HANDBOUND
AT THE
UNINERSITV OF
TORONTO PRESS
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Werner Sombart
Studien
zur Entwicklung sgesdiidite
des modernen Kapitalismus
Erster Band
Luxus und Kapitalismus
Verlag von Duncker & Humblot
Mündien und Leipzig 1913
Eil
Werner Sombart
Luxus und
Kapitalismus
Verlag von Duncker & Humblot \ '^ ^ \ %■
Mündien und Leipzig 1913 ^^^y-
Alle Rechte vorbehalten
Copyright by Duncker & Humblot
München und Leipzig 1913
Altenburg
Pierersche Hofbuchdruckerei
Stephan Geibel & Co.
Vorwort
Die Studien, die ich mit diesem Bande zu veröffentlichen
beginne, sind Ergebnisse meiner wirtschaftsgeschichtlichen
Untersuchungen, die ich für eine Neubearbeitung meines
„Modernen Kapitalismus" anstellen mußte. Ich lasse sie hier
gesondert erscheinen, aus dem äußeren Grunde: weil sie zu
umfangreich geworden sind, um sich in den Kahmen einer
allgemeinen Darstellung einfügen zu lassen ; aus dem inneren
Grunde: weil sie sachlich die Probleme über das Gebiet der
Wirtschaftsgeschichte hinaus viel weiter verfolgen, als es eine
strenge wirtschaftsgeschichtliche Gedankenführung zulassen
darf, weil sie auf der anderen Seite als in sich geschlossene
Einheiten erscheinen, die besser in abgesonderter Behandlung
zur Geltung kommen, weil sie alsdann von ihrem eigenen
Konstruktionszentrum aus angesehen werden können.
Mit meinem (voriges Jahr erschienenen) Buche „Die
Juden und das Wirtschaftsleben" habe ich im Grunde den
Anfang mit der Veröffentlichung dieser Studien gemacht.
Denn dort habe ich, ähnlich wie es hier geschieht, ein be-
stimmtes Problem in der Entwicklungsgeschichte des modernen
Kapitalismus in allen seinen Verzweigungen der Prüfung
unterworfen. Lag mir damals daran, zu zeigen: welche über-
ragende Bedeutung für das Wirtschaftsleben der europäischen
Völker der alte Judengott Jehova gehabt hat, so möchte ich
in den zwei Bänden, die ich jetzt der Öffentlichkeit preisgebe.
YI Vorwort
den Auteil zweier anderer Gottheiten am Aufbau des mo-
dernen Kapitalismus nachweisen.
Der zweite Band dieser „Studien" behandelt den Zu-
sammenhang zwischen Krieg und Kapitalismus. Dieser
erste Band, der den Titel „Luxus und Kapitalismus"
führt, sollte aber eigentlich „Liebe, Luxus und Kapi-
talismus" heißen, weil sein Grundgedanke der ist: nach-
zuweisen, daß durch die Umwälzungen, die die europäische
Gesellschaft seit den Kreuzzügen erfährt, sich das Verhältnis
der Geschlechter zueinander wandelt; daß infolge dieses
Wandels die gesamte Lebensführung der herrschenden Klassen
sich neugestaltet ; und daß diese Neugestaltung einen wesent-
lichen Einfluß auf die Herausbildung des modernen Wirt-
schaftssystems ausübt.
M i 1 1 e 1 - S c h r e i b e r h a u im Riesengebirge,
den 12. November 1912.
Werner Sombart.
VII
Inhaltsverzeidinis
Seite
Ersfes Kapitel : Die neue Gesellschaft i
I. Der Hof 2
U. Der bürgerliche Reichtum 5
III. Der neue Adel 10
Zweites Kapitel: Die Großstadt 25
I. Die Großstädte des 16., 17. und 18. Jahrhunderts 25
II. Die Entstehung und die innere Gliederung der Großstädte . . 28
III. Die Städtetheorien des 18. Jahrhunderts 41
Drittes Kapitel: Die Säkularisation der Liebe 45
I. Der Sieg des Illegitimitätspriuzips in der Liebe 48
II. Die Kurtisane 59
Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus 70
I. Begriff und Wesen des Luxus 71
II. Die P'ürstenhöfe 77
ni. Die Nachfolge der Kavaliere und der Protzen 94
IV. Der Sieg des Weibchens 111
1. Die allgemeinen Entwicklungstendenzen des Luxus 111
2. Der Luxus zu Hause 116
a) Der Eßluxus — b) Der Wohnluxus
3. Der Luxus iu der Stadt 126
Fünftes Kapitel : Die Geburt des Kapitalismus aus dem Luxus 133
1. nichtige und falsche Problemstellung 133
II. Der Luxus und der Handel 141
1. Der Großhandel 141
2. Der Detailhandel 152
III. Der Luxus und die Landwirtschaft 161
1. In Eurojia 161
2. In den Kolonien 169
Yjjj Inhaltsverzeichnis
Seite
IV. Der Luxus und die Industrie 172
1. Die Bedeutung der Luxusindustrie 172
2. Die reinen Luxusgewerbe 177
a) Die Seidenindustrie — b) Die Spitzenindustrie — c) Die
Spiegelfabrikation — d) Die Porzellanindustrie — ej Ver-
schiedene Industrien
3. Die gemischten Gewerbe 185
a) Die Wollindustrie — b) Die Leinenindustrie — c) Die
Schneiderei — d) Lederarbeiter (Schuhmacher, Sattler,
Gerber) — e) Hutmacherei — f) Baugewerbe — g) Stell-
macherei, Tapeziererei — h) Tischlerei
4. Die revolutionierende Kraft des Luxuskonsums 202
Quellen und Literaturnachweise 207
Erstes Kapitel: Die neue Gesellschaft
Quellen und Literatur
Die Geschichte des Hofes (I) ist die Geschichte der Staaten. Be-
sondere Darstellungen sind mir nicht bekannt. Eigens hervorhelien
will ich nur Heinrich Laubes Französische Königschlösser. Dieses
ziemlich unbekannte kleine Buch (3 Bde. 1840) gehört zu den lebendigsten
Geschichtsdar&tellungen. Man lernt aus ihm die Verhältnisse am fran-
zösichen Hofe besser kennen, als aus den meisten dickleibigen Geschichts-
büchern (Ranke nicht ausgenommen). L. versucht, je aus einem der be-
rühmten Königschlösser die ganze Zeit lebendig erstehen zu lassen und
liefert damit für Frankreich ein Seitenstück (im kleinen) zu G. Frey-
tags Bildern aus der deutschen Vergangenheit. Die „Historiker" werden
ihn mit Fug gering achten.
Die Entstehung des bürgerlichen Reichtums (II) habe ich zum ersten
Male zu schildern versucht in meinem „Modernen Kapitalismus".
Die in diesem Kapitel abgehandelte Geschichte der Umbildung
der oberen Klassen während der frühkapitalistischen Epoche (111)
hat ein äußeres und ein inneres Gesicht: das äußere Gesicht zeigt uns
nur die genealogischen Ereignisse, und für diese gibt es eine umfang-
reiche Spezialliteratur in den familiengeschichtlichen
Werken, deren Zahl namentlich für England Legion ist. Die um-
fassendsten Darstellungen sind die von G. E. C. in neuster Zeit heraus-
gegebenen: Complete Baronetage 1611-^1880. 6 Vols. 1901—1909; und:
Complete Peerage. 12 Vols. New edit. 1910 begonnen. Von älteren
Werken, die uns hier besonders angehen, nenne ich Arthur Collins
Peerage of England. 3 Vols. 173.5; 9 Vols. 1812; idem, English
Baronetage. 1727. Catalogue of Knights from 1660 to 1760 compiled
by Francis Townsend. 1833. Peerage of England etc. 3 Vols. 1790.
W(alkley) (T[homas]), New Catalogue 1652.
Für die Rangverhältnisse: C h. R, Dodd, Manual of Dignities etc.
1842; für die staatsrechtlich-politischen Probleme: R. Gneist, Adel und
Ritterschaft in England. 1853, und die dort genannten Werke.
Soinbart, Luxus und Kapitalismus 1
2 Erstes Kapitel: Die neue Gesellschaft
Längst nicht so ergiebig ist die französische genealogische
Literatur. liier kommt von Werken allgemeiner Natur vor allem in
Betracht das Dictionnaire de la noblesse von D' Ho zier.
Dafür ist die sozialgeschichtlich-monographische Literatur um so
reicher: Werke wie die von Norm and, Thirion, Bonn äffe, die
ich noch oft nennen werde, besitzt kein anderes Land.
In diesen Arbeiten ist auch schon die andere Seite des Problems:
die sozialpsychologische, wie man sie nennen kann, mit berührt.
Eine zusammenfassende Darstellung der inneren Wandlungen, die
sich in den oberen Klassen während der letzten Jahrhunderte vollzogen
hat, ist mir aber nicht bekannt. Hierfür sind wir also noch darauf an-
gewiesen, aus allen Gebieten der Literatur uns das Beweismaterial zu-
sammenzutragen. Besondere Literaturangaben erübrigen sich demnach.
Der Leser findet in den Zitaten eine Anzahl Bücher vermerkt, die ihm
weiteren Aufschluß zu geben vermögen.
I. Der Hof
hi'me wichtige Folgeerscheinung und dann auch wieder
eine entscheidende Ursache der Wandlungen, die die Staats-
verfassung und das Heerwesen am Ausgange des Mittelalters
durchmachen, ist die Entstehung größerer Fürstenhöfe in dem
Sinne, den wir dem Worte heute unterlegen.
Vorgänger und Vorbilder der späteren Entwicklung sind
auch hier, wie auf so vielen Gebieten, die Kirchenfürsten ge-
wesen. Vielleicht war Avignon der erste „moderne" Hof, weil
hier zuerst die beiden Gruppen von Personen dauernd sich
zusammenfanden und den Ton angaben, die in den folgenden
Jahrhunderten das bildeten, was man die Hofgesellschaft
nannte : Edelleute ohne einen andern Beruf, als den Inter-
essen des Hofes zu dienen, und schöne Frauen, „souvent
distinguöes par les mani^res et l'esprit", die recht eigentlich
(wie wir in anderem Zusammenhange noch genauer verfolgen
werden) dem Leben und Treiben ihr Gepräge aufdrückten.
Die Bedeutung der Avignoneser Episode lag vor allem darin,
daß sich hier zum ersten Male um das Oberhaupt der Kirche
die geistlichen Grands Seigneurs fast ganz Europas ver-
Der Hof 3
sammelten und ihren Glanz entfalteten, wie uns das Johann XX II.
in dem Dekret Etsi deceat anschaulich vor Augen geführt hat.
Daß während des 15. und in den ersten Jahren des
16. Jahrhunderts der Hof der römischen Päpste mitsamt den
päpstlichen Kipoten der glanzvollste war und als ein Muster
des freien Tons (der einen Erasmus zur Begeisterung fortriß),
der Pracht und der höfischen Sitten galt, wissen wir: der
cortegiano Romano näherte sich am ehesten dem Idealbilde,
das Cabtiglioue vom Höfling seiner Zeit entwarf. Wir werden
noch sehen , wie der weltliche Glanz gerade hier in Rom
während der Herrschaft der großen Renaissancepäpste seine
höchste Entfaltung erlebte.
Mit den Höfen der Päpste wetteiferten die der übrigen
Fürsten Italiens. Einer der frühesten Fürstenhöfe, der mo-
dernes Gepräge trug, war der des Alphons von Neapel, von
dem man gesagt hat, daß er „den Ruhm, die Pracht und das
schöne Geschlecht" über alles liebte. Auch die Höfe zu Mai-
land, zu Ferrara und in andern kleinen Residenzen entfalten
schon im 15. Jahrhundert ein ganz und gar modernes Leben.
Begreiflicherweise entwickelten sich gerade in Italien die
Gruudzüge dieses Lebens am frühesten, weil hier die Be-
dingungen am frühesten erfüllt waren: Niedergang des Ritter-
tums, „Verstadtlichung" des Adels, Ausbildung des absoluten
Staates, Wiedergeburt der Künste und Wissenschaften, gesell-
schaftliche Talente, größerer Reichtum usw.
Aber für die Geschichte des Hofwesens von entscheidender
Bedeutung wurde doch die Herausbildung eines modernen
Hofes in dem so viel größeren und mächtigeren Frankreich,
das ja dann seit dem Ende des 16. und während der beiden
folgenden Jahrhunderte der unbestrittene Lehrmeister in allen
Angelegenheiten wurde, die das höfische Leben betraf.
Der Begründer des französischen Hofes ist Franz I. Zwar
hatte Ludwig XL schon eine große Wendung dadurch herbei-
geführt, daß er seinen officiers de la maison den Titel officiers
4 Erstes Kapitel : Die neue Gesellschaft
de France gab und damit das Königshaus mit Frankreich
identifizierte. Er bereitete mit diesem Schritte den Hof vor,
der früher nur als Privatgesellschaft vorhanden sein konnte.
Aber erst Franz I. schuf den Hof, und er schuf ihn dadurch,
daß er die Frauen zur Herrschaft brachte. Er soll den Aus-
spruch getan haben: daß ein Hof ohne Frauen einem Jahr
ohne Frühling, einem Frühling ohne Rosen gleiche. Darum
rief er die Edeldamen herbei, die früher ihr Leben in den
alten, grauen Donjons ihrer Burgen vertrauert hatten. Er
schuf den Hof mit allem klugen Despotismus, mit allem Reize,
so daß alles Leben und alle Welt des Landes nur um den
König her zu finden war. „Seine Mutter führte diesen großen
Reigen an, sie suchte die schönen Mädchen aus, die Schwester
Margaretha gab eine andere Würze, das Spiel der Phantasie
und d( s witzigen Geistes, und Franz breitete über alles den
Glanz der Formen im Raum und Feste und brachte die Be-
wegung mit dem Begehren und Wechseln ^" So entstand mit
den Weibern die Intrige und die Galanterie und (was wir
später genauer verfolgen werden) der Luxus. Was Franz I.
begründet hatte, bauten dann die großen Ludwige nur ins
Gigantische weiter aus.
Wie sehr es die Herrschaft der Frau war, auf die diese
ganze Welt sich gründete, lehrt uns ihr Anblick, und die
Zeitgenossen bestätigen es.
Ich führe die Aussprüche zweier Männer an: einen aus dem Anfang,
einen aus der letzten Zeit dieser höfisch-weibischen Zeit, die, ganz und
gar verschieden voneinander, das eine gemeinsam haben, daß sie in diesen
Fragen zweifellos ein sachverständiges Urteil abzugeben sehr wohl in
der Lage sind: Sully und Mercier.
„11 ne faut que jeter les yeux sur tant de Gentilhommes metifs,
dont la Cour et la Ville sont pleins, vous n'y voyez plus rien de cette
vertu simple, male et nerveuse de leurs Ancetres; nuls sentiments; nulle
solidite dans l'esprit; air etourdie et evapore; passion pour le jeu et la
debauche; soin de leur parure; raffinements sur les parfums et sur
toutes les autres parties de la mollesse: vous diriez qu'ils cher-
chent ä l'emporter sur les femmes." Sully, Mem. 4, 16.
Der bürgerliche Reichtum 5
„On les a etourdies ( — les nobles — ) avec tonte la pompe qui en-
vironne les cours; on a institut- des fetes poiir les amollir; les femmes,
qui vivoient dans la solitude et dans les devoirs de l'^conomie domcstique,
se trouvent flattees d'attirer les regards; lour coquetterie. Icur ambition
naturelle y ont trouv«' leur compte; elles ont brille pres du tröne, ä.
raison de leurs charmes. II a fallu que leurs esclaves ne s'öloignassent
point du sejour de leur puissance; elles sont devenues les reines
de la societe et les arbitres du goüt et des plaisirs... elles
ont transforme de pures bagatelles eu importantes affaires; elles ont
cree le costume, l'i'tiquette, les modes, les parures, les prt'tVrences, les
Conventions pueriles ... Mercier, Tableau de Paris (1783), 1, 21 f.
Die übrigen Höfe Europas hatten entweder keine Be-
deutung für den Gang des Kulturlebens, oder sie waren Ab-
klatsche des französischen Hofes, Das gilt insbesondere auch
von dem englischen Hofe, dessen Begründung recht eigentlich
erst in die Zeit der Stuarts fällt. Noch in der Zeit Hein-
richs VIII. schrieb ein Zeitgenosse: „Every gentleman Hyeth
into the country. Few that inhabit eitles or towns; few
that have any regard of them^." Auch der Hof der Elisabeth
war nicht das, was wir unter einem modernen Hofe, wie ihn
iu klassischer Form der französische darstellt, verstehen: es
fehlte ihm das wichtigste: die Herrschaft der Frau. Was
paradox klingt, da ja doch eine Frau auf dem Throne saß.
"Was aber sofort verstanden wird, sobald wir uns klar machen,
daß die Herrschaft der Frau vor allem begründet wurde durch
die Herrschaft der illegitimen Frau. Worüber weiter unten
gehandelt werden soll.
IL Der bürgerlidie Reiditum
Ausführlich habe ich anderswo zur Darstellung gebracht,
wie aus tausend Quellen während des Mittelalters und den
darauf folgenden Jahrhunderten ein neuer Reichtum hervor-
bricht, den wir im Gegensatz zu dem feudalen Reichtum den
bürgerlichen nennen können. Die dort gewonnenen Einsichten
verwenden wir hier, um aus ihnen zu lernen, wie sich infolge
dieser Reichtumsbildungen die Struktur der alten Gesellschaft
Q Erstes Kapitel: Die neue Gesellschaft
voD Grund aus ändert, weil die unter den Fürsten gelagerte
Obei-schicht der Bevölkerung, die die Spitzen von der misera
contribuens plebs trennt, eine völlig andere Zusammensetzung
bekommt. Zu diesem Behufe brauchen wir nur die früher •
systematisch geordneten Tatsachen in eine chronologisch-
historische Ordnung zu bringen; brauchen wir nur die uns
bekannten abstrakten Möglichkeiten der Vermögensbildung
in ihrer sozialen Konkretheit uns zu vergegenwärtigen. Wir
empfangen von jener Neubildung der gesellschaftlichen Ober-
schicht dann ungefähr folgendes Bild.
Aller Reichtum des früheren Mittelalters besteht fast
ausschließlich aus Grundbesitz; jedenfalls sind alle reichen
Leute Grundbesitzer; und die großen Grundbesitzer bilden
(soweit nicht die Kirche in Betracht kommt) den Adel.
Reiche „Bürger" gibt es während jener Zeit so gut wie gar
nicht; sie bilden, wie jener Poinlane, von dem wir immer
wieder hören, die verschwindende Ausnahme.
Das ändert sich seit dem 13. und 14. Jahrhundert: da-
mals mehren sich offenbar die großen Vermögen, die nicht
im feudalen Nexus entstanden sind, also sagen wir: die
großen Geldvermögen rasch und zwar vornehmlich in Italien.
Es ist die Zeit, in der die Ausplünderung des Orients be-
ginnt, in der wahrscheinlich reiche Edelmetallager in Afrika
erschlossen werden, in der die Auswucherung der Großgrund-
besitzer und namentlich der reichen Fürsten einen größeren
Umfang angenommen hat.
Was Italien im 13. und 14. Jahrhundert erlebt, erfährt
Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert: Damals ent-
steht der große Reichtum in den oberdeutschen Städten : eine
Folge der Erschließung der böhmisch-ungarischen Gold- und
Silbergruben, dann auch der amerikanischen Silberschätze,
und der an diese beiden Ereignisse sich anschließenden großen
Finanzgeschäfte: „Zeitalter der Fugger".
Holland folgt im 17. Jahrhundert: es nimmt teil an
Der bürgerliche Reichtum 7
der Ausplünderung Spaniens und Portugals und schließt neue
Quellen des Reichtums im fernen Osten auf, dessen Völker
es mittels Zwangshandel, Raub und Sklaverei tributpflichtig
macht.
Im 17. Jahrhundert setzt auch die Reichtumsbildung in
Frankreich und England ein. Doch bleibt der „bürger-
liche" Reichtum in diesen beiden Ländern bis zum Ende des
17. Jahrhunderts offenbar noch in verhältnismäßig engen
Grenzen. Die Finanzgeschäfte, aus denen hier fast aus-
schließlich die großen Geldvermögen hervorgegangen sind,
nehmen doch erst gegen Ende der Regierungszeit Ludwigs XIV.
und nach der Glorious-Revolution einen beträchtlichen Um-
fang an.
Dieser Tatbestand tritt deutlich hervor, wenn wir die
einzige Einkommensschätzung überblicken , die wir aus jener
Zeit besitzen: die bekannte Berechnung Gregory Kings^
für das Jahr 1688. Danach belief sich das „Durchschnitts-
einkommen" eines „großen Kaufmanns und Händlers über
See" auf nur 4U0 £, das eines „großen Kaufmanns und
Händlers über Land" auf nur 200 £\ die Zahl jener schätzt
King auf 20ü0, die dieser auf 8000. Diesen „bürgerlichen"
Elementen stehen nun aber folgende Vertreter des Grund-
besitzes gegenüber:
160 weltliche Lords mit einem durchschnittl. Jahreseinkommen von 2800^
26 geistliche „ „ „ „ „ „ 1300 „
800 Baronets „ „ „ » „ 880 „
600 Ritter „ „ „ „ „ 650 „
3000 Esquires n n » » » ^'^0 „
12000 Gentleman „ „ „ „ » 280 „
Unter diesen werden allerdings schon manche Vertreter
des neuen Reichtums gewesen sein. Aber ich bin sicher,
daß, wenn Gregory King auch nur 30 Jahre später seine
Schätzung vorgenommen hätte, würde er der rasch erworbenen
Reichtümer der Börsenspekulanten und Südseeschwindier Er-
wähnung getan haben, die während des zweiten Jahrzehnts
8 Erstem Kapitel: Die neue Gesellschaft
des neuen Jahrhunderts einen ganz neuen Reichtumstyp ge-
schaffen hatten: unter den Direktoren der Südseegesellschaft,
deren Vermögen konfisziert wurde, besaßen*
2 ein Vermögen über 200 000 £ (je 243 000 £)
5 „ „ zwischen 100 und 200 000 £
5 „ „ „ 50 „ 100 000 „
10 „ „ „ 25 „ 50000 „
Die Einkommens- und Vermögensziffern , die wir bei
Defoe finden, haben schon ein ganz anderes Gesicht, Im
Miege-Bolton von 1745 wird das Durchschnittseinkommen des
Gentleman bereits auf 500 ^ angesetzt (p. 157).
Was den großen Umschwung herbeigeführt hatte, ver-
mögen wir deutlich zu erkennen: das brasilianische Gold
und die Kriege Ludwigs XIV., aus denen zusammen die
großen Finanz und Lieferungsgeschäfte und die Spekulation
hervorgegangen waren : diese drei wichtigsten Quellen großen
Vermögens in der neueren Zeit.
(Was mußten für Reichtümer erworben werden bei der
Aktienausgabe solcher Gesellschaften, wie der Hudson Bay Co.
oder der Afrikanischen Gesellschaft, deren Aktien binnen
kurzem von 100 auf 480 stiegen, um dann auf zwei zu sinken —
von den am Südseerummel gemachten „Verdiensten" gar nicht
zu reden.)
Nun erst tauchen bürgerliche, also Mobiliarvermögen in
größeren Mengen auf, die sich mit denen unserer Tage in
Vergleich stellen lassen: mit dem Auftauchen des bra-
silianischen Goldes endigt die silberne Periode des modernen
Kapitalismus und hebt seine goldene an.
Ebenso wie in England beobachten wir, wie in Frank-
reich sich um die Wende des 17. Jahrhunderts der Sprung
in den Reichtum vollzieht. Hier können wir die Wandlung
sogar noch deutlicher verfolgen, da uns genauere Ziffern zur
Verfügung stehen. Ich mache stichprobeweise eine Reihe
Der bürgerliche Reichtum 9
von Angaben über den Reichtum der französischen Financiers
(also der Träger der neuen Vermögen) und füge zur Er-
gänzung einige andere Ziffern hinzu :
Ein Landedelmann hat folgende Aufstellung der Beträge gemacht,
über die in seiner Familie Ileirats vertrage abgeschlossen worden sind:
1433 300 florins
1477 1000
1534 1200 „
1582 1 200 ecus d'or
1613 7 500 livres
1644 16 000 „
1677 15 000 „
1707 44 0U0
1734 360 000
1765 150 000
(Aus einem Livre de raison mitgeteilt bei Ch. de Ribbe, Les
familles etc. 2 [1874], 125.)
Was die reichen Turcarets ihren Töchtern im 18. Jahrhundert an
Aussteuerbeträgen auszusetzen pflegten, erfährt man aus folgenden
Ziffern :
La Live de Bellegarde: jede Tochter 300 000 1. in bar und für
10 000 1. Brillanten;
La Mosson: 1700 000 1.;
Antoine Crozat: 1500 000 1. (außerdem 50 000 1. „Trinkgeld" für
die Schwiegermutter: die Duchesse de Bouillon);
Sam. Bernard: 800 000 1.;
Ollivier, Comte de Senoza (hatte selbst aber noch mit Hasenfellen
gehandelt): 1 100 000 1. in bar und 100 000 1. in Möbeln;
Haudry: 400 000 1.;
La ßeyniere: 600 000 1, sofort, 200 000 1. in kurzen Raten.
Diese Ziffern setzen uns nicht in Erstaunen, wenn wir von der Höhe
der Gewinne und Vermögen jener nouveaux riches Kenntnis erhalten:
Vincent Le Blanc gewinnt .
... 17
Hill.
livres,
M. de Saint-Fargeau „
... 28
J7
n
Marquis de la Faye „
... 20
n
n
M« de Chaumont „
. . .127
n
»
S. Bernard „
. über 100
n
n
Crozat _
. „ 100
n
n
Fillon de Villenur (f 1753) hinterläßt 40
]^Q Erstes Kapitel: Die neue Gesellschaft
Peirenc de Moras hinterläßt 12—15 Mill. livres,
Dang(? „ 13 „ „
Tournehem (der Adoptivvater
der Pompadour) hinterläßt 20 „ „
Die Paris verdienen bei einem einzigen Emissionsgeschäft
63 Mill. 1. usw.
(Ich habe diese Ziffern aus dem Material zusammengetragen, das
T h i r i 0 n in seinem bereits erwähnten Buche mitteilt.)
Gewiß sind die meisten dieser Summen übertrieben (wie ja auch
heute die meisten Angaben beispielsweise über den Reichtum der amerika-
nischen Milliardäre übertrieben sind). Immerhin: sie lassen keinen
Zweifel darüber, daß hier sich Riesenvermögen zu bilden angefangen
hatten. Diese Tatsache finden wir durch zahlreiche andere Anzeichen
(von denen noch die Rede sein wird) bestätigt. Wir lesen sie aber auch
aus den Urteilen der bestunterrichteten Zeitgenossen heraus.
„On parle aujourdhui d'un Million comme on parloit il y a cent
ans, de mille Louis d'oi-. On compte par millions; on n'entend parier
que de millions pour toutes les entreprises. Les millions dansent
sous vos regards, lorsqu'il s'agit d'un edifice, d'un voyage(!), d'un
camp . . ."
(Mercier) Tabl. de Par. Ch. 824. 10 (1788), 248 f.
III. Der neue Adel
Wie nun, so fragen wir mit lebhafter Teilnahme, hat sich
der Aufstieg dieser neuen Männer (und — vor allem! —
ihrer Frauen, ihrer Töchter und Söhne!) nicht nur auf der
geschäftlichen, sondern auf der gesellschaftlichen Stufenleiter
vollzogen; wie hat sich der Adel, der bis dahin allein die
Oberschicht bildete, zu ihnen gestellt; wie sind sie (wenn
überhaupt) in die „herrschende Klasse" eingeordnet worden?
Auf diese Fragen wird die richtige Antwort lauten
müssen: aus altem Adel und neuem Geldreichtum hat sich
im Laufe namentlich der beiden Jahrhunderte zwischen
IGOO und 1800 eine völlig neue Gesellschaftsschicht gebildet,
deren Kern ein neuer Reichtum, deren Schale zunächst noch
der feudale Lebensstil ist. Das heißt mit andern Worten:
aus den Nouveaux riches wird ein großer Teil in den Adels-
Der neue Adel 11
Stand erhoben. Dieser Aufstieg konnte auf verschiedenen
Wegen erfolgen:
1. durch Verleihung des Adels: sei es daß Verdienste
irgendwelcher Art, sei es daß die Erlegung einer ent-
sprechenden Geldsumme den Anlaß zu der Nobilitierung
boten ;
2. durch Verleihung von Orden und Ämtern, mit denen
der erbliche Adel verknüpft war;
3. durch Erwerb von Grundbesitz, an dem gleichfalls der
erbliche Adel haftete.
Auf der andern Seite steigen die Mitglieder der alten
Adelsgeschlechter in die Niederungen der Turcarets herab
und holen sich durch Heirat aus den Tiefen die nötigen
Millionen, die sie brauchen, um ihren Familien wieder den
alten Glanz zurückzugeben. (Es sind im Grunde dieselben
Vorgänge, die sich heute noch immer vor unseren Augen ab-
spielen.)
Diese Verschmelzung von Adelsvornehmheit und Bürger-
geld vollzieht sich während der letzten Jahrhunderte in allen
Ländern mit kapitalistischer Kultur gleichmäßig: in Italien
wie in Deutschland, in England wie in Frankreich. Es wird
genügen , wenn ich den Prozeß der gesellschaftlichen Neu-
bildung an einigen Beispielen aus der Geschichte der beiden,
für alle Geschehnisse während der frühkapitalistischen Epoche
repräsentativen Länder: Frankreich und England, verdeutliche,
die — trotz der Grundverschiedenheit ihrer sozialen Schich-
tungsverhältnisse — doch in diesen entscheidenden Punkten
ganz dieselbe Entwicklung durchmachen.
In England bildete (und bildet noch heute) den Adel
im engeren Sinne nur die Nobility. Diese ist im wesent-
lichen neu geboren worden mit dem Regierungsantritt der
Tudors, genauer mit Heinrich VIII. Nach dem Krieg der
beiden Rosen waren die alten Geschlechter bis auf 29 ver-
schwunden; auch die, die übrig geblieben waren, waren zum
\o Erstes Kapitel: Die neue Gesellschaft
Teil noch geächtet, geschwächt, verarmt. Heinrich VIII. er-
hob zunächst diese alten Geschlechter wieder zu Macht und
Reichtum (und unterwarf sie dadurch der Krone, die von
jetzt ab ihre unbestrittene Vorherrschaft bewahrte). Die
Mittel zur Ausstattung boten sich dem Könige in den kon-
fiszierten Kirchengütern dar (die — eine für unsere Unter-
suchungen besonders wichtige Tatsache! — wie H. Ha IIa m
sehr richtig hervorhebt, damit einer „weltlichen" Verwendung
zugeführt wurden). Die Reihen der alten Geschlechter werden
nun aber seit Heinrich VII. und VIII. immer wieder durch Neu-
ernennungen ergänzt. Und diese neuen Peers, die dem alten
Grundadel durchaus gleichgestellt wurden, wählte sich der
König unter allen Notabein, vor allem auch unter den reichen
Bürgern aus. Jakob I. hat sogar Pairien verkauft. Die
Ziffern sind folgende:
Heinrich VII. kreierte resp. erhöhte
Heinrich VIII. „ „ „
Eduard VI. » » »
Mary „
Elisabeth „ „ „
Jakob I. « „ n
Karl I. » » «
Karl II. „ » «
Jakob II. „ „ „ 8 „
Nachdem unter den Stuarts 99 Pairien erloschen waren,
sind von 1700 — 1800 neu kreiert worden:
34 Herzöge,
29 Marquis,
109 Earls,
85 Viscounts.
Natürlich sind diese Erhebungen nicht immer von ganz
unten auf, d. h. aus den Tiefen des Volkes erfolgt wie bei
den Russell und Cavendishes, die Heinrich VIII. „from
20
Peers,
m
n
22
n
9
n
29
n
62
»
59
))
64
n
Der neue Adel 13
obscurity through the grant of church lands" (Green) empor-
hob: oft (vielleicht meist) haben diese Peers erst verschiedene
Vorstufen : die des Esquire, des Ritters, des Baronets durch-
laufen. Aber wir wissen doch, daß in zahlreichen Fällen
der Stammbaum auf einen reich gewordenen Homo novus der
City zurückgeht. Zum Belege führe ich nur folgende Bei-
spiele an:
Die Herzöge von Leeds stammen ab von Edward Osborne, der als
armer Kaufniannslehrling nach London kam; die Herzöge von Northumber-
land führen auf Hugh Smithson zurück, der Koiiimis in einer Drogen-
handlung war und von Lady Elizabeth Seymour geheiratet wurde; ebenso
haben bürgerliche Stammväter: die Russell, die Marquis von Salisbury,
die Marquis von Bath, die Grafen Brownlow, die Grafen von Warwick,
die Grafen von Carrington, die Grafen von Dudley, die Grafen von
Spencer, Grafen von Tilnry (der erste Earl of Tilney ist niemand anders
als der Sohn von Josiah Child !), die Grafen von Essex, die Grafen von
Coventry, die Grafen von Dartmouth, die Grafen von Uxbridge, die Grafen
Tankerville, die Grafen von Harborough, die Grafen von Pontefract, die
Grafen Fitzwater, die Viscounts Devereux, die Viscounts Weymouth, die
Grafen Clifton, die Grafen Leigh, die Grafen Haversham, die Grafen
Masham, die Grafen Bathurst, die Grafen Romney, die Grafen Dormer,
die Herzöge von Dorset und die von Bedford; Geschlechter, deren Pair-
würde heute zum Teil längst erloschen ist, die aber (soweit sie nicht
jüngeren Datums sind) in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts blühten.
(Die Beispiele sind den bereits genannten Quellenwerken entnommen.)
Aber was der sozialen Gliederung Englands vor allem
ihr eigentümliches Gepräge gibt und vor allem in der Zeit
gab, die uns interessiert, ist die Gentry: d. h. eine Gruppe
von Personen, die nicht eigentlich zum Adel gehört und doch
Adel ist; eine Art von „niederem Adel", die aber nach dem
Gesetz nicht adelig ist. Die oberste Schicht der Gentry
bilden die Ritter, unter denen wiederum die Baronets den
höchsten Rang einnehmen: ein Ritter und Baronet erhält das
Prädikat Herr (Sir) vor den Vornamen gesetzt. Zu den
Rittern gehören die Inhaber der Ritterlehen, die ursprüng-
lich die einzigen Ritter waren; dann die Inhaber bestimmter
Orden, des Hosenband- und Bathordens (seit Eduard III. und
14 Erstes Kapitel : Die neue Gesellschaft
Heinrich IV.) und einiger Ämter; endlich diejenigen, die sich
die Ritterwürde gekauft haben: die Käuflichkeit der Ritter-
würde (sie wurde gegen Zahlung von 1095 £ erworben) hat
Jakob I. im Jahre 1611 eingeführt. Diese Ritter von Geld-
sacksgnaden hießen Baronets: sie sollten den Vorrang vor
den alten haben und gleich hinter dem Adel rangieren.
Solcher Baronets sind während des 17. und 18. Jahrhunderts
viele Hunderte entstanden: Mitte des 19. Jahrhunderts be-
trug ihre Zahl 700. Es versteht sich, daß schon auf diesem
Wege ein großer Teil der reich gewordenen Roture in den
Adel (was die Ritter gesellschaftlich unzweifelhaft waren)
emporgestiegen ist. Das ganz besonders Seltsame an der
englischen Gentry ist nun aber dieses : daß sie überhaupt
nicht und jedenfalls nach unten hin nicht abgrenzbar ist:
„Kein Historiker und kein Jurist weiß sie zu definieren.
Diese Unbestimmtheit des Begriffs ist nun aber kein zufälliger
Mangel, sondern ein Erzeugnis der ganzen Geschichte und
Gesetzgebung Englands" (Gneist).
Esquire und Gentleman bezeichnete (heute ist das alles
natürlich, selbst in England, verwischt und im Begriffe zu
verschwinden) im allgemeinen den selbständigen Mann, der
von seinen Renten oder einer „respektabeln" Beschäftigung
lebt. Dabei war früher stets anerkannt (noch in der Mitte
des 19. Jahrhunderts), daß jemand über ein gewisses Ein-
kommen verfügen mußte, um zur Gentry zu gehören. Der
„öffentlichen Meinung" war es aber in jeder Zeitepoche über-
lassen, zu entscheiden, was eine „respektable" Beschäftigung
und wie hoch das Mindesteinkommen zu bemessen sei.
Mit dieser eigentümlichen Auffassung war es aber ge-
geben, daß die Zugehörigkeit zum Adel in England
gleichsam automatisch durch die Umbildung der
wirtschaftlichen Verhältnisse bestimmt wurde,
die emporstrebenden Geldmänner immer in dem Maße Zutritt
zum Adel erhielten, wie ihre Bedeutung im gesellschaftlichen
Der neue Adel 15
Leben anwuchs. Zunächst gilt es als selbstverständlich, daß
nur der Rittergutsbesitzer vornehmer Abstammung oder
höchstens der Vertreter eines liberalen Berufes (wie der
Advokatur) ein „Gentleman" sein kann. Das ist durchaus
noch die Auffassung zur Zeit der Elisabeth, von der uns
Thomas Smith ein anschauliches Bild entwirft. Höchstens
konnte man ein Mitglied der Gentry werden durch den Er-
werb eines adligen Gutes, wenn man in diesem Sinne die Worte
Harrisons auffassen will: „Citizens and burgesses have
next place to gentlemen" ^, yet „they often change estate
with gentlemen as gentlemen do with them, by a mutual
conversion of oue into the other". Diese Auffassung hat sich
schon wesentlich bis gegen das Ende des 17. und den Anfang
des 18. Jahrhunderts umgebildet; da gilt es nicht mehr als
ausgeschlossen, daß die Kinder eines Geschäftsmannes, nur
weil er zu Reichtum gelangt ist, nach ein oder zwei
Generationen Gentlemen werden. Das ist die Meinung,
die Defoe etwa vertritt:
„Trade is so far here from being iuconsistent with a
Gentleman that in short trade in England makes Gentlemen,
and has peopled this nation with Gentlemen; for after a
gener ation or two the trades men's children, or at
least their grand children, come to be as good Gentlemen:
as those of the highest birth and the most ancient
families^"
Aber doch erst die Söhne oder Enkel eines zu Reichtum
gelangten Kaufmanns (Tradesman bezeichnet bei Defoe sowohl
den Engros- wie den Endetail-Kaufmann). Der bloße Reichtum
macht aber allein den Gentleman noch nicht: Defoe selbst
unterscheidet scharf den Kaufmann, auch den reichen, der
ein viel besseres Auskommen hat, als der vielfach in gedrückten
Verhältnissen lebende Gentleman, von diesem.
Der Tradesman, solange er das Geschäft innehat, lebt
unter seinen „fellows" : hat er sich vom Geschäft zurück-
2(j Erstes Kapitel: Die neue Gesellschaft
gezogen, so kann er unter Umständen Verkehr mit Gentlemen
ptiegeu, selbst „commencing a Gentleman" ''.
Er erwähnt auch, daß viele Mitglieder der Gentry keines-
wegs damit einverstanden seien , die Söhne oder Enkel der
reichgewordenen Roturiers, erst gar diese selbst in ihre
Reihen aufzunehmen^. Die Geldmacht fängt also offenbar
in jener Zeit an, sich durchzusetzen : während des 18. Jahr-
hunderts gelangt sie dann zu vollem Siege.
Postlethwayt, Miege-Bolton^ und andere , die um
die Mitte des Jahrhunderts schreiben, haben schon eine etwas
freiere Auffassung: Zwar der Trading Man (auch der Grossist
ohne offenen Laden) kann erst Gentleman werden, wenn er
sich zur Ruhe gesetzt hat. Aber: „As to Merchants (das sind
Überseekaufleute) . . . they deserves indeed to be ranked
among Gentleman," während Gregory King in seiner oben
mitgeteilten Übersicht über die Einkomraensverhältnisse Eng-
lands im Jahre 1688 auch den Überseegroßkaufmann vom
Gentleman unterscheidet. Die Schriftsteller dann, die im An-
fang des 19. Jahrhunderts ihre Ansicht über die „gemeine
Meinung" äußern, erklären zwar noch die Ausübung eines
Handwerks oder das Halten eines offenen Ladens als unver-
einbar mit einem Gentleman, nicht aber die Stellung als
Fabrikherr oder Kaufmann (schlechthin) *°.
Was aber das wichtige ist: während der ganzen früh-
kapitalistischen Epoche bleibt die Vorstellung bestehen: daß
das Ziel des reichen Mannes doch schließlich die Aufnahme
in eine gesellschaftlich vornehmere Kaste, eben den „Adel",
die Gentry sein müsse; bleibt aber auch der Feudalcharakter
dieser Adelskaste insofern gewahrt, als Reichtum nicht allein
berechtigt, ihr anzugehören, sondern Eigenschaften, die als
durchaus unbürgerliche zu gelten haben: eine gewisse Distanz
vom Geschäftsleben, Pflege der Familientradition usw., was
alles seinen Ausdruck findet in den selbstverständlichen Ge-
pflogenheiten des Gentleman, ein Wappen zu führen. Daher
Der neue Adel 17
UDS Defoe wieder berichten kann von den reich gewordenen
Krämern, die das Heroldsamt um Wappen bestürmen, und die
ihre Ahnenreihe verfolgen, um vielleicht einen „vornehmen"
Stammvater ausfindig zu machen: „we see the tradesmen of
England, as they grow wealthy, Coming every day to the
herald's office, to search for the coats of arms of their
ancestors, in order to paint them upon their coaches, and
ingrave them upon their plate, embroider them upon their
furuiture, or carve them upon the pediments of their new
houses ... In this search we find them often qualified to
raise new families, if they do not descend from old; as was
Said of a certain tradesman of London, that if he could not find
the ancient race of gentlemen, from which he came, he would
begin a new race, who should be as good gentlemen as any
that want before bim." ^^ (Was aber offenbar nur aus der Not
eine Tugend machen bedeutete.)
Noch fester aber wird das Band zwischen Adel und Reich-
tum geknüpft, wenn die Söhne und Töchter aus den beiden
Gruppen sich heiraten und Kinder zeugen. Solcher Art Ver-
bindungen zwischen Adligen und Emporkömmlingen gehören
in England mindestens seit den Stuarts zu den alltäglichen
Erscheinungen. Wenn Sir W i 1 1 i a m T e m p 1 e tatsächlich die
Feststellung gemacht hat ^^, daß es seiner Erinnerung nach
etwa 50 Jahre her sei, seit die adligen Familien in die City
hineingeheiratet hätten, „und zwar bloß um des Geldes willen"
(for downright money), so könnten wir angesichts der großen
Autorität dieses ganz hervorragenden Beobachters den Anfang
dieser Blutsvermischung ziemlich sicher in die Regierungszeit
Jakobs I. verlegen. Jedenfalls ist 100 Jahre später, in der
Zeit, als Defoe schreibt, die Zahl der adlig-bürgerlichen
Mischehen offenbar bereits recht beträchtlich, denn Defoe
spricht von ihnen wie von selbstverständlichen Erscheinungen.
Natürlich waren es vornehmlich Edelmänner, die reiche
Erbinnen aus dem Kaufmannsstande heirateten, um ihre
Sombart, Luxus und Kapitalismus 2
18 Erstes Kapitel: Die neue Gesellschaft
Wappen neu zu vergolden. Defoe führt solcher Heiraten allein
hoher Adliger mit Krämerstöchtern 78 namentlich auf ^^ die
hier einzeln zu nennen keinen Sinn hat; es ist ja im Grunde
gleichgültig, ob der Lord Griffin Mary Weldon, eine Kaufmanns-
tochter aus Well in Lincolnshire , oder Lord Cobham Anne
Halsey, eine Brauerstoehter aus Southwark, heiratet; uns
interessieren diese Heiraten lediglich als Massenerscheinungen,
die sie (in Vergleich gesetzt zu der Anzahl der Adligen) sicher
im 18. Jahrhundert in England bereits geworden waren.
Stärker noch als in England ist in allen früheren Zeiten
in Frankreich das Gefühl lebendig gewesen: daß Vornehm-
heit und Geschäftstum einander ausschließen. „Wenn es Ver-
achtung auf der Welt gibt, so gilt sie dem Kaufmann" („s'il
y a m^pris au monde il est sur le marchant"): so kennzeichnet
noch zu Heinrichs IV. Zeit ein guter Kenner die Stimmung
in den oberen Klassen ^^ Man beteiligte sich zwar, auch
wenn man dem Adel angehörte, gern an gewinnbringenden
Unternehmungen ; man heiratete, auch wenn man dem ältesten,
vornehmsten Geschlechte angehörte, die Töchter reich ge-
wordener Krämer; man verschmähte es nicht, die Stellung
als Geheimrat aufzugeben und den einträglichen Posten (wir
würden heute sagen : eines Bankdirektors, damals war es der)
eines Finanzbeamten anzunehmen; aber man verachtete
die Roture. Höchstens gewann während des 18. Jahrhunderts
die Haute finance etwas an Ansehen; schon im 17. Jahrhundert
finden wir Turcarets vom Range der Cotteblanche oder der
Du Plessis Rambouillet in die aristokratische Gesellschaft ein-
gesprengt. Der große Reichtum söhnte mit dem Gesindel aus,
was LaBruyöre sehr hübsch so ausdrückt: „si le financier
manque son coup , les courtisans disent de lui : c'est un
bourgeois, un homme de rien, un malotru; s'il reussit, ils lui
demandent sa fille!" Aber völlig kam man von der Empfindung
nicht los, die aller vorkapitalistischen und frühkapitalistischen
Kultur innewohnt: daß es eines vornehmen Mannes zwar
würdig sei, Geld auszugeben, aber nicht, es zu verdienen.
Der neue Adel 19
Noch Montesquieu bat die ewig denkwürdigen Worte ge-
sprochen: „Alles ist verloren, wenn der einträgliche Beruf
des Finanzmanns schließlich auch ein geachteter Beruf zu
werden verspricht! Dann erfaßt ein Ekel alle übrigen Stände,
die Ehre verliert alle ihre Bedeutung, die langsamen und
natürlichen Mittel, sich auszuzeichnen, verfangen nicht mehr,
und die Regierung ist in ihrem innersten Wesen erschüttert"
(frapp^ dans son priucijje).
Diese Empfindung hegten nicht etwa nur die Mitglieder
der feudalen Gesellschaft: sie war allgemein in denjenigen
Schichten der Bevölkerung verbreitet, die anfingen, sich über
die große ]\Ienge der misera contribuens plebs zu erheben.
Ihr entsprang das Bestreben der besseren, d. h. reicheren Kauf-
leute und kapitalistischen Unternehmer, sich als „bourgeois"
von den übrigen Angehörigen der Erwerbstände abzuheben
(von welchen Bestrebungen wir in anderem Zusammenhange
noch Kenntnis nehmen werden) ; ihr entsprang aber vor allem
die Sehnsucht aller reich gewordenen Roturiers nach dem
Adel. Möglich, daß hier in Frankreich diese Sehnsucht noch
stärker war als in anderen Ländern, weil ja der Adel auch
politisch ein so sehr bevorrechteter Stand war, ihm anzu-
gehören also nicht nur gesellschaftliche, sondern auch recht
ansehnliche materielle Vorteile bot.
Seit jeher beobachten wir, wie der Adel Zuzug aus den
Schichten der reich gewordenen Geschäftsleute erhält. Das
ist, wie ich hier einflechten will, eine ganz allgemeine Er-
scheinung, die in allen Ländern seit dem frühesten Mittelalter
sich beobachten läßt. Ich möchte fast sagen : in ganz frühen
Zeiten mehr als später. Wir wissen jetzt, daß die Geschlechter
in den deutschen Städten sich beständig von unten er-
gänzen, das heißt die Sonntagskinder, die aus Handel und
Handwerk aufstiegen, in ihren Kreis aufgenommen haben ^^;
wir wissen dasselbe von den Adelsfamilien der italienischen
Städte, die schon im Frühmittelalter vielfach aus reich ge-
2*
20 Erstes Kapitel: Die neue Gesellschaft
wordenen Händlern sich bildeten^**; wir wissen es ebenso von
der englischen Aristokratie, daß sie von jeher Zuzug aus
den Kiederungen der Artes sordidae erhalten hat: ich möchte
an eine wenig beachtete, aber, wie mir scheint, wichtige Stelle
aus den angelsächsischen Rechtsquellen, an eine Bestimmung
des Königs Athelstan von England erinnern, die also lautet ^^ :
„And if a merchant thrived (= Glück hat, in die Höhe kommt)
so that he fared thrice over the wide sea by his own means
(craft), then was he thence forth of thane-right worthy."
Und daß es bei der Bildung des französischen Adels
nicht anders hergegangen ist, versteht sich von selbst ^^.
Aber ich glaube doch, man sollte folgende Erwägung nicht
unterdrücken : es macht einen grundsätzlichen Unterschied aus,
ob ein reicher Kaufmann oder Finanzmann im 13. oder im
17. Jahrhundert in den Adelstand erhoben wird. Damals
herrscht der Feudalismus noch so gut wie unbeschränkt : der
Adel besteht fast ausschließlich aus ritterbürtigen Grund-
besitzern ; der Roturier, der in ihn hineingeschoben wird, ver-
ändert nicht im geringsten den Lebensstil der feudalen Welt,
an die er sich innerlich und äußerlich binnen ganz kurzem
anpaßt, die ihn gleichsam einsaugt wie ein Schwamm eine
kleine Menge Flüssigkeit: das alles folgt aus dem Kräfte-
verhältnis zwischen dem Vorhandenen und dem Zugesetzten:
dieses ist im Vergleich mit jenen eine Winzigkeit. Nach einem
Jahrhundert erscheint dieser Zusatz zum alten Feudaladel mit
diesem zu einer einzigen, einförmigen Masse verschmolzen und
was etwa an „alten Familien" um 1550 in Genua oder Florenz,
in England oder Frankreich noch übrig ist, das heißt aus
Familien, deren Stammbaum 200 Jahre und länger zurück-
reicht: an denen kann man beim besten Willen nicht mehr
unterscheiden, ob ihre Stammväter dereinst einmal Gemein-
freie, Grundbesitzer oder Ministerialen oder Packenträger ge-
wesen sind: sie gehören allesamt dem „Feudaladel" an und
treten in Gegensatz zu den nunmehr, namentlich seit dem
Der neue Adel 21
17. Jahrhundert, in Massen neu begründeten Adelsfamilien,
die fast alle den Erwerbsstilnden entstammen und die nun
natürlich , dank der Zeit und dank ihrer großen Zahl , be-
stimmend auf die ganze Struktur des Adels einwirken.
Ich meine also : wenn man die Umbildung der Gesellschaft
durch die Verschmelzung des Adels mit den Geldmächten ver-
folgen will, so hat es wenig Sinn, die paar Nobilitierungen
reich gewordener Bürger aus dem Mittelalter aufzuzählen und
sie in einem Atem mit dem Hineinströmen der Roture in die
Reihen des Adels seit Beginn der neuen Zeit zu nennen.
Das Unterscheidungsvermögen , das Flair für die Besonder-
heiten der verschiedenen Geschichtsepochen macht den guten
Historiker.
Für Frankreich tritt der Wendepunkt gegen Ende des
16., zu Anfang des 17. Jahrhunderts etwa ein: damals springen
mit einem Male mächtige Quellen auf, aus denen neuer Adel
hervorgeht :
1. beginnt seit Heinrich IV. die Erteilung des Adels
namentlich an Industrielle als eine Form der Privilegierung
für die Errichtung neuer Industrien häufig zu werden ^^;
2. werden durch das Edikt de la Paulette vom Jahre 1684
die Kaufämter erblich gemacht, das bedeutete einen System-
wechsel, da seitdem sich die Grande robe, mit der meistens
der Adel verbunden war, recht eigentlich aus der Finanzwelt,
den reichen Leuten, rekrutierte ^^ ;
3. wurde 1614 der Übergang auch feudalen Grundbesitzes
in die Hände der Roture, der seit jeher sich vollzogen hatte 2\
ausdrücklich als gesetzlich erlaubt anerkannt. Diese Form
des Adelerwerbs hat für Frankreich eine ganz besonders
große Bedeutung gehabt: im 18. Jahrhundert wimmelt es von
neugebackenen Seigneurs, die zu ihrer Würde einfach durch
den Ankauf eines adligen Gutes gelangt waren. Die Reichen
schmücken sich mit Seigneurien wie heute etwa mit exotisclien
Orden. Paris Montmatre, der Sohn eines kleinen Schankwirts
22 Erstes Kapitel: Die neue Gesellschaft
iu Moiraus, unterzeichnet sich bei einer Taufe als Comte de
Sampigny, Baron de Dagouville, Seigneur de Brunoy, Seigneur
de Villers, S. de Foucy, S. de Fontaine, S. de Chateauneuf etc.
Zu diesen drei Wegen, zum Adel zu gelangen, kam gegen
Ende des 17. Jahrhunderts noch
4. der Kauf: 1696 wurden 500, 1702 200, 1711 100 Adels-
briefe verkauft.
Kein Wunder, wenn schließlich der französische Adel fast
nur aus nobilitierten Turcarets bestand. Es ist keine Über-
treibung, wenn Cherrin sagt, daß das, was man im 17. und
18. Jahrhundert in Frankreich „Noblesse" nannte, im wesent-
lichen „du tiers etat eurichi, elev6, decor6, possessionnö" sei;
wenn der Marquis d'Argenson um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts schreibt, daß bei der Leichtigkeit, den Adel für Geld
zu erwerben, es keinen Reichtum gebe, der nicht alsbald
adlig würde.
Die ziemlich genaue Statistik, die wir von dem Bestände
des Adels beim Ausgang der Französischen Revolution be-
sitzen, bestätigt die Richtigkeit dieser Urteile: man zählte
damals 26 600 adlige Familien; unter diesen gehörten aber
nur 13 — 1400 dem Uradel (der „noblesse immämoriale ou de
race") an, während von den übrigen allein 4000 Beamtenadel
waren. Der Anteil, den die Haute finance an der Zusammen-
setzung des französischen Adels hatte, ist nun aber noch
weit größer, als jene Ziffern zum Ausdruck bringen ,' wenn
wir auch hier wieder die außerordentlich zahlreichen Ver-
heiratungen Adliger mit reichen Erbinnen der Roture in Be-
tracht ziehen.
Dieser Verschmelzungsprozeß ist im Anfang des 17. Jahr-
hunderts offenbar schon in vollem Gange, wenn wir dem alten
Polterer, dem Marquis de Sully, Glauben schenken wollen,
der darüber bittere Klage führt: „que les idöes sont chang6es
et que l'or met le prix ä tout. Et comment cela n'arriverait-il
pas, puis qu'on voit la Noblesse elle-meme penser sur cet
Der neue Adel 23
article pr6cis6ment comme le peuple et ne pas se soucier de
meler, par une honteuse alliance, avec un sang pur
et illustre celui d'un Roturier, qui ne connatt que le change,
la boutique, le comptoir ou la chicane?" „Ce renversement
est d^plorable" schließt der Herzog dieses Klagelied. 150 Jahre
später dachte man auch in Adelskreisen erheblich anders:
der Herausgeber der M^morien^^^ ^ ^e TEcluse (1752), kann
sich nicht versagen, den Vorwürfen des Herzogs "Worte der
Entschuldigung in einer Anmerkung hinzuzufügen. Und als
um dieselbe Zeit der Herzog von Pecquigny die Schwester
des Finanzmannes La Mosson Montmartre mit der wohltuenden
Mitgift von 1700000 L. heimführt, sagt die Herzogin von
Chaulnes zu ihrem Sohn: „Mon fils, ce mariage est bon; il
faut bien que vous preniez du fumier pour engraisser vos terres".
Die Schilderung, die Mercier, der immer klar Sehende,
von den Zuständen entwirft , entsprach ganz gewiß den Tat-
sachen-^: la finance est alli6e aujourd'hui ä la noblesse et
voilä ce qui fait la base de sa force reelle. La dot de
presque toutes lesöpousesdes seigneurs estsortie
de la caisse des fermes. l\ est assez plaisant de voir un
comte ou un vicomte, qui n'a qu'un beau nom, rechercher la
fille opulente d'un financier; et le financier qui regorge de
richesses, aller demander la fille de qualit^ , nue, mais qui
tient ä une illustre famille ..."
Wiederum versage ich es mir, die zahllosen Fälle dieser
Mischehen mit Nennung der Namen hier aufzuzählen, obgleich
es ein Leichtes wäre, ganze Listen aufzustellen. Nur einige
besonders lustige Beispiele will ich hersetzen, an denen man
so recht deutlich die eigenartigen gesellschaftlichen Zustände
des 18. Jahrhunderts (das in dieser Hinsicht dem neunzehnten
und zwanzigsten schon recht ähnlich ist) zu erkennen vermag:
Der eine Sohn des Samuel Bernard , der allgemein „le
Juif Beruard" heißt, ist der Comte de Coubert: er heiratet
Mme Frottier de la Coste Messeliöre, Tochter des Marquis
24 Erstes Kapitel: Die neue Gesellschaft
de la Coste; der andere kauft eine Charge als Präsident beim
Parlament in Paris und nennt sich Comte de Rieur: er heiratet
M»"« de Boulainvilliers. Durch diese Ehe wird „der Jude
Bernard" Großvater der Gräfinnen d'Entraygues, de Saint-Simon,
Courtorner, d'Apchon, der künftigen Marquise de Mirepoix.
Antoine Grozat, dessen Großvater noch Dienstbote v^ar,
verheiratet seine Tochter an den Comte d'Evreux aus dem
prinzlichen Hause Boullon. Sein zweiter Sohn , Baron de
Thiers, heiratet M^^ de Laval-Montmorency, und die Töchter
dieser Ehe heiraten den Marquis de Bethune und den
Marschall de Broglie.
Der Bruder Crozat verheiratet seine Tochter an den
Marquis de Montsampöre, Seigneur de Glöves.
Eine Verwandte des Herzogs de la Vrilliäre heiratet
den Emporkömmling Panier.
Der Marquis d'Oise heiratet die zwei Jahre alte Tochter
des Mississipien Andrö (gegen 20000 1. Rente bis zur Heirat
und 4 Mill. Mitgift).
Die Tochter des Berth61ot de Pleneuf heiratet den Mar-
quis de Prie: es ist die bekannte Geliebte des Regenten;
die des Prondre wird M^e de la Rochefoucauld;
Le Bas de Montargis wird Schwiegervater des Marquis
d'Arpajon, Großvater des Grafen von Noailles und des Herzogs
von Duras;
Olivier-Senozan, dessen Vater noch mit alten Hosen ge-
handelt hatte, gibt seine Tochter dem Grafen von Luc6,
späteren Prinzen von Tingry;
Villemorien die seine dem Marquis von Beranger;
die Grafen von Erreux, von Ivry, die Herzöge von Brissac,
von Pecquigny : alle, alle gehen denselben schweren Gang zu
den Geldschränken der Turcarets.
Ist es nicht, als ob man über die Heiratsgeschichten der
amerikanischen Schweinezüchtertöchter der letzten zwanzig
Jahre berichtete?
25
Zweites Kapitel: Die Großstadt
Quellen und Literatur
Eine irgendwie verwertbare Literatur zur Geschichte der
Großstadt ist mir nicht bekannt. Die außerordentlich zahlreichen
Schriften, die die Geschichte der einzelnen Großstädte behandeln, sind
meist nur Stautrechtsgeschichten oder Baugeschichten. Die ökonomisch-
kulturellen Gesichtspunkte bleiben meist fast ganz außer acht. Es hat
deshalb gar keinen Zweck, einzelne dieser Bücher hier namhaft zu
machen.
Was im folgenden über die Entstehung und das Wesen der früh-
kapitalistischen Großstadt gesagt ist, habe ich fast ganz aus ersten
Quellen zusammentragen müssen. Unter diesen nehmen die Reise- und
andere Beschreibungen die erste Stelle ein. Unnötig, zu sagen, daß
Merciers Tableau de Paris, 12 Vol., 1781, für keine andere Stadt
seinesgleichen hat. Das London des 17. und 18. Jahrhunderts lernt man
immerhin leidlich genau kennen aus den Schilderungen bei Defoe-
Richardson, Miege-Bolton, Archenholtz u. a.
Für das Neapel des 16. Jahrhunderts sind die Quellen zu linden
bei Gothein, Kulturentwicklung Süd-Italiens, 1885; für das des 18.
siehe etwa die Schilderungen in dem Essai sur la societe et les mceurs
des Italiens, 1782, Lettre LV suiv.
Für Madrid im 17. Jahrhundert die (für diese Zwecke brauchbaren)
Reiseberichte und Memoiren der M^e d'Aulnay. Vgl. Justi, Velasquez
und sein Zeitalter.
I. Die Großstädte des 16., 17. und 18. Jahrhunderts
jLines der für die gesamte Kulturentwicklung bedeut-
samsten Ereignisse, das sich im wesentlichen als eine Folge-
erscheinung der in dem vorhergehenden Kapitel geschilderten
Vorgänge darstellt, ist die Tatsache, daß seit dem 16. Jahr-
hundert eine Reihe von Städten rasch an Einwohnerzahl zu-
26 Zweites Kapitel: Die Großstadt
nimmt, daß damit ein neuer Städtetyp : die Stadt mit mehreren
hunderttausend Einwohnern, die „Großstadt", geschaffen wird,
die sich in der Gestalt von London und Paris gegen Ende
des 18. Jahrhunderts der modernen Millionenstadt nähert.
Während des 16. Jahrhunderts wächst die Zahl der Städte
mit 100000 Einwohnern und mehr bereits auf 13 bis 14 2*.
Es sind zunächst die italienischen Städte: Venedig {1563:
168627, 1575177: 195 863), Neapel (240000), Mailand (gegen
200000), Palermo {1600: gegen 100000), Rom {1600: gegen
100000), während Florenz 1530 erst 60000 Einwohner zählte.
Sodann die spanisch -portugiesischen Städte: Lissabon
{1629: 110800), Sevilla (Ende des 16. Jahrhunderts 18000
Feuerstellen, also gegen 100 000 Einwohner); und die nieder-
ländischen Städte: Antwerpen {1560: 104972), Amsterdam
{1622: 104961).
Endlich Paris und London.
Paris, gegen dessen Ausdehnung schon Mitte des Jahr-
hunderts königliche Edikte erlassen worden waren (ich komme
gleich darauf zu sprechen), geht infolge der Religionskriege
offenbar an Einwohnerzahl zurück , die im Jahre 1594 etwa
180000 beträgt.
London wächst rasch an und weist Ende des Jahrhunderts
alle Anzeichen der übervölkerten Großstadt auf, wie wir aus
einem Erlaß der Elisabeth vom Jahre 1602 deutlich zu er-
kennen vermögen ^^ Seine Einwohnerzahl müssen wir zur
Zeit der Elisabeth auf etwa 250 000 ansetzen.
Im Verlaufe des 17. Jahrhunderts gehen nun einige der
früheren Großstädte an Einwohnerzahl zurück: Lissabon,
Antwerpen sinken unter die 100 000; Mailand, Venedig eben-
falls beträchtlich.
Dagegen steigen neu zu Großstädten empor: Wien {1720:
130000) und Madrid.
Rasch wachsen an : Rom, Amsterdam, Paris und London.
Die Großstädte des 16., 17. und 18. Jahrhunderts 27
Rom hat Ende des Jahrhunderts 140000, Amsterdam 200 000
Einwohner; Paris erreicht die halbe Million, London über-
schreitet sie {1700: G74350).
Während London allmählicli an Größe während dieses
Jahrhunderts zunimmt, schnellt Paris offenbar in die Höhe.
Es nimmt insbesondere während der Regierungszeit der beiden
ersten Bourbons einen raschen Aufschwung. Wir begegnen
jetzt häutiger jenen seltsamen Edikten , von denen ich schon
sprach : die das Erbauen neuer Häuser verbieten , um dem
Wachstum der Stadt Einhalt zu tun: „Reconnaissant que
l'augmentation de notre bonne ville de Paris est grandement
prejudiciable." „Attendu que l'inteution de Sa Majest6 a 6t6
que sa ville de Paris füt d'une 6tendue certaine et limit6e . . ."
(In diesen Verboten äußert sich, könnte man sagen, ein ähn-
licher Wille, wie er in den Zunftordnungen zur Anerkenntnis
kommt: das Widerstreben, ein organisches Gebilde ins Maß-
lose wachsen zu lassen; das Widerstreben gegen die rück-
sichtslose Vergrößerungs- und Quantifizierungstendenz des
kapitalistischen Wesens ; das Widerstreben des alten Nahrungs-
mäßigen, Ständischen gegen die schrankenlose Ausdehnungs-
sucht des Erwerbstriebes.)
Die Verbote fruchteten natürlich nichts; trotzdem sie
wiederholt werden (1627, 1637), wächst Paris gerade in diesen
Jahrzehnten mächtig an. Zwischen dem Paris Ludwigs XIIL
und dem der Liga, meint ein urteilsfähiger Geschichtschreiber
(Baudrill art), sei ein größerer Unterschied, als zwischen
diesem und dem Paris der dritten Republik. Wie stark die
Zeitgenossen den Wandel empfinden, spricht Corneille in
seinem 1642 geschriebenen Lustspiel „Le Menteur" (Acte II,
sc^ne V) aus:
„Toute une ville entifere, avec pompe bätie
Semble d'un vieux fosse par miracle sortie
Et nous fait presumer, ä ses süperbes toits,
Que tous ses habitants sont des dieux ou des rois."
28 Zweites Kapitel: Die Großstadt
r)as 18. Jahrhundert bringt folgende Verschiebungen:
Die Zahl 200000 überschreiten die Einwohner von
Moskau, Petersburg, Wien, *Palermo (1795: 200162). Nicht
weit davon bleibt Dublin (1798: 182370, 1753: 128870,
1644: 8159).
An die 100000 kommen heran: Hamburg, Kopenhagen,
Warschau. Berlin steigt auf 141 283 (1783), *Lyon auf 135207
(1787).
♦Neapel nähert sich der halben Million (1796: 435930),
London der Million (864845 nach dem Zensus von 1801),
*Paris hat beim Ausbruch der Revolution 640 — 670000 Ein-
wohner.
IL Die Entstehung und die innere Gliederung
der Großstädte
Schauen wir uns aber um, was diese Städte so groß ge-
macht hatte, so finden wir im wesentlichen noch dieselben
Städtebildner am Werke wie während des Mittelalters.
Auch (und gerade!) die Großstädte der frühkapitalistischen
Epoche sind Konsumentenstädte in hervorragendem Sinne.
Die Großkonsumenten sind die uns bekannten: die Fürsten,
die Geistlichkeit, die Granden, zu denen sich nun eine neue,
wichtige Gruppe gesellt: die Haute finance (die man füglich
als „Konsumenten" einsetzen darf, ohne beileibe! ihrer „pro-
duktiven" Funktion im volkswirtschaftlichen Organismus Ab-
bruch tun zu wollen). Die größten Städte sind darum so
groß, weil sie Sitze der größten (und meisten) Konsumenten
sind; die Ausbreitung der Stadtkörper ist also im wesent-
lichen einer Konzentration des Konsums in den städtischen
Mittelpunkten des Landes geschuldet.
Die Richtigkeit dieser Ansicht läßt sich zunächst e con-
trario erweisen: mit dem Hinweis darauf, daß die „Pro-
duzenten", Handel und Industrie, noch immer nicht die Sitze,
Die Entstehung und die innere Gliederung der Großstädte 29
WO sie recht eigentlich zu Hause sind, über den Um-
fang kleiner Mittelstädte hinaus zu entwickeln imstande ge-
wesen sind.
Reine Handelsstädte , wie beispielsweise Bristol , das ein
Reisebeschreiber um die Mitte des 18. Jahrhunderts „the
largest, most populous and Hourishing place in the Island
and one of the priucipal eitles of Europe" nennt ^", oder die
anderen blühenden Handelsstädte Englands in jener Zeit,
Exeter , Lynn , Norwich , Yarmouth usw., zählen nicht mehr
als 30 — 40000 Einwohner, als London längst die halbe Million
überschritten hatte. Aber auch der Industrie wohnt im all-
gemeinen noch keine großstadtbildende Kraft inne. Die In-
dustriezentren noch des 18. Jahrhunderts, die Bergwerksstädte
oder die Zentralen der Hausindustrie, wie New Castle, Glas-
gow, Leeds, Manchester, Birmingham in England, Iserlohn,
Paderborn, Jauer, Hirschberg in Deutsehland, sind Mittel-,
meist Kleinstädte. Weder Großbritannien noch Deutschland
weisen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts außer ihren Haupt-
städten eine Stadt von 100000 Einwohnern auf.
Wo „Handelsstädte" wie Amsterdam oder auch Hamburg
den Charakter von Großstädten in jener Zeit, die uns be-
seliäftigt, annehmen, lehrt eine genauere Untersuchung sehr
bald, daß die Größe der Stadt ganz anderen Kräften ge-
schuldet ist als dem Warenhandel.
So daß ich nur eine einzige Stadt namhaft zu machen
wüßte, die vor dem 19. Jahrhundert als Produktionsstadt in
die Reihe der Großstädte aufgerückt ist: Lyon, den Sitz der
größten Luxusindustrie der frühkapitalistischen Epoche (ob-
wohl selbst bei Lyon der Kreditverkehr sicher auch einen
wesentlichen Anteil an der Ausbreitung der Stadt gehabt
haben mag).
Ebenso leicht läßt sich nun aber auch der bejahende
Nachweis erbringen , daß die Zusammenballung des Konsums
es in der Tat ist, der die ersten Großstädte entstehen läßt,
30 Zweites Kapitel: Die Großstadt
in ziemlich gleichförmiger Weise entstehen läßt, ohne viele
Rücksicht auf Landeseigentümlichkeiten, unter dem Druck
der allgemein-kapitalistischen Entwicklung.
Ich will an den wichtigsten Großstädten des 17. und
18. Jahrhunderts die Probe aufs Exempel machen.
1. Berlin. Der Typus der reinen Residenzstadt ist
Berlin, wo im wesentlichen nur der Hof, die Beamten und
das Militär als Städtebildner auftreten. Berlin beginnt erst
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etwas rascher zu
wachsen: erst Anfang der 1760er Jahre überschreitet die Be-
völkerungsziffer das erste Hunderttausend. Aber auch noch
am Ende des 18. Jahrhunderts ist Berlin fast ausschließlich
eine — darum gewiß arme — Soldaten- und Beamtenstadt.
Im Jahre 1783 zählte die Garnison mit ihren Weibern und
Kindern nicht weniger als 33088 Personen, das sind 23%
der 141 283 betragenden Gesamtbevölkerung (gegen 29448 Per-
sonen oder 1,8 % im Jahre 1895). Die staatlichen und städti-
schen Beamten bezifferten sich auf 3433, also mit ihren An-
gehörigen auf rund 13000. Dazu kam noch ein unglaublich
großer Haufen von Bedienten (10 074), so daß diese drei mit
dem Hofe zusammenhängenden Bestandteile der Bevölkerung
über 56000 Personen, also über zwei Fünftel der Gesamt-
bevölkerung ausmachten 2'. Wie arm diese Stipendiaten des
armen Preußenkönigs waren, zeigt der Umstand, daß sie nur
etwa ebenso vielen Menschen Wohnung und Beschäftigung
geben konnten. In dem London oder Paris der damaligen
Zeit hätten dieselben 50000 Söldlinge eine Stadt von min-
destens 2—300000 Seelen gebildet.
2. Amsterdam. Auch Amsterdam ist zunächst Residenz-
stadt. Wir ersehen das daraus, daß der Wegzug des Hofes
gegen Ende des 17. Jahrhunderts große Schädigungen auf
allen Gebieten im Gefolge hat^^. Die Lücke, die hierdurch
gerissen wird, wird aber bald ausgefüllt: Amsterdam wird
Sitz der Staatsgläubiger von ganz Europa; in Amsterdam
Die Entstehung und die innere Gliederung der Großstädte 31
kommen die Überschüsse des reichsten Kolonialbesitzes der
Welt zum Verzehr.
3. Venedig trägt einen ähnliehen Charakter wie Amster-
dam. Der frühe und beträchtliche Kolonialbesitz erzeugt bald
ein gesättigtes, überreiches Rentnertum, das die schon zahl-
reichen Grundbesitzer der terra forma vermehrt. Von den
Kolonistenfamilien Kretas erfahren wir schon im 15. Jahr-
hundert: „Eine Anzahl hatte große Vermögen erworben; sie
lebten jetzt in Venedig und verzehrten ihre Zinsen 2^." Man
darf auch nie vergessen, daß Venedig bis zum Verlust seiner
Kolonien die Hauptstadt des drittgrößten Reiches Europas
war. Der große Reichtum, der in Venedig zum Verzehr kam,
führte zu einem reichen, luxuriösen Genußlebeu, das wiederum
zahlreiche Fremde anlockte, so daß Venedig im 16. Jahr-
hundert neben Rom die berühmteste Stadt war: sede prin-
cipalissima del piacere, wie es ein Briefschreiber im Jahre
1565 nennt; paradisus delitiarum, wie es in Hentzners Iti-
nerarium (1617) heißt ^^ Feste und Frauen lockten vor allem.
4. Rom, von dem Gregor ovius meint , daß es im
16. Jahrhundert, vor allem auch wegen seiner räumlichen
Ausdehnung, „die einzige Weltstadt" gewesen sei, vereinigt
eine Menge verschiedener, starker Verzehrer:
erstens den Papst, der vom Peterspfennig und seinen
meist recht beträchtlichen Familieneinkünften lebt, nebst dem
stattlichen Hofgesinde ;
zweitens die Pilger, deren beispielsweise im Jahre 1500
200000 in Rom gewesen sein sollen;
drittens die Kardinäle und Monsignori : Cartesius, de Car-
dinalatu, urteilt ^^ daß (schon im 15. Jahrhundert) ein Kar-
dinal 12 000 Goldgulden Einkünfte haben und etwa 140 Per-
sonen in seinem Hause halten müsse; manche von ihnen
hatten 30000 Dukaten und mehr Einkommen ^^;
viertens die Nepoten der Päpste, die mit Schätzen über-
32 Zweites Kapitel: Die Großstadt
häuft wurden: Pietro Riario, der Sohn Sixtus IV., hat
60000 Goldgulden Rente;
fünftens die großen Adelsgeschlechter, die Orsini, Co-
lonna usw., die noch über riesige Ländereien und dem-
entsprechend hohe Grundrenten verfügten.
Während die Päpste in Avignon residierten, drohte Rom
zu veröden: Kardinal Napoleone Orsini versichert nach dem
Tode Clemens V. dem französischen Könige, daß durch den
Wegzug der Päpste Rom an den Rand des Verderbens ge-
bracht sei. 1347 meint Cola di Rienzi, Rom gleiche mehr
einer Räuberhöhle als einem Wohnort gesitteter Menschen ^^
5. Madrid. Was Rom und Venedig im 15. und 16. Jahr-
hundert gewesen waren, das wurde Madrid im 17. Jahrhundert:
die Weltstadt. Hier hielt der mächtigste König der Erde
Hof; hier war der Mittelpunkt des größten Weltreiches; hier-
hin strömten die Silberschätze Amerikas. Kein Wunder, daß
Madrid zum Anziehungspunkt für alles wurde, was in Spanien
Macht und Reichtum besaß. Nichts war so lebhaft als der
Wunsch, in „den Haushalt des Königs" aufgenommen zu
werden. Die Hofämter, die der König verschenkte, waren das
Ziel, nach dem vor allem die jüngeren Söhne des Adels
strebten. Es läßt sich ziemlich genau verfolgen, wie Madrid
durch das Zusammenströmen der Granden namentlich seit
Philipp III. rasch an Bedeutung gewinnt: „Los lugares parti-
culares," urteilt ein Zeitgenosse, „se van depoblando de los
vecinos vicos e poderosos^*." Es scheint auch fast, als ob
Madrid neben Rom die erste moderne Großstadt gewesen
wäre, die einen starken Zustrom fremder Besucher, die sich
hier vergnügen wollten, gehabt hat. „Das edle Gasthaus der
Fremden" hieß Madrid ^^.
6. Neapel. War Madrid im 17. Jahrhundert die dritte,
vielleicht die zweitgrößte Stadt Europas gewesen (es soll zur
Zeit seiner höchsten Blüte 400000 Einwohner gehabt haben),
so wuchs jetzt Neapel so sehr an, daß es während des folgen-
Die Entstehung und die innere Gliederung der Großstädte 3o
den Jahrhunderts die Stelle unmittelbar hinter London und
Paris einnahm.
Neapel ist ein Schulbeispiel, um an ihm die Richtigkeit
der hier verfochtenen These (daß alles frühe firoßstadtwesen
auf Konsumkonzentration beruht) zu erweisen. Neapel ist
nie etwas anderes als Residenz gewesen , und diesem Um-
stände, der sich mit dem anderen verband, daß es die Haupt-
stadt eines frühzeitig geeinten Ländertums mit zentralisiertem
Verwaltungs- und Gerichtswesen war, verdankt es zu einer
Zeit schon sein Großstadttum, als keine der anderen italieni-
schen Städte dieses Ziel erreicht hatte.
Neapels Größe und Neapels Reichtum flössen aus zwei
Quellen: dem Königtum und der Kirche. Das wußten auch
die Zeitgenossen schon. Des Königs Dienst ist unser Handel :
-regis servitium nostra mercatura est", urteilt Caraccioli, in
dessen Schriften wir Neapels soziale Struktur wie in einem
Spiegel wahrnehmen. In der Tat: unendlich groß war die
Zahl der Ämter in Neapel , denn die Zentralisation führte
zur Vielregiererei : ungemein fein ausgebildet war das System
der Sportein, die als eine wesentliche Einnahmequelle eben-
falls schon von den Zeitgenossen erkannt wurden. Dem, der
sich in der gebildeten Welt Neapels bewegte, schien es kaum
etwas anderes dort zu geben als diese „unbegrenzte Zahl
von Rechtsgelehrten, Advokaten und Schreibern" (Folieta).
Als dann die Herrschaft der Spanier dauernd entschieden
war, trat eine Verringerung des Hofeinflusses zunächst ein,
die von Caraccioli deutlich wahrgenommen wurde : jetzt sei
der König fern : die Stadt verfalle immer mehr : die Barone
hielten keine großen Gefolge mehr; damit verliere auch das
öffentliche Leben Schwung und Glanz : man sehe niemand
mehr mit fürstlichem Prunk einherziehen. Die Stadt ent-
völkere; die Mieten sinken: alles nur, weil Neapel aufgehört
habe, Königsstadt zu sein. Er wiederholt: „Das war unser
Handel, der unserem Adel Reichtum brachte."
Sombart, Laxii!; und Kapitalismus 3
34 Zweites Kapitel: Die Großstadt
Alles änderte sich ja dann : Neapel blühte gerade unter
der spanischen Herrschaft mächtig empor; weil die Großen
wieder stattliche Gefolge hielten, so war des Prunks mehr
als zuvor, und die Bevölkerung wuchs rasch ^*'.
7. Paris. Als der Begründer der modernen Chemie seine
immerhin schätzbaren Kräfte dem „Wohle des Volkes" weihte,
und sich in der Nationalversammlung um die Reform des
Finanzwesens mühte, hat er eine überaus interessante Be-
rechnung ausgeführt, um festzustellen, wie groß die Menge
und der Wert der von den Parisern von außen her bezogenen
Waren sei. Seine sehr genauen Aufstellungen gipfeln in dem
Ergebnis, daß für 250 Mill. Livres von den Menschen, für
10 Mill. Livres von den Pferden in Paris jährlich Gebrauchs-
gegenstände verzehrt würden , die bezahlt werden müssen.
Uns interessiert hier die Antwort, die Lavoisier auf die
Frage erteilt: wovon die 250 Millionen bezahlt wurden, weil
in ihr ein außerordentlich frappantes Urteil über die Zu-
sammensetzung der Pariser Bevölkerung beim Ausbruch der
Revolution enthalten ist. Die Antwort lautet nämlich (wenn
wir sie von den offenbaren Irrtümern reinigen, die Lavoisier
untergelaufen sind ^'') :
Etwa 20 Millionen bringen Exportgewerbe und Handel
ein ; 140 Millionen werden mit Hilfe von Staatsschulden-
renten und Gehältern bezahlt (revenu des intörets et
d^penses pay6 par le tresor public);
100 Millionen decken die Grundrenten- und Unternehmer-
protite (von auswärtigen Unternehmungen), die in Paris
zum Verzehr gelangen (revenu des propri^taires de terre,
de biens ruraux et de manufactures).
Glänzend, glänzend! Welche Tiefe der Einsicht und der Er-
kenntnis: Paris — bis auf eine quantitö n^gligeable — eine
reine Konsumstadt, die vom Hof, von den Beamten, von den
Staatsgläubigern und den Grundrentenbeziehern lebt.
Dieselbe Auffassung sehen wir bei allen urteilsfähigen
Die Entstehung und die innere Gliederung der Großstädte 35
Zeitgenossen wiederkehren (auf deren Zeugnisse wir leider
angewiesen sind, solange kein zifternmäßiger Nachweis für
die Richtigkeit der hier vertretenen Meinung erbracht ist).
Der Verfasser des Ami des Hommes, der ältere Mira-
beau, berechnete, daß etwa 200 000 Personen aus Paris aus-
wandern müßten, wenn man seinem Vorschlag gemäß
1. tous les Officiers Royaux qui en tirent de grands appoin-
tements :
2. tous ceux des grands Propriötaires, qui certains d6sor-
mais de ne pouvoir traiter leurs affaires conteutieuses
que lä et assurös d'y jouir eu meme temps de la con-
sideration et de l'aisance . . . voudraient bien aller jouir
de la terre natale;
3. tous les plaideurs forc6s
in die Provinz zurückbeförderte ^*.
Seiner und aller Physiokraten Meinung nach herrschte
nämlich zur Zeit „une mauvaise distribution des hommes et
des richesses", denn .,tous les seigneurs, tous les gens riches,
tous ceux qui ont des rentes ou des pensions süffisantes pour
vi vre commodöment fixent leur söjour ä Paris ou dans quelqu'-
autre grande ville oü ils depensent presque tous les revenus
des fonds du royaume. Ces d^penses attirent une multitude
de marchands, d'artisans, de domestiques et de manouvriers" ^^.
Um diese reichen Pventiers, zu denen sich die „financiers,
dont les caisses , . ont . . trait directement au Tresor
Royal" *" und andere gesellen, gruppiert sich eine hochent-
wickelte (nach Meinung der Physiokraten überfeinerte) Luxus-
industrie; denn der „Propri6taire, rustique dans la terre, devient
ä Paris un arbiter elegantiarum et donne des idees ä un
ouvrier, qui s'ölevant ainsi au dessus de sa sphöre mechanique
devient un homme illustre dans son Art" ** . . .
Wie alles Gewerbe und aller Handel nur von den Re-
venuen der Reichen lebt, die also hier die Städtegründer in
3*
3g Zweites Kapitel: Die Großstadt
dem von mir festgestellten Sinne sind, schildert in seiner be-
kannten eindringlichen Art wieder Mercier*^:
„Comment trouver le nioyen de remedier ä cette foule de necessiteux
qui n'ont d'autre gage de leur subsistance que dans le luxe deprave des
grands . . .
On voit daus cette capitale des hommes qui usent toute leur via ä
faire des joujous d'enfants; les vernis, les dorures, les pompons occupent
une annöe d'ouvriers; cent mille hras y sout exerces nuit et jour ä
fondre des sucreries et ii ^difier des desserts. Cinquante mille autres,
le peigne en main, attendant le reveil de tous ces oisifs qui vegetent en
croyant vivre et qui pour se dedommager de l'ennui qui les accable,
fönt deux fois toilettes par jour."
Daß ein nicht unbeträchtlicher Teil der Pariser Be-
völkerung von den Einkünften der Kirche und ihren Dienern
lebten, vergessen die Physiokraten in ihren Darstellungen
meist besonders zu erwähnen. Mercier dient uns auch in
diesem Punkte wieder als wertvollste Quelle, wenn er schreibt :
„Paris est rempli d'abbes, clers tonsures, qui ne servent ni l'eglise
ni l'ötat, qui vivant dans l'oisivete la plus suivie et qui ne fönt que des
inutilites et fadaises . . .
Dans plusieurs maisons on trouve un abbe ä qui l'on donne le nom
d'ami, et qui n'est qu'un honnete valet qui commande la livree . . .
Ensuite viennent les pröcepteurs, qui sont aussi des abbes . . ."
(M|ercier) Tabl. de Par. (1783) Gh. XC.
„Les eveques violent facilement et sans reraords la loi de la re-
sidence en quittant le poste qui leur est assignö par les saints canons.
L'ennui les chasse de leurs dioceses qu'ils regardent comme unexil: ils
viennent presque tous ä Paris pour y jouir de leurs richesses" : ibid.
Ch. XCL
Wie wir denn demselben Gewährsmann den einzigen zu-
verlässigen Überblick über die verschiedenen Gruppen der
Pariser Bevölkerung verdanken, die diese am Ende der früh-
kapitalistischen Periode zusammensetzten. Ich will die Über-
sicht, um das Bild noch deutlicher hervortreten zu lassen,
schließlich hier noch mitteilen und zwar, weil es sich besser
dem Auge einprägt, in schematisierter Form.
II y a dans P. 8 classes d'habitans bien distinctes:
1. les princes et les grands seigneurs;
2. les gens de robe:
Die Entstehung und die innere Gliederung der Großstädte 37
a) le barreau,
b) l'eglise,
c) la medecine;
3. les tinanciers:
depuis le fermier-general jusqu'au preteur ix la petite domaine.
Les agens de change, ces nouveaux crocodiles, occupent le milieu
de ce Corps devorant, meprisable et bientöt meprisä:
4. les u^gocians on marchauds:
sie leben nur von den Gi'oßen : comme les grands n'achetent rien
comptant les marchands sont Obligos d'aller s'humilier tous les
jours devant eux ou devant leurs domestiques;
5. les artisies :
les peiuires, \
., architectes, > niedrigster Rang,
., statuaires, f
., compositeur en musique, hoher Rang,
., hommes de lettres, höchster Rang, nobilitas literata;
6. les artisans :
wohlhäbige Handwerksmeister, leben ausschließlich von der Arbeit
für die Reichen (wie an anderer Stelle gezeigt wurde);
7. les manouvriers;
8. les laquais;
9. le bas peuple.
Also 9?!
Vor allein gibt es eine Unmenge „unproduktive" Menschen: les
nombreuses colonies de meines chapelains;
tant de nobles,
., ^ greffiers,
„ ., huissiers,
., ., sergents,
^ ., clercs,
„ ^ milliers d'estaffiers,
., -, hommes ä bandouli^res,
-, rentiers,
puis les cochers,
y, postillons,
^ palelreniers.
Und dazu die Fremden, die in Scharen nach P. kommen.
(Mercier) Tabl. de Par. II (1788), 39 ff., 44 ff .
8. London. Ein mächtiger Königshof, um ihn herum
seit dem Ende des 1(J. Jahrhunderts ein Kreis reicher Grund-
besitzer, die hier ihre Renten verzehren : das ist der Kern
38 Zweites Kapitel: Die Großstadt
Londons noch im 17. Jahrhundert. Wie stark die Anziehungs-
kraft war, die die Hauptstadt auf Nobility und Gentry im
17. Jahrhundert schon ausübte, ersehen wir aus den zahl-
reichen Erlassen, die — seltsamerweise! — gerade die beiden
ersten Stuarts gegen diese Neigung der gruudbesitzenden
Familien, in London zu residieren, richten. So heißt es in
einem dieser Erlasse aus dem Jahre 1632 :
„That by residing in London with their families a great part oi'
their money and substance is drawn from the several counties whence
it ariseth and spend in the city on excess of appeal, provided from
foreign parts . . . that this also draws great numbers of loose and idle
people to London and West Minster" etc. Foed. 19, 374.
(Bei Anderson, Org. 2, 849.)
Aber: was das Schicksal aller solcher Erlasse ist, die
einen Strom zu seiner Quelle zurückleiten wollen, das war auch
das Schicksal dieser Wohnverbote : sie wurden nicht beachtet.
Gerade während des 17. Jahrhunderts muß die Übersiedlung
der Landeigner nach London besonders häufig stattgefunden
haben (wodurch im wesentlichen also das rasche Wachstum
Londons in diesem Jahrhundert bewirkt wurde). Denn am
Ende des 17. Jahrhunderts wird uns London als „the mighty
Rendez-vous of Nobilty, Gentry, Courtiers, Divines, Lawyes,
Physicians, Merchants, Seamen and all kind of excellent Arti-
ficers, of the most refined W' its and most excellent Beauties" *^
geschildert.
Seit dem Ende des 17. und während des 18. Jahrhunderts
kommt nun zu den schon ansässigen Städtegründern ein neuer,
überaus wichtiger hinzu: der Staatsgläubiger und der Groß-
finanzmann. Im London des 17. Jahrhunderts herrschte schon
ein reger Kreditverkehr. Welche Barsummen flüssig gemacht
werden konnten in kurzer Zeit, beweist die Tatsache z. B.,
daß das Aktienkapital der Bank of England (1200900 ^)
vom 21. Juni bis 2. Juli 1694 vollgezeichnet wurde. Die
stadtbildende Kraft der Staatsschulden hat mit großer Treff-
sicherheit D. Hume betont: „our national debts cause a
Die Entstehung und die innere Gliederung der Großstädte 39
mighty confluence of people and riches to the capital, by the
great sums levied in the ])rovinces to pay the interest of
these debts"**.
In der Mitte des 17. Jahrhunderts finden wir die feine
Welt noch in der City. Wir entnehmen das z. B. aus den
Klagen der „feinnasigen City-Damen'" über den sie belästigenden
Kohlenrauch (damals fing man an, Steinkohle zu brennen):
„0 Husband wee shall never bee well, wee nor our children
while we live in the smell of this Cities Seacoale smoke" *®.
Von da ab beginnt der Adel seino Paläste in die Vor-
städte zu verlegen. Der Fortsetzer des M i e g e , Mr. B o 1 1 o n ,
gibt uns ein anschauliches Bild von diesem Umgestaltungs-
prozeß, den die Stadt London um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts erfährt. „The Nobilty and chief among the Gentry
are at this tinie much better aecomodated in tine Squares or
Streats, where they breathe a good Air and have Houses built
after the modern way." Er führt dann eine große Anzahl
solcher Neubauten namentlich auf, und wir empfangen auch
aus seiner Schilderung durchaus den Eindruck , daß der
Charakter des vornehmen London seiner Zeit noch durchaus
durch die Niederlassung des Landadels bestimmt wird*^
Daneben finden wir dann den Adel in der unmittelbaren
Nachbarschaft Londons. Defoe zählt 17 Nachbarorte Lon-
dons auf, ..all crowded and surrounded with fine houses or
rather palaces of the nobilty and gentry of England"*".
Ich habe nun, ähnlich wie Lavoisier für Paris (wenn
auch nach einer ganz anderen Methode), so für das London
des 18. Jahrhunderts den Versuch gemacht, den Anteil der
städtebildeuden Bevölkerungsgruppen an dem Aufbau Lon-
dons ziffernmäßig festzustellen, und bin dabei zu folgendem
Ergebnis gelangt, das natürlich keinerlei Anspruch auf Ge-
nauigkeit macht, das aber an Glaubwürdigkeit zweifellos
durch die Tatsache nicht unbeträchtlich gewinnt, daß die be-
rechneten Anteile denen von Lavoisier für Paris angesetzten
40 Zweites Kapitel: Die Großstadt
Verhältuiszahleu sieh stark nähern (und eigentlich nur soweit
voneinander abweichen, als Londons Handel dem Pariser
überlegen war).
Daß der Handel bei einer Beschreibung Londons stets vor allem
als das städtebildende Element hervorgehoben wird , z. B. auch von
C h a m b e r 1 a y n e , ist begreiflich ; er stach jedem Beschauer in die
Augen. Die zifl'ermäßige Feststellung dagegen ergibt auf das deutlichste,
daß der „Handel" gewiß nur den kleineren Teil der Londoner Bevölke-
rung hätte ernähren können. Die Ein- und Ausfuhr Gesamtenglands
bezifferte sich im Jahre 1700 auf einen Wert von 214 Mill. Mk., eine
Summe, wie sie der Handel der Stadt Bremen allein etwa um die Mitte
des 19. Jahrhunderts erreichte. Der Tonneugehalt der in sämtlichen
Häfen Englands im Jahre 1688 ein- und ausgelaufenen Schifle betrug
285 000 t, soviel wie Hamburgs Schiffahrt etwa im Jahre 1800, das ist
etwa der fünfzigste Teil ihres jetzigen Umfangs. Siehe die Ziflfern bei
Goldstein, 143 (nach C halmers und Price Williams). Man kann
allen Respekt vor der Handelsgröße Londons in jener Zeit haben, muß
sich aber doch hüten, die Phrasen der zeitgenössischen Schriftsteller von
dem „infinite number of ships, which by their masts resemble a Forest,
as they lie along this Stream" (Themse), dem „infinite number of great
wellfurnished Shops" (Chamberlayne) zum Anlaß übertriebener Vor-
stellungen zu nehmen, sondern muß, wenn man den Anteil des „Handels"
an der Größe Londons ermessen will, etwa folgendes Rechenexempel
anstellen :
Ein- und Ausfuhrwert ganz Englands betragen 1700 nicht ganz
11 Mill. £\ rechnen wir einen auch für jene Zeit wohl reichlichen reinen
Durchnittsprofit von 10 "/o an dieser Summe, so ergibt dies 1 100000 j^-,
veranschlagen wir weiter den auf London vom Gesamthandel Englands
entfallenden Anteil auf -/a, was gewiß auch hoch genug ist, so wäre dies
eine Summe von rund 750 000 £ Handelsgewinn Londoner Kaufleute.
Nun nimmt King für das Jahr 1688 das Durchschnittseinkommen einer
Handwerkerfamilie mit 40 äf , einer Arbeiterfamilie mit 15 £ an. Von
jener Summe würden also etwa 7000 Handwerkerfamilien und 24 000
Arbeiterfamilien oder 12 000 Familien von jeder Kategorie haben leben
können. King will die Kopfzahl jeder dieser Familien auf 3^2 bzw. 4
bemessen sehen. Auf keinen Fall würden also viel über 100 000 Seelen,
d. h. Vi — Ve des damaligen London herauskommen, die vom „Handel"
gelebt hätten.
Nun muß aber weiter bedacht werden, daß der in London
sieh abwickelnde Handel natürlich nur insoweit städtebildende
Kraft haben konnte, als er nicht den Warenaustausch für die
Die Städtetheorien des 18. Jahrhunderts 41
Londoner Bevölkerung selbst vermittelte. Zieht man diesen
ab, so verringert sich der Anteil noch beträchtlich.
Zum Vergleich nehme man etwa die Zivillisten der damaligen eng-
lischen Könige. Im Jahre 1696 bewilligte das Parlament Wilhelm III.
eine Zivilliste in Höhe von 700000^. Königin Anna bezog dieselbe
Summe. Unter Georg I. wurde sie auf 800 000 ^fe", unter Georg II. auf
900000 c^ (100 000 £ for the Queens separate House hold) erhöht; außer-
dem hatte der Prinz von Wales noch sein eigenes Einkommen in Höhe
von 100 000 £. König, Königin Mutter und Kronprinz hatten also an-
nähernd soviel Einkommen zu verzehren und Menschen leben zu lassen
die Möglichkeit wie die gesamte Kaufmannschaft zusammen. Die mit-
geteilten Ziffern sind dem Werke von Miege and P olton (S. 236) ent-
nommen. Dort findet sich auch in einem Beibande (A regulär Collection
or series of lists containing all the offices and whole establishment civil,
military and ecclesiastical in Great Britain and Ireland) eine fast voll-
ständige Übersicht über die Gehälter der Militär- und Zivil-
beamten des Königreichs, aus der die zum Teil unglaubliche Höhe
namentlich der Gehälter der obersten Beamten ersichtlich ist. Es finden
sich Beträge von 1000, 1500 und sogar 2000 ^' gar nicht selten. Man
ermesse: wenn 2000 £ als Handelsprofit verdient werden sollten, selbst
die Profitrate von 20 "/o und nur einen zweimaligen Kapitalumschlag im
Jahre angenommen, so bedeutete das einen Umsatz von 200000 ^, d. h.
den vierzigsten Teil des gesamten Warenumsatzes Londons ! Verteilt man
die Anteile der Bevölkerung des damaligen Londons auf die einzelnen
städtebildenden Faktoren, so ei'gibt sich in meiner Vorstellung etwa
dieses Verhältnis: zwei Sechstel lebten vom König und seinem Hof, ein
Sechstel von der Beamtenschaft, zwei Sechstel von den Grundrentnern und
indirekten Staatsrentnern (Haute Finance), ein Sechstel vom Handel und
von gewerblicher Tätigkeit.
III. Die Städtetheorien des 18. Jahrhunderts
Daß nun aber wirklich die soziale Struktur der Groß-
stadt in der frühkapitalistischen Epoche so war, wie ich sie
in den voraufgehenden Blättern zu zeichnen versucht habe,
das ersehen wir schließlich noch mit aller nur wünschens-
werten Deutlichkeit aus den zahlreichen „Städtetheorien"
des 18. Jahrhunderts, aus denen wir, denke ich, ohne weiteres
Rückschlüsse auf die Natur der Großstädte jener Zeit machen
dürfen. Denn wenn die meisten Autoren auch wähnten, ,die"
42 Zweites Kapitel: Die Großstadt
Stadt oder „die" Großstadt schlechthin in ihren Entstehungs-
uüd Daseinsbedingungen zu schildern, so sind ihre Lehren
doch nichts anderes als Verallgemeinerungen der von ihnen
beobachteten tatsilchlichen Gestaltungen in ihrer Umgebung.
Darum teile ich hier zu guter Letzt noch ein paar Auszüge
mit aus den am meisten gelesenen und geachteten Schrift-
stellern jener Tage, die sich über das Stcädteproblem geäußert
haben.
Soviel ich sehe , ist in der theoretischen Konstruktion der Stadt
^ie auf so vielen anderen Gebieten der nationalökouomischen Wissen-
schaft im 18. Jahrhundert Cantillon wegweisend. Er läßt die Stadt
wie folgt entstehen: „Si un Prince ou Seigneur . . . fixe sa derueure dans
quelque lieu agröable et si plusieurs autres Seigneurs y viennent faire
leur residence pour etre ä portee de se voir souvent et jouir d'uue soci^te
agreable, ce lieu deviendra une Ville, on y bätira de grandes
Maisons pour la demeure des Seigneurs en question; on y en bätira une
infinite d'autres pour les Marchands, les Artisans, et Gens de toutes
sortes de professions que la residence de ces Seigneurs attirera dans ce
lieu. II faudra pour le service de ces Seigneurs des Boulangers, des
Bouchers, des Brasseurs, des Marchands de vins, des fabriquants de
toutes especes : ces Entrepreneurs bätiront des Maisons dans le lieu
de question ou loueront des Maisons bäties par d'autres Entrepreneurs;
. . . toutes les petites Maisons dans une Ville, teile qu'on la decrit ici,
dependent et subsistent de la depense des grandes Maisons ... La ville
en question s'agrandira encore, si le Roi ou le Gouvernement y ätablit
des Cours de Justice . . . Une Capitale se forme de la meme maniere
qu'une Ville de Province . . . toutes les terres de l'Etat contribuent plus
ou moius k la subsistance des Habitans de la Capitale.'"
Cantillon, Essay sur la natui-e du Commerce 17.55, p. 17 ff.
Dieser Gedankengang findet sich mit unwesentlichen Abweichungen
in fast allen die Städtebildung behandelnden Abhandlungen der Zeit
wieder; er ist allerdings von den Physiokraten besonders scharf heraus-
gearbeitet, weil er ihrer Theorie als Stütze dienen soll, wird aber auch
von so vielen nicht orthodox-physiokratischen Schriftstellern übernommen.
Ein großer Teil der Erörterungen in der volkswirtschaftlichen Lite-
ratur des 18. Jahrhunderts ist der Diskussion über die volkswirtschaft-
lich zweckmäßigste Art, die Grundrente zu verausgaben, gewidmet. Denn
das vor allem haben doch wohl die zahllosen Schriften und Kapitel über
den „Luxus" zum Inhalt, die, wie bekannt, die nationalökonomische
Literatur des 18. Jahrhunderts ebenso charakterisieren wie die Traktate
über die Bevölkerung.
Die Städtetheorien des 18. Jahrhunderts 43
Da nun aber die Verausgabung jener volkswirtschaftlich so wich-
tigen Quote des Nationaleinkomincvs in den Städten, vornehmlich in den
Großstädten erfolgte, so verquickt sich die Luxusfrage mit der Groß-
stadtfrage: fast alle Luxusschriftstellor dehnen ihre Untersuchung auf
die Erörterung des Problems aus: was macht die Städte so volkreich?
was lebt in den Städten? wofür weiden die Einkommen der Reichen da-
selbst verausgabt? wie wirkt die Art der Verausgabung auf den Gang
der Volkswirtschaft?
Um diesen Zusammenhang zwischen Luxus- u n d S t ä d t e -
theorie in der Literatur jener Zeit nachzuweisen, mag es genügen, an
Quesnays Questions interessantes sur la populatinn , l'agriculture et
le commerce zu erinnern (in der Edit. Oncken ]). 250 ü'.)) wo die zwanzig
Fragen im Kapitel „Ville" jenes Problem des Zusammenhangs zwischen
Städtebildung und volkswirtschaftlicher Zirkulation behandeln. Siehe z.B.
question XV d. c. p. 297): „si les grandes fortunes qui se forment dans
les grandes villes ne sont pas prejudiciables ä l'agriculture . . . ces
grandes fortunes, ne prouvent-elles pas que les richesses s'accumulent
dans les villes, qu'elles ne retournent pas dans les campagnes?" oder
qu. XVIII (p. 298): ,,si le retablissement des revenus des biens-fonds
exige que les proprietaires et ceux qui peuvent faire des grandes de-
penses, resident dans les campagnes? La consommation qu'ils fönt dans
les villes n'est-elle pas aussi profitable aux campagnes, que si eile se
faisait dans les campagnes memes?" usw. Oder im Kapitel „Richesse"
art. VI (1. c. ]). 302): „Depuis que les grands et les riches se sont retires
dans la capitale, leurs d^penses u'en sont-elles pas devenues plus re-
marquables et ne jugerait-on pas de lä, que le luxe serait augmente?
le luxe n'a-t-il pas toujours 6te proportioune aux richesses de la nation?"
usw. usw. Quesnay fußt auch in diesen Gedankengängen auf Can-
tillon, dessen glänzender Essay im ersten Teil vielfach dieselben Pro-
bleme behandelt. Siehe z. B. das Ch. XIV, dessen Überschrift ein ganzes
Programm enthält.
Zum Vergleiche mit der Theorie Cantillons führe ich noch
folgende Stellen an: „les richesses de cette ville y attirent les plaisirs.
Pour en jouir et les partager, les riches proprietaires quittont leur cam-
pagnes, passeront quelque mois dans cette ville, y construieront des
hoteis. La ville s'agrandira de jour en jour . . . Cette ville portera
enfin le nom de Capitale." Helvetius, De l'homrae Lect. VI. Ch. VII
((Euvres 2, 860). Über die ähnlichen Gedankengänge Quesnays wurde
schon berichtet. Ganz in seinem Geiste gehalten sind die Ausführungen
des Grafen Mirabeau, De la monarchie prussienne sous Frederic le
Grand 1 (1788), 403 f.
Von Italienern sind u. a. Beccaria und Filangieri zu nennen:
„i piü grandi proprietari delle terre, i quali un maggior numero di bisogni
ed una vita piü raffinata e remota dagli umili e rozzi usi del volgo
44 Zweites Kapitel: Die Großstadt
gettava in braccio alla noia compensatrice delle diverse condizioni degli
uomini, per Tambizione di distinguersi a gara e di sovrastare alle classi
laboriose di loro simili, dovettero riunirsi a poco a poco insieme e rlsie-
dere vicino alla sorgente delle leggi, vicino alle supreme magistrature,
onde occuparsi del comando ed estender la sfera dei loro piaceri esten-
dendo il loro potere. Ecco l'origine delle cittä grandi e per
conseguenza o attualmeute o una volta capitali." C. Beccaria, Eco-
nomia pubblica (1771) §30. Custodi, P.M. 11, 58/59. Vgl. auch p. 86,
wo von der Entstehuag der Luxusindustrien in den Großstädten gehandelt
wird. Ganz ebenso macht Filangieri den Grundherrn für das Ent-
stehen der Großstädte verantwortlich. „Ivi per palesare il suo lusso e
le sue ricchezze egli occupa, abusa e profana il pennello del pittore, lo
scalpello dello statuario e dello scultore, il genio dell' architetto, la fan-
tasia del poeta e tutti gli ordigni delle mauifatture e delle arti. Ivi egli
mantiene uno stuolo prodigioso di oziosi, che servono piü al suo feste
che al suo commodo. Ivi finalmente egli consuma le sue rendite e quelle
della sua posteritä." G. Filangieri, Leggi pol. e leggi economiche
(1780). Custodi P. M. 32, 185/86.
In England gibt die Stewart sehe Städtetheorie im Grunde auch
nur den Gedankengang Cantillons wieder, nur mit der Modifikation, daß
Stewart neben den Landlords (the proprietors of the surplus of food) aus-
drücklich die Vertreter des „monied interest", Leute mit irgendwelchem
„schon erworbenen" Bezugsrecht auf Teile des Nationaleinkommens
(„with a revenue already acquired" Inquiry ed. cit. 1, 203) als die frei
städtebildenden Elemente bezeichnet, um die sich dann die handel- und
gewerbetreibende Bevölkerung („those who purchase it with their daily
labour or personal service") erst gruppiert.
45
Drittes Kapitel: Die Säkularisation der
Liebe
Quellen und Literatur
Ältere (Quellen-) Literatur. Für die Renaissance: die Werke von
Cappeilanus, Petrarca, Boccaccio, L. Valla, Bembo, Castiglione, Becca-
delli, Firenzuola, Aretino, Bellay, Montaigne, Rabelais.
Für das 17. Jahrhundert: die Sammlung Cabinet satyrique ou re-
cueil parfait des vers piquants et galliards de ce temps. Öfters gedruckt,
u. a. Paris 1632. Die Werke von Auvray, von P. de Brantöme
(Vie des dames illustres, Vie des dames galantes u. a., neuerdings deutsch
erschienen 1905 im Insel-Verlag und 1907) und ungezählte andere, die
man leicht aus den Bibliographien entnimmt.
Für das 18. Jahrhundert: die Werke des Restif de la Bre-
tonne, namentlich Le Palais Royal. 3 Vol. 1790. Nouv. Ed. in der
Sammlung: Les moeurs legeres au XVIII siecle; Introd. et notes par
Henri d'Almeras und vor allem die umfangreiche Memoirenliteratur.
Neuere Literatur. Für das Mittelalter: A. Schultz, Das höfische
Leben zur Zeit der Minnesänger. 2. Aufl. 1889. Für die Renaissancezeit
kommen zunächst alle die bekannten allgemein geschichtlichen Werke
von Burckhardt, Gregor ovius, Grimm u. a. in Betracht, zu denen
sich neuerdings ein schönes Buch gesellt hat von Gas. Chledowski
Rom: Die Menschen der Renaissance. 1912. (Aus dem Polnischen über-
setzt.) Besonders reich ist die neuere Literatur über das Leben der großen
Kurtisanen der Renaissance. Ich nenne: C. Biagi, Un Etera romana
Tullia d'Aragoua. 1897. P. L. Bruzzone, Imperia e i suoi ammiratori.
Nuova Antologia 1906. Fase. 828. Sogar die Briefe dieser Damen hat
man zu edieren für nötig befunden: L. A. Ferrari, Lettere die corte-
giane del sec. XVI. 1884. Lothar Schmidt, Renaissancebriefe o. J.
(Band 9 der „Kultur"). Für das 17. und 18. Jahrhundert außer den all-
gemeinen Werken kulturhistorischen Inhalts: Inibert de Saint-Amand,
Femmes de Versailles: Les femmes de la Cour de Louis XV. 2 Vol. 1876;
Les femmes de la Cour de Louis XVI. 2 Vol. 1876. — Arseneiloussaye,
Galerie du XVIII« siäle. 6e ed. Deuxiöme serie: Princesses de Comedies
^g Drittes Kapitel: Die Säkularisation der Liebe
et deesses d'opera. Qnatrieme serie : Hommes et femmes de Cour. 1858.
(Sehr witzig und geistvoll.)
Theodor G r i c s i n g e r , Das Damenregiment an den verschie-
denen Höfen Europas in den zwei letztvergangenen Jahrhunderten. Erste
Reihe: Die großen französischen Vorbilder. 2 Bde. 1866. 1867. Zweite
Reihe: Versailles in Deutschland (Dresden und Hannover). 2 Bde. 1869.
1870. (Reiches Material, aber anekdotisch zusammengetragen und ohne
Quellenangabe.) Albert Savine, La Cour galante de Charles II. 1908.
(Gute, quellenmäßige Arbeit.)
In die Welt der Theaterprinzessinnen führen gut ein die Souvenirs
de Miie Duthe de l'opera 1748 — 1830 (apokryph), mit einer sehr lehr-
reichen Einleitung neu herausgegeben von Paul Ginist y.
Eine Klasse für sich bilden die prächtigen und sehr instruktiven
Bücher der Gebrüder Goncourt, die sich mit unserm Problem be-
schäftigen: Portraits intimes du XVIII sc. Nouv. Ed. 2 Vol. 1873;
Les maitresses de Louis XV. 1860; La femme au XVIII sc. 1862;
L'amour au XVIII sc. 1875; vor allem die beiden Schriften über „La
Pompadour" und „La Dubarry".
Natürlich hat jede der „großen" Maitressen, namentlich die der
Könige, eine eigene umfangreiche Literatur hervorgerufen. Die wich-
tigsten Werke sind die über die Pompadour: von Capefigue, Cam-
pardon, Goncourt u. a., die über die Montespan: von Arsene
Houssaye, Clement, Bonassieux(Le chateau de Clagny et M^e
de M. 1881) u. a. Umgekehrt kommt natürlich auch die Literatur zur
Geschichte der einzelnen Herrscher in Betracht, die hier ebensowenig
aufgeführt werden kann wie die Literatur zur Geschichte der einzelnen
Höfe, unter der ja seinem Umfang nach das berüchtigte Werk Vehses,
Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation 1851—1858, 48 Bde.,
den ersten Platz einnimmt. Für Frankreich ist noch besonders zu nennen:
Saval, Les galanteries des rois fran^ais sous plusieurs races.
Die Maitresseuwirtschaft der französischen Haute finance schil-
dert sehr eingehend: H. Thirion, La vie privee des financiers au
XVIII. sc. 1895.
Eine Spezialliteratur bezieht sich auf die Schilderung der
S alon s in den verschiedenen Ländern und zu den verschiedenen Zeiten.
Selbst der Cocu hat eine ziemlich umfangreiche Literatur ins
Leben gerufen. Man findet sie zusammengestellt bei G. Klemm, Die
Frauen, Bd. 2 (1859), 355.
Hierher gehören auch die (freilich sehr wenig ergiebigen) all-
gemeinen Werke über die Geschichte der Frauen: Comte
de S e g u r , Les femmes. 3 Vol. 1803. G. K 1 e m m , Die Frauen. Kultur-
geschichtliche Schilderungen des Zustandes und Einflusses der Frauen
in den verschiedenen Zonen und Zeitaltern. 6 Bde. 1859. (Der Titel ist
das beste an dem Buch; in Betracht kommt nur Band 2.) H. Scheu be,
Quellen und Literatur 47
Die Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. 2 Bde. 1876. Ferner die
bekannten Bücher von Scherr, Henne am Rhyn usw.
Auch in den allgemeinen „Sittengeschichten" findet sich
mancherlei. So in den Büchern von R.Günther z.B. Kulturgeschichte
der liiebe. 1899; von Eduard Fuchs, Illustrierte Sittengeschichte vom
Mittelalter bis zur Gegenwart; Renaissance 1909; Die galante Zeit 1910
(dazu P^rgiinzungsbände, die die Obszönitäten enthalten), wertvoll wegen
der Abbildungen; von E. Dühren, Sittengeschichte Englands. 2. Aufl.
2 Bde. 1912 u. a.
Selbstverständlich gehört auch hierher ein großer Teil der kunst-
historischen Literatur, die ich aber unmöglich im einzelnen auf-
zählen kann. Nur auf ein Buch will ich hinweisen, weil es einem
Zwischengebiet angehört und darum besonders lehrreich ist: Virgile
Josz, Fragonard: Mceurs du XVIII. siecle. 1901.
Geringe Ausbeute gewähren, weil des historischen, hier allein
interessierenden Gesichtspunkts meist ganz entratend, die zahlreichen
Schriften der Gegenwart über „Die Liebe", über „Sexualprobleme", über
„Die Ehe" usw. Eine gute Einführung in diese Literatur bietet jetzt
das Buch von Max Rosenthal, Die Liebe, ihr Wesen und ihr
Wert. 1912.
Endlich sei auch noch auf die Werke über die Geschichte der
Prostitution verwiesen, unter denen das des Franzosen Dufour das
bekannteste ist. Deutsch von Adolf Stille und Bruno Schweiger
und bis zur Neuzeit ergänzt von Franz Helbing. 5. Aufl. 1910.
6 Bände. Dank der sittenstrengen Auffassung ihrer Verfasser, nach
der alle nicht standesamtlich beglaubigten oder kirchlich eingesegneten
Liebesbeziehungen „Prostitution" sind, so daß also Lucrezia Borgia
ebenso wie die Madame d'Etoiles unter die „Prostituierten" rubriziert
werden, erstreckt sich diese Geschichte sachlich recht weit. Leider ist
die Darstellung dafür im einzelnen meist sehr flüchtig und nicht durch-
weg quellenmäßig.
BibHographien der „galanten" und obszönen Literatur: Hugo
H a y n , Bibliotheca Germanorum erotica. Verzeichnis der gesamten
deutschen erotischen Literatur usw. 2. Aufl. 1885 und (wichtiger)
Bibliotheca erotica et curiosa Monacensis, Verzeichnis französischer,
italienischer, spanischer, englischer, holländischer und neulateinischer
Erotica und Curiosa. 1887. Bibliographie des ouvrages relatifs ä
l'amour, aux femmes, au mariage et des livre sfacetieux, pantagru^liques,
scatalogiques , satyriques etc. p. M. le Cte. D'l***. 4 ed., p. J. Le-
monnyer. 4 vols. Paris 1894—1900. Das Hauptwerk: 4595 Spalten
Lexikonformat umfassend !
i
4g Drittes Kapitel: Die Säkularisation der Liebe
I. Der Sieg des Illegitimitätsprinzips in der Liebe
Ich wüßte nicht, welches Ereignis für die gesamte Lebens-
gestaltung der alten und neuen Gesellschaft wichtiger gewesen
wäre als die Wandlungen, die die Beziehung der Geschlechter
zueinander seit dem Mittelalter bis in die Zeit des Rokoko
hinein durchmachen. Insbesondere das Verständnis für die
Genesis des modernen Kapitalismus ist engstens gebunden an
eine richtige Würdigung jener grundstürzenden Veränderungen,
die die Erledigung dieser wichtigsten Angelegenheit erfährt.
Um einen solchen zunächst inneren Prozeß, wie es die
Wandlungen in den Anschauungen über Liebe und Liebes-
beziehungen sind, zu erfassen, stehen uns zwei Wege der
Erkenntnis offen: Äußerungen repräsentativer Männer (und
in diesem besonderen Falle auch ebensolcher Frauen) und
konkludente Handlungen Beteiligter. Die „Äußerungen''
können sehr mannigfaltiger Art sein: sie können ex professo
in Traktaten gemacht sein, die von der Liebe handeln,
„ne'quali si ragiona d'amore", wie es in den Asolani heißt;
es können aber auch Dichtungen oder Werke der bildenden
Kunst sein, in denen sich der „Geist der Zeit" widerspiegelt.
Daß dieser „Geist der Zeit" auch (und gerade) in diesem
Falle immer nur der „Geist" einer ganz bestimmten Gesellschafts-
schicht ist, hier also der Hof- und Adelsgesellschaft und derer,
die ihr nacheiferten, versteht sich von selbst. Das Liebes-
leben der Bürger entwickelt sich in grundsätzlich entgegen-
gesetzter Richtung als das der Kavaliere (und gebiert den
kapitalistischen Unternehmer am Ende).
Wie Wellen im Meere löst eine Lebensgestaltung die
andere ab. Die Welle, die uns jetzt trägt, hat mit der,
deren Emporsteigen und Niederfallen wir hier verfolgen wollen,
nichts zu tun: sie kommt aus den Zunftstuben und aus den
Predigten Calvins und John Knoxens her. dorther, wo alle
Begriffe von bürgerlicher Wohlanständigkeit ihren Ursprung
Der Sieg des Illegitimitätspiinzii)s in der Liebe 40
haben. Aber selbst innerhalb eines und desselben Kulturkreises
verläuft die Entwicklung nicht in einer völlig geraden Linie:
die Richtung wird hier und da abgelenkt durch Gegen-
tendenzeu. Und nur im ganz großen Überblick können wir
von einer grundsätzlich einheitlichen und gradlinigen Ent-
wicklung sprechen, die die Auffassung von der Liebe und
ihre Betätigung in unserer Epoche (immer: seit den Kreuz-
ziigen bis zu den drei Walzen Pauls oder der Einbürgerung
des Kokesverfahrens) durchlebt haben.
Das europäische Mittelalter hatte das kosmische Phänomen
der Liebe zwischen den beiden Geschlechtern wie alles mensch-
liche Tun in den Dienst eines Höheren : Gottes gestellt. Sei es
in der Weise, daß die irdischen Liebesgefühle unmittelbar ihre
religiösen Weihen empfingen und auf überirdische Ziele abgelenkt
wurden (wie im Mariakultus), sei es, daß die Liebe institutionell
gebunden und die sie bindende Institution (die Ehe) als gott-
gewollte und gottgesegnete Einrichtung (das heißt also als
Sakrament) anerkannt wurde. Alle nicht gottgeweihte oder
institutionell gebundene Geschlechtsliebe war mit dem
Stigma der „Sünde" gebrandmarkt worden.
Eine grundsätzlich andere Auffassung vom Wesen der
Liebe dringt in weitere Kreise wohl zuerst in den Jahr-
hunderten des „Minnesangs" ein; das heißt also etwa seit
dem 11. Jahrhundert, das ja für die Verweltlichung der
Lebensführung in jeder Hinsicht den Anfang bildet: das
Schreckensjahr 1000 war überstanden, neue Silbergruben
wurden erschlossen, und die Beziehungen zum Orient fingen
an , breiter und enger zu werden. In der Provence , die im
11. und 12. Jahrhundert, wie man es ausgedrückt hat, einem
„mitten im stürmischen Meere ruhig und heiter blühenden
Eilande" glich, erklangen zuerst wieder die Töne einer freien,
irdischen Liebe in den Liedern der Troubadours, die seit
etwa 1090 ihren Anfang nahmen, um von der Mitte des 12.
bis um die Mitte des 13. Jahrhunderts ihre Blütezeit zu er-
Sonibart, Luxus und Kapitalisuius 4
50 Drittes Kapitel: Die Säkularisation der Liebe
leben. Auf sie folgen die deutschen Minnesänger, folgt vor
allem in Italien eine große Schar von lyrischen Dichtern, die
von nichts als von der Liebe singen: nicht weniger als 126
solcher Liebessänger aus dem Jahrhundert vor Dante begegnet
man in einer der Sammlungen, die ich gerade zur Hand
habe ^^
Uns erscheint heute der ganze Minnesang unwahr, ge-
drechselt, verkünstelt. Aber gerade darin erweist er sich als
der natürliche erste Anfang moderner Liebe. Es ist aus-
gesprochene Pubertätserotik, die in der Verhimmelung der
Geliebten, im Schmachten und Stöhnen, im Schwärmen und
Anbeten sich erschöpft. Den festen Boden natürlicher Sinn-
lichkeit betreten wir erst im Trecento, und wir vermögen
nicht einmal mit Bestimmtheit zu sagen, ob die Lebenskreise
der Minnesänger sich unmittelbar fortsetzen in der Gesell-
schaft, die wir etwa um den päpstlichen Hof in Avignon oder
um Boccaccios Fiametta versammelt finden. Will man einem
Gewährsmann wie Ulrich von Lichtenstein Glauben schenken,
so wäre die liebesfreudige Zeit des Minnesangs eine Episode
gewesen, die im 13. Jahrhundert ihr Ende erreicht hätte. In
seinem Vrouwenbuch (1257) klagt er, daß die Frauen nicht
mehr so unbefangen wie früher mit den Männern verkehrten:
sie trügen keine schönen Kleider mehr, verdeckten das An-
gesicht mit dichten Schleiern und hängten sich Rosenkränze
frömmelnd um den Hals. Es ist ihnen, meint Ulrich von
Lichtenstein, der frohe Lebensgenuß, der die frühere Zeit so
liebenswürdig machte, schon fremd geworden. Die Männer
haben allein an der Jagd ihre Freude, brechen frühmorgens
mit ihren Hunden auf, kommen müde am Abend heim, und
statt sich ihren Frauen oder Damen zu widmen , verbringen
sie ihre Zeit am Würfelbrett und trinken mit ihren Ge-
sellen *^
Vielleicht gilt das aber auch nur für Deutschland, das
ja (bis auf wenige Ausnahmen) für die Geschichte der Liebe
Der Sieg des Illegitimitätsprinzips in der Liebe 51
überhaupt erst wieder in einer ganz anderen Epoche (Weimar!)
in Betracht kommt. In den südlichen Ländern wird man
eher an eine Kontinuität der Entwicklung von den Troubadours
an glauben dürfen. Jedenfalls erscheint uns eine Stimmung,
wie sie etwa den ,,Dekameron" beseelt, als die unmittelbare
Fortsetzung der Schwärmerei in den vergangenen Jahr-
hunderten: es ist die Reaktion der gesunden Sinnlichkeit
gegen einen überspannten Idealismus, die sich aber zunächst
auch noch in kindlichen Formen äußert: die Reize des Ge-
schlechtsgenusses werden gleichsam neu entdeckt, und das
Lüften von Schleiern und Gewändern bereitet ungeahnte
Seligkeiten. Der Grundton, auf den alles gestimmt ist, klingt
etwa aus diesen Worten der frommen und lüsternen Nonne
bei Boccaccio heraus: „ed io ho piü volte a piü donne che
a noi son venute udito dire , che tutte 1' altre dolcezze del
mondo sono una beffe a rispetto di quelhi quando la femmina
usa con V uomo". Das Weib erscheint in der Vorstellung
des Mannes noch immer bekleidet: wir wollen uns erinnern,
daß der „Dekamerone" in der Zeit Giottos entstanden ist.
Gleichsam Vorboten der neuen Auffassung sind in der
Kunst die wieder lebenswahren Darstellungen des nackten
Menschen im Rahmen der religiösen Mythe, also namentlich
Adams und Evas ^^ : hier zeigen uns die Bilder und Bildnisse
aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts schon deutlich,
daß die Augen wieder Fleisch und Blut zu sehen angefangen
haben. Jan und Hubert van Eycks Adam und Eva auf den
Flügeln des Altars in der S. Bavokirche in Gent (jetzt im
Museum in Brüssel), Jacopo della Quercias Reliefs an den
Türpfosten von S. Petronio in Bologna (um 1425 entstanden),
Masaccios Fresken in der Capella Brancacci der Kirche Santa
Maria del Carniine zu Florenz, vor allem aber Ghibertis
(1378 — 1458) Reliefs an den Erztüren am Baptisterium in
Florenz sind wie die Morgenröte einer neuen Zeit.
4*
r^2 Piittes Kapitel: Die Säkularisation der Liebe
Aber erst das spätere Quattrocento sieht die Frau nackt
als Weib und entdeckt die intimen Schönheiten des weiblichen
Körpers und schöpft die Heize der sinnlichen Liebe ganz
aus. Man kämpft um die Liebe und um die Frau : die Maler
malen mit Vorliebe den „Kampf der Liebe und der Keusch-
heit" (Pietro Perugino, Sandro Botticelli), aber der Ausgang
ist nicht zweifelhaft: in den Fresken, die im Palazzo Schifanoia
Francesco Cossa malt, im Frühling Botticellis, in seiner Ge-
burt der Venus bricht die Liebe zum Weibe und seiner
Schönheit siegreich durch.
Was Laurentius Valla in seinem Traktat über die
Lust (1431) theoretisch gleichsam ausgesprochen hatte, das
tritt uns nun als Empfindung des wirklichen Lebens aus den
Werken der Maler und Dichter bildhaft entgegen : „Was gibt
es Süßeres, was Ergötzlicheres, was Liebenswerteres als ein
schönes Gesicht? Sicherlieh kann auch der Eingang zum
Himmel nicht lieblicher ausschauen." („Quid suavius quid
delectabilius, quid amabilius venusta facie? Adeo vix ipse
in coelum intuitus iucundius esse videatur.")^^ Valla ent-
rüstet sich, daß die Frauen ihre schönsten Körperteile nicht
nackt zur Schau tragen: wie er den Frauenkörper schildert,
mutet an wie die schönsten Strophen im „Hohen Lied" —
von Heinrich Heine. (Hundert Jahre später hätte übrigens
Valla schon erheblich mehr von seinen Forderungen erfüllt
gefunden.) Firenzuola hat dann im Cinquecento das Schön-
heitsideal der neuen Zeit gleichsam kanonisiert^^. Lieben aber
heißt, diese Schönheiten genießen: „Nichts anderes ist die
Liebe als Genuß ; wie ich den Wein , das Spiel , die Wissen-
schaft liebe, so liebe ich die Frauen; das heißt: ich werde
durch Wein, Spiel, Wissenschaft und Frauen ergötzt. Ge-
nießen ist aber der letzte Sinn des Lebens: man genießt
nicht nur irgendeines dahinterliegenden Zweckes willen: der
Genuß selbst ist der Zweck." („Neque aliud est amor quam
delectatio: ut amo vinum, amo ludos, amo scientiam, amo
Der Sieg des Illegitiinitiitsprinzips in der Liebe 53
mulieres: hoc idem est quod delectari vino ludis, scientia,
mulieribus. Delectatio autem ultima rerum est omnium:
neque quis ob aliquein tinem delectatur, sed ipsa delectatio
est finis ..." ^^) Die Liebe wird zum Inhalt des Lebens.
Die Dichter widmen ihre Werke alle der Liebe und den
Frauen : Boiardo, Poliziano, Ariosto :
„Le doune, i Cavalier, l'arme, gli amori
Le cortesie, raudaci imprese io canto"
könnte über der Eingangspforte zu dieser Zeit stehen, die
(wie wiederum Ariosto singt):
„ . . . Sino agli occhi ben nuota nel golfo
Delle delizie, e delle cose belle" . . .
„bis zu den Augen in einem Meer von Wonnen und schönen
Dingen schwimmt ..."
Die Liebe peitscht die Menschen durchs Leben , wie es
uns ein Holzschnitt im Poliphilo (1490) symbolisch vor Augen
stellt.
Eines der farbigsten Bilder von dem verliebten Wesen jener Zeiten
zeichnet uns Thomaso Garzoni im 97. Discorso seiner „Piazza uni-
versale", die Alfonso II von Este gewidmet ist: ... „Non sanno i miseri
quante calamitä si coprono sotto quel nome d' amiche e di signore, le
quali non dirö ch' amino ne che riveriscono, ma ch' adorano come lor
dive principali, sopra le quali formano tanti caprici, fabricano tante
chimere, disegnano tante vanitä, che al fine co' mal posti fondamenti
tutta la macchina d' amore ruina in un pelago di miseria e di sciagura.
. . . Queste sono pur gl' Idoli loro, i lor numi celesti, le dee del terzo
cielo, le gratie dal ciel dicese, le belle ninfe leggiadre, il choro virgineo
di Diana, alle quali per sacro incenso offeriscono lagrime cooenti, per
thuriboli cori afflitti, per hostie e per vittime 1' alme accovate, per
orationi pietosi scongiuri, per hinni gli amorosi sonetti e madrigali, per
simulacri 1' imagini de' volti pallide e smarrite, per oblationi una servitü
da caue, che non teme il freddo, non ha paura del caldo, non si sbi-
gottisce di notte, non si smarisce il giorno, non si attrista per pena, non
si dispera per cruccio, non manca per ripulsa, non resta per schemo,
non fa conto de' torti, non riguurda ä gli oltraggi, non stima i danni,
non cura le vendette essendo cieca et mutola nel jiroprio interesse come
un morto . . . vogliono seguir queste fiere, darsi in preda a queste orse,
g^ Drittes Kapitel: Die Säkularisation der läebe
servitü a queste panthiere, amare queste tigri" ec. ec. Das glitzert und
glänzt so seitenlang weiter, wie ein Sturzbacb, daß man versucht ist, das
ganze Kapitel abzuschreiben. Übrigens sieht man, wie sehr sich der
brave Garzoni die Flügel verbrannt haben muß, wenn er soviel Weisheit
in Liebessachen aufgehäuft hatte.
Das Jahrhundert Tizians bricht an, in dem die Seele und
die Sinne zu nie gekannter Harmonie zusammenfließen, in
dem die Frauen lieben — die Schönheit lieben und die Schön-
heit lieben — leben bedeutete. Zu welcher unerhörten Feinheit
das Liebesleben ausgebildet war, sehen wir noch besser fast
als aus den Werken der Dichter und Maler und Bildhauer
aus dem „theoretischen Traktat" von der Liebe, den diese Zeit
hervorgebracht hat: aus den Asolani Pietro Benihos. „Ursach
aller Dinge ist die Liebe", lesen wir da; „das Süßeste über
alle süßesten Dinge hinaus ist die Liebe" (giovevolissimo e
Amore sopra tutte le giovevolissime cose) ^*. Und was ist die
Liebe: alle Weisen stimmen dahin überein, daß Liebe nichts
anderes sei als die Sehnsucht nach dem Schönen (di bellezza
desio). Die Schönheit aber ist nichts anderes als die Grazie,
die aus der Wohlgestalt und Übereinstimmung und Harmonie
in den Dingen erwächst (una gratia che di proportione e di
convencnza nasce et d' harmonia nelle cose). Für Körper und
Geist gilt dasselbe: „So wie der Körper schön ist, dessen
Glieder in gutem Verhältnis zueinander stehen, so ist jener
Geist schön, dessen Tugenden unter sich harmonieren . . ."
„Die Liebe streckt die Flügel aus nach der Schönheit ..."
„Und zwei Fenster öffnen sich ihr bei diesem Fluge: das Ohr,
durch das sie zur Seele fliegt, das Auge, das sie zum Körper
trägt" (A quäl volo egli due finestre ha ; 1' una che a quella
deir animo lo manda e questa 6 V udire : V altra che a quella
del corpo lo porta et questa 6 il vedere" ^^.
Damals war wohl Italien das einzige Land, in dem der
Kultus der Liebe und der Schönheit eine Stätte gefunden
hatte: Frankreich war noch im Puppenstande. Montaigne
beklagt sich bitter über das Ungeschick der Franzosen in der
Der Sieg des Illegitimitätsprinzips in der Liebe 55
Gestaltung des Liebeslebens : „II y a tousiours de l'imp6tuosite
frangoise" : das jüngere Frankreich war noch zu stürmisch,
um alle Freuden der Liebe, wie es Montaigne gerne sieht,
auskosten zu können. Er rühmt neben den Italienern die
Spanier als Meister des Liebesgenusses: „pour arrester sa
fuyte et Testendre en pröambules entre eulx, tout sert de
faveur et de röcompense: une oeillade, une inclination, une
parole, un signe ..."
Aber das sollte sich gründlich ändern. Mit den Valois
kommt italienische Kultur nach Frankreich und mit dieser
der Frauendienst. Schon Brantome rühmt die französische
Liebeskunst. Unnötig zu sagen, daß im 17. und 18. Jahr-
hundert Frankreich die hohe Schule der Liebe wird, die es
bis heute geblieben ist. Daß in Frankreich aber erst das
Liebesleben seine letzte Verfeinerung bis zur Perversität er-
hält, und daß das Leben um der Liebe willen ja recht eigent-
lich der Sinn des 18. Jahrhunderts wurde, das in Paris seinen
Geist zu höchster Vollendung entwickelt hat. In den Fragonard,
Boucher. Grenze kulminiert die Zeitepoche, die mit Boccaccio
und Pietro Perugiuo begonnen hatte; oder richtiger: lebt sie
sich aus, denn den Höhepunkt bezeichnen doch vielleicht die
Tintoretto, Rabelais, Ariost und Rubens. Die Theoretiker
der Liebe, die zurzeit der Minnesänger Cappellanus, dann
Laur. Valla, dann Bembo gewesen waren, werden Brantome
und R6tif de la Bretonne und schließlich wohl der Marquis
von Sade.
(Das scheint ja eine notwendige Entwicklung zu sein, die
sich nun schon in zahlreichen Kulturen fast gleichmäßig ab-
gespielt hat: die „Emanzipation des Fleisches" beginnt mit
schüchternen Tastversuchen: dann folgt eine Epoche starker,
natürlicher Sinnlichkeit, in der ein freies, naives Liebesleben
zu voller Entfaltung gelangt. Dann kommt die Verfeinerung,
dann die Ausschweifung, dann die Unnatur. Auch in diesem
notwendigen Kreislauf scheint die tiefste Tragik des Menschen-
56 Drittes Kapitel: Die Säkularisation der Liebe
Schicksals eingeschlossen zu sein: daß alle Kultur, weil sie
Abkehr vom Natürlichen ist, auch Auflösung, Zerstörung,
Tod bedeutet.
„Ein wenig besser würd' er leben,
Hätt'st du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennt's Vernunft und braucht's allein,
Um tierischer als jedes Tier zu sein.")
Offenbar stand nun aber diese rein hedonistisch-ästhetische
Auffassung vom Weibe und der Liebe zu ihm, wie sie seit
dem Trecento allmählich zum Durchbruch kam, in einem un-
versöhnlichen Gegensatze zu der religiösen oder institutionellen
Bindung, in die man ehedem die Liebe eingeschlossen hatte.
Allenfalls verträgt sich mit einer degagierten Ansicht von der
Liebe noch der religiöse Wahn. Das wundervolle Gedicht,
das man dem heiligen Franz von Assisi zuschreibt und das
mit den Worten beginnt:
In foco r Amor mi mise:
in foco 1' Amor mi mise:
in foco d' amor mi mise
II mio Sposo novello . . .
könnte von jedem menschlich Liebenden geschrieben sein. Und
die Ekstasen der Mariaanbetung sind sicherlich der „freien
Liebe" jener Zeit nicht fern gewesen. Aber womit diese
sich nie und nimmer abfinden konnte, war die institutionelle
Einkleidung des Liebeslebens in die Ehe. Der kosmische
Liebesinstinkt bindet sich ebensowenig wie der raffinierte
Liebesgenuß an eine von dem Gesetze gezogene Schranke:
er ist seiner Natur nach illegitim oder, richtiger, a-legitim.
Und die Eigenschaft einer Frau, Weib zu sein und schön und
liebenswert zu sein, gewinnt weder noch verliert sie an ein-
dringlicher Kraft durch irgendeine menschliche soziale Ein-
richtung, wie es die Ehe ist.
Diese Erwägung, daß in der Ehe zwei vollständig hetero-
gene Dinge zusammengebracht seien: Liebe und Ordnung,
Der Sieg des Illegitimitätsprinzips in der Liebe 57
mußte sich den Männern , die über das Liebesproblem ihrer
Zeit nachdachten, alsbald aufdrängen. Und wir finden denn
auch bei allen „Theoretikern" der Liebe dieses Problem ein-
gehend behandelt. Einer der ersten, der aus seiner natiir-
lichen Auffassung von der Liebe die Konsequenz zog und die
Beziehungen der Geschlechter für a-legitim erklärte, war wohl
LaurentiusValla. Er spricht es unumwunden aus, daß
es keinem ^leuschen etwas angehe, wenn zwei sieh lieben
wollen: „si mulier mihi et ego mulieri placeo, quod tu tan-
quam raedius nos dirimere conaberis^^»?" Folgeweise kann es
aber auch keinen Unterschied machen, meint Valla, ob eine
Frau mit ihrem Manne oder mit dem Geliebten Umgang pflege :
„omnino nihil interest, utram cum marito coeat mulier aut
cum amatore."
Diese Auffassung tritt dann am deutlichsten in der schönen
Literatur, namentlich in dem leichten Genre, zutage : hatte
Boccaccio doch noch immer einen gewissen Respekt vor der
Ehe zur Schau getragen, so gilt nun die Verspottung der
Ehe, gilt die Lächerlichmachuug des betrogenen Ehemannes
nicht nur als erlaubt, sondern gehört geradezu zum guten
Ton. Selbst in den minder lasziven Novellen, deren Reihe
Piccolomini mit dem Euryalus begann, und in den minder
obszönen Komödien ist der Ehebruch doch immer „das herr-
schende Motiv" ^^.
Einen Schritt weiter, den letzten in dieser Gedanken-
richtung, tat dann Montaigne: wenn Liebe Genuß ist und
die Ehe eine soziale oder kirchliche Einrichtung, die viele sehr
edle Zwecke verfolgt (Montaigne spricht nur mit größter Ehr-
erbietung von der Ehe und kommt gerade wegen der hohen
Meinung, die er von der Ehe hat, zu seiner radikalen Ansicht
von dem Verhältnis der Liebe zur Ehe), so ist die Verwirk-
lichung der Liebessehnsucht nicht nur nicht unabhängig von de;-
vorhergegangenen Ehelichung; die beiden Dinge: Liebe und Ehe
schließen sich vielmehr aus. Er begründet seine Auffassung
^g Drittes Kapitel: Die Siikularisatiou der Liebe
■wie folgt : Die Liebe haßt es, daß man sich an etwas anderes
hält als an sie, und hat nicht gern etwas gemein mit Be-
ziehungen, die aus einem ganz anderen Grunde geknüpft sind
wie es die Ehe ist, bei deren Eingehung Verbindung und
Vermögen mindestens so schwer ins Gewicht fallen wie Reize
und Schönheit. Mau heiratet nicht seinetwegen, sondern
ebensosehr, wenn nicht mehr, um der Nachkommenschaft, um
der Familie willen. So heißt es denn eine Art von Incest
begehen, wenn man in diesem ehrwürdigen und heiligen Bunde,
der die Ehe ist, den Extravaganzen der Liebesleidenschaft
eine Stätte bereitet. Eine gute Ehe weist die Gesellschaft
der Liebe zurück und will die Freuden der Freundschaft ge-
nießen. Lieben und sich binden sind zwei grundverschiedene
Dinge, die einander ausschließen.
Die Hauptstellen, in denen Montaigne diese Ansichten
ausspricht und die ich dem Sinne nach wiederzugeben ver-
sucht habe, lauten im Original folgendermaßen^^: „L'amour
hait qu'on se tienne par ailleurs que par luy, et se mesle
lascheraent aux accointances qui sont dressees et entretenues
sous aultre tittre comme est le mariage : l'alliance, les moyens
y poisent par raison, autant ou plus que les graces et la
beaut6. On ue se marie pas pour soy quoiqu'on die; on se
marie autant, ou plus, pour sa posterit6, pour sa famille.
Aussi est ce uue espece d'inceste, d'aller employer, ä ce
parentage venera ble et sacre, les eiforts et les extravagances
de la liceuce amoureuse ... Un bon mariage . . . refuse sa
compaignie et couditions de Tamour : il tasche ä se presenter
Celles de l'amitie . . ." „Nous airaous sans nous empescher
deux choses diverses et qui se contrarient."
Was Tizian und Giorgione malten, was Ariost und
Rabelais dichteten, das war in diesen Ansichten zur Theorie
gestaltet worden : die Liebe, die in sich selbst ihren höchsten,
ja einzigen Sinn fand, mußte mit Notwendigkeit außerhalb
und jenseits aller Einrichtungen hausen, die von Menschen
Die Kurtisane 59
ZU irgendwelcheu sozialen oder moralisclien Zwecken ins
Leben gerufen waren, mochten sie auch die Weihe der Kirche
emi)fangen liaben.
Wichtiger aber und entscheidend für den Kulturgang war
es, daß die Gesellschaft jahrhundertelang dieser Auffassung
gemäß gelebt hat, daß jahrhundertelang in bestimmten
Schichten sich wie selbstverständlich Ehe und Liebe trennten
und jede für sich mit gleicher Berechtigung nebeneinander
bestanden , womit ja im Grunde nur die Lebensgewohnheiten
des griechischen (und spätrömischen) Altertums wieder auf-
genommen wurden. Das müssen wir im folgenden noch etwas
genauer verfolgen, insbesondere insoweit es der europäischen
Gesellschaft das Hetärentum brachte.
II. Die Kurtisane
Wenn in einer Gesellschaft die freie Liebe sich neben
der gebundenen Liebe einzunisten beginnt, so sind die Frauen,
die dieser neuen Liebe dienen, entweder verführte Mädchen
anständiger Familien und Ehebrecherinnen oder Huren. Wie
sehr in den Oberschichten der europäischen Völker seit den
Minnesängern die rein erotisch orientierte Liebe an Bedeutung
zugenommen hat, müssen wir also aus der Zunahme der Ver-
führungen, des Ehebruchs und der Prostitution entnehmen.
Ziffern für die beiden ersten Formen der freien Liebe
stehen uns nicht zur Verfügung. Aber wir können aus den
Urteilen der Zeitgenossen wie auch aus mancherlei Anzeichen
recht wohl schließen, daß sie in der Tat all die Jahrhunderte
hindurch eine wichtige Rolle gespielt haben. Petrarca meint,
daß zu seiner Zeit die Pest des Ehebruchs recht eigentlich
erst zum Ausbruch gekommen sei. Jetzt gehöre es zum
guten Ton, daß ein junger Mann eine verheiratete Frau ver-
führe : vorher sei er nicht glücklich, weil er von seinen Alters-
genossen verachtet werde. Daher komme dann jener fieber-
hafte Hunger nach galanten Abenteuern bei den jungen
(30 Drittes Kapitel: Die Säkularisation der Liebe
Mänuern, der gar nicht eigentlich dem sinnlichen Bedürfnis
als vielmehr dem Ehrgeiz entspringe. Meist lohne auch der
Erfolg gar nicht den großen Aufwand an Mühe.
Ich setze die denkwürdigen Worte hier im Originaltext her, ^eil
sie den Geist der Zeit vortrefflich widerspiegeln und meines Wissens
noch von niemandem verwertet worden sind:
„Quae tunc pestis incipiens nunc adeo certa est, ut adolescens cui
non feliciter adulterium successerit, quamvis dives, quamvis formosus
ac nobilis, coaevorum iudicio inter miseros habeatur, quasi abiectus ac
repulsus non pudicitia sed contemptu; et quasi dilectio castitatis con-
vicium sit amantis. Hinc ille iuvenum fervor et sollicitudo improba,
tanquam non de libidine sed de gloria sit certamen: hinc labores, hinc
suspiria, hinc repentinae repulsae amarissimae: saepe tamen successus
amarior."
Petrarca, Ep. de reb. fam. ed. Fracassetti L. IX, op. IV, 2 (1862), 10.
Das ist dieselbe Zeit, in der man in Fürstenkreisen sich
der illegitimen Geburt nicht mehr schämt, sondern anfängt,
sich ihrer gar noch zu rühmen, wie uns das Burckhardt
und C i b r a r i 0 an zahlreichen Beispielen nachgewiesen
haben.
Von da ab bis zum Ende unserer Epoche blieb dann
der voreheliche oder zwischeneheliche Geschlechtsverkehr eine
ständige Ergänzung des ehelichen in allen Kreisen, die etwas
auf sich hielten. Unnötig, Belege aus zeitgenössischen Lebens-
schilderungen anzuführen: jede gewöhnliche „Sittengeschichte"
ist voll davon. Auf ein wichtiges Symptom will ich nur hin-
weisen, das uns den Ehebruch schon wieder — möchte man
sprechen — als soziale Institution erscheinen läßt: die
Legitimisierung des Hahnreis , wie sie etwa in Italien im
Quattrocento, in Frankreich seit Franz I. sich ereignet.
Auch daß die Prostitution seit dem Mittelaitsr an Um-
fang und Bedeutung zunimmt, ist eine bekannte Tatsache.
Vor allem werden natürlich die Großstädte ihr Sitz. Von
Avignon angefangen, bis sie in London und Paris kulminiert:
Avignon wird von einer wahren Flut von Dirnen überschwemmt,
klagt wieder Petrarca in seinem herrlichen Lateinisch. Und
Die Kurtisane (jl
dann ist lange Zeit Rom berühmt wegen der Fülle von
Puellae publicae, die sich in seinen Mauern aufhielten: 1490
weist eine ziemlich zuverlässige Statistik 6800 Meretrices
nach. Das wären verhältnismäßig noch mehr (Rom hatte da-
mals noch nicht 100000 Einwohner), als uns für London und
Paris am Ende des 18. Jahrhunderts angegeben werden :
50000 und 30000.
Aber wichtiger für die Gestaltung namentlich der äußeren
Kultur ist die Tatsache geworden, daß sich in dem Maße,
wie die illegitime Liebe, das heißt die Liebe als Selbst-
zweck, sich ausbreitet, zwischen die Femme honnete und
die Putaine eine neue Schicht von Frauen schiebt, für
die wir die verschiedensten Bezeichnungen in den roma-
nischen Sprachen haben (die deutsche und wohl auch eng-
lische Sprache hat dafür keinen einzigen Ausdruck, wenn
man nicht den unbestimmten Ausdruck „Buhlerin" gelten
lassen will, ein Zeichen, daß die Sache selbst entweder ganz
auf die Länder romanischer Zunge beschränkt geblieben oder
von dort zu uns hereingebracht ist): Cortegiana, Kurtisane,
Konkubine , Maitresse , Grande Amoureuse , Grande Cocotte,
Femme entretenue usw.
Mit diesen Frauen tritt die Liebe , die zu einer freien
Kunst geworden ist, wieder aus dem Stadium des Dilettan-
tismus heraus und wird der Pflege Berufener überantwortet.
Wie zu jeder Kunst Talent und Übung gehören, so in ganz
hervorragendem Maße zur Liebeskunst, weshalb diese erst
zu ihrer vollen Entfaltung gelangen konnte, nachdem durch
einen natürlichen Ausleseprozeß die talentvollen Frauen aus
der Masse herausgehoben und diesen Gelegenheit geboten
worden war, durch ausschließliche Beschäftigung mit dieser
Kunst sieh zu Meisterinnen in ihr auszubilden.
Kurtisane, Cortegiana bedeutet zunächst nichts anderes
als Hofdame. Es gab Hofdamen mit lediglich legitimen Liebes-
beziehungen auch. In dem dritten Briefe seines Buches über
(52 Drittes Kapitel: Die Säkularisation der Liebe
den Hofmaun, das Castiglione der Cortegiana gewidmet
hat, wird von Magnifico sogar die Ansicht vertreten: die Liebes-
beziehungen der Hofmänner und der Hofdamen sollten nur
legitime sein. Freilich, „lächelnd", „ridendo" widersprachen
ihm die meisten aus seinem Kreise : sie werden gewußt haben,
weshalb: daß die Forderung Magnificos recht weit von der
Wirklichkeit entfernt sei. Frühzeitig aber muß die illegitime
Liebesbeziehung feinerer Frauen und der Verkehr bei Hofe
identifiziert worden sein. Ich vermute, daß bei der Heraus-
bildung dieser Vorstellung das Hofleben an den päpst-
lichen Residenzen starken Einfluß gehabt hat. In Avignon
(wo vielleicht die moderne Kurtisane entstanden ist) lebte
ein Kreis geistvoller und schöner Frauen am Hofe des Papstes
und der hohen Kirchenfürsten. Man hat geradezu von „aca-
dömies de femmes aimables" gesprochen , und man braucht
nur an Namen wie Mabille de Villeneuve, Briaude d'Agoult,
Huguette de Forcalquier, Beatrix de Sault, Laure de Noves,
Blanche de Flassans , Isnarde de Roquefeuille, Doucette de
Moustiers, Antoinette deCadenet, Magdeleine de Salon, Blanche-
fleur de Pertais, Stöphanette de Gantelme, die schöne Adelise
von Avignon , die Cousine der Laura , zu erinnern , um den
Ausdruck gerechtfertigt zu finden.
Nun konnte aber die Frau in der Umgebung eines
Kirchenfürsten immer nur eine Maitresse sein , sobald sie
(was doch gewiß nicht selten vorkam) mehr als rein geistige
Beziehungen mit den hohen Herren unterhielt. Also mußte
hier schon aus einem rein äußerlichen Grunde die Cortegiana
eine Kurtisane werden.
Was in Avignon begonnen war, wurde in Rom fortgesetzt:
auch hier war die Dame am Hofe von Natur „illegitim".
An den Höfen der weltlichen Fürsten bestand dieser
äußere Zwang zur Illegitimität nicht: der innere Drang er-
setzte ihn aber reichlich. Das Neue der Renaissancezeit war
nicht einmal, daß die Fürsten sich Kebsinnen erkoren: das
Die Kurtisane 63
hatten sie wohl iininer getan. Aber die Bürgermädchen, die
Ludwig XI. von Frankreich sich in sein Bett bestellte, waren
noch längst keine „Kurtisanen": das wurden sie erst, wenn
sie in die Hofgesellschaft aufgenommen worden und als Mai-
tressen des Herrschers offiziell anerkannt waren. Die ersten
Tyrannen, die ihre Konkubinen zum Range von Fürstinnen
erhoben, sollen Bernabö und Giangeleazzo Visconti gewesen
sein. Aber das Reich der Cortegiana bricht doch erst an etwa
um die Zeit, als wir Cossa die Fresken im Palazzo Schifanoia
malen sehen : als der Hof im modernen Sinne mit Frauen und
durch Frauen entstand : von da ab wurde die Galanterie der
Inhalt und der Schmuck des Iloflebens. Kein Hof, so groß
er sein mag, kann Glanz entfalten oder Fröhlichkeit ohne
Frauen, noch kann ein Hofmann etwas von Bedeutung sein
oder tun, ohne von der Frauenliebe erfüllt und angetrieben
zu werden , meint C a s t i g 1 i o n e in seinem Buche über
den Cortegiano („Corte alcuna, per grande che ella sia, non
puö aver' ornamento o splendore in se, nb allegria, seuza donne ;
ne Cortegiano alcun' essere aggraziato, piacevole o ardito, ne
far mai opera leggiadra di cavalleria se non mosso dalla pra-
tica, e deir amore e piacere di donne").
Und daß dabei nicht an eheliche Bündnisse gedacht wurde,
versteht sich bei dem Geist der Zeit wohl von selbst: so
wurde eine Cortegiana nach der anderen zur Maitresse eines
Cortegiano, vom Fürsten angefangen, bis Cortegiana und
Kurtisane (im heutigen Sinne) gleichbedeutend geworden
waren.
Nun beginnt die Zeit der „Maitressenwirtschaft", die also
nach dem Gesagten eine notwendige Begleiterscheinung der
Fürstenherrsehaft, wie nun einmal die Auffassung von der
Beziehung der Geschlechter zueinander sich gestaltet hatte,
war. Großzügig wird das System in dem Maße, wie die kleinen
Höfe von den großen abgelöst werden. Man weiß, daß auch
in diesem wichtigsten Punkte seit der Reformation Frank-
(34 Drittes Kaintel: Die Säkularisation der Liebe
reich die Führung übernimmt: die Geliebten Franz I. sind
die ersten Königsmaitressen, die wir lebendig vor uns sehen.
Dieser König war es ja, der, wie wir sahen, in der Galanterie
den Sinn des Hoflebens erblickte, und „der wichtige Schritt
der Galanterie bestand darin, daß er seine Maitresse ohne
Blödigkeit zur ersten Person des Hofes machte" (Hein-
rich Laube).
In diesen ötfeutlich anerkannten Königsliebchen, die nun
die Welt zu beherrschen anfingen, wurde die ganze Zunft der
berufsmäßigen Venuspriesterinnen gleichsam geadelt. Von der
illegitimen Liebesbeziehung, wenigstens soweit sie bei Hofe
geknüpft wurde, war dadurch auch äußerlich der Makel ge-
nommen.
Aber der Einfluß des Hofes auf alles, was sich zur Ge-
sellschaft rechnete, war während unserer Epoche zu groß,
als daß sich diese Legitimierung der Hlegitimität nicht all-
mählich auch auf die freien Liebesbeziehungen außerhalb des
Hofes hätte ausdehnen sollen.
Frauen fingen an (so könnte man sagen), in den sich
entwickelnden Großstädten auch außerhalb des Hofes wie
Hofdamen zu leben ; so kam die Kurtisane zur Welt, die gar
nichts mit dem Hofe zu tun hatte: als Femme entretenue,
so lange sie (offiziell) nur einem, als Kokotte, wenn sie gleich-
zeitig mehreren Männern ihre Gunst schenkte. Mit dem Be-
griff „käufliche Liebe" kann man innerhalb der Oberschicht
der Puttanen keinerlei Grenzen ziehen.
Auch die Kurtisane, die gar keine war, ist un-
gefähr um dieselbe Zeit geboren, wie ihre höfische Schwester,
die ihr den Namen gab. Und an demselben Orte : in den Groß-
städten Italiens, unter denen namentlich Venedig und Rom
Anteil genommen haben. Die Sterne standen hier besonders
günstig, um einen neuen Frauentyp zu schaffen: der Reich-
tum; die Freude an der Wiederbelebung des Altertums,
dessen Hetären man sieh einbildete , wieder erstehen lassen
Die Kurtisane 65
ZU können; die Größe der Stadt wirkte zusammen mit der
allgemeinen Weitherzigkeit der Zeit (d. h. immer, wohl ge-
merkt: der oberen Gesellschaftsschicht: denn in der Zeit
lebten auch die braven Färbermeister und die ehrsamen
Handelsherren, die sicher den eleganten Kurtisanen mit eben-
solchem Entsetzen in weitem Bogen aus dem Wege gegangen
sind wie heute irgendein Oberlehrer oder ein Geheimer
Rat), um einen Teil der Dirnen, eine kleine Oberschicht, mit
dem Nimbus auserlesener Menschenkinder zu umgeben: das
waren die „ehrenwerten Buhlerinnen", die „honeste corti-
giane", oder „cortesane famose'*, wie sie ein (fragmen-
tarisches) Verzeichnis der römischen Dirnen aus der Zeit
um das Jahr 1500 bezeichnet. Es waren ihrer 200 an
der Zahl, und sie werden den cortesane puttane oder de la
minor sorte gegenübergestellt^^.
Hier ist also mit aller nur wünschenwerten Deutlichkeit
gesagt, daß der Differenzierungsprozeß, von dem ich hier
spreche, sieh vollzogen habe.
Man hat in letzter Zeit viel über die „Cortesane famose"
des Renaissance-Jahrhunderts geschrieben. Eine Menge
Quellen sind neu erschlossen. Man kennt alle berühmten
Kokotten, die damals in Rom, Florenz oder Venedig gelebt
haben, als Sixtus IV. und Alexander VI. und Leo X. regierten,
mit Namen. Man streitet sich sogar über den Grad ihrer
„Bildung", mit der sie prunkten, und über die Güte ihrer
Gedichte, die sie mit mehr oder weniger fremder Hilfe ver-
fertigten. Du lieber Gott — als ob das das Wichtige bei der
Sache wäre. Gewiß war die Bildung nur „Büldung". gewiß
waren die Verse schlecht (wie heute noch). Das mag sein.
Aber darin lag auch nicht die Bedeutung dieser neuen
Menschenspezies, sondern darin, daß eine Tullia d'Aragona
jahrelang einen Filippo Strozzi an der Nase führen konnte,
und daß eine Imperia es verstand, sich jahrelang vom reichsten
Manne Italiens . Agostino Chigi , aushalten zu lassen. Das
Sombart, Luxus und Kapitalismus 5
QQ Drittes Kapitel: Die Säkularisation der Liebe
vermocliten sie gewiß nicht kraft ihrer Verse, sondern dazu
bedurfte es. wie Maupassant es nennt, anderer „qualit^s
rares", über die sie gewiß in reichem Maße verfügten. Und
damit wurden sie zu einer Macht, die auf den Gang der
Kultur gewaltigen Einfluß ausgeübt hat. Nicht, daß ein ver-
liebter Nebenhergeher auf die schöne Imperia eine rühmende
Grabinschrift dichtete: „Imperia, Cortesana Romana, quae
digna tanto nomine, rarae inter homines formae speciraen
dedit", — nicht darin und in ähnlichen Galanterien, sage ich,
tritt die hohe Bedeutung zutage, die die Grandes Amoureuses
zu jener Zeit in Italien offenbar gehabt haben , wohl aber
darin etwa, daß der Kirchenvorstand dieselbe Imperia in der
Kapelle der heiligen Gregoria begraben ließ, oder daß die
Taufe des ersten Sohnes, der Agostino Chigi von seiner neuen
Maitresse, der Yenetianerin Francesca Andreosia, geboren
wurde, der Papst in eigener Person, umgeben von 14 Kardi-
nälen, vollzog.'
Ebenso wie die Hof- und Fürstenmaitresse gelangte auch
die Stadtmaitresse erst in Frankreich zu voller Entwicklung :
in der Gestalt, die sie dort annahm, wurde sie dann Gemein-
gut aller europäischen Länder.
Bedeutsam für die Plerausbildung des Typs der modernen
Kurtisane wurde der Umstand, daß seit dem Ende des 16. und
dem Anfang des 17. Jahrhunderts auf den Pariser Theatern
Frauen erschienen: eine Sitte, die in England unter Karl II.
eingeführt wurde. Damit war Ersatz geschaffen für die antiki-
sierende Aufmachung der Renaissance-Kokotten: den „Nimbus",
ohne den nun einmal die freie Liebesbeziehung höherer Art
nichtauskommen kann, schuf jetzt das Theater. Die Theaterdame,
der Theaterstar, die Tänzerin an der großen Oper : sie lösten
die dichtenden und malenden Kurtisanen des Cinquecento ab.
Während [des 17. und 18. Jahrhunderts vermehrte sich
dann die Zahl der Stadtmaitressen in den Zentren der Kultur,
vor allem natürlich in Paris und London, immer mehr, in
Die Kurtisane 67
dem Maße, wie sich die Sitte verallgemeinerte, eine elegante
Frau statt oder neben der Ehefrau auszuhalten. Wenn uns
aus dem Ende des 18. Jahrhunderts berichtet wird, daß von
zwanzig der großen Herren am Hofe mindestens fünfzehn nicht
mit ihren Frauen, sondern mit ihren Maitressen lebten •'^^, so
wird diese Schätzung der Wahrheit gewiß recht nahe ge-
kommen sein. Aber nicht nur der Kavalier bei Hofe hält
sich eine Maitresse: auch bei den Turcarets gehörte es bald
zum guten Ton, sich bei den Dämchen mit der mittelmäßigen
Tugend, wie man sie nannte (demoiselles de moyenne vertu),
einzuschmeicheln. Die Ausgaben, die diese Liaisons ver-
ursachten (ich komme noch darauf zu sprechen) , bildeten
den größten Posten im Etat der großen Geldmänner, berichtet
uns auf Grund sehr genauer Studien der beste Kenner dieser
„Verhältnisse" (Thirion). Die Annalen der Galanterie des
18. Jahrhunderts verknüpfen auf das engste Liebesabenteuer
und Generalpächtertum ''".
Dasselbe wird uns von London berichtet: daß hier ein
unverheirateter Engländer, der über 2000 £ Einkünfte ver-
fügt, für seine Bedürfnisse kaum 200 £ ausgibt : „alles übrige
ist seinen Vergnügungen gewidmet, worunter die Mädchen
der erste und letzte Artikel" sind (A rchenholzj.
Angesichts solcher Urteile werden wir auch die Ziffer-
angabe glaubhaft finden , die uns gute Beobachter von der
Zahl der Stadtmaitressen in Paris und London machen :
Mereier z.B. nimmt an, daß zu seiner Zeit lOOdO Frauen
in Paris „ausgehalten" wurden. In London lebten um die-
selbe Zeit in einem einzigen Kirchspiel (Marybonne) 1700
Kurtisanen in eigenen Häusern.
Welchen breiten Ptaum die „käuflichen" Geliebten im
Leben der damaligen Gesellschaft einnahmen, läßt auch die
Sitte erkennen , die in den großen Städten bestand , Adreß-
bücher der besseren Kokotten jährlich herauszugeben , in
denen jede einzelne mit ISamen genannt und nach Gesichts-
ßg Drittes Kapitel: Die Säkularisation der Liebe
bildung, Manieren. Talenten usw. genau beschrieben war. Das
war in London Harrys List of Covent-Gardens Ladies, die in
einer Auflage von SOOO (!) reißend abging; in Paris der
Almanac des adresses des demoiselles de Paris de tout genre
et de toutes les elasses. Galen drier du Plaisir. A Paplios.
Ganz besonders wichtig erseheint mir nun aber der Um-
stand, daß durch das Emporkommen der eleganten Kurtisane
auch die Geschmaeksbildung der anständigen Frau,
d. h. also : der Frau von Stande in der Richtung des Kokotten-
haften beeinflußt wird.
Zunächst ist es die Hofgesellschaft, die die Lebensgewohn-
heiten aller guten Gesellschaft bestimmt: Paris — „singe de
la eour" , sagt kurz und bündig La Bruy^re. Die Hof-
gesellschaft selber aber steht unter dem beherrschenden Einfluß
der jedesmaligen amante en titre des Fürsten. So zieht also
die Königsmaitresse tiefe Furchen in den Acker.
Sie ist aber vor allem wieder das Vorbild der Stadt-
maitresse, der Grande Cocotte. Diese erscheint in ihren An-
fängen geradezu als ein Konkurrenzunternehmen gegen den Hof.
Ninon de TEnclos tritt geradezu die Erbschaft der M® de
Maintenon an : sie pflegt, als diese alt und fromm wird , die
alten Traditionen der Lebensfreude: die Rue de Tournelles
nimmt den Kampf mit St. Gyr auf.
So muß nun aber auch die anständige Frau der Gesell-
schaft, will sie nicht völlig ausgeschaltet werden, sich dazu
bequemen, wiederum mit der Maitresse in Konkurrenz zu
treten. Diese schafft gewisse Miudestbedingungeu der Kultur,
die jede Dame der Gesellschaft, t^ei sie so anständig wie sie
wolle, dann erfüllen muß.
So wird die feuinie honnete offenbar erst durch die
Kurtisane dazu veranlaßt, sich zu waschen. Marien de Romieu
rät in ihren Instructions pour les jeunes filles (16. Jahrhundert)
den Frauen, sich sauber zu halten -. sei es auch nur für sich
selbst oder für — den Gatten.
Die Kurtisane 69
Der „Salon", mit dem im 17. uud 18. Jahrhundert die
mondäne Frau ihre größte Macht ausübt, ist wahrscheinlich
doch nur eine Fortsetzung der Zusanmienkünfte geistreicher
Leute, wie wir sie bei den großen Kurtisanen im Cinquecento
zuerst in Italien finden.
Aber das (für uns in diesem Zusammenhange) Wichtigste :
die Lebensführung der Demi-Mondäne wird auch äußerlich
bestimmend für den Lebenszuschnitt der Mondäne (was damals
alle Frauen der Gesellschaft waren). Wie selbst heute noch in
unserer verbürgerlichten Welt die Dame (ich spreche nicht von
den „famosen Menschen" in Reformtracht, die in einer Drei-
Zimmerwohnung ihr Dasein entfalten) Ausschau hält nach
den Toiletten , die die Grandes Cocottes auf dem Frühjahrs-
rennen in Paris trägt, und wie alle Tollheiten der Mode und
des Luxus, der Pracht uud der Verschwendung zuerst von
den Maitressen durchprobiert werden , ehe sie in abgetönter
Färbung von den Damen der Gesellschaft aufgenommen werden :
so hat in einer degagierten Zeit, wie der, von der hier die
Rede ist, in der der Bürger noch ganz abseits von der „Ge-
sellschaft" stand, die Kurtisane natürlich in noch viel höherem
Grade den Ton angegeben, auf den das Leben gestimmt war.
Das für die äußere Lebensgestaltung der neuen Gesell-
schaft im einzelnen nachzuweisen, ist der Zweck des folgen-
den Kapitels.
70
Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Quellen und Literatur
Es ist fast nicht angängig, von besonderen Quellen für die Ge-
schichte des Luxus zu sprechen, da fast jede Geschichtsquelle dabei in
Betracht kommen kann. Hauptsächlich wird man zu Rate ziehen: die
überlieferten Gegenständlichkeiten, ob Bauwerk, ob Kleidungsstück, ob
Gerät; die Haushaltungsbücher und Baurechnungen; die Reiseberichte
und Zustandsschilderungen der Zeitgenossen, unter denen eine be-
sonders wichtige (mit großer Vorsicht zu benutzende!) Gruppe die morali-
sierenden Schriften bilden; für das 16., 17. und 18. Jahrhundert bietet
die umfangreiche Memoirenliteratur viel Stoff. Ich werde je an der
passenden Stelle auf die wichtigsten Quellen hinweisen.
Das Standardwerk der Literatur über die Geschichte des Luxus
ist H. Baudrillart, Histoire du luxe prive et public, 2. ed. 4 Vol.
1881. Von ihm gilt, was von so vielen Geschichtswerken zu sagen ist;
eine bewundernswerte Leistung, aber man lernt fast gar nichts aus dem
Buche. Daneben behalten die Studien Wilhelm Roschers, Über
den Luxus (in den „Ansichten der Volkswirtschaft") und Emanuel
Herrmanns, Die Launen der Pracht (in den „Miniaturbildern des
Wirtschaftslebens", 1872) faute de mieux ihre Bedeutung. Vgl. auch noch
den Artikel „Luxus" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Aufl.
(Theo. S 0 m m e r 1 a d) und die daselbst angeführte Literatur.
Einen geistreichen Versuch, den Luxus und seine Wandlungen
psychologisch-soziologisch zu deuten, enthält das Buch von Thor stein
Veblen, The Theorie of the Leisure Class. 1899 (dann öfters auf-
gelegt).
Neben diesen Werken allgemeinen Inhalts über den Luxus und
seine Geschichte hat man die gesamte Spezialliteratur über einzelne
Gebiete der Luxusgestaltung zu Rate zu ziehen.
Über den Eßluxus unterrichten die zahlreichen (namentlich natür-
lich in Frankreich erschienenen) gastronomischen „Almanachs", deren
erster aus dem Jahre 1530 stammt. Der zweite, den man kennt, rührt
her vom Abbe Claude Cherrier und erschien unter dem Titel „Almanach
de la Table ä Paris". Die meiste Verbreitung hat der „Almanach du
Begrill" und Wesen des Luxus 71
Comestible" gefunden, der zuerst 1778 erschien: siehe den Almanach
des Gourmands für das Jahr 1904.
Für die Oeschichte des Hauluxus kommen alle Werke zur Ge-
schichte der Baustile und des Möbels in Betracht; ferner Reisebeschrei-
bungen, Beschreibung einzelner Paläste u. dgl. Eine Zusammenstellung
solcher Schilderungen enthalten die Dictionnaires des amateurs von
P. Bonnaffe. 1884 seg.
Für den Kleiderluxus: die Bücher zur Geschichte der Trachten,
der Mode; zur Geschichte der Fabrikation und kunstgewerblichen Ge-
staltung einzelner Kleidungsgegenstände: der Stoffe (Seide!), der Spitzen,
des Schmuckes usw. Die wirtschaftliche Seite wird hell beleuchtet in
Schriften wie der von Em. Langlade, La marchande de Modes de Marie
Antoinette Rose Bertin (s. a.).
Viel interessantes Material enthalten die Bücher von H umbert
de Gallier, Les moeurs et la vie privee d'autrefois. 1911. Usages et
moeurs d'autrefois. 1912.
L Begriff und Wesen des Luxus
Luxus ist jeder Aufwand, der über das Notwendige hin-
ausgeht. Der Begriff ist offenbar ein Relationsbegriflf. der
erst einen greifbaren Inhalt bekommt, wenn man weiß, was
„das Notwendige" sei. Um dieses festzustellen, gibt es zwei
Möglichkeiten: man kann es subjektiv in einem Werturteile
(ethischer, ästhetischer oder welcher Art immer) verankern.
Oder man kann einen irgendwelchen objektiven Maßstab aus-
findig zu machen suchen, an dem man es ausmessen kann. Als
solcher bietet sieh entweder die physiologische Notdurft des
Menschen oder dessen dar, was man die Kulturnotdurft nennen
kann. Jene ist nur je nach den Klimaten, diese je nach der
historischen Epoche verschieden. Man hat es in der Hand,
die Grenze der Kulturnotdurft oder des Kulturnotwendigen
beliebig zu ziehen (wird aber gebeten, diesen Willkürsakt
nicht mit der oben erwähnten subjektiven Wertung zu ver-
wechseln).
Luxus hat dann aber einen doppelten Sinn : er kann
quantitativ oder qualitativ ausgerichtet sein.
72 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Luxus in quantitativem Sinne ist gleichbedeutend mit
„Vergeudung" von Gütern: wenn man hundert Dienstboten
hält, wo einer „genügt", oder wenn man drei Schwefelhölzer
auf einmal ansteckt, um sich die Zigarre anzuzünden. Luxus
in qualitativem Sinne heißt Verwendung besserer Güter.
Luxus in quantitativem und Luxus in qualitativem Sinne
können sich vereinigen (und sind in Wirklichkeit meist ver-
einigt).
Von dem Begriffe des qualitativen Luxus leiten wir den
des Luxusgutes ab, das also soviel wie ein verfeinertes Gut
ist. Verfeinerung ist alle Zurichtung der Güter, die für die
notdürftige Zweckerfüllung überflüssig ist. Die Verfeinerung
kann grundsätzlich in zwei Richtungen sich betätigen: in der
Richtung des Stoifes oder der Form.
Wie wir beim Luxus oder Luxusaufwand einen absoluten
und einen relativen Sinn unterscheiden konnten, so müssen
wir dieselbe Unterscheidung für die Substrate des qualitativen
Luxus, die Feingüter, treffen.
Faßt man die Verfeinerung in absolutem Sinne, so ge-
hört die große Mehrzahl aller unserer Gebrauchsgüter zu den
verfeinerten Gütern: denn fast alle befriedigen mehr als die
(animalische) Notdurft. Man wird deshalb auch von einem
Feinbedarf in einem relativen Sinne sprechen müssen, indem
man die bei einem gegebenen Stande der Güterkultur über das
Durchschnittsmaß hinausgehende Verfeinerung erst als Ver-
feinerung im engeren Verstände bezeichnet. Den solcher-
maßen enger umschriebenen Feinbedarf nennen wir dann wohl
Luxusbedarf; die Güter, die zu seiner Deckung dienen, Luxus-
güter im engeren Sinne.
Luxus in dem nunmehr umschriebenen Sinne von Fein-
bedarf und seiner Befriedigung dient sehr verschiedenen
Zwecken und kann deshalb auch sehr verschiedenen Beweg-
gründen sein Dasein verdanken : ob ich meinem Gott einen
goldgeschmückten Altar weihe oder mir ein seidenes Hemd
Begriif und Wesen des Luxus 73
kaufe : beide Male treibe ich Luxus , aber man empfindet
also gleich, daß diese beiden Akte weltenverschieden
sind. Man kann vielleicht jene Weihe einen idealistischen
oder auch altruistisclien Luxus, diese Anschaffung einen
materialistischen oder auch egoistischen Luxus nennen, indem
man damit Bestimmung und Beweggrund gleichermaßen unter-
scheidet.
Wenn hier von einer Luxusentfaltung gesprochen wird,
so ist nur an die zweite Art von Luxus gedacht: an jenen
also, der dazu dient, das persönliche Leben aus selbstsüchtigen
Motiven mit „eitlem Tand" auszustatten. Denn nur diese Art
von Luxus ist es, die in der Epoche der Renaissance in weiter
Fassung, also in der Zeitspanne zwischen Giotto und Tiepolo,
besonders stark zur Entwicklung gelangt. Jedenfalls will ich
nur die Entfaltung dieses persönlichen Luxus hier verfolgen,
will ich nur seiner Entstehung nachspüren.
Aller persönliche Luxus entspringt zunächst aus einer rein
sinnlichen Freude am Genuß: was Auge, Ohr, Nase, Gaumen
und Tastsinn reizt, wird in immer vollkommenerer Weise in
Gebrauchsdingen irgendwelcher Art vergegenständlicht. Und
diese Gebrauchsdinge machen den Luxusaufwand aus. Aller
Wunsch nach Verfeinerung und Vermehrung der Sinnenreiz-
mittel wird nun aber letzten Endes in unserm Geschlechts-
leben seinen Grund haben : Sinnenlust und Erotik sind letzten
Endes ein und dasselbe. Sodaß der erste Antrieb zu etwelcher
Luxusentfaltung in der großen Mehrzahl aller Fälle gewiß auf
irgendwelches bewußt oder unbewußt wirkende Liebesempfinden
zurückzuführen ist.
Deshalb wird überall dort, wo Reichtum sich entwickelt, und
wo das Liebesleben naturgemäß und frei (oder frech) sich ge-
staltet, auch Luxus herrschen. Während der Reichtum dort,
wo das Liebesleben aus irgendwelchem Grunde verkümmert ist,
nicht zur Verausgabung, sondern nur zur Vereinnahmung von
Gütern: zur Häufung also der Güter und zwar möglichst in ihrer
74 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
abstraktesten Form : eleu ungeformten Edelmetallen und dann
dem Gelde führen muß. (Was an andrer Stelle, wo ich
der Genesis des kapitalistischen Geistes nachspüre, der
aus diesem andern Strome gesi)eist wird, näher darzu-
legen ist).
Ist aber erst einmal zu irgendeiner Zeit Luxus da, so
werden nun auch zahlreiche andere Motive rege, die auf seine
Steigerung hindrängen : Ehrgeiz, Prunksucht, Protzerei, Macht-
trieb, mit einem Wort : der Trieb, es dem andern zuvorzutun,
stellen sich als wichtige Beweggründe ein. Veblen in seinem
geistvollen Buche über die „nichtstuenden" Klassen möchte
alle Luxus- wie alle Besitzeswertung auf diesen Antrieb: vor
dem andern etwas voraushaben zu wollen, zurückführen. Auch
einmal zugegeben, dieser Trieb gehöre zu den elementaren
Trieben der Menschennatur wie Hunger und Liebe, so be-
darf es doch immer noch des Zusammentreffens besonderer
Umstände, damit er sich gerade in der Richtung der Luxus-
entfaltung äußere. Das hat offenbar zur Voraussetzung, daß
ein luxuriöses Leben schon da ist, daß also in der
Entfaltung von gleichem oder größerem Luxus ein Mittel,
jenes Sichzuvortunwollen zu befriedigen, gefunden werden
kann. W'ährend in andern Fällen die reine quantitative Über-
bietung des andern: an Zahl der Sklaven, Größe des Land-
besitzes oder des Geldvermögens, Höhe des Ranges oder ähn-
lichem sich als die geeignete Form, sich hervorzutun, dar-
bietet. Damit aber Luxus als persönlicher, materialistischer
Luxus da sei, muß die Sinnenlust rege gewesen sein, muß
vor allem also Erotik auf die Gestaltung des Lebens ihren
entscheidenden Einfluß ausgeübt haben.
Auf unsere Epoche angewandt: alle Bedingungen waren
erfüllt , um großen Luxus zu erzeugen : der Reichtum , die
freie Gestaltung des Liebeslebens, das Streben einzelner
Gruppen der Bevölkerung, sich andern gegenüber zur Geltung
zu bringen, das Leben in der Großstadt, die, wie wir sahen,
Begrift' und Wesen des Luxus 75
vor dem 19. Jahrhundert immer nur ein Zentrum des Ge-
nusses war.
Aber eine solche Deduktion wäre doch ein wenig blutleer
und möchte auch von manchem nicht als beweiskräftig ge-
nug angesehen werden. Deshalb will ich in der folgenden
Darstellung die Sache umkehren: ich will von der Tatsache
ausgehen, daß in den Jahrhunderten seit dem Ausgang des
Mittelalters ein großer Luxus geherrscht hat, der sich gegen
Ausgang des 18. Jahrhunderts ins Maßlose steigerte, und will sie
dann erklären. Es gilt also zunächst, diesen Tatbestand
einer großen starken Luxusentfaltung aufzuweisen.
Dazu werden wir uns erst einmal der häutig wiederkehren-
den Aussagen von Zeitgenossen erinnern, in denen meist geklagt
wird über den unerträglich gewordenen Luxus: „Tout le monde
est fol , le luxe est pousse ä l'extreme et Ton assure que la
moitiö de Paris est ruin6 et Tautre moiti6 fait mutier de
filouter" , schreibt 1787 ein Provinzler aus Paris au seine
Frau. „Une des manies les plus tranchöes de ce temps-ci," meint
Me d'Oberkirk, die alte Tante, „est de se ruiner eu tout et
sur tout." Am packendsten hat uns Mercier den trostlosen
Zustand geschildert, in den die Gesellschaft zu seiner Zeit ge-
raten war^^ Er nennt den Luxus den „Henker der Eeichen" :
Luxe, bouneau des riches, und zeigt uns nun mit eindring-
lichen Worten, wie der Reiche vor lauter Übertreibung gar
nicht mehr zu einem Genüsse komme: „Die Reize sind nicht
mehr befriedigt, sondern abgestumpft, und an Stelle einer
pikanten Abwechslung treten bizarre Aufwendungen, die nur
den dögoüt mit sich führen; das ist der Grund, warum alles
wechselt, die Moden, die Trachten, die Sitten, die Sprache,
ohne Sinn und immerfort. Die reichen Leute sind bald an
dem Punkte angelangt, nichts mehr zu fühlen. Ihre Ein-
richtungen sind eine Wechseldekoration; ihre Kleidung eine
tägliche Fron, ihre Mahlzeiten eine Parade. Und der Luxus
quält sie, glaube ich, wie die Not den Armen quält: das hat
yg Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
sich wirklich gelohnt , ihm alles zu opfern : c'6tait bien la
peine de liii tout sacrifier! Was die Reichen in Paris quält,
ist vielleicht die Verkettung ihrer tollen Ausgaben : sie gehen
immer weiter als sie wollen. Der Luxus hat so entsetzlieh
kostspielige Formen — des formes si horriblement coüteuses —
angenommen, daß es schließlich iiberhaupt kein Vermögen
gibt, sozusagen, das er nicht untergräbt. „Jamais si^cle n'a
6t6 plus prodigue que le notre." Man zehrt seine Einkünfte
ganz auf, man verschlingt sein Vermögen, on 6tale une sur-
abondance scandaleuse, on veut effacer son voisin: man
sucht es seinem Nachbar mit skandalöser Übertreibung zuvor-
zutun ..."
Und überall dasselbe Bild; fast dieselben Worte: Nie
war ein Zeitalter üppiger als das unsere, meint der „Voll-
kommene englische Handelsmann"^^: es grenzt an das Un-
glaubliche, was für einen Raum der Luxus in unserer Zeit ein-
nimmt: „it is next to incredible, what a share the luxury of
the age has . . ." „Vainity, gaiety and luxury" beherrschen uns
— die „exeesses", die Ausschweifungen, nehmen überhand.
„Der Luxus verschlingt alles wie ein Meer," urteilt
Kochanowski in Warschau, wo ja der Luxus die höchste
Vollendung erlebte. „Wenn der allmächtige Gott solchen
Regen auf uns herniederfallen ließe, daß, wie viele Tropfen,
so viele Dukaten herabfielen und Polen bis an die Knöchel
mit ihnen bedeckt wäre, dennoch würde all dieses Geld nicht
lange bei uns vorhalten, sondern so, wie Wasser von den
Hügeln und Bergen zu den Strömen und Niederungen ihren
Fall haben, nach Breslau, Leipzig, Frankfurt, Berlin, Danzig,
Riga und Königsberg für Silbergeschirr, Wagen, Möbel u. dgl.
rasch abfließen'*^."
Aber wir werden uns mit solcherart Zeugenaussagen nicht
begnügen , sondern werden versuchen , wirkliche Tatsachen,
das heißt also reale Fälle von Luxusgestaltung beizubringen.
Ich könnte bei meinen Lesern dieses Wissen voraussetzen
Die Fürstenhöfe 77
und setze es auch bis zu einem gewissen Grade voraus. Was
ich aber nicht für überfiüssig lialte, ist der Versuch, nach
Möglichkeit eine ziffernmäßig bestimmte Größenvorstellung
von der Luxusentfaltung zu geben, da erst die Ziffer hinter
dem einzelnen Luxuspliänomen und insbesondere hinter einer
Masse solcher Eiuzelphänomene die Bedeutung erkennen läßt,
die der Luxusbedarf für die Ausbildung des Marktes gehabt
hat (was wir doch vor allem erfahren möchten).
Und dann wäre das zweite zu leisten: Nachdem die
Tatsache einer großen Luxuseutfaltung außer Zweifel gestellt
ist, ist nachzuprüfen, in welchem Zusammenhange diese Luxus-
entfaltung mit den gesellschaftsbildenden Faktoren steht, die
ich in den voraufgehenden Kapiteln geschildert habe: inwiefern
insbesondere (das ist ja der Grundgedanke dieses Buches) die
Frau, zumal die von Unrechts wegen geliebte Frau, wir können
auch sagen: das Weibchen Anteil an der Ausgestaltung des
äußeren Lebens in unserer Epoche genommen hat.
IL Die Fürstenhöfe
Wie alles Leben, so ging auch alles Wohlleben in jener
Zeit von den FürvStenliöfen aus: sie sind recht eigentlich die
Quelle aller Energien.
Und wiederum, wenn wir in die Vergangenheit zurück-
schauen, um zu sehen, wo zuerst ein üppig weltliches Treiben
aufsprang, bleibt unser Blick auf Avignon haften.
L'avaia Babilonia . . .
. . . di vizi empi e lei
Tanto che scoppia; ed ha fatti suoi dei
Non Giove, e Palla, ma Veiiere e Bacco . . .
Gia Roma, or Babilonia falsa e ria
Per cui tanto si piague e si sospira ...
Fondata in casta ed umil povertate
Contra tuoi fondatori alzi le corna
Putta sfacciata; e dov' hai posto spene?
Negli adulteri tuoi, neue mal iiate
Kicchezze taute? . . . (Son. CVI, CVII.)
73 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Gewiß war Petrarca, der uns diese und viele ähnliche
Schilderungen vom Avignoneser Hofe hinterlassen hat, ein
nicht ganz uni)arteiischer , ein nicht ganz „vorurteilsloser"
Beurteiler; aber daß er im Kern die Sache richtig dargestellt
hat, lehren uns andere einwandsfreie Zeugnisse. „Perversos
mores in nostram Galliam invexit" — das Papsttum nämlich,
klagt Nicol. de Clamenges, de statu eccl. corrupt. c. 27^*.
Aber das besagt auch noch nicht allzuviel.
Ich denke vielmehr z. B. an die zeitgenössische Schilde-
rung ^^ der Feste, die man zu Ehren des Papstes Clemens V.
veranstaltete, die mit den prachtvollen Worten schließt : ^Gli
ocehi di Nostro Signore si spandeano sopra queste eose (das
Bacchanale, in das die üppigen Mahlzeiten auslaufen: die
ganze Gesellschaft tanzte durch die Gärten) dilettandosi ne
la diversitä de' uobili solazzi, con quello modo temperato e
maturo, che si conviene a tanta santitä . . ." „Die Augen
unseres Herrn schweiften über alle diese Dinge hin, voll Freude
über ihre Buntheit und Vergnüglichkeit, mit jenei' Milde und
Reife, wie sie sieh für so viel Heiligkeit ziemt."
Oder ich denke an die Inventarien des päpstlichen Palastes,
mit denen uns E. Müntz bekannt gemacht hat **''. Und finde
das Urteil Petrarcas sachlich doch bestätigt. Freilich, um
uns eine richtige Vorstellung vom Treiben in Avignon zu
machen, müssen wir vor allem auch die zahlreichen Satelliten-
höfe der Kirchenfürsten, die neben dem Papste dort resi-
dierten, in Rücksicht ziehen : erst die Gesamtheit aller geist-
lichen Höfe hat wohl den Glanz hervorgerufen, der uns aus
den Schilderungen jener Zeit entgegenleuchtet. Denn die
Ausgaben des päpstlichen Haushalts selber waren, wie neue
Forschungen ergeben haben, gar nicht so übertrieben große:
vom 24. Juni 1305 bis 24. April 1307 (beispielsweise, aller-
dings es ist der Anfang! Aber für die spätere Zeit sind meines
Wissens die Ausgabenetats noch nicht publiziert) wurden nur
175317 Goldgulden für Beamte und Dienstpersonal ausgegeben ;
Die Fürstenhöfe 79
eine Wocheuausgabe für Küche, Hofbäckerei, Keller und
Marstall beträgt 826 H. 8 den. tur. parv. Im Marstall stehen
135 Pferde «^
An die hellbelichtete Avignouer Episode reiht sich in
unserer Vorstellung unmittelbar an die Glanzzeit des Papst-
tums in Rom unter der Herrschaft der großen Renaissance-
päpste von Paul II. bis Leo X., die, je einer den anderen
überbietend, ein Leben voller Glut und Glimmer entfalten.
„Ein heidnisches Wesen überzog die Stadt mit theatralischem
Glänze wie in der alten Kaiserzeit. Weltlicher Pomp wurde
zum Bedürfnis der päpstlichen Regierung, der verwöhnte
Pöbel schrie nach Festen, und man gab sie ihm reichlich."
(G r e g 0 r 0 V i u s.)
Mit Paul II. (1404 — 1471) beginnt das Bacchanale. „Sein
Hof war üppig; er selbst sinnlichen Genüssen ganz ergeben."
Gleichsam als ein Symbol seines eigenen Lebens betrachtete
er den Karneval, den er im weltlichen Sinne ausgestaltete.
Er führte erst diesen neuen heidnischen Charakter des
Karnevals in Rom ein.
Sixtus IV. eiferte seinem Vorgänger nach. Unter ihm
sind es vor allem die Nepoten, die ihr Leben hier ausleben:
sein Sohn Pietro Riario , der über ein Einkommen von
60000 fl. verfügt, verschwendet seinen Reichtum in zwei
Jahren. Als die natürliche Tochter des Königs von Neapel
im Jahre 1473 nach Rom kam, überstiegen die Feste „an
wahnsinniger Verschwendung alles, was bisher in dieser Weise
erlebt worden war" ^^. Madame Leonara konnte Rom mit
der Überzeugung verlassen, daß die Welt nichts besitze, was
an Schwelgerei dem Hofe eines römischen Nepoten auch nur
von fern nahe käme.
Vor allem in Festen, öffentlichen Schaustellungen, Emp-
fängen, feierlichen Einzügen kommt der Luxus dieser Zeit
zur Entfaltung : 10(» OOU Menschen versammelten sich am
Tage S. Marco des Jahres 1476 auf der Navona, wo Girolamo
30 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Riario ein Turnier gab. Im Jahre 1478 wurde die Vermählung
der Prinzessin v. Urbino und Giovanni Roverez „persico ap-
paratu" gefeiert ^^. Den glanzvollen Einzug des Prinzen Fede-
rigo von Neapel beschreibt uns ausführlich Burcardus'".
Den Höhepunkt aber des weltlichen Glanzes erklomm das
Papsttum in dem ewigberühmten Lateranischen Festzug
Leos X. am 11. April 1513: 100000 Dukaten hatte der eine
Tag gekostet, an dem Hunderte von Künstlern ihr bestes
Können opferten". Es war ja die Zeit, in der Ptaphael Santi
wie ein gekrönter Fürst durch die Straßen Roms ritt: von
einem stattlichen Gefolge begleitet, das von nie weniger als
fünfzig seiner Verehrer, Freunde und Schüler gebildet wurde.
Die weltlichen Höfe Italiens, vor allem die von Mailand
und Neapel, wetteiferten, wie man weiß, in der Entfaltung
weltlichen Glanzes mit denen von Rom. Über den Luxus,
der an diesen Höfen damals getrieben wurde, unterrichtet
das Tagebuch, das Andr6 de la Vigne, der Sekretär Annas
von Bretagne, auf der Reise mit Karl VIII. durch Italien
aufgezeichnet hat: Le Vergier d'Honneur^^.
Aber für die Geschichte des höfischen Luxus (ebenso wie
für die Geschichte der Höfe überhaupt) wurde doch recht
eigentlich die Tatsache bedeutsam, daß die französischen
Könige die Erbschaft der italienischen Fürsten auch in
allem autraten, was Lebensauffassung und Lebensführung be-
traf: Catharine von Medici war die Mittlerin, nachdem schon
vor ihr das Haus der Valois in Karl VIII. und Ludwig XII.
seine starke Hinneigung zur italienischen Kultur in ihrer
ganzen Politik, wie man weiß, betätigt hatte.
Denn damit — das ist das Entscheidende — wuchsen
die äußeren Möglichkeiten einer Luxusentfaltung in dem
Verhältnisse, wie Frankreich größer war als die italienischen
Fürstentümer. Die letzten Valois verausgabten für ihren
Haushalt doch schon erheblich mehr als selbst die reicheren
Staaten Italiens an öffentlichen Gesamteinnahmen hatten. Für
Die Fürstenhöfe 81
das Ende des 15. Jahrhunderts veranschlagte man^^ die Ein-
künfte von
Venedig auf höchstens
Neapel „ „
Mailand „ „
Florenz „ „
Kirche
1000000 Goldtiorin
ÖOÜOOO
600000
300000
200-260000 „
Diesen Ziftern stehen gegenüber die IV2 Mill. Scudi, die
Franz I. (oder Heinrich II.) für ihre Hofhaltung aufwenden
konnten. Der venetianische Gesandte (Marino Cavalli), dem
wir diese Schätzung verdanken '*, fügt der Ziffer die Bemerkung
hinzu : „Wenn Ihr den Hof von Frankreich sähet, würdet Ihr
Euch über eine so hohe Ausgabesumme nicht wundern. Er
unterhält für gewöhnlich 6, 8, 10 bis 12000 Pferde. Seine
Verschwendung (prodigalitä) kennt keine Grenzen. Die Reisen
vermehren die Ausgaben mindestens um ein Drittel, wegen der
Menge Maulesel, Karren, Sänften, Pferde, Diener, die er dazu
benötigt, und die das Doppelte wie gewöhnlich kosten.*' Ein
anderer Gesandter schätzte die Suite, die dem König folgte,
auf 8000 Pferde ^^ Die Verteilung der IV2 Mill. Scudi (die
etwa 10 Mill. Fr. heutiger Währung entsprechen) auf die
einzelnen Ausgaben war (nach derselben Quelle) die folgende:
100000 für Wohnungszwecke, 150 000 für Jagd, 100000 für
Feste, 100 000 für Kleidung und Geschenke, 200 000 für
den Hofstaat des Königs, 300 000 für den Hof halt der
Königin.
Da es lehrreich ist, die Entwicklung der einzelnen Aus-
gaben zu verfolgen, so teile ich noch eine Aufstellung aus
einem andern Gesandtsehaftsbericht mit, die, soviel ich sehe,
bisher nicht beachtet worden isf^^. Im Jahre 1542 belief sich
die Gesamtausgabe des Königs von Frankreich auf 5 788000 1.
(das Livre turn, hat von 1541 — 1560 den Metallwert von
3,34 Fr. heutiger Währung).
Sombart, Luxus und Kapitalismus 6
g2 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Davon sind Luxusausgaben:
Haushalt (niangiare) des Königs Liv. 85 000
Marstall „ 80000
Goldene und seidene Gewänder zu Geschenkzwecken . „ 50 000
Hofstaat (Camerieri etc.) „190 000
Haushalt (vivere) der Königin „ 140 000
Falkenjagd „ 60000
Schloß in Chambord (das bis jetzt 400000 1. gekostet hat) „ 30 000
Schloß in Fontainebleau „ 50 000
Taschengeld des Königs (AI re in contanti quanto gli
pare e place) „ 500 000
Geschenke „ 500000
Einkäufe des Königs zu seinem Vergnügen, wie Schmuck-
sachen u. a „160 000
Außerordentliche Ausgaben, deren Bestimmung man nicht
kennt (Spese extraordinarie che non si sanno) . . . „ 400 000
Menüs plaisirs „ 750 000
Liv. 2 995 000
In den Menüs plaisirs, fügt der Gesandte hinzu, stecken
die Ausgaben, von denen der König nicht wünscht, daß man
sie weiß, wie die für Weiber usw.
Unter Heinrich IV. gehen die Ausgaben für Luxuszwecke
eher zurück. Er gibt dafür im letzten Jahre seiner Regierung
folgende Beträge aus" (wobei das Livre turn, auf etwa den
doppelten Metallwert des heutigen Frank anzusetzen ist):
für Stallungen Liv. 261 590
„ Hofstaat des Königs .... „ 485 538
„ Silbergeschirr „ 197 334
„ kleine Ausgaben „ 162 180
„ Jagd „ 88 670
„ Hofstaat der Königin ... „ 541 439
„ Bauten „633 298
„ Reisen „ 107 185
„ Geschenke „ 85 "(98
„ Einkäufe „ 71 575
Liv. 2 584 607
(also etwa 5—6 Mill. Fr. heutiger Währung).
Die Fürstenböfe 83
Von da ab steigen die Ausgaben Jahr für Jahr: in der letzten
Regierungszeit Ludwigs XIV. kulminiert die Entwicklung.
Die Etats für die Jahre von 1680 bis 1715 zeigen annähernd
dasselbe Bild. Ich greife beliebig ein Jahr (1085) heraus '^
(Das Livre gilt von 167G— 1700 1,48 Fr. heutiger Währung.)
Hofstaat des Königs Liv. 606 999
Chambre au denier „1618 042
Argenterie (darunter wurden im wesentlichen die Aus-
gaben für die kgl. Toilette, Preziosen usw. verstanden) „ 2 274 253
Kleine Vergnügungen (menus plaisir) „ 400 850
Ankauf von Pferden „ 12 000
Marstall „1045 958
Geschenke „ 31:^ 028
Ilausbofmeisterei (Prevote de l'Hotel) „ 61 050
Jagd (Venerie, Fauconerie, Louveterie) „ 888 319
Hofhaltung von Monsieur „1 230 000
Hofhaltung von Madame „ 252000
Belohnungen „ 160 437
„Taschengeld" des Königs (Comptant du Roi) ... „2 186 748
Bauten des Königs „15 340 901
Geheimfonds (Affaires secretes) n 2 365 134
Reisen 558 236
Liv. 28 813 955
Also: rund 29 Mill. Fr. für die persönlichen, das heißt
überwiegend Luxusausgaben des Königs bei einem Gesamt-
etat (Brutto) von 100()40 257 Liv.
"Was für Riesensummen unter solchen Umständen den
Luxusgewerben zuflössen, tritt noch deutlicher in die Er-
scheinung, wenn man einzelne Ausgaben für sich betrachtet.
Obenan steht natürlich der Bauluxus. Über die Aus-
gaben für die königlichen Bauten sind wir aber auch auf das
beste unterrichtet: wir besitzen die genauen und vollständigen
Baurechnungen der französischen Könige von 1664 bis 1779,
in denen jede Ausgabe auf Heller und Pfennig gebucht ist.
Das in diesen Registern enthaltene Material ist eine unglaub-
lich wertvolle Quelle für die Wirtschaftsgeschichte, die bisher,
soviel ich sehe, überhaupt noch nicht benutzt, geschweige denn
6*
34 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
ausgescliöpft ist, obwohl wir eine musterhafte Ausgabe der Rech-
nungen von 1664 bis 1775 besitzen". Levasseur und andere
französische Wirtschaftshistoriker kennen und zitieren diese
Publikation zwar, scheinen aber gar nicht zu ahnen, was
sich alles aus ihr lernen läßt. Ich kann in diesem Zusammen-
hange natürlich auch nur ganz wenig von dem überreichen
Stoffe verwerten, der eine gründliche Bearbeitung verdiente:
für eine Geschichte wichtiger Zweige des Handwerks und des
gewerblichen Kapitalismus im 17. und 18. Jahrhundert kann
mau bei geschickter Benützung aus dieser Quelle allein das
nötige Rohmaterial entnehmen. Trotzdem in den ganzen fünf
Großquartbänden das Wort „Zunftordnung" nicht vorkommt.
Oder vielleicht gerade deswegen.
Hier teile ich zunächst die Gesamtziffern der Ausgaben
für die königlichen Bauten und der einzelnen Hauptposten
mit, um von der Größe des Konsums eine Vorstellung zu geben.
Insgesamt wurden für die königlichen Bauten während
der Regierungszeit Ludwigs XIV. ausgegeben:
198957 579 1. 14 s. 11 d.
(Das sind, da in dieser Zeit das Liv. tur. zwischen 1,22
und 1,63 stand, rund 300 Mill. Fr. heutiger Währung.)
Weit mehr als die Hälfte dieser Summe wurde in den
ersten 27 Regierungsjahren verausgabt, nämlich:
1664—1680 73977269 1. 14 s. 5 d.
1681—1687 57657478 „ 6 „ 2 „
Der Löwenanteil der ganzen Summe entfällt natürlich auf
Versailles, das mit den Gärten und Wasserkünsten etwa
100 Mill. Fr. gekostet hat (die früher angenommenen Ziffern
von 6 — 700 Mill. Fr. sind also stark nach oben abgerundet).
Wie sich die Ausgaben auf die einzelnen Posten ver-
teilen, können wir aus den Zusammenstellungen entnehmen,
die der Herausgeber in dankenswerter Weise gemacht hat.
Die Fürstenhöfe 85
Von der Gesamtsumme wurdeu z. B. verwandt:
für Ankäufe in den Manufakturen und von
Händlern 1 730 20G 1. 10 s. 2 d.
„ Ankäufe in der Man. des Gobelins (Möbel) 4 041068 ,, 2 „ 7 „
„ große Silberschmuckstücke 2 245 289 „ 14 „ 10 „
„ Ankauf von Marmor, Blei und Zinn. . 3 790 446 „ 16 „ 2 „
Die eigentlichen Bauarbeiten sind für die erste P^poehe
(1664—1680) im einzelnen in der Gesamtsumme angegeben
und weisen folgende Beträge auf (für die Schlösser Versailles,
Louvre und Tuilerien, St. Germain, Foutainebleau, Vincennes,
Trianon, Clagny und Marly):
Maurerarbeiten 17 300 995 1. 8 s, Id.'
Zimmerarbeiten 2 334 108 ., 11 „ 2 „
Dachdeckerarbeiten 826 148 „ 10 ., 5 „
Bleiarbeiten (Plomberie) 2 268 087 „ 19 „ 7 „
Schlosseraibeiten 1878 242 „ 8 „ 4 „
Tischlerarbeiten 2 087 541 „ 5 „ 10 „
Malerarbeiten 2 877 875 „ 16 „ 3 „
Bildhauerarbeiten 2 041321 „ 11 „ 6 „
Glaserarbeiten 289 524 „ 11 „ 11 „
Fußbodenarbeit (Pave) 729 738 „ 16 „ 10 „
Gartenarbeit 2 306 003 „ 19 „ 1 „
Erdarbeiten (fouilles) 3 791 064 „ 18 „ 9 „
Verschiedenes 350 104 „ 12 „ — „
Außerordentliche Ausgaben (Parties extra-
ordinaires) 4 456 733 „ 6 „ 9 „
Insgesamt 1664—1680 43 537 491 1. 16 s. 6 d.
Das Silbergeschirr, das der französische Hof besaß ^'^,
wurde 1689 und 1709 größtenteils eingeschmolzen: 1689 ergab
es 82322 Mark 5 unz. 9 gr. , was einem Münzwert von
2505 637 1. 4 s. 9 d. gleichkommt.
Welcher Reichtum und welche Pracht in den Möbeln der
königlichen Schlösser zur Entfaltung kamen, ersehen wir jetzt
aus den Veröffentlichungen der Inventare, die auch mit Ab-
bildungen reichlich geschmückt sind^^ Eine Auszählung
ergibt beispielsweise, daß allein an vollständigen großen ge-
webten Wandbehängen (tentures compl^tes) 334 in den
gß Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Schlössern Ludwigs XIV. vorhanden waren, die aus 2600
Teppichen und 140 Einzelstücken bestanden, daß aus der
Mauufactures des Gobelins 822 Stücke oder 101 Wandbehänge
(tenture) dorthin geliefert waren.
Einige Aufträge aus dem Jahre 1669 zeigen den Luxus, der in
Möbelstoffen getrieben wurde ^^a:
An die Herren Duc & Marsollier, Kaufleute, für
64 Ellen Gold- und Silberbrokat, zu 138 1. 10 s.
die Elle, und für 44 Ellen Gold- und Silber-
Silberbrokat ponceau und grün, die Elle zu 133 1.
5 s., die sie Sr. Majestät geliefert haben . . . 16 545 1. 5 s.
An dieselben für Brokate aus Lyon 22 155 „
An dieselben 70701., nämlich: 4090 1. für 62 Ellen
Gold- und Silberbrokat, violetter Fond, lyoneser
Fabrikat, zu 66 1. die Elle, und 2979 1. 10 s, für
259 Ellen karmoisinroten Damast, touroneser
Fabrikat, die Elle zu 11 1. 10 s.
An Herrn Reynon für Gold- und Silberbrokat . . 70 716 1. 18 s. 11 d.
AnHerrnMarcelinCharlier für Samte und Brokatelle 5 572 „ 5 „
Den Einrichtungen der Schlösser entsprach der Glanz
der Gewänder, die in diesen zur Schau getragen wurden.
Man lese die Schilderungen der Feste im „Mercure galante",
wo ein L. P. des 17. Jahrhunderts jede einzelne Toilette der
Hofgesellschaft ausführlich beschreibt 1^^ Ludwig selbst trug
ein Gewand, das für 14 Millionen Fr. Brillanten enthielt.
Als Ludwig XIV. eines Tages die in Paris angelegte Spitzen-
manufaktur besichtigte, kaufte er für 22000 1. Spitzen ein^^
Der Kleiderluxus am französischen Hofe steigerte sieh
während des 18. Jahrhunderts unausgesetzt weiter und er-
reichte einige Jahre vor der Revolution seinen Höhepunkt.
Wir sind genau unterrichtet über den Kleideretat der Marie
Antoinette^^a;
Im Jahre 1773 betrug das Garderobengeld der damaligen
Kronprinzessin 120000 1. Diese Summe blieb wohl auch
später gleichsam das Ordinarium, das aber Jahr für Jahr
durch größere Summen überschritten wurde. Die Ausgabe
für Toiletten beträgt:
Die Fürstenhöfe
1780 .
. . . 194118 1. 17 s
1781 .
. . . 151290 „ 3 „
1782 .
. . . 199509 „ 4 „
1787 .
. . . 217187 „ - „
87
Vou da ab gehen die Ausgaben zurück.
Und das Weibeben? Hat es Anteil — und welchen? —
an dieser raschen Steigerung der Luxusausgaben? Bei den
italienischen Fürsten , bei den französischen Valois braucht
man nicht lange zu fragen: man weiß, daß sie nur den Frauen
zu Liebe lebten. Aber Ludwig XIV., der doch recht eigentlich
erst den Luxus ganz großen Stiles schafft: ist es bei ihm
nicht viel eher Machtdünkel und Prunksucht, die ihn beherrschen
und zur Luxusentfaltung Anlaß geben? Nein: gerade bei
Ludwig XIV. können wir, ich möchte sagen, aktenmäßig den
Einfluß seiner Geliebten auf die Gestaltung seines äußeren
Lebens verfolgen : die Liebe zur La Valliöre hat Ludwig XIV.
zur Erbauung von Versailles getrieben: auf seines Vaters
kleinem Jagdschloß von Versailles hatte er die ersten Rendez-
vous mit ihr gehabt: „Dort auf dem Waldhügel sollte die
Geliebte ihres Herrn Zauberschloß aufsteigen sehen." Mit
der Liebe zur La Valliere beginnen die großen Feste am Hofe :
die Aufführungen von Ariosts Zaubergeschichten, les plaisirs
de rtle enchantöe, worin der König den Roger spielte. Von
1674—1680 wird das Schloß von Clagny, das 2 Mill. Fr.
kostet, errichtet: die Caprice einer Favoritin. Und immer,
wenn eine neue Geliebte Ludwigs Herz gefangen nimmt, bricht
eine neue Flut von Luxus hervor: eine ist immer verschwen-
derischer als die andere bis zu der M^le Fontanges, die die
Goldstücke durch alle Fenster schleuderte, die monatlich
100000 6cus verbrauchte und sich wunderte, als man dies
Verschwendung nannte. Daß der französische Hof im 18. Jahr-
hundert ganz von den Maitressen beherrscht und das Hof-
38 Viertes Kaiptel: Die Entfaltung des Luxus
leben vou ilmen bestimmt wird, ist bekannt. M^e de Pompadour
wird mit ihrem Geschmack zur Beherrscherin der gesamten
Lebensgestaltung: „Nous ne vivons plus que par M™^ de P.
Carosses k la P., habits en drap couleur ä la P., ragoüts ä la
P., chemin6es, miroirs, tables, sophas, chaises ä la P., even-
tails, 6tuis, curedents ä la P." schreibt ein Zeitgenosse.
]\Ime de Pompadour ist die Vertreterin der gesamten Kultur
des Ancien regime, sie ist vor allem auch die Vertreterin des
Geschmacks und der äußeren Lebensgestaltung. Sie greift
persönlich in den Gang des "Wirtschaftslebens ein, um dieses
in ihrem Sinne zu gestalten. Sie ernennt ihren jungen Bruder,
den sie zum Marquis de Marigny gemacht hat, zum General-
direktor aller Bauten, Gärten, Künste und Manufakturen,
nachdem sie ihn zum Studium vorher nach Rom geschickt
hatte. M™e de Pompadour baut Schlösser nach ihrem Willen:
das Petit-Chäteau, das von Bellevue, dem sie le Taudis
(Brimborion) anfügte. Sie verschönerte Choisy. Sie zeichnet
selbst den Plan der Galerie des Schlosses von Bellevue, das
Vanloo, Boucher, Brunetti mit ihrem Pinsel ausschmücken
und für das Couston das Standbild Ludwigs XV. meißelt.
Dort gibt sie prächtige Feste, für die sie die Kostüme vor-
schreibt, die ihre Gäste tragen sollen, und die sie ihnen zum
Geschenk macht. Ein solches Kostüm kostete 14000 1. Sie
gab 600452 1. für die Gästewäsche im Schlosse von Choisy
aus. Und ihr gesamter Verbrauch erreichte Summen, über
die niemals eine Königin verfügt hat. Sie gibt in den
19 Jahren ihrer Herrschaft für ihre persönlichen Bedürfnisse
nachweislich 36327 268 1. aus^*.
Der Marquise de Pompadour steht die Comtesse Du Barry
nicht nach. Nach der gewissenhaften Berechnung Le Rois
verzehrt sie seit dem Augenblicke ihres Emporstiegs
12481803 1. 11 d. Davon entfallen 6427 803 1. 11 d. auf
die Zahlungsanweisungen , die sie während der Jahre ihrer
Herrschaft (1769 — 1774) für den Bankier Baujon ausschreibt:
Die Fürstenhöfe 89
der Abb6 Terray hatte bekanntlich durchgesetzt, daß die
Schecks der Favoritin als „bous du Roi" von dem Hofbankier
jederzeit honoriert würden.
Marie Antoiuette ist dann die letzte Grande Cocotte, die
über den französischen Hof herrscht und für die weitere
Steigerung der Luxusausgaben (bis in den Anfang der 1780er
Jahre hinein) Sorge trägt; die Ziffern, die ich oben mitteilte,
legen deutlich Zeugnis dafür ab, daß man auch als legitime
Königin sehr wohl in den Bahnen der großen Maitressen
wandeln kann. Man darf auch nicht vergessen, daß Marie
Antoinette in ihren glücklichsten Jahren (als Kronprinzessin)
die gefährliche Konkurrenz der Du Barry und ihres Anhangs
zu bestehen gehabt hat.
Eine unschätzbare, wertvolle Quelle, um die Liixusentfaltung durch
das Weibchen im ausgehenden Zeitalter des Frühkapitalismus sich zum
Verständnis zu bringen, sind die vollständig erhaltenen Rechnungen der
M™e (iu Barry (aus denen wieder mehr nationalökonomische Erkenntnis
zu srhöpfen ist als aus einem Dutzend ewig gleicher Publikationen von
Zunftordnungen oder Regierungserlassen!).
Hier sind einige Stellen daraus:
Die Summen, die Baujon auf die Anweisungen der Favoritin aus-
zahlte, fanden folgende Verwendung:
I
Goldschmiede 313 328 1. 4 s.
Juweliere (Jouailliers) ... 1 808 635 „ 9 „
dgl. (Bijoutiers) . . . . 158 800 „ — „
2 280 763 1. 13 s.
II
Seidenwaren 389 810 1. 15 s.
Spitzen 215 988 „ 6 „
Modes 116 818 „ 5 „
Kurzwaren . 35 443 „ 14 .,
758 061 1. — s. 3 d.
III
Möbel 24 398 1. 18 s.
Gemälde, Vasen .... . . 91519 „ 19 „
115 918 1. 17 d.
90 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
IV
Schmiede 60 322 I. 10 s.
Sticker (brodeurs) . . . . . 471 178 „ — „
531 500 1. 10 s.
V
Equipagen 67 470 1. 1 s.
Pferde 57 347 „ — „
Fourrages . 6 810 „ — „
131627 1. 1 s.
VI
Vergolder 78 026 1. — s.
Bildhauer 95 426 „ — „
Vergolder (nochmals) .... 48875 „ 12 „ 6 d.
Gießer (fondeurs) 98 000 „ — „ — „
Marmorarbeiter 17 540 „ 8 „ 10 „
Tischler und Schlosser . . . 32 240 „ 8 „ — „
370 108 1. 9 s. 4 d.
VII
Frühere Arbeiten in Luciennes 111475 1. 6 s. 9 d.
Gartenanlagen 3 739 „ 19 „ — „
Neue Arbeiten 205 638 „ 16 „ 8 „
Gartenanlagen . . . . . . 3 000 „ — „ — „
323 854 1. 2 s. 5 d.
(Die übrigen Ausgabeposten sind persönlicher Natur: Geschenke
usw., und interessieren uns hier nicht.)
Einzelne besonders kostbare Luxusgegenstäude weisen folgende
Preise auf:
eine Staatstoilette aus weißem Samt kostet. . . 12 000 1.,
die Garnierung einer andern 10 500 „
andere Toiletten kosten 9000 1., 5840 1., 2400 1., 7600 1. usw.
Ein Ameublement von 12 Fauteuils kostet 7200 1., eine Ottomane
dazu 2400 1. Das Bett in Luciennes kostet 5945 1. Eine Uhr kostet
5400 1., eine Tabaksdose 576 1., 15 Kaffeeservietten aus Mousselin 2251.;
ein Goldrahmen um ein Porträt der Frau Gräfin (es ist das bekannte,
das sie als Muse darstellt) kostet 2250 1.
Besonders kostspielig sind auch in diesem Haushalt die Porzellan-
sachen: ein Sevresservice kostet 21438 1., ein anderes, das die Komtesse
ihrem Schwager schenkt, 4856 1.
Ein Gobelin, erfahren wir, kostete die Geviertelle 488 1. 5 s., also
beispielsweise Vanloos Neptun und Amimonne 3534 1. 14 s. 5 d., Bouchers
Venus und Vulkan ebensoviel.
Die Fürstenhöfe 91
Die Origiiiiilrcchnungen findet man nnter den Mss. der National-
bibliothek Suppl. franc-. 8157, 8158. Sie sind in der Hauptsache ver-
öffentlicht von den üoncourts im Anhang zu ihrem Buche über die
Du Barry.
* *
*
Eine kurze Zeitspanne hindurch hat der Glanz am
spanischen Hofe vielleicht den der französischen Hofhaltung
in den Scliatten gestellt: sagen wir von der Erschließung der
Silberminen Potosis und Guanaxuatos an bis in die Regierungs-
zeit Philipps IV. hinein war Madrid der Schauplatz einer
unerhörten Prachtentfaltung, und der spanische Stil wurde,
wie man weiß, seitdem vielfach zum herrschenden. Die Ein-
nahmen , auf denen diese jjompöse Lebensgestaltung ruhte,
waren noch unter Philipp III. bedeutend. Nach den Schätzungen
des venetianischen Gesandten Tomaso Contarinis betrugen sie
16 Mill. Duk. (also etwa 150 Mill. Fr.). Die Richtigkeit
dieser Schätzung wird bestätigt durch die Ergebnisse einer
Untersuchung, die Heinrich IV. anstellen ließ (um die Hilfs-
quellen seines Gegners zu erforschen); diese ergab eine
(Netto-)Einnahme von 15 658000 Duk., während noch etwa
5 Millionen bei den Vizekönigen, Steuereinnehmern usw. hängen
blieben. Freilich: ein recht erheblicher Teil dieser Summe
diente zur Verzinsung der Staatsschuld (die aber natürlich
auch im wesentlichen der Luxusentfaltung zugute kam, wie
wir noch sehen werden). So daß nach einer Aufstellung des
Grafen Lerma vom Jahre 1610 nur 4487 350 Duk. zur Ver-
fügung des Königs blieben, von denen nicht ganz eine Million
für die Hofhaltung verwandt wurde **^.
Hinter Frankreich und Spanien folgt (in Westeuropa) un-
mittelbar England. Hier bildet den Höhepunkt des höfischen
Glanzes die Regierungszeit der Stuarts, die ja in den fran-
zösischen Königen ihr Vorbild sahen. Wir haben einen Ab-
glanz von der Pracht des Hofes unter diesen Fürsten in den
92 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Bildern Vau Dyks, Peter Lelys, Huysmans, die uns die gecken-
haften Männer und die schönen stolzen Frauen in den herr-
lichen Brokat- und Atlasgewändern mit den schweren Barock-
falten gemalt haben. Die Schilderungen der Zeitgenossen,
wie sie etwa das Journal von Pepys enthält, entsprechen sehr
wohl dem Bilde satter Lebensfreudigkeit, das die Gemälde dieser
Künstler in uns wachrufen. Es gemahnt uns an den großen
Ludwig, wenn wir von Karl L hören, der 24 Schlösser so
vollständig ausstattete, daß er aus einem in das andere reisen
konnte, ohne sich mit Gepäck zu belasten, oder von Jakob L,
der für die Hochzeit seiner Tochter 93278 SS ausgibt,
während wir dann wieder den Abstand gegen Frankreich ge-
wahr werden, wenn wir von Karl IL erfahren, wie er weh- und
demütig dem Hause der Gemeinen das Versprechen ablegt,
in Zukunft weniger verschwenderisch zu sein als bisher, da-
mit er mit seiner Zivilliste endlich einmal reichen möge.
Der respektable Bürger mag in solchen Augenblicken Morgen-
luft gewittert haben: eine neue Welt, die Welt, in der der
Geist der auskömmlichen Wohlanständigkeit herrschen sollte,
kündigte sich an. Aber auch der Oranier liebte den Glanz
an seinem Hofe®^, und das Haus Hannover hat in seinen
beiden ersten Vertretern ihnen nachgeeifert.
Die Summen, über die die englischen Könige verfügten,
reichen nicht an diejenigen heran , die Ludwig XIV. dem
Lande abpreßte ; sie waren immerhin für jene Zeiten ansehn-
lich genug und stellen eine recht erhebliche Nachfrage nach
Luxusartikeln dar.
Im Jahre 1549 betrugen die Ausgaben für den könig-
lichen Haushalt 100000 £ , schon fünfmal soviel als unter
Heinrich VII. In den nächsten beiden Menscheualtern ver-
fünffachten sich diese Ausgaben noch einmal. Nach der
Restauration erhielten die Könige eine Zivilliste bewilligt,
und seitdem können wir ihren Aufwand ziffernmäßig genau
verfolgen". Die 1200 000 ^, die für Karl IL ausgesetzt
Die Fürstenhöfe 93
wurden, sind freilich nie ganz bezahlt worden, so daß der
arme Karl, der soviel brauchte, immerfort in Geldnöten lebte.
Sein Etat für 1675/76 war auf 462115 £ in der Ausgabe
bemessen worden.
Wilhelm III. hat während seiner Regierungszeit vom
5. November 1688 bis 25. März 1702 insgesamt £ 8880506
— 2 — 9 für seinen und seines Hofes Bedarf verausgabt;
Queen Anne in den folgenden 12 Jahren 7 604848 £ im Jahres-
durchschnitt also 586 000 £ (während ihre Zivilliste 700000 £
betrug, von einem (lesamt-[Friedens-]Budget von 1965 605 £,).
Die Zivilliste unter den beiden ersten Georgs schwankt
zwischen 8 und 900 000 ,^, sie steigt mit Georg III. auf
923196 £,
Daß auch in England der Luxus am Hofe ein Luxus der
Maitressen und für die Maitresseu war, lehrt die intime Ge-
schichte dieses Hofes. Seit es einen Hof in England gibt,
gibt es auch Königslieben, von deren Neigung zur Pracht-
entfaltung und zum Wohlleben wir sehr gut unterrichtet sind.
Wir erinnern uns der Barbara Palmer, der Keroualle (der
Ludwig XIV. selbst den Hof macht, als sie nach Paris kam,
so daß man von ihr wohl mit Recht gesagt hat, ihr seidenes
Taillenband habe 15 Jahre lang England und Frankreich zu-
sammengehalten); wir erinnern uns der Gatherina Sedley,
der Baronin von Darlington, der Gräfin von Dorchester und
so mancher anderen Amante en titre der Stuarts ; wissen aber
auch, daß sich der zum Könige gewählte Kurfürst von Han-
nover Georg Ludwig seine Geliebten gleich mitbrachte, die
er dann in England zur Grätin von Arlington und Herzogin
von Kendel machte; daß selbst Georg IL seinen Bedarf an Mai-
tressen aus Anhänglichkeit an die alte Heimat noch in Han-
nover deckte, und daß er eine Frau von Wallmoden in eine
Gräfin von Yarmouth umwandelte.
94 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Die ganz ähnlichen Verhältnisse an den deutschen Fürsten-
höfen, unter denen Sachsen, Hannover, Württemberg die
luxuriösesten waren , oder auch in den östlichen Ländern zu
schildern, hat keinen Zweck, da diese Höfe für den Gang der
wirtschaftlichen Entwicklung längst nicht die entscheidende
Bedeutung erlangt haben wie die der westlichen Staaten.
Besonders hervorheben will ich nur die Aufwendungen für
Porzellan, dessen Herstellung seit Anfang des 18. Jahrhunderts
auch in Europa gelang und Veranlassung zu einer der ersten
großen Industrien wurde: dank vor allem der massenhaften
Bestellungen, zu denen geradezu ein Wahnsinn die Fürsten
trieb. Man lese etwa die folgende Bestelliste des sächsischen
Hofes vom 25. Februar 1732 88:
„Specificatio, was in dem kgl. holl. Palais zu der neuen
forderen Gallerie in der Oberen Etage von Porcellain erfordert
wird . . ."
30 Aufsätze Stücken von 6 Garniduren
266 einzelne Vasen differenter Facon
198 Stück allerhand groß und kleine Thiere
198 dgl. . . . Vögel
48 Terrinen mit Deckel
170 Stück Schüsseln
910 Stück.
Aber auch der arme Preußenkönig bestellt für 283679 Tlr.
4 Gr. Porzellan bei der Meißener Manufaktur.
III. Die Nachfolge der Kavaliere und der Protzen
Der Luxus, den der Hof trieb, verbreitete sich allmählich
über alle die Kreise, die ihr Ideal im Hofe erblickten oder
mit dem Hofe irgendwie in Beziehung standen; das waren
aber, wie wir getrost sagen können, alle reichen Leute, die
nun von demselben Streben nach weltlichem Glänze ergriffen
wurden, wie es die höfischen Kreise beherrschte. Wir können
Die Nachfolge der Kavaliere und der Protzen 95
genau verfolgen , wie geradezu ein Zwang zum Luxus vom
Könige ausging, namentlich von Ludwig XIV., von dessen
Einfluß auf die Gesellscliaft uns ein in diesen Fragen
gewiß einwandfreier Augenzeuge wie folgt berichtet: „II
aima en tout la si)lendeur, la magnificence, la profusion , il
la tourna en maxime par politique et il l'inspira ä toute sa
cour. C'^tait lui plaire que de s'y jeter en tables, en habits,
en ^quipages, en batiments, en jeu . . . C'est une plaie qui,
une fois introduite, est devenu le Cancer Interieur qui ronge
tous les particuliers, parce que de la cour il s'est
promptement communiqu^ k Paris, dans les provinces et les
arm6es, oü les gens en place ne sont contös qu' en proportion
de leur table et de leurs magnificences . . , Par la folie des
gens, eile va toujours croissant; les suites en sont infinies,
et ne vont ä rien qu' ä la ruine et au renversement gönöral."
Saint Simon, M6m. t. VIII de l'öd. Hachette, p. 125/26.
Man schaute, zumal in Frankreich, zu dem Könige auf
wie zu einem Gotte: Ludwig wurde zum arbitre du goüt für
Paris: — „Paris — pour l'ordinaire singe de la cour" meint
La Bruyere — ; für die Provinz; für Europa. W^ie Man-
sart baute, wie Le Notre die Gärten anlegte, wie Lebrun die
Möbel zeichnete, wie Rigaud malte: so wollte jeder, dem die
Mittel es erlaubten, seine Häuser bauen, seine Gärten anlegen,
seine Einrichtung gestalten, sich malen lassen. Man weiß es ja.
Aber der Prozeß der Verweltlichung hätte sich gewiß
nicht so schnell vollzogen, die Entfaltung des Luxus wäre
nicht in so kurzer Zeit ins Unermeßliche gewachsen, wenn
neben dem Hofe nicht ein anderer wichtiger Quell auf-
gesprungen wäre, aus dem in breitem Strom Genußsucht,
Lebensfreudigkeit und eitler Pruuksinn sich über die W^elt
ergossen hätten : wenn nicht ein ganz intensives Luxus-
bedürfnis bei den Nouveaux riches, deren Werdegang wir
kennen gelernt haben , wie eine verheerende Krankheit aus-
gebrochen wäre. Ihren Eintluß auf die Umgestaltung des
90 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Lebensstils, vor allem ilire Mitwirkung bei der quantitativen
Ausweitung des Luxusbedarfs, müssen wir nun verfolgen.
Es ist eine Erscheinung, die in unserm Kulturkreise
immer wiederkehrt, daß Leute aus dem Volke, die schnell
zu Reichtum kommen, diesen Reichtum vorwiegend zu Luxus-
zwecken verwenden. Und die Zusammenhänge, die dieser
Erscheinung zugrunde liegen, lassen sich unschwer feststellen:
es ist auf der einen Seite die Unfähigkeit der natürlichen
und rohen Menschen, dem Leben andere Freuden als materielle
abzugewinnen, wie sie vor allem aus einer reichen Aus-
stattung mit Genußgütern fließen; sie ist auf der andern Seite
der brennende Wunsch, sich neben der durch Vornehmheit
abgeschiedenen Gesellschaft eine geachtete Stellung zu er-
obern, was den reich gewordenen Krämer oder Lakaien zur
Luxusentfaltung antreibt. (Wenn er nicht den entgegengesetzten
Weg, auf dem wir ihn ein anderes Mal verfolgen werden,
einschlägt und „geizig" wird.) Die beiden Triebkräfte, die
allen Luxus erzeugen: Ehrgeiz und Sinnenfreude sind hier
gemeinsam am Werke, um den Protzenluxus zu entwickeln.
Und deshalb wird in der Geschichte der Weg des Reich-
tums durch ebensoviele Etappen der Luxusentfaltung be-
zeichnet: von dem ersten Auftauchen bürgerlicher Empor-
kömmlinge an.
Diderot hat sicher nicht richtig beobachtet, wenn er
die Meinung äußerte, daß die reichgewordenen Knoten früher
bescheiden im Verborgenen gelebt und erst zu seiner Zeit
ihre Reichtümer zur Schau gestellt hätten; wenn er sogar
denjenigen glaubt mit Namen nennen zu können, der als
einer der ersten mit seinem Reichtum durch Luxusentfaltung
geprotzt habe: Bonnier.
Zu Dantes Zeit begegnen wir schon den verschwenderi-
schen Knallprotzen : wie jenem Giacomo da Sant Andrea, der
Die Nachfolge der Kavaliere und der Protzen 97
silberne und goldene Geräte in den Fluß warf oder Gebäude
in Brand setzte, um die festliche Stimmung zu erhöhen, gab
es eine Menge, die ähnlich lebten und eine ganze Gesell-
schaft von Verschwendern bildeten^'': die brigata godericcia
oder spendericcia.
„La geute nuova e i subiti guadagni
Orgoglio e dismisura han generato
Fiorenza in te, &i che tu giä ten piangi"
(Inf. 16, 73—75)
zitiert ja schon jeder „Historiker" von Florenz.
Nicht einmal für Frankreich hatte Diderot recht.
Oder sollen wir den Jacques Coeur im 15. Jahrhundert, den
reich gewordenen Geldgeber, der Palais in Paris, Lyon, Tours und
sieben anderen Orten besaß, sollen wir die Semblangay, sollen
wir Thomas Bohier, den Erbauer von Chenonceaux im 16. Jahr-
hundert nicht zu den Protzen rechnen? Wollen wir vor allem
die reichgewordene Kanaille des 17. Jahrhunderts, die, wie
Ludwig XIV. selbst sagte, einen „frechen Luxus" trieb,
vergessen? Die Ludwig in den Mund gelegten Worte sind
außerordentlich lehrreich; er spricht^" von „Gens d'affaires,
qui d'un cöt6 couvraient leurs malversations par toutes sortes
d'artifices et les decouvraieut de l'autre par uu luxe in-
solent et audacieux. comme s'ils eussent craint de me les
laisser iguorer (!)".
Schließlich gehört doch auch Fouquet, der Obergauner, zu
dieser Sorte; er, der 20 — 30 Millionen Francs für Luxus-
zwecke vergeudete (davon allein 18 Millionen Francs für sein
Schloß in Vaux), wie uns Colbert (der übrigens selbst keines-
wegs den Aufwand großen Stils verschmähte) mit Entrüstung
in seiner Denkschrift über Fouquet vorrechnet.
Den innigen Zusammenhang, der zwischen dem Empor-
kommen der Roture und der Ausweitung des Luxusbedarfs
besteht, können wir ganz genau verfolgen, wenn wir uns die
Etappen gegenwärtig halten, in denen die Leute, „quos virtus
Sombart, Luxus und Kapitalismus 7
9g Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
aut Fortuna e faece hominum extulit**^", in größeren Mengen
auftauchen. Diese Etappen bilden ebensoviele Schichten in
dem Aufbau des modernen Luxus: in dem wir also ebenso
wie in der Geschichte des Reichtums die italienische Epoche
des 14. und 15. Jahrhunderts, die deutsehe des 15. und 16. Jahr-
hunderts, die spanisch-holländische des 17. Jahrhunderts und
die französisch-englische des 18. Jahrhunderts unterscheiden
können.
Für unsere Betrachtung hat die größte Bedeutung immer
der ungeheure Ruck, den die europäischen Völker seit dem
Beginne des 18. Jahrhunderts in der Richtung des „Wohl-
standes" und vor allem des Wohllebens vorwärts tun: in dieser
Periode spielen die Richards schon eine sehr wichtige Rolle.
Die entscheidende Wandlung bestand wohl eben darin, daß in
jener Zeit, namentlich seit 1720, der Luxus immer weitere
Kreise ergriff. Wir können das aus den Haushaltungsbüchern
ersehen, deren viele aus jener Zeit uns erhalten sind: man
empfindet um die Mitte des 18. Jahrhunderts in den oberen
Schichten den Abstand gegen das 17. Jahrhundert ebenso
deutlich in den reichen Ländern, wie wir Deutsche etwa den
der heutigen Zeit gegen die Jahre vor 1870: „on a bien de
la peine ä s'entretenir aujourd'hui avec ce qui reste"^^:
solche Klagen (deren ich in einem anderen Zusammenhange
schon mehrere angeführt habe) begegnen uns häufig. Und
wir werden uns über die darin zutage tretenden Ansichten
nicht wundern, wenn wir erfahren, daß ein großer Teil der
großen Vermögen, die in jener Zeit erworben wurden (ich habe-
einige Proben von den Einkommensverhältnissen im 18. Jahr-
hundert gegeben: siehe den 2. Abschnitt des 1. Kapitels), in
Luxusausgaben vertan wurden. D'Epinay gibt von 1751 — 1755
1500000 1. aus. Roussel verputzt 12 Millionen, Dupin de Che-
nonceaux 7 — 8, Savalette 10, Bouret 40. Der Graf von Artois,
der Nachbar des reichen Faventen^s, meinte: „Je voudrais bien
faire passer chez moi un bras de ruisseau d'or qui coule de son
Die Nachfolge der Kavaliere und der Protzen 99
rocher." „Onnetitplusdecapitaux," Man trieb vielmehr „Luxus":
in Möbeln, Bauten, Kleidern. Die Magazine der Rue St. Honor6,
die damals mit den schönsten Stoffen Frankreich und das
Ausland versorgten, waren im Jahre 1720, als der Goldregen
über Paris niederging, in wenigen Tagen geleert. „On n'y
trouve plus de velours, d't'toffes d'or; mais on fabrique par-
tout." Duhautchamp, dem wir diese Schilderungen ver-
danken , beschreibt uns den Anblick der Straßen , die von
Toiletten in den verschiedensten Farben, mit herrlichen
Stickereien geschmückt, aus goldenen und silbernen Geweben
hergestellt, angefüllt waren.
Ein Punkt, der mir für die Entwicklung der modernen
Gesellschaft von großer und allgemeiner Bedeutung zu sein
scheint, ist nun die Tatsache, daß die reichen Emporkömmlinge,
die nichts besitzen als ihren Mammon, und die keine andere
Eigenart haben, die sie auszeichnen könnte, als die Fähigkeit,
mit ihren großen Mitteln ein üppiges Leben zu führen; daß
diese Parvenüs ihre materialistische und mammonistische Welt-
auffassung auch den alten vornehmen Familien mitteilen, die
sie dadurch in den Strudel des Wohllebens mit hineinreißen. Ich
habe in dem Kapitel meines „Modernen Kapitalismus", das von
der Vermögensbildung handelt, die Verarmung des Adels als eine
der Quellen der Bereicherung für die bürgerliehen Geldgeber
angeführt und habe dort gezeigt, wie dieser Prozeß der Verwand-
lung feudaler Vermögen in bürgerliche seit den Kreuzzügen un-
ausgesetzt in allen Ländern Europas sich vollzieht. Hier muß
nun ergänzend hinzugefügt werden, daß einer der häufigsten
Gründe, weshalb die alten Geschlechter verarmen und homines,
quos fortuna e faece extulit an ihre Stelle treten, der Drang
gewesen ist, jenen bürgerlichen Protzen es an Luxusaufwand
gleichzutun: diese Verleugnung der alten, vornehmen Tradi-
tionen führte entweder zum wirtschaftlichen Untergang der
IQQ Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
alteil Familieu oder zu den .lionteuses alliances' mit den reich
gewordeneu Finanzbaronen , von denen wir ebenfalls schon
Kenntnis genommen haben : das Zwischenglied in dieser Ent-
wicklung, das uns an dieser Stelle interessiert, war meist
die Verweltlichung, die Vermaterialisierung der adligen Ge-
schlechter. Daß die ,Subiti guadagni' der Turcarets diese
Wirkung hervorgebracht haben — und sie sind vor allem an
dieser Wandlung schuld, die freilich durch den Einfluß des
Hofes, wie wir schon sahen, unterstützt wurde — das scheint
mir. wie gesagt, ein Ereignis von ganz besonderer Tragweite
zu sein.
Dieser verhängnisvollen Neigung des Adels, mit den
Pfeffersäcken in der Luxusentfaltung Schritt zu tun, begegnen
wir in allen Ländern zu allen Zeiten, in denen plötzlich der
bürgerliche Reichtum an Umfang zunimmt.
So hören wir von Deutschland im 15. Jahrhundert schon :
„Stutzertum und Brutalität zugleich wurden Kennzeichen des
Ritters." Der Kleiderprunk wurde ein Hauptgrund seiner
Verschuldung. „Von der Costlichkeit der Cleider kommt es
vil her," äußert ein Sittenprediger, „daß es abwärts get mit
dem Adel in deutschen Landen; sie wollen prunken als die
riehen Kaufleute in den Städten tun . . . aber sie haut das
Geld nit, was jhene han ... So kommen sie in große schulden
und verfallen dem Wucher der Juden und Christenjuden und
müssen ihr Gut verkaufen ganz oder zum Teil." So verkaufte
eine Witwe von Heudorf für ein geringes Geld das Dorf
Göppingen an der Ablach, um sich bei Gelegenheit eines
Turniers einen blauen Sammetrock anschaffen zu können.
(Wir erleben ja bei uns jetzt erst das Ende dieser Ent-
wicklung, durch die der Adel den materialistischen An-
schauungen der Roture unterworfen ist: heute sind es die
letzten schwächlichen Versuche der paar letzten vornehmen,
alten Familien, dem allgemeinen mammonistischeu Zuge der
Zeit zu entgehen: es erscheint uns heute fast schon wie
Die Nachfolge der Kavaliere und der Protzen 101
Donquichotterie, wenn wohlmeinende Wortführer des armen
Adels ihre Standesgenossen vor den Gefahren des Luxus
warnen, der die alte Anschauung von Vornehmheit wie Motten
ein wollenes Gewebe bis auf wenige Fetzen aufgezehrt hat.)
In Frankreich beginnt der Zersetzungspiozeß des Adels
offenbar etwas später. SuUy, der, selbst ein Edelmann von
altem Schrot und Korn, seine Zeit immer etwas zu schwarz
sieht, klagt, daß während der letzten Menschenalter die rasch
erworbenen Vermögen der Finanzpächter und Geldgeber ihren
verheerenden Einfluß auf die herrschenden Klassen zu üben
angefangen hätten. Seine denkwürdigen Worto mögen hier
ihren Platz finden, weil sie eine der wichtigsten Wendungen
der neueren Geschichte in klassischer Form uns vor Augen
stellen ^^ :
.,Rien u"a plus contribue ä pervertir parmi nous l'idee de la pro-
Inte, de la simplicitö et du desinteressement ou ä touruer ces vertus ea
ridicule; rien n'a plus fortifie ce panchant raalheureux au luxe et ü la
mollesse, naturel ä tous les hommes , mais qui devient chez nous une
seconde natura par le caractere de vivacitc, qui fait que nous attachons
tout d'abord avec fureur ä tous les objets qu'on offre ä notre plaisir,
rien en particulier ne üegrade si fort la Noblesse Francaise que ces
fortunes si rapides et si brillantes des Traitans et autres geus d'atfaire;
par l'oppinion trop bien fondee , qu'elles ont repandae, qu'il n'y a
presque plus eu France que cette voie pour parvenir aux honneurs et
aux premieres places, et qu'alors tout est oublie, tout est permis."
Daß es im 17. und 18. Jahrhundert mit der alten vor-
nehmen Gesinnung in allen Ländern rasch bergab ging, haben
uns die Vorgänge zur Genüge deutlich gezeigt, die ich im
3. Abschnitt des 1, Kapitels dargestellt habe. Was hier nur
hervorgehoben werden sollte, war die Tatsache, daß dieser
Gesinnungswechsel dem großen Luxusstrome, den wir bis zu
seinen Quellen verfolgen wollten, neue Wasser zuführen mußte.
*
Ist nun auch der Seigneur vielleicht erst durch den
Tarvenu oder den Hof zu einem luxuriösen Leben verleitet
102 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
worden, so ist er es doch, der dem Luxus in unserer Periode
den Stempel aufdrückt, wodurch jene Zeit allen reich ge-
wordeneu Schweinemetzgern und Geldmenschen zum Trotz
sich als eine aristokratische von unserer Zeit deutlich abhebt.
Während der ganzen Zeit: von der Eroberung Kon-
stantinopels durch die Venetianer bis zur Erfindung der drei
Walzen Pauls, trägt der Luxus, können wir getrost sagen, in-
sofern ein einheitliches Grundgepräge, als seine Natur höfisch-
aristokratisch ist. Vom Hofe oder von der Aristokratie
(die eine solche bleibt trotz der Zufuhr von Plebejerblut) wird
der Ton angegeben: bald mehr vom Hofe, wie im 17. Jahr-
hundert (Frankreich), bald mehr von der „Gesellschaft", wie
im 16. und 18. Jahrhundert (Italien -England). Aber immer
bleiben diese beiden Elemente die einzigen Träger der Luxus-
kultur. Diese Kreise, in denen aller Luxus zur Entfaltung
kommt, heben sich — in ihrer eigenen Vorstellung und in der
der anderen — scharf ab gegen die bürgerliche Welt, gegen
das Pack, auch wenn in diesem etwa schon recht ansehnliche
Vermögen sich angesammelt hatten. Aber der Westender und
der Cityman: der Kavalier und der Rundkopf, wenn auch
nicht mehr im alten politischen, so doch in einem scharf ge-
prägten sozialen Sinne, unterscheiden sich selbst in England
bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts. So urteilen alle
guten Beobachter.
„Die Westlondoner weiden von den City-Bewohnern wegen ihres
Müßigganges, ihrer Üppigkeit, unordentlichen Lebensart und ihrem Hange
zu französischen Sitten durchgezogen, die diesen Spott aber in reichem
Maße erwidern und einen City-Engländer als ein unhöfliches plumpes
Tier schildern, das sein Verdienst bloß im Gelde sieht."
Archenholtz 1, 164.
„When I consider this great city in its several Quarters and
Divisions, I lock upon it as an Agregate of various Nations distinguished
from each other by their respective Customs, Manners and luterests.
The Courts of two Countries do not so much differ from one another,
as the Court and City in their peculiar ways of Life and Conversation.
In Short, the inhabitants of St. James, notwithstanding they live under
Die Nachfolge der Kavaliere und der Protzen 103
the same Laws and speak the sanie language, are a distinct People
from those of Cheapside, who are likewise removed from those of th'-
Temple on the on side and those of Smithfield on the other, by several
Climates and Degrees in their way of Thinking and Conversing together."
The Spectator No. 483. 12. Juni 1712.
Wenn also Chateaubriand von seiner Zeit sagt: „la
cour et la ville , les gens de lettres , les öconomistes et les
encyclopödistes, les grands seigneurs et les gentilshonimes, les
financiers et les bourgeois, se ressemblent: t^nioin les m^moires
qu'ils nous ont laisses" — so kann das immer nur richtig
gewesen sein für die „saure Cream" der Gesellschaft: die
„Schlippermilch", wie Goethe den „Mittelstand" nennt, zählte
noch nicht mit: der „Bürger", ob Klein- ob Großbürger, stand
abseits. Seigneurial bleibt vor allem der ganze Zuschnitt
des Lebens, Alles, was Geld heißt und Geldeswert hat,
wird verachtet. Wirtschaft führen , Ausgabe und Einnahme
in ein richtiges Verhältnis bringen, gilt als bürgerlich und
wird angestellten Haushofmeistern überlassen. Wozu hat man
Leute, wenn man sich selbst um den Haushalt kümmern soll.
Das Leben macht keine Freude mehr, wenn man sich mit
den Vorbereitungen abquälen muß. Das und das braucht man,
man weist die Summen dem Rendanten an : mag der sehen,
wie er sie beitreibt. Ob er sie den Lieferanten schuldig bleibt :
was macht es. Krämergesiunung ist es, zu wähnen, daß die
Rechnungen da sind, um bezahlt zu werden. Krämergesinnung
ist es nicht minder, bei irgendeiner Ausgabe zu erwägen, ob
man sie sich gestatten dürfe oder nicht.
Diese seigneuriale Verachtung jeder geordneten Wirtschaft
ist nun aber auch allen Spekulanten eigen: die Hautefinance
zumal berührt sich in diesem Punkte mit dem allen Adel :
sie führt auch eine Ausgabe-, keine Einnahmewirtschaft wie
dieser. Ihr fallen große Summen über Nacht in den Schoß
und machen es ihr möglich , spielerisch in den Tag hinein-
zuleben. Man wird am nächsten Mittag schon durch einen
glücklichen Coup all das wiedergewinnen , was man in einer
104 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Nacht verpraßt hat. Die Hautefinance steht in ihrer Wirt-
schaltsfülirung dem Krämer, der die Pfennige berechnet, ebenso
fern wie die Feudalaristokratie. Sie kennt auch ebensowenig
wie diese den Begriff des „Sparens". Alle diese spezifisch
kleinbürgerlichen Anschauungen , die sich dann auch in der
Bourgeoisie verbreiten, sind den reichen Schichten der früh-
kapitalistischen Epoche noch fremd. Wenigstens jenen
Schichten , die wir für den Luxuskonsum dieser Tage ver-
antwortlich machen können. Dieser also ist, das wollte ich
sagen, durchgehends, auch wo er von den Turcarets getragen
wird, seigneurial. Ein paar Beispiele werden verdeutlichen,
was ich meine.
Da steht vor uns, wie er leibt und lebt, der famose
Bassompiäre, geradezu ein Typus seiner ganzen Kaste, von
dem wir folgendes Geschichtchen erfahren ^* : auf einem Feste
trägt er ein Kostüm in drap d'or, geschmückt mit Palmen,
bedeckt mit Perlen , deren Gewicht er selbst auf 50 Pfund
angibt (seigneurial: das Repräsentativ-Pomphafte: siehe die
Darstellung weiter unten S. 107). Dies Kostüm kostete
14000 6cus, davon 700 für die Fa^ou (Macherlohn). Als
Bassompiöre es bestellte, verlangte sein Schneider 4000 6cus
Angeld, die B. ihm — verspricht. Darauf geht er soupieren
und spielen (mit 700 6cus in der Tasche). Er gewinnt
5000 Taler, mit denen er am nächsten Morgen (in einer
Anwandlung von Schwäche) seinen Schneider bezahlt. Dann
spielt er weiter und gewinnt in den nächsten Tagen den ganzen
Rest der Schneiderrechnung zusammen und 11000 Taler dazu.
Von diesen kaufte er sich für die Hälfte (5500) einen Degen
mit Diamanten besetzt, das andere verwendet er für seine
menus plaisirs.
Spieler :^^ Orry de Falvy verliert an einem Abend
600000 1., Dapin de Chenonceaux an einem Abend 700000 1.,
de la Haye au einem Abend 800000 1. (bei M^e de Genlis
gegen M. de F6nelon !) ; ein Sohn von Paris La Montagne bei
Die Nachfolge der Kavaliere und der Protzeu 105
einer Partie Quinze 80000 Taler; der Graf Jean Du Barry (der
Typus des verlumpten Grand Seigneurs im 18. Jahrhun<lerts)
verliert in einer Sitzung 7000 Louis und rühmt sich, bei der
fünften Million angelangt zu sein. 1717 gab es 62 „Spielhöllen"
in Paris.
Verachtung des Geldes und alles Gelduerten^^ : Der Mar-
schall Richelieu wirft eine volle Börse zum Fenster hinaus,
weil sein Pinkel, dem er sie geschenkt hatte, sie voll zurück-
braclite: draußen wird sie wenigstens ein Straßenkehrer finden.
Der Prinz von Conti zerstampft einen Brillanten, den ihm
seine Geliebte (weil ein Geschenk ganz einfach ausbedungen
war) zurückschickte, und streut den Staub über die Tinte,
mit der er die Antwort niederschreibt (der Brillant war 4
bis 5000 1. Geldes wert).
Der Marschall von Soubise gibt 200 000 fr. aus für einen
Tag, den der König bei ihm verbringt.
Mme de Matiguon zahlt jährlich 24000 l, um täglich eine
neue Coiffure zu haben.
Derselbe Prinz von Conti, den wir den Staub eines kost-
baren Edelsteins über ein Billet doux schütten sahen, litt
schließlich Not an Brot und Holz bei einer Rente von
600000 1., weil er für allerlei Luxusgegenstände sein Geld
auszugeben für richtiger fand.
Schäden iverden gemacht: M'ne de Guemeuee schuldet
60000 1. ihrem Schuster. Der Herzog von Lauzun, nachdem
er das Vermögen, das ihm 100000 Taler Rente brachte, auf-
gezehrt hat, macht 2 Millionen Lire Schulden.
Einen sehr hübschen Einblick in die Wirtschaftsführung
der vornehmen Leute jener Zeit eröifnen die Rechnungs-
bücher der Rose Bertin. die uns Emile Langlade jetzt
erschlossen hat^^ Als sie Anfang der 1790er Jahre ihre Außen-
stände einziehen ließ , ergaben sich folgende Forderungen :
an die ^larquise de Bouille für die Jahre 1774 — 86 6701 1.
„ Gräfin de Salles . . . „ , „ 1778—81 1148 „
\QQ Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
an Graf und Gräfin Duras für die Jahre 1774—89 7386 1.
„ den Grafen Aug. de
Laraarek „ „ „ 1774—75 1558 „
„ den Chev. de Saint Paul „ „ „ 1778 1343 „
Außerdem schuldeten (seit langen Jahren) : die Vikomtesse
de Polastron 19960 1., die Prinzessin von Rocliefort 109041.,
die Marquise de Tonnerre 10946 1. usw. usw.
Insgesamt betrugen die Außenstände der großen Schneide-
rin , die ihre Kundschaft nur in den ersten Kreisen hatte,
490 000 fr.
*
Aber auch die Richtung, in der sich der Luxus-
aufwand bewegte, wurde durch den Seigneur bestimmt.
Wir lernten schon den Kleiderluxus bei Hofe kennen:
er ist aber ein echtes Kennzeichen seigneurialer Lebensführung
überhaupt. Nichts unterschied so sehr den Kavalier von dem
Rundkopf als die elegante Kleidung, die der Zeit entsprechend
aus Samt, Seide, Goldstickerei und Spitzen bestand und dem-
entsprechend sehr kostbar war, und zwar gleichermaßen für
Mann wie Frau.
Über den Kleiderluxus im 15. und 16. Jahrhundert unterrichten
uns am besten die Garderobeninventare, deren uns eine ganze Reihe er-
halten ist: so von der Valentina und Elisabetta Visconti, der Bianca
Maria Sforza, der Lucrezia Borgia u. a. Lucrezia beispielsweise hatte
in ihrer Aussteuer 50 Kleider in Brokat, Samt mit Stickerei und
Spitzen: 150 Maultiere trugen ihre Kleidung und Wäsche, als sie aus
Rom auszog*^.
Für alle Zeit bieten uns die Kunstwerke eine gute Quelle dar, um
den Kleiderluxus zu ermessen, ebenso Schilderungen von Festen, Auf-
zügen usw. So entwirft z.B. Burcardus in seinem Tagebuch (worauf
ich schon hinwies) von dem Einzug des Prinzen Federigo von Neapel
in Rom (1492) folgendes Bild: „Die einzelnen ritten überaus prächtige
Pferde, alle in Goldbrokat gekleidet, Kleinodien von großem Wert auf
der Brust, auf den Baretten und Hüten. Der Prinz trug ein Gewand
von violettem Samt, die Halskette aus Perlen und Edelsteinen im Wert
von 6000 Dukaten, einen Gürtel nebst Schwert im gleichen Wert, der ganze
Zügel mit Perlen und Edelsteinen besetzt im Werte von 3000 Dukaten
und das ganze Pferdegeschirr vorn und hinten vergoldet."
Die Nachfolge der Kavaliere und der Protzen 107
Die Reuaissancetracht steigert sich in die Barocktracht, diese ver-
feinert sich zum Rokoko. Wir wissen, wie beispielsweise in England
im 17. Jahrhundert die elegante Kleidung des Kavaliers geradezu als
ein Standesabzeichen angeschen wurde. Damals brachte die herrschende
Mode eine besonders ausgesprochene Eleganz mit sich: die hohen Reiter-
stiefeln werden mit kostbarem Stoff gefüttert und mit Spitzen besetzt.
Auch die Kleider des Mannes bestehen zum großen Teil aus schweren
Seiden- und Samtstoffen. Van Dyck!
Und welch ein Aufwand wurde getrieben! Der Herzog von
Buckingham besaß (1625) 27 kostbare Anzüge aus Samt, Seide, Spitzen,
Perlon usw.. von denen jeder etwa 35000 Francs gekostet hatte. Der
Festanzug, in dem er auf der Hochzeit Karls I. erschien, hatte die
Summe von 500000 Francs verschlungen (Weiß). Ein Edelmann und seine
Frau gaben im 17. Jahrhundert in Frankreich ein ganzes Drittel ihres
Einkommens für Kleidung aus; für Toilette und Equipage fast die Hälfte:
5000 Livres von 1200099.
Im 18. Jahrhundert steigerte sich der Kleiderluxus eher noch:
er ging mehr ins Feine, ins Raffinierte. Der Durchschnittspreis des
eleganten Herrenanzugs war 1200 — 1500 1. Wer auf sich hielt, hatte
6 Sommer-, 6 Winteranzüge. Festkleider der Männer kosteten bis
15 000 1. Feines graues Tuch; 70—80 1. die Elle (Barbier).
Auch der Luxus in feiner Wäsche — dieser spezifisch
erotische Luxus — entfaltete sich jetzt erst recht. Der biedere
Verfasser des Complete English Tradesman entrüstet sich sehr
darüber, daß der gewöhnliche „beau" seiner Zeit, ,,our nicer
gentleman", „the ordinary beau" Hemden aus Leinen die Elle
zu 10 oder 12 sh. trüge und sie zweimal am Tage wechsele!
Zu Großvaters Zeiten habe man sich mit halb so teuerem
holländischem Leinen begnügt und habe das Hemd vielleicht
zweimal in der Woche gewechselt. Der Stutzer heutzutage,
setzt unser Gewährsmann boshaft hinzu, wird wohl so viel
schmutziger am Körper sein als die Vorfahren, deshalb muß
er die Wäsche so oft wechseln: „we may suppose their unclearer
bodies require it more than those of their ancestors did ^®®."
Das Repräsentative, das Prunkhafte ist das Seigneuriale
in der Luxusentfaltung : pompöse Kleidung, vergoldete Staats-
karossen, betreßte Dienerschaft, die in großen Mengen ge-
halten wird: diese außerordentlich zahlreiche Bedientenschar
JQ8 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
ist aherraals ein Zug von seigneurialem Luxus. Sie ist der
Rest der alten Gefolgschaft: in ihr tritt uns die personale
Natur des seigneurialen Luxus entgegen, die wir bei allem
früheren Luxus überwiegen finden. "Wir kennen die Klagen,
die Adam Smith gegen diese „Unsitte" seiner Zeitgenossen
erhebt, so viele „unproduktive" „Hände" zu beschäftigen, die
doch alle so schön Garn spinnen könnten.
Die Zustandsschilderungen, die wir aus jener Zeit be-
sitzen, bestätigen die Richtigkeit der Tatsache, die Ad. Smith
zu seinen Klagen Anlaß gaben. D e f o e , dem diese seigneuriale
Art auch ganz und gar zuwider war, erzählt uns, daß ganz
gewöhnliche Londoner Kaufleute, very ordinary tradesmen,
mindestens zwei , oft mehr weibliche Dienstboten , manche
sogar einen Diener, auch deren zwei halten; in einem be-
sonderen Falle hat die Kaufmannsfrau fünf Dienstmädchen
und einen Diener. Die blauen Livreen dieser Krämerdienst-
boten seien so häufig geworden, daß man sie „tradesmen
liveries" nenne und daß „the gentlemen" die Farbe bei ihren
Dienern vermieden ^°^ So allgemein war dieser seigneuriale
Luxus geworden, daß er bei der Roture an der Tagesordnung
war ; wie stark mußte er bei den Kavalieren entwickelt sein !
Wir werden uns nicht wundern, wenn wir von einem engli-
schen Lord hören, der 100 Stallknechte hatte '"2.
Manchmal allerdings setzen uns die Riesenziflfern der
Dienstboten doch in Erstaunen : der Duc de Nevers hält 146,
die Pontchartrain 113, der Duc de Choiseul 400 (davon 54
in Livree) ^°3, M^e de Sevign6*<'* 30—40. Natürlich ahmten
die Protzen diesen Herrenluxus geflissentlich nach : bei einem
reich gewordenen Landschaftsmaler, einem „Mississipien",
finden wir 90 Diener ^°^ und Mercier berichtet uns ganz
allgemein ^"^ 'i : „Dans teile maison de fermier-g^neral vous
trouverez 24 domestiques portant livröe, sans compter les
marmitons, aides-cuisines et G femmes de chambre poui
madame . . ."
Die Nachfolge der Kavaliere und der Protzen 109
Von einem Turcaiet erzählt er uns, den vier Diener
umgeben, wenn er seine Schokolade einnimmt.
Endlich ist nun aber auch inhaltlich das Wesen
des Luxus dieser ganzen Periode aristokratisch, und zwar
nicht nur in dem negativen Sinne, daß er der großen Masse
nicht zugänglich , daß er beschränkt ist auf einen kleinen
Kreis Auserwählter. Positiv aristokratisch (wie man sprechen
möchte) ist der Luxus jener Tage durch die Vornehmheit der
Gestalt, die er überall annimmt, selbst bei dem letzten Knall-
protzen, weil er eben unter das Joch des guten Geschmacks,
der immer nur bei den wenigen ist, gezwungen wird. Er ist
„distinguiert", jener Luxus: immer rein ästhetisch, rein formal
orientiert. Die Periode umspannt ja vier Stilarten: Gotik,
Renaissance, Barock und Rokoko. Aber alle diese Stile sind
vornehme Stile, sind Herrenstile, sind vor allem „Stile" und
unterscheiden sich dadurch scharf von dem Stil unserer Zeit,
der die Stillosigkeit ist, und der damit das Merkmal des
Plebejischen an der Stirn trägt.
In das England des 18. Jahrhunderts ragt so etwas wie
ein „bürgerlicher" Stil hinein, hie und da klingt schon ein
plebejischer Ton an: Muther will in den Porträts von
Reynolds und Gainsborough schon diese neue Note entdecken
und glaubt damit England von Frankreich unterscheiden zu
können; aber mir scheint doch, daß gerade in diesen beiden
Porträtisten die durchaus aristokratische Natur jener Zeit
zum deutlichen Ausdruck kommt. Gewiß ist M»"» Siddon auf
dem Bilde von Gainsborough in Straßentoilette dargestellt:
„einen großen Hut auf dem Kopfe, den Muff in der Hand,
keinen Perlenschmuck, sondern ein einfaches Seidenband um
den Hals.'' Gewiß. Aber doch! Eine Welt trennt sie von jeder
Dame unserer Zeit und trennte sie von den Frauen der City-Men
ihrer Tage ganz gewiß. Ist der Blue Boy nicht recht eigentlich
WQ Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
das Sinnbild jener letzten Stunden der aristokratischen Kultur?
Hogarth ja: da kommt das „unhöfliche plumpe Tier* zum
ersten Male (seit der kurzen holländischen Plebejerepisode)
zu Worte. Aber zu der Welt, die für die Entfaltung von
Luxus allein in Betracht kam, gehörte er noch nicht.
Und das Weibchen ? Wir wissen, daß die Maitressenwirt-
schaft namentlich im 18. Jahrhundert durchaus allgemein
innerhalb der guten Gesellschaft war: „Quel est Thomme qui
n'a pas de maltresses?" ruft ein Philosoph jener Zeit ganz
naiv aus: da können wir ohne weiteres, wenn wir jetzt
von der Verschwendung dieser selben Kreise hören, dar-
auf schließen, daß ein gut Teil davon auf das Konto der
illegitimen Liebe zu setzen ist und daß der Rest von den
legitimen Gattinnen verschuldet war.
Von einigen der großen Kurtisanen haben wir ziffern-
mäßige Belege für ihre Verschwendungssucht.
Von der „liebenswürdigen Deschamps" sagt der Advokat
Carsillier in einem Plaidoyer: „Ihr Luxus setzt ganz Paris
in Erstaunen. Die Bergwerke von Golconda sind für sie er-
schöpft worden. Das Geld sproßt unter ihren Tritten auf."
Viele und gerade die Geliebten der großen Finanzleute
(wie z. B. die M^e Petitpas und Mme Dufresne, die Maitressen
des steinreichen La Mosson) waren durch ihren frechen Luxus,
ihren „luxe insolent" in Paris bekannt. Und in der Tat:
enorme Summen glitten durch ihre Händchen. Die Geliebte
eines anderen Granden der Finanzwelt, Maison rouge, eine
Tänzerin der großen Oper, preßt aus ihrem Geliebten her-
aus i"«: 210000 1. für Gebäude und Einrichtungen, 150000 1.
für Schmuck, 50000 Taler für Gemälde und Silbergeschirr.
Der junge Chauvelin macht für die Tänzerin W^^ Minos
Schulden in Höhe von 1600140 1. 19 s. 11 d. ; St. James,
Schatzmeister der Marine, schenkt der M}^^ de Beauvoisin
Der Sieg des Weilxhens Hl
für 1500000 bis 1800000 1. Schmuck und andere Wert-
gegenstände und setzt ihr eine Jahresrente von 20000 Tal ern
aus. 10000 1. (2000 6cus) ist eine „normale" Monatsgage für
die „besseren" Kurtisanen^"".
Aber ich möchte den engen Zusammenhang, der zwischen
der Luxusentfaltung jener Zeit und der Vorherrschaft des
Weibchens (ob es verheiratet war oder nicht, l)leibt sich gleich,
wenn es nur Weibchen war) obwaltet, noch deutlicher auf-
weisen, als es die allgemeinen Erwägungen und der Hinweis
auf die Verschwendung einzelner Huldinnen gestatten, indem
ich mehr ins einzelne gehe und die Luxusentfaltung nach
ihrem wichtigsten Inhalte verfolge: so gewinnen wir auch
einen klareren Einblick noch in die mannigfachen Möglich-
keiten des Luxus unter dem Ancien regime und können
deutlicher noch erkennen, wie von den einzelnen Luxus-
ausgaben oder besser von der Häufung der einzelnen Fälle
der Luxusbetätigung die Fäden hinüberreiehen nach den
ersten Gebilden kapitalistischer Organisation auf dem Gebiete
des Handels und der Industrie.
IV. Der Sieg des Weibdiens
Ich habe vorhin die gemeinsamen Züge, die aller Luxus
der frühkapitalistischen Epoche trägt, aufgewiesen. Jetzt
möchte ich darauf aufmerksam machen, daß der Luxus in
diesen fünf bis sechs Jahrhunderten auch Wandlungen erlebt,
und möchte zeigen, wie sehr an diesen Wandlungen die
Frauen (wie wir sie nun kennen gelernt haben) schuld sind.
Wir betrachten zunächst:
/. Die allgemeinen Entwicklung stendensen des Luxus
(wohlgemerkt: des Luxus in dieser ganz bestimmten historischen
Periode, sage von 1200 bis 1800, die es nur ein einziges Mal
in der Weltgeschichte gegeben hat. Alle Bemühungen, all-
gemeine Epochen des Luxus zu bilden, wie es etwa Röscher
\12 Viertes Kapitel : Die Entfaltung des Luxus
versucht hat, sind eitel: von deu Tolpatschen ganz zu schweigen,
die mit der schlechtverstandenen „materialistischen Geschichts-
auffassung" in so delikate Zusammenhänge, wie es die Er-
scheinungen des Luxus sind, hineingreifen).
Solcher Entwicklungstendenzen unterscheide ich folgende :
a) Tendenz zur Verhäuslichung. Der meiste
mittelalterliche Luxus war öffentlicher, nun wird er privater;
er wurde aber auch als privater weit mehr außerhalb des
Hauses entfaltet wie in dem Hause : jetzt wird er immer
mehr in das Haus, in die Häuslichkeit verlegt: die Frau holt
ihn zu sich herein.
Ehedem (noch zur Zeit der Renaissance) Turniere, Schau-
gepränge, Aufzüge, öffentliche Gastereien: nun Luxus im Hause.
Damit verliert der Luxus seinen periodischen Charakter, den er
früher hatte, und wird ständig. Unnütz zu sagen, wie sehr mit
dieser Wandlung eine Steigerung des Luxusbedarfs verbunden ist.
b) Tendenz zur Versachlichung. Wir sahen, daß
der Luxus unserer Periode noch immer einen stark personalen
und damit quantitativ gerichteten Charakter trägt, und stellten
fest, daß hierin sich sein seigneurialer Ursprung zu erkennen
gäbe, da diese starke Bewertung zahlreicher Dienerschaft ein
Überbleibsel der alten Gefolgschaft sei. Zweifellos wird nun
aber seit dem Mittelalter der personale Zug in der Luxus-
entfaltung unausgesetzt schwächer. Ehedem erschöpfte sich
der Luxus vielfach im Aufgebot zahlreicher Trabanten, in
deren Beköstigung und Belustigung bei Festen usw. Jetzt ist
die zahlreiche Dienerschaft nur noch eine Begleiterscheinung
der immer mehr wachsenden Verwendung von Sachgütern zu
Luxuszweckeu. An dieser Versachlichung, wie ich den Prozeß
nenne, hatte nun das Weibchen abermals ein Interesse. Denn
die Aufbietung zahlreicher Gefolgsmannen kommt ihr wenig
zugute, wie es die prächtigere Kleidung, die behaglichere
Wohnung, der kostbarere Schmuck tun. Ökonomisch ist diese
Wandlung wieder äußerst relevant: Adam Smith würde
Der Sieg des Weibchens 113
sagen: man geht von „unproduktivem" zu „produktivem"
Luxus über, weil jener personale Luxus „unproduktive",
der versachlichte Luxus dagegen „produktive" Hände (im
kapitalistischen Sinne: das heißt Lohnarbeiter in einer
kapitalistischen Unternehmung) beschäftigt. In der Tat ist
die Versachlichung des Luxusbedarfs für die Entwicklung des
Kapitalismus von grundlegender Bedeutung.
Hand in Hand mit dieser Versachlichung des Luxus geht
aber die vom Weibchen mit besonderer Energie geförderte
e) Tendenz zur Versinnlichung und Verfeinerung.
Als Tendenz zur Versinnlichung sehe ich jene Entwicklung
an, die dahin führt, daß der Luxus immer weniger irgend-
welchen idealen Lebenswerten (wie namentlich der Kunst)
und immer mehr den niedrigen Instinkten der Animalität
dient. Wenn jener Prozeß sich vollzieht, den die Goncourts
einmal so bezeichnen : „la protection de Tart tombe aux
ciseleurs de bronzes, aux sculpteurs ou bois, aux brodeurs,
aux couturi^res" usw. Sie wollen damit den Unterschied
der Du-Barry-Epoche gegenüber der Pompadour-Zeit kenn-
zeichnen. Mir scheint diese — unnütz zu sagen : ökonomisch
wiederum ganz hervorragend wichtige — Wandlung charakteri-
siert mehr den Übergang vom 17. ins 18. Jahrhundert, also
den Sieg des Rokoko über das Barock. Dieser Sieg aber
bedeutet nichts anderes als den endgültigen und vollständigen
Triumph des Weibchens. Die Durchsetzung dieses eminent
weiblichen Stiles auf allen Gebieten der Kultur ist allein
genügender Beweis für die Richtigkeit der hier verfochtenen
These. Das siegreiche Weibchen strahlt uns in der Tat aus
allen Schöpfungen der Kunst und des Kunstgewerbes dieser
Zeit entgegen : aus Pfeilerspiegeln und Lyoner Kissen, himmel-
blauseidenen Betten mit weißen Tüllgardinen, aus zartblauen
Jupons, grauseidenen Strümpfen und rosigen Seidenkleidern,
aus koketten mit Schwanendaunen besetzten Peignoirs. aus
Straußenfedern und Bra])anter Spitzen, was dann alles ein Pater,
Sombart, Luxus und Kapitalismus 8
]^14 Viertes Kapitel: Die p]ntfaltung des Luxus
wie Muther, dieser unvergleichliche Schilderer des Rokoko,
dem auch die vorhergehenden Worte entnommen sind, es aus-
drückt, zu einer „Symphonie des Salons" zusammengedichtet hat.
Mit der Tendenz zur Versinnlichung des Luxus im engsten
Zusammenhange steht die Tendenz zu seiner Verfeinerung.
Verfeinerung heißt Vermehrung des Aufwandes an lebendigei*
Arbeit bei der Herstellung eines Sachgutes, heißt Durch-
dringung, Vollsaugung des Stoffes mit mehr Arbeit (soweit
nicht die Verfeinerung in der Verwendung nur seltener Stoffe
besteht). Damit wird aber auch^der Spielraum namentlich für
die kapitalistische Industrie, aber auch für den kapitalistischen
Handel (Beschaffung ortsferner Stoffe !) wesentlich ausgeweitet.
d) Tendenz zur Zusammendrängung — in der Zeit
nämlich. Sei es, daß viel Luxus innerhalb einer gegebenen
Zeit entfaltet wird: viele Gegenstände genutzt werden, viele
Genüsse durchgekostet werden ; sei es, daß früher periodische
Luxusveranstaltungen nun zu ständigen Einrichtungen werden:
aus Jahresfesten werden regelmäßig wiederkehrende Feste,
aus Aufzügen an Jubeltagen werden tägliche Maskeraden,
aus Schmausereien an Weihetagen und Quartalssaufereien
werden Diners und Soupers des Alltags; sei es (worauf ich
besondern Nachdruck legen möchte), daß in kürzerer Zeit die
„Luxusgüter" hergestellt werden, um rascher ihrem Besitzer
dienen zu können.
Die Regel im Mittelalter war die lange Produktionszeit:
Jahre und Jahrzehnte wurde an Einem Stück, an Einem Werk
gearbeitet: man hatte keine Eile, es vollendet zu sehen. Man
lebte ja auch so lange, weil man in einem Ganzen lebte: die Kirche,
das Kloster, die Stadtgemeinde, das Geschlecht würden die Voll-
endung sicher erleben, wenn auch der einzelne Mensch, der die
Arbeit in Auftrag gegeben hatte, längst vermodert war. Wie
viele Geschlechter haben an der Certosa von Pavia gebaut ! Die
Mailänder Familie Sacchi hat während dreier Jahrhunderte,
durch acht Generationen hindurch, an den Inkrustierungen
Der Sieg des Weibchens 115
und Intarsien der Altarplatten gearbeitet. Jeder Dom, jedes
Kloster, jedes Rathaus, jede Burg des Mittelalters legt Zeugnis
ab von dieser Überbrückung der Lebensalter des einzelnen
Menschen: ihre Entstehung zieht sich durch Geschlechter
hindurch, die ewig zu leben glaubten.
Seitdem das Individuum sich herausgerissen hatte aus
der es überdauernden Gemeinschaft, wird seine Lebensdauer
zum Maßstab seines Genießens. Der Einzelmensch will als er
selbst möglichst viel von dem Wandel der Dinge erleben. Selbst
ein König ist zu sehr er selbst geworden : er will das Schloß
noch selbst bewohnen, das er zu bauen anfängt. Und als
nun gar die Herrschaft dieser Welt auf das Weibchen über-
ging, da wurde das Tempo, in dem die Mittel zur Befriedigung
des Luxusbedarfs herbeigeschafft wurden, abermals beschleunigt.
Die Frau kann nicht warten. Der verliebte Mann aber erst
gar nicht. Welch ein Wandel in dem Zuschnitt des Lebens :
Maria von Medici ließ den Luxemburg-Palast in der uner-
hört kurzen Zeit von fünf Jahren vollenden ^"'^a.
Am Versailler Schloß wurde Tag und Nacht gearbeitet:
„Pour Versailles, il y a deux ateliers de charpentiers, dont
Tun travaille le jour et l'autre la nuit,'" hat uns Colbert selbst
erzählt ^o'b.
Der Graf von Artois läßt Bagatelle von Grund aus neu
bauen, damit er der Königin dort ein Fest gebe, und be-
schäftigt 900 Arbeiter bei Tag und bei Nacht: als es ihm
nicht schnell genug geht, schickt er seine Huissiers auf die
Landstraße, um Stein- und Kalkwagen abzufangen.
Alle diese W^andlungen werden wir nun aber noch viel
plastischer vor uns sehen, wenn ich jetzt versuche, im folgenden
auf einigen der wichtigeren Gebiete den Luxus im einzelnen
zu verfolgen. Wir bekommen damit auch erst wieder recht eine
Vorstellung von der ökonomisch ja immer vor allem wichtigen
quantitativen Bedeutung, die den Veränderungen in der Ge-
staltung des Luxus innewohnt.
8*
j|(3 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
2. Der Luxus mi Hause
a) Der Eßluxus ist in Italien während des 15. und
16. Jahrhunderts ausgebildet worden, als dort eine „Koch-
kunst" neben den andern Künsten entstand. Vorher hatte
es nur Freßluxus gegeben: nun verfeinerte man auch diesen
Genuß und setzte auch hier die Qualität an Stelle der Quantität.
Auch der Eßluxus wandert von Italien nach Frankreich,
wo er seit dem Ende des 16. Jahrhunderts seine eigentliche
Pflege erhält. Ihn in seiner Entwicklung zu verfolgen ist
kaum möglich, ohne eine lange Abhandlung über Speisen-
zubereitung zu schreiben, wie sie in den Rahmen dieser Unter-
suchung doch nicht passen würde. Nur die eine Frage will
ich hier doch wenigstens ebenso stellen wie in den andern
Fällen: verdanken wir die Verfeinerung der Kochkunst und
somit die Entfaltung des Eßluxus abermals dem Weibchen?
Psychologisch-physiologisch ist die Sache „strittig" : wie
nahe Kochkunst und Liebeskunst miteinander verwandt sind.
Man ist geneigt, Erotik und Gourmandise in einen gewissen
Gegensatz zueinander zu stellen, wenn man etwa als die
Lebensalter des Mannes: die Liebe, den Ehrgeiz und das
Diner bezeichnet. Schlimme Nicht-Erotiker wie Kant waren
große Gourmes. Aber mir will doch scheinen, als ob wir ohne
die allgemeine Verfeinerung und Versinnlichung unseres Ge-
schmackslebens, wie wir es dem Einfluß der Frau verdanken,
auch niemals zu einer Höherentwicklung der Eßkunst gelangt
wären. Liegt bei der leidenschaftlichen Gourmandise, wie wir
sie bei alten Hagestolzen finden, eine „Verdrängung" erotischer
Triebe vor? So daß die Gourmandise beim Mann etwa der
Katzenliebe alter Jungfern entspräche? Auch das wäre zu
prüfen.
Nur in einem Punkte scheint mir schon heute Klarheit
zu herrschen : das ist der Zusammenhang zwischen Süßigkeits-
konsum und Weiberherrschaft. Wir können deutlich die Linie
Der Sieg des Weibchens 117
wahrnehmen, die heute noch die Zone des Weibchens abgrenzt:
es ist dieselbe Linie, die die Länder mit guten und die mit
schlechten Küchen und Mehlspeisen voneinander trennt: in
Italien, in Österreich, in Frankreich, in Polen die vortreff-
lichen Süßigkeiten, in Norddeutschland der Flammeri, in
England der Albert-Cake,
Diese Verknüpfung des Feminismus (alten Stils) mit
dem Zucker ist nun aber wirtschaftshistorisch von allergrößter
Bedeutung geworden : weil in der frühkapitalistischeu Epoche
das Weibchen vorherrschte, wurde der Zucker so rasch ein
beliebtes Genußmittel, und nur weil der Zucker da war, fanden
die Reizmittel Kakao, Kaff'ee und Tee in Europa so rasch und
allgemein Anklang. Der Handel in diesen vier Artikeln aber
und die Produktion von Kakao, Kaffee und Zucker in den
europäischen Kolonien sowie die Verarbeitung des Kakaos
und die Raffinierung des Ptohzuckers in Europa nahmen in der
Entwicklung des Kapitalismus einen sehr breiten Raum ein.
Was wir von der Geschichte dieser Genußmittel und ihrer
Einbürgerung in Europa wissen , bestätigt durchaus die
Richtigkeit dieser allgemeinen Schlüsse. Soweit diese Ge-
schichte mit der des Zuckers zusammenfällt (und das ist in
weitem Umfang der Fall), sind wir gut unterrichtet durch
das Buch von Edmund 0. von Lippmann ^*'^, dem auch
die folgenden Angaben im wesentlichen entnommen sind.
Erwähnt finden wir den Zucker zuerst im 14. Jahrhundert; ein-
gebürgert als beliebtes Genußmittel ist er in Italien im 15. Jahrhundert.
Heutzutage, schreibt Pancirollus, gibt es kein festliches Gastmahl,
bei dem nicht eine Fülle von Zucker in vielerlei Art verwendet wird;
Figuren und Gruppen , Vögel und Vierlüßler und die wunderschönsten
Früchte in den natürlichen Farben werden daraus nachgebildet, Rha-
barber, Pignolien, Cinnamomen und andere Gewürze darin gemacht und
damit kandiert, zum Entzücken der Menschheit; ohne Zucker wird fast
nichts mehr verzehrt, Zucker kommt an die Kuchen, Zucker in den
Wein, statt Wasser trinkt man Zuckerwasser, Fleisch, Fische und Eier
bereitet man mit Zucker, kurz, man gebraucht Salz nicht mehr häufiger
als Zuckerl
\\^ Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Wiederum erscheint Katharina von Medici als die Mittlerin, die
den Zuckerkonsum in der französischen Gesellschaft verbreitet. Unter
anderem soll das italienische Gefolge dieser Fürstin zuerst den Gebrauch
der Liköre in Paris bekannt gemacht haben, die dann von den Franzosen
selbst zu hoher Vollendung gebracht wurden. Eine der beliebtesten
Marken jener Zeit war das aus Alkohol, Zucker und Safran gewonnene
Venusöl (Huile de Venus). Estienne versichert uns in seinem Ti'aktat
über die Landwirtschaft bereits, daß der Zuckerkonsum sehr verbreitet
sei. La Bruy^re Champier, der Leibarzt Franz L, nennt (1560) Zucker
schon ein unentbehrliches Genußmittel, natürlich nur innerhalb der oberen
Schichten der Gesellschaft, denn er erläutert seinen Ausspruch mit
der Erklärung: „weil Leute von feiner Lebensart nichts verzehren, was
nicht mit Zuckerpulver bestreut ist". Ebenso galten in England auch
schon im 16. Jahrhundert Zuckerwerk, Gelees, Marmelade, kandierte
Zitronen, Orangen und Ingwer, sowie Schlösser, Schiffe und Figuren
aus Zucker bei jeder feineren Mahlzeit als unentbehrlich.
Seit dem Anfange des 17. Jahrhunderts bürgern sich dann mit
Hilfe des Zuckers Kakao, Kaffee und Tee in Europa ein: sie alle zu-
erst in der vornehmsten Gesellschaft, insbesondere an den Höfen beliebt.
So kam der Kaffee beispielsweise in Frankreich erst in Aufnahme,
nachdem Ludwig XIV. beim Empfange der Gesandtschaft Sultan
Mohammeds IV. (1670) Kaffee genossen und ihn daraufhin in Hofkreisen
eingeführt hatte. Um diese Genußmittel gruppiert sich dann in den
öffentlichen Kaffeehäusern ein neuer großstädtischer Luxus, auf den ich
noch zu sprechen komme.
b) Der Wohnluxus. Die Entfaltung des Wohnluxus
steht im engsten Zusammenhange mit der von uns ausführlich
gewürdigten Entwicklung der Großstadt, Diese ist es, die
den Luxus der Wohnungen und Einrichtungen , wie er seit
der Renaissance, namentlich aber seit dem Ende des 17. Jahr-
hunderts mehr und mehr beliebt wird, wesentlich gefördert
hat. Sie tat es durch die Einschränkung des Lebens-
spielraums, die notwendig im Gefolge der Zusammenballung
großer Menschenmassen auf einem Flecke sich einstellen
mußte, einerseits; durch die Einschränkung des personal
gefärbten Luxus anderseits, die ebenfalls eintreten mußte,
sobald der Seigneur seinen Wohnsitz in der Stadt aufschlug.
Diese inneren und äußeren Beschränkungen, die die Lebens-
haltung der reichen Leute in der Stadt erlebte, führten nun
Der Sieg des AVeibchens 119
aber, wenn ich mich so ausdiückeu darf, zu einer Intensivierung
des Luxus, der, wie wir sahen, einerseits versachlicht, ander-
seits verfeinert wurde. Was der Eßluxus erlebte : die Einpor-
hebung durch Vervollkommnung der Kochteclmik, das erfuhr
der Wohnluxus in der Großstadt ebenfalls: an Stelle riesiger,
leerer Burgen traten kleinere, aber mit einer wachsenden
Menge von Kostbarkeiten ausgefüllte Stadtwohnungen: der
Palast wurde vom Palais abgelöst.
Diese, sagen wir, städtische Wohnweise wird dann nun
aber auf das Land übertragen: die mit städtischer Eleganz
ausgestatteten Landhäuser entstehen: die „Villen", die also
(just wie im Altertum) die unmittelbare Folge des Stadt-
lebens sind. Damit dringt der Luxus bis in die entferntesten
Teile des Landes, das auch in diesem Punkte der Großstadt
und ihren Lebensbedingungen unterworfen wird.
Wenn wir die Schilderungen von den Stadt- und Land-
häusern der reichen Leute etwa Frankreichs und Englands
lesen, die uns die Zeitgenossen beim Ausgang des 17. und im
18. Jahrhundert entwerfen, so denken wir zunächst, daß es
sich um Übertreibungen handelt. Bis wir gewahr werden,
durch die Häufung von zahlreichen, immer gleichen Urteilen,
daß der Wohnluxus in jener Zeit tatsächlich eine Höhe
erreicht haben muß, die, selbst von dem Standpunkt unserer
protzigen Zeit aus gesehen, ganz ungeheuer gewesen ist. Wir
erinnern uns dann der Pteste des herrlichen Barock- und
Rokokomobiliars , die wir heute bei den Altwarenhändlern
zum Verkaufe stehen sehen, erinnern uns der Abbildungen
von Einrichtungsgegenständen aus jener Zeit in den Kunst-
geschichten und bedenken, daß all das, was wir jetzt nur als
Einzelstiicke vor Augen haben: abgebildet oder in Wirklich-
keit, daß das alles einst zusammenstand und die Räume der
Marquis und der Finanzbarone des Ancien regime erfüllt hat.
Aber wir erinnern uns auch der Riesensummen, die wir die
Turcarets für Wohnzwecke verausgaben sahen.
220 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
AVer aber trieb die Männer an, so viel Herrlichkeiten
zu scbaffeu? Wir brauchen nicht lange zu fragen: die "Woh-
nung, in der die vornehme Gesellschaft des Ancien regime
lebte, ist das Nest, das sich mit vieler Mühe und vielem
Bedacht das Weibchen gebaut hat, um das Männchen an sich
zu fesseln -. das zeigt die Geschichte der Wohnungseinrichtungen
mit alier nur zu wünschenden Deutlichkeit.
Wenn man so viel von der Erotik der Minnesängerzeit
zu reden weiß : wo hätte sich denn das Liebesleben abspielen
sollen? In den W^äklern allenfalls. Denn die Burgen waren
doch ganz gewiß kein Ort, um Schäferstündchen zu feiern.
Jedenfalls müßte dann unter Liebesleben etwas ganz anderes
zu verstehen sein, als wir heute darunter verstehen. Gotik
und Erotik reimen sich zwar, passen aber doch nicht zu-
einander. Nein: auch hier schuf die Renaissance erst wieder
die äußeren Bedingungen für die von Grund aus neugestaltete
Lebensführung.
Alles, was wir heute unter einer eleganten oder behaglichen
Wohnungseinrichtung verstehen, wird zuerst im 15. und
16. Jahrhundert in Italien geschaffen: durch die Renaissance,
die ihrem ganzen Wesen nach sich den Anforderungen des
täglichen Lebens besser anpaßte, als es der „einseitige, un-
freie" Dekorationsstil der Gotik vermocht hatte: weiche,
elastische Betten tauchen auf ; kostbare Bodenteppiche werden
in Gebrauch genommen; ;,Toiletteugeräte, von welchen sonst
noch nirgends die Rede ist, lernt man besonders bei den
Novellisten kennen. Die Menge und Zierlichkeit des Weiß-
zeugs wird öfter ganz besonders hervorgehobon . . ." ^°" usw.
Frauenwerk! Mehr: Kurtisanenwerk! Vielleicht das erste
Wohnhaus im modernen Sinne, in dem Kunstsinn und Be-
haglichkeit gleichermaßen heimisch waren, war die Farnesina :
das Landhaus des reichen Agostino Chigi: gebaut für die
Maitresse dieses Finanzmannes, die schöne Venetianerin Moro-
sina. Welch ein Abstand: der Luxus in diesem Heim einer
Der Sieg des Weibchens 121
Kurtisane noch gegen den Palast Pauls II., mit dem die neue
Architektur in Rom begonnen hatte: „dem neuen Geschlechte
waren Grazie und heitere Sinnlichkeit Bedürfnis geworden"
(Gregorovius), weil es in den Banden der Frauen lag.
Dort, im Rom des IG. Jahrhunderts, wird die moderne Wohn-
einrichtuug geboren. Von dem Palais einer anderen Kurtisane,
der uns schon bekannten Imperia, erfahren wir: „Teppiche,
Gemälde, Vasen und Kippsachen, auserle^^ene Bücher, schöne
Reuaissancemöbel verbreiteten in ihrem Zimmer solchen Glanz,
daß der edle spanische Botschafter eines Tages dort einem
Bedienten ins Gesicht spie, weil er keine andere Stelle für
dies Bedürfnis entdecken konnte" ^^'^.
Die Einrichtungen der großen Kurtisanen wurden in
jener Zeit vorbildlich für die Wohnungseinrichtungen über-
haupt und blieben es dann, wie wir sehen werden, alle die
folgenden Jahrhunderte hindurch. So galt in Venedig die
Wohnung der Angela Zatietta als Sehenswürdigkeit: „Angela
wohnte in dem wahrhaft königlich eingerichteten Palazzo
Loredan. Flandrische Teppiche, Brokat, vergoldetes Leder
deckten die Wände, in einigen Sälen hatten sogar die be-
rühmtesten Maler al fresco gemalt. Auf den Fußböden lagen
türkische Teppiche, auf den Tischen goldgestickte Saratdecken.
Geschnitzte und mit Litarsien versehene Möbel füllten die
zahlreichen Salons, auf den Kredenztischen standen silberne
Gefäße , Majoliken aus Faenza , Cafaggiolo , Urbino und die
kostbarsten, venetianischen Gläser. Die Besitzerin, die für
ihren guten Geschmack bekannt war, hatte im ganzen
Haus Bilder, kostbare Waffen, schön gebundene Bücher,
Mandolinen und kostbare Werke der Kleinkunst ver-
streut" "°=i.
Im Barock sucht sich der Stil von dem allbeherrschenden
Eintiuß der Frau vielleicht zu befreien , möchte man sagen.
Aber sie zwingt selbst jenen herrischen Stil unter ihr Joch :
sie verleibt ihm den Spiegel ein, von dem bei seiner
loo Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
ersten Verwendung als Zimraerschmuck ein begeisterter Barde
die folgende richtige Beobachtung in Verse brachte ^^^:
„Dans leuts cabinets encbantes
L'etoffe ne trouve plus place;
Tous les murs des quatre cotes
En sont de glaces incrustes;
CLaque cötd n'est qu'une glace.
Pour Yoir partout leur bonne gräce
Partout elles veulent avoir
La perspective d'un miroir."
„Um überall ihre Reize zu sehen, wollen sie überall die
weite Perspektive eines Spiegels haben."
Oder sie ersinnen andere Reizmittel, um die Wohnräume
behaglich zu macheu und die Männer darin zu fesseln: sie
parfümieren die Zimmer uud schmücken sie mit Blumen. Man
stellt sich das Palais der M"^« de Rambouillet sehr mit Un-
recht frostig und steif vor. Eine Besucherin, das freundliche
Fräulein von Scudery, entwirft uns folgende Schilderung
davon :
„Tout est magnifique chez eile et meme particulier; les
lampes y sont diff6rentes des autres lieux. Les cabinets sont
pleius de mille raretes , . . l'air est toujours parfumö dans
son palais; diverses corbeilles magnifiques, pleines de fleurs,
fönt uu printems continuel dans sa chambre."
Und immer ist das Bett der kostbarste Gegenstand der
Einrichtung: M^e de Montespan schenkt M. de Maine ein Bett
für 40000 livres „et trois autres encore tres magnifiques" "^
Zu welchem Grade der Vollendung eine Zeit den Wohn-
luxus entwickelt hat, zeigt uns immer die Ausstattung des
Heims der jeweils herrschenden Königsmaitresse: als Höhe-
punkt dieser Entwicklung während des Barock steht ja Ver-
sailles vor aller Augen, obwohl hier natürlich viel andere
Beweggründe neben der Frauenliebe am Werke gewesen
sind, um das Schönste zu schaffen, was aus Menschenhänden
je hervorgegangen ist. Aber völlig der Ausfiuß verliebter
Der Sieg des Weibchens 123
Launen sind die Privatpalais der Königsliebchen , in denen
auch während des Barock die wundervollsten Blüten des
Wohnluxus aufgesprungen sind. Ich denke etwa an das Palais
der Herzogin von Portsmouth (einer der letzten Maitressen
Karls IL), von dem ein Augenzeuge berichtet: „Was meine
Verwunderung erregte, war die Schönheit und der Reichtum
dieser Wohnung, die mehrmals eingerissen und zerstört war,
um den Launen und der Verschwendungssucht dieser Frau
zu genügen, während Ihre Majestät die Königin für ihren
Haushalt nicht mehr ausgibt als manche Damen von Adel. . . .
Da sah ich die neuesten Erzeugnisse der französischen
Teppichweberei, deren Dessins, Feinheit der Arbeit, unvergleich-
liche Reproduktionskraft alles übertrifft, was ich gesehen
habe. . . . Dann folgte ein Kabinett mit japanischen Lack-
sachen, Schirmen, Uhren, silbernen Vasen, Tischchen, Etageren,
Kamingarnituren, braseros, alles in massivem Silber in un-
gezählten Mengen und endlich einige vorzügliche Bildnisse
Sr. Majestät 11^"
Daß dann das Rokoko, dieser schlechthin erotische Stil,
sich ganz besonders in der Ausgestaltung des Wohnluxus
erschöpft, ist bekannt. Das letzte Wort, das uns jene Zeit
zu sagen hatte, heißt Luciennes: das Nest, das Ludwig XV.
der Dubarry bereitete, und angesichts dessen die Goncourts
ausrufen: „Luciennes! ne dirait on pas le palais d'une de
ces souverainet^s falotes, comnie nous en montrent les livres
du dix huiti^me siecle en ces turqueries oü r^gne soumis
aux caprices d'une odalisque favorite le bon plaisir baroque
d'un Sultan fantoche ^^■*?"
Jeder Mann von Stande aber, dessen Mittel es erlaubten,
schuf seiner Geliebten ein solches Luciennes im kleinen:
Ein typisches Schlößchen dieser Art ist „Bagatelle" im Bois
de Boulogne, das die Marschallin von Estr^es Anfang des
18. Jahrhunders von ihrem Marschall und spanischen Granden
zum Geschenk erhielt, und das dann in die Hände der M">e de
124 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
Mouconseil kam, deren Liebe mit dem Polenkönig Stanislaus
hier ihre Stätte fand. Die zahlreichen Heime der gewöhn-
lichen Maitresseu waren, wie bekannt, die „petites maisons",
in denen allen die gleiche Kunst die Ausstattung zum höchsten
Grade der Verfeinerung und des Raffinements ausgebildet
hatte "5.
Die unerhörte Steigerung, die der Wohnluxus während
des 18. Jahrhunderts erfahren hatte, wurde von den Zeit-
genossen als etwas Außerordentliches empfunden: „man hat
den Zimmereinrichtungen eine übertriebene und deplazierte
Pracht verliehen", meint Mercier, der seine Schilderung
des Bautenluxus seiner Zeit mit den Worten beschließt:
„Die Größe der Nation liegt ganz im Innern der Häuser"
(la magnificence de la nation est toute dans l'intörieur des
maisons).
Ein anderer Zeitgenosse äußert sich mit Mercier über-
einstimmend folgendermaßen: „Die Möbel sind das größte
Luxusobjekt und die größte Ausgabe geworden. Alle sechs
Jahre richtet man sich neu ein, um von allem zu profitieren,
was die Eleganz des Tages Schönes ausgesonnen hat."
In England war der Wohnluxus eher nocH stärker ent-
wickelt wie in Frankreich (obwohl ihm vielleicht das rein
feminine Gepräge der Pariser Petites maisons fehlte). Ein
guter Beobachter entwirft uns von den Häusern der reichen
Engländer folgendes Bild:
„Die Pracht, mit welcher die vornehmen Engländer ihre Zimmer
auszieren, läßt alles hinter sich zurück, was man in dieser Art in ganz
Europa sucht. Trei)pen mit bunten Tapeten belegt, das Geländer . . von
Mahagoniholz in den niedlichsten Formen geschnitzt, worauf große
kristallene, mit metallenem Laubwerk bedeckte Lampen paradieren; bei
den Absätzen der Treppen Büsten, Gemälde und Medaillons; lackierte
und vergoldete Zimmer mit kostbaren Schilderungen und kleinen Statuen
geziert; Kamine aus den seltensten Marmorarten zusammengesetzt, mit
prächtigen Aufsätzen von herrlichen Figuren, Vasen u. dgl. ; der Kohlen-
rost . . von hell poliertem Stahl, mit Verzierungen von Bronze . . .
Schlösser an den Türen von Stahl mit Gold sehr künstlich ausgelegt:
Der Sieg des Weibchens 125
Fußtapeten, die in einem Saal oft einige hundert Pfund Sterling kosten . . .
Fenstergardiuen von kostbaren, ostindischen Zeugen; prächtige Uhren
aller Art, wobei alle Kunst der Mechanik verschwendet ist" usw.
J. W. von Archenholtz, Engl. u. Ital. 1 (1787), 170.
Und von den Landhäusern der reichen Leute berichtet
uns derselbe Gewährsmann ähnliches, dessen Kichtigkeit uns
zahlreiche andere Beschreibungen bestäti'2:en.
Wenn man sich in die Literatur des 18. Jahrhunderts
hineinliest , die von der luxuriösen Lebensweise der reichen
Leute handelt ; wenn man die Abbildungen von Palästen und
Wohnungseinrichtungen aus der Zeit sieht; wenn man sich
in den Straßen des alten Wiens, des alten London, des alten
Paris nach den monumentalen Privatbauten, die aus der Zeit
vor 1800 stammen, umschaut, so bekommt mau die Größe
und Mächtigkeit des damaligen Wohnluxus wohl in das Ge-
fühl. Aber man möchte gern sich von seiner Ausdehnung
ziffernmäßig bestimmte Vorstellungen machen, und das hält
außerordentlich schwer.
Vor mir liegt eine Sammlung von Abbildungen berühmter
Landsitze"*' der englischen Nobility und Gentry, die im
Jahre 1779 veranstaltet und in zwei stattliche Bände zu-
sammengefügt ist. Sie enthält die Abbildungen von 84 Schlössern
und deren Beschreibung. Ich muß sagen , daß der Anblick
dieser 84 Herrensitze einen ganz großen Eindruck macht, und
daß die Ziffer auch schon ein gewisses Urteil über die Masse
von Luxus, der darin aufgestapelt ist, zuläßt. Zumal wenn
man die Beschreibungen der einzelnen Schlösser in Rücksicht
zieht. Ich greife das Schloß des Earl von Oxford (Houghton
in Norfolk) als Beispiel heraus: Der Bau wurde 1722 von
Sir Robert Walpole begonnen und 1735 vollendet. Mit den
Flügeln hat er eine Länge von 500 Fuß; der Mittelbau ist
165 Fuß lang. Die Haupträume sind folgende: der Salon
40 Fuß lang, 40 Fuß hoch, 30 Fuß breit: die Tapeten von
]^2(5 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
rosengeblümten Velvet; die Decke gemalt von Kent; der
Kamin, ebenso wie die Tische, sind aus schwarzem und gelbem
Marmor; die Halle ist ein Raum von 40 Fuß im Kubus mit
einer Steingalerie auf drei Seiten; Decke und Fries von
Altari; der Drawing Room 30 zu 32 Fuß, behangen mit
gelbem Caffoy, geschmückt mit Schnitzereien von Gibbons usw.
usw.; endlich wird noch aufgezählt eine Galerie: 71 Fuß
lang, 21 Fuß breit, 21 Fuß hoch: die Tapeten aus Nor-
wicher Damast.
Über den Umfang der Bautätigkeit in Paris während
des 18. Jahrhunderts gibt uns Mereier einigen Aufschluß:
es seien , meint er , in den letzten Jahrzehnten 600 Palais
erbaut, „deren Inneres das Werk von Feen zu sein scheint,
denn die Einbildung kann einen so ausgesuchten Luxus
nicht mehr überbieten". Die drei Stände, die zu seiner Zeit
ihr Glück in Paris machten, seien die Bankiers, die Notare
und die Bauunternehmer (entrepreneurs de bätiment). Ganze
neue Viertel seien entstanden mit nur prächtigen Palais^".
Auch diese Angaben geben uns einen Anhalt, wenn wir
auch hier die Opulenz in Betracht ziehen, mit der, wie wir
sahen, die einzelnen Häuser gebaut und die Wohnungen aus-
gestattet wurden.
3. Der Luxus in der Stadt
Die Großstadt steigerte den Hang zum Luxus: aus Gründen,
die ich schon angedeutet habe; deren Wirksamkeit uns die
besten Beobachter jener Tage, wie Montesquieu in Frank-
reich, Mandeville in England, für ihre Zeit ausdrücklich
bestätigen, und wirkt dadurch auf eine Vermehrung des Luxus-
bedarfs hin. Wie die Großstadt mit ihren Luxusansprüchen
die Leute in der Provinz damals anfing, in ihrer Lebens-
gewohnheit ganz entscheidend zu beeinflussen, sie an Luxusaus-
gaben zu gewöhnen, ihren Lebensstandard „hinaufzuschrauben",
weiß uns ein Landedelmann , Pierre de Cadet , anschaulich
Der Sieg des Weibchens 127
vor Augen zu führeu durch folgende Erzählung, die er in
seinem Haushaltungsbuche niedergeschrieben hat^'^
„Älon grand-pöre voulut aller ä Paris et dans im an il di'pensa
14 000 livres, ce qui fit dire ä son pere qu'nne paire de lunettes, qn'il
luy apporta en present, lui coiltait 14000 livres. II y avoit dejä un ('quipage
dans la maison et quatre chevaux blancs; mon grand pere vint de Paris
avec un grand goüt pour les clievaux de main ... II avoit amene de
Paris un valet de chanibre, du quel son pere disoit, en badinant, qu'il
n'asoit lui demander k boire, le voyant mieux vetu que luy."
Aber bedeutsam für die Entfaltung des Luxus wird
die Großstadt vor allem dadurch, daß sie ganz neue Möglich-
keiten heiterer und üppiger Lebensführung und damit neue
Formen des Luxus schaift. Sie überträgt die Feste, die bis
dahin die Höflinge im Schlosse des Fürsten allein gefeiert
hatten, auf breite Schichten der Bevölkerung, die nun eben-
falls sich ihre Stätten schaffen , wo sie ihren Vergnügungen
regelmäßig nachgehen. Als Ende des 18. Jahrhunderts der
Fürst von Monaco nach dem Tode des bei ihm verstorbenen
Herzogs von York auf die Einladung des Königs nach Eng-
land kam und am Abend die vielen Lichter auf den Straßen
und in den Schaufenstern der bis 10 Uhr geöffneten Läden
erblickte, bildete er sich ein, die ganze Beleuchtung sei ihm
zu Ehren veranstaltet worden : in dieser Anekdote spiegelt
sich wunderhübsch die grundsätzliche Umwandlung wider,
die sich um jene Zeit zu vollziehen freilich erst eben anfing:
an die Stelle streng privater Luxusentfaltung tritt eine Art
von kollektiver Luxusgestaltung. Die Kommunisierung der
Lebensführung, die dann recht eigentümlich erst für die
folgende Periode der Volkswirtschaft ist, beginnt: wir nehmen
hier kurz davon Kenntnis und stellen fest, daß diese bedeut-
same Wirkung der Großstadt — darum gehört ihre Er-
wähnung an diese Stelle — einstweilen sich durchaus in den
Grenzen des Luxusbedarfs bewegt, daß nur die obersten
Spitzen der Gesellschaft von der Neuerung berührt werden.
128 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
An dieser Entstehung eines großstädtischen Luxus nimmt
nun abermals überragend großen Anteil — das Weibchen.
Was hier in Betracht kommt, ist namentlich folgendes:
1. Die Theater, vor allem die eleganten Opernhäuser,
die zuerst in Italien mit großer Prachtentfaltung gebaut
werden und dann in den übrigen Großstädten Europas eben-
falls eine Stätte finden: Epoche in der Geschichte des Theater-
baues macht das 1737 erbaute Theater S. Carlo in Neapel.
In Paris bestehen seit 1673: die Oper, unter dem Namen
Academie royale de Musique, die seit dem Tode Molieres im
Palais royale ihre Vorstellungen gibt; die Com6die frangaise,
die ihr neues Haus in der rue S. Germain des Pr6s am
18. April 1689 eröffnet ; und die Comedie italienne , die im
Hotel de Bourgogne spielt (mit einer Unterbrechung von 1697
bis 1716) 11^
Zunächst sind es meist nur Hoftheater, zu denen außer
dem Hofe selbst nur geladenes Publikum Zutritt hat; all-
mählich werden die Häuser jedermann geöffnet, der sein Ein-
trittsgeld bezahlt. Aber auch dann sind die besseren Theater
lange Zeit noch der Rendezvousplatz ausschließlich der oberen
Schichten der Gesellschaft, denen hier eine neue Gelegenheit
geboten wird, zu flirten und ihren Staat zu entfalten ^^°.
Von Paris urteilt Capon: die Königliche Akademie der
Musik und des Tanzes, respektive die Oper, sei nichts anderes
als eine „maison publique pour gentilhommes".
2. Die öffentlichen Musik hallen und Ballhäuser
(würden wir heute sagen), die zuerst (scheint es) in London
mit allem Aufwand errichtet wurden und wegen ihrer Eleganz
von allen Londonern und namentlich von den Fremden be-
wundert wurden.
Defoe gibt uns von dem größten und wichtigsten dieser
Gebäude, dem Pantheon, folgende Beschreibung ^^^:
„Nor should the Pantheon be forgotten, which in taste,
magnificence and novelty of design and decoration may be
Der Sieg des Weibchens 129
prouounced superior to any thing of the kind in Europe.
Its principal room is truly magnificent : it is lighted by a
centrical dorne of a cousiderable magnitude . . . The circum-
jacent apartments are also fiuely ornamented with whatever
the inventioii of modern luxury can suggest ..." In diesem
Pantheon wurde regelmäßig alle 14 Tage ein Konzert gegeben
„mit daranschließendem Ball, zu dem jedermann zugelassen
ist", fügt Defoe eigens hinzu, weil diese Einrichtung gewiß neu
zu seiner Zeit war, „der sich die erforderlichen Eintrittskarten
verschafft". Neben den Theatern und Konzertsälen liegen
3. die feinen Restaurants, die Tavernen: im 18. Jahr-
hundert ebenfalls noch eine Spezialität Londons, das z. B.
von den Parisern um diese Einrichtungen beneidet wurde.
Von den Londoneru Tavernen entwirft uns Archen-
holtz folgende reizvolle Schilderung ^^2. j^ diesen Tavernen
soupiert man nach Gefallen in Zimmern, wo sich große oder
kleine Gesellschaft befindet, mit oder ohne Frauenzimmer.
Diese muß man jedoch selbst mitbringen , auch sind keine
Nachtherbergen hier üblich, da diese nur zu den Bagnios-
gebräucheu gehören." Bagnios, abermals eine Sehens-
würdigkeit Londons, waren eigentlich Bäder; „ihre wahre
Bestimmung aber ist, Personen beiderlei Gesclilechts Ver-
gnügungen zu verschaffen. Diese Häuser sind prächtig,
ja manchmal fürstlich möbliert. Alles, was die
Sinne nur reizen kann, ist entweder vorhanden oder wird
verschafft" (durch Vermittlung des Oberkellners). „Die Eng-
länder behalten ihr ernsthaftes Wesen auch bei ihren Ver-
gnügungen bei, daher denn auch die Geschäfte in einem
solchen Hause durchaus mit einer Ernsthaftigkeit und An-
ständigkeit betrieben werden, die man sich kaum vorstellen
kann."
In den vornehmen Restaurants und in den Salons parti-
culiers, die damit verbunden waren, war der Aufwand so
groß, „daß er das Bonmot des berühmten Beaumarchais ge-
Sombart, Luxus und Kapitalismus 9
J30 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
wissermaßen rechtfertigt, der, so bekannt er auch mit den
Schwelgereien von Paris war, dennoch über die Londoner
Wollüste erstaunte und behauptete, daß in einem Winter-
abende in den Bagnios und Tavernen in London mehr ver-
zehrt würde, als die sieben vereinigten Provinzen in sechs
Monaten zu ihrem Unterhalt brauchten." (Archenholtz.)
Übrigens fehlten auch in Paris die feinen Restaurants
im 18. Jahrhundert keineswegs: die „schicksten" waren die
des Palais Royal, wie Beauvilliers , Hur6 oder die Taverne
anglaise ^23_ Die Lage im Palais royale, dem Treffpunkt der
„Lebewelt", läßt auf ihren Charakter schließen.
4. Die Hotels sind bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
ebenfalls Luxushotels; ihre Zahl ist daher beschränkt.
In London war das Savoy-Hotel berühmt, das auf dem-
selben Platze stand, wo sich heute das bekannte Hotel gleichen
Namens erhebt. Was es für ein Ding war, solch ein Hotel
in einer aristokratischen Welt, zeigt uns heute noch das
Hotel des Reservoirs in Versailles. Das älteste Luxushotel
in Europa war wohl der seit Sixtus IV. bestehende „Gasthof
zum Bären" (Locanda dell' Orso) in Rom.
Es gab nun aber noch einen Ort, wo die wachsende
Großstadt einen öffentlichen, allen zugänglichen Luxus zur
Entfaltung kommen ließ, das war die Stelle, wo die elegante
Welt, lies: die Damenwelt und namentlich wieder Halbwelt
ihre Luxuswaren einzukaufen pflegte; wir müssen deshalb
5. die L ä d e n erwähnen, denen seit der Mitte des 18. Jahr-
hunderts mehr und mehr Sorgfalt zugewendet wurde, die
man seit jeuer Zeit auszuschmücken begann : eine Tatsache,
die das Kopfschütteln so biederer Leute wie Daniel Defoe
hervorrief *^*.
In seinem „Vollkommenen Handelsmann" widmet er ein
eigenes Kapitel diesem Unfug der „eleganten Läden" (of
fine Shops and fine shows) , den eine vernünftig gewordene
Nachwelt gar nicht mehr für möglich halten wird. Deshalb
Der Sieg des Weibchens 131
will er, zum Zeugnis, bis zu welchem Unverstand seine Zeit-
genossen sieh verstiegen haben , eine Beschreibung einer
Pasteteubäckerei (Pastry-Cooks shop, wir würden wohl sagen :
Konditorei) und ihrer Einrichtung geben , die — sage und
schreibe — 300 ^ gekostet hat: .,Anno Domini 1710": „be-
halten wir das Jahr in Erinnerung" : let the year be recorded !
„Die Ausstattung einer Kuchenbäckerei hat in London
damals aus folgenden Teilen bestanden:
1. Schiebefenster, alle von Spiegelglas, 12 zu IG Zoll
groß ;
2. alle Gänge mit glasierten Kacheln belegt; im Hinter-
stübchen ein Paneel glasierter Kacheln mit Landschafts- und
Figurenmalerei ;
3. 2 große Pfeilerspiegel und ein Kaminspiegel im Laden,
ein sehr großer Pfeilerspiegel — 7 Fuß hoch — im Hinter-
stübchen ;
4. 2 große Armleuchter, einer im Laden, einer im Hinter-
stübchen ;
5. 3 große Glaslaternen im Laden und 8 kleinere;
6. 25 Wandleuchter, mit einem Paar großer silberner
Leuchter im Hinterstübchen: Wert 25 ^£\
7. 6 feine große silberne Präsentierteller für Zuckerwerk ;
8. 12 große Tafelaufsätze, wovon drei aus Silber, um
kleine Kuchen usw. bei Festen darauf zu tun;
9. Malerei der Decke, Vergoldung der Laternen, der
Fensterrahmen und des Schnitzwerkes: 55 '£.
All das zusammen mit einigen Dekorationsstücken, außer
den kleinen Tellern und außer den chinesischen Schalen und
Tassen, kostet, wie ich aus sicherer Quelle erfahren habe,
die obigen 300 ^."
Wer einen besonders wichtigen Bestandteil der Kund-
schaft in diesen Läden bildete, können wir uns — angesichts
der Zusammensetzung der Londoner Gesellschaft — leicht
denken: es waren dieselben Leute, die, wie wir hören, auch
9*
132 Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
die Schauspielhäuser füllten: „Eine Keuschheitskommission,
wie ehedem zu Wien war, wenn solche in London möglich
wäre, würde diese Stadt entvölkern . . . unzählige Nahrungs-
zweige, denen die Hälfte der Einwohner ihren Unterhalt,
ja ihr Dasein zu verdanken hat, würden ganz vernichtet und
London in eine Einöde verwandelt werden. Will man mehr
Beweise, so frage man in den Tausenden von Kramläden in
der City, wer die meisten Käufer und die besten Kunden
sind. Der Gewinst einer Nacht bei dieser zahllosen Menschen-
klasse wird den folgenden Tag sogleich zu den Krämern ge-
bracht, da diese Unglücklichen für eigene Rechnung gar nicht
unmäßig sind, vielmehr darben, um alles auf den Putz zu
wenden. Ohne sie würden die Schauspielhäuser leer sein ^^s.«
Irgendwo mußten ja die 50 Millionen Frank bleiben, die
nach der Meinung M e r c i e r s jährlich den Venuspriesterinnen
in den Schoß flössen ^26_
Alles in allem seheint mir Godard d'Aucourt, der
bekannte Generalpächter, den Nagel auf den Kopf zu treffen,
wenn er die Widmung seiner „Mömoires turcs" (an M^e Duthe,
die große Schauspielerkurtisane) mit den folgenden Worten
schließt, die auch am Ende dieses Traktates füglich stehen:
„Jawohl, meine kleinen Fräuleins: ihr seid der wahre
Luxus, der für jeden großen Staat eine Lebensbedingung ist;
ihr seid der reizende Köder, der ihm die Fremden und ihre
Guineen herbeilockt: 20 bescheidene Bürgerinnen haben für
die Staatsfinanzen weniger Wert als eine einzige unter euch."
(Oui, mes demoiselles, vous etes le vöritable luxe, essentiel
ä un grand Etat, l'appät enviable qui lui attire les 6trangers
et leurs guin^es; vingt modestes citoyennes valent moins
au tresor royal qu'une seule d'entre vous.) ^^'
133
Fünftes Kapitel : Die Geburt des Kapitalis-
mus aus dem Luxus
Literatur: vakat
I. Richtige und falsche Problemstellung
Das Problem, das ich hier aufrolle: welche Bedeutung
der Luxus für die Entfaltung des Kapitalismus habe, die Frage,
ob und wodurch der Luxus den Kapitalismus zu fördern im-
stande sei, hat die Ökonomisten des 17. und 18. Jahrhunderts,
die Praktiker wie die Theoretiker, auf das lebhafteste beschäftigt.
Es war in gewissem Sinne die Kernfrage, um die sich alle
anderen wirtschaftspolitischen Fragen gruppierten , wie heute
etwa die Frage: Agrar- oder Industriestaat? Man sprach da-
mals zwar noch nicht von Kapitalismus, sondern nannte das,
was man meinte : Industrie oder Manufakturen oder Reichtum
oder sonstwie. Aber man war sich über die Sache einig; man
erkannte, daß der Luxus diejenigen Wirtschaftsformen, die da-
mals im Entstehen begriffen waren, eben die kapitalistischen,
zur Entfaltung bringe, und deshalb waren alle Freunde des
ökonomischen „Fortschritts" auch warme Fürsprecher des
Luxus. Sie fürchteten höchstens, ein großer Luxuskonsum
könnte der Kapitalbildung Abbruch tun, trösteten sich aber
wie Adam Smith mit der Überzeugung, daß schon genug
sparsame Leute da sein würden, um die nötige Reproduktion
und Akkumulation des Kapitals zu sichern.
Die Regierungen richteten ihre Politik in einem luxus-
freundlichen Sinne ein.
234 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Während des 17. Jahrhunderts verschwinden in den
Ländern mit rasch fortschreitender kapitalistischer Entwick-
lung die Aufwandsverbote; die letzte „Kleiderordnung", die
aber auch Verbote bestimmter Luxusaufwendungen, bestimmter
Leckerbissen usw. enthält, fällt in England in das Jahr 1621^^8;
in Frankreich ^^^ datiert das letzte Edikt über den Tafelluxus
aus dem Jahre 1629; 1644 und 1672 wurde noch die über-
mäßige Verwendung der Edelmetalle zu Luxuszwecken ver-
boten (aus wesentlich müuzpolitischen Erwägungen); 1656 be-
gegnen wir noch einem Verbot der (Kastor-) Hüte über 50 1.,
und 1708 wird die letzte Kleiderordnung in Frankreich er-
lassen. Seitdem sind auch die regierenden Kreise von der
„Notwendigkeit" des Luxusaufwandes (im Interesse der kapi-
talistischen Industrie) überzeugt, und die führenden Geister
der Literatur nahmen für den Luxus Partei (bis dann später
die Gegenbewegung der Jean-Jacquisten einsetzt). Was sie
vor allem am Luxus schätzten, war seine marktbildende Kraft.
„II faut bien," meint Montesquieu^^'', „qu'il y ait du
luxe (NB. in den Monarchien!). Si les riches n'y döpensent
pas beaucoup, les pauvres mourront de faim."
Einige sehr feine Bemerkungen über die Bedeutung des
Luxus für die (früh-)kapitalistische Entwicklung finden wir in
der zweiten Schrift des geistreichen Abbe Coyer über den
„handeltreibenden Adel"^^^: „Le luxe tient de la nature du
feu qui echauffe et qui peut brüler. S'il consume des mai-
sons opulentes, il soutient nos manufactures. S'il absorbe le
patrimoine d'un dissipateur, il nourrit nos ouvriers. SMl dimi-
nue les facultas du petit nombre, il multiplie les subsistances
publiques. Qu'on proscrive nos Stoffes de Lyon, nos dorures,
nos tapisseries, nos dentelles, nos glaces, nos bijoux, nos
6quipages, l'ölögance de nos meubles, les delices de nos
tables, je vois tout ä coup des millions de bras tomber dans
Tengourdissement : et j'entens autant de voix demander du
pain ..."
Richtige und falsche Prohlemstellung I35
Aus der reichen französischen „Luxusliteratur" ragt
unter den luxusfreundlichen Schriften hervor die
„Theorie du Luxe ou Traite dans lequel on entreprend
d'etablir que le Luxe est un ressort non seuleraent utile,
mais meme indispensablement nöcessaire ä la prosperitö des
Etats." 2 Vol. 1771. Sie trägt als Motto den Ausspruch Vol-
taires im Mondain: „Le supertlu, chose tr^s-nöcessaire." Sie
hat den klugen Juden Pinto zum Verfasser.
Diese selbe Auffassung, daß der „Luxus" zwar ein „Übel",
ein Laster sei, aber der Gesamtheit Nutzen bringe durch die
Beförderung der Industrie, war auch in England verbreitet:
„Prodigality is a Vice that is prejudicial to the man but
not to Tradelia," g^ibst D. Hume^^a ^rotz seiner stark
„ethischen" Färbung, kommt zu dem Ergebnis: „guter"
Luxus ist gut, „schlechter" Luxus ist zwar ein Laster, ist
aber immer noch besser als Faulheit, die wahrscheinlich an
seine Stelle treten würde, wenn er wegfiele. Förmlich zu
einem System der Sozial philosophie ist diese Auffassung dann
von B e r n a r d M a n d e v i 1 1 e in seiner Bienenfabel aus-
gebildet worden. Die Verse, in denen er den „Luxus" be-
singt, lauten folgendermaßen ^^^ :
„The Root of Evil, Avarice
That damu'd ill natur'd baneful Vice,
Was Slave to Prodigality
That noble Sin; whilst Luxury
Emidoy'd a Million of the Poor,
And odioiis Pride a Million more:
Envy itself and Vanity,
Were Ministers of ludustry;
Their darling Folly, Fickleness,
In diet, Furniture and Dress,
That Strange ridic'lous Vice, was made
The verv Wheel that turn'd the Trade."
„Der Geiz, dies scheußlich böse Laster,
Keins fluchwürdiger und verhaßter,
136 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
War Sklave jener noblen Sünde
Verschwendung; während Luxus diente,
Millionen Arme zu erhalten;
Stolz gleichfalls, den so viele schalten.
Die Eitelkeit, der Neid selbst, sie
Begünstigten die Industrie,
Die Sucht, die Mode mitzumachen
In Kleidung, Wohnung und andern Sachen
— Belacht stets und bewundert zwar — ,
Des Handels wahre Treibkraft war . . ."
(Ungedruckte Übersetzung des (f) Malers Graetzer.)
Ganz besonders lehrreich sind die Kapitel, die Defoe
in seinem „Complete English Tradesman" der Erörterung
dieses Problems widmet. Es ist ein sehr drolliger Eiertanz,
den unser braver Non-Conformist hier aufführt; eigentlich
verabscheut er den Luxus und bewundert jene Quäker, die mit
eitlem Tand zwar handeln, von sich selbst aber ihn fernhalten;
aber als Lobredner des Handels kann er sich doch nicht zur
Verdammung des luxuriösen Lebenswandels entschließen, von
dem er einsieht — das ist für uns das Wichtige — , daß er
die Quelle alles wachsenden Reichtums ist: „The extravagant
pride of the age feeds trade and consequently the poor."
Defoe gibt uns eine Menge Aufschlüsse über den wirklichen
Zusammenhang zwischen Luxus und Kapitalismus, von denen
ich an anderer Stelle den Leser noch unterrichten werde.
Auch unter den deutschen Schriftstellern ist die Luxus-
frage viel besprochen und ist die Bedeutung des Luxus für
die kapitalistische Entwicklung erkannt worden ; so meint
Schröder ^^^: „Ich wolte lieber, daß der pracht im lande
noch größer wäre . . . denn der pracht des reichen ernehret
viel handwercksleute und arme ..."
Man hätte nun denken sollen: als man in unserer Zeit
daran ging, der Entstehung des modernen Kapitalismus nach-
zuspüren, hätte man diese Beobachtungen kluger und kenntnis-
reicher Männer sich zunutze gemacht.
Aber das hat man nicht getan. Man liat zwar über den
Richtige und falsche Problemstellung 137
Luxus viel geredet und hat über die Bedeutung des Marktes
für die kapitalistische Industrie viel theoretisiert ; aber über
die Beziehungen zwischen Luxus und Markt hat man nichts
zu sagen gewußt. Offenbar weil man sowohl in der Luxus-
frage wie in der Marktfrage auf ein totes Geleis gefahren war.
Dem Luxusproblem ist man mit dem ganzen ethischen
Pathos des braven und genügsamen Bürgers zuleibe gegangen
und hat es mit Hilfe moralisierender Raisonnements kurz
und klein erörtert. Selbst die Studien Bosch ers, die viel-
leicht das Beste sind, was in unserer Zeit über den Luxus
geschrieben ist, laufen doch im Grunde auf ethische Senti-
ments hinaus : was guter und was schlechter Luxus sei. Und
Werke wie Baudrillarts „Geschichte des Luxus" sind
Materialsammlun gen.
In der Lehre vom Markte und seiner Bedeutung für die
Entstehung des Kapitals hat sieh aber seit Marx die un-
glückliche Idee festgesetzt: der Kapitalismus sei durch die
geographische Ausweitung der Absatzbeziehungen, insbesondere
durch die Erschließung der Kolonien im 16. Jahrhundert
wesentlich gefördert worden. Oder wie der Gedanke in der
mehr teleologisch orientierten Auffassung der historischen
Schule der Nationalökonomie, dem sich dann fast alle Wirt-
schafts-„Historiker" anschlössen, gemodelt wurde: die räum-
liche Ausweitung des Absatzes, der „Fernabsatz", der „Ex-
port" habe die kapitalistische Organisation „nötig" gemacht.
Diese Ansicht hat im letzten Menschenalter eine starke Stütze
gefunden in der Theorie Karl Büchers, dieses ausgezeich-
neten Forschers und wahrhaft produktiven Denkers: Hand-
werk = Kundenproduktion; Kapitalismus = Produktion für
einen unbekannten Abnehmerkreis ; Handwerk = lokaler Ab-
satz; Kapitalismus = interlokaler Absatz.
Ich halte diese Richtung, die die Gedanken jetzt wohl
aller "Wirtschaftshistoriker genommen haben, für höchst ver-
hängnisvoll. Denn, wie ich schon sagte, in ihr ist die For-
138 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
schling auf ein totes Geleis gefahren. Man hat ganz an der
falschen Stelle den Gründen für den Übergang zur kapita-
listischen Wirtschaftsverfassung nachgespürt. Kundeuproduk-
tion und Fernabsatz bezeichnen nicht im mindesten den Gegen-
satz zwischen Handwerk und Kapitalismus, wenn wir ihren
Absatzbedingungen nachgehen. Es gibt Kapitalismus bei strik-
tester Kundenproduktion (Maßschneiderei) und hat jahr-
hundertelang zahllose blühende Handwerke ohne jede kapi-
talistische Nuance gegeben, deren Absatzgebiet der ganze
bewohnte Erdkreis war.
Den verfahrenen Wagen wieder auf das richtige Geleis
zu bringen, wollen die folgenden Ausführungen ihr Teil bei-
tragen. Sie nehmen den Faden da auf, wo die Denker des
18. Jahrhunderts ihn haben fallen lassen; sie wollen den
Luxus großenteils verantwortlich machen für die kapitalisti-
sche Entwicklung bis zum Ende der frühkapitalistischen
Epoche, indem sie dabei von folgenden Grundgedanken ge-
tragen werden.
Der Luxus hat bei der Entstehung des modernen Kapi-
talismus auf sehr verschiedene Weisen mitgeholfen; er hat
z. B. bei der Überführung des feudalen in den bürgerlichen
Reichtum (Verschuldung!) eine wesentliche Rolle gespielt.
Hier soll jedoch nur seine marktbildende Kraft in Rück-
sicht gezogen werden, die man sich im allgemeinen etwa so
klar machen kann.
Die kapitalistische Unternehmung braucht, wie wir wissen,
um leben zu können, einen Mindestabsatz von Tauschwerten.
Die Höhe dieses Absatzes ist von zwei verschiedenen Um-
ständen abhängig: von der Häufigkeit des Güterumsatzes und
von der Höhe des Tauschwertes der umgesetzten Güter.
Die Höhe des Tauschwertes der umgesetzten Güter wird
wiederum durch zwei Faktoren bestimmt : durch die Höhe des
Tauschwertes des einzelnen Gutes und durch die Menge der
Güter.
nichtige und falsche Problemstellung 139
Somit kann ein Mindestabsatz erzielt werden entweder
durch den Absatz hochwertiger oder durch den Absatz vieler
Güter: Einzelabsatz — Massenabsatz.
Die Hochwertigkeit eines Gutes kann auf zwei ver-
schiedene Weisen entstehen: durch Häufung oder durch Ver-
feinerung. Die Verfeinerung kann , wie wir sahen , mannig-
fache Formen annehmen. Häufung findet bei denjenigen
Gütern statt, die man zusammengesetzte Güter oder kom-
plexe Güter nennen kann: Lokomotiven, Schiffe, Kranken-
häuser. Hier handelt es sich um eine große Menge ordinärer
Güter, die aber zu einer Einheit verbunden werden und durch
ihre Summierung dieser Einheit einen großen Wert verleihen.
Absatz solcher Güter ist (genau genommen) Massenabsatz in
der Form des Einzelabsatzes.
In der Geschichte der europäischen Völker läuft, seit
wir sie kennen, Grobbedarf und Feinbedarf nebeneinander
her; beide haben zunächst einen bescheidenen Umfang, so
daß beide lange Zeit im Rahmen der handwerksmäßig-bäuer-
lichen oder der fronwirtschaftlichen Organisation befriedigt
werden konnten. Und zwar erfolgte (der Regel nach) die
Deckung des Grobbedarfs innerhalb der Grenzen des Dorfes
oder des Fronhofes oder der Stadt (und ihrer Landschaft),
ruhte also auf lokalwirtschaftlicher Grundlage, während der
Feinbedarf, soweit er nicht durch die Produktion auf den
Herrenhöfen in eigenwirtschaftlicher Form befriedigt wurde
oder der Fernhandel für Herbeischaffung der hochwertigen
Güter sorgte, von Handwerkern gedeckt wurde, die von jeher
für einen interlokalen oder internationalen Markt arbeiteten.
Die Entwicklung während des Mittelalters und der nächsten
Jahrhunderte erfolgt nun so, daß der Grobbedarf im wesent-
lichen unverändert bleibt, also für den Kapitalismus zunächst
gar nicht in Frage kommt: der Bedarf an Gebrauchsgegen-
ständen für die große Masse der Bevölkerung, ebenso aber
auch der Bedarf an Arbeitsmitteln (Geräten, Werkzeugen,
140 Fünftes Kapitel: Die Gehurt des Kapitalismus
Maschinen) wird bis zum Ende der frühkapitalistischen Epoche
(bis auf zwei Ausnahmen, von denen sogleich die Rede sein
wird) in der Eigenwirtschaft oder vom Handwerk befriedigt.
Der Grund dieser Erscheinung ist einleuchtend: weil weder
die Bevölkerung sich vermehrte, noch sich wesentlich mehr
agglomerierte, noch sich die Transportfähigkeit der Waren
steigerte, so entstand kein Massenbedarf an individuellen Ge-
brauchsgtitern ; weil sich die Technik der Gütererzeugung und
des Gütertransports nicht grundsätzlich änderte, entstand kein
Bedarf an zusammengesetzten Gütern, also auch kein Markt
für kapitalistische Produktion oder kapitalistischen Waren-
absatz.
Die Ausnahmen, von denen ich sprach, in denen also
schon vor dem Anbruch der hoehkapitalistischen Epoche, also
vor dem Ende des 18. Jahrhunderts, ein Massenabsatz vieler
minderwertiger oder ein Absatz zusammengesetzter Güter ent-
stand, sind: 1. die Kolonien, die also gewiß auch zur Ent-
wicklung des Marktes für die kapitalistische Industrie bei-
getragen haben, und vor allem 2. die modernen Heere. Die
überragende Bedeutung des Armeebedarfs für die Ausbildung
des Kapitalismus weise ich in dem 2. Bande dieser „Studien"
nach. Hier also gilt es, zunächst die andere Seite des Pro-
blems zu beleuchten; will sagen, gilt es, den Nachweis zu
führen, welchen ganz großen Anteil die Entfaltung des Luxus,
also die Entstehung eines Luxusbedarfs, für die Entstehung
des modernen Kapitalismus hat.
Wenn ich sage: ich will den Nachweis führen für die
Bedeutung, die der wachsende Luxuskonsum für die kapi-
talistische Entwicklung besitzt, so heißt das natürlich bei der
heutigen wissenschaftlichen Mode: den historisch-empirischen
Nachweis führen für die Beziehungen zwischen den beiden
Erscheinungskomplexen. Das ist nun nicht so einfach und
kann beim allerersten Versuche auch nur sehr unvollkommen
gelingen. Wie das bei meiner Art zu arbeiten nicht anders
Der Luxus uud der Handel 141
seiu kann, wird die Hauptarbeit der Einzelbeweisführung
die nächste Generation der Wirtschaftshistoriker zu leisten
haben.
Was die Aufgabe so besonders schwierig macht, ist die
saloppe Art, in der bisher in der Regel über wirtschaftliche
Tatsachen berichtet wird: wo von „wirtschaftlichem Auf-
schwung", „Ausdehnung der Produktion", „Erweiterung des
Absatzgebietes" und dergleichen die Rede ist und man nicht
weiß: ist Handwerk oder Kapitalismus die Wirtschaftsform,
also überhaupt nichts. W^esentlich mehr, als ich im folgen-
den an Belegen zusammengestellt habe für die Beziehungen
zwischen Luxus und Kapitalismus, wird sich daher im Augen-
blick au der Hand des gedruckten Materials über das Pro-
blem nicht aussagen lassen.
II. Der Luxus und der Handel
1. Der Großhandel
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Warenhandel
früher kapitalistische Formen angenommen hat als die Güter-
erzeugung. Ich habe zwar schwerwiegende Bedenken gegen
die Annahme, daß während des Mittelalters die großen Häuser
der italienischen oder südfranzösischen oder spanischen oder
süddeutschen Städte vornehmlich durch den Warenhandel zu
ihrem Reichtum gelangt seien, glaube vielmehr, daß andere
Momente hier wesentlicher gewesen sind, jene wenigen Groß-
geschäfte aus der Masse der kleinen Händler herauszuheben,
will aber doch die Möglichkeit nicht ausschließen, daß auch
reine W^arenhandlungen sich zu kapitalistischen Unternehmungen
entwickelt haben. Dann aber — und das ist das, was uns
hier interessiert — ist es ganz sicher ein Handel mit Luxus-
waren gewesen, der ihre Größe verursacht hat.
Aller irgendwie belangreiche Handel, bei dem allein eine
kapitalistische Organisation in Frage kommen kann, hat
142 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
während des Mittelalters Italien zum Mittelpunkt, besteht
also entweder in der Ausfuhr italienischer Erzeugnisse (oder
der Einfuhr der für ihre Herstellung erforderlichen Rohstoffe
und Halbfabrikate) oder in der Herbeischaffung und Zer-
streuung der Waren, die der Orient lieferte.
Italiens Einfuhr aus den nordischen Ländern bestand vor-
nehmlich in Wolle (für die Florentiner Luxusindustrie, von
der wir noch näheres erfahren werden), in Pelzwerk und
feinem Leinenzeug. Die Hauptmasse des italienischen Exports
mußte wahrscheinlich bar bezahlt werden (mit den Erträg-
nissen namentlich der deutsehen Silberminen).
Dagegen führte Italien nach Norden aus: Seide und
Seidenwaren; feinste Tücher; feinste Glaswaren; Baumwolle
und Baumwollwaren, die (wie wir noch sehen werden) bis
in die Neuzeit hinein durchaus als Luxusgüter gelten; Wein;
Waffen.
Ebenso dienten alle Waren, die man über Italien oder in
Italien aus dem Orient bezog, dem Luxusbedürfnis der Reichen,
wenn man etwa die von der Kirche nachgefragten Güter, wie
den Weihrauch , ausnimmt , obwohl natürlich auch hier ein
durch Vermögenskonzentration ermöglichter Luxusaufwand
vorlag. Dabei rechne ich für jene Jahrhunderte des Mittel-
alters und selbst der neueren Zeit bis in unsere menschen-
freundlich-massenfürsorgliche Epoche hinein den Bedarf von
ausländischen Medikamenten zum Luxusbedarf: das Volk und
der Bürger kurierten sich noch mit den Kräutern aus, die
der Wald und das Feld ihrer Heimat darboten.
Die Warenliste, die Wilhelm Heyd für den Levante-
handel aufstellt ^2", ist folgende (ich ordne die Gegenstände
nach dem Gebrauchszweck):
1. Medikamente, die auch als Würze für Speisen dienten:
Aloe, Aloeholz (das nebenbei auch als Parfüm oder als
Material bei feinerem Schreinwerk genutzt wurde), Balsam,
Costus, Galanga, Galläpfel, Ingwer, Kampfer, Kardamom,
Der Luxus und der Handel 143
Laudamim, Manna, Mumia, Myrobalanen, Rhabarber,
Röhrencassie, Safran (auch Farbstoff), Scammonium,
Traganth (auch Farbstoff), Tutia, Zedvar.
2. Geivürze usw. : Pfeffer vor allem : aber Pfeffer gilt bis in
die neuere Zeit hinein, jedenfalls das ganze Mittelalter
hindurch als Luxusgegenstand, der nur in der Küche der
Reichen Verwendung findet, und den Potentaten sich
untereinander zum Geschenk machen; Gewürznelken:
waren noch zwei- bis dreimal so teuer wie Pfeffer; Muskat-
nüsse; Zimt; Zucker, der ebenfalls bis ins 10. Jahrhundert
hinein als ein Leckerbissen der Reichen gilt.
3. Parfüms, Räucherstoffe: Benzoe, Mastix, Moschus, Sandel-
holz, Weihrauch, Ambra, aus der man auch allerhand
Gegenstände schnitzte.
4. Farbstoffe: Alaun, Brasilianisches Holz, Färberröte,
Indigo, Kermes, Lacca: alles Stoffe für Edelfärbung;
Mastix (für Firnisse).
5. Rohstoffe für Getvehe: Seide und allerfeinsten ägyptischen
Flachs.
6. Schmucligegenstände : Edelsteine, Korallen, Perlen, Elfen-
bein, Porzellan, Glas, Gold- und Silberfäden.
7. Bekleidimgsstoffe : Seidengewebe, Brokat, Samt und aller-
feinste Stoffe aus Linnen, Wolle oder Baumwolle, wie
Boccasino, Buckeram, Kamelotte, die alle an Aussehen
den Seidenstoffen glichen und ebenso teuer wie diese
waren.
Diese Stoffe wurden teils aus dem Orient nach Europa,
dann aber auch aus Italien nach dem Orient ebensowie in
die europäischen Staaten verführt.
Wie hochwertig die Waren sein mußten, mit denen man
im Mittelalter handelte, können wir ungefähr aus den Zoll-
erträgnissen, zum Beispiel an der Zollstelle in Como, ent-
nehmen. Nach den Berechnungen Schultes^^'' schwankte
der Wert der über den Gotthard gebrachten Waren im 15. Jahr-
144 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
hundert zwischen 320 000 und 518 000 U, von dem 53 Sol. auf
1 Mailänder Goldgulden kamen. Das Gewicht dieser Waren
soll um etwa 25 000 Ztr. geschwankt haben, so daß der Wert
eines Zentners etwa 50 fl., eines Pfundes V2 fl. (etwa 4 Mk. h. W.)
gewesen wäre.
Auch nach den großen Entdeckungen des 15. Jahrhunderts
änderte sich an dem Inhalt des Handelsverkehrs insofern nur
wenig, als es bis in das 19. Jahrhundert im wesentlichen doch
hochwertige Luxusgüter waren, die zwischen dem Osten und
Westen und zwischen Amerika und Europa ausgetauscht
wurden. Die Mengen wuchsen nur, und einige neue Artikel
treten zu den alten hinzu : vor allem die vier großen Genuß-
mittel: Tabak, Kaffee, Tee und Kakao, die wir aber (den
Tabak vielleicht ausgenommen) bis zum Schlüsse der früh-
kapitalistischen Periode ebenfalls nur auf dem Tische des
Reichen uns vorstellen dürfen, die wir also durchaus noch
zu den Luxusgütern rechnen müssen.
folgende Ziffern geben eine annäberungsweise richtige Vorstellung
von der Ausdehnung des Konsums der wichtigsten Genußmittel in den
vergangenen Jahrhunderten.
Tee führte die Ostindische Kompagnie nach England ein:
1668 . . • 100 /iJ
1710 1420 Ztr.
1731 8168 „
1761 26192 „
1784 86083 „
Nehmen wir an, die Hälfte davon sei in England verblieben und
dort verzehrt, so würde sich (die Bevölkerung bezifferte sich nach den
Ermittlungen Finlaisons 1700 auf rund 5, 1750 auf rund 6, 1800 auf
9,187 Millionen) ein Verbrauch auf den Kopf der Bevölkerung
1700 von rund 0,01 U
1730 ,, „ 0,08 „
1760 „ „ 0,2 „
1784 „ „ 0,5 „
ergeben, während 1906 im Vereinigten Königreich 270 Millionen U Tee
verzehrt wurden, also rund 6V2 U auf den Kopf, 30—35 U auf die
Familie. Deutlicher noch wird das Bild, wenn wir folgende Berechnung
Der Luxus und dcv Iliuidt'l 145
anstellen; einen Teekonsum, wie er heute als Durchschnitt sich für
jede englische Familie ergibt, konnten sich erlauben:
1668 3 Familien
1710 . . . etwa 2000
1730 ... „ 12000
1760 ... „ 40000
1780 ... „ 140000
Der Kaffeekonsum Europas betrug (nach AI. v. Humboldt!) um
das Jahr 1800 etwa 1400000 Ztr.; die Bevölkerung Europas belief sich
(nach Beloch) um dieselbe Zeit auf etwa 120000000, also wäre damals
schon etwa 1 ü Kaffee im Jahr auf jeden lebendigen Europäer ent-
fallen; man wird sagen können, daß damit dieses Genußmittel anfing,
Massengebrauchsgut zu werden. Im Jahre 1910 konsumierte jeder Reichs-
deutsche auch erst etwa 6 ^ Kaffee im Jahre.
Zucker soll (ebenfalls nach Humboldt) damals 4500000 Ztr. in
Europa verbraucht sein, 3 — 4 €6 auf den Kopf der Bevölkerung; heute
in Deutschland beträgt der Durchschnittsverzehr auf den Kopf der Be-
völkerung 38 ^. Daß der Zucker noch im 18. Jahrhundert keineswegs
allgemein gebräuchlich als Süßmittel war, geht aus der Stellung des
Honigs hervor, die dieser noch immer besaß. In Deutschland wandte
man ihn noch um das Jahr 1750 mit Vorliebe zum Versüßen, zum Ein-
machen der Früchte und als Zusatz beim Bierbrauen an. Man wird an-
nehmen dürfen, daß der Zucker in den reichen westeuropäischen Ländern
um die Mitte des 18. Jahrhunderts, im übrigen Europa aber vielleicht
erst im 19. Jahrhundert aufgehört hat, ein ausgesprochener Eeservat-
konsumartikel der Reichen zu sein.
Ein Luxusartikel blieb aber auch ein Gegenstand der
indischen Einfuhr, der im 17. und 18. Jahrhundert einen sehr
wichtigen Bestandteil dieses Handels ausmachte und heute
von jeder Postsekretärsfrau getragen wird: der Kattun oder
richtiger: die bedruckten indischen Baumwollstoffe, sowie die
baumwollenen Waren anderer Art, die Asien nach Europa
sandte. Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts kam die
Mode der indischen Cotons in den reichen Kreisen in Auf-
nahme und drohte den einheimischen Produzenten Konkurrenz
zu machen. Daß diejenigen , die sich in ihrer Existenz ge-
fährdet glaubten, die Fabrikanten feiner Tücher und seidener
Sombart, Luxus uiul Kapitalismus 10
24(3 Fünftes Kapitel; Die Geburt des Kapitalismus
Stoffe waren, bestätigt uns die Richtigkeit unserer Annahme,
daß die reichen Klassen als Käufer auftreten. Dasselbe lehren
uns die Kämpfe, die der Staat (z. B. in Frankreich) gegen
die indischen Kattune (die von M™^ Pompadour sanktioniert
waren, aber ja erst in Trianon ihre rechte Modeblüte erlebten !)
führte: seit 1700 verbot er ihren Gebrauch. Aber natürlich
blieben die Verbote erfolglos: wir sehen sich die eleganten
Damen mit den Cotons kleiden, wenn sie von Paris auf ihrem
Landgut waren. Wir erfahren von folgenden hübschen Epi-
soden :
Die Frau Marschallin de Villars schmuggelte indische
Stoffe ein. Am 17. Juli 1715 erscheint die Frau Marquise
de Nesle ganz öffentlich im Tuilerien-Garten mit einer „robe
de chambre brodee de fleurs de soie et fa^on des Indes sur
une toile du meme pays". Allgemeine Verwunderung und
Entrüstung bei der Kleiderpolizei: der Polizeipräsident eilt
zum Herrn Marquis und macht ihm Vorstellungen. Dieser
verspricht, seine Frau veranlassen zu wollen, daß sie in Zu-
kunft usw.^^^ (Über den Ausgang der häuslichen Szene, die
daraus entstand , berichtet uns das amtliche Schriftstück
leider nichts.)
Dies vorausgeschickt, werden wir imstande sein, uns ein
richtiges Bild von der überseeischen Einfuhr nach
Europa im 17. und 18. Jahrhundert zu machen, wenn wir
die Einfuhrstatistiken jener Zeit überblicken; immer dasselbe
Bild: in England, Holland, Frankreich. Die indischen Kom-
pagnien bringen 1, Gewürze, 2. Arzneimittel, 3. Farbstoffe,
4. Seide und seidene Stoffe, 5. Baumwolle und baumwollene
Stoffe, 6. Edelsteine, Porzellane usw. und dann je nachdem
7. Kaffee, Tabak, Zucker, Tee, Kakao. Es genügt, wenn ich
Ein solches Eiufuhrschema mitteile.
Die Einfuhr nach Frankreich aus Ostindien betrug im
Jahre 1776^39.
Der Luxus und der Handel 147
KafTee 3248000 fr.
Pfeffer und Zimt 2449000 „
Mousselines 12000000 „
Indische Linnen 10183 000 „
Porzellan 200000 „
Seide 1382000 „
Tee 3399000 „
Div., wie Seidenstofife, Muscheln,
spanische Rohre (rotins), Salpeter 3 380 OOO „
36241000 fr.
Bezahlt wurden diese Waren entweder mit dem Gelds
der amerikanischen Silber- und Goldminen (die Hauptmasse)
oder mit einheimischen Erzeugnissen, namentlich Textilwaren.
Unter diesen waren gewiß schon minderwertige Massenartikel,
namentlich zur Bekleidung der Neger und Malaien, wohl
auch der Mittelschichten in den von Europäern besiedelten
Kolonien, wie denen Nordamerikas (weil in ihnen die Er-
zeugung gewerblicher Produkte größtenteils verboten war).
Aber für die Gesamtbewertung des überseeischen Handels in
jener Zeit ist das belanglos: dieser bleibt trotzdem ein Kind
des Luxuskonsums, bleibt eine exklusive Privatangelegenheit
der reichen Leute, durch deren Luxusaufwand er allein sein
Dasein fristet. Denn wenn die hereingebrachten Waren, wie
wir gesehen haben, Luxusgüter waren, so bleibt es sich gleich,
welcher Art die hinausgeführten waren : sie sind ja nur die
zufällige Form der Bezahlung. Der ganze Handel wäre nicht
da ohne die Einfuhr der Luxusgüter, da ohne sie die Leute
drüben auch die europäischen Waren nicht kaufen könnten.
(Eine Ausnahme hiervon machen nur die Edelmetalländer :
nach den von Alexander von Humboldt mitgeteilten
handelsstatistischen Ausweisen "" führte Mexiko im Jahre 1802
von Spanien ein für 20 390 859 Piaster, dagegen an Waren
aus nur für 8410 930 Piaster; den Rest bezahlte es mit seinem
Silber.)
10*
14g Fünftos Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Eines selir wichtigen Zweiges des internationalen Über-
seehandels, von dem wir wissen, daß er fast nur in kapita-
listischen Formen betrieben wurde, müssen wir nun aber noch
besonders gedenken: des Sklavenhandels. Zwar waren
seine Gegenstände nicht selbst Luxusgüter (oder doch?), aber
sie dienten doch unmittelbar dazu, Luxusgüter zu erzeugen,
wie wir das noch genauer sehen werden.
Über den Umfang des Sklavenhandels besitzen wir eine
Menge, zum Teil recht sehr voneinander abweichender An-
gaben. Die bekannteste und vielleicht glaubhafteste Rech-
nung, die, die Buxton anstellt, ist die folgende^*':
Jährlich wurden aus Afrika weggeholt
durch den christlichen Sklavenhandel rund 400 000 Neger
durch den mohammedanischen Sklaven-
handel rund 100000 Neger
500 000 Neger
Von den 400000 Objekten des christlichen Sklavenhandels
gehen 280000 beim Fang, auf dem Transport und im ersten
Jahre zugrunde, so daß nur 120000 Sklaven schließlich zur
Verfügung bleiben. Diese Ziffer erscheint angesichts des Ge-
samtbedarfs an Sklaven zu Beginn des 19. Jahrhunderts kaum
zu hoch und wird durch die in neuerer Zeit bekannt ge-
wordenen amtlichen Ziffern in ihrer Richtigkeit bestätigt.
So erfahren wir z. B., daß in die französischen Antillen
während der Jahre 1780 — 1789 durchschnittlich im Jahre
30 — 35000 Neger eingeführt worden sind. Setzen wir die
Gesamtzahl der Sklaven, die damals in den französischen
Antillen gehalten wurden, auf 240 — 260000 an, so würde die
Jahreszufuhr Vt — Vs betragen haben. Wenn aber schließlich
6 — 7 Millionen Sklaven im ganzen da waren, so erscheinen
als iährlicher Gesamtersatz 120 — 150000 Sklaven eher zu
niedrig als zu hoch.
Aber es kommt auf eine genaue ziffernmäßige Erfassung
I
Der Luxus und der Handel 149
der geliaiKlelten Sklaveiiware gar nicht so sehr an. Es genügt
für unseren Zweck vollständig die Feststellung, daß es sich
dabei schließlich um viele Zehntausende im Jahre und wäh-
rend der ganzen Periode, während welcher der Sklavenhandel
betrieben worden ist, um Millionen Menschen gehandelt hat,
die (das ist das einzige, was uns hier interessiert) Anlaß zu
guten Geschäften boten.
Über die Ausdehnung des Sklavenhandels während des
Mittelalters fehlen uns zuverlässige Angaben durchaus. Daß es
sich aber auch damals schon um beträchtliche Menschenmassen
handelte, können wir aus den Schilderungen des arabischen
Sklavenhandels sowie aus gelegentlichen Mitteilungen ent-
nehmen, deron Zifferuangaben freilich einen abenteuerlichen
Anstrich trugen. So hören wir, daß 1310 die sizilische Flotte
im tiefsten Frieden die Insel Gerba an der tunesischen Küste
überfiel, und daß bei dieser Gelegenheit 12000 Weiber und
Kinder zu Sklaven gemacht wurden; daß 1355 ein genuesischer
Admiral ohne jede Veranlassung Tripolis überrumpelte und
plünderte und daliei 7000 Männer, Frauen und Kinder in die
Knechtschaft schleppte ^*^.
Die Nationen, die nacheinander die führende Rolle im
Sklavenhandel gespielt haben, ohne daß darum die anderen
Nationen ausgeschlossen gewesen wären , sind die Juden *^",
die Yenetianer'^'*, die Genuesen, die Portugiesen, die Fran-
zosen und die Engländer. Diese letzten vier Nationen sind
es, die nacheinander das Monopol des Negerhandels in ihren
Händen haben. Der Anteil der verschiedenen Händlerschaften
am Sklavenhandel in seiner Blütezeit ist aus folgenden Ziffern
zu ersehen.
Im Jahre 1709 wurden von der Küste Afrikas (vom
Kap Blanco bis zum Kongo-Flusse) Neger fortgeholt von "-^
Großbritannien 53100
Frankreich 23 520
Holland 11300
. . 38000 Neger
. . 20 000 „
. . 10000 „
. . 4000 „
. . 2000 „
25Q Fiinftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Britisch- Amerika 6300
Portugal 1700
Dänemark 1200
Kacli Bryan Edwards gab es im Jahre 1791 an den
Küsten Afrikas 40 europäische Faktoreien für den Sklaven-
handel, darunter waren 14 englische, 3 französische, 15 hol-
ländische, 4 portugiesische, 4 dänische. Aber ausgeführt
wurden in jenem Jahre
von den Briten . .
„ „ Franzosen .
„ „ Portugiesen
„ „ Holländern
., „ Dänen . .
Zweifellos war Großbritannien während des ganzen 18. Jahr-
hunderts, also in der wichtigsten Epoche, der Mittelpunkt
des Sklavenhandels, und in Großbritannien selbst war der
Mittelpunkt wiederum Liverpool : von 192 englischen Sklaven-
schiffen liefen im Jahre 1771 aus^^^: von Liverpool 107, von
London 58, von Bristol 23, von Lancaster 4. Postlethwayt
hat uns ein Verzeichnis sämtlicher Sklavenschiffe mitgeteilt,
die Liverpooler Kauf leuten gehörten ; es waren zu seiner Zeit
88 mit je 60 bis 550, meist 3—400 Sklaven als Ladung i*'.
Der Sklavenhandel hatte sich in Liverpool rasch entwickelt;
1729 besaß die Händlerschaft dieser Stadt erst eine Schaluppe
von 30 t, die diesen Handel betrieb, während 1751 schon
53 Fahrzeuge mit einer Ladefähigkeit von 5334 t von Mersey
nach der Sklavenküste aussegelten.
Der Übersee-, insonderheit der Kolonialhandel war nun
aber, wie außer Zweifel steht, im 17. und 18. Jahrhundert
das Feld, auf dem sich der kommerzielle Kapitalismus vor
allem entfaltete. Neben ihm verschwindet der internationale
europäische Handel und noch mehr der iuterlokale Handel in
den einzelnen Ländern. Immerhin: auch in ihm werden
Der Luxus uml der Handel 151
kapitalistische Formen sich hier und da ausgebildet haben,
und da ist es wichtig zu wissen, daß auch dieser Handel
innerhalb Europas im wesentlichen ein Handel mit
Luxuswaren war. Ein großer internationaler und doch kapi-
talistisch betriebener Handel, der nicht ein Handel mit Luxus-
gütern war, bestand, soviel ich sehe, nur für zwei Artikel:
Getreide und Kupfer, ein Handel, der in beiden Fällen durch
den Bedarf der modernen Heere erzeugt worden war, wie in
dem zweiten Bande dieser Studien nachgewiesen werden wird.
Was für Waren im 17. und 18. Jahrhundert von einem
europäischen Lande in das andere gingen, lehrt uns (als
Beispiel unter vielen) eine Aufstellung der von Frankreich
nach Holland ausgeführten Waren, die im Jahre 1658 die
Pariser Handelskammer machte, und die der kundige Ver-
fasser der Batavia illustrata für seine Zeit (Anfang des
18. Jahrhunderts) in vielen Punkten noch für gültig erklärt,
obwohl in der Zwischenzeit sich, wie wir noch sehen werden,
in Holland eine nationale Luxusindustrie entwickelt hatte.
Dieser Verlauf ist typisch in jenen Jahrhunderten des er-
starkenden Kai)italismus : daß ein Land nach dem anderen
die Güter selbst herstellt, die es vordem von dem kapitalistisch
fortgeschrittenen Lande auf dem Wege des Handels eingeführt
hatte : erst ist Italien , dann ist Frankreich das führende
Industrieland, bis ihm England, Holland, Deutschland usw.
folgen.
Die Aufstellung aber, von der ich eben sprach, ist diese **^:
Frankreich führt nach Holland ein (nicht nur zum Konsum in
Holland selbst, sondern auch zur Wiederausfuhr):
1. an Samten, Plüschen, Satins, Gold- und Silberstotfen,
Taffet und anderen Silberstoffen aus Tours und Lion
für mehr als 6 000 000 Fr.
2. an Bändern, seidenen und gedrehten Borten, Knöpfen,
Knöpfen und Schnüren (taggs), die in Paris, Ronen
und in den benachbarten Stiidten gemacht werden,
für ■ ■ ■ 2 000 000 „
8 000 000 Fr.
152 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Transport 8 000 000 Fr.
8. an Seidenhüten und anderen Sorten Hüten, in Paris
und Reuen gemacht, für 1 500 000 „
4. ;m Federn, Gürteln, Schirmen, Masken, Kopfputz
(head-dresses), Spiegeln, goldenen Rahmen, Uhren
und allerhand Kleinkram , was die Franzosen „bi-
joux" nennen, für 2 000 000 „
5. an Handschuhen, gemacht in Paris, Clermont, Ven-
dome und Ronen, für 1 500 000 „
6. an Wollengarn, in der Picardie gesponnen, für . . 500 000 .,
7. an Papier aller Art, in Poitou, Champagne, Limousin,
Auvergne und Normandie gemacht, für 2 000 000 „
8. an Nähnadeln und anderen Nadeln und Elfenbein-,
Ebenholz-, Buchsbaum- und Hornkämmen, in Paris
und der Normandie verfertigt, für 500 000 .,
9. an Kurzwaren in Eisen und Stahl, in der Auvergne
gemacht, für 500 000 .,
10. an Segeltuch von der Normandie und Britannien für
mehr als 5 000 000 .,
11. an Zimmereinrichtungen aller Art: Betten, Matratzen,
Steppdecken, Laken, Fransen usw., für mehr als. . 5 000 000 „
12. an Weinen verschiedenster Herkunft für mehr als . 9 000 000 „
13. Brandy, Essig und Cider für mehr als 2 000 000 ,,
14. an Saffran, Seife, Honig, Mandeln, Oliven, Kapern,
Pflaumen und anderen Früchten für 2 000 000 „
39 500 000 Fr.
Also alles Luxuswaren bis auf Nr. 10 und vielleicht Nr. 13, denn
der Brandy und Cider können möglicherweise für das Schiflfsvolk oder
die Soldaten bestimmt gewesen sein.
Nach der Schätzung, die Moreau de Jonnes anstellt,
wurde weit über die Hälfte des Wertes der französischen
Einfuhr zur Zeit Ludwigs XIV. gebildet durch folgende
Artikel, die Italien, England und die Niederlande lieferten:
Seiden waren, feine Tücher, Tapeten (tentures), Battiste, Spitzen,
feine Eisen- und Stahlwaren (coutellerie) und Kurzwaren
(mercerie) ^*^.
2. Der Detailhandel
Tiefer und nachhaltiger und ausschließlicher als den
Großhandel hat der Luxus den Kleinhandel in seiner Ent-
wicklung beeinflußt. Gab es in der frühkapitalistischen Epoche
1
i
Der Luxus und der Handel 153
immerhin einige wichtige Großliandelszweige, die kapitalistisch
waren und doch sicli nicht mit Luxuswaren befaßten (der
Kupferhandel im IC, der Getreidehandel im 17. Jahrhundert),
so wird sich, glaube ich, kein einziges auch nur kapitalistisch
gefärbtes Detailhandelsgeschäft vor dem 19. Jahrhundert nach-
weisen lassen, in dem nicht Luxusgüter feilgeboten wären.
Ganz deutlich können wir dagegen wahrnehmen, wie der
Luxusbedarf und die Notwendigkeit oder die Gier des Händ-
lers, ihn zu befriedigen, gerade in jenen Jahrzehnten, in
denen wir die Neigung zur verschwenderischen Lebensführung
unter den wohlhabenden Leuten plötzlich sich zu ganz großem
Aufschwünge erheben sahen: in den Jahrzehnten um das
Jahr 1700, als das brasilianische Gold die Taschen der Pariser
und Amsterdamer und Londoner Spekulanten zu füllen be-
gann, wie damals, sage ich, die Fürsorge für den Luxusbedarf
des reichen iNIannes den Händler aus seinem handwerkerlichen
Schlendrian aufrüttelt und die Bahn der kapitalistischen Ent-
wicklung hinauftreibt.
Vielleicht würden wir den innigen kausalen Zusammen-
hang zwischen Luxusentfaltuug und kapitalistischem Detail-
handel nicht so mit Händen greifen können, wenn uns nicht
ein glücklicher Zufall eine Quelle erhalten hätte, wie sie in
gleicher Zuverlässigkeit und Ausgiebigkeit uns leider nur in
den seltensten Fällen geboten wird, eine Quelle, aus der wir
die Wandlungen bis ins einzelnste genau verfolgen können,
die der englische Seidenwarenhandel in der Zeit seit
der Restauration bis in die 1730 er Jahre hinein durchgemacht
hat. Die Quelle ist die Erzählung, die der kundige Verfassei-
des „English Tradesman" aus seiner eigenen Erfahrung von
den Vorgängen macht ^^°; ein Mann also, der mit berechtigtem
Selbstgefühl von sich sagen konnte, daß keiner zu seiner Zeit
eher dazu befähigt gewesen sei — by years and experience —
über diese Episode zu berichten:
Der Seidenwarenhändler, der Mercer, der Mercier, ist
154 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
aber gewiß der typische Vertreter des Luxuswarenhaudels in
jenen Jahrhunderten des übermütigen Reichtums. Hier herrscht
die Lady unumschränkt. Aller Handel ist auf sie zugeschnitten.
Die kostbarsten Stücke des Luxusbedarfs werden hier um-
gesetzt , denn der Seidenwarenhandel umfaßt natürlich alle
Gold- und Silberstoffe, Brokate, Samte und wohl auch Spitzen.
Der Seidenwarenhändler alten Stils, wie er uns noch in
London unter den jüngeren Stuarts begegnet, und wie er wohl
auch noch ein paar Jahrzehute später die Regel bildete (ich
denke mir, daß die größten Verschiebungen doch erst gegen
das Ende des 17. Jahrhunderts einsetzen), war Grossist und
Detaillist in eigner Person ; es gab mit andern Worten noch
keine selbstäudigen Detailhäudler in Seidenwaren: die die
Stoffe beim Produzenten aufkauften, verkauften sie auch ellen-
weise an die Kundschaft. Das hatten ja selbst ganz große
Kaufherren in aller früheren Zeit getan. So sehen wir beispiels-
weise die Fugger, als sie beinahe auf dem Zenitli ihrer Macht
und ihres Reichtums angelangt waren, Seide und Samt aus-
schneiden ; wenn es freilich auch königliche Hofhaltungen
waren, denen sie „gülden Tuch", die Elle zu 36 11., oder
Florentiner und Mailänder Damast, die Elle zu 8 bis 10 fl.,
oder Seidensamt, die Elle zu 4 fl., lieferten ^^^ Immerhin!
Königliche Kaufkute, die sonst mit Kupfer und mit Kaisern
handelten. Herr Arnold oder Herr Friedländer-Fould würden
heute doch nicht unserm Kaiser ein paar Meter Band ver-
kaufen wollen.
Unsere Londoner Mercers zur Zeit des großen Brandes
und noch zwanzig Jahre danach saßen alle in der City, wo
sie wohl seit den Plantagenets gesessen hatten, in der engen,
düsteren Pater-noster Row, die eigens für sie gebaut war,
und hielten dort ihre Stoffe in hohen, dunkeln Gewölben, die
von einem spärlich hereinfallenden Oberliciit beleuchtet waren,
feil: The spacious shops, backware houses, sky-lights, and
other eonveniencies. made on purpose for their trade, are still
Der J.uxus tiiul clor Handel 155
to be Seen, heißt es noch in der fünften Auflage des Complete
English Tradesniau (1745). Ihre Lager waren unermeßlich
groß: „prodigiously great". Und sie verkauften sie, wie ihre
Voreltern sie zur Zeit der Plantagenets gewiß auch schon ver-
kauft hatten. Die beste Kundschaft suchte sie hier in der
engen Pater-noster Row auf: der Hof an der Spitze. In zwei
Ixeihen standen die Wagen: auf der einen Seite fuhren sie
hinein, auf der andern hinaus, so war es Vorschrift, denn die
Straße war zu eng zum Wenden : die Mercers hatten selbst
zwei Büttel angestellt, die die Ordnung aufrechterhalten
mußten. Solche Gewölbe gab es etwa 50, in denen die großen
Kaufleute saßen. Der Rest waren die Trabanten dieses stolzen
Handels: die Bortenleute (lace-man) in der Mitte der Ive-
lane; die Knopf laden (button-shops) am Ende der Straße bei
Cheapside; die Garnläden (crewel-shops) und Fransenläden
(fringe-shops) nahebei in Blow-bladder street.
Das wurde nun von Grund auf anders, als die lustige
Zeit begann: „as the gay humour came up", (Unser Gewährs-
mann läßt die genaue Grenzbestimmung der Zeit, die er meint,
vermissen, er sagt: da saßen sie, die alten Großmercers,
„about twenty years after the fire", „and even in that time . . .
as the gay humour came on . . .", das wäre also, da das Feuer
1<)(36 war, schon die Regierungszeit Karls IL, für die ja die
Bezeichnung einer fröhlichen Zeit gewiß paßt). Damals näm-
lich wuchs zunächst die Zahl der detaillierenden Mercers un-
geheuer rasch an : sie fingen, da die Pater-noster Row zu eng
wurde, an, sich an der Peripherie Londons anzusiedeln : in Ald-
gate, Lombard-Street und Covent-Garden, der bald einen Namen
bekam. Da hier die Straßen breiter waren, so zog die Kund-
schaft, die ja nur in Kutschen kam, es vor, in den neuen
Läden zu kaufen, auch der Hof kam nicht mehr in die City ;
Pater-noster Row verödete, und in wenig mehr als zwei Jahren
wurden die alten Mercers gezwungen , ihre Gewölbe zu ver-
lassen und dem Strome der Kundschaft nachzuziehen: wie
150 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
auf dem Meere, meint der Verfasser, die Fischer den Fischen
nachziehen, wenn diese ihren Standort ändern. (Waren die
neuen „out lying mercers", die solcherweise den alten Seiden-
warenhandel revolutionierten, Juden, die mit Karls IL Frau
oder mit dem Orauier nach London kamen? Es kann kaum
anders sein.) Nochmals zehn Jahre und Covent-Garden wurde
verlassen: die Mercers suchten eine neue Stätte, wie ein schwär-
mendes Bienenvolk , und ließen sich endlich in Ludgate-hill
nieder: the swarm settled on Ludgate-hill, wo er nun dauernd
blieb. Die Zahl der Seidenhandlungen, die 1663 50 bis 60
betragen hatte, war unterdessen auf 300 oder 400 angewachsen.
Um dieselbe Zeit, als die Mercers aus ihrem Standort
wegzogen, auf dem sie jahrhundertelang gesessen hatten, und
sieh über weite Teile von London verbreiteten, lösten sich
auch viele andere Händler (und Handwerke) von ihren alten
Straßen los, die sie das ganze Mittelalter über innegehabt
hatten. Manche unter ihnen, z. B. die Linen-drapers, auch
ein ausgesprochener Luxuswarenhandel, vermehrten sich eben-
falls erstaunlich: „monstrously increased". Die feine Leib-
wäsche wurde , wie wir an anderer Stelle schon sahen , um
diese Zeit ein Luxus des reichen Mannes und seines Weibchens.
Was uns diese Erzählung lehrt, ist also dieses: daß die
Luxuswarenhandlungeu wegen der rasch steigenden Nachfrage
sich in kurzer Zeit stark vermehren und ihren alten Standort
verlassen. Damit aber war die Tür aufgestoßen, durch die
der moderne kaufmännische Geist in die stillen Räume des
Detailhandels eindringen konnte; damit wurde die Umwandlung
der mittelalterlichen Detailhandelsgeschäfte in kapitalistische
Unternehmungen nur eine Frage der Zeit. Denn mit diesen
Veränderungen: steter und plötzlicher Vermehrung und Orts-
veränderung, wurde das Detailhandelsgeschäft auf den Boden
der ökonomischen Ratio gestellt, wurde die Notwendigkeit er-
zeugt, den Konkurrenzkampf mit den Nachbarn aufzunehmen,
die zweckmäßigsten Methoden zur Herbeiholung der Kunden
Der Luxus und der Handel 157
auszusinnen und anzuwenden. Und das bedeutete eben den
Einzug des kapitalistischen Geistes. Wie dieser im Laufe des
nächsten Jahrhunderts sich in den Luxusgeschiiften der Groß-
städte (und nur in diesen) einnistet, können wir aber genau
verfolgen , wenn wir die wenigen Angalien , die wir gerade
über die Detailhandelsorganisation aus jener Zeit besitzen,
richtig zu deuten verstehen.
Was sich in dem folgenden Jahrhundert, nachdem die
alten Mercers aus Pater-uoster Row ausgewandert waren, er-
eignete, war vornehmlich folgendes:
1. Detailhandel und Engroshandel differenzieren
sich: jene 300 — 400 Mercers konnten nur zum kleinen Teil
noch Grossisten sein.
2. Die Ladeuinhaber fangen au, ihre Läden eleganter
auszustatten, um die Kundschaft anzulocken oder den feineu
Leuten, die die Kundschaft bildeten, den Aufenthalt angenehm
zu machen. Es wird uns ausdrücklich bestätigt, daß diese
Verfeinerung der Ladenausstattuug bei den Toy-men anfing,
also bei den Galanteriewarenhändlern würden wir vielleicht
sagen, wobei wir aber immer nur an Luxusgalauteriewaren
höchsten Raffinements, Nippes usw., denken müssen. lu den
Toys kulminierte in gewissem Sinne der Luxus der Zeit.
Französisch heißen diese kostbaren Nichtigkeiten „bijoux",
was nicht nur Schmuck im engeren Sinne damals bedeutete,
sondern Colifichets, Spielereien, Kleinigkeiten aus kostbarem
Metall und mit kostbarer Arbeit überhaupt. In diesen Läden
traf sich die elegante Welt, vor allem die Herrenwelt, die
hier ihre Einkäufe für ihre Geliebten macht. Denn hier
kaufte man die „bijoux frivoles", „die man den anständigen
Frauen schenkt, die kein Geld nehmen" (que Ton donne aux
femmes honnetes qui n'acceptent de l'argent, mais bien des
colifichets en or, parcequ'ils ont un air de döcence!), meint
Mercier, der uns den „Petit Dunkerque" beschreibt ^^2, den
Luxusladen ä la mode zu seiner Zeit, in dem sich nament-
158 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
lieh iu den ersten Tagen des Jahres die „petits seigneurs"
drängen , so daß man eine Garde aufstellen muß. „Nichts
Glänzenderes gibt es als diesen Laden" : rien n'est plus
brillant ä Fcbü que cette boutique, die Voltaire, als er
das letzte Mal in Paris war, mit seinem Besuch beehrte:
.,Er lächelte über alle diese Schöpfungen des Luxus; er be-
merkte, glaube ich, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen diesen
glitzernden Bijoux und seinem Stil", fügt Mercier hinzu.
3. Die Form des modernen Detailhandelsgeschäfts, das
Bedarfsartikelgeschäft, wie ich es genannt habe ^^^ in
dem die Waren nach dem Bedarfszweck zusammengestellt sind,
beginnt sich aus dem alten Branchengeschäft herauszubilden.
In gewissem Sinne vertritt der Toy-Man, der Marchand bijoutier
schon dieses neue Prinzip ; auch in der Beschaffung der Zu-
taten zur weiblichen Toilette finden sich Ansätze zu einer
Neugruppierung der Waren im Laden. Scheinbar ist auch
der Mercer im Begriffe, ein Bekleidungsgeschäft zu werden:
„Der Mercer handelt mit Seiden, Samten, Brokaten und einer
unzähligen Menge teurer Kleinigkeiten, die zur Ausschmückung
des schönen Geschlechts gehören" (an innumerable Train of
expensive Trifles for the Ornament of the Fair-Sex)^^^ Das
erste wirkliche Bedarfsartikelgeschäft ist aber, soviel ich sehe,
das Wohnungseinrichtungsgeschäft, in dem sich alles bereits zu-
sammenfindet : selbstverständlich nur in allerbesten Qualitäten,
was zur Ausschmückung einer Wohnung dient. Teilweise
scheinen es die Tapezierer gewesen zu sein, die sich zu solchen
Möbelausstattungsgeschäften umwandelten, in denen Tische,
Kommoden, alle Arten von Kunsttischlerei (tous les ouvrages
d'^benisterie), Spiegel, Kronleuchter usw. neben den Betten
und Polstern , den Vorhängen und Wandteppichen , die sie
selber anfertigten , zu finden waren ^^^. Teilweise waren es
bloße Händler in diesen Dingen, die sie aber ebenfalls in
einem Laden vereinigten. Sie verkaufen: Gemälde, Stiche,
Kandelaber, Armleuchter, Kronleuchter, Figuren aus Bronze,
Der Luxus und der Handel 159
Marmor, Holz und anderen Stoffen, Stutzuliren und Taschen-
uhren, Cabinets, Schränke, Scliubladen, Tisclie, Gueridons aus
Holz und vergoldet, Marmortische und andere Waren und Kurio-
sitäten, die zur Ausschmückung der Wohnung dienen: „marchan-
dises et curiositez propres pour l'ornement des appartemens"^^".
In London finden wir ganz ähnliche Geschäfte um dieselbe
Zeit. Hier sind es die Luxusmöbeltischler (Cabinet-Makers),
die in einem Laden allerhand PMurichtungsgegenstände feil-
halten, die sie nur zum Teil selbst gefertigt haben: manche
dieser Läden sind so reich ausgestattet, daß sie eher wie
Paläste ausschauen (they look more like Palaces), und ihr
Anlagekapital ist ausnehmend groß (their Stocks are of ex-
ceeding great Value) ^■'''. Daneben gibt es aber auch Aus-
stattungsmagazine der Tapeziere gerade wie in Paris: manche
von ihnen, die Upholders, sind große Ladeninhaber, die stets
eine Fülle fertiger Waren zum Verkauf daliegen haben ^^^.
4. Die Versach Hebung des Verhältnisses zwischen
Händler und Kundschaft, die alle spätere kapitalistische Ent-
wicklung vor allem kennzeichnet, beginnt in diesen großen Luxus-
warengescliäften : der Petit Dunkerque ist meines Wissens das
erste Detailhandelsgeschäft, in dem „feste Preise" galten ^^^
5. In diesen großen Luxuswarenläden: damit habe ich
den letzten und wichtigsten Punkt berührt. Offenbar nämlich
weitete sich in dem Maße, wie alle die genannten Geschäfts-
prinzipieu zur Anwendung kamen, mußte sie es infolgedessen,
die kapitalistische Basis aus, auf der diese Geschäfte ruhten.
Insbesondere wird uns von den Seidenwarenhaudlungen
berichtet, daß sie zum Teil recht umfänglich waren. Vou
einem Pariser Detailgeschäft (Galpin) erfahren wir aus dem
Anfange des 18. Jahrhunderts, daß in ihm an einem ein-
zigen Tage für 80000 livres Stoffe verkauft wurden ^^^^
Der „Vollkommene englische Handelsmann" erzählt uns 1727
von einem Mercer, der eine große Menge Angestellte und
Arbeiter „a great many servants and journeymen" in seinem
1(30 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Laden beschäftigt. Einer Dame, die er bedient, und die
sich absichtlich zwei Stunden lang bei ihm aufhält ohne zu
kaufen, legt er für etwa 3000 ^ Ware vor. Einen andern
Mercer hat er gekannt, der einen Umsatz von 40 000 '£ im
Jahre hatte. Das Kapital , mit dem man um die Mitte des
18. Jahrhunderts einen Seidenwarenladen aufmachen konnte,
wird von einem Gewährsmann auf 500—2000 '£ , von einem
andern auf 1000—10 000 £ angegeben: „10000 £, wenn sie
nicht gut angewandt werden, machen nur eine kleine Figur
in dieser Branche.^
Die Bücher, denen ich diese Angaben entnehme, sind zwei
interessante und wichtige Quellen ^*^", um den Grad der Kapital-
konzentratiou in den einzelnen Detailhandelsbrauchen in
London um die Mitte des 18. Jahrhunderts festzustellen.
In diesen Schriften sind nämlich sämtliche, in London
betriebene Gewerbe, alphabetisch aufgezählt, und bei jedem
ist (als Anhalt für denjenigen Lehrling oder die Eltern des
Lehrlings, der sich einen Beruf wählen will) die Mindest-
summe angegeben, die für die Etablierung erforderlich ist.
Da können wir denn nun die Richtigkeit der hier ver-
tretenen Ansicht bestätigt finden: daß es fast nur Luxus-
warenhandlungen sind, die höhere Ansprüche stellen: sage
über 500 £ Anlagekapital erheischen. Es sind die folgenden :
Buchhändler 500—5000 ^
Chinaladen 500—2000 „
Drogist 500—2000 „
Grocer 500—2000 „
Lace-man (Borten, Tressen usw.) . . 500 — 2000 „
Hosiers shop (Wirkwaren, also vor
allem seidene Trikots) .... 500 — 5000 „
Nursery-man (Blumen- u.Sträucher-H.) 500—1000 „
Thread-man (Faden?) 500—1000 „
Toy-man , . 2000 „
Der Luxus und die Landwirtschaft 161
Händler, die man nicht als Luxuswarenhändler ansprechen
kann, wenigstens nicht direkt (obwohl auch sie letztenfalls
von den reichen Leuten der Stadt lebten) und nicht aus-
schließlich, mit einem Anlagekapital von mehr als 500 ^ sind
nur die Kohlen-, Eisen- und Holzhändler.
Die überragende Bedeutung des Luxuswarenhandels geht
auch aus der Tatsache hervor, daß Kompagniegeschäfte nur
üblich waren bei den Seidenhändlern, den Leinenhäudlern und
den Goldschmieden — Bankiers ^^'^.
Also auch (und gerade) im Detailhandel dringt der Kapi-
talismus durch die Verbreitung des Luxus vor. Die Gründe
liegen nahe; sie sind in der voraufgehenden Darstellung schon
stillschweigend eingeschlossen. Ich stelle sie hier noch ein-
mal zusammen :
1. die Eigenart der Waren drängt zur kapitalistischen
Organisation ; sie sind die hochwertigsten und kamen am
frühesten in größeren Mengen in den Handel;
2. die Eigenart der Kundschaft befördert diese Entwick-
lung zum Kapitalismus; sie stellt die höchsten Ansprüche an
Eleganz und Kulanz, und (ein Grund, der scheinbar in jenen
glücklichen Zeiten sehr ins Gewicht gefallen zu sein scheint,
denn alle Ratgeber in Handelssachen machen ihn geltend)
diese vornehme Kundschaft bezahlt nie bar oder überhaupt
nicht; der Kaufmann, der in Luxuswaren handelt, muß also
— die übrigen Umstände als gleich angenommen — immer
ein größeres Kapital zur Verfügung haben, weil sein Um-
sehlag (infolge des Borgsystems) langsamer ist.
III. Der Luxus und die Landwirtschaft
1. In Europa
Unmittelbar ist der Kapitalismus in der Landwirtschaft
gefördert worden , als und insoweit Land , das vordem von
Bauern angebaut worden war, in Schafweide verwandelt
Somburt, Luxus und Kapitalismus 11
162 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
wurde, um dem wachsenden Bedarf au Wolle Genüge zu
tun. Das war der Fall während des Mittelalters und später
namentlich in Süditalien, Spanien und England. In England
soll die Ausdehnung der herrschaftlichen Schafwirtschaft auf
Kosten der alten Bauernwirtschaft, wie bekannt, unter den
Tudors so weit und so rasch erfolgt sein, daß sie Thomas Morus
zu dem Ausspruch hinriß, das Schaf fresse den Menschen auf.
Ich glaube nun zwar, daß man den Umfang der damals schon
„eingehegten", das heißt wesentlich in Schafweide verwandelten
Flächen überschätzt; immerhin ist die Bewegung in der Rich-
tung eines kapitalistischen Großbetriebes in der Landwirt-
schaft vorhanden gewesen und bis ins 18. Jahrhundert hinein
nicht zur Ruhe gekommen. Und diese Bewegung ist für die
Entstehung des modernen Kapitalismus zwiefach von Be-
deutung: sofern sie Formen der kapitalistischen Organisation
selbst schaft't und sofern sie die Ausbildung der kapitalisti-
schen Industrie beförderte durch Verminderung des Nahrungs-
spielraums für selbständige kleine Landwirte auf dem Lande.
Und wiederum ist diese ganze Bewegung ein Werk des
Luxus, denn die Wollen, die man in den neueröffneten Schaf-
wirtschaften erzeugte, lieferten das Material für die aller-
feinsten Gewebe, die die hochentwickelte Luxusweberei in
Flandern, Brabant und Florenz für den Konsum der Reichsten
herstellte, wie im weiteren Verlauf dieser Darstellung noch
gezeigt werden wird.
Sonst ist die Einwirkung des Luxus auf die Landwirt-
schaft derart, daß durch ihn die Produktion verbessert und
verfeinert wird; und das wiederum steigert die Erträge und
damit die Bodenwerte und drängt die Eigentümer, wenn auch
nicht zur Anlage kapitalistischer Gutswirtschaften, so doch
zu einer Durchdringung der Landwirtschaft mit kapitalisti-
schem Geiste, der dann die alten Formen der feudalen Land-
wirtschaft sprengt und indirekt wieder der allgemeinen kapi-
talistischen Entwicklung die Bahn frei macht (wie ich das
Der Luxus und die Landwirtschaft 163
in meinem „Modernen Kapitalismus" darzustellen versucht
habe).
Die meisten technischen und ökonomischen Umwälzungen,
die wir in der europäischen Landwirtschaft wahrnehmen, sind
bis ins 19. Jahrhundert hinein in diesem Sinne durch den
zunehmenden Luxusbedarf der reichen Bevölkerung hervor-
gerufen worden. Neben diesem Einfluß des Luxusbedarfs auf
die Landwirtschaft tritt der Einfluß des Massenbedarfs (also
der Nachfrage nach Getreide) zweifellos zurück. Dieser Massen-
bedarf äußert sich nur an einer Stelle revolutionär, wie in
dem 2. Band dieser Studien nachgewiesen wird, wo die
Armeen seit dem 16. Jahrhundert plötzlich mit ihren großen
Anforderungen auftreten. Sonst wird die Getreideproduktion
für die allmählich anwachsende städtische Bevölkerung sich
im Rahmen der mittelalterlich-feudalen Landwirtschaft ab-
gespielt haben. Wollte man mir das aber bestreiten, und
wollte man die Behauptung aufstellen: der große Getreide-
konsum der Weltstädte wie London, Paris, xVmsterdam, Mai-
land, Venedig sei es gewesen, der die Landwirtschaft stärker
angeregt habe, so würde ich mich mit dem Hinweis revan-
chieren, daß ja diese Städte in ihrer Totalität eine Ausgeburt
des Luxus seien. Aber ich glaube, daß wir solcher Konstruk-
tionen nicht bedürfen, um die Veränderungen, die die Land-
wirtschaft bis ins 18. Jahrhundert durchmacht , dem Luxus
im wesentlichen zugute zu halten.
Der rasche Aufschwung der italienischen Kommunen
während der letzten Zeiten des Mittelalters hatte es bewirkt,
daß fast überall in Italien die Landwirtschaft modernes Ge-
präge angenommen hatte: „L'abbondanza dei capitali aveva
posto il paese in grado di dare ampio svolgimento alle opere
d'irrigazione, di prosciugamento, di dissodamento ed ad altre
migliorfe. La ricchezza diffusasi in tutti i ceti della popo-
lazione aveva . . . promosso Taumento e il raffinamento
della produzione agraria. La prosperitä delle Industrie
11*
](54 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
tessili aveva offerto il modo di allargare considerevolmente
la coltivazioiie di varie plante industriali ec . . ." So faßt
einer der besten Kenner der Geschichte der italienischen
Landwirtschaft das Ergebnis seiner Studien zusammen ^^2.
Und daß es kapitalistischer Geist war, der auf den Äckern
und in den Weinbergen des damaligen Italiens wehte, kann
uns ein Studium der meisten Stadtrechte lehren, die fast
immer auch von der Landwirtschaft handeln; was sie an-
streben, ist Schutz des Eigentümers gegenüber den Betrüge-
reien und der Faulheit des Pächters oder Kolonen, Ausbildung
des Instituts der Feldhüter (saltari), Bestrafung des Feld-
diebstahls usw.
Ähnliche Vorgänge wie in Italien spielen sich während
des Mittelalters schon in der belgischen Landwirtschaft
ab, hier und da natürlich auch in der deutschen, franzö-
sischen und englischen Landwirtschaft, ohne daß in diesen
Ländern die Einwirkung der städtischen kapitalistischen Ent-
wicklung nachhaltig genug gewesen wäre, um eine Umgestal-
tung der agrarischen Zustände schon während des Mittelalters
zu bewirken.
Die einzige Blüte der kapitalistischen Landwirtschaft in
Spanien dagegen, darf man sagen, fällt in das 16. Jahr-
hundert: sie wurde erzeugt durch den rasch und intensiv ge-
steigerten Bedarf insbesondere der plötzlich reich gewordenen
Conquistadores, aber auch der Handels- und Geldmänner der
spanischen Städte. Im Süden des Landes hatte der Weinbau
große Dimensionen angenommen. Cadiz und Sevilla führten
allein 140000 Ztr. Wein nach Amerika aus. „Damals war
es, daß die großen Herren von der Kaufmannschaft Sevillas
ihren Geschäften einen noch glänzenderen Aufschwung zu geben
gedachten, indem sie selbst die Kultur der begehrtesten Ar-
tikel in die Hand nahmen. Da ihnen enorme Kapitalien zur
Verfügung standen, bedurfte es nur ihres Wollens, und wie
von einem Zauberstabe berührt, bedeckte sich das Tal des
Der Luxus und die Landwirtschaft 165
Guadalquivir bis hinauf an die Sierra Morena mit wogenden
Getreidefeldern, mit üppigen Obst- und Ölgärten und mit Wein-
bergen, deren Ertrag allein ganze Schirtsladungen füllte."**^
Die Kortes klagen im 16. Jahrhundert, daß der Wein,
dessen Anbau rentabler war, dem Brote den Boden weg-
nehme. Man suchte daher zu verhindern, daß das Getreide-
land durch Wein eingeschränkt würde ^**.
Besonders deutlich aber lassen sich die Zusammenhänge
zwischen „Hebung der Landwirtschaft" und zunehmendem
Luxusbedarf in England während des 17. und namentlich
während des 18. Jahrhunderts verfolgen. W^as hier die Land-
wirtschaft revolutionierte, war ganz sieher die wachsende Be-
deutung Londons als Luxuskonsumzentrum. Wenn wir die
Anfänge der modernen rationellen Landwirtschaft in England
zu suchen haben, so hat das ebensosehr seinen Grund in der
eigenartigen Stellung Londons, wie Columella und Genossen
dem alten Rom ihr Dasein verdanken.
Noch die Schriftsteller, die uns über das ländliche Eng-
land im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts unterrichten,
Arthur Young ^^^, die Bearbeiter Defoes, der 1788 in achter
Auflage erschien ^^"j und noch Eden ^'^^, hinterlassen uns den
Eindruck, als ob die Landwirtschaft Englands, soweit sie neue
Bahnen wandelt, ausschließlich London ihre Anregung ver-
dankt, und ebenso erscheint in den Grafschaftsberichten, die
auf Veranlassung des Board of Trade gegen Ende des 18. Jahr-
hunderts erstattet wurden, die Hauptstadt als die Zeutral-
sonne, von der allein die Provinzen Licht empfangen. Überall,
wo für London produziert wird, macht die Landwirtschaft
Fortschritte: es bildeten sich theoretisch regelmäßige Kreise
der Intensität um „die Stadt". Die Grafschaften Essex („the
whole face of the country like a garden") ^^^, Sussex "^,
Kent^'", Surreyi^i, Hertfort^^^^ Norfolk "^^ SuflFolk "* sind
die namentlich bevorzugten, in denen die „improvements of
husbandry" ganz besonders gerühmt werden. Stößt ein
1(3(3 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Reisender in größerer Entfernung von London auf intensiven
Landwirtschaftsbetrieb, so ist er erstaunt, „so far from London"
ähnliches zu finden ^'''\ während er sieh umgekehrt entrüstet,
wenn ein nahe der Stadt gelegenes Gebiet von den Vorteilen
seiner Lage keinen Nutzen gezogen und in den alten Geleisen
der extensiven Landwirtschaft stecken bleibt"*^.
Die Preise der meisten Agrarprodukte nehmen regelmäßig
von der Peripherie bis London an Höhe zu^^'; die Bewohner
der Provinz machen die richtige Beobachtung, daß die Chausseen
ihren Lebensunterhalt verteuern "^, die Chausseen, die näm-
lich fast alle radial von London aus sich über das Land ver-
breiteten ^''', oder daß ihnen die Londoner die besten Lebens-
mittel vor der Nase wegschnappten und ihnen das Nachsehen
ließen ^««.
Fragen wir aber, wodurch London diesen großen Einfluß
auf den Preisstand der Agrarprodukte und damit auf die
Gestaltung des Landwirtschaftsbetriebes auszuüben vermochte,
so muß die Antwort lauten, daß es nicht eigentlich die Be-
völkerungszunahme sein konnte, die revolutionierend wirkte.
Denn diese war gar nicht so übermäßig groß während des
18. Jahrhunderts. London hatte, wenn wir den Berechnungen
Pettys und Kings Vertrauen schenken wollen, schon in
den aclitziger Jahren des 17. Jahrhunderts etwa 700000 Ein-
wohner ^^^ hundert Jahre später kaum mehr*^^ und am Be-
ginn des 19. Jahrhunderts, im Jahre 1801, dem jedoch einige
Jahrzehnte ganz ungewohnten Zustroms voraufgegangen waren,
864845 Einwohner.
Es muß vielmehr in hervorragendem Maße die Ver-
feinerung des Konsums der wohlhabenden Bevölkerung
gewesen sein, die eine so beträchtliche Steigerung der Nach-
frage nach Erzeugnissen der Landwirtschaft hervorrief. Zu
demselben Schlüsse kommen wir, wenn wir die Preisbewegung
bei den verschiedenen Agrarprodukten während des 18. Jahr-
hunderts beobachten; wir finden nämlich, daß die Getreide-
Der Luxus uud die Landwirtschaft 167
preise in England wenigstens während der ersten Hälfte des
Jahrhunderts keinerlei Tendenz zum Steigen aufweisen, wäh-
rend die Preise der meisten anderen Erzeugnisse, vor allem
des Fleisches, in die Höhe gehen ^^^, Und was wir an Tat-
sachen über die wirkliche Gestaltung des Konsums besitzen,
bestätigt dann jene Hypothese auch durchaus. Vor allem
muß der Fleischverzehr in London sowohl absolut ein
sehr beträchtlicher während des 18. Jahrhunderts gewesen
sein, als auch vor allem eine erhebliche Steigerung in dieser
Zeit erfahren haben. Wenn wir auch den ziffernmäßigen An-
gaben, wie sie z. B. Eden macht ^^*, keine allzugroße Bedeutung
beilegen dürfen , — danach würde der Fleischkonsum (ohne
Schweine- und Kalbfleisch) gegen Ende des Jahrhunderts
90 Pfund auf den Kopf der Bevölkerung erreicht haben, d. h.
eine Höhe, wie sie die heutigen Großstädte keineswegs alle
erreichen, und würde zudem in 60 Jahren um 50 *^lo pro Kopf
der Bevölkerung gewachsen sein , wenn wir diese sich um
100000 Seelen vermehren lassen — immerhin ist ein außer-
gewöhnlich starker Fleischkonsum unzweifelhaft. Wir ersehen
das beispielsweise aus den Schilderungen, die wir von dem
berühmten Viehmarkt von Smithfield besitzen ^^^, der zweimal
wöchentlich abgehalten wurde und der größte der Erde war,
oder von dem nicht minder berühmten Fleischmarkt Leaden-
Hall, auf dem, wie ein spanischer Gesandter bemerkte ^^^, in
einem Monat soviel Fleisch verkauft wurde, um ganz Spanien
während eines Jahres zu versorgen.
Es sollen um die Mitte des 18. Jahrhunderts in London
nicht weniger als 17 „große Fleischmärkte" „for all sorts of
fine meats" bestanden haben, auf denen auch Geflügel und
Wild verkauft wurde, „beside many Street butchers", für
die in größerer Entfernung von einem Markte wohnenden
Familien ^^\
Wir dürfen es aber auch aus den Berichten schließen,
die uns über die ausgedehnte und zum Teil schon hoch-
1(58 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
entwickelte englische Viehzucht im 18. Jahrhundert überliefert
sind. Sie alle stimmen dahin überein, daß es vor allem die
Anlage von Futterweide und die intensive Viehzucht ist, auf
die die entwickelte Landwirtschaft zugeschnitten wurde: in
Kent wie in Norfolk, in Essex wie in Somersetshire. Viel-
fach war schon eine weitgehende Spezialisierung der Vieh-
wirtschaft eingetreten: selbstverständlich zwischen Schaf- und
Rindviehzucht, aber auch noch weitergehend in der Weise, daß
schon die Bergländer, wie Devonshire, die eigentliche Zucht
übernahmen und fruchtbare Niederungen, wie Somersetshire,
die Mästung ^^^.
Die rasche Vervollkommnung der Viehwirtschaft ergibt
sich aus der erstaunlichen Zunahme des Durchschnittsgewichts
des einzelnen Stücks Vieh. Dieses betrug auf dem Smithfield-
Markt bei
Ochsen Kälbern Schafen Lämmern
1710 370 Ibs. 50 Ibs. 28 Ibs. 18 Ibs.
1795 800 Ibs. 148 Ibs. 80 Ibs. 50 Ibs.
Dieselbe Tendenz zur Spezialisierung, die uns einen Schluß
ebensosehr auf die Verfeinerung des Konsums wie auf die
hohe Technik der landwirtschaftlichen Produktion gestattet,
beobachten wir bei den übrigen Erzeugnissen der Landwirt-
schaft. Man fühlt sich ganz lebhaft an die Schilderungen
römischer Agrarschriftsteller erinnert, wenn man etwa die
Bände der Defoeschen Landesbeschreibung durchblättert. Da
hören wir von Gegenden, deren Spezialität die Lieferung von
Drinkcorn (Gerste bzw. Malz) ^^^ ist, während andere den
dazu gehörigen Hopfen produzieren ^^^. Hier ist der Hafer*'*,
dort sind die Kartoffeln *^^ das vornehmlich gezüchtete Pro-
dukt. Das beste Geflügel kommt aus der Umgegend von
Dorking (Surrey) ^^^, der beste Käse aus Oxfordshire und
Gloucestershire *^*, der beste Speck aus Wiltshire und Hamp-
shire *^^, während die Gegenden längs der Themse programm-
gemäß die Holzlieferanten sind *^^ und in der nächsten Um-
Der Luxus und die Landwirtschaft 169
gebung der Stadt in gartenmilßigeni Anbau (iemüse pro-
duziert wird.
Die Kitchen-garden erstrecken sich bis nach Gravesend,
wo die besten Spargel gezogen werden ^^\
2. In den Kolonien
Auf die Landwirtschaft in den Kolonien hat die Steige-
rung des europäischen Luxusbedarfs ganz anders gewirkt:
hier hat sie kapitalistische Unternehmungen großen Stils,
vielleicht die ersten ihrer Art, unmittelbar ins Leben gerufen.
Zunächst, daß die Produktion in fast allen europäischen
Kolonien eine Produktion hochwertiger Luxusgüter war, haben
uns die Übersichten über die Gegenstände des kolonialen
Handels gelehrt. Denn diese Luxuswaren wurden ja zum
größten Teil in der überseeischen Landwirtschaft erzeugt.
Die Artikel, die hier vornehmlich in Betracht kommen, sind:
der Zucker, der Kakao, die Baumwolle (bis in die Mitte des
18. Jahrhunderts ein Luxusartikel) und der Kaffee, die sämt-
lich in den amerikanischen Kolonien erzeugt wurden, und die
Gewürze, das Hauptprodukt der ostasiatischen Kolonien;
während ich den Tabak ausscheide, weil er ein Genußmittel
war, das in den unteren Schichten ebenfalls verbreitet war
(von den feineren Sorten abgesehen): „dans les colonies on
ne travaille que pour le luxe" urteilt also durchaus sach-
gemäß ein Schriftsteller im Anfang des 18. Jahrhunderts *^^
Sehen wir von der Arbeitsverfassung ab, die in den
holländischen Gewürzkolonien herrschte und die in einem
komplizierten System von Zwangsproduktion der P^ingeborenen
gipfelte, so wurden alle die genannten Luxusgüter in den
Kolonien der Europäer in großen Plantagenwirtschaften er-
zeugt, die einen durchaus kapitalistischen Charakter tragen.
Man hat vielleicht mit Recht gesagt, daß sich hier, fern von
den Traditionen der europäischen Kultur, zuerst rein kapi-
talistische Gebilde entfaltet haben. Freilich muß man dann
170 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
den Begriff des Kapitalismus weiter fassen : man muß kapi-
talistisch auch diejenige Organisation nennen, die auf unfreier
Arbeit beruht, wenigstens wenn diese Arbeit von gekauften
Sklaven verrichtet wird. Denn daß der Sklavenbetrieb in den
europäischen Kolonien auf der Sklavenarbeit aufgebaut war,
ist bekannt. Alle Requisite, die sonst zu einer kapitalistischen
Unternehmung gehören, waren aber gewiß vorhanden: die
Herrschaft des Erwerbsprinzips, die Herrschaft des ökono-
mischen Rationalismus, die Größe, die soziale Trennung
zwischen Produktionsleiter und Arbeiterschaft: „die Er-
scheinung eines Standes von Handarbeitern, die gar nichts
weiter als dies sind, tritt hier in der Form der Negersklaven-
schaft in völliger Nacktheit und Schwärze auf." (Knapp.)
Einen großkapitalistischen Charakter trägt die Plantagen-
wirtschaft schon in den Kolonien der italienischen Städte
im Ägäischen Meer während des Mittelalters. Hier wurden
auf den fruchtbaren Inseln (Kreta, Chios, Cypern) Wein, Baum-
wolle, Indigo, Mastix, Oliven, Maulbeerbäume, Feigen, Lau-
danumharz, Koloquinten, Karuben, vor allem aber Zucker
gewonnen. Im Gebiet von Limisso zum Beispiel besaßen die
Cornaro eine ausgedehnte Zuckerplantage, welche Ghistele
den rechten Stapel von ganz Cypern nannte. Als der Italiener
Ca sola die Gegend bereiste, im Jahre 1494, wurden hier
400 Personen beschäftigt.
Alle Verhältnisse wuchsen sich dann in den amerika-
nischen Kolonien ins gigantische aus, wo nach der
kurzen Episode der roten die schwarze Sklaverei die Lage
beherrschte.
Einer der besten Theoretiker der Sklavenwirtschaft,
Cairnes, hat die Gründe dargelegt, weshalb zu allen Zeiten
Negersklaverei und großbetriebliche Gestaltung der Produktion
zusammengehört haben, die wir denn auch ganz überein-
stimmend in den englisch-westindischen Kolonien, in Kuba, in
Brasilien wie in den nordamerikanischen Südstaaten finden:
Der Luxus und die Landwirschaft 171
Unsere reichen PHanzer, meint M'' Clay, kaufen ihre
ärmeren Nachharn aus, erweitern ihre Plantagen und dehnen
ihren Sklavenbestand aus. Die wenigen Reichen, die bei
kleinerer Profitrate bestehen können, und die imstande sind,
ihren verbrannten Feldern einige Ruhe zu geben, treiben so
die vielen unabhängigen Besitzer davon ^^^.
Die Zahlenangaben, die wir über die Ausdehnung einzelner
Plantagen besitzen, bestätigen die Richtigkeit dieser all-
gemeinen Urteile.
Nach Labat, der ein guter Beobachter war, wurde gegen
das Jahr 1700 eine Plantage auf den französischen Antillen
auf 350—400000 fr. geschätzt ^o". Eine Zuckerplantage, die
Alexander von Humboldt beschreibt 2°^, erstreckt sich
über 050 ha Land, auf dem 300 Neger beschäftigt sind, und
hat 2 000000 Fr. als Anlage gekostet. Eine andere mit 220
Sklaven wird auf 35 000 £ veranschlagt 202. im Jahre 1791
gab es im französischen Haiti 792 Plantagen, von denen 341
im Mittel auf 180 000 Fr., 451 auf 230000 Fr. geschätzt wurden,
und die mindestens 750000 Meterzentner Zucker im Werte
von mehr als 100 Millionen Frank jährlich ausführten; die
ganze Insel war in den Händen einer kleinen Anzahl von
Plantagenbesitzern, les gros habitans genannt, welche eine
fest zusammenhaltende Herrschaftskaste bildeten 2"^.
Von der Ausdehnung der Plantagenwirtschaft selbst und
ihrer Massenbedeutung machen wir uns am ehesten eine richtige
Vorstellung, wenn wir die Menge der in ihr verbrauchten
Sklaven in Erfahrung zu bringen suchen. Das ist nicht allzu
schwer, da eine annähernd genaue Statistik der Sklaven-
bevölkeruug wenigstens für das 19. und zum Teil schon für
das 18. Jahrhundert vorhanden ist. Seinen Höhepunkt er-
reicht der Sklavenbetrieb erst kurz vor der Aufhebung der
Sklaverei, als schon nicht alle Plantagenwirtschaft mehr der
Produktion von Luxusgütern diente, als namentlich die Baum-
wollsklaven schon für ihre Brüder in Europa den Gespinst-
172 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kaiiitalismus
Stoff erzeugten. Die notwendigen Abzüge wird man aber
leicht machen können.
In den englisch-westindischen Besitzungen gab es 1778
6(J3899 Negersklaven 204.
In einigen Kolonien, für die wir genauere Ziffern be-
sitzendes, verläuft die Entwicklung der Sklaverei wie folgt
(ich gebe die erste zuverlässige Zahl an und diejenige, die
den Höhepunkt bezeichnet).
Martinique 1700: 14 566
1831: 86 299
Guadeloupe 1700: 6 725
1831: 99 039
Französ.-Guiana 1695: 1047
1831 : 19 102
Bourbon 1776: 26175
1834: 70425
Jamaica 1658: 1400
1817 : 343 145
Barbados 1722: 69 870
1829: 81500
Antigua 1774: 37 808 (Höhepunkt)
Mauritius 1776: 25 154
1826: 63 432
Cuba 1774: 44 333
1827: 286 942
Portorico 1778: 6 530
1836: 41818
Der Gesamtbestand aller Sklavenländer an Sklaven in
den 1830er Jahren bezifferte sich auf 6822 759.
Daß die kleinen Fräuleins in Paris und London diese
riesige schwarze Armee auf die Beine gebracht hatten, um
ihre Launen zu befriedigen, ist ein Gedanke, der nicht des
Reizes entbehrt.
IV. Der Luxus und die Industrie
/. Die Bedeutung der Luxusindustrien
Hier in der Sphäre der gewerblichen Produktion ist das
Feld, auf dem sich recht eigentlich der Einfluß des Luxus
Der Luxus und die Industrie 173
fühlbar macht : hier ist der ZusaramenhaDg zwischen der Ent-
faltung des Luxusbedarfs und der Entwicklung des Kapitalis-
mus auch für die blödesten Augen deutlich, hier ist er mit
Händen zu greifen.
Wenn wir nun aber ohne weiteres auf Grund auch ganz
oberHächlicher Erfahrung feststellen können, daß zahlreiche
Industrien zur Befriedigung des Luxusbedarfs ins Leben ge-
rufen sind, daß also viele Industrien „Luxusindustrien" ge-
nannt werden müssen, so drängt sich uns doch, sobald wir
näher auf die Sache eingehen, die Frage auf: ob denn der
Begriff der Luxusindustrie nicht ein sehr ver-
schwommener sei, und ob wir uns nicht zuvörderst verstän-
digen müssen, was wir hier darunter verstehen sollen.
Luxusindustrien, wird man sagen, seien Industrien, die
Luxusgüter herstellen: kostbare Gewänder, elegante Möbel,
Schmuckgegenstände usw. Aber was sind denn, wenn wir
genauer hinsehen, Luxusgüter? Zweifellos zum Beispiel die
ebengenannten, denen gemeinsam ist, daß sie einem Luxus-
bedürfnis unmittelbar dienen , individuelle Gebrauchsgüter,
Güter erster Ordnung sind. Wir werden also gewiß ohne Be-
denken Betriebe, in denen jene Güter erzeugt werden, Luxus-
industrien nennen dürfen. Ist aber eine Brokat- oder Samt-
weberei nicht auch eine Luxusindustrie? Und sie stellt doch
kein individuelles Gebrauchsgut, sondern ein Produktionsmittel
— den Stoff für die Kleider — her, also ein Gut zweiter
Ordnung. Wenn aber eine Seidenweberei eine Luxusindustrie
ist (und es hieße dem Sprachgebrauch Gewalt antun, hieße
auch Zusammengehöriges trennen , wollte man sie nicht so
nennen), ist dann eine Seidenspinnerei nicht auch eine Luxus-
industrie, dieweil sie den Eohstoff für die seidenen Gewebe
— ein Gut, sagen wir Luxusgut dritter Ordnung — fertigt?
Wie aber: ist der Webstuhl, auf dem die Seide gewebt
wird, auch ein Luxusgut, und sollen wir die Fabrikation von
Seidenwebstühlen eine Luxusindustrie nennen?
274 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Oder wenn man meint, weil es ein Arbeitsmittel sei,
ändere sich der Sachverhalt; wird man die Brettschneide-
mühle, in der die Hölzer für die Kunstmöbelmanufaktur her-
gerichtet werden, also ein Gut zweiter Ordnung auf dem
Wege zu dem Luxusgut Kunstmöbel : wird man sie eine Luxus-
industrie nennen?
Ich glaube nicht. Ich glaube, man wird selbst die Eisen-
gießerei, aus der die eisernen Röhren für die Versailler Wasser-
kunst hervorgingen, die also diejenigen Gegenstände lieferte,
ohne die diese eminente Luxusanlage nicht hätte geschaffen
werden können, keine Luxusindustrie nennen.
Freilich: eine Beziehung zwischen solcher Art Industrien
und der Entfaltung des Luxus besteht schon. Und will man
die Bedeutung dieses Kulturphänomens in ihrer ganzen Weite
ermessen, so muß man auch diese Ausstrahlungen mit in Rück-
sicht ziehen. Denn alle diese Gewerbe, die in größerer oder
kleinerer Entfernung an der Deckung des Luxusbedarfs teil-
nehmen , wären ja nicht in der Welt , wenn der Luxus nicht
in der W^elt wäre. Und ein sehr großer Teil der frühkapita-
listischen Industrien ist auf diese Weise auf Umwegen vom
Luxus ins Leben gerufen worden. Wenn auch die Umwege
zuweilen recht weite sind: weil die Glas- und andere Luxus-
industrien das Holz in den Wäldern aufgebraucht hatten, wurde
die Steinkohle ein immer begehrteres Feuerungsmaterial, nach
dem um so mehr Nachfrage entstand, je mehr Menschen sich
in den vom Luxus getragenen Großstädten niederließen. Und
so entstand eine der großen Industrien der frühkapitalisti-
schen Epoche: die Kohlenindustrie von New Castle.
Aber ich meine gar nicht diese indirekt vom Luxus er-
zeugte Industrie, die man vielleicht mittelbare Luxusindustrie
nennen könnte, wenn ich von dem Einfluß des Luxus auf die
Umgestaltung der gewerblichen Produktion spreche. Da denke
ich vielmehr an die Luxusindustrie im „eigentlichen" Sinne,
die wir ja ganz deutlich, in unserem Gefühl wenigstens, als
j, Der Luxus und die Industrie 175
eine besondere Kategorie von Industrie von anderen sich ab-
lieben sehen. Aber es geht nicht an, den Begriff der — sagen
wir — unmittelbaren, echten Luxusindustrie etwa auf die-
jenigen Gewerbe zu beschränken, die Luxusgut erster Ordnung
herstellen, da wir sonst, wie gesagt, ausgesprochene „Luxus-
industrien'^, die jedermann als solche anerkannt sehen will,
wie die Brokatweberei oder Goldbortenwirkerei, ausschließen
müßten.
Ich glaube, das Merkmal, das den Begriff" der Luxus-
industrie wesentlich bestimmt, ist die Artbeschaffenheit des
erzeugten Gutes selbst: ob dieses selbst ein hochwertiges Gut
sei, entscheidet darüber, ob das Gewerbe, in dem es erzeugt
wird, eine Luxusindustrie ist oder nicht. Darum eine Seiden-
filanda, obwohl sie ein Luxusgut dritter Ordnung herstellt,
eine Luxusindustrie ist, eine Brettschneidemühle, die ein
Luxusgut zweiter Ordnung liefert, dagegen nicht. Wenn in
derartigen Industrien, die geringwertige Güter herstellen,
also Güter von niedrigem spezifischem Weit, durch den Luxus
Kapitalismus erzeugt wird, so ist es doch immer ein Massen-
absatz, der diesen ermöglicht hat. Freilich: ein Massenabsatz
von Luxusbedarfs Gnaden.
Wir verfolgen jetzt also nur die echten Luxusindustrien.
Und selbst wenn wir nur diese ins Auge fassen, ist die Ein-
flußsphäre des Luxus und seine Bedeutung für die Heraus-
bildung des kapitalistischen Wirtschaftssystems außerordent-
lich groß.
Leider werden wir wohl für immer darauf verzichten
müssen, uns von dieser Bedeutung eine quantitative Vor-
stellung zu machen, insbesondere aber den Anteil, den der
Luxus an der Überführung der gewerblichen Produktion in
die kapitalistische Organisation hat, ziffernmäßig festzustellen.
Das könnten wir selbst heute mit Hilfe unserer hochent-
wickelten Berufs- und Betriebsstatistik nicht. Und zwar des-
halb nicht, weil weder früher noch heute die Kategorien der
176 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Luxusindustrie oder auch nur der Qualitätsindustrie in den
Zahlen- und Größenfeststellungen berücksichtigt werden. Es
heißt „Tuchweberei", aber keine Statistik der Welt unter-
scheidet, ob es sieh um das Weben allerfeinster oder ganz grober
Tücher handelt; und so in zahlreichen Fällen. Deshalb wird
man für viele Gewerbearten , wenn nur im ganzen für ihren
Umfang Zahlenangaben gemacht werden, nicht feststellen
können, wie groß innerhalb ihrer die Luxusindustrie ist,
während man es bei anderen Gewerbearten kann, die reine
Luxusindustrien sind: Gobelinweberei, Goldbortenfabrikation,
Goldschmiederei usw. Wir können jene anderen Gewerbe, in
denen Grob- und Feingut hergestellt wird, im Gegensatz zu
diesen „reinen" Luxusgewerben „gemischte" Gewerbe nennen.
Kann man also selbst heute nicht sagen, etwa für Deutsch-
land, wieviel Prozent der gewerblichen Arbeiter in Luxus-
industrien beschäftigt sind, wieviel weniger ist eine solche
ziffernmäßige Verhältnisbestimmung möglich für die ver-
gangenen Jahrhunderte, für die jede allgemeine Industrie-
statistik fehlt.
Wollen wir die Bedeutung des Luxusbedarfs für die Ent-
wicklung des gewerblichen Kapitalismus trotzdem ermessen,
so müssen wir es wie in allen ähnlichen Fällen auf dem
Umwege des monographisch-induktiven Verfahrens tun; wir
müssen es uns vor allem angelegen sein lassen, die grund-
sätzlichen Eigenarten herauszufinden, die die als kapitalistische
Luxusindustrien erkannten und anerkannten Erscheinungen
des gewerblichen Lebens an sich tragen.
Wir werden dann etwa folgendes nachweisen können:
1. daß einige Luxusindustrien eine große absolute Aus-
dehnung gewonnen haben, deren Bedeutung wir durch aller-
hand Vergleiche uns ins Gefühl bringen können;
2. daß ausgesprochene Luxusindustrien besonders früh-
zeitig dem Kapitalismus anheimfallen;
3. daß innerhalb derselben Gewerbegruppen diejenigen
Der Luxus und die Industrie 177
Gewerbezweige, die LuxusglUer herstellen, der Regel nach
früher vom Kapitalismus erfaßt werden als die anderen;
4. daß in den Luxusindustrien zuerst großkapitalistische
und großbetriebliche Organisationsformen sich ausbilden.
Es wird die Übersichtlichkeit erhöhen, wenn wir unsere
Erörterung für die reinen Luxusgewerbe und für die ge-
mischten Gewerbe gesondert anstellen.
2. Die reinen Liixusgewerbe
a) Die Seidenindustrie. Daß die Seidenindustrie
im Wirtschaftsleben der europäischen Völker während der
frühkapitalistischen Epoche eine überragend große Bedeutung
gehabt hat, wissen selbst unsere „Historiker". Man kann
die Tatsache also gewissermaßen als geschichtsnotorisch be-
trachten und braucht sie nicht erst lange zu beweisen. Zwei
Ziffern mögen hier Platz finden ; der Wert der Lyoner Seiden-
zeuge belief sich in dem Zeitraum von 1770 bis 1784 (nach
den Berechnungen in der Encycl. m6th.) auf jährlich etwa
60 Mill. Fr. Der Wert der gesamten Einfuhr nach Frank-
reich beziffert sich in den Jahren 1779 — 1781 auf bzw. 208,
216, 269 Mill. Fr., der der Ausfuhr auf 235, 236, 260 Mill. Fr.,
der Gesamtwert des auswärtigen Handels demnach auf 443,
452, 529 Mill. Fr.; von diesem machte also der Wert der in
Lyon allein erzeugten Seidenwaren Vs — Vt aus. Da der Wert
der im Jahre 1911 die deutsche Grenze überschreitenden
Waren 19,161 Mill. Mk. betrug, so würde den 60 Mill. Fr.
Produktionswert heute ein solcher von 2400—2700 Mill. Mk.
entsprechen. Zum Vergleich : nach den Produktionserhebungen
des Reichsamts des Innern betrug der Gesamtwert des in
Deutschland erzeugten Roheisens (1908) 657 152 000 Mk., der
Wert des erzeugten Baumwollgarns 644464000 Mk., der Wert
der geförderten Steinkohlen (1910) 1535 258000 Mk. Roh-
eisen + Baumwollgarn + Steinkohlen zusammen würden also
ungefähr das in der heutigen Volkswirtschaft eines Kultur-
Sombart, Luxus und Kapitulismus 12
j^73 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
landes bedeuten, was die Seidenindustrie des einen Lyon für
die Volkswirtschaft Frankreichs im 18. Jahrhundert war, wo-
bei noch in Rücksicht zu ziehen ist, daß der Außenhandel
vor 130 Jahren eine verhältnismäßig viel größere Rolle im
Wirtschaftsleben eines Landes spielte als heute.
Und die Berliner Seideniudustrie erzeugte Waren für
3 — 4 Mill. Taler, als der Gesamtwert der Produkte, die in
den Berliner Fabriken und Manufakturen hergestellt wurden,
sich auf etwa C Mill. Taler (1783: 6 098 226 Taler nach den
Angaben Nicolais) bezifferte.
Diese Standard-Industrie jener Zeit hat nun, das ist das,
was uns hier interessiert, als eines der ersten Gewerbe die
kapitalistische Organisation über sich ergehen lassen müssen,
so daß man wohl sagen kann, sie habe in der Geschichte des
industriellen Kapitalismus Epoche gemacht. Und zwar für
alle Formen des Kapitalismus bietet die Seidenindustrie in
sehr frühen Zeiten charakteristische Beispiele dar: ebenso
wie in ihr vielleicht zuerst die hausindustrielle Betriebsweise
zur Entwicklung gelangt, so treten uns auch die Manufaktur
und die Fabrik in der Sphäre der Seidenindustrie zuerst in
vollendeter Form entgegen: die Seidenfiianden des 14. Jahr-
hunderts sind gleichsam die Wiegendrucke der gesellschaft-
lichen Großbetriebe.
In welchen Formen sich die Seidenindustrie bewegte, die
die Italiener, namentlich die Venetianer und Genuesen, in den
Levantekolonien in großem Umfange betrieben, wissen
wir nicht. Wahrscheinlich bildete hier die Sklaverei oder
Hörigkeit die Grundlage des Betriebssystems.
In den europäischen Staaten hingegen ist es wohl dureh-
geheuds die Hausindustrie, in der die kapitalistische
Seidenindustrie zuerst betrieben wird: Spinnerei wie Weberei,
und zwar, wie ich schon sagte, recht früh.
In Paris stehen schon im Anfang des 14. Jahrhunderts,
wie es die Statuten vom 27. März 1324 erkennen lassen, die
Der Luxus und die Industrie 179
Seidenspinnerinnen und -zwiiiierinneii, die „filaresses", wie sie
heißen, im Verhältnis der Lolinarbeiterinnen zu ihren Brot-
herren, den Merciers, die die Rohseide einkaufen und, nach-
dem sie gesponnen, gezwirnt und appretiert ist, zum Nähen,
Sticken oder Weben verkaufen ^ö«.
Ebenfalls als Verlagssystem tritt uns die Organisation
der Seidenindustrie, insbesondere der Seidenweberei, entgegen
während des 14. Jahrhunderts bereits in Venedig ^®^ während
des 15. Jahrhunderts in Genua (Statut von 1432) ^««^ und dje
übrigen Mittelpunkte der italienischen Seidenindustrie,
Lucca, Florenz, Mailand, weisen dieselbe Arbeitsverfassung auf.
Als die Seidenmauufaktur im 16. Jahrhundert in Lyon begründet
wird, erscheint sie gleichermaßen in der Gestalt der Haus-
industrie: schon das erste Statut von 1554 enthält lange Be-
stimmungen über die Veruntreuung des Rohstoffs ^°^, und
schon das Edikt vom 28. Januar 1554 spricht von den „Ver-
legern, die das Geschäft leiten, ohne selbst den ganzen Tag
am Webstuhl zu sitzen", es sind die „marchands conduisant la
manufacture de velours et de draps de soie sans etre assis
toute la journ6e sur le metier et mener la navette"^'*^.
Man weiß, daß die hausindustrielle Organisation dann
auch in den übrigen Ländern beim Betriebe des Seiden-
gewerbes die Regel bildete.
Neben dem Verlagssystem hat sich aber in der Seiden-
industrie offenbar schon sehr früh der geschlossene, gesell-
schaftliche Großbetrieb in der Form der Manufaktur
oder (vor allem) der Fabrik entwickelt. Ja vielleicht gehört
der erste verbürgte Fall einer Fabrik auf kapitalistischer Basis
während des europäischen Mittelalters dem Seidengewerbe an.
Freilich, man muß sehr vorsichtig sein, wenn man die Be-
richte der früheren Jahrhunderte über industrielle Anlagen
di'uten will. Meistens nämlich, wenn von Manufaktur oder
auch Fabrik die Rede ist, ist nicht die Betriel)sforni, sondern
nur das Gewerbe als solches damit bezeichnet; und selbst
12*
j^^Q Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
wenn es heißt, der und der hat eine Seidenmanufaktur er-
öffnet, in der 500 Personen beschäftigt sind, so weiß man
immer noch nicht, ob es sich um großbetriebliche oder haus-
industrielle Organisation handelt.
Immerhin lassen sich Fälle großbetrieblicher Gestaltung
in der Seidenindustrie auch für ganz frühe Zeit mit Sicher-
heit nachweisen: in der Seidenweberei allerdings nicht vor
dem IG. Jahrhundert. Der früheste, mir bekannte Manufaktur-
betrieb ist hier der des Raoulet Viard, eines der Begründer
der Lyoner Seidenindustrie, der 4(J Webstühle in einem Hause
vereinigte. Früher hingegen tritt der Großbetrieb, und zwar
gleich in der Gestalt der Fabrik, in der Seidenspinnerei auf.
Diejenigen Anlagen, die uns Alidosi beschreibt, und die
Seidenfilanden mit 4000 Fäden und Wasserantrieb darstellen,
sollen nach diesem Gewährsmann bis in die erste Hälfte des
14. Jahrhunderts zurückreichen, da am 23. Juni 1341 die
Stadt Bologna einem gewissen Bolognino di Barghesano aus
Lucca die Genehmigung zur Anlage einer solchen mechanisch
angetriebenen Seidenfilande, in der eine „einzige Maschine die
Arbeit von 4000 Spinnerinnen verrichtet", erteilt haben soll.
Die wichtige Stelle hat folgenden Wortlaut 2":
„Sono certe machiue grandi, le quali mosse da un piccolo canaletto
d'aqua di Reno fanno ciascuna di loro con molta prestezza Filare, Tor-
zere ed addoppiare quattro milla fila di Seta, operando in un istante
quel, che farebbono quattromila Filatrici e quell' acqua ha propiietä di
fare la Seta buona e vaga e lavoiano ogu' anno centottanta milla libre
di Seta, cioe centomilla di forestiera, e ottantamilla di nostrana con la
seta doppia, e secondo, che n' e abbondanza. E la piü antica memoria
che di questi hö trovata e stata dell' anno 1341 ä 23 guigno, che la
cittä concesse licenza ä Bolognino di Barghesano da Luca, habitante in
Bologna, nella Capeila di S. Lucia di potere construere un filatoio da
seta nella capella di S. Biagio sopra il fossato presso le mura della Cittä.
Et nel 1345 fu fatto un decreto, che Giovanni Oreto della Capella di S. Co-
lombano potesse havere acqua per un filatoio da seta nel borgo Polecino."
Für das Jahr 1371 führt A. (S. 38) dann 13 „filatogli di
seta" auf, die alle der Kommune gehören und an Unternehmer
verpachtet sind.
Der Luxus und die Industrie 181
Diese Bologneser Seidenhaspel- und Zwirnmaschiue war
berühmt. J. J. Becher berichtet davon 212. ^(Sie) haben zu
Bologne in Italia ein Filatorium erfunden, welches die Seyde
abwindet und auch zwirnet | aber dieses Instrument ist sehr
gross I kostbar und mühsam | und hat viel tausend entia, Zahn
und Getrieb | derowegen es offter wandelbar wird. Die Italiäner
halten es gleichwol in so hohem Werth und Segretezza, dass
es bey Hencken verboten jemand zu zeigen. Ich habe gleich-
wohl gedachte jMachinam von den Italiänern nachgemacht zu
München gesehen | aber wegen ihrer grossen Kosten und
vieler entien wie gedacht | nicht sehr aestimirt."
Nach diesen Worten ist es zweifelhaft, ob diese große
maschinelle Seidenspinnerei außerhalb Italiens überhaupt Ver-
breitung gefunden hat. Möglicherweise beginnt die groß-
betriebliche Seidenspinnerei in den übrigen Ländern erst im
17. Jahrhundert sich zu entwickeln, als man die Erfindung
ebendesselben Joh. Joach. Bechers sich zunutze machte. Er
erzählt uns, daß seine Maschine in einer Fabrik Anwendung
gefunden habe, die die Stadt Harlem zu diesem Zwecke erbaut
habe: die Fabrik war 300 Schuh lang und kostete 40 000 fl.
Becher ging 1076 in die Niederlande; aus dem Anfang der
1680er Jahre hören wir von großen „Seidenfabriken", die in
Utrecht eröffnet werden und 500 Arbeitern Brot geben sollen :
möglich, daß es Seidenfilanden waren. Übrigens bedeutete
die Bechersche Erfindung einen Rückfall aus der Fabrik in
die Manufaktur, da seine „Machina gautz unwandelbar [ und
ohn einig Gerase gantz leicht zu bewegen | also dass ein Mensch
auf einmahl tausend Stränge abwinden kau | da hingegen die
Bolognesische Machina mit "Wasser getrieben werden muss".
Genug: seit dem 14. Jahrhundert bestehen in Italien,
sicher auch seit dem 17. Jahrhundert in den nordischen
Ländern großbetrieblich organisierte Seidenfilanden: in Eng-
land Silk- Mills (also hatten sie Wasserantrieb V) genannt.
Defoe^^^ findet auf seinen Wanderungen eine solche Seiden-
132 P'ünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
mühle iu Sheftield, die nach dem Vorbilde der von Stoekport
gebaut ist: 5 Stockwerke hoch, 90 yards lang und in der
200 Hände beschäftigt werden.
b) Die Spitzeniu dustrie. Diese Luxusindustrie hat
für einzelne Länder und Lau desteile eine große Bedeutung
gehabt. 16G9 waren in Frankreich 17 300 Arbeiter und Ar-
beiterinnen in der Spitzenindustrie beschäftigt^^*. Im König-
reich Sachsen lebten im 18. Jahrhundert ganze Bevölkerungen
vom Spitzenklöppeln. Ein Glück, daß der Herr Landbau-
verwalter Christ. Ludw. Ziegler aus Hannover am 18. Junius
1775 von Chemnitz nach Zwönitz wanderte, um auf den
Schneeberg zu kommen, und daß er seinem Freunde Johann
Beckmann, ordentlichem Professor der Ökonomie in Göttingen,
von den Eindrücken , die er auf dieser Wanderung in sich
aufnahm, in einem Briefe Bericht erstattete ^^^: so wissen wir
wenigstens, was es damals mit der Spitzenklöppelei im Erz-
gebirge für eine Bewandtnis hatte, wissen, daß in jedem
Hause „so viel Klöppelküssen auf dem Tische als Weibsen in
demselben waren". Kleine Kinder von fünf Jahren, erfahren
wir, „fangen schon mit Kanten an, die durch ein Paar Kleppel
gemacht werden, und das Gespiel eines dreyjährigen Mädgens
ist ein Kleppelsack mit vier Kleppeln zu einer Lidze".
Waren diese geklöppelten Spitzen vielleicht schon im
18. Jahrhundert nicht durchgängig mehr ein Luxusartikel,
den sich nur Eeiche anschaffen konnten, so gilt doch von den
feinen Nähspitzen, die in Brabant und seit Colbert namentlich
auch in Frankreich gefertigt wurden , daß sie nur in den
Oberschichten dir Gesellschaft ihre Abnehmer fanden.
Die Organisation war in allen Fällen dieselbe: die Spitzen-
arbeiter wurden von Kaufleuten beschäftigt, „die man (im
Erzgebirge) Spitzenherren nennt" und unter denen zuweilen
(in Frankreich) Zwischenmeisterinnen arbeiteten, die selbst
wieder je 4 — 5 Arbeiterinnen unter sich hatten.
In der Spitzenindustrie sind aber daneben ganz eigen-
Der Luxus und die Industrie 183
artige Betriebsorganisatioiien ausgebildet worden, die mir in
keinem anderen Gewerbe bekannt geworden sind: man schuf
(in Frankreich) förmliche Alumnate, in denen die Arbeiterinnen
wohnten und speisten und wohl auch ihre Unterweisungen
empfingen. Wir sind über solche Anstalten durch eine Reihe
von Etatsauf>tellungen unterrichtet ^i«.
1699 reicht ein C.ement de Gouffrcville für eine in St. Denis zu
errichtende „Manufacture de dentelles" folgenden Kosten-
anschlag ein:
für den Faden p. a 6 000 1.
20 Betten für die maitresses 1 000 „
200 n T) n apprentisses et ouvriercs 6 000 „
400 Paar Überzüge dafür 1 600 „
40 „ „ für die maitresses . . . 400 „
Tischservice 500 „
Tischwäsche 500 „
Gage der maitresses ä 200 1 4 000 „
Verköstigung der apprentisses ä 100 1. . . . 20 000 „
usw.
Insgesamt 96 uOO 1.
c) Die Spiegelfabrikation wird auf ganz breiter,
großkapitalistischer Basis betrieben; in Frankreich machen
sich 1704 zwei Gesellschaften Konkurrenz: die von Dombes
und die von St. Gobain, Tour la Ville und Paris. Diese hatte
zwei Jahre vorher Antoine Dagincourt, ein reicher Pariser,
für 990000 1. angekauft 2". Die Spiegelmanufaktur in Fau-
bourg St. Antoine beschäftigte 500 Arbeiter. Mercier be-
schreibt uns die Einrichtung dieses Etablissements, wo in
einem Schleifsaal 400 Arbeiter beschäftigt waren 2'^.
d) Die Porzel lan Industrie ist die Luxusindustrie
par excellence im 18. Jahrhundert. Porzellanmanufakturen mit
mehr oder weniger staatlicher Organisation werden errichtet
in folgenden Städten: 1709 Meißen, 1718 Wien, 1720 Höchst,
1740 Vincennes, seit 175G S^vres, 1743 Capo di Monte bei
Neajjel, 1744 Fürstenberg, 1750 Berlin, 1755 Frankeiithal,
1758 Nymphenburg und Ludwigsburg, 1772 Kopenhagen.
Daneben wimmelte es aber von privaten Unternehmungen 2^*.
184 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Die Porzellanmanufakturen wachsen sich rasch zu ganz
großen Betrieben aus, wie deren die Zeit nur wenige kannte.
Die Berliner Porzellaiimanufaktur beschäftigt 1798 schon
400 Arbeiter 220. Das Persoual der Meißener Manufaktur
wuchs wie folgt an 221 : 1719 2(3, 1730 49, 1740 218, 1745 3S7,
1750 378.
e) Verschiedene Industrien. Es hat wenig Zweck,
auch über die anderen reinen Luxusindustrien wie für die ge-
nannten, die ich als Beispiele herausgegriffen habe, in ähn-
licher Weise Berieht zu erstatten. Der Leser würde ermüden,
denn es ist immer dasselbe Bild: keine einzige wirkliche
Luxusindustrie ist mir bekannt, die nicht spätestens im
Laufe des 18. Jahrhunderts in die kapitalistische und sehr
häufig auch großbetriebliche Form übergeführt wurde, wenn
sie nicht (was meist der Fall ist) sofort auf kapitalistischer
oder großbetrieblicher Grundlage aufgebaut ist. So die Glas-
industrie (seit Murano), so die Zuckerindustrie:
Cambden verlangt im 18. Jahrhundert für den „Zuckerbäcker"
in London 1000 — 5000 ^ Kapital; so die Goldschmiederei
und andere Goldarbeit: Fran^ois Thomas Germain, der be-
rühmte Goldschmied, der 1748 seinem Vater im Louvre folgt,
setzt für 3000000 Fr. um und macht einen Bankerott von
2400 000 Fr., Londoner Goldschmiede müssen ein Mindest-
kapital von 500 — 3000 £ haben ; in Berlin ist im 18. Jahr-
hundert der größte Betrieb die Gold- und Silbermanufaktur,
die Tressen, Schärpen, Troddeln usw. fertigte und 1784 813,
1799 1013, 1801 1151 Personen beschäftigte; so die Stickerei:
1774 errichtet ein Franzose in Berlin eine Manufaktur, die
77 Arbeiter beschäftigt und viele „zum Manns- und Damen-
putz gehörige seidene und reiche Sachen" fertigt; so die
Fabrikation künstlicher Blumen: 177(3 wird in Berlin
die erste Fabrik dieser Art gegründet, die 1784 für 24000
Reichstaler Waren erzeugt und 140 „Frauenspersonen" be-
schäftigt.
Der l.uxiis und die ludustrie 185
3. Die gemischten Gewerbe
Überall, sehen wir, herrscht iu den Luxusgewerben
Kapitalismus und oft auch Großbetrieb, die sich in den von
uns betrachteten Fällen neben dem alten Handwerk ent-
wickelt hatten. "Wie sehr nun aber Luxusindustrien und
Kapitalismus zusammengehören, welche eminente Bedeutung
also die Entfaltung des Luxusbedarfs für die Entwicklung des
Kapitalismus gehabt hat, werden wir erst ganz zu ermessen
vermögen, wenn wir nun diejenigen Luxusindustrien vor
unserem geistigen Auge vorüberziehen lassen , die sich im
Rahmen alter Handwerke, aus alten Handwerken durch
Dirterenzierung herausgebildet haben. Da nehmen wir näm-
lich wahr — und das ist die wirtschaftsgeschichtlich wichtigste
Erkenntnis, die wir hierbei zu gewinnen vermögen — , daß
diejenigen Teile eines Handwerks, die dem Kapitalismus an-
heimfallen, immer Tätigkeiten umfassen, die für den Luxus-
bedarf produzieren. Die meisten Handwerke machen, mit
anderen Worten, schon während der frühkapitalistischen Epoche
einen Differenzierungsprozeß durch: die künstlerische, quali-
fizierte Arbeit scheidet sich von der gewöhnlichen groben
Handwerksarbeit ab und verselbständigt sich in eigenen Ge-
werben; diese nehmen damit einen kapitalistischen Charakter
an, während die Grobarbeit lange Zeit dem Handwerker ver-
bleibt, bis auch sie (aber erst in unseren Tagen) die Um-
wandlung in die kapitalistische Organisation erlebt. Hand-
werk und Luxus gewerbe werden ein sich aus-
schließender Gegensatz auch im Bewußtsein der Zeit-
genossen, wie es eine schöne und charakteristische Stelle bei
Mercier deutlich erkennen läßt^^^:
„Les artisaiis paroisscnt les individus les plus heiirenx. Tirant
parti de leur industiie et de leur dexterite, ils se tiennent ii leur place,
ce qui est aussi sage qu'infiniment rare. Sans ambition conime sans
vanit^, ils ne travaillent que pour leur entretien et leurs di-
vertissements(!), ils sont honnetes et civils envers tout le monde,
13(3 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
parce qu'ils ont besoin de tous les etats. La vie des artisans est rangee;
on dirait qu'ctant voues ä des occupations plus utiles que celle des
arts de luxe ils en sont r^compenses par le calnie de la conscience
et la tranquillite de la vie. Un mtnuisier a un air de probite que n'a
point le peintre en email."
„Geiiiisclit" wollen wir diese Gewerbe im Gegensatz zu
den reinen Luxusgewerben nennen, weil sie sowohl für den
Feinbedarf als auch für den Grobbedarf arbeiten.
Natürlich kann es sich auch hier nicht darum handeln,
eine vollständige Übersicht sämtlicher Gewerbe, die in Be-
tracht kommen, zu geben. Es genügt wiederum, wenn ich
an den wichtigsten die Richtigkeit meiner Gedankengänge
erweise.
a) Die Wollindustrie. Unnötig zu sagen, daß die
"Wollindustrie neben der Seidenindustrie das wichtigste Ge-
werbe der frühkapitalistischen Epoche war. In der Woll-
industrie wurden Gewelie für die Armen und Gewebe für die
Reichen hergestellt, selbstverständlich. Wo wir aber auf eine
„blühende Wollindustrie" stoßen, die der Stolz ihrer Staaten
und Städte ist, die deren Reichtum begründet, ist es immer
eine solche, die feine, kostbare Gewebe herstellt, ist es eine
„Luxusindustrie" und ist sie frühzeitig kapitalistisch oder gar
großbetrieblich organisieit (bis die Lieferung für den Heeres-
bedarf auch eine bedeutende kapitalistische Weberei begründet,
die Massengüter erzeugt).
Anders ausgedrückt: soweit die Wollindustrie am Auf-
bau des modernen Kapitalismus beteiligt ist, ist sie eine Luxus-
industrie.
Vielleicht die früheste durchgängig kapitalistisch organi-
sierte Industrie großen Stils ist die Florentiner Woll-
weberei. Daß sie zusammen mit der Seidenindustrie den Glanz
und die Macht von Florenz begründet hat (soweit diese nicht
in reinen Geldgeschäften ihr Fundamentum hatten), ist all-
bekannt. Daß sie in der Tat frühzeitig, wahrscheinlich schon
seit dem 13. Jahrhundert auf kapitalistischer Basis ruhten.
Der Luxus und die Industrie 187
haben die ausgezeiclmcteu Untersucliungen Alfred Dorens
außer Zweifel gestellt -2". Schon das erste Zunftstatut der
Calimala vom Jahre 13U0 zeigt den liausindustriellen Betrieh
fest eingewurzelt.
Aber ganz gewiß war sie auch eine Luxusindustrie im
strengen Sinne. Die Geschichte der Calimalazunft (die, wie
man weiß, ein Veredlungsgewerbebetrieb war) liegt im dunkeln.
Sicher ist nur dieses: daß ertt dann der Florentiner Handel zu
voller Blüte gelangte, als es geglückt war, durch Anwendung
einer Reihe von Veredlungsprozessen (F'ärbung und Appretur)
das rauhere nordische Fabrikat so zu verbessern und zu ver-
feinern, daß es den verwöhntesten Ansprüchen des steigenden
Luxus im Orient und Okzident zu genügen imstande war.
Man kannte die Ansprüche und Bedürfnisse der moham-
medanischen Welt; man hatte die überaus feinen Tücher aus
dem Sultanat Algarva selbst eingeführt: so mochte man all-
mählicii in die Geheimnisse jener technisch überlegenen Luxus-
fabrikation eindringen, mochte es lernen, einem rauhen Tuche,
wie es die nordischen Länder erzeugten, den feinen Schmelz,
die leuchtenden Farben zu verleihen, die von jetzt au das
Florentiner Fabrikat vor allen anderen auszeichnen 2^*. „Piü
panni e piü fini sanno fare in Firenze che in aicuno altro
luogo," schrieb Mitte des 15 Jahrhunderts Goro Dati.
So hob sich die Florentiner Wollindustrie als Ganzes
durch ihren Qualitätscharakter von denen anderer Länder und
Städte ab. Innerhalb der Stadt Florenz selbst scheiden sich
ebenfalls die Grobtücher von den Feintüchern, denn natürlich
liefen unter den Produkten der ganzen Industrie auch minder-
wertige Stücke unter. Die Groben und die Feinen waren im
14. Jahrhundert auch räumlich getrennt; es ist der Gegen-
satz vom Garbo und S. Martino-Viertel. W;is mir nun aber
besonders interessant erscheint, ist die Wahrnehmung, daß
im Garbo, wo die groben Massenartikel hergestellt wurden,
die kleineren, mehr zünftlerisch handwerkerlich interessierten
jgg Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Meister saßen, während in S. Martino, wo die eigentliche
Luxusindustrie ihren Sitz hatte, die kaufmännisch kapita-
listischen Interessenten die Oberhand hatten. Das wenigstens
lese ich aus dem Streit heraus, in dem Garbo und S. Martino
immerfort lagen 2^^.
Von der spanischen Wollindustrie wissen wir wenig.
Sie „blühte" im 16. Jahrhundert, sagen die üblichen Berichte.
Aber wir vermögen uns doch insoweit von ihrer Verfassung
ein Bild zu machen, als wir erkennen, daß es 1. eine Luxus-
industrie war (soweit sie eben „blühte"), und daß sie 2. kapi-
talistisch organisiert war (soweit sie eben Luxusgüter er-
zeugte).
Guicciardini erzählt nur^se-. ^^Oggi hanno commin-
ciato in qualche luogo a attendervi e di giä in qualche parte
della Spagna si lavorano panni e drappi da altebassie e d'oro
in fuora come in Valenza, in Toleto, in Sibilia." Und in
einem Bericht, den wir über einen Festzug in Segovia aus
dem 16. Jahrhundert besitzen, findet sich die folgende lehr-
reiche Stelle ^^^:
„An zweiter Stelle kamen die Wollindustriellen und die Tuch-
fabrikanten, die das Volk mit Unrecht Kaufleute nennt. Sie sind tat-
sächlich wie Väter der Familien, die in ihren Häusern und außerhalb
derselben eine große Anzahl Volk beschäftigen, viele bis 200, viele bis
300 Personen. Durch fremde Hände lassen sie eine Unmenge des
feinsten Tuches herstellen . . ."
In Frankreich entwickelt sich die Feintuchweberei
während des 17. Jahrhunderts vornehmlich in und um Ronen,
Sedan, Elboeuf und Reims 2^*. Hier aber ist es auch, wo die
kapitalistische Organisation schon im 17. und 18. Jahrhundert zu
außergewöhnlich hoher Ausbildung gelangt. Zwar findet sich
in der Manufacture de Sedan nur ein mittelgroßer Verleger-
typ: von 4 privilegierten „Entrepreneurs de fabrique" be-
schäftigen 2 je 104, 1 65, 1 50 Webstühle, von 21 nicht-
privilegierten 1 über 40, 4 über 30 usw. ^^^ Ich denke aber
an die Etablissements der Gebrüder van Robais, in denen wir
i
Der Luxus und die Industrie 189
Großbetriebe von ganz bedeutender Ausdehnung vor uns haben.
Die genaue Statistik, die wir von diesen Betrieben besitzen ^^o^
gestattet uns bis ins kleinste, ihre Organisation zu erkennen.
Wir sehen die Verarbeitung der Wolle bis zum fertigen Fabrikat
in 22 Teilprozesse aufgelöst und tinden nicht weniger als
1692 Arbeiter in einem Etablissement vereinigt. Von diesen
sind 822 Rad -Spinnerinnen und 200 Weber an 100 Web-
stühlen. Luxusindustrie. Daneben gibt es ein ausgedehntes
Wollweberhandwerk, das gew^öhnliche Ware herstellt.
Die berühmteste Wollindustrie im 18. Jahrhundert war
die englische. Auf ihr ruhte, heißt es im Jargon, „die
Wohlfahrt des Landes": „wool is eminently the foundation of
the English riches" (Jos. Child). 1738 waren IV2 Millionen
Menschen bei der Verarbeitung der Wolle in England be-
schäftigt. Die Zahl ist natürlich falsch. Immerhin. Der Wert
der ausgeführten Wollwaren betrug 1700 schon 3000000 ^,
1815 war er auf 9381420 £ gestiegen ^^V
Unter diesen Wollstotfen befanden sich natürlich ebensogut
grobe wie feine. Ganz gewiß war die englische Wollindustrie
nicht als Ganzes eine Luxusindustrie. Namentlich in der
späteren Zeit, insbesondere als Amerika ein starker Kon-
sument englischer Wollwaren wurde (von den 9 Millionen £
im Jahre 1815 gingen über 4 Mill. ^ nach den Vereinigten
Staaten), werden die groben Stoffe für den Bürger und die
Masse vielleicht sogar überwogen haben. Aber sie war doch
auch eine Luxusindustrie. Und das in ganz hervorragendem
Maße. Die feinen englischen Tuche ebenso wie die teuren
englischen Phantasiestoffe waren namentlich während des
18. Jahrhunderts in der ganzen Welt von den reichen Leuten
begehrt. Um nur ein Beisjjiel herauszugreifen : in Nord-
deutschland, in Polen und in Rußland trugen die oberen
Schichten im 18. Jahrhundert mit Vorliebe englische Woll-
stoffe: „In all which countries the nobilty, gentry and principal
burghers are cloathed with English cloth, druggets, serges,
J9Q Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
stiiffs etc. and consume a very great quantity" ^^^. In Ruß-
land insbesondere sind der Zar selbst, sein ganzer Hof mit
allen Vornehmen von Petersburg bis Moskau und hinunter bis
Astrachan „innerhalb der letzten paar Jahre" (heißt es 1745
im Complete English Tradesman) zu den englischen Wollstoffen
übergegangen, die sie alle tragen: „to the infinite increase
of our trade tither."
Die Frage, die sich uns aufdrängt, ist nun diese: lassen
sich die Unterschiede zwischen Grob- und Feinweberei in der
englischen Wollindustrie in der Verschiedenheit der Wirt-
schafts- und Betriebsformen verfolgen? Diese Frage ist, soviel
ich sehe, bisher noch nicht gestellt worden, obwohl sie mir
doch eine der wichtigsten in dem ganzen, weitschichtigen
Problem zu sein scheint.
Wenn ich auf Grund des vorliegenden Materials die Frage
zu bejahen wage, so geschieht es doch mit allem Vorbehalt.
Die Tatsachen, aus denen wir uns unser Urteil bilden müssen,
sind folgende: am Ende der frühkapitalistischen Epoche be-
standen in der englischen Wollindustrie, wie man weiß, zwei
Organisationssysteme nebeneinander ^^^i die kapitalistische
Hausindustrie und das Handwerk. Jene, die man auch als
das Westenglische System bezeichnete, herrschte in West-
england, aber auch im großen Webereibezirk des Ostens, in
Norfolk usw., und im Süden.
Das Handwerk war jedoch noch ziemlich intakt in dem
nördlichen Bezirk, in Yorkshire. Die beiden Gebiete, der
Norden und die übrigen Teile, unterscheiden sich vor allem
als die Gebiete des Streichgarns und des Kammgarns. Aus
den gekämmten Wollen wurden aber die ganz feinen Tuche,
Flanelle usw. gefertigt. Waren es also die hochwertigen Waren,
die Luxusgüter, die aus dem Gebiete der kapitalistischen
Organisation kamen, während die Erzeugung der gröberen,
minderwertigen dem Handwerk verbliehen war?
Es mag auch noch daran erinnert werden, daß die manu-
Der Luxus und die Industrie 191
fakturniäßig organisierte Weberei, von der wir im 16. Jahr-
hundert bereits hören : —
„In einem großen, langen Saal
Zweihundert Webstuhl' an der Zahl!"
heißt es in der Beschreibung der Unternehmungen des Jack
von Newbury^^*, und ein derartiger Fall großbetrirblicher
Gestaltung in jener Zeit steht nicht vereinzelt da — , daß
diese großbetrieblich organisierte Wollindustrie offenbar eine
Luxusindustrie war: die Fabrikate John Winchcombes, eben
jenes Jack von Newbury, besaßen europäischen Ruf; daß sie
jedenfalls auch in dem schon kapitalistisch zersetzten West-
england lagen: Newbury, Kloster Malmesbury, das ein reicher
Tucher, namens Stump, gepachtet hatte, um dort Webstühle
aufzustellen, Cirencester, wo eine ansehnliche Walkmühle er-
baut wurde, die Abtei von Osney bei Oxford, die derselbe
Stump pachten will: sie alle liegen im westeuglischen Woll-
industriegebiete. Ebenso hören wir, daß in Norwich im
16. Jahrbundert durch reiche Verleger Webwaren im großen
erzeugt werden, die bis dahin aus Italien eingeführt wurden,
also hochwertige Luxustoffe waren ^^^
b) Die Leinen Industrie ist mir durchaus problematisch.
Daß sie in weitem Umfange, in Schlesien, in Westfalen, in
Irland, eine Luxusindustrie war, steht außer Zweifel. Sie
liefeite ja unserm Beau im London des 18. Jahrhunderts die
feinen Hemden, die Elle zu 10 oder 12 s. ; sie lieferte die
kostbaren Battiste und Gazen; sie lieferte die prachtvollen
Tafelgedecke, die wir heute noch in den Museen bewundern.
Sie lielerte aber auch in großen Mengen Kleiderstofle für die
Neger. Und besonders in Irland wurde sehr viel billiges
Leinen erzeugt: das Leinen, das der Linnen Board of Ireland
im Jahre 1747 48 prämiierte, sollte nicht weniger als 6 d. und
nicht mehr als 10 d. das Yard kosten!
Aber wie sich die Güte des Falirikats und die Wirtschaf ts-
und Betriebsformen zueinander verhalten , vermag ich nicht
j^p2 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
ZU sagen. Daß das Handwerk und die Hausindustrie in den
großen Exportleinenindustrien am Ende des 18. Jahrhunderts
nebeneinander bestanden, wissen wir. Aber wie verteilten
sie sich zwischen Luxus- und Massengüter? Die Wichtigkeit
dieser Frage verdiente schon eine Doktordissertation.
c) Die Schneiderei. Aus dem Schneiderhandwerk
heben sich während des 18. Jahrhunderts einzelne Betriebe
heraus und bilden sich in kapitalistische Unternehmungen um:
diejenigen, die für die feine, das heißt zahlungsfähige Kund-
schaft arbeiten, in denen also Luxusgüter hergestellt werden.
Seltsamerweise ist es in der Herrenschneiderei zunächst
Konfektionsschneiderei, die solcherweise auf eine kapitalistische
Basis gestellt wird, was heute längst nicht mehr üblich ist:
die Herstellung fertiger Luxuskleider scheint im 18. Jahr-
hundert durchaus nicht verpönt gewesen zu sein. Man kann
die Luxuskonfektion für England so gut wie für Frankreich
nachweisen. Die eine Stelle, die ihre Existenz im 18. Jahr-
hundert erweist, findet sich in der Allgemeinen Sehatzkammer
der Kauffmannschaft usw. und lautet wie folgt ^^ß;
„Kleider kommen heutiges Tages und fast mehr als es in Deutsch-
land nützlich, in ein öffentliches Comerzium, in dem nicht allein viele
deutsche Herren das Geld für kostbare . . . Kleider etc. nach Franck-
reich schicken, sondern auch die Franzosen selbst gantze Kisten und
Fässer voll auf unsere Messen bringen . . ."
Die andere Belegstelle ist eine Annonce, die ein Dartiga-
longue in der Nummer der „Affiches, annonces et avis divers"
vom 4. April 1770 eingerückt hat:
„Le sieur Dartigalongue, maitre et marchand tailleur ä Paris, a etabli
depuis quelque tems un magasin d'habits neufs tout faits, de
toutes especes, de toutes tailles, et des plus ä la mode. Si ceux de
magasins ne sont pas au goüt des personnes, qui veulent etre prompte-
ment habilles, il est en etat de les satisfaire presqu'ä l'instant, par la
quantite d'ouvriers qu'il employe. II entreprend toutes les
livrees avec le plus d'economie possible. II fait des envois en province
et jusque dans les pays etrangers; mais les personnes qui voudront lui
ecrire sont prie d'afiianchir leurs lettres."
Der Luxus und die Industrie 193
Daß es sich dabei um Kleider für die „bessere" Kund-
schaft handelt, scheint mir der Tenor der Annonce deutlich
zu besagen. Auch die Livree der damaligen Zeit gehörte
zweifellos zu den teuren Kleidungsstücken.
Wenn nun aber A. Franklin, der diese Annonce aus-
gegraben hat, meint 2^^ W Dartigalongue sei der „erste
Konfektionär", so irrt er, wenn er damit nicht sagen will:
der erste mit dem Namen bekannte. Die Tatsache der
Kleiderkonfektion ist für eine viel frühere Zeit verbürgt;
auch die vorhin erwähnte Notiz stammt ja schon aus der
Zeit vor 1741.
In London finden wir schon im 17. Jahrhundert Schneider,
die in den besseren Stadtteilen fertige Kleider feilhalten.
Die Sitte muß um die Mitte des Jahrhunderts aufgekommen
sein , also wahrscheinlich wieder in jener bewegten Zeit , als
wir die Seidenwarenhändler „wie einen Stock schwärmender
Bienen" in der Stadt umherziehen sehen. Denn eine Schrift
aus dem Jahre 1681 ^^^ klagt über diese Neuerung : „viele er-
innerten sich noch der Zeit, da es in London keine fertigen
Kleider in Läden zu kaufen gab". Die Kundenschneider,
„accustomed tailor" , widersetzen sich den Kleiderhändlern,
„taylers being salesmen", die teuere Miete in fashionablen
Quartieren bezahlen, lange Kredite ihrer aristokratischen
Kundschaft gewähren (also hielten sie Luxuskleider feil !)
und in ihren Werkstätten Dutzende und selbst Gänge (scores
= 20 Mann) von Arbeitern beschäftigten.
Aber das Hauptfeld, auf dem sich die kapitalistische
Schneiderei entfalten konnte, war doch (wie heute noch) die
feine Maßarbeit.
Die Beschreibung, die R. Campbell von dem Geschäft
eines Maßschneiders in London macht 2^^, würde auf jedes
heutige Geschäft gleicher Art ohne weiteres auch passen :
sehr anspruchsvolle Kundschaft, die meist auf Pump arbeiten
läßt, sehr hohe Auslagen für die teueren Stoffe und Zutaten,
Sombart, Luxus und Knpitalisnius 13
29^ Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
die mehr kosten, als der Arbeitslohn beträgt, Differenzierung
der Arbeit in hochqualitizierte Zuschneidearbeit und speziali-
sierte Näharbeit. Der Zuschneider verdient reichlich: er be-
kommt außer den Abfällen (cabbage) und den Trinkgeldern,
die ihm die Gentlemen bei der Anprobe zu geben pflegen,
eine Guinee die Woche; gute Zuschneider sind gesucht. Die
übrigen Schneider sind „so zahlreich wie Heuschrecken" und
gemeiniglich „arm wie die Ratten" ; sie sind drei oder vier
Monate im Jahre außer Stellung, also durchaus proletarische
Existenzen. Es mag daran erinnert werden, daß der Gewerk-
verein der Schneider der erste ist, den wir kennen 2*".
Ganz großen Stil hatte schon im 18. Jahrhundert die feine
Damenschneiderei und Putzmacherei angenommen: die schon
öfters erwähnte Schneiderin Marie Antoinettes machte einen
Bankrott mit 3 Mill. Fr. Passiven ^^i.
d) L e d e r a r b e i t e r. In der Schuhmacherei gelangt
wie in der Schneiderei die feine Maßarbeit zuerst zu höheren
Formen der Organisation. In Paris begegnen wir im 18. Jahr-
hundert dem „Magazinmeister", wie ihn Kanter für Breslau
geschildert hat^**^, der nur für vornehme Kundschaft arbeitet :
„Dieser Schuhmacher trägt einen schwarzen Rock, eine wohl-
gepuderte Perücke, und seine Weste ist aus Seide; er hat
das Aussehen eines Registrators;" er nimmt aber doch noch
persönlich bei der Frau Gräfin Maß. „Seine Kollegen haben
Pech an den Fingern; sie tragen ramponierte Perücken und
schmutzige Wäsche; aber (!) sie arbeiten für das Volk, sie
bekleiden nicht die Füßchen schöner Marquisen^*^"
Der Sattler, der Luxusgeschirre macht, ist „ein wirk-
lich bedeutender und nützlicher Geschäftsmann". Er muß
einen großen Vorrat flüssigen Geldes haben (a large Stock
of ready money), „da seine Materialien teuer sind und die
vornehme Kundschaft (the Gentry) ihren Sattler nicht früher
zu bezahlen pflegt als andere Lieferanten 2**." Damals im
18. Jahrhundert befindet sich dieser Geschirrsattler just auf
Der Luxus und die Industrie 195
dem Wege zur Manufaktur: er beschäftigt zahlreiche Hand-
werker, die aber noch „selbständig" sind.
Innerhalb des Gerbergewerbes bestehen in Frankreich
im Anfang des 18. Jahrhunderts „Manufakturen" für folgende
Ledersorten, deren Bereitung also dem Kapitalismus anheim-
gefallen ist: ungarische Leder, englische Kalbleder, Marokin,
Büffel, Gemse 24^
Dasselbe wird auch für das Berlin des 18. Jahrhunderts
berichtet ^^'^ : „Die Herstellung feinerer Lederarten , wie
Saffian, Korduan, dänisches Leder, wurde von französischen
Emigranten um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Berlin ein-
geführt, zum Teil in der Form von Großbetrieben, die
dann mitunter auch die Verarbeitung des Leders („dänische
Handschuhe") mit in ihre Tätigkeit hineinzogen."
e) Hutmacherei. „Eine jede Mannsperson, von dem
Regenten bis auf den Bauer, hat einen Hut nötig. Dieses
macht die Hutmacher zu ganz ohnentbehrlichen Handwerkern
vor einen Staat. Da aber die meisten Hutmacher, sonderlich
in kleinen Städten, gemeiniglich nur geringe und schlechte
Hüte vor die untersten Classen der Menschen verfertigen ;
hohe Standespersonen aber. Staatsbedienten und reiche und
wohlhabende Leute, solche Sorten von Hüten vor sicli viel
zu verächtlich halten, sondern feine Hüte tragen wollen; so
wird man selbst einsehen, daß auch feine Hüte im Lande
selbst verfertiget werden . . .-*^"
So ist man zur Anlage von „feinen Hutmanufakturen"
gelangt; zuerst in Frankreich in Paris, Marseille, Lyon, Ronen,
Gandebec usw. : einen berühmten Hutmacher lernen wir schon
Ende des 17. Jahrhunderts kennen, der in Ronen 19 Gehilfen
beschäftigt und 12 davon mit nach Rotterdam nimmt 2*^. Dann
aber auch in England, wo z. B. alle Kardinalshüte gemacht
wurden (das Stück zu 5—0 Guineen !). Schließlich auch in
Deutschland: in Erlangen wie Berlin. Hier in Berlin trägt
das Hutmachergewerbe bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
13*
iQl^ Fimttes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
<»auz allgemein ein durchaus handwerksmäßiges Gepräge, das
es bei der Anfertigung minderer Sorten bis zur Mitte des
19. Jahrhunderts beibehält. 1782 wird aber eine Hutfabrik
begründet, in der 37 Arbeiter beschäftigt sind, und die für
21800 Rtlr. „Hüte von vorzüglicher Güte und Feinheit"
macht (während die ganze, aus 133 Köpfen bestehende Hut-
macherzunft in demselben Jahre nur für 45240 Rtlr. Hüte
erzeugt) ^^^.
f) Baugewerbe. Schon zur Zeit der Renaissancepäpste
wird die Herstellung der großen Paläste und Kirchen durch-
aus in kapitalistischem Rahmen besorgt. Der Comaske Bel-
tramo di Martino aus Varese beispielsweise, der unter Nicolaus V.
baute, gebot über eine ganze Armee von Arbeitern und besaß
große Ziegeleien und Kalköfen in Rom ; seine jährliche Forde-
rung an die päpstliche Kasse betrug etwa 30000 Dukaten.
Manchem überbeschäftigten Bauunternehmer war es nicht
mehr möglich, sämtliche Bauten, die er zu gleicher Zeit aus-
führte, persönlich zu überwachen: er ließ sich dann durch
Bauführer oder Parlierer (soprastante) vertreten ; Filarete be-
rechnet in seinem Traktat, daß auf je 85 Mauerleute ein
solcher Aufseher kommen müsse ^^o.
Kein Wunder also, wenn wir im 17. Jahrhundert beim
Bau der französischen Königschlösser schon recht kapital-
kräftigen Unternehmern begegnen. Die Baurechnungen, auf
deren Bedeutung ich schon hinwies, und die ihren Wert erst an
dieser Stelle für uns ganz offenbaren, gestatten uns, die ein-
zelnen an den Bauten beteiligten Gewerbetreibenden zu verfolgen
und genau festzustellen, welche Beträge sie für ihre Leistungen
in Empfang nehmen. Daraus läßt sich natürlich mit Leichtig-
keit ihr Gesehäftsumfang, ihre Entwicklung im Laufe mehrerer
.Jahre usw. erkennen. Das Bild, das wir auf Grund dieser
Angaben von dem Baugewerbe am Ende des 17., Anfang des
18. .Jahrhunderts in Paris empfangen, ist etwa folgendes:
Maurerei und Zimmerei sind (natürlich immer nur soweit
1)lt Luxus und die Industrie 197
flie großen Moüumentalbauten in Betracht kommen) durch-
aus schon großkapitalistisch organisiert.
In beiden Gewerben stoßen wir immer wieder auf dieselben
Firmen, die meist von zwei Kompagnons vertreten und die
ausdrücklich genannt werden: „entrepreneurs du bastiment
neuf du Louvre", „entrepreneurs des ouvrages de charpenterie
du bastiment du Louvre" usw. Da sind im Jahre 1664 die
großen Baugeschäfte: Jacques Mazi^res & Pierre Bergeron,
die in einem Jahre 861330 1., im andern 610600 1. beim
Louvre, 200 965 1. 3 s. in Versailles für Maurerarbeiten er-
halten : da sind Poncelet Cliquin & Paul Charpentier mit 100
bis 150 0U0 Fr., zu denen sich im Laufe der Jahre ein lialbes
Dutzend andere gesellt.
Nächst diesen beiden Hauptbaugewerben kommt dann die
Dach deck erei, die auch schon stark in der Umbildung
zur kapitalistischen Organisation begriffen ist. Ich verfolge
einen gewissen Ch. Yvon und finde, daß er im Jahre 1664 im
Louvre, in St. Germain und in Versailles Arbeiten ausführt,
für die er 49 900 1. empfängt. Von gleichem Kaliber etwa
ist die Firma Jean Pillart et Claude Fresneau, die sich
nennen: „maistres couvreurs, entrepreneurs des ouvrages
de couverture et plomberie".
Die übrigen Baugewerbe: Tischlerei, Schlosserei, Glaserei
usw. finden wir im Anfang unserer Epoche in handwerks-
mäßigem Zustande ; es sind offenbar wohlhabende Meister mit
einem halben Dutzend Gesellen und Lehrlingen , die hier
arbeiten : oft 10 oder 20 gleichzeitig an einem Bau, mit einer
Gesamtrechnung im Jahre von ein Paar Tausend Livres bis
höchstens (die Tischler) 20 700 1., wenn wir nicht annehmen
wollen, daß die vier Tischler, die 1666 eine Summe von
63000 1., andere vier, die eine Summe von 59000 1. und
16 317 1. in Empfang nehmen, eine einzige Firma gewesen
seien; ein paar Schlosser dagegen erheben sich wohl schon,
namentlich in den späteren Jahren, zu kleinkapitalistischen
19g Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Unternehmern: es sieht fast aus, als vollzöge sieh im Laufe
der Zeit von Mitte des 17. bis Anfang des 18. Jahrhunderts
(wohl unter dem Einfluß der starken Bautätigkeit des Königs
und seiner Granden) eine „Konzentration" : im Jahre 1715
liefert ein gewisser Frangois Cafin, serrurier, doch schon für
51578 1. 11 s. ; das läßt doch immerhin auf einen Betrieb
von 12 — 15 und mehr Gehilfen schließen, selbst wenn die hier
verzeichneten Beträge die einzigen Lieferungen gewesen
wären.
Das Bild, das uns dann Mercier von der Organisation
des Baugewerbes in Paris am Ende des 18. Jahrhunderts ent-
wirft, zeigt durchaus großkapitalistische Züge auf, soweit die
großen Luxusbauten in Betracht kommen ^^i. Mercier er-
wähnt an jener Stelle zwar nicht ausdrücklich, daß es sich
bei diesen großen Bauunternehmern um Luxusbauten handelt;
wir wissen aber aus früheren Berichten gerade desselben Ge-
währsmannes, wie sehr in dem damaligen Paris die Bau-
geschichte von den Prachtbauten der reichen Finanziers be-
herrscht wurde.
g) Die Stellmacherei, aber auch die Tapeziererei
und die Sattlerei stoßen während der frühkapitalistischen
Epoche einige Verrichtungen ab, die sich zu einer neuen
kapitalistisch betriebenen Luxusindustrie: der Kutschen-
bau er ei, zusammenfügen. Die Kutschenbauerei hat um
die Mitte des 18. Jahrhunderts den Weg zur vollendeten Manu-
faktur halb zurückgelegt. Sie vereinigt in ihrer höchsten
Form (in London) ^^^ in eigener Werkstatt diejenigen Arbeiten,
die den Kasten des Wagens einschließlich Lederbezug und
Polsterungen herrichten, und beschäftigt außer dem Hause:
den Schnitzer, den Radmacher, den Gießer (für die Be-
schläge usw.), den Lederarbeiter, den Schmied, den Geschirr-
macher.
Aber auch in dieser halbfertigen Gestalt beansprucht die
Kutsch enmacherei damals schon „a great Stock of ready
I
Der Luxus und die Industrie 190
Monev", ein beträchtliches Kapital, nicht zuletzt wieder wegen
der langen Zahlungsfristen, die der vornehmen Kundschaft
zugestanden werden müssen. Denn die Kutschenbauer haben
nur mit dem Adel und Leuten von Rang (with none but
Nobilty and Quality) zu tun, bei denen es oft genug über-
haupt nicht zum Bezahlen kommt.
Die Kutschenindustrie hatte übrigens gerade um jene
Zeit in England einen großen Aufschwung genommen, da der
Adel damals einen Stolz darein zu setzen begann, selbst zu
kutschieren: „our nobilty and gentry even now taking Pride
in driving themselves" ^^^. Wo daher vor einem Menschen-
alter ein paar Dutzend Kutschenbauer lebten (zehn oder
zwölf in der City und nicht ganz soviel in den andern Stadt-
teilen Londons), haben jetzt die zu einer Gesellschaft zu-
sammengeschlossenen Kutschenbauer ganze Straßenzüge be-
setzt-^*.
h) Die (Möbel-) Tisch] er ei hat von jeher die Tendenz
gehabt, die Schranken des Handwerks zu durchbrechen, so-
bald sie anfing, Luxusgegenstände herzustellen. Wir finden
deshalb frühzeitig — z. B. in Augsburg im 16. Jahrhundert —
die Luxustischlerei, die „fürnehm arbeit" macht, in einen
gewissen Gegensatz gestellt zu dem „gemainen handwerk".
Während dessen Meister in der Regel nur einen, seit 1549
zwei Gesellen beschäftigen dürfen, wurde in Fällen, in denen
eine größere „fürnehm arbeit" anzufertigen war, um Dispens
von dieser Beschränkung nachgesucht ^^^.
Im 17. Jahrhundert gestaltet sich dann die Luxus-
sehreinerei zu großbetrieblichen Formen aus, die zunächst
nicht im kapitalistischen Rahmen sich entwickeln, sondern
vom Königtum, vom Staate gepflegt werden. Vorbildlich für
alle Kunstmöbelherstellung, bis zu den Vereinigten Werk-
stätten in unseren Tagen, ist, wie allbekannt, die Manu-
facture royale des Gobelins geworden, die Colbert zur Blüte
brachte 2^^. In ihr wurde alles erzeugt, was zur Ausstattung
200 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
der königlichen Schlösser diente, also nicht nur die Möbel
aus Ebenholz], Schildpatt und farbigen Hölzern mit ihren
Schnitzereien und Intarsien, sondern auch die Wand- und
Fußteppiche, die Lüster und Kandelaber aus Bronze und
Kristall; das Silber- und Goldgeschirr, das mit Edelsteinen
geschmückt war usw.
Es ist hier nicht der Ort, darzustellen, wie in diesen
Werkstätten unter der Leitung bedeutender Künstler — Lebrun
war lange Zeit Direktor, Baudoniu Yvard, Van der Meulen,
Bapt. Monnoyer u. a. waren als Maler, die Gebrüder Anguier,
Coysevox, Tuby als Bildhauer, Audran, Rousselet, Ledere
als Kupferstecher tätig — mit einem gewaltigen Stabe von
Arbeitern : in der Teppichabteilung waren allein 250 Personen
beschäftigt, die Wunderwerke des Style Louis XIV. hervor-
gegangen sind. (Obwohl eine Geschichte der Organisation
des Kunstgewerbes eine sehr dankbare Aufgabe für talentvolle
Leute wäre.) Genug, daß hier einer der größten Luxus-
konsume auch eine der größten Umwälzungen der gewerb-
lichen Organisationen hervorgerufen hat, die dann auch für
die Entwicklung des modernen Kapitalismus große Bedeutung
erlangen mußte. Denn nach dem Vorbilde der Manufacture
royale des Gobelins entstanden überall, wo ein Zentrum
des Konsums von Luxusmöbeln war, kapitalistische Kunst-
tischlereien. In Frankreich selbst haben wir in dem be-
rühmten Unternehmen des Charles Beule wohl das erste Bei-
spiel einer vollendeten Kunstmöbelmanufaktur. Beule, der
mit seinen vier Söhnen die Arbeit organisierte und zunächst
auch nur für den Hof, dann aber für die vornehme Gesell-
schaft auch außerhalb des Hofes produzierte, stellte alle
Sorten Möbel in Bronze und Holz her, als Uhrgehäuse,
Bureaux, Kommoden, Küchenschränke, Lüster, Truhen, Gu6-
ridons usw. Er war von 1672 — 1732 en vogue; 1720 (Süd-
seeschwindel!) bezifferte sich der Wert der angefangenen
Stücke in seinen Werkstätten (die im Louvre lagen) auf
80000 Liv.257.
Der Luxus und die Industrie 201
In ganz großem Stile betrieben dann die berühmten
englischen Kunsttischler ihr Geschäft: die Sheraton, Chippen-
dale "^s.
Auch in Deutschland finden wir die Luxustischlerei (und
diese allein, denn der handwerksmäßige Charakter der ordi-
nären Möbeltischlerei blieb bis tief ins 19. Jahrhundert hin-
ein gewahrt) kapitalistisch und großbetrieblich organisiert
schon im 18. Jahrhundert. Eine der frühesten kapitalistischen
Tischlereien ist bei uns die von Mainz, die sich als Luxus-
tischlerei im Anschluß an den prachtliebenden kurfürstlichen
Hof entwickelt ^^59
Und so vollzieht sich die Entwicklung in zahlreichen
anderen Handwerken auch:
Die Posamentierer in Berlin sind am Ende des
18. Jahrhunderts ein blühendes Handwerk: 259 Meister be-
schäftigen 248 Gesellen und 170 Lehrlinge. „Die reiche Arbeit
dagegen unter Verwendung von Gold- und Silberdraht wurde
von der Gold- und Silbermanufaktur als Verlagsinstitut und
den Posamentierern als deren Heimarbeitern angefertigt 2^°.
Die gewöhnliche Pomade wird im 18. Jahrhundert von
den Friseuren hergestellt; dagegen gibt es zwei Fabriken für
Schminke und für „haarwachsende Pomade" ^^^
Die Seifensieder leben ruhig und zufrieden dahin,
bis eines schönen Tags Luxusseifen erfunden werden. „Das
Fabriksystem beginnt mit dem Aufkommen von Luxusseifen."
Im 18. Jahrhundert war das Produktionsgebiet zwischen Hand-
werk und kapitalistischer Unternehmung scharf geschieden:
jenes stellte die gewöhnlichen Seifen her, diese die feineren,
wie Marseiller Seifen usw. ^^^ in Marseille selbst, wo ein
Zentrum der Luxusseifenfabrikation war, haben im Jahre 1760
38 Seifenfabriken 170 Kessel und 1000 Arbeiter ^«a.
Der elegante Soap-Boiler in London braucht ein Anfangs-
kapital von 2—3000 i^264^
Aber ich denke, der Beispiele sind nun genug auf-
202 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
gezählt. Besser, wir gehen zum Schlüsse dieser Betrach-
tungen noch den Gründen nach, die zu dieser in weitem
Umfange einheitlichen Entwicklung der gewerblichen Pro-
duktion geführt haben.
4. Die revolutionierende Kraft des Luxtiskonsums
Was hat die Gewerbe, ehedenn die Technik es tat, in den
Kapitalismus hineingetrieben? Welches ist der Grund, wes-
halb sich hier das Handwerk erhält, dort durch eine kapi-
talistische Organisation ersetzt wird?
Die Vertreter der herrschenden Meinung antworten: die
geographische Ausweitung des Absatzes ist schuld daran, daß
der Kapitalismus Macht über die gewerbliche Arbeit gewinnt,
wie ich das oben schon dargelegt habe. Ich sage dem ent-
gegen: viel bedeutender ist der Einfluß, den die Ausbildung
eines starken Luxuskousums auf die Organisation der gewerb-
lichen Produktion ausübt. Sie ist es, die in sehr zahlreichen
(nicht in allen!) Fällen dem Kapitalismus die Tore öifnet,
damit er in die so wohl umfriedete Stadt des Handwerks
seinen Einzug hält. Meine Ausführungen, denke ich, be-
weisen die Richtigkeit meiner Ansicht.
Wollte man mir nun aber etwa einwenden : Du täuschest
dich; jene Gewerbe, die du richtig als Luxusindustrien be-
zeichnet hast, und die in der Tat am frühesten vom Kapi-
talismus erfaßt werden, erleiden diese frühe Herrschaft nicht,
weil sie Luxusindustrien, sondern weil sie Exportindustrien
sind. Denn diese Eigenschaft haben sie alle auch.
So würde ich antworten: Du irrst Freund. Du irrst
zwiefach :
L sind keineswegs alle kapitalistisch organisierten Luxus-
industrien Exportindustrien. Ich erinnere s'n die Möbel-, die
Kutschen-, die Teppich-Manufaktur, an die Luxusschneiderei
und Schuhmacherei. Das ist alles „lokale", sogar meistens
in eminentem Sinne „Kundenproduktion".
Der Luxus und die Industrie 203
2. sind keineswegs alle Exportgewerbe kapitalistisch.
Das ganze Mittt-laiter hindurch hat es zahllose Handwerke
mit interlokalem und internationalem Absatz gegeben. Und
solche Exi)Orthandwerke haben sich bis in die neuere Zeit
hinein erhalten: noch im Anfang des 19. Jahrhunderts waren
die Wollweberei in Yorkshire, die Leinenweberei in Schlesien,
die beide für den Weltmarkt arbeiteten, durchaus handwerks-
mäßig organisiert.
Also kann die geographische Ausweitung des Absatz-
gebietes doch nicht der entscheidende Grund sein, der in anderen
Gewerben den Kapitalismus zur Herrschaft kommen läßt.
Meine Ansicht, daß dieser entscheidende Grund die Aus-
weitung des Luxuskousums ist, daß also die namhaft ge-
machten Gewerbe dem Kapitalismus anheimfallen, weil es
Luxusindustrien sind, verteidige ich wie folgt:
Die Gründe, die ein Luxusgewerbe eher geeignet machen
für kapitalistische Organisation, liegen:
L in der Natur des Produktionsprozesses. Fast
immer erheischt ein Luxusgut einen kostbaren Rohstoff
der häufig aus der Ferne bezogen werden muß.
Also: Bevorteilung des reicheren und des kaufmännisch
gebildeten Mannes: wenn die Pariser „Filaresses" schon
im 13. Jahrhundert für einen Mercier gegen Lohn Seide
spinnen, die dieser dann in der Stadt verkauft, während
Flachs und Wolle Jahrhunderte später noch von Bauern „in
eigener Regie" verarbeitet werden: was für einen andern
Grund hat die hausindustrielle Organisation in diesem Falle
als den, daß nur der Mercier in den Besitz des teuren Roh-
stoffs gelangt.
Meist ist aber auch das Verfahren, mittels dessen ein
Luxusgut hergestellt wird, kostspieliger als das, mit dem das
ordinäre Gut verfertigt wird. Damals, heute gilt der Satz
natürlich nicht! Man denke an die frühere Textilindustrie
(Färberei! Appretur!); an Glas- und Porzellanfabrikation; an
204 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Teppiclikiiüpferei oder Weberei; an Spiegelerzeugung; kura
an die meisten Prozesse der Luxusindustrien. Also abermals :
Bevorteilung des „kapitalkräftigen" Mannes. Aber das Ver-
fahren bei der Erzeugung von Luxusgütern ist nicht nur kost-
spieliger: es ist meist auch kunstvoller, komplizierter, setzt
mehr Kenntnisse, mehr Überblick, mehr Dispositionstalent
voraus : Grund , weshalb die Tüchtigsten , in diesem Sinne :
Besten aus der Masse herausgehoben werden, die mit ihren
Gaben die Stellungen der neuen, vorwiegend zur Leitung und
Organisation berufenen Wirtschaftssubjekte allein auszufüllen
vermögen. Die Vorzüge des Luxusgutes werden aber oft
genug nur erzielt, wenn auch der Arbeitsprozeß schon durch
Kooporation und Spezialisation auf eine hohe Stufe empor-
gehoben ist: die kapitalistische Maßschneiderei liefert nur
darum Qualitätswaren , weil sie die hochwertige Arbeit des
talentierten Zuschneiders für eine große Masse von Durch-
schnittsschneidern nutzbar macht. Eine Differenzierung von
hochwertigen Leistungen ist aber nur möglich auf einer
breiteren Produktionsbasis, wie sie die von der kapitalistischen
Unternehmung ins Leben gerufene Betriebsorganisation erst
schafft.
2. liegen die Gründe, die die Luxusgewerbe eher als die
andern zum Kapitalismus treiben, in der Natur des Ab-
satzes. Ich will den Gedanken nicht urgieren, dem wir
schon begegnet sind und der unter dem Ancien regime
offenbar gang und gäbe war: daß nämlich die seigneuriale
Nonchalance beim Bezahlen häufige Verluste für den Pro-
duzenten von Luxuswaren im Gefolge habe, jedenfalls aber
eine breitere Kapitalbasis nötig mache, als sie sonst er-
forderlich wäre.
Wichtig dagegen scheint mir der Umstand, daß der Absatz
von Luxusgütern offenbar größeren Konjunkturschwankungen
unterworfen ist als der von Massengebrauchsartikeln. Die
Geschichte aller Luxusindustrien lehrt es uns: die Launen
Der Luxus und die Industrie 205
der reichen Leute, bei denen während der friihkapitalistischen
Epoche „die Mode" den Geschmack zu beherrschen anfängt,
wechseln rasch. Und dieser rasche Wechsel führt auf der
einen Seite oft Absatzstockungen herbei und heischt auf der
andern Seite vom Produzenten eine sehr starke Versatilität
des Geistes, wenn er seine Produktion immer wieder den neuen
Anforderungen anpassen soll. Die kapitalistische Organisation
ist nun aber viel eher als das Handwerk imstande, sowohl
ungünstigen Konjunkturen standzuhalten , als günstige aus-
zunutzen.
Zu diesen allgemeinen, „in der Natur der Sache" liegen-
den Gründen kommt nun
3. der historische Grund, daß alle Luxusindustrien während
des europäischen Mittelalters künstlich geschaffen worden
sind, entweder von den Fürsten oder von unternehmungslustigen
Fremden. Der Fremde spielt bei der Entstehung der modernen
Industrie (wie ich an anderer Stelle ausführlich darlegen
werde) die entscheidende Rolle: von den Humiliaten an-
gefangen, die in Florenz die Tuchindustrie begründen, bis zu
den französischen Emigranten , die die Väter der Berliner
Industrie sind, zieht sich eine ununterbrochene Kette von
"Wanderungen Industrieller und von industriellen Gründungen
in der Fremde durch sie. Was sie aber begründen, sind fast
immer Luxusindustrien, deren Entwicklung ja auch den
Landesherren vor allem am Herzen lag.
Alle diese Industrien aber, die mit Bewußtheit und durch
Fremde ins Leben gerufen werden, erhalten von vornherein
ein rationales Gepräge. Sie entstehen meist außerhalb der
alten zünftlerischen Schranken und oft im Gegensatz zu den
alteingewurzelten Interessen der ortsangesessenen Handwerker.
Bei ihrer Etablier ung sprechen keine Rücksichten, sprechen
nur Gründe der Zweckmäßigkeit, und deshalb vor allem auch
sind sie der Boden, auf dem sich das neue, ökonomisch höhere
Wirtschaftssystem zuerst entfaltete.
20(5 Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus
Aber die wichtigste Vorbedingung, die erfüllt sein mußte,
damit dieses Wirtschaftssystem bestehen konnte, war doch ein
seinem Wesen gemäßer Absatz. Da nun (letzter Grund!)
4. die andere Möglichkeit eines großen Absatzes: der
Massenabsatz von minderwertigen Gütern oder der Absatz
großer, zusammengesetzter Güter sich meist erst viel später
einstellte, so blieb dem nach Verwandlung in Kapital streben-
den Geldvermögen nur die Anlage in Luxusgewerben übrig.
So zeugte der Luxus, der selbst, wie wir sahen, ein legi-
times Kind der illegitimen Liebe war, den Kapitalismus.
Finis
Quellen und Literatumadiweise
1
209
Erstes Kapitel: Die neue Geseilschaft
1 H. Laube, a. a. 0. 1, 128.
2 Starkeys England in the Reign of Henry VII bei Denton, Eng-
land in the fiftheenth cent. (1888), 259.
^ Sie ist zuletzt abgedruckt und ausführlich kommentiert bei
J. Goldstein, Berufsgliederung und Reichtum. 1897.
* Siehe die Schedule bei Postlethwayt, Dict. of Comm. 2^
(1758), 746. 747.
B Harrison, Description of England. B. III, Ch. IV (ed. 1577);
zitiert bei Gib bin s, Ind. in E. 4. ed. (1906), p. 323. Klar ist das Bild
nicht, das wir von der Entstehungsart der Gentry unter Elisabeth emp-
fangen; C am den, Britannia; ed. 1590, p. 106, sagt ganz allgemein:
„Generosi (i. e. Gentlemen) vel promiscue nobiles sunt, qui natalibus
clari aut quos Virtus aut Fortuna e faece hominum extulit."
6 Defoe, Complete English Tradesman. 2. ed. 1727, p. 310; 5. ed.
1745. 1, 322. (Die Stelle lautet in beiden Ausgaben gleich.)
' Defoe, 1. c. 5. ed. 1, 224 ff.
8 Defoe, 1. c. 2. ed. p. 313; 5. ed. 1, 324.
^Postlethwayt, Dict. of Comm. Art. Commerce; Miege-
B Ol ton, The Present State of Great Britain etc. 10. ed. 1745, p. 156.
10 Charles R. Dodd, Manual of Dignities etc. (1843), 251.
" Defoe, 1. c. 2. ed. p. 311; 5. ed. 1, 323. 24.
12 L e c k y bringt das Zitat aus den „Miscellanea" in seiner Ge-
schichte Englands im II. Bande, Kap. 2 (Deutsche Übersetzung 1, 208).
Ich habe in meinem Exemplar der Miscellanea (Vol. I 1680; Vol. II
1690) das Zitat nicht gefunden.
13 Defoe, 1. c. im XXIV. Kapitel der 5. Auflage (die 2. Auflage
hat dies Kapitel noch nicht).
1* Laffemas, Traite du commerce de la vie du loyal marchand
1601; bei G. Fagniez, L'economie sociale de la France sous Henry IV
(1897), 253.
"^ Siehe jetzt wieder Strieder, Genesis d. mod. Kap., 40, und
die daselbst angeführte Literatur, sowie Rud. Häpke, Die Entstehung
der großen bürgerlichen Vermögen im M. A., in Schmollers Jahrb. 29,
245 ff.
Sombart, Luxus und Kapitalismus 14
210 Quellen und Litteraturnachweise
'« Siehe jetzt wieder H. Sieveking, Die kapitalistische Ent-
wicklung in den italienischen Städten des Mittelalters, in der Viertel-
iahrschr. f. Soc. u. W.-Gesch. 7, 73.
i'' Ranks 6 in B. Thorpe, Ancient Laws institutions of England
1 (1840), 193. Anm. des Herausgebers: „It is possible that craeft (craft)
may here as at the present day signify a vessel."
^® Siehe die zahlreichen Beispiele bei H. Pigeonneau, Hist. du
commerce de la France 1 (1885), 397 ff. ; und G. D'Avenel, Hist, econ.
de la propri(5te etc. 1 (1894), 144 ff.
^^ Beispiele bei Levasseur, Hist. des classes ouvrieres etc. 2^
(1900), 175. 200.
^'^ Ch. Norman d, La bourgeoisie frangaise au XVII sc. (1908),
9 fi. 21 ff. 64 ff.
21 G. D'Avenel, 1. c. 1, 144 ff. 208 f.
«2 Sully, Memoires s. a. 1601; ed. 1752, 4, 12 ff.
28 (Mercier) Tableau de Paris 2, 201, Ch. CLXXII.
^* Die Ziffern entnehme ich der sorgfältigen Arbeit F. Bei ochs,
Die Entwicklung der Großstädte in Europa, in den Comptes rendus du
Vllle Congres international d'Hyg. et de Dem. (1894), 55 ff. Wo ich ein
* vor den Städtenamen angebracht habe, sind die Ziffern dem Aufsatze
Inama-Sterneggs im Handwörterbuch d. Staatswiss. 3. A. entlehnt. Die
Einwohnerzahlen von Dublin fand ich bei AI. Moreau de Jonnes,
Statistique de la Grande Bretagne 1 (1837), 88. Die letzte Zahl für
London ist die amtliche Zahl des Zensus von 1801; die Zahl für Berlin
nach den Normann sehen Zusammenstellungen, die mitgeteilt sind bei
Mir ab 6 au, d. J., De la monarchie prussienne 1 (1788), 395 f.
Zweites Kapitel: Die Großstadt
26 Den Text des bei Rymer, Foedera 16, 448, verzeichneten Er-
lasses gibt Anderson, Orig. 2, 209, auszugsweise wieder.
26 Daniel De Foe, A Tour through the islands of great Britain.
Zuerst erschienen 1724. 8. Auflage, nach der ich zitiere, 4 Vol. 1778 2, 253.
2'' Mi r ab e au, 1. c.
28 Lies z. B. Berg, De Refugies in de Nederlande etc. 1 (1845), 269 f.
28 E. Gerland, Kreta als venetianische Kolonie (1204 — 1669), im
Historischen Jahrbuch 20 (1899), 22.
^*> Siehe die Schilderungen Venedigs bei H. Simons feld. Der
Fondaco dei Tedeschi in Venedig 2 (1887), 265 ff.
^1 Bei Gregorovius, Gesch. der Stadt Rom 1^, 236.
32 Gregorovius, a. a. 0. 8*, 287.
33 Bei Pastor, Gesch. der Päpste 1 3- * (1901), 78 ff.
3* Conservacion de monarquias y discnrsos. Disc. XIV, zit. bei
Ranke, Fürsten und Völker Südeuropas 13, 458. Vgl. H ab 1er,
Wirtschaftl. Blüte Spaniens, 53. 153, 155 und öfters.
Quellen und Literaturnachweise 211
^^ Lies die hübsche Schilderung, die (nach guten Quellen) von
Madrid in seiner Blütezeit entwirft: v. Gleichen-Kußwurm, Das
galante Europa (1910), 19.
^ö Lies die anmutigen Schilderungen bei E. Gothein, Kultur-
entwicklung Süditaliens (1886). 317 ff. 342 ff. Vgl. noch Burckhardt,
Kultur d. Ren. 2^ (1878), 106. 166, und Hippolyt. a Coli., Incrementa
urbium sive de causis magnitudinis urbium liber unus (1665), 207.
^■^ Lavoisier, A. L., Essai sur la popuIation de la ville de Paris,
sur sa richesse et ses consommations, in den M^langes d'ec. pol., ed.
Daire, 1 (1847), 601 ff.
^^ Ami des Hommes 2, 215.
"^ ¥. Quesnay, Artikel „Fermiers" in der Encyclopödie. (Euvres,
Ed. Oncken, 189. Die „Wasserkopftheorie" datiert für Paris aus dem
16. Jahrhundert; A. d. II. 2, 215; für London aus dem 17. .Jahrhundert:
G raunt meint, „daß London . . . vielleicht ein allzu großer und viel-
leicht auch ein zu mächtiger Kopf für seinen Leib sei"; Job. Graunt,
Anmerkungen über die Totenzettel der Stadt London usw. (1662); deutsch
1702 in der Widmung.
*'^ Ami des Hommes 2, 232.
" Ami des Hommes 2, 217. Angaben über die enorme Höhe
der Renten der kirchlichen und weltlichen Großen siehe bei H. Taine,
Les origines de la France contemporaine 1 '* (1885), 52. Taines Haupt-
quelle für den Absentiismus der französischen Seigneurs und ihren Kon-
flux nach Paris ist merkwürdigerweise ArthurYoung, der so tut, als
ob es in England um dieselbe Zeit wesentlich anders gewesen wäre.
*2 (Mercier) Tableau de Paris 1 (1783), 67/68.
*^ Edw. Ghamberlayne, The second part of the Present State
of England. 13. ed. 1687, p. 200.
** D. Hume, Essays 2, 114.
*s Artificial Fire 1644. Ms. in Brit. Mus., mitgeteilt bei W. Cun-
ningham, The growth of Engl. Ind. and Comm. 2* (1905), 319.
^^ Miege and Bolton, The present State of Great Britain etc.
10. ed. 1745, p. 101.
Defoe, Tour 2, 135/36.
47
Drittes Kapitel: Die Säkularisation der Liebe
*^ I poeti del primo secolo. 2 Vol. 1816.
*^ A. Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesänger.
2, 423.
^<* Siehe die hübsche Zusammenfassung in dem Buche von Josef
Kirchner, Die Darstellung des ersten Menschenpaares in der bildenden
Kunst. 1903.
14*
212 Quellen und Literaturnachweise
" Laur. Valla, Opera ed. Bas. 1590, 905 (De Vol. IIb. I, c. XXII).
^2 Ang. Firenzuola, Discorso delle bellezze delle donne (1542).
Neue Ausgabe 1886. Im Auszug (deutsch) bei Burckhardt, K. d. R.
IV. Abschn. , VII. Kapitel, und (ausführlich) bei R. Günther, Kultur-
geschichte der Liebe (1899), 298 fif. Seltsamerweise schreibt Burck-
hardt (a. a. 0. S. 63): „Ob das 15. Jahrhundert schriftliche Rechen-
schaft über sein Schönheitsideal hinterlassen hat, weiß ich nicht zu
sagen." Es waren ihm die oben zitierten Stellen bei L. Valla oifenbar
im Augenblick nicht in Erinnerung.
'^'^ L. Valla, Opp. cit., 668.
" P. Bembo, Gli Asolani (ed. 1575), p. 134.
56 p. Bembo, 1. c. p. 189/190.
^^^ L. Valla, De vol. Lib. I, cap. 38.
^ß F. Gregorovius, Lucrezia Borgia 1^ (1875), 96.
5'' Die Stellen finden sich in dem berühmten fünften Kapitel des
dritten Buchs der Essais. Haben ähnliche Anschauungen schon früher
geherrscht? Oder richtiger: sind sie schon früher in ein System ge-
bracht (denn gelebt hat man nach ihnen seit den Minnesängern)?
Man könnte es fast annehmen, wenn man Nostrodamus und manchen
Entscheid der „Minnehöfe" liest. Vgl. K. Weinhold, Die deutschen
Frauen in dem Mittelalter. 3. Aufl. 1897.
6^ Estr. dal periodico Gli Studi in Italia (1882), mitget. von Grego-
rovius, a. a. 0. 7^ 722.
^^ Barbier, Journal 4, 496, zit. bei R. Günther, Kulturgeschichte
der Liebe (1899), 397.
^•^ Siehe die lange Liste von Maitressen der Generalpächter bei
Paul Ginisty, M^e Duthe et son temps (s. a.), 11.
61 (Mercier) Tableau de Paris. 1783, Ch. 573.
62 Complete English Tradesman. 5. ed., 1745. Ch. L.
Viertes Kapitel: Die Entfaltung des Luxus
63 Worte des Senators Stephan Garczynski in seiner 1751 gedruckten
Schrift: „Anatomie der Republik Polen", bei Roepell, Polen um die
Mitte des 18. Jahrh. (1876), 17. Acta Boruss. Getr. Hand. Pol. 1, 386.
6* Zit. bei J. F. Andre, Hist. de la Papaute ä Avignon (2. ed.
1887), 300.
65 I due sontuosissimi Conviti fatti ä Papa demente V nel 1308
descritti da Anonimo fiorentino, testimone di veduta. Ed. 1868.
66 E. Müntz, L'argent et le luxe ä la cour pontificale d' Avignon,
in der Revue des questions histoiiques t. LXVI (1899), p. 5 — 44 et 378 — 406.
E. Müntz et Faucon, Inventaire des objets precieux vendus ä
Avignon 1358, in der Revue archeologique 1882, p. 217—225.
Vgl. Th. Okey, The Story of Avignon 1911 (mit Bibliographie).
Quellen und Literaturnachweise 213
Ch. Martin, Le Chäteau et les Papes d'Avignon 1899. Soweit meine
Kenntnisse reichen, gibt es eine zuverlässige und ausführliche Dar-
stellung des (weltlichen) Lebens an den Avignoner Höfen in der Literatur
bisher nicht.
8'' Leo König, Die päpstliche Kammer unter Clemens V. und
Johann XXIL (1894), 56 ff.
68 Lies die Beschreibung der Feste bei Gregorovius 7^ 238 f.
68 Matth. Palmieri, De temp. suis, ebenda S. 242.
'0 Bure, Diar.
"' Gregorovius, a. a. 0. 8*, 173 ff.
"2 Einige Auszüge bei Roscoe, Life of Leo X. (1806), 1, 238 f.
und App. XXIX.
" Quellen bei G re goro viu s, a. a. 0. 7", 342 f. Die Soll-Einkünfte
des Ducato Estense im Jahre 1592 betrugen 690 993 19. 8 Lire marche-
sane, Pietro Sitta, Saggio sulle istituzioni finanziarie del Ducato
estense nei secoli XV e XVI (1891), 126.
" Rel. des amb. ven. (Coli, des doc. inedits sur l'hist. de France)
1, 285, bei Pigeonnean, 2, 28. Über die Luxusausgaben der älteren
Valois: Baudrill art, 3, 273.
'6 Rel. 2, 529; 1. c. p. 58.
"6 Bericht des Matteo Dandolo bei Alberi T. 4, 42/43.
■'■' (Forbonnais) Recherches 1 (1758), 119 suiv.
"'^ (Forbonnais) Recherches 2, 101.
"'^ J. Guiffrey, Coniptes des bätiments du roi sous le regne de
Louis XIV. 5 Vol. 1881 — 1896 in der Collect, de Docum. inödits.
nie Serie.
8° J. Guiffrey, Inventaire general du mobilier de la couronne sous
Louis XIV (1663—1715). 2 Vol. 1885.
*^ Einen Bericht aus der Dezember-Nummer 1697 findet die Leserin
bei A. Franklin, Les magasins de nouveautes (1894), 227 suiv.
^^a j. Guiffrey, Comptes des bätiments L c.
82 Diar. Europ. c. 24. 10. 1666, bei Ranke, Franz. Gesch. 3 ■', 214.
88 Arch. nat. 0', 3792 — 94, mitgeteilt in dem sehr lehrreichen
Buche von Emile Langlade, La marchande de modes de Marie An-
toinette Rose Bertin (s. a), 29. 122.
83a j. Guiffrey, Comptes des bätiments du roi etc. 1(1881), XLII.
8* Etat des depenses de M^e la Marquise de Pompadour du 9 sept.
1745 au 15 avr. 1769 jour de sa mort, publ. par M. Luc. Leroy: zit.
bei Baudrillart 4, 327.
86 Coli, de doc. inöd. t. IV, p. 545—561, zit. von Mn>e ß. Carey,
La Cour et la ville de Madrid etc. (1876), App. Note C.
86 Hübsche Beschreibung des luxuriösen Hoflebens Wilhelms von
Oranien, als er noch nicht englischer König war, bei Berg, De Re-
fugies 1, 269 f.
214 Quellen und Literaturnachweise
^"^ Sämtliche Ziflfern über die Ausgaben der englischen Könige ent-
nehme ich J. Sinclair, Hist. of the public revenue of the Brit. emp.
3. ed. 1803. Vol. I und II.
88 Bei Willy Doenges, Meißner Porzellan (1907), 76 f. 126.
89 Inf. XIII, 118 — 122, und dazu Kostanecki, Dantes Philosophie
des Eigentums (1912), 8 f.
^ Louis XIY, Memoires, zit. bei Baudrillart, H. du L. 4, 68.
9^ Diese entzückende Wendung findet sich bei C am den, Bri-
tannia (1580), 106.
92 Aus dem Livre de Raison de M. Pierre Cesar de Cadenet de
Charleval, angefangen 1728, fortgesetzt 1763 von Frangois de Ch. und
abgeschlossen von dessen Sohne bei Ch. de Ribbe, Les familles 2^
(1874), 144. Eine überaus wertvolle Sammlung von englischen Haus-
haltungsbudgets aus der Zeit von 1650 — 1750 besitzt das Smithsonian
Institut in Washington. Einige Auszüge daraus teilt der Besitzer dieser
Sammlung mit, der sie zusammengebracht und dem Sm. I. geschenkt
hat, J. A. Halliwell, in der Schrift: Some account of a collection of
several thousand Bills, Accounts and Inventories etc. 1852.
93 SuUy, Mem. 4 (1752), 12 ff. (s. a. 1601).
9* Bassompiere, Mem. 2« ser., tome VI, p. 56 der Coli. Michaud;
bei Fr e gier, Police de Paris 2, 34.
»SThirion, Vie privee 292; Vie privee de Louis XV (1785);
Humbert de Gallier, Les moeurs (1911), 85 tf. (reiches Material).
98 Die Quellen bei T a i n e , Origines 1, 168 suiv.
9' E. Langlade, La marchande de Modes etc., 263 suiv.
98 Polifilo, La guarderoba di Lucrezia Borgia. Dali' Archivio
di Stato di Modena. 1903.
99 Brief der M^^ de Maintenon an ihren Bruder vom 25. Sept.
1679; vgl. Aimö Houze de l'Aulnont, La finance d'un bourgeois de
Lille au 17. siecle (1889), 51. 116.
Joo Compl. Engl. Tradesman 2 (1745), 328.
"1 Defoe, Compl. Tradesman (1727), 115. 116. 14L
102 Archenholtz, England und Italien 3, 141 ff.
103 Bei De Ribbe, Une grande dame 137.
104 jyjme (Je Sevigne, Lettres.
10^ Nach Du Hautchamp: Oscar de Vallee, Les manieures
d'argent (1858), 121.
105a (Mercier) Tableau de Paris 2, 199 fif.
106 Thirion, Vie privee 124.
'0^ Viele Ziffern bei Humbert de Gallier 1. c. 96 ff. Ein
wichtiges Quellenwerk ist Pierre Manuel, La police de Paris
dbvoilee. 1794.
107 a W. L ü b k e , Geschichte der Renaissance Frankreichs (1868), 287.
Quellen und Literaturnachweise 215
^"■'^ Lettres, Instructions et mömoires de Colbert, publ. par
P. Clement in der Coli, des doc. inödits Ille sörie, t. 8, p. XLV.
'^* Edm. 0. von Lippmann, Geschichte des Zuckers, seine
Darstellung und Verwendung seit den ältesten Zeiten bis zum Beginne
der Rübenzuckerfabrikation. 1890.
109 Burckhardt, Kultur der Ren. 2, 117.
"« Gregorovius, G. d. St. R. 8*, 290. 291.
"Oa Gas. Chledowski, Rom (1912), 377. Dort finden sich noch
mehr Beschreibungen ähnlicher Wohnungen.
"• Regnier Desmarets zit. bei Fournier, Le vieux neuf 2, 147.
"2 Lettres de M« de Sevigne. 26. Novbr. 1694.
"3 Evelyn, Memorials 1, 562 bei Alb. Savine, 1. c. 160.
"* Edm. et Jules de Goncourt, La Du Barry (1909), 133.
*'^ Lies die Beschreibungen der Chambres k coucher bei Thirion,
348 ff., 352 f.
1'^ The Seats of the Nobilty and Gentry in a collection of the
most interesting and picturesque views engraved by W. Watts. 1779.
*" Lies die interessante Stelle bei Montesquieu, E. d. ,L.
Liv. VII Ch. I nach!
'1^ Bei Ch. de Ribbe, Une grande dame dans son menage au
temps de Louis XIV. d'apr^s le Journal de la comtesse de Rochefort
(1689). Paris 1889, p. 167.
119 De L6ris, Dictionnaire . . . des Theatres (1763), XX ff. VgL
A. du Casse, Histoire anecdotique de l'ancien thcatre en France.
2 Vol. 1862—1864 (wesentlich literärgeschichtlich).
120 Yür das England des 17. Jahrhunderts: The character of a
town Gallant. Stellen daraus bei A. Savine, La cour galante de
Charles II., 130 suiv.
1-1 Defoe-Richardson, A Tour through the Island of Great
Britain etc. 8*1» ed. 2 (1778), 92. 93.
"2 Archenholtz, England und Italien 2, 230.
12^ Henri d'Almäras, Les plaisirs du Palais Royal, 1. c. p. 11.
12* (Defoe), Complete tradesman. 2. ed. 1727.
i^BJ.W. von Archenholtz, England und Italien 2(1787), 231 ff.
12« (Mercier), Tableau de Paris 3, 109 ff.
1" Mitgeteilt bei P. Ginisty, 40.
Fünftes Kapitel: Die Geburt des Kapitalismus aus dem Luxus
1-^ Die genauen Angaben bei Anderson, Orig. of Comm. s. h. a.
1*9 Am besten unterrichtet der Artikel „Lois somtuaires" in der
Encyclopedie.
i"<> Montesquieu, Espr. des Lois L. VII. ch. IV.
21(3 Quellen und Literaturnachweise
1^^ Abbe Coyer, Developpement et defense du Systeme de la
noblesse conimergante 1 (1757). 52.
^^" Barbon, A discourse of Trade (1690), 62 bei Cunningham,
Growth, 2, 392, wo noch mehr Stellen dieses Inhalts angeführt werden.
^^^ D. Hume, Of refinement in the arts in den Essays ed. 1793;
2, 19 ff.
^"■* The Fable of the Bees: or Private Vices, Publick Benefits
6. ed. 1732 p. 10; dazu die Anmerkungen I — N.
135 -yyiijj^ j'i-h. von Sehr Odern Fürstl. Schatz- und Rent-
kammer etc. (1744), 172.
136 W. Hey d, Gesch. d. Lev. Hdls. 2 (1879), 550 ff.
1" A. Schulte, Gesch. d. mittelalt. Hdls. 1 (1900), 720 ff.
138 Martin, Louis XIV., 288 seg.
139 Tabelle bei Chaptal, Ind. fran?. 1, 130.
1*** AI. de Humboldt, Essai politique sur le royaume de la Nou-
velle Espagne 4 (1811), 366 seg.
1" Buxton, The African Slave Trade. 1840.
1*2 Langer, Sklaverei in Europa, 16.
1*3 Schipper, Anfänge d. Kapit. bei den Juden (1907), 19ff. ;
Caro, Soz. u. W.-Gesch. d. J. 1, 137 ff. Vgl. noch Heyd, 2, 542 ff.
1** Belegstellen bei R. Hey neu, Zur Entst. d. Kapit. in Venedig
(1905) 32 fi'.
1*^ Anderson, Orig. 4, 130 (nach einem „französischen Autor").
1*6 Edwards, Hist. of the West Ind. 2, 65.
i*'' Postlethwayt, Dict. of Comm. 1, 709 f. s. v. England.
1*8 0 n s 1 0 w B u r r[i s h , Batavia illustrata or a view of the Policy
and Commerce of the United Provinces etc. etc. (1728), 354 seg.
i'*^ Moreau deJonnes, Etat öcon. et soc. de la France (1867), 349.
160 Complete English Tradesman, 5. ed. 1745 Ch. LI. Ich besitze
außer dieser fünften Auflage nur die zweite, die 1724 erschien; in dieser
findet sich das Kapitel, auf das ich mich beziehe, noch nicht. Ich
kann hier in Deutschland nicht feststellen, ob die Zusätze schon in der
dritten oder vierten Auflage hinzugefügt sind.
161 Zeitschr. d. histor. Ver. für Schwaben und Neuburg 6, 38, 39.
162 (Mercier) Tableau de Paris 1783. Ch. DLV.
163 Zu dieser ganzen Darstellung ist zu Rate zu ziehen mein „Mod.
Kap.", wo ich die Entwicklungstendenzen des modernen Detailhandels
dargelegt habe.
16* R. Campbell, The London Tradesman (1745), 47.
166 Artikel Tapissier in der Enc. meth. Man. 2, 219 seg.
166 Savary, Dictionnaire du Commerce 2, 714.
16'' General Description of all Trades (1747), 49.
168 Gen. Description cit. p. 215.
*69 (Mercier), Tableau de Paris, 7, 73.
Quellen und Literaturnachweise 217
159a Correspondance du marquis de Balleroy, publ. par le Comte
E. de Barthelemy bei Humbert de Gallier, 57.
^8" 1. A General Description of all Trades etc. 1747. 2. R. Camp-
bell, The London Tradesman, being a compendious view of all the
Trades, Professions, Arts etc. etc. 1747.
"1 Compl. Engl. Tradesman 1 (1745), 215.
'62 C. Bertaguolli, Delle vicende dell' agricolt in Italia(1881), 226f.
'6' K. Häbler, Die wirtschaftliche Blüte Spaniens im 16. Jahr-
hundert. 1888. S. 35.
^6* Belege bei M. J. Bonn, Spaniens Niedergang (1896), 113.
165 Y(^Q (Jen Schriften A. Youngs kommt für unsere Zwecke
namentlich in Betracht seine „Southern Tour": A six weeks tour through
the Southern countries of England and Wales, die ich nach der 2. ed.
von 1769 zitiere.
168 Daniel De Foe, A Tour etc.
167 gjj. Y. M. Eden, State of the Poor or an History of the
labouring Classes in England from the Conquest to the Present Period etc.
S Vol. 1797.
168 Defoe 1, 101.
169 A. Young, Southern Tour, 78 f.
1^0 Defoe 1, 139. 160.
1" Defoe 1, 199. 206.
1" Defoe 2, 137.
1" Defoe 1, 65; Young 21 ff.
"* A. Young 49ff.
i''^ Defoe 3, 10 in bezug auf Lincolnshire.
i''6 A. Young, 200 ff. in bezug auf die Gegend um Salisbury.
1" Young 308 ff.
1" Young 317.
1''® Hasbach, Die englischen Landarbeiter in den letzten hundert
Jahren und die Einhegungen. 1894, S. 11 (Schriften des Vereins für
Sozialpolitik Band 59).
180 Defoe 1, 182.
»si Nach Betty 670 000. Vgl. den 1. Essay in der Ausgabe von 1699.
182 Defoe 3, 265.
183 Die Zusammenstellungen bei Hasbach, 116 ff.
18* Eden, 1. c. 1, 334.
185 Defoe 2, 111.
186 Defoe 2, 112.
18'' Miege and Bolton, The present State of Great Britain and
Ireland. 10. ed. 1745. pag. 102.
188 Defoe 1, 324.
189 Surrey, Berks, Oxford, namentlich aber Nord-Wiltshire, wo die
auf dem Lande gewonnene Gerste für den Londoner Markt — es wurde
218 Quellen und Literaturnachweise
ein Spezialmarkt für Malz in Queenhith abgehalten — in den Städten
Abingdon, Faringdon u. a. zu Malz verarbeitet wurde; Defoe 2, 113.
18° Bei Henuingham in Suffolk, A, Young, Southern Tour, 69,
namentlich aber um Farnham (Surrey), wo der einst blühende Getreide-
bau ganz dem Hopfen hatte weichen müssen; Defoe 1, 196; Young, 217.
'81 Der größte Hafermarkt für London war Croydon in Surrey;
Defoe 1, 217.
"» Teile von Essex; Young 266.
"3 Defoe 1, 209.
19* Defoe 2, 32. 181.
195 Defoe 2, 32.
198 Namentlich die waldreichen Gegenden von Berkshire und
Buckinghamshire; Defoe 2, 32. 55.
1" Defoe 1, 120.
198 Melon, Essai sur le commerce (1734). Coli, des Ec, 696.
199 J. E. Cairnes, The Slave Power (1863), 76.
-^'^ Labat, Nouv. Voyage aux isles d'Amärique. 1742.
201 AI. V. Humboldt, Nouv. Esp. 3, 179.
202 Hüne, Darstellung aller Veränderungen des Sklavenhandels. 1820.
803 Handelmann, Gesch. der Insel Hayti (1860), 28.
20* Anderson, Orig. of Comm. 4, 690.
20BA1. Moreau de Jonnes, Rech. stat. sur l'esclavage
colonial. 1842.
806 Bei E. Pariset, Hist. de la Fabrique lyonnaise (1901), 15.
80'J R. Broglio d'Ajano, Die venetianische Seidenindustrie
(1893), 2.
808 H. Sieveking, Die genuesische Seidenindustrie in Schmollers
Jahrbuch 21 (1897), 101 ff. 103.
209 E. Pariset, 1. c. p. 35.
210 Bei Godart, L'ouvrier en soie (1899), 89.
811 A. Alidosi, Instruttione delle cose notabili di Bologna
(1621), 37.
812 Joh. Joach. Becher, Närrische Weisheit (1686), 19 f. 234.
818 (Defoe), A Tour through the Island of Great Britain 3^
(1778), 104.
81* Moreau de Jonnes, Etat econ. et soc. de la France, 337.
81^ Joh. Beckmann, Beyträge zur Oekonomie etc. 1 (1779), 108 ff.
818 Aus dem National-Archiv mitget. von G. Martin, Louis XIV.
(1899), 240/41.
217 Martin, 1. c. p. 30L
818 (Mercier), Tableau de Paris 9, 312 seg.
819 Martin, 1. c. 150 seg.
220 0. Wiedfeldt, Entwicklungsgeschichte der Berliner Industrie
(1898), 322.
Quellen und Literaturnachweise 219
*2^ Vict. Böhmers, Urk. Geschichte und Statistik der Meißner
Porzellanmanufaktur von 1710 bis 1880, mit besonderer Rücksicht auf
die Betriebs-, Lohn- und Kassenverhältnisse in der Zeitschr. d. Kgl.
Sachs. Stat. Bureaus 26 (1880), 44 ff.
222 Tabl. de Paris 11 (1788), 41/42.
223 A. Doren, Die Florentiner Wollentuchindustrie (1901X 23.
224 A. Doren, a. a. 0. S. 22.
22B A. Doren, a. a. 0. S. 86 ff.'
226 Guicciardini, Opere 6, 275/76, zit. bei K. Häbler, Die wirt-
schaftliche Blüte Spaniens (1888), 47.
227 Colmenares, llist. de la insegne ciudad de Segovia, 547, zit.
bei J. M. Bonn, Spaniens Niedergang (1896), 120.
228 G. Martin, Louis XIV., 17.
229 Enc. meth. Manuf. 1, 337.
230 Die Originaldokumente sind großenteils abgedruckt bei Le-
vasseur, 2, 421 ff.
231 Porter, Progress of the Nations (3. ed. 1851), 169.
288 Compl. Engl. Tradesman 2, 290.
233 Die Hauptquelle, aus der alle späteren Bearbeiter schöpfen, ist
der Report from the Comittee of the House of Commons on the WooUen
Manufacture of England. 1806.
23* Quellen bei Ashley, Engl. W. Gesch. 2, 270.
285 1. u. 2. Phil, and Mar. c. 14 bei Cunningham, Growth 1*, 525.
236 Allgem. Schatzkammer der Kauffmannschaft etc. (1741), 1213/14.
23T A. Franklin, Les magasins de nouveautös (1894), 265.
238 The Trade of England revived (1681), 36; zit. S. u. B. Webb,
History of Trade Unionism (1894), 26.
239 Campbell, 192.
2*0 Webbs, L c. p. 26.
2*1 E m. Langlade, La marchande de mode de Marie An-
toinette. s. a.
2*2 H. Kanter, Die Schuhmacherei in Breslau, in den Schriften
des Ver. f. Soz.-Pol. (55, 26.
2« Tabl. de Paris 11 (1788), 19.
-** Campbell, 233 seg.
2" Savary, Dict. du Comm. 2, 631.
2" 0. Wiedfeldt, Berliner Ind., 364.
24T Bergius, Cam. Magaz. 3, 236.
2*8 Negociations du Comte d'Avaux 5, 267, zit. bei Chr. Weiß,
Hist. des r^fugies prot. de France 2, 131.
2*9 0. Wiedfeldt, Berl. Ind., 209.
250 E. Müntz, Les arts et la cour des papes 1, 104. 84 n. 3. Vgl.
J. Burckhardt, Geschichte der Renaissance. 3. Aufl. (1891), 19. 20.
251 Tabl. de Paris Ch. 636. 8, 166 ff.
220 Quellen und Literaturnachweise
253 Campbell, 229 seg.
«•^s Qen. descr, of all Trades, 65.
26* Compl. Engl. Tr. 2, 337.
266 Arth. Cohen, Das Schreinergewerbe in Augsburg, in den
Schriften des Ver. f. Soz.-Pol. 64, 500.
268 Eine genaue Beschreibung der Manuf. des Gobelins auf Grund
der Originalurkunden findet man bei Levasseur, 2, 242 ff.
267 Levasseur, 2, 310.
268 R. S. Clouston, English Furniture and Furniture Makers
of the XVin. Century. 1906 (geht leider auf die Organisationsprobleme
fast gar nicht ein).
269 Rieh. Hirsch, Die Möbelschreinerei in Mainz, in den Schriften
des Ver. f. Soz.-Pol. 34, 296. 312.
260 0. Wiedfeldt, a. a. 0. S. 188.
261 0. Wiedfeldt, a. a. 0. S. 390.
262 0. Wiedfeldt, a. a. 0. S. 386.
263 G. Martin, Louis XV., 144.
26* Gen. Descr., 339.
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