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Full text of "Studien zur hebräischen Archäologie und Religionsgeschichte"

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1 


STUDIEN 


ZUR 


HEBRÄISCHEN  ARCHÄOLOGIE 

UND  RELIGIOiNSGESCHICHTE 

VON  ' 

RUDOLF  KITTEL 

PROFESSOR  IN  LEIPZIG 


VIER  ABHANDLUNGEN 

MIT  41  ABBILDUNGEN 


LEIPZIG 
J.  C.  HINRICHS'scHE  BUCHHANDLUNG 
1908 


BEITEAGE 

ZUR 
WISSENSCHAFT  VOM  ALTEN  TESTAMENT 

HERAÜSGEGEBEX 

VON 

RUDOLF  KITTEL 

HEFT  1 


Druck  von  August  Pries  in  Leipzig. 


ZUE  EINFUHKUNG. 

Die  „Beiträge  zur  Wissenschaft  vom  Alten  Testament" 
sind  als  ein  Sammelpunkt  größerer  und  kleinerer  Monogra- 
phien zur  alttestamentlichen  Wissenschaft  gedacht,  den  letz- 
teren Begriff  im  weitesten  Sinne  gefaßt.  Was  also  irgend 
über  die  Literatur,  Geschichte,  Geographie,  Archäologie,  Kultur, 
Religion  und  Moral  des  Volkes  Israel  oder  des  vorchristlichen 
Judentums  in  wissenschaftlicher  Form  Aufschluß  zu  geben 
bestimmt  ist,  mag  hier  eine  Stätte  finden. 

Die  Sammlung  wird  in  der  Form  von  selbständigen  zwang- 
losen Heften  erscheinen. 

Als  zweites  Heft  der  „Beiträge"  erscheint  in  Kürze:  Eze- 
chielstudien  von  Lic.  Joh.  Herrmann. 


2069211 


MEINER  TAPFEREN  WANDERGENOSSIN 


ZUR  ERINNERUNG  AN  DEN  TAG  DER  HEIMKEHR 
DEN  VOEABEXD  UNSERER  SILBERHOCHZEIT 


VORWORT. 

In  betreff  der  Abhandlung  I  bitte  ich  meine  Leser,  vor 
allen  Dingen  das  auf  S.  12  unten  und  S.  13  oben  sowie  auf 
S.  15  unten  Gesagte  zu  berücksichtigen.  Ich  wiederhole  auch 
hier,  daß  eine  Untersuchung  wie  die  in  Abhandlung  I  vorgelegte 
eigentlich  nur  in  Jerusalem  selbst  gemacht  werden  kann.  Ich 
betrachte  daher  die  Abhandlung  in  manchen  Partien  nicht  als 
Abschluß  der  Untersuchungen  über  den  Gegenstand,  sondern 
nur  als  Grundlage  für  sie.  Immerhin  glaube  ich,  bei  aller 
Verbesserungsbedürftigkeit  mancher  meiner  Angaben  auch  hier 
dasjenige  geleistet  zu  haben,  was  man  unter  den  obwaltenden 
Umständen  von  jemand  verlangen  kann,  der  eine  solche 
Grundlage  liefern  will.  Am  liebsten  hätte  ich  den  auf  Grund 
meiner  Notizen  und  Skizzen  gefertigten  Text  einiger  Ab- 
schnitte samt  den  Zeichnungen  nach  Jerusalem  geschickt  mit 
der  Bitte  um  allseitige  Nachprüfung  —  hätte  ich  jemand  ge- 
wußt, dem  ich  die  umständliche  und  zugleich  ernste  Sachkunde 
heischende  Aufgabe  während  der  Hochsommer-  und  Herbstzeit 
hätte  zumuten  dürfen.  —  Ich  kann  nur  hoffen,  daß  bei  allen 
Mängeln  im  einzelnen,  die  dem  freundlichen  Leser  so  wenig 
wie  dem  gestrengen  Rezensenten  verborgen  bleiben  werden, 
die  Abhandlung  doch  als  ein  nützlicher,  die  weitere  Arbeit 
anregender  Beitrag  zur  Wissenschaft  vom  Heiligen  Lande  und 
seiner  Geschichte  erfunden  werde. 

In  Abhandlung  II  wird  man  ein  Thema  angeregt  finden, 
über  das  noch  so  gut  wie  nicht  gehandelt  ist.  Man  ist  über 
Gedanken  und  Andeutungen  nicht  hinausgekommen.  Die  Alter- 
tumswissenschaft hatte  im  letzten  Jahrzehnt  reichlich  zu  tun, 
das  Material  selbst  herzuschaffen.  Nun  der  Spaten  seine 
Schuldigkeit  getan  hat,  muß  aber  notwendig  die  Verarbeitung 
ihm  auf  dem  Fuße  folgen  —  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  im 
Lauf  der  Zeit  da  und  dort  durch  den  Fortgang  der  Grabungen 
selbst  eines  andern  belehrt  zu  werden.  Vor  allem  wird  man 
sich  der  hier,  soweit  ich  sehe,  zum  erstenmal  versuchten  ein- 


VIII  Kittel,  Studieu. 

gehenderen  religionsgeschichtlich-theologischen  Würdigimg  des 
Gegenstandes  nicht  auf  die  Dauer  entziehen  dürfen. 

Die  Abhandlung  III  (erstmals  gedruckt  als  Leipziger 
Universitätsprogramm  zum  31.  Okt.  1907)  bitte  ich  als  eine 
anspruchslose  kleine  Studie  hinzunehmen,  die,  wie  sie  selbst 
mehrfach  betont,  in  betreif  des  Hauptpunktes  keinerlei  Ge- 
wißheit, sondern  lediglich  eine  mit  einem  gewissen  Grade  von 
Wahrscheinlichkeit  verbundene  Vermutung  darzubieten  beab- 
sichtigt. 

Für  die  vierte  Studie  endlich  (Abh.  IV)  habe  ich  den  Tod 
der  zwei  vornehmsten  Leser,  die  ich  bei  ihrer  Abfassung  vor 
Augen  hatte,  zu  beklagen.  Seit  Jahren  glaubte  ich  Stade 
eine  Antwort  auf  die  ZAW  XXI  mir  gewidmeten  Ausführungen 
schuldig  zu  sein.  Natürlich  konnte  sie  nicht  anders  ausfallen 
als  in  Form  einer  vollkommen  neuen  und  allseitigen  Durch- 
arbeitung des  ungewöhnlich  schwierigen  und  verwickelten 
Gegenstandes.  Doch  ließ  die  mich  Jahre  lang  bis  an  die 
äußerste  Grenze  menschlicher  Leistungsfähigkeit  in  Anspruch 
nehmende  Arbeit  an  der  Biblia  Hebraica  mir  bis  vor  kurzem 
schlechterdings  keine  Möglichkeit  hiezu  offen.  Nun  die  Arbeit 
hinausgeht,  trifft  sie  den  nicht  mehr  unter  den  Lebenden, 
dessen  reiches  Wissen  und  dessen  ausgeprägte  Persönlichkeit 
auch  die  von  ihm  als  Gegner  Behandelten  nicht  anders  als 
mit  Trauer  in  unserer  Wissenschaft  missen  werden.  —  Der 
andere,  den  ich  mir  als  Leser  dachte,  ist  Furtwängler.  Ihn 
hat  ein  jähes  Geschick  fern  der  Heimat  und  mitten  aus  dem 
Dienst  an  der  Wissenschaft  am  selben  Tage  weggerafft,  an  dem 
ich  ihn  brieflich  um  freundliche  Überlassung  der  Abbildung  31 
gebeten  hatte. 

Einige  Bemerkungen  und  Nachweise,  die  ich  der  Güte 
des  Herrn  1. 1.  Kahan  danke,  sind  mit  [K.]  bezeichnet.  —  Eine 
gewisse  Unregelmäßigkeit  in  der  Umschrift  semitischer  Namen 
bitte  ich  zu  entschuldigen.  Dem  Setzer  zuliebe  habe  ich 
öfter,  nachdem  die  richtige  Form  mitgeteilt  war,  im  Verlaufe 
die  übliche  Schreibung  beibehalten.  Bei  bekannten  biblischen 
Namen  ergibt  sich  die  landläufige  Schreibung  ohnehin  vielfach 
von  selbst. 
Leipzig,  Ende  Oktober  1907.  KitteL 


INHALT. 

I.    Der   heilige  Fels   auf  dem   Moria.     Seine   Geschichte   und 

seine  Altäre. 

Seite 

1.  Der  Haram  und  die  innere  Terrasse 1 

2.  Der  Fels  selbst 12 

3.  Geschichte  des  Felsen.    Der  Islam  und  die  Kreuzfahrer      .     .  24 

4.  Fortsetzuug.    Der  Fels  von  Titus  bis  Justinian 33 

5.  Der  Fels  in  der  Urzeit 37 

6.  David 44 

7.  Salomo.  Ahas.  Ezechiel 50 

8.  Das  babylonische  Exil 07 

9.  Serubbabel 72 

10.  Die  Zeit  der  Chronik 75 

11.  Herodes  der  Große 79 

Beilage  zu  Abhandlung  I.    Die  wichtigsten  arabischen  Quellenzeug- 
nisse über  den  hl.  Fels 86 

IL  Der  primitive  Felsaltar  und  seine  Gottheit. 

1.  Gideon 97 

2.  Manoah 104 

3.  Das  Blut 108 

4.  Der  Schlachtstein 110 

5.  Die  Gottesidee  in  Kanaan 114 

6.  Die  Gestalt  des  Altars.    Der  Schalenstein.    Die  Massebe     .     .  118 

7.  Forts.    Heilige  Felsplatten  an  geschichtlich  wichtigen  Orten    .  131 

8.  Der  Brandopferaltar 146 

III.  Der  Schlangenstein  im  Kidrontal  bei  Jerusalem. 

1.  Salomo  und  Adonia 159 

2.  Der  Ort  der  Zusammenkunft 160 

3.  Der  Hiobsbrunnen 164 

4.  Brunnen  und  Quelle 169 

Kittel,  Beiträge.  B 


l  Kittel,  Studien. 

Seite 

5.  Der  Schlangenstein 171 

6.  Die  Drachenquelle 178 

7.  Der  Fels  Zahwele 180 

IV.  Die  Kesselwagen  des  salomonischen  Tempels. 

1.  Das  Kunstwerk  des  Glaukos 189 

2.  Die  Fundstücke  von  Kreta 192 

3.  Die  cyprischen  Kultusgeräte 196 

4.  Die  salomonischen  Geräte 199 

5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37 205 

a)  Die  Höhe  der  Gestühle 205 

b)  Leisten  und  Sprossen 208 

c)  Die  Ornamentik 218 

d)  Eäder.  Füße.  Schulterstücke 222 

e)  Zylinder  und  Kessel 225 

f)  Einheitlichkeit  des  Berichtes 226 

g)  Noch  einmal  die  Schlußleisten  und  die  Räder 230 

h)  Ein  Parallelbericht 231 

i)  Die  Tafeln 233 

6.  Verwendbarkeit  und  Bestimmung 236 — 242 


VERZEICHNIS  DER  ABBILDUNGEN. 


Seite 


1.  Der  Haram  von  Nordosten  nach   Schick,    Die  Stiftshütte  etc. 
]89(J,  S.  239 5 

2.  Der  hl.  Fels  von  Süden  nach  Photogr.  der  amerik.  Kolonie  in  Jerus.  13 

3.  Der  hl.  Fels  von  Norden  nach  Photogr.  des  Dr.  Schick  in  Jerus.  15 

4.  Der  hl.  Fels  u.  seine  Altäre.    Grundriß  vom  Verf. 17 

5.  Dasselbe.     Querschnitt  vom  Verf. 18 

6.  Siegelzylinder  aus  Betseän  im  Besitz  des  Verf. 43 

7.  Der  Altarentwurf  Ezechiels  vom  Verf 54 

8.  Der  Altar  der  Mischna             „        „ 81 

9.  Kiborienaltar  von  Trau  nach  Photogr 94 

10.  Altar  von  S.  Lorenzo  in  Rom  nach  Photogr 95 

11.  Der  Felsaltar  von  Sara  nach  ZDPV  1897  (X)  Taf  III.  IV   .     .  105 

12.  Derselbe  Querschnitt 107 

13.  Der  Opferstein  von  Marmita  desgl 120 


Verzeichnis  der  Abbildungen.  XI 

Seite 

14.  Der  Opferplatz  von  Marmita 122 

15.  Masseba  von  Ta'anach  nach  Sellin,  Teil  Ta'anek  1904  S.  83    .  126 
10.        V,          „     Megiddo      „      MuN  1905  S.  5 128 

17.  „          „     Gezer           „      Vinx'ent,  Canaan  S.  113    ....  129 

18.  Massebenreihe  von  Gezer  nach  Photogr.  von  Dr.  G.  Rothstein, 
Berlin-Friedenau 132 

19.  Skizze  derselben  nach  Vincent,  Canaan  S.  114 133 

20.  Felsaltar  von  Ta'^anach  nach  Sellin  a.  a.  O.  S.  34 134 

21.  Derselbe  nach  Photogr.  von  Prof.  Sellin,  Wien 135 

22.  Kultusstätte  von  Mispa    vom  Verf. 137 

23.  „              „     Gibeon     „       „         140 

24.  „              „    Megiddo  „       „         143 

25.  Stein  vom  Berg  Sijägha     „        ,,         145 

2ü.  Der  große  Altar  von  Ba^albek  nach  Photogr.  des  Verf.      .     .    .  147 

27.  Derselbe                                             „            „           „        „        .    .     .  148 

28.  Der  Altar  von  Petra  nach  Curtiss,  Ursem.  Eelig.  S.  314  .     .    .  150 

29.  Derselbe                           „            „              „            „       „    315   .     .    .  151 

30.  Der  Hiobsbrunnen                                       nach  Photogr.   des  Verf.  163 

31.  Waschende  Frauen  im  Siloateich               „            „            „        „  167 

32.  Der  Hiobsbrunnen  mit  Schlangenstein      „            „            „         ,,  172 

33.  Der  Schlangenstein                                        „            „            „        „  173 

34.  Schlangenidol  aus  Petra  nach  A.  Jekemias,    Das  Alte  Test.  etc^. 

S.  458 175 

35.  Der  Fels  Zahwele                              nach  Photogr.  des  Verf.    .     .  182 

36.  Derselbe                                                  „            „           „        „      .    .  183 

37.  Eingang  zur  Marienquelle  (Gihou)      „            „           „        „      .     .  187 

38.  Fundstücke  von  Kreta  nach  Halbherr  und  Oksi  Mus.  Ital.  II 
(1888)  Taf.  XI 194 

39.  Gerät  von  Larnaka  nach  Furtwängler,  Sitzber.  der  Müuch.  Ak. 

d.  W.  1899,  411 197 

40.  Gerät  von  Enkomi  nach  Furtwängler,  Sitzber.  der  Münch.  Ak. 

d.  W.  1899,  414 198 

41.  Relief  vom  Titusbogen  in  Rom  nach  Jeremias  a.  a.  O.  449  .     .  212 

42.  Assyrischer  Feldbaldachin  nach  Puchstetn,  Ionische  Säule  1907, 

S.  31 220 

43.  Stier  mit  Rosette  nach  ARW  VII  S.  125 221 

44.  Der  Kesselwagen  Salomos  nach  Angabe  des  Verf.  gezeichnet  von 
Elly  Schmidt,  München 237 


ABKÜRZUNGEN. 

AEW  =  Archiv  für  Religionswissenschaft. 
BHK  =  Biblia  Hebraica  ed.  Kittel. 
JRAS  =  Journal  of  Eoyal  Asiatic  Society. 
MuN  =  Mitteilungen  u.  Nachrichten  des  D.  Paläst.  Ver. 
PEF  =  Palestine  Exploration  Fund. 
PßE  ==  Realencyclopädie  für  protest.  Theol.  u.  Kirche. 
Recfueil)  =  Rec.  des  Historieus  des  Croisades. 
ZAW  =  Zeitschr.  f.  d.  Alttestam.  Wissensch. 
ZDPV  =  Zeitschr.  d.  Deutsch.  Paläst.  Vereins. 
Die  Sigla  ®9Ji5  usw.  sind  die  in  Biblia  Hebr.  ed.  Kittel  angewandten. 


BEEICHTIGUNG. 

Auf  S.  3  Z.  12  V.  unt.  lies  Ostseite  statt  Westseite. 


I.  Der  heilige  Eels  auf  dem  Moria.   Seine  Grescilichte 
und  seine  Altäre. 

Es  ist  bekannt,  daß  der  heutige  Felsendum,  Kuöbet  es- 
Sachra,  auf  dem  Haram  escJi  -  Schenf  in  Jerusalem,  sich  über 
einem  stattlichen,  heute  noch  sichtbaren  Felsen  wölbt.  Dieser 
heilige  Fels  scheint  zu  allen  Zeiten  den  höchsten  Punkt,  so- 
mit den  eigentlichen  Gipfel  des  Hügels,  auf  dem  er  steht,  ge- 
bildet zu  haben.  Heute  ragt  er  um  1 — 1  m,  an  der  höchsten 
Stelle  etwa  1,70  m,  an  der  niedrigsten  0,30  m,  über  seine  Um- 
gebung empor,  während  die  Fläche  des  Haram  im  allgemeinen 
tiefer  liegt  und  nur  gegen  das  Nordende  der  großen  Terrasse, 
die  der  Haram  bildet,  hin  sich  wieder  erhebt.  Diese  nörd- 
liche Erhebung  des  Terrains  kann  aber  hier  nicht  in  Frage 
kommen,  daher  für  uns  außer  Betracht  bleiben. 

1.    Der  Haram  und  die  innere  Terrasse. 

Es  darf  nun  angenommen  werden,  daß  in  diesem  Punkte 
sich  der  Haram  im  Laufe  der  Zeit  nicht  wesentlich  geändert 
hat.  Die  große  Plattform  mag  wohl  gelegentlich  neu  mit 
Steinplatten  belegt  worden  sein^  Ebenso  sind  natürlich  die 
Umfassungsmauern,  und  besonders  ihre  Zinnen,  des  öfteren 
ausgebessert  und  teilweise  erneuert  worden  2,  Aber  die  Fläche 
selbst  scheint  seit  den  Tagen  des  Herodes  keine  sehr  wesent- 


1)  Noch  ToBLER  liat  die  äußere  Plattform  mit  Gras  bewachsen  ge- 
sehen (1845).  Noch  früher  war  sie  zeitweilig  mit  Olivenbäumen  bestanden. 
Einzelne  Bäume  finden  sich  heute  noch;  ebenso  einzelne  Stellen  mit 
Graswuchs.  Aber  schon  um  der  vielen  Zisternen  willen,  muß  sie  schon 
in  früher  Zeit  mit  Steinfließen  belegt  gewesen  sein ;  s.  z.  B.  Joseph.  Bell. 
Jud.  V,  5,  2  (der  von  einem  kostbaren  Mosaikpflaster  weiß). 

2)  Vgl.  z.  B.  über  das  goldene  Tor  Robinson  Palästina  II,  S.  79. 
Kittel,  Beiträge.  1 


9  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

liehe  Veränderung  erfahren  zu  haben.  Nicht  einmal  die  starke 
Abstufung,  die  sich  innerhalb  des  Haram  geltend  macht,  in- 
sofern der  innere  Bezirk  des  Ganzen  um  teilweise  etwa 
20  Stufen,  also  etwa  4  m,  höher  liegt  als  das  Übrige,  wird  jungen 
Datums  sein.  Es  ist  nichts  darüber  bekannt,  daß  zugleich 
mit  der  Errichtung  des  Felsendoms  eine  innere  Terrasse  her- 
gestellt worden  sei.  Was  aber  etwa  zwischen  den  Tagen  der 
Zerstörung  des  Tempels  durch  Titus  und  der  Errichtung  des 
Felsendoms  durch  'Abd  el-Melik  mit  dem  Felsen  bezw.  seiner 
Umgebung  vorgenommen  worden  ist,  hat  jedenfalls,  das  darf 
mit  hoher  Zuversicht  angenommen  werden,  nicht  dazu  geführt, 
so  durchgreifende  Veränderungen  mit  der  Gesamtanlage  der 
Tempelarea  vorzunehmen,  wie  sie  die  Errichtung  einer  zweiten 
inneren  Terrasse  voraussetzen  würde. 

Es  käme  hier  vor  allem  in  Betracht  der  Umstand,  daß 
Kaiser  Hadrian^  an  der  Stelle  des  ehemaligen  Tempels  der 
Juden  ein  Jupiterheiligtum  und  seine  eigene  Bildsäule  er- 
richtete, die  Hieronymus  noch  gesehen  haben  will.  Auch  kann 
daran  gedacht  werden,  daß  Julian  der  Abtrünnige  etwa 
200  Jahre  nachher  die  Juden  ermuntert  haben  soll,  ihren 
alten  Tempel  wieder  aufzubauen.  Es  kann  aber  schon  um 
deswillen  zu  nicht  viel  mehr  als  den  ersten  Anfängen  eines 
solchen  Unternehmens  gekommen  sein,  weil  das  Erste,  was 
hätte  in  dieser  Richtung  getan  werden  müssen,  natürlich  die 
Beseitigung  der  dem  heiligen  Ort  durch  Hadrian  angetanen 
Schmach  hätte  sein  müssen.  Fällt  also  die  Zeit  Julians  schon 
um  der  Kürze  seiner  Regierung  willen  außer  Betracht,  so 
bliebe  nur  Hadrian  übrig-.  Aber  was  er  hier  errichtete,  war 
allem  nach  kein  besonders  stattliches,  große  Vorbereitungen 
und  eine  durchgreifende  Umgestaltung  eines  Teils  des  Harauis 
bedingendes  Bauwerk,  sondern  eine  Verehrungsstätte  des  Ju- 
piter mit  Bildsäule  und  Altar.  Ihm  lag  augenscheinlich  nur 
an  einer  heidnischen  Kultusstätte,   durch  die  das  Ende   des 


1)  S.  unten  S.  34. 

2)  Nach  Schick,  ßeit  el  Makdae  (1887),  S.  6,  wäre  die  Plattform 
ihrer  ältesten  Grundlage  nach  tatsächlich  auf  Hadrian  zurückzuführen. 
Allein  die  von  Seh.  dort  angeführten  Tatsachen  lassen  auch  eine  ganz 
andere  Erklärung  zu. 


1.  Der  Haram  und  die  innere  Terrasse.  3 

jüdischen  Kultus  an  diesem  Orte  definitiv  erklärt  war,  nicht 
an  einem  selbständigen  Prachtbau. 

Sieht  man  sich  die  Gestalt  jener  inneren  Terrasse  etwas 
näher  an  und  erwägt  man  zugleich,  daß  in  dem  heiligen  Felsen 
selbst  der  natürliche  Hügel  seinen  ursprünglichen  Gipfelpunkt 
hat,  so  kann  kaum  ein  Zweifel  darüber  aufkommen,  daß  die 
innere  Terrasse  aus  der  Tatsache  ihre  natürliche  Erklärung 
findet,  daß  hier  der  Fels  sich  in  langsamer  Steigung  zum 
Gipfel  hin  erhob  und  daß  man  zunächst  den  Platz  in  der  un- 
mittelbaren Umgebung  des  Felsen  zu  einer  Terrasse  umge- 
staltete und  sodann  erst  —  und  zwar  etwas  tiefer  —  zur 
Herstellung  der  großen  Terrasse  schritt.  Nachforschungen, 
wenn  sie  möglich  wären,  würden  wohl  ergeben,  daß  unter  der 
inneren  Terrasse,  besonders  in  der  näheren  Umgebung  des 
Felsendoms  selbst,  der  natürliche  Felsboden  um  weniges  unter 
der  heutigen  Oberfläche  weiterläuft  ^ 

So  mag  sich  auch  am  besten  die  stark  unregelmäßige 
Gestalt  des  die  innere  Terrasse  bezeichnenden  Vierecks  er- 
klären. Während  der  Haram  selbst  ein  unregelmäßiges,  im 
Norden  breiteres  Viereck  darstellt,  folgt  die  innere  Terrasse 
diesen  Spuren,  aber  so,  daß  sie  den  schiefen  Charakter  der 
Westseite  noch  überbietet.  Während  also  ihre  drei  andern 
Ränder  den  Außenwänden  des  Haram  parallel  laufen,  wird 
hier  eine  ganz  willkürliche  Abweichung  beliebt.  Das  muß 
wohl  in  den  Terrainverhältnissen  seinen  Grund  haben  -.  Hätte 
der  Erbauer  freie  Hand  gehabt,  so  hätte  er  vermutlich  ent- 
weder ein  wirkliches  Quadrat  geschaffen  oder  ein  dem  Haram 
selbst  analoges  unregelmäßiges  Viereck;  er  hätte  also  auch 
die  vierte  Seite  der  des  Haram  parallel  gestaltet.  Tat  er  das 
nicht,  so  mag  er  gebunden  gewesen  sein.  Dieser  Tatbestand 
aber  weist  seinerseits  wieder  darauf  hin,  daß  hier  die  ur- 
sprüngliche Beschaffenheit  und  Grenze  des  inneren  Vorhofes 
sich  wird  erkennen  lassen. 


1)  S.  das  Diagramm  bei  Schick  a.  a.  O.  Fig.  2. 

2)  Wie  ich  nachträglich  sehe,  bemerkt  Schick  a.  a.  O.  S.  6  in  der 
Tat,  „daß  nach  Norden  zu  der  felsige  Rücken  des  Berges  eben  viel 
breiter  ist  als  im  Süden."  Die  genauen  Maße  dieser  beiden  Seiten  der 
inneren  Terrasse  sind  nach  Schick:  Südseite  132  m,  Nordseite  160  m. 

1* 


4  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

Nun  wissen  wir  aus  Josephus  K  daß  der  innere  Vorhof, 
derjenige  der  Juden,  in  dem  der  Tempel  selbst  und  der  Altar 
sich  befanden,  durch  Stufen  vom  äußeren  Vorhofe,  dem  der 
Heiden,  d.  h.  der  übrigen  Tempelarea,  abgehoben  war.  Es 
befand  sich  also  schon  zu  des  Herodes  Zeiten  innerhalb  der 
Gesamtterrasse  eine  um  eine  Anzahl  Stufen  höhere  innere 
Terrasse'^.  Daß  durch  die  Zerstörung  des  Tempels  unter  Titus 
diese  Terrasse  erheblich  in  Mitleidenschaft  gezogen  worden 
sei,  ist  nicht  sehr  wahrscheinlich.  Es  werden  die  Stein-  bezw. 
Mosaikfliesen  vielfach  zertrümmert  oder  wenigstens  beschädigt 
worden  sein,  so  daß,  als  der  Haram  wieder  in  Gebrauch  ge- 
nommen wurde,  eine  Erneuerung  der  Fliesen  nötig  geworden 
sein  wird;  aber  die  Anlage  selbst  wird  schwerlich  vernichtet 
worden  sein.  Den  Zerstörern  lag  sicher  zunächst  nur  die 
Vernichtung  der  Gebäude  selbst  am  Herzen. 

Es  wird  also  die  Vermutung  naheliegen,  daß  wir  mit  der 
inneren  Terrasse  (s.  Abb.  1)  im  ganzen  den  inneren  Vor- 
hof des  Herodes  heute  noch  vor  uns  haben.  Aber  immer- 
hin nur  im  ganzen.  Weiter,  glaube  ich,  wird  man  nicht  gehen 
dürfen.    Es  verbietet  dies  die  folgende  Erwägung. 

Ein  Blick  auf  die  innere  Terrasse^  belehrt  uns  darüber, 
daß  sie,  wenigstens  in  der  Richtung  von  Ost  nach  West,  in 
ihrer  Anlage  durch  die  heute  auf  ihr  stehenden  Bauten  be- 
stimmt ist,   die  Kubbet  es-Sachra  und  die  Kubbet  es-Silsele. 


1)  Ant.  XV,  11,  5. 

2)  Die  oben  S.  2  angegebene  Zahl  von  etwa  20  Stufen  hat  nach 
einer  mir  vorliegenden  Photographie  die  Südtreppe.  Dem  entspricht  es 
ziemlich  genau,  wie  Joseph ls  Bell.  Jud.  V,  5,  2  von  19  (14  -\-  5)  oder 
auch  V,  5,  3  von  20  (15  +  5)  Stufen  redet.  Freilich  will  er  dann,  wie 
es  scheint,  noch  eine  Art  innerster  Terrasse  annehmen  (V,  5,  4),  zu  der 
weitere  12  Stufen  hinaufführten,  von  denen  aber  Ant.  XV,  11,  5  nichts 
weiß.  Doch  erhebt  sie  sich  erst  hinter  dem  Altar  als  Fundament  des 
eigentlichen  Tempelhauses.  —  Eine  andere  Frage  freilich  ist,  ob  Jos.  im 
Rechte  sein  kann,  wenn  er  für  die  Gesamtböhe  dieser  19 — 20  Stufen 
15  Ellen  ansetzt.  Das  würde  Stufen  von  etwa  40  cm  ergeben.  (S.  Rosen, 
Das  Haram  etc.  186(3  S.  43)  Midd.  III,  6  setzt  richtiger  für  jene  12  Stufen 
je  V2  Elle  an. 

3)  S.  den  Plan  bei  Baedeker,  Paläst. ^  bei  S.  34/35  und  bes.  die 
Tafel  bei  Schick,  die  Stiftshütte,  der  Tempel  in  Jerus.  etc.  (1896)  oder 
MoMMEBT,  Topographie  des  alt.  Jerus.  (o.  J.)  am  Schlüsse. 


Ä 


OQ 


w 


6  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

Der  Ostrand  der  innern  Terrasse  ist  vom  Ostende  der  letz- 
teren ziemlich  genau  so  weit  entfernt,  wie  ihr  Westrand  vom 
Westende  der  ersteren.  Dieser  Tatbestand  macht  ganz  und 
gar  den  Eindruck,  als  sei  die  heutige  Begrenzung  der  Ter- 
rasse wenigstens  in  der  Richtung  von  Ost  nach  West  und  in 
der  unmittelbaren  Umgebung  des  Felsen  durch  die  heutigen 
Verhältnisse,  d.  h.  die  arabischen  Bauten,  die  die  Terrasse 
heute  trägt,  bestimmt. 

In  diesem  Falle  ist  aber  die  Wahrscheinlichkeit  groß, 
daß  die  Anlage  selbst  mit  den  Bauten,  die  sie  bestimmten, 
zeitlich  zusammenfällt.  Natürlich  folgt  daraus  nicht,  daß  die 
Terrasse  von  den  Arabern  angelegt  wäre,  wohl  aber,  daß  sie 
so  weit  umgestaltet  worden  ist,  als  für  die  ihnen  erwünschte 
Symmetrie,  wenigstens  in  der  eben  beschriebenen  Hinsicht,  ge- 
boten schien.  Die  Frage  wird  nur  sein,  ob  wir  noch  erraten 
können,  in  welcher  Richtung  die  Veränderung  durch  die  Er- 
bauer des  Felsendoms  sich  bewegte.  Ich  glaube,  das  ist  mög- 
lich von  den  eben  geltend  gemachten  Gesichtspunkten  aus. 
Läßt  die  eigentümlich  schräge  Richtung  der  Ostgrenze  ver- 
muten, daß  die  Grenze  hier  den  natürlichen  Bedingungen  des 
Terrains  folgte,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit  um  so  größer, 
daß  die  Veränderung  sich  an  der  Westgrenze  vollzog.  Hier 
also  werden  die  arabischen  Baumeister  eine  Neuerung  haben 
eintreten  lassen,  sei  es  in  der  Form  der  Verkürzung,  sei  es 
in  derjenigen  der  Hinausschiebung  der  Grenze. 

Welche  der  beiden  in  Betracht  kommenden  Möglichkeiten 
der  Wirklichkeit  entspricht,  läßt  sich  ebenfalls  noch  mit  einiger 
Wahrscheinlichkeit  ermitteln,  wenigstens  wenn  wir  von  der 
Annahme  ausgehen  dürfen,  daß  der  Brandopferaltar  einst  auf 
dem  heiligen  Felsen  seinen  Platz  hatte  und  der  Tempel  selbst 
sich  in  westlicher  Richtung  an  den  Altar  anschloß.  Die  Maße 
des  salomonischen  Tempels  ergeben  im  Innern:  Vorhalle  10, 
Heiliges  40,  Allerheiligstes  20.  Umbau  5  Ellen,  zusammen 
75  Ellen '.  Dazu  kommen  an  Wänden:  Außenwand  der  Vor- 
halle, Wand  zwischen  Halle  und  Heiligem  (=  Außenwand  des 
Tempelhauses),  Hinter  wand  des  AUerheiligsten  gegen  den  Umbau, 
Außenwand   des   Umbaus  je  mindestens  3—5  Ellen  =  etwa 

1)  Vgl.  1  Kön  6. 


1.  Der  Haram  und  die  innere  Terrasse.  7 

15  Ellen,  wobei  die  Wand  zwischen  dem  Heiligen  und  Aller- 
heiligsten  nicht  gerechnet  ist.  Das  ergibt  zusammen  einen 
Raum  von  mindestens  90,  rund  wohl  etwa  100  Ellen.  Rechnet 
man  noch  einen  Raum  von  mindestens  20  Ellen  zwischen  der 
Halle  und  dem  Altar,  so  erlangen  wir  als  Minimum  immer 
schon  1*20  Ellen,  rund  60  m.  So  beim  Tempel  Salomos.  Ähn- 
lich verhält  es  sich  mit  dem  des  Herodes  i.  Er  hat  hier  die- 
selben Maße,  nur  daß  vor  der  Halle  noch  eine  Treppe  erwähnt 
wird,  für  deren  12  Stufen  vielleicht  noch  etliche  Ellen  aus- 
zusparen wären.  Die  Maße  des  Tempels  Serubbabels  kennen 
wir  nicht;  sie  dürfen  aber  als  denen  der  beiden  andern 
Tempel  entsprechend  angenommen  werden. 

Nun  beträgt  nach  den  uns  zur  Verfügung  stehenden 
Karten  —  ich  selbst  habe  keine  Messung  vorgenommen  —  die 
Entfernung  vom  Westende  des  Felsen  bis  zum  heutigen  West- 
rande der  inneren  Terrasse  nur  etwas  weniger  als  50  m.  Es  ist 
aber,  wenn  man  die  Wände  des  Tempelhauses,  den  nötigen  Raum 
zwischen  Tempel  und  Altar  —  vollends  wenn,  wie  sich  später 
als  wahrscheinlich  zeigen  wird,  der  Altar  gar  nicht  zu  allen 
Zeiten  bloß  den  Gipfel  des  Felsen  bedeckte  —  und  dazu 
eventuell  noch  einen  kleinen  freien  Raum  an  der  Hinterseite 
des  Tempelhauses  in  Betracht  zieht,  schlechterdings  nicht 
möglich,  mit  einem  Zwischenraum  von  kaum  50  m  zwischen  dem 
Westrande  des  Felsen  und  dem  Westrande  der  innern  Ter- 
rasse, d.  h.  wohl  des  innern  Vorhofs,  auszukommen.  Die  ganze 
Hypothese  von  dfem  Standort  des  Altars  auf  dem  Felsen,  so 
gut  sie  an  sich  begründet  ist,  und  damit  alle  Versuche,  von 
hier  aus  den  Tempel  zu  rekonstruieren,  müßten  an  dieser  Tat- 
sache scheitern,  falls  es  keinen  Weg  gäbe,  ihr  zu  begegnen. 
Denn  wir  brauchen,  wie  gezeigt,  mindestens  60,  und,  falls 
noch  ein  Stück  des  innern  Vorhofs  im  Rücken  des  Tempels 
anzunehmen  ist,  wofür  manches  spricht,  mindestens  60—70  m. 

Der  Ausweg  bietet  sich  aufs  einfachste  durch  die  An- 
nahme, daß  der  innere  Vorhof,  jedenfalls  die  innere  Terrasse, 
ehedem,  zu  des  Herodes  und  wohl  des  Salomo  Zeit,  sich  weiter 

1)  Vgi.  Jos.  Ant.  XV,  11,  3  (der  Text  scheint  verderbt,  aber  die 
100  Ellen  Länge  stehen  fest) ;  Bell.  Jud.  V,  5,  4  u.  Spiess,  Das  Jerusalem 
des  Josephus  und:  Der  Tempel  in  Jerus.  etc.  1881.  (S.  darüber  S.  12 
Anm.  1). 


g  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

nach  Westen  erstreckte,  also  näher  an  die  Westmauer  des 
Haraui  (als  des  äußern  Vorhofs)  herantrat.  Die  Araber  haben 
sie  hier  der  Symmetrie  halber  —  die  beiden  Kubbetbauten 
als  Einheit  zusammennehmend  —  verschoben.  Auch  hier  kann 
ein  Blick  auf  den  Plan  uns  den  Weg  weisen.  Der  Fels  ist 
heute  keineswegs  in  der  Mitte  der  Terrasse.  Einmal  wird  er 
es  gewesen  sein,  mindestens  in  der  Richtung  von  West  nach 
Ost.  Es  darf  als  willkommene  Bestätigung  unsrer  Angaben 
gelten,  daß  sich,  wenn  man  den  Fels  als  Mitte  denkt,  im 
Westen  genau  etwa  der  Punkt  als  Grenze  des  Vorhofs  ergibt, 
den  wir  oben  fordern  mußten. 

Auf  welche  Weise  in  dieser  Richtung  der  Raum  ge- 
wonnen wurde,  läßt  sich  ohne  eine  Untersuchung  des  Unter- 
grundes der  inneren  Terrasse  natürlich  nicht  sagen.  Es  wäre 
aber  wohl  möglich,  daß  die  Araber  den  natürlichen  Felsen, 
falls  er  auch  hier  ehedem  die  Grenze  bezeichnete,  abschlugen, 
um  die  Grenze  einrücken  zu  können.  Ein  religiöses  Vorurteil 
wie  beim  „Felsen"  xar  s^oxrjv  hat  sie  schwerlich  daran  ge- 
hindert K 

Man  wird  nach  alledem  immerhin  die  Vermutung  für  ge- 
rechtfertigt erklären  dürfen,  daß  die  Gestalt  der  Oberfläche 
des  Haram,  so  wie  wir  sie  lieute  sehen,  zwar  in  allen  Haupt- 
punkten derjenigen  der  Zeit  des  Herodes  entsprechen  werde, 
daß  aber  in  betreff  der  inneren  Terrasse,  wenigstens  was  ihre 
Ausdehnung  nach  Westen  anlangt,  durch  die  Araber  noch  ge- 
wisse Veränderungen  vorgenommen  worden  sind. 

Von  Herodes  nun  wissen  wir,  daß  er  seinerseits  große 
Veränderungen  mit  dem  Tempelplatze,  den  er  vorfand,  vor- 
nahm, insofern  er  an  Stelle  des  nachexilischen,  durch  Serub- 
babel  errichteten  Tempels  einen  neuen,  viel  stattlicheren  Tempel 


1)  Der  beste  Kenner  des  Haram,  Dr.  Schick,  der  sich  rühmen 
konnte,  ihn  wohl  hundertmal  besucht  zu  haben  (Beit.  etc.  S,  3) ,  spricht 
S.  6  ebenfalls  davon,  daß  die  (innere)  Plattform  die  Merkmale  ver- 
schiedener Zeiten  an  sich  trage,  und  er  berichtet  weiter,  daß  man  an  der 
Nord-  und  Ostseite  an  drei  Stellen  für  ganz  kurze  Zeit  einen  „senkrecht 
niedergehauenen  Felsen"  wahrnehme;  ebenso  nahe  der  nordwestlichen 
Treppe.  —  Von  besonderem  Interesse  war  mir,  nachdem  der  obenstehende 
Text  längst  niedergeschrieben  war,  bei  Seh.  zu  sehen  (ebenda),  daß  auch 
er  die  Westmauer  für  verhältnismäßig  jünger  ansieht. 


1.  Der  Haram  und  die  innere  Terrasse.  9 

auf  dem  Platze  des  früheren  errichtete.  Aber  auch  seine  Ar- 
beiten, so  umfangreich  sie  gewesen  sein  mögen,  beschränken 
sich  doch,  soviel  wir  sehen  können,  in  der  Hauptsache  auf  die 
Erweiterung  des  Tempelplatzes.  Da  sein  Tempel  mit  den  zu 
ihm  gehörigen  Hallen  und  Anlagen  aller  Art  einen  wesentlich 
größeren  Raum  einzunehmen  bestimmt  war  als  seine  Vor- 
gänger, so  mußte  natürlich  zuerst  für  die  hiezu  nötige  Er- 
weiterung der  alten  Tempelterrasse  gesorgt  werdend 

Allerdings  wird  es  dabei  ganz  ohne  Umgestaltung  der 
vorhandenen  Terrasse  nicht  hergegangen  sein.  Wir  wissen, 
daß  Herodes  das  System  der  Vorhöfe,  das  vorher  schon  vor- 
handen war,  erweiterte-.  Es  gab  unter  Salomo  einen  äußern 
und  einen  inneren  Vorhof  beim  Tempel,  abgesehen  von  dem 
Hof  um  den  königlichen  Palast.  Ebenso  hatte  der  Tempel 
Serubbabels  einen  äußern  und  einen  Innern  Vorhof,  und  im 
Laufe  der  Zeit  wird  in  ihm  der  Raum  um  den  Altar  für  die 
Priester  umfriedet.  Der  Tempel  des  Herodes  hingegen  kennt 
neben  dem  äußern  Vorhof  noch  eine  ganze  Reihe  innerer  Vor- 
höfe',  den  der  Frauen,  den  der  Männer  (Laien)  und  den  der 
Priester  unmittelbar  am  Altar  und  dem  Tempelgebäiide.  Das 
letztere  selbst  steht  um  12  Stufen  über  dem  Erdboden.  Ebenso 
führen  zum  inneren  Vorhof  Stufen. 

Daraus  läßt  sich  mit  ziemlicher  Sicherheit  entnehmen,  daß 
Herodes  den  inneren  Vorhof  und  damit  die  innere  Terrasse 
nicht  so  beibehielt,  wie  er  sie  vorfand,  sondern  daß  er,  ent- 
sprechend der  ganz  erheblichen  Ausdehnung  der  gesamten 
Plattform,  die  er  vornahm,  auch  die  innere  Terrasse  ver- 
größerte. Hatte  die  Terrasse  in  der  Ausdehnung,  in  der  sie 
Salomo  herstellte  und  wie  sie  vermutlich  Serubbabel  einfach 
übernahm  bezw.  wiederherstellte,  ausreichenden  Raum  für  die 
Zwecke  des  älteren  Kultus  geboten,  so  ist  an  sich  nicht  wahr- 
scheinlich, daß  die  neue  Form  des  Gottesdienstes,  die  eine 
stärkere  Gliederung  der  einzelnen  Teilnehmer  nach  Gruppen 
(Frauen,  Männer,  Priester)  zur  Voraussetzung  hatte,  mit  dem- 
selben Räume   auskommen  konnte.    Die   Gliederung  brachte 


1)  Jos.  Ant.  XV,  11,  1.  3.    Bell.  Jud.  V,  5,  1  flF. 

2)  Vgl,    mein.  Art.   „Tempel   von  Jerusalem"    in   PRE^.    Dort  die 
Literatur. 

3)  Jos.  Ant.  XV,  11,  5.    Bell.  Jud.  V,  f),  2.  c.  Ap.  II,  S. 


iO  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

mit  sich,  daß  der  eine  innere  Vorhof  durch  drei  Einzelhöfe 
ersetzt  wurde.  Selbst  wenn  die  Zahl  der  Teilnehmer  am 
Kultus  dieselbe  war  wie  ehedem,  erheischte  diese  Gliederung 
größeren  Raum. 

Es  ist  aber  gar  nicht  wahrscheinlich,  daß  die  Zahl  die- 
selbe war.  In  der  Zeit  des  Herodes  hatte  die  jüdische  Dias- 
pora sich  allmählich  zu  einer  stattlichen  Bedeutung  aufge- 
schwungen und  sie  bevölkerte,  wie  wir  wissen,  die  Stadt  um 
die  Zeit  der  großen  Feste  außerordentlich  stark.  Dadurch 
wird  vor  allen  Dingen  der  Tempelkultus  betroffen,  und  wir 
werden  kaum  fehlgehen,  wenn  wir  annehmen,  daß  die  Zahl 
der  Festteilnehmer  wenigstens  an  den  großen  Festen  im  Tempel 
von  Jerusalem  in  der  Zeit  des  Herodes  erheblich  größer  war 
als  in  der  des  Salomo  und  der  judäischen  Könige.  Es  darf 
dabei  nicht  übersehen  werden,  daß  unter  Salomo  selbst  der 
Zuzug  der  Festgäste  von  außen  erst  seinen  Anfang  nahm  und 
mit  dem  Wettbewerb  der  altern  Heiligtümer  zu  kämpfen  ge- 
habt haben  wird,  daß  aber  nach  seinem  Tode  die  Trennung 
der  Reiche  und  damit  jener  fremde  Wettbewerb  erst  recht 
den  Zuzug  zum  Tempel  beeinträchtigte,  während  von  einer 
Diaspora  noch  keine  Rede  sein  konnte. 

Somit,  wie  wir  auch  die  Sache  ansehen  mögen,  es  bleibt 
die  Wahrscheinlichkeit,  daß  Herodes  seiner  Anlage  des  Tempels 
gemäß  sich  genötigt  sah,  die  innere  Plattform  zu  vergi-ößern. 
In  welcher  Richtung  er  es  getan  hat,  wissen  wir  nicht,  aber 
vielleicht  kann  uns  auch  hier  ein  Blick  auf  die  Abb.  1  zu 
einiger  Klarheit  verhelfen.  Die  starke  Ausdehnung  der  inne- 
ren Terrasse  nach  Norden  fällt  auf.  Daß  sie  vom  Felsendom, 
den  man  als  den  idealen  Mittelpunkt  ansehen  möchte,  viel 
weiter  nach  Norden  geht  als  nach  Süden,  ist  in  der  heutigen 
Anlage  durch  nichts  motiviert.  Es  findet  aber,  soviel  wir 
sehen,  auch  in  der  Anlage  des  inneren  Vorhofs  Salomos  keine 
rechte  Erklärung.  So  wird  man  von  selbst  darauf  geführt, 
zu  fragen,  ob  etwa  die  Deutung  für  dieses  Rätsel  bei  Herodes 
zu  suchen  sei.  In  der  Tat  scheint  es  so.  Es  wäre  wohl 
möglich,  daß  ehedem  die  Terrasse  ihre  Nordgrenze  weiter 
gegen  Süden  besaß  und  erst  Herodes  die  heutige  Nordgrenze 
schuf.    Dann  hätte  er  also  nach  Norden  hin  Raum  geschaffen. 

Diese  Annahme  findet  ihre  Stütze  in  der  Nachricht  des 


1.  Der  Haram  und  die  innere  Terrasse.  IX 

Josephus ',  Herodes  habe  die  äußere  Plattform,  also  den  heutigen 
Haram  so  hergestellt,  daß  sie  den  doppelten  Eaum  der  alten 
salomonischen  —  etwa  durch  die  Könige  Judas  etwas  erweiterten 
—  Plattform  einnahm.  Nun  ist  es  zweifellos,  daß  Herodes  im 
Süden  mit  seiner  Erweiterung  einsetzte.  Man  wird  etwa 
eine  Linie,  die  in  der  Mitte  zwischen  dem  Brunnen  el-Käs 
und  der  Aksamoschee  von  Ost  nach  West  läuft,  als  die 
Grenze  ansehen  dürfen.  Vielleicht  dürfen  wir  die  alte  Süd- 
grenze auch  bis  zum  Nordende  der  Aksamoschee  ausdehnen. 
Das  übrige  wird  Herodes  im  Norden  zugelegt  haben.  Nun 
hat  schon  Baron  von  Alten  -  im  Jahre  1878  in  der  Linie  der 
heutigen  Nordgrenze  der  inneren  Terrasse  die  Stelle  der  alten 
Nordmauer  des  Haram  vermutet.  Die  Annahme  hat  manches 
für  sich.  Es  ist  durchaus  möglich,  daß  hier  einmal  die  Ter- 
rasse Saloinos  und  somit  sein  äußerer  Vorhof  endete.  Salomos 
innerer  Hof  müßte  dann  natürlich  ziemlich  weiter  südlich 
seine  Nordgrenze  gehabt  haben.  Die  Grenze  mag  nach  Nor- 
den wie  nach  Süden  gleich  weit  vom  Felsen  entfernt  gewesen 
sein.  Erst  Herodes,  indem  er  die  Nordgrenze  des  ganzen 
Bezirkes  verschob,  schob  auch,  seinem  Bedürfnis  nach  einem 
größeren  Innenbezirk  entsprechend,  die  Nordgrenze  der  inneren 
Terrasse  vor. 

Dem  scheint  nun  freilich  im  Wege  zu  stehen,  daß  nach 
Schick  •'  an  der  Nordseite  der  Fels  „auf  eine  kurze  Strecke 
niedergehauen"  ist.  also  sichtbar  wird.  Aber  da  es  sich  nur 
um  eine  kurze  Strecke  handelt,  so  kann  das  Erscheinen  des 
natürlichen  Felsen  dort  auch  andere  Gründe  haben.  Es  kann 
sich  sehr  wohl  nur  um  ein  kleines,  über  die  übrige  Oberfläche 
emporragendes  Stück  Fels  handeln,  das  ehedem  unbeseitigt 
(als  eine  Art  Felsblock)  im  Hofe  stehen  geblieben  war  und 
nun  in  die  Mauer  der  Plattform  einbezogen  wurde.  Auch 
fehlt  noch  jede  genauere  Untersuchung  der  Stelle^. 


1)  Bell.  Jud.  I,  21,  1. 

2}  ZDPV  I  (1878)  S.  60  ff".    (Vgl.  d.  Karte  bei  S.  100). 

S)  S.  oben  S.  8. 

4)  S.  Schick  Beit  el-Makdas  S.  32. 


12  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

2.    Der  Fels  selbst. 

Ist  es  uns  somit  gelungen,  die  Lage  des  inneren  Vorhofs 
im  salomonischen  (und  wohl  dem  serubbabelschen)  sowie  im 
herodianisehen  Tempel  zu  ermitteln,  so  wird  sich  nun  —  man 
sollte  diese  Frage  besonders  stellen,  ehe  man  nach  der  ge- 
naueren Lage  des  Tempelgebäudes  fragt  ^  —  zuerst  die  Frage 
erheben,  ob  wir  imstande  sein  werden,  über  die  Lage  des 
Brandopferaltars  und  sein  Verhältnis  zum  heiligen  Felsen 
etwas  genaueres  zu  ermitteln.  Auch  hier  sind  wir  vielfach 
stark  auf  Vermutungen  angewiesen;  immerhin  mag  es  der 
Mühe  wert  sein,  ihnen  nachzugehen.  Lassen  sich  keine  Ge- 
wißheiten gewinnen,  so  gelingt  es  uns  vielleicht  wenigstens, 
zu  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  zu  gelangen. 

Was  wissen  wir  über  die  Beschaffenheit  und  die 
Geschichte  des  heiligen  Felsen? 

Schon  die  erste  Frage  ist  nicht  müßig.  Soweit  ich  sehe, 
liat  man  es  so  gut  wie  aufgegeben,  sich  mit  diesem  Denkmal 
ft'ühester  israelitischer  und  kanaanitischer  Vergangenheit  zu 
beschäftigen  -,  wohl  in  der  Voraussetzung,  daß  die  mancherlei 
Schicksale,  die  der  Fels  erlitten  hat,  es  als  aussichtslos  er- 
scheinen lassen,  über  seine  Geschichte  und  vor  allem  seine 
Stelle  im  Kultus  des  alten  Israel  heute  noch  zur  Klarheit 
zu  gelangen.  Es  ist  möglich,  daß  dieser  Verzicht  berechtigt 
ist.  Doch  soll  wenigstens  der  Versuch  gemacht  werden  über 
ihn  hinüberzukonimen.  Vielleicht  gibt  die  vorliegende  Studie, 
auch  wo  sie  irrt  und  mit  unzureichenden  Mitteln  arbeitet,  eine 
neue  Anregung  zum  genaueren  Studium  des  interessanten 
(Tegenstandes.  Ich  bin  mir  bewußt,  daß  eine  Untersuchung 
wie  die  hier  geführte  eigentlich  mit  sicherem  Erfolge  nur  an 
Ort  und  Stelle  unternommen  werden  kann.  Es  würde  mich 
freuen,  wenn  meine  Angaben  von  solchen,  die  in  der  glück- 

1)  Darin  geht  Stades  Rekonstruktion  in  seiner  Geschichte  d.  V. 
Israel  irre;  sie  löst  sich  damit  von  den  natürlichen  Bedingungen  los. 
Ähnliches  gilt  von  derjenigen  von  Spiess  a.  a.  O.,  der  die  heutige  innere 
Terrasse  vollkommen  ignoriert,  ohne  sagen  zu  können,  woher  sie  kommt. 

2)  Nur  Schick  und  Mommert  machen  hier  eine  Ausnahme.  Ersterem 
verdanken  wir  für  die  Topographie  das  Beste.  Leider  fehlt  beiden  der 
historische  Blick.    Vgl.  noch  Pierotti,  Jerus.  explored  (1864),  87  ff. 


2.  Der  Fels  selbst. 


13 


liehen  Lage  dazu  sind,  weiter  geführt  und,  wo  sie  irren,  be- 
richtigt würden.  Meine  Absicht  ist  mehr,  eine  Anregung  zu 
geben  als  abschließende  Ergebnisse  vorzulegen. 


*"  ^.  Der  heilige  Fels  ist,  von  Norden  nach  Süden  gemessen, 
an  der  längsten  Stelle  etwas  über  17  Meter  lang  und  von 
Ost  nach  West   an  der  breitesten  Stelle  12  —  13  Meter  breit. 


14  Kittel,  Studien.     I.  Der  heilige  Fels. 

Er  ragt,  wie  schon  oben  angegeben,  an  der  höchsten  Stelle  etwas 
über  1 V2  Meter  über  den  Fußboden  des  heutigen  Felsendomes 
empor.  Er  ist  von  einem  beinahe  mannshohen  hölzernen  Ge- 
länder umgeben,  durch  das  der  Zutritt  zu  ihm  abgeschnitten 
ist.  Eine  Besichtigung  aus  unmittelbarer  Nähe  ist  schlecht- 
hin ausgeschlossen.  Er  kann  nur  durch  Hinübersehen  über 
die  Schranken  oder  durch  Durchblicken  zwischen  ihren  ein- 
zelnen Stangen  oder  Leisten  in  Augenschein  genommen  werden. 
Aber  schon  der  Versuch,  sich  mit  dem  Gesicht  etwas  über  den 
oberen  Rand  der  Schranke  hinüberzubeugen,  wird  leicht  von 
den  argwöhnischen  muslimischen  Moscheedienern  übel  vermerkt, 
geschweige  daß  jemand  es  unternehmen  könnte,  ihn  zu  be- 
treten und  einzelne  Stellen  genauer  zu  besichtigend  Den 
besten  Überblick  gewinnt  man  von  den  etwas  erhabenen 
Bodenfliesen  des  in  einiger  Entfernung  von  der  Schranke 
um  den  Fels  laufenden  Säulenumganges;  oder  auch  von  der 
Holzleiter  aus,  mit  deren  Hilfe  die  zahlreichen  Öllampen  in 
der  Höhe  bedient  werden  —  ein  etwas  schmieriger,  aber 
empfehlenswerter  Standort. 

Bei  der  Schwierigkeit  der  Untersuchung  erklärt  es  sich, 
daß  schon  die  Angaben  über  seine  Größe  immer  noch  schwan- 
ken. GuTHE  in  seinem  mit  Ebees  herausgegebenen  Pracht- 
werke ^  gibt  17,6  X  12,8  m  an,  während  Bädekers  Palästina 
17,7x13,5  m  notiert  3.  Hierüber  eine  Gewißheit  zu  gewinnen, 
hätte  wohl  relativ  die  geringste  Schwierigkeit,  weil  sich  hier 
allenfalls  eine  Messung  ermöglichen  ließe.  Aber  die  meisten 
weiteren  Angaben  müssen  sich  entweder  auf  die  wenigen  bis 
jetzt  in  die  Öffentlichkeit  gedrungenen  Abbildungen  oder  auf 
aus  größerer  oder  geringerer  Entfernung  gewonnene  Ein- 
drücke, Messungen  mit  dem  Augenmaß  u.  dgl.  stützen. 

An  photographischen  Nachbildungen  sind  mir  bekannt 
geworden  die  mehrfach  im  Handel  befindliche  Aufnahme  von 
der  Südseite  (Abb.  2),  sowie  durch  die  Güte  meines  Kollegen 


1)  Vgl.  die  interessanten  Mitteilungen  von  Schick  a.  a.  0.  S.  9. 

2)  Palästina  in  Bild  und  Wort  (0.  J.). 

3)  Auffallenderweise  gibt  der  sonst  in  diesen  Dingen  so  exakte 
Baurat  Schick  a.  a.  O.  S.  7  (=  Stiftsh.  242)  nur  ungefähr  lö  m  Länge  und 
1'2  m  Breite  an,  was  augenscheinlich  zu  wenig  ist.  Als  Höhe  gibt  er 
],2.ö— 2  m  an. 


2.  Der  Fels  selbst. 


15 


H.  GuTHE  eine  vor  Jahren  von  dem  schon  mehrfach  genannten, 
1902  in  Jerusalem  verstorbenen  Baurat  Dr.  Schick  gemachte 
Aufnahme  von  der  Nordseite  (Abb.  3).  Ihr  entspricht  ein, 
jedoch  wegen  seiner  zu  schematischen  Art  minder  zuverlässiges 
Bild  in  Holzschnitt  in  den  Quarterly  Statements  des  eng- 
lischen Palestine  Exploration  Fund  von  1887,  S.  74/75.  Außer- 
dem habe  ich  mir  selbst  an  Ort  und  Stelle  während  eines 
zweimaligen  1—2  stündigen  Aufenthalts  im  Felsendom  etliche, 


Abb. 


Der  heilige  Fels  von  Norden  gesehen. 


jedoch  unvollkommene  Bleistiftskizzen  gemacht,  die  mir  als  An- 
haltspunkt für  das  Gedächtnis  dienen  sollten.  Einen  Grund- 
riß des  Felsen  findet  man  in  Quart.  Statem.  a.  a.  0.  und, 
ziemlich  verschieden  hievon  in  de  Yggüe,  Le  Temple  de  Jerusa- 
lem (^1S64).  PI.  XVIII.  In  Anlehnung  an  sie  und  meine  eigenen 
Beobachtungen  und  Skizzen  ist  Abb.  4  entstanden.  Auch  diese 
Zeichnung  wird  mehrfach  der  Berichtigung  offen  stehen.  Es 
kann  mich  nur  freuen,  wenn  sie  bald  zu  Verbesserungen  An- 
laß gibt '.    Immerhin  hoffe  ich,  sie  werde  für  den  Zweck,  den 

1)  Es  ist  bei  den  besonderen  Schwierigkeiten,  welche  das  Studium 
des  Felsen  an   Ort  und  Stelle  gewährt,    nicht  wohl   möglich,    ans  ein- 


16  Kittel,  Studien.     I.  Der  heilige  Fels. 

ich  hier  verfolge,  dienlich  erfunden  werden.  Im  Unterschied 
von  Abb.  4  und  zu  ihrer  Ergänzung  gibt  Abb.  5  ein  Profil 
des  Felsen,  von  der  Nordseite  gesehen.  Es  ist  von  mir 
skizziert,  um  einen  Eindruck  von  der  Höhe  und  dem  An- 
steigen und  Abfallen  des  Felsen  zu  gewinnen.  Es  ist  mög- 
lich, daß  es  zu  schematisch  ausgefallen  ist,  immerhin  wird  es 
eine  Anschauung  geben.  Es  mag  etwa  einem  Querschnitt  beim 
Punkte  W  von  Abb.  4  oder  wenig  nördlich  von  ihm  ent- 
sprechen, demnach  ist  die  Länge  schätzungsweise  auf  11  in 
angesetzt.  Die  punktierten  Linien  innerhalb  des  Querschnitts 
bezeichnen  den  Lauf  des  Ganges  und  den  östlichen  Aufstieg. 
Übersieht  man  nun  den  Fels  von  irgend  einem  etwas 
erhabenen  Standorte  aus,  so  fällt  sofort  eine  überaus  wichtige 
Tatsache  dem  Beschauer  ins  Auge,  und  zwar  mit  unverkenn- 
barer Deutlichkeit,  die  nämlich,  daß  hier  in  der  Hauptsache 
der  reine  und  vollkommen  unverfälschte,  auf  weite  Strecken 
entweder  von  Menschenhand  unberührte  oder  jedenfalls  von 
ihr  nicht  beeinflußte  Naturfels  vor  uns  liegt.  Die  mächtig 
große  von  Süd  nach  Nord  vor  uns  sich  ausdehnende  Ober- 
fläche des  Felsen  trägt  ganz  und  gar  das  Gepräge  der  zahl- 
losen palästinischen  Kalkfelsen  an  sich:  rissig  und  schrundig 
durch  starke  Verwitterung  oder  natürliche  Unebenheit,  voll 
kräftiger  Einschnitte  und  Zerklüftung  trägt  dieser  Fels  durch- 
aus den  Charakter  des  Naturfelsen  wie  er  immer  war,  seit 
eines  Menschen  Fuß  ihn  erstmals  betreten  hat.  Das  ist. 
etliche  gleich  zu  erwähnende  Ausnahmen  abgerechnet,  der 
Gesamteindruck;  und  er  gibt  uns  die  zweifellose  Gewißheit, 
daß,  wenn  auch  der  Fels  zu  Zeiten  durch  Menschenhand 
überbaut  oder  durch  Schutt  total  verdeckt  gewesen  sein  mag, 
er  doch  in  der  Hauptsache  immer  das  geblieben  ist,  was  er 
von  jeher  war,  und  daß  wir  also  das  alte  historische  Doku- 
ment vorhebräischen  und  hebräischen  Opferdienstes  im  ganzen 


zelnen  Notizen  und  Skizzen  eine  fehlerfreie  Abbildung  herzustellen. 
Eine  solche  kann  aber  wenigstens  annähernd  erreicht  werden,  wenn  be- 
reits eine  Abbildung  wie  die  hier  gebotene  vorliegt  und  von  sachkundiger 
Hand  nun  am  Orte  selbst  die  dort  wahrgenommenen  Abweichungen  ia 
sie  eingezeichnet  werden.  Vielleicht  bietet  die  vorliegende  Studie  einem 
Mitgliede  eines  der  in  Jerusalem  vorhandenen  archäologischen  Institute 
Anlaß  zur  Beschäftigung  mit  dem  Gegenstande. 


2.  Der  Fels  selbst. 


17 


unverändert  noch  heute  vor  uns  sehen.  Damit  ist  wenigstens 
eine  wichtige  Grundlage  wissenschaftlicher  Untersuchung  über 
ihn  gegeben.    Nur  an  wenigen  Stellen  ist  die  ursprüngliche  Na- 


u 


Nord 


T 


f2i  Meter 


Abb.  4.    Der  heilige  Fels  und  seine  Altäre.     Grundriß. 


turbeschaffenheit  des  Steines  durch  Menschenhand  beeinflußt 
worden.  Es  wird  unsere  Sache  sein  zu  fragen,  woher  die 
Veränderungen  stammen  mögen  und  ob  sie  eingreifend  genug 

Kittel ,  Beiträge.  2 


18 


Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 


sind,  um  uns  die  weitere  Untersuchung  als  aussichtslos  zu 
verbieten. 

Als  sichere  oder  wahrscheinliche  Eingriffe  von  Menschen- 
hand sind  die  folgenden  zu  nennen. 

1.  Am  leichtesten  zu  erklären  sind  wohl  eine  Anzahl 
kleinerer  Vertiefungen,  die  sich  am  Ostrande  des  Felsen, 
besonders,  soweit  ich  beobachten  konnte,  gegen  Süden  des- 
selben hin,  finden.  Sie  machen  durchaus  den  Eindruck  künst- 
lich eingegrabener  Vertiefungen  und  finden  meist  ihre  einfache 
Erklärung  darin,  daß  die  Schranke,  die  den  Fels  umgibt,  um 


E^ 


^F 


l^ugemauertes 

^0<^b  lOMeter 


M' 


Abb.  5.    Der  heilige  Fels  und  seine  Altäre.     Querschnitt. 


ihn  vor  der  Berührung  zu  schützen,  einmal  etwas  weiter  vor- 
geschoben war.  Die  Löcher  sehen  ganz  so  aus,  als  hätten 
sie  ehemals  dazu  gedient,  senkrechte  Pfosten,  sei  es  des  G-e- 
länders,  sei  es  einer  anderen  Vorrichtung,  aufzunehmen  '.  Ob 
sich  außer  der  genannten  Stelle  weitere  Löcher  dieser  Art 
finden,  lasse  ich  dahingestellt;  ich  habe  solche  nicht  wahr- 
genommen, halte  aber  die  Möglichkeit  einer  größeren  Anzahl 
offen  2,  Auch  bemerke  ich  ausdrücklich,  daß  die  in  Abb.  4 
eingezeichneten  Löcher  nur  den  Typus  einigermaßen  deutlich 


1)  Eine  Vermutung  s.  bei  Schick  Beit  usw.  S.  10. 

2)  Auch  Schick,  S.  1.ö6  redet  nur  von   solchen  am  Ostrande. 


2.  Der  Fels  selbst.  I9 

wiederzugeben  beanspruchen,  hingegen  nach  Zahl  und  Lage 
vielleicht  nicht  ganz  exakt  angegeben  sind. 

2.  Weit  schwieriger  ist  hingegen  die  Erklärung  einiger 
anderer  kleinerer  Vertiefungen.  An  der  Westseite  findet  sich 
eine  Anzahl  runder  Löcher,  etwa  5  cm  groß  und  ebenso  tief, 
die  die  Fingereindrücke  ^  des  Engels  Gabriel  heißen  nach  der 
Sage,  daß  der  Fels  Muhammed  in  den  Himmel  nachfolgen 
wollte,  der  Engel  aber  ihn  hier  kräftig  festhielt.  Sie  stehen 
in  hohem  Ansehen.  Ahnlicher  Art  ist  eine  Reihe  kleiner  Ver- 
tiefungen an  der  Südwestecke,  die  als  Fußtapfe  des  Profeten 
Muhammed  erklärt  werden  2. 

Schon  diese  Deutungen  zeigen,  daß  die  Löcher  beim  Über- 
gang des  Felsen  an  die  Muselmanen  schon  vorgefunden  wurden. 
Es  sind  Versuche,  sie  auf  Muhammed  zu  beziehen.  Ob  sie 
künstlich  sind  oder  eine  natürliche  Ursache  haben,  läßt  sich 
nicht  ohne  weiteres  entscheiden.  Immerhin  ist  das  erstere 
näherliegend,  und  wir  werden  sie  schon  hier  in  Zusammen- 
hang mit  den  mancherlei  Schalen  und  Rinnen  an  anderen 
Opfersteinen  bringen  dürfen. 

3.  In  der  Nähe  der  unter  1.  genannten  Vertiefungen,  also 
unweit  dem  Südostende  des  Felsen,  ist  längst  ein  großes, 
rundliches  Loch  wahrgenommen  worden  (bei  E  in  Abb.  4).  Es  ist 
auf  Abb.  2  deutlich  sichtbar.  Es  geht  durch  den  Fels  durch 
und  stellt  so  die  Verbindung  her  mit  einer  an  dieser  Stelle 
unter  dem  Felsen  liegenden  bezw.  in  ihn  eingehauenen  Höhle  -l 
Ob  die  letztere  künstlich  hergestellt  ist  oder  eine  natürliche 
Grotte  darstellt,  ist,  soweit  mir  bekannt,  noch  nicht  genauer 


1)  So  Schick  S.  9  unten,  der  von  einer  Mehrzahl  von  Löchern  redet. 
Ich  habe  nur  eines  in  Erinnerung  und  lasse  die  Frage  offen.  Hingegen 
nennt  Sch.  in  der  Ecke  nur  eine  Vertiefung. 

2)  Verschiedene  Überlieferungen  s.  bei  Tobler  Topogr.  v.  Jer.  I. 
S.  531  f.     Vgl.  ferner  unten  in  der  Beilage  S.  86  ff. 

3)  Wie  alt  dies  Loch  ist,  zeigt  der  Pilger  von  Bordeaux  333  (lapis 
pertusus);  s.  unten  S.  34.  Ich  kann  der  Meinung  von  Eckardt  in 
ZDPV  XXIX  (1906  s  S.  79  nicht  beipflichten,  daß  damit  die  „unterirdischen 
Durchlöcherungen"  des  Felsen  gemeint  seien.  Was  heißt  das?  Doch 
wohl  die  Höhle  und  etwa  der  Gang  von  ihr  in  die  Tiefe.  Viel  näher 
liegt  es,  an  die  überirdisch  zu  Tage  tretende  Durchlöcherung  zudenken; 
und  daß  der  Pilger  solche  Löcher  auch  bei  Zisternen  sehen  konnte,  be- 
weist hiegegen  nicht,  denn  der  Fels  war  eben  keine  Zisterne. 

2* 


20  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

untersucht.  Aber  auch  wenn  sie  jetzt  vielfach  die  Spuren 
menschlicher  Hand  zeigt,  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  daß  sie 
ihr  Dasein  und  nicht  etwa  bloß  gewisse  Erweiterungen  ihr 
verdanke.  Denn  am  Erdboden  klingt,  wie  ebenfalls  oft  schon 
beobachtet  ist,  die  Grotte,  wenn  stark  aufgetreten  wird,  durch- 
aus hohl,  auch  ist  der  Boden  mit  einer  runden  Marmorplatte 
von  1  Meter  Durchmesser  belegt,  so  daß  die  Vermutung  durch- 
aus gerechtfertigt  erscheint,  es  befinde  sich  unter  dem  Boden 
der  Grotte  eine  größere  Höhle  oder  ein  Schacht  ^  Die  Grotte 
ist  durch  Treppen  von  außen  her  zugänglich.  Es  wäre  er- 
wünscht, wenn  über  die  Frage,  wie  weit  sie  m  ihrem  heutigen 
Bestände  natürlichen  Ursprungs,  sowie  welcher  Art  eigentlich 
ihr  stark  mit  Matten  belegter  Fußboden  sei,  jemand  sich 
gelegentlich  äußern  wollte.  Ich  selbst  habe  leider  bei  meiner 
Anwesenheit  hierauf  nicht  genauer  geachtet.  Ob  das  über 
der  Grotte  liegende  stattliche  Loch  im  Felsen  natürlichen 
oder  künstlichen  Ursprungs  ist,  läßt  sich  nicht  entscheiden. 
Von  außen  angesehen  gewährt  es  den  Eindruck  einer  natür- 
lichen Vertiefung.  Doch  ist  das  nicht  entscheidend.  Da  wir 
ähnliche  Löcher  auch  sonst  finden,  sei  es  als  Luftlöcher-  für 
die  Höhlenbewohner,  sei  es  um  sonstwie  die  Verbindung 
zwischen  der  Höhle  und  der  Oberwelt  herzustellen,  so  wird 
man  doch  wohl  auch  die  Annahme  künstlichen  Ursprungs  mit 
in  Erwägung  zu  nehmen  haben. 

4.  Ein  zweites,  erheblich  kleineres  und  allem  Anschein 
nach  ziemlich  rundes  Loch  findet  sich  fast  genau  westlich 
von  dem  ebengenannten,  etwa  in  der  Mitte  zwischen  dem 
Ost-  und  Westrandes.  Auch  von  ihm  läßt  sich  in  betreff 
seiner  Entstehung  aus  der  Entfernung  absolut  nichts  sagen. 

Außerdem  finde  ich  in  meinen  an  Ort  und  Stelle  nieder- 
geschriebenen Notizen  an  der  Westseite  eine  starke  Ver- 
tiefung vermerkt,  deren  Stelle  ich  aber  nicht  mehr  genau 
anzugeben  vermag.  Auch  hier  wäre  eine  Nachprüfung  durch 
einen  länger  dort  Weilenden  erwünscht.   Die  englische  Skizze 


1)  Vgl.  besonders  Schick  a.  a.  O.  S.  9.    Tobler  a.  a.  O.  S.  529  f. 

2)  So  deutet  Schuhmacher  dasjenige  von  Megiddo;  s.  unten  Abh.  II. 

3)  Die  Vertiefung  hat  nichts  zu  tun  mit  dem  von  Schick  S,  8  er- 
wähnten sog.  Turban  des  Profeten,  einer  unterirdischen  kleinen  Höhlung 
(innerhalb  der  Grotte). 


2.  Der  Fels  selbst.  21 

gibt  nichts  derart  an;  ich  vermute  fast,  es  sei  der  von  Westen 
her  stark  in  den  Fels  hereinragende  Schatten  auf  der  Photo- 
graphie, um  den  es  sich  handelt.  Doch  muß  ich  bemerken, 
daß  auf  einer  zweiten  mir  zur  Verfügung  stehenden  Photo- 
graphie (von  Hentschel  in  Leipzig)  das  Ganze  mehr  einer 
starken  Schrunde  im  Fels  als  einer  Rinne  gleicht  K 

5.  Weiter  nördlich  hiervon,  ziemlich  gegen  das  Nordende 
des  Felsen  hin  sieht  man  auf  Abb.  2  zwei  weitere  starke 
Schatten.  Der  erste  ist  nach  dem  Bilde  und  nach  meiner 
Beobachtung,  soweit  ich  sie  in  Erinnerung  habe,  eine  eben- 
falls ziemlich  unregelmäßige,  vielleicht  zufällige,  vielleicht 
aber  auch  künstliche  Vertiefung.  Jedenfalls  geht  es  nicht 
an,  sie,  wie  in  der  englischen  Skizze  geschieht,  kurzweg  als 
einen  schönen  Kreis  einzuzeichnen  und  als  Bassin  zu  be- 
zeichnen.    Es  ist  die  Vertiefung  auf  Abb.  4  rechts  von  oben  (jr. 

6.  Die  auf  Abb.  2  ganz  am  Nordende  mit  starkem  Schatten 
von  rechts  nach  links  gehende  Vertiefung  wird  wohl  nichts 
anderes  sein  als  eine  im  Norden  des  Felsen  sich  findende  und 
augenscheinlich  von  Menschenhand  zu  ganz  bestimmten  Zwecken 
eingehauene  starke  Rinne-.  Um  sie  zu  beobachten,  muß  man 
sich  an  das  Nordende  selbst  stellen.  Leider  sind  die  bisher 
zugänglichen  Photographien  alle  vom  Südende  aus  aufgenom- 
men. Eine  Abbildung  der  Nordseite  bieten  die  Quart.  Stateiu. 
des  engl.  Pal.  Expl.  Fund,  aber  sie  ist  wie  die  Skizzen  ebenda 
auf  S.  75  viel  zu  schematisch  gehalten,  um  ein  ganz  vorurteils- 
freies Urteil  zu  ermöglichen.  Die  einzige  mir  bekannte  Photo- 
graphie, die  von  Norden  her  aufgenommen  ist  (Abb.  3),  die 
des  f  Baurats  Dr.  Schick  in  Jerusalem,  ist  zwar  älteren  Da- 
tums 3,  liefert  aber  ein  wesentlich  treueres  Bild  als  die  eng- 
lische Reproduktion.  Leider  ist  aber  auch  hier,  wohl  im 
Interesse  eines  Gesamtüberblicks  über  den  Felsen,  vielleicht 
auch  weil  man  dem  hier  in  Frage  kommenden  Punkte  weniger 


1)  Sie  ist  vielleicht  in  Abb.  4  zu  weit  nach  Norden  geschoben 
(bei  g):  immerhin  entspricht  es  so  meinen  Notizen. 

2)  Schick,  ßeit  usw.  S.  7  unten  redet  von  einem  „mannshohen 
Kanal."    Doch  ist  mir  nicht  klar,  ob  er  die  Kinne  selbst  damit  meint. 

3)  Der  Fels  ist,  wie  man  sieht,  noch  mit  dem  längst  verschwundenen 
Baldachin  überdeckt;  ebenso  in  der  englischen  Abbildung.  Vgl.  über 
ihn  Schick,  Beit  usw.  S.  13. 


22  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

Beachtung  schenkte,  die  Rinne  nicht  ganz  deutlich  sichtbar. 
Immerhin  tritt  sie  in  annähernder  Klarheit  heraus. 

Tatsächlich  präsentiert  sich  der  heilige  Fels  vom  Norden 
her  gesehen  dem  Beschauer  so,  daß  er  aufs  erste  den  Ein- 
druck bekommt,  der  Fels  sei  hier  abgeschnitten.  Er  fällt 
plötzlich  stark  und  teilweise  fast  senkrecht  ab  und  setzt  sich 
dann  noch  eine  Weile  in  einer  ebenen  Platte  fort.  Doch  kann 
der  Eindruck  sehr  wohl  trügerisch  sein.  Die  Photographie 
zeigt  uns,  wie  stark  zerklüftet  der  Absturz  tatsächlich  ist, 
und  wer  die  merkwürdig  grotesken  Gebilde  der  palästinischen 
Felsen  gerade  auf  diesen  Punkt  hin  Land  auf  Land  ab  mit 
aufmerksamem  Auge  verfolgt,  wird  solche  senkrechten  Ab- 
stürze und  Abspaltungen  auch  am  natürlichen  Kalkfelsen 
reichlich  beobachten  können. 

Kann  also  hier,  wenigstens  wenn  lediglich  der  Augen- 
schein —  unabhängig  von  der  geschichtlichen  Wahrscheinlich- 
keit —  befragt  wird,  durchaus  die  Natur  allein  gewaltet  haben, 
so  steht  m.  E.  die  Sache  anders  bei  der  vorhin  schon  er- 
wähnten Rinne  ^  und  dem  an  sie  anschließenden  Loche  im 
Boden  des  Felsen.  Steht  man  am  Nordende  in  der  Nähe  der 
Mitte  desselben,  so  sieht  man  —  ich  glaube  mich  nicht  zu 
täuschen  —  vor  sich,  ziemlich  am  Ende  des  Felsen,  im  Boden 
ein  zugemauertes  Loch-.  In  der  Richtung  zu  diesem  Loche 
hin  führt  eine  breite,  tief  in  den  Felsen  eingeschnittene  Rinne, 
die  sich  innerhalb  des  Felsen  stark  nach  rechts,  also  nach 
Westen,  ausbiegt.  Sie  macht  keineswegs  den  Eindruck  einer 
natürlichen  Rinne  im  Felsen,  sondern  hier  scheint  absichtlich 
einmal  von  Menschenhand   ein  tiefer  Einschnitt  in   ihn  g^e- 


1)  S.  dazu  Schick,  Beit  usw.  S.  7/8. 

2)  Schon  Alb.  Aquens.  VI  24  schreibt:  Cujus  in  uno  latere  gradus 
collocati  ad  cava  loca  descendentes  perducunt;  alio  vero  in  latere,  ut  in 
veritate  referunt,  qui  rem  [tunc  (1099)]  consideraverunt,  ostiolum  habet[ur] 
lapideum,  sed  semper  signaium.  (Recueil  IV  S.  480).  Da  die  erster- 
wähnte Höhle  die  bekannte  im  Süden  sein  wird,  so  muß  wohl  hier  an  eine 
nördliche  gedacht  sein.  Es  muß  also  hier  schon  dieselbe  Beobachtung 
gemacht  sein.  Doch  s.  Schick  Beit  etc.  S.  156.  15,  der,  wie  es  scheint,  an 
die  Stelle  Balad  ed-Dschinne  denkt.  Ich  kann  die  Stelle  des  Loches 
nicht  genau  angeben,  habe  es  aber  weiter  südlich  notiert.  Wichtig  ist 
jedenfalls,  daß  Schick  von  einem  hier  mündenden  Kanal  weiß. 


2.  Der  Fels  selbst.  23 

graben  worden  zu  sein  mit  dem  bestimmten  Zwecke,  Flüssig- 
keiten, Wasser  oder  Blut,  nach  jener  Öffnung  im  Boden  ab- 
fließen zu  lassen.  Wir  können  schon  vorläufig  erwähnen,  daß 
nach  alten  Nachrichten  der  Schlachtplatz  des  herodianischen 
Tempels  im  Norden  des  Altars  sich  befand,  enthalten  uns  aber, 
um  den  Zusammenhang  der  über  die  Gestalt  des  Felsen  re- 
ferierenden Darstellung  nicht  zu  unterbrechen,  an  dieser  Stelle 
weiterer  Folgerungen.  Nur  soviel  sei  hier  noch  bemerkt,  daß 
der  Kaum  unmittelbar  vor  dem  Beschauer,  der  im  Norden  vor 
dem  Felsen  steht,  sich  wie  ein  ebener  Vorplatz  ansieht,  und 
daß  dahinter,  wenn  der  Beobachter  seinen  Blick  auf  den  Fels 
selbst  richtet,  dieser  sich  in  sanfter  Wölbung  von  Ost  nach 
West  erhebt,  um  dann  ganz  plötzlich  auch  nach  Westen  ziem- 
lich senkrecht,  sogar  diesmal  in  zwei  etwas  ungleichen  Absätzen, 
abzufallen  (s.  Abb.  5). 

7.  Damit  sind  wir  von  selbst  wieder  an  die  Westseite  geführt. 
Wie  sie  sich  von  Norden  gesehen  präsentiert,  geht  aus  dem 
eben  Gesagten  und  dem  dazu  gehörigen  Bilde  (Abb.  5),  hier  viel- 
leicht in  etwas  zu  kräftiger  Wiedergabe,  hervor.  Dazu  ist  zu 
vergleichen  Abb.  4.  Der  Fels  bildet  hier  im  Westen  zweimal 
nahezu  eine  gerade  Linie.  Er  ist  am  Westrande  wie  ab- 
geschnitten. Er  steigt  hier  etwa  80  cm  fast  senkrecht  an,  geht 
dann  wagerecht  ein  gutes  Stück  nach  Osten,  um  darauf  aber- 
mals fast  senkrecht  etwa  80  cm  anzusteigen.  Dazwischen  am 
Übergang  von  der  ersten  großen  Stufe  zur  zweiten  sieht  man 
deutlich  etwas  wie  kleinere  Stufen. 

Hier  ist  augenscheinlich  abermals  die  Menschenhand  tätig 
gewesen.  Vergegenwärtigt  man  sich  das  Gesamtbild  des 
Felsen,  so  hat  man  zunächst  ohne  jede  Schwierigkeit  den  un- 
mittelbaren Eindruck,  der  Fels  werde  auch  hier  einmal  eine 
mehr  runde  oder  irgendwie  unregelmäßige  Gestalt  besessen 
haben.  Ich  habe  wohl  in  Erinnerung,  was  ich  vorhin  selbst 
über  die  oft  höchst  befremdliche  natürliche  Gestalt  palästi- 
nischer Felsen  gesagt  habe.  Trotzdem  ist  jener  Eindruck 
hier  so  stark,  daß  man  nur  schwer  seiner  Herr  wird.  Es 
kommt  dazu  das  Aufsteigen  in  zwei  fast  gleichen  Stufen,  na- 
türlich wieder  mit  mannigfacher  Zerklüftung  und  Unregel- 
mäßigkeit im  einzelnen,  aber  doch  in  so  auffallender  Form, 
daß  sie  zu  denken  gibt;   sowie  endlich  die  kleinen  Zwischen- 


24  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

stufen,  SO  daß  man  nicht  wird  iiraliin  können,  in  dieser  Form 
ein  Werk  von  Menschenhand  zu  sehen. 

8.  Wenden  wir  uns  hinüber  nach  der  Ostseite,  so  ist  hier 
etwa  in  der  Mitte  eine  leichte  Vertiefung  von  stattlicher  Größe 
im  Felsen  wahrnehmbar.  Es  ist  mir  nicht  bekannt,  daß  sie 
schon  bemerkt  worden  wäre,  wenigstens  ist  sie  weder  auf  dem 
englischen  Bilde  vom  Felsen  eingezeichnet,  noch  finde  ich  sie 
irgendwo  in  der  Literatur  namhaft  gemacht.  Aber  auch  hier 
glaube  ich  mich  nicht  zu  täuschen,  obwohl  auch  diese  Sache 
noch  sehr  der  näheren  Untersuchung  bedarf.  Der  sonst  un- 
unregelmäßige Ostabfall  des  Felsen  zeigt  an  einer  wohl  etliche 
Meter  breiten  Stelle  eine  glatte,  schräg  nach  oben  gehende 
Fläche.  Sie  ist  auch  auf  der  Photographie  der  amerikanischen 
Kolonie  (Abb.  2)  rechter  Hand  vom  Beschauer  recht  wohl  er- 
kennbar. Auch  diese  Vertiefung  und  Abschrägung  kann  wohl 
nur  von  Menschenhand  stammen,  sie  ist  nichts  anderes  als  ein 
schräger  Aufgang  zum  Gipfel  des  Felsen. 

9.  Endlich  ist  noch  die  Südseite  zu  erwähnen.  Leider  be- 
sitzen wir  hier  keinerlei  zureichendes  Bild.  Ich  bin  also  ganz 
auf  die  persönliche  Beobachtung  und  die  Skizze  in  den  Quart. 
Statem.  angewiesen.  Der  Fels  läuft  hier  zuerst  von  Osten 
nach  Westen  in  etwas  abgerundeter  Form  bis  etwa  zur  Mitte 
seiner  Breite.  Dann  weicht  er  plötzlich  in  nahezu  gerader 
Linie  nach  Norden  zurück,  um  dann  nach  einiger  Zeit  eben- 
falls wieder  nahezu  geradlinig  nach  Westen  umzubiegen.  Er 
bildet  somit  hier  fast  genau  einen  rechten  Winkel.  Auch  hier 
möchte  man  am  liebsten  an  einen  Eingriff  von  Menschenhand 
denken,  doch  läßt  sich  eine  sichere  Behauptung  hier  nicht 
wagen. 

3.  Geschichte  des  Felsen.    Der  Islam  und  die  Kreuzfahi*er. 

Hiermit  wäre  denn  der  heilige  Fels  nach  allen  Seiten  hin 
seiner  heutigen  Beschaffenheit  nach  beschrieben,  und  wir  können 
somit  zu  der  Beantwortung  der  weiteren  Frage  schreiten:  was 
wir  über  seine  Geschichte  wissen.  Daß  sie  reich  und  viel- 
gestaltig sei,  mögen  wir  zum  voraus  vermuten.  Für  uns  aber 
entsteht  die  Frage,  was  wir  über  diesen  allgemeinen  Eindruck 
hinaus  etwa  Sicheres   oder   wenigstens   einigermaßen  Wahr- 


3.  Geschichte  des  Felsen.    Der  Islam  und  die  Kreuzfahrer.        25 

scheinliclies  über  seine  Schicksale  ermitteln  können,  vor  allem 
ob  wir  imstande  sind,  seine  Geschichte  bis  in  das  hebräisch- 
israelitische Altertum  oder  über  es  hinaus  zurückzuverfolgen. 
Wir  beginnen  am  zweckmäßigsten  unsre  Untersuchung  derart, 
daß  wir  zunächst  rückwärtsschreitend  seine  Schicksale  ver- 
folgen. 

Es  darf  hier  als  bekannt  vorausgesetzt  werden,  daß  der 
Fels  {es-Sac/ira)  eines  der  gefeiertsten  Heiligtümer  des  Islam 
ist  Eine  Menge  islamischer  Sagen  und  Legenden  knüpfen 
sich  an  ihn.  Muhammed  selbst  soll  gesagt  haben:  „Die  erste  der 
Stellen  ist  Jerusalem  und  der  erste  unter  den  Felsen  ist  es- 
Sachra"  und  soll  den  Fels  es-Sachra  zu  Jerusalem  einen 
der  Felsen  des  Paradieses  genannt  haben  '.  Er  soll  hier  ge- 
betet haben  und  soll  ein  hier  verrichtetes  Gebet  für  kräftiger 
erklärt  haben  als  anderswo  tausend  Gebete.  So  erklärt  es 
sich  sowohl,  daß  bald  nach  der  ersten  Einnahme  Jerusalems 
durch  die  Araber  von  ihm  Besitz  ergriffen  und  ein  wichtiges 
Heiligtum,  der  Felsendom,  hier  errichtet  wurde,  als  auch  daß, 
nachdem  Jerusalem  durch  Saladin  aufs  neue  in  den  Besitz  des 
Islam  gelangt  war,  der  alte  Stand  der  Dinge  wieder  hergestellt 
wurde. 

In  der  Hauptsache  sehen  wir  demgemäß  den  Fels  und 
den  ihn  überwölbenden  Dom  heute  noch  genau  so  vor  uns, 
Avie  den  Fels  Saladin  übernommen  und  wie  er  den  Dom 
wiederhergestellt  hat.  Was  von  Veränderungen  vorgenommen 
wurde,  ist  durchaus  unwesentlich  —  jedenfalls,  soweit  es  sich 
um  den  Fels  und  seine  unmittelbare  Umgebung  handelt. 
So  fand  ihn  noch  Tobler  (a.  a.  0.  S.  527),  wie  es  scheint,  mit 
rotem  Atlas  bedeckt.  Auch  redet  er  S.  528  von  einem  über  dem 
Felsen  hängenden  veralteten  Traghimmel  von  karmoisinroter 
Seide.  Damit  mag  wohl  der  auch  noch  auf  unserm  von  Schick 
aufgenommenen  Bilde  sichtbare  Baldachin  gemeint  sein,  der 
bis  in   die  achtziger  Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts  blieb-. 

Die  letzte  größere  Veränderung  —  wenn  wir,  was  Saladin 


1)  S.  bei  Robinson  Paläst.  II  87. 

2)  S.  z.  ß.  noch  Bädeker,  Paläst.2  (18S0),  S.  51.  Die  bei  Tobler 
Topographie  v.  Jerusalem  I  (1853)  528  Anm.  2  erwähnte  „Kanzel"  kann 
aber  nicht  wohl  über  dem  Felsen  selbst  gestanden  haben.  Hier  muß  ein 
Irrtum  vorliegen. 


26  Kittel,  Studien.     I.  Der  heilige  Fels. 

tat,  lediglich  als  die  Herstellung  des  status  quo  ansehen  — 
scheint  mit  dem  Felsen  vor  sich  gegangen  zu  sein,  als  die 
Kreuzfahrer  Besitz  von  dem  Tempelplatz  und  dem  Felsendom 
ergriifen  hatten. 

Jerusalem  war  im  Jahre  1099  erobert  worden.  Der  Haram 
als  befestigter  Platz  und  zugleich  als  heilige  Stätte  hatte  eine 
große  Zahl  der  Einwohner  angezogen;  man  hoffte  hier  Schutz 
zu  finden.  Freilich  war  die  Hoffnung  eitel.  Tankred  soll  mit 
den  Seinen  die  furchtbarsten  Greuel  unter  ihnen  verübt  haben. 
Die  Kreuzfahrer  scheinen  im  Blute  der  Erschlagenen  förmlich 
gewatet  zu  sein^ 

Natürlich  ging  man  sofort,  nachdem  die  Stadt  und  der 
Haram  in  den  Besitz  der  Christen  übergegangen  und  der 
heilige  Platz  von  Leichen  und  Unrat  gereinigt  war,  dazu  über, 
den  letzteren  wieder  dem  christlichen  Gottesdienst  zugänglich 
zu  machen.  Der  Felsendom  wurde  unter  dem  Namen  -Templum 
Domini  in  eine  christliche  Kirche  umgewandelt.  Den  Fels 
selbst  ließ  man  zunächst  unberührt.  Er  scheint  frei  dagelegen 
zu  haben,  so  wie  er  heute  wieder  und  seit  Jahrhunderten  liegt 
und  wie  er  auch  vor  der  Eroberung  Jerusalems  durch  die 
Kreuzfahrer  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  lag.  Erst  15  Jahre 
nach  der  Eroberung  „deckte  den  bisher  nackt  und  offen  ge- 
bliebenen Felsen  der  Tempelvorsteher  mit  weißem  Marmor 
und  baute  darüber  einen  prächtigen  Altar,  an  welchem  der 
Klerus  den  Gottesdienst  tat-.  Man  klagte  jedoch  bitterlich 
auf  mohammedanischer  Seite,  daß  die  Christen  sich  zu  dem 
Ende  am  heiligen  Felsen  vergriffen,  nämlich  daß  sie  einen 
Teil  davon  abschlugen;  ein  Stück  soll  nach  Konstantin opel, 
ein  anderes  in  die  Gegend  der  Slaven  (Russen)  verschleppt 
und  hier  mit  dem  gleichen  Gewichte  an  Gold  auf  gewinn- 
süchtige Weise  verkauft  worden  sein  3."     So  wenigstens  be- 


1)  Vgl.  WiLH.  V.  Tykus  VIII,  20.  Raimond  de  Aguilers:  Tantum 
[hoc  dixissej  sufficiat,  quod  in  templo  et  porticu  Salomonis  equitabatur 
in  sanguine  usque  ad  genua  et  usque  ad  frenos  equoruui.  Hist.  Fran- 
corum  (Recueil  III,  300). 

2)  WiLH.  V.  Tyrüs  VIII,  3  (seine  Worte  s.  in  der  Beilage  am  Schluß 
dieser  Abhandlung).    Eeinaud,  Extr.  des  Historiens  Arabes  1829,  S.  217. 

3)  ToBLER  I  539  mit  Berufung  auf  Schihäb  ed-Din  (Bibliogr.  des 
Croisades  par  Michaud  II,  1502)  und  KemIl  ed-Din  249  f.  255. 


3.  Geschichte  des  Felsen.     Der  Islam  und  die  Kreuzfahrer.  27 

richtet  Tobler,  dem  die  meisten  Darsteller  gefolgt  sind.  Erst 
als  Saladin  Jerusalem  wieder  in  Besitz  nahm,  wurden  alle  von 
den  Kreuzfahrern  herrührenden  Neuerungen  wieder  entfernt 
und  der  Fels  wieder  bloßgelegt. 

Daß  der  Fels  mit  Marmorplatten  belegt  und  ein  Altar 
über  ihm  errichtet  wurde,  bi-auchte  selbstverständlich  seine 
Gestalt  nicht  zu  verändern.  Für  das  Auflegen  der  Platten 
konnte  es  wohl  ausreichen,  wenn  man  sie  da,  wo  der  Fels 
sich  neigte,  durch  eine  leichte  Stein-  oder  eine  solide  Holz- 
unterlage stützte,  um  eine  ebene  Fläche  herzustellen.  Eine 
andere  Frage  ist  natürlich,  wie  es  sich  mit  den  von  Tobler 
erwähnten  Beschädigungen  verhält.  Es  mag  hier  gleich  Er- 
wähnung finden,  daß  der  Hergang  sich  in  einigen  neueren 
Darstellungen  —  sie  gehen,  soviel  ich  sehe,  auf  Socin  in  Bä- 
dekers  Palästina '  zurück  —  so  abgespielt  haben  soll,  daß  die 
Kreuzfahrer  Stufen  in  den  Fels  gehauen  hätten,  um  auf 
ihnen  den  Altar  zu  besteigen  2. 

Auf  welche  Nachrichten  diese  letztere  Notiz  sich  stützt, 
vermag  ich  nicht  zu  sagen.  In  den  von  Tobler  angeführten 
Quellen  findet  sie  sich  nicht.  Auch  sonst  nirgends  ist  mir 
ein  Beleg  für  sie  aufgestoßen^.  Die  Vermutung  ist  deshalb 
nicht  ausgeschlossen,  daß  sie  aus  der  Wahrnehmung,  daß  sich 
Stufen  am  Fels  finden,  in  freier  Kombination  mit  der  Mit- 
teilung, daß  die  Kreuzfahrer  einen  Altar  auf  dem  Felsen  er- 
richteten, stammt.  Ob  sie  innerlich  wahrscheinlich  ist,  bleibt 
die  Frage. 

1)  2.  Aufl.  1880,  S.  51:  „In  der  Mitte  auf  dem  heiligen  Stein  stand 
der  Altar;  die  Oberfläche  des  Felsen  war  mit  Marmor  gepflastert  und 
ein(!  Anzahl  Stufen  in  den  Felsen  gehauen,  die  zu  dem  Altar  hin- 
aufführten; deutliche  Spuren  davon  sind  noch  sichtbar"  ...  6.  Aufl. 
1896,  S.  50:  „Die  Kreuzfahrer  hatten  auf  dem  Fels  einen  Altar  auf- 
gestellt und  ihn  durch  Stufen  zugänglich  gemacht,  wovon 
Spuren  sichtbar  sind." 

2)  Wesentlich  zurückhaltender  äußert  sich  Eeinh.  Röhricht,  Gesch. 
d.  Königr.  Jerus.  1898  S.  464:  „Die  Christen  hatten  den  hl.  Stein  .... 
mit  Marmorgetäfel  überdeckt,  weil  die  Pilger  Stücke  von  dem  Stein  ab- 
zuschlagen pflegten,  darüber  einen  Altar  erbaut  und  diesen  mit  einer 
reich  vergoldeten  Säulenkuppel  überwölbt,  die  Saladin  aber  entfernen 
ließ,  so  daß  der  Stein  wieder  freilag".  Unter  den  schweinartigen  Tieren 
vermutet  E..  eine  Darstellung  des  Gotteslammes. 

3)  Siehe  darüber  sowie  über  die  ganze  Frage  die  Beilage. 


28  Kittel,  Studien.    1.  Der  heilige  Fels. 

Die  Tatsache  kleiner  Stufen  besteht,  wie  oben  dargelegt. 
Aber  es  ist  mir  mehr  als  fraglich,  ob  sie  auf  die  Kreuzfalirer 
zurückgehen.  Wer  die  Stufen  sieht,  wird  auch  sofort  erkennen, 
daß  sie  nicht  zum  Besteigen  des  Altars  dienen  können.  Um 
solche  Stufen  aber  müßte  es  sich  bei  der  oben  zitierten  An- 
schauung handeln.  Wie  Stufen,  die  dazu  dienen  sollten,  den 
Altar  zu  besteigen,  auszusehen  hatten,  kann  man  sich  leicht 
vorstellen;  wie  sie  bei  Felsenaltäreu  tatsächlich  aussahen, 
kann  man  z.  ß.  am  großen  Altar  von  ßa'albek  oder  dem 
von  Petra  (Abb.  26 — 29)  ersehen.  Es  ist  eine  ganz  andere 
Frage,  welchem  Zweck  die  zwei  großen  senkrechten  Ab- 
stufungen am  hl.  Felsen  des  Haram  und  die  zwischen  ihnen 
zutage  tretenden  zwei  kleinen  Stufen  einmal  gedient  haben 
mögen,  aber  wer  auf  ihnen,  da  die  großen  je  etwa  80  cm  hoch 
sein  mögen,  den  Fels  besteigen  wollte,  hätte  kein  leichtes 
Stück  Arbeit.  Ich  bemerke,  daß  auch  Schick  ^  von  Stufen 
nichts  erwähnt,  wohl  aber  der  Meinung  ist,  es  mögen  damals 
die  viereckigen  kleinen  Löcher  an  der  Ostseite  entstanden  sein, 
etwa  zur  Aufnahme  von  Stützen  oder  Balkenköpfen.  Doch 
können  sie,  meint  er,  zum  Teil  auch  schon  früher,  etwa  bei 
der  Herstellung  der  Jupitercella  entstanden  sein. 

Natürlich  müssen  die  Kreuzfahrer,  wenn  auf  dem  Felsen 
ein  Altar  stand,  Stufen  angebracht  haben,  um  ihn  zu  besteigen, 
oder  sie  müßten  einen  Aufgang  anderer  Art,  der  auf  die  Höhe 
des  Felsen  führte,  hergestellt  haben.  Einen  solchen  haben 
wir  oben  ebenfalls  kennen  gelernt;  daß  er  aus  der  Kreuzfahrer- 
zeit stamme,  ist  aber  durch  nichts  angedeutet,  auch  nicht  ge- 
rade wahrscheinlich.  Es  wird  sich  also  empfehlen,  anzu- 
nehmen, daß  die  Stufen  aus  Holz  oder  Stein  über  dem  Felsen 
angebracht  waren  und  daß  sie  an  dem  eigentlichen  Bestände 
des  Felsen  nichts  änderten  2. 

Somit  bleibt  uns  nur  übrig,  zu  fragen,  welcher  Art  jene 
Beschädigungen  des  Felsen  waren,  über  die  man  auf  selten 
der  Moslem  klagte.  Bei  der  hohen  Verehrung,  die  auch  die 
Christen  diesen  heiligen  Stätten  zollten  ■',  halte  ich  es  fast  für 
ausgeschlossen,  daß  man  bei  der  Herstellung  jenes  Altars  mit 

1)  Beit  el  Makdas  (1887)  156. 

2)  S.  unten  S.  30  Anm.  4. 

3)  S.  den  Nachweis  gegen  Ende  der  Beilage. 


3.  Geschichte  des  Felsen.     Der  Islam  uud  die  Kreuzfahrer.        99 

Eingriffen  in  den  Bestand  des  heiligen  Felsen  über  das  ab- 
solut Notwendige  hinausging.  Ein  Bedürfnis  dazu  war  aber 
vermutlicli  gar  nicht  oder  nur  in  ganz  geringem  Maße  vor- 
handen. Im  Gegenteil  möchte  man  fast  vermuten,  es  sei  den 
Bauleuten  der  Befehl  erteilt  worden,  mit  dem  heiligen  Felsen 
schonend  zu  verfahren.  Es  wird  sich  also,  wie  auch  die 
Klage  über  den  Verkauf  der  Stücke  beweist,  lediglich  um 
vereinzelte  böswillige  oder  gewinnsüchtige  Beschädigungen 
handeln,  die  von  Bauleuten,  welche  an  der  Herstellung  des 
Altars  beteiligt  waren,  oder  auch  von  abergläubischen  Pilgern 
ausgingen.  In  diesem  Falle  brauchen  wir  aber  gar  nicht  be- 
sonders nach  der  Stelle  zu  suchen:  es  können  da  und  dort 
kleine  Stücke  abgeschlagen  worden  sein,  vor  allem  an  der 
Nordseite,  wo  der  Stein  große  Unregelmäßigkeit  zeigt. 

Hingegen  scheint  es  nicht  wahrscheinlich,  daß  die  Gestalt 
des  Felsen  durch  die  Kreuzfahrer  irgendwie  erheblich  ver- 
ändert worden  wäre.  Vor  allem  ist  kaum  anzunehmen,  daß 
einer  der  starken  Einschnitte,  die  vermutlich  von  Menschen- 
hand herrühren,  von  ihnen  stamme  und  mit  der  Errichtung 
jenes  Altars  zusammenhänge.  Weder  der  Einschnitt  am 
Nordende  noch  die  Herstellung  der  nahezu  geraden  Linie  an 
der  ganzen  Westseite,  noch  die  scharfe  Ecke  im  Süden  mögen 
davon  herstammen.  Es  gibt  für  mehrere  dieser  Vermutungen 
keinen  gerade  zwingenden  Beweis;  aber  da  gar  kein  Grund 
vorliegt,  gerade  diese  Eingriffe  den  Kreuzfahrern  zuzuschreiben, 
auch  jene  Klagen  über  das  Verhalten  der  letzteren  überhaupt 
am  besten  mit  einer  gewissen  Vorsicht  aufzunehmen  sind,  so 
darf  man  immerhin  sagen,  es  sei  der  gegen  die  Kreuzfahrer 
geäußerte  Vorwurf  höchst  wahrscheinlich  auf  ein  ganz  be- 
scheidenes Maß  zurückzuführen. 

Es  kommt  dazu,  daß  wir,  wenigstens  was  die  große, 
höchst  wahrscheinlich  künstliche  Verkleinerung  des  Felsen  an 
seiner  Westseite  anlangt,  doch  ein  starkes  Zeugnis  für  die 
Unschuld  der  Kreuzfahrer  besitzen.  So  wahrscheinlich  es  ist, 
daß  der  ganze  Fels  einmal  auch  hier  eine  gewisse  Rundung 
besaß,  hier  also  zu  irgendeiner  Zeit  ein  stattliches  Stück  von 
ihm  abgeschnitten  worden  ist,  so  wenig  spricht  dafür,  daß  ge- 
rade die  Kreuzfahrer  diesen  Eingriff  vornahmen.  Unter  den 
vielerlei   und    stark  auseinander  gehenden  Nachrichten    von 


30  Kittel,  Studien.     I.  Der  heilige  Fels. 

Christen  und  Arabern  über  die  Größe  des  Felsen  ragt  eine 
durch  innere  Glaubwürdigkeit  deshalb  in  auffallender  Weise 
über  die  andern  empor,  weil  sie  merkwürdig  richtig  ist.  Es 
ist  dies  Ibn  al  Fakih,  903  n.  Chr.  (290  der  Hidschra).  Wäh- 
rend die  andern  Beobachter  vielfach  ganz  offenbar  falsche 
Angaben  machen  nach  willkürlicher  Schätzung  oder  aus  einer 
längst  verblaßten  Erinnerung,  hat  dieser  Beobachter  augen- 
scheinlich gemessen.  Er  gibt  die  Größe  des  Felsen  auf 
34  Ellen  Länge  und  27  Ellen  Breite  an^  Nun  kennen  wir 
die  Länge  der  arabischen  Elle  jener  Zeit  nicht  genau,  obwohl 
sie  nicht  allzuviel  von  der  biblischen  abgewichen  sein  wird"-. 
Wenn  aber  derselbe  Schriftsteller  dem  Felsendom  100  Ellen 
Länge  und  Breite  zumißt  und  wir  wissen,  daß  er  50  m  in 
jeder  Eichtung  mißt,  so  sehen  wir  daraus,  daß  er  die  Elle 
(pK<3)  auf  ziemlich  genau  V2  ^i  ansetzt.  Das  ergibt  für  den 
Felsen  etwa  17  x  13,5,  eine  Angabe,  die  wir  auch  heute  kaum 
genauer  machen  können.  Hatte  der  Fels  bereits  im  Jahre 
903,  also  vor  dem  Eindringen  der  Kreuzfahrer,  dieselben  Di- 
mensionen wie  heute,  so  kann  er  also  durch  den  Altarbau  der 
Christen  nicht  irgendwie  erheblich  3,  jedenfalls  nicht  durch 
Abschneiden  der  Westseite  verändert  worden  sein. 

Wir  können  somit  die  Kreuzfahrerperiode  verlassen  mit 
dem  Bewußtsein,  daß  aus  ihr  der  Fels  in  der  Hauptsache 
ebenso   hervorging,  wie   er  in  sie  eintrat^.    Saladin  hat  ihn, 


1)  Vgl.  Guy  le  Stkange  in  Quat.  Statem.  1887,  S.  94. 

2)  Die  Plattform  gibt  Ibn  al  Fakih  auf  300  X 140  an,  was  augen- 
scheinlich irrig  ist.  Hier  scheint  er  sich  also  zu  sehr  auf  sein  Auge  oder 
sein  Gedächtnis  verlassen  zu  haben.  Über  die  arab.  Elle  vgl.  z.  B.  JRAS 
(N.  Ser.)  XIX  269  Anm.  5. 

3)  Vgl.  die  nächste  Anmerkung. 

4)  Vgl.  schon  ToBLER  545  nach  Kemäl  ed-Dix  „Der  Sultan  gebot, 
daß  .  .  .  der  Überzug  von  Marmor  weggenommen  und  das  Gehäuse  in 
Stücken  abgebrochen  werde  ...  So  wurde  der  Fels  wieder  her- 
gestellt wie  er  in  alter  Zeit  gewesen  war."  Schon  daraus  geht 
hervor,  daß  der  Altar  einfach  über  den  Fels  gebaut  war  und  so  ab- 
genommen werden  konnte,  daß  der  Fels  seine  alte  Gestalt  wiedererlangte.  Be- 
sonders aber  s.  'Imad  ed-Din,  Mudschir  ed-Din  und  Abu  Schäma  (Schihäb 
ed-Dln)  in  der  Beilage.  Auch  Alb.  Aquexs,  VI  25  (Eec.  IV.  480  f.)  sagt : 
Hoc  itaque  vas  et  promunctoriolum,  quod  in  medio  Tempil  prominere 
praediximus,    intactum   a   Tancredo   permansit;   quin  Turci   omne 


3.  Geschichte  des  Felsen.     Der  Islam  und  die  Kreuzfahrer.         31 

•wie  bereits  erwähnt,  nach  der  Eroberung  Jerusalems  durch 
ihn  sorgfältig  wieder  abräumen  lassen,  und  so,  wie  er  den 
Felsen  hergestellt  hat,  ist  er  bis  heute  geblieben. 

Wie  aber  sah  er  vor  dieser  Zeit  aus?  Daß  'Abd  el 
Malik,  der  Erbauer  des  Felsendoms,  ebenso  'Omar,  der  von 
Jerusalem  Besitz  ergrift,  am  Felsen  keine  seinen  Bestand 
ändernden  Eingrifie  vornahmen,  darf  zum  voraus  als  selbst- 
verständlich gelten.  Ihnen  galt  er  von  Anfang  an  als  das 
durch  den  Profeten  geweihte  Heiligtum.  Immerhin  haben  wir 
die  Berichte  zu  hören. 

Als  'Omar  637  Jerusalem  in  Besitz  nahm,  war  es  für  ihn 
selbstverständlich,  daß  er  hier  eine  muslimische  Anbetungs- 
stätte 'errichtete.  Er  wurde  von  selbst  auf  den  durch  Muham- 
med  geheiligten  Haramplatz  gewiesen.  Er  wird  nach  Eu- 
TYCHius  1  (f  940)  dorthin  geführt  und  es  wird  ihm  der  hl.  Fels 
gezeigt,  „der  in  der  Mitte  des  Erdkreises  ist  und  ein  Tempel 
der  Kinder  Israel  war",  und  wird  ihm  gesagt:  „Als  die  Römer 
Christen  geworden  waren  (gemeint  ist  unter  Konstantin),  war 
der  Ort  des  Felsen  und  seine  Umgebung  wüst  und  wurde  so 
gelassen;  man  hatte  auf  den  Fels  Erde  geworfen,  so  daß 
auf  ihm  ein  großer  Schutthaufen  entstanden  war.  Die  Römer 
ließen  ihn  so;  sie  verehrten  ihn  nicht  wie  die  Juden;  sie  hatten 
über  ihm  keine  Kirche  erbaut  wegen  des  Wortes  des  Herrn 

Christus  (Matth.  23,  30.  24,  2) Der  Patriarch  Sophronius 

faßte  'Omar  bei  der  Hand  und  stellte  ihn  auf  den  Kehricht- 
haufen, 'Omar  aber  nahm  den  Zipfel  seines  Kleides  und  füllte 
ihn  mit  dem  Schutt"  . . .  Die  Muslimen  folgten  seinem  Beispiel, 
„bis  sie  den  Platz  gereinigt  und  geklärt  und  der  Fels  sicht- 
bar geworden  war". 

Ähnlich  erzählt  ein  muslimischer  Autor 'Ulaimi^.  'Omar, 
auf  dem  Haram  und  beim  hl.  Felsen  angelangt,  bricht  in  die 
Worte  aus:  „Gott  ist  groß!  Das  ist  bei  dem,  in  dessen  Hand 
meine  Seele  ist,  der  Betört  Davids,  von  dem  uns  der  Prof  et 
erzählt  hat,   daß   er  zu  ihm  nächtlich  gekommen!"    Er  fand 

devotione  id  venerantes,  utrumque  inviolatum  reservabant.  —  Das  ist 
vielleicht  in  apologetischem  Interesse  gesprochen,  wird  aber  nach  den 
vorhergehenden  Zeugnissen  doch  richtig  sein. 

1)  S.  dazu  Gildemeister  in  ZDPV  XIII  (1890),  S.  4  f. 

2)  Ebenda  S.  8. 


32'  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

auf  dem  Felsen  vielen  Kehricht,  welchen  die  Byzantiner  aus 
Haß  gegen  die  Juden  hingeworfen  hatten.  Dann  breitete  er 
sein  Obergewand  aus  und  fing  an,  diesen  Schmutz  wegzufegen 
und  die  Muslime  taten  das  gleiche*. 

Gildemeister  hat  diese  und  verwandte  Äußerungen  ara- 
bischer und  christlicher  Autoren  auf  ihre  Glaubwürdigkeit 
untersucht  und  kommt  zu  dem  Ergebnis,  daß  die  Bedeckung 
mit  Schutt  an  die  Verdeckung  des  Grabes  Christi  durch  einen 
Misthaufen  erinnere  und  „zum  Kostüm"  gehöre,  findet  aber 
doch  den  historischen  Kern,  der  unzweifelhaft  feststehe,  darin, 
daß  die  Tempelarea  von  'Omar  unbebaut  vorgefunden  wurde, 
weil  eine  religiöse  Scheu  jede  Art  von  Bebauung  hinderte. 
Das  gilt  natürlich  auch  für  den  Fels,  und  es  ist  meines  Er- 
achtens  das  Mindeste,  was  angenommen  werden  muß. 

'Abd  el-Malik  (685 — 705)  hat  dann  bekanntlich  den  Felsen- 
dom errichtet,  von  dem  er  sagt^:  Dieser  Betört  (in  Jerusalem) 
„wird  euch  die  Stelle  des  Betorts  des  Haram  (in  Mekka)  ver- 
treten, und  dieser  Fels,  von  dem  überliefert  wird,  daß  der 
Gesandte  Gottes  seinen  Fuß  auf  ihn  gesetzt,  als  er  zum 
Himmel  aufstieg,  wird  euch  die  Ka'ba  ersetzen".  Da  baute 
er,  fährt  der  Erzähler  —  al  Jakübi  —  fort,  über  dem  Fels 
eine  Kubba,  hing  an  sie  Vorhänge  von  Brokat,  setzte  Tür- 
hüter [wie  in  Mekka]  für  sie  ein  und  hielt  das  Volk  an,  Pro- 
zessionen um  ihn  anzustellen,  wie  um  die  Ka'ba. 

Aus  alledem  ist  jedenfalls  soviel  zu  entnehmen,  einmal 
daß  die  in  Jerusalem  eindringenden  Vertreter  des  Islam  und 
ihre  Nachfolger  den  Fels  auf  dem  Gipfel  des  Haram  bereits 
als  ein  Heiligtum  vorfanden,  das  ihnen  unantastbar  schien 
und  daruui  auch  von  ihnen  nicht  angetastet  wurde,  sodann 
daß  dementsprechend  auch  bei  der  Errichtung  des  Felsen- 
domes durch  'Abd  el-Malik  gewiß  alle  erdenkliche  Rücksicht 
auf  die  Heiligkeit  des  Felsen  genommen  worden  ist,  so  daß 
eine  Verkürzung  oder  Beschädigung  desselben  bei  dieser  Ge- 
legenheit ausgeschlossen  scheint. 

Unser  Ergebnis  wäre  somit  bis  hierher,  daß  der  heilige 
Fels  zur  Zeit  des  Eindringens  des  Islam,   also  am  Ende  der 

1)  Seinen  Betört  selbst  hat  'Omar  nicht  auf  dem  Fels  errichtet,  son- 
dern weiter  südlich.    Doch  berührt  uns  diese  Angelegenheit  hier  nicht, 

2)  Vgl.  ZDPV  Xni  (1890),  S.  10. 


4.  FortsetzuDg.    Der  Fels  von  Titus  bis  Justinian.  33 

griechisch-byzantinischen  Periode  Jerusalems,  im  wesentlichen 
durchaus  dieselbe  Gestalt  hatte,  die  er  heute  zeigt.  Welches 
sind  seine  Schicksale  in  der  griechischen  und  römischen  Zeit 
bis  zu  Titus  herauf  gewesen? 

4.  Fortsetzung.     Der  Fels  von  Titus  bis  Justinian. 

Zuvörderst  ist  daran  zu  erinnern,  daß  wir  oben  fest- 
gestellt haben,  der  Fels  sei  zur  Zeit  'Omars  unbebaut  vor- 
gefunden worden.  Außerdem  ist  in  jener  Zeit  mehrfach  von 
den  Ruinen  des  Tempels  die  Rede^  Auch  wird  uns  mit- 
geteilt, daß  den  Christen  die  Stätte  des  Tempels  zwar  als 
eine  Stätte  göttlichen  Zorngerichtes  erschien,  die  sie  mit  Scheu 
erfüllte  und  die  zu  bebauen  sie  nicht  wagten,  daß  der  Fels 
aber  ihnen  nicht  als  heiliger  Ort  im  besondern  Sinne  galt, 
daher  auch  für  sie  kein  spezifisches  Interesse  in  Anspruch 
nahm.  Das  läßt  uns  erwarten,  daß  von  Seiten  der  Christen- 
heit, solange  sie  im  Besitze  Jerusalems  war,  nichts  gegen  den 
überkommenen  Bestand  des  Felsen  unternommen  worden  sein 
werde.  Sind  Versuche  seiner  Zerstörung  oder  Umgestaltung 
gemacht  worden,  so  mögen  sie  von  heidnischer  Seite  aus- 
gegangen sein.  Es  wird  sich  weiterhin  zeigen,  daß  derselbe 
Satz  auch  für  die  letzte  vorchristliche  Zeit  den  Juden  und 
Heiden  gegenüber  Geltung  hat. 

Die  Zerstörung  des  Tempels  durch  Titus  ist,  wie  wir 
wissen,  aufs  gründlichste  vollzogen  worden.  Aber  daß  sie  sich 
auf  die  Zerstörung  oder  Schädigung  des  hl.  Felsen  ausgedehnt 
habe,  ist  nirgends  erwähnt,  auch  gar  nicht  wahrscheinlich. 
Man  hatte  Arbeit  genug,  die  Gebäude  zu  vernichten  und  ab- 
zutragen, auch  den  stattlichen  Altar  dem  Boden  gleichzu- 
machen, so  daß  man  sich  schwerlich  große  Mühe  gab,  auch 
das  natürliche  Fundament,  das  ohnehin  seine  spezifische 
Heiligkeit  längst  eingebüßt  hatte,  noch  zu  zerbrechen.  Soweit 
der  Fels  etwa  durch  herabfallende  Steine  des  darüberstehen- 


1)  Antonin.  Martyr  de  locis  sanct.  XXIII:  Ante  ruinas  iempli  Salo- 
monis  sub  platea  aqua  decurrit  ad  fontem  Siloam  secus  porticum  Salo- 
nonis  (Societe  pour  la  public,  de  textes  .  ,  de  l'Orient  Latin,  Itinera 
Latina  I  1879,  S.  104).  Ebenso  vorher  schon  der  Pilger  von  Bordeaux 
und  EucHERiüs;  s.  ZDPV  XI  (1888)  204. 

Kittel,  Beiträge.  3 


34  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

den  Altars  Not  leiden  konnte,  hat  man  ihn  sicher  vor  diesem 
Schicksal  nicht  geflissentlich  behütet;  aber  man  wird  auch 
nicht  absichtlich  weitergegangen  sein.  Dadurch  ist  aber  sein 
Gesamtbild  ohne  Zweifel  nicht  verändert  worden.  Ander- 
seits mögen  gerade  die  herabgefallenen  und  vermutlich  ein- 
fach liegen  gebliebenen  Altarsteine  ein  natürlicher  Schutz  vor 
zufälliger  oder  mutwilliger  weiterer  Beschädigung  gewesen  sein. 
Die  Stadt  scheint  in  der  Hauptsache  wüste  gelegen  zu 
haben  bis  auf  Hadrian.  Jedenfalls  gilt  das  vom  Tempel- 
platze. Es  ist  wahrscheinlich,  daß  gerade  der  von  Hadrian 
unternommene  Versuch  des  Wiederaufbaus  der  Stadt,  und  zwar 
als  heidnischer  Stadt  mit  einem  Tempel  des  Jupiter  an  der 
Stelle  des  Jahwetempels,  zum  Aufstand  geführt  hat  ^  Jeden- 
falls bricht  ein  solcher  aus,  und  nachdem  er  niederge- 
schlagen ist,  und  zwar  nach  langen  und  blutigen  Kämpfen, 
wird  im  Jahr  136,  zum  Zeichen  der  endgültigen  Unter- 
werfung der  Juden  und  der  unwiderruflichen  Beendigung 
des  jüdischen  Religionswesens  in  der  alten  Hauptstadt,  der 
neuen,  auf  der  Stätte  des  einstigen  Jerusalem  gegründeten 
Kolonie  der  Name  Aelia  Capitolina  (nach  dem  Vornamen  des 
Kaisers,  Aelius,  und  zu  Ehren  des  Jupiter  Capitolinus)  ge- 
geben. Demgemäß  erhält  die  Stätte  des  alten  Tempels  einen 
Tempel  dieses  Gottes  mit  Bildsäule.  Auch  ein  Eeiterstandbild 
des  Hadrian  soll  hier  aufgestellt  worden  sein,  das  bis  in  die 
Tage  des  Hieronymus  da  geblieben  zu  sein  scheint'^.  Dem- 
gemäß redet  auch  das  Itinerar.  Hieros.  des  Pilgers  von 
Bordeaux  (333)  von  den  Statuen,  die  unweit  des  „lapis  per- 
tusus"  stehen  l    Hingegen  ist  die  Nachricht,  daß  Hadrian  den 


1)  Dio  Cassius  LXIX,  12. 

2)  Dio  Cassius  LXIX,  12.  Euseb.  Hist.  eccl.  IV,  6.  Hieron.  Com- 
ment.  in  Esai.  2  9:  ubi  quondam  erat  templum  et  religio  Dei,  ibi  Ha- 
driani  statua  et  Jovis  idohim  collocatum  est;  in  Matth.  21  i5:  de 
Hadriani  equestri  statua,  quae  in  ipso  Saucto  Sanctorum  loco  usque  in 
praesentem  diem  stetit  (bei   Valiarsi  IV,  37  u,  VIT,  194  f.) 

3)  Et  in  aede  ipsa,  ubi  templum  fuit,  quem  Salomon  aedificavit 
(Zur  aedes  s.  Eckardt  in  ZDPV  XXIX  [1900]  72  flf.  Es  ist  der  Hadrians- 
tempel)  .  .  .  Sunt  ibi  et  statuae  duae  Adriaui;  est  et  non  longe  de  statuis 
lapis  pertusus,  ad  quem  veniunt  Judaei  singulis  annis  et  iingueut  eum 
et  lamentant  se  cum  genitu  .  .  .  Die  „statuae  duae  Hadriani"  brauchen 
nicht  zwei  Hadrianssiidwen  zu  sein. 


4.  Fortsetzung.     Der  Fels  von  Titus  bis  Justinian.  35 

Pflug  Über  die  Stätte  des  alten  Tempels  geführt  habe,  wenig 
glaubhaft  K 

Demnach  hat  Hadrian  höchst  wahrscheinlich  nicht  den 
Fels  selbst  überbaut.  Es  läge  ja  an  sich  durchaus  nahe, 
zu  denken,  daß  er  den  Altar  an  die  Stelle  des  alten  Altars 
versetzt  hätte;  hätten  wir  keine  das  Gegenteil  besagende 
Nachricht,  so  müßten  wir  jene  Annahme  auch  als  die  nächst- 
liegende vorziehen.  Aber  nicht  nur  redet  Hieronymus  ganz 
bestimmt  vom  Aller  heiligsten,  nicht  vom  Altarplatze,  sondern 
der  Pilger  von  Bordeaux  schließt  den  Altarplatz  geradezu 
aus,  indem  er  die  Statuen  „in  die  Nähe  des  Felsen"  —  dem- 
nach nicht  auf  ihn  selbst  —  verlegt.  Es  liegt  das  auch  in 
der  Natur  der  Sache.  So  wichtig  der  Altar  für  den  jüdischen 
Kultus  ist,  seinen  Mittelpunkt  bildet  er  je  länger,  je  weniger 
gegenüber  der  immer  mehr  überhand  nehmenden  mystischen 
Heiligkeit  des  Allerheiligsten.  Wollte  Hadrian  den  jüdischen 
Gottesdienst  beschimpfen,  so  traf  er  ihn  viel  empfindlicher 
durch  Entweihung  des  Allerheiligsten,  als  durch  die  des 
Altars  -. 

Stand  aber  der  Altar  Hadrians  und  die  zugehörigen  Bild- 
säulen gar  nicht  auf  dem  heiigen  Felsen,  so  liegt  natürlich 
auch  keine  Veranlassung  vor,  anzunehmen,  daß  der  Fels  durch 
die  Bauten  Hadrians  auf  dem  Haram  in  Mitleidenschaft  ge- 
zogen worden  sei.  Es  bleibt  dies  natürlich  immer  möglich; 
es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  daß  man  wenigstens  einen  Teil 
des  Schuttes,  der  von  Titus  her  noch  auf  dem  Felsen  liegen 
mochte,  abräumte.  So  nahe  der  neuen  Kultusstätte  mochte 
wohl  das  Bild  der  alten  Zerstörung  beseitigt  worden  sein^ 
Es  ist  auch  keineswegs  ausgeschlossen,  daß  man  jetzt,  wo  es 
sich  darum  handelte,  den  Juden  Schmach  anzutun,  auch  am 

1)  S.  darüber  Robins.  II  2U3/4. 

2)  Die  spätere  Verehrung  des  Felsen  durch  die  Juden,  wie  sie  z.  B. 
der  Pilger  von  Bordeaux  beschreibt,  beweist  hiegegen  nicht:  er  war  für 
sie  der  einzige  noch  gebliebene  sichtbare  Teil  des  alten  Tempels.  —  Zum 
Ganzen  vgl.  bes.  Rosen,  Das  Haram  v.  Jerus.  (1866)  S.  55 — 62,  auch 
ScHÜREE  Gesch.3  I,  698  ff. 

3)  Doch  ist  auch  das  nicht  sicher.  Nach  Hieron.  ep.  crit  ad  Dar- 
dan. 17,  bei  Vallarsi  I  974  f.,  (post  eversionem  templi  paulo  minus  per 
quadringentos  annos  et  nrbis  et  templi  ruinae  permanent)  scheinen  noch 
im  5.  Jahrh.  die  Ruinen  dagelegen  zu  haben. 

3* 


36  Kittel,  Studien.     I.  Der  heilige  Fels. 

Felsen,  von  dem  man  immerhin  wissen  konnte,  daß  er  den 
Juden  viel  galt,  Mutwillen  übte,  aber  einen  irgendwie  greif- 
baren Anhalt  haben  wir  dafür  nicht. 

Über  die  Zeit  zwischen  Hadrian  und  Konstantin  sind  wir 
ohne  Nachricht.  Es  ist  zu  vermuten,  daß  der  Altar  Hadrians 
fiel,  als  unter  Konstantin  das  Christentum  in  Jerusalem  zur 
Anerkennung  kam  K  Nur  des  Kaisers  eignes  Standbild  scheint 
man  noch  lange  geschont  zu  haben  2.  Der  Altar  selbst  aber 
scheint  gefallen  zu  sein.  Denn  der  Pilger  von  Bordeaux  sah 
333  an  der  Stelle  des  salomonischen  Tempels  ^  ein  anderes 
Gebäude,  das  eine  christliche  Reliquie  beherbergte^. 

Bis  auf  Konstantin  scheint  die  Kolonie  Aelia  ein  be- 
scheidenes Dasein  geführt  zu  haben,  allmählich  zahlreicher 
von  christlichen  Pilgern  besucht,  im  übrigen  aber  ohne  Be- 
deutung. Auch  der  Tempelberg  und  mit  ihm  der  heilige  Fels 
werden  an  der  allgemeinen  Ruhe  und  Abgeschiedenheit,  in 
der  Jerusalem  sich  befand,  teilgenommen  haben.  Mit  dem 
allgemeinen  Umschwung  der  Dinge  unter  Konstantin,  zugleich 
mit  dem  erhabenen  Beispiel  der  Mutter  des  Kaisers,  tritt 
natürlich  auch  für  Jerusalem  und  seine  Stätten  ein  Um- 
schwung ein.  Sie  treten  jetzt  in  den  Mittelpunkt  des  Inter- 
esses. Aber  unter  dem  Schutze  des  christlichen  Kaisertums 
sind  sie  selbst  vor  Entweihung  geschützt.  Mit  Ausnahme 
der  kurzen  Zeit  des  Julian,  über  die  bereits  oben  S.  2  ge- 
handelt ist,  ist  eine  solche  von  jetzt  an  zum  voraus  aus- 
geschlossen, tatsächlich  ist  sie  es  auch  für  die  Zeit  dieses 
Kaisers. 

Sollten  also  nunmehr  Dinge  mit  dem  Felsen  vorgenommen 
worden  sein,  die  ihm  ein  anderes  Aussehen  gaben,  so  wäre 


1)  SULP.  SEVER.,  Hist.  sacr.  II,  33:  Helena  ..  cum  Hierosolymam  agnos- 
cere  concupisset,  reperta  ibi  idola  ac  templa  protrivit.  (Corp.  Scr  Eccl. 
Lat.  I,  87).  Doch  ist  zu  erwähnen,  daß  der  Pilger  von  Bordeaux  .333  sie 
noch  sah,  während  Helena  327  oder  328  gestorben  ist.  Die  Nachricht 
scheint  also  in  dieser  Form  zweifelhaft. 

2)  S.  oben  S    34,  Anm.  2. 

3)  Et  in  aede  ipsa,  ubi  templum  fuit,  quod  Salomon  aediticavit,  in 
marmorem  ante  aram  sanguinem  Zachariae  ibi  dicas  hodie  fusura. 

4)  Dasselbe  stand  schwerlich  an  derselben  Stelle,  der  des  Alier- 
heiligsten  —  sie  scheute  man  sich  zu  überbauen,  s.  oben  S.  81  — ,  wohl 
aber  auf  dem  Tempelplatz  (westlich  vom  Felsen). 


4.  Fortsetzung.     Der  Fels  in  der  Urzeit.  37 

(las  nur  denkbar  im  Zusammenliang'  mit  dem  Versuche,  ihn 
zu  überbauen.  Nach  allem  jedoch,  was  wir  wissen,  darf  als 
höchst  wahrscheinlich  angenommen  werden,  daß  solche  Ver- 
suche in  der  christlichen  Zeit  nach  Julian  nicht  mehr  unter- 
nommen worden  sind.  Die  Zeugnisse,  die  wir  haben,  stimmen 
darin  überein,  daß  die  Scheu  vor  dem  verfluchten  Orte  so 
groß  war,  daß  die  Araber  in  der  Tat  eine  vollkommen  öde 
und  unbebaute  Stätte  hier  vorfanden '.  Auch  Justinian  hat 
hiervon  keine  Ausnahme  gemacht.  Die  eine  Zeitlang  gehegte 
Meinung,  er  sei  der  Erbauer  des  Felseudomes,  bedarf  heute 
kaum  mehr  der  Widerlegung '-. 

Unsere  Wanderung  hat  uns  somit  bis  in  die  Zeit  des 
Titas  und  damit  in  diejenige  des  herodianischen  Tempels  zu- 
rückgeführt. Fassen  wir  das  Ergebnis  zusammen,  so  hat 
nach  dem,  was  unsere  Untersuchung  ermittelt  hat,  die  An- 
nahme die  höchste  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  daß  auch  von 
den  Tagen  des  eindringenden  Islam  an  rückwärts  bis  zu  Titus, 
und  damit  zugleich  bis  zu  Herodes  der  hl.  Fels  in  allen  Haupt- 
punkten derselbe  geblieben  ist.  Mit  den  Ergebnissen  der 
vorausgehenden  Erörterung  zusammengehalten,  liefert  uns 
die  zuletzt  ermittelte  Wahrscheinlichkeit  das  Gesamtergebnis, 
daß  zwischen  der  Zeit  des  Herodes  und  der  Gegen- 
wart aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in  betreff  des  in  Frage 
kommenden  Felsen  kein  bemerkenswerter  Unterschied 
besteht. 

5.  Der  Fels  in  der  Urzeit  3. 

Es  mag  an  den  Ergebnissen  der  bisherigen  Untersuchung 
manches  zweifelhaft  oder  unsicher  erscheinen,  teils  solches, 
das  wir  selbst  als  minder  sicher  bezeichnet  haben,  teils  aber 
auch  solches,  das  uns  als  wahrscheinlich  vorkam.  Die  Natur 
der  Sache  bringt  dies  bei  dem  Gegenstande  unsrer  Unter- 
suchung unvermeidlich  mit  sich.  Eines  aber  darf  als  voll- 
kommen   feststehend    angenommen  werden:    es  hat  sich  bei 

1^  S.  oben  S.  31. 

2)  Vgl.  ZDPV  XI  (1888),  197  ff.  XIII  (1890),  Iff 

3)  Vgl.  hierzu  die  besondere  Abhandlung  über  den  primitiven  Altar 
(Abh.  II). 


38  Kittel,  Studieo.    I.  Der  heilige  Fels. 

■wesentlichen  Eigentümlichkeiten  des  heiligen  Felsen  von  Jeru- 
salem bei  dem  im  Vorhergehenden  unternommenen  Gang  durch 
die  Jahrhunderte  ergeben,  daß  die  uns  bekannte  Geschichte 
des  Felsen  bis  in  das  Zeitalter  Christi  hinauf  keinerlei  Ver- 
anlassung ihrer  Entstehung  erkennen  ließ. 

Um  sofort  noch  genauer  zu  sagen,  was  gemeint  ist:  man 
mag  über  die  Frage  streiten,  wann  etwa  die  scharfe  Ecke  im 
Süden  bezw.  Südwesten  des  Felsen  entstanden  sei,  ebenso 
wann  der  Fels  im  Westen  so  abgemeißelt  wurde,  wie  wir  ihn 
heute  sehen,  endlich  gar  auch,  zu  welcher  Zeit  er  etwa  im 
Norden  verkürzt  oder  teilweise  zerschlagen  worden  sein 
möge  —  es  bleibt  trotzdem  außer  Zweifel,  daß  für  die  Rinne 
und  das  Loch  im  Norden,  für  die  runden  Löcher  im  Süden, 
für  die  Abstufung  im  Westen,  für  den  schrägen  Aufgang  im 
Osten,  für  die  kleinen  Vertiefungen  im  Südwesten  und  Westen, 
endlich  auch  für  die  Höhle,  falls  sie  künstlich  ist,  in  der  Zeit 
nach  Herodes  bezw.  nach  Titus  sich  kein  zureichender  Grund 
finden  läßt.  Alle  diese  höchst  eigenartigen  Gebilde  am  Felsen, 
soweit  sie  nicht  natürlicher,  also  zufälliger  Herkunft  sind, 
lassen  sich  ihrer  Entstehung  nach  aus  der  christlichen  und 
islamischen  Ära  nicht  verstehen.  Mit  andern  Worten:  sie 
müssen  der  israelitischen  oder  vorisraelitischen  Geschichte  des 
Felsen  entstammen  und  müssen  demgemäß,  wofern  überhaupt. 
so  im  Kultus  oder  Volksbrauch  dieser  älteren  Periode  ihre 
Erklärung  finden. 

Damit  erwächst  uns  von  selbst  die  Aufgabe,  in  die  Ge- 
schichte dieser  Periode  unsres  Gegenstandes  einzutreten.  Es 
empfiehlt  sich,  hier  den  umgekehrten  Weg  einzuschlagen  und 
die  Untersuchung  mit  der  Urzeit  zu  eröffnen,  um  sie  dann  an 
demjenigen  Punkte,  bis  zu  dem  die  bisherige  Erörterung  ge- 
führt hatte,  wieder  anlangen  zu  lassen. 

Wir  wissen  von  Jerusalem,  daß  es  eine  Stätte  altkana- 
anäischer  Ansiedlung  und  Gottesverehrung  ist.  Nicht  nur  die 
Amarnatafeln  nennen  es  uns  als  den  Sitz  eines  kanaanäischen 
Königs,  auch  die  alte  Vätersage  weiß  von  ihm  und  bringt  es 
in  besonders  nahe  Beziehung  zu  eigentümlichen  Äußerungen 
der  Gottesverehrung.  Denn  es  kann  kaum  einem  Zweifel 
unterliegen,  daß  sowohl  mit  jenem  Salem  des  Malkisedek,  der 
als  ein  Verehrer  des  höchsten  Gottes  bezeichnet  wird,  als  mit 


5.  Der  Fels  in  der  Urzeit.  39 

dem  Berge  im  Lande  des  Moria,  woselbst  Isaak  geopfert 
werden  soll,  nichts  anderes  genieint  ist  als  Jerusalem.  In 
beiden  Fällen  wird  die  Erwähnung  Jerusalems  und  die  Rolle, 
die  es  hier  spielt,  beeinflußt  sein  durch  den  Gedanken  an  die 
Stellung,  welche  Jerusalem  im  späteren  Kultusleben  Israels 
einzunehmen  berufen  war.  Aber  das  schließt  nicht  aus,  daß 
in  beiden  Fällen  einer  alten  Überlieferung  Ausdruck  gegeben 
ist,  nach  welcher  Jerusalem  schon  in  sehr  früher  vorisraeliti- 
scher Zeit  als  wichtiger  Kultusort  galt  K  Im  besondern  läßt 
Gen  22  ü  eigentlich  nur  auf  diese  Weise  eine  befriedigende 
Erklärung  zu,  wenn  angenommen  werden  darf,  daß  nach  der 
Ansicht  des  Erzählers  eben  jene  Höhe,  die  später  den  be- 
rühmten Tempel  Jahwes  trug,  schon  in  alter  Zeit  von  ihm 
dazu  ausersehen  war,  der  vielfach  im  Schwange  gehenden 
Unsitte  des  Kinderopfers  zu  steuern. 

Noch  deutlicher  tritt  diese  Tatsache  ins  Licht  in  der  be- 
kannten Erzählung  über  die  Tenne  des  Jebusiters  Arawna  in 
2  Sam  24  und  die  Art,  wie  David  dort  einen  Altar  errichtet. 
Der  Engel  Jahwes,  der  als  Würgeengel  die  Pest  über  das 
Land  verhängt,  ist  eben  bei  der  Dreschtenne  des  Jebusiters 
Arawna  angelangt,  um  von  hier  aus  auch  Jerusalem  zu  ver- 
nichten; da  wird  ihm  Halt  geboten.  David  geht  auf  Befehl 
des  Profeten  Gad  hinauf  zur  Tenne,  um  sie  in  seinen  Besitz 
zu  bringen  und  hier  —  an  der  Stelle,  wo  der  Engel  Halt  ge- 
macht hatte  —  einen  Jahwealtar  zu  errichten,  damit  der 
Seuche  endgültig  gewehrt  werde  (V.  21).  Der  Altar  wird  er- 
richtet, „und  Jahwe  ließ  sich  dem  Lande  wieder  günstig 
stimmen  und  die  Seuche  wurde  von  Israel  abgewehrt". 

Die  Erzählung,  das  mag  zunächst  ins  Licht  gestellt 
werden,  hat  nichts  zu  tun  mit  der  in  2  Sam  6  überlieferten 
von  der  Überführung  der  Gotteslade  nach  der  Stadt  Davids. 


1)  Auf  die  schwierige  und  verwickelte  Frage  über  den  Charakter 
der  merkwürdigen  Erzählung  von  Gen  14  soll  hier  nicht  eingegangen 
werden.  Aber  wie  man  im  übrigen  über  sie  urteilen  möge,  die  Episode 
über  Melkisedek  bleibt  immer  ein  Stück  von  eigenartigem  und  selb- 
ständigem Werte  und  manche  sind  geneigt,  gerade  ihm  eine  besondere 
Stellung  einzuräumen.  Vgl.  z.  B.  Buhl  in  PRE^  Melchisedek;  Gunkel 
Komm.  z.  Gen 2.  Die  obigen  Sätze  in  ihrer  ganz  allgemeinen  Fassung  wird 
man  deshalb  vermutlich  ziemlich  allgemein  gelten  zu  lassen  geneigt  sein. 


40  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

Natürlich  wird  der  Lade  dort  ein  Zelt  und  ein  Altar  errichtet  K 
Aber  jenes  Zelt  befand  sich  in  der  Stadt  Davids,  d.  h.  der 
Davidsburg  auf  dem  Zion,  höchst  wahrscheinlich  nahe  der 
Gihonquelle,  jedenfalls  erheblich  südlicher  und  damit  tiefer 
als  die  Tenne  vermutlich  lag. 

Dreschtennen  werden  an  luftigen,  vom  Winde  bestrichenen 
Stellen  errichtet.  Es  bedarf  zu  ihrer  Errichtung  zugleich 
einer  ebenen  Fläche  von  nicht  ganz  geringer  Ausdehnung. 
Wo  die  Natur  eine  solche  nicht  bietet,  wird  sie  künstlich  her- 
gestellt. Eine  ebene  Felsplatte,  wie  sie  der  Fels  auf  dem 
Haram  und  seine  unmittelbare  Fortsetzung  unter  dem  heutigen 
Felsendom  und  der  Hochterrasse  -  darstellt,  mußte  sich  hierzu 
vortrefflich  eignen,  und  es  läßt  sich  für  einen  vermögenden 
Bewohner  der  am  Zionhügel  sich  hinziehenden  alten  Jebusiter- 
stadt  überhaupt  kein  günstigerer  Ort  für  eine  Dreschtenne 
vorstellen,  als  diese  Felsplatte  oben  auf  dem  Gipfel  des  Hügels, 
dem  Moria. 

Nun  heißt  es  allerdings  nur,  David  habe  dort  bei  der 
Tenne  3  auf  dem  Moria,  denn  so  wird  der  Hügel  in  2  Chr  3i 
bezeichnet,  einen  Altar  errichtet,  nicht  der  Jebusiter  habe 
schon  vorher  einen  solchen  dort  besessen.  Allein,  daß  der 
Engel  gerade  hier  Halt  macht,  ist  dem  Erzähler  schwerlich 
zufällig.  Es  ist  für  ihn  hier  vermutlich  ebenso  Wirkung, 
nicht  Ursache,  wie  in  Rieht  6,  Es  kommt  dazu,  daß,  da  die 
Stadt  der  Jebusiter  der  Quelle  wegen  sich  am  Abhang  gegen 
Süden  hinzog,  die  ganz  natürliche  und  von  selbst  gegebene 
Stelle  für  die  Opferhöhe  der  Gipfel  des  Hügels  war. 

Es  darf  hier  erinnert  werden  an  die  Stelle,  welche  nach 
den  Schilderungen  der  israelitischen  Profeten  die  Gaben  der 
Erde  und  die  Tenne  als  die  Stätte,  an  der  man  ihrer  sich 
freut,  im  altkanaanäischen  Kultusleben  einnehmen.  Israel 
sagt  nach   kanaanäischer  Weise:    „Ich    will  meinen  Buhlen 


1)  Vgl.  2  Sam  0  17;  1  Köu  1  39.  51.  2  28f ;  2  Sam  7  2. 

2)  S.  das  Diagramm  bei  Schick,  Beit  el  Makdas;  auch  Mommert, 
Topogr.  Taf.  IV. 

;j)  Der  eigentliche  Dreschplatz,  wenn  auch  das  Ganze  Tenne  hieß, 
wird  nicht  auf  der  Sachra  selbst  sich  befanden  haben,  sondern  auf  der 
an  den  heutigen  hl.  Felsen  sich  anschließenden  Felsplatte;  s.  die  vorige 
Anm. 


5.  Der  Fels  in  der  Urzeit.  41 

nachlaufen,  die  mir  Brot  und  Wasser,  Wolle  und  Flachs,  Öl 
und  Getränke  spenden"  (Hos  2  ?).  Die  Buhlen  sind  die  mit 
Jahwe  um  die  Gunst  Israels  streitenden  Landesgottheiten,  sie 
gelten  als  Spender  der  Gaben  des  Landes,  an  Fruchtfeld  und 
Tenne  knüpft  sich  daher  ihre  Verehrung.  Oder  Jahwe  spricht 
zu  Israel:  „Du  hast  gehurt  von  deinem  Gotte  weg,  auf  allen 
Tennen  liebtest  du  Buhlerlohn"  (Hos  9 1).  —  Das  Huren  ist 
der  Gottesdienst  nach  der  Weise  der  Kanaanäer  und  der 
Buhllohn  ist  der  von  jenen  Buhlen,  den  Baalen,  Israel  gespen- 
dete Ertrag  der  Tenne,  Auch  da  also  ist  Tenne  nnd  Gottes- 
verehrung aufs  engste  verbunden.  So  ist  es  ganz  natürlich, 
daß  beide  auch  räumlich  zusammengehörten:  Altar  und  Tenne 
fallen  zusammen. 

Es  kommt  ferner  dazu,  daß  es  allen  Analogien  entspricht, 
wenn  wir  annehmen,  der  Altar  und  die  Anbetungsstätte,  die 
David  hier  errichtete,  haben  sich  angelehnt  an  eine  schon 
vorhandene,  der  Bevölkerung  als  heilig  bekannte  Stätte.  Steht 
es  einmal  außer  Zweifel,  daß  das  vorisraelitische  Jerusalem 
so  gut  wie  jede  andre  Kanaanäerstadt  seine  Opferstätte  hatte, 
so  besteht  auch  die  höchste  Wahrscheinlichkeit,  daß  Israel 
mit  David   sie   übernommen   und  auf  Jahwe  übergeleitet  hat. 

Freilich  ist  die  Frage  erlaubt,  weshalb  David,  wenn  auf 
Moria  bereits  eine  Verehrungsstätte  war,  dann  die  Lade  nicht 
dorthin  brachte?  Die  alte  Höhe,  wenn  sie  existierte,  schiene 
doch  der  gegebene  Ort  für  sie  gewesen  zu  sein.  Allein  David 
mochte  Gründe  haben,  dies  nicht  zu  tun.  Die  Lade  sollte 
seiner  Königsburg  unmittelbar  nahe  sein  als  ihr  natürlicher 
Schutz,  wie  sie  es  später  bei  Salomo  in  der  Tat  war;  sie 
sollte  vielleicht  auch  ihr  spezifisch  israelitisches  Gepräge 
wahren  und  deshalb  ihr  Kultus  nicht  mit  dem  einer  alten 
Höhe  vermengt  werden.  Erst  unter  Salomo,  als  der  Kultus 
an  der  Lade  sich  längst  fest  eingebürgert  hatte  und  der  Ort 
durch  den  Tempel  überhaupt  seinen  eigentümlichen  Charakter 
gewann,  wollte  man  dies  wagen.  So  haben  tatsächlich  in  dem 
Jerusalem  Davids  zwei  Anbetungsstätten  existiert:  das  Zelt 
mit  der  Lade  am  Gihon  und  der  Altar  auf  Moria,  jenes  die 
Hauptopferstätte  und  die  spezifisch  israelitische  Stätte 
darstellend,  dieser  an  kanaanäische  Überlieferungen  an- 
knüpfend. 


42  Kittel,  Studieo.    I.  Der  heilige  Fels. 

Wie  beschaffen  war  die  vorisraelitisch  -  kanaanitische 
Felsenhöhle  der  alten  Jebusiter,  und  wie  mag  der  Altar, 
den  David  hier  errichtete,  ausgesehen  haben? 

Den  primitiven  Felsaltar  der  vorisraelitischen  Zeit  kennen 
wir  einigermaßen.  Dementsprechend  dürfen  wir  auch  die 
Grestalt  des  alten  Jebusiteraltars  auf  der  Tenne  bei  Jerusalem 
vermuten.  Es  werden  die  Gaben  der  Gottheit,  die  an  dem 
Steine  weilt,  wohl  auch  in  ihm  ihren  Sitz  aufgeschlagen  hat. 
dargereicht,  indem  man  sie  auf  den  Stein  stellt  und  es  ihr 
überläßt,  sie  in  Empfang  zu  nehmen,  und  die  zugehörige 
Flüssigkeit  —  Wasser,  Brühe,  auch  Ol  und  Wein,  oder  aucli 
Blut  —  über  den  Stein  gießt.  Die  runden  Löcher  am  Westrande 
sind  wohl  solche  Schalen,  zur  Aufnahme  flüssiger  Altargaben 
bestimmt,  und  damit  den  mancherlei  Opferschüsseln  und  Schalen 
an  Opfersteinen  zu  vergleichen. 

Ist  diese  Vermutung  richtig,  so  gewinnt  damit  auch  die 
scharf  abgeschnittene  Gestalt  des  Felsen  an  seinem  Westrande 
(LZ  in  Abb.  4)  eine  neue  Beleuchtung.  Die  Schalen  stehen  am 
äußersten  Westrande:  sind  sie  selbst  schon  vorhistorisch,  so 
wird  auch  die  Abmeißelung  des  Felsen  an  dieser  Seite  vor- 
historischer Zeit  angehören.  Ob  auch  die  parallel  mit  dem 
Westende  laufende  Abstufung  des  Felsen  (GW)  schon  dieser 
vorhistorischen  Zeit  angehört,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 
Immerhin  ist  es  nicht  unmöglich,  und  die  eben  erwähnten 
Schalen  sprechen  auch  hiefür  am  meisten.  Denn  sie  können 
doch  wohl  erst  entstanden  sein,  als  die  Abstufung  schon  vor- 
handen war.  Andernfalls  müßten  gerade  an  diesen  Stellen 
schon  vorher  Senkungen  im  Felsen  bestanden  haben.  Aber 
jene  westliche  Abstufung  ist  überhaupt  bis  auf  weiteres  nocli 
recht  rätselhaft.  Zum  eigentlichen  Hinaufsteigen  kann  sie 
nicht  gedient  haben,  sondern  nur  etwa,  um  der  Mitte  des 
Felsen  leichter  näherzukommen.  Eine  weitere  Vermutung 
vergleiche  man  unten  S.  49. 

Demselben  Zwecke  können  auch  die  weiteren  Vertiefungen 
—  abgesehen  von  dem  durch  den  Fels  durchgehenden  Loche, 
das  dem  Steine  den  Namen  des  lapis  pei-tiisus  eintrug  —  ge- 
dient haben,  nämlich  das  im  Norden,  falls  es  sich  bestätigt, 
und  das  kleinere  gegen  Süden.  Eine  andere  Deutung  ist  aber 
wenigstens  der  Erwägung  wert.    Wir  wissen,  daß  zum  kana- 


5.  Der  Fels  in  der  Urzeit.  43 

anäisclien  Höhendienst  als  ein  fast  notwendiger  Bestandteil  des- 
selben die  Masseba,  die  heilige  Steinsänle,  und  die  x\schera,  der 
heilige  Baum  oder  der  den  Baum  nachahmende,  ihn  ersetzende 
heilige  Pfahl,  gehörte.  Wir  haben  Beispiele  davon,  daß  die 
Masseben,  zum  Teil  in  größerer  Zahl,  neben  dem  Altar  standen; 
aber  auch  davon,  daß  sie  auf  den  Altarplatz  selbst  zu  stehen 
kamen.  Das  fast  kreisrunde  Loch  gegen  Süden  des  hl.  Felsen 
fände  m.  E.  seine  Erklärung  wohl  auf  diese  Weise,  daß 
es  zur  Aufnahme  einer  Massebe  bestimmt  war.  Das  Loch  im 
Norden  könnte,  falls  es  nicht  etwa  der  Aufnahme  von  Blut 
dienen  sollte,  seine  Erklärung  nach  Deut  12  2«  finden.  Dort 
ist  die  Rede  davon,  daß  man  Ascheren  „pflanzte",  d.  h.  doch  wohl, 
daß,  wie  in  Abh.  II  angenommen  ist,  auch  der  natürliche  ^  Baum, 
nicht  bloß  der  künstliche  zur  Äschere  verwandt  wurde.  Dann 
mußte  natürlich  eine  Stätte  für  ihn  geschaffen  werden,  eine  Art 
Adonisgärtchen.  Auch  dazu  konn- 
ten größere  Vertiefungen  im 
Felsen,  wenn  man  sie  mit  Erde 
füllte,  ganz  wohl  dienen.  Eine 
solche  könnte  das  Loch  im  Nor- 
den sein.  Abb.  6. 

Doch  halte  ich  diese  Erklär-  Siegelzylinder  aus  Betseäu. 

ung  hier  nicht  für  allzu  wahr- 
scheinlich. Das  Näherliegende  wird  immer  sein,  daß  die  nörd- 
liche Vertiefung  zur  Aufnahme  einer  Flüssigkeit,  sei  es  Wasser, 
sei  es  Blut,  bestimmt  war.  Die  Nähe  des  sofort  zu  erwähnenden 
Schlachtplatzes  kann  für  das  letztere,  an  sich  auch  das  Wahr- 
scheinlichste, sprechen,  die  Nähe  des  Wassers  (s.  S.  22  u.  83)  ließe 
auch  das  erste  ins  Auge  fassen.  Unter  allen  Umständen  ist 
festzuhalten,  daß  die  Rinne  im  Felsen  keinen  andern  Zweck 
haben  kann,  als  den  Zutritt  zu  jenem  „Bassin"  zu  ermöglichen. 
Darüber  unten  das  Nähere. 

Im  Norden  des  Altars  war  beim  letzten  Tempel  der 
Schlachtplatz.  Es  waren,  wie  wir  sehen  werden,  zu  diesem 
Behufe   eigene  Vorrichtungen  getroffen.     Aber  es  ist  damit 


1)  Man  vergleiche  die  mehrfachen  Abbildungen  von  Bäumen  auf 
babylonischen  oder  babyionisierenden  Siegeln  in  Israel  (Abb.  6)  in  einer 
Art  von  großen  Blumentöpfen  oder  Baumkübeln;  sie  werden  auch  nicht 
anders  zu  deuten  sein. 


44  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

nicht  gesagt,  daß  diese  Lage  des  Schlachtplatzes  erst  eine 
Erfindung  des  Judentums  war;  sie  wird  auf  alter  Überliefe- 
rung ruhen.  Der  freie  Raum  im  Norden  des  Felsen,  der  doch 
wohl  künstlich  frei  gemacht  ist,  und  die  mancherlei  Steinbänke 
und  Steinstufen  oder  -tische  hier  lassen  vermuten,  daß  lange 
vorher  und  wohl  schon  in  vorhistorischer  Zeit  hier  die  Schlacht- 
stätte war.  Das  Loch  in  die  Tiefe  hier  im  Norden  wird  mit 
der  Einrichtung  der  Schlachtstätte  zusammenhängen,  wohl 
auch  schon  der  Gang  zum  Felsen  hin.  In  diesem  Fall  hätte  der 
letztere  dem  Zwecke  gedient,  dem  rundlichen  Einschnitte  nahe  zu 
kommen,  ohne  den  Fels  besteigen  zu  müssen  —  sei  es  zur 
Ausgießung  von  Opferblut,  sei  es  zur  Pflege  des  „Gärtchens". 
Wir  kommen  zur  Höhle  und  dem  zu  ihr  führenden  Loche 
im  hl.  Felsen.  Es  kommt  hier  nicht  allzuviel  darauf  an,  ob 
die  Höhle  künstlich  ist  oder  natürlich,  worüber  die  Akten  bis 
auf  weiteres  noch  offen  sind.  In  beiden  Fällen  wird  sie 
schon  bei  dem  vorgeschichtliclien  Heidentum  von  Jerusalem 
eine  wichtige  Stelle  im  Gottesdienst  eingenommen  haben  ^  Sie 
wird  dann  vermutlich  als  der  Sitz  des  hier  weilenden  Gottes 
oder  Numens  gegolten  haben.  Wie  die  Menschen,  so  wohnten 
auch  die  Götter  in  Höhlen.  Das  Loch  im  Felsen,  sei  es 
künstlich,  sei  es  natürlich,  wird  dann  schwerlich  bloß  als 
Luftloch  für  die  Höhle  und  ihre  Bewohner,  sondern  zugleich 
dazu  gedient  haben,  das  Opferblut  zur  Höhle  hinunterzu- 
lassen. 

6.  David. 

„Und  David  baute  dort  Jahwe  einen  Altar  und  brachte 
Brand-  und  Heilsopfer  dar."  2  Sam  24-25.  „Damals,  als  David 
sah,  daß  ihm  Jahwe  auf  der  Tenne  des  Jebusiters  Oman  ge- 
antwortet hatte,  opferte  er  dort . .  .  Und  David  sprach:  Dies 
hier  sei  die  Behausung  Jahwes  Gottes  und  dies  der  Altar  für 
die  Brandopfer  Israels"  (1  Chr  21 28  22 1).  Der  Fels  trägt, 
wie  wir  sahen,  alle  Kennzeichen  eines  natürlichen  Felsenaltars. 
Nun  wird  durch  David  auf  der  Dreschtenne  des  Arawna,  also 
vermutlich  an  derselben  Stelle,  wo  die  jebusitische  Opferhöhe 


1)  S.    Macalister,    Streiflichter  zur  bibl.    Geschichte   usw.  (1907), 
S.  30ff. 


6.  David.  45 

lag  und  somit  auf  dem  heutigen  W.  Felsen,  ein  Altar  errichtet. 
Der  Naturaltar  wird  zum  Kunstaltar,  der  Felsentisch  zur 
Brandstätte.  Aus  der  einfachen  Felsplatte  wird  ein  Altarbau 
mit  künstlichem  Aufsatz.  Aus  welchem  Stoffe  der  über  den 
Fels  gelegte  Aufbau  ist,  erfahren  wir  nicht.  Das  Altargesetz 
in  Ex  20  24  f.  kennt  Altäre  von  Erde  bezw.  Rasen  und  solche 
von  unbehauenen  Steinen.  Die  ersteren  scheinen  nach  ihm 
die  Regel  gebildet  zu  haben.  Trotzdem  ist  nicht  wahrschein- 
lich, daß  auf  den  Felsen  ein  Aufsatz  von  Rasenstücken  ge- 
setzt wurde.  Vielmehr  wird  David  einen  Steinaltar  auf  der 
Felsplatte  errichtet  haben.  Ob  aus  behauenen  oder  unbe- 
hauenen Steinen,  können  wir  trotz  Ex  20  25  nicht  bestimmen, 
da  auch  Ezechiel,  der  doch  sicher  jenes  Gesetz  kennen  mußte, 
sich  nicht  an  die  Vorschrift  hält. 

Im  Zusammenhang  mit  dem  ersten  wirklichen  Altarbau, 
dem  Davids,  werden  wir  uns  nun  auch  am  ehesten  die  schiefe 
Ebene  erklären  können,  die  an  der  Ostseite  des  Felsen  her- 
gestellt ist.  Sie  kann  doch  wohl  nur  dazu  dienen,  zu  ermög- 
lichen, daß  man  den  Altar  besteigen  konnte.  Ein  Besteigen 
kam  aber  eigentlich  doch  nur  dann  in  Betracht,  wenn  über 
dem  Felsen  sich  noch  ein  Aufsatz  befand,  der  den  eigentlichen 
Altar  darstellte,  während  der  Fels  selbst  als  Fundament  für 
den  Altar  galt.  Der  Altar  wird  etwas  hinter  dem  obern  Ende 
des  Aufgangs  zurückgestanden  haben,  auch  nach  rückwärts 
(Westen)  nicht  bis  an  den  Rand  des  Felsen  gereicht  haben, 
so  daß  ein  Umgang  um  den  Altar  auf  dem  Naturfelsen  aus- 
gespart war,  von  dem  aus  der  Altar  bedient  werden  konnte. 
Das  Viereck  efgh  mag  ihn  bezeichnen. 

Das  Altargesetz  in  Ex  20  20  verbietet,  auf  Stufen  zum 
Altar  hinaufzusteigen;  der  Aufgang  im  Osten  des  Felsen  ent- 
spricht dieser  Forderung  tatsächlich  —  womit  natürlich  über 
die  Frage,  ob  er  mit  Rücksicht  auf  sie  so  hergestellt  sei,  noch 
kein  Urteil  abgegeben  ist. 

Indem  David  nicht  mehr  den  Stein  selbst  als  Tisch  für 
die  Gaben  an  die  Gottheit  verwendet,  sondern  einen  Altar  auf 
ihm  errichtet,  und  indem  er  den  Altar,  wie  ausdrücklich  be- 
zeugt ist,  zur  Verbrennung  von  Opfergaben  verwendet,  vor 
allem  aber  indem  er  ihn  statt  des  jebusitischen  Numens  oder 
des  lokalen  Baal,   der  hier  etwa  verehrt  wurde,   dem  Jahwe 


46  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

weiht,  nimmt  er  wohl  von  selbst  gewisse  Veränderungen  mit 
der  heiligen  Stätte  vor.  Der  Altar  wird  jetzt  Brandstätte. 
Feuerherd.  Das  ist  er  mutmaßlich  nicht  von  Anfang  an  ge- 
wesen. Die  Libationen  an  den  runden  Vertiefungen  werden 
damit  hinter  den  Feueropfern  zurückgetreten  sein.  Aus  dem 
eigentlichen  Kultus  schwinden  sie  vermutlich,  um  nur  etwa 
noch  den  privaten  Gepflogenheiten  einzelner  zu  dienen.  An 
ihre  Stelle  tritt  das  Sprengen  des  Opferblutes  an  den  Altar 
und  besonders  das  Streichen  desselben  an  seine  Hörner.  Denn 
Hörner  scheinen  zu  den  notwendigen  Bestandteilen  des  israe- 
litischen Altars  der  damaligen  Zeit  —  jedenfalls  seit  Salomo 
—  gehört  zu  haben  K  Massebe  und  Aschera,  sofern  sie  vorher 
da  waren,  sind  vielfach  an  den  israelitischen  Altären  noch 
längere  Zeit  verblieben.  Erst  das  Deuteronomium  schafft  sie 
systematisch  ab.  Sie  mögen  auch  hier  zunächst  noch  stehen- 
geblieben sein. 

Hingegen  heischt  der  Altar  als  Jahwealtar  und  als  Opfer- 
herd weitere  Neuerungen.  Wir  erfahren  nirgends  etwas  davon, 
daß  Jahwe  als  in  Höhlen  wohnende  Gottheit  angesehen  worden 
sei.  Galt  also  die  Höhle  unter  dem  Felsen  ehedem  als  Be- 
hausung des  Numens,  so  muß  dieser  Glaube  nun  angesichts 
der  ganz  anderen  Natur  Jahwes,  der  keinerlei  Züge  einer 
unterirdischen  Gottheit  an  sich  hat,  weichen-.  Hingegen  for- 
dert der  Opferherd,  auf  dem  ganze  Tiere  verbrannt  werden, 
naturgemäß  Eäume  zur  Beseitigung  alles  dessen,  was  etwa 
an  Asche,  Blut  und  unverbrannten  Teilen  auf  dem  Altar  liegen 
blieb.  Es  entsteht  somit  das  Bedürfnis  einer  Grube,  die  alle 
diese,  Beseitigung  heischenden  Dinge  aufzunehmen  hat.  Be- 
stand die  mehrfach  erwähnte  Höhle  schon,  so  wird  sie  nun- 
mehr ihrer  neuen  Bestimmung  zugeführt  worden  sein,  bestand 
sie  nicht,  so  mag  David  sie  haben  herstellen  lassen  3.  Im 
Boden  der  Höhle  befindet  sich,  wie  wir  oben  sahen,  ein  Loch, 
das  in  die  Tiefe  führt,  und  unter  dem,  wenn  man  mit  dem 
Fuße  daraufstößt,   sich  hohle  Töne  vernehmen  lassen.    Schon 


1)  S.  darüber  unten  Abh.  II. 

2)  S.  darüber  unten  Abh.  II. 

3)  Doch  ist  das  nach  den  unten  in  Abhandl.  II  gegebenen  Analogien 
nicht  wahrscheinlich.  Die  Höhle  und  der  Höhlenkultus  ist  augenscheinlich 
d.is  Älteste  an  der  ganzen  Stätte. 


6.  David.  47 

Schick  hat  hiefür  die  vollkommen  richtige  Deutung  gegeben: 
aus  der  Grube  wird  der  Unrat  in  die  Tiefe  abgeführt.  Das 
Loch  im  Felsen,  sei  es  künstlich  hergestellt,  sei  es  ein  Werk 
der  Natur,  hat  bei  dieser  Verwendung  der  Höhle  natürlich 
die  Bestimmung,  ihr  die  Altarabfälle  unmittelbar  zuzuführen. 

Nicht  ganz  leicht  ist  die  Einne  zu  bestimmen.  In  den 
Beschreibungen  des  Felsen  ist  mehrfach  von  Spuren  einer 
Rinne  die  Rede,  die  dazu  gedient  haben  soll,  das  vom  Altar 
niederrinnende  Blut  aufzunehmen  und  abzuführen  K  Da  sonst 
keine  Rinne  sichtbar  ist,  so  kann  mit  dieser  Beschreibung 
wohl  nur  die  große  Rinne,  besser  der  große  breite  und  tiefe 
Gang  im  Norden  gemeint  sein.  Nun  ist  schon  aus  seiner  Ge- 
stalt m.  E.  soviel  auf  den  ersten  Blick  zu  entnehmen,  daß 
dieser  Gang  —  von  Hause  aus  jedenfalls  —  nicht  als  Abfluß- 
rinne gedacht  ist.  Nicht  nur  war  für  die  Beseitigung  des  zu 
Beseitigenden  durch  die  Grube  bzw.  Höhle  mit  ihrem  Gang 
in  die  Tiefe  gesorgt,  sondern  als  Wasserrinne  wird  niemand 
einen  mannsbreiten  und  mannstiefen  —  so  etwa  sind  nach 
meiner  Erinnerung  die  Dimensionen  —  Graben  in  den  Fels 
hauen.  Es  muß  also  eine  andere  Erklärung  gesucht  werden. 
Schon  Quat.  Statem.  haben  hier  das  allein  Richtige  gefunden-, 
indem  sie  den  Gang  Recess  to  approach  Basin  nennen.  Es  ist 
nichts  anderes  als  der  Zugang  zu  jener  großen  Schale,  die 
wir  wohl  als  Blutschale  annehmen  dürfen.  Mit  dieser  Be- 
stimmung hat  der  Gang  wohl  schon  beim  vorisraelitischen 
Felsentisch  existiert,  als  ein  neuer  und  besonders  handgreif- 
licher Beweis  der  Tatsache,  daß  man  sich  vielfach  auch  in 
ältester  Zeit  gar  nicht  scheute,  den  heiligen  Stein  zu  be- 
arbeiten, eine  Sitte,  gegen  die  Ex  20-2(5  Protest  einlegt. 

Für  uns  entsteht  aber  nun  die  Frage,  ob  auch  der  israe- 
litische Jahwe- Altar  Davids  noch  diese  Verwendung  des  Ganges 
kannte.  Ich  kann  das,  solange  wenigstens  der  Fels  nicht  ganz 
überbaut  war  —  und  das  war  er  vermutlich  vor  Herodes 
nie  — ,  nicht  für  unwahrscheinlich  halten.  Jedenfalls  beim 
davidischen  Altar  scheint  mir  die  höchste  Wahrscheinlichkeit 
dafür   zu   sprechen.    Wir   wissen   nämlich,   daß   im   späteren 

1)  Vgl.  BenzinctER,  Hebr.  Archäol.  S.  233;  Nowack,  Hebr.  Archäol. 
S.  41;  Bädeker,  Paläst.e  S.  50 

2)  a.  a.  O.  S.  75  in  der  Erläuterung  der  Abbildung. 


4g  Kittel,  Studien.     I.  Der  heilige  Fels. 

Kultus  beim  Brandopfer  das  Blut  auch  an  den  Fuß  des  Altars 
gegossen  wird.  Diese  Sitte  ist  sicher  wie  viele  andere  Kultus- 
sitten des  priesterlichen  Gesetzes  nicht  jung,  sondern  sie  ent- 
spricht wohl  alter  und  ältester  Überlieferung.  Erhob  sich 
nun,  wie  wir  annahmen.  Davids  Altar  über  der  Mitte  des 
Felsen,  so  bildete  der  übrige  Fels  seinen  Grund  und  man 
brachte  nach  wie  vor  vom  Schlachtplatze  her  das  Blut  durch 
den  Gang  zu  jener  Schale. 

Von  hier  aus  verstehen  wir  denn  auch  das,  wie  ich  be- 
stimmt glaube,  von  mir  wahrgenommene  zugemauerte  Loch  im 
Norden.  Jede  Schlachtstätte  bedarf  des  Wassers  zur  Reinigung 
der  mit  Blut  besudelten  Schlachtenden  wie  zur  Beseitigung 
von  mancherlei  Unreinigkeit  und  Unrat,  die  am  Schlachtort 
naturgemäß  sich  ansammeln.  Ist  hier  in  der  Tat  eine  Öffnung 
im  Felsboden  gewesen,  so  hat  sie  ohne  Zweifel  diesem  Be- 
dürfnis gedient.  Ja  selbst  wenn  meine  Wahrnehmung  auf 
Täuschung  ruhen  und  eine  jetzt  vermauerte  einstige  Öffnung 
tatsächlich  nicht  zu  sehen  wäre,  so  müßte  sie  doch  dagewesen 
sein,  mindestens  seit  Salomo,  und  müßte  sich  unter  dem  Boden 
des  heutigen  Felsendomes  finden.  Die  absolute  Notwendigkeit 
bei  einer  so  ansehnlichen  Schlachtstätte,  wie  die  des  salo- 
monischen Altars  trotz  alledem,  was  sich  nachher  noch  ergeben 
wird,  zweifellos  war,  würde  sie  —  mindestens  für  den  salo- 
monischen, dann  aber  wohl  auch  schon  für  den  davidischen 
Altar,  wo  nicht  den  vorisraelitischen  schon  —  fordern,  und 
die  sichere  Überlieferung  über  den  salomonischen  Altar  würde 
sie  bestätigen. 

In  letzterer  Hinsicht  nämlich  haben  wir  Beweise  in  hin- 
reichender Anzahl,  die  uns  keinen  Zweifel  darüber  lassen,  daß 
der  Tempelplatz  schon  in  alter  Zeit,  wie  er  es  heute  noch  ist, 
reichlich  mit  Wasser  versehen  war '.   Ja  wenn  beim  Profeten 


1)  Vgl.  darüber  Schick,  Die  Stiftshütte,  der  Tempel  in  Jerusalem 
und  der  Tempelplatz  der  Jetztzeit  (1896)  S.  292—304  u.  Taf.  IX;  ferner 
ZDPV  I  (1877)  S.  132flF.;  XI  (1888)  S.  202 f.;  Qu.  Stat.  1887,  S.  98;  Robinson 
a.  a.  O.  S.  88;  Tobler  a.  a.  O.  S.  530.  Noch  heute  ist  der  Haram  aufs 
reichlichste  mit  Wasser  versorgt.  Außer  der  stattlichen  Wasserleitung, 
die  den  Brunnen  el  Käs  speist,  zählt  Schick  nicht  weniger  als  3ö  bis 
zu  40  und  mehr  Meter  lange  Zisternen.  S.  auch  Pierotti  a.  a.  O.  Aus 
dem  Altertum  vgl.  Tacitus  Histor.  V,  12;  Dio  Cass.  LXVI,  5  u.  unt.  S.  83  f. 


6.  David.  49 

Ezechiel  eine  Quelle  vom  Tempel  in  Jerusalem  ausgeht,  so 
hat  er,  wie  man  oft  schon  mit  vollem  Rechte  vermutet  hat, 
sicher  dabei  gewisse,  auch  ihm  noch  wohlbekannte  Wasser- 
läufe im  Auge,  die  im  Innern  des  Tempelberges  wahrgenommen 
waren  und  die  auch  zu  seiner  Zeit  noch  werden  für  den  Opfer- 
dienst nutzbar  gemacht  worden  sein.  Neben  den  Zwecken  der 
gottesdienstlichen  Reinigung  und  Waschung  haben  sie  sicher 
zugleich  denen  des  Opfers  gedient. 

Endlich  mag  noch  eine  Vermutung  in  betreff  der  Ge- 
staltung des  Felsen  hier  Platz  finden.  Wofern  die  traditio- 
nellen Größenverhältnisse  des  salomonischen  Altars  richtig 
sind,  mußte  wohl  von  Salomo  die  Abstufung  im  Westen 
des  Felsen  (CW),  die  parallel  dem  Westrande  läuft  und 
gleich  diesem  als  von  Menschenhand  stammend  vermutet  werden 
darf,  überbaut  worden  sein.  Dann  stammt  sie  aber  nicht  von 
Salomo;  und  einer  erheblich  späteren  Zeit  wird  sie,  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach,  ohnehin  nicht  zuzuschreiben  sein. 
Sie  müßte  also,  wie  bereits  aus  anderen  Gründen  angenommen 
wurde  \  wohl  alt  sein.  Nun  ist  beim  alten  Felsentisch  ein 
rechtes  Motiv  für  sie  nicht  zu  ersehen,  da  es  sich  jedenfalls 
um  Stufen  zu  seiner  Besteigung  nicht  handeln  kann  und  für 
das  Herantreten  zu  jener  nördlichen  Grube,  wie  wir  sahen, 
auf  andere  Weise  gesorgt  war.  So  könnte  sie  recht  wohl 
David  entstammen.  Sein  Altar  nämlich  ist  jedenfalls  kleiner 
als  der  Salomos  anzunehmen  und  füllte  keinesfalls  die  ganze 
Sachra  aus.  Er  muß  ferner  einen  Umgang  besessen  haben, 
der  im  Norden  durch  die  Schale  und  im  Süden  durch  das 
Loch  zur  Grube  begrenzt  ist.  Damit  ist  seine  Größe,  wenig- 
stens was  die  Länge  anlangt,  ungefähr  gegeben,  und  es 
darf  angenommen  werden,  daß  der  Umgang  hinten  durch 
die  Linie  GH  oder  gh  abgegrenzt  ist  2.  Daraus  ergäbe  sich 
die  Wahrscheinlichkeit,  daß  David  hier  den  Fels  abschneiden 
ließ,  um  so  eine  Art  Altarterrasse  herzustellen  —  vorne 
diente  der  Aufgang  als  Grenze.  Freilich  müßte  dann  an- 
genommen werden,  daß  der  Fels  an  der  Stelle  der  Schalen 
vorher  eine  Senkung  oder  eine   ausgemeißelte  ebene  Fläche 


1)  S.  oben  S.  42. 

2)  Weiteres  s.  S.  45  und  unten  S.  64. 
Kittel,  Beiträge. 


50  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

besaß  und  David  gewisse  dahinterliegende  Unebenheiten  durch 
senkrechtes  Abschneiden  des  Felsen  ebnete.  Dem  Altargesetz 
von  Ex  20  25,  falls  es  für  David  in  Betracht  kam,  widersprach 
ein  solches  Verfahren  nicht,  da  es  nur  von  den  Altarsteinen 
selbst  redet,  der  Fels  als  solcher  aber  schon  für  David  und 
seine  Zeit  schwerlich  mehr  als  spezifisches  Heiligtum  galt. 

Es  wird  sich  nun  freilich  sofort  zeigen,  daß  wir  besser 
tun,  über  die  Größe  des  salomonischen  Altars  anders  zu  ur- 
teilen als  die  Überlieferung.  Trotzdem  bleibt  auch  so  unsere 
Annahme  in  betreff  jener  westlichen  Abstufung  bestehen.  Die 
Schalen  zeigen,  daß  die  untere  Stufe  (LZ)  an  der  Westgrenze 
der  ältesten  Zeit  zugehört.  Die  obere  Weststufe  (CW)  hat 
aber  vielleicht  damit  nichts  zu  tun,  sowenig  als  die  kleineren 
Zwischenstufen.  Können  sie,  wie  man  annehmen  darf,  in  der 
Zeit  nach  Salomo  kaum  entstanden  sein,  so  würden  wir,  wo- 
fern sie  nicht  der  Urzeit  angehören,  auf  diejenige  des  David 
oder  Salomo  —  tatsächlich  aber  wohl  des  ersteren  als  des 
Begründers  des  Altardienstes  auf  dem  Felsen  —  geführt. 

7.   Salomo.   Ahas.  Ezechiel. 

Daß  Salomo  an  derselben  Stelle  den  großen  Altar  seines 
Tempels  errichtete,  an  der  Davids  Altar  gestanden  hatte,  ist 
zum  voraus  innerlich  wahrscheinlich,  ist  aber  auch  ausdrück- 
lich bezeugt.  „Und  Salomo  begann  den  Tempel  Jahwes  zu 
Jerusalem  auf  dem  Berge  Moria  zu  erbauen,  wo  Jahwe  seinem 
Vater  David  erschienen  war,  an  der  Stelle,  die  David  her- 
gerichtet hatte,  auf  der  Tenne  des  Jebusiters  Oman"  (2  Ohr  3 1). 
Damit  ist  nun  freilich  zunächst  nur  gesagt,  daß  Salomo  den 
Tempel  an  der  von  David  zubereiteten  Stelle  errichtete,  nicht 
aber  die  Stelle  des  Altars  selbst  bezeichnete.  Allein  wenn, 
wie  wir  annehmen  dürfen  (s.  oben  S.  40),  die  Tenne  selbst  sich 
weiter  ausdehnte  als  der  eigentliche  Altarplatz  Davids,  und  wenn 
David,  wie  wir  wissen,  an  der  Tenne  seinen  Altar  errichtete, 
so  ist  das  Gegebene,  daß  Salomo  den  Altarplatz  Davids  für 
seinen  Altar  beibehält  und  den  eigentlichen  Tempel  auf  der 
richtigen  Tenne,  der  hinter  dem  Felsgipfel  sich  hinziehen- 
den ebenen  Felsplatte,  errichtet. 

Außerdem  ist   die  oben  S.  44  zitierte  Stelle  der  Chronik 


7.  Salomo.  Ahas.  Ezechiel.  51 

(I2I2.S  22  1)  zu  vergleichen.  Dort  ist  zwar  zunächst  auch  nur 
von  Davids  Altargrün  düng  die  Rede,  aber  sie  wird  lediglich 
unter  dem  Gesichtspunkt  der  Vorbereitungen  für  den  salonio- 
nischen Tempelbau  mitgeteilt;  die  dort  erwähnten  Brandopfer 
Israels  sind  also  nicht  bloß  die  Davids,  sondern  auch  die 
Salomos  und  seiner  Nachfolger. 

Dem  entspricht  die  spätere  Überlieferung.  Gelegentlich 
tritt  zwar  bei  alten  und  neuen  Schriftstellern  immer  wieder 
der  Gedanke  auf,  der  heilige  Fels  sei  nicht  die  Stätte  des 
Altars  beim  salomonischen  Tempel,  sondern  diejenige  des 
Allerheiligsten  mit  der  Bundeslade  gewesen  ^  Aber  die 
stärkere  und  innerlich  viel  wahrscheinlichere  Überlieferung 
läßt  mit  der  augenscheinlichen  Meinung  der  biblischen  Tradi- 
tion selbst  Salomos  Altar  an  der  Stelle  des  davidischen,  d.  h. 
auf  dem  hl.  Felsen  selbst  errichtet  sein.  So  der  russische  Abt 
Daniel^  (1113—1115):  „Und  es  ist  dort  ein  Stein,  außerhalb 
dieser  Höhle  unter  der  Kuppel,  .  .  .  auf  demselben  .  .  .  sah 
der  Profet  David  einen  Engel  mit  bloßem  Schwerte  stehen 
und  die  Kinder  Israel  schlagen  .  .  .  Das  alte  AUerh eiligste 
aber  ist  zerstört  von  den  Heiden,  und  nichts  ist  übrig  von 
dem  alten  Bau  Salomos,  sondern  man  erkennt  nur  die  Auf- 
schüttung [die  Terasse  ist  gemeint]  des  Tempels."  Der  Er- 
zähler scheint  demnach  deutlich  zwischen  der  Kuppel  über 
dem  Felsen,  also  dem  Felsendom,  und  dem  Ort  des  Aller- 
heiligsten zu  scheiden. 

Ebenso  der  Frater  Philipp  de  Aversa  bezw.  sein  Gewährs- 
mann, ein  muslimischer  Renegat 3;  „Lapis  quidam  .  ..  videtur 
miraculose  suspensus  in  aere,  quod  aliquo  modo  credunt  Mauri, 
qui  audierunt  ab  antiquis  Judaeis  esse  lapidem,  super  quem 
occidebantur  animalia,  quae  offerebantur  in  Templo  Salomonis". 
Hier  hätten  wir  also  geradezu  die  Überlieferung,  und  zwar 
aus  jüdischer  Quelle,  von  der  Identität  des  h.  Felsen  mit  dem 
salomonischen  Altar  und  seiner  Schlachtstätte. 

Wie  haben  wir  uns  den  Altar  Salomos  vorzu- 
stellen?    Leider  fehlt   uns   im  Königsbuche  jede  genauere 


1)  Albert.  Aqu.  VI,  24;  Fulcher.  Carn.  c.  18;  vgl.  außerdem  bei 
MoMMERT  a.  a.  O.  S.  131  ff. 

2)  S.  Leskien  in  ZDPV  VII  (1884)  S.  29. 

3)  S.  ZDPV  I  (1878)  S.  212  f.  und  über  den  Gewährsmann  S.  103  f. 

4* 


52  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

Angabe  über  ihn.  Nur  seine  Existenz  wird  ganz  gelegentlich, 
nämlich  1  Kön.  925:  „Salomo  opferte  dreimal  im  Jahr  Brand- 
opfer und  Heilsopfer  auf  dem  Altar,  den  Jahwe  erbaut  hatte 
...  vor  Jahwe",  und  1  Kön.  Sei  erwähnt,  wo  gesagt  wird, 
daß  der  eherne  Altar,  den  Salomo  habe  anfertigen  lassen,  für 
die  Menge  seiner  Opfer  nicht  ausgereicht  habe  und  daß  er  des- 
halb den  inneren  Teil  des  Vorhofs,  „der  vor  dem  Tempel  liegt", 
für  diesen  Zweck  geweiht  habe.  Die  zweite  Notiz  gehört 
nicht  dem  alten  Erzähler  selbst  an*;  sie  führt  eine  spätere 
Einrichtung,  die  des  eigentlichen  Priesterhofes,  die  wohl  schon 
bei  Ezechiel  (40  47 ff.)  als  Bedürfnis  empfunden  wird,  ihre  erste 
Verwirklichung  aber,  soviel  wir  wissen,  erst  im  späteren  (zweiten) 
Tempel  fand,  auf  Salomo  zurück.  Dennoch  darf  an  der  Exi- 
stenz eines  salomonischen  Altars  als  Bestandteil  des  salomo- 
nischen Vorhofs  schon  um  der  ersten  Stelle  willen  selbst- 
verständlich nicht  gezweifelt  werden,  und  die  Frage  kann 
nur  sein,  was  etwa  das  Motiv  der  Nichterwähnung  desselben 
im  Tempelbericht  des  ersten  Königsbuches  sein  möge.  Man 
nimmt  gewöhnlich  an,  er  sei  nachträglich  gestrichen  worden, 
weil  er  den  Forderungen  des  Altargesetzes  von  Ex20  24ff.  zu 
wenig  entsprochen  haben  möge.  Das  ist  natürlich  immer 
möglich;  aber  der  Umstand,  daß  der  alte  Tempelbericht  man- 
cherlei sonst  enthält,  das  den  Forderungen  des  Gesetzes  nicht 
ohne  weiteres  gemäß  war  —  man  darf  nur  an  das  mancherlei 
Bildwerk  denken  —  zeigt  uns  doch,  daß  die  Erklärung  nicht 
die  einzig  mögliche  ist.  Wellhausen  in  Bleeks  Einleitung 
ins  AT-*  231  hat  die  Entfernung  mit  Rücksicht  auf  den  ehernen 
Altar  der  Stiftshütte  vermutet. 

Auch  daran,  daß  der  Altar  der  eherne  heißen  konnte, 
wird  nicht  zu  zweifeln  sein.  In  der  späteren  Königszeit  hat 
jedenfalls  ein  aus  alter  Zeit  stammender  eherner  Altar  im 
Tempelvorhof  gestanden,  wie  aus  2  Kön  16 15  zu  ersehen  ist  -. 
Die  Frage  wird  nur  sein,  ob  man  ihn  kurzweg  einen  Altar 
aus  Erz  nennen  konnte.  Die  spätere  Überlieferung,  wie  sie 
in  2Chr4i  uns  entgegentritt,  denkt  es  sich   allerdings   so: 


1)  S.  meinen  Kommentar  (1900)   S.  80  und  den  Art.  „Tempel"  in 
PRE». 

2)  In   2  Kö  16 14   ist   „ehern"   Glosse,   wie    die   Redeweise    nsT^n 
mrnsn  zeigt. 


7.  Salomo.  Ahas.  Ezechiel.  53 

„er  fertigte  einen  ehernen  Altar,  20  Ellen  lang,  20  Ellen  breit 
und  10  Ellen  hoch".  Demnach  wäre  dieser  ganze  riesige  salo- 
monische Altar  ans  Erz  gewesen.  Dem  stehen  m.  E.  erheb- 
liche Bedenken  entgegen,  und  es  wird  geraten  sein,  der  Nach- 
richt der  Chronik  eine  gewisse  Zurückhaltung  entgegenzubringen. 

Was  nämlich  zunächst  die  Größe  des  Altars  anlangt, 
so  steht  fest,  daß  der  Chronist  sie  nicht  aus  eigener  An- 
schauung bestimmen  konnte,  ebensowenig  wird  er  vermutlich 
noch  eine  Nachricht  hierüber  im  Königsbuche  vorgefunden  haben. 
Es  ist  demnach  anzunehmen,  daß  er  den  Altar  des  zweiten 
(serubbabelschen)  Tempels,  den  er  vor  Augen  haben  konnte, 
hier  zugrunde  legt.  In  der  Tat  soll  dieser  nach  Hekatäus 
dem  salomonischen  an  Größe  gleich  gewesen  sein ',  Wir 
hätten  also  mit  dieser  Angabe  die  vermutliche  Größe  des  nach- 
exilischen  Tempelaltars,  und,  wenn  Hekatäus  im  Eechte  ist, 
damit  auch  die  des  vorexilischen  gewonnen. 

Freilich  ist  die  höchst  verwickelte  Angelegenheit  damit 
noch  nicht  erledigt,  nicht  einmal  hinsichtlich  der  Größe.  Wir 
besitzen  nämlich  einerseits  in  2  Kön  16 15  die  Erwähnung  eines 
„großen"  Altars  in  einem  Zusammenhang,  der  diesen  „großen" 
Altar  auch  als  den  „größeren"  im  Unterschied  von  einem 
kleineren  erscheinen  lassen  kann.  Der  kleinere  wäre  dann 
der  salomonische;  denn  der  große  ist  der  an  Stelle  des  älteren 
nunmehr  (durch  König  Ahas)  in  Wirksamkeit  tretende  Altar. 
Dann  müßte  der  eigentliche  salomonische  Altar  kleiner  ge- 
wesen sein  als  der  des  Ahas  und  der  späteren  vorexilischen 
Zeit,  den  vermutlich  Ezechiel  noch  gesehen  hat.  Zum  andern 
aber  besitzen  wir  bei  Ezechiel  eine  Angabe  über  die  Größe 
des  künftigen  Altars,  die  man  gerne  in  der  Annahme,  daß 
Ezechiel  den  salomonischen  Altar  noch  gesehen  habe  und  daß 
er  ihn  in  der  Hauptsache  hergestellt  wissen  wolle,  zur  Grund- 
lage für  das  Verständnis  des  salomonischen  und  als  Ersatz 
für  die  uns  leider  im  Königsbuch  fehlende  Beschreibung  des- 
selben heranzieht  2.  Nun  gibt  Ezechiel,  dessen  Text  freilich 
mehrfach  verderbt  und  an  sich  nicht  leicht  zu  verstehen  ist, 
nach  der  wahrscheinlichsten  Deutung  als  seine  Maße  an:  unterer 

1)  Joseph,  contra  Ap.  I,  22. 

2)  f:?.  Kraetzschmars  Kommentar  1900  und  zum  Text  die  von  mir 
besorgte  Biblia  Hebr.  (Eothstein). 


54 


Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 


Eand  mit  Einbiiclitung  (p"^n)  1  Elle  hoch  und  18  lang  und 
breit,  untere  oder  kleine  Umfriedung  (niTI?)  2  Ellen  hoch  und 
16  lang  und  breit,  obere  oder  große  'Azara  4  Ellen  hoch  und 
14  lang  und  breit,  Gottesherd  (bs^nx)  4  Ellen  hoch  und 
12  Ellen  lang  und  breit,  Hörner  1  Elle  hoch.  Das  ergibt 
zusammen,  die  Hörner  eingeschlossen,  12  (bezw.  ohne  sie 
11)  Ellen  Höhe  und  18x18  Ellen  Grundfläche  bei  12  Ellen 
oberer  Fläche  (s.  Abb.  7). 

Diese  Maße  stimmen  keineswegs  zu  jenen  20  x  20  Ellen 
Grundfläche  bei  10  Ellen  Höhe  \    Auch  wenn  man  die  Ver- 


-M- 


a-i 


^S'HH 


-44- 


nnti; 


4^ 


n-iTi; 


"o^n 


41- 


^/ 


5  10  15  Ellen 

Abb.  7.     Der  Altareutwurf  Ezechiels. 


schiedenheit  der  alten  und  der  jungen  Elle  dabei  in  Betracht 
ziehen  wollte,  so  könnte  allenfalls  die  Grundfläche  annähernd 
ausgeglichen  werden,  nicht  aber  die  Höhe.  Die  Differenz 
bleibt  somit  bestehen,  und  wir  können  vielleicht  den  Gesamt- 
aufbau des  Ezechielaltars  seiner  Konstruktion  nach  zum  Ver- 
ständnis des  salomonischen  oder  des  Ahasaltars  als  des  spä- 
teren Tempelaltars  heranziehen,  aber  für  die  Maße  des 
salomonischen  Altars  gewinnen  wir  nichts,  außer  etwa 
die  mit  der  Chronik  übereinstimmende  Tatsache,  daß  wir  an 
einen   ziemlich   stattlichen  Altarbau    zu  denken   haben.    In- 


1)  Natürlich  kann  die  sonderbare  Erklärung  von  ]\Jidd.  III,  1  nicht 
in  Betracht  kommen. 


7.  Salomo.  Ahas.  Ezechiel.  55 

sofern  könnten  die  20  bezw.  18  Ellen  Clrundfläche  und  10  bis 
12  Ellen  obere  Fläche  uns  ungefähr  auf  die  richtige  Spur 
leiten  —  wofern  nicht  etwa  weiterhin  sich  noch  Gründe  auch 
gegen  sie  ergeben  sollten. 

Bedenken  wir  ferner,  daß  über  den  Stoff  des  Ezechiel- 
altars  uns  gar  nichts  gesagt  ist,  so  wird,  auch  wenn  wir 
jene  Maße  für  den  Salomoaltar  im  allgemeinen  gelten  lassen, 
die  Größe  des  „ehernen"  Altars  aufs  neue  dunkel,  und  das 
um  so  mehr,  je  eher  wir  nach  der  allgemeinen  Anlage  des 
Ezechielaltars  wie  des  in  der  Chronik  vorausgesetzten  eine 
starke  Verjüngung  nach  oben  einerseits  und  zugleich  (nach 
Ezechiel)  auch  bei  Salomo  einen  eigenen  „Gottesherd"  an- 
zunehmen geneigt  sein  können.  Unter  ihm  kann  nur  der 
oberste  Absatz  als  die  eigentliche  Feuerstelle  verstanden  sein. 

Immerhin  sind  wir  damit  genügend  vorbereitet,  um  nun 
wieder  zu  jener  Beschreibung  des  Ahas- Altars  in  2  Kön  16 
zurückzukehren.  Vielleicht  läßt  sich  aus  ihr  nunmehr  etwas 
über  Schicksal  und  Beschaffenheit  des  salomonischen  Altars 
entnehmen. 

König  Ahas  sieht  in  Damaskus  einen  Altar,  sei  es  assy- 
rischer, sei  es  syrischer  Bauart.  Er  sendet  Modell  und  Plan 
desselben  nach  Jerusalem  und  sein  Priester  Uria  fertigt  da- 
nach einen  Altar.  .,*-ünd  als  der  König  aus  Damaskus  heim- 
gekehrt war,  besichtigte  er  den  Altar  und  bestieg  ihn,  ••hmd 
verbrannte  sein  Brandopfer  und  sein  Speisopfer  und  goß  sein 
Trankopfer  aus  und  sprengte  das  Blut  seiner  Heilsopfer  über 
den  Altar.  ^-^Den  [ehernen]  Altar  aber,  der  vor  Jahwe  stand, 
den  stellte  er  weg  von  der  Vorderseite  des  Tempels,  von  der 
Stelle  zwischen  dem  Altar  und  dem  Haus  Jahwes,  er  tat  ihn 
ati  die  Nordseite  des  Altars,  *''und  gebot  dem  Priester  Uria: 
An  dem  großen  Altar  verbrenne  das  Morgenbrandopfer  und 
das  Abendspeisopfer  und  das  Brandopfer  des  Königs  und  sein 
Speisopfer  und  das  Brandopfer  des  ganzen  Volks  . . .  mit  dem 
ehernen  Altar  aber  will  ich  mirs  noch  bedenken". 

Der  große  Altar  ist  der  jetzt  in  Gebrauch  zu  nehmende 
neue;  der  eherne  ist  der  überkommene,  also  wohl  der  salo- 
monische. Er  wird  beiseite  gestellt,  um  nachher  in  der  Stille 
und  ohne  viel  Aufhebens  zu  verschwinden;  das  mögen  die 
Schlußworte  andeuten.    Der  neue  und  große  ist  nach  fremdem 


56  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

Muster  gebaut,  also  dem  alten  unähnlich.  Er  ist  zugleich 
größer  als  der  zur  Seite  geschaffte.  Ob  er  auch  größer  ist 
als  der  Gesauitaltar  Salomos.  bleibt  eine  ofi'ene  Frage;  er 
braucht  nur  größer  zu  sein  als  was  beiseite  geschafft  ist. 
Weil  das  beiseite  Geschaffte  der  eherne  Altar  heißt,  so  könnte 
es  sehr  wohl  ein  eherner  Aufsatz  in  der  Weise  des  Gottes- 
herds sein,  also  der  eigentliche  Rost.  Der  übrige  Altar  wäre 
dann  entweder  geblieben  oder  neu  aufgebaut,  vielleicht  in 
denselben,  vielleicht  in  anderen  Dimensionen.  Haben  die 
späteren  Könige  den  Ahas- Altar  stehen  lassen,  so  kann  ihn 
Ezechiel  zum  Muster  genommen  haben;  ist  er  den  Reform- 
bewegungen zum  Opfer  gefallen,  so  nicht.  Und  nur  wenn 
der  alte  saloiuonische  hergestellt  worden  ist  —  worüber  wir 
gar  nichts  mssen  — ,  haben  wir  ein  Recht,  aus  Ezechiel 
Schlüsse  über  ihn  zu  entnehmen.  Man  sieht,  wie  vieles  uns 
dunkel  bleibt  und  wie  wenig  uns  gerade  Ezechiel  über  den 
salomonischen  Altar  zu  sagen  hat. 

Wo  stand  der  Altar  des  Ahas?  Meist  liest  nmn  aus 
dem  Texte  heraus,  der  Altar  vor  Jahwe  sei  der  alte  gewesen, 
er  sei  von  seinem  alten  Platze  zwischen  dem  neuen  Altar  und 
dem  Tempel  weggenommen  und  zur  Seite  des  neuen  Altars 
gestellt  worden  ^  Demnach  wäre  dann  der  neue,  also  der 
Ahas-Altar,  hinter  dem  alten,  östlich  vom  Felsen  zu  stehen 
gekommen.  Das  ist  unrichtig.  Alle  Wahrscheinlichkeit  spriclit 
dafür,  daß  der  neue  Altar  die  Stelle  des  alten  ausfüllt.  Er 
kann  etwas  größer  (schwerlich  kleiner)  als  der  Salomos  ge- 
wesen sein,  aber  er  wird  nicht  in  den  Vorhof  gestellt,  sondern 
auf  den  Fels.  Die  natürlichen  Fundamente  bleiben  also  von 
selbst,  die  übrigen  mögen  benutzt  oder  abgetragen  worden 
sein.  Die  Hauptsache  ist  der  eherne  Herd.  Er  muß  einer 
anderen,  wohl  künstlicheren  Vorrichtung  weichen,  und  zwar 
ehe  der  König  kommt,  denn  er  trifft  den  neuen  Altar 
schon  an.  Daraus  folgt,  daß  sein  Platz  zwischen  Altar  und 
Tempel  nicht  sein  alter  rechtmäßiger  Platz  ist,  sondern  die 
Stelle,  die  ihm  vorläufig  bis  zur  Ankunft  des  Königs  an- 
gewiesen war.  Der  Priester  hatte  ihm  aus  Pietät  den  Ehren- 
platz vor  Jahwe  gegeben.    Hier  zwischen  Tempel  und  Altar 


ll  So  auch  in  m.  Kommentar  (1900). 


7.  Salomo.  Ahas.  Ezechiel.  57 

darf  er  nicht  bleiben,  er  kommt  auf  des  Königs  Befehl  an 
den  Schlachtplatz  und  wird  von  dort  ohne  Zweifel  baldigst 
überhaupt  beiseite  getan  worden  sein. 

Kehren  wir  zum  Altar  Salomos  zurück,  so  ist  das 
auf  langem  Umwege  gewonnene  Ergebnis  nicht  gerade  er- 
mutigend. Immerhin  ist  wenigstens  einiges  gewonnen.  Der 
Altar  Salomos  hat  einen  beweglichen  ehernen  Aufsatz,  Der- 
selbe hat  ohne  Zweifel  gleich  dem  des  Zeltes  am  Gihon  und 
dem  Ezechiels  Hörner.  Er  hat  bis  auf  Ahas  vermutlich  in 
seiner  ursprünglichen  Gestalt  bestanden;  ob  ihn  Ezechiel  noch 
sehen  konnte,  ist  zweifelhaft.  Es  ist  anzunehmen,  daß  er  von 
stattlicherer  Ausdehnung  war  als  der  Davids.  Ob  sein  Fun- 
dament aus  Erz  oder  Stein  bestand  und  wie  es  beschaffen 
war,  wissen  wir  nicht.  Seine  Maße,  wenigstens  was  Funda- 
ment und  x4.ufsatz  anlangt,  könnten  an  sich  recht  wohl  denen 
des  Ezechiel  und  der  Chronik  ungefähr  entsprechen.  Doch 
auch  hier  wieder  mit  dem  Vorbehalt,  daß  nicht  etwa  irgend- 
woher noch  entscheidende  Gründe  dagegen  auftreten. 

Um  hierüber  zu  einer  Entscheidung  zu  gelangen,  werden 
wir  am  besten  so  vorgehen,  daß  wir  uns  das  Bild  des  salo- 
monischen Altars  probeweise  einmal  auf  Grund  jener  Maße 
vergegenwärtigen . 

Dürften  wir  diese  Maße  als  ungefähre  zugrunde  legen, 
so  würden  wir  bei  etwa  20  Ellen  —  die  Elle  =  %  Meter  ge- 
rechnet ^  —  Grundfläche  eine  Oberfläche  von  der  ungefähren 
Größe  des  Vierecks  ABML  auf  Abb.  4  erhalten.  Und 
wenn  wir  nach  Ezechiels  Vorgang  die  Feuerstelle  auf 
etwa  12  Ellen  oder  6  Meter  ansetzen,  so  bekämen  wir  ein 
zweites  inneres  Viereck  von  der  Größe  des  Vierecks  EFKI. 
Die  Frage  würde  dann  nur  sein  müssen,  an  welcher  Stelle 
des  Felsen  wir  die  zwei  Vierecke  unterbringen  sollen. 

Verschiedene  Anhaltspunkte  stimmen  darin  überein,  daß 
wir  den  mutmaßlichen  Salomo-Altar,  wofern  wir  ihn  über- 
haupt in  näherer  oder  fernerer  Anlehnung  an  die  Angaben 


1)  Bei  der  Unsicherheit  der  Zahlen,  die  nur  als  schätzungsweise 
richtig  angesehen  werden  können,  und  der  immer  noch  bestehenden  Un- 
sicherheit über  die  Größe  der  hebräischen  Elle  begnüge  ich  mich  ab- 
sichtlich mit  der  Angabe  der  Dimensionen  in  Metern  und  nehme  kurz- 
weg 1  Meter  =  2  Ellen. 


58  Kitte],  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

der  Chronik  und  Ezechiels  uns  vorstellen  wollen,  am  besten 
so  unterbringen,  wie  die  Abb.  4  mit  dem  Viereck  ABML 
angibt.  Setzen  wir  oben  bei  dem  Ende  des  Ganges  mit  BM 
an;  oder  aber  setzen  wir,  von  der  Voraussetzung  ausgehend, 
daß  der  südliche  rechte  Winkel  am  Felsen  alt  sei  —  wofür 
der  Umstand  wohl  sprechen  kann,  daß  der  Schnitt  unmittelbar 
an  den  Schalen  einsetzt,  bezw.  die  Schalen  unmittelbar  an  ihn 
angelehnt  sind  — ,  bei  dem  Schnitte  in  der  Linie  LOA  an: 
beidemal  kommen  wir  bei  einer  Länge  des  Altars  von  etwa 
10  Metern  (dem  ungefähren  Äquivalent  jener  etwa  20  Ellen), 
in  nordsüdlicher  Eichtung  an  jene  Grenze,  den  Gang  einer- 
und die  wagrechte  Linie  LA  anderseits,  die  für  eine  natürliche 
Begrenzung  des  Altars  wie  gegeben  erscheint.  Ebenso  wenn 
wir  von  Punkt  L  aus  die  10  Meter  nach  Osten  abmessen, 
gelangen  wir  zu  Punkt  A  als  der  unteren  Ecke  des  Altars, 
wodurch  das  Loch  zur  Höhle  in  den  Gesamtaltar  eingeschlossen 
erscheint.  Da  wir  vom  späteren  Altar  geradezu  wissen,  daß 
in  ihm  eine  Vorrichtung  zur  Abführung  von  Blut  und  Wasser 
angebracht  war^  so  stände  nicht  das  Geringste  im  Wege, 
den  Zugang  zur  Höhle  zum  Behuf  der  Abführung  von  Asche 
und  Opferresten,  unverbrannten  Fetteilen  usw.  geradezu  in 
den  Altar  einzubegreifen.  Das  Loch  wäre  in  diesem  Falle 
beim  Überbauen  des  Felsen  offen  gehalten  worden. 

Man  vergleiche  dazu  die  interessante  Notiz  in  Lev  1  m, 
wo  angenommen  ist,  daß  nicht  nur  die  Opferasche,  sondern 
auch  gewisse,  nicht  auf  den  Altar  kommende  Teile  solcher 
Tiere,  die  nicht  am  nördlichen  Schlachtplatz-  geschlachtet 
werden  —  es  handelt  sich  um  Vögel  —  „auf  den  Aschenhaufen 
östlich  vom  Altar"  zu  werfen  sind.  Bedenken  wir,  daß  das 
Loch  bei  unserer  Annahme  betreffs  des  Altars  an  die  äußerste 
Südostecke  des  Fundamentes  zu  liegen  käme,  und  erinnern 
wir  uns  ferner,  daß  die  Grube  unter  ihm  sich  östlich  bis  ans 
Ende  des  Felsen,  also  noch  ein  gutes  Stück  östlich  vom 
Altar  hinzieht,  so  könnten  wir  mit  gutem  Grunde  annehmen, 
daß  wenigstens  für  den  salomonischen  Altar  auf  diese  Weise 
der  Aschenplatz  in   der  Tat   östlich   vom  Altar   seinen  Platz 


1)  Vgl.  darüber  unten  S.  84. 

2)  Vgl.  Lev  1 11:  er  schlachte  vor  Jahwe  an  der  Nordseite  des  Altars. 


7.  Salomo.  Ahas.  Ezechiel  59 

hätte.  Das  ist  m.  E.  ein  starker  Anhaltspunkt  dafür,  das 
Altarfundanient  so  zu  legen,  wie  es  in  Abb.  4  durch  ABML 
angedeutet  ist. 

Da  wir  über  den  Stoff,  aus  dem  der  Unterbau  besteht, 
nichts  erfahren,  werden  wir  nur  an  Stein  oder  Erz  denken 
können.  Da  durch  Ahas  nur  der  Erzaufsatz  zur  Seite  gestellt 
worden  zu  sein  scheint,  würde  Erz  tatsächlich  nur  für  jenen 
eigentlichen  Rost  in  Frage  kommen.  Wir  würden  also  wohl 
an  einen  Steinaufbau  über  dem  Felsen  zu  denken  haben,  den 
Ahas  dann  entweder  einfach  beibehalten  oder  aber  abge- 
räumt hätte. 

Bis  hierher  liegen,  wie  man  sieht,  der  hier  in  Frage 
stehenden  Annahme  keine  ernsten  Bedenken  im  Wege.  Trotz- 
dem sind  sie  vorhanden.  Was  nämlich  mit  den  übrigen  Lö- 
schern im  Fels  —  abgesehen  von  dem  zur  Höhle  führenden  — , 
die  sich  sämtlich  in  der  Nähe  der  Peripherie  des  angenom- 
menen Altarfundaments  befanden,  bei  dem  hier  vorausgesetzten 
Altar  etwa  geschah,  ist  schwer  zu  sagen.  Wurden  sie  oifen- 
gehalten  oder  hat  Salomo  sie  übermauert?  Es  müßte  doch 
das  letztere  angenommen  werden,  obwohl  es  nicht  wahr- 
scheinlich ist,  daß  er  sich  in  diesem  Punkte  wesentlich  von 
David  unterschied.  Ferner  aber:  bei  den  Punkten  C,  D  fällt,  wie 
wir  von  früher  wissen,  der  Fels  stark  ab,  es  müßte  also  die 
ganze,  vermutlich  der  Terrassierung  des  Felsen  zum  Behuf 
der  Errichtung  eines  Altars  ^  dienende  Vertiefung  CDML 
wieder  zugebaut  worden  sein.  Der  Altarunterbau  hätte  dann, 
von  Norden  gesehen,  etwa  den  Anblick  gewährt,  den  Abb.  5 
(oben  S.  18)  mit  B'BMM^  darbietet. 

Das  alles,  wenn  es  auch  möglich  ist,  klingt  doch  nicht 
recht  wahrscheinlich,  und  man  kann  sich  dem  Eindrucke 
schwer  verschließen,  daß  einer  Herstellung  des  salomonischen 
Altars  auf  Grund  der  überlieferten  Maße,  sobald  man  sich 
an  die  natürliche  Beschaifenheit  des  hl.  Felsen  anschließt  2, 
recht  erhebliche  Schwierigkeiten  im  Wege  stehen.  Es  kommt 
dazu,  daß,  wie  wir  früher  konstatiert  haben,  der  hl.  Fels  im 
Osten  heute  noch  eine  schräge  ebene  Fläche  zeigt,   die  nicht 

1)  S.  oben  S.  49. 

2)  Ein  Gesichtspunkt,  der  freilich  bisher  fast  ganz  außer  acht  ge- 
lassen wurde. 


60  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

wohl  anders  denn  als  ein  Aufgang  zu  ihm  gedeutet  werden 
kann.  Es  ist  nicht  gut  möglich,  die  genaue  Länge  dieses  Auf- 
gangs zu  bestimmen.  Soviel  mir  bekannt,  ist  er  überhaupt 
noch  nicht  beobachtet  worden;  was  in  Abb.  4  als  Aufgang 
eingezeichnet  ist,  ruht  lediglich  auf  Schätzung  nach  meinem 
Augenmaß.  Die  Angabe  in  betreff  seiner  Länge  kann  wohl 
noch  verbessert  werden,  sie  wird  aber  immer  subjektiv  sein, 
weil  bis  auf  weiteres  kein  anderer  Maßstab  als  das  Augen- 
maß angelegt  werden  kann.  Soviel  aber  glaube  ich  versichern 
zu  können,  daß  der  Aufgang  eher  höher  nach  der  Mitte  des 
Felsen  zu  heraufgeht  als  weniger  hoch. 

Hieraus  folgt  aber,  daß  bei  der  hier  in  Frage  stehenden 
Annahme  weiter  auch  ein  Teil  des  Aufgangs  hätte  ver- 
mauert werden  müssen.  Ezechiel  setzt  bekanntlich  voraus, 
daß  man  den  Altar  im  Osten  betreten  habe ' ;  er  bestätigt  da- 
mit ohne  Zweifel  die  im  Bisherigen  gegebene  Deutung  jenes 
schiefen  Einschnittes.  Aber  er  redet  nicht  von  einem  schiefen 
Aufgange,  sondern  nimmt  an,  man  habe  den  Altar  auf  Stufen 
bestiegen,  womit  er  sich  in  direkten  Widerspruch  zum  Altar- 
gesetz des  Exodus  (20  27)  begibt.  Der  Aufgang  würde  aber 
durch  seine  teilweise  Vermauerung  vermutlich  überhaupt  un- 
brauchbar geworden  sein,  wie  ein  Blick  auf  Abb.  4  u.  5  zeigt. 
Indem  der  Fels  bis  zum  Punkte  B^  bezw.  B  in  Abb.  5  zu- 
gedeckt ist,  wird  die  so  gewonnene  Stufe  so  hoch,  daß  vom 
Aufgang  aus  sowohl  ein  Besteigen  des  Fundaments  als  ein 
Herübergreifen  über  den  Rand  unmöglich  wird.  Wollte  man 
dem  Aufgang  seinen  Wert  belassen,  so  müßte  angenommen 
werden,  die  Mauer  habe  rechts  und  links  von  ihm  Halt  ge- 
macht und  einen  Durchgang  zum  Lmern  des  Altars,  dem 
Opferherd,  freigelassen,  so  daß  man  auf  Seitenstufen  oder  je 
einem  seitlichen  Aufgang,  ähnlich  den  Seitenstufen  am  Altar 
von  Ba'albek  (s.  Abb.  26  f)  zum  Fundament  aufgestiegen  wäre. 

Auf  diesem  Unterbau  wäre  nun  der  eigentliche  Altarherd 
aufgesetzt  zu  denken,  nach  der  Chronik  10  Ellen  hoch,  wohl 
vom  Fundament  an  (bis  EF  in  Abb.  5)  —  oder  etwa  von  der 
Erde  an  (bis  CD  in  Abb.  5)?  —  gemessen,  bei  Ezechiel  11  Ellen 
hoch,  und  nach  letzterem  in  mehreren  Abstufungen  ansteigend. 

1)  S.  Ez  43  17. 


7.  Salomo.  Ahas.  Ezechiel.  61 

Daß  Salomo  einen  so  komplizierten  Altarbau,  wie  ihn  Ezechiel 
beschreibt,  habe  herstellen  lassen,  will  mir  nicht  wahrschein- 
lich vorkommen;  nicht  etwa  weil  er  dazu  nicht  imstande  war, 
sondern  weil  in  2  Kön  16  durch  Ahas  so  kurzer  Prozeß  mit 
seinem  Altar  gemacht  wird  und  weil,  wenn  er  ein  verwickeltes 
Kunstwerk  gewesen  wäre,  wir  am  ehesten  eine  Beschreibung 
von  ihm  erwarten  dürften.  Es  will  mir  immer  wieder  scheinen, 
als  sei  die  Beschreibung  Ezechiels,  da  sie  doch  wohl  kaum 
ganz  Neues  geben  will,  am  ehesten  an  den  Altar  des  Ahas 
angelehnt.  Dann  wäre  das  Motiv  der  Beseitigung  des  alten 
Altars  wesentlich  in  seiner  Einfachheit  zu  suchen.  Es  sollte 
etwas  weniger  Schlichtes,  Kostbareres,  jedenfalls  aber  Fremd- 
artigeres und  Neumodischei'es  an  seine  Stelle  gesetzt  werden. 
Diesen  Forderungen  kommt  ein  Altar  in  der  Weise  des  Ahas- 
altars  entgegen,  wobei  wir  uns  noch  dessen  erinnern  wollen, 
einerseits  daß  Ahas  seinen  Altar  dem  Assyrerkönig  zuliebe 
herstellt,  und  anderseits  daß  der  des  Ezechiel  mit  babylo- 
nischen Stufentürmen  eine  unverkennbare  Ähnlichkeit 
verrät. 

Sind  diese  Ewägungen  aber  richtig,  dann  war  der  salo- 
monische Altar  wesentlich  einfacher,  ein  schlichter,  alt- 
väterischer  Opfertisch  inmitten  aller  Pracht  des 
übrigen  Tempels.  Trotzdem  könnte  er,  wenn  auch  nicht 
die  Form  des  Ezechielaltars,  so  doch  die  Dimensionen  des 
Ezechiel-  oder  des  Chronikaltars  gehabt  haben.  Wir  könnten 
uns  also  einen  inneren  Aufbau,  entsprechend  dem  inneren 
Quadrat  in  Abb.  4  (EFKI),  etwa  10  Ellen  hoch  und  etwa 
12  Ellen  lang  und  breit,  über  dem  Fundament  vorstellen,  oben 
gekrönt  mit  einem  ehernen  Roste;  oder  wir  könnten  uns,  so 
wie  es  2  Chr  4i  voraussetzt,  ein  großes,  10  Ellen  hohes  und 
20  Ellen  langes  und  breites  Viereck  ABML  vorstellen,  aber 
nicht,  wie  die  Chronik  will,  aus  Erz,  sondern  aus  Stein,  und 
wegen  2  Kön  16  nur  mit  ehernem  Roste  —  einen  Bau,  der 
in  beiden  Fällen  natürlich  einen  stattlichen  Aufstieg  —  Treppe 
oder  Gang  —  besessen  haben  müßte.  Und  wenn  wir  nur 
zwischen  beiden  Möglichkeiten  die  Wahl  hätten,  würde  ich 
unbedenklich  die  zweite  vorziehen  (also  etwa  B^BCDMM^  in 
Abb.  5). 

Damit    wären    wir    der    Überlieferung    über    den    Altar 


62  Kittel,  Studien.     I.  Der  heilige  Fels. 

Salomos  und  den  über  ihn  geläufigen  Vorstellungen  soweit  als 
irgend  möglich  entgegengekommen.  Uneingeschränkt  sie  zu 
halten,  sind  wir  aber  doch  nicht  imstande.  Denn  ein  eherner 
Altar  von  20  Ellen  Länge  und  Breite  und  10  Ellen  Höhe,  wie 
ihn  die  Chronik  sich  denkt,  wäre  das  doch  nicht.  Sind  wir 
also  doch  genötigt,  Abstriche  zu  machen,  und  hat  sich  außer- 
dem gezeigt,  daß  die  Überlieferung,  sobald  man  sie  mit  dem 
Fels  selbst  in  Verbindung  zu  bringen  sucht,  erhebliche  Schwierig- 
keiten mit  sich  bringt,  so  fragt  es  sich,  ob  wir  nicht  besser 
tun,  mit  der  ganzen,  seitdem  sich  ergab,  daß  Ezechiel  weg- 
fällt, ohnehin  nur  noch  auf  die  Chronik  gestützten  Über- 
lieferung unserer  alten  und  modernen  Archäologen 
und  Exegeten  zu  brechen. 

Hiefür  gibt  es  in  der  Tat  einen  entscheidenden  Grund, 
der  die  vorhin  ausgesprochene  Vermutung  von  der  Einfachheit 
und  dem  bescheidenen  Charakter  des  salomonischen  Altars 
bestätigt.  Bei  dem  spätem  Bearbeiter  des  Königsbuches  lesen 
wir  1  Kön  8  6i,  Salomo  habe  bereits  am  Tage  der  Tempelweihe 
den  mittleren  Teil  des  Vorhofes  zum  Opferdienste  geweiht, 
.,denn  der  eherne  Altar,  der  vor  Jahwe  stand,  war  zu  klein, 
um  die  Brandopfer  und  Speisopfer  und  die  Fettstücke  der 
Heilsopfer  zu  fassen".  Das  sieht  geradezu  aus,  als  hätte 
Salomo  überhaupt  keinen  Altar  gebaut,  sondern  den  alten 
übernommen.  Dem  ist  aber  nicht  so,  wie  uns  1  Kön  9  2:,  deut- 
lich sagt,  Wohl  aber  geht  aus  jener  späten  Notiz  hervor, 
daß  es  der  Nachwelt,  die  noch  eine  Erinnerung  an  den  durch 
Ahas  abgetanen  Erzaltar  hatte,  unbegreiflich  war,  wie  der 
große  Salomo  mit  ihm  hatte  auskommen  können. 

Der  Opferdienst  war  immer  komplizierter  geworden.  Mit 
dem  Wachsen  der  Bedeutung  des  Tempels  wuchs  auch  die 
Zahl  der  hier  dargebrachten  Opfer;  mit  Wohlstand  und  Handel 
und  der  Verfeinerung  des  Lebens  wird  auch  der  Kultus  be- 
reichert. Die  Zahl  der  Opfer  nimmt,  wie  uns  die  Profeten 
ahnen  lassen,  immer  zu'.  Vor  allem  aber  waren  seit  dem 
Aufkommen  der  deuteronomischen  Eeformbestrebungen  viel 
mehr  Opfernde  als  zuvor  in  Jerusalem  zusammengeströmt.  Die 
immer   zahlreicher  und  immer  mächtiger  werdende  Priester- 


1)  Vgl.  Jes  1 11  ff.  Jer  7  21  ff. 


7.  Salomo.  Ahas.  Ezechiel.  63 

Schaft  der  Hauptstadt  tut  das  Ihre,  das  Ansehen  des  Opfer- 
dienstes zu  heben,  so  daß  in  der  Zeit  des  Ahas  bereits  das 
Bedürfnis  nach  einem  größeren  und  reicheren  Altar  rege  wird. 
Die  Sanktionierung  des  Priesterkodex  hat  diese  Bestrebungen 
gekrönt,  denn  im  priesterliclien  Gesetze  sind  sie  zum  System 
erhoben.  Die  Zeit  des  lierrschenden  Priesterkodex  ist  zugleich 
die  Zeit  der  herrschenden  Opferpraxis.  Jetzt  war  der  Altar 
von  Jerusalem  in  ganz  anderem  Sinne  der  Mittelpunkt  des 
Volkslebens  als  ehedem.  Und  nicht  nur  aus  der  Heimat,  aus 
der  ganzen  Welt  strömten  bald  zu  den  Festen  die  Scharen 
der  Opfernden  nach  Jerusalem. 

In  dieser  Zeit  hat  man,  wie  die  Mischna  ^  berichtet,  selbst 
mit  dem  großen  Altar  nicht  mehr  auskommen  können;  man 
muß  ihn  vergrößern,  um  dem  Andrang  der  Feiernden  zu  ge- 
nügen. Schon  vorher  versteht  man  längst  nicht  mehr,  wie 
man  einst  mit  viel  weniger  auskommen  konnte:  der  Bearbeiter 
des  Königsbuchs  hat  noch  eine  Erinnerung  an  das,  was  einst 
war,  er  weiß,  daß  Salomo  einen  bescheidenen  Altar  hatte,  aber 
er  kann  an  die  anfängliche  Bescheidenheit  des  Opferdienstes 
selbst  nicht  glauben,  so  läßt  er  Salomo  zum  Gründer  des 
spätem  Priestervorhofs  werden  und  läßt  ihn  denselben  zu 
großen  Festen  wie  dem  Weihefest  benutzen.  Der  Chronist 
hat  auch  die  Tatsache  selbst  vergessen;  ihm  ist  es  selbstver- 
ständlich, daß  Salomo  einen  Altar  der  Art  brauchte  und  hatte 
wie  der  Tempel  Serubbabels  im  vierten  und  dritten  Jahrhundert 
unter  dem  Einfluß  einer  gewaltig  angeschwollenen  Diaspora  ihn 
möglicherweise  besessen  haben  mag  —  20  Ellen  im  Geviert 
und  10  Ellen  hoch. 

Es  ist  mir  kein  Zweifel,  daß  der  Bearbeiter  des  Königs- 
buches den  historischen  Sachverhalt  widerspiegelt:  Salomos 
eherner  Altar  war  ein  Opfertisch  von  mäßiger  Größe 
und  einfachen  Formen.  Damit  fällt  nicht  nur  der  schon 
aus  andern  Gründen  höchst  zweifelhaft  gewordene  Ezechiel- 
altar,  es  fallen  auch  die  20  Ellen  Länge  und  Breite  der 
Chronik  und  vermutlich  auch  die  10  Ellen  Höhe.  Die  mancherlei 
Schwierigkeiten,  die  das  Überbauen  des  Felsen  durch  Salomo 

1)  Midd.  III,  1.  Merkwürdigerweise  soll  man  nach  Rabbi  Jose  das 
Fundament  nur  auf  zwei  Seiten,  also  in  Form  eines  (großen)  Gamma 
vergrößert  haben.     S.  darüber  unten  S.  84  Anm.  2. 


64  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

unserm  Verständnis  seines  Altars  zu  bereiten  schien,  lösen 
sich  von  selbst  und  es  bleibt  ein  Tisch  von  bescheidenen  Di- 
mensionen auf  dem  Felsen.  Wir  können  geneigt  sein,  uns  einen 
steinernen  Untersatz  in  der  Größe  etwa  des  inneren  Vierecks 
EFKI  auf  unserer  Abb.  4  vorzustellen  und  auf  ihm  einen 
bronzenen  Aufsatz  uns  denken.  Doch  liegt,  nachdem  wir  von 
Chronik  und  Ezechiel  abzusehen  gelernt  haben,  auch  keine 
Veranlassung  mehr  vor,  den  Altar  Salomos  gerade  als  Qua- 
drat sich  zu  vergegenwärtigen.  Die  Schwierigkeit  des  Über- 
greifens über  die  Grenze  CD  fällt  damit  ebenfalls  weg. 

Ja  es  besteht  ferner  auch  keine  Veranlassung,  einen 
eigenen  Unterbau  anzunehmen.  Da  der  Altar,  genauer  der 
Opfertisch  (Mizbeach),  ein  eherner  Opfertisch  heißt,  so  steht 
nichts  im  Wege,  damit  Ernst  zu  machen  und  Salomos  Altar 
wirklich  für  einen  Erztisch  auf  dem  Felsen  zu  halten.  Ein 
Aufsatz  aus  Bronze  ganz  derselben  Art,  wie  ihn  vermutlich 
schon  David  hatte,  wird  auf  den  Felsen  gestellt  —  vielleicht 
mit  Steinen  untermauert,  um  ihm  Halt  zu  geben  —  und  der 
Altar  ist  fertig.  Das  Einzige,  was  vermutlich  den  neuen 
vor  dem  früheren  auszeichnete,  wird  die  relative  Größe  ge- 
wesen sein. 

Davids  Altar  war  der  einer  Höhe  neben  dem  Hauptheiligtum 
am  Gihon,  dem  Zelt  mit  der  Lade,  und  dem  Altar  dort  K  Viel- 
leicht dürfen  wir  den  Altar  Davids  auf  dem  Moria  uns  so 
denken,  daß  der  Aufgang  seine  Länge  ergibt,  also  nach  dem 
oben  S.  45  Ermittelten  in  der  Gestalt  des  Vierecks  efgh. 
Salomos  Tempel  soll  dieses  Heiligtum  ersetzen  und  zu- 
gleich das  erste  Heiligtum  des  Reiches  werden,  das  die  andern 
zwar  nicht  sofort  ersetzen,  immer  aber  in  Schatten  stellen 
soll.  Sein  Altar,  auf  den  im  übrigen  das  meiste  des  über  den 
davidischen  Vermuteten  zutreffen  mag,  muß  natürlich  diesem 
neuen  Sachverhalte  Rechnung  tragen.  Wir  werden  ihn  so 
hinter  dem  Aufgang  ansetzen  dürfen,  daß  ein  Viereck  mit 
leidlich  guten  Proportionen  entsteht  und  zugleich  an  der  Rück- 
seite noch  die  Möglichkeit  des  Umgehens  bleibt.  Das  ergibt 
etwa  das  Viereck  EFGH.  Statt  der  Höhe  von  10  oder  11  Ellen 
genügt  ein  Aufsatz,   der  den  Gipfel  des  Felsen  eben  zudeckt 


1)  S.  oben  S.  40 f. 


7.  Salomo.  Ahas.  Ezechiel.  ß5 

oder  nur  wenig  überragt.  Einen  solchen  konnte  Ahas  bequem 
herabnehmen  und  mit  leichter  Unterstützung  an  der  einen  Seite 
eine  Weile  neben  dem  Felsen  stehen  lassen.  Die  Linie  F^G^ 
in  Abb.  5  bezeichnet  die  Oberfläche  des  historischen  Sa- 
lomoaltars. 

Bis  auf  Ahas  hat  der  schlichte  bronzene  Eost  auf  dem 
Felsen  vermutlich  seine  Dienste  getan.  Dann  muß  er  einem 
schöneren  und  größeren  weichen.  Dürfen  wir  aus  Ezechiel 
etwas  für  ihn  schließen,  so  war  der  große  Altar,  von  dem  wir 
schon  hörten,  daß  er  dieselbe  Stelle  wie  der  kleinere  eherne 
einnimmt,  ein  hoher  Aufbau  mit  Stufenaufgang.  Daraus 
folgt  zugleich,  falls  das  Prädikat  groß  sich  nicht  bloß  auf  die 
Höhe,  sondern  auch  auf  die  Grundfläche  bezog,  in  welcher 
Richtung  wir  die  Vergrößerung  uns  zu  denken  haben.  Der 
schräge  Aufgang  ist  nun  gegenstandslos,  also  braucht  er  auch 
nicht  mehr  die  Grenze  zu  sein.  Denken  wir  uns  also  das 
Viereck  Salomos  zum  Quadrat,  und  zwar  nach  Osten  hin  aus- 
gebaut (GHQP  in  Abb.  4),  so  ist  bereits  ein  stattlicher  Raum- 
zuwachs gegeben. 

Das  Recht  zur  Vergrößerung  auch  der  Grundfläche  sowie 
der  Betonung  einer  Konstruktion  nach  Art  derjenigen  des 
Ezechiel,  nämlich  mit  Unterscheidung  von  Grundlage  und  Auf- 
bau, dürfen  wir  vielleicht  aus  der  Erzählung  über  den  Altar 
des  Ahas  in  2  Kön  16  ableiten.  Es  ist  die  erste  Stelle,  in 
der  in  so  ausführlicher  Weise,  wie  es  hier  geschieht,  die  Opfer 
nach  ihren  Arten  sorgsam  aufgezählt  werden:  Morgenbrand- 
opfer, Abendspeisopfer,  Brandopfer  und  Speisopfer  des  Königs 
und  des  Volkes,  nebst  den  Trankopfern.  Die  Spezialisierung 
der  Opfer  und  ihre  Gliederung  in  ein  geschlossenes  System, 
das  System  des  Priesterkodex,  von  der  oben  die  Rede  war, 
beginnt  hier,  bezw.  sie  zeigt  sich  zum  erstenmal  in  dieser 
feierlichen  Form.  Das  ist  der  Beweis  dafür,  welchen  Wert 
man  aufs  Opfer  zu  legen  angefangen  hatte  und  daß  nun  ein 
größerer  Altar  Bedürfnis  ist. 

Und  die  Erzählung  ist  zugleich  die  erste  Gelegenheit,  wo 
das  Sprengen  des  Blutes  an  den  Altar  besonders  betont  wird. 
Zweimal,  in  V.  13  und  V.  15,  wird  es  genannt  als  ein  wesent- 
licher Teil  des  Opferns  eines  Schlachttieres.  Auch  hierin  ist 
bereits  der  beginnende  Priesterkodex  wenigstens   der  Sache 

Kittel,  Beiträge.  5 


66  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

nach^  wahrzunehmen.  Die  Hörner  bestehen  daneben  fort  als 
die  Empfänger  des  Opferblutes;  aber  der  Altar  selbst,  also 
die  Seitenwände  und  das  Fundament,  der  J'sdd  des  spätem 
Tempels,  der  bei  Ezechiel  eine  eigene  Einne  hat,  um  das  Blut 
aufzunehmen,  sie  treten  hier  neben  die  Hörner  und  die  obere 
Fläche.  Das  läßt  vermuten,  daß  dieser  neuen  Anschauung 
auch  durch  die  Anlage,  wie  wir  sie  bei  Ezechiel  sehen,  Rech- 
nung getragen  worden  sei. 

Endlich  läßt  sich  noch  über  den  Stoff  des  neuen,  unsern 
heiligen  Fels  seit  Ahas  schmückenden  Altars  etwas  sagen. 
Indem  der  alte  kurzweg  der  bronzene  heißt,  ist  der  neue, 
jedenfalls  seiner  Hauptsache  nach,  als  von  anderer  Art  ge- 
kennzeichnet. Auch  er  wird  wohl  einen  Rost  von  Metall  — 
Bronze  oder  Eisen-  —  gehabt  haben;  aber  der  höhere  Auf- 
bau des  Ganzen  wird  zum  voraus  das  teure  Metall  weniger 
empfohlen  haben,  jedenfalls  lehrt  jene  Benennung  des  andern 
Altars,  daß  wir  hier  an  andre  Stoffe  zu  denken  haben.  Es 
bleibt  sonach  doch  wohl  nur  übrig,  an  einen  Steinaltar  zu 
denken,  der  über  den  Felsen  gemauert  war. 

Es  ist  nichts  davon  bekannt,  daß  der  Altar  des  Ahas 
etwa  bei  der  Reform  des  Hiskia  oder  Josia  wieder  abgetan 
und  der  alte,  von  Ahas  beiseite  gestellte  wieder  in  seine 
Rechte  eingesetzt  worden  wäre.  Nun  ist  das  Schweigen  des 
Berichterstatters  über  diesen  Punkt  natürlich  kein  Beweis 
gegen  jene  Möglichkeit.  Aber  sie  ist  innerlich  unwahrschein- 
lich. Was  Ahas  über  den  ersten  Altar  sagt,  klingt  ganz  als 
Euphemismus,  oder  wie  man  es  nennen  mag,  für  die  Absicht, 
ihn  baldigst  abzutun.  „Mit  dem  ehernen  Altar  will  ich  mir 
die  Sache  überlegen"  bedeutet  eine  nur  leise  Verhüllung  jener 
Absicht,  nichts  anderes.  Sie  wird  auch  ausgeführt  worden 
sein.  Jedenfalls  ist,  da  der  neue  Altar  größer  war  und,  wie 
uns  neben  dem  oben  Ausgeführten  Ezechiels  Entwurf  zeigt, 
damit  einem  Bedürfnis  entgegenkam,   die  innere  Wahrschein- 


1)  Vgl.  Lev  1. 

2)  Vielleicht  ist  au  Eiseu  zudenken,  da  in  2  Kön  25i3ff.  alles,  was 
von  Bronze  aufzutreiben  war,  der  Plünderung  anheimfällt,  der  Altar  aber 
nicht  genannt  ist.  Eisen  hatte  man  im  Osten  selbst  in  Fülle.  Es  darf 
übrigens  bemerkt  werden,  daß  auch  der  alte  Bronzealtar  nicht  als  Plünde- 
rungsobjekt  erscheint. 


8.  Das  babylonische  Exil.  57 

lichkeit  vorhanden,  daß  er  den  Sieg  behielt  und  bis  zum  Exil 
stehen  blieb. 

Als  Nebukadnezar  den  Tempel  plündern  und  zerstören 
ließ,  hat  man  ohne  Zweifel  auch  vom  Brandopferaltar  alles, 
was  irgend  Wert  besaß  und  dem  König  oder  den  Plünderern 
begehrenswert  erschien,  abgenommen.  Es  ist  auch  gar  nicht 
ausgeschlossen,  daß  man,  um  den  Sieg  Marduks  über  Jahwe 
zum  Ausdruck  zu  bringen,  auch  den  Aufbau,  soweit  er  keinen 
Plünderungswert  hatte,  abriß  oder  so  beschädigte,  daß  er  un- 
brauchbar wdvK  Vermutlich  ist  dadurch  der  Fels  selbst  zum 
größeren  Teil  mit  Trümmern  zugeschüttet  gewesen  -,  und  man 
wird  schwerlich  Anlaß  und  Gelegenheit  gehabt  haben,  sich 
ernstlich  an  ihm  zu  vergreifen,  womit  Beschädigungen  im  ein- 
zelnen, wie  sie  das  rücksichtslose  Tun  der  Plünderer  von 
seilest  mit  sich  brachte,  natürlich  nicht  ausgeschlossen  sind^. 

8.  Das  babylonische  Exil. 

Was  ist  während  des  Exils  mit  dem  Altar  platze  ge- 
schehen? 

Wir  stellen  uns  gerne  Jerusalem  und  Juda  während  des 
Exils  als  tabula  rasa  vor;  daß  davon  nicht  die  Rede  sein 
kann,  ist  neuerdings  oft  genug  betont  worden,  am  schroffsten 
und  einseitigsten  wohl  von  Kosters  in  seinem  Buche  über  die 
Wiederherstellung  Israels  in  der  persischen  Periode*.  Tat- 
sächlich sind  die  oberen  Schichten  nach  Babylonien  weggeführt 
worden;  von  den  Übriggebliebenen  ist  ein  Teil  nach  Ägypten 
gewandert,  aber  ohne  Zweifel  sind  Juden  geringerer  Stände 
in  hinreichender  Zahl  im  Lande  geblieben.  Wo  sollten  sie 
anbeten? 


1)  Vgl.  Klagl  2  6-8: 

Er  hat  zerschlagen  wie  au   einem  Garten   seine  Umfriedigung  —  seinen 

Festort  zerstört. 
Vergessen  machte   Jahwe  in  Zion  —  Fest   und   Sabbat. 
Und   verwarf  in    seines   Zornes  Grimm  —  König  und  Priester. 
Verschmäht  hat  Jahve  seinen  Altar  —  sein  Heiligtum  verworfen,  .  . 
Geschrei  ließen  sie  erschallen  im  Tempel  —  gleich  als  an  einem  Festtag. 

2)  Vgl.  die  spätem  Schilderungen  über  die  Zeit  nach  Hadrian. 

3)  S.  oben  S.  HS  f. 

4)  Deutsche  Übersetzung  von  Basedow,  Heidelb.  1895.    Vgl.  dort 
S.  13flF. 

5* 


68  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

Soweit  ihre  Städte  nicht  zerstört  -waren,  mögen  sie  zum 
Teil  an  die  alten  Anbetimgsstätten  sich  zurückgewandt  haben. 
SU  besonders  nach  Mispa.  Aber  gerade  die  gesetzestreuen 
Elemente  werden  Jerusalem  und  seinen  Tempel  nicht  ver- 
gessen haben.  Wir  wissen  nicht,  ob  Jerusalem  selbst  so  gründ- 
lich zerstört  wurde,  daß  ein  Wohnenbleiben  Einzelner  dadurch 
ausgeschlossen  gewesen  wäre  —  wahrscheinlich  ist  das  nicht. 
Wenn  nicht  gerade  das  Wohnen  an  der  Stätte  Jerusalems  mit 
Gewalt  gehindert  wurde,  so  ist  nicht  abzusehen,  weshalb  nicht 
Elemente  der  alten  Bevölkerung  auf  den  Trümmern  der  alten 
Stadt  weiterwohnten  und  die  Felder  um  sie  bestellten.  Zu 
ihnen  mögen  sich  bald  Auswärtige,  Juden  und  Fremde,  ge- 
sellt haben,  so  daß  die  Zahl  im  Laufe  der  Jahre  wuchs. 

Daß  sie,  ob  Juden  ob  fremde  Ansiedler,  keinerlei  Gottes- 
verehrung übten,  ist  undenkbar.  Es  mögen  mit  der  Zeit  durch 
das  Zunehmen  fremder  Elemente  heidnische  Kultussitten  sich 
eingestellt  haben;  vom  ersten  Anfang  war  das  weder  in  Jeru- 
salem noch  auswärts  die  ßegel. 

Die  hier  ansässigen  Juden  haben  also  Jahwe  zunächst 
wohl  genau  in  derselben  Art  gesucht  wie  vordem,  und  nicht 
wenige  Fromme  von  auswärts  unter  den  im  Lande  Gebliebenen 
haben  es  ebenso  gehalten.  Man  wird,  obwohl  man  wußte,  daß 
Jahwe  seine  Stätte  verlassen  und  an  die  Heiden  preisgegeben 
hatte,  doch  dahin  gegangen  sein  —  sei  es  gleich  den  spätem 
Juden  \  um  auf  den  Trümmern  des  Tempels  zu  weinen,  sei  es 
besonders  zu  versuchen,  ob  er  nicht  doch  an  seine  alte  Stätte 
zurückkehre. 

Das  religiöse  Leben  nicht  der  Semiten  allein  haftet  zu 
sehr  am  Orte,  der  einmal  als  heiliger  Ort  erkannt  ist,  als  daß 
angenommen  werden  könnte,  Jerusalem  und  sein  Tempelberg 
—  war  die  Stadt  selbst  nun  bewohnt  oder  nicht  —  seien  mit 
der  Zerstörung  plötzlich  vergessen  und  sozusagen  ein  halbes 
Jahrhundert  lang  aus  der  Religionsgeschichte  der  Menschheit 
gestrichen   gewesen.    Einen  Anhaltspunkt,   wie  wir  uns   die 


1)  S.  oben  S.  34.  Seitdem  der  Zutritt  zum  Haram  selbst  den  Juden 
verschlossen  ist,  hat  sich  die  Sitte  des  „Weinens"  an  die  sog.  Klage- 
mauer, d.  h.  die  südwestliche  Außenmauer  des  Haram  geknüpft.  Es  scheint 
aber,  daß  in  der  vorislamischen  Zeit  der  hl.  Fels  die  Stelle  der  heu- 
tigen Klagemauer  vertrat. 


8.  Das  babylonische  Exil.  g9 

Dinge  vorzustellen  haben,  gibt  uns  Jereraia,  der  41 5  ff.  von 
80  Männern  berichtet,  die  nach  der  Ermordung  Gedalias,  also 
während  der  ersten  Zeit  des  Exils,  sogar  von  Sichern,  Silo  und 
Samaria  aus  nach  Jerusalem  pilgerten,  mit  zerrissenen  Kleidern, 
abgeschnittenem  Barte  und  Trauerzeichen  am  Leibe,  um  beim 
Tempel  Speisopfer  und  Weihrauch  darzubringen.  Giesebeecht  ^ 
will  die  Erzählung  nicht  vom  Tempel  von  Jerusalem  verstan- 
den wissen,  weil  es  ja  einen  solchen  nicht  mehr  gegeben  habe, 
sondern  von  Mispa.  Allein  einmal  will  jener  Grund  nichts 
besagen:  sie  suchten  eben  den  Ort  Jahwes,  auch  der  zerstörte 
Tempel  ist  ihnen  noch  „Haus  Jahwes".  Sodann  aber  könnte 
die  Anbetungsstätte  in  Mispa  nicht  ohne  jeden  Zusatz  „Haus 
Jahwes"  heißen.  Wir  müßten  doch  erst  wissen,  daß  überhaupt 
ein  solches  Haus  hier  stand.  Endlich  besonders  kann  der 
Zu^  der  Erzählung,  daß  Ismael  sie  veranlaßt,  nach  Mispa 
hereinzukommen,  nur  so  seine  Erklärung  finden '-.  Mispa  liegt 
abseits  vom  Wege;  es  ist  nicht  ihre  Absicht,  hierher  zu  kommen, 
Ismael  aber  lockt  sie  herein  —  hatten  sie  von  selbst  die  Ab- 
sicht, so  brauchte  er  ihnen  nicht  entgegenzugehen. 

Was  hier  ausnahmsweise,  weil  sich  schwere  Folgen  daran 
knüpften,  erzählt  ist,  das  mag  sich  sonst  oft  genug  begeben 
haben.  Das  Haus  Jahwes  blieb,  auch  nachdem  es  gefallen 
war,  „das  Haus  Jahwes";  auch  von  auswärts,  selbst  vom  alten 
Samarien  her  kommen  Getreue  zu  ihm.  wie  man  selbst  in 
Samarien  und  unter  den  fremden  Kolonisten  den  Landesgott 
verehren  wollte,  so  daß  ein  Priester  in  Betel  sich  niederlassen 
muß^   Wo  und  wie  mögen  sie  geopfert  haben? 

Auch  wenn  der  Altar  zerstört  war  —  der  Fels  blieb.  So 
kannte  man  jedenfalls  die  Stelle  des  Altars  genau,  man  sah 
unter  den  Trümmern  seine  Mauern  und  Fundamente  und  es 
wird  kein  allzuschweres  Stück  Arbeit  gewesen  sein,  jene 
Trümmer  soweit  wegzuschaffen,  daß  man  die  alten  Fundamente 
notdürftig  zu  einer  Opferstätte,  wenn  auch  einfachster  Art, 
herstellen  konnte.    Vielleicht  darf  man  die  Notiz  in  der  vor- 


1)  Kommentar  zu  Jerem.2  (1907)  zur  Stelle. 

2)  Auch  die  Trauerzeichen  und  das  Weinen  Israels  mag  auf  diese 
Weise  seine  natürlichste  Erklärung  finden,  vielleicht  auch  die  Arten  der 
Opfer:  es  fehlte  der  große  Altar. 

3)  2  Kön  17  24  ff. 


70  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

hin  besprochenen  Stelle  aus  Jeremia,  daß  die  80  Wallfahrer 
vom  Gebirge  Efraim  nur  Speisopfer  und  Eauchwerk  dar- 
bringen, dahin  verstehen,  daß  für  den  Anfang  noch  keine  Ge- 
legenheit zum  Brandopfer  bestand,  man  sich  also  mit  einer 
ganz  bescheidenen  Opferstätte  begnügte;  jedenfalls  hat  auch 
jener  nicht  lange  auf  sich  warten  lassen. 

Aber  sie  bauen,  wie  es  scheint,  ihren  Altar  nicht  genau 
auf  die  alten  Fundamente,  Es  mochte  Schwierigkeit  bieten, 
sie  ganz  abzuräumen,  und  so  mag  man  den  neuen  Altar  ganz 
oder  teilweise  neben  sie  gestellt  haben.  Außerdem  mag  er 
sonst  in  seiner  Einrichtung  nicht  ganz  dem  Ideal  entsprochen 
haben.  Auch  ist  wohl  anzunehmen,  daß  die  zunehmende  Nach- 
wanderung fremder  Ansiedler  manches  von  den  alten  Kultus- 
sitten verwischte,  so  daß  am  Ende  des  Exils  die  aus  Babylon 
heimkehrenden  Juden  die  hier  Ansässigen  und  auf  dem  Tempel- 
platz Opfernden  nicht  mehr  als  Fleisch  von  ihrem  Fleisch 
anerkennen  mochten.  Aus  den  ehemaligen  Juden  ist  eine 
jüdisch-heidnische  Mischbevölkerung  geworden.  So  etwa  wird 
man  die  schwierige,  auch  im  Texte  verderbte  Stelle  Esra  3  2  f. 
zu  deuten  haben,  sei  es,  daß  man  der  geistreichen  aber  irrigen 
Deutung  Klostermanns  '  nachgeht  oder  bei  der  herkömmlichen 
Deutung  bleibt.  Dort  heißt  es,  die  Heimgekehrten  haben  den 
Altar  Gottes  wieder  aufgebaut  und  haben  ihn  auf  seinen  Funda- 
menten^  hergerichtet.  Daraus  ersehen  wir  zunächst,  daß  die 
Fundamente,  wie  an  sich  zu  erwarten  war,  noch  stehen. 
Klostbrmann  will  nun  mit  Änderung  der  Lesart  nach  LXX 
fortfahren:  „denn  es  waren  von  den  Völkern  der  Länder  Leute 
zu  ihnen  (den  Fundamenten)  gekommen  und  hatten  sie  (die 
Fundamente)  ausgebessert  3.  Daraus  ergäbe  sich  der  Sinn: 
Heidnische   Kolonisten^  hatten   auf   eigene   Hand   am  Altar, 


1)  Ge.schichte  Israels  (189Ü)  S.  2821'. 

2)  il:^z•z  darf  trotz  Sach  5  ii  liier  nicht  wohl  mit  Platz,  Stelle  über- 
setzt werden.  Das  heißt  sonst  vom  Altar  mp-3.  Das  Verb  12''=''  läßt 
m.  E.  keinen  Zweifel,  daß  an  den  Untersatz,  das  Fundament  gedacht  ist, 
ebenso  der  Plural,  den  das  Qere  ganz  richtig  hat. 

3)  Er  liest  für  n^-^xn  nach  ®  ^^n  D'^ns  und  nachher  C^ptnii  statt 
des  gewöhnlich  (s.  Bertholet,  Komment,  und  BHK)  eingesetzten  ipTniT^i. 

4)  Klosterm.  selbst  denkt  an  Juden,  die  bei  ben  Heiden  zu  Gaste 
sind,  allein  das  könnte  unmöglich  heißen:  von  den  Völkern  des 
Landes.     So  können  nur  einzelne  Kolonisten  bezeichnet  werden. 


8.  Das  babylonische  Exil.  71 

dessen  Fimclaiiiente  noch  standen,  gebessert  und  sich  damit 
beholfen,  die  Heimkehrenden  bauen,  weil  ihnen  das  nicht  ge- 
nügt oder  eher,  weil  ihnen  dieser  Notaltar  zu  wenig  dem 
Gesetze  entspricht,  einen  neuen  richtigen  Altar  darauf.  Allein 
auch  dieser  Sinn  wird  kaum  dem  Texte  gerecht  werden,  schon 
weil  die  Suffixe  ^  die  Beziehung  auf  die  Fundamente  nicht  er- 
tragen. 

Man  muß  deshalb  in  der  Hauptsache  beim  masoretischen 
Text  bleiben  und  kann  sich  begnügen,  mit  P.  Haupt  ^  und 
Bertholet  3  für  n^^i^n  zu  lesen  n^a"^«  xa.  Es  ist  zu  übersetzen: 
„sie  bauten  den  Altar  Gottes  wieder  auf  .  .  .  und  richteten 
ihn  auf  seinen  Fundamenten  her,  es  war  nämlich  ein  Schrecken 
vor  den  Landesbewohnern-'  über  sie  gekommen".  Mit  Schrecken 
sehen  die  Ankömmlinge,  daß  die  halb  heidnisch  gewordenen 
Landesbewohner  einen  Altar  besitzen,  der  so  gar  nicht  dem 
entspricht,  was  ihre  eigene  Religion  und  Tradition  fordert. 
Vor  allem  scheint  er  gar  nicht  an  der  richtigen  Stelle  zu  stehen. 
Nur  so  erklärt  sich,  daß  nicht  allein  das  Bauen  des  Altars 
erwähnt  wird,  sondern  mit  fast  größerem  Nachdruck  betont 
wird,  daß  man  ihn  auf  die  alten  Fundamente  stellte.  Wäre 
es  damit  von  Anfang  an  richtig  bestellt  gewesen,  so  würde 
wohl  einfach  gesagt  sein:  sie  bauten  ihn  auf  seinen  Fundamenten 
wieder  auf.  Aber  dann  wäre  zugleich  auf  die  Frage:  was 
denn  die  Landesbewoliner  seit  586  gemacht  hätten,  keine  Ant- 
wort gegeben. 

Ist  hiermit  auch  der  richtige  Sinn  der  Erzählung  über 
den  Altarbau  in  Esra  3  gewonnen,  so  fragt  sich  natürlich 
immer  noch,  ob  wir  es  dort  mit  Sage  oder  mit  Geschichte  zu 
tun  haben.  Daß  Esr  3  im  ganzen  nicht  Geschichte  bietet,  ist 
oft  schon  betont  worden  ^    Aber  da  nach  Hagg  2  u  das  Vor- 

1)  Das  Eintreten  des  Maskulinums  für  das  weibliche  Suffix  ist  frei- 
lich reichlich  bezeugt.  Aber  so  darf  doch  erst  gedeutet  werden,  wenn 
die  Beziehung  sonst  feststeht,  also  wenn  entweder  '^U^^hs  oder  llptlTii 
gesichert  wäre. 

2)  Hebraica,  Januar  1886  (vgl.  Sacr.  books  of  OT.  zur  Stelle). 

3)  Kommentar  zur  Stelle. 

4)  Nicht:  „vor  den  [feindseligen]  Landesbewohnern"  so  Kautzsui, 
Bertholet  u.  a.     Es  handelt  sich  nicht  um  Augriffe. 

5)  S.  u.  a.  Ed.  Meyer,  Die  Entstehung  des  Judentums,  S.  73; 
Kittel  im  Art.  „Tempel"  in  PßEs  XIX,.  496. 


72  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

handensein  eines  Altars  im  neuen  Jerusalem  schon  vor  der 
Errichtung  des  Tempels  gesichert  ist,  so  wird  auch  an  der 
Eichtigkeit  der  in  Esr  3  erzählten  Haupttatsache,  nämlich 
eben  der  Errichtung  des  Altars,  nicht  zu  zweifeln  sein. 

Es  kann  sich  somit  nur  fragen,  wie  dieser  Altar  der  neuen 
Gemeinde  sich  zu  dem  von  uns  oben  mit  starken  Gründen 
vermuteten  Altar  der  Zurückgebliebenen  bezw.  der  in  der 
Zwischenzeit  hier  entstandenen  Mischbevölkerung  verhalten 
haben  möge.  In  dieser  Hinsicht  ist  es  nicht  unmöglich,  daß 
Esr  3  eine  richtige  Erinnerung  bewahrt  hat.  Bei  der  ganzen 
Art,  wie  sonst  die  Heimgekehrten  sich  zu  den  im  Lande  An- 
wesenden stellten,  ist  es  gar  nicht  besonders  wahrscheinlich, 
daß  sie  Altäre  und  Kultuseinrichtungen,  die  von  jenen  stamm- 
ten, ohne  weiteres  anerkannten  und  sich  zu  eigen  machten. 
Es  wird  also  in  der  Tat  zu  einem  Neubau  auf  den  alten 
Fundamenten  gekommen  sein.  Das  ist  unter  allen  Umständen 
ein  bedeutsames  Ergebnis,  dem  gegenüber  die  Frage,  welches 
eigentlich  das  Motiv  jenes  Neubaues  gewesen  sei,  als  eine 
Frage  von  sekundärer  Bedeutung  offen  bleiben  kann.  Bei  der 
Schwierigkeit  der  Textverhältnisse  ^  in  Esr  3-2  ist  es  wohl 
möglich,  daß  das  wirkliche  Motiv  im  heutigen  Texte  nicht 
mehr  vollkommen  klar  zutage  tritt.  Wenn  also  auch  die  oben 
angenommene  Deutung,  die  sich  in  der  Hauptsache  an  9)c  hält, 
nicht  richtig  sein  sollte,  so  bleibt  jener  Tatbestand  selbst 
doch  bestehen. 

9.  Serubbabel. 

Es  folgt,  wie  wir  aus  Haggai  und  Sacharia  ersehen,  dem 
Altarbau  der  Tempelbau  der  nachexilischen  Gemeinde.  Ist 
mit  ihm  die  Errichtung  eines  neuen  Altars  Hand  in  Hand  ge- 
gangen oder  hat  man  sich  mit  dem  kurz  vorher  errichteten 
Altar  begnügt?  Das  letztere  wird  der  Wahrscheinlichkeit 
entsprechen.  Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  der  vorhin  er- 
wähnte Altarbau  im  Hinblick  auf  den  von  Anfang  an  beab- 
sichtigten  erfolgte;   man   wird   den   damals  errichteten  Altar 


1)  Vgl.  besonders  ®,  wo  eiue  augenscheinliche  Doppelübersetzung 
vorliegt,  die  man  jedenfalls  nicht  in  einfacher  doppelter  Rückübersetzung 
verwerten  darf. 


9.  Serubbabel.  73 

somit  als  das  erste  und  am  leichtesten  auszuführende  Stück 
des  Tempelbaus  angesehen,  den  Altar  also  auch  gleich  von 
Anfang  an  so  hergestellt  haben,  daß  er  dem  Bedürfnis  des 
nachfolgenden  Tempels  entsprach.  Ein  neuer  Altar  unter 
abermaliger  Beseitigung  des  bisherigen  ist  eben  damit,  weil 
gegenstandslos,  ausgeschlossen.  Es  blieb  bei  dem  einen,  und 
ihn  haben  wir  als  den  ßrandopferaltar  des  Tempels  Serub- 
babels  anzusehen. 

So  tritt  denn  an  uns  von  selbst  die  Frage  nach  der 
Größe  und  Beschaffenheit  dieses  Altars  Serubbabels 
heran. 

Die  Nachrichten  über  den  Tempel  Serubbabels  und  im 
besondern  über  seinen  Altar  sind  außerordentlich  dürftig.  Sie 
sind  aber  meines  Erachtens  noch  erheblich  dürftiger,  als  wir 
gewöhnlich  annehmen.  Meist  beruft  man  sich,  da  die  hebräi- 
sclle  Bibel  selbst  uns  gar  nichts  Unmittelbares  sagt,  auf  Heka- 
täus,  der  mit  2  Chr  4  i  übereinstimmt,  und  auf  1  Makk  4  44  ff., 
und  kommt  zu  dem  Ergebnis,  der  Altar  habe  gleich  dem  des 
Salomo  die  bekannten  20  Ellen  Länge  und  Breite  und  10  Ellen 
Höhe,  die  wir  aus  der  Chronik  kennen ',  gemessen  und  sei  aus 
unbehauenen  Steinen  hergestellt  gewesen.  Man  bedenkt  dabei 
nicht,  daß  Hekatäus  etwa  Zeitgenosse  des  Chronisten  ist  und 
daß  das  erste  Makkabäerbuch  die  Zeit  des  Antiochus  Epiphanes 
im  Auge  hat. 

Immerhin  wäre  auch  so  die  Übereinstimmung  des  Heka- 
täus mit  der  Chronik  bedeutsam  —  für  den  Fall  nämlich,  daß 
die  Nachricht  von  2  Chr  4  in  der  Tat,  da  sie,  wie  wir  sahen, 
für  die  Zeit  des  Salomo  und  seinen  Altar  nicht  zutrifft,  wenig- 
stens auf  die  Zeit  des  Serubbabel  mit  Grund  zu  beziehen 
wäre.  Allein  auch  das  wird  zweifelhaft,  sobald  wir  uns  gegen- 
wärtig halten,  was  wir  in  betreff  der  Dimensionen  des  vor- 
exilischen  Brandopferaltars  ermittelt  haben  und  was  sich 
weiterhin  über  das  Verhältnis  des  neuen  Altars  zum  vorexili- 
schen  der  letzten  Zeit  des  alten  Jerusalem  ergeben  hat. 

Es  hat  sich  gezeigt,  daß  wir  alle  Gründe  haben,  anzu- 
nehmen,  der  Altar  der  letzten  vorexilischen  Zeit  habe  noch 


1)  So  z.  B.  NowACK,  Archäol.  II  72 f.  und  ähnlich  noch  PRE»  XIX, 
497.  —  Über  Hekatäus  usw.  s.  u.  S.  75. 


74  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

lange  nicht  dem  der  Chronik  an  Größe  entsprochen.  Es  hat 
sich  ferner  ergeben,  daß  ein  sicheres  Zeugnis  dafür  vorliegt, 
daß  der  neue  Altar  genau  auf  die  Fundamente  des  alten,  d.  h. 
des  von  Nebukadnezar  zerstörten,  gestellt  worden  sei.  Aus 
diesen  Prämissen  ergibt  sich  mit  Notwendigkeit  der  Schluß, 
daß  auch  für  den  neuen  Altar,  den  Serubbabels,  die  Chronik 
mit  ihren  20  Ellen  Grundfläche  nicht  als  Quelle  gelten  kann. 
Desgleichen  wird  natürlich  das  Zeugnis  des  Hekatäiis,  das 
dasselbe  besagt,  hinfällig.  Der  Altar  des  Serubbabel-Tempels 
war  erheblich  kleiner  als  der  des  Chronisten;  er  wird  durch 
das  Viereck  GHQP  in  Abb.  4,  genau  wie  sein  Vorgänger,  be- 
zeichnet gewesen  sein. 

Steht  er  an  der  eben  bezeichneten  Stelle,  so  wird  auch 
für  ihn  wie  für  seinen  unmittelbaren  Vorgänger  der  alte  Auf- 
gang gegenstandslos.  Sollen  wir  uns  statt  seiner  die  östlichen 
Stufen  Ezechiels  vorstellen  oder  gemäß  dem  Altargesetz  einen 
schrägen  Aufgang?  und  wie  groß  dürfen  wir  seine  Höhe  an- 
nehmen? Eine  Antwort  auf  diese  Fragen  müssen  wir  schuldig 
bleiben,  da  wir  nicht  wissen,  wie  stark  das  Ansehen  Ezechiels 
ins  Gewicht  fiel,  auch  nicht  wissen,  in  welchem  Maße  etwa 
das  Gesetz  über  den  Altar  der  Stiftshütte  in  Ex  27  i  ff.  schon 
zum  Maßstabe  genommen  wurde. 

Ferner  dürfen  wir  ihn  nach  Anleitung  des  von  Heka- 
TÄus  beschriebenen  aus  unbehauenen  Steinen  dem  Gesetze 
in  Ex20  2G  entsprechend  vorstellen?  Es  scheint,  daß  1  Makk 
4  47  es  sich  so  vorstellt,  indem  dort  gesagt  wird,  der  neue, 
von  Judas  Makkabäus  an  Stelle  des  durch  die  Syrer  verun- 
reinigten errichtete  Altar  sei  aus  unbehauenen  Steinen  und 
nach  dem  Muster  des  vorigen  errichtet  gewesen  K  In  diesem 
Falle  liegt  kein  Grund  vor,  an  der  Kichtigkeit  der  Nach- 
richt zu  zweifeln.  Als  gewichtige  Instanz  für  die  Annahme 
unbehauener  Steine  tritt  hinzu  die  Tatsache,  daß  die  deu- 
teronomischen  Schriftsteller  (Dt  27  6 f.  Jos  Sauf.)  gerade  auf 
diese  Gesetzesbestimmung  großen  Wert  legen,  während  z.  B. 
Ezechiel  sie  nicht  erwähnt  hatte.   Demnach  ist  allerdings  mit 

1)  Ganz  siclier  ist  das  freilich  nicht;  der  Zusatz  „nach  dem  Äluster 
des  vorigen"  könnte  sieh  möglicherweise  auch  auf  Größe  und  Gestalt  des 
Altars  allein  beziehen.  Doch  ist  das  andere  mindesten?  recht  wohl 
möglich. 


10.  Die  Zeit  der  Chronik.  75 

ziemlicher  Sicherheit  anzunehmen,  daß  auch  der  Serubbabel- 
Altar  sich  an  diese  Bestimmung  gehalten  habe.  Vielleicht  war 
ihre  Nichteinhaltung  einer  der  Gründe  gegen  den  exilischen 
Altar.  Auch  Hekataüs  erwähnt  die  unbehauenen  Steine  bei 
dem  Altar  seiner  Zeit.  Aus  Steinen  hingegen  scheint  der 
neue  Altar  jedenfalls  gewesen  zu  sein '. 

Wir  kommen  somit  bei  nüchterner  Erwägung  der  Quellen 
auch  für  die  erste  nachexilische  Zeit  noch  zu  dem  Ergebnis, 
daß  ihr  Altar  immer  noch  nicht  jene  gewaltigen  Dimensionen 
besaß,  die  wir  so  gerne  geneigt  sind,  schon  dem  salomonischen 
Altar  und  dem  der  ganzen  nachfolgenden  vorexilischeii  Zeit 
zuzuschreiben.  Vielmehr  auch  jetzt  noch  haben  wir  es, 
wenn  auch  mit  stattlichen,  so  doch  immer  noch  be- 
scheidenen Größenverhältnissen  zu  tun.  Doch  ist  kein 
Zweifel,  daß  für  die  erste  Zeit  der  nachexilischen  Gemeinde, 
die  uns  ja  überall  als  eine  Zeit  der  geringen  Dinge  entgegen- 
tritt, ein  Altar  von  etwa  6  m  Grundfläche  reichlich  aus- 
reichen mochte. 

10.  Die  Zeit  der  Chronik. 

Wie  ist  aber  die  Überlieferung  von  den  20  Ellen,  die  wir 
in  2  Chr  4 1  und  ziemlich  gleichzeitig  bei  Hekatäus  ^  antreffen, 
entstanden?  So  stark  wir  sie  bisher  zurückgestellt  haben, 
so  wenig  wäre  es  billig,  anzunehmen,  sie  sei  einfach  aus  der 
Luft  gegriffen.  Die  Entwicklung  der  Verhältnisse  im  Laufe 
der  Zeit,  ebenso  wie  die  hohen  Ziffern,  die  für  eine  nicht  allzu- 
lange nachher  folgende  Zeit  Josephus  und  die  Mischna  darbieten, 
lassen  uns  nicht  zweifeln,  daß  die  Angaben  des  Chronisten 
und  des  Hekatäus  historisch  sind.  Sie  müssen  nur  aa  der 
richtigen  Stelle  eingestellt  werden.  Sie  sind  geschichtlich 
nicht  für   eine  erheblich  frühere  Zeit,   wohl  aber  sind  sie  es 


1)  S.  darüber  unten  S.  77. 

2)  Bei  Josephus  c.  Apion.  I,  22.  Man  beachte,  daß  Hekatäus  nicht 
etwa  einen  früheren  Altar  beschreibt,  sondern  den  seiner  Zeit.  Er  be- 
richtet was  zur  Zeit  Alexanders  da  war.  Auch  wenn  die  Schrift  apokryph 
ist,  was  jetzt  vielfach  angenommen  wird,  ist  sie  doch  wohl  noch  aus  dem 
3.  Jahrh.  v.  Chr.  (s.  Schüeer,  Gesch.  d.  jüd.  V.s  111,465),  so  daß  die  Uu- 
echtheit  für  uns  nichts  verschlägt. 


76  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

für  die  Zeit  der  beiden  Autoren  bezw.  für  die  ihnen  nicht 
allzulange  vorangehende  Periode. 

Die  erste  nachexilische  Zeit  beginnt  höchst  bescheiden 
und  dürftig.  Allein  nicht  nur  ist  mit  der  Zeit  die  Zahl  der 
palästinischen  Juden  durch  Zuwanderung  aus  Babel  ge- 
wachsen, sondern  vor  allem  es  mehrt  sich  frühe  durch  rege 
Handelsbeziehungen  der  Wohlstand  der  Gemeinde  und  es 
steigert  sich  die  Zahl  der  zu  den  hohen  Festen  nach  Jerusalem 
pilgernden  Juden  aus  der  Diaspora  von  Jahrhundert  zu  Jahr- 
hundert. Die  Folge  ist,  daß  im  Laufe  der  Zeit  die  Bedürfnisse 
des  Tempeldienstes,  vor  allem  des  Opferaltars,  längst  nicht 
mehr  im  Verhältnis  zur  Bevölkerungsziffer  des  einheimischen 
palästinischen  Judentums  stehen.  Mit  der  Erschließung  des 
Ostens  für  den  Weltverkehr  durch  Alexander  den  Großen 
hat  diese  Entwicklung  ohne  Zweifel  besonders  rapide  Fort- 
schritte gemacht,  es  liegen  aber  Gründe  genug  vor,  die  uns 
annehmen  lassen,  daß  sie  auch  ziemlich  vor  Alexander  schon 
lebhaft  eingesetzt  habe. 

Die  Folge  mußte  eine  erhebliche  Vergrößerung  des  Tem- 
pelaltars sein.  Nun  wissen  wir  aus  der  Mischna.  daß  dieser 
Prozeß  der  Vergrößerung  sich  tatsächlich  zu  Zeiten  vollzogen 
hat  ^  Die  Mischna  hat  noch  die  Erinnerung  bewahrt,  daß  der 
ihr  bekannte,  32  Ellen  große  Altar  ehedem  etwas  kleiner  war 
—  er  soll  einmal  nur  28  Ellen  Grundfläche  gehabt  haben.  In  einer 
späteren  Zeit  wurde  er  erheblich  erweitert.  Es  verschlägt 
für  die  Sache  nichts,  daß  die  Mischna  der  Meinung  ist,  die 
ehemaligen  28  Ellen  haben  der  vor  exilischen,  ja  vielleicht  der 
salomonisclien  Zeit  angehört,  die  späteren  32  Ellen  stammen 
aus  der  Zeit  der  Heimkehr  aus  dem  Exil.  Hier  irrt  sie 
augenscheinlich.  Aber  die  für  uns  wichtige  Wahrheit  dürfen 
wir  aus  jener  sonst  irrigen  Notiz  zweifellos  entnehmen,  daß 
man  auch  in  streng  gesetzestreuen  Kreisen  nicht  den  gering- 
sten Anstoß  daran  nahm,  den  Altar  je  nach  Bedarf  zu  ver- 
größern. 

Wenn  je  einmal  die  geschichtlichen  Verhältnisse  einen 
Anlaß  zu  einer  derartigen  Erweiterung  des  Altars  an  die 
Hand  gaben,  so  war  das  der  Fall  in  der  Zeit  des  Aufkommens 


1)  Middot  III.  1. 


10.  Die  Zeit  der  Chronik.  77 

der  jüdischen  Diaspora  im  größeren  Stile  und  ihres  Zuströmens 
nach  Jerusalem  zu  den  großen  Festen.  Es  ist  für  unseren 
Zweck  bedeutungslos,  dem  genaueren  Zeitpunkte  dieser  Er- 
scheinung nachzuforschen,  soviel  darf  als  sicher  gelten,  daß 
Hekatäus  und  der  Chronist  diesen  Zustand  der  Dinge  kannten. 
Damit  ist  es  auch  als  sicher  anzunehmen,  daß  sie  einen  Altar 
von  größeren  Dimensionen  als  der  Serubbabels  kannten,  einen 
solchen,  der  sich  schon  den  Verhältnissen  des  Altars  im  hero- 
Üianischen  Tempel  annäherte.  So  sind  die  20  Ellen  Grund- 
fläche entstanden  —  im  Leben  und  darauf  in  der  Literatur. 
Daß  der  Chronist  diesen  Altar  seiner  Zeit  dem  Salomo  zu- 
schreibt und  daß  ihm  Josephüs  hierin  folgte  darf  uns  nicht 
wundern:  man  mag  den  Altar  in  dieser  stattlicheren  Gestalt 
frühe  für  den  ersten  salomonischen  gehalten,  jedenfalls  für 
ihn  ausgegeben  haben. 

Wie  beschaffen  dieser  Altar  war,  ersehen  wir  wenigstens 
in  einem  Punkte  mit  Sicherheit:  er  war,  wenigstens  was  den 
Aufbau  selbst,  abgesehen  vom  Roste,  anlangt,  aus  Steinen. 
Denn  nach  lMakk4  45f.  wird  dieser  Altar,  weil  Antiochus 
Epiphanes  ihn  entweiht  hatte,  eingerissen  und  es  werden  die 
Steine  auf  dem  Tempelberg,  wohl  in  einer  Ecke  des  Haram, 
aufgeschichtet.  Daraus  ist  zu  ersehen,  daß  jedenfalls  der  un- 
mittelbare Vorgänger  des  makkabäischen  Altars,  also  der  er- 
weiterte Altar  des  Serubbabel,  aus  Steinen  errichtet  ist.  Ob 
auch  der  des  Serubbabel  selbst,  ist  damit  noch  nicht  ohne 
weiteres  gesagt,  aber  immerhin  ist  es  höchst  wahrscheinlich, 
da  nirgends  von  einem  Neubau  zwischen  Serubbabel  und 
Judas  Makkabäus  die  Rede  ist  und  dasjenige,  was  wir  aus 
inneren  Gründen  ^über  das  Verhältnis  der  beiden  Altäre  er- 
mittelt haben,  uns  nur  zu  einem  erweiterten  Altare  im  Sinne 
der  Mischna  kommen  läßt.  Es  ist  also  wohl  wahrscheinlich, 
daß  das  Material  des  Serubbabel- Altars  dasselbe  war,  wie 
das  des  von  der  Chronik  und  Hekatäus  beschriebenen,  den 
Judas  einriß. 

Nicht  eben  so  sicher  ist,  daß  die  Steine  dieses  Altars, 
und    dann    natürlich    auch    des   Serubbabelschen,    unbehauen 


1)  Ant.  VIII,  3,  7. 


78  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

•waren.  Doch  wird  man  es  nach  1  Makk  4  4?  vermutungsweise 
wohl  annehmen  dürfen. 

An  welcher  Stelle  haben  wir  uns  diesen  Altar  zu 
denken?  Es  ist,  wenn  man  die  Gestalt  des  Felsen  und  den 
mutmaßlichen  Ort  des  bisherigen  Altars  und  seiner  Vor- 
gänger sich  vergegenwärtigt,  nicht  schwer,  die  Antwort  auf 
diese  Frage  zu  gewinnen.  Das  Quadrat  ABML  scheint  wie 
dazu  geschaffen,  einen  Altar  von  20  Ellen  im  Geviert  auf- 
zunehmen. Die  Entfernung  vom  Ende  des  Ganges  im  Norden 
bis  zum  Südende  des  Felsen  an  dem  wagerechten  Schenkel 
des  rechten  Winkels,  also  bei  LC,  wird  ziemlich  etwa  10  Meter 
betragen.  Bei  der  Unsicherheit  der  genauen  Größe  der  hebräi- 
schen Elle  muß  man  sich  mit  diesem  allgemeinen  Maße  be- 
gnügen. War  sie  0.52  Meter,  wie  meist  angenommen  wird, 
so  würde  wenig  mehr  als  10  Meter  herauskommen.  Auch 
kann  bei  dieser  Unsicherheit  die  leichte  Differenz  zwischen 
der  Linie  LM  und  derjenigen  AB  nicht  ins  Gewicht  fallen, 
so  wenig  als  der  Umstand,  daß  die  Linie  BM  ein  wenig 
kürzer  ist  als  AL,  weil  LM  keine  ganz  gerade  Linie  dar- 
stellt. Der  Aufgang  war  ohne  Zweifel  an  derselben  Stelle 
wie  vorher,  also  im  Osten;  ob  der  10  Ellen  hohe  Aufbau  sich 
in  gerader  Linie  vom  Fundament  aus  erhob  oder  in  Absätzen, 
wissen  wir  nicht,  doch  machen  alle  Analogien  das  letztere 
wahrscheinlich.  Bei  geradem  Aufsteigen,  das  aber,  wie  gesagt, 
nicht  besonders  wahrscheinlich  ist,  würde  der  Altar  oben  bis 
zur  Linie  CD  bezw.  (s.  oben  S.  60)  bis  EF  in  Abb.  5  gereicht 
haben. 

Was  aus  den  Vertiefungen  am  Rande  des  bisherigen 
Altars  wird,  können  wir  ohne  Schwierigkeit  ermessen.  Das 
große  Loch,  das  zur  Höhle  führt,  wird  offen  geblieben  sein, 
um  die  Höhle  ihrer  Bestimmung  als  Senkgrube  zu  erhalten. 
Vielleicht  hat  man  um  deswillen  die  untere  Stufe  des  Altars, 
an  der  wie  bei  Ezechiel  eine  Rinne  umgelaufen  sein  wird, 
entsprechend  breit  zu  denken.  Die  übrigen  Vertiefungen 
werden  überbaut:  sie  waren  ohnehin  längst,  mindestens  seit 
dem  Exil,  in  Abgang  gekommen. 

Das  Schicksal  dieses  Altars  kennen  wir  genau.  Die 
Syrer  haben  ihn,  wie  1  Makk  1  si.  sn  beschrieben  ist,  entweiht, 
indem  sie  über  ihm  einen  kleinen  heidnischen  Altar  errichten. 


11.  Herodes  der  Große.  79 

Der  Altar  selbst  und  demgemäß  wohl  auch  der  Fels  bleiben 
unberührt.  Judas  Makkabäus  läßt  den  entweihten  Altar  ab- 
tragen und  einen  neuen  nach  seinem  Muster  errichten,  der 
dem  Gesetze  gemäß  aus  unbehauenen  Steinen  erbaut  ist. 
Hierüber  ist  oben  schon  gehandelt.  Er  muß  demnach  die 
Gestalt  und  die  Dimensionen  des  ihm  unmittelbar  voran- 
gehenden, durch  Antiochus  entweihten,  gehabt  haben. 

Er  dient  dem  Opferdienste,  solange  der  Tempel  Serub- 
babels  besteht.  Pompejus  hat  diesen  bekanntlich  iin  Jahre  63 
erstürmt  und  seine  Soldaten  haben  auch  den  Altar  nicht  ge- 
schont, worüber  Ps.  Sal.  2  1.2  zu  vergleichen  ist: 

In  seinem  Übermute  stürzte  der  Sünder  mit  dem  Widder 
feste  Mauern, 
Und  du  hindertest  es  nicht; 

Fremde  Heiden  bestiegen  deinen  Altar, 
•  Betraten  ihn  übermütig  in  ihren  Schuhen  ^ 

Daß  der  Altar  in  demselben  Sinne  wie  durch  Antiochus  ent- 
weiht worden,  oder  daß  er  oder  der  Fels  verletzt  worden 
wären,  ist  nicht  anzunehmen. 

11.    Herodes  der  Große. 

Herodes  der  Große  hat,  wie  wir  wissen,  den  Tempel 
Serubbabels  abtragen  und  durch  einen  neuen,  größeren  er- 
setzen lassen.  Dasselbe  geschah  mit  dem  Altar  dieses  Tempels. 
Unsere  Quellen  für  die  Beschreibung  des  neuen,  zugleich  des 
letzten  jüdischen  Altars,  den  der  heilige  Fels  trug,  sind  Jo- 
SEPHus  und  der  Traktat  Middöt  der  Mischna.  Leider  stimmen 
beide  nicht  überein,  und  es  ist  schwer  zu  sagen,  wer  von 
beiden,  wo  sie  auseinandergehen,  im  Rechte  ist.  Der  Redaktor 
der  Mischna  lebt  in  Palästina,  etwa  150  oder  175  n.  Chr. 
Die  Quellen,  die  er  zusammengearbeitet  hat,  mögen  wohl 
1  —  2  Jahrhunderte  älter  sein.  Selbst  wenn  in  ihnen,  was 
sehr  wohl  angenommen  werden  mag,  manche  richtige  Kunde 
über  den  Altar  bewahrt  ist,  so  ist  doch  keinerlei  Gewähr, 
daß  gerade  die  Maße  im  einzelnen  richtig  festgehalten  sind. 
Haben  wir  also  auch  keinerlei  sicheren  Beweis  für  die  Zu- 


1)  Vgl.  dazu  Joseph.  Ant.  XIV,  4,4;  Bell.  Jud.  I,  7,6. 


80  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

verlässigkeit  der  Mischna  in  diesem  Punkte,  so  wird  doch, 
wie  sich  unten  zeigen  wird,  nach  inneren  Kriterien  ange- 
nommen werden  dürfen,  daß  in  Middut  ein  im  ganzen  wohl- 
unterrichteter und  nüchtern  urteilender  Mann   zu  uns  redet. 

JosEPHus  hingegen  ist  zwar  Zeitgenosse  und  Priester  ge- 
wesen. Aber  zur  Zeit,  da  er  schrieb,  war  der  Tempel  zerstört 
und  er  selbst  in  Rom.  Auch  er  kann  gerade  die  Maße,  wenn 
er  sich  nicht  rechtzeitig  Risse  sicherte,  nur  nach  dem  Ge- 
dächtnis und  aus  weiter  Entfernung  —  nach  Raum  und  Zeit  — 
wiedergeben,  was  auch  seine  Zuverlässigkeit  in  diesem  Punkte 
nicht  gerade  groß  erscheinen  läßt. 

JosEPHüs  berichtet  1;  Der  Altar  vor  dem  herodianischen 
Tempel  sei  15  Ellen  hoch  gewesen  und  nach  Länge  und  Breite 
je  50  Ellen.  „Er  war",  fährt  er  fort,  „viereckig  und  hatte  an 
den  Ecken  hornartige  Vorsprünge  und  gegen  Mittag  führte  ein 
sanft  ansteigender  Aufgang  zu  ihm  empor."  Auch  er  war  nach 
Josephus  aus  unbehauenen  Steinen. 

Midd.  III,  1  berichtet:  .,Der  Altar  war  32  zu  (tj)  32  [Ellen]. 
Dann  stieg  er  eine  Elle  an  und  verengte  sich  (sprang  zurück) 
eine  (Elle  2).  Das  ist  die  Grundlage  (lio"');  so  ergab  sich  30 
zu  30.  Dann  stieg  er  fünf  an  und  verengte  sich  eine  Elle; 
das  ist  der  Umgang  (anio);  so  ergab  sich  28  zu  28.  Der  Raum 
für  die  Hörner  betrug  auf  jeder  Seite  eine  Elle;  so  ergab  sich 
26  zu  26  Ellen.  Der  Raum,  damit  die  Priester  gehen  konnten 
(■jlb'^n),  betrug  auf  jeder  Seite  eine  Elle;  so  ergab  sich  24  zu 
24  Ellen  als  Raum  für  das  Opfern"  (Abb.  8). 

Daß  die  beiderseitigen  Angaben  über  die  Größenverhält- 
nisse des  Altars  sich  nicht  miteinander  vereinigen  lassen,  liegt 
auf  der  Handl  Es  kann  also  schließlich  nur  die  Frage  auf- 
treten, welcher  von  beiden  Berichterstattern  der  Wahrheit 
näher  kommt.    Nun  sind  die  50  Ellen  Grundfläche  des  Jose- 


1)  Bell.  Jud.  V,  5,  6:  Tievxexaiöexa  /(hv  vipo^  ijv  nrj^Cov,  si'Qog  öh  xal 
[ifjxoq  ixxeivojv  ioor  avä  Tctvrt'/xovza  Tn'/xfiQ- 

2)  *,:"axi:y53'T^x  shhs  yr'^^x  sagt  nicht  übel  die  Übersetzung  in  der 
Berliner  Ausgabe  von  Lewent  (psb  y^"pr  =  1833). 

3)  MoMMERT,  Topographie  des  alt.  Jerus.,  S.  150,  bringt  trotzdem 
das  Unmögliche  fertig  —  freilich  indem  er  Aufsatz  und  Fundament  einer- 
und 2  X  24  und  50  anderseits  kurzerhand  gleichsetzt.  Natürlich  hat  er 
bei  der  Ausgleichung  der  Höhe  (15  und  Ü  Ellen)  ein  noch  viel  schwereres 
Stück  Arbeit. 


11.  Herodes  der  Große.  81 

phus  sowohl  den  bislierigen  Dimensionen  des  Altars  als  auch 
den  übrigen  Verhältnissen  am  Tempel  gegenüber  so  außer- 
ordentlich, daß  man  schon  um  deswillen  geneigt  sein  wird, 
die  32  Ellen  der  Mischna  vorzuziehen.  Auch  der  übrige  Auf- 
bau des  Altars  wie  ihn  Midd.  IIL  1  beschreibt,  nimmt  wegen 
der  Einfachheit  der  Konstruktion  und  der  einleuchtenden  Be- 
scheidenheit der  Dimensionen  für  sich  ein.  Es  läßt  sich  kein 
Grund  einsehen,  weshalb  die  Mischnalehrer  einen  15  Ellen 
hohen  Altar  auf  6  Ellen  herabgesetzt  hätten;  wogegen  wohl 
denkbar  ist,  daß  die  6  Ellen  —  und  so  auch  jene  32  —  an- 
gesichts mächtiger  Altäre,  die  des  Josephus  Leser  ander- 
wärts zu  sehen  Gelegenheit  hatten,  ihm  nicht  imposant  genug 


■5  10  ZOEUf/l 

Abb.  8.    Der  Altar  der  Mischna. 

erschienen  und  so  der  Altar  von  ihm  willkürlich  vergrößert 
worden  ist. 

Darf  man  die  32  Ellen  Grundfläche  als  der  Wahrheit 
entsprechend  annehmen,  so  würde  daraus  folgen,  daß  der  Fels 
in  seiner  heutigen  Ausdehnung  —  vorausgesetzt,  daß  die  Höhe 
der  Plattform  dieselbe  war  wie  heute  —  im  Unterschied  von 
allen  bisherigen  Altarbauten  nicht  mehr  ausreichte,  den  Altar 
in  seiner  ganzen  Ausdehnung  zu  beherbergen.  Die  Länge  des 
heutigen  Felsen  von  17,7  m  würde  wohl  eben  gereicht  haben, 
um  die  16,  bezw.  (wenn  die  Elle  zu  0,52  m  angenommen  wird) 
16,64  m  des  Altars  aufzunehmen;  zur  Breite  des  Felsen  von 
13,5  m  hingegen,  also  von  Ost  nach  West,  mußte,  wie  man 
sieht,  auf  beiden  Seiten  zusammen,  auch  an  der  breitesten 
Stelle  des  Felsen,  reichlich  3  in  zugelegt  werden,  so  daß  der 
Altargrund  hier  reichlich  3  m  weit,  an  den  schmaleren  Stellen 

Kittel,  Beiträge.  6 


g2  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

aber  erheblich  mehr,  auf  der  Plattform  selbst  aufgelegen 
hätte. 

Es  ist  nicht  ganz  leicht  zu  sagen,  wie  man  sich  demnach 
die  Lage  des  hero dianischen  Altars  und  sein  Verhältnis  zum 
hl.  Felsen  vorzustellen  haben  mag.  Vergegenwärtigen  wir 
uns  die  vorhin  gegebene  Abbildung  des  Altars  der  Mischna 
(Abb.  8),  dessen  innere  Wahrscheinlichkeit  wir  erkannt  haben, 
so  mußte  über  einem  Fundament  von  1  Elle  (=  0,52  m)  Höhe  und 
32  Ellen  (=16,64  m)  Länge  und  Breite  ^  ein  5  Ellen  (=2,60  m) 
hoher  Aufsatz  zu  stehen  kommen.  Hiebei  entsteht  die 
Schwierigkeit,  daß  der  Fels  im  Norden  und  im  Westen  stark 
und  fast  senkrecht  abfällt,  und  zwar  in  einer  Höhe  die 
1  Elle  =  ca.  ^2  ^  zum  Teil  erheblich  übersteigt,  desgleichen, 
daß  im  Süden  der  Eingang  zur  Höhle  anstößt,  der,  auch 
wenn  etwa  das  von  oben  zur  Grube  führende  Loch  nicht 
mehr  benutzt  wurde,  doch  schwerlich  je  verbaut  worden  ist. 
Eine  solche  Senkgrube  mit  ihrer  Verbindung  nach  unten,  wie 
sie  hier  bestand,  konnte  man  unmöglich  ohne  zwingendste 
Gründe  preisgeben.  So  empfiehlt  sich  aus  beiden  Gründen, 
das  Südende  des  Altars  nördlich  vom  Eingang  zur  Grube, 
um  sie  für  die  Zwecke  der  Abräumung  des  Altars  offen  zu 
halten,  anzusetzen  (also  bei  ES  in  Abb.  4)  und  anderseits  das 
Nordende  nach  Kräften  von  der  nördlichen  Absenkung  des 
Felsen  abzurücken.  Mißt  man  die  32  Ellen  =  etwa  16,64  m 
nördlich  vom  Eingang  zur  Grube  ab,  so  ergeben  sich  als  Ort 
für  die  Süd-  und  Nordseite  parallele  Linien  der  Richtung  RS 
und  TU  in  Abb.  4.  Bei  TU  entsteht  für  eine  Stufe  von  0,52  m 
Höhe  keinerlei  Schwierigkeit;  aber  auch  bei  RS  wird  sie  ver- 
mutlich in  das  Bild  des  heutigen  Felsen  sich  ohne  Schwierig- 
keit eingliedern  lassen.  Der  Fels  steigt  dort  sanft  an.  er  wird 
an  der  Stelle,  wo  die  Linie  RS  ihn  schneidet,  schwerlich  höher 
als  V2  ^  sein.   Vgl.  dazu  Abb.  5. 

Ahnlich  wird  mit  dem  ziemlich  steilen  Westabhang  des 
Felsen  verfahren  worden  sein.  Doch  ließ  sich  hier  die 
Schwierigkeit  leicht  beseitigen,  da,  wie  wir  sahen,  auf  jeder 


1)  Ich  ziehe  hier,  da  wir  in  Middöt  eine  genauere  Beschreibung 
haben  als  bisher,  die  etwas  genauere  Bestimmung  0,52  der  allgemeineren 
0,50  m  vor. 


11.  Herodes  der  Große.  g3 

Seite  doch  mindestens  IV2  m  zur  Verfügung  standen.  Dem 
Bedürfnis,  dem  Westende  mit  der  Stufe  von  bloß  einer  Elle 
Höhe  nicht  zu  nahe  zu  kommen,  war  damit  von  selbst  genügt, 
wenn  der  Fels  in  die  Mitte  genommen  wurde,  so  daß  das 
Quadrat  ESTU  die  Lage  des  Altars  ziemlich  richtig  wieder- 
geben dürfte;  ein  inneres  Quadrat  eine  Elle  weiter  einwärts 
würde  dann  die  Fläche  des  Aufsatzes  bezeichnen,  und  drei 
Ellen  weiter  zurück  wäre  die  eigentliche  Feuerstelle  anzusetzen 
(rstu).  Im  Querschnitte  würde  sich  der  Altar  demgemäß  nach 
Abb.  5  so  dargestellt  haben,  wie  man  an  den  ausgeführten 
(nicht  punktierten)  Linien,  abgesehen  von  F^G',  ersehen  kann. 

Es  folgt  daraus,  daß  nunmehr  der  ganze  Fels  bis  auf  einen 
winzigen  Eest  im  Süden  überbaut  und  vollkommen  unsichtbar  ge- 
worden ist.  Die  Heiligkeit  des  Steines  war  längst  vergessen,  er 
konnte  verschwinden.  Das  Loch  zur  Grube  fiel  nun  ziemlich  an 
das  Südende  der  Feuerstelle,  deren  Grenze  der  Linie  rs  entsprach. 
Ob  das  Loch  offen  gehalten  war  und  noch  Verwendung  fand, 
so  daß  von  der  Feuerstelle  aus  ein  Kanal  durch  den  Altar 
heruntergelaufen  wäre,  können  wir  nicht  sagen.  Bei  der  ge- 
nauen Beschreibung,  die  die  Mischna  gibt,  müßte  es  auffallen, 
daß  wir  nichts  darüber  erfahren.  Auch  ist,  wie  wir  gleich 
sehen  werden,  Ersatz  geschaffen. 

Schwierig  ist  auch  die  Frage  zu  beantworten,  was  aus 
dem  Loche  an  der  Schlachtstätte  im  Norden  wurde.  Wie  ich 
nachträglich  sehe,  erwähnt  es  auch  Schick  K  Seine  oben  noch 
offen  gelassene  Existenz  ist  damit  gesichert.  Da  ich  aber 
seine  Lage  nicht  genau  angeben  kann,  muß  ich  die  Frage  un- 
beantwortet lassen.  Immerhin  kann  es  sich  nicht  weit  von 
der  in  Abb.  4  angegebenen  Stelle  befinden.  In  diesem  Falle 
wäre  es  ebenfalls  zugedeckt  worden.  Da  hier  doch  jedenfalls 
ein  Kanal  laufen  muß,  so  bot  es  jedoch  keine  Schwierigkeit, 
etwas  weiter  gegen  Norden,  wo  die  Schlachtstätte  sich  ziem- 
lich weit  ausgedehnt  haben  muß  2.  Ersatz  für  es  zu  schaffen. 
Über  die  Wasserverhältnisse  mag  man  außer  dem  oben  S.  48 


1)  Die  Stiftshütte  usw.  (1896)  S.  243  (auch  bei  Mommert,  Topogr.  153). 
Er  redet  von  der  Rinne  und  sagt,  sie  führe  „in  einen  nur  mit  einer 
Steinplatte  zugedeckten,  in  Felsen  gehauenen  mannshohen  Kanal,,  der 
nordwärts  streicht",  aber  nicht  habe  untersucht  werden  können. 

2)  S.  die  Beschreibung  in  Midd.  III. 

6* 


84  Kittel,  Studien.    I.  Der  heilige  Fels. 

Ausgeführten  besonders  noch  die  Schilderung  im  Aristeasbriefe 
vergleichen '.    Vgl.  auch  S.  33,  Anm,  1. 

Über  die  Einrichtung  des  Altars  berichtet  nun  Midd.  III, 
2  f.  weiter:  „-In  der  südwestlichen  Ecke  (pp)  befanden  sich 
zwei  Löcher  nach  Art  kleiner  Nasenlöcher,  in  denen  das  Blut, 
das  an  das  westliche  und  das  südliche  Fundament  gegossen 
wurde,  abfloß  und  in  den  Kanal  zusammenlief,  um  dann  in 
den  Bach  Kidron  abzufließen.  ^Unterhalb  auf  dem  Pflaster  in 
eben  dieser  Ecke,  da  war  eine  Stelle,  eine  Elle  zu  (53?)  einer 
Elle,  und  (darauf)  eine  Platte  von  Alabaster,  und  daran  war 
ein  Eing  befestigt.  Hier  stieg  man  in  den  Kanal  (n'^'D;  oder 
=  Fundament?)  hinunter,  um  ihn  zu  reinigen.  Und  ein  Auf- 
gang war  an  der  Südseite  des  Altars,  32  (Ellen)  bei  einer 
Breite  von  16;  an  seiner  Westseite  befand  sich  eine  Öffnung, 
in  die  man  die  unbrauchbar  gewordenen  Vogelsündopfer  legte." 

Wir  sehen  daraus,  daß  beim  herodianischen  Altar  die  Süd- 
westecke (bei  R)  besondere  Vorrichtungen  für  die  Ableitung  von 
Blut  und  Wasser  und  die  Beseitigung  der  Abfälle  besaß.  Die 
Öffnung  für  das  Blut  muß  sich  nach  der  Beschreibung  im 
Fundament  befunden  haben;  demnach  darf  angenommen  werden, 
daß  es  wie  bei  Ezechiel  eine  Rinne  besaß.  Weshalb  nur  die 
Süd-  und  Westseite  dabei  in  Frage  kommen,  bleibt  dunkel  2. 


1)  V.  soff.;  bei  Kautzsch,  Apokr.  u.  Pseudepigr.  II,  S.  13. 

2)  Noch  dunkler  freilich  ist  die  Bemerkung  in  III,  1  am  Ende :  „der 
Grund  (llC^n)  lief  an  der  ganzen  Nord-  und  Westseite  hin,  fraß  aber 
(briNl)  im  Süden  eine  Elle  weg  und  im  Osten  eine  Elle."  Also  wohl: 
dort  war  je  eine  Elle  weggenommen  oder  ausgespart,  so  daß  das  Fun- 
dament im  Süden  und  Osten  je  eine  Elle  weniger  maß.  Aber  natürlich 
kann  das  nicht  so  gemeint  sein,  daß  es  hier  nur  31  Ellen  Grundfläche 
gemessen  hätte,  wodurch  die  quadratische  Form  aufgehoben  wäre,  son- 
dern daß  an  irgend  einer  Stelle  das  Fundament  um  eine  Elle  zurück- 
sprang. Vielleicht  ist  an  eine  Rinne  an  der  Seitenfläche  —  ebenfalls  zum 
Abfluß  des  Blutes  —  gedacht.  So  scheint  es  der  Kommentar  der  Aus- 
gabe von  Lewent  zu  verstehen.  Surenhus  stellt  nun  aber  für  brix  die 
Bedeutung  occupabat  (=  er  nahm  weg,  er  nahm  in  Anspruch,  sprang  vor) 
zur  Wahl.  Sprachlich  ist  diese  Bedeutung,  da  der  Jesöd  das  Subjekt  ist, 
vielleicht  vorzuziehen ;  dann  wäre  so  zu  deuten,  daß  im  Süden  und  Osten 
das  Fundament  eine  Elle  vorsprang,  also  unterhöhlt  war,  wodurch  der 
Sache  nach  derselbe  Sinn  erzeugt  wird.  —  Fraglich  bleibt  dabei,  ob  die 
im  Text  der  Mischna  vorangehende  Episode,  die  Gammaform  des  Altar- 
fundamentes betreffend,    zum  ursprünglichen  Bestände  gehört  (vgl.  z.  B. 


11.  Herodes  der  Große.  85 

Es  ist  anzunehmen,  daß  auf  den  andern  Seiten  auf  andre 
Art  gesorgt  war.  Der  hier  genannte  Kanal  im  Südwesten 
wird  wohl  mit  dem  aus  der  Höhle  in  die  Tiefe  führenden  Ver- 
bindung gehabt  haben.  Hierüber  könnten  natürlich  nur  Nach- 
forschungen in  der  Tiefe  Aufschluß  geben. 

Man  könnte  versucht  sein,  mit  der  Platte  neben  jener 
Öffnung  an  die  Platte  auf  dem  Boden  der  Höhle  zu  denken. 
Allein  die  ganze  Anordnung  des  Altars  verbietet  das;  wir 
kämen  dadurch  mit  dem  Westende  des  Altars  auf  die  Höhe 
des  Felsen,  was  nicht  angeht.  Es  muß  aber  außerdem  daran 
festgehalten  werden,  daß  die  hier  genannten  Verbindungen 
mit  der  Tiefe  nicht  die  einzigen  gewesen  sein  können.  Im 
Norden  bei  der  Schlachtstätte  muß  notwendig  ein  Wasser- 
zufluß und  desgleichen  ein  Abfluß  angenommen  werden.  Auch 
die  Senkgrube  mit  ihrer  Verbindung  nach  unten  wird,  gerade 
je  größer  der  Altar  mit  der  Zeit  geworden  war,  desto  unent- 
behrlicher geworden  sein. 

Eine  wesentliche  Neuerung  gegen  früher  ist  der  Aufgang 
im  Süden.  Weshalb  man  ihn  aus  dem  Osten  wegverlegte,  ist 
nicht  zu  ermitteln.  Ehedem  hatte  man  ohne  Zweifel  darauf 
gehalten,  daß  wie  der  Altar  im  Verhältnis  zum  Tempel  und 
der  Tempeleingang,  so  auch  der  Zugang  zum  Altar  der  auf- 
gehenden Sonne  zustrebte.  Vielleicht  bedeutet  der  Südaufgang 
den  Protest  hieo^eo-en. 


die  Abbildung  iu  der  Warschauer  Ausgabe:  Misznajoth  v.  Lipszytz  Tom.  V 
[1864],  die  Tafeln  am  Schlüsse).  Wenn  das  der  Fall  ist,  muß  angenommen 
werden,  daß  nachträglich  die  Ungleichheit  wieder  ausgeglichen  und  die 
quadratische  Gestalt  wieder  hergergestellt  worden  ist. 


Beilage  zu  Abhandlung  I. 

Die  wichtigsten  arabischen  Quellenzeugnisse  üher  den  hl.  Fels. 

Zu  dem  auf  S.  27  ff  Gesagten  mögen  hier  die  genaueren 
Belege  folgen  i. 

Den  stärksten  Einfluß  auf  die  neueren  Darsteller  hat 
ToBLER  ausgeübt,  der  sich  hauptsächlich  auf  die  französischen 
Werke  der  zwanziger  Jahre  des  XIX.  Jahrhunderts,  dasjenige 
von  MicHAUD  und  das  von  Reinaud,  stützte.  Gerade  aus  ihnen 
aber  konnten  die  Toblers  Quellen  folgenden  Historiker  leicht 
auf  falsche  Vorstellungen  geführt  werden.  Ich  lasse  die  be- 
treffenden Stellen  hier  folgen. 

MiCHAüD  berichtet  in  Bibliographie  des  Croisades  II  (1822) 
S.  601  f.  aus  ScJiihäb  ed-Din  {Af?u  Schämd)  (um  1250): 

„Les  Francs  avaient  construit  une  eglise  sur  la  Sakkra; 
cette  construction  en  avait  courbe  la  forme  et  altere  les  traces 
antiques.  On  l'avait  chargee  de  peintures  plus  laides  que  la 
nudite  meme  des  pierres,  et  on  y  avait  place  differentes 
statues  .... 

Les  Francs  avaient  coupe  plusieurs  morceaux  de  cette 
pierre  qu'ils  avaient  transportes  ä  Constantinople  et  en  Sicile, 
et  qu^ils  vendaient  au  poids  de  l'or.  Nos  coeurs  furent  brises 
de  douleur  ä  la  vue  de  la  place  d^oü  ces  morceaux  avaient 
ete  enleves." 

Der  andere  Hauptgewährsmann  Toblers,  nämlich  Reinaud, 
Extraits  des  Historiens  Arabes  (1829)  S.  217  gibt  zunächst 
als  seine  Quelle  '^hnad  ed-Din  (geb.  1116)  an  (für  die  ersten 
Sätze),  um  dann  einen  Passus  aus  Ibn  el-Athtr  (f  1233)  folgen 
zu  lassen.    Er  schreibt: 


1)  Bei  der  Übersetzung  der  arabischen  Texte  habe  ich  Aug.  Fischer 
für  ausgiebigste  Hilfe  zu  danken.    Sie  stammt  in  der  Hauptsache  von  ihm. 


Die  -wichtigsten  arabischen  Quellenzeugnisse  über  den  hl.  Fels.     87 

„Les  Francs  avaient  bäti  une  eglise  au-dessus  de  la  cha- 
pelle  de  la  Sacra.  Cet  edifice  avait  courbe  la  forme  de  la 
chapelle  et  altere  ses  traces  antiques.  Les  chretiens  avaient 
couvert  la  chapelle  de  peintures  plus  laides  qiie  la  midite 
meme  des  pierres;  ils  y  avaient  eleve  des  statiies  . . .  Le  siütan 
fit  tout  retablir  dans  son  ancien  etat,  et  la  röche  fut  revetue 
d'ime  grille  de  fer. 

On  lit  au  sujet  de  la  röche  dans  Ibn-alatir  (geb.  1160), 
„que  les  chretiens  Tavaient  recouverte  de  marble,  et  cela 
parce  que  plusieurs  fois  on  avait  surpris  les  pretres  detachant 
des  morceaux  de  cette  pierre  pour  la  vendre,  au  poids  de  l'or, 
ä  leur  freres  d'occident;  cette  pierre  passait  pour  porter  bon- 
heur.  A  leur  retour,  les  chretiens  bätissaient  des  eglises  et 
pla^-aient  ces  fragmens  sur  l'autel  principal.  Tel  fut  le  motif 
qui  porta  un  des  rois  precedens  ä  fair  revetir  la  röche  de 
marble,  de  peur  qu'il  n'en  restät  bientot  plus  de  trace."" 

Vergleicht  man  mit  diesen  angeblich  authentischen  Be- 
richten zunächst  die  wirklichen  Worte  des  'Imad  ed-Din,  der 
als  Augenzeuge  —  er  kam  am  Tag  nach  der  Eroberung  nach 
Jerusalem  —  und  als  Staatskanzler  Saladins  die  vornehmste 
Beachtung  verdient,  so  ergibt  sich,  daß  gerade  die  entschei- 
denden Worte,  nämlich  cet  edifice  avait  courde  la  forme  de  la 
chapelle  et  altere  ses  traces  antiques  sich  bei  'Imad  ed-Din 
selbst,  wenigstens  in  dem  mir  allein  zur  Verfügung  stehenden 
Texte  von  Graf  Landberg,  nicht  finden  i. 

Woher  sie  Reinaud  vermutlich  hatte,  kann  schon  ein 
Blick  auf  das,  was  Michaud  aus  Schihäö  ed-Dm  {Abu  Schäma) 
mitteilt,  lehren.  In  der  Tat  berichtet  letzterer  Ähnliches, 
wenn  auch  nicht  dasselbe,  wozu  zu  bemerken  ist,  daß  er  sich 
auf  '^ Imäd  ed-Din  als  Gewährsmann  beruft  2. 


1)  Bei  MiCHAtJD  beziehen  sich  die  Worte  sogar  auf  den  Fels  selbst, 
nicht  bloß  auf  die  chapelle  de  laSakkra  (obwohl  die  französischen  Übersetzer 
mehrfach  auch  hierunter  die  Sachra  selbst  verstehen;  vgl.  z.  B.  Recueil 
[Orient.]  I,  S.  199).  So  ist  es  auch  bei  Abu  Schama  gemeint,  nur  daß 
die  Worte  hier  einen  andern  Sinn  haben ;  s.  u.  S.  91. 

2)  Er  will  neben  dem  uns  erhaltenen  Werk  el  fath  auch  das 
größtenteils  verlorene  el  bark  (bark  esch-Schämij  benutzt  haben  (Abu  Sch. 
S,  109).    Im  übrigen  s.  die  vorige  Anm. 


88  Kittel,  Studien.    Beilage  zu  Abhandlung  I. 

In  möglichst  wortgetreuer  Übersetzung  lauten  die  Worte 
*Imad  ed-Dins^  wie  folgt: 

„Und  was  die  Sachra  anlangt,  so  hatten  die  Franken  dar- 
auf eine  Kirche  (x*«.aä<)  und  einen  Altar  gebaut.  Und  sie 
hatten  2  an  ihr  [der  Sachra]  für  die  Hände,  die  einen  Segen 
[durch  ihre  Berührung]  suchten,  und  für  die  Augen,  die  sie 
ansehen  wollten,  keine  Stelle  gelassen,  die  man  betasten, 
noch  eine,  zu  der  man  hinschauen  konntet  Und  sie  hatten 
sie  geschmückt  mit  Statuen  und  Bildern,  und  hatten  dort 
die  Plätze  für  die  Mönche  bestimmt  und  den  Ort  zum 
Niederlegen  des  Evangeliums,  und  hatten  dort  vollkommen 
gemacht  die  Gründe  der  Anbetung  und  Verherrlichung^. 
—  Und  sie  hatten  an  ihr  abgesondert  [also  an  einer  beson- 
dern Stelle]  für  den  Ort  der  Fußspur  eine  kleine  vergoldete 

Kuppel  gebaut,  die  von  Marmorsäulen  (*Lis.O  getragen  war, 

und  gesagt:  Das  ist  der  Ort  der  Fußspur  des  Messias  und 
dies  ist  die  Stätte  der  Heiligung  und  des  Lobpreises!  Und 
dort  waren  die  Bildwerke  von  Zuchttieren  [Schafen],  dar- 
gestellt °  in  dem  Marmor;  und  ich  habe  unter  diesen  bild- 
lichen Darstellungen  Gestalten  wie  Schweine  gesehen;  und  die 
Sachra,  nach  der  man  sich  hinwenden  und  die  man  besuchen 
sollte,  war  verborgen,  durch  die  Bauten  darauf  und  durch 
jene  gefeierte  Kirche  verdeckt.  —  Und  so  befahl  der  Sultan, 
daß  man  entblößen  solle  ihre  Schleier,  emporheben  ihre  Hüllen, 
zurückziehen  ihre  Decken  .  . .  und  daß  man  sie  bloßlege  für 
diejenigen,  die  sie  besuchen  wollten  .  .  .  und  sie  wieder  her- 
stellen in  ihrem  Schmucke  , .  .  und  so  wurde  sie  wieder,  wie 

sie  in  der  früheren  Zeit  gewesen  war Und  es  war 

von  ihr  vor  der  Eroberung  [durch  Saladin]  nur  ein  Stück  von 


1)  Nach  der  Ausgabe  von  Graf  Landberg  (Leid.  1888),  S.  65. 

2)  Von  hier  au  kehrt  der  Bericht  so  gut  wie  wörtlich  bei 
Abu  Schama  wieder.     Siehe  S.  91. 

3)  Sie  hatten  also  den  Gläubigen  die  Möglichkeit   genommen,    den 
Fels  zu  berühren  oder  auch  nur  zu  beschauen, 

4)  Hatten  also  reichlich  Veranlassung  dazu  gegeben,  d.  h.  die  Sachra 
zum  Gegenstand  der  größten  Verehrung  gemacht. 

5)  Abu  Schama  hat:  i^X^J^  „eingegraben"  (?) ;  das  nächste  Sätzchen 
fehlt  bei  ihm  hier. 


Die  wichtigsten  arabischen  Quellenzeugnisse  über  den  hl.  Fels.    89 

ihrem  unteren  Teil^  sichtbar,  das  die  Ungläubigen  übel  be- 
hauen [entstellt?]  hatten  ....  Und  es  wurde  über  ihr  eine  Ein- 
friedigung von  eisernem  Gitterwerk  gemacht  und  man  sorgt 

für  sie  bis  zum  heutigen  Tage  immer  besser Und  -  die 

Franken  hatten  von  der  Sachra  Stücke  abgeschnitten,  und 
einige  von  ihnen  nach  Konstantinopel  geschleppt,  und  etliche 
nach  Sizilien;  man  hat  auch  gesagt,  sie  haben  sie  verkauft 
gegen  ihr  Gewicht  an  Gold  und  haben  das  zum  Erwerb  für 
sich  gemacht." 

Lediglich  einen  kurzen  Auszug  hieraus,  der  deshalb  hier 
schon  genannt  werden  kann,  liefert  Mudschir  ed-DIn  (f  1521), 
wenigstens  nach  der  mir  allein  zugänglichen  Übersetzung  von 
Sauvatre  ^ : 

„Quant  ä  la  Sakra,  les  Francs  avaient  construit  au-dessus 
une  eglise  et  un  autel,  et  y  avaient  place  des  Images  et  des 
statues.  Le  Sultan  donna  l'ordre  de  la  decouvrir  et  de  de- 
truire  les  constructions  recentes  qui  l'obstruaient.  L'ayant 
ainsi  rendue  ä  son  premier  etat . . ." 

Ich  füge  sofort  die  Beschreibung  des  Ibn  el-Athie,  des 
der  Zeitfolge  nach  nächsten  arabischen  Berichterstatters,  bei^: 

„Und  die  Franken  hatten  die  Sachra  oben  mit  Marmor- 
fliesen (*L4i>jjl)  bedeckt  und  sie  unsichtbar  gemacht.  Da  ge- 
bot er  [Saladin]  ihre  Bloßlegung. 

Und  die  Ursache  ihrer  Verhüllung  mit  der  Decke  war 
das,  daß  die  Priester  vieles  von  ihr  [der  Sachra]  den  Franken, 
die  vom  Meere  her  zum  Wallfahren  herabkamen,  verkauft 
hatten;  und  sie  pflegten  es  zu  kaufen  für  sein  Gewicht  an 
Gold  in  der  Erwartung,  ihres  Segens  [teilhaftig  zu  werden]. 
Wenn  dann  einer  von  jenen  in  sein  Land  [zurück]kam  mit 
einem  kleinen  Stück  davon,  so  baute  man  ihm  eine  Kirche 
und  tat  es  in  deren  Altar  ^ 


1)  Es  ist  wohl  an  die  Höhle  gedacht,  vielleicht  auch  an  das  Nord- 
ende. Jedenfalls  hat  man  auch  hier  an  keine  wesentliche  Veränderung 
zu  denken. 

2)  A.  a.  O.  S.  66,  17. 

3)  Histoire  de  Jerusalem  et  d'Hebron  (Paris  1876)  S.  75. 

4)  Nach  der  Ausgabe  von  Tornberg,  Ibn-el-Athiri  Chronicon  XI 
(Ups.  1851)  S.  365.  Vgl.  Recueil  (Orient.)  I  705  f.  Die  Varianten  sind 
ganz  unbedeutend.  5)  Fügte  es  ein. 


90  Kittel,  Studien.    Beilage  zu  Abhandlung  I. 

Da  fürchtete  einer  [quidam]  ihrer  Könige,  sie  könnte  ver- 
schwinden, so  gah  er  Befehl  über  sie  und  bedeckte  ihre  Ober- 
fläche (L^i'5i)  zur  Bewahrung  [zum  Schutze]  für  sie." 

Der  leichteren  Übersicht  halber  mag  hier  sofort  Schihäb 
ED-DLv  Abu  Schäma  folgen  (f  1267),  der  sich,  wie  oben  bemerkt, 
auf  die  beiden  Werke  des  '' Imäd,  das  uns  erhaltene  und  das 
zumeist  verloren  gegangene,  beruft,  zugleich  aber  auch  offen 
bekennt  \  daß  er  die  schwerfälligen  und  oft  recht  breiten  Aus- 
führungen seines  Gewährsmanns  gekürzt  und  auf  das  Wesent- 
liche beschränkt  habe.  In  Wirklichkeit  hat  gerade  er  durch 
sein  wortreiches  Schwelgen  in  Synonymen  und  phrasenhaften 
Metaphern  das  Hauptunheil  gestiftet-. 

In  der  Tat  gehen  nur  auf  unsern  Abu  Schama  jene  ver- 
hängnisvollen Worte  zurück,  die  bei  den  Michaud  und  Reinaud 
folgenden  neueren  Darstellern  des  Gegenstandes  mehrfach  die 
Vorstellung  erweckt  haben,  als  hätten  die  Kreuzfahrer  die 
Form  des  Felsen,  sei  es  durch  Einhauen  von  Stufen,  sei  es 
auf  andere  Weise,  total  verändert.  Hieraus  ergab  sich  dann 
als  fast  selbstverständliche  weitere  Folgerung  die  Annahme, 
daß  die  erst  in  der  Kreuzfahrerzeit  geschaffene  heutige  Ge- 
stalt der  Sachra  uns  keinerlei  Anhalt  für  die  Ermittlung  der 
älteren  Geschichte  derselben  mehr  bieten  könne.  Will  man 
aber  zur  richtigen  Würdigung  des  Sachverhaltes  gelangen, 
so  darf  man  nie  vergessen,  daß  gerade  Abu  Schama  in  seiner 
poetisch  sein  sollenden  Beschreibung  mehrfach  gar  keine  posi- 
tiven, über  seine  Quelle  hinausgehenden  Aussagen  bieten  will, 
sondern  es  nur  darauf  abgesehen  hat,  ein  gefälliges  Wort- 
geklingel mit  möglichst  reichlichen  Synonymen  und  Reimen 
zu  erzielen.  Um  seine  historische  Minderwertigkeit  deutlich 
genug  erkennen  zu  lassen,  müßte  man  eigentlich  eine  Rückekt- 
sche  Übersetzung  von  ihm  haben. 

Abu  Schama  sagt^: 

„Es  sagte  'Imad:  Und  was  die  geheiligte  Sachra  anlangt, 
so  hatten  die  Franken  über  ihr  eine  Kirche  gebaut  und  hatten 


1)  Vgl.  GoERGENS,  Arab.  Quellenbeitr.  z.  Gesch.  d.  Kreuzzüge  (1879) 
S.  XII  f.  " 

2)  Vielleicht  fand  er  auch  das  schon  in  dem  ihm  vorliegenden  Texte 
des  'Imad. 

8)  Kitäb  er-raudatain  II,  Kairo  12S8  (d.  Hedsch.),  S.  118. 


Die  wichtigsten  arabischen  Quellenzeugnisse  über  den  hl.  Fels.      9] 

[dabei]  ihren  alten  Charakter  verwischt  gemachte  Und  sie 
hatten  sie  verborgen  mit  den  Bauten  nnd  hatten  verkrümmt 
ihre  Art,  unter  dem  Vorgeben,  daß  sie  sie  nivellieren  2. 
Sie  hatten  sie  verdeckt  mit  Bildern,  die  häßlicher  waren  als 
wenn  man  sie  nackt  gelassen  hätte,  und  hatten  sie  angefüllt 
mit  verschieden  gestalteten  Bildwerken.  Und  sie  hatten  an 
ihre[r]  Marmorbekleidung  ^  Gestalten  wie  Schweine  einge- 
graben [1.  dargestellt?  s.  o.J,  und  sie  hatten  den  Altar  für  sie 
[die  Sachra]  zu  einem  Opferplatz  ^  gemacht.  Und  sie  hatten 
an  ihr  für  die  Hände,  die  einen  Segen  [durch  ihre  Berührung] 
suchten,  und  für  die  Augen,  die  sie  ansehen  wollten,  keine 
Stelle  gelassen,  die  man  betasten,  noch  eine,  zu  der  man  hin- 
schauen konnte.    Und  sie  hatten  sie  geschmückt  mit  Bildern 

und   Statuen   usw [Fortset::ti)ig-  nach  'Imad   ed-Din 

mit  ganz  unwesentlicher  Abweichung  bis  zu  den  Worten:]  und 
haben  das  zum  Erwerb  für  sich  gemacht." 

Nunmehr  eigenartige  Fortsetzung,  und  zwar  mit  Berufung 
auf  'Imads  Werk  el  bark: 

„Und  als  die  Sachra  sichtbar  wurde,  da  fanden  wir,  daß 
die  Schicksalschläge  ihr  Einschnitte  hinterlassen  hatten  und 
daß  sie  ihrem  Inneren  allerlei  ihr  von  selten  der  Ungläubigen 
angetanes  Böse,  von  dem  man  munkelte,  zugefügt  hatten ^ 
Denn  die  Franken  hatten  nach  ihren  Ländern  Stücke  davon- 
getragen und  hatten  damit  unerhörte  Dinge  vorgenommen 
[frevelhaften    Mißbrauch    getrieben],    so    daß    sogar    gesagt 


1)  Will  schwerlich  sagen,  daß  ihre  Gestalt  wesentlich  verändert  worden 
sei,  sondern  nur  ihr  Aussehen   (durch  die  Überdeckung  mit  Fliesen). 

2)  Lies,  *jjp  ;  indem  sie  behaupten,  es  in  Ordnung  zubringen,  haben 
sie  ihr  Aussehen  entstellt  —  das  heißt  nicht,  daß  sie  daran  gemeißelt 
oder  sie  verändert  hätten;  es  handelt  sich  um  Metaphern,  die  nur 
sagen  wollen,  daß  sie  die  Sachra  unkenntlich  machen  und  entstellen  durch 
die  über  sie  gesetzten  Bauten. 

3)  Schwerlich  richtig.  Es  werden  die  Säulen  und  die  Seiten  des 
Altars  gemeint  sein,  vielleicht  auch  die  Schranken. 

4)  Zu  einem  Platz,  wo  sie  selbst  hingeopfert,  d.h.  unsichtbar  ge- 
macht wurde  —  Wortspiel  mit  der  doppelten  Bedeutung  von  madhbach. 

5)  Die  folgenden  Sätze,  die  augenscheinlich  die  Erklärung  des  ersten 
Satzes  geben  wollen,  zeigen,  daß  es  auch  hier  sich  lediglich  um  eine 
entrüstete  Äußerung  über  das  Abschlagen  etlicher  Steinstücke 
handelt. 


92  Kittel,  Studien.    Beilage  zu  Abhandlung  I. 

wurde,  sie  seien  verkauft  worden  gegen  ihr  Gewicht  an  Gold. 
Und  es  kam  mit  ihr  so  weit,  daß  ihr  Stein  schließlich  als 
Beute  fortgeschleppt  worden  wäre;  und  so  bedeckte  einer 
ihrer  Könige  sie  aus  Furcht  für  sie,  damit  nicht  etwa  eine 
frevelhafte  Hand  sich  nach  ihr  ausstrecke." 

Den  Abschluß  dieser  Quellenübersicht  mag  der  christliche 
Berichterstatter  Wilhelm  von  Tyeüs  bilden,  weil  seine  kurze 
Beschreibung  uns  die  willkommene  Erläuterung  für  die  sonst 
mehrfach  etwas  dunklen  Andeutungen  der  arabischen  Erzähler 
liefert.    Er  sagt  über  die  Sachra': 

„Haec  autem  ante  nostrorum  iutroitum  et  postmodum 
annis  quindecim  nuda  patuit  et  aperta;  postea  vero  qui  eidem 
praefuerunt  loco.  albo  eam  cooperientes  marmore.  altare  de- 
super  et  chorum.  in  quo  clerus  divina  celebrat,  constituerunt." 

Überblickt  man  diese  stattliche  Reihe  von  Zeugen,  so  ist 
zunächst  soviel  deutlich,  daß  keiner  von  ihnen  etwas  von 
Stufen  weiß,  welche  die  Kreuzfahrer  nach  der  Eroberung 
Jerusalems  oder  zum  Zweck  der  Herstellung  ihres  Altars  in 
den  hl.  Fels  gehauen  hätten.  Ich  halte  diese  Feststellung 
für  das  wichtigste  Ergebnis  der  Untersuchung  der  alten 
Quellen,  soweit  sie  mir  zur  Verfügung  stehen. 

Zweitens  ergibt  sich,  daß  der  älteste  und  wichtigste  Be- 
richterstatter, 'Imad  ed-Din  (dem  auch  darin  Müdschie  ed-Din 
folgt),  mit  besonderem  Nachdruck  betont,  daß  Saladin  die 
Sachra  so  herstellen  ließ,  wie  sie  früher  gewesen  war. 
Das  ist  nur  möglich,  wenn  nicht  allein  keine  Stufen  in  den 
Fels  gehauen  waren,  sondern  auch  sonst  sein  Zustand  gegen 
früher  nicht  Avesentlich  verändert  war.  Insofern  gewinnen 
wir  durch  das  direkte  Zeugnis  'Imaüs  sowohl  die  Bestätigung 
des  vorhin  Ermittelten,  als  auch  eine  darüber  noch  hinaus- 
gehende neue  Aussage.  Auch  Abu  Schama  hat  jene  Worte. 
Die  Nachricht  Abu  Schamas.  daß  die  Errichtung  der  ..Kirche" 
die  Sachra  selbst  ihrem  Charakter  und  ihrer  Art  (nicht  ihrer 
„Lage")  nach  umgestaltet  habe,  kann  schon  deshalb  nur  so 
verstanden  werden,  daß  ihr  Aussehen,  nicht  aber  ihre  wirk- 
liche Gestalt  verändert  wurde.  An  positiven  Tatsachen  weiß 
Abu  Schäraa  nichts  über  *lmad  Hinausgehendes.  Er  fügt  nur 
einige  Phrasen   bei.    Der  Hochaltar  steht   auf  einer  ebenen, 

1)  VIII,  3.    Vgl.  Recueil  (Occid.)  im  I.  Band. 


Die  wichtigsten  arabischen  Quellenzeugnisse  über  den  hl.  Fels.     93 

etwas  erhabenen  Fläche  von  1,50—1,70  m  Höhe  (der  Höhe 
der  Sachra),  zu  der  Stufen  führen  (vgl.  Abb.  10). 

Drittens  läßt  sich  feststellen,  daß  die  Nachricht,  die 
Christen  haben  die  Sachra  durch  Abschlagen  von  Stücken 
beschädigt,  zwar  schon  der  ältesten  Schicht  der  Überliefe- 
rung angehört.  Sie  tritt  bei'lMAD,  beilBN  el-Athie  und  sodann 
bei  Abu  ScHAMA  auf^  Sie  ist  historisch;  aber  schon  die  Mit- 
teilung-, daß  die  Stücke  mit  Gold  aufgewogen  wurden,  zeigt, 
daß  es  sich  um  unbedeutende  Teile  des  Felsen  handelte,  durch 
deren  Ablösung  die  Gestalt  des  Ganzen  nicht  verändert  wurde. 
Andernfalls  könnte  Abu  Schama  nicht  wohl  mit  'Imad  die 
restitutio  in  integnim  betonen,  noch  könnte  dieser  selbst  die  Sache 
in  el  fat/j  ganz  nachträglich  und  fast  nur  nebenher  erwähnen. 
Er  wird  die  Tatsache  so  gut  als  die  andern  gekannt,  ihr  aber 
in  el  fath  keine  besondere  Bedeutung  beigemessen  haben.  Es 
scheint,  daß  man  doch  im  ganzen  —  auch  'Imad  —  erst  später, 
als  man  nach  ausreichenden  Gründen  der  den  Muslimen  so 
besonders  anstößigen  Verhüllung  der  Sachra  suchte,  sich  auch 
dieser  Tatsache  wieder  recht  erinnerte  und  sie  dann  zur 
Hauptursache  der  Bedeckung  aufbauschte.  Von  da  an  gewann 
es  natürlich  den  Anschein,  als  hätten  die  Christen  die  Sachra 
teilweise  zerstört.  Dieser  Schein  ist  aber  augenscheinlich  ein 
bloßes  Produkt  gehässiger  muslimischer  Legende.  Gerade  die 
innere  Unwahrscheinlichkeit  der  Begründung  der  Be- 
deckung —  der  wahre  Grund  war  natürlich  das  kirchliche 
Bedürfnis  der  Christen  —  zeigt,  daß  es  sich  um  Gerüchte 
handelt,  denen  wohl  etwas  Wahres  zugrunde  liegen  mochte, 
die  aber  gehässig  aufgebauscht  sind. 

Nach  dieser  dreifachen  Feststellung  ist  uns  nun  der  Weg 
gebahnt  zur  Beantwortung  der  Frage,  was  nun  wirklich 
durch  die  Kreuzfahrer  mit  der  Sachra  geschehen  sei. 

Alle  Berichterstatter  sind  darin  einig,  daß  sie  zugedeckt 
wird,  sei  es  ganz,  sei  es  fast  ganz.  'Imad  drückt  sich  am 
Anfang  in  seiner  Entrüstung  über  die  Verhüllung  der  Sachra 
etwas  undeutlich  und  schwülstig  aus;  aber  er  meint  hier  ohne 

1)  Bei  'Imaü  doppelt,  in  el  bark  mit  besonderer  Entrüstung. 

2)  Man  beachte  auch  die  unsichere,  ganz  aufs  bloße  Hörensagen 
weisende  Art  aller  Berichterstatter  in  betrefi  dieses  Punktes:  „jemand 
von  ihren  Königen",  auch  das  „Munkela"  ol)en  S.  91. 


94 


Kittel,  Studien.    Beilage  zu  Abhandlung  I. 


Zweifel  dasselbe  wie  Ibn  el-Athir  und  wie  er  selbst  später, 
wo   er   o-anz   deutlich   redet.    Am   klarsten  erfahren  wir  aus 


Abb.  9.     Kiborienaltar  von  Trau  (Dalraatien). 


WiLH.  VON  Tyrus,  daß  der  Fels  mit  weißen  Marmorfliesen 
bedeckt  wird.  Das  ist  jedenfalls  auch  mit  dem  riichäm  der 
arabischen  Quellen  gemeint. 


Die  wichtigsten  arabischen  Qaellenzeugnisse  über  den  hl.  Fels.    95 

Auf  die  Fliesen  kommt  —  doch  wohl  in  die  Mitte  des 
Felsen  —  ein  Altar  und  eine  „Kirche"  {kenisa)  samt  Plätzen 
für  die  Geistlichen  und  Gelegenheit  zur  Anbetung  sowie  für 
das  Auflegen  des  Evangeliums;  Altar  und  „Kirche''  sind  ge- 
schmückt mit  Bildern  und  Statuen.  Für  diese  Schilderung 
gibt  uns  Wilh.  v.  Tyrus  die  allein  richtige  Deutung,  der  von 
dem  altare  et  choriis  redet,  ///  quo  cleriis  divina  celebrat.  Mein 
Kollege  A.  Hauck  macht  mich  darauf  aufmerksam,  daß  clwrus 


Abb.  10.   Altar  von  S.  Lorenzo  in  Rom  (Chorherrensitze  rechts  zur  Seite). 

hier  nicht  dasjenige  bedeutet,  was  wir  heute  unter  Chor  ver- 
stehen, sondern  den  Platz  für  die  Kleriker,  daß  derselbe  in 
den  mittelalterlichen  Kuppelbauten,  wenn  der  Altar  unter  der 
Kuppel  steht,  (wie  z.  B.  im  Florentiner  Dom)  rund  um  den 
Altar  läuft,  und  daß  der  mittelalterliche  Altar  vielfach  durch 
einen  auf  Säulen  stehenden  und  mit  einem  kuppelartigen  Dache 
versehenen  Baldachin  überdeckt  war.  Ein  solcher  Altar  macht 
den  Eindruck  einer  Miniaturkirche,  wie  man  ihn  auch  jetzt 
noch  als  tempietto  bezeichnen  hört  (vgl.  Abb.  9  u.  10). 


96  Kittel,  Studien.    Beilage  zu  Abhandlung  I. 

Ist  es  zum  voraus  nicht  wolil  glaubhaft,  daß  die  Erzähler 
den  Christen  die  Errichtung  einer  wirklichen  Kirche  inner- 
halb des  doch  unangetastet  weiterbestehenden  Felsendomes 
zugeschrieben  haben  sollten,  so  klärt  sich  nun  alles  aufs  ein- 
fachste auf.  Die  „Kirche"  ist  ein  tempietto,  ein  überdachter, 
auf  Säulen  ruhender  Altarbaldachin.  Er  wird  als  notwendige 
Ergänzung  des  Altars  zu  diesem  auf  die  Fliesen  gesetzt.  Um 
ihn  stehen  im  Kreis  oder  Achteck^  die  Priestersitze;  es  fehlt 
nicht  am  Lesepult  mit  dem  heiligen  Buche,  ebensowenig  an 
Heiligenbildern  und  dem  Ort  des  Allerheiligsten  (dem  „Gegen- 
stand der  besondern  Verehrung"). 

Ein  ähnlicher,  wohl  ziemlich  kleinerer  Baldachin  kommt 
nun  aber  auch  —  'Imad  läßt  uns  darüber  keinen  Zweifel  — 
über  die  sog.  Fußspur  des  Profeten,  jene  oben  mehrfach  ge- 
nannten Löcher  an  der  Südwestecke  des  hl.  Felsen.  Sie  werden 
als  die  Fußspur  des  Heilandes  gedeutet.  Diese  Deutung  ist 
ein  neuer,  nicht  zu  verachtender  Beweis  für  die  hohe  Wert- 
Schätzung,  welche  die  Sachra  auch  bei  den  Christen  genoß, 
und  somit  gegen  die  Annahme  stärkerer  Beschädigung  oder 
;Veränderung  ihrer  Gestalt  (s.  S.  28  unten). 
■  Auch  dieser  zweite  Baldachin  scheint  nichts  anderes  als 
lein  (kleineres)  tenipietto  gewesen  zu  sein:  eine  vergoldete 
Kuppel  auf  Marmorsäulen  ruhend,  und  auf  die  Säulen  und 
Altarsteine  aufgesetzt  oder  aus  ihnen  herausgemeißelt,  bei  den 
Säulen  etwa  als  Kapitell-Tierfiguren.  Ahnliches  ist  beispiels- 
weise in  S.  Ambrosio  in  Mailand  zu  sehen.  Wenn  'Imäd 
höhnisch  bemerkt,  darunter  etwas  wie  Schweine  gesehen  zu 
haben,  so  hat  vielleicht  schon  Röhricht  richtig  wahrgenommen, 
daß  dam-it  an  eine  Abbildung  des  Gotteslammes  gedacht  sei.  Das- 
selbe krönt  mehrfach  die  Kuppel  der  Ciborienaltäre  (vgl.  Abb.  9). 

1)  Ein  schönes  Beispiel  eines  solchen  Kiborien-Heiligtums  bietet  das 
Grab  des  Demetrius  in  der  Demetriuskirche  zu  Thessalonich.  Eine  sechs- 
eckige Mauer  bildet  die  Schranke  (hier  hat  man  in  Jerusalem  die  „Chor"- 
herrnsitze  zu  denken),  und  innerhalb  derselben,  steht  auf  6  Säulen  xb  na^' 
tjlJ.LV  xalovfxevov  fjyiaainevov  xißügiov  (Mirac.  s.  Demetr.  82 f.  A.  S.  BoU. 
Oct.  IV  S.  133  f.).  Vgl.  c.  82  .  .  .  oqü  xb  hgöaxtvor  ixeivo  xal  negi>ca?.?.hg 
Srit.uovQ)n]!xa  xuxä  /jsoov  xov  vaov  TtQoq  xoZq  Xaioig  7i?^evQ0ig,  i<pi6(}Vfxivov 
e^aycjro)  oyjjfxaxt,  xlooiv  f|  xal  xolxoiq  laaQlQ^fioiq  e|  aQyvQov  Soxlfiov  xal 
öiayey'/.vfifxevov  ixefxoQfpuiixivov  xal  x/jv  d^ocp^v  baaixcoq  artb  xCov  s^ayüi- 
vo)v  7i).evQä>v  xvx).o(poQixijiq  avlaxovaav  ....  [H.] 


IL  Der  primitive  Felsaltar  und  seine  Grottheit. 

1.  Gideon. 

„11  Und  der  Engel  Jahwes  kam  und  setzte  sich  unter  die 
Terebinthe  bei  Ophra,  die  dem  Abiesriter  Joas  gehörte,  während 
dessen  Sohn  Gideon  in  der  Kelter  Weizen  ausklopfte,  um  ihn 
vor  den  Midianitern  zu  bergen.  ^-Da  zeigte  sich  ihm  der 
Engel  Jahwes  und  sprach  zu  ihm:  Jahwe  mit  dir,  du  wackrer 
Mann!  ^^ Gideon  erwiderte  ihm:  Bitte,  mein  Herr,  wenn  wirk- 
lich Jahwe  mit  uns  ist  —  wie  konnte  uns  alles  das  treffen? 
und  wo  sind  alle  seine  Wunder,  von  denen  uns  unsre  Väter 
erzählt  haben?  .  .  .  nein,  jetzt  hat  uns  Jahwe  verstoßen  und 
hat  uns  in  die  Hände  der  Midianiter  hingegeben!  i*Da  wandte 
sich  Jahwe  gegen  ihn  und  sprach:  Geh'  in  dieser  deiner  Kraft! 
du  wirst  Israel  erlösen  aus  der  Midianiter  Hand  —  habe  doch 
ich  dich  gesandt!  .  .  .  ^'Er  sprach  zu  ihm:  Habe  ich  Gnade 
vor  dir  gefunden,  so  gib  mir  ein  Zeichen,  daß  du  mit  mir 
redest;  i^geh'  nicht  von  hier  weg,  bis  ich  wieder  zu  dir 
komme  und  dir  meine  Gabe  heraushole  und  sie  vor  dir  nieder- 
setze.   Er  sprach:  Ich  bleibe,  bis  du  zurückkommst. 

1® Gideon  ging  hinein,  bereitete  ein  Ziegenböckchen  und 
ein  Epha  Mehl  zu  Mazzen:  das  Fleisch  legte  er  in  einen  Korb 
und  die  Brühe  tat  er  in  einen  Topf,  brachte  es  zu  ihm  hinaus 
unter  die  Terebinthe  und  reichte  es  ihm  hin  K  -**Der  Engel 
Jahwes-  sprach  zu  ihm:  Nimm  das  Fleisch  und  die  Mazzen 
und  lege  es  auf  den  Felsen  dort  und  die  Brühe  gieße  aus.  Er 
tat  so.  -iDa  streckte  der  Engel  Jahwes  die  Spitze  des  Stabes, 
den  er  in  der  Hand  hatte,  aus  und  berührte  das  Fleisch  und 


1)  Lies  vielleicht  t.'S'^l    trat  heran,    da    er  erst  Anweisung  erwartet, 
was  mit  den  Sachen  zu  tun  sei. 

2)  So  mit  vielen  Texteszeugen  ("Iil  Gottes). 

Kittel ,  Beiträge.  7 


98  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

die  Mazzen;  da  sprang  Feuer  aus  dem  Felsen  und  fraß  das 
Fleisch  und  die  Mazzen,  der  Engel  Jahwes  aber  war  ihm  aus 
den  Augen  verschwunden.  --Da  sah  Gideon,  daß  es  der  Engel 
Jahves  war.  ,  .  .  -*Und  Gideon  baute  dort  dem  Jahwe  einen 
Altar  und  nannte  ihn:  Jahwe  ist  Heil.  Bis  zum  heutigen  Tag 
steht  er  noch  in  dem  Ophra  der  Abiesriter"^ 

Diese  Erzählung  aus  dem  6.  Kapitel  des  Eichterbuches 
berichtet  uns  von  der  Entstehung  eines  israelitischen  Opfer- 
altars, der  bei  Ophra  auf  dem  Gebirge  Ephraim  bei  oder  auf 
einem  heiligen  Felsen  stand.  Der  Fels  selbst  befindet  sich  un- 
mittelbar neben  einer  Terebinthe,  denn  man  kann  von  der 
Terebiiithe  aus  mit  den  am  Felsen  Beschäftigten  ein  Ge- 
spräch führen.  Zum  Felsen  gehört  —  woraus  zu  ersehen 
ist,  daß  es  sich  nicht  um  einen  bloßen  Feldstein  (llis;),  sondern 
um  einen  richtigen  Fels  (^bo,  i^i)  handelt  —  eine  Felsen- 
kelter, wie  man  sie  oft  genug  in  Palästina  sehen  kann  2.  Sie 
wird  zum  Ausklopfen  des  Weizens  d.  h.  zum  Dreschen  mit  dem 
Stocke^  benutzt,  wonach  zu  vermuten  ist,  daß  zum  Felsen 
neben  der  Kelter  auch  die  Tenne  gehörte.  Beide  sind  oft  ge- 
nug miteinander  verbunden.  Nur  wird  an  ihrer  Stelle  hier 
aus  besonderen  Gründen  die  Kelter  benutzt. 

An  diesem  Baum  und  Fels  nun  vollziehen  sich  wunder- 
same Dinge.  Gideon  sieht  plötzlich  unter  dem  Baum  einen 
Wandersmann,  den  Stab  in  der  Hand,  sitzen,  der  ihn  anredet 
und  zu  ihm  so  merkwürdige  Worte  spricht,  daß  er  sie  sich 
nicht  anders  zu  deuten  weiß,  als  der  Kedende  müsse  Jahwe 
selbst  oder  sonst  einer  der  Himmlischen,  etwa  sein  nächster 
Abgesandter,  sein.    Doch   muß  er  Gewißheit  haben.    Er  will 


1)  Die  Erzählung  ist  einheitlich;  indem  man  sie  in  zwei  ,, Quellen" 
zerreißt,  zerstört  man  ihren  besonderen  Reiz,  der  darin  besteht,  daß 
Jahwe,  der  natürlich  als  Engel  in  Menschengestalt  erscheint,  halb  un- 
erkannt bleiben  und  doch  daneben  halb  als  Jahwe  erkannt  sein  will. 
Weder  in  V.  14b  noch  in  17b  darf  man  deshalb  Fremdes  suchen.  Wie 
soll  Gideon  ohne  solche  Andeutungen  auf  den  Gedanken  an  ein  Opfer 
kommen?  Nur  das  Schwanken  zwischen  Jahwe  und  dem  Engel  Jahwes 
ist  vielleicht  nicht  ursi)rünglich. 

2)  Vgl.  Jes  5  2  und  Schick  in  ZDPV  X  (18S7)  S.  14G  ff. ,  auch 
V.  MÜLiNEX  ebenda  XXX  (1907)  S.  156. 

3)  Jes  28  27  Eut  2  17. 


1.  Gideon.  99 

die  Probe  machen,  indem  er  ihm  eine  Opfergabe '  bringt.  Je 
nachdem  der  andere  sich  dazu  stellt,  wird  sich  ja  zeigen,  ob 
er  ein  bloßer  Mensch  oder  ein  Himmlischer  ist. 

Die  Felsentenne  ist  nicht  im  Dorfe  selbst,  sondern  etwas 
abseits  am  Ende  des  Dorfes.  Er  geht  also  hinein  und 
schlachtet  dort  ein  Tier,  bäckt  ungesäuerte  Fladen  und 
siedet  das  Fleisch.  Er  bringt  alles  heraus  und  will  es  dem 
fremdartigen  Manne  geben.  Nun  muß  sich  ja  zeigen,  was  er 
ist.  Ißt  er  die  Speise  wie  ein  gewöhnlicher  Mensch  und  ohne 
irgend  etwas  Besonderes  zu  tun,  so  ist  er  auch  ein  solcher. 
Ist  er  mehr,  so  muß  er  hier  sich  ausweisen'-^.  Jener  tut  es,  indem 
er  etwas  ganz  Besonderes,  Unerhörtes  vollbringt:  er  entlockt 
dem  Felsen  ein  Feuer,  das  die  Opfergaben  verzehrt.  Seitdem 
ist  der  Fels  eine  Feuerstelle  und  trägt  als  solche  einen  Altar. 
Vorher  hatte  er  keinen  Altar,  und  Jahwe  selbst  hat  hier 
eine  neue  Art  des  Opferns  gestiftet,  das  Verbrennen 
der  Gaben  an  der  „Schlachtstätte'"  —  denn  so  heißt  der  Altar 
{inizbeacli)  im  Hebräischen. 

Wie  Gideon  herauskommt  mit  seinen  Gaben,  denkt  er 
nicht  an  ein  Verbrennen  3.    Zum  Verbrennen  ist  der  Stein  an 


1)  Eine  einfache  „Bewirtung"  bedeutet  mincha  nie;  ein  bloßes  „Ge- 
schenk" ist  aber  aucli  nicht  gemeint,  sondern  eine  Gabe,  wie  man  sie 
sonst  der  Gottheit  bringt,  —  nur  nicht  notwendig  im  Feuer;  s.  nachher. 

2)  In  Gen  18  8  ißt  bekanntlich  Jahwe  bei  Abraham  wie  ein  gewöhn- 
licher Gast.  Es  ist  aber  sehr  zweifelhaft,  ob  das  die  ursprüngliche  Form 
der  Erzählung  ist.  Denn  nirgends  sonst  wird  Jahwe  im  AT,  wenngleich 
der  einer  verschollenen  Vorstellungswelt  entstammende  Sprachgebrauch 
der  Opfersprache  immer  noch  von  der  „Speise"  Jahwes  redet,  als  selbst 
essend  gedacht.  Wohl  aber  lehnt  er  und  sein  Abgesandter  die  Speise 
aufs  bestimmteste  ab  Rieht  13  16;  seine  ,, Speise"  ist  das  Feueropfer.  Ent- 
w'eder  ist  Gen  18  ehedem  von  einer  anderen  Gottheit  als  Jahwe  die  Rede 
gewesen  oder  aber  Abraham  hat  nicht  den  Besuch  Jahwes,  sondern  den 
seiner  Abgesandten  empfangen.  Das  letztere  wird  dem  Sachverhalt  ent- 
sprechen, denn  in  der  eigentlichen  Erzählung  Gen  ISil^-ie.  19  i-29  tritt 
nur  einmal  (18  13)  Jahwe  selbst  auf,  während  in  19  13  die  wahre  Situation 
klar  durchblickt,  daß  er  nämlich  abwesend  ist  und  nur  durch  Abgesandte, 
die  in  seinem  Auftrag  handeln,  wirkt.  Jahwe  in  18  13  wird  darum  späterer 
Eintrag  nach  18  i  a  sein,  und  der  Widerspruch  zwischen  Gen  18  8  und  Rieht 
13  16  läßt  sich  viel  eher  ertragen,  wenn  Gen  18  8  au  Engel  als  wenn  es 
an  Jahwe  selbst  denkt. 

3)  Weli.hausen,  Proleg.5  S.  .57  sagt:   „Gideon  kocht  einen  Ziegen- 

7* 


\0Q  Kittel,  Studien.    IL  Der  primitive  Felsaltar. 

sich  ohne  Altar  gar  nicht  besonders  geeignet  \  jedenfalls  aber 
hat  Gideon  weder  Holz  noch  Feuer  mit  sich,  auch  ist  Siede- 
fleisch samt  seiner  Brühe  kein  geeignetes  Objekt  der  Ver- 
brennung. Er  bringt  es  dem  Manne,  daß  er  es  esse  oder  ihm 
sage,  was  damit  zu  tun  sei.  Der  weist  ihn  an,  er  solle  es 
genau  so  halten  wie  immer:  das  Fleisch  und  die  Brotfladen 
soll  er  wie  sonst  auf  den  Felsen  hinlegen,  die  Brühe  darüber 
oder  daneben  gießen  —  das  Übrige  werde  sich  finden.  Wie 
er  erwartet  hat,  so  geschieht  etwas  Außerordentliches,  und 
infolgedessen  wird  eine  neue  Gottesstätte  mit  neuer  Art  der 
Gottesverehrung  hier  errichtet.  Seit  Gideon  hat  man  in  Ophra 
Jahwe  am  Mizbeach  verehrt. 

Gideon  weiß  nach  der  Erzählung  von  einer  besseren  als 
der  in  Ophra  üblichen  Weise  des  Opfers;  er  hat  selbst  gegen 
die  übliche  Art  Bedenken,  aber  Gewißheit  gewinnt  er  nun 
erst.  Das  Verhalten  des  Mannes  zu  seiner  Gabe  sieht  er  als 
die  Probe,  das  Zeichen  (nix)  an. 

Wodurch  sich  der  Mizbeach  vom  Sür  unterscheidet,  ist 
demnach  deutlich.  An  diesem  wird  nicht  verbrannt;  die  Opfer- 
flamme gehört  nicht  zu  ihm,  er  ist  nicht  Brandstätte,  sondern 
Eßtisch  und  Schüssel  zugleich.  Er  dient  zum  Essen,  nicht  zum 
Verbrennen.  Am  Baum  oder  in  ihm,  am  Stein  oder  in  ihm 
hat  eine  Gottheit,  ein  Numen,  seine  Wohnstätte  oder  seinen 
zeitweiligen  Aufenthalt.  So  ist  es  vorjahwistischer  Glaube 
im  „heidnischen"  Kanaan.  Von  Jahwe  selbst  denkt  wenigstens 
unser  Abschnitt  anders.  Er  oder  sein  Vertreter,  der  Bote 
Jahwes,  wohnt  nicht  hier;  wo  er  seinen  eigentlichen  Wohnsitz 
hat,  verrät  uns  der  Erzähler  nicht  —  ob  im  Himmel  oder  irgend- 
wo auf  Erden,  etwa  in  Silo,  in  Betel  oder  sonstwo,  bleibt  dunkel. 
Jedenfalls  ist  der  Baum  oder  Fels  von  Ophra  nicht  seine 
Wohnstatt;  er  kommt  als  Wanderer  mit  dem  Wanderstabe 
in  der  Hand  hierher  und  hat  sich  wie  zur  gelegentlichen  East 
hier  niedergesetzt. 

Aber  das  ist  nicht  immer  so  gewesen.  Es  muß  in  Kanaan 
eine  Zeit  gegeben  haben,  wo  man  den  Baum,  den  Fels,  die  Quelle 


bock  .  .  .  und  dann  wird  das  so  zubereitete  Mahl  der  Flamme  des  Altars 
übergeben".     Das  eben  kann  so  nicht  die  Meinung  des  Erzählers  sein. 
1)  Rieht  13  19  trägt  der  Fels  Cisii:)  nach  V.  20  einen  Altar. 


1.  Gideon.  101 

als  den  Sitz  der  Gottheit  selbst  ansah,  wie  es  heute  noch  viel- 
fach der  Fall  ist,  wenn  Opfergaben  in  die  Quelle  geworfen  oder 
an  den  Baum  gehangen  werden  ^  und  es  als  schwerer,  tod- 
bringender Frevel  angesehen  wird,  den  Baum,  der  als  heiliger 
Baum  erkannt  ist,  zu  schädigen-.  Nur  so  erklärt  sich  die 
Vorschrift,  den  Stein,  der  zum  Altarbau  verwandt  werden  soll, 
nicht  zu  behauen,  da  das  darüber  geschwungene  Werkzeug  ihn 
entweihen  könnte  l  Indem  die  Satzung  in  Ex  20  auf  den  be- 
liebigen Mauerstein,  aus  dem  der  Altar  aufgeschichtet  wird,  An- 
wendung findet,  bekundet  sie  damit  von  selbst  ihren,  wenn  auch 
in  Israel  vermutlich  sehr  alten,  doch  sekundären  Charakter:  ihre 
eigentliche  ratio  ist  bereits  verblaßt,  ja  eigentlich  schon  ver- 
schollen. Einen  wirklichen  Sinn  hat  die  Vorschrift  nur  in  einem 
Zusammenhang,  in  dem  man  den  Altar  nicht  aus  beliebigen 
Feldsteinen  aufgebaut,  sondern  aus  Einem  großen  Stein  oder 
Felsen  (oder  wenigen  Blöcken)  durch  Einhauen  von  Stufen  oder 
durch  Zurichtung  seiner  Gestalt  hergestellt  denkt.  Der  ersteren 
Art  ist  der  Altar  von  Ta  anach  (vgl.  Abb.  20.  21)  und  der  von 
Sara  ('Artilf)  (vgl.  Abb.  11.  12)  und  von  Petra  (vgl.  Abb. 28.  29), 
der  zweiten  Art  derjenige  von  Ba'albek  (vgl.  Abb.  26.  27).  Der 
unbehauene  oder  sträflicherweise  behauene  Felsblock  muß  da- 


1)  S.  die  folg.  Anm.  und  unten  S.  108.  114  ff. 

2)  Vgl.  z.  B.  Schick  ZDPV  X  (1887)  S.  136,  wo  von  uralten  Wäld- 
chen in  der  Nähe  des  alten  Kirjat  Jearim  berichtet  wird,  „die  heute  als 
heilige,  einem  großen  Schech  oder  Geiste  geweihte  Haine  betrachtet 
werden.  Gerade  diesem  Umstände  verdanken  die  Wäldchen  ihre  Er- 
haltung; denn  ihre  Heiligkeit^  um  deren  willen  sich  niemand  getraut, 
dort  einen  Stamm  zu  fällen  oder  Holz  oder  Samen  von  Bäumen  zu 
nehmen,  geht  gewiß  in  uralte  Zeiten  hinauf".  —  Am  Wege  von  Dschenin 
nach  Ta'anach  steht  eine  heilige  Terebinthe,  nach  einem  Schech  Zarche 
genannt.  Sie  wird  nach  der  Art  dieser  Bäume  von  den  Arabern  mit  allerlei 
Tuchstreifen  und  Lappen  bebäugt.  Ich  bat  beim  Vorüberreiten  (April  1907) 
meinen  Führer,  mir  zum  Andenken  einen  kleinen  Zweig  abzubrechen, 
was  er  ohne  weiteres  Besinnen  tat  (s.  dazu  und  zum  ganzen  Gegenstand 
Graf  MÜLiNEN  in  ZDPV  XXX  (1907)  S.  186:  „Gestattet  ist  jedoch  das 
Mitnehmen  eines  kleinen  Zweiges  als  Haussegen  [barakij'je]").  Auf  meine 
Bemerkung:  ich  hätte  lieber  einen  solchen  mit  einem  Zeugstreifen  gehabt, 
erwiderte  er  mit  Entrüstung:  „Dann  M'äre  keiner  von  uns  lebend  nach 
Hause  gekommen!" 

3)  Ex  20  24fif. 


102  Kitte],  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

iiacli  einmal  der  Vorgänger  des  aus  Steinen  aufgeschichteten  * 
Altars  gewesen  sein. 

Zum  Felsblock,  dem  behauenen  oder  unbehauenen,  gehört 
also  von  Hause  aus  das  Numen  als  sein  Bewohner  oder 
wenigstens  sein  gelegentlicher  Besucher.  Etwas  vom  letzteren 
ist  noch  geblieben,  wenn  Jahve  hier  unter  dem  Baume  beim 
Felsen  East  macht.  Ein  solcher  Bewohner  oder  Besucher 
aber  muß  gespeist  werden;  sein  Tisch  ist  der  Fels  selbst. 
Dient  aber  der  Fels  zum  Essen,  so  ist  es  klar,  daß  man  der 
hier  weilenden  Gottheit  das  Mahl  auf  ihm  bereitet:  man  stellt 
was  der  Mensch  ißt,  was  er  wenigstens  an  Festtagen  ißt,  ihm 
auf  den  Fels,  da  wird  er  es  zu  sich  nehmen:  Brot,  Fleisch, 
Früchte  zum  Essen,  und  zum  Trinken  Wasser  oder  die  Brühe 
des  gekochten  Fleisches,  daneben  wohl _  auch  Wein  oder  Öl 
zum  Fleisch  oder  den  Früchten,  und,  je  nachdem  es  eine  Gott- 
heit ist,  auch  Blut  2. 

Zu  alledem  bedarf  es  keines  Altars  im  üblichen 
Sinne;  ein  Tisch,  auf  dem  der  Gott  die  Speisen  und  Getränke 
entgegennehmen  oder  von  dem  er  sie  sich  wegholen  kann,  ge- 
nügt 3.  Ganz  anders  der  Altar,  wie  wir  ihn  im  AT  und  sonst 
vielfach  der  Eegel  nach  gewohnt  sind.  Er  ist  die  Schlacht- 
stätte, an  der  das  Tier  getötet,  und  die  Brandstätte,  auf  der 
der  Gottheit  ihr  Anteil  durch  Verbrennen  zugewiesen  wird. 
Der  Ort  ist  hier  ein  ganz  anderer;  der  Altar  ist  nicht  mehr 
Tisch^,  und  die  Art  der  Aneignung  ist  eine  andere,  sie  voll- 
zieht sich  durchs  Feuer  oder  im  Rauche.  Eben  damit  ist 
auch  die  Vorstellung  von  der  Gottheit  eine  andere.  Sie 
wohnt  nicht  im  Altar  und  kann  sich  nicht  an  ihn  als  ihren 
Tisch  setzen;  sie  schwebt  über  ihm  und  nimmt  den  Opferduft, 
der  von  ihm  aufsteigt,  entgegen;  ja  weiterhin  schaut  sie  dann 
nur  auf  ihn  herab  und  nimmt  so  nur  von  ferne  und  geistig 
das  Opfer  entgegen. 


1)  Ein  solcher  hat  sich,  wie  es  scheint,  noch  in  der  diktäischen 
Höhle  auf  Kreta  gefunden ;  s.  unten  S.  156.  Der  Idealaltar  im  Sinne  des 
Altargesetzes  scheint  der  von  Megiddo  zu  sein,  s.  unten  S.  146 f. 

2)  S.  darüber  weiter  unten  S.  157  f 

3)  Zu  dieser  Art  von  „Altären"  gehört  der  Schaubrottisch. 

4)  Um  so  bemerkenswerter  ist,  daß  er  Ez  4122  doch  so. genannt 
wird.    Das  ist  bewußter  Archaismus. 


1.  Gideou.  103 

Welche  der  beiden  Vorstellimgsweisen,  und  damit  zugleich 
welche  der  beiden  Weisen,  die  Gottheit  zu  verehren  und  das 
Opfer  darzureichen,  die  ältere,  welche  die  jüngere  sei,  kann 
nicht  in  Frage  kommen.  Der  Erzähler  der  Gideongeschichte 
von  Rieht  6  läßt  uns  auch  gar  nicht  im  Zweifel  darüber,  wie 
er  in  diesem  Punkte  urteilt.  Ehedem  ist  es,  sagt  er  uns,  in  Ophra 
und  wohl  anderwärts  da  und  dort  Sitte  gewesen,  eine  Gottheit, 
die  im  Baume  oder  im  Steine  oder  auch  drunten  in  der  Erde 
haust  oder  hier  sich  einstellt,  l^durch  Gaben,  die  man  hier 
niederlegte,  damit  sie  selbst  sie  abhole  oder  aufesse,  zu  ver- 
ehren; heute,  und  besonders  seit  Gideons  Erlebnis,  aber  halten 
wir  in  Israel  es  so,  daß  wir  der  Gottheit  ihr  Opfer  am  Altare 
schlachten  und  sie  es  aus  der  Altarflamme  entgegennimmt. 

Wie  wenig  der  Felsentisch  in  Ophra  als  Mizbeach  ge- 
dacht ist,  zeigt  fast  deutlicher  als  alles  andre  der  eine  Zug, 
daß  Gideon  nicht  an  ihm  schlachtet,  sondern  um  zu  schlachten 
erst  ins  Dorf  gehen  muß.  Auch  geht  er  nicht  ins  Dorf,  ein 
Tier  zu  holen  und  es  draußen  zu  schlachten;  es  wird  zu  Hause 
geschlachtet  und  bereitet,  und  erst  das  gesottene  Fleisch  kommt 
zum  Ort  der  Darbringung.  Ein  solcher  Ort  konnte  unmöglich 
Mizbeach  heißen;  er  ist  etwas  ganz  anderes.  Die  Schlachtung 
im  Dorfe,  weiter  die  Tatsache,  daß  die  Brühe  mit  auf  den 
Fels  gegossen  wird,  endlich  ganz  besonders  die  Tatsache,  daß 
das  Feuer  erst  nachträglich  und  für  Gideon  ganz  unerwartet 
aus  dem  Felsen  sprüht,  das  alles  beweist  untrüglich,  daß  dem 
Erzähler  das  Schlachten  am  Altar  und  das  Verbrennen  nicht 
die  älteste  Form  des  Opfers  ist.  Erst  seitdem  Jahwe  selbst 
dies  Beispiel  gab,  verbrennt  man,  vorher  begnügte  man  sich 
damit,  die  Gabe  der  Gottheit  hinzustellen'. 


1)  Erwähnung  verdient  immerhin,  daß  aucli  die  Geschichte  von  Kain 
und  Abel  in  Gen  4iff.  weder  vom  Altar  noch  vom  Verbrennen  etwas 
sagt.  Vom  Opfer  gebraucht  sie  nur  den  Ausdruck  Gabe  (inincha).  Ist 
das  Zufall  und  ist  an  ein  Verbrennen  gedacht?  —  so  nimmt  die  übliche 
Auffassung  an  —  oder  aber  blickt  etwa  auch  hier  schon  die  Erinnerung 
durch,  daß  die  Urzeit  überhaupt  nur  ein  Hinstellen,  kein  Verbrennen 
kennt  ? 


104  Kittel,  Studien.     IL  Der  primitive  Felsaltar. 

2.  Manoah. 

So  ist  es  denn  gar  nicht  verwunderlich,  daß  bei  dem- 
selben oder  jedenfalls  einem  ihm  sehr  nahe  verwandten  Er- 
zähler, in  Rieht  13  2-23  eine  ganz  ähnliche  Angelegenheit  mit 
der  Verbrennung  des  Tieres  auf  einem  Altare  ausläuft. 

Dem  unfruchtbaren  Weibe  des  Manoah  erscheint,  während 
sie  einmal  auf  dem  Felde  ist,  dort  der  Engel  Jahwes  und 
verheißt  ihr  einen  Sohn  und  verschwindet  dann  wieder.  Sie 
läuft  nach  Hause  und  erzählt  ihrem  Manne,  es  sei  ihr  ein 
Mann  erschienen,  der  habe  so  schrecklich  schön  ausgesehen 
wie  ein  Gottwesen;  seinen  Namen  aber  habe  er  nicht  gesagt  und 
gefragt  habe  sie  ihn  auch  nicht,  wo  er  denn  her  sei.  Manoah 
betet  zu  Jahwe,  der  Gottesmann,  den  er  gesandt  habe,  solle 
doch  nochmal  erscheinen  und  ihnen  das  Nähere  über  das 
Kind  mitteilen.  Das  geschieht,  der  Engel  Jahwes  erscheint 
dem  Weibe  nochmal,  während  sie  allein  auf  dem  Felde  ist.  Dies- 
mal läuft  sie  schnell  ins  Dorf  und  holt  ihren  Mann,  weil  „der 
Mann"  von  damals  wieder  gekommen  sei.  Er  kommt  mit  ihr 
heraus  und  fragt  ihn:  bist  Du  also  der  Mann,  der  mit  der 
Frau  gesprochen  hat?    Er  antwortet:  Ja. 

„i»Da  sagte  Manoah  zum  Engel  Jahwes:  wir  wollen  Dich 
gerne  zurückhalten  und  Dir  einen  Ziegenbock  vorsetzen  — 
i6ber  wußte  ja  nicht,  daß  es  der  Engel  Jahwes  war.  ^^"^Aber 
der  Engel  Jahwes  sagte  zu  Manoah:  wenn  Du  mich  auch 
zurückhieltest,  ich  würde  doch  nicht  von  Deiner  Speise  essen; 
willst  Du  aber  ein  Brandopfer  bereiten,  so  bringe  es  Jahwe  dar. 

i'Nun  fragte  ihn  Manoah:  wie  heißt  Du?  wenn  nämlich 
Dein  Wort  eintrifft,  wollen  wir  Dich  [als  eine  Gottheit]  ver- 
ehren'. i'^Der  P]ngel  Jahwes  sagte:  was  fragst  Du  mich  nach 
meinem  Namen,  der  ist  geheimnisvoll-.  ^^Da  nahm  Manoah 
den  Ziegenbock  und  das  zugehörige  Speisopfer  und  brachte  es 
auf  dem  Felsen  dem  Jahwe  dar.  -"Als  aber  die  Flamme  vom 
Altar  gen  Himmel  aufstieg,  da  fuhr  der  Engel  Jahwes  in  der 
Altarflamme   hinauf  —   auf   ganz   wunderbare  Weise  ^.     Als 


1)  Ordnet  man  die  Verse  so  (15.  16b.  16a.  17),    so  heben  sich  die 
Schwierigkeiten  am  leichtesten. 

2)  So  ist  das  Ketib  "^xbe  zu  lesen  (''xl'e)  und  zu  deuten. 

3)  An   dieser   Stelle   passen    die   sonst    rätselhaften   Worte   mbyb 
«"^bBol  gut. 


2.  Manoah. 


105 


Manoah  und  sein  Weib  das  sahen,  fielen  sie  zur  Erde  nieder 
auf  ihr  Antlitz,  -i. . .  Da  erkannte  Manoah,  daß  es  der  Engel 
Jahwes  gewesen  war." 

Hieraus  erfahren  wir  zunächst,  daß  auch  dieses  Begegnis 


o       20       io      so      ao 


Masstab    1=  iO 

wo     130      i-to      ISO     ISO      -00  n>nf/mpfFt 


Abb.  11.    Der  Felsaltar  von  Sar'a  ('Artuf). 


nicht  an  einem  ganz  beliebigen  Orte  stattfindet.  Manoahs  Weib 
sitzt  auf  dem  Felde  draußen,  aber  an  dem  Ort,  wo  sie  sich 
befindet,  ist  ein  Fels  und  auf  oder  an  dem  Felsen  steht  ein 
Altar.    Auf  dem  Altar  brennt  ein  Feuer  bzw.  es  wird  zum 


106  Kittel,  Studieu.     11.  Der  primitive  Felsaltar. 

Zwecke  des  OpfervoUzugs  auf  ihm  angezündet.  Sodann:  der 
Mahlzeit,  die  ihm  angeboten  wird,  stellt  sich  der  Abgesandte 
Jahwes  scheinbar  ganz  anders  gegenüber  als  bei  Gideon.  In 
der  Sache  ergibt  sich  freilich  dasselbe  Verhalten.  Er  duldet 
überhaupt  nicht,  daß  in  der  Weise  wie  Menschen  essen  für 
ihn  geschlachtet  und  gekocht  wird.  Daß  er  von  eines  Men- 
schen Speise  äße,  gilt  ihm  als  ausgeschlossen;  für  seines- 
gleichen gibt  es  nur  Brandopfer,  und  auch  das  nur  für  Jahwe 
selbst.  Wozu  könnte  er  auch  auf  dem  Felsen  sich  seinen 
Tisch  decken  lassen?  er  gehört  ja  zu  den  Himmlischen  —  wie 
vielmehr  Jahwe  selbst,  zu  dem  er  in  der  Altarflamrae  ent- 
weicht. 

Das  alles  ist  die  ganzkonsequenteWeiterbildungvonKap.  6. 
Hatte  Jahwe  dort  klar  zu  erkennen  gegeben,  daß  er  seine 
Opfer  nicht  auf  dem  Felsentisch  als  Speise  wie  Menschen  sie 
essen,  sondern  im  himmlischen  Luftraum  und  durchs  Feuer 
entgegennehmen  will,  weil  er  weder  im  Felsen  wohnt  noch 
überhaupt  ißt.  sondern  im  Luftraum  mit  seinen  Himmlischen 
weilt,  und  weil  er  auch  nicht  drunten  in  oder  an  der  Erde  sein 
Wesen  hat,  sondern  im  Feuer,  das  dem  Blitze  gleich  aus  seinem 
Stabe  hervorzuckt:  so  wird  damit  nun  voller  Ernst  gemacht.  Der 
Engel  Jahwes  protestiert  hier  förmlich  gegen  den  Gedanken, 
als  wollten  er  oder  gar  Jahwe  Speise  essen.  Etwas  anderes 
als  das  Feueropfer  kommt  überhaupt  nicht  in  Frage.  Der 
alte  Felsentisch  steht  zwar  noch  in  Ehren,  aber  er  ist  nicht 
selbst  heilige  Stätte,  er  ist  nur  die  Unterlage,  das  natürliche 
Fundament  des  Altars,  der  Schlacht-  und  Brandstätte  Jahwes, 
—  so  etwa,  wie  seit  David  der  heilige  Fels  auf  dem  Moria  \ 
wozu  die  Bemerkung  in  Esr  3-2  zu  vergleichen  ist,  oder  der 
Altar  von  Megiddo-  oder  etwa  der  altarartige  Stein  in  Gezer^, 
falls  wir  ihn  für  einen  Altar  ansehen  dürfen  ^.  Und  das  Feuer, 
das  auf  ihm  brennt,  ist  so  sehr  eine  Hauptsache,  daß  es  auch 


1)  S.  die  Abhandlung  über  diesen  Fels  S.  45  oben. 

2)  S.  unten  S.  131  f. 

3)  Vincent,  Canaan  (1907)  S.  114  u.  unt.  S.  131  f. 

4)  Was  freilich  recht  zweifelhaft  ist.  Auch  kann  die  Eekonstruktion 
einer  semitischen  „Höhe"  nach  einem  in  Susa  gefundenen  Relief  bei  Vin- 
cent S.  144  verglichen  werden,  —  freilich  mit  Vorbehalt,  solange  das 
Original  nicht  zugänglich  ist. 


2.  Manoab. 


107 


liier  wie  als  das  eigentliche  Element  Jahwes  erscheint. 
Er,  der  im  Feuerbusch  erscheint,  kann  natürlich  auch  seinen 
Gesandten,  wie  er  in  Rieht  6  Feuer  in  seinem  Stabe  führt, 
so  hier  im  Feuer  zum  Himmel  entschweben  lassen. 

Noch  heute  findet  sich  in  der  Gegend,  in  welcher  die  Er- 
zählung von  Eicht  13  spielt,  bei  Sar  a  in  der  Nähe  von  'Artüf 
(5—6  Stunden  von  Jerusalem)  ein  stattlicher  aus  dem  lebenden 
Felsen  in  unmittelbarer  Nähe  einer  großen  Felsterrasse  her- 
ausgehauener Felsaltar.    Wenn   in  jener  Erzählung  —  was 


Abb.  12.     Der  Felsaltar  von  Sar'a  ('Artüfj.    Querschnitt. 


wohl  möglich  ist  —  wirklich  der  Altar  von  Sar'a  (s.  Abb.  11  u.  12) 
gemeint  ist,  so  ist  dieser  Altar  selbst  erst  nachträglich  zum 
Brandopferaltar  hergerichtet,  bezw,  als  solcher  verwandt 
worden.  Seine  ursprüngliche  Bestimmung  ist  dies  nicht.  Ein 
Blick  auf  den  Altar  zeigt,  daß  er  fast  ganz  mit  Schalen  und 
Rinnen  bedeckt  ist  und  nur  in  der  südwestlichen  Ecke  eine 
glatte  Stelle  hat.  Die  Schalen  und  Rinnen  können  bei  der 
Art,  wie  sie  hier  auftreten,  überhaupt  nicht  wohl  anders  ge- 
meint sein,  als  daß  sie  zur  Aufnahme  von  Flüssigkeit  dienen  i. 

1)  S.  über  diese  Frage  unten  S.  121  fF. 


108  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

Es  bleibt  somit  für  den  Zweck  der  Verbrennung  überhaupt 
kein  genügender  Raum.  Höchstens  gewisse  Fettteile  und  kleine 
Tiere  konnten  neben  den  Rinnen  in  der  südwestlichen  Ecke 
verbrannt  werden.  Das  deutet  darauf  hin,  daß  man  in  einer 
relativ  spätem  Zeit,  in  der  der  Altar  zu  Brandopferzwecken 
benutzt  wurde,  die  Schalen  und  Rinnen  nicht  mehr  oder  nur 
noch  teilweise  benutzt  haben  wird.  Diese  „spätere"  Zeit  hat, 
der  alten  Vorzeit  gegenüber,  Rieht  13  im  Auge. 

Es  bestätigt  sich  aufs  neue:  auch  das  Alte  Testament 
selbst  gibt  uns  klar  als  seine  Anschauung  wieder,  daß  die  in 
Israel  übliche  Weise,  Gott  zu  dienen,  das  Feueropfer  ist,  aber 
daß  man  auch  eine  andere,  und  zwar  frühere,  kennt,  welche 
die  Gottheit  anders  verehren  hieß.  Die  frühere  kann  hier 
nur  die  der  Kanaaniter  oder  sonst  voiisraelitischer  Bewohner 
des  Landes  sein.  Mit  der  Verschiedenheit  der  Verehrung 
verbindet  sich  aber  auch  ein  Unterschied  der  Gottesanschau- 
ung. Jene  Weise  setzt  Gottheiten  irdischer  Art  voraus,  oder 
auch  unterirdischer:  im  Baum,  im  Fels,  in  der  Quelle,  in  der 
Höhle  ^  unter  dem  Fels  hausen  sie  und  nehmen  da  ihre  Gaben 
entgegen-.  Jahwe  ist  anderer  Art;  er  weiß  davon  nichts 
und  fühlt  sich  über  sie  erhaben.  Er  will  anders  ver- 
ehrt sein,  denn  er  hat  eine  andere  Weise  zu  sein. 

3,    Das  Blut. 

Wir  hörten,  daß  in  der  Geschichte  von  Gideon  eine 
Schlachtung  vollzogen  wird,  aber  nicht  an  der  Stätte,  wo 
Jahwe  das  Opfer  entgegennimmt,  und  ohne  daß  das  Blut  des 
geschlachteten  Tieres,  dessen  Fleisch  doch  zum  Opfer  bestimmt 
ist,  mit  herausgebracht  wird  an  die  Opferstätte,  um  dort  als 
Teil  des  Opfers  Verwendung  zu  finden.  Es  ist  danach  die 
Frage  durchaus  erlaubt,  wie  und  wo  wohl  der  Erzähler  sich 
Gideon  als  die  Schlachtung  vollziehend  denke.  Es  ist  anzu- 
nehmen,   daß   er   ins   Dorf  sreht:    dort   allein   kann   er   auch 


1)  Vgl.  dazu  Graf  MÜMNEN  a.  a.  O.  S.  190/1  u.  uuten  S.  114  ff".  In 
Gezer,  in  Marmita,  in  Jerusalem,  in  Megiddo  ffuden  sich  unter  dem  Felsen 
Höhlen,    Über  die  von  Jerusalem  s.  S.  19 f. 

2)  S.  CuRTiss,  Ursemitische  Eeligion  im  Volksleben  des  heutigen 
Orients  (1903),  S.  263  u.  öfter,  und  dazu  besonders  unten  S.  114fF, 


3.  Das  Blut.  ;[09 

backen  und  das  Fleisch  kochen,  dort  nur  findet  er  Korb  und 
Topf,  in  denen  er  seine  Gabe  herausbringt.  Demnach  wird 
er  auch  dort  im  Dorfe  und  bei  seiner  Hütte  schlachten. 

Wie  verfährt  er  mit  dem  Blute?  Es  ist  bekannt  genug, 
wie  man  sonst  in  Israel  fast  überall,  wo  wir  von  Tieropfern 
Genaueres  lesen,  gerade  auf  das  Blut  des  Tieres  den  allergrößten 
Wert  legt.  Im  Gesetz  muß  das  Blut  an  die  Hörner  des 
Altars  gestrichen  oder  an  den  Altar  gegossen  werden  ^  und 
mit  der  größten  Sorgfalt  sieht  der  Gesetzgeber  2  darauf,  daß 
mit  dem  Blute  nichts  versäumt  wird.  Es  ist  des  Leibes 
Leben,  in  ihm  sitzt  die  Seele,  das  Lebenselement  des  Tieres, 
so  ist  es  die  Hauptsache  am  tierischen  Opfer  oder  neben  dem, 
was  auf  dem  Altar  verbrannt  wird,  jedenfalls  eine  Haupt- 
sache. In  Lev  171  ff.  wird  daher  ausdrücklich  befohlen,  daß 
niemand  in  Israel  es  übersehe,  wenn  er  ein  Schaf  oder  Eind 
oder  eine  Ziege  schlachte,  es  zur  heiligen  Stätte  zu  bringen, 
daß  es  hier  geschlachtet  werde  und  als  Opfer  diene,  und  nur 
das  Deuteronomium  hat  mit  Eücksicht  auf  die  aus  der  Ver- 
einigung des  Opfers  an  der  einen  Opferstätte  in  Jerusalem 
sich  ergebenden  Schwierigkeiten  die  Erlaubnis  erteilt,  ge- 
wöhnliche Schlachtungen  auch  zu  Hause  zu  vollziehen.  Doch 
sollte  man  das  Blut  sorgsam,  aber  ohne  weitere  Zeremonien, 
zur  Erde  fließen  lassen. 

Von  alledem  sehen  wir  hier  nichts.  Obwohl  zum  Zwecke 
des  Opfers  schlachtend,  hat  Gideon  doch  das  Blut,  auf  das 
sonst  so  großer  Nachdruck  fällt,  nicht  mit  zum  Opferakte 
noch  auch  zur  Opfergabe  gerechnet.  Trotzdem  werden  wir 
kaum  annehmen  dürfen,  daß  man  in  Israel  nach  der  Meinung 
des  Erzählers  sich  damals  vollkommen  indifferent  gegen  die 
Behandlung  des  Tieres  hinsichtlich  des  Blutes  verhielt.  Wie 
Deut  12  24  zeigt,  hat  man  auch  in  solchen  Fällen,  wo  das 
Blut  nicht  auf  den  Altar  kam,  aufs  strengste  darauf  geachtet, 
daß   es   sorgsam   zur   Erde   gegossen   wurde.     Das    ist   ohne 


1)  Vgl.  Lev  1  5.  11.  2  3.  8.  13  (Sprengen  rings  um  den  Altar);  4  7.  18. 
25.  34  (au  die  Hörner  und  den  Boden,  TiD'^). 

2)  Dt  12  27.  Ex  24  6.  8.  Lev  17  6.  In  Ex  24  wird  durch  hälftiges  Appli- 
zieren des  Blutes  an  den  Altar  und  das  Volk  eine  mystische  Verbindung 
zwischen  Jahwe  und  dem  Volk  hergestellt  (n'^nn).  Vgl.  auch  unten  S.  111 
Anm.  6. 


j[jO  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Feisaltar. 

Zweifel  ein  Brauch,  der  nicht  erst  durch  das  Deuteronomium 
geschaffen  wurde,  sondern  längst  existierte;  er  ist  nur  hier  in 
den  Vordergrund  gestellt  und  ausdrücklich  sanktioniert,  um 
andere  daneben  bestehende  Bräuche,  wie  die  Ausgießung  des 
Blutes  an  heiligen  Steinen  oder  Altären  außerhalb  der  Einen 
heiligen  Stätte  des  Deuteronomiums  hintanzuhalten. 

Das  Ausgießen  des  Blutes  ohne  eigentliches  Opfer  und 
an  andern  Orten  als  der  Opferstätte  selbst,  ist  bei  den  Arabern 
alter  Brauch*;  noch  heute  ist  den  Arabern  die  Blutausschüt- 
tung die  Hauptsache  beim  Opfer ^,  und  sie  wird  auch  da,  wo 
kein  eigentliches  Opfer  beabsichtigt  ist,  beibehalten  ^i  man 
läßt  das  Blut  —  vielfach  unter  Anrufung  des  Namens  Allahs 
—  ausfließen.  Das  wird  auch  in  den  Zeiten  Israels  schon 
Sitte  gewesen  sein.  Immerhin  fällt  es  uns  in  hohem  Grade 
auf,  daß  gerade  hier,  wo  ein  Opfer  vorliegt,  das  Blutausgießen 
vom  Opfervollzug  selbst  getrennt  wird.  Wir  können  nur  kon- 
statieren, daß  dies  für  Altisrael  eine  ganz  eigenartige,  voll- 
kommen isoliert  dastehende  Erscheinung  ist^.  Auch  können 
wir  daran  die  Frage  knüpfen,  ob  es  etwa  eine  Zeit  gab,  in 
der  das  Schlachtblut  überhaupt  nicht  zum  Opfer  gehörte;  sie 
zu  beantworten  sind  wir  nicht  imstande,  wenngleich  das  Opfer 
Kains  als  reines  Früchteopfer  diese  Deutung  zuläßt,  des- 
gleichen das  bloße  Wasseropfer  in  Mispa  1  Sam  7  c,  vielleicht 
auch  dasjenige  Davids  in  2  Sam  23  ig.  Doch  handelt  es  sich  in 
diesen  Fällen  nirgends  um  ein  Tier,  dessen  Blut  gleichzeitig 
vergossen  wird,  ohne  an  den  Altar  zu  kommen. 

4.    Der  Schlachtstein. 

Müssen  wir  also  nach  allen  sonstigen  Analogien  erwarten, 
daß  überall  da,   wo  es  sich  um  ein  Tieropfer  handelt,   auch 


1)  Wellhausen,  Reste  arab.  Heident.^  117  f. 

2)  CuRTiss  a.  a.  O.  S.  210  ff.  216  ff.  u.  öfter;  Jaussen,  Rev.  bibl.  (N. 
Sör.)  III  (1906),  S.  91  ff.  (MuN  1907,  S.  44  f.). 

3)  S.  auch  Graf  Mülinex  a.  a.  O.  S.  165. 

4)  Vielleicht  liegt  die  Erklärung  in  dem,  was  Curtiss  S.  232  mitteilt: 
Man  kocht  das  Fleisch  und  veranstaltet  ein  Fest  .  .  .  „Ist  das  Heilig- 
tum zu  weit  entfernt,  dann  darf  man  auch  bei  dem  Zelt  opfern,  wobei 
es  vor  allem  auf  das  Blut  ankommt." 


4.  Der  Schlachtstein.  i\i 

das  Blut  eine  besondere  Eolle  gespielt  haben  werde,  und 
haben  wir  anderseits  als  ein  festes  Ergebnis  der  bisherigen 
Untersuchung  die  Tatsache  gewonnen,  daß  es  tierische  Opfer 
ohne  Verbrennung  gab,  so  ergibt  sich  daraus  ein  Weiteres. 
Es  muß  auch  im  Bereiche  Israels,  wenn  auch  nicht  bei  den 
Israeliten  selbst,  einmal  ein  Tieropfer  mit  Blutausgießung 
am  Altar,  aber  ohne  Verbrennung  von  Fleischstücken,  ge- 
schweige des  ganzen  Tieres  —  also  ohne  das,  was  sonst  als 
Dblü  nat  oder  als  nbiy  bezeichnet  wird  —  üblich  gewesen  sein. 
Das  ist  bekanntlich  die  eigentliche  Form  des  arabischen 
Opfers.  Bei  den  Arabern  wird  lediglich  das  Blut  der  Gott- 
heit geweiht;  ein  Feueropfer  kennen  sie  nicht  oder  nur  als 
Ausnahme.  Der  Altar  ist  für  die  Regel  kein  Herd,  es  brennt 
kein  Feuer  auf  ihm.  Der  echt  arabische  Ritus  des  Tieropfers 
besteht  einfach  darin,-  „daß  das  Blut  auf  den  heiligen  Stein 
gestrichen  oder  in  den  Ghabghab  ^  geschüttet  wird".  Und 
während  das  Blut  der  Opfer  der  Gottheit  geweiht  wird,  wird, 
das  Fleisch  von  dem  Darbringer,  seiner  Familie  und  etwa 
eingeladenen  Gästen  verzehrt  2.  Derselbe  Ritus  hat  sich  bis 
zum  heutigen  Tage  bei  den  Arabern  Palästinas  und  der  an- 
grenzenden Beduinengebiete  erhalten,  wie  jederzeit  ermittelt 
und  aus  zahlreichen  Beispielen  erhärtet  werden  kann.  Doch 
begnügt  man  sich  nicht  mit  dem  Streichen  des  Blutes  an  den 
heiligen  Stein,  es  wird  in  Höhlen  und  Quellen  gegossen  3,  zur 
Erde  geschüttet*,  an  den  Türsturz,  die  Schwelle  oder  die 
Pfosten  gestrichen  ■',  gelegentlich  auch  an  Menschen  und  Tiere 
appliziert  6.  Auch  heilige  Bäume  werden  zuweilen  mit  Blut 
bestrichen '.   Dabei  kommt  alles  auf  das  Schlachten  selbst  an. 


1)  Die  Grube  zur  Aufnahme  des  Bluts  am  Fuße  des  Altars. 

2)  Wellhausen  a.  a.  O.  S.  HG.  118.  Smith,  Relig.  d.  Sem.  (D.  Übers.) 
153.  265  ff.    Doch  vergl.  auch  Lagrange,  Et.  s.  1.  ßel.  Sem.  (1903),  261  f. 

3)  CuRTiss  a.  a.  O.  S.  208.  230  f.  270. 

4)  Ebenda  S.  208  f.  206. 

5)  Ebenda  S.  209.  211  ff.  218  f.  267.     MuN  1907  S.  44. 

6)  CuRTiss  a.  a.  O.  S.  216  ff.  221  ff.  MuN  1907  S.  45.  Doch  ist  dieser 
Brauch  wohl  sekundär.  Menschen  und  Tiere  sind  hier  Schutzobjekte, 
nicht  Gegenstände  der  Verehrung,  das  Blut  also  nicht  Gabe,  sondern 
heilige,  der  Gottheit  gehörige  und  mit  ihr  in  Beziehung  setzende  Substanz. 
Immerhin  kann  auch  das  Bundesopfer  von  Ex  24  (s.  o.  S.  109)  zum  Ver- 
gleich herangezogen  werden.  7)  Cürtiss  a.  a.  0.  S.  220. 


j^l2  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

genauer  auf  das  Durchschneiden  der  Halsadern  und  das  Aus- 
fließenlassen des  Blutes  auf  einen  heiligen  Stein  oder  zur  Erde. 

Eine  besonders  wichtige  Rolle  spielt  aber  hiebei  bis  auf 
den  heutigen  Tag  der  Stein  oder  Fels.  Wer  die  Gegenden 
des  Ostjordanlandes  östlich  vom  Toten  Meere  bereist,  wird  er- 
staunt sein,  wie  vielen  Steinplatten,  Stein-  oder  Felsentischen, 
Felsvorsprüngen,  Felswällen  er  hier  begegnet,  die  durchaus 
den  Eindruck  machen,  als  dienten  sie  den  arabischen  Beduinen 
und  Halbbeduinen  der  Belka  auch  heute  noch  zu  Opfer- 
zwecken i.  Lange  nicht  alle  dem  Besucher  entgegentreten- 
den Steingebilde  sind  von  derselben  Art.  Zahllose  kleine 
Steinhaufen  haben  nur  den  Zweck,  sozusagen  als  Stellvertreter 
des  Wanderers  hinüberzublicken  nach  einem  berühmten  Wall- 
fahrtsort, besonders  dem  Nebi  Müsa.  Andre  sind  moderne 
Beduinengräber;  wieder  andre,  runde  Steinumwallungen,  be- 
zeichnen die  Schlafstätte  der  Beduinen  fürs  Winterlager.  Aber 
auch  wenn  man  sie  alle  abzieht,  bleibt  doch  eine  stattliche  An- 
zahl solcher  übrig,  die  den  Eindruck  von  Opfersteinen  oder 
Opferorten  machen,  sei  es  für  die  Vergangenheit,  sei  es  die 
Gegenwart. 

In  der  Tat  findet  sich  jene  Sitte  des  Schlachtens  am 
Opferstein  auch  im  Alten  Testament.  Mit  vollem  Rechte  hat 
man  öfter  schon  auf  die  nahe  Verwandtschaft  des  in  1  Sam 
14  31-35  erwähnten  Hergangs  mit  den  eben  genannten  arabi- 
schen Bräuchen  hingewiesen.  Es  heißt  da,  Saul  habe  einen 
großen  Sieg  über  die  Philister  errungen,  seine  Leute  aber 
seien  sehr  erschöpft  gewesen.  ^'^„So  fielen^  denn  die  Leute 
über  die  Beute  her  und  nahmen  Schafe,  Rindei-  und  Kälber 
und  schlachteten  sie  am  Erdboden  und  aßen  sie  samt  dem 
Blute.  ^^Da  meldete  man  dem  Saul:  die  Leute  versündigen 
sich  ja  an  Jahwe,  indem  sie  Blutiges  essen!  Er  sprach:  Ihr 
vergeht  euch;  wälzet  einen  großen  Stein  hier  zu  mir  her. 
8* Auch  sagte  Saul:  Zerstreut  euch  unter  die  Leute  und  sagt 
ihnen:  es  bringe  ein  jeder  von  euch  sein  Rind  oder  Schaf  zu 
mir,  daß  ihr  es  hier  schlachtet  und  esset  und  euch  nicht  an 
Jahwe  versündiget,   indem  ihr  es   samt  dem  Blut  esset .  . . 


1)  Vgl.  ebenda  S.  268  ff.     Schuhmacher  MuN  1904  S.  7G. 

2)  Lies  ^üS^^  u.  vgl.  BHK. 


4.  Der  Schlachtstein.  113 

'^^Und  Saul  errichtete  Jahwe  einen  Altar,  das  ist  der  erste 
Altar,  den  Saul  dem  Jahwe  errichtete." 

Hier  sieht  man  deutlich,  um  ein  Opfer  in  dem  uns  ge- 
läufigen Sinne  handelt  es  sich  bei  dem,  was  Saul  tut,  gar 
nicht.  Als  das  Vergehen,  dessen  die  Leute  sich  schuldig 
machen,  wird  durchaus  nicht  genannt,  daß  sie  von  ihren 
Schafen  und  Eindern  nichts  dem  Jahwe  verbrannten.  Vom 
Feuer,  das  auf  dem  Steine  angezündet,  von  Fleisch  oder  nur 
auch  Fett,  das  abgegeben  werden  und  Jahwe  hier  mit  oder 
ohne  Feuer  zugeeignet  werden  soll,  ist  mit  keinem  Worte  die 
Rede.  Dreimal  in  den  paar  Versen  wird  die  Versündigung 
erläutert,  und  jedesmal  ist  lediglich  vom  Blute  die  Eede. 
Erst  nachträglich  zur  Erinnerung  an  das  Geschehene  und 
für  etwa  später  vorkommende  Fälle  errichtet  Saul  einen 
Altar,  aber  auch  er  braucht  seinem  Namen  und  der  Ver- 
gangenheit der  Stätte  nach  nicht  mehr  zu  bedeuten  als  einen 
richtigen  Schlachtort,  wofern  der  Mizbeach  hier  nicht  geradezu 
der  Stein  selbst  ist  und  man  den  Schlußvers  zu  übersetzen 
hat:  „So  errichtete  Saul  Jahwe  einen  Altar".  .  . 

"Was  Saul  an  den  Leuten  rügen  muß,  ist  augenscheinlich 
daß  sie  in  Erschöpfung  und  Gier  die  Tiere  an  der  Stelle,  wo 
sie  sie  erwischen,  oder  am  Lagerplatz  an  beliebiger  Stelle 
formlos  niederhauen  und  sich  auf  das  halb  oder  ganz  rohe 
und  bluttriefende  Fleisch  stürzen,  ohne  zu  bedenken,  daß  das 
Blut  nach  alter  heiliger  Sitte  mit  Sorgfalt  vergossen  und  als 
heiliger,  das  Leben  des  Tieres  in  sich  darstellender  Stoff  be- 
handelt werden  solP.  Indem  sie  am  Steine  schlachten,  das 
Tier  also  auf  oder  über  ihn  legen,  während  ihm  die  Kehle 
durchschnitten  wird,  und  so  das  Blut  auf  ihn  und  an  ihm 
herabfließen  lassen,  wird  das  Blut  Jahwe  zurückgegeben,  und 
sie  können  das  Fleisch  ohne  Verschuldung  essen.  Daraus 
sieht  man  zugleich,  was  auch  Lev  17  zeigt,  daß  das  Essen 
„mit  dem  Blute"  weniger  darin  gesehen  wird,  daß  das  Fleisch 
noch  roh  ist,  also  nicht  regelrecht  gesotten  oder  gebraten 
wird.  Auch  rohes  oder  wenigstens  nur  unvollkommen  ge- 
sottenes oder  gebratenes  Fleisch  wird  dadurch  vom  Blute  be- 
freit gewesen  sein,   daß  man  das  Tier  richtig  verbluten  ließ 


1)  S.  Lev.  17  11. 
Kittel,  Beiträge. 


114  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

und  so  das  Blut  der  Gottheit  widmete.  Ebenso  werden  wir 
im  Sinne  des  Erzählers  annehmen  dürfen,  wenn  etwa  kein 
Stein  als  Schlachttisch  sich  gefunden  hätte,  daß  dann  seiner 
Auffassung  nach  das  Ausgießen  auf  die  Erde  hätte  eintreten 
müssen,  wie  es  das  Deuteronomium  für  den  Fall  großer  Ent- 
fernung des  Schlachtenden  vom  Altar  voraussetzt  und  wie  es 
auch  die  Sitte  der  Araber  in  alter  und  neuer  Zeit  annimmt. 
Was  wir  hier  sehen,  deckt  sich  somit  durchaus  mit  der 
arabischen  Art  des  Opferns,  die  ein  Schlachten  mit  Blutaus- 
schüttung ist;  es  berührt  sich  aber  zugleich  darin  mit  dem 
Opfer  Gideons,  daß  auch  hier  die  Verbrennung  keine, 
jedenfalls  keine  wesentliche  Rolle  spielt.  Gerade  diese 
Gemeinsamkeit  des  Opfervollzugs  mit  dem  arabischen  Opfer 
einerseits  und  mit  dem  Gideons  anderseits,  das  wir  als  ein 
vorisraelitisches  erkannt  haben,  läßt  uns  aber  nun  weiter  er- 
warten, daß  auch  die  Gottesanschauung,  die  ihm  zugrunde 
liegt,  derjenigen  nahe  verwandt  sein  werde,  die  bei  jenen 
Opfern  vorausgesetzt  werden  muß.  Die  doppelte  Analogie 
muß  uns  auf  die  richtige  Spur  leiten. 

5.    Die  Gottesidee  in  Kanaan. 

Das  Opfer,  das  Gideon  zu  bringen  versucht,  haben  wir 
als  ein  solches  erkannt,  das  die  Gottheit  als  im  Steine  oder 
an  ihm  weilend  voraussetzte.  Ähnlicher  Art  muß  wohl  die- 
jenige Gottheit  gedacht  sein,  der  die  Araber  ihre  Blutwei- 
hungen  vollziehen.  Blut,  das  in  eine  Quelle  gegossen  oder  in 
eine  Felshöhle  geträufelt  wird,  läßt  sich  kaum  anders  ver- 
stehen, als  daß  es  einem  im  Wasser  oder  der  Höhle  weilenden 
Geiste  gehören  soll.  In  der  Tat  scheint  die  Existenz  solcher 
Gottheiten  vorausgesetzt  zu  sein,  wie  aus  unverfänglichen 
Zeugnissen    belegt    werden    kann^.     Wenn  bei   Curtiss   der 


1)  S.  S.lOl.  108. 151ff.  und  Ccrtiss  S.213.  230.  205.  — Ein  interessantes, 
soweit  ich  sehe,  bisher  nicht  erkanntes  Beispiel  eines  alten  Quellheilig- 
tums liegt  in  Ai>u  ghosch  oder  Karjet  el-ineb,  wahrscheinlich  der  Stätte 
des  alten  Kirjat  Je'arim,  vor.  Dort  findet  sich,  wie  mir  mein  archäo- 
logisch hochgebildeter  Begleiter  sagte,  die  „rätselliafte"  Erscheinung,  daß 
die  Quelle  in  der  Kirche  liegt.  In  der  Tat  liegt  umgekehrt  die  Kirche 
über  der  Quelle  und  vor  der  Kirche  wird  über  ihr  ein  anderes  Heiligtum 


5.  Die  Gottesidee  in  Kanaan.  115 

Schech  von  Kefr  sagt:  „Jeder  Platz,  jedes  Land,  ja  jede  Stelle 
auf  der  Erde  hat  ihre  Bewohner",  so  spricht  er  damit,  auch 
wenn  die  Methode,  nach  welcher  Cürtiss  seine  Kunde  über 
Land  und  Leute  eingezogen  hat,  nach  manchen  Richtungen 
beanstandet  werden  mag,  etwas  aus,  was  so  sehr  die  innere 
Wahrscheinlichkeit,  die  aus  den  Opferbräuchen  spricht,  für 
sich  hat,  daß  wir  keinen  Anlaß  haben,  an  der  Richtigkeit  der 
Äußerung  zu  zweifeln  K 

Demnach  muß  denn  auch  das  Ausgießen  des  Blutes  auf 
die  Erde  und  das  Gießen  desselben  auf  den  Stein  erklärt 
werden.  Es  sind  die  Erdgeister,  die  es  empfangen,  sie  sind 
die  im  Steine  weilende  oder  an  ihm  sich  einfindende  Gottheit. 
Wenn  noch  das  Deuteronomium,  dessen  Gottesbegriff  durch- 
aus den  Charakter  der  sittlichen  Gottheit  verrät,  das  Aus- 
gießen des  Blutes  zur  Erde  fordert,  ja,  wenn  selbst  die  Opfer- 
thora  bis  in  die  späteste  Zeit  herunter  das  Streichen  und 
Gießen  des  Blutes  an  den  Altar  verlangt,  so  kann  daraus 
keine  Gegeninstanz  gegen  diese  Deutung  entnommen  werden. 
Es  beweist  das  nur,  was  die  Religionsgeschichte  überall  be- 
kundet, daß  primitive  Vorstellungen  Bräuche  erzeugen,  die, 
einmal  festgewurzelt,  sich  auch  unter  der  Herrschaft  ge- 
läuterterer  Gedankenkreise  erhalten,  indem  sie  allerlei  Um- 
deutungen  und  ihren  ehemaligen  Charakter  vergeistigende 
Umbiegungen  erleiden.    Man  vergleiche  Lev  17?  u.  unt.  S.  152. 

So  ist  denn  auch  keineswegs  gesagt,  daß  der  Jahwe,  dem 


gestanden  haben,  das  der  Quellgottheit  geweiht  war.  Wir  wissen  sogar 
ihren  Namen.  Denn  nacli  Jos  15  9  führte  der  Ort  (vorausgesetzt,  daß 
Kirjat  Je'^arim  gemeint  ist  —  zu  den  Wäldern  vergl.  oben  S.  101  A.2)  —  ehe- 
mals den  Namen  Baala^  wofür  allerdings  in  Jos  15  60.  18  14  Kirjat  Ba'al, 
in  2  Sam  6  2  aber  wieder  richtig  (s.  BHK)  Baalat  Jehuda  steht.  Die 
Quellgottheit  ist  eine  Ba'al  in,  eine  weibliche  Baalgottheit.  —  Eine 
ähnliche  Quellba'alin  oder  Quellnixe  kennt  Jos  19  8  {baalat  beer); 
vgl.  noch  das  Baalat  von  Jos  19 44  1  Kön  9  18  2  Chr  8 6. 

1)  In  der  Mischna  Chullin  II,  9  heißt  es:  „Man  darf  nicht  schlachten 
und  das  Blut  abfließen  lassen  in  Seen,  in  Flüsse  oder  in  Geräte,  wohl 
aber  in  eine  Wasservertiefung  [wie  man  solche  um  Bäume  macht]  .  .  . 
In  eine  [leere]  Grube  darf  überhaupt  nicht  geschlachtet  werden".  Diese 
Mischnasätze  werden  von  Talmud  damit  begründet,  daß  die  Schlachtung 
an  den  genannten  Stätten  den  Anschein  erweckt,  als  gehe  eine  Opferung 
an  Wasser-  oder  unterirdische  Gottheiten  vor  sich  [K]. 

8* 


IIQ  Kittel,  Studien.    IL  Der  primitive  Felsaltar. 

Saiil  das  Blut  am  Steine  ausgießen  heißt,  jener  Stein-  oder 
Feldgottheit  gleichartig  sei,  für  die  der  Brauch,  das  Blut  auf 
den  Stein  zu  gießen,  erstmals  ersonnen  worden  ist.  Was  wir 
sonst  von  dem  Jahwe  der  Zeit  Sauls  wissen,  spricht  nicht 
dafür.  Aber  es  handelt  sich  hier  darum,  den  Sinn  der  Gottes- 
vorstellung zu  ermitteln,  unter  deren  Herrschaft  der  Brauch 
entstanden  ist.  Sobald  die  Frage  so  gestellt  wird,  kann  kein 
Zweifel  aufkommen,  wie  zu  urteilen  ist.  Eine  Gottheit,  der 
man  erstmals  das  Blut  auf  die  Erde  oder  auf  einen  Stein  ge- 
gossen hat,  ist  als  in  der  Erde  oder  im  Stein  wohnend  ge- 
dacht. Auch  ist  es  klar,  Saul  konnte  auf  diesen  Brauch,  der, 
wie  wir  aus  Eicht  6  und  vielen  andern  Zeugnissen  ersehen, 
im  ganzen  zu  seiner  Zeit  nicht  mehr  der  herrschende  Brauch 
in  Israel  war,  nicht  zurückgreifen,  wenn  die  Sitte,  so  zu 
handeln,  ihm  nicht  irgendwoher  geläufig  war.  Sie  muß  bei 
den  Nachbarn  Israels  und  bei  den  Kanaanäern  existiert  haben, 
sie  wird  auch  in  Israel  je  und  dann  geübt  worden  sein.  In 
Ermanglung  eines  richtigen  Altars,  möglicherweise  auch,  weil 
es  im  Felde  so  Sitte  war,  greift  dann  Saul  auf  einen  Braucli 
zurück,  der  jedenfalls  im  allgemeinen  in  Israel  nicht  mehr 
der  übliche  war. 

Vom  höchsten  Interesse  ist  hier  die  Geschichte  von  Jakob 
in  Betel  Gen  28.  Er  kommt  auf  der  Eeise  an  einen  Ort  Lüz. 
Der  Ort  (Cipia)  ist  vorher  schon  heiliger  Ort;  maköm  hat  hier 
wie  das  arabische  makäm  technischen  Sinn:  heilige  Stätte. 
Es  ist  wohl  ein  Steinkreis  in  der  Weise  des  Cromlech  von 
Marinita  1  —  bei  Betel  selbst  will  man  einen  solchen  finden, 
doch  irrtümlicherweise.  Er  sieht  das  in  der  Dunkelheit  nicht 
und  nimmt  einen  der  Steine  zum  Kopflager.  Da  hat  er  den 
Traum  von  der  Himmelsleiter.  Er  wacht  auf  und  erkennt, 
daß  über  ihm  der  Eingang  zum  Himmel,  die  Himmelspforte, 
da  also,  wo  er  selbst  sich  befindet,  ein  wichtiger  Punkt  der 
Erde,  ihr  heiliger  Mittelpunkt,  sein  muß.  Der  Stein,  auf  dem 
er  schlief,  muß  wohl  —  so  läßt  ihn  der  Erzähler  schließen  — 
eine  von  den  Leuten  so  genannte  „Gottesbehausung",  ein 
„bet-el"  oder  ein  Baitylion  sein. 

Das  wird  vom  Erzähler  ganz  so  berichtet,  als  wollte  er  das 


1)  S.  unten  S.  119  Anm.  1  u.  S.  122  (Abb.  14). 


5.  Die  Gottesidee  in  Kanaan.  117 

Wort  Gottesbehausimg,  bet-el  in  Anführungszeichen  gesetzt 
wissen.  Er  nennt  den  Stein  so,  weil  man  einen  solchen  herge- 
brachterweise in  Kanaan  und  demgemäß  natürlich  auch  in  man- 
chen Kreisen  in  Israel  so  nannte  ^.  Er  selbst  und  Jakob,  wie  er 
ihn  sich  denkt,  wollen  damit  nichts  zu  tun  haben.  Jakob  verehrt 
den  Stein  nicht  wie  er  ist,  er  richtet  ihn  auf  zur  Massebe  und 
salbt  ihn  mit  Öl.  Das  ist  bewußte  Umdeutung:  der  Ölguß 
will  nicht  mehr  Opfer  sein,  sondern  Weiheguß,  wie  man  einen 
Altar  durch  Salben  weiht,  und  die  Massebe  nicht  Steinaltar, 
sondern  Malstein,  Erinnerungszeichen  neben  dem  hier  zu  er- 
richtenden Altar. 

Daß  diese  Deutung  richtig,  ja  die  allein  mögliche  ist, 
geht  aus  zwei  Dingen  hervor:  aus  der  Himmelsleiter  und  der 
Benennung  des  Ortes,  nicht  mehr  des  Steines,  als  bet-el.  In- 
dem vom  Steine,  an  dem  Jakob  schlief,  eine  Leiter  zum 
Himmelstor  hinaufgeht,  ist  von  selbst  Jahwe  nicht  als  im 
Steine,  sondern  im  Himmel  wohnend  bekundet.  Er  kommt 
wohl  gelegentlich,  vor  allem  durch  seine  Boten,  auf  der  Leiter 
herunter,  hier  sich  kundzutun,  aber  seinen  richtigen  Wohnsitz 
hat  er  droben  im  überirdischen  Räume.  Die  Gottesidee  ist 
damit  losgelöst  vom  Steine,  der  Stein  ist  nicht  mehr  Gottes- 
behausung, baitylion,  die  Gottesbehausung  ist  der  Himmels- 
raum —  aus  dem  Fetisch  ist  von  selbst  ein  Denkstein  ge- 
worden. Ferner,  indem  die  Ortschaft  ehemals  Luz  hieß,  ist 
von  selbst  gegeben,  daß  der  Name  bet-el  ehedem  am  Steine 
oder  den  Steinen  des  Cromlech  haftete,  also  fetischistischen 
Sinn  hatte.  Seit  Jakob  aber,  sagt  uns  der  Erzähler  der  Ge- 
nesis, heißt  die  Stadt  Betel,  und  der  maköm,  die  heilige  Stätte 
mit  der  Massebe  und  dem  Altar,  dem  man  Zehnten  leistet 
steht  in  oder  bei  ihr.   Nicht  mehr  der  Stein,  sondern  höchstens 

'  '    ^    ,    I   ^'    !  f ! 

1)  Die  scheinbar  nächstliegende  Deutung,  die  darum  auch  manche 
Vertreter  findet,  will  überhaupt  die  Bezeichnung  bet-el  nicht  mit  dem 
Steine  verbinden,  sondern  nur  mit  dem  Orte.  Das  ist  gewiß  die  Mei- 
nung des  heutigen  Erzählers.  Aber  daß  es  eine  andere  ältere  Auffassung 
gab,  schimmert  schon  in  Gen  28  22  („Der  Stein  soll  eine  Gottesbehausung 
sein")  durch,  noch  deutlicher  in  35  7,  wo  die  ganze  Kultusstätte  (makäm) 
sammt  dem  Altar  „Gott  der  Gottesbehausung  (bxn'^a  hu)"  heißt.  Hier 
läßt  sich  nicht  darüber  hinüberkommen,  daß  Ort  und  Gott  als  eins  ge- 
dacht sind. 


118  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

der  wolil  früh  hier  errichtete  Tempel,  wie  alle  Tempel,  haupt- 
sächlich aber  die  Stadt  selbst  heißen  Betel. 

Darin  zeigt  sich  aufs  deutlichste  die  Wandlung  der  Gottes- 
vorstellung. Die  heilige  Höhle  setzt  animistische,  der  heilige 
Stein  fetischistische  Gottheiten  voraus  —  wenigstens  überall 
da,  wo  sie  in  ihrer  ursprünglichen  Weise  auftreten.  Die  Um- 
deutung  des  Steines  zum  Mal  stein,  vor  allem  aber  seine  Er- 
setzung durch  den  Altar,  setzt  die  Erhebung  der  Gottheit 
über  die  Erde  in  den  Himmelsraum  voraus.  Sie  ist  der  erste 
Schritt  zur  wirklichen  Vergeistigung  der  Gottesidee. 

Es  kann  die  Frage  vollkommen  ausscheiden,  ob  diese 
Spuren  animistischer  und  fetischistischer  Religionsübung  bei 
der  vorisraelitischen  Bevölkerung  Kanaans  zugleich  die  Spuren 
der  Religion  der  Urzeit  überhaupt  sind.  Meines  Erachtens 
sind  sie  es  nichts,  wofür  sich  auf  andern  Gebieten  Beweise 
genug  beibringen  lassen.  Aber  wir  haben  es  hier  nicht  mit 
der  ürreligion  der  Menschheit  zu  tun,  sondern  mit  der  Re- 
ligion der  vorisraelitischen  Bevölkerung  Palästinas.  Bei  ihr 
aber  läßt  sich  m.  E.  das  Vorhandensein  jener  niederen  Reli- 
gionsformen ebensowenig  verkennen  als  sich  andererseits  über- 
sehen läßt,  wie  stark  die  genuin  israelitische  Religion  über 
sie  hinausweist. 

6.    Die   Gestalt   des  Altars.     Der   Schalenstein.     Die  Massebe. 

Gibt  es  somit,  wie  wir  sehen,  im  ältesten  Israel  oder  bei 
den  vorisraelitischen  Bewohnern  seines  Landes  Weisen  des 
Opfers,  bei  denen  die  Brandstätte,  als  welche  wir  uns  den 
israelitischen  Altar,  dem  vorherrschenden  israelitischen  Brauche 
der  Verbrennung  des  Altaropfers  gemäß,  vorzustellen  pflegen, 
noch  nicht  zur  Geltung  kommt,  so  spricht  die  größte  Wahr- 
scheinlichkeit dafür,  daß  dieser  Zustand  der  Dinge  auch  in 
der  Gestalt  und  Beschaffenheit  des  Altars  zum  Ausdruck  ge- 
kommen sei.  Wie  sah  der  älteste  Altar  auf  palästi- 
nischem Boden  aus? 

Wenn  Saul  einen  Stein  herwälzen  läßt  und  zum  Schlacht- 


1)  Vgl.  auch  meine  Schrift:  Die  babyl.  Ausgrab.  u.  d.  bibl.  Urgesch.^ 
(1903)  S.  30  f. 


6.  Die  Gestalt  des  Altars.    Der  Scbalenstein.    Die  Massebe.     119 

stein  bestimmt,  so  hat  er  augenscheinlich  einen  Felsblock  wie 
er  war  und  ohne  weitere  Zubereitung  als  Schlachttisch  be- 
nützt. So  hat  schon  Jakob  in  Gen  28  is  den  Feldstein,  auf  dem 
er  schlief,  als  Malstein  aufgerichtet  und  mit  einem  Ölopfer 
gesalbt  (35  u),  um  erst  später  einen  richtigen  Altar  daraus  zu 
machen  (35  3.7).  Ja,  so  hat  Jakob  einen  bloßen  Steinhaufen  ^ 
als  Stätte  für  das  Mahl  und  darum  wohl  auch  als  Schlacht- 
stätte für  die  Schlachttiere  errichtet  (Gen  31  4g).  So  haben  die 
Leute  von  Bet-semes  in  1  Sam  6  u,  als  die  heilige  Lade  Jahwes 
auf  einem  von  Kühen  gezogenen  Wagen  zu  ihnen  kam,  einen 
großen  auf  dem  freien  Felde  stehenden  Stein  zum  Opferstein 
für  die  Gottheit  der  Lade  verwendet,  indem  sie  den  Wagen 
zum  Brennholz  und  die  Kühe  zum  Brandopfer  bestimmen.  Und 
so  werden  auch  heute  noch  bloße  Steine  zu  Schlacht-  und  Opfer- 
stätten benützt.  Sie  sind  nicht  häufig;  aber  sie  fehlen  nicht. 
Es  ist  die  einfachste  Form  des  Opfertisches,  der  roheste,  primi- 
tivste Steinaltar.  Beispiele  dafür  gibt  Cüetiss  S.  270  f.  In  der 
Weise  des  Steines  beim  Heiligtum  des  Schech  Mufleh  oder 
auch  des  Schlangeusteins  bei  Jerusalem  oder  des  Steines  von 
Bet-semes  können  wir  uns  den  Schlachtstein  Sauls  ungefähr 
vorstellen. 

Wenn  nun  aber  weiter  Gideon  seinen  Fleisch-  und  Brot- 
gaben die  Brühe  des  Fleisches  beigibt  und  sie  auf  den  Felsen 
gießt,  oder  wenn  Saul  seine  Krieger  anweist,  ihre  Tiere  über 
dem  Steine,  den  er  herwälzen  läßt,  zu  schlachten,  so  kann 
zwar  in  beiden  Fällen  die  Flüssigkeit  am  Felsen  hinunter- 
laufend gedacht  sein,  aber  das  Natürliche  und  Nächstliegende 
ist  das  nicht.  Beim  Brandaltar  zwar  wissen  wir,  daß  das 
Blut  teils  auf  ihn  gestrichen  oder  gesprengt  wird,  teils  an 
seinem  Grunde  oder  seinen  Seiten  ausgegossen  wird.  Aber 
seine  eigentliche  Bestimmung  ist  die  einer  Brandstätte,  der 
Blutbrauch  geht  also  bei  ihm  nur  nebenher.  Er  bezeichnet  den 
Anteil,  den  das  spätere  Opfer  an  der  früheren  Sitte  behalten 
hat,  das  Band  zwischen  dem  Einst  und  dem  Jetzt.  Wo  aber 
die  ausschließliche  Bestimmung  eines  Steines  ist,  Mizbeach  im 
strengen  Sinne,   d.  h.  Schlachtstätte  zu  sein  und  das  Blut  in 

1)  Vgl.  über  die  Steinbaufen  auch  Wellh.  Reste^  115.  Auch  beim 
Opferstein  von  Marmita  findet  sich  ein  heiliger  Steinkreis  (Cromlech),  s. 
Abb.  14  und  Schick  ZDPV  X  (1887),  S.  143. 


120 


Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 


Empfang'  zu  nehmen,  da  ist  es  ebenso  wahrscheinlich,  daß 
seine  Gestalt,  sobald  sie  über  die  des  bloßen  Natursteins  hin- 
ausgeht, dem  Rechnung  tragen  wird,  wie  dasselbe  wahrschein- 
lich ist  bei  einem  Steine,  dessen  Bestimmung  ist,  flüssige 
Speise,  wie  die  Brühe  des  gesottenen  Fleisches,  aufzunehmen. 

Wir  kommen  damit  von  selbst  auf  das  Vorhandensein  von 
„Altären"  anderer  Art  als  diejenigen  sind,  die  wir  gewöhnlich 
so  nennen. 

Nun  kennen  wir  eine  stattliche  Anzahl  babylonischer  Altäre, 
welche  die  Bestimmung  haben,  Flüssigkeit  aufzunehmen,  sei 
es  Öl  oder  eine  andere.    Sie  zeichnen  sich  vor  gewöhnlichen 


a.Jetzige  obere  riaüclxc  des  Opfersteias. 


"b.Friiliere  obere,  jetzige  Seiten -Fläjclie  des  Opfersteins, 


Abb.  13.    Der  Opferstein  von  Marmita. 


Opfertischen  mehrfach  dadurch  aus,  daß  sie  oben  eine  schüssel- 
oder  schalenartige  Gestalt  haben,  um  die  Flüssigkeit  entgegen- 
zunehmen K  Ebenso  kennen  wir  im  alten  Ägypten  Opfergeräte 
aus  Stein,  Alabaster  u.  dergl.,  die  eine  Eeihe  zweifellos  zur 
Aufnahme  von  Trankopfern  bestimmte  schalenartige  Ver- 
tiefungen an  der  Oberfläche  haben.  Im  großen  vizeköniglichen 
Museum  zu  Kairo  sind  eine  Anzahl  solcher  Opfersteine  bezw. 
Steinplatten  vorhanden;  irre  ich  nicht,  auch  im  großen  otto- 
manischen Museum  in  Konstantinopel  ähnliche  Exemplare 
babylonischer  Herkunft.    Dasselbe  findet  sich  in  Kreta  2.    Es 


1)  S.  unten  S.  154. 

2)  Abbildung  bei  Karo  ARW  VII  (1904),  121. 


6.  Die  Gestalt  des  Altars.    Der  Schalenstein.    Die  Massebe.     121 

müßte  auffallen,  wenn  ähnliches  nicht  auch  auf  dem  Boden 
Palästinas  existiert  hätte. 

Es  ist  in  neuerer  Zeit  vielfach,  und  mit  dem  Bekannt- 
werden des  ostjordanischen  Palästina  immer  mehr,  die  Auf- 
merksamkeit der  Reisenden  und  Forscher  auf  jene  eigen- 
artigen Steingebilde  hin  und  her  im  heiligen  Lande  gelenkt 
worden,  die  man  kurzweg  als  Schalensteine  bezeichnen  kann  ^ 
Auf  Dolmen,  auf  Felsplatten,  auf  großen  Felsblöcken  wie  an 
Steinen  mäßiger  Größe  findet  man  vielfach  rätselhafte  Ver- 
liefungen in  größerer  oder  geringerer  Anzahl  und  von  bald 
stattlicher,  bald  bescheidener  Größe  nach  Tiefe  und  Durch- 
messer, deren  Deutung  den  Beobachtern  von  Anfang  an  große 
Schwierigkeiten  bereitete.  Im  ganzen  machen  sie  durchaus 
den  Eindruck  von  Schalen  oder  künstlichen,  in  den  Stein  ge- 
meißelten Schüsseln,  zur  Aufnahme  von  Flüssigkeit  bestimmt. 
Und  von  hier  aus  kam  man  natürlich  auch  leicht  zu  der 
Erwägung,  ob  diese  Schalen  nicht  irgendwie  dem  Opfer- 
dienste einer  alten  Vorzeit  gedient  haben,  indem  die  ihnen 
anvertraute  Flüssigkeit:  Öl,  Wein,  Wasser,  Blut  oder  was  es 
sonst  gewesen  sein  möge,  auf  diese  Weise  der  Gottheit  nahe 
gebracht  wurde  -.  Aber  man  fragte  sich  auf  der  andern  Seite 
sofort  auch  mit  Recht,  ob  dieser  erste  Eindruck  bestimmend 
sein  dürfe  oder  ob  nicht  andere  Deutungen  zulässig  oder  ge- 
boten erscheinen. 

Nun  wird  man  meines  Erachtens  überhaupt  bei  der  Be- 
antwortung der  Frage  nach  dem  Wesen  dieser  merkwürdigen 
Vertiefungen  große  Vorsicht  walten  lassen  müssen.  Man  wird 
zum  voraus  verschiedene  Entstehungsmöglichkeiten  und  mehrer- 
lei Gebrauchsweisen  ins  Auge  fassen  müssen.  Nur  dadurch 
wird  es  möglich  sein,  die  Frage  nach  dieser  seltsamen  Er- 
scheinung einigermaßen  befriedigend  zu  lösen. 

Vor  allen  Dingen  darf  nie  übersehen  werden,  daß  die 
Eigenart  des  in  Palästina,  besonders  im  Westjordanlande,  vor- 
herrschenden Kalksteines  die  Bildung  derartiger  Vertiefungen 


1)  Vgl.  bes.  GuTHE  in  ZDPV  XIII  (1800),  S.  123  ff". 

2)  Schuhmacher  ZDPV  XVI  (1893\  75  ff',  hat  das  ursprünglich  noch 
für  unsicher,  wenn  auch  nicht  unwahrscheinlich  erklärt,  sich  aber  doch 
mehr  und  mehr  für  jene  Ansicht  ausgesprochen  ZDPV  XVI,  162;  XX, 
175  f.  109;  MuN  1904  S.  7C.     Vgl.  noch  unten  S.  124  Anm.  1. 


122 


Kittel,  Studien.     II.  Der  primitive  Felsaltar. 


lind  Löcher  im  Gestein  außerordentlich  begünstigt.  Der  Stein 
ist  vielfach  sehr  weich  und  zum  Bruch,  der  Verwitterung  und 
Auswaschung  geneigt.  Er  ist  außerdem  vielfach  mit  härteren 
Gebilden,  wohl  Kiesel  und  Feuerstein,  durchsetzt.  So  kommt 
es,  daß  schon  die  Natur  allerlei  Risse,  Brüche  und  Vertiefungen 
im  palästinischen  Kalkstein  hervorbringt.  Wer  beispielsweise 
das  Gestein  zwischen  Betlehem  und  Hebron  —  aber  auch  an 
vielen  andern  Orten  —  mit  einiger  Aufmerksamkeit  beob- 
achtet, wird  Gelegenheit  haben,  vielfache  Löcher  und  zum 
Teil  richtige  Schalen,  kreisrunde  Vertiefungen,  im  Felsgestein 
oder  in  einzelstehenden  Felsblöcken  wahrzunehmen,  die  durch- 


Griiadri  s  s  de  s  Opfe  rplatz  e  s . 

Mas  Stab   1  :  2000 


Meter 


BiiTchsehrntL 


Abb.  14.    Der  üpferplatz  von  Marmita 


aus  den  Eindruck  machen,  als  wären  sie  gar  nichts  anderes 
als  Produkte  der  Natur  selbst.  Eegen  und  Schnee  haben  das 
weichere  Kalkgestein  ausgewaschen  und  brüchig  gemacht  und 
das  in  ihm  eingebettete  härtere  Stück  Kiesel  herausgebrochen. 
So  sind  neben  Lüchern  von  unregelmäßiger  durch  das  Spiel 
des  Zufalls  gelegentlich  auch  solche  von  vollkommen  regel- 
mäßiger Gestalt  nach  Art  künstlicher  Schüsseln  entstanden. 
Sie  alle  müssen  natürlich  ausscheiden. 

Ferner  lassen  sich  bei  Quellen,  Brunnen  oder  Wasser- 
stellen vielfach  neben  Trögen,  wie  wir  sie  kennen,  auch  voll- 
kommen kreisrunde,  große  schalen-  oder  schüsselartige  Ver- 
tiefungen in  Steinen  beobachten.  Es  sind  nichts  anderes  als 
künstlich  hergestellte  Tröge  zum  Tränken   des  Viehs.    Aber 


6.  Die  Gestalt  des  Altars.    Der  Schalenstein.    Die  Massebe.     123 

auch  auf  freiem  Felde  lassen  solche  Trog-  oder  Tränksteine 
sich  beobachten.  Sie  sind  hier  aus  dem  Felsen  heraus- 
gemeißelt, um  das  Regenwasser  aufzunehmen  und  vor  dem 
Versickern  im  Erdreich  zu  bewahren  und  so  wenigstens  für 
einige  Zeit  nach  der  Regenperiode  noch  Wasser  zur  Vieh- 
tränke auf  dem  Felde  zu  gewähren.  Natürlich  liegen  die 
Schalen  nach  der  Regenzeit  trocken  und  können  leicht  mit 
Schalen  anderer  Art  verwechselt  werden.  Doch  wird,  wer 
ein  Auge  für  diese  Dinge  gewonnen  hat,  sie  nicht  leicht  ver- 
kennen.   Auch  sie  scheiden  natürlich  aus. 

Weiter  ist  bei  den  Arabern,  jung  und  alt,  der  Spieltrieb 
sehr  stark  entwickelt.  Und  wie  in  manchen  Gegenden  unseres 
Vaterlandes  die  Benützung  vorhandener  oder  in  Ermanglung 
solcher  die  Herstellung  künstlicher  Vertiefungen  und  runder 
Löcher  im  Erdreich  oder  in  den  Steinplatten  der  Trottoire 
eine  große  Rolle  spielt,  so  findet  sich  Ahnliches  auch  heute  in 
Palästina.  Wer  beispielsweise  den  Abhang  unmittelbar  hinter 
dem  Hiobsbrunnen  im  Kidrontal  bei  Jerusalem  gegen  das 
Dorf  Silwan  ein  Stück  weit  hinaufsteigt,  wird  in  dem  Gestein 
bald  über  der  Talsohle  allerlei  runde  und  rundliche,  größere 
und  kleinere  Löcher  wahrnehmen,  bei  denen  er  in  der  Tat  im 
Zweifel  sein  kann,  ob  sie  der  Natur  oder  der  Menschenhand 
entstammen  und  ob  nicht  ein  Teil  von  ihnen  einfach  dem 
Spiel  oder  der  Kurzweil  der  Dorfbewohner  von  Silwan  ihren 
Ursprung  verdanken  K  Auch  solche  Schalen,  besonders  wo  sie 
als  ein  festes  System  in  parallelen  Reihen  von  kleinen  Löchern 
auftreten,  scheiden  natürlich  aus. 

Endlich  ist  es  bekannt,  daß  die  alten  Palästiner  auf  oder 
an  den  Fruchttennen  nicht  allein  mit  Vorliebe  ihre  Heilig- 
tümer hatten,  sondern  in  ihrer  Nähe  oder  in  Verbindung  mit 
ihnen  auch  gerne  ihre  Felsenkeltern,  Wein-  und  Ölpressen 
einrichteten.  Dieselben  können  natürlich  komplizierterer  Art 
sein,  sie  können  aber,  besonders  die  Ölpressen,  je  nach  den 
Umständen  auch  in  einfachen,  nicht  zu  kleinen  Vertiefungen 
bestanden  haben,  in  denen  die  Früchte  zerquetscht  werden. 
Auch  sie,  wo  sie  sich  wahrscheinlich  machen  lassen,  scheiden 

1)  Größere  Vertiefungen  in  der  nächsten  Umgebung  des  „Walker- 
brunnens" können  natürlich  aucli  auf  das  dort  betriebene  Gewerbe  deuten. 
Vgl.  die  Abhandlung  über  den  Schlangenstein,  S.  16t). 


j[24  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

aus.  Es  muß  aber  hier  sofort  auch  die  Gegeninstanz  betont 
werden,  daß  nicht  ohne  weiteres  jeder  Fall,  in  dem  etwa 
heute  eine  solche  Verwendung  einer  Örtlichkeit  bei  den  Fel- 
lachen für  Zwecke  der  Landwirtschaft  sich  nachweisen  läßt, 
als  Beweis  dafür  angesehen  werden  darf,  daß  sie  zu  allen 
Zeiten  diesem  Zwecke  gedient  und  nie  eine  andere  Verwen- 
dung gehabt  habe.  Es  ist  vielmehr  recht  wohl  denkbar,  daß 
mit  dem  Verschwinden  einer  früheren  Religion,  die  solche 
Vertiefungen  zu  religiösen  Zwecken  herstellte,  dieselben  all- 
mählich ihren  Sinn  verloren  und  zu  profanen  Gebrauchs- 
zwecken verwendet  wurden.  Immerhin  haben  natürlich,  wo 
dies  nicht  wahrscheinlich  ist,  auch  solche  Vertiefungen  aus- 
zuscheiden. 

Allein  wenn  nun  auch  die  eben  genannten  Gesichtspunkte 
alle  aufs  gewissenhafteste  berücksichtigt  werden  und  dem- 
nach alles  auf  diesem  Gebiete  sorgfältigst  ausgeschieden  wird, 
was  für  eine  religiöse  Bestimmung  nicht  in  Frage  kommen 
kann,  so  bleiben  doch  immer  noch  eine  stattliche  Zahl  jener 
Gebilde  übrig,  die  eine  andere  als  eine  religiöse  Erklärung 
nicht  zuzulassen  scheinen. 

Wo  die  Umgebung  oder  der  Charakter  des  Steines  auf 
eine  heilige  Stätte  hindeutet,  wie  bei  Altären  oder  altarartigen 
Steinplatten  oder  Steintischen  oder  bei  Dolmensteinen ' ;  oder 
wo  im  Zusammenhang  damit  die  Form  und  Art  der  Schalen 


1)  Daß  die  Dolmen  —  zum  Teil  oder  durchweg  —  als  Gräber  dienten, 
ist  zweifellos.  Daß  sie  daneben  auch  Opferzwecken  dienten,  bleibt  unter 
allen  Umständen  wahrscheinlich,  schon  um  des  nahen  Zusammenhangs 
mit  den  Steinkreisen  [Cromlech]  willen.  Bei  den  letzteren  sollte  man 
dies,  auch  wenn  unter  ihnen  sich  noch  so  viele  ältere  und  jüngere  ße- 
duinengräber  finden,  nicht  einfach  bestreiten,  wie  z.  B.  Eberhard 
im  Palästina-Jahrbuch  des  deutsch-ärch.  Instituts  1905  S.  41  tut.  Schon  das 
biblische  Gilgal  muß  davor  warnen.  Man  nehme  ruhig  verschiedenartigen 
Gebrauch  an.  Auch  was  ebenda  S.  .ö9f.  gegen  die  Verwendung  der 
Dolmen  zu  Opferzwecken  gesagt  ist,  trifft  m.  E.  nicht  durchweg  zu.  Ihre 
Höhe  ist  nicht  immer  ein  Hindernis  —  s.  z.  B.  die  Abbildung  dort 
Tafel  4,  No.  2  —  und  andererseits  war  die  Form  als  „Tisch"  viel  zu 
einladend  zum  Opfergebrauch,  als  daß  man  annehmen  könnte,  man  habe 
dieser  Einladung  nicht  gefolgt.  Vgl.  auch  die  sehr  verständigen  Er- 
wägungen von  EcKARDT  in:  Palästin.  Kulturbilder  Leipz.  1907  S.  148f., 
außerdem  oben  S.  121  Anm.  2  und  unten  S.  144  Anm.  2.  3. 


6.  Die  Gestalt  des  Altars.    Der  Schalenstein.    Die  Massebe.     l2o 

SO  ist,  daß  sie,  ohne  etwa  als  Ölpressen  oder  dergl.  gedient 
zu  haben,  zur  Aufnahme  von  Flüssigkeit  bestimmt  erscheinen, 
wie  z.  B.  wenn  Einnen  die  einzelnen  Löcher  oder  einige  von 
ihnen  verbinden,  damit  die  Flüssigkeit  von  der  einen  Schale 
nach  der  andern  hinfließe,  da  kann  man  nicht  mehr  zweifeln, 
daß  wir  es  mit  Kultusobjekten  irgendwelcher  Art  zu  tun 
haben,  also  Schalen,  die  zur  Aufnahme  von  Trank-  oder  Guß- 
opfern (!jpD)  bestimmt  waren.   (In  Kairo  liegen  Brote  daneben.) 

In  der  Tat  finden  sich  solche  Einnen  zwischen  den 
Schalenlöchern  nicht  ein  oder  das  andre  Mal,  sondern  vielfach. 
Ich  führe  einige  Beispiele  an.  Schon  in  dem  grundlegenden 
großen  englischen  Werk  über  das  Ostjordanland  ^  wird  ein 
besonders  interessanter  Dolmen  dieser  Art  beschrieben,  13>c  11 
Fuß  lang  und  breit,  etwa  20  Zoll  dick,  mit  einem  ganzen 
System  von  Eillen  und  Höhlungen.  Dasselbe  findet  sich  bei 
dem  von  Schick  entdeckten  Felsenaltar  von  'Artüf  und  dem 
Opferstein  von  Marmita  (s.  Abb.  11  u.  13),  ebenso  bei  er-Eäs  un- 
weit Jerusalems '-,  desgleichen  am  heiligen  Fels  von  Jerusalem, 
und  auf  außerpalästinischem  Boden  z.  B.  auf  einer  afrikanischen 
Opfertafel  ^. 

Diese  Auffassung  findet  nun  ihre  willkommene  Bestätigung 
durch  das,  was  das  heutige  Leben  uns  darbietet,  wenigstens 
in  Gegenden,  wo  die  alte  Kultussitte  sich  noch  erhalten  konnte. 
Die  verdienstlichen  Beobachtungen  von  S.  I.  Cuetiss  haben 
hier  viel  Licht  gebracht,  und  gerade  hier,  wo  es  sich  ledig- 
lich um  die  Erhebung  des  Volksbrauches,  nicht  um  an  die 
Leute  gestellte  Fragen  oder  ihnen  entlockte  Begriffe  handelt, 
hat  Curtiss'  Arbeit  ihren  besonderen  Wert^.  Cürtiss  erzählt 
auf  S.  223  seines  Buches  von  den  zum  Änezestamm  gehörigen 
Ehsini- Arabern,  daß  sie  ihr  Vieh,  wenn  es  erkrankt,  dreimal  um 
das  Heiligtum  des  Mir  (Emir)  el-Hai  in  Dschüsij  eherumführen' 

1)  CoNDER  Survey  of  Eastern  Palestine  1889, 1.  S.  20  (wieder  abge- 
druckt bei  Curtiss  272).  Zahlreiche  Abbildungen  ebenda  II  S.  125  ff.  159  ff. 
186  ff.  254 ff.    Vgl.  auch  PEF  1901,  409. 

2)  ZDPV  XIII  78  f.;  vgl.  überhaupt  ebenda  S.  123  ff. 

3)  S.  Vincent,  Canaan  S.  130. 

4)  Vgl.  das  Vorwort  von  Graf  Baudissin  S.  VI  f. 

5)  Dieses  Herumgehen,  der  alte  an  oder  Umlauf,  kommt  auch  sonst 
noch  vor,  so  bei  massebenartigen  Pfeilern;  vgl.  Curtiss  ö.  XIX.  Viel- 
leicht ist  das  die  älteste  Verwendung  der  Masseben. 


126 


Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 


„und  dann  angesichts  des  Heiligtums  auf  einem  niedrigen, 
mit  einer  Höhlung  für  das  Blut  versehenen  Stein 
ein  Tier  opfern.  Innerhalb  und  außerhalb  des  Heiligtums 
werden  mit  dem  Blut  Strichzeichen  angebracht,  die  als  das 
Wasm  der  Tiere  gelten  können.  Die  Schafe  werden  mit  dem 
Blut  besprengt". 


Al)b.  15.     Masseba  von  Ta'anach. 


Ein  anderes  Beispiel.  „Am  Heiligtum  des  Nebi  Elischa 
in  Grhabäghib  gibt  es  einen  Felsenaltar,  der  nach  Angabe  des 
dortigen  Priesters  madhbah  en-nabi  elischa'  heißt.  Er  hat 
seinen  Platz  gerade  an  der  Vorderfront  des  aus  der  Tiefe  auf- 
steigenden Felsens  und  mißt  von  Nordost  nach  Südwest  5  Fuß. 
Der  höchste  Punkt  befindet  sich  l^j^  Fuß  über  dem  Niveau 
des  Vorsprungs.    Oben  auf  demselben  befindet  sich  ein  becher- 


6.  Die  Gestalt  des  Altars.    Der  Schalenstein.    Die  Massebe.     127 

förmiges  Loch  von  3  %  Zoll  Durchmesser  bei  3  Zoll  Tiefe.  An 
andern  Stellen  befinden  sich  ähnliche  Löcher  von  annähernd 
derselben  Größe.  Nach  Angabe  des  Priesters  werden  die 
Opfertiere  auf  dem  Felsen  selbst  getötet,  wobei  die 
becherförmigen  Löcher  zur  Aufnahme  des  Blutes  dienen. 
Bei  meinem  Besuch  war  der  . . .  Madhbah  mit  Blut  bedeckt." 

Der  gewiegte  Kenner  des  Ostjordanlandes,  Dr.  Schuh- 
MACHEE  in  Haifa,  beschreibt  mehrfach  solche  Opferlöcher,  die 
zur  Aufnahme  des  Blutes  bei  den  Arabern  bestimmt  sind.  Er 
hat  selbst  mehrfach  solchen  Opferzeremonien  bei  den  Beduinen 
beigewohnt,  hatte  auch  die  Güte,  mir  eine  Eeihe  ähnlicher 
Heiligtümer  zu  beschreibend 

Nun  hat  allerdings  schon  vor  Jahren  Güthe  (a.  a.  0.)  das 
Bedenken  geäußert,  daß  solche  Vertiefungen  sich  nicht  bloß  an 
der  Oberfläche  der  Steine  finden,  sondern  gelegentlich  auch 
an  der  Seite.  Er  meint,  diese  Tatsache  könne  ihren  Gebrauch 
für  Opferzwecke  in  Frage  stellen.  Die  vorstehende  Erörte- 
rung hat  gezeigt,  daß  über  den  Gebrauch  solcher  Schalen  für 
Opferzwecke  nach  dem,  was  wir  heute  wissen,  kein  Zweifel 
mehr  bestehen  kann.  Es  könnte  sich  also  heute,  wie  mir 
scheint,  die  Frage  nur  allenfalls  so  stellen  lassen:  ob  die 
Schalen  nur  für  Opferzwecke  oder  daneben  auch  noch  für 
andre  Zwecke  —  etwa  symbolische  —  gedient  haben.  Ich 
glaube  aber,  daß  auch  die  seitlichen,  je  und  dann  auftretenden 
Vertiefungen  nicht  gegen  jene  Deutung  sprechen.  Denn  die 
Applikation  des  Blutes  erfolgt  durchaus  nicht  bloß  durch  Auf- 
gießen, ebenso  häufig  werden  Türstürze,  Pfosten,  Pfeiler  u.  dgl. 
auch  damit  bestrichen 2.  Dasselbe  wird  auch  bei  Öl  der 
Fall  sein.  Ein  solches  Bestreichen  setzt  aber  durchaus  nicht 
notwendig  eine  wagrechte  Fläche  voraus. 

Besonders  das  häufige  Vorkommen  der  Seitenlöcher  auf 
Masseben  hat  die  Frage  in  neuester  Zeit  wieder  in  Fluß  ge- 
bracht 3,  Fast  auf  allen  Gebieten,  wo  man  in  jüngster  Zeit 
den  Spaten  augesezt  hat,  haben  die  Ausgrabungen  Masseben 

1)  S.  auch  bei  Curtiss  S.  272  Anm.  2.  Da  das  dort  Augeführte  mit 
meinen  Notizen  in  der  Hauptsache  übereinstimmt,  benüge  ich  mich 
darauf  zu  verweisen. 

2)  S.  z.  B.  Curtiss  S.  216  ff. 

3)  S.  besonders  Vincent,  Canaan  (1907)  S.  125  ff. 


128 


Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 


in  größerer  Anzahl  zutage  gefördert,  so  daß  das  Auftreten 
dieses  merkwürdigen  Kultusobjektes  viel  häufiger  gewesen 
sein  muß,  als  man  bisher  anzunehmen  Grund  hatte.  Überall 
aber,  wo  der  Spaten  auf  Mas.seben  in  größerer  Zahl  stieß,  da 
fanden  sich  neben  solchen  mit  Schalen  an  der  oberen,  auch 
solche  mit  Schalen  an  der  seitlichen  Fläche  (s.  Abb.  15—17). 
Die  letzteren  haben   zu  den  sonderbarsten  Deutungen  Anlaß 


Abb.  16.    Masseba  von  Megiddo. 


gegeben.  Wie  man  längst  geneigt  war,  der  Masseba  phalli- 
schen Ursprung  zuzuschreiben,  so  besonders  meinte  man  in 
der  seitlichen  Vertiefung  der  Mas.seba  oder  dann  überliaupt 
in  den  Schalen  der  vielfachen  Schalensteine  das  Symbol  weib- 
licher Fruchtbarkeit  sehen  zu  sollen.  Weder  das  eine  noch 
das  andre  halte  ich  für  wahrscheinlich.  Im  ganzen  kann  man 
sich  nur  wundern,  wie  wenig  die  in  Palästina  zutage  getre- 
tenen Mas.seben  im  Verhältnis  zu  ihrer  vielfachen  Zusammen- 
stellung  mit   phallischen  Symbolen    seitens    neuerer  Schrift- 


5.  Die  Gestalt  des  Altars.    Der  Schalenstein.    Die  Masseba.     129 


steller  den  Eindruck  phallischen  Charakters  machen.  Nur 
ganz  ausnahmsweise  ^  und  auch  dann  in  keineswegs  zweifel- 
loser Art  ist  dies  der  Fall.  Meist  sind  es  rohe  oder  viereckig 
zubehauene  Steinblöcke,  bei  denen  nicht  eine  bestimmte  Gestalt, 
sondern  das  nach  oben  Gerichtetsein   die  Hauptsache  scheint. 

Ist  es  demnach  auch  nicht  ausgeschlossen,  daß  gelegent- 
lich einmal  jene  derb  realistische  Vorstellung  mit  der  Masseba 
verbunden  worden  ist,  so  scheint  dies 
doch  keinesfalls  die  Eegel  gewesen  zu 
sein.  Ich  halte  die  Masseba  für  nichts 
anderes  als  für  den  künstlichen  Er- 
satz des  Opfersteines.  So  wird  es 
auch  im  AT  angesehen,  denn  wenn 
Jakob  die  Massebe  mit  Öl  salbt,  so  tut 
er  damit  nichts  anderes  als  was  sonst 
üblich  war,  nur  in  etwas  anderem 
Sinne'-.  Mit  dem  Aufkommen  des  selb- 
ständigen Altars  wird  die  Mas.seba  mehr 
und  mehr,  ähnlich  wie  die  Aschera,  die 
der  künstliche  Ersatz  des  heiligen  Bau- 
mes ist,   Symbol  der  Gottlieit  selber. 

Ist  das  aber  das  Wesen  der  Mas- 
seba 3,  so  sind  auch  die  an  ihr  sich  viel- 
fach findenden  Löcher,  seien  sie  oben 
oder  an  der  Seite  angebracht,  nichts 
anderes  als  Opferlöcher,  zum  Begießen 
oder  Bestreichen  des  Steines  bestimmt.  Sie  sind  dann 
ebenso  zu  erklären  wie  bei  Opfersteinen,  Dolmen  und  Stein- 


Abb.  17. 
Masseba  von  Gezer. 


1)  Vgl.  bei  CuRTiss  S.  340  und  die  Benennung  solcher  Monolithe 
bei  den  heutigen  Arabern  als  znbh  (hasta  virilis);  ebenda  S.  274  f.  Doch 
ist  der  letztere  Punkt  nicht  entscheidend.  Es  kann  späterer  Volkswitz 
vorliegen.  Im  übrigen  muß  ich  bekennen,  daß  ich  bei  vielem,  ja  fast 
allem,  was  mau  mir  in  Europa  oder  in  Palästina  kurzweg  als  phallisch 
bezeichnete,  als  wäre  die  Tatsache  erwiesen,  nicht  die  geringste  Spur 
hiervon  entdecken  konnte.  Auch  beim  Hammurabiblock  scheint  mir  die 
Annahme  sehr  problematisch. 

2)  S.  oben  S.  117. 

3)  Der  Name  hat  sich  in  einem  Monolith  im  Ostjordanlaude  ha- 
dschar  el-mansTib  unweit  eines  größeren  Dolmenf'eldes  noch  erhalten,  Condek, 
Surv.  of  East.  Pal.  II 186;  MuX  19n4,  S.  78.    Zur  Sache  vgl.  auch  Dt  16  2if. 

Kittel,  Beiträpre.  0 


130  Kittel;  Studien.    IL  Der  primitive  Felsaltar. 

terrassen.  Und  hier  sind  dann  für  die  Erklärung  dieser 
Schalen,  wenigstens  auf  palästinischem  Boden  und  dem  Boden 
verwandter  Völker,  die  verbindenden  Rinnen  einerseits,  wie 
wir  sie  in  Artuf  und  Marmita  finden,  und  anderseits  jene 
Opferschalen  von  Kreta  und  Ägypten  maßgebend  i. 

Nicht  minder  bedeutsam  ist  ein  anderer  Einwand.  In 
den  Darstellungen  über  solche  Schalen  liest  man  je  und  dann 
die  "Vermutung,  die  Araber  der  betreffenden  Gegend,  weil  sie 
sie  vielfach  zum  Opfer  benutzen,  haben  jene  Schalen  einge- 
graben 2.  Das  mag  in  manchen  Fällen  zutreffen,  wenn  es  sich 
beispielsweise  um  einen  seiner  übrigen  Bearbeitung  nach  er- 
wiesenermaßen jungen  Stein  handelt.  Im  ganzen  aber  trifft 
es  nicht  zu.  Der  heilige  Fels  in  Jerusalem  hat  sicher  seine 
Löcher  und  Rillen  nicht  erst  in  arabischer  Zeit  erhalten. 
Noch  weniger  die  in  neuer  und  neuester  Zeit  in  großer  An- 
zahl erst  durch  Ausgrabung  zutage  geförderten  Steine  dieser  Art. 
Ich  erinnere  in  dieser  Hinsicht  an  die  Kultusstätteu  von  Gezer, 
Ta'anach,  Megiddo  (s.  Abb.  22),  die  solche  Vertiefungen  in  großer 
Anzahl  enthalten'',  diejenige  von  Gezer  nicht  weniger  als  83, 
an  die  mit  Vertiefungen  versehenen  Mas.seben  in  Gezer,  Ta*anach 
undMegiddo  und  vieles  andere,  endlich  besondersnoch  an  das  viel- 
fach belehrende  Modell  einer  semitischen  Kultusstätte  aus  Susa*. 

Wir  können   also  wohl  als  erwiesen  annehmen,   daß  die 


1)  Auch  hier  mag  es  wohl  als  möglich  gelten,  daß  gelegentlich  jene 
derb  realistische  Deutung  vorkam.  Die  stark  sinnliche  Art  des  kana- 
anäischen  Kultus  und  die  zugrunde  liegende  Verwendung  des  Gedankens 
au  Mann  und  Weib  im  Religionssystem  legt  das  nahe,  auch  scheinen 
manche  Spuren  direkt  darauf  hinzuweisen  (vgl.  Herod.  II,  106,  wonach 
auf  Säulen  in  Syrien  [aus  der  Zeit  des  Sesostris?]  yvvaixöq  aiöola  ein- 
gegraben waren;  vielleicht  muß  man  auch  das  Modell  eines  Astarte- 
tempels von  Cypern  mit  Löchern  an  den  Wänden  sowie  die  sogen.  Brett- 
ideole mit  Löchern  hierlierziehen).  Aber  die  Regel  wird  das  nicht  ge- 
wesen sein,  wie  schon  die  obengenannten  Rinnen  zwischen  den  Löchern 
beweisen. 

2)  S.  z.  B.  CuRTiss  S.  271  (unten).  272  (Mitte). 

3)  Qu.  Stat.  1903,  pl.  VI;  1904  S.  111.  Bliss-Macalister,  Excavations 
in  Palestine  S.  89  (Teil  Dschedede).  194  (Teil  es-Säfi);  MuN  1906,  Fig.  16 
u.  60;  Sellin,  Teil  Taannek  (1904)  S.  36.  09.  83;  Nachlese  S.  20. 

4)  Bei  Vjxcent  a.  a.  0.  S.  144,  jedoch  mit  dem  oben  S.  106  A.  4  ge- 
machten Vorbehalt. 


7.  Fortsetzung.     Heilige  Felsplatten  an  geschichtl.  wichtigen  Orten.     131 

Schalen  von  Hause  aus  für  Libationen  und  Blutgüsse  bestimmt 
sind,  und  wir  kommen  somit  zu  dem  Ergebnis,  daß  neben,  wo 
nicht  vor  dem  einfachen  Opfersteine  als  primitive  Form 
des  Altars  die  mit  Schalen  versehene  Felsplatte  oder 
Felsterrasse  steht. 


7.    Fortsetzung.     Heilige  Felsplatten  an  geschichtlich 
wichtigen  Orten. 

Vergegenwärtigt  man  sich  die  Beschaffenheit  dieser  Kultus- 
stätten und  Kultusobjekte,  so  wird  man  bei  ihnen  allen  des 
Eindruckes  sich  nicht  zu  erwehren  vermögen,  daß  sie  nicht 
für  Brand-,  überhaupt  für  Feueropfer  eingerichtet 
sind,  sondern  für  eine  andere  Weise  der  Gottesverehrung. 
Nirgends  sieht  man  einen  richtigen  „Altar"  oder  eine  Ein- 
richtung sonst,  die  sich  als  Feuerstelle  deuten  ließe.  Nur  bei 
den  Dolmen  könnte  etwa  daran  gedacht  werden,  nicht  aber  bei 
den  Pfeilern  und  Felskuppen  oder  Felsplatten,  wie  sie  sonst 
jene  heiligen  Stätten  ausmachen,  wodurch  dann  auch  wieder 
die  Bestimmung  der  Dolmen  als  Brandaltäre  zweifelhaft  wird. 

Auch  der  Altar  von  Sar'a  und  der  Opferstein  von  Marmita 
machen  hiervon  keine  Ausnahme.  Über  den  ersteren  ist  schon 
oben  S.  107  f.  gehandelt;  was  den  letztern  anlangt,  so  gilt  das 
dort  Gesagte  von  ihm  in  erhöhtem  Maße.  Auch  er  ist  stark 
mit  Schalen  und  Rinnen  bedeckt;'  außerdem  verbietet  seine 
bescheidene  Breite  (0,68  m)  eigentlich  zum  voraus,  an  einen 
Brandopferaltar  —  wenigstens  der  ersten  Bestimmung  nach 
—  bei  ihm  zu  denken. 

Nun  ist  freilich  in  den  Ausgrabungsberichten  je  und  dann 
auch  sonst  von  „Altären"  die  Eede.  Aber  die  sicheren  Fälle 
schwinden  auf  ein  Minimum  zusammen.  So  findet  sich  in 
Gezer  in  unmittelbarer  Verbindung  mit  den  Masseben  (Abb.  18) 
ein  großer  niedriger  Stein  mit  viereckigem  Loche  (Abb.  19). 
Macalister  selbst  ist  sich,  wie  er  mir  im  Frühjahr  1907  beim 
Besuch  der  Stätte  erklärte,  über  seine  Bestimmung  nicht  voll- 
kommen klar.  Es  ist  aber  begreiflich,  daß  er  neben  den  man- 
cherlei in  Betracht  kommenden  Möglichkeiten  (Wasserschale, 
Fundament  für  eine  Massebe,  Ghabghab)  mehrfach  auch  an 

9* 


132 


Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 


diejenige  dachte,  es  könnte  der  zu  den  Masseben  gehörige  Altar 
sein.  Demgemäß  hat  ihn  auch  Vincent  i  kurzweg  als  „aiitel'- 
in  sein  Werk  aufgenommen.  Aber  schon  die  Niedrigkeit  des 
Steines  sollte  davon  abhalten.  Auch  die  in  der  Mitte  des 
Altars  von  Petra  sich  findende  viereckige  Grube  kann  dar- 
über nicht  wegtäuschen.  Stand  in  Gezer  ein  Altar  bei  den 
Masseben,  so  ist  er  zerstört.  Der  Stein  mit  der  Grube  er- 
innert, wie  mir  scheinen  will,  am  meisten  an  die  runde,  viel- 
fach auch  fälschlich  -  für  einen  Altar  ausgegebene  Grube  seit- 


Alib.  IS.     Massebenreihe  von  Gezer. 


wärts  vom  Altar  von  Petra  (Curtiss  Abb.  31).  Ich  möchte  den 
Stein  für  den  eigentlichen  Schlachtstein  von  Gezer,  nicht  für 
seinen  Brandaltar,  und  die  Grube  für  den  Ghabghab  '  zum  Aus- 
gießen des  Blutes  ansehen. 

In  Megiddo  nennt  Schuhmacher-*  einen  runden  Trog,  der 
mit  Holzkohlen,  verkohlten  tierischen  Knochenresten,  sowie 
Asche  und  Scherben   angefüllt  war,  und  gibt  dazu  die  Er- 


1)  a.  a.  O.  S.  114. 

2)  S.  darüber  Guthe  in  MuX  1903,  S.  SOflf. 

3)  S.  darüber  oben  S.  111  A.  1. 

4)  MuN  1904  S.  47. 


7.  FortsetzuDg.    Heilige  Felsplatten  an  geschichtl.  wichtigen  Orten.     133 

klärung:  „Das  Ganze  hatte  vielleicht  als  Opferstein  gedient, 
vielleicht  auch  als  Ölmühle;  denn  in  einer  Entfernung-  von 
1  m  gegen  Osten  fanden  wir  Haufen  von  verkohlten  Oliven- 
kernen, die  ebensowohl  von  einem  Opfer,  als  auch  von  einer 
Ölmühle  herrühren  mochten."  Man  wird,  ehe  Genaueres  be- 
kannt wird,  von  einer  weitern  Verwertung  dieses  Stückes  ab- 
sehen müssen.  Ferner  glaubt  Schuhmacher  ^  eine  Tempel- 
anlage aus  etwa  salomonischer  Zeit  gefunden  zu  haben,  in 
der  sich  neben  etlichen,  zum  Teil  an  der  Seite,  zum  Teil  oben 
mit  runden  Löchern  ^  versehenen  Masseben  und  Krügen  auch 
ein  ausgehöhlter  Stein  befindet,  den  Schuhmacher  als  „Altar" 
bezeichnet.    Ob  er  ein  solcher  war,   und  nicht  vielmehr  der- 


Abb.  19.     Skizze   der  Massebenreihe  von  Gezer  mit  dem  sog.  Altarsteiii. 

selben  Kategorie  zugehört  wie  der  ähnliche  Stein  von  Gezer, 
und  ob  überhaupt  die  Altäre  der  salomonischen  Zeit  so  aus- 
sahen —  nach  den  biblischen  Nachrichten  kaum  — ,  darf  man 
billig  in  Frage  stellen.  Die  Anwesenheit  der  Masseben  stellt 
ihn  dem  Stein  von  Gezer  nahe;  unter  allen  Umständen  darf 
bezweifelt  werden,  daß  es  sich  hier  um  einen  Brandaltar 
handle. 

In  Ta'anach  ferner  ist  neben  einigen  Opfersteinen,  über 
die  sich  aber  nichts  Genaueres  sagen  läßt  3,  nur  Ein  wirk- 
licher Altar  gefunden  worden.    Es  ist  ein  aus  dem  natürlichen 


1)  ebenda  S.  48.  56. 

2)  s,  darüber  oben  S.  121  ff. 

3)  S.  Sellin,  Eine  Nachlese  aus  dem  Teil  Ta'annek  (Denkschriften 
der  Wiener  Äkad.  d.  Wiss.,  phil.-hist.  Kl.  LH.  Band)  1905,  S.  32. 


134 


Kitte],  Studien.    IL  Der  primitive  Felsaltar. 


Felsen  herausgearbeiteter  Steintisch  mit  einem  großen  ovalen 
Loche  von  0,50  zu  0,40  m  Durchmesser  und  drei  kleinen 
Löchern  von  8  und  9  cm.  Er  erhebt  sich  1  m  über  den 
Naturfels  und  hat  gegen  Osten  eine  einzelne  hohe  Stufe,  die 
natürlich  den  Standort  des  Priesters  bezeichnet  (s.  Abb.  20.  21). 
Sellin  selbst  hat  schon  ganz  richtig  erkannt  \  daß  der  Altar 
kein  Brandopferaltar  war,  sondern  zur  Aufnahme  von  Liba- 
tionen  oder  von  Blut  diente.  Ebenso  hat  er  ihn  vollkommen 
richtig  als  das  älteste  Kultusobjekt  auf  dem  Teil  Ta'annek 
bezeichnet'-.  Wir  haben  hier  den  richtigen  Typus  eines  primi- 
tiven vorisraelitischen  Felsenaltares  —  aus  dem  lebenden  Fels 


Al)l).  20.     Felsaltar  von  Ta'anach. 


herausgehauen,  mit  Löchern  versehen  und  in  einfachster  Weise 
zum  Gottestische  hergerichtet.  Vergleicht  man  mit  dem  Altar 
von  Ta'anach  einzelne  Masseben  von  Ta'anach  (Abb.  15)  oder 
von  Gezer  (Abb.  18.  19),  so  versteht  man,  welch  ein  kleiner 
Schritt  von  jenem  Altar  zur  Massebe  in  ihrer  einfachsten  Form 
war.  Man  sieht  dann  ohne  weiteres  den  oben  ausgesprochenen 
Satz  bestätigt,  daß  die  Massebe  von  Hause  aus  gar  nichts 
anderes   sein  will  als   der  Ersatz  jenes  Felsentisches;   man 

1)  S.  Sellix,  Teil  Taannek  (Denkschr.  d.  Wien.  Ak.  d.  Wiss.,  phil.- 
hist.  Kl.  L.  Bd.)  1904,  S.  3L 

2)  a.  a.  O.  S.  36.  103.  —  S.  104  wird  noch  ein  zweiter  Altar  der- 
selben Art  erwähnt,  aber  nirht  näher  besclirieben.  Er  wird  also  aus- 
scheiden müssen. 


7.  Fortsetzung.     Heilige  Felsplatten  an  geschieht),  wichtigen  Orten.     135 

versteht  dann  auch,  daß  ihre  natürliche  Bestimmung  nichts 
anderes  gewesen  sein  wird,  als  die  eines  Opfersteines;  und 
man  versteht  endlich,  wie  Jakob  in  Gen  28  denselben  Stein, 
den  er  zum  nächtlichen  Schlafe  benutzt  hatte,  durch  einfaches 


Abb.  21.     Felsallar  von  Ta'anach. 


Aufstellen    zur    Mas.sebe    machen    und    als    Opferstein    ge- 
brauchen kann. 

Die  Darreichung,  sei  es  durch  Hinstellen  der  Gabe,  sei 
es  besonders  durch  Ausschütten  von  Blut  oder  anderer  Flüssig- 
keit, ist  hier  augenscheinlich  die  Hauptbestimmung.  Wofern 
eine  Verwendung  als  Brandstätte  anzunehmen  ist,  müßte  sie 
wohl  als  sekundär  vorause-esetzt  werden. 


136  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

Kann  es  somit  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  schon  das 
palästinische  Altertum,  nicht  bloß  etwa  die  Gegenwart  oder 
die  jüngere  Vergangenheit  des  Landes,  denjenigen  Altar  oder 
Gottestisch  und  demgemäß  diejenige  Art  des  Opfers  gekannt 
hat,  bei  denen  nicht  die  Verbrennung,  sondern  die  Gabe  an  die 
Gottheit,  besonders  die  des  Blutes,  die  Hauptsache  war,  so 
treten  natürlich  auch  die  wenigen  oben  besprochenen  bibli- 
schen Vorschriften,  die  uns  das  Vorhandensein  solcher  Ver- 
ehrungsstätten ihrem  Wortlaute  nach  nahelegen,  in  ein  neues 
Licht  für  uns.  Nicht  allein  wird  durch  den  Ausweis  der 
Denkmäler  der  Vergangenheit,  die  der  Erdboden  uns  erhalten 
hat,  jener  oben  ermittelte  exegetische  Befund  in  betreif  der 
Heiligtümer  von  Ophra  in  Rieht  6  sowie  von  Eicht  13  und 
1  Sam  14  vollauf  bestätigt,  sondern  wir  wissen  nun  weiter 
auch,  wie  wir  tatsächlich  jene  Opfertische  uns  vorzustellen 
haben  werden:  den  Stein  Sauls  in  der  Weise  des  Steines  von 
Schech  Mufleh  oder  Marmita  oder  auch  des  Schlangensteins 
im  Kidrontale  oder  des  Steines  bei  Bet-semes,  den  Felsen 
Gideons  in  der  Weise  der  Felsplatten  und  Felskuppen  von 
Geze]'  oder  Teil  Säfi,  von  Ta'anach  und  Megiddo,  oder  auch 
des  heiligen  Felsen  ,von  Jerusalem. 

Aber  wir  haben  zugleich  von  der  so  erlangten  Erkenntnis 
einen  weiteren  Gewinn.  Steht  einmal  fest,  wie  die  uns  ge- 
nauer beschriebenen  Verehrungsstätten  ältester  Zeit  in  Kanaan 
ausgesehen  haben  und  welcher  Art  die  hier  geübte  Gottes- 
verehrung war,  so  können  wir  andere  verwandter  Art  nach 
diesen  Analogien  zu  deuten  suchen. 

Wir  wissen,  daß  inMispa  unweit  Jerusalem  eine  solche 
Verehrungsstätte  Jahwes  stand.  Samuel  hat  dort  geopfert;  in 
späteren  Zeiten  hat  der  Ort  geradezu  zeitweilig  Jerusalem 
vertreten,  und  heute  noch  haftet  in  der  Überlieferung  der 
Name  des  Profeten  Samuel  an  dem  Orte,  er  heißt  Nebi  Samwll. 
Wenigstens  bleibt  es  trotz  aller  Gegengründe,  die  gelegentlich 
geltend  gemacht  wurden,  immer  wieder  das  Wahrscheinlichste, 
daß  der  stolz  auf  der  Höhe  in  beherrschender  Lage  dort  auf- 
gebaute Ort  das  alte  Mispa,  die  Warte,  war.  Doch  können 
wir  die  topographische  Streitfrage  hier  ruhig  beiseite  lassen, 
denn  eine  der  einstigen  Opferstätten  der  Umgegend  Jeru- 
salems hat  unter  allen  Umständen  hier  gestanden. 


7.  Fortsetzung.    Heilige  Felsplatten  an  geschieht!,  wichtigen  Orten.     137 

Wer  den  Ort  betritt,  wird  erstaunt  sein,  ziemlich  am 
nördlichen  Ende  des  Hügels,  etwas  unterhalb  des  Gipfels, 
neben  manchen  andern  Spuren  hohen  Altertums  ^  eine  ebene 
Felsterrasse  mit  herrlichem  Ausblick  ins  Land  vorzufinden, 
die  ganz  und  gar  den  Eindruck  macht,  die  alte  Kultusstätte 
von  Mispa  (Abb.  22)  gewesen  zu  sein.  Es  ist  eine  stattliche 
Felsplatte,  im  Norden  mit  mehreren  rundlichen  Löchern  ver- 
sehen, gegen  Süden  mit  einer  größeren  ziemlich  regelmäßigen 
Vertiefung  ausgestattet.  Am  Südwestende  führen  einige  in  den 
Fels  gehauene  Stufen  zur  Terrasse  herauf,  während  das  übrige 


Abb.  22.    Kultusstätte  von  Mispa. 


Südende  zum  größeren  Teile  durch  einen  etwa  1  m  hohen  Auf- 
satz ausgefüllt  wird. 

Der  Aufsatz  macht  den  Eindruck  eines  langen  Tisches. 
Es  mag  der  Schlachtsein  der  alten  Höhe  von  Mispa  sein,  viel- 
leicht auch  der  Tisch  zum  Hinstellen  der  Gaben.  Die  Löcher 
sind  die  Schalen  für  Blut,  Öl  und  andre  Flüssigkeit.  Die 
zwei  kleineren  scheinen  heute  durch  den  Felsen  durchzugehen 
und  könnten  also  auf  eine  darunter  liegende  Zisterne  führen. 
Wenn  sie  allezeit  so  tief  gingen,  so  können  sie  zum  Schöpfen 
von  Wasser  gedient  haben,  wobei  man  sich  dessen  erinnern 

1)  Besonders  rechts  der  Terrasse  ist  —  heute  durch  ein  Bauern- 
gehöft zum  Teil  verdeckt  —  eine  alte  Anlage  wahrzunehmen. 


138  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

darf,  daß  gerade  Mispa  in  1  Sam  7  6  als  eine  der  wenigen 
Stätten  genannt  wird,  wo  uns  eine  Wasserlibation  genannt 
wird:   „sie  schöpften  Wasser  und  gössen  es  vor  Jahwe  aus". 

Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  haben  wir  hier  die  altkana- 
anäische  Höhe  von  Mispa  vor  uns.  Wenn  Samuel  oder  Israeliten 
vor  ihm  hier  opferten,  so  werden  sie  vermutlich,  der  israeli- 
tischen Weise  gemäß,  einen  Altar  hier  errichtet  haben.  Der 
Altar  ist  verschwunden,  die  Stätte  blieb. 

Eine  kurze  Wegstrecke  nordöstlich  von  Nebi  Samwil, 
durch  ein  Tal  von  ihm  getrennt,  liegt  ebenfalls  auf  einer  statt- 
lichen, einen  freien  Ausblick  gewährenden  Anhöhe  das  Dörf- 
chen el-Dschlb  (auch  esch-schib  gesprochen).  Man  erkennt  in 
ihm  gerne  das  alte  Gibeon  (115^23).  Kampffmeyfr ^  hat  gegen 
die  Gleichung  den  gewiß  nicht  zu  verachtenden  EiuAvand  er- 
hoben, daß  das  Schwinden  des  hebräischen  y  sich  sonst  nicht 
belegen  lasse,  man  also  wohl  in  el-Dschib  eine  Ortschaft  wie 
Gebiiu  suchen  müsse.  Doch  ist  dieses  Bedenken  kaum  zwin- 
gender Art  2. 

Dieses  Gibeon  ist  nun  eine  der  wichtigsten  vorisraelitisch- 
kanaanäischen  Ansiedelungen  in  der  Nähe  Jerusalems  gewesen. 
Seine  natürliche  Festigkeit  —  es  baut  sich  auf  merkwürdigen 
natürlichen  Felsterrassen  auf  —  machte  es  schon  vor  dem 
Eindringen  der  Israeliten  zum  starken  Mittelpunkt  einer  Ver- 


1)  ZDPV  XVI  (1893)  S.  26  ff.  Über  die  Identität  mit  Gibeon  vgl. 
schon  Kobinson  Paläst.  II,  353  f. 

2)  Im  Vulgärarabischen  hört  man  je  und  dann  wenig  oder  nichts 
mehr  von  ihm;  gelegentlich  verliert  es  sich  ganz,  vgl.  mälcs  (aus  mä^alch  s) 
„es  macht  nichts",  kuböaji  =  T'J'z'p.  (vgl.  hebr.  133^13^2).  Vielleicht 
erklärt  sich  so  auch  Ba^ilbek  =  der  Baal  der  Biqa.  An  ein  Sonnenheilig- 
tum der  Bik'a  denkt  wohl  auch  Am  1  5  mit  seinem  "ix  ri"p3  (awen  für 
^on).  Es  wird  das  syrische  HeJiopotis  sein  und  sein  Sonnengott  ist  der 
Ba'al  der  nspD.  Zum  Übergang  von  p  zu  3  vergl.  Worte  wie  kubbaji, 
kelb  Herz  für  helb^  kahkvr  für  kahkur  (vgl.  Clerm.-Ganneau,  Arch.  ßese- 
archs  II,  33)  und  die  vielfache  fellachische  und  vulgäre  Aussprache  des  k, 
die  nicht  nur  zu  ",  sondern  auch  zu  g  wird,  und  so  gelegentlich  auch 
zu  k.  Vgl.  LöHR,  Der  vulgärarab.  Dialekt  von  Jerusalem  (1905)  S.  5. 
[Doch  kennt  der  Talmud  ein  ""m  hvi  =  Ba'al  des  Weinens  (für  Ba'al  der 
Freude?)  (K.)].  Wem  die  Schwierigkeiten  zu  groß  dünken,  der  mag  mit 
Kampffmeyer  a.  a.  O.  ein  Gebim  hier  suchen  (aber  nicht  das  von  Jes. 
10  3i),  und  G.  als  Zuname  zu  Gibeou  ansehen :  „Gibeon  mit  den  Zisternen". 


7.  Fortsetzung.     Heilige  Felsplatten  an  geschieh tl.  wichtigen  Orten.     139 

einigung  von  kanaanäischen  Orten  der  Umgegend  K  Auch  wissen 
wir,  daß  es  den  Bewohnern  von  Gibeon  gelang,  noch  tief  in 
die  königliche  israelitische  Zeit  hinein  mitten  im  Gebiete  Is- 
raels ihre  politische  Selbständigkeit  und  ihre  religiöse  Eigen- 
art zu  behaupten.  Einen  Versuch  Sauls,  an  sie  zu  rühren, 
mußte  auf  Verlangen  der  hartnäckigen  Bewohner  Gibeons  noch 
David  blutig  ahnden:  „vor  Jahwe"  zu  Gibeon,  d.  h.  auf  der  Höhe 
des  Ortes,  mußte  er  ihnen  die  Nachkommen  Sauls  zu  schimpf- 
licher Tötung  (halb  Opferung)  preisgeben  ~.  Immerhin  war  nun 
die  Höhe  jahwistisch  geworden.  Und  sie  ist  als  solche  bald 
zu  besonderem  Ansehen  gelangt.  Salomo  soll  hier,  ehe  er 
seinen  Tempel  erbaut  hatte,  gewaltige  Hekatomben  geopfert 
haben;  auch  soll  ihm  hier  das  Traumgesicht  zuteil  geworden 
sein,  das  ihm  Reichtum,  Ehre  und  Leben  anbot  ^. 

Noch  heute  macht  das  abseits  vom  Wege  liegende  und 
trotz  der  Nähe  Jerusalems  selten  von  Fremden  besuchte  Dörf- 
chen einen  überaus  altertümlichen  Eindruck.  Betritt  man 
einzelne  Hütten  der  Bewohner,  so  gewinnt  man  mehrfach  den 
Eindruck,  als  könnte  man  sich  in  der  Behausung  eines  alt- 
israelitischen, ja  altkanaanäischen  Gibeoniten  befinden.  An 
Bau  und  Einrichtung  der  Hütte  wie  an  Lebensart  und  Ge- 
bahrung  der  Bewohner  scheinen  die  Jahrhunderte  so  gut  wie 
spurlos  vorübergegangen  zu  sein.  Das  ist  an  sich  nichts  Be- 
fremdliches, wohl  aber  nur  wenig  Wegstunden  vor  den  Toren 
der  Hauptstadt  immerhin  überraschend. 

Dem  entspricht  nun  auch  die  Kultusstätte.  Sie  führt  noch 
heute  den  eine  heilige  Stätte  bezeichnenden  Namen  Diakain 
und  soll  zu  Gemeindeversammlungen  der  Einwohner  benutzt 
werden.  Im  Süden  des  heutigen  Dorfes,  ebenfalls  etwas  unter- 
halb des  Gipfels  des  Hügels,  am  südlichen  Ende  von  einem 
mächtigen  ehrwürdigen  Maulbeerfeigenbaum  beschattet,  dehnt 
sich  eine  stattliche  Felsplatte  oder  Felsterrasse  (Abb.  23)  mit 
einer  größeren  Anzahl  kleinerer  und  größerer  Vertiefungen. 
Die  eine,  aus  zwei  konzentrischen  Kreisen  bestehende  scheint 


1)  Vgl.  Jos  9  17  lOi-u. 

2)  2  Sam  21,  1  ff.  (s.  u.).    Auch  sonst  spielen  sich  blutige  Ereignisse 
der  Geschichte  Davids  hier  ab,  vgl.  2  Sara  2  12-32  20  8-12. 

3)  1  Kön  3  4-15. 


140 


Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 


einer  Zisterne  zu  dienen,  die  mit  einem  unter  dem  Felsen  sich 
hinziehenden  Wasserlauf  in  Verbindung  steht.  Doch  erinnert 
sie  andrerseits  zu  stark  an  die  von  Schuhmacher  beschriebenen 
kreisförmigen  Altarlöcher  zur  Aufnahme  des  Opferblutes,  auch 
an  das  gleichartige  Felsgebilde  in  Petra  \  als  daß  man  nicht 
auch  hier  am  liebsten  an  die  eigentliche  Schlachtstätte  dächte. 
Ein  seitlicher  Gang  im  Felsen  leitet  das  Wasser  in  eine 
1 — 2  m  lange  und  etwa  ebenso  breite  Grube.   Gerne  würde  ich 


-Zöfi^  zum 
Mfluss 


Abb.  28.    Kultusstätte  von  Gibeon. 


genauere  Maße  der  interessanten  Stätte  mitteilen,  allein  die  sonst 
sehr  entgegenk,ommenden  Bewohner  waren  schon  durch  die  rohe, 
von  mir  nach  flüchtigem  Augenmaß  in  mein  Notizbuch  gezeich- 
nete Bleistiftskizze  so  mißtrauisch  geworden,  daß  sie  mit  der 
Bemerkung:  „Ihr  Christen  sollt  uns  dies  Land  lassen;  das  ist 
unser  Land,  ihr  dürft  es  nicht  abzeichnen!"  mich  zwangen 
Buch  und  Stift  einzustecken.  Ein  Versuch  genauerer  Messung, 
der  gewiß  unter  andern  Umständen  keine  Schwierigkeit  hat, 


1)  Für  beide  s.  Curtiss  a.  a.  0.  S.  272f. 


7.  Fortsetzung.    Heilige  Felsplatten  an  geschichtl.  wichtigen  Orten.     141 

war  für  mich  unbedingt  ausgeschlossen.  In  der  Nähe  der 
konzentrischen  Kreise  gegen  das  nördliche  Ende  hin  finden 
sich  mehrere  zum  Teil  jedenfalls,  wo  nicht  durchweg,  künst- 
liche Vertiefungen,  ein  tiefes  viereckiges  und  mindestens  fünf 
runde  oder  rundliche  Löcher,  zum  Teil  von  stattlicher  Tiefe. 
Desgleichen  ist  in  den  Felsboden  außerhalb  der  Terrasse  ein 
großes  Loch  (für  eine  Zisterne?)  gegraben.  Die  Löcher,  be- 
sonders die  tieferen,  machten  mir  schon  an  Ort  und  Stelle 
durchaus  den  Eindruck,  daß  sie  außer  zur  Aufnahme  von 
Flüssigkeit  zum  Einstellen  von  Masseben  und  Ascheren  dienen 
konnten.  (Auch  die  viereckige  Vertiefung  zwischen  den  Mas- 
seben in  Gezer  könnte  man  vielleicht  ähnlich  deuten  i.)  Die 
durch  Vincent  inzwischen  veröffentlichte  Skizze  einer  solchen 
Kultusstätte'-  hat  mich  darin  nur  bekräftigt.  Weiter  gegen 
das  Innere  der  Felsplatte  stehen  noch  zwei  viereckige  Löcher 
verschiedener  Größe,  durch  einen  schmalen  Gang  verbunden, 
daneben  ein  rundes  und  ein  weiteres  viereckiges.  Irre  ich 
nicht,  so  erklärten  die  Bewohner,  die  zwei  verbundenen  dienen 
ihnen  heute  als  Olivenpresse.  Es  ist  möglich,  daß  sie  erst 
später  zu  diesem  Zwecke  angelegt  sind.  Doch  können  sie 
auch  ihren  Gebrauch  gewechselt  haben. 

Es  ist  kein  Zweifel,  daß  hier  die  „große  Höhe"  stand, 
auf  der  Salomo  seine  großen  Opfer  darbrachte.  Dann  beher- 
bergte sie  einen  großen  Altar'*,  der,  weil  erst  nachträglich  hier 
erbaut,  auch  im  Laufe  der  Zeit  wieder  verschwinden  konnte. 
An  Wasser  für  große  Opfer  fehlte  es  nicht.  Aber  die  ür- 
gestalt  der  Stätte  stellt  die  salomonische  Opferhöhe  nicht  dar. 
Die  uralt  kanaanäische  Stadt  hatte  zweifellos  auch  eine  kana- 
anäische  Opferstätte  derselben  Art,  wie  wir  sie  bislier  kennen 
lernten.  Und  sie  ist,  so  werden  wir  vermuten  dürfen,  nachdem 
der  Altar  im  Lauf  der  Zeit  abgebrochen  wurde,  geblieben  und 
zeigt  uns  in   der  Hauptsache  heute  noch  ihre  erste  Gestalt"*. 

1)  Doch  s.  oben  S.  131  f.;  die  Stelle  neben  den  andern  Masseben 
spricht  hier  für  eine  andere  Erklärung.  2)  s.  oben  S.  106  A.  4. 

3)  Auch  von  einem  „großen  Stein"  bei  Gil)eon  ist  2  Sm  20  8  die  Rede. 
Aber  der  Zusammenhang  widerrät  die  Annahme  (so  z.  B.  v.  Gall,  Altisr. 
Kultusstätten  91),  daß  er  auf  der  Bama  stand.  Das  Heer  wird  schwerlich 
den  Hügel  bestiegen  haben,  sondern  zog  wohl  am  Fuße  vorüber, 

4)  Vom  Interesse  ist  auch  die  Schilderung  in  2  Sm  21  9f.:  David 
Inßt  7  AbköTumlinge  Sauls   an    die  Gibeoniten    ausliefern,    die  sie  „vor 


142  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

Ein  hocliinteressantes  Beispiel  dieser  Art  findet  sich  bei 
Tell-el-Mutesellim,  dem  alten  Megiddo,  das  die  neuesten 
Ausgrabungen  des  deutschen  Palästinavereins  uns  wieder  er- 
schlossen haben.  Ich  besuchte  den  Ort  zu  Anfang  April  1907. 
Wieder  nicht  auf  dem  Gipfel  des  Hügels,  sondern  etliche 
20  Meter  unterhalb,  gegen  die  Jesreelebene  hin,  dehnt  sich 
eine  Felsterrasse  von  stattlicher  Größe  und  unregelmäßiger 
Gestalt.  Man  steigt  mehrfach  auf  Stufen  zu  einem  etwas 
höheren  Teile  des  Ganzen  empor,  dazwischen  linden  sich 
wieder  natürliche  Einsenkungen  und  unter  dem  Ganzen  oder 
Teilen  von  ihm  zieht  sich  eine  Höhle  hin.  Da  eine  eingehende 
Publikation  über  Megiddo  durch  den  trefflichen  Dr.  Schuh- 
macher in  Haifa  in  naher  Aussicht  steht,  konnte  ich  mich 
auch  hier  mit  der  Aufnahme  einer  nur  die  mich  interessieren- 
den Haupterscheinungen  zur  Darstellung  bringenden  Skizze 
(Abb.  24)  begnügen.  Sie  macht  auf  Genauigkeit  im  einzelnen 
keinen  Anspruch  und  wird  wohl  durch  die  bevorstehende  Ver- 
öffentlichung mehrfach  berichtigt  werden;  mir  kommt  es  nur 
auf  den  Charakter  des  Ganzen  und  die  Analogie  mit  den 
bisher  besprochenen  Erscheinungen  an. 

Die  Felsplatte  hat  am  meisten  Ähnlichkeit  mit  dem  jebu- 
sitischen  Sachraheiligtum  in  Jerusalem.  Aus  diesem  Grunde 
nenne  ich  sie  hier  auch  besonders.  Das  uns  nun  reichlich 
bekannte  System  von  Löchern  für  Opferzwecke  und  Aufnahme 
von  Kultusemblenien  wird  hier  wie  dort  begleitet  von  einem 
System  von  Zugängen  zur  unterirdischen  Höhle.  Ob  dieselbe 
direkt  zur  Verehrung  chthonischer  Gottheiten  oder  zu  Wohn- 
zwecken oder  etwa  nur  zur  Beseitigung  der  Schlachtreste 
diente,  konnte  ich  nicht  feststellen.  Es  ist  zu  hoffen,  daß  die 
in  Aussicht  stehende  Veröffentlichung  uns  auch  darüber  näheren 
Aufschluß  geben  werde.  Doch  ist  das  Erstere  an  sich  und 
nach  der  Analogie  der  in  Gezer  gefundenen  Beste  von  Höhlen- 
kulten wahrscheinlich. 

Vorläufig  ist  zu  vergleichen,  was  Schühmachee  in  seinem 
bisher  veröffentlichten  Berichte  mitteilt:  „Auf  der  Nordterrasse, 


Jahwe  auf  dem  Berge"  ums  Leben  bringen.  „Aber  Ri.spa,  die  Tochter 
Ajas,  nahm  ihr  Trauerkleid  und  machte  sich  daraus  ein  Lager  auf  dem 
Felsen  zurecht  .  .  .,  so  daß  die  Vögel  und  das  Wild  sich  nicht  an  sie 
machen  konnten".    Der  "si::  ist  unsre  Felsplatte. 


7.  Fortsetzung.    Heilige  Felsplatten  an  geschichtl.  wichtigen  Orten.     143 

am  Fuße  des  Teil,  stießen  wir  schon  in  einer  Tiefe  von  0,60 
bis  0,80  m  auf  einem  großen  Felsaltar  mit  zahlreichen  runden 
und  ovalen  Löchern  und  Schalen  von  10  bis  40  cm  im  Durch- 


Abb.  24.  Kultiisstätte  von  Megiddo. 


messer,  15  bis  60  cm  Tiefe.  Darunter  befindet  sich  ein  in 
Kreuzform  aus  dem  Naturfelsen  ausgehauener,  mit  Erde  ange- 
schwemmter Raum,  der  einst  als  Grabstätte  oder  als  Wohnraum 
diente^ . . ."     „Außer  einem  runden,  gewundenen,  engen  Fels- 

1)  MuN  1906,  S.  12. 


144  Kittel,  Studien.     II.  Der  primitive  Felsaltar. 

eingang  fanden  wir  südlich  eine  zweite  bequemere,  wenn 
auch  niedere  Tür,  die  zu  dem  unterirdischen  Raum  führte. 
Soweit  es  der  brüchige  weiße  Senon  erlaubte,  ließ  ich  ihn 
freilegen  und  fand  ein  unregelmäßiges  mittleres  Gemach  von 
etwa  5,50  bei  2,20  m  im  Geviert  und  von  1,95  m  Höhe,  an  den 
Seiten  zwei  aus  dem  Felsen  gehauene  Kammern  .  . .  Die  Wände 
waren  mit  Lehm  verputzt.  Über  der  Mitte  des  Raumes  öffnet 
sich  in  der  Felsdecke  ein  Luftloch  von  0,60  m  Weite  . . .  Der 
Höhlenraum  war  wohl  eine  Wohnung,  da  sich  in  den  Wänden 
Lampenlöcher,  15  cm  weit,  vorfinden  i." 

Um  die  Mitte  des  Monats  März  1907  unternahm  ich  eine 
Zeltreise  durch  einen  Teil  des  alten  Moab  und  der  Belka. 
Die  Gegend  ist  ganz  besonders  reich  an  Dolmen  2,  Cromlechs 
und  ähnlichen  Resten  vorgeschichtlicher  Zeit.  Da  sie  von 
Schuhmacher  in  ZDPV  XVI,  162  ff.,  auch  von  Dalman  MuN 
1900,  21  ff.  neuerdings  beschrieben  sind,  gehe  ich  darauf  nicht 
näher  ein  3. 

Auf  dem  Berg  Sijägha,  einem  Hauptgipfel  der  Nebo- 
gruppe,  den  ich  um  seiner  herrlichen  Aussicht  willen  trotz 
der  Versuche  der  boshaften  Belkawije-Beduinen,  die  Besteigung 
zu  hintertreiben,  an  einem  prachtvollen  Frühlingsabend  von 
den  'ajün  Müsa  aus  bestieg,  fand  ich  die  Ruinen  der  von 
Schuhmacher  unter  dem  Widerspruch  der  Beduinen  wenigstens 
teilweise  aufgenommenen  alten  Kirche.  Man  hat  zweifellos, 
wie  schon  die  Nähe  der  Mosequellen  zeigt,  auch  hier  einmal 
den  echten  Nebo  gesucht^. 

1)  Ebenda  S.  66. 

2)  Da  die  Dolmen  zweifellos  z.  T.  Gräber  sind  (s.  den  Nachweis  bei 
Schuhmacher  MuN  1899,  39),  so  können  auf  ihnen  die  Schalen  auch  dem 
Tränken  der  Toten  gelten.  Noch  heute  ist  auf  muslimischen  Gräbern 
vielfach  eiue  Wasserschale  zu  sehen.    S.  oben  S.  124. 

3)  Vgl  jetzt  auch  Musil,  Arabia  Petraea  I  (1907),  S.  271flf.  334flF. 
340ff.  Schöne  Abbildungen  von  Dolmenfeldern  S.  267 ft'.  Musil  hat  nir- 
gends künstliche  Vertiefungen  gefunden;  das  ist  möglich,  beweist  aber 
nicht  gegen  ihr  Vorhandensein  —  ebensowenig  als  der  Umstand,  daß 
er  keine  Spuren  von  Gräbern  fand,  gegen  deren  Vorhandensein  spricht; 
s.  die  vorige  Anm. 

4)  Es  ist  wohl  möglich,  daß  er  in  Wahrheit  dem  Pisga  entspricht, 
wo  man  Moses  Grab  ebenfalls  suchte:  Dt  3  27  34 1.  Jedenfalls  trug  er 
eine  altheilige  Stätte,  denn  Bileam  errichtet  auch  hier  Altäre:  Nu  in  23  i4. 
Vgl.  Driver,  Deuteron.  418  ff.,  v.  Gali.,  altisr.  Kultusst.  151  f. 


7.  Fortsetzung.     Heilige  Felsplatten  an  geschichtl.  wichtigen  Orten.     145 

Ich  kann  nur  unters clireiben,  was  Schuhmacher  a.  a.  0. 
S.  168  schreibt:  „Die  Gegend  zwischen  Ijesban,  mädaba,  nebä 
und  '^ajfin  vinsa  ist,  was  die  uralten  Reste  aus  heidnischer 
Zeit  anlangt,  noch  unberührt  und  daher  der  Untersuchung 
umsomehr  wert.  Wer  Studien  über  Dolmen,  Cromlechs,  Men- 
hirs  und  Altäre,  über  in  Westpalästina  unbekannte  Beduinen- 
sitten und  Gebräuche,  Sprache  und  Überlieferungen  machen 
will,  der  begebe  sich  nach  der  Belka.  Mitl  el-belka  mä  telka, 
„Du  findest  kein  Land  wie  die  Belka",  sagt  der  Beduine,  und 
in  vieler  Hinsicht  mag  es  wahr  sein.  Allein  ebenso  urwüchsig 
ist  auch  die  Raub-  und  Beutesucht  der  Beduinen  Moabs." 


O   o 


o 


caSOcm 

Abb.  25.     Stein  vom  Berg  Sijägha  (Nebo). 

Unter  den  Trümmern  der  alten  christlichen  Kirche  fand 
ich  einen  rechtwinklig  zubehauenen  Stein  (Abb.  25),  etwa 
50  cm  lang  und  etwa  30  cm  breit  mit  9  Schalen  verschiedener 
Größe,  die  größte  etwa  15  cm  im  Durchmesser  und  etwa  8  cm 
tief,  die  zweitgrößte  von  etwa  8  cm  Durchmesser  und  ebenso- 
viel Tiefe.  Die  Schalen  haben  nicht  die  Verwitterung  des 
Gesteins  zur  Ursache,  sondern  nur  Menschenhand.  Woher 
stammen  sie? 

Es  besteht  die  Möglichkeit,  daß  die  Araber  sie  für  ihre 
Opferzwecke  eingemeißelt  haben.  Aber  immer  ist  zu  be- 
denken, daß  sich  nirgends  Blutspuren  oder  Spuren  einer 
neueren  Opferstätte  zeigten.  So  ist  die  Möglichkeit  nicht 
von  der  Hand  zu  weisen,   daß  der  Stein,   ehe  er  etwa  dem 

Kittel,  Beiträge.  10 


146  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

christlichen  Heiligtum  einverleibt,  überhaupt  in  die  heutige 
Form  gebracht  wurde,  vor  Zeiten  ganz  anderen  Zwecken 
diente.  Die  Ortslage  und  das  Vorhandensein  einer  christlichen 
Kirche  zeigen,  daß  man  hier  den  Moseberg  Nebo  suchte. 
Der  Name,  der  mit  dem  des  Gottes  "in?  identisch  ist,  und  die 
Existenz  der  Kirche  lassen  vermuten,  daß  hier  ein  altheid- 
nisches Heiligtum  des  Nebo  (oder  der  auf  dem  Pisga  verehrten 
Gottheit)  und  später  ein  israelitisches  Heiligtum  stände  Es 
ist  wohl  möglich,  daß  hier  ein  Stück  des  Opfersteines  sich 
erhalten  hat.  Um  der  Heiligkeit  der  Stätte  willen  wird  man 
ihn,  wie  den  hl.  Felsen  in  Jerusalem,  der  Kirche  einverleibt 
haben,  und  so  findet  er  sich  —  vielleicht  nicht  als  der  einzige 
Eest  derselben  —  heute  unter  den  Trümmern  der  Kirche  als 
ein  Zeuge  altheiliger  Vergangenheit  der  Stätte. 

8.    Der  Brandopferaltar. 

Deutliche  Spuren  des  Feueropfers  finden  sich,  soweit  ich 
die  Ausgrabungsberichte  übersehen  konnte,  erstmals  in  Megiddo. 
Hier  ist  nach  den  bisher  veröffentlichten,  wenn  auch  nur  erst 
vorläufigen  und  darum  summarischen  Berichten  von  Schuh- 
macher mehrfach  von  Opfergruben  mit  Asche,  Holzkohlen 
und  verkohlten  tierischen  Knochenresten  die  Rede.  Die  Gruben 
sind  keine  Altäre,  sie  deuten  aber  auf  Feueropfer  hin  und 
lassen  vermuten,  daß  sich  Altäre  in  ihrer  Nähe  befanden. 
Demgemäß  ist  denn  auch  in  demselben  Zusammenhange  ge- 
radezu von  einem  „Opferaltar"  die  Rede'-.  Er  soll  aus  drei 
senkrechten  Blöcken  und  einem  1,30  m  langen  Deckelstein 
nach  der  Art  der  Menhir  aufgebaut  gewesen  sein  und  „stand 
in  einer  ausgemauerten,  verputzten  Grube,  deren  Bodenpflaster 
sich  nach  einer  Basaltschale  im  Norden  zuneigte,  die  zur  Auf- 
nahme des  Opferblutes  gedient  haben  mag.  1  m  südöstlich  von 
diesem  Altar  öffneten  wir  eine  verputzte,  von  großen  Basalt - 
blocken  eingefaßte  Opfergrube  von  1,35  m  Weite  und  0,60  m 
Tiefe,  die  mit  Asche,  verkohlten  tierischen  Knochen  und  Holz- 


1)  Vgl.  die  Mesainschrift  Zeile  18:  Mesa  nimmt  den  Altar  Jahwes 
von  Nebo  weg  zum  Kemosch. 

2)  MuN  1905,  S.  10  f. 


8.  Der  Brandopferaltar, 


147 


kohlen  angefüllt  war.  Keiner  der  Steine  des  Altars  oder  der 
Grube,  mit  Ausnahme  der  Blutschale,  war  von  einem  Werk- 
zeug berührt"  K  Ein  zweiter  mit  Opfergrube  in  derselben  An- 
lage und  Bauart  nebst  einem  Kessel  mit  Brandspuren  und 
Aschenresten  und  zwei  Masseben  befindet  sich  8  m  weiter 
östlich. 

Hier  stoßen  wir  allerdings  auf  deutliche  Anzeichen  von 
Feueropfern    in    Verbindung    mit    Blutriten.      Den    letzteren 


Abb.  26.     Der  große  Altar  von  Ba'albek. 


dient  die  Blutschale;  sie  wird  das  Blut  des  Opfersteins  auf- 
genommen haben,  soweit  es  nicht  an  den  Altar  gesprengt 
oder  gegossen  oder  an  die  Masseben  gestrichen  wird.  Der 
Altar  selbst  stellt  die  einfachste  Form  des  Steintisches  ohne 
menschliches  Werkzeug  dar;  die  Opfergrube  dient  zur  Auf- 
nahme der  halbverbrannten  und  verkohlten  Beste  des  Brand- 
opfers. 

Es  verdient  Beachtung,   daß   dieser  Altar,  in   dem  wir 
ohne  Zweifel  das  Urbild  des  Brandaltars  sehen  dürfen,  genau 


1)  Ebenda  S.  11  f. 


10  = 


148 


Kittel,  Studien.    IL  Der  primitive  Felsaltar. 


den  Forderungen  des  Altargesetzes  von  Ex  20  24  ff.  entspricht, 
obwohl  es  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich  ist,  daß  er 
bereits  einer  vorisraelitisch-kanaanäischen  Periode  entstammt; 
ferner,  daß  auch  dieser  Altar  wie  der  von  Ex  20  24  0".  augen- 
scheinlich noch  nichts  von  den  sonst  im  AT  so  vielfach  be- 
tonten „Hörnern"  weiß.  Der  Altar  wird  etwa  in  die  Mitte 
des  zweiten  Jahrtausends  vor  Chr.  —  eher  früher  als  später  — 
zu  verlegen  sein. 


Abb.  2(.     Der  o-roße  Altar  von  Ba'albek. 


Außerdem  sind  noch  an  zwei  anderen  Stellen  des  alten 
Megiddo  '  Spuren  von  Kultusstätten  mit  Feueropfern  zutage 
getreten.  Es  handelt  sich  beidemale  um  die  Zeit  etwa  des 
13.  Jahrhunderts  vor  Chr..  somit  für  Megiddo  vermutlich  um 
die  letzte  kanaanäische  Zeit.  Aber  leider  erfahren  wir  über 
den  etwaigen  Altar  dieser  Schicht  nichts;  wir  wissen  nur, 
daß  die  eine  dieser  Stätten  später  durch  eine  israelitische 
Massebenstätte  ersetzt  worden  ist.   sowie  daß   in  den  Weih- 


1)  MuN  lOOG,  S.  48.  55. 


8.  Der  Brandopferaltar.  149 

gesclienken  jener  alten  Zeit  die  Opferschale  für  Eäucherwerk, 
also  das  Räucheropfer  eine  nicht  unbedeutende  Rolle  gespielt 
haben  muß. 

Vergleicht  man  mit  dem  oben  beschriebenen  Altar  von 
Megiddo  die  ohne  Zweifel  zu  Brandopferzwecken  dienenden 
Altäre  von  Ba'albek  und  Petra,  so  kann  kein  Zweifel  darüber 
aufkommen,  daß  wir  es  hier  mit  viel  späteren  Gebilden  zu 
tun  haben.  Beide  Altäre  werden  ja  erheblich  älter  sein  als 
ihre  Umgebung;  es  besteht  für  Ba  albek  (Abb.  26  und  27)  die 
größte  Wahrscheinlichkeit,  daß  wir  in  seinem  stattlichen  Altar 
in  der  Hauptsache  den  Brandopferaltar  des  phönikisch-kana- 
anäischen  Ba'al  der  coelesyrischen  Bik'a  vor  uns  haben  K  Eben- 
so werden  wir  in  Petra  (Abb.  28  u.  29)  eine  altedomitisch-kana- 
anäische  Altaranlage  vor  uns  haben,  die  von  den  Nabatäer- 
fürsten  wohl  vielleicht  erweitert,  schwerlich  aber  geschaffen 
ist.  Insofern  können  beide  Altäre  sowohl  für  das  Verständnis 
des  spätkanaanäischen  und  phönikischen  Brandaltars  als  für 
das  des  Altars  der  israelitisch-judäischen  Königszeit  oder  auch 
der  jüdischen  Restaurationsperiode  wichtige  Dienste  leisten  ^, 
aber  für  den  primitiven  Altar,  der  uns  hier  beschäftigt,  werden 
sie  kaum  zu  verwerten  sein. 


1)  Zu  Abb.  26  mache  ich  besonders  auf  die  Seitenstufen  oben  neben 
den  Hauptstufen  aufmerksam.  Sie  dienten  vielleicht  dem  Standort  des 
Priesters  (vgl.  Abb.  11).  Außerdem  erinnert  mich  Hommel  daran,  daß 
die  Stufen  genau  die  Zahl  sieben  darstellen  und  daß  die  unterste,  welche 
seiner  Ansicht  nach  die  Erde  versinnbiMlichen  soll,  erheblich  höher  ist 
als  die  andern.  An  eine  Doppeltreppe,  die  in  manclien  Eekonstruktions- 
versuchen  des  Altars  eine  Rolle  spielt,  kann  ich  nicht  recht  glauben.  — 
Zu  Abb.  27  bemerke  ich,  daß  die  Höhe  ungefähr  der  des  Altars  der 
Mischna  (s.  oben  S.  79 ff.)  entspricht  und  daß  auch  der  Grund  {Jesöd)  deut- 
lich zu  erkennen  ist.  Ebenso  sieht  man  unten  am  Altar  V2— ^m  di  über 
der  Erde  eine  Anzahl  Löcher  im  Steine.  Es  sind  wohl  die  Spuren  da- 
von, daß  hier  einst  Ringe  zum  Anbinden  der  Opfertiere  eingelassen 
waren.  Ahnliche  Löcher  sind  oben  auf  der  Ebene  gegen  außen  wahrzu- 
nehmen. Sie  können  zum  Teil  auf  die  Araber  zurückgehen,  die  hier 
Pfosten  für  ihre  Hütten  einsetzten;  zum  Teil  aber  werden  sie  alt  sein 
und  auf  ein  Geländer,  das  hier  umlief,  deuten.  Bei  einigen  der  obern 
Löcher  möchte  man  auch  an  Rinnen  zum  Abschluß  des  Blutes  nach 
außen  denken,  doch  kann  bei  der  Gewaltsamkeit,  mit  welcher  die  Araber 
gehaust  haben,  der  Schein  trügen.  —  Zum  Namen  vgl.  S.  13S  A.  2. 

2)  S.  darüber  in  der  Abhandlung  über  den  heiligen  Fels  von  Jeru- 
salem. 


150 


Kittel,  Studien.     II.  Der  primitive  Felsaltar. 


Wie  wir  uns  die  Entwicklung  des  Brandaltars  selbst  vor- 
zustellen haben,  kann  nach  dem,  was  wir  über  die  allmähliche 
Gestaltung  des  israelitischen  Altars  ermitteln  können,  nicht 
zweifelhaft  sein.  Der  rohe  Erd-^  oder  Felsentisch  weicht 
mehr  und  mehr  einem  künstlicheren  Aufbau.    Mit  dem  Fort- 


glR..  . 


-vbl).  28.     Der  Altar  von  Petra 


schritt  der  Kultur  und  den  höheren  Ansprüchen  an  Technik 
und  Kunst  begnügt  man  sich  trotz  der  alten,  durch  Sitte  und 
Satzung  geheiligten  Abneigung  gegen  Kunstaltäre  nicht  mehr 
mit  der  einfachsten  Form.  Man  beginnt  mit  Stein-  und  Erz- 
aufsätzen,   die   auf   den  Naturfels    aufgestellt   werden,    und 

1)  Erdaltäre  lassen  sich  begreiflicherweise  nicht  nachweisen,  haben 
aber  nach  Ex  20  24  ohne  Zweifel  bestanden. 


8.  Der  Brandopferaltar.  15t 

schreitet  zu  Quaderbaiiten  von  stattlicher  Höhe  mit  Stiifen- 
aufgängen  oder  zu  kunstvoll  aus  dem  Felsen  herausgemeißelten 
Altären  fort.  Beispiele  bieten  der  Altar  des  Ahas  in  Jeru- 
salem \  der  Altarentwurf  Ezechiels  und  die  Altäre  von  Ba'al- 
bek  und  Petra. 

Von  hier  aus  wird  es  uns  nun  auch  nicht  schwer  werden, 
sowohl  das  Aufkommen  des  Feueropfers  auf  dem  Boden 
Palästinas  und  die  mit  ihm  im  Zusammenhang 'stehenden  Wand- 


Abi).  JU.    Der  Altar  vou  Petrii. 

hingen  der  Opferpraxis,  als  besonders  die  Entstehung  der  ihr 
entsprechenden  Gottesanschauung  näher  zu  beleuchten. 

Wir  haben  uns  zunächst  dessen  zu  erinnern,  daß  wir  als 
die  älteste  Praxis  des  Opfers  auf  dem  Boden  Palästinas  das 
Hinreichen  von  Gaben  und  besonders  das  Ausgießen  von  Blut 
und  Flüssigkeit  auf  den  natürlichen,  mit  Löchern  als  Opfer- 
schalen versehenen  Felsboden  ermittelt  haben.  Mehrfach  ist 
der  Fels  unterhöhlt  und  es  führen  in  die  unter  ihm  liegende 
Höhle  nicht  nur  Stufen,  sondern  auch  Öffnungen,  Eitzen  und 

1)  tS.  S.  149  Anm.  2.  Auch  die  Einschnitte  oben  (vgl.  Abb.  28) 
gehören  hierher. 


j^52  Kittel,  Studien.     II.  Der  primitive  Felsaltar. 

Löcher  von  oben,  so  daß  angenommen  werden  kann,  daß  die 
Flüssigkeit  durch  sie  in  die  Höhle  gegossen  wurde.  Das  führt 
auf  den  Glauben  an  Erdgeister,  die  in  der  Höhle  ihre  Woh- 
nung haben,  in  derselben  Weise  wie  die  ältesten  Bewohner 
Palästinas  vielfach  in  den  zahlreichen  Höhlen  des  Landes  als 
ihren  primitivsten  Wohnstätten  hausten. 

Die  Ausgrabungen  an  den  verschiedenen  Punkten  Pa- 
lästinas im  Zusammenhang  mit  dem,  was  wir  über  die  älteste 
Geschichte  des  Landes  wissen,  machen  es  wahrscheinlich,  daß 
die  älteste  Besiedelung  des  Landes,  die  mit  der  Benutzung  des 
Terrains  unmittelbar  unter  und  über  dem  Naturfels  zusammen- 
fällt, uns  tief  in  das  3.  Jahrtausend  vor  unserer  Zeitrechnung 
(jedenfalls  2500—2000,  wo  nicht  3000-2500  v.  Chr.)  hinauf- 
führt. Das  ist  die  Zeit  der  Höhlenbewohner  und  der  An- 
betung von  Erdgeistern  durch  sie  auf  dem  durchlöcherten 
Naturfels  als  dem  primitivsten  Naturaltare. 

Ob  wir  jene,  soweit  wir  bis  jetzt  sehen  können,  ersten 
Bewohner  des  Landes  schon  als  Kanaanäer,  ja  nur  als  Semiten 
ansehen  dürfen,  steht  dahin,  ist  aber  immerhin  recht  fraglich. 
Das  AT  selbst  sieht,  wie  es  scheint,  die  Horiter  in  Edom  und 
die  Emiter,  Sarasumiten  und  Refaiter^  als  eine  vorkanaanäische 
Bevölkerungsschicht  von  augenscheinlich  anderer  Rasse  an. 
Das  scheint  auf  richtiger  Erinnerung  zu  ruhen  und  wird  viel- 
leicht auch  durch  die,  wenn  auch  mit  einiger  Vorsicht  aufzuneh- 
menden Beobachtungen  Macalisters- bestätigt.  Es  stimmt  dazu, 
daß  sie  jedenfalls  nicht  Ba'alsverehrer  waren.  Denn  Ba'al, 
die  Hauptgottheit  der  semitischen  Kanaanäer,  ist  kein  Erd- 
geist im  Sinne  einer  chthonischen,  unterirdischen  Gottheit. 
Ba'al  bedeutet:  Besitzer,  Herr  von  etwas;  der  kauaanäische 
Ba'al  ist  demnach  auch  immer  der  Gott  des  Fruchtlandes, 
der  Spender  seiner  Fruchtbarkeit,  im  Ackerboden  des  Landes 
und  seinen  Bergen,  Tälern,  Bäumen,  Quellen  und  Fruchtgärten 
sich  betätigend.  Er  ist  durchaus  ein  irdischer,  aber  kein 
unterirdischer  Gott. 


1)  Man  beachte  den  letzteren  Namen:  Refaim  bedeutet  im  AT  die 
Totengeister.  Vielleicht  nannte  man  jene  Troglodyten  so,  weil  sie 
den  Totengeistern  gleich  unter  der  Erde  hausten. 

2)  Streiflichter  zur  bibl.  Gesch.  aus  der  altpaläst.  Stadt  Geser  1907, 

s.  soff. 


S.  Der  BrandopferaJtar.  153 

Dieser  Ba'al  in  seinen  verschiedenen  Erscheinungsformen 
tritt  mit  der  semitisch-kanaanäischen  Besiedelung  des  Landes 
an  Stelle  jener  Urgottheit.  Natürlich  nicht  in  der  Weise,  daß 
sofort  alle  Spuren  der  andern  Gottheit  verwischt  worden  wären, 
sondern  so,  daß  die  alten  Anbetungs-  und  Opferstätten  an 
Ba'al  übergehen  und  er  selbst  und  sein  Kultus  manche  Züge 
der  früheren  Gottheit  und  ihrer  Verehrung  übernimmt. 

Ob  er  von  Anfang  an  im  Feueropfer  verehrt  worden  ist, 
wissen  wir  nicht.  Doch  ist  es  sehr  wahrscheinlich.  Im  Wesen 
des  Baum-,  Quell-,  Acker-  und  Fruchtharkeitsgottes  liegt  es  an 
sich  nicht.  Die  biblische  Überlieferung  scheint  es  sich  ebenfalls 
anders  zu  denken,  wie  oben  gezeigt  ist.  Endlich,  haben  uns 
die  Ausgrabungen,  soweit  man  aus  ihren  bisherigen  Ergeb- 
nissen schon  Schlüsse  ziehen  darf,  dahin  belehrt,  daß  das  Feuer- 
opfer sich  erst  etwa  seit  der  Mitte  des  zweiten  Jahrtausends 
mit  Sicherheit  nachweisen  läßt.  Alle  diese  Gründe  machen 
es  wahrscheinlich,  daß  eine  erste  Periode  der  kanaanänischen 
Ba'alsreligion  (etwa  zwischen  2500  und  1500)  voranging,  in 
der  Ba'al  als  reine  Erdgottheit  und  als  Fruchtbarkeitsgott  die 
Hauptrolle  spielte.  Es  ist  die  Periode  der  lokalen  Numina: 
Baum-,  Quell-,  Flußgottheiten  und  dergl.  Sie  werden  durch 
Spenden  von  Früchten  und  Speisen  auf  dem  Altar,  an  dem  Baum, 
der  Quelle,  dem  Bache  oder  durch  Gießen  des  Blutes  in  sie 
und  an  den  Altar  verehrt.  Hier  besteht  die  alte  Anschauung 
und  Verehrungsweise  neben  der  neuen  noch  vielfach  zu  Kecht. 
Das  Hinstellen  und  der  Blut-,  Öl-  oder  Weinguß  auf  den  Fels 
oder  Altar  paßt  zum  Erdgott  so  gut  wie  zum  Höhlengott.  Das 
ist  die  Weise,  wie  sie  in  Eicht  6  noch  durchblickt.  Sie  be- 
nutzt den  alten  Felsen  oder  errichtet  auf  ihm  oder  aus  ihm 
den  primitiven  Libationsaltar,  wie  wir  ihn  in  Ta'anach  oder 
Sar'a  und  Marmita  vor  uns  sehen. 

Um  die  Zeit  der  Wende  des  2.  Jahrtausends  treffen  wir, 
wie  gesagt,  den  ersten  kanaanäischen  Brandaltar.  Der  Ba  al, 
der  auf  ihm  verehrt  wird,  ist  ein  anderer  als  der  lokale  Erd- 
gott. Das  Feueropfer  setzt  eine  andre  Gottheit  voraus,  eine 
Gottheit  des  überirdischen  Luftraumes,  der,  über  der  Erde 
schwebend,  den  Opferduft  entgegennimmt,  und  zugleich  wohl 
einen  Gott,  dessen  Wesen  das  Feuer  ist.  Eine  solche  Seite 
hat  Ba'al  an  sich.    Er  ist  zugleich  Sonnengott.    Schwerlich 


j^54  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

ist  er  das  schon  lediglich  als  Fruchtbarkeitsgott.  Aber  beide 
Gottheiten,  die  der  irdischen  Fruchtbarkeit  und  die  der  Sonne, 
konnten  natürlich  ohne  Schwierigkeit  sich  in  der  Gestalt  des 
kanaanäischen  Ba'al  vereinigen.  Auf  diese  Weise  wird  ein 
neuer  Gott  aus  ihm  und  jetzt  erheben  sich  auf  den  alten 
Felsenplatten  Ba'alsaltäre,  auf  denen  dem  Sonnenba* al  Opfer- 
feuer entzündet  werden.     Es  ist  die  zweite  Periode. 

In  welchem  größeren  Zusammenhang  sich  diese  Wandlung 
vollzogen  hat,  wissen  wir  nicht.  Aber  es  ist  erlaubt,  gewisse 
Vermutungen  auszusprechen. 

In  einer  kurzen  aber  wertvollen  Abhandlung^  über  „Altar 
und  Opfer  in  der  ältesten  babylonischen  Kunst"  hat  uns 
W.  H.  Waed  eine  Übersicht  über  das  Opferwesen  im  alten 
Babylonien  geschenkt.  Es  geht  daraus  zunächst  hervor,  daß 
die  allerälteste  Gestalt  des  babylonischen  Altars  demjenigen 
Typus,  den  wir  an  dem  Libationsaltar  von  Ta  anach  vertreten 
fanden,  am  meisten  entspricht:  ein  Opfertisch  mit  einer  ein- 
zigen hohen  Stufe.  Die  letztere  ist  aber  hier  nicht  für  den 
Priester,  wie  Sellin  beim  Altar  von  Ta'anach  annimmt,  son- 
dern für  einen  Teil  der  Opfergaben  bestimmt.  Diese  Form 
des  Altars  reicht  in  Babylonien  in  die  Zeit  vor  Sargon  I.,  also 
nach  gewöhnlicher  Annahme  bis  gegen  4000  v.  Chr.  zurück^ 

Ferner  sehen  wir,  was  früher  schon  Erwähnung  fand,  viel- 
fach an  den  Altären  oben  eine  becherartige  Vertiefung  zur 
Aufnahme  der  auf  sie  gegossenen  Flüssigkeit,  besonders  des 
Öles,  angebracht^.  Denkt  man  sich  den  Altar  als  Felsplatte 
oder  Steintisch  —  den  natürlichen  Verhältnissen  Palästinas 
entsprechend  — ,  so  entsteht  daraus  von  selbst  die  schalenartige 
Vertiefung,  über  die  oben  S.  121  ff.  gehandelt  ist. 

Sodann  aber  entnehmen  wir,  was  für  uns  von  besonderem 
Interesse  ist,  dem  weiteren  Verlauf  der  Abhandlung,  daß  in 
Babylonien  das  Feueropfer  ebenfalls  in  die  Frühzeit  zurück- 
reicht. Überall  finden  wir  schon  im  frühen  Altertum  neben 
Gußopfern  und  auf  dem  Altar  liegenden  Gaben  auch  die 
Altarflamme  vertreten  4.    Allerdings  sind  die  uns  von  Ward 

1)  Bei  CuRTiss  a.  a.  ü.  Anhang  E,  S.  325—339. 

2)  a.  a.  O.  S.  326  ii.  327. 

3)  Vgl.  z.  B.  a.  a.  O.  Abb.  45.  47. 

4)  S.  a.  a.  0.  Abb.  39.  40.  41.  42.  45.  46  usw. 


8.  Der  ßrandopferaltar.  155 

vorgeführten  Altäre  durchweg  klein;  es  handelt  sich  also  wohl 
in  der  Hauptsache  um  Eauchwerk  und  Ol,  das  die  Opferflamme 
nährt.  Zwar  sind  Tiere  mehrfach  Gegenstand  derDarbringung\ 
aber  bei  der  Kleinheit  der  Altäre  kann  an  Brandopfer  nicht 
gedacht  werden  2.  Entweder  können  also  nur  Fleischstücke  in 
der  Weise  von  Rieht  6  ^  auf  den  Altar  gebracht  worden  sein, 
oder  es  müßten  wie  beim  israelitischen  obizj  n3T  die  Fettstücke 
des  Tieres  auf  dem  Altar  verbrannt  worden  sein. 

Wie  dem  sein  mag,  jedenfalls  spielt  die  Altarflamme  eine 
große  Rolle.  Das  entspricht  nach  dein,  was  wir  bisher  hörten, 
durchaus  dem  babylonischen  Religionssystem,  in  dem  Bei,  der 
Himmelsgott,  und  die  Gottheiten  von  Sonne,  Mond  und  Sternen 
eine  so  große  Rolle  spielen.  Demgemäß  finden  wir  auch  mehr- 
fach auf  bildlichen  Darstellungen  von  Opferszenen  die  Gott- 
heit mit  Blitzbündel  oder  den  Sonnenstrahlen  ausgerüstet*. 
Es  sind  also,  wie  nach  dem  früher  Dargelegten  zu  erwarten 
war,  hauptsächlich  die  Himmels-,  Sonnen-,  Gestirn-  und  Blitz- 


1)  S.  a.  a.  O.  Abb.  39.  41.  42.  43.  54. 

2)  Auch  sonst  erfährt  man  wenig  oder  nichts  von  Brandopfern.  Die 
Kultustafel  von  Sippar  (vgl.  Jon.  Jeremias,  Leipz.  o.  J.)  nennt  zwar 
Opfertiere  genug ,  sagt  aber  nichts  von  ihrer  Verbrennung.  Derselbe 
Autor  spricht  im  Artikel  „Ritual"  der  Encyclop.  Bibl.  Sp.  4117  zwar  von 
'^ö/äk  in  ßabyl.,  gibt  aber  kurz  vorher  ebenfalls  zu,  daß  das  Darbringen  eines 
ganzen  Tieres  auf  dem  Altar  (kalil)  in  Babylonien  schon  wegen  der 
Kleinheit  der  uns  bekannten  Altäre  selten  gewesen  sein  müsse.  —  Hommel 
verweist  mich  brieflich  auf  Stellen  wie  Eannadu,  Geierstele,  Rev.  38— 40: 
dem  Samas  |iu  Larsa  Stiere  als  Speise  dargebracht;  Gudea,  Statue  E: 
der  Ba'u  als  Vermählungsgabe  2  Ochsen,  2  Schafe,  10  Hammel,  2  Lämmer 
usw.  Aber  handelt  es  sich  hier  um  Brandopfer  oder  um  bloße  Schlach- 
tungen zu  Ehren  der  Gottheit?  Das  scheint  mir  sehr  die  Frage.  Vgl.  noch 
die  Abbildung  bei  A.  Jeremias  ATAO2  430,  wo  ein  Stier  gegen  einen 
winzigen  Räucheraltar  geführt  wird.  Das  sieht  ebenfalls  ganz  aus,  als 
sollte  der  Stier  lediglich  durch  Schlachtung  „geopfert"  werden.  Ferner 
vergleiche  man  das  Gilgames-Epos  XI,  15Gff.,  wo  zwar  ein  (Lamm?)  Opfer 
„geopfert"  wird,  die  Götter  aber  eigentlich  nur  durch  den  Duft  des 
Rauchwerks  angezogen  werden.  Endlich  verdient  Beachtung,  daß  das 
Hauptwort  für  ,, opfern"  naf;ü  eigentlich  ausgießen,  die  Libation  vollziehen 
bedeutet.  Auch  wo  es  (oder  sein  Subst.  mht)  von  Rindern,  Schafen  usw. 
gebraucht  wird,  ist,  soviel  ich  sehe,  nirgends  von  einem  Verbrennen  des 
Tiers  die  Rede. 

3)  S.  oben  S.  97  ff. 

4)  z.  B.  a.  a.  O.  Abb.  37.  39.  42. 


156  Kittel,  Studien.     II.  Der  primitive  Felsaltar. 

gottheiten,  denen  das  Altarfeuer  entzündet  wird.  Mindestens 
wird  es  von  ihnen  seinen  Ausgang  genommen  haben. 

Von  nicht  geringerem  Interesse  ist  ein  zweites  uns  zur 
Vergleichung  sich  darbietendes  Gebiet,  das  der  sog.  my ke- 
nischen, besser  altachäischen  Kultur.  Töpferei  und  Plastik 
ebenso  wie  das  Auftreten  der  über  das  Mittelmeer  hergekom- 
menen Philister  in  Palästina  lassen  uns  keinen  Zweifel  darüber, 
daß  schon  frühe  wie  mit  dem  babylonischen  Osten  und  dem 
ägyptischen  Süden,  so  auch  mit  dem  mykenisch  -  ägäischen 
Westen  Beziehungen  unterhalten  wurden.  Das  Bindeglied  ist 
hier  Kreta. 

Gerade  hier  in  Kreta  aber  haben  uns  die  neueren  Aus- 
grabungen das  Auftreten  des  Brandopfers  und  Brandopfer- 
altares genau  in  der  Zeit,  in  der  wir  es  auch  in  Palästina 
glauben  ansetzen  zu  sollen,  kennen  gelehrt ',  nämlich  um  die 
Mitte  des  zweiten  Jahrtausends.  Die  diktäische  Höhle  enthält 
einen  den  Vorschriften  des  israelitischen  Altargesetzes  genau 
entsprechenden  Brandopferaltar  aus  rohen  Steinblöcken.  Der 
Gott,  dem  die  Opfer  dargebracht  werden,  ist  der  Himmelsgott, 
dessen  vornehmstes  Symbol  das  Doppelbeil,  das  die  Wolken 
spaltet,  d.  h.  der  Blitz  ist.  Im  Palaste  von  Knosos  ist  die 
Hauskapelle  diesem  Blitzgotte  geweiht.  In  ihrem  Vorhofe 
steht  ein  Altar,  dem  Brandopferaltar  des  salomonischen  Tempels 
entsprechend.  In  einem  Schachtgrabe  bei  Phaistos  finden  sich 
Opferszenen  dargestellt,  darunter  ein  Opfertisch,  auf  dem  ein 
geschlachteter  Stier  liegt.  Es  kann  somit  gar  kein  Zweifel 
bestehen,  daß  der  altkretische  Kultus  jener  Zeit  das  Brand- 
opfer für  den  himmlischen  Zeus  gekannt  hat. 

Bei  dem  regen  Verkehr,  den  die  seefahrenden  Kanaanäer 
mit  Kreta  und  den  Mittelmeerländern  unterhielten,  wird  man 
dieses  zeitliche  Zusammentreffen  kaum  für  zufällig  halten 
können.  Mochten  schon  der  himmlische  Bei,  von  dem  jeuer  ja 
wohl  im  letzten  Grunde  ausgegangen  war,  und  der  babylonische 
Sonnengott  den  altkanaanäischen  irdischen  Ba'al  in  der  Stille 
beeinflußt  und  eine  Umgestaltung  seiner  Verehrung  angebahnt 
haben,  so  scheint  der  Hauptanstoß  von  dem  himmlischen  Zeus 

1)  Vgl.  dazu  neben  den  Ausgrabungsberichten  selbst  im  British 
Scool  Annual  1899  fF.  und  Journal  of  Hellenic  Studies  1901  flf.,  besonders 
Xäro  im  Archiv  für  Religionswissenschaft  VII  (1904),  S.  117  ff. 


8.  Der  Brandopferaltar.  157 

von  Kreta  ausgegangen  zu  sein.  Seine  Verehrung  hat  in  der 
Folgezeit  sei  es  durch  Kanaanäer,  sei  es  durch  Israeliten,  zur 
Übernahme  der  in  Kreta  selbst  noch  unerklärten  „Weihe- 
hörner"  auf  den  Altären  geführt;  in  Israel  sind  daraus  die 
uns  seit  der  Zeit  Davids  bekannten  Altarhörner  geworden, 
die  einen  wesentlichen  Hauptteil  des  israelitischen  Altars  aus- 
machen. Jener  Zeuskult  kannte  auch  schon  den  Opferpfeiler  und 
den  heiligen  Pfahl.  Von  ihm  wird  auch  die  Umgestaltung  des 
kanaanitischen  Opferwesens  in  der  Richtung  zum  Brandopfer 
hin  und  demgemäß  des  Altars  vom  Eßtisch  zur  Feuerstätte 
beeinflußt  gewesen  sein. 

Als  die  Israelstämme  aus  den  Steppen  um  den  Sinai  und  um 
Kades  her  in  Palästina  eindrangen,  da  hatten  sie  ohne  Zweifel 
manches  von  den  altarabischen  Opfersitten  und  Blutriten  im 
Brauche.  Der  gewiß  uralte  Passahritus  des  Blutstreichens  an  die 
Tür-  oder  Zeltpfostenstangen  und  manches  andere  wird  damit 
zusammenhängen.  Nicht  minder  die  allezeit  in  Israel  so  hoch- 
gehaltene Wertschätzung  des  Opferblutes.  Aber  ihr  Gott,  den 
sie  mitbrachten,  glich  weder  dem  kanaanäischen  Erdgott  noch 
dem  altarabischen  Steindämon;  er  war  ein  Gott,  der  Mose  im 
Feuerbusche,  dem  Volke  in  der  Wolken-  und  Feuersäule  er- 
schienen war  und  der  Israel  im  Gewitter  und  Feuer  um  den 
Sinai  sich  kundgetan  hatte,  also  ein  Gott,  dessen  Element, 
wenn  er  erschien,  das  Feuer,  dessen  Wohnstatt  der  himm- 
liche  Luftraum,  dessen  Äußerung  in  der  Natur  Gewitter 
und  Blitz  war. 

Ein  solcher  Gott  hatte  mit  den  vorkanaanäischen  Toten- 
und  Erdgeistern  und  mit  den  kanaanäischen  und  arabischen 
Stein-,  Baum-  und  Quellgottheiten  nichts  zu  tun.  Er  leckte  weder 
Blut  noch  wollte  er  Speise  und  Trank.  Wollte  er  Speise,  so 
wollte  er  sie  im  Element  des  Feuers;  nicht  gegessene,  sondern 
nur  im  Opferdampf  gerochene,  zum  Himmel  emporsteigende. 
Damit  war  bereits  der  Weg  zur  bloß  symbolischen  Fassung 
des  Opfers  betreten.  Auch  das  Speis-  und  Trankopfer,  soweit 
es  nicht  der  Flamme  übergeben  wird,  ist  für  einen  Feuer-  und 
Himmelsgott  von  selbst  nur  Weihegabe,  nicht  Speise.  Und 
wollte  er  Blut  sehen,  so  wollte  er  es  nicht  als  seinen  Trank, 
sondern  als  das  Sinnbild  des  Lebens.  Für  einen  solchen  Gott 
muß  der  Blutbrauch,   der  ehedem  gewiß  im  Gotte  einen  blut- 


158  Kittel,  Studien.    II.  Der  primitive  Felsaltar. 

saugenden  Dämon  vorausgesetzt  hatte,  von  Anfang  zum  Sym- 
bol werden:  dem  Eigner  des  Lebens  das  Leben. 

Er  war  auch  kein  Sonnengott  wie  Ba'al,  aber  als  Gott 
des  Feuers  und  Gewitters  und  des  himmlischen  Luftraumes 
ihm  viel  eher  verwandt,  als  den  altarabischen  und  altpalästini- 
schen Göttern.  Wo  dieser  Ba'al  als  Sonnengott  in  die  Er- 
scheinung trat,  da  konnte,  wenn  man  die  sittliche  Seite  an 
Jahwe  übersah,  besonders  leicht  jene  verhängnisvolle  Verwech- 
selung beider  Gottheiten  eintreten,  die  wir  aus  der  älteren 
israelitischen  Geschichte  in  Kanaan  zur  Genüge  kennen. 

Es  ist  hier  nicht  die  Frage  zu  untersuchen,  ob  Israel 
schon  in  der  Steppe  selbst  Opferdienst,  insbesondere  Brandopfer 
übte.  Soviel  aber  ist  nach  dem  Vorhergehenden  deutlich:  ein 
solcher  Gott  wie  der  Jahwe  Israels  mußte,  wenn  die  Idee  des 
Feueropfers  irgend  im  Bereiche  seiner  Verehrer  verwirklicht 
war,  die  letzteren  notwendig  auf  das  Feueropfer  hinweisen, 
sei  es  in  der  Form  der  Abgabe  einzelner  Fett-  und  Fleisch- 
teile des  Opfertieres  an  ihn  durchs  Feuer,  sei  es  in  der  Form 
des  regelrechten  Ganzopfers  durchs  Feuer.  Wohin  immer  in 
Kanaan  Israeliten  kamen,  die  diesen  Sinaigott  Jahwe  ver- 
ehrten, da  konnten  sie  wohl  die  alten  Opferstätten  übernehmen, 
aber  ein  Brandaltar,  war  er  nicht  schon  vorhanden,  mußte 
notwendig  für  sie  Bestandteil  der  heiligen  Stätte  werden.  Und 
er  mußte  sie  bei  ihrem  Gotte,  wurde  seine  Eigenart  festge- 
halten, immer  wieder  an  die  geistige  Seite  mahnen. 


III.  Der  Schlangenstein  im  Kidrontal  l3ei  Jerusalem. 

1.  Salomo  und  Adonia. 

Im  ersten  Buch  der  Könige  lesen  wir  in  Kapitel  1,  daß 
noch  zu  Davids  Lebzeiten,  als  der  große  König  in  das  Greisen- 
alter  eingetreten  war,  sich  der  Streit  um  die  Nachfolge  erhob  ^ 
Während  der  Profet  Natan  und  Davids  Gemahlin  Batseba  für 
Salomo,  den  Sohn  der  Batseba,  eintreten,  nimmt  der  alte  Feld- 
hauptmann und  Waffengefährte  Davids  Joab  und  mit  ihm  des 
Königs  langjähriger  Oberpriester  Ebjatar  die  Partei  des  Adonia, 
des  Sohns  einer  andern  Gemahlin  Davids  mit  Namen  Haggit. 
Er  war  der  der  Geburtsfolge  nach  Nächste  am  Throne,  seit- 
dem Absalom  infolge  seiner  Empörung  ausgeschieden  war. 

Bekanntlich  hat  schließlich  Salomos  Partei  den  Sieg  und 
ihr  Schützling  den  Thron  davongetragen.  Wie  es  dabei  zu- 
ging, wird  uns  in  1  Kön  1  und  2  geschildert,  desgleichen  was 
das  Schicksal  des  minder  glücklichen  Rivalen  Salomos  war. 
Er  wird  mit  seinen  wichtigsten  Parteigängern  hingerichtet, 
während  der  Priester  Ebjatar  seine  Stelle  an  den  bisherigen 
zweiten  Priester  Zadok,  der  von  der  andern  Partei  gewesen 
war,  abgeben  muß. 

Während  nun  wahrscheinlich  die  beiden  Parteien  sich 
längere  Zeit  der  weiteren  Dinge  wartend  gegenüberstanden, 
wird  —  wohl  im  Zusammenhang  mit  dem  fortschreitenden 
Hinsiechen  des  alten  Königs  —  die  Entscheidung  plötzlich 
herbeigeführt  durch  einen  Akt  der  Unbesonnenheit  des  Adonia. 
Er  veranstaltet  mit  seinen  Parteigängern,  unter  geflissent- 
lichem Ausschluß  der  Gegenpartei,  ein  Opfermahl  am-  Schlangen- 
stein,  aber  zugleich  so,  daß  —   ohne   seinen  Willen  —  die 

1)  Vgl.  dazu  meinen  Artikel:  Salomo  in  PRE^. 

2)  QS5  =  unmittelbar  bei,  nicht  gerade  auf  ihm  (by),  aber  in  seiner 
nächsten  Nähe. 


150  Kittel,  Studien.    III.  Der  Schlangenstein. 

andern  irgendwie  Nachricht  von  seinem  Tun  erlangen.  Was 
der  Zweck  des  Zusammenseins  und  des  damit  verbundenen 
Festmahles  war,  kann  keinem  Zweifel  unterliegen:  man  will 
in  dem  kritischen  Momente,  da  der  greise  König  jeden  Tag 
die  Augen  schließen  kann,  die  alle  bewegende  Frage  der  Nach- 
folge besprechen  und  ohne  Zweifel  auch  beraten,  was  ange- 
sichts des  nahen  Endes  des  Königs  zu  tun  sei,  um  Adonia  die 
Nachfolge  zu  sichern. 

Ob  weitere  und  gegen  das  Leben  des  Königs  gerichtete 
Pläne  geschmiedet  wurden,  können  wir  weder  mit  Bestimmt- 
heit behaupten  noch  verneinen.  Die  Gegenpartei  hat  es  be- 
hauptet und  hat  dem  alten  König  so  berichtet.  Sie  will  be- 
reits durch  ihre  Spione  den  Ruf:  „König  Adonia  soll  leben!" 
am  Schlangensteine  vernommen  haben,  worauf  der  König,  als 
ihm  das  berichtet  wird,  sofort  Salomo  auf  sein  eigenes  könig- 
liches Maultier  heben  und  am  Gihonquell  salben  heißt.  Dabei 
erschallt  der  Ruf  „König  Salomo  lebe!"  so  laut  und  dröhnend, 
daß  die  Erde  bebt,  und  der  Trompetenschall,  der  ihn  begleitet, 
und  das  Getöse  dringt  bis  an  die  Ohren  der  am  Schlangen- 
steine Schmausenden,  die  eben  sich  vom  Mahle  erhoben  haben. 
Sie  hören  nur  den  Lärm  und  Trompetenschall  droben,  können 
aber  nicht  sehen,  was  am  Gihon  vorgeht.  Erst  Ebjatars  Sohn 
Jonatan,  der  des  Weges  herabkommt,  meldet  ihnen,  was  ge- 
schehen ist  und  was  das  Getöse  zu  bedeuten  hat. 

Was  ist  der  Schlangenstein,  der  Ort  des  verhängnis- 
vollen, zum  allermindesten  in  schlimmer  Unbesonnenheit  den 
üblen  Schein  nicht  meidenden  Zusammenseins  Adonias  mit 
den  Seinen?  An  ihn  knüpft  sich  eine  der  bedeutsamsten  und 
folgenschwersten  Wendungen  der  Geschichte  Altisraels,  die 
Thronerhebung  Salomos  —  Grund  genug,  der  Örtlichkeit  nach- 
zuspüren. 

2.    Der  Ort  der  Zusammenkunft. 

1  Kön  1  i)  spricht  von  eben  hazsohelet  nbn-Tri  "jaii  und  fügt 
die  nähere  Bestimmung  bei,  der  Stein  liege  neben  der  Quelle 
Rogel  (b^i  T^S;  bsrx).  Es  wird  also  vor  allen  Dingen  nötig  sein, 
die  Quelle  Rogel  erst  zu  bestimmen. 

Der  Name  kommt  außer  an  unserer  Stelle  im  AT  noch 
vor  in  Jos  15  7.  18  ig.  2  Sm  17  17. 


2.  Der  Ort  der  Zusammenkunft.  161 

In  den  zwei  erstgenannten  Stellen  wird  die  Grenze  der 
Stämme  Juda  und  Benjamin  angegeben:  die  Grenze  Judas 
zieht  sich  nach  Jos  15?  vom  Toten  Meer  und  der  Jordanaue 
gegen  das  Gebirge  Juda  und  läuft  dann  am  Wasser  von 
'En  semes  vorüber  bis  zur  Quelle  Eogel  und  von  da  im  Tal 
Ben  Hinnom,  südlich  vom  Bergrücken  der  Jebusiter,  das  ist 
Jerusalem,  aufwärts.  Dem  entspricht  Jos  18  ig.  Hier  wird 
die  Grenze  Benjamins  beschrieben,  das  bekanntlich  mehrfach 
an  Juda  anstößt,  dessen  Grenze  sich  demnach  zum  Teil  mit  der 
Judas  deckt.  Sie  läuft  im  Süden  Benjamins  von  Kirjat  Je'anm 
nach  dem  Berg  im  Osten  des  Tals  Ben  Hinnom  und  zieht  sich 
dann  ins  Tal  Hinnom  hinab  südlich  vom  Bergrücken  der  Je- 
busiter, und  von  da  weiter  hinunter  zur  Quelle  Rogel,  um  von 
hier  etwas  nördlich  nach  *En  semes,  der  Sonnenquelle,  weiter- 
zugehen. 

Diese  zwei  sich  gegenseitig  vollkommen  entsprechenden 
Grenzbestimmungen  sind  eigentlich  für  sich  schon  ausreichend, 
den  Ort  zu  erkennen.  In  beiden  ist  die  Quelle  Rogel  als  die 
Stelle  angenommen,  an  der  die  Grenze  umwendet.  Sie  scheint 
also  zum  voraus  an  dem  Punkte  gesucht  werden  zu  müssen, 
wo  zwei  Straßen  oder  Bachtäler  sich  kreuzen.  Und  zwar  muß 
der  Punkt  am  Südende  des  Hinnomtales  zunächst  Jerusalem 
vermutet  werden.  In  der  Tat  findet  sich  hier  eine  wichtige 
Quelle.  Das  Tal  Hinnom  „südlich  vom  Bergrücken  der  Jebu- 
siter" bietet  außerdem  einen  absolut  klaren,  unmißverständlichen 
Ausgangspunkt.  Läuft  die  Grenze  dieses  Tal  abwärts,  so 
muß  sie  an  seinem  Endpunkte,  da  wo  das  von  Norden  kommende 
Kidrontal  mit  dem  von  Westen  und  Südwesten  kommenden 
Tal  Hinnom  zusammentrifft,  an  dem  heutigen  Hiobsbrunnen 
{bir  ^ejjüb)  vorbeiführen.  Wendet  sie  sich  vom  Ende  des 
Hinnomtales  nach  Norden  gegen  das  Tote  Meer  hin,  so  läuft 
sie  wohl  dem  Kidrontal  entlang,  um  sich  dann  nach  Osten  zu 
wenden. 

Hierzu  stimmt  nun  vollständig  der  Umstand,  daß  an  der- 
jenigen Stelle,  von  welcher  die  Untersuchung  ausging  (1  Kön  I9), 
Adonia  seine  geheime  Zusammenkunft  mit  den  Seinen  an  einem 
Orte  hält,  der  einerseits  außerhalb  der  Stadt  liegt,  und  zwar 
etwas  abgelegen  und  der  Beobachtung  entzogen,  und  ander- 
seits doch  nahe  genug,  um  von  den  Vorgängen  in  der  Stadt 

Kittel,  Beiträge.  H 


162  Kittel,  Studien.    III.  Der  Schlangenstein. 

noch  leicht  erreicht  zu  werden.  Die  vom  Mahle  eben  Auf- 
gestandenen hören  den  Trompetenschall  und  das  Getöse  drohen 
am  Gihon  und  in  der  Stadt.  Von  dem  Winkel,  in  dem  der 
heutige  Hiohsbrunnen  liegt,  bis  zum  Kücken  des  Zion  (südlich 
vom  Ophel  und  dem  heutigen  Haram  esch-Scherif),  auf  dem 
vermutlich  Davids  Burg  stand,  hat  man,  die  Steigung  gerechnet, 
eine  starke  Viertelstunde,  vielleicht  auch  nur  12 — 15  Minuten 
zu  gehen.  Ist  der  Gihon,  wo  Salomo  gesalbt  und  zum  König 
ausgerufen  wird,  mit  der  heutigen  Marienquelle  zusammen- 
zustellen, so  spielte  sich  jener  Vorgang  etwa  10  Minuten  vom 
Hiohsbrunnen  ab. 

Auch  darf  noch  angeführt  werden,  daß  man  vom  Hiohs- 
brunnen die  Marienquelle  nicht  sehen  kann.  Die  Annahme, 
daß  der  heutige  Hiohsbrunnen  die  alte  Quelle  Rogel  sei,  wird 
dadurch  noch  deutlicher  in  ihrer  Übereinstimmung  mit  den 
Hergängen  von  1  Kön  1  ins  Licht  gestellt.  Hatten  die  am 
Hiohsbrunnen  Gelagerten  nicht  auf  die  von  der  Burg  nach 
dem  Gihon  Herabziehenden,  die  man  ja  wohl  hätte  sehen 
können,  geachtet,  so  konnten  sie  schwerlich  weiter  verfolgen, 
was  am  Gihon  sich  abspielte.  Er  liegt  etwas  seitwärts  gegen 
Westen,  von  den  gegen  den  Zion  ansteigenden  Hügelwellen 
verdeckt.  Wohl  aber  konnten  sie  bei  der  geringen  Entfernung 
leicht  größere  Geräusche  hören. 

Von  dieser  Lage  der  Quelle  Rogel  aus  ist  auch  die  vierte 
Stelle  (2  Sm  17?),  an  der  ihrer  Erwähnung  geschieht,  ver- 
ständlich. David  hat  auf  der  Flucht  vor  Absalom  mit  den 
ihm  gebliebenen  Getreuen  den  Weg  über  den  Ölberg  zum 
Jordan  eingeschlagen  und  harrt  an  den  Furten  des  Jordan 
der  weiteren  Entwicklung  der  Dinge  in  Jerusalem.  Seine 
ferneren  Entschließungen  macht  er  abhängig  von  den  aus 
Jerusalem  bei  ihm  eintreffenden  Nachrichten  über  Absaloms 
nächste  Absichten.  Zu  diesem  Zweck  hat  er  einen  vortreff- 
lichen Nachrichtendienst  eingerichtet.  An  der  Quelle  Rogel 
sind  zwei  seiner  Getreuen  verborgen,  eine  Magd  bringt  ihnen 
aus  Jerusalem  in  unauffälliger  Weise  täglicli  Nachricht,  die 
sie  an  David  zunächst  persönlich  und  später  ohne  Zweifel 
durch  Boten  weitergeben,  so  lauge,  bis  sie  eines  Tages  ent- 
deckt und  verfolgt  werdeu. 

Für  diesen  Zweck  des  Spionendienstes  gab  es  keinen  ge- 


2.  Der  Ort  der  Zusammenkunft. 


163 


eigneteren  Platz  als  den  heutigen  Hiobsbninnen  (s.  Abb.  30),  nahe 
genug  der  Stadt,  um  jederzeit  das  Neuste,  was  sich  dort  zutrug, 
sofort  in  Erfahrung  zu  bringen,  und  doch  weit  genug  entfernt 
und  im  abgelegenen  Winkel  an  der  Kreuzung  mehrerer  Täler 
und  Wege  gelegen,  um  solchen,  die  unentdeckt  bleiben  wollten, 
Aufenthalt  oder  aber  die  Möglichkeit  raschen  Verschwindens 
zu   gewähren.    Den   ganzen  Tag  über   ist  heute   der  Hiobs- 


Abb.  30.     Der  Hiobsbrunnen. 


brunnen  von  Wasser  holenden,  auch  von  waschenden  und  gra- 
senden Frauen  und  Mädchen  des  am  Osthügel  ihm  gegenüber 
angelehnten  Dorfes  Silwan  besucht.  Eine  täglich  und  des 
Tages  mehrmals  hierher  gehende  Magd  fiel  vermutlich  damals 
so  wenig  als  heute  jemand  auf.  Die  Bewohner  der  gegen  das 
Kidrontal  sich  neigenden  Abhänge  —  fast  ausschließlich  Be- 
wohner des  Dorfes  Silwan  —  benutzen  heute,  um  ihren  Wasser- 
bedarf zu  decken,  sowohl  die  Marienquelle  als  den  Hiobs- 
brunnen, vermutlich  je  nach  der  Lage  ihrer  Wohnung.  Doch 
gilt  das  Wasser  des  Hiobsbrunnens  für  wohlschmeckender  als 

11* 


j[54  Kittel,  Studien.    III.  Der  Schlangenstein. 

dasjenige  der  Marien-  oder  Stiifenquelle,  so  daß  Viele  es 
vorziehen,  den  etwas  weiteren  Gang  zum  Hiobsbrimnen  zu 
machen.  In  alter  Zeit,  als  die  Stadt  sich  südlich  vom  heutigen 
Haram  auf  dem  sogen.  Zionhügel  erheblich  näher  gegen  den 
Hiobsbrunnen  hinzog  als  heutzutage,  wird  das  auch  von  selten 
der  Bewohner  des  jenseitigen  (westlichen)  Abhanges  viel  mehr 
der  Fall  gewesen  sein  als  heute,  wo  diese  Seite  so  gut  wie 
unbewohnt  ist. 


3.  Der  Hiobsbrunnen. 

Es  wird  somit  nach  dem  bisher  über  die  verschiedenen 
Stellen,  an  denen  die  Quelle  Rogel  im  AT  vorkommt.  Ausge- 
führten als  vorläufiges  Ergebnis  festgestellt  werden  können, 
daß  sie  alle  für  die  Gleichsetzung  der  Quelle  mit  dem  heutigen 
Hiobsbrunnen  sprechen,  ja  daß  sie,  wo  nicht  alle,  so  doch  ihrer 
Mehrheit  nach  diese  Gleichsetzung  insofern  zu  fordern  scheinen, 
als  sie  bei  ihr  ihre  beste,  wo  nicht  ihre  einzig  mögliche  Er- 
klärung finden.  Wenn  man  nämlich  bedenkt,  wie  viel  oder 
richtiger:  wie  wenig  Quellen  die  nähere  Umgebung  Jerusalems, 
die  in  allen  vier  Stellen  allein  in  Betracht  kommt,  kennt,  so 
wird  man  leicht  erkennen,  daß  hier  überhaupt  eigentlich  nur 
zwischen  der  Gilion-Marienquelle  und  dem  Hiobsbrunnen  die 
Frage  entstehen  könnte ',  daß  aber  schon  durch  die  Unter- 
scheidung beider  in  1  Kön  1,  aber  auch  infolge  der  übrigen 
in  Frage  kommenden  Umstände  nur  der  Hiobsbrunnen  in  Be- 
tracht kommen  kann.  Weder  zur  Grenzbestimmung  noch  zur 
Station  für  die  Spione  würde  sich  der  Gihon  nach  seiner  Lage 
geeignet  haben,  während,  wie  aus  dem  Obigen  erhellt,  beiden 
Zwecken  der  Hiobsbrunnen  aufs  beste  dienen  konnte. 

Dieses  Ergebnis  findet  nun  eine  willkommene  Bestätigung 
durch  die  in  der  Tat  auf  den  Hiobsbrunnen  weisende  Über- 
lieferung. 


1)  Über  die  „Drachenquelle"  ist  unten  zu  reden.  Außerdem  wird 
noch  auf  den  Karten  etwa  600  m  südlich  vom  Hiobsbrunnen  eine  kleine 
Quelle  verzeichnet,  die  heute  ''ain  el-loze  heißt.  Sie  ist  aber  höchst  un- 
bedeutend und  war  es  wohl  immer.  Zur  Grenze  eignete  auch  sie  sich 
nach  ihrer  Lage  kaum. 


3.  Der  Hiobsbrunnen.  165 

Es  mögen  hier  zunächst  die  alten  Übersetzungen  ihre 
Stelle  finden.  Die  beiden  unterstrichenen  Worte  der  arabischen 
Übersetzung  der  Londoner  Polyglotte  verdienen  besondere  Be- 
achtung. 

1  Kön  1 9  %  üi-Mp  ^5?  11202  ^1  i^niDD  inx  oy 

©    ]b^    ^.kii.    '^^^j  ]Li?    J.sj.£  '^^ 

51  ebenso 

Jos  15  7  %  xnip  V5>b 

Jos  18 16  %  N-i2p  pyb 
2  Sm  17 17  %  xnip  i^yn 

Aus  dieser  Übersicht  geht  hervor,  daß  das  Targum  durch- 
weg Quelle  Rogel  einfach  übersetzt,  und  zwar  im  Sinne  von 
Walkerqiielle,  so  daß  aus  ihm  nichts  Unmittelbares  über  die 
Lage  des  Ortes  zu  entnehmen  ist.  Immerhin  widerspricht  die 
Übersetzung  nicht  dem  bisherigen  Ergebnis.  Die  im  Hebräi- 
schen selbst  sonst  nicht  vorkommende  Bedeutung  des  Verbums 
53i"i  treten  im  Sinne  von  waschen,  walken  wird  dadurch  sicher- 
gestellt, da  über  den  Sinn  des  aramäischen  -i2p  kein  Zweifel 
herrschen  kann'.  Überall  in  Palästina  werden  Brunnen  und 
Quellen  zum  Waschen  der  Kleider  benutzt,  das  durchweg  in 
der  Form  des  starken  Pressens  und  Walkens  geübt  wird: 
das  Gewand  wird  ins  Wasser  getaucht,  zusammengefaltet  und 
mit  einem  Stück  Holz  oder  einem  großen  Stein  stark  geklopft, 


1)  Vgl.  z.  B.  ®  zu  Jes  7  3  (hebr.  onis).  Nicht  ohne  Interesse  ist  die 
Erläuterung  des  aram.  ^ip  in  dem  Raschi  zugeschriebeneu  Kommentar 
zu  Traktat  n'^33.'n  29b  :'^n:?:Q;D  -röais  ani  ^X3.;rid';i  'i^^.?  ö^iii  "js    .'^'^sp 


166  Kittel,  Studien.     IIL  Der  Schlaugenstein. 

welche  Prozedur  alle  paar  Minuten  erneuert  wird,  bis  die  hin- 
reichende Reinheit  erzielt  scheint'. 

Da  der  Hiobsbrunnen  an  einer  Stelle  liegt,  wo  die  sich 
kreuzenden  Täler  eine  größere  ebene  Fläche  bilden,  er  außer- 
dem so  wasserreich  ist,  daß  das  Wasser  zu  Zeiten  über  die 
recht  hochliegenden  Brunnenränder  läuft,  so  ist  recht  wohl 
anzunehmen,  daß  hier  ähnlich  wie  am  oberen  Teiche^  einzelne 
Walker  sich  eine  Arbeitsstätte  geschaffen  hatten.  Es  wäre 
auch  nicht  ausgeschlossen,  daß  der  der  alten  Davidstadt  un-' 
mittelbar  naheliegende  Gihon.  der  außerdem  heute  sich  für 
diesen  Zweck  weniger  eignet,  weil  das  Wasser  erst  viele 
Stufen  heraufgetragen  werden  muß  ^,  für  die  Wasserschöpfenden 
reserviert  war,  das  Waschen  und  Walken  der  Privatleute  und 
der  gewerbsmäßigen  Walker  also  an  den  weiter  entfernten 
Hiobsbrunnen  verwiesen  war*.  Diesem  Zwecke  konnte  ja 
wohl  auch  der  Siloateich,  falls  er  schon  vorhanden  war,  dienen, 
aber  der  Natur  der  Sache  nach  bot  er  nur  für  eine  kleinere  Anzahl 
wasch  ender  Personen  Raum  (s.Abb.31)^  so  daß  diese  Verwendung 
ihm  kaum  den  Namen  geben  konnte,  während  der  stattliche 
freie  Platz  am  Hiobsbrunnen  und  die  geräumigen  steinernen 
Wassertröge  an  der  Seite  des  eigentlichen  Brunnens,  auch 
wenn  deren  erste  Bestimmung  dem  Tränken  des  Viehes  galt, 
diesen  Brunnen  auch  für  den  Zweck  des  Waschens  in  beson- 
derem Maße  geeignet  erscheinen  lassen. 

Ähnlich  wie  mit  vi  verhält  es  sich  mit  S.    In  zweien  der 
vier  Stellen   tritt  die  Übersetzung  Walkerquelle   auf,  in  der 


1)  Für  den  Fall,  daß  hebr.  D2=  mit  d::r  treten  etymologisch  zu- 
sammenzustellen ist,  hätte  das  übliche  Wort  für  walktn  denselben  Sinn 
wie  unser  hy^. 

2)  Vgl.  Jes  7  3:  Das  Walkerfeld  am  oberen  Teiche. 

3)  Was  freilich  heute  die  Fellachinnen  hier  wie  überall  nicht 
hindert,  sich  einfach  in  die  Quelle  selbst  hineinzustellen  und  sie  mit 
ihrer  Arbeit  zu  verunreinigen. 

4)'  Vgl.  auch  die  Notiz  bei  Vin-cest,  Canaan  S.  100,  auch  PEF 19 10,  361  ff. 

5)  Der  Teich  ist,  wie  man  sieht,  zu  Zeiten  ziemlich  wasserarm.  Die 
Frauen  stehen  unmittelbar  an  der  Mündung  des  Siloakanals  in  den  Teich, 
das  frisch  hereinquellende  Wasser  benutzend.  Die  frischgewaschenen 
Stücke  sind  am  oberen  Rande  der  Umfassungsmauer  zum  Trocknen  an 
die  Sonne  gehängt.  Die  Aufnahme  ist  vom  gegenüberliegenden  oberen 
Üande  der  8—10  Meter  hohen  Umfassungsmauer  aus  gemacht. 


3.  Der  Hiobsbrunnen. 


167 


dritten  und  vierten  wird  in  der  Weise  von  &  und  ^  Rog-e/ 
gesagt,  denn  sbr"  ist  natürlich  Schreib-  hezw.  Lesefehler 
für  xb.ri. 

Hingegen    geht  die  arabische  Übersetzung  wenigstens  an 
zwei  Stellen,  von  denen  die  eine  uns  hier  besonders  interessiert, 


Abb.  31.    Waschende  Frauen  am  Siloateich. 


ihren  eigenen  Weg.  In  Jos.  15?  nämlich  redet  sie  von  der 
Hiobsquelle.  Sie  liefert  damit  den  Beweis,  daß  schon  *  zu  ihrer 
Zeit  die  Überlieferung  bestand,  der  Hiobsbrunnen  sei  mit  der 
Quelle  Eogel  gleichzusetzen.  Dieselbe  Tradition  findet  sich 
auch  schon  bei  dem  vielleicht  etwas  älteren  arabischen  Geo- 


1)  Nach  RöDiGER  (s.  darüber  PRE^  III  91,  4f  93,  1  fl')  stammt  das 
Buch  Josua  aus  dem  10.  oder  11.  Jahrhundert. 


168  Kittel,  Studieo.    III.  Der  Schlangenstein. 

graphen  Mukaddasi  im  Jahre  985/6,  der  in  seiner  Beschreibung 
des  Heiligen  Landes  zweimal  des  Hiobsbrunnens  Erwähnung 
tut,  das  eine  Mal  im  Zusammenhang  mit  dem  Dorf  „Sulwan", 
so  daß  kein  Zweifel  bestehen  kann,  daß  er  den  Brunnen  an 
seiner  heutigen  Stelle  suchte 

Woher  der  heutige  Name  stammt,  läßt  sich  nicht  sagen; 
nirgends  in  der  biblischen  und  altkirchlichen  Literatur  wird 
der  Brunnen  in  irgend  eine  nähere  Beziehung  zu  Hiob  ge- 
bracht. Es  scheint,  daß  der  Name  in  früher  islamischer  Zeit 
aufkam,  vielleicht  in  Anlehnung  an  den  im  Koran  genannten 
Brunnen,  der  nach  Sure  38  von  Allah  dem  Hiob  gezeigt 
wurde-,  oder  aber  in  der  letzten  Zeit  vor  dem  Islam,  so  daß 
der  Koran  eine  spätjüdische  oder  christliche  Tradition  jener 
Zeit  wiederspiegeln  würde.  Welche  Wertschätzung  man  dem 
Brunnen  in  frühislamischer  Zeit  zuteil  werden  ließ,  zeigt  uns 
der  obengenannte  Mukaddasi,  indem  er  mitteilt,  man  nehme  an, 
daß  das  Wasser  des  bekannten  Brunnens  Zamzavi  in  Mekka 
in  der  *'^r^Ä^Nacht  das  Wasser  dieser  Quelle  besuche.  Der 
Hiobsbrunnen  wird  also  in  Verbindung  mit  den  mekkanischen 
heiligen  Wassern  gebracht  3. 

Doch  ist  noch  eine  andere  Erklärung  möglich.  Man  hört 
oder  liest  heute  gelegentlich  in  Jerusalem  vom  Brunnen  Joabs. 
Lange  war  ich  der  Meinung,  es  handle  sich  hier  um  einen 
bloßen  Irrtum,  der  in  neuerer  Zeit  vielleicht  aus  der  Nebenform 
Job  für  Hiob  entstanden  sei.  Allein  der  Naiue  Joabsbrunnen 
ist  jedenfalls  nicht  ganz  jungen  Datums.  In  den  „Cippi  He- 
braici''  hat  Hottixgee  auch  das  aus  dem  16.  Jahrh.  stammende 
jüdische  Itinerarium  herausgegeben.  Schon  hier  findet  sich 
der  Name  y^öi^^j-brunnen.  Das  führt  auf  den  Gedanken,  dieser 
Name  sei  überhaupt  der  ältere  und  er  sei  von  den  Arabern"*, 


1)  S.  ZDPV  VII,  S.  144.  164.  Welches  die  weitere  Quelle  „von  nicht 
besonderem  Wasser"  sein  mag,  die  er  unterhalb  Sulwans,  aber  oberhalb 
des  Hiobsbrunnens  (S.  I(j4,  20  ff)  nennt,  lasse  ich  dahingestellt.  Es  wird 
wohl  der  dort  zutage  tretende  Wasserlauf  mit  Abwässern  sein. 

2)  „Und  wir  sagten  (zu  Hiob,  als  er  in  seiner  Pein  zu  Gott  rief): 
Stampfe  mit  deinem  Fuß  auf  die  Erde,  so  wird  eine  labende  Quelle  für 
dich  entstehen  zum  Waschen  und  Trinken.»  Vgl.  JEAS  (N.  Ser.)  XIX,  274. 

3)  a.  a.  0.  S.  164,  25  flf. 

4)  Vgl.  Cippi  Hebr.  (ed.  sec.)  Heidelb.  1662,  S.  48  f:  Infra  est  puteus 


4.  Brunnen  und  Quelle.  169 

die  mit  Joab  nichts  anzufangen  wußten,  in  den  Namen  Hiobs- 
bninnen  verwandelt  worden,  sei  es  min,  daß  der  Koran  schon 
unsern  Brunnen  im  Auge  habe,  sei  es,  daß  er  die  Veranlassung 
dazu  gab,  den  Joabsbrunnen  zum  Hiobsbrunnen  zu  machen. 
Da  Joab  das  Haupt  der  Partei  Adonias  ist,  und  da  seine  An- 
wesenheit bei  dem  Rogelbrunnen  der  Anlaß  für  das  über  ihn 
verhängte  Todesurteil  wird  —  eine  Angelegenheit,  die  gewiß 
noch  lange  die  Überlieferung  beschäftigte  — ,  ist  es  nicht  aus- 
geschlossen, daß  der  Name  Joabsbrunnen  direkt  auf  1  Kön  1 9 
zurückzuführen  ist^ 

4.  Brunnen  und  Quelle. 

Der  Ring  der  Beweisführung  für  die  Gleichsetzung  der 
Walkerquelle  mit  dem  heutigen  Hiobsbrunnen  ist  damit  ge- 
schlossen, und  es  läßt  sich  nach  alledem  mit  höchster  Wahr- 
scheinlichkeit behaupten,  daß  die  Begebenheit  von  1  Kön  I9 
sich  in  der  Tat  am  heutigen  Hiobsbrunnen  abgespielt  hat.  In 
diesem  Falle  sind  wir  aber  auch  in  der  Lage,  noch  eine  wei- 
tere Vermutung  wagen  zu  dürfen.  Doch  ist,  ehe  wir  dazu 
übergehen,  noch  ein  letztes  der  Gleichsetzung  der  beiden  Orte 
scheinbar  in  den  Weg  tretendes  Hindernis  zu  beseitigen. 

Mehrfach  in  der  Literatur  über  unsere  Frage-  begegnet 
man  dem  Bedenken,  daß  im  AT  immer  von  der  Quelle  ('j'^:?) 
Eogel  die  Rede  sei,  während  heute  durchweg  nicht  von  der 
Hiobsquelle,  sondern  vom  'K\Qi\i^bnmnen  (wvj)  gesprochen  wird, 
wie  denn  in  der  Tat  die  in  Frage  kommende  Wasserstelle 
heute  durchaus  den  Charakter  des  Brunnens  trägt.  Es  ist 
ein  ziemlich  hoch  über  die  Erde  hervortretender  Aufbau,  auf 
den  man  etwas  mühsam  heraufzusteigen  hat,  um  vom  Brunnen- 
rand in  die  Tiefe  zu  blicken  oder  mit  Hilfe  von  Seilen  und 
einem  zum  Wasserspiegel  hinabgelassenen  Eimer  oder  Gefäß 
zu  schöpfen.  Der  Brunnen  soll  38  m  tief  sein,  bis  zur  Mitte 
ausgemauert  und  von  da  ab  in  den  Fels  gehauen.  Er  ge- 
winnt sein  Wasser  im  Felsen  aus  unterirdischen  Kanälen  und 


magnus,  Joabo  tributus,    quem  Gentes  putettm  Jobi  appellant :     ^^  nta^bl 
.ai"!«  ^xn  öiian  1^  ^"iip'i  35<i'^b  Gni'^To  ^115  -ittn 

1)  Vgl.    noch    die    Beschreibug    des    Brunnens    bei    Kemal  ed-DFn 
(1470  n.  Chr.),  übersetzt  in  JRAS  XIX  (New  Ser.).  273  f. 

2)  S.  z.  B.  Buhl,  Geogr.  Paläst.  94. 


170  Kittel,  Studien.    III.  Der  Schlangenstein. 

scheint  von  Anfang-  an  dazu  bestimmt  gewesen,  das  unter- 
irdiscli  reichlich  fließende  Wasser  aufzufangend 

In  der  bisherigen  Untersuchung  ist  nun  mit  Bedacht  trotz- 
dem bald  von  der  Quelle,  bald  vom  Brunnen  Rogel  gesprochen. 
Sind  wir  dazu  berechtigt?  und  darf  überhaupt,  wenn  die  Dinge 
sich  so  verhalten,  wie  eben  beschrieben  ist.  von  einer  Gleich- 
stellung der  beiden  Gewässer  ernstlich  die  Rede  sein? 

Die  Frage  ist  zu  bejahen.  Zunächst  ist  daran  zu  erinnern, 
daß  allerdings  im  AT  im  allgemeinen  der  Unterschied  von 
Quelle  (]''5')  und  Brunnen  ("ii?n)  festgehalten  wird;  jenes  ist  das 
unmittelbar  an  die  Oberfläche  tretende  fließende  Wasser,  ein 
Gewässer,  das  der  Besucher  unmittelbar  aus  der  Erde  ..quellen" 
sieht,  dieser  das  durch  Nachgraben  zugänglich  gemachte,  unter 
der  Oberfläche  der  Erde  stehende  oder  vorüberfließende  Ge- 
wässer. Es  ist  aber  zugleich  hier  schon  klar,  daß  ein  Ge- 
wässer der  letzteren  Art,  bei  dem  man  durch  Graben  auf  ein 
unter  der  Oberfläche  fließendes  „lebendes"  Wasser  stößt,  der 
Quelle  viel  näher  steht  als  ein  stehendes,  wie  es  die  meisten 
Zisternen  darboten.    Solcher  Art  ist  der  Hiobsbrunnen. 

Jener  eben  erwähnte  Unterschied  zwischen  Quell  und 
Brunnen  wird  nun  aber  im  AT  tatsächlich  nur  im  allgemeinen 
festgehalten.  Im  einzelnen  wird  er  mehrfach  beiseite  ge- 
setzt, so  daß  die  Grenze  zwischen  beiden  in  Wahrheit  fließend 
wird.  Man  vergleiche  die  Erzählung  von  der  Brautwerbung 
für  Isaak  in  Gen  24.  Hier  wird  in  V.  11  berichtet,  daß 
Elieser  seine  Kamele  bei  einem  Brunnen  lagern  ließ,  zu  dem 
die  Frauen  des  Abends  herauskommen  um  Wasser  zu  schöpfen, 
und  unmittelbar  darauf  wird  in  V.  13  ff.  erzählt,  wie  Elieser 
betet:  wenn  nun  die  Töchter  der  Stadt  herauskommen  zur 
Quelle  um  Wasser  zu  schöpfen,  so  möge  das  und  das  geschehen. 
In  der  Tat  kommt  dann  in  V.  16  Eebekka  zur  Qtielle.  — 
Ähnlich  verhält  es  sich  in  Gen  26.  Dort  graben  nach  V.  19 
die  Leute  Isaaks  eine  Quelle  mit  fließendem  Wasser.  Es  ist 
also  eigentlich  ein  unter  der  Oberfläche  hinfließendes,  erst 
durch  Nachgraben  erschlossenes  Gewässer,  entweder  ein  wirk- 
licher Brunnen  oder  ein  auf  der  Grenze  zwischen  Quelle  und 

1)  Vgl.  Robinson,  Palästina  etc.  II  (1841),  ISSff.;  Furrer  in  Eiehms 
Handwörterb.  Art.  Rogel;  Güthe  in  PRE3  VIII,  680.  Zum  letztge- 
nannten Punkt  vgl.  auch  schon  die  Notiz  bei  MukaddasI,    oben    S.  168. 


5.  Der  Schlangensteiu.  171 

Brunnen  stehendes  Wasser.  Das  fühlt  der  Erzähler  selbst,  in- 
dem er  in  durchaus  bezeichnender  Weise  fortfährt  (V.  21; 
ähnlich  22):  Hierauf  gruben  sie  einen  andern  Brunnen.  Die 
Quelle  von  V.  19  ist  also  hier  tatsächlich  als  Brunnen  be- 
zeichnet. —  Desgleichen  redet  das  Onomasticon  ^  nur  von  der 
Quelle  Rogel,  wie  auch  der  Koran  und  Mukaddasi  an  den 
eben  angezogenen  Stellen  bald  vom  Brunnen  bald  von  einer 
Quelle  sprechen.  Ja  selbst  die  arabische  Übersetzung  zu 
2  Sam  17  17,  sei  sie  nun  aus  dem  hebräischen  oder  aus  dem 
syrischen  2  Texte  geflossen,  gibt  die  Quelle  ihrer  Vorlage  mit 
Brunnen  wieder. 

Daraus  geht  zur  Genüge  hervor,  daß  es  wohl  nur  Zufall 
ist,  wenn  im  AT  immer  Quelle  Rogel  und  nie  Brunnen  Bogel 
gesagt  ist:  jedenfalls  darf  aus  diesem  Sprachgebrauch  keinerlei 
entscheidender  Schluß  gezogen  werden.  Es  geht  dies  um  so 
weniger  an,  als.  wie  oben  dargetan,  der  Hiobsbrunuen  selbst  ge- 
rade zu  jener  Klasse  von  Brunnen  gehört,  die  auch  das  AT 
mit  gewissem  Rechte  als  Quellen  bezeichnen  kann.  Wie  stark 
dieser  Brunnen  heute  noch  sich  der  „Quelle"  annähert,  geht 
daraus  hervor,  daß  er  nach  starkem  Regen  überströmt  ^  oder 
auch  sein  Wasser  an  einer  andern  Stelle  an  die  Oberfläche 
treibt.  Dann  ist  er  zur  wirklichen  Quelle  geworden  und  bleibt 
es  zuweilen  2  Monate.  Es  ist,  da  das  alte  Palästina  mehr 
Wald  besaß  als  das  heutige,  also  auch  mehr  fließende  Ge- 
wässer, zudem  gar  nicht  ausgeschlossen,  daß  dies  im  Altertum 
die  Regel  war,  der  heutige  Brunnen  also  einst  im  vollen  Sinne 
ein  Quell  heißen  konnte. 

5.  Der  Schlangenstein. 

Sind  wir  also  berechtigt,  den  Faden  unsrer  Untersuchung 
ungehindert  fortzuführen,  so  können  wir  nunmehr  einen  wei- 
teren Schritt  unternehmen.  Das  verhängnisvolle  Konventikel 
trägt  den  Charakter  eines  Opferfestes:  Adonia  schlachtet  Schafe 
und  Rinder   am  Schlangensteine   zur   Seite  der  Walkerquelle. 


1)  E.  Klostermann,  Euseb.  ünom.  1904,  S.  94,  6.  144,  13. 

2)  S.  PRE3  in  94,  10. 

3)  S.  z.  B.  ZDPV  Xir  ]3Ü  (im  Winter  18S8/9). 


172 


Kittel,  Studien.    III.  Der  Schlangenstein. 


Jedes  Schlachtfest  ist,  wie  überall  bei  den  Semiten,  so  auch 
in  Israel  von  Hause  aus  in  gewissem  Umfange  ein  Opferfest. 
Das  heißt,  es  wird  an  einem  Altar  oder  einer  verwandten 
heiligen  Stätte  vollzogen,  um  der  Gottheit  das  Blut  und  die 
ihr  etwa  gebührenden  Fett-  und  Fleischteile  zukommen  zu 
lassen.  Der  Altar  braucht  weder  einen  Tempel  über  oder 
neben  sich  zu  haben,  noch  braucht  er  ein  künstlicher  Aufbau 


Abb.  32.    Der  Hiobsbrunnen  mit  Schlangenstein, 


ZU  sein.  Ein  besonders  gearteter  Feldstein,  vollends  wenn  er 
durch  Überlieferung  geweiht  ist,  tut  ebenso  wie  ein  aus 
Erde  geschichteter  Altarhügel  (Ex  20  24)  den  Dienste  Ein 
solcher  „Altar"  im  weitesten  Sinn  des  Wortes  scheint  der 
Schlangenstein  gewesen  zu  sein.  Er  mag  ein  vorisraelitisches 


1)  Vgl.  Rieht  6 ;  1  Sam  14  und  die  Abhandlung  über  den  primitiven 
Felsenaltar  oben  S.  97  ff. 


5.  Der  Schlangenstein. 


173 


Denkmal  eines  bei  den  Jebusiten,  in  deren  Besitz  Jerusalem 
bis  auf  David  gewesen  war,  mit  der  Quelle  verbundenen 
Schlangenkultus  gewesen  sein,  gehörte  also  wohl  seit  unvor- 
denklichen Zeiten  zur  Quelle  Eogel.  Daß  Adonia  dem  Schlangen- 
dämon hier  opferte,  ist  nicht  gesagt.  Der  Name  mag,  wie 
mancher  kanaanäische  Name,  geblieben  sein,  auch  wenn  man 
hier  längst  Jahwe   opferte.     Doch   wäre    auch    nicht    ausge- 


Abb.  33.    Der  Schlangenstein. 


schlössen,  daß  die  bis  auf  Hiskia  in  Jerusalem  verehrte  Erz- 
schlange, die  man  im  Laufe  der  Zeit  auf  Mose  selbst  zurück- 
führte, ursprünglich  mit  dem  Schlangenstein  und  der  Quelle 
Eogel  im  Zusammenhang  gestanden  hätte. 

Nun  steht  in  der  Tat  bis  auf  den  heutigen  Tag  in  nächster 
Nähe  des  Hiobsbrunnens  ziemlich  genau  in  der  Eichtung  gegen 
Jerusalem  hin  ein  mächtiger  Steinwürfel,  nicht  viel  weniger  als 
1  Meter  hoch  und  ebenso  breit  und  tief.  (Abb.  32  u.  33).  Er  liegt 


j^74  Kittel,  Studien.    III.  Der  Schlangenstein. 

von  allen  Seiten  frei  auf  der  kleinen  ebenen  Fläche,  die  den 
Brunnen  umgibt.  Als  ich  die  Stätte  zum  erstenmal  betrat 
und  den  Stein,  der  zu  einem  Opferstein  wie  geschaifen  ist, 
sah,  war  mein  erster  Gedanke  der  an  den  Schlaugenstein  von 
1  Kön  1.  Ich  bat  einen  der  gewiegtesten  Kenner  palästinischer 
Altertümer,  Herrn  Baurat  Dr.  Schuhmacher  aus  Haifa,  der  sich 
zur  Zeit  in  Jerusalem  aufhielt,  zum  Zweck  einer  zweiten  Be- 
sichtigung des  Ortes  um  seine  Begleitung;  auch  zwei  andre 
sachkundige  Herren  schlössen  sich  an.  Wir  besichtigten  den 
Stein  nochmals  gemeinsam  von  allen  Seiten,  alle  Verdachts- 
gründe gegen  meine  Vermutung  wurden  erwogen,  ohne  daß 
ich  irgend  welchen  Grund  gehabt  hätte,  die  Vermutung  —  die 
natürlich,  da  von  einem  zwingenden  Beweise  nicht  die  Rede 
sein  kann,  nur  als  solche  gelten  will  —  zurückzuziehen. 

Einer  der  mich  begleitenden  jüngeren  Gelehrten  äußerte 
den  Einwand:  von  Schlangengestalt  sei  aber  doch  bei  dem 
Steine  nicht  des  Geringste  zu  sehen.  Jedoch  wird  man  diese 
Forderung  schwerlich  mit  Grund  stellen  dürfen.  Daß  es 
nicht  nur  eherne  Schlangenidole  wie  den  in  2  Kön  18iff.  ge- 
nannten Nehustän '  gab,  sondern  auch  steinerne,  steht  außer 
Zweifel.  Ein  Beispiel  eines  solchen  hat  sich  in  Petra  er- 
halten: auf  einem  Steinblock  windet  sich  um  einen  aus  dem 
Blocke  selbst  herausgehauenen  steinernen  Aufsatz  eine  mächtige 
Schlange  (s.  Abb.  34).  iihnlich  könnte  natürlich  unser  Schlan- 
genstein ebenfalls  beschaffen  gewesen  sein,  obwohl  das  Idol 
von  Petra  vermutlich  aus  ziemlich  späterer  Zeit  stammt.  Aber 
eine  Notwendigkeit  dies  anzunehmen  liegt  nicht  vor.  Wenn  an 
der  Quelle  ein  Schlangenkult  haftete,  und  wenn  etwa  gar  ein 
selbständiges  Schlangenidol  hier  gestanden  haben  sollte,  so 
konnte  der  Stein  lediglich  ii^  seiner  natürlichen  Gestalt  als 
Altar-  und  Opferstein  nach  ihnen  benannt  sein. 

Herr  Dr.   Schuhmacher   selbst    äußerte   nun   weiter   an- 


1)  Man  denke  auch  an  die  eherne  Schlangensäule  auf  dem  Hippo- 
dram  von  Konstantinopel.  Sie  besteht  aus  drei  in  sich  verschlungenen 
Schlangenleibern ,  die  oben  auseinandertretend  mit  den  Hälsen  und 
Köpfen  in  einen  Dreifuß  ausmünden,  der  eine  Schale  trug.  Der  eine 
noch  erhaltene  Kopf  befindet  sich  im  Ottomanischen  Museum.  Das  Ganze 
war  ein  Weihgeschenk  der  griechischen  Stämme  an  das  Heiligtum  zu 
Delphi  nach  der  Schlacht  bei  Platää.  —  Ob  ein  Idol   wcggemeißelt  ist? 


5.  Der  Schlangenstein. 


175 


fangs  das  Bedenken,  daß  der  Stein  nicht  mit  dem  Erd- 
boden selbst  verwachsen,  also  nicht  ein  über  die  Humus- 
schicht heraufragendes  Stück  des  Felsbodens  sei,  sondern  ein 
zu  irgend  einer  Zeit  hierher  —  durch  Menschenhand  oder 
Naturgewalt  —  versetzter  Block.  Doch  überzeugte  er  sich, 
soweit  ich  mich  erinnere,  angesichts  von  Stellen  wie  1  Sam  14  33 


Abb.  34.    Schlangenidol  aus  Petra. 


selbst  davon,  daß  jenes  Merkmal  keineswegs  notwendig  zum 
Wesen  eines  Opfersteins  gehört.  Die  eigentümlich  würfel- 
artige Gestalt,  die  der  durch  seine  Größe  von  der  Umgebung 
sich  abhebende  Block  allem  Anschein  nach  von  Anfang  an 
besaß,  konnte  ausreichender  Grund  sein,  sollte  er  nicht  längst 
schon  hier  gestanden  haben,  ihn  an  seine  jetzige  Stelle  unmittel- 
bar vor  der  Quelle  zu  wälzen  und  ihm  die  Funktion  des  zu 
ihr  gehörigen  Opfer-  oder  Schlaclitsteines  zu  verleihen. 

Ein  weiteres  Moment  gegen  den  Stein  als  den  Schlangen- 


176  Kittel,  Studieu.    III.  Der  Schlangenstein. 

stein  oder  überhaupt  als  einen  Stein  von  besonderer  Bedeutung 
wurde  von  Dr.  Schuhmacher  aus  der  unmittelbar  vor  ihm 
stehenden  Mauer  abgeleitet.  Man  sieht  auf  Abb.  32,  wie  wenige 
Schritte  vom  Steine  entfernt  sich  eine  aus  starken,  kaum  oder 
nur  ganz  roh  zubehauenen  Steinblöcken  hergestellte  niedrige 
Mauer  hinzieht.  Sie  grenzt  den  Raum  um  den  Brunnen  gegen 
den  nach  Norden  ansteigenden  Zionhügel  ab.  Es  wurde  des- 
halb von  Dr.  Schuhmacher  die  Vermutung  geäußert,  ob  der 
in  Frage  stehende  Block  nicht  einfach  als  ehemaliger  Teil 
jener  Mauer  zu  gelten  habe,  so  daß  er  im  Laufe  der  Zeit  einmal 
von  ihr  abgerollt  und  hierher  geraten  sei.  Doch  meine  ich 
sagen  zu  können,  es  habe  bei  allen  damals  Anwesenden  bei 
näherer  Besichtigung  Übereinstimmung  darüber  geherrscht, 
daß  auch  diese  Möglichkeit  nicht  ernstlich  in  Betracht  kommen 
könne. 

Einmal  ist  der  Stein  viel  größer  als  die  sämtlichen  ihm 
gegenüber  stehenden  Mauersteine.  Sodann  ist  nirgends  in  der 
Mauer  eine  Lücke  der  Art,  daß  man  ihn  sich  in  sie  hinein- 
denken könnte.  Drittens  ist  an  ein  „zufälliges''  Hierhergeraten 
aus  der  Nachbarschaft,  vor  allem  an  ein  Abgerolltsein  aus 
jener  niedrigen  Mauer  tatsächlich  gar  nicht  zu  denken,  da  er 
viel  zu  schwer,  zugleich  zu  eckig  und  zu  weit  von  der  Mauer 
entfernt  ist,  als  daß  man  sein  Hierherkommen  auf  diese  Weise 
erklären  könnte.  Er  muß  entweder  immer  dagestanden 
haben  oder  er  muß  durch  Menschenhand  zu  einem 
ganz  bestimmten  Zwecke  hierher  geschafft  worden 
sein.  Zu  dieser  Überzeugung  wird  man  bei  der  Untersuchung 
an  Ort  und  Stelle,  wie  mir  scheint,  mit  Notwendigkeit  geführt. 

Nun  ist  natürlich  immer  noch  die  Frage:  ob  der  Zweck, 
wenn  wir  einmal  annehmen,  daß  ein  solcher  anerkannt  werden 
müsse,  gerade  der  von  mir  behauptete  gewesen  sei.  Ich  selbst 
habe  an  Ort  und  Stelle  mir  und,  irre  ich  nicht,  auch  meinen 
sachkundigen  Begleitern  die  Frage  vorgelegt,  ob  der  Stein 
nicht  einfach  als  eine  Art  Steinbank  zu  denken  sei,  die  zum 
Abstellen  und  Aufnehmen  der  Lasten,  etwa  der  Wasserschläuche 
und  -gefäße  der  Schöpfenden  gedient  habe.  Allein  einmal  ist 
er  für  diesen  Zweck  doch  zu  nahe  an  der  Mauer,  so  daß  man 
sich  nicht  denken  kann,  warum  die  Leute  nicht  die  Mauer 
selbst  benutzten,  die  hierzu  niedrig  genug  war.    Sodann  aber 


5.  Der  Schlangenstein.  177 

belehrt  ein  Blick  iu  die  zwischen  dem  Stein  und  dem  eigent- 
lichen Brunnen  stehende  Steinbehausung,  daß  in  ihr  für  diesen 
Zweck  reichlich  gesorgt  ist'.  Hier  laufen  an  den  Wänden 
Steinbänke  um.  zum  Rasten  der  Schöpfenden  und  zum  Ab- 
stellen der  Gefäße,  so  daß  man  des  Steines  nicht  bedarf. 

Zwar  wird  behauptet,  die  Steinhütte  sei  eine  in  Verfall 
geratene  kleine  Moschee.  In  diesem  Falle,  könnte  man  viel- 
leicht denken,  sei  für  den  genannten  Zweck  doch  nicht  aus- 
reichend gesorgt  gewesen  und  der  Block  somit  doch  wohl  zum 
Abstellen  der  Lasten  hergestellt  worden.  Auch  könnte  an- 
genommen werden,  die  Moschee  sei  jüngeren  Datums  und  der 
Stein  schon  vorher  zu  jenem  Zwecke  hergeschafft.  Allein  hier 
ist  zu  bedenken,  daß,  wenn  die  Nachricht  begründet  ist,  woran 
ich  nicht  zu  zweifeln  wage-,  sie  nur  aufs  neue  wahrscheinlich 
macht,  daß  hier  eine  altheilige  Stätte  sich  befand.  Stand  eine 
Moschee  hier,  so  verdankt  sie  wohl  ihren  Ursprung  dem  Um- 
stände, daß  an  der  Stätte  sich  ein  Quellenheiligtum  befunden 
hatte,  das  vom  Islam  in  seiner  Weise  übernommen  wurde. 
In  diesem  Falle  wird  es  aber  dann  aufs  neue  wahrscheinlich, 
daß  der  Stein  eine  feste,  mit  dem  Heiligtum  im  Zusammenhang 
stehende  Bestimmung  hatte.  Daß  er  weder  durch  Josia  noch 
bei  der  Umwandlung  des  der  heidnischen  oder  christlichen  Be- 
völkerung des  7.  Jahrh.  n.  Chr.  noch  als  heilig  geltenden  Platzes 
in   ein   muslimisches  Heiligtum   zertrümmert  wurde,   sondern 


1)  Natürlich  ist  damit  nicht  gesagt,  daß  der  Stein  nicht  heute  gelegent- 
lich auch  hierzu  benutzt  wird.  (Der  in  Abb.  33  am  Boden  liegende  Grasbündel, 
den  eben  zwei  Mädchen  unter  grimmigem  Schelten  zusammenraffen,  hatte 
unmittelbar  vor  der  Aufnahme  selbst  hier  gelegen  und  ist  erst  von  mir, 
da  Bitten  nichts  genutzt  hatten,  etwas  unsanft,  so  daß  der  Knoten  sich 
löste,  heruntergeschoben  worden.  Aber  er  war  hier  abgesetzt  worden, 
nicht  weil  er  nicht  auch  hätte  auf  der  Erde  oder  der  nebenstehenden 
Mauer  oder  in  der  Hütte  liegen  können,  sondern  lediglich,  um  mir  nach, 
einer  schon  gemachten  photograpliischen  Aufnahme  nicht  eine  weitere  zu 
ermöglichen.  Die  Abneigung  der  Eingebornen  gegen  den  verhaßten 
„Bild"kasten,  genährt  ebensosehr  durch  das  religiöse  Verbot  des  Bild- 
nisses, wie  durch  den  unheimlichen  Charakter  der  im  Kasten  spukenden 
Hexerei,  kennt  in  Verbindung  mit  der  Gier  nach  Bachschisch  immer  neue 
Schliche,  dem  Fremden  Aufnahmen  zu  erschweren).  Aber  die  Frage  ist 
immer,  ob  der  Stein  —  falls  Menschenhand  ihn  herschaffte  —  erstmals 
um  dieses  Zweckes  willen  hergestellt  worden  wäre. 

2)  Vgl.  schon  MuKADDASi  in  ZDPV  VII 164. 

Kittel,  Beiträge.  '  12 


178  Kittel,  Studien.    III.  Der  Schlangenstein. 

erhalten  blieb,  verdankt  er  dem  Umstände,  daß  er  kein  Idol 
trug  und  sonst  durch  kein  sichtbares  Kennzeichen  sich  als 
heiligen  Stein  kundtat. 

Es  bleibt  noch,  soweit  ich  sehe,  als  letzte  Möglichkeit, 
daß  der  Stein  zwar  allezeit  hier  stand,  jedenfalls  nicht  für 
einen  bestimmten  Zweck  von  Menschenhand  hergetragen  wurde, 
aber,  nachdem  er  einmal  da  war,  entweder  unbeachtet  und 
unbenutzt  liegen  blieb  bis  zum  heutigen  Tage  oder  gelegent- 
lich, weil  er  eben  gerade  dastand,  zu  profanen  Zwecken  der 
oben  genannten  Art,  wie  das  Abstellen  von  Lasten  usw.  be- 
nutzt wurde,  wie  das  heute  noch  gelegentlich  geschehen  mag. 
Ihr  gegenüber  muß  ich  zunächst  noch  einmal  betonen,  daß  die 
Stellung  gerade  vor  dem  Eingang  zum  Brunnen  oder  wenigstens 
der  ihm  vorgelagerten  Behausung,  und  die  fast  symmetrische 
Gestalt  den  bestimmten  Eindruck  erwecken,  der  Stein  sei  von 
Menschenhand  hergeschafft  worden.  In  diesem  Falle  aber  muß 
er  einem  bestimmten  Zwecke  haben  dienen  sollen.  Wird  der 
vorhin  genannte  profane  Zweck  durch  das  oben  Ausgeführte 
ausgeschlossen,  so  bleibt,  vor  allem,  wenn  wir  den  geweihten 
Charakter  von  Quellen  und  Brunnen  und  die  Wahrscheinlich- 
keit des  Vorhandenseins  eines  alten  Quellenheiligtumes  an 
unsrer  Stelle  im  Auge  behalten,  überhaupt  kein  anderer  als  ein 
heiliger  Zweck  übrig:  es  ist  der  Schlacht-  und  Opfer- 
stein für  die  vor  Zeiten  einmal  hier  dem  Numen  der 
Quelle,  das  als  Schlangengottheit  gedacht  ist,  zu  Ehren 
oder  unter  seinem  Schutze  geschlachteten  Tiere. 

6.   Die  Drachenquelle. 

Eine  weitere  Vermutung  bestätigt  unser  Ergebnis.  Das 
Buch  Nehemia  erzählt  2 13,  daß  Nehemia,  als  er  des  Nachts 
einen  Kitt  um  die  Stadt  machte,  beim  Taltor  Jerusalem  ver- 
lassen habe,  um  in  der  Richtung  auf  die  DracJienqiielle 
(VDnn  Xt)  ^   an   das  Misttor  2,   dann  zum  Quelltor  und  dem 

1)  ®  liest  allerdings  xwv  avxcüv  =  'paNFin,  Quelle  bei  den  Feigen- 
bäumen. Man  wird  aber  schwerlich  Grund  haben,  dieser  LA  zu  folgen. 
Sie  sieht  gauz  nach  künstlicher  Beseitigung  des  anstößigen  Namens  in 
der  Weise  von  ZB  bei  1  Kön  1  9  aus. 

2)  rsirxri  "i:."r-^xi  ^^^tt^  'pr  i:s-bx'i  =  und  zwar  in  der  Richtung 
auf  die  Drachenquelle  und  dabei  nach  dem  Misttor  hin. 


6.  Die  Dracheuquelle.  179 

Königsteich  und  von  da  ins  Tal  zu  kommen.  Unter  allen  Um- 
ständen ist  damit  die  Richtung  gegen  das  Kidrontal  und  dann  in 
ihm  oder  an  ihm  hin  gemeint.  Und  da  das  Taltor  seiner  Lage 
nach  so  gut  wie  gesichert  ist,  nämlich  nahe  der  Südwestecke 
der  alten  Stadt  *,  so  muß  die  nächste  Eichtung  des  Rittes  nach 
Osten  gehen.  Das  Misttor  muß  demnach  zum  Kidrontal  oder 
dem  Hinnomtal  nahe  der  Vereinigung  beider-  geführt  haben, 
es  diente  dazu  den  Unrat  der  Davidsstadt  zu  Tale  zu  fördern; 
noch  heute  dient  das  untere  Kidrontal  zur  Aufnahme  der 
Kloaken  Jerusalems.  Demnach  muß  auch  die  Drachenquelle 
in  dieser  Richtung  vom  Taltor  aus  liegen.  Mit  ihr  kann  so- 
nach nur  entweder  der  Gihon  oder  unsere  Quelle  Rogel,  der 
Hiobsbrunnen,  gemeint  sein.  Tatsächlich  scheidet  der  Gihon 
aus,  da  Nehemia  erst  in  V.  14  umbiegt  ("ih^i^i)  in  der  Richtung 
noch  dem  Quelltor  und  dem  Königsteich.  Damit  ist  natürlich 
die  Richtung  gegen  den  Siloateich  und  die  dortigen  Wasser, 
also  eine  Wendung  nach  Norden  gemeint  3.  Es  bleibt  somit 
für  die  Drachenquelle  von  selbst  nur  der  Hiobsbrunnen  übrig. 
Bertholet  ^  hat  dagegen  eingewandt,  da  der  Hiobs- 
brunnen am  Vereinigungspunkt  der  Täler  Kidron  und  Hinnom 
liege,  käme,  falls  die  Drachenquelle  mit  der  Quelle  Rogel  und 
diese  mit  dem  Hiobsbrunnen  identisch  wäre,  ihre  Erwähnung 
zwischen  Tal-  und  Misttor  zu  früh.  Er  scheint  also  zu  er- 
warten, daß  die  Reihenfolge  in  diesem  Falle  lauten  müßte: 
Taltor,  Misttor,  Drachenquelle.  In  der  Tat  handelt  es  sich 
aber  ja  gar  nicht  um  den  Besuch  der  Drachenquelle,  sondern 
nur  um  die  Richtung  zu  ihr.  Das  ist  die  östliche  Richtung. 
Nehemia  konnte  ja  an  sich  vom  Taltor  auch  in  westlicher  oder 
nordwestlicher  Richtung  ^   gegen   das   heutige  Jafator  gehen. 


1)  Hier  kommen  besonders  die  Ausgrabungen  des  Pal.  Explor.  Fund 
(Buss)  in  Betracht  (1894-97).     S.  auch  Guthe  in  PRE3  VIII  679,  1  ff. 

2)  Es  ist  nach  Neh  3  13  1000  Ellen  =  etwa  500  m  vom  Taltor  ent- 
fernt.   Die  Karte  in  Bädeker  Pal.c  bei  S.  2C,  27  ist  demnach  zu  berichtigen. 

3)  An  sich  bedeutet  ja  laS-'  hier,  wie  der  zweite  Halbvers  zeigt,  nur 
„fortschreiten",  nicht  gerade  „übersetzen,  umbiegen".  Aber  es  setzt  doch 
nicht  das  einfache  Weitergehen  voraus,  sondern  das  Überwinden  eines 
Hindernisses,  hier  also  entweder  das  Überschreiten  des  Tyropöons  ZDPV 
V,  297  oder  das  Umwenden  nach  Norden. 

4)  Im  Kommentar  zu  Neh  2 13. 

5)  Vgl.  das  'i3S-l=5<  in  Neh.  2  13. 

12* 


180  Kittel,  Studien.    III.  Der  Schlangenstein. 

Jene  Richtung  wird  durch  die  Anführung  der  Quelle  als  eines 
allgemein  bekannten,  an  einem  von  jedermann  begangenen 
"Wege  liegenden  Ortes  besonders  deutlich  bezeichnet.  Da  beide, 
Quelle  und  Tor,  einander  gegenüberliegen,  so  ist  es,  um  die 
östliche  Richtung  erkennen  zu  lassen,  vollkommen  gleichgültig, 
ob  das  eine  oder  das  andre  zuerst  genannt  wird.  Es  kann 
somit  bei  der  Gleichsetzung  von  Drachenquelle  und  Rogel- 
quelle  wohl  bleiben,  und  man  hat  nicht  nötig  eine  unbekannte, 
inzwischen  versiegte  Quelle  zu  entdecken. 

Ist  aber  unsre  Walkerquelle  mit  dem  Schlangenstein  das- 
selbe wie  jene  Drachenquelle  Neheniias,  so  wird  es  noch  deut- 
licher als  zuvor,  woher  der  Stein  seinen  Namen  hat^  Die 
Quelle  selbst  hatte  neben  ihrem  sozusagen  profanen  noch  einen 
andern,  auf  die  an  ihr  waltend  oder  in  ihr  weilend  ^  gedachte 
Schlangengottheit  weisenden  Namen.  Sie  ist.  wie  vermutlich 
bei  den  Kanaanitern  jede  Quelle,  eine  heilige  Quelle,  und 
der  neben  ihr  stehende  Schlangenstein  ist  aufs  neue  und  von 
anderer  Seite  her  als  der  zum  Schlangenheiligtum  ge- 
hörige Opferstein  erwiesen. 

7.    Der  Fels  Zahwele. 

Doch  können  wir  uns  auch  bei  diesem  Ergebnisse  nicht 
beruhigen,  ehe  noch  gewisse  abweichende  Meinungen  be- 
leuchtet sind. 

Es  ist  bisher  stillschweigend  vorausgesetzt,  daß  nbn-Tn  px 
wirklich  den  Schlangenstein  bedeute.  Es  versteht  sich  von 
selbst,  daß.  wäre  diese  Übersetzung  nicht  richtig,  auch  die 
ganze  auf  sie  gegründete  weitere  Erörterung  in  der  Luft 
stünde.  In  der  Tat  hat  Wellhausen  dem  Steine  eine  andere 
Deutung  zu  geben  versucht.  Er  bemerkt  3,  der  (arabische) 
Name  Zuhal^=  Saturn  erinnere  an  die  nbnr  ps  von  1  Kön  1  o. 
Demnach  wäre  nach  ihm  der  bewußte  Stein  bei  der  Walker- 


1)  S.  dazu  schon  Staue  Gesch.  d.  V.  Isr.  II  165. 

2)  S.  Cgrtiss,  Ursemitische  Religion  im  Volksleben  des  heutigen 
Orients  1903,  S.  113  flF.  121  f.  Vgl.  ZDPV  X,  170  u.  die  Abhandig.  über 
den  primitiven  Felsenaltar  oben  S.  101.  108.  114  AT. 

3)  Reste  arab.  Heident.2  146. 


7,  Der  Fels  Zahwele.  181 

quelle,  den  Adonia  als  Opferstein  benutzte,  ein  Saturnstein 
gewesen. 

Auch  in  diesem  Falle  könnte  natürlich  unser  Stein  ge- 
meint sein;  denn  alle  die  oben  vorgeführten  Gründe,  die  für 
einen  alten  Opferstein  sprechen,  blieben  auch  dann  in  Kraft. 
Nur  wäre  der  Stein  nicht  ein  Schlangen-  sondern  ein  Saturnstein. 
Aber  für  recht  wahrscheinlich  kann  ich  diese  Deutung  von 
zohelet  nicht  halten.  Es  ist  ja  wohl  anzunehmen,  daß  ein 
arabisches  Jo»\,  das  einem  hebräischen  briT  entsprechen  würde, 
bei  den  Arabern  —  aus  welchem  Grunde  immer,  kann  hier 
dahingestellt  bleiben;  denn  tatsächlich  bedeutet  das  Wort  auch 
im  Arabischen  „gleiten,  rutschen''  —  dem  Planeten  Saturn 
den  Namen  gegeben  hat '.  Jedenfalls  aber  hat  im  Hebräischen 
das  Verbum  briT  seine  feste,  ausreichend  bezeugte  Bedeutung. 
Es  kommt  außer  unsrer  Stelle  zweimal  ^  vom  Kriechen  der 
Schlange  vor.  Die  Wahrscheinlichkeit  spricht  also  dafür,  daß 
auch  im  dritten  Falle  die  Kriechende,  d  h.  die  Schlange  zu 
übersetzen  sein  werde,  wobei  hier  schon  bemerkt  werden  mag, 
daß  auch  im  Vulgärarabischen  der  Fellachen  des  heutigen 
Jerusalem  3  .zahwele  nichts  anderes  bedeutet  als  „Gleitbahn, 
Eutschbahn".  Es  kommt  dazu,  daß  sonst  der  Saturn  "jl^D  heißt 
(Am  5  26),  und  daß  seine  Verehrung  im  AT  vor  Amos  nicht 
genannt  wird,  und  auch  da  nur  in  Form  von  Bildern  oder 
Bildsäulen  des  Saturn,  von  denen  angenommen  werden  kann, 
daß  sie  in  Israel  erst  eine  Folge  der  neuerdings  gewonnenen 
engen  Beziehung  zu  Assur  waren  Man  wird  also  die  Über- 
setzung Schlangenstein  beibehalten  müssen. 

Ganz  anderer  Art  ist  ein  anderer  Einwand.  Clermont- 
Ganneau  hat  soweit  mir  bekannt,  zum  erstenmal  darauf  aufmerk- 
sam gemacht^,  daß  der  Name  nbnrn  in  der  Form  ez- Zahwele 
heute  an  einer  ganz  andern  Stelle  als  dem  Hiobsbrunnen  hafte, 
nämlich  an  einem  Felsen  innerhalb  des  Dorfes  Silwan.  Wenn 
dieser  Stein   im   übrigen   zu   der   in   1  Kön  1   gegebenen  Be- 

1)  S.  DozY,  Supplem.1582  (der  Gleitende?  oder  der  Ferne?),  auchLANE, 
Lexic.  arab.  1220.  Vgl.  Ä'^/wa«  =  der  Feststehende?  Gesen.-Buhl,  Lex.i* 

2)  ^BS  "^briT  Dt  32  24  und  ynx  i^nt  Mi  7  i7. 

3j  Vgl.  LöHR,  Der  vulgärarabische  Dialekt  des  heut.  Jerus.  (1905)  S.  5. 
4)  Survey  of  Western  Palest.  (Jerusalem)  1884,  293.   S.  weiter  Bühl, 
Geogr.  94;  Bürney,  Notes  ou  the  hebr.  text  of  .  .  Kings  1903,  S.  5  f. 


182 


Kittel,  Studien.     III.  Der  Schlaogenstein. 


Schreibung  paßt,   so  müßte   natürlich  um  des  Namens  willen 
der  ganze  Hergang  von  1  Kön  1  dorthin  verlegt  werden. 

Ich  habe,  um  mir  auch  hierüber  Klarheit  zu  verschaffen, 
dem  Hiobsbruuuen  einen  weiteren  —  den  dritten  —  Besuch 
abgestattet.  Es  war  am  späten  Vormittag  eines  sonnigen 
Frühlingstages,  an  dem  auf  den  den  Brunnen  umgebenden 
Feldern   die  Fellachen   von  Silwan   zahlreich   an   der  Arbeit 


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Abb.  35.    Der  Fels  Zahwele. 


waren.  In  zwei  Fällen  wurde  meine  Frage  nach  dem  Stein 
Zahwele  mit  Kopfschüttelu  und  einem  abweisenden  ma  ''ärif 
„weiß  nicht!"  beantwortet.  Das  drittemal  —  es  war  ein  Mann 
von  25— 3i)  Jahren  mit  seiner  ihn  bei  der  Arbeit  unterstützenden 
Frau,  und  am  Rande  des  Ackers  stand  die  Wiege  mit  dem 
Säugling  —  erwiderte  erst  der  Mann  sein  via  ''ärif,  und  ich 
begann  schon  an  der  Richtigkeit  der  Nachricht  von  jenem 
Steine  oder  Felsen  zu  zweifeln,  als  plötzlich  die  Frau  sich 
dazwischenlegte    und    ilm    daran    erinnerte,    daß    es    einen 


7.  Der  Fels  Zahwele. 


18J 


solchen  Stein  in  der  Tat  gebe,  worauf  er  gegen  das  Dorf  hin- 
wies. Ich  bat  ihn,  mir  den  Stein  zu  zeigen,  wozu  er  nach 
längerem  Hin-  und  Herreden  über  die  stattliche  Entfernung 
und  nachdrücklicher  Betonung,  daß  mit  Rücksicht  darauf  so- 
wie min  scluin  ihueled  „mit  Rücksicht  auf  das  Kind"  die 
Größe  des  Bachschisch  entsprechend  zu  bemessen  sei,  sich 
dann  auch  entschloß. 


Abb.  30.     Der  Jb'els  Zahwele. 


Ich  wurde  nach  dem  an  den  Felsabhang  angelehnten  Dorf 
Silwan,  dann  auf  dem  durch  das  Dorf  hindurchführenden 
Felsenpfad  eine  ziemliche  Strecke  bergan  geführt.  Als  ich 
schon  ungeduldig  werden  wollte,  weil  mein  Führer  auf 
meine  mehrfach  erhobene  Frage,  wo  denn  nun  der  Stein  — 
ich  suchte  immer  mit  den  Augen  nach  einem  Felsblocke  von 
der  Art  dessen,  den  ich  vom  Hiobsbrunnen  her  kannte  — 
sei,  immer  nur  nach  vorne  gewiesen  hatte,  machte  er  endlich 
an  einem  Punkte  Halt  und  bedeutete  mir,  das  sei  der  Fels,  den 


184  Kittel,  Studien.    III.  Der  Schlangenstein. 

ich  suche.  Wir  befanden  uns  ziemlich  gegenüber  der  Marien- 
quelle. Ich  stand  wider  Erwarten  vor  einem  mächtigen, 
haushohen  und,  irre  ich  nicht,  doppelt  oder  dreifach  so  lang 
sich  hinziehenden  Felsen,  der  unmittelbar  an  den  Abhang,  fast 
nur  den  Weg  zwischen  sich  und   diesem  lassend,  herantrat. 

In  den  Felsen  waren  Öffnungen  von  verschiedener  Größe 
eingehauen,  wie  man  sie  bei  alten  Felsengräbern  oder  Felsen- 
wohnungen antrifft,  z.  B.  im  Wadi  'ajün  Müsa  am  Fuße  des 
Nebo  im  Ostjordanlande  oder  auf  dem  Wege  nach  Hebron 
1  —  2  Stunden  hinter  den  Teichen  Salomos.  Eines  der  Löcher, 
das  größte,  ist  mit  einer  Tür  versehen  und  mag  heute  als  Stall 
oder  Scheune  dienen.  Auf  den  Fels  selbst  waren  Dorf  häuser 
hinaufgebaut,  aus  deren  einem  einer  der  Bewohner  das  An- 
erbieten, mir  die  Tür  unten  zu  öffnen,  herabrief. 

Ich  zog  es  vor,  mir  einen  Standort  zu  suchen,  um  den 
Stein  Zahwele  im  Bilde  festzuhalten,  was  nicht  ganz  leicht 
war,  da  der  unmittelbar  herantretende  Abhang  es  unmöglich 
machte,  die  nötige  Entfernung  zu  gewinnen.  So  gelang  es 
mir  nicht,  den  Fels  auf  ein  Bild  zu  bringen;  die  zwei  von 
mir  gewonnenen  Teilbilder  (Abb.  35  u.  36)  sind  so  zu  verstehen, 
daß  Abb.  35  den  nördlichen  Abschluß  des  Felsen  darstellt. 
Ohne  Zweifel  wird  es  Kundigeren  gelingen,  bessere  Bilder 
der  Örtlichkeit  zu  erzielen.  Immerhin  können  die  hier  vor- 
gelegieu  wenigstens  eine  Vorstellung  dessen  geben,  was  mir 
in  Silwan  als  der  Fels  Zahwele  vorgeführt  worden  ist.  Ich 
halte  nicht  für  ausgeschlossen,  daß  der  so  genannte  Fels  sich 
noch  weiter  ausdehnt  und  von  andern  Gewährsmännern  des- 
halb andre  Teile  desselben  Felsgebietes  als  ez-Zahwele  be- 
zeichnet werden  werden. 

Soviel  aber  ist  mir  vollkommen  klar  geworden:  hier  oder 
in  der  nächsten  Umgebung  kann  der  Schlangenstein  von  1  Kön  1 
unmöglich  gesucht  werden,  und  insoforn  ist  das  von  mir  ge- 
wonnene Ergebnis  m.  E.  vollkommen  zureichend,  die  Zu- 
sammenstellung des  Schlangensteines  nbnrn  ps?  mit  diesem 
Felsen  ez-Zahwele  ein  für  allemal  auszuschließen.  Der  erste 
und  entscheidende  Grund  ist:  Das  Dorf  Silwan  besitzt  keinerlei 
eigene  Quelle.  Es  liegt  ganz  am  Felsenhang  und  die  Bewohner 
sind  durchaus  auf  die  beiden  Quellen  im  Kidrontal:  Marien- 
und  Hiobsquelle   angewiesen.    Auch  ehe  hier  ein  Dorf  stand, 


7.  Der  Fels  Zahwele.  185 

ist  es  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  so  gewesen,  und  es  ist 
so  gut  wie  ausgeschlossen,  daß  in  der  unmittelbaren  Nähe  des 
Felsen  sich  je  eine  Quelle  befand^. 

Auf  die  unmittelbare  Nähe  einer  Quelle  weist  aber  die 
Beschreibung  von  1  Kön  1 9  mit  Notwendigkeit  hin  2.  Wollte 
man  demgemäß  annehmen,  daß  eben  doch  einmal  eine  Quelle 
sich  hier  befunden  haben  müsse,  so  müßte  man  —  abgesehen 
von  der  eben  betonten  Unwahrscheinlichkeit  dieser  Annahme 
—  noch  die  weitere  Schwierigkeit  erst  beseitigen,  die  darin 
liegt,  daß  an  dieser  Stelle  weder  ein  ausreichender  Raum  zum 
Walken  von  Tüchern  vorhanden  ist,  noch  vor  allem  ein  solcher 
zum  Feiern  größerer  Opfer  und  Feste.  Der  ziemlich  steile 
Felsabhang  wäre  dazu  so  ungeeignet  als  möglich.  Auch  muß, 
worauf  schon  Bühl^  mit  vollem  Eechte  hingewiesen  hat,  als 
erschwerend  in  Rechnung  gezogen  werden,  daß  vom  Abhang 
von  Silwan  aus  der  Gibon  sehr  wohl  zu  sehen  ist.  während  der 
Bericht  des  Königsbuches  das  Gegenteil  voraussetzt.  Außerdem, 
meine  ich,  dürfe  man  nur  die  in  Abb.  35  u.  36  mitgeteilten  Bilder 
des  Felsens  ansehen,  um  sicli  zu  sagen,  daß  von  einem  Felsen 
dieser  Größe  der  Erzähler  nicht  wohl  so  reden  konnte,  wie  er  es 
in  1  Kön  1 9  tut.  Dort  ist  an  einen  Opferstein  gedacht,  nicht 
an  einen  Felsenhügel.  Es  würde  wohl  jedem  Leser  von 
1  Kön  1  so  gegangen  sein  wie  mir,  daß  er  einen  Opferstein  im 
Sinne  hatte  und  sich  zu  seiner  Überraschung  vor  einen  statt- 
lichen Felsen  gestellt  gesehen  hätte. 

Es  bleibt  somit  auch  nicht  einmal  die  letzte  Auskunft^ 


1)  Mündlicher  Mitteilung  Prof.  Dalmans  verdanke  ich  nachträg- 
lich die  Notiz,  daß  der  Name  „Rutschbahn"  daher  kommen  soll,  daß  die 
Fellachen  von  Silwan,  um  auf  dem  kürzesten  und  schnellsten  Wege  zur 
Marienquelle  zu  gelangen,  einfach  den  Steilabhang  des  Hügels  ab- 
rutschen. Damit  wäre  freilich  die  allereinfachste  Erklärung  von  ez- 
Zahwele  gegeben. 

2)  Vgl.  die  Ausdrucksweise  hT\  "pS'  b^X  ^\rs*  nbn  n  'px  B". 

3)  a.  a.  O.     Vgl.  oben  S.  162. 

4)  So  denkt  z.  B.  wieder  Burxey,  Notes  on  .  .  the  books  of 
Kings  1903,  5 f.  nach  Clermoxt-Ganneau.  Ich  lasse  einige  Sätze  aus 
des  letzteren  Abhandlung  hier  folgen:  „Nearly  in  the  centre  of  the  line 
along  wich  Stretches  the  village  of  Siloam,  there  exists  a  rocky  plateau 
surrounded  by  Arab  buildings,  wich  mask  its  true  form  and  extent:  the 
western  face,  cut  perpeudicularly,    slightly  overhangs    the  Valley.     Steps 


186  Kittel,  Stadien.    III.  Der  Schlangenstein. 

Übrig,  nämlich  anzunehmen,  der  Erzähler  denke  zwar  an  im- 
sern  Felsen,  habe  aber  als  Quelle  Kogel  weder  den  Hiobs- 
brunnen  noch  eine  versiegte  Quelle  im  heutigen  Dorf  Silwan 
im  Auge,  wohl  aber  die  unmittelbar  gegenüberliegende  Marien- 
quelle unten  im  Kidrontale,  die  so  gut  wie  sicher  dem  Gihon 
gleichzusetzen  ist.  Aber  schon  die  letztere  Gleichung  schließt 
diese  Annahme  aus.  Es  wäre  daher,  ehe  diese  Behauptung 
gewagt  wird,  zu  erweisen,  sowohl  daß  die  Marienquelle 
nicht  der  Gihon  ist,  als  auch  wo  sonst  diese  Quelle  zu 
suchen  sei,  da  sie  nach  1  Kön  1  von  der  Rogelquelle  zu 
unterscheiden  ist  und  näher  bei  der  Davidsstadt  als  diese 
gesucht  werden  muß.  Schon  das  wäre  ein  aussichtsloses  Unter- 
fangen. 

Es  würde  aber  noch  erschwert  durch  den  Umstand,  daß, 
selbst  wenn  die  Marienquelle  gemeint  sein  könnte,  der  Fels 
Zaliwele  dem  vorhin  erwähnten  Erfordernis  der  unmittelbaren 
Nähe  von  Stein  und  Quelle  absolut  nicht  entspräche.  Sollte 
schon  diese  Quelle  gemeint  sein,  so  müßte  man  einen  Stein 
in  ihrer  wirklichen  Nähe,  nicht  aber  jenseits  des  Tales  in  be- 
trächtlicher Höhe  über  ihr,  suchen.  Ein  solcher  ließe  sich 
schließlich  finden,  wie  Abb.  37  zeigt.  Hier  sieht  man  in  der 
Reihe  von  Steinblöcken,  welche  den  Eingang  zur  Quelle  bzw. 
zur  Obern  Treppe,  die  zur  Quelle  selbst  hinabführt,  einfassen, 
den  rechten  Endstein  an  Größe  ganz  erheblich  über  die  andern 
emporragen,  so  daß  man  denken  könnte,  er  habe  eine  weitere 
Bestimmung  gehabt  als  die  eines  bloßen  Randsteines.  Allein 
es  ist  ganz  gut  möglich,  daß  er  bloß  als  kräftiger  Abschluß 
der  Reihe  dienen  sollte.  Will  man  sich  damit  nicht  begnügen, 
so  hätte,  natürlich  unter  der  Annahme,  daß  wir  es  mit  dem 
Gihon  zu  tun  haben,  die  Phantasie  weitesten  Spielraum,  sich 
seine  Bestimmung  auszumalen,  sobald  man  daran  denkt,  daß 


rudely  ciit  in  the  rock  enable  one  to  climp  it,  not  without  difficulty, 
and  so  to  penetrate  directly  from  the  Valley  to  the  raidst  of  the  village. 
By  this  road,  troublesome  and  even  dangerous,  pass  habitually  the  women 
of  Siloam  [vgl.  S.  185  Anm.  1],  who  come  to  fiU  there  vessels  at  the  so 
called  Virgins  Fount.  Now,  this  passage  and  the  ledge  of  rock  in 
which  it  is  cut  are  called  by  the  Fellahin  ez  Zehzvele  ,  .  .  it  becomes  ex- 
tremely  probable  that  we  must  put  En  Rogtl  at  the  Virgins  Fountain, 
and  not  at  Btr  Eyüb". 


7.  Der  Fels  Zahwele. 


187 


der  Gihon  die  der  Davidsstadt  und  der  alten  Jebusiter-Burg 
nächstliegende  Quelle  war,  daß  man  an  ihr  —  doch  wohl  nur 
um  ihrer  Heiligkeit  willen  —  Salomo  salbt,  daß  zu  diesem  Behufe 
Natan  das  heilige  Ölhorn  aus  dem  Zelte  holt,  von  dem  es  heißt, 
es  habe  sich  samt  seinem  Altar  ^  in  nächster  Nähe,  also  eben- 
falls bei  der  Quelle  befunden. 

Ich  sehe  mit  gutem  Bedacht  von  allen  diesen  Vermutungen 


Abb.  37.     Eingang  zur  Marienquelle  (Gihon). 


ab.  So  wahrscheinlich  es  ist,  daß  auch  der  Gihon  wie  die  Walker- 
quelle heiligen  Charakter  besaß,  und  so  sicher  es  außerdem 
ist,  daß  auch  hier  einmal  ein  Opferstein  oder  Opferaltar  sich 
befand,  so  hat  doch  vermutlich  der  hier  in  Frage  stehende 
Stein  andern  Charakter,  und  es  mag  reiner  Zufall  sein,  daß 
er  erheblich  größer  ist  als  die  andern  derselben  Reihe.  Die 
Fassung    und  Umwölbung    der  Quelle    trägt   viel   zu   wenig 


1)  Vgl.  1  Kön  1 39. 


Igg  Kittel,  Studien.    III.  Der  Schlangenstein. 

altertümlichen  Charakter,  als  daß  man  hier  auf  einen  einzelnen 
Stein,  der  auch  durch  seine  heutige  Lage  —  im  Unterschied 
von  dem  Steine  beim  Hiobsbrunnen  —  gar  nicht  dazu  auf- 
fordert, weitere  Schlüsse  bauen  könnte. 

Sollte  aber  der  Stein  beim  Gilion  je  einmal  —  etwa  an 
anderer  Stelle  —  heiligen  Charakter  gehabt  haben,  so  hat  er 
jedenfalls  mit  dem  von  uns  gesuchten  Schlangensteine  nichts 
zu  tun.  Denn  es  bliebe  nach  wie  vor  dabei,  daß  erst  der 
Beweis  geführt  werden  müßte,  die  Marienquelle  habe  ehedem 
Rogelquelle  geheißen.  Ein  solcher  Beweis  aber  läßt  sich  nicht 
führen. 

Wir  kommen  damit  zu  dem  Endergebnis:  Sicher  ist  weder 
die  Marienquelle  noch  eine  andre  Wasserstelle  bei  Jerusalem, 
sondern  lediglich  der  Hiobsbrunnen  als  die  Quelle  Rogel 
oder  Walkerquelle  anzusehen;  sicher  ist  ferner  unter  dem 
bei  ihr  stehenden  Stein  Zohelet  oder  Schlangenstein  weder 
der  im  Dorf  Silwan  stehende  Fels  ez-Zahwele  noch  einer  der 
Steine  bei  der  Marienquelle  zu  verstehen;  wohl  aber  darf 
mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  der  beim  Hiobsbrunnen 
stehende  Stein  als  der  Schlangenstein  in  Anspruch  genommen 
werden  ^ 


1)  Anhangsweise  mag  noch  bemerkt  sein,  daß  auch  die  relative 
Kleinheit  des  Steines  angesichts  von  1  Sam  14  33  (s.  oben  S.  112  f.)  kaum 
als  üegengrund  in  Betracht  kommen  wird. 


lY.  Die  Kesselwagen  des  salomonisclieii  Tempels. 

In  seiner  Abhandlung  über  das  Weihgesclienk  des  Aly- 
attes  im  Archiv  für  Religionswissenschaft  ^  macht  Georg 
Kaeo  darauf  aufmerksam,  daß  das  Kunstwerk  des  Glaukos 
am  besten  nach  der  Analogie  gewisser  bronzener  Fragmente 
aus  der  Zeusgrotte  am  Ida  zu  erklären  sein  werde.  Der 
Nachweis  scheint  mir  persönlich  überzeugend,  doch  muß  ich 
das  endgültige  Urteil  hierüber  den  Fachmännern  überlassen. 
Wie  dem  aber  sein  möge,  jedenfalls  kann  ich  mich  des 
Eindruckes  nicht  erwehren,  daß  uns  durch  Karos  Abhandlung 
auch  gewisse  neue  Anregungen  für  das  richtige  Verständnis 
der  bekannten  und  viel  erklärten  Kesselwagen  beim  salo- 
monischen Tempel  von  Jerusalem  an  die  Hand  gegeben  seien. 

1.    Das  Kunstwerk  des  Glaukos. 

Das  Meisterwerk  des  Glaukos,  das  jetzt  mit  Vorliebe  dem 
ausgehenden  7.  Jahrhundert  vor  Christo  zugewiesen  wird,  wird 
beschrieben  als  vjtöönjua  oder  vjtöD-r/^ua,  somit  als  Untersatz, 
auch  ayyvO^/jxt]  genannt  2.  Eine  solche  syjvßVjxr]  ist  nach 
Athenaios  dreieckig,  in  der  Mitte  hohl  und  dazu  bestimmt, 
ein  auf  sie  gesetztes  Gefäß  zu  tragen  ^.  Also  wäre,  wie  Kaeo 
vollkommen  richtig  zusammenfaßt,  der  Untersatz  des  Glaukos 
„ein  hohles  dreiseitiges  Gestell,  auf  welches  ein  fußloses  Ge- 
fäß gestellt  werden  kann,  nicht  ein  bloßer  Dreifuß  (trotz  dem 
spätem  Zeugnis  des  Eusebios^);  denn  ein  Dreifuß  wäre  ein- 


1)  AEW  VIII  (1905),  Beiheft  S.  54  flF. 

2)  Die  Nachweise  s.  bei  Karo  a.  a.  O.  S.  55. 

3)  fj  6'  in   'AXs^avÖQeojv  xakov/j-evt]    syyvQ^t'jxrj  tglycoro^    iavi,   xava 
fisGov  xoik'fj,    6exfO&ai  övvauivi]  sTii&ifxevov  xegäfiiov. 

4)  A.  a.  O.  S.  56. 


j[90  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

fach  mit  dem  allezeit  gebräuchlichen  Namen  xQiTtovq  bezeichnet 
worden". 

Die  genauere  Beschaffenheit  des  Gestells  ist  nun  aus 
Pausanias,  der  das  Kunstwerk  noch  sah,  zu  entnehmen.  Er 
schildert  den  Untersatz  für  den  Mischkessel  des  Alyattes 
wie  folgte- 

„Dieser  ist  ein  Werk  des  Glaukos  aus  Chios  . . .  jeder  Stab 
des  Untersatzes  hing  aber  mit  einem  anderen  Stabe  zusammen, 
nicht  mit  Hilfe  von  Nägeln  oder  Stiften,  sondern  lediglich  die- 
Lötung  (Schweißung)  hält  zusammen  und  sie  eben  ist  das 
Bindemittel  für  das  Eisen.  Die  Gestalt  aber  des  Untersatzes 
gleicht  am  ehesten  einem  Turm,  der  von  einer  breiten  Basis 
aus  nach  oben  in  verjüngter  Form  verläuft.  Jede  Seite  aber 
des  Untersatztes  ist  nicht  durchweg  geschlossen,  sondern  da 
sind  die  schrägen  (bezw.  querlaufenden-)  Bänder  aus  Eisen, 
wie  die  Sprossen  an  einer  Leiter.  Die  geraden  Eisenstäbe 
sind  aber  oben  nach  außen  gebogen;  das  war  das  Auflager 
für  den  Kessel." 

An   dieser  Darstellung  ist  für  unseren  Zweck  von  be- 


1)  TovTo  rXavxov  (dv  ioriv  egyov  tov  Xlov  .  .  .  eXaoßa  öh  exaoTOV 
zov  vno&fjfiazoq  skäo/naxi  aXXu)  n^ooexhg  ov  nsQovatg  iazlv  rj  xhxQOiq, 
fxövt]  ÖS  y  xöXXa  ovvk/ti  re  xal  aotn-  avzr]  xö>  oiöt]QO)  öeo/xög-  oyPjfxa  de 
rov  vnoS-TjibiaTog  xarä  nvQyov  ßälioza  sq  (jlvovqov  aviövxa  anu  evQvxsQOV 
rov  xdxü)'  hxäoxtj  dh  7rAer(j«  xov  vnoS-Tjfxaxog  ov  6iä  Tcäariq  7i6<pQaxxai, 
d?.?.ä  sloiv  at  Ttldyiai  rov  aiöt'jQov  t,iovai,  wgzsq  iv  xXif.iaxi  oi  dvaßaafxoi' 
za  6s  sXdoßara  rov  aiöfjQOv  xä  oQd^a  dvsoxQanxat  xaxd  ra  axQa  sq  rö 
ixxoq'    xal  sÖQa  xovto  j/r  xö>  xgaxfjQt  (X  16,  1). 

2)  Nicht  verschweigen  will  ich,  daß  mir  von  selten  meines  philo- 
logischen Kollegen  J.  H.  Lipsius  Bedenken  gegen  diese  Übersetzung 
geäußert  worden  sind,  und  zwar  wegen  des  Artikels  al.  Mein  Gewährs- 
mann ist  der  Meinung,  jene  Fassung  müßte  eigentlich  den  Artikel  ver- 
missen lassen  und  es  wäre  zu  erwarten:  sondern  da  sind  schräge  Bänder. 
Demnach  sei  mit  ai  nldyiai  "CfVjvai  eine  bekannte  Größe  vorausgesetzt, 
TtXdyioq  sei  darum  im  Sinne  von  an  der  Flanke,  an  der  Seite  im  Gegen- 
satz zu  vorne  zu  fassen  und  unser  Passus  zu  übersetzen  (unter  Weg- 
lassung des  Kommas  hinter  'Qöjrai):  sondern  es  sind  die  seitlichen  Eisen- 
b'dnder  gleich  den  Sprossen.  In  diesem  Falle  müßte  angenommen  werden, 
daß  die  Seiten  im  Gegensatz  zur  Front  beschrieben  werden  sollten.  Dem 
widerspricht  aber,  wie  mir  scheint,  die  Angabe  im  ersten  Teil  des  Satzes, 
nach  der  von  allen  Seiten  hier  die  Rede  zu  sein  scheint.  Man  wird 
daher  eine  sprachliche  Ungenauigkeit  annehmen  müssen.  Vgl.  noch  S.  196 
Anm.  1. 


1.  Das  Kunstwerk  des  Glaukos.  191 

sonderem  Interesse,  daß  der  Untersatz  für  den  Kessel  in  der 
Tat  ein  Gestell  aus  iXao^iaxa  d.  h.  getriebener  oder  gezogener 
Metallarbeit  ist,  also  aus  Bändern  oder  Stäben.  Daß  tXaOfia 
hier  nicht  Platte  bedeutet,  sondern  Stab,  scheint  schon  daraus 
hervorzugehen,  daß  die  sXao^uara  unter  sich  gegenseitig  ver- 
bunden sind.  Handelte  es  sich  um  Platten,  die  in  eine  Seite 
eingelegt  wären,  so  wären  sie  wohl  nicht  bloß  unter  sich  ver- 
bunden gedacht,  sondern  sie  würden  die  Füllung  der  Seiten- 
wand darstellen  und  wären  als  solche  neben  dem,  daß  sie 
etwa  unter  sich  zusammengehalten  wären,  jedenfalls  in  erster 
Linie  an  den  Leisten  oder  den  Außenstäben  des  Gestells  be- 
festigt. 

Außerdem  aber  werden  Platten,  die  das  Innere  der 
Seite  bilden  sollten,  durch  die  Bemerkung  von  den  Leiter- 
sprossen (s.  nachher)  ausgeschlossen.  Die  slaOficiTa  können 
nach  ihr  auch  nicht  etwa  durchbrochene  Platten  sein,  sondern 
Platten  jeder  Art  sind  schlechthin  ausgeschlossen,  und  es 
handelt  sich  um  nichts  anderes  als  um  Stäbe  oder  Leisten, 
und  die  Frage  kann  nur  noch  sein,  ob  es  sich  lediglich  um 
die  Außenstäbe  oder  Leisten  handelt,  die  das  eigentliche  Ge- 
stell, den  Ständer,  ausmachen,  oder  ob  alle  Stäbe  gemeint 
sind.  In  diesem  Falle  müßten  die  lläöpiaxa  und  die  ^mvai 
dasselbe  sein. 

Gegen  diese  letztere  Annahme  scheint  zu  sprechen,  daß 
Pausanias  den  Ausdruck  wechselt,  um  am  Ende  doch  wieder 
zu  den  llaO[iaxa  zurückzukehren.  Mit  den  letzteren,  den 
im  Schlußpassus  genannten  IXctOfiaxa  og&a,  können  jedenfalls 
nur  die  Eisenstäbe,  also  die  eigentlichen  Füße  des  Gestells 
gemeint  sein.  Für  die  Gleichsetzung  von  eXaGfiaxa  und  ^mvai 
hingegen  könnte  das  Epitheton  oQd-a  sprechen.  Als  aufrechte, 
nach  oben  gehende,  werden  sie  augenscheinlich  im  Unterschiede 
von  den  :n:XayiaLC,mvat,  den  schrägen  (bezw,  querlaufenden)  Bän- 
dern, bezeichnet.  Warum  das,  wenn  doch  bisher  gar  nicht  von 
iXdöfiaxa  die  Rede  gewesen  ist,  die  schräg  oder  nicht  oqOcc 
wären?  Es  scheint  also,  daß  der  Gegensatz  von  jcXayiog  und 
gerade  die  Gleichsetzung  der  beiden  Arten  von  Stäben  oder 
Leisten  heische. 

Es  kommt  dazu  noch  eine  andere  Erwägung.  Will 
man  sich   die  oben  besprochene  Notiz   von   dem  Zusammen- 


1^92  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

hängen  der  aldofiara  unter  sich  vorstellig  macheu,  so  fragt 
man  —  handle  es  sich  nun  um  ein  dreiseitiges  oder  ein  vier- 
seitiges Gestell  —  vergebens,  wie  sie  zusammenkommen,  es 
sei  denn,  sie  seien  entweder  an  der  Basis  durch  je  eine  Leiste 
oder  einen  Stab  verbunden,  oder  sie  stoßen  oben  zusammen, 
oder  aber  sie  seien  seitlich  durch  Leisten  oder  Stäbe,  die  die 
Stelle  von  Bändern  vertreten,  verknüpft  und  somit  durch  sie 
das  Ganze  zusammengehalten. 

Weiterhin  erweckt  unser  Interesse  an  dem  Kunstwerk 
des  Glaukos  die  Mitteilung  des  Pausanias,  daß  die  Seiten  des 
Untersatzes  nicht  vollständig  geschlossen  seien,  etwa  durch 
Tafeln  in  der  Art  von  Türfüllungen,  sondern  daß  an  Stelle 
solcher  Füllungen  bei  ihm  die  schrägen  oder  querlaufenden 
Eisenbänder  treten  nach  Art  der  Sprossen  an  einer  Leiter. 
An  sich  wird  man  natürlich  geneigt  sein,  an  wagrechte 
Verbindungsstäbe  zu  denken.  Solche  würden  den  Sprossen 
einer  Leiter  an  sich  ohne  Zweifel  am  nächsten  entsprechen. 
Die  Hauptstäbe  glichen  dann  den  senkrechten  Leiterstangen 
und  die  wagrechten  Zwischenstäbe  den  Sprossen.  Allein  Kaeo 
deutet  die  Bezeichnung  nläyiai  im  Sinne  von  schräg,  schief 
und  findet  darin  den  Gegensatz  zu  oQdoq  gerade.  Es  mag 
ihm  dabei  die  Analogie  solcher  Dreifüße  wie  desjenigen  von 
Garenne  vorgeschwebt  haben,  bei  denen  es  sich  tatsächlich 
nicht  um  wagerechte  Verbindungsstäbe  handelt.  Der  Dreifuß 
von  Garenne  zeigt  deutlich  das  Bild  von  schiefen  Zwischen- 
stäben, welche  je  das  untere  Ende  eines  Hauptstabes  mit  dem 
oberen  Einge  verbinden  und  so  dem  Ganzen  noch  größere 
Festigkeit  gewähren.  Wird  statt  der  wenigen  Zwischenstäbe 
ein  ganzes  System  von  solchen  angebracht,  so  daß  eine  Art 
Netz  von  Verbindungsstäben  oder  Bändern  entsteht,  bei  dem 
der  einzelne  Stab  seinem  Vorgänger  parallel  läuft,  und  zwar 
je  von  dem  einen  Stabe  zu  dem  ihm  nächststehenden,  so  konnte 
auch  diese  Stabreihe  recht  wohl  als  Leitersprossen  bezeichnet 
werden. 

2.    Die  Fundstücke  von  Kreta. 

Hier  hat  nun  Karo,  wie  mir  scheint  mit  vollem  Rechte 
—  auch  wenn  seine  Erklärung  im  einzelnen  nicht  zutreffen 
sollte  —  weiter  den  Weg  gewiesen,  indem  er  auf  eine  Anzahl 


2.  Die  Fundstücke  von  Kreta.  '  193 

von  Fundstücken  aus  der  Zeusgrotte  am  Ida  auf  Kreta  hin- 
weist (Abb.  3S).  In  ihnen  ist  uns,  wie  er  glaubt,  das  Muster 
eines  solchen  Untersatzes,  wie  ihn  das  Weiligeschenk  des 
Alyattes  darstellte,  und  zwar  in  fahrbarer  Gestalt  und  aus 
erheblich  früherer  Zeit  an  die  Hand  gegeben.  Die  Funde 
gehören  wohl  dem  Anfang  des  ersten  Jahrtausends  an,  spä- 
testens dem  8.  Jahrhundert  vor  Chr  '. 

Stil,  Haltung  und  Art  der  Fundstücke  machen  es  durch- 
aus wahrscheinlich,  daß  sie  allesamt  zu  einem  und  demselben 
Gegenstande  gehören.  Fast  durchweg  nämlich  finden  sich  bei 
den  auf  Stäben  stehenden  bezw.  aufsitzenden  Lebewesen  oder 
Gegenständen  schiefe  Querstäbe,  welche,  wofern  sie  zusammen- 
gehören, ganz  das  Bild  eines  aus  geraden  und  schiefen  Stäben 
gemischten  Gerätes  ähnlicher  Art  gewähren,  wie  wir  uns  nach 
Karos  Erklärung  das  Kultusgerät  des  Glaukos  nach  der  bis- 
herigen Erörterung  vorzustellen  hätten.  Der  einzige  Haupt- 
unterschied müßte  wohl  sein,  daß  das  kretische  Kultusgerät 
ein  fahrbares  Kessellager,  also  einen  Fahrstuhl,  darstellen 
würde,  falls  nämlich,  wofür  an  sich  große  Wahrscheinlichkeit 
spricht,  das  zum  Funde  gehörige  Rad^  ebenfalls  zu  den  übrigen 
Stücken  gehörte  und  somit  einen  Bestandteil  des  Gerätes  bildete. 
Gerade  dieser  Umstand  führt  uns  aber  dann  zu  dem  hebräischen 
Kultusgeräte  hinüber. 

Für  jene  Verwendung  der  Räder  nämlich  sprechen  die 
durch  FüRTwÄNGLER  uns  erschlossenen  cyprischen  Kultus- 
geräte, von  denen  fernerhin  noch  die  Rede  sein  wird  und  die 
sich  uns  tatsächlich  als  fahrbare  Kesseluntersätze  darstellen, 
vor  allem  aber  die  in  dieser  Hinsicht  uns  längst  bekannten 


1)  Vgl.  ARW  Vir,  123  und  VIII,  G3. 

2)  Gerade  dieses  Stück,  das  Rad,  (seclisspeicliig  und  ziemlicli  groß, 
in  der  Weise  der  Räder  bei  Abb.  .39),  fehlt  in  unserer  nacli  dem  Atlas 
vonHALBiiERR  uüd  Orsi  wiedergegebenen  Abbildung.  Woher  Karo  es  hat, 
ist  mir  unbekannt,  doch  wird  mau  es  dem  Geräte  zurechnen  dürfen  — 
wenngleich,  seine  6  Speichen  zu  den  4  des  kleinen  Rads  auf  unserer  Ab- 
bildung nicht  ganz  passen  wollen.  Wichtiger  scheint  mir  das  Fehlen  des 
Auflagers,  so  daß  eine  Gewißheit  darüber,  daß  gerade  ein  Kesseluntersaiz 
vorliege,  nicht  zu  gewinnen  ist.  Andererseits  aber  scheint  die  Konstruktions- 
weise mit  den  schrägen  Stäben,  also  die  diagonale  Stützung  de.s  Ganzen, 
auf  eiue  zu  tragende  Last  zu  deuten.  Ob  die  Last  ein  Kessel  oder  etwas 
anderes  war,  ist  dabei  schließlich  von  geringer  Bedeutung. 

Kittel,  Beiträge.  X3 


Abb.  38.    Die  Fundstücke  von  Kreta. 


2.  Die  Fundstücke  von  Kreta.  195 

salomonischen  Kesselfahrstühle  von  1  Kön  7.  Darf  es  aber 
mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  als  Tatsache  angenommen 
werden,  daß  wir  es  hier  mit  den  Besten  eines  Kultusgerätes 
verwandter  Art  zu  tun  haben,  so  treten  die  schiefen,  mit 
allerlei  Figuren  besetzten  Stäbe  iu  ein  neues  Licht.  Nach 
Kaeos  Erklärung  können  sie  höchst  wahrscheinlich  als  die 
Entsprechungen  der  xlayiai  Cmvai  des  heiligen  Gerätes  des 
Alyattes  angesehen  werden.  Wie  nach  Pausanias  die  Seiten 
jenes  Gerätes  nicht  durch  Tafeln  oder  Füllungen  geschlossen, 
sondern  mit  Stäben  verbunden  waren,  so  finden  wir  es 
hier;  wie  dort  die  Stäbe  mit  allerlei  Getier  und  Pflanzen- 
ornamenten '  versehen  sind,  in  gravierter  und  anderer  Arbeit  \ 
so  sehen  wir  bei  dem  Gerät  von  Kreta  an  den  senkrechten 
und  schrägen  Stäben  allerlei  Tiere:  Hunde,  einen  Eber,  eine 
Kuh  (wie  es  scheint  von  einer  Frau  gemolken),  ein  Pferd, 
mehrere  Krieger  und  ein  mit  Ruderern  besetztes  Schiff"  an- 
gebracht, so  daß  wir  uns  die  Seiten  des  Werkes  des  Glaukos 
als  mit  durchbrochener  Arbeit  besetzt  vorstellen  können.  Wie 
endlich  in  den  kretischen  Fragmenten  das  Verhältnis  der  Quer- 
oder Schrägstäbe  zu  den  Langstäben  derart  ist,  daß  sie,  wofern 
wir  sie  uns  mehrfach  in  Parallele  zueinander  auftretend 
denken  dürfen,  recht  wohl  als  Leitersprossen  bezeichnet 
werden  können,  so  treffen  wir  bei  Glaukos  nach  des  Pau- 
sanias Schilderung  tatsächlich  die  Beschreibung  der  schrägen 
Stäbe  als  „aussehend  wie  die  Sprossen  einer  Leiter". 

Karo  kommt  damit  zu  dem  Ergebnis,  daß  trotz  aller 
Verschiedenheit  in  betreff  des  Stiles,  des  Metalls  und  teil- 
weise auch  der  Technik  die  beiden  Kultusgeräte,  das  idäische 
und  das  von  Chios,  darin  ihre  große  Ähnlichkeit  erweisen,  daß 
sie  beide  den  Untersatz  eines  Krater  darstellten,  der  aus  einem 
Gestell  von  senkrechten  oder  wenig  nach  innen  geneigten 
Stäben  oder  Leisten  bestand,  die  unter  sich  wieder  durch 
schräge  Zwischenstäbe  vielfach  verbunden  sind,  und  daß  diese 
so  offenen  und  durchsichtigen  Seitenwände  dann  selbst  wieder 
mit    allerlei  Figuren    und   Ornamenten    versehen   sind.    Ein 

1)  Nach  Athenaios  V  210  c:  evreTOßgiy/fcVa  t,o}SaQLa  xal  üJJm  xiva 
"C^ovipici.  xal  (pvTCCQia. 

2)  Die  Fassung  Karos  ARW  VIII  57 ,  nach  welcher  srzero^svfisva 
nur  zu  ^ojöÜQia  zu  beziehen  wäre,  ist  jedenfalls  nicht  unmöglich. 

13* 


196  Kittel,  Studien.     IV.  Die  Kesselwagen. 

Hauptunterschied  bestand,  wie  schon  erwähnt,  im  ührigen 
darin,  daß  das  Gerät  des  Glauk!.)S  feststand,  vielleicht  auf  drei, 
vielleicht  auf  vier  Füßen,  das  mutmaßliche  Gerät  von  Kreta 
jedoch  als  Fahrstuhl  oder  Kesselwagen  gedacht  und  demgemäß 
mit  Rädern  versehen  war^ 

Die  letztere  Eigenschaft  bringt  uns  einen  Schritt  näher 
an  die  cj^prischen  lind  hebräischen  Geräte,  die  uns  nun  näher 
beschäftigen  sollen. 

3.  Die  cypriseheii  Kultusgeräte. 

Um  die  weiteren  möglichen  Unterlagen  für  die  uns  in 
erster  Linie  interessierenden,  vielfach  immer  noch  rätselhaften 
Fahrstühle  oder  Kesselwagen  des  salomonischen  Tempels  zu 
gewinnen,  empfielilt  es  sich  auch  jetzt  noch,  nicht  sofort  an 
den  Text  des  biblischen  Königsbuches  und  seine  Erklärung 
heranzutreten,  sondern  erst  die  seit  einigen  Jahren  bekannt 
gewordenen  cyprischen  Geräte  verwandter  Art  uns  zu  ver- 
gegenwärtigen. Das  eine  Gerät  (Abb.  39)  ist  in  Larnaka  aus- 
gegraben und  dort  geblieben.  Es  ist  39  cm  hoch  und  23  cm 
breit  und  hat  ein  (Gewicht  von  9.250  kg.  Das  andre,  viel 
weniger  gut  erhaltene  Gerät  (Abb.  40)  entstammt  den  engli- 
schen Ausgrabungen  in  Enkomi  (Salamis)  auf  Cypern  und  be- 
findet sich  nunmehr  im  Biitischen  Museum  in  London.  Sie 
stammen   aus  Gräbern   der  letzten  Zeit  der  sogenannten  mj^- 


1)  Nun  ist  freilich  auch  hier  zu  erwähnen,  daß  K.\ros  Erklärung 
noch  nach  einer  andern  als  der  vorhin  schon  erwähnten  Seite  nicht  ohne 
Widerspruch  bleiben  wird.  F.  Studxiczka  hatte  die  Güte,  mir  seine 
Meinung  dahin  zu  äußern,  daß  die  gewöhnliche  technische  Bedeutung 
des' Wortes  nläyioq  nicht  schräg,  sondern  quer  sei.  Er  denkt  somit  (unter 
Berufung  auf  C.I.A.  II.  No.  1054,  s.  dittenberger  Sylloge^  No.  537; 
I  ABRicics  im  Hermes  XVII,  551  ff.  u.  dörpfeld  in  Ath.  Mitt.  VIII  Tf.  VIII f.) 
an  wagrechte,  nicht  schiefe  L.ön-ai,  welche,  wie  er  betont,  auch  dem  Vergleich 
mit  Leitersprossen  besser  entsprechen.  Das  letztere  ist  zweifellos  richtig, 
aber,  wie  mir  scheint,  nicht  ausschlaggebend.  Die  Hauptentscheidung 
liegt  beim  ersteren  Punkte,  über  den  ich  mich  des  Urteils  enthalten 
muß.  —  Immerhin  ist  sonach  mit  der  Möglichkeit  zu  rechnen,  daß  wir 
das  Gerät  des  Glaukos  ganz  auszuscheiden  haben.  Aber  auch  dann  bleibt 
m.  E.  Karo  das  Verdienst,  auf  die  Analogie  hingewiesen  zu  haben,  die 
höchstwahrscheinlich  zwischen  jenen  kretischen  Fundstücken  einer-  und 
den  cyprischen  und  hebräischen  Kesselwagen  andrerseits  besteht. 


3.  Die  cyprischeu  Kultusgeräte. 


197 


keuischen  Kultur  und  stellen  zwei  bronzene  Kesselwagen  von 
unter  sich  sehr  ähnlicher  Konstruktion  dar.  beide  quadratisch, 
auf  vier  senkrechten  Füßen,  welche  den  Hauptstäben  bei 
Glaukos  entsprechen,  stehend.  Über  den  FüLsen  erhebt  sich 
dadurch,  daß  die  Zwischenräume  zwischen  ihnen  zum  Teil 
ausgefüllt  sind,  eine  Art  quadratischer  Kasten  mit  durch- 
brochenen Wänden. 

Auf  dem   Kasten   liegt  bei   beiden   ein  kreisrunder,   mit 
Spiralen,    und    bei    dem    Gerät    von    Larnaka    zugleich    mit 
Strickmustern    versehener    Zylinder,    der    als    Auflager    des 
Kessels  dient.    Der  Ka 
sten    des    Gerätes    von 
Enkomi    ist    außerdem 
umrahmt     mit    Spiral- 
oi-namenten    und    wohl 
auch     mit    Strickorna- 
menten,   während     bei 
dem  von  Larnaka  aus- 
schließlich   Strickorna- 
mente   die    Einfassung 
des  Kastens  darstellen. 
Oben  auf  den  vier  Eck- 
pfosten sitzen  hier  Vö- 
gel, wie  es  scheint  Tau- 
ben.   Bei   dem  Gestühl 
von    Enkomi    ist    das 
Innere  der  Seitenwaiid 

in  vier  gleiche  Felder  geteilt,  die  den  Eindruck  von  zwei 
oben  oft'enen  Fenstern  machen,  zu  denen  zwei  Gestalten 
herausschauen.  Bei  dem  von  Larnaka  ist  das  Innere  durch 
einen  vielleicht  als  Palmbaum  stilisierten  senkrechten  Bal- 
ken in  zwei  Felder  geteilt.  Jedes  von  ihnen  ist  durch 
eine  auf  einer  Leiste  stehende  geflügt^lte  Stiergestalt  aus- 
gefüllt. Hier  sind  die  Räder  mit  je  sechs  Speichen,  ganz 
in  der  Art  jenes  Rades  vom  Ida,  samt  den  durch  die  Pfosten 
laufenden  Achsen  noch  erhalten,  beim  Wagen  von  Enkomi 
fehlen  sie.  Doch  sind  aucli  hier  wie  dort  noch  die  Seiten- 
stützen erhalten,  die  in  schräger  Richtung  von  den  Füßen  nach 
der   untern  Leiste  des  Kastens  laufen  und   in  Voluten  enden. 


Fuhrstuhl  von  Larnaka. 


198 


Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 


Die  Bestimmung  dieser  zwei  Gestühle  steht  vollkommen 
außer  Zweifel,  sie  dienen  wie  das  Gerät  des  Alyattes  als 
Untersatz  für  einen  Kessel  und  sie  haben  somit  wohl  die- 
selbe Abzweckung,  wie  das  mutmaßlich  fahrbare  Geräte  von 
der  idäischen  Grotte.  Der  Unterschied  der  hier  beschriebenen 
zwei  Stücke   von   den  oben  besprochenen  fällt  aber  ebenfalls 


Abb.  40.     Fahrstuhl  von  Eukomi. 


ohne  weiteres  ins  Auge:  bei  der  Einheit  des  Zweckes  und 
der  Gleichheit  mancher  Einzelheiten  besteht  doch  zwischen 
jenen  beiden  und  diesen  beiden  Geräten  die  durchgreifende 
Verschiedenheit,  daß  hier  die  zwischen  den  Eckpfosten  ange- 
brachten Ornamente,  wenn  auch  die  Seiten  noch  durchbrochen 
sind,  doch  viel  mehr  sich  der  Füllung  einer  Tür  nähern  als 
dort,  und  das  Ganze  einem  Kasten  gleicht,  sodann  daß  hier  die 


4.  Die  salomonischen  Geräte.  199 

im  Innern  angebrachten  Figuren  auf  wagrechten  Stäben  stehen 
bezw.  an  solche  angelehnt  sind,  dort  auf  schrägen.  Hier  bei 
dem  Gerät  von  Larnaka  und  Enkomi  kann,  um  das  schon  vor- 
weg festzustellen,  von  Leitersprossen  schlechthin  nicht  geredet 
werden. 

Hiemit  wäre  denn  das  Material  gesammelt  und  zugleich 
geordnet,  das  wir  zur  Vergleichung  mit  dem  hebräischen 
Kultusgeräte  heranzuziehen  haben  werden.  Dieses  selbst  soll 
uns  nunmehr  beschäftigen. 

4.  Die  salomonischen  Geräte. 

Die  Erklärung  des  Abschnittes,  der  uns  von  den  salomo- 
nischen Kesselwagen  Kunde  gibt,  1  Kön7  27-39,  hat  eine  ziem- 
lich verwickelte  Geschichte.  Der  erste,  der  sich  eingehender 
und  zugleich  mit  Erfolg  um  sein  Verständnis  angenommen 
hatte,  war  H.  Ewald  in  den  Göttinger  Gel.  Nachrichton 
1859,  S.  131  ff.  und  den  Jahrbüchern  für  ßibl.  Wissenschaft  X 
S.  273  ff. '.  Er  hatte  zur  Vergleichung  die  Bronzegeräte  her- 
angezogen, welche  bei  dem  Dorfe  Peckatel  in  Mecklenburg 
aufgefunden  worden  waren.  Es  sind  das  bronzene  kleine 
Kesselwagen  (15 — 16  Zoll  hoch),  die  man  in  einem  Grabhügel 
—  es  wurde  mehrfach  an  das  Grab  phönikischer  Kaufleute 
gedacht  —  in  Verbindung  mit  einem  Opfertisch  und  Altar 
vorfand.  Allein  es  ist  unverkennbar,  daß  die  von  Lisch - 
nach  den  uns  noch  erhaltenen  Resten  versuchte  Rekonstruktion 
eines  solchen  Gerätes,  auch  wenn  es  sich  etwa  als  phöniki- 
schen  Ursprungs  erweisen  ließe,  nur  wenig  zu  der  Beschrei- 
bung passen  will,  die  uns  das  Königsbuch  von  Salomos  Kessel- 
Fahrstühlen  gibt.  Die  Geräte  von  Peckatel  würden  also, 
wofern  sie  aus  einer  und  derselben  Wurzel  wie  die  salomoni- 
schen stammen,  eine  so  erhebliche  Veränderung  des  ursprüng- 
lichen Typus  voraussetzen,  daß  sie  für  die  Erklärung  jener 
salomonischen  Wagen  nur  schwer  und  nur  teilweise  zu  ver- 
wenden wären. 

Einen  neuen,  kräftigen  Anstoß  erhielt  die  Untersuchung 

1)  Vgl.  auch  Ewalds  Geschichte  des  Volk.  Israel  IIP  S.  333  ff. 

2)  Vgl.  Lisch,  Jahrbb.  des  Vereins  für  Mecklenb.  Geschichte  u. 
Altertumskunde  IX,  373  ff.,  XXV,  215  ff. 


200  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

iinsres  Gegenstandes  durcli  Bernli.  Stade,  der  erstmals  im  Jahr 
1883  in  ZAW  III  S.  159  ff'.  176  f.  (wieder  abgedruckt  in  seinen 
Akad.  Reden  u.  Abhandlungen,  1899,  S.  166if.)  und  bald  darauf 
im  ersten  Bande  seiner  Geschichte  Israels  S.  337  ff.  sich  ein- 
gehend und  mit  groL^em  Scharfsinn  der  Ermittlung  des  richtigen 
Textes  unsres  Abschnittes,  seiner  Erklärung  und  der  Rekon- 
struktion der  Fahrstühle  widmete.  Er  glaubte  dort  durch  die 
Vei-setzung  einiger  Verse  an  eine  andere  Stelle  Liclit  in  das 
Dunkel  bringen  zu  können,  und  gab  auf  Grund  der  Vor- 
stellung, die  sich  ihm  mit  Hilfe  hievon  und  mit  Hilfe  der 
Untersuchung  einzelner  Hauptbegriffe  ergeben  hatte,  eine  Ab- 
bildung ^ 

Staues  Versuch  der  Herstellung  des  Gerätes  fand,  da  es 
Stade  gelungen  war,  auf  Grund  seines  Textes  einen  Kessel- 
wagen nachzubilden,  der  für  die  Zeit  und  die  Verhältnisse 
des  salomonischen  Tempels  in  der  Hauptsache  durchaus  mög- 
lich schien,  und  da  man  zugleich  keinerlei  greifbare  Anhalts- 
punkte in  archäologischen  Funden  für  eine  andere  Auffassung 
besaß,  manche  Anerkennung.  Seine  Abbildung  wurde  in  die 
Archäologie  von  Benzinger  (1894)  sowie  in  diejenige  von 
NowACK  (1894)  herübergenommen,  ebenso  mit  leichter  Modi- 
fikation in  den  Kommentar  Benzingehs  zum  Königsbuch  (1899). 
Desgleichen  habe  ich  mich  in  meinem  Kommentar  zu  demselben 
Buche  (1900)  in  wesentlichen  Punkten  an  Stade  angeschlossen. 
Seine  Abbildung  herüberzunehmen.  war  ich  ähnlich  wie  beim 
Libanonwaldhaus  und  bei  den  Säulen  Jakin  und  Boas  nicht 
imstande,  da  ich  in  einem  wichtigen  Punkte  anders  urteilte-. 


1)  Gesch.  d.  Volks  Isr.  I  341. 

2)  Ich  schrieb  dort  8.  U5:  D'^n^'n  bedeute  wohl  „Zapfen  (vgl.  Ex 
26 17),  Stäbe  oder  Leisten,  die  — einer  umgelegten  Leiter  ähnlich  —  die 
obere  und  untere  Einfassung  des  Gestells  verbinden:  also  etwa  Quer- 
leisten oder  Querstäbe.  Sie  sind  senkrecht  zu  denken  und  zwischen 
ihnen  —  'irn  '"'2  — ,  also  wagrecht  zwischen  sie  eingefügt,  laufen  jene 
ri1"i5Ö'2.  Schwerlich  ist  daher  die  Beschreibung  und  Zeichnung,  die 
Stade  gibt,  ganz  richtig.  Eiue  Scheidung  von  zweierlei  "o^  .  .  wird  kaum 
angehen  .  .;  auch  müßte  man  bei  seiner  Beschreibung  erwarten,  der  Text 
hieße:  „„die  Sprossen  liegen  zwischen  den  Leisten"",  nicht  umgekehrt". 
Ich  lege  darauf  gar  keinen  Wert;  wer  aber  Stades  Abhandlung  in  ZAW 
XXI  S.  143  ff.  gelesen  hat,  weiß,  weshalb  ich  es  hier  erwähne.  In  einer 
Besprechung  von  Stades  Akad.  Reden  u.  Abhandlungen  hatte  ich,  u.  a. 


4.  Die  salomonischeu  Geräte.  201 

In  diesem  Punkte  hat  sich  Stade  später  stillschweigend  mir 
angeschlossen  —  wir  werden  nachher  sehen:  ohne  Grund. 

Eine  wirkliche,  ernsten  Erfolg  versprechende  Revision 
unsrer  damaligen  Erkenntnis  war  aber  erst  möglich  auf 
Grund  neuer  Funde.  Nachdem  daher  inzwischen  die  auf  so 
manchen  Gebieten  der  Kultur-  und  Kunstgeschichte  bedeutungs- 
voll gewordenen  Ausgrabungen  auf  der  Insel  Cypern  auch 
jene  oben  beschriebenen  Kultusgeräte  zutage  gefördert  hatten, 
und  besonders  nachdem  Fürtavängler  seinen  Aufsatz:  „Über 
ein  auf  Cypern  gefundenes  Bronzegerät.  Ein  Beitrag  zur  Er- 
klärung der  Kultgeräte  des  salomonischen  Tempels"  vo'öffent- 
licht  hatte',  trat  Stade  mit  einer  neuen,  abermals  in  glän- 
zender Weise  von  seinem  Scharfsinn  und  seiner  Kombinations- 
gabe zeugenden  Abhandlung  in  seiner  Zeitschrift  hervor  2. 

Das  Verhältnis  dieser  neuen  Abhandlung  zu  seiner  früheren 
vom  Jahr  1883  ist  folgendes:  1.  Früher  hatte  Stade  den  Text 
im  ganzen  für  einheitlich  erklärt  und  den  dabei  entstehenden 
Schwierigkeiten  durch  gewisse  Umstellungen  abzuhelfen  ge- 
sucht, während  er  jetzt,  der  Anregung  Klostermanns  und 
FcETwÄNGLEKS  folgcud,  duTch  die  Annahme  eines  Doppel- 
berichtes zu  helfen  sucht.  2.  Früher  hatte  er  zwar  ebenfalls 
die  Leitersprossen  den  Eckpfosten  parallel  laufen  lassen,  sie 
also  senkrecht  gestellt  (b,  b  in  seiner  Abbildung),  aber  er 
hatte  die  Verschlußleisten,  von  denen  es  im  Texte  heißt,  daß 
sie  zwischen  den  Sprossen  liegen,  sich  so  gedacht  (a,  a  seiner 
frühern  Abbildung),  daß  diese  rTT^JOia  lediglich  aus  zwei  oder 
drei  Stücken,  der  untern  Abschlußleiste  unmittelbar  über  den 
Eädern  und  einer  etwas  über  ihr  stehenden,  bestanden,  wozu 
mutmaßlicherweise  vielleicht  noch  die  obere  wagrechte  Leiste 
(e  der  ersten  Abbildung)  kam.  Dadurch  entstand  tatsächlich 
der  von  mir  gerügte  Eindruck,  als  stünden  die  u^2biü  zwischen 


im  Gedanken  an  die  hier  und  oben  im  Text  erwälinten  Differenzpunkte, 
sowie  an  Klostermanns  und  Benzingees  Kommentar  meinem  Bedauern 
Ausdruck  gegeben,  daß  Stade  nicht  —  wenn  auch  nur  in  etlichen  An- 
merkuntren —  zu  der  inzwischen  erscliieueuen  Literatur  etwas  Stellung 
genommen  hatte  (Lit.  Centr.  Bl.  1899,  Nr.  48). 

1)  Sitzungsbericlite  der  Münch.  Akad.  d.  Wissensch.  (philos.-philol. 
u.  hist.  Klasse)  1S99,  411  ff. 

2.  ZAW  XXI  (19  a),  S.  143  ff. 


202  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

den  miSD^,  nicht  aber  umgekehrt,  wie  es  doch  der  Text  for- 
derte, die  miscTa  zwischen  den  D"^n!:t:?.  Diesem  Mangel  sucht 
die  neue  Konstruktion  von  1901  dadurch  abzuhelfen,  daß  eine 
weitere  wagrechte  Verbindungsleiste  angenommen  wird  (c,  c 
heißen  jetzt  die  zweiten  mi50i2),  so  daß  nunmehr  wirklich  ge- 
sagt werden  kann,  die  m^jo^  —  nämlich  die  von  c,  c  —  stehen 
zwischen  den  ö^nbir.  3.  Wälirend  früher  Stade  den  Kessel 
auf  einem  eigenen  Rahmen gestell  als  Auflager  stehend  dachte, 
ist  er  jetzt  durch  die  neuen  Funde  veranlaßt  worden,  einen 
Zylinder  als  Mundstück  anzunehmen. 

Im  folgenden  soll  nun  der  Versuch  gemacht  werden,  zu 
zeigen,  daß  auch  Stades  jüngste  Ausführungen,  so  dankens- 
werte Hilfe  sie  bieten,  die  Frage  nach  der  Beschaflfenheit  der 
salomonischen  Geräte  noch  nicht  zum  Abschluß  gebracht  haben, 
ja  daß  überhaupt  die  Heranziehung  der  cyprischen  Geräte 
allein  nicht  zum  Ziele  führen  kann,  wir  vielmehr  erst  aus  der 
Verbindung  der  cyprischen  Geräte  mit  den  mykenischen  Frag- 
mei.ten,  deren  Bedeutung  und  Erklärung  Karo,  auch  wenn 
seine  Beschreibung  des  Weihgeschenks  des  Alyattes  nicht  zu- 
treffen sollte,  m.  E.  richtig  erhoben  hat,  diejenige  Hilfe  ge- 
winnen, die  uns  in  den  Stand  setzt,  jene  salomonischen  Unter- 
sätze hinreichend  zu  verstehen. 

Der  Beweis  für  die  Richtigkeit  der  von  mir  vertretenen 
These  kann  natürlich  nur  auf  Grund  einer  genaueren  Erklä- 
rung des  hebräischen  Textes  von  1  Kon  7,  27  ff.  geführt  werden, 
in  die  wir  somit  nunmehr  einzutreten  haben.  Die  voraus- 
gehenden Erörterungen  über  die  Kunstwerke  von  Chics,  Cypern 
und  Kreta  werden  wir  dabei  fortgesetzt  im  Auge  zu  behalten 
haben. 

Ich  lasse  nun  zunächst  die  Übersetzung  folgen,  so  wie  sie 
sich  mir  auf  Grund  des  stark  verderbten  hebräischen  Textes 
mit  Heranziehung  der  textkritischen  Hilfsmittel  zur  Verbesse- 
rung der  verderbten  Stellen  ergibt.  Es  ist  dabei  der  Text 
meiner  BH  zugrunde  gelegt;  nur  wo  von  ihm  abgewichen 
wird,  ist  die  Lesart  in  Klammern  mitgeteilt.  Die  Beschreibung 
des  Gerätes  lautet  demnach  so: 

-',.Und  er  fertigte  die  Gestühle,  zehn,  von  Bronze;  vier 
Ellen  lang  war  ein  Gestühl  und  vier  Ellen  breit  und  drei 
Ellen  hoch,    -^ünd  folgendermaßen  waren   die  Gestühle  ge- 


4.  Die  salomonischen  Geräte.  203 

arbeitet:  sie  hatten  Schliißleisten,  und  (außerdem)  Schlußleisten 
zwischen  den  Leitersprossen,  '^^ünd  auf  den  Schlußleisten, 
die  zwischen  den  Leitersprossen  waren,  waren  Löwen,  Rinder 
und  Kerube,  und  auf  den  Leitersprossen  ebenso,  oben  und 
unten  (1.  'bi  nnrjia^  bria'a).  Und  an  den  Löwen  und  Rindern 
waren  Gewinde,  geschlagene  (1.  i'i'a)  Arbeit.  ^^  Und  vier  Räder 
aus  Bronze  hatte  das  eine  Gestühl  und  bronzene  Axen;  und 
seine  vier  Füße  (1.  n^riias^B  l^sisi)  hatten  Schulterstücke;  unter- 
halb des  Kessels  waren  die  Schulterstücke  angegossen  .... 
^^Und  sein  Mundstück  war  einwärts  von  den  Schulterstücken 
und  nach  oben  eine  (bezw.  eine  halbe  ?)  Elle,  und  sein  Mund- 
stück war  rund,  Gestellarbeit  i'/.  Eiien  und  auch  an  dem 
Mundstück  waren  Figuren.  Und  seine  (1.  n'^n  — )  Schlußleisten 
waren  viereckig,  nicht  rund.  ^'■'Und  die  vier  Räder  waren 
unten  an  den  Schlußleisten,  und  die  Halter  der  Räder  waren 
am  Gestühl,  und  die  Höhe  eines  Rades  war  IV2  Ellen.  ^^Und 
die  Räder  waren  gearbeitet  wie  Wagenräder;  ihre  Halter, 
Felgen,  Speichen  und  Naben  —  alles  war  Guß. 

^*  Und  vier  ScJmlter stücke  waren  auf  den  vier  Eckpfosten 
des  einen  Gestühls,  von  dem  Gestühl  gingen  seine  Schulterstücke 
aus.  ^'^  Und  obeti  auf  dem  Gestühl  war  ein  Gestell  eine  Jialbe 
Elle  hoch,  ringstpn  rund,  und  unten  (1.  'ab  nnp^^)  an  dem 
Gestühl  waren  seine  Halter;  und  seine  Schlussleisten  gingen 
von  ihm  aus. 

^^Und  er  grub  auf  den  Tafeln  ein  Kerube,  Löwen  und 
Palmen und  Gewinde  ringsum.  ^^Also  ver- 
fertigte er  die  10*  Gestühle,  von  einem  Guß  und  einem  Maß 
und  einem  Zuschnitt  waren  sie  alle.  ^'^Und  er  machte  bron- 
zene Kessel,  40  Bat  faßte  eiil  Kessel,  4  Ellen  hatte  ein  Kessel 
—  je  ein  Kessel  war  auf  einem  Gestühl  von  den  10  Gestühlen." 

Überblickt  man  die  Übersetzung  auch  nur  vorläufig,  so 
ist  zunächst  soviel  deutlich,  daß,  wenn  hier  in  V.  28  u.  29  von 
Leitersprossen  die  Rede  ist,  zwischen  denen  sich  Schlußleisten 
befinden  und  auf  denen  Lebewesen  angebracht  sind  —  diese 
Beschreibung  nicht  zu  den  beiden  cyprischen  Geräten,  dem 
von  Larnaka  und  dem  von  Enkomi,  paßt.  Weder  die  Ver- 
gleichung  eines  Bestandteils  der  beiden  Geräte  mit  Sprossen 
einer  Leiter  läßt  sich  m.  E.  irgendwie  durchführen,  noch  lassen 
sich  die  beiden   andern  Angaben,  falls  man  irgendwo  etwas 


2Q4  Kittel,  Studien.     IV.  Die  Kesselwagen. 

wie  Sprossen  finden  wollte,  auf  jene  angeblichen  Sprossen  an- 
Avenden.  Daß  man  den  stilisierten  Palmbaum  oder  was  die 
Leiste  mit  den  Windungen  oben  beim  Geräte  von  Larnaka 
sonst  vorstellen  mag,  nicht  für  eine  Leitersprosse  ansehen  oder 
mit  einer  solchen  vergleichen  darf,  ist  klar.  Wäre  es  aber 
möglich,  wie  man  von  dem  senkrechten  Stücke  zwischen  den 
beiden  zum  Fenster  heraussehenden  Gestalten  von  Enkomi 
allenfalls  annehmen  könnte,  so  bleibt  doch  immer,  daß,  auch 
wenn  man  die  eine  „Sprosse"  sich  vervielfältigt  denken  wollte, 
zwischen  diesen  „Sprossen"  keine  Leisten  denkbar  sind,  sondern 
umgekehrt  die  Sprosse  zwischen  den  Leisten  steht,  worauf 
bereits  oben  aufmerksam  gemacht  ist. 

Sodann  sind  unter  allen  Umständen  auf  diesen  Sprossen 
nirgends  Figuren  zu  sehen.  Vielmehr  stehen  bezw.  liegen  die 
Figuren  auf  wagrechten,  der  untern  Schlußleiste  parallel  lau- 
fenden Balken.  Im  einen  Falle,  bei  Larnaka,  liegt  ein  solcher 
Balken  auf  der  untern  Schlußleiste,  im  andern,  bei  Enkomi, 
sind  es  vier.  Doch  ist  das  beiden  Gemeinsame,  daß  von  einem 
Zwischenraum  zwischen  den  zwei  bezw.  fünf  Querbalken  (die 
Leiste  eingerechnet)  nichts  zu  sehen  ist,  somit  gerade  das 
Charakteristische  der  Sprosse  hier  vollkommen  fehlt.  Nicht 
nur  also  kann  auch  hier  von  „Sprossen"  nicht  die  Kede  sein, 
sondern  auch  wofern  sie  je  hier  gefunden  werden  wollten,  so 
wäre  jedenfalls  von  Leisten  „zwischen  den  Sprossen"  absolut 
nichts  vorhanden,  schon  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil,  wie 
eben  ausgeführt,  ein  Zwischenraum  zwischen  den  angeblichen 
Sprossen  gar  nicht  in  Frage  käme.  Kurz:  wie  man  auch 
immer  die  Sache  ansehen  möge,  bei  den  cyprischen  Geräten 
kommen  Sprossen  gar  nicht  in  Betracht  und  es  bleibt  bei 
allem  Werte,  den  diese  Geräte  s^nst  für  das  Verständnis 
unsres  Kunstwerkes  haben,  doch  nichts  anderes  übrig,  als  für 
diese  Seite  der  Sache  von  ihnen  abzusehen.  Um  so  will- 
kommnere  Dienste  werden  uns  gerade  hier  die  beiden  andern 
Kunstwerke,  das  von  Chios  und  das  kretische,  leisten. 


5.  Kommentar  zu  1  Köu  7  27-37.  205 

5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37. 
a.  Die  Höhe  des  Gestühls. 

Ich  lasse  nun  eine  Erläuterung  der  einzelnen  Bestim- 
mung-en  des  biblischen  Textes  folgen,  durch  welche  die  ge- 
gebene Übersetzung  und  ihre  in  der  Rekonstruktion  des  salo- 
monischen Fahrstuhls  vorausgesetzte  Erklärung  ihre  nähere 
Begründung  findet.  Es  wird  dabei  natürlich  besonders  auf 
diejenigen  Punkte  eingegangen  werden  müssen,  in  denen  meine 
Auffassung  von  derjenigen  der  Vorgänger  abweicht. 

V.  27.  Das  hebräische  Wort  nsizü  ist  absichtlich  nicht 
mit  „Fahrstuhl"  oder  „Kesselwagen'"  übersetzt,  sondern  mit 
„Gestühl",  um  jedes  Vorurteil  abzuwehren.  Es  kann  sich 
nämlich  fragen,  ob  die  Höhe  von  3  Ellen,  die  der  rü^r^,  also 
dem  Gestühl,  gegeben  wird,  nur  die  Höhe  des  Gestells  selbst 
oder  diejenige  des  ganzen  Fahrstuhls,  Räder  und  Auflager 
eingeschlossen,  sein  soll.  Da  für  das  Gerät  als  Ganzes,  das  wir 
als  Fahrstuhl  oder  Kesselwagen  bezeichnen,  kein  anderer 
eigener  Ausdruck  besteht,  so  kann  die  Frage  in  der  Tat  ent- 
stehen. Allein  die  Antwort  kann  doch  kaum  zweifelhaft  er- 
scheinen. 

Indem  V.  35  sagt,  daß  oben  auf  der  M^kona  ein  Ken 
gestanden  habe,  so  und  so  hoch,  und  indem  in  V.  32  den 
Rädern,  die  unterhalb  der  Schlußleisten  sitzen,  noch  besondere 
IV2  Ellen  zugemessen  werden,  scheint  der  Verfasser  uns  die 
Antwort  von  selbst  aufzunötigen.  Denn  wollten  wir  als  Ge- 
samthöhe 3  Ellen  annehmen,  so  bliebe,  auch  wenn  für  das 
Auflager  nur  \  Elle  angesetzt  würde  und  für  den  Kessel 
selbst  ebenfalls  '2  Elle,  nach  Abzug  der  halben  Höhe  der 
Räder  ^  -'j  Ellen,  für  das  innere  Viereck  immer  nur  noch 
l'/4  Elle.  Teilt  man  das  Viereck  von  IV4  Elle  Höhe  nach 
Abzug  der  obern  und  untern  Leiste,  für  die  doch  wohl  nicht 
viel  weniger  als  '4  Elle  angesetzt  werden  kann,  so  daß  nur 
noch  ^,'4  Ellen  bleiben,  in  drei  Teile,  so  bliebe  kaum  '4  Elle, 
also  etwa  12  cm,  wodurch  wir  zu  einer  starken  Annäherung 
an  Miniaturfiguren  gedrängt  würden.  Ob  der  Bericht  so  be- 
scheidene Dimensionen  für  die  Figuren  in  Aussicht  nimmt, 
darf  immerhin  als  zweifelhaft  angesehen  werden. 


206  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

Es  kommt  als  gewichtiges  Moment  dazu,  daß  nach  V.  32 
die  Räder  unterhalb  der  Schlußleisten  sitzen  (rnr^b).  Sollte 
der  Vers  auch,  worüber  noch  zu  reden  sein  wird,  nicht  zum 
ursprünglichen  Bestände  des  Berichtes  gehören,  so  wird  er 
immerhin  von  einem  Wohlunterrichteten  stammen;  wir  haben 
keinen  Grund,  ihn  einfach  beiseite  zu  legen,  da  er  in  nichts 
dem  übrigen  Texte  widerspricht.  Ist  er  aber  in  Betracht  zu 
ziehen,  so  hat  er  eigentlich  nur  dann  einen  Sinn,  wenn  er 
sagen  will,  die  Räder  haben  unmittelbar  unter  den  Verschluß- 
leisten ihre  Stelle.  In  jedem  anderen  Falle  sind  die  Worte 
sinnlos,  weil  die  allgemeine  Wahrheit,  daß  die  Räder  unten, 
nicht  oben  am  Wagen  sind,  sich  von  selbst  versteht.  Nun 
läßt  sich  dies  zwar  auch  so  denken,  wie  oben  angenommen, 
nämlich  daß  die  Achsen  der  Räder  unmittelbar  auf  der  untern 
Leiste  aufliegen,  und  in  diesem  Sinn  also  an  die  Leisten,  d.  h, 
das  Leistengestell,  anstoßen.  Aber  streng  genommen  müßte 
man  in  diesem  Falle  auch  die  Nennung  der  Achsen  erwarten. 
Lautet  der  Ausdruck  so  allgemein,  wie  es  in  V.  32  der  Fall 
ist,  so  muß  wohl  angenommen  werden,  es  seien  die  Räder 
selbst  gemeint,  und  das  bedeutet  in  diesem  Falle  die  oberen 
Reifen.  Kommt  aber  der  obere  Teil  des  Radreifens  unmittel- 
bar an  die  untere  Leiste  zu  stehen,  so  wie  Abb.  44  es  an- 
nimmt, so  ergeben  Rad  und  Aufsatz  mit  Kessel  zusammen 
mindestens  1 V2  +  1  =  2  V2  Ellen,  so  daß  für  alles  übrige,  also 
das  ganze  Gestell  aus  Pfosten  und  Leisten,  nur  V2  Elle  Höhe 
bliebe,  was  ein  Ding  der  Uomöglichkeit  ist. 

Auch  im  anderen  Falle  bleibt  noch  die  Schwierigkeit,  daß 
von  Eckpfosten  (msö)  hier  eigentlich  nicht  mehr  die  Rede  ist. 
Sind  die  Eckpfosten  nur  so  lang,  daß  sie  von  der  einen  Haupt- 
leiste zur  andern  reichen,  so  gleichen  sie  mehr  senkrechten 
Leisten  als  Pfosten,  und  die  Scheidung  beider  Bestandteile  im 
Texte  wird  dann  fast  gegenstandslos. 

Alle  diese  Erwägungen  empfehlen  es  dringend,  die  3  Ellen 
Höhe  des  Gestühls  trotz  dieses  Ausdrucks  (nDlD^)  nicht  auf 
das  ganze  Gerät  zu  beziehen,  sondern  lediglich  auf  das  durch 
die  Leisten  bezeichnete  Viereck.  Bedauerlich  ist,  daß  über 
die  Höhe  des  Gesamtgerätes  und  im  besonderen  über  die- 
jenige der  Eckpfosten  und  damit  die  Entfernung  der  Räder- 
achsen von  den  unteren  Leisten  nicht   Genaues  gesagt  ist, 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37.  207 

aber  nach  dem  eben  Ausgeführten  kann  jedenfalls  die  Länge 
der  Pfosten,   wie   sie   das  Geräte  von  Larnaka   angibt,   hier 
nicht    in   Frage    kommen.    Aber    auch    diejenige    Form,    die 
Stade  in  seiner  schematischen  Zeichnung  annimmt,  entspricht 
nicht  wohl  dem  Texte.    In  beiden  Fällen  wäre  der  ganze  hier 
in  Betracht  kommende  Satz  zwecklos.    Es  kann  also  trotzdem 
die  Konstruktion   an  sich  höhere  Querstützen  erwünscht  er- 
scheinenlassen kann,  als  die  in  Abb.  44  angenommenen,  doch  mit 
Rücksicht  auf  den  Text  von  solchen  nicht  wohl  die  Rede  sein. 
Als   Gesamthöhe   ergibt   sich    demnach   für   uns   3  +  1 V2 
+  l(bezw.  + II/2)  Ellen,   also   5V2— 6  Ellen.    Von   dieser  Be- 
rechnung aus  wird  man   auch  verstehen,  weshalb  die  Quer- 
stützen  nicht  wohl   länger   sein   konnten.    Das   ganze  Gerät 
hat  schon  bei  niederen  Stützen  und  bei  dem  denkbar  gering- 
sten Ansatz  für  Auflager  und  Kessel  5  V2  Ellen,  d.  h,  nahezu 
2^/4  Meter  Höhe.    Es  setzte  demgemäß  auch  eine  ganz  statt- 
liche Höhe    des  Altars  voraus.     Sollte   das   Gerät    der  Be- 
nutzung am  Altar  nicht  erhebliche  Schwierigkeiten  entgegen- 
stellen, so  mußte  es  so  beschaffen  sein,  daß  es  etwa  die  Brust- 
höhe des  am  Altar  Dienst  tuenden  Priesers  erreichte.    Viel- 
leicht läßt   sich  von   hier   aus   ein  Anhaltspunkt   für 
die    Bestimmung    der    Höhe    des    Altars    selbst^    ge- 
winnen.    Jedenfalls   aber   werden   wir   gut  tun,   wenn   wir 
nicht    ohne    dringende  Gründe    die    vorher    schon    stattliche 
Höhe  des  Wagens  und  damit  auch  des  Altars  vermehren. 

Allerdings  ist  nicht  zu  leugnen,  daß,  dürfte  man  die  Form 
der  Eckpfosten  annehmen,  welche  das  Gerät  von  Larnaka  dar- 
bietet, wonach  der  Zwischenraum  zwischen  der  Räderachse 
und  dem  Leistengestell  mindestens  so  groß  wäre  wie  die  Höhe 
des  letzteren,  hieraus  auch  wieder  gewisse  Vorteile  entstünden. 
Die  Gesamtlänge  der  Eckpfosten  stiege  dadurch  bei  unseren 
Wagen  auf  mindestens  6  Ellen,  wozu  noch  unten  ^j^  und 
oben  1  Elle  kämen,  so  daß  sich  als  Gesamthöhe  mindestens 
l^Ji  Ellen  ergäben.  Nun  hat  das  eherne  Meer,  aus  dem  doch 
wohl    die    Kesselwagen    das    Wasser    zu    entnehmen    haben, 


1)  Vgl.    die  Abhandlung   über    deu  heiligen  Fels  und  seine  Altäre 
oben  S.  65  u.  unten  S.  236  ff. 


208  Kittel,  Studieu.    IV.  Die  Kesselwagen. 

5  Ellen  Höhe;  es  steht  auf  12  Eindern,  für  die  Stade' 
4  Ellen  annimmt  (der  Text  sagt  über  ihre  Größe  nichts). 
Könnte  man,  was  wohl  möglich  scheint,  mit  3  Ellen  aus- 
kommen, so  ergäbe  sich  mit  8  Ellen  ziemlich  genau  dieselbe 
Höhe  wie  bei  den  Kesselwagen.  Allein  so  erwünscht  an  sich 
die  Gleichheit  der  Höhe  wieder  wäre,  so  bekämen  wir  da- 
durch doch  ein  Gerät  von  so  enormen  Dimensionen,  daß  man 
trotz  der  Analogie  des  Wagens  von  Larnaka  doch  ernsthaft 
an  der  Richtigkeit  dieser  Annahme  zweifeln  muß.  Auch 
würde  der  Altar  auf  eine  Höhe  gebracht,  die  ernste  Bedenken 
erregen  muß. 

Es  empfiehlt  sich  also  auch  von  dieser  Seite  aus,  bei 
den  5^2  Ellen  zu  bleiben  und  lieber  anzunehmen,  daß 
zwischen  dem  ehernen  Meer  und  den  Wagen  eine  erheb- 
liche Differenz  in  betreff  der  Höhe  bestand.  Wie  man  das 
Wasser  aus  dem  Meer  in  die  Kessel  beförderte,  ob  durch 
Heber  oder  mit  Hilfe  von  unten  am  Meere  angebrachter 
Hahnen,  mag  hier  unerörtert  bleiben 2.  Es  genügt,  daß  der 
Höhenunterschied  hier  weniger  ernst  ins  Gewicht  fällt  als 
zwischen  dem  Altar  und  den  Kesselwagen.  Vor  allem  wäre 
es  kaum  denkbar,  daß  die  Wagen  erheblich  höher  sein  könnten 
als  der  Altar  bezw.  die  Brusthöhe  des  an  ihm  amtierenden 
Priesters.  Sprechen  also  Gründe  dafür,  den  Altar  nicht  allzu 
hoch  über  der  Erde  zu  denken,  so  muß  auch  für  die  Wagen 
eine  entsprechende  Höhe,  die  allenfalls  gleich,  nicht  aber  er- 
heblich größer  als  die  des  Altars  sein  könnte,  angenommen 
werden.  Dies  gilt  meines  Erachtens  auch  wenn  die  Gestühle 
bloß  symbolischen  Charakter  hatten.  Auch  wenn  sie  keine 
unmittelbar  praktische  Verwendung  fanden,  mußten  sie  doch 
wohl  in  einem  richtigen  Verhältnis  zum  Altar  stehen. 

b)   Leisten  und  Sprossen. 

V.  28.  Zunächst  ist  schon  wegen  des  nachfolgenden  nnb 
nach  ®  (auch  Si)  für  nroian  der  Plural  zu  lesen.    Stades 


1)  Gesch.  d.  V.  Israel  I  336.  Ich  bemerke,  daß  Stades  Maße  auf 
S.  340  u.  341  nach  dem  bei  ihm  angegebenen  Maßstabe  nicht  zu  dem 
biblischen  Texte  stimmen. 

2)  S.  darüber  unten  S.  230  ff. 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37.  209 

Annahme,  daß  der  Singular  mit  der  hier  erkennbaren  Doppel- 
heit  der  Berichte  zusammenhänge,  also  am  Ende  doch  ur- 
sprünglich sein  könnte,  fällt  durch  das  eben  erwähnte  anb, 
das  nur  =)T\b  sein  kann.    Es  muß  also  beim  Plural  bleiben. 

Die  Hauptfrage  bei  bei  der  Erklärung  dieses  Verses, 
deren  Beantwortung  zugleich  über  wesentliche  Punkte  der 
Fassung  des  ganzen  Gerätes  und  damit  auch  wieder  über 
Hauptstellen  unseres  Berichtes  entscheidet,  ist  diejenige  nach 
der  Bedeutung  der  Worte  ninaolQ  und  S'^abizj. 

m^D'a  von  nSiO  schließen  bedeutet  Verschluß,  Schließung. 
Das  können  an  sich  abschließende  Teile  irgend  welcher  Art 
an  unserem  Gerät  sein.  So  kommt  es,  daß  wir  für  mso^ 
sowohl  die  Bedeutung  Verschlußleiste  als  die  Bedeutung 
Füllung  vertreten  finden.  Allein  die  letztere  Bedeutung  ist, 
wenn  auch  schließlich  möglich,  doch  keineswegs  naheliegend. 
Ebenso  wird  D"^i5"iJ,  das  im  AT  hapax  legomenon  ist,  gern 
nach  dem  talmudischen  Sprachgebrauch  als  Leitersprossen  er- 
klärt ^  Klosteemann  2  hingegen  deutet  es,  soviel  ich  sehe 
ohne  besondere  Begründung,  Thenius  folgend,  als  Ecklei- 
sten, und  FuKTwÄNGLER  3,  Klostermanns  Übersetzung  von 
riiJCa  =  Füllung  übernehmend,  versteht  unter  den  ainbü 
das  ßahmenwerk  des  Kesselwagens  von  Larnaka  und  Eukomi. 
Die  vier  Eckpfosten  vergleicht  Furtwängler  mit  den  Leiter- 
bäumen, die  oben  und  unten  die  Eckpfosten  unter  einander 
verbindenden  Leisten  vergleicht  er  mit  den  Leitersprossen 
(Eckleisten  oder  Rahmen)  und  hält  sie  für  die  n^^nbü,  und  die 
zwischen  ihnen  liegenden  Füllungen  wären  die  n^"i5D^.  Dieser 
Anschauung  scheint  P.  Haupt  ^  die  etymologische  Begründung 
geben  zu  wollen,  indem  er  d'^ibiu  mit  assyr.  hi/dü  zusammen- 
stellt^, das  aber  gar  nicht  Leitersprosse,  sondern,  weil  von 
/ad/i  umschließen  herkommend,  den  Rahmen  bedeute  als  die 
Umschließung,  das  Fachwerk,  bestehend  aus  den  vier  Eck- 
pfosten samt  den  Querleisten,  womit  dann  freilich  wieder 


1)  Vgl.  Levy,  Neuhebr.  u.  talm. -Lexik. 

2)  Die  Bücher  der  Könige  (zur  Stelle). 

3)  A,  a.  O. 

4)  In  Sacred  books  of  OT,  the"  books  of  the  Kings  z.  St. 

5)  S.  Delitzsch,   Assyr.  Handwörterb.,    S.  368   unter  nnb  u.  sulbii. 
Kittel,  Beiträge.  14 


210  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

eine  etwas  andere  Deutung  als  die  FuiiTWÄNGLERsclie  ge- 
geben wäre. 

Nun  gibt  Delitzsch  im  Lexikon  für  su/l?ü  die  Bedeutung 
„Teil  der  Tür,  näher  des  Eiegels"  an.  Daraus  geht  jeden- 
falls so  viel  hervor,  daß  D'^nbiZ?,  weil  mit  /adü  umschließen, 
befestigen^  zusammenhängend,  zwar  die  Umschließung,  also 
wohl  den  Teil  der  Tür,  in  dem  der  Riegel  steckt,  und  von 
da  aus  die  Umrahmung  bedeuten  kann.  Aber  eine  ganz 
andere  Frage  ist,  ob  das  Wort  bloß  diese  Bedeutung  hat, 
wie  denn  Delitzsch  für  die  II.  Form  des  Verbs  auch  die 
Bedeutung  „binden"  notiert.  Es  liegt  also  gar  nicht  fern  an- 
zunehmen, daß  die  im  talmudischen  Sprachgebrauch  belegte 
Bedeutung  Leitersprosse  für  n^'^bü,  '[■'ibirj  aus  der  Bedeutung 
Verbiudungsstab  herstammt.  Es  kommt  dazu,  daß  im  Hebräi- 
schen (in  Ex.  26 17  3622)  das  Verbum  sbü,  vielleicht  ein  Deno- 
minativum  von  jenem  s?i/dü,  jedenfalls  vom  hebr.  C^nbiZJ,  tat- 
sächlich die  Bedeutung  verbinden  besitzt.  Es  ist  dort  die 
Rede  von  Brettern  der  Stiftshütte,  an  denen  sich  unten  zwei 
Zapfen  befinden,  die  unter  sich  verbunden  sind  (ninblDia). 
Von  hier  aus  würden  also  a'^nb©  Verbindungsstäbe  bezeichnen, 
durch  welche  zwei  Längsstäbe  zusammengehalten  werden.  Von 
dieser  Bedeutung  aber  ist  dann  zur  Bedeutung  Leitersprossen 
nur  ein  Schritt-. 

Etymologisch  liegt  demnach  schwerlich  eine  Nötigung 
vor,  gerade  die  Bedeutung  Rahmen  oder  Leisten  für  a'^nbüJ 
anzunehmen  und  diejenige  Verbindungsstäbe,  Sprossen,  auf  deren 
Seite  die  Überlieferung  steht,  fallen  zu  lassen.  Sie  scheint  aus- 
reichend begründet.  Sachlich  hingegen  stößt  jene  Bedeutung  auf 
ernste  Bedenken.  Die  von  Haupt  und  andern  gewählte  Fassung 
Rahmen  {^frame)  im  Sinne  von  den  Eckpfosten  samt  den 
Querleisten  oben  und  unten  oder  beim  Gerät  von  Enkomi 
wohl  von  der  viereckigen  feusterartigen  Umrahmung  führt 
uns  in  die  große  Schwierigkeit,  daß  wir  dann  für  die  niiJOü 
keine  befriedigende  Erklärung  finden.    Sie  sind  zwar,  so  wie 


1)  Die  letztere  Bedeutung  gibt  als  einzige  an  Zimmern  in  Gesen.- 
Buhl,  Hebr.  Lexik.  1* 

2)  Nicht  ohne  Interesse  ist,  daß  58  iuncturae  sagt,  auch  darf  vielleicht 
verglichen  werden,  daß  im  Arabischen  «-^--A-wj  auch  die  Strickleiter  aus 
Palmbast  bedeutet. 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37.  211 

es  V.  28  und  29  fordert,  für  Klostermann,  Haupt,  Furt- 
wÄNGLER  zwischen  den  n'^^biü,  aber  Stade  macht  m.  E.  mit 
vollem  Eechte  darauf  aufmerksam,  daß  die  Größe  der  salo- 
monischen Geräte  aus  konstruktiven  Gründen  außer  den  Eck- 
pfosten und  zwei  wagerechten  Leisten  oben  und  unten  noch 
Zwischenglieder  verlange,  welche  die  Tragfähigkeit  des  Gestells 
erhöhen.  Diese  Erwägung  würde  noch  verstärkt  worden  sein, 
wenn  Stade  daran  erinnert  hätte,  daß  das  Ganze  doch  auf 
den  oben  aufsitzenden  Kessel  angelegt  ist,  der  mit  Wasser 
gefüllt  gedacht  werden  muß  und  dann  natürlich  ein  ganz 
stattliches  Gewicht  repräsentierte. 

Hierzu  tritt  noch  die  weitere  Erwägung,  daß  m^D^  für 
Klostermann,  Furtwängler  und  einige  andere  Gelehrte  im 
Zusammenhang  mit  ihrer  Fassung  der  D^'^bt''  als  Leisten  oder 
Rahmen  die  Füllung  bedeuten  soll.  Diese  Übersetzung  aber 
läßt  sich,  wie  schon  erwähnt,  nicht  wohl  aufrecht  erhalten 
wodurch  auch  jene  Deutung  der  D"^nbt[J  in  Frage  gestellt  wird. 
"l^D  bedeutet  „schließen",  nicht  „füllen".  Die  Übersetzung 
„Füllung"  könnte  also  immer  nur  in  ganz  sekundärer  Weise 
in  Frage  kommen,  wenn  die  nächstliegende  Wiedergabe 
„Verschlußstück"  aus  zwingenden  Gründen  abzulehnen  wäre. 
Das  Gegenteil  aber  ist  der  Fall. 

Wie  eine  ni^o'a  aussieht,  ersehen  wir  am  besten  aus  der 
Beschreibung  des  Schaubrottisches  der  Stiftshütte  ^  Ex.  2524f. 
berichtet  uns,  daß  um  den  Tisch  eine  mjo'a  eine  Hand  breit 
gelaufen  sei,  also  eine  die  4  Füße  verbindende,  ihnen  Halt 
gebende  Verschlußleiste.  Wo  sie  angebracht  ist,  sagt  der 
Bericht  nicht,  wohl  aber  daß  an  ihr  Ringe  von  Gold  ange- 
bracht seien,  durch  welche  Stangen,  auf  denen  der  Tisch 
getragen  werden  soll,  gesteckt  werden  können.  Nun  besitzen 
wir  eine  authentische  Abbildung  des  jedenfalls  in  der  Haupt- 
sache nach  dem  Muster  des  Schaubrottisches  der  Stiftshütte 
hergestellten  Tisches  des  herodianischen  Tempels,  nämlich 
auf  dem  Titusbogen  in  Rom  (Abb.  41).  Hier  aber  befindet 
sich  ganz  klar  am  untern  Ende  des  Tisches,  beim  stehenden 
Tische  nahe  der  Erde,  eine  die  4  Füße  verbindende  Ver- 
schlußleiste,  an  der  —  man   sieht   die  Stangen  —  die   Trag- 


1)  S.  dazu  in  m.  Art.  „Stiftshütte"  in  PRES  XIX,  37  f. 

14* 


212 


Kittel,  Studien.     IV.  Die  Kesselwagen. 


ringe  angebraclit  gewesen  sein  müssen.  Ich  habe  an  einem 
andern  Orte  den  Nachweis  erbracht,  daß  der  Titusbogen 
seinen  Maßen  nach  nicht  ohne  weiteres  als  den  Angaben  des 
Buches  Exodus  entsprechend  angesehen  werden  darf  und  beide 
Zeugnisse  überliaupt  nur  mit  Vorbehalt  zu  ihrer  gegenseitigen 
Erläuterung  verwandt  werden  dürfen.  Aber  eben  dort  ist 
auch   darauf  hingewiesen,   daß  in   betreff  der  Beschaffenheit 


Al>li.  41.     Vom  Titusbogen  in  Rom. 


und  Lage  der  Leiste  der  Bogen  uns  wohl  zu  Hilfe  kommen 
könne  ^ 

Hier  sind  wir  also  in  der  glücklichen  Lage,  die  Bedeu- 
tung von  rn?c^  über  die  Etymologie  hinaus  aus  der  An- 
schauung bestimmen  zu  können:  es  bedeutet  in  Ex.  25  nicht 
Füllung,  sondern  Yerschlußleiste.  Zeigen  nun  die  antiken 
Kesselwagen,  die  uns  bekannt  sind,  eine  Anlage,  die  diese 
Fassung  für  m^c?;  ermöglicht,  so  besteht  zum  voraus  große 
Wahrscheinlichkeit,  daß  sie  die  richtige  ist.    Nun  zeigen  die 


1)  A.  a.  O.  S.  37,  55  ff. 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37.  213 

beiden  cyprisclien  Bronzewag-eu  ein  viereckiges  Gestell,  am 
deutlichsten  der  von  Larnaka,  bei  dem  die  Füße  oder  Eck- 
pfosten durch  wagerechte  Leisten  oben  und  unten  verbunden 
sind.  Der  Wagen  von  Enkomi  läßt  den  Unterschied  der 
Pfosten  und  Leisten  nicht  mehr  —  vielleicht  überhaupt 
nicht  —  ganz  deutlich  heraustreten,  um  so  klarer  der  von 
Larnaka.  Hier  ist  jedenfalls  die  untere  Leiste  derjenigen 
vom  Schaubrottisch  entsprechend,  also  eine  nn^oia.  Da  aber 
von  einer  Mehrheit  von  ninsoia  —  und  zwar  in  doppelter 
Form  —  die  Rede  ist,  so  dürfen  wir  mit  Sicherheit  auch  die 
obere  wagrechte  Stange  als  eine  solche  m^D^  in  Anspruch 
nehmen.  Das  Wort  bedeutet  sonach  die  wagrechten  Ver- 
schlußleisten, die  mit  den  Pfosten  zusammen  das  Viereck  auf 
den  beiden  cyprischen  Wagen  ausmachen '. 

Gegen  diese  Fassung  scheint  zu  sprechen  die  Notiz  in 
2.  Kön.  16 17,  nach  der  König  Ahas  die  nii^o^  aus  den  Ge- 
stühlen  des  Salomo  herausschneiden  ließ.  Aber  der  Text 
jener  Stelle  ist  nicht  in  Ordnung,  und  gerade  das  entschei- 
dende Wort  ril-i3C^n"lns  steht  dort  an  falscher  Stelle,  so  daß 
es  sehr  zweifelhaft  ist,  ob  es  ursprünglich  im  Texte  stand. 
Streicht  man  esl  so  entsteht  der  vortreffliche  Sinn,  daß  Ahas 
wie  das  eherne  Meer  so  auch  die  Kessel  der  Gestühle  auf 
die  bloße  Erde  stellte  und  die  Untersätze,  dort  die  ehernen 
Einder.  auf  denen  das  eherne  Meer  steht,  hier  die  Gestühle 
beseitigt,  sei  es  um  das  Erz  anderweitig  zu  verwenden,  sei 
es  aus  andern  Motiven.  Demnach  wird  auch  von  hier  aus 
kein  Einwand  gegen  die  Fassung  Verschlußleisten  zu  er- 
heben, vor  allem  nicht  auf  die  Übersetzung  Füllung,  die 
sich,  wäre  der  Text  heil,  vielleicht  empfehlen  könnte,  zu 
dringen  sein. 

Damit  sind  wir  aber  von  selbst  wieder  auf  die  Erklärung 
der  D'^nbttJ,  die  jetzt  erst  zu  Ende  gebracht  werden  kann, 
zurückgeführt.  Die  oben  schon  gewonnene  Wahrscheinlich- 
keit, daß  das  Wort  Verbindungsstäbe,  Sprossen  bedeute,  gewinnt 
durch  die  jetzt  festgestellte  Bedeutung  von  mn3D)a  ihre  Be- 

1)  Dies  hatte  Stade  früher  verkannt,  worauf  sich  meine  Erinnerung 
im  Kommentar  bezog,  bei  seiner  Erklärung  stehen  die  Sprossen  zwischen 
den  Leisten,  nicht  umgekehrt,  wie  doch  der  Text  verlange. 

2)  So  Staue  in  Sacred  books  of  OT. 


214  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

stätigmig.  Deutlich  nemlicli  redet  der  Text  von  zwei  Arten  von 
Verschlußlt^isten.  Daß  es  sich  so  verhält  und  in  V.  28b  nicht 
etwa  übersetzt  werden  darf:  und  zwar  Verschlußleisten \ 
sondern:  und  (obendrein)  Verschlußleisten  zwischen  den  a'^nbiü, 
das  geht  mit  voller  Klarheit  aus  V.  29  hervor,  wo  diese 
zweite  Gattung  von  Verschlußleisten  noch  besonders  genannt 
wird.  Neben  den  allgemein  so  genannten  und  deshalb  nicht 
näher  zu  bezeichnenden  gewöhnlichen  Verschlußleisten  hat 
also  unser  Gerät  noch  weitere,  die  sich  zwischen  den  ö'^ibiiJ 
befinden.  Sind  die  ersten  wagrecht  und  einander  parallel, 
so  werden  es  auch  die  zweiten  sein.  Es  müssen  also  noch 
weitere  im  viereckigen  Eahmen,  somit  zwischen  den  ersten 
liegende  Leisten  angenommen  werden. 

Nun  heißt  es  aber  nicht,  die  zweiten  Leisten  liegen  zwi- 
schen den  ersten.  Sie  tun  das,  aber  sie  werden  nicht  so  be- 
zeichnet. Vielmehr  werden  sie  charakterisiert  als  zwischen 
den  D'^nbil?  liegend.  Damit  ist,  die  Richtigkeit  des  Bis- 
herigen vorausgesetzt,  erwiesen,  daß  auch  die  ö'^nb^ü  ihre 
Stelle  innerhalb  des  Rahmens  und  in  nächster  Nähe  der 
zweiten  (inneren)  Leisten  haben.  Haben  sie  hier  ihre  Stelle 
und  nicht  außerhalb,  so  werden  sie  zum  voraus  nicht  viel 
anderes  sein  können  als  in  anderer  —  senkrechter  oder 
schräger  —  Richtung  laufende  Stäbe. 

Soweit  kommen  wir  auf  Grund  der  Worterklärung  und 
mit  Hilfe  der  cyprischen  Wagen.  Demgemäß  war  denn  mit 
diesem  Material  zwar  die  Fassung  „Leitersprossen"  sehr 
nahegelegt,  obwohl  die  cyprischen  Wagen  selbst,  wie  schon 
oben  betont,  eigentlich  nichts  enthalten,  was  ernstlich  mit 
Leitersprossen  verglichen  werden  könnte.  Aber  volle  Sicher- 
heit war  nicht  zu  gewinnen,  und  am  wenigsten  war  über  die 
Art  der  Sprossen  ins  klare  zu  kommen.  War  man  einmal  in 
der  letzteren  Hinsicht  aufs  Raten  angewiesen,  so  war  natür- 
lich aus  dem  Namen  Sprossen  am  ehesten  auf  eine  den  Leisten 
gegenüber  senh'ecJtte  Stellung  zu  raten.  Denn  bei  der  rich- 
tigen Leiter  stehen  die  Sprossen  senkrecht  zu  den  Leiter- 
bäumen. 

Den  abschließenden  Schritt  läßt  uns   auch  hier  wieder 


1)  So  Benzinger   und  Kamphausex  in  Kautzschs  Übersetzung    des 
AT.    Es  müßte  jedoch  außerdem  der  Artikel  niniOMn  stehen  (Stade  1ü6). 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37.  215 

erst  die  Anschauung  tun.  Auch  hier  sind  wir  in  der  glück- 
lichen Lage  über  sie  zu  verfügen,  denn  wo  uns  die  cyprischen 
Wagen  im  Stiche  lassen,  tritt  der  kretische  der  Zeusgrotte, 
selbst  wenn  wir  ihn  nicht,  wie  Kako  will,  mit  dem  Weih- 
geschenk des  Alyattes  in  Verbindung  bringen  und  beide  aus 
einander  erklären  dürfen,  ein.  Rufen  wir  uns  zunächst  das 
oben  beschriebene  Bild  des  Weihgeschenkes  des  Alyattes  und 
dazu  die  Fragmente  aus  der  idäischen  G-rotte  mit  der  Deutung, 
die  ihnen  Karo  gegeben  hat,  nochmals  in  Erinnerung,  und 
halten  wir  daneben  das  bisher  gewonnene  Schema  für  unsere 
hebräischen  Gestühle:  ein  viereckiges  mit  wagrechten  Quer- 
stäben versehenes  Gestell  und  diese  Querstäbe  zwischen  Leiter- 
sprossen, so  bedürfte  es,  hätte  Karo  mit  seiner  Erklärung 
des  Glaukoskunstwerkes  recht,  nur  der  nochmaligen  Erwähnung 
der  Worte  des  Pausanias,  um  uns  volle  Klarheit  darüber  zu 
verschaffen,  daß  wir  mit  der  Übersetzung:  Sprossen  im  Rechte 
waren  und  wie  wir  die  Sprossen  uns  wohl  zu  denken  hätten. 

„Jede  Seite  das  Untersatzes  ist  nicht  vollständig  ge- 
schlossen, sondern  da  sind  die  schrägen  Bänder  .  .  .  wie  an 
einer  Leiter  die  Sprossen"  —  wir  brauchten  die  Worte  in 
dieser  Übersetzung  nur  zu  lesen,  um  nunmehr  den  Schlüssel 
für  das  Verständnis  des  hier  in  Frage  stehenden  Teiles  der 
salomonischen  Geräte  in  den  Händen  zu  haben.  Wir  wissen 
nun,  daß  an  solchen  Geräten  eine  Konstruktion  üblich  war, 
bei  der  der  Vergleich  mit  Leitersprossen  nahe  lag.  Läßt  also 
das  betreffende  hebräische  Wort  die  Deutung  von  solchen 
Sprossen  zu,  ja  steht  die  Sache  so,  daß  sie  sich  aus  anderen 
Gründen  ernsthaft  empfohlen  hat,  so  werden  wir  allen  Grund 
haben,  sie  hier  anzuwenden.  Sagt  uns  die  Beschreibung  des 
Pausanias  nun  weiter,  jene  Sprossen  seien  in  schräger  Rich- 
tung gelaufen,  und  haben  wir  dazu  Grund,  in  einem  kretischen 
Kunstwerk  die  Reste  eines  solchen  Kesselwagens  oder  eines 
verwandten  Gerätes  mit  schrägen  Sprossen  zu  sehen,  so  hätten 
wir  bei  der  engen  Verbindung  zwischen  Israel  und  Kreta, 
einem  Hauptsitz  der  raykenischen  Kunst,  auch  dazu  alle  Ver- 
anlassung, die  Sprossen  des  salomonischen  Kesselwagens  uns 
in  dieser  Art  vorzustellen. 

So  lägen  die  Dinge,  wenn  Karo  im  Rechte  ist.  Aber 
auch  wenn  die  gegen  seine  Erklärung    geltend    gemachten 


216  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

Bedenken  zutreffen,  bleibt  immer  so  viel  bestehen,  daß  wir 
tatsächlich  in  Kreta  höchstwahrscheinlich  die  Fragmente  eines 
Gerätes  vor  uns  sehen,  das  ein  auf  Rädern  fahrbares  Gestühl 
mit  senkrechtem  und  wagrechtem  Gestell  und  schrägen 
Zwischen  Stäben  darstellt.  Was  wir  bisher  vermißten,  die 
Anschauung  über  die  Art  der  Zwischenstäbe  und  die  Antwort 
auf  die  Frage,  ob  sie  senkrecht  oder  schräg  zu  denken  seien, 
hätten  wir  also  damit  gewonnen.  Zugleich  erkennen  wir  hier 
auch  den  Grund  der  schrägen  Richtung.  Die  Absicht  des 
kretischen  Künstlers  ist  es  augenscheinlich,  die  Figuren  nach 
oben  wie  nach  unten  schreitend  darzustellen.  Zu  diesem  Be- 
hufe  eigneten  sich  schräge  Verkleidungsstäbe  viel  besser  als 
senkrechte.  Das  Auf-  und  Absteigen  wird  dadurch  natürlicher 
zum  Ausdruck  gebracht.  Vergegenwärtigen  wir  uns  nun  daß 
nach  V.  29  b  (s.  u.)  die  Figuren  des  hebräischen  Kunstwerks 
ebenfalls  oben  und  unten  an  den  Stäben^  angebracht  sind,  so 
wird  es  uns  aus  demselben  Grunde  auch  hier  als  das  Wahr- 
scheinlichere erscheinen,  daß  die  Stäbe  nicht  senkrecht,  son- 
dern schief  standen. 

Vor  allem  aber  scheinen  hier  konstruktive  Gründe  für 
diese  Anlage  zu  sprechen.  Erinnern  wir  uns  dessen,  daß  das 
ganze  Gestell  dem  Zwecke  dient,  einen  mächtigen  ehernen 
Kessel  zu  tragen  und  daß  nach  V.  38  der  Kessel  40  Bat  ^= 
ca.  1400  Liter  oder  ebensoviel  Kilogramm  Wasser  zu  fassen 
hatte,  so  können  wir  nicht  im  Zweifel  sein,  daß  das  salomo- 
nische Gerät  ganz  andere  Rücksicht  auf  die  Gesetze  der 
Statik  und  der  konstruktiven  Sicherung  zu  nehmen  hatte  als 
jene  cyprischen  Miniaturgeräte,  die  wohl  lediglich  als  Weih- 
geschenke oder  als  Zierrat  in  Frage  kamen. 

Nun  ist  es  bei  dem  gewaltigen  Gewichte  des  Kessels  und 
seines  Inhalts  überhaupt  fraglich,  ob  man  mit  lediglich  wag- 


1)  Freilich  zugleich  auch  an  den  wagrechten  Leisten,  aber  daraus 
folgt  nicht,  daß  sie  an  den  letzteren  mit  dem  Gesicht  nach  oben  schreiten 
würden.  Wohl  aber  konnten  vielleicht  bei  der  Zeichnung  von  Abb.  44 
die  Figuren  zum  Teil  noch  etwas  stärker  an  die  Schrägstäbe  angegossen 
erscheinen ;  man  vergleiche  die  Art ,  wie  in  Abb.  88  der  Kopf  der  ge- 
molkenen Kuh  durch  ein  eigenes  kleines  Verbindungstück  an  den  obern 
Stab  angegossen  ist.  Ähnlich  können  wir  uns  die  Verbindung  der  unter- 
halb der  Sprossens  schreitenden  Tiere  mit  den  Sprossen  vorstellen. 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37.  217 

rechten  und  senkrechten  Zwischenstäben  auskommen  konnte. 
Hatte  man  schon  bei  den  kleinen  cyprischen  Geräten  aus 
guten  Gründen  unten  schräge  Stützen  angewandt,  so  wird 
man  bei  den  salomonischen  mit  ihnen  nicht  ausgekommen 
sein,  sondern  schon  um  der  Sicherheit  des  Ganzen  willen  die 
schräge,  diagonale  Konstruktion  als  die  erfahrungsmäßig  viel 
tragfähigere  und  widerstandskräftigere  gewählt  haben.  Die- 
selben Gründe  werden  wohl  auch  bei  dem  kretischen  Gerät 
die  letzte  Entscheidung  gegeben  haben. 

Freilich  kann  die  wirkliche  konstruktive  Sicherheit  eigent- 
lich nur  durch  das  unverschiebliche  Dreieck  erreicht  werden. 
Es  werden  also  mit  Rücksicht  auf  das  große  Gewicht  des  ge- 
füllten Kessels  doch  wohl  noch  senkrechte  Stäbe  angenommen 
werden  müssen,  wie  ^denn  auch  in  Abb.  38  die  oberste  Figur 
ganz  deutlich  zwischen  den  Voluten  noch  den  Ansatz  zu  einem 
senkrechten  Stabe  zeigt.  Er  beweist,  daß  man  das  Gesetz 
der  diagonalen  Sicherung  kannte.  Somit  wären  wir  auf 
Umwegen  doch  wieder  zum  senkrechten  Zwischenstabe  zu- 
rückgelangt. Aber  er  ist  im  Texte  nicht  erwähnt,  vermutlich 
weil  er  für  den  Verfasser  lediglich  eine  konstruktive,  keine 
künstlerische  Bedeutung  hat. 

Damit  ist  hinreichend  erwiesen,  daß  wir  für  unsere  Be- 
schreibung schräge  Zwischenstangen  oder  Bänder  annehmen 
müssen.  Eine  Frage  muß  dabei  freilich  noch  offen  bleiben, 
nämlich  ob  die  Sprossen  bei  jeder  „Leiter"  nur  in  einer  Rich- 
tung laufen  oder  in  zwei,  also  so,  daß  sie  sich  kreuzen  und 
das  Ganze  eine  Art  Gitter  vorstellt.  Das  letztere  wäre  nicht 
unmöglich,  scheint  sogar  durch  den  einen  das  Schiff  tragenden 
Stab  aus  der  idäischen  Grotte  um  der  doppelten  nach  unten 
gehenden  Volute  willen  sich  zu  empfehlen.  Aber  wir  brauchen 
uns  nicht  in  sklavischer  Abhängigkeit  von  der  Analogie  zu 
bewegen;  da  der  Eindruck  der  Leiter  auf  die  andre  Art  un- 
mittelbarer erweckt  wird,  so  scheint  mir  das  Richtigere, 
Sprossen  anzunehmen,  die  bei  jeder  Leiter  nur  nach  einer 
Richtung  laufen.  Außerdem  fehlt  uns  jede  Angabe  über  die 
Zahl  der  Leisten  und  Sprossen  und  demgemäß  über  die  Länge 
der  letzteren.  Hier  sind  wir  auf  bloße  Vermutung  angewiesen. 
Immerhin  hat  sie  darin  eine  gewisse  Stütze,   daß  Josephus^ 

1)  Autiqu.  VIII,  3,  6. 


218  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

eine  Dreiteilung  annimmt  {ijv  öl  Tavra  [za  jtXsvga  rriq  ßaöscog 
—  er  nennt  die  Gestülile  Xovrrjgojv  ßaoetg]  tQtxf]  dLt]Q?]fitva). 
Seiner  Angabe  folgend  teile  ich  in  drei  Abteilungen,  woraus 
sich  die  zwei  Zwiscbenleisten  ergeben. 

Läßt  sich  somit  mit  der  soeben  genannten  Einschränkung 
der  Vers  28  nunmehr  nach  allen  Sichtungen  befriedigend  er- 
klären/so  sind  auch  keinerlei  weitere  Textänderungen  ange- 
zeigt. Ich  kann  in  dieser  Beziehung  auf  Stade  in  ZAW  XXI 
S.  164 f.  verweisen,  wenigstens  soweit  er  sich  gegen  vorge- 
schlagene Eraendationen  wendet,  kann  aber  anderseits  da, 
wo  er  selbst  solche  zuläßt,  nicht  mit  ihm  gehen  ^  Vor  allem 
ist  die  Möglichkeit,  D'^iblU^  für  das  erste  mnso^  einzusetzen, 
nicht  zu  empfehlen,  weil  sonst  der  Anfang  von  V.  29  wenig 
verständlich  wird  —  eine  Annahme,  die  übrigens  auch  für 
Stade  die  größere  Wahrscheinlichkeit  für  sich  zu  haben 
scheint. 

c)  Die  Ornamentik. 

Vers  29.  Die  Schlußleisten  der  Umrahmung  werden  nun 
vorläufig  beiseite  gelassen.  Es  folgt  zunächst  lediglich  eine 
Beschreibung  der  andern  Art  von  Leisten,  der  Innern,  sowie 
der  Leitersprossen.  Von  beiden  wird  uns  gesagt,  daß  an  ihnen 
Löwen,  Einder  und  Kerube  angebracht  sind,  sowohl  oben  als 
unten,  ferner  daß  an  den  Löwen  und  Bindern  herabhängende 
oder  sonstwie  geartete  rr^b  {lojotY)  sich  befinden. 

Zunächst  muß  hier  der  masoretische  Text  beanstandet 
werden.  Er  würde  besagen,  es  befinden  sich  auf  oder  an  (by) 
den  Leisten  Figuren  „und  auf  oder  an  den  Stäben  ebenso 
oben"  (bS'iQia).  Da  sie  ohne  nähere  Bestimmung  auch  bei  den 
Leisten  „oben"  gedacht  werden  müssen,  ist  dieser  Zusatz  bei 
den  Stäben  sinnlos.  Man  kann  deshalb  geneigt  sein,  mit  Stade 
nach  %  zu  lesen  bl^TSip^  "jS,  das  „oben"  also  zum  folgenden  zu 
ziehen  und  zu  übersetzen:  oben  und  unten  an  den  Löwen  und 
Rindern  waren . . .  lojot.  Etliche  entgegenstehende  Fassungen  hat 
Satde  in  seiner  zweiten  Abhandlung  mit  Grund  zurückgewiesen. 
Zum  Teil  werden  sie,  wie  die  von  Fuktränglee  und  Hommel, 
durch  die  andre  Deutung  von  Dinbiri  von  selbst  hinfällig. 

1)  A.  a.  O.  S.  167. 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37.  219 

Allein  Stades  Textänderiing-  nach  ®,  der  ich  noch  in  der 
BHebr.  zustimmte,  weckt  das  Bedenken,  daß  sich  auf  diese 
Weise  kein  Grund  einsehen  läßt,  weshalb  die  lojot  (oder  wie 
man  das  Wort  aussprechen  will)  bei  den  Keruben  fehlen. 
Stehen  dieselben  über  und  unter  den  Figuren,  nicht  an  ihnen 
selbst,  so  könnten  sie  auch  bei  den  Keruben  stehen.  Anders, 
wenn  sie  zu  ihnen  gehören.    Darüber  nachher  (S.  220). 

Wie  haben  wir  uns  aber  die  Löwen,  Rinder  und  Kerube 
auf  den  Leisten  und  Sprossen  angebracht  zu  denken?  Hier 
kann  uns  abermals  das  bisherige  Material  nur  ungenügende 
Auskunft  geben.  Indem  man  die  D'^ibiU  entweder  gar  nicht 
als  Verbiüdungsstäbe  oder  Leitersprossen,  sondern  anders  ver- 
stand, oder  aber  indem  man  sie  zwar  als  „Sprossen",  aber  aus 
den  cyprischen  Geräten  heraus  zu  deuten  suchte,  geriet  man 
durchweg  auf  breite  Leisten  oder  Bretter  aus  Erz.  auf  denen 
man  sich  die  Figuren  eingraviert  dachte  i.  Dem  widersprach 
nun  freilich  eigentlich  zum  voraus  schon  die  Benennung 
Sprossen  wenigstens  bei  denen,  die  so  übersetzten.  Man  darf 
nur  die  sog.  Sprossen  bei  Stade  Gesch.  I,  341  oder  ZA  W  XXI  lö7 
ansehen,  um  sich  zu  überzeugen,  daß  man  so  breite  Tafeln  nicht 
eigentlich  Sprossen  nennen  kann.  Ferner  widersprach  ihm 
der  Umstand,  daß  nach  V.  37  (vgl.  33)  das  Ganze  gegossen  sein 
sollte,  die  wichtigsten  Figuren,  die  dem  Ganzen  das  charakte- 
ristische Aussehen  und  sein  eigentümlifhes  Gepräge  gaben, 
demnach  auch  wohl  als  gegossen  anzunehmen  waren.  Dann 
aber  sind  sie  wohl  an  die  Sprossen  angegossen.  Stehen  aber 
gegossene  Figuren  auf  den  Sprossen  (vgl.  Abb.  4 2)  2,  so  werden 
wir  von  selbst  auf  Stäbe  derart  geführt,  wie  die  Fragmente  der 
idäischen  Grotte  sie  uns  zeigen,  wenigstens  für  die  Sprossen, 
während  die  Leisten  daneben  recht  wohl  als  etwas  breitere 
Bänder  existieren  konnten. 

In  der  Vorlage  aus  Kreta  sind  nun  die  Stäbe  oben  und 


1)  über  n^il  in  V.  31  s.  u.  S.  226. 

2)  Dhs  Wesentliche  an  der  Abbildung  ist  für  unsern  Zweck  die  Art, 
wie  die  beiden  Steinböcke  freistehend  auf  den  Kapitellen  angebracht  sind. 
Sie  sind  angenseheinlirh  als  ganze  Figuren  angegossen  oder  angelötet 
gedacht.  Sie  stehen  lediglich  oben,  aber  indem  sie  frei  im  Räume  stehen, 
können  sie  leicht  auch  bei  anderem  Standort  oben  und  unten  augebracht 
erscheinen. 


220 


Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 


unten  mit  Figuren  besetzt.  Das  ist  auch  hier,  wenn  wir  ein- 
mal dieser  Vorlage  folgen,  wahrscheinlich  und  wird  durch 
andere  Muster  (s.  Abb.  42)  ebenso  wie  durch  den  hebräischen 
Text  zugelassen.  Nun  heißt  „oben  und  unten"  nnp'ai  briQia. 
Es  steht  aber,  da  einmal  der  Text  verderbt  und,  wie  wir  sahen, 
die  Fassung  von  @  unhaltbar  ist.  nichts  im  Wege,  unsern 
Vers  so  zu  lesen,  daß  der  Atnach  zu  nnnü  versetzt  wird: 
„und  an  den  Sprossen  ebenso,  oben  und  unten.  Die 
Löwen  und  Binder  hatten  .  .  .  lojot".  Für  die  letztere 
Ausdrucksweise  ist  der  Anfang  des  folgenden  Verses  zu  ver- 
gleichen. Bedeutet  (worüber  unten)  lojot  einfache  Eosetten  oder 
Gewinde,  Girlanden,  etwa  aus  Rosetten,  so  macht  ohnehin  bei 
unsrer  Fassung  der  Leitern  und  Figuren  ihre  Anbringung  über 


Abb.  42.     Assyrischer  Feldbaldacbin  aus  dem  9.  Jahrii.  v.  Chr. 
(als  Muster  freistehender  Figuren). 


und  unter  den  Löwen  und  Rindern,  an  die  Stade  denkt, 
Schwierigkeit,  nicht  aber  wenn  sie  einfach  an  ihnen,  zu  ihnen 
gehörig  gedacht  werden.  Nach  dieser  Richtung  entstände  also 
eine  Erleichterung. 

Der  Rest  des  Verses  bietet  große  Schwierigkeit.  "ni^ 
bedeutet  sonst  den  Abstieg  oder  Abhang,  -Tra  nirra  müßte 
also  eine  Abhangsarbeit,  eine  abschüssige,  nach  unten  gehende 
Arbeit  sein.  Gewöhnlich  deutet  man:  herabhängende  Arbeit, 
was  wohl  möglich  ist.  aber  docli  gar  nicht  siclier.  Denn  ge- 
rade das  Herabhängen  liegt  in  T^'^,  dem  Wurzelwort  von 
-"Tia,  nicht  und  der  Sprachgebrauch  selbst  kennt  das  Nomen 
sonst  nur  als  Bezeichnung  von  Örtlichkeiten. 

Auch  müßte  der  Ausdruck   „Arbeit"    des  Herabsteigens 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37. 


221 


oder  Herabhängens  eigentlich  doch  Befremden  erwecken.  Etwas 
Herabhängendes  ist  doch  keine  „Arbeit"  des  Abhangs.  Das 
läßt  fast  vermuten,  daß  auch  hier  ein  Textfehler  steckt  und 
daß  T1I12  in  der  Tat  eine  „Arbeit",  also  wohl  die  Art  der 
Anfertigung  der  rr^b  bezeichnen  will.  I.  I.  Kahan  macht 
mich  auf  die  Möglichkeit  aufmerksam,  ob  nicht  "ini^a  zu  punk- 
tieren sein  könnte,  was  dann  für  nn'ü  von  t;-i  (vgl.  !y":)a  von 
Tan)  zu  setzen  wäre.  Dann  kämen  wir  auf  die  Bedeutung: 
Arbeit  des  Stampfens,  Düunschlagens,  also  geschlagene  Arbeit, 
Metallplättchen, 

Ähnlich  steht  es  mit  rnb.  Gewöhnlich  wird  n^'b  nach 
n^lb  Prov  1 9  4  9  erklärt  und  als  Gewinde,  Kranz  gedeutet.  Das 
Wort  n^"b  würde  dann  von  einem  Ver- 
bum  nib  abzuleiten  sein,  das  im  Assy- 
rischen (als  /amü)  umschließen,  im  Ara- 
bischen winden,  drehen  bedeutet,  und 
n^'b  stünde  dann  für  nYb  oder  rr^b,  wo- 
bei freilich  nicht  recht  zu  sehen  ist, 
wie  das  eine  aus  dem  andern  geworden 
sein  soll.  Immerhin  muß  zugegeben 
werden,  daß  die  Bedeutung  Gewinde, 
wenn  auch  nicht  diejenige  Kranz.  Gir- 
lande im  Sinne  von  Blumenkränzen 
nach  allem,  was  wir  über  den  Stil  der 
Zeit^  wissen,  und  besonders  nach  dem, 
was  wir  an  den  ziemlich  gleichzeitigen 
cyprischen  Geräten  sehen,  recht  .wohl 
passen  würde.  Denn  die  Spirale  ist 
ist  geradezu  ein  Lieblingsornament  dieser  Geräte.  Besonders 
aber  darf  jedenfalls  auch  an  das  überaus  häufige  Vorkommen 
der  Rosette  in  der  kretischen  und  mykeuischeu  Kunst  erinnert 
werden,  sei  es  in  einfacher  Form  und  als  Tierschmuck  (man 
denke  z.  B.  an  Bilder  der  Art  von  Abb.  43)  oder  als  Kranz 
von  Rosetten.  Am  einfachsten  wäre  es,  an  die  einfache  Ro- 
sette nach  Art  der  Abb.  43  zu  denken;  nur  muß  fraglich  bleiben. 


A])b.  43. 
Stier  mit  Rosette. 


1)  S.  darüber  Furtwängler  a.  a.  O.  S.  419  ff.  F.  legt  Wert  auf  die 
Übersetzung  Gewinde  und  will  nur  an  Spiralen  denken;  aber  der  Zusatz 
scheint,  so  unsicher  er  im  übrigen  ist,  doch  gerade  diese  Deutung  nicht 
zu  begünstigen. 


222  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

wieweit  man  berechtigt  ist,  sie  (als  einen  Kranz  von  Blnmen- 
blättern)  mit  niib  zu  bezeichnen.  Daher  darf  man  allen  Ernstes 
fragen,  ob  nicht  einfach  r^'ib  Kränze,  Gewinde  einzusetzen  und 
^'•^"5  für  bloßen  Schreibfehler  zu  erklären  sei.  Um  ihn  zu  ver- 
stehen, brauchen  wir  lediglich  die  volle  Schreibweise  n'^ib  für 
rr^b  anzunehmen  und  zu  vermuten,  sie  sei  versehentlich  n'^ib 
statt  n'iib  punktiert  worden. 

Will  man  also  nicht  auf  jede  Übersetzung  verzichten,  so 
wäre  wohl,  wenn  auch  mit  allem  Vorbehalt,  zu  übersetzen: 
„Die  Löwen  und  Rinder  hatten  Kränze  (Gewinde),  geschlagene 
Arbeit".  Bei  aller  Zurückhaltung,  mit  der  diese  Übersetzung 
gegeben  ist,  darf  doch  an  den  einen  Vorteil  erinnert  werden, 
den  sie  bietet:  das  Rätsel,  das  die  Erklärer  vielfach  beschäftigt 
hat,  und  auf  das  oben  S.  219  schon  Stade  gegenüber  aufmerk- 
sam gemacht  wurde,  nemlich  warum  nur  die  Löwen  und 
Rinder,  nicht  aber  die  Keruben  genannt  seien,  löst  sich  dann 
ohne  Schwierigkeit.  Löwen  und  Rinder  gelten  als  irdische, 
wenn  auch  symbolische  Wesen;  sie  erhalten  Schmuck  wie 
Tiere  im  Leben  ihn  tragen;  man  denke  an  die  Reittiere  und 
Richter  8  21.  Kerube  hingegen  sind  überirdische  Wesen,  für 
die  sich  ein  Schmuck  nicht  ziemt. 


d)  Räder.  Füße,  Schulterstücke. 

V.  30.  Über  die  Räder  und  ihre  Achsen,  die  zunächst  in 
diesem  Verse  beschrieben  werden,  sind  wir  nach  den  vor- 
handenen Mustern  nun  so  wohl  unterrichtet,  daß  dieser  Teil 
des  Verses  keiner  Erläuterung  bedarf.  Auffallend  ist  nur, 
daß  die  eigentliche  Beschreibung  nicht  fortgesetzt,  sondern 
auf  V.  32  fi'.  verschoben  wird.  Darüber  ist  nachher  zu  reden. 
Klarer  ist,  daß  die  Beschreibung  hier  ungenügend  ist  und 
deshalb  nicht  imstande,  dem  Leser  ein  Bild  von  der  Sache 
zu  vermitteln.  Es  ist  deshalb  sehr  verständlich,  daß  Stade, 
um  diesem  Versteil  aufzuhelfen,  die  Worte  am  Ende  des 
V.  35  „und  seine  Halter  und  seine  Schlußleisten  gingen  von 
ihm  aus"  hierher  versetzen  will.  Allein  ob  mit  Recht,  ist 
nur  zu  fraglich.  Denn  einmal  befremdet:  seine  Halter  (rTirrn"^), 
da  zwar  die  Schlußleisten,  nicht  aber  die  Halter  uns  schon 
vorgestellt  sind,  man  also  eine  vorangehende  Benennung  der 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37.  223 

Halter  erwartet.  Sodann  aber  befremdet  auch,  daß  hier,  wo 
von  den  Rädern  die  Rede  ist,  plötzlich  die  Leisten  herbei- 
gezogen werden:  in  einer  zusammenfassenden  Bemerkung  oder 
Übersicht  könnte  man  das  verstehen,  nicht  aber  liier  mitten 
im  Texte.  Wollte  man  also  hier  etwas  einsetzen,  so  müßte 
man  sich  mit  den  Haltern  begnügen.  Dann  wird  aber  Stades 
Hypothese  um  so  fraglicher.  Man  wird  sich  daher  beschei- 
denmüssen zu  konstatieren,  daß  die  Beschreibung  sich  zunächst 
auf  die  Räder  und  Achsen  beschränkt. 

Von  ihnen  geht  sie  nun  sofort  über  auf  die  pd^möt  und  ihre 
Schulterstücke  bezw.  auf  die  letzteren.  Seitdem  man  aus  dem 
Bronzewagen  von  Cypern  die  einzelnen  Teile  eines  solchen 
Wagens  genauer  kennt,  kann  man  über  diese  pdamöt  viel 
eher  ein  Urteil  abgeben.  Vor  allem  sieht  man  jetzt,  daß  sie 
etwas  ganz  anderes  sind  als  die  jadöt.  Es  war  deshalb  ein 
Fehler,  wenn  ich  nicht  nur  in  meinem  Kommentar,  sondern 
auch  in  der  BH/Z/^w/  Ecken  einsetzen  wollte.  Von  Di^S  Schritt. 
Tritt  herkommend  erklären  sich  die  ni^5>s  durchaus  befrie- 
digend nach  Ex.  25 12,  37  3,  wo  das  Wort  Tischfüße  bedeutet, 
als  die  Füße  des  Wagens.  Es  genügt  das  fem.  Suffix  einzu- 
setzen. Ich  hatte  mich  noch  in  der  BH  dadurch  irreführen 
lassen,  daß  hier  der  oberste  Teil  der  „Füße"  in  Betracht 
kommt,  der  besser  als  Ecke  oder  Eckpfosten  bezeichnet 
würde;  aber  die  nochmalige  Vergleichung  des  Gerätes  von 
Larnaka  läßt  mir  keinen  Zweifel,  daß  dort  der  ganze  Fuß- 
pfosten so  sehr  als  ein  Stück  von  unten  bis  oben  behandelt 
ist,  daß  man  kein  Bedenken  zu  tragen  braucht,  ihn  auch  bis 
oben  hin  als  Fuß  zu  bezeichnen. 

Was  nun  die  Schulterstücke  oder  Schultern  k'teföt  an- 
langt, so  sind  auch  sie  durch  das  Gerät  von  Larnaka  voll- 
kommen klargestellt.  Dort  stehen  auf  den  4  Ecken  Vögel 
vielleicht  Tauben.  Sie  mögen  der  Taube  der  Istar  ent- 
sprechend als  das  Tier  der  Hauptgottheit  gelten.  Aus  diesem 
Grunde  wären  sie  dann  in  Israel  beseitigt  und  durch  ange- 
gossene Aufsätze  anderer  Art  ersetzt.  Aber  welcher  Art  die 
Schulterstücke  waren,  ist  leider  nicht  mehr  zu  ermitteln. 
Meine  Übersetzung  im  Kommentar:  ..jenseits  eines  Mannes" 
=  über  Mannshöhe  war,  auch  wenn  ich  sie  nur  mit  Fragezeichen 
versehen  vortrug,  unbedacht  und  ist  deshalb  mit  Recht  Stades 


224  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

Spott  verfallen.  Klosteräiann '):  „gegenüber  einem  jeden" 
geht  ebenfalls  nicht,  man  müßte  sagen:  „jenseit  eines  jeden" 
und  dann  immer  noch  mindestens  nirs,  besser  aber  STTTinsi  msx 
erwarten.  Soviel  scheint  mir  nach  V.  36  wahrscheinlich,  daß 
rr^bl  (bzw.  s.  o.  tr^lbl)  am  Ende  zu  lesen  und  und  Gewinde 
zu  übersetzen  ist.  Daraus  folgt  dann,  daß  auch  im  ©"^i?  nnya 
entweder  ein  selbständiges  Gebilde  oder  eine  nähere  Be- 
stimmung der  Beschaffenheit  der  Schulterstücke  steckt.  Bei 
der  großen  Ähnlichkeit  der  Wortbilder  hier  und  in  V.  36  b 
darf  man  wohl  daran  denken,  daß  das  fremdartigere  IS'^D  die 
Wurzel  des  "125^)2  enthalten  könnte. 

Freilich  wissen  wir  um  nichts  besser,  was  "iS^tod  heißen 
könnte.  Man  übersetzt  gewöhnlich:  „nach  dem  Raum  einer 
jeden"  (Tafel),  so  ich  selbst  im  Kommentar.  Allein  abgesehen 
davon,  daß  an  unserer  Stelle  diese  Übersetzung  und  Deutung 
nicht  anginge,  bleibt  doch  überhaupt  das  Bedenken,  daß  das  Verb. 
Vi'ys  doch  nur  entblößen,  davon  abgeleitete  Nomina  wie  Jiny, 
m5>^,  nS'n  und  15^^  (soweit  sie  gesichert  sind)  immer  nur  die 
Entblößung,  Kahlmachung  oder  das  Instrument  für  sie,  bzw. 
ihr  Produkt  bezeichnen,  nicht  aber  die  kahle  Stelle  an  sich 
oder  den  freien  Raum  als  solchen.  Die  Übersetzung:  freier 
Raum  wird  deshalb  recht  problematisch.  Das  einzige  was 
für  iS'^a  bzw.  wohl  rriS^^a  wirklich  bezeugt  scheint,  ist  Blosse 
im  Sinne  von  Nah.  3  5.  Bei  der  starken  auf  manchen  Seiten 
heute  herrschenden  Neigung,  diese  Art  von  Emblemen  über- 
all im  kanaauitischen  und  hebräischen  Altertum  wiederzu- 
finden 2,  läge  es  nahe,  auch  hier  ein  solches  anzunehmen,  was 
der  Text  ©"^i?  y^D  am  ehesten  zuließe  und  der  Talmud^  wie 


1)  Vgl.  schon  ToENius  im  Komm.  z.  St. 

2)  Vgl.  auch  das  oben  S.  129  A.  1  in  betreff  der  Masseben  Gesagte. 

3)  Joma  55  a:   ■p^bso  hyh  ^{hrj  bx-nir"!  i-^nTr  ns'irn  xi^ap  ni  n^sx 

(so!)  niibi  ^J'^i<  -ii'T33 rT3pri~-GT  nariD  t^yp-cin  '^ssb  nanan  li^n  ^nb 

Also:  .  .  .  „man  zeigte  ihnen  die  Kerube,  die  aneinander  ange- 
schlossen (eng  miteinander  verbunden)  waren,  und  sagte  zu  ihnen:  Seht 
(nämlich  darin  als  in  einem  Symbol)  die  Liebe  zu  euch  von  selten  Gottes! 
(sie  ist)  gleich  der  Liebe  von  Mann  und  Weib  ....  "i^l  ^^'^it  ^"^3  was 
bedeutet  das?  (es  bedeutet  ....):  gleich  einem  Mann,  der  angehängt  ist 
(angeschlossen,  eng  verbunden  mit)  seinem  Kranze".    Um  über  den  Sinn 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  37-27.  225 

es  scheint  geradezu  begünstigt.  Allein  es  muß  mit  Entschie- 
denheit betont  werden,  daß  weder  die  cyprischen  Kesselwagen 
noch  sonst  irgend  ein  hier  in  Frage  stehendes  Kultusgerät 
auch  nur  den  geringsten  Anlaß  dazu  bietet,  der  Möglichkeit 
ernstes  Gewicht  beizumessen. 

e)  Zylinder  und  Kessel. 

V.  31.  Vom  Obern  Ende  des  Gestells  geht  die  Beschrei- 
bung nun  vollkommen  sinngemäß  über  auf  den  Aufsatz.  Auch 
über  ihn  sind  wir  durch  die  cyprischen  Funde  vollkommen 
im  Klaren,  so  daß  die  früheren  Hypothesen  dadurch  zum 
großen  Teile  von  selbst  hinfällig  geworden  sind.  Was  mit 
dem  Mund  des  Fahrstuhls  gemeint  ist,  wird  nun  sofort'  deut- 
lich: es  ist  der  auf  dem  Gestell  sitzende  Zylinder,  der  natür- 
lich dazu  bestimmt  ist  das  Mundstück  des  Gerätes  oder  die 
Öffnung  darzustellen,  durch  welche  der  Kessel  aufgenommen 
und  gehalten  wird.  Man  lese  rr'^S^  und  nachher  für  nnriäb, 
da  ein  Knauf  nicht  in  Frage  kommt,  Jnsnsb,  wie  schon  Ewald 
vermutet  hatte.  Desgleichen  ist  vor  Ji^xa  eine  Zahl  einzu- 
setzen, wie  ebenfalls  schon  Ewald  gesehen  hat.  Nimmt  man 
eins  an,  so  wird  man  etwa  das  Mittel  zwischen  der  Höhe  des 
Zylinders  im  Verhältnis  zu  der  des  Gestells  beim  Wagen  von 
Larnaka  und  derjenigen  beim  Fund  von  Enkomi  einhalten. 
Eine  angenehmere  Proportion  freilich  entstände,  wenn  man 
den  Zylinder  etwas  niedriger  ansetzte,  etwa  \  Elle  hoch, 
dann  wäre  zu  lesen  n/£i5n  "^^n.  Immerhin  darf  die  Notiz  von 
V.  35,  die  tatsächlich  von  einer  halben  Elle  redet  und  dabe 
augenscheinlich    an   das    zylindrische   Auflager   denkt,   nicht 


der  letztern  Redensart  ja  keinen  Zweifel  aufkommen  zu  lassen,  erklärt 
sie  Raschi  noch  ausdrücklich:  "^1  iniTs::  (umschlungen)  pl^ni  yi'ZL^Vn 
T^nis-'iiT.  [K.] 

Der  ganze  Passus  soll  wohl  lediglich  der  Erklärung  der  Worte  "i5>a 
und  T\^  bezw.  (wie  gelesen  wird)  ni^lb  dienen;  ferner  ist  klar,  daß  ^Sa 
zwar  nicht  mit  n"iS'  entblößen  in  Beziehung  gebracht  wird,  wohl  aber  mit 
talm.  n"i2>  anhängen,  und  zwar  im  obszönen  Sinn,  ebenso  daß  auch  nil^ 
nicht  in  der  gewöhnlichen,  sondern  in  euphemistischer  Bedeutung  steht. 
—  Ein  Grund,  dieser  etwas  sonderbaren  Phantasie  der  Talmudisten  zu 
folgen,  wird  kaum  vorliegen. 

Kittel,  Beiträge.  15 


226  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

Übersehen  werden.  Es  ist  selir  wohl  mög-lich,  daß  sie  das 
Richtige  erhalten  hat  und  daß  um  des  Widerspruchs  willen 
die  Ziffer  hier  in  V.  31  fallen  mußte.  Jedenfalls  aber  sind 
die  anderthalb  Ellen  im  Texte  (n)2Xn  ^ini  n^i?)  zu  streichen." 
Woher  sie  kommen,  ist  nicht  zu  sagen.  Wenn  der  Aufsatz 
eine  Elle  hoch  gedacht  war  und  der  Kessel  selbst,  was  recht 
wohl  stimmen  würde,  um  ^2  Elle  über  ihn  emporragte,  so 
wären  die  l'/2  Ellen  beisammen,  und  es  ließe  sich  immerhin 
denken,  daß  ein  Glossator  dem  am  Rande  Ausdruck  lieh  und 
die  Glosse  mit  der  Zeit  in  den  Text  kam. 

Die  Beschreibung  des  Zylinders  wird  abgeschlossen  durch 
die  Bemerkung,  daß  auch  er  Figuren  hatte.  Welcher  Art  sie 
sind,  ist  nicht  gesagt.  Es  steht  aber  nicht  das  Geringste  im 
Wege,  an  Spiralen  und  Ornamente  ähnlicher  Art  (Strick- 
ornamente), wie  wir  sie  bei  dem  Gerät  von  Larnaka  sehen, 
zu  denken.  Gerade  die  Unbestimmtheit  des  Ausdrucks  gegen- 
über den  früheren  konkreteren  Bezeichnungen  —  Löwen, 
Rinder,  Kerube;  Gewinde  —  läßt  vermuten,  daß  es  sich  um 
etwas  anderes  als  dort  handeln  werde.  Anderseits  verlang-t 
die  Bezeichnung  mikldöt  nicht  notwendig  gerade  geschnitzte 
oder  gravierte  Arbeit;  durchbrochene  Arbeit  von  der  Art  jener 
Spiralen  würde  m.  E.  dem  hebräischen  Texte  vollkommen 
entsprechen. 

f)   Einheitlichkeit  des  Berichts. 

Eine  besonders  wichtige  Frage,  ehe  wir  in  die  weiteren 
Verhandlungen  eintreten  können,  ist  nun  aber  die  nach  der 
Einheitlichkeit  des  biblischen  Berichtes.  Gewisse  Uneben- 
heiten und  Dubletten  in  ihm  waren  längst  aufgefallen,  und 
soweit  sie  nicht  auf  dem  Wege  der  Textkritik  zu  beseitigen 
waren,  suchte  man  teils  durch  Umstellungen,  teils  durch  Aus- 
schaltung einzelner  Stücke  aus  dem  Hauptberichte  zu  helfen. 
Den  letztern  Weg  hat  besonders  Klosteemann  betreten;  ihm 
folgten  Benzinger  und  Furtwängler,  letzterer  indem  er  die 
von  Klostermann  angeregte  Ausschaltung  von  V.  34—36  an- 
erkannte, aber  Klostermanns  Beobachtung  auch  auf  V.  32 
und  33  ausgedehnt  wissen  wollte,  so  daß  nach  ihm  V.  32  — 
36  einem  andern  Berichte  angehören.  In  der  Tat  haben  die 
Funde  von  Enkomi   und  Larnaka  die  Theorie  Klostermanns 


5.  Kommentar  zu  Kön  7  27-37.  227 

viel  eher  gereclitfertigt  als  diejenige  Stades,  der  auch  ich 
zugestimmt  hatte.  Infolgedessen  hat  Stade  sie  mit  Recht 
zurückgezogen.  Er  schließt  sich  nun  Furtwängler  bzw. 
Klostermann  an,  geht  aber  auch  über  den  ersteren  noch  um 
einen  Schritt  hinaus,  indem  er  mm  auch  die  Schlußworte  von 
V.  31  von  den  vorhergehenden  Versen  loslöst  und  zu  V.  32  ff. 
zieht.  Doch  sieht  er,  darin  nun  ganz  eigene  Wege  gehend, 
in  diesen  so  ausgeschiedenen  Resten  nicht  eine  Einschaltung 
oder  einen  Nebenbericht,  sondern  er  nimmt  sie  mit  V.  27 
zusammen  und  erklärt  27.  31b;3— 39  (außer  Maß,  35b/3)  für 
den  Hauptbericht,  das  Übrige  aber,  also  besonders  29— 30  a  a.  31 
(wozu  die  oben  genannten  Stücke,  aber  in  anderer  Anordnung, 
kommen)  als  Nebenbericht.  Man  sieht:  Stades  neue  Theorie 
ist  reichlich  kompliziert,  sie  arbeitet  mit  beiden  in  Frage 
kommenden  Gesichtspunkten;  statt:  entweder  Umstellung  oder 
Doppelbericht  lautet  nun  seine  Losung:  sowohl  dieses  als 
jenes. 

Eine  Entscheidung  in  betreff  dieser  Frage  kann  selbst- 
verständlich nur  im  engsten  Zusammenhang  mit  der  Erklä- 
rung des  Textes  selbst  versucht  werden.  Die  Art  wie  das 
Verhältnis  der  einzelnen  Verse  zu  einander  angesehen  wird, 
ist  vielfach  beeinflußt  von  der  Art  wie  der  einzelne  Vers 
selbst  verstanden  wird.  Immerhin  lassen  sich  unter  Ver- 
weisung auf  die  Ergebnisse  der  nachfolgenden  Einzelerklä- 
rung hier  schon  folgende  Hauptgesichtspunkte  feststellen. 

Zunächst  ist  zu  konstatieren,  daß  die  hauptsächlichste 
Unebenheit  sich  in  V.  34  f.  gegenüber  V.  28  ff.  findet. 

Stade  hat  soforthinterV.28(ja27)  einen  Einschnitt  gemacht: 
in  V.  29  soll  bereits  eine  neue  Hand  erkennbar  sein.  Darüber 
kann  nun  freilich  kein  Zweifel  aufkommen,  daß  unser  Vers 
für  sich,  wenn  man  ihn  mit  dem  Blick  nach  vorwärts  und 
nach  rückwärts  liest,  sich  vortrefflich  in  den  Zusammenhang 
eingliedert.  Vor  allem  paßt  er  als  Fortsetzung  von  V.  27 f. 
ganz  gut.  Es  ist  zwar  anzuerkennen,  daß  die  andern  Be- 
schreibungen dieser  Art  in  V.  15  -26  nur  den  Gegenstand  nennen 
und  ihn  dann  ohne  weitere  Überleitung  sofort  beschreiben. 
Aber  daß  unser  Abschnitt  hierin  etwas  von  den  andern  seiner 
Art  abweicht,  kann  uns  nicht  befremden,  weil  er  überhaupt 
eine  Sonderstellung  einnimmt.    Er  allein  bietet  eine  ausführ- 

15* 


228  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

licliere  Beschreibung,  natürlich  weil  kein  anderer  Gregenstand 
so  kompliziert  war  wie  dieser.  So  erklärt  sich  also  die  Ab- 
weichung hinreichend,  und  es  liegt  von  hier  aus  keinerlei 
Grund  zu  einer  Scheidung  von  V.  29  vor. 

Übersehen  wir  die  bisher  gegebene  Darstellung  unseres 
Gerätes,  so  läßt  sich  bis  zu  dem  Punkte,  bei  dem  wir  nun 
angelangt  sind,  V.  31ba,  eine  in  sich  geschlossene  Darstellung 
der  Geräte  verfolgen,  sei  es  von  V.  27,  sei  es  von  V.  28  an. 
Nachdem  erst  die  Dimensionen  der  Gestelle  ohne  die  Räder 
angegeben  waren  (27).  wird  die  Beschreibung,  mit  teilweisem 
Eingehen  ins  einzelne,  gegeben:  erst  werden  die  Leisten  und 
Sprossen  genannt  (28),  dann  genauer  beschrieben,  was  für 
Figuren  an  ihnen  und  welche  Ornamente  an  den  Figuren 
sind  (29),  sodann  die  Eäder  und  Achsen  genannt  und  die 
Schulterstücke  beschrieben  (30),  sodann  wird  das  Auflager 
für  den  Kessel  beschrieben  (31aba).  Statt  daß  nun  in  der 
Beschreibung  fortgefahren  würde,  wird  von  31b/?  an  auf 
schon  Dagewesenes  zurückgegriffen,  zunächst  aber  so,  daß 
einzelne  vorher  nicht  eingehender  beschriebene  Dinge  genauer 
geschildert  werden,  so  in  31b/3  die  Leisten  ihrer  Gestalt  nach, 
sodann  in  32  die  Eäder  nach  ihrer  Lage,  ihren  „Händen'" 
d.  h,  Haltern,  ihrer  Größe  und  in  33  nach  ihrer  Beschaffenheit 
bzw.  der  ihrer  einzelnen  oder  der  eng  mit  ihnen  zusammen- 
hängenden Teile. 

Diese  Übersicht  läßt  es  sehr  wohl  verstehen,  wie  Fuet- 
wÄNGLER  und  ihm  folgend  Stade  auf  den  Gedanken  kamen, 
es  sei  von  V.  32  (Furtwängler)  oder  dann  richtiger  von  31b/9 
(Stade)  an  ein  Parallelbericht  anzunehmen.  Aber  es  scheint 
mir  doch  in  hohem  Grade  fraglich,  ob  dieser  Weg  zum  Ziele 
führt.  Wenigstens  zunächst  bis  V.  33  inclusive  muß  ich  den 
Bericht  trotz  der  eben  namhaft  gemachten  Unebenheiten  für 
einheitlich  erklären.  Es  sieht,  obwohl  es  nicht  gerade  von 
großer  schriftstellerischer  Kunst  zeugt,  doch  ganz  wie  Ab- 
sicht aus,  wenn  in  31b/9— 33  gerade  solche  Dinge  genauer 
beschrieben  werden,  die  vorher  nur  genannt  oder  kurz  ge- 
streift waren,  über  die  wir  aber  doch,  wenn  andere  ein- 
gehend beschrieben  werden,  notwendig  auch  eine  nähere 
Beschreibung  erwarten.  Parallelberichte  pflegen  wir  in  der 
Eegel  anzunehmen,  wenn   auffallende  Dubletten  oder  wenig- 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37.  229 

stens  störende  Pleonasmen  vorliegen,  oder  wenn  gar  inhalt- 
liclie  Widersprüche  die  Einheit  der  Verfasserschaft  unmöglich 
machen.  Von  alledem  ist  hier  nichts  zu  sehen.  Der  Nach- 
trag wiederholt  nichts  schon  Gesagtes,  noch  steht  er  mit  ihm 
auch  nur  im  Geringsten  in  Widerspruch;  im  Gegenteil,  er 
ergänzt  es  in  der  willkommensten  Weise,  er  bringt,  was  wir 
eigentlich  fordern  müssen  nach,  aber  so,  daß  eigentlich  vorher 
schon  halb  darauf  hingewiesen  ist.  Das  sind,  soweit  ich  sehe, 
nicht  die  Kennzeichen  eines  Parallelberichtes,  sondern  die 
Merkmale  eines  minder  geschickten  Erzählers. 

Es  kommt  dazu,  daß  diese  Hypothese  sofort  eine  Hilfs- 
hypothese nötig  macht,  für  die  wir  gar  keine  Anhaltspunkte 
haben.  V.  32  redet  von  den  4  Rädern  und  den  Schlußleisten. 
Die  letzteren  wären  nach  Stades  Annahme  wenigstens  schon 
in  31b/?  genannt,  die  Räder  aber  nicht.  Sie  müssen  also 
wohl  als  bekannte  Größe  vorausgesetzt  sein.  Das  heißt:  es 
muß  entweder  derselbe  Verfasser  reden  wie  vorher  oder,  wo 
nicht,  müßte  angenommen  werden,  daß  der  zweite  Bericht  — 
für  Stade  der  Hauptbericht  —  uns  hier  die  Spur  seines 
fragmentarischen  Charakters  erweise,  weil  die  frühere  Er- 
wähnung der  Räder,  die  gefordert  werden  muß,  fehlt".  Stehen 
diese  beiden  Möglichkeiten  zur  Wahl,  so  ist  für  mich  nach 
dem  oben  Bemerkten  kein  Zweifel,  welche  im  Ernste  in  Be- 
tracht zu  kommen  hat.  Dies  um  so  mehr,  als  dieser  an- 
geblich selbständige  Bericht  auch  sonst  noch  über  wichtige 
Dinge  keinen  Aufschluß  gibt,  so  daß  er  jetzt  die  seltsame 
Manier  bekundet,  die  Beschreibung  mit  den  Rädern  zu  be- 
ginnen. Ihn  für  den  „Hauptbericht"  zu  erklären,  wie  Stade 
tut,  ginge  schon  um  deswillen  nicht  an.  Wir  tun  also  besser, 
V.  31b/5— 33  als  Fortsetzung  des  Bisherigen  zu  erklären 
Erst  mit  V.  34  setzt,  wie  sich  zeigen  wird,  eine  andere 
Hand  ein. 


1)  Anders  steht  es  mit  den  Haltern  der  Räder;  nachdem  die  Räder 
einmal  genannt  sind,  kann  es  für  selbstverständlich  gelten,  daß  sie  auch 
Halter,  die  als  notwendiges  Zubehör  zn  ihnen  gelten  können,  haben 
müssen. 


230  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

g.  Noch  einmal  die  Schlußleisten  und  die  Eäder. 

V.  dihß  trägt  dann,  wie  schon  erwähnt,  die  Beschreibung 
der  Schlnßleisten  nach.  Im  Gegensatz  zu  den  Leitersprossen, 
die  wohl  als  runde  Stäbe  anzusehen  sind  (vgl.  die  Fragmente 
der  idäischen  Grotte),  sind  sie  viereckig;  auch  die  Eckpfosten 
oder  Füße  mögen,  nach  dem  Wagen  von  Larnaka  zu  schließen, 
keine  scharfen  Ecken,  wenigstens  nach  außen  hin,  gehabt 
haben.  Daß  man  •i'^n"i5D^i  zu  lesen  und  das  n  aus  Dittographie 
zu  erklären  habe,  hat  schon  Beuzinger  richtig  erkannt.  Dar- 
nach wäre  also  auch  hier  BHK  zu  korrigieren. 

V.  32.  33  tragen  ebenso  das  Genauere  über  die  Eäder 
nach.  Über  den  Anfang  von  32  und  den  Sinn  der  Bemerkung, 
daß  die  Räder  unterhalb  der  Schlußleisten  angebracht  seien, 
ist  schon  oben  S.  206  gehandelt.  Die  Form  b  nnn^b  ist  frei- 
lich fremdartig,  hat  aber  doch  an  Bildungen  wie  Thy'ü^'Q  eine 
gewisse  Analogie,  so  daß  kaum  ein  Grund  sein  dürfte,  sich 
mit  Stade  an  ihr  zu  stoßen.  Was  aber  sind  die  „Hände"  der 
Räder?  Es  ist  durchaus  verlockend,  an  die  Seitenstützen  der 
beiden  cy prischen  Gestühle  zu  denken,  wie  Stade  tut,  um  so 
mehr,  da  ja  sogar  die  Seiteulehnen  des  Thrones  Salomos  als 
Hände  bezeichnet  werden  (1  Kön  10 19).  Wäre  hier  von  den 
Händen  der  M'^köna  überhaupt  die  Rede,  so  würde  ich  keinen 
Anstand  nehmen  in  ihnen  jene  Halter  oder  Stützen  des  Ge- 
stells zu  sehen  (s.  zu  V.  35  und  oben  S.  222  f).  Aber  hier  ist  die 
Rede  von  den  Händen  der  Räder.  So  können  unmöglich 
jene  Stützen  heißen.  Sie  können  es  an  sich  nicht,  aber  noch 
viel  weniger,  wenn  nachher  unter  den  einzelnen  Bestandteilen 
der  Räder  oder  den  ganz  unmittelbar  zu  ihnen  gehörigen 
Dingen,  also  neben  den  Felgen,  Speichen,  Naben  auch  ihre 
Hände  genannt  werden.  Auch  hier  kann  m.  E.  das  Gerät  von 
Enkomi  uns  nicht  im  Zweifel  lassen.  Die  Füße  des  Gerätes 
laufen  unten  zu  einer  kreisrunden  Öffnung,  einer  hohlen 
Hand  gleichend,  aus,  durch  welche  die  Achse  der  Räder  ge- 
halten wird.  Diese  Halter,  nicht  die  schrägen  Stützen  des 
ganzen  Gestells,  sind  die  Hände  oder  Halter  der  Räder  *. 


1)  Wie  ich  nachträglich  sehe,    macht  schon  Buhl  in  Gesenius'  Le- 
xikoni^  einen  Unterschied  zwischen  den  zwei  Arten  von  „Händen". 


5.  Kommentar  zu  1  Kön.  7  27-37.  231 

h.  Ein  Parallelbericht. 

V.  34.  35.  Haben  wir  bisher  keine  Veranlassung  gesehen, 
eine  zweite  Hand  anzunehmen,  so  treten  nun  allerdings  neue 
Erscheinungen  auf,  welche  die  Einheitlichkeit  der  Bericht- 
erstattung ausschließen.  Hier  treten  wirkliche  Dubletten  zutage, 
dazu  andere  Kriterien  eines  Doppelberichtes  bzw.  einer  Inter- 
polation. Dies  hat  schon  Klostermann  richtig  erkannt,  nur 
steht  er  sich  m.  E.  damit  wieder  selbst  im  Lichte,  daß  er  auch 
V.  36  ausschaltet. 

Zunächst  ist  augenscheinlich,  daß  die  Erwähnung  und 
kurze  Beschreibung  der  Schulterstücke  in  V.  34  nach  allem, 
was  in  V.  30  über  sie  gesagt  ist,  keinerlei  Neues  mehr  bringt. 
Der  Vers  kann  nicht  als  Ergänzung  oder  Bereicherung  irgend- 
welcher Art  V.  30  gegenüber  gelten,  sondern  lediglich  als 
Dublette.  Es  kommt  dazu,  daß  was  vorher  Füße  {J)d"möta%v) 
hieß,  nun  Ecken,  Eckpfosten  {J>innöt)  heißt.  Nicht  einmal  die 
Bemerkung,  daß  die  Schulterstücke  (hier  auffallenderweise 
maskulinisch)  „von  der  M^köna  sind",  bringt  etwas  Neues. 
Dasselbe  ist  in  V.  30  viel  deutlicher  dadurch  ausgedrückt,  daß 
gesagt  ist,  sie  seien  angegossen. 

Ähnlich  steht  es  mit  V.  35.  Er  wiederholt  den  Inhalt  von 
V.  31.  Zunächst  muß  der  Text  so  hergestellt  werden,  wie  in 
BHK  kurz  angegeben  ist,  nur  daß  ich  jetzt  die  1 1/2  Ellen  mit 
noch  geringerem  Zutrauen  als  dort  im  Texte  zulassen  möchte; 
es  wäre  also  in  BHK  das  in  der  Note  hinter  p  Stehende 
besser  zu  streichen.  Dann  zeigt  sich,  daß  abgesehen  von  der 
zweiten  Hälfte  dieser  Vers  nur  Bekanntes  bietet,  mit  Ausnahme 
der  freilich  selbstverständlichen  Notiz,  der  Kessel  sei  rund 
gewesen,  und  der  schon  oben  S.  225  berührten  halben  Elle  — 
falls  hier  der  Text,  was  freilich  nicht  ganz  sicher  ist,  heil 
ist.  Immerhin  bin  ich  geneigt  dies  anzunehmen.  Ich  halte 
darum  auch  dieses  Stück,  das  deutlich  genug  die  Einschaltung 
verrät,  nicht  für  einfache  Interpolation,  sondern  für  ein  hier- 
her geratenes  Stück  eines  zweiten  Berichtes.  In  be- 
treff der  halben  Elle  des  Auflagers  hat  der  letztere  sogar 
vielleicht  noch  das  Eichtige  erhalten,  und  in  diesem  Falle  tut 
er  uns  gegenüber  der  Textverderbnis  im  Hauptbericht  an 
dieser  Stelle  (V.  31)  einen  guten  Dienst. 


232  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

Es  fehlen  uns  nocli  die  Schlußworte  des  Verses.  Die 
Redeweise:  ihre  (der  APköna)  Hände  und  Schlußleisteu  sind 
von  ihr,  weist  diese  Worte  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  der 
Einschaltung  zu.  Denn  der  Berichterstatter  selbst  sagt  dafür: 
sie  sind  angegossen  (V.  30).  Dann  ist  hier  also  von  Händen 
nicht  der  Räder,  sondern  der  M«köna  selbst  die  Rede.  Was 
sie  sein  werden,  ist  oben  (S.  230)  schon  festgestellt,  und  es  fragt 
sich  hier  nur  noch,  wie  sie  in  diesen  Zusammenhang  kommen. 
Da  sie  und  die  Schlußleisten  sich  hier  nach  dem  masoretischen 
Text  recht  fremdartig  ausnehmen,  hat,  wie  oben  schon  er- 
wähnt, Stade  zu  der  Aushilfe  gegriifen,  die  Worte  an  eine 
andere  Stelle,  nämlich  in  den  V.  30  zu  versetzen.  Daß  sie 
dort  nicht  am  Platze  sind,  ist  zu  V.  30  schon  —  ganz  unab- 
hängig von  unserer  Stelle  und  rein  aus  dem  Zusammenhang 
jenes  Verses  heraus  —  erwiesen  worden.  Es  kommt  jetzt  von 
unsrer  Stelle  aus  angesehen  noch  die  Erwägung  hinzu,  daß 
die  Worte,  wie  sich  vorhin  zeigte,  ihrem  Stil  nach  zu  V.  34  ge- 
hören und  nicht  zu  jener  Versgruppe  dort  (für  Stade  V.  28— 31). 

Aber  ganz  abgesehen  hiervon  durfte  eine  Versetzung 
der  Worte  erst  als  Notbehelf  in  Frage  kommen  und  es 
mußte  sich  jedenfalls  zuerst  der  Versuch  empfehlen,  sie  an 
ihrer  Stelle  selbst  zu  deuten.  Da  ist  es  nun  freilich  ohne 
weiteres  klar,  daß  die  Halter  des  Gestühls  nicht  oben  auf  ihm 
sitzen  können,  wenn  schon  die  Schulterstücke  dort  sind.  Viel- 
mehr müssen  sie  unten  sein;  man  muß  also  das  Gegenstück 
zu  fSin,  somit  etwas  wie:  in  der  Mitte  oder  am  Fuße  vor- 
aussetzen und  muß  die  Akzente  lassen  wie  sie  sind.  Dann 
ist  zu  übersetzen  etwa  wie:  „und  nnten  an  der  M'köna 
waren  ihre  Stützen;  ihre  VerschluBleisten  aber  gingen  von  ihr 
aus,  d.  h.  gehörten  zu  ihr  selbst."  Wie  man  das  letztere  sich 
denken  will,  kann  dahingestellt  bleiben.  Ich  möchte  vermuten, 
daß  der  Berichterstatter  annahm,  es  seien  entweder  zugleich 
mit  jedem  der  4  Füße  oder  Eckpfeiler  jedesmal  die  zu  ihm 
gehörigen  wagrechten  Leisten  gegossen  und  dann  das  Ganze 
zusammengefügt  worden,  oder  aber  —  was  sich  technisch  wohl 
eher  empfehlen  könnte  —  sie  seien  angeschweißt,  die  übrigen 
Teile  aber  anderweitig  befestigt  worden.  Hier  endet,  wie  ich 
glaube,  die  Einfügung  und  es  folgt  nun  mit  V.  36  und  37  die 
Fortsetzung:  und  der  Abschluß  des  Berichtes  selbst. 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37.  233 

i)  Die  „Tafeln". 

Scheidet  man  zunächst  die  aus  erweiterter  Dittographie 
vom  Ende  des  vorhergehenden  Verses  hergekommenen  Worte 
fT^niaoiai  b5>l  n^ni-i  aus,  so  bleibt  in  36a  übrig,  daß  er  auf 
die  Tafeln  Kerube,  Löwen  und  Palmen  eingrub.  Da  hier 
sowohl  die  Palmen  als  das  Eingraben  als  die  Tafeln  voll- 
kommen neue  Begriffe  darstellen,  so  wird  man  vor  allen 
Dingen  fragen  müssen,  ob  damit  auch  inhaltlich  etwas 
Neues,  noch  nicht  Beschriebenes  gemeint  sei,  oder  ob  wir 
es  mit  den  uns  schon  bekannten  Dingen  unter  neuen  Namen 
zu  tun  haben.  Im  letztern  Falle  müßte  unser  Vers  noch 
der  Dublette  zugehören  und  wir  müßten  in  den  Keruben, 
Löwen  und  Palmen  das  Gegenstück  dieser  Quelle  zu  den 
Löwen,  Rindern  und  Keruben  von  V.  29,  in  den  Tafeln  also 
wohl  das  Gegenstück  zu  den  zwischen  den  Leitersprossen 
liegenden  Leisten  und  den  Leitersprossen  selbst  und  in  dem 
Eingraben  das  Gegenstück  zu  der  zwar  nicht  beschriebenen, 
aber  von  uns  vermuteten  Herstellungsart  der  an  den  Sprossen 
und  jenen  Zwischenleisten  sitzenden  Figuren  sehen. 

Wie  man  sieht,  ist  jeder  einzelne  der  drei  Punkte  von 
dem  andern  verschieden  und  es  bleibt  überhaupt  so  gut  wie 
nichts  Gemeinsames  übrig.  Hier  kann  überhaupt  nicht  mehr 
von  einer  Dublette  die  Rede  sein,  auch  nicht  von  einer  ab- 
weichenden Überlieferung  im  gewöhnlichen  Sinne,  sondern  wir 
hätten  es  mit  einer  so  widerspruchsvollen  Berichterstattung 
zu  tun,  daß  man  bei  dem  Mangel  an  sicheren  Zeugnissen  für 
den  einen  der  beiden  Berichte  überhaupt  nicht  wagen  dürfte, 
in  diesen  drei  Punkten  sich  ein  Bild  unsres  Gerätes  zu  machen. 
Das  würde  sich  schon  um  des  willen  empfehlen,  weil  doch 
eigentlich  Leitersprossen  unmöglich  Tafeln  heißen  können  und 
weil  auf  Sprossen,  die  man  sich  doch  zunächst  als  Stäbe  vor- 
zustellen hat,  auch  nicht  wohl  Figuren  eingegraben  werden 
können. 

Führt  also  jene  Annahme  zum  voraus  zu  befremdlichen 
und  nur  unter  allerstärkster  Bezeugung  einigermaßen  wahr- 
scheinlich werdenden  Konsequenzen,  so  muß  jedenfalls  der 
Versuch  einer  andern  Deutung  gemacht  werden,  als  sie  von 
Klostermann,  FußTwÄNGLER  uud  Stade  gcbotcu  wird.    Dann 


234  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

aber  kommen  wir  von  selbst  darauf,  zu  vermuten,  es  handle 
sich  hier  um  die  Fortsetzung  des  wirklichen  Berichtes,  der 
ja  doch  iu  V  37  bzw.  37  if.  seinen  Abschluß  erwartet.  In 
diesem  Falle  haben  wir  es  natürlich  hier  mit  Stücken  zu  tun, 
die  bisher  noch  nicht  beschrieben  sind.  Nun  wissen  wir  aus 
V.  31,  daß  die  Schlußleisten  {inisg'röt)  viereckig,  nicht  rund 
sind.  Wir  wissen  ferner,  daß  im  bisherigen  zwar  die  einen 
Schlußleisten,  nämlich  die  inneren,  zwischen  den  Leitersprossen 
liegenden,  ihrem  Schmucke  nach  genauer  beschrieben  sind 
(V.  29).  nicht  aber  die  äußeren.  Auch  auf  ihnen  dürfen  wir 
Ornamente  erwarten.  Und  da  sie  mit  den  starken  Eckpfosten 
oder  Füßen  (pinnöt  oder  p^'amöt)  zusammen  das  eigentliche 
Gestell  ausmachen,  das  den  Aufsatz  samt  dem  Kessel  und 
dessen  Wasserinhalt  zu  tragen  hat,  so  haben  wir  alles  Recht, 
diese  äußeren  Leisten  im  Unterschied  von  den  inneren  Zwischen- 
leisten von  stattlicher  Stärke  uns  vorzustellen.  Das  entspricht 
auch  durchaus  den  Geräten  von  Larnaka  und  besonders  von 
Enkomi.  Sie  sind  also,  wie  ja  auch  schon  der  Altar  des 
Titusbogens  es  angibt,  als  breite  Erzbretter  oder  Erztafeln 
zu  denken  und  können  darum  recht  wohl  Tafeln  heißen. 

Man  kann  freilich  fragen,  weshalb  denn  diese  sonst 
misg^röt  genannten  Leisten  hier  plötzlich  anders  heißen,  näm- 
lich hihöt^  und  kann  geneigt  sein,  darin  das  Kennzeichen  eines 
andern  Autors  zu  sehen.  Allein  es  würde  sich  nach  dem  bis- 
herigen Ergebnis  schon  deshalb  schwer  ein  neuer  Autor  aus- 
findig machen  lassen,  weil  nach  unserem  Befunde  über  V.  35 
auch  der  zweite  Autor,  derjenige  der  Einschaltung,  dem  unser 
"Vers  doch  am  ehesten  zuzuweisen  wäre,  von  niisg'röt  redet. 
Aber  auch  abgesehen  hiervon  läßt  sich  der  neue  Name  für 
die  alte  Sache  ausreichend  begründen.  Der  Verfasser  hat 
bisher  in  V.  28.  31  und  32  diesen  Teil  des  Gerätes  als  misg'röt 
bezeichnet,  weil  er  auf  ihre  Bestimmung  und  Konstruktion 
sah.  Jetzt  will  er  ihren  Schmuck  noch  beschreiben.  Ihrer 
Beschaffenheit  nach  als  oberer  und  unterer  Abschluß  {inisg'rd) 
des  Gestells  und  als  breite,  iu  dem  angenommenen  Falle  kahle, 
Flächen  eignen  sie  sich  nicht  wohl  für  angegossene  Ornamentik. 
Das  Gerät  von  Enkomi  hatte  dasSpiralornamtmt,  das  von  Larnaka 
das  Strickmuster  auch  hier  verwandt,  Salomos  Küh stier  geht 
hier  andre  Wege  und  wählt  eingegrabene  Arbeit.    Sie  eignet 


5.  Kommentar  zu  1  Kön  7  27-37.  235 

sich  für  die  breite,  brettartige  Erzfläclie  vortrefflich,  und  um 
dies  sofort  anzudeuten,  nennt  er  hier  die  bisher  als  Verschluß- 
stücke bezeichneten  Leisten  Tafeln. 

Auf  diese  Weise  gewinnen  wir  von  dem  einzigen  Bestand- 
teil des  Gerätes  außer  den  Eckpfosten,  dessen  Ausschmückung 
bisher  noch  nicht  beschrieben  war,  eine  befriedigende  An- 
schauung: Die  großen  äußeren  Schlußleisten  werden  mit  Ke- 
ruben,  Löwen  und  Palmen  in  gravierter,  vielleicht  auch  durch- 
brochener —  ffattah  heißt  einfach:  er  öffnete  —  Arbeit  verziert. 
Daß  hier  nicht  genau  dieselben  Dinge  abgebildet  sind,  wie 
im  Innern  des  Eahmens,  sondern  an  Stelle  der  Einder  Palmen- 
muster ^  treten,  darf  m.  E.  ebenfalls  nicht  dazu  verleiten,  nach 
einem  Interpolator  oder  Parallelerzähler  zu  suchen:  es  bringt 
Abwechslung  und  Leben  in  das  Ganze  und  verrät  uns  einen 
gewissen  Reichtum  der  Phantasie  und  der  bildnerischen  Praxis, 
für  den  auch  sonst  die  Beschreibung  des  salomonischen  Tempels 
Anhaltspunkte  genug  bietet. 

Über  V.  36b  ist  schon  oben  S.  224  teilweise  gehandelt 
Was  ©"'S  "iJi'^s  bedeuten  soll,  wissen  wir,  wie  dort  dargelegt 
ist,  schlechterdings  nicht.  Die  unter  der  Voraussetzung  der 
Richtigkeit  des  masoretischen  Textes  der  zwei  Worte  einzig 
in  Frage  kommende,  oben  ebenfalls  abgelehnte  Deutung  kommt 
hier  noch  weniger  in  Betracht,  da  in  Verbindung  mit  Löwen, 
Rindern  und  Palmen,  wenigstens  soweit  irgend  unsere  Kenntnis 
reicht,  vollends  nichts  mit  ihr  anzufangen  ist.  Doch  wäre  die 
Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  daß  die  Worte  wegen  der 
nachfolgenden  lojot  aus  V.  30  hierher  geraten  sind  und  sich 
hier  relativ  besser  erhalten  haben  als  dort.  Was  es  mit  dem 
Wort  lojot  für  eine  Bewandtnis  hat,  ist  zu  V.  30  ebenfalls 
schon  dargelegt.  Bei  der  Allgemeinheit  des  Ausdrucks  „Ge- 
winde" sind  wir  auch  hier  keineswegs  an  eine  bestimmte  Art 
derselben,  also  speziell  das  Spiralornament,  gebunden.  Es 
steht  m.  E.  nichts  im  Wege,  hier  an  das  beliebte  Strickornament 
zu  denken,  das,  soweit  man  auf  der  Photographie  sehen  kann, 
auch  beim  Geräte  von  Enkomi  als  Einfassung  der  „Tafeln" 
diente. 


1)  Zu  den  Töpfen  vgl.  S.  43  Anm.  1. 


236  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

.    6.  Verwendbarkeit  und  Bestimmung. 

Fassen  wir  das  Ergebnis  unserer  Untersuchung  zusam- 
men, so  würden  wir  uns  das  salomonische  Kultusgerät  etwa 
in  der  Weise  von  Abb.  44  vorzustellen  haben.  Aber  auch  wenn 
wir  soweit  gediehen  sind,  haben  wir  das  Ende  der  an  uns 
herantretenden  Fragen  noch  nicht  erreicht.  Vielmehr  tauchen 
nun,  sobald  wir  an  den  Zweck  und  die  praktische  Verwend- 
barkeit des  Gestühles  denken,  neue  Schwierigkeiten  auf 
Welche  Bestimmung  konnte  ein  so  aussehendes  Geräte  haben? 
wie  konnte  es  ihr  dienen?  wie  konnte  es  an  den  Altar  heran- 
gebracht werden'? 

Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  eine  Opferstätte,  bei  der 
Tiere  in  größerer  Anzahl  geschlachtet,  ja,  wie  es  beim  israe- 
litischen Brandopfer  der  Fall  war,  ganze  Schlachttiere  auf 
den  Altar  gebracht  wurden,  einen  reichlichen  Bedarf  an 
Wasser  hatte.  Die  Zerlegung  des  Tieres  an  der  Schlacht- 
stätte sowohl  als  die  Verbrennung  auf  dem  Altar  hinterließen 
eine  Menge  von  Blut,  Unrat  und  Aschenresten,  die,  sollten 
Altar  und  Tempelhof  nicht  in  kürzester  Frist  einer  Stätte  der 
Unordnung  und  des  Unrats  gleichen,  immer  wieder  beseitigt 
werden  mußten.  Dazu  war  ein  reichlicher  Wasservorrat  un- 
entbehrlich. Der  Tempelplatz  war  daher,  wie  er  heute  noch 
mit  einem  System  von  Zisternen  übersät  und  durch  eine 
Wasserleitung  mit  fließendem  Wasser  versehen  ist  2,  ohne 
Zweifel  auch  schon  in  alter  Zeit  hinreichend  mit  Wasser 
versorgt. 

Von  hier  aus  fände  an  sich  die  Herstellung  stattlicher 
Tempelgeräte  wie  des  ehernen  Meeres,  eines  gewaltigen  Was- 
serbeckens, und  der  10  Kesselwagen  beim  salomonischen 
Tempel  ihre  hinreichende  Erklärung.  Und  doch  ist  immer 
schon,  zunächst  für  das  eherne  „Meer",  weiterhin  auch  für 
unsere  Wasserwagen  eine  andere,  nämlich  die  rein  symbo- 
lische Erklärung  nicht  zur  Ruhe  gekommen.  Die  Benennung 
„Meer"  erinnerte  immer  schon  an  Tiämat  und  die  Rolle,   die 


1)  Vgl.  dazu  im  allgemeinen  m.  Kommentar  zum  Königsbuch  S.  63f 
und  PRE3  Art.  ,, Tempelgeräte". 

2)  S.  darüber  oben  S.  48. 


6.  "Verwendbarkeit  und  Bestimmung. 


237 


dieser  Begriff  in  Babylon  spielte;  die  Tatsache,  daß  auch 
andere  große  Tempel  Meere  besaßen,  wie  man  denn  in  Kar- 
nak,  Ba'albek  und  anderwärts  heute  noch  die  Anlagen  der 
großen    Tempelseen  oder    großen    Wasserbecken  beobachten 


3    Ellen      ^ 


Abb.  44.    Der  salomonische  Kesselwagen. 


kann;  die  Tatsache  ferner,  daß  in  Jerusalem  und  zum  Teil 
auch  anderwärts  neben  den  Zisternen  und  Wasserleitungen 
für  besondere  große  Becken  kein  dringendes  Bedürfnis  mehr 
ersichtlich  war  —  dies  und  manches  andere  verstärkte  immer 


238  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

aufs  neue  den  Eindruck,  daß  wir  es  beim  „Meere"  mit  sym- 
bolischer Darstellung  des  Ozeans  und  dann  wohl  auch  bei  den 
Wagen  mit  einer  solchen  der  Regenwolken  zu  tun  haben.  Auf 
der  andern  Seite  ließ  sich  doch  aber  nie  verkennen,  daß  die 
hergebrachte  Erklärung  von  wirklichen,  den  Opferzwecken 
dienenden  Wasserbecken  die  natürlichste  und  nächstliegende 
Deutung  in  sich  schließe,  so  daß  man  bei  voller  Anerkennung 
der  Möglichkeit  jener  symbolischen  Erklärung  doch  immer 
wieder  geneigt  war.  auf  sie  als  die  durch  den  unmittelbaren 
Gebrauch  begünstigte  zurückzugreifen. 

Vielleicht  läßt  sich  ein  neuer  Weg.  unserer  Frage 
näher  zu  treten,  einschlagen.  Wenn  die  zuletzt  genannte 
Deutung  unserer  Kesselwagen  —  um  bei  ihnen  stehen  zu 
bleiben  —  richtig  ist,  wir  sie  also  als  Geräte  ansehen  müssen, 
die  den  Bedürfnissen  des  Opferdienstes  unmittelbar  zu  dienen 
hatten,  so  darf  mit  Grund  angenommen  werden,  daß  sie  diesen 
Bedürfnissen  auch  zu  dienen  imstande  waren.  Was  läßt 
sich  darüber  ermitteln? 

Zunächst  die  Frage  der  Fortbewegung  anlangend.  Der 
Kessel,  auf  den  das  ganze  Gestühl  angelegt  ist,  faßt  40  Bat. 
Wir  kennen  die  Größe  des  Bat  einigermaßen  und  können  von 
ihr  aus  den  Inhalt  des  gefüllten  Kessels  auf  rund  1400  Liter 
Wasser  schätzen.  Genauer  würden  seine  40  Bat,  das  Bat 
zu  36,4  Liter  gerechnet,  1456  Liter  geben.  Das  Liter  Wasser  zu 
einem  Kilogramm  gerechnet,  erhalten  wir  für  das  Wasser 
ein  Gewicht  von  rund  1400  Kilogramm.  Wir  werden  kaum 
fehlgehen,  wenn  wir  das  Gewicht  eines  Metallkessels,  der 
dieses  Quantum  Wasser  aufzunehmen  hat\  auf  mindestens 
600  Kilogramm  ansetzen,  und  ferner  wenn  wir  für  das  Ge- 
stühl, das  dieses  doppelte  Gewicht,  das  des  Kessels  und  das 
des  Wassers,  zu  tragen  bestimmt  ist.  abermals  etwa  jene 
1400  Kilogramm  ansetzen.  Daraus  ergibt  sich  ein  Gesammt- 
gewicht  des  mit  Wasser  versehenen  in  Dienst  gestellten  Kes- 
selwagens von  rund  3400  Kilogr.  =  68  Ctr.^. 


1)  Nach  1  Kön  7  23.  43-46  müssen  wohl  auch  die  10  Kessel  als  ge- 
gossene, nicht  getriebene  Arbeit  angesehen  werden,  was  für  die  Be- 
stimmung des  Gewichtes  nicht  ganz  gleichgiltig  ist. 

2)  Die  Schätzungen    beruhen  auf  Berechnungen,    die  mir  Prof.  Dr. 


6.  Verwendbarkeit  und  Bestimmung.  239 

Natürlich  muß  angenommen  werden,  daß  der  Wagen, 
sollte  er  praktischen  Zwecken  dienen,  aus  dem  ehernen  Meere 
seinen  Wasseriuhalt  entnehmen  sollte,  um  von  da  nach  dem 
Schlachtplatze  1  und  besonders  nach  dem  Altar  befördert  zu 
werden.  Es  bedarf  keines  Beweises  dafür,  daß  die  Fortbe- 
wegung eines  Wagens  von  dem  vorhin  erwähnten  Gewichte 
sich  nicht  ohne  weiteres  und  am  besten  nicht  ohne  gewisse 
Vorrichtungen  am  Wagen  selbst  vollziehen  ließ.  Sollte  er 
gezogen  oder  geschoben  werden?  und  im  ersteren  Falle  durch 
Menschen  oder  durch  Zugtiere?  In  beiden  Fällen  mußte  er 
wohl  gewisse  Vorrichtungen  zur  Erleichterung  der  Fortbe- 
wegung und  der  Einhaltung  der  Richtung  bei  ihr  an  sich 
haben,  sei  es  eine  Deichsel  oder  Ringe  zum  Ziehen,  sei  es 
Ringe  oder  Handgriffe  zum  Schieben.  Wenigstens  möchte 
man  bei  der  Größe  und  Schwere  des  Ganzen  solche  Hilfen 
erwarten.  Trotz  der  Genauigkeit  der  Beschreibung  erfahren 
wir  von  alledem  nichts.  Dürfen  wir  daraus  schließen,  daß 
die  Wagen  trotz  der  Räder  gar  nicht  zur  Fortbewegung  bestimmt 
waren,  sondern  ähnlich  wie  wir  es  bei  den  Miniaturwagen 
von  Cypern  wohl  annehmen  müssen,  ruhig  an  ihrem  Stand- 
ort verharrten? 

Sodann  die  Frage  des  Aufstiegs  betreffend.  Die  Wagen 
sind  bei  der  niedrigsten  durch  den  Text  und  die  Verhältnisse 
zugelassenen  Annahme  5 ' ,  Ellen,  somit  nahezu  3  Meter  hoch 
(genauer,  wenn  die  Elle  zu  0,52  m  angesetzt  wird,  2,86  m). 
Soll  der  Wagen  praktische  Verwendung  finden,  so  muß  er  am 
ehernen  Meere  oder  sonstwo  mit  Wasser  gefüllt  und  am 
Altar  oder  dem  Schlachtort  entleert  werden.  Dazu  muß  er 
bestiegen  werden,  um  das  Wasser  ihm  zuzuführen  und  um  es 
durch  Eimer  oder  durch  Röhren  oder  Hahnen  oder  sonstwie 
aus  ihm  zu  entnehmen.  Er  muß  eine  Treppe  oder  irgend 
eine  Art  des  Aufgangs  besitzen,  oder,  wofern  er  etwa  durch 
angelegte  Leitern  bestiegen  werden  soll,  müßte  er  jedenfalls 
in  der  Höhe  von  1  %  bis  2  Metern  über  dem  Erdboden  einen 
Umgang  oder  einen  Tritt  oder  derart  etwas  besessen  haben. 

Max  Schmidt    von    der   technischen  Hochschule  in  München  freundlich 
zur  Verfügung  gestellt  hat. 

1)  Vgl.  Joseph.  Ant.  VIII,  H,  6  am  Ende  (sie  sollten  zum  Waschen 
der  Eingeweide  und  Füße  der  Tiere  dienen). 


240  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

Doch  ist  auch  davon  bei  aller  sonstigen  Genauigkeit  der  Be- 
schreibung nirgends  die  Rede;  ja.  wenn  mau  das  Bild  des 
Gestühls  sich  vergegenwärtigt,  so  besteht  überhaupt  schlech- 
terdings keine  Möglichkeit,  dasselbe  zu  betreten,  da  der  Kes- 
selrand genau  bis  zur  Verlängerung  der  äußeren  Seite  der 
Eckpfosten  des  Ganzen  herausragt.  Unter  diesen  Umständen 
könnte  überhaupt  uur  an  Leitern  gedacht  werden,  die  an  den 
oberen  Rand  des  Kessels  angelegt  worden  wären,  um  von 
hier  aus  das  Wasser  einzugießen  und  auszuschöpfen. 

So  wenigstens  muß  man  sich  den  Gebrauch  der  Gestühle 
am  Schlachtplatze  vorstellen  (vom  Altar  soll  sofort  die  Rede 
sein).  Man  wird  sich  nicht  verhehlen  können,  daß  diese  Art 
der  Beförderung  von  Wasser  an  die  Schiachstätte  reichlich 
mit  Umständen  verknüpft  war:  man  hatte  erst  ein  erheblich 
schweres  Gerät,  nachdem  es  in  vermutlich  ebenfalls  umständ- 
licher Weise  mit  Wasser  gefüllt  war,  umständlich  herzu- 
schieben, um  sodann  das  Wasser  auf  einer  Leiter  aus  dem 
3  Meter  hoch  liegenden  Kessel  eimerweise  zu  entnehmen. 
Es  läßt  sich  denken,  daß  man  um  der  Heiligkeit  des  Orts,  der 
Handlung  und  der  Gestühle  willeu  alle  diese  Umstände  über 
sich  ergehen  ließ,  obwohl  man  das  nötige  Wasser  vermutlich 
aus  den  Zisternen  und  Röhren  unter  der  Oberfläche  des  Tem- 
pelplatzes viel  einfacher  direkt  entnehmen  konnte;  —  aber 
auch  hier  drängt  sich  daneben  doch  alles  Ernstes  wieder  die 
Frage  auf,  ob  man  nicht  das  Wasser  tatsächlich  da  genom- 
men haben  werde,  wo  man  es  fand,  und  jene  Kesselwagen 
lediglich  als  sinnbildlichen  Zierrat  des  Tempelhofes  be- 
trachtete? 

Zu  ähnlichen  Erwägungen  werden  wir  endlich  noch  ge- 
führt, wenn  wir  das  Verhältnis  unserer  Gestühle  zum 
Altar  ins  Auge  fassen.  Es  muß,  wie  schon  bemerkt,  vor 
allem  angenommen  werden,  daß  die  Gestühle,  wofern  sie  über- 
haupt praktische  Verwendung  fanden,  das  nötige  Wasser  zum 
großen  Altar  zu  befördern  hatten.  Nun  ist  oben  des  genaueren 
sowohl  über  die  Gestalt  des  salomonischen  Altars  selbst  als 
über  diejenige  seiner  Unterlage,  des  heiligen  Felsen,  gehan- 
delt worden.  Daraus  hat  sich  ergeben,  daß  der  salomonische 
Altar  höchst  wahrscheinlich  erheblich  niedriger  und  an  Fläche 
erheblich  bescheidener  war,   als  wir  bisher   anzunehmen  ge- 


6.  Verwendbarkeit  und  Bestimmung.  241 

wohnt  waren.  Nehmen  wir  den  höchsten  Punkt  des  Felsen 
als  etwa  1,70— 1,85  m  über  dem  Boden  des  heutigen  Felsen- 
domes liegend  an,  so  hätten  wir  den  Altar  Salomos  kaum 
höher  als  etwa  2  m  über  dem  Pflaster  vorzustellen,  und  den 
Umgang  um  ihn  auf  dem  natürlichen  Fels  dürften  wir  uns 
nach  der  Beschaffenheit  des  letzteren  noch  um  einiges  niedri- 
ger denken. 

Setzen  wir  nun  unsere  Fahrstühle  zu  insgesamt  3  m  oder 
etwas  weniger  an  (2,86),  so  würde  von  einer  Höhe  von  rund 
1,60— 1,70  m,  in  der  wir  uns  den  Standort  des  Priesters  am 
Altar  vorzustellen  haben,  aus  die  unmittelbare  Versorgung 
des  Altars  mit  Wasser  wohl  denkbar  sein,  auch  ohne  daß 
der  Priester  die  Leiter  bestiege,  wofern  das  Gefährt  nahe 
genug  an  den  Altar  herangebracht  werden  konnte.  In  diesem 
Falle  stände  der  Priester  am  Altar  etwa  so,  daß  er  den  Rand 
des  Kessels  gerade  in  Brusthöhe  über  sich  hätte,  somit  wohl 
noch  in  der  Lage  wäre,  mit  einem  Gefäße  das  Wasser  aus 
dem  Kessel  zu  schöpfen  und  unmittelbar  auf  den  Altar  zu 
gießen. 

Allein  wenn  unsere  oben  ausgesprochene  Vermutung  in 
betreff  des  salomonischen  Altars  richtig  ist,  so  muß  derselbe 
viel  kleiner  gewesen  sein  als  der  heilige  Fels  und  er  hat  dann 
höchstwahrscheinlich  an  keinem  Punkte  den  Eand  des  Felsen 
berührt,  sondern  stand  ziemlicli  in  der  Mitte  desselben.  Dar- 
aus ergibt  sich  aber,  daß,  wenn  auch  die  Höhenverhältuisse 
eine  unmittelbare  Benützung  des  Kesselwagens  am  Altar  zu- 
ließen, dieselbe  dadurch  ausgeschlossen  ist,  daß  es  keine 
Möglichkeit  gab.  mit  dem  Gestühle  unmittelbar  an  den  Altar 
heranzukommen.  Mau  vergegenwärtige  sich,  um  ein  Bild  der 
Sachlage  zu  gewinnen,  die  Abb.  5  bei  S.  18. 

Man  könnte,  wenn  man  sich  die  Gestalt  des  Felsen  vor 
Augen  hält  (vgl.  Abb.  4),  auf  den  Gedanken  kommen,  die 
Gestühle  mögen  an  der  Stelle  im  Südwesten  des  hl.  Felsen, 
wo  derselbe  in  der  Form  eines  großen  rechten  Winkels  ab- 
geschnitten scheint,  herangeschobeu  worden  sein,  und  man  habe 
das  Wasser  dann  über  den  Felsen  weg  zum  Altar  selbst 
hingetragen.  Es  wäre  dies  sogar  ein  recht  verlockender  An- 
laß, die  sonderbare  Ecke  dort  im  Felsen  zu  erklären.  Allein 
der  Fels  fällt  gegen  Süden  langsam  ab;  er  wird  also  an  jener 

Kittel,  Beiträge.  16 


242  Kittel,  Studien.    IV.  Die  Kesselwagen. 

Stelle  kaum  mehr  als  V2  — 1  '^  Höhe  haben,  so  daß  es  unmög- 
lich war,  au  dieser  Stelle  ohne  Leiter  aus  dem  Kessel  zu 
schöpfen.    Auch  dieser  Ausweg  ist  also  nicht  möglich. 

Somit  blieb,  wie  es  auf  Grund  dieser  Erwägung  aller 
Möglichkeiten  scheint,  auch  dem  Priester  am  Altar  nichts 
anderes  übrig,  als,  wollte  er  aus  dem  Kessel  des  Fahrstuhls 
Wasser  entnehmen,  auf  dem  östlichen  Aufstieg  zum  Altar  erst 
zum  Pflaster  des  Vorhofes  herabzusteigen,  auf  der  Leiter  das 
nahezu  3  m  hohe  Gefährt  zu  erklimmen,  um  dann  mit  gefülltem 
Eimer  herab-  und  den  Altaraufstieg  hinanzusteigen,  bzw. 
wofern  er  sie  nicht  selbst  tat,  diese  Arbeit  durch  einen  der 
Leviten  oder  Tempeldiener  (Gibeoniten  u.  dgl.)  tun  zu  lassen. 
Die  Möglichkeit,  daß  es  so  gehalten  wurde,  ist  nicht  zu  be- 
streiten; aber  daß  es  andere  und  viel  leichtere  Arten  gab, 
das  nötige  Wasser  zum  Altar  zu  schaffen,  ist  abermals  un- 
verkennbar. Der  Schluß  ist  damit,  wenn  wir  die  Kesselwagen 
auf  ihre  Verwendbarkeit  prüfen,  nahezu  unausweichlich:  es 
spricht  von  allen  Seiten  die  höhere  Wahi'scheiulichkeit  dafür, 
daß  sie  nicht  dem  praktischen  Gebrauche  dienten,  sondern  der 
Verkörperung  einer  religiösen  Idee.  Sie  sind  die  Symbole 
der  regenspendenden  Gottheit. 


Verlag  der  J.  C.  Hinrichs'schen  Buchhandlung  in  Leipzig. 

Biblia    Hebraica.     Adjuvantibus  professorlbus  G.  Beer,  F.  Buhl, 
G.  Dalman,  S.  R.  Driver,  M.  Löhr,  W.  Nowack,  J.  W.  Roth- 
stein, V.  Ryssel  edidit  Rudolf  Kittel,   professor  Lipsiensis. 
In  vorzügl.  Halbfrzbd.  M.  lo  — ,  in  2  Leinenbdn.  M.  10.40,  geh.  M.  8  — 
Auch  in  15  Einzelhefien  zum  Preise  von  M.  1  —  bis  M.  1.30. 

Die  ausserordentlichen  Vorzüge  dieser  neuen  Biblia  Hebraica  haben  ihr  sofort 
ungewöhnliche  Verbreitung  im   In-  und   Auslande  verschafft. 

Der  Text  ruht  auf  dem  eigens  für  dieses  Bibelwerk  mit  peinlichster  Genauig- 
keit verglichenen  massoretischen  Mustercodex,  der  editio  Borabergiana. 

Die  Anmerkungen  geben  in  sorgfältigster  Auswahl  die  bedeutendsten  ab- 
weichenden Lesarten  sowie  die  beachtenswertesten  Verbesserungsvorschläge  der 
namhaftesten  modernen  Textkritiker;  sie  bieten  in  gedrängter  Kürze  einen  sprach- 
lichen Kommentar  von  ausserordentlicher  Reichhaltigkeit. 

Aus  den  überaus  zahlrciclien  Besprechungen: 

Professor  D.  Ernst  Seilin -Wien  im  Literarischen  Zentralblatt: 
,,Dem  Herausgeber  u.  seinen  Mitarbeitern  kann  man  nur  herzlichst  danken  und  das  ganze 
für  das  Hebräische  interessierte  Publikum  dazu  beglückwünschen,  dass  nun  endlich 
ein  Text  des  Alten  Testamentes  dargeboten  wird,  bei  dessen  Benutzung  der  Leser 
nicht  mehr  alle  Augenblicke  sich  einem  widersinnigen  oder  den  erlernten  gramma- 
tischen Regeln  widersprechenden  Texte  hülflos  gegenübergestellt  sieht,  sondern  die 
nötigen  Anweisungen  und  Anhaltspunkte  zur  Emendation  in  den   Noten    findet." 

Professor  D.  E.  Nestle-Maulbronn  hat  dem  Herrn  Herausgeber,  obwohl  in  Einzel- 
heiten andrer  Ansicht,  die  Biblia  als  ein  Buch  von  grossem  Nutzen  bezeichnet. 

Professor  D.  Giesebrecht-Königsberg,  obwohl  eine  andre  Anlage  empfehlend, 
rühmt  in  der  Theologischen  Literaturzeitiinf;,  ,,dass  die  Aufgaben  geschickt  an  ver- 
schiedene Arbeiter  verteilt  sind  und  dass  jede  Gruppe  ihr  Bestes  getan  hat  .  .  die 
Anmerkungen  .  .  [sind]  mit  Geschick  und  Urteil  ausgewählt  (das  ganze  Material  ab- 
zudrucken war  ja  eine  Unmöglichkeit)  und  geeignet,  dem  Lernenden  ein  gutes  Bild 
von  dem  Stand  der  Fragen  zu  geben."  Derselbe  Rezensent  wünscht  an  gleicher 
Stelle  ,,dem  Unternehmen  der  mit  so  bewährten  Kräften  und  offenbarer  Hingebung 
unternommenen  Arbeit"  guten  Erfolg. 

Privatdozent  Lic.  Dr.  W.  Staerk- Jena:  „Es  darf  aber  wohl  die  Hoffnung 
ausgesprochen  werden,  dass  die  neue  Biblia  Hebraica,  deren  Bücher  ja  für  wenige 
Groschen  einzeln  käuflich  sind,  bald  ausschliesslich  von  den  Studierenden  gebraucht 
werden  wird.  Das  wäre  der  beste  Dank  für  diese  überaus  wertvolle  Gabe,  der  nur 
Unverstand  und  Nörgelsucht  zum  Vorwurf  machen  kann,  dass  sie  nicht  so  geworden 
ist,  wie  der  Herausgeber  sie  anfänglich  geplant  hatte." 

Professor  D.    Koeb  erle- Rostock   in   der  Theologie  der  Gegenwart: 
, .Kittels  Biblia    ist    ein    für   jeden  Theologen    unentbehrliches    Werk   .   .   .    Nur    wenn 
man   ein  oder  das  andre  Buch   einmal  genau  nach  dieser  Ausgabe  durchgearbeitet  hat, 
erkennt  man,   welche  Fülle  von  Arbeit  in  diesen  unscheinbaren  Notizen   steckt.     Wei- 
teste Verbreitung  und  fleissigste  Benutzung  ist  diesem  Werk  dringend  zu  wünschen." 

Professor  Rahlfs  in  den  Göttingischen  gelehrten  Anzeigen:  ,,Das  Werk  bietet 
für  den  Handgebrauch  viel  Material,  das  man  sonst  nicht  so  bequem  beieinander 
findet,  und  hilft  schon  dem  Anfänger,  der  von  Textkritik  keine  Ahnung  hat,  über 
allerlei  Anstösse  des  hebräischen  Textes  hinweg." 

,,Ein  Denkmal  deutschen  Gelehrtenfleisses,  zu  dem  man  nur  mit  ungeteilter 
Bewunderung  emporschauen  kann.  Jeder  Gelehrte  u.  Geistliche  wird  die  Vorzüge  schon 
nach  wenigen  Wochen  aufmerksamer  Benutzung  dankbar  empfinden."   (Der  Alte  Glaube.) 

s.  auch  die  nächste  Seite 


Verlag  der  J.  C.  Hinrichs'schen  Buchhandlung  in  Leipzig, 

Weitere  Urfeile  über  die  JBiblia  Hehraica  edidit  Rudolf  Kittel: 

Professor  D.  Joseph  Rieber  im  Allgem.  Lteraturblatt:  „Die  K. 'sehe  Bibelaus- 
gabe mit  ihrem  Variantenapparat  war  tatsächlich  ein  Bedürfnis  allerersten  Ranges  ..." 

Professor  D.  Norbert  Peters  in  der  TheolociscU<'n  Kevue:  ,,Prof.  Kittel  wie 
seinen  Mitarbeitern  an  dem  grossen  Werke  gebührt  für  die  geleistete  mühlselige  Arbeit 
der  warme  Dank  wie  eines  jeden  Lehrers  der  alttestamentlichen  Wissenschaft,  so  der 
beiden  christlichen  Kirchen  und  nicht  minder  der  israelitischen  Religions- 
gemeinde .  .  .  Ich  beglückwünsche  den  Leipziger  Gelehrten  zu  seiner  Ausgabe  aus 
aufrichtigem  Herzen." 

Professor  Dr.  J.  V.  Prasek  in  der  Wochenschi ift  für  klassische  Philologie: 
,,Die  Wissenschaft  wird  dem  Herausgeber  sowie  seinen  gelehrten  Mitarbeitern  Dank 
wissen,  da  die  Forschung  jetzt  über  einen  richtig  überlieferten,  allen  Anforderungen 
der  modernen  Wissenschaft  entsprechenden  Text  nebst  allen  Variationen  und  Konjec- 
turen  verfügt." 

Von  Professor  D.  Rudolf  Kittel  erschien  ferner  ; 

The  books   of  the  Chronicles.     Critical   edition  of  the  Hebrew 

text  printed  in  [5]  colors,   exhibiting  the   composite   structure   of 

the    book,    with    notes.      English    translation    of    the    notes   bv 

B.  W.Bacon.  (82  S.)  Lex.-8  «.  1895.  [Books  of  the  Old  Test,  part  20] 

M.  6— ;  geb.  in  Leinw.  M.  7.50 


Curtiss,  Professor  Samuel  Ives:  Ursemitische  Religion  im 
Volksleben  des  heutigen  Orients.  Forschungen  und  Funde 
aus  Syrien  und  Palästina.  Deutsche  Ausgabe.  Nebst  Vorwort 
von  Prof.  D.  W.  W.  Graf  Baudissin.  (XXX,  378  S.  mit  57  Abb. 
und  2  Karten.)  gr.  8".     1903.     M.  9  — ;  geb.  in  Leinw.  M.  10  — 

Dalman,  Professor  D.  Gustaf:  Palästinischer  Diwan.  Als  Beitrag 
zur  Volkskunde  Palästinas  gesammelt  und  mit  Übersetzung  und 
Melodien  herausgegeben.     (XXXV,  369  S.)     gr.  8^.      1901. 

M.  9 — ;  geb.  in  Leinw.  M.  10  — 

Haupt,  Professor  Dr.  Paul:  Purim.  Address  dehvered  at  the  Annual 
Meeting  of  the  Society  of  Biblical  Literature  and  Exegesis  New 
York,  December  27,  1905.  (III,  53  S.)  gr.  8*^.  1906.  Kart.  M.  4  — 
(Beiträge  zur  Assyriologie  etc.,  von  Fr. Delitzsch  u.  Paul  Haupt,  VI,  2.) 

Herrmann,  Johannes:  Die  Ideeder  Sühne  im  Alten  Testament. 
Eine  Untersuchung  über  Gebrauch  und  Bedeutung  des  Wortes 
kippen  (VIII,  112  S.)  8«.   1905.      M.  3.50;  geb.  in  Leinw.  M.  4.50 

Jeremias,  Privatdozent  Pfarrer  Lic.  Dr.  Alfred:  Das  Alte  Testa- 
ment im  Lichte  des  Alten  Orients.  Handbuch  zur 
biblisch-orientalischen  Altertumskunde.  Zweite,  völlig 
neu  bearb.  u.  vielfach  erweit.  Auflage.  Mit  216  Abb.  und  2  Karten. 
(XII,  624  S.)     gr.  80.     1906.  M.  10—;   geb.   in  Leinw.  M.  11  — 

Kleinert,  Professor  D.  Paul:  Die  Profeten  Israels  in  sozialer 
Beziehung.  (V.  168  S.)  8".   1905.  M.  3.50;  geb.  in  Leinw.  M.  4.50 

Procksch,  Professor  Dr.  0.:  Das  nordhebräische  Sagenbuch. 
—  Die  Elohimquelle.  Übersetzt  und  untersucht.  (VI,  394  S.) 
8".      1906.  M.  12 — ;  geb.  in  Leinw.  M.  13  — 


A     000  088  296