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Full text of "Strassburger Festschrift zur XLVI. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner"

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STRASSBURGER FESTSCHRIFT 



ZUR 



XLVI. VERSAMMLUNG DEUTSCHER PHILOLOGEN 



UND SCHULMÄNNER 



HERAUSGEGEBEN 



VON DER PHILOSOPHISCHEN FACULTÄT DER 
KAISER-WILHELMS-UNIVERSITÄT 



Mit acht Abbildungen im Text und einer Tafel 



STRASSBURG 
VERLAG VON KARL J. TRÜBNER 

1901 



STRASSBURGER FESTSCHRIFT 



ZUR 



XLVl. VERSAMMLUNG DEUTSCHER PHILOLOGEN 



UND SCHULMÄNNER 



HERAUSGEGEBEN 



VON DER PHILOSOPHISCHEN FACULTÄT DER 
KAISER-WILHELMS-UNIVERSITÄT 



Mit acht Abbildungen im Text und einer Tafel 



STRASSBURG 
VERLAG VON KARL J. TRÜBNER 

1901 



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Inhaltsverzeichnis. 



Seite. 

Adolf Michaelis, Georg Zoegas Betrachtungen über Homer .... i 

Th. Nöldeke, Über einige Edessenische Märtyrerakten 13 

Eduard Schwartz, Agamemnon von Sparta und Orestes von Tegea 

in der Telemachie 23 

Ernst Martin, Die deutsche Lexicographie im Elsass 29 

Gröber, Altfranzösische Glossen 39 

Emil Koeppel, Zur Semasiologie des Englischen 49 

H. Hübschmann, Armeniaca 69 

R. Henning, Aus den Anfangen Strassburgs 81 

Paul Hörn, Zahlen im Schähnäme 91 

Friedrich Schwally, Zur ältesten Baugeschichte der Moschee des 

*Amr in Alt-Kairo 109 

Bruno Keil, Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis ... 117 

R. Reitzenstein, Scipio Aemilianus und die stoische Rhetorik . . 143 

Wilhelm Spicgelberg, Der Name des Phoenix 163 

Adolf Krazer, Die Reduzierbarkeit Abel'schcr Integrale 167 

H. E. Timerding, Die Geometrie der linearen Funktionen .... 189 
Kromayer, Die Chronologie des dritten heiligen Krieges und des 

Krieges Philipps mit Byzanz 207 

C. Varrentrapp, Nicolaus Gerbel, Ein Beitrag zur Geschichte des 

wissenschaftlichen Lebens in Strassburg im 16. Jahrhundert . . 221 

Harry Bresslau, Kanzleigebühren unter Heinrich VI. (1191). . . . 239 

E. Sackur, Die Quellen für den ersten Römerzug Ottos 1 249 

Hermann Bloch, Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster 

Murbach 257 

Wilhelm Windelband, Zu Piatons Phaidon 287 

Eduard Thraemer, Die Form des hesiodischen Wagens 299 

Karl Johannes Neumann, L. Junius Brutus der erste Consul . . 309 



263524 




ADOLF MICHAELIS 

GEORG ZOEGAS BETRACHTUNGEN ÜBER HOMER 

Als Zoega im Winter 177W80 zum zweitenmale Göttingen 
besuchte und auf Heynes Anregung die Studien betrieb, welche 
ihm als beste Vorbereitung fflr einen Aufenthalt im Süden er- 
schienen und zugleich geeignet waren den grossen Zusammen- 
hang des Altertums zu erhellen, nahm er mit seinem ganzen 
Ernst und Eifer früher begonnene homerische Untersuchungen 
wieder auf. Freilich führten diese Studien ihn ebenso wie den 
vier Jahre jtlngeren F. A. Wolf, der eben in jenem Herbst Göt- 
tingen verlassen hatte, auf BiUinen, die weit von denen ihres 
Lehrers Heyne abwichen. Zoegas Altersgenosse Niels Schow 
aus Kopenhagen, der um jene Zeit ebenfalls in Göttingen studierte 
und viel mit Zoega verkehrte, bezeugt, dass dieser schon damals 
ober den Urspnmg der homerischen Gedichte dieselben Gedanken 
gehabt habe, die schiirfsichlige Kritiker (d. h. Wolf; später hegten. 



Adolf Michaelis 



und hebt seine ausserordentliche Sicherheit im Verständnis des 
Dichters hervor. 

Unruhige Jahre vergingen, ehe Zoega wieder zu Homer 
zurückkehrte. Im Herbst 1786, nachdem er sein ausgezeichnetes 
Buch über die alexandrinischen Münzen der Kaiserzeit abge- 
schlossen hatte*, machte er sich an die bei den Bibliotheksver- 
hältnissen Roms doppelt riesenhafte Aufgabe, die ganze antike 
Litteratur in historischer Folge zu lesen und zu excerpieren. Er 
Hess sich in diesem Beginnen auch nicht durch den zu Anfang 
des Jahres 1788 an ihn ergangenen Auftrag des Papstes Pius Vü., 
Braschi, stören, eine Festschrift gelegentlich der Aufrichtung 
einiger Obelisken in Rom zu verfassen, sondern vertiefte sich in 
homerische, orphische, hesiodische Studien und begann einen 
Commentar zu Homer. „Ich glaube nicht," schrieb er an seinen 
jüngeren Freund Friedrich Munter, „dass die anderen, die von 
Obelisken und Hieroglyphen geschrieben haben, diesen Weg 
gegangen sind." 

Verschiedene Umstände mögen zusammengewirkt haben, 
Zoega an diese Studien zu fesseln. Im Herbst 1788 besuchte Herder 
Rom, wohnte in Zoegas Nähe und verkehrte gern mit ihm; es 
wäre seltsam, wenn die homerische Poesie keinen Gegenstand 
ihrer Unterhaltung gebildet hätte, ja sie konnten sich in manchen 
verwandten Anschauungen begegnen. In demselben Jahr erschien 
sodann Villoisons langenvartete Ausgabe der Ilias mit den Vene- 
diger Homerscholien, deren Wichtigkeit alsbald ebenso sehr 
Zoega wie F. A. Wolf einleuchtete. Aber den Anstoss einige 
der gewonnenen Ueberzeugungen niederzuschreiben bot ein viel 
unbedeutenderes Buch, der 1786 in Piidua erschienene erste Band 
der Iliasübersetzung des Abbate Melchior Cesarotti. In dem ersten 
Kapitel der ziemlich weitschweifigen Einleitung berichtet der 
Verfasser über die Zweifel, die d'Aubignac, Perrault, Vico und 
neuerdings Mercier gegen die wirkliche Existenz eines Homer 
vorgebracht hätten; er fasst die Gründe in vierzehn Punkten 

' Hier findet sich S. 321 eine hübsche und für Zoega ungemein charakteri- 
stische Verwendung einer Homerstelle gegenüber kühnen Vermutungen einiger Numis- 
matiker: si a summorutn x'irorufn sententiis penitus discessiro, ignoscendum erit 
steriliori ingenio praedito, eligantes coniecturas nequf proferre, neque ampUcti vihe- 
mtnter apto, Sid qui veritati ut glebae servi addtctus, 

ßouXoiT* av eirapoupo^ €U)v Otitcucmcv oXXui 
avbpi irap' anX^pui, Cji |hti ßiOTO<; ttoXu<; ein, 
r\ iraaiv veicucaai xaracpOiinevoiaiv avaaaeiv. 




Georg Zoegas Betrachtungen über Homer 3 

zusammen, die er dann mit allgemeinen Erwägungen zu wider- 
legen sucht. Seien wir dem Abbate dankbar, dass er durch seine 
mehr breite als tiefe Auseinandersetzimg Zoega veranlasst hat 
am Morgen des 31. Oktober 1788 seine Gedanken über Homer 
rasch in einem Zuge auf vier Quartblättern niederzuschreiben. 

Sie sind mit Zoegas übrigem Nachlass in die Kopenhagener 
Bibliothek gekommen: Ny kgl. Samt. 357b (VI n. 8 g). Dort 
hat F. G. Welcker sie aus ihrem Versteck hervorgezogen und 
in deutscher Uebersetzung in „Georg Zoegas Abhandlungen" 
Göttingen 1817, S. 306 ff. mitgeteilt. Aber auch dies war wenig 
mehr als ein neues Begräbnis; selbst Welcker, dessen Betrach- 
tungsweise allerdings ja bald ganz andere Wege einschlug, hat 
nur selten auf das Glaubensbekenntnis seines Lehrers hingewiesen, 
nur gelegentlich ihm die Priorität vor F. A. Wolf zugesprochen 
(Ep. Cycl. P, 122 Anm. 150). Es ist das Verdienst Ulrichs v. 
Wilamowitz-MöUendorff, weder an den Ehrenplatz, der Zoega 
in der Geschichte homerischer Forschung gebührt, erinnert zu 
haben (Homer. Unters. S. 399). So wird man denn die inhalt- 
reiche Skizze nicht ungern in ihrer ursprünglichen italienischen 
Form lesen und dafür mit mir Herrn Professor J. L. Heiberg Dank 
wissen, der, da ein kurzer Aufenthalt in Kopenhagen mir nicht 
die Zeit liess eine Abschrift der kostbaren Blätter zu nehmen, sich 
mit ebenso grosser Liebenswürdigkeit wie philologischer Akribie 
dieser Aufgabe unterzog. Ich gebe seine Abschrift genau wieder, 
nur mit Weglassung von ein paar kleinen Versehen, die Zoega 
alsbald selbst gebessert hat. 

Omero. 

La totale e perfetta ignoransa della patria, etä e vita del- 
lautorc deir Iliade ed Odissea c di molti altri poemi con uguale 
certessa attribtiitigli, i sola per se prova sufficiente ch' un tale 
individiio non esisteva mai. Tutta la storia non offre un esempio 
non dico simile ma solamettte vicino a qnesto: e deW autenticitä 
di motte altre opere dubitiamo per motivi di questa natura molto 
piu deboli, Doveansi questi supposti suoi poenii conservare o per 
iscrittura o per tradisione orale, Se d stato questo, supponesi 
un autore gia se vivente stimatissimo e celeberrimo per impegnare 
tanti rapsodi, quattti per 48 e molti altri canti bisognavano, ad 
affatigare le loro memorie intorno alle sue produsioni: perchc 
niuno credo che si sia sognato ch* Omero medemo fusse capace 



Adolf Michaelis 



di teitersi tutta questa roba a mente, e trasfonderla tutta in un 
suofiglio o scolare, il quäle di nuovo segretamentc la tramandasse 
ad un suo successore, sinche dopo perdutasi la cognisionc del- 
Vautorc si divulgassero le sue opere. Se al contrario queste subito 
dalla loro composisione erano State scritte, bisogna convenire 
che quel secolo possedeva non una arte di scrivere gia molto 
perfesionata, che sarebbe a dire poco, ma ancora dei messi com- 
modi per consegnare in iscritto tante migliaia diversi, vale a dire 
messi simili a quelli che la Grecia ha posseduti nella sua epoca 
piu brillante. Dunque era un secolo coltissimo, abbondante di 
scrittori, e tra tutti questi non si trcn^b uno che volle degnarsi 
di notare la patria e la nascita del piu insigfte fra di loro, Si 
ricorrerebbe di nuovo all' insipidesjsa di dire che Chnero visse \ 
compose, scrisse di nascosto, e dopo lungo tempo divolgaronsi le 
sue poesie sensa altro merco fuori di quello deir isolato nome. 
Troppo chiaro e cK Iliade ed Odissea sono nate dal desiderio di 
divertire il popolOy e questo dal momento della loro nascitä, Tutto 
quello che contengono e che sono i popolare, e le cose che di 
loro natura non lo sono, inseritc in esse lo diventano, c giusto 
per causa di questo travestimento spesse volle stentano a ricono- 
scersi. 

Una scconda prova ugualniente forte, che questi duc poemi ' 
come li leggiamo adesso, non siano in tutta la loro estensione un 
prodotto ctun unico cervello, b questa che nel loro corso incon- 
triamo motte contrarietä, molta varietä incompatibile intorno a 
costumi ed opinioni. Non che ora si tratti di lusso e d'arti, ora 
di povertä e rosscBsa: non che in un luogo s'adorano in un altro 
si deridono gli dei: queste c simili obbiesioni non provano altro 
che la poca pcnetrazione di chi le ha proposte. Ma il vederc i 
costumi nazionali e le opinioni icratiche congiunte con essi in un 
luogo trattati altrimenti ch' in un altro: scntire Patroclo che chiede 
da Achille la sepoltura perche sensa avere ottenuta questa non 
poteva entrare nelV Ades, e non ostantc vcdere le anime dei proci 
dai corpi ammucchiati nel iwstibolo d Ulisse passare alla conver- 
sasione d^ Agamennone ; ed incontrare Elpcnore trallc altre om- 
bre deir Erebo pregando Ulisse di voler* seppellire il suo cada- 
verc, non per alcun bencßcio deir anima, ma soltanto per cter- 



* visse übergeschrieben. 

* Ursprünglich voUrlo. 



Georg Zoegas Betrachtungen über Homer 5 



nare la sua memoria: osservare ch* il posto d'ambiasciadorc delli 
dei, proprio nelV Iliadc a Iride, nelV Odissea diventaio l'impiego 
di Mercurio: che nell' Iliadc /'auro^ delV twmo t il suo corpo^ 
nella Neda una certa terza sostansa piu divina del rcsto, non 
il corpo che si brucia\ neppure Vanima che passa all Ades: 
qnestc e* varie altre cose di qiiesta natura, persuadono che le 
Poesie Omeriche come le leggiamo oggi e come furono leite sino 
dai tempi di Socrate, devono la loro esistensa non solamente a 
varj uomini tna ancora a varj tempi. I piu antichi critici in 
parte si sono accorti di queste contradi'sioni, e prevenuti delV 
unitä dell' autore, mentre alcuni s'ideavano le piu strane inter- 
pretasioni per togliere queste contrarietä, altri piu savj contin- 
ciavano a risegare dal corpo intiero le parti che alle altre face- 
vano la guerra. Levarono Ercole dal cielo, cancellarono VElisio 
dal discorso di Proteo, non avertendo che levato questo tutto il 
discorso resta mutilo e zoppo, si ginnse a cassare V ultimo libro 
delV Odissea perche contrasta colV ultimo dell' Iliadc, esempio 
che da il diritto a noi altri di cassare per simile motivo tutta la 
Necromansia. Ora i cosa troppo chiara che quando s*arriva a 
tagliare delle masse considerabili da un corpo riconosciuto da 
un maturo ed universale consenso per unito e consistente, allora 
r unitä e Vautoritä di tutto il corpo i rovinata. Gli antichi perh 
poco esperti in quello ch' t crise filosofica ed insieme col latte 
imbeimti d'una prevensione inßnita per questo loro Thoth o Ossiano^ 
o Con/ucio, non penetrarono fin qua: ma i loro critici del mes- 
tiere sensa attaccare runiversale persvasione seppero tanto bene 
prevalersi delle dimostrate interpolasioni di questo codice che 
assaltandolo^ a piccola guerra ora per buoni, ora per cattivi ed^ 
ora per ridicoli motivi e capricci ne hanno coli' obelo trafitto 
delle migliaia di versi dichiarandoli per spurj, e molti di piu 
ancora hanno a grado loro emendati o* trasposti. I soli versi 
deir . Iliade notati coli' obelo nell' edisione ultima di Veneria, 
come condannati da Aristarco sono piu di 500, oltre 40 che affattct 
sono stati omessi. Ma questo i niente a petto ai rigori di Ztnodoto, 



^ che si brucia übergeschrieben. 

' e übergeschrieben. 

' o Ossiano zuerst getilgt, dann übergeschrieben. 

* Corrigiert aus questa ♦ ♦ ♦ ♦ assaltandola. 

^ ed nachträglich zugesetzt. 

^ o anscheinend aus ossia corrigiert. 



Adolf Michaelis 



e poi si conviene che VOdissca b dt gran lunga piii gtiasta 
deir Iliade. 

Ma leggiavio con attensione gli antichi scrittori, racco- 
gliamo quanto hanno notato intorno alla nascita dcllc pocsic 
Omcriche, piuttosto che ripetere le osiose favolette della nascitä 
del supposto autore, Licurgo viaggiando per le isole e per l'Ionia 
trovö molti sqtiarcj ctantica poesia cantati in varie cittä dai 
rapsodi che per la Grecia dallora erano quel che per noi sono i 
recitanti del teatro. Colpito dalla loro bellessa e prevedendo la 
loro henefica infltiensa sopra i selvaggi del Peloponneso ch'egli 
avea intensione a trasformare in tin popolo semiharbaro e setni- 
culto per Stabilire una repnbblica quäle piu atta gli pareva ad 
essere in se ferma c diirabile, c per il difuori gloriosa e terribile 
ai * stioi nemici, La poesia per la natura sua non potendo esistere 
sensa una specie d'armonia, ammollisce ed ingentilisce il carattere 
del selvaggio: e dair altra parte Vargomento delle pocsie d'Omero 
per lo piu guerriero o venturiero doveva da canto suo contribuire 
a animare e mantenere quel genio feroce sensa cui la repubblica 
di Licurgo non poteva sussistere. Licurgo dunque fece tra- 
scrivere quanto di questi canti trovava scritto, e 7 resto, probabil- 
mente il piu, fece dettarsi dai recitanti che lo tetievano a vtcmoria. 
Non V* i dubbio ch'oltre le captsoni raccolte in questo modo da 
Licurgo, e che il caso volle che principalmente si raggirassero 
intorno all* ira d*Achille ed al ritorno (f Ulisse ^ motte e motte 
altre ve n'erano che non gli caddero tralle mani, comc impossibile 
t ch'un viaggiatore possa in alcun genere raccoglicre tutto ; o 
ancora che cognite a lui non gli parvero abbastansa belle & 
interessanti per impiegarci il tempo. qucste si conscrvarono ancora 
per* dei secoli dopo, cantate come le altre dai rapsodi in lonia 
ed in Grecia ^ fino che Vuso del teatro diventato universale fece 
perire i rapsodi, i quali forse a Chio piu lungo tempo che ncl 
resto della Grecia si mantennero. In quesV intervallo tralla 
prima raccolta fatta da Licurgo e Vabolisionc dei rapsodi, molti 
di questi frammenti ridotti a varj corpi sotto varj titoli si pubbli- 
carono, e secondo che piu presto o piu tardi comparirono, piu o 
meno rimodernati dai successivi rapsodi ed editori, con piu o 



* ai am Anfang einer neuen Seite nachträglich hinzugefügt. 

* per übergeschrieben. 

' in lonia ed in Grecia übergeschrieben. 



Georg Zoegas Betrachtungen über Homer 



meno conscnso furono riconosciuti per operc d' Ontero. di questa 
classe sono le^ Cipriaca,* la Tebaide, gli Epigoni, cd altri poemi 
che poco meno di tntto il ciclo mitico abbracciavano: oltre gli 
Innif il Margite ed altri d'argomento sacro o» ludicro. Ilfondo 
di tutte qtieste Poesie era probabilmente tanto antico e tanto Omerico 
quanto Ilias ed Odissea: ma esse comparvero in tempi meno 
creduli, erano alla * prima loro comparsa molto piu rimodernate 
di quello erano i frammenti di Licurgo, c si viddero subito esposte 
al paragone di qtiesti. oltre di cib si ptio ancora credere che da 
rapsodi si pubblicassero, ai qtiali vedendo che trovavano difficoltä 
a spacciarle per prodtisioni Omeriche, non dispiaceva d'esserne 
creduti loro medesimi gli autori, benche alla loro esistensa poco 
piu avessero contribuito di quanto contribuirono i Pisistratidi e 
i loro bibliotecarj^ alla nascitä dell' Iliade e delV Odissea, onde 
la Tebaide e la Cipriade, se non per altro, per il solo nome dell' 
autore • e per il tempo in cui diventarono cognite al pubblico 
della Grecia, gia pago di quanto aveva ^ in questo genere, inferiori 
a quelle, non acquistarono mai quel credito, e benche in sonima 
stima presso i conoscitori, negletti dal volgo, perirono come sono 
perite tante delle migliori opere della Grecia: ed a noi non ve 
n*i rimaso altro che piccoli frammenti sparsi in scoliasti e parali- 
pomenisti, e favole spögliate della loro armonia o vestite di nuovi 
incommodi abbigliamenti negli Ovidi, negli Stasi, nei Flacci, nei 
Nonni, e tanti altri poetioziosi^, bibliotecografi e scoliasti, Diversa 
fu • la Sorte dei canti prescelti da Licurgo, Depositati nella cittä 
la piu cospicua della Grecia, unendo all' innata loro bellessa ed 
all' interesse che^^ tra Greci loro dava l'argomento che era la 
piu gloriosa impresa della primitiva Grecia e dal^^ cui esito 
derivava tutto lo stato politico e morale dei tempi posteriori, 
unendo dico a tutti questi vantaggi l'approvasione dei grau nome 

* U aus la corrigiert. 

* Ein oder zwei Worte getilgt. 
^ ridicoio getilgt. 

* alla aus nella corrigiert. 

* biblioiecarj aus antiquarj corrigiert. 
^ , inferiori a quelle getilgt. 

^ j^ia — aveva statt einer getilgten Zeile übergeschrieben. 

* oziosi übergeschrieben. 
' fu aus era corrigiert. 

'0 nella getilgt. 

*' Anscheinend aus ilalla corrigiert. 



8 Adolf Michaelis 



di Licurgo, esst si conciliarono una sHma ed avtmiramone uni- 
versale, che presto passb in una spesie di vener asionc e finalmente 
i diventata una idololatria formale, di cui neppure i nostri buon- 
gtistai sono intieramente esenti. Pare perb cKa Sparta restassero 
solamente come canti isolati ciasclteduno per se, messi insieme in 
un talquale ordine come soglionsi ordinäre dei frammenti : uniti 
in due corpi a un di presso uguali, l'uno comprendendo quanto 
riguardava Vesercito accampato avanti Troia, Valtro quanto 
trattava del ritorno dopo la vittoria spesialmente quello d' Ulisse 
e di Menelao. all' uno fu dato il nome dalla cittä assediata, al- 
Valtro dair eroe che fu fultimo a rivedere la patria, Neppure t 
ben chiaro quanto ne raccogliesse Licurgo e che cosa dopo lui 
diventasse da questa sua raccolta \ Ma cresciuta la coltura della 
Grecia, quando ai Pisistrati* venne in capo di raddolcire i mon- 
tagnardi Ateniesi per tnesso delle muse, afine di mantenersi essi 
stessi piu facilmente in quel grado di potensa e di splendore che 
a crudo* ajssardo aveano acquistato, tra motte altre cose che fecero 
con quesf intensione, proccuraronsi ancora delle copie di quanti 
canti e frammenti trovarsi poteano * delV Iliade e de II' Odissea, 
gia prima di loro raccommandate da Solone ai suoi patriotti^, 
e piu • non contenti di due serie di frammenti, invitarono quanti 
le loro ricchesse appagare potevano di poeti e deruditi, per com- 
pletare, connettere, emendare ed acconciare i due dal caso creati 
poenti. Ogftuno vede che cosa accadere doveva in simili combi- 
nasioni. Nacquero cosi Vlliadee'' VOdissea a un di presso come 
ancora oggidi sussistono, ed insieme con loro nacque la scuola 
degli Omerocritici tanto florida nel secolo decimottavo. 

Resta a vedere come sia nato il nome Omero, difficolta la^ 
meno imbarrassante ditutte, quando consideriamo che ogninasione 
nella sua infansia ha avuto qualche nome venerabile, volle im- 
prontato da un tat mortale che portandolo si rese celebre con- 
tribuendo • al primo dirossamento d'essa nasione, volle gerogli- 

* Neppure — raccolta übergeschrieben. 

* Vielleicht verschrieben statt Pisistratidi, 

* crudo aus dura corrigiert. 

* di — poteano corrigiert aus dei frammenti Omer. 

* pa — patriotti nachträglicher Zusatz. 

* piu ursprünglich hinter contenti. 
^ e fehlt in der Handschrift. 

* piu getilgt. 

» Anscheinend zuerst alla prima co/t, dann getilgt. 



Georg Zoegas Betrachtungen über Homer 



ficamente inventato da quei medesimi primi dottori del popolo, 
volte ancora nato da circostanse casualL chi non conosce i Thoth,^ 
i Tages, i Budda,* Ossiani, Odini, Mancocapac, c tanti altri? 
A qucsti tali secondo le varietä delle circostanzc attrihtiivasi 
qtianto b rintero corpo della nasione o certi ordini d'essa piu 
nobili e piu culti'^ inventavano o produccvano d' utile e di hello. 
Ma siccomc ad uua nasione rimasa a mezza strada e poco avansata 
ftella cultura bastava un nome solo, altrc piu culte avcvano per 
le diverse epoche e le diverse classi ancora due o Ire o piu capi- 
trovatori, Scandinavia era contenta del suo As-Odifto, e Cusco 
del suo Mancocapac, ma l'Egitto aveva tre Thothi,* seuza che 
dalcuno di essi bene si sappia che cosa abbia fatto o scritto, 
cosi dopo Vantichissimo Cadmos la Grecia avei^a un Orfeo padre 
dei sacerdoti, un Omero principe dei poetinarraiori,^ ed un Esiodo 
dottor volgare, V^isse forse una volta in Chio o Sfmrna o quäle 
ultra cittä volete della Grecia un vate chiamato Omero, il quäle 
forse cantb motte di queste cose che sono nette poesie di cuipar- 
liamo. fu forse il primo, forse il piu felice a cantare in questo 
genere, e la sua fama crebhe a tale segno die per essere bene 
accolti bisognava ai rapsodi dire die la pezsa die cantavano 
fusse composizione d' Omero, questo in un secolo rossissimo 
poteva accadere sensa che si consen^asse alcuna distinta notisia 
di questo celebratissimo personaggio: non cosi in un secolo quando 
un uomo poteva essere culto abbastansa per comporre due cosi 
ordinati cosi connessi e cosi abbondanti poemi come sono oggidi 
riliade e VOdissea. Ma ancora sensa la reale esistensa d'un 
uomo chiamato Omero, poteva la commune opinione dei popoli 
roszi di supporre nei ciechi un certo afftato divino, e la similmente 
universale usanza che i ciechi cantando di casa in casa solevano 
e sogliono guadagnarsi il pane, dare nascitä alla fräse di chiamare 
cansoni del cieco tutte le poesie simili a quelle che solevano o com- 
porre recitare i ciechi. II nome d" ojLiTipo^ e quanto della sua vita 
sifavoleggia contribuisce molto afare credere che questa sia lavera 
origine del titolo che ai* poemi chiamati d' Omero si suole dare. 



* Drittehalb Zeilen getilgt. 

' ^/i .... getilgt und / Budda drilbergeschrieben. 

^ . . . ti producevano (?) getilgt und culti drübergeschrieben. 

« 1% Zeile getilgt. 

* narraiori übergeschrieben. 
" questi getilgt. 



10 A<loif MichMrli» 



ftuittifUi, HL Ottohre, I7HH 

dfßpfß la lettura dt Cesaroiii tont. L pari. /. s^z. L 
cf, Giambattista Vko della scienza ntu/va. 

Ferrault paralleles, düilogtie 3^, 

Atihignae conjeciures academiqttes sttr Hotttcre. 1715 

Mercier ' 17 H5 

Fope 
WfßTjd 

HlakwelVs inquiry ittlo ihe life and writings of Homer 
Merlan delV inflnenza delle sctenze stille belle letiere. tnettt. 
deir acad. di Berlin. 1774. 

\im den Lkteratumachweisen am Ende des Aufsatzes sind 
die ersten aiLS Cesarottis Buch entnonunen; da dieser nur Merciers 
Namen nennt, hat Zoej^a für den Titel von dessen Schrift zunächst 
Kaum gelassen. Die folgenden Namen hat er wohl hinzugefügt, 
um bei etwanigem Gebrauch der Skizze auf diese Werke zurück- 
zukommen. 

Es ist ohne weiteres klar, dass Cesarottis Buch Zoega nur 
den letzten Anstoss gab, ein paar Hauptpunkte seiner homerischen 
Studien, über die er sich längst völlig im Klaren war, aufzuzeichnen: 
so durchdacht, wohlgeordnet und durchsichtig ist die ganze Dar- 
legung. Zoega muss von seinen erneuten Homerstudien imd ihren 
Itrgebnissen seinem alten Lehrer Heyne Mitteilung gemacht haben, 
nicht blr)ss von litterarhistorischen Betrachtungen gleich den obigen, 
sondern auch von mythologischen und mythenvergleichenden Com- 
binationen. Heyne, dem schon die religionsgeschichtlichen Excurse 
in dem Buch über die alexandrinischen Münzen zu weit gingen, 
konnte seiner Natur nach auch hinsichtlich der homerischen For- 
schungen nur Unbehagen empfinden. „Wie sollte mir es einfallen," 
schreibt er am 22. September 1790 an Zoega, „über das Zeitalter 
der homerischen Gedichte weiter zu gehen, als Data vorhanden 
sind? Alles übrige heisst geträumt. Mir ist es wahrscheinlich: 
es sind erst einzelne Gesänge gewesen, die man nachher verband. 
Im (Jrunde ist es doch nur eine Möglichkeit. Ein Hälmchen 
im Ocean ist noch kein Fahrzeug bis an das andere Ende zu 
schwimmen" ( Welcker, Zoega's Leben II, 62). Es ist der Gegensatz 
des vorsichtigen Küstenfahrers gegen den seiner Sache sicheren 
und deshalb getrost die Meerfahrt unternehmenden Columbus. In 

' Darunter mit hellerer Dinte bonnet de nuit. 



Georg Zoegas Betrachtungen über Homer H 

seinen gedruckten Arbeiten ist Zoega meines Wissens auf die 
homerische Frage nicht zurückgekommen. Wolfs Prolegomena 
hat er, wie Welcker berichtet, wenigstens durch eine Recension 
kennen gelernt ; deutsche Bücher fanden damals schwer ihren Weg 
nach Rom, von dessen litterarischen Zuständen W. von Humboldt 
1805 an Wolf schrieb : „Hier wird nur alle halbe Jahrzehnde ein 
neues Buch geschrieben, und dann die übrige Hälfte von diesem 
gesprochen". 

Das diesem Aufsatz vorgesetzte Bildnis giebt eine Zeichnimg 
Thorvaldsens wieder, die dieser in Zoegas letzten Lebensjahren 
(zwischen 1803 imd 1808) nach dem Leben entworfen hat. Sie 
befindet sich im Thorvaldsen-Museum zu Kopenhagen, wo Prof. 
Ussing die Liebenswürdigkeit hatte sie für mich photographieren 
zu lassen. Sie wird demnächst mit anderen Bildnissen Zoegas 
in der Zeitschrift für bildende Kunst von mir herausgegeben und 
besprochen werden. 

Am Schlüsse des Aufsatzes wird ein Siegel des Mannes ab- 
gebildet, der, ebenfalls ein Schüler Heynes, ähnlichen Gedanken, 
wie Zoega sie in der Stille niedergeschrieben aber niemals ver- 
öffentlicht hatte, den Weg in den Kreis der Gelehrten und darüber 
hinaus in die weiten Kreise der Gebildeten gebahnt hat. Es ist 
bekannt, in wie hohem Masse die durch F. A. Wolfs Prolegomena 
aufgerollte homerische Frage auch Wolfs grossen Freund, Goethe, 
in verschiedener Richtimg beschäftigt hat. Das nahe Verhältnis 
der beiden Männer, das in den durch Schillers Tod und die Schlacht 
bei Jena bezeichneten Jahren seinen Höhepunkt erreichte, fand 
einen sichtbaren Ausdruck in dem Austausch ihrer Bildnisse, von 
Jagemann gemalt ; in dieselbe Zeit gehört wohl auch, wie Bemays 
(Goethes Briefe an F. A. Wolf, Berlin 1868, S. 67) vermutet, das 
Petschaft, das Goethe für den der Kunst abholden Freund ent- 
worfen und hat schneiden lassen. Der Dichtergott, wie er den 
Wolf mit seinem Saitenspiel fesselt und zähmt — ein sinniges 
Symbol für den nicht immer ganz leichten und bequemen Verkehr 
Goethes mit dem erregbaren Begründer der Altertumswissenschaft! 
Goethes Bild und das Petschaft, einst durch ein Geschenk von 
Wolfs Enkelin im Otto Jahn gelangt, befinden sich jetzt in der 
Hirzelschen Goethesammlung der Leipziger Universitätsbibliothek ; 
der Abdruck des letzteren, den ich meinem Freunde Fr. Studniczka 
verdanke, giebt ein wirkungsvolleres Bild der hübschen Compo- 



12 Adoir Mkhadii. Geoif Zoegas Betracht anften über Homer 

sition als der Umriss auf dem Titelblatt von ßemays Buche. Ein 
anderer Siegelstein Wolfs, aus Jahns Xachlass in meinen Besitz 
gelang, aber zu schlecht geschnitten um eine Abbildung zu ver- 
dienen, ist für Wolfs Eigenart vielleicht noch charakteristischer. 
In Anlehnung an ein pindarisches Wort schwebt der „göttliche 
Vogel" zur Sonne empor — darüber: tö tpuäi Kpdnorov — wahrend 
unten am Boden drei Raben („noBövre?") gegen ihn hinankrfichzen. 
Üxt fühlte sich Wolf dem gelehrten Pobel gegenüber. 




TH. NÖLDEKE 

ÜBER EINIGE EDESSENISCHE MÄRTYRERAKTEN 

Der römisch - syrische Patriiirch von Antiochia, Ignatius 
Ephraem II Rahmani hat die Akten der Märtyrer Gurjä und 
Schmönü ' nach einer von ihm in Jerusalem entdeckten Hand- 
schrift herausgegeben und mit einer lateinischen Uebersetzung 
begleitet (Romae 1899). Er hat sich dadurch ein neues Verdienst 
um die syrische Litteratur erworben. Den Text scheint er recht 
sorgfältig gegeben zu haben. Dass seine Einleitung einen etwas 
kindlichen Standpunkt der historischen und litterarischen Kritik 
offenbart, wird man einem orientalischen Geistlichen nicht verübeln. 
Für den cinigermassen mit den einschlägigen Fragen bekannten 
imd ein bischen kritisch geschulten Leser kimn von Echtheit 
dieser Akten so wenig die Rede sein wie von Echtheit der Akten 
HabIbs, Scharbeis und Barsamjäs.* Ich scheue mich fast, mit 
einer Beiuteilung dieser Legenden hervorzutreten, da sie eigentlich 
ganz von selbst aus dem folgt, was Lipsius in seiner Schrift „Die 
Edessenische Abgar-Sage" (Braunschweig 1880) festgestellt hat, 
zumal ich dabei einiges wiederholen muss, was schon bei Lipsius 
steht. Der enge Zusammenhang aller dieser Schriften liegt jetzt 
ganz zu Tage, imd der Rest von Zweifel, den Lipsius noch hatte, 
ob nämlich die in Trajans Zeit gesetzten Martyrien aus der- 
selben Schmiede hervorgegangen seien wie die Diocletianischen, 
muss schwinden. 



* Jacob von Sanig gebraucht in seiner auf unsern Akten beruhenden liomilie 
diesen Namen immer zweisilbig. Also war vor dem /// kein voller Vokal mehr. Immer- 
hin mochte man aber noch mit einem ganz kurzen Vokalanstoss Sch^mönä oder Schamötiä 
sprechen. 

* Herausgegeben mit englischer Uebersetzung von Cureton in dessen Ancient 
Syriac Documents (London 1864). Die von vorn herein ziemlich sichere Vokalisation 
des ersten Namens wird bestätigt durch Wrights syr. Katalog 176 a, 3. Der zweite Name 
wäre eigentlich Ilabbtbh oder Habblv zu transscribieren ; doch sprachen vielleicht die 
Edessener die Doppelkonsonanten schon früh einfach aus, wie sie es später sicher 
thaten. 



14 I'i NOkl«kt 



J>H.s MuriyriuiTi J^ablbi^ gk^ si<± al^ eintr An Anhaiie zn 
<lcn) <^urjäb und SiiraOnäb, ähnlir* wie die CcmfebiüC' Barskm}ä^ 
ülb Anixajiji^ zum Martyrium Sc'harb^lb ersciieint. -\llt diese Btaiciite 
4x:j^inn<r:n. wie au<:h die J>o(.lriTia Addaei, mit e:>Tieiirciiiistischen 
j>atc'n, die leider siamtJirh den Fehler haben, nicht inisammen zn 
stunm<-n. Jiei St'barbeJ wird an^e^eben da^ Vj. Jahr Trajans 
012 n. Chr.j AUj Alexander.-' 1040. Da- 3. Jahr KOnic 
AJ)K<*^^ ^'^J- ^'^'^ Jidessa ma*: ungefähr zu dem er^xen Darom 
j>a.sseij; i^emtu Lähbl si<h da^^ nicht bestimmen- Guti.chmid hat in 
b/L'im-n „(^'«l4.-rbU<:h.un^en über die c;<:;schichte des- KOni^dch> 
i^br^^-m-*' ^^*irU-ri>hur^ 18K7- aber auf das Zeiymii? untrer Stelle 
/M viej ^;ewi<Jit {<ele}<i. I^i Barsamjä ist dasi^elbe Jahr 416 der 
^/Vuxhi'n ^U)4'^}j - 10. Trajans < 1 12 -^ dem Consulat des Conmiodus 
und <xrrJaJii:> ^UM),, Mün darf nichts darauf geben, dass die Daten 
|>ienbiaj^ den K April ''Cureton 42, 1 •, Dienstag den 2. September 
^4^y, l?>y; l'reitag den a September -61, 21 • für eines der uns hier 
gU^ichs;im zur Auswahl gebotenen Jahre, nämlich für 105. stinmien 
würden ; der Verfasser mag eine s^>lche Korrespondenz aus einem 
von ihm M-Ibst erlebten Jahre berechnet haben. — Die Jahres- 
zahlen für ^iurj;l und Schm/>nA sind 618 Alexanders (^3067 1 = 14. 
I >ior|e(jans CJ^HH), als Diodetian zum achten Mal Konsul war '303. 
und Maximianus» zum sechsten (*2^^))^ Nicht viel wird damit 
gewonnen, dass der Herausgeber gewaltsam 608 Alexanders (2%/7» 
anderl; der lö. November, der Tag der Coronatio, fiele, Avenn 
IT in ^jOH Seleuc. gesetzt würde, noch ins Jahr 296, mithin ins 
!.'$. nioileiiuns. Dazu kommen noch ein paar unkontrolierbare 
Angilben ül)er die derzeitigen Strategen von Edessa und dass 
iliimals Kinir f Koivo^, V^ocativformj Bischof von Edessa w^ar. 
j.eizleres kann richtig sein; dieser Bischof hat im Jahre 312/?> 
lieh Mau der giossi'n Kirche in Edessa begonnen Chron. Ed. 
illalliei» S. 147. Nebenbei wird noch unrichtig angegeben, dass 
DitKielian 1*^ Jahre' regiert habe (20»/:*). Dass G. und Seh. von 

t hiti AuiH „AlvxandeiH" otlcr ,.dcr (jricchcn" ist bekanntlich die Seleucidische. 
^ S(i lüi iiui'h Mütaphinhies und dem Armenier für Musitutos des Textes zu 
lüaiin. hiu KnU(ullun|f ib( in dci Kyrischen Schrift eine sehr geringe. 

* M(iU|ihrahieü hat Ux) Alex., o IMoclet., als Max. zum 6. Mal Consul war. Die 
aimuiiiaiihu lluliurkvUmii*- Cti5 Alex., 8. Hiocl., als UiocI. zum i8. (sie) Mal, Max. zum 
0. Mal Kiinhiil wai. Uie Zahlen des !kyri>chcn Textes sind gewiss die ursprünglichen. 

Uiu Mit(vilun|>cn au» dem Armenier verdanke ich der Freundlichkeit Hübschmanns. 

* iMe^iv Zahl au^h beim Armenier 



Ueber einige Edessenische Märtyrerakten 15 

^ \ 

den Opfern der Diocletianischen Verfolgung, u. a. von dem Mär- 
tyrer Pamphilus, gehört haben sollen (S. 6 oben), « bringt weitere Ver- 
wirrung in die Chronologie, denn der ist erst 309 gefallen. Aber über- 
haupt kann die Verfolgung, welche der Verfasser im Auge hat, nur 
die grosse Diocletianische sein, die erst 303 begann. — Gegen den 
Schluss (S. 26j findet sich noch die Bemerkung, dass damals Hyme- 
naeus Bischof von Jerusalem, Gajus von Rom, Theonas von Alexan- 
dria, Tyrannus von Antiochia gewesen seien. Auch Theophanes, 
natürlich auf ältere Berechnungen gestützt, hat diese Vier als Zeit- 
genossen 5777 Mundi (= 284,5) — 5785 (292/3). Richtig ist das aber 
nicht. Gajus ist schon 296 gestorben (Lipsius, Chronol. d. röm. Bischöfe 
264), Theonas 300 (Gutschmid, Kleine Schriften 2, 425), Hyme- 
naeus gegen 300, Tyrannus aber erst 306 Bischof geworden.« 
— Bei Hablb heisst es 620 Alexanders (308/9; unter dem Consulat 
des Licinius und Constantin (312 oder 313). Die Geschichte will 
dazu geschrieben sein, als Constantin gegen Licinius zog und 
man ängstlich auf den Ausgang des bevorstehenden Kampfes 
harrte. Das führte aufs Jahr 314 oder aber 319. Die Ungenauigkeit, 
dass Constantin aus dem Innern Spaniens gegen Rom gerückt 
sei,« könnte man allenfalls der mangelhaften Kunde der Leute im 
fernen Osten zu Gute halten. 

Man sieht aber, alle diese genauen Zahlen und Namen sind 
nur gegeben, um den trügerischen Schein der Geschichtlichkeit 
zu gebet! ; ein alter Kimstgriff, der naive Leser leicht täuscht. 
Gröber ist im Grunde das Vorgeben, dass diese Akten sämtlich 
von Augenzeugen geschrieben seien, dass sie die genauen, wört- 
lich aufgenommenen und von den Edessenischen Gemeindebeamten 
{scharrJre) beglaubigten, im Archiv aufbewahrten Verhandlungen 
(inTOjLivriiiaTa) darstellten. Der Richter selbst soll die Akten Bar- 
samjäs unterschrieben haben. Schon in diesen Angaben liegen 
innere Widersprüche. Das Ungereimte der Behauptung tritt erst 
recht hervor, wenn man die angeblichen Gerichtsverhandlungen 



^ Ich citiere immer die syrischen Texte'; die Stellen sind aber in der Ueber- 
setzung leicht aufzufinden. 

' Eigene Untersuchungen habe ich über die Zeitbestimmung dieser Bischöfe 
nicht angestellt. Nachweisungen über Ilymenaeus und Tyrannus verdanke ich der Liebens- 
würdigkeit Geizers. 

' Vielleicht verwechselt die Erzählung den Zug gegen Licinius mit dem gegen 
Maxentius, den Constantin ja wirklich bei Rom überwand (312). 



16 Th. Nöldcke 



selbst ansieht; sie haben mit wirklichen Kriminalakten wenig 
gemein.* 

In den Trajanischen Akten finden sich begreiflicherweise 
noch mehr grobe Verstösse gegen die Geschichte als in den 
Diocletianischen. Der Erzähler lässt zwar die Herrschaft des 
Königs Abgar VII. in Edessa bestehen, aber trotzdem den kaiserlich 
römischen Richter Lysanias die vollständige Amtsgewalt ausüben. 
In Wirklichkeit trat Abgar zu Trajan überhaupt erst in nähere 
ßeziehimg, als dieser nach Asien kam (Spätherbst 113). DassLusius 
(Quietus), der hier als oberster Statthalter erscheint (70, 10), sehr 
wenig geeignet war, gerade ein Toleranzedikt zu verkünden, hat 
schon Lipsius ausgesprochen (Abgar-Sage 44). Das im Wortlaut 
mitgeteilte Edikt, das in letzter Instanz auf die bekannten, von 
Trajan dem Plinius gegebenen Weisungen in Bezug auf die 
Christen (1 12 oder 1 13 j zurückgeht, ist natürlich eben so unhistorisch 
wie das Edikt, das eine allgemeine Verfolgung imordnet. Aus 
der Geschichte der Diocletianischen Zeit war der Autor an die 
Mehrheit der Kaiser gewöhnt; so lässt er nun auch in Trajans 
Tagen «die Kaiser» regieren. Dass der Erzähler im Anfang des 
2. Jahrhunderts die vollständige hierarchische Ordnung: Diakonen, 
Presbyter, Bischöfe und die Nicäischen dogmatischen Formeln 
kennt — namentlich ist auf das öjLiooucTioq (43, 16) hinzuweisen — 
befremdet nun nicht mehr. Ebenso wenig, dass die Geschichte 
des G. und Seh. Mönche und Nonnen aufführt (4, 1. 27, 10), von 
denen in Edessa allerf rühestens um die Mitte des 4. Jahrhunderts 
die Rede sein konnte. Hie und da fällt der angebliche Augenzeuge 
übrigens aus der Rolle und weist auf die Zeit der Ereignisse als 
eine länger vergangene hin z. B. G. und Seh. 28, 8 : „die in ihren 
Tagen getötet worden sind"; Hablb 85, 13: „wie es ihre Sitte 
war". Dass der Name des Richters Lysanias in den Akten des 
Scharbel derselbe ist wie der des Hegemon in den Akten G. und 
Sch.s und denen Habibs, könnte zwar auf einem Zufall bei*uhen,* 
aber wenn man sieht, dass die Namen der Edcssenischen Grossen 



' Man bedenke, dass selbst die ganz fabelhaiten Akten des h. Georg von einem 
Vertrauten desselben herrühren wollen. — Interessant ist es, dass wir jetzt auch ein 
Exemplar heidnischer Akten haben, worin ein Philosoph als Märtyrer eben so kühn 
redet wie die christlichen Blutzeugen (Archiv für Papyrusforschung i, i). 

* Lysanias ist die Lesart Habib 74, 10, und das ist auch bei G. u. Seh. am 
besten bezeugt. Allerdings daneben S. 6 und 8 Musianos (oder ähnlich), und so der 
Armenier Musisianos, Metaphrastes einmal 'AvTdivio^, sonst MouaoOvio^. 



lieber einige Edessenische Märtyrerakte 17 



Awldhä, Lebbö/Hafsai* und Barkalbä bei Scharbel (45, 17) 
und Barsamjä (64, 5) vorkommen, wie schon in der, zwei Menschen- 
alter früher spielenden, Doctrina Addaei (Philipps 35), so erkennt 
man, dass die Verfasser solcher Geschichten sich nicht immer 
erst bemühten, Namen für erdichtete Personen neu zu erfinden. 
Schon in dem, was ich oben gesagt habe, zeigt sich Ueber- 
einstimmung dieser Trajanischen imd Diocletianischen Märtyrer- 
legenden in verschiedenen charakteristischen Zügen. Femer er- 
scheinen mir die langgedehnte Dialoge zwischen den Richtern 
und den Märtyrern noch mehr Aehnlichkeit mit einander zu haben, 
als sie der Stil solcher Akten überhaupt mit sich bringt. Beachte 
z. B., dass der Richter dem Scharbel in ganz ähnlicher Weise 
das Hersagen (tinjänä) von Schriftstellen verweist (58, 19) wie 
dem G. imd Seh. {ttannön 11, 10). — Auch andere Märt3nrer- 
legenden zeigen das Behagen an Henkerscenen in der Ausmalung 
der von den Heiligen erlittenen Qualen, imd zwar Qualen, von 
denen in Wirklichkeit ein kleiner Teil schon hingereicht hätte, 
das Opfer zu töten. Aber die beiden Gruppen imsrer Akten haben 
in diesen Schilderungen noch besondere Aehnlichkeit mit einander, 
sachlich wie in den Ausdrücken. Diihin gehört z. B. das wieder- 
holte Aufhängen mit verrenktem oder auf den Kopf gestelltem 
Leibe. Scharbel wird auf einen Rost (tarteqUV d. i. craticula) gelegt, 
der durch Feuer erhitzt (eigentlich „siedend gemacht") worden 
ist (55, 9); wörtlich ebenso G. und Seh. 9, 4. Dem Scharbel werden 
glühende Kugebi von Blei und Erz unter die Achseln gesteckt (54, 1 7) ; 
eben so dem G. und Seh. glühende Bleikugeln (9, 9). Scharbel 
wird mit Peitschen aus Rindsleder (laupeai) gezüchtigt (47, 18. 53, 
4 V. u. 54, 11) wie G. und Seh. (9, 6, wo das Wort ein wenig 
entstellt ist). So Scharbel (53, 15) und Hablb (79, 14) mit schweren 
Knitteln.^ Scharbel wird in „die finstre Grube" (gubbä heschschöchä) 
gesperrt (49, 11) wie G. und Seh. (13, 16 und ult. 14, 6. 16 ult. 
17, 4j, und zwar wird der Ausdruck bei diesen (13, 15) geradezu 
als Eigenname bezeichnet. Bei Scharbel heisst es (53, 4 v. u.): 
„er soll in den eisernen Klotz (qabbä) gelegt werden wie ein 
Mörder", bei Hablb (78, 20): „steckt ihn in den eisernen Klotz 



* Vokale nicht sicher. 

« Das Wort ist nicht häufig. 

^ Das scheint das Wort zu bedeuten, das ausser an diesen SteUen nur noch an 
einer einzigen nachgewiesen ist. Eine etwas andere Form davon in jüdischen Schriften, 
s. Im. Low in ZDMG 52, 316. 

2 



18 Th. Nöldeke 



der Mörder" (d, h. der für Mörder bestimmt ist).* Ferner sagt der 
Richter bei Scharbel (ö9, 4 v. u.): „ich habe befohlen, dem Lästerer 
gemäss den Gesetzen der Kaiser einen Zaum in den Mund zu 
legen wie einem Mörder**; bei Hablb: (83, 16) „ich habe befohlen, 
ihm einen Zaum in den Mund zu legen • wie einem Mörder**. Ein 
gleicher Zug ist noch, dass die Heiligen dort wie hier einmal 
durch die Qualen so geschAvächt sind, dass sie nicht sprechen 
können (Scharbel 59, 3; G. und Seh. 13, 8). Beinahe wörtlich gleich 
wird bei Scharbel f60, 4) wie bei Hablb (83,19) erzählt, wie die 
Volksmassen dem zur Hinrichtung Abgeführten nachlaufen. In 
allen diesen kommt der sonst im SjTischen unbelegte Ausdruck 
d^KeTTTujp {exceptory „der alles wörtlich aufschreibende Beamte**; vor. 
Dann finden wir darin mehrfach die Ausdrücke öiKacTiripiov und 
dcpcpiKiov (officium „die untergebenen Beamten**), die sonst im 
Syrischen nicht eben häufig sind.^ 

Vielleicht könnte man selbst ein negatives Moment für die 
Aehnlichkeit der Trajanischen wie der Diocletianischen Akten 
anführen, nämlich dass darin eigentliche Wunder fehlen, die doch 
sonst namentlich in unechten Märtyrerlegenden beliebt sind. Denn 
die übermenschliche Kraft der Heiligen im Ertragen der ärgsten 
Misshandlungen w^ird von dem Erzähler gar nicht als Wunder 
empfunden; kaum auch, dass G. und Seh. 3'/t Monate ohne Speise 
und Trank leben konnten (14;. 

Auf alle Fälle hängen die vier Legenden eng zusammen, wie 
das schon Jacob von Sarüg fühlte, wenn er in seiner metrischen 
Bearbeitimg der Scharbel- Akten auf Hablb verweist (92, 19. 93, 11) 



* Dies qabbä ist aus dem Syrischen sonst nicht bekannt. Im Späthebräischen 
scheint es für ein Holzstück zu stehn, in das der Verstümmelte den Fuss steckt, um gehen 
zu können. Auch aus der für das arabische qabh angegebenen Bedeutung (s. Sihäh) scheint 

• • • 

zu erhellen, dass es eine Art Scheibe mit einem Loch zum Durchstecken war. In 
unserm Fall war es wohl ein schwerer Klotz, durch den das Bein gezwängt ward, um 
den Mann zu peinigen. Darauf führen die Stellen G. und Seh. 14 f., wo der qabbä am 
Beine des aufgehängten Delinquenten unterhalb des Kniees angebracht wird. Verschieden 
von dem «Block» {saddä), in den der Fuss des Gefangenen gesteckt ward, um ihn am 
Boden fest zu halten. 

' Nicht etwa in übertragener Bedeutung, sondern buchstäblich; s. 60, i, wo dieser 
Befehl ausgeführt wird. 

' Ersteres kommt in unseren Akten 7 mal vor; sonst kenne ich es nur aus 5 
Stellen; das andre findet sich dort 6 mal, und nur 3 mal in mir sonst bekannten 
Stellen. — Mit Ausnahme von biKaorripiov fehlen alle diese Wörter (auch qabbä) bei 
BB; ein weiterer Beweis ihrer Seltenheit. 



Ueber einige Edessenische Märtyrerakte 19 

und sagt : „mit Scharbel fing der Kampf an, mit Hablb endete er" 
(%, 5). Wahrscheinlich rühren sie alle von einem Verfasser her, 
wenn es auch immerhin möglich ist, dass jede der beiden Gruppen 
einen besonderen Autor hatte ; dann hat sich der spätere aber in 
Inhalt und Sprache ganz imgewöhnlich eng an seinen Vorgänger 
gehalten. In dem Falle möchte ich die Diocletianischen Akten für 
die ursprünglicheren halten ; viel später können die Trajanischen 
aber nicht sein. 

Dass die in der Doctrina Addaei vorliegende Bearbeitimg 
der Abgar-Legende mit den Scharbel-Akten nahe zusammenhängt, 
hat bereits Lipsius bewiesen. Es wird aber genügen, anzunehmen, 
dass jene aus demselben Kreise hervorgegangen ist wie die Mär- 
tjTergeschichte ; denselben Verfasser hat die Doctrina kaum. 

„Früher als c. 360 u. Z. lässt sich die ganze Litteratur nicht 
ansetzen; ebenso gut aber kann ihre Entstehung noch zwei bis 
drei Decennien später fallen.*^ Dieser Bestimmung von Lipsius 
(Abgar-Sage 51) kann ich nur beitreten. Zwischen der Regierung 
der heidnischen Kaiser und der Abfassung unserer Legenden muss 
geraume Zeit verflossen sein ; das erhellt aus dem, was ich oben 
dargestellt habe. Andererseits hat das kleine syrische Martyrolo- 
gium, das W. Wright im Journal of Sacred Literature 1865 Oct. heraus- 
gegeben und ebenda 1866 Jan. ins Englische übersetzt hat, jene wahr- 
scheinlich schon vor sich. Es giebt nämlich in Uebereinstimmung 
mit ihnen als Tag des Martyriums von G. und Seh. den 15. No- 
vember und als den des Hablb * den 2. September ; beidemal wird 
Edessa als der Ort genannt, während sonst in der Schrift diese Stadt 
nicht vorkommt ; beim Hablb wird ausdrücklich, entsprechend den 
Akten, der Feuertod erwähnt. Da das Martyrologium in der be- 
rühmten Handschrift vom Jahre 411 steht, aber da nicht Autograph 
des Verfassers sein kann, so führt uns das für die Abfassung der 
Akten selbst wieder ein Stück höher hinauf, entsprechend dem 
Ansatz von Lipsius. Denkbar wäre ja freilich, dass die Liste des 
Martyrologiums ihre Kunde aus einer sonstigen Edessenischen 
Quelle hätte, aber unwahrscheinlich ist das. Mit voller Sicherheit 
dürfen wir die Legenden für älter halten als die Mitte des 5. Jahr- 
hunderts, denn sonst hätten sie es nicht wohl vermeiden können, 



* Der Name wird da, wahrscheinlich richtig, mit angehängtem (stummem) Jod 
geschrieben; eine Form, die auch auf Palmyrenischen Inschriften vorkommt. Bedeutung: 
^mein Liebling". 

2* 



20 Th. Nöldeke 



in dem Streit über eine oder zwei Naturen Christi, der alle Syrer 
des römischen Reichs gewaltig aufregte, irgendwie Partei zu er- 
greifen. Wir brauchen daher keineswegs auf die Zeit des Jacob 
von Sarüg (f 521) hinabzugehen, der diese Sachen metrisch be- 
arbeitet hat. Die Vermutung von Lipsius (a. a. O.), dass diese 
Litteratur in den Kreisen des h. Ephraim (f 373; entstanden sei, 
ist zwar zulässig, aber doch kaum näher zu begründen. 

Als historisch kann uns in den Akten nur Weniges gelten. 
Zimächst dürften die Namen der Märtyrer imd ihre Herkimft auf 
guter lokaler Ueberlieferung beruhen. Scharbgl mag wirklich 
früher Götzenpriester gewesen sein; Verlass ist freilich darauf 
nicht, denn ein solcher Zug kommt auch sonst in unhistorischen 
Legenden vor. Barsamjä ist wahrscheinlich in früher Zeit Bischof 
oder doch Geistlicher gewesen. Da von einer Trajanischen Christen- 
verfolgung in Osroene nicht die Rede sein kann, die chronologischen 
Daten, wie wir sahen, überhaupt willkürlich sind, so ist die An- 
setzung dieser Beiden in die Zeit Trajans überhaupt hinfällig. 
Lipsius (S. 9) wollte das Martyrium in die Decische Verfolgung 
(250 — 51) legen, weil der in Barsamjas Akten als gleichzeitiger 
Bischof von Rom genannte Fabianus damals lebte und in dieser 
Verfolgung (250) Blutzeuge geworden ist. Aber es ist gar nicht 
wahrscheinlich, dass man in Edessa mit dem Namen des ein- 
heimischen Märtyrers zugleich den des damaligen Bischofs von 
Rom aufbewahrt hätte ; näher liegt die Annahme, dass auch dieser 
Synchronismus ganz willkürlich ist. Für die von Lipsius (eb.) noch 
zur Wahl gestellte Verfolgung unter Valerian (256—60) wüsste ich 
nicht Bestimmtes zu sagen. Wir können daher den Tod Scharbeis 
nicht chronologisch feststellen : er mag im 2. oder 3. Jahrhimdeit 
von einem einheimischen Fürsten oder, nach Einziehung des Va- 
sallenreichs, von einem kaiserlichen Beamten zum Tode verurteilt 
worden sein. Auch ob er wirklich dem Barsamjä näher gestanden 
hat oder auch nur dessen Zeitgenosse gewesen ist, mag dahin 
gestellt bleiben. 

Dass Gurjä von Sarge * und Schmönä von Galda (3) • in der 
Diocletianischen Verfolgung gefallen sind, dürfen wir ohne Weiteres 



' Die Form nicht sicher. Vielleicht der bei Jäqüt 3,70 genannte Ort Sardscha 
am Euphrat nahe bei Samosata oder der gleichnamige mehr Östliche, nicht weit von 
Nisibis gelegene. 

* Die Consonanienschrift hat GLDA oder GNDA ; die Vokalisation ist unsicher. 



Ueber einige Edessenische Märtyrerakte 21 

annehmen. Auch die Richtstätte, der Hügel • Beth alläh qeqlä, dessen 
Lage 22 f. genau angegeben wird, ist gewiss historisch; solche 
geweihte Stellen hält das Lokalgedächtnis fest. Dass dieser Hügel 
eben der sei, auf dem nachher, wie Rahmani in der Einleitung VIII 
ann. 4 aus einer späten Chronik mitteilt, noch eine Märtyrer- 
kapelle erbaut worden ist, lässt sich wenigstens einstweilen nicht 
fest behaupten. Vielleicht bringen Untersuchungen in der Gegend 
von Edessa hierüber noch einmal Aufklärung. Der Tod des Hablb 
von Tel-she wird auch wohl in die Diocletianische Verfolgimg 
fallen, nicht in eine von Licinius angeordnete. Von den in den 
Akten genannten, sonst unbekannten Nebenpersonen kann noch 
die eine oder die andere historisch sein, womit immer noch nicht 
gesagt ist, dass sie gerade in der angegebenen Beziehung zu 
einem der Märtyrer gestanden habe; möglicherweise geben uns 
einmal Edessenische Inschriften selbst darüber teilweise Auf schluss. 
Auch einige nebensächliche Umstände können richtig sein, z. B. 
etwa, dass Schmönä im Gegensatz zu dem verheirateten Gurjä 
ein eheloses, asketisches Leben geführt habe.' 

Genaue Kunde der Edessenischen Lokalverhältnisse versteht 
sich bei dem Verfasser (oder den Verfassern) von selbst. Von 
schriftlichen Quellen ist wahrscheinlich ein oder mehrere Werke 
des Eusebius gebraucht. Die Namen der Bischöfe von Rom u. s. w. 
können aus dessen Kirchengeschichte oder aber aus einem voll- 
ständigen Exemplar der Canones genommen worden sein. Die 
vier ersten G. und Seh. 6 genannten Opfer der Diocletianischen Ver- 
folgimg scheinen aus der von Cureton herausgegebenen syrischen 
Uebersetzung der Eusebianischen Schrift über die palästinischen 
Märtyrer zu stammen. Wenigstens findet sich dort wie hier die 
Entstellung von Aircpiavoq (das in der anderen Uebersetzung in 
Assemanis Acta Mart. 2, 189 ff. richtig erhalten ist) in 'Emcpavioq ; 
freilich ist diese Veränderung in der syrischen Schrift sehr leicht 
und lag bei der Seltenheit des einen, der Beliebtheit des anderen 
nahe, so dass sie immerhin an zwei Stellen unabhängig von einander 



* G. und Sch., 22 ult. lies nlvithönlthS, Diminutiv von rävithä, das Ilabib 84, 
6 V. u. steht. 

» Das bedeutet mqaddschö, vgl. Clemens, Epist. de virginitate (Beelen) 78, l, und 
so fasst es Metaphrastes auf. Unrichtig nimmt der Herausgeber es = maqdschäjä (arabisch 
maqdist), „der die Pilgerfahrt nach Jerusalem gemacht hat". Dieser Ausdruck ist viel 
später aufgekommen; er ist von dem arabischen Namen Jerusalems Bait aima^dis 
gebildet. Um 300 war Aelia Capitolina auch noch kein Ziel für christliche Pilger. 



'22 Th. Nöldeke, Ueber einige Edessenische Märtyrerakte 



geschehen sein kann. Von den vier anderen G. und Seh. 6 er- 
wähnten Märtyrern habe ich sonst nur noch Hermes von Nisihis 
aufgefunden, und zwar in Wrights Martyrologium S. 3, 5 v. u. (Frci- 
tJig nach Ostern). Die Domitianische Verfolgung (Hablb 85, 3 v. u.) 
mochte dem Verfasser aus der Kirchengeschichte 3, 17 bekannt sein; 
auch die Liste der römischen Bischof e (Barsam ja 72) kann daraus zu- 
sanmiengestellt worden sein.* Doch kommen auch hier die Canones 
in Frage, und schliesslich ist es möglich, dass ein syrisches, aller- 
dings wesentlich aus Eusebius schöpfendes chronographisches 
Werk die alleinige direkte Quelle für alles historische Beiwerk 
in diesen Akten gewesen ist. Für die Willkür, womit ihre An- 
gaben verwandt werden, ist natürlich die Quelle nicht venmt- 
wortlich. Dass der (oder die) Verfasser griechische Quellen be- 
nutzt hätten, tritt nirgends hervor. War doch auch der h. Ephraim, 
ihr Landsmann und höchst wahrscheinlich Zeitgenosse und der 
gefeiertste aller syrischen Schriftsteller, des Griechischen unkundig. 
Eine rege Uebersetzerthätigkeit machte die kirchliche griechische 
Litteratur den Syrern doch zugänglich. Die Bekiuintschaft mit 
anstössigen griechischen Mythen, die sich Scharbel 55, 2 ff. zeigt, 
stammt aus der apologetischen Litteratur, die in Uebersetzungen 
wie in syrischen Originalschriften den Syrern in ziemlichem Um- 
fange vorgelegen hat. 

Was den Stil dieser Akten betrifft, so sind sie alle sehr 
fliessend, in bestem Syrisch abgefasst. 



' Die Verderbnisse in dieser gehen zum Teil schon auf Verschreibung otler Ver- 
lesung im griechischen Texte zurück, z. B. Enos d. i. AINOC für AINOC. 



EDUARD SCHWARTZ 

AGAMEMNON VON SPARTA UND ORESTES VON TEGEA 

IN DER TELEMACHIE 

In den Hiindschriften steht t 306. 307 zu lesen : 

Tu)i öe Ol ÖTöodTUJi KttKÖv iiXuöe öioq 'Ope(TTr|<; 

äv|i dTT' 'A6r|vdiüv [oder A0r|vaiujv], Kaid ö'lKiave TraTpocpovfjd. 

Zenodot las dTtö Olükiiujv, wodurch augenscheinlich die seit 
Aeschylos herrschende Sagenversion hineincorrigiert wird. Aber 
auch die handschriftliche Lesart ist nichts als ein Versuch, die 
Lesart, für w^elche Aristarch eintrat, aip arr' 'AGrivairiq, zu erklären. 
Zunächst lässt sich nur so viel siigen, dass dieser Versuch miss- 
glückt, andererseits aber die aristarchische Lesart unverständlich 
ist. Sie ist also die einzige, die ein gewisses Recht darauf hat, für 
überliefert zu gelten. Und nicht nur das: sie lässt sich auch er- 
klären und führt zu sehr interessanten Folgerungen. 

Die Erzählung Nestors läuft richtig fort von 262 bis 274. 
„Aegisthos begieng einen grossen Frevel: denn während wir 
vor Troia lagen, verführte er Klytaemestra. Viele Opfer brachte 
er und viele Weihgeschenke stiftete er 

275 ^KieXecTaq ^ifa Ipxov ö ou7tot€ ^XTreio 0u|liu)i'*, 
also wegen der glücklich vollbrachten Verführung. Gtmz abgesehen 
davon, dass Aegisthos reichlich früh triumphiert hätte, muss man 
)i€Ta epTov hier anders verstehn als in dem Einleitungsvers261, w^o 
es auf den Mord Agimiemnons oder allenfalls auf den Mord 
und die Verführung zusammen bezogen w^erden muss. Die Er- 
zählung von Agamemnons Tod hat der Dichter der Telemachie mit 
der ihm eigenen feinen Berechnung Menelaos vorbehalten, um 
sich den rührenden Effekt, dass Menelaos selbst sie gehört hat und 
selbst sie erzählt, nicht entgehen zu lassen, aber er beschränkt 
das sehr geschickt auf die grässliche Katastrophe und giebt die 
Vorgeschichte Nestor. Diese aber bedcu*f, um verständlich zu sein, 
des Schlusses, den nur die wenn auch noch so kurze Erwähnung 



24 Eduard Schwartz 



vom Morde Agamemnons bilden konnte, umso mehr als Telemac h 
gefragt hatte (248) 

TTojq löav' Arpciöri^; 
Mit dem was auf 275 folgt, antwortet Nestor auf die weitere 
Frage ttou MeveXaoq lev (249) : aber das xdp im Anfang (276) 

f))i€iq |Li€V Toip äjLia TrXeojLiev Tpoir|6€V iovieq 
ist unverständlich, ebenso wie der Schluss 303 ff. 

TÖcppa bi TttUT' AiTicrGoq djuriaaTO o!ko0i Xuxpd, 

KT€ivaq 'ATp€tör|v, Ö€ö|Lir|TO bi \aö(; utt' auTiüi, 

47rrd€T€q b'iavaaae ttoXuxpuctoio MuKr|vr|q 
verkehrt ist und keineswegs durch die Streichung oder Umstellung 
von 304 in Ordnung gebracht wird. Aegisthos brachte nicht 
Agamemnon um während Menelaos' jahrelanger Irrfahrten, sondern 
genoss während der Zeit seine usurpierte Herrschaft, und derselbe 
Gedanke, dass die Blutrache für den erschlagenen Herrscher 
lange auf sich warten Hess, setzt erst das ydp 276 richtig nach 
oben fort: er ist mit der Erwähnung des Mordes zugleich entfernt. 

Es würde ein völliges Rätsel bleiben, weshalb der Mord 
Agamemnons so radikal gestrichen und die Lücke nur durch die 
notdürftigen Flicken 303 — 305 zugestopft ist, wenn nicht im b eine 
Spur übrig geblieben wäre, die auf einen Weg mit sehr über- 
raschenden Perspektiven führt. Agamemnons Fahrt von Troia 
wird dort in der seltsamsten Weise beschrieben: 
514 dXX' 6t€ bi] xdx' IfiieXXe MaXciduuv öpoq aiTiu 

'i£e(T6ai, tötc br\ fiiiv dvapirdSacTa öueXXa 

TTOVTOV dir' ixOuöevia cpepev ßapea aievdxovTa 

dTpoö ^tt' dcyxctTifjq, oöi öui^axa vaie GuecTTTiq 

TÖ Tipiv, didp t6t' ?vai€ Gueandöri^S AiTicrGoq. 

dXX' Sie bx] Kai K€i6ev ^cpaivtTO vöaioq dTrr|)ia)v, 
520 övp bk 0€oi oupov aipeii^av Kai otKaö* ikovto, 

r^TOi 5 ^€V xctipwjv dTreßriaaTO Traxpiöoq aitiq* 
516 und 517 lassen sich schon aus sprachlichen Gründen nicht 
verbinden, da ttoviov ^tt' (xöuocvxa imd dTpoö ^tt' ^axanfi^ für die 
Sprache des Epos wenigstens sich ausschliessen ; sodann ist un- 
begreiflich, wie Agamemnon, wenn er nach Mykene oder über- 
haupt nach der Argolis gelangen wollte, auf den Gedanken kommt, 
das Kap Malea zu umfahren: denn dass dies seine Absicht ist, 
wird 514. 515 deutlich angegeben, da das Kap Malea an sich kein 
Ziel bildet und die Meinung, Ag^unemnon sei von Süden her auf 
die Argolis losgesteuert, von den vielen unglücklichen Einfällen 



Agamemnon von Sparta und Orestes von Tegea in der Telemachie 25 

welche die Harmonistik in die Welt gesetzt hat, der unglück- 
lichsten einer ist. Die voralexandrinischen Kritiker, die in der 
Geschichte des Homertextes eine viel grössere Rolle spielen, als 
man jetzt glaubt, fühlten die Schwierigkeit der Stelle sehr viel 
schärfer und schoben daher ol9. 520 ein, um Agamemnon wenigstens 
wieder nach der argolischen Küste zurückzuschaffen. Das hilft 
nichts ; denn damit wird er auch von dem Schloss des Aegisthos 
weggebracht, wo offenbar die an der Nibelunge Not erinnernde 
Katastrophe stattfand. Soll ferner die Erzühlimg richtig fortlaufen 
und der Sturm kein leerer Schnörkel bleiben, so muss er den 
Anlass bilden, dass Agamemnon an der verhängnisvollen Stelle 
hmdet, wo früher Thyestes und jetzt Aegisthos hauste. Damit 
wird auch die von Bothe vorgeschlagene und von Nauck gebilligte 
Umstellung von 519. 520 nach 516 unmöglich, ganz abgesehen 
davon, dass k6i0€v dann nicht zu erklären ist. Kurz und gut : 519. 
520 sind ein misslungener Versuch, das Umfahren des Kap Malea 
wegzuschaffen und zwischen 516 und 517 ist etwas gestrichen. 

Die ganze Schwierigkeit verschwindet sofort, sobald die vor 
Aeschylos allgemein herrschende Ueberlieferung in ihr Recht 
wieder eingesetzt wird, dass Agamemnon der König von Sparta 
oder vielleicht richtiger von Amyklae gewesen wäre (Pind. Pyth. 
11, 16. Nem. 11, 34): der Cult des Zeuq 'ATa^e^viüv in Sparta spricht 
zwar nicht für das Alter, wohl aber für das Ansehen dieser Ueber- 
lieferung. Und so sicher es ist, dass Mykene ein älteres Recht 
auf Agamemnon hat als Lakedaemon, so klar ist auch, dass die 
Sage vom Ehebruch der Klytaemestra und von der Rache des 
Orestes nicht nach der Argolis, sondern nach dem Eurotasthai 
weist. Jene ist die Tochter des spartanischen Tindaros und dieser 
ist von dem Sparta erst feindlichen, dann verbündeten süd- 
arkadischen Grenzgebiet nicht loszureissen, während keine einzige 
alte Ueberlieferung ihn fest an Mykene oder auch nur Argos 
bindet (Herod. 1, 67. Eur. Orest. 1643 mit Scholl.). Auf Arkadien, 
auf Tegea, von wo die Spartaner die Gebeine Orests holten, führt 
der bislang rätselhafte Vers t 307 öip dTr* 'AGrivairiq: die Athena Alea 
hat den Sohn Agamemnons beschützt, ehe der delphische Apoll imd 
die Amphiktionen — TTuXdöri? TTuXaia — an ihre Stelle traten. 
Die Erzählung der Odyssee ist zerstört, weil sie der Ilias, die nur 
den mykenischen Agamemnon kennt, widersprach: gewaltsam 
ist T 305 Mykene eingesetzt, gewaltsamer sind die Berichte vom 
Mord Agiunemnons verstümmelt, weil sie die lakonische Lokalität 



26 Eduard Schwartz 



ZU deutlich verrieten, bis auf das Kap Malea und die Athena 
Alea, und auch diese haben die Correctoren nicht in Ruhe gelassen. 

Der Thatbestand in der Odyssee würde noch nicht reinlich 
vorliegen, wenn nicht die Frage beantwortet würde: wo bleibt 
Menelaos in der Telemachie, wenn Orest nach Lakedaemon ge- 
rückt werden muss? Ich antworte darauf mit der Gegenfrage: 
wohnt Menelaos in der Telemachie überhaupt in Lakedaemon? 
Die sonderbare Fahrt Telemachs von Pylos nach Sparta, die nur 
zwei Tage dauert und über die schwierigen Pässe des Taygetos 
geräuschlos hinweggleitet, hat man mit der Ausrede entschuldigt, 
dass dieser Dichter ein Kleinasiate gewesen wäre, der das 
Mutterland nicht kannte. M^ig sein ; w^enn das nur die Schwierig- 
keiten hinwegschaffte, welche das Verständnis des Schlusses von 
T und des Anfangs von ö unmöglich machen und wohl nur des- 
halb unbeachtet geblieben sind, weil man den Buchabschnitt 
nicht wie es sich gebührt, ignoriert hat: 
T 495 i£ov ö' i(; Treöiov Trupr|cp6pov, ^v0a ö'^Treiia 

rjvov 6ö6v * Toiov xdp uTrcKcpepov uuKeeq 'ittttoi. 

bvaeTo T'rieXioq (Tkiöojvto t€ Tidaai axuiai. 
ö 1 Ol ö' lEov KotXr|v AaK€Öai)iova KaieTdecTCJav, 

TTpö^ ö'dfpa boj^ai' ?Xujv MeveXdou KuöaXi)ioio. 

Entweder ist an dem Weizenfeld der Weg zu Ende oder in 
Lakedaemon: beides zusammen ist um so weniger möglich als 
dazwischen die Sonne untergeht. Nun ist mit der Ankunft in 
Lakedaemon das Hochzeitsfest bei Menelaos unlöslich verbunden, 
und dass das zu der gesamten folgenden Erzählung nicht passt, 
hat schon der Aristophaneer Diodoros gesehn (Athen 5, 180^); 
wenn es sich nicht glatt ausscheiden lässt, so beweist das in 
diesem Falle nur, dass die Ueberarbeitung tiefer eingegriffen hat. 
So wird es sehr zweifelhaft ob b l ('^ B 581 j ursprünglich ist. 
Damit fällt aber die einzige Stelle, wo in der Erzählung selbst 
Lakedaemon als Wohnsitz des Menelaos bezeichnet wird; t 326 
ö 313 lassen sich ohne Mühe entfernen. 

T 313 ff. knüpft der alte Nestor an die Erzählung von dem, 
was sich während Menelaos' langer Abwesenheit ereignet hat, 
die Mahnung an Telemach, die Reise nicht zu weit auszudehnen : 
aber Menelaos rate er ihm dringend zu besuchen. Aus dieser 
Stelle muss, besonders da ein so fein alles vorbereitender Dichter 
wie der der sog. Telemachie in Frage kommt, geschlossen werden, 
dass jetzt erst, in Pylos, Telemach auf den Gedanken kommt, zu 



Agamemnon von Sparta und Orestes von Tegea in der Telemachie 27 

Menelaos zu reisen. Dass a 93. 285 ö 702 € 20 v 412. 414 p 121 
widersprechen, beweist nach Kirchhoffs und Wilamowitz' Unter- 
suchungen nicht das Allergeringste, ist im Gegenteil nur ein neues 
Anzeichen mehr für die Jugend dieser Partien. Im ß findet sich 
kein Widerspruch. 212 ff. ist zu lesen: 

ctXX' ä^e \io\ ö6t€ vrja 9or]v Kai eiKOCJ' feiaipouq 
Ol Ke )iOi Iv6a Kai ?v9a öiaTrprjCTCTujcyi KeXeuöov, 
[€l^l Totp i^ ZTrapTtiv xe Kai i<; TTuXov ^iiiaOöevTa 
215 vöcTTOv 7Teu(yö)i€vo^ Traipö^ ör)v oi'xo^evoio] 

ilV Tiq ^01 eiTTrilCTl ßpOXlIlV f| ÖCTCTaV dKOUCTUJ 

^K Aiöq, r\ T€ iLiaXicTTa qpepei kXco^ dvöptüTroKTiv. 
215 ist neben dem Folgenden überflüssig und 214 neben Iv0a Kai 
2vBa und fiq ßpoxaiv unmöglich. Telemach war nicht sothöricht, 
den Freiem das Ziel seiner Reise zu verraten: seine Renom- 
misterei 316. 317 lässt sich ebenso glatt ausscheiden, wie die 
dumme Rede der Freier 325 — 331, die auf ^Kepxöiiieov nicht folgen 
kann, und der Zusatz zu Antinoos höhnender Aufforderung 307. 
308, der nur eine schlechte Ausführung des vortrefflichen Schlusses 
306 

xaöxa bi xoi )idXa irdvxa xeXeuxrjcToumv 'Axaioi 

ist. Endlich wird die Scene zwischen Telemach und Eurykleia 
viel feiner, ja überhaupt erst verständlich, wenn 359. 360 fallen. 
Die sorgliche Alte merkt aus Telemachs Befehlen, dass er reisen 
will, weiss aber nicht wohin i364. 365): „wo willst du hin in der 
Ferne? Du bist ja der einzige Sohn, denn Odysseus ist in der 
Fremde umgekommen". Wie imangenehm Telemach es ist, dass 
die Alte seine Absicht entdeckt hat, verrät er dadurch, dass er 
ihr den Eid abverlangt zu schweigen. 

Wo hat sich nun der Dichter der Telemachie Menelaos 
gedacht? Genaues lässt sich wegen der Zerstörung am Schluss 
des T und Anfang des ö nicht sagen. Wenn man sich aber Tele- 
machs Fahrt überlegt, wenn man femer überlegt, wie die schatten- 
hafte, flüchtige Art, mit der T 488 f f . o 185 ff. die Herberge in 
Pherae skizziert wird, der sorgfältigen und lebensvollen Manier 
des Telemachiedichters zuwiderläuft, so ist man sehr in Ver- 
suchung, Menelaos Palast eine Tagereise von Pylos, in Messenien 
zu suchen. Dort finden sich auch eher solche Ebenen, wie sie 
nach b 602 Menelaos besitzt, als in dem schmalen Eurotasthai; 
nur ist nicht zu übersehen, dass der Telemachiedichter den Wohn- 
sitz des Menelaos sich an der Küste denkt (t 323); die Wagen- 



"28 Eduard Schwartz, Agamemnon von Sparia 

fahrt, die ausdrücklich motiviert wird (t 366 ff.), soll Raum schaffen 
für Nestors jungen Sohn und das Geleit der Athena wegbringen, 
damit Telemach auch dann sich bewährt, wenn er allein, ohne 
die Schutzgöttin, am Hof des vornehmen Königs auftritt. Der 
Taygetos fehlt aus guten Gründen, nicht aus Unwissenheit; un- 
wissend war der Interpolator, der Pharae einschaltete, um die 
UnWahrscheinlichkeit einer eintägigen Reise von Pylos nach 
Sparta, die er selbst hineingebracht hatte, wieder aufzuheben. 
Haust aber Menelaos in Mcssenien, so ist Messenicn spartanisch; 
das passt durchaus zu den historischen Voraussetzungen der 
Orestessage wie sie in der Telemachie erzählt wird. 



ERNST MARTIN 
DIE DEUTSCHE LEXICOGRAPHIE IM ELSASS 

Die deutsche Lexicographie beginnt auch im Elsass mit den 
Glossen, welche das Verständnis lateinischer Werke, wesentlich 
solcher, die dem Klosterunterricht dienten, dem deutschen Leser er- 
leichtem sollten. Vor allem wurde die Bibel so behandelt, aber auch 
lateinische Dichter und selbst historische oder juristische Schriften. 
Daneben, ja schon früher, stellte man auch die lateinischen, 
deutsch übersetzten Wörter nach den Kategorien des Sinnes zu- 
sammen. Dann wurden die Glossen nach den Anfangsbuchstaben 
der lateinischen Wörter geordnet und so im Ganzen die Ordnung 
hergestellt, die wir von Wörterbüchern zu verlangen gewöhnt sind. 

Die ältesten, für die Sprachgeschichte besonders wichtigen, 
deutschen Glossen vereinigt das grosse Werk „Die Althoch- 
deutschen Glossen, gesammelt und bearbeitet von Elias Stein- 
meyer und Eduard Sievers", I— IV, Berlin 1879-1898. Leider 
liegen jedoch viele imd gerade die älteren Glossensammlungen 
nicht in der ursprünglichen Aufzeichnung vor ; sie sind meist bei 
der Abschrift mehr oder weniger in jüngere Sprachformen über- 
tragen worden, und es ist daher oft schwer, ihre Heimat näher 
zu bestimmen. Noch weniger kann hierfür der älteste uns bekannte 
Aufbewahrungsort der Handschriften massgebend sein, da ja 
dieselben Glossen in weit verzweigter, von einander unabhängiger 
Ueberlieferung, oft in ganz verschiedenen Gegenden auftauchen, 
auch die Handschriften selbst gewandert sind. 

Deshalb muss man von den neuerdings sogenannten Mur- 
bacher Denkmälern absehen, wenn nur die im Elsass entstan- 
denen Glossen in Frage kommen. Sie zeigen den Lautstand der 
Reichenau s. Socin Strassburger Studien 1, 273. Dass die wenigen 
dem Fränkischen angehörigen Eigentümlichkeiten, welche Kögel, 
Geschichte der deutschen Litteratur I 2, S. 469. 513. 520 betont, 
auf einen Murbacher Schreiber hinweisen, ist unwahrscheinlich, 
da diese Eigentümlichkeiten, wie Kögel selbst bemerkt, Beiträge 



30 Krnst Martin 



zur Geschichte der deutschen Sprache und Litteratur 9, 325, dem 
Reichenau-Murbacher Dialekt des 9. Jahrhunderts nicht zugetraut 
werden dürfen. Es muss vielmehr für die Vorlage ein litterarischer 
Einfluss der Lautbezeichnung des Isidor vorausgesetzt werden, 
der in Reichenau ebenso gut wie in Murbach sich geltend gemacht 
haben kann. Und von dem sogen, keronischen Glossar, das in 
Bayern entstand, zeigt nur eine Sangaller Hs. Spuren, die auf 
eine Umschrift im Elsass hinweisen, s. MüUenhoff Vorr. zu den 
Denkmälern 2 XX und Kögel a. a. O. 431 f. 

Dagegen lässt sich allerdings für die sogen. Altdeutschen 
Gespräche die Entstehung im äussersten Westen des elsässischen 
Sprachgebiets, auf einem Boden der politisch zu Lothringen ge- 
rechnet werden muss, mit Sicherheit nachweisen s. Zeitschrift für 
deutsches Altertum 39, 9 ff. Ein Reisender hat sich für den Uebertritt 
aus französischem Sprachgebiet zunächst einige Glossen notiert, 
dann eine Reihe von kurzen Gesprächen, die er auf deutschem 
Boden mit Dienern und Wirten geführt hat oder zu führen ge- 
dachte, mit romanischer Auffassung der deutschen Wörter, welche 
in der Mundart von Albesdorf erscheinen. Auch die beigefügte 
lateinische Uebersetzung bezeugt romanische Gewöhnung. Die 
offenbar gleichzeitige Niederschrift weist in das 10. Jahrhundert. 

Im Elsass selbst ist ohne Zweifel geschrieben die Handschrift, 
welche die Schlettsüldter Glossen enthält. Sie sind von W. Wacker- 
nagel in der Z. f. d. A. 5, 318—368 herausgegeben worden, und 
wieder von Steinmeyer, nur dass er sie seinen Grundsätzen gemäss 
in die einzelnen Bestandteile, je nach den glossierten Schriften, 
aufgelöst und an verschiedenen Stellen abgedruckt hat, s. die 
Inhaltsangabe der Hs. Gl. 4, 612 ff. Der lateinische Text rührt 
von verschiedenen Schreibern aus dem Anfange des 12. Jahr- 
hunderts her; die Glossen von ein und derselben Hand, die jedoch 
von einer anderen berichtigt worden ist. Im lateinischen Text 
findet sich eine Beziehung auf den grammatischen Unterricht 
Manegolds von Lautenbach bei Murbach, des späteren Probstes 
von Marbach, eines durch seine heftigen Schriften gegen Kaiser 
Heinrich IV. bekannten Mannes. Aber die damals eingeschriebenen 
deutschen Glossen sind teilweise aus weit älteren Quellen, selbst 
aus angelsächsischen geflossen; Manches weist auf altalemannische 
Vorlagen, die zeitlich dem Vokabular des h. Gallus nahe standen. 
Diese Vorlagen sind von dem Schreiber nicht immer verstanden 
worden. Auf jeden Fall wird man die verschiedenen Stücke für 



Die deutsche Lexicographie im Elsass. 31 

sich kritisch und ^ammatisch behandeln müssen; dies ist aber bis 
jetzt erst für die Virgilglossen durch Steinmeyer Z. f. d. A. 15, 1 ff. 
geschehen. Steinmeyer setzt ihre Abfassung in der Vorlage etwa 
um 900 an. Besondere Beziehungen verbinden diese Glossen mit 
den in Tegemsee erhaltenen, während andere Stücke der Hs. mit 
einer Innsbrucker zusammen stimmen. Es sind ausser vereinzelten 
Glossen zu historischen Schriften, zu Werken der Kirchenväter, 
insbesondere des Gregorius, zu den Concilien u. s. w. Wortsamm- 
lungen nach sachlicher Verw^andtschaft, wofür Isidors Etymologien 
zu Grunde liegen ; auch Verse über die Baumarten befinden sich 
darunter. Geringen Ertrag giebt eine andere, nicht signierte 
Schlettstädter Hs. des 9 Jhs. Gl. 2, 366. 

Aus einem elsässischen Kloster stammt auch, nach der An- 
gabe eines früheren Besitzers, die Rolle des Grafen von Mülinen 
in Bern mit Rezepten, Zauberformeln, Segen, in welchen namentlich 
die Pflanzennamen deutsch glossiert sind, s. Steinmeyer Gl. 3, 602 ff. 
Ein alphabetisches Glossar schliesst sich an: ebd. 3, 492 ff. Die 
Schrift gehört dem 11. oder 12. Jahrhundert an; Sprachformen 
und Wortwahl weisen auf das untere Elsass hin; doch sind die 
Glossen abgeschrieben, wie aus manchen Fehlem hervorgeht. 
Die Sammlung schöpft aus antiken Quellen. 

Wie hierauf, hat mich Steinmeyer freundlichst auch auf 
andere Glossen aufmerksam gemacht, deren Hss. sich im Elsass 
befinden oder befanden. So die in dem Cheltenhamer Msc. 18908 
befindlichen Glossen aus dem 9. Jahrhundert (Gl. 3, 437. 4, 415, 40): 
es sind Namen für Körperteile; übrigens wird ein Reichenauer 
Reginpert als scriptor genannt. Die Cyprianhs., von der das 
kleine Fragment abgelöst ^vurde, ist jetzt Oxford Add. C. 15. 
Femer die Wolfenbüttler Codd. Wissenburgensis 3 mit Canones- 
glossen aus dem 10. Jahrhundert (Gl. 4, 324); Wiss. 29 mit Glossen 
des 9. Jahrhunderts zuHrabans undStrabos Pentateuchcommentar 
(Gl. 4, 252. 255. 259) ; Wiss. 47 Glossen des 9. Jahrhunderts zu den 
paulinischen und katholischen Briefen, Z. f. d. A. 15, 534 ff. und 
an verschiedenen Stellen des Glossenwerks ; Wiss. 56 Glossen des 
11. Jahrhimderts zu Prospers Epigrammen (Gl. 2, 381); Wiss. 66 
Glossen des 9. Jahrhunderts zum 1. Buche der Könige (Gl. 4, 265). 
Sodann der ehemalige Strassburger, jetzt in Bern befindliche Codex 
mit Prudentiusglossen aus dem 11. Jahrhundert; doch ist die Hs. 
wahrscheinlich ursprünglich in St. Gallen geschrieben (Gl. 2, 523;. 
Aus dem Elsass stammt auch eine Hs. des Germanischen Museums 



32 Ernst Martin 



in Nürnberg mit einem Kapitel aus dem Summarium Heinrici 
s. Gl. 4, 511 Anm. Auch die Speyrer tmd Frankenthaler Glossen- 
handschriften wären der Nachbarschaft und Sprachverwandtschaft 
wegen zu berücksichtigen. 

Verloren sind die ehemaligen Strassburger Hss. mit Glossen. 
Die wichtigste davon war unstreitig der „Hortus deliciarum** der 
Aebtissin von Hohenburg, Herrad von Landsberg. Glücklicher- 
weise ist wenigstens der reiche Bestand der für Kulturgeschichte 
tmd Kunstgeschichte überaus wertvollen Bilder aus den vor 1870 
genommenen Nachbildungen wieder hergestellt w^orden, s. die 
von der Gesellschaft für die Erhaltimg der historischen Denkmäler 
des Elsasses herausgegebene „Reproduction h^liographique" mit 
Erläuterungen von den Strassburger Domherren A. Straub und 
G. Keller. Auch der lateinische Text des Hortus ist gerettet, wenn 
auch noch nicht herausgegeben. Vorher schon hatten Gh. M. Engel- 
hardt, Herrad von Landsperg, Strassburg 1818, und E. G. Graff in 
seinen Diutisca 3 (1829) die Glossen abgedruckt, wenn auch nicht 
in einer allen wissenschaftlichen Wünschen entsprechenden Weise. 
Danach sind die Glossen in Steinmeyers Werk 3, 405 — 420 wieder- 
holt worden. Eine grammatische Untersuchung hatDr.H.Reumont, 
Metz 1900, veröffentlicht. Die Aebtissin von Hohenburg hat um 
1175 ihr Werk verfasst; in den deutschen Glossen bedient sie sich 
einer Lautbezeichnung, welche mit dem mhd. Canon wesentlich 
übereinstimmt. Dabei benutzt sie für die Glossen wie für den 
lateinischen Text eine Vorlage, welcher sie den Namen „Aurea 
Gemma" giebt, die aber nur Auszüge einer vollständigeren Hand- 
schrift des Summarium Heinrici umfasst zu haben scheint, s. Gl. 
3, 708. Hier haben wir ein encyklopädisches Vokabular auf Grund 
der Etymologien Isidors, wie es im Unterricht vielfach gebraucht 
wurde. 

Für die eigentliche mhd. Zeit, in welche ja schon Herrad 
fällt, ist eine Sammlung der Glossen noch nicht vorhanden. Einzel- 
heiten bringt z. B. Wackemagel „Voces animantiiun" S. 31 Anm. 
aus einer ehemaligen Strassburger Handschrift des 14. Jahrhunderts 
(C. 173 Bl. 7\^), Dagegen ist, wie der Herausgeber Kleemann 
richtig jmgiebt, mittelniederdeutsch, nicht elsässisch, das in einer 
Colmarer, aus Kloster Isenheim stammenden Handschrift des 
14. Jahrhunderts erhaltene Pflanzenglossar: Z. f. d. Phil. 9., 1% ff. 

Das spätere Mittelalter zeigt bekanntlich einen Tiefstand der 
klassischen Studien in Deutschland, der durch die Pflege der 



Die deutsche Lexicographie im Elsass 33 

scholastischen Philosophie auch an den seit der Mitte des U.Jahr- 
hunderts begründeten Universitäten nicht vergütet wird. Zu den 
grammatischen Hilfsmitteln des Altertums für das Erlernen des 
Lateinischen kamen neuere, die zwar für manche abstrakte Begriffe 
Neubildungen verzeichneten, aber nicht bloss deshalb vielfach 
einen halbbarbarischen Charakter annehmen. So im 11. Jahrhundert 
schon des Papias „Elementarium doctrinae erudimentum"; später 
des Huguitio oder Ugutio, eines Pisaners, der 1212 starb, „liber 
derivationum" ; beide benutzt das „Catholicon" von Johannes de 
Balbis oder de Genua oder Janua, welches 1286 abgeschlossen 
wurde; endlich der Vocabularius des Wilhelmus Brito, der 
1356 starb. 

Auf diese Hilfsmittel beruft sich Jakob Twinger von Königs- 
hof en (1346 — 1420, seit 1395 Kapitelherr zu St. Thomas in Strass- 
burg), der neben seiner lateinischen und seiner deutschen Chronik 
auch einen „liber vocabularius de significatione nominum" ver- 
f asste ; ganz besonders aber legt er nach seiner eigenen Angabe 
ein älteres Vocabular seines Vorgängers in der Chronistenthätig- 
keit, des Pritsche Closener, zu Grunde, wovon jedoch Nichts er- 
halten ist. Auch von dem Werke Königshof ens wissen wir vorläufig 
nur durch Auszüge und Beschreibungen, welche vor 1870 verfasst 
sind, da die Strassburger Hss. des Vocabulars damals ebenfalls 
untergingen, lieber sie handelt Mone in seinem Anzeiger 6, 337 f. ; 
er giebt ebd. 6, 210 Einiges an über zwei Stuttgarter Hss., von 
denen die eine von Johannes Werner von Urach, Benediktiner zu 
Zwif alten 1448, die andere 1426 geschrieben ist. In der ältesten, 
sicherlich gleichzeitigen Strassburger Hs. war die Abfassungszeit 
in das Jahr 1399 verlegt, s. Hegel, Chroniken der oberrheinischen 
Städte, Strassbiwg 1, 161. Eine spätere, woraus bereits die unter 
J. J. Oberlins Präsidium eingereichte Dissertation von Simon Fried- 
rich Holländer über Jakob Twinger von Königshof en, Str. 1789 
p. 29 ff. Vorrede und Proben mitgeteilt hatte, war von dem Leut- 
priester Eberhard von Danck (ratsheim, j. Dangelsheim bei Sesen- 
heim) 1422 geschrieben worden: danach hatte Königshof en die 
Vorlage dieses Textes 1408 beendet. Zahlreiche Excerpte sind 
in das Glossariimi von Scherz-Oberlin unter der Marke Tw. über- 
gegangen. Wie es mit dem etymologischen Verständnis bei Königs- 
hof en stand, davon nur ein Beispiel: „asinus Esel dicitur ab a, quod 
est sine, et senos, quod est sensus, quasi sine sensu". 

Mone hat Anz. 6, 338 f. aus ehemaligen Strassburger Hss. 

3 



34 Ernst Martin 



noch verzeichnet ein Glossar zum Kirchenrecht; einen Vocabularius 
ex quo ; das Glossar des alten Schulmeisters in zwei Handschriften, 
einer von 1468; zwei Handschriften eines „Vocabularius de homine 
et pertinentibus ad usus hominum** ; drei Handschriften eines Voca- 
bularius, wovon die eine den Johannitern bei Schlettstadt angehört 
hatte; zwei Zeitwörterbücher, das eine aus dem Jahre 1432; zwei 
Legendenglossare, ein Hymnenglossar und ein kleines Glossar, 
worin bereits philosophische Kunstausdrücke verdeutscht wurden, 
nebst einem Bruchstück. Ebd. 435 theologische, Rechts- und Monats- 
glossen, zwei Glossare von Synonymen, Glossen zu Virgil. In 
Schlettstadt erhalten ist eine nicht signierte Papierhandschrift des 
13. Jahrhunderts mit Tier-, Kräuter-, Baum- und Gerätschaftsglossen: 
s. Steinmeyer Gl. 4, 373. 

Auf die schon von Königshof en benutzten Hilfsmittel : Isidor, 
Papias, Huguicio, Brito, Lucianus (?) beruft sich auch die ebenfalls 
von Mone zuerst erAvähnte Glossensammlung einer Metzer Hand- 
schrift des 15. Jahrhunderts, welche die Dissertation von Flohr 
(Strassb. Stud. 3, 1 — 134) behandelt. Auch den Novus Graecismus 
(Konrads von Mure, welcher 1281 starb, s. Bursian, Gesch. d. klass. 
Philol. in Deutschland 1, 84) wird darin erwähnt. Dagegen ist 
die Beziehung auf die Hussitenkriege, welche Flohr S. 3 annimmt, 
unwahrscheinlich. Die Sammlung betitelt sich „Niger Abbas'*, 
womit doch wohl ein nicht näher bekannter Benediktinerabt als 
Verfasser angegeben werden soll. Der Lautstand weist in den 
Nordwesten des Elsasses, wenn nicht nach Lothringen; eine damals 
in Würzburg vorhandene, jetzt nicht mehr aufgefundene Hand- 
schrift stimmt mehr zur Strassburger Gegend, was das Ursprüng- 
liche zu sein scheint. 

Schon im 15. Jahrhundert kamen derartige Sammlungen in den 
Druck. Gedruckte und handschriftliche Wörterverzeichnisse mit 
deutschen Uebersetzungen verzeichnet in grosser Zahl Lorenz 
Diefenbach in der Vorrede zu seinem „Glossarium Latino-Germani- 
cum mediae et infimae aetatis", Frankfurt a. M. 1857. Oft ändert sich 
nur der Name, und auch dieser nur teilweise. So ist der „Vocabularius 
gemma gemmarum noviter impressusmultarumdictionum additione 
exomatus M.D.XIIII", worin ein voranstehendes Epigramm „ Antonii 
liberi Susatensis in laudem inclyte Colonorum urbis** auf den nieder- 
rheinischen Urspnmg hinweist, so gut wie völlig wiederholt worden 
als „Dictionariiun. quod gemma gemmarum vocant. nuper castiga- 
timi" nach den Schlussworten gedruckt in „Hagenaw per Henricum 



Die deutsche Lexicographie im Elsass 35 

Gran impensis . . Joannis Rynman de Oringaw", M.D.XVHI. Der 
„ Vocabularius : primo ponens dictiones theutonicas. in lingua vema- 
cula. postea latinas ... ex quo incipiens discere : poterit scire : 
quomodo theutonica verba latine loquatur äut scribat. Ein orden- 
liche Anzeygung: wie man ein yegklichs teutsch wort zu latyn 
reden mag. Eynem yeden leyen des Verstands des latyns begirig: 
vast nutzlich". . am Schluss „Impressum Argentine per . . Mathiam 
Hüpfuff" . . 1515 kehrt wieder als „Vocabularius incipiens teutonicum 
ante latinum" o. O. u. J. 

Doch die Benutzung dieser älteren Glossare wurde bald 
durch die stets wachsenden Ansprüche der Himianisten an die 
Reinheit des lateinischen Ausdrucks mehr und mehr eingeschränkt. 
Einen wesentlichen Fortschritt in dieser Richtxmg machte Peter 
Dasypodius, dessen deutschen Namen Hasenfuss M. Erdmann im 
Jahrbuch des Vogesenklubs 12, 199 festgestellt hat. Infolge der 
Kappeier Schlacht aus der Schweiz 1533 nach Strassburg ge- 
kommen, starb er hier 1559 als Lehrer des Griechischen am 
Gymnasium. Sein „Dictionarium latino Germanicimi et Wce versa 
Germanico latinum" (so der spätere Titel) erschien zuerst 1535 nur 
mit dem lateinisch-deutschen Teil, 1536 auch mit dem deutsch- 
lateinischen und erreichte in der 3. Auflage 1537 seine allgemein, auch 
durch Nachdrucke und Umarbeitungen anerkannte Trefflichkeit. 
Die Benutzung der älteren Vokabulare ist vielfach ersichtlich, 
auch die Berücksichtigung der in den Schulautoren vorkommenden 
mythologischen Namen und der geographischen Namen des 
deutschen Gebiets, deren lateinische Wiedergabe zu wissen 
wünschenswert war. Das Deutsche erscheint in den Formen, 
die damals in Strassburg als gut hochdeutsch galten. 

Wie Dasypodius aus der Schweiz gekommen war, so zeigte 
sich auch dort zunächst die weitergehende Neigung und Fähigkeit 
zur lexikalischen Sammlung des deutschen Sprachschatzes, so dass 
nun das Latein als Hilfsmittel für die genauere Begriffsbestimmung 
diente. So in dem „Dictionarium Germanico-latinum" des Zürichers 
Josua Maaler (Pictorius) 1561, worin die Bevorzugung des Deutschen 
auch im Haupttitel „Die Teutsch Sprach" ausgesprochen ist. In 
Strassburg übertrug man zwar im „Lexicon trilingue ex thesauro 
R. Stephan! et dictionario Jo. Frisii", das bei Th. Rihelius, der 
schon Dasypodius verlegt hatte, 1590 erschien, das Schweizer- 
deutsch in das Strassburger Hochdeutsch ; aber hier und noch mehr 
in dem für die Schüler des Gymnasiums bestimmten „Onomasticon 

3* 



36 Ernst Martin 



Latino-germanicum coUectum a Theophilo Golio*S 1582, überwiegt 
doch die Absicht, das Latein der Schuljugend möglichst früh und 
fest, einzupflanzen, wie ein diesem Werk vorausgeschickter Brief 
von Johannes Sturm ausdrücklich angiebt. GoU, 1528 geboren, 
Professor am Gymnasiimi 1548 — 1572, dann Professor der Logik 
und Metaphysik zu Strassbiwg, starb 1600. 

Hier in Strassburg, wo die protestantische Universität auch 
von Ausländem viel besucht wurde, traten nun auch die lebenden 
Nachbarsprachen in den Gesichtskreis des Lexicographen. Schon 
die deutsche Grammatik des Notars Oelinger, 1574, war auf deutsch- 
lemende Franzosen berechnet. Dann leistet der Franzose Daniel 
Martin während des dreissigjährigen Krieges auch litterarische 
Dolmetscherdienste, s. Jahrbuch des Vogesenklubs XIII (1897) 
S. 203 ff., XIV (1898) S. 125 ff. Insbesondere sein „Pariement 
nouveau" von 1637 führt in 100 Kapiteln durch das gesamte Leben 
des damaligen Strassburg: es ist unschätzbar für das Studiimi der 
gewerblichen Ktmstausdrücke. Schon 1627 hatte Martin „Les 
colloquesFrangaiset Allemands" erscheinen lassen, worin eine Reise 
nach Paris in derselben Weise beschrieben wird, wie dies heute 
in einem „Manuel" oder „Guide" geschieht. Sein „Acheminement 
ä la langue allemande" 1635 will die „Soldatesque Frangaise" d. h. 
die französischen Offiziere im Krieg gegen Oesterreich mit den 
wichtigsten deutschen Ausdrücken bekannt machen. 

Gleichzeitig mit D. Martin lebte Hans Michael Moscherosch, 
der zimi „Kräutterbuch" von Hieronymus Tragus (Bock) in der 
1630 erschienenen Ausgabe von Professor Melchior Sebizius die 
Register anfertigte, die für Namen von Pflanzen u. ä., auch, wegen 
der angehängten „Speisskammer", von Speisen wichtige Samm- 
lungen abgeben, s. Adolf Schmidt, Jahrb. d. Vogesenklubs XVI 
(1900) S. 187 Anm. 134. 

Als nun das Elsass in französischen Besitz kam und damit 
seine bisherige Teilnahme am Studium der lebenden deutschen 
Sprache eingeschränkt wurde, bereitete Strassburg der gelehrten 
Beschäftigung mit dem Altdeutschen eine Stätte von Bedeutimg. 
Der allerdings von Pegau in Sachsen hierher gezogene Joh. 
Schilter sammelte in seinem „Thesaurus antiquitatiun Teutoni- 
carum", der 1728 zu Ulm im Druck erschien, nicht nur die 
wichtigsten althochdeutschen und einige mittelhochdeutschen Texte ; 
er gab auch im 3. Bande ein „Glossariimi Teutonicum" bei : seine 
gelehrten Sammlimgen, welche sogar das Altnordische imd Angel- 



Die deutsche Lexicographie im Elsass 37 

Sächsische berücksichtigten, waren von jüngeren Gelehrten noch 
erweitert worden. 

Von diesen bereitete Joh. Georg Scherz ein „Glossarium 
Germanicum medii aevi potissimum dialecti Suevicae" vor, welches 
Jer. Jac. Oberlin in zwei Bänden, Str. 1781. 1784 herausgab. Schon 
die Beschränkung auf das Mittelhochdeutsche ist ein wesentlicher 
Vorteil ; dazu kommt die fleissige Benutzimg der damaligen Strass- 
burger Handschriften. 

Zu der Erforschimg unserer älteren Sprache, die hier soweit 
geführt wurde, als es ohne die Entdeckimgen J. Grinuns möglich 
war, trat das Studiimi der lebenden Mundarten ergänzend hinzu. 
Für dieses war immerhin förderlich, trotz aller Oberflächlichkeit, 
die Zusammenfassung durch den in Molsheim geborenen Exjesuiten 
Anton V. Klein, der in den Schriften der kurfürstlichen deutschen 
Gesellschaft in Mannheim 1792 ein „Deutsches Provinzialwörter- 
buch" drucken Hess und darin wenigstens für das Elsässische 
eigene Beobachtungen verwertete. 

Ein Wörterbuch der elsässischen Dialekte plante zeitlebens 
August Stöber. Seine Absicht wurde durch das im Auftrage 
der Landesverwaltung und mit Unterstützung zahlreicher ein- 
heimischer Mitarbeiter von H. Lienhart und dem Verfasser dieses 
Aufsatzes bearbeitete „Wörterbuch der elsässischen Mundarten" 
ausgeführt, dessen I. Band Strassbiwg 1899 im Druck zu Ende 
kam : der IT. Band bedarf nur noch der Durchsicht, die freilich den 
historisch-etymologischen Teil der einzelnen Artikel erst hinzufügen 
muss. Einstweilen möge noch verwiesen sein auf W. Mankel, 
Die Mundart des Münsterthaies, Str. 1883 ; H. Lienhart, Die Mund- 
art des mittleren Zomthales, im Jahrb. d. Vogesenklubs n — IV 
( 1886—88), auf Charles Schmidt, Wörterbuch der Strassburger Mund- 
art, Str. 18%, und auf Victor Henry, „Le dialecte Alaman de Colmar 
en 1870, grammaire et lexique," Paris 1900. Aus dem Nachlass von 
Gh. Schmidt ist übrigens soeben noch erschienen „Historisches 
Wörterbuch der elsässischen Mundart mit besonderer Berücksichti- 
gung der frühneuhochdeutschen Periode", Strassburg 1901. 

Die Feststellimg des Wortvorrats und Wortgebrauchs der 
heutigen Mundarten wird auch auf die ältere Zeit ein neues Licht 
werfen und wohl manches jetzt noch unbestimmte Sprachdenkmal 
dem Elsass zuzueignen erlauben. 

Dass das Wort grit „Habsucht, Gier" nur im litterarischen 
Gebrauch unterelsässischer Quellen erscheint, ist jetzt durch Leitz- 



38 Ernst Martin, Die deutsche Lexicographie im Elsass 

mann, Z. f. d. Philol.32, 423, bestätigt worden. Ein wahres Schiboleth 
des Elsässischen in der Gegenwart ist Noch „Kanal, Röhre, Wiisser- 
stein in der Küche"; verwandt ist allerdings wohl Nust, das 
J. C. V. Schmid 1831 als schw^äbisch bezeichnet. Wenn beide Aus- 
drücke, grttcc und nöch^ in Flore und Blanscheflur von Konrad Fleck 
vorkommen (s. über noch Sommer zu V. 4230), so erhellt schon 
daraus, dass J. Bächtold, Geschichte der deutschen Litteratur in 
der Schweiz, S. 92, den Dichter nicht aus einem Elsässer zum 
Schweizer hätte machen sollen. 



GRÖBER 
ALTFRANZÖSISCHE GLOSSEN 

Die altfranzösischen Glossen, die ich im folgenden alpha- 
betisch zusammenstelle und gelegentlich mit Bemerkungen ver- 
sehe, sind seit 15 Jahren allgemein zugänglich, aber allgemein 
unbenutzt geblieben, wohl weil sie im entlegener Stelle veröffent- 
licht wurden, auf die auch ich bei ihrem Erscheinen, von meinem 
Freunde, Geh, Rath Dziatzko in Göttingen, erst aufmerksam 
gemacht wurde. Sie haben die Besonderheit, dass sie z. T. von 
lateinischen Definitionen lateinischer Aequivalente begleitet, also 
selbst definiert sind. Sie bieten daher in der lateinischen Er- 
läuterung einen willkommenen Beitrag auch zu dem altfranzösischen 
Wörterbuch dar; bisweilen bezieht sich die lateinische Erklärung 
jedoch auch nur auf die Form des erläuterten lateinischen Wortes. 

Sie stehen in der Oxforder Händschrift Digby 172, einem 
Sammelband mit Texten, im 12. — 15. Jahrhundert geschrieben, und 
begleiten die Briefe des Sidonius Apollinaris, die einer Himd des 
12. Jahrhunderts entstammen. Robinson Ellis gab die Glossen 
mit Auswahl in den Anecdota Oxoniensia, Classical Scrics, vol. I, 
part V (Oxford 1885) S. 27-62, heraus. Er unterscheidet eine 
ältere Glossenschicht, die nicht lange nach dem Tode des Sidonius 
Apollinaris ausgeführt wurde und kürzere Erläuterungen zu Textes- 
worten der Briefe fügte, von einer jüngeren Schicht mit breiteren, 
bisweilen sehr gelehrten Erklärungen eines rechtskimdigen, in 
lateinischen Dichtem namentlich belesenen Verfassers, in die ein 
jüngerer Redaktor, ebenso wie in den älteren Teil, französische und 
einige englische Wörter eingefügt hat, die er als solche durch ein 
romanicc est, oder durch die Angabe romanicc, anglke, oder 
durch / (d. i. id est) kennzeichnet. Die Glossen folgen einander 
\\ie die Wörter im Texte des Sidonius. Hier unten sind sie alpha- 
betisch, nach dem erklärenden französischen Worte, angeordnet, 
unter Mitteilung des ganzen Lemmas, in dem das französische 
Wort auftritt. Die Schreibung der französischen Wörter lässt 



40 Gröber 

Über den englischen Ursprung der Handschrift nicht im Zweifel. 
Einer Wortform wie robburs (s. u.) für das übliche robe-or{s) 
stellt zwar noch Frere Angier die dreisilbige Messung und die 
Schreibung mit e in robbeottrs ( Vie de S, Grigoire) V. 1707 (s. Ro- 
mania 12, 175) gegenüber, aber in V. 2097 ein drei- statt vier- 
silbiges und ohne e geschriebenes proechors (praedicatores) an 
die Seite, wonach gegen die Verlegung der Handschrift in den 
Ausgang des 12. Jahrhunderts kein Widerspruch zu erheben ist. 
Bei Godefroy sind die französischen Wörter fast alle belegt. Aber 
häufig erst aus jüngerer Zeit oder nicht in derselben Form oder 
nicht in derselben Bedeutung. Auch wo Godefroys entsprechende 
Artikel durch die Glossen keine Bereicherung erfahren, ist unten 
das Lemma der Sidoniusglossen abgedruckt. Die Erklärungen 
lateinischer Wortform sind nicht unterdrückt. Einige Wörter hat 
'Ellis falsch gelesen *. Einige Wörter blieben dunkel. 

I. Altfranzösische Glossen. 

Abeisanz, Ellis S. 39, Z. 33: sidentibus -i- .abeisanz', a sido dis, unde: 
gemina super arbore sidunl (Virgii, Acneide 6, 203); Abeisant, S. 40 Z. 9 : 
sidente • i • ,abeisant'. 

Godefroy s. v. abaissicr ohne Beleg für die Bedeutung ,niedersitzen'. 

Amacheurs, S. 36 Z. 20: lenocinabuntur -i- cxercebunt lenocinium -i. 
libidinem, sed in eo ioco dicitur sopori tiio lenocinabuntur • i • allicient 
te sopori; quoniam lenones romanice sunt .amacheurs'. 

Fehlt bei Godefroy. Mir unbekannt. Verlesen? Leno wird gewöhnlich 
durch .lecheor' ausgedrückt. 

Appentiz, S. 36, Z. 7: appcndicium -i- .appentiz'. 

Godefroy, Compl. s. v. appentis. Das Dictionnaire gdn^ral (ohne Beleg) 
setzt ohne Grund ein volkslat. appenditicium an. Appentiz ist frz. Neu- 
bildung auf 'iz von -icium, wie abatt-is von abatt-re und sollte appendiz 
heissen, da die -/.c-Bildungen vom Verbalstamm ausgehen (altfrz. auch 
von dem Participium, vgl. plore-is). Das / statt d rührt her vom begriflfs- 
verwandten Substantiv pente (*pendita; s. Arch. f. lat. Lexik. 4, 432 u. 
vgl. soupente zu soupendre), das Formen hervorrief wie penteis neben 
pendeis, pentoer neben pendoir u. dgl., und im Mittellatein Frankreichs 
Formen wie appentitium neben appendicium u. dgl. nach sich zog; 
vgl. Ducange. 



^ S. 44, Z. II ,Renones sunt velamenta . . quae vulgus „reptos" vocat', wo die 
Anführungszeichen eine romanische Wortform anzeigen sollen, hat E. nicht als Isidor. 
Origines 19, c. 23 entnommen erkannt, der 1. c. das substantivisch gebrauchte Part. 
repius von repere als vulgäres Synonymum von nno verzeichnete. (Bei Ducange s. v. 
s. dazu auch die abgekürzte Fassung der Erklärung bei Papias.) 



Altfranzösische Glossen 41 



Apprester, S. 48, Z. 29: culornavit romanice ,apprester'. 

Godefroy, Compl. s. v. apprester, 
Ardiesce, S. 49, Z. 8: ammositas -i- romanice ,ardiesce\ 

Godefroy, Compl. nur iiardUsse etc. 
Assegger, S. 47, Z. 3; obstdere -i- ,assegger* -i- ,purser' (d. i. purseer für 
purseeir). 
Godefroy, Compl. s. v. asegier und Dict. s. v. parseoir, 
Assisement, S. 55, Z. 26: disposite »i- ordinale «i- ,assisement'. 

Godefroy, s. v. zwei jüngere Belege. 
Aveilier, S. 32, Z. 3: expergiscere expergiscor gisceris «i- .aveiller' vel 
,ebruscer. 

Godefroy unter esveillier und esberucier. Sollte das Wort mit dem bei 
Benoit, Chroniq. V. 27536 einmal belegten und aus dem Zusammenhang 
als Brust gedeuteten brus zusammenzustellen und eine Bildung aus ,Brust* 
sein in der Art von es-cor-i mutmachend sein ? S. Godefroy s. v. escori. 
Schwierigkeiten bereitet freilich frz. u aus dtsch. u. 
Baille, S. 40, Z. 26: vallatiis -i- circumdatus a vallo quod romanice dicitur 
bailli; — Eliis S. 32, Z. 22: vallatus circumdatus quoniam vallum romanice 
dicitur ,balie'. 
Godefroy s. v. baue. 
Bendello, S. 59, Z. 19; vitta i- .bendello'. 

S. Godefroy, Compl. s. v. bandel\ Dict. s. v. bendoft\ vgl. banderely ban- 
der ole etc.; betuleUo(n) Weiterbildung auf -on} Unbelegt. Wohl nur ver- 
schrieben für bendele, s. Godefroy, s. v. bandele. 
Bevre, S. 46, Z. 10: castorvtati -i- ornati pelle castoria pretiosa. Et est 
castor romanice ,beure*. 
Godefroy, Compl. s. v. bievre. 
Bisse, S. 56, Z. 6: capreas. Nota quod aliud est capra, aliud caprea. Nam 
caper • i • aedus et capra simul iunguntur. Caprea autem est de feris 
bestiis. Et sunt illarum ferarum tria genera. Minimum inter illa est capreo- 
lus et caprea, malus vero animal damma ; et est damma communis generis 
ad marem et ad feminam; maximum autem est cervus et cerva quae 
romanice dicitur ,bisse^ 
Godefroy, Compl. s. v. bisse. 
Bloie, S. 39, Z. 5: Dicitur et livida cesaries -i- ,bloie*, non quia alba ex 
toto Sit, sed modicam speciem candoris habet ad modum palloris. S. noch 
u. Empallisanz. 

Godefroy, s. v. bloi. Die Erklärung bietet eine geeignete Grundlage 
für eine bessere Fassung des Artikels bei Godefroy. 
Bote, S. 43, Z. 19: coihurnus -i- crepida «i« ,bote'. 

Godefroy, Compl. s. v. böte i. 
Brandun, S. 40, Z. 8: fascibus -i* ,brandun<, -s* torribus ardentibus. 
Godefroy, Compl. s. v. branden. 



42 Gröber 

Buhuries, S. 50, Z. 18.: Bituricas -i- civitas, quae romanicc vocatur ^Bu- 
fiuries'. 
Bourges; i = j. 
Buissons, S. 51, Z. \2\ fruiicibus ,buissuns'. 

Godefroy s. v. botässon, 
[Buore, S. 56, Z. 30: iusto prificipe i. ,iusto buore', de quo dictum est: 
Justius invi dia nihil est quae protinus ipsum Auctorem rodit excruciatque 
suum]? Etwa baron(e)? 
Calchetrappe, S. 59, Z. 5: Decipulam romanice .calchetrappe*, qualis est 
illa in qua aves capiuntur. 

Godefroy, Compl. s. v. chausscirappe i. Verschieden davon ist Godefroy 
cliaussetrappe 2 Sterndistel, caicitrapa, das G. erst seit dem 14. Jh. belegt, 
das aber schon im Glossar von Tours, 12. Jh., auftritt: Saliunca, ancusa 
(d. i. anchusa), paliurus, ro. cachatrepa, s. Delisle in Bibl. de l'^c. des 
Chart. 30. Bd. S. 331. 
Cancle, S. 38, Z. 22: cinnamotmim romanice ,canele*. 

Godefroy, Compl. s. v. camulle. 
Caume, S. 38, Z. 8: atlmus i- ,caume' ^i» stipula. 

Godefroy, Compl. s. v. cliawnc. 
Cauz, S. 39, Z. 2: calx eis -i- ,talun' et calx pro resoluta terra i- ,cauz'. 
Godefroy, Compl. s. v. chals, wo chcUz oder calz (ebenso ^diS./alz st. /als) 
angesetzt sein sollte. 
C h amber lenc, S. 36, Z. 9: cubicularius .chamberlenc* (sie). 

Godefroy, Compl. s. v. chantberlenc. 
Chemenee, S. 36, Z. 8: camifw «i- ,chemenee*. 

Godefroy, Compl. s. v. ckenunee. 
Chenapie, S. 30, Z. 30: Ulva dicitur herba qüaedam que recte vocatur 
,chenapie'. 
Zu canapis etc.? S. Ducange, s. v. 
Cheinsil, S. 29, Z. 15: bisshtum recte dicitur ,cheinsil*, et est vestis tenuis- 
sima et albissima. 
Godefroy s. v. cliainsil, 
Ci ciatun, S. 31, Z. 27: ciclas cicladis -i- .ciclatun'. 

Godefroy s. v. ciclatott. Die Form ist anglofranzösisch; ciglaton etc. 
Continental. 
Cleie, S. 49, Z. 8: craiem -i- ,cleie'. 

Godefroy, Compl. s. v. claie. 
Creste, S. 36, Z. 5: haec yw^ö -i- ,creste' et proprio dicitur equorum. 

Godefroy, Compl. s. v. creste. 
Croc, S. 33, Z. 12: utico -i- ,croc'. 

Godefroy, Compl. s. v. croc. 
Crustre, S. 38, Z. 4: stn'dere -i- ,crustre*. 
Godefroy s. v. croistre 2 (r^ croissir). 



Altfranzösische Glossen 43 



Cuillerc, S. 43, Z. 27: cocleae sunt altae et rotundae turres et dictae sunt 
cocleae quasi cicieae eo quod in eis tanquam per circulum ascendatur 
et inde coclear ,cuillere'. 
Godefroy, Compl. s. v. cuäler\ natürlich deutet cuülere nur coclear. 
Cumfre, S. 42, Z. 6: simholum in neutro genere conjunctionem vel commu- 
nionem significat, quod romanice dicitur , cumfre', a sin, quod est con, et 
bolus, quod est .morsel*. 
Was ist gemeint? ConfrerU liegt zu fern. J\/orseI bei Godefroy Compl. s. v. 
Cumpas, cum passer, S. 42, Z. 2: circhtus quod est romanice ,cumpas'; unde 
circhiari . i • »cumpasser*. 

Godefroy, s. v. Beleg für diese Bedeutung fehlt G.; aber auch das 
Glossar von Tours S. 330 sagt: circiftus\ ,compas*. 
Cunis, S. 40, Z. 35: cuniculi dicuntur quaedam animalia quae romanice 
dicuntur , cunis*. 
Godefroy s. v. cotinü^ spät belegt. 
Curteis, S. 33, Z. 24: comiter •!• .curteisement* ; unde conüs -i- ,curteis'. 
Godefroy s. v. courtois\ vgl. Glossar von Tours, S. yi%'. facetia\ ,cur- 
tesie', et cle%anUa similiter; S. 329: curialis: ,curteis'. 
Daunger, S. 54, Z. 14: Ille patitur am'mi servitutem cui aliquis convitia in- 
gerit . i • infert et postea convitiatori nee convitia infcrt nee satyra se 
vindicat, quod romanice dicitur ,mauves daunger*. 
Godefroy s. v. dangUr. 
Deis, S. 59, Z. 4: suggestum romanice ,deis*. — (Suggestum = Erhöhung). 

Godefroy, Compl. s. v. deis. 
De preiser, S. 38, Z. 14: depretior aris i- ,depreiser'. 

Godefroy s. v. despriser i (st. desprisicr); depreiser unbelegt. 
Destrece destreint, S. 32, Z. 13: angit -i- ,dcstreint*; inde angor: ,dcs- 
trece'. 
Godefroy s. v. dcstraimirc (st. destreindre); destrece, 
Dez, S. 29, Z. 21: tesseras i- ,dcz'. 

Godefroy, Compl. s. v. dt. 
[Discretariun, S. 31, Z. 25: totus actionum seriarum -i- ,discretariun' ; 

offenbar verlesen st. ,discretanim'.] 
Ebruscer, s. o. Aveiller. 
Egrisänz, S. 40, Z. 25: acesccntibus romanice ,en egrisanz', ab aceto. 

Godefroy, Compl. s. v. aigrir, Beleg erst, nach Diction. gdn^ral, aus 
Commines. 
Empallisanz, S. 39, Z. 5: livescentibus -i« ,empallisanz', a livesco. 

Godefroy, s. v. empalir. 
Enclume, S. 53, Z. 36: üicudibus romanice »cnclume'. 

Godefroy, Compl. s. v. enclume. 
Enducer, S. 45, Z. 21: politis affatäms diäcare -i- ,enducer'. 
Godefroy, s. v. endaucir, Beleg 2. H. 13. Jh. 



44 Gröber 

Entement, enter, S. 43. Z. 21: insiticia idem est quod insitio i- ,ente- 

ment* insere (Imper.) quod est romanice ,enter*. 

Godefroy, s. v. enUmmt (ältester Beleg aus Gloss. gall.-lat. Bibl. nat. 
7684 entement'. incisio); Compl. s. v. enter, 
Entrecaniant, S. 31, Z. 9 u. 10; alternante -i- ,entrecaniant'; . . . alternanie 
•i- ,entrecangant' . . . 
Godefroy, s. v. eiitrtchangUr, 
Es sei e, S. 40, Z. 24: alarum romanice ,esseleS idem est acella -s- fossicula 
illa, quae sub brachiis est. 

Godefroy, Compl. s. v. aisselle; zu acella s. Ducange s. v. und u. as- 
cella I, zu ala\ acella s. Ducange ascella 3; frz. essele hat diese Be- 
deutung nicht auch. 

Eslitte, S. 33, Z. 32: seposita • i • seorsum posita praerogativa • i • ,cslitte* 

Godefroy, s. v. esltte. 
Espies, S. 37, Z. 12: exploratores -i- ,espics'. 

Godefroy, s. v. es/te. 
Espris, S. 36, Z. 8: anintatus »i- ,espris'. 

Godefroy, s. v. esprefidre 2. 
Estrang 1er, S. 60, Z. 18: strangiilatus romanice »estrangle*. 

Godefroy, Compl. s. v. estrangler. 
Faude, S. 32, Z. 7: catUa ,faudc' -i- ovile. 

Godefroy, s. v. i. 
Feutremenz, S. 39, Z. ^\ fulcra -i- ,feutremenz*. 

Fehlt Godefroy; afeutrement von feutre, hat andern Sinn. Vgl. aber 

Ducange fultrum (fultum) statt fulchrum, fulcrum. Es wird wohl eine 

Einwirkung von filtrum (feutre frz.) auf fulcrum stattgefunden haben. Im 

Glossar von Tours, S. 329 wird fulcrum ,culte', d. i. lat. culcita, also 

fetitre (Matratze etc.) selbst gleichgesetzt. 

Flestrie, S. 38, Z. i: marcida -i- .flestrie'. 

Godefroy, s. v. flestrir. 
Forfcre, S. 41, Z. 25: committi -i- forfere. 

Godefroy, s. v. forfaire. 
Frenges, S. 47, Z. 11: villis -i. ,frenges*. 

Godefroy, Compl. s. v. fr enge. 
Fresaie, S. 53, Z. 25: noctua -i- ,fresaies «i- quaedam avis magna ut cor- 
vus, quae tota nocte cantat. 
Godefroy, s. v. 
Frestel, S. 36, Z. 14: ar mentalem camoenam «i* .frestel'; et sunt foramina 
illa sie proportionaliter facta, ut amoene canat. 
Godefroy, s. v. 
Glas, S. 50, Z. 20: classicum romanice dicitur ,glas'; sonaverunt enim clas- 
sicum, ut convenirent clerici et laici ad eligendum episcopum. S. 56, 
Z. 16: classicum romanice ,glas'; solebant enim milites, cum socios ad 



Altfranzösische Glossen 45 



bellandum convocarent aut cum praedam aut hostes caperent, cum 
comibus (lies cornibus) suis classicum sonare. 
Godefroy, s. v. glas. 
Glu, S. 31, Z. 6: gluten -i- ,glu'. 

Godefroy, s. v. ghii, 
Grisilun (Ausg. ,grisi1im'), S. 36, Z. 11: volupedales rüro^^ -i- ,grisilun<. 

Godefroy, s. v. gresillon. 
Herberger, S. 59, Z. 23: liospitari i- .herberger. 

Godefroy, s. v. herbergier i. 
Jangier, janglur, S. 39, Z. 16: garrio -i- murmuro i- Jangier*; inde 
garrulus • i • romanice , janglur*. 
Godefroy, s. v. jangier, jangleor. 
Karoles, S. 37, Z. 17: pluteos -i- ,karoIes', supra quos scribunt clerici, 
also Pult. 

Unbelegt bei Godefroy; bei Ducange s. v. Carola Karola i, einmal in 
obigem Sinne belegt. Herkunft unbekannt. 
Kernaus (Ausg. kernans), S. 49, Z. 10: propugnacula\ ,kernaus^ 

Godefroy, Compl., s. v. crenel, 
Marc her (Ausg. mancher), S. 44, Z. i: collinUtare -i* ,marcher'. Belegt ist 
nur marchir in diesem Sinne; vielleicht hat Ellis auch die Endung ver- 
lesen. 
Godefroy, s. v. marchir. 
Mauves s. o. Daunger. 

Mazazerie, mazerre ?, S. 31, Z. 19: macellum -i- .mazazerie'; inde macel- 
larius • i • ,mazerre', a mactando sie dictus. Verlesen oder verschrieben 
für mazalerie (mazeclerie) und maz[el]aire? 
Vgl. Godefroy, s. v. maceclerie, maceclier. 
Mesdit, S. 54, Z. 22: derogatores dicuntur turpiloqui, unde dictum est: iste 
derogat mihi • i • ,mesdit<. 

Godefroy, Compl. s. v. nusdire. 
Morsel s. o. Cumfre. 

Mosse, müsse, S. 61, Z. 14: muscus anglice ,musse' vel ,mosse'; sind mit 
- e eher anglofranzösisch ; S. 36, Z. 26 heisst loc (= engl, lock) irrtümlich 
romanisch (. . cirri, cirrus romanice ,loc'; S. 28, Z. 16: flagellis -i- cirris 
quae recte dicuntur ,loc'). 
Godefroy, Compl. s. v. mosse. 
Mulesz, S. 90, Z. 34: mugilibus, mugiles sunt nobiles pisces, qui romanice 
vocantur ,mulesz'. 
Godefroy, s. v. nmlet. 
Parc, S. 49, Z. 3: indago romanice dicitur ,parc* s- ubi cervi includuntur. 

Godefroy und Compl. s. v. parc, nicht in dieser Bedeutung. 
Pel, S. 31, Z. 1%. passiUum paxillus a palo i- sude i- ,pel'. 
Godefroy, s. v. pal. 



46 Gröber 

Picois, S. 32, Z. 4: ligofte, quod romanicc dicitur ,picois'; S. 57, Z. 2: ligonis 
' i • , picois*. 
Godefroy, s. v. 
Plaiz, S. 59, Z. 16: pecteti vero ponitur pro ,plaiz* quodam pisce. 

Godefroy, s. v. plais; im Glossar von Tours dem onoroscopa gleich- 
gesetzt. 
Prasine, S, 38, Z. 10: prasinum viride, quod romanice dicitur .prasine'. 

Godefroy s. v. spät belegt. 
Pulie, S. 47, Z. 12: troclea digitur ,pulie' romanice, per quam facilius chorda 
labitur et hoc gausape tanquam troclea erat circa quemdam baculum, 
cuius baculi duo capita pendcbant juncta cuidam funi et duo capita 
ipsius gausapis consuta simul erant ut rotari posset gausape circa b«cu- 
lum illum. Quäle gausape in claustris relligio:iorum invenitur. 
Godefroy, Compl., s. v. poulie. 
Puliol, S. 59, Z. "25: est serpillum herba quaedam, quac juxta terram serpit, 
quae romanice ,puliol', et est aptissima ad salsamenta condenda. 

Godefroy, s. v. p(nilietd\ vgl. Glossar von Tours. S. 327: pulegium: 
,puliel' etc. 
Purcaz, S. 61, Z. 20: quaestits tus tui -i- romanice ,purcaz'. 

Godefroy, s. v. porchas. 
Purser s. o. Assegger. 
Puz, S. 31, Z. i\ pulte, puls pultis recte dicitur ,puz*. 

Godefroy, s. v. pous^ spät. 
Rebruch d (Ausg. rebuche), S. 53, Z. i: fubetatus -i- ,rebuche'. 

Godefroy, s. v. rtbronchier, bronchier etc. 
Remembrant, S. 38, Z. 13: meminens -i- .remembrant*. 

Godefroy, s. v. ramembranf, ratnembrer, 
Repruver, S. 33, Z. 17: exprobart -i- ,repruver'. 

Godefroy, s. v. reprover. Auch im Glossar von Tours, I. c. S. 328 ex- 
probate, »repruver'. 
Ribauz, S. 37, Z. 4: quidam dicunt esse differentiam inter vispiliones -i- 
lairoftcs, qui vi spoliant et vispilliones qui mortuos ad tumulandum depor- 
tant, sed unum trahitur ab alio -i- romanice .ribauz'. 
Godefroy, s. v. ribaut. 
Robburs, S. 56, Z. 19: dicuntur piratae praedones maris «i- »robburs* Gode- 
froy, s. v. robeor. 
Runces, S. 51, Z. 12: veprium -i- ,runces*. 

Littr^, s. V. ronce\ Diction. gönöral ohne altfrz. Beleg. 
Russenol (Ausg. russenole), S. 36, Z. 13: philomda -i- ,russenole'. 

Godefroy, s. v. rossignel\ Littr<5, s. v. rossignol, Diction. gdndral die 
-e-Form unbekannt. 
Rute, S. 30, Z. 7: . . dormientium, qui cum firmiter dormiunt, stertunt, 
quod romanice dicitur ,rute'. 



Altfranzösische Glossen 47 



Godefroy s. v. rtUi, ruitc\ nfrz. rut\ rute wird kaum Part, sein sollen; 
der Konstruktion entspräche nitent oder ruter. 
Saie, S. 44> Z. lo: saga ,saie', quoniam ex sago habcbant clamides. 

Godefroy, s. v., Belege jünger. 
Scapelarie, S. 55, Z.27: segnienta. . sunt quaedamindumenta parva circa Collum 
per humeros usque ad pectus dcpendentia quae possunt apeüari, ,scapelarie'. 
Littrd, s. V. scapidaire, 15. Jh., Diction. gdndral 13. Jh. 
Seie, S. 32, Z. 31: serica -i- ,seie'. 

Littr<5, s. V. soie\ Glossar v. Tours, S. 328: stta ,seie'. 
Seim, S. 40. Z. 32: abdonun -i- pinguedo -i- ,seim*. 

Godefroy, s. v. sain i. 
Severunde, S. 33, Z. 20: domiciüa -i- cilicia domus, quod romanice est 
,severunde'. 

Godefroy, s. v. stvronde\ vgl. dazu Ducange, s. v. stiperundatio. Was ist 
cilicia domus? Wohl nur etymologische Zerlegung. 
Stuhle, S. 38, Z. 8: stupula romanice ,stuble'. 

Godefroy, s. v. estetüe, 
Surchant, S. 29, Z. 32: achroama r., ,surchant' -i- altum et melodum 
(Oberstimme). 
Fehlt Godefroy etc. 
Suschant, S. 29, Z. 31: subfonasco r. dicitur ,suschant", a sub et fonos 
quod est sonus. 
Godefroy, s. v. souschant. 
Talun, S. 39, Z. 2: calx eis -i- »talun*. 

Littr^. s. V. talon. 
Teil, S. 36, Z. 20: tüia • i • quoddam genus arboris, quod romanice dicitur ,teil'. 

Godefroy. s. v. til. 
Tisun, S. 39, Z. 11: torribtis, quod romanice dicitur ,tisun*; S. 40, Z. 9: 
torrium • i • ,tisuns'. 
Littr^, s. V. tisoii. 
Tresche, S. 39, Z. 8: tripuditim »i- ,tresche', et tripudiare -i« gaudere et 
terram pedibus tercre. 
Godefroy, s. v. tresct ; s. Ducange s. v. iriscare. 
Truilleries, S. 31, Z. 24: scurrilitates hystrionum -i- .truilleries', »i- leno- 
cinium lecatorum. 

Godefroy, s. v. troülerie aus Adgar, mit trompcrU erklärt; vgl. Diez, Et. 
Wort. S. 694. 
Trusse, S. 32, Z. 34: inoolucrum vero proprie est ,trusse'. 

Godefroy, s. v. tatirse. 
Unniuns (Ausg. vinnuns), S. 42, Z. 32: ceparum -i- ,unniuns<. 

Godefroy, Compl. s. v. oignon. 
Urles, S. 44, Z. 10: iimbis romanice ,urles'. 
Godefroy, s. v. arle. 



48 Gröber, Altfranzösische Glossen 

Verrues, S. 40, Z. 15: verrucis -i- verrues -i- wetten (s. II.) 

Littr^, s. V. verrue. 
Viz, S. 46, Z. 12: cociea romanice dicitur ,viz', quasi ciclea ut supra (s. o. 
Gull lere) dictum est. 
Im Sinne von Schraube, Schnecke altfranzösisch noch unbelegt. 
Warez, S. 56, Z. 33: novalibus -i- ,warez'; et est novale terra antiqua vel 
pratum aliquod nuper aratum et sie jacet per totam hiemem absque 
semine et contra aestatem iterum aratur et tunc primo inseminatur. 
Godefroy, Compl. gtiarei. 

II. Englische Glossen. 

S. 28, Z. 16: Flagtllis i- cirris quae recte dicuntur ,loc\ S. 36, Z.*26: cirnis 

romanice (sie) ^loC = Locke. 
S. 28, Z. 21 : Poputes dicuntur Jiamnw d. i. harn = Schenkel, Dickbein; ebenso 

bei Wright, Vocabularies (Ausg. Wülcker) i S. 160 poples: hamm. 
S. 30, Z. 27: Cripta ae, quod est proprie ,crufte^}. 
S. 34, Z. 3 : Serum • i • ^wegt^ d. i. whey = Molken. 
S. 36, Z. 8: Ftäigo ,soth\ d. i. j^^/ssRuss. 
S. 40, Z. 15: Verrucis -i- ^wetten, (s. o. s. v. Verrues), Vies t£f er Ufi, von wart 

= Warze. 
S. 43, Z. 17: Balbutire -i- .stamerie' zu to stammer ^ stammeln. 
S. 44, Z. 8: Perone -i- anglice .riveling' s. Ellis zur Stelle. 
S. 50, Z. 12: Hirrianty inter dentes murmurent, quod anglice dicitur ,^r»^^' 

d. i. groin = knurren. 
S. 53, Z. 26: Vultur est avis quaedam, quae anglice vocatur ^rip' in cuius 

ovo ponuntur reliquiae, d. i. alt grtp, griffin = Greif. 
S. 59, Z. 21: Aftsae et atisulae alicuius rei sunt illa eminentia in illa re, per 

quam capi possit • i • ,stale' = Stiel. 

Vgl. noch zu S. 58, Z. 15 ^medo' und S. 59, Z. 20 ,/^w* die Anmerkung 

von Ellis. 



EMIL KOEPPEL 

ZUR SEMASIOLOGIE DES ENGLISCHEN 

Für die Lehre von dem Bedeutungswandel der Wörter» 
ist von unserer jungen und zukunftsfrohen Wissenschaft fast noch 
Alles zu leisten. Systematisch ist bis jetzt nur die Bearbeitung 
einer Art des englischen Bedeutimgswandels in Angriff genommen 
worden, der bekannten Erscheinimg von dem Sinken der Wörter. 
Ihr hat Eduard Mueller in seiner Abhandlimg „Zur englischen 
Etymologie" (Coethen 1865) ein Kapitel gewidmet, tiberschrieben 
„Ein pessimistischer Zug in der Entwicklung der Wortbedeutungen" 
(p. 23 ff.), und auch Richard Chevenix Trench hat in seinem 
„SelectGlossary of English Words used formerly inSenses different 
from their present" (8^^ ed., rev. by A. L. Mayhew; London 1895) 
gerade diese Wortgruppe stark berücksichtigt, so dass ich nach 

* Zu der von Paul in der dritten Auflage seiner „Prinzipien", p. 67 verzeichneten 
Litteratur über semasiologische Forschungen im Allgemeinen kann neuerdings noch 
verwiesen werden auf 

Max Nitzsche „Ueber Qualitätsverschlechterung französischer Wörter imd 
Redensarten", Leipzig 1898 (vgl. O. Dittrich, Zs. f. franz. Spr. u. Litt. XXI 153); 
Joh. Stock lein „Bedeutungswandel der Wörter. Seine Entstehung und Ent- 
wicklung", München 1898; 
B. Liebich „Die Wortfamilien der lebenden hochdeutschen Sprache als Grund- 
lage für ein System der Bedeutungslehre. Nach Heynes deutschem Wörter- 
buch bearbeitet". I. Teil, i. u. 2. Lief., Breslau 1898; 
und folgende kleinere Artikel: 

K. Morgenroth „Zum Bedeutungswandel im Französischen" (Fortsetzung), Zs. 
f. franz. Spr. u. Litt. XXII 39; 

F. A. Wood y.Umi er stand f Guess, Think^ Mean semasiologically explained", 
Mod. Lang. Notes XIV 129; 

G. Hempl „The Semasiology of ^iriaTaiüiai etc.", Mod. Lang. Notes XIV 233; 
F. A. Wood „The Semasiology of Words for Smell and See'\ Publ. of the 

Mod. Lang. Association of America XIV 299; „Semasiological Possibilities", 

American Journal of Philology XIX 40, XX 254. 

Eine reichhaltige Sammlung französischer Wörter mit Bedeutungsbeschränkung 

bietet die auch von Paul erwähnte Abhandlung meines leider bereits verstorbenen 

FreundesHeimbert Lehmann „Der Bedeutungswandel im Französischen" (Erlangen 1884) 

p. 14 ff. 

4 



50 Emil Koeppel 



dem jetzigen Stand meiner Sammlung keine erhebliche Ergänzung 
zu diesen Forschungen bieten könnte. Ich bringe deshalb im 
Folgenden eine andere, kaum minder auffällige Kategorie zur 
Besprechimg, solche Wörter nämlich, deren Bedeutung im Laufe 
der Zeit eine wesentliche Beschränkung erfahren hat, imd zwar 
innerhalb des Englischen selbst. Lehnwörter, die im Englischen 
stets auf einen Teil ihres ursprünglichen Vorstellimgsinhaltes be- 
schränkt waren (wie z. B. fönt, plumb gegenüber dem Lateinischen ; 
punch, scout, spawn, gegenüber den französischen Stanunwörtem), 
sind ausgeschlossen, imd ebenso auch englische Neubildungen, 
wie gammon „Puffspiel", stave „Fassdaube", W//w£W/ „Kopfputz", 
welche von Anfang an nur eine besondere Bedeutung des Stamm- 
wortes besassen. Ausserdem habe ich die von Trench bereits 
behandelten Wörter dieser Klasse nicht wiederholt, so dass bei 
ihm u. A. besonders zu vergleichen sind : capitulate, cattle, coffin, 
convince, cnrate, diseasc, to grave, harlot, lewd, libel, manure, 
methodist, miser, nephew, niecc, ostler, poacher, pulpit, purcJiase, 
reffwnstratc, repeal, resent, rctaliate, sad, the see, sot, spül, starvc, 
stationer, stomach, stove, voyage, wit, wo?nb, worm, 

Dass auch mit dem auf den folgenden Blättern verzeichneten 
Material der Gegenstand noch keineswegs erschöpft ist, brauche 
ich wohl nicht zu betonen. Auf einige der angeftlhrten Beispiele, 
auf die Wörter beget, fee, ferry, weeds, bin ich bei Seminar- 
übungen aufmerksam gemacht worden. 

I. Heimische Wörter. 

Ae. (Tcern, cecirn hatte vielleicht für die Angelsachsen 
noch etwas von der allgemeinen Bedeutung an sich, welche dem 
gotischen Wort akran zukommt — von der Bedeutung „Frucht". 
Zur Stütze dieser Annahme lässt sich allerdings bis jetzt nur auf 
eine Aelfric-Stelle ven^^eisen (NED;, welche diese Deutung zulässt, 
und auf die bekannte Thatsache, dass es Chaucer zur Bezeichnung 
der „Eichel" noch nötig erachtet hat, dem Worte einen erklärenden 
Beisatz zu geben : acornes of okes. Andererseits wird schon ae. 
und me. lat. glans mit cecern, acorn glossiert und für acorn selbst 
bringt das Prompt. Parv. die Erklärung: Ocom, or acorn, fnitv 
of an oke, glans ( Mätzner). Im Ne. gilt für das Wort nur die 
engere Bedeutung „Eichel**. 

Ae. (Pfen , »Abend" me. rzv, im Wechsel mit even, evening 
gebraucht, ohne Bedeutungsverschiedenheit: 77/« singest from 



Zur Semasiologie des Englischen 51 

eve fort a mor^e (NED). Ne. steht diese alte Freiheit der Ver- 
wendung nur noch der Dichtersprache zu ; wer das Wort in der 
Umgangssprache zur Bezeichnung eines gewöhnlichen Abends 
gebrauchen wollte, würde sich einem Missverständnis aussetzen. 
Die Sprache hat mit dem alten Ueberfluss aufgeräumt: even ist 
abgestorben, evefting ztun herrschenden Wort gestempelt und 
eve selbst auf die Bedeutung „Vorabend", zunächst eines kirch- 
lichen Festtages, dann auch im übertragenen Sinne irgend eines 
Ereignisses, beschränkt worden. 

Ae. begietan „erlangen, erreichen, gewinnen, erobern", in 
welchen Bedeutungen das Verbum in imseren Wörterbüchern 
reichlich belegt ist. In Sweets „Student's Dictionary" sind ihm 
auch schon für die ae. Zeit die Bedeutimgen: beget or conceive (child) 
zugetheilt, leider ohne Beleg. Im Me. tritt diese Nebenbedeutung 
stark hervor, mit allmählicher Beschränkung auf die Thätigkeit 
des Mannes, ohne dass dem Worte jedoch die ursprüngliche, um- 
fassendere Bedeutung verloren gegangen war. Erst Ne. werden der 
Verwendung des Wortes feste Grenzen gezogen. In Shakespeares 
Zeit zwar schimmert die alte weite Bedeutimg noch hin imd wieder 
durch, wie z. B. in Hamlets Belehrung des Schauspielers: In 
the very torrent . . . of passion you mtist acquire and beget a 
temperance that may give it smoothness (III 2, 6), so dass der 
von Sidney Lee angeregte Streit über die Bedeutung des begetter 
der Shakespeareschen Sonnete geführt werden konnte. Jetzt aber 
wird das veraltete, niu* noch litterarische Wort ausschliesslich 
mit der Bedeutimg „erzeugen" vom Vater gebraucht. 

Ae. bei lau: to make a hollow noise^ to roar, bark, grünt 
(BT) — vom Schreien imd Brüllen verschiedener Tiere, des Ebers, 
des Stiers etc. gesagt, während das Zeitwort jetzt fast nur noch 
das Schreien, Röhren des Hirsches in der Brunstzeit bezeichnet: 
When tJie stag cries, he is said to bell (Goldsmith, NED). Von 
den Tieren auf Menschen übertragen, tritt das Verbtmi gelegentlich 
auch noch mit der allgemeineren Bedeutung „schreien, brüllen" auf. 
Die englische Beschränkung der Ver^vendung haben wir auf 
dasselbe Bestreben zurückzuführen, welches im Hochdeutschen 
„bellen" dem Hund zuteilte: dem Bestreben für jeden Tierlaut 
einen besonderen Ausdruck zu haben. 

Ae. beorg „Berg" — von den Angelsachsen gebraucht wie 
„Berg" im Hochdeutschen: da beorgas de mon hc^t Alpis (AeUred 
NEDj. Im Laufe der me. Periode wird berwe, barwe in der 

4* 



52 Emil Koeppel 



Ueberlieferung selten. Den Grund dieses Verschwindens, das uns 
bei einem so ganz mit dem Lande verwachsenen heimischen Worte 
befremdlich ist, haben wir vielleicht darin zu suchen, dass me. 
berwe, barwe mit einigen Wörtern verschiedener Bedeutung formal 
zusammenfiel: barwe „verschnittener Eber, Schwein", barwe, jTrag- 
bahre", berwe barwe „Hain, schattiger Ort". Deshalb wird man 
allmählich für die Bezeichnung kleiner Berge das heimische Wort 
hill und für höhere Berge die Lehnwörter mount, mountain be- 
vorzugt haben. Erhalten hat sich barwe > barrow in seinem 
weiteren Sinn nur noch in den Namen bestimmter Hügel und 
Hügelketten: Still in local use: a. in the south-west, forming pari 
of the name of hills, as Cadon Barrow in Cornwall . . . ; b. in the 
north, usually a long low hill, as Barrow near Derwentwater ... 
(NED). Im 16. Jahrhimdert wurde das isolierte Wort barrow 
wieder in die Schriftsprache aufgenommen, mit einer engen Be- 
deutimg, die es schon ae. gelegentlich hatte, mit der Bedeutung 
„Grabhügel" : These hillocks in the West Countrie . . . are called 
Barowes . . which signifieth Sepulchres (1576, NED), und in diesem 
beschränkten Sinne lebt das Wort noch in der modernen Sprache. — 
Im 19. Jahrhimdert taucht auch berg im Englischen auf, aber nur 
mit einem ganz engen Sinn, in Vertretung des im 18. Jahrhundert 
dem Holländischen oder Hochdeutschen nachgebildeten Kompo- 
situms iceberg. Vollkommene Selbständigkeit hat berg jedoch 
heute noch nicht gewonnen: Only used when ice is mentioned 
or understood in the context (NED). 

Ae. burh „der befestigte Ort, die Stadt: more gener ally 
any inhabited place larger than a village (NED)" : Roma b u rh , die 
Stadt Rom. Auch in der me. Zeit konnte das Wort noch für jede 
Stadt gebraucht werden : / haf bigged BabiloynCy b u rj alder- 
rychest (NED). Später aber musste es den grössten Teil seines 
Vorstellungsinhaltes an town und city abgeben, so dass borough 
jetzt in der Umgangssprache auf die Bedeutung „wahlberechtigter 
Ort, Wahlflecken" beschränkt ist. 

Ae. ceafor „Käfer". Das Wort scheint bereits von den 
Angelsachsen nicht für die ganze Gattung gebraucht worden zu 
sein, sondern mit der Beschränkung auf schädliche, pflanzen- 
fressende Käfer: He cwced and com gcershoppa, and ceaferas 
da^s na^s gertm odde getel (BT). In der Entwicklung zum Ne. 
wurde das Wort von beeile mehr und mehr verdrängt, so dass 
es jetzt fast nur noch zur Bezeichnung eines bestimmten Käfers, 



k 



Zur Semasiologie des Englischen 53 

des Maikäfers, verwendet wird: Chafer: ^ name given to certain 
beetles, now chießy the y^Cock-chafer*' and ,yRose<hafer** ; used 
alonc, it geiterally means the former of these (NED). 

Ae. dior „Tier" — An animal, any sort of wild animal, 
a wild beast . . . niostly in contrast to domestic animals (BT), 
aber auch das „Tier" im Allgemeinen, ohne Beschränkung: Uton 
tvircean man to andlicnisse and to iire geltcnisse, and he sig ofer 
da d^or = et praesit bestiis fBT). In der me. Periode aber 
tritt für deer mehr und mehr die Bedeutung „Wild" in den Vorder- 
grund, weil die allgemeine Bedeutung auf das frühe Lehnwort 
beste übergegangen war, welches ursprünglich auch auf den 
Menschen ausgedehnt w^erden konnte. Im Ne. haftet an deer nur 
noch der Begriff „Rotwild", das NED. definiert: The general name 
of a family of ruminant quadrupeds . . . (A specific application 
of the Word, which occurs in OE, only contexttially, bnt became 
distinct in the ME period, and by its dose remained as the usnal 
sensej. Aber auch beast hat eine Begrenzxmg seiner Verwendungs- 
sphäre erfahren durch die Einführung des späten Lehnwortes 
animal im Laufe des 16. Jahrhunderts. Hamlet ruft aus: What 
a piece of work is man! . . . the Parragon of Animals (NED), 
imd so wird animal heute noch zur Bezeichnimg aller Lebewesen 
der höheren Gattxmg gebraucht, w^ährend beast jetzt hauptsächlich 
nur noch für vierf üssige Tiere verwendet wird : A quadruped {or 
animal popularly regarded as such) as distinguished front birds, 
reptileSyfishes, insects etCy aswell asfrom man, Now the ordinär y 
literary use (NED). Die Kette dior, beste, animal ist eine be- 
sonders klare und lehrreiche, die allgemeine, mehr abstrakte Be- 
deutung geht in ihr immer auf das fremde, gelehrte Wort über. 

Ae. earn „Adler" — bei den Angelsachsen die herrschende 
Bezeichnimg dieser Vogelgattung: Swä hwc^r swä hold byd, äceder 
bSod earnas gegaderude (NED). Wie dieses ae. Wort gegenüber 
öp VI? eine wesentliche Sinnesverengung erkennen lässt (Kluge EW), 
so ist es selbst durch das im 14. Jahrhimdert sich einbürgernde 
Lehnw^ort egle > eagle auf einen kleinen Teil seines Vorstellungs- 
inhaltes beschränkt worden: ne. erne: in modern use chiefly the 
Golden Eagle or the Sea-Eagle (NED). 

Ae. eorl — : A man of noble rank, as distinguished from a 
ceorl . . . or ordinary freeman, aber in der ae. Dichtung auch in 
weiterem Sinne : A warrior, a brave man, a man general ly. Diese 
ursprüngliche, umfassendere Bedeutung ging dem Worte jedoch 



54 Emil Koeppel 



bald verloren, schon gegen Ende der ae. Zeit wird es zur Be- 
zeichnung bestimmter Würdenträger des Staates verwendet: A 
Danish under-king . . . ; hcnce . . .the viceroy or governor of one 
of the great divisions of England (NED), und dieser Gebrauch 
als Titel wurde für die Bedeutungsentwicklung des Wortes mass- 
gebend: ne. earl dient ausschliesslich zur Bezeichnung einer Stufe 
des englischen Adels. 

Ae. fana „Fahne" — Fana hwearfode scir on sccafte (BT). 
Me. fane kommt noch mit der Bedeutung „Kriegsfahne** vor — 
viel häufiger ist das Wort jedoch bereits mit dem engeren Sinne 
„Windfahne, Wetterfahne" belegt. Als die mit den kriegerischen 
Normannen in Menge einströmenden militärischen Ausdrücke die 
altgermimischen Synonyma des Englischen dezimierten, wurde 
iiMchfane von den Lehnwörtern ö«««<?r, banncret,pcnnon, Standard 
aus dem Kriegswesen verdrängt und bald nur noch zur Bezeich- 
nung des Kirchen- imd Häuserschmuckes verwendet, welcher ver- 
mutlich erst nach der Eroberung in der Architektur häufiger wurde. 
Das ae. Compositum wind-fana führt uns auf ein ganz anderes Feld 
der menschlichen Thätigkeit, es bedeutet : A cloth for winnowing 
with, a fan (BT). — Neben fane steht me. mit südlichem, 
kentischem Anlaut vane und in der ne. Schriftsprache kommt die 
Tendenz zur Geltung, diesen verschiedenen Formen desselben 
Wortes verschiedene Bedeutungen beizulegen. Wir finden fane 
noch im 19. Jahrhundert mit der ursprünglichen, weiteren Be- 
deutung „Fahne", aber mit der Beschränkung auf den Fahnen- 
schmuck der Schiffe (Belege NED), während die dialektische Form 
vane die engere Bedeutimg „Wetterfahne" behalten hat. Vielleicht 
dürfen wir, im Hinblick auf die südliche Form des Wortes, den 
Schluss ziehen, dass Wetterfahnen in alter Zeit ein auffälliges 
Merkmal der südenglischen Bauten waren. 

Ae. feoh „Vieh, Habe, Geld und Gut". In der lebenden 
Sprache ist fee auf den Begriff „Geld" beschränkt und zwar auf 
die Bezeichnimg des Geldes, welches man als „Lohn, Honorar, 
Gebühr" empfängt oder bezahlt. Das germanische Wort ist auf 
englischem Boden mit dem Lehnwort fee „Lehen" formal zu- 
sammengefallen und von ihm sicherlich auch in seiner Begriffs- 
entwicklimg beeinflusst worden, so dass in vielen Fällen eine 
saubere Scheidung der beiden Wörter nicht mehr möglich ist. 

Ke, ferian: „To carry, convey, trän Sport, takc from one 
place to another** (NED), ohne jede Beschränkung hinsichtlich der 



Zur Semasiologie des Englischen 55 

Art der Beförderung verwendet. Dieses Zeitwort ist noch im 
NED unmittelbar mit me. ferien ne. to ferry „fahren, überfahren 
(über Flüsse, Seen)" verbunden, wobei eine Verengimg des Wort- 
sinnes festzustellen wäre. Morsbach aber hat mit gutem Grund 
die beiden Wörter getrennt und me. ferien > ferry von an. ferja 
abgeleitet, „dessen j als thematisch gefasst wurde" (Me. Gr. § 64 
Anm. 4). Die imgestörte Entwicklimg von ae. ferian müsste zu 
ne. *fear geführt haben, wie ae. erian ne. ear ergab. Dem an. 
Zeitwort war schon die engere Bedeutung „mit der Fähre über 
das Wasser setzen" zu eigen, woraus sich die englische Ver- 
wendung erklärt. 

Ae. folc „Volk", ganz mit dem umfassenden Sinn des hoch- 
deutschen Wortes gebraucht: Twä folc Mod töddbled, and dcct 
folc oferswtd dcet öder folc (BT). Diese allgemeine Bedeutung 
hat das Wort z. B. noch in der Coverdale^schen Bibelübersetzung 
(1535): Amonge all y^ multitudes of folkes ihou hast gölten 
the one people (NED). Aber im Me. waren die Lehnwörter people 
und nation auf den Plan getreten, die das heimische Wort allmählich 
aus allen seinen Stellungen vertrieben, so dass es jetzt im ge- 
sprochenen Englisch ntu" noch im pl. mit der Bedeutung „Leute" 
in bestinmiten Formeln wie young, old folks gebräuchlich ist. 
Die alte Grösse des Wortes ist w^ieder zur Geltung gekommen 
in dem modernen Compositum : /o/^/or^* „Volkskunde". 

Ae.fugol „Vogel" — in der alten Sprache für alle Vogel- 
iirten gebraucht: Foxas habbad holu and heofenan fuglas nest 
(NED) — jetzt in diesem allgemeinen Sinne nur noch hin und 
wieder als CoUectivum verwendet: All the fowl of Heaven werc 
flocking to the feast (Kingsley, NED). In der lebenden Sprache 
ist die herrschende Bedeutung des Wortes eine viel engere ge- 
worden: A „barn-door fowV\ a domestic cock or hen; a bird of 
the genus ,,GalUis'\ In the U. S. applied also to ,,a domestic duck 
or turkey'' (NED). Verdrängt wurde fowl von einem seinen Be- 
deutungsumfang allmählich erweiternden Wort, von ae. brid > 
ne. bird: The general name for the young of the feathered tribes ; 
a young bird; a chicken, eaglet, etc.; a nestling. The only sense 
in OE. (ib.). Noch in Dr. Johnson's Zeit bestand eine Grenze für 
die Verwendung von bird: In common talk fowl is used for the 
l arger, and hird for the smaller kinds of feathered animals (ib.), 
während das Wort jetzt die ganze Gattung umfasst. 

Ae. gebed, g. gebedes „Gebet", me. bede, das herrschende 



56 Emil Koeppel 



Wort. Nach der Reformation aber wurde ne. bead konfessionell 
beschränkt auf die Gebete der Anhänger des alten Glaubens ^ 
welche an den Perlen eines Rosenkranzes abgezählt wurden und 
werden, so dass in der lebenden Sprache der festgeprägten Formel 
to say one's heads anstatt der allgemeinen Bedeutung „seine 
Gebete hersagen" nur noch die engere „den Rosenkranz beten** 
zukommt. Was das Wort auf diese Weise als Abstraktum an 
Ausdehnung verlor, hat es auf dem Gebiet des Konkreten 
neu gewonnen. Schon in der me. Zeit wurde der Plural bedcSy 
zumeist in der Formel a peyre (of) bedes, auch zur Bezeichnung 
der Gebetkugeln verwendet, welche den Rosenkranz bildeten. 
Aus dem Plural löste sich der Singular bedc für das einzelne 
Kügelchen, die einzelne Perle des Rosenkranzes, imd nach und 
nach wTirden alle kleinen kugelförmigen Körper, Perlen, Tropfen, 
Schaumbläschen etc. bead genannt. 

Me. Herberte, herberwe, herber „Zufluchtsstätte, 
Wohnung, Herberge, Wirtshaus** und daneben, nach den Belegen 
des NED aber viel seltener, auch die Zufluchtsstätte der Schiffe, 
der „Hafen**. Mit dem Aufschwimg der Schifffahrt ist diese Neben- 
bedeutung jedoch die vorherrschende geworden, so dass wir jetzt 
bei dem Gebrauch des Wortes harbour in erster Linie an einen 
„Seehafen** denken, während die alten weiteren Bedeutungen und 
eine ganz neue und specielle Verwendimg des Wortes („Glas- 
schmelztiegel**) ims mu* gelegentlich begegnen. 

Me. hine „Diener** wird noch ohne Beschränkimg auf eine 
bestimmte Klasse von Dienern gebraucht : Lord, shuld thou weshe 
feytt myne? Thou art tuy Lord, and I thy hyne (NED). Auch 
ne. hind besass im 16. Jahrh. noch etwas von der alten Freiheit 
der Ven\^endung, die Taglöhner, welche dem Zebedaeus beim 
Fischen halfen, konnten um 1550 noch hyndes genannt werden, 
allerdings mit der Glosse : fj hired servants (Cheke, NED). Dieses 
Lehnwort servant trat me. neben dem heimischen Wort und schon 
vielfach an dessen Stelle auf, so dass hind im Ne. bald auf die 
Bezeichnung der dienenden Klasse beschränkt wurde, welcher 
die härtesten Arbeiten oblagen und die deshalb als die unterste 
betrachtet wurde. In der Schriftsprache bedeutet das veraltende 
Wort nur noch „Bauernknecht, Bauer**. 

Ae. hosa „Hose** me. hose. Diese ältere Bedeutung „Hose** 
im Sinne des deutschen Wortes hat ne. hose nur noch in einer 
festgeprägten Formel: Wamms und Hose = Doublet and hose, 



Zur Semasiologie des Englischen 57 

as thc typical male apparel (NEDj. Die lebende Sprache zeig:t 
eine weise Verteilung der ihr zu Gebot stehenden Bezeichnungen 
dieses Kleidungsstückes : trowsers, pantaloons, breeches, drawers, 
hose (pL), wobei hose auf die „langen Strümpfe" beschränkt w\u*de, 
welche jetzt besonders von Sportsmännem getragen werden. 
Zum Ersatz für diese Verengung hat hose einige neue Venvend- 
ungen gefunden, in der Botanik und auf verschiedenen Gebieten 
der menschlichen Industrie, mit ganz speciellen Bedeutimgen. 

Ae. ieldu „Alter", aber nicht nur für das Alter im Gegen- 
satz zur Jugend gebraucht, sondern auch für jede Altersstufe: 
On (tc^re (Breslau yldo his llfes = /;/ prima aetate (BT). Mit 
dieser die ganze Lebenszeit des Menschen deckenden Bedeutung 
ist das Wort eld in der Schriftsprache nicht mehr zu finden, das 
Lehnwort age hat seine Stelle eingenommen. Wenn das veraltete, 
nur noch litterarisch lebende eld in der archaisierenden Prosa imd 
Dichtung der Gegenwart auftritt, kommt ihm nur noch eine 
wesentlich engere Bedeutung zu: Old age, advanced period of 
life; nsiially with regard to its effects npon man: His beard was 
white with eld (Kingsley, NED). Eine Erweiterung seines Sinnes 
von „Alter" zu „Alterthum" zeigt es in formelhaften Ausdrücken 
wie times of eld etc. 

Ae. Idtce „Arzt"; nebenbei w\u*de das Wort auch zur Be- 
zeichnung eines von den Ärzten bei ihren Curen oft gebrauchten 
Tierchens verwendet, zur Bezeichnung des „Blutegels". Me. be- 
sitzt das Wort seine Doppelsinnigkeit noch im vollen Masse; 
in Chaucer^s Pilgerzug reitet aber doch bereits a Doctour of 
Phisyk. Das bescheidene heimische Wort wurde allmählich von 
den Lehnwörtern doctour, ßsicien, in den Hintergrimd gedrängt, 
weil zu dem gelehrten Stand die gelehrte Titulatur besser passte. 
In der ne. Zeit ist das Simplex leech vollkommen veraltet, und 
auch das die Verwendung des Wortes stark beschränkende Com- 
positum horse-leech „a horse-doctor, farrier**, ist, nach den Be- 
legen des NED zu luteilen, in der Schriftsprache nicht mehr 
gebräuchlich. Sie hat die ursprüngliche Nebenbedeutimg ziu* 
Hauptbedeutung gemacht, der geborgte doctor, physician, prac- 
titioner kennt den echt englischen CoUegen leech nur noch als 
„Blutegel". Durch diese enge Verbindung mit dem heilkräftigen 
Tierchen, aus welcher sich bei metaphorischem Gebrauch des 
Wortes die hässlichen Bedeutungen „Blutsauger, Wucherer", er- 
gaben, ist leech leider unmöglich geworden in einer schönen 



58 Emil Koeppel 



Nebenbedeutung, die ihm von Alters her eigen war. Das Wort 
wurde nämlich in der alten Sprache auch mit Bezug auf seelische 
Leiden gebraucht, wie wir von einem Arzt der Seele, einem 
„Seelenarzt" sprechen. So heisst es in den frühme. Homilien: 
The heuenliche leche seinte Poul nimed gerne ofure satile sicnesse, 
oder: Ure louerd Jhesu Crist . . . dat is alre herdene her de and 
alre lechene leche (vgl. Mätzner). Für den Verlust des Wortes 
in dieser Bedeutung hat die reiche englische Sprache keinen 
Ersatz geschaffen, denn den profanen, alltäglichen Lehnwörtern 
doctor, physician blieb das Gebiet der Seele verschlossen — sie 
musste sich mit Umschreibungen wie soul-curer behelfen. 

Ae. leger „das Liegen, das Lager" — Frynd leger weardiad 
donne ic on ühtan dna gonge (BT) — mit den durchsichtigen 
Sinneserweiterungen „Krankheit, Grab". Im Me. bedeutet leier, 
leir, loir: „Lager, Bett, Grab" und auch ne. tritt das Wort strich- 
weise noch mit der allgemeinen Bedeutimg „Lager, Bett" auf, 
wie uns z. B. Webster's Citat aus Walter Scott's „Guy Mannering" 
beweist: Upon a lair, composed of straw with a blanket stretched 
over it, lay a figure. In der Schriftsprache aber wird lair jetzt 
nur noch zur Bezeichnung des Lagers, der Lagerstätte eines 
wilden Tieres gebraucht : Up from the groimd uprose, / As front 
his lair, the wild beast (Milton, W.), gelegentlich wohl auch für 
die Behausung eines menschlichen Unholds, Räubers etc. 

Ae. md'l „Zeitpunkt, Gelegenheit": M<^1 is me to firan 
Beow. v316; itrran nidblum in früheren Zeiten. Aber schon im 
Ae. wird das Wort auch für einen ganz bestimmten, täglich 
wiederkehrenden Zeitpimkt gebraucht, für den Zeitpimkt des 
Essens, und erhält somit die engere Bedeutimg „Mahlzeit". All- 
mählich trat die Vorstellung der Zeit in den Hintergrund, ver- 
drängt von dem Anblick der täglich zu derselben Stimde aufge- 
tragenen Speisen, die „Mahlzeit" wird zum „Mahl", ganz ähnlich 
wie von den Küstenbewohnem Englands der dem Worte ae. tid 
eigene allgemeine Begriff „Zeit" verengt wurde zur Bezeichnung 
der für ihre Zeiteinteilung wichtigsten, täglich sich wiederholenden 
Erscheinung, des Steigens der Meeresflut, der „Flutzeit" und 
schliesslich der „Flut" selbst (über die analoge Begriffsent- 
wickelung von ahd. ntäl cf. Kluges EW« s. v. Mahl). Dass diese 
beschränkte Bedeutung von ae. m<jtl me. ntel bald die herrschende 
wurde, beweisen die alten Composita meltima, meltid, welche 
offenbar für die Sprechenden ebensowenig etwas Tautologisches 



Zur Semasiologie des Englischen 59 

hatten, wie „Mahlzeit" für uns. Denn im Me. muss das Wort 
sehr frühzeitig der allgemeinen Bedeutung ganz verlustig ge- 
gangen sein, es bezeichnet in der Überlieferung nur noch konkret 
die „Mahlzeit", das „Mahl", die „Speise", welche Bedeutungen 
das ne. meal behauptet hat. 

Ae. mein „Mehl", me. ntele, noch für jede Sorte von Mehl 
gebraucht. Doch fehlt es bereits nicht ganz an Beispielen, in 
welchen dem heimischen mele das Lehnwort flur, flour als Be- 
zeichnung einer feineren Mehlsorte gegenübergestellt ist. Salomon 
his meto was euery day firitti corties of clene floure and foure 
score corues of mele (vgl. Mätzner-Bieling s. v. mein). Diese 
Zweiteilung hat sich im Ne. verschärft, so dass jetzt mit meal 
niu* noch das grobgemahlene oder imgebeutelte Mehl, die Grütze, 
und andere gröbere Mehlsorten wie Maismehl, Hafermehl be- 
zeichnet werden. 

Ae. mere hat wenigstens in der Poesie noch die alte grosse 
Bedeutung des gemeingermanischen Wortes: „Meer", während 
es in der Prosa bereits mit Vorliebe nur zur Bezeichnung eines 
kleinen Sees, eines Weihers, ja einer Cisteme verwendet wurde. 
Auch die me. Dichter gebrauchten das Wort noch für grössere 
Wasserflächen wie das Mittelländische, das Tote Meer, doch ist es in 
dieser alten Bedeutung bei Mätzner-Bieling nur aus allitterierenden 
Dichtimgen belegt, deren Sprache unter dem Zwang des Stab- 
reimes so viele archaistische Elemente bew^ahrt hat. Ne. bedeutet 
mere nur noch „kleiner See, stillstehendesWasser, Weiher, Tümpel". 

Fraglich ist es, ob die Angelsachsen das Wort sdb öfters 
auch zur Bezeichnung eines Limdsees verwandten, BT bietet nur 
zwei Beispiele. Jetzt gilt für den Landsee das Lehnwort lake, 
während sea auf „die See, das Meer" beschränkt ist. Doch 
erscheint das Wort nach alter Tradition heute noch in den Namen 
bestinmiter Landseen wie Sea of Aral, Caspian Sea, Dead Sea, 
Sea of Galilee, so dass sich kein grosser Unterschied zwischen 
der ae. und ne. Verwendungsweise des Wortes ergeben wird. 

Ae. mete „Speise" — für Speisen jeder Art gebraucht: Wyt 
^ton switne mete (dulces cibos) (BT), und auch me. wird mete 
noch ohne jede Beschränkung gebraucht, wie uns die sehr aus- 
führliche Besprechung des Wortes bei Mätzner-Bieling erkennen 
lässt. Im Ne. aber kommt ihm die ursprüngliche allgemeine Be- 
deutung jetzt nur noch in bestimmten Ausdrücken und Redens- 
arten zu wie sweetmeats; an egg füll of meat; it is meat and 



^ Emil Koeppel 



drink to me; what is one tuan's meat is another man's poison; 
that is meat for your master etc., während das isolierte Wort 
nur noch zur Bezeichnung des zur Speise bereiteten Fleisches 
{^e. flctsc-mete) dient. 

Ae. sceamol „Schemel** > me. shimtel mit derselben Be- 
deutung: de halewenmakeden of al de worlde ase ane schamel 
to höre vet (AR., BT). Später ist das Wort in dieser seiner ur- 
sprünglichen Bedeutung dem Englischen verloren gegangen, aber 
erst nachdem es durch eine Ausdehnung seines Umfanges zwei 
neue spezielle Bedeutungen entwickelt hatte, mit welchen es 
heute noch besteht. Wir finden es 1. in der Form shanimel als 
einen Ausdruck des Bergbaues: „der Wechsel, die Ruhebühne 
(Wandvertiefung bei der Erzförderung und Wasserhaltung)" (F.), 
und 2. in der Form shamble(s) zur Bezeichnung des Schemels, 
der Bank, worauf der Metzger das Fleisch zum Verkauf auslegte, 
also mit der Bedeutung: „die Fleischbank" und, indem ein Teil 
für das Ganze gesetzt wird, auch „das Schlachthaus". Über das 
morphologische Verhältnis der beiden Formen vgl. Archiv C IV 45 f. 

Ae. scoten „geschossen", p. pt. von sciotan. In dem ne. 
Paradigma des Zeitworts erscheint die kurze Form shot als p. pr., 
wodurch die alte volle Form überflüssig und nur durch eine 
Spezialisierung ihrer Bedeutung vor gänzlichem Ausfall bewahrt 
wurde. Das Participium shotten erhielt den Sinn „gelaicht habend" 
und erscheint nur noch adjectivisch in der Verbindung shotten 
herring „Hohlhäring", mit gelegentlichen Erweitertmgen dieser 
Bedeutung zu „ausgenommener und getrockneter Häring", 
„magerer Mensch". 

Ae. Serif an ,,to decree after judgement, to adjudge, dooni, 
inflictj impose, pass a sentenee upon a person'' (BT), auch schon 
von dem Richtspruch des Priesters dem Sünder gegenüber ge- 
braucht: „Beichte hören und Busse auferlegen". Me. wird diese 
kirchliche Bedeutung des Zeitwortes sehr bald die herrschende 
und ne. lebt es nur noch als ein Ritualwort der katholischen 
Kirche. 

Ae. setl, ein sehr häufig gebrauchtes, vieldeutiges Wort: 
„Sitz, Wohnsitz, Bischofssitz, Belagerung, Sitzfleisch etc." Wenn 
man aus der Zahl der Belege bei Stratmann-Bradley einen Schluss 
ziehen darf, so scheint das isolierte Hauptwort schon me. seltener 
geworden zu sein, wobei wir in erster Linie an den Wettbewerb 
von Fremdwörtern wie seat, throne^ chair, residence, see, siege 



Zur Semasiologie des Englischen 61 

ZU denken haben. In der ne. Zeit wurde der Verwendungskreis 
des Wortes immer enger gezogen, so dass settlc jetzt fast ganz auf 
die Bedeutimg „Bank, Lehnbank" beschränkt und auch mit diesem 
engen Sinn in der Umgangssprache nicht häufig zu hören ist. 

Ae. st call, ein schon in der alten Sprache vieldeutiges 
Wort, welches in der Überlieferung besonders reichlich in den 
abstrakten Bedeutungen „Zustand (se steall cyricean = Status 
ccclesiae BT), Stelle (Brihtwald gehälgodc Tobian on his steall 
ih.y* belegt ist. Im Laufe der Zeit wurde das Wort aus dieser 
allgemeinen Bedeutimg verdrängt, vor allem von feiner klingenden 
Fremdwörtern wie State, conäition, place, die den Schreibenden 
und allmählich auch den Sprechenden geeigneter erschienen, 
abstrakte Begriffe auszudrücken. Das heimische Wort selbst, 
dem schon in der Sprache der Angelsachsen auch die Bedeutimg 
„Stall" eigen war, ist immer konkreter geworden; es hat durch 
Verwendung für neue Culturerzeugnisse so viele engere Neben- 
bedeutungen erhalten (Stall > Stand für 1 Tier, Krämerstand, 
Marktbude, Chorherrenstuhl, Sperrsitz im Theater etc.), dass auch 
die umfassendere konkrete Bedeutung „Stall" bereits einigermassen 
in den Hintergrund der mit dem Wort verknüpften Vorstellungen 
getreten ist. In der litterarischen Sprache wenigstens wird man 
den Begriff „Stall" viel häufiger durch stable oder durch eines 
der für die einzelnen Tiergattungen üblichen Wörter wie kennet, 
sty, coW'housc etc. ausgedrückt finden, als dui'ch das ursprünglich 
alle diese Spezialitäten in sich schliessende Wort stall. 

Ae. stöl, in der Sprache der Angelsachsen ein würdevolles 
Wort : „Stuhl, Thron" : Heofnes wealdend de sitcd on dam hälgan 
st öle (BT). Dass das Wort auch me. noch einen höheren Rang 
einnahm, beweisen stattliche Composita wie bischop-, dorn-, kine- 
stol. Der ne. Usus hingegen hat es all seiner früheren Würde 
beraubt, man versteht unter stool jetzt nur noch einen kleinen 
runden, drei- oder vierbeinigen Stuhl ohne Lehne, einen Kontor- 
stuhl, einen Bock, auch einen Nachtstuhl, woraus sich in der 
Medizinersprache die Bedeutung „Stuhlgang" ergab. 

Ae. sweltan „sterben" — Ic mceg sweltan bltdeltce: laetus 
moriar (BT). Im Me. kommt dem Worte noch cjiese allgemeine, 
alle Todesarten in sich fassende Bedeutung zu: 

For your disese, wel oghte I swoune and s weite, 
Thogh I noon other härm ne drede feite 

(Ch., Compl. of Mars 216). 



62 Emil Koeppel 



Mit der Zeit erfuhr es eine ähnliche Beschränkung wie sterven > 
starve (vgl. über dieses Wort Trench p. 262 f.). Wie dieses früh- 
zeitig mit Hunger verbunden wurde, so dass to starve ohne 
nähere Angabe jetzt „verhungern" bedeutet, wurde to swelt zur 
Bezeichnung eines durch grosse Hitze erzeugten Zustandes ver- 
wendet, mit der Abschwächimg, dass das Ende dieses Zustandes 
nicht der Tod zu sein braucht: „vor Hitze verschmachten, in 
Ohnmacht fallen". Dass sich diese Verengung schon me. vor- 
bereitete, zeigt uns eine andere Stelle desselben Chaucer'schen 
Gedichtes : 

So fehle he wex, for hete and for his wo, 

That nigh he swelt 

(ib. 127). 

Im Ne. erscheint to swelt stets mit Hitze verbunden: Is the sun 
to be blamed that the traveller's cloak swelts htm with Iteat 
(Bishop Hall, F.), und auch der ne. Ableitung to swelter, welche 
das Stanunwort verdrängt hat, kommt nur diese engere Bedeutung 
zu : „vor Hitze verschmachten, niedersinken". — Die Beschränkimg 
des Gebrauches von starve und swelt ist wohl auf ein imd dieselbe 
Ursache zurückzuführen, auf die me. Verbreitung des Zeitworts 
deyen, dyen > ne. die, wodurch die Sprechenden die Möglichkeit 
erhielten, die alten Synonyma zur genaueren Bestimmung ein- 
zelner Todesarten zu verwenden. 

Ae. dcec „Dach" erscheint oft neben Ar(5/ ohne Bedeutimgs- 
verschiedenheit. Die Bibel worte: Prcedicate super tecta sind sowohl 
mit: Bodigad on dacum, als auch mit: Bodiad uppan hröfum 
übersetzt (BT) und in der Prosa des Gudlac ist das Dach desselben 
Hauses mit dcec und hröf bezeichnet (cf. ib. das erste Beispiel 
s. V. dcec). Gleichwohl lässt die Überlieferung erkennen, dass 
hröf das feinere und umfassendere Wort ist, dass der Angelsachse 
den Himmel als Dach der Erde nicht dcec genannt haben würde 
(He gescöp eordan bearntim heofon to hröfe, BT). Mit dcec hin- 
gegen war der Begriff des Strohdaches, der vorherrschenden 
Bedachungsweise, bereits so verschmolzen, dass das Wort auch 
zur Bezeichnung des Materials, des für das Dach verw^endeten 
Strohs, diente: Dces hüses hröf wces mid dcece bedceht = culmen 
doniHs erat foeno tecttim (BT). Aus der me. Zeit ist thak bis 
jetzt schwach belegt, und wie das Wort uns im Ne. als thatch, mit 
der Affricata des Zeitworts me. thecchen (vgl. Archiv CVI 46), 
wieder häufiger begegnet, kann es nicht mehr als Synonymon 



Zur Semasiologie des Englischen 63 

von roof gebraucht werden, sondern es kommt ihm nur noch die 
engere Bedeutimg „Strohdach" zu, während roof für jede Art 
der Bedachung, im wirklichen und bildlichen Sinne, verwendet 
werden kann. 

Ae. Ud „Zeit" — das herrschende, alle Bedeutimgsschattier- 
ungen des Begriffes „Zeit" deckende Wort, neben welchem jedoch 
schon ae. in weiter Verbreitimg eine andere Ableitung derselben 
Wurzel steht: tinta. Für me. tide überwiegt noch durchaus die 
allgemeine Bedeutimg „Zeit", doch versteht es Chaucers Schiffer 
bereits trefflich, seine „Gezeiten" zu berechnen (to rekene wel 
his tydes Prol. 401). Auch in dem Gleichnis des Rechtsgelehrten : 
But litel whyl it lasteth . . . . / Joye of this world, for tymc wol 
nat ahyde, I Fro day to nyght it changeth as the tyde (B 1132) 
kommt dem Worte tyde im Gegensatz zu dem unmittelbar voraus- 
gehenden tyme bereits die engere Bedeutung „Fluthzeit, Fluth, 
Ebbe und Fluth" zu ; Chaucer hat zuerst die Worte des Innocenz : 
A matte usque ad vesperam iffimutabitur tempus verwertet imd 
dann seinen Vergleich angefügt. In der Volkssprache wird tide 
diese spezielle Bedeutung schon viel früher erhalten haben. 
Frühzeitig werden sich die Küstenbewohner den Überfluss der 
Sprache zu* Nutzen gemacht imd das Wort tide auf die 
Erscheinungen bezogen haben, welche für ihre Zeiteinteilung 
die massgebenden waren, auf das Kommen und Weichen der 
Meeresflut, auf Ebbe imd Flut, und schliesslich auf die Flut 
selbst. Von der Küste drang diese Verwendungsweise des Wortes 
ins Inland, so dass in der lebenden Sprache die alte, umfassende 
Bedeutung nur noch durchschimmert in Zusammensetzungen wie 
Shrovetide, noontide, eventide, während für das Simplex die engere, 
marine Bedeutung die allgemein gültige geworden ist. 

Ae. tili an „nach etwas streben, sorgen für . . ., sich ab- 
mühen, arbeiten" — in diesen und verv^'^imdten Bedeutungen ist 
das Zeitwort reichlich belegt, aber erst ganz spät und spärlich 
auch in der Verbindung „das Land bearbeiten, bebauen": dcet land 
to ti Hanne (Chr. 1091, BT). In der me. Zeit wird das Wort noch 
mit der alten Freiheit von verschiedenen Arten des Arbeitens, 
für körperliches und geistiges Bemühen, gesagt: Ure Lonerd tiled 
efter höre luue (BT), doch schon mit Vorliebe von der Bestellung der 
Erde. In der lebenden Sprache bezeichnet das Verbum nur noch 
diese eine Art der Arbeit : to tili „Land bestellen, bebauen, pflügen, 
ackern" — alle anderen Bedeutungen sind abgestorben. 



64 Emil Koeppel 



Ae. wdd „Gewand, Kleidung", für jede Art von Kleidung 
gebraucht: Ic w(cs nacod, nolde je me w(tda tidian (BT). Me. 
wird das Wort wede mit derselben Ausdehnung verwendet, und 
auch bei Shakespeare, bei welchem weed häufig zu finden ist, 
ist das Wort noch nicht verengt, doch lässt sich wiederholt er- 
kennen, dass er bei weed in erster Linie an ein dunkelfarbiges, 
wohl auch geringeres Gewand gedacht hat, wiederholt stellt er 
das Wort in Gegensatz zu der bunten Tracht (livery) der Jugend. 
König Claudius sagt zu Laertes: Youth no less becomes I The 
light and careless livery that it wears / Than scttled agc his 
sables and his weeds (Hamlet IV 7, 79), und in den Sonetten 
singt der Dichter von der Schönheit seines jungen Freimdes : Thy 
youth* s proud livery, so gased on now, / Will he a tatter'd 
weedy of smallworth held (Son. 2). Die in den folgenden Jahren 
eintretende Beschränkung des Wortes hat diese Bedeutungs- 
schattierung festgehalten. Dichter sprechen von a palmer's weeds y 
rural weeds, a beggar-woman's weeds (s. Flügel), und in der 
lebenden Sprache wird es nur noch auf die dtmkelste aller 
Kleidungen bezogen, auf die Trauerkleider der Witwe : a widow's 
weeds ist heute noch die allgemein gültige Formel. 

Dass auch bei der Beschränkung dieses heimischen Wortes 
die zahlreichen Lehnwörter ähnlichen Sinnes, wie apparel, dress, 
garment, habit, eine grosse Rolle spielten, ist nicht zu bezweifeln. 
Immerhin ist bemerkenswert, dass sich einem anderen englischen 
Worte gegenüber dieser Einfluss als ohnmächtig erwiesen hat: 
der dem ae. clädas entsprechende ne. Plural clothes hat sich bis 
heute den alten weiten Sinn bewahrt, noch in der soeben ver- 
öffentlichten Novelle der Mrs. Ward „Eleanor" fasst Miss Manisty 
ihr Urteil über die Kleider der jungen Amerikanerin in die Worte: 
Her clothes were odd, and dowdy, and too oldfor her altogether 
(Chap. I). Wir dürfen deshalb vielleicht einen weiteren Grund 
für die Beschränkung des Wortes weed darin suchen, dass es in 
Laut und Schrift vollkommen identisch geworden war mit ae. 
wiod ne. weed „Unkraut". Es kann sein, dass wegen dieses Doppel- 
sinnes das isolierte Subst. weed „Kleid" mehr imd mehr vermieden 
wurde, zumeist tritt es im Plural von einem Adjectiv oder Genitiv 
begleitet auf wie in der modernen Formel: a widotv's weeds ^). 



*) Den von Homonymen veranlassten Untergang einiger hochdeutschen Wörter 
hat Liebich besprochen, Beitr. XXIII 229. 



Zur Semasiologie des Englischen 65 

Selbstverständlich kann weeds auch jetzt noch allein gebraucht 
werden, wenn vorher von einer Witwe die Rede war: She looks 
very nice in her weeds. 

II. Lehnwörter. 

Me. cates, pl. „Provisions or vietuals bought (as distin- 
guished front, and usually more delicate or dainty than those 
of honte production/' NED. Diese Vorstellung einer feineren, 
auserlesenen Speise blieb mit dem Lehnwort verbunden, es trat 
so häufig von Beiwörtern wie dainty, delicate begleitet auf, dass 
sich seine Verwendung allmählich von den „eingekauften Lebens- 
mitteln" im Allgemeinen auf die „Leckerbissen" beschränkte. 
Jetzt wird das ziemlich seltene Wort (und der noch seltenere 
sg. catej nur noch in diesem speziellen Sinn gebraucht. 

Me. conjtirc(n) „beschwören", ne. to conjure, Shakespeare 
gebrauchte das Zeitwort, auch wenn es sich um eine ganz be- 
sondere Art des Beschwörens, um eine Geisterbeschwörung, 
handelte, mit wechselnder Betonung, als Oxytonon und als Par- 
oxytonon. Allmählich ist jedoch eine begriffliche Scheidimg der 
beiden verschieden betonten Formen eingetreten, wobei to conjtire 
auf die Bedeutung „beschwören, inständig bitten" beschränkt 
wurde, während to cönjüre mit der Thätigkeit des Geisterbe- 
schwörers, Zauberers in Verbindung gebracht wurde imd die 
Bedeutungen „Beschwörungen vornehmen, zaubern, hexen, be- 
schwören (Geister)" erhielt. In der älteren Sprache wurde das 
Verbum auch im Sinne von „sich verschwören" verwendet (cf. 
Trench und NED), wofür jetzt to conspire üblich ist. 

Me. cors, corps „der Körper des lebenden Menschen", eine 
Bedeutung, die das Wort bis tief in die ne. Periode hinein behielt : 
/ shov'd nty bulky Corps along (1707, NED, vgl. Trench p. 61). 
Dass sich dieses Lehnwort frühzeitig neben das heimische body 
stellte, wird viel zu dem Untergange des anderen echt englischen 
Synonymons ae. Itchanta me. lichame, likant beigetragen haben. 
Allmählich wurde mit corps der Gedanke an den toten Körper, 
an die Leiche, verbimden, das Wort wird oft von Beiwörtern 
wie dead, lifeless begleitet, bis sich schliesslich der von diesen 
Adjectiven beschränkte Sinn auf das Hauptwort selbst kon- 
zentrierte. Die Bedeutimg „Leiche, Leichnam" ist jetzt für corpse, 
welches graphisch durch die Anfügimg des e von dem späten 

5 



66 Emil Koeppel 



Lehnwort corps „Truppenkörper** getrennt wairde, sowohl, als 
auch für die seltenere, archaische Nebenform corse, die allgemein 
gültige geworden, eine Ausdrucksweise wie „He is now a lifeless 
corpse** wird neuerdings nach dem NED pleonastisch empfunden, 
wenn auch lange noch nicht als so überflüssig und lächerlich 
wie die „tote Leiche". 

Me. datntee — „estimatioft, Jionour, favour (in which any- 
thing is held) ; liking or fondness to do or see anythingy delight, 
pleasnrc, joy** (NED). Alle diese, weiteren imd feineren, ab- 
strakten Bedeutungen sind dem Worte abgestorben, gerettet hat 
ne. ^«r/w/v nur den aus jenen abgeleiteten konkreten Sinn: „Leckerei, 
Leckerbissen, Naschwerk": Yotir larders hung with dainties 
(Southej- 1794, NED). Im übertragenen Sinne kann es auch von 
einem geistigen Genuss gesagt werden: Those who can only be 
allurcd by the dainties of knowledge (Ferriar 1798, ib.). Jetzt 
bekommt man das Hauptw^ort in der Umgangssprache nur selten 
zu hören, es lebt fast nur noch ein litterarisches Leben. 

Me. dämme „Frau" steht zuerst neben me. dame, ohne dass 
sich eine Verschiedenheit des Ranges der beiden Wörter erkennen 
lässt. Beide Formen werden in der älteren Sprache auch zur Be- 
zeichnung der „Mutter eines Tieres" verwendet. Gegen das Ende 
der me. oder zu Anfang der ne. Periode trat jedoch eine Trennimg 
ein, imd zwar zunächst in der Weise, dass dame die feinere Form 
^vurde, das kurze dam hingegen die volkstümliche, bald mit 
Geringschätzung gebrauchte, wie z. B. von dem verblendeten 
Leontes für seine Gattin : This brat is none of mine . . . . / Hence 
with it, and together with the dam / Commit them to the fire! 
(WT. II 3, 92). Im Volksmunde hat sich das Wort ausserhalb des 
Tierreiches am längsten behauptet bei einer Erwähnung der Gross- 
mutter des Teufels, in der allitterierenden Formel: ,,The devil and 
his dam''. In der gebildeten Umgangssprache ist das Wort jetzt 
ganz auf das Tierreich beschränkt, auf die Bezeichnung der Mutter, 
der „Alten" des Tieres: Dam: A female parent (of animalSy 
now usually of quadrupeds) NED. 

Me. foile „Blatt" : Fructified oliue offoiles faire and thicke 
(Lj'dgate, NED). In dieser seiner ursprünglichen Bedeutimg ist 
das Lehnwort bald vor dem heimischen leaf zurückgewichen, 
erhielt jedoch schon me. neue Lebenskraft durch seine Ver- 
wendung für die Bezeichnung von allerlei künstlichen Blättern. 
Ne, foil ist ganz auf diese Kunstprodukte beschränkt: „Metall- 



Zur Semasiologie des Englischen 67 

blättchen, Blech, Spiegelbelag, Folie (für Edelsteine) etc.", aus 
welchen Bedeutungen sich die sehr übliche, bildliche Verw^end- 
ung des Wortes ergab: to serve as a foil etc. 

Me. herber, erber „Grasplatz, Blumengarten, Obstgarten, 
Laubgang, Laube" — in allen diesen Bedeutungen ist das bei den 
Gartenschilderungen der mittelenglischen Dichter sehr beliebte 
Wort reichlich belegt, und von diesem ganzen Reichtiun ist dem 
ne. arbour nur die engste Bedeutung „Laube" geblieben. Seine 
gefährlichsten und siegreichen Nebenbuhler waren die Wörter 
gar den, orchard und lawn, 

Me. parcener „Teilhaber". Diese allgemeine Bedeutimg 
hat das Lehnwort an die aus ihm entstandene englische Neu- 
bildimg me. partener ne. partner abgeben müssen. Ne. parcener 
lebt nur noch in der Rechtssprache mit der beschränkten Be- 
deutung „Miteigentümer durch Erbschaft, Miterbe". 

Me. travaile(n) „arbeiten, sich abmühen", welche ursprüng- 
liche, alle Arten der mühevollen Arbeit deckende Bedeutung dem 
Lehnworte auch in den ersten Jahrhunderten der ne. Aera eigen 
war. So sagt z. B. der König zu dem widerspenstigen Bertram: 
Obey our will, which travails in thy good (AlVs Well II 3, 165). 
Neben travail steht in Shakespeare's Zeit die Form travel, ohne 
dass sich eine Verschiedenheit des Gebrauches der beiden Formen 
erkennen lässt. Späterhin wurden sie jedoch begrifflich geschieden, 
so dass aus dem alten Zeitwort zwei neue Verba entstanden 
sind, welche die Eigentümlichkeit gemeinsam haben, dass sie 
beide nur für bestimmte Abteilungen des imifassenden Begriffes 
„arbeiten" verwendet werden. Die lebende Sprache besitzt 
1. to travail mit der verengten Bedeutimg „kreissen, in Geburts- 
wehen liegen" 2. to travel, an welcher ne. Scheideform nur die 
Nebenbedeutimg „reisen" haften geblieben ist. Da das Zeitwort 
schon me. auch in diesem Sinne auftritt, bemerkt Skeat ED mit 
Recht: The word forcibly recals the toil oftravel in former days. 
In seiner alten, weiten Bedeutimg ist das Lehnwort wohl an der 
Verbreitung und Lebenskraft des heimischen work zu Grunde 
gegangen. 



5* 



H. HÜBSCHMANN 
ARMENIACA 

1. Arm. tistr : ags. suhterja. 

Im Angelsächsischen heisst suhterja, suhtri(jja 'Neffe = 
Bruderssohn' und 'Vetter'. Bedenkt man, wie schwankend die 
Grenze zwischen den Bedeutimgen vieler Verwandtschaftswörter 
ist, wie z. B. 'Vetter', urspr. = 'Vatersbruder', im Mhd. (vetere) 
'Vatersbruder', 'Vetter' tmd 'Bruderssohn' bedeutet, wie lat. fiepos 
'Enkel' in nachaugusteischer Zeit die Bedeutimg 'Neffe' ange- 
nommen hat, wie idg. 7tepöt = 'Abkömmling, Enkel' im Indischen 
und Iranischen, im älteren Latein imd Altlitauischen die Bedeutimg 
*Enker bewahrt, im Germanischen teils bewahrt (nhd. Neffe = 
•Enker bei Luther), teils zu *Neffe = Schwestersohn' (dann auch 
*Bruderssohn, Vetter* etc.) umgewandelt hat (Delbrück, Die idg. 
Verwandtschaftsnamen p. 478 flg.. Kluge Wörterb. s. v. Neffe), so 
kann man annehmen, dass auch ags. suhterja einmal eine andere 
Bedeutung imd zwar *Enker gehabt hat. Da nun aber suhterja von 
einem *suhter- = idg. sükter- abgeleitet ist wie ags. mödrie *Mutter- 
schwester' von idg. mäter- = ags. mödor *Mutter'; ahd. fatureo 
*Vatersbruder', ags. fädera von idg. pdter- = ags. fäder *Vater* 
(Kluge, Nom. Stammbildunglehre § 30), so darf, wenn ags. suhterja 
urspr. *Enkel = Sohneskind' bedeutet hat, dem idg. sukter- die 
Bedeutimg *Sohn' beigelegt werden (vgl. skr. svasrfya- 'Schwester- 
sohn' von svdsar- ^Schwester' ; päutra- *des Sohnes Sohn, EnkeF, 
von putrd- *Sohn', däuhitra- Tochtersohn' von duhitdr- Tochter'). 
Andernfalls lässt sich ein idg. sükter- mit der Bedeutimg *Ab- 
kömmling' annehmen, aus der sich später ebenso gut die Bedeutung 
*Sohn, Enkel' wie *Neffe' entwickeln konnte. Wendet man nun 
auf dieses idg. sukter- die armenischen Lautgesetze an, so muss, 
da anlaut. s vor Vokalen schwindet und kt nach u zu st wird (vgl. 
dustr Tochter' aus dhukt^r für dhugdMr), daraus uster- werden, 
und so lautet in der That der Stamm des armenischen Wortes 
ustr (gen. uster) *Sohn'. Dieses im alten Testament häufige, 



V. 



70 H. Hübschmann 



sonst* seltner gewordene und später verschwundene Wort wird 
nur in Verbindung mit dustr (tistr ev dustr *Sohn und Tochter') ge- 
braucht und ist offenbar nur durch diese Verbindung dem Altarmeni- 
schen erhalten worden ; ausserhalb derselben wird es — auch schon 
im alten Testament — durch das jüngere Wort ordi *Sohn' ersetzt'^, 
das im Mittel- und Neuarmenischen diis alte ustr ganz und gar 
aus dem Gebrauche verdrängt hat. 

Wer das so erschlossene idg. sukter- auf eine der vorhimdenen 
Wurzeln zurückführen will, dem steht idg. säg, säk oder sägh 
(B. B. 26, 131) ^saugen' in nhd. sangen, ahd. sügafiy ags. siljan 
und sßcan, lat. sügo, ir. sügim ^sauge' u. s. w. zur Verfügung. Er 
kann dann idg. sukter- ^Säugling' mit lat. ßlius *Sohn' = idg, 
dhUios ^Säugling' (Wzl. dhei ^saugen') vergleichen. Natürlich ist 
diese Combination sehr unsicher. 

2. Arm. sen = rhod. Kioiva. 

Arm. Sen (gen. äini) ^bewohnt, bebaut, blühend, bewohnter 
Ort, Ortschaft, Dorf, Weiler* (davon abgeleitet: Sinakan *Bauer\ 
§inel bauen, erbauen, gründen', Sinvac *Bau\ sinuPiun 'Bauen, 
Gründen, Gedeihen, Blühen') habe ich Arm. Gram. I p. 213 für 
ein persisches Lehnwort erklärt und mit dem nur noch als 2. Glied 
von Kompositen vorkommenden aw. Sayana- Wohnung, Sitz' 
identifiziert. Denn aw. Sayana- hätte altpers.^ayr/wa-undmittelpers. 
sen (s. meine Pers. Stud. p. 167) lauten müssen. Nun fehlt aber im 
Mittelpersischen jede Spur dieses sen^ und wo wir es in der Pehlevi- 
übersetzung des Awesta erwarten sollten, wie z. B. bei der Ueber- 
tragung von aw. äayana-y erscheint immer mämänih 'Wohnung' 
(Hom, Np. Schriftsprache p. 191). Ebenso fehlt auch im Neu- 
persischen sowohl Setty wenn es nicht, wie Hom a. a. O. annimmt, 
in dem einzigen gtil-San 'Rosengarten' (mit -San statt SJn aus Sen^ 
vgl. J. F. Anz. 10,20) erhalten ist, wie auch jedes andere Derivat der 
Wurzel §i = skr. k§i 'wohnen'. Aber durch syr. Sainä 'terra culta, 
res secimdae, pax, cicur, mansuetus' (Brockelmann Lex. syr. p. 373) 
war ein mittelpers. Sen gesichert, wenn syr. sainä für entlehnt 
zu halten ist, wie ich nach Brockelmann angenommen hatte. 
Indessen stellt das hebr. Wörterbuch syr. Sainä zur Wurzel 
y^^ ^ruhen' (in \^^ 'ruhig'), und Nöldeke hält (nach persönlicher 

* Z. B. bei Mos. Choren. (Venedig 1865) p. 17 und 81. 

* Arm. orJi = idg. portlos 'das Junge* zu gr. iröpTl^? 




Armeniaca 71 



Aßtteilung) diese Zusiimmenstellung für durchaus richtig und 
demgemäss syr. §ainä für echt semitisch, nicht für entlehnt. Nach 
ihm heisst Sainä zimächst ^Ruhe, Frieden', dann etwa *Zahmheit\ 
von Thieren und Pflanzen, dann geradezu ^bebautes Land' (im 
Gegensatz zu dawrä Wildnis'), und das Verbum Saiyen heisst 
zimächst ^beruhigen, Frieden stiften', dann *zähmen' und *urbar 
machen'. Lässt sich somit ein mittelpers. sen nicht nachweisen, 
so kann auch arm. äen nicht sicher als Lehnwort gelten, imd es 
fragt sich, ob es nicht doch als echt armenisch anzusehen ist. Im 
letzteren Falle wäre arm. Sen identisch mit rhod. KToiva *Wohnsitz, 
Gemeindebezirk' = idg. kpoinä und urverwandt mit gr. kti2u) 
^erbaue, gründe', kticti^ ^Gründung', Iukti^acvo^ *schön gebaut, wohl 
angesiedelt', d^cpiKTiove^, ktiXo^* *zahm, mild, gezähmt', skr. k§i 
*wohnen', MitiS ^Wohnsitz', kS^tram ^Grundbesitz, Feld, Ort, 
Gegend', kS^mas ^wohnlich, ruhig, Aufenthalt, Ruhe', aw. .</ 
*wohnen', Siti- ^Wohnimg', anaSita- ^unbewohnt' (arm. an§en\ 
soi&ra- ^Land', Sayana- ^Wohntmg, Sitz.' Die Gleichung §en = 
KToiva = idg. kpoiAä ist sicher, wenn sich nachweisen lässt, dass 
anlautendes idg. kp im Armenischen zu .^ w^erden muss. Leider 
erlaubt der Uebergang von inlautendem kfi nach r zu arm. / (in 
arm. arj ^Bär = gr. öpKTo^, skr. fkäas, aw. aroSö) keinen Rück- 
schluss auf die Behandlung von anlautendem kp. 

3. Arm. skund: gr. cTKuXaE. 

Arm. skund heisst nach dem Wörterb. *Himd, kleiner Hund^ 
Hündchen' und ist nur zweimal (bei Schriftstellern des 11. imd 
12. Jhd.) belegt. Ich nehme an, dass das Wort, wenn echt armenisch 
und nicht etwa entlehnt (wie kac ^Hündin'), urspr. die Bedeutimg 
*jimger Himd' gehabt hat imd stelle es zu gr. (TKuXaH * junges Thier, 
jimger Himd, Htmd' und ctku^vo^ *das Junge' von Thieren (Löwen, 
Bären u. s. w.). Von arm. Snn = gr. kuujv, lat. canis u. s. w. ist 
es natürlich zu trennen. Eine andere Zusammenstelltmg s. bei 
Schrader, Reallexicon s. v. Himd. 

4. Arm. demcslikos = gr. öo^daTiKo^. 

Zu den in meiner Arm. Gram. I. p. 338 ff. verzeichneten 
griechischen Lehn- und Fremdwörtern trage ich das bisher über- 
sehene demcslikos nach, in dem schon Dulaurier (Chronique de 

* Von Brugmann Gnindriss i* p. 791 zu. lat. siUre, got. ana-siian 'still sein' 
gestellt. 



72 H. Hübschmann 



Matthieu d'6desse, Paris 1858 p. 379, vgl. auch Stephanos von 
Taron, ed. Malchaseanz Petersburg 1885 p. 379 — 380) eine Ent- 
stellung des byzant. Titels öo^dcrriKo^ (Sophocles, Greek Lexicon 
p. 392) erkannt hat. Ich finde das Wort bis jetzt an folgenden 
Stellen und in folgenden Formen. Johan Mamikonean (8.-9. Jhd.) 
Venedig 1832 p. 56: Heraklius machte ihn auch „zum dimeslekos 
von ganz Rom" (= Griechenland) ; Stephanos von Taron (Anfang 
des 1 l.Jhd.) Petersburg 1885 p. 170 : Kaiser Romanos sammelte viele 
Truppen (i.J. 91 7 — 918 nach Stephanos) und „sandte einen äemeslikos 
(var. dimealikos) nach der Stadt Dvin"; p. 179: Kaiser Kostandin 
(Konstantin VII) sendet im Jahre 949 „den demeslikos Cmskik 
(= Ths9m9skik) mit gewaltigem Heere in das Gebiet von Karin" ; 
p. 186: Kiur-Zan*, der Kaiser von Griechenland „sendet mit zahl- 
losen Truppen den demeslikos Mleh nach Amith^ — und sie 
nahmen den demeslikos Mleh gefangen" (var. demeolikos) ; Aristakes 
von Lastiverd (11. Jhd.) Venedig 1844 p. 27: MichayeP macht einen 
(sr mi) seiner Brüder zum Magistros, „einen {s minn) ernennt er zum 
Demeslikos^ und sendet ihn nach dem grossen Antiokh ('Avrioxcia), 
indem er Arabien imd den Süden seiner Sorge anvertraut", den 
zweiten {?s erkrordn) seiner Brüder macht er ziun Sinklitos in Kon- 
stantinopel etc. ; p. 31 : „derjenige, welcher der Dimeslikos genannt 
wurde"; Mattheos von Edessa (12. Jhd.) Jerusalem 1869 p. 17: „der 
General der Römer, der Demealikos, mit Namen iW^A"(i.J. 972—973); 
p. 18: „den Heerführer den Demealikos imd die andern Grossen 
der Römer nahmen sie gefangen und führten sie in die Stadt 
Amith"; p. 19: „imd es schrieb der Demealikos einen Brief nach 
Konstantinopel"; Smbat Chronik (13. Jhd.) Paris 1859 p. 31: „Im 
Jahre 421 (= 972—973 p. Chr.) zog der Heerführer der Griechen 
der Demesklos mit vielen Truppen gegen die Stadt Melitene — 
und sie nahmen den Demesklos und 40 Vornehme gefangen"; 
p. 32 : „aber der Demesklos schrieb an den Cmskik". Die ver- 
schiedenen Formen dieses Namens führen alle auf demeslikos als 
ursprüngliche Form zurück, die durch Vocalassimilation (Arm. 
Gram. I., p. 329) aus domeslikos entstanden sein kann. Wie aber 
domeslikos aus domeslikos werden konnte, bleibt unklar, da weder 

^ Das ist Johannes Tzimiskes 969 — 976, Enkel des oben genannten ÖmSkik. Smbat 
p. 33 nennt ihn v^i^l^ik Johannes. 

* Im Jahr 973, s. Gelzer-Krumbacher, Geschichte der byzant. Litteratur p. 989. 
' Michael IV 1034— 1041. 

* Konstantinos s. Gelzer-Krumbacher a. a. O. p. looo. 




Armeniaca 73 



die armenische Sprache jemals st in sl verwandelt, noch die 
armenische Schrift die Verwechslung von st und sl begünstigt. 

5. Arm. Naxdavan: dTroßaTripiov? 

F. Murad hat in seiner ansprechenden Schrift: Ararat und 
Masis (Heidelberg 1901) den Nachweis zu führen gesucht, dass 
die Armenier eine einheimische Sintflutsage hatten, die den 
majestätischen Berg Masis ^ in der Provinz Airarat zum Schauplatz 
gehabt imd die Veranlassung zur Benennimg der „circa 100 km. 
südöstlich vom Masis" (Murad a. a. O. p. 62) gelegenen Stadt 
Naxcavan* gegeben haben soll. Diese Stadt, die nach der dem 
Moses Chorenatsi zugeschriebenen Geographie zur Provinz Vaspu- 
rakan, später zur Provinz Siunikh gerechnet wird, soll nämlich 
nach armenischer Ueberliefenmg der Wohnsitz Noahs nach Lan- 
dimg der Arche gewesen und deshalb Nax£avan = Naxijavan 
d. h. *erste Niederlassung' (von nax ^zuerst, vorher, erster' imd 
ijawan ^Herberge, Absteigequartier, Station, Aufenthaltsort', a. a. 
O. p. 63) genannt worden sein*. 

Wenn daher Josephus Antiq. Jud. I, 92 von dem Ort, wo 
Noah landete, sagt: dTroßaTripiov ^dvioi töv tottov toötov 'Ap^evioi 
KaXoöaiv dK€i Tdp dvacrujeeicTri^ tf]^ XdpvaKoq In vöv ol ^TTixibpioi id 
Xeiipava dTTiöeiKvuoucTi, so liegt es nahe, in diesen Worten eine Be- 
stätigung jener Etymologie des Namens und zugleich einen Be- 
weis für das Alter der armenischen Ueberliefenmg zu sehen. 
Die entgegenstehenden Argumente weiss Murad geschickt zu 
beseitigen, so dass er den Beweis für seine Behauptung zu er- 
bringen scheint. Wenn ich — in fast allen einzelnen Punkten 
mit Murad einverstanden — ihm dennoch in der Hauptsache nicht 
zustimmen kann, so habe ich dazu folgende Gründe. 

1. Die Et3^mologie. Murads Erlärung des Namens wäre richtig, 
wenn die Form Naxijavan oder Naxijevan die ursprüngliche wäre. 
Denn das Adverb nax (Gegensatz von apa ^alsdann, darauf) be- 
deutet *zuvor, zuerst', in Kompositis = H^or, vorher, voraus (lat. 
prae')y zuerst', z. B. nax-aPor ^Vordersitz', naxoijoin *Vorbe- 
grüssimg' (= das Zuerst-begrüsst-werden), nax-a-gah *den Vorsitz, 

* Vgl. Müller-Simonis Durch Armenien, Kurdistan imd Mesopotamien p. 43. 

* Sprich Nacktschavan , jetzt Nachitschevan auf den Karten. Schon von Ptolc- 
maeus (NaSoudva) neben Armavir und ArtaSat genannt. — Ein Deminutiv davon ist 
Nax}avanik, Dorf im Kanton KhaSunikh der Provinz Siunikh (Steph. Orb. II, p. 270). 

' Vgl. Injijean Storagruthiun hin Hayast. Venedig 1822 p. 219 (= nax ijrvan 
oder nax avan u. s. w.). 



74 H. Hübschmann 



Vorrang habend', nax-a-stek ^zuerst geschaffen' (Adam), nax-cin 
^erstgeboren', nax-asageal ^vorhergesagt', nax-a-xnamufinn *Vor- 
sehiing', nax-ima^ut'itm *Vorherwissen' u. s. w. (a. a. O. p. 65-66), und 
ijawan (= ijawank*) bedeutet * Absteigequartier, Herberge' (auch ija- 
van, ijevan, von ej, ej-k' * Absteigen' \m<3iwan-k' *Herberge Wohntmg', 
vgl. flf«^^-7«7^wÄ' = ^Nachtquartier'); ein altarm. *NaxiJawan oder 
*NaxiJavan wäre also = *Vor- Absteigequartier, Vor-herberge, 
erste Herberge' und könnte so genannt sein im Unterschied von den 
späteren Stationen, die die Nachkonunen Noahs bei ihrer Weiter- 
wanderung und Verbreitung auf der Erde durchliefen. Aber ein 
altarmenisches Naxijavan ist nicht vorhanden, statt dessen er- 
scheint vielmehr nach bisheriger Annahme Naxiavan, Naxciian^ 
nach Murads Ansicht Naxfavan, das „eine in der raschen Volks- 
sprache entstandene Verkürzimg" (a. a. O. p. 63) aus Naxijavan 
sein soll. Derartige Verkürzungen sind aber bisher im Altarmeni- 
schen nirgends nachgewiesen, und, soweit ich sehe, nicht nach- 
weisbar : das (wahrscheinlich aus *ejavan * nach armenischen Ge- 
setzen) entstandene ijavan hätte in der Zusammensetzimg mit nax- 
sein i ebensogut behalten müssen, wie es naxinta^ etc. behalten hat. 
Denn das im Anlaut zwei- oder mehrsilbiger Wörter stehende / oder u 
geht auch in der Zusammensetzung nicht verloren. An diesem Gesetz 
scheitern Murads sonst zutreffende Ausführungen über dieses Wort. 
Ferner: die Formen Naxijavan^ Naxijevan, Naxjavan, Naxjtian 
sind neben Naxiavan, Naxiuan wohl seit dem 10. Jhd. in unsem 
Ausgaben nachweisbar (Murad a. a. O. p. 103), aber für die ältere 
Zeit gilt doch Naxöavan, seltner Naxiuan ; so nämlich steht bei 
Faustus p. 173, Lazar Pharpetsi p. 369, Moses Chorenatsi 77, 129, 
219 (nur p. 57 Naxjavan\ Moses Geographie 609 {Naxitian\ 
Sebeos (oft, s. Murad p. 103, auch in der Petersburger Ausgabe 
1879 p. 92, 93, 94, 118, 150), Levond (Petersburg 1887) p. 24 (nach 
der Handschrift) und p. 33 (für Naxijevan des Pariser Druckes 
von 1857), Stephanos von Taron (Petersburg 1885) p. 115, 120, 
124 (für Nax£ivan des Pariser Druckes von 1859), Thomas Artsruni 
(Petersburg 1887) p. 78, 92, 105, 128, 195 u. s. w., so dass im 
10. Jhd. eigentlich nur Joh. Katholikos (Murad p. 103) öfter Nax- 
Javan^ und Mos. Kalankatuatsi im 3. Buch zweimal Naxijevan^ 

* Vgl. ijanem aus ~e]anem;i]ic gen. pl. von 'ejk*. 

' Ebenso nach der Moskauer Ausgabe von 1853, z. B. p. 61, iiy, 179 neben 
Naxfavan (var. Nax(uan) p. 56. 

' Nach der Moskauer Ausgabe von 1860 z. B. p. 265. 




Armeniaca 75 



schreibt. Jedenfalls ist Naxjavan und erst recht Naxijevan die 
jüngere Form oder Lesart, die erst durch die Schreiber der (durch- 
weg Jungen) Handschriften der Historiker und die modernen 
Herausgeber auch in die älteren Texte gekommen ist. Ist aber 
Naxcavan die älteste Form des Namens S so kann dieser selbstver- 
ständlich nicht als ^erste Station' {nax-ijavan) gedeutet werden, 
ist vielmehr in (ein sonst imbekanntes) Noxe- aus Naxic- oder 
NaxtiC'j das vielleicht ein Name war, und (das bekannte) avan 
*Flecken' (Ortschaft zwischen Dorf imd Stadt) zu zerlegen" und 
also 'Naxii- oder iVlr/;rwc-flecken' zu deuten, vgl. die Ortsnamen 
Afiusavan,ArSakavan, Bagavan (BaguanJ, Zarehavan (ZarehuanJ, 
Thornavan, Karcavan, ^irakavan, VaiarSavan, Smbatavan. 

2. Die Ueberlief erung. F. Murad muss nach den Ausführungen 
L. Alischans und Geizers (a. a. O. p. 67) zugeben, dass die alten 
iuinenischen Schriftsteller bis etwa „ins 11. oder 12. Jhd. herab 
nirgends den Masis mit Namen als Limdungspunkt Noahs nennen, 
sondern, wo sie überhaupt vom Archenberg reden, als solchen das 
Kardu-Gebirge bezeichnen", will aber daraus nicht mit L. Alischan 
imd Geizer schliessen, dass die älteste Ueberlief erung den Masis 
nicht als Archenberg gekimnt habe, sondern in den Worten des 
Johannes Erznkatsi (circa 1250 — 1326): „der Ayraratische Berg, der 
hochgebaute Masis, weil er der Ruheort der Arche geworden ist" 
(a. a. O. 69) den Beweis dafür sehen, dass die Lokalisierung der 
Flutsage am Masis „eine von alters her allgemein anerkannte 
Thatsache" sei. Das ist eine imberechtigte Ueberschätzung des 
Zeugnisses des Joh. Erznkatsi, das doch nur beweist, dass zu 
seiner Zeit der Masis als Archenberg allgemein galt, nicht aber, 
dass er immer als solcher gegolten habe. In der Frage nach 
dem Alter dieser Geltung können wir uns doch nur an die Zeug- 
nisse der älteren Schriften halten, die, gleichviel ob übersetzt oder 
original, den Masis nicht mit der Flutsagc in Verbindung bringen. 

Diese Zeugnisse, in denen wir dieselben beiden Versionen 
der Flutsage Avie bei den älteren jüdischen, griechischen und 
syrischen Autoren (Murad p. 26 und 36 ff.) wiederfinden, die 
babylonische, nach der die Arche im Lande Kardü (Korduene) 



* Vgl. Leon Alischan Sisakan (Venedig 1893) p. 497: »die ältesten und besten 
Schriftsteller, Chorenatsi und andere, schreiben ungefähr bis zum 12. und 13. Jhd. 
immer Naxcavan". Vgl. auch np. Nax^uvän, Naxjuvänt gr. NaEoudva bei Ptol. 

' Ebenso L. Alischan Sisakan p. 497. 



76 H. Hübschmann 



und die biblische, nach der sie „auf den Bergen Ararats" (Genesis 
8, 4) sitzen blieb, sind -überhaupt folgende. 1) Die Uebersetzung von 
Eusebios Chronik (ed. Aucher) 1, p. 36—37: „und von dem Schiffe 
(des Xisuthros), welches ging und Halt machte in Armenien^ sei bis 
jetzt ein kleiner Theil auf dem Berge (Gebirge) der Korduener 
(arm. Korduagik') im Lande Armenien übrig geblieben**. 2) Faustus 
von Byzanz (Venedig 1832) p. 22 : „um diese Zeit ging der grosse 
Bischof der Nisibener (der hlg. Jakob) — aus seiner Stadt, um sich 
zu begeben in die Berge Armeniens, auf den Berg Sararad* im 
Gebiet der Airaratischen Herrschaft ■ in den Kanton Kordukh — 
und er bat Gott, (ihn) die errettende von Noah gebaute Arche 
sehen (zu lassen), denn auf diesem Berg ruhte sie seit der Sintflut." 
3) Geschichte der hlg. Hriphsime und ihrer Genossinnen (Mos. Chor. 
Opera, Venedig 1865) p. 300: von dem Berge Soloph in Kordukh 
sagen die Syrer „dass bei der Abnahme der Wasser der Flut die 
Arche auf dem Gipfel des Berges d. h. des Sararad (i glux lerinn 
or e Sararaday) angekommen sei und dass der Sägefisch hindurch- 
passierend das Schiff zurückgehalten habe; der Niune des Fleckens 



* / Uarn Sararaday. Da Sararad der Berg selbst ist (s. Faustus p. 24, Z. 5 v. u.: 
i Sararad Urinn)^ nicht das Land, in dem er lag, so ist nicht zu übersetzen „auf den 
Berg Sararads" (Murad p. 71). Bei den Wörtern für 'Provinz, Kanton, Stadt, Flecken, 
Dorf, Berg' und ähnlichen steht im Armenischen der Name entweder im Genetiv oder (be- 
sonders vorangehend) unflectirt als Apposition, z. h.gavarn Airaratu FB 143, Laz. Pharp. 
282 oder Airarat gavarn, gavaf-in u. s. w. (sehr oft) = 'die Provinz Airarat.' — Ist Sararad 
aus Ararad = Ararat (s. unten p. 77.) entstanden? Vgl. Murad p. 84 Anm. 

' Dieser ganz vereinzelte und gesuchte Ausdruck 'Gebiet der Airaratischen 
Herrschaft' ist auch mir (wie Murad p. 84) seit Jahren anstössig. Wo Faustus sonst 
den Kanton Kordukh oder einen andern zu Armenien gehörigen oder gerechneten 
Kanton erwähnt, genügt ihm immer der Ausdruck 'Kanton Kordukh, Kanton Aloyhovit' 
u. s. w. ohne jede nähere Bestimmung, die auch überflüssig war, wenn sie nur besagte, 
dass der Kanton zum Lande oder Königreich Armenien gehörte. Auch war dies ja hier 
schon genügend durch die Worte „in die Berge Armeniens" angedeutet. Zudem gab es gar 
keine Airaratische Herrschaft, sondern nur eine Herrschaft der arsacidischen Könige, 
die in einer Stadt der Provinz Airarat residierten. Faustus braucht den Ausdruck nur 
hier, um zu sagen, dass, wenn die Arche im Kanton Kordukh landete, sie, wenn auch 
nicht in der Provinz Airarat, so doch in einem von Airarat aus beherrschten Gebiete 
Armeniens gelandet ist und will dadurch offenbar den babylonisch-syrischen mit dem 
biblischen Bericht in Einklang bringen, wie es früher schon die jüdische Tradition (Murad 
P. 26, 39) gethan hatte, indem sie Ararat (= arm. Airarat) mit Kardü (= arm. Kordukh) 
identifizierte. Der Widerspruch der beiden Berichte wird noch später (11 — 12. Jhd.) von 
einem Armenier hervorgehoben, dann aber natürlich zu Gunsten der Bibel entschieden 
(Murad p. 91). — Dass Airarat an unserer Faustusstelle noch die Bedeutung des alten 
Reiches Urartu gehabt habe, wie Dr. Belck will (nach mündlicher Mitteilung), leugne ich. 



Armeniaca 77 



sei Thamnis* genannt worden, d. h. acht Seelen sind aus der Arche 
ausgestiegen" (s. Murad p. 28—29 und vgl. 1. Petri 3,20). 4) Thomas 
Artsruni (Petersburg 1887) p. 19: „nach Vollzug des göttlichen 
Befehles wurde die Arche von den Wasserwogen nach Osten 
nach der Mitte der Welt {yareveleain} i mijof aSxarhi) getrieben 
und ruhte auf den Bergen von Kordukh" (i lerins KorduafJ. 5) Die 
iumenische Uebersetzung von Genesis 8, 4: „und es setzte sich die 
Arche nieder auf den Bergen Ararats" (/ lerins Araratay^y var. 
Araraday, Airaratay für gr. im rot 6pr| xä 'Apapdx). Stammen diese 
Angaben (auch nach Murads Meinimg) sämtlich — direkt oder in- 
direkt — aus griechischer oder syrischer Quelle, so kommt für die 
Frage, ob es eine einheimische Flutsage bei den Armeniern ge- 
geben habe, nur die einzig übrige Stelle, an der die Flutsage noch 
erwähnt wird, Moses Chorenatsi Geschichte I, cap. 6, p. 17 in Be- 
tracht. Dieser berichtet nach seinen Gewährsmännern Gorgi, Banan 
und Davith(?), dass einer derselben einer Unterhaltung griechischer 
Weisen über Teilung der Völker beigewohnt hätte, und dass dabei 
der tüchtigste unter diesen, Olompiodoros mit Namen, so gesprochen 
hätte. „Ich will euch erzählen," sagte er, „ungeschriebene durch 
Tradition auf uns gekommene Erzählungen, die auch viele Bauern 
heute noch erzählen. Es giebt (gab) ein Buch über Khsisuthros und 
seine Söhne, das man jetzt nirgends mehr sieht, in dem, wie sie 
sagen, folgende Darstellung sich findet. Nachdem Khsisuthros 
nach Armenien geschifft und gelandet war, zieht einer seiner 
Söhne, Sim genannt, nach Nordwesten, um das Land zu erkimden^ 
trifft auf eine kleine Ebene am Fusse eines langgestreckten Berges^ 
durch welche Flüsse strömen nach der Gegend von Assyrien, 
wohnt am Flusse während zweier Monate und nennt nach seinem 
Namen den Berg Sim '. Dann kehrt er nach Südosten zurück, 



* Vgl. Nöldeke, Festschrift für Kiepert p. 77. 

' Verstand der armenische Uebersetzer von Gen. 8, 4 die Bedeutung von *ApapdT? 
und warum übersetzt er es nicht verständlicher durch Airarat (wie der Uebersetzer 
von Jerem. 51, 27)? Jedenfalls ist Ararat {var, Ararad) nur die Umschreibung von 
griech. 'Apapdr und durchaus unarmenisch, keineswegs aus Airarat entstanden, wie 
Murad p. 20 will. Ebenso fremd ist Ararad in trkirn Araraday 'das Land Ararat* 
4 Könige 19, 37, (Pseudo-) Sebeos Petersburg 1879 p. 2 und 3 (dreimal) und (aus 
gleicher Quelle) Moses Chorenatsi p. 22 und 23. Und Sararad} Vgl. Murad p. 23, 
91 — 92 Anm. und p. 102. 

' Im Kanton Sasun (Injij. p. 70) westlich vom Van-See. Moses wählt diesen 
Berg wegen der Aehnlichkeit seines Namens mit Sem (dem Sohne Noahs), den er hier 
in Sim ändert. 



78 H. Hübschmann 



woher er gekommen war. Aber einer seiner jüngeren Söhne mit 
Namen Tarban trennt sich mit dreissig Söhnen und fünfzehn 
Töchtern nebst deren Männern vom Vater und nimmt seinen 
Wohnsitz wieder an demselben Flussufer*, nach dessen (des Tarban) 
Namen er (Sim) auch den Kanton Tarön nennt ; den Namen aber 
des Ortes, wo er gewohnt hatte, nennt er C^önk' (Zerstreuung); 
denn hier fing zuerst die Trennung seiner Söhne von ihm an. Er 
wandte sich weg imd wohnte, wie sie sagen, einige Tage an der 
Grenze des Gebietes der Baktrier, und einer seiner Söhne blieb dort. 
Denn die östlichen Länder nennen den Sem (sie) Zrvan und den 
Kanton nennen sie bis heute Zaruand. Aber noch öfter thun die Alten 
von den Nachkommen Arams Erwähnung dieser Ding bei Lauten- 
klang und Sang und Tanz". In diesem Berichte deuten die Namen 
Xisuthros, Sim = Sem, die Gleichsetzung von Sem mit Zrvan, 
die Erkläiimg von Tarön aus Tarban, von Zarvand aus Zrvan 
und der ganze Tenor nicht auf eine volkstümliche Ueberlieferung 
der Armenier, sondern erweisen die gelehrte Mache des Moses. 
Auch die Behauptung, dass die Nachkommen Arams „dieser 
Dinge Erwähnung thun", ist zu unbestimmt, als dass daraus bei 
der notorischen Unzuverlässigkeit des Moses irgend etwas ge- 
schlossen werden könnte. Und selbst wenn dieser Bericht einen 
volkstümlichen Kern hätte, was ich leugne, so wäre doch der 
Schauplatz auch dieser Erzählung im Westen und Süden vom 
Van-See imd der Landimgsort des Xisuthros, nach der Lage des 
Berges Sim (s. Moses Choren, p. 80, Aristakes Last. p. 94) und den 
obigen Angaben zu urteilen, nicht der Masis in Airarat, sondern 
eben das Land Kordukh! 

Die armenische Litteratur des 5. — 10. Jahrh. weiss also nichts 
vom Masis als Archenberg. Wenn er aber später als solcher 
erscheint, so erklärt sich das doch hinreichend durch den immer 
grösser werdenden Einfluss der Bibel, die die Arche auf den 
Bergen von Ararat = arm. Airarat landen lässt. Der höchste 
und berühmteste derselben war der Masis : also musste die Arche 
auf ihm gelandet sein^ Als dann zur selben Zeit altarm. Nax- 
öavan zu Naxijevan wurde, das sich als ^erstes Absteigequartier' 
deuten Hess, lag es nahe, diese Stadt in Beziehung zu der 



* /■ noin geUzerbn} Die Praeposition / wird nur mit Dat., Acc. und Abi., nicht 
aber mit dem Instr. verbunden. 

• Vgl. Murad p. 91 — 92. 



Armeniaca 79 



auf den Masis verlegten Landung der Arche zu setzen, so dass 
nun Sage imd Etymologie einander stützen konnten. 

Wie dem aber auch sei, es ist keine Spur einer einheimischen 
Flutsage nachweisbar und keine Möglichkeit einer Deutung von 
Naxcavan (und selbst von Naxjavan) als dTroßarripiov* vorhanden. 
Und was Josephus betrifft, so lässt auch er nur die Arche „in 
Armenien auf dem Gipfel eines Berges" stehen bleiben imd spricht 
weder von der Provinz 'Apapdx noch vom Berge Masis noch von 
der Stadt NoHudva, imd seine Behauptimg, dass die Armenier einen 
Ort in Zusammenhang mit der Flutsage dTroßaTfipiov genannt 
hätten, kann nicht als zuverlässig angesehen werden. Er nennt 
seine Quelle nicht, und wir haben keinen Grund, sie ohne weiteres 
für gut zu halten, auch wenn sie eine armenische war. Denn 
selbst ein Armenier konnte ihn über einen armenischen Ortsnamen 
falsch berichten, imd er that es, wenn er ihm Naxiavan als *Ort der 
Landung* u. dgl. erklärte. 

* So Hesse sich wohl der Name des Dorfes IJavank' in Airarat (EliSe Venedig 1859 
p. 139, Murad p. 63) deuten (von ijanel 'aussteigen, absteigen, landen', diroßafveiv). Das 
Dorf liegt aber im Kanton Vanand, weit weg vom Masis, und steht in keiner Beziehung 
zur Flutsage. 



R. HENNING 
AUS DEN ANFÄNGEN STRASSBURGS 

Eine archäologische Betrachtung. 

Die Frage nach dem Alter unserer Stadt ist in den letzten 
Jahren in ein neues, gegenständlicheres Stadium getreten. Durch 
die archäologische Überwachung der zahlreichen Tiefgrabimgen 
wurde eine solche Fülle von Material zu Tage gefördert, dass 
wir allmählich einen wirklichen Einblick in das Innere des 
grossen Schutt- imd Trümmerhaufens gewinnen, über dem sich 
imsere gute Stadt mit ihren Kirchen, Häusern imd Plätzen erhebt. 
Freilich stehen wir erst im Anfang der Beobachtungen und sind 
weit davon entfernt, ein irgend wie vollständiges Bild entwerfen 
zu können. Doch haben manche Fragen sich schon merklich 
geklärt. 

Die grosse Lücke zwischen dem Mittelalter imd der römischen 
Periode beginnt sich auszufüllen. Die Vorstellung, die wir in 
unserer Lokalforschimg finden, dass die alte in Trümmer zer- 
fallene Römerfeste noch im 8. oder gar 9. Jahrhimdert öde lag, be- 
ruht wesentlich auf dem Mangel zuverlässiger Nachrichten und 
Funde. So kam man dazu, den Beginn der neuen Stadtentwicklung 
überhaupt ausserhalb des alten römischen Argentoratiun in Neu- 
siedelimgen zu suchen, welche germanische Ackerbürger vor 
dem Westthore an der alten Heerstrasse gründeten. Von dieser 
Vorstadt soll der deutsche Name Strassburg' ausgegangen sein *. 
Es fragt sich, wie unsere Fimde zu dieser Hypothese sich stellen. 

Die frühesten mittelalterlichen entstammen bis jetzt grade 
dem Bereiche der Altstadt. Im ganzen Zuge der Kalbsgasse, d. h. 
direkt vor der römischen Südmauer, wo bis zur 111 kein Terrain 
für weitere Niederlassimgen mehr war, fanden sich zahlreiche Reste 
aus der späteren Völkerwanderungszeit und dem früheren Mittel- 
alter: altchristliche Spangen, merovingische imd karolingische 

^ Strassburg und seine Bauten S. 74, Zeitschrift für die Geschichte des Ober- 
rheins 12 (1897) S. 167 ff. 

6 



82 R. Henning 



Waffen und Geräte, ein merovingischer, ein karolingischer Sporn, 
ein Skramasachs, ein ausgezeichnetes Karolingerschwert etc. sowie 
eine ganze MustercoUection charakteristischer Scherben z. T. von 
derselben Art wie diejenigen aus der Nachbestattung des Sesen- 
heimer Goethehügels mit den fränkischen Waffen und der Totila- 
mtinze ^ Ähnliche keramische Reste stammen von einem Neubau 
der benachbarten Schwestemgasse sowie aus einem verschütteten 
Brimnen immittelbar vor dem römischen Nordthor. Dem ver- 
schwundenen Hohlziegel Schöpflins mit dem Stempel *Arboastis 
eps ficet' vom Michaelsberg (bei St. Aurelien) gesellen sich jetzt 
aus der Münstergasse Nr. 8 zwei Ziegelstempel mit dem altchrist- 
lichen Monogramm, die derselben Zeit wie jener angehören mögen. 
Nach Le Blants nicht imebener Vermutung hätte die Kirche die 
einst von den Legionen geführten Fabriken übernommen. 

Ähnlich bedeutsame frühmittelalterliche Fimde kennen wir 
aus der ^Neustadt' noch nicht: weder bei St. Thomas noch an den 
Gewerbslauben und dem Kleberplatz oder dem alten Weinmarkt 
sind sie in irgend wie bemerkenswerter Zahl zum Vorschein ge- 
kommen. Die ersten umfassenden Spuren des neuen Strassburg 
führen ims wieder in das alte Castrum zurück. 

Hinzu kommt, dass jener Stadtteil, wo die älteste aleman- 
nische Gründung gesucht wird, schon während der römischen Zeit 
mehr oder weniger überbaut war. Das römische Argentoratiun 
umfasste thatsächlich schon von dem heutigen Strassburg inner- 
halb der alten Wälle den ganzen von den Illarmen um- 
schlossenen Teil. An der 111 ziehen sich dichte römische Reste 
noch ein gutes Stück westlich über die Thomaskirche fort. 
In der Kinderspielgasse und am Weinmarkt, in der Helenen- 
gasse, beim Rothen Haus, zwischen Aubette imd hohem Steg, 
in der Marktgasse und wo sonst in dieser Gegend in die Tiefe 
gegraben wurde, kamen sie ebenso zahlreich wie innerhalb der 
Umwallung zum Vorschein. Diese Aussenstadt, in der römische 
Villen mit reichlichen Wandmalereien imd traurige Baracken 
ziemlich bunt durcheinander lagen, lehnte sich im Osten an die 
Mauern des Castrums, im Westen an die Friedhöfe an, die, gleich 
jenseits der 111, in der Weissthurmthorstrasse beginnend, sich fast 
durch ganz Königshofen hindurchzogen. 

So fanden die zuwandernden Alemannen schon auf dem 



1 Martin im Bulletin de la Societe XII, 19 ff. 



Aus den Anfängen Strassburgs 83 

ganzen Komplex eine Ansiedelung vor, und es ist nicht anzunehmen, 
dass sie den neuen Namen nur für einen Teil derselben verwertet 
hätten. Im Uebrigen wiederholte sich, was wir auch an anderen 
Plätzen, z. B. in Worms, beobachten : dass der Umfang der mittel- 
alterlichen Stadt zunächst beträchtlich hinter denjenigen der 
römischen zurückging. In Strassburg aber bleibt die neue nach- 
römische Kultur grade in der alten, durch Wall imd Graben ge- 
sicherten Römerfeste am besten erkennbar. Hier mag ein romani- 
sierter Bevölkerungsrest sich noch lange gehalten haben imd das 
städtische Leben nie ganz imterbrochen worden sein, während 
draussen vor den Thoren zwischen Alt- und Jimg-St Peter ein 
grosser Teil für Jahrhunderte wieder ^Allmende' wurde. 

Aber nicht nur die weite Ausdehnung, auch das hohe Alter 
des römischen Strassburg innerhalb imd ausserhalb der Wälle 
haben die letzten Ausgrabimgen erwiesen. Bis dahin waren fast nur 
Funde der mittleren und späteren Kaiserzeit zu Tage gekonmien, 
so dass man wohl dem Gedanken Eingang gewähren konnte, 
Strassburg sei an diesen seinen Platz erst in der vespasianischen 
Zeit vorgeschoben worden ^ Heute ist diese Annahme nicht mehr 
gestattet. Besonders in den tieferen Schichten ist an den ver- 
schiedensten Pimkten nun auch die älteste, vorflavische Zeit hin- 
reichend gesichert. In der Brandgasse, am Broglie, in der Blau- 
wolkengasse, am hohen Steg, an den Gewerbslauben, beim roten 
Haus, am alten Weinmarkt, in der Kinderspielgasse, sind neben 
z. Th. überwiegenden Kupfermünzen der ersten Kaiser auch 
die ältesten römischen Fibeltypen, importierte römische Terra 
sigillata mit den Stempeln des Ateius, Xanthus ^, Bruchstücke der 
alten ^belgischen' Ware, Töpfe mit noch aus der La Ttoezeit 
5tanmienden Formen vertreten, so dass schon heute nm* noch der 
Schluss gestattet ist, dass das ganze alte Stadtgebiet schon seit 
der ersten römischen Okkupation des Landes, d. h. seit dem An- 
fang unserer Zeitrechnimg, bewohnt gewesen ist 

Dass das Legionslager schon inmier an der Stelle des späteren 
Castrums lag, ist damit freilich noch nicht erwiesen. Doch ist sehr 
zu beachten, dass grade vor den Thoren des Castrums sowie an 
den dahin führenden Strassen schon die ältesten römischen Funde 



* Thraemer, im Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- 
und Altertumsvereine 1900 S. 8 (S. A.) 

' Über die chronologische Stellung dieser Stempel vgl. Ox^ in den Bonner 
Jahrbüchern loi (1897) S. 22 ff. 

6* 



84 R. Henning 



SO zahlreich sind. Bei den Geräten von Blauwolkengasse Nr. 12 
wird überhaupt schon an eine Werkstatt oder einen Laden zu 
denken sein. 

Die römischen Mauerzüge, wie sie Silbermann im vorigen 
Jahrhimdert festlegte, bestätigen sich durchaus. Aus der bisher 
nur an der Ostecke verfolgten Südfront wiu"de ausser in der 
Korduangasse neuerdings auch im Norden der Kalbsgasse, aber 
merkwürdig schräge auf diese zuziehend, unter dem Hause Nr. 5 ein 
nach dem Ufer zu stark abgeböschtes Stück entdeckt. Die Um- 
fassimgsmauer, von der man bis dahin allein Kimde hatte, ist, 
wie sich aus den Einschlüssen ergeben hat, eine spätrömische 
Anlage frühestens der konstantinischen Zeit. Aber hinter ihr, 
d. h. nach dem Castnun zu, hat sich jetzt an mehreren Stellen 
eine zweite, ältere Mauer gezeigt, in der bisher noch keine 
römischen Denkmäler vermauert gefimden wurden. Von be- 
stimmbaren Einschlüssen sind in der Nordfront nur Ziegel der 
8. Legion gefimden, deren ersten Kollege Thraemer an der Nord- 
westecke des Neukirchplatzes herv^orzog. Sie beweisen jedenfalls, 
dass auch diese Mauer nicht vor der 2. Hälfte des ersten Jahr- 
himderts errichtet wiu*de. 

Mit diesen Zeugnissen, die in den Beginn der römischen 
Okkupation zurückführen, ist meiner Ansicht nach aber auch der 
Pimkt erreicht, wo die zusammenhängende Überlieferung einst- 
weilen aufhört. 

Das sicherste Argimient für die vorrömische Existenz imserer 
Stadt liefert einstweilen noch ihr vorrömischer Name Argen- 
torate. Ich habe demselben kürzlich an andrer Stelle* eine ein- 
gehende Betrachtung gewidmet und hoffe durch neue Argumente 
den Nachweis verstärkt zu haben, dass derselbe ein keltischer ist 
und von vornherein einen befestigten, umwallten Platz bezeichnete. 
Wenn das keltische rati-, rato- 'Burg' (vgl. altirisch rig-rath 
'Königsburg') im heutigen Irisch technisch für einen 'runden Erd- 
wair oder 'little fort' gebraucht wird, und wenn das ganze Wort 
Argento-rate in der Umkehrung als Rath-argid heute noch in 
Irland ebenso wiederkehrt, wie das verwandte gallische Argento- 
magus als Moy-arget, so ist ein Zweifel kaiun noch gestattet. 
Aber was dies 'little fort' gewesen, ob es eine Erd- oder, was 
ebenso nahe liegt, eine Wasserburg oder vielleicht beides war, 



* Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Litteratur Elsass-Lothringens i6 (1900), 
345 ff- 



Aus den Anfängen Strassburgs 85 

ob es eine Stadt oder, wie in Irland meistens, einen Herrensitz 
oder einen blossen Zufluchtsort umschloss, darüber vermag der 
Name nichts zu sagen, dies könnten nur die archäologischen Er- 
gebnisse lehren. 

Aber die bisherigen Funde, die in den Zeitungsartikeln von 
Dr. Forrer* eine weitgehende Verwertung erhalten haben, sind 
doch von anderer Art als diejenigen der späteren Perioden. Es 
sind Einzelstücke, deren archäologischer Charakter z. T. noch 
einer genaueren Bestimmung bedarf. Sie schliessen sich noch 
nirgend zu einer Gruppe oder einer erkennbaren Kulturschicht 
zusammen. Wir können noch von keiner Stelle der inneren 
Stadt behaupten: hier haben Menschen dauernd gewohnt oder 
hier sind Menschen begraben. Römische Wohngruben imd 
Brunnen, die in den unberührten Boden hineinreichten, haben wir 
mehrfach konstatiert, vorrömische dagegen, wie sie aus der Um- 
gegend von Strassburg bekannt geworden sind, vorläufig nirgend. 
Dass sich dies alles noch ändern wird, ist sehr gut möglich, ja 
vielleicht zu erwarten. Aber vor der Hand sind wir eben noch 
nicht so weit. 

So fragt sich denn: was dürfen wir methodischer Weise 
aus jenen Einzelfimden folgern. Ausscheiden von der Betrach- 
tung muss zunächst Alles, über dessen Provenienz nichts Genaues 
bekannt ist, ebenso die später verloren gegangenen imd auch 
nicht abgebildeten Stücke. Dann bleibt aber nur sehr wenig 
Sicheres übrig, für mich eigentlich nur das, was ich selber gesehen 
und kennen gelernt habe. 

Aus der sog. La T^neperiode, von der man annimmt, dass 
sie etwa die letzten vier Jahrhunderte vor imserer Zeitrechnung 
ausfüllt, also diejenige Periode, welche für das keltische Argen- 
torate recht eigentlich in Betracht käme, citiert Dr. Forrer zwei 
Gegenstände von der Aubette, zwischen Kleberplatz und Hohem 
Steg. Es ist dies ein grosser ausgesprochen römischer Fimdplatz, 
der verhältnismässig gut beobachtet wurde. 

Zunächst ein Gefäss nebst verschiedenen keramischen Resten. 
Hier machen schon die Fundumstände, welche von Hm. stud. 
Jaeger festgestellt und gebucht sowie von Hm. Welcker und 
mir kontroliert wurden, die Annahme einer vorrömischen Depo- 
sition wenig warscheinlich. In der tiefsten Schicht (etwa 4 m tief) 
lagen in zwei Reihen etwa 15 mehr oder weniger erhaltene früh- 

* Strassbnrger Post 1900 Nr. 256 ff. 



86 



R. Henning 



römische Thonkrüge, dabei eineGesichtsume. Unmittelbar daneben^ 
etwa 3 cm. tiefer, kam schon eines der fraglichen Bruchstücke, noch 
etwas tiefer (nach Jaeger) einige gleichartige Deckelreste nebst 
einem Sigillatascherben und endlich, i. G. etwa 10 cm tiefer, ein 
grober, hartgebrannter Topf mit rauher gestrichelter Oberfläche 
nebst Deckel zum Vorschein. Diese Umstände deuten, wie mir 
scheint, auf einen geschlossenen Fund, dessen frührömischer 
Charakter durch die sicher bestinunbaren Gefässe erwiesen wird. 
Bei dem fraglichen Topf und den analogen Bruchstücken sind 
das grobe Material und besonders die Behandlimg der Oberfläche 
gewiss auch der älteren Zeit gemäss und bei La T^netöpfen öfter 

zu beobachten, aber ein archäologisches Krite- 
rium ist darauf nicht zu begründen, besonders 
da einige Deckel ganz die römische Form haben 
und ein identischer La T^netopf weder von 
Dr. Forrer nachgewiesen noch von mir in- 
zwischen in auswärtigen Museen aufgefunden 
worden ist. 

Etwas anders verhält es sich mit dem schein- 
bar sichersten Zeugen, einer Gewandnadel, 
welche Dr. Forrer dem 2. Jahrhundert vor Chr. 
zuweist (Fig. 1). Sie entstanunt einer anderen 
Stelle desselben Fundplatzes. Das Stück lag 
nicht ganz so tief, was freilich nichts beweist,, 
etwa 60 cm über der ausgeschachteten KeUer- 
sole (± i. 2,90 m tief). Aber zu beachten bleibt» 
dass unweit davon 20 cm tiefer noch ein Scher- 
ben aus buntem römischem Glase zum Vor- 
schein kam. Trotzdem habe auch ich die Nadel zunächst 
für eine Mittel-La T^nefibel gehalten, wie wohl Jeder^ 
dem hierfür nicht eine spezielle Erfahrung zu Gebote 
steht. Seitdem habe ich die Frage genauer studiert und 
bezweifle heute nicht mehr den frührömischen 
Charakter des Stückes. Da die Sache von einigem 
Interesse ist und noch nicht öffentlich untersucht 
wxu*de, erlaube ich mir darauf einzugehen. 

Die nebenstehende Figur 1 giebt die Fibel, 

deren vordere Biegxmg abgebrochen und in unserer 

Zeichnung ergänzt ist, in natürlicher Grösse wieder. 

Fig. 2. Figur 2 ist eine der üblichen Mittel-La T^nefibeln* 




Fig. I. 




Aus den Anfängen Strassburgs 8^ 

Dass beide zu demselben Typus gehören, ist evident. Die erste 
Form kann nur aus der zweiten entstanden sein, die sich ihrer- 
seits wieder aus der Früh-La Ttoefibel entwickelt hat; mit der 
sog. Spät-La T^neform hat sie keine specielle Berührung. 

Bei aller Verwandtschaft sind aber auch die Besonderheiten 
unserer Fig. 1 unverkennbar. Dahin gehört vor Allem der gleich 
hinter der Spirale steil emporsteigende Bügel, der auch für die 
römischen Fibeln charakteristisch ist, femer dessen weiterer 
schräg abfallender Verlauf mit dem scharfen Knick nach unten. 
So ergiebt sich gegenüber der sanft geschwungenen Mittel- 
La Ttoeform ein scharfes, eckiges Profil. Dagegen ist das durch 
eine Schleife mit dem Bügel verbundene Ende des oberen Steges, 
wie es aus dem freien Ende des umgebogenen Früh-La T^ne- 
fibelfusses entstanden ist, durchaus altertümlich und kehrt bei 
anderen römischen Typen nirgend Avieder. 

Trotzdem würde auf diese Abweichungen ein grösserer 
chronologischer Unterschied kaum zu begründen sein, wenn nicht 
die Erfahrung ihn erwiese. Auch Almgren in seinem neuesten 
Werke S. 2 f. behandelt ein dem unsem genau entsprechendes 
italienisches Exemplar (Taf. I Fig. 1) aus Palestrina als vorrömische 
Mittel-La T^nefibel \ Auf den richtigen Weg hat mich erst Herr 
Direktor Lindenschmit in Mainz geführt, der mir die Nach- 
bildimg einer mit Fig. 1 identischen Fibel des Dillinger Museums 
von einem römischen Fundplatze zeigtet Ich bin dann nach 
Dillingen gefahren, um den Sachverhalt genauer festzustellen. 

Die Fibel stammt aus Aislingen unfern der Donau, also 
aus dem nördlichen Vorterrain von Augsburg. Auf der beherr- 
schenden weithin über den Strom ins Germanenland hinüber- 
schauenden Höhe muss in frührömischer Zeit ein Kastell gestanden 
haben. Die zahlreichen Fimde, welche mir Herr Dr. Harbauer 
freundlichst erläuterte, gehören ziemlich genau in dieselbe Kate- 
gorie wie unsere Strassburger von der Aubette und der Blau- 
wolkengasse. Sie bilden eine örtlich geschlossene Gruppe und 
haben mit anderen aus derselben Gegend stammenden altem 
Fimden keine Berührung. Die Fibeln zeigen denselben früh- 



^ Almgren, Studien über Nordeuropäische Fibelformen der ersten nachchristlichen 
Jahrhunderte. 1897. Die Abbildung ist aus Montelius, La civilisation primitive en Italie 
I. Taf. XII, 170 entnommen. Fimdumstände sind nicht angegeben. 

* Ein anderes aus dem Rheinbett stammendes Exemplar des Mainzer Museums yer- 
weist er jetzt in die 'späteste Stufe' der mittleren La Töneperiode (Westd. Zeitschrift 19, 399). 



88 R. Henning 

römischen Typus wie die unseren; unter ihnen befinden sich 2 Spät- 
La T^ne-fibeln, eine Mittel-La T^neartige wie Fig. 1, schliess- 
lich als die älteste eine wirkliche Mittel -T^nefibel, auf die ich 
zurückkomme. An der frührömischen Provenienz aller dieser 
Dinge ist nicht gut zu zweifeln. 

In denselben Zusammenhang führen die im Museum 
von Donaueschingen verwahrten Funde von Hüfingen. Die 
Münzen scheinen hier von Caesar Augustus bis Vespasian zu 
reichen. Die Terra sigillata ist mit der älteren von der Aubette 
durchaus zu vergleichen. Auch die Fibeln zeigen dieselben 
älteren Formen: zum Audssa-Typus gehörige, an die Spät-LaTtoe- 
form sich anschliessende und wiederum unsere steile mittel- 
La T^neartige. Eine Vermischung mit anderen älteren Fund- 
plätzen derselben Gegend scheint auch hier nicht vorzuliegen. 

Nachträglich sind noch aus Strassburg selbst zwei weitere 
Exemplare bekannt geworden. Beide stanmien von römischen 
Fundplätzen: die eine, aus der Gegend der neuen Kirche, ist in 
den Besitz von Herrn stud. Scheuermann gelangt, die andere, 
hinsichtlich des Bügels dem Prototyp noch näher kommende, 
ist Brandgasse Nr. 4 gehoben , wo zwar die frührömische Zeit, 
aber trotz sorgfältiger Überwachimg kein vorrömisches Stück 
entdeckt worden ist. 

Die angeführten Parallelen, die sich zweifellos noch ver- 
mehren werden, dürften genügen, um den frührömischen Charakter 
imserer Fig. 1 zu stützen. Trotz Umfrage ist mir aus Südwest- 
deutschland kein Beispiel bekannt geworden, wo diese Spielart 
mit ähnlicher Sicherheit einem Mittel- oder Spät-La Ttoefunde 
angehörte. So wird die Chronologie von Dr. Forrer um 200 Jahre 
herab zu rücken sein, und wir lernen bei dieser Gelegenheit, was 
Almgren S. 2 noch verneint, dass es auch von den Mittel-La T^ne- 
formen aus einen Weg giebt, der mit Uebergehung der Spät-La 
T^netypen direkt in die römische Zeit führt. 

Im Anschluss hieran taucht aber noch eine andere wichtigere 
Frage auf. Wo und was ist denn, so fragen wir, im Elsass und 
überhaupt im südlichen Deutschland die Spät- imd die Mittel- 
La T^nezeit? Während sie in Mitteldeutschland und ebenso in 
der Schweiz gut konstatirt ist, sind die geschlossenen Funde bei 
uns jedenfalls äusserst spärlich. Aus dem Elsass, wo Herr 
A. W. Naue das Material genau durchgearbeitet hat, ist bis jetzt 
kein einziger geschlossener Fimd dieser Art bekannt geworden, 



Aus den Anfängen Strassburgs 89 



Während die Früh-La T^nezeit reichlich vertreten ist. Aus dem 
ganzen Lande weist mir Herr Naue nur eine einzelne Mittel-La 
Ttoefibel aus Brumath nach (im Museum zu Mtilhausen). Auch in 
Baden, in Württemberg sowie im mittleren und südlichen Bayern 
scheinen geschlossene Mittel-La T^nefunde äusserst selten zu sein. 
Genauere Nachforschungen darüber wären sehr erwünscht. 

Soviel aber scheint sich jetzt schon zu ergeben, dass beide 
Perioden bei uns nicht zur rechten Entfaltung gekommen sind. 
Die Spät-La T^nezeit darf man hier zu Lande wohl überhaupt 
schon als frührömisch ansprechen, mag man dabei in die Zeit des 
Caesar hinaufgehen oder nicht. Die eigentliche Wendimg von 
der ^gallischen' zur ^römischen' Kultur kann schon in der Mittel- 
La T^nezeit liegen und deshalb muss auf diesen Abschnitt be- 
sonders geachtet werden. Jedenfalls gewinnt die einzelne Aislinger 
Mittel-La T^nefibel neben ihrer Abart und den frührömischen ein 
erhöhtes Interesse. Ob dem entsprechend nicht auch die Früh- 
La T^nezeit etwas in der Zeit herabzurücken ist, bedarf weiterer 
Erwägung. — 

Über unsere sonstigen frühzeitlichen Fimde darf ich mich kurz 
fassen. Die wenigen sicher konstatierten gallischen Münzen lasse 
ich ausser Betracht, da grade bei Münzen ein längeres Fort- 
erben vorkommt und in imseren Fällen wenigstens möglich ist. 

Es folgte sodann ein wiederum bei der Aubette gefundenes 
Broncemesser, welches Forrer für die ältere Hallstattzeit reklamiert. 
Über dieses gestatte ich mir kein Urteil, da mir ein direkt zu 
vergleichendes Stück nicht bekannt ist. EHe Gelehrten, welche 
eine Bestinmiung wagen, sind sich noch nicht einig. Während 
Manche 'Hallstätter' Ursprung für möglich halten, erklären Andere 
(wie Lindenschmit) es überhaupt für römisch. Inzwischen bleibt 
sehr zu beachten die oberflächliche Lage innerhalb des römischen 
Schuttes in nur 1 ,5 m Tiefe. Jedenfalls kann von einem in situ 
gebliebenen Hallstattfund nicht die Rede sein. 

Etwas anders verhält es sich mit einer bronzenen Gewand- 
nadel von ca. 24 cm Länge mit einem Doppelknopf und da- 
runter eingravierten Ringen. Sie gehört typologisch zweifellos 
zu den alten aus der Bronzezeit stammenden Nadeln vor- 
römischer Fabrikation. In häufigerem Gebrauch scheinen sie sich 
nur bis in die Hallstattzeit gehalten zu haben. Zu den jüngsten 
vergleichbaren aus unserer Nähe werden die bei Gündlingen im 
Süden des Kaiserstuhls in einem Grabhügel mit zahlreichen Ge- 



90 R. Henning Aus den Anfängen Strassburgs 

fassen der (altem?) Hallstattzeit zusammen gefundenen gehören K 
Gelegen hat imsere Nadel aber nicht isoliert, sondern in einer 
ausgesprochen frührömischen Schicht, in denselben Abf all- 
gruben der Blauwolkengasse, aus denen die ältesten und best- 
erhaltenen frührömischen Geräte und Münzen stammen. Wie 
noch die heutige Patinienmg zeigt, muss sie schon ebenso lange 
wie die andern Dinge an derselben Stelle gelegen haben. Etwas 
konfundiert ist hier in alter Zeit sicher, ob über oder imter der 
Erde vermögen wir nicht zu sagen. 

So bleibt denn als der letzte und in jeder Hinsicht einwand- 
freie Zeuge der im vorigen Jahr mitten in der heutigen Altstadt 
und dicht vor der Westfront des römischen Castnuns imter den 
kleinen Läden gefundene Dolch der späteren Bronzezeit. Er lag 
etwa 4 M. unter dem heutigen Niveau für sich allein im gelben 
Lehm, ohne Zusammenhang mit den benachbarten römischen 
Kulturschichten. — 

Aus der neolithischen Periode führen ims die gesicherten 
Zeugnisse bis jetzt erst an die Peripherie von Strassburg 
heran. Die von Dr. Forrer aus der Salomonischen Sammlung 
beigebrachte *Becherume' wurde bei der „Fortification" in 
der Bahnhofsgegend gefunden. Sie ist schwerlich verschleppt, 
sondern dürfte eher einer Wohngrube oder einem Begräbnisplatz 
entstammen, was bei rechtzeitiger Nachforschtmg wohl noch zu 
konstatieren gewesen wäre. 

Zweifellos der ältesten Kulturschicht gehören endlich die 
beim Beginn der Kanalisation im Norden der Stadt auf dem 
Wacken bei der „Seufzerallee" in der Nähe grosser Eichenver- 
pfählungen von Herrn Diebold aufgelesenen und imserm Museiun 
geschenkten kleinen bronze- und steinzeitlichen Reste an (Äxte, 
Pfeilspitzen, Scherben). So nähern sich nun auch in der Niederung 
die ältesten Spuren schon dem Weichbild unserer Stadt, tmd es 
ist kaum abzusehn, weshalb sie vor den Illinseln Halt machen 
sollten. Dass Menschen darüber hingestreift sind, beweist allein 
der Dolch zur Genüge. Aber wann man zu dauerhaften Nieder- 
lassimgen schritt und wie beschaffen jene älteste vorrömische An- 
lage war, danach fragen wr noch vergeblich. Auch Argentorate 
ist nicht an einem Tage erbaut. So müssen wir schon etwas Geduld 
haben, bis wir alle Geheimnisse seiner Gründung erforscht haben. 

> Wagner, Hügelgräber und Umen-Friedhöfe in Baden {1885) Taf. m, 20. 



PAUL HÖRN 
ZAHLEN IM SCHÄHNÄME 

Das Material, welches uns Firdausi's Schähnäme für die 
Kenntnis der allerverschiedensten Zustände des alten, d. h. im 
Wesentlichen sassanidischen Persiens liefert, ist ganz enorm. 
Man könnte aus ihm eine Menge der lohnendsten Monographieen 
verfassen. So über das Königtum mit dem gesamten, streng 
festgelegten Hofceremoniell imd seinem Luxus, über das Kriegs- 
wesen (Heer, Waffen, Fahne, Lager, Festungen, Schlachten, 
Einzelkämpfe), die Stände (ausser dem Adel besonders über den 
Kaufmann und die dienenden Berufsklassen), über Weib und 
Familie, Jagd, Feste und Gelage, Ross und Reitkimst, Strafen, 
Tod imd Grab, Trauer, Briefstil, über die zoroastrischen Reminis- 
cenzen, Gott, die Mobeds, die Macht des Schicksals, die Rache 
(besonders die Blutrache), über Eidschwur, Zauberei, Medicinisches, 
über die Natur (Tier-, Pflanzen-, Stemenwelt) und das Naturgefühl 
des Dichters, über die Vergleiche. Ich hebe diese Themen hier 
heraus, weil ich sie in den ausführlichen Materialsammlungen, 
die ich mir seit Jahren systematisch für die drei Bände der 
Leidener Ausgabe * angelegt habe, am Meisten vertreten finde. 
Indessen ohne auch den Rest des Gedichtes in der gleichen Weise 
gebucht zu haben, könnte man die Ausführung eines der an- 
gedeuteten Stoffe kaum wagen, da sicherlich wertvolle, ja im- 
entbehrliche Ergänzungen noch ausstehen werden. Ich muss 
also eine derartige gründliche, schon lange geplante Ausnutzung 
des Epos noch aufschieben, aber einen Begriff von dem Reich- 
tum des hier zu hebenden Schatzes möchte ich doch schon eher 
einmal geben. Ich wähle dazu einen Stoff, der sich auch aus 
den drei Leidener Bänden allein behandeln lässt: nämlich die in 
dem Epos vorkonmfienden Zahlen. Die allgemeinen Resultate, 
welche sich für die einzelnen Zahlen ergeben, werden kaum 



^ Firdusii liber regum qui inscribitur Schahname, ed. Vullers-Landauer, Lugduni 
Batavorum 1877—84. 



92 Paul Hora 



wesentliche Veränderungen erleiden. Interessante weitere Bei- 
spiele können zwar noch ausstehen, aber das entscheidende Er- 
gebnis, ob eine Zahl typisch und beliebt ist oder nicht, dürfte sich 
schwerlich verschieben. Die Menge der Belege unterdrücke ich 
mit Absicht nicht, sie geben zugleich einen greifbaren Eindruck 
von der Fülle von Handlung, welche das sieben mal so imifang- 
reiche Gedicht wie die Ilias lunschliesst. Dass ich gelegentlich, 
besonders wohl zu Anfang, einzelne Zahlen nicht notiert haben 
werde, ist nur zu wahrscheinlich; denn ich habe nicht bloss die 
Zahlen, sondern gleichzeitig auf den verschiedensten Gebieten, 
hauptsächlich auch für das Lexicon, gesammelt. Solche etwaigen 
Auslassimgen berühren aber das Resultat, das ich vorführen 
möchte, in seiner Gesamtheit nicht. 

Allgemeine Parallelen zu den einzelnen Zahlen hinzuzufügen, 
musste ich mir wegen Raummangels versagen. Nur aus dem 
Alt- imd Mittelpersischen habe ich kurz angemerkt, was mir 
gerade zur Hand war. Einige neupersische Beispiele hatte übrigens 
bereits v. Hammer in seiner „Geschichte der schönen Redekünste 
Persiens" im Sachregister zusammengestellt (besonders für 7). 

Die Zahl 1 spielt keine besondere Rolle. 

Wenn 1 Tag lang Rüdäbe bewusstlos ist (224, 1699) oder 
andere Ereignisse so lange dauern; 

1 Woche lang Freudenfeste währen (219, 1627; 220, 1633; 226, 
1728; 247, 58; 297, 272; 388, 155; 418, 573; 530, 131; 570, 878; 
599, 1393; 614, 1646/8, 1657; 624, 1809; 627, 1867; 635, 2014; 716, 
1163; 772, 118; 806, 616; 1048, 1491; 1060,201; 1365, 1823 = 1685, 
2209; 1425, 2842), oder eine Trauer (128, 1145; 129, 1; 234, 1871; 
682, 35; 685, 65), ein Kampf (1786, 56; 1791, 162), ein Aufenthalt 
(305, 85; 758, 1348; 903, Anm. 2 V. 1; 1271, 2524; 1350, 1526; 1379, 
2102; 1382, 2155, 2157, 2163, 2173; 1437, 3057; 1453, 153; 1816, 131), 
eine Zurückgezogenheit (1772, 274), eine Wartefrist (329, 217; 1091, 
446; 1202, 1204; 1441, 3127), eine Erholungszeit (1704, 3673), eine 
Beratung (297, 270; 386, 120), eme Belagerung (1849, 756), ein 
Marsch (1286, 287; 1358, 1694), eine Jagd (1660,2918), em Schnee- 
fall (830, 1029), eine Beobachtung der Sterne (547, 450), Gebete 
bei besonders wichtigen Gelegenheiten (1386, 2234; 1407, 2505; 
1581, 1478), fortgesetzte Wohlthätigkeit (63, 22), ein Fasten (1745, 
4374; ; 

1 Monat lang ein Aufenthalt dauert (559, 675; 1048, 1493; 
1319, 927; 1386, 2237;, ein Marsch (1849, 751); 



Zahlen im Sch&hnäme 93 



oder 1 Jahr ein Aufenthalt (1381, 2141; 1846, 702), eine Be- 
lagerung (länger als, 233, 1866), eine Trauer (16, 47; 1724, 4012; 
1745, 4368); 

1 Meile eine Entfernung beträgt (z. B. 292, 179) — 

so sind das conventionell abgerundete Maasse, in denen die 
1 zurücktritt. Bei der Woche zeigt sich dies am deutlichsten, 
indem hier das neue Ereignis häufig „am achten'^ sc. Tage eintritt. 

Die Zahl 2 finden wir in den Zeitbestimmungen von 

2 Tagen, welche eine Rast oder etwas anderes dauert (z. B. 
259, 278; 1742, 4319); 

2 Wochen, welche Feste währen (868, 1694; 1061, 214; 1328, 
1095), oder ein Aufenthalt (1019, 996; 1378, 2074; 1380, 2116; 1383, 
2175; 1752, 78), eine Wartezeit (1153, 224 — zweier Heere vor der 
Schlacht), eine Abwesenheit (291, 160), ein Marsch (1146, 100), ein 
Beutetransport (1365, 1820), eine Jagd (1628, 2338), ein Kampf (279, 
611; 1526, 538, 541), die Anfertigung einer Stammrolle (775, 156), 
eine Trauer (1399, 2443), eine Heilung (1270, 2513); 

2 Monaten eines Aufenthaltes (1654, 2797; 1844, 651); 

2 Jahren als einer Frist (1551, 970, 982); 

in den Raunmiaassen von 

2 Parasangen, die man einen hohen Gast weit begleitet (789, 
377; 1061, 226), einen Feind verfolgt (1058, 162), ein Strom breit ist 
(348, 521), der Raum zwischen zwei Schlachtreihen beträgt (253, 
161; 290, 149; 1787, 270), auch 2 Pfeilschüssen (Calc. 1377, 4 v. u.); 

2 Meilen, die weit man Rachsch's Wiehern hört (1663, 2963), 
ein Elefant ein Pferd werfen könne (1840, 579), eine Schlacht- 
linie (987, 463) oder eine Marschkolonne lang ist (1370, 1927), 
die Infanterie vor den Elefanten steht (1280, 159), die zu zwei und 
zwei marschierende Elefantenschaar einnimmt (105, 810; 201, 
1290), zwei feindliche Schlachtlinien von einander entfernt sind 
(1310, 755; 1350, 1523), der Erdboden nach einer Schlacht mit 
Blut bedeckt ist (1017, 963 ~ Var. „3"), man einem Fürsten 
(Iskender) begrüssend entgegenzieht (1887, 1460); 

2 Rasten, die man einem hohen Gaste weit das Geleit giebt 
(148, 342; 1048, 1501; 1493, 885; 1727, 2064), em Feind fheht (1562, 
1155); 

2 Tagereisen, die jemand statt einer auf einmal macht (z. 
ß. 335, 299); 

sowie in 2 Reihen, in welchen immer eine Schaar zum Em- 



94 Paul Hom 



pfange etc. bereit steht (z. B. 98, 684), 2 Booten, welche der Haupt- 
flotte vorausfahren (1378, 2076), 2 Schlangen Zohhäk's (32, 177) 
und daher auch 2 Menschen als tägliche Nahrung für sie (35, 
12), 2 Boten zu einer Sendung auf einmal (1351, 1543 — Var. „3" 
weniger gut), 2 Auf passem (1760, 32), 2 Schwestern Dschemschöd's 
(35, 6), 2 Brüdern Firedün's (49, 279), 2en, die einen Plan machen 
(35, 15; 1800, 315 ff.), 2 Falken, die Keiqobäd im Traume sieht 
(295, 234), 2 Bechern mit Juwelen (247, 70; 1727, 4062) oder 2 
Kisten voll als Geschenk (1778, 56), 2 Führern einer Heerschaar 
(252, 140), 2 Köpfen, die auf einen Streich fallen (346, 491), 2 Mith- 
qärs, die Rubinen wiegen (1864, 1038). 

Häufig soll bloss hervorgehoben werden, dass es sich um 
das Doppelte des Normalen handelt, oder Rustem verlangt wie 
Teil 2 PfeUe, falls der eine fehlen sollte (1739, 4268), oder jemand 
hat nur 2 Begleiter (1751, 61). Selten erscheint das imentschiedene 
1—2 (z. B. 276, 578). Der „dritte" u. ähnl. weist öfters direct auf 
3 hin, so auch wenn Firödün und seine 2 Brüder ausdrücklich 
zusammen als drei gezählt werden (56, 426). 

Vergl. auch 2X7, 2X8, 2X30, 2X40, 2X50, 2x60. 

N 

3 Tage (bisweilen auch „und 3 Nächte") dauert ein Fest 
(220, 1638; 464, 485/91; 553, 561; 642, 2129; 915, 777; 1366, 1851; 
1688, 3377), Bozen und Menöze's erster Liebesrausch (1078, 230), 
ein Marsch oder eine Reise (647, 2237; 897, 462; 1321, 961), ein 
Streifzug (1024, 1080), ein Aufenthalt (827, 968; 929, 1035; 1025, 
1106; 1107, 728; 1318, 899), ein Kampf (560, 694; 861, 1571; 1562, 
1147; 1752, 82; 1777, 34; 1778, 49 — 2 Schlachten; 1792, 177), ein 
Schneefall (1603, 1872), eine Beratung (39, 86; 207, 1404; 637, 2042), 
ein brünstiges Gebet (910, 680), eine Wartefrist (1229, 1731; 1440, 
3123), stehen sich zwei Heere einander gegenüber (1159, 348; 
1290, 357), reicht noch der Pro\iant (903, 576), sucht Rustem den 
Dev Ekvän (1052, 65); 

3 Nächte 3 Kämpfe (1316, 870), ohne Schlaf (1833, 454); 

3 Wochen brennt der Holzberg (832, 1059); 

3 Monate währt ein Aufenthalt (1369, 1903); 

3 Jahre wird Firdödün gesäugt (42, 140), ist Rachsch schon 
satteh-echt (288, 110); 

3 Parasangen ist eine Schlachtreihe lang (1356, 1642), die 
Stadt des Kaisers von Rüm (1453, 150) oder die Feste Röjindiz 
gross (1607, 1952), verfolgt man einen Feind (701, 355); 



Zahlen im Schähnäme 95 



3 Rasten macht Rachsch als eine (945, 1331), reitet man 
einem hohen Gaste entgegen (1368, 1891); 

3 Pferde nimmt jemand zu einem Eilritte mit sich (647, 2236 — 
zwar hetzt er dabei alle drei auf ein Mal ab, aber doch bleiben 
die nicht gerittenen vielleicht frischer; 172, 780 sind es besser nur 
2, „wenn eines bleibt, so setze dich auf das andere"), 3 Helden 
treten zum Kampfe heraus (1313, 817), sieht Zohhäk im Traum 
(37, 45), kehren auf Keichosrau's Gebot um (1438, 3078), 3 Heere 
(920, 863), 3 Oberanführer (1278, 126), 3 Schlachten in 2 Tagen 
(114, 918), 3 Sklavinnen (201, 1301), 3 Schilde von Zäl's Pfeile 
durchbohrt (212, 1502), -3 Räucherpfannen und 3 Begleiter bei 
Zauberei (1703, 3643), 3 Söhne (65, 50), 3 Töchter (66, 69; 1457, 
227), 3 Thaten sind zu vollbringen (1462, 317), 3 Fiedem hat der 
Zauberpfeil (1706, 3707), 3 Mal erscheint der Drache (340, 385), 
ruft eine himmlische Stinmie (1767, 165). 

Vergl. auch „der dritte" oben imt6r 2, z. B. der dritte Tag 
soll der Schlachttag sein (1296, 964), am dritten Tage erhielt 
DärAb seinen Namen (1761, 62). Bei drei Tagen etc. tritt häufig 
„am Vierten" etwas Neues ein. 3 ist seit Alters eine bedeutungs- 
volle Zahl (schon im Awesta 3 Nächte, Schritte, Kreise etc.). 

In 4 Tagen erreicht Iblis sein Ziel (einen hat er nachgedacht, 
die anderen drei gehandelt; 31, 165), 4 Parasangen im Geviert 
ist die Biu-g Sipend und die Stadt der Kandake gross (233, 1858; 
1847, 722), während Geng-i Bihiät 4 in der Breite und 8 in der 
Länge misst (1326, 1054), 4 Meilen ist eine Schlachtreihe lang 
(1840, 577), 4 Söhne (314, 226; 1576, 1385), 4 Begleiter (1296, 468), 
4 Elefanten zu einer Reise (200, 1280; 1057, 156), 4 Jungfrauen 
hat Keichosrau (1435, 3016), 4 Lagerwächter erlegt Human (1171, 
581), Göv (1219, 1540), 4 Pfeile verschiesst Göv auf Pirän und 3 auf 
dessen Ross (also zusammen 7; 1220, 1549), 4 unvergleiche Dinge 
hat Iskender (1819, 195), 4 Religionen (1820, 211 folg.), 4 Gläser Wein 
haben Hösöö imd Mirin geleert, als Gustäsp dazu kommt (1462, 331), 
lässt Isfendijär dem Gurgsär auf einmal reichen, mn ihn günstig zu 
stimmen (1586, 1551) — diese Zahl hatte also eine Bedeutung im 
Comment, vielleicht bildeten 4 Gläser (bezw. Pokale) das Normal- 
quantiun, das jeder gut vertragen konnte ; an 4 Säulen wird Isf endijär 
gefesselt (1550, 957), d. i. nach allen 4 Seiten hin (308, 134). 

Von Beziehimgen wie der letzt erwähnten (vergl. auch die 
4 Elemente) ist die Zahl augenscheinlich weiter übertragen. 



% Paul Hom 



5 Tage lang werden Leichen begraben (1316, 862/4), 5 Wochen 
betet Keichosrau (1412, 2612), 5 Monate stehen sich zwei Heere 
gegenüber (280, 23), sind die Iranier in Türän (902, 547, vergl. 
932, 1095), ist Firengis schwanger, als Sijäwu§ träumt (651, 2302), 
5 Jahre regiert Zau (280, 18), Steuererlass (1811, 39); 5 Parasangen 
weit können 5 Mann in Gengdiz den Zugang für 100,000 ver- 
sperren (619, 1727), 5 Ellen tief ist das Grab (310, 160); 

5 zusammengebundene Panzer dienen als Lanzenziel (633, 
1959), 5 Männer Speise isst der Knabe Rustem (226, 1745), 5 Mo- 
beden bekonunt Sijäwus mit (558, 655), 5 Sklavinnen (154, 451; 
780, 251), 5 Brüder (1531, 620 des Zarör), 5 Leibelefanten (928, 
1012 hat der Chäqän von China), 5 Ehrenkleider (1061, 220), 5 Ge- 
wänder (1774, 314), 5 goldverzierte Peitschen (858, 1503), 5 Rubinen 
als Geschenk (1492, 875) S 5 Kameellasten Brokat (1492, 878), 
5 Helden im Schnee verschüttet (1438, 3080). 

Die Zahl ist typisch schon im Awesta (z. B. 5 Barsomzweige, 
Herren, Tierarten etc.), in den Geschenkscenen ist sie augen- 
scheinlich bisweilen nur wegen des Reims auf genj „Schatz" ge- 
wählt. 

6 Monate dauert ein Marsch mit sich anschliessender Meer- 
fahrt (1361, 1734), ist Cihrzäd schwanger, als (1756, 139); 6 Jahre 
bleibt das iranische Heer in Türän (707, 474); in der 6. Woche 
kommt einmal Rustem (1414, 2634); 6 Rätselfragen (208/9), 6 Pfeile 
in Rachs's Leibe (1704, 3676), die Erde ward 6, d. h. sie fiel in 
oben imd unten, rechts imd links, vom und hinten auseinander 
(304, 71). 

Im Awesta haben wir 6 Arten Verträge, 6 Schritte im Um- 
kreise (6 bisweilen auch als Doppeltes von 3), später 6 Schöpfungen 
Hormizd's, 6 Söhne (Kämämak). 

7 Tage unterwegs (1190, %9), d. i. eine Woche (s. oben S. 92), 
am 7. Tage abmarschieren (1316, 862); 7 Monate dauert die Fahrt 
über den See Zirih (1374, 1995; 1378, 2080); 7 Jahre regiert Nödar 
(243), dauert eine Probezeit (530, 137), ist Südäbe in Sijäwus ver- 
liebt (542, 354), regnet es nicht (709, 510), ist Keichosrau alt, als 
(673, 2650), sucht Göv den Keichosrau (716, 626; 1430, 2920); 



* dagegen 1464, 366 von Rubinen und Juwelen „lauter Hände voll", nicht „der 
Hände fünf". 



Zahlen im Schfthnäme 97 



7 Parasangen beträgt eine Entfernung (840, 1196), ein Marsch 
(1321, %2), dehnt sich ein Lager aus (1329, 1111), ein Leichenfeld 
(1573, 1336), in einer Stunde zurücklegen (1257, 2266); 

7 Berge zu überschreiten (351, 579; etwa auch 373, 916 mit 
Rückert?; vgl. 'Attär's „Vögelgespräche"), 7 Erdteile (719, 686 u. ö.; 
schon awestisch), 7 Helden (419, 586 = 430, 743, 749; 1117, 903), 

7 Genossen (C. 1389, 1), 7 Abenteuer (Rustem's 335 ff., Isfendijär's 
1586 ff.), 7 Feinde erlegen (1252, 2169, 2175; besser als „8"), 7 Pfeile 
auf einen Gegner (1220, 1549/50), 7 Peitschen als Geschenk (858, 1504). 

Vergl. 2X7 Tage (333, 268), d. i. 2 Wochen (oben S. 93), 
2X7 Jahre (454, 364; 565, 774; 1892, 1563). 

Schon im Altiranischen beliebte Zahl (z. B. die 7 Geschlechter 
im Achaemenidenreiche, 7 Capitel des Jasna u. v. a., im Awesta 
auch 2X7 Feuerwerkzeuge oder als Busse 2X7 Dinge). Ge- 
legentlich wechselt 7 mit 8, wie 70 mit 80, weil sie aneinander 
anklingen (heft — he§t, hefiäd — hestdd). 

8 Jahre dauert Rustem's erste Jugend (227, 1746), 8 Monate 
alt ist Däräb, als (1759, 20), 8 Ellen ist eine Fahne lang (371, 878), 

8 Parasangen in der Länge hat Geng-i Bihi§t (1326, 1054 — 4 in 
der Breite, also doppelt so lang als breit), 8 Helden begleiten 
Keichosrau (1437, 3055), 8 Göderziden sind noch lebendig (1429, 
2919; danach also auch 855, 1464 nicht „7"), 8 Pfeile zieht Simurgh 
aus Rustem's Leibe (1704, 3671), 8 Himmel (zu den bestehenden 7 
kam noch einer von Staub in Folge des Schlachtgetümmels dazu — 
304, 71), 8 Dirhems Sold zahlt Därä II statt der bisherigen 4 
(1784, 16; also nur eine Verdoppelung). 

Am „achten** sc. Tage öfters als Beginn einer neuen Woche 
(129, 1; 297, 273 u. ö.). 

2X8 Jahre ist Fu-^dün alt, als (43, 159). 

Im Awesta 8 Freunde Mithra's und 8 Zacken (?) an Anähitä's 
Krone (8 Gebete neben 4 scheint nicht typisch). 

Bei 9 sind nur 9 Ellen lange Lanzen (1280, 161) zu notieren; 
dass die Schwangerschaft 9 Monate dauert (94, 608), gehört hier 
nicht her. 

Häufiger im Awesta und später (9 Nächte, 9 Löcher, Pferde- 
arten, Grassorten, Mäuler des dreibeinigen Esels etc.; auch 2X9 
Dinge als Busse). 



98 Paul Hörn 



10 Jahre ist einer alt, als i673, 2653 — Keichosrau; 1731, 
4128 — äeghftd nach 'Abdul Qadir), dauert eine Periode (313, 
219), eine Belagerung (1588, 1578 — übertrieben „100"; 1608, 1%7). 
bleibt ein Zauberbecher voll (1826, 314 — P. „2 Tage**); 10 Tage 
und Nachte im Sattel sein (1256, 2241), am zehnten Tage (879, 
15^; ^)84, 407; 1772, 272\ 10 Nächte ein Traum (1816, 140); 10 Pa- 
rasimgen Wegs ^897, 457; 1606. 1931 \ 10 Ellen Länge (347, 517 , 
10 Lassos im Geviert misst ein Feuertempel (761, 1400», 10 Lassos 
hoch ist Kei Käös* Grabkammer «1399, 2444», 10 Sit^r vnegt ein 
Pfeil Rustems .953, 146D; 

10 Pfeile verschiesst SijAwus i633, 1972», gehören zu einem 
Bogen ,1476, 577\ 10 Begleiter ill49, 150; 1201, 1190= 1209, 133S 
— VuUers* Note hat hier keinen Sinn; 1252, 2165; 1330, 1139; 
1787, 7b; 1815, 111; 1850, 774., 10 Fürsten (955, 1499 1, Abgesandte 
(1826, 327), 10 Ammen hat Rustem r226, 1743i. 10 Sklaven, Rosse 
und Sklavinnen als Preis (778, 2123; 1185, 869), 10 Becher -779, 
226 ff.\ 10 Beutel Goldes 1140, 1322; 1774, 313', 10 Rosse 1191, 
985), 10 Kimieele nüt Goldstücken vHlt), 897; 1829. 370 bis , mit 
Brokat -1779, 8o; 1814, 105\ 10 Elefimten 182^, 372, 10 Paare 
(,1233, 1810 , 10 Gruben sind besser als 5 (1733. 4157«, 10 Mal so 
viel .^75, 250; 1214, 1448, 10 von 100 -1355, 1635, 10 auf 100*3 
d. i. K>0 Mal so viel (1*227, 1702-. ' 

Runde Zahl. 10 Sklaven als Bedienung u. a. schon im Kär- 
n^Unak. 

Vergl. 110,000 M;mn unten, älter 110 Vogehuten. 

11 finde ich nicht belegt. Künstlich ist die Rechnung im 
mittelpersischen SAyast näsdyast 13, 4; im Ziu^^rbuche § 51 er- 
scheint 11 als noch um 1 mehr wie K\ 

12 Jiihre regien DOräb 1782. 1*28 , 12 Helden - 1141 ff. : dass 
dagegen 1252, 21o5 zusammen 12 sind, bedeutet nichts, 2 Führer 
und 10 Begleiter is. oben zählen beide einzeln. 

l'JOO Mimn zum Geleit 745, 1137., 1*200 Kriegselefanten 34;>, 
527-, 1*200 Geftmgene o87 .\nm. ^ V. l , Helme 1804, 1050 :, r20t> 
Jahre, wenn das Leben dauerte d51, 22^^. 

1*2.000 Dewe bewachen Kiü KäOs 3L», '225; 347, 514., 12.00») 
Mann 44o, 217; 558, o4^; 752. I*2t4; 158<.>, 1510; 1839, 571 als Nach- 
hut; CUc. 1388, ^ v. u. , 12.<X>0 Todte 18^^. 1078 , 1*2.000 Verwandte 
hat Ptran 59t>, 1342. 



Zahlen im Schähn&me 99 



Da die Zahl 12 nicht in das Metrum passt, so muss sie 
stets diirch 10 -f 2 ausgedrückt werden, desgleichen 1200 durch 
1000 + 200, 12,000 durch (10 + 2),000. Für ein kleineres Heer ist 
12,000 typisch, im übrigen spielt das Dutzend keine besondere 
Rolle (im Awesta 12 Werkzeuge des Kriegers, 12 Berge, später 
12 Arzeneipflanzen, 12 Jahre, auch 112, als Regienmgszeit, 12 
Myriaden etc. (Zarörbuch). Interessant ist die Multiplication 
40 X 30 = 1200 unten. 

Öfters erscheint der 14tägige Mond (z. B. 211, 1479), das 
sind 2 Wochen (s. oben S. 93). 

Zu 2 X 7 s. oben unter 7. Früher 14 Jahre als Regierungs- 
zeiten, 14 Arten Flüssigkeiten, 14 Schilf gräser(?) als Längenmass. 

Für 15, 16 und 17 habe ich aus dem Schähnäme vorläufig 
keine Belege. 15 jährig gilt im Awesta als blühendstes Jugend- 
alter; im Zarörbuche erscheinen 15 Myriaden Feinde als hohe Zahl; 
die 15 Rassen des Bundehe^ (34, 4) setzen sich aus 9 + 6 zu- 
sammen. 16 beste Länder zählt das Awesta, daher nach späterer 
künstlicher Erklänmg auch die 16 Strophen der 32sten Gäthä; 
6167« Jahr regierte Dschemsöd nach Bundehes 34, 4. 

18 Söhne hat Käwe (46, 216); früher 18 Jahre für die Ent- 
stehung der Berge, 18 Flüsse; wohl 2X9. 

20 Jahre (1555, 1032), 20 Königsellen ist ein Thron breit (200, 
1279), 20 Parasangen weit sieht man von Geng-i Bihist (1326, 1061), 
20 Krieger schauen nach Rustem aus (504, 1187), 20 Karawanen- 
wächter (1610, 1994/5), 20^0 kaiun überlebend, also Vs (1317, 889). 

Im Awesta spielt 20 im Decimalsystem keine Rolle; im Kär- 
nämak erscheinen als kleine Entfernung einmal 20 Parasangen. 

23 Jahre hält sich das Heer von Dsemäöd fem (27, 79); im 
Bundehes 23 kleine Salzseen. 

25 aus G^v's Geschlecht sind gefallen (855, 1465); im Awesta 
einmal 25 Tage als die Hälfte von 50. 

30 Jahre regiert Gajümarth (14, 12), Tahmürath (22, 47; schon 
awestisch), büsst Lohräsp (14%, 21); 30 im Geviert beträgt die 
Ausdehnung von Gengdii (619, 1736), 30 Kameelladungen (612, 



100 Paul Horn 



1628; 625, 1832), Kundschafter (1871, 1183), Jungfrauen (1814, 107 
„oder mehr"), ca. 30 Schriftarten (22, 45), 30 gegen einen (Calc. 
1379, 7 V. u.). 

2 X 30 Jahre alt (679 Anm. 10), 40 X 30 (d. i. 1200) Schmiede 
(1840, 587). 

Im Awesta trägt Anähitä einen Pelz aus 30 Bieberfellen, 
gehören 30 Schleudersteine zu einer Schleuder und 30 Pfeile in 
einen Köcher, beträgt 30 Schritte eine Unreinheitssphäre (auch 
sonst erscheint 30 im Decimalsystem nach 20 oder als 2 X 15), 
später 30 Tage als Zeitraimi, 30 Söhne und Töchter des Vistäsp 
(Zarörbuch). 

33 kleine Parasangen beträgt der Mauerumfang von Gengdiz 
(619, 1726); vergl. im Awesta die 33 „Herren der Reinheit", 
33 Länder (Bund. 11, 1), 33 Rätsel des Acht (gegen 99 im Awesta) — 
eine alte heilige Zahl (im Veda die 33 Götter). 

35 Ellen ist die Mauer von Gengdiz breit (620, 1742 Calc, 
'Abdul QAdir — Par. „38"), 35 Schmiedegehilfen hat BürAb(1455, 188). 

36 Könige hat Iskender getödtet (Calc. 1361, 10). 

38 Söhne hat Gustäsp (1562, 1152; 1568, 1244; 1607, 1938), 
38 Brüder Isfendijärs sind tot (1571, 1289). 

30 durch 5, 6 und 8 vermehrt ; dass Humäi 32 Jahre regiert 
(1774, 308), sei der Vollständigkeit halber erwähnt. 

40 Tage betend (414, 516), dauert eine Frist (1146, 98; 1362, 
1771), ein Fest (1398, 2426), ein Kampf (1011, 868 = 1016, 954 = 1028, 
1147 mit Pausen), eine Trauer (1399, 2455), reicht Proviant (524, 
24); 40 Jahre regiert Höseng (18, 2), hat Zohhäk noch zu leben 
(37, 43); 40 Parasangen weit Blutspuren (1011, 871;, beträgt die 
Ausdehnung von Röjtndiz (1607, 1952); 40 Sänften (387, 121; 1815, 
122), 40 Eunuchen (1480 Anm. 2 V. 1), 40 Begleiter (400, 325), 
40 Kameelladungen (625, 1827; 1864, 1040), 40 Kameele in einer 
Leichenkarawane (1720, 3931), 40 Mithqäl Gewicht (1779, 80), 40 
Schwestern (809, 672), 40 Brüder (1571, 1289; 38 + Fersödverd 
und Besüten), 40 Edle mit goldenem Schuh (844, 1268), 40 Femde 
erlegt (1058, 160; 1769, 214), 40 Verwimdte des Käbulsäh^s als 
Racheopfer für Rustem (1744, 4317 20). 

2 X 40 Söhne (479, 747). 

Schon im Awesta 40 Tagereisen, 40 Jahre als Periode, später 
40 Tage als Zeitraimi; 40 Jahre gilt dann im Neupersischen als 
Schwabenalter, vergl. auch das 40tägige Fasten u. a. 



% m 






Zahlen im Schfthnäme 101 



Dann auch 

140 Sklavinnen (402 Anm. 1 V. 5, Calc), 

340 Parasangen von Sijäwusgird nach Iran (646, 2217), 

1040 edle Iranier verwundet (1540, 774), 

1140 Mekraner gefangen (1371, 1945); 

40,000 Mann ein Heer oder eine Abteilung desselben (1288, 
325; 1313, 800; 1839, 568), 40,000 Todte (1348, 1484), 40,000 Last- 
ochsen (1382, 2150); 

140,000 Mann (252, 149). 
• Im Awesta 2244 Berge, im Kamämak 2^0 Teilkönige nach 
Alexander dem Grossen. 

50 Jahre sind eine Periode (23, 11; 24, 17 etc.; 65, 49), 50 
Sklavinnen (475, 674), 50 Feinde auf einen (562, 734), 50 Edle (1144, 
55), 50 Spannen ist ein Dolch samt Griff lang (1474, 537), 50 Könige 
von Iran (Calc. 1587, 7). 

Vergl. 2 X 50 Sklavinnen (1139, 1309), 30 X öO Jahre ist 
Käös alt (1399, 2438), 50-60 Pfeile (656 Anm. 6 V. 3, nur Par.). 

50,000 Reiter ein Heer (1144, 51; 1354, 1612; 1521, 439; 1522, 
444). 

55 Beutel mit Gold (1383, 2170). 

Schon im Awesta 50 Jahre als Zeitraum, der 50 Var=Fisch 
und sonst im Decimalsystem beliebt (als halbes Hundert); später 
55 Körnerfrüchte, 57 Lebensjahre des Saosjans (50 + die heilige 7). 

60 Jahre (die „60" — 197, 1220) regiert Keichosrau (764), 
eine Periode (1400, 2460); 60 Ellen ist der Lasso lang (59, 474), 
60 Windungen hat er (346, 495; 958, 1550), 60 Parasangen weit 
(1762, 70); 60 Edle gefangen (400, 323), 60 Feinde erlegt (1057, 159; 
1517, 339 = 1526, 531 — also ist die Variante „120" falsch), 60 
sind entkommen (1324, 1020), 60 Kameellasten (612, 1626), 60 Ele- 
fanten (1148, 141), 60 Sklavinnen (200, 1274; 1457, 238; 1780, 89), 
60 Astronomen und Weise (1839, 574). 

2 X 60 Jahre als eine Periode oder ein Alter (129, 3; 194, 
1169; 240, 1993), 2 X 60 Ellen ist der Döwenbau hoch (409, 431), 
2 X 60 Sklaven (745, 1138); 

100 X 60 Jahre (1330, 1132), 100 X 60 Kameellasten (105, 811; 
1349, 1506). 

60,000 Verse hat das Schähnäme (Calc. 1998, 6 v. u., 2095, 1 v. u.). 

Dann auch 160 erlegte Feinde (1579, 1430), 160 Begleiter 



Vy2 Piol Honi 



leC«^, l^^^I — a 2 Mami m S«) Kisten versteckt , Iw Pfeile ab- 
gescfi«->6seii 1712 Anm. II — unecht : 

IIw Tosite 3)4. 73: !>*>• 773 — Var. ^7*Xr — statt Ilf>3 
Tosften l34iX 775 Lst besser jSCv\ 

^*) das Sch'X'k ist eine t3rpische Zahl. EKe Sassamden- 
berrscöaft berecimet der Bundehes auf -Iw Jafere. 

K* ZeltpflOcfce 487, n72 , 70 Hilnde scheint ein Gaukler zu 
haben Sl23^ ^12 , aus ?J Stücken ist Kandake's Thron ztisammen- 
gesetzt ISID4. l»)34. 

7S Bruder hat G^v 73i}, S73 , also waren es mit ihm 7^ 
G5derztden; daher sind die .,S>* S"5hne des G43der2 <47^. 747 — -fes?» 
«SJ*^ 54 j wie auch in der Satire also falsch S^y") abgerundet. Xach 
732. I2fD3: 773v loo: 7S5. 317 hatte Gi5derz 7S S'^hne mkJ Enkel; als 
Hufir gefallen ist. bleiben ihm n«xh Try 4S4, ^35 : die SSi .\nm. 4 
V. I g:efa[Ienen 73 sind ein:2:eschoben. da nach 142^. 2^19 danach 
ist also Süs?. l4o4 „7" falsch n«x:h S am Leben sind, wozu die 70 
Gefallenen l'X^o. 1257 = 1243* 2C67 stimmen. — 7> J;.ihre ist auch 
ein Schiffer alt i;35»^. 1711 . 

Em Awesta h.it 7j keine Bedeutung: im KArn.lmafc laufen 
beste Pferde 7) Parasangen pr.'» Tag. im Zarörbuche wird es 70 
Tage nicht helL Kei KJ.<!^s' Regierung teüt der Bundehes in 
2 X 73 Jahre. 

S) Ellen Lang ist ein Chrache »33*^ .\nm. 4 nur Calc. , «oder 
Sijiwu^'s Lass4j 31*^, 1442 — Wir. ..7>* : Sj Pan.isimgen reitet 
man zur Begrüssung jemandem entgegen 74o» tt4S — Var. ^7>* • 
* S:5hne des G3derz sind abgerundet Sw «.-»ben . SC» Elefcmten tst 
Rustem stark .34*-i. 47b , SJ SkLivinnen •>I2, 72t:> , SO ErschLigene 
SGo. t-Ux) — Var. ,7«}'': Ix»*^. l':'^7 = 13to» 122»?. SO Vorp^-^sten 
1373. i3:r^ . so Abges;.tndte 1^)1. I74o — Var. „7>* . SO- Kisten 

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ciden alle im Bundehesch . 

9« Fahre re:rLert Behmen tr'4S : ventL die ^ Ritsel des 



Zahlen im Schfthnäme 103 



Achtja im Awesta, sowie die 99,999 Fravaschi's und Krankheiten, 
später der Berg mit 9,999 Myriaden Höhlen, 999 Schreie im Zarör- 
buche; ein 90tägiger Kampf zwischen Engeln und Teufeln (Bund. 3, 
20); 93 Jahre lebte das erste Menschenpaar zusammen. 

100 Jahre regiert Keiqobäd (314, 225), ist Dsemsöd verborgen 
(34, 203), für 100 Jahre Pro\aant (1588, 1578), 100 Jahre oder heute 
ist gleich (1208, 1323), 100 Menschenalter (1417, 2693), 100 Zeiten 
lang wird man nicht seines Gleichen sehn (706, 454); 

100 Meilen im Geviert (341, 398), 100 Parasangen im Umkreis 
(619, 1723), Entfernung (347, 510 und 511; 1320, 944; 1375, 2016), 
100 Ellen hohe Mauer (620, 1742); 

lÖO Begleiter (475, 673; 586, 1160; 1657, 2852; 1735, 4200 — 
je zu Pferd und zu Fuss; 1826, 366), 100 Mann (808, 656; 860, 
1540; 809, 662 — ein Haar von ihm ist mehr wert als 100 Helden), 
100 Jungfrauen (1074, 160), 100 Lautenspielerinnen (1328, 1091), 
100 Sklavinnen (592, 1265; 1016, 941; 1344, 1409; 1627, 2323), 100 
Geiseln (571, 888), 100 Verwandte (613, 1631; 1362, 1755), 100 Arten 
Leids (508, 1253; 638, 2055), 100 Listen (972 Anm. 15 V. 14, unecht; 
1573, 1338), 100 Heilrufe (908 Anm. 7 V. 2, Calc), 100 Danksagungen 
zu Gott (535, 227), 100 Rosse (592, 1265; 593, 1294; 1048, 1498 = 1139, 
1308), 100 Eilkameele (1576, 1386), 100 Elefanten (478, 733), 100 
Kameele und Maulesel (200, 1276), 100 Holzkarawanen (550, 507), 
100 Kameelkarawanen (1578, 1417), 100 Kameellasten (569, 843; 
t>25, 1287; 1016, 942; 1048, 1498; 1139, 1308; 1116, 897; 1627, 2318; 
1814, 105); 100 Schalen mit Moschus und Saffran (613, 1632), 100 
Tafeln Brokatstoff (777, 194), 100 Gewänder (1140, 1321), 100 Kronen 
(1835, 487), 100 Rinderhäute (1001 Anm. 10 V. 2 — echt?), 100 
Lanzenspitzen auf einen Streich abschlagen (994, 574), 100 Dörfer er- 
bauen (314,220), 100 Feuertempel (1571, 1291), 100 Klöster (1571, 1292); 

in 100 Haufen nicht seines Gleichen (736 Anm. 3 V. 1 — 
nur Calc), von 100 nicht einer (1838, 552), 100 Mütter Liebe hat 
die eine Südäbe (532, 172), 100 Elefanten Stärke ein Held (1312, 
791; 1687, 3363) oder 100 Löwen (918, 828; 1316, 874), 100 Mal so 
viel („10 gegen 1000" — 1227, 1702); von 100 entkommen nicht 10 
(1355, 1635). 

Als grössere runde Zahl allgemein. 

120 Jahre regieren Minöcihr (241, 2004), Lohräsp (1445), 
Gustäsp (1746, 4401); älter als 120 Jahre ist Säm (332, 258); 120 Pa- 
rasangen Entfernung (646, 2217). 



104 Paul Hom 



Vergl. 2 X 60 oben ; ein „Grosshundert" ist nicht iranisch. Als 
Regieningsperiode schon alt; im Bundehes 120,000 Pflanzenarten. 
150 Jahre regiert Kei KAÖs (315); s. oben 3 X 50. 

200 Gruben (347, 513), 200 Prachtgewänder (402 Anm. 1 V. 4, 
Calc. nur; 778, 204), 200 Schätze (541, 341), 200 Beutel Geldes (1380, 
21 17), 200 Sklaven (402 Anm. 1 V. 5, nur Calc. ; 569, 844 ), 200 Sklavinnen 
(569, 844; 613, 1630), 200 Feuerschürer (551, 518), 200 Begleiter 
(205 Anm. 8 V. 2; 568, &40; 899, 503 = 999, 670; 1342, 1370), 200 
Jünglinge (36, 35), 200 griechische Bogenschützen (1338, 1295), 200 
Gegner erlegt Rustem mit einem Keulenschlage (483. 815), 200 
Elefanten (^542, 349; 753, 1271; 1370. 1924; 1338, 1298), 200 Lasttiere 
(1835, 487), 200 Peitschenschläge auf den Kopf (803, 559; 865, 1632», 
200 Geschütze (1338, 1294), 200 Feinde auf einen (889, 321). 

Als doppeltes Hundert beliebt, schon awestisch. 

Vergl. 1200 („1000 + 200**) Gefangene (263, 353), 3200 Ver- 
wimdete (1540, 776\ 

300 Jahre (26, 57), 300 Elefanten (105, 812), 300 Kameele 
(105,812; 1627, 2317 und 2320; 1779,87; 1829, 369 s 300 Sklavinnen 
(218, 1610; 387, 121; 745. 1138; 1081, 279), 300 Sklaven (613, 1631), 
300 Diener (529, 113), 300 Begleiter '591, 1263; 1448, 49; 1505, 
Anm. 8 V. 17, nur Calc; 1800, 314\ 300 Ver^-undete (855, 1469), 
300 Listen helfen nicht (874, 70), 300 auf einen (904, 597; 971, 179; 
949, 1394). 300 Reiter zu jedem Elefanten il280, 156). 300 wie 
Lohhäk (1253. 2189). 300 Köpfe (1316. 872 1. 300 erschlägt Isfendijär 
(1579, 1427). 300 Menn ist Säm's Keule schwer (187. 1054 u 

2 X 300 (955, 1504). 

400 Edelsteine a864, 1037 und 1039 1. 

500 Jahre regiert FirMün (63. 11), 500 Elefantenzähne (1864, 
1041). 

500.000 Eselslasten (238. 1Q46,. 

600 Jahre ist Rustem alt < 1669, 3064 — Wbdul Qädir „700**1. 
600 Parasangen (348. 523). 

700 Jahre regiert DsemsM 1 34. 210). 700 Elefanten (1272, 15), 
7(X) Zoroastrier in Balch '1552. 984.. 



Zahlen im Schähnäme 105 



800 erschlagene Vornehme (1540, 775). 

900 Gefallene aus Pirän^s Geschlecht (851, 1375; 855^ 1648; 
1209, 1349; 1211, 1386). 

Von allen diesen Hunderten ist nur 300 typisch. Im Kämämak 
erscheint einmal ein Heer von 400, Bundehesch 12, 1 eine Periode 
von 800 Jahren. 

1000 Jahre regiert Zohhäk (34, 1), 1000 Parasangen (1351, 
1546), 1000 Melktiere (28, 89), 1000 Tiere für das Gepäck (387, 122; 
625, 1826), 1000 Kameellasten (1627, 2317, 2319; 1631, 1749), 1000 
Wächter (390, 177), 1000 Bogenschützen (1280, 155), 1000 Begleiter 
(593, 1289; 626, 1849; 1116, 898; 1149, 149; 1161, 378; 1186, 894; 
12%, 470; 1357, 1662), 1000 Mann ein kleines Heer (656, 2381 
„ca. 1000"; 997, 640 — V. 637 waren nur „100" verlangt; 1448, 
■63; 1790, 135 zur Verfolgung; 1860, 972), 1000 Leute (1557, 1068), 
1000 Sklaven (1710, 3764), 1000 Sklavinnen (1492, 876; 1710, 3765), 
1000 Feinde erlegt Ferämurz in einem Angriff (687, 115), will 
Bezen allein bestehen (1084, 332), 1000 Gefangene (175,834; 1136, 
1252; 1138, 1285; 1517, 364), 1000 neue Feinde statt 100 Erschlagener 
(1351, 1539), 1000 Geiseln (1362, 1758), 1000 Feinde zur Rache ge- 
tödtet (1524, 482), 1000 köpfen lassen (55, 393), 1000 Galgen (872, 
31), 1000 Heüwünsche (198, 1239; 1047, 1486; 1213, 1415; 1430, 2924; 
1560 Anm. 1 V. 3), 1000 chinesische Goldstoffe (612, 1623), 1000 
Juwelen (1710, 1763), 1000 Schiffe und Boote (1286, 286; 1378, 2077), 
1000 Nadehi (1830, 391), 1000 Verse hat Daqiq! gedichtet (1495, 11); 

mehr als 1000 Parasangen (707, 459), als 1000 Keulenschläge 
(727, 830), als 1000 Verwandte (hat Pirän 594, 1306 — 596, 1342 
„12,000"),^ als 1000 eiserne Reiter (1840, 592), als 1000 Jahre (wenn 
einer alt würde, 4%, 1041; ist Zäl nach einer Variante alt 1422, 
27% — besser „als man zählen kann"); unter 1000 wählte er 
seinen Namen Nämchwäst (1525, 502), keiner wie er (1526, 524), 
von 1000 nur einen (1555, 1021). 

2 X 1000 Mann (326, 175); 

1000 X Tausende Mann d. i. 1000 X 1000 (348, 525; 1143, 32; 
1510, 248; 1513, 295; 1848, 745), Erschlagene (1526, 536), Goldstücke 
und Edelsteine (126, 1113). 

Die Zahl 1000 bedarf als typisch keiner weiteren Bemerkimg. 



2000 Jahre (mehr als, 1554, 1019). 



106 Paul Hom 



3000 Mann (1020, 1004), 3000 Kameele und Elefanten (1012, 879); 
2 X 3000 Mann (727, 846; vergl. 733 Anm. 2 V. 7). 

6000 Mann (116, 952), 6000 Goldstücke für einen Ring (1460, 
283). 

Typisch ist an sich keines dieser Tausende — im Kämämak 
erscheinen 2 Mal Heere von 4000 Mann (wofür Firdausi einmal 
3000 hat) und ein Mal von 5000; 3 X 3000 Jahre sind zoroastische 
Perioden — wohl aber 

10,000 Mann als ein grösseres Heer (625, 1828; 1024, 1077; 
1157, 307 als Nachhut; 1159 338 als Hinterhalt; 1185, 877, 1211, 
1382 für einen nächtlichen Überfall; 1281, 187/8 als Reserve; 1309, 
718 = 1311, 761; 1309, 720; 1311, 766, 768; 1315, 837 auf Vorposten; 
1362, 1759; 1540, 78o), 10,000 Gefallene (308, 127 — mehr als; 
1371, 1944j, 10,000 Rosse (28, 96), 10,000 Ochsen (1361, 1750), 10,000 
Kameele (1627, 2316), 10,000 Cistemen graben (1571, 1294). 

Ein noch grösseres Heer ist dann 30,000 Mann stark (112, 
892 als Hinterhalt; 252, 142; 267, 400; 419, 591; 686, %; 689, 143; 
801, 524 = 812, 719; 840, 1194 zu einem Überfall; 900, 517; 911, 
706; 987, 468/9 auf jedem Flügel; 1278, 124 im Centrum; 1280, 166; 
1281, 173; 1214, 1446 als Hilfsheer; 1158, 331 folg. auf jedem Flügel 
und im Centrum; 1147, 108, 119; 1153, 232; 1281, 183; 1281, 191 
auf dem linken Flügel; 1286, 271; 1287 Anm. 8 V. 1, unecht; 1288, 
320, 323; 1512, 271; 1839, 566 im Vordertreffen), 30,000 Erschlagene 
(1011, Anm. 8, nur Calc; 1348, 1488; 1540, 773), 30,000 Beutel 
Goldstücke (1813, 106). 

100,000 Mann (meist Reiter) als Heer (44, 189; 112, 894; 119, 
9%; 402, 344; 473, 630; 549, 477; 555, 605; 564, 768; 582, 1085; 686, 
90; 839, 1179; 1011, 864; 1044, 1422; 1108, 749; 1155, 273; 1195, 
1069; 1185 Anm. 8 V. 1; 1292, 394; 1419, 2730; 1501, 98; 1522, 450, 
453, 456; 1557, 1057; 1750, 35; 1776, 27; 1287, 302 im Centrum; 
1287, 309 und 1288, 313 auf den Flügehi; 1608, 1964, vergl. 1968, 
als Besatzimg), höchstens 100,000 Mann (420, 605), mehr als 
100,000 Mann (596, 1341; 980, 338), 100,000 Getreue wie (156, 490; 
736 Anm. 1 V. 2), Unterthanen (1437, 3061), Erschlagene (1540, 
775), 100,000 Dinare (613, 1634; 1369, 1901; 1571, 1295), goldene Eier 
(1779, 79), Rosse (817, 810), Heilwünsche (1327, 1071). 

Einer gegen 3 X 100,000 Mann (994, 585). 



Zahlen im Schähnäme 107 



Einmal 110,000 Mann (1152, 220). 

300,000 Mann als Heer (106, 815; 189, 1079; 402, 345; 1145, 
66; 1146, 97), 300,000 Goldstücke (199, 1272). 

400,000 als enorm hoch (252, 147 — Rückert wollte ändern 
„100,000 Dömer"); 

imd endlich als höchste vorkommende Zahl 

1000 X 1000 (s. oben). 

Da b&vär „10,000" im Neupersischen aufgegeben worden ist, 
so ist 1000 X 1000 die höchste Zahl geworden, nicht 10,000 X 10,000, 
wie im Awesta und Mittelpersischen. 

Von Bruchzahlen finden sich nur Drittel (wie schon im 
Awesta), ^\^ im Gegensatze zu ^'s (z. B. 22, 39, 45; 28, 88; 65, 52; 
329, 212; 1795, 237), auch -„«'g seiner Zeit musste er auf Suchen 
verwenden" (1762, 87) etc. Die von Goldziher ZDMG. 49, 210-217 
in arabischer Poesie beobachtete Rechenweise habe ich im Schäh- 
näme bisher nur Calc. 1362, V. 1 v. u. in „10 + 4" gefimden. 

Nachschrift. Mittlerweile, bis ich die Correctur dieses 
Aufsatzes erhielt, habe ich meine Sammlungen um weitere ca. 125 
Seiten fortgesetzt (1809 — 1904 nach der Leidener Ausgabe, dem 
bereits gedruckten Anfang des vierten Bandes, danach bis Seite 
1389 incl. des Calcuttaer Textes von Turner Macan), von 1864 
Vers 1041 an allerdings für die Zahlen nur noch eklektisch. Ich 
habe die wichtiger erscheinenden neuen Belege noch nachträglich 
einfügen können. 



FRIEDRICH SCHWALLY 

ZUR ÄLTESTEN BAUGESCHICHTE DER MOSCHEE 

DES "AJMR IN ALT-KAJRO 

Die landläufigen Handbücher der kirchlichen Baukunst des 
Islam, unter denen das von Julius Franz-Pascha* vielleicht 
an erster Stelle zu nennen ist, orientieren im allgemeinen gut 
über den gegenwärtigen Stand der Bauwerke. Dagegen haben 
dieselben in historischer Beziehimg grosse Mängel. Das macht 
sich besonders fühlbar hinsichtlich solcher Moscheen, die nicht 
aus christlichen Kirchen umgewandelt, sondern von Grund auf 
neu errichtet worden sind. Zahlreiche der hierher gehörigen 
Fragen, die sich mit Problemen der altchristlichen Baukunst 
enge berühren, sind nur durch ein Studium der in der arabischen 
Litteratur vorhandenen Baugeschichten aufzuhellen, die aller- 
dings niu* in Fragmenten auf uns gekommen sind. Und zwar 
fliessen über keinen Ort der islamischen Welt die Nachrichten 
reichlicher als über Mekka, Medina und Kairo. Freilich ist es 
zum Verständnis der Bauberichte unbedingt notwendig, wenigstens 
die wichtigsten Bautypen an Ort imd Stelle kennen zu lernen. 
Mekka und Medina sind als heilige Gebiete des Islam natürlich 
für derartige Untersuchungen unzugänglich. Aber in dem auf- 
geklärten Kairo stehen ihrer Ausführung keine imüberwindlichen 
Schwierigkeiten entgegen. 

Als Specimen einer Vorarbeit gebe ich im Folgenden einen 
Teil der Baugeschichte der *Amr-Moschee, indem ich mich an 
den Wortlaut der Quellen ^ anlehne, imd diese Übersetzimg 



1 Die Baukunst des Islam 2 A. 1S96 (Josef Durm, Handbuch der Architektur, 
Teil 2 Band III, 2). 

• Abu*l'MaJ}äsin Jüsuf ihn TagrT Bardi (f a. H. 874), al-nugüm al-zähira, ed^ 
T. G. J. Juynboll I 75 sqq. — TaqT al-dln Al^mad ihn *A1T al-Maqrtzl (f a. H. 845),. 
kitäb a]-{}itat vaTälär fi'l-Ma§r, Bulaq 1270 a. H. II 246 sqq. — Galäl-al-dln al-Sujjütl 
(t a. H. 911), l?usn al-mul7ä4ara, aegypt. Lithographie ohne Ort u. Jahr II 135 sqq. — 
Ich bemerke noch ausdrücklich, dass die in den Anmerkungen niedergelegten 
Untersuchungen nicht den Anspruch erheben, den Gegenstand zu erschöpfen, sondern 
nur die Wichtigkeit einiger in Betracht kommenden Probleme veranschaulichen wollen. 



110 Friedrich Schwally 



in fortlaufenden Anmerkungen erläutere. Es liegt mir hierbei 
nicht in letzter Linie am Herzen, für die ebenso dankbare wie ver- 
dienstvolle Aufgabe das Interesse einer Akademie zu gewinnen. 



Die Moschee des *Amr wurde auf einem Grundstücke 
errichtet, das Qaisaba ibn Kultüm al-Tugibi, ein Waffengefährte 
des muslimischen Generals 'Amr ibn al-'A§, nach der Eroberung 
Aegyptens erw^orben und seinen Religionsgenossen durch eine 
fromme Stiftimg zur Verfügung gestellt hatte. Die Moschee 
wurde gebaut a. H. 21, ihre Länge betrug 50 Ellen, ihre Breite 
30 Ellen. 

Die Qibla^ befand sich gerade im Osten. Als aber Qorra 
ibn Schoraik, zur Zeit des Omajjaden-Chalifen Valld ibn *Abd 
al-Melik, die Moschee abreissen und einen Neubau ausführen liess, 
wiu*de die Qibla etwas nach Süden geschoben und durch eine 
Nische {mihräb^) bezeichnet. Der erste, welcher diese Neuerung 
in den Islam einführte, war 'Omar ibn 'Abd al-*AzIz^ als er für 
den eben genannten Valld Statthalter über Medina war. 



' Qibla ist eigentlich „die Richtung, nach der sich der Muslim im Gebete wendet", 
dann die Stelle in der Wand der Moschee, welche diese Richtung markiert. 

* Auch „hohles Mi^räb" genannt. Mi^räb heisst eigentlich „Kapelle, Tempel", und 
ist aus dem aethiopischen mekueräb^ bezw. dem sabaeischen mkrb (Vokalismus unbekannt) 
entlehnt. Es wird im Arabischen für die Nische gebraucht, welche in der Moschee 
zur Bezeichnung der Richtung nach Mekka diente. Das Mil^räb bildet den heiligsten 
Teil der Moschee ; neben dem Mihräb steht die Kanzel, vor dem Milt^räb steht der Imäm 
beim Gebete, ein Gitter schliesst das Ganze gegen den Versammlungsraum der Gemeinde 
ab. Vergleiche noch die Anmerkungen 7 und 8 über minbar und maq^üra. Das Mihräb 
entspricht also der Apsis der Basilika. Da die christlichen Kirchen nach Osten gerichtet 
sind, so kann in gewissem Sinne auch die Apsis als Orientierungsmarke gelten. Nimmt 
man dazu noch die Ähnlichkeit der Form, so drängt sich die Vermutung auf, dass die 
Apsis thatsächlich dem Erfinder des Milt^räb als Vorbild gedient hat. Seinem Umfange 
nach ist das Mihräb aber als verkümmerte Apsis zu bezeichnen. Das erklärt sich aus 
den Bedürfnissen. Denn der Islam kennt weder einen Altar, noch einen bevorrechteten 
Priesterstand. Auch in dieser Beziehung hat die Religion des Propheten mit der heid- 
nischen Überlieferung radikaler gebrochen als die Kirche. Ich habe einmal irgendwo 
die Vermutung gelesen, das Miljiräb sei den in heiligen Gebäuden der Hindu üblichen 
Nischen nachgebildet. Aber an Entlehnung aus Indien ist in der Omajjadenzeit nicht 
zu denken. 

^ Vergleiche auch Samhüdl, Geschichte von Medina, ed. Bulaq. 1285 a. H. p. 140. 



Zur ältesten Baugeschichte der Moschee des *Ainr in Alt-Kairo 111 

Die Moschee hatte im Ganzen 4 Thore, zwei gegenüber dem 
Hause des 'Amr, im Norden, imd zwei im Westen. Die Länge 
von der Qibla bis zur Nordseite war so gross wie die Länge des 
Hauses •Amr's. Das Dach war niedrig. Es gab keinen inneren 
Hof (sahn^). Wenn es Sommer war, sassen die Leute auf dem 
freien Raum ringsum (finä). Die Entfernung von der Moschee 
bis zum Hause des *Amr betrug nur 7 Ellen. 

*Amr hatte auch eine KanzeP (minbar J angeschafft. Aber 
'Omar schrieb ihm seinen festen Willen, sie zu zerbrechen: 
„Genügt es Dir etwa nicht, zu stehen, während die Muslime imter 



• Dieser innere Hof ist in der jetzigen *Amr-Moschee vorhanden, ebenso z. B. 
in der des Al^inad ihn Tulün zu Kairo und der grossen Moschee von Damaskus. Die 
Nachahmung byzantinischer Kirchenbauten ist hierbei nicht zu verkennen. Das Atrium 
war z. B. in der Hagia Sophia, in der Kirche der heiligen Sergius und Bacchus, zu 
Tyms in der Kirche des heiligen Paulus, zu Mailand in der des heiligen Ambrosius 
von einem vierseitigen Porticus umgeben. Auch befand sich inmitten der Area 
des Atrium, genau wie in dem ?ahn der Moscheen, gewöhnlich ein Brunnen, der 
zuweilen von einem Baldachin überdeckt war — dieser Baldachin ist ebenfalls in vielen 
Moscheen nachzuweisen — , an dem sich die Christen, ehe sie am Gottesdienst teil- 
nahmen, Gesicht, Hände und Küsse wuschen. Vgl. F. X. Kraus, Realencyklopaedie 
der Christi. Altertümer I 121 sq. 

^ minbar ist ein aethiopisches Wort und bedeutet eigentlich „Sessel, Thron, 
Tragsessel". Der Gebrauch der Kanzel beim gottesdienstlichen Vortrage ist offenbar 
von den Christen übernommen. Ebenso entspricht die Gewohnheit, im Sitzen zu predigen, 
einem verbreiteten, christlichen Usus (vgl. F. X. Kraus, Realencyklopaedie der christl. 
Altertümer II 644). Der Prophet predigte ursprünglich auf einem Baumstumpfe, später 
Hess er sich eine Kanzel errichten (BuhärT ed. Cair. 1309 I 107, 31 sqq. = II 7, 20 flf.), 
zu der zwei Stufen hinaufführten (Buhärl a. O., Aghani IV 52, Samhüdi 120, 4). Wie 
sehr dies als Neuerung cmpfimden wurde, zeigt folgende Tradition : „Als die Kanzel 
für den Gesandten Gottes aufgestellt war, hörten wir den Baumstumpf (auf dem er 
früher zu predigen pflegte) heulen wie ein trächtiges Kamel, bis der Prophet von der 
Kanzel herabstieg imd die Hand auf den Stumpf legte" (Bu{iäri a. O.). Die Kanzel 
betrachtete noch *Omar als ein Privileg der Prophetenmoschee in Medina, woraus sich 
das oben im Texte erwähnte Vorgehen gegen seinen Statthalter in Aegypten erklärt. 
Später wurde dieselbe nur in grossen Moscheen der Provinzialhauptstädte zugelassen. 
Die Kanzel des 'All in Kufa war aber noch ein sehr primitives Möbel (Harlrl, Durra 
ed. Thorbecke p. 133). Der erste Omajjaden-Chalife Mo^äwija erhöhte die Propheten- 
kanzel in Medina um 6 Stufen (Tabari II 92, SamhüdT 120, ii sq.). Allmählich wurden 
die Kanzeln immer prächtiger ausgestattet, wahrscheinlich meistens in Anlehnung an 
byzantinische Muster. Unter Mahdl (sprich MachdT) (161 a. H.) nahmen puritanische 
Kreise an diesem Luxus Anstoss, sodass sich der Chalife genötigt sah, die prächtigen 
Kanzeln der Omajjaden durch einfachere ersetzen zu lassen (Tabari III 486, MaqrTzT II 
247). Diese Massregel hatte natürlich auf die Folgezeit keinen nennenswerten Einfluss, 
wie auch aus dem Texte S. 114 Zeile 18 sq. hervorgeht. Vgl. noch I. Goldziher, 
Muhammedan. Studien II 40 sqq. 



112 Friedrich Schwally 



Deinen Fersen sind?" Da zerbrach sie 'Amr. Der erste Tote, 
über dem innerhalb der Moschee gebetet wurde, ist der Garde- 
oberst Abu'l IJosain Said ibn 'Othmän, Sonntag am 16. Safar 
a. H. 161, und zwar fand die Feier hinter der Schranke* 
(maqsüra) statt. 

Der erste, welcher die Moschee erweiterte, ist Maslama 
ibn Mohallad, der imter Mo'äwija II a. H. 63 Statthalter über 
Aegypten war. Und zwar zog er einen Platz im Norden in 
den Moscheebezirk ein. Aber er veränderte den alten Bau nicht, 
imd machte weder auf der Süd-, noch auf der Westseite irgend 
eine Neuerung. Nur Hess er Wände wie Dächer tünchen und mit 
Goldfarbe bemalen, was früher niemals geschehen war. Nach 
einer anderen Überlieferung erweiterte er den Bau im Osten, 
bis der Weg zwischen ihm imd dem Hause des 'Amr enge 
^vurde, und ersetzte den Kies, mit dem früher der Fussboden 
bedeckt war, durch Matten. 

Femer liess Maslama an den vier Ecken der Moschee 
Minarette®, errichten imd seinen Namen daran anbringen. Bei 



" maqfiira ist das Gitter, welches den heiligsten Ort der Moschee, in dem sich 
Mil^räb und Kanzel befinden, von dem Versammlungsraum der Gemeinde trennt lieber 
das Alter der Maqsüra gehen die Meinungen auseinander. Sie wird dem 'Othmän ibn 
'Affan (a. H. 23 — 35), dem Mervän ibn Al-Hakam (a, H. 64 — 65) oder Mo*äwija (a. H. 
41 — 60) zugeschrieben (SamhüdT a. O. 136, Maqrizi a. O. II 247, Tabari II 70). Nur 
darin herrscht Übereinstimmung, dass das Gitter anfangs aus Backsteinen oder Ziegeln 
und später aus einem indischen Holze (säg) verfertigt war. Ich sehe in der Maq^ura 
keine originelle Erfindung, sondern eine Nachahmung der cancelli der christ- 
lichen Kirchen. Wie die byzantinischen Kaiser (vgl. F. X. Kraus, Realencyklopaedle 
der Christi. Altertümer I S. 38 f.), so nahmen auch die Chalifen hinter den Schranken 
einen Ehrensitz in Anspruch, der ihnen gleichzeitig Sicherheit vor meuchlerischen 
Angriffen gewährte. Falls es auch richtig sein sollte, dass diese omajjadische Einrichtung 
unter dem Abbasiden Ma'mün (a. D. 813 — 833) oder Machdi (a. D. 775 — 785) beseitigt 
worden ist (vgl. I. Goldziher, Muhammedan. Studien II 41 sq.) — dem aber die An- 
gaben anderer muslimischen Quellen, z. B. Samhüdl's a. O. 136, schnurstracks wider- 
sprechen — , so kann das doch nur von kurzer Dauer gewesen sein. Wenn schon die 
mehr demokratisch-patriarchalisch regierenden Omajjaden auf diese Schranke zwischen 
Herrscher und Gemeinde nicht verzichteten, so mussten die Abbasiden, deren ganzes 
Hofzcremoniell darauf ausging, dem beschränkten Unterthanenverstande das Gottes- 
gnadentum ihrer Dynastie wirksam zur Anschauung zu bringen, die schon eingebürgerte 
Einrichtung der Maq^ura ganz besonders willkommen heissen. 

' Die Glaubwürdigkeit dieser Angabe, dass die ersten Minarette der *Amr- 
Moschee im Jahre 63 a. H. gebaut worden seien, braucht im Allgemeinen nicht in 
Zweifel gezogen zu werden. In Medina kamen Minarette nicht viel später auf, nämlich 
unter Valid ibn *Abdelmelik (a. D. 705 — 15). Man sieht, wie irrig die Angabe bei 



Zur ältesten Baugeschichte der Moschee des *Amr in Alt-Kairo 113 

dieser Gelegenheit befahl er den Mueddhinen, schon gleich nach 
Mittemacht zum Frühgebete zu rufen. Ihr Gebetsruf (adhän) 
hatte aber einen schiufen Klang. Während des Adhan durfte 
von den Christen kein Schlagbrett gerührt werden. Die Leitern, 
welche zu den Minaretten hinaufführten, befanden sich auf der 
Strassenseite, erst Chälid ibn Sa'Id legte sie in die Moschee 
hinein. 

Im Jahre 79 a. H. riss *Abd al-*AzIz ibn Mervän, als er für 
seinen Bruder, den Chalifen 'Abd el-Melik, Aegypten verwaltete, 
die Moschee zusiunmen und errichtete einen Neubau mit bedeu- 
tenden Erweiterungen nach Westen und Norden. Auch liess er 
das Dach höher machen (a. H. 84). Aber schon im Jahr 92 a. H. 
wurde das Gebäude wieder zusammengerissen durch den Statt- 



Franz a. O. S. I20 ist, dass wir über die Zeit der Einführung der Minarette keine 
bestimmten Angaben hätten. Die Minarette sind bekanntlich hohe, schlanke Türme, 
welche dazu dienten, den Gebetsruf der Mueddhine auf grosse Entfernungen hörbar 
zu machen. Während nämlich die Moslime der ältesten Zeit an den festgesetzten 
Stunden ihr Gebet spontan verrichteten, entschied sich der Prophet nach mancherlei 
Schwankungen zwischen den Posaunen der Juden und dem Schlagbrett der Christen 
(öHMclvTpiov, neugriech. oiiiavbpo; auch dtici ^^Xa genannt, vgl. F. X. Kraus a. a. O. 
I 623; das syrische näqösch, arab. näqüs, ist wohl eigentlich der Hammer, mit dem 
das semanterium geschlagen wurde) schliesslich dafür, zum Gebete rufen zu lassen 
(Ibn Hischam 347, Buhärl I 75), und zwar von dem Dache eines Hauses herab. Die 
Frage nach der Entstehung des Minaret ist von der anderen nach der Herkunft des 
Campanile nicht zu trennen. Ich glaube, der erste zu sein, der auf diese Beziehungen 
aufmerksam gemacht hat (Zeitschr. d. deutsch, morgenl. Gesellsch. Bd. 52 S. 145, 
Jahrg. 1898). Nun gilt als ältester Kirchturm der von San Apollinare in Ravenna 
(vgl. A. Essenwein, die Ausgänge der klassischen Baukunst in Durm's Handbuch 
der Architektur, 2. Teil Bd. III, I S. 72), der spätestens wohl in den Anfang des 
7. Jahrhunderts gehören wird. Die ältesten Campanili in Rom sollen um 700 entstanden 
sein. So lange das Datum dieser christlichen Bauwerke nicht sicfierer ist, darf man 
sagen, dass Campanile und Minaret ungefähr in der gleichen Zeit aufgekommen 
sind. Aber aus inneren Gründen ist die Priorität auf Seite der Byzantiner zu ver- 
muten. Was hat aber die Byzantiner veranlasst, diese schlanken und luftigen Türme 
neben ihre Kirchen zu setzen? Dadurch, dass man diese Frage mit der Erfindung 
bezw. Anwendung der Glocken für kirchliche Zwecke in Verbindung bringt, wird noch 
nicht viel gewonnen, da der Turm auch für jedes andere Signal ein empfehlens- 
werter Ausgangspunkt war. Die Lösung des Rätsels ist vielleicht aus dem Namen 
des Moscheeturmes zu gewinnen. Denn Minaret bedeutet „Leuchtturm". Daraus 
folgt in erster Linie natürlich nur, dass eben die Muslime es waren, denen die Ähn- 
lichkeit ihrer Moscheetürme mit den byzantinischen Phanaren aufgefallen ist. Aber es 
liegt doch die Vermutung nahe, dass den Architekten der Byzantiner bei dem Ent- 
werfen der Grundrisse für den Campanile das Vorbild des Leuchtturmes wirklich vor- 
geschwebt hat. 

8 



114 Friedrich Schwally 



halten Qorra ibn Schoraik, auf Befehl des Chalifen Valld ihn 
*Abdelmelik. Der Neubau begann im Monat Scha'bän und wurde 
im Ramadan des Jahres 93 vollendet. Während dieser Zeit wurde 
der Freitags-Gottesdienst in der Honighalle abgehalten. 

Die KanzeP wurde a. H. 94 aufgestellt. Über die Herkunft 
der dadurch ausser Gebrauch gesetzten älteren Kanzel gehen 
die Meinungen auseinander. Die einen halten sie für die Kanzel 
des 'Amr oder des 'Abd al-*AzIz. Andere lassen sie aus einer 
christlichen Kirche hereingebracht sein. Wieder andere behaupten, 
der nubische König Zakarijjä ibn Marqi (Brqnj^ habe die Kanzel 
dem Abdallah ibn Sa'd ibn abl SarU geschenkt und einen aus 
Dendera gebürtigen Zimmermann, namens Victor *^ mitgeschickt, 
um dieselbe zu montieren (unter Othman». Diese Kanzel blieb, 
bis der schon erwähnte Qorra ibn Schoraik die Moschee erweiterte. 
In den Dörfern wurde damals niu* auf einem Pflocke gepredigt. 
Erst Müsä ibn Nosair, unter dem Chalifate des Mervän ibn Mo- 
hammed, befahl auch in den Dörfern Kanzeln zu gebrauchen 
(a. H. 132). Die Kanzel des Qorra A\^rde erst unter dem Fati- 
miden-Chalifen Al-*AzIz billah ersetzt, und zwar durch eine goldene 
(Donnerstag, am 20. RabI I a. H. 379). Dessen Nachfolger al-IJäkim 
Hess dieselbe nach Alexandrien bringen und die von Alexandrien 
nach KiÜTO (a. H. 405). 

Die Erweiterungen des Qorra erstreckten sich auf die Süd- 
und Ostseite. Von dem Hause des *Amr und dem seines Sohnes 
'Abdallah musste zu diesem Zwecke ein Teil enteignet werden, 
doch erhielt die Familie dafür angemessene Entschädigungen. 

Die Qibla der alten *Amr-Moschee befand sich bei den ver- 
goldeten Säulen, die sich paarweise gegenüberstanden, in der 



**> Victor (bq^r) ist ein häufiger Name koptischer Christen. — Unter den Omaj- 
jaden wurden bei allen kunstvollen Bauten byzantinische und koptische Hand- 
werker verwandt. ValTd ibn 'Abdelmelik liess zu diesem Zwecke einmal 40 Griechen 
und ebensoviele Kopten nach Mcdina bringen. Sogar der pietistische Puritaner 'Omar ibn 
Abd al- AzTz schreckte nicht davor zurück, ungläubige Christenhände an der Propheten- 
moschee arbeiten zu lassen. Diese Handwerker führten sich zuweilen ungebührlich 
auf, indem sie die heiligen Orte besudelten, oder ein andres Mal oben an den fünf 
Bogengewölben in der Wand der Qibla des Moscheehofes (fa{tn) zu Medina Bilder von 
Schweinen anbrachten (Samhüdi 139 sq.). Dieses Tier gilt bekanntlich nicht nur den 
Juden, sondern auch den Muslimen als unrein. Noch Achmed ibn Tulün (a. D. 868 — 883) 
liess den Plan zu seiner berühmten Moschee von einem christlichen Architekten ent- 
werfen (MaqrlzT II 265). 



Zur ältesten Baugeschichte der Moschee des 'Amr in Alt-Kairo 115 

Reihe der Truhen". Andere vergoldete Säulen gab es in der 
Moschee nicht. Unter Ichschid (a. H. 324) wiu*den die meisten 
Säulen bemalt und mit Bandstreifen versehen. 

a. H. 97, unter dem Chalifate des Sulaimän ibn Abd al-Melik, 
Hess der Direktor der Grundsteuern 'Osama ibn Zaid al-Tanühl 
ein Schatzhaus in die Moschee einbauen. Unter der Kuppel des- 
selben wurde später von dem Fatimiden-Chalifen Al-'AzIz billah 
ein Springbrunnen angelegt. 

Während die alte Moschee des 'Amr niu* 50 Ellen lang imd 
30 Ellen breit war, betrug nach den Erweiterungen der Abba- 
sidenchalifen al-Saffäli (a. H. 133), Härün (a. H. 175) imd al-Ma'mün 
ihre Länge 190 Ellen und ihre Breite 150 Ellen". 



** Diese Truhen {taväbif) dienten wahrscheinlich zur Aufbewahrung der Qoran- 
exemplare, sowohl der noch in Gebrauch befindlichen, als der unbrauchbar gewordenen. 
In der Baugeschichte der Moschee des Achmed ibn Tulün werden die Truhen ge- 
radezu „Qoran-Kasten" (fanädiq al-mafäl^if) genannt (MaqrIzT II 265). Bekanntlich ist 
es bei den Juden noch heute üblich, die ausser Gebrauch gesetzten Rollen der heiligen 
Schriften nicht zu vernichten, sondern in der sogenannten GenTzä aufzubewahren. 

** Über die Massverhältnisse der'Amr-Moschee in den verschiedenen Bauperioden 
vergleiche man den mit anschaulichen Plänen ausgestatteten Aufsatz von Eusiace 
K, Corbett im Journal of the Royal Asiatic Society Bd. XXII (1890) p. 759 sqq. Diese 
Arbeit ist mir leider erst nach Drucklegung des Manuskriptes zur Kenntnis gekommen. 



8* 



BRUNO KEIL 

EINE ZAHLENTAFEL 
VON DER ATHENISCHEN AKROPOLIS 

Im Folgenden handle ich von einer in Athen gefundenen, 
alten, inhaltlich merkwürdigen Inschrift imd veröffentliche sie 
zum ersten Male vollständig, soweit sie erhalten ist. Sie war in 
unseren Tagen fast vergessen, imd erst in jüngster Zeit hat 
U. Köhler Hermes 18% XXXI 153f. das allgemeine Interesse darauf 
zurücklenken zu sollen geglaubt mit dem Bemerken, dass der 
Stein seit seiner Veröffentlichimg in der 'Eq)r||ui. dpx- (1838) n. 102 imd 
durch Rhangab^ Antiquitös helUn. 11 n. 1299 von Niemandem 
behandelt sei. Allein die Wissenschaft war doch aufmerksamer. 
Zunächst sind jene beiden von Koehler erwähnten Publikationen 
nicht die ersten. Von den zwei Stücken, aus welchen sich jetzt 
die Inschrift zusammensetzt, ist das eine {a) von Otfried Müller 
auf der Akropolis entdeckt worden, Ludwig Ross hat es abge- 
schrieben, und nach seiner Abschrift hat kein geringerer als 
Boeckh es als erster veröffentlicht und besprochen im Berliner 
Lektionsverzeichnis vom S.-S. 1841: 'de inscriptionis Atticae 
fragmento, quo notae numerales continentur, et de ahace Pytha- 
gorico (jetzt auch Kl. Schriften IV 493 ff.). Im Anschluss an 
Boeckhs Erklärungsversuch und im Gegensatz dazu hat sich 
dann Cantor Mathematische Beiträge sum Kulturleben der Völker 
S. 124 ff. (daselbst Taf. H Fig. 28 die Inschrift, nach Boeckh) mit 
der Deutung des Steines befasst. Endlich findet sich die Inschrift 
besprochen bei Woisin de Graecorum notis numeralihus (Diss. 
Kiel 1886) p. 44 (Fig. 55), wo die Rhangab^sche Erklärung wieder 
aufgenommen wird. Kleinere gelegentliche Erwähnungen in dieser 
oder jener Geschichte der Mathematik übergehe ich dabei. Zu 
den in dieser namentlich aufgeführten Litteratur enthaltenen Inter- 
pretationsversuchen hat Koehler a. a. O. noch einen weiteren 
andeutend hinzugefügt, die Sache im Besonderen aber dadurch 
gefördert, dass er mitteilte, am Tage vor seiner Abreise von 
Athen (Sommer 1886) sei ein zweites Bruchstück des Steines (ö) 



118 



Bruno Keil 



zum Vorschein gekommen. Auf meine Bitte hatten die Herren 
P. Wolters und A. Wilhelm in Athen die Freundlichkeit, nach 
diesem neuen Fragment zu suchen; dem letzteren gelang im 
Frühjahr 1896 die Auffindung. Es befindet sich im National- 
museum zu Athen: Inventar der Steine von der Akropolis 14%. 
Das ältere Stück ebenda : Inventar n. 1510. Herr Wilhelm sandte 
mir einen Abklatsch beider Stücke und prüfte meine Lesung 
gemeinschaftlich mit Herrn Wolters vor dem Originale noch ein- 
mal nach, was bei der sehr schlechten Erhaltung des neuen 
Stückes durchaus nötig war; endlich stellte er mir seine eigene, 
vom Original genommene Abschrift zur Verfügung. 



Col. I II m 
(I) (II) (III) 

Frg. b 

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(IV) [V VI VII] (VIII) (IX) (X) (XI) (XII) 





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hier oben die Inschrift des Frg. d 



b' 



* Lies A; s. u. S. 129, i. 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 119 

Das beigegebene Facsimile ist nach einer im April d. J. 
• genommenen Photographie hergestellt, deren Erreichimg ent- 
gegen mannigfachen widrigen Zufälligkeiten ich den gemein- 
samen Bemühungen der Herren v. Prott imd E. Preuner z. Z. 
in Athen verdanke. Diesen wie den vorgenannten Herren spreche 
ich auch hier meinen besten Dank aus. Gern erfülle ich die 
Pflicht, auch den Herren Kavvadias imd Lionardos für die Er- 
teilung der Erlaubnis zur Publikation des neuen Stückes gebühren- 
den Dank zu sagen. Der Druck S. 118 giebt in den Majuskeln 
den, wie angegeben, mit Hilfe von A. Wilhelm festgestellten Text 
des Steines, in den Minuskeln (Kol. IL VII— IX) meine Er- 
gänzungen, welche die w^eitere Untersuchimg zu rechtfertigen 
haben wird. 

Material: weisser Marmor; beide Stücke a b auf der Akropolis 
gefunden. 

Fragment a (n. 1510, altes Stück): oben und rechts alter 
Rand; grösste Höhe 0,38 m; oben 0,095 m schriftfrei. Grösste 
Breite (Schriftfläche) 0,20 m. Dicke bis 0,115 m; links die Schrift- 
fläche schräg fortgebrochen. — Erhaltung vorzüglich. Kol. VI 1 
ist C, wie Koehler (a. a. O. 153, 1) giebt, auch auf dem Abklatsch 
deutlich zu erkennen; E Ross und Rhangab^. — Kol. IX 15 hätten 
nach Wilhelm keine Zahlen mehr gestanden, so dass diese Kolumne 
nxir 14 Zeilen umfasste. Der freie Raum mitten imter dem letzten 
A ist jedoch, wie der Abklatsch lehrt, noch nicht so gross wie 
der Abstand zwischen dem A imd ^^ Kol. IX 1. 2 oder A und I 
Kol. VI 4. 5. Es hat m. E. ein I gestanden. [Herr Wilhelm und 
V. Prott geben die Möglichkeit, dass dieser Buchstabe noch in 
der letzten Reihe stand, jetzt unumwimden zu.] 

Fragment b (n. 1496, neues Stück): Höhe 0,60 m; grösste 
Breite 0,185 m; 0,155 m dick. Oben über der Schrift 0,02 m, 
nach Wilhelm und Wolters Rest von schriftfreier Fläche, da auch 
die Trennimgslinien aufhören; imten 0,315 m schriftfrei. Die Schrift- 
fläche rechts nach oben hin fortgebrochen. Das ganze Stück ist 
zu einem byzantinischen Pilasterkapitael bearbeitet, dessen Durch- 
schnitt b' zeigt. Oben nicht der alte Rand erhalten, wie die Bear- 
beitung und der Vergleich mit der an gleicher Stelle sich findenden 
schriftfreien Fläche des alten Fragmentes a zeigt ; d^^egen hat es 
die grösste Wahrscheinlichkeit, dass links der alte Rand, wenn auch 
in byzantinischer Ueberarbeitimg vorliegt, so dass Wilhelm er- 



120 Bruno Keil 



klärt, man könne damit rechnen. Erhaltung schlecht. Einzelne 
Lesungen kommen weiterhin zur ßesprechimg. 

Die vorstehenden Angaben ergeben, dass uns Anfang und 
Ende der Inschrift erhalten sind: der Anfang, weil b links den 
alten Rand bewahrt, das Ende, weil a oben und rechts den alten 
Rand zeigt. Die Bruchflächen der Fragmente passen in der Mitte 
nicht zusammen ; wie allein die von a erkennen lässt, ist mindestens 
eine Kolumne auf dieser Seite verloren. Der glatte rechte Rand 
von b folgte, wie die Raumverhältnisse zeigen, ziemlich nahe der 
Linie ^es Steines, welche die erhaltene Kol. IV von einer ver- 
lorenen schied, doch so, dass er noch innerhalb jener Kolumne 
lief. Da mm für die Glättung des Randes die zackigen Teile 
des Bruches vom Steinmetzen beseitigt werden mussten, so ist 
auch hier mindestens eine Kolumne bei der Bearbeitung des 
Steines verloren gegangen ; man bedenke, dass die Kolumnen nur 
35—37 mm. breit sind. Also haben wir mit einem Verlust von 
wenigstens zwei Kolumnen in der Mitte zu rechnen. Die Schrift 
ist nicht epichorisch attisch, sondern ionisch: f = f» A = X. Er- 
halten sind die Buchstaben A bis I, ferner AM^^, dazu das dem 
ionischen Alphabete überhaupt, und der altattischen Schreibung 
in dieser Form fremde Vau = C. Rücksichtlich der Schriftformen 
sind bemerkenswert das A wegen seiner sehr tief liegenden, nicht 
immer ganz wagerechten Querhasta i z. B. VII 1 ; IX 5) und das 
B wegen der Grösse der oberen Schleife, welche die untere 
mehrfach an Umfang überragt (z. B. VIII 4 ; IX 4). Das Ny hat 
die archaische Form ^^ imd zwar mit sehr hoch schwebendem 
rechten Winkel, M natürlich convergierende Aussenhasten. I = Z; 
mit sehr kurzer Vertikalhasta und mehrfach erheblich längeren 
Horizontalparallelen, sodass es durchaus die Form eines auf die 
Seite gelegten H gewinnt (z. B. IX 2). © ebenso gross wie die an- 
deren Buchstaben. Das Facsimile lässt die Form und die imgleiche 
Grösse der Buchstaben — man vgl. B VII 4 VIII 4 IX 4 mit I IX 2 
— erkennen. Die Durchschnittshöhe der Buchstaben beträgt 
10 mm. 

Boeckh setzte den Stein nach der Schrift in den Anfang 
des 4. Jhds. unter Hinweis besonders auf die Form des Ny; 
Rhangab^ ging etwas tiefer henmter, in die 100.— 1 10. Olympiade. 
Nach Koehlers Urteil ist die Schrift wegen jener charakteristischen 
Gestaltung der AB^/ „älter als der Anfang des 4. Jhds. ; genauer 
noch, als der peloponnesische Krieg". Diese Schätzung hat 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 121 



A. Wilhelm mir im J. 1896 und neuerdings wiederholt auf das 
bestimmteste bestätigt, imd so ist durch das Urteil der beiden 
besten Kenner der Epigraphik attischer Steine einer Unsicherheit 
ein Ende gemacht, die schädlich für die Wissenschaft gewirkt 
hat. Dieses Schwanken in der Datierung hat nämlich eine un- 
erfreuliche und bemerkenswerte Konsequenz gehabt: Kirchhoff 
hielt sich an die Boeckh-Rhangab^sche Datierung und liess die 
Inschrift ftii* CIA. 1 bei Seite, Koehler urteilte nach Autopsie imd 
verschloss ihr CIA. II, imd also geschah es durch dieses Zusammen- 
wirken, dass unser Stein überhaupt in dem grossen Berliner 
Corpus fehlt. 

Otfried Müller (bei Boeckh a. a. O.) erkannte sofort, dass 
alphabetische Zahlen vorlägen; er las sie in den einzelnen Kolumnen 
von links nach rechts, sodass die rechten Zahlenreihen jeder 
Kolumne die Zehner, die linken die Einer für ihn enthielten. Da 
CvV VII II die höchste Zahl (= 59j ist, so schloss er, dass wir 
Angaben von Minen vor uns hätten, indem mit 60 eben die 
höhere Einheit, das Talent, einsetze. Dabei blieb das häufige I, 
welche nur 10 bedeuten kann, in der Einerreihe unerklärt. Um 
die Erklärung dieses Zeichens dreht sich bisher die gesamte 
Discussion. Zunächst Boeckh. Er nahm die Müllersche Erklärung 
im Ganzen auf und suchte sie zu sichern durch eine Erklärung 
eben des I in der Einerreihe: es sei ein der Null des arabischen 
Ziffemsystems entsprechendes Zeichen ('non potest nisi vactii 
explcndi causa assumpta esse, ac proinde ciphrae locum tenef). 
Hiergegen erhebt sich notwendig ein schweres Bedenken aus 
der Doppeldeutigkeit, welche dem I belassen ist. In der linken 
Zahlenreihe soll es = 0, in der rechten = 10 sein. Femer ist es 
unmöglich, auf dieser Inschrift die Zahlen von links nach rechts zu 
lesen. Ich glaube nunmehr das griechische Zahlenmaterial einiger- 
massen zu überschauen: soweit mir bekannt, ist die Anordnimg 
von rechts nach links nie vor dem 2. Jhd. v. Chr. , imd selbst in der 
1. Hälfte dieses Jhds. nur erst spärlich belegt; femer hält sie sich 
durchaus an der Peripherie des Griechentums: im Innern Klein- 
asiens, in Syrien', in Makedonien, von wo aus ein schwacher 
Strang über Thrakien nach dem nördlichen Pontosufer (hier tritt 



* Auf Münzen beginnt hier die Zählung in rücklaufenden Zahlen unter Seleukos IV 
Philopator (187— 175): CAP 136 (= 177 v. Chr.). 



122 Brmo Keil 



die Erscheinung besonders in der Kaiserzeit hervor: Latyschev 
IPontEiix. n n. 34 ff . z- B. ^v xdi r\^\} und südlich nach Bithynien 
herüberzieht CIG, 3fif2 aus Hadrianopolis bfiuapxiicn^ cEouöia^ tö t\\ 
= 144 n. Chr. . Die vereinzelten bithynischen FäUe wird man 
auf makedonisch-thrakischen Einfluss setzen, nicht mit den inner- 
asiadschen FäUen in \'erbindimg bringen müssen, weil in Bithy- 
nien gerade wie in Makedonien die Sitte existiert, auf den Grab- 
schriften das Lebensalter der \'erstorbenen anzugeben, eine dem 
griechischen Kleinasien fremde Gewohnheit römischer Einfluss 
CIG. 3343, aegyptischer 3692 '. Weitere Kreise öffnen sich der links- 
läufigen Schreibung erst sehr spät: das offizielle Athen dürfte kaum 
ein sicheres älteres Beispiel als CIA, lü 1CC3 €i öirö Tf\q TTpumi^ 0coö 
'AbpiovoO 1^ 'AOiiva^ tmbiiuia^ 139 4tJ n. Chr.: Pauly-Wissowa 
R.-E. I o*J7 bieten. Dass CIA. UI 7 mit Bofibpouiüivo^ tt- u u.s. w. 
in das 1. Jhd. n. Chr. gehöre, wird auf Grund der Orthographie 
bei Prott-Ziehen Leges sacn p. S behauptet. Allein MeTorfiiviüivo^ 
und TToaiödivi beweisen absolut nichts; zudem stanunt der Stein 
kaum von Athenern: der Kult, dem er gilt, ist wenigstens unattisch, 
dazu privat, und ebenso die Inschrift. Aber gesetzt auch, man dürfte 
dicrse zeitlichen und örtlichen Grenzen überschreiten, selbst dann ist 
eine Lesimg AA = 34 unmöglich. Die rückläufige Schreibimg ist näm- 
lich einzig und allein auf die Ordinalzahlen beschränkt*. Daher 



« Aasdrscklicb a::s>cklie$scii will ich hier. cameniÜch wegen Boeckh -l///r,^V^. 
L'nt€r:u:h. S. 295, Gro>sgr:echenland and Italien. Zwar bietet die grosse Inschrift von 
l^lalaesa IGSi.It. 352: 2. Jhd. x. Chr. die Ordinalzahlen AI. Bl. Fl. aber sonst ist 
die Anordnung der Ziffern nach steigenden Werten den /oSi^/t. chirchaas fremd. 
Das vird besonders deatlich. wenn man sieht, dass die sicheren Acsnahmen sämtlich 
Ton Orientalen herröhren : n. 2530. >ßinj=4iS/9 n. Chr.. neben irüsyr 16 . 2552 odoii = 
40^'io n. Chr.k, 2265 HovbiKoO b», inraTia *Ovopiou ACrr. t6 01=417 , alle drei ron 
Srrem: zweifellos wegen HavbiKoO' auch 2266 rmit fyiipa^ ß« : ebenso 971 iZ* M* 
= 255/4* von einem Palmrrener. Anderes ist unsicher iwie 23001; 1506 «mit ^Tühf 
€1 - - ^ucpunf IB.< ist ganz spät und beruht nur auf einer Abschrift rom |. IJ^O- — Eine 
bes^^dere Stelle nimmt natürlich die gelehrte Menandrosmschrift n. 11S4 «in- *n deren 
Ec!i:he:t Niemand mehr zweifelt (rg\. zuletzt auch A. Wilhelm .-//«. .IfittA, 1S97 XXII 201 «. 
giffix abgesehen davon, dass KOTd TÖ 8 Kai A' Ito^ t9[^ TTToXcuaiov ToO Zurrf^pOs 
SoatXcia^ schon wegen des %a\ etwas anders steht (s. o. TextV — Die Ablehnung der 
Anordnung der Ziffern nach steigenden Werten ist im Westen um so bemerkens- 
werter, als die grossen Rechenschaftsberichte n. 422 ff. aus Tauromenion dnrchgehends in 
den ausgeschriebenen Zahlen, wie schon Bc»eckh a. a. O. hervorhoK eben jene Anordnung 
der nach rechts hin steigenden Wene zeigen yt, H. T€<iaap€s «cvv^KOvra Xitpai, 
TEOaopa hixa T€TpaK6<na ^irramaxiXia uvpia TdXavraV. Dazu beachte man, dass alle 
jene Ausnahmen nicht blos Fremden, sondern auch ganz später Zeit angehören. 

' Es giebt ein paar vereinzelte Ausnahmen, die eben wegen ihrer Vereinielimg 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 123 

hat sie ihren eigentlichen Platz in den Jahres-, Monats-, Tages- und 
späten Indictionsdaten (nur inschriftlich, nie handschriftlich), gele- 
gentlich auch in einer Phylenzählung((puXr| bi CIG, 4018. 4025, Ankyra) 
und tritt besonders stark auf Münzen und Inschriften der späten 
Zeiten in den Aerenrechnungen auf. Der Ursprung dieser Schreibung 
ist leicht zu entnehmen aus Fällen wie tö y Kai jii lioq (Kawadias 
Fouilles d'J^pidaure n. 39) oder lioxyq, Kai ic = 118 v. Chr. (zu- 
letzt Dittenberger SylL* 318, 1. 49) aus Lete in Makedonien (vgl. 
Dimitsas 'H MaKebovia I p. 566), und noch älter ?tou^ Cia Ka[i p] 
und dv TU) b|ui [Kai p Irei] syrischen Ursprungs aus d. J. 166 
V. Chr. * : es wird die gesprochene Rede, z. B. im ersten Fall tö 
TpiTov Kai TeaaapaKoaTÖv ?to^, wiedergegeben. Daher denn auch 
Fälle wie iTouq • T • E • I • sich erklären (Buresch Aus Lydien S. 21) 
d, h. TpiaKoaioaTiiu irevTeKaibeKaTiu. Für Cardinalzahlen wird die 
aufsteigende Reihenfolge nicht angewendet; bezeichnend dafür 
ist z. B. ?Tou? cä dTüüv icß, d. h. im J. 206, 22 Jahre alt, wo für 
Ordinal- und Cardinalzahl verschiedene Abfolge angewendet 
wurde. Die Inschrift stammt aus Edessa in Makedonien (Dimitsas 
a, a. O. S. 40 n. 12); das Beispiel ist um so beweisender, als in 
Makedonien, wie gesagt, die rückläufige Ordnung ausserordentlich 
stark im Gebrauche ist; aus Edessa speziell liegen die Ordinal- 
zahlen n^T, Z:oT, Z:iT, ainr (Dimitsas n. 1. 2. 10. 14) vor; dazu aus 
Thessalonike Dimitsas n. 386 lioxx; aEp . . . ZiriaavTa lvr\ vC Ich 
mache sogar die den Gebrauch der rückläufigen Schreibung noch 
weiter einschränkende Beobachtung, dass örtlich in Monatsdaten 
die rechtsläufige vorgezogen und neben die linksläufige des Jahres- 
datiuns gestellt wird: Thessalonike a. a. O. n. 365 irpö iZ; KaXavbujv 
'AirpeiXiiuv . . . tou öttct ?tou^ und n. 458 f tti Kr| . . . fTOuq Cqp Aubou Kß. 
Derrhiopos n. 258 Tf) la tou Aaiaiou Mnvöq tou ymct Itou^. Allgemeinere 
Verbreitung muss diese Schreibimg im Norden gewonnen haben ; 
denn man findet ebenso z. B. in Pantikapaion bei Latyschev IPont 
Eux. II 27 ^v • TU) • KY i Itei • Kai iiiiivi • Aaei(Tiuj KZ. Das Neben- 
einander der linksläufigen Anordnimg der Ordinalia imd der 
rechtsläufigen der Cardinalia wird verständlich, wenn man in 
Kibyra z. B. liest dv tuj [dv]dTuj irevTiiKoaTU) tKaTocTTuj (== övp) ?Tei 



nichts beweisen, z. B. aus Kelenderis: ^v6db€ k€it€ irai^ Zuve^bi^^ou, r\\ ^tujv 
{CIG. 4322 vgl. add. p. 1152 = Lebas -Waddington Aste min. n. 1388); es wurde 
eben ÖKTU)Ka{b€Ka gesprochen. 

» Veröffentlicht von U. Köhler Siizb. d. Berl. Akad. 1900, iioo ff.; die Daten 
richtig verstanden und ergänzt von B. Haussoullier Rev, de philol. 1901 XXV 40. 



124 Bruno Keil 



und dagegen sich erinnert, dass bei den Cardinalia die Sprache 
der Hellenistik im Allgemeinen den Typus der fallenden Werte 
mit und ohne Kai entschieden durchführte, selbst doch vor einem 
bdKtt et?, beKtt buo nicht zurückschreckte. Endlich überlege man, 
dass für das Rechnen eine doppelte Praxis in der Anordnung 
für Zahlen über 1000 ganz unmöglich war. Wie sollte man z. B. 
rXA lesen: 3601 oder 1603? Ich höre den Einwurf: es wurde 
/rXA geschrieben und damit jeder Zweifel ausgeschlossen. Gewiss; 
das aber wollte ich gerade hören. Ist irgendwo eine Zahl wie 
AX/r denkbar? Bei den Cardinalia besteht eben ein Zwang der 
Stellung nach fallenden Werten von links nach rechts; bei den 
Ordinalia hat spät erst und nur Unsitte die linksläufige Schreibung 
entstehen lassen, und auch dann nur in den Werten unter 1000. 
Also Ergebnis: die Zahlen unserer Inschrift würden sich, selbst 
wenn man von allen zeitlichen und örtlichen Bedenken absehen 
wollte, linksläufig höchstens als Ordinalia fassen lassen ; in der von 
Otfried Müller und Boeckh gegebenen Erklärung der Zahlen als 
Minen müssten sie aber Cardinalia sein. — Auch die weitere 
Ausführung des letzteren über den Zweck der Tafel hält nicht 
Stich. Er erklärt, weil Minen gemeint sein müssten, das Ganze 
für eine Rechnungstabelle: die Summen seien unten zusammen- 
gezogen gewesen ; vermutlich seien hier die Ausgaben oder Ein- 
nahmen gewisser Zeitabschnitte, also wahrscheinlich der staat- 
lichen Zeitabschnitte, der Prytanieen, gebucht. Eine Zusammen- 
ziehung der Posten am Kolumnenschlusse fehlt, wie jetzt Frg. b 
zeigt. Femer steht heut fest, dass in einer stiiatlichen Abrechnung 
des Athen des 5. oder auch des angehenden 4. Jhds., wohin Boeckh 
die Inschrift noch setzen musste, weder alphabetische Zahlen 
noch endlich überhaupt Rechnungen nach Minen möglich sind. 
Die Boeckhsche Erklärung ist auf Grund palaeographischer wie 
antiquarischer Gegeninstanzen als verfehlt zu betrachten. 

Cantor hat sie fallen lassen; aber nicht aus diesen Gründen, 
sondern aus der weiteren Schwierigkeit, dass das I in der Einer- 
reihe Null bedeuten musste; die Null sei aber den Griechen 
unbekannt. Dieser Grund trifft Boeckhs Darstellung nicht ganz. 
Eine Null in unserem Sinne sollte das Zeichen auch bei Boeckh 
nicht sein. Dass die Null an den Stellenwert der Zahlen im sog. 
arabischen Ziffemsystem geknüpft ist, wusste er natürlich; ihm war 
das Zeichen nur ein Füllsel für den sonst leeren Raum. Es geht 
dies besonders daraus hervor, dass er annahm, es müsse für die 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 125 

Zehnerreihe ein weiteres raumfüllendes Zeichen bestanden haben, 
verschieden von dem der Einen-eihe; denn in der Zehnerreihe, 
sagt er, würde jenes Füllsel aus der Einerreihe mit I = 10 zu- 
sammengefallen sein. Nicht die ciphra' ist ihm I, sondern ciphrae 
locum tenet\ Das konnte Boeckh auch sagen, denn an sich stünde 
einem solchen Zeichen selbst für griechische Zahlen nichts im 
Wege, imd in der mathematisch-astronomischen Gradrechnung ist 
in späterer Zeit wirklich ein Zeichen, welches das Fehlen einer 
Grösse anzeigen sollte, in Gebrauch gewesen, O, d.h. nicht 0, sondern 
der überlieferten Deutung nach 0(öbe|Liia laoTpa: Pappus ed.Hultsch 
vol. II p. 130; vgl. im Texte p. 556, 19; 558, 25; Schol. p. 1181, 29; 
1186, 4 ff.). Einen Zahlenwert hat dieses Zeichen, wie Cantor 
richtig bemerkt, nie besessen. Ja, es ist mir sogar zweifelhaft, 
ob jene Deutung des O, welche immer noch einen Zahlbegriff 
(oub€|uiia} involviert, richtig ist. □ = övoiaa erscheint auf Papyri 
wie unser N. in Formularen an der Stelle, wo bei der Verwertung 
des Formulars der betreffende Namen eingesetzt werden sollte; 
so liegt die Annahme nicht abseits, dass das Ö der Mathematiker 
ebenso zu deuten sei. Dann besagt O' zwischen n^ und w", dass 
an diesem Platze die iETiKoarai und zwar nur ihr Name zu denken 
sei, damit man die auf die Grade folgenden Zahlen nicht als Minuten, 
sondern als Secunden lese. So fehlte dem O jede Verbindung mit 
Zahlen. Auf dieses Zeichen stimmt Boeckhs 'ciphrae locum tenef, 
insofern ihm damit das Wesen als Zahl abgesprochen wird; das 
aber wollte Boeckh augenscheinlich auch nur für sein I = sagen. 
Wenn Cantor etwas dagegen einwenden wollte, so musste es 
einmal die Unzuträglichkeit der Doppeldeutigkeit des Zeichens 
in Einer- und Zehnerreihe mit ihrer notwendigen Konsequenz, 
der Verfühnmg zum Irrtum, sein, und zweitens das thatsächliche 
Fehlen des von Boeckh supponierten entsprechenden Zeichens 
in der Zehnerreihe, für welches Fehlen den Zufall verantwortlich 
zu machen, einfach die grosse Anzahl der Zahlen imd im be- 
sonderen die fünfmalige Verwendung der vermeintlichen Einer- 
null verbieten. Boeckhs Erklänmg war eben einfach auch in 
diesem Punkte als von einer ans Unmögliche grenzenden Un- 
wahrscheinlichkeit zu bezeichnen. Cantors eigener Vorschlag ist 
gänzlich unannehmbar. Er liest die Zahlen wie Boeckh von 
rechts nach links — das allein spricht ihm schon sein Urteil — 
und nimmt in den Fällen, wo I in der Einerreihe erscheint, an, 
man habe die einfachen Zehner Z = 60 N = 50, bei denen links 



126 Bruno Keil 



ein leerer Raum entstanden sein, würde, in den nächst niedrigen 
Zehner und die Zehn zerlegt und so mit IN (= E 60), IM (= N 50) den 
leeren Raum beseitigt. Eine solche vom horror vacui diktierte Rechen- 
manipulation ist, wie auchWoisin a. a. O. bemerkt, der griechischen 
Zahlenschrift völlig fremd. Die Praxis verlangt das Gegenteil, 
möglichste Zusammenziehung; deshalb haben die Griechen das 
Dezimalsystem ihrer epichorischen Zahlenreihen MX HAI durch- 
brochen und die bekanntenLigaturenmitP gebildet. Wergriechische 
Rechnungen auf Steinen kennt, weiss, dass solche Schönheits- 
rücksichten, wie Cantor sie sich denkt, für sie nicht existierten. 

Rhangab^ geht ebenfalls von der Ansicht aus, dass die Zahlen 
von rechts nach links zu lesen seien; dem stehe aber das I in 
der Zehnerreihe, was für eine Null nicht genommen werden 
könne, entgegen. Wenn man also die linksläufige Schreibung 
annehme, so sei dies nur unter der Bedingung, die ihm übrigens 
selbst bedenklich vorkam, möglich, dass das I in der Einerreihe 
als 1 zu fassen sei. Woisin hat diese Erklärung aufgenommen 
und das Bedenken Rhangab^s durch vermeintliches Vorkommen 
alphabetischer Zahlen inmitten akrophoner zu heben versucht. 
Die Parallelen sind z. T. an sich hin^llig, z. T. passen sie nicht 
auf die von Woisin angenommene Lesung unserer Inschrift. Denn 
auf die Stichenzahlen der herkulanensischen Rollen wird sich 
niemand berufen, der sie einmal im Zusammenhange untersucht hat. 
Das vermeintliche arkadische Beispiel Rhangab^ Ant. hell. II n. 958 
fällt nach der neuen Lesung Fränkels {Sit^ungsber. d, BerL Akad, 
1898, 636) fort. Das System von Hermione (SGDI. 3384), in 
welchem W zwischen akrophonischen Zeichen den solennen Wert 
50 hat, trifft nicht zu, weil das Zeichen eben solenn ist und kein 
gleichwertiges akrophones Zeichen neben sich hat. In den Zahlen 
unserer Inschrift würden aber nach Rhangab6 und Woisin AN 
(\ai 1 IX 5) und ebenso IN (II 10 VI 6. VII 6. VIII 12 IX 12) als 51, wie 
auch AM (1 2) und IM (VIII 2) als 41 nebeneinander stehen; und dann 
soll dieses I auch wieder 10 sein. Man sieht, praktische Unmöglich- 
keiten. Hinzukommt, dass diese Lösung auf dem Irrtum der An- 
nahme einer linksläufigen Schreibung beruht. 

Koehler endlich drückt sich anscheinend sehr vorsichtig aus, 
wenn er die linksläufigen Lesungen 56. 51. 36 u. s. w. nur unter 
der Voraussetzimg für möglich erklärt, dass das I den Zehnem als 
eine Art Determinativ vorgesetzt und also statt KAM für 20, 30, 40 
IK, lA, IM geschrieben worden sei. Dagegen erhebt sich, ab- 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 127 

gesehen von dem aus der linksläufigen Lesung resultierenden 
Bedenken, der Einwand, dass, wenn das I ein Determinativ für 
den Zehner sein sollte, ihm seine Stellung auf der Einerreihe in einer 
für die Zahlenschreibimg durchaus unpraktischen, weil notwendig 
täuschenden Weise angewiesen wäre. Das Zeichen stünde soweit 
von der zu determinierenden Zahl ab, dass es als selbständige 
Zahl nur zu leicht gelesen werden köimte, namentlich in einem 
System, dem I als 10 angehörte. Ein Determinativ gehört eng an 
die Zahl, wie man ja auch /A = 1000 u. s. w. schrieb. Femer ist 
eine solche Erscheinung wie ein Zehnerdeterminativ dem alpha- 
betischen System sonst völlig fremd; es liegt aber kein Grund 
vor, Zahlen, in denen C vorkommt, anders zu beurteilen, als sonst 
das System, für das C eben eines der Charakteristika ist. Ja, 
wenn diese Zahlen des Systems die weitaus ältesten wären, dürfte 
man solche Besonderheit vielleicht hinnehmen mit der Begründung, 
dass man später das leicht beirrende Determinativ habe fallen 
lassen; allein die halikarnassischen Zahlen Dittenberger Syll^n. 11 
(vgl. Hermes 1894 XXIX 250) sind kaum jünger, imd in ihnen 
zeigt sich keine Spxir eines solchen Zeichens. Endlich gehört das 
Determinativ doch eigentlich vor die Zahl: wenn man nach Koehler 
die Zahlen von rechts nach links lesen soll, so würde man also 
eher AI denn lA = 30 geschrieben zu finden erwarten dürfen. — 
Koehler hat diesem Erklärungsversuche der Zahlen selbst eine 
Vermutung über die Bedeutung der Inschrift als ganzer beigefügt ; 
er ist geneigt zu glauben, dass die Tabelle mit Astronomischem 
zu thim habe, wie denn aegyptische astronomische Tabellen ganz 
das gleiche Aussehen hätten. Diese Parallele ist für das äussere 
Ansehen durchaus zutreffend; aber der Inhalt, d. h. die Zahlen 
selbst wehren sich. Gehörten sie in die Sphäre kalendarisch- 
astronomischer Rechnungen, so müssten sich in ihnen doch deut- 
lichere Spuren des für diese Rechnungen unumgänglich notwendigen 
Sexagesimal- oder Duodezimalsystems mit den Hauptzahlen (60) 
48 36 30 24 15 12 6 finden, Zahlen, die bis auf die eine 30 in der 
Inschrift sämtlich fehlen. Aus diesem Grunde ist mir der Gedanke 
Koehlers unwahrscheinlich. — 

Ich habe, seit mir diese Inschrift vor nunmehr 15 Jahren 
auf der kapitolinischen Institutsbibliothek zuerst in dem unschein- 
baren Boeckhschen Heftchen bekannt wurde, mich wiederholt an 
ihrer Erklärung versucht, ohne doch, so lange ich auf das eine 
alte Fragment angewiesen war, zu einem Abschlüsse zu kommen. 



128 Bruno Keil 



der mir mitteilenswert, weil wahrscheinlich genug, erschien. Dies 
war auch der Grund, warum ich dieses so alte Zeugnis für das 
Bestehen der alphabetischen Zahlen, so oft ich schon von ihrem 
Alter gesprochen habe, nicht erwähnte. Erst das neue Fragment b 
Hess trotz seiner schlechten Erhaltung sicherer sehen und bestätigte 
mir diejenige Anschauimg von dem Wesen der Zahlen und der 
Inschrift im Ganzen, welche sich mir damals sofort bei der 
ersten Lesung des alten Fragmentes aufgedrängt hatte. Doch 
möchte ich auch jetzt noch den folgenden Deutimgsversuch als 
nicht mehr denn eine begründete Frage betrachtet wissen. 

Ich führe die einzelnen Beobachtungen der Reihe nach auf, 
welche mich zu meinem Erklärungsversuch zuerst hingeführt 
imd dann in ihm bestärkt haben ; natürlich sind darin die Punkte 
einbegriffen, welche seit Otfried Müller allgemein in Rechnung 
gezogen wurden und sich* einer Beobachtimg überhaupt nicht 
entziehen konnten. Ich unterscheide zwei Gruppen: 

I. die Zahlen an sich. 

1. Das Zeichen f ist vorhanden; also r = T, A = X. Das ist 
in einer Inschrift des 5. Jhds. von der athenischen AkropoUs 
importiert ionische Schreibung. Der athenische Staat verschmäht 
das neue Alphabet bis 403. 

2. Das Zeichen C ist vorhimden. In ionischer Schrift des 
5. Jhds. hat es nur als Zahlzeichen seinen Platz ; also haben wir 
die alphabetischen Zahlzeichen vor uns. In den akrophonen 
Zeichen der Ciirdinalzahlen ist es völlig unbelegt, in dem alpha- 
betischen Numerierungssystem ABFAEIHGIK u. s. w. kann es weder 
in Attika noch in lonien zur Zeit unserer Inschrift vorkommen ; denn in 
ihm wird das reine Alphabet verwendet. Dass es in der Paragraphen- 
zählung des naupaktischen Kolonisationsgesetzes {IGA, 321, 29) 
begegnet, versteht sich ; die Lokrer hatten eben das F im Alphabet. 
Der athenische Staat verschliesst sich der Annahme des alpha- 
betischen Zahlensystems bis in das 1. Jhd. v. Chr. hinein. Er 
war der letzte griechische Staat, der von dem alten akrophonen 
System zu dem neuen alphabetischen überging. 

Aus diesen beiden Punkten folgt, dass die Inschrift nicht 
von einer Behörde des athenischen Staates hergestellt, sondern 
privater Herkunft ist. 

3. Das Zeichen I begegnet in jeder der beiden Zahlenreihen, 
welche die einzelnen, durch Linien abgegrenzten Kolumnen füllen. 
Im alphabetischen System bedeutet es 10. Die auf gleicher Linie 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 129 

Stehenden beiden Zahlzeichen IM und IN (lA fehlt, s. S. 130) können 
also nicht als eine einzige Zahl zusammengelesen werden. 

4. Die alphabetischen Zahlen werden von links nach rechts 
gelesen. Ausnahmen von diesem Gesetze sind auf ganz bestimmte 
zeitliche und auch örtliche Gebiete beschränkt (s. o. S. 121 ff.). In 
diese Gebiete fällt eine Inschrift des 5. Jhd. v. Chr. mit attischer 
Provenienz oder ionischem Ursprünge nicht. Also kann man in 
ihr die Zeichen A A u. s. w. nicht als 34 u. s. w. lesen. 

Aus diesen beiden Beobachtimgen folgt, dass die beiden 
Zahlenreihen nicht eine Einer- und eine Zehnerreihe darstellen, 
deren auf gleicher Linie stehende Zeichen zu einer Zahl zusammen 
zu fassen wären. 

n. Die Zahlen im Verhältnisse zu einander. 

5) Wenn aus den aufgeführten Gründen die beiden verticalen 
Zahlenreihen als selbständig nebeneinanderstehende Reihen zu 
betrachten sind, so werden sie andererseits doch durch die die 
Koliminen scheidenden Verticallinien als zusammengehörig ge- 
kennzeichnet: in einem bestimmten Verhältnisse müssen also die 
auf gleicher Horizontallinie stehenden Zahlen der beiden Reihen 
innerhalb der einzelnen Kolimmen zu einander stehen. Es ist 
bekannt, dass die Griechen Multiplikation und Addition nicht 
durch besondere Zeichen ausdrückten; sie stellten die betreffenden 
Zahlen einfach nebeneinander, indem sie aus dem jeweiligen 
Zusammenhange entnehmen liessen, welche Rechenmanipulation 
mit ihnen vorgenommen werden sollte. So könnte es auch in 
unserem Falle sein, also AA = 4 X 30 oder 4 4- 30 heissen. Aus dem 
für diese Zahlentabelle jetzt verlorenen, sicher aber einmal vor- 
handen gewesenen Texte, würde sich ergeben haben, was mit 
den beiden nebeneinanderstehenden Zahlen zu geschehen hatte. 
Es ist aber, namentlich bei einer Tabelle, die durch einen Text 
erläutert war, auch möglich, dass die Nebeneinanderstellung be- 
sagen sollte: 'wenn x eintritt, hat y statt' oder 'für x gilt jy' 
oder was man sonst noch für Verhältnisse ausdenken mag. 

6) Die linke Reihe zeigt alle Zahlen von A— I = 1—10, die 
rechte nur lAMN d. h. 10, 30, 40, 50, geht also nicht über 50 hinauf 
und lässt K = 20 aus.* Wir haben 79 sichere Zahlen der rechten 
Reihe ; eine solche Anzahl schliesst jeden Gedanken an Zufall aus. 



^ Das von Wilhelm ausdrücklich bezeugte und auch auf dem Abklatsche deutlich 
erkennbare A in der rechten Reihe I 3 ist sicher vom Steinmetzen statt A verhaven. 

9 



130 Bruno Keil 



Es folgt also, dass die Zwanzig entweder für die betreffende 
Rechenmanipulation eine besondere Bedeutung hatte, oder dass 
sie für die Verhältnisse, in denen die Zahlen der rechten Reihe 
an die der linken geknüpft waren, nicht in Betracht kam. 

7) Die vier Zahlen der rechten Reihe sind so, wie die folgende 
Uebersicht zeigt, auf die 10 Zahlen der linken verteilt. Die 
Ergänzung der Zahlen zweifelhafter Lesung werde ich imter dem 
nächsten Pimkte rechtfertigen. Im übrigen habe ich für die 
weiteren Darlegungen rechts sogleich die Simimen der Zahlen 
aus der rechten Reihe unter den zehn Rubriken A — I zusanrunen- 
gezogen und femer die Häufigkeit des Vorkommens ebenderselben 
festgestellt; die Fälle, wo für uns die entsprechenden Zahlen 
der rechten Reihe verloren sind, habe ich dafür unter Beisetzung 
der Belegstelle (in Klammem) hinzufügen müssen. 
A 40 30 50 50 =170. 4+2(14.8)= 6 A 

B 30 50 40 50 10 40 10 10 =240. 8 =88 

r 10 10 40 30 40 30 40 = 200. 7 = 7 T 

A 30 40 50 40 30 50 30 10 30 30 40 =380. U =11 A 

E 50 50 50 30 40 50 10 =280. 7 + 1 (IV 5) = 8 E 

C 40 10 40 30 50 30 30 30 30 30 =320. 10 =10 C 

130 50 50 10 50 50 30 50 30 =350. 9 + 1 (H 7) = 19 I 

H 10 30 30 40 40 40 40 =230. 7 + 1 (IV 9) = 8 H 

© 10 40 30 40 40 50 =210. 6 + 1 (IH 9) = 7 © 

I 50 50 50 40 50 50 =290. 6+1(15) =71 

Es ergiebt sich, dass unter einem I niemals ein I = 10 vorkommt. 
Doch ebenso fehlt unter A die 10, imter f die 50, unter H die 50, unter 
© die 30 imd unter I ausserdem noch die 30. Man bemerke ferner, dass 
imter den 10 Zahlen von C nur je eine 50 und 10 vorkommt; für I 
haben wir aber nur 6 Zahlen. Dazu ist I in der rechten Kolimine 
erheblich seltener als die anderen Zahlen ; es finden sich nämlich 
im ganzen, wobei ich die Fälle, in welchen uns die entsprechenden 
Zahlen der linken Reihe nicht erhalten sind (I : II 8 V 3. 8; A : HI 
6 V 7; M:n 11) mitzähle: 

I 14 A 24 M 21 N 22 mal. 

Auf je drei der anderen Zahlen kommen nur 2 I. Das Fehlen der 
Verbindung 1 1 beruht also wie das von AI, TN u. s. w. auf einem 
Zufall imd ist nicht mit dem vollständigen Fehlen von K zu ver- 
gleichen oder in Zusammenhang zu bringen. — Hinweisen will ich 
schon hier auf das seltene Vorkommen von A und im Gegensatze 
dazu auf das häufige von A in der linken Reihe. 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 131 

8) Weder in der rechten noch linken Zahlenreihe innerhalb 
der emzehien Kolumnen folgen jemals die gleichen Zahlen auf 
einander, d. h. in den vollständig oder sicher erhaltenen Zahlen 
steht nirgend etwa ein B unter einem B oder ein A unter einem A, 
weshalb sicher ist, dass in der linken Reihe I 4. 7 nur A gestanden 
haben kann, ebenso in der linken I 6 HI 6 niu* A, 11 1 1 M, n 7 N *. 

9) Am Ende einer Kolimme und dem Beginne der folgenden 
treten dagegen zwei gleiche Zahlen in derselben Reihe auf: 
CM|AM folgen so I 15 n 1 auf einander. Die Kolimmen bilden 
also je eine geschlossene Einheit für sich ; dieses Verhältnis wird 
auch äusserlich durch die trennenden Linien angedeutet. Es erhellt 
endlich aus den Raumdispositionen der ganzen Platte. Unter der 
letzten, 15., Zeile sind 0,315 m freier Raum gelassen; also stand 
nichts im Wege, noch c. 12—15 Zeilen hinzuzufügen : die Kolumnen 
sollten eben niu* 15 Zeilen enthalten. 

10) Da nun die Kolumnen in sich geschlossene Abteilimgen 
sind, so müssten, wenn die Tafel eine rein mathematische Bedeutung 
hätte, die einzelnen Zahlengruppen in bestimmten constanten 
oder steigenden bezw. fallenden Verhältnissen stehen, jedenfalls 
irgendwie ihre Abfolge imd Anordnung sich auf rechnerischem 
Wege erklären lassen. Dies ist nicht der Fall, so nahe auch der 
Gedanke .liegt, dass das Fehlen der Zwanzig sich auf diese Weise 
erklären liesse. Es könnten ja die nebeneinanderstehenden Zahlen 
mit irgend einer für die gesamte Kolumne geltenden Zahl irgendwie 
behandelt, stets auf das Resultat 20 herauskommen. Der Gedanke 
würde sich besonders auch empfehlen, wenn man der Bedeutung 
gedenkt, welche die dpiö^iriTiKri — im alten Sinne gefasst — für 
die Zahlenbetrachtimg des 5. Jhds. hatte. Aber mit welcher 
Spezies man die Kolimmen behandle, welche Grössen man bei 
den Rechenmanipulationen für die emzelnen Kolunmen einsetze, 
das Resultat ist stets ein negatives. Aeusserlich sind dafür schon 
die in verschiedenen Koliunnen auf gleicher Linie stehenden 
gleichen Zahlen (Bl VHI 4. IX 4; TM VÜI 6 IX 6; ebenso Vm 1 
IX 1; Vni 10—12 IX 10—12; VI 6 VH 6) ein Anzeichen. 

Das Ergebnis der letzten drei Beobachtimgen (8 — 10) ist 
also dieses: die Zahlen in einer Kolimine bilden eine Einheit, 



' II 3 habe ich A, III 3 zweifelnd C eingesetzt, VIII 13 linke Reihe, ob A 
oder A, unentschieden lassen müssen; VIII 14 ist N sicher und ebenso für mich DC 15 
rechte Reihe I (s. o. S. 119). 

9* 



132 Bruno Keil 



sind nicht nach einem bestimmten rechnerischen Prinzip, sondern 
dem der Abwechslung in den beiden Zahlenreihen geordnet. 

11) Für die rechte Zahlenreihe mit lAMN entbehrt die Ab- 
wechslung nicht eines gewissen Regulativs. Die Statistik hatte 
ergeben (S. 130), dass AMN fast gleich häufig in den erhaltenen 
Partieen vorkommen ; dagegen fielen nicht ganz 2 I auf je 3 der 
anderen Zahlen. Natürlich kann hier der Zufall der Erhaltung 
eine kleine Entstellung des wirklichen Verhältnisses herbeigeführt 
haben ; wirklich entstellend kann er nicht gewirkt haben. Nun haben 
wir in jeder Kolumne 15 Positionen den 15 Zeilen entsprechend. Nach 
den beobachteten Häufigkeitsverhältnissen, verteilen sich die 
Zehnerzahlen auf 14 von ihnen so, dass sie mit 2 I und je 4 
AMN gebildet werden. Die 15. Position ist also noch zu besetzen. 
Dass I an ihr Anteil hat, folgt aus jener Statistik, wo ja I zu Üen 
anderen Zahlen nicht im Verhältnis von 1 : 2, sondern fast von 2 : 3 
stand ; dass es nicht durchgehends dreimal in den Kolumnen an- 
gesetzt werden darf, erhellt aus Kol. VUI, wo sicher höchstens zwei I 
gestanden haben. Welchen Anteil nehmen mm an der 15. Position 
AMN? Es fragt sich dafür zimächst, wie sich die Summen je nach 
der Besetzimg des 15. Platzes gestalten. Man erinnere sich, dass 
14Positionenmit2l-f 4(A4-M-4- N) = 2.10 + 4(30 4-40-f 50) = 500 
besetzt sind. Es ergeben sich, je nachdem an 15. Stelle steht : 

1:510 A:530 M : 540 N : 550. 

Anscheinend wäre jede Summe möglich; allein die beiden 
höchsten von ihnen, die dxirch die Besetzimg des 15. Platzes mit 
M und N hervorgebracht werden, sind in deutlich erkennbarer 
Weise vermieden. Die rechten Zahlenreihen in Kol. VUI IX lassen 
sich reconstruieren. VUI 14 hat nach dem schwachen Schriftrest W 
gestanden; damit haben wir erhalten 5 A 4 M 4 N und nur 1 I, 
also stand Vin 15 das zweite I ; also wegen der 5 A Summe 530. 
Für Kol. IX 15 ist bereits oben (S. 1 19) das I in der rechten Reihe 
gesichert; damit haben wir 3 I in der Kolumne; also Summe 510. — 
Auch die vorhergehende Kol. VII ist noch klar. Wir haben 
rechts 3 Felder Z. 13-15 zu besetzen. 2 I, 5 A, 3 N, 2 M liegen 
vor; also werden noch 1 N und 2 M gebraucht; damit ist die 
rechte Reihe 13-15 gefüllt: MNM. Wir erhalten wie in Kol. VIH 
wegen der 5 A die Summe 530. — Endlich Kol. 11. Hier ist rechts 
bis Z. 11 alles sicher; denn dass Z. 7 nur N und 11 nur M gestanden 
haben kann, ist unter dem 8. Pimkte (S. 131) gezeigt. Damit haben 
wir schon 4 M; ein weiteres M ist nicht wahrscheinlich. Die 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 133 

Schriftspur in der rechten Reihe n 15, ein Winkel '^, steht so in der 
Mitte, dass sie nicht von einem M herrühren kann : also A. Anderer- 
seits sind erst 2 N belegt; die beiden anderen zu fordernden N 
können nur Z. 12 und 14 eingenommen haben, da sie nicht auf 
einander folgen dürfen. So bleibt nur noch Z. 13 zu bestinmien. 
Hier ist N ausgeschlossen, M wohl möglich, aber nach der Ana- 
logie der übrigen Kolumnen I oder A anzusetzen; eine Ent- 
scheidung ist nicht möglich; aber möglich ist beides, da nur 
erst 2 I imd 4 A vorhanden sind. Also auch Kol. 11 kommt auf 
510 oder 530 aus. So sind wir im Stande von 3 (4?) Kolumnen zu 
zeigen, dass sich die Summen nicht über 530 erheben. Der Schluss 
wird berechtigt sein: die 15. Stelle ist entweder mit I oder mit A, 
nicht mit M oder N besetzt worden. Das stimmt zu der Gesamt- 
statistik, nach. welcher 24 A auf je 21 M 22 N kamen imd das Ver- 
hältnis der 14 I zu diesen Simonen annähernd das von 2:3 war, 
nicht von 1:2, wie es in der Verteilung 2 I imd 4 AMN sein 
würde. Die 15. Stelle bringt eben das Plus für I und A hervor. 
12) Der Zahlenkreis von 1 — 10, der in der linken Reihe vor- 
liegt, die Summen 10, 30, 50 der rechten Reihe gehören ganz 
dem Zahlenwesen an, von welchem die kleisthenische Verfassung 
beherrscht wird. Die Vierzigzahl macht davon eine scheinbare 
Ausnahme. Ich wüsste als CoUegium nur das der 40 biKacrral 
Kttiä br||iou^ zu nennen, welches jedoch erst nach 404 von 30 Mit- 
gliedern auf diese Zahl gebracht wurde. Die Zahl ist aber 
historisch in dem Staate wohl verständlich, der sich ursprünglich 
aus 4 Phylen zusammensetzte, einen Rath von 400 Mitgliedern 
gehabt hatte, bis in späte Zeit die vier Steuerklassen für die Be- 
amtenqualifikation festhielt, in dessen Kulten die Vierzahl noch 
tief wurzelte: ich denke an die panathenaeische Penteteris, die 
4 imiieXriTai tujv liuorripiujv (Aristot rp, Ath. 57, 1), die 4 iepoiroiol 
€1^ Tö TTi^^Hpa^ Upov in Aixone (CIA 11 581; Haussoullier Vie muni- 
cipale en Attique p. 139), an den in Attika weitverbreiteten 
Kult des Hermes, dessen heilige Zahl die Vier war und dessen 
,Hermen* Athen die TerpdTUJvo^ dpTaaia (Thuk. VI 27; Paus. IV 
33» 3) gegeben haben soll. Wo ich hier von sonderathenischen 
Verhältnissen spreche, will ich die Bedeutung der Vierzigzahl im 
antiken Leben überhaupt, die Hirzel (Berichte d. k, sächs, Ge- 
sellsch. d. Wiss. 1885, 1 ff.) in das rechte Licht gesetzt hat, nicht 
heranziehen; so viel ist doch klar, dass dem öffentlichen Leben, 
welches durch die Vierphylenverfassung hindiu'chgegangen war 



134 Bnmo Keü 



und unter einer ZefanphylenTerfassimg lebte^ die 4X10 eine ge- 
läufige Form sein musste. Anders steht es mit der Zwanzig. 
Ich kenne keine ursprüngliche Zwanzigerabteihmg oder -gKedenmg 
vor dem Jahre 357/6, wo nach dem Gesetze des Periandros zuerst 
die 2D trierarchischen Symmorieen auftreten, mit denen das CoUe- 
gium Ol €ixo<Ti in CIA, 11 804 Ah IX aus dem J. 334 3 zusammen- 
hängt. Die 20 (riTo<pOXax€^ ciq &axu <'Aristot. r/). Atk. 51, 3 < and 
hysterogen entwickelt und vielleicht noch jünger als jenes Jahr. 
In dem oligarchischen Verfassungsvorschlag der Vierhundert vom 
]. 41 1 findet man allerdings Kcei i\kryaTa\daq icoi tüjv oXXujv ooiurv 
Xpim^^ury ixKÜrzmy €iico(Tiv ol ^loxcipioucnv i Aristot. rp. Ath, 30, 2 >, aber 
dieses CoUegium wird, wie die zitierten Worte zeigen, aus zwei 
Zehnercollegien — den durch die Bundesverfassimg festgelegten 
10 Hellenotamieen und 10 weiteren athenischen Beamten — zu- 
sammengezogen. Ganz gleich steht es in zwei weiteren Fällen: 
in der athenischen Wehrmacht sind beim Beginne des peloponne- 
sischen Krieges vorhanden: vf\€q q;>poupib€^ ükoüv, dXXm bevfic^ oi 
Tou^ cppoupou^ (ifoucyai rou^ (irrö rou Kudiuou btcrxiXiouq dvbpaq f Ari- 
stot. rp. Ath. 24, 3;. Die Zahlen 20 und 2000 lösen sich einfach 
nacrh den 4 Phorosbezirken in 4 X 5 und 4 X 500 auf. Um zu dem 
panhellenischen Kongress des J. 456 einzuladen, dvbpcq eiKocn . . 
i1T4^<p6l^aav /;Plut. Per. 17;; die Erklärung folgt sogleich: drv Tievrc 
^^v *'liüva^ . . . Trap€KdXouv, rrdvTC b^ . . . kui Trdvre ... oi be XomoL 
Es sind als^> 4 Fünferkollegien. Die Zwanzig spielt im amtlichen 
athenischen Leben keine Rolle, die 10, 30, 50 die allerbedeutendste, 
und auch die 40 hat darin ihren Platz. Das K = 20 fehlt in 
unseren Zahlen, die 10, 30, 40, 50 sind vorhanden. Der Zusammen- 
hang springt in die Augen. Und jetzt gewinnen auch die Summen 
von 510 und 530 der rechten Zahlenreihen in den einzelnen Kolumnen 
Bedeutung: 500 Ratsherren sind es, 500 Richter stellen ein biKaorri- 
piov für öffentliche Klagen dar, 500 als Richter vereidigte Ekkle- 
.siasten bilden später ein NomothetencoUegium. 

Für die vorstehenden zwölf Beobachtimgen mit den aus 
ihnen sich ergebenden Konsequenzen suche und finde ich die 
gemein.same Erklärung durch folgende Erwägungen. 

In dem Wesen der athenischen Geschworenengerichtshöfe 
selbst, welche sich aus einer grossen Anzahl tiberwiegend minder- 
begüterter Mitglieder zusammensetzen, lag die Gefahr der Be- 
stechung begründet; ihr zu begegnen, hat man in Athen vielfach 
mit der Art der Bestellimg der Gerichtshöfe für die einzelnen 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 135 

Prozesse herumexperimentiert. Aus dem 4. Jhd. allein kennen wir 
drei verschiedene Modalitäten der Auslosung und Bestellung, die 
Teusch {de sortitione iudicum apud Athenienses, Diss. Goettingen 
1896) gut geschieden hat. Die erste tritt uns zu Anfang des Jahr- 
himderts in Aristophanes' Ekklesiazusen imd Plutos entgegen, 
die zweite, der Mitte des Jahrhunderts angehörig, ergiebt sich 
aus Demosthenes Tip. Boiiutöv tt. toö 6v6|iaTo^ (XXXIX), die dritte 
imd äusserst complicierte ist von Aristoteles am Schlüsse der 
TToX. 'A9nv. mit jener vielfach bestaimten Ausführlichkeit be- 
schrieben. Allen diesen Arten ist es gemeinsam, dass sie eine 
Einteilung der Gesamtmasse der Geschworenen in 10 Richter- 
abteilimgen voraussetzen, eine Einrichtung, welche für alle Folge- 
zeit in Gelttmg geblieben ist imd sich mindestens bis in die Zeit 
von Ciceros Studienaufenthalt in Athen gehalten hat. Denn die 
Zahl einer Richterabtheilung bedeutet bei Cic. pro Balbo 12, 30 
in dem Satze f/vidi egomet nonnullos imperitos homines, nostros 
cives, Athenis in numero iudicum atque Areopagitarum, certa 
tribUf certo numero^^ das letzte bisher nicht oder unrichtig ver- 
standene Wort; es sind die Zahlen der Richterabteilimgen gemeint, 
die zur Zeit der 10 Phylen von A— K, zur Zeit der 12 Phylen von 
A— M (A. Körte Athen. Mitt 1896 XXI 452) liefen. Dieser weit über 
drei Jahrhunderte festgehaltenen Gliederung der athenischen Ge- 
schworenenmasse steht die Einrichtung gegenüber, welche aus 
der Hephaestieninschrift {CIA. IV 1 p. 64) für die Zeit um 421/0 
(A. Wilhelm, Anseiger d. Wiener Akad. 1897 n. XXVI) folgt: 
damals giebt es die zehn Richterabteilungen in dem späteren 
Sinne noch nicht. Diese Verschiedenheit bildet nur eines der 
Elemente, welche die durch Zeugnisse und Indicien erwiesene 
starke Verschiedenheit des Gerichtswesens des 5. und des 4. Jhd. 
constituieren (Teusch cap. IV). Dass die Richterbestellung im 
5. Jhd. stabil war, wird niemand behaupten. Die Umgestaltxmg 
der Rechtssphaeren zu Gimsten der Geschworenengerichte von 
Ephialtes ab, die mit der wachsenden Ausdehnung des athe- 
nischen Reiches steigende Zahl der Prozesse, das successive 
Eindringen der Heliasten in die Ephetengerichtsbarkeit am Ende 
des Jahrhunderts, können nicht ohne Einfluss auf die äussere 
Organisation der RichtercoUegien geblieben sein. Thatsächlich 
lässt die vielleicht älteste erhaltene attische Prosaschrift, die alte 
TToX. 'AOnv. (3, 7) deutlich erkennen, dass zum mindesten Er- 
wägimgen über die zweckmässigste Bestellung der einzelnen Ge- 



136 Bruno KeU 



richtshöfe in weiteren Kreisen um 425 stattgefunden haben: <p4p€ 
bri, dXXä q>r\ae\ T\q XPHvai biKdZieiv jiev, iXdrrou^ bi biKdZieiv. dvoTKri 
Toivuv, iäv |i^v dXiYa ironövrai biKaorripia... öXiyoi iy ^Kdcrrui laoYrax 
Tijj biKaaTiipii|). uicrre Kai biaOKeudaaaGai j^qibiov larai irpö^ öXItou^ 
biKacTTd^ Kai ouvbeKdaai * f ttoXu fJTTOv biKaiuj^ biKdZieiv. In diesen 
Zusammenhang gehört unsere Inschrift. Sie gehört zu einem 
von privater Seite ausgehenden Vorschlage über die Bestellung 
der athenischen Gerichtshöfe. 

Die reale Voraussetzung für den Vorschlag ist eine doppelte : 
einmal das Bestehen von 10 Richterabteilungen — diese werden mit 
den Zahlen A— I der linken Reihe bezeichnet — und zweitens die 
Zahl von 501 Geschworenen als die Normalstärke eines gewöhn- 
lichen Gerichtshofes für öffentliche Klagen; hiemach sind die 
Gesamtsummen von 510 — 530 der rechten Zahlenreihen in den 
einzelnen, selbständigen Kolumnen reguliert. Die Idee, welche 
dem ganzen Vorschlage zu Grunde liegt und in der Tabelle ihren 
Ausdruck findet, ist diese. Jeder Gerichtshof setzt sich aus Ge- 
schworenen aller der 10 Richterklassen procentualiter gleich- 
massig zusammen, d. h. in einer der Stärke der Richterklassen 
entsprechenden Weise. Jede Kolumne entspricht einem biKaorrj- 
piov und giebt das Schema, wonach dieses zu constituieren ist, 
indem es vorschreibt, in welcher Reihenfolge aus den einzelnen 



* OUvbiKdaai die Hss., verbess. Schneider. Im übrigen gebe ich unter Andeutung 
der mir richtig erscheinenden Komipteldiagnose Kirchhoffs die schwer verdorbene 
Stelle nach der Ueberlieferung. Die neueste Behandlung der Worte durch E. Kaiinka 
( Wiener Stud. 1896 XVIII 82) kann ich nicht fiir glücklich halten. — Bemerkenswert ist 
OUvbcKdaai; das ist der offizielle Ausdruck, wie das Gesetz [Demosth.] XL VI 26 ^dv Ti^ 
ouviari^Tai ^ auvbexdZIi] Tf|v f^Xiaiav f\ tCuv biKaarripiuiv xi tuiv 'Aei'ivTiai kt4. lehrt ; 
ihn hat Aeschin. 1 86 auvb€Kd2Ieiv nP^v ^KKXrioiav ( ? ) Kai rdXXa biKaaifipia. Die attischen 
Redner haben sonst nur das Simplex b€Kd2l€iv (Lys. XXIX 12; Isokr. VIII 50. XVIU 11 ; 
Aeschin. I 87), ebenso die Atthis, aus der Aristot. rp. Ath, 27,5 (nebst seinen Abnehmern; 
Sandys z. d. St.). Dementsprechend nur bCKdJCciv die Atticisten, ihre Hilfsbücher 
(z.B. Tim. u. d.W.) und die Späteren alle, auch Plut. Galba 20 ; de cap. ex inim, ut. 1 1 (92 D). 
Weil man nur das Simplex in den Rednern fand, ^-urde nach Eratosthenes' Vorgang 
die AOkou b^Ka^ damit in Verbindung gebracht (die Belege bei Wachsmuth Stadt 
Athen II 374 ff.), die doch wohl nur die komische Bezeichnung der zehn Richter- 
abteilungen beim Lykos ist, während bCKdJIciv sich allein als Factitivum zum gemein- 
griechischen b^KO^al (att. b^xoMOiO erklären lässt. Poll. VI 152 mit dem singulären rd 
biKaaifipia auvbcKd^lujv wird direkt auf Demosth. a. a. O. zurückgehen; das ist 
dumm von ihm auch VIII 121 eingeschoben. Dass Plut. Per. 9 auvb€Kd(Ja^ aus 
Theopomp hat, der das Kompositum selbst aus älterer Quelle herübergenommen haben 
dürfte, darf man als sicher betrachten. — Diese Bemerkungen zeigen implicite, dass 
die Geschichte des Wortes bei W. Schmid Atticism. IV 641 unrichtig ist. 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 137 

Abteilungen Gruppen (Lose) von 10, 30, 40, 50 Geschworenen für den 
betreffenden Gerichtshof aus der Gesamtmasse der Richter, 
welche sich durch die mvctKia als anwesend gemeldet hatten, 
entnommen werden sollten. Also würden z. B. für den nach dem 
Schema Kol. VIII zu constituierenden Gerichtshof zuerst aus 
Abt. 6 ein Los von 30 (C A), dann aus 10 eines von 40 (I M), 
drittens aus 4 eines von 30 (A A) Richtern u. s. w. entnommen 
worden sein. Mithin hat die letzte der Möglichkeiten statt, welche 
oben (S. 129) für die Deutung des Nebeneinanders der beiden 
Zahlenreihen erörtert wurden: für x gilt y. Diese Stärke der 
öiKacTTripia ist nach dem Maximum der öffentlichen Klagen ange- 
setzt; natürlich war das Schema auch für die biKacnripia in Privat- 
prozessen mit 201 imd 401 Geschworenen zu verwenden: man 
ging in der Kolumne nur soweit, bis die Richterzahl voll war. 
Dass die einzelnen Richterabteilungen ebenso willkürlich durch- 
einandergewürfelt erscheinen wie die verschiedenen Lose lAMN, 
erklärt sich nun aus der Absicht des Urhebers der Tabelle, jegliche 
Berechnimg unmöglich zu machen. Beim Losen kann durch Zufall 
zweimal, ja dreimal die gleiche Richterabteilung hintereinander 
gezogen werden, ebenso auch die gleiche Loszahl; das ist hier in 
den einzelnen Kolumnen vermieden imd zwar, wie gezeigt (S. 131 f.), 
mit Absicht. Der Urheber des Schemas hat eben etwas wie 
ein korrigiertes Losverfahren geben wollen. — Der auf den 
ersten Blick befremdende Umstand, dass die Summen der rechten 
Reihen zwischen 510 und 530 schwanken, erklärt sich ebenfalls 
aus der vorgeschlagenen Deutxmg. Zu einem biKacnfipiov gehören 
501 Geschworene. Die überschiessenden 9—29 Gezogenen er- 
geben die Ersatzmänner teils für die Verhandlung in Krankheits- 
fällen, teils für den Wahlakt selbst, falls einer der früher Gezogenen 
beanstandet wurde. Um zu sehen, dass dieser Fall nicht selten 
gewesen sein kann, dazu braucht man sich nur zu erinnern, dass 
die Epitimie in mancherlei Hinsicht ganz oder teilweise bedroht 
war und besonders den Staatsschuldner Atimie traf, imter den 
Geschworenen aber notorisch das imbemittelte Element das Ueber- 
gewicht hatte. Es leuchtet ein, dass in einem für die Praxis be- 
stimmten Vorschlag über die Richterbestellung die Beanstandung 
einer Reihe von Geschworenen durch Ansetzimg eines Plus an 
Gezogenen vorgesehen sein musste. Auf die Frage, weshalb 
dann nicht die gleiche Anzahl für die Dikasterien in Anschlag ge- 
bracht sei, ergiebt sich die Antwort aus dem eben beobachteten 



138 Bruno Keil 



Prinzipe möglichster Abwechslung, welches die durch das Los 
geschaffene Realität nachahmen, ja überbieten will. 

Anlehnimg an die wirklich bestehenden athenischen Ver- 
hältnisse musste bei dem Vorschlage, falls dieser praktische Be- 
deutung gewinnen sollte, erstrebt werden und ist in der Sache 
für ims auch deutlich erkennbar. Darüber darf die dem attischen 
Gebrauche durchaus fremde Form, in welcher der Vorschlag 
gemacht wird, nicht täuschen. Ich denke dabei nicht blos an 
die alphabetischen Zahlen, sondern auch an die Durchzählung 
der Richterabteilimgen mit den Zahlen von A — I, während die 
offiziell athenische Bezeichnimg die Buchstaben A — K verwendete 
(Ypd|i|aa Aristoph. Plut, 277. 1167 u. ö.). Diese Differenz ist die 
einfache und notwendige Konsequenz der Verwendung der alpha- 
betischen Zahlen. Wer diese Zahlen, welche zugleich für Cardinalia 
wie Ordinalia galten, gebrauchte, konnte die unpraktische alte 
Buchstabenbezeichnung der Ordinalzahlen, welche zu dem akro- 
phonen, nur für Cardinalia bestimmten Systeme gehörte, nicht 
mehr verwenden, weil von Z ab die Werte in den Zählungen 
auseinandergehen. Die alphabetischen Zahlzeichen und die Buch- 
stabenzählimg der Ordinalia sind schlechthin incompatibel. Ein 
briiaapxiKn^ dEoucTia? tö L heisst nur trib. pot. VII, nie VI Wer also 
in der rechten Zahlenreihe die alphabetischen Ziffern verwendete, 
musste das gleiche in der linken thun. Dieser einen äusserlichen 
Abweichung von den realen athenischen Verhältnissen, stehen 
die mannigfachen sachlichen Uebereinstimmungen in der Zahl 
der Richterabteilungen, der Stärke der Gerichtshöfe, der Rück- 
sichtnahme auf die im athenischen Staatswesen üblichen (10 30 
[40] 50) oder ungebräuchlichen Zahlen (20) gegenüber, welche 
bereits erörtert sind. Ich glaube sogar noch weitere Anlehnung 
an bestehende Verhältnisse zu erkennen. Die Vermutung von 
Wilamowitz' {AristoU u. Athen I 201), dass die Richter im 5. Jhd. 
von den Demen präsentiert wurden, hat alle Wahrscheinlichkeit 
für sich. Die Richterabteilungen entsprachen also den Phylen; 
die Stärke der Abteilungen musste darnach eine verschiedene 
sein entsprechend der Stärke der Phylen. Diese Verhältnisse 
finden wir in unserer Inschrift wieder. Der Urheber der Tabelle 
hat auf die mit A — I angezeigten Kategorieen sehr verschiedene 
Summen bezogen ; ich ordne sie (vgl. o. S. 130) in steigender Linie : 
A rOHBE I CxA 
170 200 210 230 240 280 290 320 350 380 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 139 

■ ^ 1 ■ ■ IM ■■ 1 » ■■^^^■^^^■^^■■■^^— ^»^B^^— ^^■■■■■■■■■ I ■ M !■■ 

Natürlich ist bei diesem Bilde einige Entstellung durch die 
Zufälligkeit der Erhaltungsweise zuzugeben ; aber wir haben doch 
so viel Beurteilungsmaterial, dass ims ein Urteil über den mög- 
lichen Grad der Entstellimg zusteht, und darnach ist es geradezu 
ausgeschlossen, dass Differenzen wie 170 200 imd 350 380 
allein durch den verschiedenen Erhaltimgszustand hervorgerufen 
seien. Hier liegt also eine vom Urheber der Tabelle selbst beab- 
sichtigte Verschiedenheit vor. Sie erklärt sich aus meiner Auf- 
fassung der Inschrift: die Abteilimg A entsprach einer kleineren 
Phyle als die mit CIA bezeichneten. Dass der Rechner das 
wirkliche niunerische Verhältnis berücksichtigt hat, scheint mir 
kaum zweifelhaft, wenn anders die Tafel einen praktisch verwert- 
baren Vorschlag enthält. Welchen Phylen die Zahlen entsprechen 
sollten, lässt sich natürlich nicht sagen ; das aber ist sicher, dass 
sie der offiziellen Reihenfolge: Erechtheis, Aigeis, Pandionis u. s. w. 
nicht parallel laufen. Entspräche nämlich A der Erechtheis, so 
würde diese die geringste Zahl aufweisen, und doch gehörten zu 
ihr drei der allergrössten Demen, Lamptrai Kephisia Euonymon; 
andererseits würde der Leontis (= A) die höchste Zahl zukommen, 
und doch hat diese keinen so grossen Demos aufzuweisen, wie 
jene drei es sind; zu ihr gehören ein Teil des Kolonos, Simion 
und Leukonoe, sonst ganz unbedeutende Orte. Die Zuteilung der 
Nummern beruht auf der das Los ersetzen sollenden Willkür- 
lichkeit des Verfassers. — Auf die Wirklichkeit dürfte endlich 
auch die folgende Beobachtung hindeuten. Ich habe an anderer 
Stelle darauf hingewiesen, dass die 6000 Geschworenen des 5. Jhds. 
rund auch auf 12 biKacrrripia zu je 500 Richtern berechnet waren. Jede 
Kolumne des Steines entspricht nach meiner Auffassimg einem 
biKaOTripiov; 11 Kolumnen sind es ziun mindesten gewesen, wie 
oben (S. 120) gezeigt. Ich nehme an, dass es ursprünglich 12 waren. 
Dann erhalte ich folgende Zahlenverhältnisse. In jeder Koliunne 
finden sich 15 Positionen, zusammengefasst also 12 X 15 = 180. 
Von den 15 Positionen jeder Kolumne setzten sich, wie ebenfalls 
dargethan ist (S. 130 ff.), 14 zusammen aus 2 Losen zu 10 und 4 Losen 
zu je 30, 40, 50 Richtern ; die 15. Position verteilt sich gleichmässig auf 
Lose zu 10 imd 30 Richtern. Somit ergeben sich bei 12 Kolumnen 

Positionen 24 -f 6 zu 10 = 300 
48 + 6 „ 30 = 1620 
48 „ 40 = 1920 

48 „ 50 = 2400 

Positionen 180 mit 6240 Richtern 



140 Bruno Keil 



Wir haben also die 6000 Richter auf 12 Dikasterien verteilt; 
jedem Dikasterion ist ein Plus von 20 (rsp. 19) Mann als Ergänzung 
im Durchschnitt zugeschlagen: 12 =(500+20) = 6240. Die Zwanzig 
ist, wie in den einzelnen Positionen, so auch in den Gesamtsummen 
der Dikasterien durch alternieren von 30 und 10 vermieden. Die 
240 Richter über der Gesamtzahl von 6000 stehen natürlich nur 
in scheinbarem Widerspruch zu der Ueberlieferung. Es war ja 
in praxi vollkommen ausgeschlossen, dass gleichzeitig 12 öffentliche 
Prozesse zur Verhandlung kamen. Fand auch nur eine Privat- 
klage über ein Objekt bis 1000 Dr. statt, für welche nur 201 Richter 
gebraucht wurden, so waren für 1 1 öffentliche Klagen alle Richter 
und Ersatzmänner aus der Normalzahl zu bestellen. Die Tabelle 
ist also auf die 6000 athenischen Richter berechnet und schliesst 
sich dabei an die Praxis an. 

Dies zur Begründung und Vertheidigimg meiner Auffassung 
des Denkmals. Es erübrigt noch, den ganzen Hergang der Con- 
stituienmg der einzelnen Gerichtshöfe, wie ihn der Urheber der 
Inschrift sich gedacht haben dürfte, vorzuführen; natürlich muss 
dabei die Analogie des uns aus Aristoteles bekannten Verfahrens 
einige Farben abgeben. 

Die Geschworenen erscheinen am Morgen eines Gerichts- 
tages an dem Losungslokale. Dort werfen sie ihre mvdKia in 
die bereitstehenden Kißdjiia mit den gleichen Nummern. Wenn 
die Anwesenden sämtlich ihre Marken eingeworfen haben, lässt 
der betreffende Beamte die Kißdjna in das Amtslokal oder — im 
5. Jhd. — in den abgesteckten Raum hereinholen. Dann entnimmt 
er, wenn der Gerichtshof z. B. nach Kol. VIII bestellt werden soll, 
30 TTivdKia aus Kasten 6, bestimmt vielleicht die Besitzer der ersten 
10 davon zum Herausnehmen der mvdKia beim weiteren Verfahren 
— ich denke dabei an die Analogie der i^TrfjKTai aus der aristo- 
telischen Zeit — und lässt nun der Reihe nach 40, 30, 10, 30 u. s. w. 
aus den Kästen 10, 4, 2, 6 u. s. w. entnehmen. Sind für den Prozess 
nur 201 Richter nötig, so schliesst er mit der 7. Position ; es sind 
damit 230 Geschworene erlost; aus den 29 überzähligen bestellt 
er die Ersatzmänner oder ersetzt beanstandete Geschworene. 
Werden 401 Richter erfordert, so ist die 12. Position die letzte 
(430 Richter), für 501 Richter kommen sämtliche Positionen zur 
Ziehung. Die Namen der gezogenen werden etwa ausgerufen, 
wie es um die Mitte des 4. Jhds. geschah (Teusch p. 55. 56); die 
aufgerufenen begeben sich in das vorher irgendwie bestimmte 



Eine Zahlentafel von der athenischen Akropolis 141 

Gerichtslokal; zur Kontrolle werden eben dorthin die gezogenen 
TnvdKia, etwa von einem Beamten, gebracht. 

Es muss hier natürlich manche Frage bleiben; der Urheber 
des Vorschlages hatte das ganze Verfahren und die Tabelle 
zweifellos durch einen erläuternden Text verständlich gemacht. 
So weit sich sehen lässt, ist ihm in dem Vorstehenden nichts 
zugemutet worden, was am Ende des 5. Jhds. nicht hätte vor- 
geschlagen werden können. Die realen Verhältnisse dieser Zeit 
sind gewahrt; das vorgeschlagene Verfahren hält sich weit ent- 
fernt von der Kompliziertheit des Verfahrens der aristotelischen 
Zeit, und wenn es etwas künstlicher ist als der im Anfang des 
4. Jhds. wirklich eingeführte Bestellungsmodus, so ist das aus dem 
bekannten Konservativismus der athenischen Verwaltxmg ebenso 
begreiflich wie aus der Natur solcher Vorschläge selbst, die 
immer weit vorauszugreifen pflegen. Und radical ist sein Ur- 
heber gewesen; das spricht sich schon in dem Gebrauche der 
alphabetischen Zahlen aus. Im Mutterlande sind diese während 
des 5. Jhds. unerhört. Vom ionischen und ionisierten Kleinasien 
aus haben sie erst nach dieser Zeit Verbreitimg gefunden. Ein 
lonier hat die Tafel aufgestellt. Der Einfluss, den das früher ent- 
wickelte lonien auf das Athen des 5. Jhds. ausgeübt hat, ist gar 
nicht hoch genug einzuschätzen. Auf dem Gebiete der Philosophie, 
Wissenschaft, der redenden Künste ist er allgemein anerkannt; 
was er auf dem Gebiete der bildenden Kunst bedeutet haben 
muss, hat uns die Archaeologie in jüngster Zeit erst gelehrt. Auch 
in den praktischen Aufgaben, die das öffentliche Leben stellte, 
müssen die Athener imter dem Einflüsse der lonier gestanden 
haben ; diese besassen bereits die Erf ahnmgen einer früheren imd 
abgeschlossenen Entwicklimg im Staatsleben wie auf dem Ge- 
biete des Handels und Verkehrs, als Athen noch erst in voller Ent- 
wicklimg begriffen war. Wir wissen zu wenig von den älteren 
Einrichttmgen der ionischen Politieen, um die ionischen Spuren 
in dem Ausbau des staatlichen und praktischen athenischen 
Lebens verfolgen zu können. Athen wimmelte ja in der 2. Hälfte 
des 5. Jhds. von loniem; unter den obwaltenden politischen imd 
wirtschaftlichen Verhältnissen konnte es nicht anders sein. Die 
Athener haben sich dieser praktischen und erfindungsreichen 
lonier bedient. Den Mechaniker Artemon von Klazomenai hat 
Perikles bei der Belagerung von Samos zu Rat und Hilfe heran- 
gezogen ; Hippodamos von Milet hat den Stadtplan des Peiraieus 



142 Bruno Keil 



und dann den des neuen Thurioi entworfen. An den Fragen, die das 
öffentliche Leben stellte, beteiligten sich die lonier, so weit es 
ihre Stellung als Fremde zuliess. So hat derselbe Hippodamos 
als Privatmann (ttpuito^ tuiv |if| TroXiT€uo|i4va)v ivexeipncTc ti irepi iroXi- 
Tixaq eJTTeTv Tf\(; dpiOTTi^) in die zu Athen brennende Discussion über 
Staatsverfassimgen mit einem Vorschlage eingegriffen, dessen 
Grundzüge uns durch Aristoteles erhalten sind. Ausführlich ist 
er darin auch auf das Gerichtswesen und die Bestellung der Richter 
eingegangen (Aristot. pol. 1268^1 ff. b5ff.) unter Kritik von be- 
stehenden Gebräuchen. In diesen grösseren Zusammenhang der 
Dinge reiht sich unsere Inschrift ein. Zu der in Athen viel erörterten 
Frage über die Constituienmg der Gerichtshöfe hat der Verfasser, 
ein lonier, als Privatmann einen Vorschlag machen wollen, nicht halb- 
utopistischer Art, wie Hippodamos' Politeia, sondern im Zusammen- 
hange mit den bestehenden athenischen Verhältnissen und für sie 
bestimmt. Ob der Mann seinen Vorschlag im Einzelnen selbst 
ersonnen oder ob er an bestehende Verhältnisse seiner ionischen 
Vaterstadt anknüpfte — die ephesischen Gerichtsverhältnisse zeigen 
wenigstens in späterer Zeit sehr starke Analogieen zu den 
athenischen — , muss unentschieden bleiben. Er liess seinen Ent- 
wurf auf Stein graben, den Text des eigentlichen Vorschlages 
imd die nach ihm gearbeitete, zum praktischen Gebrauch be- 
stimmte Tabelle je auf gesonderter Platte. Alte griechische Sitte 
war es — imd daran hat sich für imsere Inschrift auch Koehler 
erinnert — , Neuerungen und Erfindungen an geheiligten oder 
vielbesuchten öffentlichen Orten auszustellen. So haben es in 
Athen Meton und der unbekannte Verfasser der vielbesprochenen 
Kurzschrift, deren Reste auf der Akropolis zu Tage gekommen 
sind (jetzt CIA. IV 2 p. 290 n. 4321), im 5. und 4. Jhd. gemacht, 
so Oinopides von Chios in Olympia, vielleicht Anaximandros in 
Sparta; so hat unser lonier seinen Vorschlag auf der athenischen 
Akropolis zu allgemeiner Kenntnis aufgestellt, wo dann die Frag- 
mente der einen der beiden Platten wieder gefunden worden sind. 



R. REITZENSTEIN 
SCEPIO AEMILIANUS UND DIE STOISCHE RHETORIK 

Die Existenz einer stoischen Rhetorik zu erweisen und ihre 
Einwirkungen auf die Entwicklung der xexvn wie der Sprache 
zu verfolgen, ist in neuster Zeit mehrfach versucht worden, zuletzt 
von mir selbt in den Nachträgen zu dem kleinen Buch M. Teren- 
tius Varro und Johannes Mauropus von Euchaita; ich setze der 
Kürze halber jene Ausführungen hier voraus; ich beschränke 
mich femer — abgesehen von einer Kleinigkeit, in der mein 
Freund und College Br. Keil und ich imabhängig von einander 
zusammengetroffen sind — auf das Lateinische imd auch hier 
nicht auf die Theorie, sondern auf die Beobachtung der Praxis. 

Nicht durch neue philosophische Gedanken, sondern dadurch, 
dass sie entschlossen die Erbschaft des aristotelischen Universalis- 
mus antrat, in alle Zweige der Wissenschaft eingriff imd für sie 
ein System zu schaffen wusste, hat die Stoa ihre Bedeutung für 
die Entwicklung des Menschengeistes. Wie weit imd wie tief ihre 
Wirlamgen reichen, könnte am besten eine Geschichte des re- 
ligiösen Empfindens im Altertum lehren; unberührt von ihr ist 
aber auch keine x^xvn geblieben, auch die Rhetorik nicht, über 
die schon ihre ersten Vertreter von Zeno bis Chrysipp in be- 
sonderen Schriften gehandelt haben. 

Einen starken Fortschritt brachte die mittlere Stoa; in 
Griechenland wie in Rom treten Redner auf, welche die Lehre 
der Stoa ins Praktische übertragen; Cicero muss sich mehrfach 
gegen sie wenden. Am ausführlichsten geschieht es im Brutus 116: 
habemus igitur in Stoicis oratoribus Rutilium, Scaurum in 
antiquis. utrumque tarnen laudemus, quoniam per illos ne haec 

quidem in civitate genera hac oratoria laude caruerunt 

tum Brutus: quam hoc idem in nostris contingere intellego 

quod in Graecis, ut omnesfere Stoici prudentissimi in disserendo 
sint et id arte faciant sintque architecti paene verborum, eidem 
traducti a disputando ad dicendum inopes reperiantur ; unum 



144 R- Reitzenstein 



excipio Catonem, in quo perfectissimo Stoico summam eloguen- 
tiam non desiderem, quam exiguam in Fannio, ne in Rutilio 
quidem magnam, in Tuberone nullant video fuisse^. Die Fort- 
setzung zeigt, dass die Einleitxmg zu den Paradoxa Stoicorum 
aus demselben Gedankenzusammenhang stammt. Hier wird im 
allgemeinen die Sprache der Stoa charakterisiert: nulluni sequitur 
florent orationis neque dilatat argumentum; minutis interro- 
gatiunculis quasi punctis giwd proposuit, efficit Hiermit berührt 
sich wieder eng de fin, IV 5 — 7 und auch hier wird — wieder 
ganz allgemein — die stoische Redeweise charakterisiert : pungunt 
quasi aculeis interrogatiunculis angustis, quibus etiam qui assen- 
tiuntur, nihil commutantur animo et idem abeunt, qui venerant. 
Man muss freilich alle drei zeitlich sich ja sehr nahestehenden 
Stellen in ihrem Zusammenhange lesen, um zu empfinden, dass 
sie eine Einheit bilden und sich gegenseitig ergänzen. Ihren 
Zweck lassen die Paradoxa am klarsten erkennen. Der Nutzen 
der e^aei?, welche der stoische Rhetor ja verächtlich zurückwies*, 
soll an den Hauptsätzen der Stoa erwiesen werden ; nicht gegen 
einen philosophischen, sondern gegen einen rhetorischen Gegner 
wendet sich Cicero. Auch in der geschichtlichen Darstellimg 
des Brutus richtet sich die Polemik in der ersten Hälfte vor- 
wiegend gegen die Stoiker, erst im zweiten Teil gegen die 
Atticisten*. Also gab es im Jahre 46 v. Chr. zu Rom einen stoischen 



* Hiemach ist bei der vorausgehenden Schilderung des Rutilius (114) zu beurteilen: 
prope perfectus in Stoicis, quorum peracutum et artis plenum orationis genus scis tarnen 
esse exile nee satis populari adsensioni accommodatum;{tTCitx I20: Stoicorum 
astrictior est oratio aliquantoque contractior, quam aures populi requirunt, 2.Vi den 
Charakteristiken der verschiedenen stoischen Redner giebt ein wirkliches Bild aus der 
Gegenwart offenbar die Züge: Sp. Mummius astrictior; fuit enim doctus ex disciplina 
Stoicorum (94) ; C. Fannius et moribus et ipso genere dicendi durior (lOO) ; Aelius Tubero . . 
ut vita sie oratione durus, incultus, horridus (117). Individuell wird das Urteil erst bei 
den leves oratiunculae des Aelius Stilo und zeigt die Abneigung gegen die ganze Art noch 
besonders gut. Ähnlich bezeichnet Marc Aurel (Fronto p. 34 Naber) die Reden Scipios 
als oratiunculae ; doch werde ich aus ihrer Kürze natürlich keinen Schluss auf die 
stilistische Richtung machen. 

' Vgl. Strabo XIII p. 609. Dass Cicero dabei die peripatetische 6^<n^ mehr 
rhetorisch umgestalten will, macht für die Tendenz des Ganzen wenig aus. Aus den 
Paradoxa erklärt sich zunächst der Abschnitt in de finibus. 

' Unter sich stehen beide Richtungen bei wichtigen Fragen des Stils im Gegen- 
satz, da die Stoiker die Bildung neuer Wörter gestatten und für den Fortschritt in der 
Sprachentwicklung eintreten, die Atticisten in der ^kKo^i^ övo^dTUlV nur das altbezeugte 
Wort gelten lassen. 



Scipio Aemilianus und die stoische Rhetorik 145 

Unterricht in der Rhetorik, zu dem selbst Cicero Stellung nehmen 
zu sollen glaubte. Das ist an sich nicht befremdlich. Von den 
wenig jüngeren Stoikern Areios Didymos und Theon wissen wir, 
dass sie irepi ßnTopiKn^ schrieben ; ersteren benutzt noch Quintilian 
und kennt eine Reihe jüngerer Stoiker, die nur von den „alten" 
den Vorwurf gelten lassen wollen, dass sie den Redeschmuck 
zu wenig beachtet hätten*. 

Die Tendenz des Brutus — wenn man solch missverstandenes 
imd missverständliches Wort überhaupt noch gebrauchen darf — 
erklärt mir auch die auffällige Thatsache, die hoffentlich mehr 
als einen Leser des Titels misstrauisch gestimmt hat, dass Cicero 
zwar bei fast allen MitgÜedem der Scipionenkreises das per- 
sönliche Verhältnis zu Panaitios hervorhebt, gerade bei der Be- 
sprechung des Scipio und Laelius aber davon schweigt. Überhaupt 
ist diese Besprechung sehr eigentümlich; man fühlt beständig 
durch, dass die Tradition diese Männer als unerreichte Muster 
der latinitas^ und als grosse Redner betrachtet (vgl. 83), und dass 
Cicero sich ihr nicht voll anschliesst und sich mit Absicht auf 
die eigene Lecture der Reden beruft. Streichen wir die durch 
den Zusammenhang geforderten Phrasen weg, so bleibt eine recht 
kühle Anerkennimg einer gewissen Eleganz des Ausdrucks und 
eines subtiliter disputare ad docendum, den Hauptton aber trägt 
doch das Geschichtchen des Rutilius, welches zeigen soll, wie 
weit auch Laelius hinter dem ciceronischen Ideal, das er mehr 
in Galba verkörpert sehen will, zurücksteht. Das Bild, das Cicero 
entwirft, passt zu dem der stoischen Redner; den Scipio direkt 
als solchen zu bezeichnen, musste er dennoch vermeiden. 

Etwas weiter zurück führt ims Philodem Trepi ßriTopiKfii;, der 
in dem von Sudhaus I 162—182 herausgegebenen Stück, gegen 
die Theorien einer Philosophen-Schule polemisiert ; nur Stoa und 
Peripatos können in Frage konunen. Das zeigt Col. XIV 19 
(S. 174), deren Ergänzung in der Hauptsache sicher steht: [ou |i]i^v 
iv olq irapacTTTdivTe^ Ivioi xdiv v4[iuv Tr|v Kpiajiv dTr[ö Tf\(;] (p\\oao(piaq 
o[{K€ia^] TTapaivdaei^, ttotc [bei] xpn^^öai |üi€Ta90pai^ f| dXXiiYopiai^, 
KaTaTpa9oucTiv. Drei Arten der Rede werden in der Haupttheorie 

* Quintilian X i, 84 vgl. XII 2, 25; vgl. Cicero äf Jin. IV 7. 

* An Porcius Licinus, der ja die Eleganz und Reinheit der terentianischen Sprache 
ganz aus des Dichters Verkehr mit Scipio ableiten will (dum Africani vocem divinam 
inhiat avidis auribus) und dem Cicero das Urteil über das latine loqui der einzelnen 
Mitglieder dieses Kreises zu verdanken scheint, brauche ich nur zu erinnern. 

10 



146 K.' Reitzenstein 



geschieden, der TrdvbTiiao? Xoto?, der iT»^aTa(TK€uo(; Xoto?, der 91X0- 
KaxctcTKeuoi; X6to(;. Zu jedem ifKajäüKevoc; Xoto? gehört notwendig 
die ^kXoyi^ 6vo|idTiuv; sie lehrt uns die [bucTKoXa dv iTpo]90p[qi] Kai 
KaK6pu[e|üia] Ka[i dfjiaexpa 6v6|iaTa meiden (Col. IIS. 162, vgl. HI 1); 
das Kriterium ist fjbovfj Kai dnbia Tf]<; äKof](; (vgl. II 7; 16 ff.); die 
genauen Parallelen bietet der sicher stoische Traktat bei Augustin 
de principiis dialecticae c.7K Weiter gehören zur Kaiacnceufi und 
besonders in den q)iXoKaTd(yK€uo? Xoto^ die drei eibri, nämlich Tpörro?, 
oxf]ixa imd TrXdaiia. Zum TpoTTo^ gehören die Figuren wie |i€Ta90pd, 
dXXnropia u. a. (III 18 ff. S. 164). Die Einteilung der fiexacpopai 
Col. XI 15—22 entspricht auf das genauste der in dem stoischen 
Traktat bei Varro de lingua tat. VIII 1—24 gegebenen.* Die 
Kritik erklärt diese begriffliche Scheidimg für ganz tiberflüssig 
und vermisst eine Lehre, wie man richtige Metaphern bilden 
solle. Die getadelte Schule gebe zwar eine Scheidung der Me- 
taphern in (TKXripai und Trpaeiai und nenne jene schlecht und diese 
gut — genau wie dies die Stoa bei den einzelnen Worten that — 
begründe dies aber wieder nur mit der allgemeinen Empfindimg, 
ohne zu sagen, wie die dpexrj xn? |a€Taq)opäg zu stände komme; 
die Beispiele für „harte** Metaphern werden den grossen Dichtern 
entnommen. Die dXXriTopia wird zerlegt in die Teile aiviTi^a, ira- 
poi|aia, eipujveia (die Kritik vermisst dcneicTiao^ und Ypi^oq). Der 
Hauptteil des axH^ci umfasst xö Trepiöboi? [K]ai kiuXoi[^] Kai KÖ|a[|i]a(Tiv 
KOI xai[^ xouxiujv [Tr]XoKai[?] Kai Troi6[xr|(yi] bia[Xa]|ißav[6|aevov], der 
des TrXdcT|üia endlich die verschiedenen Charaktere der Rede. Be- 
zeichnend ist die Hauptkritik (V 1 S. 166), irrig sei der Grund- 
gedanke KaXöv iE dvoTKn? [uttö] Trdvxojv u7ToXa|ißd|a[e(y6ai] xö xf|v 
7Tdvbim[ov X^Hiv] dKßeßr|KÖ? Kai xd TrX[dcT|aa]xa Kai xd (Txniaaxa [Kai 
xou?] xp67To[u]q dvx' ibiuj[xiKdiv]. Ich folgere aus der Beschreibimg 
der stoischen Rhetorik bei Diogenes Laertios VII 59 ff. ohne 
weiteres, dass nur diese hier gemeint sein kann. Aus Philodem, 
Diogenes Laertios und dem angeführten Kapitel Augustins müssen 
wir uns ein Bild der Theorie, aus Ciceros Äusserungen einen 
allgemeinen Eindruck von der Praxis dieser Rhetorik gewinnen, 
ehe wir den Scipionenkreis selbst betrachten. 

Einen Eindruck von den litterarischen Bestrebungen in ihm 
geben ims einmal die Fabeln über die Entstehung der Stücke des 

* Vgl. A/. Terentius Varro und Johannes v. Euchaita S. 70 flf. 

• Von der des Aristoteles weicht sie weit ab, wenn sie auch zweifellos, wie alle 
rhetorischen Lehren der Stoa, stark von ihm beeinfiusst ist. 



Scipio Aemilianus und die stoische Rhetorik 147 

Terenz, in denen die Nachahmung des feinen Gesprächstons der 
besten Kreise schon den Zeitgenossen aufgefallen war. Für 
diesen Ton gilt später Scipios Kreis als das Muster und die Quelle, 
litterarische Arbeit in ihm als das natürliche. Weiter führt Lucilius. 
Mit der Arbeit an der Sprache ist es ihm bitterer Ernst; sie 
nimmt schon in den Büchern, die noch der Zeit seines Verkehrs 
mit Scipio angehören oder nahe stehen, einen breiten Raum ein. 
Gegenüber der frischen Fülle imd natürlichen Kraft, welche die 
Sprache der Komödie in Naevius und Plautus, die der Tragödie 
in Ennius erlangt hat, hatten Pacuvius und Caecilius auf Gnmd 
einer griechischen Theorie das Haschen nach dem Kaivov imd 
dadurch Überladimg imd Manier eingeführt und eine Kunstsprache 
geschaffen, die in der Tragödie selbst Accius nur wenig herab- 
zudämpfen vermag, und die in der Komödie ihre Wirkung sogar 
bis zu Laberius herunter äussert. Hier setzt schon in den frühsten 
Büchern der Spott des Lucilius ein, den Birt* so wunderlich ver- 
kannt hat. Er verfährt dabei als TpctM^ctTiKÖg, oder besser als 
KpiTiKo^; er hat sich aufnotiert, si quod verbum inusitatum 
atit setematiutn offenderam. Aber auch in dem Kreise selbst 
wird über sprachliche Fragen gestritten, d. h. granunatisch ge- 
arbeitet, das zeigt das neckische Wort an Scipio quo facetior 
videare et scire plus quam ceteri, pertisum hominum, non per- 
taesum dices aeruntnae genus. Es ist dieselbe Abneigung gegen 
Pedanterie und Über-Eleg^inz, die sich wohl auch in dem berühmten 
Vorwort Persium non curo legere, Laelium Decumum volo 
äussert*. Die stoische Rhetorik hatte die Kunstmittel der Rede 
und die dpexai und KaKiai toö Xoyou am liebsten an Beispielen aus 
Homer und den grossen Tragikern erläutert ; sie hatte aber auch 
weiter über die für das kleinere oder grössere Gedicht passenden 

* Zwei politische Satiren des alten Rom Marburg 1888. 

* Man sollte die Bedeutung derartiger Differenzen freilich nicht übertreiben. 
Gewiss sind pertisum und reder guisse für uns Analogiebildungen und sind thatsächlich 
aus dem Bestreben der Angleichung entstanden. Analogist im antiken Sinne ist 
Scipio darum doch nicht, da der Streit ir€pl dvaXoYia^ sich nur um die Flexion 
bewegt (Varro de lingua lat. IX i, X 16). Gewiss hat femer Lucilius Regeln gegeben, 
sogar Regeln für die Flexion; Analogist ist er darum auch noch nicht; es ist der Stoa 
ja gar nicht eingefallen, die YpaMMOtTiKi'i aufzuheben; sie lehrt im Gegenteil 4XXTlVla^ö^ 
i(sx\ «ppdai? dbidiTTUJTo«; ^v tQ T€xviKf|Kal|Lif| elKaiqi auvrieciqi (Diog.La.VII 59), 
und der Kampf gegen die Sprachfehler liegt ja in den Traktaten irepl ßapßapla^oO 
auf der Hand. Genau so verkehrt ist es in der Rede nur den ^r^TOpiKol ao<piaTa(, 
wie sie Philodem nennt, planmässige Verwendung bestimmter Kunstmittel zuzuschreiben 
und für die Stoa die volle Willkür in Anspruch zu nehmen. 

10* 



148 R* Reitzenstein 



Sprachmittel Vorschriften gegeben. Beides überträgt Lucilius 
ins Lateinische. Zu den bekannten Versen 

nil comis tragici mutat Lucilius Acci, 

noH ridet Enni versus gravitate minores, 

cum de se loquitur non ut maiore reprensis? 
bemerkt bekanntlich Porphyrie: facit autem Lucilius hoc cum 
alias, tum vel maxime in tertio libro. meminit <fitiani> nono et 
decimo. Mag im dritten Buch die Kritik sich wieder mehr auf 
die Wahl des Wortes oder Bildes bezogen haben, das neunte bot, 
wie ich hoffe erwiesen zu haben, nichts anderes als ein Stück 
stoischer Rhetorik ins Latein übertragen. Die Tendenz bleibt bei 
Lucilius dieselbe, die sich uns zu Anfang zeigte. Der Tpct^^ctTiKog 
ist zugleich KpiriKog; noch in dem Buchtitel des Laelius 
Archelaus de vitiis virtutibusque poematorum erkennen wir den 
stoischen Geist der rexvTi, die Krates in Rom gegründet haben soll. 
Die hellenistische Verbindung von Poesie und Grammatik war hier 
frühzeitig gegeben; die Rhetorik musste sich, sobald das Interesse an 
der Litteratur in die höheren Stände drang, von selbst anschliessen. 

Die stilistischen Einflüsse der Stoa, das Achten auf die 
inXcTn övo^idTujv, ist in Rom älter und schwerlich an die per- 
sönlichen Einwirkungen eines Mannes geknüpft; es ist nur eine 
Formel antiker Litteraturhistorie, die auch wir leider zu oft über- 
nehmen, wenn Sueton das Erwachen grammatischer Studien mit 
der Anwesenheit des Krates in Rom verbindet. Gewirkt wird 
freilich auch er haben, und mehr als er sicher Polybios, der zwar 
nicht Stoiker, wohl aber entscheidend von dem Gedankenkreis der 
Stoa beeinflusst war und zu der professionellen Beredsamkeit 
seiner Zeit in fühlbarem Gegensatz stand. Zweifellos hat er am 
meisten dem Panaitios den Weg gebahnt, als dieser um 144 zuerst 
nach Rom kam und bald in ein näheres Verhältnis zu Scipio trat. 
Etwas früher oder in dieselbe Zeit fällt die erste datierbare Rede 
Scipios, die meisten anderen erheblich später. Auf sie könnte 
Panaitios auch direkt gewirkt haben; der Einfluss stoischer 
Lehren auf Scipio begann früher. Wir müssen versuchen, wie 
weit sich Übereinstimmungen nachweisen lassen. Dass sich 
in den Fragmenten ein bewusstes stilistisches Streben fühlbar 
macht, brauche ich dem, der sie ein paar mal mit Aufmerksamkeit 
gelesen hat, kaiun zu beweisen. Wir müssten es bei dem Manne, 
der allein klaren Verstand behielt unter all den huschenden 
Schatten, von vornherein annehmen. 



Scipio Aemilianus und die stoische Rhetorik 149 

Wenig ergiebt es, dass Cicero in der allgemeinen Charakte- 
ristfk an Scipio die gravitas (de orat. III 28) hervorhebt und den 
Laelius archaischer findet ; nicht viel mehr zunächst, dass Fannius 
imd ihm folgend Cicero die eipiuveia an Scipio so besonders betont. 
Wir müssen von der ältesten Erwähnung de orat. II 269 ausgehen : 

urbana etiavt dissintulatio est^ cum alia dictinttir ac sentias 

hoc in genere Fannius in annalibus suis Africanum hunc 
Aemilianum dicit fuisse <jegregiunty et eum Graeco verbo appellat 
eipujva; sed, uti ei ferunt, qui melius haec norunt, Socratem 
opinor in hac ironia dissimulantiaque longe lepore et humanitate 
Omnibus praestitisse, genus est perelegans et cum gravitate salsum 
cumque oratoriis actionibus tum urbanis sermonibus accommo- 
datum. et her etile omnia haec, quae a me defacetiis disputantur, 
non maiora forensium actionum quam omnium sermonum condi- 
menta sunt .... sie profecto se res habet, nullum ut sit vitae 
tempus, in quo non deceat leporem humanitatemque versari. 
Da hier Sokrates noch nicht von Fannius mit Scipio verglichen zu 
sein scheint, ist das Citat ^caß^. II 15: ita cum aliud diceret atque 
sentirety libenter uti solitus est ea dissimulatione, quam Graeci 
eipuiveiav vocant ; quam ait etiam in Africano fuisse Fannius, 
idque propterea vitiosum in illo non putandum, quod idem fuerit 
in Socrate (vgl. Brutus 299) schwerlich genau. Cicero wird nicht 
aus Fannius selbst schöpfen und an der späteren Stelle nach dem 
Gedächtnis eitleren. Ob Fannius an die Reden oder an die Ge- 
spräche Scipios dachte, muss ungewiss bleiben. Die ganze Notiz 
weist uns mehr auf die bewusste Nachahmung des sokratischen 
Idealbildes durch Scipio, die sich auch in der Lieblingslecture, 
den d7ro^vTmov€\j|iaTa Xenophons ausspricht. Erst wenn es mir 
gelingen sollte, die Ausgestaltung des sermo als rhetorische 
Forderung des Panaitios und den Zusammenhang der oratio und 
des sermo bei Scipio zu erw^eisen, wtlrde gerade diese Notiz 
eine hohe Bedeutung gewinnen, und wir würden daran erinnern 
dürfen, dass die stoische Rhetorik die eipiuveia als Teil der dXXriTopia 
und als Schmuck der Rede bezeichnet. Für jetzt vnrd es besser 
sein, Einzelheiten zu verfolgen. 

Die Vorliebe für kurze, einfache Sätze, Definitionen und 
Fragen hebt Cicero an der stoischen Beredsamkeit besonders 
hervor; sie tritt uns in den Fragmenten Scipios tun so auffallender 
entgegen, wenn wir etwa vorher längere Bruchstücke Catos ge- 
lesen haben. Man vergleiche etwa Gellius VI 11: Omnia mala 



150 R. Reitzenstein 



probra flagitidy qtiae homines faciimt, in duabtis rebus sunt, 
malitia atque nequitia, utrum defendis malitiant, an nequitiam, 
an utrumque simul? si nequitiam def ender e vis, licet, si tu in 
uno scorto maiorem pecuniam absuntpsisti, quam quanti omne 
instrumentum fundi Sabini in censum dedicavisti, si hoc ita 
est: qui spondet mille nummum? si tu plus tertia parte 
pecuniae paternae perdidisti atque absumpsisti in flagitiis, si 
hoc ita est: qui spondet mille nummum? Nonvis nequi- 
tiam? age malitiam sattem def ende, si tu verbis conceptis con- 
iuravisti sciens sciente animo tuo, si hoc ita est: qui spondet 
mille n u m m u m ? * Wie hier in der dreimaligen Wiederholung 
der Formel und in der dreimaligen doppelten Anaphora si tu und 
si hoc ein bewusstes Verwenden rhetorischer (TxnMctTa, die sich 
nach der stoischen Definition in der Gestaltung der Trepioboi und 
KiDXa äussern, so zeigt sich eine auffallend starke Verwendung 
dieser (Tx^mctia noch in andern Fragmenten. 

Zu dem Verse Vergils (Aen. IX 573) Ortygium Caeneus, 
victorem Caenea Turnus ^ Turnus It\n bemerkt bekanntlich Serv-ius: 
ut ait Lucilius, bonum Schema esty quotiens sensus variatur in 
iteratione verborum et in fine positum sequentis fit exordium, 
qui appellatur climax. Die also von der Stoa gebilligte, durch- 
aus nicht häufige Figur kehrt zweimal in den wenigen Frag- 
menten wieder*: vi atque <Jny gratis coactus cum illo sponsionem 
feciy facta sponsione ad iudicem adduxi, adductum primo coetu 
damnaviy damnatum ex voluntate dimisi. Beachtenswert ist der 
fast gleiche Umfang der einzelnen KiliXa und ihr gleichmässiger 
Bau. Noch deutlicher ist die Kunst in dem zweiten Beispiel:^ 
ex innocentia nascitur dignitas, ex dignitate honor, ex honore 
imperiuniy ex imperio libertas. Es führt uns zugleich einen 
Schritt weiter. 

Panaitios las und bewunderte die Reden des Demosthenes ; 
seinen Unterricht hat, wie Cicero ausdrücklich bezeugt, Fannius 
genossen. Gerade er bildet die Rhythmen des berühmten Anfangs 
des Demosthenes roTg Geoicj euxo|iai irctm Kai Jidarnq, in einer Rede 
nach 5/, Quirites, minas illius. Dass die stoische Rhetorik den 
Rhythmus beachtete, hat sich uns aus Augustin und Philodem 



* Vgl. Livius 39,43 in extrema oratione Catonls condicio Qttinctio fcrtur, ut si 
id factujfi ne^aret ceteraque quae obiecissct, sponsione defendiret sese. 

* Isidor bei Halm Khei. tat. min. 518, 3. 
' Ebenda 517, 26. 



Scipio Aemilianus und die stoische Rhetorik 151 

ergeben. Nirgends ist er, wie mir Br. Keil zeigt, so wie in der 
pathetischen Gnome am Platz, in welcher der Redner ja am 
meisten mit dem Dichter wetteifert. Wir müssen zerlegen : 
ex inno — centia — nascitur — dignitas 
ex digni — täte honor — ex hono — re imperium 
ex imperio libertas. 
Zwei Reihen von je einem Antibacchius und drei Cretici sondern 
sich von selbst ab ; der Bau ist, sobald man die kurzen Silben in 
Synaloephe spricht, wie dies ja notwendig ist, klar und einfach. 
Die abschliessende Reihe könnten wir als Paroemiacus fassen. 
Doch wird es besser sein, auf sie in anderem Zusammenhang 
ziulickzukommen. Dass das kretische und bacchiische Maass seit 
früher Zeit im Latein eine besondere Rolle spielten, hat Birt 
Archiv f. Lexikogr. XI 151 richtig betont*. Der Stoiker, der darauf 
achtet, was das Ohr seiner Hörer ohne weiteres erkennt und als 
beabsichtigt heraushört (vgl. Augustin de princ. dial. 7), kann 
natürlich im Lateinischen nur bestimmte Versmaasse brauchen. 
So glaube ich auch in dem zuerst citirten Fragment gewisse 
Spuren eines italischen Rhythmus zu finden. In dem dreimal 
wiederholten si hoc ita est: \ qui spondet mille nummum ent- 
spricht das zweite Glied, dem sich die Aufmerksamkeit natür- 
lich, weil es eine volle Klausel bildet, zunächst zulenkt, auffällig 
dem Schluss des Satumius. Gerade zu ihm steht der voraus- 
gehende Teil sciens sciente animo tuo rhythmisch in starkem 
Gegensatze, in dem ich etwas beabsichtigtes sehe. Dieselbe 
Klausel kehrt aber auch in dem grossen Fragment bei Macrobius 
Sat. III 14,7 mehrfach wieder: in ludum histrionnm — ducier 
voluerunt — nobiles docere — maxime misertumst — quisguam 
narrabat — saltare non posset. Hiermit ist m. E. zu vergleichen 
ex imperio libertas und aus den weiteren Fragmenten sponsionem 
feci — ad iudicem adduxi — coetu damnavi — suffragium ferre — 
censeri iuberi — necessus sit venire — dedicavisti — sattem de- 
fende — aliis per villam, ja vielleicht dürfte man auch die Stellen, 
in welchen diese Klausel nicht durch eine selbständige Wortgruppe 
gebildet wird, schon bei Scipio mit hinzunehmen. Dass diese 
Klauseln später als griechisch empfunden werden, darf m. E. 
nicht abhalten, die Anknüpfungspunkte aufzusuchen, die sich für 
ihre Verwendung im Volksempfinden boten. Ein römisches 



' Die Bevorzugung dieser Maasse in der Komoedie weist zwingend darauf. 



152 R. Reitzenstein 



Publicum dieser Zeit wird einen gewissen Rhythmus in dem ganzen 
Fragment herausgehört haben, das ich jetzt noch einmal biete: 

vi atque ingratis 

coacttis cum illo \ sponsionem feci, 

facta sponsione \ ad iudicem addtixi, 

adductum primo \ coetti damnavi, 

dawnatum ex vo | luntate dimisi. 

Was mich zu dieser Annahme führt, hat der Leser längst 
empfunden ; es ist der Rest alter lateinischer Kunstprosa, dessen 
Verständnis mir Norden Antike Kttnstprosa I 157 ff. erschlossen 
zu haben scheint, das Gebet bei Cato de agric. 141. Es sind 
Kleinigkeiten, die ich hinzufügen möchte. Am fühlbarsten ist der 
Rhythmus in dem eigentlichen Gebet 

titi tu morbos \ visos invisosque 

viduertatem \ vastittidinemque 

calamitates \ intemperiasque 

prohibessis defendas \ averruncesque; 

utique tu \fruges frumenta \ vineta virgultaque 

grandire beneque \ evenire siris 

pastores pecuaque \ salva servassis 

duisque bonam salntem \ valetudinemque 

mihi domo \familiaeque nostrae. 
Aber auch die Einleitung zeigt sich, besonders wenn wir die 
entsprechenden Formeln in Kap. 134 und 139 vergleichen, nicht 
vollkommen frei von stilistischer Ueberarbeitung. Statt des dort 
regelmässig wiederkehrenden bonas preces precor lesen wir hier 

Mars patdr \ tc precor quaesoque. 
Die Bitte lautet dort (134} uti sies volens propitius \ mihi liberis- 
que meis \ domo familiaequc meae (zwei mal) und (139) uti sies 
volens propitius mihi domo familiaeque meae liberisque meis, an 
unserer Stelle nur uti sies volens propitius 

mihi domo \ familiaeque nostrae^. 
Es ist m. W. die einzige Gebetsformel, für welche uns 
noch eine zweite Fassung vorliegt, vgl. Festus 210, 19 M.: 
Pesestasfinteraliaquesiinterprecationem dicuntur, cumfundus 
lustratur, significare videtur pestilentiam, ut intellegi ex ceteris 
possunt, cum dicitur: avertas morbum mortem \ labem nebulam 



* Nostrae ist Lesung von PAR, meae von u. Norden, der den Unterschied der 
Teile richtig erkannt hat, bevorzugt meae wohl mit Unrecht. Vgl. bei Scipio si hoc 
Hast, I qui spondet mille nummum. 



Scipio Aemilianus und die stoische Rhetorik 153 

impetiginem. Leider ist der Text nicht sicher herzustellen; die 
Herausgeber streichen in der Regel si, lesen inter alia quae und 
ändern possunt zu possit. Als Worte des Gebets würden sich uns 
dann ergeben avertas morbum mortem labem nebulam (?) impeti- 
ginem K^pesestatemy. Ich zweifle, da mir der Conjunctiv possit 
hier zwecklos, die Zufügung von inter alia gerade wegen des 
ex ceteris unpassend scheint. Denkbar wäre auch, dass in in- 
teralia eine archaische Volksbezeichnung einer Krankheit steckt ; 
dann wäre zum Schluss mehr verloren und etwa zu schreiben 
impetiginem <intertriginem pesestatem f interaliamquey. Auch 
nebulam scheint verdorben; pestilentia, impetigo, labes (vgl. 
Colum. VI 34) sind die bei Krankheiten der Heerde immer wieder- 
kehrenden Ausdrücke. Der von dem Grammatiker bewahrte Ab- 
schnitt des jedenfalls längeren Gebetes entspricht den Worten 
morbos visos invisosqtie . . prohibessis defendas averruncesque. 
Ich will gleich hinzufügen, dass mir eine Umschreibung der pro- 
saischen Krankheitsliste durch die tönende Formel visos invisos- 
que glaublicher scheint, als ein nachträgliches Einsetzen dieser 
Namen in ein altes Gebet. Wir sollten uns hüten, jede zufällig 
erhaltene Gebetsformel kurzer Hand in italische Urzeit herauf- 
zudatieren K Die stilistische Ueberarbeitung des bei Cato er- 
haltenen Gebetes macht es für uns doppelt wichtig ; sie lehrt uns 
zugleich das Fragment Scipios besser verstehen. 

Zu den Stellen, welche künstlerische Ausgestaltung der 
Rede verlangen, gehört auch die Charakteristik des Gegners. So 
tritt denn auch hier schon bei Scipio in fühlbarem Gegensatz zu 
der einfachen Erzählung oder Disputation der kunstvolle Bau der 
Periode und das oxt^iol der dva90pd ein (Gellius VI 12): nam qui 
cotidie unguentatus adversum specuhim ornetur, cuius supercilia 
radantur, qui barba vulsa feminibusque subvulsis ambulet, qui 
in conviviis adulescentulus cum amatore cum chiridota tunica 
interior accubuerit, qui non modo vinosus, sed virosus quoque 
Sit, eumne quisquam dubitet, quin idem fecerit, quod cinaedi 

* Anrufungen wie adesto, Tiberine \ cum tuis undis (Servius zur Aen. VIII 72) 
oder yuno Curiti \ tua curi clypeoque j tuere meos curiae vernulas in dein Gebet von 
Tibur (Servius zu Aen. I 17) machen keinen alten Eindruck, tua curi habe ich in der 
zweiten für iuo curru eingesetzt, trotzdem die Quelle des Servius sicher schon curru 
las; mit dem Wagen schirmt niemand; Lanze und Schild gehören zusammen; der 
Schluss ist so kaum haltbar, curiae aber nicht anzutasten. Es ist ein doppeltes etymo- 
logisches Spiel; die römische Einrichtung ist ins Sabiner-Land zurückgedichtet, die 
Sage von Titus Tatius wohl vorausgesetzt. 



154 R. Reitzenstein 



facere solent. * Interessant ist im Schluss das künstliche Vermeiden 
des direkten Schimpfes und des obscönen Wortes. Die ältere 
Stoa hatte, wie besonders Ciceros Brief an Paetus zeigt (ep. IX 22), 
hierfür kein Empfinden gehabt. Mit Recht hatte Panaitios darin 
einen Anklang an den C^^nismus gefunden und gelehrt (de offic, 
1128): nee vero audiendi sunt Cynici, aut si qui fuerunt Stoiei 
paene Cynici, qui reprehcndtmt et inrident, quod ea quae turpia 
non sint, nomtnibus ae verbis flagitiosa dicamus, illa autem quae 
turpia sint, nominibus appellemus suis, latrocinari fraudare 
adulterare re turpe est, sed dieitur non obseene, liberis dare 
Oper am re honestum est, nomine obscenum; pluraque in eam 
sententiam ab eisdem contra verecundiam disputantur. nos au- 
tem naturam sequamur et ab omni, quod abhorret ab ocu- 
lorum auriumque approbatione, fugiamus^. Eine weitere 
Ausführung dieser Lehre bietet Augustins siebentes Kapitel. Es 
ist die Lehre vom TTpeirov, die Panaitios hier ausführt; unmittel- 
bar daneben steht die Scheidung der beiden Arten der pulchri- 
tudo beim Mann und beim Weib, dignitas und venustas. Es folgen 
die allgemeinen V^orschriften für die Rede, die ich eigentlich ganz 
ausschreiben müsste, weil sie die ganze Beredsamkeit, ja noch 
mehr, selbst die Person Scipios erklären. Zwei Arten der Rede 
werden geschieden, deren einer, der Gerichts- und Staatsrede 
die content io^ deren anderer, der Unterhaltung im Freundeskreis 
und beim Gelage, der sermo eigentümlich ist. Für jene giebt es 
einen technischen Unterricht; alles ist ja voll von Rhetoren; für 
diese sollte es einen solchen geben, doch niemand will lernen. 
Für beide gilt die Forderung dass die vox deutlich imd wohl- 
lautend (dulcis) ist; hierzu gehört auch die reine Aussprache, 
durch die Catulus den Ruf der latinitas erlangt hat. Das Idealbild 
des sermo wird kurz gezeichnet (134) : sit ergo hie sermo, in quo 
Socratici maxime excellunt, lenis minimeque pertinax ; insit in 
CO lepos^. Die praecepta verborum sententiarumque gelten auch 
für ihn. Wieder bietet Augustin die Parallele. Das Gegenbild 

* Beachtenswert ist hier und sonst der unbefangene Gebrauch griechischer Lehn- 
wörter, den die spätere Zeit nur noch im Brief und Gespräch zulassen will. Die Parallele 
bietet Lucilius. 

* Damit kehrt Panaitios zu Aristoteles zurück, der bekanntlich Eth. Nicom, IV 14 
p, \\2%a 22 gerade bei der Besprechung des irp^irov sagt: iboi b'&v Ti<; Kttl ^K Tiöv 
KUDMUjbiiJÜv Tuiv TraXaiuiv xal tüöv xaiviöv * toT<; ih^v f «P ^v f ^Xoiov f| a(axpoXoTia, 
Toiq b^ ^öXXov f) uTTÖvoia. biaq)dp€i b* oO fiiKpöv raOra irpö^ eöaxilMoaövriv. 

' Vgl. mit dem ganzen Abschnitt das oben (S. 7) über die cipujvcia Gesagte. 



Scipio Aemilianus und die stoische Rhetorik 155 

bietet Cicero im Orator 70 ff.: sed est eloquent iae sicut reliquarum 
rerum fundamentum sapientia. ut enim in vita sie in oratione 
nihil est difficilius, quam quid deeeat videre, ttp^ttov appellant hoc 
Graecif nos dicamus sane decorum; de quo praeclare et 
multa praecipiuntur et res est cognitione dignissima ; huius 
ignoratione non modo in vita sed saepissime et in poematis 
et in oratione peccatur. est autem quid deeeat oratori vi- 

dendum non in sententiis solum, sed etiam in verbis 

itaque hunc locum longe et late patentem philosophi solent 
in officiis tractare . , . . grammatici in poetis, eloquentes 
in omni et genere et parte causarum. Es ist wohl klar, wie die 
Lehre vom ttp^ttov sich mit der Stilkritik der Stoa notwendig ver- 
binden musste. 

Mit der Scheidung, die Panaitios zwischen contentio und 
sermo macht, bringe ich nun auch eine ältere Angabe, die Cicero 
de orat. I 255 lediglich auf die Verwendung der Stimmmittel be- 
zieht, in Verbindung: multique orator es fuerunty ut illum Sei- 
pionem audimus et Laelium, qui omnia sermone conficerent paulo 
intentiore, nunquam, ut Ser. Galba, lateribus aut clamore conten- 
derent. Selbst wenn diese Angabe von Anfang an wirklich nur auf 
die Stimme ging, der Charakter der Fragmente und der Charakter 
der stoischen Rhetorik überhaupt entspricht ihr doch durchaus: 
lehrhaft und ruhig ist der Ton, einfach und knapp der Ausdruck ; 
nur an einer Stelle findet sich ein dreigliedriges Asyndeton, zwei- 
mal femer leichte Steigenmgen durch die Verbindung synonymer 
Wörter vi atque iin^gratis xmd perdidisti atque absumpsisti. Man 
muss die Bruchstücke Catos vergleichen, nicht nur die vielbespro- 
chene Stelle (Jordan S. 33) <sao> ego atque iam pridem cognovi at- 
que intellexi atque arbitror, auch beliebig herausgegriffene Sätze 
wie (S. 21) scio solere plerisque hominibus rebus secundis atque pro- 
lixis atque prosperis animum excellere atque superbiam atque f er o- 
dam augescere atque crescere oder (S. 36) censores qui posthac fient, 
formidulosius atque segnius atque timidius pro re publica niten- 
tur. Auch hierin sehe ich eine Einwirkung der stoischen Theorie. 

Welche Bedeutung es für Roms geistige Entwicklung und 
damit für die Kultur der alten Welt hatte, dass sich zum ersten 
Mal seit langem wieder ein festgeschlossener imd sich immer 
verjüngender Kreis geistig und gesellschaftlich hochstehender 
Männer der Schulung einer Philosopnie hingab, und zwar einer 
Philosophie, die alle Lebensäussenmgen, den Ernst wie die Traibid, 



156 R' Reitzenstein 



in ihre Betrachtung einschloss und überall ein bewusstes Aus- 
gestalten eines Menschheitsideals verlangte, beginnen wir all- 
mählich zu ahnen. Dass die Pflege der Sprache dabei eine so hohe 
Rolle spielte, ihre Ausbildung auch in der täglichen Rede als sitt- 
liche Pflicht dargestellt wurde, konnte für die Entwicklung des La- 
tein nicht ohne tiefgreifende Folgen sein. Sie im einzelnen festzu- 
stellen, wird freilich immer nur an Kleinigkeiten gelingen. Am ersten 
könnten wir sie vielleicht noch bei der inXcTi^ övo|idTujv verfolgen. 

Die Richtigkeit eines Wortes, das im Gebrauch ist, prüft der 
Stoiker bekanntlich an der Etymologie ; sie ergiebt die „natürliche'* 
Bedeutung, und in ihr das Wort zu gebrauchen, ist Pflicht. Jede 
kunstmässige Steigenmg des Ausdrucks und aller Schmuck der 
Rede darf nur eine bewusste Nachbildung der bei der Schöpfung der 
Sprache sich vollziehenden Vorgänge sein; in welchem Maasse 
Übertragungen eintreten dürfen, bestimmt die Stilkritik, die Lehre 
vom TTpeTTOv. Aehnliche Lehren hat aber auch die epikureische 
Schule angenommen S in Griechenland freilich nicht technisch aus- 
gebildet; auch Epikur lehrte: id övoiaaia iE dpxn^S ^^ Oeaei Tevd(T6ai, 
dXX' amäq läq (pvaexq tuiv dvOpiuTruuv Ka0' ?Ka(TTa iQvx] Xbxa naaxovcaq 
irdGri Kai Xbxa Xa|ißavou(Ta(S 9avTd(T|iaTa ibxvjq töv depa ^KTre^iTreiv oreXXo- 
\xevov 69' ^Kd(TTuuv tüjv TtaGuiv Kai tüjv 9avTa(T^dTuuv. In der Verwen- 
dung der Metaphern und des Redeschmuckes scheint der Epikureer 
sogar noch zurückhaltender und sorgfältiger gewesen zu sein, als 
der Stoiker; in der Gnmdf orderung der KupioXeEia traf er mit ihm zu- 
sammen. Hierzu tritt in Rom, wo alle Grammatik von der Stoa aus- 
gegangen war, der stille, aber um so nachdrücklichere Einfluss der 
Schule. Der Stoiker Aelius Stilo wie der Epikureer Aurelius Opilius 
und jedenfalls die Mehrzahl ihrer Fachgenossen wirkten in dem- 
selben Sinne. Wenn Catull in den kleinen Gedichten fast nur Kupia 
lm\ verwendet, wenn Lukrez trotz seines Wurzeins in Ennius doch 
nur wenig Metaphern übernimmt und beide den Wert jedes 
Wortes mit peinlichster Sorgfalt abmessen, so walten bei beiden 
dieselben Theorien. Aber auch in der Steigerung, welche Vergil 
und Horaz der Dichtersprache geben, fühlen wir noch oft beab- 
sichtigte Rücksichtnahme auf die Etymologie und werden mit ihr 
bei der Interpretation immer rechnen müssen. 

Wenn ich zum Beleg hierfür zum Schluss ein paar Verse 
des Lukrez herausgreife, so muss ich zunächst daran erinnern, 

' Die entscheidenden Stellen hat Heinzc zu Lukrez drittem Buch S. 67 und zu 
Horaz ars poet, loS zusammengetragen. 



Scipio Aemilianus und die stoische Rhetorik 



157 



dass die lateinische Etymologie wenn irgend möglich der grie- 
chischen angeglichen und nachgebildet wird, und dass wir aus der 
Übereinstinmiung eines lateinischen älteren Dichters mit einer 
griechischen Worterklärung in der Regel auf eine entsprechende 
lateinische Etymologie schliessen dürfen. 

Den Ausgangspunkt mag eine bekannte Varro-Stelle (de 
lingua lat. V 61) bilden, die ich gleich so schreibe, dass der 
Auszug aus Aelius Stilo und die eigenen Zusätze Varros hervor- 
treten : 

Igitur duplex causa nascendi 
ignis et aqua, 



ideo ea nuptiis in limine adhi- 
bentur<jetjugatinus advocaturYy 
quod coniungit hie. 



et mas ignis, quod ibi semen, 
aqua feminay quodfetus ab eins 
humore; et horum vinctionis 
vis Venus, hinc comicus „hui^, 
victrix VefU4s, videsne haec?'* 
non quod vincere velit Venus, 
sed Kquody vincire. ipsa Victoria 
ab eo, quod superati vinciuntur. 



utrique testis poesis, quod et 
Victoria et Venus dicitur caeli- 
gena; Tellus enim quod primo 
vincta Caelo, Victoria ex eo. 



ideo haec cum Corona et palma, 
quod Corona vinclum capitis et 
ipsa^ a vinctura dicitur ; 



<ja vinciendo etiam vietus; namy 
viere est vincire, a quo in Sota 
Enni<usy „ibant malaci viere 
Veneriam corollam.*^ 



palmam(habety, quod ex utraque 
parte natura vincta habet paria 
folia. — poetae de Caelo quod 
semen igfteum cecidisse dicunt 



* Beispielshalber ergänzt aus antiquit. rer. div. XIV 52 Agahd ^ Augustin de 
civ» dei VI 9: cum mas et femina coniunguntury adhibeiur deus Jugatinus, 

* comicos huic Cod., verb. v. Laetus und Lachmann. 
' ipsa nämlich Victoria, 

* Beispielsweise ergänzt aus Augustin de princ. dial, 6 = de /. tat fr. III Wilm.: 
hinc iam propter similitudinem vietum Terentius appellavit. 



158 R- Reitzenstein 



in mare ac natam e spumis Ve- 
nerem, coniunctione ignis et 
humoris <.seminay quam hahent 
vim significant esse Veneris^. a 
qua vi natis dicta vita, et illud 
a Lucilio „vis est vita, vides ; vis 
nos facere omnis cogitJ' 

Das Dichterwort hat Varro, wie öfters, verkürzt; in seiner ge- 
genwärtigen Gestalt passt es zu dem vorausgehenden Text in keiner 
Weise ; aber Lucilius hatte thatsächlich über die viSy quam habent 
seniina in coniunctione, gesprochen und davon vita abgeleitet; 
das zeigt Arnobius V 18: tunc sancta et ferventia numina vim 
vomuisse Lucilii ac regem Servium natum esse Romanum, Er 
fügte dann eine zweite Ableitung hinzu, deren griechisches Vor- 
bild ims bei Orion 31, 20 erhalten ist ßio<s eiptirai irapa Tf|v ßiav 
Kai Tf|v dvdTKTiv, olov tö |i€Td |i6x9ou tf\v^. Nun lehrt Aelius Stilo 
bei Augustin de princ. dial, 6, dass der Buchstabe v und besonders 
die Silbe vi einen kräftigen und gewaltsamen Eindruck mache ; daher 
sei vis benannt, und daher seien alle diese Ableitungen (vita, vivo 
Vinco) zu erklären. Hiervon scheint mir der Vers des Lucilius 
vis est vita, vides ; vis nos facere omnia cogit fühlbar beeinflusst. 
Sollte Lukrez ganz frei von solchen Gedanken sein, wenn 
er bei der ersten Verwendung der Phrase I 202 von den über- 
kräftigen Fabelwesen s^gt: pedibus qui pontum per vada possent 
transire et tnagnos manibus divellere montes multaque vivendo 
vltalia vincere saecla?^. Dasselbe Spiel mit denselben Worten 
kehrt ja I 72 wieder ergo vivida via animi pervicit (vgl. HI 29 den 
Verschluss tua vi). Femer bietet Lukrez selbst eine echt stoische 
Etymologie VI lAf):principio, quoAverna vocantur nomine, idab re 
impositumst, quia sunt avibus contraria cunctiSy leitet also Averna 
ab von avis imd arcere. Wir haben das Recht mehr zu suchen. 



* Ergänzt nach der gleich zu erwähnenden Amobius-Stelle. 

* So L. Spengcl signißcatttfs se ueris Cod. 

' Vollständiger geben das Etym, genuinum und das Orion-Excerpt Et. Gud, 613, 2 
die stoische Erklärung ß(o(; f| Ziu/), \ xal ßiuJTf| <Kal ßiOTi?|> TTpcaaTOpcöexai " irapd 
TÖ |ui€Td ß(a(; koI dvdTKri? <Kal olov nexd |liöx6ou> Zf^v. <^X€öe€poi T^p |iövoi ol 
e€o(>, dj^ q)Yiaiv*'0)Linpo?» o^ov „Geol {)€ia Cibovxc^." oöx oötiü^ ol dvOpujiroi. „üj^ T<ip 
dTTCKXibaavTo Geol beiXoiai ßpoxoiai, Ctp€iv dxvuin^vou^, aöxol hi x* dKrib^€(; €((j{v." 

* Auf das herrliche Wort perculsae cor da tua vi (I 13) darf ich beiläufig ver- 
weisen. Unter den einsilbigen W^orten, mit denen Lukrez den Vers schliesst, überwiegt 
vis weitaus; auch hierin möchte ich eine bestimmte Theorie imd Absicht sehen. 



Scipio Aemilianus und die stoische Rhetorik 159 

Den Monat April bringt die alte Etymologie entweder mit 
Aphrodite oder mit dem Wort aperio zusammen; für letzteres 
tritt Varro (?) bei Macrobius Sat. I 12, 14 ein: sed cum fere ante 
aeqtiinoctium vernum triste sit caelum et nubibus obductum, 
sed et mare navigantibus clausum, terrae etiam ipsae aiit aqua 
aut pruina aut nivibus contegantur eaque omnia vemo, id est 

hoc mense, aperiantur ab his ontnibus mensem Aprilem 

dici merito credendum est quasi aperilem. Sollte die Wahl der 
Worte bei Lukrez (I 10) nam simul ac species patefacta est 
verna dici et reserata viget genitabilis aura favoni ganz hiervon 
unbeeinflusst sein? Den licpv^oq erklärte der Stoiker, wie ich 
schon früher bemerkte, als 6 tö lf\v 9epu)v und leitete daher den 
favonius von fovere ab; er bringe das Leben. Danach formt 
Lukrez das Beiwort. Ganz ähnlich ist es, wenn besonders oft 
die Verbindung vis incita venti erscheint,* es ist offenbar stoische 
Ableitung ventus = vis incita entsprechend der griechischen 
dve^iog diTÖ Tou devai |i€vo^^; so tritt denn vis incita auch allein 
für ventus ein'. Wenn Lukrez femer IV 7 sagt artis religionunt 
animum nodis exsolvere pergo oder V 114 religione refrenatuSy 
so fühlt man die Einwirkimg der stoischen Etymologie. Auf 
frühere Ausführungen kann ich verweisen für III 1040 mcmores 
motus langucscere mentis^ vgl. Varro VI 49 cutn id, quod reniansit 
in mente, irursusy init, quod ^csty rursus movetur ; femer für VI 
1228 caeli templa tuere (vgl. 1275 aedituentes) ; endlich für III 152 
verum ubi vementi magis est commota metu mens (vgl. HI 141, VI 
1183), vgl. Varro VI 45 nietuo mentem quodammodo motam veKjur- 
batam significatX Aus der Etymologie bei Festus 92 fulmen a 
fluore flammae erklären sich mir die Bilder VI 173 volucri loca 
lumine tingunt; VI, 205 liquidi color aureus ignis; VI 210 
ignesque profundant. Selbst bei Beschreibungen wie der der 
Kraft des Windes I 271 ff. erinnert mich ausserordentlich viel 
an die griechischen Etymologien, die in kläglicher Verkürzung 
Johannes von Euchaita V. 80 — 84 bietet. 

Von hier aus lässt sich auch für die Interpretation oder 
Emendation einzelner Stellen etwas gev^innen. In der viel be- 
handelten Stelle I 120 



> Vgl. z. B. I 271 ; VI 295. 431 und öfter. 

• Johannes von Euchaita V. 43 dj^ ddvTiüv Of pöv f| Eripöv fuidvo^. 

» Vgl. VI 325 (vgl. 274) und 582. 



160 R. Reitzenstein 



ctsi praeterea tarnen esse Acherusia templa 
Ennius aeternis exponit versibus idem, 
quo neque permaneant animae neque corpora nostra, 
sed quaedam simulacra modis pallentia miris. 
werden Lachmanns Beispiele für das überlieferte permaneant 
schwerlich noch viele von dessen Möglichkeit überzeugen; mit 
leichter Änderung stellte Angelus Politianus her permanent; 
die Kritik, die in neuster Zeit wieder Brieger hieran übt (quis 
enim dixit corpus aliquo permanare?) ist mehr als imglücklich^ 
Neque animae neque corpora ist offenbar in derselben Fülle, 
wie im Griechischen so oft TroieTv Kai Xereiv gesagt ; der Ton liegt 
auf animae^ und simulacra; von letzteren sagt Lukrez selbst 
permanare IV 198 (vgl. auch VI 952, 991, 916 u. öfter); von der 
anima gebraucht es Lukrez EI 698 quod si forte putas ex- 
trinsecus insinuatam permanare aniinam nobis per membra 
solere (vgl. III 706), und von ihr, oder vielmehr von den gradus 
animae, gebraucht es für das griechische bir|K€iv Varro antiquit. 
rer. divin. X VI fr. 4 Agahd = Augustin de civ, dei VII 23 bestän- 
dig abwechselnd mit pervenire: hanc vim in nostro corpore 
permanare dicit in ossa ungues capillos — hanc vim per- 
venire in oculos aures nares os tactum — quo non permanat 



* Das ist ja die Volksmeinung, die Lukrez immer bekämpft, vgl. IV 37 ne fortt 
an'imas Acherunte reamur effugere aui umbras inter vivos volitare, VI 763 post hinc 
animas Acheruntis in oras ducere forte deos Manis inferne reamur. Uebrigens bietet 
letztere Stelle eine wundervolle Parallele zu III ^\ et quocumque tarnen miseri vener e- 
parentant ei nigras mactant pecudes et manibtis divis inferias mittunt imd hätte Heinze 
davor bewahren müssen, die schon von Munro gewonnene richtige Deutung in seinem 
schönen Commentar wieder aufzugeben und blosse Inconsequenz da zu finden, wo die 
ärgste Todesangst angedeutet werden soll. Dass die manes der Familie, die dei parentes^ 
die Lebenden nachholen, lässt sich ja auch aus den Inschriften der Kaiserzeit, aus einzelnen 
Erzählungen Ovids und seiner Schilderung der Todttnftste (mattes exite paternij leicht 
als Volksanschauung erweisen, und selbst die Begräbnissordnung, in der die intagines der 
Bahre voranziehen, hat hiervon die Spuren erhallen. Die im Brief der Cornelia erwähnte 
Fürbitte ist die in den Inschriften so oft wiederkehrende Fürbitte der Toten bei dem Todes- 
gott, die laudatio funebris die Consecration und Besänftigung des deus parens. So nahe, 
dass man ihn als Schutzgott des Hauses empfunden hätte, bleibt er nie, und die lares sind 
alles andere nur nicht Ahnengeister. So fällt bei dem quocumque tarnen miseri der Toa 
auf die letzten beiden Worte (filium quem tarnen unum)\ auch im fernsten, ödesten 
Lande, im Elend, zittern sie trotzdem noch um ihr Leben; dass die parentatio in der 
Regel nur in der Heimat stattfindet, hat der Dichter kaum betonen wollen. Doch all 
dies verdient eine. besondere Behandlung; sind doch derartige religiöse Grundanschau- 
ungen wichtiger als einzelne mythologische Kleinkrämereien. 



Scipio Aemilianus imd die stoische Rhetorik 161 

sensus — aethera porro animum eius, ctiius vim, quae pervenit 
in astra, ea quoque facere deos, et per ea quod in terrant per- 
manat, deam Tellur ent; quod autem inde permanat in ntare 
atque oceanum, deum esse Neptunum. Allein Lukrez hat für die 
Wahl des Wortes permanare hier noch einen besonderen Grund. 
Man vgl. Festus 157 Manes diab auguribus invocantur, quod hi per 
omnia aetheria terrenaque manare credantur und 138 Manalem 
lapidem putabant esse ostium Orci, per quod animae inferorum 
ad superos manarent; qui dicuntur manes (vgl. Lukrez VI 762). 
So bieten nach der leichten Besserung des Politianus die Worte, 
von denen ich ausging, den Sinn, dass Ennius die manes weder 
als animae noch corpora, sondern als eibiuXa Ka|i6vTU)v gefasst 
habe. 

Doch wir dürfen weiter gehen; bei der gewaltigen Schil- 
derung der religio empfand die Quelle des Servius (zu Aen. 
Vni 187) in den Worten horribili super aspectu mortalibus 
inst ans eine Anspielung auf die Etymologie von super stitio. 
Lachmann, der in diesen Dingen noch modern empfinden 
musste, schilt das thöricht. Für den Leser der Zeit, dem die 
öp06TTi(5 des övo|Lia Kupiov wie der |Li€Ta90pd und eiKubv auf der 
Etymologie beruht, ist es das nicht, imd ich zweifle nicht, dass 
das grossartige Bild von dieser Wortableitung beeinflusst ist. 
Und weiter der Hymnus selbst: ich ftlrchte, es wird vielen als 
Lästerung erscheinen, wenn ich ihn mit der Etymologie verbinde 
quae autem dea ad res omnes veniret, Venerem nostri 
nominaverunt, atque ex ea potius venustaSy quam Venus ex 
venustate (Cic. de deor. nat. TL 69, vgl. III 62 Venus, quia venit ad 
omnia), imd doch würde antikes Denken hieran nichts Anstössiges 
finden. 

Es sind wenige, einzelne Züge nur aus einem Dichter be- 
liebig herausgegriffen, die ich hier erwähnen konnte und wollte. 
Ihren Zweck hätten sie erfüllt, wenn sie einen Eindruck davon 
erweckten, dass man zur Interpretation eines Schriftstellers 
wenigstens hinzuziehen darf, was wir von dem Schulunterricht 
und den allgemeinen Anschauungen seiner Zeit sonst wissen. 
Gewiss ist es nur eine Kleinigkeit, die wir damit für unsere 
Kenntnis der Einwirkung der Stoa auf die Sprachentwicklung 
gewinnen, aber ftlr den Indicienbeweis, auf den wir in der Ge- 
schichte der römischen Litteratur leider meist angewiesen sind, 
müssen auch Kleinigkeiten Berücksichtigung finden. Grössere 

II 



162 R- Reitzenstein, Scipio Aemilianus und die stoische Rhetorik 

Resultate wird leicht erzielen, wer dereinst einmal die metrischen 
Theorien der Stoa in ihrem Zusammenhang imd in ihrer Wirkimg 
betrachtet. Allmählig beginnt ja auch die Geschichte der latei- 
nischen Litteratur über das blosse Sammeln imd rastlose Er- 
örtern auch der gleichgiltigsten Angaben der ßioi herauszuwachsen. 
Eine volle Darstellung der Entwicklung imd der in ihr wirkenden 
Kräfte wird freilich imserer Generation wohl kaiun beschieden 
sein; es wäre schon viel, wenn wir hierbei dereinst von ims das 
sagen könnten, was ich an diesem kurzen Beitrag zu ent- 
schuldigen bitte : 

TÖ |bi^v TTÖpepTOv ?pTOV öjq TTOioii^eOa 

TÖ b*?pYOV ibg TTctpepTOv iK7TOVOii|bie6a. 



1 

> 



I 

f 



I 



WILHELM SPIEGELBERG 
DER NAME DES PHOENIX 

Wir wissen heute, dass der von den Griechen <t>oiviH genannte 
Vogel der dem Sonnengotte Re heilige -ßewww-vogel istS welcher 
in dem grossen Sonnentempel zu Heliopolis verehrt wurde. Neuer- 
dings ist freilich diese Identität von Maspero" deshalb bezweifelt 
worden, weil bei Herodot (11/73) der Phoenix als ein Adler 
geschildert sei, während die Monumente • den Bennu zweifellos 
als eine Reiherart erscheinen lassen. Das ist gewiss richtig, aber 
trotzdem ist der Zweifel imgerechtfertigt. Denn da die klassischen 
Autoren* übereinstimmend versichern, dass der Phoenix in dem 
Tempel des Sonnengottes zu Heliopolis verehrt wurde, imd die 
aegyptischen Texte uns ebenso sicher darthim, dass an derselben 
Stätte der Bennu verehrt wurde, so ist an der Identität von Bennu 
imd Phoenix nicht zu zweifeln. Wir müssen daher annehmen, dass 
Herodots Schilderung des Phoenix, den er ja nach eigenem 
Geständnis* niu- dargestellt gesehen hat, auf einem Irrtiun beruht, 
also ebenso zu beiuteilen ist, wie die verfehlte Schilderung des 
Nilpferdes in cap. 71. 

Es bleibt demnach nur die Frage zu beantworten, wie die 
Griechen dazu kamen, den aegyptischen Namen Bennu dtu-ch 
<t>oivi£ wiederzugeben. Ausgeschlossen ist dabei von vornherein 
einmal die lautliche Wiedergabe von bennu dtu-ch <t>oTviE imd 
sodann eine sachliche Beziehimg zwischen der Dattelpalme imd 
dem heiligen Vogel, wie sie z. B. Plinius (Nat. bist. 13/4) annimmt. 



^ Die älteren Anschauangen über den Vogel, über welche man sich in Lepsius' 
Chronologie S. 183 orientieren kann, sind heute allgemein aufgegeben worden. Vgl. 
namentlich Wiedemann: „Aeg. Zeitschrift" 1878 S. 8ifF. 

* Histoire des peuples de l'Orient classique I S. 136 A. 
' Totenbuch des Ani. Tafel 7. Lepsius : Denkm. III 172. 

* S. Wiedemann: Herodots zweites Buch S. 312. 

* ^Tiii M^v |iiv oÖK elbov €( ^xfj öaov Tpa<pQ- 

II* 



\ 



164 Wilhelm Spiegelberg 



Der Zusammenhang ist ein ganz anderer. 

Der Name des heiligen Vogels lautet im Aegyptischen, 
welches rein konsonantisch schreibt, bnnwy dessen Vokalisation 
wir uns anderweitig erschliessen können. — In der Nähe von 
Diospolis parva (heut. Höu)y wo auch der Bennu-vogel als „Seele 
des Osiris" verehrt wurde, befindet sich eine Nilinsel, welche die 
koptischen Verzeichnisse TabnnhC€: TAB€NNeci nennen*. Brugsch 
hat nun (a. O.) richtig gesehen, dass in dieser geograph. Be- 
zeichnimg der Ortsname TaßdvvTi" mit griech. -vficTo^ steckt '. Die 
Insel hiess also „die des Bennu^^ mit dem zu ergänzenden Wort 
für Insel (MOYI), welches im Aegyptischen weibüch ist. Ur- 
sprünglich lautete daher das in Frage stehende aegyptische Wort 
b^n-n^Wy zeigt folglich eine Nominalbildimg wie h^lp^^ ,^Nabel". 
Das auslautende w der Nebensilbe fiel ab wie z. B. in KAK6 (aus 
J^Ji^w) und die beiden durch keinen Vokal getrennten n wurden 
naturgemäss in der Aussprache zu einem. So ergab sich für die 
Zeit des Herodot die Aussprache b^n^y welche vortrefflich zu 
der demotischen Schreibung bne im Pap. Rhind ^/,o stimmt. 

Der Name der Dattelpalme (<t>oTviH) zeigt im Aegyptischen 
den Stanmi bnr (j), mit dem dritten Radikal r, dessen Mouillierung 
(j) schon in den ältesten Texten nachweisbar ist^ Mit der Mas- 
kulinendung w bedeutet dieser Stamm den Palm bäum, während 
die weibliche Endung / die Dattelfrucht bezeichnet. Im Kop- 
tischen sind beide Wörter zu BNN6 : B6NI geworden, wodurch 
wir erfahren, dass die Dattelpalme b^nfw^ die Dattel b^n-ßt 
lautete. Aus beiden Formen ist ganz regelrecht b^n^ geworden, 
indem in der Maskulinform das j und w der Nebensilbe, in der 
Femininform mit dem j auch die Femininendung / abgefallen ist. 

Daraus ergiebt sich, dass die ursprünglich ganz verschie- 
denen Wörter b^nn^w (heiliger Vogel) und b^nfw „Dattelpalme" 

* Brugsch: Dict. g^ogr. S. 192 und Dümichen : Geographie Aegyptens S. 142. 

* Taß^vvTi hiess wohl ursprünglich der am östl. Nilufer (südl. v. Fftu) gelegene 
Ort, während Taß^vvri vf^aoq die gegenüberliegende Insel bezeichnete. Später sind 
die beiden Namen anscheinend promiscue gebraucht worden. Denn so scheinen mir die 
Widersprüche, dass T. bald als Insel, bald als Ortschaft genannt wird, die einfachste 
Lösung zu finden. 

' Die Ausführungen Amelineaus (La Geographie de l'^gypte ä l'^poque copte 
S. 169 ff.) können die obige Etymologie nicht erschüttern. Die von A. gebilligte, zuerst 
von Champollion gegebene Erklärung „Palmiers d'Isis" trägt dem Possessivartikel TA 
— keine Rechnung. 

* Sethe: Verbum I S. 142. 



Der Name des Phoenix 165 



(<t>oTviH) später — und zwar sicher schon zur Zeit des Herodot 
— völlig gleich }/n^^ lauteten. Der Grieche, welcher sich also 
nach dem Namen des zu Heliopolis verehrten jB^w^-vogels er- 
kundigte, wird auf die Frage, was denn b^n^ sei, die Antwort 
erhalten haben, das Wort bedeute <t>oiviH. Und so ist der sagen- 
umwobene heilige Vogel des aegyptischen Sonnengottes durch 
einen Irrtum zu dem ims geläufigen Namen gekommen. 



^ Dabei ist es von Interesse, dass in der Ptolemäerzeit auch hieroglyphisch das 
Wort für Dattelpalme dieselbe Orthographie zeigt wie der Vogel Phoenix. 



ADOLF KRAZER 
DIE REDUZIERBARKEIT ABEL'SCHER INTEGRALE 

Legendre (Trait^ des fonct. ellipt. 3"« suppl. 1832) hat 

gezeigt, dass das zum Geschlecht /> = 2 gehörige hjrperelliptische 

Integral : 

dx 



f^ 



yx (1— ;c») (1— *»;c'') 

durch die Substitution: 

l + kx' 

—^ — y 

in die Summe zweier elliptischer Integrale übergeht. Diese Be- 
merkung hat die Anregung gegeben zu der seitdem in zahlreichen 
Arbeiten behandelten Frage nach den Bedingungen der Reduzier- 
barkeit hyperelliptischer Integrale auf elliptische oder, allgemeiner, 
zirni Geschlecht p gehöriger Aberscher Integrale auf Integrale 
niedrigeren Geschlechts. Nachdem diese Untersuchungen in neuerer 
Zeit durch Abhandlimgen von Picard und Poincar^ zu einem 
gewissen Abschlüsse gebracht sind, dürfte es zweckmässig sein, 
die allgemeinen Sätze, welche sich ergeben haben, im Zusammen- 
hange darzustellen. 

§ 1. 
Die Reduktion Aberscher Integrale auf elliptische. 

Gegeben sei ein Abersches Integral erster Gattung * : 



(1) u=- F(x,y)dx, 



"=/ 



^ Man kann das Problem der Reduktion Aberscher Integrale auf elliptische mit 
Hülfe eines im wesentlichen auf Abel (Pr^cis d'une th^orie des fonct. ellipt. 1829) 
zurückgehenden Satzes, den Königsberger (J. für Math. Bd. 85. 1878, p. 273, Bd. 86. 
1879, pag. 317, Math. Ann. Bd. 15, 1879 pag. 174, J. für Math. Bd. 89. 1880, pag. 89 und 
Allg. Unters, aus der Th. der Differentialgleichungen. Lpz. 1882) wiederholt eingehend 
erörtert und bewiesen hat, thatsächlich auf die Integrale erster Gattung beschränken, 
da nach diesem Satze immer, wenn unter den Integralen einer Klasse sich solche 
finden, die auf elliptische Integrale reduzierbar sind, diese Reduktion auch für ein 
Integral erster Gattung der Klasse stattfindet. 



168 Adolf Krazer 



welches durch die Substitution: 

(2) l = <i>{x,y), CT = j/E (i-E) (i_r«E) = V (x, y), 

wo <t> (Xj y) und V (x, >') rationale Fimktionen von x und jy be- 
zeichnen, auf das elliptische Integral : 

'dl 



(3) 



!■ 



reduziert werde. Da die 2p Periodizitätsmodulen des Integrals 
(1) geschlossene Integrale in der Riemann'schen Fläche {x,y) 
sind, ihnen also auch gemäss der Substitution (2) geschlossene 
Integrale in der Fläche (E, er) entsprechen, so setzen sich die 2p 
Periodizitätsmodulen uja (a= 1, 2, .., 2p) des Integrals (1) aus 
den zwei Periodizitätsmodulen Uj, Uj des Integrals (3) zusammen 
in der Form : 

(4) uJa = Wai u, + ;;/as"s» (a=l, 2, .., 2p) 
wobei die m ganze Zahlen bezeichnen. 

Dieser Satz gilt auch imigekehrt. Setzen sich nämlich die 
2p Periodizitätsmodulen uja (a = 1, 2, . ., 2/>) eines Integrals (1) 
aus zwei Grössen Uj, Ug zusammen in der Form (4), so ist dieses 
Integral auf ein elliptisches reduzierbar. Zunächst hat man zu 
zeigen, dass die beiden Grössen u,, Uj, welche in den Gleichimgen 
(4) auftreten, stets als Perioden einer doppelt periodischen Funktion 
genommen werden können, wozu notwendig und hinreichend ist, 
dass, wenn p,, pj ihre reellen, a^t\ a^i ihre lateralen Teile be- 
zeichnen : 

(5) p, CTj — pa CTi ^ O 

ist Bezeichnet man aber den reellen Teil von uja mit r|a» den 
lateralen mit la /, so ist bekanntlich: 

imd da auf Grund von (4) : 

(7) na=Wa,Pi + Wa2pa, 2:a = W/ai CTj + Waa CT, (a=l,2,.., 2/)) 

also: 

= (p, CTa — pa CT,) I (w/^ , nip + n, 9 — Wl^, 4. ^, , VI ^j) 

ist, so ist in der That p, cTg — pg er, von Null verschieden, imd 
man kann die Reihenfolge von u, und Ug so wählen, dass: 
(9) P1CT2 — p.cT, >0 



i 



Die Reduzierbarkeit Abel'scher Integrale 169 

ist; dann ist stets auch: 

(10) f (W^i Wj,4.^,2 — W^ + M.i »V2) > O. 

JA — X 

Ist nun X(«) eine einwertige, mit den Perioden u,, Uj doppelt- 
periodische Funktion der complexen Veränderlichen «, welche 
im Endlichen keine wesentlich singulare Stelle besitzt, so wird 
X(w), wenn man für u das Abel'sche Integral erster Gattung (1) 
setzt, zu einer rationalen Funktion <t> {x, y) von x und y. 
Es wird daher weiter: 

d\{u) du _ rf<t> 
^^^^ du ' dx" dx 

oder: 

d^ 

(12) ^" ^^ 



Ist mm speziell X(w) eine Funktion, die im Periodenparallelo- 
gramm nur an zwei Stellen c»* wird, sodass: 

(13) ^^1 = yflX* + öX» + cX« + ^X + £' 

ist, so folgt aus der Gleichung (12) : 



imd es geht, wenn man die rationale Funktion ^{x,y) als neue 
Variable wählt, das Integral u in ein elliptisches Integral erster 
Gattxmg über*. 

I. Satz: Wird das AbeFsche Integral erster Gattung: 



/ 



(I) I F{x,y)dx 

durch eine Substitution: 

(fl) i = 0(x,y), a = yiil-E) il-c'l) ^^ {x,y), 

wo <l> {x,y) und V {x,y) rationale Funktionen von x und 
y sind, auf das elliptische Integral: 

'dl 



(in) 



!■ 



^ Appell et Goursat, Theorie des fonctions algebriques et de leurs integrales. 
Paris 1895, pag. 368. 



») 



170 Adolf Kra2er 



reduziert, so setzen sich seine 2p Periodizitätsmodulen 
lUa (ci == 1, 2, .., 2p) aus den beiden Periodizitätsmodulen 
UijUg dieses letzteren zusammen in der Form: 

(IV) UJa = Wai V^i + Waa "s, (« = 1, 2, . ., 2p) 

wo die m ganze Zahlen bezeichnen. — Setzen sich um- 
gekehrt die 2p Periodizitätsmodulen uja eines AbeTschen 
Integrals aus zwei Grössen Uj, Uj zusammen in der Form 
(IV), so ist dasselbe stets durch eine Substitution von 
der Form (II) auf ein elliptisches Integral reduzierbar. 

Man nehme jetzt an, dass die 2p Periodizitätsmodulen uja 
(a = 1, 2, . ., 2p) eines Abduschen Integrals sich aus zwei Grössen 
u,, Ua zusammensetzen lassen in der Form (IV), wobei man voraus- 
setzen wird, dass weder die 2p Zahlen ;wai» noch die 2p Zahlen 
w/a2 einen gemeinsamen Faktor besitzen, imd stelle sich die Auf- 
gabe, das System der Ap Multiplikatoren : 

,^ J.V fftx 1 , ^2 1 , . . . , ^^hp, 1 

W/ja, W/28) • • M ^^8/, a 

durch lineare Transformation der Periodizitätsmodulen uja auf 
eine möglichst einfache Form zu bringen. Führt man aber an 
Stelle der Perioden uj neue uj' ein mit Hülfe einer linearen Trans- 
formation : 

(16) u)'ß = ^rßa UJa, (ß = 1, 2, . ., 2p) 

a = l 

bei der die rßa 4/)*^ ganze Zahlen bezeichnen, welche den p{2p — 1) 
Relationen : 

(M\ T(r c a-r ^. x _ 1, wennß=/>+a (a, ß=l,2,..,2/>; 
{!/) Z^{c^aCp+^fi ''^+^'"'^^P^""0,wennß^/>+a a<ß) 

genügen, so wird: 

(18) lü'ß = w'ßi Ui + m'ß2 U2, (ß = 1, 2, . ., 2p) 
wo: 

(19) ;;/'ß, =IfßaW/a,, ^//'ßa = I ^ß« W/aa (ß = l, 2, .., 2/)) 

a = r ^ a=l ^ 

ist. Man bemerke mm vorerst, dass der positive Wert der auf 
der linken Seite von (10) stehenden Summe: 

(20) i (;;/m ;;/j,+^,a — w^+in.i w/^a) = K, 

p* — * 

da auf Grund der Relationen (17): 

(21 ) i (m'^ 1 w'/+!ii,2 — ^^'p+pi,i ^'^'1112) = t ' ^"^^ ^ '''/+H,a — ^^'/+M,i ^'^a) 

ist, durch lineare Transformation der Perioden nicht geändert wird. 



Die Reduzierbarkeit Abel'scher Integrale 171 

Man lasse nun weiter an Stelle der Transformation (16) 
jene speziellen linearen Transformationen Ap, Bp, Cpa, Dpa 
(p, CT = 1, 2, . .,/>) treten, aus denen jede beliebige lineare Trans- 
formation zusammengesetzt werden kann\ und betrachte das 
jedesmal durch die Gleichungen (19) gelieferte System der 
Zahlen ni. 

Indem man zunächst nur die Elemente der zweiten Hori- 
zontalreihe w,9, ;w29, .., Wg^^a ins Auge fasst, kann man durch 
passend gewählte Transformationen Ap, Bp (p = 1, 2, . ., />) aus 
dem Systeme (15) ein neues ableiten, bei dem w/, 9 = Wga = ., nip^ = O 
ist, imd hierauf aus diesem diu^ch Transformationen Cpa (pi <T = 
1, 2, .., p) ein neues, bei dem auch p — 1 der p Zahlen m^^i^ ,, 
^^/+«, 9) • •) ^2/, a den Werth Null besitzen; die pte dieser Zahlen 
hat dann wegen (10) einen von Null verschiedenen Wert imd 
zwar, da ihr absoluter Betrag mit dem grössten gemeinsamen 
Teiler der 2p Zahlen Wi«, Waa, . ., Wa^, a übereinstimmt, den Wert 
+ 1. Diesen Wert kann man sodann, falls er — 1 ist, durch eine 
Transformation Bp* in -f 1 verwandeln imd durch eine Trans- 
formation Dpa an die /> + 1 te Stelle bringen, sodass die Elemente 
der zweiten Horizontalreihe schliesslich die Werthe O, O, . . , O ; 
1 , O, . . , O besitzen, und es hat dann in der ersten Horizontal- 
reihe auf Grund von (20) m^ den Wert K, während man w^^_,, ,, 
indem man Ua + ^«/4-i,i ^i neuerdings als Grösse Ug einführt, 
gleich Null machen kann. 

Indem man mm die 1 te und p + lte Vertikalreihe in (15) 
aus dem Spiele lässt imd die 2p — 2 übrigen Elemente ♦, Wgi, 
. ., w^i; ♦, w^+a, 1, . ., Wa^, 1 der ersten Horizontalreihe ins Auge 
fasst, kann man in der gleichen Weise wie vorher zuerst durch 
passend gewählte Transformationen Ap, Bp (p = 2, 3, .., />) ein 
neues System ableiten, bei dem Wai = Wgi = . . = w^i = O ist, und 
hierauf aus diesem durch Transformationen Cpa, Dpa (p, (T = 2, 3, 

..,/>) ein neues, bei dem auch ^^4.3, t = . . = Wa^, 1 = O ist. 
Aus dem Systeme (15) ist auf diese Weise das System: 

(92) ^' ^' ^' ' •' ^*' ^' ^P+^> i' O» -M O 

^ ^ O, O, O, .., O; 1, O, O, .., O 

hervorgegangen, und man wird dabei entsprechend der früheren 
Annahme K und nip^^, i als relativ prim voraussetzen. 



> Krazer, Ann. di Matern. Ser. 2, Bd. 12. 1884» p&g- 283. 



172 Adolf Krazer 



Im Falle K = 1 kann man endlich durch w^+a, , -malige An- 
wendung der Transformation B^BSCigB, B, das System (22) 
auf die einfachste Form : 

K, O, O, .., O; O, O, O, .., O 
^ ^ O, O, O, .., O; 1, O, O, .., O 

bringen, und es ist dann: 

(24) uj, =Kui, uj^4.i = Ua, 

während die 2/> — 2 übrigen Grössen uj den Wert Null besitzen. 
Im Falle K > 1 leite man zuerst aus (22) durch die Trans- 
formation BiCiaB*, ein neues System ab, bei welchem die Ele- 
mente der ersten Horizontalreihe die Werte: 

(25) K, K, O, .., O; — w^+,, t, ^^/+«. t» O, .., O 
besitzen und hierauf aus diesem durch Transformationen Ag, Bj 
ein neues, für welches diese Elemente die Werte: 

(26) K, O, O, .., O; -w^+8,i, 1, O, .., O 

haben, während die Elemente der zweiten Horizontalreihe jedes- 
mal ungeändert geblieben sind, und bringe so, indem man 
schliesslich noch die Grösse u^ — W/4-2, 1 "1 neuerdings als Grösse 
Ug einführt, das System (22) auf die einfachste Form: 

K, O, O, .., O; O, 1, O, .., O 
^ ^ 0,0, O, .., O; 1, O, O, .., O 

es ist dann: 

(28) ujt = Ku,, ujj^4.i = Ua, iAj^+2 = "i 

während die 2/> — 3 übrigen Grössen uj den Wert Null besitzen. 
Man hat so den 

IL Satz: Setzen sich die 2/> Periodizitätsmodulen 
lüa (a = 1, 2, .., 2/)) eines Abels'chen Integrals erster Gat- 
tung aus zwei Grössen u,,Ua zusammen in der Form (IV) 
und setzt man: 

(V) i (W^i W/4.^, 9 — W^4-M. 1 ^^M«) = + K, 

SO kann man dieses Integral stets durch eine lineare 
Transformation so umformen, dass unter Hinzunahme 
eines konstanten Faktors seine Periodizitätsmodulen: 

1. im Falle K = 1: 

(VI) UJ, =Tn, ujg = .. = iu/ = 0; uj^4., = ör, uj^4.a = .. = uja/ = 

2. im Falle K> 1: 

(VII) ujj = m, ujg = . . = UJ/ = O; uj^4.i = fl, uj^4.a = j^, w^-f s 

= . . = UJa> = O 



Die Reduzierbarkeit Abel'scher Integrale 173 

sind, wo a eine komplexe Grösse mit negativem reellen 
Teile bezeichnet. 

Kehrt man nochmals zum Systeme (22) zurück, so erkennt 
man, dass man den Fall K > 1 durch die Transformation Kter 
Ordnung : 

(29) uj'^ = aj^, uj'^4.^ = Kuj^4.^, (^ = 1, 2, . .,/>) 

wenn man nachher die Grössen Ku,, Ku« neuerdings als Grössen 
Ui, Ua einführt, auf den Fall K = 1 ziu*ückführen kann, imd erhält 
so imter Anwendung des Satzes II den 

in. Satz: Setzen sich die 2/> Periodizitätsmodulen 
Lud (a = l, 2, .., 2p) eines Abel'schen Integrals erster Gat- 
tung aus zwei Grössen Uj, Ug zusammen in der Form (IV) 
und ist dabei: 

(Vni) i (;«^, w/^+|Li, 2 — '^^/+M, 1 ^^Ms) = + K, 

so kann man dieses Integral stets durch eine Transfor- 
mation Kter Ordnung so umformen, dass, unter Hinzu- 
nahme eines konstanten Faktors seine Periodizitäts- 
modulen: 

(IX) Lü, =TTi, uJa = .. = ujjj = 0, UJ^4., = «, iUj^4.2 = .. = UJ2^ = 

sind, wo a eine komplexe Grösse mit negativem reellen 
Teile bezeichnet. 

Nimmt man zu dem Integrale mit den Perioden (VI) oder 
(IX), beziehlich mit den Perioden (VII), /> — 1 andere Integrale 
derselben Klasse hinzu, welche mit ihm ein System von />Rie- 
mann'schen Normalintegralen bilden, so erhält man für deren 
Periodizitätsmodulen das folgende Schema : 

1. im Falle der Gleichungen (VI) oder (IX) : 
TTi, O, O, .., O; «, O, O, ..,0 
O, m, O, .., O; O, «sa» ^28» ••» ^a/ 

(30) O, O, TTl, .., O; O, ^88, «88» -M «8/ («|LiV = «VM) 



O, O, O, .., TTi; O, a^2) «/8) ••> «// 
2. im Falle der Gleichungen (VII): 



m, O, O, . ., O 

O, TTl, O, . ., O 

(31) O, O, m, .., O 

O, O, O, .., TTl 



«, g, O, ..,0 

m 

O, «82) «88) ••) «8/ («|1V "= «VlLl) 



O, «^2) «/8) • •) «//• 



174 Adolf Krazer 



Indem man nun von den Integralen zu den inversen 2/>-fach 
periodischen Funktionen übergeht, hat man also das Resultat, 



emer 



dass, wenn sich unter den Perioden nJuai /o' o^l ^i 

^ \a = 1, 2, .., zp/ 

2/>-fach periodischen Fimktion die 2p Perioden eines Perioden- 
systems, etwa uj,a (a = 1, 2, .., 2/>) aus zwei Grössen u,, Ug zu- 
sammensetzen in der Form: 

(32) wj,a = nt ai Wi + Was "a, (« = 1, 2, . ., 2p) 

dann sich stets aus den Perioden uj^a durch eine Transformation 
Kter Ordnung, wo K durch die Gleichung (VHI) definiert ist, 
die Perioden (30), im Falle K > 1 aber dtu-ch eine lineare Trans- 
formation die Perioden (31) ableiten lassen. Für die zugehörigen 
Thetafunktionen aber folgt der* 

IV. Satz: Findet sich unter den Aberschen Inte- 
gralen einer Klasse ein solches, das auf ein elliptisches 
Integral reduzierbar ist, dessen Periodizitätsmodulen 
sich also aus zwei Grössen u,, Ug zusammensetzen in der 
Form (IV), so zerfällt die zugehörige Thetafunktion 
nach einer Transformation Kter Ordnung, wo K durch 
die Gleichung (VIII) definiert ist, in das Produkt einer 
Thetafunktion von einer und einer solchen von p — 1 
Veränderlichen, und ferner giebt es im Falle K> 1 unter 
den unendlich vielen zur Klasse gehörigen, durch line- 
are Transformation in einander überführbaren Systemen 
von Thetamodulen eines von der Form: 



(X) 



«, 


K' 


0, 


.., 


K' 


^3 2» 


«28» 


• •» «2/ 


0, 


«88» 


«83» 


• •> «8/ 


o, 


• 

«/2, 


• • 
«/8» 


• 



^ Die vorstehenden Sätze rühren von Weierstrass her; die erste kurze Mit- 
teilung darüber findet sich bei Königsberg er (J. für Math. Bd. 67. 1866. pag. 97), eine 
ausführlichere bei Kowalewski (Acta Math. Bd. 4. 1884. pag. 393); dort ist angegeben, 
wie man den Satz III direkt ohne Zuhülfenahme des Satzes II beweisen kann; einen 
solchen Beweis giebt auch Biermann (Wiener Sitzb. Bd. 105. 1896. pag. 924); die 
obige Beweismethode für den Satz II hat Poincar^ angegeben (Amer. J. Bd. 8. 1886. 
pag. 289, schon vorher: Bull. S. M. F. Bd. 12. 1884. pag. 124 und C. R. Bd. 102. 1886. 
pag. 915. Für den Fall / = 2 früher bei Picard, Bull. S. M. F. Bd. II. 1883. 
pag. 25, kurze Mitteilungen : C. R. Bd. 92. 1881. pag. 398, 506; auch : Bull. S. M. F. Bd. 12. 
1884. pag. 153). 



Die Reduzierbarkeit Abel'scher Integrale 175 

§2. 
Spezielle Diskussion des Falles /> = 2. 

Es seien: 

die Periodizitätsmodulen der beiden Riemann'schen Normalinte- 
grale Ni, Na einer Klasse Aberscher Integrale vom Geschlecht 2; 
existiert dann in dieser Klasse ein reduzierbares Integral: 

(2) J = 5^N,+ÄN„ 

so muss nach Satz I ein Gleichimgssystem von der Form: 

gm = w,, u, + WnUj 
hm =Wg, Ui + WjjUj 

^«ai + Äflaa = m^^ U^ + W^a ^a 

bestehen, wo die w ganze Zahlen bezeichnen. Damit solche 
Gleichungen durch von Null verschiedene Grössen gj Ä, u, , u, 
erfüllt sein können, muss die Determinante: 

m O Wii Wh 
O m Wai Waa 
«11 «18 ^'»1 WIja 

«21 «22 W4, W4a 

sein, es muss also zwischen den Grössen «1,, «la» «22 ^in^ 
Gleichung von der Form : 

(5) q^ m^ + ?a «11 TH + ^8 «12 ^i + 94 «22 "^^ + Qh («1 1 «22 — «^12) = O 
bestehen. 

Man nehme umgekehrt an, es bestehe zwischen «u, «ia> «22 
eine Gleichimg von der Form (5), wo die q ganze Zahlen be- 
zeichnen, und stelle die Frage, ob dies auch dazu hinreichend 
ist, dass die zugehörige Klasse ein reduzierbares Integral enthalte, 
oder, was dasselbe, ob zu den Zahlen q ganze Zahlen m so 
bestimmt werden können, dass: 

Wai W42 — W41 Wja = gi, Wai W,, — W„ IWa» = ?4» 

(6) W4, Wta — Wi 1^48 = ^2, Wii Waa — Wai Wn = ?5» 

(Wu Waa — W/st W^a) — (Wai W^a — W^i W/ja) = g, 

ist, imd femer die für die m notwendige Bedingung, dass: 

(7) (W/,, Waa — W31 Wia) + (Wsi ^4% — ^Ai '«22) = K 

positiv sei, erfüllt ist. 

Aus den Gleichimgen (6) folgen, wenn man annimmt, dass : 



(4) 



= 



176 Adolf Krazer 



(8) W/it W'89 — ^^81 W,2 ^ O 

ist, die Gleichungen: 

(9) 

^^ _^ ^^iigi + Watga ^^ ^^iagi + ^^8ag2 

** W,, W,2 — W31 Wia' ** Wii W82 — W^8iWn* 

Durch diese Gleichungen sind die vier ersten Gleichungen (6) 
erfüllt; es sind also die bis auf die Beschränkung (8) noch will- 
kürlich gebliebenen Zahlen m^y wi,2, Wji, m^^ jetzt weiter so 
zu bestimmen, dass die Gleichimgen (65) und (7) erfüllt sind. 
Aus (9) folgt aber: 

(10) W2, W42 — W/41 WI22 = — gi ^^ — gg g^ — 

imd es muss daher wegen (65): 

(11) (WilW/32 — WsiWia)« — g3(f«,,W32 — W/8lW,2)-(?l?B~?2<74) = 

oder : 

(12) j ^ 

W/21 W42 — W4, w/22 =T (— ^8 + y?% + 4 ((7, (76 — ?2 9^4); 

sein. Daraus folgt, dass q\ + 4 (r/i q^ — q^ q^) ein Quadrat sein 
muss, und da die direkte Ausrechnung: 

(13) q\ + 4 ((7i 95 - ?2 ?4) = K« 

ergiebt, so hat man, da wegen (7) nur das positive Zeichen bei 
der Wurzel zulässig ist : 
/1.x 9^8 + K — ?8+K 

(14) W/j, W/aa — ///3i W/i2 = ^— 9 ) W/aiW^a — W/41 ^22 = — ^ . 

Ist also die Bedingung (13) erfüllt, so verfahre man zur Be- 
stimmung der zu gegebenen q gehörigen m folgendermassen. 
Man richte es so ein, dass q^ positiv ist; dann ist -^ {q^ + K), wo 
K dtu-ch (13) definiert ist, jedenfalls nicht Null. Nim wähle man vier 
Zahlen w,,, Wtg, ^hu ^a so, dass w,t ;fi82 — w,, mi2 = j{qs + K) 
ist, imd berechne hierzu Zahlen w/g,, Wga, w^i, m^^ aus (9); dann 
sind die Gleichimgen (6) und (7) erfüllt; es besteht daher auch 
die Gleichung (4), und es sind folglich die Gleichungen (3) durch 
von Null verschiedene Werte gy Ä, u^, Ua lösbar. Damit ist der 
folgende Satz bewiesen: 

I. Satz: Damit eine Klasse AbeTscher Integrale vom 
Geschlecht 2 ein reduzierbares Integral enthalte, ist 
notwendig und hinreichend, dass zwischen den Perio- 



Die Reduzierbarbeit Abel'scher Integrale 177 



dizitätsmodulen rt,i,«ia,a22 der zugehörigen Riemann'schen 
Normalintegrale eine Gleichung von der Form: 

(I) (7, TTl* + ^2 «1 1 ^l + ?8 «1 « TH + (74 «2i TTl + ^5 («, , «28 — «^ 2) = O 

bestehe, wo die q ganze Zahlen bezeichnen, für welche 
der Ausdruck: 

(n) q\ + 4 {q, q^ — q^ q^) 

das Quadrat einer ganzen Zahl ist. 

In Verbindung mit dem Satze IV des § 1 kann man den 
Satz I auch aussprechen als : 

II. Satz: Sind die Modulen «r,,, r«,2, 0^22 einer Theta- 
funktion zweier Veränderlichen durch eine Relation von 
der Fom (I) mit einander verknüpft, für welche der Aus- 
druck (II) den Wert K* besitzt, so können dieselben durch 

TTl 

eine lineare Transformation in die Modulen a, /, f^, «22'» 

durch eine Transformation Kter Ordnung aber in die 
Modulen «,,', O, «33' übergeführt werdend 



* Dass es im ersteren Falle nicht nur eine solche lineare Transformation giebt, 
sondern unendlich viele, zeigt Bolza (Inaug.-Diss. Göttingen i886), während einen 
direkten Beweis für die Existenz der zuletzt genannten Transformation Kten Grades 
Hanel (Inaug.-Diss. Breslau 1882) giebt. Humbert (J. de Math. Ser. 5, Bd. 5. 1899. 
pag. 233) untersucht den allgemeineren Fall, in welchem die Modulen an, flu, att einer 
Thetafunktion zweier Veränderlichen durch eine Gleichung von der Form (I) mit 
einander verknüpft sind, in welcher die ^ irgend welche ganze Zahlen bezeichnen. 
Bezüglich einer solchen Gleichung zeigt er, dass bei linearer Transformation der Aus- 
druck (II) den nämlichen Wert behält, und weiter, dass umgekehrt alle jene Gleichungen, 
für welche diese Invariante A denselben Wert hat, durch eine lineare Transformation 
in einander überführbar sind. Damit ist dann zugleich ein Beweis des Satzes II 
erbracht, da die Gleichung Kflit = Tn zur Invariante A = K* gehört, also umgekehrt 
jede Gleichung (I), fiir welche A = K* ist, durch lineare Transformation in sie über- 
geführt werden kann. 

Von der vorliegenden Art sind auch die von Appel (C. R. Bd. 94. 1882. pag. 421) 
untersuchten Thetafunktionen zweier Veränderlichen, bei welchen die Modulen durch 
eine Gleichung von der Form ri fl|2= rf oft + ^tti mit einander verknüpft sind, und 
welche in eine Summe von Produkten je zweier Thetafunktionen einer Veränderlichen 
zerlegt werden können. Andere Beispiele solcher Zerlegungen von Thetafunktionen 
zweier Veränderlichen bei Königsberger (Allg. Unters, aus der Th. der DifF.-Gl. Lpz. 
1882), wo flii=2ait> bei Doerr (Inaug.-Diss. Strassburg 1883), wo «11 = 01». Appell 
(Bull. S. M. F. Bd. IG. 1882, pag. 59) hat später seine Untersuchungen auf Thetafunktionen 
beliebig vieler Variablen ausgedehnt und von diesen solche angegeben, welche in eine 
Summe von Produkten je einer Thetafunktion von einer und einer von / — 1 Ver- 
änderlichen zerlegt werden können ; zwischen ihren Modulen bestehen p — 1 Relationen 

von der Form Z r^ fl^\ = ^\ «m (X = 1, 2, . . , / — 1). 

12 



178 Adolf Krazer 



Beachtet man femer, dass nach Satz II des § 1 die Perio- 
dizitätsmodulen des reduzierbaren Integrals der Klasse bei passend 
gewählter Zerschneidung der Riemann'schen Fläche die Werte : 

(15) TTi, O; a, -* 

annehmen, dann aber dem Schema (31) entsprechend die Perio- 
dizitätsmodulen des dazu gehörigen zweiten Riemann'schen Nor- 
malintegrals der Klasse : 

(16) O, TTi; ^, & 

sind, so erkennt man, dass auch dieses Integral reduzierbar ist. 
Man hat damit den 

III. Satz: Enthält eine Klasse AbeTscher Integrale 
vom Geschlecht 2 ein reduzierbares Integral, so enthält 
sie immer auch noch ein zweites. 

Zugleich ist gezeigt, dass, wenn von den beiden Riemann'schen 
Normalintegralen der Klasse das eine reduzierbar ist, es dann 
immer auch das zweite ist*. 

Es erhebt sich jetzt weiter die Frage, ob es mehr als zwei 
reduzierbare Integrale in der Klasse geben kann. Jedes weitere 
Integral der Klasse lässt sich aus den beiden Normalintegralen 
N, , Na in der Form (2) zusammensetzen, seine Perioden sind also, 
w^enn (15), (16) die Perioden der beiden Normalintegrale sind: 

TTl TU 

(17) uii =5^711, Wa = 7/711, ui3=^ör + Ä-, uj^ = ^- + Ä&, 

und es ist zur Reduzierbarkeit dieses Integrals notwendig und 
hinreichend, dass sich diese Periodizitätsmodulen mit Hülfe ganzer 
Zahlen ;;/ aus zwei Grössen u,, u^ zusammensetzen in der Form: 

^i^TTi = ;;/,! Ui + ;;/i2 Ug 

hm = Wai Ui + ;;/22 iJ« 

TTl 

(18) ga + h— = /«a, Ui + ;;/32 u^ 



* Der Satz III rührt von Picard (Bull. S.M.F. Bd. ii. 1882. pag. 47) her; andere 
Beweise haben Appel et Goursat (Th. des fonct. algebr. Paris 1895. P^g* 37^) ^^^ 
Humbert (J. de Math. Ser. 5. Bd. 5. 1899. pag. 249) gegeben. Der von Biermann 
(Wiener Sitzb. Bd. 87. 1883, pag. 983) gemachte Versuch, aus dem doppelten Vorzeichen 
in den Gleichungen (12) auf die Existenz zweier reduzierbarer Integrale zu schliessen, 
ist verfehlt; eine Änderung des Vorzeichens von K bedeutet nur eine Vertauschung 
der beiden Grössen Ui und Vf 



Die Reduzierbarkeit Abel'scher Integrale 179 

Sind aber diese Gleichungen erfüllt, dann ist jedes Integral von 
der Form : 

(19) r = Pg^i + ghN,, 

wo p und q irgend welche rationale Zahlen bezeichnen, reduzierbar, 
da für seine Periodizitätsmodulen oj/, uj,', uü,', uü/ die Gleichungen: 

(20) ^' ^ ^^ ^''** ^' "^ ^^ ^^'* ^''' 

uüa' = Kg m^t Vi +Kq w/gg Ug', 

ui's = [Kp Ws, — ip — q) w/a,] u/ + [K/) w,a — ip — q) w„] u^', 

ui'^ = [Kg m,i + (p — q) m,,] u/ + [Kg w^, + (/> — ?) w^a] ^2' 

gelten, wo: 

(21) u/ = ^. u; = g 

ist. Man hat also den: 

IV. Satz: Enthält eine Klasse AbeTscher Integrale 
vom Geschlecht 2 mehr als zwei reduzierbare Integrale, 
so enthält es deren unendlich viele*. 

Weiter folgt aber aus den Gleichungen (18) der Gleichtuig 
(5) entsprechend: 

(22) {q. + '^^+^^m^ + q.am + q.bm + q.ab^O, 



^ Poincare (Amer. J. Bd. 8. 1886. pag. 305) hat diesen Satz auf den Fall eines 
beliebigen p folgendermassen ausgedehnt. 

IV^ Satz: Ist ausser den Integralen Ii, If, .., Iq einer Klasse 
Abel'scher Integrale auch ein davon abhängiges Integral r=ralt + ßli 
+ .. + ^I^» ^'o a, ß, .., K beliebige Konstante bezeichnen, auf ein ellip- 
tisches reduzierbar, so enthält die Klasse unendlich viele reduzierbare 
Integrale. 

Zum Beweise denke man sich die Periodizitätsmodulen von It auf die Form: 

m, O, O, .., O; a, -^, O, . ., O 

gebracht und nehme zu l\ p — 1 Integrale Nf, N9, . ., N^ hinzu, welche mit ihm 
ein System von / Riemann'schen Normalintegralen bilden; dann lässt sich das Integral 

r in der Form : 

r = aIi+ß'N, + T'Ns + .- + K'N^ 
darstellen, und man sieht unmittelbar, dass mit ihm auch die unendlich vielen Integrale 
von der Form : 

I" =/ a I, + ß' Nt + T' N, + . . + K' ^p 
reduzierbar sind, wo / eine rationale Zahl bezeichnet. 

Nach diesem Satze existieren also z. B. für die von Kowalewski (Acta math. 
Bd. 4. 1884. pag. 411) betrachtete Klasse Abel'scher Integrale vom Geschlecht 3 nicht 
nur die drei dort angegebenen sondern unendlich viele reduzierbare Integrale, und 
weiter enthält eine Klasse Abel'scher Integrale vom Geschecht p stets unendlich viele 
reduzierbare Integrale, sobald sie deren p'\-\ enthält. 

12« 



180 Adolf Kraaer 



WO die q die unter (6) angegebenen Werte besitzen, und da diese 
Gleichung, weil g imd h beide der Voraussetzung nach von Null 
verschieden sind, nicht identisch erfüllt sein kann, so folgt aus ihr : 



(? + g + |l)^i-?,« 



(23) b = — ^ — :: " iTi. 

Diese Gleichung sagt aus, dass der Modul b aus dem Modul a 
durch Transformation hervorgeht, imd man hat damit das Resultat 
gefunden, dass mehr als zwei reduzierbare Integrale in der Klasse 
nur dann vorhanden sein können, wenn die elliptischen Integrale, 
auf welche die beiden Normalintegrale N,, Ng reduzierbar sind, 
selbst in einander transformiert werden können. 

Diese Bedingung ist aber für das Auftreten unendlich vieler 
reduzierbaren Integrale auch hinreichend. Ist nämlich : 

/on , fm + ha 

(24) b = r-ö— "^^ 

wo die a, ß, t, ö, ganze Zahlen bezeichnen, so ist ausser den 
Normalintegralen Nj, Ng mit den Periodizitätsmodulen (15), (16) 
jedes Integral von der Form: 

(2o) I = />N, + 9 ^p^ N„ 

wo p und q irgend welche rationale Zahlen bezeichnen, reduzier- 
bar, da seine Periodizitätsmodulen, wie man unmittelbar sieht, 
sich aus den beiden Grössen m und a mit Hülfe rationaler Zahlen 
zusammensetzen. Man hat so den : 

V. Satz: Eine Klasse Abelscher Integrale vom Ge- 
schlecht 2 enthalte die beiden reduzierbaren Integrale 
I,,Ia. Die notwendige und hinreichende Bedingung dafür, 
dass in dieser Klasse ein drittes und damit nach dem 
vorigen Satze unendlich viele reduzierbare Integrale 
vorkommen, ist die, dass die beiden elliptischen Integrale, 
auf welche I, und I.^ reduzierbar sind, selbst in einander 
transformiert werden können*. 

Nachdem im Vorigen bewiesen worden ist, dass die not- 
wendige und hinreichende Bedingimg für das Auftreten eines 



* Dass in speziellen Fällen nicht nur zwei, sondern unendlich viele reduzierbare 
Integrale der Klasse vorhanden sind, giebt schon Picard (Bull. S. M. F. Bd. Ii. 1882. 
pag. 47 und C. R. Bd. 93. 1881. pag. 1126) an; der Satz V rührt von Bolza (Inaug.- 
Diss. Göttingen. 1886) her, vergl. auch Humbert (Joum. de Math. Ser. 5. Bd. 5. 1899. 
pag. 250). 



Die Reduzierbarkeit Aberscher Integrale 181 

reduzierbaren Integrals in einer Klasse AbePscher Integrale 
vom Geschlecht 2 die ist, dass unter den zur Klasse gehörigen 

TTl 

Thetafunktionen sich eine findet, für welche aj2 = ^ ist, kann 

man sich mm die weitere Aufgabe stellen, aus dieser Bedingung 
die im Falle der Existenz eines reduzierbaren Integrals zwischen 
den Modulen k^ X', |üi' oder den Verzweigungspunkten a,, .., a^ 
des zugehörigen algebraischen Gebildes bestehende Beziehung 
abzuleiten, imd weiter sodann die beiden reduzierbaren Integrale 
selbst und die sie reduzierende Substitution anzugeben. Diese 
Aufgabe ist bis jetzt nur für die Fälle K = 2 und 4 gelöst*. 

§3. 

Reduktion AbeFscher Integrale vom Geschlecht p auf 

solche niedrigeren Geschlechts. 

Es seien uü, a, . ., ^>a (et = 1, 2, . ., 2p) die 2p Periodensysteme 
einer 2/) -fach periodischen Funktion von p Veränderlichen, 
welche im Endlichen keine wesentliche singulare Stelle besitzt, und 
welche sich nicht als Fimktion von weniger denn p linearen Ver- 



* Im Falle K = 2 bei Königsberger (J. für Math. Bd. 67. 1866. pag. 97) und 
ausführlicher bei Pringsheim (Math. Ann. Bd. 9. 1876. pag. 445) vergl. auch Bolza 
(Math. Ann. Bd. 28. 1887. pag. 451). Im Falle K = 4 bei Bolza (Freiburger Ber. Bd. 8. 
1885. pag. 330, Inang.-Diss. Göttingen 1886 und Math. Ann. Bd. 28. 1887. pag. 450); 
eine einfachere Form der von Bolza angegebenen Beziehung zwischen k, X, |bi bei 
Igel (Monatsh. f. Math. Bd. 2. 1891. pag. 157); die von Igel in den §§ 4 und 5 
daraus gezogenen Schlüsse sind aus leicht ersichtlichem Gnmde falsch. Zum Fall 
K = 2 auch Roch (Schlöm. Z. Bd. ii. 1866. pag. 463), femer Schering (J. für 
Math. Bd. 85. 1878. pag. 115), wo die dem besonderen Falle entsprechende Rie- 
mann'sche Fläche untersucht und gezeigt ist, dass man dieselbe durch Aufeinander- 
legen zweier elliptischer Riemann'scher Flächen erhalten kann (ähnlich bei Doerr, 
Inaug.-Diss. Strassburg 1883) und Cayley (C. R. Bd. 85. 1877. P^g- 265 u. f.), wo die 

Wurzelfunktionen durch elliptische Fimktionen ausgedrückt sind. Die dem Werte 

in 
ait= TT- entsprechende spezielle Kummer*sche Fläche hat Humbert (Amer. J. Bd. 16. 

1894. pag. 221) für beliebiges K untersucht und dabei n. a. die im Falle K = 8 zwischen 

den Verzweigungspunkten der Riemann'schen Fläche bestehende Beziehung gefunden. 

in 
Eine von der Bedingung a\t = —- ausgehende vollständige Bearbeitung des Falles K = 3, 

dessen Resultate durch die unter anderen Gesichtspunkten unternommenen Abhandlungen 
von Hermite (Bruxelles Ann. Bd. i. 1876. pag. i), Goursat (CR. Bd. 100. 1885, pag. 622 
und Bull. S. M. F. Bd. 13. 1885. pag. I43) Burkhardt (Math. Ann. Bd. 36. 1890. pag. 371) 
Brioschi (Ann. de l'fic. norm. Ser. 3 Bd. 8. 1891. pag. 227) und Bolza (Math. Ann. Bd. 50. 
1898. pag. 314 und Bd. 51. 1898. pag. 478) bekannt sind, liegt zur Zeit noch nicht vor. 



182 Adolf Krazer 



bindungen dieser Variablen darstellen lässt, sodass also zwischen 
den u) die -i (/> — 1) /> Relationen : 

(1) Z I Caß UJ^a iWvß = O (^, V = 1, 2, ..,/>; H < v) 
a=lß=l 

bestehen, in denen die c ganze Zahlen bezeichnen, für welche 
^aa = 0, Caß + Cßa = O (a, ß = 1, 2, . ., 2p) und die Determinante 
114: c, I ^82 •• ^2>>a/ von Null verschieden ist; während für die 
2p correspondierenden Änderungen : 

(2) Uia = na + l Z^a (« = 1, 2, . ., 2p) 

irgend einer linearen Verbindung der Variablen die Ungleichung 
(3) If jl Caß na 2:ß > o 

a=l ß=i ^ ^ 

gilt. 

Man setze nun voraus, indem man unter q eine Zahl < p 

(K = 1 2 . • ^ \ 
/ o' o^ I aus 

a = 1,2, ..,2/)/ 

2 q^ Grössen Uk€ ( __ / o* 9 ) zusammensetzen in der Form : 



(4) w 



Ka 



2f /K = 1,2, ..,(7 \ 

= Z WaeUKe, ( nr - 1 9 9.>) 



wo die m ganze Zahlen bezeichnen. 

Zunächst kann leicht bewiesen werden, dass die 2q^ Grössen 
Uk€ stets die Perioden einer 2 9 -fach periodischen Funktion von 
q Variablen sind; d. h. dass sie -^ ((? — 1) (7 Gleichungen von der 
Form: 

(5) i ^ ^€n ^K€ ^Xn = O (k, X= 1,2, ..,g;K<X) 

6 = 1 r] = l 

genügen, in denen die ä ganze Zahlen bezeichnen, für welche 
rfee = 0f d^Y\-\- ^ne =" O (€, n = 1, 2, . ., 2(7) und die Determinante 
Z + rf, , ^aa . . rfa^, a^ von NuU verschieden ist, imd dass femer für 
die 2(7 korrespondierenden Änderungen: 

(6) ^e = Pe + i CTc (6 = 1, 2, . ., 2g) 
irgend einer linearen Verbindimg der Variablen : 

(7) I I rf^n P€ cTn > O 

€ = lri = l 

ist. Man hat so den 

I. Satz: Sind die Perioden ^aa(^^ ]'n "'n^) einer 

^ Va = 1,2, ..,2/)/ 

2/)-fach periodischen Funktion von p Veränderlichen, 

welche im Endlichen keine wesentliche singulare Stelle 



Die Reduzierbarkeit Abel'scher Integrale 183 

besitzt, und welche sich nicht als Funktion von weniger 
denn p linearen Verbindungen der Variablen darstellen 
lässt, so beschaffen, dass sich die 2qp{q </>) unter ihnen 

(K= 1,2, .., (7 \ o a i- « /K=l, 2, .., 9 \ 

a=l,2,..,2/>);'^"^ 2^ ^^^^^^'^ "« (e = l,2,..,U 
zusammensetzen in der Form: 

Tx y /K= 1, 2, ..,(7 \ 

€=1 \a= 1, z, . ., J/)/ 

wo die ;;/ ganze Zahlen bezeichnen^ so sind diese 2q^ 

Grössen Uk€ ( _ ^ o o } stets die Perioden einer 

2g-fach periodischen Funktion von (7 Veränderlichen von 
der nämlichen Art. 

Geht man jetzt zu einem Systeme von p unabhängigen 
Aberschen Integralen erster Gattimg I,, Ig, ,., \p mit den Perio- 

dizitätsmodulen uü^a ( _ / 9 9 ) über, so ergiebt sich für 

dieselben folgende Reduktion. Bildet man q 2 (7- fach periodische 

/K = 1 2 ^ \ 
Funktionen X , ((«)), . . , X^ ((w)) mit den Perioden Uk€ ( _ / o* o ) 

und führt an Stelle der Argumente «,,.., /^^ die Integralsummen : 

(27) «, = Z rfln.., w^=> I rfl^ 

ein, so werden X, ((«)), . ., X^ ((//)) rationale Funktionen der q Punkte 
Xi^ Vi oder algebraische Funktionen der q Grössen .r/, also auch 
umgekehrt x,, .., Xg algebraische Fimktionen von Xj ((//)), .., 
X^ ((«)). Man hat so den 

n. Satz: Setzen sich die 2qp Periodizitätsmodulen 

(K = 1 2 . . (7 \ 
— / o o ) ^^^ ^ linear-unabhängigen Integralen 

erster Gattung einer Klasse AbeTscher Integrale vom 

Geschlecht/) aus 2(7^ Grössen Uk€ (^Z/9 "'9 ) "^^^ Hülfe 

\ 6 1 , Zj • . , Z q/ 

ganzer Zahlen ;;/ zusammen in der Form (1), so lassen 

sich diese Integrale auf Integrale vom Geschlecht q 

reduzieren. 

Man nehme jetzt an, dass zwischen den 2qp Perioden 

( __ / 9* ' ' / ) von q Abel'schen Integralen erster Gattung 
\(x — 1, ^, . ., Zq/ 



\X) 



184 Adolf Krazer 



vom Geschlecht p die -^{q — l) q Relationen : 

(28) i(ujKp ujx,^+p — uiK,^4.pUixp) = (k, X = 1, 2, ..,g;K<X) 
p = i 

bestehen, diese Perioden also Normalperioden seien, und dass 

sich diese 2qp Grössen aus 2q^ Grössen Uk€ ( __ / o' ' 9 ) ™t 

\€ — 1, ^, . ., ^q/ 

Hülfe ganzer Zahlen ;;/ zusammensetzen in der Form (I), imd 

denke sich dabei die u gleichfalls normalisiert, d. h. so ausgewählt, 

dass zwischen ihnen die y (? — 1) 9 Relationen : 

(29) I ei (uk/ wx,^+/ — vjk,/+*'^X/) = (k,X=1,2, ..,g;K<X) 

bestehen; es erfüllen dann die ganzen Zahlen ;;/ die q {2q — l) 
Gleichimgen : 

/OAN 4 i \ ^'» wenn 7 = g + /, 

p = i ^ /•-1-H'/ p-rv^ VI' 0,wenn7^9 + /. 

(/,y=l, 2, ..,2(7; i<j) 
Man stelle sich jetzt die Aufgabe, das System der ^qp Multipli- 

(a = 1 2 2/)\ 
— 1 9 ' 9 ) ^"^^^ ganzzahlige lineare Trans- 
€ — 1, 4^, . ., ^qj 

formation der Perioden lÜKa, sowie durch passende Wahl der 

Grössen Ukc auf eine möglichst einfache Form zu bringen. Bedient 

man sich dabei jener Reduktionsmethoden, welche in § 1 für den 

speziellen Fall q = \ auseinander gesetzt sind, so nimmt das Schema 

der Multiplikatoren ;;/a€j wenn man zur Darstellimg die Werte 

/) = 5, (7 = 2 wählt, die endgültige einfachste Form : 

^,000000 1 00 

^ ^^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ 
^^ 0000010000 

000000 1 000 
an, wobei nur noch zu bemerken ist, dass, wenn eine der Zahlen e 
den Wert 1 hat, man dann durch nochmalige lineare Trans- 
formation der uj, ebenso wie es in § 1 im Falle K = 1 angegeben 
ist, aus dem Schema (43) ein neues ableiten kann, in welchem 
die zu diesem e gehörige Horizontalreihe ausser ihm nur Nullen 
enthält. Sind alle Zahlen e gleich 1, so kann man also aus dem 
Schema (43) das einfachere: 

1 000000000 

0100000000 
^^ 0000010000 

0000001000 



Die Reduzierbarkeit Abel'scher Integrale 185 

ableiten. Verfügt man jetzt über die beiden Integrale I,, Ig so, 
dass: 

(45) 

— n — ü! — — 

1^2 1 \J} ^23 , U23 — ^9 1» ^24 — ^82 

(K = 1 2 \ 

a = 1, 2, . ., 10/ 

1. im Falle des Schemas (43) die Werte : 

m O O O O «,, r7i8 ^ O O 

O iTi O O O flfai ^22 o - o 

2. im Falle des Schemas (44) die Werthe: 

iTi O O O O a,i a,2 O O O 
^ ^ O m O O O «^21 «29 O O O 

und wenn man jedesmal zu den beiden Integralen In la drei 

weitere Integrale der Klasse hinzimimmt, welche mit ihnen ein 

System von 5 Riemann*schen Normalintegralen bilden, so erhält 

man für deren Periodizitätsmodulen im allgemeinen Falle das 

Schema : 

Tn 
m O O O O «r,j «r,2 - O O 



e 



1 



7Tl 
O 7TI O O O ^72, «22 O - O 



e 



2 



TTl 
(48) O O TTl O O - O ^38 «34 «85 («MV=«Vm) 

TTl 
O O O TTl O O — «48 «44 «46 

e?2 

O O O O ITl O O «58 «64 «56 

im speziellen Falle e^ = e^= \ das Schema : 

TU O O O O flfii «fi2 O O O 
O ITl O O O «f., «^22 O O O 
(49) O O TTl O O O O «r33 a^^ «35 («^v = «v^) 

O O O ITl O O O «48 «44 «46 

O O O O TU O O «58 «54 «56 

Wenn man nun endlich noch berücksichtigt, dass man ebenso 
wie es in § 1 geschehen ist, den allgemeinen Fall durch eine 
Transformation höherer Ordnung auf den speziellen ^,=^2 = 1 



186 Adolf Krazer 



sammen- 



zurüokf Uhren kann, so erhalt man schliesslich als Endresultat 
die Sätze : 

III. Satz : Finden sich unter den AbeTschen Inte- 
gralen einer Klasse vom Geschlecht p q linear-unab- 
hiingige, welche auf Integrale vom Geschlecht q redu- 
zierbar sindS so enthält diese Klasse p — q weitere 
Integrale, welche auf Integrale vom Geschlecht/) — q 
reduzierbar sind. 

IV. Satz: Finden sich unter den AbeTschen Inte- 
gralen einer Klasse vom Geschlecht pq linear-unab- 
hängige, welche auf Integrale vom Geschlecht q redu- 
zierbar sind, deren Periodizitätsmodulen uuKal /^ '^^ I 

sich also aus 27- (^rossen \)y^A ,\7''\^ I zu 

\e = 1,2, .., 2(// 

setzen in di^r Form 'I', und bezeichnet man die Elemen- 
tarteiler der den Grössen Uk€ auf Grund der zwischen 
ihnen bestehenden Relationen: 

'II) 2: t //en Uk€ "Xn '--- O (k, X -- 1, 2, . ., g; k < X) 

zukommenden alternierenden bilinearen Form mit €^>€^ 
>,,>('^y so zerfällt die zur Klasse gehörige Theta- 
funktion nach einer Transformation von der Ordnung e^ 
in das Produkt einer Thetafunktion von q und einer 
s(»lchen von p-q V^eränderlichen, und ferner giebt es im 
l^^alle ('i > 1 unter den unendlich vielen zur Klasse gehö- 
rigen, durch lineare Transformation in einander tiber- 
führbaren Svstemen von Thetamodulen eines von der 
Form : 



II • • »*l^ 



e 



. . Uqq 


% • 


Tn 


C) r/^ -j- 1 , Y -f. j 


• • 


<*?+!» y 


• • • . 
7TI 


• 


Upp 






O 



• Man cikciiin uiinnttclbar, dass q solche Integrale existieren, sobald eines 
vorhanden ist. 



Die Reduzierbarkeit Abel'scher Integrale 187 



TTl 


. 


. 


«11 


elf 2 • 


. «1/ 





IT! . 

• 


. 

• • 


rt», 

• 


«i2 . 

• 


• 



Sind: 



(50) ^ ^ ""' "" •; "" («^v = «v^) 

O O . • TTl «/, ap2 • • ^/>/ 
die Periodizitatsmodulen der p Riemann'schen Normalintegrale 
einer beliebigen Klasse AbeFscher Integrale vom Geschlecht />, 
so kann man zu jedem a^y auf unendlich viele Weisen eine 
Grösse €^v so bestimmen, dass: 

(51) flf^v + e^v = />|L1V + ?|L1V TTl, 

wird, wo /)^v und 9^v rationale Zahlen bezeichnen, und gleich- 
zeitig der Modul von 6^v unter einer beliebig kleinen vorgegebenen 
positiven Zahl b liegt Wählt man b hinreichend klein, so ist 
auch die aus den Zahlen /)^v gebildete quadratische Form 

f 1 pay Xii Xy eine negative, und es bilden dann : 

|i = l v=l 

TTl O . . O ^ii + €ji «fi9 + t,4 .. «,/ + €,/ 
gx O TTl . . O «21 + ^21 ^22 + €aa .. «2/4-^2/ 

O O . . TTl «/i 4" €^1 «/2 "f" ^Pi • • ^// "4" t// 

die Periodizitätsmodulen von /> Integralen, welche aber, da sich 
die Periodizitätsmodulen eines jeden von ihnen aus den beiden 

1 TTl 

Grössen — imd ~, wo P imd Q die gemeinsamen Nenner der 

rationalen Zahlen p^y und g^v bezeichnen, mit Hülfe ganzer Zahlen 
zusammensetzen, auf elliptische Integrale reduzierbar sind: 

V.Satz: Jeder Klasse Abel'scher Integrale sind 
unendlich viele reduzierbare unendlich benachbart*. 



1 Die Sätze I und II rühren von Picard (Bull. S.M.F. Bd. ii. 1882. pag. 25 und 
CR. Bd. 93. 1881. pag. 696, vgl. auch Poincare CR. Bd. 93. 188 1. pag. 958), die Sätze 
III, IV und V von Poincar^ (Amer. J. Bd. 8. 1886. pag. 289, Bull. S. M. F. Bd. 12. 1884. 
pag. 124; C. R. Bd. 102. 1886. pag. 915 und C R. Bd. 99. 1884. pag. 853) her. Theta- 
funktionen von der im Satze IV betrachteten Art sind auch die von Wirtinger (Unters, 
über Thetafunktionen. Lpz. 1895) eingeführten „Riemann'schen Thetafunktionen der auf 
der Mannigfaltigkeit M^ gelegenen Kurven" (dazu Poincart^, C. R. Bd. 92. 1881. 
pag. 958, und Wirtinger, Monatsh. f. Math. Bd. 6. 1895. P^g* ^)* 



H. E. TIMERDING 
DIE GEOMETRIE DER LINEAREN FUNKTIONEN 

1. 

Möbius hat zuerst in seinem baryzentrischen Kalkül den 
der Statik entlehnten Begriff des Massenpunktes für die reine 
Geometrie verwertet und auf diesem anscheinenden Umwege 
bekanntlich die homogenen Koordinaten entdeckt. Er bemerkte 
nämlich, dass ein beliebiger Punkt des Raumes als Schwerpimkt 
von vier Massen angesehen werden kann, die in den Ecken eines 
fest gegebenen Tetraeders konzentriert gedacht werden sollen, 
über deren — positive oder negative — Grösse aber beliebig 
verfügt werden darf. Durch die Verhältnisse dieser vier Massen 
ist schon die Lage des Schwerpunktes eindeutig bestimmt, durch 
ihre absoluten Werte wird auch noch dem Schwerpunkte eine 
bestimmte Masse, nämlich die Summe jener vier Massen, zuerteilt. 
Durch die vier Möbius'schen Koordinaten stellen sich also, wenn 
man nicht bloss ihre relativen, sondern auch ihre absoluten 
Werte in Rücksicht zieht, Punkte des Raumes mit gewissen ihnen 
inhaerierenden Zahlen, oder nach Grassmann's Ausdruck Pimkt- 
grössen, dar. Und zwar ist diese Darstellimg derart, dass die 
Summen entsprechender Koordinaten zweier Massenpimkte Pi 
und Pa dem Schwerpunkte dieser Massenpunkte, mit der ihm 
zugeschriebenen Summe der Massen von Pj imd Pa, als Koor- 
dinaten zugehören. 

Die einfachsten Koordinaten der Punktgrössen sind aber, 
wenn man von gewöhnlichen, rechtwinkeligen Punktkoordinaten 
Xy y, s ausgeht, nicht die Möbius'schen, sondern die folgenden 

(1) h = mXy k = myy l = m s, m = w, 

indem m die Masse des Punktes bezeichnet. 

Wenn dann Pj und P, zwei Massenpunkte sind, deren Koor- 
dinaten imd Massen durch die Indizes 1 und 2 unterschieden sein 
sollen, so entsprechen die Koordinaten 

(2) h = m^ Xi + Wa X2) * = W/j JVi + Wa J^a, / = W/j S^ + fft^ S^y 

m = ;«i + ;;/a 



190 H. E. Timerding 



einem Massenpunkte, dessen Masse m = ni^ + m^ ist und dessen 
Lage durch die Cartesischen Koordinaten 

(3) x = -± — , v = — , ^ = — 



festgelegt ist, der also in der That mit dem Schwerpunkte der 
Massenpunkte Pi und Pg zusammenfällt. 

Eine lineare Funktion der Grössen A, ky l^ m: 

(4) ah + bk + cl + dm, 

stellt das statische Moment des zugehörigen Massenpunktes 
bezüglich der Ebene 

(5) ax + by + CS + ä = 
dar, wofern 

(6) a^ + ö'^ + fä = 1 
ist. 

2. 

Lässt man aber diese beschränkende Voraussetzung fallen, 
nimmt also eine lineare Funktion der Massenpunktkoordinaten 
an, zwischen deren Koeffizienten keine Relation besteht, etwa 

(7) L = AA + B* + C/ + Dw, 

so giebt dieser Ausdruck erst dann das statische Moment des 
Massenpimktes bezüglich der Nullebene der linearen Funktion, 
nämlich der Ebene, die durch die Gleichung 

(8) A.r + B>^ + C^ + D = 
dargestellt wird, wenn man ihn durch 

(9) G = ]/A^ + B« + C* 

dividiert. Diese Grösse G wollen wir als das Gewicht der linearen 
Funktion bezeichnen *. Es ergiebt sich dann sofort der Satz, dass 
die lineare Funktion vollständig bestimmt ist, sowie ihre Nullebene 
und ihr Gewicht gegeben sind. Den Wert, den sie für einen 
beliebigen Massenpunkt annimmt, finden wir, indem wir das 
statische Moment des Massenpunktes bezüglich der Nullebene 
mit dem Gewichte der linearen Funktion multiplizieren. Für 
einen einfachen Punkt, d. h. einen Massenpunkt mit der Masse 
Eins, verwandelt sich das statische Moment in den Abstand des 
Punktes von der Nullebene. 



* Der Ausdruck rührt von Herrn Reye her. 



Die Geometrie der linearen Funktionen 191 

Man kann das Gewicht der linearen Funktion ansehen als 
den reziproken Wert des Abstandes ihrer Nullebene von der 
Ebene, in der die Funktion den Wert Eins annimmt. Man kann 
aber auch das Gewicht der linearen Funktion in ihrer Nullebene 
durch ein Dreieck, dessen Inhalt ihm gleich ist, darstellen. Mit 
diesem Dreieck ist natürlich auch die Nullebene gegeben. So ist 
die lineare Funktion durch ein solches Dreieck vollständig 
bestimmt. Dasselbe kann aber, ohne dass die zugehörige Funktion 
sich ändert, in seiner Ebene beliebige Verwandlungen erleiden, 
wenn nur sein Inhalt ungeändert bleibt. Eine solche geometrische 
Grösse bezeichnet Grassmann als Ebenengrösse. 

Den Wert der lineai*en Fimktion, oder das Moment der 
Ebenengrösse, für einen beliebigen (einfachen) Punkt P findet man 
gleich dem Volumen eines Prismas, dessen Basis jenes Dreieck 
ist, während die gegenüberliegende Grundfläche durch den Punkt P 
geht. 

Zu dieser geometrischen Verbildlichung der linearen Funktion 
führt auch der analytische Ausdruck für das Volumen eines 
di-eiseitigen Prismas, von dem eine Gnmdfläche fest gegeben ist, 
und zwar mögen A, B, C ihre Projektionen auf die Koordinaten- 
ebenen sein, femer möge, indem p den Abstand ihrer Ebene 
von dem Koordinatenursprunge bezeichnet, 

D=/) . y A^ + B^T^ 

gesetzt werden, dann ist der gesuchte Ausdruck 

(10) Kx + By + Cs + 'Dy 

wenn Xy jy, 3 die Koordinaten irgend eines Pimktes in der als 
veränderlich gedachten Gnmdfläche sind. Der Inhalt beider 
Grundflächen ist 

yÄ2 + B« + CS 

imd dies ist gleichzeitig das Gewicht der linearen Funktion (10). 
Eine lineare Fimktion ist durch eine Ebenengrösse natürlich 
nur dann bestimmt, wenn das Koordinatensystem feststeht, auf 
das sich die Punktkoordinaten beziehen sollen. Lineare Funktion 
und Ebenengrösse sind keineswegs adaequate Begriffe, so wenig 
wie ein Punkt und eine Kombination von drei Zahlen adaequate 
Begriffe sind. Aber wie analytische Operationen mit drei Ver- 
änderlichen durch geometrische Operationen mit Pimkten im 
Raum dargestellt werden, so kann man auch die Addition zweier 
linearer Funktionen, die ja wieder eine lineare Funktion liefert, 



192 H. E. Timerding 



unmittelbar an den die Funktionen darstellenden Ebenengrössen 
ausführen. 



3. 



Seien 

(12) 



La = Aa X + Bg 3^ + Ca 5* + Da 

die beiden linearen Funktionen, deren Summe zu bilden ist. Wir 
geben den Xj y, s beliebige, aber feste Werte imd bezeichnen 
mit P den Pimkt, der sie zu Koordinaten hat. Wir wollen mm 
von P aus auf die Nullebenen der beiden linearen Funktionen 
Lote fällen und auf diesen von P aus Strecken PQ und PR ab- 
tragen, die gleich den Gewichten der zugehörigen linearen 
Funktionen sind. Sei dann S der vierte Eckpimkt des durch P, 
Q, R bestimmten Parallelogramms, so ist 

(13) PQ = yÄ7TBiH=^C7, PR = ]/Ä7Tb7"+C7; 



PS = y(A, + Aa)^ + (B, + Ba^) ^ (C, + Ca)S 

PS giebt also durch seine Länge das Gewicht der Funktion 
L, + La an. Die Linie PS ist aber auch normal zu der Nullebene 
dieser Funktion. Weil diese Nullebene fem er durch die Schnitt- 
linie der Ebenen Li = O imd Lj = O gehen muss, ist sie demnach 
eindeutig bestimmt. 

Um sofort die Summe mehrerer linearer Funktionen L,, L«, 
La ... zu finden, kann man folgendermassen verfahren. Man trägt 
zimächst,wie oben, auf den durch einen beliebigen Punkt P gehenden 
Normalen der Nullebenen die Gewichte von P aus als Strecken 
ab und sucht von diesen Strecken die Resultante, wie man die 
Resultante von Kräften, die auf einen Pimkt wirken, bestimmt. 
So findet man das Gewicht G der gesuchten Summe und gleich- 
zeitig die Stellung der zugehörigen Nullebene. Wenn man mm 
aber noch die Rechtecke aus den Gewichten imd den Abständen 
des Punktes P von den Nullebenen der einzelnen linearen 
Funktionen addiert und die Summe wieder als ein Rechteck dar- 
stellt, dessen eine Seite G ist, so giebt die andere Seite den 
Abstand des Punktes P von der Nullebene der gesuchten Simime 
im, und diese Ebene ist diunit selbst völlig bestimmt. 

4. 

So wie man von dem Momente einer Punktgrösse bezüglich 
einer Ebene oder einer Ebenengrösse bezüglich eines Pimktes 



Die Geometrie der linearen Funktionen 193 

Spricht, kann man allgemeiner von dem gegenseitigen Momente 
einer Pxmktgrösse xmd einer Ebenengrösse reden und hienmter 
das Produkt aus der Masse jener, dem Gewicht dieser xmd ihrem 
gegenseitigen Abstände verstehen. Analog kann man das Moment 
zweier Pxmktgrössen als das Produkt aus ihren Massen imd ihrer 
Entfernung von einander definieren. Als das gegenseitige Moment 
zweier Ebenengrössen wollen wir das Produkt aus ihren Ge- 
wichten und dem Sinus des Winkels, den ihre Ebenen bilden, 
bezeichnen. 

Aus diesen Definitionen folgt, dass, wenn Ai , *i , /i , m^ und 
//a, *2) liy '^2 die Koordinaten zweier Punktgrössen sind, ihr 
Moment durch die Formel gegeben ist : 



(H, „„.=„„ „,.i/(|_|y+(|-|)*+(^-^)' 

oder : 
(15) w/ja = Yim^hi — nti h^y+ {m^k^ — m^ k^y+{fn^ /j — tn^ l^f. 

Das Moment der zwei Ebenengrössen, die den linearen Funktionen 

A,x + B,y + Q^ + D„ 
^ ^ A8X + Baj^ + C,s + D, 

entsprechen, ist dagegen das folgende 

(17) M.a = y(B.Ca - B,C,Y + (Q A« - Q AJ« + (A, B, - A^B.Y 

und von den Gliedern D, xmd Dg ganz xmabhängig. 

Drei beliebige Punktgrössen bestimmen eine Ebenengrösse, 
deren Gewicht dem Produkt aus den Massen der drei Pxmkt- 
grössen und der Fläche des von ihnen gebildeten Dreiecks gleich 
zu setzen ist. Ebenso bestimmen drei beliebige Ebenengrössen 
eine Pxmktgrösse, deren Lage durch den Schnitt der Ebenen der 
drei Ebenengrössen gegeben und deren Masse gleich dem Produkt 
aus den Gewichten der drei Ebenengrössen und dem Sinus des von 
ihnen gebildeten körperlichen Winkels ist. Mit dem letzteren Aus- 
drucke bezeichnet man bekanntlich das sechsfache Volumen des 
Tetraeders, welches der Schnittpimkt der drei Ebenen mit drei 
von ihm auf den Schnittlinien der Ebenen um die Längeneinheit 
entfernten Pimkten bildet. 

Sind demnach 

A,x + B,y ^ C,3 + Dj, 

(18) Aa^c + Ba3^ + C,^ + Da, 

A^x + B^y + C^s + D, 



194 H. E. Timerding 



die drei zu den Ebenengrössen gehörenden linearen Funktionen, 
so ist die Masse m der durch die Ebenengrössen bestimmten 
Punktgrösse 

(19) m = (A B C), 
wenn wir abkürzend setzen 

A, B, C. 

(20) (A B C) = A, Bj Q 

Ag Bg Cg 

Ganz anders lautet der Ausdruck für das Gewicht der durch 
drei Punktgrössen bestimmten Ebenengrösse. Sind nämlich ///, *,, 
/,, /;/, für / = 1, 2, 3 die Koordinaten der Punktgrössen, so ist 
jenes Gewicht 

(21) S = y (Ä / mf + (/ // mf + (A * m?", 

wo die Klammerausdrücke unter der Wurzel analoge Bedeutung 
haben wie oben (ABC). 

5. 

Fassen wir nur die linearen Funktionen ins Auge, deren 
Nullebenen durch den Ursprung O des Koordinatensystems gehen, 
so kann man jede dieser Funktionen durch ein Lot O P «auf ihrer 
Nullebene im Punkte O, dessen Länge ihr Gewicht angiebt, dar- 
stellen. Der Wert der linearen Funktion in einem beliebigen 
Punkte Q ist dann gleich der Grösse 

(22) OP. OQ . cos POQ. 

Zieht man bloss die linearen Funktionen in Betracht, deren 
Null ebenen einer Koordinatenaxe, sagen wir der ^-Axe, parallel 
sind, so reduzieren sich dieselben auf die linearen Funktionen 
nur zweier Veränderlichen, x und v. Schneiden wir die Null- 
ebenen dieser linearen Funktionen durch eine zur -sr-Axe senk- 
rechte Ebene, etwa die Ebene ^ = 1 oder e, so können wir auch 
sagen, dass diese linearen Funktionen sich durch die linearen 
Funktionen in der Ebene e ersetzen lassen. Wir wollen nun durch 
die Schnittlinie // einer der Nullebenen x\ mit der Ebene e eine 
andere Ebene (p legen, die durch den Ursprung O des Koordi- 
natensystems geht. Fällt man dann von einem beliebigen Punkte 
P der Ebene e auf die Ebene r\ oder, was dasselbe ist, auf die 
Gerade u ein Lot, dessen Fusspunkt Q sei und ebenso ein Lot 
auf die Ebene qp, dessen Fusspunkt R heisse, so ist 

(23) P R = P Q . cos X, 



Die Geometrie der linearen Funktionen 195 

wenn X den Winkel zwischen den Ebenen x] und 9 bezeichnet 
Ist nun 

(24) L = Ax + By + D 

die lineare Funktion, zu der n als Nullebene gehört, so muss die 
lineare Funktion, zu der qp als Nullebene gehört, die Form haben 

(25) A = M (Ax + B V + D^-), 

weil sie für ^ = 1 von L nur um einen konstanten Faktor ver- 
schieden sein kann. Man findet dann 

(26) cos X = . - 

^ ^ yA« + B« + D^ 

Macht man nun 

(27) M = cos X, 

so folgt aus den vorstehenden Gleichungen, indem man noch 

(28) MA = Ej, MB = Ea, MD = E3 
und damit 

(29) A = EjX + E^y + Ej^s 

setzt, die Beziehung: 

(30) l/A« + B« = yE7~FE7TE7, 

und diese Gleichung sagt aus, dass die linearen Funktionen L 
und A gleiches Gewicht haben. Sei noch bemerkt, dass die 
Koeffizienten von L aus denen von A hervorgehen durch Multi- 
plikation mit 

1/E,« + E,« + E3« 

(31) M = . 

^ yEi« + E,' 

Diese Betrachtungen geben ein Mittel in die Hand, die linearen 
Funktionen in einer Ebene mit denjenigen linearen Funktionen 
im Räume in Beziehung zu setzen, deren Nullebenen durch den 
Punkt O gehen. Diese Beziehung ist derart, dass entsprechende 
lineare Funktionen dasselbe Gewicht haben und in derselben 
geraden Linie der Ebene e verschwinden. Weil nun die linearen 
Funktionen, deren Nullebenen den Punkt enthalten, durch die 
Punkte des Raumes dargestellt werden können, so kann man 
mittelbar auch die linearen Funktionen in der Ebene durch die 
Punkte des dreidimensionalen Raumes repräsentieren. Dann lassen 
sich die Koordinaten des darstellenden Ptmktes auch die Koor- 
dinaten der dargestellten linearen Funktion nennen. 

13* 



196 H. E. Thnerding 



Hiermit haben wir auch ein Prinzip gefunden, nach dem 
wir für die allgemeine lineare Funktion im Raimie vier „Koor- 
dinaten" definieren können. Als solche haben wir, wenn die 
lineare Funktion lautet: 

(32) Ax + By + C^ + D, 
die Grössen zu bezeichnen : 

(33) Ei = MA, E8 = MB, E3 = MC, E4 = MD, 
wo 

T/A« + B« + C* 

(34) M = ,— — 

yA« + B« + C« + D^ 

Diese Grösse lässt sich einfacher schreiben, wenn wir den Abstand 
p des Koordinatenurspnmges von der Nullebene der linearen 
Funktion einführen. Dann ist 

(35) M = ,-}- 

Das Gewicht der linearen Funktion 

(36) G = yA* + B^ + a 

drückt sich durch die Koordinaten aus wie folgt: 

(37) G = yE.« + E,« + E3« + "et: 

Gäbe es einen vierdimensionalen Raum, so könnten wir die 
Massenpunktkoordinaten A, *, /, m als gewöhnliche rechtwinklige 
Koordinaten in diesem ansehen und m = 1 als die Gleichxmg 
unseres Raumes in jenem vierdimensionalen ansetzen. Wii* stellen 
dann alle Punkte des letzteren in unserem Räume diu-, indem 
wir jedem Strahle des vierdimensionalen Raiunes, der durch den 
Koordinatenurspnmg geht und für dessen Punkte die vier Koor- 
dinaten dieselben Verhältnisse haben, seinen Schnittpunkt mit 
dem Räume m = \ zuordnen und diesem Schnittpunkte gleich- 
zeitig die letzte Koordinate m als Masse bei schreiben. 

Die linearen Funktionen in unserem Räume bilden ebenfalls 
eine vierfach ausgedehnte Mannigfaltigkeit, wir könnten auch sie 
durch die Punkte des vierdimensionalen Raiunes darstellen, indem 
von diesen die Koordinaten der linearen Funktionen die gewöhn- 
lichen rechtwinkligen Koordinaten sein sollen. Das Gewicht G 
der linearen Funktion ist dann dem Abstände des darstellenden 
Punktes vom Koordinatenursprung gleich. Alle Massenpunkte, 



Die Geometrie der linearen Funktionen 197 

für die die lineare Funktion einen konstanten Wert annimmt, für 
die also 

(38) Ah + Bk + Cl + Dfn ^] 
oder 

(39) E,/r + E,k + E3/ + E,m = MJ 

wird, wenn J eine Konstante bezeichnet, erfüllen dann einen drei- 
dimensionalen Raum, dessen kürzester Abstand vom Koordinaten- 
urspnmg 

(40) ^ 

ist und gleichzeitig auf der Verbindungslinie des Urspnmges und 
des Punktes mit den Koordinaten Ej, E,, E,, E4 liegt. 

Bei einer solchen Darstellung der Punkt- und Ebenengrössen 
in einem vierdimensionalen Räume wäre es natürlich nötig, scharf 
zu unterscheiden, welche der beiden Grössenarten ein Punkt 
dieses Raumes darstellt. Dies kommt darauf hinaus, dass man 
in dem Ausdrucke 

(41) EjA 4- E^k + E3/ -f E,w 

die ersten Faktoren E, als der Art nach verschieden von den 
zweiten Faktoren A, *, /, m ansieht, obwohl sie in dem Ausdrucke 
in genau gleicher Weise vorkommen. Diese Unterscheidung ist 
in der analytischen Geometrie wohlbekannt, sie ist es auch in 
der Mechanik, wo ein ganz ähnlicher Ausdruck für drei Ver- 
änderliche als Arbeit bezeichnet wird und wo die ersten Faktoren 
als Kräftekomponenten von den zweiten Faktoren als Weg- 
komponenten dem Wesen nach durchaus verschieden sind. 

Der erste, der diese Ausdrücke ihrer Natur und Bedeutung 
nach erkannte, war kein geringerer als Gauss. Obwohl er sie 
aber nach seinen eigenen Worten fast sein ganzes Leben hin- 
durch bei seinen Untersuchungen mit vielem Nutzen angewandt, 
hat er doch ausser einer kurzen Note darüber nichts mitgeteilt. 
Grassmann hat diese von ihm als innere Produkte bezeichneten 
Grössen neu entdeckt und in seiner Ausdehnungslehre, mit der 
sie aufs innigste verbunden sind, ausführlich behandelt. 

7. 
Sind L,, Lg, L,, L4 vier festgegebene lineare Funktionen, 
so lässt sich i. A. jede andere lineare Funktion L in der Form 
darstellen : 

L = «1 Li -f «jLg -f «,L, + «4L4. 



198 H. E. Timerding 



Die Grössen «j, u^j u^y «4 legen die lineare Funktion L dann 
eindeutig fest. Setzt man in dieser für die Veränderlichen die 
Koordinaten des Punktes ein, für die Lj, L^, Lj, L4 mit Ausnahme 
von L, verschwinden, so wird L = «, L, und hieraus sieht man, 
dass die Grösse «, dem Abstände />, der Ebene, für die L = 
ist, von einer Ecke des Grundtetraeders, das die Nullebenen der 
vier Gnmdfunktionen L,, La, L3, L4 bilden, proportional ist. Um 
die Grösse Ä, zu bestimmen, durch die dieser Abstand noch zu 
dividieren ist, um //, zu finden, lasse man L mit L, zusammen- 
fallen, mache also Ui = 1 xmd die übrigen ti -= 0. So sieht man, 
dass die Grössen A, nichts sind wie die Höhen des Grundtetraeders. 
Sind nun L'j, L'a, L'g, L'4 vier neue, festgegebene lineare 
Funktionen, so kann man jeder linearen Funktion 

L = Wi L'i + «2 La + «8 Lg + «4 L4 
eine lineare Funktion 

L' = «j L'i + U2 L'a + «3 L'a + W4 L'4 
zuweisen. Dann wird auch jeder Ebene des Raumes eine Ebene 
zugewiesen. Sind L', M', N' drei lineare Funktionen, die drei 
linearen Funktionen L, M, N entsprechen, so entspricht der 
linearen Funktion aL + ßM + TN die lineare Funktion 
aL' + ßM' + tN', welches auch die Werte von a, ß, y sind. 
Damit entsprechen auch den Ebenen eines Bündels wieder die 
Ebenen eines Bündels, und es wird auch jedem Punkte des 
Raimies wieder eindeutig ein Pxmkt zugeordnet. Dies ist die 
Verwandtschaft der Kollineation, die hier als Verwandtschaft 
zwischen Ebenengrössen erscheint und völlig bestimmt ist, wenn 
von vier Ebenengrössen die vier entsprechenden Ebenengrössen 
bekannt sind. Zu jeder gewöhnlichen Kollineation gehören, streng 
genommen, unendlich viele solche Beziehungen zwischen den 
Ebenengrössen, bei denen sich die transformierten Ebenengrössen 
aber nur um einen, für alle konstanten, Faktor unterscheiden. So 
ist diese Beziehung auch nicht völlig bestimmt, wenn zu den 
Nullebenen von fünf linearen Funktionen die Nullebenen der ent- 
sprechenden linearen Funktionen gegeben sind, sondern es bleibt 
noch ein gemeinsamer Faktor der transformierten Funktionen 
willkürlich zu wählen. 

8. 

Wenn auch die Ebenengrössen die naturgemässe geome- 
trische Deutung der linearen Funktionen bilden, so empfiehlt es 



Die Geometrie der linearen Funktionen 199 

sich doch, noch eine ganz anders geartete Darstellung derselben 
zu versuchen. Wir wollen die linearen Funktionen mit den Kugeln 
des Raumes, die ja ebenfalls eine vierfach ausgedehnte Mannig- 
faltigkeit bilden, in Beziehung setzen. 

Denken wir xms die Gleichung einer Kugel in der Form 
gegeben 

(42) x^+y^ + ^' — 2Gi .r — 2G.y — 2G^3 — G,^=^0, 

so umschliesst die Kugel immer den Koordinatenurspnmg, es 
sind Gl, Gg, Gj die Koordinaten des Kugelmittelpunktes und G4 
ist der halben kürzesten Sehne durch den Koordinatenursprung 
gleich. Wenn wir nun G,, Gg, G3, G4 bestimmten, aus den vier 
Funktionskoordinaten Ej, E2, E3, E4 zusammengesetzten Aus- 
drücken gleich setzen, so sind damit die linearen Funktionen auf 
die Kugeln gewissermassen abgebildet. Diese Abbildung soll 
selbstA^erständlich eine eindeutige, und sodann eine möglichst 
natürliche und zweckmässige sein. 
Am einfachsten ist es zunächst 

(43) G, = G, 

d. h. gleich dem Gewichte der linearen Funktion zu setzen. 
Beachtet man nun noch, dass für G = O, wenn man nur reelle 
Koeffizienten in Rücksicht zieht, gleichzeitig Ej = 0, E^ = O, 
E3 = O, E4 = O werden muss, so sieht man, dass man G,, Gg, Gj 
Jim besten den Faktor G giebt, denn dadurch wird vermieden, 
dass dieser entarteten linearen Funktion noch eine gewöhnliche 
Kugel entspricht. Wir fordern nun noch, dass, wenn man die 
Grössen E,, Es, E,, E4 alle in gleicher Weise vergrössert, die 
Dimensionen der Kugel in demselben Masse zxmehmen sollen. 
Dieser Forderung genügen wir am einfachsten, indem wir setzen 

FEE 

(44) G, = — G, Ga ^ g" ^» G3 = — G. 

Für die lineare Funktion 

(45) A.r -f Bj^ + C^ + D 
ist also zunächst 

(46) G4 = G = yA* + B^ + C« 
und sodann 

(47) G, = gA, G, = |b, G3 = |c. 

Den linearen Funktionen mit einer und derselben Nullebene 
entspricht eine Reihe ähnlich liegender Kugeln mit dem Ur- 



200 H. E. Timerding 



Sprung O als Ähnlichkeitspunkt. Deren Mittelpunkte liegen auf 
der durch O gehenden Normalen der Nullebene. 

Wenn das Gewicht G der linearen Funktionen einen kon- 
stanten Wert hat, ihre Koordinaten aber im übrigen beliebig 
veränderlich sind, so haben die zugehörigen Kugeln im Koordi- 
natenursprung O alle gleiche, und zwar negative, Potenz. Sie 
schneiden daher alle aus einer bestimmten Kugel, mit dem Mittel- 
punkt O und dem Radius G, grösste Kreise heraus und bilden 
ein Kugelgebüsch mit imaginärer Orthogonalkugel. 

Es fragt sich noch, wie man umgekehrt aus den Elementen 
der Kugel die Koordinaten E, der zugehörigen linearen Funktion 
berechnen kann. Bezeichnet man den Kugelradius mit F, die 
Entfernung des Kugelmittelpxmktes M vom Ursprung mit p, 
so dass also 



(48) p2 = G,2 + G,' + G 



2 

8 f 



(49) F2 = G,2 + G/ + G^' + G2 = p2 + G^, 

dann finden wir 

E,2 4- E/ + E,' ^, G^ - E,2 



(50) p2 = ' r^". ^—" G' = r.2 G2, 



denmach 

G* 

(51) ^* = F 

und weiter 



(52) E, = 1^ G, E, = I? G, Ea = |? G. 

Hieraus ergiebt sich eine einfache geometrische Konstruktion 
der Grössen E/. Seien U, V die Endpunkte irgend einer kürzesten 
Kugelsehne durch den Punkt O. Bezeichnen wir den Winkel 
UMV mit 2 9, so ist 

(53) — = sin qp. 
Fällen wir aus O das Lot OZ auf UM, so ist 



G 



2 



(54) UZ = G sin qp = — = E4. 

Sei endlich W der Punkt auf O M , der von O tun die Strecke O Z 
entfernt ist, so sind E,, Eg, Eg die Koordinaten dieses Punktes 
W, denn es ist dann 

E.« + E," + E,2 = G* - E/. 



Die Geometrie der linearen Funktionen 201 

9. 

Wir wollen nun die Beziehung untersuchen, in der die den 
linearen Funktionen von bestimmtem Gewicht entsprechenden 
Kugeln zu den Nullebenen dieser linearen Funktionen stehen. 

Die Ebene v, deren Gleichung lautet 

(55) Ax + B3^ + C^ + D = 
oder, was nach (47) dasselbe ist, 

(56) G,x + G^y + G,^ + G = o, 

steht zunächst senkrecht auf der Verbindungslinie des Koordi- 
natenurspnmgs O mit dem Mittelpunkt M der Kugel 

(57) :r« + y + ^' — 2Gi:r — 2G^y — 2G8^ _ G« = 0. 
Nennen wir P den Schnittpunkt dieser Linie mit der Ebene v^ 
so ist 

(58) O M . O P = — G, 

denn es ist ja 

, - G 

O M = ycTTcTTG? und nach (56): O P = wq« . Qa T=^> 

die Wurzel darf man beidemal positiv nehmen. Der Kugelmittel- 
punkt M ist sonach immer auf der Linie O M von O ebensoweit 
nach der einen Seite entfernt, wie der Pol der Ebene v bezüglich 

einer Kugel K' mit dem Mittelpunkt O und dem Radius ^/G auf 

derselben Linie von O nach der anderen Seite entfernt ist. Wir 
wollen sagen, M sei der Gegenpol der Ebene bezüglich der 
Kugel K'. 

Hieraus erkennen wir, wie wir die Kugel, welche die lineare 
Funktion darstellt, konstruieren können, wenn die letztere durch 
ihre Nullebene und ihr Gewicht G gegeben ist. Wir legen dann 
um den Urspnmg O als Mittelpunkt eine Kugel K mit G und 

eine andere K' mit "j/G als Radius. Bezüglich der letzteren suchen 

wir von der Ebene v den Gegenpol und konstruieren lun diesen 
als Zentrum die Kugel, welche aus der Kugel K einen grössten 
Kreis ausschneidet. Dies ist die gesuchte Kugel. 
Die Gleichxmg 

(59) Gl X + G, Y + Ga Z + G = 
geht in die Kugelgleichung 

(60) — 2 (Gl AT + G^y + G,^) + at« + y + ^* — G« = o 
über durch die Substitution 



202 H. E. Timerding 



w X- ,. -^^f ^ ,Y- -"'y 



x' + y^ + s^ — G^' x'+y^ + s^ — G^' 

^ _^ -2G^ 

.r2+y + ^' — G«' 
Die so dargestellte Punktverwandtschaft lässt sich als eine Er- 
weiterung der gewöhnlichen Inversion ansehen. Sie ist nicht 
mehr vollkommen eindeutig, sondern nach einer Seite hin zwei- 
deutig. Jedem Punkte {xy s) entspricht wohl ein Punkt (X YZ), 
aber umgekehrt entsprechen jedem Punkte (XYZ) zwei Punkte 
[xys)^ einer innerhalb und einer ausserhalb der Hauptkugel K, 
die wir als assoziierte Punkte bezeichnen wollen. Sie liegen mit- 
samt ihrem zugehörigen Punkte (X Y Z) auf einem Strahle durch 
den Ursprung O und ihre Lage ist auf diesem Strahle durch die 
quadratische Gleichung bestimmt : 

(62) r2 + 2§r — G^ = 0, 

IV 

wenn R und r die Entfernungen entsprechender Pimkte vom 
Punkte O bezeichnen, oder auch durch die beiden Gleichungen 

,/:o\ '^l H" ^^2 G 

y^) — 2 — ^ ~ R' ^' • ''- ^ ~" ^ ' 

wo sich die Indices 1 und 2 auf den ersten und zweiten 
assoziierten Punkt beziehen. Diese Formeln drücken nichts 
jmderes aus, als dass, wenn wir im Punkte (XYZ) auf seiner 
Verbindungslinie g mit O die Normalebene v errichten und zu 
dieser Normalebene in der oben angegebenen Weise die zu- 
gehörige Kugel G suchen, dann die beiden Gegenpunkte R, und Rj, 
in denen das Lot g der Ebene v die Kugel £1 trifft, dem Fuss- 
punkte P des Lotes auf der Ebene entsprechen. 

10. 
Auf demselben Lote g wollen wir noch zwei Ptmkte Qj 
xmd Qa festlegen, deren Abstände 7, und q^ vom Urspnmge O 
den Beziehungen genügen sollen : 

(64) (p - q,) (p - q,) = F\ q, q, = - G\ 

wenn F den Radius der Kugel C, p den Abstand ihres Mittel- 
punktes M vom Ursprünge bezeichnet. Die erste Gleichung sagt 
aus, dass die beiden Punkte zu einander bezüglich der Kugel Q 
invers sind. Sie Ulsst sich auch schreiben 

(65) ^'^ . p = - G» 



Die Geometrie der linearen Funktionen 203 

wegen (63). Nennt man N die Mitte zwischen Q, und Qa, so 
sind sonach M und N assoziierte Punkte. Andererseits sind aber 
auch Q, und Qg selbst infolge der zweiten Gleichung (64) 
assoziierte Punkte. Sucht man also zu dem Mittelpunkte einer 
beliebigen Kugel Q des Gebüsches den assoziierten Pimkt, und 
zu diesem die beiden assoziierten Punkte, zwischen denen er in 
der Mitte liegt, so sind dies zwei Punkte Qi und Qo, die wir 
die Pole der Kugel nennen wollen. Zur geometrischen Konstruktion 
legt man durch die Gerade g oder O M irgend eine Ebene, sind 
dann U und V die Schnittpunkte dieser Ebene mit der Haupt- 
kugel K und der beliebig im Gebüsch angenommenen Kugel ü, 
so konstruiere man den durch U, V und M gehenden Kreis, er 
schneide die Gerade g ausserdem im Punkte N. Die Schnittpxmkte 
des Kreises um N, der durch U und V geht, mit der Geraden g 
sind dann die gesuchten Pole Q, und Q«. 

Der letztere Kreis ist ein grösster Kreis der Kugel 9t des 
Gebüsches, die N zum Mittelpunkte hat, und die Pole dieser 
Kugel sind die Schnittpimkte R, und Rj der Kugel G mit der 
Geraden g. Die Zentrallinie zweier Kugeln des Gebüsches, 
die assoziierte Punkte zu Mittelpunkten haben, schneidet 
also aus jeder die Pole der anderen aus. 

Alle Kugeln, die durch ein Paar assoziierter Punkte gehen, 
gehören dem Gebüsche an, also gehören auch alle Kugeln, die 
durch die Pole einer Kugel C des Gebüsches gehen, dem letzteren 
an, sie sind aber auch zu der Kugel £1 orthogonal, weil sie durch 
zwei inbezug auf sie inverse Punkte gehen. Das heisst in der 
Sprache der Kugelgeometrie : Jede Kugel D unseres Gebüsches 
bestimmt als Orthogonalkugel ein anderes Gebüsch, welches mit 
dem ersteren einen Kugelbündel gemein hat. Die Grundpunkte 
dieses Kugelbündels sind dann die Pole der Kugel D. Und die 
Mittelpunkte der zum Bündel gehörenden Kugeln erfüllen die 
Ebene, von der der Mittelpunkt der Kugel £1 der Gegenpol 
bezüglich der Hauptkugel K ist. 

Jede Kugel des Gebüsches enthält mit einem Punkte zugleich 
seinen assoziierten. Die Kugeln, von denen die auf einer bestimmten 
Kugel ü liegenden Paare assoziierter Punkte die Pole sind, bilden 
eben jenen Bündel, dessen Grundpunkte die Pole der Kugel O 
sind. So ist zwischen den Kugeln des Gebüsches und ihren Pole- 
paaren eine reziproke Verwandtschaft begründet, die für die 
Geometrie des Gebüsches von fundamentaler Bedeutung ist. 



204 H. E. Timerding. 



11. 

Sucht man den Winkel 9 zu bestünmen, unter dem sich 
zwei Kugehi des Gebüsches 

^ ) x^ + y^ + s'- — 2G\x—2G\y — 2G\s—G^ = o 

schneiden, so findet man 

/>.- G, G'i 4- G, G'j + G3 G 3 + G- 
(6/ ) cos cp = - , -J ^—- ■' — - — -• — 

yc,^ + G.« + G,* + G^ . V'G'r -h G't« + G',^ + G* 

Sind E, und E', die Koordinaten der linearen Funktionen, denen 
die beiden Kugeln entsprechen, so kann man statt des obigen 
Ausdruckes auch schreiben 

17 17' «I- 17 17' _L 17 17' _I_ 17 17' 

(68) cos <p = i^ i 11 1 -Ml, 11 , . £.3 ^ , ti4 ti 4 

yE,^ + E,^ + E,^ ^ E,^ . yE V 4- E',^ + E',^ -r E ,=^ 

Als Koordinaten der Paare assoziierter Punkte können vdr die 
durch die Gleichimgen (75) definierten Grössen X, Y, Z ansehen, 
da ja jeder Kombination dieser Grössen ein solches Punktepaar 
entspricht. Jeder linearen Gleichung zAvischen ihnen entspricht 
eine Kugel des Gebüsches. Die Koordinaten X^, Y^, Z^ des Pole- 
paares der Kugel 

(69; G, X + Go Y 4- G,Z + G = 

sind 

(70) X = ^ Y = — Z = — 

denn aus der ersten Gleichung (63; folgt für 

die Beziehung 



j ' 



2 - . Q = - G, 

wenn qi und q^ die Abstände des Polepaares vom Urspnmg sind. 
Hieraus ergiebt sich mit Hülfe von i65) 

Q = g oder yx/ + y7T'z7 = ^ ycTTUTT^?, 

und femer muss 

Xo ' 1 f, '. Z,f, = G| I Gg ! G3 

sein. 

Führen wir in die Gleichung i;67) die Koordinaten der Pole- 
paare der beiden Kugeln ein, so verwandelt sie sich in eine 
Formel von folgender Gestalt: 



Die Geometrie der linearen Funktionen 205 

,-. X ^o X o + Y^ Y ^ + Zo Z'o + 1 

(71) cos Cp = — r 7 

yx/ + Y/ + z,2 + 1 . yx',« + Y'/ + z'/ + 1 

Dieser sonach durch die Polepaare vollständig bestimmte Winkel 
zwischen den Kugeln lässt sich auch als eine unmittelbare 
Distanz-Beziehimg zwischen den Polepaaren selbst deuten. In 
diesem Sinne ist der Winkel zwischen zwei Kugeln des Gebüsches 
gleich der Distanz ihrer Polepaare, und es zeigen die obigen 
Formeln, dass wir eine sozusagen auf drei Dimensionen erweiterte 
sphärische Geometrie vor uns haben. Nach Herrn Felix Kleines 
Ausdrucke gilt für unser Gebüsch die elliptische Geometrie. 

Lässt man das Gewicht der linearen Funktionen oder, was 
dasselbe ist, den Radius der Hauptkugel sich verändern, so ver- 
ändern sich damit alle Kugeln des Gebüsches, und zwar so, dass 
Kugeln, welche linearen Funktionen mit derselben Nullebene 
entsprechen, in ähnlicher Lage gegen den Mittelpunkt O der 
Hauptkugel bleiben. Unterwirft man also den Raiun einer ähnlichen 
Transformation, für die O der Ähnlichkeitspunkt ist, so geht jede 
Kugel des Gebüsches in eine andere über, deren zugehörige 
Funktion dieselbe Nullebene hat. So geht u. a. auch das Innere 
der einen Hauptkugel wieder in das Innere der neuen Haupt- 
kugel Punkt für Punkt über, ohne dass sich etwas ausser dem 
zugnmde gelegten Massstabe geändert hätte. Das Innere der 
Hauptkugel ist aber auch mit Hülfe der in 10 betrachteten Punkt- 
verwandtschaft eindeutig auf den ganzen unendlichen Raum 
bezogen, xmd von diesem erhält man in jeder Hauptkugel ein 
vollständiges, unzweideutiges Bild. 

Dieses Bild kann von Nutzen sein, wenn es gilt, die Ver- 
hältnisse der gewöhnlichen, euklidischen Geometrie klarzulegen. 
Es nähert sich tun so mehr der letzteren selbst, je grösser wir 
den Radius der zugnmde gelegten Hauptkugel annehmen, so 
dass wir es den wirklichen Verhältnissen unbegrenzt annähern 
können. Allgemein entspricht in diesem Bilde einer Geraden ein 
Kreisbogen, dessen Endpunkte auf der Hauptkugel liegen imd 
zugleich die Endpunkte eines Durchmessers derselben sind. Den 
Ebenen des Raumes entsprechen Kugelkalotten, deren Begrenztmg 
ein grösster Kreis der Hauptkugel ist. Alle jene Kreisbögen 
können höchstens einen Punkt mit einander gemein haben, nur 
durch irgend zwei Gegenpunkte der Hauptkugel gehen zweifach 
unendlich viele von ihnen, und diese entsprechen einem Bündel 



206 H. E. Timerdin|[ 



von ParaliellinieiL Die Kugelkalotten. die durch denselben grössten 
Kreis der Hauptkugel begrenzt werden, entsprechen analog einem 
Büschel paralleler Ebenen. Die Kugelkalotten kann man sich 
unbegrenzt der Hauptkugel nähern lassen und die Kreisbögen 
grössten Kreisen auf ihr. Die Hauptkugel spielt also die RoHe 
einer Grenzform der den Ebenen des Raumes entsprechenden 
Kugelkalotten und hat demnach selbst den Charakter einer Ebene 
und ihre grössten Kreise haben den Charakter von geraden 
Linien. 

Als „Winkel** zweier sich schneidender Kreisbögen soll der 
Winkelabstand ihrer Endpimkte auf der Hauptkugel angesehen 
werden, so dass Kreisbügen, die parallelen Geraden entsprechen, 
immer den Winkel Null miteinander bilden. Ebenso soll als 
Winkel zwischen zweien der Kugelkalotten der Winkel zwischen 
ihren begrenzenden grössten Kreisen auf der Hauptkugel bezeichnet 
werden. 

Nun giebt es eine Gruppe von sechsfach unendlich fielen 
Punkttransformationen, welche das Innere der Hauptkugel dn- 
deutig in sich transformieren, alle jene Kreisbögen imd Kugel- 
kalotten in einander imd die Hauptkugel kongruent in sich über- 
führen. Durch diese Transformationen bleiben dann alle Winkel 
z^vischen Kreisbögen imd Kugelkalotten ungeändert, ausserdem 
aber noch eine gewisse Funktion je zweier Pimkte, die man als 
Entfemimg derselben bezeichnen kann und die die charakteristische 
Eigenschaft hat, dass, wenn man sie für je zwei von drei Punkten 
eines Kreisbogens der besprochenen Art bildet, die Entfernung 
der beiden äusseren FHmkte gleich der Sunune der Entfernungen 
des mittleren von den äusseren Pimkten isL 

A\'enn man an den Paradoxien des Unendlichen in der 
euklidischen Geometrie Anstoss nimmt, dann thut man gut, dieses 
Bild derselben zu Hülfe zu ziehen, das alles Widersinnige ent- 
fernt und den Charakter der Geometrie klar her\'ortreten lässt. 
besonders das Absurde der Behauptung beseitigt, eine gerade 
Linie habe einen Endpunkt und nicht zwei imd das unendlich 
ferne Gebiet der Geometrie sei eine Ebene, während wir es uns 
doch nur als eine Kugel mit immer grösser werdendem Radius, 
in deren Zentrum wir stehen, denken können. 



KROMAYER 

DIE CHRONOLOGIE DES DRITTEN HEILIGEN KRIEGES 
UND DES KRIEGES PHILIPPS MIT BYZANZ 

Die Chronologie der Demosthenischen Zeit ist bekanntlich 
in den meisten Einzelheiten sehr schwankend und unbestimmt. 

Das scheinbar so reiche Material, welches die erhaltenen 
Staats- und Gerichtsreden dieser Epoche enthalten, versagt in 
diesen Fragen nicht nur deshalb fast ganz, weil die Redner selten 
Anlass nehmen, chronologisch genau zu fixieren, sondern auch, 
weil sie absichtlich gruppieren, zusammenrücken, trennen, wie es 
ihr jedesmaliges Interesse mit sich bringt. Auf Diodor ist ja 
anerkanntermassen auch wenig Verlass, und so sind wir vielfach 
auf die dürftigen Fetzen aus Philochoros' Atthis und andere ge- 
legentliche Notizen angewiesen. 

Dazu kommt, dass die ältere moderne Forschung auf diesem 
Gebiete fast unbrauchbar ist. Sie hat sich durch die gefälschten 
Docimiente in der Kranzrede des Demosthenes auf völlig falsche 
Bahnen drängen lassen ^ und selbst Boehnecke, wohl der scharf- 
sinnigste unter den Vertretern dieser Ansicht, ist eben deshalb 
nur im Einzelnen zu chronologischen Ansetzungen gekommen, 
die heute noch Geltung beanspruchen könnend 

Wenn nun auch die neuere Geschichtsschreibxmg von 
Droysen und Schäfer an sich des „trügerischen Reichttuns" dieser 
Documente enthalten hat, so ist sie doch einerseits mit dem da- 
durch arg beschnittenen Material u. E. nicht überall so weit ge- 
kommen, wie das möglich ist ; und anderseits sind gerade in dem 
kleinen hier zur Besprechung stehenden Zeitabschnitte kürzlich 
durch Inschriften verschiedene neue Thatsachen zu unserer 



^ Den besten Ueberblick über diese ältere Litteratar und ihre Irrgänge bietet 
wohl Chinton Fasti Hellen. II. App. i6 p. 348 ff., über die neuere Wortmann (de de- 
cretis in Demosthenis Aeschinea exstantibus, Diss. Marb. 1877 Einleitung) und besonders 
Drerup (Über die bei d. att. Rednern eingelegten Urkunden. Leipzig 1897. S. 223 ff.). 

' Forschungen auf d. Gebiete d. attischen Redner p. 494 ff. 



208 Kromayer 

Kenntnis gekommen, so dass sich durch Verbindimg des bekannten 
mit dem neuen Materiale an mehreren Stellen genauere Ansätze 
gewinnen lassen. 

Die Schlacht von Chaeronea am 7. Metageitnion d. h. am 
2. August oder I.September 338* ist der feste Punkt, von dem 
aus wir, rückwärts gehend, die Daten festzustellen haben. Dass 
die Besetzung von Elatea durch Philipp nicht, wie man früher — 
eben durch die Kranzurkimden verleitet — angenommen hatte", 
erst wenige Wochen vor der Schlacht eingetreten ist, hat man 
längst erkannt*. 

Die Verhandlimgen Philipps mit Theben, das Bündnis Thebens 
mit Athen, der Auszug der Athener, die Sammlung der Sold- und 
Milizarmeen des hellenischen Bundes in Amphissa und Para- 
potamioi, die ersten glücklichen Gefechte der Verbündeten, der 
Aufbau der phokischen Städte, die Eroberung von Amphissa 
durch Philipp, der Rückzug der Griechen auf Chaeronea: alles 
das fällt zAvischen diese beiden Ereignisse und muss eine Reihe 
von Monaten ausfüllen. 

Der Wiederaufbau der phokischen Städte insonderheit muss 
längere Zeit in Anspruch genommen haben, und auch die Be- 
zeichnimg des einen der erwähnten Gefechte als „Winterschlacht" 
ist in dieser Richtung verwertet und trotz lebhaften Widerspruches 
zu verwerten*. Sie führt uns für die Besetzung von Elatea als 
spätesten Termin eben in den Winter 339'338. 



I Die Frage ist mit Sicherheit nicht zu entscheiden, weil wegen des bei regel- 
mässiger Schaltfolge bis zum 28. Juli herabrückenden Jahresanfanges, vielleicht der 
Schaltmonat ausnahmsweise ein Jahr früher ausgelassen ist. Schaefer. Demosth. II ', 
561 A. 2. — Dass das Datum des 2. Aug. aus militärischen Gründen das wahrschein- 
lichere ist, wird an anderem Orte ausgeführt werden. 

« Voehmel. Rhein. Mus. N. F. B. I S. 564 ff. 

' Schaefer II* 544, 3 mit der dort angeführten Litteratur. Ebenso Boehnecke 
a. a. O. 531 und sonst. 

♦ Demosthenes sagt in seiner Kranzrede 216 (300) b(^ T€ 'rTapaTaEoi^€vol rd^ irpdjTa^ 
^dxa^, Ti^v t' dirl toO 1TOTa^oO Kai ti^v X€l^€plvl^v. — Es fragt sich, ob hier die 
Worte n^jv X€i^i€pivi^v (näxH^) aufgefasst werden müssen als „Schlacht im Winter", 
wie das Schaefer (II* 556), Boehnecke (a. a. O. 531) und andere thun, oder ob sie auch 
bedeuten können „Schlacht im Sturme", wie Voehmel (rh. Mus. N, F. I. 569) u. andere 
(Litteratur bei Boehnecke a. a. O.) behaupten. Ich ünde ausser dem bei Voehmel und 
Lobeck (Phryn. S. 52) angeführten Material in der umfangreichen Zusammenstellung 
bei Stephanus zwar eine ganze Zahl von Belegstellen dafür, dass X€l^^plO^ in beiden 
Bedeutungen gebraucht wird, aber keine, dass X€l^€plv6^ in anderem Sinne angewandt 
wird als „zur Winterszeit". Auch Thuc, II 70, wo Potideia ein xu)p(ov X€l^€plvdv ge- 



Die Chronologie des dritten heiligen Krieges etc. 209 

Aber man kann noch einen Schritt weiter gehen und zeigen, 
dass diese Besetzung bereits vor dem 21. September 339 stattge- 
fimden hat. 

An diesem Tage war nämlich im Jahre 339 in Athen der 
Tag der Reinigimg vor den grossen Mysterien^ dem sich die 
Mystengemeinde durch Baden im Meere imterzog *. Dabei wurden 
zwei Leute von einem Haifisch getötet \ 

Das Unglückszeichen sollte mm von der macedonischen 
Partei ausgebeutet werden. Man schlug eine Anfrage an das 
delphische Orakel vor, gegen die sich jedoch Demosthenes nicht 
nur mit dem bekannten bon mot aussprach: die Pythia philippi- 
siere*, sondern die er, gestützt auf seine ausserordentliche, ihm über- 
tragene Amtsgewalt, verhinderte*. Das hat man bisher übersehen, 
und doch konrnit es darauf gerade an. Denn diese ausserordentliche 
Gewalt hatte Demosthenes eben erst nach der Besetzimg von 
Elatea erhalten '^. 



nannt wird, gehört trotz der leichten Übertragung in diesen Zusammenhang. Es wird 
also dabei bleiben müssen, dass wie die X€l^€plV1^ iroXiopKia bei Polyam II i8, i eine 
Belagerung im Winter, so die xci^cpivi^ ^ClX^ ^j°^ „Schlacht im Winter" ist. 

1 Der Tag hiess „dXabc ^6(TTal" und fiel auf den i6. Boedromion, Mommsen, 
Feste der Stadt Athen S. 207. Das war im Jahre 339 der 21. September, da in diesem 
Jahre der athenische Jahresanfang auf den 20. Juli üel, Mommsen, Chronologie S. 292. 
So bei der Annahme, dass damals bereits der metonische Cyklus in Athen eingeführt 
war. Bei der Annahme, dass die Oktaeteris noch gegolten habe, würde sich dies Datum 
so wie alle folgenden um 2 Tage verschieben (Ad. Schmidt, Hdb. der Chronologie S. 786). 
Das ist für die hier vorliegenden Berechnungen natürlich vollständig indifferent, 
da es sich dabei nicht um kalendarische Feinheiten handelt. — Man könnte versucht 
sein, mit Boehnecke a. a. O. 536, 2 einzuwenden, dass, da es ausser dem grossen noch 
ein kleines Mysterienfest gab, sich der in Rede stehende Brauch auch auf dieses be- 
ziehen könnte. Aber der Einwurf ist nicht stichhaltig. Nicht deshalb, weil ein Tag 
dXab€ ^lOcTTai für das kleine Fest nicht bezeugt ist (Mommsen, Feste 215, 2), was Zu- 
fall sein könnte, sondern weil kein Kenner von Land und Leuten es der Mystengemeinde 
zutrauen wird, dass sie im Februar in der See gebadet habe. Nebes Widerspruch (diss. 
Halens. VIII 99) ist Spekulation vom Gelehrtentische aus. 

s Aesch. III 130 mit dem Scholion Schultz. S. 338. 

» Schaefer II «, 555. 

* Aesch. a. a. O. : diroXaOiuv Kai d^m1TXd^evo^ Tf^^ bibo^^vr)^ öq>' ö^iJDv aCiTCji 
^Eouaia^. 

^ Demosth.de cor, 178 (287): X€ipOTOvfjaai KcXeOu) b^KO irp^aßci^ Kai iroif^aai 
toOtou^ Kupiou^ ^€Td tOöv arpaniT^öv Kai toO ttötc b€i ßabiJIciv Kai rf^^ ^Höbou und 
179 vgl. auch Schaefer II* 548. Über die staatsrechtliche Formulierung dieser Gewalt, 
die nach Demosthenes' ganzem Auftreten in der folgenden Zeit, von beträchtlichem 
Umfange gewesen sein muss, geben unsere Quellen leider keinen näheren Aufschluss. 

14 



210 Kromayer 

Steht somit als terminus ante quem der 21. September 339 
fest, so giebt uns anderseits die Angabe des Philochoros, dass 
dies Ereignis imter den Archon Lysimachides gefallen sei, einen 
terminus post quem, nämlich den 20. Juli 339 *. 

Der Zeitraum von 2 Monaten, in den somit die Besetzimg 
Elateas gebannt ist, lässt sich indessen vielleicht noch mehr ein- 
schränken. 

Unmittelbar auf die Nachricht von der Besetzimg dieses 
Platzes erfolgte ja bekanntlich in Athen der demonstrative Aus- 
marsch des athenischen Heeres nach Eleusis imd die Gesandt- 
schaftsreise des Demosthenes nach Theben zum Abschlüsse des 
Bündnisses *. Diese Ereignisse liegen also, da sowohl Demosthene5 
selber als auch das athenische Aufgebot am Reinigungstage 
wieder in Athen waren, zwischen dem 21. September und der 
Besetzimg Elateas und nötigen uns, die letztere spätestens in 
die erste Hälfte September zu setzen. Anderseits legt die That- 
sache, dass der Ausmarsch der Athener nach Theben selber erst 
nach dem 21. September stattgefunden hat ^, die Nötigung auf, 
auch nicht weiter als auf den Anfang des September zurückzugehen. 
Denn die bundesgemässe Hilfe musste natürlich so schnell wie 
möglich geleistet werden. 

Es ergiebt sich somit die Spanne Zeit Ende August bis 
Mitte September 339 als Zeitpunkt der Besetzung von Elatea. 



1 Müller, frg. H. gr. I Philoch. 135: Auainaxibr]^ * AxapvcO? * dirl toOtou xd jidv 
ipya Td ircpl ToO(; vcuj^oCkou^ koI n^iv (TKCuoe/iKiiv dvcßdXovro ...räbi xp^'maTa d\iir]q)(- 
aavTo irdvT* clvai (TTpariiüTiKd . . . 4)iX(inrou b^ KaxaXaßövTot; 'EXdxciav . . . koI 
iTp^0߀i^ ir^miiavTO^ €i(; Oi'ißa^ . . . toutok; 0u^^ax€lv dniTi<p(aa[v]To. Ich habe die 
unzweideutige Stelle, so weit nötig, hergesetzt, weil Boehnecke sich a. a. O. S. 521 mit 
vergeblichem Scharfsinne bemüht hat, aus ihr die Möglichkeit herauszulesen, die Besetzung 
Elateas habe schon unter Theophrast stattfinden können. Eine Wiederlegung ist unnötig. 

' Dem. de cor. 177. 

' Das folgt aus Aesch. III 130 der nach der oben angezogenen Erwähnung der 
Vorgänge bei und nach dem Reinigungstage fortfährt: oO tö T€X€UTaiov dGÖTUiv 
Kai dKaXXiEpi^Tujv tuiv Upuiv övtujv ^H^iTcmiic tou^ aTpandixa^ dirl xdv irpdbnXov 
K(vbuvov. Eben derselbe „Ausmarsch" ist natürlich bei Aesch. III 152 und 245 gemeint, 
weil es in diesem Kriege, abgesehen von der Demonstration nach Eleusis, überhaupt 
nur einen einzigen „^Hobo?" gegeben hat. Die athenische Armee ist vor der Schlacht 
von Chaeronea überhaupt nicht wieder nach Hause gekommen, sondern im Felde ge- 
blieben. Die Leitung folgte bekanntlich während der ganzen Zeit von Theben aus. 
Man hat sich also die Sachlage so vorzustellen, dass die Mysterienfeier und die Volks- 
abstimmung über den Vertrag mit Theben gerade zwischen den Auszug nach Eleusis 
imd den nach Theben fallen. 



Die Chronologie des dritten heiligen Krieges etc. 211 

Dieser feste Punkt verleiht nun für die weitere Reconstruktion 
nach zwei Seiten hin eine sichere Stütze: 

Nach rückwärts handelt es sich um den Krieg mit Byzanz 
imd die ersten Phasen des amphiktyonischen Streites mit Amphissa, 
nach vorwärts um die militärischen Ereignisse von Philipps Feid- 
zug in Mittelgriechenland. 

Vor der Besetzung Elateas liegt der Feldzug Philipps gegen 
die Skythen imd Triballer, davor die Belagerung von Byzanz imd 
davor die von Perinth. Gegen diese Reihenfolge besteht kein 
Widerspruch K 

Der Zug gegen die Skythen und Triballer hat mm mindestens 
4—5 Monate in Anspruch genommen. Denn von Byzanz an die 
Donau und von da zurück nach Pella sind roh aber sehr knapp " 
gerechnet 11 — 1200 Kilometer, von da bis Elatea noch etwa 350. 
Das sind allein mindestens 75 Marschtage •. Berechnen wir dazu 
den Zeitverlust durch Kämpfe und Umwege, femer Philipps 
schwere Verwimdimg, die mehrere Wochen gekostet haben muss *, 
so können wir die Aufhebung der Belagerung von Byzanz nicht 
später als in den April 339 setzen. Es fragt sich, ob sie viel 
früher datiert werden darf. 

Die Antwort darauf hängt natürlich aufs engste damit zu- 
sammen, wann der Beginn der Feindseligkeiten Philipps gegen 
Perinth imd Byzanz stattgefunden hat imd wie lange die beiden 
Städte belagert sind. 

Darüber giebt es nun 3 Ansichten. 

Boehnecke lässt die Belagerungen schon Anfang Sommer 340 
beginnen und bis etwa Oktober dauern ^ Die Expedition gegen 
die Skythen legt er demzufolge schon in den Winter 340/339. 

Ihm schliesst sich Beloch an, wenigstens in betreff der Be- 
lagerungen. Den Skythenzug dagegen setzt er in den Sommer 339*. 

Schäfer endlich und die meisten anderen Forscher lassen 
die Belagerungen vom Sommer an den ganzen Winter durch 

* Schaefer II « 499 fF. Boehnecke 736 f. 

' Nach Abmessung mit dem Zirkel auf Kieperts Karte der Balkanhalbinsel, also 
ohne Berücksichtigung kleiner Wegkrümmungen auf der mutmasslichen Marschroute. 

* Wenn die Durchschnittsleistung ohne Ansetzung von Ruhetagen auf 15 Kilo- 
meter täglich gerechnet wird. Entsprechend rechnet bei dem entsprechenden Feldzuge 
Alexanders aa die Donau auch York von Wartenberg, die Feldzüge Alexanders Cap. I. 

* Justin IX 3. Schaefer. 522. 

* p. 431- 453. 737. 

* gr. Gesch. U 553. 

14* 



212 KromaycT 

dauern und den Skythenzug sich im Frühling unmittelbar daran an- 
schliessen*. Der Grund für Boehneckes Ansetzimg ist durchsichtig. 

Nach ihm musste Philipp schon am 23. Juni 339 Elatea besetzt 
haben. So wollten es die gefälschten Urkimden dar Kranzrede ". 
Deshalb musste der Skythenzug vordatiert werden. Mit dem 
Wegfall dieses Grundes fällt selbstverständlich jeder Anlass zu 
einer so unnatürlichen Annahme, wie es ein Winterfeldzug im 
Balkan imd den nmiänischen Steppen ist *. 

Das erkennt denn auch Beloch an imd setzt den Skythenzug 
in den Sommer; zieht aber daraus nicht die Consequenz, dass 
die Boehneckesche Hypothese überhaupt hinfällig sei, sondern 
lässt deren ersten Teil ruhig stehen. Und doch liegt es auf der 
Hand, dass die Annahme, die Belagerung von Byzanz sei schon 
im Herbste aufgehoben, dann völlig in der Luft hängt* imd 
unsere positive Ueberlieferung wieder in ihr Recht eintritt, nach 
welcher sogar der Beginn der Blokade von Perinth erst in die 
Zeit nach dem 20. JuU 340 fällt ^ 



1 Schaefer 501 f., 513 f. 

' Boehnecke 518, 73S. Ich muss hier zum Verständnisse hinzufügen, dassBoehnecke, 
um den 23. Juni als Tag der Besetzung von Elatea retten zu können, zu dem Auskunfts- 
mittel gegriffen hatte, unter ihm den 23. Juni des Jahres 339 zu verstehen, statt den des 
Jahres 338. 

• Dies hat Schaefer 522 A. 3 mit Recht betont. Dass Philipp seine Operationen 
in diesen Ländern gelegentlich bis in den Winter hinein ausdehnen musste, wie in 
seinem 10 monatlichen Feldzuge in Thrakien, ist etwas ganz anderes. Hier handelt es 
sich um den Beginn eines Feldzuges. 

♦ Der wahre Grund, warum Beloch trotzdem an dieser Datierung festhält, liegt 
in den amphiktyonischen Verwicklungen. Beloch S. 557 A. i hat nämlich mit Recht — 
wie sogleich gezeigt werden wird — den Beginn des amphissaeischen Streites auf die 
Herbstpylaea 340 verlegt und meint offenbar, die dortige Intrigue habe erst nach Aus- 
bruch des Krieges zwischen Philipp und Athen angelegt werden können. Das trifft aber 
nicht zu. Denn faktischer Kriegszustand war damals schon längst zwischen Athen und 
Philipp vorhanden. 

* So Philochoros frg. 135: G€Ö(ppa0TO(; *AXXai€Ö^ — sein Jahr beginnt am 
20. Juli — ^ttI toOtou <t>(XiTrT[o^ tö h^v irpuiTov dvairXeOaa^ rfcpiveiu irpo^^ßaXcv. 
Die Vermutung Belochs a. a. O. 552 A., dass dies ein Irrtum des Philochoros sei, da 
Philochoros wahrscheinlich erst bei der Belagerung von Byzanz nachholend auf Perinth 
zu sprechen gekommen sei, ist natürlich nicht geeignet, das Zeugnis aus der Welt zu 
schaffen. Ebenso wenig kann die verkehrte Datierung des gerade hier notorisch im 
Irrtum befindlichen Diodor (Schaefer 501 A. 2) dagegen aufkommen. Ucbrigens geben 
unsere Quellen keinen Anhalt dafür, dass die Belagerung zur See, wie Schaefer a. a. O. 
annimmt, später begonnen habe als die zu Lande. Der Brief Philipps § 16 spricht viel- 
mehr dagegen. 



Die Chronologie des dritten heiligen Krieges etc. 213 

Deren Dauer muss nun aber auf mehrere Monate berechnet 
werden ; die grossartigen^ in der Geschichte der Belagerungskunst 
epochemachenden Maschinenkonstruktionen, der zähe Widerstand 
der Stadt, die wiederholten Hilfssendimgen auswärtiger Mächte, 
machen diese Annahme imab weislich *. 

So kommen wir in der That mit dem Beginne der Be- 
lagerung von Byzanz in den Spätherbst, imd da auch hier ähn- 
liche Anstrengimgen Philipps eine ähnliche Dauer wahrschein- 
lich machen wie bei Perinth, mit deren Beendigimg erst in den 
Frühling 339. 

Die Schaefersche Ansicht stellt sich also in ihrem ganzen 
Umfange als die richtige heraus. 

Aber die oben gefundene Spätgrenze für die Aufhebimg der 
Belagerung bringt noch eine weitere Consequenz mit sich. Es 
folgt aus ihr mit absoluter Notwendigkeit, dass Massregeln, die 
xmter das Archontat des Lysimachides 339/338 fallen, nicht mehr in 
der Absicht getroffen sein können, auf die Führung imd den Gang 
des byzantinischen Krieges einzuwirken, imd ebenso dass umgekehrt 
Thatsachen, die in die Zeit des byzantinischen Krieges gehören, 
nicht unter das Archontat des Lysimachides gesetzt werden dürfen. 

Denn die Amtszeit dieses Mannes beginnt erst am 9. Juli 339*. 

Das betrifft zwei nicht unwichtige Vorgänge. 

1. das Gesetz des Demosthenes über die Theorikengelder 
und die Unterbrechung der Arsenalbauten im Piraeus. 

2. die offizielle Kriegserklärung der Athener an Philipp. 
Die ersten beiden Massregeln sind von Schaefer *, die letzte ist 

von Boehnecke* und VoehmeP in falschen Zusammenhang eingereiht. 

Das Gesetz über die Theorikengelder und die Sistierung der 
Arsenalbauten wird von Philochoros ausdrücklich in das Jahr 
des Lysimachides gesetzt*. Folglich ist die Schaefer'sche Auf- 
fassung verkehrt, dass diese Massregeln zu energischer Führung 
des byzantinischen Krieges bestimmt gewesen seien und mit den 
trierarchischen Reformen des Demosthenes zusammengehörten. 

Nur die trierarchischen Reformen des Demosthenes fallen 



* Schaefer 513 A. 2. Ende. 

' Clinton Fasti bellen. : Mommsen, Chronologie S. 292. 
» S. 528. 

• S. 519. 

» Rhein-Museum N. F. I 539 f. 
" Oben S. 2io A. i. 



214 Kromayer 

in den Krieg mit Byzanz hinein, wie denn ja in der That schon 
im Jahre des Theophrast, also vor Juli 339 Trierarchie nach dem 
neuen Gesetze geleistet ist *. Was besonders die Theorikengelder 
betrifft, so bot ja auch der byzantinische Krieg in der That keine 
Gefahr, die das Wagnis, ein so unpopuläres imd tief einschneidendes 
Gesetz zu beantragen, gerechtfertigt hätte. Die finanzielle Situation 
wird damals kaum so bedrängt gewesen sein, wie bei Olynth 
nach einem verlustvolien 9 jährigen Kriege, und das Beispiel 
Apollodors, der für sein Attentat auf die Volksvergnügungen ge- 
büsst hatte, musste warnend 

Dagegen waren alle Verhältnisse verwandelt, als Philipp 
Elatea besetzt hatte: die näher gerückte Gefahr hat, wenn irgend 



s 



etwas, zu allen Opfern willig gestimmt, die Uebernahme von -' 
sämtlicher Kriegskosten in dem Bündnis mit Theben machte die 
höchste pekuniäre Anspannung nötig. 

Ich stehe daher nicht an, die mit diesen Ereignissen zeitlich 
zusammenfallende Aufhebung des Theorikenfonds mit ihnen 
auch in ursachliche Verbindung zu setzen ®, da sich imter Lysi- 
machides sonst schlechterdings kein Ereignis findet, das diese 
Massregel erklärlich machen könnte. 

Ebenso wenig wie diese Schaefersche Construktion ist aber 
anderseits die von Boehnecke und Voemel zu billigen, dass die 
Kriegserklärung der Athener an Philipp mit der Besetzung Elateas 
zusammenhinge. Wenn irgend etwas in der Geschichte dieser 
Jahre feststeht, so ist es die Thatsache, dass Athen wegen der 
bosporanischen und wegen der Seeverhältnisse an Philipp den 
Krieg erklärt hat. 

An der Unterstützung der byzantischen Verteidigung, an 
den gegenseitigen Kapereien und Uebergriffen in der Nähe der 
thrakischen Küsten und der Inseln hat sich der Krieg entzündet, 

* Boeckh, Staatshaushalt III S. 442 Zeile 99 der Inschrift 189. Schaefer 527. 

• Rede gegen Neära § 3 — 9. Demosth. p. 1346 f. Beloch, gr. Gesch. II 506. 

' Wenn Schaefer 528 A. 4 und Beloch a. a. O. 554 A. 2 aus der oben S. 210 A. i 
angeführten Stelle des Philochoros schliessen zu können glauben, dass die Aufhebung 
des Theorikenfonds vor die Besetzung Elateas falle, so ist das nicht gerechtfertigt. Wir 
haben es mit einer stark epitomierten Erzählung zu thun. Sopaters Bemerkung Walz V 181 : 
ToO TTEpl Xaipiwvciav ttoX^^ou tcvo^i^vou ypdtpex AY\\xoaBiyY\(; rä BeuipiKd clvai 
öTpaTiuJTiKd ist wörtlich richtig. Hier haben Boehnecke p. 524 und Voehmel rh. Mus. 
N. F. I 559 einmal Recht, Schaefer, Beloch und Droysen, Ztschr. f. die Altertumsw. v. 
Zimmermann 1839 S. 574, 579 Unrecht. Uebrigens widerspricht Beloch sich selber, da 
er an einer anderen Stelle (S. 361) den richtigen Zusammenhang giebt. 



Die Chronologie des dritten heiligen Krieges etc. 21 

und nach längerer Dauer eines latenten Kriegszustandes hat die 
offidelle Kriegserklärung stattgefunden * und zwar, wie man zu 
Schaefers Darstellung wohl hinzufügen kann, in der Zeit nach der 
Eröffnung und vor der Beendigung der Belagerung von Byzanz \ 

Somit ergiebt sich für die Zeitspanne vom Sommer 340 bis 
339 die übersichtliche Zweiteilung: 

Sommer 340 bis Frühjahr 339 : Belagerung von Perinth imd 
Byzanz; offizielle Kriegserklänmg Athens an Philipp; 
trierarchisches Gesetz des Demosthenes. 

Frühjahr 339 bis Herbst 339: Skythen- und Triballerzug 
Philipps, Besetzimg von Elatea, Theorikengesetz des 
Demosthenes. 

Aber weiterhin ist die Festlegung der Besetzung Elateas 
auch für die Chronologie des heiligen Krieges imd dessen Vor- 
geschichte von Bedeutung. 

Wir wissen jetzt aus den neu gefimdenen delphischen 
Tempelbau-Rechnungen, dass die Herbstversammlimg der Am- 
phiktyonen in Delphi im Heraeos, dem 4. Monat des delphischen 
Jahres *, die Frühjahrsversammlung im Endyspoitropios, d. h. im 
10. abgehalten wurde *. Die Kombinierung dieser Daten mit der 



* Die reichlichen Belege dafür bei Schaefer 503 ff. bes. 503, 2. Dass der Friedens- 
schluss nach Aufhebung der Belagerung von Byzanz, von dem Diodor XVI 77 berichtet, 
apokryph ist, hat ja Droysen a. a. O. 575 schlagend nachgewiesen. Daher kann auch 
von einem Wiederausbruch des Krieges nach der Besetzung Elateas nicht die Rede sein. 

• Das folgt aus Demosthenes* Worten: dd cor, 71 : BuWvTiov iroXiopKiiiv - - 
tKve Ti\y eipi\vr\y ^ oG ; wenn D. hier nicht ganz rabulistisch darstellt, konnte er das 
nur sagen, wenn Athen bei Eröffnung der Belagerung noch nicht mit Philipp in recht- 
lichem Kriegszustande war. § 87 widerspricht natürlich nicht. Es handelt sich hier um 
ein Bündnis für zukünftigen Krieg. 

' Collitz, gr. Dialektinschr. II 2502, 8: SbujKC d iröXi^ tOjv AcXqx&v... ^1lvö^ 
'Hpaiou, ömupiv^ iroXaCai . . . Ueber die Reibenfolge der delph. Monate und den Jahres- 
anfang, s. Mommsen, Delpbica S. 119 und jetzt Philologus LX 1901 S. 32. Letzterer 
fftllt mit dem athenischen Jahresanfang zusammen, also um die Zeit der Sommer- 
sonnenwende. 

♦ Collitz üb. 2504 A. rechte Columne 21 (S. 936) : [iin rf^?] fipivfj? iruXaiaq 
^r)vö^ 'Evbo0'rTo[iTpoir(ou]. — Mit den bisherigen Annahmen, nach denen die Herbst- 
und Frühjahrsversammlungen in den Bukatios d. h. August/September und in den Bysios 
d. b. Februar/März fielen (Mommsen, Delphica, 295 f. Köhler, C. J. A. II i p. 319. 
Schaefer 543) steht das in Widerspruch. Indessen stellt sich bei genauer Betrachtung 
heraus, dass in dem von diesen Gelehrten herangezogenen Materiale nur von Jahren die 
Rede ist, in denen die Pythien gefeiert wurden (C. I. A. II i, 545, 46. 551, 53). Diese 
fielen allerdings in den Bukatios, und es ist selbstverständlich, dass man, wenn man 



216 Kromayer 

Zeit Von Elateas Besetzung rückt die ganze Chronologie dieser 
Jahre in neue Beleuchtung. Im Jahre 339 fällt nämlich der erste 
Heraeus auf den 6. oder 7. Oktober K 

Folglich kann Philipp, der bereits etwa, einen Monat vorher 
Elatea besetzt imd damit die Führung des ihm von den Amphik- 
tyonen übertragenen Krieges begonnen hatte, nicht erst auf der 
Herbst- Versammlung dieses Jahres zxmi Feldherm ernannt sein, 
wie man bisher allgemein angenommen hat*. 

Seine Ernennung ist vielmehr schon in der vorhergehenden 
Frühjahrsversanunlimg erfolgt, welche in diesem Jahre zwischen 
dem 11. Mai imd 10. Juni abgehalten ist. 

Nun ging bekanntlich dieser Frühjahrsversammlimg eine 
ausserordentliche, in den Thermopylen tagende Sitzung voraus, 
in der der Kriegszug gegen Amphissa beschlossen imd der 
Thessaler Kotthyphos zum Führer gewählt \viu-de. Und vor 
dieser liegt wiedenun die ordentliche Versammlung, in der der 



einmal zusammen war, an dies Fest sofort die Herbstpylaea anschloss. Ebenso ist es 
verständlich, dass man dann die Frühjahrs Versammlung entsprechend früher abhielt. 
Auch die Datierung der angezogenen Inschrift C. I. A. II i, 545 widerspricht unseren 
Ansetzungen nicht. Hier ist nämlich ein Amphiktyonenbeschluss unter Vorschreibung 
der 3. Prytanie des Jahres 380 v. Chr. aufgezeichnet. Es ist nicht mit Sicherheit aus- 
zumachen, ob diese Datierung sich auf den Termin bezieht, an dem der Amphiktyonen- 
beschluss gefasst ist, oder auf den, an welchem er in Athen bekannt gemacht ist. Für 
beide Fälle aber ist eine Beschlussfassung der Amphiktyonen im Monat Heraeos mög- 
lich. Die Zeit der dritten Prytanie kann nämlich schon am 11 Boedromion anfangen, 
wenn das Jahr ein Gemeinjahr ist und die beiden ersten Prytanieen jede nur 35 Tage 
gedauert haben, und sie kann sich anderseits bis zum 29. Pyanepsion erstrecken, wenn 
das Jahr ein Schaltjahr ist und jede der ersten 3 Prytanieen 39 Tage umfasst, vgl. da- 
rüber Ad. Schmidt, Handb. d. griech. Chronologie S. 235 fF. Der delphische Monat Heraeos 
entspricht nun dem Athenischen Pyanepsion (Mommsen a. a. O.). Bezieht sich also die 
Datierung der Inschrift auf den Tag der Beschlussfassung in Delphi, so ist es klar, dass 
Heraeos sogar der allein mögliche Monat ist, bezieht sie sich aber auf die Bekannt- 
gebung in Athen, so ist der Heraeos als Monat der Beschlussfassung, wenn auch nicht 
nötig, doch möglich. Denn der Beschluss kann sehr wohl am Anfange des Monats in 
Delphi gefasst und am Ende in Athen bekannt gegeben sein. — Ein Pythienjahr war 
das Jahr 380 nicht. (Mommsen. Delph. S. 153.) Übrigens mögen die Pythien in den ver- 
schiedenen Zeiten in ganz verschiedenen Monaten gefeiert sein ; vgl. Pomptow. Philol. LVII, 
530. A. Mommsen ib. LX 35. Für uns ist ausschlaggebend, dass gerade für die uns be- 
schäftigende Zeit Heraeos und Endyspoitropios bezeugt sind. 

* Der Jahresanfang ist der 9. Juli. Von da an 2 volle und i hohler Monat oder 
umgekehrt gerechnet, führt auf den 6. oder 7. Oktober. 

« Schaefer a. a. O. 544. Koechly. Schweiz. Mus. I 18 und sonst oft; auch Beloch 
noch a. a. O. 559. 



Die Chronologie des dritten heiligen Krieges etc. 217 

ganze Streit zwischen den Amphissaeem und Aeschines zum 
Ausbruche kam. Diese letzte ist also die Herbstversammlimg vom 
Jahre 340 gewesen und fällt in die Zeit zwischen dem 16. Oktober 
und 14. November*. 

Die noch bis in die neueste Zeit festgehaltene Annahme, 
dass Aeschines' Auftreten in die Frühjahrsversammlimg 339 fiele *, 
ist damit widerlegt. Beloch hat, ohne es genügend begründen 
zu können, hier bereits vermutxmgsweise das Richtige gegeben *. 

Wenn es mm damit schon feststeht, dass der eben erwähnte 
erste Feldzug der Amphiktyonen imter Kottyphos zwischen 
November 340 und Mai 339 stattgefunden haben muss, so lässt 
sich seine Zeit doch innerhalb dieser Grenzen noch genauer be- 
stimmen. 

Die Reihenfolge der Ereignisse in diesem Winterhalbjahr 
ist nämlich folgende gewesen: 

1. Okt.-Nov. 340. Herbstversammlung in Delphi. Aeschines 
Streit mit den Amphissaeem. Beschluss, eine ausser- 
ordentliche Versammlimg zu berufen. 

2. Einholung der Instruktionen dafür bei den einzelnen 
Staaten \ 

3. Zusammentritt der ausserordentlichen Versammlimg in 
den Thermopylen. Kriegsbeschluss '^. 

4. Feldzug gegen Amphissa. Rückfühnmg der Verbannten. 
Auferlegimg einer Geidbusse für einen bestimmten 
Zahlungstermin •. 

5. Reaktion in Amphissa. 

6. Verfall des Zahlimgstermins ^. 



* Da das athenisch-delphische Jahr 340 v. Chr. am 20. Juli beginnt. 

• Schaefer 542 f. und alle früheren ausser Boehnecke S. 737, der hier aus falschen 
Gründen (die Kranzurkunden) zu richtigem Resultat kommt. Ebenso Weil, plaidoyers 
de D^m. II 497. 7- Homolle Bull, de corr. hell^nique XXII 610 u. a. m. 

3 a. a. O. 556, 3. 

♦ Aeschines gegen Ktesiphon 124: f^K€iv ToOg l€po^V!'||LlOva? irpd Tf^? ^irioOcTr]^ 
iTuXaia^ ^v iiryzCii xp<^vip d<; FTOXa^, ^xovxa? böflia, KaB' öti b(Kiiv bdjaoumv ol 
'A^<pl(Ta€l? . . . 

* ib. 128: auv€\eövT€? i\\fr\fpiaayTo ^marpaTcOciv iid toO? 'A^q)l<Ta^a?. 

« ib. 129: TtapcXGÖvTC^ tQ irpüiTi] <TTpaT€((ji . . . xp^^iiamv aÖToO? ^Jlimiujoav 
Kai TaOr' ^v /)nTip xp^^vtjj irpociTTov tiJi Bcip KaraOetvai u. s. w. 

^ ib. ^ircibf) bi oÖT€ Td xpif\\iaTa ^H^xivov u. s. w. 
Die parallele Darstellung des Demosthenes de cor. 277—149 f. Schaefer 542 f. 



218 Kromayer 

7. Mai -Juni. 339. Früh Jahrsversammlung der Amphik- 
tyonen. Philipp Bundesfeldherr. 

Erwägt man diese Reihe imd bedenkt man dabei, dass die 
Wintermonate Dezember und Januar weder für Ansetzimg einer 
ausserordentlichen Versammlung, noch für einen Feldzug in Be- 
tracht kommen können, dass femer die Zeit von etwa 1 Monat 
für die Einholung der Instruktionen von den einzelnen z. T. weit 
entfernten Staaten vor dieser Winterpause zu knapp ist, so wird 
man geneigt sein, die ausserordentliche Versammlung frühestens 
in den Februar 339 zu verlegen und den Feldzug selber etwa 
März oder April anzusetzen. War dann — was durchaus wahr- 
scheinlich ist — den Amphissaeem ein kurz bemessener Zahlungs- 
termin gesetzt, so konnte derselbe an der Frühjahrsversammlung 
im Mai oder Juni sehr wohl schon verfallen sein. Eine Bestätigung 
dieser Ansetzungen finden wir in der Angabe des Aeschines, 
dass die ausserordentliche Versammlung der Amphiktyonen ab- 
gehalten sei, als Philipp sich auf dem Zuge gegen die Scythen 
befimden habe *. Das passt allenfalls für Februar-März 339, nicht 
für den Dezember 340. 

So ordnet sich denn auch hier alles natürlich und unge- 
zwungen. Zwischen den 16. Oktober und 15. November 340 fällt 
der Beginn des Streites mit Amphissa, etwa in den Februar oder 
März 339 die ausserordentliche Amphiktyonenversammlung imd 
der Feldzug unter Kottyphos, zwischen den 11. Mai und 10. Juni 
die Ernennung Philipps zum Bundesfeldherm, in den September 
die Besetzung Elateas. 

Und ebenso befriedigend ist das Resultat, wenn wir auf die 
nachfolgenden Ereignisse blicken. Ueber sie eingehender zu 
sprechen, liegt indessen kein Grund vor. Die beiden sonst fast 
überall sich widersprechenden Forscher Boehnecke und Schaefer 
stimmen hier im Wesentlichen überein*, und diese Gewähr der 
Richtigkeit wird durch die innere Ueberzeugimgskraft ihrer Gründe 
bestätigt. 

Es genügt daher, die Abweichungen, die imsere Ansetzimgen 
in einzelnen Punkten zur Folge haben, in der angeführten Tabelle 
zu A'ermerken imd hier nur noch hinzuzufügen, dass der Gang 
der kriegerischen Ereignisse, dessen Darstellung ich mir aber 



* gegen Ktesiph. 128. 

« s. die Tabellen bei Schaefer Bd. III « 444 ff. bei Boehnecke S. 736 ff. 



Die Chronologie des dritten heiligen Krieges etc. 219" 

hier bei seiner coniplizierten Natur einer besonderen Abhandlung 
vorbehalten muss, eine Datierung der Schlacht von Chaeronea 
auf den 2. August weit wahrscheinlicher erscheinen lässt als auf 
den 1. September. 

Nur darauf möchte ich zimi Schlüsse noch aufmerksam 
machen, dass die Abfolge der Phokierzahlungen an das delphische 
Heiligtimi, wie sie nach der neuesten wohlbegründeten Ansicht 
von Homolle geleistet worden sind, mit unserer Anordnung der 
Verhältnisse gut zusammenstimmt. Die fünfte halbjährige Zahlung 
wurde nämlich danach im Herbst 341, die elfte — von den da- 
zwischenliegenden sind keine Inschriften erhalten — im Früh- 
jahr 337 geleistet, so da^s nur eine einzige dazwischen ausgefallen 
sein kann *. 

Dass müsste die des Frühjahrs 338 sein. Denn im Oktober 339", 
ehe die athenisch-thebanischen Contingente sich gesiunmelt hatten,, 
war die Lage für die Phokier noch nicht verändert, und im 
Oktober 338 war die Entscheidimg schon gefallen. 



TABELLE. 

340 V. Chr. 20. Juli : Theophrast Archon eponymos in Athen, 
nach d. 20. Juli : Beginn der Blokade von Perinth ; 
zwischen 16. Okt. u. 14. Nov. : Herbst Versammlung der Am-^ 
phiktyonen in Dephi. Streit des Aeschines mit Amphissa. 



^ Es dürfte nicht überflüssig sein, in dieser von den verschiedenen Forschem, 
so verschieden beantworteten Frage unseren Standpunkt kurz zu präcisieren : Es ist m. E.. 
auszugehen von der Thatsache, dass der athenische Hieromnemon Diognet, der in das 
Jahr des athenischen Archonten Theophrast, also 340/339> gehört (Aeschines, Ktes. 115)^ 
mit dem delphischen Archonten Aristonymos zeitlich zusammenfällt (Bull, de corr. hellen. 
Bourguet XX 238 und Homolle XXII 610. Die Mommsensche Archontenreihe, Philol. 
XX 40 wäre danach um ein Jahr herabzusetzen). Der Amtsvorgänger des Aristonymos 
war Peithagoras (Collitz-Baunack 2502 B. 109, 1 16). Also ist dessen Jahr das Jahr 34I/340.. 
In dies Jahr fällt nun die 5. Phokierzahlung (Collitz-Baunack 2504, 20) und zwar in den 
Herbst. Denn die gleichen Zahlen fallen bei den halbjährigen Zahlungen alle in das 
Frühjahr, die ungleichen in den Herbst (iruXaia^ f^pivd^ — bcuT^pa KaraßoXd, Bour- 
guet a. a. O. XXI, 322. Die Anordnung von Baunack, der f]pivd^ in öiruipivd^ ändern 
will(l), ist verkehrt). Ist also im Herbst 341 die 5. Zahlung geleistet, so müsste bei 
gleichem Fortgange die 11. in den Herbst 338 fallen. Sie fällt aber in den Frühling 
(Bourguet a. a. O. XXI 337) und zwar wie Bourguet mit grosser Wahrscheinlichkeit nach- 
weist, des Jahres 337 (ib. 340). Also ist nur eine Zahlung weggefallen. 

' Der Heraeos beginnt in diesem Jahre mit dem 5. oder 6. Oktober. 



220 Kromayer, Die Chronologie des dritten heiligen Krieges etc. 

' r Beginn der Blokade von Byzanz, 

Winter 340/339. | Kriegserklärung der Athener an Philipp, 

iTrierarchisches Gesetz des Demosthenes; 
339: etwa Februar, März: ausserordentliche Amphiktyonen- Ver- 
sammlung in den Thermopylen; 
etwa März, April : Feldzug des Kottyphos gegen Amphissa. — 
Aufhebung der Belagenmg von Byzanz. Beginn von 
Philipps Skythenzug; 
zwischen 11. Mai und 10. Juni: Frühjahrsversammlimg der 
Amphiktyonen. Philipp zum Feldherm gegen Amphissa 
gewählt; 
9. Juli: Lysimachides Archon eponymos in Athen; 
erste Hälfte September : Besetzimg von Elatea. Auszug der 

Athener nach Eleusis. Demosthenes nach Theben; 
21. September: Eleusinische Mysterien. Unglücksfall der 

Mysten ; 
Ende Sept. oder Anf . Okt. : Auszug der Athener nach Theben 

und Parapotamioi; 
etwa September, Oktober: Gesetz des Demosthenes über 

den Theorikenf onds ; 
zwischen 5. Okt. imd 4. Nov.: Herbstpylaea. 5. Phokier- 
zahlimg. 

' erste Kämpfe der Athener und Thebaner gegen 
Philipp : Gefechte am Kephissos und Winter- 
schlacht. 
, Aufbau der Phokierstädte. 
338: zwischen ll.imd 13. März: Bekränzung des Demosthenes an 
den grossen Dionysien*; 
etw^a Mai oder Juni: Eroberung von Amphissa durch 

Philipp \ 
28. Juni: Chaerondas Archon eponymos in Athen. 
2. August : Schlacht bei Chaeronea. 

^ Dass Demosthenes an den grossen Dionysien bekränzt ist, ist sehr wahr- 
scheinlich. Belege Schaefer II " 557. Das Datum dieses Festes der 10 — 12 Elaphebolion 
muss nach m. Rechnung beim Jahresanfang des 9. Juli auf den 11. — 13. März fallen. 
Boehnecke legt es auf den 14. März, bei Schaefer wird es, zu spät, in den April gesetzt. 

* Man wird diesen schweren Schlag nicht wohl vor die Bekränzung des Demos- 
thenes setzen dürfen. Die nähere Begründung hängt mit den militärischen Verhältnissen 
des Feldzuges von Chaeronea zusammen und kann daher hier nicht gegeben werden. 



Winter 339 338. 



C. VARRENTRAPP 

NICOLAUS GERBEL 

Ein Beitrag zur Geschichte des wissenschaftlichen 
Lebens in Strassburg im 16. Jahrhundert 

Im Schlusskapitel seiner deutschen Geschichte im Zeitalter der 
Reformation hat Ranke nachdrücklich betont, wie Bedeutendes 
damals für imd durch die Pflege philologischer und historischer 
Studien, wie Bedeutendes dafür auch in Strassburg durch Johannes 
Sturm und Sleidan geleistet wurde. Sehr verschieden von einander 
waren die Hauptarbeiten des Rektors der Pflanzschule formaler 
Bildimg, dem Cicero als unicum omnium literatonun exempliun 
galt, imd des Verfassers der schon in ihrem Titel an Caesar 
erinnernden wichtigsten Darstellung der Zeitgeschichte, imd wie 
zwischen diesen beiden von Jugend an befreundeten Söhnen des 
Eifellands zeigen sich bei genauerer Betrachtung auch manche 
Differenzen zwischen den Leitern der politischen und kirchlichen 
Angelegenheiten Strassburgs, die ihnen hier den Boden bereiteten 
und unablässig sie nnterstützten, zwischen Jakob Sturm und 
Martin Bucer: um so rühmlicher erscheint der ernste und verständnis- 
volle Eifer, mit dem sie Alle für die Pflege humanistischer Bildung 
sich bemühten. Wer aber von der Art, in der diese damals ge- 
fördert wurde, wer von den wissenschaftlichen Studien und den 
akademischen Vorlesungen im Strassburg des 16. Jahrhunderts 
eine deutlichere Vorstellung gewinnen will, wird auch auf andere 
damals hier wirkende Gelehrte seinen Blick richten müssen, und 
unter ihnen dürfte besondere Aufmerksamkeit der Humanist imd 
eifrige Anhänger Luthers verdienen, der hier zuerst historische 
Vorlesungen gehalten hat. 

Erst im letzten Jahrzehnt sind über die Zeit, in der solche 
hier eingerichtet, und die Persönlichkeit, der sie anvertraut wurden, 
bestimmte Angaben aus den Akten über das städtische Unterrichts- 



222 C. Varrentrapp 



wesen veröffentlicht worden*. Danach wurde im März 1541 
Doktor Nicolaus Gerbel von der Stadt als Legent mit einem 
Jahresgehalt von 50 Gulden angestellt; Jakob Sturm fügte seiner 
Aufzeichnung über Gerbeis Anstellimg die Worte hinzu: Liset 
historias. 

Bekanntlich sind im Mittelalter an den deutschen Hoch- 
schulen historische Vorlesungen nicht gehalten : solche sind zuerst 
von dem „deutschen Erzhumanisten" Celtis unternommen imd 
dann durch Vertreter der Reformation eingebürgert worden. Eine 
besonders bedeutsame Wirkung hat auch nach dieser Richtimg 
Melanchthon geübt. Hatte er schon in Tübingen in einer aka- 
demischen Rede warm das Studium von Historikern und Poeten 
empfohlen, so hat er in Wittenberg in Vorlesungen und Dekla- 
mationen historische Themata behandelt, alte Historiker, nament- 
lich Thukydides erklärt und nach der von ihm bearbeiteten Chronik 
Carions auch Weltgeschichte vorgetragen, und zu ähnlicher 
Thätigkeit ist durch ihn, wie Peucer, Chytraeus imd andere seiner 
Schüler auch Michael Beuther angeregt worden, der 1565 als 
Lehrer der Geschichte für Strassburg gewonnen ward. Aber 
schon früher dachten die Leiter Strassburgs daran, den von ihnen 
bereits in den 20 er Jahren eingerichteten theologischen, philo- 
logischen, mathematischen imd juristischen Vorlesungen auch 
historische hinzuzufügen und für sie einen eigenen Vertreter zu 
bestellen; eifrig bemühte sich 1531 namentlich Bucer dafür, den 
ersten der damaligen deutschen Historiker, Aventin, nach Strass- 
burg zu ziehen, in der Hoffnung, dass er hier dann auch seine 
•deutsche Geschichte vollende*. Diese Wünsche aber gingen nicht 

* Von Engel in seiner Publikation über Gymnase, academie, universitä de 
Strasbourg S. 33 f. und in seiner von Reuss 1900 herausgegebenen Schrift: L'ecole 
latine et l'academie de Strasbourg S. 37. Dass Gerbel zum 25. März 1541 angestellt 
4ind ihm ein Gehalt von 50 Gulden bewilligt wurde, bestätigen auch die ebenfalls im 
hiesigen Thomas-Archiv aufbewahrten Aufzeichnungen von Jakob Meyer über die Punkte, 
die Jakob Sturm bei seiner Abreise nach Regensburg (im Februar 1541) auf einem 
„Denkzettel" zurückliess. Danach erklärte sich Gerbel zum Dienst der Stadt in Vor- 
lesungen und in städtischen Geschäften bereit, ;,doch nit zu advociren, denn er eine zit 
her jura nit practiciret". 

' S. Lenz in der Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins N. F. IX, 629 ff. und im 
XLIX.Heft der Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte S. 12. Seine Bemerkungen 
über Bucer und Jakob Sturm machen es besonders begreiflich, dass sie wünschten, für 
historische Vorlesungen in Strassburg einen eigenen Vertreter zu bestellen; vielleicht 
wirkte darauf auch ein, dass von dem ihnen besonders nahe stehenden hessischen Land- 
^afen für Marburg schon durch den 1529 erlassenen Freiheitsbrief ein Historicus vcr- 



Nikolaus Gerbel 223 



in Erfüllung ; erst ein Jahrzehnt später wurde nun mit dem gleichen 
Lehrauftrag der in Strassburg lebende Schüler von Celtis und 
Freund von Melanchthon betraut, den Arbeiten und Studien, die 
er gerade in den letzten Jahren unternommen hatte, hierzu be- 
sonders zu empfehlen schienen. 

Gewiss darf man die Leistungen Gerbeis nicht mit denen 
Aventins in gleiche Linie stellen; doch haben in seinen Tagen 
auch über ihn hervorragende Vertreter des Humanismus und 
der Reformation sich mit warmer Anerkennung geäussert. Wie 
Erasmus, Zasius und Hütten, so auch Luther, Melanchthon und 
die Strassburger Reformatoren. Freilich hat andererseits gerade 
seine Haltung gegen diese ihm auch scharfen Tadel zugezogen. 
Es ist begreiflich, dass ihn ungünstig namentlich die um die 
Reformationsgeschichte hochverdienten Strassburger Theologen 
beurteilten, die bei ihren Arbeiten besonders sein Verfahren im 
Abendmahlsstreit zu schildern hatten*; bei ihrer Darstellung aber 
lässt sich schwer verstehen, warum dieser gehässige Gegner der 
Strassburger Reformatoren doch auch von ihnen gerühmt und 
zur Mitarbeit an dem von ihnen beeinflussten Unterrichtswesen 
herangezogen wurde. Auch für die Beantwortung dieser Frage 
hat wichtige Aufklärungen Büchle geliefert, der lunfassende 
Forschungen namentlich über Gerbeis hiunanistische Studien und 



heissen war, „der zu bequemeu Zeiten nach einander Titum Livium, Caium Caesarem, 
Valerium Maximum, Crispum Sallustium, lustinum, Lucium Flonim, Paulum Orosium, 
Q. Curtium, Suetonium Tranquillum, Comelium Tacitum und andere bewerte glaub- 
wirdige Historiographos leren und lesen soll". (Hildebrand, Urkundensammlung über 
Univ. Marburg S. lof.) 

* S. Röhrich, Gesch. der Reformation im Elsass I, 126 ff., 309 ff. II, 138, 164 f. 
und W. Baimi, Capito und Butzer 330 ff. Ihrer Auffassung G.'s stimmt bei Gerbert, 
Gesch. der Strassburger Sektenbewegung z. Z. der Reformation S. 9 ff. Die oben er- 
wähnte Monographie von Büchle über G. erschien 1886 als Beilage zum Programm des 
Pro- und Realgymnasiums Durlach. Hier sind 21 ff. auch Verzeichnisse von G.'s Briefen, 
seinen Publikationen und den Schriften über ihn gegeben; vgl. über G. ausserdem die 
1857 der Strassburger protestantisch-theologischen Fakultät eingereichte Thfese von 
Liebrich, N. Gerbel, jurisconsulte-theologien du temps de la reformation, Geigers 
Artikel in der Allgem. Deutschen Biographie VIII, 7 16 ff. und Hartfelder, Melanchthon als 
Praeceptor Germaniae S. 125 ff. Ein Facsimile interessanter Bemerkungen G.'s auf 
dem 54. Blatt seines im hiesigen Thomas-Archiv aufbewahrten Tagebuchs und ebenso 
ein solches seines Briefes an Vadian vom 21. Aug. 1524 s. in den von Ficker und Winckel- 
mann herausgegebenen Strassburger Handschriftenproben Bl. 47 B. und Bl. 77 A. Beide 
und ebenso Dr. Bemays undD. Erichson unterstützten freundlichst meine Nachforschungen 
in den Akten des Stadt- und Thomas-Archivs. 



224 C. Varrentrapp 



seine schriftstellerische Thätigkeit angestellt hat. Doch hat seine 
gehaltvolle Arbeit, bisher, soweit ich sehe, die ihr gebührende 
Beachtung nicht gefunden, und auch ihm sind die oben er- 
wähnten Aufzeichnungen Jakob Sturms und andere Quellen 
unbekannt geblieben, die es ermöglichen, noch klarer Gerbeis 
Verhältnis zu manchen hervorragenden Zeitgenossen, Anfang 
und Ende seiner historischen Lehrthätigkeit und die Zusammen- 
hänge dieser und seiner literarischen Wirksamkeit zu beleuchten. 
So dürften einige Bemerkungen hierüber hoffentlich den Philologen 
nicht unerwünscht sein, die sich jetzt in der Stadt versammeln, 
in welcher einst Gerbel philologische und historische Studien 
betrieb und förderte und die erste auf deutschem Boden ent- 
standene ausführlichere Beschreibung Griechenlands verfasste. 

In diesem Werk hat er besonders eingehend seiner alten 
Beziehungen zu Melanchthon gedacht und dessen schon in seiner 
Jugend hervortretende wissenschaftliche Begabung gepriesen. 
Etwas über ein Jahrzehnt vor Melanchthon in Pforzheim geboren, 
hat er wie dieser auf der dortigen Lateinschule den Grund zu 
seiner Bildung gelegt, und entscheidenden Einfluss hat auch auf 
seine Entwicklung sein Landsmann Reuchlin geübt, cujus timi 
fama, wie er 1550 schrieb, in Germania Italiaque florebat^ In 
einem 1507 oder 1508 verfassten Brief sprach Gerbel aus, er wolle 
seine Studien ganz nach Reuchlins Rat einrichten, und wohl 
um in dessen Nähe zu kommen, bezog er bald darauf die Tübinger 
Hochschule; auf die Seite des verehrten Lehrers stellte er sich 
auch bei dessen Streit mit den Kölner Dominikanern. Es erscheint 
dies um so beachtenswerter, da Gerbel 1506 in der Kölner Artisten- 

* In seinen sieben Büchern über Griechenland S. 193. Hier bemerkt er, dass 
Reuchlin me praesente Melanchthonis cognomentum Philippo imposuit, ducta a veraacula 
lingua appellationis ratione, cum eius praeclaram indolem atque in literis felicissimum 
successum videret. Zu beachten sind auch Gerbeis Äusserungen an dieser Stelle über 
das Altersverhältnis zwischen ihm und Melanchthon, der prima grammatices elementa 
discebat, cum adolevissem ego primosque in artibus gradus accepissem ; damit stimmen 
seine Angaben in demselben Buch S. 117, Otranto sei 14S0/81 belagert, antequam ego 
nascerer quinque annis, und eine schon von Hubert in seiner Schrift über Vergerio's 
publizistische Thätigkeit S. 158 hervorgehobene Bemerkung Sleidans überein, nach der 
1555 G. bereits 70 Jahre alt war; danach ist G.'s Geburt 5 Jahre früher anzusetzen, als 
Büchle annahm. In dem erwähnten Buch gedenkt G. S. 287 auch amantissimi patris, 
Antonii Gerbelii: statuarius fuit. In seinem Brief an Luther aus dem Anfang 1526 (bei 
Enders V, 298) erwähnt Gerbel, dass er inter imagines omnes, quanim non incelebris 
olhn genitor meus artifex fuit, nullam unquam viderim tam avide quam si quando in 
tabulas referret benedictam illam coenam Christi. 



Nikolaus Gerbel 225 



fakultät immatrikulirt war und 1510 in zwei erst neuerdings be- 
kannt gewordenen Urkunden* als Regent einer Mainzer Burse 
begegnet, die der Aufsicht der Mainzer Dominikaner unterstellt 
und zur Verbreitung der Lehre des Thomas von Aquino bestimmt 
war. Nicht lange jedoch kann Gerbel in dieser Stellung ver- 
blieben sein ; denn schon 1512 finden wir ihn wieder in Wien, wo 
er bereits früher durch Celtis in humanistische Gedanken und 
Bestrebungen eingeführt war. Bei seinem zweiten Wiener Aufent- 
halt fand er besondere Förderung durch Cuspinian; wie dieser und 
Reuchlin verband auch er jetzt mit den philologischen juristische 
Studien. Und nach beiden Richtungen empfing er dann neue 
Anregungen in Italien: hier verkehrte er in Venedig mit Aldus, 
in Bologna erwarb er sich im Oktober 1514 die Würde eines 
Doktor des kanonischen Rechts ^. Sie ermöglichte ihm, sich bald 
darauf eine Stellung und eine Thätigkeit in Strassburg zu be- 
gründen: er wurde hier Rechtskonsulent und Sekretär des Dom- 
kapitels. Aber sehr viel mehr Befriedigung als in diesen Geschäften 
fand er in seinen humanistischen Studien und in dem Verkehr mit 
ihren hervorragenden Vertretern, die damals am Oberrhein wirkten. 
War er in Wien Mitglied der von Celtis gestifteten Sodalitas literaria 
geworden, so widmete er sich jetzt eifrig den Bestrebungen der 
gleichnamigen nach ihrem Vorbild in Strassburg begründeten 
Gesellschaft; auch die schon in Wien begonnene Thätigkeit als 
gelehrter Korrektor führte er fort, indem er Werke von griechischen 
und lateinischen Klassikern und von Erasmus revidierte, die in 
der Druckerei seines Freundes Mathias Schürer veröffentlicht 
wurden. Und wie Erasmus in dieser Zeit, bemühte er sich auch 
um den Urtext der Quellen der Religion: 1521 veranstaltete er 
in Hagenau eine Ausgabe des Neuen Testaments. 

Wie in seinem Entwicklungsgang zeigt sich namentlich auch 
in der Art, in welcher er das Studium der Bibel mit seinen 

^ Sie wurden 1896 von Ileidenheimer im 15. Jahrgang des Korrespondenzblattes 
der Westdeutschen Zeitschritt Sp. 184 ff. veröffentlicht. 

* Nach einer gütigen Mitteilung von Prof. Knod ist im Liber secret. jur. pont. in 
Bologna eingetragen: 1514 Sept. 10 dispens. cum d. Nicoiao Gerbello dioc. Spir. art. 
prof. — Oct. 2. Decr. doctor. — Ober seinen Verkehr mit Aldus in Venedig berichtet 
G. in seinen sieben Büchern über Griechenland S. 1 18, dass dieser, ut erat affertu erga 
Germanos singulari, multa mecum de constituenda in Germania nova Academia com- 
mentabatur. Proferebatque Prisciani vetustissimum codicem quem se veluti primitias 
Maximiliani imperatoris summo cancellario dedicaturum pollicebatur. Sed haec eius 
sanctissima vota praepropera mors impedivit. 

15 



226 C Varrentrapp 



humanistischen Bestrebungen verband, eine bedeutsame Aehn- 
lichkeit mit Melanchthon; wie pädagogische hat er auch theo- 
logische Arbeiten von diesem herausgegeben und wie Melanchthon 
ist auch er namentlich ein begeisterter Anhänger Luthers ge- 
worden. Welch warmen Antheil er an dessen persönlichen Ge- 
schicken und an seinen Schriften nahm, das sprach er in dem 
Jahr, in dem seine Ausgabe des Neuen Testaments erschien, in 
der Zeit des Wormser Reichstags dem verehrten Reformator 
selbst, das sprach er auch in Briefen an Martin Bucer aus. Schon 
im November 1520 bat er diesen, ihm Luthers Schrift von der 
Babylonischen Gefangenschaft der Kirche zu verschaffen ; ähnliche 
Bitten trug er ihm im September und November 1521 vor. Und 
wie seiner Verehrung für Luther gab er auch hier seiner Be- 
wimderung Melanchthons Ausdruck. Das Beste für Bucers Zu- 
kimft wäre, meint er, si vel ad biennium posses Wittenbergae 
agere ob Philippum, de quo nemo non praedicat stupenda*. 

Begeisterung für humanistische imd reformatorische Be- 
strebungen, für Erasmus, Luther und Melanchthon hatten Gerbel 
und Bucer zusammengeführt; als dieser im Frühjahr 1523 in 
schwerer Bedrängnis von Weissenburg nach Strassburg kam, 
rechnete er auf Gerbeis Unterstützung. Er bat Beatus Rhenanus, 
für ihn bestimmte Mitteilungen, namentlich eine Antwort auf ein 
an Zwingli gerichtetes Schreiben ihm durch Gerbeis Vermittlung 
zugehen zu lassen -^j da Gerbel selbst damals noch mit Zwingli 
in freundschaftlichen Beziehungen stand, konnte Bucer nicht 
ahnen, wie bald darauf Gerbel es ihm zu schwerem Vorwiu'f 
machen würde, dass er bei den Erörtenmgen über das Abend- 
mahl sich mehr dem Züricher als dem Wittenberger Reformator 
zuneigte. Uns aber wird dies kaum vervvimdem, wenn wir uns die 
Nachwirkung von Jugendeindrücken auf Gerbel und die auch hier 
hervortretende Ähnlichkeit seiner Anschauungen und Stimmungen 
mit denen Melanchthons vergegenwärtigen. 

' Abschriften dieser im Thomas- Archiv aufbewahrten Briefe Gerbeis an Bucer 
aus den Jahren 1520 und 21 finden sich im Thesaurus Baumianus I, 109, 189, 200; aus 
dem letzten dieser Schreiben veröffentlichte die oben abgedruckten Worte Hartfelder, 
Melanchthoniana paedagocica S. iS. 

' S. Bucers Schreiben an Beatus Rhenanus vom 23. Mai 1523 in dessen von 
Horawitz und Hartfelder herausgegebenen Briefwechsel S. 3i9f. Aus dem April 1523 
ist ein Brief Gerbeis an Zwingli erhalten, in dem er ihm schrieb: Credo te ex superioribus 
literis abunde satis accepisse, qui sit erga te animus meus, intelligere etiam, quam 
cupiam me tibi commendari (Opp. Zwinglii VII, 292). 



■ * 



Nikolaus Gerb^ 227 



Er selbst hat hervorgehoben, wie die Bilder seines Vaters, 
in deren Anblick er aufgewachsen war, ihm eine besonders er- 
habene Vorstellung vom Abendmahl eingeflösst hatten ; in dieser 
Empfindung fühlte er sich verletzt durch jede rationalistische 
Deutimg der Einsetzimgsworte ; vor allem erschreckte ihn wie 
Melanchthon das Hervortreten revolutionärer Tendenzen. Der 
eine Karlstadt, schrieb er schon im November 1524, bereite den 
reformatorischen Bestrebungen grössere Hindemisse als alle Ver- 
treter der alten Ordnung. Jede Annäherung an ihn erschien ihm 
verderblich; die religiösen und wissenschaftlichen Interessen, so 
fürchtete er wie Melanchthon, würden auf das Schwerste ge- 
schädigt werden, wenn nicht ein Machtwort Luthers die ein- 
getretene Verwirrung beseitigte. In unbedingtem Anschluss an 
Luther sah er bei dieser Lage allein die Rettung; um so schmerz- 
licher empfand er, dass die ihm nächststehenden Strassburger 
Reformatoren auch Luther gegenüber ihre abweichenden An- 
schauungen öffentlich behaupteten. Um eine Wendung in seinem 
Sinne herbeizuführen, glaubte er darüber die Wittenberger Freunde, 
als deren Vertrauensmann er sich fühlte, möglichst genau unter- 
richten zu müssen: er machte sich nicht klar, dass er durch solche 
Mitteilungen den Streit verschärfte, der ihn bektlmmerte, und die 
vertraulichen Beziehungen störte, in denen er bisher zu den 
Strassburger Reformatoren gestanden hatte. Natürlich zogen 
diese sich von ihm zurück, als sie erfuhren, dass er sie bei Luther 
anklagte; nur allzu deutlich lassen seine Briefe erkennen, wie 
schwer er unter diesen Reibungen litt, wie sehr dadurch seine 
nervöse Reizbarkeit erhöht wurde. Sie wurde gleichzeitig durch 
Krankheiten und Unglücksfälle in seiner Familie gesteigert. Im 
Mai 1525 verlor er seine erste Frau*; im Sommer des folgenden 
Jahres bereitete ihm eine vorzeitige unglückliche Niederlamft der 
zweiten ernste Sorgen. 

Für eine solche Erklärung von Gerbeis Haltung sprechen, 
wie mir scheint, auch die Briefe, die er in späteren Jahren an 

^ In seinem Tagebuch hat G. damals die Eigenschaften und die Gesinnung seiner 
Frau in Worten gepriesen, nach denen die von Biichle S. 19 (vielleicht mit Rücksicht 
auf G.'s Bemerkungen in seinen Briefen an Luther bei Enders V, 357 und 361) auf- 
gestellten Vermutungen kaum haltbar sein dürften. Aus G.'s Tagebuch ergiebt sich 
auch, dass bei seiner zweiten Verheiratung Hedio als Vermittler thätig war ; um so ver- 
ständlicher erscheinen danach G.'s Schmerz, als er bemerkte, dass auch dieser in den 
20er Jahren ihm fremder wurde, und seine warmen Worte über ihn nach Herstellung 
ihres alten freundschaftlichen Verhältnisses. 

15* 



228 C. Varrentrapp 



Luther richtete. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass Bucer vor 
allem Verständigung unter den Protestanten, Verständigung nament- 
lich auch mit Luther wünschte, bat auchGerbel diesen, den Strass- 
burger Predigern entgegenzukommen'. Und diese zeigten sich, 
wie sehr sie auch durch sein Verhalten verletzt waren, doch 
durchaus bereit, mit ihm wieder Hand in Hand zu gehen, sobald 
er es ihnen möglich machte. Schon 1534 sprach gerade Bucer, 
über den am bittersten Gerbel sich geäussert hatte, seine Hoffnung 
aus, bei der Leitimg des Stiftes für Studierende der Theologie, 
mit dessen Begründung man sich damals beschäftigte, werde auch 
Gerbel mitwirken, und als dieser 1539 von Erasmus Sarcerius an- 
gegriffen wurde, trat für ihn wie Melanchthon und Jakob Sturm 
auch Bucer ein*. Ebenso wies Capito 1536, als er Luther be- 
stimmen wollte, einen seiner Söhne zu seiner weiteren Ausbildimg 
nach Strassburg zu schicken, ausdrücklich darauf hin, dabei wtirde 
gute Hilfe auch Gerbel leisten, der „zur Anführung junger Leute 
überaus geschickt" sei, imd Hedio machte in der Übersicht über 
die Ereignisse der letzten Jahrhimderte, die er neuen Ausgaben 
der Chronik Burchards von Ursperg hinzufügte, darauf aufmerksam, 
dass über die Erhebung der Bauern in den Jahren 1524 und 25, 
unde coeperit, per quos creverit, quibus de causis, quot sodalitia 
habuerit in agro Rhenensi, ut coierint Zabemiae et in Lupfstein, 
Scherwiler, Niuwiler etc., qua severitate magistratus in eos 
animadvertere coactus et Germania rusticorum caedibus polluta 
Sit, D. Nicolaus Gerbelius Phorcensis, vir doctus, verus et facundissi- 
mus, secretarius illustriumheroum capituli Argentoratensis quatuor 
libros paravit; eos lectorem expectare volo\ 

^ S. namentlich sein Schreiben vom i. Januar 1531 bei Enders, Luthers Brief- 
wechsel VIII, 399 f. 

• Dies berichtet G. selbst in einem Brief an Camerarius vom 10. März 1539. 
Vgl. auch Camerarius, Vita Melanchthonis, ed. Nösselt S. 360 und Bucers Äusserungen 
über Erasmus Sarcerius in der Ztschr. f. Kirchengeschichte XX, 39 und die dort ver- 
zeichnete Literatur. Auf Bucers Bemerkung über G. in seinem Brief an Blaurer vom 
S.März 1534 wies schon Liebrich in seiner Dissertation S. 32 hin; doch sind daran von 
ihm und Anderen zu weitgehende Folgerungen über G.'s Lehrthätigkeit angeknüpft. 
Capitos Schreiben an Luther von 1536 s. bei Walch, Luthers Schriften XVIII, 2567 flf. 

' Auf diese Arbeit Gerbeis, über die Büchle nichts bekannt wurde, sind wohl 
auch die von ihm S. 27 erwähnten Citate einer Schrift G.'s de anabaptistarum ortu et 
progressu zu beziehen. Die oben angeführten Worte sind in der mir vorliegenden 
Ausgabe der Paralipomena rerum memorabilium ab a. 1230 — 1538 historiae abbatis Urs- 
pergensis anncxa von 1540 S. CLXV abgedruckt. Dass diese Paralipomena von Hedio ver- 
fasst wurden, ergiebt sich aus seinen eigenen Worten, die ich in der Zeitschrift für 



Nikolaus Gerbel 229 



So hat die Meinungsverschiedenheit über kirchliche Fragen, 
die in den 20 er Jahren das Verhältnis Gerbeis zu den Strassburger 
Reformatoren getrübt hatte, sie nicht gehindert, seine Verdienste 
anzuerkennen und mit ihm auf dem Gebiete des Unterrichts- und 
Bildungswesens zusammenzuwirken; ja in solchen Angelegen- 
heiten haben auch in jener Zeit, in der Gerbel am schärfsten 
seinen Gegensatz gegen sie betonte, die Leiter der Stadt seinen 
Rat erbeten und sogar seine Anstellung in Aussicht genommen. 

Trotz der gereizten Stimmung, die in seinen 1526 nach Witten- 
berg gerichteten Briefen herrscht, hat er in diesem Jahre selbst in 
einem Schreiben an Melanchthon ^ den verständnisvollen Eifer an- 
erkannt, mit dem damals der Rat für die Ordnung des Schulwesens 
sich bemühte, und den Wittenberger Freund ersucht deshalb auch 
den Strassburger viris cordatis et sapientibus seine Pläne für die 
Organisation einer Schule in Nürnberg mitzuteilen; und aus den 
uns erhaltenen Auszügen aus den Akten sehen wir, dass damals 
und wieder 1533 namentlich Jakob Sturm beabsichtigte, Gerbel 
selbst zur Mitwirkung bei dem städtischen Schulwesen heran- 
zuziehen. Schon 1526 hatte Gerbel ganz besonders Sturm ge- 
rühmt; dessen Einfluss wird es zuzuschreiben sein, dass nun im 
März 1541 Gerbel mit dem historischen Lehramt betraut wurde, 
das seinen Neigungen und Gaben wohl noch mehr entsprach, als 
die früher ihm zugedachten Stellungen. 

In der Zeit der Aufregungen, die ihm die Differenzen auf 
religiösem Gebiet gebracht hatten, war nur eine geringe literarische 
Thätigkeit von ihm entfaltet worden; dagegen hatte er in den 
letztvergimgenen Jahren dicht nach einander mehrere Schriften 
publiziert, die fast sämtlich historische Gegenstände betrafen. 
1537 waren durch ihn die „mit Geschmack und reicher anti- 
quarischer Gelehrsamkeit" von seinem italienischen Zeitgenossen 
Rutilius entworfenen Lebensbeschreibungen älterer römischer 



Geschichte des Oberrheins N. F. X[, 302 mitteilte; danach ist auch ihm das im Text 
angeführte Urteil über Gerbel zuzuschreiben, nicht dem Verleger Krafft-Müller, wie Reuss, 
De scriptoribus rerum Alsaticarum S. S8 annahm. Reuss spricht hier auch die Vermutung 
aus, dass Gerbcls Schrift nicht publiziert wurde, weil sie besonders zur Widerlegung 
einer Darstellung von Ilironymus Gebweiler bestimmt gewesen und dann auch diese 
nicht veröffentlicht worden sei. 

* S. G.'s Schreiben an Melanchthon vom i. Sept. 1526 in Baums Thesaurus II, 281 
und Wenckers und Jungs Auszüge aus den Ratsprotokollen in den Mitteilungen der Ge- 
sellschaft für Erhaltung der geschichtlichen Denkmäler im Elsass XIX, 147 und 211. 



230 C. Varrentrapp 



Juristen dem deutschen Publikum zugänglich gemacht^; 1539 war 
seine Jakob Sturm gewidmete Ausgabe Arrians erschienen; 1540 
hatte er aus dem Nachlass Cuspinians dessen Werk über Kaiser- 
geschichte herausgegeben* und ihm eine Biographie seines Lehrers 
vorangestellt und endlich Anfang 1541 eine Sammlung von 
Melanchthons akademischen Gelegenheitsreden veröffentlicht •, in 
denen auch historische Fragen erörtert wiu"den. Und dass seine 
Studien sich noch weiter erstreckten, als diese Publikationen er- 
kennen lassen, beweisen seine Briefe an den ihm besonders nahe 
stehenden Camerarius*. Wie er nun in seinen Vorlesungen seine 
Kenntnisse und Anschauungen verwertete, ob er auf die Erklänmg 
alter Historiker sich beschränkte oder auch selbst Geschichte er- 
zählte, wie er auf seine Schüler wirkte: über alle diese Fragen 
habe ich freilich ebensowenig ein bestimmtes Zeugnis in den 
Quellen auffinden können, als über die Gründe, die ihn veranlassten^ 
schon 1543 seinen „Dienst wieder aufzusagen"*^. Klar aber ist, 

1 über dieses seltene Buch, das mir aus der Münchener Bibliothek mitgeteilt 
wurde, vgl. Stintzing, Gesch. der deutschen Rechtswissenschaft I, 592 ff. Gewidmet hat 
G. das Werk praeclaro viro Christophoro Welsinger facundo et enidito jurisconsulto 
amico suo perveteri, der aus Italien diese Schrift des Rutilius mitgebracht hatte; es 
wäre von Interesse, wenn Nachrichten darüber aufgefunden würden, ob die freundschaft- 
lichen Beziehungen G.'s zu Welsinger auch in den 40 er Jahren fortdauerten, in denen 
dieser Kanzler des Strassburger Bischofs sieb entschieden gegen die Evangelischen 
wandte; vgl. Winckelmann im III. Bd. der Polit. Korrespondenz der Stadt Strassburg 
722 ff. und in der Zeitschrift f. Gesch. des Oberrheins N. F. XIV, 574 ff. 

' Auch in ihrer Ilochschätzung Cuspinians stimmten G. und Melanchthon überein. 
Als Hedio ein Jahr nach der Ausgabe des Werks Cuspinians eine deutsche Übersetzung 
von ihm veröffentlichte, empfahl sie Melanchthon in einer Vorrede, die er zu diesem 
Zwecke schrieb, und bemerkte, C. habe so viele herrliche Dinge „mit solcher Nutzbar- 
keit und Lieblichkeit zusammen verfasset, dass ich nit weiss, ob zu unseren Zeiten je 
etwas vollkonmeres und reichlicheres ausgangen sei". 

' S. über diese Ausgabe Hartfeldes in Heft IV der Latein. Literaturdenkmäler 
des 15. u. 16. Jahrhunderts S. XXX. 

* Diese Briefe veröffentlichte Camerarius in dem Tertius libellus epistolarum 
Eobani Hessi et aliorum. Lips. 1561. Dass er dabei auch hier Veränderungen vornahm, 
zeigt ein Vergleich der gedruckten mit den im XVIII. Band der Camerarischen Sammlung 
in München aufbewahrten Briefen, aus denen mir freundlich seine Auszüge Dr. F. Hubert 
mitteilte. 

* So berichtet Jakob Sturm in seiner in der ersten Anmerkung erwähnten Aufzeich- 
nung. Vielleicht wirkten auf diesen Entschluss G.'s schwere Unglücksfälle ein, die ihn eben 
in den Jahren seiner Lehrthätigkeit trafen. 1542 verlor er seine zweite Frau; schon 1541 
hatte ihm die Pest seinen hoffnungsvollen erst 14 jährigen Sohn geraubt, der wie er Nikolaus 
hiess. Von diesem, nicht von dem Vater, rühren die im Thomas-Archiv aufbewahrten 
Briefe a. d. J. 1540 her, von denen einen an den französischen Gesandten Lazare de BaYf 



Nikolaus Gerbel 231 



dass ihn dazu nicht eine Abnahme seines Interesses an philo- 
logisch-historischen Studien bestimmte : vielmehr wird der ernste 
Eifer, mit dem er sich ihnen dauernd widmete, durch seine Publi- 
kationen in den folgenden Jahren und namentlich durch seine 
wichtigste literarische Arbeit, seine Beschreibung Griechenlands, 
bezeugt, die zuerst 1545, in zweiter Auflage 1550 veröffentlicht 
wurde. 

Wie seine Lehrthätigkeit erinnert uns auch seine eigen- 
tümlichste literarische Leistung an Bestrebungen seines Lehrers 
Celtis. Durch ihn war bekanntlich wirksam die Zeitströmung 
vertreten und verstärkt, die zum Studium von Volks- und Landes- 
kunde trieb. Das gewahren wir auch bei einem Blick auf seine 
Schüler, namentlich auf Aventin und Vadian. In Wien war nun 
gerade mit Vadian Gerbel in nahe Verbindung getreten*; auch 
ihn interessierten lebhaft die in diesem Kreis mit nationaler Be- 
geisterung betriebenen Forschungen über deutsches Altertum. 
Schon in seinem ersten ims bekannten Brief an Camerarius er- 
kundigte er sich 1530 nach dem Schicksal der vier Bücher von 
Celtis de Germania, wie nach Arbeiten von Aventin und Pirck- 
heimer. Vor allem aber fesselten ihn die griechischen Klassiker 
und auch die in ihnen behandelten Realien. 1542 sprach er 
Camerarius aus, wie erwünscht ihm zur Erklärung alter Historiker 
geographische Karten sein würden; so musste er besonders 
freudig die Arbeit des Griechen Nikolaus Sophianos begrüssen. 



gerichteten kürzlich Pinvert in seiner Schrift über diesen S. 119 f. veröflfentlichte. Über 
den Tod des jungen Nikolaus G. s. namentlich Corpus Ref. XXXIX, »242. Dagegen 
überlebte G. sein Sohn Theodosius, der 1551 Schreiber des grossen Rats wurde. Nach 
einer Bemerkung im Ratsprotokoll von 1560 f. 19, auf die mich Dr. Bemeys aufmerksam 
machte, zeigte in der Sitzung vom 20. Jan. 1560 der Ammeister an, dass „des Rat- 
schreibers Vatter D. Nicolaus Gerbelius mit tod abgangen und man werd in morgen 
zu 2 Uren bestatten". 

* Wie durch eine Bemerkung in seiner Beschreibung Griechenl^ds hat G. von 
seiner in Wien mit Vadian geschlossenen Freundschaft namentlich in Briefen an ihn 
Zeugnis gegeben. Zwei von ihnen sind in der von Arbentz herausgegebenen Sammlung 
von Vadians Briefwechsel n. 400 u. n. 8 des Anhangs abgedruckt; von einem dritten 
hatte Dr. H. Wartmann die Güte, mir eine Abschrift mitzuteilen. Am Schluss dieses 
altera post pentecostes 1532 datierten Schreibens bemerkt G.: Ego cum coniuge et HH 
liberis optime valeo. Über die Leistungen von Celtis und Vadian auf dem Gebiet 
historischer Geographie vgl. Gallois, Les g^ographes allemands de la renaissance isSff* 
172 ff.; Penck imV.Bd. der von ihm herausgegebenen geographischen Abhandlungen VHI ff.; 
Lenz im XLIX. Heft der Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 23 ff. ; Bezold 
in der Histor. Zeitschrift XLDC, 35 ff. 



232 C. Varrentrapp 



die in diesem Jahrzehnt zuerst in Rom, dann in Basel heraus- 
gegeben wurde. Aus einer alten Familie von Korfu entsprossen hat 
Sophian mit der \'ergleichung griechischer Handschriften und mit 
Studien über Neugriechisch und Erdmesskunst, hat er sich nament- 
lich auch mit Ptolemaeus beschäftigt; unter besonderer Berücksich- 
tigung von dessen Angaben arbeitete er eine Karte von Griechen- 
land aus, die zugleich die ganze südöstliche Halbinsel bis etwa zum 
Balkan, den Bosporus, die Westküste Kleinasiens und Kreta mit um- 
fasste. Als „ein merlrwürdiges Denkmal humanistischer Gelehrt- 
heit und Fleisses" hat sie neuerdings E. Jacobs gewürdigt. „Langst 
überholt, urteilt er, sind die Kenntnisse, die sie bietet, längst 
lächelt man über solche kartographische Technik, aber eine 
bedeutsame Leistimg war diese Kane zu ihrer Zeil, und fast zwei 
Jahrhundene hat sie die Grundlage der kartographischen Vor- 
stellung von Graecia antiqua gebildet." Jacobs hat dargethan, 
wie Sophian durch den Anschluss an Ptolemaeus zu bedenküchen 
Irrtümern verleitet wurde; andererseits aber ist unverkennbar, 
dass seine Arbeit sich doch auch vor den in den älteren Aus- 
gaben des Ptolemaeus mitgeteilten Kiuten nicht nur durch ihren 
grösseren Umfang auszeichnete : es k;mi ihr zu statten, dass Sophian 
neben diesem auch neuere Erdbeschreibungen und Kanen Studien 
hatte. Die Vermutung liegt nahe, dass ihm solche bei seinem 
längeren Aufenthalt in \'enedig bekannt geworden waren. Dass 
er hier in Venedig mit Konrad Gessner zusammentraf und diesen 
auf manche Handschriften hinwies, hat Gessner selbst berichtet'; 



• la dem Buch von Hiller von GSrtringcn über Thera I. 505 ä. S. hier auch die 
Bemerkimgen Hillers von Gärtringen S. 4 und den Aui'saiz von Heinrich Alfred Schmid 
über den bei der Karte beteiligien hervorragenden Holxschceider Meister Christoph 
In er. II der Beilagen wird eine Nachbildung des Neudrucks der Karte von löoi ge- 
geben, von dem ein Exemplar auf der Baseler Universitätsbibliothek aufbewahrt wird. 
Ihr Vz-rstar^d. Hr. Oberbib!i:^thekar Dr. BemoulÜ. hatte die iVace, auch mir dessen Ein- 
sicht ru ermöglichen and dabei rogleich mitru^eilen. dass auf der von ihm verwalteten 
Bibkiothek Bnefe G.'s an Operin nicht vorhanden seien. Dagegen ncden sich für 
Sophians und Gerbeis Unternehmen interessante Schreiben Oporins an Konrad Hüben 
aof dem hiesigen Archiv: aus ihnen sind reichhaltige, freilich nicht immer gans korrekte 
Ausxüge von C. Schmidt im III. Band der N. F. der von der hist- Gesellschaft in Bas«] 
herausgegebene:; Beiträge rur vaterländischer. Geschichte S. 5S1 r. veröHenilicht. 

* lu sciuer BibÜotheca universalis 1545 Bl. 523. Gesscers und seiner Yerbindmig 
mit ihm gedenkt G. mehrfach in seiner Beschreibung Griechenlands. Bei Fecht. HisU 
cccies. supplementum divisura in VIII p. S5S :>; ein Bnef «.its>ncrs vcm lt>. Febr. 1551 
gedrack:. in dem er G. bitte:, er mr^ge ihn: eine Beschreibung des unter den Schauen 
des Münsters aufbewahnen Hern des Einhorn schicken. G. >and:t die gewünschte Be- 



Nikolaus Gerbel 233 



vielleicht wurden durch ihn auch Oporin und Gerbel auf den 
Griechen aufmerksam gemacht. Der Baseler Buchhändler ver- 
öffentlichte 1544 in seinem Verlag einen neuen Druck der Karte 
Sophians und bestimmte den ihm befreundeten Strassburger 
Gelehrten, zu ihr eine Erläutenmgsschrift zu verfassen ; ihr Druck 
wurde im September 1545 vollendet. 

Gerbel widmete diese Arbeit den jungen Grafen Wilhelm und 
Otto von Eberstein, weil er ihrem Vater imd Onkel sich zu Dank 
verpflichtet fühlte; in der Widmung an sie und in der Vorrede an 
den Leser betonte er den Wert geographischer Studien und 
namentlich der Karte Sophians für die Erklänmg der Klassiker: 
aus ihnen stellte er eine Fülle von Aeussenmgen über griechische 
Landschaften und Städte zusammen. Sehr verschiedene Schrift- 
steller wurden von ihm herangezogen: nicht nur Strabo, Mela 
und Ptolemaeus, Pausanias und Plinius und die bedeutendsten 
Historiker, unter denen Thukydides, Polybius und Plutarch be- 
sonders berücksichtigt wurden, auch ältere und neuere Dichter 
und ihre Erklärer und die historisch-politischen Erörterungen von 
Aristoteles; lebhaft beklagte er, dass ein Teil von ihnen verloren 
gegangen sei. Wie reich seine Citatensammlung ist, tritt uns 
anschaulich entgegen, wenn wir damit vergleichen, was gleichzeitig 
Sebastian Münder in seiner Kosmographie oder früher Enea Silvio 
bot; auch diesem hat Gerbel eine Bemerkimg über den Verfall Athens 
in der neuen Zeit entnommen. Er verwertet auch damals noch nicht 
gedruckte Quellen: aus einer ihm von Oporin übeonittelten Hand- 
schrift Aelians teilt er dessen Schildenmg von Tempe mit ; mehr- 
fach citiert er die Chiliaden des Byzantiners Johann Tzetzes, die, 
wie er S. 63 berichtet, Oporino communicavit Arnoldus Arlenius, 
homo in pervestigandis veterum autorum monumentis inennarabili 
solertia*. Quodvero, fügte er hinzu, inGraecis scriptoribus Arlenius, 

Schreibung, die von Gessner in seiner Histor. animal. quadr. 693 und von Schilter in 
seiner Ausgabe Königshovens 569 gedruckt ist. Nach Briefen G.'s an Gessner hatte auf 
meine Bitte Dr. Escher die Freundlichkeit, in Zürich zu forschen, leider ohne Erfolg. 
^ Sehr wird Arlenius auch von Gessner in seiner Biblioth. univ. (1545) Bl. 92 f. 
gerühmt. Vgl. über ihn Hanhart, K. Gessner loi ff.; Legrand, Bibliographie Hell^- 
nique I, 128. Introd. 80, 218; Stintzing, Tanners Briefe an Bonifacius u. Basilius Amer- 
bach 19, 67 f. u. die von ihm 68 verzeichnete Literatur. Arlenius hat andererseits 
G. wegen seiner Bemühungen um den Text des Tzetzes in der schon von 1542 datierten 
Widmung an den Cardinal Accoltus gepriesen; das Werk erschien aber erst 1546 mit 
einer lateinischen Übersetzung von P. Lacisio, der wegen seiner evangelischen Ge- 
sinnung aus Italien flüchten musste, mit Peter Martyr nach Strassburg kam u. hier 



234 C Varrentrapp 



idem facit in sacris Hebraeorum voluminibus Paulus Fagius, vir 
integer vitae et in lingua sancta adeo exercitatus, ut cum doctis- 
simis iure conferri possit. In ähnlicher Art weist er auch sonst 
auf Zeitgenossen und heimische Verhältnisse hin. Da er bei 
Megara S. 26 auf den dort geborenen Euklid zu sprechen kommt, 
preist er seinen Freund Christmann Herlin, der Euklids Lehren 
in Strassburg vortrug, und den „unvergleichlichen" Leiter der 
Strassburger Schule, Johannes Sturm; S. 9 und 11 gedenkt er 
seiner alten freundschaftlichen Beziehimgen zu Vadian, Beatus 
Rhenanus und Spiegel. Eingehend vergleicht er S. 49 die Lage 
von Strassbui^, urbis omnium pulcherrimae, mit der von Korinth; 
nam euntibus ab aede divi s. Thomae ad occasum, ad pontem 
quem a re ipsa tectum appellamus, occurret in medio verus Isth- 
mus, Corinthiaco nostro simillimus: siquidem mihi liceat magnis 
componere parva. Ibi enim oppositu pontis fluvius Prusca in duo 
brachia scinditur : altero ad septentrionem verso, ad meridiem al- 
tero, quae non multo post coeuntia per mediam fere urbem placi- 
dissimo cursu in Rhenum deferuntur. Fretum vero, seu 7Top0|iöv, 
si per piscatoriam turrim egrediaris, non longe a moenibus urbis 
videbis inter duas Epiros praecipiti admodum cursu horrendaque 
altitudine in laxius spacium erumpere. Dadurch, erzählt Gerbel, 
würden oft unvorsichtige Fischer in schwere Gefahr gebracht: 
das hätten Hedio und er einmal selbst beobachtet. Bei dieser 
Schilderung des Isthmus errinnert Gerbel auch an anatomische 
Bemerkungen seines Freundes Jodocus Wilich. Ebenso rühmt er 
bei Megalopolis S. 74 f. nicht nur die berühmten Schriftsteller, 
die aus dieser Stadt hervorgingen, namentlich Polybius, sondern 
auch den Rat von Augsburg, der eben damals magno precio Grae- 
corum librorum non exiguam copiam comparavit, in qua audio 
Epitomen XL librorum Polybii contineri, und seinen Freund 

als Lehrer des Griechischen 1542 angestellt wurde, aber schon 1544 starb. In einem 
mir durch Professor Ficker mitgeteilten Brief vom 3. Dec. 1542 schrieb L. aus Strass- 
burg an Bonifaz Amerbach: Hie ego praelego Thucydiden. Vgl. über ihn Benrath, 
Schriften des Vereins für Reformationsgesch. XVIII, 102; Engel, L'^cole latine et 
Tacadcmie de Strasbourg 37 f. C. Schmidt, Peter Martyr 27. 37. 50. Nach Schmidts 
Annahme übersetzt Lacisio schon während seines Aufenthalts in Lucca die Chiliaden 
des Tzetzes; auch G. äusserte schon 1535 Camerarius gegenüber sein lebhaftes Interesse 
für die Commentare alter Dichter, maxime vero in Lycophronem, quod is rarissimas 
historias complexus sit. G.'s Bemühungen am Tzetzes sind mehrfach auch noch in der 
neuen Literatur über diesen berücksichtigt; vgl. über sie Krumbacher, Gesch. der 
Byzantin. Literatur 2. Aufl. S. 529. 



Nikolaus Gerbel 235 



Hedio, der ihm ein Verzeichnis dieser Handschriften verschaffte. 
Dringend ermahnt er die Leiter anderer deutscher Städte, dem 
Augsburger Beispiel zu folgen; in beredten Worten schildert er 
den vielfachen Wert guter Bibliotheken; für Strassburg setzt er 
auch nach dieser Richtung seine Hoffnung vor allem auf Jakob 
Sturm, decus nostrum. 

Manches Ergötzliche und Lehrreiche bieten eben diese Ab- 
schweifungen Gerbeis in seine eigene Zeit ; imfraglich beleben sie 
seine Darstellung ; doch vermissen wir auch bei ihnen und noch 
mehr in dem Hauptteil seiner Ausführungen, was den Schriften 
seines Lehrers Celtis ihren grössten Reiz verleiht Hat dieser 
mit scharfem Griffel gezeichnet, was er mit klaren Augen selbst 
beobachtet hatte, so geben uns Gerbeis allgemeine lobende 
Wendungen nicht eine bestimmte Vorstellung von den Personen 
und noch weniger seine Sammlungen von Citaten ein anschau- 
liches Bild von den Städten und Landschaften, die er behandelt. 
Auch bei ihm macht sich verhängnisvoll geltend, dass er nie das 
Land betreten hatte, das er zu schildern unternahm, dass sein 
Wissen nur in Büchern wurzelte und diese zudem nicht mit der 
erforderlichen Sorgfalt und Kritik von ihm gelesen waren. So 
verstärkt auch seine Leetüre in uns die Überzeugung, dass nur 
durch eigene Beobachtung und historische Kritik, wie beide dann 
im folgenden Jahrhundert Clüver geübt hat, eine wissenschaft- 
liche Darstellung alter Länderkunde begründet werden konnte. 
Die Fehler imd Mängel von Gerbeis Arbeit hat schon im 17. Jahr- 
hundert Jakob Gronov hervorgehoben ; dass er sie trotzdem an 
der Spitze des vierten Bandes seines Thesaurus antiquitatiim 
Graecarum auf das Neue abdruckte, beweist aber, welchen Wert 
er ihr doch für ihre Zeit als dem ersten Versuch einer ausführ- 
licheren Beschreibung Griechenlands beimass. Und gewiss werden 
auch wir, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie fremd noch 
Wimpfeling und seine elsässischen Zeitgenossen dem Griechischen 
gegenüberstanden, wie doch auch Johannes Sturm und Sleidan 
hauptsächlich nur auf lateinische Klassiker hinwiesen, es nicht 
gering schätzen, dass Gerbel mm aus griechischen und römischen 
Poeten und Prosaikern eine solche Fülle bedeutsamer Äusserungen 
über Land und Geschichte, Mythen und Sitten der Hellenen zu- 
sammentrug und dabei überall auf die Karte verwies, zu deren 
Benutztmg er am Schluss seines Werks eine besondere Anleitung 
mitteilte : sind seine Leistungen längst überholt und deshalb heute 



236 C. Varrentrapp 



für die Wissenschaft ohne Bedeutung, so hat er doch dem geistigen 
Leben seiner Zeit manche wichtige Anregung gegeben. 

Über die Mängel seiner Arbeit hat er sich dabei selbst 
nicht getäuscht. Als er 1530 Camerarius bat, ihm historische und 
geographische Schriften zugänglich zu machen, betonte er, auf 
diese müsse er deshalb bei seinen Studien hauptsächlich sich 
stützen, weil ad peregrinationem neque opes neque aetas suffici- 
ant; dankbar gedachte er dann 1545 in seinem Werke S. 72 
seines Freundes Camerarius, der ihn zu seiner Abfassung besonders 
ermuntert habe, erklärte dabei aber ausdrücklich, viel besser als 
er wäre dieser zu solchem Unternehmen befähigt gewesen. Soweit 
es ihm mögUch war, suchte er dann seine Arbeit zu ergänzen 
imd zu verbessern, als schon bald nach Erscheinen der ersten 
eine zweite Auflage begehrt wurde. 1549 bat Oporin den schon 
früher für das Unternehmen hülfreichen Konrad Hubert, er möge 
einen Studenten gewinnen, dem Gerbel diktieren könne; bereits 
1550 wurden dann Nicolai Gerbelii pro declaratione picturae sive 
descriptionis Graeciae Sophiani libri Septem gedruckt und ver- 
öffentlicht. Sie füllen statt der c. 90 Folioseiten der ersten Auflage 
über 300; sehr viel übersichtlicher ist der sehr vermehrte Stoff 
angeordnet worden. Einzelne Bemerkungen, darunter die eigen- 
tümlichen oben abgedruckten Äusserungen über die Ähnlichkeit 
der Lage Stnissburgs mit der Korinths, sind ebenso fortgelassen 
wie die Bilder griechischer Städte, die in bedenklicher Weise an 
deutsche Örtlichkeiten erinnerten; dagegen sind in den einleitenden 
Abschnitten Ausführungen über Sitten und Sprache der Griechen 
eingefügt^ und in dem Hauptteile des Werkes bei den einzelnen 
Landschaften jetzt eingehend auch Flüsse und Berge besprochen. 
In viel grösserem Umfang hat Gerbel für die neue Auflage auch 
lateinische Klassiker ausgebeutet« und die Abweichungen der 

* Es ist für G. bezeichnend, dass er wie die grossen Leistungen der Griechen 
auf literarischem Gebiet so auch ihre Mängel auf ethischem hervorhebt unter aus- 
drücklichem Hinweis auf griechische Historiker, namentlich auf Thukydides, Xenophon 
und Plutarch. Doch fügt er hinzu: imitemur potius apes non araneas. Quae bona sunt 
in eorum libris, quae ad doctrinam, ad eruditionem, ad vitam caste sancteque insti- 
tuendam erudire nos possunt, ea sectemur. Hinsichtlich der Sprache werden von ihm 
citiert: Eusthasius, Plutarchus de his quae apud Homerum legimtur, Joannes Gramma- 
ticus, Corinthus quidam et nostra aetate Phavorinus. 

* Dass G. in seinen letzten Jahrzehnten sich eingehender auch mit lateinischen 
Schriftstellern und römischer Geschichte beschäftigte, zeigen auch andere seiner 
Publikationen. 1544 wurden von ihm bis Crato Mylius in Strassburg Icones imperatorom 



Nikolaus Gerbel 237 



einzelnen von ihm citierten Schriftsteller hervorgehoben. Trotz 
dieser vielfachen und wichtigen Änderungen aber hat sein Buch 
im wesentlichen den gleichen Charakter bewahrt, den die erste 
Auflage zeigte und der aus dem Standpunkte des Verfassers und 
seiner Zeit sich erklart: von einer tiefer greifenden Kritik ist so 
wenig als von eigener Beobachtung eine Spur auch in dem ver- 
besserten Werke zu finden, in dem auch arge leicht aufzudeckende 
Versehen nicht getilgt sind. Begreiflicher Weise ist deshalb auch 
nicht in Erfüllung gegangen, was ein befreundeter Arbeitsgenosse, 
was Abraham Löscher, von dem gleichzeitig damals eine Über- 
setzung des Pausanias erschien, in einem der zweiten Auflage vor- 
gesetzten Gedicht Gerbel und seinen Arbeiten prophezeihte : 

Posteritas tua scripta leget: tua scripta valebunt, 
Diun viribus certis Phoebus et annus eunt. 

Ja noch schneller als die erste scheint die zweite Auflage in Ver- 
gessenheit geraten zu sein. Gronov hat sie nicht gekannt und auch 
in Strassburg hat Oberlin, als er in seinem Buche : Orbis antiqui 
monumentis suis illustrati primae lineae ein Verzeichnis älterer 
Arbeiten über Griechenland zusammenstellte, nur nach Gronov 
Gerbeis erste Auflage citiert. Gerade die Erinnerung an Oberlin 
und die anderen ihm geistesverwandten Strassburger Philologen 
und Historiker des 17. und 18. Jahrhunderts legt aber auch andere 
Gedanken nahe. War es nicht ohne Bedeutung, dass Gerbel, der 
in seinen frühren Publikationen hauptsächlich nur auf eleganten 
lateinischen Stil sein Augenmerk gerichtet hatte, später sich eifrig 
der Beschäftigimg mit den Realien des klassischen Altertums zu- 
wandte : viel wichtiger wurde es, dass seine Nachfolger auf dieser 
von ihm eingeschlagenen Bahn mit besseren Erfolgen weiter 
gearbeitet haben. Mit berechtigtem Stolz darf man in Strassburg 
darauf ziulickblicken, dass diesen Studien in den folgenden Jahr- 
hunderten hier reichere Mittel und grössere Kräfte gewidmet 



et breves vitae atque renim cuiusque gestarum indicationes Ausonio, Jacobo Micyllo, 
Ursino Velio authoribus, 1553 bei Oporin in Basel Cuspinians Commentarii de con- 
sulibus Romanonim veröffentlicht. Über die Art, in der hier u. a. auch Cassiodors 
Chronik mitgeteilt wurde, s. Mommsen, Chron. minore II, 117. Diese Arbeiten G/s 
machen es um so wahrscheinlicher, dass SIeidan, der von G. in seinen sieben Büchern 
über Griechenland 52 als Sleidanus meus bezeichnet wird u. der schon 1547 die ersten 
vier Bücher seiner Zeitgeschichte G. zum Lesen gab, den von ihm hochgeschätzten 
Gelehrten auch bei Abfassung seines welthistorischen Compendiums um Rat fragte. 



238 C. Virrentrapp 



sind, als sie Gerbel und seine Zeit besassen. Sollten wir nicht 
eben deshalb dankbar auch des ersten Strassburger Hochschul- 
lehrers der Geschichte gedenken, der solche Bestrebungen hier 
schon im 16. Jahrhundert gepflegt hat ? 



HARRY BRESSLAU 
KANZLEIGEBÜHBIEN UNTER HEINRICH VI. (1191) 

Während seines Aufenthaltes in Lodi im Januar 1191 schloss 
König Heinrich VI. einen Bundesvertrag mit der Commune Pia- 
cenza* und stellte wahrscheinlich gleichzeitig, jedenfalls in Aus- 
fühnmg der durch den Vertrag getroffenen Vereinbarungen, zwei 
Urkimden für die Stadt aus, die beide das Datum des 21. Januar 
tragen. Durch die eine von diesen' verpfändete der König für 
die Sunmie von 1000 Pfund Imperialen den Consuln von Piacenza 
die Orte Borgo San Donnino und Bargone mit dem Vorbehalt 
der Einlösung um die gleiche Summe, jedoch mit der Massgabe, 
dass die Bewohner beider Orte auch im Falle der Einlösung durch 
einen alle fünf Jahre zu erneuernden Eid sich verpflichten sollten, 
die Placentiner in allen Kriegen gegen jedermann, den Kaiser 
oder den König ausgenommen, zu unterstützen*. Durch das 
zweite Diplom ♦ nahm der König die Placentiner in seinen beson- 
deren Schutz und bestätigte ihnen die Regalien (soweit diese 
ihnen nicht schon nach dem Constanzer Frieden zustanden), mit 
Vorbehalt der Appellationsgerichtsbarkeit und des königlichen 
Fodnmis ; zugleich wiederholte er in der Form des Privilegs und 
mit einigen Zusätzen die Bestimmungen des Vertragsinstrumentes, 
soweit das nicht schon durch die Verpfändungsurkunde geschehen 
war*. 

Die Placentiner Annalisten des 13. Jahrhunderts, Johannes 
Codagnellus, der Autor der sog. Annales Piacentini Guelfi«, und 



* St. 4671, jetzt gedruckt in Mon. Germ. Const. I, 468 n. 330. 

' St. 4670, gedrockt bei Poggiali, Memorie storiche di Piacenza V, 6 und besser 
bei Affö, Storia di Parma III, 299 n. i. 

» Vgl. über beide Orte Scheflfer-Boichorst, Neues Archiv XX, 462; XXVII, 109 ff. 

• Mon. Germ. Const. I, 469 n. 331. 

* Beide Diplome sind, gemäss der in ihnen selbst getroffenen Bestimmungen, 
nach Heinrichs Kaiserkrönung am 5. Juni 1191 erneuert worden (St. 4704. 4705). 

• Vgl. Holder-Egger, Neues Archiv XVI, 253 ff. und danach Wattenbach, Geschichts- 
quellen II« 328 ff. Neue Ausgabe der Ann. Piacentini des Codagnellus von Holder-Egger, 
Piannover 1901. 



240 Harry Bresslau 



der Verfasser der sog. Annales Piacentini Gibellini, haben von 
den im Jahre 1191 getroffenen Abmachungen nichts berichtet. 
Erst im 8. Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts ist in der noch unge- 
druckten Placentiner Chronik des Petrus von Ripalta und einige 
Jahrzehnte später in derjenigen des Johannes de Mussis, der Ri- 
palta ausschrieb, durch Zusätze ergänzte und fortsetzte', die Ver- 
pfändimg von Borgo und Bargone erwähnt, aber mit einer be- 
merkenswerten Abweichung. Johannes de Mussis, dessen Text 
wahrscheinlich ziemlich wörtlich, jedenfalls sachlich dem des 
Petrus de Ripalta entsprechen dürfte •, erzählt zum Jahre 1 191 : 
Eodem anno Henricus rex obligavit Placentinis in pignore Burgum 
S. Donini pro libris duobus millibus imperialium. Daraufhin 
haben denn die späteren Placentiner Geschichtsschreiber, auch 
diejenigen, welche die Urkunde selbst kannten, sämtlich die An- 
gabe wiederholt ^ dass die Pfandsumme nicht 1000, sondern 2000 
Pfund kaiserliche Pfennige betragen habe. 

Wenn unsere italienischen Fachgenossen uns einmal eine 
kritische Ausgabe des Ripalta bescheeren und dadurch die Un- 
tersuchimg der ältesten Quellen placentinischer Überlieferung, 
die auch Giovanni Codagnello vorgelegen haben, ermöglichen, 
wird auch diese Stelle der Chroniken des 14. Jahrhunderts die 
ihr zukommende Beachtung finden. Denn so ungenau sie ist, 
ebenso sicher ist in ihr ein richtiger Kern enthalten; und nicht 
etwa auf die Urkunden, die bekannten, von denen ich eben sprach, 
und die unbekannte, von der ich gleich reden werde, kann sie 
zurückgeführt werden. Vielmehr muss ihr eine alte und gute 
Überlief enmg zu Grunde liegen, denn die Stadtkasse von Piacenza 
ist durch die Abmachungen vom Januar 1191 wirklich nicht bloss 



* über Petrus de Ripalta und Johannes de Mussis vgl. Muratori, SS. rer. Italic. 
XX, 867 und Pertz in Mon. Germ. SS. XVIII, 409. 

* Das ist, abgesehen von dem allgemeinen Verhältnis beider Chronisten zu 
einander, auch daraus zu entnehmen, dass Boselli, Delle Storie Piacentine, für seine 
Wiedergabe der Nachricht (I, 118) in der zugehörigen Note 86 Ripalta und Mussis — 
daneben die Verpfändungsurkunde selbst — als Gewährsmänner anfuhrt. 

' Vgl. Locatus, De Placentinae urbis origine S. 62 ; Campi, Dell' historia ecclesiastica 
di Piacenza II, 72; Poggiali a. a. O. V, 5; Boselli a. a. O. I, I18; Giarelli, Storia di 
Piacenza I, 144. Ebenso Affö, Storia di Parma III, i und noch Töche, Kaiser Heinrich VI., 
S. 168. — Poggiali hat dann V, 7 die Diflferenz zwischen den Chronisten und der Ur- 
kunde wohl beachtet; aber indem er betonte: tutti gli storici concordemente scrivono 
che furon due mila, hat er V, 5 ihrer Angabe mehr Glauben geschenkt als der des 
Diploms. 



Kanzleigebühren unter Heinrich VI. (1191) 241 

mit den 1000 Pfund Imperialen, die als Pfandstimme für Borgo 
und Ballone festgesetzt wurden und tlber deren Empfang der 
König in der Verpfändungsurkunde bereits quittiert*, belastet 
worden, sondern sie ward im Februar noch ein zweites Mal um 
den gleichen Betrag erleichtert, der freilich nur zu vier Fünf- 
teilen dem Kaiser selbst zu Gute kam. In der Quelle, welche 
Ripalta vorlag, sind offenbar beide Zahlungen, wie sie ja auch 
im Grunde auf die gleichen Verhandlungen zurückgehen, zu- 
sammengeschmolzen und beide auf den Pfandvertrag bezogen 
worden, der nur für die eine von ihnen die unmittelbare Veran- 
lassung war. 

Über die andere berichtet die bisher nicht edierte Urkunde, 
die mitzuteilen und zu erläutern der Zweck dieser Zeilen ist». 
Wir erfahren aus ihr, dass Rudolf von Siebeneich, der Kämmerer 
König Heinrichs ^ am 20. Februar 1191* von den Consuln von 
Piacenza 800 Pfund Imperialen für das ihnen in Lodi ausgestellte 
Regalienpri^ileg — also die zweite der am 21. Januar ausgefertigten 
Urkunden — empfangen hat, gemäss einem Abkommen (certa 
pactione) das schon in Lodi getroffen sein muss. Wächst damit 
die Siunme der von den Placentinem geleisteten Zahlungen auf 



^ St. 4670 (nach dem Druck bei Affö) : que omnia predicta obligavimus per mille 
libras imperialium, quas ab eis recepimus. 

' Ich gebe ihren Text nach einer Abschrift des Herrn Stadtarchivars Crescio 
zu Piacenza aus dem kleinen Registerbuch (Registro mezzano) f. 91 (B). Da dieses 
Abschrift des grossen Registers (Registro grande) ist, wo die Urkunde auf f. 134 steht (A), 
hätte eigentlich das letztere dem Abdruck zu Grunde gelegt werden sollen. Aber da 
A von den Herren Crescio und Tononi mit B verglichen worden ist und, abgesehen 
von einer Stelle (unten S. 247 N. 2), nur orthographische Varianten von B aufweist, und 
da auf die Orthographie dieser notariellen Kopien für uns nichts ankommt, mochte ich 
meine Placentiner Freunde nicht mit der Bitte um eine nochmalige Kopie aus A be- 
mühen. An der Stelle unten S. 247 N. i hat Herr Tononi die Übereinstimmung von 
A und B noch ein zweites Mal geprüft und festgestellt. 

' Vgl. über ihn Ficker, Die Reichshofbeamten der staufischen Periode S. 56. 61 
(Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Hist. phil. Cl., XL, 500. 505). Er ist von 
einem älteren Kämmerer gleichen Namens zu unterscheiden, den Ficker seit 1 165 nach- 
weist. Über Beide ist freilich seit 1863 mancher neue Beleg beizubringen. 

* Am Tage vorher, 19. Februar, hatte er, nachdem eine gemäss dem Januar- 
Abkommen zur Festsetzung der Höhe des Fodrums ernannte Kommission dies auf 
50 Pfund fixiert hatte, über diesen Betrag quittiert, Poggiali V, 11. — Beide Urkunden 
geben das Incamationsjahr 1190, denn in Piacenza rechnet man damals nach floren- 
tinischem Stil, dem zufolge das Jahr 1191 erst mit dem 25. März 1191 nach unserer 

Rechnung beginnt. 

16 



242 Harry Bresslau 



1800 Pfund, so ergänzt sie der letzte und für uns wichtigste Teil 
der Urkunde auf den den Chronisten des 14. Jahrhunderts wie 
immer bekannt gewordenen Betrag von 2000 Pfund, indem er die 
Quittung des Kämmerers über eine weitere Summe von 200 Pfund 
enthält, die gleichfalls nach einem festen Abkommen (hac pac- 
tione) „pro servicio curie" an den Kämmerer und andere „homines 
curie" von den Placentinem zu zahlen war. Von dieser letzten 
Siunme sind indessen am 20. Februar nur noch 85 Pfund in barem 
Gelde entrichtet worden; die anderen 115 Pfund wurden auf schon 
geleistete Zahlungen verrechnet: 40 Pfund davon hatte Wilhelm 
Bischof von Asti und erwählter Erzbischof von Ravenna, 50 der 
kaiserliche Kanzler Diether, 25 der kaiserliche Protonotar Heinrich 
schon vorher empfangen. 

Durch die hier wiedergegebenen Mitteilungen wird die 
Quittung Rudolfs von Siebeneich zu einem der wertvollsten Do- 
cumente für die Geschichte der Reichskanzlei in der staufischen 
Periode, die wir besitzen: sie enthält die ältesten, bisher bekannt ge- 
wordenen, zahlenmässigen Angaben über Gebühren in der Reichs- 
kanzlei ^ Dass solche Gebühren bei der Belehnung eines deutschen 
Reichsfürsten mit den Regalien zu entrichten waren, ist längst 
bekannt: zum ersten Mal wird diese „curialis exactio" — aber 
ohne Angabe eines Betrages — im Jahre 1145 erwähnt, als Abt 
Isingrim von Ottobeuem zu Aachen die Investitur erhielt*, dessen 
Nachfolger sich dann durch Urkundenfälschungen vor gleichen 
Anforderungen zu schützen suchten. Schon im 13. Jahrhundert 
muss die bei diesem Anlass zu zahlende Taxe gewohnheitsmässig 
in annähernd feststehendem Betrage fixiert gewesen sein. Im 
Jahre 1225 lieh Bischof Oliver von Paderborn für die von ihm 
beim Empfang der Regalien zu machende Zahlimg 65 Mark und 
einen Vierdung Silbers. Im Jahre 1290 wiirde die Äbtissin von 
Remiremont von König Rudolf aus gleichem Anlass zur Zahlung 
der gleichen Summe an die „officiales curie" verpflichtet. Im 
Jahre 1309 bekennt Bischof Gotfried von Minden, dass er dem 
Reichskanzler „pro vice curie domini regis racione regalium que 
ab ipso adepti sumus" 58 Mark und einen Vierdung reinen Silbers 



1 Die Zahlungen, die der Protonotar Sigeloh 1 192/3 von Cremona, Lodi, Ber- 
gamo, Pavia, Piacenza erhebt (Töche, Heinrich VI. S. 618 ff. Poggiali V, 18 f.) sind 
natürlich keine Kanzleigebühren. 

* Vgl. hierzu und zum folgenden Scheffer-Boichorst, Zur Gesch. des 12. und 13. 
Jahrhunderts S. 50 N. 3, wo die meisten Belege citiert sind. 



Kanzleigebühren unter Heinrich VI. (1191) 243 

schulde, indem er für die Zahlung der Summe am nächsten 
Weihnachtsfeste Bürgen stellte Damals also lag wohl dem Kanzler 
die Verteilung der Summe ob, die hier um 7 Mark geringer ist, 
als in den beiden anderen angegebenen Fällen*; durch die Goldene 
Bulle Karls IV*. ist dies Geschäft dem königlichen Hofmeister 
übertragen und zugleich der zu entrichtende Betrag endgiltig auf 
63 Mark und einen Vierdung festgestellt worden, von denen der 
Hofmeister, der Kanzler, der Schenk, der Küchenmeister, der 
Marschall und der Kämmerer je 10 Mark, die Notare der Kanzlei 
zusammen 3 Mark, der Siegler für Wachs und Pergament einen 
Vierdung empfangen sollen*. Als eigentliche Kanzleigebühren 
können aber von dieser Summe nur die 13 Mark und ein Vierdung 
betrachtet werden, die Kanzler, Notare und Siegler erhielten ; denn 
der Hofmeister und die Inhaber der Reichserbämter hatten nichts 
mit der Ausfertigimg des Lehensbriefes zu thun, wohl aber bei 
dem feierlichen Akt der körperlichen Investitur zu fungieren ; sie 
empfingen deshalb ihren Anteil an den Gebühren auch nur dann, 
wenn sie bei diesem mitwirkten: wurden sie hier durch andere 
Hofbeamte vertreten, so fiel diesen nach der Goldenen Bulle ihr 
Anteil an der Lehenstaxe zu. 

Wir haben keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass auch 
in anderen Fällen als dem der Investitur eines deutschen Reichs- 
fürsten mit den Regalien schon im 12. oder 13. Jahrhundert der 
Betrag der zu zahlenden Gebühren gewohnheitsmässig oder recht- 



* Kicker, Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Phil.-hist. Cl. XIV, 206. Auf 
diesen Beleg hat zuerst Seeliger, Das deutsche Hofmeisteramt S. 88 N. i hingewiesen. 

^ Sollte Bischof Gotfried schon eine Anzahlung geleistet haben, sodass die 
58^/4 Mark nur noch den Restbetrag seiner Schuld darstellten? 
» Ed. Hamack S. 243. 

* Zwei spätere Beispiele der Taxenzahlung aus dem 15. Jahrh. hat Seeliger 
a. a. O. angeführt. Das erste vom Jahre 1401 zeigt, dass die Goldene Bulle doch nicht 
allem Streit über die Taxe ein Ende gemacht hat; der Abt von Ellwangen behauptete 
offenbar von der Zahlung eximiert zu sein und verstand sich dann zur Entrichtung eines 
der Höhe nach nicht angegebenen Betrages, indem sowohl er wie die Hof beamten ihre 
Rechte vorbehielten. — Die Taxe blieb bis zur Auflösung des Reiches bestehen, nur 
wurde sie 1648 durch Instr. pacis Osnabrug. V, 21 für die evangelischen geistlichen 
Reichsfürsten (weil für diese Annaten, Palliengelder u. dgl. fortfielen) um die Hälfte 
erhöht. Im Jahre 1639 wurden je 10 Mark in 60 Gold-, im Jahre 1686 in 120 Silber- 
gulden umgerechnet. Wagenseil De S. R. Imperii officialibus S. 308. 310 (angeführt bei 
Seeliger a. a. O.). Die Taxe von 60 Goldgulden bestand aber schon 1613, Ludewig Erläut. 
zur Gold. Bulle II, 1295. 

i6» 



244 Harry Bresslau 



lieh fixiert gewesen sei'. In unserem Falle ist jedenfalls die „pro 
servicio curie" zu entrichtende Summe von 200 Pfund Imperialen 
ebenso wie die dem Kaiser zu entrichtende von viermal so hohem 
Betrage erst durch besondere Vereinbarung (pactio) mit den Pla- 
centinem festgestellt worden. Die dem Kaiser zufallenden 800 
Pfund wurden, wie unsere Urkunde ausdrücklich sagt, nur für 
das Regalienprivileg entrichtet. Dass aber auch die Gebühr für 
die Höflinge sich nur auf dieses bezog, erhellt aus Rudolfs Quittimg 
nicht mit gleicher Bestimmtheit und ist an sich nicht eben wahr- 
scheinlich; wir werden eher annehmen dürfen, dass sie für alle 
Urkunden, welche aus Anlass der Abmachung mit den Placen- 
tinem ausgefertigt wurden — also für den Bündnisvertrag, das 
Regalienprivileg, die Verpfändungsurkunde und für die Notifi- 
cation der letzteren an die Leute von Borgo und Bargone' — zu- 
sammen den Entgelt bildete. Von ihrem Betrage erhielt, wie wir 
gesehen haben, der Reichskanzler 50 Pfund, also 25^'o» der Pro- 
tonotar 25 Pfund, also 12V «^'o, der Bischof Wilhelm von Asti 40 
Pfund, also 20^ oi in die übrigen 85 Pfund (gleich 42';«^ o) hatte 
sich der Kämmerer Rudolf mit anderen nicht genannten Höflingen 
zu teilen, zu denen wohl auch die bei der Ausfertigimg der 
Urkunden beteiligten niederen Kanzleibeamten gehörten. Die An- 
teile des Kanzlers und des Protonotars bedürfen keiner Erklärung ; 
auch der Rudolfs begreift sich nicht nur deswegen, weil er die 
Zahlung in Piacenza einzog, sondern vor allem deswegen, weil 
ihm durch das eben erwähnte Notificationsschreiben der Auftrag 
zu Teil geworden war, die Placentiner in den Besitz von Borgo 
und Bargone einzuweisen und die Leute beider Orte zur Eides- 
leistung an Piacenza zu nötigen. Wie aber kommt Bischof Wil- 
helm von Asti zu einem Anteil an der Zahlung der Placentiner? 



* In der Kanzlei der normannischen Könige Unteritaliens wurde ein fester Tarif 
der Gebühren, um die Habgier der Notare einzudämmen, unter dem Kanzler Stephan 
(il66 — Ii68) aufgestellt, wie Hugo Falcandus (Muratori SS. rer. Ital. VII, 314) berichtet. 
— Aus der deutschen Reichskanzlei haben wir vor dem 12. Jahrhundert überhaupt keine 
Nachrichten über Gebührenzahlungen. Dass aber solche schon in karolingischer Zeit 
üblich waren, dürfte aus Hincmar, De ord. palatii cap. 16 (ed. Krause, S. 15) zu folgern 
sein, wo von den Untergebenen des Kanzlers gefordert wird „qui praecepta regia 
absque immoderata cupiditatis venalitate scriberent". Mit diesen Worten wird m. E. 
nicht sowohl die Unbestechlichkeit (wie Waitz, Verfassungsgesch. III*, 513 meint) als 
vielmehr das Maasshalten in der (}ebührenberechnung von den Notaren verlangt. 

* Poggiali a. a. O. V, 10. 



Kanzleigebühren unter Heinrich VI. (1191) 245 

Die Geschichte dieses bedeutenden Staatsmannes, der in den 
politischen Ereignissen unter Friedrich I. und Heinrich VI. eine 
namhafte Rolle gespielt hat, ist noch nicht geschrieben worden 
und verdient doch sehr geschrieben zu werden. Hier möge es 
genügen, einige wenige, leicht erreichbare Notizen zusammen- 
zustellen und darauf hinzuweisen, dass er noch als Elect an 
den Friedensverhandlungen des Jahres 1177, bei denen er einer 
der Vertreter der Lombarden war, teilgenommen hatte, dann 
aber zu Friedrich I. in die nächsten Beziehungen getreten war. 
Er war einer der vier Bevollmächtigten des Kaisers auf dem Tage 
zu Piacenza 1183, auf dem die Präliminarien des Constanzer 
Friedens festgestellt wurden* ; er war dann auch in Constanz bei 
dem Abschluss des Friedens anwesend. 1184 treffen wir ihn 
in Mailand am Hofe des Kaisers, und er war in Verona zugegen, 
als Lucius lü. mit Friedrich im Herbste dieses Jahres Verhand- 
lungen pflog. Im Jahre 1185 erscheint er sehr häufig im Gefolge 
des Kaisers imd war einer der Zeugen seines Vertrages mit den 
Mailändern ; 1 186 ward er mit anderen Gesandten, darunter dem 
Hofrichter Otto Cendadarius, an den Hof Urbans III. geschickt, 
um eine Verständigung zwischen Kaiser und Papst herbeizuführen, 
dann machte er den Zug gegen Cremona mit und war anwesend, 
als die Cremonesen sich endlich unterwarfen*. Auch am Hofe 
Heinrichs VI. finden wir ihn später häufig; im Anfang des 
Jahres 1191 fand er sich schon in der Lombardei bei dem jungen 
Könige ein und wurde, im Januar zum Erzbischof von Ravenna 
gewählt, als Gesandter nach Genua geschickt, um hier über eine 
Hilfeleistimg zxmi Zuge gegen das südliche Königreich zu ver- 
handeln; für den im Mai mit den Genuesen geschlossenen Ver- 
trag hat er sich mit anderen Fürsten und Herren namens des 
Königs verbürgt. Im Juli 1 192 begegnen wir ihm am Hofe Hein- 
richs in Deutschland. 

Ein bestimmtes Amt mit genau umschriebener Competenz 
hat Wilhelm am Hof Friedrichs I. und Heinrichs VI., soviel die 
urkundlichen Zeugnisse erkennen lassen, nicht bekleidet ; aber im 
Rat beider Herrscher nahm er eine besonders hervorragende 
Stellung ein, imd zu den „homines curie", von denen unsere 
Urkimde spricht, hat man ihn gewiss zählen können. Doch zu 

* Die Bevollmächtigten erhielten dafür von den Lombarden die Summe von 
1000 Pfund Imperialen. 

' Sie zahlten 1500 Pfund an den Kaiser und 300 an die Curialen. 



246 Harry Bresslau 



den Verhandlungen mit Piacenza im Anfang des Jahres 1191 hat 
er noch besondere Beziehungen gehabt 

Von den drei Urkunden, von denen unsere Betrachtung 
ausging, entbehren zwei, der Bündnisvertrag imd das Regalien- 
privileg, der Zei^enh'sten. Aber die dritte, über den Pfandvertrag 
ausgestellte Urkimde nennt Zeugen; sie heissen: Wilhelm, Bischof 
von Asti, Erwählter von Ravenna, Diether, Kanzler des kaiser- 
lichen Hofes, Heinrich, Protonotar des kaiserlichen Hofes, Robert 
von Walldürn, Kraft von Boxberg, Rudolf, Kämmerer, Heinrich 
von Lautem, Otto Cendalarius und Passaguerra, königliche Hof- 
richter'. Vier von diesen neim Männern sind in unserer Urkxmde 
als am Bezüge der gezahlten Gebühr beteiligt genannt: der Kanzler 
mit 50, der Bischof mit 40, der Protonotar mit 25 Pfund, Kämmerer 
Rudolf mit einem nicht näher angegebenen Betrage; er imd die 
übrigen Beteiligten, die wir nun wohl auch unter den Zeugen 
der Urkunde suchen dürfen, werden sich in den Restbetrag von 
85 Pfund, vielleicht nach Abzug eines Anteils für das niedere 
Kanzleipersonal, wenn auch nicht gleichmässig geteilt haben. 

Beteiligung an den Verhandlungen über das Rechtsgeschäft, 
welches durch eine Urkunde beglaubigt wird, Nennimg als Zeuge 
in der Urkunde selbst und Anteil an dem Bezüge der für die 
Urkunde gezahlten Gebühren stehen in unserem Falle in einem 
deutlich herv^ortretenden Zusammenhange, Es würde vorschnell 
sein, aus ihm allein allgemeine Schlüsse ziehen zu wollen; aber 
wer der Geschichte der immer noch nicht bis in alle Einzelheiten 
genügend erforschten Reichsvenvaltung Italiens unter Barbarossa 
und seinem Sohn Heinrich VI. näher nachgeht, wird ihn brachten 
müssen. Die Schätze der italienischen Stadt- und Notariatsarchive 
sind bei weitem noch nicht erschöpfend ausgebeutet ; hoffen wir, 
dass sie noch weitere Aufschlüsse darüber liefern, in welchem 
Umfange und nach welchen Grundsätzen die Beamten des Hofes 
und die Mitglieder des königlichen Rates an dem Ertrage der 
ganz ausserordentlich erheblichen Einkünfte beteiligt waren, die 
in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in dem damals so 
reichen Italien für das Königtum flüssig gemacht wurden. 



^ Die beiden letzten wohlbekannten mailändischen Hofrichter fehlen in dem 
Druck Poggiali's, stehen aber bei Affö. Der Beiname Otto's erscheint urkundlich bald 
in der Form Cendalarius, bald in der Form Cendadarius. 

' Heinrich von Lautem hat mit Rudolf die Vertragsurkunde in des Königs Seele 
beschworen. 



Kanzleigebühren unter Heinrich VI. (1191) 247 

Anno dominice incamationis millesimo centesimo nonagesimo, 
die Mercurii decimo kalendas marcii, indictione nona, in Placentia 
in maiori ecclesia in presentia Marchexii Angoxole, Martini Surdi, 
Manfredi Rondane, Assaliti, lacobi Stricti, Guidonis Garati, Gige- 
loti — Rodulfus de Sibenich camararius aule dixit et fuit mani- 
festus, renuntiando exceptioni non numerate pecimie, accepisse 
ab Antonino de Andito, Alberico Vicedomino, Francescho Anto- 
nino de Fontana, Oberto Gnacho, Obertono de Andito tunc con- 
sulibus nomine comunis Placentie pro concessione regalium a 
domino nostro Romanorum rege Henrico comuni Placentie facta, 
vX quodam privilegio aput Laudam facto continetiir, et aliis 
contractibus ipsius privilegii, octocentimi libras imperialium, quos 
•dominus rex certa pactione habere debebat. Et pro servicio curie, 
quod comune Placentie hac pactione dare promisit, [dixit] et 
manifestavit* idem Rodulfus camerarius pro se et aliis hominibus 
curie biscentum libras imperialium accepisse, renuntiando excep- 
tioni non numerate pecunie, computatis in hiis biscentum quadra- 
ginta libris imperialium, quos dominus Guillelmus^ episcopus 
Astensis et Rauennas electus habuit, et viginti quinque libris im- 
perialium magistro Henrico imperialis aule prothonotario datis et 
quinquaginta libris imperialium Dithero imperialis aule cancellario 
datis. Et de predictis denariis pro domino rege et pro se et aliis, 
qui predictas biscentum libras habuerint pro servitio curie, et 
pactum de non petendo fecit et solutionem ipsi Rodulfo factam 
tam dominum regem quam alios de hoc, quod [eorum]^ nomine 
et vice recepit, eos semper ratam et firmam habituros promisit. 

Ego Johannes Carmangiarius sacri palatii notarius hanc car- 
tam a Guillelmo Girvino imbreviatam eius mandato ita scripsi. 

Ego Johannes de Sparoaria sacri palatii notarius auctenticum 
huius exempli vidi et legi, in quo sie continebatiu-, ut hie legitur, 
■et propriis manibus exemplavi. 



* „dixit" fehlt in AB; wollte man das Wort nicht ergänzen, so müsste „et" vor 
„manifest avit" gestrichen werden. 

« A; „Ugo" B. 

' „eonmi" fehlt in B. Offenbare Fehler im Texte habe ich stillschweigend ver- 
bessert. 



E. SACKUR 
DIE QUELLEN FÜR DEN ERSTEN RÖMERZUG OTTOS L 

Wir sind in Bezug auf den ersten Römerzug Ottos I. in der 
seltenen glücklichen Lage, uns auf vier zeitgenössische Berichte 
stützen zu können. Seit einiger Zeit ist die Freude darüber 
allerdings stark eingeschränkt worden durch die vermeintliche 
Erkenntnis, dass sämtliche vier Quellen auf eine gemeinsame 
Grundlage zurückgehen. Liutprand, der Fortsetzer Reginos, der 
Liber Pontificalis imd Benedict von St. Andrea, sie alle benutzen^ 
so wird uns gesagt, die einen direkt, die andern indirekt eine 
Darstellung der Zeitereignisse, die am wahrscheinlichsten in einem 
Rundschreiben der Synode vom 24. Juni 964 enthalten gewesen sei *. 

Ein neuerer Bearbeiter derselben Frage* schreibt eine 
nahezu hundert Seiten starke Dissertation, um zu dem wichtigen 
Resultat zu gelangen, dass die gemeinsame Quelle wohl kein 
Synodalschreiben, sondern ein Rundschreiben des Kaisers gewesen 
sei, und dass nicht zwei der Quellen, die römischen, indirekt^ 
sondern alle vier Quellen direkt aus der Urquelle fliessen. Ich 
bedaure, dass Ottenthai hier einen Irrweg einschlug, indem er 
vier gleichzeitige Quellen genau so behandelte wie zeitlich aus- 
einanderliegende imd die Kriterien einer formalen Kritik auf 
einen Fall anwandte, bei dem es sich empfohlen hätte, etwas 
näher auf die Art der Quellen und die Oertlichkeit und die Zeit 
ihrer Entstehung einzugehen. Nirgends wird vor Schlüssen 
zurückgeschreckt, deren Unwahrscheinlichkeit, ja Unmöglichkeit^ 
schon einleuchten muss, wenn man sie nur ausspricht. So wird 
man schwerlich glauben können, dass vier Quellen, oder nach 
Ottenthai drei, unabhängig von einander auf eine gemeinsame 
Quelle zurückgehen, deren Wortlaut sie sämtlich geflissentlich 



* E. V. Ottenthal, Die Quellen zur ersten Romfahrt Ottos I. Mitteil, des Instit. 
f. österr. Gesch. IV. Ergänzungsbd. (1893) 32 ff. 

' J. A. Kortüm, Das Verwandtschaftsverhältnis der vier Hauptquellen für den 
Römerzug Ottos I. 961—964, Rostocker Diss. 1899. 



250 E. Sackur 

vermeiden, oder dass vier gleichzeitigen Geschichtsschreibern, die 
in Deutschland und Italien über den Gegenstand schreiben, ein 
und dasselbe Aktenstück zu Grunde liegen soll, das massenhaft 
verbreitet gewesen sein müsste, von dem sich sonst aber keine 
Spur mehr findet. Dieses Synodalschreiben soll, nach Ottenthai, 
in rohem Geschäftslatein verfasst worden sein, während man 
doch sonst, wie die Briefe der Synode vom November 963 zeigen, 
gewandte Stilisten mit solchen Schreiben beauftragte. Merk- 
würdigervs^eise müsste auch von diesem Aktenstück ein für Rom 
und den Dukat bestimmter Auszug existirt haben, der eine ganz 
eigentümliche Tendenz gegenüber dem allgemeinen Synodal- 
schreiben vertreten hätte, denn geflissentlich wird hier die Ab- 
setzung der beiden Päpste Johann und Benedict durch den Kaiser 
umgangen, Benedict selbst ganz anders behandelt als bei Liut- 
prand und dem Continuator Reginonis. Wie sollten auch die 
Bischöfe dieser Synode Veranlassung gehabt haben, die Geschichte 
des ganzen Römerzuges darzustellen, die doch in Italien jeder- 
mann bekannt sein müsste? 

Vor allen Dingen hatte ein Mann wie Liutprand, der 
Regierungsvertreter auf der Synode, die Johann XII. absetzte, er, 
der die Geschichte des Römerzuges unmittelbar nach den Er- 
eignissen in einem Zuge niederschrieb, es nicht nötig, seine ganze 
Darstellung auf einem bischöflichen Synodalschreiben aufzubauen. 
Hatte er doch für Otto, der nicht Latein verstand, als vertrautester 
Ratgeber das Wort geführt und war Tag und Nacht bei ihm ein- und 
ausgegangen. Zweimal war er als Gesandter 963 und 965 nach 
Rom gezogen, hatte den ganzen Zug mitgemacht und höchst 
wahrscheinlich die von der ersten römischen Synode an Johann XII. 
erlassenen Schreiben selbst verfasst in seiner Stellung als „sum- 
mista imperatoris", etwa der eines Chefs des Civilkabinets des 
Kaisers. Nach diesen Erörterungen kann über die Unrichtigkeit 
der Praemissen Ottenthals wohl kein Zweifel bestehen. 

Aber nicht nur für die Annahme eines Synodalschreibens 
als gemeinsamer Quelle gelten diese Einwände; sie richten sich 
in ihrem ganzen Gewicht gegen jede angenommene einzige ge- 
meinsame Grundlage aller vier Berichte. Geradezu ausgeschlossen 
ist die Möglichkeit, dass es ein Geschichtswerk damals gegeben 
haben könne, das von imserer gesamten Ueberlieferung benutzt 
worden sei. Und wenn all das nicht die principielle Unrichtigkeit 
der Ottenthalschen Beweisführung kennzeichnete, so wird sie 



Die Quellen für den ersten Römerzug Ottos I. 251 

gewiss durch die Art bewiesen, mit der sein Nachfolger Kortüm 
an jenen Aufstellungen herumkrittelt, indem er zeigt, dass im ein- 
zelnen doch auch die entgegengesetzten Schlüsse möglich wären, 
um schliesslich selbst bei einem a priori ganz unwahrscheinlichen 
Resultat zu enden. 

Der Fehler der Ottenthalschen Beweisführung liegt nicht in 
der Methode an sich, sondern darin, dass er die formale Quellen- 
kritik auf einen Fall übertrug, auf den sie nicht passte. Ich hatte 
früher schon Gelegenheit, zu bemerken, dass bei gleichzeitigen 
Autoren die paar Regeln unserer kritischen Methode einfach nicht 
ausreichen und dass die Beziehungen coaetaner Schriftsteller viel 
mannigfacher sein können, als dass man mit diesen wenigen Grund- 
sätzen überall auszukommen vermöchte. Dass hier in der That 
ein solcher Fall vorliegt, hoffe ich beweisen zu können. 

Es ist bekannt, dass Liutprand und der Fortsetzer Reginos 
einander näher stehen als jeder von ihnen einem Vertreter der 
römischen Quellen, und dass diese ebenso wieder eine von jenen zu 
trennende Gruppe bilden. Man kann ferner bemerken, dass gewisse 
Analogien zwischen beiden Gruppen vorhanden sind z. B. in der 
Auffassung Johanns Xu., in der Stellimg zu Leo, in der Schilder- 
ung der Belagenmg Roms. Ebenso ist sicher, dass von der zweiten 
Gruppe der Liber pontificalis der ersten im allgemeinen näher 
steht als Benedict. Es würde sich also fragen, wie wir die Be- 
ziehungen der Autoren jeder Gruppe unter sich und die der 
beiden Gruppen zu einander aufzufassen haben. Dabei ist von 
vornherein zu bemerken : Wörtliche Uebereinstimmungen zwischen 
beiden Gruppen, welche die Annahme einer gemeinsamen schrift- 
lichen Quelle zwischen ihnen notwendig machten, sind nicht vor- 
handen. Einzelne Momente, die zu einer solchen Annahme geführt 
haben, werde ich nachher erörtern. 

Wenden wir uns der ersten Gruppe zu und werfen wir die 
Fragen nach Zeit und Umständen der Entstehimg jedes der beiden 
Werke auf. 

Liutprand hat an seiner Historia Ottonis, die in der Dar- 
stellung der Synode vom 24. Jimi 964 mitten im Worte abbricht, 
nach eigener Angabe zu Lebzeiten des Papstes Leos VIII. ge- 
schrieben, das heisst zwischen dem 25. Juni 964 und dem Termin, 
zu dem er die Nachricht von dem Tode Leos VIII. erhielt. Wir 
können femer aus dem Continuator Reginonis schliessen, dass 
er den Kaiser Anfang 965 nach Deutschland begleitet hat ; denn 



252 E. Sickur 

als Otto I. Ende Juni und im Juli 965 in Sachsen und zwar, wie 
die Urkunden lehren, in Magdeburg weilte, erschienen römische 
Gesandte, die nach Leos Hinscheiden den Kaiser um Nominirung 
eines neuen Papstes ersuchten. Mit diesen Gesandten wurden 
die Bischöfe Otger von Speyer und Liutprand von Cremona nach 
Rom geschickt*: also befand sich letzterer im Sonruner 965 am 
kaiserlichen Hofe in Magdeburg. Bestätigt wird der Schluss, dass 
Liutprand dem Kaiser nach Deutschland folgte, noch durch die 
Thatsache, dass er im Februar 965 nachweislich sich nicht in 
seiner Diözese aufhielt, denn am 24. d. Mts. schliesst einen Tausch 
in seinem Namen ein Lupus diaconus missus supradicti domni 
Liuprandi episcopus (\) ab, der seiner Namensunterschrift die 
Worte hinzufügte: super ipsis rebus accessi etpre\idi ut supra*. 
Hier in Cremona müsste Liutprand sein Werk um dieselbe Zeit 
verfasst haben, wenn er in seine Diözese zurückgekehrt wäre; 
aber er ist eben nicht dort. Dagegen ist es fast zweifellos, dass 
der Bischof von Cremona gerade in Magdeburg seine Historia 
Ottonis verfasst hat ; denn der Umstand, dass das Werk plötzlich 
abbricht, kann nicht besser erklärt werden als durch die Annahme, 
dass die Nachricht vom Tode Leos, dessen Rechtmässigkeit Liut- 
prand in seinem Werk enveisen sollte, und der Auftrag der neuen 
Legation den Verfasser eben traf, als er es bis zu der Stelle, 
an der es heute abbricht, fortgeführt hatte. Nehmen wir an, 
er hätte es schon früher geschrieben z. B. in Paxia oder in Ingel- 
heim, wo der Hof längere Zeit verweilte, so würde sich der 
plötzliche Schluss viel schwerer erklären lassen. Wir könnten 
auch nur annehmen, dass er das unvollendete Werk mit nach 
Magdeburg genonunen habe, ohne es hier infolge der plötzlichen 
Mission nach Rom zum Abschluss zu bringen. 

Der Fortsetzer Reginos war, wie heute allgemein ange- 
nonmien wird, kein anderer als Adalbert, der erst Mönch von 
St. Maximin, dann Bischof der Russen, Abt von Weissenburg und 
schliesslich Vorsteher des neu gegründeten Erzbistimis Magde- 
burg ^^^lrde. Wo er die Jahre, in denen Otto I. auf seinem 
Romzuge war, und die Zeit immittelbar nachher zubrachte, darüber 
sind wir in erster Reihe durch ihn selbst unterrichtet. Nachdem 
er %2 von seiner fruchtlosen Mission nach Russland als ordinirter 



* ContiD. Regin. 965: Et Otgenis Spirensis episcopus et Liuzo Cremonensis 
cum eisdem Romam ab imperatore diriguntur. 
' Cod. dipl. Langob. n. 6S9, col. 1199. 



Die Quellen fUr den ersten Römerzug Ottos I. 253 

Bischof der Russen an den Hof Wilhelms von Mainz kam, unter 
dessen Obhut Otto ü. in Sachsen zurückgeblieben war, da wurde 
ihm durch den Kaiser von Italien aus bedeutet, seine Rück- 
kehr an der Königspfalz zu erwarten. Adalbert sagt uns nicht, 
dass er diesem Befehl nachgekonmien wäre ; wir hören aber erst 
im Jahre 966, also ein Jahr nach der Rückkehr des Kaisers, 
dass er Abt von Weissenburg wurde, und haben somit Grund 
genug, zu vermuten, dass er die Jahre am Hofe Wilhelms und 
Ottos zubrachte. Aber wir besitzen noch direkte Beweise dafür. 
Denn nicht nur ist jüngst aufgedeckt worden', dass Adalbert 
eben in jener Zeit in der Kanzlei des jungen Otto Verwendung 
fand, sondern es existiert sogar ein urkundlicher Beleg für die 
Thatsache, dass Adalbert im Jahre 965 in Magdeburg weilte. 
Denn hier machte der Bischof Burchard von Halberstadt eine 
Schenkung an Magdebiu*g in Gegenwart der Bischöfe Wilhelm 
von Mainz, Adaldag von Hamburg, Anno von Worms, Bruno 
von Verden, Landward von Minden und des Bischofs Adalbert*. 
Der Herausgeber O. von Heinemann erklärt zwar diesen Adal- 
bert für den Bischof von Passau, aber da alle andern Bischöfe 
mit ihren Bischofssitzen genannt werden, so würde man das auch 
bei dem Bischöfe von Passau erwarten müssen. Da es nicht 
geschieht, so ist es evident, dass Adalbert der Bischof der Russen 
ist, der keinen bestimmten Sitz hatte. Also: sowohl Liutprand 
als Adalbert halten sich im Jahre 965 in Magdebiu*g auf, beide 
ohne Zw^eifel mit ihren historischen Arbeiten beschäftigt. 

Nun wird uns leicht der Zusammenhang zwischen beiden 
Werken klar. Man braucht sich niu* ihre gleichzeitige Anwesenheit 
am Kaiserhofe vorzustellen, um beide geistliche Herren den einen 
erzählend, den andern hörend in persönlichem Verkehr zu sehen 
und für gewisse Nachrichten wie bezüglich der italienischen 
Gesandten, die Otto 960 nach Italien einluden, dieselben Berichte 
benützend, oder nur daran zu denken, dass höchst wahrscheinlich 
kein anderer als Liutprand selbst regelmässig Berichte an den 
Hof Ottos IL gesandt hatte, die neben andern Nachrichten dem 
Continuator Reginonis zugänglich waren. Nur derartige Bezieh- 
ungen erklären das eigentümliche Verhältnis zwischen beiden 
Schriftwerken, die in der Tendenz so vollständig übereinstimmen. 



^ Vgl. Bresslau, Zum Continuator Reginonis, Neues Archiv XXV, 664 tf. 
* Cod. dipl. Anhalt. I, 34 n. 44 (7. Aug.— 31. Dez. 965). 



254 E- Sackur 



denn sie geben die offizielle Auffassung der deutschen Regierung 
und der beiden Höfe wieder. Auch in manchen Einzelheiten 
berühren sie sich, die aber doch auch wieder so verschieden sind, 
dass sowohl die direkte Abhängigkeit von einander ausgeschlossen 
wird, als ein Zurückgehen auf eine einzelne gemeinsame schriftliche 
Quelle. Ob Adalbert das Werk Liutprands selbst schon benützen 
konnte, ist dabei völlig gleichgültig ; sie schreiben beide aus einer 
Ueberlieferung heraus, deren eine und wohl wichtigste Quelle 
der Bischof von Cremona selbst darstellt. 

Dieser Gruppe von Quellen gegenüber stehen der Liber 
pontificalis und der Mönch Benedict vom Soracte. Bekanntlich 
verweist dieser am Ende seiner Darstellung bezüglich der Schicksale 
und des Todes Johanns XII. auf einen Libellus episcopalis. Man 
stimmt heute überein, dass dieser Libellus episcopalis nichts 
anderes als der Liber pontificalis ist, aber man ist eben so einig, 
dass Benedict die uns erhaltene Eintragimg des Liber ponti- 
ficalis nicht benützt hat: darin begegnen sich Duchesne und 
Ottenthai. In der That, vom Tode Johanns XII. steht nichts im 
Liber pontificalis. Freilich ist überhaupt eine direkte Benutzung 
dieser schriftlichen Quelle so wenig wie die einer andern nach- 
weisbar ; und die groben Irrtümer, die Benedict mitunter berichtet, 
der z. B. den Kaiser immer wieder von Rom nach Gallien 
zurückziehen lässt, machen es sogar zweifelhaft, ob er wirk- 
lich einer schriftlichen Quelle folgte, diese durch populäre Ge- 
rüchte ergänzend und korrigierend, oder ob er zwar den Liber 
pontificalis kannte, aber nicht ihn direkt vor sich liegen hatte. 
Andererseits ist indessen auch nicht etwa anzunehmen, dass er das 
Werk gar nicht gekannt habe. Ja, sein Hinweis darauf spricht direkt 
für das Gegenteil; denn wenn zwar in der erhaltenen Rezension 
vom Tode Johanns XII. nichts steht, so schliesst das nicht aus, dass 
Benedict eine Rezension im Sinne hatte, in der mehr darüber be- 
richtet wurde: sind doch uns selbst zwei Fassungen erhalten, in 
deren früherer, wie Duchesne wohl mit Recht annimmt, die Erzählung 
bis zur Erhebung Johanns XHI. fortgeführt war, ein Stück, das dann 
wegfiel, als man den Papstkatalog fortsetzte. Dass aber Benedict 
wirklich eine Fassimg gekannt hat, die etwas über die letzten 
Schicksale Johanns XII. enthielt, möchte ich daraus schliessen, 
dass vom Ende des 9. Jahrhunderts bis auf Johann XII. das 
uns vorliegende Papstbuch überhaupt nur dürre Notizen über 
die Regierungszeit der einzelnen Päpste darbietet, der Chronist 



Die Quellen für den ersten Römerzug Ottos I. 255 

also gar nicht darauf verfallen konnte, etwas Genaueres über 
Johanns Tod darin zu vermuten, wenn ihm nicht eine ausführ- 
lichere Eintragung über den Pontifikat Johanns wirklich bekannt 
gewesen wäre. Diese Fassung könnte er nach ein- oder mehr- 
maliger Lektüre auch etwas ausgiebiger benützt haben ; ihr könnte 
er, wenn es dazu einer schriftlichen Quelle für ihn bediuft hätte, 
der doch in immittelbarer Nähe der Stadt schrieb, die Nachricht 
von der Misshandlimg des Azzo und Johannes entnommen haben^ 
ihr auch vielleicht die Notiz, dass Otto I. die Stadt so fest ein- 
schloss, dass niemand herauszugehen wagte. 

Suchen wir aber die Verbindung dieser Quellengruppe mit 
der in Magdebiu*g entstandenen herzustellen, so müssen wir 
wieder darauf zurückkommen, dass der Verfasser der Eintragung 
in das Papstbuch ein Mann war, der dem Papste Leo nahe ge- 
standen hat. Nim wissen wir, dass Leo nach der Rückkehr 
Johanns XII. mit wenigen Begleitern an das Heerlager des 
Kaisers nach Camerino, beziehungsweise Spoleto floh und dass 
er dann im Gefolge Ottos den Kriegszug gegen Rom und die 
Belagerung Roms mitmachte. Nichts liegt näher als die Annahme^ 
dass der päpstliche Chronist, der dann die ganze Geschichte der 
Erhebung Leos einträgt und sich in der Auffassung mit den 
deutschen Chronisten hier und da berührt, unter den Begleitern 
Leos VTQ. war, dass er also ebenfalls im deutschen Heere ausser- 
halb der Thore Roms die Belagerung miterlebte. Denn das lehrt 
der Augenschein: bei dieser Episode geht er am meisten ins 
Detail. Dass die Gruppe römischer Politiker um Leo die Auffassung 
des deutschen Hofes teilte, also die durch Liutprand und Regi- 
nos Fortsetzer vertretene, ist ja ganz selbstverständlich; nicht 
minder würde aber durch unsere Annahme die Uebereinstimmung 
erklärt werden, die gerade in der Schilderung der Belagerung 
Roms zwischen beiden Gruppen herrscht. Man darf sich nur 
vergegenwärtigen, dass die Umschliessimg Roms in der That etwas 
Eigenartiges war ; denn Otto verzichtete auf eine Erstürmung der 
Stadt, seine Taktik war, Rom auszuhungern: er hat vor die Thore 
Truppendetachements gelegt mit der Instruktion, die Verpro- 
viantierung zu hindern, aber auch niemanden aus der Stadt zu lassen, 
um sowohl die Verbindung nach aussen abzuschneiden als auch eine 
Verminderung der zu ernährenden Einwohner zu verhüten. Dass nun 
diese wohlberechnete und ihren Zweck erfüllende Taktik, das wesent- 
lichste Moment des ganzen Feldzugs, das besondere Interesse im 



256 ^- Sackur 



belagernden Heere beanspruchte, liegt auf der Hand; wie Liut- 
prand muss auch der päpstliche Chronist, wenn er im Heere Ottos 
war, ganz gewiss diese Züge erwähnt haben. Ja, es lag sicher 
durchaus nahe, den Feldzug gegen Rom in derselben Ver- 
bindung mit der Nachricht von der Wahl Benedicts zu erzählen, 
wie Liutprand es that, — der Nachricht, deren Eintreffen bei Otto die 
direkte Veranlassimg zu dem Anmarsch gegen Rom war. Aber, 
ob Liutprand und der Redaktor des Liber pontificalis sich vor 
Rom oder in Rom trafen : beide vertreten die Auffassung, die in 
der Politik Ottos zu Gunsten Leos VÜI. begründet lag, der 
Kuriale allerdings mit der Modifikation, die durch seine klerikale 
Stellung hinreichend bedingt ist. — Auf diese Weise lässt es 
sich erklären, dass die gleichzeitig in Magdeburg am Hofe Ottos 
schreibenden Verfasser Liutprand und Adalbert sich vielfach mit 
einander berühren, ohne doch wirklich übereinzustimmen, dass 
der Autor des Liber pontificalis, den wir in der unmittelbaren Um- 
gebung Leos VTII. suchen müssen, gerade in Bezug auf die Dar- 
stellung der Belagenmg Roms den Vertretern der deutschen Hof- 
historiographie nahe kommt, imd dass endlich der Chronist vom 
Berge Soracte, der den Liber pontificalis wahrscheinlich in etwas 
ausführlicherer Redaktion kannte, in gewissen Punkten die Auf- 
fassung der übrigen Ueberlieferung wiedergiebt. 



HERMANN BLOCH 

EIN KAROLINGISCHER BIBLIOTHEKS-KATALOG 

AUS KLOSTER MURBACH 

Seit langem haben die Herausgeber römischer Klassiker 
oder der Kirchenväter immer wieder die gleiche Beobachtimg 
gemacht, mit der einst Lachmann seinen berühmten Lucrezcom- 
mentar eröffnete, dass der Stammbaum der Handschriften auf 
einen Archetypus der Karolingerzeit und in ein fränkisches Kloster 
zurückführe; aber erst in neuerer Zeit ist die Erkenntnis allge- 
mein geworden, von welcher Bedeutung für unser Wissen vom 
klassischen und christlichen Altertum die Regierung Karls d. Gr. 
und seine litter arischen Bestrebungen gewesen sind K Der Hof 
des grossen Kaisers war der Mittelpunkt, an dem sich die Ge- 
lehrten Englands imd Italiens, von Karl berufen, zusammenfanden; 
mit ihnen kamen die Werke der Alten, der christlichen und auch 
der heidnischen, namentlich der römischen Schriftsteller. Karls 
besondere Neigung schuf in seiner Pfalz zu Aachen eine stattliche 
Büchersammlung ; und wie aus der Hofschule die gelehrten Vor- 
steher der fränkischen Kirchen imd Klöster hervorgingen, so ward 
seine Hofbibliothek ein Vorbild für viele der grösseren geistlichen 
Stiftungen des Reichs. Auf dem Boden Ostf ranciens sind Reichenau 
und St. Gallen, Fulda^ Lorsch und Korvei noch heut den Philo- 
logen durch die Handschriften wert, die ihnen aus den Kloster- 
bibliotheken erhalten sind. Der deutsche Geschichtsforscher aber 
sucht in jenen Orten das neu erwachende geistige Leben, die 
jimg aufblühende Kultur des Mittelalters. 

Solch* eine doppelt verehrte Stätte soll den zu Strassbiu*g 
versammelten Philologen von dem Historiker auf elsässischem 
Boden in Kloster Murbach gewiesen werden. Denn ein Katalog 
der Murbacher Bibliothek aus karolingischer Zeit erlaubt es, die 

* Vgl. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands IP, 183 tf.; Monod, ^tudes 
critiques sur les sources de Thistoire Carolingienne; und Traube's gehaltvolle Be- 
merkungen in der „Textgeschichte der Regula s. Benedicti" (Abhandl. der Münch. 
Akad. m. Kl. Bd. XXI, 601 ff.). 

17 



258 Hermann Bloch 



in ihren Überresten noch heut so eindrucksvolle Abtei jenen be- 
rühmtesten fränkischen Klöstern an die Seite zu stellen K Es ist 
nicht etwa ein neuer Fund, der das Recht zu dieser Behauptung 
gewährt, sondern vielmehr ein Stück, das, viel verkannt, als ein 
Verzeichnis von 1464 und als ein Werk des humanistischen Ge- 
schichtsschreibers Sigismund Meisterlin nur geringeres Interesse 
zu wecken vermochte *. Die Geschichte seiner Überlieferung und 
die unbefangene Prüfung seines Inhalts werden uns jedoch dazu 
führen, in ihm ein Bücherverzeichnis des 9. Jahrhunderts zu er- 
kennen: dann würde es schon wegen der Nennung des einzigen 
Lucrez, der sonst nirgend in karolingischen Listen imd niemals in 
deutschen mittelalterlichen Katalogen erwähnt wird, Beachtung ver- 
dienen, selbst wenn seine eigenartige Anlage ihm nicht eine gewisse 
Bedeutung sicherte. Es führt ims nicht sowohl den Bestand einer 
abgeschlossenen, als vielmehr das Wachsen einer neu zu schaffen- 
den Bibliothek vor Augen. 

I. 

Das Kartular Abtei Murbach Nr. 1 im kaiserlichen Bezirks- 
archiv zu Colmar enthält eine im 15. Jahrh. angelegte Sammlung der 
Klosterurkunden, in welcher den Diplomen der Kaiser die päpst- 
lichen Privilegien folgen und daran sich die Privaturkunden an- 
schliessen. Mitten unter diesen ist auf S. 86 — 98 ein Bücherver- 
zeichnis und auf S. 101—104^ die ,epistola de tapeciis antiquis in 
monasterio Morbacensi' des ,f rater Sigismundus* eingetragen *, der 
jetzt mit voller Bestimmtheit als Sigismund Meisterlin erkannt 
worden ist. Während die Schrift beider Einträge in den früheren 
Teilen des Kartulars nicht begegnet, ist sie derjenigen des letzten, 
dem Briefe folgenden Teiles von S. 105—121 entschieden ver- 
wandt ^ und sicher kehrt sie in der Aufzeichnung über Johannes 
Chr}'sostomus auf S. 131/2 wieder, welche den Band beendigt. Es 



* Selbstverständlich handelt es sich nicht um den von Senebier im cod. lat. 21 der 
Genfer Stadtbibliothek entdeckten und für Murbach beanspruchten Katalog (Becker 
Catalogi bibliotec. Nr. 33), den R. Beer bei der Neuausgabe in Wiener Studien IX (1887), 
160 ff. mit vollem Rechte Reichenau zugesprochen hat. (Dagegen sind Beer's Be- 
hauptungen über Fälschungen des Abtes Bartholomaeus von Andlau haltlos). 

' Zur Geschichte von Ausgaben und Kritik des Katalogs s. denAnhang S. 284 f. 
' Davor auf S. 99 Murbacher Epitaphieen von anderer Hand. 

* Zuletzt gedruckt von Ed. Zamcke im Philologus, Neue Folge III, 626. 

* Auf S. 122 steht von anderer Hand eine Urkunde aus der Zeit des Abtes 
Arnold (i 194— 12 16). 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 259 

ist die Hand des Mannes, der auch in dem bekannten Sammel- 
bande 45 der Colmarer Stadtbibliothek auf fol. 112 v den Brief 
Gossembrots an Meisterlin abgeschrieben ^ vielleicht auch auf 
fol. 104^ einen Bericht Peters von Andlau (an Meisterlin?) aus dem 
J. 1464 aufgenommen hat ^. Ist es deshalb sehr wahrscheinlich, dass 
Sigmund Meisterlin selbst alle jene Stücke geschrieben hat, 
so erheben sich dagegen von anderer Seite allerdings Bedenken ; es 
ist nämlich ausser Zweifel, dass der Schreiber des Bücherverzeich- 
nisses eben derselbe Mann ist, der in zahlreiche Miu*bacher Hand- 
schriften die Aufforderung zum Gebet für den Abt Bartholomaeus 
eingesetzt hat. 

Bartholomaeus von Andlau stand von 1447 bis 1476 der 
Abtei Murbach vor und ist längst um seiner humanistischen Be- 
strebungen willen bekannt'. Von seinem lebhaften Interesse für 
die Klosterbibliothek zeugen Meisterlins Brief über die Teppiche 
und die soeben erwähnten Bitten in vielen der älteren uns noch 
erhaltenen Murbacher Codices. Da heisst es * ,orate pro domino 
Bartolomeo de Andolo abbate MorbacensiS zuweilen mit einem 
Zusatz * ,qui hunc [librum] reparavit et plures alios aut de novo 
comparavit aut renovavitS oder etwa * : ,legentes in hoc libro pro 
domino reverendo Bartolomeo de Andolo orent, qui hec omnia 
collegit aut certe sua manu scripsit, dum esset conventualis ac 
custos MorbacensiS, postea vero abbas eiusdem loci himc et 
alios plures ordinavit^ Hinter solchen Angaben begegnen wir 
den Jahresvermerken 1452. 1458. 1460. 1461. 1464; und wenn diese 
der Zeit der Einträge entsprechen würden, könnte Meisterlin ihr 
Schreiber nicht sein, da er frühestens um 1462 nach Murbach 
gekommen ist ^ Sollte etwa Bartholomaeus selbst so fürsorglich 
an das Heil seiner Seele gedacht haben? Und doch ist er es kaum, 
der seine Bemühungen um die Ergänzimg der Klosterbibliothek am 
Schlüsse des Kataloges erwähnt: ,et o utinam per reverendum domi- 
num Bartolomeum de Andolo abbatem Morbacensem onmes fuissent 
inventiautpossentrecuperariaunillisquos studui adicere.1464.* 

» Vgl. Westdeutsche Zeitschrift IV, 302. 

* Nicht das Schreiben, das Hürbin, Peter v. Andlau 264 Beil. VII gedruckt hat. 
' Vgl. Gatrio, Die Abtei Murbach II, 29 ff. 

* Colmar, Stadtbibliothek Cod. 40. 41 ; Oxford Bodl. Add. c. 15; Besan^on cod. 1S4. 

* Epinal cod. 78; vgl. Epinal cod. 68; Oxford lun. 25; vgl. Genf cod. lat. 21. 

' Colmar cod. 51. — Vgl. auch Montfaucon, Bibliotheca Bibliothecarum II, 1177. 
' Joachimsohn, Humanistische Geschichtschreibung in Deutschland. I. Sigismund 
Meisterlin loi. 

17* 



260 Hermann Bloch 



Mag indessen Meisterlin, mag Abt Bartholomaeus oder ein 
beiden vertrauter Gelehrter der Schreiber sein, wir dürfen die 
Entscheidung darüber hier ruhig offen lassen*; so wichtig sie 
für eine Geschichte der humanistischen Bestrebungen in Murbach 
und für die Würdigung der daran betheiligten Persönlichkeiten 
wäre, für die Beurtheilung des Bücherverzeichnisses selbst kommt 
wenig darauf an, da nicht seine Abfassung, sondern nur die Abschrift 
im Kartular von einem jener Männer herrührt. Auf die für uns allein 
werth volle Quelle derUeberlieferung führt Sigmund Meisterlin selbst 
in seiner ,epistola de tapeciis* vom 7. Juni 1464, indem er erzählt: 
,profecto vero experti sumus, quod vetustas onmia consummit 
ac tinea antiquitatis conficit universa, idque licuit videre in tot 
codicibus magna cura et ingenio patrum in loco illo sanctissimo ac 
vetustissimo tibi commisso repositis, prouthesternumquod re- 
volvebamus ostendit rotulum, quod tot describit iam proch 
deperdita opera, ut numerum repertonun excedant^ Et o utinam 
et illa que de tot supersunt tuas ad manus devenissent integra ac 
aluvione minime attrita.* 

Nach diesem Bericht haben Abt Bartholomaeus imd Sigmimd 
Meisterlin am 6. Juni 1464 einen Rotulus in Händen gehabt, der 
ihnen ein umfangreiches Verzeichnis der alten Murbacher Kloster- 
bibliothek übermittelte ; sie erfuhren daraus mit Bekümmernis, wie 
reich der Bestand einst gewesen, und sie erkannten, wie wenige 
Bücher diu*ch die Jahrhunderte hindurch erhalten geblieben waren; 
selbst diese wenigen trugen die Spuren des Alters und widrigen 
Geschicks. Abt Bartholomaeus, der mit besonderem Eifer darüber 
wachte, dass ,die Denkmäler aus den Zeiten seiner Vorgänger 
nicht untergingen* ^, hat mit Meisterlins Beschreibung der Teppiche, 
die eine Klostergeschichte in Bildern gaben, auch eine Abschrift 
des Rotulus, der die Erinnerung an ,die Bücherschätze der Väter* 
weckte, mitten in die auf seine Veranlassung angelegte Sammlimg 
der Klostenu*kunden aufgenommen. Diese Abschrift liegt uns in 
den Bücherlisten auf S. 86 — 97 des Miu*bacher Kartulars vor; lautet 
doch die Überschrift des am Schlüsse ihnen zugefügten Verzeich- 
nisses der Verfasser mit im verkennbarer Beziehimg: ,auctorum 
librorum qui in isto rotulo continentur, hec sunt nomina*. 



* Doch vgl. jetzt den Nachtrag auf S. 285. 

* Die Bedeutung dieser Worte hat schon Busch richtig erkannt ; vgl. unten S. 284. 
3 Epistola de tapeciis (Zarncke a. a. O. S. 626) : ,omnia predecessorum tuomm 

monimenta, ne perditum irent*. 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 261 

Nicht ein Katalog von 1464, nicht eine Schrift Meisterlins 
über die Bibliothek des Abtes Bartholomaeus ist uns daher er- 
halten, wie noch E. Zamcke angenommmen hatte; wir haben 
vielmehr volle Freiheit, aber jetzt auch die Pflicht, Entstehungs- 
zeit und Art der Aufzeichnung im verlorenen Rotulus zu be- 
stimmen, Ihr Wortlaut giebt uns darüber unmittelbare Auskunft. 

n. 

Da E. Zamcke bei seiner Ausgabe im Philologus N. F. HI, 613 
das Äussere der Abschrift im Miu*bacher Kartular mit photo- 
graphischer Treue nachzubilden versucht hat, darf ich um so eher 
mich auf den Versuch beschränken, den Wortlaut der Vorlage 
inhaltlich möglichst wiederherzustellen und einen sinngemässen 
Text zu liefern ; eine durchgreifende Änderung der Orthographie 
würde hingegen nicht ohne Willkür gewesen sein. Die arabischen 
Ziffern sind von mir hinzugefügt, um Vergleiche und Verweise zu 
erleichtem ; sie bezeichnen im allgemeinen die einzelnen Schriften, 
nicht die Bände, auf welche auch der Katalog nur ausnahmsweise 
Rücksicht genommen zu haben scheint. 

Der nicht ganz lückenlose Index auctorum wiu'de mitge- 
druckt, trotzdem er natürlich ein Werk des Schreibers von 1464 
ist; indessen hat dieser bei seiner Herstellung den Rotulus zu 
Rate gezogen und jedenfalls hieraus die in die Abschrift des 
Breviarium nicht mehr aufgenommenen ,Effrem' imd ,Tertulliani' 
ergänzt; daher verdient z. B. die Namensform ,Arculfus' Beachtimg. 
Ausserdem wird wegen der abweichenden Reihenfolge der theo- 
logischen Schriftsteller im Index zu erwägen sein, ob vielleicht 
die Abschrift in dieser Hinsicht hie imd da imgenau ist, ob z. B. 
Nachträge auf dem Rotulus an imrichtiger Stelle in der Abschrift 
eingeschoben sind : so stehen die Schriften Alchvins und Hrabans 
nicht an dem für sie geeigneten Platze, und Abt Smaragdus 
hat die Einreihimg imter die Heiden erdulden müssen*. Es sei 
auf diese Möglichkeiten hingewiesen ; eine sichere, kritisch brauch- 
bare Entscheidung wird kaum zu treffen sein. 



^ Vgl. auch die Noten zu no. 140. 142. 



262 Hennann Bloch 



LiBRI BEATI CeCILII CiPRIANI. 

1. Ad Donatum über I. 2. Ad virgines über L 3. Ad Deme- 
trianum über I. 4. De mortalitate über I. 5. De opere et elemo- 
sinis liber L 6. De paciencia über I. 7. De zelo et livore Über I. 
8. De unitate liber I. 9. De dominica oratione liber L 10. De 
lapsis liber L 11. Ad Fortunatum» liber I. 12. Ad TIbaritanos 
liber I. 13. Quod ydola dii non sint, liber I. 14. De eieccione 
ludeorum et sacramento Christi libri ü. ^ Et in eodem codice 
libri diversi eiusdem. 

Reliquos eius libros adhuc querimus. 

Libri sancti Hilarii Pictaviensis episcopi. 

15. De sancta trinitate libri XII. 16. Epistola ad catholicos ^ 
adversus Anxencium Arrianum. 17. Liber eiusdem in Matheum 
Volumen unum. 18. Item vita eiusdem. 19. Exposicio psalmonun. 
20. De fide ad catholicos d. 

Libri sancti Ambrosh. 

21. Exameron libri VI. 22. De paradiso liber I. 23. De officiis 
ministrorum libri III. 24. Ad Marcellinam ® sororem suam libri IL 
25. De bono mortis liber I. 26. Sermo de vinea Nabuthe. 27. Sermo 
ad episcopos. 28. Exposicio in Lucam libri VII. 29. Exposicio in 
epistolas Pauli preter ad Hebreos. 30. Ad Gracianum imperatorem 
de fide libri V. 31. Ad eundem de spiritu sancto libri ÜI. 32. De 
incarnacione domini liber I. 33. Exposicio super centesimum de- 
cimum octavum psalmum. 34. Vita ipsius. 

Adhuc querimus que secuntur ^ : De archa No^ liber I. — 
De Ysaac et anima liber I. — De patriarchis libri VQ. — Contra 
Novacianos liber I. — De philosophiaK liber I. — Exposicio in 
Ysciiam. — De fuga seculi liber I. — De sacramento baptismatis «. 

Alios pliu*es invenire desideramus. 

Libri Iheronimi. 

35. Questionum Damasi pape soluciones de CajTi et Lamech 
et ulcionibus et reliqua libellus unus et vita Paule. 36. Hebrai- 
carum questionum liber I. 37. Hebraicorum*» nominum interpretatio 

a ,Fortunatos' Hs. — b Etwa die Schrift ,ad Quirinum*? — c ,cotholicos* Hs. 

d Wohl die Schrift ,de synodis seu de fide orientalium'. — c ,MarceIlam' Hs. 

f Von den folgenden Schriften werden ,De patriarchis' bei Cassiodor De Institut, 
divin. litt. c. i (Migne Patrol. lat. 70, im), die übrigen sämmtlich von Augustin 
Contra lulianum libri VI (Migne Patrol. lat. 44, 641 ff.) genannt. 

g Die verlorene Schrift ,de regeneratione baptismatis seu de phil.', deren Doppel- 
titel den Verfasser des Katalogs, durch Augustins Citate veranlasst, zur falschen An- 
nahme zweier verschiedener Schriften trieb. — h ,hebraicarum' Hs. 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster IfiulMch 263 

Über I. 38. De optimo genere interpretandi liber I. 39. Canones 
leronimi et Pellagii. 40. De luxuriöse* et frugi. 41. De viris illus- 
tribus capitiüa CXXXV. 42. De quadraginta mansionibus liber I. 

43. In Ysaiam explanadonum libri XVIII. Reliquos querimusb. 

44. In Iheremiam Kbri VI. Alios desideramus c. 45. In Danielem. 
46. In dnodecim prophetas libri XX. 47. In Matheum libri IIII. 
48. Ad Galatas ^ libri m. 49. Ad Ephesios Ubri UI. 50. Ad Titum 
liber I. 51. Ad Philemonem« liber I. 52. Adversus Elvidium liber I. 
53. Adversus lovinianum libri II. 54. In Ecclesiasten liber I. 55. Cro- 
nica eiusdem. 56. In cantica canticorum Origenis ab eo translate 
omelie II. 57. Encheridion eiusdem psalterii. 58. Aliqui psalmi 
pleniter expositi. 59. Epistole diverse. 60.1nterpretacionesnominum 
vel opuscula diversa in diversis codicibus eiusdem. 

Istos querimus qui secuntur: Def libro Geneseos que per 
utriusque testamenti scripturas divinas tamquam linea uno calamo 
deducta parili nitore descendunt, item de novo testamento ad 
eandem legem pertinentes questiones^ necessarias. — Item com- 
mentarios in Ezechiel phrophetam k. — Item librum locorum K — 
Item in parabolas Salomonisi ad iurisconsultos librum. . 

Libri beati Augustini i^. 

61. De academicis^ libri III. 62. De beata vita liber I. 63. De 
ordine libri II. 64. Soliloquia libri IL 65. De inmortalitate anime 
liber I. 66. Contra Manicheos libri II. 67. De quantitate anime 
liber I. 68. De libero arbitrio libri III. 69. De Genesi adversus 
Manicheos libri II. 70. De musica libri VI. 71. De magistro liber L 
72. De Vera religione liber I. 73. De utilitate credendi liber L 
74. De duabus animabus liber I. 75. Acta contra Fortimatum 
Manicheum liber I. 76. De sermone domini in monte libri IL 77. Ex- 
posicio quarundam"» proposicionum [ex]° epistola ad Romanos 
apostoli liber I. 78. De octoginta tribus questionibus liber I. 79. De 
mendacio liber I. 



a ,luxorio' Hs. — b Doch umfasste die Schrift nur i8 Bücher, so dass die 
Bemerkung unzutreffend ist. 

c Schon Cassiodor, De Institut, div. litt. c. m (Migne I. c. p. I114) kannte nur 6 
von den 20 Büchern des Commentars. — d ,Galathas' Hs. — e ,Philomenem' Hs. 

f ,De libro — quaestiones' wörtlich aus Cassiodor De inst. div. litt. cap. I(Migne p.i 1 1 1). 

K Cassiodor I. c. cap. III (Migne p. 1114)* — h Unter den Schriften des Hieronymus 
in dessen Buch de viris illustribus cap. 135 (ed. Richardson p. 55). 

1 ,Salemonis' Hs. Die Quelle für diese Angabe blieb mir unbekannt. 

k Die Ordnung der Schriften schliesst sich fast genau an die der ,Libri 
Retractacionum' an. — 1 »achademicis* Hs. — m ,quorundam' Hs. — n fehlt in Hs. 



264 Hennann Bloch 



Istos habemus de primo libro retractacionum ; ceteros adhuc 
querimus, id est: Psalmuiti contra partem Donati, — Librum 
contra epistolam Donati heretici. — Item Über contra Adimantum 
Manichei discipulum. — Item librum de Genesi ad litteram imper- 
fectimi. — Item libnmi de simbolo. — Liber exposicionis epistole 
ad Galatas. — Item exposicionem super epistolam ad Romanos 
inchoatam. 

De secundo libro retractacionum istos habemus: 
80. De agone christiano * liber I. 81. De doctrina christiana 
libri ini. 82. Confessionum libri Xin. 83. Contra Felicem Mani- 
cheum libri ü. 84. Contra Faustum Manicheum libri XXXIII. 
85. De natura boni liber I. 86. Questiones ewangelionun libri II. 
87. De trinitate libri XV. 88. De consensu ewangelistanmi libri mi. 
89. De baptismo libri VII. 90. De opere monachonun liber I. 
91. De bono coniugali liber I. 92. De sancta virginitate liber I. 
93. De Genesi ad litteram libri XII. 94. Questiones exposite contra 
paganos VI liber I. 95. De peccatorum meritis et remissione et 
de baptismo parvulorum ad Marcellinum libri III. 96. De gracia 
novi testamenti ad Honoratum liber I. 97. De spiritu et littera 
ad Marcellinum liber I. 98. De fide et operibus liber I. 99. De 
natura et gracia liber I. 100. De civitate dei libri XXII. 101. Ad 
Hieronimum prespiterum libri II, unus de origine anime et alius 
de sentencia lacob. 102. De presencia dei ad Dardanum liber I. 
103. Contra Pelagium et Celestium ^ de gracia Christi et de peccato 
originali ad Albinam«, Pinianum*^ et Melaniam^ libri II. 104. De 
nupciis et concupiscencia ^ ad Valerium libri II. 105. Loquucionum 
Ubri Vn. 106. Questionum Ubri VII. 107. Ad Pulencium de adul- 
terinis coniugiis libri II. 108. Contra adversarium legis et prophe- 
tarum libri IL 109. Contra mendacium liber I. 1 10. Contra lulianum 
libri VI. 111. Ad Laurencium de fide, spe et caritate liber I. 

112. De cura pro mortuis agenda<*, ad Paulinum episcopum liber I. 

113. Ad Valentinum et cum illo monachos de gracia et libero 
arbitrio liber I. 114. Ad quos supra de correpcione et gracia 
liber I. 

Ceteros adhuc querimus: 

Ad Simplicianum libri 11. — Contra epistolam Manichei quam 
vocant fundamenti liber I. — Item contra partem Donati libri ü. — 
Item contra Secundinum Manicheum liber I. — Contra Ylarum 



a ,christiana* Hs. — b .Celestinum* Hs. — c ,Albinianum et Melancianum' Hs. 
fi jConcupiscenciis' Hs. — c Im Titel der Schrift heisst es ,gerenda'. 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 263 

liber I. — Annotaciones in lob über I. — De cathechizandis » rudi- 
bus über I. — Contra* epistolam Parmeniani libri III. — Contra 
quod attulit Centurius a Donatistis liber I. — Item ad inquisiciones 
lanuarii libri ü. — Contra litteras Petuliani libri lü. — Ad Cres- 
conium gramaticum partis Donati libri IUI. — Probacionum [et] ^ 
testimonionun contra Donatistas liber I. — Contra nescio quem 
Donatistam liber I. — Admonitio ^ Donatistarum de Maximianistis 
liber I. — De divinacione demonum liber I. — Exposicio epistole 
lacob ad Xn tribus liber I. — De unico baptismo contra Petilianum ^ 
liber I. — De Maximianistis contra Donatistas liber I. — Breviculus 
collacionis cum Donatistis libri HI. — Post conlacionem contra 
Donatistas liber I. — De videndo deo liber L — Ad Orosium 
prespiterum contra Priscillianistas liber. — Ad Emeritum« epis- 
copum Donatistanmi post conlacionem liber I. — De gestis Pel- 
lagii liber I. — De correctione Donatistarum liber I. — Gesta cum 
Emerito Donatista liber I. — Contra sermonem Arrianorum liber I. 
— De anima et eius origine libri IIII. — Contra Gaudencium 
Donatistanun episcopum libri IL — Contra duas epistolas Pela- 
gianorum ^ libri ÜII. — De octo Dulcicii questionibus liber I. 

Sermones eiusdem quos habemus: 

115. In Matheum XXin. 116. In Lucam Xim. 117. In 
lohannem XXVII. 118. De epistolis Pauli, Petri, lacobi, lohannis, 
in actus apostolonmi sermones XXXIIII. 119. In lohannem ewan- 
gelistam sermones LXX. 120. In epistolam lohannis primam 
sermones VII. 121. Decadas in totum psalterium. 122. De decem 
cordis. 123. De muliere curva et aliis sermonibus et epistolis 
eiusdem codex unus. 124. Unde malvun. 125. Liber qui appellatur 
Speculum. 

Istis plures addere cupimus, si inveniuntur. 

126. Philippi diaconi« ad Nectarium episcopum et exposi- 
cionem in lob libri III. 

127. Vita Martini episcopi. 

Origenis. 

128. Omelie in Genesim XVI, in Exodum XII. 129. Eiusdem 
de prophecia Balaam. 130. De libro Numeri a quarta decima 
omelia usque ad XXVmia'n; anteriores vero XIII nobis adhuc 
desunt. 131. Item eiusdem in lesvun Nave XXVI. 132. Eiusdem 
in ludicum VHI. 



a ,cathezizandis' Hs. — b fehlt in Hs. — c ,aimotatio' Hs. — d ,Petilianos' Hs. 
e ,Demerituin' Hs. — f .Pelagiarum* Hs. — g Sonst .Philippus presbyter' genannt. 



266 Hermann Bloch 



LiBRi Basilii. 
133. De principiis Genesis libri Villi''. 134. De institucione 
monachorum I, habens capitula CCII. 135. Epistola eiusdem ad 
monachos luculentissima. 

lOHANNES Os AUREI. 

136. Sermones in Matheum. 137. De reparacione lapsus 
über I. 138. De compunctione cordis libri II. 139. Eiusdem in 
Eutropium de expulsione sua et alia opuscula eiusdem. 

140. Liber Primasii contra hereticos K 

141. Liber Fidgendi de sancta trinitate. 

142. Libri luliani tres qui appellantur Prognosticon ^. 

143. Epistole et libri Athanasii libri XI. 

144. Libri Vigilii episcopi Affricani V. 

145. Epistole et alia opuscula Cirilli episcopi. 

Gregorii summi pontificis. 

146. Libri omelianmi XXXV. 147. Regula^ pastoralis^ I. 
148. Dialogorum libri IUI. 149. Omelie XXXX in ewangelia. 
150. Omelie in Ezechiel. 151. Liber epistolarum eiusdem. 152. In 
cantica canticorum omelie IL 153. Item vita eiusdem. 

YSIDORI. 

154. Quod deus summus et incommutabilis sit, cum capitu- 
lis XXXI. 155. De sapiencia, fide, spe et caritate libri II, capi- 
tula XL VI. 156. De flagellis domini capitula LXVI. 157. De 
viciis libri IIII. 158. Liber prooemiorum «. 159. De vita vel obitu 
sanctorum. 160. De interpretacionibus nominum vel allegoricis 
sensibus. 161. Officionun eiusdem. 162. Differenciarum eiusdem. 
163. Soliloquiorum eiusdem. 164. Rotarum eiusdem libri II. 
165. Ehtimologianun eiusdem libri XX. 166. Ad Florentinam 
sororem suam libri II. 167. AUegoricus in Genesim. 168. Abu- 
siva XII f. 

Reliquos desideramus. 

a Wohl die 9 als ,Hexaemeron' bekannten Homilien. 

b Vgl. unten no. 198. Die dort noch gesuchte Schrift wird hier unter den vor- 
handenen genannt ; sie wird also erst nach Niederschrift des Rotulus in den Besitz der 
Murbacher gekommen und am Rande nachgetragen worden sein. Über die Schrift selbst 
vgl. Ilaussleiter Leben und Werke des Bischofs Primasius 24. 

c Vgl. unten no. 199. War etwa no. 142 in demselben, erst nachträglich erwor- 
benen Codex wie no. 140 (vgl. N. b), so würde auch seine doppelte Nennimg sich ein- 
fach erklären. 

d ,regule pastorales' Hs. — c ,premiorum' Hs. 

f Scheint sonst unter Isidors Schriften nicht genannt zu werden. 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 267 

Bede». 

169. De tabemaculo et vasis eius ac vestibus sacerdotum HI. 
170. De edificacione texnpli Salomonis über I. 171. In librum 
Regiim XXX questiones. 172. In proverbia Salomonis libri in. 
173. In Esdram et Neemiam libri III. 174. In Thobiam allegoricus 
liber I. 175. In ewangelium Marci libri IIII. 176. In ewangelium 
Luce libri VI. 177. Omeliarum ewangelii libri II. 178. In actus 
apostolorum liber I. 179. In epistolas Septem canonicas libros 
singulos. 180. In apocalipsin lohannis libri JH. 181. Vitam sancti 
Gutperti metro et prosa conscriptam. 182. Historiam gentis An- 
glorum. 183. Martirologium^ in nataliciis sanctorum liber I. 
184. De natura renmi liber I. 185. De temporibus liber I. 
186. Item de temporibus liber I; maior est. 187. De metrica arte, 
de scematibus, de tropis libros singulos. 

Sequentes libros adhuc non habemus: 

In principium Genesis usque ad nativitatem Ysaac et eiec- 
cionem Ysmahelis libri IIII. — In primam partem Samuelis, [id est] <^ 
usque ad mortem Sauli libri III d. — In cantica canticorum libri VII. 
— In Ysaiam, Danielim, XII prophetas et partem Iheremie, dis- 
tincciones capitulorum e ex tractatu beati Iheronimi excerptas. — 
In canticum Abacuc liber I. — Capitula leccionum in pentateucvun 
Moysi, losue, ludicum, in libros Regum et verba dienmi; in librum 
beati patris lob, in parabolas, Ecclesiasten, cantica canticorum; 
in Ysaiam, Ezdram, Neemiam; in apostolum quoque in opusculis^ 
sancti Augustini expositae cuncta per ordinem transcribere 
curavi. — Capitula leccioniun in totiun nowun testamentum excepto 
ewangelio. — Libnmi epistolarum ad diversos, quarum de sex 
etatibus seculi una, de mansionibus f ilionun Israhelis una ; de eo 
quod ait Ysaias: ,et claudentur in carcerem et post dies multos 
visitabimturS una; de racione bisexti una, de equinoccio iuxta 
Anatolium una. — De^ historiis sanctorum librum vite et passi- 
onis sancti Felicis confessoris de metrico Paulini opere in prosam 



a Die folgende Aufzählung schliesst sich an die Liste bei Beda Hist. ecclesi- 
astica gentis Anglorum (ed. Plummer) Hb. V, cap. 24 an. 

b ,martirlogium' Hs. 

c ,. . .< Hs.; der Abschreiber verstand die tironische Abkürzung in seiner Vor- 
lage nicht. 

d ,1111' Hs. — c ,seculorum' Hs. — f ,opussculis' Hs. — g ,expositas' Hs. 

h Hiervor beginnt in der Hs. ein neuer Abschnitt, mit der Überschrift ,Auctor huius 
registri' ; vgl. über die Ursache dieses Irrtums des Abschreibers von 1464 unten S. 274 N. 2. 



268 Hermann Bloch 



transtuli. — Librum vite et passionis sancti Anastasii» male de 
greco translatum et peius a quodam imperito emendatum, prout 
potui, ad sensum correxi. — Historiam abbatum monasterii huius, 
in quo supema pietate deservire gaudeo, Benedicti, Ceolfridi et 
Heuetberecti in libellis duobus. — Librum ymnorum diverso*» 
metro sive rithmo^. — Librum epigramatum eroico sive eleiaco 
metro. 

Cassiodori. 

188. Exposicio tocius psalterii in tribus voliuninibus. 189. Eius- 
dem libri duo institucionum divinarum seculariumque litterarum. 
190. De anima über I. 

Cassiani monachi. 

191. Libri collacionum sanctorum patrum duodedm de di- 
versis spiritualibus rebus per suos titulos distincte in libro H. 
192. Item decem alie collaciones in alio libro. 193. Item Septem 
collaciones, prima de perfeccione etc., in libro I. 194. Item \TI 
alie, quarum prima de tribus generibus monachorum, in libro I. 

Prosperi libri. 

195. De activa et contemplativa ^ita libri lü. 1%. Quinqua- 
ginta psalmorum novissimorum exposicio; centum anteriorum 
adhuc querimus. 197. Epigramatum eiusdem. 

Librose autem tres tocius auctoritatis divine, quos centum 
quinquaginta tribus titulis comprehendit, et chronicam « et ceteros 
eiusdem luculentos libros summo studio querimus. 

Libri Primash. 

198. Opus ipsius in apocalipsin libri V. 

Cetera eins opuscula invenire desideramus, presertim : Quid 
faciat hereticum'. 

Libri Iuliani Toletam episcopi. 

199. Libri tres, quos appella\it Prognosticon ; in quo codice 



a ^thanasii' Hs. — b .diversomm' Hs. — c ,rickmo' Hs. 

d Ob etwa die ,Iibri Xu de institutis coenobionim et de octo principaliam vitio- 
nimremediis'; vgl. Becker Catalogi bibl. Nr. 6 (Augiensis), 313? 

e Jedenfalls sind bei Cassiodor, aus dessen Schrift De institntione divin. litter. c. I 
(Migne Patrol. lat. 70, 11 11) die Worte .libros — comprehendit* wörtlich entnommen sind, 
die jlibri lll de promissionibus et predictionibus dei' gemeint (vgl. Becker Catal. Nr. 6, 
323), welche falschlich dem Prosper Aquitanus beigelegt werden; vgl. Teuffel-Schwabc 
Gesch. der rom. Litter. II *, I176. — Die Chronik nennt Cassiodor 1. c. cap. XVII 

(Migne 70, 1134). 

f .Heroboam* Hs.; die Schrift wird bei Cassiodor De institut. div. litt. c. DC 
(Migne 70, 1122) genannt; vgL oben zu no 140. 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach. 269 

continentur due» epistole ad lulianum etc.; sunt et alie quinque 
ibidem epistole etc. 

LiBRi Gregorh Nazianzeni. 
200. Apologeticus liber I. 201. De epiphanüs vel natale domini 
über I. 202. De luminibus. 203. De fide. 204. De pentecosten et 
spiritu sancto liber I. 205. De reconciliacione etc. liber I. 206. De 
grandinis vastacione liber I. 207. De Arrianis liber I: numero 
decemh in codice uno. 

208. Item epistole diversorum patrum, videlicet Athanasii, 
Proculi, Ambrosii, Iheronimi, Augustini, Cirilli, Gelasii, Vigilii in 
imo codice. 

209. Apponius in cantica canticorum. 

210. Exposicio Pelagii in epistolas Pauli. 

BOECIUS. 

211. Arithmetica libri IL 212. Geometrica liber I. 213. Musica. 
214. In Aristotelis dialecticam ^. 215. De consolacione philosophie 
libri V. 216. De sancta trinitate. 

217. lusti ^ episcopi in cantica canticorum. 218. Item eiusdem 
episcopi in cantica canticonmi. 

219. Episcopi Tagii excerpciones de diversis opusculis sancti 
Gregorii. 220. Item Paterii excerpta de opusculis Gregorii. 

221. Item lunilii libri 11 de divine legis ^ regulis. 

Libri Albini moderni magistri f. 

222. Exposicio super lohannem. 223. Ad Hebreos. 224. De 
arte gramatica. 225. De arte rhetorica. 226. De dialectica«. 
227. De sancta trinitate. 

228. Liber Eugippiih cum capitulis. 

a ,sue' Hs. ; es dürfte sich um die beiden Briefe des Idalius von Barcelona handeln, 
von denen allerdings nur der erste unmittelbar an Julian gerichtet ist, aber auch der 
zweite sein Werk betrifft. Siehe Migne Patrol. lat. 96, 815. 

b In der Aufzählung sind, statt der 10, nur 8 Bücher genannt; es fehlen sicher 
die beiden Schriften ,de Iheremia dicta presente imperatore' und ,de ordine novi et 
veteris testamenti'; vgl. den Lorscher Katalog bei Becker Catalogi Nr. 37, 512, wo eine 
nächst verwandte Hs. beschrieben wird. 

c ,dialeticam' Hs. — d ,Iustini* Hs. 

e ,de diversis librorum' Hs.; vgl. TeufTel-Schwabe Gesch. derröm. Litt, ü^ 1290. 

f Die ,libri Albini' durchbrechen die Reihe der Excerptenschriften so, dass ihre 
Nachtragung im Rotulus und verkehrte Einreihung in unserer Abschrift mindestens 
möglich ist; vgl. oben S. 261. 

g ,dialetica' Hs. 

h Die ,excerpta ex opusculis s. Augustini' vgl. Becker Catalogi Nr. 6, 350; in 
338 Capiteln vgl. Cassiodor De instit. div. litt. c. 23 (Migne Patrol. 70, 1157). 



270 Hcmunn Bloch 



229. Liber Eucherii formularum spiritalium *. 

230. Cicius Dionisii cum epistola de racione pasche. 

231. Liber eglogarum*» Ladcen filii Baith-. 

232. Exposicio leccionarii. 233. Mte patrum in maiori et 
minori duobus voluminibus. 234. Libri sentenciarum, in quo et 
alia opuscula continentur. 235. Libri mi passionum vel ^ite sanc- 
tonim. 236. Scedule diverse, in quibus continentur passiones vel 
vite sanctorum. 

Libri glosarum^ Rabaxi abbatls ix omxAM rasxoRLAM. 
237. In librum Xumerorum libri IUI. 238. In librum Deutro- 
nomii libri IUI. 239. In librum lesu Xave libri lü. 240. In ludicum 
et Ruth. 241. In Regum libri im. 242. In Paralipomenon. 243. In 
ludith et in Hester. 244. In Machabeorum primum liber I, in se- 
cundum liber I. 245. In Matheimi. 

De HISTORIIS. 

246. losephum antiquitatiun et iudaice capti\itatis libri X\ Uli. 
247. Egesippi libri \'. 248. Orosius in defensionem christianorum 
contra paganos libri \TI. 249. Historia Eusebii Cesiiriensis epis- 
copi libri X. 25<X Historia tripartita libri XU. 251. Historia 
Clementis libri X. 

De POETIS CHRISTLANIS. 

252. luvencus in quattuor ewangelia. 253. Sedulius similiter 
libri in. 254. Arator in actus apostolorum libri II. 255. Paulinus 
de vita Felicis XU. 256. Eiusdem ^ de \ita Martini XL 257. Pro- 
speri Epigramatum. 258. Alchimi ^ A viti in Genesim V. 259. Eius- 
dem ad sororem^ suam I. 260. Fortunati libri XI de diversis 
rebus. 261. Eiusdem de \ita MartinL 262. Prudencius de diversis 
rebus et diverso metro. 263. Metrum Cresconii*». 264. Metrum 
Althelmi. 265. Metrum Bede in vitam Gudperti. 



a Gewöhnlich .spiritalis intelligentie*. vgl. Becker a. a. O. Nr. 6. 521. 

b jCnglogaram' Hs. 

c Nach Montfaacon Bibliotheca Bibliothecainm II. 1177: .de moralibas lob qnas 
Gregorias fecii*. Tgl. auch unten S. 27S; sicher ist auch unter dem „lathecen** zu St. Gallen 
{Becker a, a. O. Nr. 15. 150 dieses Werk zu verstehen. 

d .glozarum* Hs. 

e Dies ist unrichtig: die Gedichte auf den h. Felix haben Paulin von Nola, die 
,vita Martini' den Paalin von Perigueux zum Verfasser. 

f ,Alchinii* Hs. — g .sorerem* Hs.; handelt .de laude virginitatis*. 

h Zu diesem verlorenen Gedicht vgl. Becker Catal. Nr. 57. 459; Teuffel-Schwabe 
Gesch. der röm. Litt. II*, 12S5; Manitius Gesch. der christL-latein. Poesie 515. 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 27 t 

Secuntur GENTILES. 

266. Historia * Titi Livii libri X. 267. Excerpciones de historia 
Pompeii Trogi, lustini libri XLIIII. 268. Vite ^ cesarum vel tiran- 
norum ab Elio Hadriano^ usque ad Carum [et]^ Carinum® libri Vn. 
269. De amicicia Ciceronis Über I. 270. De officiis eiusdem libri HI. 
271. Rhetorica TuUii eiusdem libri 11. 

272. De arte gramatica edicio utraque Donati. 273. Con- 
mentum Servii Honorati. 274. Exposicio Pompeii in maiores partes. 

275. Item alia exposicio in maiores partes cuiusdam christiani. 

276. Gramatica Probi. 277. Gramatica Smaragdi ^ 278. Priscianus 
maior et minor. 

De poetis gentilium. 

279. Virgilius Bucolicon. 280. Georgicon. 281. Liber Eneydos. 
282. Eiusdem« Dire, Culicis, Ethne, Copa, Mecenas, Ciris, Cata- 
lepton*», Priapeya, Moretum. 

283. Lucanus libri X. 284. O vidius Naso libri epistolarum IV ». 

285. Liber Lucrecii. 

286. lulii Frontini de Geometrica. 287. Vitruvii de architectura ^ 
libri X. 288. Salustius Catilinarius. 289. Idem belli lugurtini. 

290. Ortographia Ceciliii Vindicis. 291. Ortographia Quinti 
Papiri. 292. Ortographia Capri et aliorum in eodem volumine. 

293. Epistole Senece ad Lucilium ™. 

294. Bucolicon Olibrii *». 295. Metrum Quinti Sereni de medi- 
cina. 2%. Metrum fabularumAvianipoete. 297.EnigmataSimphosii. 

De arte medicine. 

298. Libri octo Vruasüo. 299. Libri Placiti. 300. Liber her- 
barius Vruasii. 301. Liber magnus collectus ex diversis auctori- 
bus medicorumP. 

302. Item liber notarum. 



a ,histori' Hs. — b ,vita' Hs. — c ,Helio Adriane' Hs. — d fehlt in Hs. 

e Danach vielleicht noch ,et Numerianum', wenn nicht etwa die Hs. der Scrip- 
tores hist. Augustae unvollständig war. 

f Gehört nicht unter die ,gentiles'; doch hier stehen die Grammatiker zusammen; 
vgl. auch no 275. 

g Die bekannten pseudo-Vergilischen Gedichte. — h ,catalepion' Hs. 

i Die Briefe ,ex Ponto' vgl. unten S. 276. — k .architectoria* Hs. 

1 So auch sonst im Mittelalter häufig statt des richtigen, Caesellii*. — m , Lucilium' Hs. 

n Vgl. hierüber Zamcke in Commentationes in honorem Studemund 197. 

o Das ist ,Oribasius', vgl. Zamcke in Commentationes in hon. Studemund 194. 

p Vgl. die von Cassiodor De institut. div. litt. c. XXXI (Migne 70, 1 146) erwähnte 
medicinische Schrift eines ,anonymus, qui ex diversis auctoribus probatur esse collectus*. 



272 Hermann Bloch 



Breviarium librorum Isghteri abbatis.* 

1. Epistole et canones diversi volumen I. 2. Hebraicarum 
questionum et de XL mansionibus volumen I. 3. Excerpta Ihero- 
nimi de Ethico philosopho. 4. Gesta pontificum et epistola 
Iheronimi de gradibus sacerdotum volumen I. 5. Allexandri epis- 
tola ad Aristotilem et Olimpiadem matrem suam. 6. Orosius, 
provincianmi descripdo. 7. De eadem re Iheronimus. 8. Ysidorus 
de terra. 9. Cosmographia lulii Cesaris. 10. Solinus de situ orbis 
volumen I. 11. Questiones Albini in Genesim. 12. Questiones 
Augustini et Orosii in Genesim. 13. Glose super Regum. 14. Ba- 
chiarius*» de reparacione lapsus. 15. Excidium« Troianorum. 
16. Titus Lucrecius de rerum natura volumen imum. 17. Expla- 
nacio Augustini in apostolum volumen I. 18. Rabanus in librum 
Regum volumen I. 19. De compoto, astrolabio, de gramatica 
Foce<* et Arati« et versus Theodolfi volumen I. 20. Rabanus in 
Iheremiam voliunen I. 21. Geometrica et Iginus^ volumen I. 
22. Partes Donati maioris et minoris, declinacionis nominis et verbi 
volumen I. 23. Rabanus de compoto. 24. Beda de arte metrica. 
25. Priscianus minor descriptio 8 divcrsorum locorum «. 26. Beda 
de naturis renun. 27. Ysidorus de accentibus et martirologium. 
28. Epistola Ypocratis ad Antiochum. 29. Epistola Antimii medici 
ad Titum imperatorem *^. 30. Crisostomus de naturis animaliiun. 

31. Fabula Aviani et Esopi et Phedri et Allexandri et Didimi. 

32. Ferrandus diaconus de formula vite. 33. Gesta Allexandri 
magni volumen unum. 34. Plinii Secundi volumina tria. 35. Lex 
Ribuarionmi et Alamannonmi. 36. Cronica Severi libri n. 
37. Omelie Origenis in Leviticum X\l. 38. Historie lordanis 
libri n. 39. De instrumentis bellicis Vegecii Renati libri Ell. 



a Dahinter inHs.: ,obmissis his qui in registro continentur pro parte'; ein Zusatz 
des Schreibers von 1464, der also das Breviar verkürzt hat. 

b ,Bacharius' Hs. — c ,Exitium* Hs. — d ,Foci' Hs. 

e Die Hs. enthielt wohl den ,libe1Ius de astrologia Arati*, vgL Maass Commen- 
tariorum in Aratum reliquiae, prolegomena p. 45. 

f ,Iginius' Hs. 

g ,de scriptoribus divinorum librorum' Hs. Wenn der unmögliche Titel in der 
vorgeschlagenen Weise emendirt werden darf, so würde man die Periegesis darunter 
zu verstehen haben. Vgl. übrigens die bei no. 221 sichere Emendation. 

h Der Titel ist in einer auch sonst häufigen Weise verderbt; gemeint ist die ,epi- 
stula Anthimi ad Theudericum regem Francorum'; vgl. über sie Teuffel-Schwabe U*, 1264. 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 



273 



40. Liber Arculfi» de situ sanctorum locorum. 41. De fide catho- 
lica lustiniani imperatoris. 42. Fulgencius Mithologianim K 43. Mar- 
cianus Felix ^ Capeila c. 44. Claudius in Matheum. 



<^Auctorum lihrorum qtii in isto rotulo conttnentury hec sunt 
notnina: 



L Ciprianus, 

2. Hilarius. 

3. Ambrosüis, 

4. Hieronimus, 

5. Agustintis. 

6. Origenis, 

7. Gregorius, 

8. Isidorus, 

9. Cassiodorus, 
10. Cassianus. 
IL Prosper, 

12. Primasius. 

13. Itilianus. 

14. Apponius. 

15. Gregorms Na- 

siansenus. 

16. Boecius. 

17. Itistinus^. 

18. Pelagius. 

19. Tagius. 

20. Paterius. 

21. lunilitis. 

22. Eugippius. 

23. Eucherius. 

24. Fulgenciiis. 

25. Athanasius. 

26. Cirillus. 

27. Vigilius. 



28. lohannes Os au- 

reum. 

29. Philippus. 

30. loseppus. 

31. Egesippus. 

32. Orösius. 

33. Eusebius. 

34. Historia tri- 

partita. 

35. Clemens. 

36. luvenctis. 

37. SeduUus. 

38. Arator. 

39. Paulmus. 

40. Alchimus. 

41. Fortunatus. 

42. Prudencius. 

43. Cresconius^. 

44. Altheimus. 

45. Beda. 

46. Albinus. 

47. Smaragdus. 

48. Rabanus. 

49. Titus Livius. 

50. Pompeius Tra- 

gus. 

51. Vita cesarum. 

52. Tullius. 



53. Donatus. 

54. Servius. 

55. Pompeius. 

56. Probus. 

57. Priscianus. 

58. Lucanus. 

59. Ovidius. 

60. Lucrecius. 

61. Frontinus. 

62. Salustius. 

63. Vitruvius. 

64. Cecilius Vin- 

dicus ^ 

65. Quintus Pa- 

pirius. 

66. Caper. 

67. Senecas^. 

68. Olibrius. 

69. Quintus 

Serenus. 

70. Avienus. 

71. Simphosius. 

72. Vruasius. 

73. Ladcen filius 

Baid. 

74. Severus^. 

75. Lustinianus 

imperator. 



a ,AchuIfi' Hs. ; doch vgl. Index no 76 und z. B. Becker Catalogi bibl. Nr. 37, 553. 
b ,mirchoIogiarum' Hs. 
c ,Felicis Capelle' Hs.; vgl. Index no 80. 
d Statt ,Iustus'. — c jCrescmius' Hs. — f So Hs.! 

g Hier beginnen die Autoren, die im Breviar begegnen; aber nur dessen letzter 
Teil (von no 33 an) ist z. Th. berücksichtigt. 

18 



274 Hermann Bloch 



76, Ar etil Jus, 79, Historia 81, Claudius. 

77, lordanis, Allexandri, 82, Effrem^, 

78, Vegecius 80, Marcianus 83, Tertulliani^, 

Renatus, Felix Capella, 

Et utinant per reverendum dofuimwi Bartoloweum de 
Andolo abhatem Morbaeenseni omnes fuissent iuventi auf possent 
recuperari eum Ulis quos studui adieere 1464,y 

III. 

Der Rotulus, den Abt Bartholomaeus und Bruder Sigismund 
aufgefunden hatten, enthielt offenbar zwei verschiedene Bestand- 
teile •: einen umfangreichen, sachlich geordneten Katalog der 
Klosterbibliothek, den der Abschreiber als »registrum* bezeichnete *', 
und die Bücher des Abtes Isghter, das »breviarium librorum 
Isghteri abbatis*. 

Ein Abt dieses Namens wiir noch vor kurzem unbekannt, bis 
der von Ebner entdeckte Liber vitae von Remiremont die Liste der 
Murbacher Äbte des 9. Jahrhunderts wertvoll ergänzte ^. Zwischen 
Sigimar, der noch 840, und Friedrich, der seit 876 urkundlich be- 
zeugt ist, folgten demnach in kurzer Frist die Äbte Reccho, Marcus, 
Isker und Emeritus, unter denen wir in ,Isker' den ,Isghter' des 
Rotulus ohne Zögern begrüssen. Das ,Breviarium librorum* ge- 
hört daher der Mitte des 9. Jahrhunderts an; sein Inhalt stimmt 
aufs Beste zu dieser Einordnung. 

Nicht so unmittelbar vermögen wir die Entstehungszeit des 
Kataloges festzulegen, zumal über das Verhältnis des Breviars * 



a Diese Namen fehlen in beiden Verzeichnissen; vgl. oben S. 261. 

* Schon von Roth bemerkt. 

■ So in dem Zusätze, dass er aus dem Breviar Iskers die Bücher fortlasse ,qui 
in registro continentur* und in der sinnlosen Ueberschrift über dem letzten Teil der in 
Murbach fehlenden Bücher Beda's : ,Auctor huius registri' (oben S. 267 N. h). Diese Über- 
schrift, deren Erklärung bei Joachimsohn, Sigismund Meisterlin 105 nicht gelungen ist, hat 
der Schreiber von 1464 nach eigenem Urteil in seine Vorlage eingeschoben, weil er im 
folgenden plötzlich Sätze eines in der ersten Person Sprechenden fand: ,transtuli*, 
,correxi', ,gaudeo'. Er ahnte nicht, dass es sich um Schriften Beda's handelte; wusste 
nicht, dass der ganze Absatz aus Beda's Kirchengeschichte entnommen war, und half 
sich so gut er konnte zu einer Erklärung. Dieser grobe Irrtum ist aber schon für sich 
allein Beweis, dass der Schreiber von 1464 nicht der Verfasser des Sachkataloges ist. 

' Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde XIX, 78. 

* Enthält das Breviar Bücher Iskers, die er selbst der Bibliothek geschenkt hat 
oder den Zuwachs der Bibliothek während seiner Abtszeit? Beweist die hohe Zahl, 
klassischer Schriften ein besonderes Interesse Iskers lür das römische Altertum? 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 275 

zum Registrum nicht in allem völlig abschliessend geiu-teilt werden 
kann. Der Abschreiber hat nämlich im Kartular absichtlich die- 
jenigen Schriften des Breviars ausgelassen, die er schon vorher 
im Registnun eingetragen hatte * ; immerhin ist er bei dieser Aus- 
lese nicht sorgfältig genug verfahren, da von den 44 Schriften aus 
Iskers Bücherliste doch bereits 6 in dem früheren Teile angeführt 
waren ^. Dafür stellen allerdings 35 Nummern einen erheblichen Zu- 
wachs zu dem Bestände des Katalogs dar, den wir schon aus 
diesem Grunde als die ältere Aufzeichnung ansehen werden. Die 
Prüfung seines Inhalts erhebt die Vermutung zur Gewissheit. 

Nicht eine einzige Schrift des ganzen ,Registnmi* gehört der 
zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts oder gar späteren Zeiten an. 
Alchvin, Smaragdus von St. Mihiel imd Hrabanus Maurus sind die 
jüngsten darin genannten Schriftsteller. Ja, Alchvins Werke werden 
mit den Worten eingeführt ,libri Albini moderni magistri* : die 
Bücher Albins, des Gelehrten imserer Zeit'. Und von Hrabans 
Kommentaren zur heiligen Schrift ist zwar der grösste Teil der 
vor 840 verfassten im Kataloge verzeichnet; noch fehlen aber 
die zwischen 840 imd 842 verfassten Glossen zu Jeremias* imd 
mit ihnen alle späteren Arbeiten des Fuldischen Gelehrten. Hin- 
gegen wird der Jeremiaskommentar im Breviariiun Iskers schon 
genannt. So weit daher überhaupt ein Schluss zulässig ist, darf 
er nur dahin gehen, dass der sachlich geordnete Katalog den 
Bücherbestand der Miu'bacher Klosterbibliothek um die Mitte 
des 9. Jahrhunderts, nicht gar zu lange nach 840 wiedergiebt^ 
und dass dieser Katalog, wenn auch nicht wesentlich, älter ist 



* Dies ist ohne Zweifel der Sinn der Worte: ,obmissis his qui in registro con- 
tinentur pro parte'. 

* Isk. 2 = Reg(istrum) no 36. 42; Isk. 16 = Reg. no 285; 18 = Reg. no 241; 
22 vgl. Reg. no 272; 24 = Reg. no 187; 26 = Reg. no 184. 

3 Hierzu wird man aus dem Briefe der Reichenauer Grimalt und Tatto an Re- 
ginbert (zuletzt bei Traube in den Abb. der bayr. Akad. III. Kl. XXI, 692) vergleichen: 
,de aliis regulis a modemis correctis magistris'. 

* Vgl. den Widmungsbrief des Hraban an Ludwig d. D., mit dem er dem König 
den Jeremias übersandte. Darin sind die älteren Kommentare aufgezählt: ,post com- 
mentariolos, quos mea parvitas in Eptaticum et in libros Regum atque in Paralipomenon 
edidit, postque explanatiunculas historiarum Hester, ludith et Machabeorum, necnon et 
voluminis Sapientiae atque Ecclesiastici .... ad extremum in Hieremiam manum misi'. 
(Mon. Germ. Epist. V, 443 no 28). — Mathaeus war schon 821/2 von ihm koitamentiert. 

^ Auch die Möglichkeit, dass der Katalog noch älter sei, die Schriften Alchvins, 

Smaragds, Hrabans erst nachträglich zugefügt seien, kann nicht unbedingt abgewiesen 

werden, vgl. oben S. 261. 

i8* 



276 Hermann Bloch 



als das Breviarium librorum des Abtes Isker, der eine gewisse 
Zeit vor dem Jahre 876 an der Spitze des Klosters gestanden 
hat*. 

Allerdings gestatten die unglücklichen Schicksale der Mur- 
bacher Handschriften uns nicht, wie für Reichenau und S. Gallen, 
mit Hülfe der erhaltenen Codices ein annähernd getreues Bild 
von dem klösterlichen Bücherbesitz im 9. Jahrhimdert zu entwerfen 
imd durch den Vergleich mit dem Katalog eine neue Bestätigimg 
für sein hohes Alter zu gewinnen. Wir müssen uns damit beschei- 
den, die kleine Zahl der verstreuten aus Murbach stammenden 
Hss. in den Listen des Rotulus zu suchen; für einige andere heut 
verlorene besitzen wir so zuverlässige Angaben durch Gelehrte 
des 18. Jahrhunderts, dass auch ihre Identifikation mit Nummern 
des Katalogs noch möglich ist. 

Colmar, Stadtbibliothek'. 

Cod. 39, saec. VIII. , Über de ortu et obitu patrum, de allegoricis sensibus 
=: Reg[istrum] no 159. 160. 

Cod. 40, saec. IX., Gregorü Regula pastoralis = Reg. n© 147. 

Cod. 41, saec. IX.*, Hieronymi de optimo genere interpretandi, ad Damasum, 
quaestiones Hebraicae, de quadraginta mansionibus, über locorum et 
nominum = Reg. n© 38. 35. 36. 42 (vgl. Isker no 2). 37. 

Gotha, Herzogl. Bibliothek*. 

Cod. I, 10 1, saec. IX., enthielt früher Augustini de academicis, de beata vita, 

de ordine =: Reg. n» 61. 62. 63. 
Cod. I, 75, saec. VIII. , Sedulius, Aldhelm, cicius Dionisii (saec. VII.) = Reg. 

no 253. 264. 230. 
Cod. II, 117, saec. IX., Ovidius ex Ponto = Reg. no 284. 



^ Da eine nicht zu geringe Zahl von Schriften im Rotulus sowohl unter dem Re- 
gistrum wie unter dem Breviar Iskers verzeichnet war, könnte die engere Beziehung 
zMrischen beiden etwa daraus abgeleitet werden, dass der Sachkatalog erst im Anfange, 
das Breviar am Ende von Iskers Regierungszeit geschrieben wurde. Übrigens sei erwähnt, 
dass Isker in dem nach 826 vorgenommenen Eintrage im Reichenauer Verbrüderungs- 
buch unter Abt Sigimar als Murbacher Mönch erscheint, dass er also jedenfalls schon 
geraume Zeit in Murbach weilte. (Mon. Germ. Libri confratemitatum I, 209 Sp. 174). 

* Vgl. für das Folgende Ingold, Les manuscrits des anciens maisons religieuses 
d'Alsace. 1898. p. 13 ff. Die Hss. unbestimmter Herkunft übergehe ich. 

^ Nicht saec. XIII. wie bei Ingold. 

* Vgl. jetzt Ehwald im Philologus N. F. XIII, 627. Der zweite, in Gotha erhaltene 
Teil der Hs. enthält Eutropius und Frontin ; die vollständige Hs. noch beschrieben bei 
Montfaucon, Bibliotheca Bibliothecarum II, 1176. 



i 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 277 

Besannen*, öffentliche Bibliothek. 

Cod. 184, saec. VIII., Isidori De natura rerum; ein Teil vielleicht = Isker n© 8*. 
Cod. 833, saec, IX., Hegesippus = Reg. n» 247. 

fipinaP, öffentliche Bibliothek. 

Cod. 78, saec. IX. (?)', Hieronymus in Ecclesiasten, in omelias Origenis trans- 
latas, Apponius super cantica canticorum = Reg. no 54. 56. 209. 

Genf, Stadtbibliothek. 

Cod. lat. 21, saec. VIII. , Beda in actus apostolorum, in apocalypsin, in epi- 
stolas canonicas* = Reg. n© 178. 180. 179. 

Oxford. 

lun. 25*, saec. IX., Albini de rhetorica, de dialectica; Donatus = Reg. n« 225. 

226. 272 (?). 
Bodl. Add. c. 15, saec. IX., Cypriani opuscula =: Reg. no i — 146. 

Die Musterung der erhaltenen Hss. aus Murbach, deren 
Ergebnis in der vorstehenden Tabelle niedergelegt ist, lehrt, dass 
wir mit Schriften des Rotulus nur solche Codices zu identifizieren 
vermögen, die mindestens in das 9. Jahrhundert zurückreichen. 
Hierdurch wird der karolingische Ursprung des Katalogs ebenso 
bestätigt wie durch die Nachrichten über eine Reihe karolingischer, 
heut verlorener Hss., die wir Gelehrten des 18. Jahrhunderts 



^ Vgl. Catalogue g^n^ral des manuscrits des bibliothöques publiques de France. 
Departements. Tome XXXII. Besan^on, p. 125. 525. 

' Cod. 68 saec. VIII. ist nicht sicher zu identifizieren. Er enthält Briefe des 
Hieronymus. 

' Der Angabe des Catalogue des mss. des biblioth^ques publ. des departements III, 
431, dass die Hs. saec. X. sei, wird kein entscheidendes Gewicht beizulegen sein. 

* In dieser Hs. steht der Reichenauer Bücherkatalog von 821/2, vgl. Beer, Wiener 
Studien IX, 160 ff. und oben S. 258 Anm. i. Es ist indessen durchaus möglich, dass 
die Hs. schon im IX. Jahrh. aus Reichenau nach Murbach kam. Vgl. auch Senebier 
Catalogue raisonn^ des manuscrits de la bibliothöque de Gen^ye p. 74. 

* Die berühmte Hs. der sog. Mnrbacher Hymnen, vgl. Sievers, Die Murbacher 
Hymnen, und Priebsch, Deutsche Handschriften in England I, 151. Auch sie kam von 
Reichenau nach Murbach. 

* Ich danke diese Identification der bewährten Hilfe von L. Traube, der mich 
zugleich darauf aufmerksam macht, dass die Hs. mit dem Stück einer Reichenauer Hs. 
zusammengebunden war, jetzt cod. Cheltenham. 18908 (vgl. Steinmeyer, Althochdeutsche 
Glossen FV, 415). Der Murbacher Cyprian zu Haigh-Hall bei Wigan (vgl. Priebsch, 
Deutsche Handschriften in England I, 189 Anm.) ist im Murbacher Katalog noch nicht 
verzeichnet. 



278 Hermann Bloch 



verdanken. Th. Ruinart* fand im Jahre 1696 zu Murbach unter 
den 900 Jahre alten Codices u. a. ,Prudentii opera* (= Reg. n*> 262) 
und ,alii Codices optimae notae . . ab annis 800, quos singulatim 
recensere longius esset. In his Tertulliani Apologeticum (vgl. den 
Index auctorum n« 83), Cassiani collationes patrum (vgl. Reg. 
n« 191—194), s. Paulini opera (Reg. n'^ 255. 256), Alcuini epistola 
ad Carolum M. de baptismo, Hexameron s. Basilii ab Eustathio 

translatimi (= Reg. n° 133) Codex annorum 600, in quo 

commentaiii in lob cum praevia epistola Philippi presbyteri et 
commentatoris ad Nectarium episcopum'-. Bei dem ,vetustum 
martyrologium, quod annos 900 praeferre videtur*, wird an die 
Hs. Isker n^ 27 zu denken sein. 

Ausser einigen schon von Ruinart besprochenen Codices 
fand im Jahre 1760 der bekannte Abt Gerbert von St. Blasien' 
ein mit merowingischer Schrift geschriebenes Buch, in dem wir 
Reg. n° 231 wiedererkennen : »codex huc spectans cum hoc initio : 
In nomine patris et filii et Spiritus sancti incipit ecloga, quam 
scripsit Lathcen filius Baith de moralibus lob quos Gregorius fecit. 
Incipit : inter multos saepe quaeritur^ und »tredecim Origenis 
homilias in Exodum litteris quidem uncialibus^ = Reg. n" 128. Das- 
selbe finden wir in dem Murbacher Bücherverzeichnis bei Mont- 
faucon*: ,Origenis homiliae in Exodum, scriptum maiusculis litteris.* 

Im Übrigen kommt das wertvolle Dokument, das Augustin 
Calmet an Montfaucon gesandt hat und das den zuverlässigsten 
Überblick über den Murbachcr Handschriftenbesitz um 1738 
(leider ohne Altersangaben) gewährt, für uns hier nur deshalb in 
Betracht, weil es nicht wenige Werke mittelalterlicher, erst nach- 
karolingischer Gelehrter unter den Büchern der Abtei Murbach 
nennt, wie des Anselm von Canterbury, Ivo von Chartres, 
Innocenz' III., des Vincenz von Beauvms, Thomas von Aquino, 
oder der Schriftsteller aus der Zeit der Konzilien, wie des Hein- 
rich von Langenstein. Kein einziger dieser Männer wird in unserm 
Katiüoge des Murbacher Kartulars genannt; und wer nicht zu dem 
bedenklichen Auswege flüchten will, dass ihre Werke sämtlich 
erst nach dem Jahre 1464 dem Kloster erworben Avurden, wird 

* ,Iter litterarium in Alsatiam et Lotharingiam'. Gedruckt in Oeuvres posthumes 
de Jean Mabillon et de Th. Ruinart III, 468 f. 

* Sollte die Hs., gewiss in karolingischer Minuskel, doch nicht erst dem XI., 
sondern schon dem IX. Jahrh. angehört haben und mitReg.no 126 zusammenzustellen sein? 

' Iter Alemannicum ed. II. (1773), 368. — * Bibliotheca bibliothecarum H, 1177. 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 279 

f 

aus dem Vergleich mit der Bücherliste von 1738 in der Über- 
zeugung bestärkt werden, dass der 1464 abgeschriebene Katalog 
schon dem frühen Mittelalter angehört ^ 

Der Karolingerzeit entspricht mm aber der reiche Inhalt 
des Bücherverzeichnisses so vollständig, dass es ganz erstaimlich 
ist, wie sein Alter so lange verschleiert bleiben konnte. Der um- 
fangreichste karolingische Bibliothekskatalog 2, das ,Breviarium 
codicum monasterii s. Nazarii in LaiuissaS zeigt den allergrössten 
Teil der in Murbach vertretenen Bücher auch im Besitz des Klosters 
Lorsch. Bei den besonderen Beziehungen nach Reichenau imd 
St. Gallen^ ist es wichtiger, hier festzustellen, dass von 280 diu'ch 
den Titel genau bestimmbaren Schriften in Murbach etwa 160 
um das Jahr 822 in Reichenau* und weitere 35 um die Mitte des 
Jahrhunderts in St. Gallen '^ nachzuweisen sind; rechnen wir hierzu 
noch etwa 35 Nummern, denen wir in Lorsch begegnen, so bleiben 
niu* ungefähr 50 Bücher übrig, für welche Murbach in dieser 
Gruppe allein steht. Aber da eine nicht geringe Zahl von ihnen 
z. B. in den Büchereien von St. Riquier® und Bobbio ^ anzutreffen 
ist, so beweist schliesslich auch der ganze Inhalt der Murbacher 
Listen ihren karolingischen Charakter; er zeigt uns in der Haupt- 
sache eben jene Schriften, die Alchvin in seinen berühmten Versen 
als den Stolz der Bibliothek von York gefeiert hat^ 

Die Murbacher Mönche haben wenigstens an christlichen 
Schriftstellern nur einzelnes besessen, was nicht auch in den 
andern Klöstern zu finden war. Überhaupt wird den grösseren 
Bibliotheken des Frankenreichs der Bestand an Werken der 
Kirchenväter und ein Grundstock heidnischer Autoren ziemlich 
gemeinsam gewesen sein; ihre individuelle Art wird ihnen 
wesentlich niu* durch wenige seltener erscheinende klassische 



* Endlich sei auch bemerkt, dass die berühmte alte Pliniushandschrift des Be- 
atus Rhenanus gewiss in dem Breviar Iskers no 34 zu erkennen ist. Ihre Herkunft 
aus Murbach steht ebenso fest wie die des Velleius Paterculus, der aber auf dem Ro- 
tulus nicht eingetragen gewesen zu sein scheint. 

' Becker, Catalogi biblioth. Nr. 37. Zur Datierung Gottlieb, Über mittelalterl. 
Bibliotheken 49 Nr. 109. 

' Über sie werde ich in anderm Zusammenhange handeln. 

♦ Vgl. Becker a. a. O. Nr. 6. 8. 9. 10. — * Becker a. a. O. Nr. 15. 22—24. 
® Becker a. a. O. Nr. ii. — ^ Becker a. a. O. Nr. 32. 

® Mon. Germ. Poetae aevi Karolini I, 203. Versus de sanctis Euboricensis eccle- 
siae 1535 fF. Alchvin hat gelegentlich in Murbach geweilt und rühmt die Bestrebungen 
der Mönche. Vgl. Mon. Germ. Epistolae IV, 172. 429 (no 117. 271). 



280 Hermann Bloch 



Namen gegeben. Für Murbach dürfte ausserdem vielleicht die 
nicht unerhebliche Reihe augustinischer Schriften Beachtimg ver- 
dienen. Hingegen ist es unzulässig, aus der Abwesenheit biblischer 
und liturgischer Codices Schlüsse zu ziehen, da ihr Fehlen nur 
der Überlieferung zur Last fällt, sei es dass der Abschreiber 
des 15. Jahrhunders sie fortgelassen oder dass er sie in seiner 
Vorlage nicht mehr vorgefunden hat. Denn mit der Möglichkeit, 
dass der Rotulus am Anfange verstümmelt war, ist um so eher 
zu rechnen, als der Katalog schwerlich so unvermittelt wie jetzt 
unsere Abschrift mit der Aufzählung der Schriften Cyprians 
begann. Nicht ausgeschlossen wäre dann, dass uns auch am 
Schlüsse durch Zerstörung des Rotels die letzten Titel aus dem 
Breviarium Iskers* verloren sind; im übrigen werden wir in der 
Abschrift von 1464 die getreue Wiedergabe des karolingischen 
Katalogs sehen^. 

Gewiss liegt der Gedanke nahe, dass wir als solch schlichte 
Wiederholung der Vorlage nur die Reihen der zu Murbach vor- 
handenen Bücher zu betrachten haben, dass dagegen die über- 
raschende Aufzählung fehlender, aber von den Mönchen gesuchter 
Schriften ebenso wie die allgemeinen Bemerkungen: ,reliquos 
eius libros adhuc querimus* erst der Humanistenzeit angehören. 
Indessen schon die Beobachtung, dass alle dort geäusserten 
Wünsche sich ausschliesslich auf die X'ermehrung christlicher, 
theologischer Schriften beschränken, muss stutzig machen. Ist 
es denkbar, dass humanistische Gelehrte nach den Werken 
Cyprians und Isidors suchen, dass sie vermisste Bücher des 
Ambrosius, Hieronymus, Augustins, Prospers und Bedas sorg- 
fältig aufzeichnen, dass sie sich hingegen mit dem bescheidenen 
Vorrate römischer Autoren ruhig zufrieden geben, sich der 
wenigen Schriften Ciceros, Ovids, Senecas genügsam freuen, 
ohne mit einem einzigen Worte zu verraten, dass auch die Mehrung 
an klassischem Gut ihnen nicht gleichgiltig wäre? Aus allen jenen 
Wünschen spricht nicht der humanistische Geist weltlicher Wissen- 



* Sollten nur noch die Namen .Effrem* und ,Tertulliani' (beachte den Genitiv!) 
lesbar gewesen sein, die den Schluss des Index auctonim bilden? 

* Über etwaige Umstellungen s. oben S. 261. Von einzelnen Werken könnten 
etwa Gregors Moralia versehentlich übersprungen sein. Wenigstens berichtet Gerbert 
Itcr Alemannicum (ed. II. 368), dass er in Murbach fand: .quaedam Augustini opuscula 
et s. Gregorii Moralia litteris Merovingicis scripta'. Die Auslassung der Retractationes 
Augustins erklärt sich anders, vgl. unten S. 2S1 N 5. 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 281 

Schaft des 15. Jahrhunderts, sondern an die Theologie gebundene 
aufstrebende Gelehrsamkeit des Zeitalters Karls d. Gr. 

Wie bewusst im 9. Jahrhundert Handschriften gesucht und 
Bibliotheken gesammelt wurden, dafür liefern die Briefwechsel 
Alchvins, Lulls, des Lupus von Ferriferes wertvolle Zeugnisse. 
Jedoch nur seltene Spiu'en davon sind in die Kataloge über- 
gegangen. So hat man in Freising* einmal den Büchern ,quos 
omnes habemus et colimus* einige noch fehlende gegenüber- 
gestellt: ,istos vero non habemus*". Und gelegentlich beklagt 
sich auch der Schreiber des Lorscher Breviars bei dem bände- 
reichen Werke des Fabius Claudius Gordianus* ,de aetatibus 
mundi et hominis* : ,sed desunt nobis libri XI* — gerade wie der 
Murbacher bei den Homilien des Origenes (n«> 130) bedauert: 
,anteriores vero Xni nobis adhuc desunt*. Aber darin steht unser 
Katalog ganz allein, dass er systematisch — so darf man getrost 
sagen — neben dem Bestände an Codices auch die Lücken ver- 
zeichnet und hierdurch für eine zweckmässige Ergänzung Vor- 
sorge trifft. 

Diese Absicht des unbekannten Miu"bacher Mönches*, dem 
wir jetzt ein gewisses persönliches Interesse nicht mehr versagen 
werden, hat auf die ganze Anlage seines Katalogs mehrfach 
bestimmend gewirkt. Bei Augustin ftlhrt er uns selbst darauf 
hin, dass er dessen Ordnung seiner Schriften in den Libri retrac- 
tationiun zu Grunde gelegt habe*; und in strengem Anschluss an 
die dort gegebene Folge trägt er in die eine Reihe die vorhandenen, 
in die andere die fehlenden Bücher ein. In völlig gleicher Weise 
hat er Bedas eigenes Schriftenverzeichnis am Schlüsse der 
Historia ecclesiastica gentis Anglorum benutzt, um die Murbacher 
Codices von den noch fehlenden Werken zu scheiden«. Konnte 
er in beiden Fällen seine Kenntnis aus Nachrichten der Schrift- 
steller selbst schöpfen, so war sonst für ihn wie für alle Gelehrten 



^ Becker, Catalogi Bibliothecanim Nr. 19, 19. 

• Vgl. »Istos habemus' vor Reg. no 80. — • Becker a. a. O. Nr. 37, 90. 

• Der Versuchung, Abt Isker in unmittelbare Beziehung zum Kataloge zu bringen 
wird vorsichtiger widerstanden; wenn auch seine Verdienste um die litterarische Thätig- 
keit im Kloster durch das Breviarium sicher bezeugt sind. 

^ Grade hieraus ist es leicht zu erklären, dass er versäumt hat, die Libri retrac- 
tationum selbst unter die vorhandenen Schriften einzuordnen. 

• Lib. V, c. 24 ed. Plummer p. 357 flf. Schon Joachimsohn hat die Entlehnung 
bemerkt, vgl. den Anhang. 



282 Hermann Bloch 



des 9. Jahrhunderts * die litterargeschichtliche Fundgrube Cassio- 
dors ,De institutione divinarum littenuiim *. Hieraus entnahm er 
in wörtlicher x\nlehnung seine Mitteilungen über Schriften des 
Hieronymus^ Prospers, des Primasius; hier wurde ihm des Am- 
brosius Schrift ,de patriarchis' bekiuint, wilhrend er allerdings 
die Titel von dessen übrigen Werken, die er noch zu erwerben 
hofft, aus Augustins Buche »Contra lulianimi' entlehnt zu haben 
scheint. Endlich dürfte Cassiodor auch auf die Anordnung des 
Katalogs nicht ohne Einfluss geblieben sein*; denn wenn jener 
als die bedeutendsten Kirchenvater Hiliuius» Cyprian» Ambrosius, 
Hieronymus, Augustin nacheinander behtmdelt, so hat der Mur- 
bacher Mönch mit einer einzigen Verschiebung eben dieselben 
an die Spitze seiner Arbeit gestellt*. 

So verbindet die .\rt der Anlage beide Teile des Katalogs, 
die Listen der vorhandenen und die der gesuchten Bücher tmd 
zwingt beide eng aneinander zu gemeinsiuner Entstehung durch 
den gleichen V^erfiusser. Und wie der Schriftenbestimd uns über- 
zeugte, dass hier eine Bibliothek des ^>. Jahrhunderts be- 
schrieben ist, so weisen uns der Charakter der fehlenden Werke 
und die Quellen, aus denen ihre Kenntnis gewonnen wurde, in 
die gleiche Zeit. 

Mit diesem Nachweis erhillt Murbach dank dem reichen 
Inhalt des Rotulus in Zukimft seinen Platz als Ptlegestätte der 
neuen Bildung neben den berühmteren ostfrilnkischen Klöstern. 
Auch w^erden jetzt einzelne klassische Werke dem karolingischen 
Rotel immer die Beachtung der Philologen sichern; und gewiss 
wird erwogen werden, ob jene berühmte Lucrezhandschrift, die 



• Es genügt, 2. B. auf Hrabans Briefwechsel zu verweisen. 

• Nur für seine letzte Schrift vermag ich des Verfassers unmittelbare Quelle 
nicht anzugehen, vgl. oben S. 268 N. i. 

* Vielleicht ist überhaupt durch sein Vorbild der «bedanke, die fehlenden Schriften 
zu verzeichnen, angeregt worden. 

* Ich lehne es ab, in diesem Zusammenhange die übrigen karolingischen Kataloge 
heranzuziehen und über die gemeinsamen Elemente ihrer Anordnung (und ihres Bestandes, 
s, oben S. 270N.81 zu handeln. Man wirdan Alchvin. den Einfluss der Hofschule, das Vorbild 
der Höfbihliothek denken, sich auch an jenes Musterinventar aus Staffelsee (Mon. Germ. 
Capitularia I, 250 Nr. 128» erinnern. — Noch ist z, B. der Lorscher Katalog ganz un- 
zureichend gedruckt. Dürfen wir hoffen, dass einmal eine kritische Ausgabe mittel- 
alterlicher Bihliothekskataloge in den Aniiquitates der Monumenta Germaniae unserer 
Kenntnis des deutschen (Geisteslebens im Mittelalter erfreuliche Förderung bringe, — 
wie sie der Karolingerzeit dort schon in so reichem Masse zu Teil geworden ist? 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 283 

Poggio nach Italien trug, durch die Vermittlung Murbachs* aus 
der karolingischen der humanistischen Renaissance bewahrt 
worden ist. Vor allem aber ist es die Anlage des Verzeichnisses, 
die es aus der Reihe aller erhaltenen Bücherkataloge hervor- 
hebt, weil nur sie uns den seltenen Einblick in das Werden 
einer karolingischen Klosterbibliothek gewährt. So gewinnen wir 
in dem sachlich geordneten Registrum imd in dem Breviarium des 
Abtes Isker ein stattliches Denkmal des ältesten Geisteslebens 
im Elsass. Und indem beide uns in der Abschrift des Ro- 
tulus durch das Eingreifen des Abtes Bartholomaeus von 
Andlau und Sigismund Meisterlins überliefert worden sind, ver- 
bindet uns der Murbacher Bibliothekskatalog die beiden Epochen 
der karolingischen imd der humanistischen Geistesblüte, denen 
gemeinsam die neue Zeit das Wiedererwachen des klassischen 
Altertums imd damit die eine feste Grundlage ihrer Bildung 
verdankt. 



* Auf Murbach könnte auch die St. Galler Überlieferung des Lucrez zurückgehen, 
die uns im Florilegium Sangallense erhalten ist, vgl. Stephan in Rheinisches Museum 
N. F. 40, 263. Ich verdanke diesen Hinweis der Güte des Herrn Prof. Reitzenstein. 
— Ausserdem möchte ich nicht versäumen, auch den Herren Archivdirektor Dr. Pfannen- 
schmid und A. Waltz, die meine Arbeiten auf dem kaiserl. Bezirksarchiv und der 
Stadtbibliothek zu Colmar wesentlich erleichterten, auf das Herzlichste zu danken. 



284 Hermann Bloch 



Anhang. 

Der Katalog hat eine traurige Geschichte. Sein Unglück 
wollte, dass er zunächst 1846 nur in unzulänglicher französischer 
Uebersetzung aus der Colmarer Hs. durch Matter, Lettres et pi^ces 
rares ou in^dites p. 40 (wiederholt in Revue d' Alsace 1855, S. 1 ff. 49 ff.) 
als Werk eines fr^re Sigismond von 1464 herausgegeben ^vurde 
(hiernach die Erwähnung bei Becker, Catalogi Bibliothecanun 
antiqui (1885) S. 300 Nr. 294). Erst 1888 machte F. W. E. R o t h (Strass- 
burger Studien III, 336) den lateinischen Text zugänglich, aber, da 
er von Matter und der Colmarer Hs. nichts wusste, unbesorgt aus 
einer minderwertigen Abschrift des Legipontius in cod. 2760 
saec. XVIII. der Darmstädter Hofbibliothek; zwar schied er richtig 
das ,breviarium des Abtes Isghter^ von dem ,Registrum*, setzte 
aber jenes willkürlich ins 11. Jahrhundert und wies dieses vom 
Jahr 1464 dem Schulmeister Johannes Buchler in Murbach zu. 
Er fand einen sachverständigen Beurteiler in R. Busch (Central- 
blatt für Bibliothekswesen V (1888j, 364), der auf Matter und die Hs. in 
Colmar hinwies, die Verfasserschaft des Sigismund wie des Buchler 
ablehnte, als Quelle für Registrum und Breviarium aus der ,epistola 
de tapetiis* einen alten Rotulus erkannte; indessen er Hess die 
„Frage nach der Autorschaft sowie der Datierung der Kataloge" 
offen. Noch unklar über das handschriftliche Verhältnis traf 
endlich nahezu das Richtige Gott lieb. Über mittelalterliche 
Bibliotheken (1890) S. 53 Nr. 123 mit der nicht näher begründeten 
Bezeichnung: ,Catalog saec. IX.— X., imter Abt Bartholomaeus 
von Andlo von frater Sigismund ca. 1464 copiert*. Da kam, statt 
der Lösimg, die verhängnisvolle Wendung. Ed. Zarncke, der 
noch 1889 in den Commentationes in honorem Guilelmi Studemund 
S. 183 im Anschluss an die Darmstädter Abschrift nur die klas- 
sischen Schriftsteller aus dem Katalog abgedruckt und erläutert 
hatte, erkannte zwar 1890 den ausschliesslichen Wert der Col- 
marer Hs. imd gab daraus im Philologus N. F. III, 613 den ersten 
brauchbaren lateinischen Text; indem er aber auf eine Unter- 



Ein karolingischer Bibliothekskatalog aus Kloster Murbach 285 

suchung des Inhalts verzichtete, erklärte er kurz und falsch, dass 
nur der 2. Teil des Katalogs, das ,Breviarium Isghteri*, aus dem 
alten Rotulus abgeschrieben sei und dem 11. Jahrhimdert oder 
einem früheren angehöre, dass dagegen das Registrum Sigismimds 
den Bestand der Murbacher Bibliothek von 1464 beschreibe. Hiermit 
war dem Kataloge für das letzte Jahrzehnt sein Urteil gesprochen. 
Im Elsass folgte Gatrio, Die Abtei Murbach (1895) H, 34 um 
so eher Matter und Zamcke, als ihm Busch imd Gottlieb ebenso 
imbekannt blieben wie die Nennung Isghters im Liber vitae von 
Remiremont (Ebner in Neues Archiv XIX (1894), 78). In Alt- 
deutschland schloss sich Joachimsohn, Die himianistische 
Geschichtschreibimg in Deutschland I. Sigismund Meisterlin. 1895. 
S. 104 eng an Zamcke an, indem er nur das Breviar Isghters 
als Abschrift des Rotulus ansah, es allerdings in den Ausgang 
des 9. Jahrhunderts schob. Das Registrum nahm er als Werk 
Meisterlins in Anspruch, ohne Gottliebs Datierung zu beachten, 
und glaubte durch eine an sich zutreffende Beobachtung (s. oben 
S. 281 N. 6) Buschs völlig berechtigte „Bedenken gegen Meisterlins 
Autorschaft widerlegt" zu haben. 



Nachtrag zu Seite 258 ff. Erst nach Abschluss des Auf- 
satzes war es mir möglich, das Murbacher Kartular mit dem mir 
gütigst nach Strassburg übersandten cod. Monacens. 472 zu ver- 
gleichen, der zwar nicht auf f ol. 94, sondern nur auf f ol. 270 einen 
Originalbrief Meisterlins an Schedel enthält (vgl. Westdeutsche 
Zeitschrift IV, 303 und Chroniken der deutschen Städte HI, 311). 
Die unzweifelhafte Identität der Schrift stellt sicher, dass wirklich 
Meisterlin selbst den Katalog in das Kartular n«» 1 eingetragen 
hat; und nur um so sicherer wird, zumal in Rücksicht auf die 
Fehler (vgl. oben S. 274 N. 2), der Beweis, dass dieser Katalog 
nicht Meisterlin selbst und nicht dem Jahr 1464 angehört, sondern 
dass er aus jenem alten Rotulus abgeschrieben ist, den wir in 
das 9. Jahrhundert verlegen durften. 



WILHELM WINDELBAND 
ZU PLATON'S PHAIDON 

Über die Komposition des gelesensten von Platon's Dialogen 
ist von je her viel und vielfältig gehandelt worden, und wenn 
man die Unsterblichkeit der Seele als das sachliche Thema des 
Werks anzusehen sich berechtigt hielt, so fragte man in erster 
Linie, welches die Gliederimg der philosophischen Beweise sei, 
die für dies theologische Lehrstück beigebracht werden. In dieser 
Richtung hat Bonitz (Fiat. Stud. 3. Auflage 1886, p. 293 ff.) wohl 
das letzte Wort gesprochen und die Gruppierung des Gesprächs 
um drei Grundbeweise so überzeugend und erschöpfend nach- 
gewiesen, dass diese Seite der Sache als damit erledigt gelten darf. 

Betrachtet man aber den unvergleichlich reizvollen Ablauf 
des Gesprächs wesentlich von der künstlerischen Seite, so zer- 
fällt es auf den ersten Blick sofort in zwei Hauptteile, welche 
durch das grosse Schweigen (ctitt^ ouv tfivejo 84 c) überaus deutlich 
von einander getrennt sind. Denn mit diesem Schweigen, das 
durch die Einwürfe des Simmias und des Kebes imterbrochen 
wird, schiebt sich auch die Handlung wieder zwischen die philo- 
sophischen Untersuchimgen, imd dass die ganze Darstellimg hier 
einen zweiten Anlauf nimmt, wird auch dadurch gekennzeichnet, 
dass an dieser Stelle (88 c) der lunrahmende Dialog (zwischen 
Phaidon imd Echekrates) bedeutsam in den Hauptdialog eingreift 

Zwischen den beiden so getrennten Teilen des Hauptdialogs 
besteht nun, aesthetisch genommen, ein ausserordentlich feiner 
imd schöner Parallelismus. Beide beginnen mit deutlich erkenn- 
baren Anspielungen an den Apollokult : der erste mit der Erzählimg 
des Sokrates von seinen durch Träume veranlassten poetischen 
Beschäftigungen im Gefängnis (60 e), der zweite damit, dass 
Sokrates sich mit den dem Apoll geheiligten Schwänen vergleicht 
(85 a). Beide formulieren dann sehr genau und ausführlich ihr 
Thema: der erste den die Todesfreudigkeit des Philosophen 
rechtfertigenden Satz, dass die Seele des Menschen auch nach 



288 Wilhelm Windelband 



dem Tode existiert, thätig ist und vernünftiges Bewusstsein hat 
(?(TTi T€ Kai Tiva buva^lv ?x^i Kai qppövrjCTiv 70 bj, der zweite die Ein- 
würfe und ihre Widerlegung durch neue dialektische Untersuchung 
(91b). Beide Teile endlich lassen die theoretischen Beweise in 
sittlich-religiöse Ermahnungen zur Pflege des wahren Seelenheils 
auslaufen und verflechten diese mit mythischen Darstellimgen 
über das Geschick der Seele nach dem Tode. 

Was ist die Bedeutung dieses doppelten Anlaufs imd Ablaufs? 
Und wie sollen w4r uns das eigenartige Verhältnis dieser beiden 
Teile zu einander denken? Am nächsten schien den Erklärem 
immer die Annahme zu liegen, dass in dem dramatischen Aufbau 
des Gesprächs die These der Unsterblichkeit zuerst durch die 
beiden Beweise des ersten Teils begründet erscheinen, sodann 
durch die Einwürfe erschüttert und schliesshch durch den dia- 
lektischen „Hauptbeweis" erst völlig erhärtet werden solle. Und 
das scheint in der That der Gang des Gesprächs zu sein, wie 
es als Gimzes vorliegt. Die Einwürfe von Simmias und Kebes 
sind gewissermcissen in den vorsichtigen Formulierungen der 
Beweisergebnisse des ersten Teils vorbereitet. Dass die Seele 
zur unsichtbaren \Velt (der Ideen) gehört, wird (79b) so aus- 
gedrückt, sie sei im Vergleich zum Leibe dem Unsichtbaren 
ähnlicher (ö^ol6Tepov, vgl. auch 79c imd 80b 6^ol6TaTov), imd 
dem entspricht es, wenn Simmias (85 e) seinen Einw^urf damit 
einleitet, dass auch die Harmonie im Vergleich zu der Leier, 
aus der sie ertönt, etwas Unsichtbares und GöttUches sei. Ebenso 
sagt Sokrates (80 b), der Seele komme es zu TrapdTrav dbiaXuiuj 
elvai f| ^TT^? Ti toutou, und daran knüpft Kebes mit seinem Ein- 
wurf an, die Seele möge zwar dauerhafter sein als jeder Leib, 
den sie bewohne, aber schliesslich doch, nachdem sie viele 
Leiber verbraucht habe, auch selbst zu Gnmde gehen. Beide 
Einwürfe gehen also darauf, dass im ersten Teil nur eine relative 
Erhabenheit der Seele über den Leib und somit eine längere 
Dauer, aber keine absolute Unzerstörbarkeit bewiesen sei: imd 
das soll dann im zweiten Teil durch den dialektischen Beweis 
aus dem Begriff des Lebens nachgeholt werden (TTavidTiamv ded- 
vaiov Kai dviuXeOpov 88 b). 

Das ist zweifellos richtig: aber es fragt sich, ob man an- 
nehmen darf, dass dies Verhältnis der beiden Teile ursprünglich 
bei dem Entwurf des Werks so gedacht imd beabsichtigt worden 
ist. Wäre dies der Fall, so müsste erwartet werden, dass die 



Zu Platon's Phaidon 289 



Sicherheit des Behauptens der Unsterblichkeit im Fortschritt 
des Dialogs sich steigere und dass die Einwürfe in dieser Kom- 
position die Aufgabe hätten, durch eine vorübergehende Erschüt- 
tenmg jene Gewissheit zu befestigen imd zu erhöhen. So liegt 
die Sache aber keineswegs. Vielmehr kann man sich des Ein- 
drucks nicht erwehren, dass der zweite Teil hinsichtlich der 
theoretischen Beweisbarkeit der Unsterblichkeit eine durch- 
gängig viel skeptischere Stinunimg atmet als der erste. In 
diesem trägt nicht nur Sokrates seine Beweise mit skrupelloser 
Sicherheit vor und glaubt seine Todesfreudigkeit vollständig 
gerechtfertigt zu haben (84 a), sondern auch die Mitunterredner 
stimmen, nachdem sie anfänglich (70 a) „wegen des Unglaubens 
der Menschen" den Beweis verlangt und nachher nur einmal 
(77 c) die Unzulänglichkeit jeder der beiden Hälften des ersten 
Beweises hervorgehoben haben, nachher den Ausführungen des 
Sokrates bedingungslos bei. In der zweiten Hälfte des Dialogs 
dagegen tritt selbst Sokrates nicht mehr so sicher auf. Er erkennt 
die Bedeutsamkeit der Einwände teils direkt (89 b), teils durch 
die Umständlichkeit an, mit der er sie reproduziert (95 e); er 
sagt am Schluss der Rede gegen die Misologie (91b), dass es 
ihm weniger darauf ankomme, die Andern zu überreden, als 
seine eigene Überzeugimg zu befestigen, und er fordert seine 
Freimde schon hier auf, sich in ihren weiteren Forschimgen 
nicht \xm den Sokrates, sondern lun die Wahrheit zu kümmern 
(91 c); er wiederholt endlich, nachdem er den dialektischen Beweis 
vorgetragen hat (107 b), diese Aufforderung zu weiterer Forschung 
mit der Hoffnung, dass die Freimde schliesslich seinem Beweis- 
gang sich anschliessen würden KaO' öaov buvaxöv ^dXl(r^' dvOpiuTruj 
^TxaKoXouOfiaai. Er schliesst sich damit ausdrücklich dem Simmias 
an, der den Hinweis auf die Grenzen der menschlichen Erkenntnis- 
kraft, mit dem er seinen Einwand (85 c) „ganz im Sinne des 
Sokrates", wie er meint, eingeführt hat, auch zum Schluss noch, 
selbst nach dem dialektischen Beweise aufrecht erhält (inv dvOpiw- 
mvTiv d(T04v€iav dTl^d21u)v 107 a). Mit dieser Haltung der Personen 
im zweiten Teil stimmt es überein, wie Piaton den Eindruck der 
Einwände durch die Zustimmung des Echekrates verstärkt (88 c), 
und wie er dasselbe Steigerungsmittel da (102 a) anwendet, wo 
er den Sokrates als eine Art von methodischem Testament (101 c) 
die Ermahnung aussprechen lässt, in der Prüfung der Voraus- 
setzungen mit dem dialektischen Denken unerschüttert und uner- 

19 



290 Wilhelm Windelband 



müdlich trotz aller Einsprachen fortzufahren. Und auf Dasselbe 
läuft ja schliesslich schon die Diatribe gegen die Misologie hinaus 
(89 c), deren Sinn doch nur der ist, dass man sich nicht durch 
die Enttäuschimgen, welche in der wissenschaftlichen Arbeit 
unvermeidlich sind, an der Liebe zur Wissenschaft und an dem 
Vertrauen in ihre, wenn auch dem Wesen des Menschen gemäss 
beschränkte Leistungsfähigkeit irre machen lassen soll. Mag diese 
Mahnung auch (wie die Erklärer wollen) von Piaton an die 
Adresse Phaidon's oder seiner Schule gerichtet sein, die in 
Gefahr war, in die eristischen Künste der dviiXoTiKoi (vgl. auch 
101 e) zurückzufallen, so fügt sich doch ihr ganzer Ton vollständig 
in die gedämpftere Stimmung des damit eingeleiteten zweiten 
Teils, dem der felsenfeste Glaube an die Unwandelbarkeit der 
dmarrmn nicht mehr in dem Maasse innewohnt wie dem ersten 
(vgl. dort 79 d oder z. B. 63 c). 

Diese Verschiedenheit der Stimmimg legt die Möglichkeit 
nahe, dass der zweite Teil mit seinem kunstvollen Parallelismus 
zum ersten erst später in das Werk eingefügt sei. Die Veran- 
lassung dazu wäre dann bei dem ganzen Charakter der Plato- 
nischen Schriften (vgl. meinen „Piaton" S. 43 ff.) eben in den 
Einwürfen zu suchen, welche sein Buch in der ersten Form bei 
seinen Freunden gefunden hätte : und es wäre wohl begreiflich, 
dass, wenn er im zweiten Teile dazu Stellung nahm, er bis zu 
einem gewissen Grade auch die Berechtigimg der Zweifel an- 
erkannte imd in eine zurückhaltendere Stimmung geriet. 

Ein solcher Vorgang wäre in Platon's Schriftstellerthätigkeit 
nicht ohne Beispiel. Es ist bekannt, dass wir uns die Komposition 
seiner „Politeia" nicht anders erklären können, als durch die 
Annahme einer successiven Entstehimg ihrer verschiedenen 
Schichten, und auch diese Annahme findet ihren äusseren Anhalt 
gerade an den Einwürfen, welche im Fortgang des Gesprächs 
dem Sokrates nachträglich gemacht und von ihm ^viderlegt 
werden. In der „Politeia*' liegen, obwohl Piaton auch hier die 
verschiedenen Stücke kunstvoll zusammengearbeitet hat, diese 
Anzeichen des Nachtrags zum Teil ganz offen zu Tage. Im 
Phaidon ist, wenn bei seiner Entstehung etwas Ähnliches ob- 
gewaltet hat, die Kunst der Angleichung des Nachgetragenen 
unvergleichlich grösser. 

An einem Punkte jedoch scheint es mir, als habe diese 
Kunst ihre Grenze gefunden : das ist die bisher zu wenig beachtete 



Zu Platon's Phaidon 291 



Diskrepanz zwischen den beiden mythischen Darstellungen, welche 
iinser Dialog (81 b ff. und 107 d ff.) über das Leben nach dem 
Tode bringt. Sie stehen keineswegs in dem Verhältnis, dass et wa 
die erste kürzere in der zweiten längeren näher ausgeführt 
würde; sondern sie enthalten völlig verschiedene imd mit ein- 
ander nicht vereinbare Auff assimgen. Zwar versucht Piaton ( ÖTiep 
tv TU) IjüiTTpcaGev emov 108a) sich im Anfang des zweiten Mythos 
auf den ersten zurückzubeziehen; aber das betrifft nur ein imbe- 
deutendes Nebenmoment, nämlich das gespensterhafte Schweifen 
der Seelen um ihre Gräber: imd selbst dies äusserlich Gleiche 
wird an beiden Stellen verschieden gedeutet. Im ersten Mythos 
wird die schlechte Seele durch ihre auf das Irdische gerichtete 
Begehrlichkeit und durch die Furcht vor dem Unsichtbaren an 
der Erde, bei ihrem Leibe festgehalten (81c); im zweiten flattert 
die thörichte Seele herum, weil sie weder selbst den schwierigen 
Weg zur Richtstätte in der Unterwelt finden kann, noch sich der 
Führung ihres Dämons fügen will (108b). Hierin kommt schon 
der Hauptimterschied zu Tage : von dem Dämon imd dem Toten- 
gericht weiss der erste M)rthos nicht das Geringste ; in ihm wird 
vielmehr jede Seele mit natürlicher Notwendigkeit in eine 
ihrem Charakter entsprechende Neugeburt geführt, und während 
die durch Philosophie Geläuterten in das Reich der Götter ein- 
gehen, müssen die andern in Tiere oder wieder in Menschen 
niederen Schlages fahren (81 e). Von einer solchen tierischen 
Metempsychose weiss nun wieder der zweite Mythos nichts: 
hier werden die Seelen gerichtet und je nach ihrer Würdigkeit 
an verschiedene Stätten gewiesen, die von dem Mythos mit 
farbiger Phantastik als Hinunel, Hölle und Fegefeuer ausgemalt 
werden. Nun wird ja Niemand von den platonischen Mythen 
strenge Konsequenz in der Durchführung der sinnlichen An- 
schauung erwarten oder verlangen; und im „Gorgias" wie in 
der „Politeia" begegnen uns wieder andre eschatologische Dar- 
stellungen: aber dass in der ursprünglichen Komposition eines 
und desselben Dialogs zwei so verschiedene Gestaltungen der 
Phantasie über das Leben nach dem Tode entworfen wären, ist doch 
wenig wahrscheinlich ; sehr viel begreiflicher dagegen erscheint es, 
wenn der nachträgliche zweite Teil in seinem parallelen Bau zu 
dem ersten auch seinerseits einen neuen Mythos mit sich brachte. 
Die Annahme einer späteren Einfügung des zweiten Teils 
wird femer dadurch begünstigt, dass das Werk auch ohne ihn 

19* 



292 Wilhelm Windelband 



eine fertige und in sich geschlossene Komposition darstellt. Der 
erste Teil schliesst, da wo das Schweigen beginnt (84 b), jetzt 
ohne eine stilistisch besonders eindrucksvolle Wendung: denken 
wir uns hier die Rede des Sokrates etwa da fortgesetzt, wo nach 
Abschluss des zweiten Mythos der Übergang zur Schlussszene 
gewonnen wird, also vielleicht (114d) mit den Worten dXXd tou- 
TU)v bi\ fv€Ka Ga^jieTv XPH ktX., so würden wir in dem Werke nichts 
vermissen, sondern ein vielleicht noch einheitlicher abgerundetes 
Kunstwerk vor ims haben. Auch darf nicht etwa eingewendet 
werden, dass, wenn die erste Gestalt des Phaidon den ganzen 
zweiten Teil noch nicht gehabt hätte, der Dialog viel zu kurz 
gewesen wäre, imi der szenischen Fiktion gemäss den Todestag 
des Sokrates auszufüllen. Einer solchen realistischen Anf ordenmg 
thut auch der ganze Dialog, so wie er vorliegt, nicht im Ent- 
ferntesten Genüge: er würde, gesprochen, kaimi zwei Stxmden 
in Anspruch nehmen. 

Die Möglichkeit einer „zweiten Auflage" des Phaidon ist 
nun aber nicht bloss eine müssige Spielerei, sondern sie kann 
für die Stellung des Dialogs in der Reihenfolge der platonischen 
Schriften wichtig werden. Denn die Art, wie im ersten Teil die 
Ideenlehre, insbesondere der Gegensatz der unsichtbaren imd der 
sichtbaren Welt behandelt wird, entspricht genau der ersten 
Phase der „Zweiweltentheorie", die im Phaidros wie im Symposion 
dargelegt ist, imd wird im Dialog „Sophistes" als eine unzu- 
längliche Metaphysik kritisiert; im zweiten Teile des Phaidon 
dagegen wird ausdrücklich behauptet, dass, wie es im „Sophistes" 
verlangt war (vgl. Soph. 247 ff. Phaed. 100 d) die Ideen als Ursachen 
der Erscheinungen aufgefasst und erwiesen werden sollen*. Je 
schwieriger es wäre, den Zeitpunkt zu bestimmen, in welchen 
diese beiden verschiedenen Auffassungen zugleich verlegt werden 
können, um so leichter löst sich die Schwierigkeit, wenn wir die 
beiden Teile verschieden datieren, die „erste Auflage'* verhältnis- 
mässig früh etwa in der Nähe von Phaidros und Symposion an- 
setzen, mit denen auch die Szenerie des Phaidon so \iel Analogien 
darbietet, und den zweiten Teil dafür zu den späteren meta- 
physischen Schriften, zum Philebos und Timaios, rücken. Auch 



* Hierzu muss ich der Kürze halber auf die von mir in meinem „Piaton" dar- 
gelegte Entwicklung der Ideenlehre verweisen : vgl. daselbst cap. IV; hauptsächlich 
S. 97 ff. 



Zu Platon's Phaidon 293 



die Beziehungen des Phaidon zu den verschiedenen Schichten 
der Politeia lassen sich in dieser Weise glücklich aus einander 
legen. Wir brauchen z. B. keinen Anstoss mehr daran zu nehmen, 
dass an einer Stelle der „Politeia", welche zu deren mittlerer 
Schicht gehört (X, 611b), auf die Unsterblichkeitsbeweise des 
Phaidon zurückverwiesen wird, während doch der in der „Politeia" 
immittelbar darauf folgende eschatologische Mythos entschieden 
früher zu sein scheint als die schon an die Weltvorstellimg des 
„Timaios" anklingende Nekyia im zweiten Teil des Phaidon — 
imd während andrerseits die Metaphysik der Idee des Guten, 
die im sechsten imd siebenten Buche, d. h. im spätesten Teil der 
„Politeia" vorgetragen wird, sich als die ausgereifte Entfaltung 
der im zweiten Teil des Phaidon angelegten Prinzipien darstellt 
Hiermit verwandt sind weitere Beobachtimgen, die sich an 
die Einwürfe im zweiten Teil des Phaidon imd die Art ihrer 
Erledigimg anschliessen. Der Zweifel des Simmias stützt sich auf 
die als bekannt vorausgesetzte Ansicht, die Seele sei eine „Har- 
monie" des Leibes. Man sieht das wohl auf Grund dieser Stelle, 
bestärkt durch den ' musikalischen Ausdruck, als eine allgemein 
„pythagoreische" Lehre an: ich halte dies für bedenklich. Es 
lassen sich dafür ausserdem nur ein paar sehr späte Stellen 
beibringen (vgl. Zeller, Ph. d. Gr. P, 445), die nichts beweisen, 
weil sie bereits auf Ausdeutung dieser Phaidonstelle beruhen 
können. Dagegen spricht, dass Piaton selbst den andern Pytha- 
goreer, Kebes, sich gegen diese Ansicht erklären lässt (87 a), vor 
allem aber, dass Aristoteles von einer solchen pythagoreischen 
Lehre offenbar nichts weiss. Er berichtet, einige Pythagoreer 
hielten die Seelen für Sonnenstäubchen, andre für das sie 
Bewegende (de an. I 2, 404 a 17), und wo er von der Ansicht 
handelt, die Seele sei eine Harmonie und zwar die des Leibes 
(de an. I 4, 407b 27 ff., vgl. Pol. Vm 5, 1340b 18), erwähnt er 
die Pythagoreer nicht. Dabei bezeichnet er diese Vorstellung als 
eine weitverbreitete und dem populären Bewusstsein sehr ein- 
leuchtende, gerade wie das auch Piaton im Phaidon andeutet 
(86 b, 88 d, 92 d). Über die Herkunft der von Simmias geltend 
gemachten Ansicht entscheidet meines Erachtens die von Aristoteles 
ebenso wie von Piaton erwähnte Gleichsetzung von dp^ovia mit 
Kpdmq. Es handelt sich um die in den Kreisen der philoso- 
phierenden Ärzte entstandene Lehre, welche Leben, Gesundheit 
und Krankheit, physische und psychische Funktionen aus Mischungs- 



294 Wilhelm Windelband 



Verhältnissen der in den Organismus eintretenden Stoffe erklärte K 
Von Alkmaion an, der den P)rthagoreern nahe stand, hatte sich 
diese Lehre bis zu den jüngeren Physiologen entwickelt, für 
deren Ansichten die pseudo-hippokratische Schrift Tiepi biainiq 
als typisch angesehen werden darf. Diesen materialistischen 
Seelenbegriff bekämpft Sokrates-Platon in Simmias : es ist nicht 
mehr der metaphysisch-erkenntnistheoretische Materialismus, von 
dem im „Theaetet" (155 e) und auch im Dialog „Sophistes" (246 a) 
die Rede war, sondern es ist der Materialismus der medizinischen 
Psychologie. Unter solchen Physiologen haben wir u. A. auch 
den jungen Atheisten zu suchen, den Piaton in den „Gesetzen" 
(X, 885 ff., bes. 888a) so köstlich abfertigt imd in welchem 
E. Pfleiderer (Sokrates und Plato, 1896) abenteuerlicher Weise 
keinen Geringeren gewittert hat als — Aristoteles! Diese phy- 
siologisch-materialistische Seelenlehre mögen sich denn auch 
einige Mitglieder der viel verzweigten pythagoreischen Schule 
angeeignet haben, in der man ja, wie Aristoteles ^ (Met. I 5> 
986 a 6) bezeugt, schliesslich alles Harmonie nannte. 

Gerade daran aber packt nun Sokrates den Simmias, indem 
er die Doppelbedeutimg des Wortes Harmonie einmal als Wert- 
prädikat (Tugend = Harmonie) imd das andere Mal als Real- 
prädikat (Seele = Harmonie) geschickt benutzt, um die sich daraus 
ergebenden Widersprüche zu entwickeln (93 f.). Vorher schon 
hat er den Simmias leicht überrannt, indem er (91 e) nachwies, 
dass die von ihm zugestandene Lehre von der dvd^vTicTiq und der 
damit gesicherten Präexistenz der Seele mit dem materialistischen 
Begriff schlechthin imvereinbar sei. Wird damit nur gezeigt^ 
dass weder ein Platoniker noch ein P)rthagoreer sich jenen 
materialistischen Begriff aneignen dürfe, so beschränkt sich dessen 
sachliche Widerlegung auf den Nachweis, dass die Seele als 
selbständiges Wesen dem Körper zuwiderhandeln könne (94b)> 
wobei lediglich das schon im ersten Teil (78c imd 80 ab) benutzte 
Argument von der Herrschaft der einheitlichen Seele über den 
zusammengesetzten Leib etwas näher erläutert wird. Sachlich 
führt also die Widerlegung des Simmias nicht weiter: sie hält 
nur die früher entwickelte Lehre gegenüber der jüngeren Natur- 
wissenschaft aufrecht. 

Diese Rücksicht auf die jüngere Naturwissenschaft, die sich 
bei Piaton erst allmählich eingestellt hat, spricht gleichfalls für 

* Vgl. H. Siebeck, Geschichte der Psychologie I, i p. 88 ff. 



Zu Platon's Phaidon 295 



die spätere Abfassung des zweiten Phaidon-Teils : wir haben von 
ihr noch ein besonders interessantes Beispiel. Zu den mecha- 
nistisch-naturwissenschaftlichen Theorien, die Sokrates a limine 
abweist, gehört (%b) auch die : 6 tT^^cpaXoq toxiv 6 jäq aiaQr\ae\q 
Tiap^X^v Toö dKOueiv Kai 6pqtv Kai öaqppaiveaOai, ^k toütuüv bk titvoito 
|ülVl^^Tl Kai boHa, i.K be Mvrmriq Kai böh\<; Xaßouanq tö riP^MCiv 
Kaxd TaOxa [lauid?] TiTvecTöai tm(TTri^r|v. Zu diesem Satze findet 
sich eine merkwürdige Parallelstelle bei Aristoteles im Schluss- 
kapitel der Analytik S wo es nach einer Auseinandersetzung über 
das verschiedene Verhalten der Tiere bei der Wahrnehmung 

heisst (100 a 3): Ik ji^v oöv aioGrjaeujq T^vexai iivriiüiTi , Ik bi [ivf]- 

ixr\q TToXXdKiq lou auTOÖ Tivcfi^vn? djiTreipia , Ik b' iimexpiaq f\ Ik 

TxavTÖ^ ^p€^ri(TavTO^ toö KaöoXou ^v Tri ipuxri T^X^n? dpx»^ Kai 

dm(TTr||üiTiq. Es scheint mir zweifellos, insbesondere wegen der bei 
Piaton in diesem Sinne ungewöhnlichen, bei Aristoteles gelegentlich 
wiederholten Anwendimg des Ausdrucks ^pcfieiv*, dass diese 
beiden Stellen nicht ohne Beziehung zu einander sind. Dass jedoch 
Piaton dabei den Aristoteles im Auge habe, kann ich nicht an- 
nehmen, erstens w^eil ich überhaupt nicht an eine Polemik Platon's 
gegen die erst am Lyceiun entstandenen Lehrschriften seines 
grossen Schülers glaube, imd zweitens, weil in der Aristoteles- 
Stelle gerade das Gehirn als Träger der Erkenntnisthätigkeiten 
nicht erwähnt ist. Es bleibt also nur übrig, dass beide Stellen 
auf eine gemeinschaftliche Quelle weisen und dass von der 
medizinisch-psychologischen Theorie, die Piaton abweist, Aristo- 
teles die rein psychogenetische Seite für seine Erkenntnislehre 
sich aneignete, den physiologischen Teil dagegen verwarf. Jeden- 
falls behandelt Piaton hier wieder eine Lehre, die der nordischen 
Naturwissenschaft (Demokrit ist gerade wegen des ^peiieiv nicht 
ausgeschlossen) angehörte. — 

Ganz anders verhält es sich mit dem Einwurf des Kebes. 
Hier wird nicht eine fremde Lehre herangezogen imd widerlegt, 
sondern vielmehr eine Unzulänglichkeit in der Beweisführung 
des ersten Teils blossgelegt^; imd Piaton gesteht diese Unzulänglich- 

* Vgl. zu der ganzen schwierigen Stelle Waitz, Organon II, 429 ff. 

' Aristoteles illustriert ihn (100 a 12) durch das glückliche Gleichnis von dem die 
Flucht zum Stehen bringenden Soldaten. 

' Es bleibe nicht unbemerkt, wie Kebes das Gleichnis vom Weber, in das er 
(87 b) seinen Einwand kleidet, mit feiner Association an eine Gelegenheitswendung 
des Sokrates (am Schlüsse des ersten Teils, 84 a) anknüpft, an die Anspielung auf das 
Gewand der Penelope. 



irV^l Wfltttim M'mmiltsiu: 



direkt zu vicierita!*^:: ^ ersuiJii. bimdtrr: üintfi! irunz utaitfE Bt^wcK- 

und V.»;^i sortier ^ ^rht-reitunatfr. btrtvdfacili Vf-t .. I^rr nent. diit- 
i«ktjsri:i*: i'>/\vei^ hut uli»i' ditr lrühtr*t!ij nicün zt tr-irkiiztai, ücnLCttni 
zu t:rtttnz«j: und aav is: t;n3 Vtrriiiilmi*' ätr ikn^-eiäit. das* mim 
hk'.ii nur b-irver uli- ir iäer urtijrimtäicäitai E:imp':>ämaD de^ 
^'trks- ^'.ir^jeHebtai dtmker kaim. 

iiei dtr Emfrtifaruiur diesei- Bevtäirti^f xaebi Scfa-are?- dk 
bekttmut Erz'dJcÜLVoa^ 'r^'.^ti. .. -wtaLitt eine thaiskcihlicSir Dariaidlhinfi: 
w-tider btuner tä^«ierj piiij':sc»pliisaitaj EnrwiLiknmg BCici der 
I^atitn'b beic kann, wekikt audi nicün cüs- tan an dieser SieDt 
>'1»I% unnOtjb^er Überb]i'.i über den Gang der rriecfhiscäHSD 
J^hü'^v^fphirtr jielten wjl] oder kann, — veJcihe aber am al}er- 
wenigsten h.«'.' airi^elasst -«-erdeD darf, al*^ sc»Ile nun der entStAei- 
öend'r Jd»<:-\\ ei'^ auf die Ideenlehrr air neue Baäi? begründei "werden. 
J>a>r i:si unni''.»^rii der Sinn der Erz'dhhmg : denn auf der Ideen- 
leir^r bfrruikerj - au^ii dar hat B'.»nnz a. a. *'.». S. :^!~ Tvinrefffich 
bf^fjjxi s^jmÜAi.-he J:*e>fveise de^ Fhcä^'.tn. Scbc»!! der erste erpehi 
jsk'h au- d«.-r K^-tn.btnati^.'r.- v^I T'c des beraküdscben .\r£rinnent> 
mit d*fr l^-hr^ \'/n äxrr cn'öjjtv^fCri^. unu däese iirird durrThgangig 
alb ein inuripTterend^rr Besiandtei] der Ideeniebre bebandelL, mii 
dem '^k' starbt od'ir iäJÜt und den keiner der Unterredner in Frage 
h.tdJt \';^L 72e. 7'::;r. 7*::.de. 91:a, ^Jd. E>er zweite Beweis aber 
h^:fXxx d^m Unterschied der AA'elt ali- We>en und der Well als 
Werd-^rn a.uf Orund der JdeenJehre rc^raus, und man spricbi t<© 
dieser st<rtr al'^ einer alJen geläufigen und gütigen Cberzeu|rnng 
'V^fL s(.h^/n O^d und 76 d, sodann 7^d. 79d u. Sw w. . Auch im 
zweiten Teil nun bez^if.hnet Sc'kraies die Ideenlehre, >c*ba3d er 
zu ihr üNrrjfeht IC'.^b , aU ürrep tt€i koi ciXXot€ koi €v tüu TrapeXriXu- 
^</Ti X</f' jj oObev mravucii Xf r^Jtry und al> tKCivci tö TroXit^pL'XriTa was 
direkt an 76d a ^p^jXoOutv ad erinnert . Es kann also mchi die 
fdeenlehre als solche sein, die hier eingeführt wird, sondeni nur 
die neue .Art ihrer philosophischen X'erwertung, und welches 
dievr ist. darüber hat Piaton keinen Zweifel gelassen : es handelt 
>fkh ja nax:h dem Eingang der Erzählimg 95 e darum öXiuq irepi 
T€V€<jeuj^ Kai <pf^opd^ Tr|v airiav bia^poruaTeucaOaL Der Sinn der 
Sache j\t alsf> der: die Ideen, die bisher tmd auch noch in der 
ersten Hälfte des Phaidon nur die tmveränderlichen, ewig 
seienden i^iestalten und die Gegenstände des wahren Wissens 



Zu Platon's Phaidon 297 



bedeuteten, sollen jetzt auch als die Ursachen in der Welt des 
Entstehens imd Vergehens erwiesen werden : und auf dies hier 
proklamierte Prinzip, das dann im „Philebos" weiter ausgeftlhrt 
wird, gründet sich der neue Beweis im zweiten Teil des Phaidon. 
Im ersten Teil reichten die Voraussetzungen der Ideenlehre nur 
so weit, um zu zeigen, dass die Seele den ewig seienden Gestalten 
„sehr ähnlich" imd deshalb von verhältnismässig langer Dauer 
(insbesondere dem Leibe gegenüber) sei: jetzt soll bewiesen 
werden, dass, weil die Idee des Lebens die Möglichkeit des Todes 
ausschliesst, auch der empirische Träger dieser Idee, die Seele, 
den Tod niemals erleiden kann. 

Es ist für diese Untersuchimg gleichgiltig, ob Piaton dieser 
letzte Beweis geglückt ist: die Art, wie er ihn einleitet, vor- 
bereitet imd durchführt, beweist zur Genüge, dass wir es darin 
mit einer anderen, späteren Phase seiner Metaphysik zu thim 
haben als im ersten Teil des Dialogs. Auch der Phaidon zeigt, 
dass Platon's Philosophie in einer rastlosen Umbildung begriffen 
war imd durch die Fülle der in ihr wirksamen Motive in sich 
selbst zu stetigem Fortschritt gedrängt wurde: was an Zweifeln 
und Einwürfen von aussen an sie herantrat, konnte nur die in 
ihr selbst schon enthaltenen Kräfte zu erhöhter Wirksamkeit 
entbinden. 



EDUARD THRAEMER 
DIE FORM DES HESIODISCHEN WAGENS 

Ruris opes parvae fecus ei stridentia plaustra 
et quas divitias incola pauper habet, 

. „'Exaiöv bi T€ boupax' d^dEriq" lautet der Satz, mit dem Hesiod 
E. 456 den Wahn zurückweist, als liesse sich ein Wagen so aus 
dem Stegreif fertigstellen. Damit scheint der hesiodische Wagen 
in die Reihe komplizierter Dinge gerückt und wird von Plato in 
der That zu diesen gerechnet, wenn er Theaitet p. 207 Sokrates 
erklären lässt, die hundert Bestandteile zu kennen sei Sache des 
Stellmachers, für den Laien genüge es, wenn er die Haupt- 
stücke des Wagens: Räder, Axe, Wagenkasten, Wagenkranz 
imd Joch zu nennen wisse. — Es handelt sich bei Hesiod um den 
nach altvaterischer Sitte mit einem Joch Rindern (453) bespannten, 
ganz aus Holz gezimmerten bäuerlichen Arbeitswagen, über dessen 
Hauptstücke der Dichter schon anlässlich des uXcio^eTv v. 424 — 426 
einige Winke erteilt hat: 

dfEovd 6' ^TTTttTTobiiv (Ttt^veiv)' ^dXa ydp vu toi dp^evov outuj^. 

ei hi K€v ÖKTttTTÖbriv, diTÖ Kai aqpöpdv k€ Td^oio. 

TpiarriOa^ov V dfipiv xd^veiv beKabibptu d^dEij^. 

Zu 426 hat mm das spätere Altertum die absonderliche Er- 
klänmg geliefert, dass hier unter dipiq die Radfelge unter df^aEa das 
Rad gemeint sei. Dazu wollte freilich die für beide vorgeschriebene 
Grösse schlecht stimmen, aber mit Tüfteleien glaubte die Stuben- 
gelehrsamkeit die aus der Praxis geschöpften Angaben des 
Dichters meistern zu können^. Ob der Wagen Hesiods zwei- 



^ Die dmKdiiTTuXa xdXa (v. 427) lasse ich ausser Betracht, da sie meines Er- 
achtens mit dem Wagen nichts zu thun haben. Steitz will zwischen 426 und 427 die 
Verse 455 — 57 einschieben. 

• Proklos zu 42 1: ZOTK€iTai hi f\ ä[iala, TouT^ariv 6 rpoxö^, ^k Tcaadpuiv 
Ä\|itbu)v. ib? €lvai TÖ iräv TT€pi9€p^^ ToO TpoxoO amOa^d^ iß* , iraXaiaTd^ hi XC* .... 
Kai itCj^ €1tt€ „bCKabtbpip ÄfidEi]"; Cbci t^P €(tt€iv buibcKabtbpqi, tö bid^e- 
Tpov ToO TpoxoO • irdv Tdp bid^crpov tö rpkov ioTi ^^po^ rf^? irdar]? Tr€piq)€p€(a? 
(I Ä\|i(? = 3 Spannen = 9 biüpa; 4 ÄMiibc? =^ Radkranz = 36 bwpa, also Raddurch- 
messer = 12 bidpa). Af^Xov oOv ÖTi Td^ C* iraXaiaTd^ dvdXuiacv ci^ rd X€Y6|i€va 
fXuiaaibia. Auf die Verzapfung der einzelnen Felgen soll Hesiod stillschweigend 



300 Eduard Thraemer 



räderig oder vierräderig zu denken sei, darüber schweigen sich 
die alten Erklärer aus. Die neuen sämtlich machen ihn zu einem 
zweiaxigen Gefährt (imter ihnen Grashof, das Fuhrwerk S. 10, 
auf Grund einer unmöglichen Etymologie von ä^aEa) und stellen 
dieses nach dem Rezept der alten auf Felgenräder. Im Folgenden 
soll der Nachweis versucht werden, dass der Aufbau der hesio- 
dischen Hamaxa bisher verkannt worden und trotz der „ixaTÖv 
boupara" Hesiods als ein sehr einfacher zu betrachten ist. Die 
Altertümlichkeit des hesiodischen Hausrats kann man schon aus 
dem neben dem dpoTpov tttiktöv erwähnten Reservepflug, dem 
auTOTuiov (433; entnehmen. Wie dieses die Urform des Pfluges 
bewahrt, so scheint die Hamaxa den Urtypus des Wagens fest- 
zuhalten. 

Wer zum Nutz seines Nächsten vom Wagen handelt, von 
dem darf man erwarten, dass er wenigstens dessen Hauptbestand- 
teile namhaft machen werde. Zu ihnen gehört zwar nicht die 
von Sokrates «vgl. oben) genannte dlviuH, die dem schlichten 
Arbeitswagen fremd ist, wohl aber Axe, Rad, Wagenkasten und 
Deichsel. Meines Erachtens fehlt den Erga keines dieser Stücke. 
Die Deichsel wird zwar in den Versen 424—426 vermisst, aber 
sie gehört nicht dem Wagen allein, sondern ebenso gut dem 
Pfluge und ist bei diesem (435; erwähnt. Der laToßoeuq (bei 
Homer f)U|Li6q) konnte nach Bedarf am Pfluge oder am Wagen 
befestigt werden. Axe, Rad und Kasten aber finden wir in den 
genannten Versen, sobald mrm nur ihre traditionelle Erklärung 
fallen lässt, thatsächlich aufgezählt. 

1. Die Axe bemisst Hesiod auf 7 Fuss, d. h., wenn man 
pheidonische Norm zu Grunde legt, auf 2,33 Meter. Das ist eine 
sehr beträchtliche Länge und ergäbe, wenn man unseren Wagen 
als zweiaxiges Gefährt denken wollte, ein schwerfälliges Ungetüm. 



6 Handbreiten abgerechnet haben! Aber die ^Xuiaaibia sind der Regel nach nicht 
Zungen der einen Felge, die in entsprechende Einschnitte der anderen Feige eingreifen, 
sondern für sich gearbeitete Zapfen („Felgendübel", vgl. Ginzrot, die Wagen der 
Griechen und Römer I, 113). Proklos wird seine Erklärung dem Chäronecr entlehnt 
haben, von dem es kurz vorher hcisst: ttoXu^ iv TOÖTOiq 6 fTXoÖTapxo^. — Etwas 
abweichend bemerkt Tzetzes zu 424 (cf. ibid. ProcI.), Hesiod habe mit den 10 bi&pa 
den Raddurchmesser nur im Lichten gemeint und die Stärke des Felgenkranzes mit je 
einem bujpov hinzuzufügen dem Hörer überlassen. Das Oequälte beider Erklärungs- 
versuche liegt auf der Hand ; eines aber muss hier betont werden, dass die von beiden 
Kommentatoren als selbstverständlich betrachtete Voraussetzung, das „Speichenrad" 
Hesiods sei aus vier Felgen zusammengesetzt, eine ganz willkürliche ist. 



Die Form des hesiodischen Wagens 301 

Dagegen kann man sie für einen zweiräderigen Wagen hinnehmen. 
Tzetzes freilich ereifert sich über die 7 Fuss und bezeichnet 4 Fuss 
als Maximum. Aber an der Realität der siebenfüssigen Axe 
Hesiods ist nicht zu zweifeln, eher daran, ob er nach pheidonischem 
oder nicht nach einem kleineren Fuss rechnet. Die gegebene Spiu*- 
weite der Räder hat, wo es über Felder und Wiesen geht, kein 
Hindernis zu fürchten, da aber der Arbeitswagen auch Fahrstrassen 
benutzt, so findet seine Breite an diesen eine Maximalgrenze. Die 
antike Strasse von Lema nach Elaius zeigt eine Spurweite von 
5 ' 3 " S wäre also für Hesiods Wagen unpassierbar gewesen. 
Aber die von Steffen untersuchten, in vorgeschichtlicher Zeit an- 
gelegten Hochstrassen bei Mykenai ergaben eine Breite von 
3,58 Meter 2. Viel schmäler können die alten d^aHiToi Boiotiens 
nicht gewesen sein, zudem müssen sie an geeigneten Punkten 
Ausweichen gehabt haben. 

2. Das Rad verstehe ich unter der dipiq und zwar ein 
primitives Scheibenrad, unter dem beigefügten TpiaTTiOa^oq dem- 
nach die Angabe seines Diu*chmessers. Die Grundbedeutung von 
dipiq (dipiq) ist „Verknüpfung" (E 487 dipibeq Xivou = Maschen), 
daher eignet sich das Wort bestens zur Bezeichnung des aus 
einzelnen Felgen zusammengesetzten Radkranzes oder auch des 
ganzen Speichenrades. In ersterem Sinne ist es bei Herodot IV 72 
gebraucht, in letzterem bei Euripides Hipp. 1233. Auch in der frag- 
lichen Stelle der Erga ein Felgenrad zu verstehen, widerrät die 
Erwägung, dass bei einem Rade so komplizierter Bauart diu*chaus 
eine Angabe über Anzahl und Länge der Felgen am Platze wäre, 
denn dass es unter allen Umständen vier sein müssen, ist eine 
unberechtigte Annahme des Proklos \ Dagegen begreift sich die 



* Curtius, Peloponn. II 556 Anm. 22. In die Strassen Pompejis sind gar nur 
Rillen von 0,90 Meter Spurweite von den Rädern eingeschliffen (Overbeck, Pomp. ♦ S. 59). 

' Karten von Mykenai S. 10. 

' Herod. IV 72 besteht der Radkranz offenbar nur aus zwei Felgen (Äi)iibo^ 

f\\i\a\) Kai TÖ ?T€pov f^mou) und demnach (über die Unzulänglichkeit nur einer 

Speiche pro Felge cf. Ginzrot, a. a. O. I, 81) war das skythische Rad vierspeichig (vgl. 
den skyth. Rennwagen Rosellini, / monuni. del Egitto II Taf. CXXII). Dass der Rad- 
kranz sich nur aus zwei Speichen zusammensetze, ist femer Voraussetzung für die 
sprichwörtlichen Verse (Plut. consol. ad. Apoll. 9) 

TpoxoO Tr€piaT€(xovTO? öXXoG' ^T^pa 
Äijil? ÖTr€p6€ TtTV€T* ÖXX06* ^T^pa. 
'Ai^U dient hier in Abweichung von Ilerodots Gebrauch zur Benennung nicht des 
Felgenkranzes, sondern jeder Felge für sich. — Zweizahl der Felgen, d. h. ihr Merkmal, die 



302 Eduard Thraemer 



schlichte Grössenangabe TpicnriOa^o^ sehr gut bei einem Scheiben- 
rad und die Bedeutung Scheibe hat dipiq in der That (ich ver- 
danke den Hinweis H. Stephanus) Anthol. Planud. 191, wo die 
Töpferscheibe dipTboi; xuxXoq genannt wird. Wenn nun Grashof 
{das Fuhrwerk bei Hont, und Hes. p. 31) das Scheiben- oder 
Klotzrad dem Zeitalter der Ilias als längst antiquirt absprechen 
will, so kann ich ihm nicht folgen. Gewiss gehört zum homerischen 
Kriegs-, Renn- und wohl auch Reisewagen das leichte Speichen- 
rad, aber warum soll daneben dem ländlichen Betriebe der 
homerischen Zeit das primitive Scheibenrad abgesprochen werden? 
Wir wollen es ihm imbedenklich zuweisen, wenn sich heraus- 
stellt, dass noch der hesiodische Bauemwagen an dieser Radform 
festgehalten hat. Es erübrigt die Erwägung, ob die hesiodische 
dipiq als Scheibenrad von 3 Spannen (75 Centimeter) Höhe gefasst 
sich dem Wagen passend anfügt. 

3. Damit kommen wir zum dritten Stück der hesiodischen 
Angaben, zur beKdbujpoq djuaEa. Sie birgt, wie nicht zu läugnen, 
eine erhebliche Schwierigkeit. Wer mit den Alten hier das Rad 
versteht, gerät in die Brüche (vgl. S. 299, 2). Aber auch an den 
ganzen Wagen lässt sich nicht denken, denn wo das Rad 9 Hand- 
breiten Durchmesser hat, da ist keine Dimension des Gesamt- 
gefährtes denkbar, die nur 10 Handbreiten betrüge. Also muss 
&)xaloL in v. 426 eine andere Bedeutung haben, als in den Versen 

Vierzahl der Radspeichen, ist nun für das griechische Felgenrad seit der mykenischen 
Epoche überhaupt charakteristisch. Die daneben erscheinenden sechs- und achtspeichigen 
Räder repräsentieren, Holz als Material angenommen, Radkränze aus 3 resp. 4 Felgen. 
(In den Vasenbildern tritt das Rad von mehr als 4 Speichen sehr zurück — Beispiel 
für 8 Speichen Micali, ant. popoli ital.* III Taf. XCV: hier zeigt der Kriegs wagen 
ein achtspeichiges Rad, wogegen die gleichfalls dargestellten Rennwagen sämtlich 
auf vierspeichigen Rädern laufen.) Aber besonders dünne und zierliche Räder (sie sind 
auch den aegyptischen gegenüber den assyrischen Darstellungen eigentümlich) lassen 
als Material Metall vermuten, wie denn das Achtspeichenrad am Pnmkwagen Hera's 
(E 743) als ehern bezeichnet ist. Auch auf den Münzen herrscht das Vierspeichenrad, 
doch findet man hier zugleich lehrreiche Belege für den Übergang von der alten Scheibe 
zum Speichenrad. Vgl. die etrusk. Silberm. Head II. N. Fig. 7 (dazu Ginzrot t. VH, 5 
und Garrucci t. 53, i) und die interessante Radscrie bei Garrucci, monete dell* Italia 
t. 39/40. Den Ausgangspunkt scheinen zur Gewichtsminderung vorgenommene Durch- 
lochungen der Radscheibe zu bilden, für die zwei Beispiele bei Ginzrot Taf. XIV 2 
u. 9 (je 6 Löcher). Die zweite Abbildung stammt angeblich von einem frgm. Terra- 
cottarelief, eingemauert im Kreuzgang des Ospedale del San Spirito in Rom (bei Matz-Duhn 
ist es nicht erwähnt). Ein sonderbares Mittelding zwischen Scheiben- und Speichenrad 
liefert das Relief bei Micali, ant. pop. ital. III t. 57, i, doch sind wohl 4 Speichen 
gemeint. — Drei Speichen (!) bietet Garrucci 58, 7, fünf d. Erzrad von Fa Ginzr. T. 87, 14. 



Die Form des hesiodischen Wagens 303 

453, 455, 456 [692]. Ich meine, dass es an unserer Stelle das noch 
fehlende dritte Hauptstück des Gefährts, den Wagenkasten be- 
zeichnet. Die Breite des Letzteren ist diu*ch die Länge der Axe 
indirekt mitgegeben. Von ihren 7 Fuss ist für die Stelle des 
klotzig derben Scheibenrades imd das über die Scheibe vor- 
springende Axenende etwa ein halber Fuss an jeder Seite in 
Abrechnung zu bringen. So bleiben für die Breite des Wagen- 
kastens etwa 6 Fuss. Das Mass von 10 Handbreiten (beKdöiüpo^) 
meint dann eine der beiden anderen Dimensionen des Kastens, 
Tiefe oder Höhe. Da nun das Rad mit seinem Höhenmass vor- 
geführt wird, ist es am natürlichsten, auch die 10 öaipa der 
Hamaxa als Höhenangabe zu fassen. Das giebt einen Kasten 
von 6 Fuss (rund 2 Meter) Breite und 83 Centimeter Höhe. Von 
der Tiefe lässt sich nur soviel vermuten, dass sie hinter der Breite 
beträchtlich zurückblieb, um das allein durch Deichsel und Zug- 
tiere bewirkte Gleichgewicht des Wagenkastens nicht durch 
starkes Vorkragen zu gefährden. Darf man nun wirklich an 
imserer Stelle unter df^aEa den „Wagenkasten" verstehen? Man 
wird zugeben, dass die von den Alten hier untergelegte Bedeutimg 
ebenfalls eine singulare wäre. Ist das Rad durch das bei- 
gefügte Mass ausgeschlossen, so sehe ich nicht, was ä\iala hier 
sonst bedeuten sollte, wenn nicht eben den noch fehlenden 
Kasten. Leider ist die im Worte liegende Grundvorstellung 
nicht ganz klar, man ksmn nur sagen, dass ä^a und ein mit äEwv 
parallel gehendes *aEa, *aEo^ (ausgebildet in Ahd. alisa, Skr. akshas) 
darin stecken wird^ Aber welches Stück des Wagens sah der 
Grieche mit der Axe verbunden, als er zu seiner Bezeichnung 
das Compositum ä^-aEa bildete? 

Zwei Arten primitiver Wagenkonstruktion sind nachweisbar: 
1) die Axe ist mit den beiden Rädern zu einem Ganzen 
verkeilt und bewegt sich mit ihnen zusammen. 

Bei dieser Konstruktion müssen die unter dem Wagenkasten 
angebrachten Backenstücke (GaipaTa) mit einem nmden Loch 
versehen sein, in welchem die Axe ihre Drehungen machen kann 
(vgl. Ginzrot I 91 nebst Taf. XII, 4). Dieses System bezeugt für 
das italische plaustrum, den Zwillingsbruder der ä^aEa, Probus 
zu Georg. I, 163: „plaustra sunt vehicula, quorum rotae non sunt 



* Curtius, Etymol. 5 S. 383. — M. vergl. die Ä|innroi, das der Kavallerie bei- 
gesellte Fussvolk der Athener, worüber zuletzt handelte Martin, Les cavaliers Ath. 410. 



304 



radiatae sed tympana cohaerentia axi . . . axis autem cum rota 
volvitur" — aber er sagt nicht und konnte nicht sagen, dass die 
Plaustra immer einaxig seien. Für ein zweiräderiges Gefährt 
ist dies System sehr unpraktisch, wenngleich Ginzrot es mit 
römisch-itaUschen Denkmälern und modernen Beispielen belegt'. 
(Zu letzteren wäre nach Hehn, Kulturpfl. 515, die nagaüsche 
Arba hinzuzufügen, falls sie eine und nicht zwei Axen besitzt, 
worüber Hehn schwe^) *. Mir scheint diese Konstruktion speziell 
für das vierräderige plaustrum* berechnet zu sein, wo der Kasten 
trotz der sich drehenden Axen doch sichere Stützpunkte findet*. 
Erscheint sie beim einaxigen Karren (ihr sichtbares Zeichen ist 
dann die viereckige Form des 
Axenendes und der fehlende 
Zapfen [cf. Fig. 1])*, so ist das 
eine wenig glückliche Entleh- 
nung vom zweiaxigen System 
her. In letzterem sind die Räder 
mit der Axe zu einem Ganzen 
zusammengefügt und wurde hier- 
für das Wort ä^aEa gebildet, so 
würde es also im Grunde die 
mit der Axe verbundenen Räder 
bezeichnen. ("Ana£a ist indessen 
singularisch.) 

2) Die Axe ist mit dem Kasten fest verbunden, 
und die Drehung vollführen allein die Räder. Hierher 
gehört die Mehrzahl der aus dem Altertum überlieferten ein- 




ssäule); Vir, 6 (Pompeji); XIQ, l 

rwald, Polizeimeislei der russ. 
e Arba stets einaxig ist. 
n hat G inirot Taf. VIII, 6 irr- 
eckige 



> Taf. VI, I (Rel. Bnrberini); VIII, 5 (Man 
{modemer portugiesischer Karten), 

' Von meinem sachverstandigen Kteande O. Griini 
Post, erfahre ich nach Fenigslellung des Salics, dass di 

* Beispiel Marcus-Säule Taf. 120. Dieses Plaustra 
tUmlich mit runden Naben abgebildet, thatsächlich hat das Ende der Axen 1 
Form, wie in der Photographie bei Petersen-Domaci. deutlich zu sehen. 

• Der vierrädrige Wagen galt als Erfindung der Phryger (PUn. VII, 199). Was 
mag die Autoren irtpi EÜprijjdtuJv lu dieser Behauptung veranlasst haben? Vielleicht 
nur die Wahrnehmung, dass die durch ihren Knoten berühmte Reliquie von Gordion 
(Arrian, Anab. II, 3) eine d^oEa mit vier Rädern war. Über ihr Detail schweigt die 
Überlieferung. 

' Pompej. Wandgem. nach Jahn, Abh. d. säch. Gesellsch. V t. 111, 3. Ebenso 
MarcussSute Taf. toi der Publikation *od Petersen und Domaszewski. 



Die Form des hesiodischcn Wagens 



305 



axigen plaustra mit Scheibenrädern ^ Das Merkmal bietet in den 
bildlichen Darstellimgen die runde Form des Axenendes und 
der darin steckende Zapfen. Wurde für dieses System der 
Name ä^aEa geschaffen, so bedeutet er im Grunde den mit der 
Axe verbundenen Wagenkasten. Diese Konstruktion, in der 
Kasten und Axe fest zusammenhängen, scheint nun in der That 
den Urtypus des Wagens darzustellen. Die auch hier voraus- 
zusetzenden Backenstücke des Kastens ^ konnten (wie bei 1) runde 
Löcher haben, wenn nicht lieber der Axe zu sichrerer Bettung 
viereckige Form gegeben wurde (Fig. 3). Ging der Wagenbau 
von dieser Konstruktion aus, so hat SinaEa ursprünglich den 
auf der Axe befestigten 
Kasten bezeichnet, dann 
mit Erweiterung der Be- 
deutimg Kasten samt 
Axe , schliesslich den 
ganzen Lastwagen, also 
ein Bedeutungswandel 
von Wagenkasten zu 
Kastenwagen , zu dem 
bei der Spezies der Renn- 
und Kriegswagen biq)po^ 
das Seitenstück liefert. 

Kehren wir zu den Erga zurück, so glaube ich mich in der 
That berechtigt, in v. 426 unter df^aEa den mit der Axe zusammen- 
gesetzten Wagenkasten imd unter dem beigegebenen Mass von 
10 biiipa (83 Centimeter) seine Höhe zu verstehen, wobei freilich 
ungewiss bleiben muss, ob der Kasten allein oder unter Zu- 
rechnung der Backenstücke 10 Spannen hoch sein soll. In der 
obenstehenden Skizze des hesiodischen Wagens (Fig. 2) sind 
die 10 Spannen für den Kasten allein veranschlagt; für seine 

* Müller-Wieseler 1 73, 421 (Titusthermen — der Wagenkasten rund), II 73,291 (Pal. 
Colonna), Abh. d. sächs. Gesellsch. V Taf. V, 3 (Lateran.-Relief), Ginzrot Taf. VI, 2 (Relief 
august. Zeit. Hier merkw. Rad mit massiver Mittelplatte, 4 Leisten u. Felgenkranz). 

* Pollux I 253 nennt sie Gaipata E6Xa als AnsUtze der Oaipoi, d. h. Hir ihn der 
Seitenwände der OtrcpTCpCa (Wagenkasten). Allein OaipoC sind M 459 die (in Büchsen 
sich drehenden) Thürzapfen, und Sophokles brauchte 6aip6^ = Axe (fr. 538 Dind.). 
Demnach dürften die 6aip. HOXa vielmehr nach der in ihnen rotierenden Axe benannt 
sein. Sie gehören speziell zu unserem Typus I. — Die von Pollux erwähnten ä^xalc^- 
TTobc^ (cf. Hesych. s. v.) sind mir unklar; sein komplizierter Kastenuntersatz hat mit 
dem Modell des hesiodischen Wagens nichts zu thun. 

20 




Fig. 2. 



306 



Eduard Thcu 




I-'ig. 3. 



Tiefe ist etwas mehr als die Hälfte der Breite angenommen. 
Niu- die Scheibenräder drehen sich, die Axe sitzt fest in den 
Backenstücken des Kastens (vgl. die .Skizze der Seitenansicht 
Fig. 3). Die Deichsel wird an der Mitte der Axe in einfacher 
Weise befestigt worden sein (vgl. Ginzrot I, 94;'. 

^ , Die im Vorstehenden 



\ ersuchteRekonstruktion 
wird ihr immerhin Hypo- 
thetisches verlieren,wenn 
n ichgewiesen werden 
kann, dass in einer frühen 
Epoche der einfache 
Trinsportwagen wirklich 
diese Form gehabt hat. 
Und dieser Nachweis 
lässt sich erbringen 
durch die auf den Denkmälern Ramses III. (13. Jahrhundert) er- 
scheinenden Transportwagen der im Solde der Cheta kampfenden 
„Seevölker", deren Bild hier nach Chabas, ^tud. sitr l'ant. histor, 
Taf. n in halbem Massstab wiedergegeben ist (Fig. Xj. 

Wir erblicken den einaxigen Karren mit Scheibenrädern, 
die sich um eine festliegende Axe drehen. Auf dieser steht ein 
Wagenkasten von wechselnder Form, bald viereckig mit festen 
oder durchbrochenen Wänden, bald als geflochtener Wagenkorb 
gebildet. Rad und Kasten sind ziemhch gleicher Höhe; die Länge 
der Axen und damit die Breite der Kasten muss beträchtlich 
sein, denn auf den Karren haben mindestens drei Personen 
neben einander Platz gefunden. Die Transportwagen dieser 
„Seevölker" bieten eine überraschende Analogie zu der im obigen 
entworfenen Form des hesiodischen Wagens. Sie gehören den 
Stämmen der Tukkara, Danona, Purasati an, die mit Teukrem, 
Danaem und Petasgem zu identifizieren ich mich zwar hüte, 
soviel aber steht nach den besonnenen Untersuchungen W. Max 
Müller's fest*, dass diese mit grossem Tross als Soldheere im 
Osten auftretenden Volksmassen aus dem Kulturkreise des west- 
lichen Kleinasiens und des ägäischen Meeres herstammen. Vor 

1 Die Deichsel habe ich mit gegabeltem Ansatz gezeichnet, um einige Lenk- 
barkeit des GcfShrts lu gewinnen. War sie ungegabell in der Axe veriapfl, so mussle 
zum Wenden ein grosser Bogen beschrieben werden. 

* Asien und Europa S. 366 ff. 



Die Form des hesiodischen Wagens 307 

ihre Karren sind je vier Rinder gespannt, entsprechend der starken 
Belastung; für denWagen Hesiods, der dem gewöhnüchen Bedürfnis 
der Landwirtschaft dient, genügt ein Zweigespann. 

Doch der Zweck der ii^aia ist mit dieser nächsten Aufgabe 
nicht erschöpft. Neben der Arbeit in Feld und Wald hat sie 
auch Dienste zu leisten, wenn der Bauer einen Angehörigen zu 
Grabe geleitet' oder über Land fährt und den Heiligtümern der 
Götter naht. In diesem Falle ist der hohe und geschlossene Kasten 
durch einen flacheren mit Sitzgelegenheit versehenen zu ersetzen. 
Einen niedrigen Kasten mit ausgeschweiftem Geländer und hinein- 
gesetzten Wagenstühlen zeigt das vierräder^e plaustnun Micali 



Fig. 4- 
in 57, 1 *, grössere Einfachheit das vierrädrige Barbarenplaustrum 
der Marcussäule (a. a. O. Taf. % A), elegante Form hellenistischer 
Zeit ein pompejanisches Wandgemälde (Fig. 1)^ Hier besteht der 
Anspann nicht aus dem Joch Rindern, sondern aus zwei Maul- 
tieren. 

Das führt schliesslich zu einem Wort über das Gespann 
der Hamaxa. Grashof behauptet (a. a. O. 10), dass Ochsen an 
den Pfli:^, Maultiere an die Hamaxa gehören. So soll denn das 
hesiodische Gespann des Wagens verdächtig sein! Dann wäre 
auch das Sprichwort i\ ä^oEa töv ßoOv (sc. tXKei)* zu beanstanden 

> Di« iweirld«rige Hamaxa als Leichenwagen auf einer allertUmiichenDipylon- 
Taie, einer schwanligarigen und einem spsceien Relief, alle drei zDsammengestellt bei 
Schreiber, kolturhist. Bilderatlas Taf. XCIV 4, 5, 7- 

* Dieser Typus hai dir die tichiige Zusaramenst eilung der Bruchstücke einer 
ehernen Wagenverlcleidang ans Perugia den Anhalt geliefert (ROm. Mitt. 1894, 
156 ff.). Petersen erkennt in ihr ein altionisches Werk des 6. Jahrhunderts. 

'Cf.S.304. — Das ikonische MaierialverTotlstSndigenStimniungsbiMerwieTLbull 1,10: 
RuslicUB e lucoqae vehit, male sobrins ipse, 
uxorem plausiro progeniemqne domam. 

* Luc. dial. raort. 6. 



308 Eduard Hiraemer, Die Form des hesiodischen Wagens 

und der Grieche zu tadeln, weil er dem Sternbild der ä|uiaEa den 
Bou)Tr|^ zum Lenker gab ! Grashofs Behauptung ist unverständlich. 
Und nicht nur vor den Bauemwagen gehören Rinder, auch der 
Kultus heischt den altehrwürdigen Gebrauch dieses Gespanns für 
seine Prozessionen. So wurde die heilige Hamaxa der eleusinischen 
Göttin, ein Plaustrum mit Scheibenrädern (tympana), von zwei 
Rindern gezogen *; ein gleiches gilt für die Hamaxa der argi vischen 
Herapriesterin ^. Selbst höfische Sitte verschmäht das Ochsen- 
gespann nicht, sonst würde Euripides (Bacch. 1333) Kadmos und 
Harmonia nicht auf einen öxo<; ^6axu)v setzen, sonst der Thraker- 
häuptling Derronikos (um 500 v. Chr.) sich auf seinen Münzen* 
nicht in der von zwei Ochsen gezogenen Birota darstellen lassen. 
So sehen wir den Urtypus des Wagens imd die altvaterische 
Art seines Gespanns in der Flucht der Jahrhunderte sich behaupten 
imd lange vor imd nach Hesiod die Fordenmg in Geltimg: 

B6e hb(; Kai dfjLiaEav. 

> Georg. I 163 nebst Servius und Probus. Vgl. die reparaturbedürftige 6^aH(^ der 
eleusin. Inschrift CIA II, 834 c, Zeile 40 ff. — Für den römischen Ceresdienst heisst es 
beim sog. Interpol. Serv. : Romae quoque sacra hujus deae plaustris vehi consueverant. 
Das Oespann ist als selbstverständlich nicht erwähnt. — Auch Kybele hielt auf einem 
mit Kühen bespannten plaustrum durch die porta Capena ihren Einzug (Ov. Fast. IV 
345). — Den gleichen Brauch bei der germanischen Nerthus bezeugt Tacitus (Germ. 40). 
Den gleichen bei einer keltischen Göttin Gregor von Tours (de glor. conf. 77); den 
heiligen Wagen nennt Tacitus unbestimmt ein vehiculum, (iregor ausdrücklich ein 
plaustrum. Als Gespann verlangte Nerthus Kühe (Grimm, D. M. * S. 234). 

* Ilerod. I 31 (Kleobis und Biton zogen 45 Stadien weit gewiss keinen vierräderigen 
Wagen, sondern die rituell überlieferte birota). 

3 Head H. N. Fig. 122. 



KARL JOHANNES NEUMANN 
L. JUNIUS BRUTUS DER ERSTE CONSUL 

Als Caesar nach dem Königstitel strebte, hat die Erinnerung 
an Brutus, der die Könige vertrieben, mit zu seinem Sturze bei- 
getragen. Als die Tribunen L. Caesetius Flavus imd L. Epidius 
MaruUus das Diadem entfernten, das man auf einer Statue Caesars 
angebracht hatte, imd als sie die Leute ins Gefängnis führten, 
die Caesar zuerst als König begrüsst hatten, nannte das Volk 
die beiden Tribunen Brutus, nach dem Brutus, der die Reihe der 
Könige beseitigt und nach dem Sturz der Monarchie die Gewalt 
an Senat imd Volk gebracht*. Unter den Verschworenen, den 
Caesarmördem, finden sich zwei Junii Bruti, M. Brutus und 
D. Brutus. Man bezeichnete den M. Brutus als Nachkommen 
jenes alten Brutus, um ihn zu gleichartiger That anzutreiben; 
mahnend rief man ihm zu : Brutus, Brutus ! oder sagte ihm : Wir 
brauchen einen Brutus 2. Der Sturz der Tyrannis, die Befreiung, 
wurde ihm als eine ihm auf Grund seiner Abkunft zukommende 
That, als ererbte Verpflichtung, vorgehalten • und sicher auch 
von ihm selber so empfunden. Er war im Jahre 44 Praetor. An 
seinem Tribunal fand man Inschriften : Brutus, du lässt dich be- 
stechen*; Du schläfst, Brutus^; Brutus, du bist tot*; Du bist nicht 
Brutus^; Du stammst nicht von Brutus ^ Und an der alten Erz- 
statue des Befreiers unter den Standbildern der Könige auf dem 
Capitol fand man angeschrieben : Wenn du doch lebtest ! ® Lebtest 



* Plut. Cacs. 62 vgl. mit Dio 44, 9, 2 sqq. 

» Dio 44, 12, I. 2. — - • Appian. b. c. 2, II2. 113; Plut. Brut. 10. 

♦ App. b. c. 2, 112 BpoOre, bujpoboKcT^. 

* KaOeObcK, di BpoOT€Plut.Caes.62; Dio44i 12,3; BpoOTC.KaGcöbci?; Plut. Brut. 9. 

• App. b. c. 2, 12 BpoOT€, V€KpÖ^ €l. 

' GOk €l BpoOTO? Plut. Caes. 62; vgl. oOk €1 BpoOro? dXiieui? Plut. Brut. 9; 
BpoOTO? oCiK €l Dio 44, 12, 3- 

8 App. b. c. 112 0(lK ^KTOVO? €l oO TO0b€. 

« Suet. div. Jul. 80 utinam viveres! Dio 44, 12, 3 cTGc Kn?. Plut. Brut. 9 C&q>€X€ 

X,9\yi BpoOTO?. 

21 



;j(i Zatz -ifflnn«K r^cnuaa: 



,^rf9it. ifitn ''^/i>; -t:^^./ .ȧffjii jr'sftriF itfTliF.- e=y: 

Mit U'^n Cuxfii^t u»^ V'mjii •-rr^finii*!n- 

Mi/<- u-r /C.i.*.>imiti*mtt;»tTu: jU^\ '^it^crir7iiir-air"T imi nir 4^^ 

>**r)ia^iil/ ttit u*^ .Vt;-r:»'r iirrn tr-.ntn l^ifiKiiL Vir inr-^nuir 

;^:rt#« 'iß^uu*^ V»hfii» tinr «'tirim iücs»^. inii L-^nDt. ie ti*?n- Milritr 
^-♦♦•:;j*t': '4»;fifC1irH j;*-*»nnr %'tr^. v.t^^.^ mnuf nn. iear 3j 

.vtv: ^;i^ r':^t-,tr^r ;>;>r f-*r.T; ar:ci ?ir:x* T»rc:a:cr:. üe Jos vrern- 
>f;fvv>^ /*v ^r;^rf,rc.&r, ^rr>tl:^*r:r., f>u^^ r-^nü Einii -äce: ^e PTebeTtr 

^>';:<' 4fr^f, ^^.u 'l\4^"^ Amt ^-."iz-fe firrTi Kef:e:»tni znzSugiicft zew.^rriäi 

fuff'hui, xr^'^hl. v/ fr^-irtf/rf* ^i»: ^>:t?ner cfess >L Bmms, von rfnem 
M>»'*s y^nr-Är ;f ff /T ^J/--; l^rfr^Ti/rr-t *tarmnftTi '*: da cfie dienten Ais nomen 
iNf << r \''Aftfft\^ fr\ii(^rft^ V/ w^fd^-n *ie (He plebe^üchen Jnnier ran 

' Af.*f h» ' '/, ff/ ^t f6h^t '»'m T<i iKffTffi. Appian iiemit die b^ c 112 micge- 
fA,j*A/r i/,-i^hf>frAt, »{;i jw» /j^#, y'.futn^f, tU,x ^ItKTi fJrifjj.% mwi dem Düusterioa des Caesar- 
fh'ff^^fA ♦6^A>,^ »/>,#, /,h^A A,r#A,f ,*:/J^r» >hr<^ ^-Trt zazawtU'tii, e» Ilsst sich aber wohl 
4iA H y// A 4 Äi },m/. '*, y/f A ''/. .H ^10 A. 1—2 vorgeDommeDe Scheidnng durchfahren. 

• ^.#Af /tr/ J',| ß^, ♦ M'*r f{fi;f. I. Diony*. HaL 5, 18, i. 2. 

^ tt^tufft fttU^n^tt /f)A M/.hf eSer» prär,i*en Worte Flatarchs Bnxt« i hinauskommen, 
/If«. ^^,«^, ^\,t.f tittfh tiifht 7f9\tfi iufltitti dürfen, dieser [M- Brotos] sei ein Plebejer, 
ftt't ^','(hft t-ttit^A ttfn^^MvuuUf.tz f]«:x (f.,j lirutu% und eben ersl zur Magistratur empor- 
l^m^ut.ii*^ti hf||4/itf|v Tof/Tov, o(Kov/l^ou uiiiv <5vTa BpoOrou, dpn Kai irpdiiiv cf? 



L. Junius Brutus der erste Consul 311 

• 

einem Clienten des patricischen ersten Consuls abgeleitet haben, 
während das patricische Geschlecht der Junier mit seinen beiden 
Söhnen und ihm selber ausgestorben sei. Wer dagegen den 
Zusammenhang der plebejischen Bruti mit dem Befreier festhalten 
wollte, griff zu der Ausflucht, der Befreier habe einen dritten, 
immündigen, Sohn hinterlassen und von diesem stammten die Bruti. 
So stand bereits bei Posidonius * zu lesen, imd wenn eben er auch 
mitgeteilt hatte, man behaupte Ähnlichkeit angesehener Bruti 
seiner Zeit mit der Bildsäule des Befreiers, so führt auch diese 
Behauptung, welche die Ansprüche der plebejischen Bruti stützen 
soll, auf die schon damals bestehende Controverse. 

Wer heute in dem Befreier eine geschichtliche Person er- 
blickt, mag, wie Schwegler^ jeden genealogischen Zusammen- 
hang der späteren plebejischen Jimier mit dem patricischen Consul 
bestreiten; oder er mag an transitio ad plebem, „womit freylich 
in späteren Zeiten plebejische Eitelkeit auch viel fabelte", oder 
an Missheiraten denken, die vor dem canulejischen Gesetze ple- 
bejische Nebenlinien patricischer Geschlechter ins Leben gerufen 
hätten*. Ich selber würde, falls die Untersuchung der Über- 
lieferung mich zum Glauben an die Geschichtlichkeit des Befreiers 
führen sollte, in den plebejischen Juniern die Nachkommen von 
Clienten einer früh ausgestorbenen patricischen gens erblicken 
und mich dabei in Übereinstimmimg mit römischer Anschauung 
und konkreten Verhältnissen wissen. 

Einen eigentümlichen Weg, die plebejischen Junier der Folge 
mit dem Befreier zu verbinden, hat Niebuhr* eingeschlagen. 
Er rechnet den Befreier selber entschieden zum plebejischen 
Stande und sieht in ihm den Stifter der Nobilität der plebejischen 
Junii Bruti. Sp. Lucretius, P. Valerius, CoUatinus und Brutus 
vertreten nach ihm die drei patricischen Stämme und die Plebs: 
Valerius die Tities, Lucretius die Ramnes, CoUatinus die Luceres, 
die Plebs Brutus als Plebejer. Der Plebejer L. Brutus ward zum 
ersten Consul ernannt: das licinische Gesetz über das Consulat 



1 Posidon. bei Plut. Brut. i. Pais, Storia dl Roma I i, 1898, S. 363. 402 denkt für 
die Erfindung des dritten Sohnes an Leute wie den Freund des D. Junius Brutus 
Callaecus, den Dichter L. Accius, dessen Praetexta Brutus wohl bei dem Triumphe 
des D. Brutus 132 v. Chr. aufgeführt A^-urde. 

» Rom. Gesch. i, 2« S. 785 f. 

' Vgl. Niebuhr, Rom. Gesch. i* 1833, S. 347; Schwegler, Rom. Gesch. 3* S. 107 f. 

♦ Rom. Gesch. i* S. 541. 547. 549- 

21* 



312 Karl Johannes Neumann 



wird nur uraltes Recht endlich verwirklicht haben. Man sollte 
meinen, dass Arnold Schaefer*, für den bereits die Begründung 
der Republik den Plebejern das Consulat eröffnet, während das 
licinische Gesetz ihnen ein Reservatrecht auf die eine Stelle gab, 
dem Wege Niebuhrs in der Beurteilung des Befreiers folgen 
würde; aber den Glauben an die Geschichtlichkeit des ersten 
Consuls hat ihm Mommsen erschüttert. 

Dass ein Consul aus dem ersten Anfange der Republik nur 
Patricier gewesen sein kann, braucht heute nicht mehr dargelegt 
zu werden, und die Junii Bruti sind uns sonst eben nur als 
plebejisches Geschlecht bekannt, das erst 325 v.Chr. zum Consulate 
gelangt ist. Nun begann Mommsen^ in seiner römischen Chrono- 
logie den Nachweis, dass der erste römisch-karthagische Ver- 
trag erst aus dem Jahre 348 v. Chr. stamme, nicht aus dem 
ersten Jahre der Republik, dass Polybius 3, 22, 1 seine Angabe 
über Brutus als ersten Consul also nicht aus der Urkunde ge- 
schöpft haben könne, dass diese Angabe also nicht auf urkund- 
licher Beglaubigung ruhe. Und bald darauf* focht er die Ge- 
schichtlichkeit dieses Consulates selber an, indem er diesen 
einzigen patricischen Junier für höchst wahrscheinlich apokryph 
erklärte. Die Tendenz der plebejischen Nobilität, an das Patriciat 
anzuknüpfen, habe auch diesen Namen nachträglich in die patri- 
cischen Fasten eingeschmuggelt. 

Zwingende Gewalt konnten diese Nachweise und Gedanken 
von fruchtbarster Anregimgskraft noch nicht für sich in Anspruch 
nehmen. Auch Sp. Cassius, den die Consulnliste 502, 493 imd 
486 V. Chr. nennt, ist der einzige nachweisbare Patricier dieses 
Geschlechtes, und die plebejischen Cassii Longini gelangten 
erst 171 V. Chr. zum Consulat^. Und wenn Mommsen 1861 auch 
über ihn ^ ebenso wie über L. Jimius geurteilt hatte, so hat er 
zehn Jahre später in einer berühmten Untersuchimg® die geschicht- 
liche Persönlichkeit des Sp. Cassius festgehalten. Man bewundert 
an dieser Untersuchung jene thätige Skepsis, wie sie Goethe 



* A. Schaefer, Zur Geschichte des römischen Consulates, Fleckeisens Jahrbb. 
113, 1876, S. 574 ff. 

* Mommsen, Rom. Chron.«, 1859, S. 199. 320 ff. 

' Mommsen, Die römischen Patriciergeschlechter, zuerst 1861, wieder gedruckt 
in den Rom. Forsch, i«, 1864, S. 108. iii; vgl. 2, 1879, S. 149- 152. 155- 

* Mommsen R. F. i« S. 107. — * R. F. I« S. in. 
8 Wieder gedruckt R. F. 2 S. 153 ff. 



L. Junius Brutus der erste Consul 313 

charakterisiert hat: welche unablässig bemüht ist, sich selbst zu 
überwinden und durch geregelte Erfahrung zu einer Art von be- 
dingter Zuverlässigkeit zu gelangen. 

Die Behandlung der strittigen Fragen in den folgenden Jahr- 
zehnten knüpft an Mommsen's römische Chronologie und an seine 
römischen Forschimgen an. Zimächst fand der Glaube an die 
Geschichtlichkeit des Befreiers eine neue Stütze in Nissens* be- 
rühmter Untersuchimg über die römisch-karthagischen Bündnisse. 
Wenn die polybische Datierung des ersten Bündnisses richtig ist 
imd Polybius das Datxun der Urkimde selbst entnommen hat, so 
kann an der Existenz des Befreiers ein Zweifel nicht aufkommen. 
Nissens Ausführungen haben bekanntlich weitgehende Zustimmimg 
gefunden imd Eindruck gemacht * ; von den Gelehrten, die neuer- 
dings die Entsagung besessen haben, ihre Arbeit der Erforschimg 
der altrömischen Chronologie zuzuwenden, treten Holzapfel ^ und 
Matzat ** für die polybische Datienmg und ihre Consequenzen ein. 
Andererseits hat Mommsen weitere Gründe gegen diese Datienmg 
ins Feld geführt imd durch die Behandlung der Geschichte von 
Tarracina und Antium, die der erste karthagische Vertrag als 
latinische Orte nennt, seine Position verstärkt ^ Und der Versuch 
wurde unternommen, es aufzuklären, wie Polybius zu seinem 
falschen Datum gelangt sein mochte ^. 

Aber wenn die Angabe des Polybius über die ersten Consuln 
auch nicht aus der Urkunde selbst stammt, so braucht sie darum 
noch nicht wertlos zu sein. Man hat es für gleichgültig erklärt, 
ob er die Consulnamen dem Foedus selbst entnommen habe. Auf 
jeden Fall habe er ein gutes Zeugnis aufbewahrt, dem die höchste 
Bedeutung beizumessen sei, und das alle andern weit überrage. 
Von den fünf Männern, die als Consuln des ersten Jahres ge- 
nannt würden, seien die von Polybius genannten weniger fabulos 
als die andern'. Auch Soltau, der mit Monmisen in der Datierung 



* Fleckeisens Jahrbb. 95, 1867, S. 321 ff. 

« Vgl. O. Hirschfeld, Philologus 34, 1876, S. 92 A. 8: Selbst wenn man mit 
Mommsen (Chronologie p. J^) die bekannte Datierung des Polybius verwerfen wollte, . . 
» Holzapfel, Rom. Chron. 1885, S. 47 A. 3; S. 344 ff. 

* Matzat, Rom. Chron. i, 1883, S. 314 vgl. S. 247 f. 

* C. I. L. X 1, 1883, p. 663 sq., 660. 

* K. J. Neumann, Polybiana. Hermes 31, 1896, S. 519 ff. 

^ F. Muenzer, De gente Valeria, Berliner Diss., Oppoliae 1891, p. 17. 



314 Karl Johannes Neumann 



des ersten karthagischen Vertrages^ übereinstimmt, erklärt sie 
für relativ historisch*. Darüber freilich, ob sie mm wirklich und 
ob beide in gleicher Weise der Geschichte angehören, ist damit 
nichts ausgesagt. 

Aber auszugehen hat die Untersuchung über das Consulat 
des L. Brutus und über die ersten Consuln allerdings von den 
Worten des Polybius, denn von allen Angaben über das erste 
Consulat, die wir besitzen, ist seine die älteste. Die Einlage über 
die karthagischen Bündnisse 3, 21, 9 — 3, 32, 10, in der sie sich 3, 
22, 1. 2 findet, stammt aus der abschliessenden Redaction der dem 
Jahre 151 v. Chr. vorausliegenden Niederschrift, wie Polybius sie 
erst nach 144 v. Chr. ftlr die Veröffentlichung vornahm, aber sein 
Urteil hatte er bereits in den Jahren 153—151 gewonnen ^ Wir 
besitzen keine ältere oder auch nur gleich alte Consulnliste, und 
auch keine annalistische Angabe über die Consuln des ersten 
Jahres ist aus so früher Zeit erhalten *. Hier repräsentiert Polybius 
für ims den ältesten für uns direkt erreichbaren Bestand der Über- 
lieferung, der über die Mitte des 2. Jahrhunderts vor imserer Zeit- 
rechnung nicht hinausführt. Eben hier aber hat die weitere Arbeit 
einzusetzen und zu fragen, ob wir die polybische Fassung nicht 
doch noch höher hinauf zu verfolgen vermögen. 

L. Junius Brutus und M. Horatius nennt Polybius hier^ als 
die ersten Consuln, die nach dem Sturze der Könige eingesetzt 
wiu"den. Von diesen* Consuln sei auch der Juppitertempel atif 
dem Capitol geweiht worden, 28 Jahre vor dem Übergange des 
Xerxes nach Hellas. In dieser Form kann der Name des L. Junius 
Brutus allerdings nicht in einer uralten Liste gestanden haben 
und überhaupt nicht einem Manne so alter Zeit zugekommen sein, 
denn die Dreistelligkeit der römischen Namen, durch das Co- 
gnomen herbeigeführt, ist sehr viel jünger als der Beginn der 



* Soltau, Die römisch-karthagischen Verträge, Philologus 48 [N. F. 2], 1890, 
S. 131 ff., 276 ff. 

* Soltau, Rom. Chron., 1889, S. 475- 
' Neumann a. a. O. S. 526—528. 

* Mommsen, Rom. Chron. * S. 199; Matzat, Rom. Chron. i S. 247 f.; Neumann 
a. a. O. S. 523. 

* Polyb. 3, 22, I. 2 KttTd AeuKiov 'louviov BpouTov xal MdpKOv 'Opdriov 
Tou? TTpibTouq KaraaraO^vTaq iJTrdTouq, Oq)* iLv auv^ßn KaOiepiuOfjvai Kai tö tou 
Aiöq Upöv ToO KaTT€TujX(ou • TaOra b'^arl irpörepa xf^q =.iplov biaßdaeuD? ei? ti?|v 
'EXXdba TpidKovT' Ireax \€itio\)o\ bueiv. 

* Überliefert ist öq)' iliv, nicht ^9' iliv, was Villoison conjiciert hat. 



L. Junius Brutus der erste Consul 315 

Republik ^ Wenn Niebuhr*, dem noch Ludwig Lange ^ hier ge- 
folgt ist, das Cognomen des ersten Consuls damit zu erklären 
suchte, dass Brutus im Oskischen einen Sklaven bedeutete, so 
war sein Bemühen insofern gegenstandslos, als der Name des 
ersten Consuls nur zweistellig gewesen sein kann. Falls der 
Befreier der Geschichte angehört, hat er nur L. Junius geheissen 
imd das Cognomen Brutus erst später durch unbefugte Verleihimg 
von einer Seite erhalten, welche die späteren Junii Bruti, mit Recht 
oder Unrecht, mit ihm in Zusammenhang brachte und ihr Co- 
gnomen auf ihn zurückwarf. 

28 Jahre vor 480 also setzte Polybius sowohl das erste 
Consulat als die Weihe des capitolinischen Tempels. Auf keinen 
Fall führt diese Rechnung bis zum Jahr 509 zurück, sondern auf 
508 oder 507. Über die polybische Rechnungsweise, über seinen 
Sprachgebrauch bei der Zählung der Jahre gehen die Meinimgen 
auseinander, imd es ist nicht einmal unbestritten*, dass überhaupt 
ein constanter Sprachgebrauch bei ihm vorliegt. Nach Niese* 
führt der polybische Ausdruck auf das Jahr 508, nach Mommsen ^ 
auf 507. Worauf es hier für uns ankommt, ist, dass die vulgäre 
Chronologie der späteren Zeit, die mit 509 beginnt, dem Polybius 
noch unbekannt ist. 

Es ist mm aber von grösster Bedeutung, dass wir diesen 
älteren, noch nicht bis 509 zurückgehenden Ansatz volle andert- 
halb Jahrhunderte über die Zeit, in der Polybius schrieb, hinaus 
noch zurückverfolgen können, bis zum Jahre 304 v. Chr.' Da- 
mals war ein Mann geringer Abkimft, der aber mit App. Claudius, 



1 Mommsen, Die römischen Eigennamen, Rom. Forsch, i' S. 45 ff.; Cichorins, 
De fastis consularibus antiquissimis, 1886, Leipziger Studien 9 S. 177 sqq. Gegen 
Cichorius bemüht sich Unger, Die Glaubwürdigkeit der capitolinischen Consulntafel, 
Fleckeisens Jahrbb. 143, 1891, S. 291 ff. 

* Niebuhr, Rom. Gesch. i* S. 541. 103 unter Hinweis auf Diod. 16, 15, 2 irpca- 
YlYopeiLiOTiaav Bp^moi bxä tö iT\€laTOU<; eivai boOXou? • Kaxd fäp rf\y tiwv ^TXU)p{u)v 
bid\€KTov ol bpair^xai ßp^moi TrpoayiTopeOovTO. 

3 L. Lange, Rom. Alt. i ^ 1876, S. 572. In der Annahme der Plebität des ersten 
Consuls folgt Lange übrigens Niebuhr nicht. 

* Holzapfel, Rom. Chron. S. 207. 217. 355. 

* Niese, Grundriss der röm. Gesch.», 1897, S. 23. Seine Begründung im Hermes 
13, 1878, S. 407 f. 

« Mommsen, Röm. Forsch. 2 S. 379 A. 129: nicht Ol. 68, i, sondern Ol. 68, 2. 
^ Wenn ich nach Jahren vor Chr. rede, so bediene ich mich hier wie sonst 
der Conventionellen Gleichsetzung mit varronischen Jahren der Stadt. 



316 Karl Joliaxines Xeomann 



dem gewaltigen Censor des Jahres 312 in der engsten \'erbnidiin^ 
stand •, war Cn. Flavius, eines Freigelassenen- Sohn, zur cnmlischen 
Aedilität gelangt. Damals hat er eine aedicula aerea der Conconiia 
auf der Graecostasis ob dem Comitium gelobt und errichtet und 
in einer Inschrift auf einer ehernen Tafel an der aedicula niit- 
geteilt, dies sei geschehen 204 Jahre nach der Dedication des 
capitoIinL^chen Tempels'. In dieser Inschrift* wird er, ausser 
seiner Aedih'tät, datierend das Consulat des P. Sempronius und 
P. Sulpicias vom Jahre .304 v. Chr. neben dem Jahr 3>4 genannt^ 
haben. Auch hier kommen wir keinesfalls bis zum Jahre 509, 
sondern auch höchstens bis .Vjö. Es ist das Jahr der E)edication 
des capitolinischen Tempels» die Polybius mit ausdrücklichen 
Worten in das erste Consulat setzt. An die I>edication dieses 
Tempels knüpft sich die römische Jahresrechnung "". 



* Nach Plin. n. h. 33, 17 wire er s-rriSa Appi Claudi gewesen. Z. Pis^f in 
Urtio annali bei Oellias 7 6.. 9. 2 sagt freilich nar. dais er überhaupt Schreiberdienstf 
Sekretärd: en.it leistete 'vgL Liv. 9. 4^. i> and zur Zeit seiner Wahl zum Aedilen bei 
einem Aedilen in Dienst stand: ::riptum f-icUhat iscui in ic tempore aiJili curuii 
apparehat. L'nd weiter 7 ^61, 9. 4: di:itur . . icriptu seie ahdictisse; isque aedilU 
curulii fa<iu2 est. Aber enge Beziehungen des Flavius zu App. Claudios sind dorch die 
älteste un.s zugängliche Annali ^tik wohl verbürgt, bei Diod. 20, 36, 6 6 b^ bf]Uoq . . . 
tCJi — ^AtrTriui auucpiXonuoCiucvo; kqI ttiv tütv buirfcviüv irpoaTurrriv ßc^aiiDJcu 
ßoüX^u€vo^, ÄTOpavöuov eiXcro Tf|^ ^mcpavcaT^pa^ dTopavouia^ uiöv diTEXcvO^pou 
Tvatov 0Xdßiov, ^ irpurrcx; 'Pujuoiu/v ?tux€ TauTT]<; rf^^ dpx^^^ Trorpö? drv bc- 
bouXiEUK^TO^. Cber die Herkunft von Plin. n. h. 33, 17 — 20 hat zuletzt Muenzer ge- 
handelt. Beitrüge zur Quellenkritik der Naturgeschichte des Plinius, 1897. S. 225 — 227, 
wo weitere Litteratur genannt und auch Seeck benutzt isL Es kommt aber nicht nur 
darauf an. die Herkunft des ganzen Stückes bei Plinius zu ermitteln; es handelt sich 
weiter um die Entwirrung der verschiedenen Fäden der Tradition- Seeck, Die Kalender- 
tafcl der Pontifices, 1885, S. 1—56 über Gnaeus Flavius bietet Anregung und Beachtens- 
wertes neben vielem Unannehmbaren. 

* Diod. a. a. O,; Piso bei Gellius a. a. O.: Cn, Flavius patre libertino naias, 

* F'lin. n. h. 33, 17 hie. . . adiptus est. . . ut aedilis curulis crearetur, . . 33, 
19: hoc actum Cdas ^>ezieht sich mit auf seine Aedilität) P, Sempronio Z. (sonst» 
auch bei Diodor, P.) Suipicio cos. Flavius voi-it aedem Concordiae . . . oidiculam 
aercam fecit in Graccostasi, quae tunc supra comitium erat, inciditque im taMla 
aerea factam eam aedem CCIIII annis post Capitolinam dedicatam. Die Zahl 4, nicht 3, 
steht als plinianisch fest, nach Detlef sen bietet sie auch der Bambergensis. 

* Secck, Kalendertafel S. 22 f. 

* Das ist Flavius, nicht Piso, selbst wenn auch diese Stelle durch Piso ver- 
mittelt wJire; gegen Muenzer im Hermes 31, 1896, S. 309 f. — Übrigens bemerkt Matzat, 
Rom. Chron. i S. 271, wohl mit Recht, in der Inschrift des Flavius selbst werde wohl 
nicht CCIIII annis gestanden haben, sondern anno CCIIII\ ebenso Seeck a. a. O. S. 163. 

* Mommsen, Rom. Chron.* S. 199; Seeck a. a. O. S. 163 A. 155. 



L. Junius Bnitus der erste Consul 317 

Wir können keine ältere Angabe über den Beginn der 
Republik erreichen, und die alte Fassung, die noch nicht bis 
509 zurückgreift, war noch zur Zeit des Polybius in Geltung. 
Die Verlängerung der Consulnliste nach oben, bis 509, diese 
Verfälschung der Liste, ist nachpolybisch und hängt, wie ich 
wenigstens schon angedeutet* und anderswo* auszuführen habe, 
mit der Verlegung der die servianische Verfassung begründenden 
lex Valeria de provocatione in das erste Jahr der Freiheit, das 
erste Jahr der Republik, zusammen. 

Für Polybius steht L. Junius Brutus an der Spitze der 
Consulnliste, imd an dieser ersten Stelle haben ihn auch alle 
späteren Verfälschimgen stehen lassen. Auch in der vor- 
polybischen Geschichtschreibimg der Römer muss er an dieser 
Stelle gestanden haben, sonst hätte irgend eine Spur einer Ab- 
weichung davon sich wenigstens in der Form ablehnender Kritik 
oder einer Notiz erhalten. Die Beschäftigung des Cn. Flavius 
mit der Consulnliste wird durch die Nennung des Jahres 204 
nach der Dedication des capitolinischen Tempels auf der Dedi- 
cationsinschrift seiner Aedicula vor jeder Anfechttmg geschützt. 
Es ist überaus wahrscheinlich, dass der erste Consul des Poly- 
bius es auch für Cn. Flavius war. 

Ist die Persönlichkeit des Befreiers nicht am Ende doch 
historisch? War L. Junius doch der erste Consul? 

Einer solchen Frage möchte ich nicht die kürzlich ge- 
äusserte Vermutung* entgegenhalten, die m3rthische Gestalt 
des Junius Brutus sei eine mit dem Cult der Jimo verbundene 
Gottheit. Nach Mommsen müsste die Tendenz der plebejischen 
Nobilität, an den Patriciat anzuknüpfen, auch den Namen des 
ersten Consuls in die Fasten eingeschmuggelt haben. Dann aber 
muss die Geschichte der plebejischen Junier* uns auch einen 
Anlass zeigen, bedeutsam genug, um dem vermeinten patricischen 
Ahnherrn dieses Geschlechtes den hervorragendsten Platz anzu- 
weisen, der überhaupt in Betracht kommen konnte: den Platz 



* K. J. Neumann, Die Grundherrschaft der römischen Republik, die Bauern- 
befreiung und die Entstehung der servianischen Verfassung, 1900, S. 22. 

* Dort werde ich auch den Gedanken zu prüfen haben, den O. Hirschfeld im 
Philologus 34, 1876, S. 92 A. 8 geäussert bat. 

' Pais, Storia di Roma 1,1, 1898, p. 476. 373 sqq. 

^ Die Junii Silani können hier indessen darum nicht berücksichtigt werden, 
weil sie viel zu jung sind. 



318 Karl Johannes Neumann 



an der Spitze der Consulnliste. Es ist wohl an der Zeit, diese 
Prüfung vorzunehmen und zu sehen, wohin sie führt. 

Die Namen plebejischer Junier des 5. Jahrhunderts v. Chr. 
werde ich weiter unten behandeln ; sie kommen für uns zunächst 
nicht in Betracht. Zum Consulat gelangte die Familie erst mit 
D. Junius Brutus 325 v. Chr., Junius Brutus Scaeva bei Livius 8, 
29, 2. Nach Liv. 8, 12, 13 ernannte 339 v. Chr. der Dictator Q. 
Publilius Philo den Junius Brutus zu seinem Magister equitum. 
Vierzehn Jahre später wurde er Consul, zusammen mit L. Furius 
Camillus ^ Nach Livius führte er als Consul gegen die Vestiner 
Krieg imd eroberte Cutina und Cingilia ^ Sein College Camillus 
kriegt in Samnium^, erkrankt aber und ernennt den L. Papirius 
Ctu-sor zum Dictator, dieser den Q. Fabius Maximus RuUianus, 
den späteren Censor von 304 v. Chr., zum mag. equ. und ersetzt 
ihn in der Folge durch L. Papirius Crassus. Noch einmal wird 
Jimius Scaeva nach der Eroberung von Saticula in Samnium vom 
Jahre 315 v. Chr.^ bei der Aussendung einer Colonie dorthin^ 
auf Grund eines Senatusconsultes vom I.Januar 312 als Triumvir 
coloniae deducendae erwähnt^. Damals war wieder ein Junier 
Consul, C. Junius zum zweiten Mal. 

Mim sieht deutlich, dieser erste Consul, den die plebejischen 
Junier, die Junii Bruti gestellt haben, kann nicht den Anlass gegeben 
haben, ihm einen patricischen Ahn zu geben und diesen gleich 
an die Spitze der Consulnliste zu setzen. Auf die volksfreimd- 
lichen leges Publiliae Philonis vom Jahre 339 brauche ich hier 
nicht einzugehen ; um ihretwillen hätte doch niemand einen Ahn 
des Magister equitum Junius Brutus zum Begründer der Freiheit 
gemacht. Es handelt sich bei dem Befreier eben nicht um eine 
beliebige Stelle in der Consulnliste, sondern um den Anfang, 
um die erste. 

Aber gehen wir in der Geschichte der Junii Bruti weiter ! 

Der nächste aus diesem Geschlechte gelangte zuerst 31 7 v. Chr. 



* Diod. i8, 2, I AeuKioq 0poOpio? A^Kioq [A^ki^xo^ V=liber Casauboni] 
'louvio?. C. I. L. I, i*, p. 131; Liv. 8, 29, 2. 

* Liv. 8, 29, 6. II — 14. 

* Liv. 8, 29, 6—9; 8, 36, i; vgl. Eutrop. 2, 8, 2; [Victor] vir. inl. 32. 31. 

* Diod. 19, 72, 4; Liv. 9, 22, II. -- 5 Festus s. v. Saticula; Vell. Pat. i, 14, 4. 
® Festus a. a. O.: Sati[cula oppid]um inSamnio captum est: quo [postea coloni]am 

deduxerunt triumviri M. Valerius Corvus, Junius Scaeva, P. Fluvius f Longus ex 
S. C. Kai. Januaris P.f Papirio Cursore C. Junio. II. cos. (313/312). 



L. Junius Brutus der erste Consul 319 

ziim Consulat, es ist der C. Junius Diodors, der C. Junius Bubulcus 
des Livius, C. Junius Bubulcus Brutus der capitolinischen Fasten. 

Dies erste Consulat vom Jahre 317 v. Chr. bekleidete 
C. Junius zusammen mit Q. Aemilius Barbula. Nach Livius ' nimmt 
C. Junius Forentum in Apulien, südlich von Venusia, nach Diodor ^ 
nehmen die Römer Oepdvxnv, ttoXiv Tf\(; 'ATTouMaq, aber erst im 
folgenden* Consulatsjahr 316. Mit der Einnahme von Forentum 
hat C. Junius also nichts zu schaffen. 

Nach vier Jahren, 313 v. Chr., ist C. Junius zxmi zweitenmal 
Consul, sein College L. Papirius Cursor zum fünftenmal. Nach 
Livius* besetzt der Dictator C. Poetelius Fregellae, Nola wird 
von ihm oder vom Consul C. Jimius eingenommen. Beides fand 
Livius überliefert imd bemerkt, qui captae decus Nolae ad con- 
sulem trahunt, adictunt, Atinam et Calatiam ab eodem captas, 
Poetelius dagegen sei wegen Ausbruchs einer Pestilenz zum 
Dictator clavi figendi causa ernannt worden. Die fasti Capitolini 
aber bezeichnen den Poetelius, in Übereinstimmimg mit der Haupt- 
quelle des Livius, als dict. rei gerund, catissa. Diodor* lässt 
Fregellae, KeXia (= Calatia?) imd die Burg von Nola ebenfalls 
nicht von einem Consul, sondern vom Dictator nehmen, nennt 
als Dictator aber nicht den C. Poetelius, sondern Q. Fabius 
(Maximus Rullianus). Die Belagerung der festen Städte wird 
eben der Dictator imtemommen haben, die Consuln dagegen 
standen nach Diodor ^ im Felde und gewährten den verbündeten 
Städten Sicherheit. Zu einer offenen Feldschlacht scheint es nicht 
gekommen zu sein ''. Von dem Beschlüsse der Aussendimg einer 
Colonie nach Saticula war bereits oben bei D. Junius Brutus 
Scaeva die Rede. 

Das Jahr 312 v. Chr. verdankt seinen Ruhm nicht sowohl 
den Kriegsereignissen, als vielmehr der Censur des App. Claudius. 
Consuln waren M. Valerius Maximus und P. Decius Mus. Nach 
Livius * kämpft der Consul Valerius in Samnium, der Consul Decius 
ist krank imd ernennt wegen etruskischen Kriegslärmes den 



» Liv. 9, 29, 9. 

» Nach Diod. 19, 65, 7 erst unter den Consuln NaOno^ Ziröpio^ und MdpKO^ 
TTÖTrXio<; 19, 55, i. 

' Vgl. Kaerst, Kritische Untersuchungen zur Geschichte des zweiten Samniter- 
krieges, Fleckeisens Jahrbb. Suppl. 13, 1884, S. 729. 

* Liv. 9, 28, 3. 5. 6. -— * Diod. 19, loi, 3. — • Diod. 19, loi, 2. 

^ Vgl. Kaerst a. a. O. S. 734 ff. — * Liv. 9, 29, 2. 3. 



320 Karl Johannes Neumann 



C. Junius Bubulcus zum Dictator ; aber die Etrusker greifen nicht 
an, und es kommt nicht zum Kriege. Den fasti Capitolini zufolge 
war C. Junius aber nicht Dictator, sondern Magister equitum des 
Dictators C. Sulpicius Longus. Diodor berichtet nichts von Kämpfen 
in Samnium imd dem etruskischen Kriegslärm, wohl aber* von 
einem Zuge der Römer gegen die marrucinische Stadt Pollitium. 

311 V. Chr. wird C. Junius zum drittenmal Consul, imd sein 
College ist derselbe Q. Aemilius Barbula, mit dem er schon 317 
zusammen Consul gewesen und der es jetzt zimi zw^eitenmal 
wurde. Nach Livius^ zieht der Consul Aemilius gegen Etrurien, 
Junius gegen die Samniten; er ninmit Clu\ianum (?) und sogar 
ßovianum. Die Samniten greifen die Römer aus dem Hinterhalt 
an, aber die Römer siegen und die Samniten verlieren an 20000 (sie) 
Mann. Nach der Triumphaltafel triumphiert Junius am 5. August 
über die Samniten, Aemilius am 13. August über die Etrusker. 
Cassius Dio' meldet ebenfalls von dem Hinterhalt, in den die 
Samniten die Römer unter C. Junius gelockt hätten, und nennt 
als Ort xd^ v\aq jäq 'Aopvou^; nach ihm siegen die Römer aber 
nicht, sondern erleiden schwere Verluste. 

Ganz anders Diodor*. Die Consuln, also beide Consuln, 
dringen in Apulien ein imd besiegen die Samniten bei Talion. 
Die Besiegten besetzen den sogenannten heiligen Hügel, am 
folgenden Tage erneuert sich die Schlacht, viele Samniten fallen 
und über 2200 werden gefangen genommen. Die Consuln erobern 
Katarakta und Keraimaia und legen Besatzungen hinein. 

Die Erobenmg von Bo\ianum vom Jahre 311 ist imhistorisch, 
der Kriegsschauplatz des Jahres war Apulien, und zwar für 
beide Consuln, auch für Aemilius. Von Triumphen meldet 
Livius nichts, und gegen die Angaben der Triumphaltafel spricht, 
dass Aemilius nicht de Etrusceis triumphieren 'konnte; auch er 
hat in Apulien gekämpft. Aber gesiegt hat C. Junius allerdings 
in seinem 3. Consulate vom Jahre 311. Damals hat er die aedes 
Salutis gelobt, von der noch bei den Jahren 306 und 302 zu reden 
sein wird. Auf Dio fussend, hat Georg Schön ^ einen Sieg des 
C. Junius im Jahre 311 überhaupt bestritten, imd damit, dass der 



» Diod. 19, 105, 5. 

• Liv. 9, 31. — ' Zon. 8, i, i, Dio ed. Boissevain i, p. 104. 

♦ Diod. 20, 26, 3; vgl. Kaerst a. a. O. S. 735 ff. 

* Schön, Das capitolinische Verzeichnis der römischen Triumphe, Abh. des 
arch.-epigr. Seminars 9, Wien 1893, S. 17 f. 



L. Junius Brutus der erste Consul 321 

5. August auch der Dedicationstag der aedes Salutis ist*, lässt 
sich die Geschichtlichkeit des Triumphes vom 5. August 311 
allerdings nicht beweisen, denn das Datimi des Triimiphes kann 
in der That auf Gnmd des Dedicationstages erfunden sein. Aber 
Diodors Bericht ist Schön entgangen, und dieser verbürgt den 
Sieg des C. Junius bei Talion und am heiligen Hügel. Mit diesen 
Kämpfen in Apulien hängt die Gelobung der aedes Salutis 
zusammen. 

Im 3. Consulate des Junius war App. Claudius noch Censor. 
App. Claudius hat Söhne von Freigelassenen in den Senat auf- 
genommen imd dadurch die Empfindimgen der Nobilität verletzt*. 
Nach Livius^ haben die Consuln des Jahres 311, C. Junius Bubulcus 
imd Q. Aemilius Barbula erklärt, sie würden die neue Senatsliste 
ignorieren und sich an die alte halten. Das Verständnis dieses 
Berichtes hat Mommsen* erschlossen. Es handelt sich hier nicht 
sowohl um einen persönlichen Angriff gegen App. Claudius, als 
um Stellimg zu dem vielleicht 312 ergangenen plebiscitum Ovi- 
nium^ das die lectio senatus von den Consuln auf die Censoren 
übertrug. Wie wird der Consul C. Junius sich verhalten, wenn 
er selber Censor wird? 

Als Consuln des Jahres 310 erscheinen in den fasti Cap. 
Q. Fabius Maximus Rullianus imd C. Marcius Rutilus, für 308 
wieder Fabius Maximus, imd P. Decius Mus. Dazwischen legen 
diese Fasti eines der sogenannten Dictatorenjahre : hoc anno 
dictator et mag, eq, sine cos. fuerunt. Als Dictator rei gerund, 
caussa nennen sie den P. Papirius Cursor, als seinen mag. eq. 
den C. Junius Bubulcus Brutus, der also zum zweiten Mal Magister 
equitum gewesen sein soll. Die alten diodorischen Fasten wissen 
nichts von diesem Dictatorenjahre: auf die Consuln von 310®, 
KoivTo^ Odßioq TÖ Ö€UT€pov Kttl rdio^ MdpKioq, folgen unmittelbar 
die von 308 ^, TToTiXioq AeKioq Kai Koivroq Odßioq. Ebenso schliesst 
Livius die Consuln von 308 direkt an die von 310 und lässt den 
Fabius aus dem einen Consulate in das andere übergehen®. 
Dictator und Magister equitum der Capitolinischen Fasten amtieren 



• Marquardt, Rom. Staatsverw. 3', S. 580. 

' Diod. 20, 36, 3 Tüöv diTcXeuO^piuv uloO^ vgl. Liv. 9, 30, i; 9, 46, 10; Suet. 
Claud. 23; [Victor] vir. inl. 34, i. 

• Liv. 9, 30, I. 2. — * Mommsen, Rom. Staatsrecht 2 i» S. 418 A. 3. 

• Festus s. V. praeteriti. — • Diod. 20, 27, i. — ' Diod. 20, 37, i. 

** Liv. 9, 33, l; 9, 41, 4 Fabio . . . continuatur consulatus^ Decio conlega datur* 



322 Karl Johannes Neumann 



nach Livius^ im Consulate des Fabius und Marcius 310 und 
kämpfen gegen die Samniten. An dem glänzenden Siege des 
Papirius Cursor bei Longula* hat L. Junius Anteil imd bringt 
zuerst auf seinem linken Flügel den Feind zum Weichen. Bei 
Diodor ist nichts hiervon zu lesen, imd auch die Consequenz 
Niese's^ schweigt. 

Im Jahre 307 v. Chr. gelangt der Censor App. Claudius 
ziun Consulat, zusammen mit L. Volumnius; 306 sind Q. Marcius 
Tremulus und P. Comebus Arvina Consuln. Diese beiden Con- 
sulate fehlten bei Piso*, aber sie sind durch Diodor verbürgt. 
307 ist nach den Fasti Cap. C. Junius Bubulcus Brutus zusanunen 
mit M. Valerius Maximus, dem Consul des Jahres 312, Censor 
geworden; er ist es natürlich auch noch 306 ^ Vor der Censur 
des App. Claudius von 312 war C. Junius im Jahre 313 Consul, imd 
App. Claudius war noch Censor, als C. Junius 31 1 wieder Consul 
wurde; jetzt, 307, war der frühere Censor Consul imd der frühere 
Consul Censor. Als Censor vergab C. Junius die Arbeit an der 
aedes Salutis^ die er als Consul im Samniterkriege 311 gelobt 
hatte; ihre Ausmalung "^ übernahm C. Fabius, der Gross vater des 
Geschichtschreibers Fabius Pictor, und brachte an der Malerei 
seinen Namen an. Der Censor legte zwar keine via Appia, aber doch 
Feldwege auf Staatskosten an^ Und von dem neuen censorischen 
Rechte der lectio senatus hat er als Censor Gebrauch gemacht: 
in Gemeinschaft mit seinem Collegen stiess er den L. Annius 
aus dem Senate, weil er seine Frau, die er als Jungfrau geheiratet 
hatte, ohne Hinzuziehung eines consilium von Freimden Ver- 
stössen hatte ^. An der grossen Reform des App. Claudius, seiner 
Tribusordnung *®, hat er als Censor nicht gerüttelt. Das hat, nach 
der Beendigung des Samniterkrieges, der nächste Censor Fabius 
Rullianus 304 v. Chr. gethan**. 



* Liv. 9, 38, 9 sqq. Über die Ernennung des C. Junius Bubulcus zum mag. eq. 
durch Papirius Cursor Liv. 9, 38, 15. Auf Licinius Macer beruft sich Liv. 9, 38, 16. 

2 Liv. 9, 39, 1—3; 9, 40. 

' Niese, Grundriss der röm. Gesch.* S. 45; Kaerst a. a. O. S. 744 geht nicht 
bis zu vollständiger Verwerfung. 

* Liv. 9, 44, 3- — * Liv. 9, 43. 25. 

* Liv. 9, 43, 25; 10, 40, I. — ^ Plin. n. h. 35, 19; Val. Max. 8, 14, 6. 
8 Liv. 9, 43, 25. 

^ Val. Max. 2, 9, 2, wo die Handschriften Antonium bieten, die Epitome des 
Julius Paris aber Annium. 

" Diod. 20, 36, 4; Liv. 9, 46, ii. — " Liv. 9, 46, 14. 



L. Junius Brutus der erste Consul 323 

Selbst mit der Censur war die Laufbahn des C. Junius noch 
nicht abgeschlossen. Im Consulate des M. Livius Denter und 
M. Aemilius erneuerten die bereits imterworfenenAequer den Krieg, 
imd wegen dieses Tumultes wurde C. Junius zum Dictator ernannt 
imd machte seinerseits den M. Titinius zum magister equitum. Er 
imterwarf die Aequer imd zog am achten Tage triumphierend in 
Rom ein. Die Triumphaltafel verlegt seinen Triumph auf den vor- 
letzten Juli. Die aedes Salutis, die er in seinem dritten Consulat 
311 gelobt imd 306 als Censor in Verding gegeben hatte, hat er als 
Dictator dediciert*. Der 5. August ist ihr Dedicationstag. 

Der Mann hat die Junier hochgebracht. Drei Consulate und 
die Censur und am Ende die Dictatur! Seine Teilnahme am 
Samniterkriege und sein Sieg bei Talion und am heiligen Hügel! 
Und seine Berühnmgen mit App. Claudius, in seinem Consulate 
mit dem Censor, in seiner Censur mit dem Consul. Die Über- 
lieferung lässt die Bewegung wenigstens ahnen, die App. Claudius 
erregt hat. Abgesehen von der ersten Begründung der servi- 
anischen Verfassung bedeutet seine Censur „vielleicht die wesent- 
lichste Verfassungsänderung, die jemals in dem republikanischen 
Rom stattgefunden"^. Von ihm rührt die Loslösung der servi- 
anischen Centurienordnung vom Grundeigentum und der Boden- 
tribus her ; von ihm ihre Umbildung in die Form der 193 Centurien 
xmd der fünf Stufen ; er hat das Heer geschaffen, das die Unter- 
werfung Italiens vollendet hat*. Das Jahr der grundlegenden 



* Liv. 10, 40, I. 

' Mommsen, Die patricischen Claudier, Rom. Forsch, i* S. 305. 

' Vgl. vorläufig Die Grundherrschaft der röm. Republik S. 26 f. und Lit. Central- 
blatt 1900 S. 1053. Es wird mir gestattet sein, zu. betonen, dass der springende Punkt 
meiner Auffassung von der ursprünglichen servianischen Verfassung ihre Abhängigkeit 
von der örtlichen Tribus, der Bodentribus, und von der Begründung der ländlichen 
Tribus ist. Auch der ältesten Überlieferung gelten nicht nur die städtischen, sondern 
auch die ländlichen Tribus für servianisch. Der Ursprung der 16 ländlichen Tribus ist 
aber sicher jünger als die Begründung der Republik, denn unter ihnen findet sich die 
claudische Tribus, und der Hinzutritt der Claudier zur römischen Gemeinde erfolgte 
erst im Anfange der Republik. Das wusste die Familientradition, und F. Muenzer hält 
mit gutem Grunde daran fest, dieser Hinzutritt sei nicht zeitlos überliefert gewesen. 
Die Version, nach der er schon im Beginn der Königszeit erfolgte, ist nicht älter 
als Augustus und seine Verbindung mit dem claudischen Hause; F. Muenzer bei 
Pauly-Wissowa i S. 2663 f.; Grundherrschaft S. 13. Wer die servianische Verfassung 
der Königszeit zuweist, möge auch die Begründung der ländlichen Tribus dorthin ver- 
weisen; was nicht angeht. Aber auch mit der Begründung der Republik ist die 
servianische Verfassung nicht identisch. 



324 Karl Johannes Neumann 



Reform wird von zwei Consulaten des C. Junius umrahmt ; in 
seiner eigenen Censur hat er nicht an der Reform gerüttelt und 
hat nach den neuen Normen gehandelt. Er steht nicht auf gleicher 
Stufe mit Männern wie Papirius Cursor, Fabius Maximus RuUianus 
oder gar mit Appius Qaudius, aber unter den Zeitgenossen folgt 
er ihnen immittelbar. Die Papirier, die Fabier, die Claudier 
waren Patricier : C. Junius war Plebejer. Er war der erste imter 
den Plebejern seiner Zeit. 

Wir glaubten die Gestalt des Befreiers, des ersten Consuls 
L. Junius, bis auf Cn. Flavius hinauf verfolgen zu können ; für 
das Jahr 304 v. Chr. ist die Beschäftigung des Flavius mit der 
Consulnliste urkundlich bezeugt. Dem ersten unter den 
Plebejern aus der Zeit des App. Claudius hat Cn. Flavius 
seinen patricischen Ahn gegeben und hat ihn an die 
Spitze der Consulnliste und den Anfang der Republik 
gestellt. L. Junius der Befreier verdankt sein Dasein 
dem Cn. Flavius und dem Consul und Censor C. Junius, 
Consul 317. 313 und 311 v. Chr., Censor in den Jahren 307 
und 306. 

In der Consulnliste stand der Befreier zunächst ohne 
Cognomen als L. Junius. Aber seit der Mitte des 4. Jahrhunderts 
V. Chr. bilden sich die Cognomina; das Cognomen Brutus wird 
schon der erste Consul unter den plebejischen Juniern besessen 
haben, D. Junius, Consul 325 v. Chr. Doppelte Cognomina be- 
gegnen kaum vor dem Zeitalter der punischen Kriege; bei 
Plebejern vollends sind sie überaus selten und vor 205 v. Chr. 
nicht sicher bezeugt*. Vielfach ist die Doppelheit der Cognomina 
nicht historisch und verdankt ihren Ursprung lediglich gelehrter 
Forschung über den Ursprung, den Zusammenhang und die 
Gliederung der Familien. Der Zeit der ausgehenden Republik, 
auf welche wie die Information des Livius, so auch die Fassung 
der capitolinischen Fasten hinführt, gelten die beiden ersten Nobiles 
unter den plebejischen Juniem für doppelte Cognomina führend: 
der Consul von 325 sollte D. Junius Brutus Scaeva heissen, der 
Censor von 307 C. Junius Bubulcus Brutus. Die Erinnerung an 
die Vierstelligkeit der Namen hat für D. Junius Li\äus erhalten, 
für C. Junius die capitolinische TafeF; wenn Li\ius ihn C. Junius 
Bubulcus nennt, so hat er, ^vie er das häufig thut ^ von den zwei 



* Mommsen, C. I. L. i i*, p. 97. 

« Mommsen a. a. O. p. 94. — ^ Mommsen a. a. O. p. 96. 



L. Junius Brutus der erste Consul 325 

Cognomina nur das voranstehende aufgenommen. Umgekehrt 
bietet Festus von den beiden Cognomina des D. Brutus nur das 
zweite. Das Cognomen Brutus ist bei den Juniem nicht wieder 
geschwimden und ist bald auch auf die Person des ersten Consuls, 
des Befreiers, übertragen worden; Polybius nennt den ersten 
Consul mit dem Cognomen. Aber damals waren die aus dem 
Cognomen herausgesponnenen Geschichten von Brutus längst in 
ihren Grundzügen fertig; ihre Entstehung wird in den Anfang 
des 3. Jahrhunderts v. Chr. fallen. Die Legende der römischen 
Urgeschichte hat Fabius Pictor nicht geschaffen, sondern gebucht ; 
aus seinen Fragmenten erkennen wir, wie sie um 200 v. Chr. 
aussah. Dass sein Grossvater die aedes Salutis des Censors 
C. Junius ausgemalt hatte, hat Fabius Pictor natürlich gewusst; 
es konnte sein Interesse an Brutus nicht schwächen. 

Wenn Cn. Flavius den ersten Consul auf die oben dargelegte 
Weise in die Consulnliste hineingebracht imd an ihre Spitze ge- 
stellt hat, so ist das aber eine Fälschung und kann doch nicht mit 
gutem Glauben geschehen sein? Gewiss nicht. Aber Cn. Flavius 
soll gefälscht haben ? Auf diesen Einw^and bin ich gef asst, jedoch 
ich finde die wirksamste Unterstützung. 

Mommsen^ hat eine Liste der patricisch-consularischen Ge- 
schlechter entworfen, die nur vor 366 v. Chr. nachweisbar sind, 
vor den plebejischen Consulaten. Die meisten von ihnen sind 
zeitig verschollen, ihre Namen begegnen nicht mehr in späteren 
Geschichten. Aber einige wenige Namen sind auch die Namen 
späterer Geschlechter der plebejischen Nobilität : die der Aquilier, 
Cassier, Genucier, Junier, Minucier, Sempronier imd Volumnier. 
M. Aquilius ist genannt als Consul 487 v. Chr.; Sp. Cassius 502. 
493. 486; T. Genucius 451, M. Genucius 445; L. Junius als erster 
Consul; M. Minucius 497. 491, P. Minucius 492, L. Minucius 458^; 
A. Sempronius 497. 491, C. Sempronius 423; P. Volumnius 461 v. Chr. 
Gewiss stehen in der Zeit sicher beglaubigter Geschichte patri- 
cische und plebejische Zweige in derselben gens nebeneinander, 
ich will nur an die Claudier erinnern, an die plebejischen Claudii 
Marcelli. Hier aber gehen die patricischen und plebejischen Namens- 
genossen einander insofern aus dem Wege, als die patricischen 
verschollen sind, ehe die plebejischen auftauchen. Es ist das 



* Rom. Forsch, i* S. 107— iio. 

^ Für 457 nennt Diodor ii, 91, l nicht Q. Minucius, sondern L. Postumius. 

22 



326 Karl Johannes Neumann 



nicht geradezu unmöglich, patricische gentes können ausgestorben 
sein und die Nachkommen ihrer dienten können emporgestiegen 
sein. Aber diese Fälle bedürfen der genauesten Untersuchung. 

Und über die Genucier, Minucier, Sempronier und Voltunnier 
hat kürzlich Alexander Enmann in St. Petersburg eine weittragende 
Bemerkung gemacht und in Hettlers Zeitschrift für alte Geschichte ' 
verborgen. 

Im Jahre 307 v. Chr. war L. Volumnius Consul, 305 Ti. Minucius, 
304 P. Sempronius, 303 L. Genucius. 

Für 304 ist die Beschäftigung des Aedilen Cn. Flavius mit 
der Consulnliste urkundlich bezeugt. 

Hier ist von Zufall keine Rede. Was ist hier geschehen? 

All diesen plebejischen Consuln der Jahre um 304 hat 
Cn. Flavius patricische Ahnen gegeben imd ihre Namen in die 
Consulnliste eingefügt. L. Volumnius war 307 als Consul College 
des App. Claudius; er hatte eine Patricierin zur Frau, Verginia, 
die ihn, den Plebejer, geheiratet hatte imd die wegen dieser Ehe im 
zweiten Consulate ihres Gemahls, das dieser 296 v. Chr. wieder 
mit App. Claudius bekleidete, von den Patricierinnen offene An- 
fechtungen zu erleiden hattet Nicht bedacht hat Cn. Flavius in 
der Consulnliste — von König Ancus Marcius will ich augen- 
blicklich nicht reden — den plebejischen Consul des Jahres 306, 
den Q. Marcius, obwohl die Marder zur alten plebejischen Nobilität 
gehören und seit 357 in der Consulnliste erscheinen; erst 310 war 
ein Marder Consul gewesen. Falls Flavius die Marder überhaupt 
übergangen hätte, so würde er dafür in persönlichen Erfahrungen 
oder Erfahnmgen des App. Claudius seine Gründe gehabt haben; 
den patricischen Ahn gab ihnen in der Folge auf jeden Fall die 



^ Die älteste Redaktion der römischen Konsularfasten, a. a. O. i, 2, Bern 1900, 
S. 89—101 bes. S. 92—95. 

* Liv. 10, 23. Mit Rücksicht auf L. Genucius Cos. 303 möchte Enmann a. a. O. 
S. 94 die Amtszeit des Aedilen Flavius noch bis in das Consulatsjahr 303 ausdehnen, 
aber es ist weder nötig, deswegen auf die Frage nach der Antrittszeit der Aedilen noch 
auf das Tribunat einzugehen, das Flavius nach einer alten, durch Plinius n. h. 33, iS 
erhaltenen und von Licinius Macer (bei Liv. 9, 46, 3) bekämpften Angabe zugleich mit 
der Aedilität bekleidet hat. Bereits im Consulatsjahr 304 konnte Flavius den für 303 
zum Consul gewählten oder sich um dies Consulat bewerbenden L. Genucius in seiner 
Weise ehren. Dazu gehörten die Genucier zur alten plebejischen Nobilität: ein Genucier 
war bereits 365 und 362 Consul. Und das Ansehen der Genucier war so gross, dass 
C. Genucius auf Grund des plebiscitum Ogulnium 300 v. Chr. der erste plebejische 
Augur wurde. Liv. 10, 9, 2. Bardt, Die Priester der vier grossen CoUegien, 1871, S. 17. 



L. Junius Brutus der erste Consul 327 

Legende von Marcius Coriolanus. Vertreten ist das Jahr 306 in 
der Consulnliste des Flavius doch : C. Junius bekleidete die Censur 
ja auch noch in diesem Jahre. Die beiden plebejischen Collegen 
des App. Claudius in seinem Consulate von 307 hat Flavius in 
seiner Consulnliste bedacht, den Consul imd ebenso auch den 
Censor. Der Zusanmienhang des ersten Consuls, L. Junius des 
Befreiers, mit dem Censor C. Junius ist Enmann wohl nur darum 
entgangen, weil er ausschliesslich die Consulnliste und auch 
diese nur seit 307 betrachtet. 

Von den sieben oben genannten patricischen gentes sind 
also fünf nur pseudopatricisch ; imd gegen das Consulat des 
C. Aquilius 487 v. Chr. hat bereits Mommsen^ noch weitere, hier 
nicht zu wiederholende Gründe, geltend gemacht; Consul ist ein 
plebejischer Aquilier erst 259 v. Chr. geworden, aber imter den 
Consulartribimen finden wir L. Aquilius bereits 388 v. Chr. Es 
bleibt noch Sp. Cassius zu imtersuchen, imd das kann nur im 
Zusammenhange mit der Urkimde des foedus Cassianum, sowie 
der Emeuenmg des latinischen Foedus 358 v. Chr. geschehen. 

Die Consulnliste des Flavius ist die Grundlage aller späteren ; 
wäre sie nicht veröffentlicht worden, so wären seine Verfälschimgen 
nicht durchgedrungen. Und die Verfälschungen sind schlimmer 
als man zimächst meint, denn es sind nicht nur einzelne Namen 
eingefügt worden, es sind ganze Jahre hinzugekonmien. Das 
lässt sich für 497 imd 491 v. Chr. nachweisen; in beiden Jahren 
sind angeblich A. Sempronius imd M. Minucius Consuln, in Wirk- 
lichkeit Consuln 304 imd 305 v. Chr. Unter den Consuln des 
Jahres 497 lässt Livius^ den Satumtempel dedicieren; Dionys 
von Halikamass * leitet diesen Bericht mit einem „man sagt" ein. 
Auf eine Dedicationsinschrift geht die Angabe nicht zurück. Aber 
man lasse sich durch das Alles nicht zu unkritischer allgemeiner 
Negation verleiten und bleibe auch nicht bei bequemem Zweifel 
stehen, sondern man bewähre eine thätige Skepsis und schreite 
zu minutiöser und energischer Untersuchung der Consulnliste. 

Es bleibt uns noch übrig, die Berichte über plebejische 
Junier des 5. Jahrhunderts v. Chr. zu betrachten. 

Im Jahre 423 v. Chr. nennt Livius einen Volkstribimen 
C. Junius^ unter dem Consulate^ des C. Sempronius Atratinus und 



1 Mommsen, Rom. Forsch, i* S. iiof. — ^ Liv. 2, 21, 2. 
' Dion. Hai. 6, i, 4. — * Liv. 4, 40, 6. — * Liv. 4, 36, 5. 



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L. Junius Brutus der erste Consul 329 

und da sein Name sich unter den zehn Tribunennamen des Jahres 
nicht fand, behauptete man, er habe sich seines Patriciates ^ durch 
transitio ad plebem entäussert und sei von den zehn Tribunen 
zum elften cooptiert worden. Diese staatsrechtliche Ungeheuerlich- 
keit^ vermied man in der Folge, man machte ihn jetzt zum prae- 
fectus annonae ', und Licinius Macer berief sich dafür auf die libri 
lintei*. Der titulus imaginis* galt jetzt für falsch. Als man den 
Minucius zum elften Tribunen machte, verfügte man über alle 
zehn Tribunennamen des Jahres. Stand der des Q. Junius darunter? 

Als Quelle des Livius für die Geschichte des Maelius können 
nur Licinius Macer und Q. Tubero in Betracht kommen; was Livius 
über die libri lintei zu wissen glaubt, schöpft er aus Macer ^, der 
auch für Tubero die einzige Quelle für die libri gewesen zu sein 
scheint '. Wenn man aber hier doch auch mit Tubero als Quelle 
des Livius rechnen wollte, so hätte Tubero auch hier den Licinius 
Macer wiedergegeben* und aus ihm auch den Q. Junius bereits 
übernommen. Auch hätte den Q. Junius nicht eben zum Freunde 
des nach der Tynmnis strebenden Maelius gemacht, wer ihn zu 
Ehren des M. Brutus und des Servilius Ahala erfunden hätte. 
Das Tribunat des Q. Junius vom Jahre 439 stand wenigstens 
bereits bei Licinius Macer zu lesen, und dessen Tod fällt in das 
Jahr 66 v. Chr. 

An der Geschichte der Jahre 423 und 439 hängt die Frage, 
ob Junier bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. plebejische Ämter 
bekleidet haben. Aber schon Jahrzehnte vor 439 erscheint 
bei Dionys von Halikarnass ein Junius Brutus als Tribun, ja er 
erscheint hier als Begründer des Volkstribunates 493 v. Chr. 

Im Jahre 494^ erfolgt nach Dionys unter Führung des Sicinius 
Bellutus die secessio plebis in montem sacrum*^ wo sich die 
plebs auch 493^^ noch befindet. Im dortigen Lager hat Sicinius 
das Commando^^ die treibende Seele aber ist L. Junius Brutus, 
bis aufs Cognomen, wie Dionys bemerkt, der das Cognomen 



* übrigens nur von Flavius Gnaden. — * Mommsen, Staatsrecht 2, i' S. 276 f. 
' Plin. n. h. 34, 21, wohl nach Varro; Muenzer a. a. O.; Liv. 4, 13, 6. 7; Dion. 

Hai. 12, I p. 172, 8 — 20 K. 

* Liv. 4, 13. 7. — * Liv. 4, 16, 4. 

" Liv. 4, 7, 10—12; 4, 20, 8 vgl. 4. 23, 2. Mommsen, Rom. Forsch. 2 S. 214. 

' Darauf führt auch die genaue Interpretation von Liv. 4, 23, i — 3. 

' Vgl. Liv. IG, 9, IG. 

» Dion. Hai. 6, 34, i. — »^ D. H. 6, 45, 2. — » D. H. 6, 49, i- — " D. H. 6. 70, 2. 



330 Karl Johannes Neumann 



auch aus der Person dieses Juniers von 493 erklärt*, dem Brutus 
gleichnamig, der die Könige gestürzt hat. Unter den vielen Reden 
im Lager ragt die Rede des Brutus hervor ^, der noch einmal das 
Wort ergreift^ und die Begründung des Tribunates beantragt*. 
Das Volk zollt dem Brutus Beifall ^ und er geht mit M. Decius und 
Sp. Icilius als Gesandter an den Senat ab ^ Er schliesst mit dem 
Senat ein Abkommen und kehrt am folgenden Tage zurück ^ 
Er und C. Sicinius Bellutus, die beiden Führer, und ausser ihnen 
C. Licinius, P. Licinius und C. Viscellius Ruga werden zu Tribunen 
gewählt **. Der Senat gestattet auch noch die jährliche Wahl von 
zwei Aedilen ^. Die Namen der Aedilen des ersten Jahres w^erden 
nicht genannt. 

Im folgenden Jahr 492*® werden Sicinius und Brutus Aedilen**, 
und der Aedil Brutus tritt für das tribunicische Recht ein, Volks- 
versammlungen zu berufen ^2. Im Jahr 491 ^^ finden wir T. Junius 
Brutus und C. Visellius Ruga als Aedilen**. 

Wir erinnern uns, dass bereits das Altertiun sich Gedanken 
über das Patriciat. des ersten Consuls und die Plebität der späteren 
Junii Bruti gemacht hat, dass man die Abkunft dieser Bruti von 
dem ersten Consul bestritt und, kaiun aus besonderem Wohl- 
wollen gegen die Bruti, behauptete, sie stammten wohl von 
einem Hausverwalter desselben ab. Es gab aber auch einen 
ruhmvollen Weg, die Schwierigkeit, die in dem Patriciate lag, 
anzuerkennen und zu überwinden, indem man die Abkunft von 
dem ersten Consul, dem Befreier von der Königsherrschaft, auf- 
gab; es gab ja noch eine zweite Befreiung, die vom Drucke der 
Patricier mit der Begründung des Tribunates. Man schuf nun 
einen zweiten Befreier plebejischen Standes und verdoppelte den 
L. Junius Brutus, indem man dem patricischen ersten Consul den 
ersten gleichnamigen Tribunen zur Seite setzte. Alt ist diese 
Fassung allerdings nicht ; das Volkstribunat beginnt nicht schon 
493, sondern erst 471. Es soll auch nicht behauptet werden, dass» 
als man anfing, die Nimien der unhistorischen Tribunen des 



» D. H. 6, 70, I. 

'-• D. H. 6, 72, 2-6, 81, i; vgl. 6, 83, 3; 6, 85, 3. 

3 D. H. 6, 87, I sqq. — ♦ D. H. 6, 87, 3. — 5 D. H. 6, 88, i. 

6 D. H. 6. 88, 4. — ' D. H. 6, 89, i. 

* D. II. 6, 89, 1; Plut. C. Marcius 7 aus Dionys. — » D. H. 6, 90, i. 
>o D. H. 7, 1, I. — " D. U. 7, 14, 2. — " D. II. 7, 16, 4. — " D. H. 7, 20, i. 
»♦ D. H 7, 26, 3. 



L. Junius Brutus der erste Consul 331 

Jahres 493 festzustellen, L. Junius Brutus gleich darunter gewesen 
sei. Nach Livius wären erst zwei Tribunen gewählt worden, 
C. Licinius und L. Albinus, die sich drei Collegen zugesellt 
hätten, darunter Sicinitan, seditionis auctorem; de duobus qui 
fnerint minus convenit^. Die Geschichte der Tribunennamen von 
493 und die Geschichte der Überlieferung über das Tribunat^ 
habe ich hier nicht zu schreiben, nur Weniges will ich bemerken. 
Als man in einer Zeit, die jünger ist als die Quelle Diodors, dem 
seit 471 bestehenden vierstelligen, den vier städtischen Tribus ent- 
sprechenden, Tribunate ein älteres, mit 493 beginnendes, voran- 
schickte, wird man es zweistellig angesetzt haben ^. In das zwei- 
stellige hat man die Namen des L. Junius Brutus noch nicht 
hineingebracht; das Verhältnis der Namen L. Sicinius Velutus 
und L. Albinus Paterculus bei. Asconius* zu den livianischen 
ist unschwer zu erkennen. Dann hat man, den richtigen 
Gedanken von der Zusammengehörigkeit der servianischen Ver- 
fassung mit der Tribusordnung ungeschickt verwertend, den fünf 
ser\danischen Klassen entsprechend fünf Tribunen angenommen, 
hat durch diese Fünf zahl erst die historische Vierzahl von 471 
ersetzt und hat die Fünfzahl später in das Jahr 493 zurückge- 
schoben. Diese zweite Veränderung finden wir bei Piso^, die 
dritte bei Sempronius Tuditanus^ Nur dass zunächst die Fünf- 
zahl hier, wie auch bei Livius, durch Zugesellung von drei 
Tribunen zur Zweizahl entsteht, bis endlich in der Quelle des 
Dionys von Halikamass die Fünfzahl als das ursprünglich Beab- 
sichtigte erscheint. Erst dieser vierten Veränderung, sie führt 
zu der fünften und letzten Stufe, gehört die Verherrlichung des 
L. Junius Brutus als Begründers des Tribunates an. Der grosse 
Name des Befreiers kann, sobald er überhaupt darin stand, nur an 
der Spitze der Liste gestanden haben. Brutus als erster Tribun ist 
eine Schöpfung der jüngsten Annalistik, er entstammt einer Zeit, 
in der man die Abstammung der plebejischen Bruti vom ersten 
Consul erörterte imd einerseits neu zu begründen suchte ^ anderer- 



* Liv. 2, 33, 2. — * Über Niese und Eduard Meyer vgl. Gnindherrschaft S. 36. 
' Ausläufer dieser Richtung sind Cicero und wohl auch Atticus. Ascon. in Cornel. 

p.68, I. 14. 17 Kiessling-Schoell. Weitere Citate bei Niccolini, Fasti tribunorum plebis, 
Pisis 1S98, p. 2, der zu einer genügenden Gliederung des Materials über das erste Tribunat 
aber noch nicht gelangt ist. 

* Ascon. in Cornel. p. 68, 20. — * Piso bei Liv. 2, 58, i. 

® Bei Ascon. in Cornel. p. 68, 18. — ' Dritter Sohn des ersten Consuls. 



332 Karl Johannes Neamann. L. Junias Brntns der erste Consnl 

seitü in Zweifel zog und hämisch^ oder aber stolz bestritt, in 
dem \>rzicht auf die Verwandtschaft nur nach anderem Ruhm 
begierig. 

Auch die plebejische Aedilität liess man den L. Brutus jetzt 
bekleiden und zwar in dem Jahr nach seinem Tribunate. Man 
exemplificierte daran typisch die staatsrechtliche Gewöhnung der 
späteren Zeit, in der man die plebejische Aedilitftt ebenso wie 
die curulische erst nach dem Tribunat bekleidete. Endlich Hess 
man den Brutus auch noch die concilia plebis begründen. 

Der erste Consul hatte zwei Söhne, die er hat hinrichten 
lassen, T. Junius Brutus und Ti. Junius Brutus. Der Aedilität des 
L. Junius Brutus vom Jahre 492 folgt bei Dion3'S 491 die eines 
T. Jimius Brutus. 

Der Consul von 317. 313. 311, der Censor von 307 spiegelt 
sich nicht unmittelbar in dem ersten Tribun von 493, sondern erst 
durch das Medium des ersten Consuls. Es handelt sich nicht um 
zwei gleichartige Projektionen nach verschiedener Richtung, son- 
dern die historische Persönlichkeit des Censors von 307 ist der 
Ausgangspunkt für die Geschichte vom ersten Consul, und der 
erste Tribun hat seine Züge erst aus dieser Legende vom ersten 
Consul. Auch dem Ti. Minucius, dem Consul des Jahres 305, 
leuchtete ein solcher Stern auf seinem Wege durch die Ge- 
schichte, wenn auch mit minder hellem Schein : vom plebejischen 
Consul ist er zimi patricischen Consul geworden und, aus dem 
Patriciat austretend, überzähliger, elfter Tribun im Jahre 439. 



* 0{KOvö^ou ulöq. 



Ycfe 



STRASSBURGER FESTSCHRIFT 



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XI.VI. VERSAMMLUNG DEUTSCHER PHILOLOGEN 



UNI) SCHULMÄNNER 



hkraijs(;k(;ki{KX 



VON DER PHILOSOPHISCHEN FACULTÄT DER 
KAISER-WILHELMS-UNIVERSITÄT 



Mit acht Abhilchinjjrcn im Text und einer Tafel 



STRASSHURCi 
VERLAG VON KARL J. TRÜRNER 

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Karl J. Trübner in Strassburg 

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GRUNDFRAGEN 

DER 

SPRACHFORSCHUNG 

MIT RÜCKSICHT 
AUF W. WUNDTS SPRACHPSYCHOLOGIE ERÖRTERT 

VON 

B. DELBRÜCK. 



8®. VII, i8o S. 1901. M. 4.— 



Aus dem Vorwort. 

Die Schrift, welche ich hiermit dem Wohlwollen des Publikums empfehlen 
möchte, beginnt mit einem Abschnitt, der einem Philosophen vielleicht sehr 
elementar vorkommen mag, von dem ich aber hoffe, dass er den übrigen 
Lesern willkommen sein wird, nämlich einer kurzgefassten vergleichenden 
Darstellung der Herbart'schen und der Wundt'schen Psychologie. Eine solche 
Auseinandersetzung schien mir unerlässlich, weil niemand die Meinungsver- 
schiedenheit zwischen Steinthal oder Paul einerseits und Wundt andererseits 
wirklich verstehen kann, der sie nicht bis in ihre in der psychologischen Grund- 
auffassung liegenden Wurzeln verfolgt. An diese grundlegende Darstellung 
schliesst sich der bei weitem umfänglichere Teil der vorliegenden Schrift: die 
Auseinandersetzung eines Sprachforschers mit den Wundt'schen Theorien über 
die wichtigsten Probleme des Sprachlebens. Dass es dabei nicht ohne viel- 
fachen Widerspruch abgehen kann, wird derjenige selbstverständlich finden, 
der sich gegenwärtig hält, dass ein Philosoph und ein Historiker infolge der 
überlieferten Verschiedenheit ihrer Arbeitsgewohnheiten sich demselben Stoff 

Gegenüber immer verschieden verhalten werden. Dazu kommt im vorliegenden 
alle, dass ein Unternehmen wie das Wundt'sche einer Fülle von stonlichen 
Schwierigkeiten ausgesetzt ist, die sich wohl von niemand ganz überwinden 
lassen. Die Sprachforschung ist ein ungeheures Gebiet, auf dem unablässig 
gearbeitet wird. Wie wäre es zu vermeiden, dass jemand, der den ganzen 
Kreis der dahin gehörigen Probleme durchmessen will, sich gelegentlich im 
einzelnen vergreift oder hinter dem jetzigen Stande der Forschung zurück- 
bleibt? Habe ich demnach Wundt bei aller aufrichtigen Wertschätzung nicht 
selten entgegentreten müssen, so hat sich doch, wie man hoffentlich bald 
gewahr werden wird, meine Kritik nie auf gleichgültige Einzelheiten, sondern 
immer nur auf Punkte von principieller Wichtigkeit gerichtet. 

Inhalt: 

I. Kapitel: i. Einleitung, 2. Vergleichung der Herbart'schen und der 
Wundt'schen Psychologie, 3. Das sprachliche Material. — II. Kapitel : Die Ge- 
berdensprache. — III. Kapitel: Der Ursprung der Lautsprache. — IV. Kapitel: 
Der Lautwandel. — V. Kapitel: Wurzeln, Zusammensetzung. — VI. Kapitel: 
Wortarten und Wortformen, Kasus, Relativum. — VII. Kapitel: Der Satz und 
seine Gliederung. — VIII. Kapitel: Der Bedeutungswandel, Rückblick. — 
Litteraturangaben. — Index. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 



GRUNDRISS 



DER 



VERGLEICHENDEN GRAMMATIK 

DER 

INDOGERMANISCHEN SPRACHEN. 

KURZGEFASSTE DARSTELLUNG 

der Geschichte des Altindischen, Altiranischen (Avestischen und Altpersischen) 
Altarmenischen, Altgriechischen, Albanesischen, Lateinischen, Umbrisch-Sam- 
nitischen, Altirischen, Qotischen, Althochdeutschen, Litauischen und Altkirchen- 

slavischen. 

von KARL BRCCMANN und BEETHOLD DElBRßCK 

ord. Professor der indogermanischen Sprach- ord. Professor des Sanskrit und der Vergleichen- 

wissenschaft in Leipzig. den Sprachkunde in Jena. 

L Bd. : EINLEITUNG UND LAUTLEHRE von Karl Brugmann, 
Zweite Bearbeitung. L Hälfte (§ 1—694). Gr. go. XL, 

628 S. 1897. M- i6- — • 

— — 2. Hälfte (§ 695—1084 und Wortindex zum L Band). Gr. 8^ 

IX u. S. 623 — 1098. 1897. M. 12. — . 

II. Bd. : WORTBILDUNGSLEHRE (Stammbildungs- und Flexions- 
lehre) von Karl Brugmann. i. Hälfte. Vorbemerkungen. 
Nominalcomposita. Reduplicierte Nominalbildungen. Nomina 
mit stammbildenden Suffixen. Wurzelnomina. Gr. 8°. XIV, 
462 S. 1888. M. 12.—. 

— — 2. Hälfte, I. Lief. : Zahlwortbildung, Casusbildung der Nomina 

(Nominaldeklination), Pronomina. Gr. S^. 384 S. 1891. M. 10. — 

— — 2. Hälfte, 2. (Schluss-) Lief. Gr. 8^. XII, 592 S. 1892. M. 14.— 

INDICES (Wort-, Sach- und Autorenindex) von Karl Brugmann 
Gr. 8<>. V, 236 S. 1893. M. 6.— 

III. Bd. : SYNTAX von B. Delbrück, i. Teil. Gr. 8°. VIII, 774 S 

1893. M. 20. — 

rV. Bd.: 2. Teil. Gr. 8^. XVIT. i;6o S. 1807. M. 15.— 

V. Bd.: — — 3. (Schluss-) Teil: Satzlehre. Mit Indices zu den 

drei Teilen der Syntax von C. C appeller. Gr. 8®. XX, 

606 S. 1900. M. 15. — . 

„. . . Bnigmann's Werk gehört fortan zu dem unentbehrlichsten Rüstzeug 
eines jeden Indogermanisten; möge der zweite Band nicht allzu lange auf sich 
warten lassen." Ö. M . . . r, Liter ar, Centralbl. 1SS7 Nr, 8, 

(I. Band) „ • • • £& wäre ein Ding der Unmöglichkeit, auch nur annähernd 
all' das Neue zu verzeichnen, was in dieser neuen Auflage teils auf Grund der 
eigenen weitausreichenden Untersuchungen des Verfassers, teils mit gewissen- 
hafter Benutzung der gesamten Forschungen auf dem Gebiete der indog. Sprach- 
wissenschaft geboten ist. Der Brugmannsche Grundriss wird auch in der zweiten 
Auflage, die wir als neues glänzendes Zeugnis der unermüdlichen Arbeits- und 
Schanenskraft seines Verfassers, zugleich aber auch seines weittragenden und 
scharfen Blickes in alle Weiten und Tiefen unserer Wissenschaft und seines 
sichern und unparteiischen Urteils in den schier zahllosen Problemen und Streit- 
fragen der Indogermanistik begrüssen, wo möglich in noch höherem Grade, wie 
in der ersten, em Markstein in der Geschichte der indogermanischen Sprach- 
wissenschaft sein, als welchen ich ihn mit vollem Fug und Recht in der iro 
Jahrgang 1887 Nr. 3 veröffentlichten Besprechung bezeichnet habe. 

Fr, Stolz, Neue philologische Rundschau 1891 ^^- 2* 

\ 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 



it 



IND0GERMMI8CHE FORSCHUNGEN 

ZEITSCHRIFT 

FÜR 

INDOOIRIANISCHB SPRACH- UND ALTERTDI8KUNDI 

HERAUSGEGEBEN 
von 

KARL BRUGMANN und WILHELM STREITBERG 

MIT DEM BEIBLATT: 

ANZBIflER FÜR INDOÜBRIANISCHE SPRACH- UND ALTERTÜISKDNDB 

REDIGIERT VON 

WILHELM STREITBERG 
I. — XL Band 1891 — igcx). XII. Band unter der Presse. 
Preis jeden Bandes M. 16. — , in Halbfranz geb. M. 18. — . 

Die Original-Arbeiten erscheinen in den Indogermanischen Forsch- 
ungen; die kritischen Besprechungen, eine referierende Zeitschriftenschau, 
eine ausführliche Bibliographie sowie Personalmitteilungen von allgemeinerem 
Interesse werden als cAnzeiger für indogermanische Sprach- und Alter- 
tumskunde» beigegeben. 

Die Zeitschrift erscheint in Heften von 5 Bogen 8*. Fünf Hefte bilden 
einen Band. Der Anzeiger ist besonders paginiert und erscheint in 3 Heften, 
die zusammen den Umfang von ungefähr 15 Bogen haben; dieses Beiblatt ist 
nicht einzeln käuflich. Zeitschrift und Anzeiger erhalten am Schluss die er- 
forderlichen Register. 



In Vorbereitung: 

Die 

Indogermanische Sprachwissenschaft 



Ihre Methode, Probleme, Geschichte. 



Von 
Wilhelm Streitberg, 

a-o. ProfeHSor der indogermanischen Sprachwissenschaft in Munster L W. 



Das Werk ist für weitere Kreise berechnet und zugleich als eine Art 
Vorschule zu Brugmann's Grundriss der vergleichenden Grammatik 
der indogermanischen Sprachen gedacht. Die Methode und die Auf- 
gaben der indogermanischen Sprachforschung, deren Kenntnis dieser beim 
Leser voraussetzt, sollen hier in gemeinverständlicher Form dargestellt, erklärt 
und begründet werden. Das Buch will dazu beitragen, das Verständnis für die 
Bedeutung der jungen Wissenschaft bei allen auf unseren Gymnasien philologisch 
Geschulten zu wecken und zu fördern. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 



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DER 

ÖTDOGERMAIflSCHEir ALTERTTJMSKOTDE. 

GRUNDZÜGE 

EINER 

KULTUR- UND VÖLKERGESCHICHTE ALTEÜROPAS 

VON 

O. SOHRADBR, . 

o. Professor an der Universität Jena. 



Lex. 8°. XL, 1048 S. 1901. Broschirt M. 27. — , in Halbfranz geb. M. 30. — . 



Die indogermanische Altertumskunde will die Ursprünge der Civili- 
sation der indogermanischen Völker an der Hand der Sprache und der 
Altertümer, sowohl der prähistorischen wie der geschichtlichen, ermitteln. 
Was auf diesem an Ergebnissen und Streitfragen reichen Arbeitsgebiet bis 
jetzt geleistet worden ist, soll das vorliegende Reallexikon der i dg. 
Altertumskunde zusammenfassen und weiter ausbauen. Zu diesem 
Zwecke stellt sich das Werk auf den Boden der historisch bezeugten 
KulturAltcuropas, wo die Wurzeln und der Schwerpunkt der idg. Völker 
liegen, löst dieselbe unter geeigneten Schlagwörtern in ihre Grundbegriffe 
auf und sucht bei jedem derselben zu ermitteln, ob und in wie weit die 
betreffenden Kulturerscheinungen ein gemeinsames Erbe der idg. Vorzeit 
oder einen Neuerwerb der einzelnen Völker, einen selbständigen oder von 
aussen entlehnten, darstellen. So kann das Reallexikon zugleich als Grund- 
züge einer Kultur- und Völkergeschichte Alteuropas bezeichnet 
werden, indem die Rekonstruktion vorgeschichtlicher Zustände nicht so- 
wohl Selbstzweck, als Hilfsmittel zum Verständnis der geschichtlichen Ver- 
hältnisse sein soll. Im allgemeinen begnügt sich das Werk damit, das 
erste Auftreten einer Kulturerscheinung festzustellen und ihre weitere 
Geschichte den Altertumskunden der idg. Einzelvölker zu überlassen, für 
die das Reallexikon eine Einleitung und Ergänzung sein möchte. Ein 
besonderer Nachdruck ist auf die Terminologie der einzelnen Kultur- 
bcgriffe gelegt worden, da es die Absicht des Werkes ist, den kultur- 
historischen Wortschatz der idg. Sprachen, was hier zum ersten Mal ver- 
sucht wird, als Ganzes sachlich und übersichtlich zu ordnen, sowie sprachlich 
zu erklären. Dabei sind ausser den eigentlichen Kulturbegriffen auch 
solche Begriffe als selbständige Artikel in das Reallexikon aufgenonunen 
worden, welche für die Kulturentwicklung, die Wanderungen, die Rassen- 
zugehörigkeit der idg. Völker sowie für die Urheimatsfrage, die einer 
erneuten Prüfung unterzogen wird, irgendwie von Bedeutung sein können. 



* Verlag von KARL J. TRÜBNER IN STRASSBURG. 

NORDISCHE 

ALTERTUMSKUNDE 

NACH FUNDEN UND DENKMÄLERN AUS DÄNEMARK UND SCHLESWIG 

GEMEINFASSLICH DARGESTELLT 

D«. SOPHUS MÜLLER 

DileklOT UD NitlonalmoHiim Hi Kopenhaian. 



DEUTSCHE AUSGABE 

UNTER HITWIRKUKG DES VERFASSERS BESOR< 



I. Band: Steinzeit, Bronzezeit. Mit 253 Abbildungen im Text, 

2 Tafeln und einer Karte. 8". XII, 472 S. 1897. Broschirt M. 10. — , 

in Leinwand geb.- M. II, — . 

11. Band: Eisenzeit. Mit 189 Abbildungen im Text und 2 Tafeln, 

8<* VI, 324 S. 1898. Broschirt M. 7.—, in Leinwand geb. M. 8.—. 

Inhalt: I. Steinzeit. I. Wohnplätze der filteren Steinzeit. 
2. Altertümer aus der Zeit der Muschelhaufen. 3. Chronologie der älteren 
Steinzeit. 4. Die Periode zwischen der Zeit der Muschelhaufen und der 
Steingräber. ;■ ^'^ kleineren Stein- 
gräber, Rundgräber und Hünenbetten. 
6. Die grossen Steingräber oder Riesen- 
stuben. 7. Das Innere der Steingräber, 
Begräbnisbräuche und Grabbeigaben. 
8. Die jüngsten Gräber der Steinzeit: 
Kisten- und Einzelgräber. 9. Das Stu- 
dium der Steingräber, eine historische 
Übersicht. 10. Altertümer aus der jün- 
geren Steinzeit. 11. Kunst und Religion. 
12. Das Studium der Steinaltertümer, 
eine historische Obersicht. 13. Herstel- 
lungstechnik der Geräte und Waffen. 
14. Wohnplätze, Lebensweise etc. 

11. Bronzezeit, i. Aufkommen und 
Entwickelung des Studiums der Bronze- 
zeit. — Die ältere Bronzezeit: 
2. Ältere Formen aus Männergräbem, 
Waffen und Schmuck. 3. Toilettegerät- 
schaften. 4. Männer- und Frauen- 
"mu*^)'™"^^' trachten. Feld- und Moorfunde. 5. Die 
älteste Ornamentik im Norden und ihr 
Ursprung. 6. Die älteste Bronzezeit in Europa. 7. Beginn der nor- 
dischen Bronzezeit und Bedeutung des Bemsteinhandels. 8. Grab- 
hügel und Gräber. 9. Der spätere Abschnitt der älteren Bronzezeit. 
10. Die Leichenverbrennung, Ursprung, Verbreitung und Bedeutung 
des Brauches. — Die jüngere Bronzezeit: II. Einteilung, Zeitbe- 




II. Band. Abb.Sg. k 

bemet Helm aus der 

zeit (im Kiel< 



Verlag von KARL J. TRÜBNER m Strassbubu. ^ 

Sophus Müller, Nordische Altertumskunde (Fortsetzung). 
Stimmung und Funde. 12. Gräber und Grabbeigaben. 13, Feld- und Moor- 
funde etc. 14. Innere Zustände, Handwerk und Ackerbau, Kunst und 
Religion. 

m. DIE EISENZEIT. Die 
ältere Eisenzeit, i. Beginn der 
EisL-nzeit in Europa. 2. Die vorrömi- 
sche Eisenzeit. Eine fremde Gruppe. 
3. Zwei nordische Gruppen. 4. Die 
römische Zeit. Altertümer und Indu- 
strie. 5. Gräberund Grabfunde aus der 
römischen Zeit. 6. Die 
Völkerwanderungszeit. 
Fremde und nordische 
Elemente. 7. Die Grab- 
funde aus der Völker- 
wanderungszeit. 8. Die 
grossen Moorfunde aus 
derVölkerwan derungs- 
zeit 9. Die GoldhÖrner und der 
Silberkessel. Opferfunde aus der 
Eisenzeit. — Die jüngere 
Eisenzeit. 10. Die nachrömi- 
fche Zeit. H. Die Tierorna- 
mentik im Norden. 12. Die 
\ ilvingerzeit. 13. Gräber, Be- 
stattungsarten, Gedenksteine. 
14 Handwerk, Kunst und Reli- 
gion. Schlussbetrachtung:Mittel, 
Ziel und Methode. Sach- und 
Autoren-Register. — Orts- und 
Fundstätten- Register. 

. . . . S. Müllers Alterthnms- 
kunde ist ebenso wissenschaniich 
wie leicht verständlich. Es ist 
freudig zu begrQssen, dass diesei 
WerkindeutscherSprachc erscheint, 
und O. Jiriczek war eine vortrefflich 
;eei[iiiete Kraft, sich dieser Aufgabe 
icr Uebersetzung lu nnterciehen . . . 
D 1 e ve rs Chi e de neu An s ch auu n gen 
der Gelehrten über einzelne Er- 
•icheiniingen werden in objektiver 
Weise dargelegt, wodurch in das 
Werk zugleich eine Geschichte dei 
nordischen Archäologie verwebt ist. 
Dabei hat M. jederzeit seine Blicke 
auf die Parallelerscheinaneen und 
d e 1-orschung bei anderen Völkern 
ger chtet und dadurch den Werth 
ie nes Werkes über die Grenzen 
der nordischen Archäologie erweis 
iLrt Besondere Anerkennung ver- 
diLnt auch die klare und scharfe Er- 
klärung technischer AusdrOcke. . . .> 
Lilerar. Centralblall i897, Nr. 1, 




Veklag vom KARL J. TROBNER im Strassbukg- 



^futrdjf Bolhahunöf. 



ason 
darb tyngo Sütc^et, 



|>iiirtir»i; ttc pcimtintM"! XlttrlumaPinnbc an btc Mnliiniail Iriibnig i St. 

3Rit 17 älbbilbungen unti einet Aaite. 

8". Vni, 362 ©. 1898. Sßtet« 6tofd)irt tK. 6.—, in aetnraonb gebunben Wt. 6.50. 

nnbalt: I. SJorf unb J^ut; II. 3)aS $au6; III. fflötper6ef(^affen^eU unb 
Itodit; IV. Sitte unb Sröu^; V. ajie 3Ji)lt«(proc^e unb bie ^unbarten; VL Sie 
aSoll8bi(^tune; VII. Sage unb OTäc^en. 

Aus dem Vorwort: 

•Dieses Buch bietet sich dem wachsenden Betriebe der deutsctien Volks- 
kunde als Fahrer an. Nicht nur fühlen die Germanisten, dass dieser Zweig ihrer 
Wissenschaft zu seinem Gedeihen noch weiterer besonnener Pflege and Leitung 
bedarf, sondern auch viele Gebildete, von unseren höchsten Beamten bis lu 




fflg- II- S>« ©Bttof in 06erricb &*i ^reibutg i. 



den bescheidensten Dorfschullehrern herab, namentUch alle die Männer, die 
berufen sind, dem Volk zu raten und zu helfen, und wiederum dessen Hilfe 
in Anspruch nehmen, ja alle wahren Volksfreunde empfinden immer dringlichei 
die Pflicht einer genaueren Bekanntschaft mit den Zuständen und Anschauungen 
des gemeinen Mannes, Das hat auch die zahlreiche Zuhörerschaft meinei 
akademischen Vorlesungen über deutsche Volkskunde In Frei bürg bezeugt, 
aus denen das Buch hervorgegangen ist. Denn unser <Volk> im engeren Sinne 
des Wortes ist, wie unser Gesamtvolk, am Ende des neunzehnten JaJirhunderti 
eine ganz andere Macht geworden, als es je zuvor war, und es 'ist in der ge- 
waltigsten Umwälzung begriffen. Und mitten hinein tritt die Volkskunde, indem 
sie das Alte liebevoll der Erinnerung bewahrt und aus Älterem erklärt und 
zugleich aufmerksam die Vorbereitung und Wendung zum Neuen nachweist 
Die Volkskunde hat eine wissenschaftliche und zugleich eine soziale Aufgabe 
Kuriositäten, wie sie viele zusammenhangslos authäufen, können der ^Kl1kS' 
künde dicnsam sein, machen sie aber nicht aua; nicht in allerhand Oberlebseli) 

ForusuuDg lighe ntduu Siiu. 



VER1.AG VON KARL J. TROBNER in STRASSBURG. 



SWe^er^ ©• ^., 2)eiltf(^e 8oIf«funbe (Fortsetzung). 

der Vergangenheit steckt ihr Hauptreiz. Ober die Bücher hinweg erfasst sie 
zunächst nut ihren eigenen Augen und Ohren die lebendige Gegenwart und 
alle deren Volksäusserungen, mögen sie alt oder neu, hässlich oder schön, 
dumm oder sinnig sein. Im Wirrsal der Erscheinungen sucht sie das Gesetz 
oder den Zusammenhang, der denn doch zu allertiefst in der Volksseele ruht und 
dort seine Deutung findet. Und weil die Gegenwart so viel Unverstandenes, 
Entstelltes und Halbverschollenes mit sich schleppt, bemüht sich die Volks- 
kunde nun auch in die aufklärende Vergangenheit einzudringen. Da thut sich 
allmählich ein mächtiger Hintergrund hinter unseren Zuständen auf, wie noch 
unser alter Wald hinter den modernen Rübenfeldern steht. Man wird begreifen, 
warum meine Darstellung durchweg die Zustände der letzten Hälfte unseres 
Jahrhunderts wiederspiegelt, aber hier und da bei längst vergangenen Zeiten 
ruhig verweilt. . . .» 

Amtliche Empfehlungen: 

Vom Kaiserl. Oberschulrat für Elsass-Lothringen wurde das Werk gleich 
bei Erscheinen (am 6. Dezember 1897) den Kreisschulinspektoren und Lekrer» 
hildungsanstcUten zum Studium empfohlen. 

Der Grossherzogl. Badische Oberschulrat hat laut Schreiben v. 12. Januar 
1898 im Schulverordnungsblatt auf das Werk empfehlend aufmerksam gemacht. 

Das Königlich Sächsische Ministerium des Kultus und öffentlichen Unter- 
richts hat laut Schreiben v. 22. Februar 1898 die Bezirkssckulinspektoren auf 
das Werk aufmerksam gemacht. 

Das Grossherzogl. Hessische Ministerium des Innern, Abteilung für Schul- 
angelegenheiten, hat durch Erlass vom 28. Januar 1898 das Werk den Gross- 
herzoglichen Direktionen der Gymnasien, Realgymnasien, Realschulen, höheren 
Mädchenschulen, Schullehr er seminarien u. Grossherzogl, Kreisschulkommissionen zur 
Anschaffung für ihre Bibliotheken empfohlen. 



Urteile der Presse. 

«... Was Volkskunde ist, darüber fehlte bisher jede umfassendere Auf- 
klärung. Der Inhalt und Umfang des Begriffes ist keineswegs bloss Laien fremd. 
Auch diejenigen, die den aufblühenden Studien der Volkskunde näher stehen, 
wissen nicht immer, was den Inhalt derselben ausmacht . . . 

So erscheint nun zu guter Stunde ein wirklicher Führer auf dem neuen 
Boden, ein Leitfaden für jeden, der den Zauber der Volkskunde erfahren hat 
oder erfahren will, für den Lernbegierigen sowohl wie für jeden Freund des 
Volkes. Bisher fehlte jede Orientierung, wie sie uns jetzt Prof. Elard Hugo 
Meyer in einem stattlichen Bändchen bietet. Der Verfasser, von mythologischen 
Forschungen her seit lange mit Volksüberlieferungen und Volkssitten vertraut 
— der angesehenste unter unsern Mythologen — hat seit Jahren das Werk 
vorbereitet, das er uns jetzt als reiche Frucht langjähriger Sammelarbeit vor- 
legt ... Es ist ein unermesslich grosses Gebiet, durch das uns das Buch führt. 
Es ist frische, grüne Weide, die seltsamerweise dem grossen Schwärm der Ger- 
manisten unbemerkt geblieben ist. Ein fast ganz intaktes Arbeitsgebiet . . . 

Das Buch ist nicht bloss eine wissenschaftliche, es ist auch eine nationale 
That>. Beilage zur Allgenuinen Zeitung i8qj Nr, 286. 

cWer sich durch diese Zeilen Lust machen Hesse, Meyers Buch selbst 
in die Hand zu nehmen, würde es nicht bereuen. Es ist natürlich wissen- 
schaftlich zuverlässig gearbeitet, ausserdem aber ungewöhnlich fliessend ge- 
schrieben und, was uns am meisten wiegt, von einer ganz prächtigen Auf- 
fassung der Dinge belebt. Wie oft muss man sonst bei Arbeiten aus diesem 
Gebiete den schönen Stoff bedauern, der in die unrechten Hände gekommen 
ist. Hier ist er in den richtigen. Als ein deutliches Beispiel für die bewusst 
geschmackvolle, im besten Sinne feine Behandlung des Stoffes ist uns die Ver- 
wendung und die Art der Wiedergabe der Mundart erschienen . . . Das Buch 
enthält auch eine Menge Fragen und benutzt sie, den Leser zum Mitleben zvt 
zwingen, der Verfasser nennt es selbst im Vorwort einen in die erzählende 
Form gegossenen Fragebogen. ...» Die Grenzboten rSgS Nr. /.?. 



10 Verlag von KARL J. TRÜBNER IH Strassburg. 



]Batitrihr$ Bolhaltto 



tm 



ntunirtntrn lladrliunüert 



von 



^cofeffot bec getmanifc^en SItevtumffunbc an ber Uniberfttat (Ifrciburs i. Or. 

8^ IX, 628 @. 1900. ?5rete brof^irt ^ 12—, in Scinwanb öebunbcu jH 13. 



3m ?lnj[(i^ru§ an bie ^©cutfti^e SSottiJfunbe'' bietet l^ier bcr SBcrfaftcK 
ein fein auößefül^rtcg ©injetbilb öon bem SBoIfSleben im ©ro^l^crsofltum öabcn 
auf ®runb t)on ial^relangen forgfättigen (Srl^ebungen. 

Sn^alt: (Einleitung. I. fianitel: ®eburt, Zaufe unb ^inb^eit: ^inblc§* 
brunnen unb ^bamme. ©tord^. Hebamme, ftinbgbab. 55atcn. 2;aufc. Äinbcr!rantt)eitcn. 
SBicflcn-' unb Äinbcrltcber. Äinbcrcraielftunö. n. fia)ittel: 5Dtc ^ugcnb: 3uflcnbfpicle. 
3u0cnbfeftc. ©d&ullcbcn. (grftc Äommunton unb Äonfirmation. ^ugcnbarbcitcn. ^Mrtcn* 
leben. $iin0fifeft. III. Sanitel: Siebe unb ^oc^geit: SiebeSfprad[)e, «orafel unb 
»jauber. ©piunfiube. Solföflefang. lanj. Sfenflerlen. gcfte ber jungen Seutc. ©ünbcliS« 
tag. gfaftnac^t. ©dbeibenfcftlagen. Oftereierlauf. IWaifefte. So^anniSfeuer. Äird)mciö. 
^ocögeitfciem in ben oerfd^iebenen fianbfc^aften. SBerbung. ©efc^au. SJerfpruc^. SScr. 
tünbigung. ©inlabung. firönaete unb ©dfedppelbirfdie. ©rautroagen. ^od&jeitstracftt. 
ÜJIorgenfuppe. ^oc^aeitSgug. Stauung. X&nse. S^abL ^anjabnabme. ^^acbfeier. [Rücfblicf. 
IV. fianttel: 2)ad b&udlicbe Seben: ^leingüter unb ^ofgüter. Hnerbenrecbt unb 
Scibgebing. (Sefihbe. Sflabrung. Iag!öbnet. ^anbmerfer unb ^aufierer. ©auart. ©üd^crci. 
©dbuft unb ©c^mud. ttufrid^tung. ©arten, ©d^mangerfdbaft, 9Heberfuntt unb %\yx^* 
fegnung. V. fia)ittel: Sei ber Arbeit: ©toIL ^ferbegucbt. 9Knbergu(i&t Stebpatrone. 
^übner. Sienen. ^(cferbau. pflügen, ©den. O^urumgänge. ^&tvX^. SDreic^en. ^anf unb 
SlacbS. SBeinbau. SBalbarbeiten. Bergbau. Sflö§erei. gifd^erei. ©cbmaramalbinbuftrie. 
©oufterbanbel. VI. fia)ittel: 3ur iJeftieit: 2lnbrea8na(^t Swifcften ben 3abren. 
Sbriftnac^t. Sol^anniS b. @d. Xag. SleujabrSnac^t $. SDreifönige. iDlariö fiid^tmeg. 
©lafiug* unb Ägatbetag. fjofcbing. Dftem. IWaitag. $immelfabrt, 3)retfa!tigfeit unb 
Sfronleicbnam. S^^anniS b. £. Zag. ^rcbroeib- ÜJ^artini. Unglücfötage. SRonb unb 
Eingang, ^i^v^^, 9){tlcbftra6e unb 9tegenbogen. VII. fto^ttel: 2)ag Serb&Itnid 
ber dauern ju Strebe unb ©taat: S)ie Sirene. 3)u1bfam!eit unb (Staube, fiirdblicb« 
leit. ^auSanbacbten. ©ruberfcbaften unb 3ünglingdt)ereine. ©eten unb 3<iften. SBatt« 
fabrten. ÜJIifftonen unb Orben. (9et{tlid)feit. ©eften. ©alpetrer. iBauemmoral. iiBeamte. 
9laci)bam. ©enoffenfcbaftS» unb ©emeinbermn. VIII. fto^ttel: ^ranfbeit unb Zob: 
SBarjen unb ©ommerfproffen. iBrudb. ©cbrötte. ^len. ^qrenbanner. Sßabrfagerel 
©t)mpatbiebof(oren. Heilmittel, ©ober. ©t)mpatbie. gauberbücber. ^ircbe. Sorjeicben 
be9 ZobeS. 3)ad ©terben. fieicbeneinfleibung. Seidbenroad^e. Seicbenanfage. ©eerbtgung. 
Seicbenmabl. Setd)en< ober Zolcnbrctt Zotengebä^tniS. IX. fia|itte(: 9iü(I|(^au. 
Tta^irdge unb ©evicbttgungen. SRegtfter. 



Verlag von KARL J. TRObnER im Strassburc. 



DEUTSCHEN RUNENDENKMALER 

herausgegeben 

Rudolf Henning. 

Mit 4 Tafeln nnd so Hotzschnitt«)). 



Hll UateritaUuDs der kgL preuH 



Fol. Vin u. 156 S. 1889. Preis karl. M. 15. 

Inhalt: I. Die Speerspitie von Kowel, — II. Die Speerspitze von 
Müncheberg. II a. Die Speerspitie von Torcello. — III. Der Goldring von 
Pietroassa. — IV. Die Spange von Charney. — V. Die Spange von Osthoteo. — 
VI. Die Spange von Freilaubersheim. — VII, Die grössere Spange von Norden- 
dorf. ■ — VIII. Die kleinere Spange von Nordcndorf. — IX. Die Emser Spange. — 
X. Die Friedberger Spange, — XI. Der Goldring des Berliner Museums. — 
XII. Der Bracteat von Wapno. — XIII. Der zweite Bracteat des Berliner 
Museums. — XIV. Die Dannenberger Bracteaten. — XV. Der Bracteat aus 
Heide. — XVI. Das TonkOpfchen des Berliner Museums, — Ergebnisse, An- 
hang und Register. 

' . . . Der Verfasser, der in den Fragen prähistorischer Kultur, zugleich 
aber auch in der deutschen Sprachgeschichte wohl zu Hause ist, bringt von 
jedem Denkmal einen genauen Fundbericht und gicbt eine genaue Beschreib- 
ung, an die sich dann seine Deutungsversuche anschliessen. Man muss die 
Sorgfalt rühmen, mit der alles in Betracht Kommende erwogen ist, und in 
einer Reihe von Fällen ist ihm auch gewiss geglückt, das Richtige lu finden . . .." 
Literar. Ceniralblatt iSgo Nr. 2o. 

DAS DEUTSCHE HAUS 

in 

seiner historischen Entwickelung 
Rudolf Hennlns. 

Mit 64 Holzschnitten. 
Quellen und Forschungen z 

■«>. IX, r84 S. 1888. M. 5. 

, Henning! irbell 

dai culluihiilorikc» unduchlc 
Auch IC gehl von dci fön 
bautrnhiuK) aui, Am er 
•ccllI biiurten in: die frir 
oberdcutichc, iIclulichE, frio 
■nglodiniiebe, noTdiiche Bn< 
dtultche, und gelingt nac 
•cbildcning dieier biuarlen lu 
riachen u. uchlologiichen ich! 
di« in den beiden capiteln 




VerkEeineiie Abbildung lui „Henning, Du deuuche Haiu* 
Fig. 6. ScbwmwRldbuii. 



13 Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 



Zur Ur- und Frühgeschichte 



von 



Elsass-Lothringen 

von 

R. PORRER 

Nebst vor- und frühgeschichtlicher Fundtafcl mit 192 Abbildungen 

in Licht- und Farbendruck 

gross 4 ", 46 Seiten Text, mit Tafel in Sechsfarbendruck 65 X ^S ^ni. 

Mk. 3. — . 



<3E>- 



Nach dem Vorbild anderer Staaten (Württemberg, preuss. Provinz 
Sachsen, Oesterreich u. A.) erscheint hiermit auch für Elsass- 
Lothringen eine gemeinverständliche Aufklärung über die ur- und 
frühgeschichtlichen einheimischen Denkmäler. In dem Masse wie 
die prähistorische Wissenschaft auch in Deutschland endlich nach 
und nach zu ihrem Rechte gelangt, ist es wichtig, dass dem Ver- 
schleudern und Verschleppen neuer Funde vorgebeugt und dem 
Volke die Anmeldepflicht besser als bisher nahegelegt werde. Dies 
kann nicht allein durch schriftliche Belehrung erfolgen, die 
bildliche Anschauung muss damit Hand in Hand gehen. Der 
Verfasser hat nun eine Fundtafel zusammengestellt, welche alle 
bisherigen an Vollständigkeit und Uebersichtlichkeit übertrifft und 
dieser Tafel einen Text beigefügt, der sowohl des Verfassers 
methodologische Ansichten auf dem Gebiete der Prähistorie enthält, 
wie auch eine in grossen Zügen gehaltene Urgeschichte Elsass- 
Lothringens imd der angrenzenden Länder. 

Schrift und Tafel sind deshalb auch für Altertumsforscher, 
Anthropologen imd Ethnographen ausserhalb Elsass-Lothringens 
von grossem Interesse, 

Umstehende autotypische Verkleinerung der Tafel giebt ein 
getreues Bild von ihrer Einrichtung und Ausstattung. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in STRASSBURG. 



FORRER, R., Zur Ur- und Frühgeschichte von Elsass-Lothri ngeti. 



Facsimile der Fundtafel. 




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14 VERLAG VON KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 

Soeben erschien : 

UNTERSUCHUNGEN 

ZUR 

GRIECHISCHEN LAUT- UND YERSLEHRE 

VON 

FELIX SOLMSEN, 

a. o. Professor der indogermanischen Sprachwissenschaft an der UntvertritSt Bonn. 

80. IX, 322 S. 1901. M. 8.— 

Früher erschien: 

STUDIEN 

ZUR 

LATEINISCHEN LAUTGESGHIGHTE 

VON 

FELIX SOLMSEN. 

80. VIII, 208 S. 1894. M. 5.50. 



„Drei Aufsätze und drei Excurse bilden den Inhalt der Schrift: I. Der 
Wandel von vg- in vö- und von vö- in v6- im Wortanlaut; II. Der Wandel von 
qug- in cö; III. Der Schwund des v zwischen Vocalen. Sodann: i) Weiteres 
zur Bildung der 2. Sg. Imp. Act. der unthematischen Verba im Lateinischen; 
2) Der Plur. Ind. Präs. und das Präteritum des Verbums „wollen" im West- 
germanischen; 3) Reste der indogermanischen Flexion von dieus im Lateinischen 
und Verwandtes. Sach- und Wortregister bilden den Schlu^s . . . 

Die von Sachkenntnis und Methode zeugende Schrift bedeutet einen 
wesentlichen Fortschritt auf dem vielumstrittenen Gebiet." 

Literat, Centralblatt 1895 ^^* 20, 

„Lange Zeit ist das Lateinische von den Sprachvergleichem etwas stief- 
mütterlich behandelt worden und infolge dessen in viel höherem Grade als 
das Griechische der Tummelplatz für einen Dilettantismus geblieben, der blosse 
Einfmie und willkürliche, durch keine Analogien gestützte oder zu stützende 
Behauptungen für Wissenschaft ausgibt. Erst in den letzten drei Jahren ist 
von verschiedenen Seiten auch dieses Gebiet energisch und mit grossem Er- 
folge in Angriff genommen worden. Den Forschungen von F. Skutsch, den 
Arbeiten von Parodi gesellen sich als Drittes die Untersuchungen von Solmsen 
bei, die in trefflicher Vereinigung sprachwissenschaftlicher und philologischer 
Kenntnisse, in feinsinniger Scheidung dessen, was einzelsprachliche Entwicklung 
ist, von dem, was in die Urzeit hinaufreicht, in strenger Beobachtung der 
historischen Folge überlieferter Formen als eine vorzügliche Leistung bezeichnet 
werden dürfen . . .•* Zeitschrift f. d, dsterr. Gymnasien 1895. ^^ß ^' 

„Die elegant geschriebene, weder zu breit angelegte noch durch Knapp- 
heit dunkle Untersuchung ist wieder einmal ein ernstlicher Versuch, ein 
Kapitel der lateinischen Grammatik wirklich historisch zu behandeln. Sie be- 
gnügt sich nicht damit, über von andern beigebrachtes Material Theorieen 
aufzustellen, geht vielmehr auf die Quellen zurück, prüft zweifelhafte Fälle 
selbständig, vermehrt auch den Stoff auf Grund eigener Sammlungen nicht 
unwesentlich. Andrerseits lässt sie in der Sprachtheorie strengste Schulung 
erkennen . . ." Anzeiger f. idg. Sprach- u, Altertumskunde, IX '/». 



Verlag von KARL J. TrOBNER in Strassburg. 15 

Soeben erschien: 

DIE GRIECHISCHE SPRACHE 

im 

Zeitalter des Hellenismus 

Beiträge zur Geschichte und Beurteilung der koivi^. 

Von 

Albert Thumb 

a. o. Professor an der Universität Freiburg i. B. 
8». VIII, 273 S. 1901. M. 7.—. 

Die Erforschung der hellenistischen Sprache oder koivi^ hat in den letzten 
Jahren einen erfreulichen Aufschwung genommen, der sowohl der biblischen 
wie der profanen Graecität zu gut gekommen ist. Dabei ist aber auch recht 
fühlbar geworden, wie vieles noch auf diesem erst durch die Inschriften und 
Papyri recht erschlossenen Gebiet zu thun ist, bis wir die Geschichte der 
griechischen Sprache von Alexander dem Grossen bis zum Ausgang des Alter- 
tums völlig überschauen. Das vorliegende Buch hat sich die Aufgabe gestellt, 
die Probleme und Desiderata der Koiv/|forschung zu skizzieren sowie einige 
Kapitel aus der Geschichte der koivi^ auf Grund des bisher Geleisteten zu be- 
handeln oder teilweise durch eigene Untersuchungen, die jedoch nur den 
Charakter von Stichproben aus dem reichen Quellenmaterial haben, weiterzu- 
führen. Der Verfasser hielt es für seine besondere Aufgabe, die innigen Be- 
ziehungen zwischen der koiv/j und dem Neugriechischen überall zu betonen 
und dadurch für die Forschung methodische Grundsätze aufzustellen, deren 
Befolgung für die weitere gedeihliche Arbeit auf diesem Gebiet unerlässlich ist. 
Das Buch wendet sich an alle, welche der Geschichte der griechischen Sprache 
Interesse entgegenbringen, besonders auch an die Theologen, welche die Bibel- 
forschung in engste Fühlung zu den erörterten Problemen bringt; indem der 
Verfasser den heutigen Stand der Koivi^forschung zusammenfasst und dazu 
Stellung nimmt, hofft er nicht nur das erwachte Interesse an diesen Fragen 
rege zu erhalten, sondern auch in weiteren Kreisen neues Interesse für den 
Gegenstand zu gewinnen. Die Darstellung gliedert sich in folgende 6 Kapitel: 
I. Begriff der koiv/| und Methoden der Forschung. IL Der Untergang der alten 
Dialekte. III. Dialektreste in der koivi^. IV. Der Einfluss nichtgriechischer Völker 
auf die Entwicklung der hellenistischen Sprache. V. Dialektische Differenzierung 
der Koivi^ ; die Stellung der biblischen Graecität innerhalb derselben. VI. Ursprung 
und Wesen der koiv/j. — Beigefügt ist ein grammatisches und ein Wortregister. 

Früher erschien: 

THUMB, DR. ALBERT, HANDBUCH DER NEUORIECHI- 

sehen Volkssprache. Grammatik, Texte mid Glossar. 8^ XXV, 

240 S. mit einer lithogr. Schrifttafel. 1895. M. 6. — , geb. M. 7. — 

«Endlich einmal eine brauchbare Grammatik der neugriechischen 
Volkssprache, ein Buch, das nicht jenes aus allen möglichen Formen zu- 
sammengebraute Kauderwelsch der Zeitungen und Bücher, sondern die 
in gesetzmässiger Entwicklung entstandene lebendige Sprache der Gegen- 
wart lehrt! Th. hat es verstanden, den wichtigsten Sprachstoff auf sehr 
knappem Räume mitzuteilen, indem er sich auf die Verzeichnung der 
Thatsachen mit den unentbehrlichsten Erklärungen beschränkte . . . 
Hundertmal bin ich nach einem praktischen Handbuch der neugriechischen 
Volkssprache gefra^ worden, und stets war ich in Verlegenheit, was ich 
den Leuten eigenthch nennen sollte; die gleiche Verlegenheit drückte 
mich jedesmal, wenn ich eine Vorlesung über neugriechische Grammatik 
hielt und den Zuhörern zur Vereinfachung und Eneichterung des Unter- 
richts etwas Gedrucktes in die Hand geben wollte. Wer die Not so an 
eigenster Haut gefühlt hat, wird dem Verfasser ftir seine schöne Arbeit 
doppelt dankbar sein . . .> Byxanlimschi Zeitschrift 189s S, 220, 



' Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassbürg. 



GRIECHISCHE 

GESCHICHTE 

VON 

JULIUS BELOCH. 

Erster Band: Bis auf die sophistische Bewegung und den 

peloponnesischen Krieg. 

Gr. S^. XII, 637 S. 1893. Broschirt M. 7.50, in Halbfranz geb. M. 9.50 

Zweiter Band: Bis auf Aristoteles und die Eroberung Asiens. 

Mit Gesamtregister und einer Karte. 

Gr. S^. XIII, 720 S. 1897. Brosch. M. 9. — , in Halbfranz geb. M. 11. — 
I. u. II. Band complet in 2 Halbfranzbände gebunden M. 20. — . 

«... Wir haben hier ein Buch vor uns, das unbedingt zu den bedeut- 
samsten Erscheinungen der geschichtlichen Litteratur der letzten Zeit zu rechnen 
ist. Beloch betont selbst, dass er das Gebäude fast überall von den Grund- 
lagen neu aufgeführt habe und manche Gebiete, wie die Wirtschaftsgeschichte, 
bei ihm zum r^stenmal zu ihrem Recht kommen; ebenso, dass er kein Neben- 
einander von Sondergeschichten (athenische, spartanische u. s. w.) biete, 
sondern die Entwickelung der ganzen hellenischen Nation von einheitlichen 
Gesichtspunkten zu erfassen suche. Dabei hüte er sich, ein Phantasiegemälde 
der ältesten Zeit zu entwerfen, und richte seine Absicht vielmehr darauf, nur 
das mitzuteilen, was wir auf Grund des archäologischen Befundes, des homer. 
Epos, der sprachgeschichtlichen Forschung mit Sicherheit zu erkennen ver- 
mögen. Man wird nicht bestreiten können, dass alle diese Züge, in denen 
Beloch selbst die charakteristischen Merkmale seiner Art zu forschen und zu 
arbeiten erblickt, wirklich in dem Buche hervortreten. 

.... Wir hoffen, dass da* gediegene Werk den Absatz findet, den es ver- 
dient, und wüssten denen, welche sich in verhältnismässiger Kürze über den 
jetzigen ungefähren Stand unseres Wis?«ns von griechischer Geschichte unter- 
richten wollen, nichts Besseres als Beloch zu empfehlen. In fi Bänden wird 
der ganze Stoff völlig bewältigt werden und zwar so, dass neben einem an- 
ziehend, manchmal glänzend geschriebenen Text, zahlreiche Anmerkungen 
hergehen, die alle wesentlichen Quellen- und Litteraturnachweise darbieten .... 
Die Ausstattung des Werkes ist vorzüglich; der Preij: von 7 M. 50 Pfg. für 
40 Bogen ein überaus massiger.» 
Prof, G, Egelkaaf, Württ. Korrespondenzblatt/, Gelehrten- u. RealukuUn, 1894 Heft i. 

«Der eigentliche Vorzug des Werkes liegt auf dem Gebiete der Dar- 
stellung der wirtschaftlichen und socialen Grundlagen des Lebens, 
In denen B. die materiellen Grundlagen erkennt, auf denen sich die gross- 
artigen Umwälzungen, auch der geistigen und politischen Entwickelung voll- 
zogen. Da B. gerade in dieser Beziehung das Material beherrscht, wie nich^ 
leicht ein anderer Forscher, so durfte man hierin von seiner Darstellung Aus- 
führliches und Vorzügliches erwarten .... Glanzpunkte sind der VII. Abschnitt: 
Die Umwälzung im Wirtschaftsleben (vom 7. zum 6. Jahrh.) und der XII. • 
Der wirtschaftliche Aufschwung nach den Perserkriegen .... Ueber die Be- 
Völkerungsverhältnisse, über die Getreideeinfuhr, über das Aufhören dei 
Natural- und den Beginn der Geldwirtschaft, die Erträgnisse der Industrie und 
des Handels, über Zinsen, Arbeitslöhne etc. erhalten wir die eingehendsten 
Aufschlüsse und wundern uns, wie diese wichtigen Dinge bei der Dar- 
stellung der griechischen Geschichte bisher unberücksichtigt 
bleiben konnten. . . . Die Form der Darstellung ist eine ausserordentticit 
gewandte und fiiessende.» Bl. /". d. Gymnasialschulwesen, XXX. Jahrg S.öjf. 



Verlag vow KARL J. TRÜBNER in Strassburg, i7 



GESCHICHTE 

DER 

GRIECHISCHEN PLASTIK 

VON 

MAXIME COLLIGNON 

«ITOLIKD DBS INSTITUTS, PROFESSOR AN OKR UNIVERSITÄT IN PARIS. 



Erster Band: Anfänge. — Früharchaische Kunst. — Reifer Archaismus 
— Die grossen Meister des V. Jahrhunderts. Ins Deutsche übe^ 
tragen und mit Anmerkungen begleitet vonEduard Thraemer, 
a. o. Professor an der Universität Strassburg. Mit 12 Tafeln in 
Chromolithographie oder Heliogravüre und 281 Abbildungen im 
Text. Lex. 8^. XV, 592 S. 1897. Broschirt M. 20. — , in eleg. 
Halbfranzband M. 25. — . 

Zweiter Band : Der Einfluss der grossen Meister des V. Jahrhunderts. — 
Das IV. Jahrhundert. — Die hellenistische Zeit. — Die griechische 
Kunst unter römischer Herrschaft. Ins Deutsche übertragen von 
Fritz Baumgarten, Professor am Gymnasium zu Freiburg i. B. 
Mit 12 Tafeln in Chromolithographie oder Heliogravüre und 377 
Abbildungen im Text. Lex. 8°. XII, 763 S. 1898. Broschirt 
M. 24. — , in eleg. Halbfranzband M. 30. — . 

Urteile der Presse. 

„Collignon's Histoire de !a sculpture grecque . . . hat mit Recht überall 
eine sehr günstige Aufnahme gefunden. Der Verf. steht von vorn herein aul 
dem Boden, der durch die umwälzenden Entdeckungen der letzten Jahrzehnte 
geschaffen ist, und betrachtet von diesem neu gewonnenen Standpunkte aus 
auch die älteren Thatsachen und Forschungsergebnisse. Er beherrscht die 
einschlägige Literatur, in der die deutsche Forschung einen bedeutenden Platz 
einnimmt, und weiss die Streitfragen oder die Thatsachen in geschmackvoller 
Form und ohne ermüdende Breite darzustellen. Eine grosse Anzahl gut aus- 
geführter Textillustrationen, nach zum grössten Teil neu angefertigten Zeich- 
nungen, dient dem Texte zu anschaulicher Belebung und bietet eine vornehme 
Zierde des Buches, sehr verschieden von jenen oft nichtssagenden Umrissen, 
welchen wir in ähnlichen Büchern so oft begegnen. So war es ein glücklicher 
Gedanke, Collignon's Werk dem deutschen Publikum, nicht blos dem gelehr- 
ten, durch eine deutsche Uebersctzung näher zu bringen. Der Uebersetzer, 
Dr. Ed. Thraemer, hat seine nicht ganz einfache Aufgabe vortrefflich gelöst: 
die Darstellung liest sich sehr gut und man wird nicht leicht daran ermnert, 
dass man eine Uebersetzung vor sich hat. Hier und da ist ein leichtes that- 
sächliches Versehen stillschweigend berichtigt, anderswo durch einen (als solcher 
bezeichneten) Zusatz ein Hinweis auf entgegenstehende Auffassungen, auf 
neuerdings bekannt gewordene Thatsachen, auf neu erschienene Literatur ge- 
geben ... Im Ganzen jedoch handelt es sich um eine Uebersetzung, nicht um 
einie durchgehende Bearbeitung des Originalwerkes, so dass der Leser überall 
Collignon's Auffassungen ohne fremde Aenderungcn kennen lernt .... 

/f. Liter. Centralblatt 1894, ^^' 53* 

„ ... Es mag ja betrübend sein, dass gegenüber der Fülle von Einzel- 
forschungen die deutsche Archäologie die Aufgabe ungelöst lässt, einmal dac 
Facit aus dem gegenwärtigen Stande der Forschung zu ziehen (Overbeck's viel 
verbreitetes Buch hätte dazu einer weit durchgreifenderen Umarbeitung bedurft); 
man wird auch vielen Ansichten und Aufstellungen C's nicht beipflichten (wie 
könnte das in dem Fluss der Forschungen upd Meinungen anders sein?); das 
aber wird sich nicht ableugnen lassen, dass C's Buch von allen vorhandenen 

Fortaettuog tiebe nlchAtA &^\x% 



|8 



VERWG VON KARL J. TROßNER m Strasshusg. 



Collignon, Geschichte der griechischen Plastik (Fortsetzung). 
Darstellungen der griechischen I'bstik am meisten den Anforderungen der 
Gegenwart entspricht, am besten über den Stand der Forschung orientirt und 
sich am besten liest. Wenn C. von der deutschen Forschung einen sehr 
ausgiebigen Gebrauch macht und ganz vorzugsweise auf deutsche Arbeiten ver- 
weist, EO kann uns das ja nur freuen; es ist ein Beweis mehr dafür, dass 
wenigstens auf diesem Gebiete keine nationalen Schranken bestehen, sondern 
Oberall gemeinsame Arbeit herrscht . . . Die Ausstattung des Buches ist der 
der Orij^inalausgabe durchaus ebenbürtig, und trotzdem ist, ein seltener Fall, 
der Preu nicht unerheblich geringer. . , ■' Lilirar. Cetitrcdblatt iSgj Nr. 44. 

„Das vorliegende 
Werk bedarf nach den 
in diesen Blättern zu- 
letzt Band 33 (1897) 
S. 498 f. gegebenen 
Ausführungen für die 
Bibliotheken der Gym- 
nasien und Gymna- 
siallehrer keiner Em- 
pfehlung mehr, doch ist 
es erfreulich, die Ver- 
breitung desselben an 
bayerisch enGymnasien 
bereits feststellen zu 
kßnnen, und erwünscht, 
nochmals der Hoffnung 
Ausdruck zu verleihen, 
dass durch die Anschaf- 
fungdesselbendie qual- 
volle Lectöre von Over- 

becks bekanntem 
Buche immer seltener 
wird. Denn es bleibt für 
jeden billig und unab- 
hängig urtheilendenAr- 
cbaologen die That- 
sache bestehen, dasa 
die deutsche archäolo- 
' gischeLitCratureineso 
sachgemäss, klar und 
anregend geschriebene 
, Darstellung der griechi- 
schen Sculptur nicht 
aufzuweisen hat und 
deshalbgernedasdurch 
die Freigebigkeit des 
Verlegers und die ge- 
wissenhafte Mühewal- 
tung des Uebersetzers 
in seinem Werte er- 
höhte Buch des franzö- 
sischen Gelehrten 
Collignon in deutschet 
Uebertragung entge- 
gennimmt . , ." 
Heinrich Ludwig Urlichs, Miäuken, 
Blätltr/ür das bayr. Gyrntiasialvesen 1S97 ^'ß nflt, 
„ . . . Schon die vier bisher erschienenen Lieferungen lassen die Wahr- 
heit des [in der Ankündigung] Gesagten deutlich erkennen; der Herr Verfasser 
zeigt sich Ober das grosse Gebiet, das von der Kunstgeschichte eingenommen 
wird, wohl unterrichtet, er weiss einen festen Standpunkt innerhalb der noch 
auf- und abwogenden Meinungen zu gewinnen und, was er bietet, mit solcher 
Liebenswürdigkeit vorzutragen, dass der Leser sich von ihm gern durch daa 
Labyrinth der verschiedenen Ansichten hindiirchgeleiten lasst . . . Dem Buche Ist 
weile Verbreitung tu wOnschen." Zeitschrift/, ä. Gymuatialwesen iSgj Nr. 10. 




Probe der Abbllduntn. 

XL Band, Fig. 335. Dionysos. Marmorkopf aus 
CÜacallathermen. (Britisches Museum.) 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 19 

GRUNDRISS 

DER 

IRANISCHEN PHILOLOGIE 

UNTER MITWIRKUNG VON 

CHR. BARTHOLOMAE, C. H. ETHÄ, C. F. GELDNER, P. HÖRN, 
A. V. W. JACKSON, F. JUSTI, W. MILLER, TH. NÖLDEKE, C. SALEMANN, A. SOCIN, 

F. H. WEISSBACH und E. W. WEST 

HERAUSGEGEBEN 
von 

WILH. GEIGER und ERNST KUHN. 



Ji 



Der Grundriss der iranischen Philologie erscheint in Lieferungen von 
IG Bogen zum Preise von Mk. 8. — oder in kleineren Lieferungen zu verhält- 
nismässigem Preise. Die Käufer verpflichten sich mindestens zur Abnahme 
eines Bandes. Einzelne Lieferungen werden nicht abgegeben. Mit der letzten 
Lieferung werden dem Werke ausführliche Register beigegeben. 

Inhalt: 
I. Band. i. Abt. 

I. Abschnitt. SPRACHGESCHICHTE. 

1 ) Vorgeschichte der iranischen Sprachen Prof. Dr. Chr. Bariholomae, 

2) Awestasprache und Altpersisch Prof. Dr. Chr, BartMomae, 

3) Mittelpersisch Akademiker Dr. C. Sahmann, 

I. Band. 2. Abt. 

Neupersische Schriftsprache Privatdozent Dr. P, Hörn. 
Die übrigen modernen Sprachen und Dialekte. 

B. SSS^i"' i P-f- Dr. W. Gci,er. 

C. Kurdisch Prof. Dr. A. Socin, 

D. Kleinere Dialekte und Dialekt- 
gruppen a) Allgemeines, b) Pamir- 
dialekte, c) Kaspische Dialekte 

iMäzandaräni, etc.) d) Dialekte in 
^ersien. Prof. Dr. W. Geiger. 

II. Band. 

II. Abschnitt. LITTERATUR. 

1) Awestalitteratur Prof. Dr. K. F. Geldner, 

2) Die Altpersischen Inschriften Dr. F. H. Weisshach. 

3) PahlaviUtteratur Dr. E. W, West, 

Mit einem Anhang Ober die neupersische Litteratur der Parsi. 

4) Das iranische Nationalepos Prof. Dr. Th, Nöldeke, 

5) Neupersische Litteratur Prof. Dr. C, H, Ethi, 

III. Abschnitt. GESCHICHTE UND KULTUR. 

i) Geographie von Iran Prof. Dr. W, Geiger, 

2) Geschichte Irans von den ältesten Zeiten bis zum Ausgang 
der Säsäniden Prof. Dr. F. Justi. 

3) Geschichte Irans in islamitischer Zeit Privatdozent Dr. P, Hörn, 

4) Nachw^eisung einer Auswahl von Karten für die geographischen 
und geschichtlichen Theile des Grundrisses. Von F. Justi, 

5) Die iranische Religion Prof. Dr. A, V, W, Jackson, 
GESCHICHTE DER IRANISCHEN PHILOLOGIE Prof. Dr. E. Kuhn, 
Anhang: Ossetisch Dr. W, Miller, 

Bis jetzt sind erschienen: 

I. Band, i. Abteil., Lex. 8*. VIII, 332 S. 1901. M. 17. — 
\, % 2, » Lex. 8°. VI, 535 S. 1901. M. 27. — 

II. » I. bis 4. Lieferung ä M. 8.—. 

Nöldeke, Theodor, Das iranische Nationalepos (Separatabdruck) Lex. 8^ 
82 S. M. 4.50 

Die Schlusslieferung des zweiten Bandes ist unter der Presse. 



20 Verlag von KARL J. TRObnER in Strassburg. 

GRUNDRISS 

DER 

INDO-ARISCHEN PHILOLOGIE 

UND 

ALTERTUMSKUNDE 

Begründet von 

GEORG BOHLER, 

fortgesetzt von 

F. KIELHORN, 

Professor des Sanskrit an der Universität Gottingen. 



In diesem Werk soll zum ersten Mal der Versuch gemacht werden, einen 
Gesamtüberblick über die einzelnen Gebiete der indo-arischen Philologie und 
Altertumskunde in knapper und systematischer Darstellung zu geben. Die 
Mehrzahl der Gegenstände wird damit überhaupt zum ersten Mal eine zu- 
sammenhängende abgerundete Behandlung erfahren; deshalb darf von dem 
Werk reicher Gewinn für die Wissenschaft selbst erhofft werden, trotzdem es 
in erster Linie für Lernende bestimmt ist. 

Gegen dreissig Gelehrte aus Deutschland, Österreich, England, Holland, 
Indien und Amerika haben sich vereinigt, um diese Aufgabe zu lösen, wobei 
ein Teil der Mitarbeiter ihre Beiträge deutsch, die übrigen sie englisch ab- 
fassen werden. (Siehe nachfolgenden Plan.) 

Besteht schon in der räumlichen Entfernung vieler Mitarbeiter eine 
grössere Schwierigkeit als bei anderen ähnlichen Unternehmungen, so schien es 
auch geboten, die Unzuträglichkeit der meisten Sammelwerke, welche durch 
den unberechenbaren Ablieferungstermin der einzelnen Beiträge entsteht, da- 
durch zu vermeiden, dass die einzelnen Abschnitte gleich nach ihrer Ab- 
lieferung einzeln gedruckt und ausgegeben werden. 

Der Subskriptionspreis des ganzen Werkes beträgt durchschnittlich 65 Pf. 
pro Druckbogen von 16 Seiten; der Preis der einzelnen Hefte durchschnittlich 
80 Pf. pro Druckbogen. Auch für die Tafeln und Karten wird den Subskribenten 
eine durchschnittliche Ermässigung von 20% auf den Einzelpreis zugesichert. 
Über die Einteilung des Werkes giebt der nachfolgende Plan Auskunft. 

Band I. Allgemeines und Sprache. 

i)*a. Georg Bühler. 1837 — 1898. Von Jul. Jolly. Mit einem Bildnis Bühlers 
in Heliogravüre. Subskr.-Preis M. 2. — , Einzel-Prcis M. 2.50. 
b. Geschichte der indo-arischen Philologie und Altertumskunde von Ernst 
Kuhn, 

2) Urgeschichte der indo-arischen Sprachen von R. Meringer. 

3) a. Die indischen Systeme der Grammatik, Phonetik und Etymologie von 

B. Liebich. 
*b. Die indischen Wörterbücher (Koäa) von Th. Zackariae. Subskr.-Preis 
M. 2. — , Einzel-Preis M. 2.50. 

4) Grammatik der vcdischen Dialekte von A. A. Macdonell (engl.) 

5) Grammatik des klassischen Sanskrit der Grammatiker, der Litteratur und 

der Inschriften sowie der Mischdialekte (epischer und nordbuddhistischer) 
von H, Luders, 
♦6) Vedischc und Sanskrit-Syntax von J, S, Speyer. 

Subskr.-Preis M. 4. — , Einzel-Preis M. 5. — ^* 

7) Paligrammatiker, Paligrammatik von O, Franke. 

Fortsetzung siehe nichste Seite. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 21 



Grundriss der indo-arischen Philologie (Fortsetzung). 

♦8) Prakritgrammatiker, Prakritgrammatik von Je. PiscM. Mit Indices. 

Subskr.-Preis M. 17.^0, Einzel-Preis M. 21.50. 
9) Prammatik und Litteratur des tertiären Prakrits von Indien von G,A. GrUrson, 
(englisch). 
*io) Litteratur und Sprache der Singhalesen von Wäh. Geiger. Mit Indices. 

Subskr.-Preis M. 4.-1 Einzel-Preis M. 5.—. 
♦11) Indische Paläographie (mit 17 Tafeln) von G. Bühler, 

Subskr.-Preis M. 15—, Einzel-Preis M. 18.50. 

Band ü. Litteratur und Geschichte. 

1) Vedische Litteratur (Sruti). 

a. Die drei Veden von K, Geldner. 

*b. The Atharva-Veda and the Gopatha-Brihmana by J/. -ff/<7^w/(^A/ (englisch). 

(Subskr.-Preis M. 5.—, Einzel-Preis M. 6.—.) 

2) Epische Litteratur und Klassische Litteratur (einschliesslich der Poetik 

und der Metrik) von H. Jacobu 

3) Quellen der indischen Geschichte. 

a. Litterarische Werke und Inschriften von F. KUlhorn (engl.). 
*b) Indian Coins (with 5 plates) by E, J, Rapson (engl.). 

Subskr.-Preis M. 5.—, Einzelpreis M, 6,—, 

4) Geographie von Af. A. Stein. 

5) Ethnographie von A. Baines (engl.). 

6) Staatsaltertümer j von J. Jolly und 

7) Privataltertümer \ Sir R. West (englisch). 

♦8) Recht und Sitte (einschliessl. der einheimischen Litteratur) von J, Jolly,^ 

Subskr.-Preis M. 6.50, Einzel-Preis M. 8. — . Indices dazu 30 Pfg. 
9) Politische Geschichte bis zur muhammed. Eroberung von J. F, Fleet (engl.). 

Band m. Religion, weltl. Wissenschaften und Kunst. 

1) ^a. Vedic Mythology by A. A. Macdamll (engl.). Subskr.-Preis M. 7.50, 

Einzel-Preis M. 9.—. Indices dazu 70 Pfg. 
b. Epische Mythologie von Af. fVinternitz. 
*2) Ritual-Litteratur, Vedische Opfer und Zauber von A. Hillebrandt, 

Subskr.-Preis M. 8. — , Einzelpreis M. 9.50. 
3) Vedänta und Mimämsä von G. Thibaut. 
♦4) Sämkhya und Yoga von R. Garbe. Subskr.-Preis M. 2.50, Einzelpreis M. 3.—. 

5) Nyaya und Vaiäesika von A. Venis (engl.). 

6) Vaisnavas, 'Saivas. j l ^ ^ Bhandarkar 
bauras. Sanapatas, > Bhaktimarga { rl»ncTtUrh^ 
Skändas, Säktas, \ \ (engiiscn;. 

7) Jaina von E. Leumann. 

♦8) Manual of Indian Buddhism by H. Kern (engl.). Subskr.-Preis M. 5.50, 

Einzel-Preis M. 7. — . Indices dazu 60 Pfg. 

*9) Astronomie, Astrologie und Mathematik von G. Thibaut. 

Subskr.-Preis M. 3.50, Einzel-Preis M. 4. — . 

10) Medizin von J. Jolly. [Unter der Presse]. 

11) Bildende Kunst (mit Illustrationen) von J. Burgess (engl.). 

12) Musik. 



NB. Die mit ♦ bezeichneten Hefte sind bereits erschienen. 

«Auch diesem vierten in der Reihenfolge der Grundrisse mochte man, allen jenen xur Be- 
herzigung, die im Zeitalter derselben ihre philologische Laufbahn antreten, das Wort mit auf den 
Weg geben: Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es lu besitzen I Diese Grundrisse 
haben wie die Janusbilder zwei Gesichter, die nach entgegengesetzten Seiten schauen : rückwärts und 
vorwärts. Durch die Arbeiten der vorangegangenen Geschlechter, die sie zusammenfassen, legen sie 
Zeugniss ab von der geistigen Energie, die sich allmählich auf den verschiedenen Einzelgebieten, 
welche in ihrem inneren und äusseren Zusammenschluss die jedesmalige Philologie ausmachen, auf- 
gespeichert hat. Unter diesem Gesichtspunkt bedeuten sie zugleich deren Reiferklärung gewisser» 
massen durch den spontanen Act des Unternehmens als solchen, durch das in Voraussicht seiner 
Durchführbarkeit geplante Werk selber. Die kommenden Geschlechter aber, die es gebrauchen, 
werden in ihm eine gesicherte Grundlage ihrer Arbeiten finden, und stehen deshalb nicht bloss bleibend 
in Dankesschuld, sondern tragen auch die ernste Verpflichtung, ihrerseits die Summe der bereits vor- 
handenen Energie zu vermehren, der Forschung immer neue Wege zu eröffnen, günstigere Aussichts- 
punkte so erschlietaen Mit dem ersten Hefte hat sich der indo-arische Grundriss vor- 
trefflich inauguriert. Wünschen wir dem kühnen Unternehmen einen gleich voruefllichen Fortgang». 

LiUrmr. CttUrmlilmit 1896 Nr. 36. 



22 Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 

Unter der Presse: 

GRUNDRISS 

DER 

GERMANISCHEN PHILOLOGIE 



t 



^ 



UNTER MITWIRKUNG VON 

K. von AMIRA, W.ARNDT, O.BEHAGHEL, D.BEHRENS, A.BRANDL, O.BREMER, W. BRÜCKNER, 
E. EINENKEL, V. GUDMUNDSSON, H. JELLINGHAUS, K. TH. von INAMA-STERNEGG, KR. 
KALUND, FR. KAUFFMANN, F. KLUGE, R. KOEGEL, R. von LILIENCRON, K. LUICK, 

. A. LUNDELL, J. MEIER, E. MOGK, A. NOREEN, J. SCHIPPER, H. SCHUCK, A. SCHULTZ. 

H. SIEBS, E. SIEVERS, W. STREITBERG, B. SYMONS, F. VOGT, PH. WEGENER, J. TE WINKEL. 

J.WRIGHT 

HERAUSGEGEBEN 
von 

HERMANN PAUL 

ord. Professor der deutschen Philologie an der Universität München. 

ZWEITE VERBESSERTE UND VERMEHRTE AUFLAGE. 

Diese neue Auflage wird ebenso wie die erste in Lieferungen er- 
scheinen und im Laufe des Jahres 1902 vollständig werden. Die Käufer 
verpflichten sich mindestens zur Abnahme eines Bandes; einzelne Liefer- 
ungen werden nicht abgegeben. 

I.B.nd. I"^a»^- 

L Abschn. : BEGRIFF UND AUFGABE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE. Von 

H. Paul. 
II. Abschn. : GESCHICHTE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE. Von H. Paul. 

III. Abschn.: METHODENLEHRE. Won H. Paul. 

IV. Abschn. : SCHRIFTKUNDE : i. Runen und Runeninschriften. Von E. Sievers (mit einer 

Tafel). 3. Die lateinische Schrift. Von U^. Arndt. Überarbeitet von H. Block. 

V. Abschn. : SPRACHGESCHICHTE : i. Phonetik. Von E. Sievers. a. Vorgeschichte 

der altgermanischen Dialekte. Von F. Kluge. 3. Geschichte der gotischen 

Sprache. Von F. Kluge. 4. Geschichte der nordischen Sprachen. Von A. Noreen. 

5. Geschichte der deutschen Sprache. Von O. Behagkel (mit einer Karte). 

6. Geschichte der niederländischen Sprache. Von y. te Winkel (mit einer 
Karte). 7. Geschichte der englischen Sprache. Von F. Kluge (mit einer 
Karte). Mit Beiträgen von D. Bekrens und E. Einenkel. 8. Geschichte der 
friesischen Sprache. Von Tk. Siebs. 

Anhang: Die Behandlung der lebenden Mundarten: i. Allgemeines. Von 
Pk. Wegener. a. Skandinavische Mundarten. Von jf, A. Lundell. 3. Deutsche 
und niederländische Mundarten. Von Fr. Kauffmann. 4. Englische Mund- 
arten. Von J. Wrigki. 
IL Band. 

VI. Abschn.: LITERATURGESCHICHTE: i. Gotische Literatur. Von E. Sievers. Neu 
bearbeitet von IV. Streitberg. a. Deutsche Literatur : a) althoch- und 
niederdeutsche. Von R. Koegel. hiS mittelhochdeutsche. Von F. Vogt. 
c) mittelniederdeuuche. Von H, yellingkaus. 3. Niederländische Literatur. 
Von y. te Winkel. 4. Friesische Literatur. Von Tk. Siebs. 5. Nordische 
Literaturen : a) norwegisch-isländische. Von E. Mogk. b) schwedisch-dänische. 
Von H. Scküek. 6. Englische Literatur. Von A. Brandl. 
Anhang: Übersicht ober die aus mündlicher Überlieferung geschöpften 
Sammlungen der Volkspoesie: a) skandinavische Volkspoesie. Von 
A. Lundell. — b) deutsche und niederländische Volkspoesie. Von y. Meier. — 
c) englische Volkspoesie. Von A. Brandl. 
VII. Abschn. : METRIK : i. Altgerm. Metrik. Von E. Siever%. a. Deutsche Metrik. Von 
H. Paul. — 3. Englische Metrik : a) Heimische Metra. Von K. Luick. b) Fremde 
Metra. Von y. Sckipper. 
HI. Band. 

Vm. Abschn.: WIRTSCHAFT. Von K. Tk. von Inama-Sternegg. 
IX. » RECHT. Von K. von Amira. 

X. > KRIEGSWESEN. Von A. Sckultz. 

XI. . MYTHOLOGIE. Von E. Mogk. 

XII. » SITTE : I. Skandinavische Verhältnisse. Von V. Gudmundsson und Kr. Kaiuttd. 

a. Deutsch-englische Verhältnisse. Von A. Sckultx. — Anhang: Die Behand- 
lung der volkstumlichen Sitte der Gegenwart. Von E. Mogk. 
Xni. Abschn. : KUNST, i. Bildende Kunst. Von A. Sekult*. — a. Musik. Von R. v. Liliencrom. 
XIV. . HELDENSAGE. Von B. Symons. 

XV. » ETHNOGRAPHIE DER GERMAN. STÄMME. Von 0. Bremer. (Mit 6 Karten.) 

NB. Jedem Bande wird ein Namen-, Sach- und Wortverseichnis beigegeben. 

Bis jetxt erschienen : I. Band (vollständig). Lex. 8*^. XVI, i6ai S. mit einer Tafel und drei Karten 190I1 

Broschirt M. 35. — , in Halbfrani gebunden M. a8. — . 
n. Band, i. Lieferung (16 Bogen)' M. 4.—. 

IIL Band (vollständig). Lex. ^. XVII, 995 S. Mit 6 Karten. 1900. 
Bro9Chirt M* lO.— ; in Hiilbfr^i^s |[ebt)ndcn M* 18.50. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 23 

GRUNDRISS 

DER 

ROMANISCHEN PHILOLOGIE 

UNTER MITWIRKUNG VON 

G ßAIST, TH. BRAGA, H. BRESSLAU, T. CASINI, J. CORNU, C. DECURTINS, W. DEECKE, 

TH. GÄRTNER, M. GASTER, G. GERLAND, F. KLUGE, GUST. MEYER, W. MEYER-LÜBKE, 

C. MICHAELIS DE VASCONCELLOS, A. MOREL-FATIO, FR. D'OVIDIO, A. SCHULTZ, W. SCHUM, 

CH. SEYBOLD, E. STENGEL, A. STIMMING, H. SUCHIER, H. TIKTIN, A. TOBLER, 

W. WINDELBAND, E. WINDISCH 

HERAUSGEGEBEN 
von 

GUSTAV GRÖBER 

o. ö. Professor der romanischen Philologie an der Universität Strassburg. 

Inhalt: 

I. Band. 

L BINPÜHRUNO IN DIE ROMANISCHB PHILOLOQIE. 

t. GESCHICHTE DER ROMANISCHEN PHILOLOGIE von G. Gröhtr. 
j. AUFGABE UND GLIEDERUNG DER ROMANISCHEN PHILOLOGIE von 
G. GrSbir, 

IL ANLEITUNO £UR PHILOLOGISCHEN FORSCHUNG. 

I. DIE QUELLEN DER ROMANISCHEN PHILOLOGIE, a. Die schriftlichen Quellen 

mit 4 Tafeln von W. Schum. b. Die mündlichen Quellen von G. Gröber. 
a. DIE BEHANDLUNG DER QUELLEN, a. Methodik und Aufgaben der sprach- 
wissenschaftlichen Forschung von G. Gröber, b. Methodik der philologischen 
Forschung von A. Tobler. 

UI. DARSTELLUNG DER ROMANISCHEN PHILOLOGIE. 
I. Abschnitt: ROMANISCHE SPRACHWISSENSCHAFT. 

a. Die vorromanischen Volkssprachen der romanischen Länder, i. Keltische 
Sprache von E. Windisck. a. Die Basken und die Iberer von G. Gerland. 
3. Die italischen Sprachen von W. Deecke. 4. Die lateinische Sprache in den 
romanischen Ländern von W. Meyer. 5. Romanen und Germanen in ihren 
Wechselbeziehungen von F. Kluge. 6. Die arabische Sprache in den romani- 
bchen Ländern von Ck. Seybold. 7. Die nichtlateinischen Elemente im Rumä- 
nischen von M. Gas/er. 

b. Die romanischen Sprachen: i. Ihre Einteilung und äussere Geschichte von 
G. Gröber (mit einer Karte). 2. Die rumänische Sprache von H. Tiktin. 3. Die 
rätoromanischen Mundarten von Th. Gärtner. 4. Die italienische Sprache von 
Fr. d'Ovidio und JV. Meyer. 5. Die franz. u. proven^al. Sprache und ihre 
Mundarten von H. Suckier (mit la Karten). 6. Das Katalanische von A. Morel' 
Fatio. 7. Die spanische Sprache von G. Batst. 8. Die portugiesische Sprache 
von y. Cornu. 9. Die lateinischen Elemente im Albanesischen von Gtui. Meyer. 

U Bd., I. Abt. 

3. Abschnitt: LEHRE VON DER ROMANISCHEN SPRACHKUNST. Romanische 

Verslehre von R. StengeL 
3. Abschnitt: ROMANISCHE LITTERATURGESCHICHTE. 

a. Übersicht Ober die lateinische Litteratur von der Mitte des 6. Jahrhunderts 
bis 1350 von G. Gröber. 

b. Die Litteraturen der romanischen Völker: 

I. Französische Litteratur von G. Gröber. 



U. Bd., t. Abt. 



II. Bd., 3. Abt. 



a. Provengalische Litteratur von A. Stimming. 

3. Katalanische Litteratur von A. Morel-Faiio. 

4. Portugiesische Litteratur von C. MickaHis de Vasconcellos und Tk. Brägen. 

5. Spanische Litteratur von G. Baisi. 



6. Italienische Litteratur von T. Casim. 

7. Rätoromanische Litteratur von C. Decurtins. 

8. Rumänische Litteratur von M. Gaster. 

IV. GRENZWISSENSCHAFTEN. 

I. GESCHICHTE DER ROMANISCHEN VÖLKER von H. Bresslan. 

a. CULTURGESCHICHTE DER ROMANISCHEN VÖLKER von A. SckuÜz. 

3. KUNSTGESCHICHTE DER ROMANISCHEN VÖLKER: 

Bildende Künste von A. Schultn. 

4. DIEWISSENSCHAFTEN IN DEN ROMANISCHEN LÄNDERN von W.mndelhamd. 

NAMEN-, SACH- UND WORTVERZEICHNIS in jedem Band. 



Bis jetzt sind erschienen: 
L Band (vollständig). Lex.-8^. XII, 853 S. mit 4 Tafeln und 13 Karten. 1888. 

M. 14.—, in Halbfrans geb. M. 16. — . 
n. Band, i. Abteilung, x. Lieferung M. 4.—; %. Lieferung M. a.8o ; 3. Lieferung M. 4.—; 

4. Litferunc M. 4. — ^Schlusslieferung erscheint Ende 1901). 
IL Band, t. Abteilung (vollständig). Lex.-8<>. VIII, 496 S. 1897. M. 8.—, in Halbfrani 

geb. Bf. lo.— . 
U. Band, 3. Abteilung (vollständig). Lex. 8». VIII, 603 S. 1901. Broschirt M. 10.— 

in Halbfrans geb. M. la.— 



24 Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburü. 

DEUTSCHE GEAMMATIK 

GOTISCH, ALT-, MITTEL- UND NEUHOCHDEUTSCH 

VON 

W. WILMANNS 

ord. Profestor der deutschen Sprache und Litteratur an der UntversitXt Bonn. 

Erste Abteilung: Lautlehre. Zweite verbesserte Auflage. Gr. 8®. 
XX, 425 S. 1897. M. 8. — , in Halbfranz gebunden M. 10. — . 

Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage: 

„Diese zweite Auflage weicht von der ersten ziemlich stark 
ab, kaum ein Paragraph ist unverändert geblieben, manche 
ganz neu gestaltet. Bald gab die Form, bald der Inhalt den 
Anlass, bald eigene Erwägungen des Verfassers, bald die Ar- 
beiten anderer. Auch der Umfang des Buches ist um einig« 
Bogen [sechs] gewachsen, besonders dadurch, dass sehr viel 
mehr Beispiele für die einzelnen Lauterscheinungen ange- 
führt sind *• 

Zweite Abteilung: Wortbildung. Zweite Auflage. Gr. &^, XVI, 
671 S. 1899. M. 12.50, in Halbfranz gebunden M. 15. — 



Die zweite Auflage beider Abteilungen ist, was die Zahl der Exemplare 
betrifft, eine erhöhte, um auf eine lange Reihe von Jahren hinaus die Not- 
wendigkeit eines Neudrucks oder einer neuen Hearbeitung auszuschlicssen und 
dadurch die Käufer vor allzu schnellem Veralten des Werkes zu schützen. 

Das Werk wird in vier Abteilungen erscheinen: Lautlehre, 
Wortbildung, Flexion, Syntax. Eine fünfte, die Geschichte der deutschen 
Sprache, wird sich vielleicht anschliessen. 



„. . . Es ist sehr erfreulich, dass wir nun ein Buch haben werden 
welches wir mit gutem Gewissen demjenigen empfehlen können, der sich in 
das Studium der deutschen Sprachgeschichte einarbeiten will, ohne die Mög- 
lichkeit zu haben, eine gute Vorlesung über deutsche Grammatik zu hören: in 
Wilmanns wird er hierzu einen zuverlässigen, auf der Höhe der jetzigen 
Forschung stehenden Führer finden. Aber auch dem Studierenden, der schon 
deutsche Grammatik gehört hat, wird das Buch gute Dienste leisten zur Wieder- 
holung und zur Ergänzung der etwa in der Vorlesung zu kurz gekommenen 
Partien. Jedoch auch der Fachmann darf die Grammatik von W. nicht unbe- 
rücksichtigt lassen. Denn alle in Betracht kommenden Fragen sind hier mit 
selbständigem Urteil und unter voller Beherrschung der Literatur erörtert. 
Und nicht selten werden Schlüsse gezogen, die von der gewöhnlichen Auffassung 
abweichen und zum Mindesten zur eingehenden Erwägung auffordern, so dass 
niemand ohne vielfache Anregung diese Lautlehre aus der Hand legen wird. 
Besonders reich an neuen Auffassungen ist uns die Lehre von den Konsonanten 
erschienen. Aber auch die übrigen Teile, unter denen die bisher weniger oft 
in Grammatiken dargestellte Lehre vom Wortaccent hervorzuheben wäre, vor 
dienen Beachtung . . ." PV, B., Literarisches Centralblati 1893 Nr. 40. 

Satzprobe siehe nächste Seite. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. ^5 

Wilmanns, W., Deutsche Grammatik (Fortsetzung). 
Probeseite aus der 2. Auflage der I. Abteilung. 

§ 39. 40.] Hochd. Lautverschiebung. Germ. J9, t. Je, 51 



Zweites Kapitel. 
Hochdentsche Lantyerschiebnng. 

39. Die Consonanten, welche im Germanischen aas den 
idg. Verschlusslauten entstanden waren, geraten im Hoch- 
deutschen von neuem in Bewegung. Diese hochdeutsche Ver- 
schiebung ist besonders interessant und lehrreich, weil sie sieh 
zum grossen Teil vor unsem Augen vollzieht und genauere 
Einsicht in die stätig fortschreitende Änderung der Consonanten 
und die sie regelnden Kräfte gewährt; zu so einfachen und 
gleichmässigen Ergebnissen wie die ältere Vei*schiebung führt 
sie nicht. Die Laute der verschiedenen Articulationsstellen 
und -arten zeigen sieh nicht gleich empfänglich für die Um- 
wandlung; stärker als in der früheren Verschiebung macht 
sich der Einfluss benachbarter Consonanten geltend, und vor 
allem der Einfluss des germanischen Aecentes, insofern der 
Inlaut der Änderung mehr ausgesetzt ist als der Anlaut, d. h. 
der Anlaut der schwach betonten Silbe mehr als der stark 
articulicrte Anlaut der Stammsilbe. 

Der Beginn der Verschiebung fällt in die Zeit vom 5. 
bis 7. Jahrh. unserer Zeitrechnung und deshalb sind ihr auch 
viele romanische Lehnwörter^ die bis zum 8. Jahrh. ins Deutsche 
aufgenommen sind, unterlegen. In Oberdeutschlaud zeigt sich 
die Bewegung zuerst; die Sprache der Langobarden, Baiern, 
Alemannen und eines Teiles der Franken wird von ihr ergrifi*en; 
je weiter nach Norden, um so schwächer wird die Wirkung^). 

Germ, p, ty k. 

40. Die entschiedenste Umgestaltung haben die ger- 
manischen Tenues durch die hochdeutsche Verschiebung er- 
fahren. Tenuis — Aspirata — Affricata — Spirans bezeichnen 
die Bahn, in der sich die Laute bewegen. Im Anlaut kommen 

1) Braune, PBb. I, 1—56; Litteratumachweis bei Br. ahd. Gr. 
§ 83 A. VcrKeichnis altgermanischer Lehnwörter, Klugo, Grdr. I 
8. 809 f. ^ Ober die normale Verschiebungslinie ^ § 43 Anm. 



26 Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 

Soeben erschien: 

Beitfdirift 

für 

^eutf(^e 3Bortforf(i^ttng 

^craui^ÖcgcDcn bon 

frie&ricb Iklufle. 



©rftcr ©anb. S*. VI, 374 ^citm, mit bcm 53ltbnl« bou gebor ©cd^ 
in ßlc^törucf. 1901. ©c^cftct Tl. 10.—, in €)olbftan5 gcbunben SW. 12.50. 

deber 9anb befte^t au8 4 heften bon )e 5 iBogen. 



SBöIfpin» „ar^iö für lateinifd^c ScExfograp^ic" ift ba§ SBorbilb, bcm 
unjcre 3^itf^nft na^eifem wirb. SBcId^e Slufgabcn bic neuere SBortforfc^ung 
}U töjen i^at, ift auf bem germanifd^en (Sprad^gebiet burd^ Btogartige 
Untcrnel^mungcn, wie ba^ ©rimmfd^e SBörterbud^, bag New English 
Dictionary, bo§ niebcrtönbifd^e unb ba^ fd^webifd^e SBörterbud^ öeran* 
{d^au(i(!^t unb burd^ ^ermann ^anU befannten ^uffa^ ,,äber bte %uf:> 
gaben ber wiffeufd^afttid^cn fiejüogropl^ie" begrünbet worben. Slud^ bie Sc* 
rid^tc, weld^e ber Dffcntlidjfeit über bic Sorbereitungen bcÄ Thesaurus linguae 
Latinae unterbreitet werben, jeigen ber bcutfd^en ©prad^forfcfiung, ba^ wir 
jefet, wo ba^ ®rimmfc^e SBörterbudfi feinem Slbf^Iufe nal^t, für unfer 
geliebte^ 2)eutfd^ 3\tU unb Slufgaben ber aBortforfdfjung erweitern unb öer=» 
tiefen muffen, wenn wir bem Thesaurus linguae Latinae nacfiftreben woHen. 
Unfer neue^ Unternel^men wiH ben attbewäl&rten 3^itf(^riften feinen 
Slbbrud^ tl^un, aud^ nid^t bie Qa^ ber aUgemein germaniftifd^en gad^* 
blätter öermel^ren. 63 will eine ©ammelftätte fein, in bem bie 9?ac^träge 
unb S3erid^tigungen ju unfern großen SBörterbüd^ern eine Unterfunft ftnben 
bi^ ju einer enbgüttigen Slufarbeitung. ©3 will burd^ Klärung über 
SBefen unb Snl^att ber SBortforfd^ung bie großen Slufgaben ber 3w!unft 
vorbereiten unb einleiten. 6« wiK ber ©egcnwart bicnen, inbem eg 
burd^ ernftl^aftc @inje(arbeit ba§ SBerftänbni» ber SKuttcr* 
fprad^e betebt unb vertieft. 

SBir beabfid|tigen, bie ©efd^id^tc ber beutfd^en SBörterbüc^er in unfern 
fflereid^ ju jicl^en, wichtige ©prac^quellen neu ju brudfen unb (Bammlungen 
jum beutfd^en SBortfd^al unterjubringen. Slber wir wollen juglei^ 
burc^ wortgeograpl^ifc^e unb wortgefc^id^tlid^e Sluffä^e unb burd^ Heinere 
SRitteilungen anregen, burd^ 3^i*f^i^iftenfd^au alle beutfd&^fprad^lic^e Slrbeit 
bud^en unb über neue (Srfrfieinungen berirf|ten. — 3"9Wi| fteHen wir unfere 
Seitfd^rift in ben 5)ienft ber gacligenoffen, inbem wir immer 5Raum für 
„Umfragen" jur Verfügung ftellen: wir wollen ben SKitarbeitern amSrimm*» 
fd^en SBörterburfi, bem großen SBenferfcfien Unternel^men u. 31. bie SWöglid^^ 
feit eröffnen, öorl^anbene fiütfen in Sammlungen ju ergänjen ober 
Ungenauigfeiten richtig ju ftellen. SBir l^offen, anä) gelegentlich einzelne 
(3pra(^erfd^einungen bur^ Äarten bilblid^ t)eranfd(|aulid^en ju föunen. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg.- 27 



Soeben erschien: 



Ouettcn imb SÖortfdjafe ber ©aunerfprad^c 

uub ber DertDanbten @e]^etmf))rad^en 

bon 

fricbrid) Äluge 

^IJrofeffor «u ber Unibcrfität grciburg l. ©. 
Erster Band. Gr. 8«. XVI, 495 S. Preis Jk 14.— 

Seit Avd-Lallemants grossem Werk über das deutsche Gaunertum hat 
die Erforschung des Rotwelsch beinahe völlig geruht. Und doch verlangt die 
Gaunersprache endlich einmal nach einer sprachwissenschaftlichen und philo- 
logischen Durcharbeitung, die sie bei Av^-Lallemant nicht völlig finden konnte. 
Der Verfasser des neuen Werkes verfügt zudem über ein weit umfangreicheres 
Material, so dass sein Werk in zwei Bänden erscheint. Ddr i. Band ist ein 
rotwelsches Quellenbuch, der 2. Band ein rotwelsches Wörterbuch. Eine Ein- 
leitung zum 2. Bande behandelt Bau und Geschichte der deutschen Geheim- 
sprachen. Der I. Band erneuert wichtige kulturgeschichtliche und krimi- 
nalistische Quellen und bringt bedeutsame Aufschlüsse über die deutsche 
Volkssprache; vor allem sei hingewiesen auf die Entdeckung lebender Krämer- 
sprachen, wodurch die deutsche Volkskunde neue Anregungen erhält. Der im 
Herbst dieses Jahres erscheinende 2. Band wird in dem rotwelschen Wörter- 
buch sich der Hülfe von Prof. Euting in Strassburg und Prof. Pischel in Halle 
erfreuen, die den juden-deutschen und den zigeunerischen Bestandteilen der 
Gaunersprache ihre Aufmerksamkeit widmen werden. 



Hie beutfd^e l^tnänfpta^t 

bon 

Dr. J^einrirfi Ölens- 

80. XV, 128 ©. 1900. ^rcl8 Drofdnrt JH 2.50, in ßeliUüaub öc^uJibcu ul 3.50. 

Diese Festschrift zum Gutenbergjubiläum besteht der Hauptsache nach 
aus einem Wörterbuch aller Fachausdrücke des Druckereigewerbes in wissen- 
schaftlicher Bearbeitung auf Grund älterer Fachwerke (Hornschuch, Victor, 
Schmatz, Pater, Ernesti u. A.); vorauf geht eine Einleitung, worin der Einfluss der 
lateinischen Gelehrtensprache auf die Entwickclung der üruckcrsprache, Wand- 
lungen einzelner Ausdrücke, Entstellungen und Missdeutungen, dialektische 
Schreibungen nachgewiesen werden und auf die zahlreichen humoristischen 
z. T. derben Ausdrücke aufmerksam gemacht wird. 



* Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 

@tt)moIogif(Qe0 

von 

f rfebrtcb tAngc, 

$cofeffoc an ber UnibecfitSt jjfreibucg i. Or. 

Scfjftdte nericfFerte ititb nermel^rte Kttflaac. 
8c|. 8". XXVI, 510 @. 1899. $rci8 brofc^tcrt ÜWf. 8.—, in ^albfranj gcbunben 2n«. 10.-- 

l^or bcm (Srfrficincn her crften Stuflagc öon ISihxg^B cti^motügifdiBni 
B)0rt^tbuill l^at c^ eine IcjifaUfc^c Bearbeitung ber ©hjmotogic unfereS mobemcn 
©pra(^|rf|Qfee^ nid^t gegeben. 3)cr (Srfotg ber feit bem Setzte 1884 erj[(()ienenen fünf 
Auflagen unb bie Slnerfennung, tüctc^e bem SBudie ju 2^eil getuorben, l^aben gejeigt, 
mie rirf|tig ber ®eban!e tüor, bie (Srgebniffe be§ anjietjenbften unb merttJoUften 2iei(e3 
ber miffcnfc^ofttidicn SBortforfc^nng : ben über bie (Sntftel^ung unb ®efd|ic^te ber cinjcincn 
SBörter unfereg @>)rarf|ff^afee§, in fno^jper tejifali)ri)er S)arftellung jufanimenjnfaffen. 

3)er SScrf affer i^at e§ fid^ jur Slufgabe gemad^t, gortn unb öcbcutung jebcg 
SBortcS bi^ ju feiner Quelle ju Verfölgen, bie SScjiel^ungen ju ben flaffift^cn Sprachen 
in flleid^em SWafee betoneub wie ba^ SSevmaubtfc^aft^Derijättnig ju ben übrigen 
gcrmanifd^en unb ben romanifd^en Sprachen; aud^ bie entfernteren orientatifrfjen, foioie 
bie fettifd^en unb bie f(aöifc()en Sprachen finb in aßen gäHen l^erangejogcu , loo bie 
tJorfdiung eine SSerwanbtfd^aft feftjufteHen öermag. (Sine allgemeine ©inleitung bel^aubclt 
bie ®cfdf|ic{)te ber beutfrfien ©prad^e in il^ren Umriffen. 

Die öorliegenbe neue 3luflage, bie auf jeber Seite S3efferungen ober Sufäfce auf* 
meift, l^ält an bem früheren Programm be« SBerfeS feft, ftrebt aber luieberum nad^ 
einer SBertiefung unb (Snoeiteruug ber tt)ortge)cf|id|tlidf|en Probleme unb ift auc^ bie«* 
mal bemül^t, ben neueften gortfc^ritten ber et^mologifdfjen SBortforf(f|ung gcbül|rcnbc 
JRec^nung ju tragen; fie unterfcfieibet ftd^ öon ben frütjeren Sluflagen befonberS burd^ 
fpracl|tt)iffen)c^aft(id)e SKacf|meife unb Cuellenangaben, fomie burcl) Slufna^me mand)ec 
jüngerer SBorte, bereu ®efc{)id)te in ben übrigen SBörterbüc^em mcnig berüdEfid)tigt ift, 
unb burd) umfänglirf)ereg ä"äi^^^n ber beutfc^cn SKunbartcn. Slu§ ben erften 93uc^* 
ftaben feien nur bie folgenbcn SBörter, jum ieit 9?eufrf)öpfungen unfere^ ^al^rl^unbert«, 
angefül^rt, bie neu aufgenommen toorben finb: aßerbing^, Slltlanäler, Slnfang^grünbe, 
Slugelegentieit , 2tufc^au(id)!eit, anftatt, anjüglidi, Slfc^enbrbbet, Slfc^ermittmoc^, a\i^^ 
mergeln, Segeifterung, bel^erjigen, klüftigen, bemitlciben, befcitigen, 93emeggrunb, bemcrf* 
ftcHigen, bilbfam, bigmeilen, 93lamagc, SBüttner, ©l^rift, ©l^riftbaum, Sl^riftfinbd^cn ; 
au« bem 93ud)ftaben Jf nennen mir; fiabac^e, Äämpe^ Sammerföfed^en, Sanapcc, 
ftannengie^er, Äänfterlein, Äanter, Äapcr^ Äöpfer, S'artätfd^e, Jfa^enjammer u. f. tt>. 
Am beften aber t)eranfd)aulid)cn einige Qdf)Un bie SJeröotlftänbigung be« SBerle« feil 
feinem crften (Srfd^einen : bie Sai)i ber ©tidjmorte t|at fid) öon ber erften jur fed^^ten Auflage 
oermel^rt im S3ud)ftaben 81: öon 130 auf 280, S: öon 387 auf 520, S): öon 137 
auf 200, (S: öon 100 auf 160, %: m\ 236 auf 329, &: öon 280 auf 330, Ä: 
öon 300 auf 440, 5ß: öon 180 auf 236. 

Proben siehe nächste Seite. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburo. 



29 



filnoe, S^^icbrl^, St^mologifd^cg SBörtcrbud^ ber beutfd^cn ®piai)t. (Proben.) 



»aiiten $lur. bei (Soetbc 1809 SQBaI)fDcrn). 
(SBetfc 20^; ber ©infll. «ante JJauft 11 8. 
11157) ; barüber boS lcl)ncic^c 3cu0ui§ pon 4>e0c* 
wifc^ 1791 Sllcgicrunö Äaifcr Äarig bcS ®ro6en 
6. 146 guSnotc: ;,S8autcn ift ^raar ein ?Jro« 
mnsialiuort, aber eä ocrbicnt in bic ©c^riftiprac^e 
aufßenommen gu werben, rooau man fd)on gu 
SJerlin baS (Sjempd flicbt'': ein um bie üHitte 
bed 18. 3abrl)3. in ber ^Jlarf ©ranbenburg auf» 
tretenbeS SBort ber aScm)aItun0gfprad)e, guerft 
t)on ^ei)na6 1775 ©anbbu* ©. 207 (1796 «Cnti* 
barbarui^ @. 199) oergeic^, aber bei Slbelung 
unb €amp^ rwä) feblenb; ^belung unter Sau 
ermäbnt Sauten ald $lural )u Sau für baS 
nbb. 9^orbbeutfc^Ianb. 1781 mirb büwte •«oute* 
aI3 pommer. SDialeftroort Dergeid^net. 

»Innmac^. cineiu ber 2.^älftc beS 18.3abrb8. 
ouffommenbe, gunöc^ft fomif^e $(nalooiebilbung 
na(^ frg. age-SBortcn innerl)alb ber ©tubcnten* 
fpracl)e (e3 gibt fein frg. blamage) ; frü^efte Se* 
icflc in ftubentifd)er fiittcratur: %\\d}Q.v 1781 
fiomif^e ©urfdjiabe ©. 9 mb Caut^arb 1804 
ßulcrfapper ©. 113; Dgl. ©lubcutenfpracbe ©. 64 
unb SRenommaoe. 

öotfcftnftcr 9Jl. bofür in bcn SReidjSabfdjicben 
üom ©nbc bc§ 15. 3Qt)i^^)3. bi§ gum SRegcnSburger 
t)onl654Sotfc^aft fontrct al& •©ejanbtfc^aff ; 
fo aud) Ott bei fiulfjer g. 33. 2 Äor. 5, 20, mo neuere 
SBibcIaiiSgabcn Sotfc^after eingcfc^ b^ben- 
SDann tritt — guerft bei Sob- Simndu» 1651 
Capitulationes Tmperatorum ©. 577 — ^ott* 
fcbaffter'nuncius' neben ^ottfcbofft'legatio" 
auf ab Segeid)nund bed eingelnen SnitgliebeS 
einer Sotfd)att. Sotfcbaftergebilbetnneftunb« 
fcbafterunb®efellf($aftererfcbeinlglei4geitig 
oereingett (g. ®. »agantenbofpital 1668 A8J> B4» 
C4*>) 'mer mit einer ©otfcbaft beauftragt ift*. 
Socb mürbe baS f\ä) bamafö einbürgembe frg. 
ambassadeur allgemein gebraucht infolge ber 
großen ©treitigfeiten über bie biplomatifcben SRang« 
!f ttffen beim S'Jimroeger ÄongreS 1677 ff. \i^nt am 
SBiener |^of bc& SebürfniS gefübU morben gu fein, 
aucb im S)eutfcben gmifcben bbberen unb nieberen 
@e(anbten gu fcbeiben; babei mürbe für ambassa- 
deur Sotfd^after, für enyoy« 9(bgefanbter 
gcmdblt (Belege eingetn feit 1696). S)er 9Biener 
@prac^geSrau(^ bürgert ftd^ fcblieglii^ feit etma 
1711 (vgl ba» im 3uli 1711 am SRegenSburger 
[Rcic^dtag oereitibarte $roieft einer beftdnbigen 
SBabIfapituftation 9(rt. XXIII) aucb im 9tei(b aO^ 
möblicb ein für ben minbeftend htrfürftlicben 8er« 
treter. 2)agu ftimmt 6. (8. ^AuS 1721 Sebu^e 
unb im ^nfc^ften S. 273, bet ba9 Sßoxidä am 



SSiener ^ofe gebraud^ gur ilBefeitigung beg oer« 
breiteten 9Cmbaffabeur emp^eblt 9L 2)oi)e. 

SbauHtittJ^mitd SR. (mit engl chauvlnism) 
auS frg. chauvinisme, hc& eigtL 'Idolatrie na- 
pol^onienne* bebeutet. S)iefe ©enennung beS 
9{apoIeonfuItu3 foU auf einen 8eteran 9Kc {Si^aw 
Dingurüdgeben; nacb biefem 9}apoIeonfcbmärmer 
entftanb feit 9{apoIeonS ^U bie Benennung frg. 
Chauvins, roelcbe ©egeicbnung bef. burcb ba8 
beliebte SaubepiQe La Ck>carde Tricolore (1831) 
ber Srüber (Sogniarb fomie bur^ Sb^tletS 3^(b* 
nungen qx& bem frangöf. ©olbatenleben (mo 
Sb<^ut)in aß tt)pifcber 9}ame junger ©olbaten 
auftritt) in gfranfreic^ populär mürbe. 8gL 
lobler ^vAq» «rcbip 86, 296. 393. 

SbrtfiliitbAeit 92. 'äßeibnacbtSgefcbenr gu< 
erft in ftleinS ^rooingiolmb. 1792 für bie $falg 
unb bad nörblicbe SBeftf den begeugt (alS (Sb^ift* 
tinbel 1776 in SBagnei^ ^nbermörberin 9). 
®afür im 18. 3abrb. ^ber beilige 6l)ri|t^ (öfter« 
bei ©oetbe begeugt), f^on im 17. 3abrb. bei 
ffleife ergnarren 369. 370 (guerft 1661 in einer 
fd^f. $oligeiorbnung). 3" $onimern bafür 
Kindeken-J6s, in ^olftein Kin-J6s; in Sacbfcn 
,,beiHger ^enb'' ober ,,ein SBeiftnacbten" ®ie 
©itte ber SDBcir)nacbt3bcfd)ecruitg (in ber 2. ^dlfte 
be8 16. Sabrbä. ß^riftbürben baS ®efd)en!. 
bünbel mit ber ©egenSrute) ift eine protcftaii' 
tifdje Sleuenmg ber ©cbcntungcn an bcn Xagcn 
beä big. 2Rartin unb 9atoIau§ (10. ^f^oobr. refp. 
5. 2)egbr.). 9la(^ 3L SnOe'S ©d)rift ®cfcbid)te 
ber beutfd^en äBeibnacbt. 

(Sftxiih 9R- ntbb. esterTch abb. estirlh 
ditefte fjform astrth (hh) 9n. = mnbb. astrak 
esterck, nbl. estrik (alte ^Belege für bie mnbb. 
nbL 9Borte feblen). 3n SRittelbcutfcblanb (aucb 
im ©cbmdb.) feblt baS SBort, baS Sutber unbefanra 
war. äBabrfcb<tinli(b ift eS eigtl im ^ibcin* unb 
Sonautbal beimif($ unb burcb röm. Äoloniften 
bort eingefübrt S)ie urbeutfcb. ©runbformen 
astrik — astrak becfen [\d) mit frübmlat astricus 
astracus '^flafter' = maildnb. astregh, figil. 
astracu, ttaL lastrico; nacb ®. ^et)er Anal. 
Graec. @. 3 liegt fpdtlot astracum (» gr. 
öoTpaKov) gu ®runbe; über boS SetbdltniS 
oon lat astracum — astricura t>gL lat 
monacus — monicus unter 991 5 neb. 

Srttfel an. am ©cblug bed 1$. 3abrb. als 
5Dialeftmort für Saiem, ben 'SRittcjbfbeiii unb 
SU^rbeutfcblanb bezeugt, aber gufrubfl imr im 
9tbb. beimif^ (1775 für Hamburg bezeugt), unb 
auf nbb. (Sebiet geigt bcü^ Sort teilmeif^ eine 
allgemeinere Qebeutung, inbdh^ InrSRecHehburg 



3ö Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 



VORGESCHICHTE 



DER 



ALTGERMANISCHEN DIALEKTE 



VON 

FRIEDRICH KLUGE. 



ZWEITE AUFLAGE. 



Mit einem Anhang: 
GESCHICHTE DER GOTISCHEN SPRACHE. 



Sonderabdruck aas der zweiten Auflage von Pauls Grondriss der germanischen Philol<^e. 

Lex. &^. XI und S. 323 — 517 und 10 S. Register. 1898. M. 4.50 

„Mit Meisterschaft hat Kluge die noch schwerere Aufgabe gelöst, die 
„Vorgeschichte der altgermanischen Dialekte", d. h. die aus der Sprachver- 
gleicnung erschlossene älteste (vorhistorische) Gestalt der germanischen Sprache 
auf 100 Seiten so darzustellen, dass neben den als sicher zu betrachtenden 
Ergebnissen der bisherigen Forschung auch noch schwebende Fragen und künftige 
Aufgaben berührt werden." 

L. Tob/er, Litter aturhlatt f. germ, «. rom, Philologie i8go S, ISS' 



GESCHICHTE 



DER 



ENGLISCHEN SPRACHE 

VON 

FRIEDRICH KLUGE. 

MIT BEITRÄGEN VON D. BEHRENS UND E. EINENKEL. 

ZWEITE VERBESSERTE UND VERMEHRTE AUFLAGE. 



Sonderabdruck aus der zweiten Auflage von Pauls Grundriss 

der germanischen Philologie. 



MIT EINER KARTE. 



Lex. 8®. S. 926 — 1151 und 14 S. Register. 1899. M. 5.50. 

„ . . . Der Geschichte der englischen Sprache ist mit Recht ein erheblicher 
Raum überlassen worden. Kluge bespricht zunächst die Einwirkung fremder 
Sprachen, namentlich des Skandinavischen (über die Stellung des Franzö- 
sischen in England und die Elemente, die es der heimischen Sprache zuge- 
führt hat, handelt die beigegebene Erörterung von Behrens eingehender) 
und die Schriftsprache und verfolgt dann im Einzelnen die Entwickelung der 
Laute und Flexionen durch die alt- und mittelenglische Periode bis zur Zeit 
Shakespeare's. Kluge's Arbeit, welche die Resultate der Studien Anderer bequem 
zugänglich macht und mit einer Fülle eigener Bemerkungen verbindet, verdient 
voüe Anerkennung. Dankenswerth ist es, dass Einenkel eine Syntax beige- 
steuert hat, welche hauptsächlich auf der Sprache des 14. Jahrhunderts beruht . . ." 

Literar, Centralblatt 1892, Nr. ^. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 31 

ENGLISH ETYMOLOGY. 

A SELECT GLOSSARY 

SERVING AS AN INTRODUCTION TO THE HISTORV 

OF THE ENGLISH LANGUAGE 

BY 

R KLUGE AND R LUTZ. 
8®. Vin, 234 S. 1898. Broschirt M. 4. — , in Leinwand geb. M. 4. 50. 

PREFACE. 

Our primer of English Etymology is meant to serve as an introduction 
to the study of the historical grammar of English. However manifold the ad* 
vantages which the Student may derive from Professor Skeat's Etymologica\ 
Dictionary, it cannot be denied that it does not commend itself as a book for 
beginners. Though it is a work of deep research, brilliant sagacity, and admi- 
rable completeness, the linguistic laws underlying the various changes of form 
and meaning are not brought out clearly enough to be easily grasped bv the 
uninitiated. We therefore propose to furnish the Student wim a smalf and 
concise book enabling him to get an insight into the main linguistic phenomena. 
We are greatly indebted to Professor Skeat, of whose excelfent work we have 
made ample use, drawing from it a great deal of material, which we hereby 
thankfully acknowledge. As our aim has of course not been to produce a booic 
in any way comparable to our predecessor's work in fulness of detail and 
general completeness, we have confined ourselves to merely selecting all words 
the history of which bears on the development of the language at large. We 
have, therefore, in the first place, traced back to the older periods loanwords 
of Scandinavian, French and Latin origin and such genuine English words as 
may afford matter for linguistic investigation. In this way we hope to have 
provided a basis for every historical grammar of English, e.g. for Sweet's 
History of English Sounds. 

If we may be allowed to give a hint as to the use of our little book, 
we should advise the teacher to make it a point to always deal with a whole 
group of words at a time. Special interest attaches for instance to words of 
sarly Christian origin, to the names of festivals and the days of the week; 
besides these the names of the various parts of the house and of the materials 
used in building, the words for cattle and the various kinds of meat, for eating 
and drinking, etc. might be made the subject of a suggestive discussion. On 
treating etymology in this way, the teacher will have the advantage of Con- 
verting a lesson on the growth of the English language into an inquiry into 
the history of the Anglo-Siaxon race, thus lending to a naturally dry subject a 
fresh charm and a deeper meaning. 

In conclusion, our best thanks are due to Professor W. Franz of Tübingen 
University, who has placed many words and etymologies at our disposal and 
assisted us in various other ways. 

LIST OF ABBREVIATIONS. 

acc. = accusative case, adj. <» adjective, adv. «> adverb, bret. «■ Breton, 
CELT. S3 Celtic, conj. «> conjunction, corn. *= Cornish, cp. = compare, Cymr. 
>3 Cymric rWeIsh), Dan. b» Danish, dat. « dative case, der(iv). sm derived, 
derivative, aimin. ss diminutive, DU sa Dutch, E« =» modern English, f. (fem.) s» 
feminine, frequent. « frequentative, FR. ■= French, FRIES. = Friesic, G. =■ 
modern German, Gael. = Gaelic, gen. «s genitive case, goth. aa Grothic, 
GR. r= Greek, Icel. = Icelandic, inf. = infinitive mood, infl. &» inflected, interj. ■■ 
interjectipn, IR. = Irish, ital. es Italian, lat. = Latin, LG. = Low German, 
lit. BB literallv, lith. =s Lithuanian, m. =3 masculine, ME, sa Middle English, 
MHG. SS Middle High German, n. (neutr.) =« neuter, nom. => nominative, obL s> 
oblique case, CDU. = Cid Dutch, OFR. « Cid French, OHG. » Qld High 
German, dir, — Cid Irish, on. « Qld Norse, onfr. =s Cid North Frendi. 
orig. SB original, originally, OSAX. = Qld Saxon, OSLOV. «= Old Slovenian, 
pl. s3 pluraT, p. p. a past participle, prob. =s probably, pron. ^^ pronoun, 

grop. = properly, PROV. s= Proven^al, prt. = preterite, past tense, RUSS. =: 
.ussian, sb. = Substantive, SKR. *= Sanskrit, SPAN. = Spanish, superl » 
Superlative, swfd. ss Swedish, TEUT. s= Teutonic, vb. «=■ verb. 

Proben mu «Uta Vf^txiti^ut^ iNi^tk« xj^x^an». %i^xv. 



32 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 



Kluge und Lutz, English Etymology (Fortsetzung). 



Probeseite. 



sole* — sound^ 



»93 



gar-LAT. sola has supplanted 
LAT. soUa^ whence goth. sulja 
*8ole' is borrowed. 

sole^ (a flat fish) mb. spie fr. fr. 
soU\ ident. w. soU^\ cp. lat. 
solea 'sole-fish*. 

some pron. me. sum som oe. sum 
= GOTH. sumSf ON. sumr^ ohg. 
sumx ARYAN base S9mO' in gr. 
afjio^6¥f SKR. sama, 

8on sb. ME. sone sum ob. sunu 
= goth. sunus, ON. sunr, osax. 
sunu, OHO. sun Q, söhn du. zoon: 
Teut. base sunu; An aryan base 
aSai^- is evident in skr. sunu-, 
OSLOY. synü, uth. sünüs 'son\ 
Cogn. w. or. vifig *son' fr. an 
ARYAN base suyu' and w. oir. 
su^ *foetus*. There occurs also 
a skr. V" ^ *to beget, bear, 
bring forth*. 

song vb. MB. OB. spfi^i Teut. 
base sang(w)a' also in goth. 
saggwSf ON. sgngry du. tang^ G. 
sang. Cp. sing. 

soon adv. me. sfne ob. i^^Fia; as 
shown by goth. suns^aiw soon*, 
OE. sön-a is a Compound of ob. sön 
(= ohg. osax. sän) and rf (= 
GOTH. aiw ohg. /V?); cp. ohg. sär 
sär^io and goth. jm^ 'soon . 

aOOt sb. ME. OB. S(ft = ODU. 

soelf ON. söt; derived fr. the 
TEUT. y^jÄ *sit, set*; cogn. w. 
OIR. susäe (base *södiä), lith. 
iödis^ OSLOV. sazäa 'soot*. 

sooth adj. 'true' me. söth ob. s(ff 
fr. a Teut. base sanf' = on. 
sannr^ ohg. i^/»/, osax. j<$M; 
cogn. w. GOTH. sunjis (for *sundja'). 
TEUT. i^zisr/- answers to skr. /a/, 

BmGUSM ETyMOLOOV. 



whic)i is participle of the aryan 
y/^es \o be' (skr. ästi^ GR. /^Vrr/, 
LAT. €Stf G; tf/) with the sufTix 
'Ont' in GR. (pegow (cp. tootH). 
GOTH. xi^^i{/£r 'true' corresponds to 
SKR. la/y^ *true*. 

sore adj. me. sfr ob. sär fr., a 
TEUT. adj. sai'ra- in on. jJrr, 
OHG. j^, DU. zeer^ot^y wounded*; 
cp. GOTH. sair sb. 'pain', oHO. 
sir (g. versehren vb. *to hurt*). 
Cogn. w. LAT. sae'Vus 'wild* and 
OIR. sai'th 'pain*. Cp. sorry. 

sorrel (plantname) fr. ofr. 
sorel (fr. surelle)^ which is de- 
rived fr. FR. sur *sour = ohg. 
sür (see under sour), 

sorrow sb. mb. sorwe ob. sorg 
infl. J<?r^tf: Teut. base sorgS' in 
GOTH. saürga, OHG. j<?r^a o. x^r^^, 
DU. sorg, ON. J<?r^ : ARYAN \/"s'(trgh 
in LITH. sergiti \o heed* — 
jir^/r *to suffer*. 

sorry adj. me. sgr^ oe. särii 
ear lier säre^ : Teut. base sair-ag-, 
deriv. fr. teut. saira' = f^r^. 

sot sb. ME. sot late ob. (c. iooo) 
soti\ borrowed fr. fr. sot, whence 
also DU. zot and mhg. sot\ cogn. 
w. ir. suthan 'a dunce*. 

soul sb. ME. soule prop. sguU 
OE. säwol infl. i</ce^ : teut. s<u«h' 
al$' in GOTH. sakvala, ohg. ^/Ai 
(for ^shuld) g. j^^/f, OSAX. x^vAr, 
DU. nel. Cp. GR. aioAo^'movable*. 

sound ^ adj. *healthy' mb. sound 
prop. isound ob. "gesund == OSAX. 
gisund, OHG. ^w««/ G. gesund, 
DU. gezond', probably co^^nate w. 
LAT. j^/zf«f 'healthy*. 

13 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. S3 

WÖRTERBUCH 

DER 

ELSÄSSISCHEN MÜNDARTEN 

Bearbeitet von 
E. MARTIN und H. LIENHART 

IM AUFTRAGE DER LANDESVERWALTUNG VON ELSASS-LOTHRINGEN. 

Erster Band Lex.-8°. XVI, 800 S. 1899. Broschirt M. 20. — , 

in Halbfranz gebunden M. 22.50. 

Der II. (Schluss-)Band ist in Vorbereitung. Er wird in etwa 5 — 6 Lieferungen 

ä M. 4.' — erscheinen. 

Dieses Wörterbuch ist die Frucht jahretangeh Sanuneleifers und 
angestrengter wissenschaftlicher Thätigkeit. Es soll n^ch dem Vor- 
bild des schweizerischen Idiotikons den Sprachschatz det- heutigen 
elsä^ischen Mundarten, soweit diese sich zürUck verfolgen lassen, 
zusammenfassen und nach dem gegenwärtigen Stand der Sprach- 
wissenschaft erklären. Dabei wird die Eigentüinlichkeit des elsäs- 
sischen Volkes in Sitte und Glauben, wie sie sich in Redensarten, 
Sprichwörtern, Volks- und Kinderreimen kund gibt, so weit als 
möglich zur Darstellung gebracht werden. Das sprachliche Gebiet 
wurde nach den Bezirksgrenzen von Ober- und Unterelsass abgesteckt. 

«Das grossangelegte Werk macht einen atisgezeichneten Eindruck und 
ist hinter der Aufgabe, die es sich steifte, und den Erwartungen, die man ihm 
entgegenbrachte, nicht zurückgeblieben. . . . Eine so ergiebige grammatische 
Fundgrube wie das schweizerische Idiotikon konnte es unter keinen Umständen 
werden. Bei dieser Sachlage thaten die Bearbeiter wohl daran, «die Eigen- 
tümlichkeit des elsässischen Volkes in Sitte und Glauben, wie sie sich in 
Redensarten, Sprichwörtern, Volks- und Kinderreimen kundgibt, so weit als 
möglich zur Darstellung» zu bringen. In diesem litterarischen und kultur- 
geschichtlichen, völkerpsycholog^sthen Inhalte liegt das Schwergewicht des 
Werkes. . . . Wir zweifeln nicht, dass das elsässiscne Wörterbuch seinen Platz 
in der ersten Reihe unserer Mundartenwerke einnehmen wird. ...» 

Deutsche Litter aturzeüung 1897 Nr. so, 

«... Das elsässiscfae Wörterbuch ist keine Aufspeicherung sprach- 
wissenschaftlicher Raritäten. Es ist eine lebensvolle Darstellung dessen, wie 
das Volk spricht. In schlichten Sätzen, in Fragen und Antworten, in Anekdoten 
und Geschichtchen kommt der natürliche Gedankenkreis des Volkes zu unmittel- 
barer Geltung. Die Kinderspiele und die Freuden der Spinnstuben treten mit 
ihrem FormeTapparat auf. Die Mehrzahl der Artikel spiegeln das eigentliche 
Volksleben wieder und gewähren dadurch einen wahren Genuss. Wenn man 
Artikel wie Esel oder Fuchs liest, wird man bald verstehen lernen, dass in 
deren Schlichtheit und Schmucklosigkeit der Erforscher deutschen Volkstums 
eine sehr wertvolle Quelle für das Elsass findet . .» Strassh, Post 1897 Nr. 344, 

«Cela dit*, je h'ai plus qu'ä f^liciter les autcurs de leur intelligente ini- 
tiative, de Texactitude et de la richesse de leur documentation, des ing^nieuses 
dispositions de plan et de typographie qui leur ont permis de faire tenir sous 
un volüme relativement restrcint une Enorme varidt^ de citations et d'infor- 
mations. Ce n'est point ici seulement un r^crtoire demots: c'est, sous chaque 
mot, les principales locutions oü il entre, les issages locaux, proverbes, facöties, 
devinettes, randonn^es et rondes enfantines dont il ^veille l'^cho lointain au 
Coeur de Thomme mür.» V, Henry, Revue critique, 31 Janv, £898, 

* ^ue J'm en portefeuille nne gTBmmmire et an vocabuUire du dialtci« de Colmar. 



34 Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 



GESCHICHTE 

DER 

DEUTSCHEN LITTERATÜR 

BIS ZUM AUSGANGE DES MITTELALTERS 

VON 

RUDOLF KOEGEL 

ord. Professor für deutsche Sprache und Litteratur an der Universit&t Basel. 

Erster Band: Bis zur Mitte des elften Jahrhunderts. 

Erster Teil: Die stabreimende Dichtung und die gotische Prosa, 
8». XXIII, 343 S. 1894. M. 10.— 

Ergänzungsheft zu Band I: Die altsächsische Genesis. Ein Bei- 
trag zur Geschichte der altdeutschen Dichtung und Verskunst. 
8^ X, 71 S. 1895. M. 1.80 

Zweiter Teil: Die endreimende Dichtung und die Prosa der alt- 
hochdeutschen Zeit. 8®. XX, 652 S. 1897. M. 16. — 

€ . . . . Koegel hat eine Arbeit unternommen, die schon wegen ihres 
grossen Zieles dankbar begrüsst werden muss. Denn es kann die Forschung 
auf dem Gebiete der altdeutschen Litteraturgeschichte nur wirksamst unter- 
stützen, wenn jemand den ganzen vorhandenen Bestand von Thatsachen und 
Ansichten genau durchprüft und verzeichnet, dann aber auch an allen schwie-^ 
rigen Punkten mit eigener Untersuchung einsetzt. Beides hat K. in dem vor- 
liegenden ersten Bande für die älteste Zeit deutschen Geisteslebens gethan. 
Er beherrscht das bekannte Material vollständig, er hat nichts aufgenommen 
oder fortgelassen, ohne sich darüber sorgfaltig Rechenschaft zu geben. Kein 
Stein auf dem Wege ist von ihm unumgewendet verblieben. K. hat aber auch 
den Stoff vermehrt, einmal indem er selbständig alle Hilfsquellen (z. B. die 
Sammlungen der Capitularien, Concilbeschlüsse u. s. w.) durchgearbeitet, neue 
Zeugnisse den alten beigefügt, die alten berichtigt hat, ferner dadurch, dasa 
er aus dem Bereiche der übrigen germanischen Litteraturen herangezogen hat, 
was irgend Ausbeute für die Autnellung der ältesten deutschen Poesie ver- 
sprach. In allen diesen Dingen schreitet er auf den Pfaden Karl Müllenhoffs, 
dessen Grösse kein anderes Buch als eben das seine besser würdigen lehrt. ...» 

Anton E. Schönbach, Oesterreich, Liter aturhlatt 18^4 Nr. iS. 

cKoegel bietet Meistern wie Jüngern der Germanistik eine reiche, will- 
kommene Gabe mit seinem Werke; vor allem aber sei es der Aufmerksamkeit 
der Lehrer des Deutschen an höheren Schulen empfohlen, für die es ein 
unentbehrliches Hilfsmittel werden wird durch seinen eigenen Inhalt, durch 
die wohlausgewählten bibliographischen Fingerzeige und nicht zum wenigsten 
durch die Art und Weise, wie es den klemsten Fragmenten ein vielseitiges 
Interesse abzugewinnen und sie in grossem geschichtlichen Zusammenhang zu 
stellen versteht. Wie es mit warmer Teilnahme für den Gegenstand gearbeitet 
ist, wird es gewiss auch, wie der Verfasser wünscht, Freude an der nationalen^ 
Wissenschaft wecken und mittelbar auch zur Belebung des deutschen Literatur-^ 
Unterrichts in wissenschaftlich-nationalem Sinne beitragen. > 

Beilage zur Allgem. Zeitung 18Q4 Nr, 2S2, 

€ — Vorliegendes Buch .... nimmt neben dem Werke Müllenhoff*s viel- 
leicht den vornehmsten Rang ein. Es bietet den gesamten Stoff in feiner 
philologischer Läuterung, dessen eine Literaturgeschichte unserer ältestei^ 
Zeiten bedarf, um sich zum allseitig willkommenen Buche abzuklären. Die^ 
hohe Verdienst darf man schon heute Rudolf Koegel bewundernd zuerkennen. 
Dass das schwerwiegende Werk seiner selten vergeblich bohrenden Forschung 
und mühseligen Combinationen und Schlussfolgerungcn würdig ausgestattet ist, 
bedarf keiner Versicherung. Und so möge unsere Germanistik des neuen Ehren- 
preises froh und froher werden.» Blätter/, liier, Unterh, 1894 ^^ 4^* 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 35 

Geschichte 

der neuem 

französischen Litteratur 

^ (XVI. -XIX. Jahrhundert). 



Ein Handbuch 

von 

Heinrich Morf. 



• 1 



Erstes Buch: Das Zeitalter der Renaissance. 
8^. X, 246 S. 1898. Broschirt M. 2.50, in Leinwand gebunden M. 3. — . 

Inhalt: Einleitung: Mittelalterliche und humanistische Weltan- 
schauung. — I. Kapitel: Am Ausgang des Mittelalters. (Die Zeit Lud- 
wigs XIL, 1498 — 1515.) — II. Kapitel: Die Anfänge der Renaissance- 
litteratur. (Die Zeit Franz' I., 1515 — 1548.) Einleitung.. Die Prosa. Die 
Dichtung, i. Die Lyrik. 2. Die Epik. 3. Die Dramatik. — III. Kapitel: 
Höhezeit und Niedergang der Renaissancelitteratur. (Die Zeit der letzten 
Valois und Heinrichs IV., 1547—1610.) Einleitung. Die Prosa. Die 
Dichtung, i. Die Lyrik. 2. Die Epik. 3. Die Dramatik. — Bibliogra- 
phische Anmerkungen. 

Aus dem Vorwort: „Es soll hier die Geschichte des neuern franzö- 
sischen Schrifttums in vier Büchern, deren jedes einen solchen Band füllen wird, 
f&rzählt werden. Der zweite Band mag die Litteratur des Klassizismus, der 
dritte Band diejenige der Aufklärungszeit, der vierte die Litteratur unseres 
Jahrhunderts schildern. Die Arbeit ist von langer Hand vorbereitet und zum 
grossen Teil im Manuskript abgeschlossen. 

Dieses Handbuch will den Bedürfnissen der Lehrer und Studierenden de« 
Faches und den Wünschen der gebildeten Laien zugleich dienen.** 



. • • • 



Die Beäag€ zur Aügem. Zeitung urteilt in Nr. 10 von 1899 n • • • Der 
vielverzweigten und komplizieirten Aufgabe der Literaturgeschichte ist Morf 
in vollem Masse gerecht geworden. Er versteht es ebenso sehr, die Geschichte 
der einzelnen literarischen Gattungen von ihren ersten bescheidenen Keimen 
bis zur Blüthe und zum Verwelken zu verfolgen, als die literarischen Persön- 
lichkeiten mit ihren Eigentümlichkeiten und Besonderheiten lebenswahr zu 
schitdem. Dabei vergisst er auch nie, auf die kulturhistorischen Strömungen 
hinzuweisen, welche die Literatur nach dieser oder jener Richtung getrieben 
haben. Sein .ästhetisches Urteil ist nicht von irgend einer apnoristischen 
Stellungnahme bedingt, sondern beruht auf gründlicher, verständnissvoller Wür- 
digung aller massgebenden Faktoren. Endlich genügt die Form, in welche 
Morf seine Erzählung kleidet, allen ästhetischen Ansprüchen. ... 

Wer diesen ersten Band gelesen, wird das Erscheinen der folgenden nut 
Ungeduld erwarten. Die Erzählung der literarischen Geschehnisse schreibet 
rasch vorwärts und ist fesselnd geschrieben. Die literarischen Persönlichkeiten 
treten lebenswahr und plastisch hervor. Einige Beschreibungen kann man 
geradezu Kabinetsstückchen nennen. Morf besitzt überhaupt die Gabe der 
prägnanten Charakterisirung. Fun paar Worte genügen ihm, um ein lebens- 
volles Bild hervorzuzaubern. ... 

Morfs Literaturgeschichte ist eine ganz hervorragende Leistung. Wenn 
sich die folgenden Bände — wie es übrigens zu erwarten ist — auf aer Höhe 
des ersten halten, werden wir in dieser französischen Literaturgeschichte ein 
Werk begrüssen können, das sich der italienischen Literaturgeschichte Gaspary'ii 
ebenbürtig an die Seite stellen wird ..." 

Der II. Band ist unter der Presse« 



3^ Verlag von KARL J. TRÜBNER m Strassbürg. 

bcr 

Ctt 1 i ftl) t tt fitttratttt 

von 

6ernl|ar) ten ißrink. 

®rftcr Sttnb: SU j« SSicüfd 9luftrctcn. ^"'citc ocrbcffcrtc unb Detmel^rtc 
aufläge. cgcrauSgcftcben von Wloi» Sraitbl, ^rofcjfor an ber Uniocrfität Scriin. 

8«. XX, 520 ©. 1899. Srofd^irt 2)1. 4.50, in Seinroanb gebunben 3M. 5.50, 

in ^atbfrang geb. 3)1. 6.50. 

3 n M 1 1 : I. fdVLi). SBor ber (Svoberung. n. iBu(^. ^ie tibergono^seit. III. Oiu^. «on CeioeS btl 
Srccv- IV. Suc^. iBorft>iel ber dieformation unb ber 8{cnaiffance. Hn^ano. 

3n)eiter 93anb: 819 jitr Sleformation. herausgegeben von ^Hotd SranbL 

8«. XV u, 647 ©. 1893. 3R. 8.—, in Seinroanb geb. 9R. 9.—, 

in ^albfranj geb. 901. 10.—. 

3n^alt: IV. 8u(^. Qorf)7ieI .ber {Reformation unb ber Stenaiffance (Dfortfef^ung). V. Ou(% 
Sancaftet unb Dorf. VI. CucQ. S>ie Stenaiffance bt« m Sunre^'B STob. 

daraus eingcln : bic 2. ^ärftc. 8*. XV u. ©. 353—647. 1893. 3K. 5.— 

Die Bearbeitung der zwei weiteren 6ände hat Herr Professor 
Dr. Alois Brandl übernommen. 

Urteile der Presse. 

€ . . . Bei allen Einzelheiten, die zur Sprache kommen, bleibt der Blich 
des Verfassers stets auf das Allgemeine gerichtet, und seine Gründlichkeit hindert 
ihn nicht, klar, geistvoll und fesselnd zu sein. Der gefällige, leicht verständ- 
liche Ausdruck, die häufig eingelegten, auch formell tadellosen Uebersetzungen 
altenglischer Gedichte verleihen dem Buche einen Schmuck, der bei Schriften 
gelehrten Inhaltes nur zu oft vermisst wird. Kurz, die englische Litteratur bis 
Wiclif hat in diesem ersten Bande eine reife, des grossen Gegenstandes 
würdige Darstellung gefunden, und sicher wird sich das Buch in weitesten 
Kreisen Freunde erwerben und der Literatur dieses so reich begabten germa- 
nischen Volksstammes neue Verehrer zuführen.» Lif. Centralblatt 1877 Nr.js. 

«Die Fortsetzung zeigt alle die glänzenden Eigenschaften des ersten 
Bandes nach meiner Ansicht noch in erhöhtem Masse; gründliche Gelehrsam- 
keit, weiten Blick, eindringenden Scharfsinn, feines ästhetisches Gefühl und 
geschmackvolle Darstellung.» DeutscJu Litteraturzeüung 1889 Nr, ig, 

«Bernhard tenBrink's Litteraturgeschichte ist ohne Zweifel das gross« 
artigste Werk, das je einem englischen Philologen gelungen ist. Mehr noch: 
es ist eine so meisterhafte Leistung, dass es jedem Litteraturhistoriker zum 
Muster dienen kann. Und dieses Urtheil hat seine volle Kraft trotz der 
unvollendeten Gestalt des Werkes. Wäre es dem Verfasser vergönnt gewesen, 
es in derselben Weise zu Ende zu bringen, so würde es leicht die hervor- 
ragendste unter allen Gesammtlitteraturgeschichten geworden sein . . .» 

Museum 1893 Nr, 7. 

«ten Brink hat uns auch mit diesem Buche durch die fesselnde 
Form der Darstellung und durch die erstaunliche Fülle des Inhalts in unaus- 
gesetzter Spannung gehalten. Der wissenschaftliche Wert des Buches ist über 
jede Besprechung erhaben; auch dieser Band wird; wie der erste, dem Studenten 
eine sichere Grundlage für litterarische Arbeiten bieten; aber hervorgehoben 
muss noch einmal werden, dass wir hiermit nicht nur ein fachmännisch ge- 
lehrtes, sondern auch ein glänzend geschriebenes Werk besitzen, das jeder 
CrebiWete mit wahrem Genuss studieren wird.» Grenzboten 188Q S, Sij, 



VERLAG VOM KAR£ J. TRÜBNER IN Strassburg. 37 

ber 

3taHenifd^en Citcratur 

von 

Hbolf (3adpari^* 

Stftev 9anb: Sie itarteitifc^e Stteratitr im mtitlalitt. 

8^ 650 ©. 1885. aW. 9.—, in $al6frang gcbunbcn 9R. 11.— 

3n^alt: ©inlcitung. — S)ie ©icilianifd^e 2)tc^ierfc^ule. — gortfcfeung bet 
iDrifdjen ^id^tung in aRittelitalien. — ®uibo ^iniceOi von Bologna. — 
©ic franjöf. 9littcrbic^ng in Dbcritalicn. — Sleltaiöfe unb moroKfd^e 
5l?oefie in Dbcritalicn. — ®ic rcligiöfc S^ril in Umbricn. — S)ie Sßtofa 
im 13. ^d^xf^ — 2)ic aDcgorifc^^bibattifc^c ©ic^tung unb bic p^ilofop^. 
ß^ril bcr neuen flotcntinifd^cn ©(^ulc. — ^anXt. — ®ic ßomöbic. — 
£)a8 14. SöJ^l^wnbett. — Petrarca. — 5ßctrarca'd ßanjonicrc. — Sln^ong 
bibliograpl^ifq^ u. Irit. Semertungcn. — Slcgiftcr. 

3n)citcr 93anb: Sie italienifd^e fiiteratur ber flteitaiffancejeit* 

8^. 704 ©. 1888.' aW. 12.—, in $albfranj gcbunbcn 3K. 14.—. 

3nl^alt: Soccaccio. — ®ic ßpigoncn bet aropen gl^rcntmcr. — Sic ^umaniflcn 
bcS 15. 3ö^t^unbcrt§. — Sic SJufgärfprac^c im 15. ^ai^xij. unb i^re 
Siftttttur. — ^olijiano unb Sorenjo b6 5Wcbici. — Sic Slittcrbid^tung. 
5ßulct unb Sojarbo. 9lcapcl. $ontano unb Sannajaro. — aJlacdjiaoeUi 
u. ©uiccitttbini. — Sembo. — äriofto. — Gaftiglionc. — ^ictro äretino. 
— Sie fii^rü im 16. Sa^r^unbcrt. — SaS ^clbengebid;t im 16. S^^r« 

Jiunbert. — Sie S^ragöbie. — Sie itomöbic. — 3ln^ang bibliograpl^. u, 
ritifdjcr Semerfungen. 

„Jeder der sich fortan mit der hier behandelten Periode der italienischen 
Litteratur beschäftigen will, wird Gaspary's Arbeit zu seinem Ausgangspunkte 
zu machen haben. Das Werk ist aber nicht nur ein streng wissenschaftliches 
für Fachleute bestimmtes, sondern gewährt nebenbei durch seine anziehende 
Darstellungsweise auch einen ästhetischen Genuss; es wird daher auch in 
weiteren Kreisen Verbreitung finden." Deutsche Litter aturzcitung. 

„Eine sehr tüchtige wissenschaftliche Arbeit. Empfiehlt sich das Buch 
einem grösseren Publikum durch seinen leicht verständlichen geschmackvollen 
Ausdruck, so findet auch der Gelehrte in den im Anhange gegebenen reichen 
Anmerkungen die bibliographischen Nachweise und die kritische Begründung 
bei schwierigen zweifelhaften Punkten." Literarisches Centralhlatt, 

„Die Darstellung von dem in die Anmerkungen verwiesenen Ballast be- 
freit, schreitet festen aber elastischen Schrittes vorwärts; sie führt in die Mitte 
der Thatsachen und der an diese sich knüpfenden Fragen, aber ohne gelehrte 
oder schulmeisterliche Pedanterie, sodass der Genuss des Lesens sich mit dem 
Nutzen des Lernens zugleich und von selber darbietet. Allgemeine Zeitung, 

„Air opera del Gaspary, che raccoglie abbastanza bene i risultati degli 
studi piü recenti, auguriamo, perchö ci parebbe utile ä dotti e agli indotti, una 
edizione italiana." Rivista critica della Utteratura italiana. 

. „Prof. Gaspary's history of Italian literature promises to be the ideal of 
a thoroug^ly useful introduction, occupying a middle position between an ex« 
haustive work on the subject and a students manual. The accounts of Petrarca 
and Dante are very clear and instructive, but perhaps the most interesting 
part of the book is the picture of the early struggles of Italy to acquire a 
national language and literature." T/te Saturday Review. 

Sie gortfeftung biefeg aSSerfeg f)ai gerr Dr. Stidjiarb gBenbriner (Sreglau) 
flbemommen; i^m finb oon ber ©attin beg pcrftorbenen 3Jcrfafjctg bie Vorarbeiten» 
fomeit jtd^ fot(^e im gtac^Iafie oorfanben^ ttugget)änb\%\ xot>x\^^\\. 



38 VERLAG VON KARL j: TRÜBNER IN STRASSBÜR<r. 

BERNEKER, DR. ERICH, DIE PREUSSISCHE SPRACHE. 

Texte, Grammatik, Etymologisches Wörterbuch. 8^ X, 333 S 

1896. M. 8.— 

« « . . £s war wirklich schon an der Zeit, Nesselmann's cSprachc 
der alten Preussen» durch ein dem heutigen Stand der Wissenschaf) 
mehr entsprechendes Buch zu ersetzen und Berneker hat seine Aufgabe 
im Ganzen mit Glück gelöst. Es wäre überflüssig» den grossen Fortschritt; 
welchen Bernekers Grammatik gegen Nesselmann bedeutet, besonders 
hervorzuheben: wir machen in dieser Beziehung auf seine Akzentlehre 
aufmerksam, welcher es selungen ist, nach Fortunatow's Vorgang ein 
wirklich unerwartetes Licht auf das Preussische zu werfen. 

Anzeiger f, indogerm. Sprech- u. Alter tumskundt. VII, Band, j. Heft. 

BRÜCKNER, W., DIE SPRACHE DER LANGOBARDEN. 

(Quellen und Forschungen, Heft LXXV.) 8«. XVI, 338 S. 

1895. M. 8 — 

cEine sehr gründliche und gediegene Arbeit, die der Schule, aus 
der sie hervorgegangen, alle Ehre macht. Die vorliegende Arbeit erfüllt 
ihren Zweck nach allen Seiten, sie zeugt von guten Kenntnissen und glück- 
licher Verwertung derselben für die Grammatik wie für das Wörterbuch 
und die Namenkunde. Viel unbekanntes Material ist beigebracht und richtig 
gedeutet; weniges Dunkele wird wohl auch fernerhin dunkel bleiben.» 
F. Kluge, Utteraturblatt für germ, und roman. Phäologie iSqs, ^^' ^2. 

BÜHLER, GEORG, ON THE ORIGIN OF THE INDIAN 

Brahma Alphabet. Second revised Edition of Indian Studies 
No. III. Together with two Appendices, on the Origin of the 
Kharosthi Alphabet and of the so-called Letter-Numerals of the 
Brahmi. With three plates. Gr. 8<>. XIII, 124 S. 1898. M. 5.— 

CAPPELLER, CARL, SANSKRIT- WÖRTERBUCH. Nach 

den Petersburger Wörterbüchern bearbeitet. Lex.-8**. VIII, 541 S. 

1887. M. 15. — , in Halbfranz geb. M. 17. — 

«Der Verf. sucht mit seinem Werk einen doppelten Zweck zu er- 
reichen. Einerseits will er zu Böhtlingks Chrestomathie und einigen 
andern wichtigern Texten . . . ein Spezialwörterbuch liefern, das für die 
ersten Jahre des Sanskrit-Studiums genügen soll, und hiermit kommt 
er einem entschiedenen Bedürfnis von Lehrenden und Lernenden ent- 
gegen. Anderseits will er aber auch dem vergleichenden Sprachforscher 
das für seine Zwecke dienliche Material in möglichst bequemer Weise 
an die Hand geben . . . Bei der Verfolgung dieses Doppelzweckes zeigt 
der Verf. überall die grösste Sorgfalt und Umsicht, und die gediegene 
Arbeit verdient in jeder Hinsicht volle Anerkennung ...» 

Deutsche Litteraturzeitung 1887 Nr, 16, 

HÜBSCHMANN, H., PERSISCHE STUDIEN. 80. 286 S. 
1895. M. 10.— 

«Der erste Theil bringt eine stattliche Anzahl von Nachträgen und 
Verbesserungen zu Horn's Grundriss der neupersischen Etymologie. Dem 
über dieses Buch gefällten durchaus sachlichen Urtheile pflichtet Ref. 
vollkommen bei; trotz gewisser ihr anhaftender Mängel ist Horn's Arbeit 
von grossem Nutzen und wird anregend wirken. Ja, sie hat dies bereits 
gethan; denn auf ihr beruht zum grossen Theile die «neupersische Laut- 
lehre», welche die zweite Hälfte des Hübschmann'schen Buches füllt. 
Diese «Lautlehre» ist ausserordentlich reich an Einzelergebnissen, ohne 
Zweifel wird sie auf lange Zeit hinaus die feste Grundlage für die fernere 
wissenschaftliche Erforschung der neupersischen Sprache bilden. Der 
Verf. hat (und dies ist vielleicht das Hauptverdienst unseres Buches) die 
Grundlagen für eine geschichtliche Betrachtung der persischen Sprache 
und ihrer Entwickelung geschaffen.» Literarisches Centralblatt i8qs Nr, 23, 



Verlag von KARL J. TRÜBNER m Strassbürg. 39 



HUTH, DR. QEORQ, GESCHICHTE DES BUDDHISMUS 

in der Mongolei. Aus dem Tibetischen des Jigs-med nam- 

mk'a herausgegeben, übersetzt und erläutert. 

I. Teil: Vorrede, Text, kritische Anmerkungen. Gr. 8^ X, 

296 S. 1892. M. 20. — 

IL Teil: Uebersetzung. Nachträge zum ersten Teil. Gr. 8^ 

XXXII, 456 S. 1896. M. 30— 

«Man darf behaupten, dass mit der Uebertragung dieses bedeu- 
tenden historischen Werkes, das ein hoher geistlicher Würdenträger 1818 
verfasste, unsrer Wissenschaft neue Bahnen und Ziele gewiesen werden 
in philologischer wie historischer Beziehung, dass hier bisher unbekannte 
und vertiefte Erkenntnisquellen für die gesamte Cultur der Völker Inner- 
asiens im reichsten Masse zum erstenmal erschlossen werden.» 

Beilage zur Allgemeinen Zeitung. i8g6, Nr, 238. 

JENSEN, P., HITTITER UND ARMENIER. Mit 10 lithogra- 
phischen Schrifttafeln und einer Obersichtskarte. Gr. 8®. XXVI, 

255 S. 1898. M. 25. — 
Inhalt: I. Das Volk und das Land der Hatio-Hayk*. — 11. Die hatisch- 
armenischen Inschriften. A. Liste der bekannten Inschriften. B. Trans- 
scriptions- und Obersetzungsversuche. — III. Das hatisch-armenische 
Schriftsystem. A. Die Schriftzeichen und ihre Verwendung. Mit einem 
Anhang. B. Das ägyptische Vorbild des hatischen Schriftsystems. 
C. Palaeoarmenischer Ursprung der hatischen Schrift. IV. Die Sprache der 
Hatier und das Armenische. A. Grammatisches. B. Lexikalisches. C. Der 
Lautbestand der hatischen Sprache im Verhältnis zu dem des Indo- 
germanischen und des Armenischen. — V. Zur hatisch-armenischen Reli- 
gion. A. Hatische Götterzeichen. B. Hatische Götternamen. C. Hatische 
uötter. D. Einfluss des syrischen Cultus auf den der Hatier. £. Die 
Religion der Hatier und die der Armenier. — VI. Zur hatisch-armenischen 
Geschichte. — Nachträge. Verzeichnisse. 
—.——— ' ■ ■ 

LUICK, K., UNTERSUCHUNGEN ZUR ENGLISCHEN 

Lautgeschichte. 8®. XVIII, 334 S. 1896. M. 9.— 

«Der Verfasser hat schon durch kleinere Arbeiten seine hervor- 
ragende Befähigung für lautgeschichtliche Untersuchungen bewiesen; 
durch diese neueste Leistung thut er qs in verstärktem Masse. In vielen 
Dingen stimmt man ihm sofort zu . . . Wir erkennen freudig an, dass 
jede Seite von gediegenem Wissen und grossem Scharfsinne zeugt, Vieles 
von neuen Standpunkten aus behandelt ist und sichere Ergebnisse in 
stattlicher Fülle gewonnen worden sind.» 

Literarisches Centralblatt i8g6 Nr. 4Q. 

von PLANTA, R., GRAMMATIK DER OSKISCH-UMBRI- 

schen Dialekte. 

I. Band: Einleitung und Lautlehre. 8®. VIII, 600 S. 1892. M. 15. — 

n. Band: Formenlehre, Syntax, Sammlung der Inschriften und 

Glossen, Anhang, Glossar. 8®. XX, 765 S. 1897. M. 20. — 
€ Nachdem die Sprachwissenschaft die oskisch-umbrischen Dialekte 
längere Zeit ziemlich abseits hat liegen lassen, herrscht jetzt auf diesem 
Forschungsgebiet wieder ein erfreulich reges Leben. Fast gleichzeitig 
sind drei grössere Arbeiten erschienen; die sich mit der Lautgeschichte 
dieser Mundarten beschäftigen. Davon ist die umfassendste und bedeu- 
tendste das uns vorliegende Buch eines jungen Schweizers. . . . Wir 
behalten uns vor, auf das Werk nach Erscheinen des zweiten Bandes 
etwas ausführlicher zurückzukommen. Für jetzt sei nur noch bemerkt, 
dass wir es mit einer auf gründlichstem Studium beruhenden, durchaus 
soliden und in manchen Beziehungen geradezu musterhaften Arbeit zu 
thun haben, die als ein die gesammte bisherige Forschung zusammen- 
fassendes Handbuch für jeden, der sich mit den altitalischen Sprachen 
beschäftigt, unentbehrlich seia wird.» Literarischea Centralblatt 1893 Nr. 10. 



40 Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassbürg. 

SAMMLUNG INDOGERMANISCHER WÖRTERBÜCHER: 
I. Hübschmann, H., Etymologie und Lautlehre der osseti- 
schen Sprache. 8«. VIII, 151 S. 1887. M. 4.— 
II. Feist, Dr. S., Grundriss der gotischen Etymologie. 8°. 
XVI, 167 S. 1888. M. 5.— 

III. Meyer, Gustav, Etymologisches Wörterbuch der albanesi- 
sehen Sprache. 8^ XV, 526 S. 1891. M. 12. — 

IV. Horn, Paul, Grundriss der neupersischen Etymologie. 8^. 
XXV, 386 S. 1893. M. 15.— 

V. Leumann, E. u. J., Etymologisches Sanskritwörterbuch. 

(In Vorbereitung.) 



SCHUCHARDT, H., ROMANISCHES UND KELTISCHES. 

Gesammelte Aufsätze. 8^. VIII, 408 S. 1886. M. 7. 50, geb. M. 8.50 
Inhaltsverzeichniss: I. Pompei und seine Wandinschriften. — 
II. Virgil im Mittelalter. — III. Boccaccio. — III. Die Geschichte von den 
drei Ringen. — V. Ariost. — VI. Camoens, — VII. Zu Calderone Jubel- 
j feier. — VIII. Goethe und Caldcron. — IX. G. G. Belli und die römische 

! Satire. — X. Eine portugiesische Dorfgeschichte. — XI. Lorenzo Stecchetti. 

j — XII. Reim und Rhythmus im Deutschen und Romanischen. — 

! XIII. Liebesmetaphern. — XIV. Das Französische im neuen Deutschen 

i Reich. — XV. Eine Diezstiftung. — XVI. Französisch und Englisch. — 

: XVII. Keltische Briefe. — Anmerkungen. 



WIEDEMANN, O., HANDBUCH DER LITAUISCHEN 

Sprache. Grammatik. Texte. Wörterbuch. 8®. XVI, 354 S. 1896. 

M. 9. — 

*Scit langen Jahren schon hat jeder, der Vorlesungen über litauische 
Sprache zu halten gezwungen ist, den Mangel eines passenden Handbuches 
aufs Schmerzlichste empfunden. . . . Wiedemann, der verdiente Ver- 
fasser der scharfsinnigen Monographie über das litauische Präteritum, darf 
des Dankes bei Lehrer wie Schüler gewiss sein . . . Ein ausführliches 
Wörterbuch macht den Beschluss, so dass der Band Alles umfasst, was 
der Anfänger nöthig hat. ...» Liter ar. Centralhlatt 18Q7 Nr. ö. 



BETZ, LOUIS-P., LA LITTßRATURE COMPARßE. Essai 
bibliographique. Introduction par Joseph Texte, Professeur 
de litt^rature compar6e ä l'Universit^ de Lyon. Gr. 8". XXIV, 
123 S. 1900. M. 4. — . 

Table des matieres: Preface. — Introduction par 
Joseph Texte. — I. Etudes th^oriques. — II. Les rapports 
litteraires generaux de la France, de TAllemagne, de TAngleterre, 
de l'Italie et de TEspagne. — III. La France et l'Allemagne. — 
IV. La France et l'Angleterre. — V. L'Anglcterre et TAlle- 
magne. — VI. L'Italie. — VII. L'Espagne (et Ic Portugal). — 
VIII. Les litt^ratures du Nord. — IX. Les litteraturcs slaves. — 
X. La France, rAllcmagne et l'Angleterre dans leurs rapports 
litteraires avec quelques autres pays. — XI. fitudes sur l'influencc 
de la Po6sic Provengale. — XII. L'Antiquit^ grecque et romainc 
(et rOrient) dans les litteraturcs modernes. — XIII. Appendice* 
L'Histoire dans la Litt^rature. — Index (liste alphab^tique des 
auteurs). — Diese Bibliographie der vergleichenden Litteraturge- 
schichte darf wohl als ein unentbehrliches Hilfsmittel für sämt- 
liche Bibliothekare bezeichnet werden. 



Verlag von KARL J. TROBNER in Strassburg. 41 



I. Lei9arraga's 



Baskische Bücher von 1571 

(Neues Testament, Kalender und Abc) 
im genauen Abdruck herausgegeben 



von 



Tfi. LDTSCHMAlOr und H. SGHUCHAEDT. 

Mit Unterstützung der Kais. Akademie der Wissenschaften zu Wien. 
i6^ 87 Bogen. 1900. In Ganzleinwand geb. M. 25. — . 

Die wichtigsten und umfangreichsten baskischen Sprachdenkmäler werden 
hier zum ersten Male nach wissenschaftlichen Grundsätzen Veröffentlicht. Eine 
ausführliche Einleitung ist beigegeben. 



Historische Grammatik 

des 

Kilikisch -Armenischen 

von 

Dr. Josef Karst. 

8^ XXni, 444 Seiten mit 2 Tafeln. 1901. M..15.— . 



KAUFFMANN, Dr. FRIEDRICH, TEXTE UND UNTER- 
SUCHUNGEN ZUR ALTQERMANISCHEN RELI- 
GIONSGESCHICHTE. Erster Band: Aus der Schule des 
Wulfila. Avxenti Dorostorensis epistvla de fide vita et obitv 
Wulfilae im Zusammenhang der Dissertatio Maximini contra 
Ambrosivm. Mit einer Schrifttafel in Heliogravüre. 4^ LXV, 
135 S. 1899. M. 16. — . 

Ankündigung: Der Verfasser hat sich das Ziel gestellt, die 
Probleme der deutschen Altertumskunde in anderer Weise, als es bisher 
geschehen ist, anzufassen und hegt die Hoffnung, dass sich von der 
Keligionsgeschichte her manche Züge des altgermanischen Wesens und 
Lebens, die bisher auch nicht einmal geahnt werden konnten, aufhellen 
werden. Er sucht die strenge historische Methode, über welche die 
Gegenwart verfügt, auf das, was man seither Mythologie genannt hat, 
anzuwenden und so ein Forschungsgebiet zu Ehren zu bringen, das seit 
den Tagen eines Jacob Grimm fast brach gelegen hat. Er will eine 
ganz neue Disziplin der Germanistik erschliessen, die sich am engsten 
mit der Geschichte altgermanischer Sitte und altgermanischen Rechts 
berührt. — In dem ersten Band wird ein uralter lateinischer Text aus dem 
5. Jahrhundert zum erstenmal vollständig herausgegeben. Derselbe hat 
die wichtigste Urkunde über das Leben und Wirken des Gotenbischofs 
Wulfila zum Gegenstand. 



43 Verlag von KARL j. TRÜBNER in Strassburg. 



Soeben erschien; 



f 



Zwei 



religionsgeschichtlictie Fragen 

nach ungedruckten griechischen Texten 

der 

Strassburger Bibliothek 



von 



R. Reitzenstein. 



Mit zwei Tafeln in Lichtdruck. 



Gr. 8«. VIII, 149 S. 1901. M. 5.— 



Der erste Abschnitt bringt Urkunden über die ägyptische Beschneidung, 
der zweite ein heidnisches Lied von der Weltschöpfung, in welchem der Gott 
XÖTog erscheint. Daran knüpft sich eine Besprechung der christlichen Logoslehre. 



Unter der Presse: 

Zur Geschichte des Perikleischen Athen 

von 

Bruno Keil, 

o. Professor an der Universität Strassburg. 

8^ ca. 18 Bogen mit 2 Lichtdrucktafeln. 

Aus Anlass eines durch die Strassburger Univ.- u. Landesbibliothek erwor- 
benen Papynisfundes ergeben sich überaus wichtige und z. T. umwälzende 
Aufschlüsse über die Glanzzeit der griechischen Geschichte, die in dieser 
Schrift im Zusammenhang dargestellt werden. 



Verlag von KARL J. TRÜBNER in Strassburg. 43 

- - ■ . . 

Unter der Presse: 

Hand Schriften proben 

. des sechzehnten Jahrhunderts 
nach Strassburger Originalen 

herausgegeben von 

Lic; Dn Johannes Ficker ^„^ Dr. Otto Winckelmann 

Professor an der Universität Strassburg. Archivar der Stadt Strassbnrg. 

Zwei Bände Kleinfolio mit 102 Tafeln in Lichtdruck und 210 Seiten Text. 
Subskriptionspreis M. 60. — . ^ne Erhöhung des Preises nach Erscheinen des 

Werkes bleibt vorbehalten. 

.... . , ■ 

Bekanntlich ist die Handschriftenkunde der neueren Zeit ein Gebiet, das 
so gut wie gar nicht bis jetzt gepflegt worden ist. Es fehlt vor Allem an einer 
umUssenden Sammlung zuverlässiger Proben, wie die Paläographie des Mittel- 
alters eine ganze Reihe aufzuweisen hat. In Deutschland ist kaum ein Ansatz 
hierzu gemacht worden und in den grossen ausserdeutschen paläographischen 
Veröffentlichungen ist nur vereinzelt und in verschwindendem Umfange die 
Neuzeit berücksichtigt. Am dringendsten ist das Bedürfnis für das Jahrhundert 
des Humanismus, der Reformation und Gegenreformation. Der individuelle 
Charakter der Handschriften in diesem Jahrhundert der Persönlichkeiten stellt 
dem Leser oft die schwierigsten Aufgaben. Nicht anders lässt die Verstreutheit 
des Materials gerade in diesem Zeitalter besonders häufig den Forscher, den 
Bibliothekar und Archivar nach sicherer Unterlage verlangen, um den Ursprung 
namenloser Schriftstücke festzustellen. Und welche handschriftliche Fülle harrt 
noch der Sichtung und der Veröffentlichung! 

Das vorliegende Werk will hier eine sichere Grundlage schaffen. Es 
bietet auf Grund photographischer Aufnahmen die Handschriftenproben eines 
ganzen Jahrhunderts, aller der Persönlichkeiten, die in der reichen Strassburger 
Geschichte dieser Zeit hervorgetreten sind, auf allen Gebieten des geistigen 
Lebens, in Politik und Verwaltung, in Kirche und Schule, in litterarischer und 
künstlerischer Arbeit, dazu aber die Proben der charakteristischen Hände aus 
der städtischen und bischöflichen Kanzlei, der Kanzler, der Sekretäre, der 
Schreiber, Die drei Strassburger Archive haben hierfür reichen Stoff geliefert, 
verschiedene auswärtige Bibliotheken und Archive sind zur Ergänzung heran- 
gezogen worden. — Die Lichtdrucke sind von J. Krämer in Kehl mit grösster 
Sorgfalt hergestellt. Zum genauen Studieren der Handschrift ist jeder Tafel 
eine buchstäblich getreue Transskription gegenübergestellt. Einleitende Be- 
merkungen orientieren, wo es nötig und wo es möglich ist, über die Persönlich-r 
keit und über die Bedeutung des ausgewählten Schriftstücks. 

Für historische, theologische und germanistische Seminare, für Biblio- 
theken und Archive, für jeden Forscher und Freund der Geschichte, ins- 
besondere der Vergangenheit dieses Landes und dieser Stadt, wird das 
Werk unentbehrlich sein. Es wird in der Wiedergabe der Handschriften die 
Persönlichkeiten der Gegenwart viel näher bringen und wird der Geschichte 
jener grossen Zeit die förderlichsten Dienste erweisen. 

Unter der Presse: 

Der isländische Bauernhof und sein Betrieb 

zur Sagazeit 

^ . Nach den Quellen dargestellt 



von 



Dr. E. Dagobert Schönfeld. 

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte 
der germanischen Völker Heft 91. 

8* ca. 16 Bogen. Preis ca. Mk. 7. — 

Inhalt: I. Das Gutsareal. — II. Das Gutsgesinde. — III. Die Gutstiere: 
I. Das Pferd, 2. Das Rind, 3. Das Schaf, 4. Das Kleinvieh (Ziegen, Schweine, 
Hühner, Gänse, Enten), 5. Die Gesellschaftstiere (Hund, Katze, Hausbär). 



44 Verlag von KARL J. TROBNER in Strassburg. 

Unter der Presse: 

BERNEKER, DR. ERICH (Privatdo«ent an der Universität Berlin), 
Slavische Chrestomathie mit Glossaren. 8^ ca. 25 Bogen. 

DIETRICH, DR. ERNST, Die Skeireinsbruchstücke. Text und 
Uebersetzung. (Texte und Untersuchungen zur altgermanischen 
Religionsgeschichte II. Band) 4^. ca. 10 Bogen. 

ALEXANDER GIL*s LOOONOMIA ANGLICA. Neudruck der 
Ausgabe von 1621, besorgt von Dr. O. L. Jiriczek (Quellen 
und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germani- 
schen Völker, Heft 90.) 8*. ca. 16 Bogen. 

Jltnrr^a. Jahrbuch der gelehrten Welt Herausg. von Dr. K. Trübner. 
XL Jahrgang 1901/1902 mit einem Bildnis von Professor Oscar 
Montetius in Stockholm, radiert von Joh. Lindner in München. 
16'. ca. 82 Bogen. Gebunden M. 13. — . 

MINORf J. (Professor an der Universität Wien)., Neuhochdeutsche 
Metrik. Ein Handbuch. Zweite verbesserte und vermehrte 
Auflage. 8°. ca. 32 Bogen, ca. M. 10. — . 



In Vorher ahang: 

Kurze vergleichende Grammatik 

der 

indogernianischoii Sprachen. 

Auf Grund des fünfbiindigen Werkes von Brngmann und Delbrück 

verfasst von 

K. Brugmann- 

Das grosse monumentale Werk von K. Brugmann und B. Delbrück 
hat mit der Veröffentlichung des fünften Bandes soeben einen glücklichen Ab- 
schluss erreicht. Damit ist der Zeitpunkt gekommen, einen Auszug aus diesem 
Werk für einen grösseren Kreis von philplogisch Gebildeten ins Auge zu 
fassen. Der eine dpr beiden Verfasser hat sich bereit erklärt, diese Aufgabe 
zu übernehmen. Die «Kurze vergleichende Grammatik» soll die wichtigsten 
Thatsachen des grossen Werkes im Zusammenhang darstellen unter besonderer 
Berücksichtigung der klassischen Sprachen, des Germanischen, des Slavischen 
und des Altindischen und dabei den Umfang eines Bandes von ungefähr 40 
Bogen nicht überschreiten. 



In Vorbereitung: 

Altitalienische Chrestomathie 

von 

Dr. Paolo Savj-Lopez, 

Privaidozsnt an der UhivcrsitIt Ptracsburo. 

S*. ca. 12 Bogen. 



^^^^^B 




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DO NOTREMOVE 
OR 

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