedeu- 
tenderen chirurgischen Verstümmelung vorerst einmal eine intensive 
Radiumbestrahlung versucht wird? Dieselbe Patientin wird uns dafür noch 
einmal als Beispiel dienen. Nachdem wir den soeben geschilderten Er- 
folg erzielt hatten, erschien leider ein neues Rezidiv in der tibiotarsalen 
Artikulation. Da trotz intensiver Bestrahlung dieses Rezidiv nicht rasch 
genug weichen wollte, wurde die Amputation des unteren Drittels des 
Beines beschlossen und ausgeführt. In diesem Falle hat also das Radium 
in einem Falle von malignem Tumor mit Metastasenbildung auf diesen 
eine ausgesprochen günstige Wirkung entfaltet, die eine bedeutende 
Verstümmelung vermeiden ließ; bei dem lokalen Rezidiv blieb allerdings 
das Radium ohne direkten Einfluß auf den Tumor, gestattete aber einen 
ziemlich engbegrenzten operativen Eingriff, dessen Konsequenzen unzweifel- 
haft weniger schrecklich sind, als die zuerst in Betracht gezogene Opera- 
tion es gewesen wäre. 

Hier noch ein zweiter Fall, der für unsere Anschauung plaidiert: 


Im November 1910 wird uns ein Patient wegen eines im unteren Drittel des 
Beines gelegenen Tumors überwiesen. Der Patient, der seinen Zustand kannte, 
wünschte aber die Operation zu umgehen. Wir baten einen Chirurgen zu in- 
zisieren, um einen Radiumträger direkt in die Tiefe einführen zu können, und 
ließen gleichzeitig ein Fragment des Tumors entnehmen. Die histologische Unter- 
suchung ergab einen komplexen Tumor aus jungem Fibrom und Myxosarkom be- 
stehend. Die Radiographie zeigte einen dichten Schatten, mit konvexer Oberfläche, 
der der Fibula aufsaß und den Eindruck einer Vorwölbung des Periosts machte. 
Die Länge dieses Schattens betrug vier bis fünf Zentimeter, seine Vorwölbung 
war etwa einen Zentimeter breit. Der Fuß und die betreffende Region des Beines 
sind Öödematös. Der Kranke kann nur unter Schwierigkeiten gehen. 

Gleichzeitig mit einem Röhrchen, das zwei Zentigramm Radiumsulfat ent- 
hielt und während 48 Stunden in die Inzision eingelegt wurde, applizierten wir 
auf die Oberfläche mehrere flache Apparate, die mit zwei Millimeter starken Filtern 
bedeckt waren, um die wirksamen Strahlungen zu multiplizieren und eine Über- 
kreuzung derselben von innen nach außen zu erzielen. Nach der oben angegebe- 
nen Zeit wurde die Radiumröhre entfernt, und die Bestrahlung nur unter Ver- 


Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 463 


wendung der flachen Apparate von der Oberfläche aus fortgesetzt. Heute, zwei 
und ein halbes Jahr nach dem mit der Radiumtherapie kombinierten geringfügigen 
Eingriff zeigt die. Radiographie den die Vorwölbung des Periosts wiedergebenden 
Schatten nicht mehr, das Ödem ist vollständig verschwunden, und der Patient hat 
zu seiner größten Zufriedenheit sein Bein konserviert. 

Ganz kürzlich erst noch beobachteten wir einen Fall von osteogene- 
tischem Sarkom einer Zehe, bei dem eine Auskratzung, gefolgt von der 
Radiumbestrahlung, die Amputation dieser Zehe zu vermeiden gestattete. 
Diese Operation wäre ja sicherlich wenig bedeutend gewesen, da es sich 
aber um ein junges Mädchen von 16 Jahren handelte, wäre der Verlust 
derselben zum mindesten sehr unangenehm empfunden worden. 


Zum Schluß möchten wir noch ein Epithelioma der Glans penis er- 
wähnen, das primär so sparsam als möglich operiert worden war, um eine 
penible Verstümmelung des Patienten zu vermeiden, aber rezidivierte. 
Dieses Rezidiv ist nun bereits seit drei Jahren der Radiumwirkung ge- 
wichen und wäre wohl überhaupt kaum aufgetreten, wenn sofort nach der 
primären Operation eine Radiumbestrahlung erfolgt wäre. 


Schwer operable Tumoren. In diesen Fällen kann das Ra- 
dıum in nutzbringender Weise vor, während und nach der Operation an- 
gewandt werden. 


Wenn es sich um eine ihrer Basis adhärente Masse handelt, die be- 
deutenden Gefäß- und Nervenbündeln oder wichtigen Organen benachbart 
ist, kann die vorbereitende Radiumbestrahlung diese Tumoren leichter 
operationsfähig machen, indem sie eine geringe Blutfüllung derselben und 
die Loslösung und Mobilisation ihrer Basis herbeiführt. 

Aber die präoperative Radiumbestrahlung hat noch einen anderen 
Zweck, nämlich den, das Operationsfeld weniger virulent zu machen, es 
in gewisser Beziehung zu sterilisieren, das Neoplasma befindet sich bereits 
in der Rückbildung, wenn zu seiner operativen Entfernung geschritten 
wird. Um in Hinsicht auf die spätere Operation die günstigste Wirkung 
des Radiums zu erzielen, ordnen wir die Apparate so an, daß die Strah- 
lung vor allem nach der Peripherie und nach der Basis des Tumors ge- 
richtet ist. Wenn man fünfzehn bis zwanzig Tage nach der intensiven 
Bestrahlung zur Operation schreitet, so findet man für dieselben die gün- 
stigsten Verhältnisse vor. Es ist andererseits ohne weiteres klar, dab in 
diesen schwierig operierbaren Fällen auch nach der Operation bestrahlt 
werden muß, und zwar in intensiver Weise, zu dem Zwecke, die Narbe 
zu konsolidieren. | 

In gewissen Fällen rapid wachsender Tumoren fixieren wir die 
Apparate sofort nach Exstirpation des Neoplasma auf dem Grunde der 
Wunde selbst. 

30* 


464 Wickham und Degrais, 


Unter anderen möchten wir Ihnen eine Beobachtung mitteilen, die 
uns besonders bemerkenswert erscheint, und uns veranlaßte, durch histo- 
logische Untersuchung des bestrahlten Gewebes festzustellen, wie weit sich 
die Radiumwirkung in die Tiefe hinein erstreckt. 


Es handelt sich um eine Patientin des Dr. Arrou, die von einem rechts- 
seitigen Brustkrebs befallen war, der nach einer langen Periode sehr langsamer 
Entwicklung eine akute Exazerbation aufwies. 

Der Tumor ist außerordentlich voluminös, es mißt in seiner größten Breite 
151/, Zentimeter, ist sehr hart, und man gewinnt bei der Palpation den Eindruck 
einer einheitlich zusammenhängenden wenig mobilisierbaren Masse. Die Brust- 
warze ist retrahiert, ein thorakoaxilläres Ganglion ist vom Karzinom ergriffen, 
und sehr voluminös. Die Dimensionen des Tumors sind der Operation sehr un- 
günstig. 

Wir schlagen Dr. Arrou vor, den Tumor vor der Exstirpation der Ein- 
wirkung der Radiumstrahlen zu unterwerfen. 

Auf die äußere Seite der Brust werden vier aufeinandergelagerte Radium- 
lackapparate, die 19 Zentigramm reines Radium auf eine Fläche von 28 Quadrat- 
zentimeter verteilt enthalten, während 48 auf einanderfolgenden Stunden appliziert. 

Während dieser Bestrahlung studierten wir den Durchgang der Strahlen 
durch die Gewebe vom physikalischen Standpunkt aus. Nacheinander wurde ein 
geladenes Elektroskop und Bariumplatinzyanürschirm, der inneren Seite der Brust. 
der Strahlenquelle gegenüber, aufgelegt. Wir konstatierten, daß sich das Elektro- 
skop in 8—9 Sekunden entlud; der Schirm geriet in Fluoreszenz. 


Diese Beobachtungen zeigen uns in klarster Weise die, übrigens ja 
auch schon bekannte, Fähigkeit der Radiumstrahlen, eine Gewebsmasse sehr 
erheblicher Dicke zu durchqueren. Jedoch es genügt wohl nicht, daß die 
Strahlen das Gewebe nur passieren, um ihre therapeutische Wirkung 
auf das neoplasische Gewebe zu entfalten. Wird die Strahlung dabei auf 
das Karzinomgewebe einwirken? und wenn ja, bis zu welcher Tiefe? Das 
war die Frage, die wir uns zu studieren vorgenommen hatten. 


Die chirurgische Exstirpation der Brust wurde am 16. Tage nach der Be- 
strahlung vorgenommen. Man konnte vor der Operation konstatieren, daß der 
Tumor sichtlich zusammengesunken war, seine Breite hatte sich um zwei Zenti- 
meter verringert, und anstelle der einheitlichen Masse, die er bei der ersten Unter- 
suchung darzustellen schien, hatte man jetzt den Eindruck, als ob er aus mehreren 
Knoten, die einer über dem anderen beweglich waren, gebildet sei. 

Der exstirpierte Tumor wurde dann in mehrere, der Richtung des Strahlen- 
durchgangs gleichlaufende Schnitte zerlegt. 

Schon makroskopisch sieht man, daß die zentrale Partie des Krebsgewebes 
die größte Menge der Strahlung erhalten hat, sich in ihrem Aussehen von den 
weniger bestrahlten peripherischen Zonen unterscheidet. 

Sie ist in mehrere glatte, harte, weißliche sklerotische Knoten eingeteilt, 
während die von der Strahlungsachse weiter entfernt liegenden Zonen unregelmäßig 
und von markartigem Aussehen sind. Die histologische Untersuchung ergab das 


Vorhandensein regressiver Modifikationen bis zu einer Tiefe von 9 Zenti- 
meter. 


Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 465 


Obwohl die Operation sehr weit vorgenommen wurde, war es doch auf Grund 
der außerordentlichen Dimensionen des Tumors unmöglich, einen breiten Rand 
normalen (Gewebes aus der Begrenzung des Neoplasma mit fortzunehmen. Nichts- 
destoweniger ging die Vernarbung in normaler Weise vor sich, und heute, mehr 
als zwei Jahre nach dem operativen Eingriff, befindet sich die Frau in einem 
exzellenten Zustande, ohne eine Spur von Rezidiv oder Metastase. 


Ist es uns in einem solchen Fall gestattet, neben dem Wert und der 
Geschicklichkeit der Operation, auch der Bestrahlung einen Platz beim 
Zustandekommen dieses glücklichen Resultates einzuräumen? 


| 


- 





a rn N 
4 f 
v s ` a> k a 
-Ay va . "M è 
n P a RM 3 
b ` N 
s x er 7 
AERES s ch ER. 


2 a RE 
Unterkiefersarkom, dessen Totalexstir- Durch Tuffier wurde zuerst der größte 
pation unmöglich ist ohne Resektion Teil des Tumors exstirpiert. In das 
des ganzen horizontalen Unterkiefer- übrigbleibende tiefe Sarkomgewebe wer- 
astes. den Radiumtuben inplantiert. 18 Mo- 


nate nach der Behandlung ist noch 
kein Rezidiv im Anzug. 


Es ist wohl erlaubt anzunehmen, wenn man sich dabei auf die kon- 
statierten klinischen und histologischen Veränderungen stützt, daß die Be- 
strahlungen das Operationsfeld für den Eingriff günstiger gestalten konnte. 

Ein anderer unserer Patienten wies ein enormes Sarkom der Mandibula auf, 
dessen Totalexstirpation nur durch die Resektion des ganzen horizontalen Unter- 
kieferastes möglich gewesen wäre. Herr Dr. Tuffier nahm die Exstirpation der 
größtmöglichsten Masse des Tumors vor; auf die sich am Grunde der so entstan- 


466 Wickham und Degrais, 


denen Rinne noch in großer Menge befindlichen Massen des Tumors wurden einige 
Radiumröhrchen gelegt, während wir an der Oberfläche, auf die Lappen der In- 
zision, flache Radiumträger applizierten. 

Heute, nachdem zwei Jahre seit der Operation vergangen sind, erfreut sich 
der Patient einer tadellosen Gesundheit. 

In den Fällen schwierig zu operierender Tumoren müssen wir dem 
Radium einen wichtigen Platz einräumen, wenn es sich darum handelt. 
auf Neubildungen des Magens, des Intestinaltraktus, des Uterus und der 
Prostata, einzuwirken. 

Handelt es sich um eine Neubildung des Magens, so kann die Chirurgie 
dem Radium einen wertvollen Zugangsweg eröffnen; eine Gastrostomie er- 
laubt uns, das Radiumpräparat direkt auf die Neubildung zu bringen, und 
eine Gastroenterostomie ermöglicht es uns, das erkrankte Organ in Rulıe 
zu setzen. Die Verhältnisse liegen ebenso, wenn das Rektum oder die 
Flexura sigmoidea befallen sind. Sicherlich ist es in gewissen Fällen mög- 
lich, sich auf die Chirurgie allein zu verlassen, wir glauben aber, daß es 
doch vorzuziehen ist, sich unter Zuhilfenahme eines iliaken Anus, eines Agens 
zu bedienen, das, wie das Radium imstande ist, die Entwicklung des Krebses 
aufzuhalten. Wir glauben andererseits, daß die Anwendung des Radiums 
allein in diesen Fällen nicht gestattet, alle Vorteile, die man erwarten 
kann, zu erreichen. Die Rektoskopie gestattet uns ja tatsächlich die 
Diagnose zu präzisieren, die Läsion zu lokalisieren und ihren unteren Rand 
genau festzulegen. Jedoch die Unmöglichkeit, den karzinomatösen Engpalj 
zu überschreiten, läßt uns stets in Ungewißheit über die Ausdehnung des 
Karzinoms nach der oralen Seite hin, und man ist also niemals sicher, 
wirklich die Totalität des Tumors bestrahlt zu haben. Man sollte aus 
diesem Grunde unserer Ansicht nach stets zur Anlegung einer intestinalen 
Ausmündung, die der oberen Grenze des Neoplasma so nahe als möglich 
liegt, schreiten. Diese obere Begrenzung ist nach Inzision der Abdominal- 
wand leicht und sicher erkennbar. Auf diese Weise kann man dann 
durch Sonden, die in ihrem Innern Radiumträger enthalten, und von oben 
nach unten und in umgekehrter Richtung eingeführt werden, mit absoluter 
Sicherheit den Tumor in seiner Gesamtausdehnung bestrahlen. Die Radium- 
bestrahlung schützt auch vor dem Auftreten karzinomatöser Granulationen 
am iliaken Anus, die man fürchtet, wenn die Einmündung dem Tumor zu 
benachbart angelegt wurde. (Wir haben niemals diese Komplikation kon- 
statieren müssen, wenn in der soeben angegebenen Weise vorgegangen wurde. | 

Der Anus praeternaturalis bietet uns gleichzeitig den Vorteil, daß die 
erkrankte Darmpartie in Ruhe gesetzt wird, und das ist für die Entwick- 
lung der Krankheitserscheinungen von großer Wichtigkeit. 

Die Chirurgie des Uteruskarzinoms wird durch die Unterstützung. 
die ihr das Radium bringen kann, oft erweitert. Wir haben gesehen, wie 


Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 467 


schwer operable Tumoren nach vaginaler Radiumbestrahlung, der Operation 
zugänglich wurden, dank der durch das Radium erzeugten bedeutenden 
Modifikationen, wie Verschwinden der (Granulationen, und Geschmeidiger- 
werden der infiltrierten Gewebe, die den Uterus immosbilisierten. 

In anderen Fällen beweist die Kombination der Chirurgie und der Radium- 


bestrahlung, wie wertvoll die Assoziation dieser beiden Methoden sein kann. 

Aus unseren Beobachtungen möchten wir Ihnen über die Geschichte einer 
Patientin des Dr. Ch. Monod berichten, die ein Zervixkarzinom aufwies, das sich 
bereits auf die Mucosa der Scheide erstreckt hatte, dessen Operation äußerst 
schwierig war. Die Zervix war hart, blutend, und wenig beweglich, die Induration 
erstreckt sich im Douglasschen Raum 2 bis 3 cm etwa auf die Vaginalwand. 
Der Allgemeinzustand beginnt in Mitleidenschaft gezogen zu werden. 

Dr. Monod zieht uns zu, um die Radiumbestrahlung mit dem chirurgischen 
Eingriff zu kombinieren. Mit dem Thermokauter werden die granulierten und 
ulzerierten Partien beseitigt, dann legen wir ein Radiumröhrchen in den Zervikal- 
kanal ein, während die frische Wunde mit zwei flachen Apparaten bedeckt wird. 

Diese Radiumpräparate wurden zweimal 48 Stunden hindurch an ihrem 
Platze belassen. 

Zwei Monate später sahen wir die Patientin wieder. Sie befindet sich nach 
ihren Angaben in einem ausgezeichneten Gesundheitszustand, und empfindet 
keinerlei Schwere oder Schmerzen mehr. Das Aussehen des lokalen Herdes ist 
durchaus günstig, die Hämorrhagien und die Sekretion sind vollständig ver- 
schwunden. Die Induration ist beträchtlich vermindert, und das Karzinom nimmt 
nur noch die Hälfte seines ursprünglichen Volumens ein. Es weist weder Granu- 
lationen noch Ulzerationen auf. 

Eine neue, der ersten analoge Bestrahlungsserie wurde vorgenommen. Drei 
Monate später ist die Besserung noch weiter fortgeschritten, so daß man sowohl 
mit Rücksicht auf den Allgemeinzustand wie auf den lokalen Befund wohl so 
weit gehen konnte, das Wort „Heilung“ auszusprechen. Nichtsdestoweniger ent- 
schieden wir uns, mehr als Vorsichtsmaßregel, noch eine Bestrahlungsserie vor- 
zunehmen. Das Röhrchen läßt sich nur schwierig einführen, da die glatte Ober- 
tläche des Uterus stark retrahiert ist; eingehüllt von der vaginalen Schleimhaut 
erscheint sie am Grunde der Höhle wie ein „cul de poule“. 

Mit einem Troikart nimmt Dr. Monod eine Perforation vor, die ihn in die 
Überreste der Uterushöhle führt; das Radiumröhrchen wird hier eingelegt, gleich- 
zeitig mit einem Gasestreifen, um die Röhre während 24 Stunden an ihrem Platze 
zu erhalten. Platte Radiumlackapparate werden der Oberfläche aufgelegt und 
ebenfalls für 48 Stunden an ihrem Platze belassen. 

Diese Bestrahlungen wurden im November 1910 vorgenommen; in den seither 
verflossenen Monaten blieb die Besserung konstant, und die Patientin hat ihre 
normale Lebensführung wieder aufgenommen, wie uns erst ganz kürzlich ihr 
Hausarzt mitteilte. 


Inoperable Tumoren. Diese können entweder inoperabel sein, 
obgleich sie leicht erreichbar sind, oder inoperabel, weil sie schwer er- 
reichbar sind. 

Die Zahl der auf Grund ihrer schwierigen Erreichbarkeit inoperablen 
Tumoren verringert sich sicherlich von Tag zu Tag: die Chirurgie verfügt 


468 Wickham und Degrais, 


heute über Mittel, die ihr erlauben, in jede nur mögliche Region einzu- 
dringen, und kann aus diesem Grunde auch dem Radium in verschiedenen 
Partien des Organismus einen Weg öffnen. Sie wird auch neue Opera- 
tionsmethoden erdenken, nur um dem Radium die bestmögliche Einführung 
und Applikation zu gestatten. Die Hand des Chirurgen ist zur guten 
Applikation des Radiums unentbehrlich, und dieses wieder stellt eine Ver- 
längerung des Messers dar. 

Wir erlauben uns in dieser Beziehung unser Thema etwas auszudehnen 
und auf den Kehlkopfkrebs einzugehen, der, der Chirurgie schwer zugäng- 
lich, im Radium ein mächtiges Mittel zu seiner Bekämpfung gefunden hat, 
wie wir uns in einem Falle, in dem das Neoplasma auf dem linken Stimn- 
band lokalisiert war, überzeugen konnten. 

Dank der operativen Geschicklichkeit Dr. Bellins konnten hier die 
Applikationszeiten lange genug ausgedehnt werden, um eine manifeste Ver- 
ringerung des Tumors herbeizuführen. 

Endlich möchten wir dem Oesophaguskarzinom noch einen Platz ein- 
räumen, das ja der Operation besonders unzugänglich ist. Dank der Oesophago- 
skopie können wir den Sitz des Karzinoms genau lokalisieren, und die in einer 
Oesophagussonde enthaltenen Radiumträger werden mit dieser verschluckt und 
von dem Patienten 2 bis 3 Stunden und länger an ihrem Platze gehalten. 

Nach einer derartigen Bestrahlung wird die Passage der Nahrungs- 
mittel sehr schnell eine leichtere. Die eigentümlichen unangenehmen 
Schmerzen verringern sich und der Patient fühlt sich sehr erleichtert. 
Wir haben Fälle beobachtet, die nach der Bestrahlung während mehr als 
drei Jahren in gutem Gesundheitszustand blieben. 

In der Gruppe der inoperablen, aber nichtsdestoweniger leicht zu- 
gänglichen Geschwülste, sind die Tumoren des Uterus noch einmal in ganz 
besonders weiten Grenzen der Radiumbestrahlung zugänglich. Wenn man 
durch eine vorherige Kurettage den Strahlen ermöglicht, in großer Menge 
in die Tiefe der Läsion einzudringen, kann das Karzinom dieser Regionen 
während langer Zeit den Patienten die Illusion einer Heilung geben. Die 
Hämorrhagien verschwinden ebenso wie die besonders abundante fötide 
Sekretion: die bestehenden unerträglichen Schmerzen werden in äußerst 
bemerkenswerter Weise verringert. 

Erwähnen möchten wir noch die vaginalen Rezidive, die nach einer 
Hysterektomie auftreten, und die durch die Radiumbestrahlung allein in 
äußerst dauerhafter Weise gebessert werden können. Der erste derartige 
Fall in Frankreich wurde durch uns und unter unserer Leitung behandelt. 
Wir konnten die Patientin durch vier Jahre hindurch beobachten, ohne 
daß die geringste Spur eines Rezidivs zu konstatieren gewesen wäre, dann 
verloren wir sie leider aus dem Gesicht. 


469 


-Zunjpueyoqumipey 
9p uuSog yoru əpuow gz uəyuery Iəp puwysnz 


E 
i 3 BR Aa 


RE i 


fe 5 P 
4 Pr N EN 5 
Br a 


A 


e a m. D 


Aa S rO 
E o O 


Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 


‘JIIPU uSNOnJyOg Sep 
Imos Zunumy ərp pun Zueıdsıoa uordsıxuAlmeyg 


ofBIoge] OIp ur Sep 


‘saspeg sop wouspeydufT 





470 Wickham und Degrais, 


In dieser Gruppe der inoperablen aber leicht erreichbaren Tumoren 
möchten wir noch einen inoperablen Prostatatumor erwähnen, der uns in- 
teressant erscheint. Durch urethrale Einführung von Radiumträgern konnten 
wir den Tumor soweit modifizieren, daß seine Ablation möglich wurde. 

In einem anderen Falle, in dem es sich um ein Neoplasma der Pro- 
stata handelte, das sich in die Blasenhöhlung hinein verlängerte, konnten 
wir durch im Oktober 1909 begonnene Radiumbestrahlung ein Ver- 
schwinden der subjektiven und objektiven Symptome herbeiführen. Der 
Patient, ein englischer Kollege, erfreut sich heute eines ausgezeichneten 
Wohlbefindens. 

Wir gelangen nun zu den, obgleich leicht erreichbaren, doch in- 
operablen Tumoren, deren Inoperabilität durch die Umschließung oder die 
Invasion der vaskulonervösen Bündel des Halses bedingt ist. 

Das erste Beispiel liefert uns ein Patient, der, von der Chirurgie aufgegeben, 
allen Voraussagungen nach in der kurzen Frist von einem oder zwei Monaten. 
seiner Erkrankung hätte erliegen müssen. Dank der Radiumtherapie hat dieser 
Kranke noch 2!/, Jahr länger gelebt; dann erlag er der Bildung neuer Herde im 
Pharynx, die der Radiumbestrahlung leider durchaus unzugänglich waren. Während 
der zwei Jahre, die der Bestrahlung folgten, wies der Patient einen hervorragend 
guten Allgemeinzustand auf, er hatte sein normales Leben wieder aufgenommen und 
mit seiner Frau ein gut konstituiertes Kind erzeugt. Das Karzinom, von dem er 
befallen war, hatte einen Monat nach einer ersten chirurgischen Exstirpation ein 
Rezidiv gesetzt, das sich äußerst rapid entwickelte. Von ganz beträchtlichem 
Volumen, und die ganze rechte Seite des Halses einhüllend, war es fest in die 
tieferen Schichten eingebettet. Wir baten damals Dr. Bazet, soviel als irgend- 
möglich von dem bösartigen Gewebe fortzunehmen. Nach dieser ziemlich weit- 
gehenden Operation blieb nichtsdestoweniger noch eine dicke Schicht karzinomatösen 
Gewebes am Grunde der Wunde, die wegen der Nähe der großen Halsgefüße un- 
möglich exstirpiert werden konnte. Hätte man den Tumor sich jetzt selbst über- 
lassen, so hätte er in einigen Wochen seine frühere Ausdehnung wieder erlangt. 
ja er wäre durch den blutigen Eingriff nur exzitiert worden. 

Die Radiumträger wurden auf die frische Wunde appliziert, und dank den 
großen Dosen, die wir anwendeten, gelang es uns die maligne Entwicklung des- 
selben aufzuhalten, die Gewebe selbst in den tieferen Regionen zu moditizieren, 
und nach und nach die Vernarbung herbeizuführen. 

Indem wir der Radiumbestrahlung den chirurgischen Eingriff voraus- 
gehen ließen, verfolgten wir den Zweck, die Dicke des zu bestralilenden 
karzinomatösen Gewebes zu verringern, um in sichererer und vollständigerer 
Weise auf die weiter entfernt gelegenen epithelialen Elemente einwirken 
zu können. 

Die Technik kann in allen Fällen je nach der Natur des malignen 
Tumors verschieden sein, und ın den Fällen, in denen es sich um besonders 
radiosensible Gewebe handelt, zum Beispiel bei den Lymphadenomen, kann 
sich der chirurgische Eingriff darauf beschränken, den Tumor zu punktieren. 
um die Einführung der Radiumträger zu gestatten. 


471 


Radium bei der Behandlung maligner Tumoren. 


uwose Ipo 9STOMsUuage”T 
aydıqn əups əypeqy oyueıy 1q 'Zunjpuey 
-3g I9p uuəg yvu əryef #41 MBA qP 


"ayyey uəsyprvm un 
əJ8jəŅ uəgoı3 əşp sep 


‘wouzıeyyp sojqeısdouf 





472 Wickhamu.Degrais, Radium b. d. Behandlung maligner Tumoren. 


So war die Technik beschaffen, die wir bei einem Patienten, der ein 
Lymphosarkom aufwies, zur Anwendung brachten. Der Tumor war am 
Halse situiert und verursachte Schluck- und Respirationsbeschwerden. 
Heute besteht nur noch eine geringe Masse, von der Größe einer Nuß 
etwa, die leicht operabel wäre, falls die Radiumstrahlung nicht imstande 
sein sollte, den letzten Rest des Tumors zum Verschwinden zu bringen. 

Schlußfolgerung: Aus der Gesamtheit der Tatsachen, die wir 
Ihnen soeben vorlegten, möchten wir nicht allzu absolute Schlußfolgerungen 
ziehen. 

Wenn die Vereinigung der Chirurgie mit dem Radium uns gute Aus- 
sichten im Kampf gegen den Krebs zu geben scheint, muß dennoch das 
Radium ganz besondere Verhältnisse vorfinden, ehe es den Platz verdient, 
den wir ihm in dieser Union einräumen möchten. Vor allem ist es not- 
wendig, dab die radioaktive Strahlung alle bösartigen Elemente erreichen 
kann. Die Bestrahlung muß so homogen als möglich sein und sich zur 
gleichen Zeit vor allem gegen die Basis und die peripherischen Partien des 
Tumors richten. Zur Schaffung dieser Verhältnisse kann die Chirurgie 
in weitgehendstem Maße, durch Eröffnung der günstigsten Zugangswege 
und durch Ablation der maximalen Menge des bösartigen Gewebes beitragen. 

Wenn es auch, wie wir soeben sagten, in erster Linie notwendig ist, daß 
die radioaktive Strahlung alle erkrankten Zellen erreicht, ist es noch viel 
wichtiger, daß diese Elemente von der genügenden Strahlenmenge er- 
reicht werden, um ihre anatomische Zerstörung herbeizuführen. Ist dies nicht 
der Fall, dann wird die Radiumbestrahlung nur eine Reizwirkung auf 
diese Zellen ausüben. Wir heben diese Tatsache besonders hervor, weil 
wir nur zu oft Mißerfolge gesehen haben, die auf nichts anderes als auf 
die ungenügende Aktivität des verwandten Radiums zurückzuführen waren. 
Die anzuwendende Radiummenge spielt eine äußerst wichtige Rolle für 
den Erfolg der Behandlung und muß vorher, je nach der mehr oder minder 
großen Radiosensibilität des zu bestrahlenden Gewebes, festgelegt werden. 

Nach allen unseren Erfahrungen, und weit davon entfernt, 
die Chirurgie in der Behandlung des Krebses durch die Radium - 
therapie ersetzen zu wollen, glauben wir, daß diese beiden thera- 
peutischen Maßnahmen ihre Anstrengungen vereinigen sollten, 
um durch ihre Assoziation eine ganz neue Wissenschaft zu 
konstituieren, die unseren Kranken durch die gleichzeitige Er- 
weiterung des Wirkungsfeldes der Chirurgie ebenso wie auch 
der Strahlentherapie, neue Hilfe bringen kann. 

(Übersetzt von F. Reber- Bordeaux.) 


Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 
Von 
Dr. A. Bayet, 


Professor der Dermato-Syphiligraphie an der Universität Brüssel. 


ie Frage der Behandlung des Krebses mit physikalisch-chemischen 

Mitteln ist derart weit umfassend, daß es für ein und denselben Autor 
beinahe unmöglich ist, dieselbe unter allen Gesichtspunkten mit derselben 
Sachkenntnis zu behandeln. Ich habe mich deshalb in der folgenden 
Arbeit begnügt, nur diejenigen Punkte zu besprechen, welche ich speziell 
studiert habe und für welche mir eine schon lange Erfahrung zur Seite 
steht. 

Ich werde mich daher in dieser Arbeit darauf beschränken, die Be- 
handlung des Krebses mit der wirksamsten und am besten gekannten radio- 
aktiven Substanz, dem Radium, zu erörtern. 

Wenn es sich um die Behandlung einer sowohl durch ihre Struktur 
als durch ihre Lokalisation so verschiedenartigen Erkrankung, wie der 
Krebs es ist, handelt, so kann man unmöglich für eine Methode eine ab- 
solute Überlegenheit beanspruchen. Man kann höchstens präzisieren, welche 
Hilfe man von dem oder dem therapeutischen Agens erwarten kann, darf 
aber in keiner Weise dieses Agens exklusiv unter Ausschaltung aller an- 
deren in den Himmel heben. Bei der Behandlung des Krebses ist ein 
Eklektizismus schon durch die allzuvielen Mißerfolge geboten, welche jede 
Methode, auch die als die beste empfohlene, leider aufzuweisen hat. Wenn 
man glaubt, „das Karzinom‘‘ durch eine Radikaloperation, durch Röntgen- 
strahlen, durch Radium, durch Selenium oder durch Kupfer zu heilen, so 
verfällt man in einen naiven Optimismus, welcher leicht durch die Erfah- 
rungen der Praxis Lügen gestraft wird. 

Diese Einleitung schien mir nötig. Denn in vielen Publikationen, in 
welchen man die mittelst radioaktiver Substanzen erhaltenen brillanten Re- 
sultate preist, hat man der Methode dadurch geschadet, daß man es unter- 
ließ, die nötigen Vorbehalte zu machen, und daß man die bei manchen 
Krebsen erzielten günstigen Erfolge auf die Allgemeinheit der Krebse 
übertrug. 

Ich werde deshalb bei der Aufzählung der bisher erzielten Resultate 
‚so objektiv als nur möglich vorgehen. 

Ich enthalte mich, auf alles einzugehen, was bisher in dieser Frage 
geschrieben worden ist. Die Hauptpunkte findet der Leser im Lehrbuch 


474 Bayet, 


der Radiumtherapie von Wickham und Degrais. Ebenso ist es über- 
flüssig, alle in der Literatur verzettelten Beobachtungen von Erfolgen und 
Mißerfolgen Revue passieren zu lassen, besonders auch deshalb, weil diese 
Beobachtungen selten untereinander verglichen werden können. Denn bis- 
her hat man mit wenigen Ausnahmen sich viel zu wenig befleißigt, die 
Strahlung, die man verwandte, zu messen. Wenn auch die zur Verfügung 
stehenden Meßmethoden unzulänglich sind, so würden sie doch, wenn sie 
allgemein von den Radium anwendenden Ärzten geübt würden, eine wenn 
auch nur ungefähre Vergleichung der benutzten Strahlung gestatten. Eine 
Beobachtung einer Heilung eines Epithelioms ist recht uninterressant, wenn 
man nicht aus derselben erfährt, mit welcher Methode der Radiumbestrah- 
lung der Erfolg erzielt wurde. 

Es ist das Verdienst von Wickham, Degrais und Dominici, in 
diesem Wirrwar, welcher an die Zeit vor der Erfindung der Meßmetho- 
den der Röntgenstrahlen erinnert, Abhilfe geschaffen zu haben. 

Es würde in diesem Berichte zu weit führen, das Studium des Strahlen- 
gemisches des Radiums wieder aufzunehmen. Es genügt, wenn ich daran 
erinnere, dad man für die Praxis am besten die Strahlung des Radiums 
in zwei Strahlenarten einteilt: 1. die weichen und halbweichen Strahlen, 
welche die a-, die weichen und mittleren ß-Strahlen umfassen und 2. die 
harten, zu welchen die ß- und die y-Strahlen gehören. 

Die ersteren, die weichen Strahlen, werden leicht absorbiert und kom- 
men nur für eine oberflächliche Wirkung in Betracht. Im allgemeinen geht 
ihre Tiefenwirkung im Krebsgewebe nicht über einen bis zwei Zentimeter. 

Die zweiten, die harten Strahlen, werden für Tiefenwirkung benützt. 
Sie durchdringen den Tumor, sei er auch noch so stark. Leider sind sie 
nur in geringem Verhältnis in der Gesamtstrahlung des Radiums enthalten 
(1—3°/,) und ihre große Penetrationsfähigkeit macht sie nur zum Teil ver- 
wertbar. Infolgedessen müssen sie immer sehr lange einwirken, wenn man 
eine zerstörende Wirkung auf die Krebszelle erzielen will. 

Ich füge hinzu, daß in der Radiumtherapie immer eine starke thera- 
peutische Wirkung vorhanden sein muß. Eine ungenügende Bestrahlung 
ist gefährlich, denn sie bewirkt nachgewiesenerweise oft eine viel aktivere 
Wucherung der Krebszellen. Die das Wachstum des Tumors befördernden 
„Peitschenschläge‘‘ welche man in vielen Krankengeschichten vermerkt 
findet, haben oft keine andere Ursache. Die Folge davon ist, daß man, 
um sich an größere Tumoren zu wagen, eine beträchtliche Menge Radium 
haben muß, was wiederum ein Hindernis für eine allgemeine Einbürgerung 
der Radiumtherapie ist. 

Wir wollen nun sehen, welches die Wirkung des Radiums auf Krebs- 
neubildungen ist. 


Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 475 


Vom rein praktischen Standpunkt werde ich dieselben in 1. oberfläch- 
liche und 2. tiefe Krebse einteilen. 

Diese Einteilung hat absolut nichts wissenschaftliches. Da aber vor- 
liegende Arbeit sich besonders mit der Therapie beschäftigt, hat sie den 
Vorteil, sich den beiden Strahlenvarietäten anzupassen. Denn die ober- 
flächlichen Tumoren gehören den weichen, die tiefliegenden müssen mit 
harten Strahlen angegriffen werden. 


I. Oberflächliche Krebse. 

Bei oberflächlichen Epitheliomen, sei es daß sie an der Haut oder 
den Schleimhäuten sitzen, ist die Wirkung des Radiums gewöhnlich eine 
sehr bemerkenswerte. Man wird zahlreiche Beispiele hierfür in dem klassi- 
schen Buche von Wickham und Degrais finden,!) und ich selber habe 
in einem 1911 erschienenen Werke zahlreiche und beweisende Beispiele 
hierfür niedergelegt.?) 

Die Methode, die man anwendet, besteht darin, daß man auf den 
Tumor während einer relativ kurzen Zeit (10 bis 12 Stunden) die weichen 
Strahlen eines radiumhaltigen Apparates von starker Intensität einwirken 
läßt. Gewöhnlich benutzt man einen Apparat von 300000 bis 500000 
Einheiten und da man die Wirkung der weichen Strahlen sucht, so filtriert 
man nicht. Jeden Tag macht man eine Sitzung von 2 bis 3 Stunden. 

Ist das Epitheliom relativ tiefsitzend, so fügt man einige Sitzungen 
(3 bis 4) von 12 Stunden Dauer zu und benutzt diesmal aber die harten 
Strahlen, was man durch Filtrierung mittels einer 1 bis 2 Millimeter 
dicken Bleiplatte erreicht. 

14 Tage nach der Behandlung bildet sich eine heftige Reaktion, welche 
zur Eiterung und Bildung einer Kruste führt. Letztere ist dick und 
schalenförmig und hat überhaupt ein für Radium charakteristisches Aus- 
sehen. Man hat sie die „Radiumkruste“ genannt. Der Tumor sinkt mehr 
und mehr zusammen und es erfolgt Narbenbildung. 

Die resultierende Narbe kann in Bezug auf Retraktilität als ideal be- 
zeichnet werden. Sie ist dünn, dehnbar und ist oft kaum von der nor- 
malen Haut zu unterscheiden. Man kann sagen, dal von diesem Gesichts- 
punkte aus, wenn man die ästhetische Seite betrachtet, schwerlich auf an- 
derem Wege Besseres erzielt werden kann. 

Die Vorteile, welche das Radium bei der Behandlung der oberfläch- 
lichen Epitheliome bietet, sind zahlreich: 

1. Vor allem ist diese Behandlung leicht durchzuführen. Es genügt, 


1) Wickham et Degrais. Radiumthérapie 2 me édition 1912. 
2) Bayet. Le radium, ses effets thérapeutiques 1911. Deutsche Übersetzung 
von Prof. Schiff. 


476 Bayet, 


den Tumor mit einer Bleifolie zu umgeben, um die gesunden Hautpartien 
zu schützen, und darüber die Radiumplatte mit Heftpflaster zu befestigen. 

2. Die Behandlung ist absolut schmerzlos, sowohl während der Behand- 
lung als nachher bei der entzündlichen Reaktion. 

3. Die Narbe, die man erhält, kann als vollkommen bezeichnet wer- 
den. Sie ist in keiner Weise eingezogen, wie ich schon erwähnt habe. 
Mikroskopische Untersuchungen dieses Narbengewebes haben gezeigt, daß die 
Bindegewebsbündel nicht wie in einer gewöhnlichen Narbe verlaufen. Sie 
verlaufen in parallelen, leicht gewellten Bündeln, die nicht wie in retraktilen 
Narben ineinander verflochten sind. 

4. Wenn die Behandlung ordentlich durchgeführt ist, entsteht niemals 
eine Radiumdermatitis und man hat nicht die unangenehmen Überraschungen 
zu befürchten, welche bei der Behandlung mit Röntgenstrahlen selbst dem 
gewiegtesten Röntgentherapeuten vorkommen können. Übrigens ist die 
Radiumdermatitis lange nicht so gefährlich als die Röntgendermatitis. Wenn 
sie einmal zufällig auftritt, so verläuft sie immer unter dem Bilde einer 
einfachen Reizung und heilt in 14 Tagen unter ganz indifferenter Behand- 
lung ab. 

Diese Vorteile geben für das Radium einige Indikationen der 
Wahl ab, bei welchen dasselbe Resultate erzielt, die man schwer mit an- 
deren Mitteln erreichen kann. 

In der Tat, die Leichtigkeit seiner Anwendung, die Möglichkeit, seinen 
Aktionsradius streng zu umschreiben, zuletzt die Bildung einer in keiner Weise 
eingezogenen Narbe machen das Radium zur Behandlung mancher Epitheli- 
ome der Augenlider geeignet. Man weiß, wie schwierig es ist, in diesen 
Fällen chirurgisch vorzugehen, ohne schwere Entstellungen hervorzurufen. 
Man weiß auch, eine wie geringfügige Narbenretraktion bereits ein Ectropium 
herbeiführen kann. Andererseits eignen sich die Röntgenstrahlen schwer 
zu einer genauen Lokalisation der Strahlung. Das Radium hat alle diese 
Unannehmlichkeiten nicht und in zahlreichen Fällen konnte ich ein Lid- 
epithieliom vollständig zum Verschwinden bringen, ohne Ectropium, ja über- 
haupt ohne eine nennenswerte Narbe zu erzeugen. 

Ebenso erzielt man beim Epitheliom des äußeren Gehörgangs 
mittels des Radiums Resultate, die man schwer mit anderen Mitteln er- 
reichen würde. 

Die Leichtigkeit der Applikation des Radiums erlaubt auch, mit seiner 
Hilfe die Epitheliome des Zahntleisches und der Innenseite der Wangen 
zu behandeln. Dies ergeben Beobachtungen, bei welchen eine vollkom- 
mene anscheinend narbenlose Heilung erzielt wurde. 

Außer den Indikationen der Wahl, die ich soeben erwähnt habe und 
welche besonders durch den Sitz des Epithelioms bedingt sind, gibt es noch 


Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 477 


andere Fälle, in welchen das Radium eine Wirksamkeit entfaltet, wie sie 
ähnliche Mittel, wie z. B. die Röntgenstrahlen nicht aufzuweisen haben. 

Die erste Gruppe dieser Fälle wird durch das Lippenepitheliom ge- 
bildet. Man weiß, daß sehr oft die Wirkung der Röntgenstrahlen auf 
diese Krebsart ungenügend, oft sogar schädlich ist. Mit Radium hingegen 
erzielt man eine Heilung mit staunenswerter Leichtigkeit, selbst wenn es 
sich um ein recht voluminöses Epitheliom handelt. Ich habe viele Fälle 
dieser Art behandelt, welche bisher noch nicht rezidiviert haben. Die 
Ulzeration und der Tumor schwinden oft, ohne eine Spur zu hinterlassen. 
Man wird die Vorzüge einer Methode anerkennen, welche ein Lippen- 
epitheliom ohne Deformierung der Mundöffnung zum Schwinden bringt. 

Die zweite Gruppe wird gebildet von unerklärlichen Fällen, welche 
auf Röntgenstrahlenbehandlung absolut keine Besserung zeigen, die aber 
auf Radium vorzüglich reagieren. Hierher gehört hauptsächlich das Ulcus 
rodens des Gesichts. Ich habe eine Anzahl Fälle gesehen, die den Röntgen- 
strahlen gegenüber absolut refraktär waren, während sie mit Radium in der 
üblichen Zeit geheilt wurden. 

Neben diesen speziellen Indikationen, wo das Radium die Methode der 
Wahl bildet, muß ich jetzt die Fälle nennen, bei welchen Mißerfolge zu 
verzeichnen sind. 

1. Es gibt manche seltene Varietäten von oberflächlichen Epitheliomen, 
auf welche das Radium keine Wirkung ausübt. Unter diesen ist es beson- 
ders eine Form, welche im Gesicht oder am behaarten Kopf ihren Sitz 
hat und durch einen harten, vorspringenden Knoten mit kartilaginösen 
Rändern und langsamen Verlauf charakterisiert ist. Sie kommt gewöhn- 
lich bei Greisen vor. Aus unbekannten Gründen ist diese Varietät dem 
Radium gegenüber absolut refraktär. 

Es scheint am ungezwungensten, die Ursache dieser Mißerfolge in der 
histologischen Struktur des Epithelioms zu suchen. Tatsächlich hat Darier 
für die Röntgenstrahlen, deren Wirkung dem Radium so ähnlich ist, nach- 
gewiesen, dal die Hautkankroide vom Stachelzellentypus nicht günstig 
reagieren und daß sie sogar unter ihrem Einfluß zu stärkerem Wachstum 
angeregt werden. 

2. Das gleiche gilt für manche Formen von Ulcus rodens, welche der 
Behandlung trotzen, ohne dab es möglich wäre, die Ursache dafür zu fin- 
den. Diese Fälle sind aber relativ selten, denn gewöhnlich weicht das 
Ulcus rodens mit größter Leichtigkeit. 

3. Es scheint, dal manche Lokalisationen des Hautepithelioms seine 
Widerstandskraft dem Radium gegenüber beeinflussen: ich will nur das 
Epitheliom des inneren Augenwinkels nennen, welches auf Radium 
sehr gut reagiert, so lange es nicht auf den Konjunktivalsack übergegriffen 

Strahlentherapie Band III, Heft 2. al 


478 | Bayet, 


hat, aber sofort refraktär wird, wenn dies der Fall ist. Es ist dies ein 
merkwürdiger Fall von Wechsel der Schwere eines Krebses je nach der 
Lokalisation. 

4. Endlich sind manche Karzinome der Schleimhäute dem Ra- 
dium gegenüber refraktär, so vor allem das Karzinom der Zunge. Im 
Anfang meiner Untersuchung hatte ich im Vertrauen auf einen günstigen 
Fall, wo 2 kleine Zungenepitheliome beim gleichen Kranken auf eine sehr 
energische Radiumbehandlung vollständig geschwunden waren, gehofft, auch 
dieser furchtbaren Lokalisation Herr zu werden. Ich konnte mich später 
davon überzeugen, daß ich zufällig auf einen Ausnahmefall gestoßen war. 
denn keiner meiner späteren Kranken hatte einen Vorteil von der Behand- 
lung. Im Gegenteil glaube ich, daß in manchen Fällen die Radiumappli- 
kation wie ein Peitschenhieb auf das weitere Wachstum des Krebses ge- 
wirkt hat. 

Die Ursachen für diese Mißerfolge liegen in den ganz besonderen Ver- 
hältnissen, die beim Zungenkrebs angetroffen werden. Vor allem ist es 
sehr schwer, auf die Zunge eine genügend energische Strahlenmenge zu 
applizieren, ohne die Mucosa stark zu reizen, die dem Radium gegen- 
über äußerst empfindlich ist. Ferner ist der Erfolg einer Radiumbehand- 
lung zum großen Teil von der Möglichkeit abhängig, die Läsion gut ab- 
grenzen zu können. Bekanntlich findet man aber neben dem sichtbaren, 
klinisch definierbaren Tumor häufig Krebszellenstränge, die sich in weiter 
Entfernung zwischen den quergestreiften Muskelfaserbündeln hinziehen. 

Dieselben Mißerfolge konstatiert man bei manchen noch schlecht de- 
finierten Vulvakarzinomen, besonders aber bei solchen, die an der Innen- 
fläche der kleinen Labien sitzen. Hier ist die Mucosa ebenso empfindlich 
wie an der Zunge und in manchen Fällen schien mir ebenfalls die Radium- 
applikation wie ein Peitschenhieb auf das Wachstum der Geschwulst zu wirken. 

Um dasjenige zusammenzufassen, was wir von der Radiumwirkung auf 
die Haut- und Schleimhautkrebse wissen, möchte ich folgendes als sicher 
hinstellen: 

1. Das Radium ist eine äußerst wirksame Behandlungsart in der groben 
Mehrzahl der Fälle: es ist leicht anwendbar, nicht schmerzhaft, gibt tadel- 
lose Narben sowohl in funktioneller als in ästhetischer Beziehung. 

2. Bei manchen Lokalisationen bildet es die Behandlung der Walıl. 

3. Manche Formen von Epitheliomen der Haut und der Schleimhäute 
widerstehen seiner Wirkung. 


II. Tiefliegende Krebse. 


Es besteht zwar Einstimmigkeit, um anzuerkennen, daß das Radium 
ein ganz erstklassiges Mittel in der Behandlung der oberflächlichen Kar- 


Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 479 


zinome ist; für die tiefliegenden Krebse sind aber die Ansichten sehr 
geteilt. 

Dies ist auch verständlich. Denn nichts ist schwerer, als sich ein 
Gesamtbild dieser Wirksamkeit zu machen. Denn am Anfang jeder Dis- 
kussion über dieses Thema findet sich ein variabler Punkt, der eine Ver- 
allgemeinerung der durch die einzelnen Beobachtungen von Erfolg oder 
Mißerfolg gegebenen Tatsachen hindert: dieser variable Punkt ist in der 
Verschiedenartigkeit der Schwere des Krebses je nach dem Terrain, auf 
dem er implantiert ist, gegeben. Wenn schon auf der Haut diese Ver- 
schiedenartigkeit trotz der relativen Gleichartigkeit der Struktur und Funk- 
tion der Haut in den verschiedenen Körpergegenden augenfällig ist, um 
wie viel größer muß diese Schwankung in Organen mit so verschieden- 
artiger Struktur wie den Eingeweiden sein. 

Eine andere Schwierigkeit besteht in den Hindernissen, welche einer 
wirksamen Bestrahlung entgegenstehen. Je nach der Tiefe, in welcher 
das erkrankte Organ liegt, ist die bis zu demselben gelangende Strahlen- 
menge ganz erheblichen Schwankungen ausgesetzt. Liegt der Tumor in 
der Umgebung der Oberfläche, so wird die Bestrahlung genügend sein; 
sitzt er tief, in der Bauchhöhle zum Beispiel, so wird die bis zu ihm hin- 
gelangende Strahlenmenge zu gering sein, um einen Heileffekt zu haben. 

Ist es gerechtfertigt, auf derartig von einander verschiedene Tatsachen 
gestützt, sich eine Beurteilung der zerstörenden Wirkung des Radiums auf 
einen Tumor zu erlauben? Ich glaube es nicht. Diese Frage muß ganz 
außer Acht gelassen werden. A priori kann und muß man annehmen, 
daß das Radium, da es eine so günstige Wirkung auf die zugänglichen 
Karzinome entfaltet, auch auf die meisten tiefliegenden Krebse eine solche 
Wirkung haben muß, unter der Bedingung, daß die Strahlenmenge ge- 
nügend ist und unter Berücksichtigung mancher Ausnahmen, welche man 
in späteren Untersuchungen herausfinden muß. 

Stellen wir uns aber auf den Standpunkt der Praxis, so müssen wir 
uns fragen, ob es möglich ist, mittels Radium tiefliegende Krebse zu 
heilen. | 

Da dies im Grunde nur eine Frage der Quantität der Strahlung ist, 
so wollen wir die tiefliegenden Krebse in 3 Kategorien teilen: 

1. Diejenigen, die tief in den großen Körperhöhlen, der Thorakal- und 
Bäuchhöhle liegen und infolgedessen sehr entfernt von der Oberfläche sind. 

2. Diejenigen, die unter der Haut liegen und leicht erreicht werden 
können (Krebse des Halses und der Brustdrüse). 

3. Diejenigen, welche trotzdem sie in der Thorakal- oder Bauchhöhle 
liegen, doch durch natürliche Wege zugänglich sind (Karzinom des Oeso- 
phagus, des Rektums, der Prostata, der Gebärmutter). 

3l* 


480 Bayet, 


Technik der Bestrahlung. — Bei tiefen Krebsen benutzt man 
nur Platten mit einer sehr starken Strahlung (300 000, 500000, 1000 00% 
radioaktive Einheiten) und starke Filter (2 Millimeter Blei), so daß die 
weichsten Strahlen ausgeschaltet und nur die ultrapenetranten (harte $ und y` 
Strahlen beibehalten werden. Man benützt auch in manchen Fällen Röhr- 
chen von 1l/, bis 2 Zentimeter Länge, welche 2 bis 5 Zentigramm Radium 
in einem Silber- oder Platinröhrchen enthalten, dessen Wände 3 bis 
5 Millimeter dick sind, und infolgedessen nur die ultrapenetranten Strahlen 
passieren lassen. 

1. Für die sehr tiefliegenden Krebse, welche in der Abdominal- und 
Thorakalhöhle liegen, sind die Schwierigkeiten maximal. Die Distanz. in 
welcher sie sich von der Oberfläche befinden, vermindert die auf den Tumor 
auftreffenden Strahlen erheblich. Da man nun in diesen Fällen nur die 
ultrapenetrierenden Strahlen benutzt, die nur einen ganz geringen Bruch- 
teil der Gesamtstrahlung des Radiums bilden, so ist die Strahlung, die auf 
den Tumor fällt, nur gering, Dazu kann man diese Tumoren erst dia- 
gnostizieren, wenn sie bereits einen gewissen Umfang angenommen haben und 
dann eine energische Behandlung benötigen würden. Es ist deshalb nicht 
zu verwundern, daß es bis jetzt keine einer ernsten Kritik standhaltende 
Beobachtung einer Heilung eines tief in der Bauch- oder Brusthöhle liegen- 
den Krebses durch Radium gibt. 

2. Erreichbare Krebse, welche unter der Haut sitzen. Der Typus 
dieser Krebsart ist der Brustdrüsenkrebs und das Karzinom der Halsgegend. 
also Krebse, die unter der Haut und dem Unterhautzellgewebe sitzend 
einer genügenden Bestrahlung zugänglich sind. 

In dieser Klasse von Krebsen beobachtet man beinahe in allen Fällen 
eine auflösende Wirkung des Radiums. 

Man könnte meinen, dal diese Tatsache beweisend ist und daß das 
Radium die Behandlung der Wahl dieser Karzinome werden sollte. In der 
Praxis mul man aber demgegenüber ernste Vorbehalte machen. 

Vor allem ist die Radiumwirkung ziemlich langsam. Eine erste Be- 
strahlung von 100 bis 200 Stunden bewirkt eine Hemmung des Wachs- 
tums der Geschwulst und eine partielle Regression derselben. Man muß 
dann ungefähr 8 bis 10 Wochen warten, bis man die Bestrahlung wieder 
aufnehmen kann. In dieser Zeit können sich aber, besonders bei manchen 
stark proliferierenden Formen Metastasen bilden, ferner können Herde, die 
nicht von der Bestrahlung getroffen wurden, weiter wachsen. Kurz für 
manche Krebsarten ist die Radiumbehandlung eine zu langsame. 

Aus dem eben Gesagten folgt, daß man in jedem Falle mit der The- 
rapie individualisieren muß. 

Die erste Frage, die man aufwerfen muß, wenn man sich einem der- 


Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 481 


artigen Fall gegenüber sieht, ist zu wissen, ob man von vornherein das 
Radium als Behandlung wählen soll. 

Darauf kann es nur eine Antwort geben: Wenn das Karzinom 
operabel ist und besonders wenn es sich um einen Fallim Be- 
ginn handelt, muß man unbedingt zuerst so weit als möglich 
im Gesunden extirpieren. Der gesunde Menschenverstand sagt, daß 
man von allen Methoden die rascheste und radikalste wählen soll. Man 
kann immer noch nach der Operation eine Nachkur mit Radium machen. 

Diese Regel kann manche Einschränkungen erleiden: 

a) Die Operation muß weit im Gesunden ausführbar sein. 
Dies ist bei manchen Krebsen, selbst im Beginne, nicht immer der Fall; 
ıch spreche dabei besonders von denjenigen, welche in der Parotisgegend 
sitzen. In diesen Fällen kann es von Vorteil sein, die Behandlung mit 
einer Radiumkur zu beginnen. Es tritt dann eine Rückbildung des Tumors 
ein, seine Verwachsungen werden gelöst und die mikroskopischen aberrieren- 
den Keime werden sterilisiert. 

b) Das Alter der Patienten oder manche Krankheiten verbieten oft 
die Operation: in diesen Fällen kann das Radium, wie wir später sehen 
werden, entschieden Dienste leisten. 

c) Manche Karzinomarten reagieren so prompt auf die Radiumwirkung, 
dal es vorzuziehen ist, dieses Mittel allein anzuwenden. Hierher ge- 
hören die scirrhösen Formen des Brustdrüsenkrebses. Wenn die 
Brustdrüse einen harten, beweglichen Knoten enthält, so kann man mit 
Radium seine vollkommene Resorption erreichen. Ich habe mehrere der- 
artige Fälle beobachtet, außerdem hat mir Herr Dr. Degrais die Kran- 
kengeschichte einer Frau übermittelt, welche in ihrer Brustdrüse einen 
Knoten von 5 Zentimeter Durchmesser barg, der auf der Unterfläche be- 
weglich war. Der vor 2 Jahren behandelte Tumor ist vollständig ver- 
schwunden. An seiner Stelle ist eine leichte Narbe zu fühlen: nichts 
deutet auf das frühere Vorhandensein eines sceirrhösen Tumors hin. 

Was in diesen Fällen uns veranlassen muß, dem Radium den Vorzug 
zu geben, ist der sehr langsame Verlauf dieser Tumorart, welche, wenn 
sie operiert wird, oft Rezidive verursacht, welche sehr viel schneller 
wachsen. 

Um diese Ergebnisse zusammenzufassen: Man muß bei diesen tief- 
liegenden aber zugänglichen Krebsen, wenn sie noch im Beginn sind, 
operieren. Man muß aber berücksichtigen, daß wenn die Operation aus 
dem einen oder anderen Grunde kontraindliziert ist, das Radium das Wachs- 
tum des Tumors aufhalten und sogar denselben zum Verschwinden bringen kann. 

Bei manchen scirrhösen Formen ist das Radium der Operation vor- 
zuziehen. 


452 Bayet, 


3. Tiefliegende Krebse, die von einer natürlichen Körperöffnung aus 
der Bestrahlung zugänglich sind (Karzinom des Uterus, der Prostata. des 
Oesophagus). 

Früher, als man als Bestrahlungsinstrumente nur Platten besaß, konnte 
man diese Art tiefer Krebse nicht behandeln. Jetzt, wo man das Radium 
in Tuben hat, ist es möglich, dasselbe direkt mit dem Tumor in Kontakt 
zu bringen und dort während einer genügenden Zeit zu fixieren. 

Unter den Karzinomen, die uns hier beschäftigen, gibt es zwei Arten. 
die operabeln und die nicht mehr operabeln. 

Für die ersteren sind meine Indikationen die gleichen wie für die 
übrigen operabeln Karzinome: Wenn man den Tumor weit im Gesunden 
exzidieren kann, so muß man vor allem chirurgisch vorgehen. 

Doch sind in dieser Karzinomgruppe die Fälle häufig, welche infolge 
ihrer Lokalisation oder infolge des Allgemeinbefindens und des Alters der 
Kranken inoperabel sind. In diesen Fällen kann das Radium die besten 
Dienste leisten, ohne von einer anderen Methode übertroffen zu werden. 

Die Methode der Behandlung dieser tiefliegenden Krebse durch radıum- 
haltige Tuben wurde am meisten durch Wickham und Degrais geübt. 
Ich verdanke der Güte des letzteren die Beobachtungen. die ich im folgen- 
den wiedergebe: 

Karzinome des Uterus. 

a) Cervixkarzinom. In den vegetierenden Formen des Cervix- 
karzinoms gibt das Radium Erfolge, welche bereits ihre Probe bestanden 
haben. Man kann der Radiumapplikation eine Auskratzung vorausschicken. 
ohne dal) dies aber nötig ist. 

Eine Kranke mit Cervixkarzinom und beginnender Infiltration des 
Ligamentum war als inoperabel bezeichnet worden. Das Radium wurde ın 
Form von Tuben angewandt. Seit 3 Jahren haben keine Blutverluste mehr 
stattgefunden und beim Touchieren findet man das Vaginalgewölbe weich 
und nachgiebig. Der Cervix ist gleichsam amputiert. 

Eine inoperable Kranke wird zuerst probeweise kurettiert; dann wur- 
den Radiumtuben appliziert und seit über 3 Jahren scheint die Kranke 
vollständig geheilt. 

b) Karzinome des Corpus und Cervix. In diesen Fällen kann 
das Radium ebenfalls bedeutende Dienste leisten. Es löst alle schmerz- 
haften Verwachsungen und Verhärtungen, welche den Uterus immobilisieren 
und es gelingt auf diese Art viele Karzinome, welche inoperabel schienen. 
ler Operation zugänglich zu machen. 

c) Beiden Corpuskarzinomen gelingt es leicht, nach vorherge- 
gangener Dilatation die Tuben ins Uterusinnere zu bringen. In diesen 


Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 483 


Fällen hören gewöhnlich die Blutverluste und der Ausfluß bald auf und 
der unangenehme Geruch verschwindet. 


Prostatakarzınome. 


Auch das Prostatakarzinom reagiert auf Radium günstig. Man kann 
übrigens leicht die Tuben an den Tumor heranbringen. 

Wickham und Degrais haben einen englischen Arzt behandelt, bei 
dem die Diagnose auf Prostatakarzinom mit Ausdehnung auf die Blase 
von englischen und französischen Spezialisten gestellt worden war. Seit 
bald 4 Jahren haben dank einer methodischen Behandlung die subjektiven 
Symptome allmählich aufgehört und parallel dazu verschwanden auch die 
objektiven Symptome mehr und mehr. Momentan kann man weder pal- 
pitorisch noch zystoskopisch noch eine Veränderung finden, wo früher nie- 
mand an der Diagnose gezweifelt hatte. | 

In einem anderen Falle, bei einem französischen Arzt, hat das Radium, 
in methodischer Weise während eines Jahres angewandt, die Hämor- 
rhagien beseitigt und das Volumen der Prostata derart vermindert, daß 
der vorher inoperable Fall operiert werden konnte. Der mikroskopische 
Befund zeigte, daß es sich um ein Adeno-Epitheliom handelte. 

In vielen anderen Fällen, in welchen die Prostata bedeutend ver- 
erößert war und eine beträchtliche Retention verursachte, wich letztere 
parallel mit der Volumabnahme des Organs nach und nach. 


Oesophaguskarzinom. 


„Die Möglichkeit, das Radium in kleinen Tuben genau an die Stelle 
zu bringen, wo man die Verengerung mit Hilfe der Oesophagoskopie oder 
der Radiographie feststellen konnte, macht diese Behandlung zu einer relativ 
leichten. Die Kranken behalten die Sonde ein bis zwei Stunden oder 
mehr, je nach ihrer Toleranz. Nach und nach verschwindet das Brechen 
langsam und die Nahrungsaufnahme erfolgt leichter: die Nahrung kann 
immer konsistenter werden. Die Kräfte kehren progressiv wieder und die 
Kranken gewinnen an Körpergewicht. Zwei und drei Jalıre betragen die 
Remissionen, während deren die Kranken ihrem normalen Leben nachgehen 
konnten.“ 

Die Folgerungen, die man aus diesen Tatsachen ziehen muß, sind 
folgende: 

Wenn man diese Krebsart operieren kann, so soll man lieber sofort 
operieren. Aber in den inoperablen Fällen oder in solchen, die es nur 
durch ihre Lokalisation sind (Oesophaguskarzinom) ist das Radium das 
einzige Mittel, welches dem Kranken Erleichterung, ein erträgliches Dasein 
und in manchen Fällen den Schein einer Heilung verschafft. 


484 Bayet, 


III. Radiumbehandlung als Vorbehandlung für den chirurgischen 
kingriff. 

Ich bin überzeugter Anhänger dieser Methode, welche man meiner 
Ansicht nach nicht oft genug anwendet. Die präoperatorische Bestrahlung 
wirkt auf zwei verschiedene Arten: 

1. Durch Zerstörung der aberrierenden Keime, die um die Haupt- 
masse des Tumors zerstreut sind. Sei es dal diese Disseminierung auf 
dem Wege der Metastase oder des Kontakts vor sich geht, jedenfalls exi- 
stieren oft in einem gewissen Umkreise des Tumors Karzinonzellen, die 
das Auge nicht wahrnehmen kann und von denen später die Rezidive aus- 
gehen. Die Radium bestrahlung erreicht sie und zerstört sie. Das Opera- 
tionsfeld wird sozusagen sterilisiert und zwar in jeder Tiefe und die Ur- 
sachen einer weiteren Aussaat werden vermindert. 

2. Durch Lösen der Verwachsungen des Tumors mit den umgebenden 
Geweben. Die Lösung dieser Adhärenzen ist eine allgemein anerkannte 
Eigenschaft der Radiumbehandlung. Man sieht dies besonders deutlich, 
wenn man einen Brustdrüsenkrebs bestrahlt. Die Haut, die oft mit dem 
Tumor verwachsen ist, wird frei beweglich, der im Drüsengewebe sitzende 
Tumor selber löst sich von demselben los, Bedingungen, die für einen 
chirurgischen Eingriff und besonders für eine Prophylaxe der Rezidive 
äußerst günstig sind. Unter diesen Verhältnissen wirkt die Bestrahlung 
zum Teil auf das den Tumor umgebende Zellgewebe, besonders aber auf 
die jungen Zellen der peripheren Fortsätze des Tumors. Es tritt so ein 
Beginn der Heilung schon vom Einsetzen des chirurgischen Eingriffs ein. 


IV. Postoperatorische Radiumtherapie. 


Man kann sagen, dal) die Behandlung der Narbenzone nach der Opera- 
tion mit Radium oder Röntgenstrahlen die Prognose der chirurgischen 
Eingriffe auf Krebse sehr verbessert hat. Man muß sogar beim jetzigen 
Stande der Wissenschaft es als einen großen Fehler ansehen, wenn man 
die Bestrahlung der Zone, in der Rezidive möglich sind, sei es mit Röntgen- 
oder Radiumstralllen verabsäumt hat. 

Man muß eingreifen, sobald die Narbe gebildet ist und zwar in ge- 
wissen Zeiträumen, welche nach dem Fall wechseln, die aber nie 3 bis 
4 Monate überschreiten dürfen. 

In diesen Fällen müssen schr harte Strahlen angewendet werden mit 
einem Bleitilter von 2 Millimeter Dicke. Auch die Zone, welche die Narbe 
umgibt, muß breit bestrahlt werden. 

Die Radiumplatten werden am besten über Nacht appliziert und jede 
Stelle wird 80 bis 100 Stunden bestrahlt. 


Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 485 


V. Behandlung der Rezidive. 

In der Behandlung der Rezidive findet das Radium eine konstante 
Verwendung. 

Denn aus vielen Gründen mul man in diesen Fällen oft auf eine 
neue Operation verzichten. 

Vor allem verweigern die Kranken oft eine zweite Operation. In 
anderen Fällen sind die Rezidive infolge ihrer Lokalisation inoperabel. In 
anderen Fällen sind die Rezidive multipel und bestehen in disseminierten 
Knoten, die zahlreich und weit voneinander entfernt sind, so daß an eine 
Operation nicht zu denken ist. In all diesen Fällen ist das Radium von 
unbestreitbarem Wert. Ich gehe soweit, zu sagen, dal diese Rezidive bei 
ihrer Häufigkeit eine Hauptindikation für das Radium abgeben. 

Ich habe eine große Anzalıl derartiger Fälle behandelt und immer 
habe ich bei einer sowieso verzweifelten Situation die möglichste Besse- 
rung erzielen können. Es ist dies schon ein nennenswerter Erfolg in so 
verzweifelten Fällen, wie es die Karzinomrezidive sind. 

Um noch einmal darauf zurückzukommen, man muß mit kräftiger, 
stark filtrierter Strahlung arbeiten, wenn das Rezidiv tief sitzt. Ich ver- 
wende Platten von 300000 radioaktiven Einheiten mit 2 Millimeter Blei 
als Filter und einer Bestrahlungsdauer von 100 Stunden. Für die sub- 
kutanen Knoten verwende ich ein viel schwächeres Filter von einhalb Milli- 
meter Blei und lasse das Radium 20 Stunden einwirken. 

Wenn man über eine genügend große Anzahl von Radiumplatten ver- 
fügt, kann man die weitere Aussaat der knötchenförmigen Metastasen ver- 
hindern, welche in ihren Konsequenzen so schrecklich sind und gegen welche 
die Chirurgie ohnmächtig ist. 

Ich verfüge über die Krankengeschichte eines Falles, in welchem ich 
zwei Jahre lang die weitere Ausbreitung dieser Knötchen verhindern konnte. 
Die Kranke erlag einer Metastase in der Pleura. 

In einem Fall von rezidiviertem Epitheliom des Halses konnte ich den 
Tumor zum Verschwinden bringen und 2 Jahre lang dem Kranken ein 
schmerzloses und symptomenfreies Weiterleben verschaffen. Der Kranke 
erlag einer Lebermetastase. 

Es wäre aber allzu optimistisch geurteilt, wenn man auf ein definitives 
Verschwinden des Rezidivs zählen wollte. Sicher hat man Beispiele dafür 
gesehen. Gewöhnlich kommt aber ein Augenblick, in dem aus unbekannten 
Gründen der auf ein Minimum geschrumpfte Tumor wieder zu wachsen 
anfängt und auf Radium nicht mehr reagiert. Man ist dann entwaffnet 
und muß den Dingen ihren Lauf lassen. Dies geschieht gewöhnlich nach 
1 bis 2 Jahren. Während dieser Zeit konnte der Träger eines inoperabeln 
Rezidivs ein von Schmerzen und Störungen freies Leben haben. Es ist 


486 Bayet, 


(dies ein Vorteil, den man bisher mit keinem Mittel außer mit den Röntgen- 
strahlen erreichen konnte. 


VI. Radiumbehandlung der inoperabeln Karzinome. 


Früher war ein inoperables Karzinom identisch mit einem unheilbaren. 
Jetzt ist es in manchen Füllen anders und sicher diagnostizierte, inoperable 
Karzinome sind unter Radiumwirkung für lange Zeit zum Schwinden ge- 
bracht worden. 

Die Gründe für die Unmöglichkeit der Operation sind zahlreich. Vor 
allem kann die Ausdehnung einer Läsion dieselbe inoperabel machen. Darın 
kommt die Unmöglichkeit, sie genügend im Gesunden zu exstirpieren: zuletzt 
muß man die Gründe berücksichtigen, welche aus dem Allgemeinbefinden 
oder dem zu großen Alter der Patienten entspringen. 

Es ist selbstverständlich, daß man bei zu ausgedehnten oder zu schlecht 
liegenden Karzinomen weit entfernt ist, in allen Fällen brillante Resultate 
zu erhalten. In diesen verzweifelten Fällen ist es mir aber manchmal ge- 
lungen, den Tumor bedeutend zu verkleinern, seine Entwicklung zu hemmen 
und dem Kranken einen erträglichen Lebensrest zu verschaffen. Hier eine 
Beobachtung, die dies bekundet: Es handelt sich um eine Frau mit ulze- 
riertem Scirrhus der Brustdrüse und Ödem des Armes. Die Radiumappli- 
kation brachte die Ulzeration zur Vernarbung, hemmte die weitere Aus- 
dehnung des Tumors und verlängerte das Leben der Kranken um 3 Jalıre. 

In den relativ häufigen Fällen, in denen ein zu großes Alter der 
Patienten die Operation verhindert, erweist das Radium unberechenbare 
Dienste. Ich muß bemerken, daß bei diesen Karzinomen des hohen Alters 
- weniger die radikale Heilung als die Hemmung des Wachstums des Tumors 
zu erstreben ist. Man muß eine Ulzeration desselben verhindern und ver- 
hüten, daß der Kranke den Schrecken eines Krebsgeschwüres ausgesetzt 
wird. In den letzten Jahren gelang es mir in drei Fällen ein unerhofites 
Resultat zu erzielen und dies in Füllen von Brustdrüsenkrebsen, die auf 
dem Punkte waren, zu ulzerieren und bei denen eine Operation unmög- 
lich war. 

In zweien dieser Fälle handelte es sich um sehr proliferierende Kar- 
zinone, für welche eine Ulzeration imminent war. Unter der Radıumwir- 
kung wurde der Tumor beweglich und verlor an Volumen. Bei beiden 
über SO Jahre alten Kranken hielt sich dieses Resultat ungefähr 2 Jahre 
lang bis zum Tode, der bei der einen infolge von Erkältungspneumonie. 
bei der anderen infolge einer Apoplexie erfolgte. 

Im dritten Fall handelte es sich um eine 84jährige Frau mit tief 
ulzeriertem Mammakarzinom. Von einer Operation konnte keine Rede sein. 
Die Radiumapplikationen brachten die Ulzeration bald zur Vernarbung: der 


Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 487 


Tumor wurde kleiner und wurde auf der Unterlage beweglich. Nach einem 
Jahr entstand infolge von Unachtsankeit der Kranken, die mich nicht bei 
Zeiten benachrichtigte, ein Rezidiv, das auf dieselbe Weise und mit dem- 
selben Erfolg behandelt wurde. Der Anfang der Behandlung geht auf 
21/, Jahre zurück. Die Kranke erfreut sich einer vorzüglichen Gesund- 
heit. In der Höhe der Mamma findet sich ein sklerosierter Knoten 
als letzter Rest des Karzinoms. 

Man kann behaupten, daß in derartigen Fällen das Radium alles er- 
füllt hat. was man überhaupt von ihm erwarten konnte. 


VII. Radiumtherapie der Sarkome und Lymphosarkome. 

Es bleibt mir noch übrig, einige Worte über die Behandlung der Sar- 
kome und Lymphosarkome zu sagen. 

Wie auf die Röntgenbehandlung, so reagieren auch auf die Radium- 
behandlung manche äußerst rasch, andere sind refraktär. 

Manche Fälle sind infolge ihrer Ausdehnung und ihrer Verwachsungen 
inoperabel. Zu diesen gehören die Fälle von Lymphadenomen oder Sar- 
komen des Halses, welche den Gefäß- und Nervenstrang umwachsen. Ich 
habe mehrere derartige absolut verzweifelte Fälle behandelt und den Kranken 
das Leben um ein bis anderthalb Jahre verlängern können. 

Herr Dr. Degrais erwähnt in den Aufzeichnungen, die er mir zur 
Verfügung zu stellen die Liebenswürdigkeit hatte, zwei Fälle, in welchen 
er die Patienten retten konnte, wenn auch die Heilungen erst kurze Zeit 
zurückliegen. 

Im ersten Falle zeigte ein 18jähriges Mädchen ein Rezidiv eines Hals- 
sarkoms (mit mikroskopischer Diagnose), das 6 Monate vorher operiert 
worden war. Es handelt sich um einen großen Tumor, der den ganzen 
Raum zwischen dem unteren Unterkieferrand und der Clavicula einnahm 
und den Larynx nach vorn verlagerte. Schlucken und Atmung waren sehr 
erschwert, das Allgemeinbefinden sehr schlecht. In den Tumor wurden 
radıumhaltige Tuben eingeführt, die den Tumor zum Schwinden brachten. 
Seit einem Jahre ist kein Rezidiv aufgetreten. 

Eine andere Kranke von 54 Jahren zeigte ein großes Lymphadenom 
der linken Halsseite, das stark in den Pharynx gewuchert war. Das 
Schlucken war sehr beschwerlich, ebenso die Atmung. Jetzt, 3 Monate 
nach der Behandlung bleibt von dem voluminösen Tumor nur ein kleiner 
beweglicher Knoten, der eventuell enukleiert werden könnte. Der ganze 
Teil des Tumors, der die Mandel zurückdrängte und den Pharynx verlegte, 
war verschwunden. 

Es ist unmöglich, zu sagen. wie lange diese Erfolge andauern werden. 


488 Bayet, 


Man muß aber diese guten Erfolge der Radiumtherapie hervorheben. wo 
die Chirurgie ohnmächtig und die Röntgenstrahlen unwirksam waren. 

Am Schlusse meiner Arbeit angelangt, die ich noch viel weiter hätte 
ausführen können, wenn ich in die Details der Technik der Radiumanwen- 
dung eingegangen wäre und ihre Resultate mit anderen Methoden ver- 
glichen hätte, ziehe ich aus einer schon langen Praxis der Radiumtherapie 
fulgende Schlußfolgerungen: 

1. Das Radium bildet ein erstklassiges Mittel in der Behandlung des 
Karzinons. 

2. Damit die Methode alles leistet, was sie leisten kann (besonders 
bei den subkutanen Karzinomen), muß man über beträchtliche Radium- 
quantitäten (mindestens 10 Zentigramm) verfügen, da man auf grobe 
Flächen einwirken und starke Filter anwenden muß. 

3. Die Methode ist leicht anzuwenden, schmerzlos und setzt uns nicht 
Zufällen aus, welche auch nur im geringsten den bei Röntgenstrahlen ein- 
tretenden zu vergleichen sind, selbst wenn wir die Radiumbehandlung bis 
zum Äußersten forzieren. 


Oberflächliche Karzinome: 


4. Bei den oberflächlichen Karzinomen der Haut und der Schleim- 
häute ist die Radiumtherapie die Methode der Wahl, infolge ihrer 
leichten Anwendbarkeit, der Möglichkeit streng zu lokalisieren und der 
Schönheit der Narbe. Nur die Röntgenstrahlen können in dieser Be- 
ziehung mit dem Radium in Konkurrenz treten. 

5. Einige seltene Formen von Epitheliom der Haut und der Schlein- 
häute reagieren auf Radium nicht günstig. 


Tiefe Karzınome: 


6. Die tiefen Karzinome der Bauch- und Brusthöhle gehören bis jetzt 
nicht der Radiumtherapie an infolge der Schwierigkeit, eine genügen(le 
Strahlenmenge an sie heranzubringen. 

7. Die erreichbaren tiefen Krebse reagieren im allgemeinen auf Ra- 
dium. Eine eingehende Untersuchung ist noch nötig, um diejenigen heraus- 
zutinden, die infolge ihrer histologischen Struktur sich refraktär verhalten. 

8. Wenn eine Operation genügend im Gesunden vorgenommen werden 
kann, so soll man lieber operieren. 

9. Die vorbereitende Bestrahlung vor der Operation ist in vielen Fällen 
nützlich. 

10. Die Bestrahlung nach der Operation ist erforderlich. 

In diesen beiden Fällen kann die Strahlenbehandlung entweder mit 
Radium oder mit harten Röntgenstrahlen erfolgen. 


Die Behandlung des Krebses mittels Radium. 489 


11. Das Radium ist die Behandlung der Wahl der Rezidive und in- 
operabeln Karzinome. | 

12. Das Radium ist in Form von Tuben die Behandlung der Wahl 
der inoperabeln Karzinome des Uterus, der Prostata und des Ösophagus. 

13. Es wirkt in bemerkenswerter Weise in manchen Formen von 
Lymphom und Lymphosarkonı. 

Dies sind die Schlußfolgerungen, zu denen ich nach einem so objektiv 
als möglich gehaltenen Studium der Radiumapplikationen gelangt bin. Wie 
man gesehen hat, will ich durchaus nicht das Radium als das ausschließ- 
liche Mittel in der Krebsbehandlung preisen. Alle diejenigen, welche eine 
große Zahl Karzinome gesehen haben, wissen, dal es leider keine aus- 
schließliche Behandlungsmethode gibt, ja daß es überhaupt keine Methode 
gibt. Man muß eklektisch vorgehen. Diejenigen haben den besten Er- 
folg, welche nur ganz zum Schlusse einen Fall als unheilbar oder nicht 
besserungsfähig bezeichnen und welche alle Waffen anwenden, die zu ihrer 
Verfügung stehen. 

Von diesem Gesichtspunkte aus hat die Hinzufügung der Bestrahlungs- 
methoden, seien es die Röntgenstrahlen oder das Radium, zur chirurgischen 
Behandlung des Krebses die Prognose mancher Operationen besonders beim 
Mammakarzinom sehr verbessert. 

Ich wollte in dieser Arbeit zeigen, welche Vorteile man aus der Ra- 
diumanwendung im Kampfe gegen das Karzinom ziehen kann und ich 
glaube bewiesen zu haben, daß es immer ein kostbares Adjuvans und 
häufig die Methode der Wahl ist. 


Übersetzt von Dr. A. Gunsett-Straßburg i. E. 


(Aus der Chirurgischen Klinik der Universität Kiel.) 


Zur Frage der Dauerheilungen von Sarkomen durch 
Röntgenstrahlen. 


Von 
Dr. 0. H. Petersen, Assistenzarzt. 


Į der Reihe der bösartigen Geschwülste nehmen die Sarkome eine be- 
sondere Stellung ein. Dies gilt zunächst einmal in pathologisch-anato- 
mischer und histologischer Beziehung. Wir fassen unter dem Namen Sar- 
kom heutzutage noch eine ganze Reihe von Tumoren zusammen, die doch 
in ihrem Verhalten sowie in ihrem Bau sehr große Unterschiede aufweisen: 
und es ist wohl ziemlich sicher, daß mit der fortschreitenden Kenntnis in 
bezug auf manche Tumoren, die wir jetzt noch den Sarkomen zurechnen. 
später einmal eine andere Gruppierung eintreten wird. Zum Teil ist dies 
ja heutzutage schon geschehen. So ist z. B. von den Knochensarkomen 
jetzt auf Grund neuerer Forschungen das Krankheitsbild der Ostitis fibrosa 
scharf zu trennen und den entzündlichen Veränderungen zuzurechnen. ein 
Unterschied, der praktisch von enormer Wichtigkeit ist. Denn während 
wir bei einem Sarkom gezwungen sind, in radikalster Weise vorzugehen, 
genügen bei der Ostitis fibrosa meist sehr viel kleinere Eingriffe. Ja, es 
kommen hier zweifellos sogar Spontanheilungen vor. Durch die Trennung 
dieser beiden Erkrankungen findet auch die Tatsache, die den Chirurgen 
schon längere Zeit bekannt ist, ihre Erklärung, nämlich, daß bei manchen 
bisher für Knochensarkome gehaltenen Tumoren bereits eine Heilung durch 
eine einfache Exkochleation zu erzielen ist. Es sind dies eben keine Sar- 
kome, sondern Fälle von Ostitis fibrosa. Ein anderes Krankheitsbild. 
das früher oft den Sarkomen zugerechnet wurde, sind die sogenannten 
malignen Lymphome. Jetzt sind sich wohl die meisten Forscher darüber 
einig, dal} wir es hier mit einer von echtem Sarkom durchaus verschiedenen 
Krankheit zu tun haben, die auch wohl den entzündlichen Veränderungen 
zuzurechnen ist, deren Wesen aber auch noch weiterer Aufklärung bedarf. 
So werden sich im Laufe der Zeit voraussichtlich auch noch andere Formen 
abtrennen, die wir bei dem heutigen Stande unserer Kenntnisse noch den 
Sarkomen zuzählen müssen. Aus dieser Schwierigkeit der Zuteilung ge- 
wisser Formen von Geschwülsten im allgemeinen ergeben sich ohne weiteres 
auch die diagnostischen Schwierigkeiten für emzelne Fälle. Ist es doch 


Petersen, Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 491 


manchmal selbst mikroskopisch kaum möglich, mit Sicherheit zu entscheiden, 
ob ein Tumor als Sarkom anzusehen ist oder nicht. Es ist dies wohl eins 
«ler schwierigsten Gebiete der pathologisch-histologischen Diagnostik, auf 
clem es ja auch oft zu Meinungsverschiedenheiten kommt. 

Unter diesen Umständen kann es nicht wundernehmen, daß die Sar- 
kome auch der Behandlung mit Röntgenstrahlen gegenüber ein durchaus 
verschiedenes Verhalten zeigen. Während z. B. die Karzinome im all- 
gemeinen ziemlich gleichmäßig um so besser zu beeinflussen sind, je ober- 
tlächlicher sie liegen, d. h. also, je größer die Strahlenmenge ist, die wir 
an sie heranbringen können, sehen wir bei den Sarkomen Unterschiede 
von absolut refraktärem Verhalten, ja sogar beschleunigtem Wachstum 
bis zu einer geradezu frappierenden Empfindlichkeit gegen die Strahlen, 
so daß manche Tumoren, um einen häufig gebrauchten Ausdruck zu 
wiederholen, dahinschmelzen wie Schnee vor der Sonne. Dies ist 
aber nicht von der Zugänglichkeit für die Strahlen abhängig, sondern 
die verschiedenen Tumoren haben eine ganz verschiedene Radiosensi- 
bilität. Bisher ist es aber noch nicht gelungen, einen sicheren Zu- 
sammenhang zwischen histologischem Bau und Röntgenempfindlichkeit 
festzustellen. Die Beantwortung einer solchen Frage, deren Bedeutung für 
eine sichere Indikations- und Prognosestellung auf der Hand liegt, ist 
natürlich nur möglich unter Verwendung des gesamten Materials einzelner, 
die über eine größere Anzahl in gleicher Weise behandelter Fälle verfügen, 
wie es z. B. Kienböck getan hat, ohne jedoch ein sicheres Resultat er- 
halten zu haben. Denn bei den großen Verschiedenheiten, die zur Zeit 
noch bei den einzelnen Röntgenologen bezüglich Dosimetrie, Dosierung, 
Qualität der Strahlen, Fokus-Hautdistanz usw. bestehen, ist es nicht gut 
möglich, Vergleiche zwischen den Fällen verschiedener Autoren über die 
Beziehungen zwischen Bau und Röntgenempfindlichkeit anzustellen. Das 
gleiche gilt bezüglich der Feststellung des Verhältnisses zwischen Erfolgen 
und Mißerfolgen, d. h. also, in wieviel Prozent etwa Aussicht auf Erfolg 
besteht. Auch hierbei ist nur das ganze Material eines einzelnen, nicht 
aber das bisher veröffentlichte Material in seiner Gesamtheit verwertbar. 
Wohl aber kann uns dieses zur Beantwortung einer anderen Frage dienen, 
nämlich, ob überhaupt und wie oft nach den in der Literatur vorliegenden 
Fällen durch die Behandlung mit Röntgenstrahlen bisher einwandsfreie 
Dauerheilungen von Sarkomen erzielt sind. 

Eine derartige Zusammenstellung dürfte zur Zeit wohl auch einen ge- 
wissen historischen Wert haben. Denn was wir in der bisher vorliegenden 
Literatur finden, sind zum größten Teil Fälle, die noch mit einer ziemlich 
primitiven Methodik behandelt sind. Dagegen befinden wir uns jetzt auf 
Grund der wissenschaftlichen Erforschung der Wirkungen der Röntgen- 


492 Petersen, 


strahlen und der radioaktiven Elemente, in der letzten Zeit in einen 
Übergangsstadium zu einer rationellen und wirksamen Methodik, die 
uns weit bessere Erfolge erhoffen läßt. Da mag es rückblickend von be- 
sonderem Interesse sein festzustellen, was bisher auf einem bestimmten 
Gebiete, dem der Sarkumbehandlung, geleistet ist. Diesem Zweck soll die 
vorliegende Arbeit dienen. 

Ich lasse nun zunächst eine Zusammenstellung der in der Literatur 
als Heilungen von Sarkomen veröffentlichten Fälle folgen, indem ich die 
Krankengeschichten auszugsweise, soweit sie später zur Beurteilung erfor- 
derlich sind, wiedergebe. 

Johnson (nach Pfahler). 

I. 56jähr. Mann. Entfernung des ganzen rechten Musculus rectus wegen eines 
kleinen Rundzellensarkoms. Da radikale Entfernung nicht möglich, Röntgenbestrah- 
lung, 65 Sitzungen in 5 Monaten. Heilung. Nach 3!/, Jahren rezidivfrei. 

II. 42jähr. Frau. Rezidiv eines Fibrosarkoms, das Haut, Unterhautzellgewebe 
und Periost ergriffen hatte und nur mitVerletzung vonUrethra, Labia majora und minora 
und Clitoris hätte entfernt werden können. 40 Bestrahlungen in 5 Monaten. Heilung. 
3Y/, Jahre rezidivfrei. 

Ill. Eine Frau, bereits dreimal operiert wegen einer Geschwulst, die die obere 
Brust, die Suprasternalgegend und das linke Halsdreieck bis hinauf zum Ansatz des 
M. sternocleidomastoideus einnahm. Heisere Stimme, Atemnot. Breite, krater- 
förmige Ulzerationen mit jauchigem Sekret. Heilung durch Röntgenstrahlen. 3!/, 
Jahre rezidivfrei. 

Shoemaker (nach Pfahler). 

36 jähr. Frau. Großer Tumor der unteren Bauchwand, der Blase und des Darmes, 
durch Probelaparotomie als inoperabel festgestellt. Histologisch. Fibrosarkom. 49 
Röntgenbestrahlungen in 9 Monaten. Rezidivfrei 3 Jahre nach Behandlung. 

Judd (nach Pfahler). 

Probelaparotomie bei einer Frau im Januar 1903 wegen linksseitigem Abdominal- 
tumor von Kindskopfgröße. Entfernung unmöglich. Probeexzision ergab Spindel- 
zellensarkom. Tumor schwand durch Röntgenbestrahlungen. Rezidiv Dezember 1904, 
in 5 Monaten wieder zum Verschwinden gebracht. September 1905 abermals Rezidiv 
von Zitronengröße, das in 3 Monaten verschwand. ZRezidivfrei 21 Monate nach Be- 
handlung. 

McMaster (nach Pfahler). 

67 jähr. Mann mit Rundzellensarkom, das sich vom Kieferwinkel bis zur Clavicula 
und bis zwei Zoll hinter das Ohr erstreckte; inoperabel. Besserung durch 5wöchige 
Bestrahlung. Dann 3 Monate Coley’s Toxine ohne Erfolg. Darauf Wiederbestrahlung 
bis zur Heilung. Rezidivfrei 2 Jahre nach der Behandlung. 

Pusey. 

I. 24jähr. Mann. Februar 1901 harte Geschwulst von Haselnußgröße an der 
linken Halsseite am Kieferwinkel bemerkt. Allmähliches Wachstum. Mai 1901 ähn- 
liche Geschwulst unter dem rechten Processus mastoideus. Rasches Wachstum. 
Befund am 18. August 1901: Harte freibewegliche hühnereigroße Geschwulst unter dem 
linken Kieferwinkel, nicht empfindlich. Unter dem oberen Drittel des M. sternocleidom. 
links ebenfalls eine harte Geschwulst, nicht beweglich, nicht empfindlich. Faustgroße 
sehr harte Geschwulst unter rechtem Ohr und Proc. mast., nicht beweglich, nicht 


Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 493 


empfindlich. Am 19. August operative Entfernung der Tumoren links. Mikroskopische 
Untersuchung ergibt kleinzelliges Rundzellensarkom. Glatte Heilung. Am 2. Septem- 
ber erstreckte sich der Tumor rechts vom Kieferwinkel bis auf einen Zoll an die hintere 
Medianlinie und vom Proc. mast. fast bis zur Clavicula. Tumor jetzt druckempfindlich. 
Vom 2. bis 27. Sept. 21 Bestrahlungen mit harter Röhre und schwachem Licht. Röhren- 
abstand 5 cm. Dauer 10 bis 15 Min. Leichtes Erythem am 17. Sept. entwickelte sich 
bis 27. zu einer ausgesprochenen Dermatitis, die anfänglich noch zunahm, dann abheilte 
bis 12. Okt. Tumor in 10 Tagen deutlich geschrumpft. Halsumfang bis 17. Sept. 
um 3!/, Zoll geringer. Am 11. Okt. war nur noch eine kleine freibewegliche, schmerzlose 
Drüse von Mandelkerngröße vorhanden. Am 7. Sezember, laut Bericht des Patienten 
hat die Drüse nur die Größe einer halben Mandel, ebenso am 12. Januar 1902. 3 Monate 
nach beendigter Behandlung kein Zeichen von Rezidiv. Mikroskopisch wurde nur die 
linke Seite untersucht und daraus auf die rechte geschlossen. 

11.2) Sarkom der Parotis, mehrere Wochen bestrahlt: keine histologische Unter- 
suchung. 14 Monate später kein Rezidiv. 

IlI.!) Sarkom der Brustwand. 7 Monate bestrahlt. Keine histologische Unter- 
suchung. 14 Monate später kein Rezidiv. 

IV.!) Sarkom der Drüsen an der Parotis, 3 Monate bestrahlt. Keine histologische 
Untersuchung. 8 Monate später kein Rezidiv. 

Walker. 

31 Jahre alter Farmer, erste Konsultation 20. Febr. 1902. Auf der rechten Backe 
vor dem Ohr ein schwarzer Tumor von 1!/, Zoll Durchmesser. Keine geschwollenen 
Halsdrüsen. Exzision des Tumors im Gesunden. Keine Heilung. Deutliches Rezidiv 
nach 2 Wochen in der Umgebung der Wunde und unter dem Kieferwinkel, rasches 
Wachstum. Am 22. März abermalige Operation. Weite Exzision der alten Wunde, 
Verlängerung des Schnittes und Entfernung des Tumors am Halse, der sich tief zwischen 
den Gefäßen bis zur Wirbelsäule erstreckte. Sternocleidomast. zum Teil infiltriert, 
wurde exzidiert. Exkochleation in der Tiefe der Wunde, da Radikaloperation unmög- 
lich. Tamponade. Keine Heilungstendenz, sondern rapides Fortschreiten des Pro- 
zessesin der Umgebung. Als letztes Mittel am 1. Mai Bestrahlung beschlossen. Wunde 
war 2 Zoll tief, die Umgebung infiltriert, nahm fast die ganze Halsseite ein. Bei der 
Schwere des Falles energische Bestrahlung, selbst auf die Gefahr einer Verbrennung. 
Entfernung der Röhre anfänglich 6 Zoll, später 3 Zoll. Gesicht und Schulter durch 
Blei abgedeckt. Erste Sitzung 10 Minuten, später auf 20 und 30 erhöht. Einige Be- 
strahlungen jeden zweiten Tag, dann täglich. Bisweilen sehr starke Reaktion, worauf 
einige Tage Pause. Niemals Verbrennung oder starke Unannehmlichkeit. Nach der 
ersten Bestrahlung traten keine schwarzen Flecken mehr auf, nach der dritten deut- 
liche Besserung, nach 2 Wochen völlige Vernarbung. Infiltration schwand allmählich. 
Am letzten Juli außer Narbe nichts mehr sichtbar. Im folgenden Monat wöchentlich 
eine Bestrahlung, dann 1 mal monatlich. Histologische Untersuchung ergab alveo- 
läres melanotisches Sarkom. 

Krogius. 

40jähr. Schiffer, am 7. Januar 1901 wegen eines Tumors des Hinterhauptes 
operiert. Wegen diffuser Ausbreitung Radikaloperation nicht möglich; es wurden mit 
dem Periost zusammenhängende Teile sowie in den Knochen hineingewucherte Tumor- 
massen zurückgelassen. Am 21. Sept. 1901 abermalige Operation wegen Rezidiv am 
Hinterhaupt sowie an der Stirn. Tumor wiederum soweit möglich entfernt. Aber- 


1) Fall II-IV nach Kienböck. 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 32 


494 Petersen, 


malige Aufnahme am 13. Januar 1903. Es findet sich am Hinterhaupt wiederum eine 
Geschwulst, 14. Aug. 6 cm groß, ohne scharfe Grenze in den Knochen übergehend. 
andieser Stelle ziemlich derb, sonst mehr weich-elastisch. Ferner an der Stirn, oberhalb 
des rechten Tuber frontale, 3,2 cm großer Tumor, sowie eben dort links der Medianlinie 
kleinerer Tumor von der Größe eines Daumenendes. Außerdem an Stirn und Scheitel- 
bein noch zahlreiche kleinere Höcker von etwa Fingerbeerengröße. Sonstige Metastasen 
nicht nachweisbar. Die mikroskopische Untersuchung der früher exstirpierten Tu- 
moren hatte ein zellreiches Rundzellensarkom mit mittelgroßen, etwas polymorphen 
Zellen und einzelnen Riesenzellen ergeben. Der Ausgangspunkt war offenbar das 
Periost des Schädeldaches. Da eine radikale Operation nicht mehr möglich war, wurde 
ein Versuch mit Röntgenstrahlen beschlossen. Beginn der Röntgenbehandlung am 
21. Januar. Bestrahlungszeit jeden Tag 10 Minuten, Entfernung der Röhre 15 bis 20 cm. 
Strahlung meist hart, mitunter aber auch mit weicheren Röhren. Im übrigen wurden 
in bezug auf Unterbrechungsfrequenz, Stromintensität usw. keine bestimmten Regeln 
befolgt. Zunächst in erster Linie Bestrahlung der Stirntumoren. Nach 8 Tagen deut- 
liche Verkleinerung, nach 14 Tagen Stirntumoren fast völlig verschwunden. Von jetzt 
an Bestrahlung der Hinterhauptsgeschwulst, Stirn nur noch sporadisch. Am 21. Febr. 
an Stelle der Stirntumoren nur noch kleine Vertiefungen des Knochens fühlbar, desgl. 
Scheiteltumoren verschwunden. Hinterhauptsgeschwulst von 14. 8. 6. cm auf 8. 6. 5. 
verkleinert. Bis dahin nur Haarausfall, keine sonstige Hautschädigung. Zeitweilig 
Schwindelgefühl nach Bestrahlung, sonst gutes Allgemeinbefinden, 3 Kilo Gewichts- 
zunahme. Fortsetzung der Behandlung in derselben Weise, an einigen Tagen sogar mit 
zwei Bestrahlungen zu 10 Minuten. Am 7. März Tumor kaum noch nachweisbar. Nach 
einigen Tagen wegen Nackenekzem Behandlung vorübergehend unterbrochen, dann 
sporadisch fortgesetzt. Entlassung am 31. März. Tumor völlig verschwunden, Haar- 
wuchs an den bestrahlten Stellen kaum vorhanden. Nachuntersuchung am 23. Juli, 
also 4 Monate nach beendigter Behandlung ergibt völlige Wiederherstellung des Haar- 
wuchses, keine Rezidive. Nach einer Mitteilung von Krogius in der 8. Versammlung 
des nordischen chirurgischen Vereins in Helsingsfors im August 1909 war der Patient 
auch nach 3 Jahren noch völlig rezidivfrei. 

Chrysospathes. 

35jähr. Frau, Tumor der rechten Unterbauchseite, von Form und Größe einer 
Niere, hart und druckempfindlich, schwer beweglich. Tumor liegt rechts und hinten 
vom Uterus, Parametrien frei. Zunächst symptomatische Therapie. Als Patientin 
sich zur Opcration entschloß (August 1902), hatte der Tumor die Linea alba reichlich 
überschritten. Laparotomie ergab ausgedehnte Verwachsung mit Bauchwand und 
Dünndarm. Radikaloperation unmöglich, Probeexzision. Mikroskopische Unter- 
suchung ergibt kleinzelliges Rundzellensarkom, wahrscheinlich vom rechten Ovarium 
ausgehend. Einige Tage nach der Operation Bildung einer Dünndarmfistel. Nach 
Entlassung durch Behandlung mit Arsen und Chinin anfänglich subjektive Besserung, 
dann vermehrte Schmerzen. Ende September Verhärtung entlang dem Lig. rotundum 
festgestellt. Fisteln bestehen noch, sarkomatöse Geschwüre der ÖOperationsnarbe 
nehmen an Größe zu. Beginn der Röntgentherapie Ende November 1902. Bestrah- 
lungstechnik: Anfangs jeden zweiten oder dritten Tag 2 bis 3 Minuten mit mittelweicher 
Röhre, Entfernung 30 cm, 2!/, Amperes. Als die Haut dies gut vertrug, Erhöhung 
auf 4 bis 5 Amperes, 5 bis 10 Minuten, Abstand 20 bis 15 cm. Zuletzt nur noch 2, dann 
eine Sitzung pro Woche. Erfolg: Nach der ersten Sitzung völliges Verschwinden der 
bisher ununterbrochenen Schmerzen. Im weiteren Verlaufe Erweichung der Ver- 
dickungen um die Operationsnarbe, spontanes Aufbrechen und Entleeren von blutig- 


Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 495 


seröser Flüssigkeit. Dann Überhäuten der Geschwülste in 3 bis 4 Tagen. Weiterhin 
Vernarben der sarkomatösen Hautgeschwüre, Schließen der Fistel, Besserung des All- 
gemeinbefindens. Tumor selbst blieb anfänglich gleich groß. Seit Anfang Januar 
1903 erst langsame, dann rasche Abnahme, dann Verschwinden der Verhärtung am Lig. 
rotund. Bei Nachuntersuchung Mitte Juli 1903 nur Verwachsung der Operationsnarbe 
mit den unter ihr liegenden Teilen, keine Spur eines Tumors, keine Druckempfind- 
lichkeit. Anfang Dezember 1903 Befund derselbe. Patientin wird in Intervallen von 
2 bis 3 Wochen noch weiter bestrahlt. 

Albers-Schönberg. 

44jähr. Mann. Beginn der Erkrankung mit nußgroßer Geschwulst auf dem 
Scheitel. Trotz ärztlicher Behandlung erhebliche Größenzunahme und Auftreten neuer 
rasch wachsender Geschwülste auf dem Kopfe. Ein Tumor über dem Ohr apfelgroß. 
Tumor auf dem Scheitel zerfiel bald. Wegen der Größe der Tumoren wurde von 
Operation Abstand genommen. Röntgenbestrahlung: Kompressionsblende, Müller- 
sche Wasserkühlröhre von mittelweicher Qualität. Fokushautdistanz 36 cm. 
Jedes Geschwulstkonglomerat einzeln in die Blende eingestellt. Bestrahlung jeder 
Geschwulstpartie 12 Minuten am 16. und 17. September 1904. Mehrwöchige Pause, 
da Patient fortblieb. In der Zwischenzeit Verkleinerung der Tumoren. Wiederbeginn 
am 11. Oktober. Bis 12. Dezember erhielt der Scheiteltumor 18 Bestrahlungen zu je 
6 Minuten, der Schläfentumor bis 4. November zehn Bestrahlungen zu je 6 Minuten. 
Rapides Schwinden der Tumoren. Keine Reaktion. Es blieben nur gelblich pigmen- 
tierte Narben. Mikroskpische Untersuchung ergab kleinzelliges Sarkom. Nach einer 
Mitteilung von Haenisch im Röntgenkalender 1908 befand sich der Patient damals 
vollkommen wohl, nachdem 2 mal noch aufgetretene Rezidive von Kirschgröße prompt 
nach wenigen Sitzungen verschwanden. 

Sjögren (z. T. nach Kienbök). 

I. 48jähr. Eisenarbeiter. Seit Mai 1903 am rechten Nasenflügel dunkelgefärbte 
Geschwulst. Langsame Größenzunahme. Probeexzision Anfang November ergibt 
Spindelzellensarkom. Geschwulst jetzt bohnengroß, blaurot, fest, gut begrenzt, etwas 
druckempfindlich, Oberfläche etwas exkoriiert. Beginn der Behandlung am 9. Novem- 
ber. Nach einer Woche deutliche Verkleinerung. Zwei Wochen nach Beginn der Be- 
handlung abermals Probeexzision: Struktur fleckenweise verwischt, an anderen Stellen 
unverändert; Zellgrenzen hier und da undeutlich, ein Teil der Zellkerne färbt sich nicht. 
Schluß der Behandlung am 30. Dezember nach 36 Sitzungen zu 10 Minuten in einer 
Reihenfolge. Nähere Angaben über die Technik fehlen. Nach 4 Monaten an der Stelle 
des Tumors geringe Hautatrophie, sonst nichts wahrnehmbar. Nach 4 Jahren noch 
rezidivfrei (laut brieflicher Mitteilung von S;j.). 

II. 22jähr. Frau seit 9 Monaten kleiner Knoten an der Nasenwurzel. Langsames 
Wachstum, Schmerzhaftigkeit. Oberfläche etwas gerötet, knorpelartige Konsistenz. 
Mikroskopische Untersuchung ergibt Spindelzellensarkom. Größe Mitte Februar wie 
eine kleine Haselnuß. Beginn der Bestrahlung am 20. Februar 1904. Behandlung aus 
äußeren Gründen nicht täglich, Ende Mai beendet. Geschwulst völlig verschwunden, 
Nach 6 Monaten noch rezidivfrei. 

Clopatt. 

38jähr. Mann; taubeneigroße, bewegliche, harte Geschwulst in der rechten Fossa 
supraclavicularis. Vortreibung des Thorax und Dämpfung im Bereich des oberen 
Sternum. Röntgenologisch großer, in den Herzschatten übergehender medianer Schat- 
ten. Diagnose: Höchstwahrscheinlich Lymphosarkom im Mediastinum anticum. 
Keine histologische Untersuchung. Beginn der Röntgenbehandlung am 6. Mai 1904. 


32% 


496 Petersen, 


Harte Röhren, abwechselnd rechts und links vom Sternum, Röhrenabstand 20 cm. 
Bis 3. Juni 23 Sitzungen zu 4 bis 5 Minuten. Vom 4. bis 13. Juni ausgesetzt. Vom 
14. Juni bis 8. Juli 21 Bestrahlungen. Rückgang der Beschwerden vom Ende der 2. 
Woche an. Am 25. Juni Drüse am Hals nicht mehr fühlbar. Vom 8. bis 20. Juli Be- 


handlung wieder ausgesetzt. Vom 21. Juli bis 26. August 29 Sitzungen. Am 27. Au- 


gust 1904 aus Behandlung völlig beschwerdefrei entlassen. März 1905 noch 10 Be- 
strahlungen. Untersuchung am 24. März ergab völlig normale Verhältnisse. 

Kienböck. 

34jähr. Mann. Vor acht Jahren (1896) Lues aquiriert. Wegen Sekundärerscher- 
nungen wiederholte Kuren. Vor 4 Jahren beginnend Schmerzen in der rechten Thorax- 
hälfte, stets nachts. Vor 2 Jahren begannen Schwindelanfälle und Ziehen in der linken 
Kopf- und Gesichtshälfte, Druckgefühl im linken Auge, Schwellung und Rötung von 
Gesicht und Hals, Aderschwellung im Gesicht, später am Rumpf, Schlingbesch werden. 
Atembeschwerden. Alle Beschwerden blieben ziemlich konstant. Winter 1903:4 Ver- 
schlimmerung. August 1904 Anschwellung in der Gegend des 1. und 2. Rippenknorpel=. 
an Größe zunehmend. 4 Wochen später Drüsenschwellung an der rechten Halsseite. 
die später an Größe wechselte. Antiluetische Behandlung ohne Einfluß auf den Tumor. 
Januar 1905 Fieber, Husten, Parästhesien der linken Körperhälfte. Befund am 10. Fr- 
bruar 1905: In der rechten Supraclaviculargegend eine ca. haselnußgroße und kleinere 
harte Drüsen direkt hinter Sternocleidomastoideus-Ansatz. An der linken Halsseitı 
eine kleinere Drüse, einige Drüsen in der linken Axilla. Keine Kubitaldrüsen. Knorpel 
der zweiten und dritten Rippe vorgedrängt, Interkostalraum ausgefüllt. Große mediane 
Dämpfung, das Sternum beiderseits überragend. An Brust, Bauch, Armen und Beinen 
Venektasien. Röntgenologisch ebenfalls Mediastinaltumor nachgewiesen. Röntgen- 
therapie vom 10. Februar bis 17. April 1905 (gleichzeitig 30 Hg-Einreibungen à 2 v): 
Täglich Bestrahlung eines kreisrunden Herdes des Thorax mit ca.12 em Durchmesser. 
Richtung gegen das Mediastinum. Im ganzen ca. 30 Regionen 5 bis 6 Minuten lanz 
mit harter oder mittelweicher Röhre in ca. 12 cm Fokushautdistanz mit 3 bis 6 Quanti- 
metereinheiten bestrahlt. Sehr rasches Zurückgehen der Beschwerden. Am 4. Marz 
röntgenologisch starke Verschmälerung des Mittelschattens. Vom 18. März an auch 
täglich 3g Jod. Weitere Besserung. Die mikroskopische Untersuchung einer am WW. 
Mai exstirpierten kirschgroßen rechtsseitigen Supraclaviculardrüse ergab „alvevläre 
Drüsensarkom.‘‘ Am 22. Mai weiterer Rückgang des Tumors festgestellt: keine Be- 
schwerden. Weitere 10 Bestrahlungen. Nachuntersuchung am 10. Februar 19%: 
Tumor nicht wieder gewachsen, keine Drüsenschwellungen. Prophylaktische Radır 
therapie vom 10. bis 27. Februar. Dadurch Schwinden des Druckgefühles auf der 
Brust und der Parästhesien in den Armen. 

Wetterer. Idiopathisches Hautsarkom. Hühnereigroßer, länglicher. stark 
prominenter Tumor über dem Humeruskopf des linken Armes verschieblich, Haut von 
der Unterlage abhebbar. Der Tumor wurde weit im Gesunden exzidiert. Die hist 
logische Untersuchung bestätigte die Diagnose. Einige Tage nach der Operation wurden 
an mehreren Ein- und Ausstichstellen der Nähte dunkelblaurot verfärbte, stecknadel- 
kopfgroße, wie Pilze aus der Haut hervorstehende Knötchen bemerkt. Bestrahlun: 


aus 3 Richtungen, Bestrahlung der Supra- und Infraclaviculardrüsen und der der Axilla, ; 
die jedoch alle nicht palpabel waren. Im ganzen 30 H. Knötchen verschwanden bis auf 


eins, das trotz Bestrahlung die Größe eines Hirsekorn annahm, sich jedoch weich - 


anfühlte. Nach 2 weiteren Bestrahlungen war auch diese verschwunden. Fortsetzun: 
der Bestrahlungen in großen Intervallen mit Lederfilter. Nach brieflicher Mitteilunz 
jetzt noch, also seit über 6 Jahren nach der Operation, rezidivfrei. 


une 


Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 497 


Cohn. 

I. 57jähr. Mann. Seit etwa einem Jahr Drüsenschwellungen unter dem Unter- 
kiefer beiderseits, rasches Wachstum, zunehmende Atmungsbeschwerden. Exzision 
der etwa kleinapfelgroßen Tonsillen. Befund bei Beginn der Bestrahlung: Unter- 
kieferlinie verstrichen und mit haselnuß- bis hühnereigroßen Tumoren ausgefüllt. Vor 
und hinter M. sternocleidomast. bis zur Clavicula vereinzelte Drüsen. Verlauf: Nach 
l4tägiger Behandlung Halsdrüsen bedeutend verkleinert. Vermehrte Atembeschwerden 
durch Tonsillen, aus deren Lakunen ein schwammiges Gewebe hervorwucherte. Be- 
strahlung auch der Tonsillen durch Tubus. Nach mehrwöchiger Behandlung sämtliche 
Schwellungen verschwunden. Gutes Allgemeinbefinden. Behandlung mit 8 wöchiger 
Unterbrechung bis heute fortgesetzt. Vorübergehend Inguinaldrüsenschwellung. Zur 
Zeit Milzschwellung mit Druckgefühl. Seit 7 Monaten keine Drüsenschwellungen mehr. 
Histologische Diagnose der Tonsillentumoren: Lymphosarkom. 

1I. 39jähr. Mann. Vor 2!/, Jahren Geschwulst der linken Halsseite, in einem 
Jahr bis zu Faustgröße angewachsen. Operation ergab schwammiges Drüsengewebe, 
histologische Diagnose: Lymphom. Rezidiv im Anschluß an die Operation. Schnelles 
Wachstum. Befund Anfang Mai 1905: Von der linken Wange bis zum Schlüsselbein 
etwa faustgroße Schwellung, knollig, gegen Unterlage wenig verschieblich, Haut 
darüber gut verschieblich. Geringe Milzschwellung. Nach 4wöchiger Behandlung 
Tumormassen völlig verschwunden. Trotzdem weitere 4wöchige Bestrahlung. Seit 
5 Monaten nicht mehr behandelt. Jetziger Befund: Keine Tumoren mehr, gutes Allge- 
meinbefinden. 

III. 27jähr. Mann. Vor 9 Jahren Lues. Frühjahr 1905 Geschwulst an der 
rechten Halsseite, im August exstirpiert. Nach Heilung bald wieder Schwellung. 
Histologische Diagnoseder exstirpierten Drüse: Lymphosarkom. Nochmalige Operation 
verweigert. Röntgenbestrahlung durch mehrere Wochen. Danach kein Tumor zu 
fühlen. Vorübergehend Milzschwellung. 

Nach einer Mitteilung von Max Cohn in der Sitzung der freien Vereinigung der 
Chirurgen Berlins am 11. Juni 1906 sind drei von ihm behandelte Fälle von Drüsen- 
sarkom bis dahin geheilt. Es dürfte sich wohl um die hier angeführten Fälle handeln, 
und somit bei allen dreien eine Rezidivfreiheit von ca. !/, Jahren bestehen. 

Fischer. 

21jähr. Patientin mit einem übergroßen, polymorphen Sarkom in ..der rechten 
Bauchhälfte, das sich bei der Probeexzision als völlig unexstirpierbar erwies. 4!/,mo- 
natige Röntgenbehandlung (39 Sitzungen von zusammen 419 Stunden Dauer) brachte 
völlige Heilung und Schwund der vorhanden gewesenen hyperplastischen Drüsen. 
Seit 2 Jahren rezidivfrei. 

Goebel. 

3 Wochen altes Kind, aufgenommen den 27. Mai 1907. Den unteren Teil des 
rechten Oberschenkels einnehmende, diesen ziemlich gleichmäßig spindelförmig auf- 
treibende Geschwulst, bis zum mittleren Drittel des Unterschenkels hinunterreichend, 
deutliche Pseudofluktuation. Haut über der Geschwulst etwas rötlich verfärbt mit 
verdickten Venen. Patella undeutlich abzugrenzen. Ausgangspunkt des Tumors 
scheinen die Condylen zu sein. Größter Umfang des Tumors 25,5 cm, anderes Bein 
an entsprechender Stelle 13,5 cm. Der Tumor wurde am Tage nach der Geburt bemerkt 
und war 2 Tage nach der Geburt bereits pflaumengroß. Anfangs langsames, in der 
dritten Woche rapides Wachstum. Am 29. Mai 1907 operatives Entfernen eines mög- 
lichst großen Teiles der Geschwulst. Radikaloperation nicht möglich. 31. Mai Beginn 
der Bestrahlungen: 6 Minuten. Am 1. Juni 3 Minuten, 3. Juni 6 Minuten. Harte Röhre 


498 Petersen, 


(W. 7), Fokusabstand 30 cm. An der Haut der Außenseite und in der Kniekchle bilden 
sich Nekrosen, die sich rasch demarkieren. 11. Juni erneute Auskratzung des ganzen 
Tumors. Vom 14. bis 25. Juni erneute Bestrahlung mit Intervallen von 1 bis 3 Tagen 
je 5 bis 10 Minuten, im ganzen 41 Minuten. Technik wie früher. Entlassung am 29. 
Juni 1907 mit sezernierender Fistel an der Innenseite des Oberschenkels, der Außen- 
seite und Kniekehle. Haut etwas pachydermisch verdickt. Umfang des Oberschenkels 
in der Kniekehle rechts 20 cm, links 13 cm. Wiedervorstellung am 29. September und 
21. Oktober. Umfang des Knies rechts 16,5 cm, links 15 cm. Haut des rechten Ober- 
schenkels und der Wade etwas derber wie links. In den Inguinalbeugen kleine harte 
Drüsen (von Anfang an vorhanden). Glatte Narbe an Stelle der Inzision und der 
Fisteln. Keine Spur von Tumor nachweisbar. Das rechte Knie kann nur wenig über 
den rechten Winkel gestreckt werden. Rechter Fuß etwas kleiner und zierlicher als der 
linke. Kind sonst wohlgenährt und gesund. Später auswärts noch weiter Bestrahlun- 
gen in Intervallen. Ende Februar 1908 ganz frei von Rezidiv. Mikroskopische Unter- 
suchung ergibt äußerst zellreiches Spindelzellensarkom mit länglich ovalen, bläschen- 
förmigen, chromatinreichen Kernen. Nach einer brieflichen Mitteilung vom Juni 1913, 
also 6 Jahre nach beendeter Behandlung, ist das Kind rezidivfrei. 

Price (Diskussion zum Vortrag von Pfahler). 

Rezidiv eines im September 1902 operierten Rundzellensarkoms. Sitz nicht 
angegeben. Röntgenbestrahlungen, Beginn Januar 1903. Technik und Dauer nicht 
angegeben. Nach 15 Monaten rezidivfrei, gutes Befinden. Patient ist 16 Jahre alt. 

- Skinner. 

39jähr. Lehrerin. Vor acht Jahren Hysterektomie und Ovariotomie wegen eines 
als Fibroid angesehenen Tumors des Uterus. Keine mikroskopische Untersuchung. 
2!/, Jahre nach der Operation wurde in der Gegend der Narbe ein harter, rasch wachsen- 
der Bauchwandtumor bemerkt. 10 Monate lang Behandlung mit Coley-Toxinen ohne 
Dauererfolge. Januar 1902 in Behandlung von Skinner. Größe des Tumors 10. 
August 5 Zoll. Mikroskopische Untersuchung ergab Fibrosarkom. Starke Störung 
des Allgemeinbefindens. Beginn der Röntgenbehandlung am 29. Januar 1902. 46 Be- 
strahlungen während der nächsten 4 Monate. Sehr bald Besserung des Allgemein- 
befindens, während der Tumor noch etwas wuchs. Dann vorübergehende Unterbrech- 
ung der Bestrahlung; Wiederaufnahme der Bestrahlungen am 17. Juni. Der Tumor 
hatte sich jetzt um etwa !/, verkleinert. Bis 3. September 31 Sitzungen. Weitere 
rasche Hebung des Allgemeinbefindens und Verkleinerung des Tumors. Patientin 
konnte ihre für 1!/, Jahre unterbrochene Berufstätigkeit wieder aufnehmen. Im ganzen 
dauerte die Bestrahlung 2 Jahre und 3 Monate mit 136 Bestrahlungen; die letzte am 
20. Mai 1904. Damals war bereits seit mehreren Wochen nichts mehr von einem Tumor 
vorhanden. Am 24. Mai 1906, also seit über 2 Jahren, noch rezidivfrei. Nach einer 
weiteren Mitteilung im Journal of the american. med. assoc., Bd. 59, Nr. 11, 1912 ist 
die Patientin noch jetzt nach 8 Jahren geheilt und arbeitsfähig. 

Gocht. 

35jähr. Mann, Melanosarkom des Auges. Der größte Teil wurde operativ entfernt 
und die Diagnose histologisch sichergestellt. Bestrahlung mit kleinen Dosen täglich 
oder einen um den anderen Tag, bis Erythem eintritt, dann 3 Wochen Pause. Heilung. 
Seit 4 Jahren rezidivfrei. 

Levy-Dorn. 

I. 27jähr. Frau. Am 1. Juli 1904 wegen rechtsseitiger Halsdrüsengeschwulst, 
die sich in einem Jahre langsam entwickelt hatte, operiert. Mikroskopische Unter- 
suchung ergab Lymphosarkom. November 1905 Anschwellung der Drüsen der linken 


Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 499 


Halsseite von Supraclavicular- bis Submaxillargegend.. Am oberen Ende der Opera- 
tionsnarbe ebenfalls neue Drüse. Narbe und Drüsen druckempfindlich. Allgemein- 
befinden gut, Blut normal; keine sonstigen Drüsenschwellungen. Trotz Arsen und 
Prießnitz-Umschlägen Vergrößerung. Beginn der Röntgenbehandlung am 30. De- 
zember 1905, 6 Wochen nach Rezidiv. Linke Halsseite erhielt im Januar, Februar und 
April jedesmal in 6 bis 7 Bestrahlungen 10 X, rechte Seite dieselbe Dosis in 3 Sitzungen. 
Schon nach der ersten Behandlung geringer Rückgang. Im April wesentliche Besse- 
rung. Im Dezember wieder Vorstellung wegen Zunahme der Schwellungen am linken 
Unterkiefer und hinter dem Ohre. Durch 11 Bestrahlungen bald wesentliche Ver- 
kleinerung und allmählich vollständiger Schwund. Herbst 1909 Anschwellung der 
Leistendrüsen, Hals gut. Trotz Bettruhe und Umschlägen ein viertel Jahr lang Zu- 
nahme, dann Schmerzen und Hautentzündung; gleichzeitig Fluor. Dieser Zustand 
bestand 3 Wochen ohne Neigung zur Eiterung. Dann Röntgentherapie. 14 Tage nach 
Beginn Schwellung und Schmerzen wesentlich zurückgegangen, hörten später völlig 
auf. Der Sicherheit wegen nach 3 Wochen Wiederholung der Behandlung. Beide 
Male wurde die Dosis 10 malin je 3 Sitzungen für die rechte und die linke Leistengegend 
verabfolgt. Seitdem bis 28. November 1911 von ihrem Drüsenleiden gänzlich befreit. 

II. Etwa 18 Jahre alter Patient kommt März 1906 in Behandlung. Seit zwei 
Jahren Schmerzen im linken Oberschenkel, welche auf Trauma zurückgeführt werden. 
Nach Bergtour Herbst 1906 erhebliche Steigerung der Beschwerden. Röntgenunter- 
suchung ergab damals keine abnormen Befunde. Energische Anwendung physikali- 
scher Heilmethoden und antineuralgischer Kuren, 5 Sanatorien. Trotzdem keine 
Besserung. April 1906 zuerst Auftreibung des linken Femur festgestellt. Eine Autorität 
diagnostizierte periostales Sarkom und schlug Exartikulation vor. Im Mai vorge- 
nommene Röntgenuntersuchung ergab: Um die obere Hälfte des Femur zahlreiche 
unregelmäßige, z. T. netzförmig angeordnete, z. T. mit dem Knochen parallele Schatten- 
linien. Darin sind einige Schattenflecke eingestreut. Das Periost ist verdickt, der 
Knochen spindelförmig aufgetrieben. Der Markkanal scheint nicht verändert zu sein. 
Operation verweigert. Röntgenbestrahlung: Vom 26. April 1906 bis 7. Mai 1906 je eine 
Erythemdosis in 3 Sitzungen von vorn nach hinten und von den Seiten. Wieder- 
holung des Verfahrens vom 29. Mai bis 1. Juni 1906. Vom 25. Juni þis 5. Juli 1906 
wurden noch 5 Bestrahlungen hinzugefügt. Röntgenuntersuchung am 19. November 
1906 bewies geringe Schrumpfung. Behandlung wiederholt vom 19. November 1906 
bis 8. Dezember 1906 im ganzen 10 Bestrahlungen. Zuletzt vom 4. bis 22. Februar 1907 
noch 9 Bestrahlungen. Zugleich mit den Röntgenstrahlen Atoxylinjektionen. Sep- 
tember 1907 Antineuralgika entzogen. Schwere Abstinenzerscheinungen, doch fort- 
schreitende Besserung. Frühjahr 1908 fast alle Beschwerden verschwunden. Röntgen- 
untersuchung am 25. November 1911 läßt noch eine spindelförmige Schwellung des 
Femur erkennen. Die Trabekel außerhalb des Periostes sind bis auf einen kirschkern- 
großen Rest, der als isolierte Knocheninsel erscheint, vollständig geschwunden. Die 
Verdickung des Knochens kommt auf Kosten des Periostes, beziehungsweise der Cor- 
ticalis zustande. Seit Beginn der Behandlung sind über 5 Jahre und 7 Monate ver- 
gangen. 

Nicolaysen. 

Nicolaysen behandelte mit Röntgenstrahlen ein Rezidiv eines Schlüsselbein- 
sarkoms, das hinter dem Brustbein saß und Rekurrens-Lähmung herbeigeführt hatte. 
Patient ist seit 3 Jahren völlig gesund. 

Lassen. 

Lassen mußte bei Operation eines Lymphosarkoms auf dem Schenkel die tieferen 


500 Petersen, 


Teile der Geschwulst zurücklassen, weil sie die Gefäßscheide infiltrierten. Röntgen- 
bestrahlungen heilten das Geschwür. Patient ist nunmehr — 11/, Jahr danach — 
völlig gesund. 

Haenisch. 

75jähr. Mann, multiple Sarkome am Abdomen und rechten Oberschenkel. Haupt- 
tumor füllte die rechte Inguinalbeuge vollkommen aus, der oberen Partie des rechten 
Oberschenkels lag ein über kindskopfgroßer Tumor auf. Rechtes Bein stark ödematös 
geschwollen, es drohte Gangrän. Operation aus äußeren Gründen unmöglich. Beginn 
der Röntgenbehandlung im Juni 1908. Nach 8 Bestrahlungen von je 15 Minuten, 24 
bis 28 cm Entfernung, harte Röhre mit Stanniolfilterung, jeden 2. bis 3. Tag, war Mitte 
Juli Oberschenkeltumor um 1?/, verkleinert, Geschwulst in der rechten Inguinalbeuge 
stark zurückgegangen. Dann linke Inguinalbeuge in gleicher Weise 4 mal bestrahlt. 
Ende August Tumoren bis auf minimale Reste vollkommen verschwunden. Nach 
wenigen Wochen auch hiervon nichts mehr nachweisbar. Patient war bis zu seinem 
1912 erfolgten Tode, also etwa 4 Jahre später vollkommen arbeitsfähig und rezidivfrei. 

Pfahler. 

I. 21jähr. Mann, Sarkom von Apfelgröße rechts am Kieferwinkel. Exstirpation. 
Nach 3 Wochen Rezidiv von derselben Größe, abermals exstirpiert. 5 Tage später 
Rezidiv von Hühnereigröße. Darauf Röntgenbestrahlung. 20 Bestrahlungen vom 
1l. Dezember 1905 bis 22. Januar 1906. Heilung; 20 Monate rezidivfrei. 

II. 11jähr. Mädchen. Kleiner Tumor der rechten Nasenseite, der nach den Rönt- 
genbildern sich bis in die Siebbeinzellen erstreckte. Histologisch Rundzellensarkom. 
31 Röntgenbestrahlungen vom 29. Januar bis 18. April 1907. Sieben Monate nach 
beendigter Behandlung rezidivfrei. 

III. 30jähr. Frau. Tumor des rechten Vorderarmes, entfernt im Oktober 1905. 
Histologisch Rundzellensarkom. Nach 3 Monaten Rezidiv, abermals operativ entfernt. 
32 Röntgenbestrahlungen, trotzdem Rezidiv. Behandlung Mai 1906 abgebrochen. 
Im Oktober 1906 fand sich am Ellenbogen eine weiche fluktuierende Masse von Hühner- 
eigröße und eine zweite am Nerv. medianus und Art. brachialis. Entfernung beider 
Tumoren, die im wesentlichen von den Faszien ausgingen. 2 Wochen später abermals 
Rezidiv. Beginn der neucrlichen Bestrahlung im Novenber 1906, wöchentlich 3 mal 
35 Minuten. Abstand 12 Zoll, Qualität Benoist 7, Belastung 1 M. Amp. Lokale Anwen- 
dung von Methylenblau. Nach einem Monat war der Tumor verschwunden, jedoch 
die Wunde noch nicht geschlossen. Nach 5 Minuten und 32 Bestrahlungen Wunde 
geheilt, Wohlbefinden. Weiterhin 1 mal monatlich bestrahlt. In 7 Monaten kein 
Rezidiv. 

IV. 60jähr. Frau. 1897 Tumor unter dem rechten Ohr, der 1 Jahr später ent- 
fernt wurde; histologisch Rundzellensarkom. Rezidiv, nach 9 Monaten exzidiert. 
3. Operation 1900, 4. 1902. Wiederum Rezidiv. 11/, Zollim Durchmesser. April bis 
Juli 1904 39 Bestrahlungen, nachdem einige Bestrahlungen bereits im Anfang des Jahres 
stattgefunden hatten. Der Tumor verwandelte sich in ein offenbar fibröses Gewebe 
und blieb unverändert seit Juli 1904, also 3 Jahre. 

V. 18jähr. Mädchen. Trauma des linken Beins vor 10 Monaten. Im Anschluß 
daran entwickelte sich eine schmerzhafte Geschwulst. Röntgenbild zeigte eine Auf- 
treibung der oberen 9 cm der linken Fibula auf das Dreifache, die offenbar keine Kalk- 
salze enthielt. Keine Markhöhle, aber im oberen Teil eine Höhle von 1,5 mal l cm. 
Im übrigen gleichmäßige Konsistenz von wenig stärkerer Dichtigkeit als Muskulatur. 
Histologische Untersuchung ergab Rundzellensarkom. Da Amputation verweigert, 
Röntgenbestrahlung. 6 Bestrahlungen wöchentlich 6 Wochen lang, dann dreimal 


Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 501 


wöchentlich, im ganzen 47 Sitzungen in 3 Monaten. Fortlaufende Röntgenbilder zeigen 
Verkleinerung des Tumors und Zunahme der Kalksalze. Seit 15 Monaten nach beendeter 
Behandlung Wohlbefinden. Der Knochen hat an der erkrankten Stelle noch die 
doppelte Dicke des normalen, aber gleiche Dichtigkeit. 

VI. 15jähr. Knabe. Vor 2 Jahren Osteosarkom des ÖOberkiefers operativ ent- 
fernt. Vor 5 Monaten zeigte sich ein Rezidiv, das die ganze Vorderseite des Ober- 
kiefers einnahm. 60 Bestrahlungen in 8 Monaten. Geringer Rückgang im Umfange des 
Tumors. Wohlbefinden 4 Jahre nach Behandlung. 

VII. 4 Monate altes Kind. Mit 7 Wochen Entwicklung eines Tumors am rechten 
unteren Augenlid. Im Februar 1907 exstirpiert. Mikroskopisch gemischt-zelliges 
Sarkom. Nach 2 Wochen Rezidiv. Beginn der Bestrahlungen am 19. März 1907. 
42 Sitzungen bis 31. Juli 1907. Heilung. Nach 3 Monaten rezidivfrei. 

VIII. 8jähr. Mädchen. Vor 6 Wochen Schlag gegen den linken Kiefer. Vor 
einer Woche ein daran anschließender Tumor exstirpiert. Da der Knochen ergriffen 
war, nur Exkochleation, keine Resektion. 35 Bestrahlungen von Mai bis Juli 1907. 
Heilung. Mikroskopisch Rundzellensarkom. Rezidivfrei sei 4 Monaten. 

IX. 56jähr. Dame. Seit Geburt Naevus pigmentosus auf der rechten Schulter. 
Auftreten eines 4 cm im Durchmesser betragenden Tumors auf dem linken Schulter- 
blatt in wenigen Monaten. Exstirpation beider. Melanosarkom. Bei Beginn der Be- 
strahlung Wucherungen und Verhärtung an beiden Wunden. 16 Bestrahlungen vom 
Februar bis April 1906. Heilung. Rezidivfrei 19 Monate. 

X. 54jähr. Mann. Entfernung eines großen Melanosarkoms der Submaxillar- 
gegend vor 8 Tagen, nicht radikal. Postoperative Behandlung durch 13 Bestrahlungen 
vom 17. bis 31. Mai 1907. Rezidivfrei ca. 6 Monate später. 

Dies sind unter den 22 von Pfahler mitgeteilten Fällen diejenigen, bei denen man 
überhaupt von Dauerheilungen sprechen kann. Nach einer späteren Mitteilung Pfah- 
lers in der Sitzung der American therapeutic society Philadelphia am 7. Mai 1908 
waren 10 von seinen mitgeteilten Fällen noch geheilt. Ob es sich dabei um die 
hier wiedergegebenen Fälle oder teilweise um andere gehandelt hat, ließ sich nicht fest- 
stellen. Immerhin dürfte das Erstere das Wahrscheinlichere sein. Die Rezidivfreiheit 
würde sich dann für diese Fälle um 6 Monate verlängern. 

Müller-Immenstadt. 

70jähr. Frau, multiple haselnuß- bis taubeneigroße Sarkome, vom Periost aus- 
gehend am Schädel und im Gesicht. Diagnose mikroskopisch festgestellt. Behandelt 
mit Hochfrequenz und Röntgenstrahlen vom 7. April bis 6. Mai 1910; 9 Sitzungen. 
Heilung. Rezidivfrei bis Juli 1912, also 2 Jahre. 

Ferner berichtet Müller über 4 weitere Fälle von periostalem Schädelsarkom, 
die völlig zum Schwinden gebracht wurden und längere Zeit rezidivfrei blieben. Nähere 
‚Angaben sind nicht gemacht. Dasselbe gilt von einem Unterkiefer-, einem Brustbein- 
und 4 Lymphosarkomen. 

Forssell hat mehrere Fälle von Sarkomen des Schädelknochens durch Röntgen- 
strahlen geheilt. 


Vorstehende Zusammenstellung der Fälle von Heilungen des Sarkonıs 
durch Röntgenstrahlen macht keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es 
mag der eine oder andere Fall, besonders auch in der ausländischen Li- 
teratur, übersehen sein. Auch konnten einige Fälle wegen Unzugänglich- 
keit der Originalarbeit nur nach einem Referat angeführt werden. Die 
wesentlichsten Fälle dürften aber darin enthalten sein und das Bild geben, 


502 Petersen, 


wie wir es in der Literatur finden. Ob dieses auch den tatsächlichen 
Verhältnissen entspricht, ist eine zweite Frage. Bei manchen Fällen mag 
die Rezidivfreiheit wesentlich länger angehalten haben, als wir in den Ver- 
öffentlichungen verzeichnet finden, oder eine dauernde geworden sein; bei 
anderen wieder, die anfänglich lange Zeit rezidivfrei waren, ist vielleicht 
später doch wieder ein solches eingetreten. Wenn wir also von Heilungen 
sprechen, so können wir dies immer nur in dem Sinne tun, soweit sich 
die Fälle in der Literatur als solche darstellen. 

Wenn wir nun die vorliegenden Fälle zur Beantwortung der Frage 
nach dem Heilerfolge der Röntgenstrahlen bei Sarkomen bewerten wollen, 
so ist natürlich Grundbedingung, daß es sich jedesmal auch um das ge- 
handelt hat, was wir nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse als 
wirkliches Sarkom bezeichnen, und daß vor allem auch die Diagnose durch 
histologische Untersuchung sichergestellt ist. Denn wenn wohl oft auch 
ohne Mikroskop aus dem klinischen Befund allein die Diagnose mit ziern- 
licher Sicherheit zu stellen ist, so lassen sich doch solche Fälle zu wissen- 
schaftlichen Zwecken nicht verwenden, weil eben doch nicht alle Mittel, 
Irrtümer auszuschließen, erschöpft worden sind. Auch bei histologischer 
Untersuchung bleiben ja noch immer einige Fälle übrig, bei denen Zweifel 
entstehen können, aber diese lassen sich eben nicht vermeiden. 

Gehen wir nun die angeführten Fälle in diesem Sinne durch, so sehen 
wir, daß wir von vornherein eine ganze Anzahl ausschalten müssen. Zu- 
nächst sind dies also die, die nicht als echte Sarkome anzusprechen sind. 
Hierher gehören einmal die 3 Fälle von Cohn, bei denen es sich ja nach 
seinen eigenen Angaben um das Krankheitsbild handelt, was bisher noch 
mit den verschiedensten Bezeichnungen wie maligne Lymphome, Lympho- 
sarkom, Pseudoleukämie usw. bezeichnet worden ist. Die letzten Jahre 
haben ja aber in der Kenntnis dieser Krankheit bedeutende Fortschritte 
gebracht und lassen es jetzt als das Wahrscheinlichste erscheinen, dab es 
sich um eine Infektionskrankheit handelt; doch diese Frage ist noch nicht 
endgültig entschieden. Wie dem aber auch sei, eins dürfte wohl feststehen, 
nämlich dal wir die genannte Krankheit, wie auch bereits oben bemerkt, 
von den echten Sarkomen, von denen allein hier die Rede sein soll, streng 
zu scheiden haben. Die Röntgenbehandlung der malignen Lymphome, die 
ja bekanntlich oft von ausgezeichnetem Erfolge ist, ist ein Kapitel für sich. 
Hierher gehört auch ohne Zweifel der erste Fall von Levy-Dorn. Der 
ganze klinische Verlauf ist gradezu typisch für diese Erkrankung; auch 
wird ja dies durch die histologische Diagnose „Lymphosarkom“ vollauf be- 
stätigt. Um ein Lymphosarkom handelt es sich ebenfalls offenbar in dem 
Fall von Lassen. 

Bei einer Reihe weiterer Fälle muß es fraglich erscheinen, ob wir 


Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 503 


berechtigt sind, sie den Sarkomen zuzurechnen. Es ist bei diesen zwar 
die Diagnose, auch auf Grund histologischer Untersuchung, auf Sarkom 
gestellt; doch gleichen sie ihren ganzen Erscheinungen nach so sehr den 
sogeannten malignen Lymphomen, daß man geneigt ist, sie als solche an- 
zusprechen. Hierher gehören der erste Fall von Pusey, der von Kien- 
böck und der von Haenisch. Bei allen diesen hat es sich offenbar 
um eine von den Lymphdrüsen ausgehende Erkrankung gehandelt, die 
multipel aufgetreten ist. Welcher Art diese jedoch gewesen ist, kann nicht 
als genügend geklärt angesehen werden, als daß man die Fälle zur objek- 
tiven Beantwortung der gestellten Frage benutzen könnte. Ein weiterer 
Fall, von dem dies auch gelten dürfte, ist der erste Fall von Pfahler. 
Auch hier scheint es sich um eine Drüsenerkrankung gehandelt zu haben, 
obwohl dies nicht mit Sicherheit aus der Beschreibung hervorgeht. Wir 
müssen diesen Fall aber auch noch aus einem anderen Grunde außer Be- 
tracht lassen, nämlich weil nicht sicher zu ersehen ist, ob der Fall histo- 
logisch untersucht worden ist. Eine ausdrückliche Bemerkung darüber 
findet sich nicht, auch fehlt eine Angabe über die Struktur des Tumors, 
woraus man auf eine mikroskopishe Untersuchung hätte schließen können. 

Wir kommen damit zu einer zweiten Gruppe von Fällen, die wir aus 
unserer Betrachtung von vornherein ausscheiden müssen. Das sind näm- 
lich alle diejenigen, bei denen eine histologische Untersuchung nicht an- 
gestellt ist. Die Gründe sind bereits oben angeführt. Findet sich bei 
einem Falle eine nähere Bezeichnung der Struktur, ohne daß ausdrücklich 
bemerkt worden ist, daß er auch histologisch untersucht worden ist, so 
ist dieses letztere doch angenommen worden. Andererseits mag der eine 
oder andere Fall, der nur im Referat zugänglich war, doch untersucht 
worden sein, und eine dahingehende Bemerkung im Bericht fehlen. Eine 
Verwendung dieser Fälle ist dann aber doch für uns nicht möglich. In 
diese Gruppe gehören zunächst der dritte Fall von Johnson, Fall 2, 3 
und 4 von Pusey, der Fall von Clopatt, bei dem es sich außerdem 
höchst wahrscheinlich wieder um maligne Lymphome handelt und ferner 
der zweite Fall von Levy-Dorn. Dieser ist zwar der Ansicht, daß es 
keinem Zweifel unterliegen könne, daß es sich um ein Sarkom gehandelt 
hat, doch dürfte diese Ansicht kaum sehr viel Zustimmung finden. Als 
Beweise für die Richtigkeit der Diagnose wird angeführt, daß erstens der 
im Röntgenbilde sichtbare fächerförmige Bau dafür spräche, zweitens aber 
auch die von den behandelnden Ärzten angewandten bzw. empfohlenen 
Mittel, nämlich 1. Operation, 2. Exartikulation. Diese letztere war sogar 
von einer Autorität vorgeschlagen, nachdem von ihr die Diagnose auf 
„periostales Sarkom“ gestellt war. Hierzu ist zu bemerken, daß auf Grund 
eines Röntgenbildes allein, auch von einer Autorität, die Diagnose „Sarkonı“ 


504 Petersen, 


überhaupt nicht sicher, sondern höchstens mit Wahrscheinlichkeit gestellt 
werden kann. Selbst auf Grund des mikroskopischen Befundes kann dies 
noch außerordentlich schwer sein. Es sei nur an die bereits oben erwähnte 
Östitis fibrosa erinnert. Ferner sind in der Literatur, besonders von fran- 
zösischer Seite, Fälle beschrieben, in denen von erfahrenen Diagnostikern 
die Diagnose auf Sarkom gestellt war, und wo sich bei der Operation eine 
ganz chronisch verlaufende Osteomyelitis fand. Ebensowenig stichhaltig 
ist der zweite Grund für die Richtigkeit der Diagnose, nämlich die vor- 
geschlagenen therapeutischen Mittel. Diese sind doch erst auf Grund der 
Diagnose vorgeschlagen, können also doch ihrerseits unmöglich wieder als 
Stütze für die Richtigkeit eben dieser Diagnose herangezogen werden. 
Zweifellos ist es ja sehr erfreulich, da der Patient durch die Röntgen- 
behandlung von seinem Leiden befreit ist, als kasuistischer Beitrag aber 
zu den „Dauererfolgen bei der Röntgentherapie von Sarkomen“ — als 
solcher wurden dieser und der bereits oben erwähnte Fall veröffentlicht — 
lassen sich diese Fälle doch unmöglich verwenden. 

Fraglich, ob histologisch untersucht, ist ferner der Fall von Nico- 
laysen. 

Bei den übrigen in der Zusammenstellung aufgeführten Fällen müssen 
wir wohl annehmen, daß es sich tatsächlich um echte Sarkome gehandelt 
hat, und daß bei ihnen eine Heilung durch Röntgenstrahlen erzielt ist. 
Es käme jetzt als zweites die Beantwortung der Frage, wie weit wir von 
Dauerheilungen sprechen können. Da müssen wir uns zunächst einmal 
klar darüber werden, was wir als Dauerheilung bezeichnen wollen. Dies 
ist natürlich immer nur ein relativer Begriff. Denn wir wissen, dab Rezi- 
dive maligner Tumoren noch nach vielen Jahren vorkommen können. Man 
hat sich ja aber jetzt bei derartigen Aufstellungen im allgemeinen . zur 
Regel gemacht, von Dauerheilungen bei einer Rezidivfreiheit von 3 Jahren 
und darüber zu sprechen, da nach dieser Zeit Rezidive doch immerhin zu 
den Seltenheiten gehören, jedoch auch nach 2 Jahren ist die Wahrschein- 
lichkeit für ein Rezidiv nur noch gering. Wir wollen nun im folgenden 
der besseren Übersicht wegen die Fälle einteilen in solche, die über 1, über 
2 und über 3 Jahre rezidivfrei sind, wobei wir aber als Dauerheilungen 
nur die letzten rechnen können. Ganz außer Betracht lassen müssen wir 
aber die Fälle, die unter einem Jahre beobachtet sind, da in dieser Zeit 
doch gar zu häufig noch Rezidive auftreten. Diese Fälle können höchstens 
zum Beweise dafür verwandt werden, daß es überhaupt möglich ist, Sar- 
kome durch Röntgenstrahlen zum Schwinden zu bringen, eine Tatsache, 
die jedoch wohl heute allgemein anerkannt sein dürfte. Zu den letztge- 
nannten, also unter einem Jahre beobachteten Fällen gehören der Fall von 
Walker, von Chrysospathes, der 2. Fall von Sjögren, ferner der 2., 


Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 505 


3., 7., 8. und 10. Fall von Pfahler, diese letzteren allerdings nicht unbe- 
dingt, da wie oben bemerkt, sich wahrscheinlich die rezidivfreie Zeit um 
6 Monate für diese Fälle verlängert. Es würden danach der 2., 3. und 
10. Fall in die folgende Gruppe zu rechnen sein. 

Zu dieser zählen wir die Fälle mit Rezidivfreiheit von mindestens 
einem Jahr. Es sind das der Fall von Judd, der Fall von Price, der 
5. und 9. Fall von Pfahler; von diesen ist der letzte ev. wiederum der 
nächsten Gruppe zuzurechnen. 

Über 2 Jahre rezidivfrei sind die Fälle von McMaster, Fischer und der 
eine näher beschriebene Fall von Schädelsarkom von Müller-Immenstadt. 

Zum Schluß bleiben dann noch die Heilungen mit Rezidivfreiheit von 
3 Jahren und darüber, also die, die wir als Dauerheilungen zu bezeichnen 
berechtigt sind. Es sind dies der 1. und 2. Fall von Johnson, der Fall 
von Shoemaker, der von Krogius, Albers-Schönberg, Fall 1 von 
Sjögren, der von Wetterer, Goebel, Skinner, Gocht, Fall 4 und 
6 von Pfahler. Wir finden unter ibnen ein Rundzellensarkom des 
Musculus rectus, 3 Fibrosarkome der Bauchwand, 2 Schädelsarkome, ein 
Melanosarkom des Auges, ein Spindelzellensarkom des Oberschenkels, 
sowie eines des Nasenflügels, ein idiopathisches Hautsarkom, ferner ein 
Rundzellensarkom unter dem rechten Ohr und ein Osteosarkom des Ober- 
kiefers. Diese beiden letzteren Fälle, die beide von Pfahler veröffent- 
licht sind, bedürfen einer besonderen Besprechung. In beiden Fällen 
hat es sich um Rezidiv nach operativer Entfernung des primären Tumors 
gehandelt. Eine Beseitigung wurde in beiden Fällen durch die Bestrah- 
lung nicht erreicht. Im ersten Fall soll sich der Tumor in ein offenbar 
fibröses Gewebe umgewandelt haben. im zweiten trat nur eine geringe Ver- 
kleinerung des Tumors ein, der Zustand blieb dann stationär. Es liegt 
unter diesen Umständen die Vermutung sehr nahe, daß es sich vielleicht 
gar nicht um Rezidive gehandelt hat. Natürlich läßt sich das aber jetzt 
auf Grund der vorliegenden Mitteilungen nicht mehr entscheiden. 

Ihrer histologischen Form nach handelt es sich um die verschiedensten 
Tumoren. Wie aber bereits oben angeführt, lassen sich auf Grund der 
hier gegebenen Zusammenstellung hieraus keine Rückschlüsse auf die Radio- 
sensibilität der einzelnen Formen ziehen, es sei denn der negative Schluß, 
daß Radiosensibilität und histologischer Bau unabhängig voneinander sind. 

Es finden sich also in unserer Aufstellung Fälle mit Rezidivfreiheit 
von einem Jahr und darüber 4 bzw. 6. von 2 Jahren und darüber 3 bzw. 
4, von 3 Jahren und darüber 12. 

Ziehen wir nun das Fazit aus unseren bisherigen Betrachtungen, so 
ist das Resultat, daß von einer großen Zahl als Sarkomheilung durch 
Röntgenstrahlen veröffentlichter Fälle als einwandsfreie Dauerheilungen 


506 Petersen, 


nur wenige Fälle übrig bleiben. So zeigt sich uns wenigstens das Bild 
in der Literatur. Wie bereits oben bemerkt, mag die Zahl tatsächlich 
größer sein, da wohl nicht alle Fälle veröffentlicht sind und manche, die 
wir jetzt wegen zu kurzer Beobachtungszeit nicht haben verwenden 
können, tatsächlich auch Dauerheilungen darstellen. Jedenfalls aber ist 
das Bild bei genauer Betrachtung ein sehr viel anderes als es die 
bisherigen Arbeiten vermuten ließen. Prozentsätze wie 18%, oder 25% 
Heilung sind zweifellos viel zu hoch gegriffen. Wir können bis jetzt jeden- 
falls nicht mehr sagen, als daß die Dauerheilungen eines Sarkomes 
durch Röntgenstrahlen bis jetzt wohl möglich, aber doch außer- 
ordentlich selten waren. Daß es dem Ausbau der Methodik gelingen 
wird, hierin eine Änderung herbeizuführen, erscheint mir allerdings nach 
den neueren Erfahrungen sehr wohl möglich. Denn, wie erwähnt, weitaus 
die meisten dieser Fälle sind mit einer Methodik behandelt, die man mit 
dem heutigen Stande des Wissens als durchaus unzulänglich bezeichnen 
muß. Wir wissen heute, aus biologischen Versuchen, daß wir die Tiefen- 
wirkung der Röntgenstrahlen auf radiosensible Organe durch Anwendung 
genügend dicker Strahlenfilter (am besten 3—4 mm Aluminiumfilter) ganz 
erheblich verstärken können. - In keinem der zitierten Fälle ist aber ver- 
zeichnet, daß die Filtertechnik, dieses wichtige Hilfsmittel der modernen 
Bestrahlungstechnik in dieser Form Anwendung gefunden hat, vielmehr ist 
wiederholt erwähnt, daß auch bei den tiefliegenden Tumoren ungefiltertes 
und weiches Röntgenlicht benutzt wurde. 

Noch ein weiteres ergibt sich aber aus unserer Zusammenstellung. 
Wollen wir ein möglichst klares Bild über die tatsächlichen Verhältnisse 
auf dem besprochenen Gebiete erhalten, so ist es wünschenswert, daß 
möglichst alle Fälle von Dauerheilungen der Sarkome durch Röntgenstrahlen 
veröffentlicht werden. Unbedingt notwendig aber ist es, daß die veröffent- 
lichten Fälle folgende Bedingungen erfüllen: 

1. Es muß sich wirklich um das handeln, was wir heute als 
echtes Sarkom bezeichnen. 

2. Die Diagnose muß histologisch bestätigt sein, und zwar 
von einem auf diesem Gebiete durchaus erfahrenen Mikro- 
skopiker. 

3. Der Fall mub nach erfolgter Heilung lange genug, min- 
destens aber 3 Jahre, beobachtet und als rezidivfrei festge- 
stellt sein. | 

Erst wenn nach diesen Grundsätzen verfahren wird, werden wir über 
die Leistungen der Röntgenbehandlung ins Klare kommen. Wohl auf 
wenigen Gebieten ist scharfe, vorurteilsfreie Kritik an den erzielten Er- 
folgen so dringend nötig, wie in der Therapie bösartiger Geschwülste. 


| UT ul > m. m — tr mn 


Dauerheilungen von Sarkomen durch Röntgenstrahlen. 507 


Sonst besteht zu leicht die Gefahr eines allzugroßen Optimismus, der in 
der Hoffnung auf einen Erfolg durch weniger eingreifende Mittel den Zeit- 
punkt der Möglichkeit einer Radikaloperation verpassen läßt. Wir können 
deshalb bezüglich der Indikationsstellung nicht ohne weiteres Kienböck 
zustimmen, bei operablen Tumoren, ‚wo eine mehrwöchentliche Ver- 
schiebung der Operation nicht befürchten läßt, daß der Tumor mittler- 
weile inoperabel wird‘, zunächst die Radiotherapie anzuwenden. Dazu sind 
eben die Erfolge doch noch zu unsichere. Vielmehr stehen wir auf dem 
Standpunkte, daß operable Tumoren auch operiert werden sollen. Dagegen 
ist es durchaus indiziert, die Röntgenstrahlen zur Unterstützung der operativen 
Therapie zu verwenden. Daß sie ferner in allen Fällen in denen aus 
irgendwelchen Gründen eine Operation nicht ausgeführt werden kann, auf 
jeden Fall anzuwenden sind, ist heute wohl selbstverständlich. 

Jedenfalls erwächst den Chirurgen die Pflicht der wissenschaftlichen 
Strahlentherapie maligner Tumoren mehr als bisher ihre Aufmerksamkeit 
zuzuwenden, und, gestützt auf eine einwandsfreie und wissen- 
schaftlich exakte Methodik auch auf diesem Gebiete der Krebs- 
behandlung sich mit in die vorderste Linie der Forschung zu stellen. 


Literatur. 
1. Albers-Schönberg, Röntgenkongreß 1%5. 
2. Chrysospathes, Münchener med. Wochenschrift 1903, Nr. 50. 
3. Clopatt, Deutsche med. Wochenschrift 1905, Nr. 29. 
4. Cohn, Berliner klin. Wochenschrift 1906, Nr. 1. Zentralblatt für Chirurgie 
1906, S. 875. 
5. Fischer, Hospitalstidende 1906, Nr. 86 (ref. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgen- 


strahlen, Bd. 12, S. 71). 

6. Gocht, Handbuch der Röntgenlehre. 

7. Goebel, Langenbecks Archiv, Bd. 87, S. 191. 

8. Haenisch, Internationaler Kongreß für Physiotherapie 1913. 

9. Kienböck, Fortschritt auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, Bd. 9, S. 329. 

10. Krogius, Langenbecks Archiv, Bd. 71. 

11. Levy-Dorn, Berliner klin. Wochenschrift 1912, H. 1. 

12. Müller-Immenstadt, Münchener med. Wochenschrift 1912, Nr. 28. 

13. Pfahler-NewYork, Med. Journ. 1907, S. 1153. 

14. Price, Journ. of Americ. med. assoc. 1904. 

15. Pusey, Journ. of Americ. med. assoc. 1902. 

16. Sjögren, Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, Bd. 8, S. 264. 

17. Skinner, Journ. of Americ. med. assoc., Bd. 47. 

18. Walker, Journ. of Americ. med. assoc. 1903, Bd. 40. 

19. Wetterer, Handbuch der Röntgentherapie. 

20. Zentralblatt für Chirurgie 1909, S. 1416 (8. Versammlung des nordischen 
chirurgischen Vereins in Helsingfors). 


Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste, des 
Gigantismus und der Akromegalie. ') 
Von 
Dr. Beclöre, Paris. 
(Mit 11 Abbildungen.) 


Me Herren! Ich habe die Absicht, Ihnen die günstigen Resultate 
zu unterbreiten, die ich teils schon vor längerer Zeit, teils kürzlich 
mit Röntgenstrahlen in der Behandlung der Tumoren der Hypophyse er- 
zielt habe, ferner Ihnen die Technik auseinanderzusetzen, welche ich ver- 
wendet habe und die ich für einen solchen Fall empfehle, zuletzt Ihnen 
die Indikationen und Kontraindikationen dieser Behandlungsmethode im 
Verlaufe der Hypophysengeschwülste und speziell derjenigen, die sich 
klinisch durch den Symptomenkomplex des Gigantismus und der Akromegalie 
kennzeichnen, zu erläutern. 

Zuerst mögen mir einige Worte zur Geschichte dieser Bebandlungs- 
methode gestattet sein. 

Die erste Publikation, aus welcher hervorging, daß es möglich ist, 
Hypophysengeschwülste durch Röntgenstrahlen günstig zu beeinflussen, 
stammt von Dr. Gramegna in Turin und erschien in der „Revue Neuro- 
logique“ am 15. Januar 1909 unter der Überschrift: „Ein mit Röntgen- 
strahlen behandelter Fall von Akromegalie.“ 

Bei einer 47jährigen Frau, die an Akromegalie mit heftigen Kopf- 
schmerzen, zunehmender Schwäche der Augen und konzentrischer Einengung 
des Gesichtsfelds litt, wurden die Röntgenstrahlen mittelst eines in den 
Mund eingeführten Lokalisators auf die Gegend des Türkensattels gerichtet. 

2 mal in einem Zwischenraum von 8 Monaten gelang es Gramegna, 
die Kopfschmerzen zum Verschwinden zu bringen und die Gesichtsfeld- 
störungen zu beseitigen, mit einem Worte, die durch die Hypophysen- 
geschwulst hervorgebrachten Druckerscheinungen rückgängig zu machen, 
aber die Besserung war nur eine partielle und hielt nicht an. Die Kranke 
kam trotzdem zum Exitus. 


I. Die therapeutischen Resultate. 
Diesem ersten Falle der Literatur kann ich bis jetzt 4 eigene Be- 
obachtungen zufügen, von denen 2 noch nicht publiziert sind. Sie sind alle 


1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie, 
Berlin 1913. 


Beclere, Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste usw. 509 


ein sicherer Beweis für die günstige Wirkung der Röntgenstrahlen auf die 
(reschwülste der Hypophyse. 


Fall I. Als Dr. Gramegna seinen Fall publizierte, hatte ich seit eineinhalb 
Monaten ein junges Mädchen in Behandlung, bei dem ich die Röntgenstrahlen ver- 
mittelst einer neuen Technik applizierte. Das 16!/, Jahre alte Mädchen war mir von 
Dr. Renon zur Behandlung überwiesen, nachdem er dasselbe am 4. Dezember 1908 
in der Gesellschaft der Pariser Spitalärzte als typischen Fall von Hypophysenmegalie 
nit vollem Symptomenkomplex vorgestellt hatte.!) 

Zwei Monate nach Beginn der Bestrahlungen konnte ich meine therapeutischen 
Resultate in einer ziemlich langen Abhandlung unter dem Titel: „Die Behandlung 
der Tumoren der Hypophyse, des Gigantismus und der Akromegalie vermittelst der 
Röntgenstrahlen“ der Gesellschaft der Pariser Spitalärzte?) unterbreiten. 

Die Behandlung wurde 6 Monate fortgesetzt, dann 6 Monate unterbrochen. 
Nach dieser langen Unterbrechung sah ich die Patientin wieder und ließ folgende 
Bemerkungen in der Inauguraldissertation meines Assistenten Jaugeas?) veröffent- 
lichen: 

Das junge Mädchen, dessen Behandlung mir Herr Dr. R&non anvertraute, 
zeigte den ganzen Symptomenkomplex der Hypophysenmegalie.. Sie hatte außer 
einer bedeutenden, durch die Röntgenphotographie nachgewiesenen Vergrößerung des 
Türkensattels, dessen dorsoventraler Durchmesser mindestens 3mal so groß war, 
als er normaliter sein sollte, folgende Symptome: 

l. heftige Kopfschmerzen mit Schwindel und Erbrechen, 

2. schwere Sehstörungen, 

3. Gigantismus, 

4. Infantilismus der Genitalien mit Adipositas. Während vor der Behandlung 
die Symptome in rascher Zunahme begriffen waren, begannen sie sich 14 Tage nach 
der ersten Bestrahlung zu bessern. 

Ein Jahr später waren die therapeutischen Resultate etwa folgende: 

1. Kopfschmerzen, Schwindel, Übelsein und Erbrechen hatten vollständig auf- 
gehört. 

2. Die Sehkraft des rechten Auges, die vor der Behandlung bei Atrophie der 
Papille vollständig geschwunden war, zeigte eine leichte Besserung. Die Kranke konnte 
wieder Finger in 50 cm Entfernung zählen. 

3. Die Sehkraft des linken Auges war außerordentlich gebessert. Lesen und 
Schreiben waren wieder möglich, während beides vor der Behandlung aufgehoben war. 
Ebenso hatte sich das Sehfeld um das Dreieinhalbfache seit der Behandlung ver- 
größert. 


!) Louis Renon, Arthur Delille et R. Monier-Vinard: Syndrome 
pluriglandulaire par hyperactivite hypophysaire (gigantisme avec tumeur de l’hypo- 
physe) et par insuffisance thyro-ovarienne. (S.té médicale des Hôpitaux Séance du 
4 Decembre 1908.) 

2) Le traitement médical des tumeurs hypophysaires, du gigantisme et de l’acro- 
mégalie par la radiothérapie. (Bulletins de la société médicale des hôpitaux de Paris 
pP. 274.) 

3) Jaugeas, Les rayons de Röntgen dans le diagnostic et le traitement des 
tumeurs hypophysaires, du gigantisme ct de Pacromégalie. Thèse de Doctorat. Paris 
1909. — Steinheil éditeur. 


Strahlentherapie Band IiI, Heft 2. 33 


510 


Fig. Ib. 


Fig. Ic. 


Beclere, 





Fig. la. Gesichtsfeld vor der Behandlung. 





Gesichtsfeld am 9. Januar 1909 nach einer einmonatlichen Behandlung. 





Gesichtsfeld am 5. Februar 1909 nach zweimonatlicher Behandlung. 


m 


e 


Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste usw. 511 


4. Das Längen- und Dickenwachstum des Skeletts hörte auf. 

5. Die Genitalfunktionen stellten sich wieder ein, die Regeln erschienen wieder, 
die Brüste und Schamhaare entwickelten sich. 

6. Das Körpergewicht wurde geringer, ebenso der Fettansatz und der Heißhunger. 

Seit 1909 sah ich die Patientin, die außerhalb von Paris wohnt, nicht mehr, 
erfuhr aber durch ihren Hausarzt, daß sie sich jetzt noch (1913) in guter Gesundheit 
befindet und daß die durch die Behandlung erzielten Resultate dauernd geblieben sind. 

Die folgenden Schemata zeigen die Grenzen des Sehfelds des linken Auges vor 
und nach der Behandlung. Das erste zeigt den Fortschritt nach einmonatlicher Be- 
handlung: das Gesichtsfeld ist verdoppelt. 

Das zweite Schema zeigt die Besserung, die nach einer Behandlung von 2 Mo- 
naten eintrat: das Gesichtsfeld ist mehr als verdreifacht. 

Fall II. Er betraf einen 23jährigen jungen Mann, der mir von Dr. Lapersonne, 
Professor der Ophthalmologie an der Universität Paris, überwiesen wurde. 





Alle Einzelheiten über den Zustand dieses Patienten vor der Röntgenbehandlung 
wurden von Professor Lapersonne und Dr. Cantonnet in einer Abhandlung unter 
der Überschrift ‚Sehstörungen hervorgerufen durch die Hypophysengeschwülste 
ohne Akromegalie‘‘ publiziert.!) 

Der Kranke wurde 8 Monate lang in meiner Abteilung im Hospital Saint Antoine 
durch meinen Assistenten Herrn Dr. Jaugeas mit Röntgenstrahlen behandelt. Nach- 
dem durch diese Behandlung eine Besserung eingetreten war, wurde er in der ophthal- 
mologischen Gesellschaft am 6. Dezember 1910 durch Herrn Dr. Cantonnet vorge- 
stellt. 





1) Troubles visuels produits par les tumeurs de l’hypophyse sans acromegalie 
(Archives d’oph &halmologie — fevrier 1910). 


33%* 


512 Becl£re, 


Als ich die Behandlung des Patienten übernahm, litt er seit 2 Jahren an zu- 
nehmenden Sehstörungen und die Röntgenphotographie ergab, wie aus dem folgenden 
Bilde ersichtlich ist, eine sehr ausgeprägte Vergrößerung des Türkensattels. 

Der Augenbefund vor und nach der Behandlung war nach der Untersuchung 
von Dr. Cantonnet folgender: 





Fig. Ila. Gesichtsfeld am 11. Dezember 1909 vor der Behandlung. 





Fig. IIb. Gesichtsfeld am 5. Dezember 1910 nach der Behandlung. 


Vor der Behandlung: Mit dem Ophthalmoskop untersucht, erscheint der 
Augenhintergrund des rechten Auges in seiner ganzen Ausdehnung leicht blaß, der- 
jenige des linken Auges gleichmäßig weiß, mit den Zeichen einer absteigenden De- 
generation der Optikusfasern ohne Neuritis. 

Die zentrale Sehschärfe des rechten Auges ist normal, aber das Gesichtsfeld ist 
stark verändert. Die ganze laterale Seite (rechte Seite des Raumes) fehlt. Die nasale 
Seite ist zwar vorhanden, aber sehr eingeengt und von unregelmäßiger Begrenzung. 


— 


Die Röntgenbehandlung. der Hypophysengeschwülste usw. 513 


Das linke Auge sieht nichts, hat aber die Fähigkeit behalten, in der linken Hälfte 
des Raumes gelegene Lichtpunkte richtig zu lokalisieren. Es hat also quantitatives 
Sehen auf der temporalen Seite behalten. Es handelt sich also um eine laterale, rechts- 
seitige, homogene Hemianopsie. 

Nach der Behandlung: Der Augenhintergrund zeigt denselben ophthalmo- 
skopischen Befund als vor der Behandlung, wie es ja bei durch Degeneration bedingten 
Optikusatrophien die Regel ist, selbst bei weitgehender funktioneller Besserung. 

Die rechtsseitige homogene Hemianopsie besteht noch, aber die Sehkraft ist 
bedeutend gebessert. Am rechten Auge ist sie in einer kleinen Zone der rechten Hälfte 
des Sehfeldes wieder vollständig vorhanden, die linke Hälfte ist an ihrer Peripherie 
beinahe wieder zur Norm angewachsen. In denjenigen Partien des Gesichtsfeldes, 
die überhaupt nicht geschwunden waren oder die sich wieder eingestellt haben, ist die 
Sehschärfe normal. 

Das Gesichtsfeld des linken Auges fehlt in seiner rechten Hälfte, aber in der 
ganzen linken Hälfte ist die Lichtempfindung vorhanden. Ein kleiner Sektor dieser 
linken Hälfte, in ihrer oberen äußeren Partie gelegen, hat sogar die Farben- und Form- 
empfindung bei einer Sehschärfe von !/eg- 

Das vorstehende Schema zeigt die durch die Behandlung erreichten Resultatet): 

Fall III (unver- 
öffentlicht). Es handelt 
sich um einen 46jährigen 
Kranken, der mir von dem 
bekannten Ophthalmolo- 
gen, Herrn Dr. Darier, 
überwiesen und in meiner 
Abteilung von meinem 
Assistenten, Herrn Dr. 
Jaugeas, mit Röntgen« 
strahlen behandelt wurde. 
Er ist Metalldreher von 
Beruf und erfreute sich 
immer einer blühenden 
Gesundheit. Im Juli 1911 
merkte er, daß er kaum 
mehr die Zeitung lesen 
konnte und im Oktober 
konnte er keinen Buch- Fig. 3. 
staben mehr erkennen. 

Höchstens die großen Buchstaben der Zeitungsüberschriften konnte er noch unter- 
scheiden. 

Dr. Darier konstatierte eine beträchtliche Abnahme der Sehschärfe, die am 
linken Auge auf !/,„ am rechten Auge auf °/, reduziert war. Die Papillen zeigten 
allerdings keine Zeichen der Atrophie. Die Messung des Gesichtsfeldes ergab eine 
charakteristische bitemporale Hemianopsie, die wahrscheinlich auf eine Kompression 
des Chiasmas durch eine Hypophysengeschwulst zurückgeführt werden mußte. 





I) Anmerkung: In den Figuren bedeuten die schwarzen Partien blinde Zonen, 
die grauen einfache Lichtempfindung, die weißen das erhaltene oder wiedererlangte 
Gesichtsfeld (Licht-, Formen- und Farbenempfindung). 


514 Béclère, 


Die Diagnose wurde durch die Röntgenaufnahme des Schädels bestätigt, welche 
eine beträchtliche Vergrößerung und eine charakteristische Deformierung der Sella 
turcica erkennen ließ, wie man aus dem folgenden Bilde ersehen kann. 

Die Röntgentherapie wurde am 25. Oktober 1911 begonnen und in wöchent- 
lichen Intervallen 6 Monate lang fortgesetzt. Von da ab wurden nur noch seltenere 
Sitzungen vorgenommen, zuletzt nur noch einmal monatlich. 





Fig. IIIa. Gesichtsfeld am 21. Oktober 1911. 





Fig. IIIb. Gesichtsfeld am 22. Februar 1912. 


Zwei Monate nach Beginn der Behandlung erweiterte sich das Gesichtsfeld und die 
Sehschärfe des linken Auges stieg auf !/,, während sie vor der Behandlung !/,, betrug. 

Im September 1912, d. h. ungefähr ein Jahr nach Beginn der Behandlung, war 
das Gesichtsfeld noch mehr erweitert. 

Zu dieser unleugbaren Besserung der Sehstörungen gesellte sich auch eine Ver- 
minderung der Impotenz, welche bei dem Patienten vor der Behandlung bestanden 


Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste usw. 515 


hatte. Die vorstehenden beiden Schemata zeigen die therapeutischen Resultate, 
die in diesem Falle erzielt wurden. 

Fall IV. Derselbe betrifft die noch unveröffentlichte Krankengeschichte eines 
noch in Behandlung befindlichen Patienten. Er wurde mir von Herrn Dr. Valude, 
Ophthalmologen des Hospitals ‚Quinze-Vingts‘‘ zugeschickt und wird ebenfalls von 
Herrn Dr. Jaugeas auf meiner Abteilung mit Röntgenstrahlen behandelt: 

Ein 39jähriger Bäcker wurde ohne bekannte Ursache im Oktober 1911 von Kopf- 
schmerzen befallen, die besonders in den Stirn- und den Schläfenregionen ihren Sitz 
hatten. Es war ein dumpfer, kontinuierlicher Schmerz ohne Exazerbationen, aber 
doch heftig genug, um dem Patienten die Nachtruhe zu rauben. Kein Erbrechen 
und kein Schwindel. 

Zu gleicher Zeit bemerkte der Patient, daß seine Augen schwächer wurden und 
er konsultierte deshalb mehrere Augenärzte. Ohne daß eine bestimmte Diagnose 
gestellt werden konnte, wurden verschiedene Kuren eingeleitet; die Kopfschmerzen 
wurden zwar geringer, aber 
die Sehstörungen blieben 
unverändert. 

Im August 1911 kamen 
die Kopfschmerzen wieder 
und die Sehkraft nahm noch 
mehr ab. Der Kranke kon- 
sultierte wieder einen Augen- 
arzt, der ihn genau unter- 
suchte, aber nicht an eine 
Affektion des Türkensattels 
dachte. Er fand den Urin 
frei von Zucker und Eiweiß, 
einen negativen Blut-Was- 
sermann und einen norma- 
len Liquor cerebro-spinalis. 
Nichtsdestoweniger erhielt 
der Kranke 10 intravenöse 
Injektionen von Cyanqueck- Fig. 4. 
silber, welche eine Stomatitis 
verursachten, die Sehkraft aber nicht besserten. Zuletzt konsultierte der Kranke 
Herrn Dr. Valude im Hospital „Quinze-Vingts‘‘, der folgenden Befund aufnahm: 

Rechtes Auge: äußerlich normal, leichte Mydriasis. Fehlen der Pupillenreflexe 
auf Licht, Akkommodation und Konvergens. Hypermetropie ? Keine Verminderung 
der Transparenz der Augenmedien. Keine bemerkenswerte Veränderung der Retina 
noch der Papille. 

Linkes Auge: Strabismus convergens, Hypermetropie und Astigmatismus ohne 
Veränderung der Retina noch der Papille. 

Die Sehschärfe ist sehr verringert und beträgt links ®/,gg, rechts */oo- 

Das Gesichtsfeld ist beträchtlich eingeengt und zeigt das typische Bild einer 
doppelseitigen, temporalen Hemianopsie. 

Die Diagnose wurde auf Kompression des Chiasmas durch einen Hypophysen- 
tumor gestellt und durch die Röntgenographie des Schädels bestätigt, auf welcher, 
wie man auf nachfolgendem Schema sehen kann, eine beträchtliche Verbreiterung 
und Deformation des Türkensattels konstatiert werden konnte. 





516 Becl£re, 


Der Kranke bekam bisher erst 9 Bestrahlungen, aber bereits zeigte eine neue 
am 15. Februar vorgenommene Untersuchung eine leichte Verbreiterung des Gesichts- 
feldes und eine Verbesserung der Sehschärfe des linken Auges, welche von !/,, auf !/ı; 
stieg. 

Die vorher sehr heftigen Kopfschmerzen haben vollkommen aufgehört und die 
Verbesserung der Sehschärfe zeigt sich besonders in dem Umstande, daß der Kranke 
wieder allein ausgehen und in den Straßen von Paris zirkulieren, die Straßenbezeich- 
nungen lesen und sogar die Untergrundbahn benutzen kann, während er früher auf 
einen Begleiter angewiesen war. 

Die 4 Krankengeschichten, die ich Ihnen unterbreitet habe, beweisen 
zweifellos den günstigen Einfluß der Röntgenbestrahlungen auf die Hypo- 
physengeschwülste. So viel ich weiß, sind ähnliche Beobachtungen bisher nicht 
veröffentlicht worden. 


Il. Die Technik. 

Ich glaube annehmen zu dürfen, daß die günstigen therapeutischen Resul- 
tate, die ich erhielt, mindestens für einen guten Teil der besonderen Technik 
zuzuschreiben sind, welche ich akzeptiert habe und für diese Fälle empfehle. 

Der tiefe Sitz der Hypophyse zwingt uns selbstverständlich, Methoden 
anzuwenden, welche den unvermeidlichen Unterschied zwischen der auf der 
Oberfläche absorbierten Dosis und der Tiefendosis möglichst verringert. 
Wir müssen eine möglichst widerstandsfähige Röhre verwenden, müssen 
möglichst von der zu behandelnden Oberfläche abrücken und ein Aluminium- 
filter von größerer oder geringerer Dicke benützen. Aber auf welchem 
Wege soll man die Hypophyse erreichen? 

Bisher war es, wenn ich nicht irre, immer der Mund, den man als 
Eingangpforte für die Strahlen benützte. Diese Bestrahlung durch den 
Mund genügte, um Herrn Dr. Gramegna den allerdings nur relativen 
Erfolg zu gewährleisten, von dem ich weiter oben sprach. 

Dieser bukkale Weg hat den unwiderleglichen Vorteil, daß die Hinder- 
nisse, die den Röntgenstrahlen auf ihrem Verlauf bis zum Türkensattel im 
Wege stehen, nur eine geringe Dicke haben: es sind der Gaumenbogen, 
die Mukosa des Nasenrachenraumes und der Körper des Keilbeins oder 
besser gesagt die beiden ziemlich dünnen Knochenwände, welche den Boden 
und die Decke des Sinus sphenoidalis bilden. 

Die Hypophyse ist sicherlich weniger weit von der Gaumenschleimhaut 
als von der äußeren Haut entfernt. Andererseits ist aber wiederum der 
in den Mund eingeführte Glaszylinder in seiner Weite beschränkt durch 
den Abstand der Zähne beim Öffnen des Mundes und durch den Umstand, 
dal man den Glaszylinder schief nach oben richten muß, damit seine 
Achse den Gaumen an der Verbindung des weichen mit dem harten Gaumen 
trifft. Sein innerer Durchmesser kann kaum über 38cm betragen. Es ist ferner 
schwer, denselben in die richtige Lage zu bringen und in derselben zu fixieren. 


Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste usw. 517 


Trotz all dieser Übelstände bin ich weit davon entfernt, den bukkalen 
Weg als Eingangspforte für die auf die Hypophyse gerichteten Strahlen 
zu verwerfen, aber ich glaube, daß man großen Vorteil davon hat, außer- 
dem noch von der äußeren Haut und zwar von der Stirn- und Schläfen- 
gegend aus vorzugehen. Auf diese Art kann man, ohne die mit der In- 
tegrität der Haut vereinbare Oberflächendosis zu überschreiten, die auf 
die Hypophyse wirkende Tiefendosis durch Vermehrung der Eingangspforten 
verdoppeln, vervierfachen, ja verzehnfachen. In den vier oben mitgeteilten 
Fällen eigener Beobachtung wurde ausschließlich die fronto-temporale Gegend 
als Eingangspforte für die Röntgenstrahlen benützt. 

Ein Horizontalschnitt des Schädels, oberhalb der Arcus superciliares 
in der Höhe der Processus clinoidei zeigt, daß die äußere Begrenzung der 
Regio frontalis und der beiden Regiones temporales annähernd einen Halb- 
kreis bildet, dessen Zentrum in der Mitte der Sella turcica liegt. Auf 
einem Vertikal- und 
Sagittalschnitt des 
Schädels wird die 
äußere Begrenzung 
der Regio frontalis 

ebenfalls, wenn 

auch minder scharf, 
durch einen Viertel- 
kreis gebildet, des- 
sen Zentrum eben- 
falls in der Mitte Fig. 5. 

der Sella turcica 

liegt. Die ganze äußere Schädeloberfläche also, welche gebildet wird durch 
das Os frontale, das vordere Drittel der Ossa parietalia, die Partes squamosae 
der Temporalia und einem kleinen Teile der großen Flügel des Keilbeins, 
bildet den vierten Teil einer Kugel, deren Zentrum die Hypophyse bildet. 
Auf beistehendem Schema sind diese Verhältnisse deutlich zu erkennen. 

Indem man nun dieser Form des Schädels Rechnung trägt, teilt man 
die entsprechende Hautoberfläche, die Regio fronto-temporalis, in eine 
Anzahl von Kreisen ein, deren jeder als Eintrittspforte für ein in richtiger 
Achse einfallendes Strahlenbündel dient. Man kann so, ohne auf jedem 
Kreise die mit der Integrität der Haut verträgliche Dose zu überschreiten, 
eine sehr große Strahlenmenge in der Hypophyse zur Absorption bringen. 
Teilt man z. B. die Regio fronto-temporalis nur in vier Kreise ein, so ist 
es leicht, mit harten und filtrierten Strahlen mindestens die Hälfte der- 
jenigen Dosis auf die Hypophyse zu bringen, welche die Haut erhält, wenn 
nicht sogar die gleiche Dosis, 





518 Beclere, 


Diese verschiedenen Eingangspforten haben übrigens nicht alle den 
gleichen Wert. Die beste ist sicherlich die durch die Fossa temporalis 
führende. Denn hier haben wir den kürzesten Weg zur Hypophyse und 
die dünnste Knochenwand. 

Ich möchte hinzufügen, dab diese Technik mir sehr erleichtert wurde 
durch das von Drault nach meinen Angaben konstruierte Instrumentarium. 
Eine Anzahl von zylindrischen Lokalisatoren am Bleiglas lassen sich an den 
Schutzkasten der Röhre so anbringen, daß die Achse jedes Zylinders genau 
durch den Fokus der Röhre geht. Man braucht dann nur einen Lokalisator 
von mindestens 3 cm innerem Durchmesser zu nehmen und den Rand seiner 
freien Öffnung auf irgend eine Stelle der Regio frontotemporalis anzudrücken : 
das Strahlenbündel wird dann mit Sicherheit auf die Hypophvse fallen. 

Die Technik, die ich soeben beschrieben habe, wiegt den Nachteil. 
der aus dem tiefen Sitz der Hypophyse resultiert, vollkommen wieder auf 
und die Absorptionsverhältnisse in der Hypophyse sind dann mindestens 
ebenso günstig als in den Ovarien von Frauen, deren klimakterische Blu- 
tungen mit oder ohne Myome ja heutzutage in so günstiger Weise durch 
die Röntgenbestrahlungen beeinflußt werden. 

Bei vier der von mir behandelten Kranken wurden zuerst wöchentliche, 
später weiter auseinanderliegende Bestrahlungen ausgeführt. 

Gewöhnlich wählte ich vier Eingangspforten, die beiden Temporal- 
gegenden und die beiden Hälften der Regio frontalis. 

Ich habe Aluminiumfilter von nur 1 mm Dicke benutzt und die auf 
jede Stelle in jeder Sitzung applizierte Obertlächendosis überstieg nie 3 H. 

Man kann natürlich unter Beibehaltung des Prinzips dieser Technik 
dieselbe modifizieren und verbessern, indem man die Aluminiumdicke bis 
zu mehreren Millimetern vermehrt und eine größere Anzahl Eingangspforten 
durch Teilung der Regio fronto-temporalis in 6, 8 und 10 Kreise wählt. 
Man wird dann noch bessere Resultate und diese in noch kürzerer Zeit erzielen. 

Vor einer Läsion des Zerebralgewebes oder vor funktionellen Hirn- 
störungen durch Röntgenstrahlen braucht man sich, wie die Erfahrung ge- 
lehrt hat. nicht zu fürchten. | 

Das Gehirn verhält sich in diesen Fällen wie das Rückenmark. Die 
Wiederherstellung der Rückenmarksfunktionen durch Röntgenbestrahlung 
bei Kranken mit Syringomyelie ist der beste Beweis dafür, daß die ge- 
sunden Nervenzellen und Nervenfasern von Dosen unberührt bleiben, 
welche die neoplastischen Zellen zerstören. 


III. Indikationen und Kontraindikationen der Behandlung. 


Man kann die Tumoren der Hypophyse in symptomatischer Hinsicht 
in zwei große Kategorien teilen, je nachdem sie nur rein lokale Symptome 


Die Röntgenbehandlung der Hypophysengeschwülste usw. 519 


in Form von Kompressionserscheinungen der Nachbarorgane machen oder 
sich in diesen lokalen Symptomen entferntere zugesellen in Form von 
trophischen Störungen speziell von Hyperosteogenese, Erscheinungen, die 
auf eine vermehrte Tätigkeit der Hypophysendrüse zurückzuführen sind. 

Im ersten Fall sind die durch Kompression des Uhiasmas bedingten 
Sehstörungen die Hauptsymptome und wir haben die ophthalmische Form 
der Hypophysentumoren vor uns. Hier ist, wenn wir von den syphilitischen 
einer spezifischen Behandlung zugänglichen Tumoren absehen, die Röntgenbe- 
handlung in allen Stadien der Erkrankung angezeigt. Sie wird um so eher Erfolg 
versprechen, je früher sie eingeleitet wird, besonders im Stadium der einfachen 
Kompression vor einer nicht wieder gut zu machenden Zerstörung der Nerven- 
fasern des Chiasmas und einer absteigenden Degeneration der Nervi optici. 

Im zweiten Fall, d. h. in den gigantischen und akromegalischen 
Formen der Hypophysentumoren, können zwar die Röntgenstrahlen das 
anormale Wachstum des Skeletts in die Länge und Dicke aufhalten, sie 
können aber natürlich keine organische Läsionen wieder rückgängig machen. 

Die Bestrahlungen sind deshalb nur im Beginn und während des 
progredienten Stadiums der Krankheit indiziert, d. h. in der Periode der 
hyperplastischen Läsionen und der vermehrten Funktion der Hypophyse. 

Sie sind hingegen kontraindiziert in weiter vorgeschrittenen Fällen, in 
der Periode des Verfalls, wenn die hyperplastischen Läsionen der Hypo- 
physenzellen regressiven und destruktiven Läsionen Platz machen, wenn 
auf die Hyperfunktion der Drüse eine funktionelle Insuffizienz folgt, welche 
zuletzt zum Tode führt. 

Aufhören der Hyperosteogenese, Abnahme der Muskelkraft, Somno- 
lenz, Erschlaffung der Gehirnfunktionen, Haarausfall, Trockenheit der Haut, 
Abnahme des Körpergewichts und Verschlechterung des Allgemeinzustandes, 
das sind die Hauptsymptome, welche klinisch den Übergang zu der Periode 
des Verfalls anzeigen und eine Kontraindikation für die Röntgentherapie bilden. 

Im allgemeinen, welches auch immer die klinische Form der Hypo- 
physentumoren sein mag, mögen sie als Sehstörungen, als Gigantismus, 
als Akromegalie oder als genitaler Infantilismus mit Adipositas in Er- 
scheinung treten, ihre Behandlung mit Röntgenstrahlen wird um so eher 
Erfolg versprechen, je früher sie begonnen wird. Daher die außerordent- 
liche Wichtigkeit der Frühdiagnose der Erkrankung, die heutzutage durch 
die Röntgenaufnahme des Schädels sehr erleichtert wird. 

Zum Schluß mögen Sie mir gestatten, die Worte zu wiederholen, mit 
denen ich vor vier Jahren meine Mitteilung an die Gesellschaft der Pariser 
Spezialärzte schloß: ‚Die Röntgenstrahlen sind zugleich ein Mittel zur 
Frühdiagnose und zur Behandlung der Hypophysentumoren.“ 

(Übersetzt von Dr. A. Gunsett, Straßburg i. E) 


Ein Fall von durch Röntgenbestrahlung günstig beein- 
flußtem Mediastinaltumor.') 
Von 
Dr. Haenisch-Hamburg. 
(Mit 2 Abbildungen.) 


M: Herren! Ich bin mir wohl bewußt, daß ich Ihnen mit folgendem 
nichts Neues bringe. Sarkome werden schon seit 1899 mit Röntgen- 
strahlen behandelt, seit fast 10 Jahren findet sich auch die Röntgen- 
behandlung mit Arsenikmedikation kombiniert. Die Erfolge sind wechselnde. 
Manche Fälle reagieren auf die Röntgenbehandlung, auf die kombinicrte 
Behandlung, selbst auf Arsenik allein in glänzender Weise, manche weniger 
gut, manche verhalten sich absolut refraktär. Nach Kienböck reagieren 
ca. 75% aller Sarkomfälle auf Röntgenbehandlung, von diesen verschwindet 
etwa 1/, völlig, während ®/, mehr oder weniger stark schrumpfen. 

Leider haben wir keine Anhaltspunkte, von vornherein die günstig 
reagierenden Fälle von den refraktären zu unterscheiden, selbst pathologisch- 
anatomisch existieren hier meines Wissens keine Merkmale. Es ist so- 
nach wohl in jedem inoperablen Falle von Sarkom ein Versuch mit 
Röntgenisierung indiziert. 

Ich selbst habe eine ganze Reihe von Sarkomen behandelt mit z. T. 
glänzendem Erfolge. So entsinne ich mich besonders eines Falles von 
multiplen Sarkomen am Abdomen und rechten Oberschenkel. Der Haupt- 
tumor füllte die Inguinalbeuge vollkommen aus, der oberen Partie des rechten 
Oberschenkels lag ein über kindskopfgroßer Tumor auf. Das rechte Bein 
war stark ödematös geschwollen, es drohte Gangrän. Bei dem 73 jährigen 
Herrn war wegen des Alters, der Größe des Tumors, Emphysem, Bron- 
chiektasien an eine Operation nicht zu denken. Ich begann die Röntgenbe- 
handlung ım Juni 1908. Nach 8 Bestrahlungen von je 15 Minuten in 24 bis 
23 cm Entfernung mit Stanniolfilterung bei harter Röhre, jeden 2. bis 3. Tag. 
war Mitte Juli der enorme Oberschenkeltumor um ca. ?/, verkleinert. des- 
gleichen war die Geschwulst in der rechten Inguinalbeuge stark zurück- 
gegangen. Es wurde dann die linke Inguinalbeuge in gleicher Weise 
4 mal bestrahlt. Ende Juli waren die linksseitigen Tumoren bedeutend 
verkleinert, «die rechtsseitigen fast vollkommen verschwunden. Ende August 


1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie. 
Berlin 1913. 


Haenisch, Durch Röntgenstrahlen günstig beeinflußter Mediastinaltumor. 521 


war eine leichte Dermatitis wieder vollkommen abgeheilt, die Tumoren 
waren bis auf einen vollständig verschwunden. Nach einigen Wochen war 
auch hiervon nichts mehr nachweisbar. Patient konnte seine volle 
Tätigkeit als Redakteur wieder aufnehmen und ist bis zu seinem, Ende 
1912 erfolgten Tode vollkommen rezidivfrei geblieben. 

Leider sind Rezidive selbst bei so günstig verlaufenden Fällen nicht 
immer auszuschließen. 

Bei dem Fall, über den ich Ihnen heute besonders berichten will, 
handelt es sich um einen 26 jährigen Herrn, der früher stets gesund ge- 
wesen ist: 1911 hat er noch eine 8 wöchentliche Übung mit Manöver 
mitgemacht. Im Laufe des Jahres stellte sich starker, bellender Husten 
allmählich ein. Seit Ende 1911 in ärztlicher Behandluug, damals objektiv 
nihil. Bis Anfang März 1912 langsame Verschlechterung des Befindens, 


! 


7 
il 


| 
j 





i 





| 
j 


(7 











I 
2 


| 


| 


CI 


| 





N 








| 


P 


t 





Fig. 1. Fig. 2. 


Atembeschwerden, Zyanose, später ein pfeifendes Geräusch wahrnehmbar 
über dem Sternum. 

Am 8. März 1912 wurde Patient mir zur Röntgenuntersuchung zu- 
gewiesen. Ich konstatierte einen großen Mediastinaltumor, dessen Trans- 
versaldimension 18,5 cm beträgt. (M.R. 3 Interkostalraum 6,0 cm, 
M.L. 5 Interkostalraum 12,5 cm). Obwohl eine anatomische Unter- 
suchung nicht möglich war, dürfte kaum etwas anderes als ein Mediastinal- 
sarkom, resp. Lymphosarkom in Frage kommen (vgl. Fig. 1). 

Am 20. Mai 1912 kam Patient zur Röntgenbehandlung. Nach 
6 Bestrahlungen, 12 X unter 2 mm Aluminiumfilter gemessen, ist Anfang 
Juni jegliche Atemnot geschwunden, die orthodiagraphische Messung ergibt 
eine Transversaldimension von 16,8 cm. 


592 Haenisch, Durch Röntgenstrahlen günstig beeinflußter Mediastinaltumor, 


Nach einem Aufenthalt an der See kehrte Patient Anfang Juli in 
desolatem Zustand zurück, starke CUyanose, bedrohliche Atemnot. Der 
Tumor ist bis auf 18,6 Transversaldimension wieder gewachsen. Durch 
erneute Bestrahlungen, im ganzen ca. 35 mal unter dem Filter ist die T.D. 
Ende Juli auf 16,5 cm und Mitte September auf 13,0 cm zurückgegangen. 

Aus äußeren Gründen mußte leider wieder eine längere Pause gemacht 
werden. Am 12. November war der Tumor mit den gleichen Erschei- 
nungen wieder auf 18,2 cm gewachsen. 

Ich habe hier nachzuholen, daß von dem behandelnden Arzte während 
der ganzen Zeit zunächst 2—3 mal pro Woche, später alle 8 Tage 
Injektionen von kakodylsaurem Natron 0,02 subkutan gemacht wurden. 
Trotzdem die Injektionen auch während der Röntgenpausen vorgenommen 
wurden, wuchs der Tumor beim Aussetzen der Röntgenbestrahlung jedesmal. 

Die jedesmalige Besserung muß in unserem Falle also allein der 
Röntgeneinwirkung und nicht der angewandten Arsenmedikation zu- 
geschrieben werden. 

Durch die nunmehr energischer vorgenommene Röntgenisierung, 
wöchentlich 2 Bestrahlungen von je 3—5 X unter 2 mm Aluminium 
von verschiedenen Einfallspforten aus, ist die Transversaldimension am 
27. Dezember 1912 bereits auf 11,3 cm zurückgegangen, der Husten, 
die Atemnot sind vollkommen geschwunden, das Allgemeinbefinden sehr 
gut. Am 28. Januar 1913 konnte ich 9,2 cm, am 15. Februar 7,0 cm 
T.D. feststellen (vgl. Fig. 2). Die Übersichtsaufnahme zeigt nur noch eine 
minimale Verbreiterung im oberen Abschnitt des Mittelschattens. Seit 
Mitte Februar keine Bestrahlungen mit Rücksicht auf die Haut, die bisher 
vollkommen intakt geblieben ist, abgesehen von etwas Bräunung. Eine 
kurz vor meiner Abreise hierher vorgenommene Untersuchung ließ eine 
noch weitere Schrumpfung erkennen, so daß das Thoraxbild jetzt kaum 
etwas pathologisches aufweist. 

Die Diapositive zeigen Ihnen an den in Serien aufgenommenen 
Röntgenogrammen die fast vollständige Beseitigung des großen Me- 
diastinaltumors. | 

Daß von einer vollständigen oder dauernden Heilung noch nicht 
gesprochen werden kann, ist selbstverständlich. Ich werde den Fall weiter 
beobachten und auch noch weiter bestrahlen, er zeigt indessen wieder, daß 
selbst in desolaten Fällen jederzeit eine Röntgenbehandlung indiziert ist. 

Ich bestrahle in solchen Fällen absichtlich zunächst mit nicht zu 
großen Dosen, um die Sensibilität des Tumors festzustellen und bei einem 
eventuellen Rezidiv die Wirkung der Röntgenstrahlen nicht erschöpft zu 
haben. 


Scheinbarer Erfolg bei einer Krebsgeschwulst durch Kom- 
bination der Atoxyl- und Strahlentherapie. 


Von 
Professor Dr. Ferdinand Blumenthal, Berlin. 


m 5. Dezember 1912 erschien in der Fürsorgestelle für Krebskranke in der 

Pallisadenstraße eine 69jährige Näherin. Sie zeigte einen leidlich guten 

Ernährungszustand. Das rechte Auge war vollständig geschlossen, das 
obere Augenlid stark ödematös, etwa um das dreifache vergrößert, das untere 
frei. ‘Das Auge konnte nicht geöffnet werden. Das Ödem des Augenlides ging 
in einen apfelgroßen Tumor über, der stark ulzeriert und verjaucht war. In dem- 
selben zeigte sich eine stinkende blutige Flüssigkeit. Die Frau behauptete im 
Mai und Juni 1912 mehrere Wochen lang 2—3 mal wöchentlich, im ganzen 
ca. 12 mal, in einer sehr renommmierten Klinik für Hautkrankheiten mit Rönt- 
genstrahlen behandelt worden zu sein. Unter dieser Behandlung habe sich 
zuerst die Geschwulst nicht verändert, später habe sich ihr Zustand sehr ver- 
schlechtert, indem die Geschwulst weiter in die Peripherie gewachsen sei. Das 
stinkende Sekret habe sie mit Umschlägen von essigsaurer Tonerde behandelt. 
Auf den Rat von Bekannten suchte sie die Fürsorgestelle auf. Als ich sie sah, 
bot sie einen trostlosen Anblick dar, wozu das übelriechende Sekret des ver- 
jauchenden Tumors kam. Ich schlug Behandlung mit intravenösen Einspritzungen 
von Atoxyl 0,2 g und 0,004 g arseniger Säure, die ich schon wiederholt bei bös- 
artigen Geschwülsten, insbesondere Sarkomen, bei letzteren nicht ohne Erfolg an- 
gewandt hatte, vor.) Mit diesem Rat schickte ich. sie zur Bestrahlung in das 
Lichtinstitut der König]. Charite. Ich hoffte, daß die Bestrahlungen wenigstens 
eine Reinigung der schmierigen und jauchigen Ulzeration hervorbringen würden. 
Von jeder lokalen Behandlung — etwa Umschläge oder Spülungen — wurde 
Abstand genommen. In der Charité wurde von Geheimrat Lesser und dem 
Leiter des Lichtinstituts Dr. Zehden, die Prognose für die Behandlung mit 
Röntgenstrahlen nicht günstig gestellt; erstens weil in diesem Falle bereits 
Röntgenbestrahlungen erfolglos stattgefunden hatten, zweitens weil nach ihren 
Erfahrungen diese Art von Fällen sich nicht selten unter der Röntgenbehand- 
lung geradezu verschlechtern. In Anbetracht der traurigen Sachlage, es war 
nichts zu verlieren, entschlossen wir uns zu einer Kombination der früher 
erfolglosen Röntgenbestrahlung mit derintravenösen Arsenbe- 
handlung, die dann in folgender Weise durchgeführt wurde. 

Die Patientin hatte ihre erste Einspritzung von Atoxyl und arseniger 
Säure am 5. Dezember 1912 bekommen, die erste Bestrahlung am 10. Dezember, 


1) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie 
Berlin 1913. 
2) Zeitschrift für Krebsforschung Bd. X, S. 134 und Med. Klinik 1911, Nr. 30. 


524 Blumenthal, 


die zweite Atoxyleinspritzung am 12. Dezember, die dritte am 19. Dezember, die 
vierte am 2. Januar. An diesem Tage war bereits eine deutliche Reinigung des 
Tumors zu erkennen und eine Epithelisierung vom Rande des Tumors aus, weiche 
ungefähr !, cm breit war. Das Körpergewicht hatte etwas zugenommen, es be- 
trug am 5. Dezember b4 kr, am 2. Januar 64.7 kg. Eine fünfte Einspritzung. 
immer intravenös, wurde am 9. Januar, eine sechste am 16. Januar, eine siebente 
am 23. Januar vorgenommen. 


Am 29. Januar ist die Bildung des Narbengewebes stark fortgeschritten. 
ca. 1!, Zentimeter weit. Es hat sich vollständig neues Gewebe gebildet. 
Außerdem sieht man aber auch den vollständig gereinigten Grund der 
zerfallenen Geschwulstmiteiner feinen Epidermis bedeckt, und am 
6. Februar ist bereits ein weiteres Drittel des Defektes ausgefüllt, so daß an diesem 
Tage “ie Geschwulst etwa auf die Hälftezurückgegangen ist. Das Körper- 
gewicht beträgt an diesem Tage 63.3 kg. 

Am 3). Januar erhielt sie die achte; am 6. Februar die neunte, am 13. Februar 
die zehnte Einspritzung, ihr Körpergewicht ist an diesem Tage 63.5 kg. Am 
20. Februar wurde keine Einspritzung gemacht: sie klagte, daß sie in der ver- 
gangenen Woche etwas Schwindelgefühl gehabt hätte. was sie auf eine Erkältung 
bezog. Ihr Körpergewicht war herabgegangen auf 62.5 kg. Am 27. Februar er- 
hielt sie die elfte Einspritzung. am 6. März die zwölfte, am 13. März die dreizehnte 
ging subkutan) und am 


27. März 14. Einspritzung. Körpergewicht 63.1 kg 


3. April 15. = z 63.4 „ 
10. „ 18. 25 2 63.4 .. 
24. na N. “ 2 62°. 
15. Mai 18. š ʻ 62 n 
2 u -19 s € 62 pn 
19. Juni 2, s 5 614 „ 

3. Juli 21. a = 62.5 p 
IT. po D, E 62.1 


„ 

Die Behandlung wird vorläufig ausgesetzt, da von einem Tumor nichts 
mehr durch äußere Betastung nachzuweisen ist. 

Sehr auffällig war, daß während der Behandlung sich ein Teil des krebsigen 
Gewebes erweichte und gelblich verfärbte und sich eine Art Fettgewebe bildete 
und ferner. daß an dem Tage nach der Einspritzung und nach der Bestralilung 
der Tuamür leicht blutete bzw. einen etwas entzündeten Eindruck machte. 


Rüöntzenbestrahlungen wurden alie 3 Wochen von Herrn Dr. Zehden 
am 10. Dezember. am 8. Januar usw. bis zum 1°. Juli, insgesamt 11 vorgenommen. 
Es kam jedesmal eine 3>, Dosıs nach Sabouraud-Noiré. eine mittelstarke 
Strahiungz —S Wernelt: zur Anwendung. 

Der ıxixrosko;-ische Befund. welchen Herr Privatd.zent Dr. Arndt, Assistent 
an der Universitat-kiinik für Haut- und tieschlechtskrankheiten aufgenommen 
Lat, ergab ein Basalzellenkarzinom. Das Prüparat wurde in Alkohol fixiert. 
die Kerne mit Eisenhämatoxylin vorgefärbt und mit van Lieson naclhgefärbt. 
so dab das Bindegewebe rot erscheint. 


Es handeit sich also um ein Basalzeilenkarzinom. das der alleinigen 
Behandlung mit Röntzenstrählen trotzte. dagegen mit auffälliger Heiltendenz 


Kombination der Atoxyl- und Strahlentherapie. 5925 


auf eine kombinierte intravenöse Behandlung von Atoxyl und arseniger 
Siture und Röntgenbestrahlung reagierte. Es erhebt sich natürlich die Frage, 
ob nicht die intravenöse Behandlung von Atoxyl und arseniger Säure allein, 
dien gleichen Erfolg .gehabt hätte. Diese Frage läßt sich weder allgemein, 
noch für diesen einzelnen Fall mit Sicherheit beantworten. Im allgemeinen 
habe ich bei den echten Karzinomen, wie sie die inneren Organe 
(Mamma-, Leber-, Magen- und Uteruskarzinom) darbieten, mit der alleinigen 
Atoxylbehandlung niemals einen entscheidenden Erfolg gesehen. Was die 
Hautkarzinome anbelangt, so habe ich allerdings neuerdings einen Fall in 
Behandlung, in welchem das Atoxyl allein, d. h. ohne Röntgenbestrahlung 
intravenös angewandt wird, und in dem eine Heiltendenz des geschwürigern 
Tumors bereits nach der ersten Einspritzung zu konstatieren war. Der 
Fall ist aber noch nicht für eine endgültige Beurteilung reif. 


Von anderen Autoren gibt Spude!) an, bei Hautkarzinomen von 
Atoxylinjektionen allein keinen entscheidenden Erfolg gesehen zu haben, 
dagegen wenn er diese mit lokaler Infiltration des Tumors mit magnetisch 
gemachten Eisenteilchen kombinierte; während diese allein verwendet, gleich- 
falls wenig wirksam waren. Diese Anwendung des Atoxyls bezw. Atoxyls 
und arseniger Säure als kräftige Unterstützung der Bestrahlungstherapie 
eröffnet uns eine Perspektive für die Behandlung solcher Hautkarzinome, 
bei denen bisher die Röntgenbehandlung allein ohne Erfolg war, und es 
darf erwartet werden, dal ebenso wie bei Sarkomen, bei welchen, wie ich 
schon wiederholt ausgeführt habe, Atoxyleinspritzungen nicht selten auf- 
fallende Besserungen, ja Heilungen herbeiführten, die Kombination mit der 
Bestrahlungstherapie einen Fortschritt bedeutet. Diese Kombination liegt 
Ja nahe und ist auch von anderen Autoren, z. B. Levy-Dorn!) und Seelig- 
mann?) bei Sarkomen erfolgreich angewandt worden. 


Noch ein Wort über die Wahl des Arsenpräparats. Nach meinen 
Erfahrungen sollte man endlich aufhören, die nur wenig wirksamen 
Kakodylate zur Behandlung der bösartigen Tumoren zu verwenden. 
Arsenige Säure scheint dagegen oft recht wirksam zu sein. Am nütz- 
lichsten, schon weil wenig giftig, scheinen die aromatischen Arsenikalien, 
Atoxyl bzw. Arsazetin und Salvarsan zu sein. Da die Arsenwirkung in den 
aromatischen Arsenikalien und in der arsenigen Säure eine verschiedene 
ist, so halte ich es vorläufig für geraten, beide zu verwenden, bis wir mehr 
über die 'Tumorwirksamkeit dieser Körper wissen. Ich möchte mich hier 
auf ein bestimmtes Präparat beziehungsweise auf einen bestimmten Modus 


!) Spude, Zeitschr. für Krebsforschung 1913, Berl. klin. Woch. 1913. 
2) Levy-Dorn, Berl. klin. Woch. 1912. 
3, Seeligmann, Münchn. med. Woch. 1913 u. Deutsche med. Woch. 1913. 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 34 


226 Blumenthal, Kombination der Atoxyl- und Strahlentherapie. 


der Behandlung (Dosis, Dauer der Behandlung), noch nicht festlegen, — dazu 
sind noch viel zu wenig Fälle behandelt — halte aber das Atoxyl in den 
hier angewandten Dosen für das relativ ungiftigste und am bequemsten 
anwendbare Präparat. Eine Erblindungsgefahr kommt in den hier an- 
gewandten Einzeldusen nicht in Betracht. Der angeführte Fall hat bis jetzt. 
d.h. bis zu dem Moment, wo der Tumor nicht mehr von außen nachweis- 
bar ist, 4,4 g Atoxyl innerhalb von 7 Monaten gebraucht. Die Menge 
der arsenigen Säure. welche in 22 Einspritzungen angewandt wurde, be- 
trug 0,088 g. 


Aus dem Laboratoire biologique du Radium in Paris. 


Ueber die Einwirkung des Radiums auf gewisse hyper- 
trophische Veränderungen der Epidermis. 
Von 
Dr. Wickham, Dr. Degrais und Dr. A. Bellot, Paris. 


nser Hauptaugenmerk war bei der therapeutischen Verwendung des 

Radiums zuerst auf diejenigen Affektionen gerichtet, denen gegenüber 
wir uns bis dahin nur zu oft machtlos sahen. Dieser Leitgedanke war es 
auch der uns veranlaßte, vor allem die Erfolge mitzuteilen, die wir mit der 
Radiumtherapie in der Behandlung der Hautkrebse, der Naevi plani und 
der angiomatösen Tumoren, unter denen wirkliche Monstrositäten waren, 
erreichen konnten. Nachdem aber diese Erfolge erreicht waren, schien 
es uns angebracht nachzuforschen, was das Radium in der Behandlung 
anderer, allerdings viel weniger schwerer Affektionen, leisten könne, bei 
denen es aber nichtsdestoweniger von Wert war, ein therapeutisches Agens 
zur Verfügung zu haben, das in mancher Beziehung den anderen Methoden 
überlegen ist. Der Zweck dieser Zeilen ist, die Resultate unserer For- 
schungen mitzuteilen über die Wirkung, welche das Radium auf gewisse 
hypertrophische Zustände der Epidermis, wie die Warzen (besonders die 
Verrucae plantares) und die Keratodermien entfalten kann. 

Unter dem Einfluß eines wahrscheinlich parasitären Agens bei der 
Warze oder einer rein mechanischen Ursache bei den Schwielen, produziert 
die Epidermis hypertrophische Formationen, von verschiedenem Aus- 
sehen, die je nach dem Falle einer verschiedenen histo-pathologischen 
Modifikation entsprechen. 

Die Warze, ganz gleich ob es sich um die flache, juvenile, die vulgäre 
oder um die senile Form handelt, wird, wie es Dubreuilh festgestellt hat, 
von zwei eng mit einander verbundenen Partien gebildet; nämlich von 
langen vaskulären Papillen und einer Masse epithelialen Gewebes, welches 
diese Papillen bedeckt und einhüllt. 

Die sehr langen, dünnen, fadenförmigen Papillen der Verruca vulgarıs, 
die hier nur aus einigen, von ein wenig feinem und lockerem Bindegewebe 
umgebenen Blutgefäßen bestehen, zeigen bei den Verrucae planae und bei 
den Verrucae seniles weit geringere Dimensionen. 

Die epithelialen, interpapillären Granulationen weisen interessante 

34* 


528 Wickham, Degrais u. Belot, 


Veränderungen auf. Die Keimschicht ist wenig modifiziert, sie umgibt 
die Papillen mit einer ungefähr normalen Zellschicht. 

Die Stachelschicht ist sehr verdickt, sie bildet für sich allein 
bei der vulgären Warze fast die ganze tiefgelegene Partie der Läsion. 
Fast normal bei den jungen Warzen und bei den stark hervorspringenden 
Formen, wie zum Beispiel den Warzen des Gesichts, weisen die Zellen 
dieses Stratum bei den älteren Formen eine mehr oder weniger bedeutende 
vakuoläre Veränderung auf, gleichzeitig findet man in diesen Fällen zu- 
weilen voluminöse keratohvaline Massen vor. 

Aus dieser anormalen Verhornung resultiert dann oft eine Verdiekung 
des Stratum corneum, das nun anormalerweise, wenigstens zu einen Teil. 
von voluminösen Zellen, die noch ihre Kerne aufweisen, gebildet wird. 

Dieser vakuoläre Zustand und die darauffolgende anormale Verhor- 
nung findet sich nicht bei der flachen juvenilen Warze. Hier sind die 
Hornzellen, obgleich sie nur locker untereinander verbunden sind und 
ein wenig kompaktes Gewebe bilden, dennoch gut verhornt. 

"Ebensowenig existiert diese Modifikation bei der senilen Warze, im 
Gegenteil findet man hier zahlreiche Hornkörperchen mitten in der durch 
die Verdickung der filamentösen Schicht gebildeten epithelialen Masse. 

Zusammenfassend und ganz im allgemeinen stellt sich die Warze 
vom histologischen Standpunkte aus als eine Verdickung des Stratum 
filamentosum et granulosum der Epidermis dar, die bisweilen in den Fällen 
der Verruca vulgaris von einer Verhornungsanomalie begleitet ist: zwischen 
(lie so gebildeten epithelialen Granulationen wachsen die mehr oder weni- 
ger lansgezogenen Papillen ein. Wenn das Stratum corneum verdickt 
ist, so ist es wenig konsistent. 

Die Histologie der Schwicle ist viel einfacher. Unter dem Einflusse 
wiederholter Reibungen, die oft nur von leichtem, bisweilen aber sehr 
schwerem Charakter sein können, vermehren sich die Zellen der Epidermis 
maßlos und bilden mehrere, übereinandergelagerte, abgeflachte Schichten. 
Das Stratum corneum kann bisweilen eine beträchtliche Dicke erlangen; 
in seiner größten Partie ist es mit Fleidin infiltriert. 

Die Papillen weisen keinerlei Modifikation auf, im Gegensatz dazu 
besteht eine mehr oder weniger beträchtliche Infiltration mit Ödem der 
darunterliegenden Lederhaut. 

Auf Grund dieser verschiedenen histologischen Befunde gingen wir 
daran, die verschiedenen Strahlungen des Radiums an diese Modifikation 
der Epidermis zu adaptieren. Die Verrucae planae, bei denen keine Ab- 
weichung vom Verhornungsprozeß vorliegt, haben sich als besonders 
sensibel gegen die Strahlenwirkung erwiesen. Da es uns möglich war, 
mächtige radioaktive Intensitäten auf eine sehr eng umschriebene Fläche 


Einwirkung des Radiums auf Veränderungen der Epidermis. 599 


zu konzentrieren, konnten wir durch Applikation von fünf bis zehn Mi- 
nuten Dauer auf jede der juvenilen Warzen deren vollständiges Ver- 
schwinden herbeiführen. 

Die gewöhnlichen Warzen, die so oft gegen jede schmerzlose Be- 
handlung refraktär sind, zeigten sich auch widerstandsfähiger gegen die 
Radiumstrahlung. Durch Benutzung eines Apparates, der ein. Zenti- 
gramm reines Radiumsulfat auf einem Quadratzentimeter Oberfläche 
enthielt, und bei Verwendung der Gesamtstrahlung dieses Apparates, 
erzielten wir in absolut konstanter Weise die Einschmelzung dieser Warzen, 
ohne Hinterlassung einer Narbe. 

Die rissigen Keratodermien der Fußsohle, die meist symme- 
trısch auftreten, sind die Ursache lebhafter Schmerzen. Wie uns unsere 
Erfahrungen lehrten, sind sie in äußerst günstiger Weise durch die Radium- 
strahlung beeinflußbar. 

Vor allem möchten wir aber die Aufmerksamkeit auf die wirklich 
wichtigen Dienste lenken, die das Radium in der Behandlung der Schwie- 
len und noch mehr der Warzen der Fußsohle, zu leisten vermag. 

Die Schwiele der Fußsohle, die zumeist ihren Sıtz auf dem Niveau 
des Kopfes der Metatarsen hat, ist in vielen Fällen der Sitz eines während 
des Gehens äußerst heftigen und schwer zu ertragenden Schmerzes. Durch 
Anwendung des Radiums konnten wir eine deutliche Erweichung der Horn- 
schicht und damit das vollständige Verschwinden des Schmerzes erzielen. 

Dieser ist übrigens noch ausgesprochener, wenn es sich um die in so 
ausgezeichneter Weise von Dubreuilh beschriebene Warze der Fuß- 
sohle handelt. Gewöhnlich finden sich diese Warzen am Vorderfuß, auf 
den Niveau der Metatarsenköpfehen oder auch unter der Ferse. Auf 
den ersten Blick scheint es sich um eine große Schwiele von besonderer 
Schmerzhaftigkeit zu handeln. Diese Schmerzen selbst sind oft so stark, 
daB jedes Gehen unmöglich ist. Wenn man nun diese Schwiele etwas 
näher untersucht, sagt Dubreuilh, konstatiert man, daß sie in ihrem 
Zentrum von einem Loch perforiert ist, in welchem nıan ein weiches, 
weißlich gefärbtes Gewebe vorfindet. Bei Abschälung der Hornschicht 
zeigt sich, daß dieses Loch sich in der Tiefe erweitert und daß es von dem 
erwähnten, weißlichen Gewebe, das sich sehr schwer schneiden läßt, an- 
gefüllt ist. Nur mit Schwierigkeiten gelingt es, die Kurette hier einzu- 
führen, aber einmal eingedrungen ist es leicht, weißliche, dem Anscheine 
nach fibröse Massen loszureißen, die aus weichen, parallel zu Bündeln 
agglutinierten und vom Grunde nach der Oberfläche zu gerichteten, 
Bündeln bestehen. Es sind dies die papillären Kolonnen der Warze. 
Auf diese Weise gelingt es, eine runde Höhle, die an ihrem Grunde breiter 
als an ihrer Mündung ist und sich etwa zwei Zentimeter tief in die Fuß- 
sohle hinein erstrecken kann, auszuräumen. 


530 Wickham, Degrais u. Belot, 


Die Warze kann auf Grund des ständig auf sie ausgeübten Druckes 
nicht nach außen hervorspringen, hat sich deshalb mitten in die Gewebe 
eingelagert und der hyperkeratotische Ring, der sie umschließt, bildet 
gleichzeitig ihre Überdeekung. Diese eigenartigen Bedingungen erfor- 
dern natürlicherweise eine ganz besondere Behandlungsmethode der 
plantären Warze. 

Wenn wir bei den sich über dem Niveau der Haut entwickelnden 
Warzen eine Therapeutik anwenden, die vor allem die große Menge der 
wenig penetrierenden Strahlen des Radiums ausnützt, müssen wir bei 
der mitten in das Gewebe eingelagerten plantären Warze unsere Zu- 
flucht zu den stark penetrationsfähigen Strahlen des Radiums nehmen, 
indem wir den ganzen Rest der übrigen Strahlung durch eine geeignete 
Filtrationsmethode ausschalten. 

Da nun aber die Menge der stark penetrationsfähigen Strahlung nur 
eine beschränkte ist, müssen wir diesen Nachteil durch eine verlängerte 
Applikationsdauer zu kompensieren suchen. 

Die von uns in diesen Fällen angewandte Technik ist die folgende: 
Wir applizieren einen, drei Zentigramm reinen Radiumsulfats auf sechs 
Quadratzentimeter verteilt enthaltenden Apparat, dessen Strahlung 
durch zwei Millimeter Blei filtriert wird, während sechzig Stunden auf die 
zu behandelnde Warze, und zwar wurde die Applikationsdauer auf sechs 
Nächte, Jede zu zehn Stunden verteilt. 

Dank dieser Technik konnten wir bisher jedem unserer Patienten, 
der sich um eine Behandlung seines Übels an uns wandte, seine Schmerzen 
erleichtern. 

Die Behandlung ist absolut schmerzlos, was sich von besonderem 
Werte in einem unserer Fälle erwies, in dem die schwangere Patientin, 
mit einer plantären Warze des Vorderfußes und einer zweiten an der 
Ferse des anderen Fußes behaftet, sich nur sehr schwer zu einem ope- 
rativen Eingriff hätte entschließen können. 

Weiterhin führt die Behandlung, wenn der Patient sehr beschäftigt 
ist, keine Unterbrechung in seiner Berufstätigkeit herbei. Diesen Vorteil 
lernten wir besonders im Falle eines Kollegen schätzen, der bereits mit 
Schrecken der Bettruhe entgegensah, die ja nach der Operation, die man 
ihm als sicherstes Mittel, um seinen Schmerzen ein Ende zu setzen, eınpfoh- 
len hatte, nötig gewesen wäre. 

Die von uns erzielten Erfolge haben es uns nützlich erscheinen lassen, 
die Dienste mitzuteilen, die das Radium bei einer Affektion leisten kann, 
deren Prognose ja allerdings nicht allzu ungünstig ist, deren sich endlos 
wiederholende Schmerzen aber unter dem Einflusse dieser ganz und gar 
schmerzlosen Therapeutik verschwinden. (Tibersetzt von F. Reber-Bordeaux ) 


Aus der urologischen Abteilung des Kaiser-Franz-Josef-Ambulatoriums 
in Wien. 


Zur Technik der Radium-Mesothoriumbestrahlung 
in der Urologie. 


Von 
Dr. Hugo Schüller, Abteilungsvorstand. 
(Mit 6 Abbildungen.) 


ie Ausbildung der urologischen Untersuchungs- und Operationsmethoden 

konnte den Umstand nicht aus der Welt schaffen, daß ein sehr 
großer Teil der im Gebiete der Prostata und Blase gelegenen malignen 
Neubildungen sich zur Zeit der Konstatierung ihres Vorhandenseins als 
nicht mehr radikal operabel erweist; insbesondere die infiltrierenden Kar- 
zinome der Blasenwand und die Prostatakarzinome machen leider in der 
überwiegenden Mehrzahl der Fälle keine Frühsymptome. 

Weiter neigen bekanntlich gerade maligne Tumoren der Blase und 
Prostata zur Rezidivierung. Diesem Umstande suchen die neueren Opera- 
tionsmethoden von Zuckerkandl, Young usw. Rechnung zu tragen, die 
alle darauf abzielen, mögligst tief in dem gesunden Gebiete, entfernt vom 
Tumor, zu operieren. Haben sich auch dadurch die Resultate wesentlich 
gebessert, so steht doch jeder auf urologischem Gebiete tätige Arzt unter 
dem traurigen Eindrucke des Schicksals jener Kranken, denen inoperable 
Blasen- oder Prostatakarzinome eines der schwersten Krankheitsschicksale 
bereiten, und einen Symptomenkomplex hervorrufen, der, oft mit heftigsten 
lanzinierenden Schmerzen, Qualen bei der Miktion und Defäkation einher- 
gehend, nur nach Anlegung einer suprapubischen Blasenfistel oder eines 
anderen Entlastungsventils in seiner Heftigkeit bisher lediglich durch Nar- 
kotika bekämpfbar ist. 

Unter diesen Umständen war es naheliegend, die Versuche, inoperable 
Geschwülste durch Radium-Mesothoriumtherapie zu beeinflussen, auch auf 
dieses Gebiet zu projizieren. 

Zur Ausführung dieser Bestrahlung ist es erforderlich, die zur Zeit in 
der Radiumtherapie geltenden Prinzipien auch für die Urethra, Blase und 
Prostata strikt durchzuführen. Also: Anwendung genügend großer Dosen, 
Applikation an Ort und Stelle, richtige Filterung respektive Distanzierung, 
genügend langedauernde Applikation, Vermeidung von Sekundärstrahlen- 
schädigungen. 


832 Schüller, 


Sofern es sich um blutige Operationen an den Harnwegen, Sectio alta. 
Prostataoperation usw. handelt, sind natürlich in diesem Gebiete die 
Möglichkeiten der kunstgerechten Anbringung der Radium(Mesothorium)- 
träger dieselben wie an jeder anderen Stelle des menschlichen Körpers. 

Uns handelt es sich im Rahmen dieser Abhandlung darum zu zeigen, 
wie in den der Operation aus irgendeinem Grunde nicht zuführbaren, 
also inoperabeln Fällen von Carcinoma vesicae et prostatae doch eine voll- 
wertige Radiumbestrahlung ausgeführt werden kann. 

Es wurde zu diesem Zwecke durch vorsichtige Steigerung der Dosen 
zu eruieren versucht, in welchem Maße die Schleimhaut und die Musku- 
latur der Harnblase sich gegen die Strahlung empfindlich erweisen. Es 
stellte sich heraus, daß die Verträglichkeit dieses Organs für die richtig 
abgefilterten Strahlen eine bedeutende ist. So wurde zum Beispiel bei 
vorsichtigem Vorwärtsschreiten in der Dosierung 50 mg Mesothorium, ge- 
filtert durch 1mm Gummi, durch 48 Stunden in der weiblichen Blase 
ohne nachfolgende Schädigung vertragen, 30 mg Radium, gefiltert durch 
11/ mm dickes 25%, Platinsilber, durch 3 Tage mittels unten beschriebenen 
Verweilkatheters wiederholt ohne Schaden in der Blase belassen. Auch 
die Rektalschleimhaut wurde in dieser Hinsicht geprüft, auch diese für die, 
wie wir im folgenden sehen werden, in Betracht kommenden Dosen von 
60 mg Mesothor, respektive Radium bei 24stündiger Applikation unter 
besonders vorsichtiger Sekundärfiltrierung als genügend resistent gefunden. 

Zur zweckmäßigen Applikation des Strahlungsmaterials ließ ich mir 
im Laufe der Versuche mehrere Instrumente!) anfertigen. Als Filter 
gelangt bei diesen nur reines Platin zur Verwendung. Die Sekundärtilterung 
wird in der Urethra und im Rektum durch Gummi, in der Blase durch 
Distanzierung bewerkstelligt. 

Es handelt sich bei einem Teil dieser Instrumente darum, in relativ 
kleinen Kapseln die genügende Menge strahlender Substanz unterzubringen. 
Zu diesem Behufe ist es notwendig, über sehr hochgradiges Radiumsalz zu 
verfügen. Ich verwendete Joachimstaler Radium-Barium-Chlorid von 
mindestens 72% Radiumgehalt, für die flachen Träger auch Mesothorium 
der Berliner Auer-Gesellschaft. 

Zur endourethralen Bestrahlung beim Manne verwendete ich ein 
Instrument wie in Figur 1 abgebildet. 

Es besteht aus einer Nickelinspirle und trägt eine Olive. Eine 
zweite Olive trägt eine Bougie filiforme. Zwischen beide Metalloliven 
wird ein röhrenförmiger Radiumträger eingesetzt. Durch diesen geht ein 
mit Gewinde versehener Metallstift zur Fixierung der vorderen Olive. 


1) Und zwar von der Firma Joseph Leiter, Wien. 


Zur Technik der Radium-Mesothoriumbestrahlung in der Urologie. 533 


Dieser Träger eignet sich auch zur Bestrahlung kallöser Verengungen 
der Urethra, also zur Therapie eines Teiles der Harnröhrenstrikturen. 
Der Versuch, diese durch Bestrahlung zu beeinflussen, wurde in der 
Erwägung unternommen, ob es möglich sei, durch derartige Einschmelzung 
der kallösen Bestandteile vielleicht in einer Anzahl von Strikturen den 
Patienten das immerwährende Wiederholen der Bougierungsbehandlung 
zu ersparen. Ob dies tatsächlich der Fall ist, wird sich erst im Verlaufe 
der Zeit ergeben. | 

Die Prostata bietet anatomisch nicht ungünstige Bedingungen zur 
Bestrahlung. Diese ist von der Blase und dem Rektum aus direkt, vom 
Perineum her indirekt ausführbar und stellt dann ein ideales „Kreuz- 
feuer“ dar. 

Zur endovesikalen Bestrahlung des Blasenhalses und der Prostata 
verwendete ich ursprünglich das in Figur 2 dargestellte Instrument. Es 
ist nach Art eines Lithothriptors, aber bedeutend kleiner und zarter gebaut. 
Durch Lüften der Schraube gehen beide Branchen auseinander. Die 
vordere Branche ist aus 1!/, mm dickem Platin und hat einen Rahmen, 
der zur Aufnahme des schwach gebogenen Radiumträgers (R) dient. Die 
rückwärtige Branche fixiert nach Anziehen der Schraube den Träger. 
Dem Träger können im Rahmen Platinfilter verschiedener Stärke vor- 
gelagert werden. Da dieses Instrument von Männern auf lange Dauer 
nicht ohne Schmerz und Tenesmus vertragen wird, verwende ich gegen- 
wärtig statt dessen einen Katheter (Figur 3), dessen vordere Kappe aus 
Platinsilber zur Aufnahme der Dominiciröhrchen abschraubbar ist. Dieser 
Katheter wird wie ein Verweilkatheter befestigt. 

Die Technik der Prostatabestrahlung besteht also in der Einführung 
dieses Katheters, dessen Schnabel an verschiedenen Stellen der Drüse 
angelegt werden kann. Eine Sekundärfilterung nehme ich, um das Instru- 
ment nicht dicker, seine Einführung nicht schmerzhaft zu machen, nicht 
vor. Hingegen wird die Sekundärfilterung durch Distanzierung ersetzt. 
Das Katheter darf mit seinem Schnabel nicht fest an die Prostata ange- 
drückt werden, außerdem wird darauf geachtet, daß stets ca. 100—150 cem 
Harn in der Blase verbleiben, so daß durch die Extension die Blasenwand 
immer in genügender Entfernung vom Radiumträger bleibt. Gleichzeitig 
wird die Prostata vom Rektum aus bestrahlt. Bei Anwendung von Radium 
wird ein exzentrisch gebohrter Platinsilberfilter (Fig. 7), der auf der einen 
Seite 1!/,, auf der anderen Seite 5 mm dick ist und in seine Bohrung 
das Dominiciröhrchen aufnimmt, eingeführt. Der Filter ist an einem 
Gummidrain befestigt. Bei Anwendung von Mesothorium (60 mg) rektal, 
wird 11/, mm Goldfilter mit Gummiüberzug verwendet. Von der dritten 
Seite, perineal, kann außerdem unter genügender Filterung und Verwendung 


534 Schüller, 





431127 





Fig. 1. Fig. 2. 


Zur Technik der Radium-Mesothoriumbestrahlung in der Urologie. 535 


lediglich der y-Strahlung ein dritter Träger befestigt werden, wobei der 
Harnröhre sorgfältig ausgewichen und die Sekundärabblendung auch skrotal- 
wärts durchgeführt werden muß. | 


Zur Bestrahlung begrenzter Tumoren, Epitheliome 
in der Blase unter Leitung des Auges verwende ich ein Kysto- 
skop, dessen Konstruktion gestattet, die zumeist in Betracht kommenden 
Stellen der Blasenwandung mit Radium zu bestrahlen (Fig. 4, 5, 6). 


In einem Kanal des katheterförmigen Rohres läuft eine Metallspange 
zum Auslegen des Radiumträgers, welcher in eine vorn offene Metall- 
kapsel einzulegen ist. Diese Metallkapsel ist entweder konkav oder konvex 
gebaut. Für beide Krümmungen kommt der gleiche aktive Träger zur 
Anwendung wie beim Prostataträger (Fig. 2). Die genannte Metallkapsel 
ist auf einem Metallrahmen gelenkig befestigt, aufklappbar und mit einem 
Riegel zu verschließen (Fig. 6). Der Metallrahmen ist wieder mit dem 
Schnabel des Katheters und der Metallspange gelenkig verbunden. Durch 
die am rückwärtigen Ende des Spangenkanals fixierte Zange wird die 
Spange, bzw. die Metallkapsel betätigt. 

Die Zange selbst steht unter dem Drucke einer Feder. Je nachdem 
nun die Zange mit Daumen und Zeigefinger zusammengedrückt wird, 
schnappt eine kreissegmentförmige Zahnstange in eine Hemmung aus, den 
gewünschten Winkel der Metallkapsel zum Schnabel sichernd. Durch ein- 
faches Abheben der Zahnstange vermittelst des kleinen Fingers geht die 
Zange auf, die Metallspange zurückziehend, wodurch die Metallkapsel in 
die Ausgangsstellung gebracht wird. In dieser ist die Metallkapsel in dem 
Schnabel des Katheterrohres so gelagert, daß ein bequemes Einführen in 
die Blase, bzw. Entfernen aus der Blase stattfinden kann. Durch Vor- 
schieben, Zurückziehen, seitliche Drehungen lassen sich die meisten Stellen 
der Blasenwandung erreichen. Zur Fixierung dient ein Stativ mit einem 
Ring für axiale Drehung des Kystoskops, der gestattet, die stellenweise 
Radiumbestrahlung von außen zu kontrollieren. 


Bei größeren blutenden oder jauchenden Tumoren kommt der Ra- 
diumkatheter zur Anwendung, der als Verweilkatheter in der Blase befestigt 
wird. Die große Resistenz der Blasenschleimhaut gegen die Strahlen, 
also die sogenannte elektive Wirkung der Strahlen macht diese Methode 
zu der für den Patienten angenehmsten und gleichzeitig auf die längste 
Zeit ausdehnbarsten. 


In einem Falle von Karzinom der Urethra bei einer Frau auf den 
Blasengrund übergreifend habe ich einen Pezzerkatheter montiert mit einem 
Mesothoriumträger von 50 mg durch 48 Stunden ohne Schaden liegen 
lassen. 


536 Schüller, 


Uber die Resultate der Bestrahlungen kann, da die Versuche kaum 
über ein halbes Jahr alt sind, selbstverständlich kein definitives Urteil alı- 
gegeben werden. Fest steht, daß jeder radikal operierbare Tumor operativ 
anzugehen ist. 

Die Prostata scheint ein für die Bestrahlung verhältnismäßig günstiges 
Objekt zu sein; sie wird auch von den Autoren (Sticker) in der Stufen- 
leiter der Empfindlichkeit der Gewebe für Röntgenstrablen und die 
y-Strahlen des Radium an fünfter Stelle aufgezählt, und weit vor Karzinom, 
Sarkom, Lupus, Myom usw. eingereiht. 

Es wird Aufgabe einer späteren Abhandlung sein, die tatsächlichen 
Resultate der Radiumbehandlung der in Betracht gezogenen Krankheiten 
auf Grund längerer Beobachtung der Kranken kritisch zu besprechen. 


—a hin Ne o 


Die Behandlung der Prostatahypertrophie durch die 
Radiotherapie. 


Von 
Dr. Haret, Paris, 


Assistent am radiologischen Laboratorium des Hospitals Saint Antoine. 


an vereinigt unter der Bezeichnung Prostatahypertrophie eine Reihe 
klinischer Erscheinungen, bei denen die anatomischen Läsionen und 
die Symptome vielfältigsind: Schwierigkeit des Harnlassens, die sich zuerst 
durch häufigen Harndrang kennzeichnet, ein wenig Schmerz, Behinderung 
im Augenblick der Emission, dann Retention einer gewissen Harnmenge 
in der Blase, die sich nach und nach erhöht, bis es endlich zu einer voll- 
ständigen Harnverhaltung mit enormer Dehnung der Blase kommt, 
die jeweils die Einführung eines Katheters notwendig macht, damit 
der Patient urinieren kann. 


Vom anatomisch-pathologischen Standpunkte aus beobachtet man 
(rei Formen: 


In der einen besteht eine Drüsenhypertrophie. 


In der anderen haben wir es mit einer Hyperplasie des Bindegewebes 
zu tun. 


In der dritten (gemischten Form) finden wir die Hypertrophie und 
dıe Hyperplasie zu gleicher Zeit. 

Vom klinischen Standpunkt aus unterscheidet man eine erste, prä- 
kongestive Periode, in welcher die Schwierigkeit des Harnlassens auftritt, 
nichtsdestoweniger ist der Kranke noch imstande, seine Blase zu leeren; 
in der zweiten Periode beobachtet man die vollständigen oder unvoll- 
ständigen Retentionserscheinungen. Für die Mehrzahl der Urologen gibt 
es nur eine Behandlung der Prostatahypertrophie, die Prostatektomie. 
Jedoch nicht alle Patienten geben ihre Einwilligung zu diesem Eingriff, 
und dieser ist Ja auch durchaus nicht so harmlos, wie es auf den ersten 
Blick erscheint. Die allergünstigsten Statistiken können nicht umhin, 
eine gewisse Anzahl von Todesfällen, die durch die Operation, selbst bei 


Verwendung der allerneuesten und vollkommensten Methode, bedingt 
sind, anzuerkennen. 


Da die Prostata ein drüsiges Organ ist, war es ganz natürlich, daB 


538 Haret 


man zur Bekämpfung ihrer Hypertrophie an die Röntgenstralilen dacht«. 
und dieser Gedanke kam auch wirklich einer großen Anzahl von Radio- 
logen. Seit dem Jahre 1905 finden wir Berichte über derartige Versuche 
in der medizinischen Literatur: Luraschi, Moskowicz,!) Guille- 
minot?) waren die ersten, aber trotz der berichteten guten Erfolrre wur:ir 
diese Behandlungsmethode nur ganz ausnahmsweise von den Uroloren 
angeraten. 

Was die Technik der Bestrahlungen anbetrifft, so bestehen heute 
zwei verschiedene Methoden. Da das zu bestrahlende Orran tief i 
Körper gelegen ist, so versuchen die einen es durch Einführung ein 
Lokalisators in das Rektuın zu erreichen, während die anderen die Strahlen 
durch das Perineum hindurch applizieren. Zu diesen letzteren gehören 
auch wir, und zwar aus verschiedenen Gründen: Zuerst muß das Lumen 
eines in das Rektumn eingeführten Lokalisators naturgemäß sehr eng sein. 
man kann also denizufolge nur eine äußerst eng umschriebene Revion 
bestrahlen, dann kann man weiterhin die bestrahlte Partie der Mukosa 
nur sehr schwer überwachen und kontrollieren und läuft auf diese Weise 
Gefahr, sehr schwere Schädigungen entstehen zu sehen. 

Der ausschlaggebende Faktor aber ist, daß wir heute durch die Ver- 
wendung filtrierter Strahlen eine genügende Strahlenmenge durch die 
Haut des Perineums ın die Tiefe senden können, um die Prostata zu er- 
reichen und zu modifizieren, ohne dabei eine Hautverbrennunr befürchten 
zu müssen. 

Jedoch nun erhebt sich die Frage nach den Indikationen und Kon- 
traindikationen. Da wir wissen, daß die Sensibilität eines Gewebes gegen 
Röntgenstrahlen um so größer ist, Je mehr karvokinetische Figuren dieses 
Gewebe enthält, werden wir vor alleın bei der eine Drüsenhypertrophie 
aufweisenden Form bestrahlen, während wir die Bindegewebshyper- 
plasie, die ja gerade das entgegengesetzte ist, und gar keine Karyokinese 
aufweist, als kontraindiziert betrachten. 

Die ausschließlich durch eine Drüsenhypertrophie bedingten Formen 
der Prostatahypertrophie werden also den größten Vorteil aus der radio- 
therapeutischen Behandlung ziehen. Mit anderen Worten, die im Beginn 
der Erkrankung zur Behandlung gelangenden Patienten werden ain 
meisten von der Bestrahlung profitieren, während die sich bereits in einem 
vorgeschrittenen Stadimmn befindlichen Kranken nur ganz geringe Chancen 
einer Besserung ihres Leidens haben. Die Praxis hat diese theoretischen 
Erwägungen vollständig bewiesen. 


2) Guilleminot, Archives d’Electrieite medicale 1906, pag. 727 und 
III. Congres international de Milan, Electrologie et Radiologie medicale. 


a a 


Behandlung der Prostatahypertrophie durch die Radiotherapie. 539 


Ich werde aus meinen Beobachtungen fünf Fälle mitteilen, die mir 
ziemlich typisch erscheinen, um die tatsächliche Wirksamkeit der Behand- 
lung zu beweisen, wenn sie sich nur immer auf die wirklich indizierten 
Formen beschränkt. 


Fall I. — M. H.... Prostatiker im Alter von 65 Jahren. Miktions- 
schwierigkeiten bestehen seit einigen Jahren, während der Nacht mehrmaliger 
Harndrang. Am 5. Mai 1906 stellte sich plötzlich eine vollständige Harnretention 
ein; der herbeigerufene Arzt entleerte die Blase mittels Katheter; seit diesem 
Tage ist der Patient unfähig, ohne einen solchen zu urinieren. Der konsultierte 
Urologe, Dr. Géraud, stellte eine Hypertrophie mittleren Grades fest, ziemlich 
weich, mit sehr stark verlängertem Prostatakanal, der durch die weit vor- 
springende mittlere Gruppe der submukösen Drüsen des Blasenhalses (mittlerer 
Lappen) seitlich verlagert und nach vorn gegen den Blaseneingang gedrängt ist. 

Beginn der Bestrahlungen am 10. Mai 1906. Nach der zweiten Sitzung kann 
der Patient wieder selbständig Urin lassen. 

Am 14. Juni 1906 stellte ich die Bestrahlungen ein. Im ganzen waren sechs 
Bestrahlungen vorgenommen worden. Dabei wurden allwöchentlich 3 H auf die 
Perinealhaut appliziert. Die verwendete Röhre lieferte ein Strahlenbündel von 
der Härte Nummer 7 der Benoistschen Skala. 

Nach Beendigung der radiotherapeutischen Behandlung wurde der Patient 
von neuem von Dr. Géraud untersucht. Der jetzige Befund war: „das Prostata- 
volumen ist stark herabgesetzt; Residualharn: 40 g“. 


Fall II. — Dr. P..... 65 Jahre. Miktionsstörungen seit Dezember 1908. 
Der konsultierte Spezialist Dr. G&nouville findet: eine stark vergrößerte Prostata, 
stark mit Blut gefüllt; die Größe entspricht etwa dem Volumen einer Orange. 
Im September 1909, akute und komplette Retention. Die eingeleitete Massage- 
behandlung und Faradisation bringen eine geringfügige Besserung, jedoch bleiben 
die Symptome immer noch so bedrohlich, daß man eine Prostatektomie in Er- 
wägung zieht. Der Patient zieht es jedoch vor, sich an die Radiotherapie zu 
wenden. Wir begannen die Bestrahlungen am 3. Mai 1909, und zwar wurde all- 
wöchentlich eine Dosis von 3 H Einheiten, Strahlenhärte 8 bis 9 Benoist, auf das 
Perineum appliziert. Nach der vierten Sitzung vermindert sich der nächtliche 
Harndrang. Nach der fünften Bestrahlung muß der Patient sich notwendigerweise 
auf Reisen begeben. Er kehrt im Januar 1910 zurück und nimmt die Behandlung 
wieder auf. lm ganzen wurden in diesem Falle siebzehn Bestrahlungen vorge- 
nommen. 

Am 26. April 1910 war die Behandlung beendet. 

Der Urologe, Dr. G&enouville, findet den Patienten sehr gebessert; die lokale 
Untersuchung ergibt eine weiche, bewegliche Prostata, mit normaler Blutfüllung, 
etwa von der Größe einer halben Mandarine. Residualharn: 30 Kubikzentimeter. 
Die Miktion geht ohne Schwierigkeiten vor sich, selbst in der Nacht, während 
welcher der Patient höchstens ein- bis zweimal uriniert. 


Fall HI. — Herr deG.... 58 Jahre. Der Patient beklagt sich über 
häufigen Harndrang und Beschwerden bei der Miktion. Außerdem ist er genötigt, 
während der Nacht fünf oder sechsmal aufzustehen. Der zugezogene Urologe 
Dr. Lacaille stellt eine „große, harte, glatte Prostata“ fest. 

Beginn der Bestrahlungen am 6. November 1909. Wöchentlich eine Sitzung, 


540 Haret, 


während welcher 3 H Einheiten harter Strahlen, von der Nummer 8 bis 9 Benoist. 
gefiltert durch 1!1/), mm Aluminium, appliziert werden. 

Nach der dritten Bestrahlung erhebt sich der Patient nur noch einmal während 
der Nacht. Nach der fünften Sitzung findet er die Symptome so sehr gemildert, 
daß er die radiotherapeutische Behandlung aufgibt. Die Bestrahlungen wurden 
also auf seinen Wunsch am 29. November 1909 eingestellt. 


Fall IV. — Herr deN... 70 Jahre Seit einem Jahr etwa sehr häufiger 
Harndrang während des Tages. Während der Nacht ist er ebenfalls genötigt. sich 
mehrere male zu erheben, weiterhin klagt er über Schmerzen während der Miktion. 
Dr. Lacaille diagnostiziert: „Prostata vergrößert, vor allem mittlerer Lappen.” 

Wir begannen die Behandlung am 17. April 1913. In wöchentlichen Sitzungen 
erhielt der Patient 3 H Einheiten, Strahlenhärte 8 bis 9 Benoist, filtriert durch 
1!/, mm Aluminium auf das Perineum. Beendigung der Bestrahlungen am 26. Mai 
1913, nach insgesamt sieben Sitzungen. Der Kranke empfindet keine Schmerzen 
mehr, die Frequenz des Harnlassens ist verringert, während der Nacht erhebt er 
sich nur noch ein Mal. 

Fall V. — M. B.... 62 Jahre Seit 1907 bestehen Miktionsstörungen, 
frequenter Harndrang mit Schmerzen bei der Miktion. Seit 1910 haben sich die 
Symptome soweit verschlimmert, daß der Patient seit dieser Epoche nur noch mit 
dem Katheter seine Blase entleeren kann. Er katheterisiert sich seit etwa 3 Jahren 
fünfmal am Tage. Zahlreiche Spezialisten, sowohl in Paris als auch in der Provinz 
wurden von ihm konsultiert. Die Prostatektomie wurde ihm mehrmals dringend 
angeraten, aber stets vom Patienten, der vor diesem blutigen Eingriff zurück- 
schreckte, verweigert. Jetzt möchte er die Wirksamkeit der Strahlenbehandlung 
versuchen, ehe er sich zur Operation entscheidet. Er wird uns von Dr. Barusby, 
Tours, seinem Hausarzte, zugewiesen, jedoch mit recht wenig Hoffnung auf ein 
gutes Resultat, da derselbe eine stark vergrößerte und sehr harte Prostata fest- 
gestellt hatte. Unter diesen Verhältnissen, und die lange Zeit, während der die 
Störungen bereits bestanden in Betracht ziehend, hielten auch wir den Kranken 
zur Strahlenbehandlung nicht mehr geeignet. Da der Patient jedoch auf einem 
Versuch bestand, beschlossen wir einige Bestrahlungen vorzunehmen. 

Wir begannen mit der Behandlung am 12. Februar 1912. Wie stets, gaben 
wir auch hier in wöchentlichen Sitzungen 3 H Einheiten, Strahlenhärte 8 bis 9 
Benoist, gefiltert mit 1'/, mm Aluminium auf das Perineum. 

Nach sechs Bestrahlungen, am 28. März 1912, stellten wir die Behandlung 
ein, da dieselbe bis dahin dem Patienten keinerlei Besserung verschafft hatte. 


Bei unseren vier ersten Fällen sehen wir also eine Verminderung 
(der Frequenz der Miktionen und zwar schon nach den ersten Sitzungen. 
Weiterhin konstatieren wir bei der lokalen Untersuchung eine Verminde- 
rung des Prostatavolumens, die bisweilen sehr beträchtlich ist (Fall II. 
Verringerung um zwei Drittel der ursprünglichen Größe), wenn der Pa- 
tient die Behandlung genügend lange Zeit fortsetzt. In den allermeisten 
Fällen jedoch geben die Kranken, wenn eine Milderung der unangenehmen 
Symptome erreicht ist, die Bestrahlungen auf, und sind durch das 
erzielte Resultat, obgleich es ja unvollkommen ist, sehr zufrieden- 
gestellt. 


Behandlung der Prostatahypertrophie durch die Radiotherapie. 541 


Weiter zeigt uns dann Fall I, daß das erzielte Resultat ein defini- 
tives ist, da dieser Patient in den sieben Jahren, die jetzt 
seit Beendigung der Bestrahlungen verflossen sind, nie 
wieder von den Symptomen, gegen die er seinerzeit die 
Hilfe der Röntgenstrahlen anrief, befallen wurde. 

Die Beobachtung V endlich bestätigt uns die Unwirksamkeit der 

3ehandlung in den Fällen alter Prostatahypertrophie, in denen die Binde- 
vewebshyperplasie der prädominierende Faktor ist. Bei diesen Patienten 
ist also die Operation doch das einzige Mittel, zu dem man raten kann. 

Resume: In Fällen von Prostatahypertrophie, solange dieses Leiden 
sich noch im Beginn befindet, entfalten die Röntgenstrahlen eine ausge- 
zeichnete Heilwirkung. Der Erfolg der Bestrahlung tritt sehr schnell 
ein und ist dauerhaft. Die einfache Bestrahlung durch das Perineum 
ist vollständig ausreichend. Um des guten Erfolges sicher zu sein, sollte 
man sich Jedoch ausschließlich an die Formen mit Drüsenhypertrophie 
halten und die übrigen Formen dem Chirurgen überlassen. Diese Kate- 
gorie von Kranken, die bisher durch keine Behandlungsmethode eine Er- 
leichterung ıhrer Beschwerden fand, kann also eine ganz bedeutende 
Besserung von der Strahlentherapie erhoffen, allerdings unter der einen 
Bedingung, daß sie die Behandlung so früh als irgend möglich beginnen. 


(Übersetzt von F. Reber- Bordeaux.) 


Strahlentherapie Band III, Hoft 2. 35 


Aus dem Laboratoire biologique du Radium in Parıs. 


Die Behandlung der Prostatatumoren durch das Radium. 


Von 


Dr. Degrais und Pasteau, Paris. 
(Mit 3 Abbildungen.) 


ie operative Behandlung des Prostatakarzinons hat bis heute noch 
keine allzu ermutigenden Resultate ergeben. Tatsächlich sehen wir. 
daß nach einer Periode, über deren Dauer wir keinerlei präzise Angaben be- 
sitzen, der Tumor in den weitaus meisten Fällen von neuem rapide wächst, 
entfernte Metastasen setzt und schließlich zu einer Generalisierung des 
Karzinons führt. Die Blase, ebenso wie die Drüsengruppen des kleinen 
Beckens werden ergriffen, die allgemeine Metastasierung des Neoplasına 
ist, wie man weiß, leider nur allzu häufig. 

Aus all diesem resultiert, daß die Totalexstirpation eines Prostata- 
karzinons gewöhnlich nicht zum Ziele führt, umsomehr als die unmittel- 
bare Gefahr der Operation sehr groß ist. 

Von diesen Erwägungen ausgehend, haben wir uns seit vier Jahren 
bemüht, festzustellen, welchen Einfluß wohl das Radium auf Fälle dieser 
Art entfalten könnte. 

Wir hatten z. B. Gelegenheit, einen Patienten im Alter von 57 Jahren, 
der uns im September 1909 überwiesen wurde, der Radıiumbehandlung 
zu unterziehen. Es handelte sich um ein Prostatakarzınon, dessen 
Wachstum sieh in die Blasenhöhle hinein erstreckte. Bei diesem Kranken 
waren alle funktionellen und alle organischen Symptome eines Prostata- 
karzinoms vorhanden; der Allgemeinzustand war äußerst schlecht. Unter 
dem Einflusse der Radiumstrahlung, — die Radiumträger wurden einzig 
und allein in die Harnröhre eingeführt —, sahen wir, wie sich das Neo- 
plasma zurückbildete, um endlich vollständig za verschwinden. Heute 
noch, nach mehr als drei Jahren, hat sich dieses Resultat unverändert 
aufrecht erhalten. 

Im ganzen haben wir bis zum heutigen Tage fünfzehn Fälle, von 
denen sich sechs noch in der Behandlung befinden, aufzuweisen. 

Unter diesen von uns behandelten Fällen befinden sich Patienten, deren 
Allgemeinzustand vor vier Jahren geradezu hoffnungslos war, da die 
Kranken in dieser Epoche schon alle Symptome einer diffusen Karzinosis 
des Beckens aufwiesen. Heute erfreuen sich diese Kranken eines ausge- 


Degrais und Pasteau, 543 


zeichneten Allgemeinzustandes, die Prostata verringerte ihre Größe und 
erwies sich bei der Untersuchung als weich und leicht beweglich. 

Angesichts dieser auffallend guten Resultate könnte man geneigt 
sein zu glauben, daß es sich in Wirklichkeit in diesen Fällen nicht um 
maligne Neubildungen, sondern einfach um chronische Prostatitis ge- 
handelt habe. Wir waren übrigens die ersten, die alle nur möglichen 
derartigen Bedenken erwogen. 

Wir verfügen aber über andere Beobachtungen, in denen wir mit 
aller nur wünschenswerten Klarheit die Rückbildung oder das fast voll- 
ständige Verschwinden der inguinalen Drüsenpakete unter dem ausschließ- 





Fig. 1. 


Instrumente zur Behandlung der Prostatatumoren mit Radium. 


lichen Einfluß der Prostatabestrahlung konstatieren konnten; es handelt 
sich also ganz sicher um Karzinom, umsomehr als einer dieser Patienten 
an einer allgemeinen Metastasierung starb. 

In einem unserer Fälle haben wir z. B. gesehen, wie sich eine außer: 
ordentlich große und so stark fixierte Prostata, daß an eine erfolg- 
reiche Operation nicht zu denken war, unter dem Einflusse der Radium- 
bestrahlung in ihrer Größe sich verringerte, viel weicher wurde und sich 
mobilisierte. Nach Beendigung der Radiumbestrahlung wurde eine 
supra-pubienne Prostatektomie vorgenommen, die nun keinerlei Schwie- 


35* 


544 Degrais u. Pasteau, Behandlung der Prostatatumoren d. Radium. 


'aysasuasyaq p Fuadujsduyy SYopjıgafneu 9 ‘197s0u[2yyJıdg Busgerıyos 
‘uag Jafwuoäıqwe usjpanuHy qQ :oqemadapumg seydunlısa v -WIN JIByU98 Q !oypnejydsuasmicy Sferfoygida eydsızsLlogywieyd V 
"SWMNIFJUSZUSTYEIIS SOP IFByOSIBqydsN I9p SUB UOISIZXT "U03 U94897U1977JUƏ WNIJUAZUAJYVIJH WIP UOA 1P SNV UOJSIZX Y 
g "21 Š z "214 


v 





"84848014 19p aurorpoyyıdg-ouapy 


Behandlung der Prostatatumoren durch Radium. 545 


rigkeiten mehr bot. Die von Herrn Dr. Anselme Bellot vorgenommene 
histologische Untersuchung zeigte in äußerst klarer Weise die Einwirkung 
der Radiumstrahlung auf die Struktur des Tumors. 

In den entfernt liegenden Partien, die nur eine geringe Strahlenmenge 
erhielten, fanden sich zahlreiche adenomatöse Nester, und in ıhrer Mitte 
konstatierte man einige volle Zylinder, die uns charakteristisch für das 
Epithelioma adenoide vom Typ Albarran-Halle erschienen. Im 
Gegensatz dazu sieht man in der peri-urethralen Zone, d. h., in der am 
stärksten bestrahlten Region des Tumors, daß das epitheliale Gewebe 
fast vollständig verschwunden ist und ersetzt von Jungem, mit embryo- 
nalen Zellen durchsetzten Bindegewebe. 

Es ist leicht, aus den histologischen Befunden den Beweis für die 
Radiumwirkung auf das epitheliale Gewebe, das sowohl in der einfachen 
Prostatahypertrophie, wie auch in den bösartigen Neubildungen des 
Erwachsenen, den größten Teil des Tumors darstellt, zu erbringen. 

Die Schlußfolgerung für die Praxis ist einfach: Da die Radium- 
therapie der Prostatatumoren keinerlei Gefahren aufweist und da ihre 
Anwendung einfach ist, müssen wir diese Behandlungsmethode unseren 
Patienten zu gute kommen lassen. Wenn man auf diese Weise nicht zu 
einer vollständigen Heilung gelangt, so darf man zum mindesten hoffen, 
eine derartige Besserung zu erzielen, daß eine vorher unmögliche Prostat- 
ektomie jetzt vorgenommen werden kann. (Übersetzt von F. Reber- Bordeaux.) 


Über Strahlentherapie der experimentellen und mensch- 
lichen Lungentuberkulose.') 


Von 
Prof. Dr. O. de la Camp, Freiburg ı. Br. 
(Mit 1 Abbildung.) 


ersuche, die menschliche Lungentuberkulose mit Röntgenstrahlen zu 

beeinflussen, sind fast so alt wie die diagnostische Anwendung der 
Röntgenstrahlen. Der Grund, weshalb solche Versuche bisher erfolglos 
bleiben mußten, war ein doppelter: 

Es fehlte 

1. die exakte Begründung des Tierversuches und 

2. der technische Ausbau der Strahlenverwendung, der als sogenannte 
Strahlentiefen-Therapie erreicht ist. 


An meiner Klinik hat Herr Küpferle diese Fragestellung zum Gegen- 
stand seiner vor Jahresfrist begonnenen Arbeiten gemacht. Die von ihn 
und Herrn Bacmeister angestellten Tierversuche haben zu Resultaten 
geführt, über die im einzelnen von den Herren bereits in der Fachpresse 
und auf diesjährigen Kongressen größtenteils berichtet ist und die ich. wie 
folgt, kurz zusammenfassen möchte: 

Als Tiere wurden Kaninchen verwendet, welche möglichst gleich- 
mäßig von der Ohrvene aus mit einer Aufschwemmung einer Typus 
humanus Kultur infiziert wurden. 


Eine erste Serie von Tieren wurde in großen Pausen, etwa alle 8 bis 
10 Tage unmittelbar nach der Injektion beginnend bestrahlt. Der Fokus- 
hautabstand war 23 em, die Röhrenhärte 6 bis 8 Benoist, Filter $8 mm 
Aluminium. DBestrahlt wurde die rechte und linke Seite, Rücken und 
Brust in einer Gesamtzeit von je 21/, bis 8 Stunden mit einer oberhalb 
des Tieres gemessenen (Gresamtenergiemenge von 25 bis 30 X nach Kien- 
böck, so daß insgesamt in rund 11 Stunden oberhalb des Tieres 109,5 X, 
unterhalb desselben 30 X gemessen wurde. Bei dieser Versuchsanordnung, 
welche in größeren Pausen, bei größerer Entfernung und relativ weichen 
Röhren eine verhältnismäßig kleine Oberflächenenergie verwandte, zeigte 


1) Vortrag, gehalten auf der Versammlung deutscher Naturforscher und 
Ärzte, Wien 1913. 


Kun or 


E ë OŘ Ce un e e 


De la Camp, Strahlentherapie der Lungentuberkulose. 547 


sich bei der vergleichenden Serienuntersuchung der Lungen bei bestrahlten 
und nichtbestrahlten Tieren keine erheblichen Differenzen. 


Eine zweite Serie gleich infizierter Tiere wurde nun, nachdem die 
eben als wirkungslos erkannte Technik 4 Wochen nach der Injektion 
durchgeführt war, in kürzerem Fokushautabstand 20 bis 22 cm mit 
härteren Röhren einen um den anderen Tag bestrahlt. Um mit den Binzel- 
angaben der verwandten Energiemengen nicht zu ermüden, verweise 
ich an dieser Stelle auf die andernorts veröffentlichte und noch erschei- 
nende tabellarische Übersicht. Bei der Verwendung dieser weit größeren 
Energiemengen, für welche uns der speziell für Tiefentherapie eingerichtete 
Apparat der Veifa-Werke diente, war nun der Erfolg ein durchaus anderer. 
Bei den Kontrolltieren fand sich makroskopisch und mikroskopisch das 
bekannte Bild der fortgeschrittenen Lungentuberkulose mit Verkäsung 
und hyperämischer allmählich in das Normalgewebe übergehender Um- 
randung. Bei den Bestrahlten jedoch war auch makroskopisch wohl 
die zentrale Nekrose zu erkennen, doch hatte sie ein mehr knorpeliges 
Aussehen und einen etwas eingesunkenen aber gegen die Umgrenzung 
scharf abgesetzten Ring. An Stelle des proliferierenden Granulations- 
«webes fand sich um die Nekrose von geringerer Ausdehnung herum 
junges Bindegewebe, welches sich im Gegensatz zu den Nichtbestrahlten 
gegen die Umgebung scharf absetzte. 


Eine dritte Serie von Tieren wurde mit der oben erwähnten Technik 
größere Oberflächenenergie zuvor direkt nach der hämatogenen Infektion 
bestrahlt. 


Hier fanden sich folgende Gegensätze: 


Nichtbestrahlte Tiere nach rund 4 Wochen: Zahlreiche kleine makro- 
skopisch eben erkennbare, mikroskopisch typische subpleurale Tuberkel 
nit beginnender zentraler Verkäsung und zellreicher Randzone. 


Bestrahlte Tiere mikroskopisch: Kleinere Herde, welche den Cha- 
rakter des typischen Tuberkels in bindegewebiger Umwandlung verloren 
hatten, so daß bei der makroskopischen Untersuchung der Lungen in der 
Tat sich nirgends Tuberkel erkennen ließen. 


Aus diesen Tierversuchen geht also hervor, daß die hämatogen er- 
zeugte Lungentuberkulose beim Kaninchen bei geeignet dosierter harter 
Strahlung, sowohl im Beginn der Entwicklung als im entwickelten Sta- 
dıum beeinflußbar ist. Und zwar handelt es sich bei der beginnenden 
Tuberkulose um eine fibröse Umwandlung der sich bildenden Tuberkel, 
bei der entwickelten um einen Ersatz der proliferierenden Randzone 
durch ein junges gegen das gesunde Gewebe scharf abgegrenztes Binde- 
sewebe. Eine direkte Beeinflussung der Tuberkelbazillen konnte bisher 


548 De la Camp, 


nicht erwiesen werden, denn Impfversuche mit größeren Lungenteilen 
der bestrahlten Tiere fielen positiv aus. 

Auf Grund dieser tier-experimentellen Erfahrungen wurde nun die 
als erfolgreich beschriebene Verwendung größerer Energiemengen auch 
beim lungenkranken Menschen verwandt. Abgeschlossen liegen die 
Resultate bei 15 Lungentuberkulosen nach rund !/,jähriger Bestrahlung 
vor, eine größere Anzahl befindet sich noch in laufender Beobachtung. 


Bestrah- Gemessene Ober- 


Name Stadium Bestrahlungszeit lungs- flächenenergie nach 

minuten Kienböck 
1. V. II. 8. IV.—81. VII. 1048 4711 X 
2. R. I. 8. IV.— 5. IX. 1060 524 X 
3. H. I. 12. IV.— 5. IX. 1018 566 X 
4. L. II. 15. IV.— 5. IX. 1081 613 X 
5. K. I. 16. IV.—14. V. 680 347 X 
6. H. III. 16. IV.—20. V. 710 348 X 
T. W. II. 20. IV.—14. VII. 810 549 X 
8. R. Ill. 3. V.—11. VI 580 814 X 
9. W. II. 19. V.—4. VO. 440 336 X 
10. H. II. 19. V.—17. VI. 420 302 X 
11. H. I. 26. VI.— 5. IX. 628 476 X 
12. H. III. 26. VI.—10. VII. 275 285 X 
13. Sch. III. 26. V.— 5. IX. 981 1933 X 
14. F. II. 13. VI.— 5. IX. 687 3898 X 
15. F. II. 4.V IIL.— 5. IX. 562 356 X 


Eine kurze Übersicht über Bestrahlungszeiten, Energiemengen usw. 
darf ich am Schlusse diaskopisch zeigen (vgl. beifolgende Tabelle). 


Die Zahl von 15 Fällen muß von vornherein als sehr klein erscheinen, 
jedoch sie wurde durch die Schwierigkeit individualisierender Technik 
und einer möglichst allseitigen klinischen Beurteilung bedingt. Von 
diesen 15 Fällen fanden sich vier im I., sieben im II. und vier im III. 
Stadium nach Turban. Die Bestrahlung wurde unter dauernder Beur- 
teilung der Temperatur- und Gewichtsverhältnisse, des Allgemeinbefindens, 
des Blutbildes, der perkussorischen, auskultatorischen und röntgenologi- 
schen Befunde durchgeführt. Die Fälle des III. Stadiums wurden generell 
beurteilt nicht gebessert, im Gegenteil schienen sie größeren Röntgen- 
dosen gegenüber zum Teil besonders empfindlich. Hingegen waren bei 
den Fällen des I. und II. Stadiums klinische Zeichen der günstigen Beein- 
flussung durchgehends bemerkbar. Die Temperatur zeigte in der Regel 


Strahlentherapie der Lungentuberkulose. 549 


nach einem Reaktionsanstieg einen Reaktionsabfall. Dieser trat nach 
jeder Bestrahlung deutlicher in die Erscheinung, so daß ein Absinken zur 
Norm nach einigen Wochen erreicht wurde, wie beifolgende Kurve zeigt. 
Die katarrhalischen Symptome nahmen ab, schwanden zum Teil voll- 
kommen. Das Verhalten des Blutbildes war im Einzelfalle durchaus 
verschieden, eine Leukozytenabnahme jedenfalls nur durch große Energie- 


A 
OA ZIAN 
Ma M Ee ESEA NAES 
e EE 
E e L E 








39 

E 

37 

I 

35 

39 

- vA 

se ee N re 
E ale EE 
39 

38 

37. 

eJ 

35 

34 


mengen erreichbar, unerwünschte Nebenerscheinungen wie Appetit- 
verminderung und Erbrechen wurden nur in schwereren Fällen beob- 
achtet und verschwanden alsbald nach der Bestrahlung. 

Zusammenfassend ist mithin bei Lungenkranken im I. und II. Sta- 
dium bei vorsichtiger Anwendung nicht zu geringer Dosen harter Strahlen 
eine günstige Wirkung zweifellos zu erzielen. Wenn jedoch für einen Er- 
folg eine gewisse Energiemenge notwendig erscheint, so ist andererseits 
auch eine zu intensive Bestrahlung nicht gefahrlos. Dafür sprechen 

einmal die Beobachtungen bei Kranken im III. Stadium und 

2. auch eine Serie von Tierversuchen, in denen nach täglicher An- 
wendung sehr großer Energiemengen die früher beschriebene günstige 
Beeinflussung des tuberkulösen Prozesses ausblieb und Neigung zu peri- 
pneumonischen Erscheinungen sichtbar wurde. 

Eine Beeinflussung der experimentellen und menschlichen Lungen- 
tuberkulose ist somit nach dem Vorgebrachten erwiesen, jedoch verlangt 
die Technik der Bestrahlung einen individualisierenden Charakter und 
Bezugnahme auf ein umfangreiches Beobachtungs- und Erfahrungs- 
material. Ob andere strahlenenergetische Kräfte wie z. B. die Strahlung 
des Radiums und Mesothoriums sich einzeln oder in Kombination mit 
der Röntgenstrahlentiefen-Therapie biologisch im Effekt anders verhalten, 
darüber können auf breiterer Basis aus äußeren Gründen erst im nächsten 
Monat Untersuchungsreihen begonnen werden. Jedenfalls wirkt nach 
unseren Erfahrungen auch das Mesothorium auf den tuberkulösen Prozeß 


550 De la Camp, Strahlentherapie der Lungentuberkulose. 


in infizierten Drüsen in günstigem Sinne, so daß etwa die gleichzeitige 
Verwendung der Röntgenstrahlenenergie und einer Bestrahlung der 
Hilusdrüsen vom Ösophagus aus Empfehlung finden könnte. Über die 
Beteiligung von Cholin- und Thor X-Injektionen in Kombination mit der 
Röntgenbestrahlung ist Abschließendes noch nicht mitteilbar. Jedenfalls 
wirken Cholininjektionen auf das Blutbild des Tieres anders als die Zu- 
fuhr größerer Röntgenstrahlenenergie. Der Einfluß der letzteren ist 
übrigens am Tier neben den früher bekannten Erscheinungen, wie eine 
demnächst erscheinende Publikation von Reinhard erweisen wird, mit 
Hilfe der vitalen Färbung einwandsfrei demonstrierbar. 

Ob ferner eine Kombination der Strahlentherapie mit anderen chemo- 
therapeutischen Prinzipien etwa im Sinne der Erzeugung intensiv wirken- 
der Resonanzstrahlung innerhalb des kranken Gewebes von praktischer 
Bedeutung sein wird, ist ein weiterer Erforschungsgegenstand. Über diese 
Fragen sind an meiner Klinik Arbeiten im Gange, so daß ich hoffe, in 
nächster Zeit über weitere Fortschritte an anderer Stelle einiges berichten 
zu können. 





Radiumtherapie der myeloiden Leukämie.') 


Von 


Prof. L. R6non, Dr. Degrais und Dr. L. Dreyfus-Paris. 


an kennt die bemerkenswerten Wirkungen der Röntgentherapie auf 

die myeloide Leukämie und diese Behandlung ist mit Recht klassisch 

geworden. Seit den experimentellen Untersuchungen von Silling im 

Jahre 1911 und den Arbeiten von Koranyi 1912 über den zerstörenden 

Einfluß des Benzols auf die Leukozyten und das Myeloidgewebe hat die 
Benzoltherapie ebenfalls einen großen Aufschwung genommen. 

In Fällen, in welchen die Röntgen- und Benzoltherapie keinen nennens- 
werten Fortschritt brachte, haben wir mit großem Erfolg, der schnell ein- 
setzte, Radium bei vier an myeloider Leukämie Erkrankten angewandt. 
Wir haben ferner noch einen fünften noch nicht vorbehandelten Patienten 
behandelt. 

Aus unseren 5 Beobachtungen ergibt sich, daß die Radiumtherapie 
eine äußerst mächtige Wirkung auf die myeloide Leukämie hat, wenn 
man massive Dosen von 30 bis 33 Zentigramm Radiumsulfat während 24 
oder 48 Stunden über eine Oberfläche von 500 bis 600 qcm verteilt, an- 
wendet, wobei jeder Bestrahlungsapparat von einem 2 mm dicken Bleifilter 
eingehüllt sein muß. Der Effekt setzt sich noch 8 bis 14 Tage nach der 
Applikation fort. Man sieht Milzen, welche die ganze Bauchhöhle erfüllten, 
abnehmen und von Tag zu Tag mehr einschmelzen, bis sie nach 3 bis 4 
Behandlungen auf ihre normale Größe zurückgegangen sind. Die Zahl 
der weißen Blutkörperchen kann in 5 bis 10 Tagen von 330 000 auf 70.000 
sinken. Die Leukozytenformel ändert sich, die Myelozyten verschwinden. 
Nach 3 bis 4 Sitzungen wird die Zahl der weißen Blutkörperchen normal, 
sogar oft subnormal. Die Zahl der roten Blutkörperchen steigt. Das 
Allgemeinbefinden hebt sich zusehends, das Fieber verschwindet, das Körper- 
gewicht hebt sich um 1 kg und sogar oft um mehr pro Woche und die 
Kräfte kommen rasch wieder. 

Der Kranke scheint geheilt. In Wirklichkeit ist er es nicht. Die 
Heilung ist nur eine scheinbare. 2, 3, 4, 12, 18 Monate nach Beendigung 
der Behandlung können die Symptome der myeloiden Leukämie wieder 
auftreten. Die weißen Blutkörperchen nehmen wieder an Zahl zu, die 


ı) Vortrag, gehalten auf dem 17. internationalen medizinischen Kongreß 
in London. 


552 Renon,Degrais, Dreyfus, Radiumtherapie d. myeloiden Leukämie. 


Leukozytenformel wird wieder myelozytär. Die Milz schwillt ebenfalls 
wieder an. Man beginnt dann mit der Radiumtherapie wieder, merkt 
aber bald mit Erstaunen, daß die Radiumwirkung nicht mehr die gleiche 
ist. Die Leukozytenzahl vermindert sich nicht so schnell und das Ab- 
schwellen der Milz geht nur langsam vor sich. Es ist eine Gewöhnung 
ans Radium eingetreten und zuletzt hat das Radium gar keine Wirkung 
mehr, sodaß der Kranke nach kurzer oder langer Zeit sterben kann, oft 
mehr als 2 Jahre nach Einsetzen der Behandlung, wie wir dies bei zweien 
unserer Kranken sahen, bei welchen die Radiumtherapie nicht in syste- 
matischer Weise fortgesetzt worden war. Der sofortige Erfolg war nur 
vorübergehend, er verlängerte aber doch das Leben in ansehnlicher Weise. 

Wir wissen nichts über den Wirkungsmechanismus des Radiums auf 
die myeloide Leukämie. Doch scheint diese Wirkung ähnlich derjenigen 
der Röntgenstrahlen zu sein. Wir wissen nicht, ob die eine Methode 
besser ist als die andere, jedenfalls sind mit der Radiumtherapie die un- 
mittelbaren Resultate äußerst rasch; auch ist sie bei nicht transportabeln 
Kranken leicht anwendbar. Vielleicht würde eine stärkere Radiumdosis 
und besonders eine längere Fortsetzung der Behandlung die Rezidive ver- 
hindern? Vielleicht sind es, trotz der scheinbaren Gleichartigkeit der 
Röntgen- und Radiumstrahlenwirkung, doch verschiedenartige physikalische 
Elemente, welche bei der einen und anderen eine Rolle spielen? Wäre 
es dann nicht angezeigt, wenn eine der beiden Methoden ihre Wirksamkeit 
eingebüßt hat, die andere in Anspruch zu nehmen oder mit beiden ab- 
zuwechseln ? Wir stellen nur diese Fragen, ohne sie bis jetzt beantworten 
zu können. Es wäre aber sehr wichtig, eine Kombination von Methoden 
zu finden, welche den Kranken mehr als die bisher erreichte vorüber- 
gehende Besserung brächte. 

Als therapeutische Methode von mächtiger unmittelbarer Wirkung, 
welche den Gang der Krankheit wenigstens für eine Zeit lang aufhalten 
kann, verdient die Radiumtherapie bei der myeloiden Leukämie ebenso 
wie die Röntgentherapie angewendet zu werden. Wenn die Benzoltherapie 
auch alle ihre Versprechungen hält, so ist vielleicht die Kombination oder 
die abwechselnde Verwendung der Radium-, Röntgen- und Benzoltherapie 
fähig, eine dauernde und definitive Heilwirkung bei der myeloiden Leuk- 
ämie zu haben. Übersetzt von Dr. A. Gunsetl-Straßburg i. E. 


Die radiotherapeutische Behandlung der Leukämie. 
Von 
Dr. Béclère und Henri B6clere, Paris. 


5- dem Jahre 1904 begann der eine von uns die von einer Erkrankung 
der hämatopoetischen Organe befallenen Patienten des Hospitals St. 
André vom hämatologischen Standpunkte aus zu beobachten und seit 
dieser Zeit haben wir 110 Fälle von Leukämie der radiotherapeutischen 
Behandlung unterzogen. 

Diese relativ hohe Zahl von Fällen einer glücklicherweise wenig ver- 
breiteten Affektion ermöglichte uns, gewisse Befunde zu erheben, die 
wir hier darlegen möchten. Wir werden übrigens nicht auf eine Deutung 
der beobachteten Tatsachen eingehen, sondern beschränken uns darauf, 
dieselben nur mitzuteilen. 


Die 110 Fälle von Leukämie verteilen sich folgendermaßen: 


Lymphatische Leukämie . . . 12 
Myeloide Leukämie . . . . . 93 
Akute Leukämie. . . . . . 5 


Wir sehen also, daß von allen Formen der Leukämie die myeloide 
die häufigste ist. 


A. Lymphatische Leukämie. 


Diese Affektion ist vom hämatologischen Standpunkte aus durch 
eine beträchtliche Hyperleukozytose gekennzeichnet. Während die 
mittlere Leukozytenzahl bei einem normalen Individuum je etwa 
7000 im Kubikmillimeter Blut ist, findet man bei einem, von einer Leuk- 
ämie des genannten Typs befallenen Kranken sehr oft 2- bis 300000 
weiße Blutkörperchen pro Kubikmillimeter; es ist aber durchaus nicht 
selten, ihrer 800000 und sogar noch mehr anzutreffen. Diese Leuko- 
zytenvermehrung besteht vor allem in einer Mononukleose, jedoch sind, 
wenn wir die absolute Zahl nehmen, auch die übrigen weißen Blutkörper- 
chen, außer den Mononukleären, vermehrt. Selten findet man eine Er- 
höhung der Zahl der Lymphozyten und gleichzeitig eine solche der mitt- 
leren einkernigen Zellen. Die konstatierte Mononukleose kann 95,97°,. 
Ja selbst 99% erreichen. Bei dieser Form der Leukämie findet man 
bisweilen einige Mvelozyten, jedoch stellen diese Befunde eine Aus- 
nahme dar. 


554 Beclere, 


Andererseits besteht immer, bisweilen sogar in sehr hohem Grade, 
eine Anämie, mit mehr oder minder großer Unregelmäßigkeit in der Größe 
und in der Form der roten Blutkörperchen. Die gekernten Formen sind 
velativ selten. 

Der Hämoglobingehalt entspricht der Verminderung der roten Blut- 
körperchen. 

Unter den zwölf Fällen von Iymphatischer Leukämie, die von uns 
beobachtet wurden, befinden sich zwei Frauen und zehn Männer. Wir 
glauben, daß es sich dabei um nichts anderes als einen Zufall handelt, 
und es ist sehr wohl möglich, daß, wenn unsere Statistik eine größere 
Zahl von Fällen umfaßte, man ein ganz anderes Verhältnis bekommen 
hätte. 

Was das Alter anbetrifft, so beziehen sich unsere Fälle in der Haupt- 
sache auf Individuen in den vierziger Jahren. Zu bemerken ist aber, daß 
wir die Diagnose lymphatischer Leukämie auch bei einem Kranken im 
Alter von 82 Jahren und bei einem anderen im Alter von 28 Jahren stellten. 
Wir haben es also mit einer Affektion zu tun, die in den allerverschiedensten 
Lebensaltern auftreten kann. 

Bei den zwölf untersuchten und behandelten Kranken stellten wır 
fest, daß sie in 12 verschiedenen Berufen tätig waren. 

Formen der Iymphatischen Leukämie. — Nach unseren Beoh- 
achtungen ist es möglich, bei der Iymphatischen Leukämie drei sich 
voneinander deutlich differenzierende Gruppen aufzustellen. 

1. Die ausschließlich drüsige Form. — Es ist dies die am häu- 
figsten zur Beobachtung gelangende Form der Leukämie. Die mehr oder 
weniger stark entwickelten ganglionären Massen sind ziemlich regelmäßig 
und symmetrisch verteilt. Sie finden sich in der Leistenbeuge, in der Achsel- 
und in der Halsregion. Diese Lymphdrüsen sind gewöhnlich wenig en:- 
pfindlich und in der weitaus größten Zahl der Fälle in eine zuweilen sehr 
voluminöse Masse eingelagert, deren Konsistenz oft an ein Lipom er- 
innert. 

Für die Differentialdiagnose kommen in Betracht die Drüsenschwel- 
lungen Tuberkulöser, oder Iympho-sarkomatöser Herkunft. Eine sorg- 
same Blutuntersuchung löst aber gewöhnlich jede Schwierigkeit, denn 
in den Fällen von Lymphdrüsentuberkulose besteht eine leichte Hyper- 
leukozytose und Polynukleose. 

2. Die ausschließlich lienale Form: Die Fälle dieser Form sınd 
ziemlich selten. Außer durch die Blutuntersuchung ist es hier unmöglich 
festzustellen, ob man es mit einer Iymphatischen oder mit einer myelo- 
iden Leukämie zu tun hat. Die Milz kann hier von einem erheblichen 
Volumen sein. Wir haben einen Fall gehabt, in dem sie den Nabel nach 


Die radiotherapeutische Behandlung der Leukämie. 555 


der rechten Seite hin um 8 Zentimeter überragte. Sie war in diesem Falle 
bretthart mit abgerundeten Rändern, und ragte ziemlich weit in das 
rechte Hypochondrium hinein. 


3. Diegemischtlymphatische und lienale Form. — Wir haben 
zwei Fälle dieses Typus beobachtet. Die Milz schien uns niemals die 
riesigen Dimensionen der rein lienalen Form annehmen zu können. Die 
Drüsenschwellungen sind ebenfalls weniger voluminös als bei der rein 
ganglionären Form. 


Resultate der radiotherapeutischen Behandlung. — In 
allen diesen Fällen hat die radiotherapeutische Behandlung einen sehr 
deutlichen Einfluß ausgeübt. Das erste Zeichen der Besserung war die 
Rückkehr der Kräfte unserer Kranken; darauf, gleichzeitig mit der Vo- 
lumenverminderung der Milz und der Lymphdrüsen, beobachteten wir 
das Verschwinden der Schlaflosigkeit, die Rückkehr des Appetits, eine 
Erhöhung des Körpergewichts. Die Blutuntersuchungen zeigten stets 
eine Rückkehr der Blutzusammensetzung zu der Norm sehr nahe liegen- 
den Zahlen. Die Anämie verschwand gleichzeitig mit der Erhöhung des 
Hämoglobingehaltes. 

In der Annahme, daß sie auf immer von ihrer Krankheit befreit 
wären und trotz aller unserer guten Ratschläge, entzog sich eine gewisse 
Anzahl unserer Kranken der Weiterbehandlung, die sie von nun ab für 
überflüssig hielten. Einige von ihnen haben wir, von einem deutlichen 
Rezidiv befallen, später wiedergesehen und dank der sofortigen Wieder- 
aufnahme der Strahlenbehandlung gelang es uns auch, diese Rezidive 
wieder zurückzubilden. Jedoch kann es vorkommen, daß die Behandlung 
die Weiterentwicklung der Erkrankung nun nicht mehr aufhalten kann, die 
Patienten werden kachektisch und erliegen endlich einer Generalisation 
der Leukämie, einer Thrombose oder einer intervenierenden kardiıalen, 
pulmonären, intestinalen oder renalen Komplikation. 


Wir haben einen unserer von einer Iymphatischen Leukämie befalle- 
nen Kranken fast fünf Jahre hindurch beobachtet. Dieser Patient 
ist ganz kürzlich einer neoplastischen Affektion des Magens erlegen, 
nichtsdestoweniger hätte sein Blutbild in dieser Zeit in keiner Weise die 
Diagnose einer Iymphatischen Leukämie mehr erlaubt. 


In unserer Behandlung befinden sich augenblicklich noch drei Pa- 
tienten, die sich alle eines scheinbaren Wohlbefindens erfreuen, aber 
nichtsdestoweniger ständig in weiten Zwischenräumen bestrahlt und durch 
regelmäßige Blutuntersuchungen überwacht werden. Diese Pa ienten 
haben übrigens ihre ursprünglichen Beschäftigungen wieder aufge- 
nommen. 


556 Beclere, 


B. Myeloide Leukämie. 

Wie unsere Statistik zu beweisen scheint, ist die myeloide Form viel 
häufiger als die Iymphatische Leukämie. Diese Beobachtung stimmt 
mit den anderen in Frankreich und auch im Auslande aufgestellten Sta- 
tistiken überein. | 

Noch mehr als von der Ivmphatischen Leukämie kann man von der 
myeloiden Form sagen, daß sie die verschiedensten Altersstufen befällt. 
Wir beobachteten zum Beispiel ein Kind von 18 Monaten, das an mye- 
loider Leukämie erkrankt war. 

Von den 93 Fällen, über die wir verfügen, betrafen 41 Frauen und 
52 Männer. Von irgendeiner Bevorzugung eines der Geschlechter kann 
also hier ebenfalls keine Rede sein. 

Bei dieser Form der Leukämie haben wir eine Klassifizierung wie bei 
der myeloiden Leukämie nicht vorgenommen. Außer den wohlbekannten 
Hauptsymptomen, wie Anämie, Hämorrhagien, Appetitlosigkeit, Schlaf- 
losigkeit, zuweilen Fieber, Albuminurie, Sehstörungen, gastrischen unil 
intestinalen Beschwerden, ist diese Erkrankung vor allem objektiv ge- 
kennzeichnet durch die konstante Hypertrophie der Milz. Diese Er- 
höhung des Milzvolumens ist ja übrigens das, was die Aufmerksamkeit 
des Patienten und des Arztes auf die Erkrankung lenkt. Jeder zur 
Untersuchung gelangende Fall von Milzhypertrophie verlangt heute eine 
sorgsame Blutuntersuchung. Diese letztere erlaubt uns dann die Diagnose 
der myeloiden Leukämie zu stellen, durch den Nachweis einer mehr 
oder weniger beträchtlichen Leukozytose, einer erheblichen Anämie, 
einer Verminderung des Hämoglobingehaltes und der Gegenwart anor- 
maler Elemente, wie Myelozyten und gekernter roter Blutkörperchen. 

Solange die Krankheit noch nicht sehr weit vorgeschritten ıst, haben 
wir niemals Drüsenschwellung konstatiert, die nach unseren Erfahrungen 
nur im Endstadium, zur Zeit der Generalisation auftritt. 

Die hämatologische Formel der von einer myeloiden Leukämie er- 
eriffenen Kranken kann in sehr weiten Grenzen schwanken. Der eine von 
uns veröffentlichte einen Fall, ın dem er eine tatsächliche Umkehrung 
der Blutformel beobachtete: Die Zahl der weißen Blutkörperchen im 
Kubikmillimeter war hier größer als die Zahl der roten Blutzellen. Dies 
ist aber nur eine außergewöhnliche Erscheinung. Im allgemeinen findet 
man im Höhestadium der Erkrankung etwa 300000 weiße Blutkörper- 
chen im Kubikmillimeter Blut. Die Anzahl der roten Blutkörperchen in 
derselben Blutmenge schwankt um die Zahl 2000000. Am Gowers ge- 
messen ist der Hämoglobingehalt etwa 45 bis 50°%,. Weiterhin findet 
man im Blut eine mehr oder weniger große Anzahl gekernter Blutzellen, 


Die radiotherapeutische Behandlung der Leukämie. 557 


Normoblasten oder Pyknoblasten. Man kann übrigens sehr häufig karyo- 
kinetische Formen der Megaloblasten und der Normoblasten im strömen- 
den Blut konstatieren.!) 

Die anormalen weißen Blutkörperchen, die man in den Fällen mye- 
loider Leukämie vorfindet, sind vor allem die granulösen Mononukleären, 
dıe Myelozyten und man kann von ihnen bis zu 60%, ja selbst 70%, 
konstatieren. Zuweilen besteht eine sehr deutliche Erhöhung der poly- 
nukleären Eosinophilen, sowohl was ihre absolute als auch relative Zahl 
anlangt. Manchmal zeigt es sich, daß wenn die neutrophilen polynukle- 
ären Zellen relativ vermindert erscheinen, die Feststellung der absoluten 
Zahl doch ergibt, daß trotzdem die Hyperleukozytose sich auch auf diese 
Elemente erstreckt. 

Technik der radiotherapeutischen Behandlung. — Seit dem 
Beginn unserer Beobachtungen sind wir stets der Ansicht gewesen, daß 
sich jede therapeutische Maßnahme gegen die Milzhypertrophie, die ja 
das objektive Hauptsymptom der Erkrankung darstellt, richten müsse. 
In allen den Fällen, in denen wir nichts anderes als die Milz behandelten, 
spielte der weitere Verlauf der Krankheit sich so ab, als ob ihr Hauptsitz 
vor alleın lienal wäre, und gleichzeitig mit der Verminderung des Milz- 
volumens besserten sich alle übrigen Symptome. 

Wir sind der Ansicht, daß die Erfolge, die wir durch die ausschließ- 
liche Bestrahlung der Milz erzielten, vor allem davon abhängen, daß wir 
auf diese Weise eine ganz beträchtliche Blutmenge durch die Strahlen 
beeinflußten, und indem wir auf diese Weise vorgingen, applizierten wir, 
wie wir nach allem leider annehmen müssen, nichts als eine symptoma- 
tische Medikation. 

Verschiedene Radiologen und auch wir selbst haben versucht, Be- 
strahlungen des Knochenmarks anzuwenden, aber niemals erzielten wir 
damit so überzeugende und rapide Erfolge als mit der Milzbestrahlung. 

Während der ersten Jahre unserer Beobachtungen war die Filtration 
noch nicht bekannt, wır bestrahlten damals also direkt. Heute filtrieren 
wir mit Aluminiumplatten von einem Millimeter Dicke, die in der halben 
Distanz zwischen der Antikathode und der zu bestrahlenden Region an- 
gebracht werden. 

Wir verwenden ein Strahlenbündel hoher Penetration eka von 
der Härte 8 bis 9 des Benoistschen Radiochromometers. Die jeweils 
applizierte Dose wird mit dem Sabouraudschen Instrument gemessen 
und entspricht 4 H. 


1) Henri Béclère, Mégaloblastes, normoblastes, pycnoblastes, leurs rapports 
et leur évolution dans la leucémie myélloïde (Archiv des maladies du coeur, des 
vaisseaux et du sang. II. année, Nr. 6). 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 36 


558 Beclere, 


Die Milzgegend wird mit dermographischer Kreide in nach Möglich- 
keit regelmäßige geometrische Felder eingeteilt. Diese Einteilung wird 
dann auf ein Ölpapier durchgepaust. Jedes Bestrahlungsfeld hat etwa 
8—10 Zentimeter seitliche Länge. Die zu bestrahlende Fläche wird 
durch Bleigummifolien abgegrenzt. 

Die auf diese Weise eingeteilte Bestrahlungsfläche erinnert an die 
Felderteilung eines Schachbrettes. Wir benutzen für die Bestrahlung 
alle nur irgend möglichen Eintrittspforten, gleichviel ob vorn, hinten oder 
seitlich gelegen. 

Ein und dasselbe Feld wird niemals früher als 2 oder 3 Wochen nach 
der letzten Sitzung wieder bestrahlt. Auf diese Weise vorgehend, haben 
wir niemals auch nur den kleinsten unangenehmen Zwischenfall von 
Seiten der Haut erlebt. 

Erfolge der Behandlung. — Der Erfolg der in dieser Weise durch- 
geführten radiotherapeutischen Behandlung war, daß wir bis heute noch 
keinen Fall myeloider Leukämie beobachtet haben, der nicht eine günstige 
Veränderung unter dem Einfluß der Behandlung gezeigt hätte. Im Gegen- 
teil ist dies regelmäßig der Fall gewesen.!) 

Der Abfall der Hyperleukozytose kann unter dem Einfluß dieser 
sehr aktiven Therapeutik äußerst rapid vor sich gehen. Ganz im all- 
gemeinen schöpfen die Patienten nach Ablauf von ein oder zwei Monaten, 
da sie dann ihren Allgemeinzustand vollständig verändert sehen, von 
neuem Mut. 

Die Milz verringert sich in ihrem Volumen und bildet sich fast bis 
zur Norm zurück. Das Fieber fällt ab, die okulären, gastrischen und in- 
testinalen Störungen verschwinden, ebenso wie auch die Blutungen aus- 
bleiben. In den Fällen, die eine Albuminurie aufwiesen, verschwindet 
auch diese. Die Kranken nehmen an Gewicht zu, und die Frauen, denen 
vorher eine regelmäßige Menses etwas ganz ungewohntes war, sehen diese 
Erscheinung verschwinden, ihre Periode wird wieder normal und regel- 
mäßig. Kurz, die Kranken fühlen sich wie neugeboren und zwar ist diese 
günstige Wendung absolut die Regel. 

Vom hämatologischen Standpunkt aus beobachtet man das Verschwin- 
den der Hyperleukozytose und eine merkwürdige Erscheinung, nämlich 
die Erhöhung der Zahl der roten Blutkörperchen. Die anormalen Ele- 
mente verschwinden und der Hämoglobingehalt steigt, gerade als ob unter 
dem Einflusse der Bestrahlung eine wirkliche Vergiftungsursache ver- 
schwunden wäre. In vielen Fällen haben wir gesehen, daß die Zahl der 








1) Dr. Beclere et Henri Be&clere, La leuc&mie myeloide est-elle par ex- 
ception réfractaire à la radiothérapie? (Soc. Med. des Höpit. de Paris, Sitzung vom 
30. Mai 1913). 


tn O D 
Ciema aa a 


Die radiotherapeutische Behandlung der Leukämie. 559 


roten Blutkörperchen sogar die Norm und zwar um ein ganz bedeutendes 
überschritt. . 

Doch alle diese glücklichen Befunde werden durch die Tatsache 
getrübt, daß selbst wenn jede Krankheitserscheinung verschwunden zu 
sein scheint, eine genaue und sorgsame Blutuntersuchung stets und trotz 
allem noch die Gegenwart von Myelozyten im Blute ergibt. 

Diese Elemente können allerdings sehr selten werden und wir haben 
in gewissen Blutproben, die nicht mehr als 2000 Leukozyten pro Kubik- 
millimeter aufwiesen, nur 1 auf 300 vorgefunden. Aber in allen unseren 
93 Füllen fehlte dieser unangenehme Gast auch nicht ein einziges Mal. 

Dies ist die offene Tür für das Rezidiv und ein nicht zu verkennender 
Beweis dafür, daB wir mit der radiotherapeutischen Behandlung der Leuk- 
ämie eben nichts weiter als eine symptomatische Medikation anwenden. 
Daß dieselbe äußerst wertvoll ist, daran kann nicht gezweifelt werden. 
Das, was wir als Resultat erhalten, ist keine Heilung, sondern eine Milde- 
rung, eine Verschleierung der Symptome. 

Die Erfahrung hat nun zwar erwiesen, daß, wenn die Affektion rezi- 
dıvierte, sie aufs neue günstig beeinflußt werden konnte, sei es durch 
lienale, sei es durch medulläre Bestrahlungen. Jedoch am Ende blieben 
wir ohnmächtig gegen die intervenierenden Komplikationen und vor allem 
gegen das Auftreten neuer Elemente im Blut: der Myeloblasten. Das 
Erscheinen von Myeloblasten im Blute der Leukämiker ist tatsäch- 
lich ein sehr schlimmes Zeichen; denn jetzt bedroht die akute Leukämie 
oder eine ihrer Formen diese Individuen. 

Um die Rezidive möglichst zu vermeiden, halten wir es für notwendig, 
alle diese Kranken ständig und sehr sorgsam auf ihr Blutbild hin zu be- 
obachten, die Behandlung niemals einzustellen, sondern im allergünstig- 
sten Falle, wenn alles gut zu gehen scheint, die Bestrahlungen unter 
hämatologischer Kontrolle in längeren Zwischenräumen vorzunehmen. 
Auf diese Weise ist es uns gelungen, Leukämiker durch drei, vier, ja sechs 
Jahre hindurch in anscheinender Gesundheit zu erhalten. 

Anormale Formen. — Neben dieser typischen Form der myeloiden 
Leukämie müssen wir einen vollständig paradox erscheinenden Fall 
erwähnen. Es handelt sich um einen Kranken, der alle objektiven Sym- 
ptome der myeloiden Leukämie aufwies und eine beträchtliche Milz- 
hypertrophie zeigte. Die Blutuntersuchung ergab das Vorhandensein 
einer schweren Anämie und einer Hyperleukozytose mit 340000 weißen 
Elementen pro Kubikmillimeter. In diesem Falle waren aber keine Myelo- 
zyten vorhanden, sondern es bestand eine intensive Polynukleose: 94%. 
Wir haben diesen Patienten wie einen Leukämiker behandelt und das 
sofortige Resultat war ausgezeichnet. 


36* 


560 Beclere, Die radiotherapeutische Behandlung der Leukämie. 


In allen Fällen, die wir oben erwähnten, bestand, wie durch die Blut- 
untersuchung erwiesen wurde, eine schwere Anämie. 

Nur in einem unserer Fälle war dieses Symptom nicht vorhanden. 
Handelt es sich bei diesem Patienten um eine Spezialform? Wir sind zu 
dieser Annahme um so mehr geneigt, als die letzte Untersuchung des 
Blutes dieses Kranken trotz aller Sorgfalt uns nicht gestattete, noch 
Myelozyten festzustellen. Dieses Fehlen der initialen Anämie und das 
vollständige Verschwinden der Myelozyten scheint uns ein äußerst gün- 
stiges Zeichen für die Prognose dieses Falles zu sein. 


C. Die akute Leukämie. 

Wir haben von dieser Form fünf Fälle beobachtet. Die radiothera- 
peutische Behandlung scheint uns aber die fatale Entwicklung dieser 
Affektion nicht aufhalten zu können. (Übersetzt von F. Reber-Bordeauwr.) 


Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit.:) 


Von . 


a 
Dr. J. Belot, 
Vizepräsident der Gesellschaft für medizinische Radiologie in Paris. 


(Mit 1 Abbildung.) 


D“ Basedowsche Krankheit ist eine noch schlecht definierte und un- 
vollkommen gekannte Affektion: sie ist zwar klinisch durch 3 Haupt- 
merkmale charakterisiert: Volumvermehrung der Thyreoidea, Exophthalmus, 
Tachykardie und Tremor. Aus diesen Symptomen hatten Basedow, 
Graves und Parry ein Krankheitsbild aufgestellt, welches sie als Ein- 
heit wohl charakterisiert glaubten. Pierre Marie hat aber gezeigt, daß 
es eine ganze Serie von „Formes frustes“ dieser Erkrankung gibt, bei 
welchen ein oder mehrere Symptome fehlen und die doch der Basedow- 
schen Krankheit angehören. 

Später hat Stern unter dem Namen Basedowoid eine Krankheit be- 
schrieben, die durch eine intermittierende Tachykardie, durch kardio- 
vaskuläre, oft paroxystische Reizzustände charakterisiert und deren Zuge- 
hörigkeit zur Basedowschen Krankheit nicht immer offenkundig ist. 

Man sieht deshalb heutzutage die Basedowsche Krankheit nicht 
mehr als einheitliche Krankheit an, sondern eher als Symptomenkomplex, 
welchen mannigfache Ursachen hervorrufen können und der infolgedessen 
mannigfache klinische Formen annehmen kann. 

Es hieße, den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, wenn ich die ver- 
schiedenen Hypothesen, die bezüglich der Pathogenese dieser Erkrankung 
aufgestellt worden sind, besprechen wollte. Es wäre aber doch wichtig, 
um eine rationelle Therapie zu finden und ihre Wirkung zu verstehen, 
die Ursache des Übels zu kennen, und zu wissen, an welchem Punkte eine 
Therapie angreifen soll. Nun haben aber die „Formes frustes“ der Krank- 
heit, welche neben den von Graves und Basedow definierten Krank- 
heitstypen aufgestellt wurden, die früheren Ansichten über ihre Pathogenese 
sehr erschüttert. Zwei Theorien stehen sich heutzutage entgegen, die ner- 
vöse und die glanduläre. 

Die erstere schiebt die Hauptrolle dem Sympathikus zu, dessen Er- 
krankung die charakteristischen Störungen dieser Erkrankung hervorrufen 


1) Vortrag, gehalten auf dem 17. internationalen medizinischen Kongreß in 
London am 6.—12. August 1913. 


562 Belot, 


sollen. Die zweite verlegt die Ursache für die Erkrankung in die Schild- 
drüse selber: sekretorische Störungen dieser Drüse sollen daran Schuld 
sein. Übrigens können funktionelle Störungen anderer Drüsen mit innerer 
Sekretion (Ovarien, Hypophyse, Thymus, Nebennieren, Parathyreoidea usw. 
den Störungen der Schilddrüse vorausgehen oder sie begleiten. Erstere 
Hypothese, die von Moebius aufgestellt wurde, nimmt eine zu starke 
Sekretion der Drüse, einen Hyperthyreoidismus an. Nach Gauthier, 
Babinski und anderen Modernen kommt eher eine falsche Sekretion 
in Frage: Die Drüse sezerniert nicht mehr ihr normales Produkt, sondern 
ein anormales, toxisches, welches den Symptomenkomplex hervorruft. Es 
ist die Theorie des Dysthyreoidismus. 

Wie dem auch sei, immer ist es eine Veränderung der Drüsenfunk- 
tion und der Drüse selber, welche als Ätiologie des Basedow in Frage 
kommt. 

Die in ihren Elementen schon alte Anschauung scheint mir die klarste 
und logischste zu sein. Sie stimmt auch am besten mit den experimen- 
tellen und klinischen Resultaten überein. Sie gestattet eine rationelle 
Therapie und man kann sagen, daß sie die beiden modernen Hauptbehand- 
lungsmethoden der Basedowschen Krankheit, die chirurgische Entfernung 
und die Röntgentherapie inspiriert hat. 

Da die beobachteten Phänomene auf eine anormale Drüsensekretion 
zurückzuführen sind, so kann man dieselben durch Modifizierung dieser 
Sekretion, sei es durch Verminderung oder, wenn nötig, sogar durch Unter- 
drückung derselben heilen. Die blutige Entfernung der Thyreoidea fand 
so eine ernste Grundlage und die Chirurgie trat in der Behandlung des 
Morbus Basedow in den Vordergrund. Tatsächlich bringt auch die 
Operation in manchen Formen der Krankheit Nutzen. Es handelt sich 
aber immer um eine schwere Operation, die auch nicht vor Spätfolgen oder 
Rezidiven schützt. 

Die spezifische Wirkung der Röntgenstrahlen auf die Drüsenelemente 
rechtfertigt die Röntgenbehandlung des Basedow. Unter dem Einfluß 
methodisch ausgeführter Bestrahlungen wird die Thyreoidea atrophisch, 
ihre Sekretion wird geringer und hört zuletzt ganz auf. Sei es, daß es 
sich um einfache Hypersekretion, um Ausscheidung toxischer Produkte 
oder um eine Vereinigung beider Zustände handelt, das Resultat ist das- 
selbe: Die Thyreoidea bringt keine krankhaften Produkte mehr in den 
Körperhaushalt. 

Die Atrophie tritt rasch ein unter Wahrung der Integrität der Haut 
und der Nachbarorgane. Es handelt sich dabei um eine elektive Sklerose, 
welche nur die edlen Drüsenelemente betrifft. Vom theoretischen Stand- 
punkt aus ist deshalb die Röntgentherapie die Therapie der Wahl des 


Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 563 


Basedow, wenn man, wie wir, die dysthyreoidische Ätiologie der Krank- 
heit annimmt. Wir werden bald sehen, daß die Klinik diese Annahme 
rechtfertigt. 

Ohne in die Details einer immer langweiligen und notwendigerweise 
lückenhaften Geschichte dieser Therapie einzugehen, will ich nur sagen, 
daß Williams im Jahre 1902 als erster die Idee hatte, einen Fall von 
Basedow mit Röntgenstrahlen zu behandeln. Carl Beck in New York 
bewies endgültig, welche Erfolge man mit der Röntgentherapie allein oder 
zusammen mit der chirurgischen Entfernung haben kann. Zuletzt will ich 
noch die Arbeiten von Schwarz und Holzknecht, Ledoux-Lobard, 
Clunet, Beclere, Bergoni6 und Speder, Delherm und Haret 
nennen, um nur die wichtigeren zu erwähnen. Die übrigen will ich über- 
gehen, um nicht diese Arbeit unnötig zu verlängern. 

Alle haben bei ihren Versuchen ausgezeichnete Resultate erzielt und 
der Wert der Methode kann heutzutage nicht mehr bezweifelt werden. Es 
genügt, die Statistiken durchzugehen, um sich davon zu überzeugen. 
Höchstens ist die Technik des einen Spezialisten von derjenigen eines an- 
deren verschieden. Auch ist die Indikationsstellung häufig Gegenstand der 
Diskussion, besonders seitdem die Thyreoidektomie allgemein gemacht wird. 

Ich werde hier zuerst die Technik beschreiben, die ich anwende und 
die Resultate auseinandersetzen, die ich während meiner röntgentherapeu- 
tischen Tätigkeit erhalten habe. Dann werde ich das wichtige Kapitel 
der Indikationen besprechen, und mich bemühen, diejenigen Formen her- 
auszufinden, welche sich für diese Therapie eignen. 


Technik. 


Die Röntgentherapie der Basedowschen Symptomenkomplexe folgt 
den allgemeinen Gesetzen der Tiefentherapie. Sie zeigt nur einige Eigen- 
tümlichkeiten und variiert je nach der Erkrankungsform. Der Einfach- 
heit halber wähle ich die Behandlung einer Form, welche dem von 
Graves-Basedow aufgestellten klinischen Typus entspricht. 

Es kommt vor allem darauf an, den immer sehr ängstlichen Patienten 
von der vollständigen Gefahrlosigkeit der Behandlung zu überzeugen. Wenn 
die Kranke — denn es handelt sich gewöhnlich um eine Frau — davon 
überzeugt ist, daß sie keinen Schmerz empfinden wird, lasse ich sie sich 
auf den Operationstisch legen. Der Kopf wird so tief als möglich gelagert, 
und, um den Hals und die Thyreoidgegend frei zu bekommen, schiebe ich 
ein Kissen unter die Halswirbelsäule. Nach Ablegen des Rockes bestimme 
ich palpatorisch die lateralen Grenzen der Drüse und bezeichne sie etwas 
darüber hinaus mit dem Blaustift. Die erhaltenen Linien nehmen die 
Mitte der lateralen Seite einer jeden Zervikalregion ein. Dann bezeichne 


564 Belot, 


ich in der Medianebene entweder den höchsten Punkt der Drüse, oder 
lieber den medianen Vorsprung des Os hyoides oder des Thyreoidknorpels. 
‘Von diesem Punkte ziehe ich 2 zu den seitlichen parallel verlaufende 
Linien, welche dann gewöhnlich einen dreieckigen medianen Raum be- 
grenzen, welcher 2 mehr oder minder rechteckige laterale Flächen trennt. 
Letztere enden an der unteren Grenze der Thyreoidea, während die 
mediane, dreieckige Fläche sich nach unten fortsetzt und bis zum unteren 
Rand des Manubrium sich verbreitert. Diese drei Flächen benutzte ich 
für gewöhnlich als Bestrahlungsfelder. So gelingt es mir, die Thyreoidea 
und die Thymus zu bestrahlen, deren Rolle vor kurzem von J. Clunet 
beleuchtet worden ist und die drei Eingangsphorten erlauben mir, in der 
ganzen Drüse eine ziemlich gleichmäßige Strahlendosis zur Absorption zu 
bringen, ohne die Haut, so weit dies möglich ist, zu beschädigen. Ferner 
kann ich mit Hilfe dieses Kunstgriffes die Reizwirkung zu Beginn der 
Behandlung vermindern, indem ich nach der Bestrahlung eines jeden 
Segmentes einige Tage abwarte. Auf beifolgender Abbildung ersieht man 
deutlich, wie ich verfahre. 





Einteilung des Kopfgebiets zur Behandlung der Basedowschen Erkrankung. 


A = Manubrium. B = linksseitiges Bestrahlungsgebiet. C = rechtsseitiges Be- 
strahlungsgebiet. D = mittleres und unteres Bestrahlungsgebiet. 


Während man eine Region bestrahlt, muß man die übrigen exakt ab- 
decken. Unterläßt man diese Vorsichtsmaßregel, so würde man eine mehr 
oder weniger heftige entzündliche Reaktion hervorrufen an Stellen, welche 
infolge unvollständigen Schutzes eine doppelte Strahlendosis erhalten hätten. 

Ich benutze das Pflaster, das ich unter dem Namen Neotectin habe 
herstellen lassen: Es besteht aus einer dünnen Lamelle vernickeltem Blei, 


Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 565 


die auf der Rückseite weiches Pflaster trägt. Man schneidet ein ent- 
sprechendes Stück davon ab und klebt es auf die zu schützende Region. 
Der freie Rand soll den mit dem Dermographen gezeichneten Strich genau 
decken. Ist das erste Segment bestrahlt, so zieht man das Schutzpflaster 
ab und legt es auf die eben bestrahlte Fläche. 

Zugleich benutze ich, um den Verbrauch von Neotectin möglichst ein- 
zuschränken, Bleigummitafeln, deren Größe nach Belieben modifiziert werden 
kann: ich schütze damit die Gesamtregion, während ich das Bleipflaster 
dazu verwende, die gemeinsamen Ränder zweier Segmente zu markieren. 

Zuletzt ist es noch in manchen Fällen nützlich, besonders bei volumi- 
nösem Hals einen Lokalisator zu benutzen, dessen lichte Weite man größer 
als die zu bestrahlende Fläche wählt. Nachdem man die Hautregion mit 
Hilfe der oben erwähnten Schutzmaßregeln umschrieben hat, senkt man 
den Lokalisator, bis er die Haut berührt. Ein Stück Pappe wird zwischen 
Lokalisatorrand und Haut gelegt und man senkt ihn dann noch mehr, so- 
daß die Gegend komprimiert wird. Das Stück Pappe habe ich dem 
(rummiball wegen der Topographie der Gegend vorgezogen. Man kann 
aber das eine oder das andere Verfahren anwenden. 

Um die Bestrahlung des lateralen Feldes zu erleichtern, lasse ich den 
Kopf leicht auf die entgegengesetzte Seite drehen. So breitet sich jedes 
Feld aus und ist der Bestrahlung zugänglich gemacht. 

Soll man in ein und derselben Sitzung die ganze Oberfläche be- 
strahlen? ©- Alles kommt da auf die Dosis an. Wenn man, wie manche 
es vorschreiben, mit kleinen Dosen beginnt, so kann man ohne Nachteil 
sukzessive jedes der 3 Segmente bestrahlen. Ich ziehe eine andere Methode 
vor. Ich wende von vornherein mittlere oder starke Dosen an, aber ich 
lasse gewöhnlich mehrere Tage zwischen der Bestrahlung eines jeden Feldes 
vorübergehen. Ist die Thyreoidea voluminös und der Kranke aufgeregt wenn 
mit einem Wort eine außerordentliche Reizbarkeit besteht und das Allgemein- 
befinden schlecht ist, so bestrahle ich nur eine Zone mit ungefähr 4 H. 
Ich warte dann 5—6 Tage und gehe erst dann zu einem weiteren Seg- 
ment über: noch einige Tage später kommt dann erst das mediane Feld 
an die Reihe. In anderen Fällen bestrahle ich sukzessive die beiden 
Seitenfelder und schließe die Thymusbestrahlung erst etwas später an. 

Ich verfahre immer in der ersten Sitzung auf diese Weise, oft auch 
in der zweiten, aber selten in der dritten. Ich lasse mich durch die All- 
gemeinsymptome des Patienten leiten. 

Indem ich die Behandlung in dieser Weise regelte, gelang es mir, die 
toxischen Reaktionen, Nausea, Brechen, Diarrhoeen, Tachykardie, die oft 
auf die ersten Sitzungen folgen, auf ein Minimum zu reduzieren. Handelt 
es sich in diesen Fällen um eine vorübergehende Reizung, eine toxische 


566 Belot, 


Hypersekretion? Jedenfalls liegt diese Annahme nahe. Wenn man die 
Reize in Abständen setzt, so läßt man eine geringere Giftmenge in den 
Körper übergehen und man läßt ihm Zeit, die Gifte auszuscheiden. ehe 
man ihm andere zuführt. Wie dem auch sei und selbst wenn, wie ich 
gern zugebe, diese toxischen Erscheinungen nur unerheblicher Natur sind. 
so glaube ich doch, daß es besser ist, sie ganz zu vermeiden. 

Von der dritten Sitzung an bestrahle ich sukzessive alle 3 Felder. 
Allgemeinreaktionen sind dann die Ausnahme. 

Zur Bestrahlung benutze ich eine konstante Röhre, welche nur Strahlen 
von der Härte 8 Benoist gibt. Manche Röhren erlauben sogar eine Strah- 
lung von 8—9, aber ihre Konstanz ist nicht immer vollkommen. Jeden- 
falls soll man eine möglichst penetrierende Strahlung anwenden. 

Die Strahlung wird durch eine Aluminiumplatte von 1 oder besser 
2 Millimeter Dicke filtriert. Ich bin nie über 3 Millimeter gegangen, da 
ich diese Filtrierung für die Tiefe der Läsion genügend fand. Ich habe 
so ohne Hautveränderung ausgezeichnete Resultate erhalten. 

Die auf die Haut auftreffende Dosis entspricht für jedes Feld 4 H 
Einheiten. Ich messe vor dem Filter und mit Hilfe der Kurven, die ich 
aufgestellt habe, berechne ich die Zeit, welche ich nötig habe, um die ge- 
wünschte Dosis unter dem Filter zu erhalten. Diese Methode gestattete 
mir, Jede schwere Hautreaktion zu vermeiden und trotzdem eine wirkungs- 
volle Therapie zu erreichen. 

Ich übersteige niemals die Dosis von 5 H, selbst wenn ich durch 
2 oder 3 Millimeter Aluminium filtriere. Die Haut des Halses ist em- 
pfindlicher als an anderen Regionen. Wenn sie durch eine Struma ge- 
spannt und verändert ist, so ist ihre Empfindlichkeit noch größer. Man 
muß jede lokale Reaktion vermeiden, wenn man die Bestrahlungen fort- 
setzen will und man weiß ja, daß die Behandlung des Basedow eine ge- 
raume Zeit in Anspruch nimmt. Ich kann nicht genug wiederholen, dab 
die Filtrierung nicht vor der Röntgendermatitis schützt, aber dadurch, daß 
sie den Unterschied zwischen der in der Oberfläche und in der Tiefe ab- 
sorbierten Strahlendosis verringert, erlaubt sie eine bessere Tiefenwirkung 
bei gleicher Oberflächenreaktion. Sobald die Haut die für eine Entzün- 
dung nötige Strahlenenergie in Form von penetrierenden Strahlen absor- 
biert hat, kommt die Radiodermitis: Die Reaktion hängt nur von der 
wirklich absorbierten Strahlenmenge ab. 

Was zu Täuschung Anlaß gibt, ist der unangemessene Ausdruck „ab- 
sorbierte Quantität“. Wenn wir 5 H unfiltrierter Strahlen verabreichen, so 
ist die Verteilung dieser Dosis in den verschiedenen getroffenen Ebenen sehr 
verschieden von dem, was sie mit einer gleich großen Dosis (5 H) einer 
äußerst gefilterten Strahlung wäre. Die Reagenzien, die wir anwenden, geben 


Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 567 


uns über diesen Faktor sozusagen keine Auskunft. So können sich die 
ungeheuren Unterschiede erklären, welche zwischen den von verschiedenen 
Operateuren angegebenen Quantitäten bestehen. Jedenfalls warne ich vor 
den von anderer Seite empfohlenen hohen Dosen. Wenn es zwar darauf 
ankommt, den Basedow zu heilen, so ist es doch auch nötig, eine schwere 
frühzeitige oder späte Röntgendermatitis zu vermeiden. 

Jede Bestrahlungsserie ist von der folgenden durch eine Ruhepause 
von wenigstens 14 Tagen, oft auch von 20—25 Tagen getrennt. Je größer 
die applizierte Dosis ist, um so länger soll die Ruhepause sein. Die 
Schwere der Krankheitserscheinungen ist ebenfalls ein Faktor, auf den 
man Rücksicht nehmen muß: Die Behandlung muß in schweren Fällen 
viel energischer sein, als wenn es sich um ,Formes frustes“ handelt. 
Ferner je mehr man sich vom Beginn der Behandlung entfernt, um so 
linger muß man die jedesmalige Ruhepause wählen. Nach der 4. oder 5. 
Sitzung lasse ich 20—25 Tage zwischen jeder Serie vorbeigehen, oft auch 
noch mehr. 

Eine letzte Frage wirft sich auf: Wie lange soll die Behandlung fort- 
gesetzt werden? Es ist schwierig, genau darauf zu antworten, da die 
Kranken in ganz verschiedener Weise auf diese Behandlung reagieren: ich 
werde übrigens weiter unten, wenn ich zur Besprechung der Resultate 
übergehe, zeigen, welche auffallenden Schwankungen man von Fall zu 
Fall trifft. 

Im Prinzip bin ich aber der Ansicht, daß die Tachykardie als Richt- 
schnur für die Behandlung gelten soll. Wenn der nervöse Zustand besser 
ist, wenn der Puls normal ist oder zwischen 80 und 90 schwankt, während 
er früher auf 120 und mehr stieg, so kann man die Behandlung weniger 
energisch werden lassen oder ganz damit aufhören. Es wäre übrigens ein 
Irrtum, die Bestrahlungen bis zum vollständigen (übrigens hypothetischen) 
Schwunde der Struma oder des Exophthalmus fortzusetzen. Man würde 
das Endresultat dadurch verschlechtern, daß man ein Myxoedem infolge 
von zu starker Zerstörung des Drüsenparenchyms erzeugen würde: dieser 
Fall ist wohl möglich, man muß ihn voraussehen, um ihn zu vermeiden. 

Die beim richtigen Basedow länger als bei den unvollständigen For- 
men dauernde Behandlung muß mit Takt und Vorsicht vorgenommen 
werden. Mancher Kranke, der infolge der Bestrahlungen toxische Sym- 
ptome zeigt, muß milder behandelt werden als ein anderer. Die klinische 
Beobachtung des Kranken, die Beachtung seiner Symptome sind wertvolle 
Wegweiser für die zeitweilige oder gänzliche Unterbrechung der Behandlung. 

Ich muß hier wiederholen, daß so wenig es eine einheitliche Basedow- 
erkrankung gibt, ebenso wenig eine einheitliche Behandlung existiert. Jeder 
Fall muß besonders behandelt werden: die Klinik führt den Therapeuten. 


565 Belot, 


Soll man in jedem Fall weiter behandeln, bis eine Besserung auftritt! 
Ich glaube es nicht. Es gibt auch Krankheitsformen, welche nicht durch 
Röntgenstrahlen beeinflußt werden und meistens kann man sie auch von 
den günstigen Fällen unterscheiden. Deshalb glaube ich, dal die Bestrah- 
lungen unterbrochen werden müssen, wenn nach 3 oder 4 Monaten keine 
Besserung eingetreten ist. Der Kranke kann dann noch durch ander: 
therapeutische Mittel gebessert werden, z. B. die Operation. 


. Resultate. 


Man kann die Resultate, welche die Röntgentherapie gibt. voraussehen. 
wenn man die Wirkung der Röntgenstrahlen auf die Drüsen kennt. Auf 
eine anfingliche, übrigens inkonstante Reizung, folgt die Sistierung der 
Drüsenfunktion und zuletzt die Zerstörung des Parenchyms derselben. 

Mein Kollege Ledoux-Lebard sagt sehr richtig: „Alles spielt sich 
in günstigen Fällen ab, wie wenn unter dem Einfluß der Röntgenstralilen 
der Hypertliyreoidismus gradatim einer normalen Sekretion Platz macht. 
oder wie wenn die von der Drüse erzeugten Produkte wieder, was ihre 
Qualität anbetrifft, sich den normalen näherten.“* 

Manche Individuen und zwar besonders Frauen mit einem typischen 
Basedow, klagen am Tage nach der ersten Bestrahlung oder die folgenden 
Tage über Übelkeit, Kopfschmerzen, Diarrhoe und oft sogar über Er- 
brechen. Diese Reizerscheinungen kann man auf ein Minimum reduzieren. 
wenn man die Bestrahlung, wie ich es oben angab, fraktioniert. Die 
Nebenerscheinungen treten oft nochmals nach der zweiten Serie auf, selten 
noch nach der dritten. 

Die erste Wirkung der Behandlung ist eine Besserung des nervösen 
Zustandes der Kranken. Er ist weniger impressionabel, reagiert weniger 
heftig auf die geringsten Ursachen. Die Kopfschmerzen, die Hitzewillungen 
werden weniger und zu gleicher Zeit bessert sich der Schlaf. Der Kranke 
fühlt sich leichter und wird tätiger: seine Gelenkschmerzen sind weniger heftig. 
Der Appetit kommt wieder, die Diarrhoeen sind weniger abundant und man 
kann oft eine rapide Gewichtszunahme konstatieren. Nach und nach 
schwinden auch die nächtlichen Schweiße und die Urinmenge fällt zur 
Normalen. Man wohnt so einer wirklichen Auferstehung bei, olıne dab 
man das Geringste an den Lebensbedingungen oder dem diätetischen Ver- 
halten geändert hätte. Oft deutet sich die Besserung schon 14—20 Tage 
nach Beginn der Behandlung an, oft muß man mehrere Wochen warten. 
Gewöhnlich hat sich der Gesundheitszustand 2 Monate nach der ersten 
Serie sehr gebessert. 

Zu gleicher Zeit gehen die Herzsymptome zurück: zuerst die subjek- 
tiren Beschwerden wie Herzbeklemmung. pseudoanginöse Schmerzen, Kardi- 


a.. 


ar me 


Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 569 


algie, dann wird auch das Herzklopfen weniger häufig, weniger heftig und 
von kürzerer Dauer. Je mehr man in der Behandlung vorschreitet, uni 
so mehr vermindert sich die Tachykardie: Der Puls geht von 120 beim 
Erwachen auf 110, dann auf 100 und zuletzt nach kürzerer oder längerer 
Zeit auf 90, um progressiv noch bis auf 80 zu sinken. Manchmal, aber 
seltener geht er bis zur Normalen zurück. 

Parallel hierzu werden auch die Herzkontraktionen weniger brutal und 
die Pulsationen der Karotis mildern sich... . Der Kranke fühlt sein 
Herz „weniger heftig schlagen“. | 

Die Wirkung auf die Struma selber ist gewöhnlich weniger auffallend. 
Es ist selten, daß in den günstigen Fällen die Drüse nicht unter Einfluß 
der Bestrahlungen abnimmt. Aber diese Volumabnahme geht nur langsam 
von statten: sie fängt oft erst nach Besserung der allgemeinen und Herz- 
symptome an. 

Zuerst fühlt man ein Weicherwerden des Organs: die Haut ist weniger 
gespannt, sie läßt sich leichter in Falten heben und der Kranke kann 
seinen Hals freier bewegen. Die Messung des Halsumfangs ergibt eine 
nicht zu leugnende Verminderung desselben und es gibt Kranke, bei welchen 
dieser Unterschied ein enormer ist. So habe ich eine Frau beobachtet, 
deren Halsumfang zu Beginn 38,5 cm betrug und der nach einer ein- 
jährigen Behandlung auf 33,5 zurückging. Bei einer anderen ging der 
Halsumfang von 37,5 auf 35 cm in 3 Monaten zurück. 

Natürlich reagieren nicht alle Basedowkranken in dieser Weise: bei 
vielen stellt sich die Verminderung nur sehr langsam ein und der Hals 
erhält nie seinen normalen Umfang wieder: man darf aber darüber die 
günstigen Fälle nicht vergessen, besonders da sie in den Statistiken der 
Beobachter keineswegs als Seltenheiten verzeichnet werden. 

Die Volumverminderungen der Drüse Schienen mir umso rascher vor 
sich zu gehen, wenn man mit der Behandlung möglichst bei Beginn der 
Erkrankung einsetzte. 

Die Basedow-ähnlichen Strumen sind unter allen Strumen diejenigen. 
welche sich am wenigsten modifizieren. Vielleicht ist die fibröse oder 
kystische Degeneration der Drüse daran schuld: je mehr sich das Paren- 
chym vom Drüsentypus entfernt, um so weniger sichtbar ist die Volum- 
verminderung. 

Das Zurückgehen der Struma ist übrigens keineswegs das Haupt- 
resultat der Behandlung: es wäre ein Irrtum, die Bestrahlungen fortsetzen 
zu wollen, bis die Schilddrüse ihr normales Volumen wieder erreicht hat. 
Die Besserung der Allgemeinsymptome, die Wiederkehr des fast normalen 
Herzrhythmus sollen. wie ich schon sagte, der Behandlung den Weg weisen. 
Wenn man sich darauf versteift, eine totale Regression der Struma zu- 


570 Belot, 


stande zu bringen, so kann man ein Myxödem hervorrufen: man mub um 
jeden Preis bei Zeiten halt machen. 

Der Exophthalmus widerstrebt oft der Wirkung der Röntgenstralilen 
und bleibt bestehen, selbst wenn die anderen Krankheitserscheinung-n 
verschwunden oder vermindert sind. 

Ich sah oft eine leichte Besserung eintreten, die dann aber trotz 
intensiver Behandlung stationär blieb. Es ist übrigens immer das Symptom. 
das sich zuletzt zurückbildet. Es gibt aber auch Fälle — und ich habe 
davon mehrere beobachtet —, bei welchen eine starke Besserung eintrat. 
Der Blick wurde weniger starr, das Auge weniger glänzend und das 
Hervortreten der Augäpfel weniger markiert. Das Aussehen der Kranken 
wird weniger entstellt, ich sah aber nie eine Rückkehr zum völlig Normalen. 

Neben den Resultaten muß man auch die Mißerfolge oder halben 
Erfolge erwähnen. 

Es gibt Basedowformen, welche durch die Röntgentherapie nicht b»- 
einflußt werden. Man findet sie besonders in den Fällen. die sich am 
meisten von der typischen Basedowerkrankung oder ihren „Formes frustes“ 
unterscheiden. So werden die einfachen Basedow-ähnlichen Strumen und 
die Neoplasmen nicht oder kaum modifiziert. 

Alle Basedowkranken reagieren nicht auf dieselbe Weise: es gibt Fülle. 
die sich leicht bessern und die dann stationär bleiben, trotzdem man die 
Behandlung fortsetzt, ohne daß die Anatomie oder Physiologie bis jetzt 
gestatteten, sie von den zur Heilung führenden günstigen Fällen zu 
unterscheiden. 

Man hat viel von den Gefahren der Röntgentherapie gesprochen. 
Alle allgemeinen kritischen Bemerkungen kehren bei dieser Affektien 
wieder. Zudem hat man sehr auf die Störungen beim Beginn der Be- 
handlung und auf die Möglichkeit eines Röntgenmyxödems hingewiesen. 
Ich habe bereits gesagt. wie es sich mit diesen unangenehmen Neben- 
erscheinungen verhält, und wie man sie umgehen oder vermindern kann. 

Die Hautschädigungen müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Unter 
der Wirkung der sukzessiven Bestrahlungen entzündet sich die Haut, sie 
verändert sich und wird atrophisch. In manchen Fällen entstand sogar 
eine ulzeröse Radiodermitis. 

Man kann heutzutage eine schwere Radiodermitis verhindern, wenn 
man eine präzise Technik anwendet. Harte Strahlung, Filtrierung. nor- 
male Dosen, genügende Ruhepausen, Sistieren der Behandlung im richtigen 
Augenblick, dies sind die Hauptfaktoren, welche dieses Resultat zu er- 
reichen gestatten. In meiner Praxis, die sich über einige dreißig Fälle 
erstreckt. habe ich nie eine ulzeröse oder phlyktänoide Läsion beobachtet. 
Hingegen kann man sich nicht immer vor der oberflächlichen Atrophie 


Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 571 


oder vor Spätteleangiektasien schützen. Die Haut des Halses ist sehr 
sensibel und reagiert sogar oft schon auf mittlere Dosen (4 H) filtrierter 
Strahlen, besonders wenn die Behandlung sich lange ausdehnt. Diese ge- 
ringe Hautveränderung spielt übrigens im Vergleich zu dem erzielten Re- 
sultat keine Rolle. Übrigens sind diese leichten Reaktionen weder konstant 
noch gefährlich. In der Mehrzahl der von mir behandelten Fälle sah ich 
höchstens eine geringe Pigmentierung zurückbleiben und bei einigen Frauen 
blieb die Haut ganz intakt, trotzdem sie als geheilt bezeichnet werden 
konnten. Meine Beobachtungen gehen übrigens auf mehrere Jahre zurück 
und ich sah einige meiner Kranken noch 2 Jahre nach Beendigung der 
Behandlung. 

Man kann sich fragen, welches der Wert dieser Resultate ist. Man 
darf nämlich nicht vergessen, daß alle Basedowsymptome spontan oder 
nach den verschiedensten Medikamenten heilen können. Der Parallelismus 
zwischen der Regression der Symptome und der Behandlung erlaubt es 
aber nicht, an der Wirkung derselben zu zweifeln. Man müßte sich auch 
über das Wort ‚Heilung‘ verständigen, wenn man es auf diese bizarre 
Erkrankung anwendet. Jeder weiß, mit welcher Unregelmäßigkeit sie ver- 
läuft: sie hat oft Perioden des Stillstands und Perioden des Rückgangs. 
Da das vollkommene Verschwinden der Affektion die Ausnahme ist, kann 
man sich immer in Gegenwart einer Besserung fragen, ob sich nicht nach 
längerer oder kürzerer Zeit ein Rezidiv einstellt. 

Wenn sich aber seit 2 Jahren das Allgemeinbefinden konstant gut 
erhält, der Puls bei ungefähr 60 verbleibt, der Nervenzustand so ist, dab 
der Patient seine normale Beschäftigung wieder aufnehmen kann, so kann 
man das Wort scheinbare Heilung aussprechen. Ich teile in diesem Punkte 
vollkommen die Ansicht, die mein Freund Ledoux-Lebard in seinem 
ausgezeichneten Referate im Jahre 1912 aussprach. 

Um die Technik, die ich anwende, besser zu erklären, will ich die 
Krankengeschichte einer kürzlich behandelten Patientin, bei der ich das 
Resultat als ausgezeichnet bezeichnen kann, erwähnen. 

Es handelte sich um eine 25 jährige junge Frau mit typischem Basedow, 
der im 20. Lebensjahre begonnen hatte. Der Halsumfang betrug 38,5 cm, 
der Exophthalmus war sehr ausgesprochen und der Puls variierte zwischen 
100 und 120. Der nervöse Reizzustand war außerordentlich stark, der 
Allgemeinzustand schlecht und das Körpergewicht war auf 50 kg gesunken. 
Während 5 Jahren hatten die verschiedensten medikamentösen Behandlungen 
eine leichte Besserung gebracht, aber die Krankheit blieb stationär und 
schwerer Art. Vom 21. Oktober 1911 bis zum 9. Dezember 1912 erhielt 
die Patientin 11 Bestrahlungsserien, so, wie ich sie oben beschrieben habe. 
Dann hielt ich das Resultat für genügend, unterbrach die Behandlung und 


572 Belot, 


fügte nur noch 2 Bestrahlungsserien hinzu, eine im Februar 1913 und 
eine andere im Juni desselben Jahres. 

Seit einem Jahre ist ihr Gesundheitszustand ausgezeichnet (Juni 1912: 
und jetzt läßt sich folgendes konstatieren.. Der Halsumfang ist von 
38,5 auf 33,5 cm zurückgegangen; der Exophthalmus ist bedeutend ver- 
ringert, die Pulszahl beträgt 80, der Allgemeinzustand ist tadellos und das 
Körpergewicht hat 57 kg erreicht. Die Periode ist wieder regelmäßig, die 
Nervosität verschwunden: seit über einem Jahre hat die Kranke ihr früheres 
Leben wieder aufgenommen, ohne Müdigkeit und ohne sonstige unangenehme 
Symptome. Die Haut ist vollkommen intakt und die Verkleinerung der 
Struma ist derart, daß man jetzt in manchen Stellungen die Zeichnung 
des Muskelreliefs erkennt. 

Ich muß hinzufügen, daß die Frau nebenbei die Allgemeinbehandlung 
(Hämatothyreoidin, salizylsaures Natron) nie unterbrochen hat und auf 
meinen Rat sich noch einer (galvano-faradischen) elektrotherapeutischen 
Behandlung, neben der Röntgenbehandlung, unterzieht. 

Wenn ich eine Statistik der 30 Fälle, die ich behandelt habe. anstelle. 
so gelange ich zu folgenden Resultaten: 

Fälle, in denen keine Besserung erzielt wurde . . . 5 = 

Fälle, in denen eine leichte Besserung erzielt wurde . 25 29 


| 
w 


0. 


Fälle, in denen die Besserung bedeutend und konstant war 20 = 66°, 
Verminderung der nervösen Erregbarkeit und Verbesse- 

rung des Allgemeinbefindens . . . . 2 2 2202020..20 = 66% 
Verminderung der Tachykardie . . . . 2. 2. 2. . 18 = 60% 
Verminderung der Struma . . . LO mw t e o ea, 
Fast totales Verschwinden der Sirum ee er ee 9 
Verminderung des Exophthalmus . . . 6 = 20°, 


Ich mul) aber hinzufügen, daß die Fälle, bei welchen gar kein Erfolg 
erzielt wurde, Basedow-artige einfache Strumen betrafen und diejenigen. 
bei denen die Besserung von geringer Art waren, dem von Stern auf- 
gestellten Typus der Basedowoide entsprachen. 


Indikationen. 


Die Resultate, die ich erzielt habe und welche übrigens mit den 
bereits in der Literatur publizierten übereinstimmen. erlauben wenigstens 
im allgemeinen Indikationen für diese Behandlung aufzustellen. Man 
müßte allerdings über die verschiedenen Arten des Morbus Basedow 
und besonders über die zwischen Krankheiten mit ähnlichem Verlauf be- 
stehenden Unterschiede besser orientiert sein. 

Ich will deshalb in ganz schematischer Weise die Hauptformen dieser 
Erkrankung in 4 Gruppen einteilen. 


ee oo nn u — $ 


ie 


Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 573 


Der am besten charakterisierte Typus ist derjenige, dem man den 
Namen der Graves-Basedowschen Krankheit geben kann: er ist durch 
ein schlechtes Allgemeinbefinden, durch eine permanente Tachykardie, einen 
ganz besonderen nervösen Zustand und gewöhnlich durch eine Hyper- 
trophie der Thyreoidea und Exophthalmus gekennzeichnet. Dieser klinische 
Symptomenkomplex findet sich bei einer ganzen Gruppe von Affektionen, 
welche mit Röntgenstrahlen behandelt werden können; sie haben ungefähr 
in 50%, der Fälle Nutzen von derselben. Ist die Krankheit leicht, so 
soll man mit einer medikamentösen oder hygienischen Behandlung beginnen. 
Nur wenn die Besserung zu lange auf sich warten läßt, wird zur Röntgen- 
therapie geschritten. Sind die Allgemeinsymptome schwerer Art, der Puls 
sehr beschleunigt, so muß man von vornherein mit Röntgentherapie be- 
ginnen, ohne aber die interne Behandlung zu vernachlässigen. Es ist 
meiner Ansicht nach ein Fehler, zu lange mit der Röntgentherapie 
zu warten, da die guten Resultate die Regel, die Mißerfolge die Aus- 
nahme sind. 

Die Operation kommt nur bei Versagen der physikalischen Therapie 
in Betracht. 

Die von Pierre Marie beschriebenen „Formes frustes“ sollen eben- 
falls bestrahlt werden. Bei der Verschiedenheit der Fälle aber, welche in 
dieser Gruppe vereinigt sind, sind die Erfolge variabel. Oft folgt eine 
rasche Heilung wenigen Bestrahlungen, oft kommt ein Rezidiv nach einer 
mehr oder minder langen Periode der Besserung. Es gibt auch Fälle, 
die wenig oder gar nicht beeinflußt werden. 

Der Beginn der physikalischen Behandlung hängt von der Schwere 
der Symptome ab. Man hat aber alles Interesse, möglichst frühzeitig 
zu beginnen. 

Weniger in die Augen fallend und weniger konstant sind die Resultate, 
wenn es sich um die Sternschen Basedowo de handelt, die ich mit Ledoux- 
Lebard als ‚„pseudobasedowischen Symptomenkomplex‘ bezeichnen möchte. 
Hier soll man zuerst mit der medikamentösen Therapie beginnen und die 
Röntgentherapie hinzufügen. Dabei muß man sich aber wohl bewußt sein, 
daß letztere zwar den Kranken bessern und sogar heilen kann, dal) sie 
aber oft auch vollständig wirkungslos bleiben kann. 

Es bleibt zuletzt noch eine letzte Gruppe, welche die einfachen Basedow- 
artigen Strumen, die Neoplasmen der Schilddrüse und die zystischen Strumen 
umfaßt, die mit Basedow-Symptomenkomplex einhergehen. Die Resultate 
sind sehr verschieden und sehr inkonstant: beinahe alle Mißerfolge der 
Methode betreffen Fälle, die dieser Kategorie angehören. Man kann die 
Röntgentherapie noch versuchen, wenn das Allgemeinbefinden eine radikalere 
Therapie aufzuschieben gestattet. Oft wird man zur chirurgischen Ent- 

Strahlentherapie Band III, Heft 2. 37 


574 Belot, Röntgenbehandlung der Basedowschen Krankheit. 


fernung greifen müssen. Es ist dann gut, auf dieselbe eine Röntgen- 
behandlung folgen zu lassen und Karl Beck hat sehr wohl gezeigt. 
welchen Vorteil man aus dieser Kombination ziehen kann. 


Schlußfolgerungen. 


Bei der Ungefährlichkeit einer technisch gut ausgeführten Röntgen- 
therapie und bei der guten Wirkung, welche sie auf die günstigen Fälle 
ausübt, kann man sagen, daß sie beim Basedow schen Symptomenkomplex 
angewendet werden soll. Wenn die Krankheit nicht von schweren Allgemein- 
symptomen begleitet ist, vor allem, wenn es sich um eine „Forme fruste“ 
handelt, soll man zuerst eine medikamentöse und diätetische oder Elektro- 
therapie beginnen. Tritt keine Besserung ein, so soll man zur Röntgen- 
therapie greifen. Die Indikationen der neuen Methoden greifen also bei 
den Mißerfolgen der gewöhnlichen Therapie an. 

Zeigt die Krankheit von vornherein einen schweren Verlauf, so soll 
die Röntgentherapie sofort angewendet werden zu gleicher Zeit mit den 
anderen therapeutischen Hilfsmitteln. Die Röntgenstrahlen bilden keine 
Kontraindikation für die allgemeine Therapie. In den schweren Fällen, 
die der Röntgentherapie trotzen, muß man zur chirurgischen Behand- 
lung greifen. Ä 

Ich möchte noch auf die Tatsache hinweisen, daß ich immer mit 
gutem Erfolg zwischen die Bestrahlungsserien eine elektrische Behandlung 
einschaltete, welche in der Applikation des konstanten Stromes auf die 
Schilddrüsengegend bestand. Ich kann die Kombination dieser beiden 
Methoden nicht genug empfehlen. 

Ich muß auch nochmals wiederholen, daß die Allgemeinbehandlung 
nicht vernachlässigt werden darf. Man verabreicht die nötigen Medikamente, 
gibt Douchen und hält den Kranken von Aufregungen und Überarbeitung 
fern. Seine allgemeine Hygiene soll so vollkommen als möglich sein. 

Ich schließe, indem ich wiederhole, daß die Röntgentherapie eine 
mächtige Waffe gegen die Basedowschen Symptomenkomplexe bildet. In- 
dem sie auf die Sekretion der Thyreoidea wirkt, vermindert sie und sistiert 
sie die Bildung von toxischen Produkten, welche den Körper überschwemmen, 
und die bei Wieser Erkrankung charakteristische Störungen hervorrufen. 

Die Resultate, welche sie gibt, können, trotz der gegenteiligen Be- 
hauptung einiger Autoren, den Vergleich mit allen anderen therapeutischen 
Methoden, ja sogar der chirurgischen, aushalten. 

Übersetzt von Dr. A. Gunsett-Straßburg i. E. 


EEE fee A A E oa a mmea vrae 


M D O O 


Die Röntgentherapie der Ischias.') 
Von 
Dr. Delherm, Paris. 


ie Röntgentherapie der Ischias ist nur ein Kapitel der Röntgentherapie 

des Rückenmarks, welche ich mit Raymond für die Syringomyelie 
und mit Babinski für die Paraplegien bearbeitet habe. 

Im Oktober 1907 hatte ich Gelegenheit, einen Kranken zu behandeln, 
der an Spondylose mit neuralgischen Schmerzen litt, die vor 7 Jahren be- 
gonnen hatten und besonders heftig im Verlaufe des Nervus Ischiadicus 
waren. 

Der Kranke konnte seit zwei Jahren nur noch an Stöcken gehen, 
der Rumpf war gebeugt, die Wirbelsäule steif, die Sehnenreflexe ziemlich 
normal. 

Auf die Bitte von Herrn Dr. Babinski behandelte ich den Kranken 
mit Röntgenstrahlen und zwar vom 7. Oktober 1907 bis zum 24. Februar 
1908. In dieser Zeit wurde die Wirbelgegend in ungefähr 22 Sitzungen 
von jedesmal 10 Minuten Dauer bestrahlt. Die ganze zu bestrahlende 
Gegend wurde in zwei Zonen geteilt und die Röhre so eingestellt, daß jede 
Zone im Ganzen ungefähr 15 H sehr harter Strahlen erhielt. Schon nach 
den ersten Sitzungen verminderten sich die Schmerzen; nach der achten 
konnte der Patient ohne Stock gehen und seine Haltung wurde weniger 
sebeugt. Am Schlusse der Behandlung konnte der Kranke wieder voll- 
ständig aufrecht gehen, die Schmerzen im Verlauf des Ischiadicus hatten 
aufgehört und er konnte ohne Stock und ohne Beschwerden einen Kilo- 
meter gehen. 

Als Babinski?) diese Krankengeschichte der Neurologischen Gesell- 
schaft unterbreitete, drückte er sich folgendermaßen aus: „Ist das Ver- 
schwinden der Spondylose und der mit ihr einhergehenden neuralgischen 
Schmerzen ursächlich auf die Röntgentherapie zurückzuführen? Ich darf 
es nicht behaupten, ich bin aber geneigt, es zu glauben.“ Dieser Autor 
hatte sich seine Ansicht noch auf Grund einiger anderer nicht publizierter 
Fälle gebildet, die in den Jahren 1906 und 1907 behandelt worden waren. 

Ungefähr um dieselbe Zeit verzeichnete Freund ebenfalls die günstige 


1) Vortrag, gehalten auf dem 4. internationalen Kongreß für Physiotherapie, 
Berlin 1913. 


23) Babinski, Revue neurologique, p. 262, séance de la Société de Neurologie, 
den 5. März 1908. 


378 


576 Delherm, 


Wirkung der Röntgenstrahlen bei schmerzhaften Erkrankungen des Ischia- 
dicus.) Er publizierte vier mit Erfolg behandelte Fälle. Die Strahlen 
waren auf die Synchondrosis sacro-iliaca und das Foramen ischiadicum ge- 
richtet worden und zwar mit geringen Stromstärken und harten Röhren. 

Babinski, Charpentier und Delherm veröffentlichten sodann vier 
weitere Ischiasfälle.?) 

Seitdem wurden noch Heilungen von Morat, Laquerritre und 
Loubier sowie von anderen Autoren mitgeteilt, zuletzt noch von Zim- 
mern und Cottenot, und ich selber habe ın der letzten Zeit 17 Fälle 
behandelt. Vielleicht könnte man glauben, der rasche Erfolg der Röntgen- 
therapie sei darauf zurückzuführen, daß es sich nicht um Ischias mit 
organischer Nervenläsion handelte. Man kann aber nach Einsicht meiner 
Krankengeschichten diese Hypothese nicht mehr aufrecht erhalten. Die 
Kranken wurden aufs sorgfältigste untersucht und jede Fehlerquelle so 
gut als möglich durch die gewöhnlichen Untersuchungsmethoden und be- 
sonders durch die systematische Prüfung des Achillesreflexes ausgeschlossen. 
Letzterer war 

verstärkt: in einem Fall (mit epileptoidem Tremor), 

vorhanden: in 4 Fällen, 

vermindert oder ganz verschwunden: in 7 Fällen. 


In zwei Krankengeschichten ist der Zustand des Reflexes nicht ver- 
zeichnet. 

Man weiß aber seit den Arbeiten von Babinski, daß die Änderungen 
des Achillesreflexes immer auf eine anatomische Veränderung des Nerven 
zurückzuführen sind. 

Die Schwere einer Ischias hängt nicht nur von den Schmerzen ab. 
die mit ihr einhergehen, sondern ebenso sehr von einer großen Anzalıl 
konkomittierender Störungen wie Verkrümmung und Steifheit der Wirbel- 
säule, besonders aber von der Widerstandsfähigkeit der Krankheit den ver- 
schiedenen Behandlungsmethoden gegenüber. 

Die Kranken, die ich behandelt habe, wurden den verschiedensten 
teils pharmazeutischen, teils physikalischen Behandlungsmethoden unterworfen. 
Im speziellen wurden bei Einzelnen Luftinjektionen und epidurale Kokain- 
injektionen usw. vorgenommen, die zu keinem Resultate führten. 

Was die Technik der Röntgenbehandlung anbetrifft, so wurden immer 
kleine Dosen gewählt. Auf jede Region kamen 3 Bestrahlungen in Ab- 
ständen von einer Woche. Dann ließ ich den Patienten 3 Wochen lang 
in Ruhe. In jeder Serie von 3 Sitzungen bekam jede Region ungefähr 


') Freund, Wiener klin. Wochenschr., Nr. 51, 1907. 
2) Revue Neurologique, den 30. April 1911. 


Die Röntgentherapie der Ischias. | 577 


5 H. Die Strahlenstärke betrug 6—7 Benoist, die Filterdicke °/,, mm, 
die parallele Funkenstrecke 10—12 cm bei einem Röhrenhautabstand von 
25 bis 30 cm. 

Die Bestrahlung wurde meistens in der Lumbalgegend vorgenommen, 
dann auch an den Punkten, an denen der Ischiaticus sich der Haut nähert, 
und an den verschiedenen Schmerzpunkten. Die Resultate sind aber nicht 
besser und nicht schneller als wenn man nur die Lumbalgegend bestrahlt. 
Erst wenn die Symptome nicht schnell genug zurückgehen, kann man ver- 
suchen, auch im Verlaufe des Nerven zu bestrahlen. 

In allen meinen Fällen kann man konstatieren, daß die Schmerzen 
sehr schnell besser werden und zwar gleich nach den ersten Sitzungen. 
Wenn der Kranke dann aussetzt, geht die Besserung, wenn sie einmal 
eingesetzt hat, weiter. Im allgemeinen sind die Kranken nach der 6. oder 
S. Sitzung bereits sehr gebessert. 

Ich kann sogar behaupten, daß wenn die Besserung sich nicht schon 
nach den ersten Sitzungen kundgibt, man auch von einer länger fort- 
gesetzten Behandlung nichts zu erhoffen hat. 

Zusammenfassung: Bei Versagen der gewöhnlichen und physikalischen 
Behandlungsmethoden, insbesondere des galvanischen Stromes, der für mich 
immer noch die Therapie der Wahl bei der gewöhnlichen Ischias darstellt, 
kann man in der Röntgentherapie oft ein ganz gutes Hilfsmittel finden, 
das besonders zu empfehlen ist, wenn die Ischias auf eine Kompression 
der Wurzeln zurückzuführen ist. 

Übersetzt von Dr. A. Gunsett-Straßburg i. E. 


Einige neueste Angaben über die Anwendung der Radium- 
emanation bei Gicht.!) 


Von 
Prof. Dr. med. et phil. P. G. Mesernitzky. 


V den 158 Fällen von Gicht, bei denen ich die Radiumemanation an- 
gewendet habe, sind bei weitem nicht alle in Heilung übergegangen. 
Von Heilung rede ich nur dann, wenn bei purinfreier Kost die Harnsäure 
aus dem Blute verschwunden, die Harnsäureausscheidung mit dem Harn 
bei purinfreier Kost normal geworden ist und sowohl die subjektiven wie 
auch objektiven Gichterscheinungen verschwunden sind. Vollständige Heilung 
von Individuen mit Tophi habe ich kein einziges Mal beobachtet. Bisweilen 
verringerten sich zwar die Tophi einigermaßen, aber von einem vollständigen 
Verschwinden derselben konnte nicht die Rede sein, trotzdem sowohl der 
endogene als auch der exogene Purinstoffwechsel normal wurde. Nur bei 
Individuen, welche noch keine Tophi haben, kann man von Heilung sprechen. 
da bei einigen derselben absolut sämtliche Gichterscheinungen verschwanden. 

Als die beste Methode der Emanationseinführung betrachte ich die 
innere, da sie hierbei die längste Zeit im Organismus verbleibt. Um ein 
möglichst langes Verweilen der Emanation im Organismus zu erzielen, ver- 
ordnete ich dieselbe 3—4 mal täglich nach der Nahrungsaufnahme in 
Einzeldosen von je 10—25 Tausend Macheeinheiten täglich. Ich beginne 
stets mit der Applikation von kleinen Dosen unter Überwachung des Harns 
auf eventuellen Eiweißgehalt, da bisweilen Fälle vorkommen, in denen selbst 
kleine Dosen Nebenwirkungen hervorrufen. Am ersten Tage verabreiche 
ich 300—1000 Macheeinheiten, am zweiten bis 2000, am dritten bis 5000, 
am vierten bis 10000. Wenn keine Nebenwirkungen beobachtet werden. 
gehe ich rasch zu höheren Dosen über und steige in 3—4 Tagen bis zu 
den oben angegebenen Zahlen. Reaktionsschmerzen werden nicht immer 
beobachtet. Besonderes Interesse kommt der Tatsache zu, daB bei einer 
Patientin in allen Gelenken Exazerbation der Schmerzen und Temperatur- 
steigerung eintraten, wenn sie statt der Radiumemanation einfaches Wasser 
zu sich nahm. Es handelte sich um eine hysterische Patientin mit 


ı) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie. 
Berlin 1913. 


Mesernitzky, Angaben über die Anwendung der Radiumemanation. 579 


außerordentlich festem Glauben an die mächtige Wirkung des Radiums. 
Davon, daß sie statt Emanation einfaches Wasser bekam, hatte sie keine 
Ahnung. Sie schien aber zu wissen, daß im Anfang der Behandlung mit 
Emanation Exazerbationen der Schmerzen vorkommen. 


Die Kur dauerte bei meinen Patienten 6—12 Wochen. Im Nach- 
stehenden bringe ich die Ziffern, welche sowohl die klinisch als auch 
ambulatorisch behandelten Kranken (sowie die Privatpatienten) umfaßt, 
welche ich während meiner Tätigkeit in Deutschland, Frankreich und Ruß- 
land beobachtet habe. Bei den ambulatorischen Patienten wurde das Blut 
nach Rötlisberger, der Harn nach Krüger und Schmidt auf Harn- 
säure und Purine untersucht. 


Tabelle 1l. 
Gesamtzahl der Kranken . . . 158 100 % 
Vollständig geheilt (?). . . . 45 ungefähr 285% 
Besserung bei . . .. .. 24 13,5 % 
Unverändert . . . . . . . 69 43,5 % 
Verschlimmerung . . . . . 28 14,5 % 


Somit hat sich der Prozentsatz der Geheilten, der, wie ich schon 
mehrere Male mich geäußert habe, 33 nicht übersteigt, auch an einem 
großen Material als dieser Zahl nahe erwiesen — 28,5%. Ob und in- 
wiefern die erzielten Resultate stabil sein werden, läßt sich schwer sagen. 
Ich verfüge über 3 Fälle, in denen seit der Behandlung schon 2 Jahre 
vergangen sind, ohne daß ein Rezidiv eingetreten ist, trotzdem die be- 
treffenden Patienten sich mehrmals Diätfehler haben zuschulden kommen 
lassen. Daß ein Rezidiv tatsächlich nicht vorhanden ist, wird nicht nur 
durch die subjektive Besserung, sondern auch durch die objektive Unter- 
suchung bestätigt. 

Wodurch wäre nun der Erfolg der Behandlung zu erklären? 

Die Theorie (von Gudzent) von der Wirkung des Radium-D wurde 
durch eine Reihe Arbeiten widerlegt. Was mich betrifft, so habe ich im 
Laboratorium von Mme. Curie in Paris irgend einen Einfluß des Radium-D 
auf das Mononatriumurat gleichfalls nicht feststellen können, da dasselbe 
sich als absolut unfähig erwiesen hat, unter dem Einflusse des Radium-D 
in Lösung überzugehen. 

Die ß- und y-Strahlen bleiben gleichfalls auf dieses Harnsäuresalz 
ohne Wirkung. Wohl aber ist es von Interesse, daß die «-Strahlen, wie 
ich im Laboratorium von Mme. Curie in Paris nachgewiesen habe, die 
Auflösung und Spaltung des Mononatriumurat begünstigen. Als ich aber 
auf Anraten von Roux in Petersburg Experimente unter der Bedingung 


550 Mesernitzky, 


der Sterilität anstellte, haben sich auch die «-Strahlen als wenig fähig er- 
wiesen, das Harnsäuresalz unmittelbar in vitro zur Lösung zu bringen. 

Die Experimente, welche ich mit dem umkristallisierten Salz, sowie 
auch mit dem mir aus dem Wiener Pharmakologischen Institut übersandten 
Mononatriumurat (mit demselben haben auch Knafl und Lenz gearbeitet 
ausgeführt habe, haben ergeben, daß die Radiumemanation (bis 100 000 
Macheeinheiten) in sterilem Milieu auf die Löslichkeit und Spaltbarkeit des 
Mononatriumurat fast gar keinen Einfluß haben. Knafl und Lenz haben 
dasselbe selbst für noch größere Emanationsquantitäten nachgewiesen. 

Nun möchte ich einige Befunde aus meinen Experimenten an dieser 
Stelle wiedergeben. 

Nr. 1. 

In der Lösung waren 0,187 g Mononatriumurat enthalten. Nach vier- 
tägiger Wirkung der Emanation (ca. 100 000 Macheeinheiten) fanden sich 
in der Lösung 0,149 g Mononatriumurat. 


Nr. 2. 

Vor der Wirkung der Emanation (ca. 100000 Macheeinheiten) be- 
fanden sich in der Lösung 0,247 g, nach 5tiägiger Einwirkung 0.218 g 
Mononatriumurat. Diese Experimente bestätigen in vollem Maße die An- 
gaben von Lazarus und Knafl und Lenz. Es ist möglich, daß die 
x-Strahlen in nicht sterilem Milieu die Schimmelpilze stimulieren, welche 
unter dem Einflusse dieser Strahlen das Mononatriumurat rascher spalten 
als olıne dieselben. 

Da der Einfluß der Emanation auf Fermente gleichfalls noch nicht er- 
wiesen ist, so mul} man inbezug auf die Erklärung des therapeutischen 
Effektes, der bei der Behandlung der Gicht mit Radiumemanation be- 
obachtet wird, vorläufig noch sehr vorsichtig zu Werke gehen. 

Tatsache bleibt aber Tatsache. Auf den Purinstoffwechsel übt die 
Emanation, wie es mir gemeinsam mit Kemen nachzuweisen gelungen ist, 
und wie dieses später von Kikkoj und von anderen bestätigt wurde, un- 
bedingt einen Einfluß aus. Außerdem wird ein gewisser Prozentsatz der 
Podagriker unter dem Einflusse der Emanation augenscheinlich geheilt. 


Literatur. 


1. Mesernitzky. Das Radium in der medizinischen Klinik. Monographie, 
St. Petersburg, 1912, 

2, Mesernitzky. Über die Schädigung des Organismus durch hohe Dosen von 
Radiumemanation. Archiv für physikalische Medizin, 1911, Bd. VI, H.1. 

3. Mesernitzky. Radiumemanation und Gicht. Russki Wratsch, 1910, Nr. 51. 

4. Mesernitzky. Contribution à l’etude de la decomposition de l’acide urique 
par l'action de l’emanation du radium. Comiptes rendus de l’Acad. des 
sciences, stance 15 mars 1912. 


10. 


11. 


Angaben über die Anwendung der Radiumemanation bei Gicht. 581 


. Mesernitzky. Contribution à létude de décomposition des purines par 


l’action de l’emanation du radium. Le Radium, 1912, avril. 


. Mesernitzky. Über den zerstörenden Einfluß der Radiumemanation auf die 


Haut. Münchener medizinische Wochenschrift, 1912, Nr. 6. 


. Mesernitzky und Kemen. Über Purinstoffwechsel bei Gichtkranken unter 


Radiumemanationsbehandlung. Vortrag auf dem Internationalen Kongreß 
in Brüssel 1910. Therapie der Gegenwart, November 1910. 


. Mesernitzky. Die Zersetzung von Oxypurinen durch Radiumemanation. 


Zentralblatt für innere Medizin, 1912, Nr. 23. 


. Mesernitzky. Neue Untersuchungen mit der Radiumemanation. Deutsche 


medizinische Wochenschrift, 1912, Nr. 2b. 

Mesernitzky. Vortrag auf dem Internationalen Kongreß für Radiologie zu 
Prag, Oktober 1912. 

Mesernitzky. Vortrag auf dem russischen med. Kongreß für innere Medizin 
zu Kiew, Januar 1913. 


Über die direkte Behandlung von Augenerkrankungen 
mit Radium und Mesothorium. 
Von 
Professor Dr. W. Koster, Leiden (Holland). 


m Jahre 1905 begann ich einige Erkrankungen des Auges mit Radium- 

strahlen zu behandeln. Seitdem haben meine Kenntnisse betreffs der 
Indikationen zur Anwendung dieses Heilmittels nur sehr allmählich zu- 
genommen. Da die Mitteilungen über diesen Gegenstand von anderer 
Seite nur sehr spärlich waren, mußte ich mir meinen Weg fast ganz allein 
suchen und erst im Jahre 1911 war ich in der Lage, die Erfolge dieser 
Behandlungsweise bei verschiedenen Erkrankungen des Auges zusammen 
mit meinem Assistenten Dr. J. G. Cath zu veröffentlichen. Diese erste 
Veröffentlichung erschien auf Holländisch (Nederlandsch Tijdschrift voor 
Geneeskunde: II, 829—1911); seitdem habe ich vielen Augenärzten 
mannigfache Auskunft über Einzelheiten dieses Gegenstandes teils brieflich. 
teils mündlich gegeben. Ich fand jedoch, daß außerhalb Hollands die 
Radiumbehandlung des Auges nur geringe Fortschritte machte, wenigstens 
soweit ich es nach der Literatur oder nach Mitteilungen der Augenärzte. 
mit denen ich in Berührung kam, beurteilen konnte. Aus diesem Grunde. 
aber auch, weil ich bis zu einem gewissen Grade meine Anwendungs- 
weise geändert habe und weil die Indikationen sich für mich beträchtlich 
erweitert haben, nehme ich die Gelegenheit wahr, auf diesem Kongreß 
über meine neuesten Erfahrungen bei der Behandlung des Auges mit 
Radium und ebenso mit Mesothorium zu berichten. 

Es ist nicht leicht, hinsichtlich der Wirkung der Radium- und Meso- 
thoriumbehandlung zu einer allgemeinen Übereinstimmung zu kommen, 
weil es zunächst einmal so schwer ist, die Aktivität der angewandten 
strahlenden Salze festzustellen. In einigen Fällen, wo andere, die nach 
meiner Methode behandelten, über geringe Erfolge klagten, konnte ich 
durch Vergleich mit dem meinigen zeigen, daß das von ihnen verwandte 
Salz nicht kräftig genug war. Und doch war das ihrige von gewissenhaften 
Sachverständigen geprüft und bescheinigt. Deshalb lasse ich, wenn ich 
eine neue Menge Radium oder Mesothorium in Gebrauch nehme, es nicht 
in der gewöhnlichen Weise hinsichtlich der Stärke der y-Strahlen allein 
prüfen, sondern ich vergleiche seinen Einfluß auf das Elektroskop bei ver- 
schiedenen Entfernungen (ohne Zwischenschaltung eines Bleifilters) mit dem 
einer Menge, welche ich bereits mit gutem Erfolge angewandt habe; dann 


Koster, Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium usw. 583 


vergleiche ich ferner die beiden in ihrer Wirkung auf die menschliche 
Haut, die photographische Platte, die Schirme aus Zinksulfat und Platin- 
zyanür, und ebenso in ihrer fluoreszierenden Kraft auf mein eigenes Auge. 
Wenn nur wenig Unterschied zwischen beiden in all diesen Punkten 
besteht, so kann man annehmen, daß die Substanz sich zum Gebrauch 
eignet. 

Die nächste Schwierigkeit ist die, zu entscheiden, welches die beste 
Anwendungsweise des Radiums ist. Zum Beispiel ist es von großer Be- 
deutung, welche der drei folgenden Methoden angewandt wird: erstens, ob 
das Salz in ein Pflaster von demselben Umfang wie die zu behandelnde 
Partie eingebettet ist und so aufgelegt wird, oder zweitens, ob es in einer 
Glas- oder Platinröhre enthalten ist und angewendet wird durch Hin- und 
Herbewegen über der erkrankten Partie, oder drittens, ob es flach hinter 
eine Lage von Glimmer in eine kleine Kapsel gepreßt ist und für eine 
bestimmte Zeit mit Pflaster auf einer Stelle befestigt wird. Es besteht 
unter den Radiologen die Neigung anzunehmen, dab es, um einen be- 
stimmten Erfolg zu erzielen, ausreichend ist, eine bestimmte Anzahl von 
Milligramm-Stunden zu verwenden, das heißt also, das Gewicht des benutz- 
ten Salzes mit der Zeit seiner Einwirkung zu multiplizieren; ich habe aber 
die Überzeugung, daß dem nicht so ist, sondern daß die Wirkung sicher- 
lich auch von der Art und Weise der Anwendung der strahlenden Sub- 
stanz abhängig ist. Zum Beispiel: wenn ein Quadratzentimeter normaler 
Haut eine Viertelstunde lang mit vier Milligramm Mesothorium entweder 
in einer Glasröhre, wie bei der zweiten oben beschriebenen Methode, oder 
andererseits mit derselben Dosis in einer kleinen Kapsel, wie an dritter 
Stelle angegeben, behandelt wird, so wird man finden, daß die Haut in 
dem letzteren Fall sehr erheblich gerötet wird, während sie in dem ersteren 
nur eine sehr geringe Veränderung zeigt, obgleich die wirksame Kraft in 
beiden Fällen die gleiche ist. Um ferner ein Beispiel anzuführen, wo die 
Wirksamkeit genau die entgegengesetzte ist, so fand ich, daß die bewegte 
Röhre nach einstündiger Behandlung eine beträchtliche Veränderung bei 
einem Epitheliom bewirkte, wohingegen die feststehende Kapsel nach der- 
selben Dauer der Behandlung auf eine ähnliche Partie der Geschwulst keine 
sichtbare Wirkung ausübte. Es ist natürlich schwer, diese Dinge mit 
Sicherheit zu beweisen, aber diese Erfahrungen habe ich gemacht, und ich 
würde es für merkwürdig halten, wenn bewiesen werden sollte, dal es sich 
anders verhält. Es ist natürlich ein großer Unterschied, ob eine kleine 
Stelle auf einmal, wenn auch nur für einen Augenblick, der ganzen strah- 
lenden Kraft ausgesetzt wird, oder ob man eine hundertmal kleinere Kraft 
hundertmal länger auf denselben Punkt wirken läßt. Obgleich wir tatsäclı- 
lich noch nicht wissen, worin die Wirksamkeit des Radiums auf die Gewebe 


584 Koster, 


besteht, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß es dies mit allen anderen 
chemischen und physikalischen Kräften gemeinsam hat. 

Ein dritter Grund, weshalb eine Meinungsverschiedenheit über die 
Erfolge der Behandlung bestehen mag, findet seinen Ursprung in der 
großen Schwierigkeit, sie auf das Auge anzuwenden. Die Hauptsache ist, 
daß das Salz in möglichst nahe Berührung mit den zu behandelnden 
Teilen gebracht wird, und zweitens ist es in den meisten Fällen unbedingt 
notwendig, das Radium für eine beträchtliche Zeit in einer Sitzung, d.h. 
gemeinhin für eine volle Stunde, mit der Hand zu applizieren. Dies ist 
für den Operateur sehr anstrengend und ermüdend, denn wenn es nicht 
gewissenhaft durchgeführt wird, so bleibt der Erfolg aus oder ist unbe- 
friedigend. Aus diesen drei Gründen ist es zweifellos schwer, die Mit- 
teilungen von Mitarbeitern zu beurteilen, und es folgt daraus, daß, wenn 
eine erfolgreiche Methode der Anwendung festgelegt ist, es ratsam ist. so 
genau wie möglich die Bedingungen dieser Behandlung nachzumachen. 
Deshalb beabsichtige ich, in diesem Vortrage hauptsächlich meine eigenen 
Erfahrungen wiederzugeben und nur wenig Zeit auf die negativen Re- 
sultate, die hier und dort über ähnliche Fälle wie die meinen veröffentlicht 
sind, zu verwenden. 

Um nun zu dem eigentlichen Gegenstande zu kommen, so bin ich in 
der Lage festzustellen, daß ich in den letzten zwei Jahren ebenso be- 
friedigende Erfolge mit Mesothorium -Knöfler (von Hillengenberg- 
Amsterdam) wie mit Radium erzielt habe. In den ersten Jahren benutzte 
ich beide, eine kleine Ebenholzkapsel mit 5 Milligramm Radiumbromid, 
lach hinter eine dünne Lage von Glimmer gepreßt, und die gleiche 
Menge von Radium in einem kleinen Glasröhrchen; die Kapsel wurde 
mit Pflaster auf die weit geöffneten Augenlider befestigt und berührte 
fast den Augapfel. In letzter Zeit habe ich diese Anwendungsweise fast 
aufgegeben und ziehe es vor, statt dessen das Glasröhrchen zu benutzen. 
welches entweder 5 mg Radiumbromid oder 4 mg Mesothorium enthält. 
Die Kraft des Radiums scheint 2 mg Normalradium zu entsprechen, 
während die 4 mg Mesotliorium derselben Menge der festgesetzten Normal- 
substanz gleich sind. Die Kapseln mit Radium sowohl wie die mit Meso- 
thorium benutze ich jetzt hauptsächlich für Affektionen der Augenlider 
und der Umgebung des Auges, obwohl die Glasröhrchen ebenfalls hierbei 
angewendet werden können. Diese Röhrchen sind aus Thermometerglas 
gemacht, mit einer lichten Weite von etwa 1 mm und einem äußeren 
Durchmesser von etwa 3 mm. An ihrem Ende ist eine kleine Erweite- 
rung ausgeblasen, mit einem etwas geringeren Durchmesser als der des 
Röhrchens und einer Glasdicke von etwa 1/,, bis !/i mm. Die Dicke 
kann durch Messen mit einem geraden Draht und ebenso dadurch, dal) 


Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 585 


man das Röhrchen gegen das Licht hält, geschätzt werden. Die Stärke 
des Glases wird geprüft, indem man es zwischen Finger und Daumen 
drückt. Wenn das strahlende Salz hineingetan ist, so wird ein kleines 
Stück Kork durch das Röhrchen bis zur Öffnung der Erweiterung durch- 
geschoben. Durch leichtes Klopfen des Röhrchens sammelt sich das Salz 
in dem unteren Teil der Erweiterung, und da es etwas an dem Glase 
haften bleibt, wird der Inhalt durch vorsichtiges Drehen des Röhrchens bis 
an die Spitze gebracht; dies ist von großer Wichtigkeit, weil wir dadurch 
ın der Lage sind, das Röhrchen an den tieferen Teilen des Augapfels an- 
zuwenden und nur die Dicke des Glases zwischen dem erkrankten Teil und 
dem Radium haben. 

Das Glasröhrchen ist 4 cm lang und hat nahe dem Ende einen Teil, 
welcher etwas dünner ist, so daß man einen Seidenfaden herumschlingen 
kann, zu dem Zwecke, das Radiumröhrchen sicher zu halten, wenn es für 
andere Zwecke benutzt wird, wie z. B. in Fisteln, im Oesophagus usw. 
Das Ende des Glasröhrchens wird dadurch geschlossen, daß man es mit 
etwas Sıiegellack füllt; so ist es möglich, es zu desinfizieren, indem man 
es in eine 5 proz. Karbolsäurelösung oder irgendein anderes Desinfiziens 
legt. Wenn das Glasröhrchen am Auge benutzt wird, so wird es durch ein 
lünnes Metallröhrchen gehalten, welches leicht daran angebracht werden kann. 

Folgende Krankheiten wurden behandelt: 

I. Keratitis parenchymatosa. a) Keratitis parenchymatosa 
tuberculosa. Die Diagnose dieser Fälle wurde entweder nur klinisch 
gestellt, oder bestätigt durch tuberkulöse Entzündung an anderen Teilen 
des Auges oder des Körpers. Im letzten oder in den beiden letzten Jahren 
wurde die Behandlung hier meist mittels des Radium- oder Mesothorium- 
(Glasröhrchens angeordnet, da die Wirksamkeit hiermit gleichmäßiger über 
die ergriffenen Teile verteilt werden kann als mit der Ebenholzkapsel. 
Die Augenlider wurden so weit wie möglich mit dem vierten und dem 
kleinen Finger offen gehalten, um zu vermeiden, den Zeigefinger und Dau- 
men zu exponieren. Bei sehr empfindlichen Leuten wird zuweilen ein 
kleines Spekulum benutzt, welches dem Patienten gestattet, das Auge in 
Zwischenräumen zu schließen. Eine Behandlung von 5 bis 10 Sitzungen 
von einer halben bis zu einer Stunde Dauer ist nötig, mit Zwischenräumen 
von 3, 5 oder 7 Tagen, je nach dem Abklingen der leichten Reizerschei- 
nungen. Weder Kokain noch irgendein anderes Anästhetikum wird an- 
gewandt. Die Cornea wird nicht eigentlich berührt, aber nahezu. Wenn 
Eruptionen an anderen Teilen der Cornea auftreten, so kann eine neue 
Reihe von 5 Sitzungen nach einem Monat etwa folgen. Wenn der Hei- 
lungsvorgang im Fortschreiten ist, darf er nicht durch weitere Radium- 
behandlung gestört werden. Es besteht kein Bedenken, den Patienten 


586 Koster, 


gleichzeitig mit Tuberkulin zu behandeln. Die Erfolge in diesen Fällen 
sind außerordentlich günstige gewesen. Viele Heilungen sind erzielt wor- 
den, wo alle anderen Methoden versagt oder nur zeitweilig geholfen hatten. 
Radiumreaktion der Lider verursacht hier oft Lichtscheu und Konjunk- 
tivitis der Lidründer. Dies braucht erst mehrere Wochen nach der letzten 
Bestrahlung aufzutreten; obgleich es etwas lästig sein mag, so ist es doch 
niemals wirklich schädlich für das Auge. 

b) Keratitis parenchymatosa scrophulosa. Obgleich die Behandlung 
dieser Fälle nicht so leicht ist wie die der vorhergehenden wegen der sehr 
starken Lichtscheu und des Tränenträufelns, so ist der Erfolg doch genau 
so gut. Die Behandlung der Skrophulose kann gleichzeitig in der gewöhn- 
lichen Weise fortgesetzt werden. 

c) Keratitis parenchymatosa diffusa (luetica). Es ist klar, daß in 
Fällen dieser Art die Behandlung der Lues vorher oder wenigstens gleich- 
zeitig mit der Radiumbehandlung ausgeführt werden muß. Jedoch in 
einigen wenigen Fällen war dies nicht möglich, und Radium allein wurde 
versucht. Der Erfolg war dann nicht so günstig, da die Erkrankung nicht 
völlig ausheilte, obgleich eine beträchtliche Besserung eintrat. Wenn die 
Syphilis gleichzeitig behandelt wurde, so kürzte das Radium oder Meso- 
thorium den AufhellungsprozeßB in der Cornea entschieden ab. Ebenso 
gaben in solchen Fällen, in denen die Aufhellung zum Stillstand gekommen 
war und noch eine trübe Cornea zurückblieb, wiederholte Radiumbehand- 
lungen in langen Zwischenräumen von ein oder zwei Wochen meist eine 
merkliche Besserung des Sehvermögens. Es dauert in der Regel einige 
Monate, bis der Erfolg erreicht wird; da aber die Radiumbehandlung oft 
die deutlichste Veränderung in dem Zustand herbeiführte, so bin ich über- 
zeugt, daß der Erfolg auf diesen Einfluß allein zurückzuführen war. 

U. Nebulae, Maculae und Leucomata corneae. Bei Fällen 
dieser Art ist natürlich die Erwägung von größter Wichtigkeit, ob eine 
Verbesserung der Durchsichtigkeit voraussichtlich das Sehvermögen bessern 
wird. Die Untersuchung mittels des Keratoskopes von Placido erfüllt 
diesen Zweck am besten. Bei Leukomen, wo das Sehvermögen fast bis 
auf Lichtempfindung reduziert ist, ist die Frage natürlich nicht so heikel. 
Bei Nebulae und Maculae ist der Erfolg der Behandlung mit den Ra- 
dium- oder Mesothoriumröhrchen, von einer halben bis zu einer Stunde 
Dauer, wobei die Cornea fast berührt wird, und die zwei oder drei Mal 
mit einigen Tagen Zwischenraum wiederholt wird, in den meisten Fällen 
günstig und in einigen Fällen auffällig. Selbst wenn der gute Erfolg sich 
nicht äußerlich zeigen läßt, wird er doch von dem Patienten empfunden. 
Ein vollständiges Verschwinden einer Macula habe ich bis jetzt noch nicht 
bemerkt, aber die Durchsichtigkeit nimmt erheblich zu, die Oberfläche 


Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 587 


wird weniger unregelmäßig und der Fleck wird entschieden kleiner. In 
einigen Fällen scheint es, als wenn der Ton der Macula nach einigen 
Wochen wieder etwas dunkler wird, aber das Endresultat ist eine Besserung. 
Bei der Behandlung der Leukome kam ich zu demselben Schluß; doch 
dla eine kleine Besserung der Durchsichtigkeit oder besser der Dichtigkeit 
der Trübung oft keinen Einfluß auf das Sehvermögen hat, so ist der prak- 
tische Erfolg hier oft gering. Doch der Versuch schadet nichts; mit 5 
Sitzungen von einer Stunde, mit dem 4 mg- Mesothoriumröhrchen, das 
nahezu oder wirklich den Augapfel berührt, wird es dem ÖOperateur klar, 
ob ein geringer oder ein großer Erfolg erreicht werden wird; denn in einer 
kleinen Zahl von Fällen kann man eine erstaunlich gute Wirkung ver- 
zeichnen. Ich habe einen Fall gesehen, wo ein 60 jähriger Mann, der 
praktisch blind war und von seiner Frau geführt werden mußte, nach 14 
Tagen allein gehen konnte und 3 Monate später leicht die Zeitung lesen 
konnte, und der auch jetzt noch nach einigen Jahren dazu fähig ist. Dies 
war ein Fall von Leukom nach Keratitis tuberculosa, welche das Auge vor 
Jahren ergriffen hatte. 

Es besteht somit offenbar ein großer Unterschied in der Natur der 
Leukome, welcher die Tatsache erklärt, daß in einigen Fällen die milchige 
Cornea — in wenigen Wochen — so durchsichtig wird, daß sie die Pupille 
wieder deutlich erkennen läßt, während in anderen Fällen die Trübung 
zweifellos ein anderes Aussehen zeigt, aber doch nicht einen Grad von 
Durchsichtigkeit erreicht, der ein besseres Sehvermögen gewährleistet. Und 
doch wird auch in diesen Fällen das Leukom im ganzen kleiner, und wenn 
ein schmaler Rand klarer Cornea darum herum vorhanden ist, so wird er 
entschieden breiter, und bei Mydriasis mag ein etwas besseres Sehvermögen 
erreicht werden. Ich kann nicht sagen, welche Form des Leukoms sich 
wahrscheinlich aufhellt; die nach Keratitis gonorrhoica hatten keine große 
Neigung dazu; der Eindruck, den ich erhielt, war der, daß sofern das 
Leukom hauptsächlich aus fibprösem Narbengewebe besteht, es wahrschein- 
lich unter der Behandlung schrumpft; wenn aber Niederschläge exsudativer 
Natur darin enthalten sind oder wenn.es gar bis zu einem gewissen Grade 
als eine latente Keratitis angesehen werden muß, so ist der Einfluß der 
Behandlung sehr wirksam. Doch wie ich bereits gesagt habe, kann man 
keinen Schaden anrichten, wenn man die Strahlen bei allen versucht. 

III. Scleritis. Bei dieser Affektion kam ich zu demselben Schluß 
wie bei der Behandlung der Keratitis. Natürlich wurde, wenn die allge- 
meine Ursache der Erkrankung bekannt war, diese gleichzeitig behandelt, 
und in den meisten Fällen war dies tatsächlich geschehen, bevor die Ra- 
diumbehandlung angewandt wurde. Die Erfolge waren sehr günstig, be- 
sonders bei den tuberkulösen Erkrankungen, selbst bei der mehr akuten 


5858 Koster, 


pustulösen, konfluierenden Form. Die chronischen Formen zeigen aber 
doch eine größere Neigung rasch zu heilen. Sitzungen von längerer Dauer 
sollten hier angewandt werden, und mit kürzeren Zwischenräumen, als bei 
Keratitis; das Mesothoriumröhrchen wird in direkte Berührung mit dem 
erkrankten Teil gebracht und die ganze Zeit sanft darüber bewegt. In 
der Regel bringe ich hier das Röhrchen unter dem Lid an, um die Haut- 
reaktion zu vermeiden, da die Bindehaut die Strahlen viel besser verträgt. 
Doch kann eine Radiumreaktion trotzdem auftreten, und dann muß man 
eine Pause in der Behandlung eintreten lassen. Anästhetica werden nicht 
benutzt; die Strahlen machen die Konjunktiva bis zu einem gewissen 
Grade gefühllos. 

IV. Iritis und Irido-cyclitis. Hier sollte wiederum die Allge- 
meinbehandlung in erster Linie beachtet werden. Es besteht keine Kon- 
traindıkation gegen irgendein Medikament, obgleich in einigen wenigen 
Fällen es den Anschein hatte, als ob Jodismus der Konjunktiva leichter 
hervorgerufen würde. Was die verschiedenen Formen der lIritis betrifft. 
so zeigt der ausgedehnte akute, konfluierende, tuberkulöse Knoten die ge- 
ringste Neigung zur Heilung, besonders wenn der Patient andere derartige 
Erscheinungen in den Knochen, den Gelenken oder der Haut aufweist. 
Es ist aber doch entschieden ein guter Einfluß vorhanden, und ich habe 
große Knoten, die lange mit anderen Methoden, aber ohne Erfolg, be- 
handelt worden waren, gänzlich verschwinden sehen, und zwar mit glänzen- 
dem Ergebnis für das Auge. Die chronischen Formen der tuberkulösen 
Iritis nodosa werden sofort durch die Radiumstrahlen günstig beeinflußt. 
Ich bringe das Glasröhrchen hier während der einen Hälfte der Sitzung 
an dem ziliaren Teil der Sklera an, selbst wenn hier keine Cyclitis vor- 
handen ist, und während der anderen Hälfte über dem erkrankten Teil 
der Iris, fast in Berührung mit der Cornea. Auch hier wiederum sind 
keine Anästhetika erforderlich. Sitzungen von einer ganzen Stunde, mit 
Zwischenräumen von 2 bis 7 Tagen, sind in der Regel nötig. Wenn die 
Iridektomie nötig scheint, so wird sie möglichst lange hinausgeschoben: 
bisweilen sah ich Synechien verschwinden. Einige Patienten leiden (etwa 
von der vierten oder fünften Bestrahlung an) während der Behandlung 
und noch einige Tage später an Lichtscheu; dies scheint eine Radiun- 
reaktion der Iris zu sein; sie geht ohne Schaden für das Sehvermögen 
vorüber. Ich habe viele Fälle jener sehr chronischen, sogenannten idio- 
pathischen Form der Iridocyclitis auf beiden Augen bei Frauen von etwa 
50 Jahren (aber auch bei erheblich jüngeren) behandelt und war mit den 
Resultaten schr zufrieden; hier hält selten irgendeine andere Behand- 
lungsart die Erkrankung auf; unter Radiumstrahlen wird das Sehen klarer, 
die Lichtscheu schwindet, und obgleich natürlich ein gut Teil der durch 


Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 589 


die Krankheit gesetzten Zerstörung nicht rückgängig gemacht werden kann, 
so kehren doch sehr oft stark ergriffene Augen zu einem sehr befriedigen- 
den Gesundheitszustand zurück. In der Regel geben 5 Sitzungen von 
einer Stunde auf jeder Seite einen guten Erfolg; wenn nötig, kann man 
darauf nach einigen Monaten 2 oder 3 weitere Sitzungen folgen lassen. 
Ich verordne diesen Patienten gleichzeitig 25—50 mg protojodureti hydrar- 
gyri täglich innerlich. 

V. Chorioiditis und Myopia gravis. Da diese Erkrankungen 
Affektionen der Uvea und der Sklera sind, werden sie in derselben Weise 
durch die Radiumstrahlen günstig beeinflußt. Ich darf sagen, daß in jedem 
Falle, wo die ätiologische oder empirische Behandlung nicht sehr bald zur 
Heilung führt, die Anwendung des Mesothorium- oder Radiumglasröhrchens 
der Medikation hinzugefügt werden muß. Dies geschieht dadurch, dab 
man das Röhrchen unter das Lid (wieder ohne irgendein Anästhetikum) 
bringt und es langsam und sanft über die Sklera hin bewegt, erst gegen den 
Zuliarkörper und dann zurück so tief wie möglich in den Konjunktivalsack, 
weit nach links und nach rechts, während der Patient stetig geradeaus 
sieht. Selbst bei nervösen Patienten kann man dies leicht ausführen, 
wenn der Arzt hinter dem Patienten. steht, der auf einem niedrigen be- 
quemen Stuhl sitzt. Meine ersten Fälle behandelte ich, indem ich das 
Lid hob und den Patienten nach unten sehen ließ; ich hing die Radium- 
kapsel mittels Pflaster unmittelbar vor dem Augapfel auf, für den unteren 
Teil und die Seiten in entsprechender Weise; aber ich ziehe es jetzt vor, 
ddas Glasröhrchen direkt an die Sklera anzulegen. 

Nur ein Fall von mehr akuter Chorioiditis centralis, ohne 
Myopie und unbekannten Ursprunges, wurde behandelt; der Erfolg war 
sehr gut, aber es ist nicht absolut sicher, daß die Wirkung allein dem 
Radium zuzuschreiben war, obgleich ich selbst die Überzeugung habe, daß 
es so war. Bei der chronischen Form der zentralen Chorioiditis, be- 
sonders mit fortschreitender Myopie, war die gute Wirkung klar. Doch 
nur in extremen Fällen sind die Patienten bereit, sich dieser Behandlung 
zu unterziehen, so, wenn sie an Metainorphopsie, schwerer Photopsie und 
zentralem Skotom leiden: niemand wird erwarten, daß die Radiumbehandlung 
fähig ist, diesen entarteten Augen wieder volle Sehkraft zu verleihen; die 
Erfolge waren aber doch manchmal überraschend gut, da der Patient seine 
Beschwerden los wurde und fähig war, wieder seine Arbeit zu tun, dank 
der Besserung seines Sehvermögens. Auch hier ist es nicht möglich, im 
Voraus zu sagen, wie groß die Besserung sein mag, aber es kann kein 
Schaden durch eine Mesotlioriumanwendung von 3 bis 5 Stunden, und später 
auch länger, angerichtet werden. Einige dieser Patienten machten auf 
meinen Rat auch eine Behandlung in einem Emanatorium durch oder 

Strahlentherapie Band III, Heft 2. 38 


590 Koster, 


machten eine Emanationstrinkkur, aber ich konnte nicht sehen, daß es 
einen merkbaren Einfluß hatte. Es besteht jedoch sicherlich kein Bedenken. 
dies ebenfalls neben der lokalen Behandlung zu versuchen. 

Vielleicht würde, wenn wir den Augenhintergrund erreichen könnten. 
der Erfolg noch besser sein; nichtsdestoweniger sind die oben beschriebenen 
Erfolge der Radiumbehandlung etwas, wofür wir in solch hoffnungslosen 
Fällen dankbar sein können. Nur ein Fall der langsam fortschreitenden 
Chorioiditis disseminata wurde von mir behandelt, aber hier ist es 
sehr schwer, den Einfluß festzustellen; doch scheint seit der Behandlung 
die Krankheit nahezu zum Stillstand gebracht zu sein. Bei der chronischen 
Chorioiditis diffusa mit Gesichtsfeldeinschränkung bringt die Be- 
handlung oft eine sehr große Besserung, da sich das Gesichtsfeld erweitert 
und das Sehvermögen durch die Zunahme der Durchsichtigkeit des Glas- 
körpers besser wird. In den späteren Stadien, wenn die Entartung der 
Retina sich entwickelt hat, zusammen mit all den Pigmentveränderungen 
in der Chorioidea, kann man eine wesentliche Besserung kaum erwarten; 
doch auch hier schadet ein Versuch nichts, und oft mag man, wenn keinen 
objektiven, so doch einen subjektiven Erfolg erzielen; dies zeigt in der 
Regel, vermute ich, eine Besserung der Zirkulation der Choriocapillaris 
und der Retinagefäße an, und somit eine Hebung der Lichtempfindung. 
Es bedarf kaum der Erwähnung, daß bei dieser Entzündung eine spezifische 
Behandlung der Anwendung der Strahlen vorausgehen sollte. Die um- 
schriebene tuberkulöse Chorioiditis eignet sich für die Anwendung 
des Radiums, wenn die intraokulare Exudation nicht zu ausgedehnt ist 
und besonders, wenn sie sich im vorderen Teil des Auges findet und 
Neigung zeigt, die Sklera zu ergreifen. Ich habe sie mit glänzendem Er- 
folge für den Augapfel verschwinden sehen in einigen Fällen, wo die 
Tuberkulinbehandlung zuerst einen heilenden Einfluß hatte, wo aber ein 
Rückfall auftrat, den ich nicht zum Stillstand zu bringen vermochte. Wenn 
die Exudation so weit gegangen war, dal) sie fast den ganzen Glaskörper 
anfüllte, während das Auge erblindet war und Phthisis bulbi eingesetzt hatte, 
so vermochte die Behandlung mit dem 4 mg Mesothoriumröhrchen nicht, 
den tuberkulösen Eiter zur Einschmelzung zu bringen. Hier handelt es 
sich natürlich nur darum, das Auge vom kosmetischen Standpunkt aus zu 
retten. Ich bin kein Verteidiger der Enukleation in diesen Fällen. 

VI. Ablatio retinae traumatica und post chorioiditidem. 
In einigen Fällen der ersten Form, wo die Ablösung die Folge einer 
Kontusion des Auges war, welche sich vor Jahren ereignet hatte, schien 
der phthisische Bulbus nicht die geringste Besserung durch die Radium- 
behandlung zu erfahren. Sie schadete nichts, wenn sie auch in einem 
Falle, wo alle anderen Mittel erfolglos versucht waren und das Sehvermögen 


Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 591 


rapide abnahm, nicht den fast vollständigen Verlust des Sehvermögens auf- 
hielt. Bei der zweiten, symptomatischen Form konnte man ebenfalls nur 
einen sehr geringen Einfluß auf den Umfang der abgelösten Stelle sehen; 
doch zeigte in lange bestehenden Fällen das zentrale Sehen sehr oft eine 
Besserung, die dem Einfluß auf die ursprüngliche Chorioiditis zuzuschreiben 
war. Und oft veranlaßte diese geringe Besserung den Patienten, sein an- 
deres Auge, das ebenfalls an progressiver Myopie oder Chorioiditis litt, 
mit Radium behandeln zu lassen, und im allgemeinen mit zweifellosem 
Erfolge. 

VII. Retinitis pigmentosa; Chorioretinitis und Hemera- 
lopia congenita. Ich habe im ganzen 10 Fälle der ersten Erkrankung 
behandelt: 2 wurden nicht sehr weit gefördert; der Einfluß von 5 Be- 
strahlungen von einer Stunde Dauer mit dem Mesothoriumröhrchen auf 
der Sklera unter den Lidern war deutlich, aber nicht sehr auffallend. Es 
schien nur ein geringer Unterschied in der Hemeralopie vorhanden zu sein; 
der Augenhintergrund zeigte keine Veränderung in der Pigmentierung. Da 
dieses zwei langsam fortschreitende Fälle waren, ist es noch zu früh, um 
über die Ausdehnung der Besserung ein Urteil zu fällen. Bei 5 mäßig 
schweren Fällen sah ich keine Besserung, weder in der Hemeralopie noch 
in dem zentralen Sehen, vielleicht aber eine geringe Erweiterung des Ge- 
sichtsfeldes. Bei 3 sehr schweren Fällen, von denen 2 nur ein geringes 
zentrales Sehen und kein Gesichtsfeld hatten und der andere nur eine 
geringe Pupillenreaktion auf einem Auge bei vollständiger Blindheit, war 
der Einfluß ebenfalls sehr zweifelhaft; nach der Behandlung war in den 
ersten beiden Fällen geringe Lichtempfindung und Bewegung im unteren 
Teil des Gesichtsfeldes zu bemerken; sie klagten etwa 6 Monate später, 
daß sie eine Art Leuchten oder hellen Schleier siihen; dies war offenbar 
Photopsie, und ich hoffte, daß dies vielleicht der Anfang einer Besserung 
sein möchte, aber obgleich die Papille entschieden weniger blaß war und 
die Retinagefüße besser sichtbar waren, so trat doch keine bessere Funk- 
tion ein. Auch in dem Zustand des letzten Patienten fand sich kein 
Unterschied. Ich habe keine Gelegenheit gehabt, den eigentlichen Torpor 
retinae mit kongenitaler Hemeralopie zu behandeln. Mit dieser Krank- 
heit könnte man wohl einen Versuch machen. Die Chorio-Retinitis, 
mag sie nun durch hereditäre Lues verursacht oder unbekannten Ursprungs 
sein, ist günstig zu beeinflussen durch 5 oder 10 Sitzungen von einer 
Stunde, mit Zwischenräumen von einer Woche oder länger; Anwendung 
des Mesothorium- oder Radium-Glasröhrchens wiederum unter den Lidern. 
Von 3 Fällen, bei denen vorher die Sehkraft rapid abnahm, zeigten alle 
ein besseres zentrales Sehen und entschieden ein erweitertes Gesichtsfeld; 
das ringförmige Skotom verwandelte sich in partielle Skotome. Die Queck- 

33% 


592 Koster, 


silberbehandlung oder irgendeine andere notwendige Medikation muß natür- 
lich ebenfalls angewendet werden. 

VIII. Ich habe einen Fall von Atrophia nervi optici (höchstwalhr- 
scheinlich luetischen Ursprungs) behandelt ohne irgendein Zeichen von Er- 
folg; der Patient war mit Quecksilber und Salvarsan behandelt worden 
und zeigte Symptome von Tabes dorsalis. Ich wandte das Mesothorium- 
röhrchen 5 Stunden lang an, und zwar möglichst nahe dem Sehnerr. 

IX. Obscurationes corporis vitrei, intraoculare Blutung und 
Retinablutung. Wenn das Sehvermögen durch Produkte einer abge- 
laufenen Entzündung gestört ist, hat die Radiumbehandlung des hinteren 
Auges eine sehr gute Wirkung. Die große Besserung des Sehvermögens 
in Fällen von Chorioiditis. Cyclitis und Chorioretinitis ist zum großen Teil 
die Folge der Autlösung dieser Ablagerungen. Es besteht kein Bedenken. 
die Behandlung in jedem Fall von trübem oder wolkigem Glaskörper zu 
versuchen. Ich bringe die Glasröhre unter den Lidern an und gebe 3 bis 
5 Sitzungen von einer Stunde, mit Zwischenräumen von einer Woche. In 
Fällen, wo eine arteriosklerotische Blutung stattgefunden und die Ver- 
breitung des Blutes im Glaskörper aufgehört hat, bessert die Radiumbe- 
handlung das Auge sehr erheblich. Im Anfang befürchtete ich, die Strah- 
len könnten eine neue Blutung verursachen, aber das ist nicht der Fall: 
die Retina hellt sich ebenfalls auf, und es folgt kein Rückfall. Kürzlich 
habe ich die Radiumbehandlung in einem Fall von monatlich sich wieder- 
holender Blutung von unbekanntem Ursprung in den zentralen Teilen der 
Retina angewandt, und zwar bis jetzt mit günstigem Erfolge. Da die 
Blutung in den Glaskörper in der Regel durch eine chronische Entzündung 
der Uvea oder Retina verursacht wird, so mag man das Radium oder Mesc- 
thorium zusammen mit der ätiologischen Medikation anwenden. 

X. Stationäre und fortschreitende Katarakt. Ich war seit 
langer Zeit überzeugt, daß der Eintlul3 der Radiumstrahlen auf die Katarakt 
versucht werden sollte, aber meine Zeit war zu sehr durch alle diese anderen 
Ausenerkrankungen in Anspruch genommen. Ich habe aber doch etwas 
Erfahrung in der Sache, da natürlich viele Formen von Uveitis durch 
Katarakt kompliziert waren. Das Fortschreiten der Katarakte hörte sehr 
oft unter der Behandlung auf, aber das sieht man ebenso, wenn die Krank- 
heit durch Quecksilber oder auf irgendeine andere Weise geheilt wird. 
Dies zeigt deshalb nicht einen direkten Einfluß der Radiumstrahlen auf 
die erkrankte Linse. Was die Wirkung auf die Trübungen in der Linse 
betrifft, so konnte ich keine Veränderungen der Form oder eine Verkleine- 
rung sehen; nur in einem Falle sah ich eine Cataracta caerulea von Stern- 
form in der vorderen Rinde zerfallen und gänzlich verschwinden naclı 
5 Sitzungen von einer Stunde wöchentlich, wobei das Mesothoriumröhrchen 


Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 593 


an die Sklera angelegt wurde. Dies war ein Fall von Chorioretinitis here- 
ditaria.. In derselben Linse fand sich auch eine deutliche Cataracta cor- 
ticalis posterior, aber diese änderte sich nicht. An dem anderen Auge, 
wo die Verhältnisse genau dieselben waren, sah ich denselben Erfolg, ob- 
gleich die Cataracta caerulea hier langsamer verschwand. 


Nach meiner Erfahrung wird es wahrscheinlich, daß wir nicht mehr 
(lie Hoffnung hegen können, daß eine entwickelte Katarakt unter dem Ein- 
Huß der Strahlen sich wieder aufhellen oder gar resorbiert werden kann. 
Aber in derselben Weise, wie das Fortschreiten der komplizierten Katarakt 
gelegentlich aufgehalten werden kann, mag es möglich sein, ebenso in ge- 
wissen Fällen die Cataracta senilis aufzuhalten, da diese Form zweifellos 
sehr oft von einer chronischen Oyclitis oder Chorioiditis begleitet, wenn 
nicht gar durch sie verursacht ist. Aber selbst wenn wir glauben würden, 
dab die eigentliche Cataracta senilis eine primäre Erkrankung des Epithels 
der Linse ist, würde es ratsam sein, die Wirkung des Radiums an einer 
Reihe von Katarakten in höherem Alter zu versuchen und den Erfolg mit 
einer gleichen Zalıl von Fällen zu vergleichen, welche nicht in dieser Weise 
behandelt wurden. In einigen Fällen könnte das andere Auge desselben 
Patienten das Vergleichsobjekt sein, da ich aber wiederholt wahrnahm, daß 
z. B. bei tuberkulöser Keratitis die Behandlung des einen Auges gleich- 
zeitig einen günstigen Einfluß auf das andere hatte, so empfiehlt es sich, 
behandelte und nichtbehandelte Patienten zu vergleichen. Wie die erwähnte 
Tatsache zu erklären ist, kann ich nicht entscheiden; vielleicht ist es die 
Wirkung der Strahlen auf eine größere Entfernung, oder vielleicht bewirken 
die Strahlen eine Veränderung des Blutes, welches unter dem angelegten 


Röhrchen hindurchtließt. 


XI. Angiomata palpebrae et orbitae. Die nach außen wachsen- 
den können mit der durch Pflaster befestigten Kapsel behandelt werden, 
aber ich halte die Erfolge für besser bei der Behandlung mit dem Glas- 
röhrchen, das über die Oberfläche hin und her bewegt wird; bei diesen 
Fällen kann dies von einem Familienmitglied ausgeführt werden. In der 
Regel sind für jeden Quadratzentimeter 5 bis 10 Stunden notwendig. Wenn 
die Tumoren sich in der Orbita finden oder in die Konjunktiva hinein- 
wachsen, muß das Glasröhrchen angewandt werden und muß stetig in das 
(rewächs hineingedrückt werden bei gleichzeitigem Hin- und Herbewegen. 
Auch hier sind viele Sitzungen notwendig. Obgleich die Behandlung einige 
Zeit erfordert, so ist der Erfolg doch ein guter. Wenn die Haut behandelt 
wird, muß man ausgiebig in kurzer Zeit bestrahlen, z. B. jeden dritten 
Tag eine Stunde für jeden Quadratzentimeter, bis die Reaktion Einhalt 
scbietet. Dies tritt in der Regel nach 3 oder 4 Malen ein. Wenn sich 


594 Koster, 


dann eine Borke gebildet hat, so darf man die Bestrahlung erst wieder- 
holen, nachdem diese abgefallen ist. 

XII. Naevus pigmentosus wird ebenso am besten mit der Hand 
mit dem Mesothorium-Glasröhrchen behandelt, und zwar für jeden Quadrat- 
zentimeter eine Stunde mit Zwischenräumen von einigen Tagen, bis eine 
ausgesprochene Reaktion sichtbar ist und sich eine dicke Borke gebildet 
hat. Dies kann, wenn nötig, wiederholt werden. Wenn man zu früh 
aufhört, verschwindet der Tumor vielleicht zeitweise, kehrt dann aber zu- 
rück, und die Pigmentierung und der Haarwuchs mit ihm. Dasselbe kann 
man sagen von: Ä 

XIII. Xanthelasma palpebrarum. Ich habe diese in nicht zu 
sehr vernachlässigten Fällen bei jüngeren Leuten wunderbar heilen sehen. 
Aber in einem Falle, der bereits operiert war und wo dicke Kelvide das 
Oberlid abwärts drängten, brachte das Radium den Zustand nicht zur 
Heilung, obgleich eine erhebliche Besserung erreicht wurde. 

XIV. Verrucae erfordern dieselbe Behandlung; auch hier füllt. wenn 
sich keine dicke Borke gebildet hat, das Gewächs zwar ab, erscheint aber 
nach einiger Zeit wieder. 

XV. Lupus und tuberkulöse Geschwüre der Lider werden in 
den meisten Fällen durch die Radiumbehandlung günstig beeinflußt: ich 
ziehe auch hier wieder das Glasröhrchen der mit Pflaster befestigten Kapsel 
vor, aber bei schr ausgedehnten Erkrankungen kann man beide gleichzeitig 
benutzen. Auch hier sind für jeden Quadratzentimeter Sitzungen von 
einer Stunde mit Zwischenräumen von 3 bis 7 Tagen erforderlich. Es 
ist oft schwer, den richtigen Augenblick für die Beendigung der Behand- 
lung zu treffen, da der hyperämische Zustand der Erkrankung der Radiuın- 
reaktion sehr ähnlich ist. Eine Reihe von 3 oder 4 Sitzungen muß in 
der Regel durch eine Pause von 3 oder 4 Wochen unterbrochen werden. 
In älteren Fällen, wo die Haut in weiter Ausdehnung zerstört ist, nimmt 
die Heilung des Geschwürs lange Zeit in Anspruch. 

XVI. Ulcus rodens palpebrae (Epithelioma). Seit dem Beginn 
meiner Radiumtätigkeit habe ich bei diesen bösartigen Geschwüren Erfolg 
gehabt; ich habe sie jedoch zuerst nicht energisch genug behandelt. Ich 
benutze niemals Radiumpflaster, was andere, wie ich bemerke, im allse- 
meinen tun, sondern sowohl das Glasröhrchen wie die 'Kapsel. Ich bin 
der Ansicht, daß jeder Kubikzentimeter Tumor eine 10 stündige An- 
wendung von 4 mg Mesothorium erfordert, in einstündigen Sitzungen mit 
Zwischenräumen von einigen Tagen. Ich habe enorme Geschwülste und 
Geschwüre an beiden Augen, selbst bei sehr alten Leuten, vollständig 
heilen sehen, und es blieb kaum eine Narbe zurück. Über andere bösartige 
Geschwülste der Lider habe ich keine Erfahrungen machen können. Ein 


Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 595 


Karzinom der Wange wurde vollständig geheilt. Das Radium wurde 
bei intraokularen Tumoren wie Gliomen und Sarkomen nicht lange genug 
versucht. Vielleicht würde eine größere Menge von Mesothorium in we- 
nigen Tagen eine deutliche Wirkung auf die Erkrankungen ergeben, so 
daß man die chirurgische Behandlung ruhig länger hinausschieben könnte, 
als ich es für geraten hielt. Die Erfahrung von Dr. Flemming mit 
einem Mesothoriumpflaster bei einem Auge mit Sarkom scheint günstig 
gewesen zu sein, obwohl eine Heilung nicht erzielt wurde; doch gibt uns 
dies die Berechtigung für ausgedehnte Versuche in dieser Richtung, zu- 
mal die Prognose nach Entfernung des Auges ebenfalls zweifelhaft ist. 
Über Trachom habe ich ebenfalls keine Erfahrungen. Für follikuläres 
Trachom brauche ich die Radiumbehandlung nicht, da diese Fälle in we- 
nigen Wochen chirurgisch sich heilen lassen; ich sehe deshalb keinen 
Grund, seine Behandlungsweise hierbei zu ändern. 

XVII. Neuralgia nervi trigemini. Wenn die üblichen Mittel der 
Behandlung versagt haben, was in der Regel heißt, daß wir es mit einem 
Fall unklaren Ursprungs zu tun haben, sollte die Radiumbehandlung ver- 
sucht werden. Ich habe dies in einigen Fällen mit sehr günstigem Erfolge 
getan. Ich legte die Kapsel mit Mesothorium eine Viertelstunde lang 
auf die hyperästhetische Stelle des Nerven und benutzte außerdem ein Meso- 
thoriumglasröhrchen und eine zweite Kapsel gleichzeitig (im ganzen 12 mg 
Mesothorium), indem ich sie dauernd über das ergriffene Gebiet des Nerven 
bewegte. Sitzungen von einer ganzen Stunde oder länger, fünfmal oder 
öfter, mit Zwischenräumen von 4 oder 5 Tagen, oder auch länger, wiederholt. 

XVIU. Blepharospasmus, tie convulsif. Auch hier muß na- 
türlich auf die Ätiologie des Falles sorgfältig eingegangen werden. Wenn 
man die Ursache nicht finden kann, sind Radiumstrahlen hier auch am 
Platze. Bei einem 45 Jahre bestehenden Fall, wo die sekundären Ver- 
änderungen in der ergriffenen Gesichtshälfte auffallend deutlich waren, 
ergab sich ein sehr befriedigender Erfolg nach etwa 10 Sitzungen von 
einer Stunde mit der kleinen Kapsel auf den Hauptästen des Nervus 
facialis, während gleichzeitig das Glasröhrchen über die ergriffenen Mus- 
keln bewegt wurde. Obgleich keine vollständige Heilung eintrat, wurde 
doch eine deutliche Besserung erreicht. In weniger vorgeschrittenen Fällen 
war die Heilung vollständig und dauernd, kürzlich sah ich aber einen 
Fall, wo bis jetzt 5 Sitzungen von je einer Stunde keine Veränderung 
zeigten. Doch auch hier wurde durch den Versuch kein Schaden an- 
gerichtet.!) Dasselbe kann man von den neuralgischen Kopfschmerzen 
ohne nachweisbare Ursache sagen. Viele Patienten, die wegen anderer Leiden 


1) Anmerkung bei der Korrektur: Dieser Patient ist auch geheilt worden. 


596 Koster, 


(wie z. B. Xanthelasma) behandelt worden waren, erklärten von selbst, 
daß ihre Beschwerden sie vollkommen verlassen hätten. 

XIX. Ephelides. Als ich eine Dame wegen Xanthelasmen be- 
handelte, machte ich die Wahrnehmung, daß die sehr ausgesprochenen 
Sommersprossen, die sie im ganzen Gesicht hatte, durch die Radium- 
anwendung stark gebleicht wurden. Ich wandte dann dieser Frage mehr 
Aufmerksamkeit zu und kann feststellen, daß die Ephelis fast all ihr 
Pigment verliert, obgleich sie nicht ganz verschwindet; doch ist nach einem 
heißen Sommer die stärkere Pigmentierung nicht wiedergekehrt, obgleich 
die Patientin sich ausgiebig der Sonne aussetzte. Ich habe keine weiteren 
Untersuchungen in dieser Richtung angestellt, habe aber dieselbe Wir- 
kung in einigen anderen Fällen bemerkt. 

XX. Conjunctivitis, Actinomycosis, Blenorrhoea sacci 
lacrimalis, Dacryocystitis. Ich habe nicht viele solche File be- 
handelt, da es immer mein Grundsatz war, an der bekannten Behand- 
lungsweise solange festzuhalten, als ihre Erfolge wirklich befriedigend waren. 
So habe ich nur zwei Fälle von chronischer eiteriger Konjunktivitis unbe- 
kannten Ursprungs gehabt, wo das Glasröhrchen auf der Conjunctiva 
tarsi und fornicis unter den Lidern angewandt, und wo eine Heilung 
allmählich erzielt wurde. In einem dritten Fall, der seit Jahren bestand. 
und der von anderen mit allen bekannten Arten von Lösungen und 
Salben behandelt worden war, führte die Radiumbehandlung zur Erkennung 
der Ursache; eine harte Schwellung am Oberlid wurde weich nach zwei 
Sitzungen von einer Stunde. sodaß der Inhalt durch den oberen Canaliculus 
herausgedrückt werden konnte: es fand sich dann, daß es ein Fall von 
Aktinomykose war. Ich verordnete im ganzen 4 Stunden Radium- 
strahlen, verschrieb aber gleichzeitig Jodkali. Der Patient wurde voll- 
ständig geheilt: es ist natürlich schwer genau zu sagen, wieviel das Radium 
zu dieser Heilung beigetragen hat. Auch bei der Blenorrhoea saccı 
und Dacryocystitis mit Fistel hilft das Radium sehr oft in kompli- 
zierten alten Fällen eine Heilung zustande zu bringen; in der Regel wird 
Tuberkulose hier als Ursache gefunden. Sie können mit der Kapsel oder 
mit dem Glasröhrchen behandelt werden; das letztere kann durch die er- 
weiterte Fistel oder durch den aufgeschnittenen Canaliculus in den er- 
weiterten Sack eingeführt und hier eine Stunde lang gelassen werden. 

Wenn wir alle diese verschiedenen hier erwähnten Leiden betrachten, 
so mag es für jeden, der mit der Wirkungsweise der Radiumstrahlen un- 
bekannt ist, sinnwidrig erscheinen, daß so verschiedene Erkrankungen mit 
nur einem Heilmittel so erfolgreich behandelt werden können. Wenn wir 
jedoch die Tatsache erwägen, daß alle diese Erkrankungen entweder 
Entzündungen oder hypertrophische Geschwülste, hervorgerufen durch 


Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium und Mesothorium. 597 


irgendeine unbekannte Ursache, sind, so kann man die Tatsache, daß die 
Radiumstrahlen wie eine Art von Universalmittel wirken, verstehen, sobald 
man die Theorie annimmt, daß die Ursachen der Entzündung und des 
Tumors nicht mehr die Bedingungen, die für ihr Wachstum in den Ge- 
weben günstig sind, vorfinden, nachdem sie mit den Strahlen behandelt 
sind. Hier ist natürlich ein weiter Raum für die Forschung: Dr. 
Flemming hat in seiner letzten Arbeit einige Tatsachen über diesen 
Gegenstand ans Licht gebracht, aber ich beabsichtige nicht, diese Sache 
jetzt zu erörtern. Von diesem Standpunkt betrachtet, scheint es nicht so 
besonders wunderbar, und deshalb gibt es meiner Meinung nach kein 
Augenleiden, bei dem die Radiumstrahlen nicht versucht werden könnten, 
sogar Zz. B. bei Glaukom. Ich habe es nicht getan, da wir andere Mitlel 
haben, um es zu heilen; da aber bei dieser Erkrankung höchst wahrschein- 
lich eine chronische Entzündung in dem Winkel der vorderen Kammer 
besteht, so erscheint es durchaus nicht unmöglich, daß die Radiumstrahlen 
einen wohltuenden Einfluß haben könnten. Tatsächlich sind aber alle 
theoretischen Betrachtungen in einer derartigen Frage nicht am Platze; 
Jetzt, wo wir wirklich bewiesen haben, daß viele Erkrankungen erfolgreich 
mit Radium behandelt werden können, ist seine Anwendung in allen 
Fällen, in denen alle anderen Mittel der Behandlung versagt haben, ein 
rationelles Verfahren. Und das ist besonders der Fall, wenn meine hier 
auseinandergesetzte Behandlungsweise befolgt wird, wobei keine Schädigung 
für das Auge zu befürchten ist. 

Die Literatur über die Anwendung von Radium und Mesothorium 
beim Auge ist sehr spärlich. Darier!) ist zweifellos derjenige, der zuerst 
den Nutzen des Radiums in der Ophtlialmologie erkannte; schon 1905 
veröffentlichte er einige vielversprechende Erfolge; doch war die Dauer 
seiner Radiumbestrahlung viel zu kurz, und dies war der Grund, weshalb 
er nur wenig Erfolg hatte; von einer späteren Veröffentlichung von seiner 
Seite ist mir nichts bekannt geworden. Lawson und Mackenzie?) 
haben einige Fälle veröffentlicht, die mit Radium kurze Zeit, aber oft mit 
großen Mengen, nämlich mit 59 mg auf einmal, behandelt wurden. Es 
waren, wie die Fälle von Darier, Erkrankungen des vorderen Teiles des 
Augapfels. Ihre Resultate waren zweifellos günstig. Schindler) be- 
handelte Xanthelasmen mit 25 mg Radiumbromid — nur eine Sitzung 
von 15 Minuten — und erzielte Heilung. Flemming?) benutzte eine 
Art Pflaster, hauptsächlich aus Mesothorium (Knöfler). Seine Erfolge 
waren sehr gut bei Tumoren, aber nicht so bei Erkrankungen des 
vorderen Teiles des Auges; er verwirft die Anwendung des Radium- oder 
Mesothoriumsalzes in einen kleinen Röhrchen: am Schluß seiner Arbeit 
tindet sich die Literatur über die Behandlung des Trachoms mit Radium. 


ps 


598 Koster, Behandlung von Augenerkrankungen mit Radium usw. 


Literatur. 


1. Darier, Die Anwendung des Radiums in der Augentherapie. Ber. d. ozit:tt. 
Ges. Heidelberg 1905. 

2. Arnold Lawson and J. Mackenzie Davidson, Radiumtherapv in ee 
disease. The Brit. med. Journal, Nov. 12. - 1910. 

3. Schindler, Über Behandlung des Xanthelasma mit Radium. Zeitschrift i. 
Augenheilkunde, XXV. 1, 1911. 

4. Dr. Flemming, Experimentelle und klinische Studien über den Heirer 
radioaktiver Strahlen bei Augenerkrankungen (aus der Klinik Prof, Greeti 
Arch. f. Ophthalmologie, LXXXIV, 2., 1913. 

5. Koster en Cath, Behandeling van oogziekten met Radium. Nederl, Tijistr. 


v. Geneeskunde, II. 829. 1911. . 
(Übersetzt von Dr. O. H. Petersen- kwi 


Aus der Abteilung für Haut- und Geschlechtskranke des Allgem. 
Krankenhauses „St. Georg“ Hamburg (Oberarzt Dr. Arning). 


Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 
Von 
Dr. Hans Ritter, Sekundärarzt der Abteilung. 


ae bald nach der Entdeckung der therapeutischen Wirksamkeit der 
Röntgenstrahlen wurde das Ekzem in den Kreis der Krankheiten ein- 
bezogen, bei denen die Röntgenstrahlen einen wichtigen Heilfaktor dar- 
stellen. Nachdem zuerst die günstige Heilwirkung der Röntgenstrahlen 
auf Lupus von Kümmel und Freund festgestellt und von anderen Au- 
toren bestätigt worden war, war es zuerst der Hamburger Radiologe Hahn, 
der im Verein mit Albers-Schönberg konstatieren konnte, daß ein unter 
der Diagnose Lupus bestrahltes chronisches Handekzem vollständig und 
rezidivfrei geheilt wurde. Dieser Fall, der in den „Fortschritten auf dem 
Gebiete der Röntgenstrahlen“, Bd. I, publiziert ist, gab den Anlaß zur 
weiteren Anwendung der Röntgenstrahlen bei Ekzemen, über deren Erfolge 
bald von allen Seiten berichtet wurde. Heute wissen wir, daß die Rönt- 
genstrahlen bei einigen Formen des Ekzems ein nahezu unentbehrlicher 
Heilfaktor geworden sind. 

Der Zweck dieser Arbeit ist, einen Überblick zu geben über den 
heutigen Stand der Ekzemtlierapie mit Röntgenstrahlen. Es ist dabei 
zweierlei berücksichtigt worden, einmal die Literatur, soweit sie mir er- 
wähnenswert erschien und zweitens die Erfahrungen. die ich in dem Kieler 
Institut für Strahlentherapie unter Hans Meyer und an der Abteilung 
für Hautkranke des Hamburger Krankenhauses St. Georg gesammelt habe. 

Im ersten Teil ist die allgemeine Wirkungsweise der Röntgenstrahlen 
bei Ekzem, die Nebenwirkungen und einiges Methodisches geschildert; im 
zweiten Teil ist bei jeder einzelnen Form des Ekzems die Frage beantwortet 
worden: Was leistet die Röntgentherapie in diesem Fall? 

Bei der Häufigkeit der Erkrankung und bei ihrer außerordentlichen 
Hartnäckigkeit, ferner bei unserer manchmal unzureichenden Salbentherapie 
wurden die Röntgenstrahlen erklärlicherweise als willkommener Heilfaktor 
begrüßt, und man kann wohl sagen, daß diese bei einigen Formen ein 
direkt souveränes Mittel darstellen. Es ist ein glücklicher Umstand, dal) 
gerade bei den Fällen, bei denen unsere Salbentherapie versagt, bzw. die 
sich gegen die Applikation der verschiedensten medikamentösen Mittel am 


600 Ritter, 


meisten refraktär verhalten, die Röntgenstrahlen von guter Wirkung sind. 
So hört man oft von Fällen, die jahrelang wegen ihres Ekzems behandelt 
worden sind, bei denen wohl hier und da einmal eine Besserung aber keine 
Heilung eingetreten ist, daB sie nach einer oder zwei Bestrahlungen völlig 
und rezidivfrei geheilt worden sind. Ich werde weiter unten derartige 
Fälle zitieren. 

Aber noch eine weitere, eigentümliche Eigenschaft der Röntgenstralı- 
len ist sehr bald beobachtet worden. Es gibt zweifellos auch Fälle von 
Ekzemen, die sich auch gegen Röntgenstrahlen refraktär erweisen. Es 
sind dies meist Patienten, die auch allgemein krank sind, Iymphatische 
und anämische Individuen. Bei diesen fassen die Röntgenstrahlen entweder 
überhaupt nicht an, oder nach anfänglicher Besserung tritt ein Stillstand 
ein, bzw. es kommen bald Rezidive. Gerade den Stillstand können wir 
ab und zu beobachten und hierbei zeigt sich nun eine vorzügliche indirekte 
Wirkung der Strahlen. Wir erleben es nämlich jetzt, daß die medikamen- 
töse Therapie, die vor der Strahlenbehandlung absolut wirkungslos gewesen 
war, jetzt auf einmal anfaßt und das Ekzem zur Heilung bringt. Wir 
stehen nicht an, diese Umstimmung des Gewebes den Röntgenstrahlen aufs 
Konto zu setzen, haben wir doch in dem klinischen Verlauf einen direkten 
Beweis dafür. Auch haben wir ein Analogon bei der Röntgenbehandlung 
des Lupus. Wir wissen genau, daß die therapeutischen Dosen die Tuberal- 
bazillen in ihrer Vitalität nicht schädigen, trotzdem kennen wir eine Reihe 
von Lupusfällen, die durch Röntgenstrahlen geheilt worden sind. Die Hei- 
lung kann nicht in einer evtl. durch die Strahlen herbeigeführten Hyperämie 
liegen, denn sonst müßte ein Lupus auch durch andere Hyperämie erzeu- 
gende Mittel geheilt werden können. Das ist aber nicht der Fall. Die 
Gründe für die Heilung sind allein zu suchen in einer Umstimmung des 
Terrains, auf dem jetzt die Tuberkelbazillen nicht mehr gedeihen können. 
Wir sehen also auch hier die Umstimmung des Terrains durch die Rönt- 
genstrahlen. Diese Umstimmung hat zur Folge, daß bei der Ekzembehand- 
lung früher angewandte Mittel wirkungsvoll werden und bei der Lupus- 
behandlung, dal der Tuberkelbazillus keinen geeigneten Nährboden mehr 
findet. Diese Beobachtung hat bereits Hahn, der ja als erster beim Ek- 
zem die Röntgentherapie einführte, gemacht, und er berichtet darüber schon 
1901, indem er sagt, daß etwaige Medikamente. die vorher absolut wirkungs- 
los waren, nach überstandener Röntgenbehandlung wieder ihre Wirkung 
zu entfalten und die durch Röntgenstrahlen eingeführte Regeneration zu 
vollenden vermochten. 

Wir müssen bei der Besprechung der Röntgentherapie der Ekzeme — 
und zwar ist gemeint des chronischen Ekzems, das ja nach Unna das 
Ekzem im wahren Sinne des Wortes ist — zwei große Gruppen unter- 


Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 601 


scheiden, eine Scheidung, auf die besonders Wetterer aufmerksam gemacht 
hat: nämlich die Gruppe der idiopathischen und die der symptomatischen 
Ekzeme. Es ist klar, daß wir die letzteren, das heißt also solche, die auf 
Grund eines allgemeinen Leidens entstanden sind, wie Diabetes, exsudativer 
Diathese, Anämie usw., nicht mit Röntgenstrahlen allein beseitigen können, 
sondern daß wir stets auch die Grundursache beheben müssen, wollen wir 
uns vor Mißerfolgen bzw. Rezidiven schützen. Wir müssen immer bedenken, 
daß die Röntgenstrahlen genau wie die Salben und Pflaster nur eine Lokal- 
therapie darstellen, und es ist eine selbstverständliche Forderung, daß wir 
allgemeine und örtliche Schädigungen fern halten müssen. Auf diesen 
Punkt komme ich noch bei der Besprechung der einzelnen Ekzemformen 
zurück. Aber auch wenn die Grundursache für die Entstehung des Ek- 
zems nicht zu beseitigen ist, so können wir doch, allerdings meist nur 
vorübergehend, die Ekzeme bessern und manchmal heilen. In dieser Be- 
ziehung ist besonders eine Eigenschaft der Röntgenstrahlen bemerkenswert. 
Das ist die juckstillende Wirkung, die ihnen zu eigen ist, und die gerade 
bei diesen Ekzemformen — natürlich auch bei den idiopathischen — von 
hervorragender Bedeutung ist. Wir können hier mit den Röntgenstrahlen 
oftmals den Circulus vitiosus durchbrechen, der darin besteht, daß das 
Ekzem Jucken erzeugt, der Juckreiz den Patienten zum Kratzen veranlaßt, 
und aus den Kratzeffektionen neue Ekzemschübe entstehen. Auffallend 
ist, dal3 der Juckreiz meist bereits wenige Tage nach der ersten Bestrah- 
lung verschwindet, also lange, bevor das Ekzem zur Heilung gekommen ist. 

Die Ursache für diese Erscheinungen sucht Freund in der an der 
Überfläche der Röntgenröhre angesammelten Spannungselektrizität, die nach 
seiner Meinung im Stande wäre, eine derartig juckstillende Wirkung aus- 
zulösen, analog den Vorgängen, die sich bei der Behandlung juckender 
Dermatosen mit Hochfrequenzströmen abspielten. Diese Erklärung ist sehr 
hypothetisch und Freund steht damit auch alleine da. Andere Autoren 
(Scholtz, Kromayer u. a.) sehen die Wirkung in einer Beeinflussung 
und zwar in einer elektiven Beeinflussung der sensiblen Nervenendigungen 
in der Haut. Aber auch diese Erklärung ist unwahrscheinlich, besonders 
da keine anatomisch histologischen Grundlagen dafür bestehen. Mir er- 
scheint die Erklärung, die Wetterer gibt, die richtigste, die besagt, dal) 
der Grund für die juckstillende Wirkung in feinsten Veränderungen inner- 
halb des irritierten Gewebes liege, möglicherweise, daß es Zerfall von 
kleinsten Infiltraten um die Nervenendigungen sei; also auch eine Zustands- 
veränderung des Gewebes, die wir auch mit bewaffnetem Auge noch nicht 
wahrnehmen können. 

Es wäre müßig, alle die Autoren anzuführen, die die juckstillende 
Wirkung der Röntgenstrahlen bei Ekzemen beobachtet und beschrieben 





602 Ritter, 


haben, denn dieses auffällige Merkmal wurde von allen Autoren berichtet. 
Auf diese Wirkung komme ich auch noch bei der Besprechung der Be- 
handlung der einzelnen Ekzemformen zurück. Nur einen Fall möchte ich 
hier anführen, der in eklatanter Weise demonstriert, welch wunderbaren 
Einfluß in dieser Beziehung die Röntgenstrahlen haben können. 


Im April dieses Jahres kam ein Mann auf unsere Abteilung mit einem Ulcus 
molle. Gleichzeitig fand sich bei ihm eine Neurodermitis chronica am linken Unter- 
schenkel, die seit 14 Jahren bestand, mit Salben aller Art vergeblich behandelt war 
und ihm wegen des enormen Juckreizes das Leben zur Qual machte. Nach einer ein- 
zigen Bestrahlung von 3 X einer unfiltrierten harten Strahlung (Halbwertschicht 
1,5 cm) verschwand nach 3 Tagen der Juckreiz vollständig, so daß der Patient sich wie 
neugeboren fühlte. Unter zwei weiteren gleichstarken Bestrahlungen heilte danı 
auch die Neurodermie ab. Ein Rezidiv ist bis heute nicht eingetreten. Ich führe den 
Fall nur ganz kurz an, um die jucklindernde Eigenschaft der Röntgenstrahlen bei 
Ekzembehandlung zu demonstrieren. 

Wenn wir uns nun ganz allgemein nach der Wirkungsweise der 
Röntgenstrahlen beim Ekzem fragen: Warum haben die Röntgenstrahlen 
so günstige Wirkung bei dieser Erkrankung, so ist es auffallend, wie 
wenig man sich in der Literatur gerade mit diesem Punkt beschäftigt hat. 
Hahn hat 1898 eine Theorie aufgestellt, die besagt, daß wenn das Ekzem 
parasitär wäre, die Röntgenstrahlen nach Rieders Versuchen die Bak- 
terien zur Abtötung und so das Ekzem zur Heilung bringen müßte. Wenn 
das Ekzem jedoch nicht parasitär ist, so meint Hahn, wäre die bekannte 
Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die Haut in Gestalt von Dermatitiden 
eine Gewähr dafür, daß durch eine Reaktion der Gewebe eine veränderte 
Zirkulation und damit Heilung zu erreichen sei. Man wird zugeben 
müssen, daß dies keinen ganz befriedigenden Erklärungsversuch darstellt 
und wir wollen uns bemühen, die tieferen Ursachen für die Röntgen- 
strahlenwirkung bei Ekzemen zu finden. Die Röntgenstrahlen stellen für 
das Gewebe stets einen Reiz dar, und man könnte ja daran denken, dab 
die konsekutive Hyerämie der Heilfaktor für das Ekzem sei. Nach den 
Untersuchungen von Brauer und Albers-Schönberg wissen wir Ja. 
daß nach jeder Röntgenbestrahlung ein hyperämisches Stadium eintritt, 
das Stadium des sog. Primärerythems. Es ist von vornherein klar, dab 
in dieser hyperämisierenden Wirkung nicht die Heilkraft der Röngenstrahlen 
liegen kann, weil ja anderswie erzeugte Hyperämie, durch chemische oder 
physikalische Mittel, nicht im entferntesten mit der Heilwirkung der 
Röntgenstrahlen verglichen werden kann. Dazu kommt noch ein anderer 
Punkt, nämlich der, daß wir wissen, daß der Angriffspunkt der Strahlen 
nicht, wie lange Zeit angenommen wurde, in den Gefäßen liegt und somit 
die Hyperämie das kurativ wirksame Agens darstellt, sondern der Angriffs- 

punkt in den Epithelien selbst. Nun nimmt es uns nicht Wunder, dal 


Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 603 


gerade beim Ekzem die Röntgenstrahlen so vorzüglich wirken, denn fragen 
wir uns nach dem, was allen Hautkrankheiten, die auf Röntgenstrahlen 
gut reagieren, gemeinsam ist, so finden wir immer Veränderungen im 
Epithel selbst in Gestalt von Akanthose und Parakeratose, also immer 
Zellen, die sich in lebhafter Proliferation befinden, und wir begegnen hier 
wiederum dem allgemein für Röntgenstrahlen gültigen biologischen Gesetz, 
dab das Gewebe für die Strahlen um so sensibler ist, je mehr es sich in 
Tätigkeit und Wachstum befindet. Etwas ähnliches hat wohl Scholtz 
ausdrücken wollen, als er schreibt, daß die heilende Wirkung der Röntgen- 
strahlen auf entzündliche Erkrankungen der Haut, wie Ekzem und Psoriasis, 
durch den Einfluß der Röntgenstrahlen auf die Epithelzellen sich genügend 
erklären lies, da der Erfolg hauptsächlich bei Dermatosen mit Akanthose 
vorhanden sei. 

An dieser Stelle möchte ich noch mit ein paar Worten auf die Neben- 
wirkung der Röntgenstrahlen, also auf die unerwünschten Begleiterschei- 
nungen eingehen. Allgemeinerscheinungen, wie sie bei Intensivbestrahlungen 
in der Tiefentherapie als Röntgenkater beschrieben werden, haben wir bei 
der Ekzembestrahlung nicht zu fürchten, da unsere therapeutischen Dosen 
stets so gering sind, daß eine Beeinflussung des Gesamtorganismus aus- 
geschlossen ist. Es kommen nur lokale Nebenerscheinungen in Betracht 
und das sind die nach Röntgenbehandlung häufig auftretenden Pigmen- 
tationen. Diese sind nicht zu vermeiden und der Patient, der ein jahre- 
lang bestehendes, quälendes chronisches Ekzem hat, wird diesen späteren 
Schönheitsfehler gern mit in Kauf nehmen. Es ist aber nötig, die Patienten 
vorher auf das eventuelle Auftreten von Pigmentationen aufmerkam zu 
machen. Um die Pigmentationen weniger sichtbar zu machen hat Kien- 
böck empfohlen, und auch Wetterer macht wieder darauf aufmerksam, 
während der Bestrahlung den Schutzstoff öfters zu verschieben, sodaß auf 
diese Weise ein allmählicher Übergang der pigmentierten in die gesunde 
Haut erzielt wird. Aber selbst wenn man diese Vorsicht übt, erlebt man 
doch scharfe Pigmentränder und ich kenne Fälle, bei denen auf diese 
Weise einfach mehrere Pigmentränder aufgetreten waren. Das nimmt ja 
auch nicht Wunder, denn wir wissen, daß selbst ganz geringe Dosen 
Pigmentationen hervorzurufen imstande sind. Deshalb mache ich die 
Ekzembestrahlungen so, daß die Umgebung überhaupt nicht abgedeckt 
wird; auf diese Weise erzielt man ein allmähliches kaum merkbares Über- 
gehen der Pigmentationen in die normale Haut. Dieses Verfahren darf 
man ruhig anwenden, ohne eine Provokation des Ekzems auf der gesunden 
Umgebung befürchten zu müssen. Das Ekzem steht hier im angenehmen 
Gegensatz zur Psoriasis, bei der wir es ja häufig erleben, daß bei der Be- 
strahlung eines ungenügend abgedeckten Herdes, dieser zwar verschwindet, 


604 Ritter, 


dafür aber in der mitbestrahlten, bis dahin gesunden Umgebung neue 
Psoriasisplaques auftreten. 

Ich möchte hieran Einiges über die Technik der Ekzembestrahlungen 
anschließen. Der Streit, ob man gleich eine Volldosis geben, oder mit 
refraktierter Dosis arbeiten soll, ist längst zu Gunsten des letzteren Ver- 
fahrens entschieden. Desgleichen weiß man auch, daß man wie bei der 
Bestrahlung der übrigen in Betracht kommenden Hautkrankheiten, auch 
bei der Ekzembestrahlung nicht bis zur Maximaldosis zu gehen braucht. 
Es war vornehmlich die Breslauer Schule unter Neißer, die dafür ein- 
trat, daß zur Erzielung eines Effektes eine stärkere Reaktion gesetzt werden 
müsse. Schon damals im Jahre 1901, als Neißer diesen Standpunkt 
auf dem Dermatologenkongreß präzisierte, erhoben sich warneude Stimmen, 
besonders von Hahn, Schiff und Freund. Mit Recht wurde her- 
vorgehoben, daß die Ekzeme auch ohne jede Röntgenreaktion ausheilten. 
Nur beim Eczema tyloticum wollte Hahn eine Reaktion 1. Grades er- 
zielt wissen. Aber auch dieses heilt erfahrungsgemäß bei Anwendung 
kleiner Dosen, sodaß wir es nicht nötig haben, die gefahrvollen Erythenie 
anzuwenden, wissen wir doch, daß schon nach einer einzigen 
übermäßigen Reaktion sich noch nach Jahren der Zu- 
stand der Röntgenatrophie mit all ihren bedrohliche n 
Nebenerscheinungen und Nachkrankheiten einstellen 
kann. Wir warnen deshalb aufs dringendste davor, die Bestrahlung bis 
zum Eintritt auch nur eines Erythems zu treiben und schlagen folgenden 
bewährten Modus vor: Man gibt bei jeder Ekzemform 3 X in Abständen 
von 10 Tagen. Dreimal 3 X bilden einen Bestrahlungszyklus. Hierauf 
tritt eine Pause von 3 Wochen ein, dann kann der Zyklus von neuem 
beginnen. Dieser Bestrahlungsmodus schützt mit absoluter Sicherheit vor 
Röntgenerythemen. In den meisten Fällen wird ein zweiter Zyklus kaum 
nötig sein, da im allgemeinen die Ekzeme schon nach dreimaliger Appli- 
kation von 3 X geheilt sind. 

Die Wahl der Röhrenhärte ist gleichfalls ein sehr wichtiger Punkt 
in der Betrahlungstechnik. Bis zum Röntgenkongreß 1912 wurden die 
Ekzeme wie alle Dermatosen mit mittelweichem Röntgenlicht, Strahlen 
vom Typ H.W. 0,7 cm bestrahlt. So lesen wir in dem Lehrbuch von 
Frank-Schultz, daß die Ekzeme erfahrungsgemäß prompt abheilten. 
sobald nur die richtige Strahlenqualität gewählt würde, es eigneten siclı 
am besten dazu Strahlen von 7,0—7,5 Wehnelt Strahlengeschwindigkeit. 
Auch H. E. Schmidt empfiehlt in der neuesten Auflage seines Kompen- 
diums bei Ekzembehandlung eine Strahlenhärte von 5—7 Wehnelt (0.7 
bis 0,9 H.W.), obwohl er bei Besprechung der allgemeinen Methodik für 
refraktäre Fälle härtere Strahlen (W. 10, H.W. 1,5 cm) empfiehlt. 


Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 605 


Auf dem Röntgenkongreß 1912 berichteten Meyer und Ritter über 
ihre Erfahrungen mit harten Strahlen. Sie hatten durch zahlreiche ex- 
perimentelle Untersuchungen feststellen können, daß nicht nur — wie bis- 
her von vielen Autoren, namentlich H. E. Schmidt u. a. stets verfochten 
wurde — den weichen, sondern auch den härtesten Röntgenstrahlen eine 
große biologische Energie zukommt. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen 
haben ja zusammen mit denen von Gauß, Lembke und Heinemann, 
namentlich für die Tiefentherapie eine gewisse Bedeutung erlangt (Krönig, 
Gynäkologenkongreß 1912), aber auch für die Oberflächentherapie ergaben 
sich daraus wichtige praktische Konsequenzen. Es ließ sich nämlich fest- 
stellen, daß beim Übergang von weichen zu härteren Strahlen die Elek - 
tivität der Strahlenwirkung auf die proliferierenden Zellgruppen der 
gesunden nnd kranken Haut (Epithelien der Haarpapille, sowie der Zellen 
der Psoriasisplaques) gesteigert wird. Diese wichtige experimentell und 
klinisch gewonnene Erfahrung bestätigte sich bei der Strahlentherapie der 
Ekzeme, die wir jetzt allgemein mit harten Strahlen behandeln. Wir 
nehmen in der Regel eine Strahlung vom Typ B.W. 6 = ca. Wehnelt: 
10—12, ja bei nicht prompt reagierenden Eikzemen und solchen mit starken 
Hyperkeratosen schalten wir sogar häufig die weichen Strahlen, die er- 
fahrungsgemäß keime genügende Wirkung ausüben, durch ein 0,5 mm dickes 
Aluminiumfilter aus, sodaß wir jetzt einerseits nur mit wirksamen harten 
Strahlen arbeiten, andererseits die Einzeldosis auf 4X Sabouraud erhöhen 
können, ohne eine Schädigung der Haut befürchten zu müssen. 

Auf dem genannten Kongreß 1912 sprach sich auch Frank-Schultz 
für die Anwendung härterer als bis dahin üblichen Strahlen bei Ekzem- 
behandlung aus, ein Vorschlag, den er auf Grund rein empirischer Er- 
fahrung machen konnte. Es ist interessant zu erwähnen, daß bereits auf 
dem Dermatologenkongreß 1901 entgegen allen Autoren sich Freund und 
Schiff für die Anwendung möglichst harter Strahlen bei der Ekzem- 
behandlung ausgesprochen haben. 

In der Frage der prophylaktischen Zwischenbehandlung, die hie und 
da in der Literatur auftaucht, und besonders von E. Müller empfohlen 
worden ist, ist folgendes zu sagen: Wir sollen versuchen, bei einem so 
differenten Mittel, wie es die Röntgenstrahlen sind, mit möglichst wenigen 
Sitzungen auszukommen. Da ferner die Röntgenstrahlen bei der normalen 
Haut keinen Angriffspunkt finden, um pathologische Prozesse zu beein- 
flussen, so sind die sog. prophylaktischen Zwischenbestrahlungen strikte 
abzulehnen. Es wäre dies in der Tat ein Verschießen der Munition nach 
dem nicht vorhandenen Feind. 

Vielfach diskutiert worden ist ferner die Frage, ob gleichzeitig mit 
der Röntgentherapie eine Salbentherapie anzuwenden ist. Scholtz, 

Strahlentherapie Band III, Heft 2. 39 


606 Ritter, 


Löwenberg, Blaschko u. a. sind für eine Kombination beider Heil- 
faktoren eingetreten. Blaschko behauptet, man könne die Röntgen- 
therapie sehr günstig durch andere Behandlungsmethoden: Salben, Bäder, 
Teer, unterstützen. Löwenberg hingegen sagt, bei Ekzemen aller Art 
würde die übliche Teertherapie in wirksamer Weise von den Röutgen- 
strahlen unterstützt. Andere Autoren, vor allem Hahn, der überhaupt 
in der Röntgenbehandlung der Ekzeme von vornherein Beobachtungen ge- 
macht hat, die sich später bei weiterer Nachprüfung als durchaus richtig 
erwiesen, steht auf ganz entgegengesetztem Standpunkt. Sie verwerfen jede 
medikamentöse Behandlung während der Anwendung der Röntgenstrahlen. 
Auf Grund unserer langjährigen Erfahrungen an der Kieler Hautklinik 
und der Hautabteilung des Allgem. Krankenhauses St. Georg, Hamburg 
müssen wir uns der Ansicht dieser Autoren anschließen. Wir halten eine 
gleichzeitige medikamentöse Behandlung der Ekzeme mit Salben nicht nur 
für überflüssig, sondern sogar für gefährlich. Jedes Medikament versetzt 
die Haut in einen anderen Zustand und stellt in den meisten Fällen für 
die an und für sich schon entzündliche Haut einen Reiz dar. Es ist klar, 
daß wenn man diesem noch den der Röntgenstrahlen zufügt, man Gefahr 
läuft, eine unbeabsichtigte stärkere Reizung zu erzielen, und es ist nicht 
ohne weiteres von der Hand zu weisen, daß manche Röntgenschädigung 
und mancher Fall von Idiosynkrasie auf derartige fehlerhafte Kombinations- 
behandlung zurückzuführen ist. Das Einzige, was wir von medikamentöser 
Behandlung erlauben, ist eine Vorbehandlung mit 5—8% Salizylvaseline 
bei stark tylotischen, hyperkeratotischen Ekzemen. Bei Besprechung dieser 
Ekzemform werde ich noch darauf zurückkommen. Aber sonst ist jede 
medikamentöse Behandlung der Ekzeme während der Anwendung der Rönt- 
genstrahlen als geführlich zu unterlassen. Ich betone diesen Standpunkt. 
den übrigens auch Wetterer in seinem Handbuch vertritt, besonders, da 
noch in seinem neusten Kompendium über Licht-, Röntgen- und Radium- 
therapie von 1913 Kromayer die Forderung aufstellt, gleichzeitig mit der 
Röntgentherapie auch den ganzen medikamentösen Apparat spielen zu lassen. 
Dabei gibt er selbst zu, daß man zur Zeit der stärksten Röntgenwirkung. 
also 10 Tage bis 4 Wochen nach der Bestrahlung vorsichtiger Weise alle 
reizenden Medikamente (Teer, Schwefel usw.) vermeiden soll. Da aber bei 
der Art der Bestrahlung, wie wir sie ausführen, eine dauernde Röntgen- 
wirkung vorhanden ist, so ist eben auch nach Kromayer jede Salben- 
therapie während der Röntgenbehandlung zu unterlassen. Nicht billigen 
kann ich auch den Standpunkt von Frank-Schultz, der in jedem Fall 
von Ekzem zuerst eine Salbenbehandlung verlangt, und erst wenn diese 
versagt, zur Applikation von Röntgenstrahlen rät, da diese doch manchmal 
„neue Überraschungen“ und „Spätfolgen“ zeitigten. Dieser Standpunkt 


Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 607 


ist wohl etwas zu weitgehend, zumal wir bei richtiger Handhabung der 
Technik doch jede „neue Überraschung“ und Spätfolge vermeiden können. 
Wenn sich ein Ekzem für die Röntgenbehandlung eignet, so soll man es 
auch gleich damit in Angriff nehmen, besonders da diese Behandlung vor 
der medikamentösen Therapie auch den Vorzug der Sauberkeit hat. 

Gehen wir noch mit ein paar Worten auf die Rezidive ein. Die 
Röntgenstrahlen sind, daran muß festgehalten werden, nur eine sympto- 
matische Therapie. Wir können wohl die Symptome, die Erscheinungen 
des Ekzems beseitigen, nicht aber die Grundursache. Es ist demnach nicht 
verwunderlich, daß wir genau wie bei der Salbenbehandlung natürlich auch 
bei der Röntgentherapie Rezidive erleben. Sie unterscheiden sich in nichts 
von den Rezidiven nach Salbentherapie. Dabei ist allerdings zweierlei zu 
erwähnen, nämlich, daß bei Rezidiven mitunter die Röntgenstrahlen nicht 
mehr dieselbe gute Wirkung entfalten wie in frischen Fällen und daß die 
Haut nur ein bestimmtes Strahlenquantum verträgt, daß wir also nicht die 
Strahlentherapie in solchen rezidivierenden, rebellischen Fällen usque ad 
infinitum fortsetzen dürfen. Aus diesen Gründen ist es durchaus indiziert, 
bei einem solchen Fall ab und zu eine Salbentherapie einzuschieben, um 
vielleicht erst wieder bei dem nächsten Rezidiv die Röntgenstrahlen anzu- 
wenden. Überhaupt wird derjenige Arzt in der Ekzemtherapie die besten 
Resultate erzielen, der es versteht, der Röntgenbehandlung unter all den 
übrigen Medikamenten den richtigen Platz einzuräumen, von welch letzteren 
(Teer, Chrysarobin usw.) wir trotz der Röntgentherapie auch nicht ein 
einziges entbehren möchten. 

Wenden wir uns jetzt der Besprechung der einzelnen Formen des 
Ekzems zu. Bekanntlich unterscheidet man zwei Hauptgruppen von Ek- 
zemen: die akuten und die chronischen. Betrachten wir zunächst die 
erstere Form. 

Ein Blick in die Literatur zeigt hier im Gegensatz zu den sonst recht 
zahlreichen Angaben beim chronischen Ekzem ein auffallend geringes Material; 
und das hat seinen guten Grund. Im allgemeinen ist das akute Ekzem 
eine relativ harmlose Erkrankung, der wir mit einer Anzahl von indiffe- 
renten Mitteln beizukommen im Stande sind. Alle Stadien, welche das 
akute Ekzem zu durchlaufen pflegt, von der einfachen Hyperämie bis zur 
Schuppung reagieren in gleicher Weise gut auf unsere medikamentösen 
Mittel, sodaß es nicht nötig ist, zu einem so differenten Mittel, wie die 
Röntgenstrahlen sind, zu greifen. Es kommt noch ein zweiter Punkt hin- 
zu, auf den meiner Ansicht nach mit Recht Kromayer aufmerksam macht. 
Das akute Ekzem ist, wie der Name besagt, eine plötzlich einsetzende und 
im Allgemeinen rasch wieder verschwindende Hautkrankheit, sodaß diese 
oft bereits im Abklingen sein wird, ehe die Inkubationszeit der Röntgen- 

39* 


608 Ritter, 


strahlenwirkung vergangen ist. Es ist ja doch meistens so, dad das akute 
Ekzem durch irgend eine Schädlichkeit hervorgerufen wird, sei diese nun 
chemischer, physikalischer, äußerer oder innerer Natur. Nehmen wir die 
Noxe weg, und behandeln wir das Ekzem indifferent, so heilt es innerhalb 
von 8—14 Tagen ab. 

Gleichwohl ist das akute Ekzem Gegenstand der Röntgenbehandlung 
gewesen: So berichtet Hahn auf der 73. Versammlung deutscher Natur- 
forscher und Ärzte 1901 in Hamburg über die guten Erfolge, die er bei 
allen Formen des Ekzems mit der Röntgenbestrahlung gehabt hat. Im 
Stad. papulos. verschwanden die Knötchen, ohne daß es zur Bildung des 
Stad. vesicul. gekommen wäre. Im Stad. vesicul. und impetiginos. zeigten die 
Ekzeme alle das Gemeinsame, daß nach nur wenigen Bestrahlungen die 
Bläschen und Pustelchen eintrockneten, vielfach ohne daß es zum Platzen 
der Bläschen gekommen wäre. Ekzemfälle im Stadium madidaus trockneten 
gleichfalls nach wenigen Sitzungen ein. 

Auch Scholtz, Königsberg, schreibt 1905, daß bei akuten nässenden 
Ekzemen die Wirkung der Röntgenstrahlen bisweilen recht günstig sei. 
doch fügt er gleich hinzu, daß die Resultate im ganzen nicht sehr zuver- 
lässig waren. 

E. Müller empfiehlt noch 1909 und Hans Merz noch 1911 die 
Röntgenbehandlung des akuten Ekzems, obwohl inzwischen diese Therapie 
von anderen Seiten abgelehnt war. Nach Müller sind die Röntgenstrahlen 
nicht nur beim chronischen Ekzem, sondern auch bei der akuten Form 
von so günstiger Wirkung, daB jede medikamentöse Therapie übertlüssig 
geworden sei und in ähnlicher, wenn auch nicht ganz so optimistischer 
Weise äußert sich Merz. Die Fälle, die letzterer anführt, sind nach der 
Schilderung nicht ohne Weiteres als akute Ekzeme anzusehen, vielmehr 
scheinen es akute Schübe von chronischen Ekzemen oder durch medika- 
mentöse Behandlung gereizte Fälle von Pruritus gewesen zu sein. 

Wir teilen den Standpunkt, den die meisten Autoren heute einnehmen. 
daß eine Röntgenbehandlung des akuten Ekzems nicht nur nicht angebracht, 
sondern im Gegenteil, dal davor zu warnen ist. Und dazu bringt uns 
außer den oben angeführten Gründen noch folgender: Wir wissen genau. 
wie radiosensibel die normale Haut ist, und wir wissen auch, daß die Sen- 
sibilität bei krankhaft veränderter Haut gesteigert und dal die Haut im 
Zustand des akuten Ekzems außerordentlich empfindlich ist. Aus diesem 
Grunde verwenden wir ja auch bei der Therapie des akuten Ekzems keine 
differente Mittel, weil diese in vielen Fällen nicht nur keine Besserung 
sondern meistens eine Verschlimmerung herbeiführen. Die Röntgenstrahlen 
sind aber bekanntlich als ein sehr differentes Mittel aufzufassen und wir 
können nicht ohne weiteres voraussagen, ob wir bei der Applikation auch 


Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 609 


geringer Dosen nicht die Empfindlichkeitsgrenze der lädierten Haut beim 
akuten Ekzem überschritten haben. Wir möchten diesen ablehnenden 
Standpunkt ausdrücklich betonen, obwohl wir nicht verhehlen wollen, daß 
in einigen Fällen von akuten Ekzemen besonders nach einer Richtung hin 
die Röntgenstrahlen gute Dienste getan haben und diese Beeinflussung liegt 
in der bekannten juckstillenden Fähigkeit der Strahlen. Immerhin ver- 
schwindet der Juckreiz auch auf feuchte Verbände, so daß wir deswegen 
nicht die eventuellen Schädlichkeiten der Strahlen mit in Kauf nehmen 
wollen. | 

Das chronische Ekzem ist zumeist auf gewisse Körperstellen lokalisiert; 
ich folge deshalb dem allgemein üblichen Brauch, die einzelnen Formen 
nach ihrer Lokalisation abzuhandeln. 

Das chronische, tylotische Handekzem ist die klassische Domäne der 
Röntgentherapie. Sowohl die Ekzeme der Hohlhaut als auch die des Hand- 
rückens reagieren in vorzüglicher Weise auf die Bestrahlung. Das, was 
den Patienten in erster Linie angenehm auffällt, ist außer dem Nachlassen 
des Juckreizes das sehr bald eintretende Verschwinden der schmerzhaften 
Rhagaden. Die Rhagaden heilen ab, es bilden sich keine neuen wieder, 
die Hyperkeratosen verschwinden, die Starre der Haut und damit ihre 
Unbeweglichkeit hört auf, die Haut wird allmählich geschmeidig und weich. 
Dieses letztere, also gewissermaßen die Restitutio ad integrum tritt erst 
langsam und allmählich ein, was mit dem ’allmählichen Abbau der Infil- 
tration parallel geht. Auf diesen Umstand haben schon 1900 Sjögren 
und Sederholm aufmerksam gemacht. Es sind eine große Reihe von 
Autoren, die über Dauerheilungen beim Eczema tyloticum manuum berichten. 
so Grön, Burns, Gamlen, Belot, Jutassy, Hahn, Albers-Schön- 
berg u. a Scholtz will gerade hierbei in den Röntgenstrahlen nur eine 
Unterstützung für medikamentöse Therapie sehen. Wir haben schon oben 
auf die Gefährlichkeit einer derartigen Kombination aufmerksam gemacht. 
Wenn überhaupt wo in der Röntgentherapie des Ekzems eine Kombination 
mit Salbenbehandlung gestattet ist, so darf es nur bei stark, hyperkeratoti- 
schen Formen der Fall sein, und zwar in Form von Vorbehandlungen mit 
Salizylvaseline. Durch Applikation einer 5-—8 proz. Salizylvaseline be- 
seitigen wir die dicken Hyperkeratosen und Schuppen, die ja einen großen 
Teil der Strahlen absorbieren, und erleichtern so die Strahlenwirkung indem 
der Angriffspunkt der Strahlen, das proliferierende Epithel, unvermittelt 
zu Tage liegt. Diese Vorbehandlung ist verschiedentlich empfohlen worden: 
so schreibt z. B. auch Alexander, die tylotischen Ekzeme der Hohlhand 
und der Füße bedürfen wohl neben der Strahlenbehandlung einer erweichen- 
den Salbe (Salizylvaseline). 


Der Bestrahlungsmodus für das chronische Handekzem würde sich 


610 Ritter. 


also folgendermaßen darstellen. Bei stark hvperkeratotischen Ekzen:Hn 
wird eine Vorbehandlung mit ca. 5 proz. Salızylvaseline eingeleitet. bis de 
Krusten und Hyperkeratosen beseitigt sind. Dies ist meist in 2—4 Taz-u 
geschehen. Dann wird eine Dosis von 3 X verabhfolgt. Strahlenyqualit.: 
H. W. 1,5 cm (B. W.6). Die Dosis wird wiederholt nach 10 Tagen. uxi 
die dritte Dosis nach abermals 10 Tagen. Während dieser Zeit wird keine 
andere Behandlung geübt. 3x3 X bilden einen Zyklus, nach dem eıne 
Pause von 3 Wochen eintritt. Sollte also nach dem ersten Zyklus das 
Ekzem noch nicht geheilt sein, so wird 3 Wochen nach der letzten Be- 
strahlung abermals eine Serie von 3x3 X ın Abständen von 10 Tar-ı 
appliziert. Es wird in der Regel kaum nötig sein, zwei dieser Serien zu 
verabfolgen, das tylotische Ekzem reagiert im allgemeinen so gut auf 
Röntgenstrahlen, daß es meistens nach der ersten Serie schun geheilt ist. 
ja oft sogar nach 1—2x3 X. Wenn jedoch, wie es in Ausnahmefilien 
geschieht, das Ekzem auf 2 Serien von 3x3 X nicht reagiert hat. bzw. 
nicht geheilt ist, so ist die Röntgentherapie vorläufig abzusetzen und Jıir 
Salbenbehandlung tritt in ihre Rechte. Ich habe schon erwähnt, daß nach 
der auch erfolgten Röntgenbehandlung die medikamentöse Therapie. die 
vorher nichts genützt hatte, manchmal überraschend gut wirkt. 2 Kranken- 
geschichten mögen illustrieren, wie prompt die Wirkung der Röntgen- 
strahlen bei diesen Ekzemformen ist. 


Jakob Sch. Chronisches rhagadiformes tylotisches Ekzem beider Handrück-n, 
besteht seit 6 Monaten, vergeblich mit Salben und Pflastern spezialistisch behand-lt. 

21. III. 13. Applikation von 3 X H. W. 1,5 cm. 

1. IV. 13. Die Haut ist nach der einmaligen Bestrahlung weich und geschmeidiz 
geworden, alle Rhagaden und Hyperkeratosen sind verschwunden. Es besteht noch 
geringe Infiltration. Am selben Tag 3 X H.W. 1,5 cm. 

12. IV. 13. Infiltration noch vorhanden. Obwohl Patient seinem Beruf al. 
Schlosser nachgeht, keine Rhagaden oder Hyperkeratosen. Am selben Tag 3 X H.W. 
1,5 cm. 

22. IV. 13. Haut der Handrücken weich, geschmeidig ohne die Spur eines 
Ekzems. Geheilt entlassen. 

Luise M. Chron. rhagadif. Ekzem auf beiden Handrücken, besteht seit !’, Jahr. 
bisher vergeblich behandelt. 

5. IV. 13. Applikation von 3 X H. W. 1,5 cm. 

15. IV. 13. Rhagaden verschwunden, Haut zart elastisch, nicht infiltnert. 
Geheilt entlassen. 


Hieran anzuschließen ist die Besprechung des Gewerbeekzems. da 
ja auch meistens auf der Hand lokalisiert ist. Das Gewerbeekzem, das bei 
den verschiedensten Berufen durch verschiedene Mittel hervorgerufen wird. 
ist gleichfalls ein dankbares Gebiet der Röntgentherapie. Unsere Beub- 
achtungen erstrecken sich hauptsächlich auf die durch chemische Mittel 
wie Sublimat, Laugen und andere Stoffe hervorgerufenen Ekzeme der 


Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 611 


Ärzte, des ärztlichen Hilfspersonals, der Photographen, und auf die durch 
vieles Waschen verursachte Ekzeme der Dienstmädchen, Wäscherinnen und 
Kellner, von denen ich besonders bei den letzteren sehr heftige Ekzeme 
gesehen habe. Auch andere Berufe, wie Tischler und Schlosser, sind nicht 
selten von dem Gewerbeekzem ergriffen, hierbei ist wohl die Polierflüssig- 
keit resp. das Schmiedeöl die auslösende Ursache. 

Alle diese durch verschiedene Ursachen hervorgerufenen Ekzeme zeigen 
ein gleiches klinisches und anatomisches Bild. Es stellt sich dar als ein 
zirkumskriptes, bläschenförmiges, zum Teil nässendes, stark juckendes 
Ekzem mit starkem Ödem. Bereits auf die erste Dosis von 3 X schwindet 
mit großer Sicherheit das Jucken und es genügt in der Regel eine zweite, 
höchstens eine dritte Gabe, um das Ekzem vollständig zum Verschwinden 
zu bringen. Bedingung ist hierbei natürlich, daß das schädliche Agens 
wegfällt. das die Krankheit immer wieder hervorruft (Alexander). 
Immerhin habe ich einige Fälle gesehen, die rezidivfrei blieben, obwohl 
die Schädlichkeiten wieder einsetzten. (Siehe auch Fall Jakob Sch.) Wir 
hatten den Eindruck, als ob durch die Röntgenstrahlen das Terrain so 
verändert wurde, daß gewissermaßen eine Abhärtung gegen neue Reize 
eintrat. Blaschko vertritt sogar die Auffassung, daß der Vorzug der 
Röntgentherapie bei den Gewerbeekzemen darin bestände, daß die Patienten 
ohne Verband herumlaufen und ungehindert ihrem Beruf nachgehen könnten. 
Der Turnus der Strahlenapplikation ist der gleiche wie bei tylotischem 
Ekzem. 

Auch das dyshidrotische Ekzem der Hand und Fußsohlen soll hier 
gleich besprochen werden. Dieses durch kleine interdigitale Wasserbläschen 
charakterisierte Ekzem reagiert nach meinen Erfahrungen leidlich auf 
Röntgenstrahlen. Zweifellos sind diese Erfolge zu erzielen, immerhin dürfte 
hierbei Vorsicht am Platze sein, wissen wir doch, daß die Haut bei Hyper- 
hidrosis manuum sehr viel radiosensibler ist, als die normale, weshalb auch 
für diese Erkrankung bei der Röntgentherapie besondere Vorsicht in der 
Dosierung geboten ist. Beim dysidrotischen Ekzem ist ja im Übrigen die 
Teerbehandlung so wirksam, daß wir wohl in den meisten Fällen auf die 
Strahlentherapie verzichten können. 

Das Nagelekzem, das ja meistens einen Teil des Handekzems dar- 
stellt, ist auch ein dankbares Gebiet für die Röntgentherapie. Wenn man 
bedenkt, wie wenig zuverlässig gerade bei dieser Erkrankung die Salben- 
therapie ist, so muß man mit Freuden die Strahlen als therapeutisches 
Agens begrüßen. Ich habe verschiedene Nagelekzeme mit bestem Erfolg 
röntgenisiert, auch Frank-Schultz ist Anhänger dieser Therapie bei 
Nagelekzem. In der ganzen Literatur findet sich sonst nur eine Mitteilung 
iiber die Röntgenbehandlung dieses Leidens und zwar von Schindler. 


612 Ritter, 


der mit gutem Erfolg ein trockenes Nagelplattekzem bei einem Kupfer- 
stecher bestrahlte. Die gelblich bräunlich verfärbten, glanzlosen, gefurchten 
Nägel werden bereits nach einer Volldosis wesentlich gebessert. Ich will 
jedoch nicht verhehlen, daß es auch hierbei refraktäre Fälle gibt und ich 
entsinne mich eines Falles aus dem Kieler Institut für Strahlenbehandlung. 
den wir monatelang ohne wesentliche Besserung bestrahlt hatten. Der 
Bestrahlungsmodus ist hierbei der gleiche wie beim chronischen Handekzem. 
Erwähnen möchte ich hier noch kurz die Acrodermatitis suppurativa 
chronica, auf die die Röntgenstrahlen nach Hallopeau und Frank- 
Schultz einen geradezu spezifischen Einfluß haben. Ich habe keine 
eigenen Erfahrungen über die Behandlung dieser Erkrankung mit Rönt- 
genstrahlen. Ä 
Gleich gut wie auf das gewöhnliche chronische an den Händen 
lokalisierte Ekzem, wirken die Röntgenstrahlen auch auf das universelle 
Ekzem. Dieses geht oft von einer ekzematösen Stelle am Körper aus, 
wenn diese durch irgend einen Reiz getroffen wird, springt von einem 
Teil des Körpers zum andern, um schließlich unbehandelt oder oft auch 
behandelt universell den ganzen Körper zu überziehen. Es ist dieses zu 
unterscheiden von dem universellen seborrhoischen Ekzem, auf das ich 
noch zu sprechen komme. Sowohl die Einzelplaques als auch größere 
ekzematöse Flächen bieten den Röntgenstrahlen ein dankbares Arbeitsfeld. 
Auf ein bis zwei Dosen von 3 X zeigt sich in der Regel schon Heilung 
und auch die Rezidive, die an anderen Stellen des Körpers aufschießen, 
sind leicht zu beherrschen. Bei diesen universellen Ekzemformen wird 
die Röntgenbehandlung besonders dankbar empfunden, da ohne diese eine 
Krankenhausbehandlung mit vollständiger Einwicklung des ganzen Körpers 
nicht zu umgehen ist. Über Erfolge bei generalisierten Ekzemen berichten 
Grön, Burns, Gamlen, Jutassy. Belot schreibt: Nicht nur bei 
chronischem regionären Ekzem wird Besserung und Heilung erzielt, der 
Behandlung sind auch die generalisierten Ekzeme zugängig. Belot 
empfiehlt hierfür die Anwendung des sogenannten X-Strahlenbades. Auf 
die Technik des Strahlenbades, oder der Totalbestrahlungen, wie sie 
Holtzknecht genannt hat, kann ich hier nur ganz kurz eingehen. 
Bekanntlich darf bei einer Einzelbestrallung der Durchmesser des zu 
bestrahlenden Feldes nur halb so groß sein, als die Fokushautdistanz, 
wenn wir eine für die Praxis ausreichende Oberflächengleichmäßigkeit 
der Bestrahlung erzielen wollen. Ist das Feld größer, bzw. überzieht die 
Erkrankung einen großen Teil des menschlichen Körpers, so tritt die 
Totalbestrahlung in ihre Rechte, d. h. die Bestrahlung mit mehreren Auf- 
satzpunkten ohne Abdeckung: hierbei gilt die Regel, daß die Fußpunkte 
so weit auseinander gewählt werden, wie die Fokushautdistanz ist. Da 


Ta m uns 


Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 613 


nach der Dosierungstechnik von Hans Meyer, Kiel, die Fokushaut- 
distanz bei 3 X etwa 30 cm ist, so müssen die Fußpunkte, also die 
Punkte, auf die wir die Röntgenröhre einstellen, 30 cm voneinander ent- 
fernt sein. Ich habe-hier einen Arzt bestrahlt, der ausgehend von einem 
intertriginösen Ekzem einen universellen Schub über die unteren Extre- 
mitäten bekommen hatte. Der Betreffende wurde 2 Monate mit Salben 
und Pinselungen vergeblich behandelt, nach der ersten Bestrahlung hörte 
das Jucken auf, nach der zweiten verschwanden die Ekzemplaques und 
nur geringe Pigmentationen sind der Rest des quälenden Leidens. Der 
Patient ıst rezidivfrei seit 3 Monaten. 

Hieran anschließen möchte ich die Besprechung der zweiten Gruppe 
von universellem Ekzem, nämlich des universellen seborrhoischen Ekzems. 
Von verschiedenen Seiten liegen hier günstige Berichte vor. Das sebor- 
rhoische Ekzem stellt sich nach Unna in 3 Formen dar, in der schup- 
penden, borkigen und nässenden Form. Alle 3 Formen reagieren gut 
auf Röntgenstrahlen, ich möchte aber Wetterer Recht geben, der be- 
hauptet, daß bei den nässenden Formen die günstigsten Resultate erzielt 
würden, speziell bei den nur ganz leicht schuppenden erythematösen 
Formen habe ich Mißerfolge erlebt. Das rührt wohl daher, daß hierbei 
die Epithelproliferation am schwächsten ist, was ja die geringere Radiosen- 
sihilität zur Genüge erklärt. Ganz allgemein empfehlen für die Behand- 
lung des seborrhoischen Ekzems die Röntgentherapie Frank-Schultz, 
Kromayer u. a. Letzterer hat aber nicht Unrecht, wenn er schreibt: 
Da die Beseitigung dieser Ekzemformen durch Chrysarobin, Pyrogallus, 
Wilkinson ebenfalls leicht ist, so werden äußere Umstände entscheiden, 
welcher Behandlungsart man den Vorzug geben will. Auch ich bin der 
Ansicht, daß, wo man des soborrhoischen Ekzems leicht durch die 
Arningsche Anthrarobintumenolpinselung oder noch durch einfachere 
Mittel Herr werden kann, man lieber auf die bei universeller Ausbreitung 
des Ekzems doch immerhin kostspielige Röntgenbehandlung verzichten 
soll. Wetterer berichtet über 8 Fälle, von denen 5 rezidivfrei durch 
Röntgenstrahlen geheilt worden sind, die übrigen rezidivierten. Lust- 
garten und Belot haben ebenfalls bei einigen Fällen Erfolg gehabt. 
Gottwald Schwarz stellte im Wiener Ärzteverein 1908 eine 38jährige 
Frau vor mit Eczema seborrhoicum, welche erfolgreich mit Röntgen- 
strahlen behandelt worden war. Die Patientin, welche seit 1?/, Jahren 
an universellem seborrhoischen Ekzem erkrankt war, war deshalb in den 
Wiener Kliniken mit Salben und Umschlägen behandelt, sodaß zwar vor- 
übergehender, aber kein dauernder Erfolg eintrat. Der Erfolg einer zwei- 
maligen Röntgenbestrahlung war frappant: Das Nässen, der Juckreiz, die 
Schuppung verschwanden vollkommen, und es restierte nur eine leicht 


614 Ritter, 


gerötete Haut. Über den Dauererfolg ist freilich nichts gesagt. Blaschko 
äußert sich folgendermaßen: Außerordentlich wirksam ist die Röntgen- 
behandlung bei den der Psoriasis ähnlichen trockenen Ekzemen, sowohl 
bei den alten, derb infiltrierten Plaques, die so leicht mit Psoriasis ver- 
wechselt werden, als auch bei den leicht schuppenden Ekzemen des Ge- 
sichtes und des Körpers, die heute vielfach mit dem Namen des sebor- 
rhoischen Ekzems belegt werden. Sehr Recht hat Alexander, der gleich- 
falls über die günstige Wirkung der Röntgenstrahlen bei seborrhoischem 
Ekzem berichtet, aber darauf aufmerksam macht, daß auch diese Be- 
handlung keinen Zweck hat, wenn man nicht den Urheber des Status 
seborrhoicus, die Kopfhaut, entsprechend behandelt. 

Das führt uns zur Besprechung der Röntgenbehandlung des .sebor- 
rhoischen Kopfekzems. In den neueren Lehrbüchern und Kompendien 
steht nichts über die Röntgenbehandlung des seborrhoischen Kopfekzems. 
wohl ein Beweis dafür, daß man die früher häufiger geübte Therapie auf- 
gegeben hat. Nur Frank-Schultz läßt diese Behandlung gelten, rät 
aber zu großer Vorsicht und gibt selbst zu, daß die Erfolge nicht glänzend 
sind. In einem Fall, bei dem er auf Wunsch des Patienten die Be- 
strahlung bis zur Atrophie der Kopfhaut fortgeführt hat, traten trotzdem 
noch die seborrhoischen Schuppen auf. Auch wir haben einen Fall ohne 
jeden Erfolg bestrahlt, es nützen da weder fraktionierte noch Epilations- 
dosen. Allerdings sind in der Literatur einige Erfolge der Röntgen- 
behandlung bei seborrhoischem Kopfekzem beschrieben, so von Hahn 
und Albers-Schönberg, Blaschko und Alexander. Alle 
mahnen jedoch zur Vorsicht in der Dosierung (2 X statt ‘3 X ist hier 
am Platze); es ist ja klar, dal die Haarpapillen des seborrhoischen Kopfes 
empfindlicher sind als normale und die Epilation schon bei viel geringeren 
Dosen eintritt als beim normalen Kopf. Und zu der Seborrhoe noch 
eine wenn auch vorübergehende Kahlheit des Kopfes ist weder eine Zierde 
für den Träger, noch ein Meisterstück des Arztes. Wir behandeln die 
Seborrhoe und das seborrhoische Kopfekzem nach Lassar oder mit 
spirituösen Waschungen und Schwefelsalbe.e Nach Wetterer zeigt die 
@Juarzlampenbestrahlung hier günstige Erfolge, auch wir haben vorüber- 
gehende Besserungen danach gesehen. 

Für das seborrhoische Gesichtsekzem gilt das vom universellen sebor- 
rlıoischen Ekzem Gesagte. Man wird hier die einfache Salbenbehandlung 
der Röntgenbehandlung vorziehen. Eine besondere Besprechung verdienen 
jedoch die isolierten Ekzeme im Gesicht, an den Lippen und am äußeren 
Ohr. Die ersteren treten bei Seborrhoikern besonders leicht auf, durch 
den Reiz des nächtlich aus dem Munde laufenden Speichels, oder durch 
beizende Mundwässer, oder an der Oberlippe durch das Nasensekret beim 


——- : —ni nn + 


Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 615 


Schnupfen. Diese Ekzeme, die gekennzeichnet sind durch zahlreiche 
F'ollikulitäten und besonders an der Oberlippe Übergänge zu der Sycosis 
coccogenes barbae darbieten, sind häufig recht hartnäckig und bleiben auch 
nach Aussetzen der Schädlichkeit noch lange bestehen. Diese Ekzeme 
werden sehr günstig durch Röntgenstrahlen beeinflußt, was besonders 
angenehm ist, da die Patienten sonst lange Zeit mit Gesichtsverbänden 
herumlaufen müssen. 

Auch die recht hartnäckigen Ekzeme am Ohr, besonders auch die 
zum immer rezidivierenden Rhagaden hinter dem Ohr führenden Ekzeme 
haben wir sehr gut mit Röntgenstrahlen beeinflußt. In der Literatur ist 
über diese Ekzeme und ihre Röntgenbehandlung nichts gesagt. Die Dosis 
ıst bei all diesen Ekzemen 3 X. 

Über die intertriginösen Ekzeme ist nicht viel zu sagen. Sie stellen 
meistens nässende Ekzemformen, welche an Stellen des Körpers lokalisiert 
sind, wo sich 2 Hautflächen berühren; hauptsächlich finden wir sie in den 
Oberschenkelfurchen, am Genitale und bei dicken Frauen unter der 
Mammae, ın den Achselhöhlen, in der Nabelfurche und unter dem Hänge- 
bauch. Obwohl auch hier gute Erfolge berichtet sind — Hahn rühmt 
das schnelle Nachlassen des Nässens — werden sie uns doch wegen der 
außerordentlichen Empfindlichkeit solch mazerierter Haut bei intertriginösen 
Ekzemen für die Röntgenbehandlung relativ nicht häufig entschließen. Es 
sind diese doch nichts anderes als akute Ekzeme und so gilt für sie bezüg- 
lich der Röntgenbehandlung das für das akute Ekzem Gesagte. Sehr zu 
empfehlen ist hierbei die schon erwähnte Arningsche Anthrarobin- 
pinselung. 

Auch die Säuglingsekzeme, bei denen die Therapie so machtlos ist. 
sind meines Erachtens nicht in den Bereich der Röntgentherapie zu ziehen. 
Abgesehen von allen Schwierigkeiten, die eine solche Bestrahlung mit sich 
brächte, verbietet sich diese Therapie auch wegen der immmerhin doclı 
nicht ganz von der Hand zu weisenden Gefahr der Wachstumsstörungen. 
Ich würde diese Form des Ekzems, die exsudative Diathese der Säuglinge 
und jüngsten Kinder garnicht erwähnen, wenn nicht hie und da die Mög- 
lichkeit einer derartigen Behandlung erwogen worden wäre. 

Eine sehr wichtige Rolle spielt die Röntgentherapie bei der Behand- 
lung des perianalen und perivulvären Ekzems. Dieses Leiden kann bekannt- 
lich durch 2 Umstände bedingt sein. Einmal entwickelt sich auf dem 
Boden eines essentiellen Pruritus vulvae oder ani durch das andauernde 
Kratzen ein Ekzem, das alle Stadien des Ekzems bis zur Lichenifikation 
durchmacht, oder aber es wird hervorgerufen durch äußere Reize, die bei 
dem Vulvaekzem in dem Ausfluß aus Uterus und Vagina und bei dem 
Analekzem in schleimigen Ausflüssen vermischt mit kleinen Exkrement- 


016 Ritter, 


partikelchen bestehen. Letzteres findet man häufig bei Leuten mit chro- 
nischer Obstipation mit und ohne Hämorrhoidalknoten. Diese perivul- 
vären und perianalen Ekzeme stellen bekanntlich für die Träger ein 
außerordentlich qualvolles Leiden dar. Ich habe starke und vernünftige 
Menschen gekannt, die durch den entsetzlichen Juckreiz, den diese Ekzeme 
besonders nachts hervorrufen, vollstäudig nervös geworden und durch die 
dauernde Schlaflosigkeit auch körperlich heruntergekommen waren. Daraus 
geht aber auch hervor, daß die medikamentöse Therapie bei diesen Leiden 
keine ideale ist. Und gerade hierbei leisten die Röntgenstrahlen Vorzüg- 
zügliches und sind für die mit diesem Leiden behafteten Menschen ein 
Segen geworden, und zwar hauptsächlich wegen ihrer juckstillenden W ir- 
kung. Es ist häufig so, daß die Patienten bereits nach Applikation der 
ersten 3 X den Juckreiz verlieren und ihre Nachtruhe wiedererlangen. 
Damit ist aber der Circulus vitiosus, den der Juckreiz mit Kratzen und 
Ekzementstehung bildet, unterbrochen. Das Ekzem ist freilich noch nicht 
geheilt, und es bedarf mehrere Sitzungen, um auch dieses zum Schwinden 
zu bringen. Selbstverständlich muß man gerade bei diesen Ekzemformen 
nach der Ätiologie forschen (Diabetes, Obstipation, Vermes, Gonorrhoe usw.) 
und so weit es möglich ist, die Grundursache beseitigen. Wir halten für 
dieses Ekzem die Röntgentherapie für eine ideale Methode und finden uns 
dabei im Einverständnis mit einer Reilie von Autoren, wie Löwenberg, 
Bruns, Blaschko, Hahn, H.E. Schmidt u.a. Den Standpunkt 
von Frank-Schultz können wir nicht teilen, der hierfür in erster 
Linie die ultravioletten Strahlen angewendet wissen will. Weder diese noch 
die Hochfrequenzbehandlung leistet nach unseren Erfahrungen in Kiel und 
Hamburg das Gleiche wie die Röntgenstralilen. 

Sehr wichtig ist hierbei die Abdeckung der gesunden Haut, und vor allen 
Dingen bei jüngeren Leuten, bei denen die Methode nur mit größter Vorsicht 
anzuwenden ist, die Abdeckung der Testikel. Die Abdeckung geschieht bei 
uns in eigens dazu geschnittenem aus mehren Lagen bestehenden Müller- 
Bleiguinmischutzstoff. Ich bestrahle sowohl die Anal- wie die Vulvaekzeme 
lieber in Rückenlage mit Beinhaltern als in Knieellenbogenlage, weil bei 
letzterer der Patient zu leicht nach hinten zurücksinkt, der Strahlenquelle 
näher kommt und auf diese Weise zu Dosierungsfehlern oder gar Ver- 
brennungen Anlaß gibt. Der Bestrahlungsmodus ist so, daß 3 X in Ab- 
stinden von 10 Tagen gegeben werden, nach dreimal 3X tritt die Pause 
von 3 Wochen ein, hartes Licht ohne Filter, H. W. 1,5 cm. 

Ebenfalls wegen ihrer juckstillenden Eigenschaft sehr geschätzt sind 
die Röntgenstrahlen endlich bei der als Neurodermie bezeichneten Form 
des chronischen Ekzems. Dieses plaqueförmig auftretende meist jahrelang 
bestehende Hautleiden ist gegen (lie medikamentöse Therapie im Allgemeinen 


Tin: in " 


DORUM O gun 7 © iin 


Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 617 


sehr refraktär. Meist werden nur vorübergehende Besserungen damit er- 
ziehlt. Hier feiert die Röntgentherapie Triumphe, und ich kann mich 
Blaschko voll und ganz anschließen, wenn er sagt, daß bei der Neuro- 
cdlermie die Röntgenbehandlung geradezu eine klassische Domäne darstellt. 
Ähnlich äußert sich Bruns, indem er schreibt, daß bei den zirkumskripten 
Plaques von oft über Jahre bestehender Neurodermie die Röntgenbehandlung 
unseren bisherigen therapeutischen Methoden bei weitem an Wirksamkeit 
überlegen sei. Über Erfolge der Röntgentherapie bei dieser Form hat 
außerdem noch eine Anzahl von Autoren berichtet, so Hahn, Scholtz, 
Alexander, Frank-Schultz u. a. 

Es gibt bekanntlich in der Hauptsache zwei Theorien für die Ent- 
stehungsmöglichkeiten der Neurodermie. Die eine besagt, daß bei neuro- 
tischen Individuen ein Pruritus ohne anatomisch erkennbare Ursache die 
betreffenden Personen zum Kratzen verleitet, woraus dann das Ekzem 
entsteht, das nun seinerseits wieder Juckreiz erzeugt; die andere Theorie 
nimmt an, dal bei diesen Individuen in der Kindheit Ekzeme bestanden 
haben, welche die Kinder zum Kratzen veranlaßt haben, durch den Juck- 
reiz und die daraus folgende Schlaflosigkeit werden die Personen zu ner- 
vösen Individuen, die jeden Hautreiz mit der Bildung von Ekzemen be- 
antworten. So entstehen die hartnäckigen Neurodermititen. Es ist müßig, 
bei der Besprechung der Röntgentherapie über das Für und Wider dieser 
Theorien zu reden, tatsächlich liegen hier die Verhältnisse genau wie bei 
dem Anal- und Vulvaekzem, wir durchbrechen mit unserer Therapie den 
Circulus vitiosus durch das sofortige Sistieren des Juckreizes. Welche 
Wobltat wir damit den Patienten erweisen, können wir oft genug hören. 
Ich habe einen Kollegen bestrahlt, der sich nachts festbinden ließ, um 
dem Juckreiz nicht nachzugeben, er quälte sich schon monatelang mit 
diesem Leiden herum und hatte alle möglichen Mittel ohne Erfolg ver- 
sucht. Endlich unterzog er sich notgedrungen einer Röntgentherapie, gegen 
die er, wie so mancher Arzt, eine unmotivierte spontane Abneigung hatte, 
und er war glücklich, nach der ersten Bestrahlung keinen Juckreiz mehr 
zu spüren und ist rezidivfrei seit einem Jahre. Einen anderen Fall habe 
ich schon im allgemeinen Teile angeführt. Rezidive können wir natürlich 
auch mit der Strahlentherapie nicht vermeiden, ich habe aber den Eindruck 
und bei einer Reihe von Patienten die Gewißheit, daß sie viel seltener 
sind als nach der Salbenbehandlung. 

Zusammenfassend kann ich sagen, daß die Röntgenstrahlen bei richtiger 
Indikationsstellung und fehlerfreier Verwendung in der Behandlung des 
Ekzems ein wichtiger Heilfaktor geworden sind, den wir nicht missen 
möchten. 


618 Ritter. 


Literatur. 


1l. Allgemeines. 


Ehrmann, Die Anwendung der Elektrizität in der Dermatologie. Safar 1908. 

Frank-Schultz, Die Röntgentherapie in der Dermatologie. J. Springer 1910. 

Freund, L., Grundriß der gesamten Radiotherapie. Urban u. Schwarzenberg. 

Gocht, Handbuch der Röntgenlehre. 4. Aufl. Enke, Stuttgart 1911/12. 

Gottschalk, Die Röntgentherapie nach ihrem heutigen Stand. Enke, Stuttgart. 

Haenisch, Über den heutigen Stand der Röntgentherapie. Leipzig 1908. 

Kienböck, Radiotherapie. Enke, Stuttgart 1907. 

Kromayer, Röntgen, Radium und Licht in der Dermatologie. Berlin 1913. 

Meirowsky, Die Röntgen- und Radiumtherapie der Haut- und Geschlechtskrank- 
heiten. In „A. Jesionek, prakt. Ergebnisse der Haut- und Geschlechtskrank- 
heiten, Jahrg. 1“. Bergmann, Wiesbaden 1910. 

Riecke, Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten. Gust. Fischer, Jena 
1912. 

Schmidt, H. E., Kompendium der Röntgentherapie. A. Hirschwald, Berlin 1913. 

Sommer, Röntgentaschenbücher. 

Ulimann, Physikalische Therapie der Hautkrankheiten. Enke, Stuttgart 1909. 

Wetterer, J., Handbuch der Röntgentherapie. O. Nemmich, Leipzig 1908. 

Holzknecht, Jahreskurse für ärztliche Fortbildung. 1910, H. 8. 

Meyer und Ritter, Experimentelle Untersuchungen zur biologischen Strahlen- 
wirkung. Strahlentherapie Bd. I, H. 1. 


2. Zusammenfassende Arbeiten über Röntgenbehandlung. 


Bruhns, Die Indikationen der Röntgenbehandlung bei Hautkrankheiten. Berl. 
klin. Wochenschr. 1906, Nr. 6, S. 168. 

Blaschko, Zur Röntgenbehandlung der Hautkrankheiten. Berl klin. Wochenschr. 
1908, Nr. 46, S. 2060. 

Bachem, Max, Die therapeutische Verwendbarkeit der Röntgenstrahlen. Fortschr. 
auf d. Geb. der Röntgenstrahlen, Bd. 14, H. 1. u 3. 

Bering, Grundsätze und Erfahrungen über die Behandlung von Hautkrankheiten 
mit Röntgenstrahlen. Zeitschr. f. neuere physikal. Medizin, Jahrg. II, Nr. 8. 

Löwenberg, M., Anwendung der Röntgenstrahlen in der Therapie der Hautkrank- 
heiten. Münch. med. Wochenschr. 1910, Nr. 43, S. 2233. 

Müller, G. J., Die Röntgentherapie der oberflächlichen Hautkatarrhe. Deutsche 
Medizinalzeitung 1910, Nr. 1. 

Alexander, Die Indikationen und die Methodik der Röntgenbestrahlung der Haut- 
krankheiten. Berl. klin. Wochenschr. 1910, Nr. 42 und 43. 

Burns, Some observations on Xray therapeutics in skin diseases, Boston med. and 
surgery journal, 29. Okt. 1903. 


3. Spezielle Arbeiten über Röntgenbehandlung des Ekzems. 


Albers-Schönberg, Über die Behandlung des Lupus und des chronischen Ekzems 
mit Röntgenstrahlen. Fortschr. 1898, Bd. 2, H. 1, S. 20. 
Demonstration mit Röntgenstrahlen behandelter Hautkranke. Ärztl. 
Verein Hamburg 18. X. 98. 
Albers-Schönberg und Hahn, Zur Therapie des Lupus und der Hautkrankheiten 
mittels Röntgenstrahlen. Münch. med. Wochenschr. 1900, Nr. 9 u. 10. 


Die Röntgenbehandlung des Ekzems. 619 


Hahn, Ärztl. Verein, Hamburg 1898. — Durch Röntgenstrahlen geheiltes chronisches 
Ekzem. Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstrahlen 1898, Bd. 2, H. 1; 1901, 
Bd. 5, H. 1. 

Holm, Resultate mittels Röntgenbestrahlung bei chronischem Ekzem. Ärztl. Verein, 
Hamburg 12, VII. 1898. 

Holland, Ch. Th., Bestrahlung eines chronischen Ekzems am Handrücken mit Rönt- 
genstrahlen und Heilung. Brit. med. Journ. 29. IV. 1899. 

Lassar, Röntgenbehandlung bei Ekzem. 32. Kongr. d. Deutsch. Gesellsch. f. Chi- 
rurgie 1903. 

Schirren, Chronisches Handekzem geheilt durch X-Strahlen. Mediz. Gesellschaft 
Kiel. 7. I. 1905. 

Belot, Eczema chronique et radiothérapie. Arch. d’electrieit& medical 1907, S. 563. 

Schwarz, Eczema seborrhoic. mit Röntgenstrahlen behandelt. Gesellsch. f. physikal. 
Medizin, 18. XI. 1908. 

Deutico, Die Röntgenstrahlen in der Behandlung des Ekzems. Giourn. di Electro- 
logia e Radiologia. Mai-Juni 1907. 

Merz, Sammelreferat. Schweiz. Correspondenzblatt 1911, Nr. 6. 

Müller, Wiesbaden. Zur Behandlung von Hautkrankheiten mit Röntgenstrahlen. 
Münch. med. Wochenschr. 1904, Nr. 23, S. 999. 

Schein und Török, Die Radiotherapie und Aktinotherapie der Hautkrankheiten. 
Wien. med. Wochenschr. 1902, S. 18. 

Scholtz, Über die Indikationen der Behandlung mit Röntgenstrahlen in der Derma 
tologie. Fortschr. auf d. Geb. d. R., Bd. 8, H. 2, S. 91. 

Derselbe, Über den Einfluß der Röntgenstrahlen auf die Haut in gesundem und 
krankem Zustand. Arch. f. Dermat. und Syphilis, Bd. 59. 
Derselbe, Über die Behandlung von Hautkrankheiten mit Röntgenstrahlen und 
konzentriertem Licht. Deutsche med. Wochenschr. 1903, Nr. 33 u. 34. 
Stelwagon, Some observations on the use of Röntgen rays in dermatologie. 27. Kongr. 
der americ. dermatol. associat. 

Schindler, Die Behandlung kranker Nägel mit Röntgenstrahlen. Deutsche med. 
Wochenschr. 1908. 

Dollinger, Sammelbericht über die Arbeiten auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen 
in Frankreich. Fortschr. auf d. Geb. d. R., Bd. 1. 

Riehl, Bemerkungen zur Röntgentherapie. Wien. klin. Wochenschr., Bd. 1. 

Gamlen, Arch. of the Roentg. ray. 1904, Nr. 48. 

Sjögren und Sederholm, Beitrag zur therapeutischen Verwertung der Röntgen- 
strahlen. Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstrablen, Bd. 3, S. 145. 


Über die Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 
Von 
Dr. Thedering, Oldenburg. 


Wir die Bläschenbildung das akute -Ekzem charakterisiert, tritt 
beim chronischen die ödematöse Infiltration der Haut, namentlich 
des Papillarkörpers, so durchaus überwiegend in den Vordergrund, daß 
der ursprüngliche Bläschencharakter dadurch bis zur Unkenntlichkeit ver- 
wischt und überdeckt werden kann. Dem akuten Ekzem ist gewöhnlich 
nur eine oberflächliche zellig exsudative Infiltration der Haut eigen, welche 
nur gelegentlich an Örtlichkeiten mit stark entwickeltem Unterhautzell- 
gewebe — Skrotum, Augenlider — mächtigeren Umfang annehmen kann. 
Dem gegenüber präsentiert sich das chronische Ekzem in pathologisch- 
anatomischer Hinsicht als ein chronisch entzündlicher Zustand der Haut 
und ihrer Gewebsunterlagen mit allen Folgeerscheinungen. Vorwiegend 
die Untersuchungen Unnas haben uns belehrt, daß beim chronischen Ek- 
zem die normale Struktur der Haut in ihren sämtlichen Etagen aufgelockert 
ist, daß ein zellig-seröses Exsudat die Haut in ganzer Dicke durchtränkt 
und die Ausläufer des subpapillären Gefäßnetzes bis in die Tiefe des 
Unterhautzellgewebes verfolgt. Dabei sind Gefäße und Lymphspalten stark 
erweitert. l 

Die an der Oberfläche der Haut sich abspielenden Veränderungen 
der Hyperkeratose usw. sind als Folgezustände, als Ausdruck einer in 
oben geschilderten pathologisch-anatomischen Verhältnissen wurzelnden Er- 
nährungsstörung im Hornbildungsprozeß der Haut aufzufassen. Außerlich 
betrachtet ist die chronisch-ekzematös erkrankte Haut gegenüber der ge- 
sunden durch teigige Konsistenz und starre Verdickung gekennzeichnet. 
Nach Ablauf des chronischen Ekzems kann die Haut in leichteren Fällen 
zur Norm zurückkehren ; schwereres jahrelang bestehendes chronisches Ek- 
zem hinterläßt immer eine teils einfache, teils narbige Atrophie der Haut 
mit teilweisem Untergang der Schweiß- und Talgdrüsen. 

Dem verschiedenen pathologisch-anatomischen Verhalten des akuten 
und chronischen Ekzems entspricht eine durchaus verschiedene Therapie. 
Während ersteres einen hochakuten Reizzustand der Haut darstellt, trägt 
letzteres einen träg stagnierenden, in Versumpfung und Inaktivität über- 
gegangenen chronischen Entzündungscharakter. Bei ersterem sind daher 
beruhigende, lindernde, bei letzterem reizende, den chronischen Zustand 
akut auffrischende Mittel am Platze. Beim akuten Ekzem spielen Puder. 


a ae — + * 


Thedering, Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 621 


austrocknende, überhäutende Medikamente die erste Rolle, bei Vermeidung 
von Wasser, Seifen und Salben. Das chronische Ekzem hingegen erfordert 
heiße Seifenbäder, Schwefel- und Teerbehandlung, um die Niederschläge 
der cbronisch-entzündlichen Stagnation in der Hochflut einer künstlich 
angeregten aktiven Hyperämie fortzuschwemmen. 

Als geheilt ist das chronische Ekzem erst zu betrachten, 
wenn die teigige, ödematöse Konsistenz und Verdickung der 
Haut auf normale Verhältnisse zurückgeführt ist. 

Durch vergleichende Abhebung einer Hautfalte im Kranken und Ge- 
sunden wird man sich jederzeit leicht überzeugen, wie weit die Heilung 
bereits vorgeschritten, bzw. wie weit man vom Ziele der Heilung noch 
entfernt ist. 

Die vollständige, dauernde Ausheilung des chronischen Ekzems ist 
nicht selten eine höchst schwierige, manchmal eine geradezu unmögliche 
Aufgabe für den Arzt. Dies liegt teils an der Ungunst der Verhältnisse, 
in denen die betr. Kranken zu leben gezwungen sind, teils an der Unzu- 
länglichkeit unserer Heilmethoden. Letztere kann absolut und relativ be- 
dingt sein. Abgesehen davon, daß manche Hausfrau, mancher Arbeiter 
völlig außerstande ist, in seinem Berufe die ekzemerzeugende Schädlich- 
keit von seinen empfindlichen Händen fernzuhalten, trägt nicht selten 
Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit in der exakten Anlage der absolut notwen- 
digen Salbenverbände die Schuld des Mißerfolges.. Dies ist die relative 
Unzulänglichkeit unserer bisher üblichen Methoden der Ekzembehandlung 
mit Salben, Teer, Seifen. Aber es läßt sich nicht leugnen, daß die Energie 
der letztgenannten Reizmittel bei ganz chronischem, tiefeingewurzeltem Ek- 
zem mit mächtig entwickelter Infiltration der Haut nicht immer ausreicht. 
den pathologischen Zustand in normalen zu verwandeln, selbst bei sorg- 
samster Anwendung derselben und Fernhaltung aller Schädlichkeiten in 
klinischer Behandlung. Dies ist die absolute Unzulänglichkeit unserer 
bisher gebräuchlichen Ekzemtherapie. 

Hier nun ist der Punkt, wo durch Einführung der Röntgenstrahlen 
ın den Heilmittelschatz der Dermatologie für die Therapie des chro- 
nischen Ekzems ein wesentlicher, freudig zu begrüßender Fortschritt be- 
ginnt. Für den dermatologisch und radiologisch geschulten und erfahrenen 
Arzt kann es nicht zweifelhaft sein, daß die tiefgreifende, nachhaltige 
Wirkung, welche die Röntgenstrahlen in der Haut erzeugen, der durch 
Teer, Heißluft erweckten Reaktion an Energie, Gleichmäßigkeit, Nach- 
haltigkeit unvergleichlich überlegen ist. Da die einmal verabreichte Strahlen- 
dosis ihre Wirkung in der Haut ablaufend unter allen Umständen erschöpft. 
unabhängig von anderen therapeutischen Maßnahmen und äußerlichem 
Verhalten, so scheidet für die Röntgenstrahlen die oben genannte relative 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 40 


622 Thedering, 


Unzulänglichkeit aus. Da endlich die Prognose, die Dauer des erzielten 
Heilerfolges abhängig ist von dem Grade, in welchem die Umwandlung 
der chronisch infiltrierten Haut zur Norm gelang, so kann es nicht wunder- 
nehmen, daß die Statistik in dieser Hinsicht eine eklatante Überlegenheit 
der Röntgentherapie des chronischen Ekzems über die medikamentöse un- 
widerleglich nachweist. Hiermit soll weder gesagt sein, daß fortan jede: 
chronische Ekzem wahllos mit Röntgenstrahlen zu behandeln ist, noch dab 
man mit X-Strahlen unter allen Umständen rezidivfreie Heilungen erzielt. 
Nur der bedeutsame Fortschritt sei festgestellt! — 

Bezüglich der Bestrahlungsmethode sei zunächst betont, dal) die Rünt- 
genbehandlung des chronischen Ekzems mit den hier in Betracht kommenden 
kleinen Strahlendosen keine nennenswerten Gefahren in sich birgt. welche 
der ausgiebigen Verwendung für den genannten Zweck im Wege stehen 
würden. Selbstverständlich ist die Röntgenbehandlung keine indifferente 
Methode. Dieselbe erfordert genaue Kenntnis der biologischen Strahlen- 
wirkung, der Strahlen-Qualitätsbestimmung und Meßmethodik (,‚Dosierung'* \. 
wie jedes andere starkwirkende Medikament. Daneben erheischt die 
Röntgentherapie des chronischen Ekzems noch ausreichende Bekanntschaft 
und Erfahrung mit der für Ekzembehandlung geeignetsten Strahlenhärte 
und speziellen Bestrahlungstechnik. Hierüber in Kürze zunächst einige 
wichtige Regeln und Winke. 

In den seltensten Fällen ist ein chronisches Ekzem ohne weitere 
Vorbehandlung der Röntgenbestrahlung fähig. Vor allem erforderlich ist. 
soweit möglich, die Reinigung der erkrankten Fläche von Schuppen und 
Schwielen, da diese einen bedeutenden Bruchteil der wirksamsten Ober- 
flächenstrahlen absorbieren. Am meisten empfehlenswert sind Verbände 
mit Hebrascher Bleipflastersalbe nebst Seifenwaschungen. Aber auch 
parallel mit der Bestrahlung ist eine unterstützende Therapie mit indiffe- 
renten Salben zur Abkürzung der Kur durchaus ratsam. Nur vermeide 
man ängstlich Kaliseife, und differente Salben, Umschläge, Pinselungen. 
namentlich Teer in jeder Form und Konzentration. Die röntgen- 
bestrahlte Haut ist hochempfindlich gegen Wasser und Seife; Teer kann 
durch Rötung eine Röntgenreaktion vortäuschen. Am besten geeignet für 
eine Parallelbehandlung ist wiederum die Hebrasche Salbe, lege artis her- 
gestellt und in regelrechten Verbänden angelegt. Eine etwaige Röntgen- 
reaktion wird mit Umschlägen von Tiq. al. acet. 2% behandelt bei streng- 
ster Vermeidung von Wasser und Seife. 

Wichtig ist ferner die gleichmäßige Belichtung des erkrankter. 
Terrains. Eine zu eng gedrängte Lokalisierung der einzelnen Bestrahlung-- 
bezirke kann durch Kumulation gefährliche Überdosierung, das Gegent«: 
unzureichende Beeinflussung zwischenliegender Hautstrecken zur Fol: 


a Vai —- m mn — 


Baner aae aiaa a -1 - 


Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 623 


haben, welche langwierige Nachbehandlung erfordert. Da nun im Strahlungs- 
bereich jeder Röntgenröhre eine Region der Kern- und Halbwirkung, 
ähnlich wie beim Schattenkegel, zu unterscheiden ist, deren Ausdehnung 
vom Durchmesser der Röhre abhängig, so muß man in dieser Beziehung 
sein Röhrenmaterial kennen. 

Sodann ist es wichtig, während der ganzen Bestrahlungskur 
das Reaktionsniveau der Haut auf einer gewissen mittleren 
Höhe dauernd und gleichmäßig zu erhalten, eine umso schwierigere 
Aufgabe, als die Reaktion die Grenze der sichtbaren Rötung nicht über- 
schreiten soll, also latent verläuft. Man erreicht dies Ziel mit ziemlicher 
Zuverlässigkeit durch gleichmäßige Verteilung exakt abgemessener frak- 
tionierter Dosen mit Innehaltung gehöriger Bestrahlungsintervalle. Frei- 
lich ist man hier dank der unberechenbar in weiten Grenzen schwankenden 
individuellen Empfindlichkeit der Haut gegen en vor pein- 
lichen Überraschungen nie sicher. 

Die Gefährlichkeit der Strahlenüberdosierung für die Haut und der 
letzteren individuell höchst wechselnde Reizbarkeit gegen Röntgenstrahlen 
erfordern nach meiner Ansicht neben exakter Abmessung des Strahlen- 
quantums noch eine kontrollierende Prüfung des biologischen 
Bestrahlungseffektes in der Haut. Die menschliche Haut, als 
lebendiges Organ, verhält sich gegenüber Röntgenstrahlen nicht gleichartig 
einer leblos-konstanten chemischen Substanz, an welcher die Dosis ab- 
gelesen wird. So weiß man nach Verabreichung z. B. von !/, Volldosis 
nie, wie weit die Haut nach 8—14 Tagen noch von der Erythemgrenze 
entfernt ist, d. h. ob man noch !/, oder !/, oder !/, E.D. oder nichts 
mehr hinzufügen darf, ohne eine Röntgenröte zu riskieren. Der Haut 
selbst ist äußerlich nichts anzusehen, da alle die genannten Reaktions- 
grade, weil unter dem Erythemniveau liegend, latent verlaufen. Uns 
fehlt also ein biologisches Meßverfahren, um den Grad der 
in der Haut bereits vorhandenen Röntgenwirkung jederzeit 
exakt zu bestimmen. 

Die von der Haut verschluckte Röntgenenergie wird in den Zellen 
in erhöhte biologische Tätigkeit, also in äquivalente biologische Energie, 
umgesetzt. Der letzteren physikalisch-physiologischer Ausdruck ist ge- 
steigerte Wärmeproduktion. Also aus dem Grade der Temperatur- 
erhöhung der Haut nach Röntgenbestrahlung muß man einen 
Maßstab für den Grad der erzielten Reaktion gewinnen können. 
Es ist klar, daß für die hier in Betracht kommenden minimalen Tempe- 
raturunterschiede der Haut thermometrische Messungen nicht ausreichen. 
Hier kann nur das thermoelektrische Verfahren mit hochempfindlichen 
Meßinstrumenten in Frage kommen. Verfasser hofft bereits in einem 

40* 


624 Thedering, 


der nächsten Hefte dieser Zeitschrift die Ergebnisse einschlägiger Ver- 
suche in einer Arbeit über „Thermoelektrische Reaktion der 
Haut nach Röntgenbestrahlung‘‘ vorlegen zu können. 

Nun noch ein Wort über die spezielle Methode der Röntgen- 
behandlung des chronischen Ekzems. Die Strahlung wähle man „mittel- 
hart“, d. h. etwa 7—11° des an anderer Stelle von mir beschriebenen 
Röntgenhärtemessers.!) Bei stärkerer Infiltration der Haut nehme man 
etwas härtere Strahlung (9—11°), umgekehrt etwas weichere (7— Hi 
Die Dosis wird nach dem Sabouraudschen Verfahren abgemessen. In der 
ersten Sitzung verabreiche man !/, E.D. Nur bei stark inveterierten 
Fällen mit heftigen Juckbeschwerden gebe man !/, Volldosis zum Beginn. 
Im letzteren Falle darf die zweite Bestrahlung frühestens nach Ablauf 
von 14 Tagen, im ersteren frühestens nach 8 Tagen erfolgen. Die zweite 
Dosis darf in beiden Fällen !/, E.D. nicht übersteigen. Hat man 
zu Anfang !/, E.D. verabreicht, so darf man das dritte Drittel erst 
14 Tage nach dem zweiten !/, E.D. geben, falls keine Reaktion auf 
der Haut hervortritt. Nachdem man so in fraktionierten Dosen den 
Ekzemherd mit ?2/,—+ Volldosis belichtet hat, ist zunächst während weiterer 
2—3 Wochen unter indifferenten Salben-(Hebra)Verbänden der Erfols 
abzuwarten. Auf keinen Fall darf nach Verabreichung einer Volldosis 
der zweite Bestrahlungsturnus eher als nach Ablauf einer Frist von etwa 
3 Wochen einsetzen. Gewöhnlich wird man die Erfahrung machen, dal) 
die Haut im Verlaufe einer längeren Röntgenbehandlung allmählich 
strahlenempfindlicher wird. Die zweite Volldosis wird nach diesem 
Bestrahlungsschema in der Regel nicht mehr ohne Erythem ertragen. 
Kein Wunder, da die Thermoreaktion der Haut noch viele Wochen naclı 
der letzten Bestrahlung abnorm erhöhte Temperaturausschläge anzeigt! 
Um also der Gefahr einer Kumulierung der Röntgenwirkung über das 
erlaubte Maß hinaus zu entgehen, wird man im zweiten Bestrahlungsturnus zwar 
nicht kleinere Teildosen verabreichen, aber längere Pausen einschalten. 
Für den Zweifelsfall lassen sich bestimmte Regeln wieder nicht eher geben. 
als bis wir den Grad der in der Haut noch vorhandenen Röntgenwirkung 
exakt und objektiv biometrisch festzustellen in der Lage sind. Bis dahin 
ist man lediglich auf allgemeine Erfahrungssätze angewiesen. 

Der Erfolg zeigt sich zuerst in einer Abnahme der subjektiven 
(Juck-)Beschwerden. Im Laufe der nächsten Wochen beobachtet man 
dann Einschmelzung des Infiltrats, beginnend an der Peripherie des Ekzen- 
herdes, ferner einen Umschlag der Färbung aus dem Rot in pigment- 
braunes Hautkolorit. Am hartnäckigsten widerstehen die zentralen Par- 


1) Vgl. Zentralblatt für Röntgenstrahlen, IV. Jahrgang. Heft 1/2. 


Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 625 


tien dem Angriff der Strahlen. Der Fortschritt der Heilung erfolgt in 
peripherisch-zentraler Richtung, also umgekehrt wie die Ausbreitung des 
Leidens. Im Zentrum steckt eben der Ausgangspunkt, der älteste, hart- 
näckigste Kern der Krankheit. Bei pustulösem „Ekzem“ beobachten wir 
ähnlich wie bei der Acne Eintrocknung und Vernarbung der follikulären 
Eiterherde. Die erforderliche Zahl der Teilbestrahlungen schwankt in 
außerordentlich weiten Grenzen, je nach der Hartnäckigkeit des Falles 
und dem Grade der individuellen Strahlenempfänglichkeit. Hier spezielle 
Regeln zu geben, ist unmöglich. Man muß eben nach obigem Schema 
fortbestrahlen bis zur Heilung. Um die sehr verschiedene Behandlungs- 
dauer im einzelnen Falle zu illustrieren, ist in einer größeren Zahl der 
folgenden Krankengeschichten der ganze Behandlungsverlauf ausführlich 
geschildert. Über die Krankengeschichten zuvor einige allgemeine Be- 
merkungen : 

Die Fälle entstammen den letzten vier Jahren. Die Gesamtzahl der 
in dieser Frist mit Röntgenstrahlen behandelten Ekzemkranken beträgt 
einige Hundert. Ich habe meine Auswahl beschränkt auf charakteristische 
Fälle und namentlich auf solche Kranke, die ich bezüglich des Dauer- 
erfolges entweder persönlich oder brieflich nachzuprüfen in der Lage war. 
Aus dem letzten Jahre habe ich mit Absicht nur wenige Fälle in meine 
Statistik aufgenommen, weil dieselben zur Beurteilung des Dauererfolges 
noch zu jung sind. Die persönliche Nachprüfung in allen Fällen erwies 
sich, so erwünscht sie erschien, als unmöglich. Bei Angabe des gegen- 
wiirtigen Zustandes ist daher stets beigefügt, ob der Befund auf persön- 
licher Nachuntersuchung oder brieflicher Mitteilung beruht. Bezüglich 
der Röntgenbestrahlung habe ich Angaben über die Anzahl der erforder- 
lichen Sitzungen, Strahlenhärte und -Dosis nur einer Auswahl charakte- 
ristischer Fälle beigefügt. Im übrigen beziehe ich mich auf das oben 
entworfene Schema. Nicht alle Kranken sind von vornherein im Rahmen 
desselben behandelt, vielmehr hat sich der hier entwickelte Behandlungs- 
modus aus reicher praktischer Erfahrung im Laufe der Zeit als der zweck- 
entsprechendste, am meisten bewährte herauskristallisiert. Bei einer 
Reihe von Krankengeschichten findet sich Kombinierung der Röntgen- 
therapie mit Heißluft. Obwohl von dem Wert der Heißluftbehandlung 
beim chronischen Ekzem überzeugt, bin ich nach eingehender Prüfung 
doch zur Ansicht gekommen, daß die flüchtige Heißluftwirkung an der 
Seite der nachhaltig-konstanten Röntgenenergie entbehrlich ist. Auch 
stellt die Forderung der täglichen Anwendung von mindestens 3%/,—1 
Stunde Dauer an den Kranken eine zu große Zumutung Nun die 
Krankengeschichten. Der Übersichtlichkeit wegen habe ich dieselben in 
vier Gruppen eingeordnet: 


626 Thedering, 


1. das pustulöse Ekzem; 

2. das chronische Ekzem des Unterschenkels: 
3. das chronische Ekzem der Hände; 

4. anderweitige chronische Ekzeme. 


I. Das pustulöse Ekzem. 


Diese Gruppe umfaßt eine kleinere Zahl flächenhaft ausgebreite:- 
follikulärer Infektion der Haut mit Eiterkokken und pustulöser Erkranku:: 
der behaarten Kopfhaut, ausgehend von eitriger Entzündung der Haar- 
wurzeln. Die erstere beobachtete ich öfters nach Behandlung eines eitri« 
Furunkels mit warmen Kompressen. Unter der Kompresse verstreicht d-r 
Eiter auf der Haut und die feuchte Brutwärme schafft die günstigster 
Bedingungen zur Ansiedlung und Vegetation der Eiterkokken in den fıll- 
kulären Schlupfwinkeln der Haut. Die Affektion kann monatelang jed: 
Behandlung trotzen; mit Röntgenstrahlen ist Heilung immer leicht und im 
kurzer Zeit zu erzielen. 

1. Eczema pustulos. chronic. der linken Thoraxseite nach Behuand- 
lung eines eitrigen Furunkels mit warmen Breikompressen bei einer jüngeren 
Dame. Vom 20. VII. — 27. VII. 1910 Trockenbehandlung ohne Erfolg. Darr 
entwickelte sich ein neuer Furunkelabszeß. Spaltung. Am 10. X. und 17. X. 141" 
Rüntgenbestrahlung. Darauf Heilung des Ekzems in kürzester Zeit. 

2. Junge Frau mit Eczema pustulos. nasi et manus utrq. chronic 
auf „skrophulöser“ Grundlage. Allgemeinbehandlung mit Salzbädern, Eisen-Arsen- 
pillen. Periodische Röntgenbehandlung der erkrankten Teile vom 24. IV. bis 
15. VII. 1911. Darauf Heilung. Januar 1912 trat an beiden Händen ein unte- 
deutendes Rezidiv auf, während sich an der Nase bis heute keine Pustei wiede: 
gezeigt hat. Nachbehandlung der Hände mit Röntgenstrahlen am 20. I. urċ 
80. I. 1912. Seither geheilt. 

3. Student. Eczema cap. chronic. pustulos. Röntgenbehandlung des 
Kopfes bis zur Epilation von Februar bis Mai 1912. Nach Entfernung der Huare 
normale Kopfhaut. Im Winter 1912/13 Rezidiv. 

4. Schneider. Eczema capitis pustulos. chronic. Vom 18. NI. 1912 bis 
Anfang März 1913 ohne Erfolg mit Sublimatkopfwasser, weißer Präzipitatsaive. 
Lig. kal. arsenic usw. behandelt. Vielmehr wirkte jede äußere Therapie nut 
den genannten Mitteln durch Reizung nur verschlimmernd. Unerträgliches Jurker. 
Viermalige Röntgen-Belichtung des Kopfes am 1., 5., 13., 18. März 1912 mit ent- 
spr. Teildosen führte zu reaktionsloser totaler Epilation. Jetzt normale Kopfhaut. 
Jucken verschwunden. — In diesem und ähnlichen Fällen ist es für den Dauer- 
erfolg von größter, entscheidender Wichtigkeit, die nachwachsenden Haare ani 
ihre Gesundheit zu prüfen. Finden sich darunter in größerer Zahl wieder wurzei- 
kranke Exemplare, so ist der Kopf nochmals zu epilieren. Im Falle 3 war mir 
diese Kontrolle des auswärts wohnenden Kranken nicht möglich; daher das Rezikır. 

5. Eczema chronic. manus utrg. pustulos. Junges Mädchen. Seit 
8 Jahren bedecken sich beide Hände in immer wiederholten Ausbrüchen dorsa. 
und volar mit Eiterpusteln. Das Leiden wurde während genannter Zeit von ı 
Ärzten mit Salben usw. ohne jeden Erfolg behandelt. Neben Allgemeinbehandiunz 


2 — 


Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 627 


mit Arsen-Eisen-Salzbädern wegen bestehender Anämie und „Skrophulose“ wurden 
die Hände vom 19. IV. bis 21. V. 1910 fast täglich 1 Stunde lang mit Heißluft 
behandelt. Wegen unvollständigen Erfolges nebenher Röntgenbehandlung der 
Hände am 21. V., 31. V., 1. VI. 7. VI. 1910. Darauf vollständige Heilung. Die 
llaut der Hände war rosig, zart, keine Pustel mehr vorhanden. Nachunters. 
am 14. IV. 1913. Bis heute rezidivfreie Heilung. Haut der Hände zart, von 
reinem Teint. Die Hände ertragen jede Arbeit. 


II. Eczema chronicum des Unterschenkels. 


Das chronische Ekzem des Unterschenkels verdankt seine Entstehung 
meist einer Ernährungsstörung der Haut. In jüngerem Alter spielen 
Varizen, namentlich bei Frauen, eine vorherrschende Rolle (Eczema chronic. 
cruris e varicibus); in vorgerücktem Alter haben öfters arteriosklerotische 
Adererkrankungen des Beines eine ursächliche Bedeutung. Die schlecht 
ernährte Haut besitzt gegenüber den unvermeidlichen alltäglichen mecha- 
nischen Insulten nicht die normale Widerstandskraft. Die Behandlung 
hat diesen Verhältnissen unter allen Umständen Rechnung zu tragen. 
Neben korrekter Einwicklung der Unterschenkel mit Trikot-Schlauchbinden 
kommen vor allem tägliche warme Seifenbäder und Salbenbehandlung in 
Betracht. Namentlich bei nässendem Ekzem des Unterschenkels empfiehlt 
es sich, durch Verbände mit Hebrasalbe, Umschlägen mit Sol. argent. 
nitric. (1%) zunächst den nässenden Ekzemherd zu überhäuten. Dann 
erst mag die Röntgenbehandlung einsetzen. 


Fall 1. Arbeiter. Nässendes Eczema chronic. cruris e varicibus 
dextr. des ganzen Unterschenkels. Das Leiden wurde seit 4 bis 5 Jahren 
vergeblich mit Salben behandelt und bedingte einmal längere Arbeitsunfähigkeit 
Vom April 1911 ab behandelte ich den Kranken zunächst erfolglos längere Zeit 
mit Teer. Darauf Röntgen am 20. VII., 27. VII., 21. VIII., 30. VIII. 1911. Da- 
rauf Heilung. Nachunters. am 2. IV. 1913. Die ganze Außenseite des Unter- 
schenkels war mit normaler, nur wenig atrophischer Haut bedeckt. An der Innen- 
seite befand sich eine etwa thalergroße schuppende, leicht infiltrierte Stelle, nicht 
nässend, nicht juckend, angeblich vor einigen Tagen entstanden. Sonst auch hier 
normale Haut. Der Kranke ist seit der Röntgenbehandlung dauernd voll arbeits- 
fähig und ohne Beschwerden. Das kleine Rezidiv wird mit Röntgen nachbestrahlt. 

Fall 2. Frau. Eczema chronic. cruris dextr. e varicibus totius, 
nässend, seit Jahren bestehend. Starkes Jucken und bedeutende Gehbeschwerden. 
Vom April 1911 ab zunächst längere erfolglose Behandlung mit Arg.-Peru-Salbe. 
Darauf Röntgen am 2., 10., 17. Juli 1911. Dann völlige Heilung. 

Nachunters. am 2. IV. 1913. Außer einer thalergroßen trocken-schuppigen 
Stelle mit oberflächlicher Infiltration war der ganze Unterschenkel mit normaler, 
nur stellenweise atrophischer Haut bedeckt. Keinerlei Beschwerden und völlige 
Arbeitsfähigkeit. — Das kleine Rezidiv wird mit CO, betupft und erweist sich 
bereits 8 Tage später als fast völlig abgeheilt. 

Fall 3. Frau. Eczema chronic. cruris e varicibus. Röntgen am 
23. II., 3. III., 10. III. 1911. Geheilt bis heute. 


628 Thedering, 


Fall 4. Älterer Herr. Eczema chronic. cruris dextr., verbunden mit 
quälendem Jucken. Röntgen am 6. XII., 30. XII. 1910. Darauf Heilung. Jucken 
verschwunden. Rezidiv Febr. 1912. Röntgen am 22. II., 29. II., 7. IIL, 21. III. 
1912. Geheilt bis heute. 

Fall 5. Eczema chronic. cruris bei einem älteren, zuckerkranken Herrn, 
verbunden mit unerträglichem Jucken. Röntgen am 28. XI., 5. XII. 1910. Darauf 
dauernde, beschwerdefreie Heilung. 

Fall 6 Nässendes Eczema chronic. cruris eines ganzen Unterscher- 
kels, vielfach erfolglos vorbehandelt bei einem Anstreicher. Starke Beschwerden 
fast bis zur Gehunfähigkeit. Bei strengster Ruhelage Vorbehandlung des Beines 
mit austrocknenden Mitteln (Argent. nitric.) vom 10. bis 27. X. 1910. Keine 
wesentliche Besserung. Nässen fast beseitigt. Darauf Röntgenbestrahlung vom 
29. X. bis 13. XII. 1910. Im ganzen wurden 9 Teildosen verabreicht. Darauf in 
Kürze völlige Heilung. Der nässende Ekzemherd bedeckte sich in ganzer Aus 
dehnung mit blasser atrophischer Haut. Keinerlei Beschwerden mehr. Die Ar- 
beitsfähigkeit ist komplett. Keine Neigung zum Schwellen mehr, selbst nach an- 
gestrengtester Arbeit. Jucken ganz verschwunden. — Wiederholte Nachunter- 
suchung dieses sehr schweren Falles haben mich vergewissert, daß bis heute nie 
die Spur eines Rezidivs aufgetreten ist. Doch ist der Kranke angewiesen, sein 
Bein täglich mit warmem Bad und Einwicklung weiter zu behandeln. 

Fall 7. Älterer Mann mit Eczema chronic. cruris utrq. e varicibus. 
Vom 20. Oktober bis 7. Dezember 1912 vergeblich mit Hebra-Salbe behandelt. 
Vom 7. XII. 1912 bis 15. XII. 1912 wurde das stärker erkrankte linke Bein zwei- 
mal mit je !/, E.D. mittelharter Strahlung, das schwächer erkrankte rechte nur 
einmal mit !/, E.D. belichtet. Seither fortschreitende Besserung. Die Salbenverbände 
konnten bald mit täglichen Bädern und Einreibung von Borlanolin vertauscht 
werden und am 23. III. 1913 wurde folgender Befund festgestellt: An beiden 
Beinen Ekzem bis auf braune Pigmentation abgeheilt. Infiltration der Haut ist 
nirgends mehr vorhanden. Juckbeschwerden, Gefühl von Schwere in den Beinen 
schon längst verschwunden. — Das Dauerresultat bleibt abzuwarten. — Bäder 
und Bindeneinwicklung der Unterschenkel werden fortgesetzt. 

Fall 8. Älterer Mann. Eczema chronic. cruris utrq. Die Vordertläche 
des ganzen rechten Unterschenkels überzieht ein trockenes, schuppendes Ekzem. 
Links geringere Ausdehnung des Leidens. Seit etwa 1 Jahr bestehend, erfolglos 
mit Salben behandelt. Heftige Juckbeschwerden. Röntgenbehandlung 1 mal im 
Februar 1911, 3 mal (6., 13., 24.) im März,1911l. Heilung. Nachunters. am 
16. IV. 1913. Die Haut beider Unterschenkel völlig normal. Seit der Röntgen- 
behandlung hat sich inzwischen kein Rezidiv gezeigt. 

Fall 9. Junger Mann. Eczema chronic. cruris sin. Flächenhaft weit 
ausgedehntes, nässendes Ekzem des l. Beines. Zunächst vom 6. IX. bis 17. X. 
1910 Versuch mit Trockenbehandlung (Trockenpinselung und Sol. argent. nitr. 1°/,). 
Kein Erfolg. Darauf im Laufe des Oktober-November 1910 Röntgenbehandlung. 
Im Dezember geheilt entlassen. Nach kürzlich erfolgter Nachuntersuchung be- 
steht bis heute gute Verheilung. 

Fall 10. Frau in mittlerem Alter. Eczema chronic. crurise varici- 
bus. Seit zwei Jahren bestehend. Ab März 1911 zunächst ein erfolgloser Ver- 
such mit Tumenol-Zinkpaste (10°,). Dann Röntgen am 2, 9., 16., 31. IV. 1912. 
Darauf zunächst Heilung mit völligem Schwund der Beschwerden. */, Jahr 
später Rezidiv. 


Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 629 


Außer dem Krampfaderekzem beobachtet man am Unterschenkel nicht 
selten noch eine eigenartige Affektion, welche äußerlich eine Mittelstellung 
zwischen dem Lichen verrucosus und Eczema chronicum einnimmt. Es 
handelt sich um flächenhafte, rote Infiltrate mit stark hyperkeratotischer 
Oberfläche, von derber Beschaffenheit und äußerst chronischem Charakter. 
Das Leiden ist von unerträglichem Jucken begleitet und spottet jeder 
medikamentösen Therapie. Kombinierung von Arsenik, Teer, Heißluft- 
dusche und heißen Seifenwaschungen vermögen nach meiner wiederholten 
Erfahrung nur vorübergehend die quälenden Juckbeschwerden zu lindern. 
Mit Röntgenstrahlen gelingt die Heilung leicht. 


a) Junger Mann. Am r. Unterschenkel besteht seit 5 Jahren ein handgroßer, 
starrinfiltrierter Plaque mit warzig rauher Oberfläche und von rotem Aussehen, 
stark juckend. Ab August 1910 Teer- und Seifenbehandlung, erfolglos. Darauf 
vom 23. I. bis 18. II. 1911 4 mal Röntgen. Darauf Heilung, bis heute rezidiv- 
frei. Nachunters. am 2. IV. 1913. Die betr. Stelle von. normaler Haut nicht 
zu unterscheiden. 


b) Alterer Herr. An beiden Unterschenkeln sind mehrere derbinfiltrierte 
Plaques von roter Farbe und rauher Oberfläche vorhanden. Das Leiden besteht 
seit 20 Jahren und ist mit unerträglichem Jucken verbunden. Zunächst ein ganz 
erfolgloser Versuch mit Liq. kal. Arsen. und Hg-Pflaster. Dann Röntgen am 
12. IV., 18. IV., 26. IV, 13. V., 21. V., 28. V., 25. VI., 1. VII., 8. VII., 23. VII. 
1910. Die Einzeldosen wurden so gewählt, daß ein stärkeres Erythem vermieden 
wurde. Zwischendurch öftere Bestrahlung der Stellen mit dem Foen. Desgleichen 
wurde Arsenik weiter genommen. Der Fall ist völlig geheilt worden. Die platten- 
förmigen Infiltrate versanken im Hautniveau, indessen waren die betr. Stellen 
noch lange durch braune Pigmentierung gekennzeichnet. Das Jucken war völlig 
verschwunden. Nach brieflicher Mitteilung am 8. IV. 1913 hat sich seit einiger 
Zeit wieder geringe Juckbeschwerde eingestellt. 


c) Lichenartiges chronisches Ekzem des l. Unterschenkels mit 
warzigem Infiltrat der Haut, stark juckend. Vom 17. IX. bis 28. X. 1912 ziem- 
lich erfolglos mit Tumenol-Zinkpaste (10°/,) behandelt. Dann Röntgen mit je 
!/, E.D. mittelharter Strahlung am 29, X., 5. XI., 12. XI., 26. XI., 10. XII. 1912, 
21. I., 18. III. 1913. Daneben innerlich Arsenpillen, äußerlich Verband mit Hebra- 
Salbe und Lig. al. acet. abwechselnd. Seit Anfang April 1913 ist die Krankheit 
geheilt. Das starre Infiltrat ist gänzlich resorbiert und ins Niveau der Haut zu- 
rückgesunken. Die Haut erscheint nicht mehr infiltriert und abgesehen von pig- 
mentbrauner Färbung und einem mäßigen Grade von Atrophie normal. Jucken 
und anderweitige Beschwerden sind gänzlich verschwunden. — Der Dauererfolg 
bleibt abzuwarten. 


d) Arbeiter. Seit ®/, Jahren lichenartiger stark juckender Ekzem- 
herd am r. Unterschenkel. Röntgen 7. XI., 14. XI. 1910. Nachunters. 
2. IV. 1913. Kein Jucken mehr. Peripher ist der Herd leicht pigmentiert, 
zentral noch leicht infiltriert. — Die Röntgenbehandlung dieses Falles dürfte 
nicht ausreichend gewesen sein. Bei Fortsetzung dürfte nicht nur dauernde 
Beseitigung der Beschwerden, sondern auch völlige dauernde Heilung erzielt 
worden sein. 


630 Thedering, 


IIM. Chronisches Ekzem der Hände. 


Das chronische Ekzem der Hände ist in der Mehrzahl der Fälle eine 
Berufskrankheit. Wasser, Seife, Soda und ähnliche physikalische und 
chemische Schädlichkeiten rufen in ihrer alltäglichen Einwirkung auf 
empfindliche Hände schließlich das Leiden hervor und unterhalten den 
chronischen Zustand desselben. Die dauernde Ausheilung des chronischen 
Ekzems der Hände begegnet eben deswegen so großen Schwierigkeiten, weil 
es in sehr vielen Fällen nicht in der Macht des Arztes steht, den ätıo- 
logischen Faktor auszuschalten. So kann es nicht wundernehmen, dab 
wir unter dieser Rubrik verhältnismäßig häufig Rezidiven begegnen. Die- 
selben fallen aber weniger der Methode als den Verhältnissen zur Last. 


1. Turnwart. Eczema chronic. manus dextr. tylotic. Durch 
Druck der Turnstange hat sich an der Maus der r. Hand seit 1 Jahr eine thaler- 
große Schwiele mit ekzematöser Hautinfiltration gebildet. Röntgen am 8. und 
15. IX. 1910. Darauf örtliche Reaktion und Abstoßung der Schwiele in toto. Hei- 
lung. Nachunters. 31. IIl. 1913. Die betr. Hautstelle normal. Kein Rezidiv 
trotz fleißigen Turnens. 

2. Radfahrer. Eczema chronic. manus dextr. tyloticum. August 
1910. Durch Druckwirkung der Lenkstange, ähnlicher Zustand wie 1). Verlauf 
wie 1). Heilung. Brief 5. IV. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt. 

3. Gendarm. Eczema chronic. tylotic. manus utrq. Vom 29. VII. 
1909 bis Jan. 1910 vergeblich mit Teer behandelt. Dann Röntgen am 13. und 
20. I. 1910. Starke Reaktion 1. Grades, unter deren Einwirkung die derben Schwie- 
len der Vola manus utrq. platzten und in großen Lappen absprangen. Unter Ver- 
bänden von Liq. al. acet. bildete sich eine zarte neue Haut. Glatter Heilungsver- 
lauf. Brief vom 2. IV. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt. 

4. Hausfrau. Eczema chronic. manus utrq. seit 4 Jahren. Vom 
4. VIII. bis 18. IX. 1909 vergeblich mit Teer und Schwefelsalbe behandelt. Vom 
18. IX. bis 5. X. 1909 jede Hand darauf 3 mal röntgenbestrahlt. Resultat: 
Linke Hand bis heute geheilt. Rechte bis vor drei Wochen mit Unterbrechung 
eines leichten Rezidivs geheilt. Jetzt rechts geringfügiges Rezidiv. 

5. Lehrer. Eczema chronic. manus sin. Röntgen am 9. und 16. IN. 
1910. Brief 2. 4. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt. 

6. Hausfrau. Eczema chronic. manus utrq. Röntgenbehandlung 
Oktober 1911. Brief 3. IV. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt. 

7. Hausfräulein. Eczema chronic. manus sin. Juni 1911 vergebliche 
Teerbehandlung. Sept. 1911. Röntgen-Heilung. Nachunters. März 1913. 
Bis heute ohne Rezidiv geheilt. 

8. Stationsvorstand. Eczema chronic. manus utrq. An beiden Händeu 
eine Anzahl äußerst chronischer, vergeblich vorbehandelter, nummulärer, nässender 
Ekzemherde Zunächst März 1911 Betupfung mit CO,. Vorübergehende Abhei- 
lung. Dann Röntgen am 28. IV., 5. V., 12. V. 1911. Heilung. ‘Brief vom 
3. IV. 1913. Bis heute Heilung ohne Rezidiv. 

9. Hausfrau. Eczema chronic. manus utrq. Röntgen am 21. I. 
28. I. 1912. Heilung. Nachunters. März 1913. Bi$ heute ohne Rezidiv geheilt. 

10. Kaufmann. Eczema chronic. manus utrq. seit vielen Jahren be- 


m nn et nenn. 


Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 631 


stehend mit quälendem Jucken. Röntgen November 1911. Mitteilung vom 
3. IV. 1913. Bis auf minimale vorübergehende Rezidive bis heute dauernd 
geheilt. 

11. Hausfräulein. Eczema chronic. manus utrq. Röntgen im Nov. 
und Dez. 1911, Jan. 1912 2 mal. Vorläufige Heilung. Rezidiv Mai 1912. Wieder 
Röntgen. Seither geheilt. 

12. Feldwebel. Eczema chronic. manus utrq. seit vielen Jahren be- 
stehend, vielfach erfolglos behandelt. März 1910 zunächst Trockentherapie ohne 
Erfolg. Dann Röntgen am 18., 22., 29. III. 1912. Darauf zunächst völlige Ab- 
heilung. Seither treten von Zeit zu Zeit wieder beginnende Rezidive auf, welche 
auf eine Nachbestrahlung immer wieder prompt verschwinden. So gelingt es, 
einen Zustand andauernder beschwerdefreier Besserung zu erhalten. 

13. Kaufmann, Seit 18 Jahren schwerstes Eczema chronic. manus et 
antibrachii utrq. mit unerträglichem Jucken. Neben derben, scheibenför- 
migen Infiltraten mit warziger Oberfläche an den Vorderarmen befinden sich in 
der Vola manus utrq. kreisrunde, am Rande aufgeblätterte Herde. Das buntge- 
mischte Bild erweckt den Eindruck einer Kombination von Lues Ill, Lichen 
verrucosus und Eczema chronic. Arsenik und Jodkali erweisen sich wirkungs- 
los. Unter Röntgenbehandlung im Febr. 1912 erfolgte glatte Abheilung. Einige 
Monate später erforderte ein leichtes Rezidiv kurze Nachbehandlung mit Röntgen. 
Mitteilung vom 3. IV. 1913. An der l. Hand noch ein minimaler Ekzemrest. 
Sonst völlige Heilung. Kein Jucken mehr. 

14. Hausfrau. Eczema chronic. manus d. Röntgen Juli 1911. Brief 
2. IV. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt. 

15. Hausfrau. Eczema chronic. manus utrq. Röntgenbehandlung 
März 1912. Heilung. Nachunters. 11. IV. 1913. Hände normal. 

16. Telefonistin. Eczema chronic. manus utrg. seit 2 Jahren. Rönt- 
gen 28. VI., 2. VIL, 10. VII., 31. VII. 1912. Heilung. Nach Wiederaufnahme 
ihres Berufs bereits 4 Wochen später Spuren eines Rezidivs. Nov. 1912 Post- 
dienst quittiert. Jetzt dauernd vollständige Heilung. 

17. Kaufmann. Eczema chronic. manus utrq. seit 1 Jahr bestehend, 
erfolglos mit Salben vorbehandelt. Röntgen: 1 mal Sept., 2 mal Okt., 1 mal Nov. 
1911. Heilung. Nachunters. 11. IV. 1913. Hände normal. Bis heute kein Rezidiv, 

18. Rentner. Eczema chronic. manus utrq. seit !/, Jahr bestehend. 
Vom 21. IU. bis 24. IV. 1912 Trockenbehandlung ohne völligen Erfolg. Die tei- 
gige Infiltration der Haut blieb bestehen. Dann Roentgen am 24. IV. und 1. V. 
1912. Heilung. Nachunters, 11. IV. 1913. Hünde normal. Bis heute kein 
Rezidiv. 

19. Hausfrau. Schwerstes chronisches Ekzem beider Hände seit 
13 Jahren, heftig juckend. Salbenbehandlung ohne Erfolg. Röntgen um 23. X1., 
1. XII. 1912. Heilung. Nachunters. 15. IV. 1913. An beiden Händen und 
Vorderarmen leichte Rezidive. Bis heute Zustand andauernder Besserung. Be- 
schwerden bedeutend gemiildert. 

20. Operationsschwester. Sublimatekzem beider Hände. März/April 
1912 Salben- und Trockenbehandlung ohne völligen Erfolg. 3. VI. und 9. VI. 1912 
Röntgen. Heilung. Brief 12. IV. 1913. Bis heute ohne Rezidiv geheilt. Je- 
doch sind die Hände noch schonungsbedürftig. 

21. Alter Medizinalrat. Seit Jahren juckendes chronisches Ekzem 
beider Hände, mit keinen Mitteln zu heilen. Etwa viermalige Röntgenbe- 


632 Thedering, 


strahlung innerhalb etwa 6 Wochen verschaffte dauernde Abheilung mit sofortiger 
Beseitigung der Juckbeschwerden. 

22. Hausfräulein. Eczema chronic. manus dextr. Anthrasolspiritus 
(10°/,) erfolglos. Röntgen — in Verbindung mit Heißluft — am 9. und 16. Juni 
1910 erzielte zunächst Abheilung. Brief 2. IV. 1913. Nach !/, Jahr Rezidiv. 

23. Hausfrau. Eczema chronic. manus utrq. Sept. 1911 Röntgen 
3 mal, Oktober 4 mal, Nov. 2 mal, Dez. 2 mal, Jan. 1912 1 mal. Dann vorläufig 
geheilt. Juli, August 1912 wegen Rezidivs je 1 mal Röntgen. Vorübergehend 
wieder abgeheilt. Dann wieder Rezidiv. 

24. Arbeiter. Eczema chronic. manus utrq. Vom 22. III. bis 8. IV. 
1911 vergeblich Teerbehandlung. Dann Röntgen 8. IV., 22. IV., 29. IV. 1911. 
Heilung. Nachunters. 2. IV. 1913. Hände normal. Bis heute kein Rezidiv. 

25. Arbeiter. Eczema chronic. manus utrq. seit vier Jahren be- 
stehend. Röntgenbehandlung Okt. 1911. Nachunters. am 2. IV. 1913. Zwischen 
einzelnen Fingern Spuren eines Rezidivs. Sonst bis heute dauernd geheilt und 
arbeitsfähig. 

26. Beamter. Eczema chronic. manus utrg. mit heftigem Jucken. 
seit länger als einem Jahrzehnt bestehend, vielfach ohne Erfolg behandelt. Rönt- 
genbehandlung von Februar bis Mitte April 1912. Im ganzen jede Hand etwa 
4 mal mit je !/, ED mittelharter Strahlung belichtet in Abständen von 8 bis 14 
Tagen. Darauf zunächst vollständige Abheilung des Ekzems bis zu normaler 
Haut und Beseitigung aller Juckbeschwerden. Nachunters. 17. IV. 1913. Seit 
dem Frühjahr d. J. zeigen sich Spuren eines Rezidivs, welches jetzt eine kurze 
Nachbestrahlung erfordert. 


IV. Anderweitiges chronisches Ekzem. 

1. Eczema chronic. ani pruriginos. Röntgen am 13. Il., 23. II, 
2. III, 11. IH. 1911. Heilung. Jucken verschwunden. Brief 2. IV. 1913. In 
letzter Zeit wieder unbedeutendes Jucken. 

2. Eczema chronic. ani pruriginos. seit 15 Jahren bestehend. Nach 
längerer vergeblicher Behandlung mit Pittylen, Kokain-Zäpfchen, Salizyl-Menthol- 
Salbe usw. Röntgen am 11. IV., 18. IV., 25. IV. 1912. Darauf bis zum Herbst 
des Jahres bedeutende Juckverminderung. Im Febr. 1913 ausgesprochenes Rezidiv. 
Nachunters. Anfang April 1913 bestätigt schweres Rezidiv. 

3. Eczema chronic. orbiculare oris. Kind. Sept. 1910 Behandlung 
mit Teer und Salizylschwefelsalbe ohne Erfolg. Dann 1 mal Röntgen. Ekzem 
verschwunden. Später Rezidiv. CO, Wieder Heilung. April 1913 zweites 
Rezidiv. CO, 

4. Juckendes Ekzem des ganzen Rückens, lichenartig, bei einem 
Arbeiter, seit vielen Jahren bestehend, vielfach ohne Erfolg behandelt. Röntgen 
am 15. II., 22. II., 2. III. 1911. Darauf Ekzem und Jucken verschwunden. Nach- 
unters. Anfang April 1913. Bis heute geheilt ohne Rezidiv. 

5. Eczema nummulare chronic. des Nackens, stark juckend. 
August 1910 Trockenbehandlung. Heilung. 19. II. 1912 Rezidiv. Tumenol-Va- 
seline erfolglos. Juni 1912 2 mal Quarzlichtbestrahlung, Linse direkt aufgesetzt, 
10 Minuten lang. Geringe Abnahme von Infiltration und Jucken. 18. XI. 1912 
l mal Röntgen !/, ED mittelharte Strahlung. Jucken bis heute verschwunden. 
Infiltration und Schuppung fast ganz verschwunden. — Durch eine weitere Be- 
strahlung würde offenbar leicht vollständige Heilung zu erzielen sein. 


Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 633 


Kurz zusammengefaßt ergibt also vorstehende Auslese von Kranken- 
geschichten im einzelnen folgende Statistik: Die Beobachtungszeit sämt- 
licher Fälle erstreckt sich über einen Zeitraum von 1—4 Jahren, mit 
Ausnahme der Fälle II 7 und c, welche zur Dlustrierung des Heilungs- 
verlaufes als charakteristisch in breiter Ausführlichkeit mit aufgenommen 
wurden. Unter Rubrik I (pustulöses Ekzem) sind 5 Fälle vereinigt. 
Hiervon sind 3 ohne Rezidiv, 1 mit annähernd vollständigem Erfolg. 
1 Rezidiv nach !/,jähriger Heilung (pustulöses Kopfekzem). 

Gruppe II (Ekzem des Unterschenkels) umfaßt 14 Fälle. Hiervon 
sind 8 rezidivfreie Heilungen, 5 mit teilweisem Rezidiv. Die Rezidive 
sind aber so geringfügig, daß das Resultat praktisch dauernder Heilung 
völlig gleichkommt. Nur in 1 Falle ıst nach etwa !/, Jahr ein voll- ` 
ständiges Rezidiv eingetreten. Man wolle nicht übersehen, daß die erst- 
genannten 13 Fälle fast sämtlich ausgedehnte Krampfaderekzeme bzw. 
Fälle von schwerstem lichenoidem Ekzem des Unterschenkels umfassen, 
in der Mehrzahl bereits Jahre und Jahrzehnte bestanden, zum Teil 
Arbeitsunfähigkeit bzw. bedeutende Arbeitsbehinderung und Gehbeschwerden 
bewirkten und meist seit Jahren mit Salben usw. ohne Erfolg behandelt 
wurden. Im Lichte dieser Tatsachen erscheint die vollständige beschwerde- 
freie Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit umso erfreulicher. Da es sich 
meist um Arbeiter handelt, so erhellt hieraus, daß man den Kranken- 
kassen die nicht unerheblichen Kosten einer Röntgenbehandlung in ähn- 
lichen Fällen getrost zumuten darf zu ihrem eigenen Vorteile! Jahre- 
lange Salbentherapie, vielfache ärztliche Behandlung, zeitweise wochen- 
und monatelange Arbeitsunfähigkeit verursachen auf die Dauer weit höhere 
Gesamtkosten als die einmalige Ausgabe für eine Röntgenkur. 

Gruppe III (chronisches Ekzem der Hände) 26 Fälle. 16 mal rezidivfreie 
Heilung, 9 mal Heilung mit teilweisem meist unerheblichem Rezidiv, 1 Mißerfolg. 
Beim chronischen Ekzem der Hände darf man nicht außer Acht lassen. 
daß wohl keine chronische Ekzemform der rezidivfreien, dauernden Aus- 
heilung gleich große Schwierigkeiten bereitet. Es handelt sich ja meist 
immer um Hausfrauen und Arbeiter, deren empfindliche Hände in ihrem 
Berufe gewissen, chemisclien und physikalischen, ekzemerregenden Schäd- 
lichkeiten ausgesetzt sind, deren dauernde Ausschaltung weder in der 
Macht des Arztes noch des Kranken liegt. Ein klassisches Beispiel dieser 
Art ist der eine totale Mißerfolg. So erklärt sich auch die verhältnis- 
mäljig große Zahl teilweiser Erfolge in dieser Rubrik. Immerhin sind 
16 von 26 Fällen rezidivfreie Dauerheilungen. Der Ausdruck „teilweiser 
Erfolg‘ ist so zu verstehen, daß zunächst fast stets vollständige Abheilung 
des Ekzems mit Beseitigung der Juckbeschwerden erzielt wurde, daß aber 
die berufliche Schädlichkeit über kurz oder lang ein leichtes Rezidiv 


634 Thedering, 


hervorrief, welches Nachbehandlung erforderte. So wurde durch die 
Röntgenbestrahlung wohl in allen Fällen dieser Art eine ganz wesentliche 
Besserung des Gesamtzustandes erzielt. Gelegentlich kann ein immer 
wieder rezidivierendes Ekzem Aufgabe des betreffenden Berufes fordern, 
wie in einem unserer Fälle. 

Zu Gruppe IV nur die kurze Bemerkung, daß der eine Mißerfolg 
ein seit 1!/, Jahrzehnten bestehendes Eczema ani betraf, einen Zustand also. 
dessen Hartnäckigkeit jedem Arzte hinlänglich bekannt. In einem zweiten 
ähnlichen Falle wurde Heilung erzielt. Immerhin beabsichtigt der erste 
Kranke eine Wiederholung der Röntgenbehandlung als des einzigen 
Mittels, welches ihm wenigstens für längere Zeit Linderung seiner qual- 
vollen Juckbeschwerden verschafft. 

Im übrigen möchte ich hier noch einmal betonen, daß eine Schädigung 
der Haut durch die Röntgenstrahlen in der hier geübten vorsichtigen Be- 
handlungsweise mit Teildosen unter Innehaltung gehöriger Bestrahlungs- 
intervalle in keinem einzigen Falle begegnet. Keine stärkere Reaktion, 
keine Röntgenatrophie, kein Röntgenulkus vor allem. Dagegen liegen die 
großen Vorteile der Röntgentherapie gegenüber der Behandlung des chro- 
nischen Ekzems mit Teer und Salben klar genug am Tage. Die eklige 
Verschmierung der Haut und Wäsche mit Teer und Salbenfett, die lästig 
brennende, unvermeidliche Teerreizung, der widerwärtige hausverpestende 
Teergestank, die Möglichkeit der Nierenschädigung bei ausgedehnter Teer- 
anwendung. Dies alles sind üble Beigaben der Teerbehandlung, welche 
dem Röntgenverfahren nicht anhaften. Also Sauberkeit ist der erste 
große Vorzug der Röntgenstrahlen. Daneben Annehmlichkeit. Ein 
weiterer großer Vorzug besteht darin, daß die Röntgenstrahlen nur alle 
8—14—21 Tage appliziert werden brauchen, während die medikamentöse 
Behandlung täglich 2mal vorgenommen werden muß, exakte Verbände 
erfordert, also viel Zeit und Mühe in Anspruch nimmt. Eine Beschrän- 
kung in der Anwendung der Röntgenstrahlen ist vielleicht bei allzu 
großer Ausdehnung des Ekzems über weite Körperstrecken vorhanden. 
Ich bin nicht sicher, daß ein solches öfters wiederholtes vollständiges 
Röntgen-Lichtbad nicht doch gelegentlich Schädigungen zur Folge haben 
kann. Zu einer Totalbestrahlung des Körpers habe ich mich daher nur 
ganz ausnahmsweise — meiner Erinnerung nach nur in zwei gänzlich 
desolaten Fällen — entschließen können. Immerhin genügt diese geringe 
Erfahrung zu einem maßgebenden Urteil nicht. — Sodann habe ich die 
Röntgenstrahlen nie beim chronischen Säuglingsekzem und bei chronisch- 
ekzemkranken Kindern in den ersten Lebensjahren angewandt. Da wir 
nicht wissen können, welches Strahlenmaß die zarte Kinderhaut ohne 
Schädigung erträgt, so lassen uns hier unsere Dosierungsmethoden im 


Röntgenbehandlung des chronischen Ekzems. 635 


Stich. Auch ist nach meiner Ansicht noch nicht mit genügender Sicher- 
heit festgestellt, daß die Röntgenstrahlen im jugendlichen Körper keine 
Wachstumsschädigung (Knochen!) bewirken können. Das chronische 
Kinderekzem behandle ich daher nach wie vor ausschließlich diätetisch 
und wmedikamentös-physikalisch mit Salben, Teer, Bädern. Ein wert- 
volles Präparat für die Therapie des Eczema chronic. infantum ist das 
Tumenol-Ammonium in Form (10%) Tumenol-Zinkpaste oder Tumenol- 
Grlyzerin (10—20%). Nach vorstehendem läßt sich also unter Beobach- 
tung der hier geschilderten Einschränkungen die Indikation der Röntgen- 
strahlen für die Therapie des chronischen Ekzems in folgende Sätze kleiden: 

1. Bei chronischem Ekzem mit relativ oberflächlicher Infiltration der 
Haut, von verhältnismäßig noch kurzem Bestande, also bei den leichteren 
Formen des chronischen Ekzems, ist die Röntgenbehandlung die Methode 
der Wahl. 

2. Bei inveterierten Fällen, welche schon vielfach mit Salben, Teer 
usw. erfolglos behandelt wurden, namentlich auch bei lichenartigem chroni- 
schen Ekzem, ist die Röntgentherapie die einzige in Betracht kommende 
Methode, also absolut indiziert. 


Aus der Kgl. Universitätsklinik für Hautkrankheiten in Kiel 
(Direktor Prof. Dr. Klingmüller). 


Über die Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen 
durch die Lichtstrahlen. 


Untersuchungen an den roten Gänseblutkörperchen. 
Von 
Prof. Dr. Fr. Bering, Oberarzt der Klinik. 


F" die glänzenden Resultate, welche durch die Lichtbehandlung erzielt 
werden können — es sei an die von Finsen inaugurierte Behandlung 
des Lupus und anderer Hautkrankheiten und an die von Rollier und 
Bernhard, jetzt auch von Bardenheuer, Vulpius u.a. geübte Licht- 
behandlung der chirurgischen Tuberkulose erinnert — fehlt uns noch eine 
wissenschaftliche Erklärung. 

Während die Lupusbehandlung durch Licht heute allgemein anerkannt 
und als die beste Methode, die leider sehr langwierig ist, allen anderen 
vorgezogen wird, gewinnt die Behandlung der Knochen- und Gelenktuber- 
kulose mit Licht eine immer größere Bedeutung und Anerkennung. Auf- 
gabe der Technik wird es sein, die Sonnenstrahlen durch künstliche Licht- 
quellen zu ersetzen, um so auch dort, wo die Sonne nur wenig scheint, 
eine Behandlung zu ermöglichen und sie zugleich auch abzukürzen. Auf- 
gabe der experimentellen Forschung ist es, die Lichtprobleme zu lösen. 

Neuberg hat gefunden, daß die Eiweißkörper, Kohlehydrate und Fette 
lichtempfindlich werden, wenn sie mit Mineralstofflösungen zusammen- 
treffen. Bei seinen Versuchen wurden Uran und Eisenverbindungen ver- 
wandt. Er fand bei den chemischen Lichtwirkungen eine durch Spaltung 
hervorgerufene Molekülverkleinerung, bei der sich Substanzen von chemisch 
höchster Avidität, vor allem die überaus reaktionsfähigen Aldehyde und 
Ketone, bilden. 

Hans Meyer und ich haben den Einfluß des Lichtes auf intrazelluläre 
Fermente einer Prüfung unterworfen, Untersuchungen, die ihre Anregung 
erhielten durch eine Arbeit Quinckes und die mit der Peroxydase ange- 
stellt wurden. Wir fanden, daß das Licht bis zu einer gewissen Dosis 
eine fördernde, bei größeren Dosen eine zerstörende Wirkung auf die 
in allen pflanzlichen und tierischen Organismen tätige Peroxydase ausübt. 


Bering, Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen usw. 637 


An der Wirkung des Lichtes beteiligen sich sämtliche Strahlengruppen, 
auch die tieferdringenden, denen durch bestimmte Stoffe — Sensibilisatoren 
— ihre Wirkung erleichtert oder ermöglicht wird. 

Es liegen nun noch weitere Experimente von Hertel und von mir vor, 
welche sich mit dem Einfluß des Lichts auf die Sauerstoffabgabe beschäftigt 
und eine Erleichterung der Abspaltung aus seiner Hämoglobinverbindung 
ergeben hatten. 

Nach diesen Befunden lag es nahe, auch den Einfluß des 
Lichtes auf die Zelle als Ganzes zu untersuchen. 

Derartige Untersuchungen konnten mit einiger Aussicht auf Erfolg 
an einzelligen Lebewesen angestellt werden. Seeigeleier standen mir nicht 
zur Verfügung. Deshalb wählte ich Bakterien, und zwar Staphylokokken- 
aufschwemmungen. Die Experimente mit letzteren wurden jedoch bald 
aufgegeben, da die erzielten Resultate keine konstanten waren, offenbar, 
weil die Emulsion auch bei langem Schütteln in einem mit Glasperlen 
gefüllten Gefäß nicht immer gleichmäßig ist. 

In vorzüglicher Weise eigneten sich aber die kernhaltigen roten 
Blutkörperchen der Gänse. Da nach Warburg bei anämischen 
Tieren die Atmung erheblich wächst, wurde den Gebrauchsgänsen zum 
Zwecke der Anämisierung vor dem ersten Versuch 3 mal ungefähr 50 ccm 
Blut entnommen und darauf in kürzeren Zwischenräumen immer die not- 
wendige Blutmenge, welche sich im Eisschrank einige Tage brauchbar er- 
hielt. Das Blut wurde nach dem Vorschlag Warburgs in Lockescher 
Flüssigkeit von folgender Zusammensetzung ausgewaschen: NaCl 7,2 g, 
NaHCO, 1,0 g, KCI 0,3 g, CaCl, 0,3 g, Traubenzucker 5,0 auf 1000 g 
Wasser. Bei der Atmung verbrauchen die Blutkörperchen den Sauerstoff, 
welchen sie in Form von Oxyhämoglobin mit sich führen, wobei Hämo- 
globin entsteht. | 

Zur Bestimmung des Sauerstoffverbrauches wurde der Blutgasapparat 
nach Haldane-Barcroft benutzt mit einigen von Warburg angegebenen 
Veränderungen. Der Apparat besteht aus einem Atmungsgefäß, welches 
mit einem Manometer verbunden ist. Nach Vorschlag von Brodin 
besteht die Flüssigkeit im Manometer aus 500 ccm Wasser, 23 g NaCl, 
5 g Natr. choleinec. Merck und etwas Thymol. Nach eingetretener Tem- 
peraturgleichheit (5 Min.) wird der Hahn des Manometers geschlossen, 
das Atmungsgefäß in regelmäßigen Zwischenräumen geschüttelt, bis sich das 
Manometer nicht mehr verändert. Aus der Druckabnahme am Manometer 
wird bestimmt, wie viel Sauerstoff vom Blut beim Schütteln aufgenommen 
wird. Ein drittes Gefäß mit Wasser dient zur Temperaturkontrolle. 
Man liest dann die Temperatur und die Druckveränderung ab und kann 
daraus leicht den verbrauchten Sauerstoff berechnen nach der Formel 

Strahlentherapie Band III, Heft 2. 41 


n38 | Bering, 


Vo 


— — Pin Kubikzentimeter Sauerstoff unter Normalbedingungen 
Po 1 + at) nn 
von Temperatur und Atmosphärendruck. (V ist das Volumen des Ab- 
sorptionsgefäßes plus Kapillare minus eingefüllter Flüssigkeit in Kubik- 
zentimeter, p Druckabnahme im Manometer, gemessen in mm wässeriger 
Lösung von gallensaurem Natrium [sp. Gew. 1,033], deren spezifisches 
Gewicht so eingerichtet ist, daß der Druck von 100000 mm dem vun 
760 mm Hg. entspricht, p,g Normaldruck in mm der gleichen Lösunz 
= 10000, t = Absorptionstemperatur in 0°C, x = Ausdehnungskoeffiziert 

des Sauerstoffs bzw. der Gase = 1/73.) 

Während Haldane-Barcroft in einer verschließbaren mit dem Man«- 
meter verbundenen Flasche von 30—40 ccm Inhalt den Sauerstoff aus 
dem Oxyhämoglobin mit Ferrozyankalium entwickeln, bestimmte ich nach 
Warburg aus der Druckabnahme am Manometer, wie viel Sauerstoff von 
dem Blut beim Schütteln aufgenommen wird, also das reduzierte Hä mo 
globin. 

Es wurde nicht das gewöhnliche Verfahren nach Haldane-Barcroft 
und Warburg benutzt, sondern die neuere von O. Warburg und 
O. Meyerhof angegebene Methode der Bestimmung des Sauerstoffver- 
brauchs bei gleichzeitig stattfindender Atmung. 

2 ccm Blut wurden in ein von Siebeck angegebenes Gefäß gebracht. 
Das Gefäß hat die umgekehrte Form eines Trichters, wird oben mittels 
eingeschliffenen Glasstöpsels geschlossen. In diesen mündet ein Glasrohr. 
welches mit einem dickwandigen Gummischlauch an das Manometer ge- 
schraubt wird. In den Boden des Gefäßes ist ein kleiner Glasbehält:r 
eingeblasen, in den 0,3 ccm 2 n Natronlauge zur Absorption der Kohlen- 
säure gebracht werden. Zur Vergrößerung der Laugenfläche werden in den 
Behälter ein Paar Glaskapillaren gestellt, die aber nicht über den oberen 
Rand des Behälters reichen dürfen. 

Ich habe mich bei den Versuchen zweier Gefäße, welche stets den- 
selben Inhalt hatten, bedient. Der Inhalt wurde durch Wägen mit Wasser 
des öfteren bestimmt, er betrug 16 ccm bei einem Paar und bei einem 
anderen Paar 16,3 ccm. 

Das Volumen des Gasraumes wird berechnet: Inhalt der Gefäiie 
15 ccm, Verbindung bis zur Manometerflüssigkeit (Marke 150) 1,2. Da- 
von ist zu subtrahieren 2 ccm eingefüllte Blutkörperchen, 0,3 Natronlauge. 
0.1 für die Glaskapillaren. Das Volumen des Gasraumes betrigt al. 
16 + 1,2 = 17.2 — (2 + 0,3 + 0,1) = 148. Im Verlaufe des Versuche. 
verschwindet der Sauerstoff, der Sauerstoffpartiardruck nimmt ab, dadurce? 
nimmt auch der in der Flüssigkeit absorbierte Sauerstoff ab. Bei genauer 
Berechnung ist die entsprechende Grölje zu der aus der Druckabnahme 


Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen durch Lichtstrahlen. 639 


berechneten zu addieren. Meyerhof!) hat nach dieser Methode sehr 
interessante Versuche angestellt über die Atmung der Zellen (siehe Lite- 
raturverzeichnis). 

Wenn die Belichtung abgeschlossen ist und die Messung in der an- 
geführten Weise vor sich gehen soll, so werden die Blutkörperchen in die 
Atmungsgefäße gefüllt, mit dem Manometer verbunden und die Gefäße in einen 
Thermostaten gebracht bei 37°. In diesem rotieren zur guten Mischung 
des Wassers um eine vertikale Achse 4 horizontal gestellte Flügel. Beim 
Arbeiten mit Bakterien schlagen 4 in der Höhe der Gefäße angebrachte 
Federn diese regelmäßig an. Gänseblutkörperchen werden regelmäßig mit 
der Hand geschüttelt, wobei durch Kontrollen festgestellt sein muß, daß 
durch das Schütteln stets eine vollständige Sättigung des Hämoglobins er- 
reicht wird. 

Sobald die Blutkörperchen auf die Temperatur des Thermostaten ein- 
gestellt sind, werden die mit der Außenluft in Verbindung stehenden 
Hähne geschlossen, darauf geschüttelt. Der verbrauchte Sauerstoff ist nun 
unmittelbar in der Druckabnahme am Manometer erkennbar. Ein zweiter 
Kontrollapparat, ohne Blutkörperchen, ebenfalls in den Thermostaten 
hängend, dient als Thermobarometer. „Die Differenz Druckänderung im 
Bestimmungsapparat — Druckänderung im Thermobarometer, gibt die Druck- 
änderung, die im Bestimmungsapparat bei konstanter Temperatur und kon- 
stantem Barometerstande eingetreten wäre.“ 

Der Sauerstoffverbrauch kann in der bereits angeführten Weise be- 
rechnet werden. 

Ich habe in beifolgenden Tabellen jedoch nur die am Manometer ab- 
gelesenen Druckänderungen angegeben, wobei die Druckveränderungen der 
Manometer, die nicht durch Sauerstoffverbrauch, sondern durch Schwan- 
kungen der Temperatur hervorgerufen wurden, an den gemessenen Aus- 
schlägen bereits in Abzug gebracht sind. 

Die Belichtung wurde in einer mit einem Quarzglasfenster versehenen 
Prüfzelle, wie Meyer und ich sie zur Messung ultravioletter Strahlen- 
quellen angegeben haben, vorgenommen. In diese Prüfzelle wurden 3 ccm ge- 
waschene rote Gänseblutkörperchen gebracht, belichtet und hieraus 2 ccm 
zur Prüfung ihrer Atmung in die Atmungsgefüße. Anfangs habe ich 
versucht, den Sauerstoff während der Belichtung zu messen, zu diesem 
Zwecke die Lichtquelle in den Ostwaldschen Thermostaten gebracht und 
die Blutkörperchen in einem eigens hierzu angefertigten Quarzglasgefäß be- 
strahlt. Wegen technischer Schwierigkeiten wurde diese Versuchsanordnung 


1) Herr Dr. Meyerhof vom hiesigen physiol. Institut hat mich in die Me- 
thodik eingeführt; ich sage ihm auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank. 


41* 


640 Bering, 


jedoch aufgegeben und zunächst die Bestrahlung vorgenommen und dann 
gemessen. | 

Als Lichtquelle wurde die Quecksilberdampflampe benutzt. Diese 
Lampe enthält zwar in erster Linie blaue und ultraviolette Strahlen, jedoch 
auch gelbe und grüne. Durch Vorschalten besonderer Filter wurden nur 
die in dem einzelnen Falle gewünschten Strahlengruppen zur Wirkung 
gebracht. Ich verweise hier auf die Arbeit Bering u. Hans Meyer, Strahlen- 
therapie Bd. I, 4. Gemessen wurde die Strahlenintensität nach Finsen- 
einheiten. 

Wie aus den Tabellen ersichtlich ist, sind beim Weißlicht ganz 
erhebliche Dosen gegeben worden. Bei dem geringen Gehalt der Quarz- 
lampe an grünen und gelben Strahlen ließen sich bei Applikation dieser 
Strahlengruppen derartig hohe Dosen wegen des zu großen Zeitaufwandes 
nicht erreichen. Da ja aber auch bei geringeren Dosen eine Beeinflussung 
im positiven Sinne eintrat, möchte ich hierin einen Mangel in der Ver- 
suchsanordnung nicht erblicken. Auch das völlige Fehlen der roten Strahlen 
konnte mich wegen der Handlichkeit der Lampe und vor allem der exakten 
Dosierungsmöglichkeiten nicht veranlassen, eine andere Lichtquelle zu 
wählen. 

p = Druckabnahme in Millimeter-Manometerlösung. 

v = 14,8. 

t = 39°? C. 


Die Differenzen wurden stets nach 40 Minuten abgelesen. 


Weißlicht | Blaulicht 
Druckabnahme Druckabnahme 
Dosis Kontr. Belichtet . Dosis Kontr. Belichtet 
4F.. 0.39 31 4F. . 2.56 56 
62 60 60 58 
sF...6 60 | 6F... 62 64 
45 47 | 55 53 
12 F. . . 52 53 ı 8F... 6 70 = 16°; 
60 67 | 63 83 = 22°, 
16 F. . . 52 70=34% A10F. . . 50 77 = 54°, 
69 95 =88% | 44 67 =52°, 
200 F... 65 12 =109; | 2 Ee a 5 92 58=10°, 
48 60 =25% | 43 77=78°, 


AF...6 48 1416F. .. 60 81-8350, 
67 50 | 61 87= 43°, 


Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen durch Lichtstrahlen. 641 


Grünlicht | Gelblicht 
Druckabnahme | Druckabnahme 
Dosis Kontr. Belichtet Dosis Kontr. Belichtet 
1.5 F . . 63 61 | 25 F .. 34 33 
' 74 76 50 52 
25F .. 3 53 AF...5 67 = 20 % 
61 70 28 40 =43% 
SF ...78 76 Ä DE s .- 4:83 55=57% 
70 72 | 43 56 = 30 % 
4 F... 45 3=15% . 65 F . . 60 72=20% 
60 74=233% 58 73=26 %, 
+45 F .. 65 90 = 38 % | 75F .. 75 t00 = 33 9% 
70 92=17% i 61 80 = 30 % 
6 F... 75 86 = 15% 10 F. .. 44 60 = 36 % 
40 61 =50% ` 28 46 = 64 % 


Wir sehen also, daß das Weißlicht den Sauerstoffverbrauch bei einer 
Dosis von 16—20 F steigert; größere Dosen vermindern den Verbrauch, 
lähmen also die Zellfunktionen. 

Das Blaulicht fördert den Sauerstoffverbrauch schon bei einer Dosis 
von 8 F bis zu der untersuchten Dosis von 16 F, zum Teil um 50 % 
und darüber hinaus. 

Grünlicht und Gelblicht wirken bei noch geringerer Dosis, schon 
bei 4 F, fördernd auf die Zellatmung und regen den Sauerstoffverbrauch 
an bis zu 50%, und mehr bei einzelnen Untersuchungen. 

Auffallend ist, daß die Gänseblutkörperchen durch das Weißlicht 
erst bei einer so großen Dosis von 20 F geschädigt werden. Bei der 
großen Empfindlichkeit der Peroxydase gegenüber den ungefilterten, an 
äußeren Ultraviolett überreichen Strahlen (Weißlicht) wurde sehr bald eine 
Schädigung der Blutkörperchen erwartet. 

Die Förderung erfolgt bei einer bestimmten Dosis von 16 F Weikl- 
licht, besteht auch bei 20 F noch; darüber hinaus jedoch setzt die 
schädigende Wirkung des Lichtes ein: die Intensitätsgrenze für die Förde- 
rung ist also hier nur eine geringe. 

Die zur Förderung notwendigen Dosen des Weißlichts sind ver- 
hältnismäßig groß gegenüber den der anderen Lichtarten. Genau die 
halbe Lichtdosis führt schon beim Blaulicht zur Anregung, und eine 
noch geringere bei dem Gelblicht und Grünlicht. 

Bei diesen letzteren Strahlenarten ist die Intensitätsgrenze für die 
Anregung eine breitere als beim Weißlicht, so z. B. bei Blaulicht von 


642 Bering, 


8—16 F und bei Gelblicht von 4—10 F (größere Dosen wurden nicht 
gegeben). Es ist anzunehmen, daß erst sehr große Dosen eine schädigen.de 
Wirkung im Sinne einer Lähmung ausüben. 

Die Ursache dafür, daß die Strahlen des Weißlichts erst bei großen 
Dosen fördern und die der anderen Strahlenarten schon bei viel geringeren 
Dosen anregend wirken, liegt offenbar darin, daß die langwelligeren 
Strahlen sehr viel schneller in das Zellinnere bis an den atmenden Kern 
vorzudringen vermögen. Die kurzwelligen Strahlen werden in den Hüllen 
der Blutkörperchen abgefangen und erst allmählich kommen die in dem 
Weißlicht enthaltenen penetrationsfähigen Strahlen zur Wirkung. 

Von besonderem Interesse sind die bei Applikation der 
gelben und grünen Strahlen erhobenen Befunde. Auch diese 
Strahlen vermögen die Atmung der Gänseblutkörperchen an- 
zuregen. 

Sie sind es nun, die in die tieferen Hautschichten und in die unter 
der Haut liegenden Organe einzudringen vermögen. Es ist zu vermuten. 
daß sie auf den Stoffwechsel der Zellen hier eine Wirkung auszuüben 
imstande sind. 

Aus den Versuchen geht hervor, daß die einzelnen Strahlengruppen 
des Lichtes auf das Zelleben einen Einfluß im Sinne einer Anregung der 
Zellatmung auszuüben imstande sind. Allerdings ist bei den roten Gänse- 
blutkörperchen diese Steigerung keine sehr große. Zur definitiven Ent- 
scheidung der Frage sind noch weitere Untersuchungen mit einzelligen 
Organismen notwendig. Versuche mit Seeigeleiern und Spermatozoen, die 
nach den Vorversuchen sehr geeignet erscheinen, werden in Aussicht ge- 
stellt. Bei diesen werden auch in ausgedehntem Maße die Sensibilisatoren 
berücksichtigt werden. 


Die bisherigen Resultate der Experimente berechtigen jedoch schon zu 
der Annahme, daß die Lichtstrahlen, auch jene mit erhöhter 
Penetrationsfähigkeit, die Zellatmung im Sinne einer Änregung 
zu beeinflussen vermögen. 


In dieser Hinsicht scheinen meine Versuche ein Beitrag zur Erklärung 
für die günstigen Heilwirkungen unter dem Einfluß des Lichtes zu sein. 


Literatur: 


Barcroft, Ergebn. d. Physiologie, Bd. 7, 1908. Vom Barcroftschen Gasana- 
lysenapparat. 

Bering, Über die Wirkung violetter und ultravioletter Lichtstrahlen. Med.- 
naturw. Archiv, Bd. I. 

Bering u. Meyer, Methoden zur Messung der Wirksamkeit violetter und ultra- 
violetter Strahlenquellen. Strahlentherapie, Bd. 1,1. 


Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zelleu durch Lichtstrablen. 643 


Bering u’ Meyer, Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichts. Strahlen- 
therapie, Bd. I, 4. 

O. Meyerhof, Über scheinbare Atmung abgetöteter Zellen durch Farbstoffreduk- 
tion. Arch. f. d. ges. Phys., Bd. 149. 

Derselbe: Über Wärmetönungen chemischer Prozesse in lebenden Zellen, Arch. 
£. d. ges. Phys., Bd. 146. 

Derselbe: Untersuchungen über die Wärmetönung der vitalen Oxydationsvor- 
gänge in Eiern. Biochem. Zeitschr., Bd. 35, H. 3 u. 4. 

Derselbe: Über Energiewechsel von Bakterien. Sitzungsber. d. Heidelberger 
Akademie der Wissenschaften, 1912. 

O. Warburg u. O. Meyerhof: Über Atmung in abgetöteten Zellen und in Zell- 
fragmenten. Arch. f. d. ges. Phys., Bd. 148. 

O. Warburg, Zur Biologie der roten Blutzellen. Zeitschr. f. phys. Chemie, Bd. 59, 
ferner Bd. 66. 

Derselbe: Über Beeinflussung der Oxydation in lebenden Zellen nach Versuchen 
an roten Blutkörperchen. Zeitschr, f. phys. Chemie, Bd. 69. 

Derselbe: Über Hemmung der Blausäurewirkung in lebenden Zellen. Zeitschr. 
f. phys. Chem., Bd. 76. 

R. Siebeck, Über die osmotischen Eigenschaften der Nieren. Habilitationsschr. 
Heidelberg 1912. 


(Aus der zweiten medizinischen Klinik der Universität Berlin.) 


Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 
Von 
Ludwig Pincussohn. 
(Mit 4 Abbildungen.) 


I“ habe schon früher!) zeigen können, dal) es gelingt, den Stoffwechsel 
von Tieren durch Sensibilisierung plus Lichtwirkung zu beeinflussen. 
Weiße Hunde, denen subkutan eine Lösung von Eosin injiziert worden war, 
zeigten nach Bestrahlung durch eine elektrische Bogenlampe nicht un- 
erhebliche Veränderungen im Abbau der Purinstoffkörper. Der Allantoin- 
gehalt nahm unter dem Einfluß der Bestrahlung erheblich ab, während 
andererseits, scheinbar umgekehrt proportional dazu, die Ausscheidung der 
Oxalsäure stieg. 

Ich habe diese Versuche nun weiter verfolgt und, ohne die Frage 
völlig geklärt zu haben, was bei der Schwierigkeit der Versuche und den 
vielen Variationen erst in längerer Zeit möglich sein dürfte, habe ich doch 
einige neue Resultate erhalten. 

Die Versuchsanordnung war die gleiche wie in den oben zitierten 
Untersuchungen. Als Versuchsobjekte dienten ebenfalls weiße Hunde, 
entweder kurzhaarige oder langhaarige. denen das Haar an den der Be- 
lichtung ausgesetzten Stellen kurz geschoren worden war. Diese Prozedur 
wurde nicht erst zur Zeit der Belichtung vorgenommen, sondern das 
Tier wurde auch in der Vorperiode unter den gleichen Bedingungen geprüft. 
Gehalten wurden die Tiere ın Stoffwechselkäfigen, die ihnen ein ausreichen- 
des Maß von Bewegung ermöglichten. Als Lichtquelle bei diesen neuen 
Versuchen diente nicht Bogenlicht, sondern teils Quecksilberdampflicht in 
Glasröhre (Cooper-Hewitt-Lampe), teils eine Quarzlampe der Quarzlampen- 
gesellschaft (künstliche Höhensonne). 

Die Besorgung der Hunde geschah 24stündig: das Gefäß zum Auf- 
fangen des Harnes enthielt stets Toluol, um eine Fäulnis zu verhindern. 
Wasser wurde ad libitum gereicht. Das Futter war in den hier ge- 
schilderten Versuchen zusammengesetzt aus getrocknetem Pferdefleisch, 
Reis, Schweinefett und Knochenasche, Tag für Tag gleich und wurde von 
den Hunden täglich vollständig gefressen. Untersucht wurde außer dem 
Purinstoffwechsel auch der Stoffwechsel des Eiweißes; das Futter war 


!) Berliner Klinische Wochenschrift 1913, Nr. 22. 


Pincussohn, Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 645 


nicht purinfrei, aber von konstantem Puringehalt. Die Untersuchung der 
Ausscheidungsprodukte geschah nicht in täglichen Portionen, sondern die 
Ausscheidungsprodukte mehrerer Tage wurden antiseptisch gesammelt, zu- 
sammengemischt und möglichst schnell analysiert. 

Bestimmt wurde der Gesamtstickstoff nach Kjeldahl, die Harnsäure 
nach Hopkins-Folin und nach Krüger-Schmid, die Purinbasen nach 
den letzteren Autoren, Ammoniak nach Krüger-Reich-Schittenhelm, 
die Aminogruppen nach Sörensen, die Oxalsäure nach Salkowski, Allan- 
toin nach Wiechowski. 


Tabelle I. 
Terrier II. Quecksilberlampe T per-Hewitt). 


EEA |+ a 


+ Fr 


M-ouwy-fyN 
vroyudı/y 
'BInBSussy 'usst/g 


En 





Ta Pre Se 
Basen: N 


2 
April Mai 


Als Farbstoffe wurden verwandt das bereits in den ersten Versuchen er- 
probte Eosin, das Erythrosin, das dichloranthracen-2,7-disulfosaure Natrium. 
das eine sehr starke Fluoreszenz zeigt und das von Tappeiner bei seinen 
Versuchen an niederen Organismen sehr stark wirksam gefunden wurde 
und das nach demselben Autor ebenfalls sehr wirksame anthrachinon-2,7- 
disulfosaure Natrium, das im Gegensatz zu den anderen Farbstoffen fast 
keine Fluoreszenz aufweist. 

Tabelle I und II geben parallele Versuche unter dem Einfluß von 
Eosin, dichloranthracendisulfosaurem Natrium und anthrachinondisulfosaurenm 
Natrium. Der zu Versuch I verwendete Hund, weißer Terrier, wog 4800 g: 


646 Pincussohn, 


das Gewicht blieb während der Versuchsdauer zunächst konstant, ging in 
der letzten Periode aber um 250g zurück. Das Tier war während des 
ganzen Versuches munter. Weder bei ihm noch bei meinen anderen 
Versuchstieren bemerkte ich unter Bestrahlung lebhafte Bewegungen, die 
für den gesteigerten Umsatz anzuschuldigen wären. Die dem Tier gereichte 
Nahrung bestand aus 21g getrocknetem Fleisch, 50g Reis, 20 g Schweine- 
fett, 4g Knochenasche. Sie wurde ebenso wie die Nahrung in anderen 
Versuchen so dargestellt, daß der Reis auf dem Wasserbad zunächst mit 


Tabelle II. 
Spitz III. Quecksilberlampe (Cooper-Hewitt). 

































$ 

| 
P I. 
Dichlorant Ihracen - 


disulfasoures No 


Maupipenode 1- 
Anthrachınon - 
dısu/fosaures Na 


> Nechperiode. 
Amine -N. 





IINDS/OXg 








besem! Nom -Ñ 


SLLEEEERS Eee 
| a Zee 
,13 TA u N. 

Fa Aa 
eA e e TTT e A 
FOA pee 





vrozuoyy 
'BINDS WDy ussog 






















Nfe menman 

7 LAN] 
PaE ENRERE 
ei A a 







1913 11 16 17 w T u 29 3 5 8 
Apri Ma 


der entsprechenden Menge Wasser zerquollen wurde; in die aufgequollene 
Masse wurden die anderen Bestandteile heiß hereingerührt und die Nahrung., 
sobald das Fett wieder erstarrt war, noch warm dem Tier vorgesetzt. Die 
Nahrung wurde sowohl von diesem Hund wie auch von den anderen Tieren 
gern genommen und regelmäßig in weniger als einer Stunde quantitativ 
ausgefressen. Die Aufnahme an Wasser betrug zwischen 150 und 250 ccm 
täglich. Der Stickstoffgehalt der Nahrung war 3,06 g pro die. 

Wie schon oben erwähnt und wie auch aus den Tabellen ersichtlich, 
wurden keine täglichen Analysen ausgeführt, sondern die zwei- bis dreitägige 


Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 647 


Harnmenge zusammen analysiert. In der Regel wurde der bereits unter 
Toluol aufgefangene Harn zweimal täglich in die ebenfalls mit Toluol be- 
schickte Sammelflasche ausgeleert, regelmäßig außerdem der Käfig ausge- 
spült, das Waschwasser zum Harn gefügt, auf ein einheitliches Volumen 
aufgefüllt, gut gemischt und analysiert. 

Der für den Versuch II gebrauchte Hund war ein weißlicher, kurz 
geschorener Spitz, Anfangsgewicht 6850 g, Endgewicht 6550 g. Die Nah- 
rung bestand aus 30 g getrocknetem Pferdefleisch, 70g Reis, 30 g Schweine- 
fett, 5 g Knochenasche mit einem Stickstoffgehalt von 4,34 g. 

Die Versuche sind parallel unter ganz gleichen Bedingungen ange- 
stellt und können daher gewissermaßen als ein Versuch gelten. Auf eine 
hier nicht angegebene Vorbereitungszeit folgte eine Vorperiode, bestehend 
aus 2 Perioden zu je 3 Tagen; es schloß sich an eine ebenfalls 6tägige 
Licht-(Haupt-)Periode, es folgte eine 3tägige Zwischenperiode, darauf wieder 
eine 6tägige Hauptperiode und zum Schluß eine 6tägige Nachperiode. Die 
Kurven sind hier so gezeichnet, dal jede Periode nur durch einen Punkt 
in ihrer Mitte charakterisiert ist: dieser Mittelpunkt fällt für die Vor- 
periode auf den 11. April, die erste Hauptperiode auf den 26. April und 
die Nachperiode auf den 2. Mai. 

Als Lichtquelle diente für diese Versuche eine Cooper-Hewitt- 
Lampe von 100 cm Länge, die dreiviertel Meter über den Versuchskäfigen 
aufgehängt war. Die geringe durch die Lampe erzeugte Temperaturerhöhung 
kam an den Käfigen selbst nicht zum Ausdruck. Die Lampe ist bekannt- 
lich eine in einem langen Glasrohr eingeschlossene Quecksilberdampflampe, 
die ultraviolette Strahlen fast gar nicht besitzt und im übrigen nur den 
Teil des Spektrums vom Violett bis Grün besitzt. Die Dauer der Belich- 
tung betrug in der ersten Hauptperiode 1. Hälfte insgesamt 24 Stunden, 
2. Hälfte insgesamt 29!/, Stunden; in der zweiten Hauptperiode, 1. Hälfte 
27 Stunden, 2. Hälfte 33 Stunden: die Belichtungsdauer schwankte also 
zwischen 8 und 11 Stunden täglich. Die täglich injizierte Farbstoffmenge 
schwankte zwischen 0,2 und 0,5 g. 

An Hand der Tabellen ergibt sich nun für die einzelnen Ausschei- 
dungsprodukte folgendes. 

Der Gesamtstickstoff nimmt unter einfacher Lichtwirkung ohne Sensi- 
bilisator etwas ab, mit Eosin dagegen etwas zu; eine Abnahme wurde auclı 
beim dichloranthracendisulfosauren Natrium beobachtet, während unter 
anthrachinondisulfosaurem Natrium der Gesamtstickstoff ziemlich erheblich 
zunahm. Der Kotstickstoff steigt bei jeder Lichtwirkung, am wenigsten 
unter Eosin. Der Allantoinstickstoff nimmt bei einfacher Bestrahlung kaum 
ab; größer ist schon die Wirkung des dichloranthracendisulfosauren Natrium, 
größer die des Eosins, am größten die des anthrachinondisulfosaurem Natrium. 


618 Pincussohn, 


Auch bei diesen Versuchen zeigte sich die schon früher gemachte Erfahrung, 
daß trotz dieser erheblichen Veränderung der Allantoinwerte die Harnsäure- 
kurve fast ganz konstant blieb: man hat es also nicht mit einem Stehen- 
bleiben des Purinabbaues auf der Stufe der Harnsäure zu tun. Unter dem 
Einfluß der verschiedenen Farbstoffe, nicht aber von Licht allein, nahm 
der Basenstickstoff zu; es verschiebt sich hierdurch das Verhältnis Harn- 
säure : Purinbasen sehr erheblich und es dürfte hier wohl ein Teil der Licht- 
wirkung zu suchen sein. 

Recht wichtig ist die Beobachtung, dal umgekehrt proportional mit 
der Allantoinausscheidung oder zum mindesten diesem Verhältnis sehr an- 
genähert die Ausscheidung der Oxalsäure verläuft. Diese Tatsache bildet 
eine starke Stütze für die Autoren, welche wenigstens einen erheblichen 
Teil der Oxalsäure aus dem Purinstoffwechsel herleiten und zwischen 
Oxalurie und Gicht sehr nahe Übergänge konstruieren. Ich muß vorläufig 
dahingestellt lassen, ob in der Tat ein ursächlicher Zusammenhang zwischen 
Allantoin- und Oxalsäureausscheidung besteht; die jetzt, ebenso wie die 
früher erhaltenen Zahlen sprechen sehr in diesem Sinne, wenn sie auch 
einen exakten Beweis nicht geben. 

Was die Werte des Harn-Ammoniaks und des Aminostickstoffs des 
Harnes betrifft, so finden sich weder unter einfacher Belichtung noch unter 
Belichtung nach Eosin irgendwelche größeren Differenzen. Auch nach 
dichloranthracendisulfosaurem Natrium sind die Unterschiede gering. Ein 
deutliches Ansteigen beider Werte zeigt sich dagegen nach Sensibilisierung 
mit anthrachinondisulfosaurem Natrium und besonders in der Nachperiode 
finden sich exorbitant hohe Werte. 

Zwei weitere Versuche (Tabelle III, IV) sollten über das Verhalten 
der letztgenannten Komponenten weiteres Material bringen. Zu diesen 
Versuchen diente ein gelblicher kurzgeschorener Spitz, 6700 g, Nahrung: 
80 g Reis, 25 g getrocknetes Fleisch, 25 g Fett, 5 g Asche; täglicher 
Nahrungsstickstoff 3,45 g; ferner ein weißer Terrier, 5100 g, tägliche Nah- 
rung 20 g getrocknetes Fleisch, 60 g Reis, 20 g Fett, 5 g Knochenasche, 
Gresamtstickstoff der Nahrung 2,96 g. Die Perioden waren bei diesen Ver- 
suchen 2tägige. Zur Sensibilisierung benutzt wurde Erythrosin und anthra- 
chinondisulfosaures Natrium. Es sind ebenfalls Parallelversuche: in den 
Tabellen sind notiert die Mittelwerte aus der 5tägigen Vorperiode, der 
6tägigen Hauptperiode, dem 4tägigen 1. Teil der Nachperiode und dem 
ebenso langen 2. Teil der Nachperiode. Die zur Belichtung dienende Quarz- 
lampe von Heraeus (künstliche Höhensonne) war ohne andere als gewöhn- 
liche Kühlung 60 cm über dem oberen Teil des Käfigs angebracht. Die 
gesamte Bestrahlungsdauer während der Hauptperiode betrug 190 Minuten, 
auf die einzelnen Tage gleichmäßig, und zwar mehrmals täglich, verteilt. 


Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 649 


Wie die Tabellen zeigen, ist eine Zunahme des Gesamtstickstoffs in 
etwas größerem Maße nur in der Nachperiode nach Behandlung mit dem 
Anthrachinonfarbstoff festzustellen. Das Ammoniak des Harns nimmt unter 
Erythrosin bei der Bestrahlung ein wenig zu, um nachher abzufallen und 


Tabelle III. 
Spitz II. Quarzlampe. — TEE TILL. S. 1913). 





Tabelle IV. 
Terrier III. Quarzlampe. — Anthrachinon — disulfosaures Na (S. S. 1918). 


SS Lee Terre 
/ SFERE-E EEE 
leo rer 
PO FER SELL 


He e 
| es 


ER HHHH 
0 


ee EIER 
er e a 


niedrig zu bleiben. Der Aminostickstoff nimmt sofort ab und bleibt niedrig. 
Anders beim anthrachinondisulfosauren Natrium : der Aminostickstoff nimmt 
auch hier unter Bestrahlung ab, er steigt jedoch nachher über den ursprüng- 
lichen Anfangswert an: der Ammoniakwert dagegen steigt schon unter 














650 Pincussohn, Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 


Bestrahlung an und wird nachher noch erheblich höher, über das 5fache 
des ursprünglichen Wertes. Diese Tabellen lehren also, daß man unter 
gleichen Verhältnissen, mit der gleichen Lichtquelle nur durch die Wahl 
des Sensibilisators verschiedene Effekte erreichen kann. 

Die hier geschilderten Versuche stehen durchaus im Anfangsstadium ; 
erst weitere Reihen, unter Variierung der Versuchsbedingungen, vor allem 
der Lichtquellen und der Sensibilisatoren, können bündigen Aufsschluß 
darüber geben, wie weit eine Beeinflussung in dem oben skizzierten Sinne 
mit Sicherheit zu erreichen ist. Ich bin mit weiteren Versuchen hierüber 
beschäftigt und hoffe bald neues Material beibringen zu können. Vom Auf- 
stellen von Theorien und dem Bau von Hypothesen möchte ich vorläufig 
Abstand nehmen; das Erfordernis der nächsten Zukunft ist im obigen 
Sinne durchgeführte experimentelle Arbeit. 


Die äußere Tuberkulose, spez. Hauttuberkulose, und ihre 
Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 


Von 
Dr. Artur Strauß, Barmen. 
(Mit 28 Abbildungen.) 


W: durch das Tierexperiment die Ätiotropie eines neuen Mittels bei 
einer Infektionskrankheit festgestellt ist, so liegt die Wahrscheinlich- 
keit nahe, daß es auch beim Menschen ähnliche Wirkungen entfaltet. 
Wir stehen freilich nicht mehr auf dem Standpunkte, daß das positive 
Tierexperiment als eine conditio sine qua non für die Wirkung neuer 
Mittel oder Verbindungen beim Menschen anzusehen ist. Wenn es aber 
gelingt, so bietet es eine tiefe wissenschaftliche Grundlage für diese Ver- 
suche. 

Wir müssen Finkler und der Gräfin Linden das große Verdienst 
zusprechen, daß sie vom Kupfer den positiven Beweis seiner ätiotropen 
Wirkung beim Meerschweinchen erbracht haben. 


Gräfin Linden hat gezeigt, daß es an das Protoplasma der Tuberkel- 
bazillen gekettet wird, dal es sie von der Blutbahn aus abtötet, ohne den Or- 
ganismus zu schädigen. Es erwies sich also ein Mittel in rein chemotherapeu- 
tischem Sinne, welches im weitesten Maße beim Menschen geprüft zu werden 
verdiente. Und dieses um so mehr, als wir das Märchen von der hohen 
giftigen Wirkung des Kupfers durch die Erfahrung am Tiere und am 
Menschen selbst längst als widerlegt betrachten dürfen. Das Kupfer ist 
eben besser als sein Ruf. Von dieser Tatsache habe ich mich in 
zweijähriger Erprobung zahlreicher Verbindungen dieses Metalls bei der 
verschiedensten Einverleibungsart (subkutane, intramuskuläre und intravenöse 
Injektionen, Schmierkuren, innere Verabreichung, Klysmen, örtliche An- 
wendung) an mehr als 100 Kranken überzeugt. Die einzige unangenehme 
Begleiterscheinung der Kupfertherapie, die namentlich in der ersten Zeit 
meiner im August 1911 begonnenen Versuche hervortrat, war die örtliche 
Schmerzhaftigkeit, namentlich bei Injektionen. Ich arbeitete anfangs mit 
dem Kupferchlorid, das sich auch für die örtliche Therapie als zu schmerz- 
haft erwies. Von den vielen Verbindungen zeigten sich dann das Kupfer- 
kaliumtartrat als sehr brauchbar, auch für Injektionen, für diese auch das 
dimethylamidoessigsaure Kupfer. Die unzweifellhiaften Erfolge, die ich immer 


652 Strauß, 


wieder beobachten konnte, ließen mich nichtruhen, die Methodik der Kupfer- 
behandlung weiter auszubilden, in erster Linie die örtliche, wie ich sie 
einführte, nachdem ich ihren großen Wert erkannt hatte Ist es 
schwierig, sich von dem Grade der ätiotropen Wirkung eines Mittels von 
der Blutbahn aus auf die Tuberkulose, besonders die innere, mit ihren 
individuellen Schwankungen und ihrer Abhängigkeit von den hygienischen 
Bedingungen ein klares Bild zu verschaffen, so liegen die Verhältnisse 
wesentlich einfacher, wenn man seine örtliche Wirkung prüft. Hier 
kann uns kein Objekt günstiger liegen, als die Tuberkulose der Haut 
in ihren verschiedenen Formen, der Schleimhäute und auch der 
Lymphdrüsen, der Knochen und Gelenke. Hier können wir, sei es 
mit dem Auge, sei es im Röntgenbilde, den Reaktionsprozeß verfolgen 
und auch die Frage entscheiden, ob das Mittel nur eine Ätzwirkung in 
mehr oder weniger elektivem Sinne oder auch eine spezifische Wir- 
kung entfaltet. Und da drängt sich zunächst die Frage auf: Wie soll 
man ein elektiv wirkendes Mittel von einem auch gleichzeitig 
spezifisch wirkenden unterscheiden? Spezifisch ist ein Mittel. 
wenn es bestimmte Parasiten vernichtet, andere dagegen nicht. Elektiv 
ist ein Mittel, das nur das kranke Gewebe zerstört, ohne eine ausge- 
sprochene Affinität zu den Bakterien zu entfalten. Die spezifische Wirkung 
kann nur dann zu einer chemotherapeutischen sich erheben, wenn seine 
außerhalb des Organismus spezifische Kraft sich in ihm mehr bakterio- 
trop als organotrop erweist. Will man aus dem Gebiete der Lupusbehandlung 
ein Mittel nennen, das als elektiv, aber nicht als spezifisch zu bezeichnen 
ist, so ıst die Pyrogallussäure dafür ein Prototyp. Vom Blute her ist sie 
überhaupt nicht verwendbar, weil sie schon in verhältnismäßig kleinen 
Dosen eine Methämoglobinämie auslösen würde. Auch kann sie, schon 
bei örtlicher Anwendung, Nephritis erzeugen. Auf lupösen Herden ver- 
ursacht sie eine Verätzung der oberflächlichen Knötchen unter Abstoßung 
des nekrotischen Gewebes. Aber sie bringt durch die unversehrte Haut 
hindurch tuberkulöse Gewebe nicht zur Resorption. Ganz anders das so un- 
schädliche Kupfer. Es zerstört nicht nur elektiv die lupösen Infiltrate, son- 
dern leitet auch ihre Resorption ein, selbst durch die intakte Haut hindurch, 
oder von der Blutbahn aus. Diese resorbierende, zur Atrophie füh- 
rende tiefe Wirkung des Kupfers zeigt sich am besten bei Skrophulo- 
dermen mit noch nicht zerstörter Oberhaut. Diese können unter Einreibungen 
der Salbe völlig zur Resorption gelangen. Das Kupfer heilt also auch ohne 
Atzwirkung und diese Fähigkeit ist auf das Konto seiner spezifischen 
Eigenschaften zu setzen. Die Ätzwirkung scheint also, wie ich schon früher 
betont habe, nur ein Mittel zum Zweck zu sein. Durch sie werden die 
Epithelverbände gelockert, durch sie wird erst dem Kupfer die Bahn ge- 


Hauttuberkulose und ihre Behandluug mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 653 


ebnet, seine spezifische Wirkung in den unteren Schichten der‘ Haut zu 
entfalten. Das Kupfer wirkt nicht nur ätzend auf tuberkulöse Gewebe, 
d. h. elektiv, sondern auch abtötend auf die Erreger und resor- 
bierend. Es ist nach meinen bisherigen Erfahrungen weniger oder gar 
nicht wirksam bei anderen Infektionskrankheiten, z. B. bei Lues und auch 
bei anderen Hautleiden, z. B. bei Lupus erythematodes und Psoriasis. Es 
ist also spezifisch bei Tuberkulose. Mit dieser Eigenschaft rückt das 
Kupfer, wie mir scheint, an die erste Stelle aller örtlich auf tuberkulöse 
Gewebe wirkenden Mittel. Und wenn die Finsenbehandlung mit ihrer 
Langwierigkeit, Umständlichkeit und Kostspieligkeit in den letzten Jahren 
eine so gewaltige Bedeutung in der Therapie des Lupus gewann, so ver- 
dankt sie diesen Vorsprung nicht zum geringsten Teile der Tatsache, daß 
alle einfachen elektiven Verfahren für die dauernde Heilung des Lupus 
nicht ansreichten, weil sie eben nur elektiv, aber nicht spezifisch wirken. 
Hier scheint mir das Kupfer berufen zu sein, einen Wandel zu schaffen 
und die teuren Heilmethoden in die zweite Linie zu drängen. 

Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß das Kupfer tatsächlich 
eine mehr wie elektive, auch eine spezifische Wirkung auf die Tuberkulose 
besitzt, dal) aber seiner Dosierung von der Blutbahn aus bestimmte Grenzen 
gesetzt sind, legte ich mir die Frage vor, wie man diese spezifische Kraft 
steigern könne, zunächst bei örtlicher Verwendung. 

Wenn man bedenkt, daß die Tuberkelbazillen aus 40 %, Fettsubstanz 
bestehen, dab sich diese Fettmassen besonders in einer starken Wachs- 
hülle anhäufen, so erscheint zunächst die Hypothese gerechtfertigt, daß 
man die Lipoidlöslichkeit des Kupfers durch Fette steigern könne. Mit 
gewöhnlichen Fetten, die ich zuerst verwandte, war dieses nicht zu erreichen, 
da sie keine Bakteriolyse der Tuberkelbazillen bewirken. Dagegen bilden 
die Lipoide fettspaltende Antikörper und von diesen am stärksten die 
Phosphatide, zu denen das Lezithin gehört (Kurt Meyer). Nach den 
/ntersuchungen von Deyke und Much verlieren in Gehirnemulsionen 
eingesäte Tuberkelbazillen ihre Säurefestigkeit und gehen zu Grunde. Diese 
bakteriolytische Fähigkeit scheint nach Ansicht der Autoren auf das Lezi- 
thin zurückzuführen zu sein. Ich gab daher der Gräfin Linden die 
Anregung zu Versuchen, die Lipoidlöslichkeit der Kupferpräparate zu steigern 
und es gelang ihr, eine neue chemische Verbindung aus Lezithin mit an- 
organischen oder organischen Kupfersalzen, also eine komplexe Lezithin- 
Kupferverbindung zu finden, welches nunmehr die Grundlage für meine 
weiteren Versuche bildete. Eine Bestätigung von dem Werte des Lezithins 
als lipoidlöslichem Mittel gegen die Tuberkelbazillen glaube ich u. a. in den 
Ergebnissen der russischen Autoren Borissjak, Sieber und Metalnikow 
aus dem Institut für experimentelle Medizin in Petersburg erblicken zu 

Strahlentherapie Band III, Heft 2. 42 


654 Strauß, 


dürfen. Sie fanden, dal das beste Antigen zur Bildung antituberkulöser 
Antikörper tuberkulöses Wachs, entfettete Körper und Lezithin sind und 
daß bei Immunisation mit Tuberkelwachs und entfetteten Tuberkelbazillen 
Antikörper nicht nur gegen Tuberkelwachs, sondern auch gegen lebende 
und tote Tuberkelbazillen entstehen, daß aber insbesondere bei Immuni- 
sation mit Lezithin Antikörper gegen Tuberkelwachs, Tuberkel- 
bazillen und entfettete Tuberkelbazillenleiber gebildet werden. 

Es sei noch darauf hingewiesen, daß das Lezithin als ein wert- 
volles Mittel zur Zellenbildung und zum Aufbau des Organismus 
geschätzt wird, daß es zur vermehrten Bildung der roten Blut- 
körperchen und des Hämoglobins anregt und in diesem Sinne als ein 
wichtiges Roborans, namentlich bei Schmierkuren mit Kupfer-Lezithin- 
Salben, nicht zu unterschätzen sein dürfte. Und endlich hat sich gezeigt, 
daß die Resorption der mit Lezithin und Alkohol ohne Fettzusatz her- 
gestellten Salben eine schnellere und tiefere ist, als diejenige von Salben, 
welche nur mit Fetten hergestellt wurden. Gräfin Linden fand, daß 
bei Meerschweinchen eine ziemlich weitgehende Resorption stattfindet. 
Sie rieb einem Versuchstier in 9 Tagen 73 Milligramm Kupfer in einer 
besonderen Verbindung des Kupfers mit Lezithin ein, also nicht als Fett- 
salbe. Die Analyse der Organe ergab, daß in den Organen allein 48 Milli- 
gramm Kupfer wiedergefunden wurden, d. h. 65%. Die größte Menge 
fand sich in Leber und Darm, die geringste in den Nieren. Diese Analyse 
bestätigte die Beobachtung Gräfin Lindens, dal schwer erkrankte Organe 
mehr Kupfer zurückhalten als gesunde, wie sie auf mikrochemischem Wege 
nachgewiesen hatte. 

Es scheint also der Ersatz des Fettes durch Lezithin zwei wesentliche 
Vorzüge für die Behandlung der Tuberkulose zu bieten, eine erhöhte spe- 
zifische Kraft der Kupferpräparate und eine Steigerung ihrer 
Resorbierbarkeit. 

Diesen experimentellen Ergebnissen entsprechen nun auch meine 
praktischen Erfahrungen. Wenn man auch mit Kupfersalben, die mit ge- 
wöhnlichen Fetten hergestellt sind, eine Zerstörung des lupösen Gewebes 
erreicht, so geht sie nach meinen Eindrücken doch schneller und energi- 
scher von statten, wenn man sich zu ihrer Herstellung der Kupfer-Lezithin- 
Salben bedient. Die Wirkung dieser Salben scheint mir eine wesentlich 
tiefere zu sein und das mul) ja gerade unser Ziel sein, zur Verhütung 
von Rückfällen auch die tiefsten Infiltrate zu zerstören. Ich glaube diese 
tiefere Wirkung des Lekutyls in verschiedenen Fällen deutlich festgestellt 
zu haben. Ich behandelte bei mehreren Kranken einzelne Herde mit 
Kupferlezithin, andere mit Kupferlanolin, beide Salben von gleichem 
Kupfergehalt. Ich habe dabei beobachtet, dal die Tiefenwirkung der 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 655 


Lezithinsalbe eine wesentlich stärkere war. Wir dürfen daher wohl in 
dem Lezithin als Komponente der Salbe ein Mittel erblicken, das die 
rationelle Tiefenwirkung des Kupfers befördert. Die ausgezeich- 
nete Resorptionsfähigkeit der Kupfer-Lezithin-Salbe tritt auch in auffälliger 
Weise bei Schmierkuren zutage. Die Salbe läßt sich außerordentlich leiclıt 
und schnell in die Haut verreiben, besonders wenn man zum Nachreiben 
sich des Kampferspiritus bedient. 

Habe ich in therapeutischer Beziehung vornehmlich die spezifische 
Wirkung der neuen Präparate zu heben versucht, so leiteten mich in 
rein technischer Hinsicht besonders zwei Gesichtspunkte. Erstens, eine 
Einheitlichkeit und Einfachheit der Behandlung auszubilden und 
zweitens, die Schmerzhaftigkeit der Kur nach Möglichkeit 
herabzusetzen. Es gelang, die Einheitlichkeit der Methodik durch die 
Herstellung des neuen Präparates Lekutyl zu erreichen. Nach mehr als 
1 jähriger Kontrolle zahlreicher Verbindungen und ihrer Erprobung am 
Menschen sind wir für die äußere Tuberkulose bei einem Präparate stehen 
geblieben, das im wesentlichen aus zimtsaurem Kupfer und Lezithin be- 
steht. Nachdem ich mit Genugtuung die erfreuliche Tatsache habe kon- 
statieren können, daß die zahlreichen Nachprüfungen meine Beobachtungen 
und Resultate bestätigten, haben wir uns entschlossen, die Präparate?) 
für die Behandlung der äußeren Tuberkulose freizugeben. 

Über die mir bisher von etwa 25 verschiedenen Seiten zur Kenntnis 
gegebenen Resultate der Nachprüfungen, die sich etwa über !/, Jahr er- 
strecken (bei einigen auch über einen längeren Zeitraum), bin ich folgendes 
mitzuteilen in der Lage. Sie stammen aus mehreren Universitätskliniken 
und Polikliniken, aus Heilstätten für Lupusbehandlung, innere und chirur- 
gische Tuberkulose, von mehreren Spezialärzten und einem Landarzte. 

Was zunächst die Tuberkulose der Haut betrifft, so betonen fast alle 
Autoren die entschiedene örtliche elektive Ätzwirkung der Salben. Ebenso 
wird fast von allen Seiten die Schmerzhaftigkeit der örtlichen Behandlung 
hervorgehoben. Freilich benutzten die nachprüfenden Herren anfänglich 
die Salben mit stärkerem Kupfergehalt ohne Zusatz von Zykloform und es 
wurde von mehreren Seiten ausdrücklich festgestellt, daß bei der neuen 
Lekutylsalbe die Schmerzhaftigkeit viel geringer sei und nicht größer als 
bei der Behandlung mit Pyrogallussalben. Daß das Lekutyl rascher wirkt 
wie andere elektive Ätzmittel (vergleichsweise kommt auch hier in erster 
Linie die Pyrogallussäure in Betracht), wird von 6 Autoren festgestellt. 
Einige Herren schreiben, daß sie die auffallend schnelle Heilwirkung in 
Erstaunen versetzt habe; von einer Seite wird bemerkt, daß die Wirkung 


1) Farbenfabriken vorm. Fr. Bayer & Co. in Leverkusen bei Cöln. 
42* 


656 Strauß, 


zuweilen auch langsamer sei als diejenige der Pyrogallussäure.. Mehrfach 
wurde auch der auffallend schnelle und kosmetisch gute Vernarbungs- 
prozeß, der sich nach der örtlichen Behandlung vollzieht und die resor- 
bierende Wirkung auf Skrophulodermata erwähnt. Einige Herren schließen 
sich meiner Ansicht an, daß die Wirkung der Salbe mehr wie eine elek- 
tive, daß sie auch eine spezifische sei. Von einer Seite wird sie als eine 
„stark spezifische“ bezeichnet. Und von einer anderen wird der Eindruck 
geäußert, als hätte das Lekutyl Wirkungen, wie sie bisher noch nicht be- 
obachtet seien. Keine Erfolge von allgemeiner Behandlung wurden 
von drei Herren gesehen, während von fünf anderen, sei es örtliche Re- 
aktionen in den Lupusherden, sei es Besserung derselben, konstatiert werden 
konnten. Aus einer Universitätsklinik wird von einem schweren Fall von 
Hauttuberkulose berichtet, bei dem unter ausschließlich interner Behand- 
lung ein „glänzendes Resultat“ erzielt wurde. 18 Autoren bezeichnen die 
bisher erzielten Resultate als gute, zum Teil sehr gute. Nur ein Autor 
berichtet von unbefriedigenden Resultaten. Diese Mitteilung stammt aus 
einer Universitätspoliklinik. Der Assistent dieser Klinik, der die Versuche 
leitete, erklärte mir nach eingehender Rücksprache bei einem Besuche in 
Barmen, daß die von ihm angewandte Methodik, die mir nicht richtig er- 
schien, wohl die Ursache der mangelhaften Resultate sein dürfte. 

Von keiner Seite wurden schädliche Neben- oder Nachwirkungen der 
örtlichen Behandlung gemeldet. Nur ein Kollege sah in einem Fall regel- 
mäßig bei allgemeiner Behandlung (Injektionen) Erytheme. Über gute, zum 
Teil ausgezeichnete Erfolge bei chirurgischer Tuberkulose unter örtlicher 
Behandlung wird von allen Autoren, die auf diesem Gebiete nachprüften. 
berichtet. Fisteln und Abszeßhöhlen schlossen sich, Caries wurde zur 
Heilung gebracht. Von einer Seite wird über die auffallend schnelle 
Heilung einiger Fälle von Spina ventosa berichtet, nachdem monatelang 
durchgeführte Röntgenbehandlung erfolglos geblieben war. Auch liegen 
Berichte über günstige, ja bedeutende Besserung von Schleimhauttuber- 
kulose vor, auch unter allgemeiner Behandlung.!) 





!) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen gingen mir noch mehrere. nur 
günstige Berichte zu. Ein Spezialkollege schreibt: „Ich habe in einem Fall, 
der von mir schon monatelang vergeblich mit Pyrogallus behan- 
delt war, einen glänzenden Erfolg nach kurzer Applikation der 
Kupfersalbe gehabt.“ 

Ein anderer schreibt: „Die Salbe U®,+Cykl.10 habe ich bisher in 
2 Fällen von chirurgischer Tuberkulose in der Form derSchmier- 
kur angewendet und ich muß sagen, daß der Eindruck der thera- 
peutischen Wirksamkeit ein ganz vorzüglicher ist.“ 

Von dem Chefarzt eines Knappschaftskrankenhauses liegt mir folgende Mit- 
teilang vor: „Wir haben z. Z. 15 Lupuskranke in Behandlung, davon 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 657 


Die eingehendere Veröffentlichung ihrer Ergebnisse bleibt den Herren 
selbst, die die Nachprüfung freundlichst und in dankenswerter Weise über- 
nahmen, überlassen. Zur Beurteilung der Resultate, namentlich mit Rück- 
sicht auf Rezidive, wäre es erwünscht, wenn die Pathogenese der Fälle 
mitgeteilt würde, ob sie exogen oder endogen entstanden, ob die Schleim- 
häute usw. beteiligt waren und ob es gelang, die Ausgangsprozesse zu be- 
seitigen. 

Zur örtlichen und Inunktionsbehandlung dient eine Salbe aus 
zımtsaurem Kupfer-Lezithin mit einem Kupfergehalt von 11/,%, der 
zur Herabminderung der Schmerzhaftigkeit noch 10%, Zykloform zugesetzt 
ist. Zur inneren Behandlung werden dragierte Pillen der gleichen 
Kupfer-Lezithinverbindung von je 5 mg Kupfer ausgegeben. Die Pillen 
können dreimal täglich gegeben werden, 1—2 Stück am besten nach den 
Mahlzeiten. Die für die Injektionen bestimmten Präparate sind noch 
nicht definitiv festgelegt und konnten daher auch noch nicht freigegeben 
werden. 

Über die Technik der Methode möchte ich folgendes sagen: In 
meiner zweijährigen Erfahrung habe ich mich immer wieder davon über- 
zeugen können, daß die Güte der Erfolge besonders von einer 
exakten Technik abhängt. Es genügt nicht, die Salben einfach auf die 
Haut aufzustreichen. Die Salben müssen bei Tag und Nacht in engster 
Berührung mit den erkrankten Hautstellen sich befinden. Das kann nur 
durch das Anlegen eines rationellen Verbandes geschehen. Bis zur 
Exkoriation der Haut streiche man bei geschlossenen Infiltraten die Salbe 
mit einem Spatel direkt auf die Haut auf. Sodann streiche man die Salbe 


2 stationär, die übrigen ambulant. Alle diese Kranken sind mit 
anderen Mitteln zum Teil Jahre lang ohne dauernden Erfolg be- 
handelt und werden von uns ausschließlich mit Ihren neuen Prä- 
paraten behandelt. Wir sind, wie wir schon früher mitgeteilt, 
mit den Erfolgen recht zufrieden“ 

Der Leiter eines anderen Krankenhauses schreibt: „Ich bin auf Grund 
meiner Erfahrungen der Ansicht, daß die Kupfersalbe für die 
äußere Tuberkulose sehr wirksam ist und daß diese Medikation 
eine große Zukunft hat. Ich habe bei einem tuberkulösen Zun- 
gengeschwür, das gewöhnlich jeder Behandlung trotzt, eine vor- 
zügliche Wirkung von der äußerlichen Anwendung des Kupfers 
gesehen, außerdem bei tuberkulösen Fisteln. Endlich habe ich 
versucht, Kupferlösung in ein tuberkulöses Kniegelenk einzu- 
spritzen, — mit vorzüglichem Erfolg.“ 

Über die intravenösen Injektionen äußert sich der Direktor einer 
Heilanstalt für Lungenkranke: „Der Eindruck, den ich von der Wirkung 
des Präparates habe, ist bisher ein prächtiger® 


658 Strauß, 


auf mehrfach übereinander gelegten Mull. Die Mullkompresse soll etwas 
größer sein als die zu behandelnden Hautstellen. Darüber lege man ent- 
weder einen Bindenverband oder man fixiere, was besonders im Gesicht 
zu empfehlen ist, die Kompressen mit Leukoplast oder Helfoplast. Man 
achte besonders darauf, daß die Ränder und Ausläufer der Herde gut von 
der Salbe bedeckt sind, denn erfahrungsgemäß bleiben hier am leichtesten 
Reste zurück. Sitzen die Herde in Falten, so empfiehlt es sich, die Mull- 
kompressen an diesen Stellen noch mit Watte auszupolstern. Wenn die 
Kutis frei liegt, dann vermeide man die Salbe direkt auf die Wundfläche 
zu streichen. Man lege dann nur noch die mit Salbe bestrichenen Mull- 
kompressen auf, die man vor der Ablösung mit Öl tränke. Je schwäch- 
licher und empfindlicher die Kranken sind, um so mehr gehe man schritt- 
weise vor. Man behandle nur einzelne Herde und gehe erst zu anderen 
über, wenn unter einer indifferenten Salbe die schnell einsetzende Epitheli- 
sation sich vollzieht. Bei zurückbleibenden Resten der Infiltrate, aber 
auch bei kleinen Herden überhaupt, kann man auch die Behandlung mit 
der Kupfersalbe bis zur völligen Vernarbung zu Ende führen. Mit diesem 
Verfahren kann man manchmal schon mit der ersten Kur eine restlose 
Beseitigung aller Herde erreichen. 

Bei geschlossenen Infiltraten bemerkt man schon am ersten Tage eine 
lebhafte Rötung und Exsudation. Am zweiten Tage stoßen sich in der 
Regel die obersten Epithelschichten ab. Man sieht dann schon die Lupus- 
knötchen. als graue Pfröpfe im Gewebe liegen. Bei guter Technik tritt 
die spezifische Reaktion in der Regel schon am dritten Tage ein, eine 
schmerzhafte Entzündung und Zerstörung der Lupusknötchen. Diese Re- 
aktion stellt den Höhepunkt der Kupferwirkung dar, wie ich in meinen 
Arbeiten wiederholt betonte.!) 

Bei empfindlichen Kranken, namentlich aber bei der Behandlung 
größerer und mehrerer Herde ist es durchaus zu empfehlen, während der 
ersten Nächte Morphium zu geben. Die Schmerzhaftigkeit tritt in der 
Regel am meisten in der zweiten Nacht hervor. Das geübte Auge kann 
jetzt schon erkennen, ob wirklich sämtliches lupöse Gewebe elektiv zerstört 





1) In seiner Veröffentlichung über chemotherapeutische Versuche bei 
liungentuberkulose (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1913, Nr. 28) sagt Dr. 
Stefan Pekanovich-Budapest, daß Dr. Sigmund Somoggi „in einigen 
Fällen von Lupus und Tuberculosis verrucosa sogar (sic!) bei Anwendung einer 
1%/, proz. Salbe“ (Kupferchlorid, das von uns als „nicht geeignet für die antituber- 
kulöse Therapie“ bezeichnet wurde) „eine schmerzhafte Entzündung auftreten sah, 
weshalb er jede weitere Behandlung einstellte“. Er brach also die Behandlung 
ab, als die spezifische Reaktion sich zeigte und geht dann soweit, auf Grund dieser 
wenigen Fälle die Methode als erfolglos zu bezeichnen, obwohl er die Behandlung 
nicht einmal zu Ende führte. 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezitlinkupfer (Lekutyl). 659 


ist. Man bemerkt es an der lebhaft frischen rötlichen Farbe des frei- 
liegenden Gewebes. Dort, wo die Salbe in nicht genügender Weise ihre 
elektive Ätzung ausgeübt hat, kann man noch deutlich den bräunlichen 
Farbenton der Lupus-Infiltrate feststellen. Es zeigt sich an diesen 
Stellen in der Regel noch eine stärkere Schwellung des noch nicht völlig 
zerstörten kranken Gewebes. Besonders bleiben noch nicht völlig zer- 
störte Herde an den Rändern bestehen. Bei großer Schmerzhaftigkeit 
der Kur, namentlich bei sehr empfindlichen Kranken, ist es ratsam, 
jetzt schon die spezifische Behandlung für einige Zeit zu unterbrechen 
und zunächst die Epithelisation des schon völlig zerstörten Gewebes abzu- 
warten unter Anwendung einer indifferenten Salbe, z. B. aus essigsaurer 
Tonerde (10%) und Lanolin-Vaselin oder Eucerinum anhydr., die die 
Schmerzen fast augenblicklich aufhebt. Unter dieser Salbe vollzieht sich 
eine schnelle Vernarbung. In der Regel bilden sich glatte und schöne 
Narben, wie sie wohl kaum besser unter Lichtbehandlung erzielt werden. 
Der volle kosmetische Effekt tritt nicht sofort hervor, sondern erst all- 
mählich, nachdem alle reaktiven Erscheinungen verschwunden sind. Die 
resorbierende Wirkung der Salbe kann man besonders daran erkennen, 
daß oft auch die in den tieferen Schichten der Kutis liegenden Infiltrate, 
welche noch nicht völlig bloßgelegt sind, gleichfalls einer Atrophie ver- 
fallen. Lautsch hat mit Recht hervorgehoben, daß man diese resorbierende 
und spezifisch in die Tiefe greifende Wirkung der Salbe besonders gut in 
Fällen von geschlossenen Skrophulodermen beobachten könne, die bei konse- 
quenter Einreibung der Salbe sich durch die intakte Haut hindurch völlig 
resorbieren. Der Beweis der resorbierenden Wirkung des Kupfers wurde 
mir des öfteren in auffälliger Weise bei allgemeiner Behandlung erbracht. 
In einer Reihe von Fällen habe ich längere Zeit einzelne Stellen unbe- 
handelt gelassen und mich dann davon überzeugen können, daß lediglich 
unter der allgemeinen Behandlung die Infiltrate auch an diesen Stellen 
sich, wenn auch sehr langsam, resorbieren. Zur Zerstörung der Reste 
kann man in doppelter Weise vorgehen. Nachdem die Schmerzhaftigkeit 
der ersten Kur vollständig vorübergegangen ist, nachdem mit anderen 
Worten eine ziemlich weitgehende Epithelisation des zerstörten Gewebes 
sich entwickelt hat, kann man die nun noch verdächtigen lupösen Infiltrate 
von neuem mit der Lekutylsalbe bedecken, während man auf den heilenden 
Stellen weiter die indifferente Salbe gebrauchen läßt. Oder man läßt zu- 
nächst die volle Atrophie des schon zerstörten Grewebes sich abwickeln, 
um dann durch eine Nachkur die zurückgebliebenen Reste zu beseitigen. 
Sehr häufig kann man schon mit der ersten Kur selbst alte und tief in 
die Kutis reichende Infiltrate bei einwandfreier Technik vollständig zer- 
stören. Je tiefer sich allerdings die Infiltrate in die Kutis erstrecken und 


660 Strauß, 


je ausgedelnter die Herde der Fläche nach sind, um so mehr muß man mit 
der Wahrscheinlichkeit rechnen, daß Reste zurückbleiben. Es 
kann sogar nötig werden, daß man, besonders bei ambulanter Behandlung, 
die Kur häufig wieder aufzunehmen hat. Man sollte sich durch mehrfache 
Rezidive nicht irre machen lassen. In solchen besonders widerstehenden 
Fällen, die eine große Geduld des Arztes und des Kranken voraussetzen, 
kann sich die Behandlung allerdings über lange Monate erstrecken. Jeden- 
falls darf man behaupten, daß man bei konsequenter Durchführung der 
Behandlung auf die Dauer auch tiefe Infiltrate restlos beseitigen kann. 
Bei besonders hartnäckigen Infiltraten empfiehlt es sich, die Kur nicht zu 
unterbrechen, wenn die elektive Zerstörung eingetreten ist, sondern sie 
bis zur vollständigen Vernarbung durchzuführen. Die Schmerz- 
haftigkeit der Kur tritt um so mehr zurück, je weiter die Hei- 
lung fortschreitet.!) 


Es ist charakteristisch für die spezifisch-elektive Wirkung der Salbe, 
daß sie nur tuberkulöses Gewebe zerstört. Es muß freilich ausdrücklich 
betont werden, daß auch die gesunde Haut, besonders bei sehr anämischen 
Kranken, etwas auf die Salben reagieren kann. Diese Reaktion äußert 
sich in Rötung, Schwellung und auch in oberflächlicher Abschürfung, aber 
niemals in einer Zerstörung der tieferen Schichten. Die Konjunktiva der 
Augen kann, wenn die Herde in der Nähe sitzen, mit Entzündung reagieren. 
Indessen nimmt, wie ich in zahlreichen Fällen feststellen konnte, diese 
keinen unangenehmen Charakter an. Sie geht schnell wieder vorüber. 
Eine restitutio ad integrum tritt unter der Salbe und auch während der 
Nachbehandlung mit indifferenten Mitteln nicht sofort ein. Der Reaktions- 
prozeß läuft nur sehr langsam ab. Die tuberkulös erkrankt gewesene Haut 
bleibt noch lange lebhaft frisch gerötet, und geht allmählich in atrophisches 
Gewebe von bläulichweißer Farbe über. Dann vermag man in der Regel 
durch Glasdruck deutlich zu erkennen, ob noch tuberkulöses Gewebe 
zurückgeblieben ist. Am längsten bleibt eine reaktiv entzündliche Zone an 
den Rändern der behandelten Infiltrate bestehen. Viel schneller noch 
als lupöse Infiltrate heilen tuberkulöse Ulzerationen sowohl der 
äußeren Haut wie der Schleimhäute. Bei ihnen hat man seltener 
mit Rezidiven zu rechnen. Schwammiges Gewebe bei Lupus tumidus 
wird in einigen Tagen abgestoßen. Die Reinigung der Ulzerationen 
vollzieht sich in der Regel in einigen Tagen, sowohl auf der äußeren Haut 
wie auf den Schleimhäuten. Sie schließen sich dann langsam mit guter 


1) Bei der Behandlung. von Rezidiven ist die Schmerzhaftigkeit geringer. 
Man kann auch die Konzentration der Lekutylsalbe anfangs mit Fett herabsetzen 
und allmählig sie steigern oder zu den Nachkuren schwächere Salben benutzen. 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 661 


Narbe. Skrophulodermata reinigen sich ebenfalls auffallend schnell. 
Die Schmerzhaftigkeit der örtlichen Kur konnte dadurch er- 
heblich herabgesetzt werden, daß der anfänglich höhere Kupfergehalt der 
Salbe vermindert werden konnte. Es stellte sich heraus, daß sich durch 
eine Salbe mit einem 1?/, proz. Kupfergehalt dieselbe gute Wirkung erzielen 
ließ, wie durch eine Salbe mit einem Kupfergehalt von 4,5%, wie ich sie 
anfänglich gebraucht habe. Eine weitere Verminderung der Schmerzhaftigkeit 
ließ sich durch einen Zusatz von Zykloform erreichen, das die Haltbarkeit 
der Salbe nicht beeinträchtigt. Man darf behaupten, daß man mit dieser 
Salbe unter Befolgung der von mir gegebenen Vorschriften auch bei 
empfindlichen Kranken durchaus erträgliche Kuren durchführen kann, die 
bis zur Zerstörung des kranken Gewebes nur kurze Zeit dauern. Man 
kann übrigens auch reines Zykloform auf die zerstörten Herde aufstreuen. 
In der Regel genügt bei Krankenhausbehandlung für diesen Zweck 
eine Kur von mehreren Tagen bis einigen Wochen. Wie ich eben schon er- 
wähnte, empfehle ich zur Beurteilung des Heilungsvorganges in ausgiebigster 
Weise von dem Glasdruckverfahren, der sogenannten Diaskopie, 
Gebrauch zu machen. Man kann mit einem Glasspatel oder mit einem Ob- 
jektträger, den man auf die kranke Haut drückt, feststellen, ob noch Infil- 
trate in den atrophischen Geweben zurückgeblieben sind. Man muß sich 
freilich hüten, einfache Pigmentierungen oder Hyperämien mit 
Infiltraten zu verwechseln. Dem geübten Auge wird das leicht ge- 
lingen.!) Glaubt man unter dem Glasspatel noch Infiltrate lupösen Charakters 
zu sehen, so lasse man nochmals eine Nachkur vornehmen. Werden diese 
Infiltrate dann durch die Salbe zerstört, so hatte es sich um lupöses Ge- 
webe gehandelt. 

Es muß hervorgehoben werden, daß ich meine Resultate an meinen 
mehr als 100 Fällen in zweijähriger Erprobung und Ausbildung des Ver- 
fahrens unter ambulanter Behandlung meiner Kranken erzielt habe. 
Erst in der letzten Zeit war ich in der Lage, einige Kranken auch sta- 
tionär im städtischen Krankenhaus in Barmen behandeln zu können. Erst 
hier habe ich erfahren, wie schnelle und gründliche Resultate 
bei einwandfreier Technik und sorgfältiger Beobachtung der 
Kranken zu erreichen sind. 

Ich verdanke diese Möglichkeit dem warmen Interesse, das unserer Sache 


1) Hyperämische Flecke verschwinden unter Glasdruck. Pigmentflecke zeigen 
einen scharf begrenzten, rein bräunlichen oder gelblichen Farbenton. Lupöse Zell- 
infiltrate verleihen aber der Haut nicht nur einen bräunlichen Ton, sondern auch 
eine gewisse Durchsichtigkeit, eine Transparenz, die oft das Aussehen des Karamel- 
zuckers hat und die dadurch entsteht, daß das Bindegewebe schwindet und an 
seiner Stelle ein dichtes, weiches Zellinfiltrat sich gebildet hat. 


Aus der Kgl. Universitätsklinik für Hautkrankheiten in Kiel 
(Direktor Prof. Dr. Klingmüller). 


Über die Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen 
durch die Lichtstrahlen. 


Untersuchungen an den roten Gänsehlutkörperchen. 
Von | 
Prof. Dr. Fr. Bering, Oberarzt der Klinik. 


F" die glänzenden Resultate, welche durch die Lichtbehandlung erzielt 
werden können — es sei an die von Finsen inaugurierte Behandlung 
des Lupus und anderer Hautkrankheiten und an die von Rollier und 
' Bernhard, jetzt auch von Bardenheuer, Vulpius u.a. geübte Licht- 
behandlung der chirurgischen Tuberkulose erinnert — fehlt uns noch eine 
wissenschaftliche Erklärung. 

Während die Lupusbehandlung durch Licht heute allgemein anerkannt 
und als die beste Methode, die leider sehr langwierig ist, allen anderen 
vorgezogen wird, gewinnt die Behandlung der Knochen- und Gelenktuber- 
kulose mit Licht eine immer größere Bedeutung und Anerkennung. Auf- 
gabe der Technik wird es sein, die Sonnenstrahlen durch künstliche Licht- 
quellen zu ersetzen, um so auch dort, wo die Sonne nur wenig scheint. 
eine Behandlung zu ermöglichen und sie zugleich auch abzukürzen. Auf- 
gabe der experimentellen Forschung ist es, die Lichtprobleme zu lösen. 

Neuberg hat gefunden, daß die Eiweißkörper, Kohlehydrate und Fette 
lichtempfindlich werden, wenn sie mit Mineralstofflösungen zusammen- 
treffen. Bei seinen Versuchen wurden Uran und Eisenverbindungen ver- 
wandt. Er fand bei den chemischen Lichtwirkungen eine durch Spaltung 
hervorgerufene Molekülverkleinerung, bei der sich Substanzen von chemisch 
höchster Avidität, vor allem die überaus reaktionsfähigen Aldehyde und 
Ketone, bilden. 

Hans Meyer und ich haben den Einfluß des Lichtes auf intrazellulire 
Fermente einer Prüfung unterworfen, Untersuchungen, die ihre Anregung 
erhielten durch eine Arbeit Quinckes und die mit der Peroxydase ange- 
stellt wurden. Wir fanden, daß das Licht bis zu einer gewissen Dos 
eine fördernde, bei größeren Dosen eine zerstörende Wirkung auf die 
in allen pflanzlichen und tierischen Organismen tätige Peroxydase ausübt. 


Bering, Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen usw. 637 


An der Wirkung des Lichtes beteiligen sich sämtliche Strahlengruppen, 
auch die tieferdringenden, denen durch bestimmte Stoffe — Sensibilisatoren 
— ihre Wirkung erleichtert oder ermöglicht wird. 

Es liegen nun noch weitere Experimente von Hertel und von mir vor, 
welche sich mit dem Einfluß des Lichts auf die Sauerstoffabgabe beschäftigt 
und eine Erleichterung der Abspaltung aus seiner Hämoglobinverbindung 
ergeben hatten. 

Nach diesen Befunden lag es nahe, auch den Einfluß des 
Lichtes auf die Zelle als Ganzes zu untersuchen. 

Derartige Untersuchungen konnten mit einiger Aussicht auf Erfolg 
an einzelligen Lebewesen angestellt werden. Seeigeleier standen mir nicht 
zur Verfügung. Deshalb wählte ich Bakterien, und zwar Staphylokokken- 
aufschwemmungen. Die Experimente mit letzteren wurden jedoch bald 
aufgegeben, da die erzielten Resultate keine konstanten waren, offenbar, 
weil die Emulsion auch bei langem Schütteln in einem mit Glasperlen 
gefüllten Gefäß nicht immer gleichmäßig ist. 

In vorzüglicher Weise eigneten sich aber die kernhaltigen roten 
Blutkörperchen der Gänse. Da nach Warburg bei anämischen 
Tieren die Atmung erheblich wächst, wurde den Gebrauchsgänsen zum 
Zwecke der Anämisierung vor dem ersten Versuch 3 mal ungefähr 50 ccm 
Blut entnommen und darauf in kürzeren Zwischenräumen immer die not- 
wendige Blutmenge, welche sich im Eisschrank einige Tage brauchbar er- 
hielt. Das Blut wurde nach dem Vorschlag Warburgs in Lockescher 
Flüssigkeit von folgender Zusammensetzung ausgewaschen: Na0l 7,2 g, 
NaHCO, 1,0 g, KCI 0,3 g, CaCl, 0,3 g, Traubenzucker 5,0 auf 1000 g 
Wasser. Bei der Atmung verbrauchen die Blutkörperchen den Sauerstoff, 
welchen sie in Form von Oxyhämoglobin mit sich führen, wobei Hämo- 
globin entsteht. 

Zur Bestimmung des Sauerstoffverbrauches wurde der Blutgasapparat 
nach Haldane-Barcroft benutzt mit einigen von Warburg angegebenen 
Veränderungen. Der Apparat besteht aus einem Atmungsgefäß, welches 
mit einem Manometer verbunden ist. Nach Vorschlag von Brodin 
besteht die Flüssigkeit im Manometer aus 500 ccm Wasser, 23 g NaC], 
5 g Natr. choleince. Merck und etwas Thymol. Nach eingetretener Tem- 
peraturgleichheit (5 Min.) wird der Hahn des Manometers geschlossen, 
das Atmungsgefäß in regelmäßigen Zwischenräumen geschüttelt, bis sich das 
Manometer nicht mehr verändert. Aus der Druckabnahme am Manometer 
wird bestimmt, wie viel Sauerstoff vom Blut beim Schütteln aufgenommen 
wird. Ein drittes Gefäß mit Wasser dient zur Temperaturkontrolle. 
Man liest dann die Temperatur und die Druckveränderung ab und kann 
daraus leicht den verbrauchten Sauerstoff berechnen nach der Formel 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 41 


638 | Bering, 


Vo in Kubikzentimeter Sauerstoff unter Normalbedingungen 


P 
— Polt + xt) 
von Temperatur und Atmosphärendruck. (V ist das Volumen des Ab- 
sorptionsgefäßes plus Kapillare minus eingefüllter Flüssigkeit in Kubik- 
zentimeter, p Druckabnahme im Manometer, gemessen in mm wässeriger 
Lösung von gallensaurem Natrium [sp. Gew. 1,033], deren spezifisches 
Gewicht so eingerichtet ist, daß der Druck von 100000 mm dem von 
760 mm Hg. entspricht, pọ Normaldruck in mm der gleichen Lösung 
= 10000, t = Absorptionstemperatur in °C, « = Ausdehnungskoeftizient 
des Sauerstoffs bzw. der Gase = 1/33) 

Während Haldane-Barcroft in einer verschließbaren mit dem Mano- 
meter verbundenen Flasche von 30—40 ccm Inhalt den Sauerstoff aus 
dem Oxyhämoglobin mit Ferrozyankalium entwickeln, bestimmte ich nach 
Warburg aus der Druckabnahme am Manometer, wie viel Sauerstoff von 
dem Blut beim Schütteln aufgenommen wird, also das reduzierte Hämo- 
globin. 

Es wurde nicht das gewöhnliche Verfahren nach Haldane-Barcreoft 
und Warburg benutzt, sondern die neuere von O. Warburg und 
O. Meyerhof angegebene Methode der Bestimmung des Sauerstoffver- 
brauchs bei gleichzeitig stattfindender Atmung. 

2 ccm Blut wurden in ein von Siebeck angegebenes Gefäß gebracht. 
Das Gefäß hat die umgekehrte Form eines Trichters, wird oben mittels 
eingeschliffenen Glasstöpsels geschlossen. In diesen mündet ein Glasrohr. 
welches mit einem dickwandigen Gummischlauch an das Manometer ge- 
schraubt wird. In den Boden des Gefäßes ist ein kleiner Glasbehälter 
eingeblasen, in den 0,3 ccm 2 n Natronlauge zur Absorption der Kohlen- 
säure gebracht werden. Zur Vergrößerung der Laugenfläche werden in den 
Behälter ein Paar Glaskapillaren gestellt, die aber nicht über den obere 
Rand des Behälters reichen dürfen. 

Ich habe mich bei den Versuchen zweier Gefäße, welche stets den- 
selben Inhalt hatten, bedient. Der Inhalt wurde durch Wägen mit Wasser 
des öfteren bestimmt, er betrug 16 ccm bei einem Paar und bei einem 
anderen Paar 16,3 ccm. 

Das Volumen des Gasraumes wird berechnet: Inhalt der Gefäi« 
15 ccm, Verbindung bis zur Manometerflüssigkeit (Marke 150) 1,2. Da- 
von ist zu subtrahieren 2 ccm eingefüllte Blutkörperchen, 0,3 Natronlauge. 
0.41 für die Glaskapillaren. Das Volumen des Gasraumes betrügt als 
16 + 1,2 = 17.2 — (2 + 0,3 + 0,1) = 14,8. Im Verlaufe des Versuches 
verschwindet der Sauerstoff, der Sauerstofipartiardruck nimmt ab, dadure!. 
nimmt auch der in der Flüssigkeit absorbierte Sauerstoff ab. Bei genau:r 
Berechnung ist die entsprechende Größe zu der aus der Druckabnalınır- 


Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen durch Lichtstrahlen. 639 


berechneten zu addieren. Meyerhof!) hat nach dieser Methode sehr 
interessante Versuche angestellt über die Atmung der Zellen (siehe Lite- 
raturverzeichnis). 

Wenn die Belichtung abgeschlossen ist und die Messung in der an- 
geführten Weise vor sich gehen soll, so werden die Blutkörperchen in die 
Atmungsgefäße gefüllt, mit dem Manometer verbunden und die Gefäße in einen 
Thermostaten gebracht bei 37°. In diesem rotieren zur guten Mischung 
des Wassers um eine vertikale Achse 4 horizontal gestellte Flügel. Beim 
Arbeiten mit Bakterien schlagen 4 in der Höhe der Gefäße angebrachte 
Federn diese regelmäßig an. Gänseblutkörperchen werden regelmäßig mit 
der Hand geschüttelt, wobei durch Kontrollen festgestellt sein muß, daß 
durch das Schütteln stets eine vollständige Sättigung des Hämoglobins er- 
reicht wird. 

Sobald die Blutkörperchen auf die Temperatur des Thermostaten ein- 
gestellt sind, werden die mit der Außenluft in Verbindung stehenden 
Hähne geschlossen, darauf geschüttelt. Der verbrauchte Sauerstoff ist nun 
unmittelbar in der Druckabnahme am Manometer erkennbar. Ein zweiter 
Kontrollapparat, ohne Blutkörperchen, ebenfalls in den Thermostaten 
hängend, dient als Thermobarometer. „Die Differenz Druckänderung im 
Bestimmungsapparat — Druckänderung im Thermobarometer, gibt die Druck- 
änderung, die im Bestimmungsapparat bei konstanter Temperatur und kon- 
stantem Barometerstande eingetreten wäre.“ 

Der Sauerstoffverbrauch kann in der bereits angeführten Weise be- 
rechnet werden. 

Ich habe in beifolgenden Tabellen jedoch nur die am Manometer ab- 
gelesenen Druckänderungen angegeben, wobei die Druckveränderungen der 
Manometer, die nicht durch Sauerstoffverbrauch, sondern durch Schwan- 
kungen der Temperatur hervorgerufen wurden, an den gemessenen Aus- 
schlägen bereits in Abzug gebracht sind. 

Die Belichtung wurde in einer mit einem Quarzglasfenster versehenen 
Prüfzelle, wie Meyer und ich sie zur Messung ultravioletter Strahlen- 
quellen angegeben haben, vorgenommen. In diese Prüfzelle wurden 3 ccm ge- 
waschene rote Gänseblutkörperchen gebracht, belichtet und hieraus 2 ccm 
zur Prüfung ihrer Atmung in die Atmungsgefäße. Anfangs habe ich 
versucht, den Sauerstoff während der Belichtung zu messen, zu diesem 
Zwecke die Lichtquelle in den Ostwaldschen Thermostaten gebracht und 
die Blutkörperchen in einem eigens hierzu angefertigten Quarzglasgefäß be- 
strahlt. Wegen technischer Schwierigkeiten wurde diese Versuchsanordnung 





1) Herr Dr. Meyerhof vom hiesigen physiol. Institut hat mich in die Me- 
thodik eingeführt; ich sage ihm auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank. 
41* 


640 Bering, 


jedoch aufgegeben und zunächst die Bestrahlung vorgenommen und dann 
gemessen. | 

Als Lichtquelle wurde die Quecksilberdampflampe benutzt. Diese 
Lampe enthält zwar in erster Linie blaue und ultraviolette Strahlen, jedoch 
auch gelbe und grüne. Durch Vorschalten besonderer Filter wurden nur 
die in dem einzelnen Falle gewünschten Strahlengruppen zur Wirkung 
gebracht. Ich verweise hier auf die Arbeit Bering u. Hans Meyer, Strahlen- 
therapie Bd. I, 4. Gemessen wurde die Strahlenintensität nach Finsen- 
einheiten. 

Wie aus den Tabellen ersichtlich ist, sind beim Weißlicht ganz 
erhebliche Dosen gegeben worden. Bei dem geringen Gehalt der Quarz- 
lampe an grünen und gelben Strahlen ließen sich bei Applikation dieser 
Strahlengruppen derartig hohe Dosen wegen des zu großen Zeitaufwandes 
nicht erreichen. Da ja aber auch bei geringeren Dosen eine Beeinflussung 
im positiven Sinne eintrat, möchte ich hierin einen Mangel in der Ver- 
suchsanordnung nicht erblicken. Auch das völlige Fehlen der roten Strahlen 
konnte mich wegen der Handlichkeit der Lampe und vor allem der exakten 
Dosierungsmöglichkeiten nicht veranlassen, eine andere Lichtquelle zu 
wählen. 

p = Druckabnahme in Millimeter-Manometerlösung. 

v= 14,8. 

t = 39° U. 


Die Differenzen wurden stets nach 40 Minuten abgelesen. 


Weißlicht | Blaulicht 
Druckabnahme | Druckabnahme 
Dosis Kontr. Belichtet Dosis ©- Kontr. Belichtet 
AF... 2% 31 4F. .. 56 56 
62 60 pi 60 58 
sF... 68 60 6F... 62 64 
45 47 | 55 53 
2F... 52 53 ı 8F...6 70 = 10°, 
60 67 | 68 83 = 22°, 
16 F. . . 52 70=84% 1410F... 50 77 = 54°. 
69 95 =88% | 44 67 =52°, 
290 F. .. 65 72=10% ` 1412F. .. 52 58 = 10°, 
48 Var 43 77 = 78°, 
24 F. .. 6 48 | 46 F... 60 81 =35°, 
67 50 | 61 87 = 43‘ 


Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zellen durch Lichtstrahlen. 641 


Grünlicht Gelblicht 
Druckabnahme | Druckabnahme 
Dosis Kontr. Belichtet Dosis Kontr. Belichtet 
SF... 61 25F.. 3 33 
74 76 | 50 52 
25 F . . 82 53 = 4F... 5 67 = 20 % 
61 70 | 28 40 = 43 % 
3 F.. . 78 76 BF... 55 = 57 % 
70 72 | 3  56=30% 
ıF...%8 53=18%  65F.. 60 72 = 20 % 
60 74 =23 % 58 73 = 26 % 
4.5 F . . 65 909 =38% . SF ..7 100=33% 
70 92 = 17 % i 61 80 = 30 % 
6F ...75 86=15% | 10 F. .. 44 60 = 36 % 
40 61 = 50% 28 46 = 64 % 


Wir sehen also, daß das Weißlicht den Sauerstoffverbrauch bei einer 
Dosis von 16—20 F steigert; größere Dosen vermindern den Verbrauch, 
lähmen also die Zellfunktionen. 

Das Blaulicht fördert den Sauerstoffverbrauch schon bei einer Dosis 
von 8 F bis zu der untersuchten Dosis von 16 F, zum Teil um 50 % 
und darüber hinaus. 

Grünlicht und Gelblicht wirken bei noch geringerer Dosis, schon 
bei 4 F, fördernd auf die Zellatmung und regen den Sauerstoffverbrauch 
an bis zu 50%, und mehr bei einzelnen Untersuchungen. 

Auffallend ist, daß die Gänseblutkörperchen durch das Weißlicht 
erst bei einer so großen Dosis von 20 F geschädigt werden. Bei der 
sroßen Empfindlichkeit der Peroxydase gegenüber den ungefilterten, an 
äußeren Ultraviolett überreichen Strahlen (Weißlicht) wurde sehr bald eine 
Schädigung der Blutkörperchen erwartet. 

Die Förderung erfolgt bei einer bestimmten Dosis von 16 F Weiß- 
licht, besteht auch bei 20 F noch; darüber hinaus jedoch setzt die 
schädigende Wirkung des Lichtes ein: die Intensitätsgrenze für die Förde- 
rung ist also hier nur eine geringe. 

Die zur Förderung notwendigen Dosen des Weißlichts sind ver- 
hältnismäßig groß gegenüber den der anderen Lichtarten. Genau die 
halbe Lichtdosis führt schon beim Blaulicht zur Anregung, und eine 
noch geringere bei dem Gelblicht und Grünlicht. 

Bei diesen letzteren Strahlenarten ist die Intensitätsgrenze für die 
Anregung eine breitere als beim Weißlicht, so z. B. bei Blaulicht von 


642 Bering, 


8—16 F und bei Gelblicht von 4—10 F (größere Dosen wurden nicht 
gegeben). Es ist anzunehmen, daß erst sehr große Dosen eine schädigen- 
Wirkung im Sinne einer Lähmung ausüben. 

Die Ursache dafür, daß die Strahlen des Weißlichts erst bei grubrn 
Dosen fördern und die der anderen Strahlenarten schon bei viel geringeren 
Dosen anregend wirken, liegt offenbar darin, daß die langwelligeren 
Strahlen sehr viel schneller in das Zellinnere bis an den atmenden Kem 
vorzudringen vermögen. Die kurzwelligen Strahlen werden in den Hülien 
der Blutkörperchen abgefangen und erst allmählich kommen die in dem 
Weißlicht enthaltenen penetrationsfähigen Strahlen zur Wirkung. 

Von besonderem Interesse sind die bei Applikation der 
gelben und grünen Strahlen erhobenen Befunde. Auch dies 
Strahlen vermögen die Atmung der Gänseblutkörperchen an- 
zuregen. 

Sie sind es nun, die in die tieferen Hautschichten und in die unter 
der Haut liegenden Organe einzudringen vermögen. Es ist zu vermuten. 
daß sie auf den Stoffwechsel der Zellen hier eine Wirkung auszuüben 
imstande sind. 

Aus den Versuchen geht hervor, daß die einzelnen Strahlengruppen 
des Lichtes auf das Zelleben einen Einfluß im Sinne einer Anregung der 
Zellatmung auszuüben imstande sind. Allerdings ist bei den roten Gänse 
blutkörperchen diese Steigerung keine sehr große. Zur definitiven Ent- 
scheidung der Frage sind noch weitere Untersuchungen mit einzelligen 
Organismen notwendig. Versuche mit Seeigeleiern und Spermatozoen. die 
nach den Vorversuchen sehr geeignet erscheinen, werden in Aussicht ge 
stellt. Bei diesen werden auch in ausgedehntem Maße die Sensibilisatoren 
berücksichtigt werden. 


Die bisherigen Resultate der Experimente berechtigen jedoch schon zu 
der Annahme, daß die Lichtstrahlen, auch jene mit erhöhter 
Penetrationsfähigkeit, die Zellatmung im Sinne einer Anregung 
zu beeinflussen vermögen. 


In dieser Hinsicht scheinen meine Versuche ein Beitrag zur Erklärung 
für die günstigen Heilwirkungen unter dem Einfluß des Lichtes zu sein. 


Literatur: 


Barcroft, Ergebn. d. Physiologie, Bd. 7, 1908. Vom Barcroftschen Gasana- 
lysenapparat. 

Bering, Über die Wirkung violetter und ultravioletter Lichtstrahlen. Med. 
naturw. Archiv, Bd. I, 

Bering u. Meyer, Methoden zur Messung der Wirksamkeit violetter und ultra- 
violetter Strahlenquellen. Strahlentherapie, Bd. I, 1. 


Beeinflussung des Sauerstoffverbrauchs der Zelleu durch Lichtstrahlen. 643 


Bering u Meyer, Experimentelle Studien über die Wirkung des Lichts. Strahlen- 
therapie, Bd. I, 4. 

O. Meyerhof, Über scheinbare Atmung abgetöteter Zellen durch Farbstoffreduk- 
tion. Arch. f. d. ges. Phys., Bd. 149. 

Derselbe: Über Wärmetönungen chemischer Prozesse in lebenden Zellen. Arch. 
f. d. ges. Phys., Bd. 146. 

Derselbe: Untersuchungen über die Wärmetönung der vitalen Oxydationsvor- 
gänge in Eiern. Biochem. Zeitschr., Bd. 35, H. 3 u. 4. 

Derselbe: Über Energiewechsel von Bakterien. Sitzungsber. d. Heidelberger 
Akademie der Wissenschaften, 1912. 

O. Warburg u. O. Meyerhof: Über Atmung in abgetöteten Zellen und in Zell- 
fragmenten. Arch. f. d. ges. Phys., Bd. 148. 

O. Warburg, Zur Biologie der roten Blutzellen. Zeitschr. f. phys. Chemie, Bd. 59, 
ferner Bd. 66. 

Derselbe: Über Beeinflussung der Oxydation in lebenden Zellen nach Versuchen 
an roten Blutkörperchen. Zeitschr, f. phys. Chemie, Bd. 69. 

Derselbe: Über Hemmung der Blausäurewirkung in lebenden Zellen. Zeitschr. 
f. phys. Chem., Bd. 76. 

R. Siebeck, Über die osmotischen Eigenschaften der Nieren. Habilitationsschr. 
Heidelberg 1912. 


(Aus der zweiten medizinischen Klinik der Universität Berlin.) 


Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel 
Von 
Ludwig Pincussohn. 
(Mit 4 Abbildungen.) 


I“ habe schon früher!) zeigen können, daß es gelingt, den Stoffwechsel 
von Tieren durch Sensibilisierung plus Lichtwirkung zu beeinflussen. 
Weiße Hunde, denen subkutan eine Lösung von Eosin injiziert worden war, 
zeigten nach Bestrahlung durch eine elektrische Bogenlampe nicht un- 
erhebliche Veränderungen im Abbau der Purinstoffkörper. Der Allantoin- 
gehalt nahm unter dem Einfluß der Bestrahlung erheblich ab, während 
andererseits, scheinbar umgekehrt proportional dazu, die Ausscheidung der 
Oxalsäure stieg. 

Ich habe diese Versuche nun weiter verfolgt und, ohne die Frage 
völlig geklärt zu haben, was bei der Schwierigkeit der Versuche und den 
vielen Variationen erst in längerer Zeit möglich sein dürfte, habe ich doch 
einige neue Resultate erhalten. 

Die Versuchsanordnung war die gleiche wie in den oben zitierten 
Untersuchungen. Als Versuchsobjekte dienten ebenfalls weile Hunde, 
entweder kurzhaarige oder langhaarige, denen das Haar an den der Be- 
lichtung ausgesetzten Stellen kurz geschoren worden war. Diese Prozedur 
wurde nicht erst zur Zeit der Belichtung vorgenommen, sondern das 
Tier wurde auch in der Vorperiode unter den gleichen Bedingungen geprüft. 
(sehalten wurden die Tiere in Stoffwechselkäfigen, die ihnen ein ausreichen- 
des Maß von Bewegung ermöglichten. Als Lichtquelle bei diesen neuen 
Versuchen diente nicht Bogenlicht, sondern teils Quecksilberdampflicht in 
(Grlasröhre (Cooper-Hewitt-Lampe), teils eine Quarzlampe der Quarzlampen- 
gesellschaft (künstliche Höhensonne). 

Die Besorgung der Hunde geschah 24stündig: das Gefüß zum Auf- 
fangen des Harnes enthielt stets Toluol, um eine Fäulnis zu verhindern. 
Wasser wurde ad libitum gereicht. Das Futter war in den hier ge- 
schilderten Versuchen zusammengesetzt aus getrocknetem Pferdeftleisch. 
Reis, Schweinefett und Knochenasche, Tag für Tag gleich und wurde von 
den Hunden täglich vollständig gefressen. Untersucht wurde außer dem 
Purinstoffwechsel auch der Stoffwechsel des Eiweißes; das Futter war 


e- . — ze 


1) Berliner Klinische Wochenschrift 1913, Nr. 22. 


Pincussohn, Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 645 


nicht purinfrei, aber von konstantem Puringehalt. Die Untersuchung der 
Ausscheidungsprodukte geschah nicht in täglichen Portionen, sondern die 
Ausscheidungsprodukte mehrerer Tage wurden antiseptisch gesammelt, zu- 
sammengemischt und möglichst schnell analysiert. 

Bestimmt wurde der Gesamtstickstoff nach Kjeldahl, die Harnsäure 
nach Hopkins-Folin und nach Krüger-Schmid, die Purinbasen nach 
den letzteren Autoren, Ammoniak nach Krüger-Reich-Schittenhelm, 
die Aminogruppen nach Sörensen, die Oxalsäure nach Salkowski, Allan- 
toin nach Wiechowski. 


Tabelle I. 
Terrier II. Quecksilberlampe (Cooper-Hewitt). 






N -ouis -HN 


NHs -M A HE B 
SIZINTI] AT | Dimm] | 
E HUZN Hi E 
EE EN E T 
la PEREI | 
Basen, h 


1943 2 5 8 















T Me 





Als Farbstoffe wurden verwandt das bereits in den ersten Versuchen er- 
probte Eosin, das Erythrosin, das dichloranthracen-2,7-disulfosaure Natrium. 
das eine sehr starke Fluoreszenz zeigt und das von Tappeiner bei seinen 
Versuchen an niederen Organismen sehr stark wirksam gefunden wurde 
und das nach demselben Autor ebenfalls sehr wirksame anthrachinon-2,7- 
disulfosaure Natrium, das im Gegensatz zu den anderen Farbstoffen fast 
keine Fluoreszenz aufweist. 

Tabelle I und II geben parallele Versuche unter dem Einfluß von 
Eosin, dichloranthracendisulfosaurem Natrium und anthrachinondisulfosauren 
Natrium. Der zu Versuch I verwendete Hund, weißer Terrier, wog 4800 g: 


646 Pincussohn, 


das Gewicht blieb während der Versuchsdauer zunächst konstant, ging ir 
der letzten Periode aber um 250g zurück. Das Tier war während de: 
ganzen Versuches munter. Weder bei ihm noch bei meinen ander: 
Versuchstieren bemerkte ich unter Bestrahlung lebhafte Bewegungen. di 
für den gesteigerten Umsatz anzuschuldigen wären. Die dem Tier geratcht 
Nahrung bestand aus 21 g getrocknetem Fleisch, 50 g Reis, 20 g Schweine- 
fett, 4g Knochenasche. Sie wurde ebenso wie die Nahrung in anderer 
Versuchen so dargestellt, daß der Reis auf dem Wasserbad zunächst m'i 


Tabelle II. 
Spitz III. Quecksilberlampe (Cooper-Hewitt). 
















Dıchloran racen - 





S 

= . j . 

I Vorperiode. Mersensdt — 
S Amin -Ñ 

8 


vrayuoyyy 
'BINDSWDY 'vBs0g 





Ds 
ATTN EAER 
N JOLE 


_ Hernseit N. 
— 


.. 
BET 


Kor N 


der entsprechenden Menge Wasser zerquollen wurde: in die aufgequolln- 
Masse wurden die anderen Bestandteile heiß hereingerührt und die Nahrunz. 


sobald das Fett wieder erstarrt war. noch warm dem Tier vorgesetzt. Dr 
Nahrung wurde sowohl von diesem Hund wie auch von den anderen Tiere 
gern genommen und regelmäliig in weniger als einer Stunde quantitat 
ausgefressen. Die Aufnahme an Wasser betrug zwischen 150 und 250 «E 
täglich. Der Stickstoffrehalt der Nahrung war 3.06 g pro die. 

Wie schon oben erwähnt und wie auch aus den Tabellen ersichtlich. 
wurden keine täglichen Analvsen ausgeführt. sondern die zwei- bis dreitäntz 


an 


ne 


Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 647 


Harnmenge zusammen analysiert. In der Regel wurde der bereits unter 
Toluol aufgefangene Harn zweimal täglich in die ebenfalls mit Toluol be- 
schickte Sammelflasche ausgeleert, regelmäßig außerdem der Käfig ausge- 
spült, das Waschwasser zum Harn gefügt, auf ein einheitliches Volumen 
aufgefüllt, gut gemischt und analysiert. 

Der für den Versuch II gebrauchte Hund war ein eßlicher: kurz 
geschorener Spitz, Anfangsgewicht 6850 g, Endgewicht 6550 g. Die Nah- 
rung bestand aus 30 g getrocknetem Pferdefleisch, 70g Reis, 30 g Schweine- 
fett, 5 g Knochenasche mit einem Stickstoffgehalt von 4,34 g. 

Die Versuche sind parallel unter ganz gleichen Bedingungen ange- 
stellt und können daher gewissermaßen als ein Versuch gelten. Auf eine 
hier nicht angegebene Vorbereitungszeit folgte eine Vorperiode, bestehend 
aus 2 Perioden zu je 3 Tagen; es schloß sich an eine ebenfalls 6tägige 
Licht-(Haupt-)Periode, es folgte eine 3tägige Zwischenperiode, darauf wieder 
eine 6tägige Hauptperiode und zum Schluß eine 6tägige Nachperiode. Die 
Kurven sind hier so gezeichnet, dal jede Periode nur durch einen Punkt 
in ihrer Mitte charakterisiert ist: dieser Mittelpunkt fällt für die Vor- 
periode auf den 11. April, die erste Hauptperiode auf den 26. April und 
die Nachperiode auf den 2. Mai. 

Als Lichtquelle diente für diese Versuche eine Uooper-Hewitt- 
Lampe von 100 cm Länge, die dreiviertel Meter über den Versuchskäfigen 
aufgehängt war. Die geringe durch die Lampe erzeugte Temperaturerhöhung 
kam an den Käfigen selbst nicht zum Ausdruck. Die Lampe ist bekannt- 
lich eine in einem langen Glasrohr eingeschlossene Quecksilberdampflampe, 
die ultraviolette Strahlen fast gar nicht besitzt und im übrigen nur den 
Teil des Spektrums vom Violett bis Grün besitzt. Die Dauer der Belich- 
tung betrug in der ersten Hauptperiode 1. Hälfte insgesamt 24 Stunden, 
2. Hälfte insgesamt 291/, Stunden; in der zweiten Hauptperiode, 1. Hälfte 
27 Stunden, 2. Hälfte 33 Stunden: die Belichtungsdauer schwankte also 
zwischen 8 und 11 Stunden täglich. Die täglich injizierte Farbstoffmenge 
schwankte zwischen 0,2 und 0,5 g. 

An Hand der Tabellen ergibt sich nun für die einzelnen Ausschei- 
dungsprodukte folgendes. 

Der Gesamtstickstoff nimmt unter einfacher Lichtwirkung ohne Sensi- 
bilisator etwas ab, mit Eosin dagegen etwas zu; eine Abnahme wurde auch 
beim dichloranthracendisulfosauren Natrium beobachtet, während unter 
anthrachinondisulfosaurem Natrium der Gesamtstickstoff ziemlich erheblich 
zunahm. Der Kotstickstoff steigt bei jeder Lichtwirkung, am wenigsten 
unter Eosin. Der Allantoinstickstoff nimmt bei einfacher Bestrahlung kaum 
ab; größer ist schon die Wirkung des dichloranthracendisulfosauren Natrium, 
größer die des Eosins, am größten die des anthrachinondisulfosaurem Natrium. 


648 Pincussohn, 


Auch bei diesen Versuchen zeigte sich die schon früher gemachte Erfahrung, 
daß trotz dieser erheblichen Veränderung der Allantoinwerte die Harnsäure- 
kurve fast ganz konstant blieb: man hat es also nicht mit einem Stehen- 
bleiben des Purinabbaues auf der Stufe der Harnsäure zu tun. Unter dem 
Einfluß der verschiedenen Farbstoffe, nicht aber von Licht allein, nahm 
der Basenstickstoff zu; es verschiebt sich hierdurch das Verhältnis Harn- 
säure : Purinbasen sehr erheblich und es dürfte hier wohl ein Teil der Licht- 
wirkung zu suchen sein. 

Recht wichtig ist die Beobachtung, daß umgekehrt proportional mit 
der Allantoinausscheidung oder zum mindesten diesem Verhältnis sehr an- 
genähert die Ausscheidung der Oxalsäure verläuft. Diese Tatsache bildet 
eine starke Stütze für die Autoren, welche wenigstens einen erheblichen 
Teil der Oxalsäure aus dem Purinstoffwechsel herleiten und zwischen 
Oxalurie und Gicht sehr nahe Übergänge konstruieren. Ich muß vorliuñg 
dahingestellt lassen, ob in der Tat ein ursächlicher Zusammenhang zwischen 
Allantoin- und Oxalsäureausscheidung besteht; die jetzt, ebenso wie die 
früher erhaltenen Zahlen sprechen sehr in diesem Sinne, wenn sie auch 
einen exakten Beweis nicht geben. 

Was die Werte des Harn-Ammoniaks und des Aminostickstofis des 
Harnes betrifft, so finden sich weder unter einfacher Belichtung noch unter 
Belichtung nach Eosin irgendwelche größeren Differenzen. Auch nach 
dichloranthracendisulfosaurem Natrium sind die Unterschiede gering. Em 
deutliches Ansteigen beider Werte zeigt sich dagegen nach Sensibilisierung 
mit anthrachinondisulfosaurem Natrium und besonders in der Nachperiode 
finden sich exorbitant hohe Werte. 

Zwei weitere Versuche (Tabelle III, IV) sollten über das Verhalten 
der letztgenannten Komponenten weiteres Material bringen. Zu diesen 
Versuchen diente ein gelblicher kurzgeschorener Spitz, 6700 g. Nahrung: 
80 g Reis, 25 g getrocknetes Fleisch, 25 g Fett, 5 g Asche: täglicher 
Nahrungsstickstoff 3,45 g; ferner ein weißer Terrier, 5100 g, tägliche Nah- 
rung 20 g getrocknetes Fleisch, 60 g Reis, 20 g Fett, 5 g Knochenasche. 
Gesamtstickstoff der Nahrung 2,96 g. Die Perioden waren bei diesen Ver- 
suchen 2tägige. Zur Sensibilisierung benutzt wurde Erythrosin und antlıra- 
chinondisulfosaures Natrium. Es sind ebenfalls Parallelversuche: in den 
Tabellen sind notiert die Mittelwerte aus der 5tägigen Vorperiode. der 
6tägigen Hauptperiode, dem 4tägigen 1. Teil der Nachperiode und dem 
ebenso langen 2. Teil der Nachperiode. Die zur Belichtung dienende Quarz- 
lampe von Heraeus (künstliche Höhensonne) war ohne andere als gewöhn- 
liche Kühlung 60 cm über dem oberen Teil des Käfigs angebracht. Die 
gesamte Bestrahlungsdauer während der Hauptperiode betrug 190 Minuten. 
auf die einzelnen Tage gleichmäßig, und zwar mehrmals täglich, verteilt. 


Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 649 


Wie die Tabellen zeigen, ist eine Zunahme des Gesamtstickstoffs in 
etwas größerem Maße nur in der Nachperiode nach Behandlung mit dem 
Anthrachinonfarbstoff festzustellen. Das Ammoniak des Harns nimmt unter 
Erythrosin bei der Bestrahlung ein wenig zu, um nachher abzufallen und 


Tabelle III. 
Spitz II. Quarzlampe. — Erythrosin (S.S. 1913). 


ET 
S| JS = erperiode. Nachperiodel. DE 
| HHH 1 


ERTE FAA 
Eee Tr 













’ 


2 
ae 
Ae ARGE EN ENAR j 
I 

rer 
Boa aea 





Tabelle IV. 
Terrier II. Quarzlampe. — Anthrachinon — disulfosaures Na (8.8.1913). 


Vorperiode. ame +- Nachperiodel. past -+ 


E Te a Een 
A 
TE en 
"IT Hr 
Be 












N= Tun 
Wurf 





c 


Jun 4 6 9 f1 


niedrig zu bleiben. Der Aminostickstoff nimmt sofort ab und bleibt niedrig. 
Anders beim anthrachinondisulfosauren Natrium : der Aminostickstoff nimmt 
auch hier unter Bestrahlung ab, er steigt jedoch nachher über den ursprüng- 
lichen Anfangswert an: der Ammoniakwert dagegen steigt schon unter 


650 Pincussohn, Über die Einwirkung des Lichtes auf den Stoffwechsel. 


Bestrahlung an und wird nachher noch erheblich höher, über das fac 
des ursprünglichen Wertes. Diese Tabellen lehren also, daß man unter 
gleichen Verhältnissen, mit der gleichen Lichtquelle nur durch die Wal 
des Sensibilisators verschiedene Effekte erreichen kann. 

Die hier geschilderten Versuche stehen durchaus im Anfangsstadiun: 
erst weitere Reihen, unter Variierung der Versuchsbedingungen, vor allem 
der Lichtquellen und der Sensibilisatoren, können bündigen Aufsschlub 
darüber geben, wie weit eine Beeinflussung in dem oben skizzierten Sinne 
mit Sicherheit zu erreichen ist. Ich bin mit weiteren Versuchen hierüber 
beschäftigt und hoffe bald neues Material beibringen zu können. Vom Avf- 
stellen von Theorien und dem Bau von Hypothesen möchte ich vorläufig 
Abstand nehmen; das Erfordernis der nächsten Zukunft ist im obigen 
Sinne durchgeführte experimentelle Arbeit. 


Die äußere Tuberkulose, spez. Hauttuberkulose, und ihre 
Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 


Von 


Dr. Artur Strauß, Barmen. 
(Mit 28 Abbildungen.) 


We: durch das Tierexperiment die Ätiotropie eines neuen Mittels bei 
einer Infektionskrankheit festgestellt ist, so liegt die Wahrscheinlich- 
keit nahe, daß es auch beim Menschen ähnliche Wirkungen entfaltet. 
Wir stehen freilich nicht mehr auf dem Standpunkte, dal das positive 
Tierexperiment als eine conditio sine qua non für die Wirkung neuer 
Mittel oder Verbindungen beim Menschen anzusehen ist. Wenn es aber 
gelingt, so bietet es eine tiefe wissenschaftliche Grundlage für diese Ver- 
suche. 

Wir müssen Finkler und der Gräfin Linden das große Verdienst 
zusprechen, daß sie vom Kupfer den positiven Beweis seiner ätiotropen 
Wirkung beim Meerschweinchen erbracht haben. 


Gräfin Linden hat gezeigt, daß es an das Protoplasma der Tuberkel- 
bazillen gekettet wird, daß es sie von der Blutbalın aus abtötet, ohne den Or- 
ganismus zu schädigen. Es erwies sich also ein Mittel in rein chemotherapeu- 
tischem Sinne, welches im weitesten Malie beim Menschen geprüft zu werden 
verdiente. Und dieses um so mehr, als wir das Märchen von der hohen 
giftigen Wirkung des Kupfers durch die Erfahrung am Tiere und am 
Menschen selbst längst als widerlegt betrachten dürfen. Das Kupfer ist 
eben besser als sein Ruf. Von dieser Tatsache habe ich mich in 
zweijähriger Erprobung zahlreicher Verbindungen dieses Metalls bei der 
verschiedensten Einverleibungsart (subkutane, intramuskuläre und intravenöse 
Injektionen, Schmierkuren, innere Verabreichung, Klysmen, örtliche An- 
wendung) an mehr als 100 Kranken überzeugt. Die einzige unangenehme 
Begleiterscheinung der Kupfertherapie, die namentlich in der ersten Zeit 
meiner im August 1911 begonnenen Versuche hervortrat, war die örtliche 
Schmerzhaftigkeit, namentlich bei Injektionen. Ich arbeitete anfangs mit 
dem Kupferchlorid, das sich auch für die örtliche Therapie als zu schmerz- 
haft erwies. Von den vielen Verbindungen zeigten sich dann das Kupfer- 
kaliumtartrat als sehr brauchbar, auch für Injektionen, für diese auch das 
dimethylamidoessigsaure Kupfer. Die unzweifellaften Erfolge, die ıch innmer 


652 Strauß, 


wieder beobachten konnte, ließen mich nicht ruhen, die Methodik der Kupfer- 
behandlung weiter auszubilden, in erster Linie die örtliche, wie ich sie 
einführte, nachdem ich ihren großen Wert erkannt hatte. Ist es 
schwierig, sich von dem Grade der ätiotropen Wirkung eines Mittels vun 
der Blutbahn aus auf die Tuberkulose, besonders die innere, mit ihren 
individuellen Schwankungen und ihrer Abhängigkeit von den hygienischen 
Bedingungen ein klares Bild zu verschaffen, so liegen die Verhältnis 
wesentlich einfacher, wenn man seine örtliche Wirkung prüft. Hier 
kann uns kein Objekt günstiger liegen, als die Tuberkulose der Haut 
in ihren verschiedenen Formen, der Schleimhäute und auch der 
Lymphdrüsen, der Knochen und Gelenke. Hier können wir, sei e 
mit dem Auge, sei es im Röntgenbilde, den Reaktionsprozeß verfolgen 
und auch die Frage entscheiden, ob das Mittel nur eine Ätzwirkung ın 
mehr oder weniger elektivem Sinne oder auch eine spezifische Wir- 
kung entfaltet. Und da drängt sich zunächst die Frage auf: Wie sol! 
man ein elektiv wirkendes Mittel von einem auch gleichzeitig 
spezifisch wirkenden unterscheiden? Spezifisch ist ein Mittel. 
wenn es bestimmte Parasiten vernichtet, andere dagegen nicht. Elektiv 
ist ein Mittel, das nur das kranke Gewebe zerstört, ohne eine ausge- 
sprochene Affinität zu den Bakterien zu entfalten. Die spezifische Wirkung 
kann nur dann zu einer chemotherapeutischen sich erheben, wenn seine 
außerhalb des Organismus spezifische Kraft sich in ihm mehr bakterio- 
trop als organotrop erweist. Will man aus dem Gebiete der Lupusbehandlun: 
ein Mittel nennen, das als elektiv, aber nicht als spezifisch zu bezeichnen 
ist, so ist die Pyrogallussäure dafür ein Prototyp. Vom Blute her ist sır 
überhaupt nicht verwendbar, weil sie schon in verhältnismäßig kleinen 
Dosen eine Methämoglobinämie auslösen würde. Auch kann sie, schon 
bei örtlicher Anwendung, Nephritis erzeugen. Auf lupösen Herden ver- 
ursacht sie eine Verätzung der oberflächlichen Knötchen unter Abstolun; 
des nekrotischen Gewebes. Aber sie bringt durch die unversehrte Hant 
hindurch tuberkulöse Gewebe nicht zur Resorption. Ganz anders das soun- 
schädliche Kupfer. Es zerstört nicht nur elektiv die lupösen Infiltrate, sen- 
dern leitet auch ihre Resorption ein, selbst durch die intakte Haut hindurch. 
oder von der Blutbahn aus. Diese resorbierende, zur Atrophie füh- 
rende tiefe Wirkung des Kupfers zeigt sich am besten bei Skropliul.- 
dermen mit noch nicht zerstörter Oberhaut. Diese können unter Einreibung:n 
der Salbe völlig zur Resorption gelangen. Das Kupfer heilt also auch ohne 
Atzwirkung und diese Fähigkeit ist auf das Konto seiner spezifischen 
Eigenschaften zu setzen. Die Ätzwirkung scheint also, wie ich schon frül«r 
betont habe, nur ein Mittel zum Zweck zu sein. Durch sie werden dir 
Epithelverbände gelockert, durch sie wird erst dem Kupfer die Balın 


Op- 
e- 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl. 653 


ebnet, seine spezifische Wirkung in den unteren Schichten der‘ Haut zu 
entfalten. Das Kupfer wirkt nicht nur ätzend auf tuberkulöse Gewebe, 
d. h. elektiv, sondern auch abtötend auf die Erreger und resor- 
bierend. Es ist nach meinen bisherigen Erfahrungen weniger oder gar 
nicht wirksam bei anderen Infektionskrankheiten, z. B. bei Lues und auch 
bei anderen Hautleiden, z. B. bei Lupus erythematodes und Psoriasis. Es 
ist also spezifisch bei Tuberkulose. Mit dieser Eigenschaft rückt das 
Kupfer, wie mir scheint, an die erste Stelle aller örtlich auf tuberkulöse 
Gewebe wirkenden Mittel. Und wenn die Finsenbehandlung mit ihrer 
Langwierigkeit, Umständlichkeit und Kostspieligkeit in den letzten Jahren 
eine so gewaltige Bedeutung in der Therapie des Lupus gewann, so ver- 
dankt sie diesen Vorsprung nicht zum geringsten Teile der Tatsache, daß 
alle einfachen elektiven Verfahren für die dauernde Heilung des Lupus 
nicht ansreichten. weil sie eben nur elektiv, aber nicht spezifisch wirken. 
Hier scheint mir das Kupfer berufen zu sein, einen Wandel zu schaffen 
und die teuren Heilmethoden in die zweite Linie zu drängen. 

Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß das Kupfer tatsächlich 
eine mehr wie elektive, auch eine spezifische Wirkung auf die Tuberkulose 
besitzt, daß aber seiner Dosierung von der Blutbahn aus bestimmte Grenzen 
gesetzt sind, legte ich mir die Frage vor, wie man diese spezifische Kraft 
steigern könne, zunächst bei örtlicher Verwendung. 

Wenn man bedenkt, daß die Tuberkelbazillen aus 40 % Fettsubstanz 
bestehen, daß sich diese Fettmassen besonders in einer starken Wachs- 
hülle anhäufen, so erscheint zunächst die Hypothese gerechtfertigt, daß 
man die Lipoidlöslichkeit des Kupfers durch Fette steigern könne. Mit 
gewöhnlichen Fetten, die ich zuerst verwandte, war dieses nicht zu erreichen, 
da sie keine Bakteriolyse der Tuberkelbazillen bewirken. Dagegen bilden 
die Lipoide fettspaltende Antikörper und von diesen am stärksten die 
Phosphatide, zu denen das Lezithin gehört (Kurt Meyer). Nach den 
Untersuchungen von Deyke und Much verlieren in Gehirnemulsionen 
eingesäte Tuberkelbazillen ihre Säurefestigkeit und gehen zu Grunde. Diese 
bakteriolytische Fähigkeit scheint nach Ansicht der Autoren auf das Lezi- 
thin zurückzuführen zu sein. Ich gab daher der Gräfin Linden die 
Anregung zu Versuchen, die Lipoidlöslichkeit der Kupferpräparate zu steigern 
und es gelang ihr, eine neue chemische Verbindung aus Lezithin mit an- 
organischen oder organischen Kupfersalzen, also eine komplexe Lezithin- 
Kupferverbindung zu finden, welches nunmehr die Grundlage für meine 
weiteren Versuche bildete. Eine Bestätigung von dem Werte des Lezithins 
als lipoidlöslichem Mittel gegen die Tuberkelbazillen glaube ich u. a. in den 
Ergebnissen der russischen Autoren Borissjak, Sieber und Metalnikow 
aus dem Institut für experimentelle Medizin in Petersburg erblicken zu 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 42 


654 Strauß, 


dürfen. Sie fanden, dal das beste Antigen zur Bildung antituberkulüser 
Antikörper tuberkulöses Wachs, entfettete Körper und Lezithin sind und 
daß bei Immunisation mit Tuberkelwachs und entfetteten Tuberkelbazillen 
Antikörper nicht nur gegen Tuberkelwachs, sondern auch gegen leben 
und tote Tuberkelbazillen entstehen, dal aber insbesondere bei Immuni- 
sation mit Lezithin Antikörper gegen Tuberkelwachs, Tuberkel- 
bazillen und entfettete Tuberkelbazillenleiber gebildet werden. 

Es sei noch darauf hingewiesen, daß das Lezithin als ein wert- 
volles Mittel zur Zellenbildung und zum Aufbau des Organismu: 
geschätzt wird, daß es zur vermehrten Bildung der roten Blut- 
körperchen und des Hämoglobins anregt und in diesem Sinne als ein 
wichtiges Roborans, namentlich bei Schmierkuren mit Kupfer-Lezithin- 
Salben, nicht zu unterschätzen sein dürfte. Und endlich hat sich gezeigt. 
daß die Resorption der mit Lezithin und Alkohol ohne Fettzusatz her- 
gestellten Salben eine schnellere und tiefere ist, als diejenige von Salben. 
welche nur mit Fetten hergestellt wurden. Gräfin Linden fand, dab 
bei Meerschweinchen eine ziemlich weitgehende Resorption stattfindet. 
Sie rieb einem Versuchstier in 9 Tagen 73 Milligramm Kupfer in einer 
besonderen Verbindung des Kupfers mit Lezithin ein, also nicht als Fett- 
salbe. Die Analyse der Organe ergab, daß in den Organen allein 48 Milli- 
gramm Kupfer wiedergefunden wurden, d. h. 65%. Die größte Menge 
fand sich in Leber und Darm, die geringste in den Nieren. Diese Analyse 
bestätigte die Beobachtung Gräfin Lindens, da schwer erkrankte Organe 
mehr Kupfer zurückhalten als gesunde, wie sie auf mikrochemischem Wege 
nachgewiesen hatte. 

Es scheint also der Ersatz des Fettes durch Lezithin zwei wesentliche 
Vorzüge für die Behandlung der Tuberkulose zu bieten, eine erhöhte spe- 
zifische Kraft der Kupferpräparate und eine Steigerung ihrer 
Resorbierbarkeit. 

Diesen experimentellen Ergebnissen entsprechen nun auch meme 
praktischen Erfahrungen. Wenn man auch mit Kupfersalben, die mit ge- 
wöhnlichen Fetten hergestellt sind, eine Zerstörung des lupösen Gewebes 
erreicht, so geht sie nach meinen Eindrücken doch schneller und enenn- 
scher von statten, wenn man sich zu ihrer Herstellung der Kupfer-Lezitlin- 
Salben bedient. Die Wirkung dieser Salben scheint mir eine wesentlich 
tiefere zu sein und das mul) ja gerade unser Ziel sein, zur Verhütung 
von Rückfällen auch die tiefsten Intiltrate zu zerstören. Ich glaube die: 
tiefere Wirkung des Lekutyls in verschiedenen Fällen deutlich festgestel: 
zu haben. Ich behandelte bei mehreren Kranken einzelne Herde m! 
Kupferlezithin, andere mit Kupferlanolin, beide Salben von gleichem 
Kupfergehalt. Ich habe dabei beobachtet, daß die Tiefenwirkung der 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 655 


Lezithinsalbe eine wesentlich stärkere war. Wir dürfen daher wohl in 
dem Lezithin als Komponente der Salbe ein Mittel erblicken, das die 
rationelle Tiefenwirkung des Kupfers befördert. Die ausgezeich- 
nete Resorptionsfähigkeit der Kupfer-Lezithin-Salbe tritt auch in auffälliger 
Weise bei Schmierkuren zutage. Die Salbe läßt sich außerordentlich leiclıt 
und schnell in die Haut verreiben, besonders wenn man zum Nachreiben 
sich des Kampferspiritus bedient. 

Habe ich in therapeutischer Beziehung vornehmlich die spezifische 
Wirkung der neuen Präparate zu heben versucht, so leiteten mich in 
rein technischer Hinsicht besonders zwei Gesichtspunkte. Erstens, eine 
Einheitlichkeit und Einfachheit der Behandlung auszubilden und 
zweitens, die Schmerzhaftigkeit der Kur nach Möglichkeit 
herabzusetzen. Es gelang, die Einheitlichkeit der Methodik durch die 
Herstellung des neuen Präparates Lekutyl zu erreichen. Nach mehr als 
1 jähriger Kontrolle zahlreicher Verbindungen und ihrer Erprobung am 
Menschen sind wir für die äußere Tuberkulose bei einem Präparate stehen 
geblieben, das im wesentlichen aus zimtsaurem Kupfer und Lezithin be- 
steht. Nachdem ich mit Genugtuung die erfreuliche Tatsache habe kon- 
statieren können, daß die zahlreichen Nachprüfungen meine Beobachtungen 
und Resultate bestätigten, haben wir uns entschlossen, die Präparate!) 
für die Behandlung der äußeren Tuberkulose freizugeben. 

Über die mir bisher von etwa 25 verschiedenen Seiten zur Kenntnis 
gegebenen Resultate der Nachprüfungen, die sich etwa über !/, Jahr er- 
strecken (bei einigen auch über einen längeren Zeitraum), bin ich folgendes 
mitzuteilen in der Lage. Sie stammen aus mehreren Universitätskliniken 
und Polikliniken, aus Heilstätten für Lupusbehandlung, innere und chirur- 
gische Tuberkulose, von mehreren Spezialärzten und einem Landarzte. 

Was zunächst die Tuberkulose der Haut betrifft, so betonen fast alle 
Autoren die entschiedene örtliche elektive Ätzwirkung der Salben. Ebenso 
wird fast von allen Seiten die Schmerzhaftigkeit der örtlichen Behandlung 
hervorgehoben. Freilich benutzten die nachprüfenden Herren anfänglich 
die Salben mit stärkerem Kupfergehalt ohne Zusatz von Zykloform und es 
wurde von mehreren Seiten ausdrücklich festgestellt, daß bei der neuen 
Lekutylsalbe die Schmerzhaftigkeit viel geringer sei und nicht größer als 
bei der Behandlung mit Pyrogallussalben. Daß das Lekutyl rascher wirkt 
wie andere elektive Ätzmittel (vergleichsweise kommt auch hier in erster 
Linie die Pyrogallussäure in Betracht), wird von 6 Autoren festgestellt. 
Einige Herren schreiben, daß sie die auffallend schnelle Heilwirkung in 
Erstaunen versetzt habe; von einer Seite wird bemerkt, daß die Wirkung 


1) Farbenfabriken vorm. Fr. Bayer & Co. in Leverkusen bei Cöln. 
42* 


656 Strauß, 


zuweilen auch langsamer sei als diejenige der Pyrogallussäure. Mehrfacl: 
wurde auch der auffallend schnelle und kosmetisch gute Vernarbung:- 
prozeß, der sich nach der örtlichen Behandlung vollzieht und die resor- 
bierende Wirkung auf Skrophulodermata erwähnt. Einige Herren schlieben 
sich meiner Ansicht an, daß die Wirkung der Salbe mehr wie eine elek- 
tive, daß sie auch eine spezifische sei. Von einer Seite wird sie als eine 
„stark spezifische“ bezeichnet. Und von einer anderen wird der Eindruck 
geäußert, als hätte das Lekutyl Wirkungen, wie sie bisher noch nicht be- 
obachtet seien. Keine Erfolge von allgemeiner Behandlung wurdeu 
von drei Herren gesehen, während von fünf anderen, sei es örtliche Re- 
aktionen in den Lupusherden, sei es Besserung derselben, konstatiert werden 
konnten. Aus einer Universitätsklinik wird von einem schweren Fall von 
Hauttuberkulose berichtet, bei dem unter ausschließlich interner Behand- 
lung ein „glänzendes Resultat“ erzielt wurde. 18 Autoren bezeichnen die 
bisher erzielten Resultate als gute, zum Teil sehr gute. Nur ein Autor 
berichtet von unbefriedigenden Resultaten. Diese Mitteilung stammt aus 
einer Universitätspoliklinik. Der Assistent dieser Klinik, der die Versuche 
leitete, erklärte mir nach eingehender Rücksprache bei einem Besuche in 
Barmen, daß die von ihm angewandte Methodik, die mir nicht richtig er- 
schien, wohl die Ursache der mangelhaften Resultate sein dürfte. 

Von keiner Seite wurden schädliche Neben- oder Nachwirkungen der 
örtlichen Behandlung gemeldet. Nur ein Kollege sah in einem Fall regel- 
mäßig bei allgemeiner Behandlung (Injektionen) Erytheme. Über gute. zum 
Teil ausgezeichnete Erfolge bei chirurgischer Tuberkulose unter örtlicher 
Behandlung wird von allen Autoren, die auf diesem Gebiete nachprüften. 
berichtet. Fisteln und Abszeßhöhlen schlossen sich, Caries wurde zur 
Heilung gebracht. Von einer Seite wird über die auffallend schnelle 
Heilung einiger Fälle von Spina ventosa berichtet, nachdem monatelang 
durchgeführte Röntgenbehandlung erfolglos geblieben war. Auch liegen 
Berichte über günstige, ja bedeutende Besserung von Schleimhauttuber- 
kulose vor, auch unter allgemeiner Behandlung.!) 


1) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen gingen mir noch mehrere. nur 
günstige Berichte zu. Ein Spezialkollege schreibt: „Ich habe in einem Fall. 
der von mir schon monatelang vergeblich mit Pyrogallus behan- 
delt war, einen glänzenden Erfolg nach kurzer Applikation der 
Kupfersalbe gehabt“ 

Ein anderer schreibt: „Die Salbe U%/,+Cykl.10 habe ich bisher in 
2 Fällen von chirurgischer Tuberkulose in der Form der Schmier- 
kur angewendet und ich muß sagen, daß der Eindruck der thera- 
peutischen Wirksamkeit ein ganz vorzüglicher ist.“ 

Von dem Chefarzt eines Knappschaftskrankenhauses liegt mir folgende Mit- 
teilung vor: „Wir haben z. Z. 15 Lupuskranke in Behandlung. daven 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 657 


Die eingehendere Veröffentlichung ihrer Ergebnisse bleibt den Herren 
selbst, die die Nachprüfung freundlichst und in dankenswerter Weise über- 
nahmen, überlassen. Zur Beurteilung der Resultate, namentlich mit Rück- 
sicht auf Rezidive, wäre es erwünscht, wenn die Pathogenese der Fälle 
mitgeteilt würde, ob sie exogen oder endogen entstanden, ob die Schleim- 
häute usw. beteiligt waren und ob es gelang, die Ausgangsprozesse zu be- 
seitigen. 

Zur örtlichen und Inunktionsbehandlung dient eine Salbe aus 
zimtsaurem Kupfer-Lezithin mit einem Kupfergehalt von 11/,%, der 
zur Herabminderung der Schmerzhaftigkeit noch 10%, Zykloform zugesetzt 
ist. Zur inneren Behandlung werden dragierte Pillen der gleichen 
Kupfer-Lezithinverbindung von je 5 mg Kupfer ausgegeben. Die Pillen 
können dreimal täglich gegeben werden, 1—2 Stück am besten nach den 
Mahlzeiten. Die für die Injektionen bestimmten Präparate sind noch 
nicht definitiv festgelegt und konnten daher auch noch nicht freigegeben 
werden. 


Über die Technik der Methode möchte ich folgendes sagen: In 
meiner zweijährigen Erfahrung habe ich mich immer wieder davon über- 
zeugen können, daß die Güte der Erfolge besonders von einer 
exakten Technik abhängt. Es genügt nicht, die Salben einfach auf die 
Haut aufzustreichen. Die Salben müssen bei Tag und Nacht in engster 
Berührung mit den erkrankten Hautstellen sich befinden. Das kann nur 
durch das Anlegen eines rationellen Verbandes geschehen. Bis zur 
Exkoriation der Haut streiche man bei geschlossenen Infiltraten die Salbe 
mit einem Spatel direkt auf die Haut auf. Sodann streiche man die Salbe 


2 stationär, die übrigen ambulant. Alle diese Kranken sind mit 
anderen Mitteln zum Teil Jahre lang ohne dauernden Erfolg be- 
handelt und werden von uns ausschließlich mit Ihren neuen Prä- 
paraten behandelt. Wir sind, wie wir schon früher mitgeteilt, 
mit den Erfolgen recht zufrieden“ 

Der Leiter eines anderen Krankenhauses schreibt: „Ich bin auf Grund 
meiner Erfahrungen der Ansicht, daß die Kupfersalbe für die 
äußere Tuberkulose sehr wirksam ist und daß diese Medikation 
eine große Zukunft hat. Ich habe bei einem tuberkulösen Zun- 
xengeschwür, das gewöhnlich jeder Behandlung trotzt, eine vor- 
zügliche Wirkung von der äußerlichen Anwendung des Kupfers 
gesehen, außerdem bei tuberkulösen Fisteln. Endlich habe ich 
versucht, Kupferlösung in ein tuberkulöses Kniegelenk einzu- 
spritzen, — mit vorzüglichem Erfolg.“ 

Über die intravenösen Injektionen äußert sich der Direktor einer 
Heilanstalt für Lungenkranke: „Der Eindruck, den ich von der Wirkung 
des Präparates habe, ist bisher ein prächtiger.“ 


658 Strauß, 


auf mehrfach übereinander gelegten Mull. Die Mullkompresse soll etwas 
größer sein als die zu behandelnden Hautstellen. Darüber lege man ent- 
weder einen Bindenverband oder man fixiere, was besonders im Gesicht 
zu empfehlen ist, die Kompressen mit Leukoplast oder Helfoplast. Man 
achte besonders darauf, daß die Ränder und Ausläufer der Herde gut von 
der Salbe bedeckt sind, denn erfahrungsgemäß bleiben hier am leichtesten 
Reste zurück. Sitzen die Herde in Falten, so empfiehlt es sich, die Mull- 
kompressen an diesen Stellen noch mit Watte auszupolstern. Wenn die 
Kutis frei liegt, dann vermeide man die Salbe direkt auf die Wundtläche 
zu streichen. Man lege dann nur noch die mit Salbe bestrichenen Mull- 
kompressen auf, die man vor der Ablösung mit Öl tränke. Je schwäch- 
licher und empfindlicher die Kranken sind, um so mehr gehe man schritt- 
weise vor. Man behandle nur einzelne Herde und gehe erst zu anderen 
über, wenn unter einer indifferenten Salbe die schnell einsetzende Epitheli- 
sation sich vollzieht. Bei zurückbleibenden Resten der Infiltrate, aber 
auch bei kleinen Herden überhaupt, kann man auch die Behandlung mit 
der Kupfersalbe bis zur völligen Vernarbung zu Ende führen. Mit diesem 
Verfahren kann man manchmal schon wit der ersten Kur eine restlose 
Beseitigung aller Herde erreichen. 

Bei geschlossenen Infiltraten bemerkt man schon am ersten Tage eine 
lebhafte Rötung und Exsudation. Am zweiten Tage stoßen sich in der 
Regel die obersten Epithelschichten ab. Man sieht dann schon die Lupus- 
knötchen als graue Pfröpfe im Gewebe liegen. Bei guter Technik tritt 
die spezifische Reaktion in der Regel schon am dritten Tage ein, eine 
schmerzhafte Entzündung und Zerstörung der Lupusknötchen. Diese Re- 
aktion stellt den Höhepunkt der Kupferwirkung dar, wie ich in meinen 
Arbeiten wiederholt betonte.t) 

Bei empfindlichen Kranken, namentlich aber bei der Behandlung 
größerer und mehrerer Herde ist es durchaus zu empfehlen, während der 
ersten Nächte Morphium zu geben. Die Schmerzhaftigkeit tritt in der 
Regel am meisten in der zweiten Nacht hervor. Das geübte Auge kann 
jetzt schon erkennen, ob wirklich sämtliches lupöse Gewebe elektiv zerstürt 


1) In seiner Veröffentlichung über chemotherapeutische Versuche bei 
Lungentuberkulose (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1913, Nr. 28) sagt Dr. 
Stefan Pekanovich-Budapest, daß Dr. Sigmund Somoggi „in einigen 
Fällen von Lupus und Tuberculosis verrucosa sogar (sic!) bei Anwendung einer 
1/, proz. Salbe“ (Kupferchlorid, das von uns als „nicht geeignet für die antituber- 
kulöse Therapie“ bezeichnet wurde) „eine schmerzhafte Entzündung auftreten sah. 
weshalb er jede weitere Behandlung einstellte“. Er brach also die Behandlung 
ab, als die spezifische Reaktion sich zeigte und geht dann soweit, auf Grund dieser 
wenigen Fälle die Methode als erfolglos zu bezeichnen, obwohl er die Behandlung 
nicht einmal zu Ende führte. 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl.. 659 


ist. Man bemerkt es an der lebhaft frischen rötlichen Farbe des frei- 
liegenden Gewebes. Dort, wo die Salbe in nicht genügender Weise ihre 
elektive Ätzung ausgeübt hat, kann man noch deutlich den bräunlichen 
Farbenton der Lupus-Infiltrate feststellen. Es zeigt sich an diesen 
Stellen in der Regel noch eine stärkere Schwellung des noch nicht völlig 
zerstörten kranken Gewebes. Besonders bleiben noch nicht völlig zer- 
störte Herde an den Rändern bestehen. Bei großer Schmerzhaftigkeit 
der Kur, namentlich bei sehr empfindlichen Kranken, ist es ratsam, 
jetzt schon die spezifische Behandlung für einige Zeit zu unterbrechen 
und zunächst die Epithelisation des schon völlig zerstörten Gewebes abzu- 
warten unter Anwendung einer indifferenten Salbe, z. B. aus essigsaurer 
Tonerde (10%) und Lanolin-Vaselin oder Eucerinum anhydr., die die 
Schmerzen fast augenblicklich aufhebt. Unter dieser Salbe vollzieht sich 
eine schnelle Vernarbung. In der Regel bilden sich glatte und schöne 
Narben, wie sie wohl kaum besser unter Lichtbehandlung erzielt werden. 
Der volle kosmetische Effekt tritt nicht sofort hervor, sondern erst all- 
mählich, nachdem alle reaktiven Erscheinungen verschwunden sind. Die 
resorbierende Wirkung der Salbe kann man besonders daran erkennen, 
daß oft auch die in den tieferen Schichten der Kutis liegenden Infiltrate, 
welche noch nicht völlig bloßgelegt sind, gleichfalls einer Atrophie ver- 
fallen. Lautsch hat mit Recht hervorgehoben, daß man diese resorbierende 
und spezifisch in die Tiefe greifende Wirkung der Salbe besonders gut in 
Fällen von geschlossenen Skrophulodermen beobachten könne, die bei konse- 
quenter Einreibung der Salbe sich durch die intakte Haut hindurch völlig 
resorbieren. Der Beweis der resorbierenden Wirkung des Kupfers wurde 
mir des öfteren in auffälliger Weise bei allgemeiner Behandlung erbracht. 
In einer Reihe von Fällen habe ich längere Zeit einzelne Stellen unbe- 
handelt gelassen und mich dann davon überzeugen können, daß lediglich 
unter der allgemeinen Behandlung die Infiltrate auch an diesen Stellen 
sich, wenn auch sehr langsam, resorbieren. Zur Zerstörung der Reste 
kann man in doppelter Weise vorgehen. Nachdem die Schmerzhaftigkeit 
der ersten Kur vollständig vorübergegangen ist, nachdem mit anderen 
Worten eine ziemlich weitgehende Epithelisation des zerstörten Gewebes 
sich entwickelt hat, kann man die nun noch verdächtigen lupösen Infiltrate 
von neuem mit der Lekutylsalbe bedecken, während man auf den heilenden 
Stellen weiter die indifferente Salbe gebrauchen läßt. Oder man läßt zu- 
nächst die volle Atrophie des schon zerstörten Gewebes sich abwickeln, 
um dann durch eine Nachkur die zurückgebliebenen Reste zu beseitigen. 
Sehr häufig kann man schon mit der ersten Kur selbst alte und tief in 
die Kutis reichende Infiltrate bei einwandfreier Technik vollständig zer- 
stören. Je tiefer sich allerdings die Infiltrate in die Kutis erstrecken und 


660 Strauß, 


je ausgedehnter die Herde der Fläche nach sind, um so mehr muß man mit 
der Wahrscheinlichkeit rechnen, daß Reste zurückbleiben. Es 
kann sogar nötig werden, daß man, besonders bei ambulanter Behandlung, 
die Kur häufig wieder aufzunehmen hat. Man sollte sich durch mehrfache 
Rezidive nicht irre machen lassen. In solchen besonders widerstehenden 
Fällen, die eine große Geduld des Arztes und des Kranken voraussetzen, 
kann sich die Behandlung allerdings über lange Monate erstrecken. Jeden- 
falls darf man behaupten, daß man bei konsequenter Durchführung der 
Behandlung auf die Dauer auch tiefe Infiltrate restlos beseitigen kann. 
Bei besonders hartnäckigen Infiltraten empfiehlt es sich, die Kur nicht zu 
unterbrechen, wenn die elektive Zerstörung eingetreten ist, sondern sie 
bis zur vollständigen Vernarbung durchzuführen. Die Schmerz- 
haftigkeit der Kur tritt um so mehr zurück, je weiter die Hei- 
lung fortschreitet.!) 


Es ist charakteristisch für die spezifisch-elektive Wirkung der Salbe. 
daß sie nur tuberkulöses Gewebe zerstört. Es muß freilich ausdrücklich 
betont werden, daß auch die gesunde Haut, besonders bei sehr anämischen 
Kranken, etwas auf die Salben reagieren kann. Diese Reaktion äubert 
sich in Rötung, Schwellung und auch in oberflächlicher Abschürfung. aber 
niemals in einer Zerstörung der tieferen Schichten. Die Konjunktiva der 
Augen kann, wenn die Herde in der Nähe sitzen, mit Entzündung reagieren. 
Indessen nimmt, wie ich in zahlreichen Fällen feststellen konnte, diese 
keinen unangenehmen Charakter an. Sie geht schnell wieder vorüber. 
Eine restitutio ad integrum tritt unter der Salbe und auch während der 
Nachbehandlung mit indifferenten Mitteln nicht sofort ein. Der Reaktions- 
prozeß läuft nur sehr langsam ab. Die tuberkulös erkrankt gewesene Haut 
bleibt noch lange lebhaft frisch gerötet, und geht allmählich in atrophisches 
Gewebe von bläulichweißer Farbe über. Dann vermag man in der Regel 
durch Glasdruck deutlich zu erkennen, ob noch tuberkulöses Gewebe 
zurückgeblieben ist. Am längsten bleibt eine reaktiv entzündliche Zone an 
den Rändern der behandelten Infiltrate bestehen. Viel schneller noch 
als lupöse Infiltrate heilen tuberkulöse Ulzerationen sowohl der 
äußeren Haut wie der Schleimhäute. Bei ihnen hat man seltener 
mit Rezidiven zu rechnen. Schwammiges Gewebe bei Lupus tumidus 
wird in einigen Tagen abgestoßen. Die Reinigung der Ulzerationen 
vollzieht sich in der Regel in einigen Tagen, sowohl auf der äußeren Haut 
wie auf den Schleimhäuten. Sie schließen sich dann langsam mit guter 


1) Bei der Behandlung von Rezidiven ist die Schmerzhaftigkeit geringer. 
Man kann auch die Konzentration der Lekutylsalbe anfangs mit Fett herabsetzen 
und allmählig sie steigern oder zu den Nachkuren schwächere Salben benutzen. 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezitliinkupfer (Lekutyl). 661 


Narbe. Skrophulodermata reinigen sich ebenfalls auffallend schnell. 
Die Schmerzhaftigkeit der örtlichen Kur konnte dadurch er- 
heblich herabgesetzt werden, daß der anfänglich höhere Kupfergehalt der 
Salbe vermindert werden konnte. Es stellte sich heraus, daß sich durch 
eine Salbe mit einem 1!/, proz. Kupfergehalt dieselbe gute Wirkung erzielen 
ließ, wie durch eine Salbe mit einem Kupfergehalt von 4,5%, wie ich sie 
anfänglich gebraucht habe. Eine weitere Verminderung der Schmerzhaftigkeit 
ließ sich durch einen Zusatz von Zykloform erreichen, das die Haltbarkeit 
der Salbe nicht beeinträchtigt. Man darf behaupten, daß man mit dieser 
Salbe unter Befolgung der von mir gegebenen Vorschriften auch bei 
empfindlichen Kranken durchaus erträgliche Kuren durchführen kann, die 
bis zur Zerstörung des kranken Gewebes nur kurze Zeit dauern. Man 
kann übrigens auch reines Zykloform auf die zerstörten Herde aufstreuen. 
In der Regel genügt bei Krankenhausbehandlung für diesen Zweck 
eine Kur von mehreren Tagen bis einigen Wochen. Wie ich eben schon er- 
wähnte, empfehle ich zur Beurteilung des Heilungsvorganges in ausgiebigster 
Weise von dem Glasdruckverfahren, der sogenannten Diaskopie, 
Gebrauch zu machen. Man kann mit einem Glasspatel oder mit einem Ob- 
jektträger, den man auf die kranke Haut drückt, feststellen, ob noch Infil- 
trate in den atrophischen Geweben zurückgeblieben sind. Man muß sich 
freilich hüten, einfache Pigmentierungen oder Hyperämien mit 
Infiltraten zu verwechseln. Dem geübten Auge wird das leicht ge- 
lingen.!) Glaubt man unter dem Glasspatel noch Infiltrate Jupösen Charakters 
zu sehen, so lasse man nochmals eine Nachkur vornehmen. Werden diese 
Infiltrate dann durch die Salbe zerstört, so hatte es sich um lupöses Ge- 
webe gehandelt. 

Es muß hervorgehoben werden, daß ich meine Resultate an meinen 
mehr als 100 Fällen in zweijähriger Erprobung und Ausbildung des Ver- 
fahrens unter ambulanter Behandlung meiner Kranken erzielt habe. 
Erst in der letzten Zeit war ich in der Lage, einige Kranken auch sta- 
tionär im städtischen Krankenhaus in Barmen behandeln zu können. Erst 
hier habe ich erfahren, wie schnelle und gründliche Resultate 
bei einwandfreier Technik und sorgfältiger Beobachtung der 
Kranken zu erreichen sind. 

Ich verdanke diese Möglichkeit dem warmen Interesse, das unserer Sache 


1) Hyperämische Flecke verschwinden unter Glasdruck. Pigmentflecke zeigen 
einen scharf begrenzten, rein bräunlichen oder gelblichen Farbenton. Lupöse Zell- 
infiltrate verleihen aber der Haut nicht nur einen bräunlichen Ton, sondern auch 
eine gewisse Durchsichtigkeit, eine Transparenz, die oft das Aussehen des Karamel- 
zuckers hat und die dadurch entsteht, daß das Bindegewebe schwindet und an 
seiner Stelle ein dichtes, weiches Zellinfiltrat sich gebildet hat, 


662 Strauß, 


die Lupuskommisson des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der 
Tuberkulose entgegenbrachte. Durch sie wurde ich zunächst in die Lage 
versetzt, einen von ihr mir im April a. cr. überwiesenen Fall im Kranken- 
hause behandeln zu dürfen. Auf den mir von der Kommission überwiesenen 
Fall werde ich noch besonders zurückkommen. Ich möchte noch hier be- 
tonen, daß gerade dieser mich gelehrt hat, was man mit einer ratio- 
nellen Krankenhausbehandlung in kurzer Zeit erreichen kann. In der 
ambulanten Praxis ist man in der Regel nicht in der Lage, die Behand- 
so rationell durchzuführen, daß das erkrankte tuberkulöse Gewebe in 
dauernder engster Berührung mit der Salbe bleibt. Die peinliche soziale 
Stellung, die Indolenz der Kranken, die selbst bei sehr entstellten weib- 
lichen Lupösen noch stark in die Erscheinung tretende Eitelkeit ver- 
hindern eine zweckmäßige Durchführung der Kuren bei Tag und Nacht. 
In der Regel verwenden die Kranken die Salbe zu Hause nur bei Nacht. 
Bei Tage wird sie meistens nicht oder nur ungenügend aufgelegt, obwohl 
dem Arzte auf seine Frage fast regelmäßig die Antwort zu Teil wird, daß 
die Behandlung genau nach seinen Vorschriften durchgeführt sei. Ich 
könnte von Fällen berichten, bei denen mir Monate lang von den Kranken 
immer wieder die Erklärung abgegeben wurde, daß die Salbe von ihnen 
bei Tag und Nacht auf das Sorgfältigste verwandt worden sei. Einige 
dieser Fälle habe ich dann, als mir das Krankenhaus geöffnet war, hier 
aufnehmen lassen und in kurzer Zeit, in einigen Tagen, Resultate er- 
erreicht, wie sie beiambulanter Behandlung dieser Kranken nicht in einigen 
Monaten zu ermöglichen waren. Erst dann gestanden mir die Kranken, 
daß sie die Behandlung doch nicht in der sorgfältigen Weise zu Hause 
hätten durchführen können, wie ich das gewünscht hätte Auch die 
Schmerzhaftigkeit der Salben veranlaßt viele Kranke, vorzeitig die Behand- 
lung zu unterbrechen und sich mit Teilerfolgen zu begnügen. Sie wischen 
die Salbe nicht selten wieder ab, sobald die Zerstörung der Haut von ihnen 
bemerkt wird. Da gerade am zweiten und dritten Tage die Schmerzhaftigkeit 
am stärksten in Erscheinung tritt, muß man schon mit einer Unterbrechung 
der Kur im Anfang rechnen. So ist der Arzt bei ambulanter Behand- 
lung nur allzu sehr Täuschungen ausgesetzt, und wenn die Erfolge aus- 
bleiben oder mangelhaft sind, so sollte man den Mißerfolg zunächst immer 
in einem Mangel der Technik und Methode suchen. Den ersten 
Verband sollte der Arzt stets selbst anlegen. Aus allen diesen Gründen 
ist es empfehlenswert, Kranke mit ausgedehnter Hauttuberkulose und all- 
gemeiner schlechter Körperkonstitution wenigstens einige Tage oder Wochen 
in einem Krankenhaus unterzubringen, bis zur Freilegung und Zerstörung 
der größten Herde. Die kleinen zurückgebliebenen Herde lassen sich später 
leicht ambulant beseitigen. Der Kranke unterzieht sich dann um so lieber 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 663 


einer energischen Weiterbehandlung, weil er die Technik kennen gelernt und 
volles Vertrauen zu der Wirkung der Kur bekommen hat, besonders 
dann, wenn er früher längere Zeit mit anderen Heilmethoden mehr oder 
weniger vergeblich behandelt wurde. Im Krankenhause kann man also in 
einigen Tagen unter sorgfältigster Beobachtung, bei richtiger 
Methodik und unter individueller Berücksichtigung der Empfind- 
lichkeit des Kranken dasselbe erreichen, was bei ambulanter 
Behandlung erst in Monaten zu vollziehen ist. Ich habe die Über- 
zeugung gewonnen, daß man auf solche Art auch ganz alte verzweifelte 
Fälle nicht nur erheblich bessern, sondern auch völlig heilen kann. Selbst- 
verständlich kann man die anderen bewährten Methoden in individueller 
Weise mit der Lekutylbehandlung vereinigen. 

In erster Linie kommen kurze energische Bestrahlungen mit der 
Quarzlampe in Betracht, ferner empfiehlt sich manchmal vorhergehende 
Ätzung mit 331/,proz. Kalilauge, ferner eine Vor- oder Nachbehand- 
lung besonders tiefer gelegener Infiltrate mit Kohlensäureschnee, Nach- 
behandlung sehr hartnäckiger Infiltrate mit Finsenlicht, Radium, Meso- 
thorium. Je länger ich mich jedoch mit der neuen Methode be- 
fasse, um so mehr hat sich mir die Überzeugung aufgedrängt, 
daß man in erster Linie das Lekutylverfahren in Anwendung 
ziehen sollte, und die anderen Methoden nur als aushelfende 
und unterstützende heranzuziehen hat. 

In ähnlicher Weise wie auf der äußeren Haut verfahre man möglichst 
auch bei Lupus der Schleimhäute. Bei Nasenlupus z. B. stopfe man die 
Nase mit Mull aus, der mit der Salbe bestrichen ist. (Auch Kupferlösungen 
können zu Pinselungen benutzt werden.) Gerade dem Nasenlupus widme 
man die sorgfältigste Beachtung, der in mindestens 50% der Fälle von 
Gesichtslupus zu konstatieren ist. Solange er nicht geheilt ist, hat man 
immer mit Rückfällen zu rechnen. 

Bei chirurgischer Tuberkulose empfehlen sich örtliche Verbände 
mit der Kupfersalbe. In Fisteln kann man die Salbe rein oder ver- 
dünnt mit Öl einspritzen. Nach Herausnahme des Kolbens läßt sich die 
Salbe in jede Spritze füllen. Bei chirurgischer Tuberkulose sind natürlich 
Fremdkörper wie Sequester operativ zu entfernen. Eiterherde sind zu 
entleeren. Wundhöhlen und Knochenherde kann man mit der Leku- 
tylsalbe ausfüllen. 

Weit mehr noch als für die Behandlung der Hauttuberkulose kommt die 
Krankenhausbehandlung für diejenige der äußeren chirurgischen Tuber- 
kulose in Betracht. Wenn auch meine Erfahrungen auf diesem Gebiete 
naturgemäß sehr spärliche sind, so glaube ich doch auch hier zu dem Aus- 
spruche berechtigt zu sein, daß die Kupfermethode zu einer wesentlichen 


664 Strauß, 


Vereinfachung und Vertiefung ihrer Behandlung führen wird. 
Ich glaube hier kein besseres Beispiel anführen zu können, als den mir 
von der Lupus-Kommission überwiesenen Kranken. Es handelte sich um 
einen 11jährigen Knaben, welcher an einer mit mehreren Fisteln kompli- 
zierten Coxitis und an Lupus des Gesichtes, der Naseneingänge und an 
einem tuberkulösen Geschwüre der Oberlippe litt. Der Lupus war im 
Krankenhaus in einigen Wochen bis auf kleine Reste beseitigt, die Coxitis 
in etwa 21/, Monaten geheilt. Es trat eine vollständige Vernarbung der 
Fisteln und eine deutliche Rückbildung des kariösen Prozesses im Hüft- 
gelenk und am Oberschenkel ein. Auf der Röntgenplatte war kein kariöses 
Gewebe mehr sichtbar. Im ganzen erforderte die Behandlung im Kranken- 
hause eine Zeit von 3 Monaten. Klinisch war keine Tuberkulose mehr nach- 
weisbar. Bisher verlief der Fall ohne Rezidiv (s. Fall XV). Mit Rücksicht da- 
rauf, daß von authentischer chirurgischer Seite die durchschnittliche Heilungs- 
dauer einer tuberkulösen Coxitis auf 3 Jahre angegeben wurde, scheint 
mir dieser mit Lekutylbehandlung erzielte Erfolg um so bemerkenswerter 
zu sein, als bei dem Knaben keine andere Behandlung vorgenommen wurde. 
Er durfte sich während der ganzen Kur frei bewegen. 

Es liegt mir fern, aus diesem Einzelfalle irgendwelche weiteren Schlüsse 
zu ziehen. Aber in Übereinstimmung mit anderen Erfahrungen aus der ambu- 
lanten Praxis habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Kupferbehandlung, 
besonders die örtliche, die Chirurgen in die Lage versetzen dürfte, noch 
mehr als bisher auf chirurgische Eingriffe und immobilisierende 
Verbände zu verzichten. Es scheint mir auch geboten zu sein, darauf 
hinzuweisen, daß die Kupfertherapie ein wertvolles Unterstützungs- 
mittel in der Behandlung der äußeren chirurgischen Tuber- 
kulose in Verbindung mit den hygienischen Verfahren (Luft-, 
Licht- und Sonnenbehandlung) zu werden verspricht. Bei der 
chirurgischen Tuberkulose kann das Kupfer, wie schon Luton 
betonte, vollenden, was die Hand des Chirurgen begonnen hat. 
Es kann die Ausbreitung des Prozesses von kleinen nach chirur- 
gischen Eingriffen zurückgebliebenen Herden verhüten. Es 
kann vor Rückfällen schützen. Die Behandlung sollte auch 
hier in erster Linie eine örtliche sein. Auch bei chirurgi- 
scher äußerer Tuberkulose ist neben der örtlichen Behand- 
lung eine lange Zeit fortgesetzte, milde, chronische allgemeine 
dringend zu empfehlen. 

Auch die Kupferwirkung hatihre natürlichen Grenzen. Bei 
schweren progressiven Fällen, bei denen der Organismus nicht mehr in der 
Lage ist, eine genügende Menge von Antikörpern zu bilden, bei denen also 
die Widerstandskraft des Organismus gebrochen ist, wird auch die Kupfer- 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 665 


therapie versagen. Das ermahnt uns um so mehr, auch der äußeren Tuber- 
kulose in jeder Form in den ersten Anfängen die sorgfältigste Beachtung 
zu schenken, weil man dann am sichersten vollständige Heilung zu erzielen 
vermag. 1 Ä | 

Ich hob bereits hervor, daß ein allen Zwecken dienendes Injektions- 
präparat noch nicht gefunden wurde. Wir glauben aber auch hier bald 
auf dem richtigen Wege zu sein. Als ein vom technischen Standpunkte 
sehr brauchbares Präparat erwies sich das dimethylamidoessigsaure Kupfer 
in 1 proz. Lösung (als Lösung H bezeichnet). 

Die Injektionen mit diesem Präparat mache man im allgemeinen 
2 mal wöchentlich. Subkutane Injektionen sind nicht zu empfehlen, weil 
sie leicht Nekrosen verursachen. Die intramuskulären Injektionen 
haben wohl Infiltrate, aber keine Nekrosen zur Folge. Die Schmerzhaftig- 
keit dieser Injektionen ließ sich bisher nicht ganz ausschalten, auch dann 
nicht, wenn man vorher ein Anästhetikum einspritzt. Sie ist im allgemeinen 
nicht stärker wie diejenige bei Quecksilbereinspritzungen. Meist ist sie am 
nächsten Tage verschwunden. Vollkommen schmerzlos sind bei guter 
Technik die intravenösen Injektionen. Man muß sich hüten, das Kupfer 
unter die Haut zu spritzen. Dann entstehen sehr leicht, besonders bei 
der Haut der Kinder und sehr anämischer Kranken nichteiternde, lang- 
dauernde Nekrosen. Bei intramuskulären Injektionen beginne man mit 
einem halben Kubikzentimeter (= 5 mg Kupfer) und gehe im allgemeinen 
nicht über 1 ccm hinaus. Intravenös kann man bis zu 5 ccm steigern, 
(= 5 cg Kupfer), aber auch höher. 

Die Schmerzhaftigkeit der Injektionen im allgemeinen und ihre häufigen 
Wiederholungen veranlaßten mich, zu Schmierkuren überzugehen. In 
Verbindung mit der inneren Darreichung des Lekutyls in Form von Pillen 
stellen sie eine einfache und lange durchführbare milde All- 
gemeinkur dar, die, von leichten Hautreizungen abgesehen. 
sehr gut vertragen wird und sich daher für die meist sehr 
schwächlichen und empfindlichen Kranken besonders gut 
eignet. Die Schmierkuren sind in derselben Weise durchzuführen, wie 
sie mit Quecksilber üblich sind. Man lasse täglich 3—6 g einreiben. Man 
verreibe mit Kampferspiritus so lange, bis die grüne Farbe verschwunden ist. 

Die Wirkung des Kupfers von der Blutbahn aus auf die kranken 
Herde äußert sich in einer mehr oder weniger starken Reaktion, die 
niemals die Heftigkeit einer Tuberkulinreaktion erreicht. Je torpider der 
Prozeß ist, um so weniger tritt diese Reaktion in Erscheinung. Sie fehlt 
bei der umschriebenen Form des Lupus wohl immer. Die Erklärung 
hierfür dürfte in seinem anatomischen Bau, auch wohl in der Anwesen- 
heit kleinerer oder größerer Mengen von Bazillen, zu suchen sein. Eher 


666 Strauß, 


wird eine leichte Reaktion schon bei der diffusen Form des Lupus be- 
obachtet, der durch ein reicheres Gefäßnetz mit der gesunden Haut in 
Verbindung steht. Aber auch hier ist die Reaktion so unmerklich, dal} 
sie nur selten. sichtbar in Erscheinung tritt. Sie äußert sich meist in 
einer leichten Kongestion, namentlich an den Rändern. 

Bei entzündlicher, chronischer, chirurgischer Tuberkulose 
zeigt sich nach Injektionen eine gewisse Steigerung der örtlichen Schmerz- 
haftigkeit, besonders auf Druck. Sie tritt meist um so stärker hervor, je 
näher am Herd injiziert wird. Die Schmerzen können in die kranke 
Extremität ausstrahlen und es ist bezeichnend für den Heilungsprozel), 
wenn sie sich unter der Behandlung allmählich verlieren. Bei torpider 
chronischer chirurgischer Tuberkulose tritt dieser örtliche Schmerz 
viel weniger in Erscheinung. Große Störungen werden jedenfalls durch 
diese Herdreaktionen nicht verursacht. Dagegen könnte bei Lungentuber- 
kulose eine Hämoptoe auftreten. Bei einem geschwächten Organismus be- 
ginne man jedenfalls mit kleinen Dosen. Die anfängliche Dosis soll im 
umgekehrten Verhältnis zur Schwere der Erkrankung stehen. Bei Fisteln 
sieht man nicht selten eine vorübergehende vermehrte Eiterung. 

Bei fieberloser Tuberkulose, bei sehr torpidem Verlaufe der 
Krankheit, besonders bei Lupus, bemerkt man im allgemeinen keine 
Temperatursteigerung. Tritt sie dennoch auf, so muß man annehmen, 
daß ein Fehler in der Technik die Ursache ist. Bei sehr empfind- 
lichen und geschwächten Kranken können auch örtliche Reizwirkungen 
nach Injektionen Temperatursteigerungen bewirken. Bei leichteren ent- 
zündlichen Prozessen dauern die Temperatursteigerungen meist nur einen 
Tag. Bei fieberhafter, fortgeschrittener und ausgedehnter Tuberkulose kann 
sie 2—4 Tage dauern. Bei günstigem Verlauf der Krankheit muß die 
Temperaturkurve sich senken. Hier ist die Frage aufzuwerfen, ob die 
Temperatursteigerungen durch eine Schädigung der Tuberkelbazillen und 
freiwerdende Endotoxine bedingt sind. 

Für diese Annahme scheint mir die Beobachtung zu sprechen, dat 
man Steigerungen nach Injektionen auch dann beobachtet, wenn sie ohne 
Infiltrate verlaufen. Ich sah sie auch nach Schmierkuren. Hier scheint 
also ein weiterer Beweis für die spezifische Natur des 
Kupfers vorzuliegen. 

Häufig ist eine Körpergewichtszunahme zu bemerken. Manch- 
mal tritt sie in auffallender Weise in die Erscheinung. Größere 
Störungen des Allgemeinbefindens werden selten beobachtet. 
Wenn der Magen mit Appetitlosigkeit, Übelkeit und besonders mit Brech- 
reiz reagiert, so muß man eine Unterbrechung in der allgemeinen Behandlung 
eintreten lassen. 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 667 


Albuminurie tritt sicher nur selten auf. Unter den mehr als 
100 Fällen habe ich sie nur einmal beobachtet. Ich war in diesem Falle 
nicht einmal in der Lage, sicher zu konstatieren, ob die Albuminurie eine 
Folge der Kupferbehandlung war. Jedenfalls verschwand sie, nachdem der 
Lupus geheilt war, unter sichtbarer Hebung des allgemeinen Befindens. 
Nach den Schmierkuren lasse man die Kranken 1 Stunde ruhen. Leichte 
Hautreizungen gehen unter Puderhandlung schnell vorüber. Nach intra- 
venösen Injektionen habe ich mehrere Male Schüttelfrost beobachtet. 
Meine Befürchtung, daß das sicher nicht indifferente Lezithin vielleicht 
von der Blutbahn aus in intravenösen Injektionen nicht vertragen werden 
könnte, hat sich nicht bestätigt. Ich habe verschiedene Kupfer-Lezithin- 
Präparate länger als ein Jahr aufbewahrt, ohne daß sie sich verändert 
hätten. Sie wurden dann bei intravenöser Injektion in allerdings kleinen 
Mengen, ohne daß Schüttelfrost oder Fieber eingetreten wäre, und ohne 
Störung des Allgemeinbefindens vertragen. Ein Präparat für Injektionen 
wird jetzt in Ampullen hergestellt. 

Inwieweit noch andere Mittel im Sinne einer Kombinationstherapie, 
die in letzter Zeit gegen Tuberkulose erprobt worden sind, für die Kupfer- 
behandlung nutzbar gemacht werden können, z. B. das von mir bereits 
erprobte Jodmethylenblau,!) ferner Salvarsan und Gold, muß die 
weitere Erfahrung lehren. Nicht unerwähnt möchte ich meine Versuche 
lassen, mit kleinen Tuberkulindosen, beginnend mit ?/,, Milligramm, die 
Kupfertherapie vorzubereiten. Ich ging dabei von dem Gedanken aus, 
daß das Tuberkulin vielleicht das kranke Gewebe für das Kupfer sensi- 
bilisieren könnte. Ich suchte keine Nekrosen hervorzurufen, sondern nur 
einen Reiz auf das kranke Gewebe auszuüben. Leider kann ich nicht 
sagen, daß sich meine Erwartungen erfüllt hätten. Ich habe in einer 
Reihe von Fällen langsam mit Tuberkulin vorbehandelt bis zum Eintritt 
leichter Reaktionen. In einer anderen Reihe von Fällen habe ich nach 
vorhergegangener Kupferbehandlung eine Tuberkulinkur eingeschaltet. 
In einem schweren Fall von Gelenk- und Knochentuberkulose, verbunden 
mit Tuberkulose der Haut, trat sogar eine so erhebliche Verschlimmerung 
unter der Tuberkulinbehandlung ein, daß ich den durch das Kupfer er- 
reichten Erfolg wieder zu verlieren fürchtet. Nur langsam erholte sich 
das Kind nach einer längeren Pause unter der dann wieder aufgenom- 
menen Kupferkur, die in kurzer Zeit das Verlorene wiedergewinnen ließ. 
Bei einigen Fällen von Lupus habe ich das Tuberkulin-Rosenbach in 
ähnlicher Weise verwandt; aber auch hier konnte ich von dieser Kombi- 
nationstherapie keine Vorteile erkennen. 


ı) Für die örtliche Behandlung scheint mir das Jodmethylenblau entbehrlich 
zu Sein. 


ONS Strauß, 


Bei weitem der größte Teil meiner Fälle betraf die verschiedensten 
Formen der Hauttuberkulose. Soweit chirurgische Tuberkulose in Betracht 
kam, war sie, wie es meinem Spezialfach entspricht, fast immer mit Haut- 
tuberkulose verbunden. Von meinen Fällen war ich in der Lage die 
meisten fortlaufend zu plıotographieren und ich glaube, in diesen mehreren 
Hunderten von Aufnahmen das beweisendste Material meiner Versuche er- 
blicken zu dürfen. Es ist oft schwer, die sozial meist so schlecht ge- 
stellten Lupuskranken in dauernder Beobachtung zu behalten. Man karn 
ilınen aber nicht genug einschärfen, daß sie sich nur nach einer längeren 
rezidivfreien Beobachtungszeit als wirklich geheilt betrachten dürfen. ein 
Rat, der leider nicht immer befolgt wird. Man darf sich dann bei der 
ganzen Natur der äußeren Tuberkulose mit ihrem hartnäckigen, langwierigen 
Verlauf und so oft versteckten, fast unsichtbaren Herden. nicht wundern. 
wenn Rückfälle eintreten. 


Eine genaue Statistik kann jetzt noch nicht gegeben werden. Sie 
würde noch keinen Wert beanspruchen können, weil selbst eine zweijährige 
Beobachıtungszeit noch nicht genügt und die wichtigsten Fälle, die mit deu 
Lekutylpräparaten behandelt wurden, aus dem letzten Jahre stammen. 
Jedenfalls suche ich alle Fälle nach Möglichkeit zu kontrollieren und ich 
möchte nicht unterlassen, über die bereits veröffentlichten 12 Fälle weitere 
Rechenschaft zu geben. 


Über sie bin ich in der Lage, folgende weitere Angaben zu machen: 


Fall I. (Beiträge zur Klinik der Tuberkulose XXIII, Heft 2.) Lupusinnl- 
trat hämatogenen Ursprungs, seit 28 Jahren, an der Streckseite des rechten Ober- 
armes (Beginn der Behandlung am 14. VIII. 1911), ging in völlige Atrophie über. 
Die Kranke war bis April 1913 in meiner Beobachtung und ist bis dahin rezidiv- 
frei geblieben. 

Fall II, ebenda veröffentlicht (Caries mit Fistel am rechten Oberschenkel, seit 
3 Jahren). Beginn der Behandlung am 16. VI1I. 1911, war in dauernder Kontrolle 
und war bis in die letzte Zeit ohne Rückfall bei blühendem Aussehen und 10 Kil- 
Gewichtszunahme (am 6. VI. 1913). 

Bei Fall I (Münch. med. Wochenschrift Nr. 50, 1912), Lupusinfiltrat unter 
dem Adamsapfel mit Kehlkopftuberkulose (Infiltrate und Ulzerationen) ist ein Re- 
zidiv des Lupus eingetreten. Ich sah den Kranken zum letzten male am 29. V. 
1913. Die Behandlung hatte am 22. 11.1912 begonnen. Der Lupus war noch am 
15. XI. 1912 klinisch geheilt. Dagegen waren die Stimmbänder noch inültriert. 
Seitdem blieb der Kranke ohne Behandlung, trotz meiner dringenden Mahnunz. 
die allgemeine Behandlung noch Monate lang fortzusetzen. Er erschien ers: 
wieder bei mir auf schriftliche Aufforderung und erklärte mir, daß sein gutes 
Allgemeinbefinden (Gewichtszunahme 21/, Kilo) und seine völlig klare Stimme 
(Patient war vor der Behandlung tonlos) ihn veranlaßt hätten, den Rückfall des 
Lupus unbeachtet zu lassen. Die Stimmbänder waren noch infiltriert und es ist 
offenbar, duß von hier aus auf dem Wege der Lymphbahn sich das Rezidiv des 
Lupus entwickelt hatte. 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 669 


Fall H (ebenda) (Lupusinfiltrat am linken Oberschenkel seit 12 Jahren), 
dessen Behandlung vom 18. VIII. 1911 bis 25. X. 1911 in Zwischenräumen statt- 
fand, ist dauernd geheilt geblieben. Letzte Konsultation am 24. VI. 1913. Ge- 
wichtszunahme 6!/, Kilo. 

Ebenso blieb Fall III geheilt (ebenda). Es handelte sich hier um Lupus 
exulcerans der Nase und um ein tuberkulöses Geschwür der Oberlippe seit 13 Jahren. 
Patient stammt aus hereditär belasteter Familie. Die Behandlung begann am 
28. X. 1911. Patient blieb in dauernder Beobachtung und ohne Rückfall. 

Fall IV (ebenda), Lupus der äußeren und inneren Nase und der Wangen, 
taberkulöses Geschwür der linken Oberlippe, seit 10 Jahren, blieb ebenfalls in dau- 
ernder Beobachtung. Beginn der Behandlung am 15. VIII. 1911. Auf den Wangen 
zeigten sich im Laufe der Zeit hier und da einige Knötchen, die zunächst ambu- 
lant behandelt wurden. Am 5. VII. 1913 ließ ich Patientin eine energische Nach- 
kurim städtischen Krankenhause i in Barmen durchmachen, in dem sie etwa 1 Woche 
verblieb. Sie ist zur Zeit als klinisch geheilt zu bezeichnen. 

Fall V (ebenda) entzog sich vor völliger klinischer Heilung der Behandlung. 
Es handelt sich um ausgedehnte Lupusinfiltrate des Gesichts seit 10 Jahren, die 
bis auf einzelne Knötchen vom 6. VIII. 1912 bis zum 5. X. 1912 verschwanden. 
Unter einer mehrwöchentlichen Nachkur gingen auch die Reste in Atrophie über. 
Ich sah Patientin zum letzten male am 3. II. 1913. Sie war bis dahin ohne Rück- 
fall geblieben. Patientin verzog dann von Barmen. Eine briefliche Anfrage (vom 
20. VII. 1913) kam als unbestellbar zurück. 

Fall VI (ebenda), Lupus der Nase, der rechten Wange, des linken Hand- 
rückens und linken Mittelfingers seit 20 Jahren, hämatogenen Ursprungs, ausge- 
gangen von Caries, der am 2. V. 1912 in meine Behandlung trat, ist bis jetzt 
in meiner Beobachtung geblieben. Er verlief rezidivfrei. 

Fall VII (ebenda), Lupus exulcerans der Nase seit 9 Jahren, der am 8. VIII. 
1912 in meine Behandlung trat, blieb ebenfalls in Kontrolle. Ich sah die Kranke 
zum letzten male ohne Rückfall am 25. VII. 1913. 

Fall VIII, Caries der Fußknochen mit 6 Fisteln, aus stark belasteter Familie, 
ist noch in Behandlung. Die 60-jährige Frau unterbrach die Behandlung oft 
mehrere Monate und kam wieder, wenn die Beschwerden wieder zunahmen. Die 
Behandlung erfolgte völlig ambulant. Der Tod eines Bruders brachte eine neue 
Unterbrechung der Behandlung. Trotzdem nahm Patientin, die seit. dem 1, XII. 
1911 sich in Behandlung befindet, bis zum 25. VII. 1913 8 Kilo zu. Nur eine 
Fistel sezerniert noch etwas,!) die andern sind geschlossen geblieben. Die Funktion 
des Fußes hat sich immer mehr gehoben. Patientin kann seit einiger Zeit auch 
ohne Stock gehen. Sie sieht blühend aus. | | 

Fall I (Deutsche med. Wochenschrift Nr. 11, 1913), eine Italienerin, gab 
bei ihrer letzten Konsultation (am 3. IV. 1912) an, daß sie wahrscheinlich nach 
Italien zurückkehre. Sie war an diesem Tage, nach innerhalb ca. 6 Monaten, 
klinisch frei von Lupus. Eine Nachfrage (vom 20. VII. 1913) blieb ohne Antwort. 

Bei Fall II (ebenda), Lupus tumidus der Nase seit 9 Jahren, mit doppelseitiger 
Lungenphthise, haben sich, wie mir Patientin auf eine Anfrage am 24. VII. 1913 
mitteilte, wieder einzelne Knötchen gebildet. Sie war vom 29. IX. bis 31. X. 1912 
in meiner Behandlung und konnte nicht wieder erscheinen, weil sie bettlägerig 


1) Anmerkung bei der Korrektur: Auch diese Fistel hat sich inzwischen ge- 
schlossen. Dieser Kranken sollte schon der Fuß amputiert werden. 


Strahlentherapie Band Il, Heft 2. 43 


670 . Strauß, 


wurde. Ihre Lungenphthise schritt weiter fort und verhinderte sie, nach Barmer 
zu reisen. Sie hatte also nur eine einmonatliche Behandlung durchgemacht, die 
die Lungentuberkulose nicht beeinflußte. 

Fall III (ebenda) steht noch in Behandlung. Der 50 Jahre alte Lupus de 
rechten Armes zeigte an den Rändern von Zeit zu Zeit Rezidive. Die sehr emr- 
findliche Kranke setzt die ambulante Behandlung nur sehr unvollkommen dartt. 
Sie. behandelt stets nur kleine Stellen und auch diese nur ungenügend. Ei: 
völlige Heilung ist aber auch in diesem Falle auf die Dauer zu erwarten.!) 


Von den veröffentlichten 12 Fällen glaube ich 7 Fälle als klinisch 
geheilt (5 Fälle aus den Jahren 1911 und 1912) bezeichnen zu dürfen. 


Bei 2 Fällen trat ein Rezidiv auf. In diesen Fällen ist zu beachten. 
daß es sich das eine Mal um eine schwere Lungenphthise als Ausgang- 
erkrankung, also um einen schweren hämatogenen Fall, das andere Mil 
um eine Kehlkopfphthise als Ausgangsherd handelt, von dem aus wahr- 
scheinlich auf lymphogenem Wege ein Rückfall sich ausbildete. 


Ein Fall, der als klinisch geheilt zu bezeichnen war, soll weder in 
positivem noch in negativem Sinne beurteilt werden, weil er sich der weiteren 
Beobachtung entzog. Zwei schwere Fälle stehen noch in Behandlung. 
Sie sind erheblich gebessert und lassen ebenfalls eine völlige Heilung er- 
warten. 

MitRücksicht auf die meist endogene Natur deräußeren 
Tuberkulose kann man in der Beurteilung der endgültigen 
Heilung nicht vorsichtig und selbstkritisch genug sein. 
Ein kleiner versteckter innerer Herd, ein einziges noch nicht völlig atro- 
phiertes örtliches Knötchen kann der Ausgangspunkt eines Rezildives 
werden. 


Aber ich habe den Eindruck gewonnen, da die Methode, selbst wenn 
sie ambulant durchgeführt werden muß, bei gleichmäßiger Energie 
des Kranken und des Arztes selbst in ganz schweren, ausgedehnten 
verzweifelten Fällen noch zur völligen Heilung führen kann, auch dann noch. 
wenn das operative Verfahren und die Finsenbehandlung keine Daurr- 
resultate ergeben hatten oder, wegen der großen Ausdehnung der Er- 
krankung, von vornherein nicht mehr in Betracht kamen. Auch scheint 
mir das Lekutyl schneller und sicherer zu wirken wie die Pyrogallussäure. 
Auch den unglücklichsten und entstelltesten Kranken eröffnet die Lekutyl- 
methode Hoffnung auf Heilung, weil sie auch die endogene Natur 
dieser Fälle erfolgreich angreift. Das macht ja gerade alle bisherige Lupus- 
therapie so oft zur Sisyphusarbeit, daß sie die latente, die chirurgische, die 
innere Tuberkulose, den eigentlichen Herd, das unter der Asche glimmende 


!) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen ist eine fast völlige Atrophie 
eingetreten. 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 671 


Feuer nicht berücksichtigen konnte. Auch die Tuberkuline haben hier, 
wie ich schon hervorhob, versagt, namentlich, weil ihre unangenehmen 
Nebenwirkungen einer langen Behandlung, wie sie die innere Tuberkulose 
ın vorgeschrittenen Fällen erfordert, eine Grenze setzt. Hier tritt das 
Kupfer als verhältnismäßig unschädliches Mittel ein. 

Mit Rücksicht auf den meist hartnäckigen, chronischen Charakter der 
äußeren Tuberkulose, auf ihre schlechte Prognose sollte man von einer 
neuen Methode nicht gleich in jedem Falle restlose Heilungen erwarten. 
Junge Bäume können nicht in den Himmel ragen! Und schließlich hat 
jede Therapie, mag sie auch noch so Außerordentliches leisten, ihre 
Grenzen. Man sollte sich schon dann eines neuen Verfahrens freuen, wenn 
es neue, einfache, aussichtsreiche Wege zur Heilung eröffnet und mehr 
leistet als das, was die Wissenschaft und das heiße Streben, der Wissen- 
schaft und der leidenden Menschheit zu dienen, bisher bieten konnte. 

Was ich der Öffentlichkeit gegenwärtig übergebe, ist sicher noch Stück- 
werk, aber, wie mir scheint, kein Stückwerk, an dem man achtlos vorüber- 
gehen sollte. Wenn wir bedenken, wie arm unsere Therapie der Tuber- 
kulose und speziell der äußeren Tuberkulose ist und wenn wir erwägen 
wie langwierig die Behandlung mit der Finsen- Behandlung, sich hinzieht, 
mit welchen Kosten und mit welchen Opfern an Zeit sie verbunden ist, 
daß wir auch bei ihr mit Rückfällen zu rechnen haben, daß die Tuberkulin- 
Therapie mit ihren mehr als 40 verschiedenen Präparaten bei der äußeren 
Tuberkulose in der Regel versagt und von den meisten Ärzten verlassen 
ist, so sollte eine Methode willkommen sein, die nach meinen Eindrücken 
entschieden einen guten Kern in sich birgt und die in verhältnismäßig 
kurzer Zeit zu überraschenden Resultaten führte. 

Noch stehen wir in den Anfängen der Therapie, aber ich glaube sagen 
zu dürfen, daß die Methode schon in der jetzigen Art eine Lücke in der 
Therapie-Behandlung der äußeren Tuberkulose ausfüllt. 

Aus den statistischen Angaben Prof. Nietners wissen wir, daß die Zahl 
der Lupösen allein in Deutschland auf 33000 Kranke zu schätzen ist. 
Wieviel tiefes Leid liegt in einer solchen Zahl! Und wie beglückend der 
Gedanke, diesen armen Kranken, die sich wie wertlose Objekte, wie Aus- 
sätzige und Krüppel von der menschlichen Gesellschaft bei Seite geschoben 
fühlen, einen neuen, einfachen und schnellen Weg zur Heilung zeigen zu 
können. Diese erschreckende Ausdehnung des Lupus macht es uns zur 
eisernen Pflicht, weiter zu arbeiten und den bedauernswerten Kranken 
immer mehr eine Methode nutzbar zu machen, welche nicht nur die 
äußeren Erscheinungsformen der Tuberkulose zu beseitigen vermag, sondern 
auch einen günstigen Einfluß auf die Blutinfektion ausüben kann. 

Denn wie ich schon andeutete, alle Lupustherapie ist Stückwerk, wenn 

43* 


672 Strauß, 


sie nur das tuberkulöse Hautleiden, und nicht zugleich auch den tuber- 
kulösen Menschen berücksichtigt. In mehr als ?/, der Fälle ist der Lupus 
keine primäre, sondern eine sekundäre Hauttuberkulose, die meist in der 
Kindheit beginnt und von Lymphdrüsen, Lymphgefäßen, von den Knochen. 
Gelenken und Sehnen, von den inneren Organen, namentlich von der 
Lunge aus und von dem Schleimhäuten ihren Ausgang nimmt, sei es auf 
dem Wege der Lymph- oder Blutbahn, sei es durch Verschleppung de» 
infektiösen Materials per continuitatem. 

Der Lupus ist also die Folgeerscheinung einer tiefen Tuberkulose und 
wenn er auch seinen eigenen Gesetzen folgt, so ist seine endgültige Heilunz 
von der Heilung der tiefen Tuberkulose abhängig. Eine wirklich rationelle 
Behandlung hat also nicht nur die Aufgabe zu erfüllen, das Hautleiden zu 
beseitigen, sondern auch die chirurgische Tuberkulose, die der Ausgangs- 
punkt war, und möglichst auch den kranken tuberkulösen Organis- 
mus zu heilen. Man hat daher so lange mit Rückfällen zu rechnen. 
so lange nicht die Ursache beseitigt ist. Denn sie stellt die Brut- 
stätte dar, welche immer wieder neue Nahrung der Haut zuführen kann. 
Daher ist alle Therapie, welche nur das örtliche Leiden angreift, mag 
sie noch so vortrefflich sein wie die tiefe Exstirpation mit Transplan- 
tation und die Finsenbehandlung, Teiltherapie. Rezidive darf man 
erst dann als ausgeschlossen betrachten, wenn nicht nur das 
Hautleiden, sondern auch das Grundleiden geheilt ist. Daher 
muß die Pathogenese in jedem einzelnen Falle das Leitmotiv 
unserer Therapie sein. 

Dasselbe gilt auch meist für die chirurgische Tuberkulose. So Vor- 
treffliches auch hier das Messer zu leisten vermag, so schaltet es duch stets 
nur den äußeren tuberkulösen Herd aus. 

Auch im Sinne einer ätiologischen Therapie scheint 
mir das Lekutyl einen Fortschritt zu bedeuten. Wenn auch 
die rein chemotherapeutische Kraft des Kupfers bisher nicht zur schnellen 
Heilung der äußeren Tuberkulose ausreichte, so ist uns doch zunächst 
in der milden Form der Schmierkuren und der inneren Medikation 
ein Weg geöffnet, auch die endogene Natur der äußeren Tuberkulos 
unschädlicher und, wie mir scheint, auch wirksamer, als es mit den 
Tuberkulinen möglich ist, zu bekämpfen. Der chemotherapeutische Ein- 
fluß des Mittels auf Schleimhautprozesse, z. B. in Kehlkopf und Nase. 
auf Knochen- und Gelenktuberkulose, wie ich ihn ohne jegliche örtliel.- 
Behandlung konstatieren konnte, die von mir beobachteten Herdreaktionen 
bei Lupus und chirurgischer Tuberkulose, seine Einwirkung auf die Tem- 
peratur und das Allgemeinbefinden berechtigen zu dieser Erklärung. Frei- 
lich ıst dieser rein chemotherapeutische Effekt des Kupfers, namentlic!. 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 673 


bei Lungentuberkulose, bisher kein gleichmäßig sicherer gewesen. Aber 
wir dürfen nach den bisherigen Erfahrungen uns zu der Hoffnung berech- 
tigt fühlen, daß es uns gelingen wird, auch die chemotherapeutische 
Kraft des Kupfers noch ergiebiger der leidenden Menschheit dienstbar 
zu machen. 

Bis dahin sollte es unser Bestreben sein, die unmittelbare Avidität 
des Kupfers zu den Tuberkelbazillen und den kranken Zellen, wie sie mir 
durch meine Versuche bei äußerer Tuberkulose erwiesen zu sein scheint, 
nach Möglichkeit auch bei innerer Tuberkulose auszunutzen. Wenn wir 
bedenken, daß den Meerschweinchen 150 bis 200 mal mehr Kupfer ein- 
verleibt wurde als dem Menschen und daß wir Kupfermengen im gleichen 
Verhältnis dem Menschen überhaupt wohl nicht zuführen können, so scheint 
es geboten zu sein, die Methode auch bei innerer Tuberkulose zunächst 
nach der Richtung hin nach Möglichkeit auszubilden, daß wir auch bei den 
inneren Manifestationen der Tuberkulose, mag sie sich in den Drüsen, auf 
den Schleimhäuten oder in den Lungen usw. abspielen, das Kupfer direkt 
an die Herde zu bringen suchen. Die Versuche, die Tuberkuline direkt 
in die Lunge zu injizieren, ermutigen uns um so eher auch zu einer ört- 
lichen Behandlung der Lungentuberkulose mit Kupfer, als diese Injektionen 
technisch viel einfacher sind, als sie theoretisch erscheinen. In letzter 
Zeit versuchte ich bei Lupus-Kranken, die auch an Lungentuberkulose 
litten, örtliche Schmierkuren, z. B. über den Lungenspitzen und örtliche 
Dauerverbände, so weit sie die Empfindlichkeit der Haut, die manchmal 
mit leichter juckender Dermatitis reagiert, zuläßt. Man muß dann zeit- 
weilig unterbrechen und pudern lassen. Ich empfehle diese einfache Me- 
thode zur weiteren Nachprüfung. 

Möge es zielbewußter Weiterarbeit gelingen, die Kupfertherapie vor 
allem auch im chemotherapeutischen Sinne immer mehr für die verbreitetste 
Volksseuche, die Lungentuberkulose, auszubauen. 

Ich fasse meine Ergebnisse folgendermaßen zusammen: Das Lekutyl 
zerstört schnell in elektiv-spezifischer Weise das tuberkulöse Haut- und 
Schleimhautgewebe. Es bringt es, wenn oft auch erst nach wiederholten, 
ja mehrfachen Kuren zur völligen Atrophie und Resorption. Rezidive sind 
nicht ausgeschlossen, bleiben aber beeinflußbar. Seine radikale in die Tiefe 
reichende Wirkung ist von einer guten Technik und Methodik abhängig. 
Seine spezifische Kraft setzt das Lekutyl an die Spitze aller auf tuber- 
kulöse Gewebe wirkenden Mittel. Ulzeröse Prozesse heilen schneller und 
rezidivieren seltener als geschlossene Infiltrate, beide aber heilen mit guten 
kosmetischen Resultaten. Das Verfahren ist einfach und mit nur geringen 
Kosten verbunden. Es läßt sich ambulant durchführen. Eine wenn auch 
kurze Krankenhausbehandlung ist indessen vorzuziehen. 


674 Strauß, 


Es ist nicht schmerzlos. Die Schmerzen lassen sich aber bei indivi- 
dueller Methodik auf ein sehr geringes Maß beschränken. Bei exogener 
Hauttuberkulose genügt die örtliche Behandlung. Bei endogener Tuber- 
kulose ist zugleich örtlich und allgemein zu behandeln, am einfachsten mit 
Einreibungen und Pillen zugleich. 

Die allgemeine Behandlung ist längere Zeit fortzusetzen. Auch bei 
allen Formen von äußerer chirurgischer Tuberkulose ist die örtliche Be- 
handlung von hohem Werte. In Verbindung mit der allgemeinen ersetzt 
und unterstützt das Verfahren in vielen Fällen chirurgische Eingriffe und 
orthopädische Maßnahmen. Die Lekutylbehandlung unterstützt auch das 
hygienische Heilverfahren, z. B. die Sonnenbehandlung. 

Die Lekutylmethode läßt sich mit anderen vereinigen. Aber sie kann 
auch allein, selbst in schweren Fällen durch energische örtliche Kuren und. 
bei endogener Natur des Leidens, durch eine gleichzeitige, milde. 
längere ev. mehrfach wiederholte allgemeine Behandlung zur restlosen Hei- 


lung führen. 

Ich habe die Fälle,!) welche ich zum Schluß anfüge, nach verschiedenen Ge- 
sichtspunkten ausgewählt, zunächst nach der Schwere der Erkrankung, sowohl 
umschriebene leichtere wie ausgedehnte alte Fälle, die nach vielfachen mehr 
oder weniger vergeblichen Heilversuchen mit den mannigfaltigsten Methoden soweit 
fortgeschritten waren, daß sie sich nicht mehr für die operativ-plastische oder 
die Finsenbehandlung eigneten. Auch in diesen Fällen erreichte ich mit meiner 
Methode bemerkenswerte Resultate. Sodann nahm ich auch die Pathogenese zur 
Richtschnur. Ich wählte ektogen (1, 3, [7 ?], 8), und endogen (2, 4, 5, 6, 9, 11, 14, 15) 
entstandene aus, sowohl solche, bei denen die Verbreitung auf Iymphogenem (4, ö, 
6, 9, 11) als auch solche, bei denen sie auf hämatogenem (2, 14, 15) Wege erfolgte. 
Auch die Beteiligung der Schleimhäute (10, 12, 13) und der chirurgischen Tuber- 
kulose (15) habe ich berücksichtigt. Hier dürfte namentlich der mir von der Lupus- 
kommission überwiesene Fall (15) Interesse erwecken, der, wie mir scheint, in verhält- 
nismäßig kurzer Zeit zu klinischer Heilung gebracht wurde und bisher rezidivfrei 
verlief. Es sei nochmals hervorgehoben, daß bei dem Knaben außer der Lekutyl- 
behandlung keine andere in Betracht kam. Auf dem Lande, in guter Luft, in 
Licht und Sonne aufgewachsen, orthopädisch früher erfolglos behandelt, konnte 
er in drei Monaten, ohne chirurgische und orthopädische Eingriffe und ohne Bett- 
ruhe in einer Zeit fast beständigen Regenwetters von seiner 8 Jahre alten Coxitis 
befreit werden. Hätte man ein solches Resultat mit Pyrogallussäure 
erreichen können?! Endlich glaubte ich auch Fälle bringen zu sollen, 
welche nur ambulant und andere, welche ambulant und auch stationär be- 
handelt wurden, und den Vorteil der Krankenhausbehandlung in ein klares Licht 
rücken. 

Es liegt mir fern, sämtliche beschriebenen Fälle als völlig geheilt bezeichnen zu 
wollen. Selbst bei denen, die als klinisch geheilt bezeichnet werden durften, kann 
erst eine längere Beobachtungszeit die Frage entscheiden, ob die Heilung eine end- 

1) Sämtliche Fälle wurden mehrfach photographiert, auch die hier nicht im 
Bilde wiedergegebenen. 





Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl. 675 


gültige ist. Ich glaube indessen für einige der mitgeteilten Fälle eine Dauer- 
heilung annehmen, bzw. in Aussicht stellen zu dürfen, weil sie, bei längerer Be- 
obachtungszeit, bisher rezidivfrei blieben. 

I. G. W. aus Barmen, 11!/, Jahre alt. Seit dem 2. Lebensjahre Lupus der 
rechten Wange. Fünf linsen- bis erbsengroße Infiltrate in Narben. Bisher vielfach 
mit Ätzsalben behandelt. Mit Kupferlezithin verschwanden die Infiltrate in 
12 Tagen (3. LI. bis 15. II. 1913). Es ist in 6-monatlicher Beobachtung kein Rezidiv 
aufgetreten. 

II. P. F. aus Barmen, 12 Jahre alt. Acht kleine umschriebene tiefe Lupus- 
infiltrate auf der rechten ‚Wange. Doppelseitiger Spitzenkatarrh. 28 Kilo. Ört- 
liche und allgemeine Behandlung mit Salbe. Die Infiltrate sind nach 3 Wochen 
(25. III. bis 18. IV. 1913) verschwunden. Bisher kein Rezidiv. 21. VII. 1913 
30 Kilo. 

III. L.H. aus Elberfeld, in einer Metzgerei beschäftigt. Tuberculosis verru- 
cosa cutis seit 2 Jahren. Heilung in ca. 2 Wochen. In mehrmonatlicher Beobach- 
tung kein Rezidiv. (S. Photogr.) 


Fall III, 





28. V. 1912. 12. VIOL. 1912. 


IV. A.M. aus Elberfeld. 8 Jahre alt. Rechtsseitiges offenes Scrofuloderma 
am Halse seit 5 Jahren. Lungen gesund. Gewicht 26,5 Kilo. Heilung in 10 Tagen 
(3. IX. bis 13. IX. 1912). Am 22. IX. Gewicht 28,5 Kilo. Behandlung örtlich 
und allgemein (Inunktionskur). Bisher kein Rezidiv. 

V. E.W. aus Barmen, 14 Jahre alt, aus gesunder Familie. Seit 7 Jahren tuber- 
kulöse Drüsen am rechten und linken Unterkiefer. Am 15. I. 1912: rechts und 
links offene Scofulodermata mit infiltrierter Umgebung in Narben. Gewicht 37 
Kilo. Auf örtliche und allgemeine Behandlung trat Vernarbung und Resorption 
in ca. 4 Monaten ein. Gewicht 39 Kilo. Patientin blieb rezidivfrei bis Ende des 
Jahres 1912 in Beobachtung. 

VI. Frau W. H. aus Barmen, 49 Jahre, aus gesunder Familie. Seit 1910 Scro- 
fuloderma unter dem linken Ohre, das exzidiert wurde. Kurze Zeit darauf bildete 
sich auf der linken Wange ein Geschwür, das mit Kohlensäureschnee behandelt 
wurde. Am 11. V. 1912 war auf der linken Backe ein etwa bohnengroßes Geschwür 
mit unterminiertem Rande neben einer Narbe zu konstatieren. Unter dem linken 
Öhre eine am Kieferrande folgende Narbe, die am oberen Ende eine kleine sezer- 
nierende Ulzeration zeigte. Die Heilung vollzog sich unter örtlicher Behandlung 
in etwa 1 Monat. Patientin blieb seit Mai 1912 in dauernder Beobachtung. Es 
ist kein Rezidiv eingetreten. 


676 Strauß, 


VII. Frau N. aus Selters im Westerwald. 35 Jahre alt. Diesen Fall habe ich 
selbst nicht gesehen. Er wurde ambulant (auf dem Lande) in Selters im Wester- 
wald von Herrn Dr. Nourney in Selters nach meinen Anweisungen seit 7. VII. 1912, 
zunächst nur ambulant mit Injektionen, behandelt. Die Veröffentlichung geschieht 
im Einverständnis mit Herrn Dr. N. Die am 14. VII. aufgenommene Photo- 
graphie zeigt die Reaktion nach den Injektionen. Bis dahin war die Frau, wie 
Herr Dr. N. ausdrücklich hervorhebt, nicht örtlich behandelt worden. 
Laut Mitteilung des Kollegen vom 8. VI. 1912 wurde der Fall bis dahin vergeb- 
lich mit Paquelin und Lichttherapie behandelt. Es traten immer wieder Rezidive 
auf. Am 23. VII. 1913 antwortete mir Herr Dr. N. auf meine Anfrage nach 
dem Verlaufe der Behandlung, daß „einzelne von Zeit zu Zeit sich zeigende Knöt- 


Fall VII. 





14, VII. 1912. Nov. 1912. 


chen nach Anwendung der Salbe stets prompt abgeheilt seien und daß dann der 
Fall ohne Rezidiv geblieben sei“. Die Photographien sind in Selters aufge- 
nommen und mir von Herrn Dr. N. freundlichst zur Verfügung gestellt worden. 
Am 2. VIII. 1913 nochmalige Mitteilung, daß der Fall rezidivfrei geblieben sei. 
(S. Photogr.) 


VIII. Frau W. aus Langenberg, 37 Jahre alt, aus gesunder Familie. Lupus der 
linken Wange seit dem 2. Lebensjahre. Auskratzungen im 11., 14. und 16. Lebens- 
jahr. Stets Rezidive, 1895 mehrfach mit Ätzsalben behandelt, auch mit Pyro- 
gallus. 1891 '/, Jahr lang Tuberkulinkur ohne Erfolg. 1907 und 1908 wurde 1! 
Monate lang mit Quarzlampe und Röntgenlicht behandelt; mit vorübergehendem 
Erfolg. Beginn der Behandlung am 18. XI. 1912. 2 große und 3 kleinere tiefe 
Infiltrate auf der linken Wange. Ein Infiltrat war am Tage vorher kräftig mit 
der Quarzlampe bestrahlt. In mehrfachen Kuren vernarbten .die Infiltrate in 
4 Monaten. An den Rändern zeigten sich wiederholt einzelne Knötchen, die die 


— 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl.) 677 


Nachkuren veranlaßten. Patientin steht noch in Beobachtung. Sie ist zur Zeit 
als klinisch geheilt zu bezeichnen. 


IX. J.S. aus Altendorf a. d. Ruhr, 16 Jahre alt. Seit 3. Lebensjahr an Drüsen 
leidend. Seit 5 Jahren Lupus der Nase, der von der inneren Nase ausging. In 
Gelsenkirchen wurde die innere und äußere Nase vor 4 Jahren ausgekratzt. Dann 
machte Patientin in Köln eine 21/, Jahre dauernde Salbenkur durch (anscheinend 
Pyrogallus). Immerfort Rezidive. Ich sah die Kranke nur einmal, am 11. VI. 
1913. Bis dahin war sie von Herrn Dr. Heermann in Essen behandelt worden, 
der die Erlaubnis zu einer Veröffentlichung mir erteilte und mir die vor der Be- 
handlung aufgenommene Photographie freundlichst zur Verfügung stellte. Am 
6. III. 1913 schrieb mir Kollege Heermann: „Als ich 8 Tage die Patientin mit 
Ihrer Salbe behandelt hatte, kommt die Mutter zu mir und spricht ihre Befürch- 


Fall IX. 





11. III. 1913. 11. VI. 1913. 


tung über eine zu schnelle Heilung des Leidens aus. Ich muß denn auch sagen, 
daß ich selbst erstaunt war über den Erfolg in so kurzer Zeit, in der eine so 
kolossale Besserung eingetreten ist.“ Patientin war vorher von Herrn Dr. Heer- 
mann etwa 1 Jahr lang mit Tuberkulin behandelt worden. Nach der Kupfer- 
behandlung (am 11. VI. 1913) 1 Kilo Gewichtszunahme. Patientin wird von 
Herrn Dr. Heermann weiter beobachtet. Am 23. VII. 1913 schrieb Herr Kollege 
Heermann, daß sich auf Glasdruck bräunliche Punkte in der sonst druck- 
weißen Haut nachweisen ließen. Er lasse daher nochmals eine Kur vornehmen. 
(S. Photogr.) 

X. C.P., 18 Jahre, aus Rheneggein Waldeck. Vater an Lungentuberkulose ge- 
storben. Seit 4 Jahren Lupus der Nasenschleimhaut. Es bildeten sich beiderseits 
Geschwüre. 1910 Auskratzung der inneren Nase mit Ausmeißelung ohne Erfolg. 
Patient war dann einige Zeit in einer Marburger Klinik, mehrfache Salbenbehand- 


678 Strauß, 


lung (Pyrogallus?) erfolglos. Aufnahme ins städtische Krankenhaus Barmen am 
15. V. 1913. Lupus hypertrophicus der Nase und Oberlippe. Die ganze Schleim- 
haut der inneren Nase geschwürig. Starke Borkenbildung und Eiterabsonderung. 


Fall X. 





15. V. 1913. 29. V. 1913. 


Rechtsseitige Eiterung aus dem Tränen- 
kanal. 

Doppelseitiger Spitzenkatarrh, groß- 
blasiges Rasseln, links mehr wie rechts, 
Gewicht 49 Kilo, kein Eiweiß. 


Nur 2 Tage örtliche Behandlung des 
äußeren Lupus. Unter starker Reaktion 
fallen die Krusten ab. Unter indifferenter 
Salbenbehandlung atrophiert das kranke 
Gewebe. Die innere Nase wird mit Pin- 
selungen und Tamponade weiter behandelt. 
Allgemeinbehandlung, Schmierkur und 
Kapseln. 

Am 26. V. eine intramuskuläre In- 
jektion, am 30. V. und 2. VI. je eine 
intravenöse. Alle Injektionen gut ver- 
tragen, ohne Fieber. 

29. V. 1913. Am 14. VI. aus dem Krankenhause 

nach Hause entlassen. Keine örtliche 

Behandlung mehr, nur noch allgemeine. Gewicht 65!/, Kilo. Äußere und innere 
Nase atrophiert. An der Lunge keine deutliche Änderung. 

Am 1. VII. wieder vorgestellt. Äußerer Befund derselbe Kein Rezidiv. 
Über den Lungenspitzen noch Rasseln. 





Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 679 


Am 16. VII. Derselbe örtliche Befund. Gewicht 68 Kilo. Allgemeine Kur 
fortgesetzt. Von jetzt an auch tägliche örtliche Einreibungen mit Lekutylsalbe 
über den Lungenspitzen. 

Am 30. VII. Kein Rezidiv des Lupus. Sehr gutes Allgemeinbefinden. Ge- 


Fall XI. 





”: 131..:1818; 





24. I. 1918. 3. ITI. 1918. 


wicht 69 Kilo. Rechte Lungenspitze kein Rasseln mehr. Links nur noch ver- 
einzelte Rasselgeräusche.!) (S. Photogr.) | 





1) Anmerkung bei der Korrektur: Auch Anfang September rezidivfrei. Be- 


680 Strauß, 


XI. J.S. aus Erkrath, 49 Jahre alt. Lupus des Gesichts seit dem 16. Lebens- 
jahr im Anschluß der Skrofulodermata der Submaxillardrüsen. 1910: 6 Wochen, 
1911: 33 Wochen, 1912: 19 Wochen, in einer Hautklinik in Düsseldorf fast täglich 
eine Stunde lang mit Finsenlicht behandelt. Immer Rezidive. Keine Heilung. 
Nach Mitteilung des Kassenvorstandes betrugen die Kosten dieser Behandlung 
ca. 1000 Mk. Auch alle übrige Behandlung ohne Erfolg. Schleimhäute, Lungen 
gesund. Gewicht 46 Kilo. Beginn der ambulanten Behandlung am 24. IL 
1913. Am rechten und linken Unterkiefer eingezogene Narben. Zahlreiche 
Lupusinfiltrate im Gesicht. Behandlung örtlich und allgemein mit Lekutylsalbe. 

In etwa 2!,, Monaten gehen die Infiltrate in Atrophie über. Patientin bleibt 
rezidivfrei in dauernder Beobachtung. Am 22. Juli Gewicht 47\/, Kilo.) 
(S. Photogr.) 

Fall XI. 





24. I. 1913. 3. III. 1913. 


XII. Frau R. aus Barmen, 50 Jahre alt, Mutter an Phthise gestorben. Lupus seit 
46 Jahren. Ausgang von der inneren Nase. Vielfach mit Ätzmitteln behandelt. 
Auskratzung im 16. Lebensjahr. Später Paquelin. Tuberkulinkur 1891. Alle ohne 
besonderen Erfolg. Darauf Pyrogalluskur und zweijährige Behandlung mit Röntgen- 
licht und Quarzlampe. Seit 3 Jahren ohne Behandlung. 

Status am 2. X. 1912. Fast das ganze Gesicht und der Hals von einem 
tiefen braunroten Infiltrat eingenommen, Nasenspitze fehlt. Ulzerationen der 
Nasenschleimhaut. Ektropium rechts. 

Beginn der Behandlung am 2. X. 1912, ambulant, nur vom 10. VII. bis 
17. VII. im städtischen Krankenhause. 

Das tiefe Infiltrat wird allmählich immer oberflächlicher. Die tiefbraune Farbe 
geht in eine frischrote über. Die gewulsteten Ränder des Infiltrates leisten hart- 
näckigen Widerstand, flachen sich aber auch langsam ab. (S. Photogr.) 


merkenswert ist in diesem Falle der Erfolg der nur zweitägigen Behandlung 
der äußeren Nase. 
1) Anmerkung bei der Korrektur: Auch Anfang September rezidivfrei. 


| 


| 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 681 


XIII. J. N. aus Barmen, 18 Jahre alt, keine erbliche Phthise in der Familie. Seit 
dem 5. Lebensjahre Lupus der inneren Nase, der zu Verlust der Nasenspitze führte 
und sich über das Gesicht, die Ohren, die Brust und den Nacken serpiginös lang- 
sam ausdehnte. 

Beginn der Behandlung am 16. I. 1912. Status: Serpiginöser Lupus des 
Gesichts, der Brust und des Nackens. Mit zahlreichen Infiltraten und Geschwüren 
Über die Brust und den Nacken zieht sich kranzförmig ein infiltrierter, keloider 
Lupusherd. Das Naseninnere tief ulzeriert. Starke Eiterabsonderung.!) 

Lungen gesund. Kein Einweiß. Gewicht 39 Kilo. Die Behandlung war 
schrittweise örtlich und allgemein Inunktionen, Injektionen, Kapseln) ambulant 
bis zum Juli 1913 durchgeführt. Die geschwürigen Prozesse verheilten, die In- 
filtrate bildeten sich zurück, die Narben glätteten sich auch ohne örtliche Behand- 


Fall XII. 





2. X. 1912. 2. VII. 1913. 


lung. Zur Beseitigung der Reste Aufnahme ins städtische Krankenhaus Barmen 
am 5. VII. 1913 (3!/ Wochen). Hier schritt die Heilung erheblich schneller fort 
als unter ambulanter Behandlung. Gewicht 48 Kilo. (S. Photogr.) 


XIV. L.G. aus Barmen, 15 Jahre alt. Eine Schwester an Phthise gestorben. Im 
ersten Lebensjahr Caries des rechten Mittelfingers. Skrofulodermata der Sub- 
maxillardrüsen und allmähliche Entwicklung der Lupusinfiltrate auf hämatogenen 
Wege. Beginn der Behandlung am 12. X. 1912. Lupusinfiltrate auf der linken 
Wange, zwei am rechten Oberarm, eins auf dem rechten Handrücken, Gewicht 
45 Kilo. Lunge, Schleimhäute gesund. Behandlung bis zum 10. VI. 1913 am- 
bulant. Die Behandlung wird nur sehr ungenügend und mit großen Unterbrechungen 
durchgeführt. Trotzdem ist eine allmähliche Besserung zu konstatieren. 


1) Dieser Fall war für die operative Therapie aussichtslos. Eine Finsen- 
behandlung hätte eine jahrelange, äußerst mühsame und kostspielige Kur erfordert! 


682 Strauß, 


Aufnahme ins Krankenhaus am 10. VI. 1913. Hier verweilte Patientin 
ca. 2 Monate. Örtliche und allgemeine Salbenkur. Innerlich Kapseln. Die In- 
filtrate verschwinden bis auf kleine Reste an den Rändern eines Herdes am rechten 
Arme. Gewichtszunahme 5!/, Kilo. Die Behandlung wird ambulant fortgesetzt. 
(s. Photogr.) 

XV. B. L. aus Borken i. W., 11 Jahre alt, von der Lupuskommission mir 
überwiesen. In der Familie keine erbliche Phthise. Eltern und 4 jüngere Ge- 
schwister gesund. Seit dem 3. Lebensjahr, im Anschluß an Masern, Coxitis dextra, 
die allmählich zu Verkürzung des Beines führte. Es bildeten sich an der unteren 
und seitlichen Fläche des Oberschenkels Fisteln. Zweimalige Streckverband- 


Fall XIII. 





26. I. 1913. „28. VLL. 1918. 


behandlung je 6 Wochen lang in einem Krankenhause ohne Erfolg. Ebenso er- 
folglos ein 3 Monate lang liegender Gipsverband. Im Anschluß an die Coxitis, 
schon im 3. Lebensjahr, bildete sich ein tuberkulöses Geschwür an der Oberlippe. 
Es zeigte sich eitriger Ausfluß aus der Nase, Geschwürsbildung in der Nase und an 
der Nasenspitze. Von hier aus breitete sich der krankhafte Prozeß auf die Mund- 
winkel und Wangen aus. Im Gesicht vielfache Salbenbehandlung ohne Erfolg. 
Am 3. IV.1913 wurde der Knabe ins städtische Krankenhaus Barmen aufgenommen. 

Status: Lupus tumidus an der Nasenspitze. Nasenspitze abgeflacht. Nasen- 
eingänge exulzeriert. Mit Borken bedeckte Infiltrate an den Mundwinkeln und 
auf beiden Wangen, welche namentlich rechts auch auf das Kinn übergehen. An 
der Oberlippe 3 cm langes tuberkulöses Geschwür. 


Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 683 


Oberschenkel ankylotisch, adduziert, Bein flektiert, verkürzt. An der Außen- 
seite des Oberschenkels 2 Eiter absondernde, tief auf kariösen Knochen führende 
Fisteln. An der hinteren Seite eine geschlossene und eine noch etwas sezer- 
nierende Fistel. 

Der Knabe hinkt, geht langsam, hat Schmerzen beim Gehen, namentlich in 
der Ferse. Er geht nur auf der Fußspitze. 

Gewicht 28 Kilo. Urin frei von Einweiß und Zucker. Lungen gesund. Das 


Fall XIV. 





12. X. 1012, 11. VIII. 1913. 





12. X. 1912. 11. VIIL 1913, 


Röntgenbild zeigt, daß Kopf und Hals des Oberschenkels fehlen. An Pfanne und 
Oberschenkel kariöser Prozeß. 

Örtliche Behandlung: Lekutylsalbe im Gesicht und auf dem rechten Ober- 
schenkel. Pinselung der Geschwüre der Nase und der Oberlippe mit Kupferlösung. 
Tamponade der Nase mit Lekutylsalbe. 

Allgemeine Behandlung: Zunächst Inunktionskur mit Lekutylsalbe. Drei- 
mal täglich 1 Kapsel mit Lekutyl-Jodmethylenblau (ä 0,005 Cu. 0,05 Jodmethylen- 
blau). Vom 13. IV. ab nur Jodmethylenblau in Kapseln (à 0,05). An den ersten 
3 Abenden kleine Morphiumdosen. 


684 _ Strauß, 


Unter kräftiger Reaktion fallen die Borken ab. Die Lupusinfiltrate liegen 
siebförmig frei. Diese Reaktion vollzieht sich in den ersten 3 Tagen. Die örtliche | 
Behandlung wird bis 13. IV. fortgesetzt. Dann indifferente Salbe. Die exkoriierten | 


Fall XV. 





+ 


boia 


a AG 
u t 
-< zer f 
-Sra W E 
-= b K 
F 
2 Ka 
... "| 
r - r 
ri "TI - 
r f Ber: | 


I 
> 
T 





8, LV.: 1918, 24. IV. 1913. 


| 
| 
Infiltrate zeigen eine frischrote Farbe und | 
bedecken sich mit Epithel. Am 24. IV. | 
ist das tuberkulöse Geschwür an der | 
Oberlippe fast überhäutet. Die Fisteln | 
sezernierten zunächst stärker. Dann nahm | 
die Sekretion ab und wurde dünnflüssiger. | 
Es bildet sich an ihren Mündungen | 
frisches granulierendes Gewebe. Die hin- 
tere, anfangs noch etwas sezernierende 
Fistel hat sich geschlossen. Der Knabe 
kann fester auftreten, schneller und 
leichter gehen. Die Schmerzen, nament- 
lich in der Ferse, haben abgenommen. 


Vom 25. IV. bis 27. IV. nochmalige 
örtliche Kur im Gesicht. Eine spezifische 
Reaktion tritt nur noch auf der linken 
Wange auf. Dann wieder indifferente 

12. VI. 1913. Salbe. Vom 8. V. bis 11. V. abermals 

örtliche Kur. Keine Reaktion mehr. 

Die Gehfähigkeit hat sich weiter gebessert. L. kann schneller gehen. Er tritt 
dabei schmerzlos mit ganzer Fußsohle auf. | 

Im Gesicht zeigt sich auf den erkrankt gewesenen Stellen eine kleinblättrige | 
Abschuppung. 

Aus der noch etwas offenen Fistel läßt sich nur bei Druck noch seröse Flüssig- 


a n, 





Hauttuberkulose und ihre Behandlung mit Lezithinkupfer (Lekutyl). 685 


keit ausdrücken. Das Bein kann besser gestreckt werden. Der Knabe kann laufen. 
Das Gefühl kehrt in der Haut des Oberschenkels zurück. 

Die indifferente Behandlung des Gesichtes wird bis zum 4. VI. fortgesetzt. 
Obwohl sich kein Rezidiv zeigte, wird die örtliche Kur nochmals (vom 5. bis 8. VI.) 
wiederholt. Keine spezifische Reaktion. Die noch offene Fistel ist nur noch 1 cm 
tief. Vom 25. V. bis 10. VI. wurden noch täglich mit Lekutyllösung Injektionen 
in die Fisteln gemacht. Seitdem geht die Verheilung der Fisteln besonders schnell 
von statten. Am 18. VI. sind beide Fisteln an der Außenseite geschlossen. 

Außer den bisher täglich fortgesetzten Inunktionen und der inneren Verab- 
reichung der Kapseln (vom 1. V. ab wieder Lekutyl-Jodmethylenblau) erhielt L. 
noch 2 intravenöse (am 1. V. und 2. VII.) und 2 intramuskuläre Injektionen 
(am 24. V. und 30. V.). 

Der Urin blieb während der ganzen Kur leicht grün gefärbt, ohne Eiweiß 
und Zucker. Das Gewicht betrug am Ende der Kur 30 Kilo. Das Allgemein- 
befinden hob sich beständig. Fieber ist niemals aufgetreten. 


Fall XV. 





3. IV. 1913. 4. VII. 1913. 


Der Knabe durfte sich während der ganzen Kur frei bewegen, nur nach den 
Einreibungen mußte er eine Stunde liegen, 

Am 5. VII. wurde er aus dem Krankenhaus in seine Heimat entlassen, klinisch 
geheilt. Das letzte Röntgenbild ergab, daß an Stelle des kariösen Prozesses sich 
normales Knochengewebe entwickelt hat. Die Fistelmündungen sind mit fester 
Narbe verheilt. 

Die Allgemeinbehandlung wird zu Hause noch fortgesetzt. Eine nochmalige 
örtliche Kur zu Hause (3 Tage) löst keine Reaktion aus. L. stellt sich mir am 
20. Juli wieder vor. Derselbe Befund wie bei der Entlassung. Kein Rezidiv. 
Vorzügliches Befinden. Am 30. VII. 1913 schreibt mir der Vater: „Unser 
Sohn Bernhard bleibt unverändert. Mund usw. und Bein hält sich tadellos.“ t) 
(S. Photogr.) 


1) Anmerkung bei der Korrektur: Auch Mitte September rezidivfrei. 
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 44 


656 Strauß, Hauttuberkulose und ihre BehandInng mit Lezithinkupfer. 


Literatur. 


„Beiträge zur Chemotherapie der Tuberkulose“ XXIII, Heft 2. Impftuberku.s 
(Prof. Dr.Gräfinv. Linden). Lungentuberkulose (Prof. E. Meissen, H:ker.- 
honnef). Äußere Tuberkulose (Dr. A. Strauß, Barmen). 

Als Monographie erschienen im Verlage von Curt Kabitzsch- Würzburg. 

Nach Vorträgen auf der internationalen Tuberkulosekonferenz und dem inte: 
nationalen Tuberkulosekongreß in Rom, April 1912. 

A. Strauß, Weiterer Beitrag zur Chemotherapie der äußeren Tuberkulose Mün«t. 
med. Wochenschr. Nr. 50, 1912). 

Derselbe: Die Kupferbehandlung der äußeren Tuberkulose. (Deutsche me. 
Wochenschrift Nr. 11, 1913). 

Derselbe: The Chemo-Therapy of External Tuberculosis. (The Urologie ari 
Cutaneous Review.) Januar 1913. 

Weitere Erfahrungen mit einer Chemotherapie der Tuberkulose. Naturforscher- ard 
Ärzteversammlung in Münster (innere Abt.) Sept. 1913. Verhandlungen 
S. 48—56: 

Impftuberkulose: Gräfin Linden. Lungentuberkulose: Prof. Meissen. Aubere 
Tuberkulose: A. Strauß. 

Prof. Grätin von Linden: Weitere Erfabrungen mit einer Chemotherapie der 
Tuberkulose. (Münch. med. Wochenschr., 9. Nov. 1912.) 

Dr. K. Lautsch: Aus der Lupusheilstätte des vaterländischen Frauenvereins in 
Graudenz. Naturforscherversammlung in Münster, innere Abteilung. Ver- 
handlungen S. 56. 

Derselbe: Vereinigung der ostdeutschen Dermatalogen in Königsberg. Archiv für 

Dermatologie und Syphilis. CXVI, 1. Heft. 


Aus dem Radiologischen Institut der Allgemeinen Poliklinik in Wien. 


Ueber die Verwendung der photochemischen Radiometer 
zur Bestimmung der Hautdosen. 


Von 
Privatdozent Dr. Robert Kienböck. 


Einfluß der Dicke der sensiblen Schicht des Reagenzkörpers, der Dicke der 

Haut und des Härtegrades des Röntgenlichtes für die Bestimmung der wirklichen 

Hautdosen. Wechselnde Bedeutung der radiometrischen Dosenzahlen für die 

Stärke der Belichtung der Haut, schwankende Relation der Angaben der Radio- 
meter verschiedener Art.!) 


W" haben in der radiotherapeutischen Praxis die Haut stets bis zu 
einem gewissen Grade zu belichten und speziell bei der Be- 
handlung subkutaner und in größerer Tiefe gelegener Gebilde zu berück- 
sichtigen, dal die von den Strahlen zunächst getroffene gesunde Haut keinen 
Schaden leide; hier sollen wir keine Hautveränderung oder höchstens Ery- 
them und Pigmentierung erzeugen. 

Wir bedienen uns bei den Bestrahlungen zur Bestimmung der zu er- 
wartenden Hautreaktion bzw. zur Vermeidung jeglicher Reaktion bekannt- 
lich vorwiegend der photochemischen Radiometer. 

Es ist nun die Meinung viel verbreitet, daß die gebräuchlichen Radio- 
meter die Bestimmung des Grades der zu erwartenden Hautveränderung 
ohne weiteres gestatten, daß sie speziell durch eine bestimmte Reaktions- 
stufe am Reagenzkörper genau die „Erythemdose“ angeben können, d. i. 
die Dose, welche an der normalen Haut von Erwachsenen zu Erythem 
führt und daß, wenn man nicht bis zur „Erythemdose“, sondern nur etwa 
bis zur „Maximaldose* bestrahlt, ein Erythem auch in der Regel aus- 
bleibt. Man fügt in der letzten Zeit nur noch hinzu, daß man bei sehr 
hartem, namentlich gefiltertem Licht größere Dosen geben könne. 

Nun liegen aber in Wirklichkeit die Dinge viel komplizierter, als man 
gewöhnlich annımmt. Zur Erreichung oder Vermeidung einer bestimmten 
Hautreaktion soll man allerdings die photochemischen Radiometer verwenden 
und sie sind ein wertvoller Behelf; man besitzt derzeit gar keinen besseren ; 
aber man muß daran denken, daß mehrere Umstände das Verfahren un- 


I) Verfasser hat den Inhalt dieser Arbeit zum Teil bereits am Physiotherapie- 
Kongreß, Berlin März 1913, vorgetragen und dort auch die geometrischen Zeich- 
nungen (Figur 1—16) demonstriert. 


44* 


688 Kienböck, 


genau machen. Diese sind zunächst die technischen, konstruktiven Mängel 
der Radiometer und dann die ungleiche Radiosensibilität der Haut. 

Die gebräuchlichen Radiometer, auch die guten Apparate leiden an 
einigen Mängeln der Konstruktion, welche nicht zu vermeiden sind. 
So kommt es vor, daß sich die einzelnen Exemplare der Reagenzkörper in 
ihrer Empfindlichkeit voneinander etwas unterscheiden. Weiterhin ist der 
Vergleich der belichteten Reagenzkörper mit der Skala meist ungenau. 
weil die aus abgestuften Feldern zusammengesetzte Skala meist nicht aus 
dem gleichen Materiale besteht wie die Reagenzkörper, sondern nur eine 
mehr oder weniger gut gelungene Imitation der gefärbten Reagenzkörper 
darstellt, also nicht bei jeder Beleuchtung die richtigen Nuancen zeigen kann. 

Ferner ist für die schließliche Lichtwirkung im Reagenzkörper keine 
vollkommene Reziprozität zwischen Stärke des einfallenden Lichtes und 
Expositionszeit vorhanden, so daß die eine Größe streng reziprok für die 
andere eintreten könnte; es ist nicht ganz gleichgültig, ob es sich um 
starkes Licht handelt mit kurzer Exposition oder um schwaches Licht mit 
entsprechend längerer Exposition. Die Gradation der Farbenreaktionen 
im Reagenzkörper ist dabei eine andere. Vielleicht ist auch für weiches 
und hartes Licht die Gradation der Wirkungen nicht ganz gleich. 

So kommt es, daß wir an dem belichteten Reagenzkörper durch Ver- 
gleich mit der Skala die der sensiblen Schicht applizierte Lichtmenge, 
die „Radiometerdose“, „Reagenzdose* — wie ich es nenne — 
nicht ganz genau kennen lernen. 

Es entsprechen also einander 1) nicht ganz genau die Reagenzdose 
(absorbierte Lichtmenge) und die Reagenzreaktion, 2) der Vergleich von 
Reagenzreaktion und Skala führt überdies zu ungenauer Dosenbestimmung. 

Mit der Radiosensibilität der Haut ist die Röntgenlichtempfind- 
lichkeit des Gewebes im engeren und rein biologischen Sinne gemeint 
(biologische RS), und nicht etwa „die größere Empfindlichkeit‘ von dünner, 
„geringere Empfindlichkeit“ von dicker Haut. (Darüber später!) Die 
Radiosensibilität des Gewebes ist um so größer, je lebhafter der Stoff- 
wechsel im Gewebe ist; Kinder und jüngere Individuen haben eine 
größere Radiosensibilität als Erwachsene, ältere Individuen und Greise 
eine geringere Radiosensibilität. Diese Unterschiede betreffen also bereits 
normale Individuen mit gesunder Haut, wenn die Träger ungleich alt sind. 
Für dir kranke Haut gelten besondere Gesetze; ist die Haut in leichten 
Reizzustande oder in ausgesprochenem Entzündungszustand, so ist 
ihre Empfindlichkeit gegen alle möglichen Einwirkungen, auch gegen Rönt- 
genlicht, bedeutend gesteigert. 

Aber selbst wenn es ideale Instrumente ohne Fehler gäbe, 
so daß wir die Reagenzdosen genau erfahren könnten, und wenn 


Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 689 


die Radiosensibilität der Haut eine einheitliche oder wenigstens 
stets genau bekannte wäre, so könnten wir durch die Radio- 
meter noch immer nicht genau den zu erwartenden Reaktions- 
grad der Haut bestimmen; denn dazu müßten die Reagenzdosen 
unter allen Umständen genau den Hautdosen entsprechen, was 
aber nicht zutrifft. 

Dies könnte nur der Fall sein, wenn die sensible Schicht des Rea- 
gens genau die gleichen Eigenschaften, vor allem die gleiche Dichte und 
Dicke, und demnächst die gleiche Lichtempfindlichkeit besäße wie die Haut, 
oder wenn man stets mit homogenem, sehr harten Röntgenlicht arbeiten 
würde. Es kommen also in Betracht: 

1. die Qualität des verwendeten Röntgenlichtes, 

2. die Art der Konstruktion des Radiometers, vor allem die Dicke 

der sensiblen Schicht des Reagenzkörpers, 

3. die Dicke der zu bestrahlenden Haut. 

Mit allen diesen Punkten, welche zu einer Verschiedenheit von Re- 
agenzdose und Hautdose führen, wollen wir uns in dieser Arbeit eingehend 
beschäftigen. 


A. Bedeutung der einzelnen Momente. Punkt 1. Lichtqualität. 


Wir haben Röntgenlicht von verschiedener Art (durchschnittlicher 
Penetrationskraft) und verschiedener Mischung zur Verfügung (fast homo- 
genes Licht und stark gemischtes Licht); dabei kennen wir keineswegs 
genau die Art des Lichtes, welches wir im konkreten Fall benutzen. 

Die Art des Lichtes ist nun von großer Wichtigkeit bezüglich der 
Bedeutung der Radiometerangaben für die Stärke der Bestrahlung von 
Gewebe; das Licht nimmt nämlich von der Oberfläche nach der Tiefe zu 
ab, und zwar um so rascher, je weicher es ist. Es ist dies sowohl für 
die Reagenzkörper als auch für die Haut zu berücksichtigen; die Haut ist 
gewöhnlich nicht so dünn, daß der genannte Umstand vernachlässigt werden 
könnte. 

Punkt 2. Dicke des Reagenzkörpers. 

Wenn man die denkbaren, zum Teil bereits konstruierten und viel 
gebrauchten photochemischen Radiometer überblickt, so kann man nach 
der Dicke der transparenten sensiblen Schicht des Reagenzkörpers 
die folgenden Arten von Apparaten unterscheiden (vgl. meine Abhandlung 
in Strahlentherapie Bd. II, Seite 556); dabei wird angenommen, daß der 
Reagenzkörper die Dichte von Wasser besitzt. Wenn dies nicht der Fall 
ist, so ist im folgenden mit der mm-Zahl die äquivalente Dicke von 
Wasser gemeint. (Die menschliche Haut hat bekanntlich beiläufig die 
Dichte von Wasser.) Ferner wird dabei das eventuelle Vorhandensein 


690 Kienböck, 


einer deckenden Schicht (z. B. der Glaswand einer Eprouvette) vernach- 
lässigt. 
1. Dünnschichtradiometer (Weichradiometer) mit papierdünner 
sensibler Schicht. 
2. Mittelschichtradiometer (Mittelweichradiometer) oder Haut- 
dosimeter. 
Hierher sind besonders zu rechnen: 
a) 1 mm Radiometer, Dünnhautdosimeter, 
b) 2 mm ð Mittelhautdosimeter, 
c) 3 mm 5 Dickhautdosimeter. 
Als Anhang wären etwa noch das 4 mm- und 5 mm-Radiometer zu 
nennen, für besonders dicke Haut geeignet. 
3. Dicekschichtradiometer (Hartradiometer) mit 6—10 mm dicker 
Schicht. 
Fig. 1. 
Graphische Darstellung von Reagenzkörpern 8 verschiedener Radiometer. 
0. Dünnschichtradiometer. 


1. 1 mm-Radiometer | 


2. | gute Hautdosimeter 


3. 3 mm-Radiometer 


4. 4 mm-Radivmeter 
l für sehr dicke Haut 
5 mm-Radiometer 


6. 6 mın-Radiometer 
Beispiele von Dickschichtradio- 
metern 
10. 10 mm-Radiometer 


JODU 


Diese Klassifizierung ist wichtig weil bei dickeren Schichten 
und weicherem, bzw. gemischtem Licht die in den aufeinander 
folgenden Schichten des Reagenzkörpers deponierten Licht- 
mengen ungleich groß sind und zwar nach unten abnehmen. 
Eine gleichzeitig exponierte Haut erhält nur dann dieselben Lichtmengen, 
wenn sie gleich dick ist. 

Diese Radiometer zeigen demnach in verschieden dicken Schichten 
absorbierte Lichtmengen, also verschiedene Arten von Dosen an. 

Um die Angaben der Radiometer miteinander und mit tatsächlichen 


Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 691 


Hautdosen vergleichen zu können, sollen stets die aufeinanderfolgenden 1 mm 
dicken Schichten, also die „1 mm-Schichtdosen‘ berücksichtigt werden. 
Man sollte eigentlich dünnere, z. B. !/,oö mm dicke Schichten und 
entsprechend ?!/,9 mm-Schichtdosen betrachten (vgl. Guilleminot), oder 
wenigstens !/,, mm dicke Schichten berücksichtigen; doch genügt es für 
unsere Zwecke, wenn wir 1 mm dicke Schichten und dementsprechend 
1 mm-Schichtdosen unterscheiden. Bei einem 3 mm-Radiometer sind also 
im Reagenzkörper drei Schichten und drei Schichtdosen, die oberste, zweite 
und dritte Schicht zu berücksichtigen. Was man an der Färbung erkennt, 
ist zufolge der Transparenz des Reagenzkörpers die gesamte absorbierte 
Lichtmenge, also die Gesamtdickendose; aus dieser können wir die 
durchschnittliche 1 mm-Schichtdose berechnen. 

Ich will als Beispiel ein 3 mm- und ein 6 mm-Radiometer wählen, 
die sensible Schicht der beiden Reagenzkörper in mm-Schichten (kurz 
„Schichten“) zerlegen und zeigen, wie bei Bestrahlung mit weichem, mittel- 
weichem und hartem Licht bis zu einem gewissen Reaktionsgrad, die Tiefen- 
verteilung des Lichtes eine ganz verschiedene ist, mit approximativer An- 
gabe der aufeinanderfolgenden 1 mm-Schichtdosen (kurz „Schichtdosen‘“) 
(Fig. 2). 

Es wird dabei von mir erstens angenommen, daß zuerst zwei Reagenz- 
körper und zwar ein RK des 3 mm-Radiometers und ein RK des 6 mm- 
Radiometers mit mittelweichem Licht gleichzeitig (gleich lange) 
bestrahlt wurden; beide würden bei einer quantimetrischen Schichtmessung 
in den 3 obersten Schichten 10, 9 und 8 Doseneinheiten zeigen. Zweitens 
wird angenommen, daß nachher sowohl vom 3 mm-Radiometer als auch 
vom 6 mm-Radiometer andere RK mit weichem und hartem Licht bestrahlt 
wurden und zwar solange bis sie die bei Bestrahlung mit mittel- 
weichem Licht gezeigte Farbenreaktion erreicht haben, also 
bei Vergleich mit der zugehörigen Skala zur gleichen Dosen- 
ablesung führen. Die Durchschnitts-Schichtdose ist tatsächlich sowohl 
beim 3 mm-Radiometer jedesmal dieselbe (9 Einheiten), als auch beim 
6 mm-Radiometer alle 3 male die gleiche (8 Einheiten). Nur ist die 
Tiefenverteilung des Lichtes jedesmal eine andere. Daß die Durchschnitts- 
dose bei den zwei Instrumenten ungleich hoch ist, beruht auf dem un- 
gleichen Bau (Dicke) der RK; die Angaben der zwei Instrumente können 
wie ersichtlich nicht ohne weiteres miteinander vergleichen werden. 


Punkt 3. Hautdicke. 
Bei der Haut spielt natürlich ebenfalls die Dicke eine große Rolle, 
die aufeinanderfolgenden Schichten erhalten bei Bestrahlung mit weichem 
oder gemischtem Licht verschiedene Dosenreihen. 


692 Kienböck, 


Fig. 2. 
Studium zweier Radiometer, eines 3 mm- und eines 6 mm-Radiometers. 
Bestrahlung von 6 Reagenzkörpern und zwar je 3 RK der ersten und zweiten 
Art mit Licht verschiedener Qualität. Die 3 RK der ersten Art zeigen 
trotzdem schließlich miteinander verglichen dieselbe Reaktion, ebenso ist 
dies bei Vergleich der 3 RK des zweiten Radiometers der Fall. Die Ge- 
samtdose und die durchschnittliche Schichtdose ist dieselbe, nur die Tiefen- 
verteilung der Schichtdosen ist verschieden. 


D 12 
+ = ® e 
ta < Ee] 9 ) weiches Licht 
8 2 g 6 
g 9 g 
© 22 © 10 
[ll s: BES a G e | mittelweiches Licht 
~% a0 = 3 
g 5 © 
= B h 9 
: 3 Ef hartes Licht 
(ap T 9 
Q 
N 
14 
10 
= 5 weiches Licht 
En z 5 
D Ta 4 
D Q 
D = g 
ar 9 7 
' Ro T 
= g S ‘ 
3 bo u 8 
> 2 8 
3 8 hartes Licht 
8 
8 





Man kann die folgenden Hautdicken unterscheiden: 
0. sehr dünne Haut, 
1. dünne Haut, etwa 1 mm dick, 
2. mittlere Haut, etwa 2 mm dick, 
3. dicke Haut. etwa 3 mm dick, 
ferner: sehr dicke Haut, über 3 mm dick. 

Dem Bau nach besteht bekanntlich die Haut aus dem Korium (Leder- 
haut) und der Epidermis (Oberhaut). Es kann nun einerseits das Korium, 
andererseits die Epidermis dünn. mitteldick oder dick sein. Ist die Epi- 
dermis dick, so ist ein großer Teil — von der untersten Epidermisschicht 
abgeschen als inerte, tote Decke anzusehen; sie wirkt dabei ab- 
schwächend und filtrierend auf das zu den lebenden Schichten vordringende 
Licht ein. 





Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 693 


Es sei hier eine Tabelle mit schematischer Darstellung von 
Haut mit verschiedener Dicke der Leder- und Oberhaut ange- 
fügt, die ich mit Berücksichtigung der Angaben über durchschnittliche 
Hautdicken an den einzelnen Körpergegenden aus anatomischen Lehr- 
büchern (Langer, Merkel, Krause u. a.) zusammengestellt habe: die 
Grenze zwischen Epidermis und Korium habe ich der Einfachheit halber 
als eine gerade Linie gezeichnet. was bekanntlich der Wirklichkeit nicht 
entspricht. 

Fig. 3. 
Dicke der Haut an verschiedenen Körperstellen und bei diversen 
Individuen. 


dickhäutige dünnhäutige 


I Ep. 0.2 Ep. 0.15 
Cor. 3.0 Cor. 2.0 
Ia ep Ep. 08 
0.30 DJ cr. 20 

Ep. 2.0 
Ib Ep. 1.0 
Da I . 





Ep. 0.2 e op, 0.1 

u Ej ck 20 Cor. 17 
Ep. 0.1 -e Ep. 0.1 

u E E 10 Cor. 0.7 
Ep. 0.1 n o 0.1 

e- : 
‚la Car. 0.6 Cor. 0.6 


I. Dicke Haut. 

Beispiele: 1. Rücken und Gesicht. 2. Streck- und Außenseite der Extremitäten. 
3. Behaarter Kopf. — Ia und Ib mit dicker Epidermis: la Palma manus. 
Ib Planta pedis. 

II. Mittlere Haut. 

Beispiele: 1. Brust und Bauch. 2. Beuge- und Innenseiten der Extremitäten. 
3. Hand- und Fußrücken. 

III. Dünne Haut. 


Beispiele: 1. Gesicht und Hals. 2, Penis und Skrotum. — Illa. Dünnste Haut. 
Beispiele: 1. Augenlider. 2. Präputium. 


694 Kienböck, 


B. Bedeutung der Radiometerangaben für die wirklichen Haut- 


dosen bei verschiedenen Kombinationen der als Punkte 1 bıs3 | 
genannten Momente. 


Im folgenden soll nun an Beispielen der Einfluß der Dicke der sen- 
siblen Schicht des Reagenzkörpers, ferner der Dicke der Haut und di: 
Bedeutung des Härtegrades des Röntgenlichtes für die biologische Be- 
deutung der Dosenzahlen der verschiedenen Radiometer besprochen werden. 
wobei nur die Beziehung der Reagenzdosen und der tatsächlichen Haut- 
dosen zueinander studiert werden wird. 

Es sollen nicht etwa alle oben angeführten Radiometerarten besprochtn 
werden, sondern nur 

1. das 1 mm-Radiometer, 
2. das 3 mm-Radiometer, 
3. das 6 mm-Radiometer. 


Und von den Hautdicken nur: 
1. dünne Haut, 1 mm dick, 
2. dicke Haut, 3 mm dick, 
wobei wir der Einfachheit halber annehmen wollen, daß die Haut in allen 
aufeinanderfolgenden Schichten dieselbe Zusammensetzung habe und dalıer 
auf das Röntgenlicht in gleicher Weise reagiere. 
Als Lichtarten sind gewählt: 
1. weiches Licht, 
2. mittelweiches Licht, 
3. hartes Licht; | 
und zwar sei die Tiefenverteilung der Schichtdosen in 3 aufeinanderfolgenden 


1 mm dicken Wasserschichten — nach approximativen”quantimetrischen 
Messungen — beiläufig die folgende: 

bei weich 12, 9, 6 Einheiten, 

bei mittelweich 10, 9, 8 Einheiten, 

bei hart 9, 9, 9 Einheiten. 


Ich nehme nun als Ausgangspunkt an, daß die drei Radiometer 
verschiedener Konstruktion insgesamt zunächst für mittelweiches 
Licht bestimmt sind, und nehme weiter an, daß auch speziell für dieses 
Licht die Bedeutung der Dosenzahlen der Skalen für eine 3 mm dicke 
Haut der Erwachsenen ermittelt worden ist. 


Man hat z. B. bei allen drei Radiometern gefunden — und auch n i 
den Gebrauchsanweisungen vermerkt —, daß eine Bestrahlung der Haut 
les Rückens von Erwachsenen — nach 14 Tagen Latenz — einfaches 


Erythem zur Folge hat, wenn man mittelweiches Licht verwendet und 
die Bestrahlung unterbricht, sobald der Reagenzkörper mit der Skala ver- 


Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 695 


glichen eine bestimmte Färbung erreicht hat; diese Farbenstufe ist mit 
„10 p“ (10 Einheiten) und „E. D.“ (Erythemdose) signiert. Sowohl beim 
1 mm-Radiometer, als auch beim 2 mm- und beim 3 mm-Radiometer wird 
man richtig dosieren und die gewünschte Hautreaktion erzeugen, wenn man 
sich an mittelweiches Licht und dicke Haut hält. 


Welche Dose wird nun in der Haut resultieren und welche 
Reaktion wird entstehen, wenn die Radiometer genannter Art 
bei anderem Licht oder bei anderer Hautdicke verwendet wer- 
den? Oder wenn man in beiden Punkten von der Vorschrift 
abweicht, sowohl in der Lichtqualität als auch in der Haut- 
dicke? 

Man wird bei Verwendung irgend eines der drei Radiometer der Haut 
andere Dosen geben und daher auch andere Reaktionen erzeugen, wenn 
man weiches oder hartes Licht anwendet oder dünnere Haut (2 oder 
1 mm dick) vor sich hat und bis zur „Erythemdose“ bestrahlt. Bei jedem 
der Radiometer wird der Übergang zu anderen Lichtarten nur 
dann wenig ausmachen, wenn man eine mit dem Reagenzkörper 
gleich dicke Haut bestrahlt. 


Es ergibt sich dies im Detail aus unseren Figuren 4—9, in welchen 
18 Kombinationen dargestellt sind. Jedesmal ist für jede der 3 Radio- 
meterarten angenommen, daß der Apparat vor allem für Bestrahlung von 
3 mm dicker Haut mit mittelweichem Licht bestimmt ist, daß 
an der Skala eine Farbenstufe dementsprechend mit „10 u“ und „E.D.“ 
signiert ist und daß die Haut jedesmal bis zur Erreichung dieser 
Farbenstufe am Radiometer bestrahlt wird. Es stellt dies den Ausgangs- 
punkt aller nun folgenden Versuche dar. s ist die spezielle Schichtdose, 
d die durchschnittliche Schichtdose. Beträgt in der Haut die durchschnitt- 
liche Schichtdose 9 d, so ist sie richtig bestrahlt und reagiert nach unserer 
Annahme mit Erythem. (Bei den Radiometern beträgt für „10 p (E. D.)“ 
die durchschnittliche Schichtdose bald 10, bald 9, bald 8 d.) Fig. 4—9. 


Es zeigt sich also in unseren Figuren, dal man bei Beibehaltung von 
mittelweichem Licht, aber bei Bestrahlung von dünner Haut mit allen 
3 Radiometern überexponieren würde; man würde bei Beibehaltung von 
mittelweichem Licht und bei Bestrahlung von sehr dicker Haut (etwa 
6 mm) umgekehrt unterexponieren. Verwendet man statt mittelweichen 
Lichtes ein weiches Licht, so wäre dies noch in höherem Grade der 
Fall. Mit hartem Licht würde man geringere Fehler machen. 

Es sind hier als Beispiele dreierlei Lichtarten gewählt worden. 
Verwendet man Lichtarten von etwas anderen durchschnittlichen Härte- 
graden oder auch nur andere Lichtmischungen (mit Beibehaltnng der als 


696 Kienböck, 


Fig.4. Mittelweiches Licht, dicke Haut (3 mm). 


I bis III: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers bestrati. 
Jeder der 3 Radiometer ist vor allem für Bestrahlung von dicker Haut mit mittel- 
weichem Licht bestimmt und jede der 3 Skalen trägt bei einer bestimmten Rear- 
tionstiefe dementsprechend die Signierung „E. D.“ und „10 u“; die Haut wird jece- 
mal bis zur Erreichung dieser Farbenstufe am Radiometer bestrahlt. (Dieselbe Sig- 
nierung der Skalen und die Bestrahlung bis zur Reaktion 10 u, E. D. ist bei allen fo!:ren- 
den Fällen, Fig. 5—9, als Basis angenommen.) 
Reagens Haut (3 mm) 


Im 
Radiometer DT LE I 


3 mm- 
radome L d EE a‘ 


6 mm- 
Zerlegung in Schichten Reagens | Haut 
I mm- 10 8 eg.» £, 
ee 8, | 10d = 104,E.D. 9d - wirkl.E.D. 


3 mm- : 
Radiometer E 3” 9 | 7a oa n 
9 


9d - 10 u,E.D. 
6 mm- 
Radiometer 


Fig. 5. Mittelweiches Licht, dünne Haut (1 mm». 
IV bis VI: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers bestrah.t. 
Signierung der Skalen und Bestrahlung wie bei Fig. 4. 


i los | 488:6- 8d 
8 d -= 10 U, E.D. | 


SIND 
w ec 








E Die Haut ist richtig exponiert bei 


Reagens Haut (l mm) 
| mm- 
Radiometer C—————— n N 


3 mm- 


Radiometr [OO] 25. y 


6 mm- 10 4 
en Ser og 


Zerlegung in Schichten Reagens Haut 
| mm- ul 
u nr ae 108 14 Pre! 
naclomerer 10d. 10 u4, E.D. ' lod > jd 
Smii 10 3 
i 9, 30 4:5 
Radiometer E= a? OOOO ws | 5:3 9A 


9d 10u, E.D.. 

9, | 

6 mm- 8. 48 8:6 -8d | ” 
ESSE r e e E 


m Die Haut ist überexponiert bei 








Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 


Fig. 6. 


697 


Weiches Licht, dicke Haut (3 mm). 


VII bis IX: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers bestrahlt. 
Signierung der Skalen und Bestrahlung wie bei Fig. 4. 


Reagens Haut (3 mm) 

I mm- ; 
Radiometer D— pn L ë d 
3 mm- s 
Radiomete DD £6, Lod 

Radiometer E. D. 


Zerlegung in Schichten 
I mm- 
Radiometer CO] 10 8 


3 mm- 
Radiometer F— 9 En 8. 


6 mm- 8. 
Radiometer 7» 
5 y 

4 


Fig. 7. 





Reagens Haut 
10s — 10d 23 8:3 — Th d 
104--104,E.D| T'hda<9d 


Nee E_E 
Die Haut ist unterexponiert bei ViI. 
278:3 -=9d 29 8:3=9d 
9 d= 108, E D. | 9d = wirkl. E.D. 
Sa, D anaveu 
DieHaut Ist richtig exponiert bei VII. 

483:6--8d |328:3 = 10%ı d 
8d - 104, E.D. 10% > 9 d 
SE EEE RITTER, SCHERE EEE EEE EnGuzse ee 
Die Haut Ist überexponiert bei IX. 


Weiches Licht, dünne Haut (1 mm). 


X bis XII: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers bestrahlt. 
Signierung der Skalen und Bestrahlung wie bei Fig. 4. 


Reagens Haut (1 mm) 
I mm- 


Radiometer C——————— ny 5 er 
3 mm- 10u 
Radiometer EDE Te 


10 u 
Radiometer 


se eg 


Zerlegung in Schichten 
a 


Radiometer 9] 10 8 


12 83 
3 mm- 


9. 
Radiometer E= hr coool es 


14 8 
6 mm- 
Radiometer 


10 „ 


8 

m 14 
a AL 
4 


Reagens | Haut 
108 10d | 10s -10d 
10d — 10 4, E.D. 10d>9d 
273:3 9d 12s ë 2d 
9d -WM,E.D. 2d>9d 
488:6- 8d | 145 - 14d 
8d 104,ED.| 11d>9d 


N Gr a Emm gun, „SEEESEHFEEEE EEE more 
Die Haut ist überexponiert bei 
X—XII. 


698 Kienböck, 


Fig.8. Hartes Licht, dicke Haut (3 mm). 


XIII bis XV: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers be- 
strahlt. Signierung der Skalen und Bestrahlung wie bei Fig. 4 


Reagens Haut (3 mm) 


I mm- ou > 
Radiometer CON E p, L l 

3 mm- 10u XIV 
Radiometer E. D. 


10 4 


Zerlegung in Schichten Reagens ; Haut 
I mm- 10 8 108 — 10d 30s:3— 10d 
Radlometr D— 10 s EE M0 p f oa ou ED. oaoa 
„ N a en ererer 
98 9s Die Haut Ist überexponiert bei XIll. 


„ 9 


n» | 9d —= 10u, E. E. | 9d — wirkl. E D. 
Die Haut ist richtig exponiert bei XIV. 


9 
9 
8 
8 

6 mm- 8 88 ee d 
ZZ Ken iii 
8 


ZZ 
= Die Haut Ist unterexponlert bei XV. 


Fig.9. Hartes Licht, dünne Haut (1 mm). 


XVI bis XVIII: 3 Fälle, jeder Fall mit Verwendung eines anderen Radiometers 
bestrahlt. Signierung der Skalen und Bestrahlung wie bei Fig. 4. 


Reagens Haut (1 mm) 
i . 
a a rn 


E.D 


3 mm- 10 u 
n E E a -4 


6 mm- 10 u 
Bee 0 een 9,211 





Zerlegung in Schichten Reagens Haut 
| mm- 108 -- 10d 10s — 10d 
Radiometer C————] 0s OMMA 108 | 10d=104,E.D.) 10d>9d 


Naa, E 
Die Haut ist überəxponiert bel XVL 
Br Zi a 


9d4=:104,E.D. 9d—=wirkl.E.D, 
a En are Her Ta SERVER GER een 
DieHaut Ist richtig exponiertb. XVil. 


48535:6 8d 88 —=-8d 
[00000000788 | gsa_ 10u,E.D. 8d<9d 
Die Haut ist unterexponiert bei XVIII 


- 
- 


3 mm- 
Radiometer E= 


6 mm- 
Radiometer 


- 
- ww...“ 


ODER DE 


Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 699 


Beispiele gewählten durchschnittlichen Härtegrade), so werden sich etwas 
verschiedene, doch im ganzen ähnliche Resultate ergeben. 

Wenn wir in der Praxis nach Angabe einer Härteskala „genau 
mittelweiches‘‘ Licht zu verwenden glauben, so handelt es sich in Wirk- 
lichkeit bald um diese bald um jene Mischung. Daraus folgt, daß wir, 
selbst wenn die photochemischen Radiometer technisch fehlerfrei konstruiert 
wären, wenn ferner in allen Fällen die Dicke und Empfindlichkeit der 
Haut genau bekannt wäre, noch immer nicht derart dosieren könnten, daß 
genau die gewünschte Hautdosis und genau die beabsichtigte Hautreaktion 
resultiert. 

Damit soll aber keineswegs gesagt werden, daß von 
der Verwendung der photochemischen Radiometer bei der 
Hautbestrahlung abzuraten sei. Im Gegenteil hat die große 
Praxis gelehrt, daß alle genannten Ungenauigkeiten in der 
Tat nicht allzusehr ins Gewicht fallen, wenn man auf Licht- 
qualität, Hautdicke und Empfindlichkeit der Haut soweit 
Rücksicht nimmt, als man es heute bereits in der Lage ist. 

Die Bedeutung der verschiedenen Hautdicke an den einzelnen Körper- 
regionen hat Verfasser bereits vor vielen Jahren (Wien. klin. Woch. 1900, 
Nr. 50) hervorgehoben und hat dort angegeben, daß die diversen Regionen 
dementsprechend verschieden lange zu bestrahlen seien, damit „Normal- 
reaktion“, „Erythem“ resultiere. Ebenso hat Holzknecht in der Ge- 
brauchsanweisung zu seinem Chromoradiometer 1902 die radiometrischen 
Dosen zur Erzeugung leichter Dermatitis nach den einzelnen Körperstellen 
mit ungleicher Hautdicke verschieden hoch angegeben. 

Dennoch wird dieser Umstand im allgemeinen noch zu wenig berück- 
sichtigt und eine einheitliche „Erythemdose* angenommen. Die Verhält- 
nisse sind in der Praxis dadurch noch komplizierter, daß die Dicke der 
Hornschicht der Epidermis für den Grad der Reaktion von Bedeu- 
tung ist und daß auch die aufeinanderfolgenden Koriumlagen ungleich 
gebaut sind, daher bei gleicher Gesamtdickendose (gleicher durchschnitt- 
licher Schichtdose) ungleich reagieren dürften, wenn die Tiefenverteilung 
des Lichtes variiert. 


Bei unseren obigen Darstellungen wurde auf diese Details keine Rücksicht 
genommen. Die Hornschicht berücksichtigende schematische Zeichnungen diverser 
Hautarten und Berechnungen der wirksamen Schichtdosen wären leicht anzu- 
fertigen; derartige Hautarten könnten zunächst mit den Reagenzkörpern der ab- 
gebildeten Konstruktion, nämlich mit „nackten“ RK, ohne jede die sensible Schicht 
deckende Hülle (Papier, Kautschuk, Glas) verglichen werden. Außerdem könnten 
aber auch noch Reagenzkörper mit derartigen Hüllen studiert werden, 
wobei diese so dick zu zeichnen wären, als es einer äquivalenten Wasserschicht 
entspricht; die Hülle ist unempfindlich für Licht, wirkt aber als lichtschwächende 


700 | Kienböck, 


und filtrierende Decke, so daß die sensible Schicht des R K weniger Licht empfängt. 
Es ist hier zwischen der ganzen und der wirksamen Dose zu unterscheiden. 
Solche verhüllte Reagenzkörper und zwar mit verschieden dicken Hüllen wären 
mit diversen Hautarten zu vergleichen; die wirksamen R K-Dosen und wirksamen 
Hautdosen werden bei Bestrahlung mit verschiedenen Lichtqualitäten am besten 
miteinander übereinstimmen, wenn die Hülle des RK und die Hornschicht 
der Haut gleich dicht und gleich dick sind, bzw. gleichviel Licht 
absorbieren. 


C. Gegenseitige Relation der Angaben der Radiometer 
verschiedener Art. 


Schon vor Jahren (1906) erschien es mir wichtig, die Angaben der 
einzelnen Radiometer, vor allem des Holzknechtschen Chromoradio- 
meters (in H-Einheiten), des Sabouraud-Noiréschen Radiometers X 
(Ton B „Maximaldose“) und des Quantimeters (in X- Einheiten) mit- 
einander in Beziehung zu bringen. 

Aus meinen Versuchen ergab sich, daß durchschnittlich gleich- 
zusetzen sind: 

5 H-Einheiten nach Holzknecht, 
1 Sabouraud-Noire Maximaldose, 
10 X -Einheiten nach Kienböck. 


(Die Skala des Quantimeters wurde von mir eben derart angelegt, 
daß 2 X beiläufig 1 H entsprechen.) 

Diese Relation hat sich auch bei den späteren Prüfungen durch 
mich und viele andere als im allgemeinen richtig erwiesen. Sie gilt nur 
für den Durchschnitt der Fälle und vor allem für das am meisten ver- 
wendete, mittelweiche Licht. Diese Lichtart dürfte auch bei Anferti- 
gung der Skala des Chromoradiometers von Holzknecht und von „Ton B“ 
des Radiometers von Sabouraud-Noire& verwendet worden sein. 

Es kommen nun von jener Relation sehr häufig kleinere oder größere 
Abweichungen vor; und zwar ist dieses vor allem der Fall, wenn man ganz 
andere Lichtarten (weiches oder hartes Licht) verwendet, aber auch wenn 
man durchschnittlich mittelweiches Licht gebraucht. „Mittel- 
weiches Licht“ ist nämlich nicht stets dasselbe, es ist ja nicht homogen, 
sondern mit weichen und harten Strahlen gemischt und zwar mit wech- 
selnder Zusammensetzung des Strahlenbündels. 

Das erste Chromoradiometer von Holzknecht und das Quantimeter 
vom Verfasser zeigen miteinander verglichen — zufolge einer ganz ver- 
schiedenen Konstruktion der Reagenzkörper (Dicke der Schicht) — viel 
Abweichungen von der Relation 5 H = 10 X. Aber auch wenn wir die 
Angaben des Quantimeters und des Sabouraud-Noir6-Radiometers mit- 
einander vergleichen, so finden wir häufig Abweichungen. Wenn man die 


Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen, 701 


Reagenzkörper beider bestrahlt, bis das Sabouraud-Noiré- Radiometer die 
Maximaldose anzeigt, so findet man am Quantimeterstreifen nach der Ent- 
wicklung nicht immer genau 10 X, sondern zuweilen 8 X und darunter, 
‘ zuweilen 14 X und darüber. 


Es handelt sich hier um das Ergebnis von Vergleichsversuchen, bei denen 
Fehlerquellen möglichst vermieden wurden. 

Stets wurde auf genaues Einhalten der richtigen Fokus-Distanz geachtet, 
welche bei der Sabouraud-Noire-Pastille !/, so groß zu sein hat, als beim 
Quantimeterstreifen. 

Ebenso wurde dabei darauf geachtet, daß beide Reagenzkörper von gleich- 
intensiven Teilen des Strahlenbündels getroffen werden, also gleich weit 
rechts und links von der Symmetrie-Ebene der normalgestellten Röhre liegen 
(„nebeneinander“, nicht „hintereinander“, verglichen mit der Richtung der 
Röhrenachse). 

Man könnte etwa noch glauben, daß Fehler in der Fabrikation oder An- 
wendung des Sabouraud-Noire-Radiometers oder des Quantimeters: Schwan- 
kungen der Empfindlichkeit der Scheibchen und Papierstreifen, Störungen 
bei der Entwicklung der Streifen oder bei der Ablesung der Reagenzkörper 
die Schuld an den wechselnden Ergebnissen der Versuche tragen. Dies alles 
trifft aber für meine Versuche gewiß nicht zu. 


Ähnliche Unstimmigkeiten ergeben sich beim Vergleich des Chromo- 
radiometers von Bordier mit anderen Apparaten. 

Bordier machte bei der ersten Lieferung seines Apparates Angaben 
über die entsprechenden Dosenzahlen (in H-Einheiten) des ursprünglichen 
Holzknechtschen Chromoradiometers: 








Bordier-Grade. 2 2 2... | 0 I | II IlI | IV 
Holzknechtsche Einheiten (H) | 31, | 5 | 7 | 13 | 22 





Bei genauen Vergleichsversuchen mit mittelweichem Licht an dem 
Bordierschen Radiometer und Quantimeter ergab sich mir aber z. B. das 
folgende Resultat: 





Bordier-Grade. . | 0 | I | II | n | IV 





Kienböcksche Einheiten (X) . | 10; | 14 | 18 | 32 | 56 





Es wären ja statt dessen die folgenden Zahlen zu erwarten gewesen: 
7.10, 14, 26 und 44 X. Bei späteren Versuchen ergaben sich wieder 
andere Zahlen; die Beziehung ist also keineswegs konstant. 

Die Erklärung dieser Differenzen, dieser Uneinheitlichkeit der Re- 
lation der einzelnen Radiometer untereinander liegt vor allem in der ver- 
schiedenen Dicke der transparenten sensiblen Schicht der Reagenzkörper 
und in der wechselnden Qualität des Röntgenlichtes. Dadurch resultieren 
in den Reagenzkörpern nicht die gleichen Arten von Dosen; dieselben 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 45 


702 Kienböck, 


Reaktionsgrade (Gesamtdickendosen) können sich an den Reagenzkörpern 
bei Zerlegung in Schichten bald durch diese, bald durch jene Verteilung 
von Schichtdosen zusammengesetzt erkennen lassen, entsprechend Bestrah- 
lung mit Licht von verschiedener Qualität. 

Unterschiede in den Angaben müssen sich z. B. ergeben, wenn bei den Ver- 
gleichsversuchen verschiedene Röntgenapparate (Induktoren, Gleichrichter, 
Unterbrecher) verwendet werden, da daraus ganz verschiedene Stromkurven und 
Lichtmischungen resultieren. Aber selbst bei Beibehaltung eines und desselben 
einfachen Induktors und einfachen Quecksilber-Unterbrechers macht das Wechseln 
der Quecksilberfüllung oder auch nur der Unterbrechungsgeschwindig- 
keit, ferner ein Wechsel der Röhren — sei es mit Verwendung von Röhren der- 
selben Type, aber verschiedenen Alters, oder mit Verwendung von diversen 
Fabrikaten — für die Stromkurven und Lichtmischungen, daher auch für die 
relativen Angaben der Radiometer verschiedener Art viel aus. 

Es sind hier dieselben Erläuterungen am Platze wie oben beim Ver- 
gleich von Radiometerdosen und Hautdosen. Wir wollen miteinander 
vergleichen: 

1. das 1 mm-Radiometer, 
2. das 3 mm-Radiometer, 


3. das 6 mm-Radiometer. 


, Fig. 10. 

Ausgangspunkt. Gemeinsame Bestrahlung von 3 Reagenzkörpern 

verschiedener Radiometerarten mit mittelweichem Licht bis zu 

einem gewissen Zeitpunkt, Signierung aller 3 Skalen an den 
den 3 Färbungen entsprechenden Stufen mit „10 u“ „E. D“. 


(Es stellt dieser Versuch den Ausgangspunkt der folgenden Versuche [Fälle 1—6 
in Fig. 11—16] dar, in dem dort die ursprünglichen, beim „Versuch 
Fig. 10“ signierten Skalen benutzt werden.) 


1 mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer 
Be Drehen un 


Zerlegung in Schichten, Auflösung in Schichtdosen. 


10 8 

D ps 

:| ei 

coc vs E e 
10 s = 10 d 278:3—=9d 48s:6=8d" 
10 d = 10 u, E. D. 9d = 10 u, E. D. 8 d = 10 p, E. D. 


Die Bedeutung von s und d ist hier dieselbe wie bei den frtiheren Figuren; 
ferner ist wieder ersichtlich, daß die durchschnittliche Schichtdose bei den Rea- 
genzkörpern der verschiedenen Radiometer ungleich ist und bałd 10, bald 9, bald 
8 d beträgt, wenn bis „10 u“, „E. D.“ bestrahlt wird. 


Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 703 


Alle drei Instrumente tragen — von dieser Annahme wollen wir aus- 
gehen — wenn man die Reagenzkörper gemeinsam mit „mittelweichem“ 
Licht bestrahlt, an den entsprechenden Stufen der Skalen dieselbe Sig- 
nierung: „10 p“, „E.D.“. 

Es ist nun in Fig. 10 unser Ausgangspunkt graphisch dargestellt; in 
den folgenden Figuren sind besondere Fälle gezeichnet. Es sind dabei 
stets die bei Bestrahlung mit Licht verschiedener Qualität resultierenden 
Schichtdosen angegeben. 

Fig. 11. 
Fall 1. Gemeinsame Bestrahlung mit weichem Licht bis am 
3mm-Radiometer „iO u“, „E. D.“ abgelesen wird. 


1 mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer 


Zerlegung in Schichten. 


12 8 
9 n 
12 8 6„ 
p a; 5 > 
In 
12 s = 12 d 278:3 =9d 39 s : 6 = 6! d 
12d >10d 9d = 10 u, E. D. 6!/ d < 8d 
„ >œ 10 q, E. D. „n <10, E.D. 
Ergebnis: zeigt mehr zeigt weniger 
Fig. 12. 


Fall 2. Gemeinsame Bestrahlung mit weichem Licht bis am 
1 mm-Radiometer „10 u“, „E. D.“ abgelesen wird. 


1 mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer 


wip, DJ I | 


Zerlegung in Schichten. 


10 8 
8. 
| ei 
msn (N m: s 
10 s = 10d 238:3—=7%,d 328:6 = 5d" 
10 d = 10 u, E. D. T3 d<d9 5p d< 8d 
„ < 10 u, E. D. s» <10 u, E.D. 
Ergebnis: zeigt weniger zeigt weniger 


45* 


704 Kienböck, 


Fig. 18. 


Fall3. Gemeinsame Bestrahlung mit weichem Licht bis am 
6 mm-Radiometer „10 u“, „E. D.“ abgelesen wird. 


1 mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer 
10 
zen Besen E. D. 


Zerlegung in Schichten. 


158 

11 „ 

15 8 8. 

EB ns ar; =— > 
3. 

lös=15d 348:3=11\,d 485:6=8d 
15d > 10d 11!,d>9d 8 d = 10 u, E. D. 

2» >œ>l0u, E.D. 
Ergebnis: zeigt mehr zeigt mehr 
Fig. 14. 


Fall 4. Gemeinsame Bestrahlung mit hartem Licht bis am 
3 mm-Radiometer „10 u“, „E. D.“ abgelesen wird. 


1 mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer 


10 
Des Ceb, O 


Zerlegung in Schichten. 


98 
vn 
93 9, 
u‘) E p.e Bi 
“ 9, 
9s =9d 278:3 =9d b4s:6=9d 
9d < 10d 9d = 10 u, E. D. 9d>8d 
» < 10u, E. D. „ >œ l0 qn, E. D. 


Ergebnis: zeigt weniger zeigt mehr 


Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 705 


Fig. 15. 


Fall 5. Gemeinsame Bestrahlung mit hartem Licht bis am 
1 mm-Radiometer „10 u“, „E. D.“ abgelesen wird. 


l mm-Radiometer : 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer 


geb, I] I | 


Zerlegung in Schichten. 


10 r 
10 „ 
: Ei 
CO 008 — w” 
10s =10d 30 s:3 =10d 60s:6=10d ” 
10 d = 10 u, E. D. 10d >9d 10d >8&d 
„>10u E. D. „>10u E.D. 
Ergebnis: zeigt mehr zeigt mehr 
Fig. 16. 


Fall 6 Gemeinsame Bestrahlung mit hartem Licht bis am 
6 mm-Radiometer „10 u“, „E. D.“ abgelesen wird. 


l mm-Radiometer 3 mm-Radiometer 6 mm-Radiometer 


10 
zn [|] | E. D. 


Zerlegung in Schichten. 


; 88 

8„ 

ei 

yes u: 8» 

8s = 8d 248:3—8d 835:6—= Bd 

8sd<10d 8d< 9d 8d = 10 u, E. D. 
» < 10u, E. D. » < 10u, ED. 


Ergebnis: zeigt weniger zeigt weniger 


706 Kienböck, 


Sobald man also von dem —- entsprechend unserer Annahme für 
die 3 Radiometer vorgeschriebenen — mittelweichen Licht abgek:. 
so stimmen die Angaben der Instrumente miteinander nicht mehr überein. 

Verwendet man weiches Licht 

und bestrahlt bis das 3 mm-Radiometer 10 u. „E. D. anzeiz 


(Fall 1) ; so zeigt das 1 „ j mehr 
a a a Ooa 5 weniger 
bestrahlt man bis das 1 mm-Radiometer 10 u „E. D.* anzr 
(Fall 2) , so zeigt „ 3 y 5 weniger 
i „ „ „ 6 + 33 weniger 
bestrahlt man bis das 6 mm-Radiometer 10 u „E.D.“ anzeiz 
(Fall 3)| so zeigt „ 1 , 5 mehr 
„ „ „ 3 2 T mehr 


Verwendet man hartes Licht 
und bestrahlt bis das 3 mm-Radiometer 10 p „E. D.“ anzeiz 


(Fall 4) | so zeigt „ 1 „ b weniger 
„ a3 39 6 „ „ mehr 
bestrahlt man bis das 1 mm-Radiometer 10 p „E. D.“ anzeigt 
(Fall 5)| so zeigt ” 3 „ „ mehr 
„nm 6 y, „ mehr 
bestrahlt man bis das 6 mm-Radiometer 10 u „E. D.“ anzeiz 
(Fall 6) | so zeigt „ 1 „ z weniger 
ae aa aa O a 5 weniger 


Nimmt man also trotz der Vorschrift, nur mittelweiches 
Licht zu verwenden, weiches Licht, so zeigt ein Radiometer 
mit dickerer sensibler Schicht des Reagenzkörpers stets weniger 
Licht, i.e. eine kleinere Dose an als ein Radiometer mit dün- 
nerer sensibler Schicht des Reagenzkörpers. 

Nimmt man dagegen hartes Licht, so zeigt ein Radiometer m: 
dickerer sensibler Schicht des Reagenzkörpers mehr an als ein Radio 
meter mit dünnerer Reagenzschicht. 

Ebenso würden sich Differenzen in den Dosenangaben der verschie- 
denen Radiometer — und daher auch in der Bedeutung der Dosenzaller: 
für die Haut — ergeben, wenn die Radiometer durchweg für weiche: 
(oder für hartes) Licht angefertigt wären, man sie aber nicht bei 
dieser Lichtqualität anwenden würde. 

Natürlich werden auch ähnliche Schwierigkeiten vorhanden sein. wen! 
jedes Radiometer für eine andere Lichtqualität: 

das Weichradiometer für weiches, 
das Mittelradiometer für mittelweiches, 
das Hartradiometer für hartes Licht 


u ne un 


Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 707 


hergestellt wäre, man nun aber nicht die vorgeschriebene Lichtqualität 
verwendete. 

Ich habe bei den Auseinandersetzungen 3 spezielle Lichtqualitäten, 
eine gewisse Art von weichem, von mittelweichem und von hartem Licht 
angenommen. Ähnliche, wenn auch etwas differente Resultate würden sich 
ergeben, wenn man andere Lichtarten, bzw. Lichtmischungen (siehe 
weiter unten) gebrauchen wollte, die durchschnittlich weich, mittelweich 
oder hart sind. 


Anwendung auf die gebräuchlichen Radiometer. 
Man kann die gebräuchlichen Radiometer nur schwer in unserem 
Sinne klassifizieren, es dürfte sich hier etwa wie folgt verhalten: 
das Quantimeter .... ein 1 mm-Radiometer, 
das Sabouraud-Noirösche Radiometer 
das Bordiersche Ohromoradiometer 
das Chromoradiometer von Holzknecht 1902, 
die letzten Modelle des Schwarzschen Ka- 
lomelradiometers und Freundschen 
Jodradiometers, 


| ein 2 mm-Radiometer, 


ein 3 mm-Radiometer, 


die ersten Modelle des Schwarzschen Ka- 
lomelradiometers und des Freundschen \ ein 6 mm-Radiometer. 
Jodradiometers 


Diese Rubrizierung ist übrigens nur approximativ gedacht; so stehen 
wahrscheinlich das Quantimeter und das Sabouraud-Noir&sche 
Radiometer einander näher. Eine genauere Rubrizierung ist nicht möglich, 
da das spezifische Gewicht der sensiblen Schicht der Reagenzkörper und 
die Tiefe, bis zu welcher das die Färbung prüfende Auge eindringt, nicht 
genau präzisiert werden können. 

Aus dem verschiedenen spezifischen Gewicht und aus der verschiedenen 
Schichtdicke der Reagenzkörper aller dieser Radiometer geht aber sicher 
hervor, daß, wenn die beiläufige Relation ihrer Dosenangaben für mittel- 
weiches Licht bekannt ist, diese keineswegs auch für ganz andere Licht- 
arten, für weiches und für hartes Licht gelten kann. 

Es wurde für mittelweiches Licht angenommen: 

1 Sabouraud-Noiröd-Maximaldose = 10 X des Quantimeters = 
ö H des Chromoradiometers Holzknecht 1902. 

Bei weichem Licht zeigt bei 1Sabouraud-Noir6- Maximaldose 
das Quantimeter mehr als 10 X, das Chromoradiometer weniger als 5 H. 

Bei hartem Licht zeigt bei 1 Sabouraud-Noir6-Maximaldose 


708 Kienböck, 


das Quantimeter weniger als 10 X, das Chromoradiometer Holzknecht 
1902 mehr als 5 H. 

Eine weitere Komplikation ist aber dadurch gegeben, daß das Licht, 
das wir verwenden, nicht homogen ist, sondern gemischt ist und noch 
dazu bald aus dieser, bald aus jener Mischung von Strahlen besteht, ohne 
daß wir die Art der Mischung genau eruieren können. 


D. Über die Statthaftigkeit eines Ersatzes aer Angaben 
eines bestimmten Radiometers durch Umrechnung auf die 
erwarteten Zahlen eines anderen Radiometers. 


Man ist imstande, eine Röhre durch eine bestimmte Belastung und 
unter Kontrolle des Milliamperemeters durch einige Zeit in konstante 
Funktion zu setzen, allerdings meist nur während einiger Minuten, selten 
durch mehrere Stunden, und zwar zuweilen auch bei wiederholter Benützung 
an aufeinanderfolgenden Tagen. Hat man die Röhre anfangs mit einem 
Radiometer „ausdosiert‘, so kann man nun das Radiometer für einige 
Zeit beiseite lassen und einfach mit Berücksichtigung der Ent- 
fernung der Röhre von der Haut und Zeit der Belichtung 
zu dosieren versuchen (vgl. meine Minutentabellen). Doch ist ein 
derartiger Röhrenbetrieb sehr schwierig und das ganze Verfahren recht . 
ungenau; schon kleine Änderungen im Härtegrad der Röhre und in der 
„Belastung“ derselben bringen eine bedeutende Änderung der Lichtstärke 
mit sich. Man wird die Röhre ab und zu mit dem Radiometer kontrollieren 
müssen; erweist sich die Röhre stets als gleich wirksam, so kann man mit 
einem gewissen Recht aussagen, mit Verwendung einer bestimmten Ent- 
fernung und Expositionszeit eine gewisse Zahl von Radiometer-Einheiten 
appliziert zu haben. (Bloße Angaben über die physikalischen Umstände 
bei der Verwendung der Röhre haben an sich keinen Wert.) 

Manche Autoren glauben nun aber weiterhin, die Angaben eines 
Radiometers einfach nach einer bekannten Relation (siehe oben) in die 
Einheiten eines anderen Radiometers umrechnen und so die Angaben 
des ersten Radiometers durch Dosenzahlen des zweiten Radiometers er- 
setzen zu können. Man hat z. B. einer Körperstelle mit dem Sabou- 
raud-Noiröschen Radiometer eine Maximaldose verabreicht und glaubt 
nun statt dessen auch sagen zu dürfen, 5 H oder 10 X appliziert zu haben. 
Das ist nach unserer obigen Ausführung nicht berechtigt. 

Wenn man die im Laufe längerer Zeit einer Körperstelle gegebenen Dosen 
summiert, würde eine Umrechnung natürlich zu sehr weit auseinander liegenden 
Zahlen führen. Ich nehme an, man hätte einer Körperstelle 20 Sabouraud- 


Noire-Dosen gegeben und würde meinen: 20x10 = 2% X appliziert zu haben. 
Würde man aber durch einen Versuch die unter den gegebenen Umständen der 


Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung der Hautdosen. 709 


Sabouraud-Noire-Dose entsprechende Dosenzahl am Quantimeter bestimmen, 
so würde man vielleicht nicht 10 X, sondern 14 X finden. Man hätte also der 
Region nicht 200 X, sondern 20 x 14 = 280 X appliziert. 

Man darf umgerechnete Angaben erst dann machen, wenn man eine 
bei bestimmter Belastung konstant funktionierende Röhre verwendet und bei 
dieser bereits Vergleichsversuche mit beiden Radiometern angestellt hat. 
Wie gesagt, behält aber eine Röhre meist ihre ursprüngliche Qualität nicht 
lange bei, es ist daher das ganze Vorgehen ungenau. 


E. Vorschläge für die Anwendung und Neukonstruktion 
von Radiometern in Zukunft. 


Um unabhängig von der verwendeten Lichtqualität mit einem Radio- 
meter verschieden dicken Hautstellen die entsprechenden Hautdosen zu geben, 
könnte man daran denken, in Zukunft bei Radiometern die Reagenz- 
körper (die sensible Schicht) in mehreren Dicken herstellen zu lassen, 
was bei transparenten Lackpastillen und vor allem bei Eprouvetten mit 
Hüssigem Reagens möglich wäre, z. B. Reagenzkörper in der Dicke von 1, 2 
und 3 mm (bzw. von einer Dicke, welche einer 1, 2 und 3 mm dicken 
Wasserschicht äquivalent ist). Die dünnen Reagenzkörper würden für Dosen- 
messung an dünner Haut, die mittleren für mittlere, die dicken für dicke 
Haut dienen. Für alle drei Dicken von Reagenzkörpern wären eigene 
Skalen herzustellen mit Angabe der Höhe für „Erythemdose* des Er- 
wachsenen. 

Wie ersichtlich, wäre aber die Konstruktion eines solchen Radiometers 
kompliziert, umsomehr als für möglichste Exaktheit auch noch die ver- 
schiedene Dicke der Hornschicht der Epidermis an diversen Haut- 
stellen durch entsprechend dicke Deckhüllen an der sensiblen Schicht 
der Reagenzkörper zu berücksichtigen wäre. Glücklicherweise kann man 
in der Praxis ohne derartige Einrichtungen auskommen. 

Bei dem Quantimeter mit seiner dünnen sensiblen Reagenzschicht 
könnte man den genannten Zweck leichter erreichen, z. B. wie folgt vor- 
gehen: bei dicker Haut (mit einem etwa 3 mm dicken Korium und ganz 
dünner Epidermis) legt man auf einen Teil des Reagenzpapieres einen 
Hauttiefenmesser auf, am besten eine Aluminumtreppe mit 3 Stufen: 
Yo 2/10 und ?/1 Al, und mißt so beiläufig die 1 mm-, 2 mm- und 3 mm- 
Tiefendose. Das Mittel gibt die durchschnittliche Dose an; auf diese Weise 
unterscheidet man aber auch noch die einzelnen Hautschichtdosen vonein- 
ander und geht dabei genauer vor, als es bei einem Flüssigkeitsradiometer 
möglich ist. 

Auch die verschiedene Epidermisdicke (Hornschicht) kann bei dem 
Quantimeter leicht berücksichtigt werden. Es entspricht die doppelte Papier- 


710 Kienböck, Verwendung photochem. Radiometer zur Bestimmung usw. 


hülle der Reagenzstreifen beiläufig einer mitteldicken Epidermishornschicht. 
Bei Bestrahlung von Körperstellen mit dicker Epidermis (Handteller. 
namentlich Fußsohle) ist der Reagenzstreifen und zwar in toto mit einer 
entsprechend dicken Pappdeckellage oder entsprechend dünnen Aluminium- 
schicht zu bedecken. 

Alle diese Maßnahmen wären aber ganz unnötig, wenn 
man ausschließlich mit homogenem, äußerst hartem Röntgen- 
licht arbeiten könnte. Die Skalen der Radiometer wären für diese 
Lichtqualität anzufertigen und biologisch auszuwerten; bei entsprechendem 
spezifischem Gewicht der sensiblen Schicht der Reagenzkörper würden 
die Reagenzdosen stets genau den wirklichen Hautdosen ent- 
sprechen, welche Dicke immer die Reagenzkörperschicht besitzen möge: 
es wäre auch zur Imitation der Hornschicht der Haut keine Deckhülle 
auf den Reagenzkörpern notwendig. Und endlich wäre auch die Relation 
der Dosenangaben der diversen Radiometerarten eine ganz fixe. 

Vorläufig sind wir aber noch nicht in der Lage, in der Praxis aus- 
schließlich mit homogenem, äußerst hartem Licht zu arbeiten. 


Ein Kasten zur Entwicklung der Kienböckfilms bei 
Tageslicht. 
Von 
Professor Dr. 0. Polano, Würzburg. 


(Mit 1 Abbildung.) 


D" Möglichkeit, die Kienböckstreifen eines Quadrates zu entwickeln, 
während das nächstfolgende bestrahlt wird, hat zunächst einmal den 
Vorteil, daß wir sofort während der Bestrahlung ein ergänzendes Bild 
der Intensität der Dosis und der Härte der verwendeten Röhre bekommen; 
außerdem ist es sicherlich angenehm, während der Bestrahlungszeit 
beiläufig eine Arbeit zu erledigen, die hinterher, für sich ausgeführt, nicht 
gerade zu den angenehmsten gehört. Vorbedingung für eine derartige 
Doppelarbeit, Röntgenbestrahlung und gleichzeitige Filmentwicklung, ist 
die Möglichkeit der Entwicklung bei Tageslicht mit gleichzeitiger Be- 
dienung des Röntgenapparates (etwaiges Ausschalten des Stromes, Fern- 
gasregulierung). Infolgedessen ist es unbedingt nötig, daß die eine Hand 
des Arztes für die Bestrahlungsarbeit frei bleibt. Beifolgend skizzierter 
Apparat ermöglicht in sehr bequemer und einfacher Weise die Entwick- 
lung der Films bei Tageslicht mit einer Hand. Derselbe ist aus schwarzem 
Pappkarton gearbeitet, hat eine Breite, die dem bekannten Metallgestell 
mit vier Glaseprouvetten (in der Skizze punktiert gezeichnet) entspricht. 
Er besteht aus einem abhebbaren Deckel A, der oben und an drei Seiten 
mit Rubinglasfenstern g versehen ist; an der vierten Seite hat er eine 
runde Öffnung r, die mit einem schwarzen Ärmel h gedichtet, ein Ein- 
führen der Hand in das Kasteninnere ermöglicht. Bei d ist endlich. noch 
ein dachförmiger Aufsatz, der die Spiegelung des im Deckel oben ange- 
brachten Glases g’ aufhebt. Der Boden, von Rechteckform, hat eine 
Tiefe von 14 cm und besteht aus einer nach der Ärmelseite zu gelegenen 
Pappbank b zum Aufstützen der Hand und einer dahinter gelegenen 
Nische, die mit Wachsstoff ausgekleidet, zur Aufnahme des Metallgestelles 
dient. Der Ärmel wird nach außen hin durch einen Gummizug verengt. 
Bei künstlicher Beleuchtung, die vor diesem Apparat aufgestellt wird oder 
bei Tageslicht gelingt es nun, die eingeführte Hand und den Metallsatz 
gut zu übersehen. Die Handhabung erklärt sich von selber; nur möchte 
ich darauf aufmerksam machen, daß es sich empfiehlt, den Film vor Ein- 
führen in das Ärmelstück von seiner äußeren Hülle zu befreien, was in 


der trockenen, geschlossenen Hand sehr leicht unter Lichtabschluß ge- 
lingt. Die zweite schwarze Hülle des Films wird im Ärmelstück, nicht 


712 Polano, Kasten zur Entwicklung des Kienböckfilms bei Tageslicht. 
im Kasten entfernt, indem die äußere Hand die Filmumkleidung durch 





den Ärmel hindurch faßt, während die innere Hand den Film selber heraus- 
zieht. Bei allen übrigen Manipulationen ist, wie gesagt, nur eine Hand 
beschäftigt, die andere ist stets für die Bedienung des Röntgenapparats 
zur Verfügung. Der kleine Apparat!) hat sich mir in letzter Zeit als prak- 
tisch und zeitersparend erwiesen. 


ı, Derselbe ist bei der Buchbinderei von P. A. Schmitt- Würzburg, Ecke 
Theaterstraße, zum Preis von 6 Mark erhältlich. 


EEE R. g a Oor B, G, ER BAD y EE D AE e aaa A AA a 


(Aus dem Physikal. Staatslaboratorium zu Hamburg.) 


Die Röntgenschutzwirkung des Bleies und einiger 
anderer Stoffe.!) 


Von 
Prof. Dr. B. Walter. 


ls Schutzmaterial gegen Röntgenstrahlen hat man von jeher in erster 

Linie das Blei. benutzt; denn auch die außer dem metallischen Blei 
sonst noch existierenden Schutzstoffe, wozu ja vor allem die Schutzgläser 
und die Gummischutzstoffe gehören, verdanken ihre Schutzwirkung so gut 
wie ausschließlich dem darin enthaltenen Blei, das darin in der Form seines 
Oxyds enthalten ist. Will man daher die Schutzwirkung irgendeiner Stoff- 
schicht zahlenmäßig angeben, so empfiehlt es sich, als Vergleichsstoff hierbei 
das Blei zu benutzen, wie ich dies auch schon seit einer Reihe von Jahren 
bei derartigen Prüfungen stets getan habe. Man hat dann zu dem ge- 
nannten Zweck nur diejenige Bleidicke zu ermitteln, welche die gleiche 
Durchlässigkeit für Röntgenstrahlen hat wie die zu untersuchende Schicht, 
eine Aufgabe, die sich verhältnismäßig einfach lösen läßt, und auf die ich 
auch weiter unten noch etwas genauer eingehen werde. Zuvor scheint es 
jedoch wünschenswert, die absolute Schutzwirkung des Bleies selbst kennen 
zu lernen oder mit anderen Worten die Frage zu erledigen, wie groß der 
Prozentsatz ist, welcher von der Wirkung einer bestimmten Röntgenstrahlung 
nach ihrem Durchgang durch Bleischichten verschiedener Dicke noch 
übrig bleibt. | 

Hierzu ist nun allerdings zu bemerken, daß dieser übrigbleibende 
Prozentsatz nicht bloß von der Beschaffenheit der zur Messung benutzten 
Röntgenstrahlung — und zwar natürlich vor allem von ihrem Durch- 
dringungsvermögen — abhängt, sondern ferner auch von der Art der 
Wirkung der Strahlung. Jene übrigbleibende Wirkung würde nämlich 
z. B. eine ganz verschiedene werden, wenn man bei diesen Versuchen zur 
Messung einerseits die erythemerregende Wirkung der Strahlen auf die 
menschliche Haut und andererseits ihre färbende Wirkung auf das Barium- 
platinzyanür benutzen würde. Denn wenn auch diese beiden Wirkungen 
bei Anwendung der direkten Strahlung der Röhre und bei Innehaltung 
eines bestimmten Härtegrades derselben ziemlich genau parallel miteinander 
gehen, wie ja die allgemeine Anwendung der Sabouraud-Pastille in der 


ı) Vortrag, gelialten auf dem Röntgenkongreß 1913. 


714 Walter, 


Strahlentherapie beweist, so folgt doch aus den neuerdings auf diesem G> 
biete angestellten Versuchen mit gefilterten Strahlen, daß die durch eın 
nicht zu dünnes Metallblech hindurchgegangenen Röntgenstrahlen im Ver- 
gleich zu den direkten relativ sehr viel schwächer auf die Haut wirken si- 
auf das Bariumplatinzynür. 

In diesem Sinne haben also auch meine jetzt mitzuteilenden Versuct- 
zur Bestimmung der absoluten Größe der Absorption der Röntgenstratier 
in verschieden dicken Bleischichten nur einen relativen Wert. Bei den- 
selben wurde stets eine Strahlung von der Härte 5 Benoist-Waiter 
(= 6 Benoist = 8 Wehnelt = 7 Walter) benutzt, da diese in der Prax:: 
wohl am. meisten verwandt wird, und als Wirkung der Strahlung ferner 
diejenige auf die photographische Platte. Es wurde nämlich für jeden 
Versuch eine solche Platte zunächst in zwei Hälften zerschnitten. un! 
dann die eine Hälfte a durch die zu untersuchende Bleischicht hindurch 
aus 40 cm Abstand eine gewisse Zeit lang, die andere Hälfte b dagegen 
aus 2—4 m Abstand ohne Bleivorlage in verschiedenen Abteilungen ver- 
schieden lange bestrahlt. Beide Hälften wurden dann zusammen entwickelt 
usw. und schließlich bei den fertigen Platten diejenige Stufe in b ermittelt. 
welche ebenso stark geschwärzt war wie a. Aus den zugehörigen B- 
strahlungszeiten und Abständen ergab sich dann das gesuchte Verhältnis 
der Wirkung der von der betreffenden Bleischicht durchgelassenen Strahluns 
zu der der direkten, wobei allerdings wegen der großen Abstandsunterschiede 
der beiden Plattenhälften auch noch die Absorption der Strahlen in der 
dazwischen liegenden Luftschicht mit zu berücksichtigen war. die durch 
besondere Versuche ermittelt wurde. Schließlich sei noch erwähnt. dad bei 
allen diesen Versuchen, um sekundäre Strahlungen nach Möglichkeit aus- 
zuschließen, nicht bloß die Röntgenröhre allseitig von einem Kasten aus 
Gummischutzstoff umgeben war, sondern daß auch die jeweilig untersuchte 
Bleischicht sich stets in 20 cm Abstand vor der Plattenhälfte a befanıl 
— nämlich unmittelbar hinter der Austrittsöffnung der Strahlen aus dem 
genannten Röhrenkasten. 

In der Tabelle I sind nun die auf ganze Vielfache von 0,1 mm Bir 
abgeglichenen Ergebnisse dieser Versuche angegeben: und zwar befindet 
sich darin in der ersten Horizontalreihe die mit d bezeichnete Dicke der 
Bleischicht in Millimetern. in der zweiten ferner der 1000 fache Wert des 
in oben beschriebener Weise bestimmten Verhältnisses aus der durch- 
gelassenen Intensität J und der auffallenden J,. Im der letzten Horizontal- 
reihe endlich ist der zu der betreffenden Dicke zugehörige Absorptions- 
koeftizient x angegeben. der aus der Formel J=J,e” 4 berechnet wurd:., 
worin e die Basis des natürlichen Logarithmensystems bedeutet und d wie 
üblich in Zentimeter ausgedrückt ist. 


mini 


nn 5 tn eoo- 


EEE er e E i 


Röntgenschutzwirkung des Bleies und einiger anderer Stoffe. 715 


Tabelle I. 
Absolute Schutzwirkung des Bleies gegen Röntgenstrahlen von der Härte 
5 BW. 
d 01 102 los |o5 lo |ıo | ı5 | 20mm 


1000 J/J,ı 68 | 12 | 37 | 09 | 04 | 0,16 | (0,06)! (0,05) 
a | 27 220 | 185 | 140 |112 | 87 | (65) | (50 


Aus der Tabelle ergibt sich nun z. B., daß eine Bleischicht von 0,1 mm 
Dicke noch 6.3 Proz. der hier zur Untersuchung benutzten Röntgenstrahlung 
durchläßt, eine solche von 0,5 mm Dicke aber schon weniger als 1 pro 
Mille und eine solche von 1,0 mm nur noch 0,16°/,,. Man sieht daraus, 
daß die Schutzwirkung des Bleies durchaus nicht etwa proportional der 
Schichtdicke geht; und wenn ich daher weiterhin, um mich einfacher aus- 
drücken zu können, die Schutzwirkung einer Bleischicht von 1 mm Dicke 
als „Schutzeinheit‘‘ bezeichne, so möchte ich gleich hier betonen, 
daß dieser Ausdruck nicht etwa zu der Annahme verleiten darf, daß 
nun z. B. eine Bleischicht von 2 mm einen Schutz von zwei Schutzein- 
heiten und eine solche von !/,, mm einen Schutz von !/,, Schutzeinheiten 
gewährt. Denn das würde eben eine Proportionalität zwischen der Dicke d 
und dem durchgelassenen Bruchteil J/J, bedingen, was, wie die Tabelle I 
zeigt, durchaus nicht der Fall ist. 

Ein genaues Gesetz für die Absorption der Röntgenstrahlen in irgend- 
einem Stoffe existiert vielmehr, wie wir wissen, überhaupt nicht, sondern 
man kann dieselbe höchstens angenähert durch die bereits angeführte 
Gleichung J= Jye «4 darstellen, worin also « dem Absorptionskoeffizienten 
der Optik entspricht, jedoch nicht wie hier einen für alle Dicken des in 
Frage stehenden Stoffes konstanten Wert besitzt, sondern mit zunehmender 
Dicke des letzteren immer kleiner wird. Mit anderen Worten heißt dies 
bekanntlich, daß die Röntgenstrahlen ein um so größeres Durchdringungs- 
vermögen zeigen, je tiefer sie in einen Stoff eindringen; und diese als das 
Röntgensche Absorptionsgesetz bezeichnete Tatsache gilt nun, wie die 
Tabelle I zeigt, auch für das Blei. Für uns Röntgenologen hat dies die 
unangenehme Bedeutung, daß die Schutzwirkung des Bleies mit zunehmen- 
der Dicke immer geringer wird. 

Besonders stark tritt dies hervor, wenn wir z. B. die Absorption der 
Strahlung in den beiden aufeinanderfolgenden Hälften einer beliebigen 
Schichtdicke betrachten. So schwächt z. B. das erste Millimeter einer 
2 mm dicken Bleischicht die Strahlung nach Tabelle I auf etwa 1/60, das 
zweite dagegen nur noch auf etwa !/,, und die Abnahme der Schutzwirkung 
ist also hier geradezu eine rapide.!) Mit der Bleidicke noch weiter als 


1) Die in den letzten beiden Spalten der Tabelle I enthaltenen Werte von 


716 Walter, 


2 mm zu gehen, erscheint daher nach diesen Versuchen wenig zweckmäßig: 
und es bleibt also zur Erreichung eines noch größeren Schutzes nichts an- 
deres übrig, als sich stets in möglichst großer Entfernung von der Röhre 
aufzuhalten. 

Es scheint allerdings noch eine andere Möglichkeit eines größeren 
Schutzes zu geben. Denn wie uns die Benoistsche Härteskala zeigt, hat 
z. B. das Silber die Eigenschaft, daß seine Durchlässigkeit relativ zum 
Aluminium um so geringer ist, je größer die Härte der in Frage kommen- 
den Röntgenstrahlung wird, und da nun nach früheren Versuchen von mir 
das Blei in dieser Beziehung dem Alumium nahe steht, so schien mir die 
Erwartung gerechtfertigt, daß das Silber und die ihm atomistisch nahe 
stehenden Metalle sich auch hinsichtlich ihrer Schutzwirkung gegen harte 
Röntgenstrahlen günstiger verhalten als das Blei. Dies ist nun auch, wie 
die in der folgenden Tabelle II mit verschieden dicken Platten aus Silber 
und Zinn angestellten Versuche beweisen, tatsächlich der Fall. 

Ehe ich jedoch auf die Ergebnisse dieser Tabelle etwas näher eingehe, 
möge zunächst, da wir es hier — im Gegensatz zu den Messungen in 
Tabelle I — zum erstenmal mit relativen, d. h. auf unseren oben ge- 
wählten Vergleichsstoff Blei bezüglichen Messungen zu tun haben, kurz 
das dabei benutzte Verfahren beschrieben werden. 

Die Aufgabe besteht hierbei einfach darin, diejenige Bleidicke zu er- 
mitteln, welche für Röntgenstrahlen dieselbe Durchlässigkeit besitzt wie 
die zu untersuchende Stoffschicht. Diese Aufgabe läßt sich nun zwar so- 
wohl röntgenographisch wie auch röntgenoskopisch erledigen, der letztere 
Weg ist jedoch der weitaus einfachere; denn es genügt dabei ein Blick 
auf den Leuchtschirm, um die gleich durchlässige Bleischicht zu finden. 
Insofern allerdings haftet den Versuchen dieser Art eine gewisse Schwierig- 
keit an, als es sich hierbei meist um sehr wenig durchlässige Schichten 
handelt und daher die Helligkeit des Schirmbildes nur eine sehr geringe 
ist. Deswegen muß man dann auf das sorgfältigste darauf achten, dab 
der Durchleuchtungsschirm weder von irgendwelchem fremden Licht noch 
auch von irgendwelcher fremden Röntgenstrahlung getroffen wird. Dazu 
ist es zunächst notwendig, die Röntgenröhre, deren Härte übrigens hierbei 
möglichst groß sein muß, in einen sie allseitig licht- und röntgenstrahlen- 
dicht umschließenden Kasten zu setzen, der nur mit einer — womöglich 
verstellbaren — Öffnung zum Durchlaß des für die Untersuchung benutzten 
Strahlenbündels versehen ist. Diese Öffnung wird ferner, wenn es sich 
un durchsichtige Gegenstände wie Bleiglas handelt, zunächst mit einem 


durch Extrapolation aus den übrigen ermittelt und deswegen in Klammern 
gesetzt. 


Röntgenschutzwirkung des Bleies und einiger anderer Stoffe. 717 


Stück schwarzer Pappe verdeckt, um auch das gewöhnliche Licht der Röhre 
abzublenden, und dann werden hinter die eine Hälfte der Öffnung die zu 
untersuchende Platte und hinter die andere nacheinander Bleiplatten von 
„verschiedener Dicke angebracht, jedoch so, daß diese letzteren jene Platte 
zum Teil überdecken, damit nicht zwischen beiden hindurch irgendwelche 
Strahlung aus dem Kasten nach außen gelangen kann. 

Hinter den beiden zu vergleichenden Platten kommt dann der Leucht- 
schirm und hinter diesem — zum Schutz der Augen des Beobachters — 
noch eine oder mehrere Platten aus Bleiglas. Die Dicke der Bleiplatte 
ist natürlich bei diesen Versuchen jedesmal so lange zu variieren, bis das 
hinter ihr gelegene Stück des Leuchtschirmes ebenso hell erscheint wie 
das hinter der zu untersuchenden Platte gelegene Stück. Wenn sich dies 
mit den vorhandenen Bleidicken nicht ganz erreichen läßt, so hat man 
natürlich aus den beiden nächstgelegenen Dicken zu interpolieren. 

Will man ferner das in dieser Weise erhaltene Resultat auch rönt- 
genographisch bestätigen, so bedeckt man die eine Hälfte einer photo- 
graphischen Platte mit dem zu untersuchenden Schutzstoff und die andere 
mit einer Skala, die man sich jedesmal erst besonders durch Aufeinander- 
legen mehrerer gleich breiter aber verschieden langer Bleistreifen von je 
0.1 mm Dicke zusammenstellt. Liegt z. B. die gleich durchlässige Blei- 
dicke zwischen 0,5 und 0,6 mm, so wird man sich eine Bleiskala von vier 
Stufen bauen, deren Felder etwa eine Dicke von 0,4, 0,5, 0,6 und 0,7 mm 
haben. Diese Skala wird dann zusammen mit dem Prüfstück röntgeno- 
graphisch aufgenommen, wobei aber wieder sorgfältig darauf zu achten’ ist, 
daß die photographische Platte weder von vorn noch von hinten her durch 
irgendwelche fremden Licht- oder Röntgenstrahlen getroffen wird. 

Was nun aber meine in der oben beschriebenen Weise angestellten und 
in der Tabelle II enthaltenen Versuche mit verschieden dicken Platten 
aus Silber und Zinn angeht, so bedeutet von den vor den einzelnen 
Zahlenreihen dieser Tabelle stehenden Buchstaben d die Dicke der be- 
treffenden Silber- bzw. Zinnschicht und d’ ferner die dazugehörige gleich 
durchlässige Bleischicht. Beide sind in mm ausgedrückt. In der letzten 
Zahlenreihe der Tabelle ist dann noch die aus diesen beobachteten Werten 
d und d‘ berechnete Verhältniszahl d'/d angegeben, die man passend als 
die „relative Schutzwirkung* der betreffenden Silber- bzw. Zinnschicht 
bezeichnet, wobei also das Wort relativ bedeutet, daß hierbei das Blei 
als Bezugsstoff genommen ist. 

Die Tabelle II zeigt nun tatsächlich, daß die relative Schutzwirkung 
sowohl beim Silber als beim Zinn um so größer ist, je größer die Schicht- 
dicke genommen wird. Beim Zinn allerdings bleibt d’/d stets kleiner als 1. 
beim Silber dagegen wird es von d=0,4 nım an größer als 1, d. h. Silber- 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 46 


18 Walter, 


platten, deren Dicke > 0,4 mm ist, sind für Röntgenstrahlen von der 
Härte 5 BW undurchlässiger als gleich dicke Bleiplatten. 





























Tabelle ID. 
Relative Schutzwirkung des Silbers und Zinns. 
1. Silber: 
a |010 |020 |030 |040 |050 |060 | 0,80 | 100 | mm 
d’ | 0.075] 0,17 | 0,28 |040 | 053 | 065 !oss | 1,08 | „ 
d‘/d | 0,75 | 0,85 | 0,93 | 1,00 | 1,06 | 1,08 | 1,10 | 1,08 | 
2. Zinn: 
d 0,20 | 0,40 | 0,80 | 1,20 | 1,60 | mm 
a |010 | 0,24 | 0,58 |098 |138| ,, 




















d‘/d | 0,50 | 0,60 | 0,73 | 0,82 | 0,86 | 

Hiernach steht also, wenn man bei dickeren Schichten dieser Metalle 
die Schutzwirkung gleich dicker Schichten in Betracht zieht, das Silber an 
erster und das Zinn an letzter Stelle. Demgegenüber tritt nun jedoch 
das Zinn an die erste und das Blei an die letzte Stelle, wenn man nicht 
die Dicke, sondern das Gewicht gleich gut schützender Schichten der 
drei Metalle berücksichtigt. Denn da z. B. í mm Blei nach der Tabelle II 
gleich durchlässig mit 0,92 mm Silber und mit 1,22 mm Zinn ist, so er- 
gibt sich, da die spezifischen Gewichte der drei Metalle bzw. 11,3, 10,5 
und 7,3 sind, das Gewicht von í qcm der „Schutzeinheit‘“ in Blei zu 
1,13, in Silber zu 0,97 und in Zinn zu 0,89 g. Leider ist aber der Preis 
des Zinns etwa zehnmal so hoch wie der des Bleies, so daß deswegen das 
erstere als Schutzinaterial gegen Röntgenstrahlen doch wohl stets nur eine 
beschränkte Anwendung finden dürfte, so sehr es auch seiner Sauberkeit 
und Giftfreiheit wegen dem Blei vorzuziehen wäre. Zweckmäßig dürfte es 
aber sein, das Blei beiderseits mit etwa 0,2 mm Zinn zu überziehen, da 
man dann durch den Überzug Giftfreiheit und Schutzwirkung miteinander 
verbindet. 

Als eine besonders interessante Anwendung der Ergebnisse der 
Tabelle II sei hier noch folgender Versuch erwähnt. Wenn man sich 
z. B. zwei Zinnplatten von je 0,4 mm Dicke und zwei Bleiplatten von je 
0,26 mm Dicke verschafft und dann zunächst eine der beiden Zinnplatten 
mit einer der beiden Bleiplatten auf Durchlässigkeit vergleicht, so wird 
man finden, daß die Bleiplatte die größere Absorption ausübt, hält man 
jedoch beide Zinnplatten neben beide Bleiplatten, so erweist sich um- 
gekehrt das Zinn als das stärker absorbierende. Das sonderbare Verhalten 
der beiden Metalle bei diesem Versuch hat ja eine gewisse Ähnlichkeit mit 
dem des Silbers und des Aluminiums bei der Benoistschen Härteskala, 


Röntgenschutzwirkung des Bleies und einiger anderer Stoffe. 719 


aber das erstere ist doch noch überraschender als das letztere, weil es sich 
dabei ja stets um die Strahlen derselben Röntgenröhre handelt. 

Zu den in Tabelle II angegebenen Versuchen sei schließlich noch er- 
wähnt, daß dieselben auch ein gewisses theoretisches Interesse haben, in- 
sofern z. B. daraus hervorgeht, daß bei größeren Schichtdicken die auf 
gleiche Schichtdicke bezogene Absorption beim Silber größer ist als beim 
Blei, trotzdem sowohl das Atomgewicht als auch das spezifische Gewicht 
bei letzterem erheblich höher ist als bei ersterem. Offenbar absorbiert also 
das Silberatom trotz seines erheblich kleineren Atomgewichtes die in Frage 
kommende harte Röntgenstrahlung stärker als das Bleiatom. 

An dritter Stelle habe ich dann noch über einige Versuche über die 
relative Schutzwirkung verschiedener Glassorten zu berichten, die in der 
nachfolgenden Tabelle III zusammengestellt sind. Diese Tabelle bezieht sich 
mit Ausnahme der Nummern 1, 10 und 11 auf Glasplatten, die eigens 
als „Schutzglas gegen Röntgenstrahlen“ von verschiedenen Firmen bezogen 
worden waren. Unter 10 ferner ist eine von Schott und Genossen in 
Jena stammende und als „sehr schweres Silikatflint‘“ bezeichnete Platte 
aufgeführt, die ich früher einmal zu anderen Zwecken bezogen hatte. 


Tabelle II. 
Relative Schutzwirkung verschiedener Glassorten. 


d d' | d/d | d/d | 8 g 

1. gewöhnliches Spiegelglas 23,5 | 0,26 | 0,011 | 90,9 | 2,56 | 23,0 
2. Schutzglas 4,2 | 0,33 | 0,079] 12,7 | 3,00 | 3,81 
3. s 5,6 | 0,54 | 0,096| 10,4 ! 3,07 | 3,35 
4 a 5,2 | 0,56 | 0,108] 93 | 3,11 | 2,89 
5 f 3,2 | 0,38 | 0,118| 84 | 3,26 | 2,74 
6 71 | 1,20 | 0,169| 5,9 | 3,87 | 2,29 
T. 3,3 | 0,58 | 0,175] 57 | 3,67 | 2,09 
8. 5 6,5 | 118 | 0,181| 5,5 | 3,88 | 2,14 
9. 97 | 1,80 | 0,186! 5,4 | 3,85 ! 2,08 
0. sehr schweres Silikatflint 3,01| 0,92 | 0,306 | 3,3 5,04 | 1,66 
l. reines Blei — — |1000| 10 |118 1,13 
mm | mm — — — g 


pi jů 


Von den über den einzelnen Zahlenspalten der Tabelle stehenden 
Buchstaben bedeuten ferner d und d‘ wieder wie in Tabelle II die Dicke 
der untersuchten Stoffschicht bzw. die der gleich durchlässigen Bleischicht, 
beide wieder in mm ausgedrückt. Außer der Verhältniszahl d‘/d, der oben 
als relative Schutzwirkung bezeichneten Größe, ist hier dann in der nächsten 
Spalte auch noch der reziproke Wert davon, also d/d‘ angegeben, den man 
passend als die „relative Durchlässigkeit“ der betreffenden Glassorte be- 
zeichnen kann. Die Zahlen unter d‘/d bedeuten übrigens hier, wo es sich 

46* 


720 Walter, 


ja in der Hauptsache stets um den gleichen absorbierenden Stoff, das Rı.: 
nämlich, handelt, zugleich auch die Schutzwirkung einer 1 mm oder 1 cm 
dicken Platte des betreffenden Glases, ausgedrückt durch die Dicke Jr 
gleich durchlässigen Bleischicht, wobei dann diese letztere natürlich eben- 
falls entweder in mm oder cm zu verstehen ist. Die Zahlen unter d! 
ferner geben hier die in mm ausgedrückte Dicke der betreffenden Glassort: 
an, welche man davon aufwenden muß, um damit eine Schutzwirkung zu 
erzielen, welche gleich derjenigen von 1 mm Blei ist, eine Wirkung. 
welche ich oben als die „Schutzeinheit“ bezeichnet habe. 

In der nächsten Spalte der Tabelle III — unter s — ist sodann da. 
spezifische Gewicht der einzelnen Glassorten angegeben und in der letzten 
Spalte — unter g — endlich das in Gramm ausgedrückte Gewicht eines 
Plattenstückes von 1 gem Größe bei der Dicke der eben genannten Sclutz- 
einheit. Jede dieser Zahlen g ergibt sich einfach durch Multiplikation. 
der beiden links danebenstehenden und Division durch 10. Auf ihr 
praktische Bedeutung komme ich weiter unten zurück. 

Schließlich ist zu der Anordnung der Tabelle III noch zu bemerken. 
daß die einzelnen Gläser darin so gestellt sind, daß ihre relative Schutz- 
wirkung d’/d von oben nach unten hin zunimmt oder also ihre relative 
Durchlässigkeit d/d‘, in demselben Sinne betrachtet, abnimmt. 

Bemerkenswert ist nun in der Tabelle III zunächst die verhiältni-- 
mäßig geringe Schutzwirkung des gewöhnlichen Glases; denn — nach den: 
zugehörigen Werte von d/d“‘ — muß man, um aus diesem Material dir 
Schutzeinheit herzustellen, schon eine Platte von 90 mm Dicke benutzen. 
Dabei handelte es sich bei dem in der Tabelle unter 1. aufgeführten Glasr 
nicht etwa um eine besonders durchlässige Glasart, sondern um ganz gv- 
wöhnliches Spiegelglas; und es ergaben übrigens auch zwei andere solche 
(Grlasplatten von ganz anderer Dicke und Färbung nahezu die gleiche relative 
Durchlässigkeit. 

Demgegenüber betragen nun die Glasdicken, welche man bei An- 
wendung der eigentlichen Schutzgläser der Tabelle III zur Herstellung 
einer Schutzeinheit anzuwenden hat, danach nur 12,7—5,4 mm, d.h. alsı 
weniger als T/, von der beim gewöhnlichen Spiegelglas nötigen. 

Wichtiger jedoch als diese geringere Dicke der eigentlichen Schutr- 
gläser ist noch ein zweiter damit verbundener Vorteil, nämlich der d> 
geringeren Gewichtes; denn nach den Zahlen der letzten Vertikalspalt 
der Tabelle III wiegt 1 gem der Schutzeinheit aus gewöhnlichem Glas 
33 g, aus den eigentlichen Schutzgläsern aber nur 3,8 bis 2,0 g: und in- 
folge der Anordnung der Tabelle sieht man ferner auch sofort, dal) mit 
zunehmender Größe der relativen Schutzwirkung des Glases das Gewicht 
des qcm der Schutzeinheit im allgemeinen abnimmt. 


Röntgenschutzwirkung des Bleies und einiger anderer Stoffe. 7241 


Der Grund hierfür ist natürlich der, da die Schutzwirkung dieser 
(zläser so gut wie ausschließlich von ihrem Bleigehalt herrührt; und je 
geringer dieser Gehalt, um so mehr unnützen Ballast hat man also sowohl 
an Volumen als auch an Gewicht mitzuschleppen. Oder umgekehrt: Je 
höher der Bleigehalt des Glases, um so zweckmäßiger ist es in den ge- 
nannten Beziehungen als Schutzglas. Wenn es also nur auf Schutzwirkung 
und nicht auch auf Durchsichtigkeit ankommt, so ist natürlich von den 
in der Tabelle III aufgeführten Stoffen das reine Blei das zweckmäßigste; 
und tatsächlich wiegt ja auch — nach den Zahlen der letzten Vertikal- 
spalte der Tabelle — 1 qcm der Schutzeinheit in diesem Material fast nur 
halb so viel wie in dem der besten der in der Tabelle angeführten Schutz- 
gliser, und seine Dicke beträgt sogar weniger als !/, davon (s. unter d/d^). 

Alle diese Verhältnisse bilden übrigens zugleich ein schönes Beispiel 
für die nicht genug hervorzuhebende Tatsache, daß die Absorption der 
Röntgenstrahlen in den verschiedenen Stoffen durchaus nicht immer pro- 
portional dem spezifischen Gewichte geht, sondern daß es dabei meist noclı 
viel mehr auf das Atomgewicht der die Stoffe zusammensetzenden chemi- 
schen Elemente ankommt. Besonders auffällig zeigt sich das hier bei den 
in den beiden ersten Horizontalreihen der Tabelle aufgeführten Gläsern ; 
denn während das spezifische Gewicht des unter 2. stehenden Schutzglases 
nur 17%, größer ist als das des unter 1. aufgeführten Spiegelglases, ist die 
relative Schutzwirkung des ersteren über siebenmal so groß. Mit anderen 
Worten: die in dem ersteren Glase enthaltenen Bleiatome machen sich 
darin durch ihre absorbierende Wirkung auf Röntgenstrahlen in ganz er- 
heblich viel stärkerem Maße bemerkbar als durch die Vergrößerung, welche 
sie dem spezifischen Gewichte des Glases mitteilen. 

Bezüglich der sonstigen Eigenschaften der in der Tabelle III auf- 
geführten Gläser ist noch zu erwähnen, daß die unter 2—5 sowie unter 
7 stehenden nicht ganz frei von Blasen und Schlieren waren, daß dagegen 
die unter 6, 8 und 9 stehenden Platten, die übrigens ebenso wie 10 von 
Schott und Genossen in Jena stammten, optisch vollkommen fehlerfrei 
waren. Leider sind aber gerade diese Platten nur bis zu einer Größe von 
etwa 10X 16 qcm zu erhalten, so daß man sich also größere Fenster daraus 
nur nach Art der Butzenscheiben herstellen kann. 


Die Unzulänglichkeit der üblichen Schutzvorrichtungen 
in den Röntgeninstituten. 


Von 
Dr. H. E. Schmidt, Berlin. 


ei einer Prüfung der üblichen Schutzstoffe habe ich gefunden, daß 

diese in der Dicke, in welcher sie gewöhnlich Verwendung finden, für 
den Arzt, resp. das Personal, welches täglich in die Nähe der Röntgen- 
röhre kommt, keinen ausreichenden Schutz vor den Röntgenstrahlen bieten. 

Für den Patienten, der ja immer nur eine zeitlang den Strahlen aus- 
gesetzt ist, dürfte der Schutz in der bisher allgemein üblichen Weise aus- 
reichen. Wenigstens habe ich — auch bei Verwendung sehr harter Strahlen 
— Schädigungen, welche etwa auf eine ungenügende Abblendung der 
Strahlen zurückzuführen sind, nie gesehen. 

Für den Arzt und das Personal dagegen können und müssen sich 
die täglichen Bestrahlungen mit den kleinen Mengen sehr harter Strahlen, 
welche wir hinter den Schutzkästen und Schutzwänden unschwer nach- 
weisen können, zu einer unter Umständen recht bedenklichen Gesamt- 
wirkung summieren. 

Ich möchte es dabei in suspenso lassen, ob es sich um hindurch- 
gelassene, filtrierte primäre oder um transformierte sekundäre Strahlen, 
oder aber um beides handelt. 

Den Hauptwert lege ich auf einen guten Schutzkasten, welcher alle 
überflüssigen — nicht für das Bestrahlungsfeld bestimmten Strahlen — 
möglichst vollständig abblendet. Der Schutzkasten ist wichtiger als die 
Schutzwand und das Schutzhaus. 

Die gebräuchlichen Schutzkästen sind nun mit 2 mm dickem Blei- 
gummi ausgeschlagen. Hinter dem Bleigummi haben wir, wie ein Blick 
auf den Leuchtschirm zeigt, trotzdem Röntgenstrahlen — und zwar sehr 
harte Röntgenstrahlen — wenn wir Röhren von etwa 8—12 We. (1—2 cm 
Halbwertschicht) verwenden. Das Handschattenbild erscheint ganz hell- 
grau, Differenzen zwischen Knochen und Weichteilen sind kaum noch zu 
erkennen. Die 1—2 cm- Strahlen durchdringen auch noch zum Teil das 
gewöhnlich zur Abdeckung benutzte !/ mm dicke Bleiblech, ebenso die 
Bleiglaswand an dem Tisch-Instrumentarium von Reiniger, Gebbert & Schall 
und auch das Bleiglas der gebräuchlichen Schutzbrillen, resp. werden von 
diesen Schutzstoffen in harte Sekundärstrahlen transformiert. Diese wiederum 


Schmidt, Unzulänglichkeit d. Schutzvorrichtungen in Röntgen-Instituten. 723 


durchdringen dann noch mit Leichtigkeit z. B. eine 2 mm dicke Eisen- 
platte oder die Schutzschürzen aus dem 2 mm dicken Müllerschen Blei- 
gummi. 

Erst bei Zwischenschaltung einer 6 mm dicken Bleigummischicht ist 
die Fluoreszenz des Leuchtschirmes nahezu, wenn auch noch nicht ganz 
aufgehoben. Eine weitere Verdickung bis auf 10 mm hat aber keinen 
Zweck, da dadurch die Sache nicht besser wird. 

Wir müssen also m. E. fordern, daß die Schutzkästen mit 6 mm 
dickem Bleigummi ausgeschlagen werden, wenn harte Röhren benutzt werden. 
Bei weichen, resp. mittelweichen genügt 2 mm. Das Beste wäre natürlich 
die Auskleidung mit 2 mm dickem Bleiblech, welche aber wegen der Ge- 
fahr der Aufladung und des Durchschlagens der Röhren nicht möglich ist. 

Verwendet man nur eine Schutzwand, so muß diese mit 2—3 mm 
dickem Bleiblech beschlagen sein. 

Jedenfalls ist es gerade für den Arzt sehr schwer, oder fast unmög- 
lich, sich vollkommen zu schützen. Am sichersten geht man, wenn man 
außer dem Schutzkasten auch noch eine Schutzwand und eine Schutz- 
schürze benutzt — und außerdem während der Bestrahlung das Röntgen- 
zimmer verläßt. Da die käuflichen Schürzen sehr schwer und unpraktisch 
sind, habe ich eine kleine Schürze, welche Brust, Bauch und Genitale 
deckt und eine besonders praktische Tragvorrichtung besitzt, herstellen 
lassen; sie hat sich so gut bewährt, daß ich sie auch an heißen Sommer- 
tagen ohne Beschwerde unter dem Öperationsmantel trage!) Sie ist 
40 cm breit und 70 cm lang und paßt für jede Normalfigur. Im übrigen 
versagen bei den sehr harten Strahlen hinter dem 2 mm dicken Blei- 
gummi die Wehnelt-Skala und auch der Christensche Härtemesser 
vollkommen. Eine Ablesung des Härtegrades ist nicht mehr möglich. 
Vielleicht lassen sich diese „überharten“ Strahlen auch für die Tiefen- 
therapie verwenden, wenn nicht die geringe Menge, in der sie vorhanden 
sind, eine praktische Verwertung unmöglich macht. 


1) Hergestellt von Curt Westphal, Berlin N., Carlstr. 16. 


Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 
Von 


Ingenieur Georg Heber, Berlin. 


er längere Zeit mit einem Induktorunterbrecherapparat gearbeitet 

hat, kennt auch die mannigfachen Fehlerquellen, welche durch die 
Eigenart des Unterbrechers veranlaßt werden können. Wohl verfügt man 
heute über Röntgenapparate ohne Unterbrecherbetrieb, doch hat aus be- 
stimmten Gründen der Unterbrecherapparat seinen bestimmten Platz 
behaupten können. Der weniger Eingeweihte wird leicht zu der An- 
nahme gelangen, daß die unterbrecherlosen Apparate, die Hochspannungs- 
gleichrichter, allein nur noch in Anwendung kommen müßten, da sich 
bei einem häufigen Gebrauch verschiedene Vorteile ergeben, wie z. B. 
einfache Handhabung und leichte Anpassung für den Röhrenbetrieb. 
Doch muß man berücksichtigen, daß besonders für röntgentherapeutische 
Zwecke von vielen Praktikern: der Induktorunterbrecherapparat bevorzugt 
wird. Hierfür liegen aber ganz bestimmte Gründe vor. Es dürfte nicht 
unzweckmäßig sein, auf dieselben hinzuweisen, da der weniger erfahrene 
Neuling oft genug vor der schwierigen Frage steht, ob ein Hochspannungs- 
gleichrichter vorteilhafter ist, oder ein Induktorunterbrecherapparät. 
Beide Apparate sind heute technisch so vollkommen durchgearbeitet, dal 
man bei gutem Willen mit beiden zum Ziele gelangen kann. Nicht daß 
man diesen oder jenen Apparat für einen bestimmten Zweck verwendet, 
sondern wie man ihn hierfür benutzt, wird für den Erfolg immer ent- 
scheidend sein! Und wenn heute besonders von vielen Röntgentliera- 
peuten der Induktorunterbrecherapparat bevorzugt wird, so liegt es wohl 
meistens daran, weil mit diesem Apparatensystem zuerst alle diejenigen 
Grundlagen geschaffen wurden, worauf die heutige Röntgentherapie beruht. 
Wer nun bei Beginn der Röntgenbestrahlungen mit einem Induktorunter- 
brecherapparat gearbeitet hat und hierbei seine wertvollen Erfahrungen 
sammelte, der wird auch heute noch dieses Apparatensystem bevorzugen. 
Man denke sich doch einmal die Sache umgekehrt. Hätten wir bei Be- 
ginn der Röntgenära nur Hochspannungsgleichrichter gekannt und wären 
nach diesen die Induktorunterbrecherapparate aufgetaucht, so wäre von 
den älteren Röntgentherapeuten sicher das unterbrecherlose Apparaten- 
system bevorzugt worden. Jedenfalls muß mit der Tatsache gerechnet 
werden, daß der Induktorunterbrecherapparat der Röntgentherapie wert- 
volle Dienste leistet und daß es nicht an Bemühungen gefehlt hat, den 


Heber, Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 795 


Unterbrecher so vollkommen wie möglich auszubilden. Ein kurzer histo- 
rischer Rückblick wird uns darüber belehren, welche Wandlungen sich in 
der Konstruktion von Unterbrechern im Laufe von etwa zwei Jahrzehnten 
vollzogen haben. Die ernsten Bemühungen, einen wirklich brauchbaren 
und anpassungsfähigen Unterbrecher für röntgenologische Zwecke herzu- 
stellen sind verständlich, wenn man bedenkt, daß von einem guten Uhnter- 
brecher die gute Funktion der Röntgenröhre abhängig ist. Der summende 
Hammerunterbrecher konnte beim Beginn der Röntgenära seine Aufgabe 
noch leidlich erfüllen, weil die Induktoren jener Zeit meistens mit einer 
niedervoltigen Akkumulatorenbatterie betrieben wurden. Auch der durch 
sein klatschendes Geräusch sich bemerkbar machende Quecksilbertauch- 
unterbrecher konnte nur bei geringen Spannungen vorteilhaft verwendet 
werden. Beide Unterbrecher versagten jedoch vollständig, als mit zu- 
 nehmender Verwendung der Röntgenstrahlen die Induktoren mit den 
Netzspannungen der elektrischen Zentralstationen betrieben werden sollten. 
Hier war es der Quecksilberturbinenunterbrecher, welcher einen solchen 
Betrieb ermöglichte und in der Tat konnten mit dieser Unterbrecher- 
konstruktion, den damaligen Verhältnissen entsprechende, hervorragende 
Leistungen erzielt werden. Der durch Wehnelt eingeführte Elektrolyt- 
unterbrecher zeichnete sich zwar durch große Einfachheit aus und es 
wurden besonders bei internen und chirurgischen Aufnahmen bedeutende 
Fortschritte erzielt, doch hatte im allgemeinen die damals sich gerade 
entwickelnde Röntgentherapie keine besonderen Erfolge mit diesem Unter- 
brecher aufzuweisen. Es ist ja eine bekannte Tatsache, daß von den 
Röntgentherapeuten auch heute noch der Elektromotorunterbrecher bei 
Bestrahlungen bevorzugt wird, wenn es sich um die Wahl zwischen beiden 
Unterbrecherarten handelt. Jedenfalls konnte trotz der vielen Vorteile. 
welche der Elektrolytunterbrecher aufzuweisen hatte, der Elektromotor- 
unterbrecher nicht verdrängt werden. Es wurde im Gegenteil intensiv 
daran gearbeitet, diesen Unterbrecher einfacher und leistungsfähiger zu 
gestalten, um ihn der allgemeinen Verwendung in der Röntgenpraxis zu- 
gänglich zu machen. Der Turbinenunterbrecher der damaligen Zeit hatte 
manche Nachteile aufzuweisen. Einmal war es die Verschlammung des 
Kontakt gebenden Quecksilbers, dann ferner die Verstopfung der Strahl- 
düsen, aus welchen das Quecksilber heraustreten mußte. Durch Einfüh- 
rung des Schleifkontaktunterbrechers traten diese Mängel zwar weniger 
hervor, doch konnte nur eine beschränkte Stromstärke zur Unterbrechung 
gelangen. Mit den gesteigerten Anforderungen, welche durch die Fort- 
schritte der Momentaufnahmetechnik und der Tiefentherapie veranlaßt 
‚wurden, mußte auch der Elektromotorunterbrecher Verbesserungen erfahren. 
Dieselben erstreckten sich besonders darauf, durch Vereinfachung des 


726 Heber, 


Kontaktsystems die Verschlammung des Quecksilbers möglichst zu ver- 
ringern. Eine von Tesla benutzte Unterbrecherkonstruktion lieferte für 
diese Bestrebungen eine recht brauchbare Grundlage. Es entstand der 
Quecksilberzentrifugalunterbrecher, welcher längere Zeit hindurch seine 
Funktion einwandfrei verrichtete, solange nicht außergewöhnliche Forde- 
rungen gestellt wurden. Die Verhältnisse liegen im allgemeinen so, dab 
bei den größten Stromstärken für Momentaufnahmen nur Bruchteile einer 
Sekunde, bei Schnellaufnahmen dagegen nur einige Sekunden Benutzungs- 
dauer in Betracht kommen. Für Durchleuchtungen, wo bei mittelweichen 
bis harten Röhren eine Stromstärke von durchschnittlich 5—10 Ampère 
zur Unterbrechung gelangt, ist die Benutzungsdauer ebenfalls nur kurz 
bemessen, wenn man für jede normale Durchleuchtung mehrere Minuten 
rechnet. Handelt es sich um Oberflächenbestrahlungen, so ist die Be- 
nutzungsdauer des Unterbrechers wohl ansgedehnter, doch kommen hier- 
bei Röntgenröhren mit geringen Belastungen in Anwendung und die zur 
Unterbrechung gelangende Stromstärke überschreitet selten 5—8 Ampere. 
Erheblich größer ist nun die Beanspruchung der Unterbrecher, wenn es 
sich um Ausübung der Tiefentherapie handelt. Hier ist nicht nur die 
tägliche Benutzungsdauer bedeutend länger, auch der Umstand. daß harte 
Röhren mit ziemlich starken Belastungen für diese Bestrahlungsmethode 
verwendet werden müssen, erfordert die Unterbrechung erheblicher Strom- 
stärken. Die jetzt allerwärts angewendete Technik der Tiefenbestrahlung 
hat sehr große Anforderungen an das Röntgeninstrumentarium gestellt 
und nicht nur der Induktor und die Röntgenröhren, sondern auch der 
Unterbrecher mußten diesen neuen Betriebsverhältnissen angepaßt werden. 
Sehr lange Benutzungsdauer bei den größten Beanspruchungen und mög- 
lichst einfache Handhabung in der Bedienung, das waren die Haupt- 
faktoren, welche für die Wahl eines geeigneten Unterbrechers bestimmend 
waren. 

Es ist nun an Stelle der bisher benutzten Unterbrechungsvorrich- 
tungen in vielen Röntgenbetrieben der Gasunterbrecher benutzt worden. 
Die hiermit erzielten Resultate lassen schon jetzt erkennen, dal die ge- 
steigerten Mehrforderungen, besonders bei Tiefenbestrahlungen, mit 
Leichtigkeit erfüllt werden können, wo es sich um einen Induktorunter- 
brecherapparat handelt. Wo überhaupt ein Unterbrecher in Frage kommt, 
der den verschiedensten Verhältnissen im Röntgenbetrieb angepaßt werden 
soll, scheint der Gasunterbrecher berufen zu sein, diesen Platz einzunehmen 
und zu behaupten. Der Funktion dieses Unterbrechers liegt folgender 
Sachverhalt zu Grunde. Der für den Induktorunterbrecherapparat ver- 
wendete Gleichstrom muß für die Induktionswirkungen unterbrochen 
werden. Jede Stromunterbrechung ist von einer Funkenerscheinung be- 


Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 727 


gleitet. Die Größe derselben, sowie deren Verlauf und Zeitdauer haben 
einen ganz bedeutenden Einfluß auf den sekundären Öffnungsimpuls, 
welcher für die Erzeugung von Röntgenstrahlen allein nur in Betracht 
kommt. Nun muß noch darauf hingewiesen werden, daß die Funken- 
erscheinungen an den Kontakten einer Unterbrechungsvorrichtung be- 
sonders stark ausfällt, weil neben der Spannung des unterbrochenen Be- 
triebsstromes noch die Spannung des Selbstinduktionsstromes hinzukommt. 
Letztere ist von der Beschaffenheit der Primärspule und der verwendeten 
zur Unterbrechung gelangenden Stromstärke abhängig. Durch einen 
richtig bemessenen Kondensator kann die Funkenerscheinung bei der 
Unterbrechung zwar wesentlich reduziert werden, doch ist diese Hilfs- 
vorrichtung allein nicht ausreichend, um eine ausreichende Dämpfung 
des Unterbrechungsfunkens zu erzielen. Und gerade von dieser Funken- 
dämpfung ist die Intensität des sekundären Öffnungsimpulses, ist damit 
auch die Intensität der hiermit erzeugten Röntgenstrahlenenergie abhängig. 
Aus diesem Grunde hatte man die Unterbrecherkontakte mit isolierenden 
Flüssigkeiten, Alkohol oder Petroleum, überschichtet, um hiermit eine 
schnelle Löschung der Unterbrechungsfunken zu erreichen. Diese Lösch- 
flüssigkeiten erfüllten ihren Zweck auch ganz gut, solange eine beschränkte 
Benutzungsdauer des Unterbrechers vorlag und mäßige Stromstärken zur 
Unterbrechung gelangten. Eine notwendige Folge des Vorhandenseins von 
Löschflüssigkeiten und Quecksilber war bei der immerhin noch beträcht- 
lichen Funkenbildung die Verschlammung. Dieselbe stellte oft den 
ganzen Röhrenbetrieb in Frage. Mangelhafte Unterbrechungen, erkennbar 
am stark flackernden Licht der Röntgenröhre war die gewöhnliche Be- 
gleiterscheinung dieser vorgeschrittenen Quecksilberverschlammung. Wer 
über keine Reserveunterbrecher verfügte, mußte die zwar keineswegs 
angenehme, aber durchaus erforderliche Reinigung der verschlammten 
Quecksilbermassen vornehmen. Diese Reinigung war oft genug notwendig, 
wenn eine sehr lange ununterbrochene Benutzungszeit für den beabsich- 
tigten Zweck innegehalten werden mußte und außerdem mit intensiven 
Strömen gearbeitet wurde. Denkt man sich die Unterbrecherkontakte in 
einem vollständig abgeschlossenen Raume untergebracht und an Stelle 
der bisher benutzten Löschflüssigkeiten Leuchtgas, so wird nicht nur die 
Verschlammung des Quecksilbers ausbleiben, auch die Unterbrechung 
selbst gestaltet sich bedeutend günstiger, da im Leuchtgas eine aus- 
reichende Dämpfung der Unterbrechungsfunken stattfindet. Der dämpfende 
Einfluß verschiedener Gase auf Funkenentladungen ist dem Physiker 
längst nicht unbekannt. Bei verschiedenen Hochfrequenzapparaten, welche 
in der Elektromedizin und Funkentelegraphie Verwendung finden, kommen 
die dämpfenden Eigenschaften bestimmter Gase häufig genug in Anwen- 


725 Heber, 


dung. Durch einen Vorlesungsversuch läßt sich in einfachster Weise 
der dämpfende Einfluß des funkenlöschenden Mediums experimentell sehr 
schön nachweisen. Es werden hierfür zwei Kupferkontakte verwendet, 
welche mit isolierenden Handgriffen versehen sind. Diese Kupferkontakte 
stehen mit den Leitungsdrähten in Verbindung, welche bei einem Induk- 
torunterbrecherapparat zu den Anschluljklemmen des Unterbrechergefä lies 
führen. Berührung der Kupferkontakte entspricht Stromschließung, plötz- 
liche Entfernung voneinander Stromunterbrechung. Es läßt sich bei 
dieser Anordnung zeigen, wie bei einer mittleren Stromstärke von etwa 
5—8 Ampere die Funkenerscheinung trotz Mitwirkung des Kondensators 
recht erheblich ist, wenn die Unterbrechung des primären Stromkreises 
bei Luftzutritt erfolgt. Besonders bei Netzspannungen von 220—240 Volt 
macht sich an der Unterbrechungsstelle ein kräftiger Flammenbogen be- 
merkbar. Zwischen den Polen der sekundären Funkenstrecke bleibt bei 
diesem Versuch die Funkenentladung aus, selbst dann, wenn die Ent- 
ladungspole nur noch mit kurzem Abstand gegenüberstehen. Dagegen ist 
bei derselben Stromstärke und Spannung die primäre Funkenerscheinung 
bei der Unterbrechung wesentlich reduziert, wenn die Unterbrecher- 
kontakte mit ein wenig Alkohol benetzt werden. Noch weiter wird die 
Funkenerscheinung vermindert, wenn nach Entfernung des Alkohols die 
Unterbrecherkontakte mit Petroleum benetzt werden, wozu eine sehr 
geringe Menge ausreichend ist. Diese Versuche lassen sehr deutlich den 
dämpfenden Einfluß der Löschflüssigkeit erkennen. Bei jeder Unter- 
brechung unter den zuletzt erwähnten Verhältnissen tritt zwischen den 
Entladungspolen der sekundären Funkenstrecke auch bei größerem 
Abstand ein kräftiger Öffnungsfunken auf. Eine Steigerung dieses Effektes 
läßt sich weiterhin erreichen, wenn die Unterbrechung in einem mit 
Leuchtgas angefüllten Glasgefiß vorgenommen wird. Selbstverständlich 
ist bei diesem Versuch darauf zu achten, dal keine Luftreste in dem 
(lasgefäß zurückbleiben. Der stark dämpfende Einfluß des Leuchtgases 
macht sich durch die geringe primäre Funkenerscheinung bemerkbar, die 
sekundäre Funkenentladung ist bei diesem Versuch am kräftigsten. Es 
kommen also bei der Anwendung von Leuchtgas zwei wichtige Faktoren 
für die Leistungsfähigkeit eines Unterbrechers in Betracht. Einmal die 
erhebliche Reduktion der Unterbrechungsfunken und dann durch Wegfall 
der Löschflüssigkeiten die Störungen verursachende Quecksilberverschlam- 
mung. Bei der Verwendung von Wasserstoffgas ist die dämpfende Wirkung 
zwar noch etwas vergrößert, doch gestaltet sich aus rein technischen 
Gründen die Benutzung des gewöhnlichen Leuchtgases vorteilhafter. 
Diese längst bekannten Tatsachen sind besonders in Frankreich schon 
seit einigen Jahren für die Röntgenpraxis vorteilhaft verwertet. In dem 


Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 729 


Erlanger Versuchslaboratorium der Aktiengesellschaft Reiniger, Gebbert 
& Schall sind umfangreiche Versuche angestellt worden, welche mit der 
erfolgreichen Einführung des jetzigen Gasunterbrechers ihren Abschluß 
gefunden haben. 

Wie jeder Elektromotorunterbrecher aus zwei Teilen zusammengesetzt 
ist, so besteht auch der Gasunterbrecher aus dem Elektromotor und dem 
Unterbrecher. Die Abb. 1 läßt links den Unterbrecherteil nebst Elektro- 
motor erkennen, rechts befindet sich das Unterbrechergefäß. Dasselbe 
dient zur Aufnahme des Unterbrechers, der Leuchtgasfüllung und des 
Quecksilbers. 

Auf dem Boden des Unterbrechergefäßes befindet sich die erforderliche 
Quecksilbermenge. Wird der Unterbrecherteil auf das Gefäß gesetzt und 
der Deckel mittels Flügelschrauben befestigt, so ist das Gefäß vollständig 





Fig. 1. 


luftdieht verschlossen. Dieser luftdichte Verschluß wird einerseits durch 
einen Dichtungsring erzielt, der sich zwischen Gefäßrand und Deckel 
befindet, andererseits ist die Anordnung so getroffen, dal auch bei Durch- 
führung der Unterbrecherachse und der Führungsstange der Reguliervor- 
richtung durch den Unterbrecherdeckel keine Gasmengen entweichen 
können. Die Abb. 2 läßt den fertig zusammengestellten Gasunterbrecher 
erkennen. Die Achse des Elektromotors ist mit der Turbinenachse des 
Unterbrechers durch eine Kupplung fest verbunden. Befindet sich der 
Elektromotor in Tätigkeit, so wird eine kleine, in das Quecksilber zum 
Teil eintauchende Turbine in schnelle Umdrehung versetzt. Durch einen 
dem Elektromotor vorgeschalteten Regulierwiderstand läßt sich die Um- 
drehungszahl der Turbinenachse verändern, wodurch die Röntgenröhren mit 
verschiedenen Unterbrecherfrequenzen betrieben werden können. Der in 
das. Quecksilber eintauchende Turbinenteil arbeitet in der Weise, daß in- 
folge der schnellen Rotation das Quecksilber durch zwei winkelförmige 


730 Heber, 


Steigrohre nach oben gedrückt wird. Diese diametral gegenüberstehenden 
Steigrohre sind mit je einer Ausströmungsdüse versehen und ist die Öff- 
nung derselben derartig angeordnet, daß beim Betrieb der Turbine das 
Quecksilber in entgegengesetzter Richtung aus den Düsen strahlenförmig 
heraustritt. Hierbei bildet das ausströmende Quecksilber zwei außerordent- 
lich elastische, horizontale Stromleiter, welche beim Auftreffen auf fest- 
stehende, senkrecht angeordnete Kontaktsegmente den Stromschluß, und 
beim Verlassen die Stromunterbrechung hervorrufen. Das aus den Düsen 
herausgespritzte Quecksilber gelangt unverändert nach dem Boden des 
Unterbrechergefäßes zurück, von wo aus die Weiterbenutzung stattfindet. 
Da eine Verschlammung infolge des 
Ausschlusses von Löschflüssigkeiten 
nicht eintreten kann, so bildet das 
Quecksilber einen dauernden unver- 
änderlichen Bestand des Unterbrechers. 
Die am Deckel des Unterbrechergefäßes 
angebrachten, aber von diesem isolierten 
Kontaktsegmente sind derartig angeord- 
net, daß zweidiametralgegenüberliegende 
Kontaktsegmente zwei verschiedene Leis- 
tungspole bilden. Solange der rotierende 
Quecksilberdoppelstrahl die gegenüber- 
liegenden Kontaktflächen berührt, ist 
der Primärstromkreis geschlossen, dann 
folgt nach dem Verlassen der rotieren- 
den Stromleiter eine Unterbrechungs- 
pause und darauf wiederum eine Strom- 
schließung. Nach einer Umdrehung ist Fig. 2. 

also eine viermalige Stromschließung 

und Stromunterbrechung zu Stande gekommen. Die Einrichtung ist 
so getroffen, daß zwei gegenüberliegende Kontaktsegmente ausgeschaltet 
werden können. Dann finden bei jeder Umdrehung der Turbine 
nur zwei Unterbrechungen statt. Welchen Einfluß diese Maßnahme auf 
den Betrieb von Röntgenröhren hat, soll späterhin näher erörtert werden. 
Das Ausschalten der beiden Kontaktsegmenten läßt sich durch einen 
Stöpselkontakt, der sich auf dem Unterbrecherdeckel befindet, mit Leich- 
tigkeit vornehmen. Eine weitere leicht vorzunehmende Änderung an den 
Kontaktsegmenten ist für die Anpassungsfähigkeit des Unterbrechers recht 
vorteilhaft. Für den günstigen Verlauf des sekundären Öffnungsstromes 
ist neben einer exakten, möglichst funkenarmen primären Stromunter- 
brechung auch die Stromschlußdauer von großem Einfluß. Diese läßt sich 





Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 731 


durch Veränderung der Kontaktbreite für den jeweiligen Zweck am gün- 
stigsten einstellen. Wird der aus der Abb. 2 ersichtliche rechts befind- 
liche Hebelgriff von unten nach oben verstellt, so erfahren 2 beweglich an- 
geordnete Kontaktsegmente eine Senkung im Unterbrechergefäß. Da diese 
beiden Kontaktsegmente abgeschrägt sind, so entspricht schon die geringste 
Verstellung des außen befindlichen Hebelgriffes einer Änderung der Strom- 
schlußdauer. Dieselbe ist am größten, wenn der Hebelgriff seine Maximal- 
stellung nach oben erhalten hat, am kleinsten, wenn der Hebelgriff eine 
bestimmte Stellung nach unten einnimmt. Bei größter Tiefenstellung des 
Hebelgriffes sind die Kontaktsegmente ausgeschaltet und der Unterbrecher 
ist dann stromlos. Es läßt sich also die Stromschlußdauer von Null bis 
Maximum durch Aufwärtsbewegung des Hebelgriffes mit den allerfeinsten 
Abstufungen regulieren, wodurch sich für verschiedene Röhrenbelastungen 
wesentliche Vorteile ergeben. Ist die Stromschlußdauer für einen bestimmten 
Zweck eingestellt, so kann die beim Ausprobieren ermittelte Einstellung 
durch eine Mikrometerschraube festgehalten werden. 

Die Inbetriebsetzung des Unterbrechers ist außerordentlich einfach. 
Zunächst wird das Unterbrechergefäß mit der erforderlichen Quecksilber- 
ınenge gefüllt und der Unterbrecherteil nebst Elektromotor (Abb. 1, links) 
mit dem Gefäß fest verschraubt. Nachdem die Anschlußklemmen des 
Elektromotors und des Unterbrechers mit den Leitungsdrähten verbunden 
sind und die Achsenlager die übliche Ölung erhalten haben, kann mit der 
(asfüllung begonnen werden. Zwei auf dem Gefäßdeckel vorhandene An- 
sätze mit Hähnen dienen für die Gasfüllung und für die Entfernung der 
verbrauchten Gasmengen. Der eine Ansatz wird durch einen Gummi- 
schlauch mit der Leuchtgasleitung verbunden. Nach Öffnung sämtlicher 
Hähne kann das Leuchtgas die im Innern des Unterbrechergefäßes einge- 
schlossene Luft verdrängen. Die vollkommene Leuchtgasfüllung läßt sich 
dadurch beschleunigen, daß während der Gaseinströmung nur der Elektro- 
motor eingeschaltet wird. Durch die Rotation der Turbine wird eine 
schnellere Durchmischung der Luft- und Gasmengen erzielt. Zur Kon- 
trolle, daß der Unterbrecherraum vollständig mit Gas gefüllt ist, dient die 
einfache Flammenprobe. Das aus dem freien Ansatz ausströmende Leucht- 
gas wird entzündet. Die schwach leuchtende, bläuliche Flamme läßt noch 
auf Anwesenheit von Luft schließen, die stark leuchtende, gelbliche Flamme 
läßt die Verbrennung des reinen Leuchtgases erkennen. Hier ist der Zeit- 
punkt gekommen, wo der Kontrollhahn geschlossen werden kann. Der 
Hahn an dem Gaszuführungsansatz kann geöffnet bleiben, so daß die im 
Unterbrecherraum eingeschlossene Gasmenge unter dem Druck der Gas- 
leitung zu stehen kommt. Füllung, Flammenprobe und Abschluß nehmen 
nur wenige Sekunden in Anspruch, es treten demnach so gut wie gar 


732 Heber, 


keine Zeitverluste ein. Kommen für den Unterbrecher täglich mehrere 
Benutzungsstunden in Betracht, so ist eine Erneuerung des Leuchtgases 
nach einigen Stunden empfehlenswert. Bei einer geringeren Benutzungs- 
zeit ist eine tägliche Erneuerung des Leuchtgases, die sehr schnell vorge- 
nommen werden kann, ausreichend. Es genügt hierfür, den Kontroll- und 
Ablaßhahn zu öffnen, das ausströmende Gas zu entzünden und nach einigen 
Sekunden, wenn die Flamme normal erscheint, den Hahn wieder zu schließen. 
Sonst erfordert der Gasunterbrecher auf Monate hinaus keine andere Be- 
dienung. Nur die Achsenlager des Elektromotors sind in bestimmten Ab- 
ständen gut zu ölen. Nach Verlauf von einigen Monaten, bei sehr starker 
Inanspruchnahme vielleicht schon früher, empfiehlt es sich, den Unter- 
brecher auseinanderzunehmen und das Quecksilber durch eine feindurch- 
lochte Spitztüte aus starkem Papier hindurch laufen zu lassen. Hierdurch 
werden die aus dem Leuchtgas herrührenden feinen Kohlenteilchen, die 
mit einigen Quecksilberkügelchen vermischt sind, zurückgehalten, so daß die- 
selbe Quecksilbermenge ohne nennenswerte Verluste wieder zur Verwendung 
gelangen kann. Wer mit den bisherigen Elektromotorunterbrechern zu 
tun hatte, wird erstaunt sein, nach monatelanger Benutzung einen fast un- 
veränderten Quecksilberspiegel im Gefäß des Gasunterbrechers vorzufinden. 
Die an den inneren Gefäßwandungen und an den Unterbrecherteilen an- 
gesetzten dünnen Niederschläge, welche meistens aus feinverteiltem Kohlen- 
stoff bestehen, lassen sich durch einen Wattebausch, der mit Benzin ge- 
tränkt ist, sehr leicht entfernen. Jedenfalls kann die Reinigung des Gas- 
unterbrechers weit einfacher und bedeutend schneller durchgeführt werden. 
als dies bei den durch Löschflüssigkeiten verschlammten Quecksilbermengen 
möglich ist. Da man bei allen menschlichen Erzeugnissen einerseits mit 
den Tücken des Objektes, andererseits mit den aus Unachtsamkeit hervor- 
gerufenen Fehlerquellen zu rechnen hat, so ist auch beim Grasunterbrecher 
eine Sicherheitsvorrichtung angebracht. Dieselbe tritt in Funktion, wenn 
vergessen wurde, das Unterbrechergefäß vollständig mit Leuchtgas zu füllen. 
Befindet sich ein Gemisch von Luft und Leuchtgas im Unterbrechergefäß. 
so kann dieses Gemisch durch winzige Unterbrecherfunken zwar explo- 
dieren, doch ist den Explosionsgasen durch ein Sicherheitsventil hinreichender 
Austritt gewährt. Dazu kann es aber niemals kommen, wenn die bereits 
erwähnte Flammenprobe angestellt wird. In einem vollkommen mit Leucht- 
gas gefüllten Unterbrechergefäß sind Explosionen auch durch die stärksten 
Unterbrechungsfunken unmöglich. Gelingt es doch ohne Schwierigkeiten, 
Stromstärken bis zu 50 Ampere und darüber hinaus mit dem Gasunter- 
brecher zu bewältigen. Derartige Belastungen kommen für die Tiefen- 
therapie nicht in Betracht, denn die Röntgenröhre müßte noch erfunden 
werden, welche für die längere Bestrahlungszeit eine solche Beanspruchung 


La 


Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 733 


aushält. Dagegen können die hohen Belastungsmöglichkeiten für die Rönt- 
genmomentaufnahmen vorteilhaft ausgenutzt werden, da es sich hier nur 
um kurzzeitige Beanspruchungen handelt. 

Bei der zunehmenden Verwendung des Gasunterbrechers muß damit 
gerechnet werden, daß in vielen Behandlungszimmern kein Leuchtgas zur 
Verfügung steht. Aber auch für solche Fälle ist für ausreichende Hilfs- 
mittel gesorgt. Wo eine intensive Inanspruchnahme des Gasunterbrechers 
vorliegt, wird man in Erwägung ziehen, ob die Verlegung einer Gasleitung 
bis zum Röntgenapparat ohne Schwierigkeiten durchgeführt werden kann. 
Gestatten die örtlichen Verhältnisse keinen Anschluß an eine entfernt 
liegende Gasleitung oder ist überhaupt kein Leuchtgas erhältlich, so kann 
eine kleine Stahlflasche mit komprimiertem Blaugas auf lange Zeit den 
Unterbrecher mit Gas versorgen. Dieses Blaugas ist ein dem Leuchtgas 
ähnliches Gas, welches für technische Zwecke häufige Verwendung findet 
und daher leicht beschafft werden kann. | 

Die Röntgenröhren, welche durch ein Gasunterbrecherinstrumentarium 
betrieben werden, zeigen ein sehr ruhiges Verhalten. Ist in dem sekun- 
dären Stromkreis ein Milliampöremeter eingeschaltet, so fällt die ruhige 
Zeigerstellung am Instrument auf. Dasselbe Verhalten kann auch an dem 
Zeiger des Ampöremeters im Primärstromkreis beobachtet werden. Der 
ruhige Zeigerstand bei beiden Meßinstrumenten läßt auf eine außerordent- 
lich regelmäßige Unterbrecherfunktion schließen. Jede Stromunterbrechung 
ist der nachfolgenden vollkommen gleich; dementsprechend fallen auch die 
schnell aufeinanderfolgenden sekundären Öfinungsimpulse gleichartig aus. 
Nur bei härteren Röntgenröhren sind Schwankungen des sekundären 
Zeigers am sekundären Milliamp£öremeter nicht ganz ausgeschlossen. Die 
gleichbleibende ruhige Stellung des Zeigerss am primären Amperemeter 
gibt aber darüber Aufschluß, daß nur die Eigenart der harten Röntgen- 
röhre die Konstanz der sekundären Strompassage beeinflußt. Der Gas- 
unterbrecher arbeitet auch bei starken Belastungen mit größter Genauig- 
keit. Die ausreichende Dämpfung der Unterbrechungsfunken bei geringen 
und großen Stromintensitäten, sowie die Gleichmäßigkeit des Kontakt 
gebenden elastischen Stromleiters der Quecksilberturbine, lassen keinerlei 
Abweichungen während der Unterbrechertätigkeit aufkommen. Vorteilhaft 
erweist sich für den Betrieb verschiedener Röntgenröhren die Regulierung 
der Stromschlußdauer durch Veränderung der Kontaktsegmente. Welchen 
Einfluß diese Regulierung auf den Verlauf der induzierten hochgespannten 
Energiemengen hat, läßt sich zunächst an den sekundären Funkenladungen 
beobachten. Ist der Elektromotor eingeschaltet und der Hebelgriff des 
Stromschlußregulators senkrecht nach unten eingestellt, so kann auch bei 
Stellung der Regulierkurbel am Schaltapparat auf „Stark“ kein Strom 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 47 


734 Heber, 


durch den Unterbrecher hindurchfließen, wenn der primäre Schalter für 
den Induktor auf Stromschluß gestellt wird. Bei Aufwärtsbewegung des 
Hebelgriffes für den Stromschlußregulator tritt anfangs eine schwache 
Funkenentladung ein. Dieselbe nimmt allmählich an Stärke zu und 
erreicht ihr Maximum, wenn der Hebelgriff seine höchste Stellung ein- 
nimmt. Durch den Gebrauch des Stromschlußregulators wird also ein 
ähnlicher Effekt erzielt, wie beim Gebrauch des primären Stromregulators. 
Aber die Regulierung erfolgt hierbei mit bedeutend feineren Abstufungen. 
An einer Röntgenröhre in Verbindung mit einem Milliamperemeter kann 
diese feinstufige Regulierung deutlich beobachtet werden. Die mit lang- 
samer Einstellung des Stromschlußregulators erfolgende Zeigerbewegung 
am Milliamp£remeter läßt erkennen, daß die Belastung der Röntgenröhre 
von Y/,o zu */,o Milliampere im Zeitmal3 der Hebelbewegung fortschreitet. 
Selbstverständlich erfährt auch die primäre Stromstärke entsprechende fein- 
stufige Veränderungen. 

Eine weitere Änderung der Röhrenbelastung läßt sich durch Reduktion 
. der Unterbrecherfrequenz erzielen. Es wurde darauf hingewiesen, daß bei 
Verwendung der vier Kontaktsegmente im Unterbrecher jede Umdrehung 
der Turbine vier Unterbrechungen entspricht. Wird nur mit zwei Kontakt- 
segmenten gearbeitet, so entspricht jede Umdrehung der Turbine zwei Unter- 
brechungen. Diese Änderung der Unterbrecherfrequenz hat auf den Röhren- 
betrieb folgenden Einfluß. Ist bei Verwendung von vier Kontaktsegmenten 
eine bestimmte Stromstärke einreguliert. so tritt unter gleichen Verhältnissen 
eine Halbierung der Stromstärke ein, wenn nur zwei Kontaktsegmente be- 
nutzt werden. Diese Halbierung der Stromstärke kann sowohl am primären 
Anmperemeter, als auch am sekundären Milliamperemeter mit großer Ge- 
nauigkeit festgestellt werden. Die Röntgenröhre erhält bei Anwendung 
der zwei Kontaktsegmente gerade die Hälfte der wirksamen Stromimpulse, 
liefert also gerade die Hälfte der Strahlenenergie. Durch Zufuhr einer 
größeren primären Stromstärke läßt sich aber auch bei dieser geringen 
Unterbrecherfrequenz dieselbe Belastung der Röntgenröhre erzielen wie bei 
Anwendung von vier Kontaktsegmenten. 

Um die Vorteile des Gasunterbrechers für den Betrieb von Röntgen- 
röhren auszunutzen, müssen die Regulierverhältnisse den jeweiligen Zwecken 
angepaßt werden. Dann ist ferner erforderlich, daß die Funktion des 
Unterbrechers mit der Kapazität des Kondensators und der Selbstinduktion 
der Primärspule harmoniert. Wenn ein bisher benutzter Elektromotor- 
Unterbrecher durch einen Gasunterbrecher ersetzt wird, so kann der Fall 
eintreten, da die Leistung des Induktors und die Funktion der Röntgen- 
röhre nicht immer befriedigen. Von Fall zu Fall muß also in sachgemäßer 
Weise untersucht werden, ob der Gasunterbrecher ohne weitere Maßnahmen 


Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 735 


an Stelle des vorher benutzten Unterbrechers treten kann. Ist der Gas- 
unterbrecher dem gesamten Instrumentarium richtig angepaßt, dann er- 
geben sich in der Tat wichtige Vorteile, welche weder der Röntgen- 
diagnostiker, noch der Röntgentherapeut entbehren möchte, wenn ein 
Induktorunterbrecherapparat in Betracht kommt. Es lassen sich mit 
dem Gasunterbrecher intensive Stromstärken gefahrlos und ohne große 
Abnutzung der kontaktgebenden Teile schnell unterbrechen. Hiervon 
wird der Internist Gebrauch machen, wenn es sich um die unentbehr- 
lichen Momentaufnahmen handelt. Der Chirurg kann bei einer weniger 
intensiven Stromstärke die Herstellung von Schnellaufnahmen vornehmen 
lassen. Bei Durchleuchtungen wird durch Halbierung der Unterbrecher- 
frequenz eine Entlastung der langzeitig benutzten Röntgenröhre herbei- 
geführt und eine größere Röhrenökonomie gewährleistet. Für die be- 
scheidenen Ansprüche der Oberflächentherapie kann der Gasunterbrecher 
mehrere Stunden hindurch einen gleichmäßigen Röhrenbetrieb ermöglichen. 
Die Dosierung mit dem Milliamperemeter wird durch eine feinstufige Re- 
gulierung wesentlich erleichtert. Die hohen Anforderungen aber, welche 
die Tiefentherapie an einen Unterbrecher stellt, sind durch den Gas- 
unterbrecher erfüllbar. Sehr lange Benutzungsdauer ohne Störungspausen, 
sichere Unterbrechung größerer Stromstärken ohne wesentlichen Material- 
verbrauch, Anpassung an das oft renitente, harte Röhrenmaterial, das 
waren die Forderungen, welche die Tiefentherapie stellte. Es sind manche 
Klagen verstummt, seitdem verschiedene Röntgenröhren mit dem Gas- 
unterbrecher betrieben werden. Aber es werden hier und da Klagen auf- 
tauchen, welche immer wiederkelhren, solange mit Unterbrechern gearbeitet 
wird. Die Funktion des Unterbrechers beruht bekanntlich darauf, daß 
nach einer Stromschließung von bestimmter Zeitdauer eine plötzliche Strom- 
unterbrechung eintritt. Ohne Stromschließung also keine Stromöffnung; 
ohne Stromöffnung kein Sekundärimpuls, welcher sich in der Röntgenröhre 
in wirksame Strahlung umsetzt. Auf Grund langjährig gesammelter Erfah- 
rungstatsachen sind heute die Röntgenröhren dem zur Verfügung stehenden 
Apparatensystem meistens anzupassen. Wohl kann man die berechtigte 
Forderung stellen, daß eine Röntgenröhre „schließungsfrei“ arbeitet. Und 
tut sie selbst es nicht, so stehen Vorschaltfunkenstrecken oder Ventilröhren 
für diesen Zweck zur Verfügung. Aber es wäre ungerecht, bei jeder ab- 
weichenden Röhrenfunktion zu behaupten, es läge am Unterbrecher und 
zu verlangen: daß er „schließungsfrei‘‘ arbeiten soll. Wie die Verhältnisse 
heute liegen, kann der gut durchkonstruierte Gasunterbrecher durch 
verschiedene Maßnahmen derartig in seiner Gesamtfunktion beeinflußt 
werden, daß hieraus der beste Röhrenbetrieb resultiert. Ohne Schließung 
tut er es aber nicht und wenn hier und da eine Röntgenröhre plötzlich 
479 


736 Heber, Der Betrieb von Röntgenröhren mit dem Gasunterbrecher. 


abweichende Lichterscheinungen zeigt und es sind die üblichen Ventil- 
vorrichtungen in bester Ordnung, dann ist es wohl selten das Unterbrecher- 
instrumentarium, sondern meistens die Röntgenröhre allein, welche durch 
ihr oft sonderbares Verhalten selbst dem erfahrenen Röntgenologen manches 
Rätsel aufgibt. 


Zusammenfassung. 


Die gesteigerten Anforderungen bei dem Betrieb von harten Röntgen- 
röhren für Tiefenbestrahlungen haben dahin geführt, bei Verwendnng des 
Unterbrecherinstrumentariums die gebräuchlichen Unterbrechungsvorrich- 
tungen leistungsfähiger zu gestalten. Es kommen für die Röntgentherapie 
meistens Elektromotorunterbrecher in Anwendung, bei welchen die 
Dämpfung der Unterbrechungsfunken durch Alkohol oder Petroleum an- 
gestrebt wird. Da für eine sichere Kontaktgebung im Unterbrechergefäl) 
Quecksilber benutzt wird, so entstand bei häufiger Inanspruchnahme und 
bei Anwendung von größeren Stromstärken eine Verschlammung des Queck- 
silbers, welche schließlich die Unterbrecherfunktion aufhob. Die lästige 
Reinigung des verschlammten Quecksilbers und die starke Abnutzung des 
Kontaktmaterials fällt bei einem mit Leuchtgas gefüllten Unterbrecher 
vollständig fort. Die funkendämpfende Wirkung des Leuchtgases hat sichı 
in der Röntgenpraxis gut bewährt. Besonders bei langer Benutzungsdauer 
treten die Vorteile des Gasunterbrechers durch die sichere Funktion und 
leichte Handhabung hervor. Verschiedene mit dem Unterbrecher in Ver- 
bindung stehende Reguliervorrichtungen gewähren die Möglichkeit, für die 
Röhrenbelastung und Röhrenfunktion die günstigsten Betriebsverhältnisse 
zu wählen. Der Gasunterbrecher wird von der Reiniger, Gebbert & Schall 
A. G. in den Handel gebracht. 


Steigerung der Radiumwirkung durch statische 
Elektrizität.') 
Von 
Professor Dr. Anton Sticker, Berlin. 


ur besseren therapeutischen Ausnutzung der radioaktiven Zerfallsprodukte 

wurde von Lazarus auf dem Kongreß für innere Medizin in Wies- 
baden 1911 vorgeschlagen, die Wände des Emanationsentwicklers auf ein 
positives elektrisches Potential zu bringen, wodurch die positiv elektrischen 
Zerfallsprodukte ausgetrieben und auf den Körper des Patienten nieder- 
seschlagen werden. Marckwald brachte auf dem Balneologenkongresse 
1911 ın Anregung, die Versuchsperson negativ elektrisch aufzuladen, um 
eine vermehrte Ablagerung der positiv geladenen Teilchen auf die Haut 
herheizuführen. 

Hiervon wurde praktischer Gebrauch gemacht, indem Grabley den 
radioaktiven Niederschlag aus der Atmosphäre, Aschoff und Haese da- 
gegen aus einem aktivierten Raume (Kreuznacher-Inhalatorium) auf die 
Haut von Patienten dirigierten, die unbekleidet auf Isolierstühlen auf eine 
hohe negative elektrische Aufladung gebracht worden. 

Als Elektrizitätsquelle diente ein Röntgeninduktor mittlerer Größe, 
dessen positiver Pol in eine Metallplatte und dessen negativer Pol durch 
einen Draht mit dem Isolierstuhl verbunden wurde. Messungen zeigten, 
daß die Menge des während des Aufenthaltes im Radiuminhalatorium ent- 
stehenden radioaktiven Niederschlages — d. s. die elektropositiven Zerfalls- 
produkte der Emanation — durch die negative elektrische Aufladung der 
betr. Patienten erheblich gesteigert wurde. 

Ich selbst habe auf dem vorjährigen Chirurgenkongresse über Ver- 
suche, die biologische Wirkung radioaktiver Substanzen durch statische 
Elektrizität zu steigern berichtet. 

Ich verwandte eine nach Professor Eulenburg zusammengestellte 
Influenzmaschine, welche mir die Firma Reiniger, Gebbert und Schall lieferte. 
Die mit Radiumpräparaten zu bestrahlenden Personen wurden auf einen 
Isolierstuhl gebracht und elektropositiv aufgeladen. 

Ich habe, ehe ich dazu überging, die Methode bei Kranken zu ver- 
werten, dieselbe experimentell geprüft und zwar an Menschen, Hunden und 
Kaninchen. 


ı) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie, 
Berlin 1913. 


738 Sticker, 


Es zeigte sich in allen Fällen, daß die Haut eines mit posi- 
tiver Elektrizität aufgeladenen Körpers weit stärkere Reaktions- 


grade der Bestrahlung zeigte, als bei Aufladung mit negativer 
oder ohne jede Elektrizität. 


Elisabeth Behnisch, 19 Jahre alt, ärztliche Präparatorin. 

6. Mai. a) Rechter Unterarm Beugeseite 5 Minuten mit Mesothorium (Glinımer- 
kapsel 30 mg Radiumbromid äquivalent) bestrahlt. b) Linker Unterarm Beugeseite 
wie a) bestrahlt unter gleichzeitiger Aufladung der auf dem Isolierstuhl bennd- 
lichen Versuchsperson mit positiver Elektrizität. c) Linker Unterarm Streck:eite 
wie a) bestrahlt und negative Aufladung. Bald nach der Bestrahlung zeigten a!!e 
drei Stellen leichte Röte. 


In der ersten Woche Stelle a) verschwommen gerötet, b) stark gerötet, c) kleine 
Punktröte. 

Die Röte nahm bis zur 4. Woche zu, immer so, daß die Stelle b) vor a) unà cì 
einen stärkeren Grad aufwies. Auch die Empfindlichkeit war stets bei b) stärker 
als bei a) und c.) 

Es kam zur leichten Blasenbildung, welche gegen Ende der 5. Woche unter 
Schorfbildung abheilte. 

Alle drei Stellen nicht mehr empfindlich, in der Peripherie braunrot. im 
Zentrum depigmentiert. 

Nach weiteren 4 Wochen zeigen alle drei Stellen eine bräunliche periphere 
Pigmentation mit zentraler Depigmentierung; den stärksten Grad zeigte, wie auch 
in der Reaktionszeit, die Stelle b.) 

2. Elisabeth Behrends, 23 Jahre alt, Malerin. 

8. Mai. a) Linker Arm Beugeseite 7 Minuten mit Mesothor (Glimmerkapsel, 
30 mg Radiumbromid äquivalent) bestrahlt. b) Rechter Arm wie a) bestrahlt 
unter positiver Aufladung. c) Linker Arm Streckseite wie a) bestrahlt unter nega- 
tiver Aufladung. 

8. Mai Stelle a) schwache undeutlich abgesetzte Röte, b) schwache kreisrunde 
Röte, c) undeutlich verschwommene Röte. 

In der ersten Woche nach der Bestrahlung nimmt die Röte bei b zu, bieitt 
bei a) und c) schwach. 

In der 2. Woche tritt an allen drei Bestrahlungsstellen ein zentrales Knötchen 
auf, das bei b) bald in ein kleines Bläschen übergeht. 

In der 5. Woche an allen drei Stellen starke Röte und Schmerzhaftigkeit. 
Die Röte bei a) nur im Zentrum, bei b) im ganzen Bestrahlungsgebiet, bei c) nor 
in der Peripherie, im Zentrum Blasenbildung. 

In der 7. Woche heilten die drei Stellen unter leichten Krusten ab. 

8. Großer Jagdhund. 30. April an der Innenfläche beider Oberschenke: 
wurde die rasierte Haut je !/, Stunde mit Mesothor (30 mg Radiumbromid äqu- 
valent) bestrahlt rechts ohne, links mit positiver Elektrizitätsaufladung. 

Am 3. Tage rechts keine, links schwache Röte. Am 7. Tage rechts Spuren. 
links stärkere Ausschwitzung, am 10. Tage Krustenbildung und gerötete Randzore 
links stärker als rechts. 

Die Heilung nahm weitere 8 Tage in Anspruch, 

4. Großer Hund. An der Vorderbrust an 4 fünfmarkstückgroßen rasierteu 
Stellen vorn links und rechts mit Mesothor (55 mg), hinten links und recht: 
mit Mesothor (30 mg) je '/, Stunde bestrahlt. Die Stellen rechts unter Autladun: 


Steigerung der Radiumwirkung durch statische Elektrizität. 739 


mit positiver Elektrizität. Alle 4 Stellen bald nach der Bestrahlung leicht gerötet 
an scharf kreisrund gezeichneten Stellen. 

Am 4. Tage (6. Mai) vorn kreisrunde, dem Kapselfenster entsprechende Aus- 
schwitzung mit !/, cm breiter leicht geröteter Randzone, rechts etwas stärker wie 
links, hinten leichte Blasenbildung mit geröteter Randzone, auch hier rechts 
stärker als links. 

Am 7. Tage war stärkere Ausschwitzung rechterseits noch deutlich zu sehen. 
Die Krusten hinten links etwas früher ab als rechts. 

5. Großer Hund. An zwei zwischen den Schultern rasierten Hautstellen 
lj} Stunde mit Mesothor (30 mg) links ohne, rechts mit negativer Aufladung. 

Am 10. Tage stärkere Ausschwitzung und Krustenbildung an beiden Stellen, 
welche erst in der 4. Woche abheilten. Ein Unterschied einer Reaktion an beiden 
Stellen war nicht bemerkbar. 

6. Weißes Kaninchen mit Mesothor (55 mg Radiumbromid äquivalent 
16 Minuten bestrahlt a) vordere Stelle, b) hintere Stelle unter positiver Aufladung. 

Am 4. Tage deutliche Verbrennung; an beiden Stellen gelbliches Zentrum, 
roter Hof, bei b) stärker als bei a). Nach 9 Tagen schwand der rote Hof, die gelbe 
Pustel hatte zugenommen stärker bei b) als bei a.) 

Am 14. Tage war Stelle a) schon ganz verheilt, b) zeigte noch kleinen Defekt. 

7. Weißes Kaninchen mit Mesothor (30 mg Radiumbromid äquivalent) 
lb Minuten bestrahlt a) vordere Stelle, b) hintere Stelle unter positiver Aufladung. 

Aın 9. Tage traten kleine Knötchen an beiden Stellen auf, welche sich zu 
Pusteln bis zum 18. Tage vergrößerten. 

Die hintere Stelle zeigte eine weit stärkere hyperämische Randzone und 
stärkere Eiterpusteln als die vordere Stelle. 


Die Beschaffenheit der von mir und anderen bisher angewandten Be- 
strahlungsapparate (Ebonitkapseln mit Glimmerverschluß, Glastuben, Por- 
zellanstein, Metallträger mit aufgelackter radioaktiver Substanz usw.) erlaubt 
nur diese eine Kombination der statischen Elektrizitäts- und Radium- 
bestrahlung, d. h. positive Aufladung des vollständig isolierten Körpers 
während der Zeit der Radiumapplikation. 

Nach den Arbeiten des englischen Physikers Eve und des deutschen 
Physikers Reinganum war aber noch eine andere Kombinationswirkung 
denkbar. | 


Eve zeigte, daß der Einfluß von elektrischen Potentialen auf radio- 
aktive Präparate sich durch Vergrößerung der Reichweite und Zubiegung 
der Strahlung bemerkbar machte. Letztere konnte Reinganum nicht be- 
stätigen, dagegen fand er ebenso wie Eve, dal ein elektronegatives Potential 
die Reichweite der Strahlung der radioaktiven Substanzen vergrößert, also 
die positive Aufladung des Präparates die der x-Teilchen, die negative Auf- 
ladung die der B-Teilchen. 

Das von mir hergestellte neue Instrumentarium, welches auf diesem 
Kongreß zum ersten Male in der Ausstellung demonstriert wird, ermöglicht 
nun nach diesem Prinzip noch eine zweite Kombination der Radium- 


740 Sticker, Steigerung d. Radiumwirkung durch statische Elektrizität. 


bestrahlung und Anwendung statischer Elektrizität. Ich vermag mit Hilfe 
dieses Instrumentariums die auf dem Isolierstuhl sitzenden Patienten mit 
einem negativ aufgeladenen radioaktiven Präparate zu behandeln, mit dem 
Nutzen, daß ich eine weit stärkere Tiefenbestrahlung erziele, welche uns 
bei Tumorkranken sehr zu statten kommt, und ohne den Nachteil irgend- 
welcher unangenehmen Wirkungen seitens der angewandten statischen 
Elektrizität. 

Den Beweis hierfür erlaube ich mir in einer demnächst erscheinenden 
wissenschaftlichen Studie. welche reiches Material bringt, zu liefern. 


Über Quellenmessung. ') 
Von 
H. Sieveking, Karlsruhe. 


M Herren! Ich möchte Ihnen einige Mitteilungen allgemeiner Natur 
i über Erfahrungen machen, die bei Untersuchungen der Thermal- 
quellen und Mineralquellen gesammelt worden sind. Ich habe gemeinsam 
mit Herrn Prof. Engler mich dieser Frage seit längerer Zeit zugewandt. 
Bei der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit muß ich mich auf 
einige ganz allgemeine Gesichtspunkte beschränken. 

Am wichtigsten dürfte die Frage nach dem Ursprung der Radioaktivität 
in den Quellen sein. Wenn auch die Thermalquellen selbst meist aus 
großer Tiefe stammen, so ist doch aller Wahrscheinlichkeit nach die Auf- 
nahme radioaktiver Emanation und gelöster radioaktiver Stoffe ein in den 
oberen Schichten erfolgender Vorgang. Da es meist vulkanische Gesteine 
sind, die eine verhältnismäßig hohe Aktivität der aus ihnen austretenden 
Quellen zeigen, so darf man nicht aus der Temperatur und der thermischen 
Tiefenstufe auf den Ursprungsort schließen. 

Die Primärquellen von hoher Aktivität treten zumeist aus verwittertem 
Granit aus. Die Aktivität ist im allgemeinen am größten bei Quellen auf 
Verwerfungsspalten im oder am Rande des älteren Gebirges, nahe von 
Porphyrbrüchen, im Porphyr selbst und an der Auflagerungsfläche des 
Oberrotliegenden auf Granit. Im Buntsandstein ist meist nur noch geringe 
Radioaktivität nachzuweisen. Wenn es auch nicht ausgeschlossen ist, daß 
einige Quellen in großer Tiefe aktiviert werden, so läßt doch der Umstand, 
daß sich bei ein und demselben Quellenkomplex bei ganz ähnlicher chemischer 
Zusammensetzung und ganz nahe zusammenliegenden Austrittsstellen sehr 
beträchtliche Temperaturdifferenzen zeigen, darauf schließen, daß bei ge- 
meinsamem Ursprung in der Tiefe nach oben eine Verzweigung stattfindet. 
Die einzelnen Adern durchsetzen die oberen Schichten auf verschiedenen 
und vor allem verschieden langen Wegen. Dies erklärt ihre Temperatur- 
differenzen. Da auch die Stärke der Aktivität der Quellen einer Gruppe 
sehr verschieden ist, so ist mutmaßlich die Aktivierung, wie der Vorgang 
der Emanationsaufnahme und der Lösung radioaktiver Stoffe kurz genannt 
werden möge, ebenfalls in den oberen Schichten erfolgt. 


ı) Vortrag, gehalten auf dem 4. Internationalen Kongreß für Physiotherapie, 
Berlin 1913. 


742 Sieveking, 


Die Temperaturfrage ist sehr wichtig. Sehr häufig zeigen die kalten 
Quellen eines Komplexes eine relativ hohe Aktivität (z. B. die Eisenquelle 
in Karlsbad, die Grabenbäckerquelle in Gastein, die Büttquelle in Baden- 
Baden). Gase werden von kaltem Wasser besser absorbiert als von heißem. 
Andererseits wird der Auslaugungs- und Lösungsvorgang bei heißen Quellen 
intensiver erfolgen als bei kalten, wodurch die Aktivität der Thermen als 
solcher sich rechtfertigt. Denn bis zu einem gewissen Grade vermögen 
die heißen Wasser begünstigt durch die Druckverhältnisse und die An- 
wesenheit von CO, im Überschuß auch geringe Mengen der an sich sehr 
unlöslichen Primärsubstanz zu lösen. Letztere wird dann allerdings bein 
Austritt fast immer so gut wie ganz ausgeschieden. Auf die Art und 
Weise komme ich noch ausführlich zurück. 

Neben der Radiumemanation findet sich fast stets nachweisbare Thorium- 
emanation. Auch Aktinium dürfte sich, sofern man sich die Mühe nimmt. 
häufig feststellen lassen. Es möge betont werden, daß die Zusammen- 
setzung einen bestimmten lokalen Charakter bedingt, und daß somit die 
natürlichen Quellen stets eine gewisse Superiorität vor künstlich aktiviertem 
Wasser besitzen. Sonst würde es naheliegen, an geeigneten Plätzen einen 
Ersatz mittels fabrikmäßig gewonnenen Radiums auszuführen. 

Die Frage, ob jede Radiumemanation führende Quelle darum als Heil- 
(uelle anzusprechen sei, ist zu verneinen. Es ist bei der ungeheuren Ver- 
breitung der Emanation fast eine Seltenheit, wenn eine Quelle keine 
Emanation zeigt. Quellen mit 5—10 Macheeinheiten sind in so großer 
Zahl vorhanden, daß sie kein Wertobjekt an sich darstellen. Es müssen 
eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein, um eine nutzbringende Ausbeutung 
zu garantieren. Vor allem kommt es auf die Wassermenge an und darauf, 
ob dieselbe ungeschmälert zur Disposition ist. Auch spielt die Temperatur 
eine wichtige Rolle. Wenn wie das z. B. in Wildbad i. W. der Fall ist, 
das Wasser gerade mit der zum Baden erwünschten Temperatur austritt 
und nicht weiter abgekühlt oder versetzt werden braucht, so ist das ein 
eminenter Vorteil, der die geringe Aktivität wettmachen kann. Im allge- 
meinen kann man eine Quelle von 20 Macheeinheiten als radioaktive Quelle 
für Heilzwecke ansprechen; aber auch Quellen von 10 Macheeinheiten 
können unter besonders günstigen Bedingungen inbezug auf Quantum, 
Temperatur und Fassung als solche gelten. Wenn auch die Opposition 
gegen die Macheeinheit unsern vollen Beifall findet, so halten wir es doch 
in einer Darstellung allgemeinen Charakters für nützlich, uns derselben zu 
bedienen. Sie hat sich so eingebürgert, daß zurzeit noch eine Wiedergabe 
mit ihrer Anwendung ein bequemeres Bild gibt für die Praxis als die 
Reduktion auf das Curie oder dessen Unterteilungen, oder die Milligramn- 
minute. Was die Messung angeht, so benütze ich diese Gelegenheit, unı 


Über Quellenmessung. 743 


einige ständig wiederkehrende Einwände gegen den Engler-Sieveking- 
schen Apparat zu widerlegen. Daß die Ionisierungskammer offen ist, be- 
dingt gegenüber der unübertroffenen Luftisolation einen so erheblichen 
Gewinn, daß ein eventueller Diffusionsverlust dagegen nicht in Rechnung 
kommt. Wie manche Aktivität ist durch mangelhafte Isolation vorgetäuscht 
worden, sobald der Bernstein feucht geworden war. Bei den geringen tat- 
sächlich vorhandenen Emanationsmengen ist deren Partialdruck so gering, 
daß die Diffusionszeit unendlich groß wird, wozu noch das hohe Molekular- 
gewicht der Emanation kommt. Direkte Versuche, bei denen ein auf der 
Achse des Fontaktoskopes verschiebbarer Bernsteinstopfen nach Belieben die 
Kammer verschließen konnte, haben die Richtigkeit meiner Behauptung 
bewiesen. Man bedenke ferner, daß die Prüfung einer Quelle in der Praxis 
doch immer in der Weise erfolgt, daB man erst eine approximative Messung 
ausführt, und dann bei den wichtigeren Quellen in aller Muße und mit 
jeder Genauigkeit später den Gehalt bestimmt. Dann kann man auch in 
aller Ruhe das Gleichgewicht der rasch verklingenden Zerfallsprodukte ab- 
warten, was bei der primären Bestimmung nicht notwendig ist. 

Was die Seaimente angeht, so scheidet sich das Radium in zahlreichen 
Fällen als Sulfat aus. Dabei ist dann stets Bariumsulfat der Begleiter. 
Sehr interessant sind die von Herrn Dr. Knett beobachteten stark radium- 
haltigen Schwerspatkristalle, die sich auf den Wandungen einer vom Karls- 
bader Thermalwasser durchströmten Spalte abgesetzt haben. Oder es treten 
Karbonate auf, wie z. B. in Kreuznach. Sehr interessant ist auch die 
von Engler gemachte Wahrnehmung, daB das Radium aus Lösungen mit 
niedergeschlagenem Manganperoxyd ausfällt, was entweder auf eine Manganit- 
bildung zurückzuführen ist, oder aber auch ein kolloidaler Niederschlags- 
vorgang sein kann, analog den interessanten Beobachtungen Ebler’s, der 
bekanntlich ein neues Verfahren zur Ausscheidung des Radiums hierauf 
begründet hat. 

Ausführlich hat C. Engler diese Frage im 4. Heft der Zeitschrift 
Radium in Biologie und Heilkunde behandelt. Auf diese Abhandlung 
sei hiermit verwiesen. Ich entnehme ihr ebenfalls eine interessante Berech- 
nung: Radivaktive Quellen mit 15 bis 20 Macheeinheiten sind im Schwarz- 
wald durchaus keine Seltenheit. Berechnet man den ungefähren Granit- 
gehalt des ganzen Gebirges und nimmt man einen mittleren Gehalt von 
Uranerzen, sowie darin von Radium an, so kommt man zu dem Schluß, 
daß ca. 20000 kg Radium im Schwarzwald verborgen liegen. Leider ist 
es nicht möglich, eine chemische Aufschließung des Gebirges durchzufüliren, 
sodaß diese Schätze unbehoben bleiben werden. 

Die auf Anregung von Engler unternommenen Fahndungen auf Uran 
sind erfolgreich gewesen. Nachzuwcisen waren an einer ganzen Reihe von 


744 Sieveking, Über Quellenmessung. 


Stellen uranhaltige Mineralien, unter diesen vor allem schön smaragdgrüner 
Kupferuranit, ferner grünlichgelber Kalkuranit und endlich Uranocker. 

Der Nachweis von Helium in Quellen ist in zahlreichen Fällen ge- 
lungen; hierüber habe ich ausführlich anläßlich des Naturforscher- und 
Ärztetages in Münster berichtet. 

Zum Schlusse möchte ich mir erlauben, Ihnen meinen Dank auszu- 
sprechen für die ehrende Aufforderung, Ihnen hierüber vorzutragen, und 
zwar möchte ich dies, da ich alle diesbezüglichen Untersuchungen gemeinsanı 
mit Herrn Prof. Engler ausgeführt habe, in unser beider Namen tun. 
Immer wieder werden wir gefragt, wie weit der Zusammenhang zwischen 
Radioaktivität und Heilkraft gesichert sei. Wenn wir als Chemiker und 
Physiker darüber kein Urteil haben, so mul uns um so mehr daran ge- 
legen sein, vor dem kompetenten Forum von Ärzten diese Fragen anzu- 
regen und Ihre Belehrung entgegenzunehmen. 


Aus dem Laboratorium 
der deutschen Gasglühlicht-Aktiengesellschaft, Berlin. 


Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 
Von 


B. Keetman und M. Mayer. 
(Mit 3 Abbildungen.) 


D“ Beherrschung der Filtertechnik ist unerläßlich für die Anwendung 
starker Mesothor- und Radiumpräparate. Über diesen Gegenstand 
sind einige Abhandlungen erschienen.?)?) 

Im nachfolgenden wird gezeigt, daß die Forderungen dieser Autoren 
teilweise nicht im Einklang stehen mit den Ergebnissen genauer physi- 
kalischer Untersuchungen. 

Es muß aufs entschiedenste verlangt werden, daß alle empirischen 
Gesichtspunkte, soweit es sich um die physikalische Seite der Bestrah- 
lungstherapie handelt, aus der Diskussion ausgeschaltet werden. 

Für die Tiefenbestrahlung mit hohen Dosen sind die a-Strahlen wegen 
ihres geringen Durchdringungsvermögens nicht anwendbar; sie werden 
daher nicht weiter in die Betrachtung einbezogen. Mit den £- und y- 
Strahlen dagegen haben wir uns ausführlich zu beschäftigen. 

Es ist einleuchtend, daß stets nur derjenige Bruchteil der in Form 
von Strahlen zur Verfügung stehenden Gesamtenergie biologisch-che- 
misch ausgenützt wird, der im Gewebe zur Absorption gelangt. Das 
besondere Augenmerk ist also auf die Absorbierbarkeit bzw. Durch- 
dringungsfähigkeit der verschiedenen Strahlensorten im Gewebe zu 
richten. Damit wird gleichzeitig die Frage nach der Grenze der Tiefen- 
wirkung berührt. 

Weiterhin ist die Wirksamkeit der verschiedenen Metalle hinsichtlich 
ihrer Durchlässigkeit für die $- und y-Strahlen zu erörtern. Man gewinnt 
dann einen Anhalt, welche Metalle als Filtermaterial sowohl für 8- wie 
für y-Strahlen am geeignetsten sind. 

Nach Erörterung der rein physikalischen Ergebnisse soll der Versuch 
gemacht werden, die Nutzanwendung daraus für die Bestrahlungstherapie 
zu ziehen. 


!) Gauß, „Strahlentherapie“ Band III, Heft 1, S. 348. 
2) Sticker, „Strahlentherapie“ Band II, Heft 1, S. 1. 


746 Keetman u. Mayer, 


1. $-Strahlen. 


Die Anschauung, daß die -Strahlen des Mesothors aus einer Reile 
ganz verschieden weicher und harter Strahlenanteile bestehen, kann —— 
wenigstens für die therapeutische Seite — nicht als richtig anerkannt 
werden, sobald das radioaktive Präparat auch nur von einer Glimmer- 
schicht von 0,06 mm Dicke bedeckt ist.!) Durch dieses Glimmerbla tt 
werden die weichen Anteile der -Strahlen zugleich mit den a-Strahlen 
vollkommen absorbiert. Die dann noch durch den Glimmer durchtreten- 
den -Strahlen verhalten sich dem Gewebe gegenüber wie eine einheit- 
liche, homogene Strahlung. 

Setzt man die durch den Glimmer durchtretende £- plus y-Strahlun «z 
gleich 100 und bestimmt, wie ihre Gesamtintensität mit steigenden Ge- 


l.ogarithmen der gemessenen Aktivitäten. 





mm Cerebe 


Fig. 1. 





websschichten abnimmt, so werden diese Verhältnisse durch Fig. 1 dar- 
gestellt. Die Strahlungsintensität ist mit J bezeichnet, die Gewebs- 
schichten sind auf der Abszisse in Millimetern aufgetragen. Man sieht, daß 
nach Durchgang einer Gewebsschicht von 1 mm nur noch 40%, nach 
2 mm nur noch 20% und nach 3mm nur noch 10% der ursprünglichen 
Strahlung vorhanden ist. Nach 6 bis 8 mm Gewebsschicht verläuft die 
Kurve fast horizontal, d. h. es bleibt die y-Strahlung übrig, die 
bei Einschaltung weiterer Gewebsschichten nur sehr langsam vermin- 
dert wird. 

Subtrahiert man von den in der Fig. 1 aufgetragenen Werten die un- 
gefähr konstant bleibende y-Strahlung, so erhält man das Absorptions- 
gesetz für die -Strahlen in Gewebsschichten. Trägt man dann die 


1) An Stelle des Glimmers können gewisse Metalle natürlich von entsprechen- 
der Dicke treten. 


Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 747 


Logarithmen der experimentell gefundenen Aktivitäten in eine Kurve ein, 
so zeigt sich, daß alle Werte auf einer Geraden liegen (Fig. 2). 

Dies bedeutet, daß jedes Zehntel mm Gewebe den gleichen Bruchteil 
der jeweils vorhandenen -Strahlung absorbiert und zwar, wie sich 
aus der Kurve leicht ersehen läßt, ungefähr 8%,. Die £-Strahlung, die 
durch ein Glimmerblatt von 0,06 mm Dicke hindurchgegangen ist, kann 
also dem Gewebe gegenüber als eine einheitliche Strah- 
lung betrachtet werden. Bei der Untersuchung im magnetischen Felde 
erweisen sich die -Strahlen allerdings als komplex; dies gilt aber nicht 
für ihre Absorption im Gewebe. Das letztere ist für den Mediziner das 
Wesentliche. Fig. 1 gibt also ein ganz klares Bild darüber, wie die £- 
Strahlung im Gewebe ausgenützt wird. Die Tiefenwirkung der ß-Strah- 
lung ist also mit ca. 6—8 mm erschöpft. 

Es erhebt sich nun die Frage, wie sich die einzelnen Metalle gegen- 
über der -Strahlung verhalten. Zur Feststellung wurde ein Mesothor- 
präparat mit allmählich wachsenden Schichten verschiedener Metalle 
bedeckt und die durchtretenden Aktivitäten in einem mit Blei ausgelegten 
Elektroskop gemessen.!) Die Logarıthmen der gefundenen Stromstärken 
wurden in Kurven zusammengestellt. 





S 
~ 
N 
V 
x 
N 
9 
S 
x 
N 
w 
X 
S 
` 
N 
w 
x 
a 
> 
> 
~ 
N 
Y 
> 
`~ 
N 
w 
t 
A 
| 


Fig. 3 zeigt die erhaltenen Resultate für Aluminium (Al), Messing 
(Cu + Zn), Silber (Ag), Gold (Au) und Blei (Pb). Wie man sieht, zeigt 
sich bei allen Metallen ein scharfer Knick der Kurve dann, wenn die £- 
Strahlen für praktische Zwecke vollkommen absorbiert sind. Bei Alu- 
minium sind 8—3,5 mm, bei Messing und Silber je 1—1,5 mm, bei Blei 
und Gold ca. 0,7 mm erforderlich. Alsdann bleibt nur die reine y-Strah- 
lung übrig. Die hier gefundenen Zahlen unterscheiden sich wesentlich 





ı) Die Strahlen konnten in das Elektroskop durch ein dünnes Aluminium- 
fenster eintreten. In Elektroskopen aus anderem Metall ergeben sich etwas ab- 
weichende Kurven. 


748 Keetman u. Mayer, 


von den z. B. von Sticker!) angegebenen Werten. Bisher glaubte man. 
daß selbst 4 mm Blei nicht ausreichen, um sämtliche -Strahlen zu 
absorbieren. Wodurch diese Differenzen zu erklären sind, soll in einer 
späteren Arbeit erläutert werden. Man hat nunmehr exakte Unterlagen 
für die Filterdicke verschiedener Materialien, wenn es sich um die Ab- 
sorption der -Strahlen handelt. 

Folgende Tabelle faßt nochmals die Filterdicken zusammen, bei 
deren Anwendung die £-Strahlen sicher unschädlich gemacht werden: 


Aluminium 3—4 mm 
Messing 1,0—1,5 ,, 
Silber 1,0—1,5 ‚, 
Blei 0,8—1 ,, 
Gold 0,6—0,8 , 
Platin 0,5—0,6 ,„ 


Wil man für bestimmte Zwecke nicht alle -Strahlen absorbieren, so 
kann man Filter verwenden, die eine geringere Stärke aufweisen, als zur 
Absorption sämtlicher -Strahlen notwendig ist. 

Setzt man die durch ein Glimmerblatt von 0,06 mm durchtretende 
ß- plus y-Strahlung gleich 100, so wird z. B. durch ein Aluminium- und 
Silberfilter von 0,05 mm Dicke 28 bzw. 68%, der -Strahlen absorbiert. 

Durch Variation der Filterdicken verschiedenen Materials ist man in 
der Lage, ganz bestimmte Mengen der £-Strahlen neben den y-Strahlen 
mit zu verwenden. 

2. y-Strahlen. 


Ihrer Natur nach unterscheiden sie sich sehr wesentlich von den 
ß-Strahlen. Dem Gewebe und Metallen mit niedrigen Atomgewichten 
gegenüber verhalten sich die y-Strahlen, ebenso wie die -Strahlen (vgl. 
Abschnitt 1) einheitlich.?2) Jeder Zentimeter Gewebsschicht absorbiert 
etwa 10%, der jeweils vorhandenen y-Strahlung. Neuerdings ist diese 
Zahl von Giraud für die y-Strahlung des Radiums exakt zu 9% ange- 
geben worden.®) Es kann daher — im Gegensatz zur Anschauung Sticker: 
— von weicheren und härteren y-Strahlen wenigstens dem Gewebe gegen- 
über nicht gesprochen werden. 

1) 1. c, S. 10. 

%, Diese Einheitlichkeit geht aus den Kurven der Figur 3 hervor. Nach der 
Absorption der 8-Strahlen werden die Kurven gradlinig, d. h. die y-Strahlung ver- 
hält sich wie eine homogene Strahlung, denn sie wird von diesen Metallen nach 
einem Exponentialgesetz absorbiert. Dies gilt für Aluminium und Messing bis zu 
sehr dicken Schichten. Beim Gold, Blei und Platin ergibt sich eine Komplikation. 
von der gleich nachher bei Betrachtung der Sekundärstrahlen gesprochen werden mul. 

®) „Strahlentherapie“, Bd. III, Heft 1, S. 82. 


Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 749 


Die Ausführungen von Sticker!) betreffend Absorption der y- 
Strahlen sind durchaus unzutreffend, ebenso seine anderen Bemerkungen 
über mittelharte und harte 8- und y-Strahlen. 

Nach unseren jetzt dargelegten Feststellungen über g- und y-Strah- 
lung ist daher zur Erzielung einer einheitlichen y-Strahlung gegenüber 
Gewebe nur notwendig, die -Strahlen vollkommen zu entfernen. Hier- 
zu genügt z. B., wie wir gesehen haben, schon 1 mm Messing. Es ist 
daher nicht erforderlich, stärkere Filter anzuwenden, etwa in der Absicht, 
eine weiche y-Strahlung abzufiltrieren. Eine weichey-Strahlung 
istgegenüber Gewebe und gegenüber Metallen mit nie- 
drigem Atomgewicht nicht nachweisbar. 

Diese Feststellung ist therapeutisch außerordentlich wichtig. Bei 
Metallen mit hohem Atomgewicht, wie Gold, Blei, Platin, ergeben sich, 
wie in der Anmerkung auf Seite 748 kurz angedeutet ist, Komplikationen. 
Die Art der Unstimmigkeit hat der eine von uns (B. Keetman) in Ge- 
meinschaft mit F. Bahr aufgeklärt. Die genauen Ausführungen und Belege 
werden an anderer Stelle mitgeteilt werden. Dieser Arbeit seien kurz 
folgende Betrachtungen entnommen. 

Die am Gewebe und an Metallen mit niedrigem Atomgewicht (Alu- 
minium, Messing, Nickel usw.) als einheitlich erscheinende y-Strahlung 
ist in Wahrheit komplex und besteht aus 2, vielleicht auch mehr Anteilen, 
die sich in ihrem Durchdringungsvermögen gegenüber Elementen mit 
hohem Atomgewicht erheblich unterscheiden. Ein Teil der Strahlen wird 
von Gold, Platin oder Blei sehr viel stärker absorbiert. Auf diese Weise 
erklärt es sich, wenn man die Absorption der harten Strahlung (y-Strah- 
lung) an verschiedenen Metallen feststellt, daß bei den Schwermetallen 
erheblich größere Absorption der am Gewebe einheitlich erscheinenden 
-Strahlung erfolgt. 

Die Tabelle gibt die Zahlenwerte: 

1 mm Messing absorbiert ca. 3% der y-Strahlen 


1 , Silber 5 PE e = 
1 , Gold 5. » 14% 5 u 
1 , Platin - 109% 5 5 
1 ,„ Blei = a BY- u 
2 „ Blei 5 w al + 
8 „ Bla 5 28%: 35 = 
4 „ Blei = „ 84% 5 A 


Man sieht also, daß der Verlust an y-Strahlen umso größer wird, 
Je höheres Atomgewicht und spezifisches Gewicht die Filter haben. Wäh- 
rend 1 mm Messing nur 3% der Gesamt-y-Strahlung absorbiert, absor- 
2) „Strahlentherapie“, Bd. III, Heft 1, S. 55. 
Strahlentherapie Band III, Heft 2. 48 


750 Keetman u. Mayer, 


biert 1 mm Silber 7%. Man sieht auch, wie zwecklos es ist, 2, 3 un. 
4 mm Blei zu verwenden, denn man vergeudet nur unnütz wertvolle 
Energie. 

3. Sekundär-Strahlen. 

Die erhebliche Schwächung der y-Strahlen ist aber keineswers der 
einzige Nachteil, den die Filter mit hohen Atomgewichten in sich bera«n. 
Dies wird verständlich, wenn man sich klar macht, was bei der Absorptivr 
der y-Strahlen entsteht. Bekanntlich erzeugen die y-Strahlen an allen 
Materien Sekundärstrahlen und zwar in umso stärkerem Maße, je stärzer 
sie absorbiert werden. Man kann also sagen, daß die Energie. die bei der 
Absorption der Primärstrahlen scheinbar vernichtet wird, in For von 
Sekundärstrahlen zum Teil neu in Erscheinung tritt. Infolgedessen lieferz 
die von deny-Strahlen getroffenen Metalle umso stärker Sekundärstralilen. 
Je höher das Atomgewicht ist. Diese neu hinzutretende Strahlung verh.l: 
sich ähnlich wie eine weiche £-Strahlung. Sie ist mithin für die Tiefen- 
therapie durchaus unerwünscht, da sie Oberflächenschädigungen hervor- 
rufen kann. Die Sekundärstrahlen müssen also durch Filter von nie 
drigem Atomgewicht absorbiert werden und zwar in umso sorgfältiverer 
Weise, je intensiver sie sind, d. h. je höher das Atomgewicht des Filter- 
metalles ist. Darin liegt natürlich ein weiterer großer Nachteil der Bleı-. 
Gold- und Platinfilter. Die Sekundärstrahlen können durch Gummu- 
oder Mullhüllen vernichtet werden. 


4. Nutzanwendung für die Therapie. 

Bei der Anwendung von Mesothor- und Radiumpräparaten ist al: 
wichtigstes Moment zu beachten, daß die Strahlung mit dem (Quadrat 
der Entfernung abnimmt. Dieser Satz gilt in gleicher Weise für e-, č- 
und y-Strahlen. Demnach wird pro Flächeneinheit in der Tiefe nur 
ein Bruchteil der an der Oberfläche vorhandenen Strahlung übrig bleiben. 
Dieser Bruchteil wird aber vermindert durch die für die einzelnen Strahlen- 
sorten charakteristische Absorption im Gewebe. 

Des weiteren muß vorausgeschickt werden, daß die £- und y-Strah- 
len sich in dem Betrage ihrer Gesamtenergie voneinander 
wenig unterscheiden. Es wird häufig davon gesprochen, daß dir 
ß-Strahlen 100 mal so stark sind wie die y-Strahlen. Gegen eine solche 
Ausdrucksweise muß Stellung genommen werden, denn sie läßt die irr- 
tümliche Auffassung zu, als ob die Energie der y-Strahlung 100 mal 
schwächer wäre als die der £-Strahlung. Die Erklärung liegt darin, 
daß von der Gesamitenergie der -Strahlen in jedem Zehntel Mili- 
meter Gewebe ca. 8°, absorbiert werden (s. 8. 747), während von der 
Gesamt-y-Strahlung pro Zehntel Millimeter Gewebsschicht nur ungefähr 


Gesichtspunkte für die Mesothoriunitherapie. 751 


0,09%, vernichtet werden. Stellt man sich auf den von uns ver- 
tretenen Standpunkt, daß der therapeutische Effekt wenigstens ange- 
nähert bedingt ist durch den in der Einheit des Gewebes vernichteten 
Energiebetrag, so ist klar, daß an der Oberfläche die -Strahlen ca. 100 mal 
so stark wirken müssen wie die y-Strahlen. Der Umstand, daß die Ge- 
samtenergie der $-Strahlen in Gewebsschichten von 6—8 mm Dicke fast 
vollkommen ausgenutzt wird (s. S. 747) während von der Gesamtenergie 
der y-Strahlung in 10 mm Gewebsschicht erst 10%, vernichtet werden, 
gibt die Erklärung, warum die Dermatologen mit relativ geringen Radium- 
oder Mesothoriummengen hervorragende Effekte erzielen. Diese arbeiten, 
und zwar mit vollem Recht, unter möglichster Ausnutzung der -Strahlen 
und dementsprechend ist es eine Kleinigkeit, Karzinome mit -Strahlen 
bis zu !/, cm Tiefe vollkommen zu vernichten. 

Filtriert man die -Strahlen bei schwachen Präparaten ab (ein schwa- 
ches Präparat ist ein solches mit wenigen mg Radiumbromidaktivität pro 
qem), so bleibt eine y-Strahlung übrig, die nicht mehr gestattet, irgendwel- 
che Wirkungen hervorzurufen, obwohl die Gesamtenergie dieser y-Strahlen 
ebenso groß ist, wie die der $-Strahlen. Der Grund liegt, wie schon er- 
wähnt darin, daß sich die Gesamtenergie der y-Strahlung auf eine viel 
größere Grewebstiefe verteilt, so daß der in der Volumeinheit des Gewebes 
zur Absorption kommende Energiebetrag nicht ausreicht, um noch einen 
zerstörenden Effekt hervorzubringen. Vorausgesetzt, daß der therapeuti- 
sche Effekt ungefähr dem in der Volumeneinheit des Gewebes absorbierten 
Energiebetrag entspricht, so wäre die Schlußfolgerung die, daß man auch 
mit reiner y-Strahlung dieselbe Oberflächenwirkung im ersten Zehntel 
mm Gewebsschicht hervorrufen kann, wie mit der 8-Strahlung, wenn nur 
die hundertfach größere Menge radioaktiver Substanz auf genau derselben 
Fläche angewendet wird und die -Strahlen restlos absorbiert werden. 

An dieser Stelle sei nochmals der vielfach geäußerten, aber vollkommen 
falschen Auffassung entgegengetreten, als ob die y-Strahlen in den Ober- 
flächenschichten nicht absorbiert werden, sondern erst in der Tiefe zur 
Absorption gelangten. Jeder Zentimeter Gewebsschicht absorbiert von 
der y-Strahlung ca. 10%, der jeweils vorhandenen Menge, gleichgültig, 
wie weit das Gewebe vom Präparat entfernt ist. 

Reine y-Strahlung wirkt auf gesundes Gewebe schädlich, sowie sie 
in der nötigen Dichte, d. h. in der nötigen Menge pro Einheit der Fläche 
auftritt, selbstverständlich bei entsprechender Bestrahlungszeit. 

Die Wirkung, die ein gegebenes Mesothorium- oder Radiumpräparat 
ausübt, ist daher in erster Linie abhängig von der Stärke des Präparates, 
d. h. davon, wieviel mg Mesothorium oder Radium (bezogen auf 
y-Aktivität) pro Flächeneinheit vorhanden ist. 

48* 


752 Keetman u. Mayer, 


Vielfach werden Angaben verbreitet, als ob die y-Strahlen des Ra- 
diums und die des Mesothoriums von einander erheblich differieren, un! 
dementsprechend berichten die einen Autoren, daß das Radium, die an- 
deren, daß das Mesothorium besser wirke. In Wahrheit aber unterscheiden 
sich diey-Strahlen des Mesothoriums 2 und des Thoriums D in ihrer Durch- 
dringungsfähigkeit nicht sehr von denen des Radiums, so daß die Wirkuny 
praktisch dieselbe sein muß. Es ist daher zu erörtern, wodurch Anschau- 
ungen zustande kommen können, wie sie z.B. Schauta in seinem Referat 
auf dem diesjährigen Naturforscherkongreß in Wien vorgebracht hat. 
Schauta berichtet, Radium wirke erheblich besser als Mesothoriun.. 

Es muß zu diesem Zweck erläutert werden, in welcher Abhängigkeit 
die Tiefenwirkung eines Mesothoriumpräparates von seiner Anordnung. 
d. h. von der Dichte seiner Strahlung steht. 

In der Literatur findet man durchgängig als Maß für die angewandte 
Dosierung die Angabe der für den Einzelfall benutzten Milligramn:- 
Stunden. Diese Bezeichnung ist gänzlich verfehlt; denn wenn es nur auf 
das Produkt aus der Anzahl Milligramm und der Bestrahlungszeit ankäme, 
so müßte ein Präparat von 20 mg Aktivität in 500 Bestrahlungsstunden 
dasselbe leisten können wie ein Präparat von 200 mg in 50 Stunden. 
Betrachten wir die strahlende Fläche in erster Annäherung als punkt- 
förmig (vom Karzinom aus gesehen), so nimmt die Strahlung pro Flächen- 
einheit nach der Tiefe zu mit dem Quadrat der Entfernung ab. Wir haben 
also bei dem Präparat, welches 200 mg pro qem besitzt, die zehnfach 
größere Strahlendichte. 

Machen wir die willkürliche Annahme, daß das Präparat mit 200 mg 
in der Entfernung 1 auf der Flächeneinheit 100000 y-Strahlen pro Se- 
kunde liefert, so ergeben sich für die Tiefe die untenstehenden Zahlen. 
Da das zweite Präparat nur den zehnten Teil der Dichte des ersten pro 
Flächeneinheit hat, so ist seine Strahlendichte natürlich in jeder der Be- 
trachtung unterzogenen Entfernung zehnmal geringer. 


Entfernung vom Präparat: Strahlendichte: 
1 100000 
2 25000 
3 11111 
4 6250 
5 4000 
6 2780 
T 2040 
8 1564 
9 1235 


1000 


wà 
© 


Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 753 


Aus den bisherigen therapeutischen Erfahrungen geht mit Sicherheit 
hervor, daß zur Zerstörung von Karzinomzellen eine gewisse Minimal- 
dosis an Strahlen pro Flächeneinheit notwendig ist.!) 

Erreicht man mit einem gegebenen Präparat die Minimaldosis nicht, 
so besteht die Gefahr, daß nach langer und andauernd schwacher Bestrah- 
lung das Karzinomgewebe gereizt und zu neuer Wucherung angeregt 
wird, die mitunter noch bösartiger sein kann als das unbestrahlte Gewebe. 
Darum muß das Ziel darauf gerichtet sein, in kürzester Zeit mit der größt- 
möglichen Strahlendosis in die Tiefe zu kommen, oder mit anderen Worten, 
die Dichte der Strahlen muß so hoch gewählt werden, daß auch die am 
weitesten entfernte Karzinomzelle der betreffenden Geschwulst von der 
Minimaldosis getroffen wird. 

Welches ist nun vom theoretischen Standpunkt aus betrachtet die 
günstigste Anordnung für Mesothorium und Radium für Tiefenbestrah- 
lung? Es ergeben sich zwei Möglichkeiten: 

1. die Anordnung auf flachen Trägern mit relativ geringer Ober- 
flächendichte pro qem und 

2. die Anordnung in kleinen Röhrchen mit möglichst hoher Dichte 
der Strahlung pro qem. 

Auf den ersten Blick scheinen beide Anordnungen genau das entgegen- 
gesetzte zu ergeben. Dies ist jedoch nicht der Fall. 

Das Gesetz, daß die Strahlendichte pro Flächeneinheit mit dem Qua- 
drat der Entfernung abnimmt, gilt nur für die Betrachtung punktförmiger 
Strahlungsquellen. Das Gesetz gilt, falls die Strahlenquelle nicht mehr 
punktförmig, sondern flächenförmig ist auch noch annähernd dann, wenn 
die von der Strahlung getroffene Fläche in einem solchen Abstand vom 
Bestrahlungsapparat liegt, daß der Bestrahlungskörper sehr klein er- 
scheint. 

Ist dagegen der Abstand des Bestrahlungskörpers klein, so daß er 
von der getroffenen Fläche gesehen, groß erscheint, so gilt das Gesetz 
von der Abnahme mit dem Quadrat der Entfernung nicht mehr. Die 
Erklärung liegt darin, daß auf einer Fläche jeder Punkt eine Strahlenquelle 
darstellt und jeder dieser Punkte nach allen Seiten Strahlen ausschickt. 
Die von verschiedenen Stellen ausgesandten Strahlen überkreuzen sich 
in der Tiefe, und dadurch kommt eine langsamere Abnahme der 
Strahlung zustande, als dem Quadrat der Entfernung entspricht. Daraus 
seht hervor, daß wenn der Abstand von dem zu bestrahlenden Karzinom 





I) Was aus der im Karzinomgewebe vernichteten Energie wird, läßt sich mit 
Sicherheit nicht sagen. Es besteht aber die Möglichkeit, daß bei der Absorption 
der Strahlung die ursprünglich harten Strahlen in weiche Sekundärstrahlen, die 
den Charakter von $-Strahlen haben, umgewandelt werden. 


754 Keetman u. Mayer, 


klein ist, man mit kleinen Röhrehen mit hoher Konzentration größere 
Strahlendichte erhält als mit flachen Trägern. Die flachen Träger mit 
geringer Oberflächenkonzentration dagegen haben dann eine Bedeutung, 
wenn man von der Oberfläche der Haut aus, ohne diese bei längerer Be- 
strahlungsdauer stark zu beanspruchen, in sehr große Tiefen dringen 
will. Diese Fälle sind aber selten und bedingen eine große Energiever- 
geudung. Die Strahlenenergie des Mesothoriums und Radiums wird am 
besten ausgenutzt, wenn man am oderim Karzinom arbeitet. 

Für das Arbeiten im Körperinnern kommen Platten erklärlicher- 
weise so gut wie nicht in Frage. Man ist also auf den Gebrauch von Röhr- 
chen angewiesen. Nur mit diesen kann man gewöhnlich die Forderung 
erfüllen, möglichst im oder am Karzinom zu arbeiten. Wie die Dichte 
der Strahlung mit dem Quadrat der Entfernung pro Flächeneinheit 
abnimmt, läßt die auf Seite 752 gegebene Tabelle erkennen. Es ist dort 
auseinandergesetzt, wieviel größere Tiefenwirkungen man erhält, wenn 
auf gleicher Fläche die Menge an Mesothorium oder Radium gesteigert 
wird. 

Die Strahlendichte eines schwächeren Präparates kann zwar an der 
Oberfläche zur Zerstörung der Krebszellen ausreichen, in der Tiefe aber 
sinkt die Strahlung rasch unter die Minimaldosis. Man kann nun das 
Verhältnis der Tiefen- zur Oberflächendichte dadurch günstiger gestalten, 
daß man sogenanntes Kreuzfeuer anwendet. Reicht die Wirkung einer 
bestimmten Anordnung nicht aus, um die Minimaldosis bis zur gewünsch- 
ten Tiefe zu bringen, so kann man mehrere Röhrchen in entsprechenden 
Abständen verwenden. Die Strahlen addieren sich in der Tiefe, ohne daß 
die Oberflächendosis größer wird. (Auf Platten verteiltes Mesothorium 
oder Radium stellt einen Spezialfall des Kreuzfeuers dar.) 

Aus diesen Betrachtungen ergibt sich, daß die Anschaffung kleiner 
Röhrchen mit großer Strahlendichte in den meisten Fällen vorzuziehen 
ist, da sie eine allgemeinere Verwendung zulassen. Sie besitzen, eine 
große Oberflächendichte, und ihre Tiefenstrahlung läßt sich durch gleich- 
zeitige Anwendung mehrerer Röhrchen nach der Kreuzfeuermethode be- 
liebig vergrößern. 

Dies führt uns zu einem weiteren Punkt, nämlich zur Frage nach der 
zweckmäßigen Konzentration der radioaktiven Substanzen. Es ist 
einleuchtend, daß kleine, enge Röhrchen nur die Anwendung hochkonzen- 
trierter Mesothor- oder Radiumpräparate zulassen. 

Soweit eine Tiefenwirkung beabsichtigt ist, ist die Konzentration der 
gelieferten Präparate von höchstem Interesse. Vielfach sind Radium- 
präparate im Handel, die nur 5 proz. oder 10 proz. sind, d. h. also. 
100 mg y-Aktivität sind enthalten bei 5 proz. Material in 2 g Substanz, 


Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 735 


bei 10 proz. Material in 1 g Substanz, bei 50 proz. Material in 200 mg 
Substanz. Eine sehr konzentrierte Anordnung eines 5 oder 10 proz. 
Präparates ist unmöglich, wenn die Anforderung hinzukommt, das Prä- 
parat in möglichst kleine Röhrchen einzufüllen. 

Es ist daher beim Kauf von radioaktiven Stoffen unbedingt zu for- 
dern, daß das Material nicht unter 70 proz. ist, d. h. 100 mg y-Strahlen- 
aktivität dürfen in nicht mehr als ca. 140 mg Substanz enthalten sein. 

Es muß verlangt werden, daß die Flächendichte, d. h. die 
Anzahl Milligramme pro gem bei Angabe der Dosierung hinzugefügt 
wird. Denn nur dann läßt sich ein Anhalt gewinnen, auf welchem Wege 
ein beschriebener Effekt erhalten ist. Zwei Präparate, sei es von Radium 
oder von Mesothorium, müssen ganz verschiedene Wirkungen hervor- 
bringen, auch wenn sie dieselbe Anzahl Milligramme enthalten, sobald 
die Oberflächenverteilung der beiden Präparate verschieden ist. Ver- 
sleiche von Mesothorium und Radium sind undenkbar in verschiedenen 
Anordnungen und mit verschiedenen Aktivitäten. Der Vorwurf kann 
der Klinik Schauta nicht erspart bleiben, daß sie versäumt hat, auf diese 
Verhältnisse Rücksicht zu nehmen. 

Ziehen wir die Schlußfolgerung, so ergibt sich zunächst, daß wo es 
überhaupt angängig ist, im Karzinom oder am Karzinom gearbeitet 
werden muß wegen der Abnahme der Strahlung mit dem Quadrat der 
Entfernung. 

Soll im Körper bestrahlt werden, so sind wegen der leichten Hand- 
habung kleine Röhrchen mit möglichst großer Dichte der Strahlung an- 
zuwenden. 

Es ist beobachtet, daß bei großer Dichte der y-Strahlung diese 
letztere schon nach wenigen Stunden imstande ist, an der Oberfläche 
auch gesunder Haut Erscheinungen hervorzubringen, die nachher, je 
nach der Art des benutzten Präparates, im Verlaufe längerer Zeiträume 
zu Ulzerationen führen. Bevor man daher mit irgendeinem Bestrahlungs- 
apparat Versuche anstellt, muß derselbe biologisch geeicht werden, 
d. h. es ist festzustellen, welche Wirkungen die reinen y-Strahlen nach 
vollkommener Absorption der -Strahlen und der Absorption evtl. auf- 
tretender Sekundärstrahlen hervorbringen. Zu diesem Zweck muß das 
Präparat verschieden lange Zeit an gesundem Gewebe liegen gelassen 
werden, und es sind die Wirkungen zu beobachten, die im Laufe von 2—8 
Wochen auftreten. Auf diese Weise gelangt man relativ schnell zu einer 
Übersicht, was mit dem Präparat geleistet werden kann. Aber die Ei- 
chung ist nicht nur für den Fall vorzunehmen, daß das Präparat unter Ab- 
filtrierung der -Strahlen und evtl. auftretender Sekundärstrahlen direkt 
an das Gewebe gebracht wird, sondern die Eichversuche sind zu wieder- 


756 Ä Keetman u. Mayer, 


holen in verschiedenen Abständen vom gesunden Gewebe. Um den Ab- 
stand genau einhalten zu können, empfiehlt es sich, eine Lage von Gummi 
oder Mull zwischen Präparat und Haut zu bringen. Der Gummi mnb 
aber frei sein von Schwermetallen, sonst entstehen durch den Gummi 
selbst wieder Sekundärstrahlen. Bekanntlich nimmt die Oberflächen- 
intensität der Strahlung mit dem Quadrat der Entfernung ab, d.h. 
sie sinkt mit den ersten Millimetern rapid, während nachher die Ab- 
nahme, wie die Zahlen der Tabelle auf 8. 752 zeigen, sehr viel lang- 
samer erfolgt. Hat man daher sehr starke Präparate, z. B. Röhrchen uni 
will man ohne eine Schädigung der Oberfläche hervorzurufen, Tiefenwir- 
kung haben, wozu längere Bestrahlungszeiten erforderlich sind, so muß 
man das Präparat in einem Abstand von mehreren Millimetern vom 
Gewebe benutzen. Würde man dasselbe Präparat direkt an die Ober- 
fläche der Haut bringen, so könnte man z. B. nur wenige Stunden 
ohne Schädigungen der Oberfläche bestrahlen. Für eine bestimmte 
Tiefe würde jedoch diese Zeit noch nicht ausreichen. Geht man aber 
in einen Abstand von 2 oder 8 mm, so kann man z. B. mit demselben 
Präparat viele Stunden bestrahlen, ohne eine Schädigung des gesunden 
Gewebes zu bekommen. Bei einem starken Präparat wird also trotz der 
Abnahme der Strahlung mit dem Quadrat der Entfernung noch eine 
genügende Dosis an y-Strahlen in die Tiefe dringen. Arbeitet man im 
Karzinom, so wird es natürlich keine Rolle spielen, ob die direkt an den 
Bestrahlungsapparat angrenzende Schicht bei längerer Bestrahlung ver- 
brannt wird. Man wird daher bei Bestrahlungen im Karzinom Wert 
darauf legen müssen, möglichst Röhrchen anzuwenden mit sehr hoher 
Oberflächendichte, denn je dichter die y-Strahlung, um so größer die 
Tiefenwirkung. Will man aber schnell entstehende Verbrennungen 
(direkt am Bestrahlungsapparat) vermeiden, so muß man vorgehen wie 
am gesunden Gewebe und zwischen Karzinom und Bestrahlungsapparat 
einen Abstand bringen. Dies geschieht zweckmäßig durch Anwendung 
eines Aluminiumfilters von ca. 8—8,5 mm Stärke (ein solches absorbiert 
die £#-Strahlung restlos, gleichzeitig von der vorhandenen y-Strahlunz 
nur ca. 3%). 5. S. 749. 

Man hat in diesem Falle 97%, der Gesamt-y-Strahlung zur Verfü- 
gung und hat die schädliche Oberflächendichte erheblich herabgeminldert. 
indem man zwischen Röhrchen und Karzinom 3 mm Abstand gebracht 
hat. Man kann auch so verfahren, daß man das eigentliche Bestrahlungs- 
röhrchen in einen Korkzylinder von 2 mm Dicke und diesen seinerseits 
in ein Messingfilter von 1 mm Wandstärke Dicke bringt. Der Ver- 
lust an y-Strahlung unter vollkommener Absorption der -Strahlung 
und unter Einhaltung eines Abstandes von 3 mm ist auch in diesem Fall 


n 


Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 737 


sehr gering. Diese Arbeitsweise ist dieselbe, wie wenn man mit Röhrchen 
von hoher Oberflächendichte durch gesunde Haut hindurch längere Zeit 
bestrahlen will. 

Die Bestrahlungszeit, die man beim Arbeiten im Karzinom wählen 
muß, hängt ab von der Gestalt des Karzinoms. Ist das Karzinom von 
unregelmäßiger ‚Gestalt, so wird von Fall zu Fall zu entscheiden sein, wie 
lang die Bestrahlungsdauer gewählt werden darf. Kommt z. B. das 
Röhrchen an eine Stelle, wo der Abstand nach der einen Richtung vom 
gesunden Gewebe 1 cm beträgt, der Abstand nach der anderen Richtung 
nur 5 mm, so ist ganz klar, daß an dieser Stelle nur die Zeit bestrahlt 
werden darf, die der Eichversuch in einem Abstand von 5 mm als zu- 
lässig ergeben hat. Will man trotzdem mit diesem Röhrchen länger 
bestrahlen, so muß die Strahlenmenge nach der Seite, wo der Abstand 
nur 5 mm vom gesunden Gewebe beträgt, verringert werden; dies kann 
durch Zwischenschaltung eines Filters geschehen. Es wäre also not- 
wendig, über das £-Strahlenfilter nach der einen Seite zu z. B. Bleifilter 
von 1, 2 oder 3 mm Dicke, je nach der Menge der zu vernichtenden y-Strah- 
lung, zu bringen (siehe Tabelle S. 749). (Selbstredend ist dabei die vom 
Filtermetall ausgehende Sekundärstrahlung, die stark verbrennend wirkt, 
durch Gummihüllen auszuschalten.) Am besten würden sich für solche 
Absorptionszwecke nicht Blei- sondern Platinfilter eignen, da 1 mmu 
Platin ca. 17% der y-Strahlen absorbiert. Man wird also für die 
Bestrahlungsapparate Filter mit beliebigen dem jeweiligen Zweck ange- 
paßten Ausschnitten herstellen müssen. 

Arbeitet man am Karzinom mit starken Präparaten, so ist das seit- 
lich und rückwärts befindliche gesunde Gewebe entsprechend zu schützen. 

Hat der Eichversuch ergeben, daß man z. B. am gesunden Gewebe 
nach einigen Stunden schon mit der y-Strahlung Verbrennungen be- 
kommt, so muß ein solcher Teil der y-Strahlung abfiltriert werden, daß 
man die Bestrahlungszeit entsprechend vergrößern kann. Dies ist dadurch 
möglich, daß man ein nur die Hälfte des Röhrchens bedeckendes Filter 
aus Platin oder Blei einschaltet und außerden die Sekundärstrahlen 
abfiltriert. Der Eichversuch mit dieser Anordnung am gesunden Ge- 
webe ergibt die mögliche Bestrahlungszeit. Natürlich läßt sich die Be- 
strahlungszeit noch vergrößern, wenn zwischen Röhrchen und gesundem 
Gewebe durch Tamponade (z. B. mit Mull) ein weiterer Abstand ge- 
schaffen werden kann. 

Dies sind im wesentlichen die Gesichtspunkte für die Bestrahlung im 
oder am Karzinom. Wenn es sich darum handelt, von der Hautoberfläche 
her Karzinom zu beeinflussen, so kann man ebenfalls Röhrchen, zweck- 
mäßig unter Anwendung von Kreuzfeuer, benutzen, jedoch mit der Maß- 


758 Keetman u. Mayer, Gesichtspunkte für die Mesothoriumtherapie. 


gabe, daB diese, wenn sie hohe Strahlendichte haben, in gewissem Ab- 
stand von der Hautoberfläche verwendet werden. Dann ist es möglich. 
längere Zeit und ohne Schädigung zu bestrahlen. Für solche Fälle kommen 
die Überlegungen in Betracht, die über die Verwendung flacher Be- 
strahlungsapparate bereits oben besprochen worden sind (vgl. S. 753). 
Daß auch die Platten biologisch geeicht werden müssen, bedarf nur kurz 
der Erwähnung. 

Es ist auch besonders darauf zu achten, daß die Verteilung der radio- 
aktiven Substanzen in den Röhrchen und auf den Trägern möglichst 
gleichmäßig ist.!) 

Zusammenfassung. 

1. Die £-Strahlen dringen bis zu einer Gewebstiefe von höchstens 
6—8 mm ein. Darüber hinaus können nur y-Strahlen wirksam sein. 
Die -Strahlen verhalten sich (abgesehen von einem sehr weichen Bestand- 
teil) dem Gewebe gegenüber wie eine einheitliche Strahlung. Zur praktisch 
vollkommenen Absorption der -Strahlen benutzt man am zweckmäßig- 
sten Metalle mit niedrigem Atomgewicht, z. B. ein Nickel- oder vernickelte 
Messingfilter von 1—1,5 mm Stärke. 

2. Die y-Strahlen verhalten sich dem Gewebe gegenüber wie eine 
einheitliche Strahlung. 1 cm Gewebe absorbiert ca. 10%. Diey-Strahlen 
erzeugen beim Auftreffen auf Materie Sekundärstrahlen, die umso stärker 
sind, je höher das Atomgewicht der Substanz ist. Die Erzeugung von 
Sekundärstrahlen ist mit einem entsprechenden Verlust an y-Strahlen 
verbunden. Man wählt daher Filter aus Gold, Platin und Blei nur in den 
Fällen, in denen die wirksamen y-Strahlen abgeschwächt werden sollen. 

3. Sekundärstrahlen haben nur Oberflächenwirkung und müssen 
entfernt werden. 

4. Die Strahlendichte nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab, 
Infolgedessen muß, wenn irgend angängig, im oder am Karzinom bestrahlt 
werden. Durch Anwendung von Kreuzfeuer läßt sich die Tiefendosis 
verstärken, ohne daß die Oberfläche mehr geschädigt wird als durch ein 
einzelnes Präparat. | 

5. Zur Zerstörung der Krebszellen ist eine Minimaldosis erforderlich. 
Es müssen also starke Präparate mit großer Strahlendichte verwendet 
werden. Zu schwache Dosen können Reizwirkungen ausüben. Das 
Produkt aus Aktivität und Zeit (Milligrammstunde) ist für den therapeuti- 
schen Effekt nicht maßgebend. 

6. Die Präparate sind biologisch zu eichen, damit beim Gebrauch 
Schädigungen des gesunden Gewebes vermieden werden können. 





1) Die Prüfung ist mit Hilfe eines Fluoreszenzschirms möglich. 


Aus der Klinik der tierärztlichen Hochschule zu Hannover. 


Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 


Von 


Dr. W. Liebert, Hannover. 


m Jahre 1898 machte Finsen in therapeutischer Beziehung von der 
Sonne und später von Kohlenbogenlicht Gebrauch, von zwei Licht- 
quellen, die reich sind an blauen, violetten und ultravioletten Strahlen. 
Mit Hilfe seines nach ihm benannten Apparates nahm er als erster eine 
erfolgreiche Behandlung des Lupus mittels Licht auf, in dem Glauben, daß 
besonders die ultravioletten Strahlen die erwiesene bakterientötende 
Wirkung auf die in der Haut befindlichen Tuberkelbazillen ausübten. 
Trotzdem die Finsenmethode so glänzende Resultate aufzuweisen 
vermochte, blieb diese Therapie nur größeren und staatlichen Instituten 
vorbehalten, weil die Benutzung der Finsenapparate mit großen Kosten 
verknüpft war. 

Das Bestreben billigere, dem Finsenlicht gleichwertige Lichtquellen 
zu benutzen, führten zu der Konstruktion einer Anzahl Lampen, von denen 
die Reynlampe, die Eisenlampe, die Uviollampe und schließlich die medi- 
zinische Quarzlampe genannt werden mögen. 

Von letzteren hat Schachtner (4) mit der Kromayerschen Quarz- 
lampe in der Klinik für kleine Haustiere zu Hannover im Jahre 1911 
Versuche vorgenommen und sie auf ihre Verwendbarkeit in der Veterinär- 
dermotherapie geprüft. 

Er kam zu dem Schluß, daß es sehr wohl möglich ist, gewisse Haut- 
krankheiten des Hundes, z. B. das Ekzem mittels der Quarzlampe zur 
Abheilung zu bringen, doch äußert er sich dahin, daß die Lichttherapie, 
die in der Menschenheilkunde einen so hochbedeutsamen Platz einnimmt, 
sich wohl kaum in die Tierheilkunde Eingang verschaffen werde. 

Auch ich, der ich mich damals ebenfalls mit der Quarzlampe be- 
schäftigte, mußte Schachtner in gewissem Sinne beipflichten. Es darf 
dabei jedoch nicht vergessen werden, daß diese Anschauung auf Grund der 
eigenartigen Konstruktion der Quarzlampe zustande kam. Mit der medi- 
zinischen Quarzlampe konnte immer nur eine relativ kleine Stelle auf ein- 
mal belichtet werden. Auch konnte die Bestrahlung immer nur von der 
Seite erfolgen, Umstände, die die Lampe für die allgemein verbreitete 
Behandlung von Tieren nicht zweckmäßig’ erscheinen ließen. 


760 Liebert, 


Basierend auf der von Arons (8) im Jahre 1892 gemachten Ent- 
deckung, im luftleeren Raum Quecksilberdämpfe zum Glühen zu bringen. 
wurde eine modifizierte Quarzlampe „Künstliche Höhensonne‘ nach Bact 
und Nagelschmidt von der Quarzlampengesellschaft in Hanau her- 
gestellt. 

Das Quarz hat die Eigenschaft, die ultravioletten Strahlen dureh- 
zulassen im Gegensatz zu anderen durchsichtigen Medien, wie z.B. Gla-, 
nnd besitzt ferner eine große Widerstandsfähigkeit gegen hohe Hitze 
grade. 

Die Konstruktion der Quarzlampe ist kurz folgende: In einer gebure- 
nen, fast luftleer gemachten Quarzröhre befindet sich an beiden Schenkel- 
enden flüssiges Quecksilber. Beide Schenkelenden (Pole) sind an eine 
für elektrische Zimmerbeleuchtung angelegte Gleichstromanlage von etwa 
120 Volt und 5—10 Ampere angeschlossen. 

Im ruhenden Zustande ist der Strom in der luftleeren Quarzrühr: 
unterbrochen; kippt man jedoch die Röhre in der Weise, daß das Queck- 
silber von einem Pol zum anderen fließt, so ist der Strom geschlossen und 
die im luftleeren Raum ständig angesammelten Quecksilberdämpfe werden 
sogleich glühend. Jetzt wird die Quarzröhre in ihre ursprüngliche Rubr- 
stellung zurückgekippt. Das Quecksilber fließt zu den beiden Polen 
zurück und nur die im Quarzbogen befindlichen glühenden Quecksilber- 
dämpfe bringen das an roten, violetten und ultravioletten Strahlen reiche 
Licht hervor, das nach etwa 10 Minuten langer Brenndauer der Lampe 
ihre größte Intensität entfaltet. 

Zur weiteren Erläuterung der Lampenkonstruktion sei gesagt, daß 
an den beiden Polen je ein fächerartiger Kühler aus Aluminium angebracht 
ist. Die Lampe ist ın einem kuppel- resp. glockenartigen Blechsehäuse 
montiert, das außen einen Hebel aufweist, mittels dessen die Lampe ge- 
kippt werden kann. Das Gehäuse wird an der Zimmerdecke oder einen: 
geeigneten Stativ aufgehängt und kann durch eine Aufzugvorrichtunz 
in Jede gewünschte Höhe gebracht werden. Die Bestrahlung erfolgt in: 
allgemeinen von oben herab, doch kann mittels einer an der Kupp- 
seitlich angebrachten Kulissen-Schiebevorrichtung auch eine Belichtun: 
des Objektes von der Seite erfolgen. 

Alle Quecksilberdampflampen, die aus einem Quarzgehäuse bestehen. 
vermögen drei verschiedene Wirkungen auszuüben, eine bakterizide, ein- 
chemische und eine spezifische Lichtwirkung. Für den Mediziner hat von 
diesen die letztere vor der Hand die größere Bedeutung erlangt. doc}: 
ist noch nicht zu übersehen, ob in Zukunft die bakterizide Wirkung für 
den Hygieniker ein nıindestens ebenso großer Faktor sein wird, mit dem 
er rechnet. | 


ae a 


Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 761 


So stellten unter anderen Autoren Schreiber und Herman (1) fest, 
daß es nicht die Wärme oder das beim Brennen der Lampe sich ent- 
wickelnde Ozon ist, sondern einzig die kurzwelligen ultravioletten Licht- 
strahlen sind, die die in einem Quarzglase untergebrachten Kulturen von 
Streptokokken, Staphylokokken, Kolibazillen abtöten konnten, während 
Röntgenstrahlen keine derartige Wirkung auszuüben vermochten. 

Bezüglich der chemischen Wirkung geben nach Stümpke (8) die 
französischen Forscher Bordier und Nogier an, daß außer der Ver- 
änderung von Chlorsilber- und Bromsilberpapier, auch in Ferrocyan- 
kaliumlösung getränktes Filtrierpapier nach Belichtung mittels Queck- 
silberquarzlicht einen tief ockergelben Farbenton annimmt. Ferner 
sahen Bordier und Nogier bei Belichtungen von Blut und Galle neben 
Veränderungen der Farbe auch solche des Spektrums dieser flüssigen 
Medien. Nach einer Bestrahlung von 2—3 Minuten konnte durch die 
spektroskopische Untersuchung des Blutes ein Verschwinden der Ab- 
sorptionsstreifen des Oxyhämoglobins und ein Auftreten des Methämo- 
globinstreifens im Rot beobachtet werden. 

Nach Berings (8) Untersuchungen ist der Hauptheilfaktor der 
Lichtstrahlen in einer Steigerung des Stoffwechsels zu suchen, speziell 
in einer Steigerung der reduzierenden und oxydierenden Prozesse im 
Gewebe, in einer Vermehrung der roten Blutkörperchen und in einer 
Steigerung des Hämoglobingehalts, verbunden mit einer Steigerung der 
Hauttemperatur bei gleichzeitigem Abfall der Innentemperatur. 

Die eigentliche Lichtwirkung, die als eine Lichtentzündung an der 
menschlichen Haut aufgefaßt werden muß, kann mittels zweier verschie- 
dener Methoden zustandegebracht werden, der Fernbestrahlung und der 
Kompressionsbestrahlung. | 

Nach beiden Bestrahlungen treten je nach der Dauer der Bestrahlung 
und nach dem Abstand zwischen dem Objekt und der Lichtquelle Ent- 
zündungen der Haut auf, die die verschiedenen Grade der Verbrennung 
durchmachen — von der einfachen Hyperämie bis zu tiefergehenden 
destruktiven, sogar nekrotischen Prozessen. 

Die Abheilung dieser entzündlichen Prozesse erfolgt dann ähnlich 
wie bei den gewöhnlichen Verbrennungen. War nur eine Hyperämie 
und im Anschluß daran ein entzündliches Ödem vorhanden, so trat nach 
einiger Zeit eine Abschwellung ein, die Haut wurde blasser und es machte 
sich eine oberflächliche Abschuppung bemerkbar. War Blasenbildung 
eingetreten, so vollzog sich nach dem Eintrocknen der Blasen und naclı 
einer Krustenbildung die Heilung unter dem Schorf. Tiefergehende 
nekrotische Prozesse erforderten entsprechende längere Zeit zur Abheilung 
und hinterließen Narben. 


762 .Liebert, 


An der im allgemeinen pigmentlosen Haut der Menschen zeigen sich 
einige Zeit nach der Bestrahlung diffuse gelbbraune Pigmentierungen, die 
vielfach erst nach monatelangem Bestehen verschwinden. 

Bei der Fernbestrahlung wird mit der Quarzlampe im allgemeinen 
nur eine Oberflächenwirkung ausgelöst. Da die Quecksilberlichtstrahlen 
bereits von den oberflächlichen Blutgefäßschlingen absorbiert werden, 
sucht man dieses Hindernis auszuschalten, wenn tiefergehende Wirkungen 
erzeugt werden sollen. 

Diesen Zweck erreicht man mittels der Kompression. Die von 
Schachtner benutzte Kromayersche Quarzlampe war in einem etwa 
faustgroßen festen Metallgehäuse eingeschlossen, das vorn ein Quarz- 
fenster und hinten einen Handgriff besaß, mittels dessen man die Lampe 
auf die zu behandelnde Stelle pressen und die Haut so gleichzeitig anä- 
misch machen konnte. 

Es ist einleuchtend, daß man letztere Methode in der Veterinär- 
medizin nicht bei allen Patienten und nicht an allen Stellen des Körpers 
in Anwendung bringen konnte und daß daher nur die Fernbestrahlung 
für die Veterinärmedizin in Frage kam. 

Mittels der Kromayerschen Quarzlampe sind in den letzten Jahren 
eine ganze Reihe von Hauterkrankungen beim Menschen erfolgreich 
behandelt worden, unter denen Lupus vulgaris und Alopecia areata die 
erste Stelle einnehmen. 

Schachtner (4) fand bei seinen Untersuchungen an Hunden, daß 
das Licht an pigmentierter Haut länger als an pigmentloser Haut ein- 
wirken mußte, um dieselbe Reaktion zu erzielen. Dagegen konnte er nicht 
finden, daß ein wesentlicher Unterschied in der Reaktion eintrat, wenn er 
statt einer Belichtung auf 10 cm Entfernung Kompressionsbestrahlung 
anwandte. Zu Verbrennungen, wie sie beim Menschen auftreten, wenn 
die Entfernung geringer als 10 cm ist, kam es nicht. Es trat vielmehr 
nach einer Latenzzeit die Reaktion an der Haut ein, wie er sie nach Be- 
strahlung aus 10 cm Entfernung beobachtete. 

Die Hautreaktionen, die Schachtner erzielte, waren makroskopisch 
etwa folgende: es trat Hyperämie, Infiltration, seröse oder eitrige Exsu- 
dation ein, der dann eine Krustenbildung von mehreren Millimetern Dicke 
folgte. Im weiteren Verlaufe, spätestens nach 4 Wochen, lösten sich die 
Krusten und die zum Vorschein kommende Haut hatte normales Aus- 
sehen, abgesehen von einer oberflächlichen Abschuppung, die noch einige 
Zeit anhielt. 

Mikroskopisch machte sich im ersten Stadium der Lichtreaktion 
Hyperämie, ein Zerfall und eine Abstoßung der Epithelzellen bemerkbar. 
Daneben ging eine pralle Füllung der erweiterten Blutgefäße und eine 


Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 763 


Infiltration der Epidermis von Rundzellen einher, besonders auf der 
Höhe des Papillarkörpers. Später nach dem Zurückgehen der Infiltration, 
zeigte das Epithel Nekrose, die sich in einem Zerfall der Kerne der Epi- 
thelien dokumentierte. Die Kutis blieb unverändert. 

Bevor ich an meine Untersuchungen mit der modifizierten Form 
der Quecksilberquarzlampe, der „Künstlichen Höhensonne“ herantrat, 
stellte ich thermometrische Beobachtungen über die durch die Lampe - 
zu erzeugenden Wärmegrade an. 

Was nun den Abstand, der bei der Lichttherapie in Frage kommt, 
anbelangt, so habe ich stets die Entfernung vom unteren Rande der 
Lampenkuppel bis zu dem Objekt zu Grunde gelegt. 

Ihre größte Leuchtkraft entwickelt die Quecksilberdampflampe nach 
etwa 10 Minuten langer Brenndauer. Bei 10 cm Abstand beträgt die 
Wärme 32° C, bei 80 cm 21° C, bei 50 cm 20° C und bei 70 cm 19° C. 
Dicht unter dem Quarzgehäuse der Lampe, innerhalb der Metallglocke,. 
beträgt dagegen die Wärme 66° C. 

Bringt man die Extremität eines Hundes in die Kuppel und läßt die 
Bestrahlung aus allernächster Nähe einwirken, so kann es schon nach 
10 Minuten langer Bestrahlung zu einer tiefgehenden Verbrennung der 
pigmentierten gesunden Haut mit Nekrose nicht allein der Epidermis 
sondern auch des Stratum reticulare der Kutis kommen. 

Es unterliegt keinem Zweifel, daß hier einzig die Wärmeintensität 
die Verbrennungsursache war, erkenntlich zugleich dadurch, daß das 
Tier während der Behandlung große Schmerzen empfand und sich der 
Lichtbestrahlung zu entziehen versuchte, 

Vergrößert man den Abstand zwischen Lampe und Objekt, so wird 
die Wärmeentwicklung entsprechend geringer und man muß die durch 
die „Höhensonne“ erzielte Reaktion auf der tierischen Haut größtenteils 
als eine spezifische Lichtwirkung ansehen. 

Am eigenen linken Unterarm belichtete ich mittels der Höhensonne 
eine Stelle 5 Minuten lang auf 10 em Entfernung. Ein geringes Wärme- 
gefühl machte sich während der Bestrahlung bemerkbar; bald hinterher 
zeigte sich Rötung, später geringe Schwellung. Am Abend des 3. Tages 
trat Juckgefühl auf; am 4. Tage traten kleine Bläschen in Erscheinung, 
die serösen Inhalt aufwiesen und am 7. Tage unter Krustenbildung ab- 
heilen. Dann bestand etwa 10 Tage lang eine lebhafte lamelläre Ab- 
schuppung. Wochenlang blieb eine schwache Pigmentierung zurück. 
Haarausfall wurde nach der Behandlung nicht beobachtet. 

Eine andere Stelle wurde 10 Minuten lang belichtet. Die Reaktion 
trat hiernach ähnlich, jedoch stärker auf. Am 3. Tage machte sich in 
der bestrahlten Hautpartie spontan ein gelinder Schmerz bemerkbar, 


764 Liebert, 


um die Stelle herum zeigte sich auf ca. 3 cm Entfernung eine diffuse 
Rötung. Am 4. Tage traten auch hier größere Blasen auf, die nach dem: 
Aufplatzen den freien Papillarkörper erkennen ließen. Die Abheilun:r 
erfolgte ähnlich wie zuvor. 

An der pigmentlosen behaarten sowie geschorenen Haut eines Hundes 
(Seitenbrust) konnte ich nach 10 Minuten langer Bestrahlung keine 
'makroskopisch wahrnehmbare Veränderung erzielen; erst eine 20 Minuten 
dauernde Bestrahlung auf 10 cm Entfernung bewirkte auf behaartem 
Fell 4 Tage nach der Bestrahlung eine ganz geringfügige Rötung und An- 
schwellung. 

Wurde dagegen die Haut rasiert und in einem Abstand von 10 cm 
einer Bestrahlung von 20 oder 30 Minuten ausgesetzt, so trat meist nach 
einigen Stunden Rötung, nach 2 Tagen Schwellung und bei der Berührung 
Schmerzhaftigkeit auf. Es bildeten sich ferner Bläschen, die mit einen: 
gelblichen serös-eitrigen Inhalt angefüllt waren. Hierauf folgten Ein- 
trocknung, Krustenbildung und Abschuppung. Die Schwellung war 
nach 14 Tagen zurückgegangen. 

Die histologische Untersuchung der reaktiv entzündeten, 3 Tage 
nach erfolgter Bestrahlung entnonmmenen Haut ergab im Vergleich zu 
der normalen Haut desselben Hundes etwa folgendes Bild: 

Die ganze Epidermis ist um das Doppelte verdickt; das Stratum 
corneum zeigt Auflockerung. Das Stratum corneum und das Stratuni 
lucidum sind von Ihrer Unterlage abgehoben, wodurch spaltenartige 
Hohlräume entstanden sind, in denen einzelne Lymphozyten und Leuko- 
zyten sich befinden. An einigen Stellen befinden sich unter den kuppel- 
förmigen Abhebungen des Stratum lucidum große Haufen von Kern- 
trümmern. Durch die Hohlräume ziehen sich faserige Spangen, die wahr- 
scheinlich von Protoplasmaresten zu Grunde gegangener Epithelzellen 
herrühren. Die Zellkerne des Rete malphigi weisen eine starke Kern- 
färbung auf und erscheinen vermehrt, ein Zustand, der für eine vermehrte 
Zellwucherung spricht. Die eigentliche Kutis ist verbreitert, die einzelnen 
Bindegewebsfasern sind aufgequollen; die spindelförmigen Kerne haben 
sich gut gefärbt. In den Maschen befinden sich vielerorts Leukozyten. 
Die Blutgefäße der Kutis sowie der Subkutis sind erweitert und mit Blut- 
körperchen gefüllt. Die Leukozyten nehmen Randstellung ein. Ferner 
befinden sich in der Nachbarschaft aller Blutgefäße eine Menge Lympho- 
zyten und Leukozyten. 

Bei einem Hunde wurde die normale pigmentlose, rasierte Haut 
nach 14 Tagen einer 2. Bestrahlung von 30 Minuten unterzogen. Es 
machten sich die Reaktionserscheinungen nicht in dem Maße wie bei der 
1. Bestrahlung bemerkbar. Zwar trat auch hier Rötung auf, aber die 


Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 765 


Schwellung blieb geringer, die Bläschenbildung blieb ganz aus. Es machte 
sıch nur eine intensive Abschuppung bemerkbar. 

Es geht hieraus hervor, daß die Haut bei wiederholter Belichtung 
unempfindlicher wird gegen die ultravioletten Strahlen. 

Wurde die Bestrahlung der rasierten Haut längere Zeit fortgesetzt, 
so konnte tiefgehende Nekrose der gesamten Haut erzeugt werden. Es 
war hierbei gleichgültig, ob die Haut pigmentiert war oder nicht. Einem 
Hunde wurde beispielsweise die äußere kurzgeschorene Seite des Ober- 
arınes 60 Minuten lang (10 cm Entfernung) bestrahlt. Nach Schluß der 
Belichtung wies die behandelte Hautpartie inselartige zerstreute Haut- 
infiltrationen auf. Am nächsten Tage war die betreffende Hautpartie 
diffus geschwollen und schmerzhaft bei Berührung. Die bezeichneten 
inselartigen Stellen wiesen schwärzliche Verfärbung auf. Nach weiteren 
24 Stunden war die Haut in etwa Handtellergröße in eine schwarze ne- 
krotische Masse verwandelt, die sich fast bis zur Unterhaut erstreckte. 
Der Arm des Tieres war stark gespannt und bereitete ihm anscheinend 
große Schmerzen. Nach weiteren 8 Tagen fing die nekrotische Haut- 
partie an sich zunächst am Rande unter Eiterung abzustoßen. Erst im 
Verlauf von mehreren Wochen vollzog sich die Ausfüllung des tiefen Haut- 
defektes per granulationen. 

Ich möchte hierbei nicht unerwähnt lassen, daß diese schweren Ver- 
brennungsprozesse nur dann eintraten, wenn alle die ultravioletten 
Strahlen absorbierenden Medien ausgeschaltet wurden, wenn also z. B. 
die Haut mittels Äther entfettet wurde. 

Wurde beispielsweise die Haut mit Seife oder Seifenspiritus vor dem 
Rasieren eingerieben und die Stelle bis zur Trockne abgerleben, dann traten 
nach einer 60 Minuten langen Bestrahlung keine derartig destruktiven 
Prozesse an der Haut auf, wovon ich mich bei demselben Hunde an einer 
anderen Hautstelle überzeugen konnte. Hier kam es nach ebensolanger 
Belichtung nur zu einer ödematösen Anschwellung der Haut, die nach 
7 Tagen völlig verschwunden war. Eine Rötung konnte ınfolge der be- 
stehenden Pigmentierung nicht beobachtet werden. 

Ähnlich wie sich die Reaktion an der pigmentlosen Haut gestaltete, 
vollzog sich auch die Lichtwirkung an der pigmentierten Haut des Hundes 
bei kürzerer Dauer der Bestrahlung, nur mit dem Unterschiede, daß die 
Wirkung um ein Geringes schwächer war. 

Beachtenswert ist der Umstand, daß die Haut des Hundes an den 
verschiedenen Körperstellen verschiedene Reaktion gegenüber dem 
Quecksilberquarzlicht aufweist. So ist die Rückenhaut am unempfind- 
lichsten, dann folgt die Haut an den Außenseiten des Rumpfes, der Extre- 
mitäten und die Kopfhaut. Die heftigste Reaktion weist die feine, dünne 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 49 


766 Liebert, 


Haut an der Unterfläche des Körpers, an der Innenfläche der Schenkel 
und in der Schamgegend auf. Hier kann es nach Belichtungen von 10 
Minuten langer Dauer bereits zu Verbrennungen mit Blasenbildung der 
Haut kommen, wenn die Distanz zu kurz gewählt ist. In einem Falle 
wurde die Schamgegend eines Jagdhundes wegen Seborrhoe 2 mal je 
20 Minuten bei 20 cm Entfernung bestrahlt mit einem Zwischenraum 
von 7 Tagen. Auch hier zeigte sich neben dem Praeputium eine fünfmark- 
stückgroße Verbrennungsstelle mit Blasenbildung, die wie die obige nach 
ca. 10 Tagen trocken wurde und sich mit Epithel eindeckte. 

Von den für die Therapie mittels der „künstlichen Höhensonne‘“ in 
Betracht kommenden Hauterkrankungen sind die nichtparasitären, mehr 
lokalisierten die geeigneten. Es ist auch möglich multiple, über den ganzen 
Körper verbreitete Ausschläge zu behandeln, doch liegt hier die Gefahr 
nahe, daß, infolge der zuweilen auftretenden Unruhe der Patienten, 
Hautstellen doppelt und dreifach bestrahlt werden, wenn die zur Ab- 
deckung benutzten Tücher verrutschen. Auf diese Weise können an 
empfindlichen Körperstellen Verbrennungen hervorgerufen werden. 

Das ureigenste Gebiet der Quarzlampentherapie ist das des Rücken- 
ekzems des Hundes in seiner mannigfaltigen Form. 

Mittels der Höhensonne habe ich 26 hautkranke Patienten behandelt 
und bei dem größten Teil derselben eine schnelle Besserung und Heilung 
eintreten sehen, wie ich sie bei keinem anderen Verfahren in demselben 
Maße beobachten konnte. 

Es würde zu weit führen, jeden Fall einzeln zu beschreiben. Ich 
möchte vielmehr aus den einzelnen Gruppen einen Fall zur Erläuterung 
anführen, um die Wirkung der Höhensonne zu demonstrieren. 


Ekzema madidans. 

Ein 4 Jahre alter gelber Boxer zeigt hinter der linken Schulter zwei hand- 
tellergroße, feuchte Stellen, an denen die Haare teils ausgefallen, teils mit dem 
vorhandenen eitrig-schmierigen Sekret zu Büscheln verklebt sind. Stellenweise ist 
das Sekret serös und blutig. Patient sucht die Stellen fortwährend zu belecken. 

Nach einmaliger Bestrahlung von 10 Minuten Dauer und 30 cm Entfernung 
wurden die Partien nach 2 Tagen trockener. Der Juckreiz war verschwunden. 

Der ersten Bestrahlung folgte 4 Tage später eine zweite. Die Partien waren 
jetzt völlig trocken. Es bildeten sich Krusten, die nach weiteren 4 Tagen sich 
„bstießen, worauf die trockene, mit Epidermis eingedeckte Haut zu Tage trat. 
Heilung in 9 Tagen. 

Ekzema rubrum et crustosum. 

Patient, ein Wolfshund-Rüde, ca. 6 Jahre alt, soll bereits ein Jahr lang tier- 
ärztlich ohne Erfolg behandelt worden sein. 

Befund: Die Haare sind auf dem Rücken teilweise ausgefallen. An mehreren 
Stellen befinden sich größere Partien, die mit dicken, hellbraunen, trockenen Krusten 
bedeckt sind, unter denen die Rückenhaut gerötet erscheint. In der Schulterpartie 


Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 767 


sind mehrere, etwa fünfmarkstückgroße, längliche, wunde, feuchte, vom Epithel 
entblößte Stellen vorhanden, die teils rot, teils graugelb und graugrün aussehen 
und mit einem eitrigen Exsudat, teils mit graugelben Hautfetzen bedeckt sind. 
Die hier vorliegende Nekrose erstreckt sich bis auf die Kutis. 


Zwecks Vornahme der Therapie wurden die Rückenhaare abgeschoren. Bereits 
nach einmaliger Belichtung von 5 Minuten Dauer und 10 cm Abstand, begann am 
nächsten Tage der heftige Juckreiz nachzulassen. Nach 48 Stunden wurden die 
feuchten Stellen trockener, die Borken fingen an sich abzustoßen. Der Juckreiz 
war 3 Tage seit Beginn der Behandlung vollkommen verschwunden. Die Aus- 
heilung der nekrotischen Stellen und die Epithelisierung machte rasche Fort- 
schritte, sodaß 18 Tage nach begonnener Lichttherapie Patient als geheilt ent- 
lassen werden konnte. 

Der in 2 Segmente geteilte Rücken war 3 Tage hintereinander nur je 
5 Minuten lang mit der „Höhensonne“ bestrahlt worden. Eine weitere Behandlung 
hatte nicht stattgefunden. 


Ekzema nodosum chronicum dorsi. 


Patient, bunter Boxer-Rüde, 5 Jahre alt, soll seit mehreren Monaten an 
einem heftig juckenden Ausschlag des Rückens leiden und mit Pasten ohne 
Erfolg behandelt sein. | 

Befund: Vom Kopfe bis zur Rute sind die Haare auf dem Rücken inselartig 
gesträubt. Überall an diesen Stellen befinden sich linsengroße Knötchen von 
derber Beschaffenheit, die vielfach an ihrer Kuppe feucht und blutig erscheinen. 
Die dazwischenliegende Haut ist geringgradig gerötet. — Der Rücken wurde 
durch Abdecken mit einem dunklen Tuch in zwei Partien je 20 Minuten lang 
auf 20 cm Entfernung bestrahlt. 

Der Juckreiz war am nächsten Tage verschwunden. Vom 5. Tage ab fingen 
die Knötchen an abzuschilfern, wurden flacher und gingen im Laufe der weiteren 
Behandlung völlig zurück, sodaß das Haar des Rückens wieder gleichmäßig glatt 
wurde. Die Heilung vollzog sich innerhalb 14 Tagen, in welcher Zeit der Patient 
im ganzen 3 mal durch die „Höhensonne“ bestrahlt war. 

Bei einem Dobermann-Pinscher, der wegen eines ähnlichen chronischen 
Rückenekzems im vorigen Jahre in hiesiger Klinik 6 Wochen lang mit Teer- 
präparaten bis zur Heilung behandelt war, konnte mittels der „Höhensonne“ nach 
3 maliger Bestrahlung von je 10 Minuten Brenndauer und 12—20 cm Entfernung 
eine Abheilung des Leidens bereits nach 3 Wochen konstatiert werden. 


Ekzema indurativum dorsi crustosum et nodosum. 

Patient, Schäferhund, 4 Jahre alt, bereits mehrere Wochen mit Teerpräparaten 
ohne Erfolg behandelt. 

Befund: Im Verlauf der Rückenhaut haben sich die Haare mäßig gelichtet. 
Die Haut ist verdickt mit grauen Krusten uud Knötchen bedeckt Der Hund 
bekundet lebhaften Juckreiz. 

Nach dem Scheren der Rückenhaare wurde die Rückenhaut in zwei geson- 
derten Abschnitten je 15 Minuten lang auf 10 cm Entfernung mittels der „Höhen- 
sonne“ bestrahlt. Am 2, Tage nach der Lichtbehandlung legte sich der Juckreiz; 
es machte sich eine lamellöse Abschuppung der kranken Hautpartien bemerkbar, 
die Knötchen flachten ab und die Krusten stießen sich ab. Im Laufe von weiteren 

49* 


708 Liebert, 


8 Tagen ging die Hautinfiltration zurück. Das Fell des Rückens wurde weich, 
geschmeidig und ließ sich leicht falten. 

Patient konnte nach 15 Tagen geheilt entlassen werden. Es hatten im 
ganzen 3 Bestrahlungen stattgefunden. 

Bei einem anderen Schäferhund, der an einem ähnlichen Ekzem litt und 
bereits viele Monate tierärztlich ohne Erfolg behandelt war, trat nach 16 Tagen 
Heilung ein. Infolge des heftigen Juckreizes war der Rücken des Patienten an 
vielen Stellen wundgescheuert. Durch die Belichtung, die im ganzen 4 mal je 
15 Minuten lang auf eine Entfernung von 10 cm vorgenommen wurde, trockneten 
und heilten die Erosionen bald ab, die Rückenhaut wurde bald dünn, weich 
und glatt. 

In zwei Fällen von Ekzema chronicum dorsi, die mit der „Höhensonne“ 
schnell zur Abheilung gebracht waren, trat nach einigen Wochen ein Rezidiv ein. 

Es ist dieses darauf zurückzuführen, daß bei diesen Patienten bereits nach 
zweimaliger Beleuchtung eine derartig günstige Regeneration der Haut zustande 
kam, daß eine weitere klinische Behandlung überflüssig erschien. 

In allen Fällen, wo die Heilung überraschend schnell eintritt, ist es zweck- 
mäßig, den Patienten noch im Auge zu behalten und trotz des gesunden Aus- 
sehens der Haut, die ehemals kranken Partien noch einigen weiteren Bestrahlungen 
zu unterziehen. 


Ekzema ventralis papulosum chronicum. 

Patient, Collie-Rüde, 5 Jahre alt, seit 10 Monaten wegen eines hartnäckigen 
Hautausschlages am Bauch in tierärztlicher Behandlung. 

Befund: An der pigmentlosen zarten Haut am Bauch, an der Innenfläche der 
Hinterschenkel und an der Unterseite der Rute machen sich fleckenweise diffuse 
Rötungen bemerkbar. An vielen Stellen befinden sich hochrote linsen- bis erbsen- 
große flache Knötchen, die an ihrer Kuppe entweder mit einem serösen Sekret 
oder gelblichbraunen trockenen Krusten bedeckt sind. Der Patient bekundet 
starken Juckreiz, 

Mittels der „Höhensonne“ wurde die benannte Partie aus möglichster Nähe 
(1—8 cm) in Rückenlage des Patienten von oben herab 10 Minuten lang bestrahlt. 

Am nächsten Tage sah die behandelte Hautpartie gerötet aus, fühlte sich 
vermehrt warm an und erschien infiltriert. Nach weiteren 24 Stunden wies eine 
etwa fünfmarkstückgroße längliche Stelle neben dem Präputium Blasenbildung 
auf. Letztere platzten und ließen auf ihrem Grunde den roten Papiilarkörper er- 
kennen. Der Juckreiz war verschwunden; die belichteten Hautpartien verloren 
ihre Rötung und stießen großlamellige Epithelschichten ab. 

Am 6. Tage erfolgte eine 2. Bestrahlung von 10 Minuten Dauer in einem 
Abstande von 10 cm. Darauf trat am nächsten Tage eine Entzündungsreaktion 
in Erscheinung, die aber der ersteren an Intensität nachstand. Es wurde jedoch 
die Desquamation von neuem angeregt. Die Papeln flachten ab und verschwanden 
allmählich ganz, so daß der Patient 2 Wochen nach begonnener Therapie als 
geheilt betrachtet werden konnte, abgesehen von der Verbrennungsstelle, die nach 
weiteren 4 Tagen ohne weitere Behandlung trocken und mit Epithel eingedeckt war. 


Seborrhoea sicca. 
Patient, brauner Jagdhund-Rüde, 7 Jahre alt, wurde 3 Jahre lang wegen 
dieses hartnäckigen Hautleidens behandelt. 
Befund: Die Innenfläche der Hinterschenkel, Bauchpartie bis zum Brustbein, 


Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 769 


das Skrotum und die Skrotalgegend ist stark gefaltet, verdickt und von grauer 
Farbe. Die Haut fühlt sich hart und trocken an. 

Patient erhielt 0,08 Morphin. muriat., wurde in Rückenlage gebracht und 
20 Minuten lang auf 15 cm Entfernung mit der „Künstlichen Höhensonne“ 
bestrahlt. 

Nach 24 Stunden sahen die behandelten Hautpartien gerötet aus und fühlten 
sich weicher und feuchter an. 

Im Laufe der nächsten Tage ging die Rötung und auch die Faltenbildung 
zurück ; die Haut fühlte sich weich und fettig an. 

Die Bestrahlung wurde in Intervallen von 5 Tagen im ganzen 4 mal vor- 
genommen. Es trat nach jeder Bestrahlung eine neue Rötung auf, die jedoch bei 
jeder weiteren Behandlung von geringer Reaktion war, woraus sich deutlich eine 
Gewöhnung der Haut an die ultravioletten Strahlen erkennen ließ. 


Am 22. Tage nach Beginn der Behandlung konnte der Patient als geheilt 
betrachtet werden. Es fand jedoch noch eine vier Wochen lange Beobachtung des 
Patienten statt, in welcher Zeit noch einige weitere Bestrahlungen vorgenommen 
wurden. Ein Rezidiv wurde in dieser Zeit nicht beobachtet. 


Seborrhoea oleosa. 

Bei diesem wohl als unheilbar zu betrachtenden Leiden ließ sich vermittelst 
der „Höhensonne“ nach 6 maliger Bestrahlung, die je 20 Minuten dauerte und in 
einem Abstand von 20 cm ausgeführt wurde, eine erhebliche Besserung erzielen, 
derart, daß die starken Hautverdickungen in der Regio pubis und an den Innen- 
tlächen der Hinterschenkel sich größtenteils glätteten und weicher wurden. Es 
gelang jedoch nicht vollständig, die dem Skrotum benachbarte Hautpartie zum 
Status quo zu bringen. Doch war auch hier eine erhebliche Besserung eingetreten. 
Störend bei dieser Hauterkrankung sind die in den erweiterten Drüsen und Haar- 
bälgen befindlichen großen Talgmassen, die vor Beginn des radiotherapeutischen 
Eingriffs nicht oft genug nach dem Ausdrücken der Haut mittels Ätherbausch 
entfernt werden können. 


In einem Falle von Ekzema chronicum dorsi crustosum et nodosum belichtete 
ich den ganzen Rücken des Hundes auf einmal in einem Abstand von 40 cm 
während 20 Minuten mehrere Male in Intervallen von je 2 Tagen. Auch hier voll- 
zog sich die Regeneration der Rückenhaut ähnlich wie bei der Bestrahlung aus 
geringerer Nähe. Die Reaktionserscheinungen wie Rötung und Abschuppung 
vollzogen sich in kaum merklicher und sehr gelinder Weise. 

Allgemeine, feststehende Regeln für die Radiotherapie mittels der 
„Höhensonne“ lassen sich nicht für alle Hauterkrankungen aufstellen. 
Es ist vielmehr von Fall zu Fall zu individualisieren und die nach der Be- 
strahlung eintretende Reaktion zu beobachten. Akute Formen sollen 
nicht oder nur aus weiterer Entfernung für kürzere Zeit bestralilt werden. 
Man kann dann beobachten, daß frische Erosionen schnell abtrocknen und 
abheilen. Alte Ekzeme mit chronischen Hautinfiltrationen verlangen 
besonders an unempfindlichen Hautstellen eine längerdauernde Beleuch- 
tung aus geringer Nähe. Man braucht z. B. an der Rückenhaut nicht zu 
ängstlich mit der Wiederholung der Bestrahlung zurückzuhalten, habe 


770 Liebert, 


ich hier doch nie eine Verbrennung beobachten können. Eine gewisse 
Vorsicht ist allerdings an den übrigen Hautstellen geboten und ist es hier 
empfehlenswert, anfänglich erst kleinere Dosen zu verabfolgen, da sich 
die Haut an die Belichtung mit ultravioletten Strahlen gewöhnt. 

Treten an den zarteren Hautstellen heftigere Reaktionserscheinungen 
auf, so muß der wiederholte radiotherapeutische Eingriff so lange unter- 
bleiben, bis die entzündlichen Erscheinungen sich gelegt haben, was meist 
in 5—6 Tagen der Fall ist. 

Die Bestrahlung lassen sich die Patienten im allgemeinen ohne Fesse- 
lung gefallen. Nur wenn man längere Bestrahlungen aus 10 cm Ent- 
fernung vornimmt, suchen sich die Tiere dem eindringlichen unangenehmen 
Wärmegefühl zu entziehen. Sehr empfindliche Hunde fangen sogar zu- 
weilen leise an zu wimmern, doch habe ich auch gegenteilig zu beobachten 
Gelegenheit gehabt, daß Patienten die aus der Lichtquelle strömende 
Wärme angenehm empfanden. 

Sobald den Hunden gut zugeredet wird, bleiben sie bei der Bestrah- 
lung ruhig stehen oder liegen. Soll die Unterseite eines Hundes erstmalig 
belichtet werden, dann ist es zu empfehlen, den Hund in leichte Morphium- 
hypnose zu versetzen, die für die 2. Bestrahlung nicht mehr notwendig ist. 

Die Handhabung der Höhensonne ist eine sehr saubere. Man ist 
in der Lage, die Patienten sofort nach erfolgter Bestrahlung nach Hause 
zu lassen; der Hund kann nicht, wie das bei der Verwendung von Salben 
und Teerpräparaten der Fall ist, die Zimmer und Möbel zu Hause be- 
schmutzen. 

Da man infolge Überempfindlichkeit mancher Hunde gegen gewisse 
Arzneien, wie z. B. Teerpräparate, letztere nicht anwenden darf, wenn 
man Intoxikationen vermeiden will, muß man die Behandlung mittels 
der „künstlichen Höhensonne‘“ als eine wertvolle Bereicherung unserer 
dermotherapeutischen Methoden erachten. 

Wenn ich die bei Hunden erzielten äußerst günstigen Erfolge in Be- 
tracht ziehe und die relativ kleinen Anschaffungs- und Betriebskosten 
der Höhensonne berücksichtige, so muß ich diese Lampe als eine glückliche 
Erfindung erachten, die nicht allein den Kliniken, sondern auch dem 
Praktiker von großem Nutzen sein wird. 

Es läßt sich heute noch nicht übersehen, wie weit das Indikations- 
gebiet der ultravioletten Strahlen nicht nur in Bezug auf die Behandlung 
von Dermatosen bei Hunden und den übrigen Haustieren (Hufkrebs der 
Pferde), sondern auch bei manchen inneren Erkrankungen, besonders 
Stoffwechselerkrankungen, z. B. Lumbago der Pferde, reicht. 

Der Umstand ferner, daß die Quarzlampe einfach und bequem zu 
handhaben ist, in jedem Raum und auf dem Hofe, überall wo elektrischer 


Die Lichttherapie in der Veterinär-Medizin. 771 


Anschluß vorhanden ist, Verwendung finden kann, daß ferner die Bestrah- 
lung von oben und von der Seite erfolgen kann, läßt mich vermuten, daß 
der „künstlichen Höhensonne‘ noch eine Zukunft beschieden ist. 


to 


Literatur. 


. Schreiber und Hermann: „Über die Wirkung der Quecksilberquarzlampe.“ 


Münchener Med. Wochenschrift 1906, Nr. 39. 


. Fr. Kalmus: „Die Quarzlampe in der Dermatologie.“ Sammelreferat in der 


Therapeutischen Rundschau 1908, Nr. 18/19. 


. G. Stümpke: „Die medizinische Quarzlampe, ihre Handhabung und Wirkungs- 


weise.“ Berlin 1912. Verlag von H. Menssor. 


. Franz Schachtner: „Versuche mit der medizinischen Quarzlampe bezüglich 


ihrer Wirkung und Anwendung bei Hunden.“ Dissertation. Hannover 1911. 


. Wiesner: „Die Kromayer’sche Quarzlampe.“ Sammelreferat aus „Archiv für 


physikalische Medizin und medizinische Technik.“ Bd. VI, Heft 4. 


. E. Pincrower: „Die Kromayer’sche Quecksilberlampe.“ Sammelreferat aus 


„Archiv für physikalische Medizin und medizinische Technik“. 1909. 
Bd. V, Heft 1. 


. Hans Jansen: „Histologische Untersuchungen der durch die Kromayer’sche 


Quecksilberdampflampe erregten Lichtentzündung.“ Archiv für Dermatologie 
und Syphilis. 1908. Bd. %, Heft 1 u. 2. 


. Bering: „Über die Wirkung violetter und ultravioletter Lichtstrahlen.*“ (Aus 


der Kgl. Universitätsklinik für Hautkrankheiten. Kiel) Medizin.-natur- 
wissenschaftl. Archiv. Berlin 1909, 1. 


Das Sklerometer, seine physikalischen Grundlagen und 
seine Verwendung bei der Röntgenstrahlen-Therapie. 
Von 
Fr. Klingelfuß, Basel. 

(Mit 24 Abbildungen.) 


Inhalt: 

I. Gasentladungen . . . m 
II. Entladungen von induktori darth Luft von A tmösphärendruck 0.0100 
DI. Einrichtung zur Messung der Röntgenstrahlen mit dem Sklerometer . 19 
IV. Absolute Härtemessung mit der Sklerometerskala . . . . . . . . 79l 
V. Das Meßbereich der Sklerometerskala . . . . Eee e a 
VI. Die Änderung der Strahlenhärte mit der Belastung E ne u et. ee 
V1I. Die Änderung der Röhrenkonstanz. . . : 2. 2 2 2 mn nenn. A 
VII. Charakteristik und spezifische Härte . . . ... Bm 
IX. Das Strahlengemisch einer Röntgenröhre und die Charakteristik a aal 

X. Die Dosierung mit dem Sklerometer, dem Milliamperemeter und der Zeit 
in absoluten Einheiten . . . s au. w BIO 
a) Messung der Röntgenstrahlen für cherapeutiäche Dosen, s e Bö 
b) Praktische Eichung einer Röntgenröhre . . . . 2.20.20... 818 
c) Die Belastungskonstante einer Röntgenröhre . . . . 822 

d) Dosierung mit einer geeichten Röhre für Obertlächen ind darch 
Aluminium-Filter bis zulmm Dicke. . 2. 2. 2. 2 2m nn. 804 
XI. Das Sklerometer als Halbwertschichtmesser . . . 89 

XII. Ein Vorschlag für die Tiefendosierung mit dem Sklerometen dem Milliam- 
peremeter und der Zeit in absoluten Einheiten . . . . 2 22.2... 84 


D“ Anwendung der Röntgenstrahlen in der ärztlichen Praxis zur Be- 
einflussung mancher Krankheiten hat zur Zeit einen ungeahnten 
Umfang angenommen. Hand in Hand damit ist auch die Frage nach prak- 
tischen Verfahren für die qualitative und quantitative Meßbarkeit der 
Strahlen immer mehr in den Vordergrund des Interesses getreten. Kein 
Wunder, hängt doch die weitere praktische und wissenschaftliche Ent- 
wicklung des einschlägigen Gebietes in hohem Grade von der einwand- 
freien Meßbarkeit der in Betracht kommenden Größen ab. Es hat seit 
der Einführung der Röntgenstrahlen in der physikalischen Therapie an 
Vorschlägen. die Messung der Röntgenstrahlen betreffend, nicht gefehlt. 
Darunter sind manche sehr gute und brauchbare Verfahren angegeben 
worden, die wenigstens eine annähernd richtige Kontrolle gewährleisten. 


Klingelfuß, Das Sklerometer und seine Verwendung usw. 773 


andere aber sind sehr ungeschickt und beruhen auf einer mehr oder weniger 
falschen Grundlage, so daß deren Benützung als Kontrollmittel eine nicht 
zu unterschätzende Gefahr in sich birgt. Bedauerlicherweise ist eine der 
Folgen davon, daß in der Dosierungsfrage eine große Unsicherheit sich 
geltend macht, und daß der in physikalischen Fragen weniger bewanderte 
nicht weiß, wem er Glauben schenken soll. 


Einen mehr passiven Widerstand hat das für die Messung der Härte, 
sowie für die Dosierung der Strahlen vom Verfasser im Jahre 1908 in Vor- 
schlag gebrachte Sklerometer gefunden. Man hatte dem Instrumente 
vorgeworfen, daß es sich nicht an jedes Instrumentarium anbringen lasse, 
aber auch selbst dann, als diese Meinung widerlegt worden war, und be- 
kannt gemacht werden konnte, daß sich jedes einigermaßen richtig kon- 
struierte Induktorium dazu eigne, hat die große Mehrzahl der sich mit 
Röntgenstrahlenapplikation befassenden Ärzte nicht für die Anschaffung 
des Sklerometers bestimmen lassen können. Das liegt zu einem guten 
Teil daran, daß die Einschaltung dieses Instrumentes nicht so ohne 
weiteres vorgenommen werden kann, sondern einer geeichten und in 
besonderer Art angebrachten Meßspule bedarf, daß ferner die Bedingung 
daran geknüpft ist, daß die Frequenz der Stromimpulse bei der Messung 
mit derjenigen, für die die Meßspule geeicht ist, übereinstimmen müsse. 
Beide Forderungen, ohne deren Erfüllung ein exaktes Messen mit dem 
Sklerometer nicht möglich wäre, liegen eben etwas unbequem und sind, 
aber wie gesagt nur zum Teil, der Einführung hinderlich. Der Haupt- 
„rund liegt vielmehr in der ungenügenden Kenntnis der in Frage kommen- 
den physikalischen Vorgänge, die ein eigenes Urteil über den Wert oder 
Unwert des dem Sklerometer zu Grunde liegenden Prinzips und damit 
des Instrumentes selbst nicht aufkommen lassen. 

Über die Brauchbarkeit, die Zuverlässigkeit und Präzision des Sklero- 
ıneters für eine Reihe von Messungen in der Röntgenstrahlentechnik kann 
heute kein Zweifel mehr bestehen. Nachdem es seit fünf Jahren in die 
Praxis eingeführt ist, hat es sich langsam einen zunehmenden Freundes- 
kreis erworben. Erst derjenige, der das Sklerometer einmal benützt hat, 
erkennt dessen große Vorzüge gegenüber jedem anderen Härtemesser. In 
der Literatur ist dasselbe mit wenigen Ausnahmen sehr günstig beurteilt wor- 
den.!) Wenn Autoren wie Friedmann-Katzmann,?) oder Christen?) 
(die einzigen, die das in einer Publikation getan haben) den absoluten 


1) Jaubert de Beaujeu, Hans Meyer, Hans Ritter, Bering, Rost, 
Krüger, Schatz. Ferner Phys. Ztschr. XI, 1910, S. 917. 

2) Zeitschrift f. Röntgenkunde Bd. 14, S. 277, 1912. 

3) Messung u. Dosierung d. Röntgenstrahlen, Hamburg, Gräfe & Sillem, S. 21. 


774 Klingelfuß, 


Wert des Sklerometers in Zweifel ziehen, so ist das ohne stichhaltisen 
Beweis geschehen und die Herren sollen durch die nachfolgenden Mit- 
teilungen darüber belehrt werden, daß es nicht nur ein subtiles, sondern 
auch ein in absolutem Maß messendes Instrument ist. Aber es genügt 
noch nicht, daß ein Maß physikalisch richtig begründet wird, es muB 
das darauf beruhende Instrument oder Meßwerkzeug für die in Frag- 
kommenden Messungen auch geeignet sein. Wollte jemand z. B. mit 
einem noch so guten Metermaßstab, der doch unzweifelhaft von einer 
physikalisch begründeten absoluten Maßeinheit abgeleitet ist, die Dick: 
eines Papierblattes messen, so fällt die Messung unter Anwendung aller 
Kunstkniffe sehr roh aus, während die Messung mit einem dazu geeir- 
neten Mikrometer spielend und mit größter Genauigkeit ausgeführt werden 
kann. So etwa liegen auch die Verhältnisse, wenn man das von Christen 
in Vorschlag gebrachte Instrument für die Messung der Halbwertschicht 
dem Sklerometer gegenüberstellt. 

Da das Sklerometer wie kein anderes Instrument geeignet ist, dir 
Dosierungsfrage sowohl für Oberflächen- als für Tiefenbestrahlung in 
eine sichere Bahn zu lenken, weil mit diesem Instrumente eine Reihe von 
Messungen an den Röntgenstrahlen sicher und mühelos, und dazu noch 
ohne die geringste Gefahr für den Beobachter, durchführbar sind, wie mit 
keinem anderen bekannten Meßinstrument, das auch nur annähernd 
möglich wäre, so soll im Interesse der guten Sache nachstehend versucht 
werden, ohne mathematische Hilfsmittel die physikalischen Grundlagen. 
auf denen das Sklerometermeßprizip beruht, klarzustellen. Dazu ist e 
notwendig, einiges über Gasentladungen und die Vorgänge im Induktomunı 
beı Gasentladungen zu besprechen. Daran anschließend soll dann ge- 
zeigt werden, wie sich das Sklerometer in der einfachsten Weise zur 
Messung der spezifischen Härte, zur Untersuchung der Charakeristik einer 
Röhre, zur Eichung von Röntgenröhren, zur Verabreichung von Röntgen- 
strablendosen sowohl für Haut- als Tiefenbestrahlung, zur Überwachun: 
eingeschalteter Röhren ın Bezug auf Vakuum oder Temperaturänderungen 
und schließlich für die Bestimmung der sogenannten Halbwertschich:t 
eignet, und wie die damit ausgeführten Härtemessungen um ein vielfach: 
genauer ausfallen, als mit irgendwelchem der bekannten anderen Härt:- 
messer und wie dementsprechend auch die Dosierung mit größerer Prä- 
zision an Hand des Sklerometers durchführbar ist. 

Um den Zusammenhang in dieser Mitteilung, die den Zweck haber 
soll, eine möglichst abgerundete Arbeit über das Sklerometer und sein- 
Verwendbarkeit bei dem heutigen Stand der Meßfragen zu geben, wahren 
zu können, war es nötig, einige frühere an verschiedenen Orten erschienen: 
Mitteilungen des Verfassers einzufügen. Die betreffenden Abhandlungen 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 775 


sind jedoch teils durch Erläuterungen, teils durch Zusätze ergänzt, und 
wo es zweckmäßig erschien, gekürzt worden. 


I. Gasentladungen. 


Unter Gasentladungen versteht der Physiker den Durchgang von 
Elektrizität durch Luft oder andere Gase unter beliebigen Drucken. 
Die dabei auftretenden Erscheinungen sind je nach den begleitenden Um- 
ständen von der mannigfaltigsten Art. Durchschneidet man die Leitung 
einer gewöhnlichen elektrischen Stromquelle, etwa die zu den Glühlampen 
einer Hausbeleuchtung führenden Drähte und entfernt die durchschnitte- 
nen Enden auch nur um eine Papierdicke voneinander, so ist dadurch 
die Stromleitung unterbrochen und die Glühlampen brennen nicht eher 
wieder, als bis die beiden Enden der Drähte sich wieder metallisch be- 
rühren. Die durch die Entfernung der Drahtenden zwischen dieselben 
eingetretene, noch so kleine Luftstrecke hat genügt, den Stromdurchgang 
vollkommen zu verhindern. Würde man die beiden Drahtenden um einen 
Millimeter auseinanderziehen, so müßte man die Spannung des elektri- 
schen Stromes schon auf etwa 5000 Volt bringen, ehe der Strom in Form 
eines Fünkchens diese kurze Luftstrecke zu überwinden vermöchte. Bei 
einer atmosphärischen Luftstrecke von 30 cm Länge ist dazu schon eine 
Spannung von beiläufig 175000 Volt erforderlich. Je höher der Wider- 
stand, oder was dasselbe reziprok ist, je geringer die Leitfähigkeit der 
Bahn für einen elektrischen Strom ist, um so größer muß die elektromoto- 
rische Kraft (Spannung) sein, damit ein Stromübergang zustande kommen 
kann. Man erhält durch das vorige Beispiel einen Begriff von der außer- 
ordentlichen Vergrößerung des Leitungswiderstandes für den elektrischen 
Strom, sobald derselbe statt durch metallene Drähte durch eine Luft- 
oder Gasstrecke geleitet werden soll. Bei hohen Verdünnungen wächst 
der Widerstand noch bedeutend höher an. Eine derartige und zwar wegen 
der hohen Verdünnung recht ungünstige Gasstrecke in Bezug auf die 
Leitfähigkeit stellt die Röntgenröhre dar. 

Es bedarf daher auch ganz besonderer Apparate, um die zum Be- 
triebe von Röntgenröhren erforderlichen hohen Spannungen zu erzeugen. 
Die Spannung, um eine mittelharte Röntgenröhre in Betrieb setzen zu 
können, ist höher als 200000 Volt. Wie viel höher sie ist, entzieht sich 
einstweilen jeder Beurteilung. Es ist hier ausdrücklich gesagt, um die 
Röntgenröhre in Betrieb setzen zu können, sei diese außerordentlich 
hohe Spannung nötig, denn ist der Stromdurchgang einmal eingeleitet, so 
sinkt der Widerstand und damit die Spannung für den sogleich nach- 
folgenden Strom erheblich. Das hat seine Ursache darin, daß Luft und 
andere Gase, sowohl unter atmosphärischem Druck als in verdünntem 


776 Klingelfuß, 


Zustande ohne eine gewisse Zustandsänderung einen unmeßbar hohen 
Widerstand für den elektrischen Strom darstellen. Wird aber die Luft 
oder das Gas z. B. mit ultraviolettem Licht von sehr kleiner Wellenlänge 
bestrahlt, so vermindert sich der Widerstand das Gases. Diese Wirkung 
schreibt man der Ionisation zu. Unter Ionisation versteht man eine 
Anreicherung des Gasvolumens mit Ionen, das sind elektrisch geladene 
Teilchen, die es in natürlichem Zustande nur in sehr geringem Maße ent- 
hält. Die Anreicherung von lonen vermindert den Leitungswiderstand 
des Gases, bzw. macht das Gas leitend. Die Mittel, die Leitfähigkeit 
eines Gases herbeizuführen, sind außer dem genannten ultravioletten 
Licht, Röntgen-, Becquerel- und Kathodenstrahlen; ferner gewisse che- 
mische Prozesse. Außerdem besitzen sehr schnelle elektrische Schwin- 
gungen, sogenannter Hochfrequenzstrom, die Eigenschaft ein Gas leitend 
zu machen. Solche Ströme erreichen in der Sekunde bis zu einigen Milli- 
onen Schwingungen. Um sie zu so hohen Schwingungszahlen bringen zu 
können, bedarf es außerordentlich hoher elektromotorischer Kräfte, die 
ihrerseits wieder in die Millionen Volt gehen können. Spannungen, die 
jedenfalls für uns nur schätzbar, nicht meßbar sind. 

Von den hier genannten Mitteln, die Ionisation eines Gases herbei- 
zuführen, interessieren uns in unserem speziellen Falle zunächst nur die 
Hochfrequenzschwingungen, denn nur diesen haben wir es zuzuschreiben, 
daß mit dem scheinbar so einfachen Apparat, wie sich ein Induktorium 
äußerlich präsentiert, eine Röntgenröhre betrieben werden kann. Was 
dieser Apparat an komplizierten Funktionen auszuführen hat, damit uns 
dıe Vakuumröhre Röntgenstrahlen liefert, überblickt man aber erst einiger- 
maßen, wenn man sich die Mühe nimmt, diesen Apparat in seiner Wir- 
kungsweise etwas näher zu studieren. 


II. Entladungen eines Induktoriums durch Luft von Atmosphärendruck.!) 


Die Erscheinungen bei den Entladungen eines Induktoriums durch 
luft von Atmosphärendruck hängen auf das innigste zusammen mit 
len Vorgängen bei Entladungen durch Röntgenröhren und es sind deshalb 
die Untersuchungen, die an Hand von Funkenentladungen gemacht 
werden, in hohem Grade geeignet, uns einen Einblick in die komplizierten 
Funktionen des Induktoriums bei den Entladungen durch Röntgenröhren 
zu verschaffen. 

Man beobachtet bei einem Induktorium dreierlei Arten von Ent- 
ladungen. Ist die Entfernung der Entladepole in Bezug auf das Induk- 
torıum groß, dagegen der Magnetisierungsstrom für die Primärspule klein, 


1) Arbeiten des Verfassers aus den Verh. der Naturf. Ges. Basel Bd. XIII, 
1900, Bd. XV, 1901, Bd. XXI, 1910 entnommen. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 777 


so daß kein eigentlicher Funke entstehen kann, so beobachtet man im 
Dunkeln an beiden Polen bläuliche Lichtbüschel, die nach einiger Zeit 
in die umgebende Luft einen starken Ozongeruch verbreiten. Diese Ent- 
ladungserscheinung wird als Büschellicht bezeichnet. 

Erhöht man die Magnetisierungsstromstärke soweit, daß eben kräftige 
Funken die Strecke von Pol zu Pol durchschlagen, so erkennt man eine 
intensiv blauweiße Funkenbahn. Das Spektrum dieser Funken zeigt 
vorwiegend die Linien des Elektrodenmaterials. 

Erhöht man nun den Magnetisierungsstrom noch weiter, so bemerkt 
man zunächst bei den nunmehr folgenden Entladungen eine den blauen 
Kern umgebende rötliche Hülle, die „Aureole“. Je mehr der Magnetisie- 
rungsstrom erhöht wird, umsomehr nimmt die Dicke dieser Aureole zu, 
während der blaue Kern dünner wird und schließlich ganz verschwindet, 
wenn die Aureole einer dicken Raupe gleich sieht. Das Spektrum dieser 
Entladung zeigt neben den Metallinien noch diejenige des Stickstoffs. 























1 
' t 
= . im e o a T s aa 
Ma rn ee we 
u BE : Ss a Suue =: 2 
ne : — ? Jappe ei ER -5 =a = 
! Er = ze. = =& N, cr 1. Er RE TED E = er 
| 127 : e -17 i oe Be & Se 
' en“ : ne 2 Z en Er i E aT e E ieaS = i = 
Pil i Eeu : a Ba ee wu ee = 
je = ee Be ee =, erg 
$ $ t 1 i | 
' i 1 1 ' i 
5 19 zo za ao sc óc 


ye ‘ m 
aa wiiuisngdattom Faken won 50 cw 
>. - .-.,... e = z - Car sS 
Cererile, Qonowtnmg [tiinas s len] 


Sa = $ a 1? e è 5 
Marc Funken. Abschluss der Oomisterig. 





Kalınlachung f Rildung Acy Ionen. 





M ` . á Caa 
uwot [mider azsypyanınla Strom dir gear en Weiten ] 





arösstenteilbs in Aöntgenstratllın Lansformiet. 


Fig. 1. 


Die weitaus größte Intensität nimmt die letztere Entladungsart an. 
Bei einem Funken von 50cm zeigte sich mit einer Magnetisierungsstroni- 
stärke bis zu 4,1 Ampere Büschellicht, bei 4,2 Ampere setzten einzelne 
schwache Funken ein, bei 6,38 Ampere wurde der Funke intensiv blauweiß 
und bei 7 Ampere zeigte sich die Aureole als Umhüllung des blauen Fun- 
kens. Mit 27 Ampère wurde die Aureole sehr dick und der blaue Funken 
war nicht mehr in derselben zu erkennen. Belastet man nun dieses In- 
duktorium, wie das heute für Momentaufnahmen zu geschehen pflegt, 
mit einem Magnetisierungsstrom von 60—80 oder mehr Ampère, so er- 
sieht man, daß der weitaus größte Teil der Entladung in der sogenannten 
Aureole übergeht. 

Figur 1 zergt eine graphische Zusammenstellung der obigen Zahlen. 


7783 Klingelfuß, 


Untersucht man diese Entladungen im drehbaren Spiegel, oder was 
noch besser ist, mittels bewegter photographischer Platte, so zeigt sich, 
daß der intensiv blauweiße Funke aus mehreren sich zeitlich folgenden 
Partialentladungen besteht. Figur? zeigt einen solchen einzelnen Funken, 
der mit einer ruhenden Platte photographiert wurde, während Figur 3 
das Aussehen eines ähnlichen ‚‚einzelnen‘‘ Funkens darstellt, wenn die 
Platte an einer rotierenden Scheibe befestigt ist. Der zeitliche Verlauf 
aller sichtbaren sieben Partialentladungen dieses ‚„Einzelfunkens‘“ lieb 
sich aus der Geschwindigkeit der Rotation ermitteln und ergab sich für 





Fig. 2. 


ein mittelgroßes Induktorium zu 0,0028 Sek. und daraus die Zeit zwischen 
zwei aufeinander folgenden Partialentladungen zu vier zehntausendstel 
Sekunde, was einer Schwingungszahl von 2500 in der Sekunde gleichkommt. 
Aber damit ist noch nicht alles gesagt, was dies aufgelöste Funkenbild 
uns zeigt. Betrachtet man die Originalplatte genauer (in der Reproduk- 
tion der Figur 3 ist das nicht mehr zu erkennen), so findet man, daß die 





Fig. 3. 


erste Partialentladung der sieben Linien wiederum nicht aus einer ein- 
zigen, sondern aus vier Linien und die zweite Partialentladung aus zwei 
Linien besteht. Diese Entladungen sind aber nicht, wie die vorgenannten 
Partialentladungen in gleichen Zeitintervallen sich gefolgt, sondern die 
Intervalle werden von Linie zu Linie größer. Die sieben Partialentla- 
dungen der Figur 3 mit der Schwingungsperiode von 2500 i./S. rühren von 
den Grundschwingungen des betreffenden Induktoriums her, während die 
noch schneller aufeinander folgenden Entladungen, die neben den ersten 
beiden Grundschwingungsentladungen erkenntlich sind, von Ober- 
schwingungen herrühren. Die Entladungen der Grundschwingungen 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 779 


ändern ihre Polarität nicht, sie haben den Charakter eines Gleichstromes, 
während diejenigen der ÖOberschwingungen umsomehr den Charakter 
eines Wechselstromes annehmen, je kürzer die Wellenlänge ist. Damit 
jedoch die Entladungen ohne einen Wechsel der Polarität vor sich gehen 
können, müssen sich stehende Wellen bilden, mit je einem Spannungs- 
bauch an den Spulenenden des Induktoriums und mit einem Spannungs- 
knoten in der Spulenmitte. 

Diese Erkenntnis gibt uns eine Erklärung der komplizierten Funkti- 
onen des Induktoriums. ' Das was wir als Büschellicht beobachten, rührt 
von den hochfrequenten Oberschwingungen her. Infolge des außer- 
ordentlich hohen Widerstandes der zunächst unbeeinflußten Funken- 
strecke (Länge der Luftstrecke zwischen den Entladepolen) werden die 
Wellenbäuche an den beiden Stellen, wo die Funkenständer der Sekundär- 
spule sich befinden, reflektiert. Nach jeder Reflexion verliert der Wellen- 
zug eine halbe Wellenlänge. Zugleich aber wächst durch jede Reflexion 
die Schwingungsamplitude, oder mit anderen Worten die elektromoto- 
rische Kraft. Das setzt sich so lange fort, bis die elektromotorische 
Kraft hoch genug ist, um die ionisierte Funkenstrecke als sichtbaren blau- 
weißen Funken vom positiven zum negativen Pol zu durchbrechen. 

Es ist von verschiedenen Seiten versucht worden, die elektromoto- 
rischen Kräfte zu messen, die für größere Luftstrecken erforderlich sind, 
damit ein erster blauer Funke die Strecke durchschlagen kann. In der 
folgenden Tabelle über das Funkenpotential bei verschiedenen Schlag- 
weiten findet sich eine Zusammenstellung der hierfür gefundenen Zahlen.!) 





5 | 20 | 25 | 30 | 35 | 40 | 45 | 50 | 60 |70 80,90 
| | | | | | | | 


| 


Schlagweitein cm § 10 


Kilovolt n. Klin- | 


gelfuß Messun- | 


t 


| 


! 


E, 
| 
| 











gen v. 1900 1075 1155,9) 182,7 220.4 268 8'329 5387 4731618 
Amer. Inst. M 73,5 97,8 122 146 170 19% | | | E | 
B. Walter ‚176,6. 196,4 are | | | | 
W. Vöge | 132 96,5 1199 140, ‚6165, 7190,9 9| | ! 
W. Weickert 64 | 76 ' 98 '120 142 | | | | | | 
M. Töpler 75,9 106,2135 164 192,1 219,9 2475 274.5 | 
Klingelfuß neuere ' | | | 
Messungen 888111 | 133 ‚2, 155,4 4: 177. 6, 199, 8 222 244, 2 266, 4310 REN 





Für den Betrieb von Röntgenröhren kommen heute Schlagweiten 
von mehr als 50 cm kaum noch in Betracht, aber man ersieht aus der 
Tabelle, daß man bei Luftstrecken dieser Größe schon mit einem Funken- 
potential von beiläufig einer Viertel Million Volt zu rechnen hat. Dieses 


1) Vgl. M. Töpler, Ann. d. Phys. 19, S. 208, 1906, woselbst die ersten 
sechs Messungsreihen der Tabelle entnommen sind. 


780 Klingelfuß, 


hohe Funkenpotential ist aber nur deshalb nötig, weil die Luftstrecke 
zunächst für die nachfolgende Entladung der gedämpften Welle (die wir 
im Funken als „Aureole“ erkannt haben und die eigentliche Stromentladung 
darstellt) leitend gemacht werden muß. Die „gedämpfte Welle‘ ist es, 
der wir die größere oder geringere Intensität der Röntgenstrahlen zuzu- 
schreiben haben. 

Photographiert man eine Funkenentladung, die eine sehr kräftige 
Aureole zeigt, mittels einer rotierenden photographischen Platte, so be- 
kommt das Bild ein ganz anderes Aussehen, als wie wir es beim blauen 
Funken (Fig. 3) erhalten haben. In Figur 4, die der Deutlichkeit 
halber der photographischen Aufnahme entsprechend gezeichnet ist, 
zeigt der Pfeil die Richtung, in der die Platte verschoben wurde, während 
ein Funke mit Aureole, der durch eine einmalige Unterbrechung des 


È Pie Pi akte WUrdL AN Ac: SHelrichtung verschoben 
È — 

| 

H 

z 


Gd 


Entladungen v. ol 





Ai | || | | | | | 

| pii | | | | 

| | T 

+ | N] HR: I RN II u IT 

A Q 3 t 5 ö ? $ 

O aite en a ir 

Oscllogamm am po». To des Andukteriumos 
Fig. 4. 





Magnetisierungsstromes hervorgerufen war, in der Richtung von + nach 
— zur Entladung kam. Die einzelnen Teilentladungen sind der Reihe 
nach nummeriert. Bei 1 ging ein erster, bei 3 ein zweiter blauer Partial- 
funke über. Zwischen diesen beiden, die um eine ganze Schwingungs- 
periode auseinander liegen, ist die erste Teilentladung des als Aureole 
sichtbaren Stromes erfolgt. Weitere Teilentladungen folgen sich bei 
4,6 usw. Während die ersten Teilentladungen der Aureole, oder wie wir 
sie nennen, der gedämpften Welle deutliche stromlose Intervalle zeigen, 
werden diese von Entladung zu Entladung enger und verschwinden 
schließlich ganz; die gesamte Restentladung zeigt sich kontinuierlich. 
Wir haben es demnach hier mit einer Entladung zu tun, die einer sehr 
starken Dämpfung unterworfen ist. Die auf diese Untersuchung Bezug 
habende Mitteilung wurde an anderer Stelle ausführlich publiziert.!) 


1) Fr. Klingelfuß, Verh. f. Naturf. Gesellschaft Basel XXI, S. 51, 1910. 
Ann. d. Physik 9, S. 1198—1216, 1902. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 781 


Die photographischen Aufnahmen von Funkenentladungen haben die 
Kenntnis über die Entladungsvorgänge in Gasen sehr gefördert, die er- 
haltenen Bilder sind einwandfreie Oszillogramme von rein blauen Funken 
und von Funken mit starker Aureole. Von den, der blauen Funkenent- 
ladung vorausgehenden Büschelentladungen lassen sich solche Oszillo- 
gramme nicht herstellen und man muß deshalb deren Mitwirkung an der 
Entladung in anderer Weise untersuchen. 


Daß die Hochfrequenzschwingungen nach jedem einzelnen Strom- 
impuls (Unterbrechung des Primärstromes) auftreten, also für jeden 
Stromimpuls die Gasstrecke von neuem aufionisieren, geht aus dem 
folgenden Experiment deutlich hervor: Man schiebt über eine lange Pri- 
märspule, die sich in dem Hartgummirohr P (Figur 5) befindet, zwei 
mit je einer Sekundärwicklung ver- 
sehene Spulen S, S, derart, daß die 





Fig. 5. Fig. 6. 


Verbindung der beiden Spulenhälften über einige sichtbare Windungen J 
aus blankem Kupferdraht gehen, die am Hartgummirohr eng anliegen, 
daß ferner auch die äußeren Enden der Sekundärwicklung über sichtbare 
Drahtwindungen A, A, zur Funkenstrecke F,—F, führen. Setzt man 
nun das Induktorium in Betrieb, so daß Funken zwischen F, und F, 
überspringen, dann beobachtet man im verdunkelten Raum an den 
Drahtwindungen A, und A, helle Liehtbüschel, während die Windungen J 
in der Spulenmitte dunkel bleiben. Die Liehtwirkung ist in dem photo- 
graphierten Versuch (Fig. 6) an den äußeren blanken Drahtwindungen 
deutlich ersichtlich, während die Mitte vollkommen lichtfrei ist. Aber 
auch an den Enden der Primärwicklung, innerhalb des Hartgummi- 
rohres P Figur 5 kann man die Lichtbüschel beobachten. — Figur 7 zeigt 
eine photographische Aufnahme von einem Ende her in das Innere des 
Hartgummirohres hinein. (Die Exzentrizität des inneren dunklen Kreises 
gegenüber dem äußeren rührt davon her, daß die dünnere Primärspule 
einseitig in dem weiteren Hartgummirohr liegt.) Die Lichterscheinung 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 50 


782 Klingelfuß, 


hat vollkommen das Aussehen wie bei einer auf eine Viertelwellenlänge 
abgestimmten Resonanzspule für Hochfrequenzströme. Ihre Entstehung 
muß auch beim Induktorium Schwingungen von ähnlich hoher Frequenz 
zugeschrieben werden. Der Magnetismus des Eisenkerns folgt bekanntlich 
diesen schnellen Schwingungen nicht, so daß man annehmen darf, daß 
sich das Magnetfeld und die hochfrequenten Schwingungen gegenseitig 
nicht beeinflussen. 

Über die Spannung dieser Schwingungen ist nichts bekannt: wahr- 
scheinlich ist sie bedeutend höher, als das meßbare Funkenpotential. 
Dafür spricht auch die Erfahrung, daß das Dielektrikum eines Indukto- 
riums durch die hochfrequenten Schwingungen bei Abwesenheit von 
Funkenentladungen eher durchbohrt wird, als wenn in der Funkenstrecke 
kräftige Funken regel- 
mäßıg übergehen. Befes- 
tigt man auf dem einen 
Entladepol ein Elektros- 
kop, so beobachtet man 
an demselben vor dem 
Funkenübergang einen 
größeren Ausschlag, als 
nach dem Einsetzen der 
ersten Funken. Es unter- 
liegt kaum einem Zweifel, 
daß diese Hochfrequenz- 
schwingungen eine Vor- 
bedingung für das Zu- 
standekommen von Fun- 
kenentladungen sind, indem denselben die Aufgabe zufällt, das Gas der 
Entladestrecke zu ionisieren, ohne welches der Widerstand erfahrungs- 
gemäß eine solch große Höhe hat, daß voraussichtlich eine Entladung 
selbst mit den als Funkenpotential gemessenen Spannungen nicht zustande 
kommen würde. Daß übrigens dıe Lichterscheinung vor dem Funken- 
übergang als Büschellicht an den Entladepolen des Induktoriums sich 
zeigt, ist ja bekannt. Hier ist gezeigt worden, daß die hochfrequenten 
Schwingungen auch noch weiter bestehen, nachdem mit Einsetzen regel- 
mäßiger Funkenentladungen das Büschellicht an den Entladepolen nicht 
mehr sichtbar ist. Es ist ferner gezeigt worden, daß die hochfrequenten 
Schwingungen mit Büschellicht auch an den Enden der Primärspule auf- 
treten, wo sie ebenfalls während der Funkenentladung bestehen bleiben. 
Vor allen Dingen haben wir gesehen, daß sich die Oberschwingungen nicht 
nach der Spulenmitte hin fortpflanzen und auf diesen für uns wichtigen 

Umstand kommen wir noch zurück. 





Fig 7. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 783 


Die hochfrequenten Ströme, die dem Funkenpotential vorausgehen, 
sind von wechselnder Polarität — Wechselstrom —, während die Ent- 
ladungen selbst gleichgerichtete Polarität besitzen. Das läßt sich durch 
den folgenden Versuch experimentell nachweisen. Schaltet man in die 
Mitte der in zwei ganz genau gleichen Hälften gewickelten Sekundär- 
spule zwei Strommeßinstrumente (Fig. 8), von denen das eine nur auf 
gleichgerichtete, das andere aber zugleich auf wechselnden Strom reagiert, 
so macht man an diesen Instrumenten folgende, höchst interessante Beob- 
achtung. Das Wechselstrominstrument schlägt sogleich aus, sobald der 
unterbrochene Magnetisierungsstrom durch die Primärspule geleitet 
wird, und noch keine Funken, sondern nur Büschelentladungen zustande 
kommen. Das Gleichstrominstrument hingegen bleibt noch in Ruhe und 
gibt erst dann einen Ausschlag, nachdem der Magnetisierungsstrom so- 


ay 


è 
silliampi 





weit erhöht ist, daß sich Funken entladen. Es liegt in diesem Versuche 
der experimentelle Nachweis des hiervor gesagten, daß nämlich dem gleich- 
gerichteten Strom der Funkenentladung ein Wechselstrom vorangeht. 
Wird das vorgenannte Wechselstrominstrument als Spannungsmesser 
eingeschaltet, so beobachtet man, daß der Ausschlag desselben in dem 
Moment kleiner wird, in dem die Funkenentladungen einsetzen (Fig. 9 
und Fig. 18). Daraus geht ferner hervor, daß die Spannung vor dem Ein- 
setzen des ersten Funkens tatsächlich höher war. 

Die Erscheinung ist nicht ohne Bedeutung für die Strommessung 
bei Röntgenröhren. Wenn diese richtig sein sollen, so darf das Instrument 
den für die Ionisationsarbeit verbrauchten Strom nicht mit messen. 
Benutzt man daher, wie es üblich ist, für den Zweck das Milliampöre- 
meter nach Deprez-d’Arsonval, dessen Zeiger bei Wechselstrom in 

50* 


784 Klingelfuß, 


der Nullage verbleibt und bei Gleichstrom ausschlägt, so mißt uns dieses 
Instrument in der Tat nur den nach Abschluß der Ionisation erübrigten 
und für die Transformation in Röntgenstrahlen in Betracht kommenden 
Strom. Dabei ist es, wie man sich durch das Experiment überzeugen 
kann, ganz gleichgültig, ob das Milliampöremeter in die zur Röhre führende 
Leitung oder in die Mitte der durchschnittenen Sekundärspule des In- 
duktoriums eingeschaltet wird (vom Verfasser angegebene Schaltung). 

Ersetzt man das hiervor genannte Milliamperemeter durch ein 
Hitzdrahtinstrument, so ist dessen Ausschlag c. p. größer, weil sowohl 
der Ionisationsstrom, als der Transformationsstrom von ihm gemessen 
wird. Die Differenz beider Ausschläge gibt dann die Höhe des Ionisations- 
stromes an. 

Zusammenfassend haben wir uns die Vorgänge bei der Entladung 
der von einem Induktorium gelieferten Elektrizität durch größere Luft- 
strecken folgendermaßen vorzustellen: Nach der Unterbrechung des 
Primärstromes (Magnetisierungsstromes) entstehen in der Primär- und 
Sekundärspule Schwingungen mit einer sehr hohen Schwingungszahl, 
die Schwingungen werden an den Spulenenden reflektiert. Es entstehen 
stehende Wellen, die nach jeder Reflexion eine halbe Wellenlänge ver- 
lieren, während deren Amplitude nach jeder Reflexion größer wird. Ist 
schließlich die Amplitude der Spannung groß genug, so setzen Büschel- 
entladungen ein, die die Luft ionisieren, bis ein erster blauer Funke über- 
schlägt, womit die Ionisationsarbeit ihren Abschluß gefunden hat. Die 
Spannung beim Übergang des blauen Funkens ist meßbar, und nennen 
wir das Funkenpotential (vgl. Tabelle 8.779). Durch den Übergang dieses 
Funkens werden die Schwingungsamplituden, die unmittelbar vorher 
ihren höchsten Wert hatten, plötzlich stark gedämpft. War die Auf- 
ladung der Primärspule durch den Magnetisierungsstrom gerade ebenso 
groß, um dieses Ziel zu erreichen, so ist nach der Entladung des blauen 
Funkens die Kapazität der Ladung erschöpft und die Entladung hat mit 
dem blauen Funken ihr Ende erreicht. War aber die Aufladung größer, 
so setzen nachfolgende Entladungen, die einer noch stärkeren Dämpfung 
unterworfen sind, ein. Diese sind befähigt, ganz erheblich größere Elektri- 
zitätsmengen zu tragen, als der vorauseilende blaue Funke. Aber die 
nachfolgenden gedämpften Schwingungen würden nicht zur Entladung 
durch die eingeschaltete Luftstrecke und damit überhaupt nicht zustande 
kommen können, wenn nicht der vorausgeeilte blaue Funke den Wider- 
stand ın der Luftstrecke noch mehr herabgesetzt hätte, denn die elektro- 
motorische Kraft der gedämpften Wellen ist bedeutend niedriger, als 
diejenige des blauen Funkens. Der blaue Funke erniedrigt nämlich den 
Widerstand der Gasstrecke dadurch noch weiter, als es durch die Ioni- 


D mn 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 785 


sation schon geschehen ist, daß er Metall in Dampfform von den Elektro- 
den mitreißt, der die vom Funken hinterlassene Bahn erfüllt. Durch 
diese Metalldampfbahn kann die nachfolgende Entladung mit relativ 
niedriger Spannung vor sich gehen. Die Vorgänge hängen aufs innigste 
zusammen mit der durch die Elektronentheorie geschaffenen Anschauung 
über Gasentladungen, doch kann hierauf an dieser Stelle nicht eingetreten 
werden. 

Nach den vom Verfasser durchgeführten Messungen beträgt die 
elektromotorische Kraft der gedämpften Schwingungen für 


5 10 15 20 25 80 85 40 
10400 18600 17200 20000 22500 24500 27200 30600 
45 50 cm ionisierte Luftstrecke 


88500 36200 Volt, und ist somit im Mittel etwa siebenmal niedriger als 
das Funkenpotential. 

Die Schwingungsperiode sowohl während der Entladung des schwächer 
gedämpften blauen Funkens, als auch der stark gedämpften nachfolgen- 
den Entladungen ist bei beiden diejenige der Grundschwingungen. Die 
Schwingungsamplitude dagegen ist bei der ersteren Entladungsart unter 
sonst gleichen Umständen etwa 7mal größer als bei der letzteren. 

Auf die Vorgänge, die sich bei der Entladung der gedämpften Schwin- 
gungen durch eine Röntgenröhre abspielen, kommen wir später noch aus- 
führlich zurück (vgl. 8. 803). 

Während ein Wechselstromtransformator nur eine und dieselbe, 
seinen Dimensionen entsprechende Spannung geben soll, muß die Span- 
nung bei einem Induktorium zwischen zwei extremen Werten hin und her 
pendeln können, damit bei größeren Gasstrecken ein Stromfluß überhaupt 
zustande kommen kann. Die vielfach herrschende Meinung, daß wegen 
der häufig äußeren Ähnlichkeit in der Bauart!) zwischen einem Induk- 
torrium und einem Wechselstromtransformator kein Unterschied be- 
stehe, ist unrichtig, sobald es sich um Entladungen durch Gasstrecken 
handelt und beruht auf dem Mangel an genügendem Einblick in die Vor- 
gänge bei einem Induktorium. 

Der Hauptunterschied in der Wirkungsweise eines Induktoriunis 
gegenüber derjenigen eines, sagen wir Hochspannungs-Wechselstron- 
transformators ist dadurch charakterisiert, daß bei ersterem Typus von 
Apparaten die Oberschwingungen mit möglichst großer Amplitude eine 
Bedingung für das Zustandekommen der vom Induktorium geforderten 
Wirkungen sind, während das Auftreten von Oberschwingungen beim 


!) Vgl. die Abbildung eines Induktoriums mit geschlossenem Eisenkern in 
Verb. der Naturf. Gesellschaft Basel, XIII, S. 267, 1900. 


736 Klingelfuß, 


Wechselstromtransformator als schädliche Nebenwirkung mit allen zu 
Gebote stehenden Mitteln zu verhüten gesucht wird. Das Induktorium 
muß aus diesem Grunde sowohl in Bezug auf das Magnetfeld, als insbeson- 
dere auch in Bezug auf die Sekundärspule und deren Dielektrikum erheb- 
lich abweichend von den für leistungsfähige Wechselstromtransformatoren 
üblichen Normen gebaut sein. Infolge dieser verschiedenartigen Be- 
dingungen, die man an diese beiden Apparattypen stellt, kann auch nie- 
mals der eine Apparattyp mit Erfolg als Ersatz an Stelle des anderen 
gebracht werden. 

Der hiervor genannte Unterschied hängt aufs innigste zusammen 
mit den Verhältnissen im äußeren Schließungskreise derartiger Apparate. 
Der Schließungskreis eines Wechselstromtransformators besteht aus solchen 
Leitern, deren Widerstand nicht größer wird, als daß die gewünschte 
Stromstärke durch die, ein für allemal angelegte Spannung in Fluß kommt. 
Ganz anders liegen die Verhältnisse beim Schließungskreis eines Induk- 
toriums. Die hierbei in der Regel eingeschaltete Gasstrecke (praktisch, 
bei Röntgenröhren, äquivalent einer Strecke bis zu 45 cm in Luft von 
Atmosphärendruck) besitzt unter gewöhnlichen Umständen einen so hohen 
Widerstand, daB sie sogar für das angelegte Funkenpotential ein guter 
Isolator sein kann. Darauf beruht ja die Möglichkeit, hochgespannte 
Wechselströme über blanke Leiter frei durch die Luft fortleiten zu können. 
Das Induktorium muß befähigt sein, diesen Widerstand durch lonisation 
des Gases hinreichend zu erniedrigen, damit nicht nur das Funken- 
potential, sondern die noch viel niedrigere elektromotorische Kraft in der 
gedämpften Welle, deren Spannung, wie wir gesehen haben, der Größen- 
ordnung nach nicht höher ist, als die bei Wechselstrom üblichen Hoch- 
spannungen, hinreicht, sich über eine solche Gasstrecke entladen zu 
können. 

Für die Ermittlung des Effektes hat man im Funkenpotential als Über- 
gangsspannung keinen Anhalt. Im Moment, wo diese Spannung herrscht, 
ist die untere Grenze für die Ionisationsspannung eingetreten. Die 
Ionisationsarbeit findet erst mit dem Überspringen des blauen Funkens 
ihren Abschluß für die betreffende Entladung. Damit hat aber das ln- 
duktorium im Sinne eines Transformators noch keine Arbeit geleistet, das 
geschieht erst in der Entladung der nunmehr dem blauen Funken zeit- 
lich folgenden!) gedämpften Welle. Wenn man daher den Wirkungsgrad 
eines Induktoriunis bestimmen wollte, müßte man außer der elektrischen 


1) Man vgl. diesbezüglich die Arbeit in den Verhandlungen der Baseler 
Naturf. Gesellschaft, Bd. XV, S. 149 und Annalen der Phys. 9, 8. 1205, 1902 
(daselbst wurde die Entladung der gedämpften Welle nach früherer Sprachge- 
brauch als Aureole bezeichnet. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 787 


Arbeit auch die für die Ionisation geleistete Arbeit ermitteln können, denn 
ohne diese Arbeit leisten zu müssen, wäre der Apparat eben kein In- 
duktornum mehr, sondern ein einfacher Transformator. Das Induktorium 
wird aber nach jeder von ihm durchgeführten Ionisation in seiner Arbeits- 
weise ein Transformator. Man könnte deshalb das Induktorium zum 
Unterschied vom einfachen Transformator als die Kombination eines 
Ionisators mit einem Transformator bezeichnen. Das hier gesagte gilt 
sowohl für Induktorien mit offenem als für solche mit geschlossenem 
Eisenkern. Sobald der Apparat geeignet ist, eine Röntgenröhre zu be- 
treiben, soll er unabhängig von der Form desselben als Induktorium 
und nicht als Transformator bezeichnet werden, weil die Technik darunter 
einen anderen Apparat versteht. 

Die den Entladungen voraneilenden Hochfrequenzschwingungen 
sind, wie leicht einzusehen ist, nicht ohne Einfluß auf Spannungs- 
messungen, die im äußeren Entladekreis oder an den Entladepolen des 
Induktoriums vorgenommen werden. Sie beeinflussen derartige Messungen 
in ganz unkontrollierbarer Weise. Das ist in erhöhtem Maße der Fall, 
wenn die Entladungen statt durch Luft von Atmosphärendruck, durch eva- 
kuierte Gefäße, wie Röntgenröhren gehen, deren Drucke bald höher, 
bald niedriger und oft einem plötzlichen Wechsel unterworfen sind und 
deren Elektroden zu neuen Oberschwingungen Veranlassung geben 
können. Es sind deshalb auch alle Versuche, Spannungs- oder Härte- 
messungen an Röntgenröhren durch Anlegen an die zur Röhre führenden 
Entladepole (Elektrometer Bergonie, Qualimeter Bauer), aus den vor- 
genannten Gründen gescheitert. 

Aus den Beobachtungen geht hervor, daß nach jeder Stromunter- 
brechung bei einem Induktorium mit drei zeitlich getrennten 
Spannungszuständen zu rechnen ist, nämlich: 

1. Der Ionisationsspannung (bisher unmeBbar) ; 

2. der Spannung des beim Abschluß der Ionisationsarbeit ent- 
stehenden blauen Funkens — des Funkenpotentials — und 

8. der Spannung des eigentlichen — in Röntgenstrahlen trans- 
formierten Stromes. 

Will man daher aus der elektrischen Spannung auf die Härte der 
Röntgenstrahlen einen sicheren Schluß ziehen können, so muß die Meß- 
einrichtung so beschaffen sein, daß nur die Spannung dieser letzteren 
Entladungsart gemessen wird, ohne durch die Spannung der anderen 
beiden Entladungsarten beeinflußt zu werden. 

In dem Seite 781 beschriebenen Versuche haben wir uns davon über- 
zeugen können, daß sich die Lichterscheinung an den blanken Drähten 
zwischen den beiden Scekundärspulenhälften, also in der Spulenmitte, 


788 | Klingelfuß, 


nicht zeigt. Da die Lichterscheinung (das Büschellicht) durch die hoch- 
gespannten Oberschwingungen hervorgerufen wird, so müssen wir daraus 
schließen, daß sich die Oberschwingungen nicht nach der Spulenmitte 
hin fortpflanzen. Daß das nicht geschieht, ist dem Physiker und Elektro- 
techniker auch ohne diesen experimentellen Beweis bekannt. Es ist 
nämlich die Selbstinduktion in den Spulen eines Induktoriums so außer- 
ordentlich groß, daß sich schnelle elektrische Schwingungen darin über- 
haupt nicht fortpflanzen können. Es spielen sich daher die höchsten 
Oberschwingungen nur an den Spulenenden ab. Diejenigen Schwingungen 
aber, die die sämtlichen Drahtwindungen der Spulen von einem Ende der- 
selben bis zum anderen durchlaufen, sind außerordentlich stark gedämpft. 
Wir nennen sie deshalb in der Folge kurz die gedämpften Wellen oder 
Schwingungen. Da sie den hauptsächlich für unsere weiteren Unter- 
suchungen in Betracht kommenden Elektrizitätsträger darstellen, werden 
wir uns noch mehrfach damit beschäftigen. Sie sind es, die in eigentliche 
Röntgenstrahlenenergie transformiert werden, während die Oberschwin- 
gungen nur die Gasstrecke ionisieren, aber keine Röntgenstrahlen liefern. 
Schaltet man daher in der Spulenmitte eine bestimmte Anzahl Draht- 
windungen zwischen die Windungen der beiden Sekundärspulenhälften 
ein, so können wir an diesen Windungen eine gewisse Spannung ablesen, 
die von den Oberschwingungen nicht beeinflußt wird. Kennen wir nun 
auch noch die Anzahl der Windungen der Sekundärspulen, ferner die- 
jenige der dazwischen geschalteten Meßwicklung, so können wir aus 
der an der letzteren abgelesenen Spannung und dem Verhältnis der Win- 
dungszahlen die Spannung, die die gedämpfte Welle an den Enden der 
Röntgenröhre hat, berechnen. Was das für die Messung der Härte der 
Röntgenstrahlen bedeutet, werden wir noch kennen lernen. 


Christen!) sagt, es falle die Tatsache auf, daß die Spannungen 
für die Härtegrade nach Bergoni6 höher gefunden werden, als nach 
Klingelfuß. Das ist nun nach dem vorstehenden leicht zu verstehen. 
Das Bergoniösche Elektrometer wird, wie das Bauersche Qualimeter, 
in den äußeren Stromkreis eingeschaltet (an die Enden der Sekundär- 
spule, bzw. an die Leitung zur Röhre), also da, wo die hochgespannten 
Oberschwingungen sich der gedämpften Welle überlagern. Die Ober- 
schwingungen erhöhen den Ausschlag am Bergoniöschen und Bauerschen 
Instrument, so daß diese für die Härten zu hohe Werte anzeigen. Die 
Spannung der hochgespannten Oberschwingungen entzieht sich aber 
jeder Meßbarkeit und es ist außerdem sehr wahrscheinlich, daß sie sich 


1) Th. Christen, Messung und Dosierung der Röntgenstrahlen, Hamburg 
Lucas Gräfe & Sillem, 1913, Bd. 21, S. 30 und Tafel 1. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 789 


mit dem jeweiligen Zustande der Röhre unabhängig von der Härte ändert. 
Aus dem Grunde können auch die Angaben dieser Instrumente nicht 
wie diejenigen des Sklerometers zur Berechnung der Röntgenstrahlen- 
energie benutzt werden. (Vgl. IV 8. 791.) 


III. Die Einrichtung zur Messung der Röntgenstrahlen mit dem Sklero- 
meter. 


Das Sklerometer ist ein mit Gleichstrom geeichter Spannungs- 
messer, der an eine bestimmte Anzahl Windungen des Induktoriums, 
der sogenannten Meßspule, die für das Meßbereich des Instrumentes 
abgeglichen ist, angeschlossen wird. Streng genommen müßte anstatt 
dieses Spannungsmessers ein Elek- 
trometer benützt werden, wie es 
vom Verfasser auch bei seinen ur- 
sprünglichen Messungen geschehen 





Fig. 10. 


ist. Wegen der Trägheit der 
Zeigereinstellung und noch aus 
anderen Gründen ist das Instru- 
ment für praktische Messungen 
nicht bequem und wurde deshalb 
später durch ein Hitzdrahtinstru- 
ment mit gutem Erfolg ersetzt. Die 
Windungen der Meßspule müssen in der Mitte der Sekundärspule des 
Induktoriums angeordnet sein, weil die hochfrequenten Oberschwin- 
gungen sich infolge der hohen Selbstinduktion nicht nach der Spulen- 
mitte hin fortpflanzen und daher das Sklerometer nicht beeinflussen 
(vgl. Fig. 10). Da außerdem in der Spulenmitte ein Spannungsknoten 
ist, so kann diese ohne den geringsten Einfluß auf den Wirkungsgrad 





Fig. 11. 


790 . Klingelfuß, 


mit der Erde leitend verbunden werden, so daß das hier eingeschaltete 
Sklerometer ebenfalls geerdet ist und deshalb ohne weiteres und ohne 
besondere Vorsicht an jedem beliebigen Ort — also auch in einer Schutz- 
kabine aufgestellt werden kann. 

Es sei hier beiläufig bemerkt, daß bei der von mir angegebenen 
Schaltung auch das Milliampöremeter in der Spulenmitte eingeschaltet 
wird und daher aus dem gleichen Grunde, wie das Sklerometer, auf 
der Schalttafel in der Schutzkabine unmittelbar unter dem Sklerometer 
angebracht werden kann. Vergl. Fig. 14. Dadurch, daß der Strom- 
und Härtemesser, also die für quantitative und qualitative Messungen 
der Röntgenstrahlen nötigen beiden Instrumente neben einander und 
an strahlengeschütztem Orte, ferner in nächster Nähe des Beobachters 
bequem ablesbar angebracht sind, wird das Messen außerordentlich er- 
leichtert. ` Die Spannung in den zum Sklerometer und Milliampöre- 
meter führenden Drähten sind bei dieser Schaltungsart so niedrig, daß 
man die Instrumente bei eingeschaltetem Strom berühren darf, ohne 
dabei den Strom zu fühlen, oder gar das Abspringen eines Funkens be- 
fürchten zu müssen. 

Fig. 11 zeigt eine Schutzkabine, bei der das Sklerometer und das 
Milliampöremeter auf der Schalttafel innerhalb der Kabine angebracht 
sind. Man hat sich also für die Ablesungen der Härte an diesem Instru- 
ment in keiner Weise den direkten Röntgenstrahlen auszusetzen, wie das 
bei sämtlichen übrigen, bekannten Härtemessern ausnahmslos der Fall 
ist. Würde das Instrument nicht andere, ebenso wichtige Vorteile in sich 
schließen, dieser eine müßte genügen, dem Sklerometer jedem anderen 
gegenüber den Vorzug zu geben. 

Die Eichung der Meßspule wird unter Berücksichtigung des Meß- 
bereiches des Instrumentes in Bezug auf gewisse Funkenlängen, die unter 
ganz bestinmten Bedingungen erhalten werden, vorgenommen (vgl. Seite 
800 bis 807). Während die Funkenlänge als Maß der Spannung, wenn der 
Funkenstrecke eine Röntgenröhre parallel geschaltet ist, ganz unzu- 
verlässig ist,') bleibt die Spannung bei Funkenentladungen in Luft 
von Atmosphärendruck und bei Beobachtung gewisser Vorsichtsmaß- 
regeln, in hohem Grade konstant, und kann als Maß für die Abgleichung 
der Meßspule ohne Bedenken benutzt werden (vgl. 8.801). Da bei jedem 
Induktorıum für eine bestimmte Funkenlänge die Spannung gleich und 
praktisch unabhängig von der größeren oder kleineren Anzahl der auf 
der Spule untergebrachten Windungen ist, so ist für einen bestimmten 
Ausschlag am Sklerometer ein ganz bestimmter Teil der ganzen Draht- 


1) Vgl. Verhandlungen der Deutschen Röntgengesellschaft, Bd. VII, 1910, 
S. 128—129. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 791 


länge der Sekundärwicklung nötig. Der Ausschlag am Sklerometer gibt 
also zunächst die Funkenlänge in Luft von Atmosphärendruck an, wenn 
jelweder störende Einfluß auf die Funkenentladungen sorgfältig ab- 
zuhalten gesucht wird. Dieser Funkenlänge entsprechen aber mehrere 
bestimmte, sich zeitlich in Bruchteilen der Sekunde folgende Spannungen, 
nämlich wie wir oben gesehen haben, eine lonisationsspannung, eine 
Spannung des Funkenpotentials (das ist einer schwach gedämpften 
Grundschwingung) und eine Spannung der stark gedämpften Grund- 
schwingung oder kurz der gedämpften Welle. Das Sklerometer wmißt 
aber infolge seiner besonderen Einschaltung in den Schwingungskreis 
nur eine dieser Spannungen, nämlich die der gedämpften Welle, denn nur 
dieser Teil der Entladungen wird, wie wir jetzt wissen, in Kathoden- und 
Röntgenstrahlen transformiert und nur diese Spannung hat zu der Härte 
der Röntgenstrahlen eine bestimmte Beziehung. Je größer die Funken- 
länge ist, um so mehr steigt der Ausschlag am Sklerometer; aber wir 
wissen ja auch andererseits, daß die Funkenlänge, die ein Induktorium 
zu geben vermag, um so größer sein muß, je härter c. p. die Röhre ist. 
Da nun bestimmte Beziehungen zwischen der Härte der Röntgenstrahlen 
und der Spannungen der gedämpften Welle bei Funkenentladungen be- 
bestehen, so mißt uns das Sklerometer indirekt die Härte der Röntgen- 
strahlen. Wie bei allen Instrumenten, die für die Messung an periodischen 
Strömen in Betracht kommen, muß die Eichung für jede andere Frequenz 
besonders ausgeführt werden. Die Meßspule des Sklerometers ist demnach 
für 50 Unterbrechungen in der Sekunde geeicht und es muß, wenn die An- 
gaben genau sein sollen, bei der Benützung des Sklerometers diese Unter- 
brechungszahl eingehalten werden. Für den Wehnelt- oder Simon- 
Unterbrecher z. B. wird die Eichung der Meßspule entsprechend der Fre- 
quenz derselben bei voller Belastung ausgeführt. Die Angaben des 
Sklerometers sind dann auch nur bei voller Belastung gültig, weil die 
Frequenz mit der kleineren Belastung kleiner wird. Ebenso darf dann die 
Stiftlänge des Wehnelt-Unterbrechers nicht verändert werden. Die 
dann durch Abnutzung des Stiftes verursachte Änderung läßt sich durch 
Nachregulierung korrigieren. 


IV. Absolute Härtemessung mit der Sklerometerskala. 


Die einmal abgeglichene Meßspule stellt in Bezug auf das zugehörige 
Induktorium eine unveränderliche Größe dar, ihre Windungszahl ist ein 
ganz bestimmter Teil der Gesamtwindungszahl der Sekundärspule. Ist 
sie so abgeglichen, daß das Sklerometer bei einer bestimmten Funkenlänge, 
in Zentimetern ausgedrückt, bestimmte Ausschläge gibt, wird anderer- 
seits die Skala des Sklerometers an Hand bekannter Spannungen mit 


792 Klingelfuß, 
Gleichstrom geeicht, so besitzen wir in diesem Instrumentarium eine auf 
absolute Werte zurückgeführte Meßeinrichtung von großer Genauigkeit 
für praktische Messungen an Röntgenstrahlen. Da sich die Spannungen 
auf Spulen verhalten, wie deren Windungszahlen, so haben wir nur die am 
Sklerometer abgelesene Spannung mit dem Windungsverhältnis der Se- 
kundärspule zur Meßspule zu multiplizieren, um die Härte der Röntgen- 
strahlen direkt in Volt auszudrücken. Macht man das, so ergeben sich 
für die Benoistskala folgende absolute Werte, d. h. in Volt ausgedrückte 


Härtegrade: 
2 8 4 5 6 7 8 Benoist 
7700 8800 10400. 13600 19000 26000 84000 Volt oder absoluter 


Härtegrade. 

Diese großen Zahlen würden aber für die Praxis unbequem sein. 
Nun hat man überall in der Meßtechnik danach getrachtet, die Größen- 
ordnung der Zahlen den Bedürfnissen anzupassen und hat danach Maß- 
ableitungen gemacht. Man drückt z. B. große Wegstrecken in Kilo- 
metern, kleinere Längen in Metern, noch kleinere in Zentimetern oder 
Millimetern und sogar die kleinsten meßbaren Längen in p und pgu, d. h. 
tausendstel und millionstel Millimeter aus. Alle diese Maße sind durch 
Zehnteilung von dem Grundmaß des Zentimeters abgeleitet. Warum soll 
man nun nicht auch für die Härtemessung eine Ableitung einführen 
dürfen, die bequemere Zahlen für die Praxis liefert. Man könnte nun ent- 
sprechend hier die Zahlen in Kilovolt ausdrücken und erhielte für 

2 383 4 5 6 7 8 Benoist 
die entsprechenden Härte- 
grade in absoluten Einheiten 7,7 8,8 10,4 18,6 19 26 34 

Diese Skala würde das 226,5fache, d. h. die durch Multiplikation 
des Windungsverhältnisses mit der vom Sklerometer in Wirklichkeit ge- 
messenen niederen Spannung anzeigen. 

Dieser Faktor ist aber eine konstante Größe, so daß es gar keinen 
Zweck hat, den komplizierteren Weg einzuschlagen und zunächst die Ab- 
lesungen an der Meßspule mit der Konstanten des Windungsverhältnisses 
zu multiplizieren und dann durch 1000 zu dividieren. Es ist viel einfacher, 
diese beiden Operationen wegzulassen und die Spannungswerte der Meß- 
spule direkt als Härtegrade zu bezeichnen. Dadurch wird der absolute 
Wert der gemessenen Größen ebensowenig beeinflußt, als wenn eine Tei- 
lung oder Multiplikation des Meters vorgenommen wird. 

Aber es liegt noch ein gewichtiger Grund vor, die Härte nicht direkt 
in der an der Röhre angelegten Spannung in Volt auszudrücken. Wir 
kennen diese Spannung nämlich nicht durch direkte Messung, sondern 
nur aus der Spannung an der Meßspule unter der Annahme, daß auch bei 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 793 


diesen schnellen Schwingungen die Spannungen sich verhalten wie die 
Windungszahlen. Wir kennen daher auch nicht den Grad der Genauigkeit 
für die so gefundenen Werte. Die Spannung der gedämpften Schwingun- 
gen läßt sich aber einstweilen in anderer als der hier angegebenen Weise 
nicht bestimmen, derart daß die Messung durch die Oberschwingungen 
nicht beeinflußt würde, ganz abgesehen davon, daß Spannungsmessungen 
bei der in Betracht kommenden Größenordnung nicht so einfach aus- 
führbar sind. 

Der einzige sichere Anhaltspunkt zur Abgleichung der Meßspule 
bleibt daher die bei Funkenentladungen von bestimmter Länge unter be- 
stimmten Bedingungen (vgl. S. 800—807) herrschende Spannung (vgl. 
5. 807). Diese Spannung ist praktisch konstant für die gleiche Funken- 
länge und unabhängig von der Stromstärke innerhalb des Normalzustandes 
bei Induktorien.!) 

Die von mir benutzte und eingeführte Skala des Sklerometers zeigt 
dementsprechend auch die Spannungen an der Meßspule und zwar ist 
die Meßspule so abgeglichen, daß ein Hitzdraht-Spannungsmesser mit 
einem Eigenverbrauch von 150 Milliampere bei 90° Ausschlag bei einer 
Funkenlänge von 

5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 cm 
einen Ausschlag von 49 61 73 85 97 109 121 133 145 157 Volt gibt. 


Wir erhalten dementsprechend für die 





Benoistskala . . ». ». . 2.. a... 2 3 4 5 6 7 8 
die entsprechenden Härtegrade in ab- 

soluten Einheiten. . . . . . . 34 39 4 60 8 115 150 
Äquivalente Funkenlänge bei nicht ein- 

geschalteter Röhre annähernd cm 3—4 98 195 325 47 


Es gelingt mit der härtesten Röhre ohne die Anwendung eines Filters 
nicht, einen höheren Wert als 8 Benoist photographisch zu bekommen. 
Durch Extrapolation erhält man für den Skalenwert 9 Benoist = 190 und 
für 10 Benoist = 240 Härtegrade am Sklerometer. 

Die Berechtigung, das Sklerometer einen absoluten?) Härtemesser 
zu nennen, ist von Christen?) mit Unrecht kritisiert worden. Der beste 
Beweis, daß das Sklerometer ein absolutes Maß ist, liegt darin, daß analog 
ähnlichen Wirkungen beim elektrischen Strom sich experimentell nach- 
weisen läßt, daß das Produkt der von diesem Instrument angezeigten 


t) Klingelfuß, Annalen der Physik 5, S. 837, 1901. 
23) Das Wort „absolut“ bezieht sich hierbei auf die für physikalische Größen 


übliche Bezeichnungsweise; ein weiterer Anspruch wird damit bekanntlich nicht 
erhoben. 


794 Klingelfuß, 


Strahlenhärte multipliziert mit der am Milliamperemeter abgelesenen 
Strahlenstärke und der Bestrahlungszeit eine gleich starke Schwärzung 
der photographierten Platte durch eine Metalltreppe hervorruft, wenn das 
Produkt der drei Fak- 
toren konstant gehalten 
wird. Dabei dürfen die 


WMA N yo a einzelnen Faktoren inner- 

| =æ halb gewissen Grenzen 

AAN E y | geändert werden. So er- 
g hielt ich das Bild der 

AOE R Wht. ;; nebenstehenden Figur 12. 


Die sechs Streifen 
wurden auf eine und die- 
selbe Platte exponiert, um 
Entwicklungsdifferenzen 
auszuschalten. Die 3 Fak- 
Fig. 12. toren hatten der Reihe 
nach die folgenden Werte: 








Strahlenhärte Expositionszeit | Produkt dee 








Strahlenstärke | 
in Milliampere | in Sklero?) | Sekunden | drei Faktoren 
Streifen 1 | 0,4 | 63 | 198 | 4989 
+ 0,7 | 68 104,5 | 4974 
3 o| 1,0 | 73 | 68,5 | 4990 
y | 1,35 | 80 46 4976 
Br 1,5 | 83 40 4980 
6 | 1,8 92 30 | 4968 


Mittel der Produkte 4979. 


Das Produkt in den 6 Reihen ist im Mittel 4979, wovon die einzelnen 
Produkte nur sehr wenig abweichen. Das Produkt stellt uns aber die 
Röntgenstrahlenarbeit dar und man könnte kurzweg sagen, es seien im 
Mittel auf jeden Streifen 4980 Sekunden-Röntgenstrahlen appliziert 
worden. Die dazu verwendeten Milliampère waren beim ersten Streifen 
0,4 beim sechsten 1,8, die entsprechende Härte 63 und 92 und es wurde 
beim ersten Streifen 198 Sekunden, beim sechsten nur 30 Sekunden be- 
strahlt, und doch sind die Streifen, wie auch alle übrigen gleich geschwärt. 
Wir erhalten demnach die gleiche Röntgenstrahlenarbeit mıt 63 Sklero- 


1) Christen, Archiv und Atlas, Messung und Dosierung der Röntgenstrahlen 
Hamburg, Lucas Gräfe & Sillem 1913, S. 21, Absatz 8, 
2) Man vergleiche die Fußnote Seite 814. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 795 


und 0,4 Milliampere in 198 Sekunden oder 92 Sklero- und 1,8 Milliampöre 
in 80 Sekunden. Innerhalb der zulässigen Grenzen genügt aber jeder 
Wert der Faktoren dieser Bedingung, wenn das Produkt konstant ge- 
halten wird. Haben wir z. B. eine Röhre mit 100 Sklero- bei 1 Milliampöre, 


. 4980 | | | 
so müßten wir 1 x 100 = 50 Sekunden bestrahlen, um die gleich hohe 
Strahlendosis zu bekommen. Es kann also z. B. auch 

die Härte die Strahlenstärke | die Zeit 

60 Sklero 1 Milliampere | 29 Minuten 

84 99 1,2 1 17 ?9 l 

115 , 1,5 „ ; 10,» 


betragen, das Produkt in den 3 Reihen ist stets 1725 Minuten-Röntgen- 
strahlen (das entspricht in 24 cm Fokushautdistanz einer Sabourauddose). 
Es sind aber 60 Sklero = 5 Benoist, 84 Sklero = 6 Benoist und 115 Sklero 
= 7 Benoist, und wir können demnach auch sayen, daß wir die Dose er- 
halten haben, bei der Strahlenhärte 


6 Benoist in 29 Minuten mit 1 Milliampère 
7 ” „ 17 „ 39 1,2 2 
8 7 , „ 10 ” ” 1,5 ” 


es sind aber 6 x 29x 1 = 174 
7 x 17 x 1,2 = 148 
8 x 10 x 1,5 = 120 


und wir erhalten somit, wenn wir statt der Sklerometer- die Benoisthärte 
einsetzen, drei sehr ungleiche Produkte. Würden wir die Eichung mit der 
Härte 6 Benoist vorgenommen haben, wobei wir als Produkt 174 erhielten 
und nun mit einer Röhre von 8 Benoist mit 1,5 Milliampöre eine Bestrah- 
lung vornehmen und würden die Bestrahlungszeit ermitteln, wie das beim 
Sklerometer geschieht, so müßten wir analog das Produkt durch die Härte 





| 174 
mal der Strahlenstärke dividieren und erhielten a 14,5 Minuten 


, 
statt der tatsächlich nötigen 10 Minuten, so daß dadurch ein Dosierungs- 
fehler von + 45°/, begangen würde. 

Ganz gleich würde es uns gehen, wenn wir die Rechnung nit Wehnelt, 
oder mit Walter oder mit Qualimeter oder irgendeinem anderen will- 
kürlichen Härtemaß durchführen. 

Vernachlässigen wir aber unter der trügerischen Annahme einer 
konstanten Röhre die Härte ganz und rechnen nur die Millianıpere X Mi- 
nuten, so wird der Dosieruugsfehler noch größer. | 

Der Grund, weshalb das Sklerometer ein absolutes Maß der Röntgen- 


796 . Klingelfuß, 


strahlenhärte ist, liegt darin, daß es die in absolutem Wert ausgedrückte 
elektrische Spannung der gedämpften Schwingungen in ganz bestimmter 
Weise angibt, und daß die Röntgenstrahlenhärte dieser Spannung propor- 
tional ist. Streng genommen mißt das Instrument eine bestimmte mittlere 
Spannung aus einer mehr oder weniger großen Anzahl verschiedener mitt- 
lerer Spannungen, was an anderer Stelle (S. 802—807) näher erklärt ist. 

Das Produkt aus der Sklerometer- und Milliampère- 
meter-Ablesung bezeichnet die Röntgenstrahlenleistung ent- 
sprechend wie eine elektrische Leistung sich aus der Spannung x der 
Stromstärke ergibt. 

So hat z. B. bei einem Sklerometerausschlag 120 und einem 
Milliampereausschlag 1,2 die Röntgenstrahlung eine Leistung 144; bei 
80 Sklero und 1,8 Milliampere beträgt die Leistung ebenfalls 144. Lassen 
wir diese Leistungen jede eine gleich lange Zeit wirken, so erhalten wir 
die gleiche Strahlenarbeit. 

Man muß dabei nur berücksichtigen, daß ein härterer Strahlenkom- 
plex in Bezug auf die Absorptionsfähigkeit sich anders verhält als ein 
weicherer. Da muß die Prüfung der spezifischen Härte und eventl. der 
Halbwertschicht (Christen) einsetzen (vgl. S. 708 und 829). 


V. Das Meßbereich der Sklerometerskala. 


Wie wir weiter oben gesehen haben, entspricht der Wert 8 Benoist oder 
150 absolute Einheiten einer Funkenlänge von nahezu 50 cm. Das Meß- 
bereich des Sklerometers kann aber beliebig weiter ausgedehnt werden, 
falls noch härtere Röhren (Strahlen) gemessen werden sollen. Es 
braucht dann nur die Skala des Instrumentes statt bis 8 Benoist oder 150 
bıs 160 absoluten Härtegraden bis 10 oder 12 Benoist oder noch weiter 
ausgedehnt werden. Es ist mir bis heute aber wie gesagt nicht gelungen, 
mit den härtesten erreichbaren Röhren Benoistwerte über 8 hinaus photo- 
graphisch zu erhalten. Sobald man versucht, die Röhre noch weiter hinauf 
zu belasten, springen Funken außen um die Glaskugel herum, die der 
Röhre gefährlich werden. Die Annahme von Wetterer,!) daß das Meß- 


t) J. Wetterer, Handbuch der Röntgentherapie, Leipzig, Nemnich. I. Auf- 
lage 1913, Seite 116—117. In der bezüglichen Vergleichstabelle der gebräuchlichsten 
Härtemesser für Röntgenstrahlen sind die Funkenlängen viel niedriger angegeben, 
als sie sich aus meinen Messungen ergeben haben. Das rührt wahrscheinlich 
daher, daß hier die parallele Funkenstrecke anstatt der äquivalenten Funkenstrecke 
als Maß angegeben ist (vgl. S. 807). Daß aber die parallele Funkenstrecke ganz 
unrichtige Verhältnisse vortäuscht, habe ich in einer Publikation in den Verhandl. 
der Deutschen Röntgen-Gesellschaft Bd. VII, 1911, S. 129 nachgewiesen. Die den 
Härtegraden äquivalenten Funkenlängen sind in der Tabelle S. 798 richtig ange- 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 797 


bereich des Sklerometers für Tiefenbestrahlung nicht ausreiche, scheint 
demnach nicht zutreffend. Möglicherweise liegt hier eine Verwechslung 
zwischen der Härte von ungefilterten mit der Härte von gefilterten Strah- 
len vor. Um in dem Falle, wo das Meßbereich weiter ausgedehnt werden 
soll, keine Einbuße in Bezug auf die Genauigkeit der niederen Härtegrade 
zu erleiden, wäre es zweck- 

mäßig, eine Skala für 2. r 120 

harte Röhren erst etwa 9 ye ul el, ly, w 


bei 6 oder 7 Benoist = 84 


oder 115 absoluten Härte- N [JaA 
einheiten beginnen zu SRS B 
lassen. Andererseits läßt Fig. 18. a 


sich auch eine spezielle 
Skala für weiche und 
extrem weiche Strahlen, 
wie sie etwa an Röhren 
mit Lindemannfenster er- 
hältlich sind, anbringen, 
so daß das Meßbereich 
dıeser Skala von etwa !/, 
oder 1 bis zu 5 oder 
6 Benoist bzw. bis 60 oder 
84 absoluten Härtegraden 
reicht. Diese Skala käme 
ausschließlich für die Ober- 
flächentherapie in Be- 
tracht, und würde dabei 
äußerste Genauigkeit in 
der Messung und Dosie- 
rung gewährleisten. 
Die Skala mit dem Fig. 14. 

Meßbereich von 2 bis 8 

Benoist bzw. 30 bis 160 absoluten Härtegraden (Fig. 13 und 14) hat sich 
als zweckmäßig und vollkommen ausreichend für alle normalen Arbeiten 
mit Röntgenstrahlen, sowohl für die Röntgenographie und -skopie als 
auch für Oberflächen- und Tiefentherapie erwiesen. Mit dieser Skala 





geben. Es sei hier ferner darauf aufmerksam gemacht, daß auch die Vergleichs- 
zahlen zwischen der Benoistskala und dem Sklerometer in dieser Tabelle nicht 
alle mit den von mir angegebenen Zahlen übereinstimmen. So ist z. B. für 
4 Benoist der Sklerometergrad mit 55 statt 46 angegeben; bei einigen anderen 
sind die Abweichungen von meinen Zahlen kleiner. 


Strahlentnerapie Band III, Heft 2. 51 


798 Klingelfuß, 


lassen sich alle hierbei vorkommenden Härten, von den praktisch weich- 
sten bis härtesten Strahlen messen; sie erlaubt daher auch die univer- 
sellste Anwendung in der Praxis. 

Die Skala mit dem Meßbereich für extremweiche Röhren einerseits 
und diejenige für extrem harte Röhren andererseits sind daher Spezial- 
skalen. 

Es hindert aber auch nichts, eine Skala am Sklerometer anzubringen, 
deren Meßbereich sowohl nach unten wie nach oben weiter ausgedehnt 
würde, also für alle überhaupt in Betracht kommenden Härten ausreichte. 
Aber bei den weit auseinander liegenden unteren und oberen Grenzen 
dieser Skala würden die Unterabteilungen der Härte nicht mit der gleich 
großen Genauigkeit ablesbar sein, als das bei den oben genannten Skalen 
der Fall und meistens auch wünschenswert ist. 

Neben der absoluten Skala des Sklerometers läßt sich jede der be- 
kannten anderen Skalen auftragen. Das erleichtert den Vergleich der ab- 
soluten Härtewerte mit den altgewohnten Härteskalen. In der Regel 
ist dann auch noch die Benoistskala eingetragen.!) Die Figur 15 gibt eine 
graphische Darstellung zum Vergleich der verschiedenen gebräuchlichen 
Skalen, sowie der Funkenlängen mit der absoluten Skala. Wie man aus 
dieser Vergleichung ersieht, besitzt das Sklerometer eine weitaus größere 
Empfindlichkeit, als irgendeines der übrigen Härtemeßinstrumente. 
Während Härteunterschiede von einer Einheit bei den Instrumenten nach 
Benoist, Walter, Wehnelt usw., deren Angaben an sich ja richtig sind, 
wenn sie nur richtig beobachtet werden, nur äußerst schwierig und durch 
direktes Ansehen niemals einwandfrei festgestellt werden können, zeigt 
das Sklerometer schon Änderungen der Härte an, die einem kleinen Bruch- 
teil einer der obigen Einheiten entsprechen.?) 


VI. Die Änderung der Strahlenhärte mit der Belastung.?) 


Die Härte einer Röntgenröhre, oder genauer ausgedrückt der von ihr 
ausgesandten Röntgenstrahlen ist einerseits gegeben durch den Zustand 
des Vakuums der Röhre, andererseits aber wird die Härte beeinflußt 
durch die mehr oder weniger hohe Belastung einer Röhre in der Weise, 
daß mit der höheren Belastung auch Strahlen von größerer Härte aus- 
gelöst werden. 

Hat man die Härte einer Röntgenrühre in einem bestimmten Falle 
mit irgendeinem der bekannten Härtemeßinstrumente nach Benoist, oder 





1) Über die Anbringung des Halbwertschichtmaßes nach Christen am 
Sklerometer vgl. 8. 829. 

2) Vgl. Schatz, „Strahlentherapie“, Berlin 1912, S. 544—545, 

3) Nicht zu verwechseln mit der Änderung der Röhrenkonstanz, vgl. VII. 


799 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 


AEA OE TOR 





Anmmmockp gm Dogg y ag au m wggpoyypurbywo)o y woyoycayvogo 





AMI s'r L's 9'v s'v “n'r ç'r Fr vv o't 6'0 g'o L'o 90 ana yoong p wc md 
IJP rnr og 
ii | A mia 
NA olr ogr | or '!' o4 on 0 a. oor 08 ' og ! ol 09 os; oy ole 
1 l t i i i I i i ( 
! : i ‘ i 


pirm MEN mm 


t 
v dsr ort oo | 06 


i 
GRIP Orne 09t Orr ı Ost 08 ! 
I 
1 








! , 
| 
I i ! i 
| ! | Ä ET PTR 
mp Voyons 9 A 8 9 1 1 'S i um a € v 
Ab 0a i ' E ' o | 6, g i L 9 
' I 
| OVON, ME 
i ' G 1 
' ; ; NOPY A VYoug 
nr erg 6 i i g i i t i 9 Shee . 


s 
mir) 
te) 


Fig. 15. 


800 Klingelfuß, 


Walter, oder Wehnelt usw. ermittelt und erhöht oder erniedrigt nun 
die bei dieser Ablesung vorhanden gewesene Stromstärke, so wird eine 
neue Ablesung an dem betreffenden Härtemeßinstrument dem Beobachter 
zeigen, daß die Härte nicht mehr mit der vorhergehenden Ablesung über- 
einstimmt. Nun sind die genannten Instrumente zur Ermittelung der 
Härte nicht von sehr großer Empfindlichkeit, und der Beobachter wird 
finden, daß er oft die Stromstärke ganz erheblich ändern muß, um durch 
okulare Beobachtung am betreffenden Instrument eine Härteänderung 
konstatieren zu können. Viel genauer läßt sich die Härteänderung, die 
eine Röhre durch die Belastung erfährt, auf photographischem Weg fest- 
stellen, indem man anstatt die Vergleichung durch direktes Ansehen der 
beleuchteten Felder am Härtemeßinstrument vorzunehmen, die Töne 
des photographisch erhaltenen Negativs der betreffenden Härteskala 
vergleicht. | 

Das Sklerometer eröffnet dem Röntgenologen Einblicke in die Vor- 
gänge bei einer unter Strom gesetzten Röhre, von denen er ohne dieses 
Instrument gar keine oder im günstigsten Falle dann erst Kenntnis erhält, 
wenn größere Veränderungen oder schädliche Wirkungen eingetreten sind. 
Die bequeme Zugänglichkeit zu diesem Instrument, ohne daß man sich 
dabei den Röntgenstrahlen auszusetzen hat, die außerordentliche Empfind- 
lichkeit desselben bei der geringsten Änderung (sogar eine leichte Tempe- 
raturzunahme der Röhre wird vom Sklerometer sofort angezeigt), der 
fortwährende Zeigerausschlag solange die Röhre eingeschaltet ist, erleich- 
tern die Härtemessung und Röhrenkontrolle.!) Man ist deshalb auch im- 
stande, die Messungen mit einer Gründlichkeit vorzunehmen, wie sie 
irgendeines der anderen bekannten Härtemeßinstrumente nicht im Ent- 
ferntesten ahnen läßt. Und trotz der Gründlichkeit, mit der das Sklero- 
meter die Messungen vorzunehmen gestattet, werden dieselben dank der 
Einfachheit, mit der dieses Instrument arbeitet, zu einer mühelosen, ja 
freudigen Arbeit. Wer sich einmal an das Messen mit dem Sklerometer 
gewöhnt hat, will dieses Instrument nicht mehr missen, wofür wiederholte 
Beweise aus der Praxis vorliegen. Die Überlegenheit des Sklerometers 
über jedes andere bekannte Härtemeßinstrument wird aus dem Nach- 
folgenden zur Genüge hervorgehen, denn die hiernach mitgeteilten Beob- 
achtungen wären ohne die Hilfe des Sklerometers überhaupt nicht oder 
dann doch nicht mit jener Zuverlässigkeit und Gründlichkeit durchführbar 
gewesen. 

Wir machen zunächst folgende, höchst interessante Beobachtungen: 

Es werde an das mit dem Sklerometer ausgerüstete Induktorium 


1) Vgl. Schatz, „Strahlentherapie‘‘, Berlin 1912, S. 544—545. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 801 


vorläufig noch keine Röhre angeschlossen, ferner werde die Funkenstrecke 
auf z. B. 390 cm Länge ausgezogen und während dem Versuche nicht ver- 
ändert. Wir schalten nun den Primärstrom mit 50 Impulsen per Sekunde 
(Unterbrechungen) ein und regulieren ihn bis zu eben der Höhe, daß 
regelmäßige Funken überspringen. Der dabei beobachtete Ausschlag 
am Sklerometer beträgt ungefähr 110 Skalenteile (Volt). Das einge- 
schaltete Milliamperemeter zeige in diesem Falle z. B. 0,5 Milliampere an. 
Wir erhöhen nun, ohne sonst irgendwelche Änderung an der Einstellung 
vorzunehmen den Primärstrom, bis das Milliamperemeter 5 Milliampere 


tgo pep De a A er 
| | | | 
ee es u 
| I t 
IN Feen +---- —eT----—- -- - t------- 1 
„one. | 
| 


Klima - Ausschlag. 

S 

I 

| 

| 

t 

| 

| 

| 

| 

| 

| 

l 

| 

| 

| 

1 

sebit 

| 

| 

| 

i 
Suite 
i 

| 





wu J 

| | | 
80 Josan p asien H-—---—- - _—--- +----- -~ 
| l | i 
g0 H-------+-------1----—— PERR ze _---- — - 4 
| | | | 
re ee er Berne 
| | | 
0,5 4 1,5 2 25 > 

Fig. 16. 


anzeigt und machen die höchst wichtige Beobachtung, daß obwohl die 
Stromstärke auf das Zehnfache erhöht worden ist, der Ausschlag am 
Sklerometer sich nicht oder doch nur so wenig verändert hat, daß dies 
praktisch vernachlässigt werden kann. Vgl. Fig. 16. 

Bei ein und derselben Funkenlänge ändert sich durch 
Erhöhung der Entladestromstärke die Spannung nicht, so- 
lange nur Funkenentladungen auftreten und eine Röntgen- 
röhre nicht in den Entladekreis eingeschaltet ist. Das gilt 
innerhalb der Grenzen des Normalzustandes!) eines Induktoriums. 

Schaltet man nun eine Röntgenröhre ein, ohne sonst eine Änderung 
vorzunehmen und reguliert zunächst den Primärstrom, wie vorher bei den 


) Klingelfuß, Verhandl. der Baseler Naturf. Gesellschaft, Bd. XIII, S. 264, 
1900 und Annalen der Physik 5, 837, 1901. 


802 Klingelfuß, 


Funkenentladungen, bis zur Höhe von 0,5 Milliampödre, so lesen wir ent- 
sprechend der benutzten Röhre einen gewissen Ausschlag am Sklerometer 
ab; dieser möge wie vorhin 110 Skalenteile betragen. Nun erhöhen wir 
ebenfalls wie vorhin bei den Funkenentladungen den Primärstrom und 
machen dabei eine von der vorigen abweichende Beobachtung, nämlich 
daß der Zeigerausschalg des Sklerometers größer wird, wenn die Zahl der 
Milllampöre zunimmt. Die Spannung des durch die Röhre geschickten 
Stromes nimmt also mit steigender Stromstärke zu und da, wie wir wissen, 
die größere Spannung härtere Röntgenstrahlen auslöst, so wird unsere 
Röhre mit der höheren Belastung in gewissem Sinne härter. Erhöhen wir 
die Milliampöre auf 5, wie im vorigen Falle, bei den Funkenentladungen, 
bis zu welcher Höhe das Sklerometer daselbst keine Änderung der Span- 
nung anzeigte, so finden wir 
jetzt den Zeigerausschlag bei- 
spielsweise auf 150—160 Härte- 
grade angewachsen, d. h. auf 
WA eine Höhe, die in der freien 
ZN 6 Funkenstrecke und wenn eine 
Röhre nicht eingeschaltet ist, 
Entladungen von 50 cm Länge 


è Anois 





i entspricht. In der Figur 17 

h ist die Härteänderung mit der 

1 2 $ 4 $ ar.a. Belastung für eine mittelweiche 
CBarahteriotik N Müller -Röbus Iype Ik A 62517. Wasserkühlröhre dargestellt. 

| Fig. 17. Diese Röhre hatte bei 0,5 Milli- 


ampère eine Härte von 50 abso- 
luten Graden oder 4,2 Benoist. Bei 1 Milliampère stieg die Härte auf 60 
oder 5 Benoist, bei 2 Milliampère auf 80 oder nahezu 6 Benoist und bei 
einer Belastung von 5 Milliampère schon auf 120 oder über 7 Benoist. 
Bei ein und derselben Röhre ändert sich durch Erhöhung 
der Entladestromstärke die Spannung und damit die Härte 
der Strahlen. 1.4 
Die Zunahme der Härte einer Röntgenröhre mit der Belastung, ab- 
weichend von dem gleichbleibenden Sklerometerausschlag bei Funken- 
entladungen in Luft von Atmosphärendruck erscheint zunächst etwas 
merkwürdig und physikalisch auch nicht so ohne weiteres erklärlich. 
Denn der größeren Härte muß auch eine höhere Spannung entsprechen, 
während es sich doch gezeigt hat, daß bei Funkenentladungen bei ein und 
derselben Länge durch Erhöhung der Intensität innerhalb gewisser Grenzen 
der Sklerometerausschlag (die Spannung) sich nicht ändert. Die Er- 
klärung dafür läßt sich aber einwandfrei geben. Wir haben uns nur an 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 803 
die Funkenoszillogramme zu erinnern, die wir bei rein blauen Funken 
und bei Funken mit starker Aureole erhalten haben (vgl. 8. 778 u. 780). 
Wir haben dort gesehen, daß durch die einmalige Unterbrechung des 
Primärstromes Schwingungen im Primär- und Sekundärkreis des Induk- 
toriums entstehen, die eine periodische Entladung der aufgespeicherten 
Elektrizität zur Folge haben. Wir erhielten infolgedessen auf der bewegten 
photographischen Platte das Bild mehrerer sich zeitlich folgenden Funken- 
bahnen. Diese sind bei den rein blauen Funken durch größere Zwischen- 
räume getrennt, als bei den Entladungen mit starker Aureole. Bei den 
letzteren werden die Zwischenräume von Entladung zu Entladung kleiner 
und verschwinden schließlich ganz, so daß es den Anschein hat, daß die 
ursprünglich stoßweise Entladung schließlich in einen kontinuierlichen 
Abfluß übergeht. Wir ha- 

ben aber gesehen, daß die w 
letztere Art der Entladung 
mit einer etwa siebenmal 
niedrigeren Spannung vor 
sich geht, als die Entla- 
dung beim Funkenpotential 
(rein blauer Funke). Wir 
haben ferner gesehen, daß 
bis zum Eintritt des Fun- 
kenpotentials die Entla- 
dungen in lonisationsener- 
gie und erst die von da ab 


tam Hekteonudsc 


HL 















y 
N 
À 


ule 


> 
Fa 
TER 
ETY 
JE 
NIT 
IL 
AS 


Ut am doe c 


I 


4 


118 
m 


a 





folgenden Entladungen in 
Röntgenstrahlenenergie 
transformiert werden. Das 


Sr 
3 577 3 


Nagnslisiemgsrkom 


Fig. 18. 





Funkenpotential und die 
Spannung der nachfolgenden Entladungen haben wir abhängig von 
der Funkenlänge, für ersteres vom Widerstand vor der lonisation, 
für letztere von demjenigen nach der Ionisation gefunden. Wird in den 
nachfolgenden Entladungen die Intensität sehr hoch, so daß sich infolge 
der Dissoziation und Verbrennung des Luftstickstoffes der Flammbogen 
bildet, so sinkt der Widerstand in der Funkenentladung noch weiter. 
Erhöhen wir also den Primärstrom, ohne zugleich die Länge der Funken- 
strecke zu vergrößern, so kann die Spannung in der Funkenentladung 
aus den geannten Gründen nicht nur nicht steigen, sondern muß schließ- 
lich bei sehr hohen Intensitäten sinken. Das ergeben auch die Messungen 
(vgl. Fig. 18). 

Setzen wir nun an die Stelle der Funkenstrecke in Luft eine Röntgen- 


804 . Klingelfuß, 


röhre, so haben wir in allen Punkten die gleichen Verhältnisse, bis in einem, 
den Abschluß der freien Luft, der uns in der Röhre die Flammbogenbildung 
und die damit in Zusammenhang stehenden Wirkungen verhindert. Die 
Röhre stellt uns einen Widerstand dar, der abweichend vom Widerstand 
der Funkenstrecke nur durch die lonisation, in viel geringerem Maße da- 
gegen durch hohe Gastemperaturen beeinflußt wird. Das findet erst 
statt, nachdem eine Röhre durch Überlastung auf hohe Temperatur 
gebracht worden ist, wobei dann allerdings eine ähnliche rapide Wider- 
standsverminderung eintreten kann, wie beim Flammbogen. 

Wir haben uns also klar zu machen, daß wenn die Aufladung groß 
genug war, nach Ablauf der lonısationsarbeit noch ein größerer oder 
kleinerer Laderest übrig ist. Dieser Rest, wir wollen ihn die disponible 
Kapazität nennen, wird bei seiner Entladung durch die evakuierte 
Röhre in Kathodenstrahlen und Röntgenstrahlen transformiert. Weil 
in dem abgeschlossenen Gefäß die atmosphärische Luft keinen Zutritt 





Fig. 19. 


hat und somit die Flammbogenbildung verhindert wird, so ändert sich 
auch der Widerstand, den das Gefäß nach der Ionisation besitzt solange 
nicht, als die Temperatur des Gefäßes sich nicht wesentlich ändert. 
Durch einen solchen Widerstand nun entlädt sich die disponible 
Kapazität gleich wie bei der Entladung eines Kondensators, und zwar, 
wie aus der nebenstehenden Figur 19 und auch aus der Fig. 4 S. 780 hervor- 
geht, periodisch mit gedämpften Oszillationen. Dem Physiker ist das 
bekannt, daß Entladungen von Kondensatoren durch sehr große Wider- 
stände periodisch vor sich gehen und von Schwingungen herrühren, ferner 
daß die Schwingungsamplitude, und das ist in unserem Falle die Spannung, 
wie bei einem sich selbst überlassenen, schwingenden Pendel immer kleiner 
wird.!) Bei der Entladung der disponiblen Kapazität wird also die Span- 


1) Vgl. Kohlrausch, „Praktische Physik“, Leipzig, Teubner, 11. Auflage 
1910, S. 572. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 805 


nung von einem höchsten Wert an von Entladung zu Entladung kleiner. 
Die Abnahme folgt einer Exponentialfunktion. 

Nun haben wir uns daran zu erinnern, daß die Härte der Röntgen- 
strahlen der Spannung proportional ist. Kommt also die disponible 
Kapazität zur Entladung, so ändert sich dabei auch die Härte nach dem 
Exponentialgesetz von einem höchsten Wert bis dahin, wo die Spannung 
in Bezug auf den eingeschalteten Widerstand zu klein wird. Dann hören 
die Entladungen auf, bis durch eine nächstfolgende Aufladung (Unter- 
brechung des Primärstromes) das Spiel von neuem beginnt. Wir erhalten 
demnach fortgesetzt nach jeder Unterbrechung des Primärstromes und 
nach Ablauf der Ionisationsarbeit Röntgenstrahlengruppen, deren Härte 
nach einem bestimmten Gesetz von Gruppe zu Gruppe abnimmt. Die 
untere Grenze dieser Härte liegt um so höher, je größer der Widerstand 
nach der lIonisation ist. Messen wir also die Härte bei einer so 
niedrigen Belastung, daß eben erkennbare Röntgenstrahlen entstehen, 
d. h. also bei der die disponible Kapazität sehr klein war, so messen 
wir annähernd richtig die Härte der weichsten Strahlengruppe, die die 
betreffende Röhre liefert. Unterhalb dieser Strahlenhärte gibt die Röhre 
praktisch keine Strahlen ab. Im Verlauf dieser Arbeit haben wir diese 
Härte einer Röhre die spezifische Härte genannt und wir 
wissen somit, daß die spezifische Härte, wenn sie mit sehr niedriger Be- 
lastung gemessen wird, uns die weichsten von der Röhre emittierten 
Strahlen erkennen läßt. Diese Erkenntnis ist für die Therapie von großer 
Bedeutung; weil sie uns in den Stand setzt, die untere Grenze des Strahlen- 
gemisches direkt messen zu können. (Es ist das selbstverständlich die 
Härte der Strahlen vor dem Durchgang durch die Glaswand des Gefäßes. 
Vgl. Anmerkung $. 832.) 

Jetzt haben wir nur noch zu sehen, was geschieht, wenn wir die Be- 
lastung erhöhen, wenn wir also den Primärstrom verstärken. Zunächst 
erhalten wir dadurch eine größere disponible Kapazität, denn die Ioni- 
sation braucht c. p. die gleich große Energie, ob die Röhre höher oder 
niedriger belastet wird, immer keine Zustandsänderung in der stromlosen 
Röhre voraussetzt. Durch die höhere Belastung steigt die elektromotori- 
sche Kraft im Induktorium, das erkennen wir experimentell schon daran, 
daß die erreichbare Funkenlänge c. p. um so größer wird, je höher wir den 
Primärstrom nehmen. Durch das Ausziehen der Funkenstrecke ver- 
ringern wir die Dämpfung, wenn es sich um Funkenentladungen handelt, 
und die Entladungsspannung steigt daher durch das Ausziehen der Funken- 
strecke, obwohl wir die primäre Stromstärke nicht erhöhen. Die Dän- 
pfung also ist es, die es verhindert, daß bei gleichbleibender Funkenlänge 
durch eine Intensitätserhöhung die Spannung zunimmt, d. h. daß die 


806 | Klingelfuß, 


Potentialdifferenz der disponiblen Kapazität wächst. Diese Dämpfung 
wird verursacht durch die heiße Flamme in der freien Luft, die den Wider- 
stand stark herabsetzt. 

Schalten wir dagegen wieder die Röntgenröhre ein, so ist die durch 
die Intensitätserhöhung gesteigerte elektromotorische Kraft befähigt, die 
disponible Kapazität auf ein entsprechend höheres Potential aufzuladen. 
Bei der Entladung durch die Röhre steigen die Schwingungsamplituden 
der Spannung entsprechend höher an und es beginnt demnach die Ent- 
ladung der disponiblen Kapazıtät mit entsprechend härteren Röntgen- 
strahlengruppen, diese werden von Entladung zu Entladung, entsprechend 
der Abnahme der Spannung, weicher und die Emission hört bei derjenigen 
Härte auf, bei der die Spannung der disponiblen Kapazität so weit gesunken 
ist, daß sie den gegebenen Widerstand nicht mehr zu überbrücken vermag. 
Jede der nachfolgenden Unterbrechungen wiederholt auch diese Vorgänge. 

Es ist uns jetzt klar, warum die Spannung am Sklerometer bei zu- 
nehmender Belastung steigt, wenn eine Röhre eingeschaltet ist, und warum 
das nicht der Fall sein kann, wenn die Entladungen durch die freie Luft 
gehen, solange die Funkenlänge nicht verändert wird. 

Aber diese Betrachtung, die etwas langatmig erscheint, belehrt uns 
dafür noch mit einer anderen, äußerst wichtigen Erkenntnis, sie zeigt 
uns, daß der Härteunterschied zwischen den härtesten und den weichsten 
Strahlen, die nach jeder Unterbrechung erzeugt werden, um so größer 
wird, je höher wir die Röhre belasten, d. h. je höher wir die disponible 
Kapazität aufladen. Wir haben auch gesehen, daß die verschieden harten 
Strahlen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander mit abnehmender Härte 
(nach jeder Aufladung des Induktoriums durch den Primärstrom) emittiert 
werden. 

Wollen wir daher eine Strahlung erzeugen, die einen möglichst 
kleinen Härteunterschied hat, so dürfen wir die disponible Kapazität 
nur niedrig aufladen, mit anderen Worten, die Röhre nicht hoch be- 
lasten. 

Durch den Umstand, daß die Spannung bei Funkenentladungen 
innerhalb bestimmter Grenzen sich praktisch nicht ändert, bietet sich die 
Möglichkeit, die Meßspule für das Sklerometer einwandfrei eichen zu 
können, was sonst bei den in Betracht kommenden Spannungen, die direkt 
nicht meßbar sind, seine besonderen Schwierigkeiten haben würde. 

Wer bisher noch irgend an die Möglichkeit glaubte, die parallele 
Funkenstrecke als ein Maß für die Härte mit einiger Annäherung benutzen 
zu können, wird nach der Durchsicht der vorstehenden Auseinander- 
setzungen wohl anderer Meinung werden. | 

Bezüglich der Funkenstrecke als Maß für die Härte beachte man, 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 807 


daß streng zu unterscheiden ist zwischen einer äquivalenten und einer 
parallelen Funkenstrecke. Erstere kann bei Einhaltung gewisser Be- 
dingungen ein einwandfreiss Maß der Spannung sein, letztere nicht, 
weil die geforderten Bedingungen dabei nicht mehr in allen Teilen aufrecht 
erhalten sind. 

Die Änderung der Härte durch die Belastungshöhe kann bei verschie- 
denen Röhren sehr verschieden sein. Die Abhängigkeit der Härte von der 
Belastung nennen wir die Charakteristik einer Röhre. 


Vo. Die Änderung der Röhrenkonstanz.!) 


Außer der Beeinflussung der Strahlenqualität durch die Belastung 
der Röhre, die man die aktive Beeinflussung nennen könnte, gibt es 
noch eine passive Beeinflussung, die durch sekundäre Wirkungen, 
wie Erhitzung der Elektroden durch zu hohe oder zu lange Belastung, 
Metallzerstäubung und deren starke Einwirkung auf das Vakuum der Röhre 
und anderes mehr hervorgerufen werden kann. Die passive Beeinflussung 
einer Röhre ist fast ohne Ausnahme für die guten Eigenschaften derselben 
schädlich und sie ist daher mit Anwendung aller Sorgfalt zu vermeiden. 
Eine auch nur um Weniges zu hohe Belastung der Röhre hat nach kurzer 
Einschaltung stets eine Herabsetzung der Härte zur Folge. Da die Be- 
lastungshöhe einer Röhre ein Produkt aus Strahlenhärte x Strahlenstärke 
ist, so müssen beide Faktoren für die Beurteilung der Belastung in Rech- 
nung gezogen werden. Es genügt dazu durchaus nicht, die Milliampöre 
allein konstant zu erhalten und die Härte mit der rohen Benoist- oder 
Wehnelt-Skala usw. gelegentlich nachzuprüfen. Eine Änderung der Härte 
heißt mit anderen Worten, daß von dem ursprünglichen Strahlengemisch 
die Zahl der härteren Strahlen ab-, die der weicheren dagegen zunimmt. 
Da die Änderung nicht plötzlich, sondern ganz allmählich eintritt, wird 
man ohne sorgfältige Überwachung des Röhrenzustandes mit einem dazu 
geeigneten Instrument die Änderung erst wahrnehmen, wenn eine größere 
Abweichung eingetreten ist, und von einer zuverlässigen Dosierung kann 
in dem Falle, d. h. mit einer Röhre, deren Härte fortgesetzt abnimmt, 
nicht die Rede sein. Ähnlich, nur im umgekehrten Sinne liegen die Ver- 
hältnisse, wenn die Härte des Strahlengemisches wächst, wie es z. B. bei 
Unterbelastung mancher Röhren vorkommt. | 

Deshalb muß auch ausdrücklich davor gewarnt werden, die Dosierung 
der Röntgenstrahlen unter der Annahme einer konstanten Röhre an Hand 
der am Milliampèremeter abgelesenen Stromstärke und der Zeit, d. h. 
nach der sogenannten Milliampsreminutenmethode vorzunehnien, 


I) Man vgl. auch „die Belastungskonstante einer Röhre“ Seite 822. 


808 Klingelfuß, 


ohne zugleich eine subtile Kontrolle über die Konstanz der 
Röhrenhärte ausüben zu können.!) Denn die Dosis ergibt sich, abge- 
sehen von der Fokushautdistanz aus den drei Faktoren: der Härte (Strah- 
lenspannung), der Stromstärke (Strahlenstärke) und der Zeit. Wird nun 
auch der Milliampöremeterausschlag sorgfältig auf konstanter Höhe ge- 
halten und die Zeit richtig bemessen, die Einhaltung der erforderlichen 
Härte aber nicht sorgfältig überwacht, so kann man mit Sicherheit an- 
nehmen, daß sich die Härte in den meisten Fällen während der Einschaltung 
ändert, so daß in der Dosierung ein dementsprechend mehr oder weniger 
großer Fehler gemacht wird, der unter Umständen verhängnisvoll werden 
kann. Die Überwachung der Härte in dem Maße, wie es die Dosierung 
in absolutem Maß verlangt, ist aber nachgewiesenermaßen nur mit dem 
Sklerometer durchführbar, dessen große Zeigerschwankungen mit wechseln- 
der Härte die einzige Möglichkeit bieten, den Härtegrad einer Röhre zu 
überwachen.?) 


VII. Charakteristik und spezifische Härte. 


Unter der Charakteristik einer Röntgenröhre hat man die 
Änderung zu verstehen, die die Strahlenqualität (Härte) 
erfährt, sobald bei ein und derselben Röhre die Strahlen- 
quantität (oder die Belastung) geändert wird. 

Unter spezifischer Härte hat man dagegen den Wert der 
Strahlenqualität (Härte) zu verstehen, den eine Röhre bei 
einer ganz bestimmten Belastung (abgelesen in Milliampere) be- 
sitzt. 

Zwei Röhren, von denen jede bei der Belastung mit z. B. !/, Milli- 
ampère die Härte 4 Benoist (= 4 Benoist-Walter = 7 Wehnelt?)) oder 
was dasselbe ist, 46 Sklerometereinheiten zeigen, sind für die Belastung mit 
1/, Müliampère spezifisch gleich hart. Belasten wir nun diese Röhren 
jede statt mit !/, mit 5 Milliampöre und es steigt bei der einen dadurch 
die Härte auf 8 Benoist (= 6 Benoist-Walter oder 131/, Wehnelt) bzw. 
150 Sklerometereinheiten, bei der anderen jedoch nur auf 6!/, Benoist, 
(= 5!/, Benoist-Walter oder 11!/, Wehnelt) bzw. 100 Sklerometereinheiten, 
so ist durch die Belastungsänderung ein großer Härteunterschied in den 
spezifisch gleich harten Röhren entstanden. Wir sagen in einem solchen 


1) Man vgl. Verhandl. der Deutschen Röntgen-Gesellschaft VI, 1910, S. 128, 
Abs. 4, woselbst der Beweis hierfür zahlenmäßig erbracht ist. 

2) Man vgl. Schatz, Strahlentherapie I, S. 545, 1912; Rost u. Krüger, 
l. c. II, S. 817, 1913; Bering u. Meyer, l.c. I, S. 191, 1912; Hans Meyer u. 
Hans Ritter, Berliner klin. Wochenschrift 1912, Nr. 2. 

3) Alle Wehneltangaben beziehen sich auf die neuere Wehneltskala. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 809 


Falle, die erstere der Röhre habe eine steilere Charakteristik als die 
zweite Röhre. Zwei Röhren können aber auch, und der Fall zeigt sich in 
der Praxis häufiger, eine verschiedene Charakteristik und zugleich verschie- 
dene spezifische Härte haben. Es wäre nun etwas unpraktisch, die spezi- 
fische Härte als Vergleichsmaß auf jeden beliebigen Belastungswert beziehen 
zu wollen und deshalb ist es zweckmäßig, dieselbe für eine ganz bestimmte 
Belastung der Röhre, z. B. !/, oder 1 Milliampere anzugeben. Auf einen 
der beiden Werte muß man sich dann einigen. Geschieht das für den Wert 
1 Milliampöre, so heißt ein für allemal spezifische Härte diejenige Härte, 
die eine Röhre hat, wenn sie bei einer Belastung von einem Milliampöre 
gemessen wird. Ich selbst ziehe den Wert 0,5 Milliampere für die spezi- 
fische Härtemessung aus Gründen vor, die Seite 805 besprochen wurden. 

Es geht auch hieraus hervor, daß die Bezeichnung „harte Röhre‘ 
oder „weiche Röhre‘ ohne Angabe der Belastung ganz unbestimmt ist. 
Spricht man dagegen von einer spezifisch harten, oder spezifisch 
weichen Röhre, so heißt das, daß die Röhre, gemessen bei einem halben, 
bzw. einem Milliampöre hart oder weich sei. Will man aus Bequemlichkeit 
das Wort „spezifische‘“ weglassen, so sollte man sich doch an die spezifische 
Messung halten, damit die Bezeichnung ‚„hart‘“ und „weich“ eine be- 
stimmtere Form annimmt. 

Es kann nicht genug betont werden, bei der Angabe der Härte auch 
anzugeben, bei welcher Belastung die betreffende Härte abgelesen wurde. 
Ja es wäre in den meisten Fällen sogar auch die Angabe der Charakteristik 
wünschenswert. Das Lesen von Literaturstellen mit Härteangaben ist 
zur Zeit mit wenigen löblichen Ausnahmen eine wahre Qual. Die unge- 
nügenden Angaben machen den Wert einer Arbeit unter Umständen 
geradezu zweifelhaft. 

Bei dieser Gelegenheit sei auch auf die große Willkürlichkeit mancher 
Härteskalen hingewiesen, die das leidige Durcheinander ın den Härte- 
angaben noch vermehren. So hatte die Wehnelt-Skala früher eine andere 
Einteilung als heute. Dem alten Härtegrad 2 entspricht an der neuen 
Skala der Wert 6, dem alten Wert 6 entspricht der neue Wert 7, dem alten 
Wert 8 entspricht der neue Wert 10. Dem alten Wert 9 entspricht der 
neue 12—13. Wer also Härteangaben nach dieser Skala macht, muß sagen, 
ob sie für die alte oder neue Skala gelten. Auch Walter scheint seine 
BW-Skala seit einiger Zeit geändert zu haben, hierbei sind allerdings die 
Abweichungen nicht so erheblich. Ganz ungenügend sind die Härte- 
angaben nach der Walter-Skala, wenn nicht außer der Belastung auch die 
Distanz, in der abgelesen wurde, angegeben wird. Wer daher seinen 
Mitteilungen einigen Wert beilegt, und über ein Sklerometer nicht verfügt, 
suche seine Härteangaben in Benoist oder Benoist- Walter-Einheiten, die 


810 Klingelfuß, 


womöglich photographisch festgestellt sind, anzugeben, und unterlass 
dabei aber nicht die Milliamperezahl, bei der gemessen wurde, zu be 
merken. 

Je einfacher und klarer die physikalischen Verhältnisse eines Instru- 
mentes angebbar sind, um so exakter läßt sich einsolches reproduzieren un! 
um so größer ist die Gewähr, ein exakt zeigendes Instrument erhalten zu 
können. Das trifft zu für die Benoist- und Benoist-Walter-Skala, bei 
denen die Härte durch die Dicke der durchstrahlten Metallsechichten 
definiert ist. Aber auch diese Instrumente sind nicht ganz einwandirei, 
weil die dünnen Silberbleche nicht bei allen Instrumenten übereinstimmeng 
zu sein scheinen. Bei einem in meinem Besitz befindlichen Original- 
Benoist-Instrument zeigt sogar das Silberblech in der Photograptie 
dunklere und hellere Stellen (Wolken). Trotzdem sind die beiden genarn- 
ten Instrumente zuverlässiger als die anderen, besonders als die Wehnelt- 
Skala, die wegen ihrer ganz unkontrollierbaren und schwer reproduzier- 
baren Kurve des Aluminiumstreifens großer Willkür ausgesetzt ist. 

Ob der sehr unempfindliche Christensche Halbwertschichtmesser 
genügen werde, um die Härte einwandfrei anzugeben, muß die Erfahrung 
erst lehren. Es scheint aber doch bedenklich, die Halbwertschicht — die 
allerdings in erster Linie für die Tiefenbestrahlung in Betracht kommt — 
als Maßstab für die primäre Härte, also der ungefilterten Strahlen ein- 
zusetzen. Die Empfindlichkeit des Instrumentes ist so gering. daß Härte- 
unterschiede, für die das Sklerometer 25 Skalenteile anzeigt, damit nicht 
unterschieden werden können. Nach den Messungen von Schatzi; 
läßt z. B. die Halbwertschicht 1,2 zwischen 85—110 des Sklerometers 
sich nicht unterscheiden, also in Benoist ausgedrückt, liegt die Halbwert- 
schicht 1,2 sowohl bei 6 als 7 Benoist. Daß aber so große Härteunter:chiede 
nicht vernachlässigt werden dürfen, ohne sich der Gefahr eines Dosierung: 
fehlers auszusetzen, bedarf kaum einer besonderen Erwähnung. 

Für den praktischen Röntgenologen ist die Kenntnis der (haras- 
teristik einer Röhre von unschätzbarem Werte. Zur Bestimmung der- 
selben sind die Ablesungen an einem Härtemesser und an einem Milli- 
amperemeter erforderlich, in der Weise, daß man die jeweilige Härte der 
Röhre ermittelt, die sie bei der Belastung mit Y,, 1, 2, 8 usw. Milliampere 
besitzt. Die Ablesungen stellt man in einer Tabelle zusammen. Es it 
zweckmäßig. diese Eintragungen In einem dafür angelegten Buche vor- 
zunehmen, das etwa die Einteilung der nachstehenden Tabelle hat. 

Dieses Buch ist zugleich ein für jeden Röntgenologen praktisches 
Röhrenresister. Die Zahllenreihe bei jeder Röhre läßt sowoll deren spe2- 


I) Schatz l. c. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. $8411 


fische Härte (in der Kolonne unter !;, Milliampöre), als auch die Charak- 
teristik derselben erkennen. Ein sehr anschauliches Bild einer Charak- 
teristik gibt die graphische Zusammenstellung der Zahlen, in der Weise, 
wie das in Fig. 17 dargestellt ist. 






Maximal- Belas- Charak- 





g Härtein Sklero bei Milliampère bel istik 

8 (Charakteristik) olas- | tungg- | "eristi 

A tung konstante nach 
H Kurve 





1/,)1|2]3]4]5 |10ļ20|80'40]50je0] 7 X 


III 


Fig. 20. 








Dazu eignet sich das käufliche sogenannte Millimeterpapier, oder auch 
das billigere Schreibpapier mit quadratischer Lineatur. Trägt man die 
Charakteristiken mehrerer Röhren in dasselbe Quadratnetz ein, Fig. 21, 
so erkennt man aus dem verschie- 
denartigen Verlauf der Kurven, 
wie verschiedenartig die Charakte- 
ristik bei Röhren sein kann. 

Die obere Grenze der 
Belastung und damit auch 
der Charakteristik, ist für 
Jede Röhre gegeben durch 
die obere Grenze der Härte, 
vorausgesetzt, daß nicht andere 
Verhältnisse in der Röhre diese 
Grenze herabsetzen. Man erinnere 
sich daran, daß die Härte mit der 
Belastung zunimmt. Steigt die 
Härte einer Röhre über eine ge- 
wisse Grenze hinaus, so gehen 
Entladungen außen an der Glas- 
wand entlang, während die Rönt- 
genstrahlenemission erheblich ge- Milliampirs 
ringer wird, oder ganz aufhört. Fig. 21. 

In diesem Zustande wird eine 
Röhre leicht durch Perforation der Glaswand zerstört. Die größte Härte, 
die eine Röhre verträgt, liegt praktisch bei 160 Sklerometergraden (etwa 


Ye 





812 Klingelfuß, 


über 8 Benoist\. Hierunter ist die von der Röhre emittierte, nicht fil- 
trıerte Strahlung zu verstehen. 

Diese Grenze kann jedoch bei verschiedenen Röhren bei sehr ver- 
schieden hoher Belastung liegen. Letztere ist umso niedriger, je schneller 
die Härte mit der Belastung anwächst, d. h. je steiler die Charakteristik 
ist (wenn man von dem Gang der Kurven in den Quadratnetzen aus- 
geht). Die von einer Röhre in der Zeiteinheit geleistete Röntgen- 
strahlenarbeit ist ein Produkt aus Härte und Strahlenmenge. 
Es wird somit eine Röhre eine um so größere Röntgenstrahlenarbeit leisten 
können, je höher dieselbe belastet werden darf. Um das wieder an einem 
Beispiel zu veranschaulichen, denken wir uns zwei Röhren, von denen die 
eine die maximal zulässige Härte, sagen wir 160 Sklerometergrade mit 
5 Milliampere erreiche, wobei das Produkt 5.160 = 800 JH-Einheiten 
die maximal von dieser Röhre geleistete Röntgenstrahlenarbeit darstellt. 
Die andere erreiche dagegen die Härte von 160 Sklerometergraden erst 
bei einer Belastung mit 50 Milliampere, also 50 . 160 = 8000 JH-Einheiten. 
Es leistet demnach die zweite Röhre bei Vollbelastung eine zehnfach 
größere Röntgenstrahlenarbeit, als die erste bei Vollbelastung zu leisten 
imstande ist. Das ist zweifellos richtig, aber es liegt doch ein Unterschied 
in beiden Röhren, der unter Umständen zu Gunsten der weniger hoch 
belastbaren Röhre sprechen kann, und das erkennen wir aus der Cha- 
rakteristik. | 


IX. Das Strahlengemisch einer Röntgenröhre und die Charakteristik. 


Jede Röntgenröhre sendet ein mehr oder weniger umfangreiches 
Gemisch von verschieden harten Strahlen aus. Je höher die Stromstärke 
ist, mit der eine Röhre belastet wird, um so umfangreicher ist c. p. das 
(remisch ihrer Strahlen (vgl. S. 806). 

Diesem Umstande verdankt die Röntgenographie den Erfolg, reichlich 
differenzierte Bilder erzielen zu können. Mit einer Röhre, deren spezi- 
fische Härte zu groß ist, bei der also die unterhalb derselben liegenden 
weicheren Strahlengemische fehlten, erhält der Röntgenograph bekannt- 
lich ein Bild, in welchem sich die Knochen von den Weichteilen nur wenig 
unterscheiden und das daher einen geringen Wert für die Diagnose besitzt. 
Soll das Bild gut ausfallen, so muß das Strahlengemisch so zusammen- 
gesetzt sein, daß in allen durchstrahlten Körperteilen eine Anzahl Strahlen 
absorbiert wird und ein genügend großer Rest noch die photographische 
Platte trifft. Es muß mit anderen Worten die Röhre eine passende spezi- 
fische Härte, und ein passendes Strahlengemisch besitzen. Daraus geht 
aber hervor, daß das Strahlengemisch nicht bei allen Röhren gleicher 
Härte gleich ist. Auf das Vorhandensein von weichen und harten Strahlen 


Das Sklerometer u, seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 813 


gründet sich auch das Härtemeßinstrument nach Benoist, das auf die 
verschiedenartige Absorption weicher und harter Strahlen im Silber 
bzw. Aluminium beruht, aber es bietet keinen Anhaltspunkt für die Be- 
urteilung des Verhältnisses der Anzahl von weicheren zu der Anzahl der 
härteren Strahlen. 

Ganz besonders für die praktische Röntgenstrahlentherapie wäre 
es von unschätzbarem Werte, den Anteil jeder einzelnen Strahlenqualität 
oder doch gewisser Gruppen von Solchen, die im Gesamtstrahlengemisch 
enthalten sind, zahlenmäßig bestimmen zu können. Es ist aber bisher 
nicht gelungen, eine quantitative Auswertung eines Strahlengemisches 
einwandfrei durchzuführen und man bleibt in dieser Beziehung mehr oder 
weniger auf eine Schätzung angewiesen, wobei man sich allerdings sehr 
stark täuschen kann. 

Man darf aber mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß zwei Röhren, 
die ein gleichartig zusammengesetztes Strahlengemisch emittieren, 
erstens eine gleiche spezifische Härte und zweitens die gleiche Änderung 
der Härte mit der Belastung zeigen, d. h. mit anderen Worten, daß zwei 
Röhren mit der gleichen Charakteristik auch ein ähnliches 
Strahlengemisch haben, wenn sie gleich hoch belastet sind. 

Um die Richtigkeit dieses Satzes einzusehen, dürfen wir uns nur daran 
erinnern, was wir als die Ursache der Härtezunahmen mit steigender Be- 
lastung erkannt haben (vgl. S. 808—807). Jede Härtegruppe im Strahlen- 
gemisch entspricht einer bestimmten Spannungsamplitude einer abklin- 
genden oszillatorischen Entladung der disponibeln Kapazität. 

Nun muß man sich klar machen, daß das Sklerometer, ähnlich wie 
bei einem Wechselstrommeßgerät und auch ähnlich wie das für das Milli- 
amperemeter der Fall ist, worüber eine Arbeit von Walter!) publiziert 
wurde, nicht die obere Grenze der Spannung, sondern nur einen gewissen 
„mittleren‘‘ ‘Wert derselben angeben kann. Dieser Wert ist, wie bei 
allen Wechselstrommeßgeräten, abhängig von der Form der Schwingungs- 
kurve, und liegt bei steilen oder spitzen Kurven im Verhältnis niedriger 
als bei flachen. Nehmen wir nun die Periode der Eigenschwingungen der 
gedämpften Welle bei einem Induktorium als konstant an, wozu die ex- 
perimentellen Beobachtungen berechtigen, so ist auch die Wellenlänge 
konstant. Behalten wir das im Auge, so können wir uns leicht vorstellen, 
daß die Kurve der Spannung, wenn man sie in üblicher Weise in ein Ko- 
ordinatennetz einträgt, um so steiler ansteigt, je höher die Spannung der 
betreffenden Schwingung ist, und andererseits um so flacher verläuft, 
je weniger hoch die Spannung ansteigt. Es wird also das Sklerometer 

ı, B. Walter, Verhandl. der Deutschen Röntgen-Gesellschaft V, S. 53, 190%. 

Strahlentherapie Band III, Heft 2. 52 


814 


Klingelfuß, 


c. p. einen anderen „mittleren“ Wert für die Wellen mit hoher Spannung, 
als für diejenigen mit niederer Spannung anzeigen. 

Wir wissen aber, daß die Härten der Röntgenstrahlen den Spannung 
proportional sind und es mißt daher das Sklerometer die harten Strahlen 
im Verhältnis etwas niedriger, als die weichen. In Wirklichkeit zeigt aber 
das Sklerometer die mittlere Gesamtspannung aus den mittleren Einzel- 
spannungen sämtlicher Amplituden an. Haben wir daher zwei Strahlen- 
komplexe, von denen der eine bei 0,5 Milliamp£re 100 Sklero und bei 
2,5 Milliampere 160 Sklero zeigt (Kurve I, Fig. 22), der andere bei 0,5 
Milliampere 80 Sklero und erst bei 50 Milliampere auf 160 Sklero an- 
steigt (Kurve V) so mißt uns das Sklerometer, wenn die Belastung bei 


harte m Öulomurır - Binhesten. 


See een een 
l I l 
nn mus na Beeren re -_ 4 u. 
i 
zA AAA Aa aa aaa aa ooa aa 
I | | =” ! 3 | | 1 4 
P ee 
l 
RR re 
I ee 
Re 
sJ M en sl kasana landast ker Ze et J 
71 q l {t 7 4 l l 
= F---—-- Enz colon een wis lvo Derek iroeoost 
MD nn. are 
fen erg ne a Am a en se et a a en a u en in ei 
1 | | 5 1 | J l t 4 
Rn a ee 
---r-- - —----- Lasse - - —- - J- —- -- Are ee ee He l u | 
L I l | ! | | | l 
A E OR E re a A 
| 
=---L--- 72-4272 424 6464 
I ! l l 
rene en ee 
l | ! | 
ee ee a Tao en 
fe) 5 ie 5 so 25 30 45 no #5 se 


Milam té. 


Fig. 22. 


beiden Röhren bis zu 160 Sklero gesteigert wird, bei beiden einen gleich- 
hohen „mittleren“ Wert, bezogen auf das Strahlengemisch, ob- 
wohl unserer Überlegung nach in der ersteren Röhre die Zahl der härteren 
Strahlen größer sein muß, als bei der zweiten. 

Das läßt sich durch direkte Messung leider einstweilen nicht nach- 
weisen. Es sei uns daher erlaubt, ein naheliegendes Beispiel, das uns die 
Richtigkeit des hiervor Gesagten bestätigt, anzuführen. Wir müssen 
uns zu dem Zweck für einen Augenblick auf das Gebiet der Röntgeno- 
graphie begeben und geben uns die Mühe, zwei Aufnahmen eines Beckens 
Wir halten dabei alle in Betracht kommenden Verhältnisse 


zu machen. 


genau gleich, auch die Härte der Strahlen sei beidemal 160 Sklero.!) Aber 


t) Ich schlage an dieser Stelle vor, das Wort „Sklero“ für die mit dem 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 815 


wir benutzen für die erste Aufnahme eine Röhre nach der Kurve I mit 
einer spezifischen Härte von 110 und belasten sie mit 2,5 Milliampöre, 
damit die Härte auf 160 ansteigt, und für die zweite Aufnahme eine Röhre 
mit der spezifischen Härte 80 Sklero, die mit 80 Milliampöre belastet 
wird, wobei deren Härte ebenfalls auf 160 Sklero ansteigt (Kurve IV—.V). 
Wir leisten in beiden Fällen, in der gleichen Fokushautdistanz, wie ich 
früher wiederholt nachgewiesen habe, dann die gleiche Röntgenstrahlen- 
Arbeit, wenn wir das Produkt aus Milliampere x Sklero x Expo- 
sitionszeit für beide Aufnahmen gleich halten. Es seien nun für die be- 
treffende Beckenaufnahme 27000 Röntgenstrahleneinheiten nötig, für 
die wir entsprechend der Belastung der beiden Röhren die Expositions- 
zeiten berechnen und genau einhalten. Obwohl wir nun in beiden Fällen 
die genau gleich große Röntgenstrahlenenergie angewendet haben, und 
auch die ‚„Härte‘“ bei beiden Aufnahmen genau gleich war, werden wir 
doch finden, daß nur die mit der ersten Röhre gemachte Platte tauglich 
ist, während die zweite Platte zeigt, daß die betreffende Röhre zu ‚weich‘ 
war. Die Röhren waren aber nach den Sklerometerangaben gleich hart, 
und wenn wir mit beiden Röhren nunmehr unter den gleichen Verhält- 
nissen die Benoist-Skala photographieren, so zeigen tatsächlich beide 
Negative die gleiche Härte dieser Skala! 

Dieses Resultat können wir uns eben nur dadurch erklären, daB bei 
der ersten Röhre die härteren Strahlen in größerer Menge in dem Strahlen- 
komplex vorhanden sind, als bei der zweiten. Es war demnach wohl 
die Härte richtig, aber das Strahlengemisch war nicht 
gleich in den beiden Röhren. Um bei dem speziellen Fall zu bleiben, 
werde ich also, wenn ich eine Beckenaufnahme zu machen habe, mir eine 
Röhre aussuchen, die eine dazu passende Charakteristik besitzt, und die 
Aufnahme gar nicht versuchen mit einer Röhre, deren Charakteristik 
weit davon abweicht. 

In das Gebiet der Therapie übersetzt, heißt das aber, daß man da 
wo das Strahlengemisch nicht vernachlässigt werden darf, ohne einen 
Fehler in die Dosierung zu bringen, gut tut, eine solche Röhre zu 
wählen, deren Charakteristik das Strahlengemisch passend 
erscheinend läßt. 

Je niedriger die Belastung ist, bei der eine Röhre das Härtemaximum 
(ca. 160 Sklero) erreicht, um so mehr wiegen in dem Gemisch die härteren 
Strahlen vor, und andererseits je höher die Belastung genommen werden 
muß, um dieses Härtemaximum zu erreichen, umsomehr überwiegen die 
weicheren die härteren Strahlen in dem Gemisch. 

Sklerometer ermittelte Härte anzuwenden, in Übereinstimmung mit Milliampere, 
die mit dem Milliamperemeter gemessen werden. 
52% 


816 Klingelfuß, 


Es ist daher die Charakteristik geeignet, uns gewissermaßen einen Ein- 
blick in die Zusammensetzung des Strahlengemisches zu geben. 

Wenn die Frage des Strahlengemisches hier etwas breit angeschnitten 
worden ist, so geschah das u. a. auch deshalb, weil die verdienstvolle 
mathematische Behandlung der Strahlenabsorption im Körper von 
Christen,?!) die für die Tiefenbestrahlung zu der Aufstellung des Größen- 
begriffes der Halbwertschicht geführt hat, sich auf eine homogene 
Strahlung stützt. Es ıst daher von besonderem Interesse zu prüfen, in- 
wieweit die von Christen gezogenen Schlüsse Gültigkeit behalten für 
den Fall, wie er in der Praxis wirklich liegt, d. h. für eine inhomogene 
Strahlung. Christen sagt selbst, daß die mathematische Durchführung 
der Rechnung für eine nicht homogene Strahlung zu außerordentlichen 
Schwierigkeiten führen würde. Sie ist aber tatsächlich undurchführbar, 
solange das Strahlengemisch selbst nicht quantitativ auswertbar ist. 

Glücklicherweise stellt dıe Tiefentherapie eine Forderung, die nicht 
zu umgehen ist, nämlich die Anwendung von Filtern, die in erster Linie 
einen Hautschutz darstellen, die zugleich auch aber die entgegenkommende 
Eigenschaft besitzen, die Reichhaltigkeit des Strahlengemisches wesent- 
lich herabzusetzen. Es hat nun nach den sehr exakten Messungen von 
Schatz?) den Anschein, als ob es bei hinreichend filtrierten Strahlen 
praktisch keinen Unterschied mache, ob die angewendete Strahlung ein 
reicheres oder ärmeres Strahlengemisch besitzt. 

Trotzdem empfiehlt es sich, das Strahlengemisch nicht in allen Fällen 
einfach zu vernachlässigen, da es unter Umständen doch einen Einfluß 
auf die Größe einer abgemessenen Dose haben kann. Man merke sich 
daher neben den anderen Faktoren auch die Charakteristik der benutzten 
Röhre. 


X. Die Dosierung mit dem Sklerometer, dem Milliampdremeter und der 
Zeit in absoluten Einheiten. 

a) Messung der Röntgenstrahlen für therapeutische Dosen. 
Mit einem Instrumentarium, bei dem die Härte der Röntgenstrahlen 

mit dem Sklerometer gemessen werden kann, gestaltet sich die Dosierung 

äußerst einfach. Über den Grad der Genauigkeit, mit dem die Röntgen- 

strahlen mittels dieser Meßmethode gemessen werden können, habe ich 

früher berichtet.?) 





1) Christen, l. c. 

2) Schatz, Strahlentherapie I, S. 546, 1912. 

8) Verh. der Deutschen Röntgen-Gesellschaft, Bd. IV, 1908, S. 145 und eben- 
daselbst Bd. VI, 1910, S. 123. Zentralblatt für Röntgenstrahlen usw., I. Bd., 
1910, S. 330. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 817 


Nachdem sowohl durch Vergleich mit der photographischen Reaktion 
(Verfahren von Kienböck), als durch Verfärbung des Bariumplatin- 
zyanürs!) (Verfahren von Sabouraud-Noire) und endlich durch Ent- 
ladung eines Elektrometers?) (physikalische Prüfung) festgestellt ist, 
daß die von den Röntgenstrahlen in einer bestimmten Zeit T geäußerte 
Energie dem Produkt der Ausschläge am Sklerometer H und am Milli- 
ampöremeter J proportional ist, kann es auch keinem Zweifel mehr unter- 
liegen, daß die so gemessenen Größen einer bestimmten therapeutischen 
Reaktion gleichgesetzt werden können.?) 


Zahlreiche Versuche haben ergeben, daß die Verfärbung des Barium- 
platinzyanürs von Teinte A bis Teinte B nach Sabouraud-Noire mit 
1000 JHTp Einheiten bei 9 cm Fokuspastillendistanz erhalten wird. 
Alle diese Größen sind mit dem Instrumentarium meßbar, bis auf den 
Faktor p. Dieser ist bei verschiedenen Röhren verschieden groß, und 
schwankt zwischen etwa 0,6 und 1,4. Röhren, bei denen dieser Faktor 
größer als 1,4 ist, sind für Therapie unzweckmäßig. Der Faktor hängt 
ab vom Grade der in Röntgenstrahlen transformierten Kathodenstrahlen 
einerseits, und von der Durchlässigkeit (Dicke, spez. Durchlässigkeit) 
des Glases andererseits. Er muß durch Eichung der Röhre ermittelt 
werden. 

In verschiedenen Entfernungen vom Röhrenmittelpunkt verhalten 
sich die Röntgenstrahlenmengen zueinander umgekehrt wie die Quadrate 
dieser Entfernungen. 

Das läßt sich in folgendem Satz zusammenfassen: 


Die von einer Röhre an einer bestimmten Stelle des 
Vakuumgefäßes durch die Flächeneinheit in der Zeiteinheit 
austretende Röntgenstrahlenmenge (M) ist proportional dem 
Spannungsgefälle der Kathodenstrahlen (H), der Strommenge 
(J) und dem Güteverhältnis (1), (Verhältnis der in Röntgenstrahlen 
transformierten Kathodenstrahlen und Durchlässigkeit der Gefäßwand 
für Röntgenstrahlen), fernerumgekehrt proportionaldem Quadrat 
der Entfernung vom Brennfleck der Röhre. 


Für gefilterte Strahlen ergibt sich dann die Röntgenstrahlenmenge, 
die unterhalb des Filters austritt durch Multiplikation mit dem Filter- 
faktor. Der Tabelle (8. 837) läßt sich die Größe der Hautdose in abso- 
luten Einheiten für ungefilterte und für durch 1—4 cm dicke Aluminium- 


— — — 


1) Ebendaselbst. 

3) A. Jaubert de Beaujeu, Archives d’Electricite medicale, Nr. 286, 1910 
übersetzt in den Verh. der Deutschen Röntgen-Gesellschaft Bd. VII, S. 130, 1911. 

3) Vgl. das in Bezug auf das Milliamperemeter S. 783 gesagte. 


818 Klingelfuß, 


platten gefilterte Strahlen einer Volldose für verschieden große Fokus- 
hautdistanzen direkt entnehmen. 


b) Praktische Eichung einer Röntgenröhre. 


Das Dosierungsverfahren stützt sich darauf, daß die Röntgen- 
strahlenmenge, die bei einer erstmaligen Bestrahlung mit einer be- 
stimmten Röhre, bei einer bestimmten Belastungshöhe (Produkt aus 
Sklero und Milliampöre) in einer bestimmten Zeit emittiert wird, bei 
jeder folgenden Bestrahlung, die mit der gleichen Röhre vorgenommen 
wird, die gleiche ist, wenn die Belastungshöhe, die Härte und die Zeit 
gleich sind, wie bei der erstmaligen Bestrahlung. Werden daher die Be- 
lastungshöhe und Zeit für eine Röhre ermittelt, in der damit eine Sabou- 
raud oder Kienböck-Reaktion in einer gewissen Fokushautdistanz und 
mit einer bestimmten Härte in Sklero hervorgerufen wird und notiert man 
diese Größen für einen späteren Gebrauch auf der Röhre, so ist die Röhre 
geeicht und man braucht für eine spätere Bestrahlung keinen Kienböck- 
streifen und keine Saboraudpastille mehr mitzubestrahlen, weil man sich 
auf die geeichte Röhre bei Einhaltung der gefundenen Belastungshöhe, 
Härte und Zeit mit größter Sicherheit verlassen kann. Die Bestrahlung 
kann mit der geeichten Röhre unter Berücksichtigung des Distanzquoti- 
enten in jeder beliebigen anderen als der Eichdistanz vorgenommen 
werden. 

Wer über ein Sklerometer oder ein ihm in Bezug auf seine Empfind- 
lichkeit gleichwertiges Instrument nicht verfügt, dem ist anzuraten, eine 
Dosierung mit einer geeichten Röhre unter Kontrolle der Millianıpere- 
höhe und der Zeit nicht auszuführen, wenn er sich damit nicht der 
Gefahr, einen mehr oder weniger großen Dosierungsfehler zu begehen, 
aussetzen will. . 

Für alle Messungen, bei denen die Angaben des Sklerometers Gültig- 
keit haben sollen, ist die Zahl der primären Stromimpulse (ÜUnter- 
brechungen), für die die Meßspule geeicht ist, einzuhalten. Diese Zahl 
ist auf dem Sklerometer angegeben. 


Wir bedienen uns also für die Verabreichung therapeutischer Dosen 
geeichter Röhren. Bei Verwendung solcher Röhren ist darauf zu achten, 
daß der benützte Strahlenkegel an der geeichten Stelle durch die Glas- 
kugel tritt. Diese Stelle ist also bei der Eichung zu bezeichnen. 
Es empfiehlt sich das mit Rücksicht auf allfällige Dickenunterschiede 
in der Wandung der Röhre. 


Die Eichung hat ferner nur Gültigkeit, wenn bei der Bestrahlung 
die mittlere Härte der Röhre nicht wesentlich von der Härte bei der Ei- 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 819 





Fig. 23. 
Induktorium Pat. Klingelfuß mit eingebauter Meßspule und eingeschaltetem 
Sklerometer und Milliamperemeter. Beide Instrumente sind spannungslos gegen 
Erde und können in beliebiger Entfernung vom Induktorium und der Röntgen- 
röhre aufgestellt werden. 





Fig. 24. 
Induktorium gewöhnlicher Bauart, bei dem die Meßspule nachträglich adaptiert 
ist, mit eingeschaltetem Sklerometer. Das Milliamperemeter muß hierbei in der 
sonst üblichen Weise in die Leitung zur Röhre eingeschaltet und daher gut iso- 
liert angebracht werden, 


820 Klingelfuß, 


chung abweicht, deshalb ist im Prüfschein der betreffenden Röhre die 
mittlere Härte bei der Eichung zu vermerken. 


Der Prüfschein trägt die Angabe der Type und Nummer der Röhre, 
die Angabe des Durchmessers, sowie derjenigen Belastung, bei der die 
Röhre während der Dauer einer Bestrahlung ihre Härte möglichst wenig 
ändert (Belastungskonstante). Schließlich gibt der Prüfschein noch an, 
in welcher Zeit die Normalreaktion (Erythemdose), die auf diese oder 
jene Art gemessen wird, erhalten wurde. Die Belastung der Röhre, aus- 
gedrückt durch das Produkt der Härte (Sklero-) und der Stromintensität 
(Milliampöre) multipliziert mit der gefundenen Zeit gibt die Reaktions- 
konstante für die betreffende Röhre in der Eichdistanz. 


Ein Beispiel erklärt das schneller. Wir hätten eine Röhre von 20 ecm 
Durchmesser zu eichen. Die Bestrahlung des Bariumplatinzyanürs wird 
in 12 cm Fokusdistanz ausgeführt. Das Sklerometer gebe einen Aus- 
schlag von 87 Sklero (H), das Milliamperemeter einen solchen von 1,15 
Milliampere (J). Der Versuch zeigt uns, daß zur Verfärbung von Teinte 
A bis Teinte B 12 Minuten nötig sind, dann ist 


HJT oder C,, = 87 x 1,15 x 12 = 1200. 


Setzt man p. = 1, wenn in der Entfernung 9 cm Fokusdistanz die Ver- 
färbung mit 1000 Einheiten erhalten wird, so ist für unsere vorstehend 
geeichte Röhre 

1200 9\2 


9\8 
In dieser Formel heißt der Bruch (1) der Distanzquotient. 


Je kleiner p ist, um so schneller arbeitet die Röhre. p hat nur 
Gültigkeit für annähernd die gleiche Härte, die die Röhre bei seiner Er- 
mittlung aufwies. Wird die Röhre erheblich weicher, so wird u. größer, 
d. h. es erfolgt dann die normale Reaktion nicht mehr in der bei der 
Eichung ermittelten Zeit. Wird umgekehrt die Röhre erheblich härter, 
so wird u. kleiner und die Verfärbung kann in der durch Eichung ermittelten 
Zeit zu groß ausfallen, oder mit anderen Worten die Normalreaktion 
würde dann in kürzerer Zeit erreicht. Es darf demnach bei einer 
Bestrahlung die Härte der Röhre nicht zu weit von der bei 
der Eichung ermittelten Härte abweichen. Es ist hier als selbst- 
verständlich vorausgesetzt, daß auch die Härte dem Verwendungszweck 
angepaßt sein muß. Da sich die Härte mit der Belastung ändert, so ist 
es zweckmäßig, dieselbe bei einer bestimmten Stromintensität, z. B. bei 
0,5 MA anzugeben. Diese Angabe bezeichne ich als spezifische Härte 
(vgl. S. 808) einer Röhre, die ebenfalls im Prüfschein anzugeben ist. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 821 


Nachstehend ist ein unausgefülltes Schema eines Prüfscheines, wie ich 
solche verwende, angegeben. 


PRÜFSCHEIN 
für-die Röhre 4... u 2 3.4 2 
NO. 2 was 
Kugeldurchmesser ........ cm 
Härte bei 05 IJ=........ H 
ee BO Eeen H 
e E TEE H 
m a ne eier H 
(J in Milliampere, H in Sklero) 
Belastungskonstante!) für Bestrahlungen ...... JH, gemessen 
bei J..... Milliampere und...... H 
Erythemdose: 

Wird die Röhre mit der Konstante... .... JH belastet, so verfärbt sich 
eine frische Sabouraud & Noire-Pastille von Teinte A bis Teinte B (mit) (ohne) 
Filter in...... cm Abstand vom Röhrenmittelpunkt und bei einer mittleren 
Strahlenhärte von ...... H in........ Minuten, oder .... .. JHT- 
Einheiten. 

Bei einer Bestrahlung muß dann die Fokushautdistanzd=........ cm 
oder die Abmessung zwischen der Röhrenwand und Haut....... betragen 
(Meßstab No... ...... ) 


Zur Einstellung der erforderlichen J & H für die Belastungskonstante ist 
die J-H-Tabelle zu benützen. 

Soll die Bestrahlung in einer anderen Fokushautdistanz d, gemacht 
werden, so berechnet man die Bestrahlungszeit für eine Volldose mit dieser Röhre 
nach der Formel | 


2 
Eichzeit X (=) =... . Minuten 
z.B. für, =... 28%: cm statt obiger... ..... cm 
ee re - —— =. , . . Minuten 


e > è ọ 9% o 


Die Zeit für die Bestrahlung mit Bruchteilen einer Volldose wird durch 
Multiplikation des Bruchteiles mit der für eine Volldose angegebenen Zeit ermittelt. 
z. B. Y, Erythemdose in 1, X... ....=...... Minuten 
1/io Erythemdose in tp X ...... Ruue R D Minuten 


Geprüft durch: 


Basel, den... ....... 


In der Tabelle II sind die Zahlen einiger Prüfscheine über verschiedene 
Röhren zusammengestellt. Man ersieht daraus, wie verschieden groß 
der Faktor p ausfällt, und wie verschieden demnach die Zeit ist, in der 
bei verschiedenen Röhren eine Normalreaktion erhalten werden kann. / 
u ist ein wichtiger Faktor für die Beurteilung der Röhrenqualität. 





1) Vgl. S. 822. 


522 Klingelfuß, 


Tabelle 11. 





| 








Fokus- 
Pastillen 


Härte 
. bei Milliampere 


| 


i 
H 
i 


Distanz 
Belastung 
JH 
Beobachtete 
Zeit 
T Minuten 
Beobachtete | 
JHT 


Röhre Nr. 





0,5l 1,0 | 1,5 2,0 






cm 





1fj1ı4! 9 '60' 80i — —' 89122 960 1000u 089 — 
2115: 9, ee a 0 ey 0.97 - 

| N ı 67 | 
3120, 12 i70 84'100 — j 100 19 1900 ;1780u 1.07 = 
4 =) 16 — 40 — 62 150 14 2100 | 3160 u 0,66 sehr weirh 
5120 12 R0 — — —: 100 12 1200 ı 1777 u 0.57 mittelhart 
6ļ16! 10 '78 85 98 108: 100 12 : 1200 '1200u 10 = 
7|ao.! 10% 100 Per. 18° 256 4,7 1203 120 u 10 = 
8(do.! 10 :& 100 Per. 185 20 55 1210 i1200 u 1,0 u 

| Ä ‚120, | 
9|20| 12 70; — —.— 100 14 1400 178u 081 = 
101201 12 60! 72 77 82 100 . >30 :>3000 1800 u. 1,7 spez. ri 
1|20: 12 —' 39 — 50 180 >29 >5000 180u >25 | "le 


Die Zeit für die Normalreaktion hängt aber außer von dem genannten 
Faktor u noch ab von der Entfernung. in der eine Bestrahlung ausgefülirt 
wird. Diese ändert sich mit dem Quadrat der Entfernung. Wird diese 
halb so groß als bei der Eichung genommen, so erfolgt die Reaktion in 
1/, der durch Eichung gefundenen Zeit. Der Bequemlichkeit halber ist 
auch das im Prüfschein angegeben. 

Sollen Bruchteile einer Volldose verabreicht werden, so geschieht 
das in der allereinfachsten Weise mit einer Präzision, die kein anderes 
Meßverfahren nur annähernd aufweisen kann. Eine halbe Dose erhält 
man in der halben. eine Dritteldose in ein Drittel, eine Zehnteldose ın ein 
Zehntel der durch Eichung für die Volldose ermittelten Zeit. 


c. Die Belastungskonstante einer Röntgenröhre, 


Für die Kalibrierung einer Röhre kommt außer den genannten Pri- 
fungen auch die Belastungskonstante in Betracht. Bei der thera- 
peutischen Bestrahlung müssen, für Tiefendosen z. B. die Röhren selır 
lange Zeit eingeschaltet sein, um eine volle Sabouraud-Verfärbun:z zu 
erreichen. Wird dabei die Röhre überlastet, so wird sie heiß und infolge- 

1) JHT berechnet sich nach der Formel: 

1000 
JHT = u y > d? = 12,346 u d? 
d? JHT 


= 12346 u. A A 
a e “= To 346. d? 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 823 


dessen zu früh ermüdet. Bei Unterbelastung dagegen wird die Röhre in 
der Regel härter, oft bis über die Grenze der Zulässigkeit hinaus. In 
beiden Fällen wird man mit der Röhre eine volle Sabouraud-Verfärbung 
ın ununterbrochener Reihe nicht ausführen können. Zwischen den beiden 
genannten Belastungen liegt jedoch für jede Röhre ein Mittelwert, der so 
beschaffen ist, daß dabei die Röhre längere Zeit, ja bis zu einigen Stunden 
unter Strom belassen werden kann, ohne daß sie dabei von ihrem ursprüng- 
lichen Zustand erheblich abweicht. 

Mit dem Sklerometer läßt sich dieser Wert mit groBer Genauigkeit 
bestimmen. Zunächst ist zu bemerken, daß die Belastung einer Röhre 
sich aus dem Produkt von Strom und Härte, also aus J x H ergibt. Für 
Röhren gleicher Größe, die unter ähnlichen Bedingungen betrieben 
werden, liegt die JH-Größe ähnlich, so daß aus der Erfahrung an einer 
Röhre auf eine andere ähnliche Röhre die Konstante beiläufig abgeschätzt 
werden kann, was insofern angenehm ist, als die Bestimmung der Be- 
lastungskonstante dann schneller ausgeführt werden kann. 

Man schaltet nun die zu kalikrierende Röhre mit einer passend 
scheinenden Belastung ein; je nachdem nun dabei der Sklerometerausschlag 
steigt oder fällt, d. h. die Röhre härter oder weicher wird, ist die Belastung 
zu erhöhen oder zu erniedrigen, bis man zu einer Einstellung kommt, 
bei der sich die Härte der Röhre nicht mehr, oder abwechselnd nach oben 
und unten innerhalb kleiner Grenzen ändert. Ändert sich bei dieser 
Belastung die Härte während 15—80 Minuten nicht erheblich, so kann 
ınan annehmen, daß sie auch für noch längere Zeit konstant bleiben wird. 
Die sich hierbei ergebenden Ausschläge am Sklerometer und Milliampere- 
meter werden multipliziert und als Belastungskonstante auf der Röhre 
vermerkt. Bei der späteren Benutzung können die Bedingungen sich 
etwas ändern, z. B. die Abkühlung der Röhre eine andere sein, das läßt 
sich aber dann durch entsprechendes Nachregulieren korrigieren. 

Es kommt natürlich vor, daß eine Röhre bei einer nachfolgenden 
Einschaltung durch die Abkühlung und vielleicht auch aus anderen Ursachen 
eine größere Härte als bei der Kalibrierung hat. In dem Falle kann man 
durch eine vorübergehende Überlastung die Röhre wärmen, bis sie den 
früheren Härtegrad wieder erreicht hat, worauf man mit der ihr eignen 
Belastungskonstante belastet. Nur wenn die Härte so hoch angestiegen 
ist, daß eine Überlastung behufs Erwärmung der Röhre für die letztere 
gefährlich erscheint, benutzt man die Regeneriervorrichtung, um das 
Vakuum herabzusetzen. 

Mit einiger Übung wird man die Bestimmung der Belastungskonstante 
leicht ausführen können. Wer seine Röhre dann dementsprechend be- 
handelt, wird dadurch sehr bald eine ganz erhebliche Röhrenersparnis 


824 Klingelfuß, 


erzielen, die für größere Institute einen nicht zu unterschätzenden Posten 
im Jahresbudget ausmachen wird. 


d) Dosierung mit einer geeichten Röhre für Oberflächen und 
durch Aluminiumfilter bis zul mm Dicke. 


Zusammengefaßt ist das Meßverfahren eine Dosierung nach der Zeit, 
wobei die Intensität H x J während dieser Zeit auf einer konstanten 
Höhe zu halten ist. 


J-H-Tabelle. 
J und H-Tabelle (für mittelweiche Röhren [50—80 H spez.) für Oberflächenbestrahlung 
ohne Filter). 
(für mittelharte Röhren [70—% H spez.) für Tiefenbestrahlung mit Aluminiumfilter 
von 1 mm en 


NN —] — — HH mh I m nn 

















































































































Amp. | 0,75 /0,80|0, 80 085 |100| 106 11,10] 1. 1,45 1,50 
70 83 98.3187,5| 82,8 |77,8| 73.7 | 70 = 68,7. e T - | | 
50 106,6 100 100|94.1 88,9) 84,2| 80 |76,2 rn ar | E 
o) | josie waama |e a 
2100| 15 Inn 1os3 10 m8 91 | 87 |838| 80 | 77 |741 |714 69 '66,7 
Šo | TRIERER PATE HET 
| | 
to 120 | T I DE a 109 1043 100 | 96 |923 Er 257,828 30 
H, u el U ns [man 101] 10 100 | 96,3 93 189,7 88,7 
Š er 














ER u 
F 
| 


S E nez 112 |107.71103.7! 100 |96.6 93.3 

Fate e — | en 

150 | Zu ai 5 115,4|111,1/107, 107,1|10344] 100 100 
: | | | | 





sss unterstrichene Ziffern bedeuten spezifische Härte 50—80 (für Oberflächen- 
bestrahlung). 
unterstrichene Ziffern bedeuten spezifische Härte 70—% (für Tiefenbestrah- 
lung durch 1 mm Al.-Filter). 





Um das Produkt H x J, dessen Faktoren H und J sich im Laufe 
einer Bestrahlung etwas ändern können, dennoch konstant zu halten, 


1) Die Eichung einer Röhre für Tiefenbestrahlung durch 1 mm Al.-Filter 
nehme ich in der Weise vor, daß die Sabouraudpastille durch den Filter von dieser 
Dicke hindurch bestrahlt wird. Der von Schatz angegebene Faktor für die 
Schwächung der Strahlenintensität durch 1 mm Filter mit Röhren von passender. 
Härte (70—90 spez.) und deren u=1 ist, stimmt gut mit dem von mir häufig 
gefundenen Werte überein. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 895 


benutze ich die JH-Tabelle 8.824. Z. B.'war bei unserer geeichten Röhre J = 
1,15; H = 87, also Jx H=100 JH. Es kann nun leicht vorkommen, daß 
sich während der Bestrahlung H ändert, z. B. von 87 nach 91. Würde J 
dann noch 1,15 betragen, so würde das Produkt 1,15 x 91 = 104,6 JH also 
4,6%, zu groß. Aus meiner Tabelle ersehe ich aber, daß zu 91 H 1,1 J 
gehört, und das Produkt wird wieder 100 JH, wie vorher. Oder es ändert 
sich die Härte nach unten, z. B. von 87 nach 80 H. Die Tabelle sagt 
mir, daß 1,25 J multipliziert mit 80 H = 100 JH geben. Man hat also 
während einer Bestrahlung nur darauf zu achten, daß das Produkt Jx H 
sich nicht ändert. Beachten wir das, und bestrahlen nun z. B. mit dieser 
Röhre 3 Minuten ın 24 cm Fokus-Hautdistanz, so erhalten wir 3 x 100 
= 800 JHT Einheiten. 1200 JHT Einheiten geben laut Prüfschein 


800 
dieser Röhre eine Volldose, also haben wir 100, 1/, Dose verabreicht. 


Wie schon erwähnt, hat die Fokus-Hautdistanz auf die Bestrahlungs- 
dauer sehr großen Einfluß, der sich mit dem Quadrat der Entfernung 
geltend macht. Würden wir wie in obigem Falle während 3 Minuten 
mit 100 JH Einheiten statt in 24 cm Fokus-Hautdistanz in 16 cm Distanz 


bestrahlen, so hätten wir nicht mehr 800 JHT Einheiten appliziert, sondern 
2 


2 
800 x i6 ~ 675 JHT Einheiten, also über eine halbe Volldose. Wollen 
1200 162 
4 242 
= 188 JHT Einheiten statt 300 verabfolgen und da wir die Röhre mit 


wir 1/, Dose in 16 cm Distanz verabreichen, so müssen wir 


| 133 
100 JH belasten 100 ~ 1,33 Minuten bestrahlen, denn 1,33 T x 100 


242 
JH x 16: 800 JHT in Normaldistanz = !Y/, Volldose. 


Um auch diese Rechnungen nicht durchführen zu müssen, bediene 
ich mich ebenfalls einer Tabelle IV, aus der ich für verschieden große 
J x H und für verschieden große Fokus-Hautdistanzen die für eine Voll- 
dose nötige Expositionszeit für eine Röhre, deren Faktor x =1 ist, 
entnehmen kann. Ist für eine Röhre u von 1 verschieden, so multipli- 
ziere ich damit die der Tabelle entnommene Zeit, und falls nicht eine Voll- 
dose, sondern ein Bruchteil einer solchen verabfolgt werden soll, multi- 
pliziere ich noch mit dem Bruchteil. Das klingt alles viel umständlicher, 
als es in Wirklichkeit ist. Wer sich jedoch die kleine Mühe nimmt, sich 
in dieses Meßverfahren einzuarbeiten, wird das Sklerometer nachher nie 
mehr missen wollen. 


826 Klingelfuß, 


Tabelle IV. 


Expositionsdauer in Minuten und Sekunden für 1 Sabouraud-Volldose 
(ohne Filter und für u = 1) in: 






































E 10 | 12 | 14 | 16 a | a | a2 | oa | ge poa 
m 70 |8 84 |4 24 |621% |8 39" |11 1714 17°17 89“ l21 20°25 24] E S 3 
á 80 [3°07" |351” |584” |7 34” | 9° 52”|1% 30”|15' 26”|18' 40"|22 14” Sof 
p 90 |246" |326” |4 57” |643“ | 8 47”|11' 07“|13 4316 36"|19 46| 8 5 
g 100 |2 30” |8 05” |427 |603“ | 754°) 10 fi 2114 5617 47! À 5 = 5 
„ 110 |216 |248" |4 Er = 7 11«| Hos“i1r 14h13 35°16" 10" 3383 
T 120 |205" |234" |8 43“ |5 08| 6°35” 8207/10 18712 2714 49/3 5 E$ 
g 180 |155” |222 |a 25" |4 39" | ero” Tar 9 soir 29/13 a1“ o g w E 
Z 140 |147 a 11“ |419" | 589| 709%] 8 49”l10° 4012 42 È S È a 
m 150 |140" |2% 08” |2X 58” |402” | 5 16“| 6'40”| 8 14“| 9571r 5i aÈ a 


18 

Eine Röhre, die in > cm Fokus-Sabourauddistanz in 10 Minuten bei der 
Belastung 100 JH = 1000 JHt einen Sabouraud von Teinte A bis B verfärbt, hat 
u=l. 

Wird in der angegebenen Distanz die Verfärbung z. B. schon mit 960 JHt 
erreicht, so ist u = 0,96. 

Sind jedoch zur Verfärbung z. B. 1150 JHt erforderlich, so ist u = 1,15. 

u ist abhängig vom Transformationskoeffizienten der Röhre und von der 
Durchlässigkeit (Dicke und spez. Durchlässigkeit) des Glases. 


Dieses Meßverfahren macht auch von der lästigen Einstellung z. B. 
der Sabouraud-Pastille auf halbe Fokus-Hautdistanz vollständig unab- 
hängig. Man kann die Bestrahlung auf eine beliebige, passend scheinende 
Distanz vornehmen und ohne weiteres für jede dieser Distanzen mit großer 
Genauigkeit die Zeit für die Verabreichung einer Voll- oder Teildose fest- 
stellen. Man kann vor allen Dingen in viel größerer Fokusnähe eine Be- 
strahlung vornehmen, da man nicht mehr mit dem doppelten Abstand 
der Pastille, deren kleinste Entfernung selbst schon nicht weniger als 1 enı 
zuzüglich dem Kugelradius betragen kann, abhängig ist. Bei einer Röhre 
von 18 cm Durchmesser ist bei Anwendung des Sabouraud-Noir6-MeB- 
verfahrens die kleinste mögliche Fokus-Hautdistanz demnach 20 cm oder 
il cm Abstand von der Röhre. Mißt man mit dem Sklerometer, so kann 
man, falls andere Umstände das zulassen, was ja häufig genug der Fall 
sein mag, die Bestrahlung in kürzerer Distanz, z. B.5 cm Abstand von der 
Röhre, oder 14 em Fokus-Hautdistanz vornehmen und verkürzt dadurch 
im Verhältnis 142 :202 oder =1 :2 die Expositionszeit, d. h. die Dose 
wird in der halben Zeit erhalten. Damit wird nicht nur Zeit gespart, 
sondern auch Röhrenmaterial. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 897 


Auch die Frage der genauen Abgleichung von Teildosen scheint mit 
diesem Meßverfahren befriedigend gelöst. Denn geben 1000 JHT Ein- 
heiten in einer bestimmten Distanz eine Volldose, so geben zweifellos 
500 JHT Einheiten in der gleichen Distanz eine halbe Volldose. Was das 
für eine Größe ist, bleibt sich schließlich gleich, es handelt sich ja nur 
darum, dieselbe reproduzieren zu können, und das ist mit dem vorge- 
schlagenen Meßverfahren mit viel größerer Sicherheit möglich, als durch 
das Vergleichen mit einer Farbenskala, bei der schon benachbarte Farben- 
töne der Skala selbst schwer zu unterscheiden sind, und die Übereinstim- 
mung mehrerer Skalen außerdem sehr fragwürdig ist. 

Gelegentlich des VI. Röntgenkongresses hatte ich geäußert (vgl. 
Verhandl. Bd. VI 1910 8. 123, Absatz 3 und Zentralblatt für Röntgen- 
strahlen Bd. 11910, S. 331 oben), daß ich es nach Durchführung der da- 
selbst mitgeteilten physikalischen Untersuchung als eine Aufgabe des 
Arztes ansehe, die für die Therapie in Betracht kommenden Konstanten 
ın absolutem Maß zu bestimmen. Nun in Wirklichkeit war sie ja eigent- 
lich in der Untersuchung schon ermittelt, denn wenn die Konstante für 
die Verfärbung einer Sabouraud-Noire-Dose bestimmt ist, und letztere 
als ein Maß für die Therapie Gültigkeit hat, so ist damit auch die Gültig- 
keit der absoluten Größe für die Therapie unanfechtbar. Ich hatte des- 
halb bald darauf auch den Mut gehabt, einigen mir befreundeten Ärzten 
den Vorschlag zu machen, die Dosierung in absolutem Maße vorzunehmen. 
Diese Herren dosieren seit einigen Jahren genau nach der hier gegebenen 
Vorschrift. Die Herren waren sofort mit dem Meßverfahren vertraut 
und in einem Falle war eine Dame, die vorher keinen Röntgenkurs be- 
sucht hatte und der ganzen Technik fremd gegenüberstand, nach wenigen 
Tagen befähigt, die Dosierung unter Leitung des Arztes fehlerfrei 
vorzunehmen. 

Besonders auffallend ist der geringere Verbrauch von Röhren in allen 
Fällen, wo das Sklerometer für die Härtekontrolle benutzt wird. Das 
Instrument ist eben außerordentlich empfindlich und zeigt die kleinsten 
Härteänderungen unmittelbar an. Man ist infolgedessen imstande, die 
Belastungshöhe einer Röhre, das ist das Produkt aus Strahlenhärte x 
Strahlenstärke absolut konstant zu halten. Mit dem Belastungsoptimum, 
das sich mit dem Sklerometer leicht ermitteln läßt, kann auf diese Weise 
eine Röhre stundenlang eingeschaltet bleiben, ohne daß sie sich im ge- 
ringsten dabei ändert. 

Diesen Abschnitt möchte ich nicht schließen, ohne einen Punkt be- 
rührt zu haben; es betrifft dies den Grad der Genauigkeit, der bei der 
Dosierung erreicht werden kann oder soll. Wenn Kromayer sagt, daß 
es in der Praxis eben nicht darauf ankomme, mathematisch genau eine 


828 Klingelfuß, 


bestimmte Röntgendosis zu geben — was ja wohl stets unmöglich bleiben 
werde — sondern daß es genüge, mit dem eigenen Instrumentarium an- 
nähernd diejenige Dosis wiederholen zu können, die nach früheren Er- 
fahrungen eine bestimmte therapeutische Wirkung gehabt hat, so liegt in 
seinen eigenen Worten ein gewisser Widerspruch. Denn dadurch, daß 
er mit dem „eigenen Instrumentarium‘ annähernd diejenige Dose zu 
wiederholen sucht, bei der er in einem früheren Falle eine gewisse Wirkung 
erzielt hat, liegt zum mindesten das Bestreben, diese Dosis so gut wie 
möglich gleich groß zu machen wie die frühere; d. h. er strebt danach, sie 
möglichst exakt zu wiederholen. Das wird aber umso besser gelingen, je 
vollkommener einerseits die Meßmittel sind und gehandhabt werden, 
und andererseits, je vollkommener man alle unvermeidlichen Fehler- 
quellen dabei in Rechnung zieht, und dennoch — und darin muß man 
Kromayer recht geben — wird die Dosierung unter Heranziehung aller 
Kautelen einen nur bedingten Grad von Genauigkeit erreichen. Aber 
ob eine Dose mit Sicherheit auf 5—10%, genau abgemessen werden kann, 
oder ob man dabei einen Fehler von 30 —100%, in Kauf nimmt, darin liegt 
doch ein Unterschied. Wenn man die von der Röntgenröhre emittierte 
Röntgenstrahlenenergie nach der hiervor angegebenen Methode noch so 
genau bestimmt, daß der mögliche Fehler mit Sicherheit 5—10% nicht 
übersteigt, und nennt dies, wie es allgemein geschieht, die gemessene 
Dose, wenn diese Energie eine bestimmte Zeit zur Wirkung gekommen 
ist, so wird die wirkliche Dose, d.h. die in der Haut oder den Gewebe- 
schichten zur Absorption gekommene Röntgenstrahlenmenge nicht in 
allen Fällen an den gleichen Stellen gleich groß sein, selbst bei gleichem 
Strahlengemisch, gleicher spezifischer Stärke, gleichem Wirkungsgrad 
der Röhre und allen sonst in Betracht kommenden, auf gleicher Höhe 
gehaltenen Bedingungen. Das liegt daran, daß die Bestrahlungsdistanz 
von zu großem Einfluß auf die wirkliche Dosis ist, und daß die zu bestrah- 
lenden Körperteile meist einen sehr verschiedenen, niemals genau repro- 
duzierbaren Abstand haben. Hier liegt jedenfalls die große Fehlerquelle, 
weil in Bezug auf die Bestrahlungsdistanz eine erhebliche Vernachlässigung 
bei der Bestimmung der Dose gemacht wird. Das gilt sowohl bei Ober- 
flächen- als bei Tiefenbestrahlung. Die Annäherung an die genaue ‚wirk- 
liche Dose“ wird aber um so größer, je genauer die „gemessene Dose“ 
bestimmt worden ist. Und wenn schließlich die als gut befundene Dose 
außer mit dem eigenen Instrumentarium auch von jedermann einwandfrei 
wiederholt werden kann, so ist der Entwicklung des einschlägigen Gebietes 
damit offenbar besser gedient. 


1) Kromayer, Münch. med. Wochenschr. 177, 1909. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 829 


XI. Das Sklerometer als Halbwertschichtmesser. 

Wenn das Sklerometer ein absolutes Härtemaß repräsentiert, so muß 
sich das Instrument auch für die von Christen mathematisch abgeleitete 
Halbwertschicht eichen lassen, und wenn das möglich ist, so liegt darin 
wohl der beste Beweis für die außerordentliche Leistungsfähigkeit dieses 
Instrumentes. Christen!) gibt in einer Arbeit eine Kurve über den 
Zusammenhang von Halbwertschicht und den bekannten Härtemessern. 
Dabei fällt der gerade Verlauf der Kurve für das Sklerometer auf. Die 
von Christen an jener Stelle aufgestellte Formel, wonach sich die Halb- 
wertschicht aus dem Sklerometerausschlag berechnen läßt, ist aber wenig 
ermutigend, denn es würde nach den Zahlen derselben einer Halbwert- 
schicht von 2 cm ein Sklerometerausschlag von beiläufig 540 Skalenteilen 
entsprechen, eine Forderung, die mit keiner Röhre zu erfüllen gewesen 
wäre. Es hat sich aber nachträglich herausgestellt, daß die Formel un- 
richtig ist (den Zahlenfehler im zweiten Faktor rechts der Gleichung ab- 
gerechnet). 

Neuere Untersuchungen, die ich in beschränktem Maße selbst ange- 
stellt (ich bin außerordentlich empfindlich auch für gut abgeblendete 
harte Strahlen geworden und das Beobachten des Halbwertschichtmessers 
nach Christen setzte mir neuerdings wieder stark zu), in größerem Um- 
fange aber den außerordentlich wertvollen Arbeiten aus dem Institut für 
Strahlenbehandlung der Königl. Dermatologischen Klinik in Kiel ent- 
nommen habe, ermöglichten es mir, ganz bestimmte Beziehungen zwischen 
der Halbwertschicht und dem Sklerometer festzustellen, so daß es den 
Anschein hat, daß sich in der Tat das Sklerometer hervorragend zur 
Bestimmung der Halbwertschicht eignet. 

Besonders sorgfältig scheinen die Beobachtungen über den Zusammen- 
hang zwischen Sklerometerausschlag und Halbwertschicht von Schatz?) 
durchgeführt zu sein. Aus den Zahlen der in seiner Arbeit publizierten 
Tabelle I, die ich durch sorgfältige Kontrollversuche bestätigt fand, 
ließ sich eine Formel aufstellen, wonach sich die Halbwertschicht a be- 
rechnet, 

a = 0,8 + H. 0,009 


wo H der Sklerometerausschlag ist. Das konstante Glied 0,3 rührt 
daher, daß die mit dem Halbwertschichtmesser beobachteten Strahlen 
die Glaswand der Röhre passiert haben und dadurch schon etwas gefiltert 
worden sind. Filtert man z. B. noch durch ein Aluminiumblech von 
1 mm Dicke, so steigt diese Zahl von 0,3 auf 0,6. 


1) Christen, Strahlentherapie 1, S. 325ff., 1912. 
2 Schatz, Strahlentherapie I, S. 540ff., 1912. 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 53 


830 . Klingelfuß, 


Nach dieser Formel entsprechen für ungefilterte Strahlen folgende 
Werte der Sklerometerausschläge und Halbwertschichten einander: 





Halbwertschicht Sklerometer Halbwertschicht Sklerometer 

0,6 33,5 1,4 122 

0,7 | 44,5 1.5 133,5 

0,8 55.5 1.6 144,5 

0.9 | 67 1,7 155,5 

1,0 18 1,8 167 

1,1 89 1,9 178 

1,2 100 20 189 

1,3 | 111 


Die Zahlen zeigen nun, wie nmiinutiös sich an dem dafür geeichten 
Sklerometer die Halbwertschichten ablesen lassen. Wer mit dem von 
Christen angegebenen Instrument mit der Bakelittreppe und dem 
durchlochten Blech je versucht hat, die Halbwertschicht einer Strahlung 
zu bestimmen, der kennt die unendlich große Mühe, die man dabei hat und 
er wird mir bestätigen, daß es nötig ist, um einigermaßen einwandfreie 
Ablesungen zu bekommen, viele Beobachtungen zu machen und um sich 
dennoch nicht Täuschungen auszusetzen, die Ablesungen von verschiede- 
nen Beobachtern wiederholen zu lassen. Das Photographieren, wie bei 
der Benoist-Skala, womit man einwandfreie Resultate erzielen könnte, 
läßt sich an dem Christenschen Instrument nicht durchführen, weil das 
photographische Bild des Siebes dunklere und hellere Stellen (das ver- 
schwommene Siebbild) zeigt, und keine zusammenhängende homogene 
Färbung, die der halben Strahlenintensität entspricht. Deshalb ist die 
(renauigkeit der obigen Zahlen auch durch die Genauigkeit der Ablesungs- 
möglichkeit an dem Instrument beschränkt. Siesind also so genau, wie bei 
einer exakten Abschätzung am Christenschen Instrument sich aus den 
Mittel vieler Beobachtungen ergibt und mehr läßt sich einstweilen nicht 
verlangen. Aber die Ablesefehler, die bei dein Christenschen Instrument 
allzuleicht vorkommen, sind an dem einmal auf die Halbwertschicht 
geeichten Sklerometer ausgeschlossen. 

Die gleichen Vorteile, die das Skleronieter gegenüber den Härteskalen 
von Typus Benoist besitzt, machen sich in erhöhtem Maße gegenüber dem 
Christenschen Halbwertschichtmesser geltend 

Die in der Tabelle angegebenen Sklerometerwerte sind so zutreffend, 
daß, wenn man den Christenschen Halbwertschichtmesser vor der Beob- 
achtung auf die dem Sklerometerwert entsprechende Bakelitdicke ein- 
stellt, dann die Röhre an Iland des Sklerometers auf den betreffenden 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 831 


Härtegrad einstellt, man beim Betrachten des Christenschen Halbwert- 
schichtmessers nicht imstande ist, eine Differenz in der Helligkeit der beiden 
Felder zu entdecken. In Bezug auf die absolute Genauigkeit will nun 
das nicht viel sagen, denn das Christensche Instrument ist weit davon 
entfernt, die Halbwertschicht daran genau ablesen zu können. 

In der Praxis scheint das aber auch keine so wichtige Rolle zu spielen, 
denn wie Christen selbst in seiner mathematischen Behandlung des 
Themas nachgewiesen hat, sind Strahlen, deren Härte eine Halbwert- 
schicht von mehr als 2!/, cm geben, praktisch nicht zu bekommen. 

Nun liegt aber heute das weitaus größere Interesse der meisten Ärzte 
bei einer Bestrahlungstiefe, die das erreichbare Maß der Halbwertschicht 
um mehr als das Doppelte übersteigt. Es ıst also ausgeschlossen, mit 
den praktisch härtesten Strahlen in dieser Tiefe die Hälfte von einer 
Hautdose bekommen zu können. 

Es kommt noch hinzu, daß die Strahlendichte in größeren Tiefen 
durch Dispersion noch weiter geschwächt wird. Beträgt z. B. die Fokus- 
hautdistanz 16 cm und liegt die zu bestrahlende Stelle 6 cm unter der Haut, 
so vermindert sich die Strahlendichte daselbst gegenüber der Dichte auf 
der Haut im Verhältnis 16? : 222, also auf rund die Hälfte, was doch ge- 
wiß auch nicht vernachlässigt werden darf. Es müßten demnach der 
Haut enorme Dosen zugemutet werden, wenn in solcher Tiefe derartig 
große Dosen eintreffen sollten, als sie durch die Halbwertschicht in höch- 
stens 2 bis 2!/, cm Tiefe erreichbar sind. Ist das nicht möglich, so muß 
man sich fragen, ob das Maß der Halbwertschicht in größeren Tiefen über- 
haupt noch Berechtigung hat, benutzt zu werden. 

Daß zur Absorption in großen Tiefen harte Strahlen gebraucht werden, 
ist ganz selbstverständlich. Aber zur Kontrolle dieser Härte ist das 
Sklerometer weit besser geeignet, als der Halbwertschichtmesser. 

Man muß sich auch fragen, ob die Anwendung allzugroßer Härten, 
zu der man sich in dem Bestreben, große Tiefen als Halbwertschicht zu 
erreichen, leicht verleiten läßt, nicht überhaupt eine unnötige Energie- 
vergeudung bedeutet. 

Als Filter für die Homogenisierung der Stralilen und für den Haut- 
schutz kommen nach den Untersuchungen von Schatz heute kaum mehr 
andere als solche aus Aluminium in Betracht. Die größte Dicke für die- 
selben braucht dabeı 4 mm nicht zu überschreiten, weil dadurch eine 
weitere Härtung praktisch nicht mehr erzielt wird und andererseits die 
Bestrahlungsdauer ungebührlich in die Länge gezogen wird. 

Aus den ebenfalls schon mehrfach genannten Arbeiten von Schatz 
war es nun ferner möglich, die Halbwertschichten filtrierter Strah- 
len für verschiedene Filterdecken zu berechnen und in 


DF 


832 Klingelfuß, 


Sklerometerauszudrücken. Für die Rechnung ließ sich eine ähnliche 
Formel aufstellen, wir für die Berechnung der Halbwertschicht unfiltrierter 
Strahlen. Bezeichnet man mit a, die Halbwertschicht für Strahlen, 
die ein n mm dickes Aluminium passiert haben, mit Apn eine Konstante. 
mit H die Sklero und mit C einen Faktor, so lautet die Formel analog 
der früheren 


an = An + HC 
Es ergab sich unter Benutzung der Tabelle 5 von Schatz 
für 1 mm dickes Aluminium!) A, = 0,600 
ee 5 5 A, = 0,785 
a O g x “0. A, = 0,870 
4 ,„ a ʻ A, = 0,995 


und für C = 0,0116. 
Danach wurden die in folgender Tabelle zusammengestellten, einander 
zugehörigen Werte für das Sklerometer und die filtrierte Halbwertschicht 
berechnet. | 
Halbwertschichten für filtrierte Strahlen, 


berechnet nach der Formel an = An + HC, wo a, die Halbwertschicht durch 
Aluminiumfilter von 1—4 mm A, die zugehörigen Konstanten und C ein 
Faktor ist. Es ist A, = 0,6; A, = 0,735; A, = 0,870; A, = 0,995 uni 
C = 0,0116. 

Diese Tabelle S. 833 ermöglicht es also, aus dem Sklerometeraus- 
schlag die Halbwertschicht für 1—4 mm dicke Aluminiumfilter direkt 
abzulesen. 

Wird z. B. nıit einer Strahlenhärte von 130 Sklero eine ganze Sabou- 
raud-Dose (unter dem Filter auf der Haut gemessen) verabreicht, so ist bei 
der Filtrierung durch 1 min in 2,1 cm, bei 2 mm in 2,24 em, bei 3 nım in 
2,88 cm und bei 4 mm Aluminiumfilter endlich in 2,5 cm Tiefe eine halbe 
Sabouraud-Dose verabreicht, wenn die Dispersion vernachlässigt wird. 





1) Für die Glaswandung der Röntgenröhre, deren Absorptionskoefiizient 

=1 ist (vgl. S. 817) ergibt sich A zu 03. Daraus geht hervor, daß die vom 

Sklerometer gemessene Härte, wie das ja auch nicht anders sein kann, für die 

Strahlen innerhalb der Röhre gilt. Man erhält also außerhalb einer solchen Röhre 

nur Strahlen von der Härte von 0,3 cm Halbwertschicht an aufwärts. Ist der 

Absorptionskoeffizient größer oder kleiner, so ändert sich dementsprechend die 
„Röhrenhalbwertschicht“. 

In gleicher Weise erhält man durch die Filterung bei 1 mm Aluminium keine 
Strahlen unter Halbwertschicht 0,6, bei 2 mm nicht unterhalb 0,735, bei 3 mm 
nicht unter 0,87 und bei 4 mm nicht unter 0,995 cm. 

Dadurch beantwortet sich auch die von Christen aufgeworfene Frage. 
aus welchem Grunde Halbwertschichten unterhalb dieser Grenzen mit dem Sklerv- 
meter nicht meßbar seien. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 833 











cxH re Dicke des Filters 

AUSSeh BE 1 mm 2 mm | 3 mm | 4 mm 
0,464 40 1,064 1,199 1,334 | 1,89 
0,522 45 1.122 1,257 1,392 1,517 
0,580 50 1,180 1,316 1,450 1,575 
0,638 55 1,238 1,373 1,508 1,633 
0,696 60 1,296 | ° 1,431 1,566 1,691 
0,754 65 1,854 1,489 1,624 1,749 
0,812 70 1,412 1,547 1,682 1,807 
0,870 75 1,470 1,605 1,740 1,865 
0,928 80 1,528 1,663 1,798 1,924 
0,986 85 1,586 1,718 1,856 1,981 
1,044 90 1,644 1,779 1,914 2,039 
1,102 95 1,702 1,837 1,972 2,097 
1,160 100 1,760 1,895 2,030 2,155 
1,218 105 1,818 1,953 2,088 2,213 
1,276 110 1,876 2,011 2,146 2,271. 
1,334 115 1,934 2,069 2,204 2,329 
1,392 120 1,992 2,127 2,262 2,387 
1,450 125 2,050 2,185 2,320 2,445 
1.508 130 2,108 2,243 2,378 2,508 
1,566 185 2,166 2,301 2,436 2,561 
1,624 140 2,224 2,359 2,494 2,619 
1.682 145 2 282 2,417 2,552 2,677 
1,740 150 2,340 2,475 2,610 2,735 
1,798 155 2,398 2,533 2,668 2,793 
1,866 160 2456 | 2,591 2,726 2,851 


Die filtrierte Strahlenhärte läßt sich rückwärts wieder auf Sklero 
umrechnen. So hat z. B. die durch 4 mm filtrierte 160 Sklerostrahlung 
nach der Filtrierung die Halbwertschicht 2,851. Um hierfür die Härte in 
Sklero kennen zu lernen, brauchen wir nur unter Benutzung der früheren 


Formel 
an—0,3 2,851 —0,8 


0000 0,009 


zu setzen und erhalten 283 Sklero für die Halbwertschicht von 2,851. 
Analog erhalten wir für die durch 3 mm filtrierte 100 Sklero-Strahlung. 





2,08—0,8 
0,009 = 192 Sklero 
und für die durch 1 mm filtrierte 50 Sklero-Strahlung 
1,18—0,3 
= 2/98 Sklero; 


0,009 


834 Klingelfuß, 


Vergleichen wir die letzten beiden Resultate mit der Halbwertschicht 
für ungefilterte Strahlen in Tabelle 3.830, so finden wir für die ungefilter- 
ten Strahlen bei der Halbwertschicht 2 = 189 und bei der Halbwert- 
schicht 1,2 = 100 Sklero. 

Wir erhalten also für die durch 3 mm gefilterte Strahlung mit der 
primären Härte von 100 Sklero jenseits des Filters eine Härte, die gleich 
ist einer primären Härte von 191 Sklero und für die durch 1 mm gefilterte 
Strahlung mit der primären Härte von 50 Sklero jenseits des Filters eine 
Härte, die gleich ist einer primären Härte von 98 Sklero. 

Wir haben aber früher gesehen, daß die gefilterten und ungefilterten 
Strahlen sich nicht gleich verhalten in Bezug auf das Strahlengemisch, 
indem die gefilterte Strahlung ein weniger umfangreiches Strahlengemisch 
besitzt, als die ungefilterte und es wäre daher durchaus nicht richtig, 
wenn man eine gefilterte Strahlung einfach durch eine ungefilterte von 
entsprechender Härte ersetzen wollte. Deshalb muß man die Filtrierung 
nicht nur als eine Härtung, sondern auch als eine Homogenisierung 
der Strahlen ansehen. 

Darin liegt auch die Erklärung, wonach einerseits nach den Unter- 
suchungen von H. E. Schmidt die normale Haut bei Anwendung sehr 
harter unfiltrierter Strahlen die doppelte Dosis, wie von mittelweichen 
Strahlen verträgt, während nach den Beobachtungen von Gauß ungefähr 
das Dreifache davon zulässig sein soll bei Strahlen, die einen 3—4 mm 
Aluminiumfilter passiert haben, ohne daß ein Erythem sich einstelle. 
Aber ich möchte bei diesen Anlasse nicht versäumen, auf die Mahnung 
zur Vorsicht von Hans Meyer!) hinzuweisen, die dahin geht, mit einer 
2,5 cm-Strahlung (HW) als Maximaldosis 20 X und mit einer 2 cm (HW) 
durch 1 mm Filter 15 X auf der Haut nicht zu überschreiten. 


XU. Ein Vorschlag für die Tiefendosierung mit dem Sklerometer, dem 
Milliampdremeter und der Zeit in absoluten Einheiten. | 

Bei der Benutzung des Christenschen Halbwertschichtmessers als 
Dosenmaß macht eine Reihe von Vernachlässigungen das Resultat unsicher, 
z. B. wird das Strahlengemisch und die Dispersion für große Schichttiefen 
dabei vernachlässigt, ganz abgesehen davon, daß die Halbwertschicht nicht 
einwandfrei genau mit dem Christenschen Instrument feststellbar ist. 
Man weiß aus der Ablesung mit mehr oder weniger großer Annäherung nur, 
daß man genügend oder nicht genügend harte Strahlen habe. Das zu messen 
sind aber die Skalen vom Typus Benoist besser geeignet, weitaus am besten 


1) Hans Meyer- Kiel, Strahlentherapie I, S. 401, 1912. 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 835 


jedoch das Sklerometer. Wenn man daher auf Grund von experimentellen 
Ergebnissen eine Vereinfachung in die Messung der Tiefendosen bringen 
kann, wobei das Meßresultat eher noch auf eine sicherere Basis gebracht 
wird, wenn es auch immer noch eine genügende Anzahl Vernachlässigungen 
in sich schließt, so scheint dadurch die Einführung einer zuverlässigeren 
Dosierung doch mehr gefördert zu werden, als es sonst möglich wäre. 
Dieser Erwägung entspringt der nachfolgende Vorschlag. Es sei ausdrück- 
lich betont, daß der wertvollen mathematischen Behandlung dieses Themas 
durch Christen, die viel Klarheit in die Anschauung über die Tiefendose 
gebracht hat und der volle Anerkennung zu zollen ist, hiermit durchaus 
nicht etwa nahe getreten werden soll. 

Für die erfolgreiche Durchführung von Messungen im allgemeinen, 
ist die Einfachheit der Meßmittel neben der Sicherheit mit der bei ein- 
fachster Handhabung derselben alle in Betracht kommenden Messungen 
ausgeführt werden können, von ausschlaggebender Bedeutung. Diese 
Bedingung erfüllt aber der Halbwertschichtmesser in der Christenschen 
Ausführung in mehrfacher Beziehung nicht. Ganz abgesehen davon, 
daB die Angaben des Instrumentes zu roh sind, um mit einiger Sicherheit 
sich darauf verlassen zu können, beansprucht eine Ablesung sehr viel Zeit 
und außerdem ist diese Mühe unter Umständen vergebens aufgewendet 
worden, weil keine Gewähr besteht, daß das ermittelte Maß während 
der ganzen Dauer der Bestrahlung aufrecht erhalten bleibe. Dazu kommt 
ferner, daß wenn eine zu bestrahlende Gegend in einer Tiefe von mehr 
als 2,5 cm unter der Haut liegt, sich Dosen, die der Größe einer halben 
Hautdose gleichkommen, nicht mehr verabreichen lassen. Dann hat es 
auch eigentlich keinen Sinn mehr, von einer Halbwertschicht zu reden, 
sobald es sich um die Bestrahlung tiefer liegender Schichten handelt. 
Das trifft vollends zu bei der Bestrahlung der Ovarien, deren Schicht 
bis zur Haut etwa 6 cm dick ist. Berücksichtigt man bei so großen Tiefen 
auch noch die erhebliche Abnahme der Strahlendichte durch die Dispersion, 
so ist man geneist den Schluß zu ziehen, daß der Maßstab für die zu- 
lässige Größe einer Dose die der Haut zugemutete Strahlung 
ist. Diese mag nun bei der Anwendung von Filtern mehr oder weniger 
das zulässige Maß für Oberflächendosen übersteigen dürfen, so ändert das 
nichts. Man weiß, daß man der Haut von ungefilterten Strahlen als maximal 
zulässig 1 Sabouraud oder 10 X Kienböck verabreichen darf, ohne nor- 
malerweise ein Erythem befürchten zu müssen. Es kann Ja sein, daß dieses 
Maß bei gefilterten Strahlen um einen gewissen Prozentsatz überschritten 
werden darf, aber es liegt kein unbestrittener Beweis dafür vor. Wer 
vorsichtig ist, wird sich an diese Grenze halten, solange nicht auf Grund 
einwandfreier Messungen genaue Angaben vorliegen. Geht man davon 


836 Klingelfuß, 


aus, so geht das Verfahren der Tiefenbestrahlung unter Berücksichtigung 
gewisser anderer Verhältnisse in eine Oberflächendosierung über. 

In welcher Art die ÖOberflächendose mit dem Sklerometer, dein 
Milliampöremeter und der Zeit verabreicht wird, haben wir schon unter 
X. kennen gelernt. Alles was daselbst in Bezug auf die Oberflächendosie- 
rung und die Eichung einer Röhre gesagt worden ist, soll hier auch für die 
Tiefentherapie gelten. Das einzige was sich dabei ändert, ist die spezifische 
Härte der Strahlen, die um so größer sein muß, in je größerer Tiefe be- 
strahlt werden soll. 

Aber wir haben ja aus der Tabelle Seite 8383 entnehmen können, 
daB die Halbwertschicht nur um 3—4 mm zunimmt, wenn die primäre 
Strahlenhärte um 80 Sklerometergrade, z. B. von 130 auf 160 steigt. 
Diese 3 mm können in der Praxis kaum ernst genommen werden, denn es 
müssen aus rein technischen Gründen meist viel größere unvermeidliche 
Differenzen in der Fokus-Absorptionsdistanz vernachlässigt werden. 

Es wird also in das Resultat der Tiefenbestrahlung kaum eine Ände- 
rung hineinbringen, wenn die Röhre etwas nach oben oder unten von der 
optimalen Härte abweicht. Bei der Hautbestrahlung ohne Filter läßt sich 
: z. B. kein Unterschied feststellen, der durch die Härtedifferenz innerhalb 
ziemlich weiten Grenzen hervorgerufen worden wäre, wenn die Röhren 
sonst gute Eigenschaften besitzen. So habe ich des öfteren die normale 
Sabouraud-Verfärbung mit der gleichen Anzahl JHT Einheiten erhalten, 
ob die Röhrenhärte bei der Bestrahlung 60 oder 120 Sklero zeigte und diese 
Härtedifferenz ist doch wahrlich groß genug. 

Wir wissen eben noch viel zu wenig über die Art, wie die Röntgenstrah- 
len ihre Wirkung ausüben und sind deshalb genötigt, der durch die Praxis 
gesammelten Erfahrung einstweilen alle Beachtung zu schenken. 

Es wird also, solange das Gegenteil dafür nicht bewiesen wird, nicht 
so schwerwiegend sein, ob die primäre Strahlung für die Tiefentherapie 
nun 150 oder 130 oder gar 110 Sklero, also 8 oder 7 Benoist, beträgt. (Man 
sieht hier wieder, wie ausgiebig das Sklerometer ist, das erlaubt, von 
7—8 Benoist 35 Skalenteile abzulesen). Aber das ist von großer Wichtig- 
keit, daß diese Härte mit einer solchen Belastung erzielt wird, bei der die 
Auslösung allzuweit unterhalb dieser Härte liegender Strahlung in größerer 
Menge ausgeschlossen ist, d. h. daß die Röhren diese Härte mit relativ 
niederer Belastung geben. Wird das Strahlengemisch nach unten sehr 
erweitert, so kommen unter allen Umständen große Fehler in die Tiefen- 
dose, d. h. sie wird dann kleiner ausfallen, als sie gewollt war. Deshalb 
muß die Röhre auch während der Bestrahlungsdauer sorgfältig vor einer 
Härteänderung, besonders einer Abnahme der spezifischen Härte bewahrt 
werden. 


837 


Das Sklerometer u. seine Verwendung bei der Röntgenstrahlentherapie. 


°(37079 'S ‘F/L Srdsloyguojyeug '[3A) apunıg) nz yluy "20]09BWI10q 1919Y 9p SUV ZJV YIG Uva UISUNSSI Alp UIF UGOLYLZ USA 


SSR nn DnE n 


3 5 PEP IOABA -IANT 
LH £ltt201 0662028 #99810282 9952 








| 
0898: 80EZ OLLI 0991 METOT © ° Iəyyunyanjy wu p 





Sul 





we a | | | 99'E I0JHB -IAIA 
0108l9zt 2/299 Z6FZ FOIZ TORI TRGI TEET POTT O68 ” yunun y wur g 











9289 orse er 





LALI/STIS ;;6 186: 


| 








| | 
| | | | i | 
g g | , OTT— 06 0149H 'P YıRH 'zeds 
| = 
| 
| 







| | eo, | 00T —08e1yaY 'p YıRH 'zeds 

I poi 683 104987-194111 
s: ZLE EBEE EZOZ RPLIEOGTIERZI 1801968 33L | ` ` 1oyyunjujunjy wu g 
oo o TOP E 
Lra 


o a a Z3'3 10eg- 








LHrIr66a Z099 





hepa 9ILP 


| 
| 
ln sjees 
E 06—OL 9149H 'P 98H 'zedg 






























LHCE 66t TEI j SEBE FEIE outer ah FOLIIPCGI EPET POTI S88 OE8 RRI gegt t totototo ot ot aNg 
Ä | | | | | | -wnmuImngy wm y yəmp 
ESSERE 
| | oo | | ee En | | . 08—09 494 `P HRH 'zədg 
LHC OZVE 10983/9892 ERHEBEN 0001.068 j06L 002 G09 '0z9 HP PIE olg ogg t t oto toto aog onyo 


| d E, ur 
| | | | SISOpgn®pH 91p 4I381399q 
| mo S 
| | 
ma | gg | zz | 9z HOR R ole) UOA g9 I = n 
| USI9PUEIYOY NUIZURISIP 
-}nsqsnyog oup any 








| | | 

ga | +a | g3 | zz | 18 | og ‚sr | el | | 

| | ’ | i 
ooo e S. | 


! 
| i 
i i | 


nn m l Á nn nn u — nn rn -e — me La un nm ss nn e e e 








351 [= n ueIop ‘usıygy u asyjgumıummjy wur P—0 Y2ınp 9IMOS !UHZUBISIPINBUSNNYOT EUFPEIUOS 
-I9A ınF (NO0quory OT JEpo g Sıq V AUP, Woa Jung TepeApneMmogeg) UBSOPIngH In} UEJIEeyulg-LHL 9Ip 8I PAVI əsə 


838 Klingelfuß, Das Sklerometer und seine Verwendung bei der usw. 


Bei der glatten Umwandelbarkeit des Halbwertschichtmaßes in das 
Sklerometermaß einerseits, bei der großen Empfindlichkeit des Sklero- 
meters gegenüber dem Halbwertschichtmesser anderseits und der Mög- 
lichkeit, die Zahlen der Originalsklerometerskala für die Rechnung in 
absoluten Einheiten bei der Dosierung einsetzen zu können, erscheint es 
natürlich im höchsten Grade verlockend, sich des Sklerometers an Stell 
des Halbwertschichtmessers für die Verabreichung der Tiefendosen zu 
bedienen. 

Um das praktisch durchzuführen, habe ich die Tabelle Seite 837 
angefertigt, der die Zahlen von Schatz aus der Kieler Dermatologischen 
Klinik zugrunde liegen. 

Die erste Reihe derselben enthält die Fokushautdistanz für 9—98 cm. 
Die zweite Reihe enthält die absoluten Minuten-Röntgenstrahleneinheiten 
(JHT = dem Produkt aus den Milliampöre, den Sklero und der Zeit), die in 
den betreffenden Fokushautdistanzen für eine Oberflächendosis (ohne 
Filter) und mit einer normalen Röhre (u = 1) nötig sind. Die folgenden 
vier Zeilen enthalten-dann für Filter von 1—4 mm Aluminiumdicke die 
Größe der absoluten Minuten-Röntgenstrahleneinheiten, die von der Röhre 
emittiert werden müssen, damit unter dem Filter die für eine Hautdosis 
erforderlichen JHT Einheiten erreicht, aber nicht überschritten werden. 

Die Tabelle gründet sich also darauf, daß man die Hautdosis als 
Maßstab annimmt und die Tiefendosis dann einfach so groß werden 
läßt, als es unter den gegebenen Umständen möglich ist. 

Bestrahlen wir z. B.in 15 cm Fokus-Hautdistanz, wobei die Hautdosi: 
700 JHT Einheiten beträgt, durch 8 mm Aluminiumfilter, so müssen oder 
dürfen wir 2500 JHT Einheiten auf den Filter geben, damit unterhalb 
desselben die Hautdosis mit den 700 JHT Einheiten erreicht, bzw. nicht 
überschritten wird. 

In analoger Weise werden die Zahlen für andere Fokus-Hautdistanzen 
oder für andere Filterdicken der Tabelle entnommen. 

Die Belastung der Röhre wird unter Benutzung der JH Tabelle 
Seite 824 ın der gleichen Weise kontrolliert, wie für die Oberflächenbestral- 
lung angegeben worden ist. Besitzt man neben dem Sklerometer und 
Milllampöremeter auch einen sicher funktionierenden Zeitschalter, der 
in den Primärstromkreis eingeschaltet und zwangläufig mit dem Unter- 
brecher gekuppelt ist, und der nach Ablauf der eingestellten Zeit den Strom 
automatisch abstellt, so gibt es kein zweites Verfahren für die Dosierung. 
das diesem an Einfachheit und Zuverlässigkeit nahe käme. 


Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Königl. Dermatologischen 
Klinik in Kiel (Dir. Professor Dr. Klingmüller, Leiter des Instituts: 
Privatdozent Dr. Meyer). 


Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz mit be- 
sonderer Berücksichtigung der Sekundärstrahlenwirkung. 


Von 
Dr. Rudolf Krüger. 


(Mit 3 Abbildungen.) 


D: moderne Tiefentherapie mit der viele Stunden lang dauernden 
Verwendung sehr wirksamer und tiefdringender Strahlung, bei welcher 
gegenüber früher eine ungleich größere Strahlenenergie in der Röntgen- 
röhre produziert wird und zur Anwendung gelangt, drängt uns von neuem 
die Frage auf, ob die bisher üblichen Vorrichtungen zum Röntgen- 
schutz des Arztes und der Angestellten des Röntgenlaboratoriums den 
Anforderungen genügen, die wir unbedingt heute stellen müssen — denn 
der Grundsatz des nihil nocere, der stets das oberste Gesetz in unserem 
röntgentherapeutischen Handeln einnehmen und die Grundlage und Richt- 
schnur bilden muß für allen Ausbau röntgentherapeutischer Methodik, 
hat nicht nur für unsere Kranken Gültigkeit, sondern er gilt auch für uns 
selbst und unsere Angestellten. 

Wenn die Frage der Röntgenschädigungen und der Mittel, wie sie 
zu vermeiden sind zur Erörterung steht, so drängt sich ja wohl uns allen 
zuerst das Gefühl einer tiefen Dankbarkeit auf für alle diejenigen Männer, 
die als die Pioniere der Röntgenologie nichts von der so eminent wirksamen 
biologischen Energie der Strahlen ahnen konnten, und die nicht nur unsere 
Lehrmeister waren in einer neuen Wissenschaft, sondern an ihrem eigenen 
Körper die schwersten Schädigungen davontrugen, uns Jüngeren zur 
dauernden Warnung und Lehre. Wie manche von ihnen, die an ihrer 
Haut unter dem Einfluß der Strahlen alle Stadien der Röntgenverände- 
rungen durchmachen mußten — von der einfachen Röntgenatrophie 
beginnend und beim entsetzlich torpiden und schmerzhaften Ulkus und 
Karzinom endigend — konnten erst durch schwere Operationen, Ampu- 
tationen und Exartikulationen gerettet werden — wie manche von ihnen 
ließen ihr Leben als Opfer ihres Berufes und ihrer Wissenschaft! Es ist 
sehr bemerkenswert, wie gerade in den letzten Jahren die Zahl der Fälle 


840 Krüger, 


von Röntgenkrebs, welche bekannt geworden sind, sich vermehrt hat. 
Während wir im Jahre 1907 in dem Handbuch von Wetterer nur 
7 Fälle erwähnt finden, 1909 dagegen von Coenen im ganzen schon 33, 
hat Borntree in Amerika Anfang 1910 20 Fälle und in England 11 Fälle 
gezählt, und in dem Sammelbericht von Krause werden 54 sichere Fälle 
aufgeführt (in Deutschland 13, in Amerika 26, in England 12), von denen 
26 Ärzte bzw. Röntgenassistenten betrafen, 24 Röntgentechniker und nur 
4 Patienten. Die Mortalität dieser Fälle war ca. 20%. Hoffen wir, 
daß die Zahl dieser Fälle sich nicht noch weiter vermehren wird, da ja 
bekanntlich auf röntgenatrophischer Haut noch nach Jahren — auch 
nachdem der Röntgenreiz gar nicht mehr eingewirkt hat — sich unter dem 
Einflusse anderer Schädlichkeiten noch Karzinom nachträglich entwickeln 
kann. Alle diese Fälle, bei denen bekanntlich das Unglück vor allem 
dadurch herbeigeführt wurde, daß man die Hände als Testobjekt für die 
Beurteilung der Strahlenqualität benutzte, sind ja so warnende Bei- 
spiele, daß heute kein Mensch sich in dieser Art den Strahlen mehr aus- 
setzen wird, und wenn auch, wie Wetterer sehr richtig hervorhebt, in- 
folge der Sorglosigkeit der Menschen einer Gefahr gegenüber, an die sie sich 
gewöhnt haben, sich vielleicht bei einigen unvorsichtigen Röntgeno- 
logen hier und da noch leichte Hautveränderungen zeigen werden, so 
ist doch mit Sicherheit anzunehmen, daß diesen schwersten Hautschädi- 
gungen, die noch aus der ersten Zeit ohne alle Schutzmaßregeln stammten, 
sich keine neuen derartigen Fälle hinzugesellen werden. Die Gefahr liegt 
- heute in einer anderen Richtung. Denn wir wissen ja seit langem, daß nicht. 
nur die Haut von den Strahlen bei ungenügendem Schutze im Sinne einer 
Schädigung betroffen werden kann, sondern daß einige innere Organe 
noch radiosensibler sind, daß also gerade sie in noch höherem Maße ge- 
fährdet sind als die äußere Haut. Besonders sind es zwei Organsysteme, 
die in Betracht kommen, das sind die Sexualorgane und das Blut. 
Was zunächst die Schädigungen der Testikel anlangt, so sind ja 
die unter dem Strahleneinfluß hier sich vollziehenden Veränderungen 
aus den tierexperimentellen Untersuchungen allbekannt: Die spezifischen 
Zellen des samenbildenden Apparates werden durch die Strahlenwirkung 
vollkommen vernichtet, an Stelle der normalerweise von einer mehrfachen 
Epithelschicht ausgekleideten und zahlreiche Spermatoblasten führenden 
Hodenkanälchen zeigt in den typischen Fällen das mikroskopische Bild 
nur weite Hohlräume, angefüllt von amorphen fadenförmigen Massen, 
den Trümmern der zugrunde gegangenen Samenzellen. Es ist nun aller- 
dings namentlich durch die schönen Untersuchungen von Simmonds 
erwiesen, daB wenn einzelne Inseln von Spermatogonien von der Strahlen- 
wirkung verschont geblieben sind, von diesen aus eine Regeneration und 


Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 841 


Reparation des Organes zustande kommen kann, und diesen Befunden 
entsprechen ja auch die Beobachtungen an Ärzten, bei welchen Azoospermie 
festgestellt war, bei welchen aber, nachdem längere Zeit Röntgenschutz 
angewendet wurde, die Spermatogenese wieder vollständig in Gang kam 
Aber es ist eben so sicher, daß, wenn die einmalige Dosis groß genug war 
oder wenn durch ständige Summation kleinster Röntgenstrahleneinwir- 
kungen die Regenerationskraft der samenbildenden Zellen überwunden 
wurde, eine solche Reparation nicht einzutreten braucht. Es ist ja be- 
kannt, daß eine ganze Reihe von Ärzten, die sich dem Röntgenfach ge- 
widmet haben, ın kinderloser Ehe leben, bei denen keine andere Ursache 
zu eruleren ist als die Röntgenschädigung. Die schweren Veränderungen, 
welche die weibliche Keimdrüse unter der Strahlenwirkung erleiden kann, 
legen natürlich hinsichtlich des Schutzes der weiblichen Angestellten von 
Röntgenlaboratorien uns nicht minder ernste Pflichten auf. Diese Schädi- 
gungen verdienen noch deswegen eine besondere Beachtung, weil hier, 
wie Reifferscheidt in seinen interessanten Untersuchungen an der 
Maus erwiesen hat, von einer Restitutio der einmal degenerierten Ovarial- 
zellen nicht die Rede sein kann, also eine Reparation in dem Sinne wie bei 
den Testikeln nicht möglich ist. 

Weniger bekannt aber nicht weniger beachtenswert sind die Ver- 
änderungen im Blute der Röntgenologen, die auf mangelhaften Röntgen- 
schutz zu beziehen sind. Wenn wir uns erinnern an die schweren Ver- 
änderungen der blutbildenden Organe, wie sie in den experimentellen 
Untersuchungen von Heinecke, Helber und Linser, Krause und 
Ziegler u. a. am Versuchstiere konstatiert werden konnten, wenn wir 
ferner bedenken, daß nach einer einzigen längeren Durchleuchtung oder 
therapeutischen Bestrahlung sich bei fast jedem Kranken eine ausge- 
sprochene Störung des Blutbildes nachweisen läßt, so ist es nicht auffällig. 
daß nun auch bei Röntgenologen, die nicht in genügendem Maße vor den 
Strahlen geschützt waren, die dauernde Einwirkung, wenn auch nur 
geringer Strahlenmengen, auf das Blut sich geltend machen muß. In der 
Tat haben auch die drei Wiener Autoren v.Jagié, Schwarz und Sieben- 
rock,!) welche das Blut einer Reihe von Radiologen untersuchten, diese 
Vermutung bestätigt gefunden und haben Veränderungen des qualitativen 
und quantitativen Blutbildes festgestellt. Diese bestanden hauptsäch- 
lich in einer Verminderung der weißen Blutkörperchen, deren Zahl zwischen 
5300 und 6000 schwankte, und zwar betraf die Verminderung hauptsäch- 
lieh die dem Knochenmark entstammenden Elemente, speziell die poly- 
morphkernigen neutrophilen Leukozyten und die azidophilen Leukozyten, 


ı) Zit. nach Wetterer, Handbuch der Röntgentherapie 1913. 


842 Krüger, 


während die Lymphozyten in derabsoluten Menge im Kubikmillimeter ver- 
mehrt waren. Die roten Blutkörperchen waren in normaler Qualität und 
Quantität erhalten. Aubertin,!) der ähnliche Untersuchungen anstellte, 
kam zwar in Einzelheiten zu etwas abweichenden Resultaten — er fand 
z. B. im Gegensatz zu den drei Wiener Autoren keine Verminderung, 
sondern eine Vermehrung der azidophilen Leukozyten — aber den Haupt- 
befund: Leukopenie und speziell Verminderung der neutrophilen, poly- 
morphkernigen Leukozyten konnte auch er bestätigen. Auch Lher- 
mitte fand bei seinen Untersuchungen im Blute von Röntgenologen 
ganz ähnliche Befunde: In 8 Fällen war die geringe Verminderung der Zahl 
der polynukleären Leukozyten bei gleichzeitiger Zunahme der Lympho- 
zyten zu konstatieren. Sind diese Befunde schon an sich beachtenswert, 
so mahnt uns die von Vaquezund Schwarz!) hervorgehobene Tatsache, 
daß in mehreren Fällen bei Personen, die sich berufsmäßig mit Röntgen- 
strahlen beschäftigten, myelogene und lymphatischeLeukämie sich ent- 
wickelte zu weiterer Vorsicht. 


Außer den genannten Organsystemen ist es vor allem noch das Auge, 
bei dem eine Schädigung durch Strahlenwirkung bei Röntgenologen 
und Röntgentechnikern beobachtet wurde. Daß das äußere Auge (Con- 
Junctiva, Cornea) bei seiner exponierten Lage genau wie die äußere Haut 
der Sitz von Röntgenschädigungen werden kann, ist ja von vornherein 
zu erwarten — so sah z. B. Albers-Schönberg bei in der Röntgen- 
fabrikation beschäftigten Arbeitern häufig das Auftreten von Konjunktivi- 
tiden, aber auch im inneren Auge können sich durch die summierenden 
und kumulierenden kleinsten Röntgenreize chronische Röntgenschädi- 
gungen entwickeln. So haben Gutmann und Treutler über je einen 
Fall von Star berichtet, für dessen Genese sie die Einwirkung von Röntgen- 
strahlen in Betracht zogen?) Der Gutmannsche Fall betraf einen 
jugendlichen gesunden Ingenieur, der sich viel mit Herstellung von Rönt- 
genröhren beschäftigte und Sehstörungen verspürte. Gutmann fand 
Tropfenbildung in der hinteren Corticalis beider Linsen, die bei Aussetzen 
der Beschäftigung stationär blieb. Treutlers Patient war Angestellter 
eines Röntgenlaboratoriums und hatte beiderseits hinteren Polarkatarakt 
und eine Sehschärfe von 6/60, während er vor seiner Anstellung als Rönt- 
genassistent gut gesehen haben wollte. Die experimentelle Grundlage 
für diese Schädigung wurde von Alphonse erbracht, der nachweisen 
konnte, daß nach Bestrahlungen des Auges Degeneration des Kapsel- 
epithels der Linse zu erzeugen Ist. 


1) Zit. nach Wetterer, Handbuch der Röntgentherapie 1913. 
2) Zit. nach Hans Meyer, Strahlentherapie, Bd. I, S. 155. 


Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 843 


Neben diesen objektiv feststellbaren ÖOrganveränderungen sind es 
hauptsächlich noch nervöse Störungen: Herzarythmien, Kopfschmerzen, 
Schlaflosigkeit usw., die von einzelnen Autoren auf mangelhaften Röntgen- 
schutz bezogen werden. 

Aus all diesen Befunden ergibt sich für den Arzt, welcher die Röntgeno- 
logie ausübt, die zwingende Notwendigkeit, für sich und seine Angestellten 
für genügenden Röntgenschutz zu sorgen. Nun aber erhebt sich sofort 
die vieldiskutierte, auch heute noch nicht restlos gelöste Frage: Was sollen 
wir unter einem genügenden Röntgenschutz verstehen ? 

Das Problem des Röntgenschutzes ist nicht so einfach, wie es bei 
oberflächlicher Betrachtung erscheinen möchte. Die Fragestellung, die 
hier in Betracht kommt, ist aber ganz präzise zu fassen. Es handelt 
sich um folgendes: Genügt ein Schutz, der nur Rücksicht nimmt auf die 
primären Strahlen, welche vom Brennpunkt der Antikathode ausgehen, 
kleinen Geschossen gleich in gradliniger Bahn in den Raum hinausge- 
schleudert werden oder bedarf es auch der Rücksichtnahme auf die sekun- 
dären, durch Streuung und Fluoreszenz erzeugten Strahlungen, welche, 
da sie unendlich viele Emissionszentren haben, rings den Raum durch- 
fluten. Ein paar physikalische Bemerkungen seien hier eingefügt. 

Wir unterscheiden, wie besonders Walter in seinen sehr lesenswerten 
Ausführungen auf dem Röntgenkongreß 1910 hervorgehoben hat, mehrere 
Arten der Sekundärstrahlung, die für den Röntgenschutz eine Rolle 
spielen, einmal die sogenannte Glasstrahlung und weiter die Körperstrah- 
lung. In dem hochevakuierten Glasraum der Röntgenröhre entsteht 
bekanntlich beim Durchgang des hochgespannten elektrischen Stromes 
von der Kathode ausgehend ein Bündel von Strahlen (Kathodenstrahlen), 
die, da sie von einem Hohlspiegel kommen, in einem Brennpunkt auf der 
Antikathode sich vereinigen. Diese Kathodenstrahlen erzeugen bei ihrem 
Aufprallen auf die Antikathode die Röntgenstrahlen, welche nun in gerad- 
liniger Bahn von dem Fokus ausgehen, das Glas der Röhre durchsetzen 
und nach außen geschleudert werden. Gleichzeitig mit den Röntgenstrah- 
len gehen nun aber von der Antikathode auch reflektierte Kathoden- 
strahlen aus und diese haben eine doppelte Wirkung: sie sind es, welche 
die bekannte Fluoreszenz des Glases der Röhrenkugel bedingen und sie 
sind es, welche bei ihrem Auftreffen auf die Glaswand der Röntgenröhre 
eine zweite Röntgenstrahlung erzeugen, die sogenannten Glasstrahlen. 
Diese ist nun in ihrer Ausbreitung nicht auf die vor dem Horizonte ihrer 
Antikathode gelegene Halkbugel beschränkt, sondern sie kann sich nach 
allen Seiten des Zimmers frei ausbreiten, da sie Ja von jedem Punkte der 
fluoreszierenden Glaswand ausgehen, also eine große Zahl kleinster Emissi- 
onszentren hat. Die Stärke dieser Sekundärstrahlung beträgt, wi» 


844 Krüger, 


Walter berechnet hat, in ihrer Gesamtheit etwa 15%, von derjenigen der 
Primärstrahlung der betreffenden Röhre, ein Bruchteil, der immerhin 
groß genug ist, um unsere volle Aufmerksamkeit zu verdienen. Es ist 
also wohl zu beachten, daß auch bei Verwendung eines Blendenkastens, 
der allseitig die Röhre umgibt und aus der Gesamtstrahlung derselben 
nur den zur Therapie benutzten Strahlenkegel austreten läßt, seitlich von 
diesem primären Strahlenbündel durch die Blendenöffnung noch Glas- 
strahlen die Röhre verlassen, deren Ausbreitungsbezirk also erheblich 
größer ist als der des primären Strahlenkegels. Wichtiger noch als diese 
sekundäre Glasstrahlung ist für die Frage des Röntgenschutzes die sogen. 
Körperstrahlung. Wenn Röntgenstrahlen auf irgend einem Körper auf- 
treffen, so entsteht durch Streuung und Fluoreszenz in all diesen Körpern 
wieder eine neue Strahlung. Also die Luft, welche die Strahlen durch- 
setzen, der Körper des Kranken, den wir bestrahlen, der Fußboden des 
Zimmers, in dem wir uns aufhalten — sie alle sind der Ausgangspunkt 
dieser Sekundärstrahlung, die sich noch weit mehr wie die Glasstrahlung 
ganz diffus im Raume ausbreiten. Diese sekundäre Körperstrahlung ist 
keine einheitliche Strahlenart, sie setzt sich im wesentlichen aus zwei 
Komponenten zusammen: einer Strahlung, welcher durch diffuse Brechung 
der primären Strahlung entsteht, die also in ihren Eigenschaften (im we- 
sentlichen dieser letzteren entsprechen muß und zweitens einer solchen. 
welche in den Körpern durch Fluoreszenz entsteht. Diese letztere ist 
also eine Eigenstrahlung, die für jeden Körper charakteristisch ist, welche 
stets weicher ist als die sie auslösende primäre Strahlung und mit der 
Größe des Atomgewichtes des betreffenden Körpers (bzw. der den Körper 
zusammensetzenden Elemente) an Härte zunimmt. 

Auch bezüglich dieser Körperstrahlung verdanken wir dem Hamburger 
Physiker Walter sehr wichtige Untersuchungen, die sich auf die zahlen- 
mäßige Intensität dieser sekundären Strahlen im Vergleich zu der sie er- 
zeugenden Primärstrahlung beziehen. Walter konnte z. B. durch Ver- 
suche feststellen, daß beim Durchgang einer Strahlung vom Typus W T 
durch eine 16 cm dicke Wasserschicht die Intensität der sich in der Rich- 
tung der Primärstrahlung ausbreitenden Sekundärstrahlung etwa 1!/, mal 
so stark ist wie die hindurchgegangene Primärstrahlung selbst, und er 
rechnete aus, daß ein Arzt, der täglich seine Finger nur 2 Minuten lang 
jener Sekundärstrahlung aussetzen würde, die also der bei einer 
Durchleuchtung im Körper des Kranken produzierten Strahlenmenge 
entsprechen würde, im Laufe eines Jahres eine Erythemdosis erhalten 
würde. Wenn man nun auch hiergegen einwenden kann, daß diese 
„Erythemdosis“ ja nur eine physikalische ist, da ja die so berechnete 
Strahlendosis, wenn sie sich auf den Zeitraum eines ganzen Jahres ver- 


Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 845 


teilt, einen unendlich viel geringeren biologischen Effekt hat, als wenn sie 
auf einmal appliziert wird, so ist doch auf der anderen Seite wieder zu be- 
tonen, daß es sich in der Röntgentherapie, namentlich in der Tiefenthe- 
rapie, wo mit harten Strahlen gearbeitet wird, wo also die Sekundärstrahlen- 
erzeugung eine weit intensivere sein wird, die in Betracht kommende 
Sekundärstrahlendosis eine sehr viel größere sein muß als wie bei der 
Walterschen Berechnung, die sich auf die Durchleuchtung eines Kranken 
zu diagnostischen Zwecken bezieht. Und während bei der letzteren der 
Arzt sich doch immer nur eine relative kurze Zeit in den Sekundärstrahlen- 
bereich begibt, verlangen wir jetzt in den therapeutischen Laboratorien 
von unseren Angestellten, daß sie sich tagtäglich viele Stunden lang 
bei den Dauerbestrahlungen in dem Raume aufhalten, um die Bestrahlung 
zu überwachen. Wir meinen, die Frage, ob wir die Verantwortung auf 
uns nehmen können, diese Personen tagtäglıch stundenlang den wenn 
auch nur relativ geringen Strahlenmengen der Sekundärstrahlen auszu- 
setzen, wo wir doch wissen, daß alle diese kleinsten Einzelwirkungen sich 
mit der Zeit kumulieren, verdient von neuem unsere volle Aufmerk- 
samkeit. Diese Verantwortung tragen wir ja auch vor dem Gesetz und es 
ist wiederholt von juristischen Sachverständigen (Kirchberg, Schrö- 
der u. a.) hervorgehoben worden, daß ein Arzt, der seine Pflichten für 
größtmöglichen Schutz seiner Angestellten verabsäumt, nicht nur zivil- 
rechtlich haftet — und zwar auch für immateriellen Schaden, so daß er 
z. B. für die durch mangelhaften Röntgenschutz entstandene Sterilität 
einer Hilfsperson diese angemessen zu entschädigen hat — sondern daß 
er auch strafrechtlich wegen fahrlässiger Körperverletzung zur Verant- 
wortung gezogen werden kann, falls ihm nachgewiesen ist, daß die Für- 
sorge für den Schutz der Angestellten (Assistenten, Volontäre, Kranken- 
hausschwestern, Röntgengehilfinnen) ein ungenügender war. 

Die Ansichten über die Frage, wie weit man den Röntgenschutz im 
Hinblick auf die Sekundärstrahlen ausdehnen soll, gehen heute noch 
ziemlich weit auseinander. Albers-Schönberg steht seit langem auf 
dem Standpunkt des absoluten Röntgenschutzes, d. h. er fordert, daß 
der ganze Körper gegen die primären und sekundären Strahlen geschützt 
ist. Da ja eine einfache mit Blei belegte Schutzwand, die in ihren Dimen- 
sionen so bemessen ist, daß sie den Körper gegen die primären Strahlen 
deckt, nicht diesen absoluten Schutz auch gegen die rings den Raum 
diffus durchflutenden sekundären Strahlen gewähren kann, da, wenn 
die primären Strahlen auf Gegenstände innerhalb des Zimmers wirken, 
diese der Ausgangspunkt einer Sekundärstrahlung werden, welche ihrer- 
seits unter Umständen auch hinter eine Bleiwand, die zwischen Röhre 
und Arzt steht, gelangen können, so konstruierte er ein Bleigehäuse, 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 54 


846 Krüger, 


welches so beschaffen ist, daß von keiner Seite aus Strahlen in dasselbe 
hineingelangen können. Der Beweis, daß die Konstruktion des mit Bleı 
gepanzerten Hauses die denkbar größte Sicherheit bietet, wurde dadurch 
erbracht, daß photographische Platten, welche wochenlang in diesem 
Schutzhause gehangen hatten, nicht die geringsten Spuren einer Belich- 
tung zeigten. Diese Schutzmaßregeln, wie sie Albers-Schönberg und 
Walter forderten, wurden aber von vielen Seiten für übertrieben erklärt, 
namentlich war es die Wiener Schule, welche opponierte und noch ganz 
neuerdings bei der Neueinrichtung des Zentralröntgeninstitutes in Wien 
ist auch im therapeutischen Raum ein besonderer Schutz gegen Sekundär- 
strahlen nicht vorgesehen, ausgehend von der Erfahrung, daß bis jetzt 
bei den Ärzten der Wiener Röntgenlaboratorien, welche die Durchleuch- 
tungen vornehmen, und sich dabei ständig den Sekundärstrahlen aus- 
setzen, eine Schädigung, abgesehen von der erwähnten Leukopenie niemals 
beobachtet ist. Man nimmt eben dort an, daß die Regenerationskraft 
unserer Gewebe diese kleinsten Sekundärstrahlenmengen überwinden 
kann. Wetterer nimmt in seinem soeben erschienenen Handbuch eine 
vermittelnde Stellung ein. Während er auf der einen Seite die von Albers- 
Schönberg empfohlenen Schutzvorrichtungen als die einzigen bezeichnet, 
die vollkommenen Schutz gewähren, hält er andererseits doch eine ein- 
fache fahrbare Schutzwand für durchaus genügend und er zieht das Fazit, 
daß die Frage, welche Schutzmaßregeln die besten seien, nicht allgemein- 
gültig zu beantworten sei und daß der Arzt sich aus den verschiedenen 
Möglichkeiten denjenigen Modus auswählen solle, der seinen persönlichen 
Bedürfnissen und dem ihm zur Verfügung stehenden Raum am besten 
entspreche. Er kommt also bezüglich des Sekundärstrahlenschutzes 
zu einem non liquet. Auch das Merkblatt der deutschen Röntgengesell- 
schaft nimmt in dieser Frage keine klare Stellung. Es wird dort zwar zu- 
gegeben, daß der beste Schutz ein solcher ist, bei welchen die Schutz- 
schichten entweder die ganze Röhre als Schutzkasten oder den ganzen 
Untersucher als Schutzhütte umgibt, aber diese Tatsache wird wieder 
abgeschwächt, denn es heißt weiter: „Im Interesse der Beweglichkeit 
der Röhre erscheint es jedoch zweckmäßig, den Schutz in der Weise zu 
bewirken, daß man die Röhre nur mit einer Kappe umgibt, dann aber 
außerdem noch eine Schutzwand vorsieht, hinter welcher sich der Arzt 
während des größten Teiles der Arbeitszeit aufzuhalten hat.“ Auch bei 
dieser letzten Anordnung ist natürlich ein absoluter Schutz, d. h. ein 
Schutz auch gegen Sekundärstrahlen nicht gegeben. 

Diese nicht unerheblichen Differenzen in den Anschauungen sind 
vielleicht z. T. darauf zurückzuführen, daß diejenigen Autoren, welche 
Sekundärstrahlenschutz für unnötig halten, sich darauf berufen können, 


Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 847 


daß die tierexperimentellen Untersuchungen, welche angestellt wurden, 
um die Frage zu entscheiden, ob den Sekundärstrahlen eine nennenswerte 
biologische Energie innewohne, zu einem Ergebnis bisher nicht geführt 
haben. Diese Versuche waren alle negativ. Albers-Schönberg betont 
ausdrücklich, daß er Meerschweinchen monatelang während der regulären 
Röntgenarbeit auf 1,50 m Distanz den sekundären Glasstrahlen ausge- 
setzt hätte, wodurch aber die durch direkte Bestrahlung hervorgerufenen 
Testikel-Ovarienschädigungen nicht zustande gekommen seien. Auch 
die neueren Untersuchungen von Albers-Schönberg über Sekundär- 
strahlenwirkung, die mit ganz ähnlicher Versuchsanordnung angestellt 
sind wie die unserigen, aber zur Beantwortung einer anderen Fragestellung 
dienten, fielen völlig negativ aus,!) und wenn dieser Autor stets für einen 
absoluten Röntgenschutzplädierte, 
so geschah das mehr aus Vorsicht, 
denn er sagt in seinem Lehrbuche, 
ob die Sekundärstrahlen imstande 
seien, Schädigungen an der Haut 
oder den inneren Organen hervor- 
zurufen, müsse unentschieden blei- ER 
ben. Angesichts dieser Sachlage DI hströhlenspender 
schien es uns von einem gewissen Fig. 1. 

Interesse zu sein, in einer Reihe 

experimenteller Untersuchungen der biologischen Wirkung der Sekundär- 
strahlen unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. 







DELTZIITITITTIIIIIIDIIITIEI IE 


D a Object 


Die Versuche wurden an Tieren und Pflanzen angestellt. Bei den 
ersten Versuchen wählten wir eine Versuchsanordnung, ähnlich der von 
Guilloz angegebenen.?) Ein 100 gem großes Stahlstück, das der besseren 
Undurchlässigkeit wegen unter den 15 mm starken Stahl noch eine 2? mm 
starke Bleiplatte trägt, hat in der Mitte einen rechteckigen Ausschnitt, 
dessen lange Seite 10 em und dessen kurze Seite 4 cm lang sind. Über 
der Mitte des Rechtecks wurde eine in einem Röhrenkasten befindliche 
Burger-Tiefentherapieröhre derartig aufgestellt, daß der Brennpunkt 


1) Das Ergebnis unserer Versuche wurde in der Kieler medizinischen Gesell- 
schaft Juni 1913 zuerst mitgeteilt. Da die Versuche von Albers-Schönberg 
in dem akademischen Ferienkurse Juli 1913 zuerst mitgeteilt sind, so sind sie 
gleichzeitig angestellt. Die Kaulquappenversuche von Gauß und Lembke, so- 
wie die Experimente von Pagenstecher wurden in Verfolgung ganz anderer 
Probleme angestellt, und kommen für die Frage des Röntgenschutzes nicht in 
Betracht. 

2, Guilloz, Comptes rendus 1900/01. Zit. nach Gauß und Lembke, Sonder- 
band der „Strahlentherapie“ 1912. 

54* 


848 Krüger, 


8 cm, die tiefste Stelle des Röhrenglases 38 cm von der Oberfläche des Eisens 
entfernt war. Durch das Rechteck der Stahlplatte gelangten die Strahlen 
auf einen in einer gewissen Entfernung darunter liegenden Körper (Leder, 
Glas, Aluminium, Blei) der als Sekundärstrahlenspender fungierte. Die 
durch die Sekundärstrahlen zu beeinflussenden Objekte wurden so unter 
der Eisenplatte angebracht, daß sie nur von Körpersekundärstrahlen, 
nicht aber von Primärstrahlen oder den Glasstrahlen der Röntgenröhre 
getroffen wurden, die natürlich nicht diese dicke Metallplatte durchsetzen 
konnten. Zunächst prüften wir die Sekundärstrahlenwirkung mit Hilfe 
von Kienböckstreifen, die wir in einer Entfernung von je 5 cm von den 
beiden langen Rechteckseiten entfernt an der Unterseite der Eisenplatte 
anklebten. Die Sekundärstrahlenspender wurden parallel zur Eisen- 
bleiplatte in einer Entfernung von 5 cm von ihrer Unterfläche angebracht, 
und um Vergleiche anstellen zu können über die Intensität der von den 
einzelnen Objekten gelieferten Sekundärstrahlung, nahmen wir immer 
zwei Sekundärstrahlenspender auf einmal, die dann so plaziert wurden, 
daß sie sich unter der Mitte des Rechtecks berührten, so daß der eine 
Kienböckstreifen z. B. vom Holz, der andere vom Leder die Sekundär- 
strahlen erhielt. Wir bestrahlten dann in dieser Anordnung jedesmal 
1!/, Stunden bei einer Belastung von 2!/, Milliampere, Härte B.W. 6. 
Die Versuche gaben folgendes Resultat: Der Kienböckstreifen, der von 
den Sekundärstrahlen des Holzes getroffen war, zeigte die Dosis 7X, 
der mit ihm zu gleicher Zeit mit den Sekundärstrahlen des Leders bestrahlte 
Streifen zeigte 7!/, X. Leder und Holz erwiesen sich also in ihrer Eigen- 
schaft als Sekundärstrahlenspender beinahe gleich. Die in derselben Art 
angestellten Versuche mit Holz und Glas ergaben für Holz 7 X, für Glas 
91/, X. Die ebenso durchgeführten Versuche mit Holz und Blei ergaben 
für Holz 71/, X, für Blei 2X. Daraus folgt also, daß das Glas, verglichen 
mit Holz und Leder, nur die Hälfte an Sekundärstrahlen aussendet 
(gemessen am photographischen Objekt), Blei dagegen weniger: nur un- 
gefähr 1/4- 

Wir gingen nun zu den Pflanzenversuchen über und zwar wählten 
wir als Versuchsobjekt wieder Erbsenkeimlinge, d. h. Keimlinge des 
zweiten Quellungstages, die sich uns schon wiederholt bei Experimenten 
als ein sehr zweckmäßiges Objekt erwiesen hatten.!) Die Erbsen wurden 
parallel zu den Längsseiten des Rechteckes so gelagert (am zweckmäßigsten 
erwies cs sich, sie in einem dünnen Schleier unter der Eisenblende auf- 
zuhängen), daß sie vollständig von der darüber befindlichen Eisenblende 


1) Vgl. auch G. Schwarz, Mitteilungen aus dem Laboratorium für radio- 
logische Diagnostik und Therapie zu Wien. Heft 2. 1907. 


Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 849 


bedeckt waren und durch das Rechteck auch keine sekundären Glas- 
strahlen der Röntgenröhre an sie gelangen konnten. Auf der einen Seite 
lagen drei Reihen Erbsen, auf der anderen Seite lagen zwei Reihen. Als 
Sekundärstrahlenspender diente in der ersten Versuchsreihe Leder. 
Bestrahlt wurde drei Stunden bei einer Belastung von 8!/, MA. und einer 
Härte von B.W. 6. Die Erbsen wurden jetzt in 2 Beete gepflanzt, und zwar 
kamen die drei Reihen der einen Seite zusammen mit den unbestrahlten 
Kontrollerbsen in ein Beet und die zwei Reihen der anderen Seite auch mit 
Kontrollerbsen zusammen in ein zweites Beet. Das Resultat war ganz 
eindeutig, wie aus folgender Tabelle hervorgeht: 


Tabelle I. 


Länge der bestr. Pflanzen 









Länge der Kontrollen am 










am 
13. Tage | 18. Tage | 13. Tage | 18. Tage 
I j 1. Reihe Erbsen . 47 149 
Beet ) 2. Reihe Erbsen . 49 149 65 193 
3. Reihe Erbsen . 57 166 
LI. 1. Reihe Erbsen . 39 127 68 194 
Beet | 2. Reihe Erbsen . 58 179 


Tabelle II. 


Grad der Wachstum- 
schädigung am 
13. Tage | 18. Tage 





1. 1. Reihe Erbsen. . 27% 23% 
Beet 2. Reihe Erbsen. . 25% 23% 
3. Reihe Erbsen. . 12 % 14% 

II. | 1. Reihe Erbsen. . 45% ! 341% 
Beet | 2. Reihe Erbsen. . 15 % | 8% 


Man sieht aus diesen Tabellen die Wachstumsbehinderung der be- 
strahlten Erbsen im Vergleich zu den unbestrahlten Kontrollerbsen, und 
zwar ist die schädigende Wirkung der sekundären Strahlen auf die Erbsen 
um so größer, je näher sie dem Emissionszentrum gelegen haben. Das 
ist ja auch ganz begreiflich, da die Sekundärstrahlen an Intensität mit 
der Entfernung abnehmen. Aus der 2. Messung am 18. Tage nach 
der Bestrahlung ersieht man ferner noch, daß die Wirkung der Strahlen 
nachzulassen beginnt; die geschädigten Erbsen erholen sich wieder, eine 
Beobachtung, die wir schon früher bei unseren anderen Erbsenversuchen 


850 Krüger, 


gemacht hatten und die mit der bekannten biologischen Wirkung der 
primären Strahlen übereinstimmt, daß nämlich durch mittlere Dosen 
die Zellen in ihrer Strahlungsenergie nur vorübergehend gelähmt werden, 
so daß nach einiger Zeit eine Erholung eintritt. 

In einer zweiten Versuchsreihe bestrahlten wir wiederum mit gleich- 
zeitiger Verwendung von 2 Sekundärstrahlenspendern: Leder und Glas. 
Wir legten daher eine quadratische Leder- und Glasplatte so aneinander, 
daß sich die beiden Kanten berührten und stellten die Eisenbleiblende 
darüber so auf, daß die Mitte des ausgeschnittenen Rechtecks sich genau 
über der Berührungslinie des Leders und des Glases befand. Um elektri- 
sche Entladungen zu vermeiden, wurde die Oberfläche der Blende noch mit 
zweifacher Lage von Müllerschem Schutzstoff belegt. Die Erbsenkeim- 
linge befanden sich auf der einen Seite unter der Einwirkung der Leder- 
sekundärstrahlen, auf der anderen Seite unter der Einwirkung der Glas- 
sekundärstrahlen, sie waren auf beiden Seiten gleich weit von der Mittel- 
linie entfernt. Um die Keimlinge frisch und feucht zu erhalten, wie die 
Kontrollen, wurde zwischen sie und und die Blende eine Lage feuchter 
Watte gebracht. Die einzelnen Maße waren folgende: 

Abstand des tiefsten Punktes des Röhrenglases von der Oberfläche 


der Blende 2,5 cm 
Abstand des tiefsten Punktes des Röhrenglases von der Oberfläche 

der Sekundärstrahlenspender 6 cm 
Abstand der ersten Erbsenreihe vom Rande des Rechtecks 8 cm 


Bestrahlt wurde nun mit einer harten Röhre 1!/, Stunden mit einer 
Belastung von 2!/, MA. und Strahlenhärte B. W. 6. Die bestrahlten 
Erbsen wurden mit den Kontrollerbsen in zwei Beete gepflanzt derart, 
daß in jedes Beet von jeder Erbsenreihe die halbe Anzahl Keimlinge kam. 
Es war nun zu erwarten und es war eine Probe auf die Exaktheit dieser 
Versuche, daß eine Differenz im Wachstum der Keimlinge eintrat: Die 
von den Ledersekundärstrahlen getroffenen Keimlinge mußten stärker 
beeinflußt werden als die von den Sekundärstrahlen des Glases beein- 
flußten. Das Resultat ergibt sich aus Tabelle III. 

Die Tabelle zeigt deutlich eine verschiedenartige Beeinflussung der 
Erbsen, je nachdem ob sie vom Leder oder vom Glas beeinflußt sind. 

Beim ersten Beet sehen wir am 13. Tage nach der Bestrahlung, daß 
die erste Reihe der über dem Leder gelegenen Erbsen um 18%, geschädigt 
ist, denen nur eine Schädigung von 7%, bei den entsprechenden mit den 
Sekundärstrahlen des Glases bestralilten Erbsen gegenübersteht. Die 
zweite Erbsenreihe weist infolge des größeren Abstandes von der Sekundär- 
strahlenquelle eine geringere Wachstumshemmung auf, 9%, auf der einen 
und 2% auf der anderen Seite, und bei den am entferntesten gelegenen 


Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 851 


Erbsen der 3. Reihe sehen wir, ähnlich wie in früheren Versuchen, einen 
Umschlag der Wachstumshemmung in eine Wachstumsbeschleunigung, da 
hierher die Strahlen nur in einer reizenden, nicht lähmenden Dosis gelangt 
sind. Die am 17. Tage vorgenommenen Messungen zeigen analoges Ver- 
halten. Es kommt bei dieser zweiten Messung außerdem noch zum Aus- 
druck, wie allmählich eine Erholung der Pflanzen von der Strahlen- 
beeinflussung eingetreten ist. Im zweiten Beet finden wir durchaus 
analoge Verhältnisse. 


Tabelle III. 





Grad der Wachstums- 

beeinflussung im Ver- 

gleich zu den Kon- 
trollerbsen am 


Länge der Pflanzen 


am 


13. Tage | 17. Tage | 13. Tage | 17. Tage 











1. Reihe 45 117 — 18% | — 9% 
| Leder-Erbsen {2. Reihe 50 138 — 9%] + 7% 
3. Reihe 61 130 + 10% | + 1% 
LB 1. Reihe 51 120 — 7% 6% 
‚ Beet | Glas-Erbsen | 2. Reihe 54 132 — 2% | + 3% 
3. Reihe 58 139 + 5% 8% 

Kontrollerbsen 55 128 
1. Reihe 48 125 — 11% | — 5% 
Í Leder-Erbsen 1 Reihe 55 133 + 2% | + 2% 
3. Reihe 64 145 + 16% | + 10% 
II. Beet 1. Reihe 65 136 + 2% | + 4% 
« Deet 1 Glas-Erbsen | 2. Reihe 63 142 +14% | + 8% 
3. Reihe 13 149 + 26% | + 12% 





| Kontrollerbsen 54 131 


Noch ein dritter Versuch sei hier erwähnt, wobei als Sekundärstrahlen- 
spender auf der einen Seite Leder und auf der anderen Blei genommen 
wurde. 


Die Bestrahlung dauerte 2!1/, Stunden bei einer Röhrenbelastung 
von 2i/ MA. und einer Härte von B. W. 6. Gepflanzt wurden die Erbsen 
wieder wie im vorigen Versuche. Aus Tabelle IV ersehen wir die Wirkung 
dieser Bestrahlung: 


852 Krüger, 


Tabelle IV. 





Grad d. Wachstum- 

beeinflussung im Ver- 

gleichzu den Kontroll- 
erbsen 






Länge der 
Pflanzen am 
12. Tage 





1. 
Leder-Erbsen | 9, 
3. 


1. Reihe 13 — 42% 
Blei-Erbsen | 2. Reihe 113 — 1% 
3. Reihe 135 + 7% 

Kontroll-Erbsen 127 
1. Reihe 45 — 64% 
Leder-Erbsen | 2. Reihe 89 — 29% 
3. Reihe 109 — 13% 
nn 1. Reihe 62 — 50% 
= Blei-Erbsen | 2. Reihe 121 — 3% 
3. Reihe 133 + 6% 

Kontroll-Erbsen 124 


Auch bei diesem Versuche erkennen wir dieselbe biologische Wirkung 
der sekundären Strahlen wie bei den vorigen Versuchen. Infolge der län- 
geren Bestrahlungsdauer ist die Beeinflussung der Keimlinge aber grübßer 
als das vorige Mal. Der Unterschied in der Wirkung der Sekundärstrahlen 
des Leders und des Bleis tritt in den einzelnen Zahlen besonders schön 
hervor. 

Im ersten Beet z. B. entspricht eine Schädigung der von Leder- 
sekundärstrahlen getroffenen Erbsen von 75% einer Schädigung der von 
Bleisekundärstrahlen beeinflußten Erbsen von nur 42% und in der letzten 
Erbsenreihe steht den 7% Hemmung eine Förderung von 7% gegenüber. 
Im zweiten Beet ist der Befund analog. 

Aus den bisher angeführten Versuchen geht unzweideutig hervor, 
daß die sekundären Röntgenstrahlen, die in anorganischen Massen ent- 
stehen, wie sie das Glas und das Blei darstellen, und in totem tierischen 
Gewebe, wie es das Leder ist, eine biologische Wirksamkeit entfalten. 
die derjenigen primärer Strahlung durchaus analog ist. Wir steht es nun 
aber mit den sekundären Strahlen, die in lebendem Gewebe entstehen? 
Darüber sollte uns folgender Versuch Aufschluß geben. 

Geprüft wurden die Sekundärstrahlen, die in einem lebenden Merr- 


Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 853 


schweinchen entstehen. Dazu eignete sich die alte Versuchsanordnung 
nicht wegen der durch die Eisenblende beschränkten Verhältnisse. Daher 
gingen wir zu einer ganz anderen Versuchsanordnung über und konstru- 
ierten eine neue Blende. Zu diesem Zweck nahmen wir 6 Bleiplatten von 
l mm Dicke, in die wir in der Mitte verschieden große kreisrunde Löcher 
schnitten. Das engste Loch hatte einen Durchmesser von 4!/, em, das 
weiteste einen solchen von 12 cm. Diese Bleiblenden fügten wir unter 
einander in Zwischenräumen je von 1 cm zusammen, so daß die Blende 
mit der kleinsten Öffnung der Röhre am nächsten war und die nächst- 
größere Blende dann immer der kleineren folgte. Diese so treppenartig 
zusammengesetzte Blende, die also einen nach unten offenen Trichter 
darstellte, wurde nun an einem Tiefentherapieröhrenkasten befestigt. 
Sie sollte vor allem dazu dienen, die sekundären Glasstrahlen abzublenden. 
In der Ebene der weitesten, also der untersten, Blende, an ihrem Außen- 
rande, wurde nun ein nach der Seite zu offener Zylinder, 5 cm lang, ange- 
bracht, der mit 5 mm starkem Blei bedeckt war. Um die äußere Öffnung 
dieses Zylinders wurde noch ein großes 5 mm dickes Bleiblech aufgestellt, 
so daß dadurch der ganze Blendenapparat und der Kasten mit der Röhre 
verdeckt wurden. Diese Anordnung war so getroffen, daß wir sicher waren, 
daß keine primären Strahlen und auch keine sekundären Glasstrahlen 
der Röhrenkugel mehr durch die Außenöffnung des Seitenzylinders ge- 
langen konnten. Der Beweis dafür wurde folgendermaßen erbracht. 
Setzte man die Röhre in Betrieb und hielt nach völliger Dunkeladaption 
der Augen einen Leuchtschirm vor dieses große Bleiblech, in dem sich 
unten der Ausschnitt des Zylinders befand, so blieb der ganze Schirm 
in völliges Dunkel gehüllt; nur eine ganz schwache gerade eben wahr- 
nehmbare Fluoreszenz war an der Stelle des Zylinderausschnittes zu kon- 
statieren. Diese Fluoreszenz rührte offenbar von den Sekundärstrahlen 
her, die sich in der Luft unter der Röhre bildeten. Hielt man nun unter 
die zusammengesetzte Röhrenblende irgend welche Körper, auf die die 
primären Strahlen trafen, dann leuchtete der Baryumplatinzyanürschirm 
deutlich auf. Dieses Aufleuchten stammte ohne Zweifel von den sekun- 
dären Strahlen, die aus den unter die Röhre gehaltenen Körpern herrührten 
und durch den Seitenzylinder hindurchtraten; denn es verschwand sofort 
wieder, wenn man die betreffenden Körper fortnahm. Ganz bequem 
konnte man auf diese Weise wieder die Unterschiede in der Intensität 
der Strahlenemission, z. B. in Holz und Blei, feststellen.!) 

Für unseren neuen Versuch nahmen wir jetzt ein Meerschweinchen, 


!) Unsere Blende ist ähnlich wie die von Bauer angegebene („Fortschritte‘ 
Bd. XX), ist aber völlig unabhängig von dieser Publikation entstanden, denn sie 
war längst fertig, bevor uns die Bauersche Anordnung zu Gesicht kam. 


854 Krüger, 


das wir in einer Hängematte aus Mull unter der Blende aufhingen, so daß 
die sekundären Strahlen, welche durch den seitlichen Bleizylinder traten, 
nur aus dem Meerschweinchen ohne Beimengung von sekundären Strahlen 
anderer Körper stammen mußten, denn die in dem dünnen weitmaschiren 
Mullgewebe der Hängematte entstehenden Strahlen konnten wir vernach- 
lässigen, da sie kaum eine wahrnehmbare Fluoreszenz erzeugten. Unsere 
Erbsenkeimlinge brachten wir nun in dem äußeren Ausschnitt des Blei- 
zylinders an und bestrahlten dann den Sekundärstrahlenspender, also 
das Tier 3 Stunden bei einer Röhrenbelastung von 1 MA. und einer Härte 
von B. W. 6. Die interessierenden Maße waren folgende: 
Entfernung der Mitte des Meerschweinchens vom Brennpunkt der 

Röhre 22 cın 
Entfernung der Erbsen von der Seitenfläche des Meerschweinchens 12 cm 

Gepflanzt wurden die Erbsen mit ihren Kontrollen zusammen in 
zwei Beete. Da alle bestrahlten Erbsen ungefähr gleich weit von der 
Sekundärstrahlenquelle entfernt waren und somit dieselbe Dosis erhalten 
hatten, wurden sie nicht in besonderen Reihen gepflanzt wie früher. 


Folgende Tabelle zeigt das Ergebnis der Bestrahlung: 


Tabelle V. 








Grad der Wachstum- 
beeinflussung am 


11. Tage | 13. Tage 
+ 18% +6% 





Länge der Pflanzen am 





11. Tage | 13. Tage 





I. Bestrahlte Erbsen . 
Beet ! Kontroll-Erbsen . 


II. Bestrahlte Erbsen . 
Beet ! Kontroll-Erbsen . 


+19% | +6% 


Wir sehen also aus dieser Tabelle, daß auch im lebenden Tier biolo- 
gisch wirksame Sekundärstrahlen entstehen, woran wir schon nach den 
vorigen Versuchen nicht mehr gezweifelt hatten. Die biologische Wirk- 
samkeit kommt hier zum Ausdruck in einer Wachstumsförderung der 
bestrahlten Pflanzen, was uns nicht Wunder nimmt, wenn wir die größeren 
Entfernungen berücksichtigen, die sowohl die primären wie die sekundären 
Strahlen in dieser Versuchsanordnung zurückzulegen hatten, und die 
geringere Röhrenbelastung, bei der die Bestrahlung ausgeführt wurde. 
Die Erbsen waren übrigens in beiden Beeten selten gleichmäßig gewachsen. 
Als Nebenbefund registrieren wir, daß das primär bestrahlte Meerschwein- 
chen unter Reizerscheinungen von Seiten des Nervensystems nach wenigen 
Stunden einging. 


+ 


Experimentelle Untersuchungen zam Röntgenschutz. 855 


Unsere Untersuchungsreihe über die biologische Sekundärstrahlen- 
wirkung beendigten wir mit einem Versuche, der uns demonstrierte, 
daß die in einem Tier entstehenden Sekundärstrahlen die 
radiosensiblen Organe eines anderen Tieres in hohem Maße 
zu schädigen vermögen. 


Zu diesem Zwecke benutzten wir wieder die soeben beschriebene 
zusammengesetzte Blende mit einem lebenden Meerschweinchen als 
Sekundärstrahlenspender. Die Versuchsanordnung war also die gleiche 
wie das vorige Mal. Das zu bestrahlende Kaninchen brachten wir in 
solcher Stellung an, daß die Hoden und ihre nächste Umgebung vor den 
Zylinderausschnitt kamen, also nur diese Stellen von sekundären Strahlen 
getroffen werden konnten. Das ganze übrige Kaninchen war geschützt 
sowohl vor primären wie vor sekundären Strahlen. Der eine Hoden des 
Tieres wurde in dem Versuche mit Y/, mm Blei abgedeckt, damit er uns 
zur Kontrolle diente zum Vergleich mit dem zweiten. von Sekundär- 
strahlen getroffenen Hoden. Das Tier wurde 3 mal bestrahlt. Die Be- 
strahlungszeiten seien im folgenden wiedergegeben: 


1. Bestrahlung: 4 Stunden bei 2 MA., nach 2 Tagen 
2. Bestrahlung: 3 Stunden bei 1,2 MA., nach 4 Wochen 
9. Bestrahlung: 4 Stunden bei 1,7 MA. 


Die Entfernungen waren genau wie in dem vorigen Versuche: 
Strahlenquelle bis Mitte des Sekundärstrahlenspenders: 22 cm und 
Seitenfläche des primär getroffenen Tieres bis zu den Testikeln des 
zweiten: 12 cm. 

4 Wochen nach der letzten Bestrahlung wurde das Kaninchen, das 
gesund geblieben war, getötet. Schon makroskopisch unterschied sich der 
bestrahlte Hoden von dem unbestrahlten dadurch, daß er völlig ge- 
schrumpft war, er war nur noch ungefähr halb so groß wie dieser. 


Im mikroskopischen Bilde sahen wir dann all die schweren Verände- 
rungen genau wie bei primär bestrahlten Hoden und wie sie zur Ge- 
nüge bekannt sind, so daß sich eine weitere Beschreibung erübrigt. Deı 
Kontrollhoden wich vom normalen Befunde nicht ab. Die beiden Bilder 
mögen den Unterschied in den beiden Hoden veranschaulichen. 

Wenn wir resumieren, so sehen wir, daß von drei Tieren (Meerschwein- 
chen), die im Laufe von vier Wochen in drei Sitzungen aus einer bei 
Tiefenbestrahlungen üblichen Entfernung von 22 cm zusammen 11 Stunden 
mit einer harten Strahlung vom Typ B. W. 6 bestrahlt wurden, eine Sekun- 
därstrahlenmenge ausgeht, die genügte, in einer Entfernung von 12cm von 
dem tierischen Sekundärstrahlenspender in den Testikeln eines anderen 
Versuchstieres die schwersten Zerstörungen des sammenbildenden Apparates 


Krüger. 


856 





Fig. 2. 
Normaler Hoden. 





Fig. 3. 
Zerstörung der Spermatogenese durch sekundäre Röntgenstrahlen. 


Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 857 


herbeizuführen, also eine Wirkung ausüben, die der Strahlenwirkung 
primärer Strahlung durchaus analog ist. 

Ferner ließ sich nachweisen, daß Holz und Leder und ebenso Glas 
und Blei eine Sekundärstrahlung emittiert, die in einer Entfernung von 
einigen Zentimetern von ihrem Ausgangspunkt biologische Wirkungen 
auf Pflanzenkeimlinge auslöst, die ebenfalls qualitativ und quantitativ 
sich in nichts von derjenigen primärer Stellungen unterscheiden. Die 
mit Hilfe von Kienböckstreifen registrierten Sekundärstrahlendosen 
ergaben Wirkungen, die wir bei einer gleichen Dosis primärer Strahlung 
in allen Einzelheiten bei früheren Versuchen genau so beobachten konnten, 
Wirkungen, die sich an Pflanzenkeimlingen ganz vorzüglich studieren 
ließen: Bei kleineren Dosen Anreiz zu schnellerem Wachstum gegenüber 
den Kontrollpflanzen, von einer ganz bestimmten Strahlendosis an schlägt 
dieser Wachstumsanreiz in eine Wachstumshemmung um, deren Grad 
durchaus proportional der absorbierten Strahlenmenge ist. Nach Ablauf 
einer bestimmten Zeit tritt eine Erholung der geschäligten Zellen ein, die 
Regenerationskraft der Zelle überwindet allmählich die durch die Strahlen 
bedingte Zellschädigung. Die biologische Wirkung des Sekundärstrahlen- 
gemisches, welche von Holz oder Leder emittiert sind, erwies sich bei 
unserer Versuchsanordnung immer stärker als die von Glas oder Blei aus- 
gehende Strahlung. 

Eine genauere Analyse der Sekundärstrahlengruppen und ein genaueres 
Studium der Wirkung jeder einzelnen derselben wird Gegenstand einer 
besonderen Arbeit sein. In dieser Beziehung wollen wir nur hervorheben, 
daB das von Blei ausgehenden Sekundärstrahlengemisch, in dem die 
homogenen charakteristischen Sekundärstrahlen entsprechend dem hohen 
Atomgewicht des Bleis überwiegen, bei der Bestrahlung mit primärer 
harter Strahlung vom Typ B. W.6in einer Entfernung von einigen 
Zentimetern von ihrem Ausgangspunkt eine wesentlich schwä- 
chere Wirkung entfaltete als das z. B. durch Leder entstandene Sekun- 
därstrahlengenisch, in welchem die durch Streuung entstandene Strahlung 
allein in Betracht kommt. 

Wir glauben aus diesen Untersuchungen den Schluß ziehen zu dürfen, 
daß wir bei Einrichtung des Röntgenschutzes in röntgentherapeutischen 
Laboratorien dem Schutz vor Sekundärstrahlen erhöhte Beachtung 
schenken müssen. Das gilt namentlich für solche Institute, wo täglich 
viele Stunden lang mit harten Strahlen gearbeitet wird. Wenn die Ge- 
fahr auch nicht übertrieben zu werden braucht, so liegt es 
doch durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß mit der Zeit durch 
Summierung der täglichen Einwirkung der Sekundärstrahlen sich bei 
den Angestellten gerade dieser Laboratorien schwere Schädigungen ein- 


858 Krüger, Experimentelle Untersuchungen zum Röntgenschutz. 


stellen können. Wir schließen uns daher insoweit der Anschauung von 
Albers- Schönberg und Walter an, als wir für röntgentherapeuti- 
scheLaboratorien einen absoluten Röntgenschutz empfehlen. Die Ver- 
hältnisse liegen hier insofern anders wie bei der Röntgendurchleuchtung, 
als hier sicher die zur Einwirkung kommenden Sekundärstrahlendosen 
größere sind und sie liegen insofern günstiger, als die Einrichtung eines 
absoluten Röntgenschutzes sich für röntgentherapeutische Laboratorien 
viel einfacher durchführen läßt. Die praktische Durchführung derselben 
ist in mehrfacher Art möglich: einmal durch Einbau des von Albers- 
Schönberg angegebenen Schutzgehäuses oder aber dadurch, daß man 
den Standpunkt des Arztes gänzlich aus dem Bestrahlungszimmer in ein 
mit Blei geschütztes Nebenzimmer verlegt, oder durch Einrichtung eines 
getrennten großen Regulierraumes. Bei diesem letzteren Modus, der 
vielleicht für größere Laboratorien mit mehreren Röntgenapparaten der 
zweckmäßigste ist, wird nicht, wie Albers-Schönberg es will, der Arzt, 
sondern der Patient mit der ihn bestrahlenden Röntgenröhre vollkommen 
in Bleiwände eingeschlossen, so daß jetzt der Arzt sich frei bewegen kann, 
ohne sich den Strahlen auszusetzen. Hat man z. B. drei Röntgenapparate, 
die nebeneinander in Betrieb sind, so bedient jeder Röntgenapparat 
einen Bestrahlungsraum, der allseitig von bleibedeckten 
Wänden umgeben ist. Die drei Bestrahlungskammern sind zugängig 
von dem großen Regulierraum, in dem alle Schaltapparate und alle Hilfs- 
instrumente, die zur Kontrolle der Konstanz der Röhren dienen, montiert 
sind, von dem aus die Distanzregulierung für die Röhrenhärte gehandhabt 
wird, und von dem aus durch je ein Bleiglasfenster der Patient und die 
ihn bestrahlende in einen Kasten eingeschlossene Röhre überwacht werden 
kann. Diese letztere Form des absoluten Röntgenschutzes ist z. B. schon 
seit mehreren Jahren in dem Kieler Institut für Strahlentherapie ein- 
gerichtet und hat sich sehr bewährt. 


Aus dem Institut für Strahlenbehandlung der Dermatol. Klinik in Kiel 
(Dir. Prof. Dr. Klingmüller, Leiter des Instituts Priv.-Doz. Dr. Meyer). 


Zur Frage der Fernwirkung der Röntgenstrahlen. 
Von 


Dr. R. Krüger, Kiel. 


Er viel diskutierte Frage in der biologischen Strahlenwirkung ist die, 
ob eine Fernwirkung der Strahlen in dem Sinne möglich ist, daß bei 
der Röntgen- bzw. Radiumbestrahlung sich unter der Wirkung der ab- 
sorbierten Strahlenenergie gewisse Substanzen bilden, welche auf dem 
Blut- oder Lymphwege sich verbreiten und fern von dem Ort ihrer Ent- 
stehung an bestimmten Geweben, zu denen sie eine besondere Affinität 
haben, ähnliche Wirkungen entfalten können, wie solche bei der direkten 
Bestrahlung auftreten würden. 

Die theoretischen Grundlagen für die Möglichkeit einer solchen 
Fernwirkung sind ja gegeben in den klassischen Arbeiten Werners über 
die chemische Imitation der Strahlenwirkung. Dieser Autor konnte 
nachweisen, daß, wenn ein unter der Strahlenwirkung aus dem Lezithin 
sich abspaltender Körper, das Cholin, in die Blutbahn gebracht wird, 
dieses an radiosensiblen Organen dieselben Veränderungen setzt, als wenn 
diese Organe der direkten Strahlenwirkung ausgesetzt worden wären, 
und da den vier Wiener Autoren Benjamin, Reuß, Skluka und 
Schwarz der Nachweis eines quantitativ gesteigerten Cholingehaltes des 
Blutes nach intensiven Röntgenbestrahlungen im Tierversuch gelang, 
so ist damit der theoretische Beweis für die Möglichkeit einer Fernwirkung 
gegeben. Der Vorgang könnte sich also so abspielen, daß in einem primär 
von Strahlen getroffenen Gewebe bei dem Zerfall der Zellen neben den 
anderen Bausteinen der Zelle auch das Lezithin gespalten wird, bei der 
Lezithinspaltung wird Cholin entstehen, dieses wird mit den anderen 
Abbauprodukten der Zelle dem Blutstrom beigemischt und wird auf diesem 
Transportweg zum Teil durch die Nieren ausgeschieden, zum anderen Teil 
auch zu anderen radiosensiblen Organen gelangen und hier der Strahlen- 
wirkung analoge Veränderungen auslösen. 

Es liegen eine Reihe von Beobachtungen vor, welche dafür sprechen, 
daß dieser Modus möglich ist. Wir wissen, daß nach einer Röntgenbe- 
strahlung eine Röntgenisierungsleukozytose einsetzt, die etwa zwel 
Stunden nach der Bestrahlung beginnt, im Laufe von 24 Stunden aber 


860 Krüger, 


wieder abklingt, so daß das Blutbild nach dieser Zeit zur Norm wieder 
zurückgekehrt ist. Es ıst nun sehr wesentlich, daß diese Leukozytose, 
wie die erwähnten Wiener Forscher fanden, zeitlich zusammenfällt mit. 
dem Auftreten des Cholins im Blute, so daß nicht daran zu zweifeln ist, 
daß zwischen diesen beiden Erscheinungen ein Zusammenhang besteht. 
Da diese Leukozytose nun — wie wir in zahlreichen Untersuchungen nach- 
weisen konnten, besonders ausgesprochen ist bei Bestrahlung der Abdomi- 
nalregion, der Halsgegend (namentlich bei derBestrahlung der Halsdrüsen), 
bei Bestrahlung des Thorax, der Achselhöhle und der Inguinalbeugen — 
weniger stark, aber doch immerhin deutlich nachweisbar bei Extre- 
mitätenbestrahlung — niemals aber von uns beobachtet wurde bei iso- 
lierter Bestrahlung des Schädels (bei Epilationen), trotzdem gerade doch 
hier relativ große Dosen zur Verwendung gelangen, so liegt die Annahme 
nahe, daß es die Zellen des Ilymphoiden Gewebes (Lymphdrüsen, Darm- 
follikel, Milz) sind, welche diese Erscheinung auslöst. Dieses Gewebe ist 
außerordentlich strahlenempfindlich, so daß schon relativ geringe Dosen 
genügen, um einen, wenn auch nur geringfügigen Zerfall des Iymphoiden 
Gewebes herbeizuführen. Das dabei spurenweise auftretende Cholin 
wirkt jetzt im Sinne einer Reizung auf die hämatopoetischen Organe, 
so daß eine Hyperleukozytose resultiert. Der Beweis für die Richtigkeit 
dieser Anschauung konnte dadurch erbracht werden, daß Cholin in ge- 
ringen Dosen einem Tier in die Blutbahn gespritzt in der Tat zu einer Leuko- 
zytose führt, die der beschriebenen Röntgenisierungsleukozytose analog 
ist. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß genau wie die Hyper- 
leukozytose auch die bekannten Allgemeinsymptome (Übelkeit, Er- 
brechen, Mattigkeit), welche nicht nur bei Abdominalbestrahlungen, son- 
dern auch bei Bestrahlung der Halsregion und anderer Körpergegenden, 
wo lymphoides Gewebe getroffen werden kann, auftreten, auf einer Wir- 
kung des aus zerfallenen Zellen sich abspaltenden Cholins beruht, eine 
Anschauung, die ja auch von Christoph Müller vertreten worden ist und 
dıe weiter an Wahrscheinlichkeit gewinnt durch die Erfahrung, daß die 
Intensität dieser Allgemeinsymptome parallel zu gehen pflegt mit der 
Größe des Zellzerfalls. Dieser ganze Vorgang ist also eine 
Fernwirkung. 

Mit diesen Ausführungen lassen sich die Beobachtungen, die man bei 
der Radiotherapie der Leukämie machen kann und die ebenfalls für 
eine Fern wirkung sprechen, sehr gut in Einklang bringen. Wir wissen 
namentlich aus den Untersuchungen von Kienböck und Decastello, 
daß die Beobachtungen, welche bei den Röntgenbestrahlungen der mye- 
loiden Leukämie gemacht werden, sich ohne die Annahme einer Fernwir- 
kung nicht erklären lassen. Es gelingt ja bei der Behandlung der myeloiden 


Zur Frage der Fernwirkung der Röntgenstrallen, 861 


Leukämie, durch alleinige Bestrahlung der Milz bezüglich der Gestaltung 
des Blutbildes denselben Effekt zu erzielen, wie durch die gleichzeitige 
Bestrahlung der übrigen bei der Leukämie in Funktion tretenden Blutbil- 
dungsstätten (Knochenmark, Leber, infiltrierte Lymphdrüsen), es wird 
infolgedessen angenommen, daß bei der Bestrahlung der Milz des Leu- 
kämikers Substanzen auftreten, welche in die Zirkulation gelangen und 
welche imstande sind, auch fernvon derRegion derdirekten 
Strahlenwirkung im Sinne einer Verminderung der Wucherung des 
nıyeloiden Gewebes, z. B. im Knochenmark und dadurch im Sinne einer 
Hemmung der Neubildung von Leukozyten einzuwirken. Das es sich 
hierbei um eine Wirkung des Cholins handelt, ist wohl das Wahrschein- 
lichste, nachdem die Annalıme, daß bei dieser Wirkung Leukolysine im 
Spiele seien, durch die Untersuchungen von Klieneberger und Zöppritz 
widerlegt sind. Es handelt sich also nach dieser Anschauung bei dem 
normalen Menschen um eine Anreizung, bei dem Myelämiker um eine 
Hemmung der Leukopoese unter dem Einflusse des zirkulierenden Cholins. 
Dieser Unterschied der Wirkungsweise erklärt sich natürlich zwanglos so, 
daß bei dem Myelämiker in der röntgenbestrahlten leukämischen Milz 
viel größere Zellmassen zerfallen, also auch viel größere Quantitäten 
Cholin frei werden müssen und andererseits dieses letztere auf ein Organ 
wirkt, das sich gegenüber der Norm im Zustand einer stark gesteigerten 
Radiosensibilität befindet. Dieses Beispiel der myeloiden Leukämie ist 
insofern lehrreich, als wir sehen, daß zweierlei erforderlich ist, damit es zu 
einer solchen Fernwirkung kommt: Zunächst muß eine sehr intensive Ge- 
webseinschmelzung vorliegen, so daB eine große Menge der in Wirkung 
tretenden Substanzen frei werden und weiter muß das indirekt zu beein- 
flussende Organ sehr röntyenempfindlich sein, damit das abgespaltene 
Cholin eine nachhaltige Wirkung entfalten kann. 

Fragen wir uns, wie weit eine solche Fernwirkung auch sonst in der 
Therapie auftritt, so ist es dem Röntgenologen bekannt, daß die bei der 
myeloiden Leukämie in Betracht zu ziehende Erscheinung für die 
Iymphatische Leukämie schon nicht mehr zutrifft. Wird hier experi- 
menti causa ein Drüsenpaket bestrahlt, ein anderes in der Nähe gelegene aber 
ausgespart, so schwindet nur das erstere unter der Strahlenwirkung, das 
letztere aber bleibt unbeeinflußt. Daraus ziehen wir Ja für die Behandlung 
der lymphatischen Leukämie die praktische Konsequenz, alle nur irgend- 
wie erreichbare Drüsen auf das energischste unter Kreuzfeuer anzugreifen, 
mit einer Fernwirkung aber nicht zu rechnen. Theoretisch wäre diese 
wohl möglich, in Wirklichkeit aber reicht hier in den allermeisten Fällen 
das aus den bestrahlten Drüsen freiwerdende und in die Zirkulation ge- 
langende Cholin nieht aus, um eine solche Fernwirkung herbeizuführen. 


Le w 


Strahlentherapie Band III, Heft 2. 99 


862 Krüger, 


Ähnlich liegen die Erfahrungen in der Dermatotherapie, auch hier wird 
eine Fernwirkung niemals beobachtet. Wenn wir z. B. bei einer Psoriasis 
die Hälfte einer Effloreszenz mit Blei abdecken, die andere Hälfte aber 
bestrahlen, so sehen wir nach einiger Zeit eine haarscharfe Grenze der 
Wirkungszone: Die bestrahlte Partie der Effloreszenz ist verschwunden, 
die mit Blei beschützte ganz unverändert. Da diese Erscheinung auch bei 
hochempfindlichen Psoriasplaques zu beobachten ist, wo doch schon eine 
geringe Fernwirkung genügen müßte, um den vor den primären Strahlen 
geschützten Anteil der Plaque zu beeinflussen, so spricht das dafür, daß 
hier eine Fernwirkung nicht in Betracht kommen kann: was nicht primär 
betroffen wird, wird nicht beeinflußt.) 

Für Jdie gynäkologische Therapie ist das Problem nicht gelöst. Es 
ist wiederholt von einzelnen Autoren die Ansicht ausgesprochen worden, 
daß fast bei jeder Bestrahlung eines beliebigen Körperteils, namentlich 
aber bei Bestrahlung der Schilddrüse sich Menstrationsstörungen zeigen 
und daß diese daher rühren sollen, daß sich in dem bestrahlten Gewebe 
Toxine bilden, die dann durch den Kreislauf zu den Ovarien gelangen 
und dort die Veränderungen bewirken. Diese Anschauung konnte von 
Ritter durch systematische Untersuchungen an einem größeren Kranken- 
material widerlegt werden. Bei insgesamt 30 Frauen, bei denen eine 
Bestrahlung der Halsregion wegen Drüsentuberkulose indiziert war, 
bei welchen aber die Bauchregion durch dicke Bleiplatten sorgfältig vor 
direkter Strahlenwirkung geschützt wurde, konnte in keinem Falle, auch 
bei wiederholter Bestrahlung und längerer Beobachtungszeit, eine auf 
die Strahlenwirkung zu beziehende Menstruationsstörung festgestellt 
werden. Wir glauben, daß diese Frage nur durch systematische Unter- 
suchungen an einem großen Krankenmaterlal zu entscheiden ist. Eine 
einzige Beobachtung, wie die z. B. von H. E. Schmidt jüngst publizierte 
(Röntgenkalender 1913), daß nach einer Bestrahlung eines zehnpfennig- 
stückgroßen Hautbezirkes an der großen Zehe mit einer mittelweichen 
Röhre die Periode um 10 Tage verspätet eintrat, dann aber nach einer 
zweiten Bestrahlung keine weitere Störung erlitt, kann natürlich, wie 
Schmidt ja auch selbst zugibt, diese schwierige Frage nicht klären. 
Auch Wetterer hat ganz ähnlich wie Ritter bei Bestrahlung tuberkulöser 
Drüsen niemals Menstruationsstörungen gesehen, die auf eine Fern- 
wirkung der Röntgenstrahlen zu beziehen gewesen wären. 

Das vorliegende Thema hat aber nicht nur wissenschaftliches Interesse, 
sondern es Ist auch von Bedeutung für die Ausgestaltung der röntgenolo- 
gischen Methodik. Denn wenn wir eine Fernwirkung annehmen 


t) Diese Beobachtung verdanken wir Dr. Hans Ritter, Hamburg. 


Zur Frage der Fernwirkung der Röntgenstrahlen. 863 


müßten, so wäre es vielleicht gar nicht nötig, die Strahlen z. B. auf 
die Eierstöcke zu konzentrieren, sondern es würde genügen, nur in die 
Nähe derselben zu kommen, um ebenfalls eine Wirkung zu erzielen — wir 
brauchten also z. B. bei der Felderbestrahlung uns gar nicht so sehr um 
die Lage der Ovarien zu kümmern, da ja, wenn die Ovarien nicht direkt 
getroffen werden, man sich immer noch damit trösten kann, daß dann 
wenigstens eine indirekte Wirkung auf dem Blutwege erfolgt. Aus diesem 
Grunde schien es uns erwünscht, noch eine Reihe weiterer Studien im 
Tierexperiment über diese wichtige Frage vorzunehmen und zwar wählten 
wir als Versuchsobjekt die Testikel von Kaninchen, da sich diese Organe 
für die Versuchsanordnung geeigneter erwiesen als die Ovarien und da 
es Ja wohl gestattet ist, die hier zu erhebenden Befunde bis zu einem ge- 
wissen Grade auch auf die weibliche Keimdrüse zu übertragen. Die Ex- 
perimente wurden angestellt, um die Frage zu entscheiden, ob eine 
äußerst intensive Bestrahlung der ganzen Umgebung des Sexual- 
organes durch Fernwirkung auf dem Blutwege zu einer objektiv nach- 
weisbaren Veränderung des letzteren führen kann. Zu diesem Zwecke 
wurden die Testikel des Kaninchens vorgelagert und mit einer strahlen- 
undurchlässigen 1 cm dicken Bleikapsel bedeckt. Der ganze Unter- 
bauch des Tieres, Oberschenkel der Hinterbeine, sowie ein Teil der 
Brust werden dagegen mit den größten für das Tier eben noch erträg- 
lichen Strahlendosen beschickt. Es wurden drei Serien Tiere bestrahlt: 


In Serie A. erhielten die Tiere die Dosis 80 X einer durch 2 mm 
Aluminium gefilterten Strahlung. 

In Serie B. erhielten die Tiere die Dosis 50 X einer durch 1 mm 
Aluminium gefilterten Strahlung. 

In Serie C. war die Dosis 100 X derselben Strahlung wie bei Serie B. 


Diese Dosen wurden, soweit die Tiere die Bestrahlung vertrugen, nach 
einer gewissen Zeit wiederholt. Starben die Tiere nicht spontan, so 
wurden sie eine bestimmte Zeit nach der letzten Bestrahlung, also mit 
Berücksichtigung der Röntgenlatenz getötet und die Testikel mikrosko- 
pisch untersucht. 

Trotzdem die Tiere — und zwar gleichzeitig die ganze Bauch- und 
Brustregion und Extremitäten derselben — Strahlendosen bekommen 
hatten, wie sie in dieser Intensität in der Therapie niemals möglich 
sind, so zeigte die mikroskopische Untersuchung der mit Blei abge- 
deckten Testikel sämtlicher getöteten oder an Entkräftigung zugrunde 
gegangenen Tiere keine Spur einer degenerativen Veränderung der 
Samenzellen: die Tubuli contorti sind vollgestopft mit Spermatozoen 
und den Zellen der Spermiogenese. Von einer durch Fernwirkung 


55* 


864 Krüger, 
bedingten Schädigang war trotz dieser enormen Strahlen- 
dosen, welche auf die Umgebung des Sexualorganes appli- 


ziert warden, nichts zu bemerken. Von einer funktionellen 


Serie A. 





1. Tier. 29. 11. 12: 30 X 2 mm Filter 
15. 1. 13: 30 X 2 mm Filter 

32. 3. 13: Tötung. Das Tier ist in der ganzen Zeit gesund und 

munter gewesen. Außer einem mäßigen Haarausfall an 

der Bauchseite und der Innenfläche der Oberschenkel 

der Hinterbeine sind keine Veränderungen zu bemerken. 


2. Tier. 15. 1. 13: 30 X 1 mm Filter 
15. 2. 13: 50 X 1 mm Filter 
14. 3. 13: Spontaner Exitus. Der Haarausfall ist etwas stärker 


ausgeprägt als beim vorigen Tier. 


Serie B. 





1. Tier 9. 
19. 
13. 3. 13: Spontaner Exitus. Starker Haarausfall am Bauch und 
Oberschenkeln. Das Tier war in der letzten Zeit nicht so 

munter wie früher. 


ph 


. 13: 50 X 1 mm Filter 
. 13: 50 X 1 mm Filter 


DY 


2. Tier Nicht zu verwerten. 


Serie C. 





1. Tier. 10. 1. 13: 100 X 1 mm Filter 
19. 2. 13: Spontaner Exitus. Das Tier war sehr matt und sein 
Allgemeinbefinden offenbar sehr beeinträchtigt. Starker 
Haarausfall. Keine Ulcerationen. 


2. Tier. 11. 1. 13: 100 X 1 mm Filter 
12. 3. 13: Tötung. Starker Haarausfall. Keine Ulceration. Das 
Tier war zwar nicht munter, machte aber keinen beson- 
ders kranken Eindruck. 


Prüfung, ähnlich wie Wertheimer?) sie an Mäusen vorgenommen 
hat, mußte Abstand genommen werden, weil die Tiere zum Weibchen 
gesetzt, nicht rammelten, hauptsächlich wohl deswegen, weil sie von 


1) Zit. nach Gauß und Lembke, Tiefentherapie. 


Zur Frage der Fernwirkung der Röntgenstrahlen. 865 


der Bestrahlung sehr ermattet waren, vielleicht auch, weil keine Brunst- 
zeit war. 

Wir glauben, daß wir aus diesen Untersuchungen den Schluß ziehen 
dürfen, daß die Bedingungen zum Zustandekommen einer Fernwirkung, 
welche für die Therapie von Bedeutung sein könnte, nur unter ganz 
besonders günstigen Umständen (Leukämie) gegeben sind, daß wir 
aber gut daran tun, im übrigen mit der Annahme einer solchen Fern- 
wirkung vorsichtig zu sein, jedenfalls aber, bevor sie nicht einwandsfrei 
bewiesen ist, nicht darauf unsere röntgenologische Methodik zu basieren. 


Aus dem Radiuminstitut für biologisch-therapeutische Forschung der könig- 
lichen Charité, Direktor: Geh. Medizinalrat Professor Dr. W. His. 


Der „Curie“-Umrechnungsfaktor für das Kohlrausch- 
Loewenthalsche Fontaktoskop. 


Von 
Walter Neumann. 


ur Messung von Radiumemanationsmengen und zur Bestimmung von 

Radiummengen nach der Emanationsmethode eignet sich für medizi- 
nische Zwecke, bei denen weitgehende Genauigkeit nicht erreicht zu werden 
braucht, besonders gut das Fontaktoskop in derGestalt nach Kohlrauseh- 
Löwenthal. Neben der einfachen Handhabung des Apparats und der 
speziell für den Transport an verschiedene Orte äußerst bequemen Gestalt 
der Kannen, kommt die Wohlfeilheit der letzteren sehr zu statten, denn 
selbst bei vorsichtigem Arbeiten leiden die Zerstreuungsgefäße raseclı 
durch ‚Infektion‘ und müssen häufig erneuert werden. Dieser Umstand 
bedeutet z. B. bei dem sonst zweifellos wesentlich vollkommeneren Mache- 
Meyerschen Fontaktometer eine weit empfindlichere Belastung des 
Laboratoriumsbudgets. Das Ansteigen des Normalverlustes tritt selbst 
bei Kannen auf, die ausschließlich zur Messung des Emanationsgehaältes 
von Emanatorien benutzt werden. Eine Erklärung hierfür findet sich 
wohl darin, daß bei dem Ausblasen der Emanation aus den Radiunilö- 
sungen durch den Luft- bzw. Sauerstoffstrom winzige Tröpfchen aus der 
Lösung mitgerissen werden und dann in der Emanationsatmosphäre 
schweben bleiben. Bei der Messung des Emanationsgehaltes gelangen 
diese Tröpfchen in das Meßgefäß, setzen sich an den Wandungen ab und 
geben zur Bildung einer Haut von Radiumsalz Veranlassung. Auf solche 
Weise verdorbene Zerstreuungsgefäße sind selbst mit vieler Mühe kaum 
wieder in ihren ursprünglichen, nicht-leitenden Zustand zurückzuver- 
setzen. 

In einer Hinsicht allerdings bietet das Kohlrausch-Löwenthalsche 
Fontaktoskop einen gewissen Nachteil; es besitzt eine Gestalt, die es 
unmöglich macht, ohne weiteres aus der beobachteten Stromstärke auf 
die im Apparat enthaltene Emanationsmenge zu schließen, mit anderen 
Worten, für die unvollkommene Ausnutzung der Strahlung zu korrigieren, 
wie dies die Duane-Labordesche Formel für zylindrische, gewisse 
Dimensionsverhältnisse nicht überschreitende Gefäße in ausreichendem 





Neumann, Der „‚Curie“-Umrechnungsfaktor. 867 


Maße gestattet. Daher bleibt nur der Weg der empirischen Eichung 
mittels bekannter Radiumemanationsmengen übrig. Ist der Umrechnungs- 
faktor einmal gewonnen, so gestattet er für alle Apparate dieser Art durch 
einfache Multiplikation mit der beobachteten Stromstärke (nicht dem 
Voltabfall pro Stunde!) die Emanationsmenge in Curies, oder bei ent- 
sprechender Umrechnung natürlich auch in Mache-Einheiten, zu erhalten. 
Es war der Zweck der hier mitgeteilten Messungen, diesen Umrechnungs- 
faktor zu ermitteln. Die erforderliche Radiumstandardlösung ist mir 
von Herrn Geheimrat Marckwald in liebenswürdigster Weise zur Ver- 
fügung gestellt worden, wofür ich auch hier besten Dank aussprechen 
möchte. 

Verfahren. Eine bestimmte Menge der Standardlösung wurde in 
einem Jenaer Glaskölbehen ca. 20 Minuten lang ausgekocht, um die Ema- 
nation vollkommen zu vertreiben, die Lösung hierauf in ein Maßkölbchen 


Messungsergebnisse. 
A. Kanne enthält nur Emanationsluft (kein Wasser). 
Elektroskop Anzahl Curies Beob. Stromstärke Stromstärke, die von einem 
Nr. in der Kanne in elektr. Einheiten Curie hervorgebracht wird 
3083 3,66 x 10-9 0,0119 3,25 x 106 
24 , 0,0078 8,27 „ 
3399 3,21 x 10-9 0,0098 3,07 x 106 
3,36 5 0,0105 3,12: » 
3400 3,95 x 10-9 0,0122 3,08 x 106 
320 , 0,0120 302 „ 
61 „ 0,0209 312 „ 
228 „ 0,0078 341 „ 
8,88 „ 0,0129 34 „ 
3401 3,96 x 10-9 0,0121 3,06 x 106 
7,34 j 0,0227 310 , 
376 , 0,0119 3,18 , 
3787 8,65 x 10-9 0,0126 3,45 x 106 
236 „ 0,00850 392 „ 
11 „ 0,00672 352 „ 
3788 8,39 x 10-9 0,0113 8,34 x 106 
35 „ 0,0133 84 „ 
3% 0.0180 327, 
214 , 0,00736 34 5 
3,05 „ 0,0103 8,37  „ 
3338 „ 0,0115 342 
218 p 0,00715 8,27 „ 
751 „ 0,0244 825 n 


Gesamtmittel aller Vers. 3,30 x 106+ 0,02 


868 Neumann, 


übergespült und auf ein bestimmtes Volum gebracht. Von der so herge- 
stellten Lösung wurden 2 bis 10 ccm in kleine Jenaer Glasgefüße eın- 
pipettiert, die aus dünnwandigen Glaskugeln mit angeschmolzenen, etwa 
10 cm langen Glasröhren bestanden. Nach dem Beschicken der Kugel 
wurde das Glasrohr abgeschmolzen und die auf diese Weise luftdicht ab- 
geschlossene Lösung wurde dann zur Emanationsansammlung eine be- 
stimmte Zeit lang aufbewahrt und hierauf zur Messung verwandt. Alla 
benutzten Glaskolben, sowohl die zum Auskochen wie auch die zum Ver 
dünnen und Aufbewahren verwendeten, waren sorfältig mit Kalıum- 
bichromat-Schwefelsäure behandelt, mit destilliertem Wasser reichlich 
nachgewaschen und dann mindestens 20 Minuten lang ausgedämpft 
worden. Zur Messung des Ionisationsstromes wurden die zugeschmolzenen 
Kölbehen in der 2-Liter-Kanne, die mit einem stanniolüberzorenen 
Gummistopfen verschlossen war, zertrümmert. Die Messung erfolgt 
stets nach 81/, Stunden. Mithin beziehen sich sämtliche hier mitgeteilten 
Zahlen auf den maximalen lonisationsstrom. Die Zimmertemperatur 
lag zwischen 19 und 23°. Sie ist im Mittel zu 20° angenommen worden. 

Von den sechs benutzten Elektroskopen ist das eine bereits mehrere 
Jahre in Gebrauch, allerdings 1912 von der Firma Günther und Teget- 
meyer neu geeicht, die Apparate 3399, 3400 und 8401 waren im Frühjahr 
1912, die Elektroskope 38787 und 3788 ganz neu (Sommer 1913) bezogen. 


B. Kanne enthält !/, 1 Wasser. 
Elektroskop Anzahl Curies Beob. Strome Stromst. d.v. 1 Curie Der Wert der vorigen Kolonne 


Nr. in der Kanne stärke hervorgebr. wird. st.E. für Wasserabsorption kornıert 
8083 3,96 x 10-9 0,0113 [2,85 x 10°] [2,93 x 10°] 
3788 327, 0,0123 3,31 x 108 3,43 x 10% 
3788 35 „ 0,0121 3.08 „ 17x „ 


C. Kanne enthält Y1l Wasser. 
Elektroskop Anzahl Curies Beob. Strom» Stromst. d. v. 1 Carie Der Wert der voriren Kolonne 


Nr. in der Kanne stärke hervorgebr. wird. st. E. für Wasserabsorption kornstert 
3188 2,27 x 109 0,0069 3,03 x 10° 3.23 x 10% 
8788 888 „ 0,0113 293 „ 312 „ 


D. Kanneenthält 11Wasser. 
Elektroskop Anzahl Carios Beob. Strom- Stromst. d. v. 1 Curie Der Wert der rorizen Klonna 


Nr. in der Kanne stärke hervorgebr. wird. st. E. für Wasserabsorption kurriziert 
3788 2,00 x 10-9 0,00565 2,82 x 10° 3,32 x 10 
3788 236 5 0,00630 2,67 x 108 3,15 


je den bedeutenden Schwankungen der Resultate war es zur Er- 
zielung eines zuverlässigen Mittelwertes nötig, eine beträchtliche Anzahl 
von Versuchen auszuführen. Auf diese Weise aber ist der wahrscheinliche 
Fehler des Mittelwertes der Zahlen unter A auf + 0,02 heruntergedrückt. 
Für die Ermittlung der Werte unter B, C und D konnten leider nicht 


Der „Curie“-Umrechnungsfaktor. 869 


ebenso viele Versuche angestellt werden. Indessen fallen die für die Wasser- 
absorption korrigierten Werte (abgesehen von dem eingeklammerten 
ersten unter B) ganz in das Bereich der auch mit leeren Kannen gefundenen 
Zahlen und überdies liegen die beiden Werte für 1 1 Wasser, in welchem 
Falle die Abweichungen am größten sein sollten, immer noch ganz dicht 
bei dem Mittelwert für leere Kannen. Deshalb darf man wohl annehmen, 
daß die relative Ausnutzung der Strahlung in den Kannen bis zum Gehalt 
von 1 1 Wasser nicht nennenswert varliert, so daß man den unter A ge- 
fundenen Mittelwert von 8,80 x 106 st. E. pro Curie auch bei Unter- 
suchungen von Flüssigkeiten in Mengen bis zu 1 1 benutzen darf, natürlich 
unter Korrektion für die von der Flüssigkeit absorbierte Emanations- 
menge. Für Wasser von 20° ist oben, bei der Berechnung der Werte unter 
B, C und D der Absorptionskoeffizient gleich 0,245 gesetzt worden.!) 

Um eine gewisse Kontrolle des Eichverfahrens zu gewinnen, sind auch 
einige Messungen mit dem Engler-Sievekingschen 10 l-Fontaktoskop 
ausgeführt worden. 


Elektroskop Anzahl Curies Bob. Stromstärke S Carlo hervorgebr, Laborde schen Formel 

Nr. in der Kanne in elst. Einheiten wird, elst. Einheiten ber. Wert 
3400 3.96><10—-9 0.0191 4.82><106 
8.76 „ 0.0198 5.28 „ 
3401 3.96 „ 0.0222 5.62 „ 
8.08 „ 0.0446 555 „ 
325 „ 0.0188 6.87 „ 
3399 745 „ 0.0422 5.68 „ 
7.63 „ 0.0399 5.24 „ 

Mittelwert 5.44 „, 5.39><106 


Die Zahlen stimmen mit dem theoretischen, d. h. mit Hilfe der 
Duane-Labordeschen Formel berechneten Wert in befriedigender Weise 
überein. Bei der Berechnung ist der Einfachheit halber von der Kegel- 
förmigkeit des oberen Teils der Gefäße abgesehen worden. Während hier, 
bei dem Engler-Sievekingschen Fontaktoskop, theoretischer und prak- 
tischer Wert demnach miteinander im Einklang stehen, gilt dies nicht 
mehr für das Fontaktoskop nach Kohlrausch und Löwenthal. Hier 
findet man mit Hilfe der Duane-Labordeschen Korrektur den Wert 
4,57 x 106 st. E. für ein Curie anstelle des experimentell gefundenen 
3,30 x 10%, also eine beträchtliche Abweichung. Im Hinblick auf die 
besondere Gestalt der Löwenthalschen 2-Liter-Kanne ist diese Ver- 
schiedenheit allerdings nicht verwunderlich. 

Anwendung des gefundenen Umrecehnungsfaktors auf die 
Berechnung der Resultate. 


—_ 





ı) Interpoliert aus den Angaben von R. W. Boyle, Phil. Mag. 22,840 (1911). 


870 Neumann, Der „Curie“-Umrechnungsfaktor. 


Man findet das Resultat, ausgedrückt in Curies 
1. für Emanationsluft 
a) aus der beobachteten Stromstärke, durch Division mit 3,3 x 108, 
Stromstärke 

8,3 x 108 ' 
b) aus dem beobachteten Voltabfall pro Stunde nach der Formel 
(Voltabfall pro Stunde) x (Kapazität des Elektroskops) 


300 x 3600 x 3,3 x 106 


also Curies = 


Curies = 


2. Für Lösungen 
a) aus der beobachteten Stromstärke nach der Formel 
en Stromstärke [V— v (1—«)] 
Curies = g 106 x (Vy) 
b) aus dem beobachteten Voltabfall pro Stunde nach der Formel 
, (Voltabfall pro Stunde) x (Kapazität) [V—v (1—«)] 
Ma 300 x 3600 x 8,8 x 10° (V—y) i 
wo V das Volum der ,2-Liter-Kanne“, v das eingefüllte Flüssigkeits- 
volum und a den Absorptionskoeffizienten der Flüssigkeit für die Radium- 
emanation bedeuten. 
Will man das Resultat in Mache-Einheiten umformen, so ist der für 
1 1 Luft bzw. 1 l Flüssigkeit gefundene Emanationsgehalt in Curies 
mit 2,75 x 10° zu multiplizieren. Dieser Faktor ergibt sich durch Multi- 
plikation der von einem Curie pro Sekunde ausgeschleuderten Anzahl 
a-Teilchen 3,4 x 101°, der von einem a-Teilchen der Emanation insgesamt 
erzeugten Anzahl Ionen 1,74 x 105 und der Ladung eines Ions 4,65 x 10. 
st. E.}) und schließlich durch Multiplikation mit 1000. 


1) Rutherford, Radioactive Substances and their Radiations 1913. Seite 
140 und 164. | 


Aus der Universitätsfrauenklinik Freiburg (Direktor: Geheimrat Krönig) 
and dem pathologisch- anatomischen Institut der Universität Freiburg 
(Direktor: Geheimrat Aschoff). 


Über die Ovarialveränderungen bei Mäusen und Kaninchen 
nach Cholininjektionen. 
Von 
cand. med. Maria Paula Sommer. 
(Mit 3 Abbildungen.) 


B“ der Bedeutung, die die Chemotherapie und besonders die chemi- 
sche Imitation der biologischen Strahlenwirkung im Cholin neben 
der Radium- und Röntgenbestrahlung gewinnt, scheint es von Interesse, 
das Resultat einiger, besonders für die Gynäkologie wichtiger Experi- 
mente mitzuteilen. 

Werner, der wohl über die größten Erfahrungen auf diesem Gebiete 
verfügt, hat in zahlreichen Publikationen über die Wirkung des Cholins 
auf tierisches und menschliches Gewebe genau berichtet, besonders was die 
Wirkung auf die Haut, den Hoden und die Geschwulstzellen des Sarkoms 
und Karzinoms anbelangt. Der Durchführung ausgedehnter Versuche 
an Mensch und Tier stand die Giftigkeit des Cholins im Wege, bis es 
Werner gelang, im Borcholin ein ungiftiges und doch wirksames Cholin- 
präparat zu finden. In den Organismus in Form von teils intravenösen, 
teils subkutanen Injektionen eingeführt, übt das Cholin eine spezifische 
Wirkung auf proliferisierende Gewebe aus. Wie Cholin speziell auf die 
weiblichen Geschlechtsorgane wirkt, ist bisher noch nicht sicher festge- 
stell. Daß ein Einfluß auf die Schwangerschaft vorliegt, steht fest, nur 
sind die Ansichten über die Art der Wirkung geteilt. Einerseits soll es 
sich um eine direkte Einwirkung des im mütterlichen Blute kreisenden 
Cholins (v. Hippel und Pagenstecher) auf den Fötus handeln, anderer- 
seits wird von einer monatelangen Sterilität bei den mit Cholin gespritzten 
Kaninchen berichtet (Werner), was die Annahme einer direkten Ein- 
wirkung auf das Ovarium unterstützen würde. 

Da Angaben über die Einwirkung von Cholin auf das Ovarium, so- 
weit ich die Literatur übersehe, noch nicht vorliegen (abgesehen von einer 
Arbeit von Hippels und Pagenstechers, in der sie mitteilen, daß 
die Ovarien ihrer Versuchstiere nur normale Verhältnisse aufgewiesen 


872 Sommer, 


hätten), so wurden an der Freiburger Frauenklinik auf Anregung von 
Professor Gauß Untersuchungen angestellt, inwieweit durch Cholin- 
injektionen Ovarialveränderungen bewirkt werden können. 
Untersucht wurden eine Reihe von Mäuse- und Kaninchenovarien. 
Die Mäuse wurden teils subkutan, teils intraperitoneal, die Kaninchen 
intravenös gespritzt, benutzt wurde eine t/,—1 proz. Borcholinlösung. 
Die Tiere gingen teils spontan zu Grunde, teils wurden sie in einem be- 
stimmten Zeitintervall getötet. Auf die nähere Methodik wird in einer 
ausführlichen Arbeit eingegangen werden. Einige der bis jetzt erhobenen 
Befunde sollen hier mitgeteilt werden.!) Die in Formalin gehärteten und 
in Paraffin eingebetteten Präparate wurden mit Hämat. Eosin gefärbt. 
| Maus Nr. 1. 0,0055 
Cholin subkutan. Spon- 
tantod nach 8 Tagen. 
Im Ovarium befinden 
sich zahlreiche Follikel 
dicht nebeneinander. 
Die Gefäße sind prall 
mit Blut gefüllt. Im 
Ovarium finden sich an 
den Follikelepithelien 
dergrößerenFollikelau- 
Berordentlich schwere 
Zellveränderungen, die 
in Desquamation de 
Epithels und Kernde- 
generation (Kernwand- 
sprossung) bestehen. 
In manchen Follikeln 
ist von dem Ei über- 
Fig. 1. haupt nichts mehr zu 
Der Reifung naher normaler Follikel der Maus. sehen, die oberste Epi- 
thelschicht des einen 
Follikels ist an manchen Stellen vollkommen nekrotisch. Die Eier in den 
Primordialanlagen sind kernlos, die der kleineren zeigen einen deut- 
lichen Kern. 
Maus Nr. 2. 0,005 g Cholin intraperitoneal. Spontantod nach 
15 Tagen. Zahlreiche wohlausgebildete Follikel. Die Blutgefäße sind 
prall gefüllt. Die Primordialeier erscheinen unverändert. An einem 





1) Auf dem Kongreß für Gynäkologie, Halle Mai 1913, wurde ein Teil dieser 
mikroskopischen Präparate von Professor Gauß demonstriert. 


Ovarialveränderungen bei Mäusen u, Kaninchen nach Cholininjektionen. 873 


Follikel findet sich eine 
leichte Degeneration der 
Zellen der Theca follieuli 
interna. 


Das andere Ovarium 
zeigt schwerere Verände- 
rungen. Der eine Pol 
des Organs istin nekroti- 
sche Massen umgewandelt, 
in denen noch die Folli- 
kelzeichnung zu sehen ist. 
Ein breites venöses Ge- 
fäß zieht mitten durch 
die nekrotischen (post- 
mortal?) Massen in das 
Ovarium ein. In den 
Zellen der Theca folliculi 
interna findet sich Kern- 
degeneration und leichte 
Desquamation. An dem 
interstitiellen Gewebe ist 
nichts besonderes festzu- 
stellen. Die Eier in den 
wohl ausgebildeten Folli- 
keln sind kernlos. 


Maus Nr. 3. 0,01 g 
Cholin intraperitoneal. 
Nach 4 Tagen getötet. 
Zahlreiche Follikel in al- 
len Stadien der Reifung. 
Ovarialstroma ohne we- 
sentlicheVeränderung, da- 
gegen an den Eiern auffal- 
lende hydropische Schwel- 
lungen, Chromatolyse und 
reichliche Degeneration 
des Follikelepithels. In 
den Follikeln stark dege- 
nerierte Eier. Auffallen- 
der Weise in einem Folli- 
kel mit bereits ausge- 





Fig. 2. 
Infolge sukutaner Cholininjektion entstanden schwere 
Destruktion des Follikels. a) Ei und 5) Epithel. 





Fig. 3. 
Detail von Figur 2. a) Karyolyse in Form der 
Kernwandsprossung an den Epithelien deutlich 
zu sehen. 5) Ein Teil der Zellen nur noch im 
Umriß sichtbar, also vollkommen nekrotisch. 
c) Rest des Eies. 


874 | Sommer, 


sprochener Epitheldegeneration ein Ei mit gut erhaltener Zona pellucida 
und schön ausgeprägter Kernspindel. 

Maus Nr. 4. 0,015 g Cholin subkutan. Nach 4 Tagen getötet. Das 
Ovarium enthält zahlreiche Follikel. Die Gefäße sind prall gefüllt. In 
den größeren Follikel findet sich sowohl Desquamation des Epithels wie 
tropfige Degeneration der oberen Zellschichten. Die Eier erscheinen 
hier und da kernlos, gefaltelt. Die geringsten Veränderungen finden sich 
an den Ureiern. 

Maus Nr. 5. 0,015 g Cholin intraperitoneal. Nach 4 Tagen getötet. 
Das Ovarıum enthält zahlreiche Follikel mit Eiern. Die Eier sind meist 
kernhaltig. Die Follikelepithelveränderungen sind meist nicht sehr 
hochgradig. - 

Maus Nr. 6. 0,02 g Cholin subkutan. Nach 8 Tagen getötet. Hier 
finden sich neben einigen Corpora lutea auch Follikel mit Desquamation 
Kerndegeneration. Die Veränderungen sind nicht sehr ausgesprochen. 

Kaninchen Nr. 1. 0,505 g Cholin. In Einzeldosen bis zu 0,025 g 
Cholin während 6 Wochen. 10 Tage nach der letzten Injektion getötet. 
Zahlreiche Primordialeier und Graafsche Follikel. Während an den 
Primordialfollikeln kaum Veränderungen irgend welcher Art nachzu- 
weisen sind, finden sich schwere Desquamation und Kerndegeneration 
in den wohlausgebildeten Follikeln. In einem Follikel ist von der Theca 
folliculi interna überhaupt nichts mehr außer dem Colliculus oophorus 
vorhanden. Im übrigen ist nur eine nekrotische Masse als Überrest der 
früheren Theca folliculi interna zu sehen. Der ebenfalls aus stark degene- 
rierten, aber noch nicht vollkommen nekrotischen Zellen bestehende 
Colliculus oophorus enthält in seinem Zentrum eine Lücke für das Ei, als 
dessen Überreste vielleicht stark geschrumpfte Massen angesprochen 
werden können. Daneben sind vollerhaltene Eier ohne Kerndegeneration 
vorhanden. 

Kaninchen Nr. 2. 0,505 g Cholin intravenös in Einzeldosen bis 
zu 0,025 g Cholin während 6 Wochen. Getötet 20 Tage nach der letzten 
Injektion. Das Ovarium enthält zahlreiche Ureier und Primordialfollikel. 
Die vollausgebildeten Graafschen Follikel zeigen schwerste Zellverände- 
rungen der Epithelien der Theca folliculi interna. Hier finden sich so- 
wohl Zelldesquamation wie Kerndegeneration in der Form von Kern- 
wandsprossung und zwar geht diese Kerndegeneration bis zu den Zellen 
der Theca folliculi externa hindurch. Die Zellen der Theca folliculi ex- 
terna sind scheinbar unverändert. An einer Stelle findet sich ein Follikel, 
in dem ein Ei nicht zu sehen ist, der aus einem Kranz der Zellen der Epi- 
tlielien der Theca follieuli externa besteht, der das Zellkonglomorat der 
inneren Epithelien umschließt. Die Zellen der Theca folliculi externa 


Ovarialveränderungen bei Mäusen u. Kaninchen nach Cholininjektionen. 875 


scheinen hier gequollen, in wirrer Anordnung; Zelldegenerationen sind 
nicht zu sehen. Dieselben finden sich jedoch in ausgesprochenem Maße 
an den Zellen der Follikelepithelien. Eier sind übrigens in den vollent- 
wickelten, aber jetzt Degenerationszeichen aufweisenden Follikeln häufig 
nicht zu sehen. 

Kaninchen Nr. 3. Dieselbe Dosis, wie 1 und 2, getötet 30 Tage 
nach der letzten Injektion. Ovarium mit zahlreichen Ureiern und Graaf- 
schen Follikeln. Im Follikelepithel der Ureier finden sich viele Kern- 
teilungsfiguren. Obwohl das Epithel der ausgebildeten Follikel zerrissen 
erscheint, findet sich in ihm wenig Kerndegeneration, dagegen sind auch 
im Follikelepithel zahlreiche Kernteilungsfiguren zu sehen. In diesem 
Ovarium werden daher im allgemeinen die schweren Degenerationserschei- 
nungen der Theca folliculi interna vermißt. Es finden sich vielmehr 
ausgesprochene Proliferationsvorgänge in dieser Zellschicht. Eier sind 
in den vollausgebildeten Follikeln nicht zu sehen. 

Kaninchen Nr. 4. 0,275 g Cholin in Einzeldosen bis zu 0,06 g 
während 12 Tagen. Getötet am 1. Tag nach der letzten Injektion. In 
diesem Ovarium sind relativ wenig Ureier vorhanden. Vor allem fallen 
die besonders diekwandigen Gefäße in der Substanz des Ovariums auf. 
Die vollausgebildeten Graafschen Follikel, die nur in geringer Anzahl 
vorhanden sind, zeigen ausgesprochene Veränderung des Follikelepithels, 
Desquam ation und Kerndegeneration. 

Aus den vorliegenden mikroskopischen Befunden der Ovarien der 
mit Chokin gespritzten Mäuse und Kaninchen geht folgendes hervor: 

Während das Stroma des Ovariums keine wesentlichen Veränderungen 
aufweist, finden sich in manchen Follikeln, ganz besonders in den am 
meisten ausgereiften, ausgesprochene Veränderungen, die sowohl das 
Ei wie das Follikelepithel betreffen. In solchen Follikeln findet sich ent- 
weder ein stark verändertes Ovulum oder dasselbe fehlt ganz. Bei letzte- 
rem Befund kann ein Kunstprodukt nicht mit Sicherheit ausgeschlossen 
werden; immerhin besteht eine große Wahrscheinlichkeit, daß es sich 
um eine spezifische Veränderung handelt, da in normalen Ovarien solche 
Bilder vermißt wurden. In dem Protoplasma sehr vieler Ovula findet 
Sich ausgesprochene Vakuolenbildung des Protoplasmas, hochgradige 
hydropische Schwellungen, ferner Lösungserscheinungen. Die größten 
Veränderungen zeigen die Zellen der Theca folliculi interna. Hier sind 
Starke Kerndegenerationen der gequollenen Follikelepithelzellen, haupt- 
sächlich in der Form der Kernwandsprossung und Pyknose vorhanden. 
In den sehr häufig aus ihrem Zusammenhang gelösten Zellen finden sich 
mehrere kleinere und größere tropfige Gebilde umgewandelter Chroma- 
tinsubstanz, die sich mit Hämatoxylin tief dunkelblau färben. Die 


3 Sommer, Övarialveränderungren bei Mäusen und Kaninchen usw. 
, B 


Primordialfollikel zeigen anscheinend keine stärker hervortretenden Ver- 
änderungen; doch bedürfen die etwaigen feineren Strukturstörungen 
der Protoplasma- und Kernsubstanz der Eier in den Primordialfollikeln 
noch der genaueren Analyse. 

Wenn es auch keinem Zweifel unterliegt, daß auch im normalen aus- 
gereiften Follikelepithel sich Degenerationen in Form der beschriebenen 
Kernwandsprossung findet, so sind diese physiologisch vorkommenden 
Degenerationserscheinungen im Verhältnis zu denen der Cholinovarien 
so gering und verschwindend, daß die ausgesprochenen Follikelepithel- 
und Eischädigungen der letzteren mit außerordentlich großer Wahrschein- 
lichkeit, soweit aus den bisherigen wenigen Tierexperimenten geschlossen 
werden darf, als Cholinwirkung anzusehen sind. Wir können das umso- 
mehr, als die beschriebenen Degenerationserscheinungen fast die gleichen 
sind, wie sie nach Röntgen- und Radiumbestrahlung aufzutreten pflegen, 
zumal wir wissen, daß Cholin auf andere Zellen des tierischen Organismus, 
die Geschwulstzellen, fast gleichartig wie Röntgen- und Radiumbestrah- 
lung wirkt. Übrigens ist die Cholinwirkung auf die Zellen des Hodens 
schon von anderer Seite (Werner u. a.) einwandfrei festgestellt worden. 

Es ist bei Durchsicht der durch Cholininjektion erzeugten mikro- 
skopischen Ovarialveränderungen vielleicht auffallend, daß bei kleiner 
Dosis, aber längerer Lebensdauer des Versuchstieres post injectionem 
sich hochgradigere Follikelveränderungen finden, als bei größerer Dosis 
und kürzerer Lebensdauer post injectionem. Auch hier läßt sich ohne 
weiteres feststellen, daß die mikroskopischen Veränderungen an den 
Ovarien, genau so wie an dem Hoden, erst nach einer verhältnismäßig 
langen Latenzzeit in Erscheinung treten. Eventuell könnte man auch 
eine individuelle Resistenzfähigkeit gegen die toxische Wirkung des 
Cholins auf die Follikelzellen annehmen. Diese Frage bedarf natürlich 
noch der näheren Untersuchung. Jedenfalls dürfte aus obigen Versuchen 
hervorgehen, daß Cholininjektionen eine spezifische Wirkung auf das 
Ovarıum der Maus und des Kaninchens haben. 

Daß wir aus obigen mikroskopischen Befunden auch therapeutische 
Schlüsse ziehen mußten, war ohne weiteres klar. Wir haben an einer 
Reihe von Myomen und Metropathieen die Cholinbehandlung durchge- 
führt, deren Resultate in einer späteren Publikation mitgeteilt werden 
sollen. 


Zur Würdigung des Aufsatzes von Prof. Dr. Anton Sticker-Berlin 


„Radium- und Mesothoriumbestrahlung“ 
Strahlentherapie Band III, Heft 1. 


Von 
A. Bickel. 


In dem Aufsatze „Radium- und Mesothoriumbestrahlung“ (Strahlentherapie 
Bå. III, H. I.) schreibt Anton Sticker einführend von seinem Werke: „Die 
begonnene Arbeit soll ein Gegengift für die vielen inhaltsleeren radiologischen 
Schriften sein, mit denen in Deutschland mehr als in den Nachbarländern die 
medizinische Literatur überschwemmt ist... .* ` 

Ein Vergleich des von mir verfaßten Kapitels „Radioaktive Stoffe und 
Fermente“ in dem von P. Lazarus herausgegebenen Handbuch der Radium- 
Biologie und Therapie mit dem Kapitel „Strahlenwirkung auf Fermente“ 
aus der Stickerschen Arbeit belehrte mich nun, daß Sticker sein Gegengift im 
wesentlichen mit Hilfe der Papierschere erzeugt hat. Wort für Wort sind ganze 
Sätze, sind ganze Abschnitte meiner Arbeit von Sticker abgedruckt worden, 
ohne auch nur durch Anführungszeichen oder sonst einen Hinweis kenntlich 
gemacht zu sein, daß es sich um wörtlichen Abdruck handele. 

Auch ein Vergleich anderer Abschnitte der Stickerschen Arbeit mit den 
entsprechenden Kapiteln aus dem Lazarusschen Handbuch zeigte, daß dieSticker- 
sche Papierschere noch an anderen Stellen dieses Handbuches arg gewütet hat. 
Außerdem hat Sticker aber auch Arbeiten von Curie, Bayet, in analoger 
Weise benutzt. Nach dieser Methode ist es wirklich leicht, viele bogenstarke 
Arbeiten ausgezeichneter Qualität in kurzer Frist zusammen zu schneidern. 

Man kann ja nicht verlangen, daß man jedes Handbuch zitiert, aus dem 
man Gedanken, die man in neue Worte kleidet, resümiert. Aber wenn man ganze 
Abschnitte eines Handbuchartikels wörtlich abdruckt, in dem unter bekanntem auch 
neues Tatsachenmaterial zusammengefaßt wird und bei dem diese Zusammen- 
fassung zur Erschließung neuer Erkenntnisse geführt hat — eine solche Erkenntnis 
tindet sich in dem Stickerschen Aufsatz z. B. im Sperrdruck — dann ist es 
billig, — und das ist der Kernpunkt der ganzen Sache — daß man den betreffenden 
Verfasser auch als Urheber des ganzen Artikels zitiert und ihn nicht nur an 
denjenigen Stellen (der Kopie) mit Namen nennt, an denen er selbst im Original 
in der ersten Person von sich spricht. 

Mit der Verurteilung des Stickerschen Vorgehens stehe ich überdies nicht 
allein, sondern auch die anderen geschädigten Autoren, wie Degrais, Bayet, 
Lazarus, Neuberg fühlen sich in gleicher Weise beeinträchtigt. 


Erwiderung. 


Meine in der Strahlentherapie veröffentlichte Arbeit zerfällt in zwei auch 
äußerlich schaıf getrennte Teile. Der I. Teil betitelt sich „Theoretische Grund- 
lagen der Radiumbestrahlung in der Heilkunde“, der II. Teil „Praktische An- 
wendung der Radium- und Mesothoriumbestrahlung in der Heilkunde.“ 

Der II. Teil war als selbständige Arbeit im Manuskript fertig und war für 
die Strahlentherapie bestimmt; er bringt eigene Erfahrungen und Gedanken in 
diesem schwierigen neuen Gebiet nebst 31 Originalabbildungen. 

Als die mächtige Radium- und Mesothoriumbewegung in Deutschland, die 
auch heute noch fortflutet, einsetzte, sah ich voraus, daß von mancher Seite die 
Bestrahlungstherapie mit radioaktiven Substanzen als eine ausgebaute Disziplin 
angesehen werden würde und daß zu diesem Irrtum auch die von mir mitgeteilte 
Technik wesentlich beitragen könnte. Dies war mein Motiv, als Schwergewicht 
einen theoretischen Teil vorauszuschicken und dem denkenden Arzt den gewaltigen 
Umfang der neuen Disziplin vor Augen zu führen. 

Ich bedaure in jeder Weise, daß sich im I. Teile, welcher nur ein Sammel- 
referat darstellen soll, ganze Sätze und Abschnitte ohne Namennennung aus 
anderen wissenschaftlichen Arbeiten vorfinden, um so mehr, als ich dadurch an- 
gesehene, von mir hochgeschätzte wissenschaftliche Forscher aufgebracht habe 
und dies doch so leicht hätte vermieden werden können, und ich erkenne die 
Berechtigung der von Bickel im vorletzten Satz seiner Erklärung gemachten 
Ausführungen im vollen Umfang an. 

A. Sticker. 


LLY 2L