'iv!j'
1
STUDIEN
ZUR
HEBRÄISCHEN ARCHÄOLOGIE
UND RELIGIOiNSGESCHICHTE
VON '
RUDOLF KITTEL
PROFESSOR IN LEIPZIG
VIER ABHANDLUNGEN
MIT 41 ABBILDUNGEN
LEIPZIG
J. C. HINRICHS'scHE BUCHHANDLUNG
1908
BEITEAGE
ZUR
WISSENSCHAFT VOM ALTEN TESTAMENT
HERAÜSGEGEBEX
VON
RUDOLF KITTEL
HEFT 1
Druck von August Pries in Leipzig.
ZUE EINFUHKUNG.
Die „Beiträge zur Wissenschaft vom Alten Testament"
sind als ein Sammelpunkt größerer und kleinerer Monogra-
phien zur alttestamentlichen Wissenschaft gedacht, den letz-
teren Begriff im weitesten Sinne gefaßt. Was also irgend
über die Literatur, Geschichte, Geographie, Archäologie, Kultur,
Religion und Moral des Volkes Israel oder des vorchristlichen
Judentums in wissenschaftlicher Form Aufschluß zu geben
bestimmt ist, mag hier eine Stätte finden.
Die Sammlung wird in der Form von selbständigen zwang-
losen Heften erscheinen.
Als zweites Heft der „Beiträge" erscheint in Kürze: Eze-
chielstudien von Lic. Joh. Herrmann.
2069211
MEINER TAPFEREN WANDERGENOSSIN
ZUR ERINNERUNG AN DEN TAG DER HEIMKEHR
DEN VOEABEXD UNSERER SILBERHOCHZEIT
VORWORT.
In betreff der Abhandlung I bitte ich meine Leser, vor
allen Dingen das auf S. 12 unten und S. 13 oben sowie auf
S. 15 unten Gesagte zu berücksichtigen. Ich wiederhole auch
hier, daß eine Untersuchung wie die in Abhandlung I vorgelegte
eigentlich nur in Jerusalem selbst gemacht werden kann. Ich
betrachte daher die Abhandlung in manchen Partien nicht als
Abschluß der Untersuchungen über den Gegenstand, sondern
nur als Grundlage für sie. Immerhin glaube ich, bei aller
Verbesserungsbedürftigkeit mancher meiner Angaben auch hier
dasjenige geleistet zu haben, was man unter den obwaltenden
Umständen von jemand verlangen kann, der eine solche
Grundlage liefern will. Am liebsten hätte ich den auf Grund
meiner Notizen und Skizzen gefertigten Text einiger Ab-
schnitte samt den Zeichnungen nach Jerusalem geschickt mit
der Bitte um allseitige Nachprüfung — hätte ich jemand ge-
wußt, dem ich die umständliche und zugleich ernste Sachkunde
heischende Aufgabe während der Hochsommer- und Herbstzeit
hätte zumuten dürfen. — Ich kann nur hoffen, daß bei allen
Mängeln im einzelnen, die dem freundlichen Leser so wenig
wie dem gestrengen Rezensenten verborgen bleiben werden,
die Abhandlung doch als ein nützlicher, die weitere Arbeit
anregender Beitrag zur Wissenschaft vom Heiligen Lande und
seiner Geschichte erfunden werde.
In Abhandlung II wird man ein Thema angeregt finden,
über das noch so gut wie nicht gehandelt ist. Man ist über
Gedanken und Andeutungen nicht hinausgekommen. Die Alter-
tumswissenschaft hatte im letzten Jahrzehnt reichlich zu tun,
das Material selbst herzuschaffen. Nun der Spaten seine
Schuldigkeit getan hat, muß aber notwendig die Verarbeitung
ihm auf dem Fuße folgen — selbst auf die Gefahr hin, im
Lauf der Zeit da und dort durch den Fortgang der Grabungen
selbst eines andern belehrt zu werden. Vor allem wird man
sich der hier, soweit ich sehe, zum erstenmal versuchten ein-
VIII Kittel, Studieu.
gehenderen religionsgeschichtlich-theologischen Würdigimg des
Gegenstandes nicht auf die Dauer entziehen dürfen.
Die Abhandlung III (erstmals gedruckt als Leipziger
Universitätsprogramm zum 31. Okt. 1907) bitte ich als eine
anspruchslose kleine Studie hinzunehmen, die, wie sie selbst
mehrfach betont, in betreif des Hauptpunktes keinerlei Ge-
wißheit, sondern lediglich eine mit einem gewissen Grade von
Wahrscheinlichkeit verbundene Vermutung darzubieten beab-
sichtigt.
Für die vierte Studie endlich (Abh. IV) habe ich den Tod
der zwei vornehmsten Leser, die ich bei ihrer Abfassung vor
Augen hatte, zu beklagen. Seit Jahren glaubte ich Stade
eine Antwort auf die ZAW XXI mir gewidmeten Ausführungen
schuldig zu sein. Natürlich konnte sie nicht anders ausfallen
als in Form einer vollkommen neuen und allseitigen Durch-
arbeitung des ungewöhnlich schwierigen und verwickelten
Gegenstandes. Doch ließ die mich Jahre lang bis an die
äußerste Grenze menschlicher Leistungsfähigkeit in Anspruch
nehmende Arbeit an der Biblia Hebraica mir bis vor kurzem
schlechterdings keine Möglichkeit hiezu offen. Nun die Arbeit
hinausgeht, trifft sie den nicht mehr unter den Lebenden,
dessen reiches Wissen und dessen ausgeprägte Persönlichkeit
auch die von ihm als Gegner Behandelten nicht anders als
mit Trauer in unserer Wissenschaft missen werden. — Der
andere, den ich mir als Leser dachte, ist Furtwängler. Ihn
hat ein jähes Geschick fern der Heimat und mitten aus dem
Dienst an der Wissenschaft am selben Tage weggerafft, an dem
ich ihn brieflich um freundliche Überlassung der Abbildung 31
gebeten hatte.
Einige Bemerkungen und Nachweise, die ich der Güte
des Herrn 1. 1. Kahan danke, sind mit [K.] bezeichnet. — Eine
gewisse Unregelmäßigkeit in der Umschrift semitischer Namen
bitte ich zu entschuldigen. Dem Setzer zuliebe habe ich
öfter, nachdem die richtige Form mitgeteilt war, im Verlaufe
die übliche Schreibung beibehalten. Bei bekannten biblischen
Namen ergibt sich die landläufige Schreibung ohnehin vielfach
von selbst.
Leipzig, Ende Oktober 1907. KitteL
INHALT.
I. Der heilige Fels auf dem Moria. Seine Geschichte und
seine Altäre.
Seite
1. Der Haram und die innere Terrasse 1
2. Der Fels selbst 12
3. Geschichte des Felsen. Der Islam und die Kreuzfahrer . . 24
4. Fortsetzuug. Der Fels von Titus bis Justinian 33
5. Der Fels in der Urzeit 37
6. David 44
7. Salomo. Ahas. Ezechiel 50
8. Das babylonische Exil 07
9. Serubbabel 72
10. Die Zeit der Chronik 75
11. Herodes der Große 79
Beilage zu Abhandlung I. Die wichtigsten arabischen Quellenzeug-
nisse über den hl. Fels 86
IL Der primitive Felsaltar und seine Gottheit.
1. Gideon 97
2. Manoah 104
3. Das Blut 108
4. Der Schlachtstein 110
5. Die Gottesidee in Kanaan 114
6. Die Gestalt des Altars. Der Schalenstein. Die Massebe . . 118
7. Forts. Heilige Felsplatten an geschichtlich wichtigen Orten . 131
8. Der Brandopferaltar 146
III. Der Schlangenstein im Kidrontal bei Jerusalem.
1. Salomo und Adonia 159
2. Der Ort der Zusammenkunft 160
3. Der Hiobsbrunnen 164
4. Brunnen und Quelle 169
Kittel, Beiträge. B
l Kittel, Studien.
Seite
5. Der Schlangenstein 171
6. Die Drachenquelle 178
7. Der Fels Zahwele 180
IV. Die Kesselwagen des salomonischen Tempels.
1. Das Kunstwerk des Glaukos 189
2. Die Fundstücke von Kreta 192
3. Die cyprischen Kultusgeräte 196
4. Die salomonischen Geräte 199
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37 205
a) Die Höhe der Gestühle 205
b) Leisten und Sprossen 208
c) Die Ornamentik 218
d) Eäder. Füße. Schulterstücke 222
e) Zylinder und Kessel 225
f) Einheitlichkeit des Berichtes 226
g) Noch einmal die Schlußleisten und die Räder 230
h) Ein Parallelbericht 231
i) Die Tafeln 233
6. Verwendbarkeit und Bestimmung 236 — 242
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN.
Seite
1. Der Haram von Nordosten nach Schick, Die Stiftshütte etc.
]89(J, S. 239 5
2. Der hl. Fels von Süden nach Photogr. der amerik. Kolonie in Jerus. 13
3. Der hl. Fels von Norden nach Photogr. des Dr. Schick in Jerus. 15
4. Der hl. Fels u. seine Altäre. Grundriß vom Verf. 17
5. Dasselbe. Querschnitt vom Verf. 18
6. Siegelzylinder aus Betseän im Besitz des Verf. 43
7. Der Altarentwurf Ezechiels vom Verf 54
8. Der Altar der Mischna „ „ 81
9. Kiborienaltar von Trau nach Photogr 94
10. Altar von S. Lorenzo in Rom nach Photogr 95
11. Der Felsaltar von Sara nach ZDPV 1897 (X) Taf III. IV . . 105
12. Derselbe Querschnitt 107
13. Der Opferstein von Marmita desgl 120
Verzeichnis der Abbildungen. XI
Seite
14. Der Opferplatz von Marmita 122
15. Masseba von Ta'anach nach Sellin, Teil Ta'anek 1904 S. 83 . 126
10. V, „ Megiddo „ MuN 1905 S. 5 128
17. „ „ Gezer „ Vinx'ent, Canaan S. 113 .... 129
18. Massebenreihe von Gezer nach Photogr. von Dr. G. Rothstein,
Berlin-Friedenau 132
19. Skizze derselben nach Vincent, Canaan S. 114 133
20. Felsaltar von Ta'^anach nach Sellin a. a. O. S. 34 134
21. Derselbe nach Photogr. von Prof. Sellin, Wien 135
22. Kultusstätte von Mispa vom Verf. 137
23. „ „ Gibeon „ „ 140
24. „ „ Megiddo „ „ 143
25. Stein vom Berg Sijägha „ ,, 145
2ü. Der große Altar von Ba^albek nach Photogr. des Verf. . . . 147
27. Derselbe „ „ „ „ . . . 148
28. Der Altar von Petra nach Curtiss, Ursem. Eelig. S. 314 . . . 150
29. Derselbe „ „ „ „ „ 315 . . . 151
30. Der Hiobsbrunnen nach Photogr. des Verf. 163
31. Waschende Frauen im Siloateich „ „ „ „ 167
32. Der Hiobsbrunnen mit Schlangenstein „ „ „ ,, 172
33. Der Schlangenstein „ „ „ „ 173
34. Schlangenidol aus Petra nach A. Jekemias, Das Alte Test. etc^.
S. 458 175
35. Der Fels Zahwele nach Photogr. des Verf. . . 182
36. Derselbe „ „ „ „ . . 183
37. Eingang zur Marienquelle (Gihou) „ „ „ „ . . 187
38. Fundstücke von Kreta nach Halbherr und Oksi Mus. Ital. II
(1888) Taf. XI 194
39. Gerät von Larnaka nach Furtwängler, Sitzber. der Müuch. Ak.
d. W. 1899, 411 197
40. Gerät von Enkomi nach Furtwängler, Sitzber. der Münch. Ak.
d. W. 1899, 414 198
41. Relief vom Titusbogen in Rom nach Jeremias a. a. O. 449 . . 212
42. Assyrischer Feldbaldachin nach Puchstetn, Ionische Säule 1907,
S. 31 220
43. Stier mit Rosette nach ARW VII S. 125 221
44. Der Kesselwagen Salomos nach Angabe des Verf. gezeichnet von
Elly Schmidt, München 237
ABKÜRZUNGEN.
AEW = Archiv für Religionswissenschaft.
BHK = Biblia Hebraica ed. Kittel.
JRAS = Journal of Eoyal Asiatic Society.
MuN = Mitteilungen u. Nachrichten des D. Paläst. Ver.
PEF = Palestine Exploration Fund.
PßE == Realencyclopädie für protest. Theol. u. Kirche.
Recfueil) = Rec. des Historieus des Croisades.
ZAW = Zeitschr. f. d. Alttestam. Wissensch.
ZDPV = Zeitschr. d. Deutsch. Paläst. Vereins.
Die Sigla ®9Ji5 usw. sind die in Biblia Hebr. ed. Kittel angewandten.
BEEICHTIGUNG.
Auf S. 3 Z. 12 V. unt. lies Ostseite statt Westseite.
I. Der heilige Eels auf dem Moria. Seine Grescilichte
und seine Altäre.
Es ist bekannt, daß der heutige Felsendum, Kuöbet es-
Sachra, auf dem Haram escJi - Schenf in Jerusalem, sich über
einem stattlichen, heute noch sichtbaren Felsen wölbt. Dieser
heilige Fels scheint zu allen Zeiten den höchsten Punkt, so-
mit den eigentlichen Gipfel des Hügels, auf dem er steht, ge-
bildet zu haben. Heute ragt er um 1 — 1 m, an der höchsten
Stelle etwa 1,70 m, an der niedrigsten 0,30 m, über seine Um-
gebung empor, während die Fläche des Haram im allgemeinen
tiefer liegt und nur gegen das Nordende der großen Terrasse,
die der Haram bildet, hin sich wieder erhebt. Diese nörd-
liche Erhebung des Terrains kann aber hier nicht in Frage
kommen, daher für uns außer Betracht bleiben.
1. Der Haram und die innere Terrasse.
Es darf nun angenommen werden, daß in diesem Punkte
sich der Haram im Laufe der Zeit nicht wesentlich geändert
hat. Die große Plattform mag wohl gelegentlich neu mit
Steinplatten belegt worden sein^ Ebenso sind natürlich die
Umfassungsmauern, und besonders ihre Zinnen, des öfteren
ausgebessert und teilweise erneuert worden 2, Aber die Fläche
selbst scheint seit den Tagen des Herodes keine sehr wesent-
1) Noch ToBLER liat die äußere Plattform mit Gras bewachsen ge-
sehen (1845). Noch früher war sie zeitweilig mit Olivenbäumen bestanden.
Einzelne Bäume finden sich heute noch; ebenso einzelne Stellen mit
Graswuchs. Aber schon um der vielen Zisternen willen, muß sie schon
in früher Zeit mit Steinfließen belegt gewesen sein ; s. z. B. Joseph. Bell.
Jud. V, 5, 2 (der von einem kostbaren Mosaikpflaster weiß).
2) Vgl. z. B. über das goldene Tor Robinson Palästina II, S. 79.
Kittel, Beiträge. 1
9 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
liehe Veränderung erfahren zu haben. Nicht einmal die starke
Abstufung, die sich innerhalb des Haram geltend macht, in-
sofern der innere Bezirk des Ganzen um teilweise etwa
20 Stufen, also etwa 4 m, höher liegt als das Übrige, wird jungen
Datums sein. Es ist nichts darüber bekannt, daß zugleich
mit der Errichtung des Felsendoms eine innere Terrasse her-
gestellt worden sei. Was aber etwa zwischen den Tagen der
Zerstörung des Tempels durch Titus und der Errichtung des
Felsendoms durch 'Abd el-Melik mit dem Felsen bezw. seiner
Umgebung vorgenommen worden ist, hat jedenfalls, das darf
mit hoher Zuversicht angenommen werden, nicht dazu geführt,
so durchgreifende Veränderungen mit der Gesamtanlage der
Tempelarea vorzunehmen, wie sie die Errichtung einer zweiten
inneren Terrasse voraussetzen würde.
Es käme hier vor allem in Betracht der Umstand, daß
Kaiser Hadrian^ an der Stelle des ehemaligen Tempels der
Juden ein Jupiterheiligtum und seine eigene Bildsäule er-
richtete, die Hieronymus noch gesehen haben will. Auch kann
daran gedacht werden, daß Julian der Abtrünnige etwa
200 Jahre nachher die Juden ermuntert haben soll, ihren
alten Tempel wieder aufzubauen. Es kann aber schon um
deswillen zu nicht viel mehr als den ersten Anfängen eines
solchen Unternehmens gekommen sein, weil das Erste, was
hätte in dieser Richtung getan werden müssen, natürlich die
Beseitigung der dem heiligen Ort durch Hadrian angetanen
Schmach hätte sein müssen. Fällt also die Zeit Julians schon
um der Kürze seiner Regierung willen außer Betracht, so
bliebe nur Hadrian übrig-. Aber was er hier errichtete, war
allem nach kein besonders stattliches, große Vorbereitungen
und eine durchgreifende Umgestaltung eines Teils des Harauis
bedingendes Bauwerk, sondern eine Verehrungsstätte des Ju-
piter mit Bildsäule und Altar. Ihm lag augenscheinlich nur
an einer heidnischen Kultusstätte, durch die das Ende des
1) S. unten S. 34.
2) Nach Schick, ßeit el Makdae (1887), S. 6, wäre die Plattform
ihrer ältesten Grundlage nach tatsächlich auf Hadrian zurückzuführen.
Allein die von Seh. dort angeführten Tatsachen lassen auch eine ganz
andere Erklärung zu.
1. Der Haram und die innere Terrasse. 3
jüdischen Kultus an diesem Orte definitiv erklärt war, nicht
an einem selbständigen Prachtbau.
Sieht man sich die Gestalt jener inneren Terrasse etwas
näher an und erwägt man zugleich, daß in dem heiligen Felsen
selbst der natürliche Hügel seinen ursprünglichen Gipfelpunkt
hat, so kann kaum ein Zweifel darüber aufkommen, daß die
innere Terrasse aus der Tatsache ihre natürliche Erklärung
findet, daß hier der Fels sich in langsamer Steigung zum
Gipfel hin erhob und daß man zunächst den Platz in der un-
mittelbaren Umgebung des Felsen zu einer Terrasse umge-
staltete und sodann erst — und zwar etwas tiefer — zur
Herstellung der großen Terrasse schritt. Nachforschungen,
wenn sie möglich wären, würden wohl ergeben, daß unter der
inneren Terrasse, besonders in der näheren Umgebung des
Felsendoms selbst, der natürliche Felsboden um weniges unter
der heutigen Oberfläche weiterläuft ^
So mag sich auch am besten die stark unregelmäßige
Gestalt des die innere Terrasse bezeichnenden Vierecks er-
klären. Während der Haram selbst ein unregelmäßiges, im
Norden breiteres Viereck darstellt, folgt die innere Terrasse
diesen Spuren, aber so, daß sie den schiefen Charakter der
Westseite noch überbietet. Während also ihre drei andern
Ränder den Außenwänden des Haram parallel laufen, wird
hier eine ganz willkürliche Abweichung beliebt. Das muß
wohl in den Terrainverhältnissen seinen Grund haben -. Hätte
der Erbauer freie Hand gehabt, so hätte er vermutlich ent-
weder ein wirkliches Quadrat geschaffen oder ein dem Haram
selbst analoges unregelmäßiges Viereck; er hätte also auch
die vierte Seite der des Haram parallel gestaltet. Tat er das
nicht, so mag er gebunden gewesen sein. Dieser Tatbestand
aber weist seinerseits wieder darauf hin, daß hier die ur-
sprüngliche Beschaffenheit und Grenze des inneren Vorhofes
sich wird erkennen lassen.
1) S. das Diagramm bei Schick a. a. O. Fig. 2.
2) Wie ich nachträglich sehe, bemerkt Schick a. a. O. S. 6 in der
Tat, „daß nach Norden zu der felsige Rücken des Berges eben viel
breiter ist als im Süden." Die genauen Maße dieser beiden Seiten der
inneren Terrasse sind nach Schick: Südseite 132 m, Nordseite 160 m.
1*
4 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Nun wissen wir aus Josephus K daß der innere Vorhof,
derjenige der Juden, in dem der Tempel selbst und der Altar
sich befanden, durch Stufen vom äußeren Vorhofe, dem der
Heiden, d. h. der übrigen Tempelarea, abgehoben war. Es
befand sich also schon zu des Herodes Zeiten innerhalb der
Gesamtterrasse eine um eine Anzahl Stufen höhere innere
Terrasse'^. Daß durch die Zerstörung des Tempels unter Titus
diese Terrasse erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden
sei, ist nicht sehr wahrscheinlich. Es werden die Stein- bezw.
Mosaikfliesen vielfach zertrümmert oder wenigstens beschädigt
worden sein, so daß, als der Haram wieder in Gebrauch ge-
nommen wurde, eine Erneuerung der Fliesen nötig geworden
sein wird; aber die Anlage selbst wird schwerlich vernichtet
worden sein. Den Zerstörern lag sicher zunächst nur die
Vernichtung der Gebäude selbst am Herzen.
Es wird also die Vermutung naheliegen, daß wir mit der
inneren Terrasse (s. Abb. 1) im ganzen den inneren Vor-
hof des Herodes heute noch vor uns haben. Aber immer-
hin nur im ganzen. Weiter, glaube ich, wird man nicht gehen
dürfen. Es verbietet dies die folgende Erwägung.
Ein Blick auf die innere Terrasse^ belehrt uns darüber,
daß sie, wenigstens in der Richtung von Ost nach West, in
ihrer Anlage durch die heute auf ihr stehenden Bauten be-
stimmt ist, die Kubbet es-Sachra und die Kubbet es-Silsele.
1) Ant. XV, 11, 5.
2) Die oben S. 2 angegebene Zahl von etwa 20 Stufen hat nach
einer mir vorliegenden Photographie die Südtreppe. Dem entspricht es
ziemlich genau, wie Joseph ls Bell. Jud. V, 5, 2 von 19 (14 -\- 5) oder
auch V, 5, 3 von 20 (15 + 5) Stufen redet. Freilich will er dann, wie
es scheint, noch eine Art innerster Terrasse annehmen (V, 5, 4), zu der
weitere 12 Stufen hinaufführten, von denen aber Ant. XV, 11, 5 nichts
weiß. Doch erhebt sie sich erst hinter dem Altar als Fundament des
eigentlichen Tempelhauses. — Eine andere Frage freilich ist, ob Jos. im
Rechte sein kann, wenn er für die Gesamtböhe dieser 19 — 20 Stufen
15 Ellen ansetzt. Das würde Stufen von etwa 40 cm ergeben. (S. Rosen,
Das Haram etc. 186(3 S. 43) Midd. III, 6 setzt richtiger für jene 12 Stufen
je V2 Elle an.
3) S. den Plan bei Baedeker, Paläst. ^ bei S. 34/35 und bes. die
Tafel bei Schick, die Stiftshütte, der Tempel in Jerus. etc. (1896) oder
MoMMEBT, Topographie des alt. Jerus. (o. J.) am Schlüsse.
Ä
OQ
w
6 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Der Ostrand der innern Terrasse ist vom Ostende der letz-
teren ziemlich genau so weit entfernt, wie ihr Westrand vom
Westende der ersteren. Dieser Tatbestand macht ganz und
gar den Eindruck, als sei die heutige Begrenzung der Ter-
rasse wenigstens in der Richtung von Ost nach West und in
der unmittelbaren Umgebung des Felsen durch die heutigen
Verhältnisse, d. h. die arabischen Bauten, die die Terrasse
heute trägt, bestimmt.
In diesem Falle ist aber die Wahrscheinlichkeit groß,
daß die Anlage selbst mit den Bauten, die sie bestimmten,
zeitlich zusammenfällt. Natürlich folgt daraus nicht, daß die
Terrasse von den Arabern angelegt wäre, wohl aber, daß sie
so weit umgestaltet worden ist, als für die ihnen erwünschte
Symmetrie, wenigstens in der eben beschriebenen Hinsicht, ge-
boten schien. Die Frage wird nur sein, ob wir noch erraten
können, in welcher Richtung die Veränderung durch die Er-
bauer des Felsendoms sich bewegte. Ich glaube, das ist mög-
lich von den eben geltend gemachten Gesichtspunkten aus.
Läßt die eigentümlich schräge Richtung der Ostgrenze ver-
muten, daß die Grenze hier den natürlichen Bedingungen des
Terrains folgte, so ist die Wahrscheinlichkeit um so größer,
daß die Veränderung sich an der Westgrenze vollzog. Hier
also werden die arabischen Baumeister eine Neuerung haben
eintreten lassen, sei es in der Form der Verkürzung, sei es
in derjenigen der Hinausschiebung der Grenze.
Welche der beiden in Betracht kommenden Möglichkeiten
der Wirklichkeit entspricht, läßt sich ebenfalls noch mit einiger
Wahrscheinlichkeit ermitteln, wenigstens wenn wir von der
Annahme ausgehen dürfen, daß der Brandopferaltar einst auf
dem heiligen Felsen seinen Platz hatte und der Tempel selbst
sich in westlicher Richtung an den Altar anschloß. Die Maße
des salomonischen Tempels ergeben im Innern: Vorhalle 10,
Heiliges 40, Allerheiligstes 20. Umbau 5 Ellen, zusammen
75 Ellen '. Dazu kommen an Wänden: Außenwand der Vor-
halle, Wand zwischen Halle und Heiligem (= Außenwand des
Tempelhauses), Hinter wand des AUerheiligsten gegen den Umbau,
Außenwand des Umbaus je mindestens 3—5 Ellen = etwa
1) Vgl. 1 Kön 6.
1. Der Haram und die innere Terrasse. 7
15 Ellen, wobei die Wand zwischen dem Heiligen und Aller-
heiligsten nicht gerechnet ist. Das ergibt zusammen einen
Raum von mindestens 90, rund wohl etwa 100 Ellen. Rechnet
man noch einen Raum von mindestens 20 Ellen zwischen der
Halle und dem Altar, so erlangen wir als Minimum immer
schon 1*20 Ellen, rund 60 m. So beim Tempel Salomos. Ähn-
lich verhält es sich mit dem des Herodes i. Er hat hier die-
selben Maße, nur daß vor der Halle noch eine Treppe erwähnt
wird, für deren 12 Stufen vielleicht noch etliche Ellen aus-
zusparen wären. Die Maße des Tempels Serubbabels kennen
wir nicht; sie dürfen aber als denen der beiden andern
Tempel entsprechend angenommen werden.
Nun beträgt nach den uns zur Verfügung stehenden
Karten — ich selbst habe keine Messung vorgenommen — die
Entfernung vom Westende des Felsen bis zum heutigen West-
rande der inneren Terrasse nur etwas weniger als 50 m. Es ist
aber, wenn man die Wände des Tempelhauses, den nötigen Raum
zwischen Tempel und Altar — vollends wenn, wie sich später
als wahrscheinlich zeigen wird, der Altar gar nicht zu allen
Zeiten bloß den Gipfel des Felsen bedeckte — und dazu
eventuell noch einen kleinen freien Raum an der Hinterseite
des Tempelhauses in Betracht zieht, schlechterdings nicht
möglich, mit einem Zwischenraum von kaum 50 m zwischen dem
Westrande des Felsen und dem Westrande der innern Ter-
rasse, d. h. wohl des innern Vorhofs, auszukommen. Die ganze
Hypothese von dfem Standort des Altars auf dem Felsen, so
gut sie an sich begründet ist, und damit alle Versuche, von
hier aus den Tempel zu rekonstruieren, müßten an dieser Tat-
sache scheitern, falls es keinen Weg gäbe, ihr zu begegnen.
Denn wir brauchen, wie gezeigt, mindestens 60, und, falls
noch ein Stück des innern Vorhofs im Rücken des Tempels
anzunehmen ist, wofür manches spricht, mindestens 60—70 m.
Der Ausweg bietet sich aufs einfachste durch die An-
nahme, daß der innere Vorhof, jedenfalls die innere Terrasse,
ehedem, zu des Herodes und wohl des Salomo Zeit, sich weiter
1) Vgi. Jos. Ant. XV, 11, 3 (der Text scheint verderbt, aber die
100 Ellen Länge stehen fest) ; Bell. Jud. V, 5, 4 u. Spiess, Das Jerusalem
des Josephus und: Der Tempel in Jerus. etc. 1881. (S. darüber S. 12
Anm. 1).
g Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
nach Westen erstreckte, also näher an die Westmauer des
Haraui (als des äußern Vorhofs) herantrat. Die Araber haben
sie hier der Symmetrie halber — die beiden Kubbetbauten
als Einheit zusammennehmend — verschoben. Auch hier kann
ein Blick auf den Plan uns den Weg weisen. Der Fels ist
heute keineswegs in der Mitte der Terrasse. Einmal wird er
es gewesen sein, mindestens in der Richtung von West nach
Ost. Es darf als willkommene Bestätigung unsrer Angaben
gelten, daß sich, wenn man den Fels als Mitte denkt, im
Westen genau etwa der Punkt als Grenze des Vorhofs ergibt,
den wir oben fordern mußten.
Auf welche Weise in dieser Richtung der Raum ge-
wonnen wurde, läßt sich ohne eine Untersuchung des Unter-
grundes der inneren Terrasse natürlich nicht sagen. Es wäre
aber wohl möglich, daß die Araber den natürlichen Felsen,
falls er auch hier ehedem die Grenze bezeichnete, abschlugen,
um die Grenze einrücken zu können. Ein religiöses Vorurteil
wie beim „Felsen" xar s^oxrjv hat sie schwerlich daran ge-
hindert K
Man wird nach alledem immerhin die Vermutung für ge-
rechtfertigt erklären dürfen, daß die Gestalt der Oberfläche
des Haram, so wie wir sie lieute sehen, zwar in allen Haupt-
punkten derjenigen der Zeit des Herodes entsprechen werde,
daß aber in betreff der inneren Terrasse, wenigstens was ihre
Ausdehnung nach Westen anlangt, durch die Araber noch ge-
wisse Veränderungen vorgenommen worden sind.
Von Herodes nun wissen wir, daß er seinerseits große
Veränderungen mit dem Tempelplatze, den er vorfand, vor-
nahm, insofern er an Stelle des nachexilischen, durch Serub-
babel errichteten Tempels einen neuen, viel stattlicheren Tempel
1) Der beste Kenner des Haram, Dr. Schick, der sich rühmen
konnte, ihn wohl hundertmal besucht zu haben (Beit. etc. S, 3) , spricht
S. 6 ebenfalls davon, daß die (innere) Plattform die Merkmale ver-
schiedener Zeiten an sich trage, und er berichtet weiter, daß man an der
Nord- und Ostseite an drei Stellen für ganz kurze Zeit einen „senkrecht
niedergehauenen Felsen" wahrnehme; ebenso nahe der nordwestlichen
Treppe. — Von besonderem Interesse war mir, nachdem der obenstehende
Text längst niedergeschrieben war, bei Seh. zu sehen (ebenda), daß auch
er die Westmauer für verhältnismäßig jünger ansieht.
1. Der Haram und die innere Terrasse. 9
auf dem Platze des früheren errichtete. Aber auch seine Ar-
beiten, so umfangreich sie gewesen sein mögen, beschränken
sich doch, soviel wir sehen können, in der Hauptsache auf die
Erweiterung des Tempelplatzes. Da sein Tempel mit den zu
ihm gehörigen Hallen und Anlagen aller Art einen wesentlich
größeren Raum einzunehmen bestimmt war als seine Vor-
gänger, so mußte natürlich zuerst für die hiezu nötige Er-
weiterung der alten Tempelterrasse gesorgt werdend
Allerdings wird es dabei ganz ohne Umgestaltung der
vorhandenen Terrasse nicht hergegangen sein. Wir wissen,
daß Herodes das System der Vorhöfe, das vorher schon vor-
handen war, erweiterte-. Es gab unter Salomo einen äußern
und einen inneren Vorhof beim Tempel, abgesehen von dem
Hof um den königlichen Palast. Ebenso hatte der Tempel
Serubbabels einen äußern und einen Innern Vorhof, und im
Laufe der Zeit wird in ihm der Raum um den Altar für die
Priester umfriedet. Der Tempel des Herodes hingegen kennt
neben dem äußern Vorhof noch eine ganze Reihe innerer Vor-
höfe', den der Frauen, den der Männer (Laien) und den der
Priester unmittelbar am Altar und dem Tempelgebäiide. Das
letztere selbst steht um 12 Stufen über dem Erdboden. Ebenso
führen zum inneren Vorhof Stufen.
Daraus läßt sich mit ziemlicher Sicherheit entnehmen, daß
Herodes den inneren Vorhof und damit die innere Terrasse
nicht so beibehielt, wie er sie vorfand, sondern daß er, ent-
sprechend der ganz erheblichen Ausdehnung der gesamten
Plattform, die er vornahm, auch die innere Terrasse ver-
größerte. Hatte die Terrasse in der Ausdehnung, in der sie
Salomo herstellte und wie sie vermutlich Serubbabel einfach
übernahm bezw. wiederherstellte, ausreichenden Raum für die
Zwecke des älteren Kultus geboten, so ist an sich nicht wahr-
scheinlich, daß die neue Form des Gottesdienstes, die eine
stärkere Gliederung der einzelnen Teilnehmer nach Gruppen
(Frauen, Männer, Priester) zur Voraussetzung hatte, mit dem-
selben Räume auskommen konnte. Die Gliederung brachte
1) Jos. Ant. XV, 11, 1. 3. Bell. Jud. V, 5, 1 flF.
2) Vgl, mein. Art. „Tempel von Jerusalem" in PRE^. Dort die
Literatur.
3) Jos. Ant. XV, 11, 5. Bell. Jud. V, f), 2. c. Ap. II, S.
iO Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
mit sich, daß der eine innere Vorhof durch drei Einzelhöfe
ersetzt wurde. Selbst wenn die Zahl der Teilnehmer am
Kultus dieselbe war wie ehedem, erheischte diese Gliederung
größeren Raum.
Es ist aber gar nicht wahrscheinlich, daß die Zahl die-
selbe war. In der Zeit des Herodes hatte die jüdische Dias-
pora sich allmählich zu einer stattlichen Bedeutung aufge-
schwungen und sie bevölkerte, wie wir wissen, die Stadt um
die Zeit der großen Feste außerordentlich stark. Dadurch
wird vor allen Dingen der Tempelkultus betroffen, und wir
werden kaum fehlgehen, wenn wir annehmen, daß die Zahl
der Festteilnehmer wenigstens an den großen Festen im Tempel
von Jerusalem in der Zeit des Herodes erheblich größer war
als in der des Salomo und der judäischen Könige. Es darf
dabei nicht übersehen werden, daß unter Salomo selbst der
Zuzug der Festgäste von außen erst seinen Anfang nahm und
mit dem Wettbewerb der altern Heiligtümer zu kämpfen ge-
habt haben wird, daß aber nach seinem Tode die Trennung
der Reiche und damit jener fremde Wettbewerb erst recht
den Zuzug zum Tempel beeinträchtigte, während von einer
Diaspora noch keine Rede sein konnte.
Somit, wie wir auch die Sache ansehen mögen, es bleibt
die Wahrscheinlichkeit, daß Herodes seiner Anlage des Tempels
gemäß sich genötigt sah, die innere Plattform zu vergi-ößern.
In welcher Richtung er es getan hat, wissen wir nicht, aber
vielleicht kann uns auch hier ein Blick auf die Abb. 1 zu
einiger Klarheit verhelfen. Die starke Ausdehnung der inne-
ren Terrasse nach Norden fällt auf. Daß sie vom Felsendom,
den man als den idealen Mittelpunkt ansehen möchte, viel
weiter nach Norden geht als nach Süden, ist in der heutigen
Anlage durch nichts motiviert. Es findet aber, soviel wir
sehen, auch in der Anlage des inneren Vorhofs Salomos keine
rechte Erklärung. So wird man von selbst darauf geführt,
zu fragen, ob etwa die Deutung für dieses Rätsel bei Herodes
zu suchen sei. In der Tat scheint es so. Es wäre wohl
möglich, daß ehedem die Terrasse ihre Nordgrenze weiter
gegen Süden besaß und erst Herodes die heutige Nordgrenze
schuf. Dann hätte er also nach Norden hin Raum geschaffen.
Diese Annahme findet ihre Stütze in der Nachricht des
1. Der Haram und die innere Terrasse. IX
Josephus ', Herodes habe die äußere Plattform, also den heutigen
Haram so hergestellt, daß sie den doppelten Eaum der alten
salomonischen — etwa durch die Könige Judas etwas erweiterten
— Plattform einnahm. Nun ist es zweifellos, daß Herodes im
Süden mit seiner Erweiterung einsetzte. Man wird etwa
eine Linie, die in der Mitte zwischen dem Brunnen el-Käs
und der Aksamoschee von Ost nach West läuft, als die
Grenze ansehen dürfen. Vielleicht dürfen wir die alte Süd-
grenze auch bis zum Nordende der Aksamoschee ausdehnen.
Das übrige wird Herodes im Norden zugelegt haben. Nun
hat schon Baron von Alten - im Jahre 1878 in der Linie der
heutigen Nordgrenze der inneren Terrasse die Stelle der alten
Nordmauer des Haram vermutet. Die Annahme hat manches
für sich. Es ist durchaus möglich, daß hier einmal die Ter-
rasse Saloinos und somit sein äußerer Vorhof endete. Salomos
innerer Hof müßte dann natürlich ziemlich weiter südlich
seine Nordgrenze gehabt haben. Die Grenze mag nach Nor-
den wie nach Süden gleich weit vom Felsen entfernt gewesen
sein. Erst Herodes, indem er die Nordgrenze des ganzen
Bezirkes verschob, schob auch, seinem Bedürfnis nach einem
größeren Innenbezirk entsprechend, die Nordgrenze der inneren
Terrasse vor.
Dem scheint nun freilich im Wege zu stehen, daß nach
Schick •' an der Nordseite der Fels „auf eine kurze Strecke
niedergehauen" ist. also sichtbar wird. Aber da es sich nur
um eine kurze Strecke handelt, so kann das Erscheinen des
natürlichen Felsen dort auch andere Gründe haben. Es kann
sich sehr wohl nur um ein kleines, über die übrige Oberfläche
emporragendes Stück Fels handeln, das ehedem unbeseitigt
(als eine Art Felsblock) im Hofe stehen geblieben war und
nun in die Mauer der Plattform einbezogen wurde. Auch
fehlt noch jede genauere Untersuchung der Stelle^.
1) Bell. Jud. I, 21, 1.
2} ZDPV I (1878) S. 60 ff". (Vgl. d. Karte bei S. 100).
S) S. oben S. 8.
4) S. Schick Beit el-Makdas S. 32.
12 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
2. Der Fels selbst.
Ist es uns somit gelungen, die Lage des inneren Vorhofs
im salomonischen (und wohl dem serubbabelschen) sowie im
herodianisehen Tempel zu ermitteln, so wird sich nun — man
sollte diese Frage besonders stellen, ehe man nach der ge-
naueren Lage des Tempelgebäudes fragt ^ — zuerst die Frage
erheben, ob wir imstande sein werden, über die Lage des
Brandopferaltars und sein Verhältnis zum heiligen Felsen
etwas genaueres zu ermitteln. Auch hier sind wir vielfach
stark auf Vermutungen angewiesen; immerhin mag es der
Mühe wert sein, ihnen nachzugehen. Lassen sich keine Ge-
wißheiten gewinnen, so gelingt es uns vielleicht wenigstens,
zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu gelangen.
Was wissen wir über die Beschaffenheit und die
Geschichte des heiligen Felsen?
Schon die erste Frage ist nicht müßig. Soweit ich sehe,
liat man es so gut wie aufgegeben, sich mit diesem Denkmal
ft'ühester israelitischer und kanaanitischer Vergangenheit zu
beschäftigen -, wohl in der Voraussetzung, daß die mancherlei
Schicksale, die der Fels erlitten hat, es als aussichtslos er-
scheinen lassen, über seine Geschichte und vor allem seine
Stelle im Kultus des alten Israel heute noch zur Klarheit
zu gelangen. Es ist möglich, daß dieser Verzicht berechtigt
ist. Doch soll wenigstens der Versuch gemacht werden über
ihn hinüberzukonimen. Vielleicht gibt die vorliegende Studie,
auch wo sie irrt und mit unzureichenden Mitteln arbeitet, eine
neue Anregung zum genaueren Studium des interessanten
(Tegenstandes. Ich bin mir bewußt, daß eine Untersuchung
wie die hier geführte eigentlich mit sicherem Erfolge nur an
Ort und Stelle unternommen werden kann. Es würde mich
freuen, wenn meine Angaben von solchen, die in der glück-
1) Darin geht Stades Rekonstruktion in seiner Geschichte d. V.
Israel irre; sie löst sich damit von den natürlichen Bedingungen los.
Ähnliches gilt von derjenigen von Spiess a. a. O., der die heutige innere
Terrasse vollkommen ignoriert, ohne sagen zu können, woher sie kommt.
2) Nur Schick und Mommert machen hier eine Ausnahme. Ersterem
verdanken wir für die Topographie das Beste. Leider fehlt beiden der
historische Blick. Vgl. noch Pierotti, Jerus. explored (1864), 87 ff.
2. Der Fels selbst.
13
liehen Lage dazu sind, weiter geführt und, wo sie irren, be-
richtigt würden. Meine Absicht ist mehr, eine Anregung zu
geben als abschließende Ergebnisse vorzulegen.
*" ^. Der heilige Fels ist, von Norden nach Süden gemessen,
an der längsten Stelle etwas über 17 Meter lang und von
Ost nach West an der breitesten Stelle 12 — 13 Meter breit.
14 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Er ragt, wie schon oben angegeben, an der höchsten Stelle etwas
über 1 V2 Meter über den Fußboden des heutigen Felsendomes
empor. Er ist von einem beinahe mannshohen hölzernen Ge-
länder umgeben, durch das der Zutritt zu ihm abgeschnitten
ist. Eine Besichtigung aus unmittelbarer Nähe ist schlecht-
hin ausgeschlossen. Er kann nur durch Hinübersehen über
die Schranken oder durch Durchblicken zwischen ihren ein-
zelnen Stangen oder Leisten in Augenschein genommen werden.
Aber schon der Versuch, sich mit dem Gesicht etwas über den
oberen Rand der Schranke hinüberzubeugen, wird leicht von
den argwöhnischen muslimischen Moscheedienern übel vermerkt,
geschweige daß jemand es unternehmen könnte, ihn zu be-
treten und einzelne Stellen genauer zu besichtigend Den
besten Überblick gewinnt man von den etwas erhabenen
Bodenfliesen des in einiger Entfernung von der Schranke
um den Fels laufenden Säulenumganges; oder auch von der
Holzleiter aus, mit deren Hilfe die zahlreichen Öllampen in
der Höhe bedient werden — ein etwas schmieriger, aber
empfehlenswerter Standort.
Bei der Schwierigkeit der Untersuchung erklärt es sich,
daß schon die Angaben über seine Größe immer noch schwan-
ken. GuTHE in seinem mit Ebees herausgegebenen Pracht-
werke ^ gibt 17,6 X 12,8 m an, während Bädekers Palästina
17,7x13,5 m notiert 3. Hierüber eine Gewißheit zu gewinnen,
hätte wohl relativ die geringste Schwierigkeit, weil sich hier
allenfalls eine Messung ermöglichen ließe. Aber die meisten
weiteren Angaben müssen sich entweder auf die wenigen bis
jetzt in die Öffentlichkeit gedrungenen Abbildungen oder auf
aus größerer oder geringerer Entfernung gewonnene Ein-
drücke, Messungen mit dem Augenmaß u. dgl. stützen.
An photographischen Nachbildungen sind mir bekannt
geworden die mehrfach im Handel befindliche Aufnahme von
der Südseite (Abb. 2), sowie durch die Güte meines Kollegen
1) Vgl. die interessanten Mitteilungen von Schick a. a. 0. S. 9.
2) Palästina in Bild und Wort (0. J.).
3) Auffallenderweise gibt der sonst in diesen Dingen so exakte
Baurat Schick a. a. O. S. 7 (= Stiftsh. 242) nur ungefähr lö m Länge und
1'2 m Breite an, was augenscheinlich zu wenig ist. Als Höhe gibt er
],2.ö— 2 m an.
2. Der Fels selbst.
15
H. GuTHE eine vor Jahren von dem schon mehrfach genannten,
1902 in Jerusalem verstorbenen Baurat Dr. Schick gemachte
Aufnahme von der Nordseite (Abb. 3). Ihr entspricht ein,
jedoch wegen seiner zu schematischen Art minder zuverlässiges
Bild in Holzschnitt in den Quarterly Statements des eng-
lischen Palestine Exploration Fund von 1887, S. 74/75. Außer-
dem habe ich mir selbst an Ort und Stelle während eines
zweimaligen 1—2 stündigen Aufenthalts im Felsendom etliche,
Abb.
Der heilige Fels von Norden gesehen.
jedoch unvollkommene Bleistiftskizzen gemacht, die mir als An-
haltspunkt für das Gedächtnis dienen sollten. Einen Grund-
riß des Felsen findet man in Quart. Statem. a. a. 0. und,
ziemlich verschieden hievon in de Yggüe, Le Temple de Jerusa-
lem (^1S64). PI. XVIII. In Anlehnung an sie und meine eigenen
Beobachtungen und Skizzen ist Abb. 4 entstanden. Auch diese
Zeichnung wird mehrfach der Berichtigung offen stehen. Es
kann mich nur freuen, wenn sie bald zu Verbesserungen An-
laß gibt '. Immerhin hoffe ich, sie werde für den Zweck, den
1) Es ist bei den besonderen Schwierigkeiten, welche das Studium
des Felsen an Ort und Stelle gewährt, nicht wohl möglich, ans ein-
16 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
ich hier verfolge, dienlich erfunden werden. Im Unterschied
von Abb. 4 und zu ihrer Ergänzung gibt Abb. 5 ein Profil
des Felsen, von der Nordseite gesehen. Es ist von mir
skizziert, um einen Eindruck von der Höhe und dem An-
steigen und Abfallen des Felsen zu gewinnen. Es ist mög-
lich, daß es zu schematisch ausgefallen ist, immerhin wird es
eine Anschauung geben. Es mag etwa einem Querschnitt beim
Punkte W von Abb. 4 oder wenig nördlich von ihm ent-
sprechen, demnach ist die Länge schätzungsweise auf 11 in
angesetzt. Die punktierten Linien innerhalb des Querschnitts
bezeichnen den Lauf des Ganges und den östlichen Aufstieg.
Übersieht man nun den Fels von irgend einem etwas
erhabenen Standorte aus, so fällt sofort eine überaus wichtige
Tatsache dem Beschauer ins Auge, und zwar mit unverkenn-
barer Deutlichkeit, die nämlich, daß hier in der Hauptsache
der reine und vollkommen unverfälschte, auf weite Strecken
entweder von Menschenhand unberührte oder jedenfalls von
ihr nicht beeinflußte Naturfels vor uns liegt. Die mächtig
große von Süd nach Nord vor uns sich ausdehnende Ober-
fläche des Felsen trägt ganz und gar das Gepräge der zahl-
losen palästinischen Kalkfelsen an sich: rissig und schrundig
durch starke Verwitterung oder natürliche Unebenheit, voll
kräftiger Einschnitte und Zerklüftung trägt dieser Fels durch-
aus den Charakter des Naturfelsen wie er immer war, seit
eines Menschen Fuß ihn erstmals betreten hat. Das ist.
etliche gleich zu erwähnende Ausnahmen abgerechnet, der
Gesamteindruck; und er gibt uns die zweifellose Gewißheit,
daß, wenn auch der Fels zu Zeiten durch Menschenhand
überbaut oder durch Schutt total verdeckt gewesen sein mag,
er doch in der Hauptsache immer das geblieben ist, was er
von jeher war, und daß wir also das alte historische Doku-
ment vorhebräischen und hebräischen Opferdienstes im ganzen
zelnen Notizen und Skizzen eine fehlerfreie Abbildung herzustellen.
Eine solche kann aber wenigstens annähernd erreicht werden, wenn be-
reits eine Abbildung wie die hier gebotene vorliegt und von sachkundiger
Hand nun am Orte selbst die dort wahrgenommenen Abweichungen ia
sie eingezeichnet werden. Vielleicht bietet die vorliegende Studie einem
Mitgliede eines der in Jerusalem vorhandenen archäologischen Institute
Anlaß zur Beschäftigung mit dem Gegenstande.
2. Der Fels selbst.
17
unverändert noch heute vor uns sehen. Damit ist wenigstens
eine wichtige Grundlage wissenschaftlicher Untersuchung über
ihn gegeben. Nur an wenigen Stellen ist die ursprüngliche Na-
u
Nord
T
f2i Meter
Abb. 4. Der heilige Fels und seine Altäre. Grundriß.
turbeschaffenheit des Steines durch Menschenhand beeinflußt
worden. Es wird unsere Sache sein zu fragen, woher die
Veränderungen stammen mögen und ob sie eingreifend genug
Kittel , Beiträge. 2
18
Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
sind, um uns die weitere Untersuchung als aussichtslos zu
verbieten.
Als sichere oder wahrscheinliche Eingriffe von Menschen-
hand sind die folgenden zu nennen.
1. Am leichtesten zu erklären sind wohl eine Anzahl
kleinerer Vertiefungen, die sich am Ostrande des Felsen,
besonders, soweit ich beobachten konnte, gegen Süden des-
selben hin, finden. Sie machen durchaus den Eindruck künst-
lich eingegrabener Vertiefungen und finden meist ihre einfache
Erklärung darin, daß die Schranke, die den Fels umgibt, um
E^
^F
l^ugemauertes
^0<^b lOMeter
M'
Abb. 5. Der heilige Fels und seine Altäre. Querschnitt.
ihn vor der Berührung zu schützen, einmal etwas weiter vor-
geschoben war. Die Löcher sehen ganz so aus, als hätten
sie ehemals dazu gedient, senkrechte Pfosten, sei es des G-e-
länders, sei es einer anderen Vorrichtung, aufzunehmen '. Ob
sich außer der genannten Stelle weitere Löcher dieser Art
finden, lasse ich dahingestellt; ich habe solche nicht wahr-
genommen, halte aber die Möglichkeit einer größeren Anzahl
offen 2, Auch bemerke ich ausdrücklich, daß die in Abb. 4
eingezeichneten Löcher nur den Typus einigermaßen deutlich
1) Eine Vermutung s. bei Schick Beit usw. S. 10.
2) Auch Schick, S. 1.ö6 redet nur von solchen am Ostrande.
2. Der Fels selbst. I9
wiederzugeben beanspruchen, hingegen nach Zahl und Lage
vielleicht nicht ganz exakt angegeben sind.
2. Weit schwieriger ist hingegen die Erklärung einiger
anderer kleinerer Vertiefungen. An der Westseite findet sich
eine Anzahl runder Löcher, etwa 5 cm groß und ebenso tief,
die die Fingereindrücke ^ des Engels Gabriel heißen nach der
Sage, daß der Fels Muhammed in den Himmel nachfolgen
wollte, der Engel aber ihn hier kräftig festhielt. Sie stehen
in hohem Ansehen. Ahnlicher Art ist eine Reihe kleiner Ver-
tiefungen an der Südwestecke, die als Fußtapfe des Profeten
Muhammed erklärt werden 2.
Schon diese Deutungen zeigen, daß die Löcher beim Über-
gang des Felsen an die Muselmanen schon vorgefunden wurden.
Es sind Versuche, sie auf Muhammed zu beziehen. Ob sie
künstlich sind oder eine natürliche Ursache haben, läßt sich
nicht ohne weiteres entscheiden. Immerhin ist das erstere
näherliegend, und wir werden sie schon hier in Zusammen-
hang mit den mancherlei Schalen und Rinnen an anderen
Opfersteinen bringen dürfen.
3. In der Nähe der unter 1. genannten Vertiefungen, also
unweit dem Südostende des Felsen, ist längst ein großes,
rundliches Loch wahrgenommen worden (bei E in Abb. 4). Es ist
auf Abb. 2 deutlich sichtbar. Es geht durch den Fels durch
und stellt so die Verbindung her mit einer an dieser Stelle
unter dem Felsen liegenden bezw. in ihn eingehauenen Höhle -l
Ob die letztere künstlich hergestellt ist oder eine natürliche
Grotte darstellt, ist, soweit mir bekannt, noch nicht genauer
1) So Schick S. 9 unten, der von einer Mehrzahl von Löchern redet.
Ich habe nur eines in Erinnerung und lasse die Frage offen. Hingegen
nennt Sch. in der Ecke nur eine Vertiefung.
2) Verschiedene Überlieferungen s. bei Tobler Topogr. v. Jer. I.
S. 531 f. Vgl. ferner unten in der Beilage S. 86 ff.
3) Wie alt dies Loch ist, zeigt der Pilger von Bordeaux 333 (lapis
pertusus); s. unten S. 34. Ich kann der Meinung von Eckardt in
ZDPV XXIX (1906 s S. 79 nicht beipflichten, daß damit die „unterirdischen
Durchlöcherungen" des Felsen gemeint seien. Was heißt das? Doch
wohl die Höhle und etwa der Gang von ihr in die Tiefe. Viel näher
liegt es, an die überirdisch zu Tage tretende Durchlöcherung zudenken;
und daß der Pilger solche Löcher auch bei Zisternen sehen konnte, be-
weist hiegegen nicht, denn der Fels war eben keine Zisterne.
2*
20 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
untersucht. Aber auch wenn sie jetzt vielfach die Spuren
menschlicher Hand zeigt, ist es nicht wahrscheinlich, daß sie
ihr Dasein und nicht etwa bloß gewisse Erweiterungen ihr
verdanke. Denn am Erdboden klingt, wie ebenfalls oft schon
beobachtet ist, die Grotte, wenn stark aufgetreten wird, durch-
aus hohl, auch ist der Boden mit einer runden Marmorplatte
von 1 Meter Durchmesser belegt, so daß die Vermutung durch-
aus gerechtfertigt erscheint, es befinde sich unter dem Boden
der Grotte eine größere Höhle oder ein Schacht ^ Die Grotte
ist durch Treppen von außen her zugänglich. Es wäre er-
wünscht, wenn über die Frage, wie weit sie m ihrem heutigen
Bestände natürlichen Ursprungs, sowie welcher Art eigentlich
ihr stark mit Matten belegter Fußboden sei, jemand sich
gelegentlich äußern wollte. Ich selbst habe leider bei meiner
Anwesenheit hierauf nicht genauer geachtet. Ob das über
der Grotte liegende stattliche Loch im Felsen natürlichen
oder künstlichen Ursprungs ist, läßt sich nicht entscheiden.
Von außen angesehen gewährt es den Eindruck einer natür-
lichen Vertiefung. Doch ist das nicht entscheidend. Da wir
ähnliche Löcher auch sonst finden, sei es als Luftlöcher- für
die Höhlenbewohner, sei es um sonstwie die Verbindung
zwischen der Höhle und der Oberwelt herzustellen, so wird
man doch wohl auch die Annahme künstlichen Ursprungs mit
in Erwägung zu nehmen haben.
4. Ein zweites, erheblich kleineres und allem Anschein
nach ziemlich rundes Loch findet sich fast genau westlich
von dem ebengenannten, etwa in der Mitte zwischen dem
Ost- und Westrandes. Auch von ihm läßt sich in betreff
seiner Entstehung aus der Entfernung absolut nichts sagen.
Außerdem finde ich in meinen an Ort und Stelle nieder-
geschriebenen Notizen an der Westseite eine starke Ver-
tiefung vermerkt, deren Stelle ich aber nicht mehr genau
anzugeben vermag. Auch hier wäre eine Nachprüfung durch
einen länger dort Weilenden erwünscht. Die englische Skizze
1) Vgl. besonders Schick a. a. O. S. 9. Tobler a. a. O. S. 529 f.
2) So deutet Schuhmacher dasjenige von Megiddo; s. unten Abh. II.
3) Die Vertiefung hat nichts zu tun mit dem von Schick S, 8 er-
wähnten sog. Turban des Profeten, einer unterirdischen kleinen Höhlung
(innerhalb der Grotte).
2. Der Fels selbst. 21
gibt nichts derart an; ich vermute fast, es sei der von Westen
her stark in den Fels hereinragende Schatten auf der Photo-
graphie, um den es sich handelt. Doch muß ich bemerken,
daß auf einer zweiten mir zur Verfügung stehenden Photo-
graphie (von Hentschel in Leipzig) das Ganze mehr einer
starken Schrunde im Fels als einer Rinne gleicht K
5. Weiter nördlich hiervon, ziemlich gegen das Nordende
des Felsen hin sieht man auf Abb. 2 zwei weitere starke
Schatten. Der erste ist nach dem Bilde und nach meiner
Beobachtung, soweit ich sie in Erinnerung habe, eine eben-
falls ziemlich unregelmäßige, vielleicht zufällige, vielleicht
aber auch künstliche Vertiefung. Jedenfalls geht es nicht
an, sie, wie in der englischen Skizze geschieht, kurzweg als
einen schönen Kreis einzuzeichnen und als Bassin zu be-
zeichnen. Es ist die Vertiefung auf Abb. 4 rechts von oben (jr.
6. Die auf Abb. 2 ganz am Nordende mit starkem Schatten
von rechts nach links gehende Vertiefung wird wohl nichts
anderes sein als eine im Norden des Felsen sich findende und
augenscheinlich von Menschenhand zu ganz bestimmten Zwecken
eingehauene starke Rinne-. Um sie zu beobachten, muß man
sich an das Nordende selbst stellen. Leider sind die bisher
zugänglichen Photographien alle vom Südende aus aufgenom-
men. Eine Abbildung der Nordseite bieten die Quart. Stateiu.
des engl. Pal. Expl. Fund, aber sie ist wie die Skizzen ebenda
auf S. 75 viel zu schematisch gehalten, um ein ganz vorurteils-
freies Urteil zu ermöglichen. Die einzige mir bekannte Photo-
graphie, die von Norden her aufgenommen ist (Abb. 3), die
des f Baurats Dr. Schick in Jerusalem, ist zwar älteren Da-
tums 3, liefert aber ein wesentlich treueres Bild als die eng-
lische Reproduktion. Leider ist aber auch hier, wohl im
Interesse eines Gesamtüberblicks über den Felsen, vielleicht
auch weil man dem hier in Frage kommenden Punkte weniger
1) Sie ist vielleicht in Abb. 4 zu weit nach Norden geschoben
(bei g): immerhin entspricht es so meinen Notizen.
2) Schick, ßeit usw. S. 7 unten redet von einem „mannshohen
Kanal." Doch ist mir nicht klar, ob er die Kinne selbst damit meint.
3) Der Fels ist, wie man sieht, noch mit dem längst verschwundenen
Baldachin überdeckt; ebenso in der englischen Abbildung. Vgl. über
ihn Schick, Beit usw. S. 13.
22 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Beachtung schenkte, die Rinne nicht ganz deutlich sichtbar.
Immerhin tritt sie in annähernder Klarheit heraus.
Tatsächlich präsentiert sich der heilige Fels vom Norden
her gesehen dem Beschauer so, daß er aufs erste den Ein-
druck bekommt, der Fels sei hier abgeschnitten. Er fällt
plötzlich stark und teilweise fast senkrecht ab und setzt sich
dann noch eine Weile in einer ebenen Platte fort. Doch kann
der Eindruck sehr wohl trügerisch sein. Die Photographie
zeigt uns, wie stark zerklüftet der Absturz tatsächlich ist,
und wer die merkwürdig grotesken Gebilde der palästinischen
Felsen gerade auf diesen Punkt hin Land auf Land ab mit
aufmerksamem Auge verfolgt, wird solche senkrechten Ab-
stürze und Abspaltungen auch am natürlichen Kalkfelsen
reichlich beobachten können.
Kann also hier, wenigstens wenn lediglich der Augen-
schein — unabhängig von der geschichtlichen Wahrscheinlich-
keit — befragt wird, durchaus die Natur allein gewaltet haben,
so steht m. E. die Sache anders bei der vorhin schon er-
wähnten Rinne ^ und dem an sie anschließenden Loche im
Boden des Felsen. Steht man am Nordende in der Nähe der
Mitte desselben, so sieht man — ich glaube mich nicht zu
täuschen — vor sich, ziemlich am Ende des Felsen, im Boden
ein zugemauertes Loch-. In der Richtung zu diesem Loche
hin führt eine breite, tief in den Felsen eingeschnittene Rinne,
die sich innerhalb des Felsen stark nach rechts, also nach
Westen, ausbiegt. Sie macht keineswegs den Eindruck einer
natürlichen Rinne im Felsen, sondern hier scheint absichtlich
einmal von Menschenhand ein tiefer Einschnitt in ihn g^e-
1) S. dazu Schick, Beit usw. S. 7/8.
2) Schon Alb. Aquens. VI 24 schreibt: Cujus in uno latere gradus
collocati ad cava loca descendentes perducunt; alio vero in latere, ut in
veritate referunt, qui rem [tunc (1099)] consideraverunt, ostiolum habet[ur]
lapideum, sed semper signaium. (Recueil IV S. 480). Da die erster-
wähnte Höhle die bekannte im Süden sein wird, so muß wohl hier an eine
nördliche gedacht sein. Es muß also hier schon dieselbe Beobachtung
gemacht sein. Doch s. Schick Beit etc. S. 156. 15, der, wie es scheint, an
die Stelle Balad ed-Dschinne denkt. Ich kann die Stelle des Loches
nicht genau angeben, habe es aber weiter südlich notiert. Wichtig ist
jedenfalls, daß Schick von einem hier mündenden Kanal weiß.
2. Der Fels selbst. 23
graben worden zu sein mit dem bestimmten Zwecke, Flüssig-
keiten, Wasser oder Blut, nach jener Öffnung im Boden ab-
fließen zu lassen. Wir können schon vorläufig erwähnen, daß
nach alten Nachrichten der Schlachtplatz des herodianischen
Tempels im Norden des Altars sich befand, enthalten uns aber,
um den Zusammenhang der über die Gestalt des Felsen re-
ferierenden Darstellung nicht zu unterbrechen, an dieser Stelle
weiterer Folgerungen. Nur soviel sei hier noch bemerkt, daß
der Kaum unmittelbar vor dem Beschauer, der im Norden vor
dem Felsen steht, sich wie ein ebener Vorplatz ansieht, und
daß dahinter, wenn der Beobachter seinen Blick auf den Fels
selbst richtet, dieser sich in sanfter Wölbung von Ost nach
West erhebt, um dann ganz plötzlich auch nach Westen ziem-
lich senkrecht, sogar diesmal in zwei etwas ungleichen Absätzen,
abzufallen (s. Abb. 5).
7. Damit sind wir von selbst wieder an die Westseite geführt.
Wie sie sich von Norden gesehen präsentiert, geht aus dem
eben Gesagten und dem dazu gehörigen Bilde (Abb. 5), hier viel-
leicht in etwas zu kräftiger Wiedergabe, hervor. Dazu ist zu
vergleichen Abb. 4. Der Fels bildet hier im Westen zweimal
nahezu eine gerade Linie. Er ist am Westrande wie ab-
geschnitten. Er steigt hier etwa 80 cm fast senkrecht an, geht
dann wagerecht ein gutes Stück nach Osten, um darauf aber-
mals fast senkrecht etwa 80 cm anzusteigen. Dazwischen am
Übergang von der ersten großen Stufe zur zweiten sieht man
deutlich etwas wie kleinere Stufen.
Hier ist augenscheinlich abermals die Menschenhand tätig
gewesen. Vergegenwärtigt man sich das Gesamtbild des
Felsen, so hat man zunächst ohne jede Schwierigkeit den un-
mittelbaren Eindruck, der Fels werde auch hier einmal eine
mehr runde oder irgendwie unregelmäßige Gestalt besessen
haben. Ich habe wohl in Erinnerung, was ich vorhin selbst
über die oft höchst befremdliche natürliche Gestalt palästi-
nischer Felsen gesagt habe. Trotzdem ist jener Eindruck
hier so stark, daß man nur schwer seiner Herr wird. Es
kommt dazu das Aufsteigen in zwei fast gleichen Stufen, na-
türlich wieder mit mannigfacher Zerklüftung und Unregel-
mäßigkeit im einzelnen, aber doch in so auffallender Form,
daß sie zu denken gibt; sowie endlich die kleinen Zwischen-
24 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
stufen, SO daß man nicht wird iiraliin können, in dieser Form
ein Werk von Menschenhand zu sehen.
8. Wenden wir uns hinüber nach der Ostseite, so ist hier
etwa in der Mitte eine leichte Vertiefung von stattlicher Größe
im Felsen wahrnehmbar. Es ist mir nicht bekannt, daß sie
schon bemerkt worden wäre, wenigstens ist sie weder auf dem
englischen Bilde vom Felsen eingezeichnet, noch finde ich sie
irgendwo in der Literatur namhaft gemacht. Aber auch hier
glaube ich mich nicht zu täuschen, obwohl auch diese Sache
noch sehr der näheren Untersuchung bedarf. Der sonst un-
unregelmäßige Ostabfall des Felsen zeigt an einer wohl etliche
Meter breiten Stelle eine glatte, schräg nach oben gehende
Fläche. Sie ist auch auf der Photographie der amerikanischen
Kolonie (Abb. 2) rechter Hand vom Beschauer recht wohl er-
kennbar. Auch diese Vertiefung und Abschrägung kann wohl
nur von Menschenhand stammen, sie ist nichts anderes als ein
schräger Aufgang zum Gipfel des Felsen.
9. Endlich ist noch die Südseite zu erwähnen. Leider be-
sitzen wir hier keinerlei zureichendes Bild. Ich bin also ganz
auf die persönliche Beobachtung und die Skizze in den Quart.
Statem. angewiesen. Der Fels läuft hier zuerst von Osten
nach Westen in etwas abgerundeter Form bis etwa zur Mitte
seiner Breite. Dann weicht er plötzlich in nahezu gerader
Linie nach Norden zurück, um dann nach einiger Zeit eben-
falls wieder nahezu geradlinig nach Westen umzubiegen. Er
bildet somit hier fast genau einen rechten Winkel. Auch hier
möchte man am liebsten an einen Eingriff von Menschenhand
denken, doch läßt sich eine sichere Behauptung hier nicht
wagen.
3. Geschichte des Felsen. Der Islam und die Kreuzfahi*er.
Hiermit wäre denn der heilige Fels nach allen Seiten hin
seiner heutigen Beschaffenheit nach beschrieben, und wir können
somit zu der Beantwortung der weiteren Frage schreiten: was
wir über seine Geschichte wissen. Daß sie reich und viel-
gestaltig sei, mögen wir zum voraus vermuten. Für uns aber
entsteht die Frage, was wir über diesen allgemeinen Eindruck
hinaus etwa Sicheres oder wenigstens einigermaßen Wahr-
3. Geschichte des Felsen. Der Islam und die Kreuzfahrer. 25
scheinliclies über seine Schicksale ermitteln können, vor allem
ob wir imstande sind, seine Geschichte bis in das hebräisch-
israelitische Altertum oder über es hinaus zurückzuverfolgen.
Wir beginnen am zweckmäßigsten unsre Untersuchung derart,
daß wir zunächst rückwärtsschreitend seine Schicksale ver-
folgen.
Es darf hier als bekannt vorausgesetzt werden, daß der
Fels {es-Sac/ira) eines der gefeiertsten Heiligtümer des Islam
ist Eine Menge islamischer Sagen und Legenden knüpfen
sich an ihn. Muhammed selbst soll gesagt haben: „Die erste der
Stellen ist Jerusalem und der erste unter den Felsen ist es-
Sachra" und soll den Fels es-Sachra zu Jerusalem einen
der Felsen des Paradieses genannt haben '. Er soll hier ge-
betet haben und soll ein hier verrichtetes Gebet für kräftiger
erklärt haben als anderswo tausend Gebete. So erklärt es
sich sowohl, daß bald nach der ersten Einnahme Jerusalems
durch die Araber von ihm Besitz ergriffen und ein wichtiges
Heiligtum, der Felsendom, hier errichtet wurde, als auch daß,
nachdem Jerusalem durch Saladin aufs neue in den Besitz des
Islam gelangt war, der alte Stand der Dinge wieder hergestellt
wurde.
In der Hauptsache sehen wir demgemäß den Fels und
den ihn überwölbenden Dom heute noch genau so vor uns,
Avie den Fels Saladin übernommen und wie er den Dom
wiederhergestellt hat. Was von Veränderungen vorgenommen
wurde, ist durchaus unwesentlich — jedenfalls, soweit es sich
um den Fels und seine unmittelbare Umgebung handelt.
So fand ihn noch Tobler (a. a. 0. S. 527), wie es scheint, mit
rotem Atlas bedeckt. Auch redet er S. 528 von einem über dem
Felsen hängenden veralteten Traghimmel von karmoisinroter
Seide. Damit mag wohl der auch noch auf unserm von Schick
aufgenommenen Bilde sichtbare Baldachin gemeint sein, der
bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts blieb-.
Die letzte größere Veränderung — wenn wir, was Saladin
1) S. bei Robinson Paläst. II 87.
2) S. z. ß. noch Bädeker, Paläst.2 (18S0), S. 51. Die bei Tobler
Topographie v. Jerusalem I (1853) 528 Anm. 2 erwähnte „Kanzel" kann
aber nicht wohl über dem Felsen selbst gestanden haben. Hier muß ein
Irrtum vorliegen.
26 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
tat, lediglich als die Herstellung des status quo ansehen —
scheint mit dem Felsen vor sich gegangen zu sein, als die
Kreuzfahrer Besitz von dem Tempelplatz und dem Felsendom
ergriifen hatten.
Jerusalem war im Jahre 1099 erobert worden. Der Haram
als befestigter Platz und zugleich als heilige Stätte hatte eine
große Zahl der Einwohner angezogen; man hoffte hier Schutz
zu finden. Freilich war die Hoffnung eitel. Tankred soll mit
den Seinen die furchtbarsten Greuel unter ihnen verübt haben.
Die Kreuzfahrer scheinen im Blute der Erschlagenen förmlich
gewatet zu sein^
Natürlich ging man sofort, nachdem die Stadt und der
Haram in den Besitz der Christen übergegangen und der
heilige Platz von Leichen und Unrat gereinigt war, dazu über,
den letzteren wieder dem christlichen Gottesdienst zugänglich
zu machen. Der Felsendom wurde unter dem Namen -Templum
Domini in eine christliche Kirche umgewandelt. Den Fels
selbst ließ man zunächst unberührt. Er scheint frei dagelegen
zu haben, so wie er heute wieder und seit Jahrhunderten liegt
und wie er auch vor der Eroberung Jerusalems durch die
Kreuzfahrer aller Wahrscheinlichkeit nach lag. Erst 15 Jahre
nach der Eroberung „deckte den bisher nackt und offen ge-
bliebenen Felsen der Tempelvorsteher mit weißem Marmor
und baute darüber einen prächtigen Altar, an welchem der
Klerus den Gottesdienst tat-. Man klagte jedoch bitterlich
auf mohammedanischer Seite, daß die Christen sich zu dem
Ende am heiligen Felsen vergriffen, nämlich daß sie einen
Teil davon abschlugen; ein Stück soll nach Konstantin opel,
ein anderes in die Gegend der Slaven (Russen) verschleppt
und hier mit dem gleichen Gewichte an Gold auf gewinn-
süchtige Weise verkauft worden sein 3." So wenigstens be-
1) Vgl. WiLH. V. Tykus VIII, 20. Raimond de Aguilers: Tantum
[hoc dixissej sufficiat, quod in templo et porticu Salomonis equitabatur
in sanguine usque ad genua et usque ad frenos equoruui. Hist. Fran-
corum (Recueil III, 300).
2) WiLH. V. Tyrüs VIII, 3 (seine Worte s. in der Beilage am Schluß
dieser Abhandlung). Eeinaud, Extr. des Historiens Arabes 1829, S. 217.
3) ToBLER I 539 mit Berufung auf Schihäb ed-Din (Bibliogr. des
Croisades par Michaud II, 1502) und KemIl ed-Din 249 f. 255.
3. Geschichte des Felsen. Der Islam und die Kreuzfahrer. 27
richtet Tobler, dem die meisten Darsteller gefolgt sind. Erst
als Saladin Jerusalem wieder in Besitz nahm, wurden alle von
den Kreuzfahrern herrührenden Neuerungen wieder entfernt
und der Fels wieder bloßgelegt.
Daß der Fels mit Marmorplatten belegt und ein Altar
über ihm errichtet wurde, bi-auchte selbstverständlich seine
Gestalt nicht zu verändern. Für das Auflegen der Platten
konnte es wohl ausreichen, wenn man sie da, wo der Fels
sich neigte, durch eine leichte Stein- oder eine solide Holz-
unterlage stützte, um eine ebene Fläche herzustellen. Eine
andere Frage ist natürlich, wie es sich mit den von Tobler
erwähnten Beschädigungen verhält. Es mag hier gleich Er-
wähnung finden, daß der Hergang sich in einigen neueren
Darstellungen — sie gehen, soviel ich sehe, auf Socin in Bä-
dekers Palästina ' zurück — so abgespielt haben soll, daß die
Kreuzfahrer Stufen in den Fels gehauen hätten, um auf
ihnen den Altar zu besteigen 2.
Auf welche Nachrichten diese letztere Notiz sich stützt,
vermag ich nicht zu sagen. In den von Tobler angeführten
Quellen findet sie sich nicht. Auch sonst nirgends ist mir
ein Beleg für sie aufgestoßen^. Die Vermutung ist deshalb
nicht ausgeschlossen, daß sie aus der Wahrnehmung, daß sich
Stufen am Fels finden, in freier Kombination mit der Mit-
teilung, daß die Kreuzfahrer einen Altar auf dem Felsen er-
richteten, stammt. Ob sie innerlich wahrscheinlich ist, bleibt
die Frage.
1) 2. Aufl. 1880, S. 51: „In der Mitte auf dem heiligen Stein stand
der Altar; die Oberfläche des Felsen war mit Marmor gepflastert und
ein(! Anzahl Stufen in den Felsen gehauen, die zu dem Altar hin-
aufführten; deutliche Spuren davon sind noch sichtbar" ... 6. Aufl.
1896, S. 50: „Die Kreuzfahrer hatten auf dem Fels einen Altar auf-
gestellt und ihn durch Stufen zugänglich gemacht, wovon
Spuren sichtbar sind."
2) Wesentlich zurückhaltender äußert sich Eeinh. Röhricht, Gesch.
d. Königr. Jerus. 1898 S. 464: „Die Christen hatten den hl. Stein ....
mit Marmorgetäfel überdeckt, weil die Pilger Stücke von dem Stein ab-
zuschlagen pflegten, darüber einen Altar erbaut und diesen mit einer
reich vergoldeten Säulenkuppel überwölbt, die Saladin aber entfernen
ließ, so daß der Stein wieder freilag". Unter den schweinartigen Tieren
vermutet E.. eine Darstellung des Gotteslammes.
3) Siehe darüber sowie über die ganze Frage die Beilage.
28 Kittel, Studien. 1. Der heilige Fels.
Die Tatsache kleiner Stufen besteht, wie oben dargelegt.
Aber es ist mir mehr als fraglich, ob sie auf die Kreuzfalirer
zurückgehen. Wer die Stufen sieht, wird auch sofort erkennen,
daß sie nicht zum Besteigen des Altars dienen können. Um
solche Stufen aber müßte es sich bei der oben zitierten An-
schauung handeln. Wie Stufen, die dazu dienen sollten, den
Altar zu besteigen, auszusehen hatten, kann man sich leicht
vorstellen; wie sie bei Felsenaltäreu tatsächlich aussahen,
kann man z. ß. am großen Altar von ßa'albek oder dem
von Petra (Abb. 26 — 29) ersehen. Es ist eine ganz andere
Frage, welchem Zweck die zwei großen senkrechten Ab-
stufungen am hl. Felsen des Haram und die zwischen ihnen
zutage tretenden zwei kleinen Stufen einmal gedient haben
mögen, aber wer auf ihnen, da die großen je etwa 80 cm hoch
sein mögen, den Fels besteigen wollte, hätte kein leichtes
Stück Arbeit. Ich bemerke, daß auch Schick ^ von Stufen
nichts erwähnt, wohl aber der Meinung ist, es mögen damals
die viereckigen kleinen Löcher an der Ostseite entstanden sein,
etwa zur Aufnahme von Stützen oder Balkenköpfen. Doch
können sie, meint er, zum Teil auch schon früher, etwa bei
der Herstellung der Jupitercella entstanden sein.
Natürlich müssen die Kreuzfahrer, wenn auf dem Felsen
ein Altar stand, Stufen angebracht haben, um ihn zu besteigen,
oder sie müßten einen Aufgang anderer Art, der auf die Höhe
des Felsen führte, hergestellt haben. Einen solchen haben
wir oben ebenfalls kennen gelernt; daß er aus der Kreuzfahrer-
zeit stamme, ist aber durch nichts angedeutet, auch nicht ge-
rade wahrscheinlich. Es wird sich also empfehlen, anzu-
nehmen, daß die Stufen aus Holz oder Stein über dem Felsen
angebracht waren und daß sie an dem eigentlichen Bestände
des Felsen nichts änderten 2.
Somit bleibt uns nur übrig, zu fragen, welcher Art jene
Beschädigungen des Felsen waren, über die man auf selten
der Moslem klagte. Bei der hohen Verehrung, die auch die
Christen diesen heiligen Stätten zollten ■', halte ich es fast für
ausgeschlossen, daß man bei der Herstellung jenes Altars mit
1) Beit el Makdas (1887) 156.
2) S. unten S. 30 Anm. 4.
3) S. den Nachweis gegen Ende der Beilage.
3. Geschichte des Felsen. Der Islam uud die Kreuzfahrer. 99
Eingriffen in den Bestand des heiligen Felsen über das ab-
solut Notwendige hinausging. Ein Bedürfnis dazu war aber
vermutlicli gar nicht oder nur in ganz geringem Maße vor-
handen. Im Gegenteil möchte man fast vermuten, es sei den
Bauleuten der Befehl erteilt worden, mit dem heiligen Felsen
schonend zu verfahren. Es wird sich also, wie auch die
Klage über den Verkauf der Stücke beweist, lediglich um
vereinzelte böswillige oder gewinnsüchtige Beschädigungen
handeln, die von Bauleuten, welche an der Herstellung des
Altars beteiligt waren, oder auch von abergläubischen Pilgern
ausgingen. In diesem Falle brauchen wir aber gar nicht be-
sonders nach der Stelle zu suchen: es können da und dort
kleine Stücke abgeschlagen worden sein, vor allem an der
Nordseite, wo der Stein große Unregelmäßigkeit zeigt.
Hingegen scheint es nicht wahrscheinlich, daß die Gestalt
des Felsen durch die Kreuzfahrer irgendwie erheblich ver-
ändert worden wäre. Vor allem ist kaum anzunehmen, daß
einer der starken Einschnitte, die vermutlich von Menschen-
hand herrühren, von ihnen stamme und mit der Errichtung
jenes Altars zusammenhänge. Weder der Einschnitt am
Nordende noch die Herstellung der nahezu geraden Linie an
der ganzen Westseite, noch die scharfe Ecke im Süden mögen
davon herstammen. Es gibt für mehrere dieser Vermutungen
keinen gerade zwingenden Beweis; aber da gar kein Grund
vorliegt, gerade diese Eingriffe den Kreuzfahrern zuzuschreiben,
auch jene Klagen über das Verhalten der letzteren überhaupt
am besten mit einer gewissen Vorsicht aufzunehmen sind, so
darf man immerhin sagen, es sei der gegen die Kreuzfahrer
geäußerte Vorwurf höchst wahrscheinlich auf ein ganz be-
scheidenes Maß zurückzuführen.
Es kommt dazu, daß wir, wenigstens was die große,
höchst wahrscheinlich künstliche Verkleinerung des Felsen an
seiner Westseite anlangt, doch ein starkes Zeugnis für die
Unschuld der Kreuzfahrer besitzen. So wahrscheinlich es ist,
daß der ganze Fels einmal auch hier eine gewisse Rundung
besaß, hier also zu irgendeiner Zeit ein stattliches Stück von
ihm abgeschnitten worden ist, so wenig spricht dafür, daß ge-
rade die Kreuzfahrer diesen Eingriff vornahmen. Unter den
vielerlei und stark auseinander gehenden Nachrichten von
30 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Christen und Arabern über die Größe des Felsen ragt eine
durch innere Glaubwürdigkeit deshalb in auffallender Weise
über die andern empor, weil sie merkwürdig richtig ist. Es
ist dies Ibn al Fakih, 903 n. Chr. (290 der Hidschra). Wäh-
rend die andern Beobachter vielfach ganz offenbar falsche
Angaben machen nach willkürlicher Schätzung oder aus einer
längst verblaßten Erinnerung, hat dieser Beobachter augen-
scheinlich gemessen. Er gibt die Größe des Felsen auf
34 Ellen Länge und 27 Ellen Breite an^ Nun kennen wir
die Länge der arabischen Elle jener Zeit nicht genau, obwohl
sie nicht allzuviel von der biblischen abgewichen sein wird"-.
Wenn aber derselbe Schriftsteller dem Felsendom 100 Ellen
Länge und Breite zumißt und wir wissen, daß er 50 m in
jeder Eichtung mißt, so sehen wir daraus, daß er die Elle
(pK<3) auf ziemlich genau V2 ^i ansetzt. Das ergibt für den
Felsen etwa 17 x 13,5, eine Angabe, die wir auch heute kaum
genauer machen können. Hatte der Fels bereits im Jahre
903, also vor dem Eindringen der Kreuzfahrer, dieselben Di-
mensionen wie heute, so kann er also durch den Altarbau der
Christen nicht irgendwie erheblich 3, jedenfalls nicht durch
Abschneiden der Westseite verändert worden sein.
Wir können somit die Kreuzfahrerperiode verlassen mit
dem Bewußtsein, daß aus ihr der Fels in der Hauptsache
ebenso hervorging, wie er in sie eintrat^. Saladin hat ihn,
1) Vgl. Guy le Stkange in Quat. Statem. 1887, S. 94.
2) Die Plattform gibt Ibn al Fakih auf 300 X 140 an, was augen-
scheinlich irrig ist. Hier scheint er sich also zu sehr auf sein Auge oder
sein Gedächtnis verlassen zu haben. Über die arab. Elle vgl. z. B. JRAS
(N. Ser.) XIX 269 Anm. 5.
3) Vgl. die nächste Anmerkung.
4) Vgl. schon ToBLER 545 nach Kemäl ed-Dix „Der Sultan gebot,
daß . . . der Überzug von Marmor weggenommen und das Gehäuse in
Stücken abgebrochen werde ... So wurde der Fels wieder her-
gestellt wie er in alter Zeit gewesen war." Schon daraus geht
hervor, daß der Altar einfach über den Fels gebaut war und so ab-
genommen werden konnte, daß der Fels seine alte Gestalt wiedererlangte. Be-
sonders aber s. 'Imad ed-Din, Mudschir ed-Din und Abu Schäma (Schihäb
ed-Dln) in der Beilage. Auch Alb. Aquexs, VI 25 (Eec. IV. 480 f.) sagt :
Hoc itaque vas et promunctoriolum, quod in medio Tempil prominere
praediximus, intactum a Tancredo permansit; quin Turci omne
3. Geschichte des Felsen. Der Islam und die Kreuzfahrer. 31
•wie bereits erwähnt, nach der Eroberung Jerusalems durch
ihn sorgfältig wieder abräumen lassen, und so, wie er den
Felsen hergestellt hat, ist er bis heute geblieben.
Wie aber sah er vor dieser Zeit aus? Daß 'Abd el
Malik, der Erbauer des Felsendoms, ebenso 'Omar, der von
Jerusalem Besitz ergrift, am Felsen keine seinen Bestand
ändernden Eingrifie vornahmen, darf zum voraus als selbst-
verständlich gelten. Ihnen galt er von Anfang an als das
durch den Profeten geweihte Heiligtum. Immerhin haben wir
die Berichte zu hören.
Als 'Omar 637 Jerusalem in Besitz nahm, war es für ihn
selbstverständlich, daß er hier eine muslimische Anbetungs-
stätte 'errichtete. Er wurde von selbst auf den durch Muham-
med geheiligten Haramplatz gewiesen. Er wird nach Eu-
TYCHius 1 (f 940) dorthin geführt und es wird ihm der hl. Fels
gezeigt, „der in der Mitte des Erdkreises ist und ein Tempel
der Kinder Israel war", und wird ihm gesagt: „Als die Römer
Christen geworden waren (gemeint ist unter Konstantin), war
der Ort des Felsen und seine Umgebung wüst und wurde so
gelassen; man hatte auf den Fels Erde geworfen, so daß
auf ihm ein großer Schutthaufen entstanden war. Die Römer
ließen ihn so; sie verehrten ihn nicht wie die Juden; sie hatten
über ihm keine Kirche erbaut wegen des Wortes des Herrn
Christus (Matth. 23, 30. 24, 2) Der Patriarch Sophronius
faßte 'Omar bei der Hand und stellte ihn auf den Kehricht-
haufen, 'Omar aber nahm den Zipfel seines Kleides und füllte
ihn mit dem Schutt" . . . Die Muslimen folgten seinem Beispiel,
„bis sie den Platz gereinigt und geklärt und der Fels sicht-
bar geworden war".
Ähnlich erzählt ein muslimischer Autor 'Ulaimi^. 'Omar,
auf dem Haram und beim hl. Felsen angelangt, bricht in die
Worte aus: „Gott ist groß! Das ist bei dem, in dessen Hand
meine Seele ist, der Betört Davids, von dem uns der Prof et
erzählt hat, daß er zu ihm nächtlich gekommen!" Er fand
devotione id venerantes, utrumque inviolatum reservabant. — Das ist
vielleicht in apologetischem Interesse gesprochen, wird aber nach den
vorhergehenden Zeugnissen doch richtig sein.
1) S. dazu Gildemeister in ZDPV XIII (1890), S. 4 f.
2) Ebenda S. 8.
32' Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
auf dem Felsen vielen Kehricht, welchen die Byzantiner aus
Haß gegen die Juden hingeworfen hatten. Dann breitete er
sein Obergewand aus und fing an, diesen Schmutz wegzufegen
und die Muslime taten das gleiche*.
Gildemeister hat diese und verwandte Äußerungen ara-
bischer und christlicher Autoren auf ihre Glaubwürdigkeit
untersucht und kommt zu dem Ergebnis, daß die Bedeckung
mit Schutt an die Verdeckung des Grabes Christi durch einen
Misthaufen erinnere und „zum Kostüm" gehöre, findet aber
doch den historischen Kern, der unzweifelhaft feststehe, darin,
daß die Tempelarea von 'Omar unbebaut vorgefunden wurde,
weil eine religiöse Scheu jede Art von Bebauung hinderte.
Das gilt natürlich auch für den Fels, und es ist meines Er-
achtens das Mindeste, was angenommen werden muß.
'Abd el-Malik (685 — 705) hat dann bekanntlich den Felsen-
dom errichtet, von dem er sagt^: Dieser Betört (in Jerusalem)
„wird euch die Stelle des Betorts des Haram (in Mekka) ver-
treten, und dieser Fels, von dem überliefert wird, daß der
Gesandte Gottes seinen Fuß auf ihn gesetzt, als er zum
Himmel aufstieg, wird euch die Ka'ba ersetzen". Da baute
er, fährt der Erzähler — al Jakübi — fort, über dem Fels
eine Kubba, hing an sie Vorhänge von Brokat, setzte Tür-
hüter [wie in Mekka] für sie ein und hielt das Volk an, Pro-
zessionen um ihn anzustellen, wie um die Ka'ba.
Aus alledem ist jedenfalls soviel zu entnehmen, einmal
daß die in Jerusalem eindringenden Vertreter des Islam und
ihre Nachfolger den Fels auf dem Gipfel des Haram bereits
als ein Heiligtum vorfanden, das ihnen unantastbar schien
und daruui auch von ihnen nicht angetastet wurde, sodann
daß dementsprechend auch bei der Errichtung des Felsen-
domes durch 'Abd el-Malik gewiß alle erdenkliche Rücksicht
auf die Heiligkeit des Felsen genommen worden ist, so daß
eine Verkürzung oder Beschädigung desselben bei dieser Ge-
legenheit ausgeschlossen scheint.
Unser Ergebnis wäre somit bis hierher, daß der heilige
Fels zur Zeit des Eindringens des Islam, also am Ende der
1) Seinen Betört selbst hat 'Omar nicht auf dem Fels errichtet, son-
dern weiter südlich. Doch berührt uns diese Angelegenheit hier nicht,
2) Vgl. ZDPV Xni (1890), S. 10.
4. FortsetzuDg. Der Fels von Titus bis Justinian. 33
griechisch-byzantinischen Periode Jerusalems, im wesentlichen
durchaus dieselbe Gestalt hatte, die er heute zeigt. Welches
sind seine Schicksale in der griechischen und römischen Zeit
bis zu Titus herauf gewesen?
4. Fortsetzung. Der Fels von Titus bis Justinian.
Zuvörderst ist daran zu erinnern, daß wir oben fest-
gestellt haben, der Fels sei zur Zeit 'Omars unbebaut vor-
gefunden worden. Außerdem ist in jener Zeit mehrfach von
den Ruinen des Tempels die Rede^ Auch wird uns mit-
geteilt, daß den Christen die Stätte des Tempels zwar als
eine Stätte göttlichen Zorngerichtes erschien, die sie mit Scheu
erfüllte und die zu bebauen sie nicht wagten, daß der Fels
aber ihnen nicht als heiliger Ort im besondern Sinne galt,
daher auch für sie kein spezifisches Interesse in Anspruch
nahm. Das läßt uns erwarten, daß von Seiten der Christen-
heit, solange sie im Besitze Jerusalems war, nichts gegen den
überkommenen Bestand des Felsen unternommen worden sein
werde. Sind Versuche seiner Zerstörung oder Umgestaltung
gemacht worden, so mögen sie von heidnischer Seite aus-
gegangen sein. Es wird sich weiterhin zeigen, daß derselbe
Satz auch für die letzte vorchristliche Zeit den Juden und
Heiden gegenüber Geltung hat.
Die Zerstörung des Tempels durch Titus ist, wie wir
wissen, aufs gründlichste vollzogen worden. Aber daß sie sich
auf die Zerstörung oder Schädigung des hl. Felsen ausgedehnt
habe, ist nirgends erwähnt, auch gar nicht wahrscheinlich.
Man hatte Arbeit genug, die Gebäude zu vernichten und ab-
zutragen, auch den stattlichen Altar dem Boden gleichzu-
machen, so daß man sich schwerlich große Mühe gab, auch
das natürliche Fundament, das ohnehin seine spezifische
Heiligkeit längst eingebüßt hatte, noch zu zerbrechen. Soweit
der Fels etwa durch herabfallende Steine des darüberstehen-
1) Antonin. Martyr de locis sanct. XXIII: Ante ruinas iempli Salo-
monis sub platea aqua decurrit ad fontem Siloam secus porticum Salo-
nonis (Societe pour la public, de textes . , de l'Orient Latin, Itinera
Latina I 1879, S. 104). Ebenso vorher schon der Pilger von Bordeaux
und EucHERiüs; s. ZDPV XI (1888) 204.
Kittel, Beiträge. 3
34 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
den Altars Not leiden konnte, hat man ihn sicher vor diesem
Schicksal nicht geflissentlich behütet; aber man wird auch
nicht absichtlich weitergegangen sein. Dadurch ist aber sein
Gesamtbild ohne Zweifel nicht verändert worden. Ander-
seits mögen gerade die herabgefallenen und vermutlich ein-
fach liegen gebliebenen Altarsteine ein natürlicher Schutz vor
zufälliger oder mutwilliger weiterer Beschädigung gewesen sein.
Die Stadt scheint in der Hauptsache wüste gelegen zu
haben bis auf Hadrian. Jedenfalls gilt das vom Tempel-
platze. Es ist wahrscheinlich, daß gerade der von Hadrian
unternommene Versuch des Wiederaufbaus der Stadt, und zwar
als heidnischer Stadt mit einem Tempel des Jupiter an der
Stelle des Jahwetempels, zum Aufstand geführt hat ^ Jeden-
falls bricht ein solcher aus, und nachdem er niederge-
schlagen ist, und zwar nach langen und blutigen Kämpfen,
wird im Jahr 136, zum Zeichen der endgültigen Unter-
werfung der Juden und der unwiderruflichen Beendigung
des jüdischen Religionswesens in der alten Hauptstadt, der
neuen, auf der Stätte des einstigen Jerusalem gegründeten
Kolonie der Name Aelia Capitolina (nach dem Vornamen des
Kaisers, Aelius, und zu Ehren des Jupiter Capitolinus) ge-
geben. Demgemäß erhält die Stätte des alten Tempels einen
Tempel dieses Gottes mit Bildsäule. Auch ein Eeiterstandbild
des Hadrian soll hier aufgestellt worden sein, das bis in die
Tage des Hieronymus da geblieben zu sein scheint'^. Dem-
gemäß redet auch das Itinerar. Hieros. des Pilgers von
Bordeaux (333) von den Statuen, die unweit des „lapis per-
tusus" stehen l Hingegen ist die Nachricht, daß Hadrian den
1) Dio Cassius LXIX, 12.
2) Dio Cassius LXIX, 12. Euseb. Hist. eccl. IV, 6. Hieron. Com-
ment. in Esai. 2 9: ubi quondam erat templum et religio Dei, ibi Ha-
driani statua et Jovis idohim collocatum est; in Matth. 21 i5: de
Hadriani equestri statua, quae in ipso Saucto Sanctorum loco usque in
praesentem diem stetit (bei Valiarsi IV, 37 u, VIT, 194 f.)
3) Et in aede ipsa, ubi templum fuit, quem Salomon aedificavit
(Zur aedes s. Eckardt in ZDPV XXIX [1900] 72 flf. Es ist der Hadrians-
tempel) . . . Sunt ibi et statuae duae Adriaui; est et non longe de statuis
lapis pertusus, ad quem veniunt Judaei singulis annis et iingueut eum
et lamentant se cum genitu . . . Die „statuae duae Hadriani" brauchen
nicht zwei Hadrianssiidwen zu sein.
4. Fortsetzung. Der Fels von Titus bis Justinian. 35
Pflug Über die Stätte des alten Tempels geführt habe, wenig
glaubhaft K
Demnach hat Hadrian höchst wahrscheinlich nicht den
Fels selbst überbaut. Es läge ja an sich durchaus nahe,
zu denken, daß er den Altar an die Stelle des alten Altars
versetzt hätte; hätten wir keine das Gegenteil besagende
Nachricht, so müßten wir jene Annahme auch als die nächst-
liegende vorziehen. Aber nicht nur redet Hieronymus ganz
bestimmt vom Aller heiligsten, nicht vom Altarplatze, sondern
der Pilger von Bordeaux schließt den Altarplatz geradezu
aus, indem er die Statuen „in die Nähe des Felsen" — dem-
nach nicht auf ihn selbst — verlegt. Es liegt das auch in
der Natur der Sache. So wichtig der Altar für den jüdischen
Kultus ist, seinen Mittelpunkt bildet er je länger, je weniger
gegenüber der immer mehr überhand nehmenden mystischen
Heiligkeit des Allerheiligsten. Wollte Hadrian den jüdischen
Gottesdienst beschimpfen, so traf er ihn viel empfindlicher
durch Entweihung des Allerheiligsten, als durch die des
Altars -.
Stand aber der Altar Hadrians und die zugehörigen Bild-
säulen gar nicht auf dem heiigen Felsen, so liegt natürlich
auch keine Veranlassung vor, anzunehmen, daß der Fels durch
die Bauten Hadrians auf dem Haram in Mitleidenschaft ge-
zogen worden sei. Es bleibt dies natürlich immer möglich;
es ist nicht unwahrscheinlich, daß man wenigstens einen Teil
des Schuttes, der von Titus her noch auf dem Felsen liegen
mochte, abräumte. So nahe der neuen Kultusstätte mochte
wohl das Bild der alten Zerstörung beseitigt worden sein^
Es ist auch keineswegs ausgeschlossen, daß man jetzt, wo es
sich darum handelte, den Juden Schmach anzutun, auch am
1) S. darüber Robins. II 2U3/4.
2) Die spätere Verehrung des Felsen durch die Juden, wie sie z. B.
der Pilger von Bordeaux beschreibt, beweist hiegegen nicht: er war für
sie der einzige noch gebliebene sichtbare Teil des alten Tempels. — Zum
Ganzen vgl. bes. Rosen, Das Haram v. Jerus. (1866) S. 55 — 62, auch
ScHÜREE Gesch.3 I, 698 ff.
3) Doch ist auch das nicht sicher. Nach Hieron. ep. crit ad Dar-
dan. 17, bei Vallarsi I 974 f., (post eversionem templi paulo minus per
quadringentos annos et nrbis et templi ruinae permanent) scheinen noch
im 5. Jahrh. die Ruinen dagelegen zu haben.
3*
36 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Felsen, von dem man immerhin wissen konnte, daß er den
Juden viel galt, Mutwillen übte, aber einen irgendwie greif-
baren Anhalt haben wir dafür nicht.
Über die Zeit zwischen Hadrian und Konstantin sind wir
ohne Nachricht. Es ist zu vermuten, daß der Altar Hadrians
fiel, als unter Konstantin das Christentum in Jerusalem zur
Anerkennung kam K Nur des Kaisers eignes Standbild scheint
man noch lange geschont zu haben 2. Der Altar selbst aber
scheint gefallen zu sein. Denn der Pilger von Bordeaux sah
333 an der Stelle des salomonischen Tempels ^ ein anderes
Gebäude, das eine christliche Reliquie beherbergte^.
Bis auf Konstantin scheint die Kolonie Aelia ein be-
scheidenes Dasein geführt zu haben, allmählich zahlreicher
von christlichen Pilgern besucht, im übrigen aber ohne Be-
deutung. Auch der Tempelberg und mit ihm der heilige Fels
werden an der allgemeinen Ruhe und Abgeschiedenheit, in
der Jerusalem sich befand, teilgenommen haben. Mit dem
allgemeinen Umschwung der Dinge unter Konstantin, zugleich
mit dem erhabenen Beispiel der Mutter des Kaisers, tritt
natürlich auch für Jerusalem und seine Stätten ein Um-
schwung ein. Sie treten jetzt in den Mittelpunkt des Inter-
esses. Aber unter dem Schutze des christlichen Kaisertums
sind sie selbst vor Entweihung geschützt. Mit Ausnahme
der kurzen Zeit des Julian, über die bereits oben S. 2 ge-
handelt ist, ist eine solche von jetzt an zum voraus aus-
geschlossen, tatsächlich ist sie es auch für die Zeit dieses
Kaisers.
Sollten also nunmehr Dinge mit dem Felsen vorgenommen
worden sein, die ihm ein anderes Aussehen gaben, so wäre
1) SULP. SEVER., Hist. sacr. II, 33: Helena .. cum Hierosolymam agnos-
cere concupisset, reperta ibi idola ac templa protrivit. (Corp. Scr Eccl.
Lat. I, 87). Doch ist zu erwähnen, daß der Pilger von Bordeaux .333 sie
noch sah, während Helena 327 oder 328 gestorben ist. Die Nachricht
scheint also in dieser Form zweifelhaft.
2) S. oben S 34, Anm. 2.
3) Et in aede ipsa, ubi templum fuit, quod Salomon aediticavit, in
marmorem ante aram sanguinem Zachariae ibi dicas hodie fusura.
4) Dasselbe stand schwerlich an derselben Stelle, der des Alier-
heiligsten — sie scheute man sich zu überbauen, s. oben S. 81 — , wohl
aber auf dem Tempelplatz (westlich vom Felsen).
4. Fortsetzung. Der Fels in der Urzeit. 37
(las nur denkbar im Zusammenliang' mit dem Versuche, ihn
zu überbauen. Nach allem jedoch, was wir wissen, darf als
höchst wahrscheinlich angenommen werden, daß solche Ver-
suche in der christlichen Zeit nach Julian nicht mehr unter-
nommen worden sind. Die Zeugnisse, die wir haben, stimmen
darin überein, daß die Scheu vor dem verfluchten Orte so
groß war, daß die Araber in der Tat eine vollkommen öde
und unbebaute Stätte hier vorfanden '. Auch Justinian hat
hiervon keine Ausnahme gemacht. Die eine Zeitlang gehegte
Meinung, er sei der Erbauer des Felseudomes, bedarf heute
kaum mehr der Widerlegung '-.
Unsere Wanderung hat uns somit bis in die Zeit des
Titas und damit in diejenige des herodianischen Tempels zu-
rückgeführt. Fassen wir das Ergebnis zusammen, so hat
nach dem, was unsere Untersuchung ermittelt hat, die An-
nahme die höchste Wahrscheinlichkeit für sich, daß auch von
den Tagen des eindringenden Islam an rückwärts bis zu Titus,
und damit zugleich bis zu Herodes der hl. Fels in allen Haupt-
punkten derselbe geblieben ist. Mit den Ergebnissen der
vorausgehenden Erörterung zusammengehalten, liefert uns
die zuletzt ermittelte Wahrscheinlichkeit das Gesamtergebnis,
daß zwischen der Zeit des Herodes und der Gegen-
wart aller Wahrscheinlichkeit nach in betreff des in Frage
kommenden Felsen kein bemerkenswerter Unterschied
besteht.
5. Der Fels in der Urzeit 3.
Es mag an den Ergebnissen der bisherigen Untersuchung
manches zweifelhaft oder unsicher erscheinen, teils solches,
das wir selbst als minder sicher bezeichnet haben, teils aber
auch solches, das uns als wahrscheinlich vorkam. Die Natur
der Sache bringt dies bei dem Gegenstande unsrer Unter-
suchung unvermeidlich mit sich. Eines aber darf als voll-
kommen feststehend angenommen werden: es hat sich bei
1^ S. oben S. 31.
2) Vgl. ZDPV XI (1888), 197 ff. XIII (1890), Iff
3) Vgl. hierzu die besondere Abhandlung über den primitiven Altar
(Abh. II).
38 Kittel, Studieo. I. Der heilige Fels.
■wesentlichen Eigentümlichkeiten des heiligen Felsen von Jeru-
salem bei dem im Vorhergehenden unternommenen Gang durch
die Jahrhunderte ergeben, daß die uns bekannte Geschichte
des Felsen bis in das Zeitalter Christi hinauf keinerlei Ver-
anlassung ihrer Entstehung erkennen ließ.
Um sofort noch genauer zu sagen, was gemeint ist: man
mag über die Frage streiten, wann etwa die scharfe Ecke im
Süden bezw. Südwesten des Felsen entstanden sei, ebenso
wann der Fels im Westen so abgemeißelt wurde, wie wir ihn
heute sehen, endlich gar auch, zu welcher Zeit er etwa im
Norden verkürzt oder teilweise zerschlagen worden sein
möge — es bleibt trotzdem außer Zweifel, daß für die Rinne
und das Loch im Norden, für die runden Löcher im Süden,
für die Abstufung im Westen, für den schrägen Aufgang im
Osten, für die kleinen Vertiefungen im Südwesten und Westen,
endlich auch für die Höhle, falls sie künstlich ist, in der Zeit
nach Herodes bezw. nach Titus sich kein zureichender Grund
finden läßt. Alle diese höchst eigenartigen Gebilde am Felsen,
soweit sie nicht natürlicher, also zufälliger Herkunft sind,
lassen sich ihrer Entstehung nach aus der christlichen und
islamischen Ära nicht verstehen. Mit andern Worten: sie
müssen der israelitischen oder vorisraelitischen Geschichte des
Felsen entstammen und müssen demgemäß, wofern überhaupt.
so im Kultus oder Volksbrauch dieser älteren Periode ihre
Erklärung finden.
Damit erwächst uns von selbst die Aufgabe, in die Ge-
schichte dieser Periode unsres Gegenstandes einzutreten. Es
empfiehlt sich, hier den umgekehrten Weg einzuschlagen und
die Untersuchung mit der Urzeit zu eröffnen, um sie dann an
demjenigen Punkte, bis zu dem die bisherige Erörterung ge-
führt hatte, wieder anlangen zu lassen.
Wir wissen von Jerusalem, daß es eine Stätte altkana-
anäischer Ansiedlung und Gottesverehrung ist. Nicht nur die
Amarnatafeln nennen es uns als den Sitz eines kanaanäischen
Königs, auch die alte Vätersage weiß von ihm und bringt es
in besonders nahe Beziehung zu eigentümlichen Äußerungen
der Gottesverehrung. Denn es kann kaum einem Zweifel
unterliegen, daß sowohl mit jenem Salem des Malkisedek, der
als ein Verehrer des höchsten Gottes bezeichnet wird, als mit
5. Der Fels in der Urzeit. 39
dem Berge im Lande des Moria, woselbst Isaak geopfert
werden soll, nichts anderes genieint ist als Jerusalem. In
beiden Fällen wird die Erwähnung Jerusalems und die Rolle,
die es hier spielt, beeinflußt sein durch den Gedanken an die
Stellung, welche Jerusalem im späteren Kultusleben Israels
einzunehmen berufen war. Aber das schließt nicht aus, daß
in beiden Fällen einer alten Überlieferung Ausdruck gegeben
ist, nach welcher Jerusalem schon in sehr früher vorisraeliti-
scher Zeit als wichtiger Kultusort galt K Im besondern läßt
Gen 22 ü eigentlich nur auf diese Weise eine befriedigende
Erklärung zu, wenn angenommen werden darf, daß nach der
Ansicht des Erzählers eben jene Höhe, die später den be-
rühmten Tempel Jahwes trug, schon in alter Zeit von ihm
dazu ausersehen war, der vielfach im Schwange gehenden
Unsitte des Kinderopfers zu steuern.
Noch deutlicher tritt diese Tatsache ins Licht in der be-
kannten Erzählung über die Tenne des Jebusiters Arawna in
2 Sam 24 und die Art, wie David dort einen Altar errichtet.
Der Engel Jahwes, der als Würgeengel die Pest über das
Land verhängt, ist eben bei der Dreschtenne des Jebusiters
Arawna angelangt, um von hier aus auch Jerusalem zu ver-
nichten; da wird ihm Halt geboten. David geht auf Befehl
des Profeten Gad hinauf zur Tenne, um sie in seinen Besitz
zu bringen und hier — an der Stelle, wo der Engel Halt ge-
macht hatte — einen Jahwealtar zu errichten, damit der
Seuche endgültig gewehrt werde (V. 21). Der Altar wird er-
richtet, „und Jahwe ließ sich dem Lande wieder günstig
stimmen und die Seuche wurde von Israel abgewehrt".
Die Erzählung, das mag zunächst ins Licht gestellt
werden, hat nichts zu tun mit der in 2 Sam 6 überlieferten
von der Überführung der Gotteslade nach der Stadt Davids.
1) Auf die schwierige und verwickelte Frage über den Charakter
der merkwürdigen Erzählung von Gen 14 soll hier nicht eingegangen
werden. Aber wie man im übrigen über sie urteilen möge, die Episode
über Melkisedek bleibt immer ein Stück von eigenartigem und selb-
ständigem Werte und manche sind geneigt, gerade ihm eine besondere
Stellung einzuräumen. Vgl. z. B. Buhl in PRE^ Melchisedek; Gunkel
Komm. z. Gen 2. Die obigen Sätze in ihrer ganz allgemeinen Fassung wird
man deshalb vermutlich ziemlich allgemein gelten zu lassen geneigt sein.
40 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Natürlich wird der Lade dort ein Zelt und ein Altar errichtet K
Aber jenes Zelt befand sich in der Stadt Davids, d. h. der
Davidsburg auf dem Zion, höchst wahrscheinlich nahe der
Gihonquelle, jedenfalls erheblich südlicher und damit tiefer
als die Tenne vermutlich lag.
Dreschtennen werden an luftigen, vom Winde bestrichenen
Stellen errichtet. Es bedarf zu ihrer Errichtung zugleich
einer ebenen Fläche von nicht ganz geringer Ausdehnung.
Wo die Natur eine solche nicht bietet, wird sie künstlich her-
gestellt. Eine ebene Felsplatte, wie sie der Fels auf dem
Haram und seine unmittelbare Fortsetzung unter dem heutigen
Felsendom und der Hochterrasse - darstellt, mußte sich hierzu
vortrefflich eignen, und es läßt sich für einen vermögenden
Bewohner der am Zionhügel sich hinziehenden alten Jebusiter-
stadt überhaupt kein günstigerer Ort für eine Dreschtenne
vorstellen, als diese Felsplatte oben auf dem Gipfel des Hügels,
dem Moria.
Nun heißt es allerdings nur, David habe dort bei der
Tenne 3 auf dem Moria, denn so wird der Hügel in 2 Chr 3i
bezeichnet, einen Altar errichtet, nicht der Jebusiter habe
schon vorher einen solchen dort besessen. Allein, daß der
Engel gerade hier Halt macht, ist dem Erzähler schwerlich
zufällig. Es ist für ihn hier vermutlich ebenso Wirkung,
nicht Ursache, wie in Rieht 6, Es kommt dazu, daß, da die
Stadt der Jebusiter der Quelle wegen sich am Abhang gegen
Süden hinzog, die ganz natürliche und von selbst gegebene
Stelle für die Opferhöhe der Gipfel des Hügels war.
Es darf hier erinnert werden an die Stelle, welche nach
den Schilderungen der israelitischen Profeten die Gaben der
Erde und die Tenne als die Stätte, an der man ihrer sich
freut, im altkanaanäischen Kultusleben einnehmen. Israel
sagt nach kanaanäischer Weise: „Ich will meinen Buhlen
1) Vgl. 2 Sam 0 17; 1 Köu 1 39. 51. 2 28f ; 2 Sam 7 2.
2) S. das Diagramm bei Schick, Beit el Makdas; auch Mommert,
Topogr. Taf. IV.
;j) Der eigentliche Dreschplatz, wenn auch das Ganze Tenne hieß,
wird nicht auf der Sachra selbst sich befanden haben, sondern auf der
an den heutigen hl. Felsen sich anschließenden Felsplatte; s. die vorige
Anm.
5. Der Fels in der Urzeit. 41
nachlaufen, die mir Brot und Wasser, Wolle und Flachs, Öl
und Getränke spenden" (Hos 2 ?). Die Buhlen sind die mit
Jahwe um die Gunst Israels streitenden Landesgottheiten, sie
gelten als Spender der Gaben des Landes, an Fruchtfeld und
Tenne knüpft sich daher ihre Verehrung. Oder Jahwe spricht
zu Israel: „Du hast gehurt von deinem Gotte weg, auf allen
Tennen liebtest du Buhlerlohn" (Hos 9 1). — Das Huren ist
der Gottesdienst nach der Weise der Kanaanäer und der
Buhllohn ist der von jenen Buhlen, den Baalen, Israel gespen-
dete Ertrag der Tenne, Auch da also ist Tenne nnd Gottes-
verehrung aufs engste verbunden. So ist es ganz natürlich,
daß beide auch räumlich zusammengehörten: Altar und Tenne
fallen zusammen.
Es kommt ferner dazu, daß es allen Analogien entspricht,
wenn wir annehmen, der Altar und die Anbetungsstätte, die
David hier errichtete, haben sich angelehnt an eine schon
vorhandene, der Bevölkerung als heilig bekannte Stätte. Steht
es einmal außer Zweifel, daß das vorisraelitische Jerusalem
so gut wie jede andre Kanaanäerstadt seine Opferstätte hatte,
so besteht auch die höchste Wahrscheinlichkeit, daß Israel
mit David sie übernommen und auf Jahwe übergeleitet hat.
Freilich ist die Frage erlaubt, weshalb David, wenn auf
Moria bereits eine Verehrungsstätte war, dann die Lade nicht
dorthin brachte? Die alte Höhe, wenn sie existierte, schiene
doch der gegebene Ort für sie gewesen zu sein. Allein David
mochte Gründe haben, dies nicht zu tun. Die Lade sollte
seiner Königsburg unmittelbar nahe sein als ihr natürlicher
Schutz, wie sie es später bei Salomo in der Tat war; sie
sollte vielleicht auch ihr spezifisch israelitisches Gepräge
wahren und deshalb ihr Kultus nicht mit dem einer alten
Höhe vermengt werden. Erst unter Salomo, als der Kultus
an der Lade sich längst fest eingebürgert hatte und der Ort
durch den Tempel überhaupt seinen eigentümlichen Charakter
gewann, wollte man dies wagen. So haben tatsächlich in dem
Jerusalem Davids zwei Anbetungsstätten existiert: das Zelt
mit der Lade am Gihon und der Altar auf Moria, jenes die
Hauptopferstätte und die spezifisch israelitische Stätte
darstellend, dieser an kanaanäische Überlieferungen an-
knüpfend.
42 Kittel, Studieo. I. Der heilige Fels.
Wie beschaffen war die vorisraelitisch - kanaanitische
Felsenhöhle der alten Jebusiter, und wie mag der Altar,
den David hier errichtete, ausgesehen haben?
Den primitiven Felsaltar der vorisraelitischen Zeit kennen
wir einigermaßen. Dementsprechend dürfen wir auch die
Grestalt des alten Jebusiteraltars auf der Tenne bei Jerusalem
vermuten. Es werden die Gaben der Gottheit, die an dem
Steine weilt, wohl auch in ihm ihren Sitz aufgeschlagen hat.
dargereicht, indem man sie auf den Stein stellt und es ihr
überläßt, sie in Empfang zu nehmen, und die zugehörige
Flüssigkeit — Wasser, Brühe, auch Ol und Wein, oder aucli
Blut — über den Stein gießt. Die runden Löcher am Westrande
sind wohl solche Schalen, zur Aufnahme flüssiger Altargaben
bestimmt, und damit den mancherlei Opferschüsseln und Schalen
an Opfersteinen zu vergleichen.
Ist diese Vermutung richtig, so gewinnt damit auch die
scharf abgeschnittene Gestalt des Felsen an seinem Westrande
(LZ in Abb. 4) eine neue Beleuchtung. Die Schalen stehen am
äußersten Westrande: sind sie selbst schon vorhistorisch, so
wird auch die Abmeißelung des Felsen an dieser Seite vor-
historischer Zeit angehören. Ob auch die parallel mit dem
Westende laufende Abstufung des Felsen (GW) schon dieser
vorhistorischen Zeit angehört, wage ich nicht zu entscheiden.
Immerhin ist es nicht unmöglich, und die eben erwähnten
Schalen sprechen auch hiefür am meisten. Denn sie können
doch wohl erst entstanden sein, als die Abstufung schon vor-
handen war. Andernfalls müßten gerade an diesen Stellen
schon vorher Senkungen im Felsen bestanden haben. Aber
jene westliche Abstufung ist überhaupt bis auf weiteres nocli
recht rätselhaft. Zum eigentlichen Hinaufsteigen kann sie
nicht gedient haben, sondern nur etwa, um der Mitte des
Felsen leichter näherzukommen. Eine weitere Vermutung
vergleiche man unten S. 49.
Demselben Zwecke können auch die weiteren Vertiefungen
— abgesehen von dem durch den Fels durchgehenden Loche,
das dem Steine den Namen des lapis pei-tiisus eintrug — ge-
dient haben, nämlich das im Norden, falls es sich bestätigt,
und das kleinere gegen Süden. Eine andere Deutung ist aber
wenigstens der Erwägung wert. Wir wissen, daß zum kana-
5. Der Fels in der Urzeit. 43
anäisclien Höhendienst als ein fast notwendiger Bestandteil des-
selben die Masseba, die heilige Steinsänle, und die x\schera, der
heilige Baum oder der den Baum nachahmende, ihn ersetzende
heilige Pfahl, gehörte. Wir haben Beispiele davon, daß die
Masseben, zum Teil in größerer Zahl, neben dem Altar standen;
aber auch davon, daß sie auf den Altarplatz selbst zu stehen
kamen. Das fast kreisrunde Loch gegen Süden des hl. Felsen
fände m. E. seine Erklärung wohl auf diese Weise, daß
es zur Aufnahme einer Massebe bestimmt war. Das Loch im
Norden könnte, falls es nicht etwa der Aufnahme von Blut
dienen sollte, seine Erklärung nach Deut 12 2« finden. Dort
ist die Rede davon, daß man Ascheren „pflanzte", d. h. doch wohl,
daß, wie in Abh. II angenommen ist, auch der natürliche ^ Baum,
nicht bloß der künstliche zur Äschere verwandt wurde. Dann
mußte natürlich eine Stätte für ihn geschaffen werden, eine Art
Adonisgärtchen. Auch dazu konn-
ten größere Vertiefungen im
Felsen, wenn man sie mit Erde
füllte, ganz wohl dienen. Eine
solche könnte das Loch im Nor-
den sein. Abb. 6.
Doch halte ich diese Erklär- Siegelzylinder aus Betseäu.
ung hier nicht für allzu wahr-
scheinlich. Das Näherliegende wird immer sein, daß die nörd-
liche Vertiefung zur Aufnahme einer Flüssigkeit, sei es Wasser,
sei es Blut, bestimmt war. Die Nähe des sofort zu erwähnenden
Schlachtplatzes kann für das letztere, an sich auch das Wahr-
scheinlichste, sprechen, die Nähe des Wassers (s. S. 22 u. 83) ließe
auch das erste ins Auge fassen. Unter allen Umständen ist
festzuhalten, daß die Rinne im Felsen keinen andern Zweck
haben kann, als den Zutritt zu jenem „Bassin" zu ermöglichen.
Darüber unten das Nähere.
Im Norden des Altars war beim letzten Tempel der
Schlachtplatz. Es waren, wie wir sehen werden, zu diesem
Behufe eigene Vorrichtungen getroffen. Aber es ist damit
1) Man vergleiche die mehrfachen Abbildungen von Bäumen auf
babylonischen oder babyionisierenden Siegeln in Israel (Abb. 6) in einer
Art von großen Blumentöpfen oder Baumkübeln; sie werden auch nicht
anders zu deuten sein.
44 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
nicht gesagt, daß diese Lage des Schlachtplatzes erst eine
Erfindung des Judentums war; sie wird auf alter Überliefe-
rung ruhen. Der freie Raum im Norden des Felsen, der doch
wohl künstlich frei gemacht ist, und die mancherlei Steinbänke
und Steinstufen oder -tische hier lassen vermuten, daß lange
vorher und wohl schon in vorhistorischer Zeit hier die Schlacht-
stätte war. Das Loch in die Tiefe hier im Norden wird mit
der Einrichtung der Schlachtstätte zusammenhängen, wohl
auch schon der Gang zum Felsen hin. In diesem Fall hätte der
letztere dem Zwecke gedient, dem rundlichen Einschnitte nahe zu
kommen, ohne den Fels besteigen zu müssen — sei es zur
Ausgießung von Opferblut, sei es zur Pflege des „Gärtchens".
Wir kommen zur Höhle und dem zu ihr führenden Loche
im hl. Felsen. Es kommt hier nicht allzuviel darauf an, ob
die Höhle künstlich ist oder natürlich, worüber die Akten bis
auf weiteres noch offen sind. In beiden Fällen wird sie
schon bei dem vorgeschichtliclien Heidentum von Jerusalem
eine wichtige Stelle im Gottesdienst eingenommen haben ^ Sie
wird dann vermutlich als der Sitz des hier weilenden Gottes
oder Numens gegolten haben. Wie die Menschen, so wohnten
auch die Götter in Höhlen. Das Loch im Felsen, sei es
künstlich, sei es natürlich, wird dann schwerlich bloß als
Luftloch für die Höhle und ihre Bewohner, sondern zugleich
dazu gedient haben, das Opferblut zur Höhle hinunterzu-
lassen.
6. David.
„Und David baute dort Jahwe einen Altar und brachte
Brand- und Heilsopfer dar." 2 Sam 24-25. „Damals, als David
sah, daß ihm Jahwe auf der Tenne des Jebusiters Oman ge-
antwortet hatte, opferte er dort . . . Und David sprach: Dies
hier sei die Behausung Jahwes Gottes und dies der Altar für
die Brandopfer Israels" (1 Chr 21 28 22 1). Der Fels trägt,
wie wir sahen, alle Kennzeichen eines natürlichen Felsenaltars.
Nun wird durch David auf der Dreschtenne des Arawna, also
vermutlich an derselben Stelle, wo die jebusitische Opferhöhe
1) S. Macalister, Streiflichter zur bibl. Geschichte usw. (1907),
S. 30ff.
6. David. 45
lag und somit auf dem heutigen W. Felsen, ein Altar errichtet.
Der Naturaltar wird zum Kunstaltar, der Felsentisch zur
Brandstätte. Aus der einfachen Felsplatte wird ein Altarbau
mit künstlichem Aufsatz. Aus welchem Stoffe der über den
Fels gelegte Aufbau ist, erfahren wir nicht. Das Altargesetz
in Ex 20 24 f. kennt Altäre von Erde bezw. Rasen und solche
von unbehauenen Steinen. Die ersteren scheinen nach ihm
die Regel gebildet zu haben. Trotzdem ist nicht wahrschein-
lich, daß auf den Felsen ein Aufsatz von Rasenstücken ge-
setzt wurde. Vielmehr wird David einen Steinaltar auf der
Felsplatte errichtet haben. Ob aus behauenen oder unbe-
hauenen Steinen, können wir trotz Ex 20 25 nicht bestimmen,
da auch Ezechiel, der doch sicher jenes Gesetz kennen mußte,
sich nicht an die Vorschrift hält.
Im Zusammenhang mit dem ersten wirklichen Altarbau,
dem Davids, werden wir uns nun auch am ehesten die schiefe
Ebene erklären können, die an der Ostseite des Felsen her-
gestellt ist. Sie kann doch wohl nur dazu dienen, zu ermög-
lichen, daß man den Altar besteigen konnte. Ein Besteigen
kam aber eigentlich doch nur dann in Betracht, wenn über
dem Felsen sich noch ein Aufsatz befand, der den eigentlichen
Altar darstellte, während der Fels selbst als Fundament für
den Altar galt. Der Altar wird etwas hinter dem obern Ende
des Aufgangs zurückgestanden haben, auch nach rückwärts
(Westen) nicht bis an den Rand des Felsen gereicht haben,
so daß ein Umgang um den Altar auf dem Naturfelsen aus-
gespart war, von dem aus der Altar bedient werden konnte.
Das Viereck efgh mag ihn bezeichnen.
Das Altargesetz in Ex 20 20 verbietet, auf Stufen zum
Altar hinaufzusteigen; der Aufgang im Osten des Felsen ent-
spricht dieser Forderung tatsächlich — womit natürlich über
die Frage, ob er mit Rücksicht auf sie so hergestellt sei, noch
kein Urteil abgegeben ist.
Indem David nicht mehr den Stein selbst als Tisch für
die Gaben an die Gottheit verwendet, sondern einen Altar auf
ihm errichtet, und indem er den Altar, wie ausdrücklich be-
zeugt ist, zur Verbrennung von Opfergaben verwendet, vor
allem aber indem er ihn statt des jebusitischen Numens oder
des lokalen Baal, der hier etwa verehrt wurde, dem Jahwe
46 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
weiht, nimmt er wohl von selbst gewisse Veränderungen mit
der heiligen Stätte vor. Der Altar wird jetzt Brandstätte.
Feuerherd. Das ist er mutmaßlich nicht von Anfang an ge-
wesen. Die Libationen an den runden Vertiefungen werden
damit hinter den Feueropfern zurückgetreten sein. Aus dem
eigentlichen Kultus schwinden sie vermutlich, um nur etwa
noch den privaten Gepflogenheiten einzelner zu dienen. An
ihre Stelle tritt das Sprengen des Opferblutes an den Altar
und besonders das Streichen desselben an seine Hörner. Denn
Hörner scheinen zu den notwendigen Bestandteilen des israe-
litischen Altars der damaligen Zeit — jedenfalls seit Salomo
— gehört zu haben K Massebe und Aschera, sofern sie vorher
da waren, sind vielfach an den israelitischen Altären noch
längere Zeit verblieben. Erst das Deuteronomium schafft sie
systematisch ab. Sie mögen auch hier zunächst noch stehen-
geblieben sein.
Hingegen heischt der Altar als Jahwealtar und als Opfer-
herd weitere Neuerungen. Wir erfahren nirgends etwas davon,
daß Jahwe als in Höhlen wohnende Gottheit angesehen worden
sei. Galt also die Höhle unter dem Felsen ehedem als Be-
hausung des Numens, so muß dieser Glaube nun angesichts
der ganz anderen Natur Jahwes, der keinerlei Züge einer
unterirdischen Gottheit an sich hat, weichen-. Hingegen for-
dert der Opferherd, auf dem ganze Tiere verbrannt werden,
naturgemäß Eäume zur Beseitigung alles dessen, was etwa
an Asche, Blut und unverbrannten Teilen auf dem Altar liegen
blieb. Es entsteht somit das Bedürfnis einer Grube, die alle
diese, Beseitigung heischenden Dinge aufzunehmen hat. Be-
stand die mehrfach erwähnte Höhle schon, so wird sie nun-
mehr ihrer neuen Bestimmung zugeführt worden sein, bestand
sie nicht, so mag David sie haben herstellen lassen 3. Im
Boden der Höhle befindet sich, wie wir oben sahen, ein Loch,
das in die Tiefe führt, und unter dem, wenn man mit dem
Fuße daraufstößt, sich hohle Töne vernehmen lassen. Schon
1) S. darüber unten Abh. II.
2) S. darüber unten Abh. II.
3) Doch ist das nach den unten in Abhandl. II gegebenen Analogien
nicht wahrscheinlich. Die Höhle und der Höhlenkultus ist augenscheinlich
d.is Älteste an der ganzen Stätte.
6. David. 47
Schick hat hiefür die vollkommen richtige Deutung gegeben:
aus der Grube wird der Unrat in die Tiefe abgeführt. Das
Loch im Felsen, sei es künstlich hergestellt, sei es ein Werk
der Natur, hat bei dieser Verwendung der Höhle natürlich
die Bestimmung, ihr die Altarabfälle unmittelbar zuzuführen.
Nicht ganz leicht ist die Einne zu bestimmen. In den
Beschreibungen des Felsen ist mehrfach von Spuren einer
Rinne die Rede, die dazu gedient haben soll, das vom Altar
niederrinnende Blut aufzunehmen und abzuführen K Da sonst
keine Rinne sichtbar ist, so kann mit dieser Beschreibung
wohl nur die große Rinne, besser der große breite und tiefe
Gang im Norden gemeint sein. Nun ist schon aus seiner Ge-
stalt m. E. soviel auf den ersten Blick zu entnehmen, daß
dieser Gang — von Hause aus jedenfalls — nicht als Abfluß-
rinne gedacht ist. Nicht nur war für die Beseitigung des zu
Beseitigenden durch die Grube bzw. Höhle mit ihrem Gang
in die Tiefe gesorgt, sondern als Wasserrinne wird niemand
einen mannsbreiten und mannstiefen — so etwa sind nach
meiner Erinnerung die Dimensionen — Graben in den Fels
hauen. Es muß also eine andere Erklärung gesucht werden.
Schon Quat. Statem. haben hier das allein Richtige gefunden-,
indem sie den Gang Recess to approach Basin nennen. Es ist
nichts anderes als der Zugang zu jener großen Schale, die
wir wohl als Blutschale annehmen dürfen. Mit dieser Be-
stimmung hat der Gang wohl schon beim vorisraelitischen
Felsentisch existiert, als ein neuer und besonders handgreif-
licher Beweis der Tatsache, daß man sich vielfach auch in
ältester Zeit gar nicht scheute, den heiligen Stein zu be-
arbeiten, eine Sitte, gegen die Ex 20-2(5 Protest einlegt.
Für uns entsteht aber nun die Frage, ob auch der israe-
litische Jahwe- Altar Davids noch diese Verwendung des Ganges
kannte. Ich kann das, solange wenigstens der Fels nicht ganz
überbaut war — und das war er vermutlich vor Herodes
nie — , nicht für unwahrscheinlich halten. Jedenfalls beim
davidischen Altar scheint mir die höchste Wahrscheinlichkeit
dafür zu sprechen. Wir wissen nämlich, daß im späteren
1) Vgl. BenzinctER, Hebr. Archäol. S. 233; Nowack, Hebr. Archäol.
S. 41; Bädeker, Paläst.e S. 50
2) a. a. O. S. 75 in der Erläuterung der Abbildung.
4g Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Kultus beim Brandopfer das Blut auch an den Fuß des Altars
gegossen wird. Diese Sitte ist sicher wie viele andere Kultus-
sitten des priesterlichen Gesetzes nicht jung, sondern sie ent-
spricht wohl alter und ältester Überlieferung. Erhob sich
nun, wie wir annahmen. Davids Altar über der Mitte des
Felsen, so bildete der übrige Fels seinen Grund und man
brachte nach wie vor vom Schlachtplatze her das Blut durch
den Gang zu jener Schale.
Von hier aus verstehen wir denn auch das, wie ich be-
stimmt glaube, von mir wahrgenommene zugemauerte Loch im
Norden. Jede Schlachtstätte bedarf des Wassers zur Reinigung
der mit Blut besudelten Schlachtenden wie zur Beseitigung
von mancherlei Unreinigkeit und Unrat, die am Schlachtort
naturgemäß sich ansammeln. Ist hier in der Tat eine Öffnung
im Felsboden gewesen, so hat sie ohne Zweifel diesem Be-
dürfnis gedient. Ja selbst wenn meine Wahrnehmung auf
Täuschung ruhen und eine jetzt vermauerte einstige Öffnung
tatsächlich nicht zu sehen wäre, so müßte sie doch dagewesen
sein, mindestens seit Salomo, und müßte sich unter dem Boden
des heutigen Felsendomes finden. Die absolute Notwendigkeit
bei einer so ansehnlichen Schlachtstätte, wie die des salo-
monischen Altars trotz alledem, was sich nachher noch ergeben
wird, zweifellos war, würde sie — mindestens für den salo-
monischen, dann aber wohl auch schon für den davidischen
Altar, wo nicht den vorisraelitischen schon — fordern, und
die sichere Überlieferung über den salomonischen Altar würde
sie bestätigen.
In letzterer Hinsicht nämlich haben wir Beweise in hin-
reichender Anzahl, die uns keinen Zweifel darüber lassen, daß
der Tempelplatz schon in alter Zeit, wie er es heute noch ist,
reichlich mit Wasser versehen war '. Ja wenn beim Profeten
1) Vgl. darüber Schick, Die Stiftshütte, der Tempel in Jerusalem
und der Tempelplatz der Jetztzeit (1896) S. 292—304 u. Taf. IX; ferner
ZDPV I (1877) S. 132flF.; XI (1888) S. 202 f.; Qu. Stat. 1887, S. 98; Robinson
a. a. O. S. 88; Tobler a. a. O. S. 530. Noch heute ist der Haram aufs
reichlichste mit Wasser versorgt. Außer der stattlichen Wasserleitung,
die den Brunnen el Käs speist, zählt Schick nicht weniger als 3ö bis
zu 40 und mehr Meter lange Zisternen. S. auch Pierotti a. a. O. Aus
dem Altertum vgl. Tacitus Histor. V, 12; Dio Cass. LXVI, 5 u. unt. S. 83 f.
6. David. 49
Ezechiel eine Quelle vom Tempel in Jerusalem ausgeht, so
hat er, wie man oft schon mit vollem Rechte vermutet hat,
sicher dabei gewisse, auch ihm noch wohlbekannte Wasser-
läufe im Auge, die im Innern des Tempelberges wahrgenommen
waren und die auch zu seiner Zeit noch werden für den Opfer-
dienst nutzbar gemacht worden sein. Neben den Zwecken der
gottesdienstlichen Reinigung und Waschung haben sie sicher
zugleich denen des Opfers gedient.
Endlich mag noch eine Vermutung in betreff der Ge-
staltung des Felsen hier Platz finden. Wofern die traditio-
nellen Größenverhältnisse des salomonischen Altars richtig
sind, mußte wohl von Salomo die Abstufung im Westen
des Felsen (CW), die parallel dem Westrande läuft und
gleich diesem als von Menschenhand stammend vermutet werden
darf, überbaut worden sein. Dann stammt sie aber nicht von
Salomo; und einer erheblich späteren Zeit wird sie, aller
Wahrscheinlichkeit nach, ohnehin nicht zuzuschreiben sein.
Sie müßte also, wie bereits aus anderen Gründen angenommen
wurde \ wohl alt sein. Nun ist beim alten Felsentisch ein
rechtes Motiv für sie nicht zu ersehen, da es sich jedenfalls
um Stufen zu seiner Besteigung nicht handeln kann und für
das Herantreten zu jener nördlichen Grube, wie wir sahen,
auf andere Weise gesorgt war. So könnte sie recht wohl
David entstammen. Sein Altar nämlich ist jedenfalls kleiner
als der Salomos anzunehmen und füllte keinesfalls die ganze
Sachra aus. Er muß ferner einen Umgang besessen haben,
der im Norden durch die Schale und im Süden durch das
Loch zur Grube begrenzt ist. Damit ist seine Größe, wenig-
stens was die Länge anlangt, ungefähr gegeben, und es
darf angenommen werden, daß der Umgang hinten durch
die Linie GH oder gh abgegrenzt ist 2. Daraus ergäbe sich
die Wahrscheinlichkeit, daß David hier den Fels abschneiden
ließ, um so eine Art Altarterrasse herzustellen — vorne
diente der Aufgang als Grenze. Freilich müßte dann an-
genommen werden, daß der Fels an der Stelle der Schalen
vorher eine Senkung oder eine ausgemeißelte ebene Fläche
1) S. oben S. 42.
2) Weiteres s. S. 45 und unten S. 64.
Kittel, Beiträge.
50 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
besaß und David gewisse dahinterliegende Unebenheiten durch
senkrechtes Abschneiden des Felsen ebnete. Dem Altargesetz
von Ex 20 25, falls es für David in Betracht kam, widersprach
ein solches Verfahren nicht, da es nur von den Altarsteinen
selbst redet, der Fels als solcher aber schon für David und
seine Zeit schwerlich mehr als spezifisches Heiligtum galt.
Es wird sich nun freilich sofort zeigen, daß wir besser
tun, über die Größe des salomonischen Altars anders zu ur-
teilen als die Überlieferung. Trotzdem bleibt auch so unsere
Annahme in betreff jener westlichen Abstufung bestehen. Die
Schalen zeigen, daß die untere Stufe (LZ) an der Westgrenze
der ältesten Zeit zugehört. Die obere Weststufe (CW) hat
aber vielleicht damit nichts zu tun, sowenig als die kleineren
Zwischenstufen. Können sie, wie man annehmen darf, in der
Zeit nach Salomo kaum entstanden sein, so würden wir, wo-
fern sie nicht der Urzeit angehören, auf diejenige des David
oder Salomo — tatsächlich aber wohl des ersteren als des
Begründers des Altardienstes auf dem Felsen — geführt.
7. Salomo. Ahas. Ezechiel.
Daß Salomo an derselben Stelle den großen Altar seines
Tempels errichtete, an der Davids Altar gestanden hatte, ist
zum voraus innerlich wahrscheinlich, ist aber auch ausdrück-
lich bezeugt. „Und Salomo begann den Tempel Jahwes zu
Jerusalem auf dem Berge Moria zu erbauen, wo Jahwe seinem
Vater David erschienen war, an der Stelle, die David her-
gerichtet hatte, auf der Tenne des Jebusiters Oman" (2 Ohr 3 1).
Damit ist nun freilich zunächst nur gesagt, daß Salomo den
Tempel an der von David zubereiteten Stelle errichtete, nicht
aber die Stelle des Altars selbst bezeichnete. Allein wenn,
wie wir annehmen dürfen (s. oben S. 40), die Tenne selbst sich
weiter ausdehnte als der eigentliche Altarplatz Davids, und wenn
David, wie wir wissen, an der Tenne seinen Altar errichtete,
so ist das Gegebene, daß Salomo den Altarplatz Davids für
seinen Altar beibehält und den eigentlichen Tempel auf der
richtigen Tenne, der hinter dem Felsgipfel sich hinziehen-
den ebenen Felsplatte, errichtet.
Außerdem ist die oben S. 44 zitierte Stelle der Chronik
7. Salomo. Ahas. Ezechiel. 51
(I2I2.S 22 1) zu vergleichen. Dort ist zwar zunächst auch nur
von Davids Altargrün düng die Rede, aber sie wird lediglich
unter dem Gesichtspunkt der Vorbereitungen für den salonio-
nischen Tempelbau mitgeteilt; die dort erwähnten Brandopfer
Israels sind also nicht bloß die Davids, sondern auch die
Salomos und seiner Nachfolger.
Dem entspricht die spätere Überlieferung. Gelegentlich
tritt zwar bei alten und neuen Schriftstellern immer wieder
der Gedanke auf, der heilige Fels sei nicht die Stätte des
Altars beim salomonischen Tempel, sondern diejenige des
Allerheiligsten mit der Bundeslade gewesen ^ Aber die
stärkere und innerlich viel wahrscheinlichere Überlieferung
läßt mit der augenscheinlichen Meinung der biblischen Tradi-
tion selbst Salomos Altar an der Stelle des davidischen, d. h.
auf dem hl. Felsen selbst errichtet sein. So der russische Abt
Daniel^ (1113—1115): „Und es ist dort ein Stein, außerhalb
dieser Höhle unter der Kuppel, . . . auf demselben . . . sah
der Profet David einen Engel mit bloßem Schwerte stehen
und die Kinder Israel schlagen . . . Das alte AUerh eiligste
aber ist zerstört von den Heiden, und nichts ist übrig von
dem alten Bau Salomos, sondern man erkennt nur die Auf-
schüttung [die Terasse ist gemeint] des Tempels." Der Er-
zähler scheint demnach deutlich zwischen der Kuppel über
dem Felsen, also dem Felsendom, und dem Ort des Aller-
heiligsten zu scheiden.
Ebenso der Frater Philipp de Aversa bezw. sein Gewährs-
mann, ein muslimischer Renegat 3; „Lapis quidam . .. videtur
miraculose suspensus in aere, quod aliquo modo credunt Mauri,
qui audierunt ab antiquis Judaeis esse lapidem, super quem
occidebantur animalia, quae offerebantur in Templo Salomonis".
Hier hätten wir also geradezu die Überlieferung, und zwar
aus jüdischer Quelle, von der Identität des h. Felsen mit dem
salomonischen Altar und seiner Schlachtstätte.
Wie haben wir uns den Altar Salomos vorzu-
stellen? Leider fehlt uns im Königsbuche jede genauere
1) Albert. Aqu. VI, 24; Fulcher. Carn. c. 18; vgl. außerdem bei
MoMMERT a. a. O. S. 131 ff.
2) S. Leskien in ZDPV VII (1884) S. 29.
3) S. ZDPV I (1878) S. 212 f. und über den Gewährsmann S. 103 f.
4*
52 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Angabe über ihn. Nur seine Existenz wird ganz gelegentlich,
nämlich 1 Kön. 925: „Salomo opferte dreimal im Jahr Brand-
opfer und Heilsopfer auf dem Altar, den Jahwe erbaut hatte
... vor Jahwe", und 1 Kön. Sei erwähnt, wo gesagt wird,
daß der eherne Altar, den Salomo habe anfertigen lassen, für
die Menge seiner Opfer nicht ausgereicht habe und daß er des-
halb den inneren Teil des Vorhofs, „der vor dem Tempel liegt",
für diesen Zweck geweiht habe. Die zweite Notiz gehört
nicht dem alten Erzähler selbst an*; sie führt eine spätere
Einrichtung, die des eigentlichen Priesterhofes, die wohl schon
bei Ezechiel (40 47 ff.) als Bedürfnis empfunden wird, ihre erste
Verwirklichung aber, soviel wir wissen, erst im späteren (zweiten)
Tempel fand, auf Salomo zurück. Dennoch darf an der Exi-
stenz eines salomonischen Altars als Bestandteil des salomo-
nischen Vorhofs schon um der ersten Stelle willen selbst-
verständlich nicht gezweifelt werden, und die Frage kann
nur sein, was etwa das Motiv der Nichterwähnung desselben
im Tempelbericht des ersten Königsbuches sein möge. Man
nimmt gewöhnlich an, er sei nachträglich gestrichen worden,
weil er den Forderungen des Altargesetzes von Ex20 24ff. zu
wenig entsprochen haben möge. Das ist natürlich immer
möglich; aber der Umstand, daß der alte Tempelbericht man-
cherlei sonst enthält, das den Forderungen des Gesetzes nicht
ohne weiteres gemäß war — man darf nur an das mancherlei
Bildwerk denken — zeigt uns doch, daß die Erklärung nicht
die einzig mögliche ist. Wellhausen in Bleeks Einleitung
ins AT-* 231 hat die Entfernung mit Rücksicht auf den ehernen
Altar der Stiftshütte vermutet.
Auch daran, daß der Altar der eherne heißen konnte,
wird nicht zu zweifeln sein. In der späteren Königszeit hat
jedenfalls ein aus alter Zeit stammender eherner Altar im
Tempelvorhof gestanden, wie aus 2 Kön 16 15 zu ersehen ist -.
Die Frage wird nur sein, ob man ihn kurzweg einen Altar
aus Erz nennen konnte. Die spätere Überlieferung, wie sie
in 2Chr4i uns entgegentritt, denkt es sich allerdings so:
1) S. meinen Kommentar (1900) S. 80 und den Art. „Tempel" in
PRE».
2) In 2 Kö 16 14 ist „ehern" Glosse, wie die Redeweise nsT^n
mrnsn zeigt.
7. Salomo. Ahas. Ezechiel. 53
„er fertigte einen ehernen Altar, 20 Ellen lang, 20 Ellen breit
und 10 Ellen hoch". Demnach wäre dieser ganze riesige salo-
monische Altar ans Erz gewesen. Dem stehen m. E. erheb-
liche Bedenken entgegen, und es wird geraten sein, der Nach-
richt der Chronik eine gewisse Zurückhaltung entgegenzubringen.
Was nämlich zunächst die Größe des Altars anlangt,
so steht fest, daß der Chronist sie nicht aus eigener An-
schauung bestimmen konnte, ebensowenig wird er vermutlich
noch eine Nachricht hierüber im Königsbuche vorgefunden haben.
Es ist demnach anzunehmen, daß er den Altar des zweiten
(serubbabelschen) Tempels, den er vor Augen haben konnte,
hier zugrunde legt. In der Tat soll dieser nach Hekatäus
dem salomonischen an Größe gleich gewesen sein ', Wir
hätten also mit dieser Angabe die vermutliche Größe des nach-
exilischen Tempelaltars, und, wenn Hekatäus im Eechte ist,
damit auch die des vorexilischen gewonnen.
Freilich ist die höchst verwickelte Angelegenheit damit
noch nicht erledigt, nicht einmal hinsichtlich der Größe. Wir
besitzen nämlich einerseits in 2 Kön 16 15 die Erwähnung eines
„großen" Altars in einem Zusammenhang, der diesen „großen"
Altar auch als den „größeren" im Unterschied von einem
kleineren erscheinen lassen kann. Der kleinere wäre dann
der salomonische; denn der große ist der an Stelle des älteren
nunmehr (durch König Ahas) in Wirksamkeit tretende Altar.
Dann müßte der eigentliche salomonische Altar kleiner ge-
wesen sein als der des Ahas und der späteren vorexilischen
Zeit, den vermutlich Ezechiel noch gesehen hat. Zum andern
aber besitzen wir bei Ezechiel eine Angabe über die Größe
des künftigen Altars, die man gerne in der Annahme, daß
Ezechiel den salomonischen Altar noch gesehen habe und daß
er ihn in der Hauptsache hergestellt wissen wolle, zur Grund-
lage für das Verständnis des salomonischen und als Ersatz
für die uns leider im Königsbuch fehlende Beschreibung des-
selben heranzieht 2. Nun gibt Ezechiel, dessen Text freilich
mehrfach verderbt und an sich nicht leicht zu verstehen ist,
nach der wahrscheinlichsten Deutung als seine Maße an: unterer
1) Joseph, contra Ap. I, 22.
2) f:?. Kraetzschmars Kommentar 1900 und zum Text die von mir
besorgte Biblia Hebr. (Eothstein).
54
Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Eand mit Einbiiclitung (p"^n) 1 Elle hoch und 18 lang und
breit, untere oder kleine Umfriedung (niTI?) 2 Ellen hoch und
16 lang und breit, obere oder große 'Azara 4 Ellen hoch und
14 lang und breit, Gottesherd (bs^nx) 4 Ellen hoch und
12 Ellen lang und breit, Hörner 1 Elle hoch. Das ergibt
zusammen, die Hörner eingeschlossen, 12 (bezw. ohne sie
11) Ellen Höhe und 18x18 Ellen Grundfläche bei 12 Ellen
oberer Fläche (s. Abb. 7).
Diese Maße stimmen keineswegs zu jenen 20 x 20 Ellen
Grundfläche bei 10 Ellen Höhe \ Auch wenn man die Ver-
-M-
a-i
^S'HH
-44-
nnti;
4^
n-iTi;
"o^n
41-
^/
5 10 15 Ellen
Abb. 7. Der Altareutwurf Ezechiels.
schiedenheit der alten und der jungen Elle dabei in Betracht
ziehen wollte, so könnte allenfalls die Grundfläche annähernd
ausgeglichen werden, nicht aber die Höhe. Die Differenz
bleibt somit bestehen, und wir können vielleicht den Gesamt-
aufbau des Ezechielaltars seiner Konstruktion nach zum Ver-
ständnis des salomonischen oder des Ahasaltars als des spä-
teren Tempelaltars heranziehen, aber für die Maße des
salomonischen Altars gewinnen wir nichts, außer etwa
die mit der Chronik übereinstimmende Tatsache, daß wir an
einen ziemlich stattlichen Altarbau zu denken haben. In-
1) Natürlich kann die sonderbare Erklärung von ]\Jidd. III, 1 nicht
in Betracht kommen.
7. Salomo. Ahas. Ezechiel. 55
sofern könnten die 20 bezw. 18 Ellen Clrundfläche und 10 bis
12 Ellen obere Fläche uns ungefähr auf die richtige Spur
leiten — wofern nicht etwa weiterhin sich noch Gründe auch
gegen sie ergeben sollten.
Bedenken wir ferner, daß über den Stoff des Ezechiel-
altars uns gar nichts gesagt ist, so wird, auch wenn wir
jene Maße für den Salomoaltar im allgemeinen gelten lassen,
die Größe des „ehernen" Altars aufs neue dunkel, und das
um so mehr, je eher wir nach der allgemeinen Anlage des
Ezechielaltars wie des in der Chronik vorausgesetzten eine
starke Verjüngung nach oben einerseits und zugleich (nach
Ezechiel) auch bei Salomo einen eigenen „Gottesherd" an-
zunehmen geneigt sein können. Unter ihm kann nur der
oberste Absatz als die eigentliche Feuerstelle verstanden sein.
Immerhin sind wir damit genügend vorbereitet, um nun
wieder zu jener Beschreibung des Ahas- Altars in 2 Kön 16
zurückzukehren. Vielleicht läßt sich aus ihr nunmehr etwas
über Schicksal und Beschaffenheit des salomonischen Altars
entnehmen.
König Ahas sieht in Damaskus einen Altar, sei es assy-
rischer, sei es syrischer Bauart. Er sendet Modell und Plan
desselben nach Jerusalem und sein Priester Uria fertigt da-
nach einen Altar. .,*-ünd als der König aus Damaskus heim-
gekehrt war, besichtigte er den Altar und bestieg ihn, ••hmd
verbrannte sein Brandopfer und sein Speisopfer und goß sein
Trankopfer aus und sprengte das Blut seiner Heilsopfer über
den Altar. ^-^Den [ehernen] Altar aber, der vor Jahwe stand,
den stellte er weg von der Vorderseite des Tempels, von der
Stelle zwischen dem Altar und dem Haus Jahwes, er tat ihn
ati die Nordseite des Altars, *''und gebot dem Priester Uria:
An dem großen Altar verbrenne das Morgenbrandopfer und
das Abendspeisopfer und das Brandopfer des Königs und sein
Speisopfer und das Brandopfer des ganzen Volks . . . mit dem
ehernen Altar aber will ich mirs noch bedenken".
Der große Altar ist der jetzt in Gebrauch zu nehmende
neue; der eherne ist der überkommene, also wohl der salo-
monische. Er wird beiseite gestellt, um nachher in der Stille
und ohne viel Aufhebens zu verschwinden; das mögen die
Schlußworte andeuten. Der neue und große ist nach fremdem
56 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Muster gebaut, also dem alten unähnlich. Er ist zugleich
größer als der zur Seite geschaffte. Ob er auch größer ist
als der Gesauitaltar Salomos. bleibt eine ofi'ene Frage; er
braucht nur größer zu sein als was beiseite geschafft ist.
Weil das beiseite Geschaffte der eherne Altar heißt, so könnte
es sehr wohl ein eherner Aufsatz in der Weise des Gottes-
herds sein, also der eigentliche Rost. Der übrige Altar wäre
dann entweder geblieben oder neu aufgebaut, vielleicht in
denselben, vielleicht in anderen Dimensionen. Haben die
späteren Könige den Ahas- Altar stehen lassen, so kann ihn
Ezechiel zum Muster genommen haben; ist er den Reform-
bewegungen zum Opfer gefallen, so nicht. Und nur wenn
der alte saloiuonische hergestellt worden ist — worüber wir
gar nichts mssen — , haben wir ein Recht, aus Ezechiel
Schlüsse über ihn zu entnehmen. Man sieht, wie vieles uns
dunkel bleibt und wie wenig uns gerade Ezechiel über den
salomonischen Altar zu sagen hat.
Wo stand der Altar des Ahas? Meist liest nmn aus
dem Texte heraus, der Altar vor Jahwe sei der alte gewesen,
er sei von seinem alten Platze zwischen dem neuen Altar und
dem Tempel weggenommen und zur Seite des neuen Altars
gestellt worden ^ Demnach wäre dann der neue, also der
Ahas-Altar, hinter dem alten, östlich vom Felsen zu stehen
gekommen. Das ist unrichtig. Alle Wahrscheinlichkeit spriclit
dafür, daß der neue Altar die Stelle des alten ausfüllt. Er
kann etwas größer (schwerlich kleiner) als der Salomos ge-
wesen sein, aber er wird nicht in den Vorhof gestellt, sondern
auf den Fels. Die natürlichen Fundamente bleiben also von
selbst, die übrigen mögen benutzt oder abgetragen worden
sein. Die Hauptsache ist der eherne Herd. Er muß einer
anderen, wohl künstlicheren Vorrichtung weichen, und zwar
ehe der König kommt, denn er trifft den neuen Altar
schon an. Daraus folgt, daß sein Platz zwischen Altar und
Tempel nicht sein alter rechtmäßiger Platz ist, sondern die
Stelle, die ihm vorläufig bis zur Ankunft des Königs an-
gewiesen war. Der Priester hatte ihm aus Pietät den Ehren-
platz vor Jahwe gegeben. Hier zwischen Tempel und Altar
ll So auch in m. Kommentar (1900).
7. Salomo. Ahas. Ezechiel. 57
darf er nicht bleiben, er kommt auf des Königs Befehl an
den Schlachtplatz und wird von dort ohne Zweifel baldigst
überhaupt beiseite getan worden sein.
Kehren wir zum Altar Salomos zurück, so ist das
auf langem Umwege gewonnene Ergebnis nicht gerade er-
mutigend. Immerhin ist wenigstens einiges gewonnen. Der
Altar Salomos hat einen beweglichen ehernen Aufsatz, Der-
selbe hat ohne Zweifel gleich dem des Zeltes am Gihon und
dem Ezechiels Hörner. Er hat bis auf Ahas vermutlich in
seiner ursprünglichen Gestalt bestanden; ob ihn Ezechiel noch
sehen konnte, ist zweifelhaft. Es ist anzunehmen, daß er von
stattlicherer Ausdehnung war als der Davids. Ob sein Fun-
dament aus Erz oder Stein bestand und wie es beschaffen
war, wissen wir nicht. Seine Maße, wenigstens was Funda-
ment und x4.ufsatz anlangt, könnten an sich recht wohl denen
des Ezechiel und der Chronik ungefähr entsprechen. Doch
auch hier wieder mit dem Vorbehalt, daß nicht etwa irgend-
woher noch entscheidende Gründe dagegen auftreten.
Um hierüber zu einer Entscheidung zu gelangen, werden
wir am besten so vorgehen, daß wir uns das Bild des salo-
monischen Altars probeweise einmal auf Grund jener Maße
vergegenwärtigen .
Dürften wir diese Maße als ungefähre zugrunde legen,
so würden wir bei etwa 20 Ellen — die Elle = % Meter ge-
rechnet ^ — Grundfläche eine Oberfläche von der ungefähren
Größe des Vierecks ABML auf Abb. 4 erhalten. Und
wenn wir nach Ezechiels Vorgang die Feuerstelle auf
etwa 12 Ellen oder 6 Meter ansetzen, so bekämen wir ein
zweites inneres Viereck von der Größe des Vierecks EFKI.
Die Frage würde dann nur sein müssen, an welcher Stelle
des Felsen wir die zwei Vierecke unterbringen sollen.
Verschiedene Anhaltspunkte stimmen darin überein, daß
wir den mutmaßlichen Salomo-Altar, wofern wir ihn über-
haupt in näherer oder fernerer Anlehnung an die Angaben
1) Bei der Unsicherheit der Zahlen, die nur als schätzungsweise
richtig angesehen werden können, und der immer noch bestehenden Un-
sicherheit über die Größe der hebräischen Elle begnüge ich mich ab-
sichtlich mit der Angabe der Dimensionen in Metern und nehme kurz-
weg 1 Meter = 2 Ellen.
58 Kitte], Studien. I. Der heilige Fels.
der Chronik und Ezechiels uns vorstellen wollen, am besten
so unterbringen, wie die Abb. 4 mit dem Viereck ABML
angibt. Setzen wir oben bei dem Ende des Ganges mit BM
an; oder aber setzen wir, von der Voraussetzung ausgehend,
daß der südliche rechte Winkel am Felsen alt sei — wofür
der Umstand wohl sprechen kann, daß der Schnitt unmittelbar
an den Schalen einsetzt, bezw. die Schalen unmittelbar an ihn
angelehnt sind — , bei dem Schnitte in der Linie LOA an:
beidemal kommen wir bei einer Länge des Altars von etwa
10 Metern (dem ungefähren Äquivalent jener etwa 20 Ellen),
in nordsüdlicher Eichtung an jene Grenze, den Gang einer-
und die wagrechte Linie LA anderseits, die für eine natürliche
Begrenzung des Altars wie gegeben erscheint. Ebenso wenn
wir von Punkt L aus die 10 Meter nach Osten abmessen,
gelangen wir zu Punkt A als der unteren Ecke des Altars,
wodurch das Loch zur Höhle in den Gesamtaltar eingeschlossen
erscheint. Da wir vom späteren Altar geradezu wissen, daß
in ihm eine Vorrichtung zur Abführung von Blut und Wasser
angebracht war^ so stände nicht das Geringste im Wege,
den Zugang zur Höhle zum Behuf der Abführung von Asche
und Opferresten, unverbrannten Fetteilen usw. geradezu in
den Altar einzubegreifen. Das Loch wäre in diesem Falle
beim Überbauen des Felsen offen gehalten worden.
Man vergleiche dazu die interessante Notiz in Lev 1 m,
wo angenommen ist, daß nicht nur die Opferasche, sondern
auch gewisse, nicht auf den Altar kommende Teile solcher
Tiere, die nicht am nördlichen Schlachtplatz- geschlachtet
werden — es handelt sich um Vögel — „auf den Aschenhaufen
östlich vom Altar" zu werfen sind. Bedenken wir, daß das
Loch bei unserer Annahme betreffs des Altars an die äußerste
Südostecke des Fundamentes zu liegen käme, und erinnern
wir uns ferner, daß die Grube unter ihm sich östlich bis ans
Ende des Felsen, also noch ein gutes Stück östlich vom
Altar hinzieht, so könnten wir mit gutem Grunde annehmen,
daß wenigstens für den salomonischen Altar auf diese Weise
der Aschenplatz in der Tat östlich vom Altar seinen Platz
1) Vgl. darüber unten S. 84.
2) Vgl. Lev 1 11: er schlachte vor Jahwe an der Nordseite des Altars.
7. Salomo. Ahas. Ezechiel 59
hätte. Das ist m. E. ein starker Anhaltspunkt dafür, das
Altarfundanient so zu legen, wie es in Abb. 4 durch ABML
angedeutet ist.
Da wir über den Stoff, aus dem der Unterbau besteht,
nichts erfahren, werden wir nur an Stein oder Erz denken
können. Da durch Ahas nur der Erzaufsatz zur Seite gestellt
worden zu sein scheint, würde Erz tatsächlich nur für jenen
eigentlichen Rost in Frage kommen. Wir würden also wohl
an einen Steinaufbau über dem Felsen zu denken haben, den
Ahas dann entweder einfach beibehalten oder aber abge-
räumt hätte.
Bis hierher liegen, wie man sieht, der hier in Frage
stehenden Annahme keine ernsten Bedenken im Wege. Trotz-
dem sind sie vorhanden. Was nämlich mit den übrigen Lö-
schern im Fels — abgesehen von dem zur Höhle führenden — ,
die sich sämtlich in der Nähe der Peripherie des angenom-
menen Altarfundaments befanden, bei dem hier vorausgesetzten
Altar etwa geschah, ist schwer zu sagen. Wurden sie oifen-
gehalten oder hat Salomo sie übermauert? Es müßte doch
das letztere angenommen werden, obwohl es nicht wahr-
scheinlich ist, daß er sich in diesem Punkte wesentlich von
David unterschied. Ferner aber: bei den Punkten C, D fällt, wie
wir von früher wissen, der Fels stark ab, es müßte also die
ganze, vermutlich der Terrassierung des Felsen zum Behuf
der Errichtung eines Altars ^ dienende Vertiefung CDML
wieder zugebaut worden sein. Der Altarunterbau hätte dann,
von Norden gesehen, etwa den Anblick gewährt, den Abb. 5
(oben S. 18) mit B'BMM^ darbietet.
Das alles, wenn es auch möglich ist, klingt doch nicht
recht wahrscheinlich, und man kann sich dem Eindrucke
schwer verschließen, daß einer Herstellung des salomonischen
Altars auf Grund der überlieferten Maße, sobald man sich
an die natürliche Beschaifenheit des hl. Felsen anschließt 2,
recht erhebliche Schwierigkeiten im Wege stehen. Es kommt
dazu, daß, wie wir früher konstatiert haben, der hl. Fels im
Osten heute noch eine schräge ebene Fläche zeigt, die nicht
1) S. oben S. 49.
2) Ein Gesichtspunkt, der freilich bisher fast ganz außer acht ge-
lassen wurde.
60 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
wohl anders denn als ein Aufgang zu ihm gedeutet werden
kann. Es ist nicht gut möglich, die genaue Länge dieses Auf-
gangs zu bestimmen. Soviel mir bekannt, ist er überhaupt
noch nicht beobachtet worden; was in Abb. 4 als Aufgang
eingezeichnet ist, ruht lediglich auf Schätzung nach meinem
Augenmaß. Die Angabe in betreff seiner Länge kann wohl
noch verbessert werden, sie wird aber immer subjektiv sein,
weil bis auf weiteres kein anderer Maßstab als das Augen-
maß angelegt werden kann. Soviel aber glaube ich versichern
zu können, daß der Aufgang eher höher nach der Mitte des
Felsen zu heraufgeht als weniger hoch.
Hieraus folgt aber, daß bei der hier in Frage stehenden
Annahme weiter auch ein Teil des Aufgangs hätte ver-
mauert werden müssen. Ezechiel setzt bekanntlich voraus,
daß man den Altar im Osten betreten habe ' ; er bestätigt da-
mit ohne Zweifel die im Bisherigen gegebene Deutung jenes
schiefen Einschnittes. Aber er redet nicht von einem schiefen
Aufgange, sondern nimmt an, man habe den Altar auf Stufen
bestiegen, womit er sich in direkten Widerspruch zum Altar-
gesetz des Exodus (20 27) begibt. Der Aufgang würde aber
durch seine teilweise Vermauerung vermutlich überhaupt un-
brauchbar geworden sein, wie ein Blick auf Abb. 4 u. 5 zeigt.
Indem der Fels bis zum Punkte B^ bezw. B in Abb. 5 zu-
gedeckt ist, wird die so gewonnene Stufe so hoch, daß vom
Aufgang aus sowohl ein Besteigen des Fundaments als ein
Herübergreifen über den Rand unmöglich wird. Wollte man
dem Aufgang seinen Wert belassen, so müßte angenommen
werden, die Mauer habe rechts und links von ihm Halt ge-
macht und einen Durchgang zum Lmern des Altars, dem
Opferherd, freigelassen, so daß man auf Seitenstufen oder je
einem seitlichen Aufgang, ähnlich den Seitenstufen am Altar
von Ba'albek (s. Abb. 26 f) zum Fundament aufgestiegen wäre.
Auf diesem Unterbau wäre nun der eigentliche Altarherd
aufgesetzt zu denken, nach der Chronik 10 Ellen hoch, wohl
vom Fundament an (bis EF in Abb. 5) — oder etwa von der
Erde an (bis CD in Abb. 5)? — gemessen, bei Ezechiel 11 Ellen
hoch, und nach letzterem in mehreren Abstufungen ansteigend.
1) S. Ez 43 17.
7. Salomo. Ahas. Ezechiel. 61
Daß Salomo einen so komplizierten Altarbau, wie ihn Ezechiel
beschreibt, habe herstellen lassen, will mir nicht wahrschein-
lich vorkommen; nicht etwa weil er dazu nicht imstande war,
sondern weil in 2 Kön 16 durch Ahas so kurzer Prozeß mit
seinem Altar gemacht wird und weil, wenn er ein verwickeltes
Kunstwerk gewesen wäre, wir am ehesten eine Beschreibung
von ihm erwarten dürften. Es will mir immer wieder scheinen,
als sei die Beschreibung Ezechiels, da sie doch wohl kaum
ganz Neues geben will, am ehesten an den Altar des Ahas
angelehnt. Dann wäre das Motiv der Beseitigung des alten
Altars wesentlich in seiner Einfachheit zu suchen. Es sollte
etwas weniger Schlichtes, Kostbareres, jedenfalls aber Fremd-
artigeres und Neumodischei'es an seine Stelle gesetzt werden.
Diesen Forderungen kommt ein Altar in der Weise des Ahas-
altars entgegen, wobei wir uns noch dessen erinnern wollen,
einerseits daß Ahas seinen Altar dem Assyrerkönig zuliebe
herstellt, und anderseits daß der des Ezechiel mit babylo-
nischen Stufentürmen eine unverkennbare Ähnlichkeit
verrät.
Sind diese Ewägungen aber richtig, dann war der salo-
monische Altar wesentlich einfacher, ein schlichter, alt-
väterischer Opfertisch inmitten aller Pracht des
übrigen Tempels. Trotzdem könnte er, wenn auch nicht
die Form des Ezechielaltars, so doch die Dimensionen des
Ezechiel- oder des Chronikaltars gehabt haben. Wir könnten
uns also einen inneren Aufbau, entsprechend dem inneren
Quadrat in Abb. 4 (EFKI), etwa 10 Ellen hoch und etwa
12 Ellen lang und breit, über dem Fundament vorstellen, oben
gekrönt mit einem ehernen Roste; oder wir könnten uns, so
wie es 2 Chr 4i voraussetzt, ein großes, 10 Ellen hohes und
20 Ellen langes und breites Viereck ABML vorstellen, aber
nicht, wie die Chronik will, aus Erz, sondern aus Stein, und
wegen 2 Kön 16 nur mit ehernem Roste — einen Bau, der
in beiden Fällen natürlich einen stattlichen Aufstieg — Treppe
oder Gang — besessen haben müßte. Und wenn wir nur
zwischen beiden Möglichkeiten die Wahl hätten, würde ich
unbedenklich die zweite vorziehen (also etwa B^BCDMM^ in
Abb. 5).
Damit wären wir der Überlieferung über den Altar
62 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Salomos und den über ihn geläufigen Vorstellungen soweit als
irgend möglich entgegengekommen. Uneingeschränkt sie zu
halten, sind wir aber doch nicht imstande. Denn ein eherner
Altar von 20 Ellen Länge und Breite und 10 Ellen Höhe, wie
ihn die Chronik sich denkt, wäre das doch nicht. Sind wir
also doch genötigt, Abstriche zu machen, und hat sich außer-
dem gezeigt, daß die Überlieferung, sobald man sie mit dem
Fels selbst in Verbindung zu bringen sucht, erhebliche Schwierig-
keiten mit sich bringt, so fragt es sich, ob wir nicht besser
tun, mit der ganzen, seitdem sich ergab, daß Ezechiel weg-
fällt, ohnehin nur noch auf die Chronik gestützten Über-
lieferung unserer alten und modernen Archäologen
und Exegeten zu brechen.
Hiefür gibt es in der Tat einen entscheidenden Grund,
der die vorhin ausgesprochene Vermutung von der Einfachheit
und dem bescheidenen Charakter des salomonischen Altars
bestätigt. Bei dem spätem Bearbeiter des Königsbuches lesen
wir 1 Kön 8 6i, Salomo habe bereits am Tage der Tempelweihe
den mittleren Teil des Vorhofes zum Opferdienste geweiht,
.,denn der eherne Altar, der vor Jahwe stand, war zu klein,
um die Brandopfer und Speisopfer und die Fettstücke der
Heilsopfer zu fassen". Das sieht geradezu aus, als hätte
Salomo überhaupt keinen Altar gebaut, sondern den alten
übernommen. Dem ist aber nicht so, wie uns 1 Kön 9 2:, deut-
lich sagt, Wohl aber geht aus jener späten Notiz hervor,
daß es der Nachwelt, die noch eine Erinnerung an den durch
Ahas abgetanen Erzaltar hatte, unbegreiflich war, wie der
große Salomo mit ihm hatte auskommen können.
Der Opferdienst war immer komplizierter geworden. Mit
dem Wachsen der Bedeutung des Tempels wuchs auch die
Zahl der hier dargebrachten Opfer; mit Wohlstand und Handel
und der Verfeinerung des Lebens wird auch der Kultus be-
reichert. Die Zahl der Opfer nimmt, wie uns die Profeten
ahnen lassen, immer zu'. Vor allem aber waren seit dem
Aufkommen der deuteronomischen Eeformbestrebungen viel
mehr Opfernde als zuvor in Jerusalem zusammengeströmt. Die
immer zahlreicher und immer mächtiger werdende Priester-
1) Vgl. Jes 1 11 ff. Jer 7 21 ff.
7. Salomo. Ahas. Ezechiel. 63
Schaft der Hauptstadt tut das Ihre, das Ansehen des Opfer-
dienstes zu heben, so daß in der Zeit des Ahas bereits das
Bedürfnis nach einem größeren und reicheren Altar rege wird.
Die Sanktionierung des Priesterkodex hat diese Bestrebungen
gekrönt, denn im priesterliclien Gesetze sind sie zum System
erhoben. Die Zeit des lierrschenden Priesterkodex ist zugleich
die Zeit der herrschenden Opferpraxis. Jetzt war der Altar
von Jerusalem in ganz anderem Sinne der Mittelpunkt des
Volkslebens als ehedem. Und nicht nur aus der Heimat, aus
der ganzen Welt strömten bald zu den Festen die Scharen
der Opfernden nach Jerusalem.
In dieser Zeit hat man, wie die Mischna ^ berichtet, selbst
mit dem großen Altar nicht mehr auskommen können; man
muß ihn vergrößern, um dem Andrang der Feiernden zu ge-
nügen. Schon vorher versteht man längst nicht mehr, wie
man einst mit viel weniger auskommen konnte: der Bearbeiter
des Königsbuchs hat noch eine Erinnerung an das, was einst
war, er weiß, daß Salomo einen bescheidenen Altar hatte, aber
er kann an die anfängliche Bescheidenheit des Opferdienstes
selbst nicht glauben, so läßt er Salomo zum Gründer des
spätem Priestervorhofs werden und läßt ihn denselben zu
großen Festen wie dem Weihefest benutzen. Der Chronist
hat auch die Tatsache selbst vergessen; ihm ist es selbstver-
ständlich, daß Salomo einen Altar der Art brauchte und hatte
wie der Tempel Serubbabels im vierten und dritten Jahrhundert
unter dem Einfluß einer gewaltig angeschwollenen Diaspora ihn
möglicherweise besessen haben mag — 20 Ellen im Geviert
und 10 Ellen hoch.
Es ist mir kein Zweifel, daß der Bearbeiter des Königs-
buches den historischen Sachverhalt widerspiegelt: Salomos
eherner Altar war ein Opfertisch von mäßiger Größe
und einfachen Formen. Damit fällt nicht nur der schon
aus andern Gründen höchst zweifelhaft gewordene Ezechiel-
altar, es fallen auch die 20 Ellen Länge und Breite der
Chronik und vermutlich auch die 10 Ellen Höhe. Die mancherlei
Schwierigkeiten, die das Überbauen des Felsen durch Salomo
1) Midd. III, 1. Merkwürdigerweise soll man nach Rabbi Jose das
Fundament nur auf zwei Seiten, also in Form eines (großen) Gamma
vergrößert haben. S. darüber unten S. 84 Anm. 2.
64 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
unserm Verständnis seines Altars zu bereiten schien, lösen
sich von selbst und es bleibt ein Tisch von bescheidenen Di-
mensionen auf dem Felsen. Wir können geneigt sein, uns einen
steinernen Untersatz in der Größe etwa des inneren Vierecks
EFKI auf unserer Abb. 4 vorzustellen und auf ihm einen
bronzenen Aufsatz uns denken. Doch liegt, nachdem wir von
Chronik und Ezechiel abzusehen gelernt haben, auch keine
Veranlassung mehr vor, den Altar Salomos gerade als Qua-
drat sich zu vergegenwärtigen. Die Schwierigkeit des Über-
greifens über die Grenze CD fällt damit ebenfalls weg.
Ja es besteht ferner auch keine Veranlassung, einen
eigenen Unterbau anzunehmen. Da der Altar, genauer der
Opfertisch (Mizbeach), ein eherner Opfertisch heißt, so steht
nichts im Wege, damit Ernst zu machen und Salomos Altar
wirklich für einen Erztisch auf dem Felsen zu halten. Ein
Aufsatz aus Bronze ganz derselben Art, wie ihn vermutlich
schon David hatte, wird auf den Felsen gestellt — vielleicht
mit Steinen untermauert, um ihm Halt zu geben — und der
Altar ist fertig. Das Einzige, was vermutlich den neuen
vor dem früheren auszeichnete, wird die relative Größe ge-
wesen sein.
Davids Altar war der einer Höhe neben dem Hauptheiligtum
am Gihon, dem Zelt mit der Lade, und dem Altar dort K Viel-
leicht dürfen wir den Altar Davids auf dem Moria uns so
denken, daß der Aufgang seine Länge ergibt, also nach dem
oben S. 45 Ermittelten in der Gestalt des Vierecks efgh.
Salomos Tempel soll dieses Heiligtum ersetzen und zu-
gleich das erste Heiligtum des Reiches werden, das die andern
zwar nicht sofort ersetzen, immer aber in Schatten stellen
soll. Sein Altar, auf den im übrigen das meiste des über den
davidischen Vermuteten zutreffen mag, muß natürlich diesem
neuen Sachverhalte Rechnung tragen. Wir werden ihn so
hinter dem Aufgang ansetzen dürfen, daß ein Viereck mit
leidlich guten Proportionen entsteht und zugleich an der Rück-
seite noch die Möglichkeit des Umgehens bleibt. Das ergibt
etwa das Viereck EFGH. Statt der Höhe von 10 oder 11 Ellen
genügt ein Aufsatz, der den Gipfel des Felsen eben zudeckt
1) S. oben S. 40 f.
7. Salomo. Ahas. Ezechiel. ß5
oder nur wenig überragt. Einen solchen konnte Ahas bequem
herabnehmen und mit leichter Unterstützung an der einen Seite
eine Weile neben dem Felsen stehen lassen. Die Linie F^G^
in Abb. 5 bezeichnet die Oberfläche des historischen Sa-
lomoaltars.
Bis auf Ahas hat der schlichte bronzene Eost auf dem
Felsen vermutlich seine Dienste getan. Dann muß er einem
schöneren und größeren weichen. Dürfen wir aus Ezechiel
etwas für ihn schließen, so war der große Altar, von dem wir
schon hörten, daß er dieselbe Stelle wie der kleinere eherne
einnimmt, ein hoher Aufbau mit Stufenaufgang. Daraus
folgt zugleich, falls das Prädikat groß sich nicht bloß auf die
Höhe, sondern auch auf die Grundfläche bezog, in welcher
Richtung wir die Vergrößerung uns zu denken haben. Der
schräge Aufgang ist nun gegenstandslos, also braucht er auch
nicht mehr die Grenze zu sein. Denken wir uns also das
Viereck Salomos zum Quadrat, und zwar nach Osten hin aus-
gebaut (GHQP in Abb. 4), so ist bereits ein stattlicher Raum-
zuwachs gegeben.
Das Recht zur Vergrößerung auch der Grundfläche sowie
der Betonung einer Konstruktion nach Art derjenigen des
Ezechiel, nämlich mit Unterscheidung von Grundlage und Auf-
bau, dürfen wir vielleicht aus der Erzählung über den Altar
des Ahas in 2 Kön 16 ableiten. Es ist die erste Stelle, in
der in so ausführlicher Weise, wie es hier geschieht, die Opfer
nach ihren Arten sorgsam aufgezählt werden: Morgenbrand-
opfer, Abendspeisopfer, Brandopfer und Speisopfer des Königs
und des Volkes, nebst den Trankopfern. Die Spezialisierung
der Opfer und ihre Gliederung in ein geschlossenes System,
das System des Priesterkodex, von der oben die Rede war,
beginnt hier, bezw. sie zeigt sich zum erstenmal in dieser
feierlichen Form. Das ist der Beweis dafür, welchen Wert
man aufs Opfer zu legen angefangen hatte und daß nun ein
größerer Altar Bedürfnis ist.
Und die Erzählung ist zugleich die erste Gelegenheit, wo
das Sprengen des Blutes an den Altar besonders betont wird.
Zweimal, in V. 13 und V. 15, wird es genannt als ein wesent-
licher Teil des Opferns eines Schlachttieres. Auch hierin ist
bereits der beginnende Priesterkodex wenigstens der Sache
Kittel, Beiträge. 5
66 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
nach^ wahrzunehmen. Die Hörner bestehen daneben fort als
die Empfänger des Opferblutes; aber der Altar selbst, also
die Seitenwände und das Fundament, der J'sdd des spätem
Tempels, der bei Ezechiel eine eigene Einne hat, um das Blut
aufzunehmen, sie treten hier neben die Hörner und die obere
Fläche. Das läßt vermuten, daß dieser neuen Anschauung
auch durch die Anlage, wie wir sie bei Ezechiel sehen, Rech-
nung getragen worden sei.
Endlich läßt sich noch über den Stoff des neuen, unsern
heiligen Fels seit Ahas schmückenden Altars etwas sagen.
Indem der alte kurzweg der bronzene heißt, ist der neue,
jedenfalls seiner Hauptsache nach, als von anderer Art ge-
kennzeichnet. Auch er wird wohl einen Rost von Metall —
Bronze oder Eisen- — gehabt haben; aber der höhere Auf-
bau des Ganzen wird zum voraus das teure Metall weniger
empfohlen haben, jedenfalls lehrt jene Benennung des andern
Altars, daß wir hier an andre Stoffe zu denken haben. Es
bleibt sonach doch wohl nur übrig, an einen Steinaltar zu
denken, der über den Felsen gemauert war.
Es ist nichts davon bekannt, daß der Altar des Ahas
etwa bei der Reform des Hiskia oder Josia wieder abgetan
und der alte, von Ahas beiseite gestellte wieder in seine
Rechte eingesetzt worden wäre. Nun ist das Schweigen des
Berichterstatters über diesen Punkt natürlich kein Beweis
gegen jene Möglichkeit. Aber sie ist innerlich unwahrschein-
lich. Was Ahas über den ersten Altar sagt, klingt ganz als
Euphemismus, oder wie man es nennen mag, für die Absicht,
ihn baldigst abzutun. „Mit dem ehernen Altar will ich mir
die Sache überlegen" bedeutet eine nur leise Verhüllung jener
Absicht, nichts anderes. Sie wird auch ausgeführt worden
sein. Jedenfalls ist, da der neue Altar größer war und, wie
uns neben dem oben Ausgeführten Ezechiels Entwurf zeigt,
damit einem Bedürfnis entgegenkam, die innere Wahrschein-
1) Vgl. Lev 1.
2) Vielleicht ist au Eiseu zudenken, da in 2 Kön 25i3ff. alles, was
von Bronze aufzutreiben war, der Plünderung anheimfällt, der Altar aber
nicht genannt ist. Eisen hatte man im Osten selbst in Fülle. Es darf
übrigens bemerkt werden, daß auch der alte Bronzealtar nicht als Plünde-
rungsobjekt erscheint.
8. Das babylonische Exil. 57
lichkeit vorhanden, daß er den Sieg behielt und bis zum Exil
stehen blieb.
Als Nebukadnezar den Tempel plündern und zerstören
ließ, hat man ohne Zweifel auch vom Brandopferaltar alles,
was irgend Wert besaß und dem König oder den Plünderern
begehrenswert erschien, abgenommen. Es ist auch gar nicht
ausgeschlossen, daß man, um den Sieg Marduks über Jahwe
zum Ausdruck zu bringen, auch den Aufbau, soweit er keinen
Plünderungswert hatte, abriß oder so beschädigte, daß er un-
brauchbar wdvK Vermutlich ist dadurch der Fels selbst zum
größeren Teil mit Trümmern zugeschüttet gewesen -, und man
wird schwerlich Anlaß und Gelegenheit gehabt haben, sich
ernstlich an ihm zu vergreifen, womit Beschädigungen im ein-
zelnen, wie sie das rücksichtslose Tun der Plünderer von
seilest mit sich brachte, natürlich nicht ausgeschlossen sind^.
8. Das babylonische Exil.
Was ist während des Exils mit dem Altar platze ge-
schehen?
Wir stellen uns gerne Jerusalem und Juda während des
Exils als tabula rasa vor; daß davon nicht die Rede sein
kann, ist neuerdings oft genug betont worden, am schroffsten
und einseitigsten wohl von Kosters in seinem Buche über die
Wiederherstellung Israels in der persischen Periode*. Tat-
sächlich sind die oberen Schichten nach Babylonien weggeführt
worden; von den Übriggebliebenen ist ein Teil nach Ägypten
gewandert, aber ohne Zweifel sind Juden geringerer Stände
in hinreichender Zahl im Lande geblieben. Wo sollten sie
anbeten?
1) Vgl. Klagl 2 6-8:
Er hat zerschlagen wie au einem Garten seine Umfriedigung — seinen
Festort zerstört.
Vergessen machte Jahwe in Zion — Fest und Sabbat.
Und verwarf in seines Zornes Grimm — König und Priester.
Verschmäht hat Jahve seinen Altar — sein Heiligtum verworfen, . .
Geschrei ließen sie erschallen im Tempel — gleich als an einem Festtag.
2) Vgl. die spätem Schilderungen über die Zeit nach Hadrian.
3) S. oben S. HS f.
4) Deutsche Übersetzung von Basedow, Heidelb. 1895. Vgl. dort
S. 13flF.
5*
68 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Soweit ihre Städte nicht zerstört -waren, mögen sie zum
Teil an die alten Anbetimgsstätten sich zurückgewandt haben.
SU besonders nach Mispa. Aber gerade die gesetzestreuen
Elemente werden Jerusalem und seinen Tempel nicht ver-
gessen haben. Wir wissen nicht, ob Jerusalem selbst so gründ-
lich zerstört wurde, daß ein Wohnenbleiben Einzelner dadurch
ausgeschlossen gewesen wäre — wahrscheinlich ist das nicht.
Wenn nicht gerade das Wohnen an der Stätte Jerusalems mit
Gewalt gehindert wurde, so ist nicht abzusehen, weshalb nicht
Elemente der alten Bevölkerung auf den Trümmern der alten
Stadt weiterwohnten und die Felder um sie bestellten. Zu
ihnen mögen sich bald Auswärtige, Juden und Fremde, ge-
sellt haben, so daß die Zahl im Laufe der Jahre wuchs.
Daß sie, ob Juden ob fremde Ansiedler, keinerlei Gottes-
verehrung übten, ist undenkbar. Es mögen mit der Zeit durch
das Zunehmen fremder Elemente heidnische Kultussitten sich
eingestellt haben; vom ersten Anfang war das weder in Jeru-
salem noch auswärts die ßegel.
Die hier ansässigen Juden haben also Jahwe zunächst
wohl genau in derselben Art gesucht wie vordem, und nicht
wenige Fromme von auswärts unter den im Lande Gebliebenen
haben es ebenso gehalten. Man wird, obwohl man wußte, daß
Jahwe seine Stätte verlassen und an die Heiden preisgegeben
hatte, doch dahin gegangen sein — sei es gleich den spätem
Juden \ um auf den Trümmern des Tempels zu weinen, sei es
besonders zu versuchen, ob er nicht doch an seine alte Stätte
zurückkehre.
Das religiöse Leben nicht der Semiten allein haftet zu
sehr am Orte, der einmal als heiliger Ort erkannt ist, als daß
angenommen werden könnte, Jerusalem und sein Tempelberg
— war die Stadt selbst nun bewohnt oder nicht — seien mit
der Zerstörung plötzlich vergessen und sozusagen ein halbes
Jahrhundert lang aus der Religionsgeschichte der Menschheit
gestrichen gewesen. Einen Anhaltspunkt, wie wir uns die
1) S. oben S. 34. Seitdem der Zutritt zum Haram selbst den Juden
verschlossen ist, hat sich die Sitte des „Weinens" an die sog. Klage-
mauer, d. h. die südwestliche Außenmauer des Haram geknüpft. Es scheint
aber, daß in der vorislamischen Zeit der hl. Fels die Stelle der heu-
tigen Klagemauer vertrat.
8. Das babylonische Exil. g9
Dinge vorzustellen haben, gibt uns Jereraia, der 41 5 ff. von
80 Männern berichtet, die nach der Ermordung Gedalias, also
während der ersten Zeit des Exils, sogar von Sichern, Silo und
Samaria aus nach Jerusalem pilgerten, mit zerrissenen Kleidern,
abgeschnittenem Barte und Trauerzeichen am Leibe, um beim
Tempel Speisopfer und Weihrauch darzubringen. Giesebeecht ^
will die Erzählung nicht vom Tempel von Jerusalem verstan-
den wissen, weil es ja einen solchen nicht mehr gegeben habe,
sondern von Mispa. Allein einmal will jener Grund nichts
besagen: sie suchten eben den Ort Jahwes, auch der zerstörte
Tempel ist ihnen noch „Haus Jahwes". Sodann aber könnte
die Anbetungsstätte in Mispa nicht ohne jeden Zusatz „Haus
Jahwes" heißen. Wir müßten doch erst wissen, daß überhaupt
ein solches Haus hier stand. Endlich besonders kann der
Zu^ der Erzählung, daß Ismael sie veranlaßt, nach Mispa
hereinzukommen, nur so seine Erklärung finden '-. Mispa liegt
abseits vom Wege; es ist nicht ihre Absicht, hierher zu kommen,
Ismael aber lockt sie herein — hatten sie von selbst die Ab-
sicht, so brauchte er ihnen nicht entgegenzugehen.
Was hier ausnahmsweise, weil sich schwere Folgen daran
knüpften, erzählt ist, das mag sich sonst oft genug begeben
haben. Das Haus Jahwes blieb, auch nachdem es gefallen
war, „das Haus Jahwes"; auch von auswärts, selbst vom alten
Samarien her kommen Getreue zu ihm. wie man selbst in
Samarien und unter den fremden Kolonisten den Landesgott
verehren wollte, so daß ein Priester in Betel sich niederlassen
muß^ Wo und wie mögen sie geopfert haben?
Auch wenn der Altar zerstört war — der Fels blieb. So
kannte man jedenfalls die Stelle des Altars genau, man sah
unter den Trümmern seine Mauern und Fundamente und es
wird kein allzuschweres Stück Arbeit gewesen sein, jene
Trümmer soweit wegzuschaffen, daß man die alten Fundamente
notdürftig zu einer Opferstätte, wenn auch einfachster Art,
herstellen konnte. Vielleicht darf man die Notiz in der vor-
1) Kommentar zu Jerem.2 (1907) zur Stelle.
2) Auch die Trauerzeichen und das Weinen Israels mag auf diese
Weise seine natürlichste Erklärung finden, vielleicht auch die Arten der
Opfer: es fehlte der große Altar.
3) 2 Kön 17 24 ff.
70 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
hin besprochenen Stelle aus Jeremia, daß die 80 Wallfahrer
vom Gebirge Efraim nur Speisopfer und Eauchwerk dar-
bringen, dahin verstehen, daß für den Anfang noch keine Ge-
legenheit zum Brandopfer bestand, man sich also mit einer
ganz bescheidenen Opferstätte begnügte; jedenfalls hat auch
jener nicht lange auf sich warten lassen.
Aber sie bauen, wie es scheint, ihren Altar nicht genau
auf die alten Fundamente, Es mochte Schwierigkeit bieten,
sie ganz abzuräumen, und so mag man den neuen Altar ganz
oder teilweise neben sie gestellt haben. Außerdem mag er
sonst in seiner Einrichtung nicht ganz dem Ideal entsprochen
haben. Auch ist wohl anzunehmen, daß die zunehmende Nach-
wanderung fremder Ansiedler manches von den alten Kultus-
sitten verwischte, so daß am Ende des Exils die aus Babylon
heimkehrenden Juden die hier Ansässigen und auf dem Tempel-
platz Opfernden nicht mehr als Fleisch von ihrem Fleisch
anerkennen mochten. Aus den ehemaligen Juden ist eine
jüdisch-heidnische Mischbevölkerung geworden. So etwa wird
man die schwierige, auch im Texte verderbte Stelle Esra 3 2 f.
zu deuten haben, sei es, daß man der geistreichen aber irrigen
Deutung Klostermanns ' nachgeht oder bei der herkömmlichen
Deutung bleibt. Dort heißt es, die Heimgekehrten haben den
Altar Gottes wieder aufgebaut und haben ihn auf seinen Funda-
menten^ hergerichtet. Daraus ersehen wir zunächst, daß die
Fundamente, wie an sich zu erwarten war, noch stehen.
Klostbrmann will nun mit Änderung der Lesart nach LXX
fortfahren: „denn es waren von den Völkern der Länder Leute
zu ihnen (den Fundamenten) gekommen und hatten sie (die
Fundamente) ausgebessert 3. Daraus ergäbe sich der Sinn:
Heidnische Kolonisten^ hatten auf eigene Hand am Altar,
1) Ge.schichte Israels (189Ü) S. 2821'.
2) il:^z•z darf trotz Sach 5 ii liier nicht wohl mit Platz, Stelle über-
setzt werden. Das heißt sonst vom Altar mp-3. Das Verb 12''='' läßt
m. E. keinen Zweifel, daß an den Untersatz, das Fundament gedacht ist,
ebenso der Plural, den das Qere ganz richtig hat.
3) Er liest für n^-^xn nach ® ^^n D'^ns und nachher C^ptnii statt
des gewöhnlich (s. Bertholet, Komment, und BHK) eingesetzten ipTniT^i.
4) Klosterm. selbst denkt an Juden, die bei ben Heiden zu Gaste
sind, allein das könnte unmöglich heißen: von den Völkern des
Landes. So können nur einzelne Kolonisten bezeichnet werden.
8. Das babylonische Exil. 71
dessen Fimclaiiiente noch standen, gebessert und sich damit
beholfen, die Heimkehrenden bauen, weil ihnen das nicht ge-
nügt oder eher, weil ihnen dieser Notaltar zu wenig dem
Gesetze entspricht, einen neuen richtigen Altar darauf. Allein
auch dieser Sinn wird kaum dem Texte gerecht werden, schon
weil die Suffixe ^ die Beziehung auf die Fundamente nicht er-
tragen.
Man muß deshalb in der Hauptsache beim masoretischen
Text bleiben und kann sich begnügen, mit P. Haupt ^ und
Bertholet 3 für n^^i^n zu lesen n^a"^« xa. Es ist zu übersetzen:
„sie bauten den Altar Gottes wieder auf . . . und richteten
ihn auf seinen Fundamenten her, es war nämlich ein Schrecken
vor den Landesbewohnern-' über sie gekommen". Mit Schrecken
sehen die Ankömmlinge, daß die halb heidnisch gewordenen
Landesbewohner einen Altar besitzen, der so gar nicht dem
entspricht, was ihre eigene Religion und Tradition fordert.
Vor allem scheint er gar nicht an der richtigen Stelle zu stehen.
Nur so erklärt sich, daß nicht allein das Bauen des Altars
erwähnt wird, sondern mit fast größerem Nachdruck betont
wird, daß man ihn auf die alten Fundamente stellte. Wäre
es damit von Anfang an richtig bestellt gewesen, so würde
wohl einfach gesagt sein: sie bauten ihn auf seinen Fundamenten
wieder auf. Aber dann wäre zugleich auf die Frage: was
denn die Landesbewoliner seit 586 gemacht hätten, keine Ant-
wort gegeben.
Ist hiermit auch der richtige Sinn der Erzählung über
den Altarbau in Esra 3 gewonnen, so fragt sich natürlich
immer noch, ob wir es dort mit Sage oder mit Geschichte zu
tun haben. Daß Esr 3 im ganzen nicht Geschichte bietet, ist
oft schon betont worden ^ Aber da nach Hagg 2 u das Vor-
1) Das Eintreten des Maskulinums für das weibliche Suffix ist frei-
lich reichlich bezeugt. Aber so darf doch erst gedeutet werden, wenn
die Beziehung sonst feststeht, also wenn entweder '^U^^hs oder llptlTii
gesichert wäre.
2) Hebraica, Januar 1886 (vgl. Sacr. books of OT. zur Stelle).
3) Kommentar zur Stelle.
4) Nicht: „vor den [feindseligen] Landesbewohnern" so Kautzsui,
Bertholet u. a. Es handelt sich nicht um Augriffe.
5) S. u. a. Ed. Meyer, Die Entstehung des Judentums, S. 73;
Kittel im Art. „Tempel" in PßEs XIX,. 496.
72 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
handensein eines Altars im neuen Jerusalem schon vor der
Errichtung des Tempels gesichert ist, so wird auch an der
Eichtigkeit der in Esr 3 erzählten Haupttatsache, nämlich
eben der Errichtung des Altars, nicht zu zweifeln sein.
Es kann sich somit nur fragen, wie dieser Altar der neuen
Gemeinde sich zu dem von uns oben mit starken Gründen
vermuteten Altar der Zurückgebliebenen bezw. der in der
Zwischenzeit hier entstandenen Mischbevölkerung verhalten
haben möge. In dieser Hinsicht ist es nicht unmöglich, daß
Esr 3 eine richtige Erinnerung bewahrt hat. Bei der ganzen
Art, wie sonst die Heimgekehrten sich zu den im Lande An-
wesenden stellten, ist es gar nicht besonders wahrscheinlich,
daß sie Altäre und Kultuseinrichtungen, die von jenen stamm-
ten, ohne weiteres anerkannten und sich zu eigen machten.
Es wird also in der Tat zu einem Neubau auf den alten
Fundamenten gekommen sein. Das ist unter allen Umständen
ein bedeutsames Ergebnis, dem gegenüber die Frage, welches
eigentlich das Motiv jenes Neubaues gewesen sei, als eine
Frage von sekundärer Bedeutung offen bleiben kann. Bei der
Schwierigkeit der Textverhältnisse ^ in Esr 3-2 ist es wohl
möglich, daß das wirkliche Motiv im heutigen Texte nicht
mehr vollkommen klar zutage tritt. Wenn also auch die oben
angenommene Deutung, die sich in der Hauptsache an 9)c hält,
nicht richtig sein sollte, so bleibt jener Tatbestand selbst
doch bestehen.
9. Serubbabel.
Es folgt, wie wir aus Haggai und Sacharia ersehen, dem
Altarbau der Tempelbau der nachexilischen Gemeinde. Ist
mit ihm die Errichtung eines neuen Altars Hand in Hand ge-
gangen oder hat man sich mit dem kurz vorher errichteten
Altar begnügt? Das letztere wird der Wahrscheinlichkeit
entsprechen. Es versteht sich von selbst, daß der vorhin er-
wähnte Altarbau im Hinblick auf den von Anfang an beab-
sichtigten erfolgte; man wird den damals errichteten Altar
1) Vgl. besonders ®, wo eiue augenscheinliche Doppelübersetzung
vorliegt, die man jedenfalls nicht in einfacher doppelter Rückübersetzung
verwerten darf.
9. Serubbabel. 73
somit als das erste und am leichtesten auszuführende Stück
des Tempelbaus angesehen, den Altar also auch gleich von
Anfang an so hergestellt haben, daß er dem Bedürfnis des
nachfolgenden Tempels entsprach. Ein neuer Altar unter
abermaliger Beseitigung des bisherigen ist eben damit, weil
gegenstandslos, ausgeschlossen. Es blieb bei dem einen, und
ihn haben wir als den ßrandopferaltar des Tempels Serub-
babels anzusehen.
So tritt denn an uns von selbst die Frage nach der
Größe und Beschaffenheit dieses Altars Serubbabels
heran.
Die Nachrichten über den Tempel Serubbabels und im
besondern über seinen Altar sind außerordentlich dürftig. Sie
sind aber meines Erachtens noch erheblich dürftiger, als wir
gewöhnlich annehmen. Meist beruft man sich, da die hebräi-
sclle Bibel selbst uns gar nichts Unmittelbares sagt, auf Heka-
täus, der mit 2 Chr 4 i übereinstimmt, und auf 1 Makk 4 44 ff.,
und kommt zu dem Ergebnis, der Altar habe gleich dem des
Salomo die bekannten 20 Ellen Länge und Breite und 10 Ellen
Höhe, die wir aus der Chronik kennen ', gemessen und sei aus
unbehauenen Steinen hergestellt gewesen. Man bedenkt dabei
nicht, daß Hekatäus etwa Zeitgenosse des Chronisten ist und
daß das erste Makkabäerbuch die Zeit des Antiochus Epiphanes
im Auge hat.
Immerhin wäre auch so die Übereinstimmung des Heka-
täus mit der Chronik bedeutsam — für den Fall nämlich, daß
die Nachricht von 2 Chr 4 in der Tat, da sie, wie wir sahen,
für die Zeit des Salomo und seinen Altar nicht zutrifft, wenig-
stens auf die Zeit des Serubbabel mit Grund zu beziehen
wäre. Allein auch das wird zweifelhaft, sobald wir uns gegen-
wärtig halten, was wir in betreff der Dimensionen des vor-
exilischen Brandopferaltars ermittelt haben und was sich
weiterhin über das Verhältnis des neuen Altars zum vorexili-
schen der letzten Zeit des alten Jerusalem ergeben hat.
Es hat sich gezeigt, daß wir alle Gründe haben, anzu-
nehmen, der Altar der letzten vorexilischen Zeit habe noch
1) So z. B. NowACK, Archäol. II 72 f. und ähnlich noch PRE» XIX,
497. — Über Hekatäus usw. s. u. S. 75.
74 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
lange nicht dem der Chronik an Größe entsprochen. Es hat
sich ferner ergeben, daß ein sicheres Zeugnis dafür vorliegt,
daß der neue Altar genau auf die Fundamente des alten, d. h.
des von Nebukadnezar zerstörten, gestellt worden sei. Aus
diesen Prämissen ergibt sich mit Notwendigkeit der Schluß,
daß auch für den neuen Altar, den Serubbabels, die Chronik
mit ihren 20 Ellen Grundfläche nicht als Quelle gelten kann.
Desgleichen wird natürlich das Zeugnis des Hekatäiis, das
dasselbe besagt, hinfällig. Der Altar des Serubbabel-Tempels
war erheblich kleiner als der des Chronisten; er wird durch
das Viereck GHQP in Abb. 4, genau wie sein Vorgänger, be-
zeichnet gewesen sein.
Steht er an der eben bezeichneten Stelle, so wird auch
für ihn wie für seinen unmittelbaren Vorgänger der alte Auf-
gang gegenstandslos. Sollen wir uns statt seiner die östlichen
Stufen Ezechiels vorstellen oder gemäß dem Altargesetz einen
schrägen Aufgang? und wie groß dürfen wir seine Höhe an-
nehmen? Eine Antwort auf diese Fragen müssen wir schuldig
bleiben, da wir nicht wissen, wie stark das Ansehen Ezechiels
ins Gewicht fiel, auch nicht wissen, in welchem Maße etwa
das Gesetz über den Altar der Stiftshütte in Ex 27 i ff. schon
zum Maßstabe genommen wurde.
Ferner dürfen wir ihn nach Anleitung des von Heka-
TÄus beschriebenen aus unbehauenen Steinen dem Gesetze
in Ex20 2G entsprechend vorstellen? Es scheint, daß 1 Makk
4 47 es sich so vorstellt, indem dort gesagt wird, der neue,
von Judas Makkabäus an Stelle des durch die Syrer verun-
reinigten errichtete Altar sei aus unbehauenen Steinen und
nach dem Muster des vorigen errichtet gewesen K In diesem
Falle liegt kein Grund vor, an der Kichtigkeit der Nach-
richt zu zweifeln. Als gewichtige Instanz für die Annahme
unbehauener Steine tritt hinzu die Tatsache, daß die deu-
teronomischen Schriftsteller (Dt 27 6 f. Jos Sauf.) gerade auf
diese Gesetzesbestimmung großen Wert legen, während z. B.
Ezechiel sie nicht erwähnt hatte. Demnach ist allerdings mit
1) Ganz siclier ist das freilich nicht; der Zusatz „nach dem Äluster
des vorigen" könnte sieh möglicherweise auch auf Größe und Gestalt des
Altars allein beziehen. Doch ist das andere mindesten? recht wohl
möglich.
10. Die Zeit der Chronik. 75
ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß auch der Serubbabel-
Altar sich an diese Bestimmung gehalten habe. Vielleicht war
ihre Nichteinhaltung einer der Gründe gegen den exilischen
Altar. Auch Hekataüs erwähnt die unbehauenen Steine bei
dem Altar seiner Zeit. Aus Steinen hingegen scheint der
neue Altar jedenfalls gewesen zu sein '.
Wir kommen somit bei nüchterner Erwägung der Quellen
auch für die erste nachexilische Zeit noch zu dem Ergebnis,
daß ihr Altar immer noch nicht jene gewaltigen Dimensionen
besaß, die wir so gerne geneigt sind, schon dem salomonischen
Altar und dem der ganzen nachfolgenden vorexilischeii Zeit
zuzuschreiben. Vielmehr auch jetzt noch haben wir es,
wenn auch mit stattlichen, so doch immer noch be-
scheidenen Größenverhältnissen zu tun. Doch ist kein
Zweifel, daß für die erste Zeit der nachexilischen Gemeinde,
die uns ja überall als eine Zeit der geringen Dinge entgegen-
tritt, ein Altar von etwa 6 m Grundfläche reichlich aus-
reichen mochte.
10. Die Zeit der Chronik.
Wie ist aber die Überlieferung von den 20 Ellen, die wir
in 2 Chr 4 1 und ziemlich gleichzeitig bei Hekatäus ^ antreffen,
entstanden? So stark wir sie bisher zurückgestellt haben,
so wenig wäre es billig, anzunehmen, sie sei einfach aus der
Luft gegriffen. Die Entwicklung der Verhältnisse im Laufe
der Zeit, ebenso wie die hohen Ziffern, die für eine nicht allzu-
lange nachher folgende Zeit Josephus und die Mischna darbieten,
lassen uns nicht zweifeln, daß die Angaben des Chronisten
und des Hekatäus historisch sind. Sie müssen nur aa der
richtigen Stelle eingestellt werden. Sie sind geschichtlich
nicht für eine erheblich frühere Zeit, wohl aber sind sie es
1) S. darüber unten S. 77.
2) Bei Josephus c. Apion. I, 22. Man beachte, daß Hekatäus nicht
etwa einen früheren Altar beschreibt, sondern den seiner Zeit. Er be-
richtet was zur Zeit Alexanders da war. Auch wenn die Schrift apokryph
ist, was jetzt vielfach angenommen wird, ist sie doch wohl noch aus dem
3. Jahrh. v. Chr. (s. Schüeer, Gesch. d. jüd. V.s 111,465), so daß die Uu-
echtheit für uns nichts verschlägt.
76 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
für die Zeit der beiden Autoren bezw. für die ihnen nicht
allzulange vorangehende Periode.
Die erste nachexilische Zeit beginnt höchst bescheiden
und dürftig. Allein nicht nur ist mit der Zeit die Zahl der
palästinischen Juden durch Zuwanderung aus Babel ge-
wachsen, sondern vor allem es mehrt sich frühe durch rege
Handelsbeziehungen der Wohlstand der Gemeinde und es
steigert sich die Zahl der zu den hohen Festen nach Jerusalem
pilgernden Juden aus der Diaspora von Jahrhundert zu Jahr-
hundert. Die Folge ist, daß im Laufe der Zeit die Bedürfnisse
des Tempeldienstes, vor allem des Opferaltars, längst nicht
mehr im Verhältnis zur Bevölkerungsziffer des einheimischen
palästinischen Judentums stehen. Mit der Erschließung des
Ostens für den Weltverkehr durch Alexander den Großen
hat diese Entwicklung ohne Zweifel besonders rapide Fort-
schritte gemacht, es liegen aber Gründe genug vor, die uns
annehmen lassen, daß sie auch ziemlich vor Alexander schon
lebhaft eingesetzt habe.
Die Folge mußte eine erhebliche Vergrößerung des Tem-
pelaltars sein. Nun wissen wir aus der Mischna. daß dieser
Prozeß der Vergrößerung sich tatsächlich zu Zeiten vollzogen
hat ^ Die Mischna hat noch die Erinnerung bewahrt, daß der
ihr bekannte, 32 Ellen große Altar ehedem etwas kleiner war
— er soll einmal nur 28 Ellen Grundfläche gehabt haben. In einer
späteren Zeit wurde er erheblich erweitert. Es verschlägt
für die Sache nichts, daß die Mischna der Meinung ist, die
ehemaligen 28 Ellen haben der vor exilischen, ja vielleicht der
salomonisclien Zeit angehört, die späteren 32 Ellen stammen
aus der Zeit der Heimkehr aus dem Exil. Hier irrt sie
augenscheinlich. Aber die für uns wichtige Wahrheit dürfen
wir aus jener sonst irrigen Notiz zweifellos entnehmen, daß
man auch in streng gesetzestreuen Kreisen nicht den gering-
sten Anstoß daran nahm, den Altar je nach Bedarf zu ver-
größern.
Wenn je einmal die geschichtlichen Verhältnisse einen
Anlaß zu einer derartigen Erweiterung des Altars an die
Hand gaben, so war das der Fall in der Zeit des Aufkommens
1) Middot III. 1.
10. Die Zeit der Chronik. 77
der jüdischen Diaspora im größeren Stile und ihres Zuströmens
nach Jerusalem zu den großen Festen. Es ist für unseren
Zweck bedeutungslos, dem genaueren Zeitpunkte dieser Er-
scheinung nachzuforschen, soviel darf als sicher gelten, daß
Hekatäus und der Chronist diesen Zustand der Dinge kannten.
Damit ist es auch als sicher anzunehmen, daß sie einen Altar
von größeren Dimensionen als der Serubbabels kannten, einen
solchen, der sich schon den Verhältnissen des Altars im hero-
Üianischen Tempel annäherte. So sind die 20 Ellen Grund-
fläche entstanden — im Leben und darauf in der Literatur.
Daß der Chronist diesen Altar seiner Zeit dem Salomo zu-
schreibt und daß ihm Josephüs hierin folgte darf uns nicht
wundern: man mag den Altar in dieser stattlicheren Gestalt
frühe für den ersten salomonischen gehalten, jedenfalls für
ihn ausgegeben haben.
Wie beschaffen dieser Altar war, ersehen wir wenigstens
in einem Punkte mit Sicherheit: er war, wenigstens was den
Aufbau selbst, abgesehen vom Roste, anlangt, aus Steinen.
Denn nach lMakk4 45f. wird dieser Altar, weil Antiochus
Epiphanes ihn entweiht hatte, eingerissen und es werden die
Steine auf dem Tempelberg, wohl in einer Ecke des Haram,
aufgeschichtet. Daraus ist zu ersehen, daß jedenfalls der un-
mittelbare Vorgänger des makkabäischen Altars, also der er-
weiterte Altar des Serubbabel, aus Steinen errichtet ist. Ob
auch der des Serubbabel selbst, ist damit noch nicht ohne
weiteres gesagt, aber immerhin ist es höchst wahrscheinlich,
da nirgends von einem Neubau zwischen Serubbabel und
Judas Makkabäus die Rede ist und dasjenige, was wir aus
inneren Gründen ^über das Verhältnis der beiden Altäre er-
mittelt haben, uns nur zu einem erweiterten Altare im Sinne
der Mischna kommen läßt. Es ist also wohl wahrscheinlich,
daß das Material des Serubbabel- Altars dasselbe war, wie
das des von der Chronik und Hekatäus beschriebenen, den
Judas einriß.
Nicht eben so sicher ist, daß die Steine dieses Altars,
und dann natürlich auch des Serubbabelschen, unbehauen
1) Ant. VIII, 3, 7.
78 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
•waren. Doch wird man es nach 1 Makk 4 4? vermutungsweise
wohl annehmen dürfen.
An welcher Stelle haben wir uns diesen Altar zu
denken? Es ist, wenn man die Gestalt des Felsen und den
mutmaßlichen Ort des bisherigen Altars und seiner Vor-
gänger sich vergegenwärtigt, nicht schwer, die Antwort auf
diese Frage zu gewinnen. Das Quadrat ABML scheint wie
dazu geschaffen, einen Altar von 20 Ellen im Geviert auf-
zunehmen. Die Entfernung vom Ende des Ganges im Norden
bis zum Südende des Felsen an dem wagerechten Schenkel
des rechten Winkels, also bei LC, wird ziemlich etwa 10 Meter
betragen. Bei der Unsicherheit der genauen Größe der hebräi-
schen Elle muß man sich mit diesem allgemeinen Maße be-
gnügen. War sie 0.52 Meter, wie meist angenommen wird,
so würde wenig mehr als 10 Meter herauskommen. Auch
kann bei dieser Unsicherheit die leichte Differenz zwischen
der Linie LM und derjenigen AB nicht ins Gewicht fallen,
so wenig als der Umstand, daß die Linie BM ein wenig
kürzer ist als AL, weil LM keine ganz gerade Linie dar-
stellt. Der Aufgang war ohne Zweifel an derselben Stelle
wie vorher, also im Osten; ob der 10 Ellen hohe Aufbau sich
in gerader Linie vom Fundament aus erhob oder in Absätzen,
wissen wir nicht, doch machen alle Analogien das letztere
wahrscheinlich. Bei geradem Aufsteigen, das aber, wie gesagt,
nicht besonders wahrscheinlich ist, würde der Altar oben bis
zur Linie CD bezw. (s. oben S. 60) bis EF in Abb. 5 gereicht
haben.
Was aus den Vertiefungen am Rande des bisherigen
Altars wird, können wir ohne Schwierigkeit ermessen. Das
große Loch, das zur Höhle führt, wird offen geblieben sein,
um die Höhle ihrer Bestimmung als Senkgrube zu erhalten.
Vielleicht hat man um deswillen die untere Stufe des Altars,
an der wie bei Ezechiel eine Rinne umgelaufen sein wird,
entsprechend breit zu denken. Die übrigen Vertiefungen
werden überbaut: sie waren ohnehin längst, mindestens seit
dem Exil, in Abgang gekommen.
Das Schicksal dieses Altars kennen wir genau. Die
Syrer haben ihn, wie 1 Makk 1 si. sn beschrieben ist, entweiht,
indem sie über ihm einen kleinen heidnischen Altar errichten.
11. Herodes der Große. 79
Der Altar selbst und demgemäß wohl auch der Fels bleiben
unberührt. Judas Makkabäus läßt den entweihten Altar ab-
tragen und einen neuen nach seinem Muster errichten, der
dem Gesetze gemäß aus unbehauenen Steinen erbaut ist.
Hierüber ist oben schon gehandelt. Er muß demnach die
Gestalt und die Dimensionen des ihm unmittelbar voran-
gehenden, durch Antiochus entweihten, gehabt haben.
Er dient dem Opferdienste, solange der Tempel Serub-
babels besteht. Pompejus hat diesen bekanntlich iin Jahre 63
erstürmt und seine Soldaten haben auch den Altar nicht ge-
schont, worüber Ps. Sal. 2 1.2 zu vergleichen ist:
In seinem Übermute stürzte der Sünder mit dem Widder
feste Mauern,
Und du hindertest es nicht;
Fremde Heiden bestiegen deinen Altar,
• Betraten ihn übermütig in ihren Schuhen ^
Daß der Altar in demselben Sinne wie durch Antiochus ent-
weiht worden, oder daß er oder der Fels verletzt worden
wären, ist nicht anzunehmen.
11. Herodes der Große.
Herodes der Große hat, wie wir wissen, den Tempel
Serubbabels abtragen und durch einen neuen, größeren er-
setzen lassen. Dasselbe geschah mit dem Altar dieses Tempels.
Unsere Quellen für die Beschreibung des neuen, zugleich des
letzten jüdischen Altars, den der heilige Fels trug, sind Jo-
SEPHus und der Traktat Middöt der Mischna. Leider stimmen
beide nicht überein, und es ist schwer zu sagen, wer von
beiden, wo sie auseinandergehen, im Rechte ist. Der Redaktor
der Mischna lebt in Palästina, etwa 150 oder 175 n. Chr.
Die Quellen, die er zusammengearbeitet hat, mögen wohl
1 — 2 Jahrhunderte älter sein. Selbst wenn in ihnen, was
sehr wohl angenommen werden mag, manche richtige Kunde
über den Altar bewahrt ist, so ist doch keinerlei Gewähr,
daß gerade die Maße im einzelnen richtig festgehalten sind.
Haben wir also auch keinerlei sicheren Beweis für die Zu-
1) Vgl. dazu Joseph. Ant. XIV, 4,4; Bell. Jud. I, 7,6.
80 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
verlässigkeit der Mischna in diesem Punkte, so wird doch,
wie sich unten zeigen wird, nach inneren Kriterien ange-
nommen werden dürfen, daß in Middut ein im ganzen wohl-
unterrichteter und nüchtern urteilender Mann zu uns redet.
JosEPHus hingegen ist zwar Zeitgenosse und Priester ge-
wesen. Aber zur Zeit, da er schrieb, war der Tempel zerstört
und er selbst in Rom. Auch er kann gerade die Maße, wenn
er sich nicht rechtzeitig Risse sicherte, nur nach dem Ge-
dächtnis und aus weiter Entfernung — nach Raum und Zeit —
wiedergeben, was auch seine Zuverlässigkeit in diesem Punkte
nicht gerade groß erscheinen läßt.
JosEPHüs berichtet 1; Der Altar vor dem herodianischen
Tempel sei 15 Ellen hoch gewesen und nach Länge und Breite
je 50 Ellen. „Er war", fährt er fort, „viereckig und hatte an
den Ecken hornartige Vorsprünge und gegen Mittag führte ein
sanft ansteigender Aufgang zu ihm empor." Auch er war nach
Josephus aus unbehauenen Steinen.
Midd. III, 1 berichtet: .,Der Altar war 32 zu (tj) 32 [Ellen].
Dann stieg er eine Elle an und verengte sich (sprang zurück)
eine (Elle 2). Das ist die Grundlage (lio"'); so ergab sich 30
zu 30. Dann stieg er fünf an und verengte sich eine Elle;
das ist der Umgang (anio); so ergab sich 28 zu 28. Der Raum
für die Hörner betrug auf jeder Seite eine Elle; so ergab sich
26 zu 26 Ellen. Der Raum, damit die Priester gehen konnten
(■jlb'^n), betrug auf jeder Seite eine Elle; so ergab sich 24 zu
24 Ellen als Raum für das Opfern" (Abb. 8).
Daß die beiderseitigen Angaben über die Größenverhält-
nisse des Altars sich nicht miteinander vereinigen lassen, liegt
auf der Handl Es kann also schließlich nur die Frage auf-
treten, welcher von beiden Berichterstattern der Wahrheit
näher kommt. Nun sind die 50 Ellen Grundfläche des Jose-
1) Bell. Jud. V, 5, 6: Tievxexaiöexa /(hv vipo^ ijv nrj^Cov, si'Qog öh xal
[ifjxoq ixxeivojv ioor avä Tctvrt'/xovza Tn'/xfiQ-
2) *,:"axi:y53'T^x shhs yr'^^x sagt nicht übel die Übersetzung in der
Berliner Ausgabe von Lewent (psb y^"pr = 1833).
3) MoMMERT, Topographie des alt. Jerus., S. 150, bringt trotzdem
das Unmögliche fertig — freilich indem er Aufsatz und Fundament einer-
und 2 X 24 und 50 anderseits kurzerhand gleichsetzt. Natürlich hat er
bei der Ausgleichung der Höhe (15 und Ü Ellen) ein noch viel schwereres
Stück Arbeit.
11. Herodes der Große. 81
phus sowohl den bislierigen Dimensionen des Altars als auch
den übrigen Verhältnissen am Tempel gegenüber so außer-
ordentlich, daß man schon um deswillen geneigt sein wird,
die 32 Ellen der Mischna vorzuziehen. Auch der übrige Auf-
bau des Altars wie ihn Midd. IIL 1 beschreibt, nimmt wegen
der Einfachheit der Konstruktion und der einleuchtenden Be-
scheidenheit der Dimensionen für sich ein. Es läßt sich kein
Grund einsehen, weshalb die Mischnalehrer einen 15 Ellen
hohen Altar auf 6 Ellen herabgesetzt hätten; wogegen wohl
denkbar ist, daß die 6 Ellen — und so auch jene 32 — an-
gesichts mächtiger Altäre, die des Josephus Leser ander-
wärts zu sehen Gelegenheit hatten, ihm nicht imposant genug
■5 10 ZOEUf/l
Abb. 8. Der Altar der Mischna.
erschienen und so der Altar von ihm willkürlich vergrößert
worden ist.
Darf man die 32 Ellen Grundfläche als der Wahrheit
entsprechend annehmen, so würde daraus folgen, daß der Fels
in seiner heutigen Ausdehnung — vorausgesetzt, daß die Höhe
der Plattform dieselbe war wie heute — im Unterschied von
allen bisherigen Altarbauten nicht mehr ausreichte, den Altar
in seiner ganzen Ausdehnung zu beherbergen. Die Länge des
heutigen Felsen von 17,7 m würde wohl eben gereicht haben,
um die 16, bezw. (wenn die Elle zu 0,52 m angenommen wird)
16,64 m des Altars aufzunehmen; zur Breite des Felsen von
13,5 m hingegen, also von Ost nach West, mußte, wie man
sieht, auf beiden Seiten zusammen, auch an der breitesten
Stelle des Felsen, reichlich 3 in zugelegt werden, so daß der
Altargrund hier reichlich 3 m weit, an den schmaleren Stellen
Kittel, Beiträge. 6
g2 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
aber erheblich mehr, auf der Plattform selbst aufgelegen
hätte.
Es ist nicht ganz leicht zu sagen, wie man sich demnach
die Lage des hero dianischen Altars und sein Verhältnis zum
hl. Felsen vorzustellen haben mag. Vergegenwärtigen wir
uns die vorhin gegebene Abbildung des Altars der Mischna
(Abb. 8), dessen innere Wahrscheinlichkeit wir erkannt haben,
so mußte über einem Fundament von 1 Elle (= 0,52 m) Höhe und
32 Ellen (=16,64 m) Länge und Breite ^ ein 5 Ellen (=2,60 m)
hoher Aufsatz zu stehen kommen. Hiebei entsteht die
Schwierigkeit, daß der Fels im Norden und im Westen stark
und fast senkrecht abfällt, und zwar in einer Höhe die
1 Elle = ca. ^2 ^ zum Teil erheblich übersteigt, desgleichen,
daß im Süden der Eingang zur Höhle anstößt, der, auch
wenn etwa das von oben zur Grube führende Loch nicht
mehr benutzt wurde, doch schwerlich je verbaut worden ist.
Eine solche Senkgrube mit ihrer Verbindung nach unten, wie
sie hier bestand, konnte man unmöglich ohne zwingendste
Gründe preisgeben. So empfiehlt sich aus beiden Gründen,
das Südende des Altars nördlich vom Eingang zur Grube,
um sie für die Zwecke der Abräumung des Altars offen zu
halten, anzusetzen (also bei ES in Abb. 4) und anderseits das
Nordende nach Kräften von der nördlichen Absenkung des
Felsen abzurücken. Mißt man die 32 Ellen = etwa 16,64 m
nördlich vom Eingang zur Grube ab, so ergeben sich als Ort
für die Süd- und Nordseite parallele Linien der Richtung RS
und TU in Abb. 4. Bei TU entsteht für eine Stufe von 0,52 m
Höhe keinerlei Schwierigkeit; aber auch bei RS wird sie ver-
mutlich in das Bild des heutigen Felsen sich ohne Schwierig-
keit eingliedern lassen. Der Fels steigt dort sanft an. er wird
an der Stelle, wo die Linie RS ihn schneidet, schwerlich höher
als V2 ^ sein. Vgl. dazu Abb. 5.
Ahnlich wird mit dem ziemlich steilen Westabhang des
Felsen verfahren worden sein. Doch ließ sich hier die
Schwierigkeit leicht beseitigen, da, wie wir sahen, auf jeder
1) Ich ziehe hier, da wir in Middöt eine genauere Beschreibung
haben als bisher, die etwas genauere Bestimmung 0,52 der allgemeineren
0,50 m vor.
11. Herodes der Große. g3
Seite doch mindestens IV2 m zur Verfügung standen. Dem
Bedürfnis, dem Westende mit der Stufe von bloß einer Elle
Höhe nicht zu nahe zu kommen, war damit von selbst genügt,
wenn der Fels in die Mitte genommen wurde, so daß das
Quadrat ESTU die Lage des Altars ziemlich richtig wieder-
geben dürfte; ein inneres Quadrat eine Elle weiter einwärts
würde dann die Fläche des Aufsatzes bezeichnen, und drei
Ellen weiter zurück wäre die eigentliche Feuerstelle anzusetzen
(rstu). Im Querschnitte würde sich der Altar demgemäß nach
Abb. 5 so dargestellt haben, wie man an den ausgeführten
(nicht punktierten) Linien, abgesehen von F^G', ersehen kann.
Es folgt daraus, daß nunmehr der ganze Fels bis auf einen
winzigen Eest im Süden überbaut und vollkommen unsichtbar ge-
worden ist. Die Heiligkeit des Steines war längst vergessen, er
konnte verschwinden. Das Loch zur Grube fiel nun ziemlich an
das Südende der Feuerstelle, deren Grenze der Linie rs entsprach.
Ob das Loch offen gehalten war und noch Verwendung fand,
so daß von der Feuerstelle aus ein Kanal durch den Altar
heruntergelaufen wäre, können wir nicht sagen. Bei der ge-
nauen Beschreibung, die die Mischna gibt, müßte es auffallen,
daß wir nichts darüber erfahren. Auch ist, wie wir gleich
sehen werden, Ersatz geschaffen.
Schwierig ist auch die Frage zu beantworten, was aus
dem Loche an der Schlachtstätte im Norden wurde. Wie ich
nachträglich sehe, erwähnt es auch Schick K Seine oben noch
offen gelassene Existenz ist damit gesichert. Da ich aber
seine Lage nicht genau angeben kann, muß ich die Frage un-
beantwortet lassen. Immerhin kann es sich nicht weit von
der in Abb. 4 angegebenen Stelle befinden. In diesem Falle
wäre es ebenfalls zugedeckt worden. Da hier doch jedenfalls
ein Kanal laufen muß, so bot es jedoch keine Schwierigkeit,
etwas weiter gegen Norden, wo die Schlachtstätte sich ziem-
lich weit ausgedehnt haben muß 2. Ersatz für es zu schaffen.
Über die Wasserverhältnisse mag man außer dem oben S. 48
1) Die Stiftshütte usw. (1896) S. 243 (auch bei Mommert, Topogr. 153).
Er redet von der Rinne und sagt, sie führe „in einen nur mit einer
Steinplatte zugedeckten, in Felsen gehauenen mannshohen Kanal,, der
nordwärts streicht", aber nicht habe untersucht werden können.
2) S. die Beschreibung in Midd. III.
6*
84 Kittel, Studien. I. Der heilige Fels.
Ausgeführten besonders noch die Schilderung im Aristeasbriefe
vergleichen '. Vgl. auch S. 33, Anm, 1.
Über die Einrichtung des Altars berichtet nun Midd. III,
2 f. weiter: „-In der südwestlichen Ecke (pp) befanden sich
zwei Löcher nach Art kleiner Nasenlöcher, in denen das Blut,
das an das westliche und das südliche Fundament gegossen
wurde, abfloß und in den Kanal zusammenlief, um dann in
den Bach Kidron abzufließen. ^Unterhalb auf dem Pflaster in
eben dieser Ecke, da war eine Stelle, eine Elle zu (53?) einer
Elle, und (darauf) eine Platte von Alabaster, und daran war
ein Eing befestigt. Hier stieg man in den Kanal (n'^'D; oder
= Fundament?) hinunter, um ihn zu reinigen. Und ein Auf-
gang war an der Südseite des Altars, 32 (Ellen) bei einer
Breite von 16; an seiner Westseite befand sich eine Öffnung,
in die man die unbrauchbar gewordenen Vogelsündopfer legte."
Wir sehen daraus, daß beim herodianischen Altar die Süd-
westecke (bei R) besondere Vorrichtungen für die Ableitung von
Blut und Wasser und die Beseitigung der Abfälle besaß. Die
Öffnung für das Blut muß sich nach der Beschreibung im
Fundament befunden haben; demnach darf angenommen werden,
daß es wie bei Ezechiel eine Rinne besaß. Weshalb nur die
Süd- und Westseite dabei in Frage kommen, bleibt dunkel 2.
1) V. soff.; bei Kautzsch, Apokr. u. Pseudepigr. II, S. 13.
2) Noch dunkler freilich ist die Bemerkung in III, 1 am Ende : „der
Grund (llC^n) lief an der ganzen Nord- und Westseite hin, fraß aber
(briNl) im Süden eine Elle weg und im Osten eine Elle." Also wohl:
dort war je eine Elle weggenommen oder ausgespart, so daß das Fun-
dament im Süden und Osten je eine Elle weniger maß. Aber natürlich
kann das nicht so gemeint sein, daß es hier nur 31 Ellen Grundfläche
gemessen hätte, wodurch die quadratische Form aufgehoben wäre, son-
dern daß an irgend einer Stelle das Fundament um eine Elle zurück-
sprang. Vielleicht ist an eine Rinne an der Seitenfläche — ebenfalls zum
Abfluß des Blutes — gedacht. So scheint es der Kommentar der Aus-
gabe von Lewent zu verstehen. Surenhus stellt nun aber für brix die
Bedeutung occupabat (= er nahm weg, er nahm in Anspruch, sprang vor)
zur Wahl. Sprachlich ist diese Bedeutung, da der Jesöd das Subjekt ist,
vielleicht vorzuziehen ; dann wäre so zu deuten, daß im Süden und Osten
das Fundament eine Elle vorsprang, also unterhöhlt war, wodurch der
Sache nach derselbe Sinn erzeugt wird. — Fraglich bleibt dabei, ob die
im Text der Mischna vorangehende Episode, die Gammaform des Altar-
fundamentes betreffend, zum ursprünglichen Bestände gehört (vgl. z. B.
11. Herodes der Große. 85
Es ist anzunehmen, daß auf den andern Seiten auf andre
Art gesorgt war. Der hier genannte Kanal im Südwesten
wird wohl mit dem aus der Höhle in die Tiefe führenden Ver-
bindung gehabt haben. Hierüber könnten natürlich nur Nach-
forschungen in der Tiefe Aufschluß geben.
Man könnte versucht sein, mit der Platte neben jener
Öffnung an die Platte auf dem Boden der Höhle zu denken.
Allein die ganze Anordnung des Altars verbietet das; wir
kämen dadurch mit dem Westende des Altars auf die Höhe
des Felsen, was nicht angeht. Es muß aber außerdem daran
festgehalten werden, daß die hier genannten Verbindungen
mit der Tiefe nicht die einzigen gewesen sein können. Im
Norden bei der Schlachtstätte muß notwendig ein Wasser-
zufluß und desgleichen ein Abfluß angenommen werden. Auch
die Senkgrube mit ihrer Verbindung nach unten wird, gerade
je größer der Altar mit der Zeit geworden war, desto unent-
behrlicher geworden sein.
Eine wesentliche Neuerung gegen früher ist der Aufgang
im Süden. Weshalb man ihn aus dem Osten wegverlegte, ist
nicht zu ermitteln. Ehedem hatte man ohne Zweifel darauf
gehalten, daß wie der Altar im Verhältnis zum Tempel und
der Tempeleingang, so auch der Zugang zum Altar der auf-
gehenden Sonne zustrebte. Vielleicht bedeutet der Südaufgang
den Protest hieo^eo-en.
die Abbildung iu der Warschauer Ausgabe: Misznajoth v. Lipszytz Tom. V
[1864], die Tafeln am Schlüsse). Wenn das der Fall ist, muß angenommen
werden, daß nachträglich die Ungleichheit wieder ausgeglichen und die
quadratische Gestalt wieder hergergestellt worden ist.
Beilage zu Abhandlung I.
Die wichtigsten arabischen Quellenzeugnisse üher den hl. Fels.
Zu dem auf S. 27 ff Gesagten mögen hier die genaueren
Belege folgen i.
Den stärksten Einfluß auf die neueren Darsteller hat
ToBLER ausgeübt, der sich hauptsächlich auf die französischen
Werke der zwanziger Jahre des XIX. Jahrhunderts, dasjenige
von MicHAUD und das von Reinaud, stützte. Gerade aus ihnen
aber konnten die Toblers Quellen folgenden Historiker leicht
auf falsche Vorstellungen geführt werden. Ich lasse die be-
treffenden Stellen hier folgen.
MiCHAüD berichtet in Bibliographie des Croisades II (1822)
S. 601 f. aus ScJiihäb ed-Din {Af?u Schämd) (um 1250):
„Les Francs avaient construit une eglise sur la Sakkra;
cette construction en avait courbe la forme et altere les traces
antiques. On l'avait chargee de peintures plus laides que la
nudite meme des pierres, et on y avait place differentes
statues ....
Les Francs avaient coupe plusieurs morceaux de cette
pierre qu'ils avaient transportes ä Constantinople et en Sicile,
et qu^ils vendaient au poids de l'or. Nos coeurs furent brises
de douleur ä la vue de la place d^oü ces morceaux avaient
ete enleves."
Der andere Hauptgewährsmann Toblers, nämlich Reinaud,
Extraits des Historiens Arabes (1829) S. 217 gibt zunächst
als seine Quelle '^hnad ed-Din (geb. 1116) an (für die ersten
Sätze), um dann einen Passus aus Ibn el-Athtr (f 1233) folgen
zu lassen. Er schreibt:
1) Bei der Übersetzung der arabischen Texte habe ich Aug. Fischer
für ausgiebigste Hilfe zu danken. Sie stammt in der Hauptsache von ihm.
Die -wichtigsten arabischen Quellenzeugnisse über den hl. Fels. 87
„Les Francs avaient bäti une eglise au-dessus de la cha-
pelle de la Sacra. Cet edifice avait courbe la forme de la
chapelle et altere ses traces antiques. Les chretiens avaient
couvert la chapelle de peintures plus laides qiie la midite
meme des pierres; ils y avaient eleve des statiies . . . Le siütan
fit tout retablir dans son ancien etat, et la röche fut revetue
d'ime grille de fer.
On lit au sujet de la röche dans Ibn-alatir (geb. 1160),
„que les chretiens Tavaient recouverte de marble, et cela
parce que plusieurs fois on avait surpris les pretres detachant
des morceaux de cette pierre pour la vendre, au poids de l'or,
ä leur freres d'occident; cette pierre passait pour porter bon-
heur. A leur retour, les chretiens bätissaient des eglises et
pla^-aient ces fragmens sur l'autel principal. Tel fut le motif
qui porta un des rois precedens ä fair revetir la röche de
marble, de peur qu'il n'en restät bientot plus de trace.""
Vergleicht man mit diesen angeblich authentischen Be-
richten zunächst die wirklichen Worte des 'Imad ed-Din, der
als Augenzeuge — er kam am Tag nach der Eroberung nach
Jerusalem — und als Staatskanzler Saladins die vornehmste
Beachtung verdient, so ergibt sich, daß gerade die entschei-
denden Worte, nämlich cet edifice avait courde la forme de la
chapelle et altere ses traces antiques sich bei 'Imad ed-Din
selbst, wenigstens in dem mir allein zur Verfügung stehenden
Texte von Graf Landberg, nicht finden i.
Woher sie Reinaud vermutlich hatte, kann schon ein
Blick auf das, was Michaud aus Schihäö ed-Dm {Abu Schäma)
mitteilt, lehren. In der Tat berichtet letzterer Ähnliches,
wenn auch nicht dasselbe, wozu zu bemerken ist, daß er sich
auf '^ Imäd ed-Din als Gewährsmann beruft 2.
1) Bei MiCHAtJD beziehen sich die Worte sogar auf den Fels selbst,
nicht bloß auf die chapelle de laSakkra (obwohl die französischen Übersetzer
mehrfach auch hierunter die Sachra selbst verstehen; vgl. z. B. Recueil
[Orient.] I, S. 199). So ist es auch bei Abu Schama gemeint, nur daß
die Worte hier einen andern Sinn haben ; s. u. S. 91.
2) Er will neben dem uns erhaltenen Werk el fath auch das
größtenteils verlorene el bark (bark esch-Schämij benutzt haben (Abu Sch.
S, 109). Im übrigen s. die vorige Anm.
88 Kittel, Studien. Beilage zu Abhandlung I.
In möglichst wortgetreuer Übersetzung lauten die Worte
*Imad ed-Dins^ wie folgt:
„Und was die Sachra anlangt, so hatten die Franken dar-
auf eine Kirche (x*«.aä<) und einen Altar gebaut. Und sie
hatten 2 an ihr [der Sachra] für die Hände, die einen Segen
[durch ihre Berührung] suchten, und für die Augen, die sie
ansehen wollten, keine Stelle gelassen, die man betasten,
noch eine, zu der man hinschauen konntet Und sie hatten
sie geschmückt mit Statuen und Bildern, und hatten dort
die Plätze für die Mönche bestimmt und den Ort zum
Niederlegen des Evangeliums, und hatten dort vollkommen
gemacht die Gründe der Anbetung und Verherrlichung^.
— Und sie hatten an ihr abgesondert [also an einer beson-
dern Stelle] für den Ort der Fußspur eine kleine vergoldete
Kuppel gebaut, die von Marmorsäulen (*Lis.O getragen war,
und gesagt: Das ist der Ort der Fußspur des Messias und
dies ist die Stätte der Heiligung und des Lobpreises! Und
dort waren die Bildwerke von Zuchttieren [Schafen], dar-
gestellt ° in dem Marmor; und ich habe unter diesen bild-
lichen Darstellungen Gestalten wie Schweine gesehen; und die
Sachra, nach der man sich hinwenden und die man besuchen
sollte, war verborgen, durch die Bauten darauf und durch
jene gefeierte Kirche verdeckt. — Und so befahl der Sultan,
daß man entblößen solle ihre Schleier, emporheben ihre Hüllen,
zurückziehen ihre Decken . . . und daß man sie bloßlege für
diejenigen, die sie besuchen wollten . . . und sie wieder her-
stellen in ihrem Schmucke , . . und so wurde sie wieder, wie
sie in der früheren Zeit gewesen war Und es war
von ihr vor der Eroberung [durch Saladin] nur ein Stück von
1) Nach der Ausgabe von Graf Landberg (Leid. 1888), S. 65.
2) Von hier au kehrt der Bericht so gut wie wörtlich bei
Abu Schama wieder. Siehe S. 91.
3) Sie hatten also den Gläubigen die Möglichkeit genommen, den
Fels zu berühren oder auch nur zu beschauen,
4) Hatten also reichlich Veranlassung dazu gegeben, d. h. die Sachra
zum Gegenstand der größten Verehrung gemacht.
5) Abu Schama hat: i^X^J^ „eingegraben" (?) ; das nächste Sätzchen
fehlt bei ihm hier.
Die wichtigsten arabischen Quellenzeugnisse über den hl. Fels. 89
ihrem unteren Teil^ sichtbar, das die Ungläubigen übel be-
hauen [entstellt?] hatten .... Und es wurde über ihr eine Ein-
friedigung von eisernem Gitterwerk gemacht und man sorgt
für sie bis zum heutigen Tage immer besser Und - die
Franken hatten von der Sachra Stücke abgeschnitten, und
einige von ihnen nach Konstantinopel geschleppt, und etliche
nach Sizilien; man hat auch gesagt, sie haben sie verkauft
gegen ihr Gewicht an Gold und haben das zum Erwerb für
sich gemacht."
Lediglich einen kurzen Auszug hieraus, der deshalb hier
schon genannt werden kann, liefert Mudschir ed-DIn (f 1521),
wenigstens nach der mir allein zugänglichen Übersetzung von
Sauvatre ^ :
„Quant ä la Sakra, les Francs avaient construit au-dessus
une eglise et un autel, et y avaient place des Images et des
statues. Le Sultan donna l'ordre de la decouvrir et de de-
truire les constructions recentes qui l'obstruaient. L'ayant
ainsi rendue ä son premier etat . . ."
Ich füge sofort die Beschreibung des Ibn el-Athie, des
der Zeitfolge nach nächsten arabischen Berichterstatters, bei^:
„Und die Franken hatten die Sachra oben mit Marmor-
fliesen (*L4i>jjl) bedeckt und sie unsichtbar gemacht. Da ge-
bot er [Saladin] ihre Bloßlegung.
Und die Ursache ihrer Verhüllung mit der Decke war
das, daß die Priester vieles von ihr [der Sachra] den Franken,
die vom Meere her zum Wallfahren herabkamen, verkauft
hatten; und sie pflegten es zu kaufen für sein Gewicht an
Gold in der Erwartung, ihres Segens [teilhaftig zu werden].
Wenn dann einer von jenen in sein Land [zurück]kam mit
einem kleinen Stück davon, so baute man ihm eine Kirche
und tat es in deren Altar ^
1) Es ist wohl an die Höhle gedacht, vielleicht auch an das Nord-
ende. Jedenfalls hat man auch hier an keine wesentliche Veränderung
zu denken.
2) A. a. O. S. 66, 17.
3) Histoire de Jerusalem et d'Hebron (Paris 1876) S. 75.
4) Nach der Ausgabe von Tornberg, Ibn-el-Athiri Chronicon XI
(Ups. 1851) S. 365. Vgl. Recueil (Orient.) I 705 f. Die Varianten sind
ganz unbedeutend. 5) Fügte es ein.
90 Kittel, Studien. Beilage zu Abhandlung I.
Da fürchtete einer [quidam] ihrer Könige, sie könnte ver-
schwinden, so gah er Befehl über sie und bedeckte ihre Ober-
fläche (L^i'5i) zur Bewahrung [zum Schutze] für sie."
Der leichteren Übersicht halber mag hier sofort Schihäb
ED-DLv Abu Schäma folgen (f 1267), der sich, wie oben bemerkt,
auf die beiden Werke des '' Imäd, das uns erhaltene und das
zumeist verloren gegangene, beruft, zugleich aber auch offen
bekennt \ daß er die schwerfälligen und oft recht breiten Aus-
führungen seines Gewährsmanns gekürzt und auf das Wesent-
liche beschränkt habe. In Wirklichkeit hat gerade er durch
sein wortreiches Schwelgen in Synonymen und phrasenhaften
Metaphern das Hauptunheil gestiftet-.
In der Tat gehen nur auf unsern Abu Schama jene ver-
hängnisvollen Worte zurück, die bei den Michaud und Reinaud
folgenden neueren Darstellern des Gegenstandes mehrfach die
Vorstellung erweckt haben, als hätten die Kreuzfahrer die
Form des Felsen, sei es durch Einhauen von Stufen, sei es
auf andere Weise, total verändert. Hieraus ergab sich dann
als fast selbstverständliche weitere Folgerung die Annahme,
daß die erst in der Kreuzfahrerzeit geschaffene heutige Ge-
stalt der Sachra uns keinerlei Anhalt für die Ermittlung der
älteren Geschichte derselben mehr bieten könne. Will man
aber zur richtigen Würdigung des Sachverhaltes gelangen,
so darf man nie vergessen, daß gerade Abu Schama in seiner
poetisch sein sollenden Beschreibung mehrfach gar keine posi-
tiven, über seine Quelle hinausgehenden Aussagen bieten will,
sondern es nur darauf abgesehen hat, ein gefälliges Wort-
geklingel mit möglichst reichlichen Synonymen und Reimen
zu erzielen. Um seine historische Minderwertigkeit deutlich
genug erkennen zu lassen, müßte man eigentlich eine Rückekt-
sche Übersetzung von ihm haben.
Abu Schama sagt^:
„Es sagte 'Imad: Und was die geheiligte Sachra anlangt,
so hatten die Franken über ihr eine Kirche gebaut und hatten
1) Vgl. GoERGENS, Arab. Quellenbeitr. z. Gesch. d. Kreuzzüge (1879)
S. XII f. "
2) Vielleicht fand er auch das schon in dem ihm vorliegenden Texte
des 'Imad.
8) Kitäb er-raudatain II, Kairo 12S8 (d. Hedsch.), S. 118.
Die wichtigsten arabischen Quellenzeugnisse über den hl. Fels. 9]
[dabei] ihren alten Charakter verwischt gemachte Und sie
hatten sie verborgen mit den Bauten nnd hatten verkrümmt
ihre Art, unter dem Vorgeben, daß sie sie nivellieren 2.
Sie hatten sie verdeckt mit Bildern, die häßlicher waren als
wenn man sie nackt gelassen hätte, und hatten sie angefüllt
mit verschieden gestalteten Bildwerken. Und sie hatten an
ihre[r] Marmorbekleidung ^ Gestalten wie Schweine einge-
graben [1. dargestellt? s. o.J, und sie hatten den Altar für sie
[die Sachra] zu einem Opferplatz ^ gemacht. Und sie hatten
an ihr für die Hände, die einen Segen [durch ihre Berührung]
suchten, und für die Augen, die sie ansehen wollten, keine
Stelle gelassen, die man betasten, noch eine, zu der man hin-
schauen konnte. Und sie hatten sie geschmückt mit Bildern
und Statuen usw [Fortset::ti)ig- nach 'Imad ed-Din
mit ganz unwesentlicher Abweichung bis zu den Worten:] und
haben das zum Erwerb für sich gemacht."
Nunmehr eigenartige Fortsetzung, und zwar mit Berufung
auf 'Imads Werk el bark:
„Und als die Sachra sichtbar wurde, da fanden wir, daß
die Schicksalschläge ihr Einschnitte hinterlassen hatten und
daß sie ihrem Inneren allerlei ihr von selten der Ungläubigen
angetanes Böse, von dem man munkelte, zugefügt hatten ^
Denn die Franken hatten nach ihren Ländern Stücke davon-
getragen und hatten damit unerhörte Dinge vorgenommen
[frevelhaften Mißbrauch getrieben], so daß sogar gesagt
1) Will schwerlich sagen, daß ihre Gestalt wesentlich verändert worden
sei, sondern nur ihr Aussehen (durch die Überdeckung mit Fliesen).
2) Lies, *jjp ; indem sie behaupten, es in Ordnung zubringen, haben
sie ihr Aussehen entstellt — das heißt nicht, daß sie daran gemeißelt
oder sie verändert hätten; es handelt sich um Metaphern, die nur
sagen wollen, daß sie die Sachra unkenntlich machen und entstellen durch
die über sie gesetzten Bauten.
3) Schwerlich richtig. Es werden die Säulen und die Seiten des
Altars gemeint sein, vielleicht auch die Schranken.
4) Zu einem Platz, wo sie selbst hingeopfert, d.h. unsichtbar ge-
macht wurde — Wortspiel mit der doppelten Bedeutung von madhbach.
5) Die folgenden Sätze, die augenscheinlich die Erklärung des ersten
Satzes geben wollen, zeigen, daß es auch hier sich lediglich um eine
entrüstete Äußerung über das Abschlagen etlicher Steinstücke
handelt.
92 Kittel, Studien. Beilage zu Abhandlung I.
wurde, sie seien verkauft worden gegen ihr Gewicht an Gold.
Und es kam mit ihr so weit, daß ihr Stein schließlich als
Beute fortgeschleppt worden wäre; und so bedeckte einer
ihrer Könige sie aus Furcht für sie, damit nicht etwa eine
frevelhafte Hand sich nach ihr ausstrecke."
Den Abschluß dieser Quellenübersicht mag der christliche
Berichterstatter Wilhelm von Tyeüs bilden, weil seine kurze
Beschreibung uns die willkommene Erläuterung für die sonst
mehrfach etwas dunklen Andeutungen der arabischen Erzähler
liefert. Er sagt über die Sachra':
„Haec autem ante nostrorum iutroitum et postmodum
annis quindecim nuda patuit et aperta; postea vero qui eidem
praefuerunt loco. albo eam cooperientes marmore. altare de-
super et chorum. in quo clerus divina celebrat, constituerunt."
Überblickt man diese stattliche Reihe von Zeugen, so ist
zunächst soviel deutlich, daß keiner von ihnen etwas von
Stufen weiß, welche die Kreuzfahrer nach der Eroberung
Jerusalems oder zum Zweck der Herstellung ihres Altars in
den hl. Fels gehauen hätten. Ich halte diese Feststellung
für das wichtigste Ergebnis der Untersuchung der alten
Quellen, soweit sie mir zur Verfügung stehen.
Zweitens ergibt sich, daß der älteste und wichtigste Be-
richterstatter, 'Imad ed-Din (dem auch darin Müdschie ed-Din
folgt), mit besonderem Nachdruck betont, daß Saladin die
Sachra so herstellen ließ, wie sie früher gewesen war.
Das ist nur möglich, wenn nicht allein keine Stufen in den
Fels gehauen waren, sondern auch sonst sein Zustand gegen
früher nicht Avesentlich verändert war. Insofern gewinnen
wir durch das direkte Zeugnis 'Imaüs sowohl die Bestätigung
des vorhin Ermittelten, als auch eine darüber noch hinaus-
gehende neue Aussage. Auch Abu Schama hat jene Worte.
Die Nachricht Abu Schamas. daß die Errichtung der ..Kirche"
die Sachra selbst ihrem Charakter und ihrer Art (nicht ihrer
„Lage") nach umgestaltet habe, kann schon deshalb nur so
verstanden werden, daß ihr Aussehen, nicht aber ihre wirk-
liche Gestalt verändert wurde. An positiven Tatsachen weiß
Abu Schäraa nichts über *lmad Hinausgehendes. Er fügt nur
einige Phrasen bei. Der Hochaltar steht auf einer ebenen,
1) VIII, 3. Vgl. Recueil (Occid.) im I. Band.
Die wichtigsten arabischen Quellenzeugnisse über den hl. Fels. 93
etwas erhabenen Fläche von 1,50—1,70 m Höhe (der Höhe
der Sachra), zu der Stufen führen (vgl. Abb. 10).
Drittens läßt sich feststellen, daß die Nachricht, die
Christen haben die Sachra durch Abschlagen von Stücken
beschädigt, zwar schon der ältesten Schicht der Überliefe-
rung angehört. Sie tritt bei'lMAD, beilBN el-Athie und sodann
bei Abu ScHAMA auf^ Sie ist historisch; aber schon die Mit-
teilung-, daß die Stücke mit Gold aufgewogen wurden, zeigt,
daß es sich um unbedeutende Teile des Felsen handelte, durch
deren Ablösung die Gestalt des Ganzen nicht verändert wurde.
Andernfalls könnte Abu Schama nicht wohl mit 'Imad die
restitutio in integnim betonen, noch könnte dieser selbst die Sache
in el fat/j ganz nachträglich und fast nur nebenher erwähnen.
Er wird die Tatsache so gut als die andern gekannt, ihr aber
in el fath keine besondere Bedeutung beigemessen haben. Es
scheint, daß man doch im ganzen — auch 'Imad — erst später,
als man nach ausreichenden Gründen der den Muslimen so
besonders anstößigen Verhüllung der Sachra suchte, sich auch
dieser Tatsache wieder recht erinnerte und sie dann zur
Hauptursache der Bedeckung aufbauschte. Von da an gewann
es natürlich den Anschein, als hätten die Christen die Sachra
teilweise zerstört. Dieser Schein ist aber augenscheinlich ein
bloßes Produkt gehässiger muslimischer Legende. Gerade die
innere Unwahrscheinlichkeit der Begründung der Be-
deckung — der wahre Grund war natürlich das kirchliche
Bedürfnis der Christen — zeigt, daß es sich um Gerüchte
handelt, denen wohl etwas Wahres zugrunde liegen mochte,
die aber gehässig aufgebauscht sind.
Nach dieser dreifachen Feststellung ist uns nun der Weg
gebahnt zur Beantwortung der Frage, was nun wirklich
durch die Kreuzfahrer mit der Sachra geschehen sei.
Alle Berichterstatter sind darin einig, daß sie zugedeckt
wird, sei es ganz, sei es fast ganz. 'Imad drückt sich am
Anfang in seiner Entrüstung über die Verhüllung der Sachra
etwas undeutlich und schwülstig aus; aber er meint hier ohne
1) Bei 'Imaü doppelt, in el bark mit besonderer Entrüstung.
2) Man beachte auch die unsichere, ganz aufs bloße Hörensagen
weisende Art aller Berichterstatter in betrefi dieses Punktes: „jemand
von ihren Königen", auch das „Munkela" ol)en S. 91.
94
Kittel, Studien. Beilage zu Abhandlung I.
Zweifel dasselbe wie Ibn el-Athir und wie er selbst später,
wo er o-anz deutlich redet. Am klarsten erfahren wir aus
Abb. 9. Kiborienaltar von Trau (Dalraatien).
WiLH. VON Tyrus, daß der Fels mit weißen Marmorfliesen
bedeckt wird. Das ist jedenfalls auch mit dem riichäm der
arabischen Quellen gemeint.
Die wichtigsten arabischen Qaellenzeugnisse über den hl. Fels. 95
Auf die Fliesen kommt — doch wohl in die Mitte des
Felsen — ein Altar und eine „Kirche" {kenisa) samt Plätzen
für die Geistlichen und Gelegenheit zur Anbetung sowie für
das Auflegen des Evangeliums; Altar und „Kirche'' sind ge-
schmückt mit Bildern und Statuen. Für diese Schilderung
gibt uns Wilh. v. Tyrus die allein richtige Deutung, der von
dem altare et choriis redet, /// quo cleriis divina celebrat. Mein
Kollege A. Hauck macht mich darauf aufmerksam, daß clwrus
Abb. 10. Altar von S. Lorenzo in Rom (Chorherrensitze rechts zur Seite).
hier nicht dasjenige bedeutet, was wir heute unter Chor ver-
stehen, sondern den Platz für die Kleriker, daß derselbe in
den mittelalterlichen Kuppelbauten, wenn der Altar unter der
Kuppel steht, (wie z. B. im Florentiner Dom) rund um den
Altar läuft, und daß der mittelalterliche Altar vielfach durch
einen auf Säulen stehenden und mit einem kuppelartigen Dache
versehenen Baldachin überdeckt war. Ein solcher Altar macht
den Eindruck einer Miniaturkirche, wie man ihn auch jetzt
noch als tempietto bezeichnen hört (vgl. Abb. 9 u. 10).
96 Kittel, Studien. Beilage zu Abhandlung I.
Ist es zum voraus nicht wolil glaubhaft, daß die Erzähler
den Christen die Errichtung einer wirklichen Kirche inner-
halb des doch unangetastet weiterbestehenden Felsendomes
zugeschrieben haben sollten, so klärt sich nun alles aufs ein-
fachste auf. Die „Kirche" ist ein tempietto, ein überdachter,
auf Säulen ruhender Altarbaldachin. Er wird als notwendige
Ergänzung des Altars zu diesem auf die Fliesen gesetzt. Um
ihn stehen im Kreis oder Achteck^ die Priestersitze; es fehlt
nicht am Lesepult mit dem heiligen Buche, ebensowenig an
Heiligenbildern und dem Ort des Allerheiligsten (dem „Gegen-
stand der besondern Verehrung").
Ein ähnlicher, wohl ziemlich kleinerer Baldachin kommt
nun aber auch — 'Imad läßt uns darüber keinen Zweifel —
über die sog. Fußspur des Profeten, jene oben mehrfach ge-
nannten Löcher an der Südwestecke des hl. Felsen. Sie werden
als die Fußspur des Heilandes gedeutet. Diese Deutung ist
ein neuer, nicht zu verachtender Beweis für die hohe Wert-
Schätzung, welche die Sachra auch bei den Christen genoß,
und somit gegen die Annahme stärkerer Beschädigung oder
;Veränderung ihrer Gestalt (s. S. 28 unten).
■ Auch dieser zweite Baldachin scheint nichts anderes als
lein (kleineres) tenipietto gewesen zu sein: eine vergoldete
Kuppel auf Marmorsäulen ruhend, und auf die Säulen und
Altarsteine aufgesetzt oder aus ihnen herausgemeißelt, bei den
Säulen etwa als Kapitell-Tierfiguren. Ahnliches ist beispiels-
weise in S. Ambrosio in Mailand zu sehen. Wenn 'Imäd
höhnisch bemerkt, darunter etwas wie Schweine gesehen zu
haben, so hat vielleicht schon Röhricht richtig wahrgenommen,
daß dam-it an eine Abbildung des Gotteslammes gedacht sei. Das-
selbe krönt mehrfach die Kuppel der Ciborienaltäre (vgl. Abb. 9).
1) Ein schönes Beispiel eines solchen Kiborien-Heiligtums bietet das
Grab des Demetrius in der Demetriuskirche zu Thessalonich. Eine sechs-
eckige Mauer bildet die Schranke (hier hat man in Jerusalem die „Chor"-
herrnsitze zu denken), und innerhalb derselben, steht auf 6 Säulen xb na^'
tjlJ.LV xalovfxevov fjyiaainevov xißügiov (Mirac. s. Demetr. 82 f. A. S. BoU.
Oct. IV S. 133 f.). Vgl. c. 82 . . . oqü xb hgöaxtvor ixeivo xal negi>ca?.?.hg
Srit.uovQ)n]!xa xuxä /jsoov xov vaov TtQoq xoZq Xaioig 7i?^evQ0ig, i<pi6(}Vfxivov
e^aycjro) oyjjfxaxt, xlooiv f| xal xolxoiq laaQlQ^fioiq e| aQyvQov Soxlfiov xal
öiayey'/.vfifxevov ixefxoQfpuiixivov xal x/jv d^ocp^v baaixcoq artb xCov s^ayüi-
vo)v 7i).evQä>v xvx).o(poQixijiq avlaxovaav .... [H.]
IL Der primitive Felsaltar und seine Grottheit.
1. Gideon.
„11 Und der Engel Jahwes kam und setzte sich unter die
Terebinthe bei Ophra, die dem Abiesriter Joas gehörte, während
dessen Sohn Gideon in der Kelter Weizen ausklopfte, um ihn
vor den Midianitern zu bergen. ^-Da zeigte sich ihm der
Engel Jahwes und sprach zu ihm: Jahwe mit dir, du wackrer
Mann! ^^ Gideon erwiderte ihm: Bitte, mein Herr, wenn wirk-
lich Jahwe mit uns ist — wie konnte uns alles das treffen?
und wo sind alle seine Wunder, von denen uns unsre Väter
erzählt haben? . . . nein, jetzt hat uns Jahwe verstoßen und
hat uns in die Hände der Midianiter hingegeben! i*Da wandte
sich Jahwe gegen ihn und sprach: Geh' in dieser deiner Kraft!
du wirst Israel erlösen aus der Midianiter Hand — habe doch
ich dich gesandt! . . . ^'Er sprach zu ihm: Habe ich Gnade
vor dir gefunden, so gib mir ein Zeichen, daß du mit mir
redest; i^geh' nicht von hier weg, bis ich wieder zu dir
komme und dir meine Gabe heraushole und sie vor dir nieder-
setze. Er sprach: Ich bleibe, bis du zurückkommst.
1® Gideon ging hinein, bereitete ein Ziegenböckchen und
ein Epha Mehl zu Mazzen: das Fleisch legte er in einen Korb
und die Brühe tat er in einen Topf, brachte es zu ihm hinaus
unter die Terebinthe und reichte es ihm hin K -**Der Engel
Jahwes- sprach zu ihm: Nimm das Fleisch und die Mazzen
und lege es auf den Felsen dort und die Brühe gieße aus. Er
tat so. -iDa streckte der Engel Jahwes die Spitze des Stabes,
den er in der Hand hatte, aus und berührte das Fleisch und
1) Lies vielleicht t.'S'^l trat heran, da er erst Anweisung erwartet,
was mit den Sachen zu tun sei.
2) So mit vielen Texteszeugen ("Iil Gottes).
Kittel , Beiträge. 7
98 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
die Mazzen; da sprang Feuer aus dem Felsen und fraß das
Fleisch und die Mazzen, der Engel Jahwes aber war ihm aus
den Augen verschwunden. --Da sah Gideon, daß es der Engel
Jahves war. , . . -*Und Gideon baute dort dem Jahwe einen
Altar und nannte ihn: Jahwe ist Heil. Bis zum heutigen Tag
steht er noch in dem Ophra der Abiesriter"^
Diese Erzählung aus dem 6. Kapitel des Eichterbuches
berichtet uns von der Entstehung eines israelitischen Opfer-
altars, der bei Ophra auf dem Gebirge Ephraim bei oder auf
einem heiligen Felsen stand. Der Fels selbst befindet sich un-
mittelbar neben einer Terebinthe, denn man kann von der
Terebiiithe aus mit den am Felsen Beschäftigten ein Ge-
spräch führen. Zum Felsen gehört — woraus zu ersehen
ist, daß es sich nicht um einen bloßen Feldstein (llis;), sondern
um einen richtigen Fels (^bo, i^i) handelt — eine Felsen-
kelter, wie man sie oft genug in Palästina sehen kann 2. Sie
wird zum Ausklopfen des Weizens d. h. zum Dreschen mit dem
Stocke^ benutzt, wonach zu vermuten ist, daß zum Felsen
neben der Kelter auch die Tenne gehörte. Beide sind oft ge-
nug miteinander verbunden. Nur wird an ihrer Stelle hier
aus besonderen Gründen die Kelter benutzt.
An diesem Baum und Fels nun vollziehen sich wunder-
same Dinge. Gideon sieht plötzlich unter dem Baum einen
Wandersmann, den Stab in der Hand, sitzen, der ihn anredet
und zu ihm so merkwürdige Worte spricht, daß er sie sich
nicht anders zu deuten weiß, als der Kedende müsse Jahwe
selbst oder sonst einer der Himmlischen, etwa sein nächster
Abgesandter, sein. Doch muß er Gewißheit haben. Er will
1) Die Erzählung ist einheitlich; indem man sie in zwei ,, Quellen"
zerreißt, zerstört man ihren besonderen Reiz, der darin besteht, daß
Jahwe, der natürlich als Engel in Menschengestalt erscheint, halb un-
erkannt bleiben und doch daneben halb als Jahwe erkannt sein will.
Weder in V. 14b noch in 17b darf man deshalb Fremdes suchen. Wie
soll Gideon ohne solche Andeutungen auf den Gedanken an ein Opfer
kommen? Nur das Schwanken zwischen Jahwe und dem Engel Jahwes
ist vielleicht nicht ursi)rünglich.
2) Vgl. Jes 5 2 und Schick in ZDPV X (18S7) S. 14G ff. , auch
V. MÜLiNEX ebenda XXX (1907) S. 156.
3) Jes 28 27 Eut 2 17.
1. Gideon. 99
die Probe machen, indem er ihm eine Opfergabe ' bringt. Je
nachdem der andere sich dazu stellt, wird sich ja zeigen, ob
er ein bloßer Mensch oder ein Himmlischer ist.
Die Felsentenne ist nicht im Dorfe selbst, sondern etwas
abseits am Ende des Dorfes. Er geht also hinein und
schlachtet dort ein Tier, bäckt ungesäuerte Fladen und
siedet das Fleisch. Er bringt alles heraus und will es dem
fremdartigen Manne geben. Nun muß sich ja zeigen, was er
ist. Ißt er die Speise wie ein gewöhnlicher Mensch und ohne
irgend etwas Besonderes zu tun, so ist er auch ein solcher.
Ist er mehr, so muß er hier sich ausweisen'-^. Jener tut es, indem
er etwas ganz Besonderes, Unerhörtes vollbringt: er entlockt
dem Felsen ein Feuer, das die Opfergaben verzehrt. Seitdem
ist der Fels eine Feuerstelle und trägt als solche einen Altar.
Vorher hatte er keinen Altar, und Jahwe selbst hat hier
eine neue Art des Opferns gestiftet, das Verbrennen
der Gaben an der „Schlachtstätte'" — denn so heißt der Altar
{inizbeacli) im Hebräischen.
Wie Gideon herauskommt mit seinen Gaben, denkt er
nicht an ein Verbrennen 3. Zum Verbrennen ist der Stein an
1) Eine einfache „Bewirtung" bedeutet mincha nie; ein bloßes „Ge-
schenk" ist aber aucli nicht gemeint, sondern eine Gabe, wie man sie
sonst der Gottheit bringt, — nur nicht notwendig im Feuer; s. nachher.
2) In Gen 18 8 ißt bekanntlich Jahwe bei Abraham wie ein gewöhn-
licher Gast. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob das die ursprüngliche Form
der Erzählung ist. Denn nirgends sonst wird Jahwe im AT, wenngleich
der einer verschollenen Vorstellungswelt entstammende Sprachgebrauch
der Opfersprache immer noch von der „Speise" Jahwes redet, als selbst
essend gedacht. Wohl aber lehnt er und sein Abgesandter die Speise
aufs bestimmteste ab Rieht 13 16; seine ,, Speise" ist das Feueropfer. Ent-
w'eder ist Gen 18 ehedem von einer anderen Gottheit als Jahwe die Rede
gewesen oder aber Abraham hat nicht den Besuch Jahwes, sondern den
seiner Abgesandten empfangen. Das letztere wird dem Sachverhalt ent-
sprechen, denn in der eigentlichen Erzählung Gen ISil^-ie. 19 i-29 tritt
nur einmal (18 13) Jahwe selbst auf, während in 19 13 die wahre Situation
klar durchblickt, daß er nämlich abwesend ist und nur durch Abgesandte,
die in seinem Auftrag handeln, wirkt. Jahwe in 18 13 wird darum späterer
Eintrag nach 18 i a sein, und der Widerspruch zwischen Gen 18 8 und Rieht
13 16 läßt sich viel eher ertragen, wenn Gen 18 8 au Engel als wenn es
an Jahwe selbst denkt.
3) Weli.hausen, Proleg.5 S. .57 sagt: „Gideon kocht einen Ziegen-
7*
\0Q Kittel, Studien. IL Der primitive Felsaltar.
sich ohne Altar gar nicht besonders geeignet \ jedenfalls aber
hat Gideon weder Holz noch Feuer mit sich, auch ist Siede-
fleisch samt seiner Brühe kein geeignetes Objekt der Ver-
brennung. Er bringt es dem Manne, daß er es esse oder ihm
sage, was damit zu tun sei. Der weist ihn an, er solle es
genau so halten wie immer: das Fleisch und die Brotfladen
soll er wie sonst auf den Felsen hinlegen, die Brühe darüber
oder daneben gießen — das Übrige werde sich finden. Wie
er erwartet hat, so geschieht etwas Außerordentliches, und
infolgedessen wird eine neue Gottesstätte mit neuer Art der
Gottesverehrung hier errichtet. Seit Gideon hat man in Ophra
Jahwe am Mizbeach verehrt.
Gideon weiß nach der Erzählung von einer besseren als
der in Ophra üblichen Weise des Opfers; er hat selbst gegen
die übliche Art Bedenken, aber Gewißheit gewinnt er nun
erst. Das Verhalten des Mannes zu seiner Gabe sieht er als
die Probe, das Zeichen (nix) an.
Wodurch sich der Mizbeach vom Sür unterscheidet, ist
demnach deutlich. An diesem wird nicht verbrannt; die Opfer-
flamme gehört nicht zu ihm, er ist nicht Brandstätte, sondern
Eßtisch und Schüssel zugleich. Er dient zum Essen, nicht zum
Verbrennen. Am Baum oder in ihm, am Stein oder in ihm
hat eine Gottheit, ein Numen, seine Wohnstätte oder seinen
zeitweiligen Aufenthalt. So ist es vorjahwistischer Glaube
im „heidnischen" Kanaan. Von Jahwe selbst denkt wenigstens
unser Abschnitt anders. Er oder sein Vertreter, der Bote
Jahwes, wohnt nicht hier; wo er seinen eigentlichen Wohnsitz
hat, verrät uns der Erzähler nicht — ob im Himmel oder irgend-
wo auf Erden, etwa in Silo, in Betel oder sonstwo, bleibt dunkel.
Jedenfalls ist der Baum oder Fels von Ophra nicht seine
Wohnstatt; er kommt als Wanderer mit dem Wanderstabe
in der Hand hierher und hat sich wie zur gelegentlichen East
hier niedergesetzt.
Aber das ist nicht immer so gewesen. Es muß in Kanaan
eine Zeit gegeben haben, wo man den Baum, den Fels, die Quelle
bock . . . und dann wird das so zubereitete Mahl der Flamme des Altars
übergeben". Das eben kann so nicht die Meinung des Erzählers sein.
1) Rieht 13 19 trägt der Fels Cisii:) nach V. 20 einen Altar.
1. Gideon. 101
als den Sitz der Gottheit selbst ansah, wie es heute noch viel-
fach der Fall ist, wenn Opfergaben in die Quelle geworfen oder
an den Baum gehangen werden ^ und es als schwerer, tod-
bringender Frevel angesehen wird, den Baum, der als heiliger
Baum erkannt ist, zu schädigen-. Nur so erklärt sich die
Vorschrift, den Stein, der zum Altarbau verwandt werden soll,
nicht zu behauen, da das darüber geschwungene Werkzeug ihn
entweihen könnte l Indem die Satzung in Ex 20 auf den be-
liebigen Mauerstein, aus dem der Altar aufgeschichtet wird, An-
wendung findet, bekundet sie damit von selbst ihren, wenn auch
in Israel vermutlich sehr alten, doch sekundären Charakter: ihre
eigentliche ratio ist bereits verblaßt, ja eigentlich schon ver-
schollen. Einen wirklichen Sinn hat die Vorschrift nur in einem
Zusammenhang, in dem man den Altar nicht aus beliebigen
Feldsteinen aufgebaut, sondern aus Einem großen Stein oder
Felsen (oder wenigen Blöcken) durch Einhauen von Stufen oder
durch Zurichtung seiner Gestalt hergestellt denkt. Der ersteren
Art ist der Altar von Ta anach (vgl. Abb. 20. 21) und der von
Sara ('Artilf) (vgl. Abb. 11. 12) und von Petra (vgl. Abb. 28. 29),
der zweiten Art derjenige von Ba'albek (vgl. Abb. 26. 27). Der
unbehauene oder sträflicherweise behauene Felsblock muß da-
1) S. die folg. Anm. und unten S. 108. 114 ff.
2) Vgl. z. B. Schick ZDPV X (1887) S. 136, wo von uralten Wäld-
chen in der Nähe des alten Kirjat Jearim berichtet wird, „die heute als
heilige, einem großen Schech oder Geiste geweihte Haine betrachtet
werden. Gerade diesem Umstände verdanken die Wäldchen ihre Er-
haltung; denn ihre Heiligkeit^ um deren willen sich niemand getraut,
dort einen Stamm zu fällen oder Holz oder Samen von Bäumen zu
nehmen, geht gewiß in uralte Zeiten hinauf". — Am Wege von Dschenin
nach Ta'anach steht eine heilige Terebinthe, nach einem Schech Zarche
genannt. Sie wird nach der Art dieser Bäume von den Arabern mit allerlei
Tuchstreifen und Lappen bebäugt. Ich bat beim Vorüberreiten (April 1907)
meinen Führer, mir zum Andenken einen kleinen Zweig abzubrechen,
was er ohne weiteres Besinnen tat (s. dazu und zum ganzen Gegenstand
Graf MÜLiNEN in ZDPV XXX (1907) S. 186: „Gestattet ist jedoch das
Mitnehmen eines kleinen Zweiges als Haussegen [barakij'je]"). Auf meine
Bemerkung: ich hätte lieber einen solchen mit einem Zeugstreifen gehabt,
erwiderte er mit Entrüstung: „Dann M'äre keiner von uns lebend nach
Hause gekommen!"
3) Ex 20 24fif.
102 Kitte], Studien. II. Der primitive Felsaltar.
iiacli einmal der Vorgänger des aus Steinen aufgeschichteten *
Altars gewesen sein.
Zum Felsblock, dem behauenen oder unbehauenen, gehört
also von Hause aus das Numen als sein Bewohner oder
wenigstens sein gelegentlicher Besucher. Etwas vom letzteren
ist noch geblieben, wenn Jahve hier unter dem Baume beim
Felsen East macht. Ein solcher Bewohner oder Besucher
aber muß gespeist werden; sein Tisch ist der Fels selbst.
Dient aber der Fels zum Essen, so ist es klar, daß man der
hier weilenden Gottheit das Mahl auf ihm bereitet: man stellt
was der Mensch ißt, was er wenigstens an Festtagen ißt, ihm
auf den Fels, da wird er es zu sich nehmen: Brot, Fleisch,
Früchte zum Essen, und zum Trinken Wasser oder die Brühe
des gekochten Fleisches, daneben wohl _ auch Wein oder Öl
zum Fleisch oder den Früchten, und, je nachdem es eine Gott-
heit ist, auch Blut 2.
Zu alledem bedarf es keines Altars im üblichen
Sinne; ein Tisch, auf dem der Gott die Speisen und Getränke
entgegennehmen oder von dem er sie sich wegholen kann, ge-
nügt 3. Ganz anders der Altar, wie wir ihn im AT und sonst
vielfach der Eegel nach gewohnt sind. Er ist die Schlacht-
stätte, an der das Tier getötet, und die Brandstätte, auf der
der Gottheit ihr Anteil durch Verbrennen zugewiesen wird.
Der Ort ist hier ein ganz anderer; der Altar ist nicht mehr
Tisch^, und die Art der Aneignung ist eine andere, sie voll-
zieht sich durchs Feuer oder im Rauche. Eben damit ist
auch die Vorstellung von der Gottheit eine andere. Sie
wohnt nicht im Altar und kann sich nicht an ihn als ihren
Tisch setzen; sie schwebt über ihm und nimmt den Opferduft,
der von ihm aufsteigt, entgegen; ja weiterhin schaut sie dann
nur auf ihn herab und nimmt so nur von ferne und geistig
das Opfer entgegen.
1) Ein solcher hat sich, wie es scheint, noch in der diktäischen
Höhle auf Kreta gefunden ; s. unten S. 156. Der Idealaltar im Sinne des
Altargesetzes scheint der von Megiddo zu sein, s. unten S. 146 f.
2) S. darüber weiter unten S. 157 f
3) Zu dieser Art von „Altären" gehört der Schaubrottisch.
4) Um so bemerkenswerter ist, daß er Ez 4122 doch so. genannt
wird. Das ist bewußter Archaismus.
1. Gideou. 103
Welche der beiden Vorstellimgsweisen, und damit zugleich
welche der beiden Weisen, die Gottheit zu verehren und das
Opfer darzureichen, die ältere, welche die jüngere sei, kann
nicht in Frage kommen. Der Erzähler der Gideongeschichte
von Rieht 6 läßt uns auch gar nicht im Zweifel darüber, wie
er in diesem Punkte urteilt. Ehedem ist es, sagt er uns, in Ophra
und wohl anderwärts da und dort Sitte gewesen, eine Gottheit,
die im Baume oder im Steine oder auch drunten in der Erde
haust oder hier sich einstellt, l^durch Gaben, die man hier
niederlegte, damit sie selbst sie abhole oder aufesse, zu ver-
ehren; heute, und besonders seit Gideons Erlebnis, aber halten
wir in Israel es so, daß wir der Gottheit ihr Opfer am Altare
schlachten und sie es aus der Altarflamme entgegennimmt.
Wie wenig der Felsentisch in Ophra als Mizbeach ge-
dacht ist, zeigt fast deutlicher als alles andre der eine Zug,
daß Gideon nicht an ihm schlachtet, sondern um zu schlachten
erst ins Dorf gehen muß. Auch geht er nicht ins Dorf, ein
Tier zu holen und es draußen zu schlachten; es wird zu Hause
geschlachtet und bereitet, und erst das gesottene Fleisch kommt
zum Ort der Darbringung. Ein solcher Ort konnte unmöglich
Mizbeach heißen; er ist etwas ganz anderes. Die Schlachtung
im Dorfe, weiter die Tatsache, daß die Brühe mit auf den
Fels gegossen wird, endlich ganz besonders die Tatsache, daß
das Feuer erst nachträglich und für Gideon ganz unerwartet
aus dem Felsen sprüht, das alles beweist untrüglich, daß dem
Erzähler das Schlachten am Altar und das Verbrennen nicht
die älteste Form des Opfers ist. Erst seitdem Jahwe selbst
dies Beispiel gab, verbrennt man, vorher begnügte man sich
damit, die Gabe der Gottheit hinzustellen'.
1) Erwähnung verdient immerhin, daß aucli die Geschichte von Kain
und Abel in Gen 4iff. weder vom Altar noch vom Verbrennen etwas
sagt. Vom Opfer gebraucht sie nur den Ausdruck Gabe (inincha). Ist
das Zufall und ist an ein Verbrennen gedacht? — so nimmt die übliche
Auffassung an — oder aber blickt etwa auch hier schon die Erinnerung
durch, daß die Urzeit überhaupt nur ein Hinstellen, kein Verbrennen
kennt ?
104 Kittel, Studien. IL Der primitive Felsaltar.
2. Manoah.
So ist es denn gar nicht verwunderlich, daß bei dem-
selben oder jedenfalls einem ihm sehr nahe verwandten Er-
zähler, in Rieht 13 2-23 eine ganz ähnliche Angelegenheit mit
der Verbrennung des Tieres auf einem Altare ausläuft.
Dem unfruchtbaren Weibe des Manoah erscheint, während
sie einmal auf dem Felde ist, dort der Engel Jahwes und
verheißt ihr einen Sohn und verschwindet dann wieder. Sie
läuft nach Hause und erzählt ihrem Manne, es sei ihr ein
Mann erschienen, der habe so schrecklich schön ausgesehen
wie ein Gottwesen; seinen Namen aber habe er nicht gesagt und
gefragt habe sie ihn auch nicht, wo er denn her sei. Manoah
betet zu Jahwe, der Gottesmann, den er gesandt habe, solle
doch nochmal erscheinen und ihnen das Nähere über das
Kind mitteilen. Das geschieht, der Engel Jahwes erscheint
dem Weibe nochmal, während sie allein auf dem Felde ist. Dies-
mal läuft sie schnell ins Dorf und holt ihren Mann, weil „der
Mann" von damals wieder gekommen sei. Er kommt mit ihr
heraus und fragt ihn: bist Du also der Mann, der mit der
Frau gesprochen hat? Er antwortet: Ja.
„i»Da sagte Manoah zum Engel Jahwes: wir wollen Dich
gerne zurückhalten und Dir einen Ziegenbock vorsetzen —
i6ber wußte ja nicht, daß es der Engel Jahwes war. ^^"^Aber
der Engel Jahwes sagte zu Manoah: wenn Du mich auch
zurückhieltest, ich würde doch nicht von Deiner Speise essen;
willst Du aber ein Brandopfer bereiten, so bringe es Jahwe dar.
i'Nun fragte ihn Manoah: wie heißt Du? wenn nämlich
Dein Wort eintrifft, wollen wir Dich [als eine Gottheit] ver-
ehren'. i'^Der P]ngel Jahwes sagte: was fragst Du mich nach
meinem Namen, der ist geheimnisvoll-. ^^Da nahm Manoah
den Ziegenbock und das zugehörige Speisopfer und brachte es
auf dem Felsen dem Jahwe dar. -"Als aber die Flamme vom
Altar gen Himmel aufstieg, da fuhr der Engel Jahwes in der
Altarflamme hinauf — auf ganz wunderbare Weise ^. Als
1) Ordnet man die Verse so (15. 16b. 16a. 17), so heben sich die
Schwierigkeiten am leichtesten.
2) So ist das Ketib "^xbe zu lesen (''xl'e) und zu deuten.
3) An dieser Stelle passen die sonst rätselhaften Worte mbyb
«"^bBol gut.
2. Manoah.
105
Manoah und sein Weib das sahen, fielen sie zur Erde nieder
auf ihr Antlitz, -i. . . Da erkannte Manoah, daß es der Engel
Jahwes gewesen war."
Hieraus erfahren wir zunächst, daß auch dieses Begegnis
o 20 io so ao
Masstab 1= iO
wo 130 i-to ISO ISO -00 n>nf/mpfFt
Abb. 11. Der Felsaltar von Sar'a ('Artuf).
nicht an einem ganz beliebigen Orte stattfindet. Manoahs Weib
sitzt auf dem Felde draußen, aber an dem Ort, wo sie sich
befindet, ist ein Fels und auf oder an dem Felsen steht ein
Altar. Auf dem Altar brennt ein Feuer bzw. es wird zum
106 Kittel, Studieu. 11. Der primitive Felsaltar.
Zwecke des OpfervoUzugs auf ihm angezündet. Sodann: der
Mahlzeit, die ihm angeboten wird, stellt sich der Abgesandte
Jahwes scheinbar ganz anders gegenüber als bei Gideon. In
der Sache ergibt sich freilich dasselbe Verhalten. Er duldet
überhaupt nicht, daß in der Weise wie Menschen essen für
ihn geschlachtet und gekocht wird. Daß er von eines Men-
schen Speise äße, gilt ihm als ausgeschlossen; für seines-
gleichen gibt es nur Brandopfer, und auch das nur für Jahwe
selbst. Wozu könnte er auch auf dem Felsen sich seinen
Tisch decken lassen? er gehört ja zu den Himmlischen — wie
vielmehr Jahwe selbst, zu dem er in der Altarflamrae ent-
weicht.
Das alles ist die ganzkonsequenteWeiterbildungvonKap. 6.
Hatte Jahwe dort klar zu erkennen gegeben, daß er seine
Opfer nicht auf dem Felsentisch als Speise wie Menschen sie
essen, sondern im himmlischen Luftraum und durchs Feuer
entgegennehmen will, weil er weder im Felsen wohnt noch
überhaupt ißt. sondern im Luftraum mit seinen Himmlischen
weilt, und weil er auch nicht drunten in oder an der Erde sein
Wesen hat, sondern im Feuer, das dem Blitze gleich aus seinem
Stabe hervorzuckt: so wird damit nun voller Ernst gemacht. Der
Engel Jahwes protestiert hier förmlich gegen den Gedanken,
als wollten er oder gar Jahwe Speise essen. Etwas anderes
als das Feueropfer kommt überhaupt nicht in Frage. Der
alte Felsentisch steht zwar noch in Ehren, aber er ist nicht
selbst heilige Stätte, er ist nur die Unterlage, das natürliche
Fundament des Altars, der Schlacht- und Brandstätte Jahwes,
— so etwa, wie seit David der heilige Fels auf dem Moria \
wozu die Bemerkung in Esr 3-2 zu vergleichen ist, oder der
Altar von Megiddo- oder etwa der altarartige Stein in Gezer^,
falls wir ihn für einen Altar ansehen dürfen ^. Und das Feuer,
das auf ihm brennt, ist so sehr eine Hauptsache, daß es auch
1) S. die Abhandlung über diesen Fels S. 45 oben.
2) S. unten S. 131 f.
3) Vincent, Canaan (1907) S. 114 u. unt. S. 131 f.
4) Was freilich recht zweifelhaft ist. Auch kann die Eekonstruktion
einer semitischen „Höhe" nach einem in Susa gefundenen Relief bei Vin-
cent S. 144 verglichen werden, — freilich mit Vorbehalt, solange das
Original nicht zugänglich ist.
2. Manoab.
107
liier wie als das eigentliche Element Jahwes erscheint.
Er, der im Feuerbusch erscheint, kann natürlich auch seinen
Gesandten, wie er in Rieht 6 Feuer in seinem Stabe führt,
so hier im Feuer zum Himmel entschweben lassen.
Noch heute findet sich in der Gegend, in welcher die Er-
zählung von Eicht 13 spielt, bei Sar a in der Nähe von 'Artüf
(5—6 Stunden von Jerusalem) ein stattlicher aus dem lebenden
Felsen in unmittelbarer Nähe einer großen Felsterrasse her-
ausgehauener Felsaltar. Wenn in jener Erzählung — was
Abb. 12. Der Felsaltar von Sar'a ('Artüfj. Querschnitt.
wohl möglich ist — wirklich der Altar von Sar'a (s. Abb. 11 u. 12)
gemeint ist, so ist dieser Altar selbst erst nachträglich zum
Brandopferaltar hergerichtet, bezw, als solcher verwandt
worden. Seine ursprüngliche Bestimmung ist dies nicht. Ein
Blick auf den Altar zeigt, daß er fast ganz mit Schalen und
Rinnen bedeckt ist und nur in der südwestlichen Ecke eine
glatte Stelle hat. Die Schalen und Rinnen können bei der
Art, wie sie hier auftreten, überhaupt nicht wohl anders ge-
meint sein, als daß sie zur Aufnahme von Flüssigkeit dienen i.
1) S. über diese Frage unten S. 121 fF.
108 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
Es bleibt somit für den Zweck der Verbrennung überhaupt
kein genügender Raum. Höchstens gewisse Fettteile und kleine
Tiere konnten neben den Rinnen in der südwestlichen Ecke
verbrannt werden. Das deutet darauf hin, daß man in einer
relativ spätem Zeit, in der der Altar zu Brandopferzwecken
benutzt wurde, die Schalen und Rinnen nicht mehr oder nur
noch teilweise benutzt haben wird. Diese „spätere" Zeit hat,
der alten Vorzeit gegenüber, Rieht 13 im Auge.
Es bestätigt sich aufs neue: auch das Alte Testament
selbst gibt uns klar als seine Anschauung wieder, daß die in
Israel übliche Weise, Gott zu dienen, das Feueropfer ist, aber
daß man auch eine andere, und zwar frühere, kennt, welche
die Gottheit anders verehren hieß. Die frühere kann hier
nur die der Kanaaniter oder sonst voiisraelitischer Bewohner
des Landes sein. Mit der Verschiedenheit der Verehrung
verbindet sich aber auch ein Unterschied der Gottesanschau-
ung. Jene Weise setzt Gottheiten irdischer Art voraus, oder
auch unterirdischer: im Baum, im Fels, in der Quelle, in der
Höhle ^ unter dem Fels hausen sie und nehmen da ihre Gaben
entgegen-. Jahwe ist anderer Art; er weiß davon nichts
und fühlt sich über sie erhaben. Er will anders ver-
ehrt sein, denn er hat eine andere Weise zu sein.
3, Das Blut.
Wir hörten, daß in der Geschichte von Gideon eine
Schlachtung vollzogen wird, aber nicht an der Stätte, wo
Jahwe das Opfer entgegennimmt, und ohne daß das Blut des
geschlachteten Tieres, dessen Fleisch doch zum Opfer bestimmt
ist, mit herausgebracht wird an die Opferstätte, um dort als
Teil des Opfers Verwendung zu finden. Es ist danach die
Frage durchaus erlaubt, wie und wo wohl der Erzähler sich
Gideon als die Schlachtung vollziehend denke. Es ist anzu-
nehmen, daß er ins Dorf sreht: dort allein kann er auch
1) Vgl. dazu Graf MÜMNEN a. a. O. S. 190/1 u. uuten S. 114 ff". In
Gezer, in Marmita, in Jerusalem, in Megiddo ffuden sich unter dem Felsen
Höhlen, Über die von Jerusalem s. S. 19 f.
2) S. CuRTiss, Ursemitische Eeligion im Volksleben des heutigen
Orients (1903), S. 263 u. öfter, und dazu besonders unten S. 114fF,
3. Das Blut. ;[09
backen und das Fleisch kochen, dort nur findet er Korb und
Topf, in denen er seine Gabe herausbringt. Demnach wird
er auch dort im Dorfe und bei seiner Hütte schlachten.
Wie verfährt er mit dem Blute? Es ist bekannt genug,
wie man sonst in Israel fast überall, wo wir von Tieropfern
Genaueres lesen, gerade auf das Blut des Tieres den allergrößten
Wert legt. Im Gesetz muß das Blut an die Hörner des
Altars gestrichen oder an den Altar gegossen werden ^ und
mit der größten Sorgfalt sieht der Gesetzgeber 2 darauf, daß
mit dem Blute nichts versäumt wird. Es ist des Leibes
Leben, in ihm sitzt die Seele, das Lebenselement des Tieres,
so ist es die Hauptsache am tierischen Opfer oder neben dem,
was auf dem Altar verbrannt wird, jedenfalls eine Haupt-
sache. In Lev 171 ff. wird daher ausdrücklich befohlen, daß
niemand in Israel es übersehe, wenn er ein Schaf oder Eind
oder eine Ziege schlachte, es zur heiligen Stätte zu bringen,
daß es hier geschlachtet werde und als Opfer diene, und nur
das Deuteronomium hat mit Eücksicht auf die aus der Ver-
einigung des Opfers an der einen Opferstätte in Jerusalem
sich ergebenden Schwierigkeiten die Erlaubnis erteilt, ge-
wöhnliche Schlachtungen auch zu Hause zu vollziehen. Doch
sollte man das Blut sorgsam, aber ohne weitere Zeremonien,
zur Erde fließen lassen.
Von alledem sehen wir hier nichts. Obwohl zum Zwecke
des Opfers schlachtend, hat Gideon doch das Blut, auf das
sonst so großer Nachdruck fällt, nicht mit zum Opferakte
noch auch zur Opfergabe gerechnet. Trotzdem werden wir
kaum annehmen dürfen, daß man in Israel nach der Meinung
des Erzählers sich damals vollkommen indifferent gegen die
Behandlung des Tieres hinsichtlich des Blutes verhielt. Wie
Deut 12 24 zeigt, hat man auch in solchen Fällen, wo das
Blut nicht auf den Altar kam, aufs strengste darauf geachtet,
daß es sorgsam zur Erde gegossen wurde. Das ist ohne
1) Vgl. Lev 1 5. 11. 2 3. 8. 13 (Sprengen rings um den Altar); 4 7. 18.
25. 34 (au die Hörner und den Boden, TiD'^).
2) Dt 12 27. Ex 24 6. 8. Lev 17 6. In Ex 24 wird durch hälftiges Appli-
zieren des Blutes an den Altar und das Volk eine mystische Verbindung
zwischen Jahwe und dem Volk hergestellt (n'^nn). Vgl. auch unten S. 111
Anm. 6.
j[jO Kittel, Studien. II. Der primitive Feisaltar.
Zweifel ein Brauch, der nicht erst durch das Deuteronomium
geschaffen wurde, sondern längst existierte; er ist nur hier in
den Vordergrund gestellt und ausdrücklich sanktioniert, um
andere daneben bestehende Bräuche, wie die Ausgießung des
Blutes an heiligen Steinen oder Altären außerhalb der Einen
heiligen Stätte des Deuteronomiums hintanzuhalten.
Das Ausgießen des Blutes ohne eigentliches Opfer und
an andern Orten als der Opferstätte selbst, ist bei den Arabern
alter Brauch*; noch heute ist den Arabern die Blutausschüt-
tung die Hauptsache beim Opfer ^, und sie wird auch da, wo
kein eigentliches Opfer beabsichtigt ist, beibehalten ^i man
läßt das Blut — vielfach unter Anrufung des Namens Allahs
— ausfließen. Das wird auch in den Zeiten Israels schon
Sitte gewesen sein. Immerhin fällt es uns in hohem Grade
auf, daß gerade hier, wo ein Opfer vorliegt, das Blutausgießen
vom Opfervollzug selbst getrennt wird. Wir können nur kon-
statieren, daß dies für Altisrael eine ganz eigenartige, voll-
kommen isoliert dastehende Erscheinung ist^. Auch können
wir daran die Frage knüpfen, ob es etwa eine Zeit gab, in
der das Schlachtblut überhaupt nicht zum Opfer gehörte; sie
zu beantworten sind wir nicht imstande, wenngleich das Opfer
Kains als reines Früchteopfer diese Deutung zuläßt, des-
gleichen das bloße Wasseropfer in Mispa 1 Sam 7 c, vielleicht
auch dasjenige Davids in 2 Sam 23 ig. Doch handelt es sich in
diesen Fällen nirgends um ein Tier, dessen Blut gleichzeitig
vergossen wird, ohne an den Altar zu kommen.
4. Der Schlachtstein.
Müssen wir also nach allen sonstigen Analogien erwarten,
daß überall da, wo es sich um ein Tieropfer handelt, auch
1) Wellhausen, Reste arab. Heident.^ 117 f.
2) CuRTiss a. a. O. S. 210 ff. 216 ff. u. öfter; Jaussen, Rev. bibl. (N.
Sör.) III (1906), S. 91 ff. (MuN 1907, S. 44 f.).
3) S. auch Graf Mülinex a. a. O. S. 165.
4) Vielleicht liegt die Erklärung in dem, was Curtiss S. 232 mitteilt:
Man kocht das Fleisch und veranstaltet ein Fest . . . „Ist das Heilig-
tum zu weit entfernt, dann darf man auch bei dem Zelt opfern, wobei
es vor allem auf das Blut ankommt."
4. Der Schlachtstein. i\i
das Blut eine besondere Eolle gespielt haben werde, und
haben wir anderseits als ein festes Ergebnis der bisherigen
Untersuchung die Tatsache gewonnen, daß es tierische Opfer
ohne Verbrennung gab, so ergibt sich daraus ein Weiteres.
Es muß auch im Bereiche Israels, wenn auch nicht bei den
Israeliten selbst, einmal ein Tieropfer mit Blutausgießung
am Altar, aber ohne Verbrennung von Fleischstücken, ge-
schweige des ganzen Tieres — also ohne das, was sonst als
Dblü nat oder als nbiy bezeichnet wird — üblich gewesen sein.
Das ist bekanntlich die eigentliche Form des arabischen
Opfers. Bei den Arabern wird lediglich das Blut der Gott-
heit geweiht; ein Feueropfer kennen sie nicht oder nur als
Ausnahme. Der Altar ist für die Regel kein Herd, es brennt
kein Feuer auf ihm. Der echt arabische Ritus des Tieropfers
besteht einfach darin,- „daß das Blut auf den heiligen Stein
gestrichen oder in den Ghabghab ^ geschüttet wird". Und
während das Blut der Opfer der Gottheit geweiht wird, wird,
das Fleisch von dem Darbringer, seiner Familie und etwa
eingeladenen Gästen verzehrt 2. Derselbe Ritus hat sich bis
zum heutigen Tage bei den Arabern Palästinas und der an-
grenzenden Beduinengebiete erhalten, wie jederzeit ermittelt
und aus zahlreichen Beispielen erhärtet werden kann. Doch
begnügt man sich nicht mit dem Streichen des Blutes an den
heiligen Stein, es wird in Höhlen und Quellen gegossen 3, zur
Erde geschüttet*, an den Türsturz, die Schwelle oder die
Pfosten gestrichen ■', gelegentlich auch an Menschen und Tiere
appliziert 6. Auch heilige Bäume werden zuweilen mit Blut
bestrichen '. Dabei kommt alles auf das Schlachten selbst an.
1) Die Grube zur Aufnahme des Bluts am Fuße des Altars.
2) Wellhausen a. a. O. S. HG. 118. Smith, Relig. d. Sem. (D. Übers.)
153. 265 ff. Doch vergl. auch Lagrange, Et. s. 1. ßel. Sem. (1903), 261 f.
3) CuRTiss a. a. O. S. 208. 230 f. 270.
4) Ebenda S. 208 f. 206.
5) Ebenda S. 209. 211 ff. 218 f. 267. MuN 1907 S. 44.
6) CuRTiss a. a. O. S. 216 ff. 221 ff. MuN 1907 S. 45. Doch ist dieser
Brauch wohl sekundär. Menschen und Tiere sind hier Schutzobjekte,
nicht Gegenstände der Verehrung, das Blut also nicht Gabe, sondern
heilige, der Gottheit gehörige und mit ihr in Beziehung setzende Substanz.
Immerhin kann auch das Bundesopfer von Ex 24 (s. o. S. 109) zum Ver-
gleich herangezogen werden. 7) Cürtiss a. a. 0. S. 220.
j^l2 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
genauer auf das Durchschneiden der Halsadern und das Aus-
fließenlassen des Blutes auf einen heiligen Stein oder zur Erde.
Eine besonders wichtige Rolle spielt aber hiebei bis auf
den heutigen Tag der Stein oder Fels. Wer die Gegenden
des Ostjordanlandes östlich vom Toten Meere bereist, wird er-
staunt sein, wie vielen Steinplatten, Stein- oder Felsentischen,
Felsvorsprüngen, Felswällen er hier begegnet, die durchaus
den Eindruck machen, als dienten sie den arabischen Beduinen
und Halbbeduinen der Belka auch heute noch zu Opfer-
zwecken i. Lange nicht alle dem Besucher entgegentreten-
den Steingebilde sind von derselben Art. Zahllose kleine
Steinhaufen haben nur den Zweck, sozusagen als Stellvertreter
des Wanderers hinüberzublicken nach einem berühmten Wall-
fahrtsort, besonders dem Nebi Müsa. Andre sind moderne
Beduinengräber; wieder andre, runde Steinumwallungen, be-
zeichnen die Schlafstätte der Beduinen fürs Winterlager. Aber
auch wenn man sie alle abzieht, bleibt doch eine stattliche An-
zahl solcher übrig, die den Eindruck von Opfersteinen oder
Opferorten machen, sei es für die Vergangenheit, sei es die
Gegenwart.
In der Tat findet sich jene Sitte des Schlachtens am
Opferstein auch im Alten Testament. Mit vollem Rechte hat
man öfter schon auf die nahe Verwandtschaft des in 1 Sam
14 31-35 erwähnten Hergangs mit den eben genannten arabi-
schen Bräuchen hingewiesen. Es heißt da, Saul habe einen
großen Sieg über die Philister errungen, seine Leute aber
seien sehr erschöpft gewesen. ^'^„So fielen^ denn die Leute
über die Beute her und nahmen Schafe, Rindei- und Kälber
und schlachteten sie am Erdboden und aßen sie samt dem
Blute. ^^Da meldete man dem Saul: die Leute versündigen
sich ja an Jahwe, indem sie Blutiges essen! Er sprach: Ihr
vergeht euch; wälzet einen großen Stein hier zu mir her.
8* Auch sagte Saul: Zerstreut euch unter die Leute und sagt
ihnen: es bringe ein jeder von euch sein Rind oder Schaf zu
mir, daß ihr es hier schlachtet und esset und euch nicht an
Jahwe versündiget, indem ihr es samt dem Blut esset . . .
1) Vgl. ebenda S. 268 ff. Schuhmacher MuN 1904 S. 7G.
2) Lies ^üS^^ u. vgl. BHK.
4. Der Schlachtstein. 113
'^^Und Saul errichtete Jahwe einen Altar, das ist der erste
Altar, den Saul dem Jahwe errichtete."
Hier sieht man deutlich, um ein Opfer in dem uns ge-
läufigen Sinne handelt es sich bei dem, was Saul tut, gar
nicht. Als das Vergehen, dessen die Leute sich schuldig
machen, wird durchaus nicht genannt, daß sie von ihren
Schafen und Eindern nichts dem Jahwe verbrannten. Vom
Feuer, das auf dem Steine angezündet, von Fleisch oder nur
auch Fett, das abgegeben werden und Jahwe hier mit oder
ohne Feuer zugeeignet werden soll, ist mit keinem Worte die
Rede. Dreimal in den paar Versen wird die Versündigung
erläutert, und jedesmal ist lediglich vom Blute die Eede.
Erst nachträglich zur Erinnerung an das Geschehene und
für etwa später vorkommende Fälle errichtet Saul einen
Altar, aber auch er braucht seinem Namen und der Ver-
gangenheit der Stätte nach nicht mehr zu bedeuten als einen
richtigen Schlachtort, wofern der Mizbeach hier nicht geradezu
der Stein selbst ist und man den Schlußvers zu übersetzen
hat: „So errichtete Saul Jahwe einen Altar". . .
"Was Saul an den Leuten rügen muß, ist augenscheinlich
daß sie in Erschöpfung und Gier die Tiere an der Stelle, wo
sie sie erwischen, oder am Lagerplatz an beliebiger Stelle
formlos niederhauen und sich auf das halb oder ganz rohe
und bluttriefende Fleisch stürzen, ohne zu bedenken, daß das
Blut nach alter heiliger Sitte mit Sorgfalt vergossen und als
heiliger, das Leben des Tieres in sich darstellender Stoff be-
handelt werden solP. Indem sie am Steine schlachten, das
Tier also auf oder über ihn legen, während ihm die Kehle
durchschnitten wird, und so das Blut auf ihn und an ihm
herabfließen lassen, wird das Blut Jahwe zurückgegeben, und
sie können das Fleisch ohne Verschuldung essen. Daraus
sieht man zugleich, was auch Lev 17 zeigt, daß das Essen
„mit dem Blute" weniger darin gesehen wird, daß das Fleisch
noch roh ist, also nicht regelrecht gesotten oder gebraten
wird. Auch rohes oder wenigstens nur unvollkommen ge-
sottenes oder gebratenes Fleisch wird dadurch vom Blute be-
freit gewesen sein, daß man das Tier richtig verbluten ließ
1) S. Lev. 17 11.
Kittel, Beiträge.
114 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
und so das Blut der Gottheit widmete. Ebenso werden wir
im Sinne des Erzählers annehmen dürfen, wenn etwa kein
Stein als Schlachttisch sich gefunden hätte, daß dann seiner
Auffassung nach das Ausgießen auf die Erde hätte eintreten
müssen, wie es das Deuteronomium für den Fall großer Ent-
fernung des Schlachtenden vom Altar voraussetzt und wie es
auch die Sitte der Araber in alter und neuer Zeit annimmt.
Was wir hier sehen, deckt sich somit durchaus mit der
arabischen Art des Opferns, die ein Schlachten mit Blutaus-
schüttung ist; es berührt sich aber zugleich darin mit dem
Opfer Gideons, daß auch hier die Verbrennung keine,
jedenfalls keine wesentliche Rolle spielt. Gerade diese
Gemeinsamkeit des Opfervollzugs mit dem arabischen Opfer
einerseits und mit dem Gideons anderseits, das wir als ein
vorisraelitisches erkannt haben, läßt uns aber nun weiter er-
warten, daß auch die Gottesanschauung, die ihm zugrunde
liegt, derjenigen nahe verwandt sein werde, die bei jenen
Opfern vorausgesetzt werden muß. Die doppelte Analogie
muß uns auf die richtige Spur leiten.
5. Die Gottesidee in Kanaan.
Das Opfer, das Gideon zu bringen versucht, haben wir
als ein solches erkannt, das die Gottheit als im Steine oder
an ihm weilend voraussetzte. Ähnlicher Art muß wohl die-
jenige Gottheit gedacht sein, der die Araber ihre Blutwei-
hungen vollziehen. Blut, das in eine Quelle gegossen oder in
eine Felshöhle geträufelt wird, läßt sich kaum anders ver-
stehen, als daß es einem im Wasser oder der Höhle weilenden
Geiste gehören soll. In der Tat scheint die Existenz solcher
Gottheiten vorausgesetzt zu sein, wie aus unverfänglichen
Zeugnissen belegt werden kann^. Wenn bei Curtiss der
1) S. S.lOl. 108. 151ff. und Ccrtiss S.213. 230. 205. — Ein interessantes,
soweit ich sehe, bisher nicht erkanntes Beispiel eines alten Quellheilig-
tums liegt in Ai>u ghosch oder Karjet el-ineb, wahrscheinlich der Stätte
des alten Kirjat Je'arim, vor. Dort findet sich, wie mir mein archäo-
logisch hochgebildeter Begleiter sagte, die „rätselliafte" Erscheinung, daß
die Quelle in der Kirche liegt. In der Tat liegt umgekehrt die Kirche
über der Quelle und vor der Kirche wird über ihr ein anderes Heiligtum
5. Die Gottesidee in Kanaan. 115
Schech von Kefr sagt: „Jeder Platz, jedes Land, ja jede Stelle
auf der Erde hat ihre Bewohner", so spricht er damit, auch
wenn die Methode, nach welcher Cürtiss seine Kunde über
Land und Leute eingezogen hat, nach manchen Richtungen
beanstandet werden mag, etwas aus, was so sehr die innere
Wahrscheinlichkeit, die aus den Opferbräuchen spricht, für
sich hat, daß wir keinen Anlaß haben, an der Richtigkeit der
Äußerung zu zweifeln K
Demnach muß denn auch das Ausgießen des Blutes auf
die Erde und das Gießen desselben auf den Stein erklärt
werden. Es sind die Erdgeister, die es empfangen, sie sind
die im Steine weilende oder an ihm sich einfindende Gottheit.
Wenn noch das Deuteronomium, dessen Gottesbegriff durch-
aus den Charakter der sittlichen Gottheit verrät, das Aus-
gießen des Blutes zur Erde fordert, ja, wenn selbst die Opfer-
thora bis in die späteste Zeit herunter das Streichen und
Gießen des Blutes an den Altar verlangt, so kann daraus
keine Gegeninstanz gegen diese Deutung entnommen werden.
Es beweist das nur, was die Religionsgeschichte überall be-
kundet, daß primitive Vorstellungen Bräuche erzeugen, die,
einmal festgewurzelt, sich auch unter der Herrschaft ge-
läuterterer Gedankenkreise erhalten, indem sie allerlei Um-
deutungen und ihren ehemaligen Charakter vergeistigende
Umbiegungen erleiden. Man vergleiche Lev 17? u. unt. S. 152.
So ist denn auch keineswegs gesagt, daß der Jahwe, dem
gestanden haben, das der Quellgottheit geweiht war. Wir wissen sogar
ihren Namen. Denn nacli Jos 15 9 führte der Ort (vorausgesetzt, daß
Kirjat Je'^arim gemeint ist — zu den Wäldern vergl. oben S. 101 A.2) — ehe-
mals den Namen Baala^ wofür allerdings in Jos 15 60. 18 14 Kirjat Ba'al,
in 2 Sam 6 2 aber wieder richtig (s. BHK) Baalat Jehuda steht. Die
Quellgottheit ist eine Ba'al in, eine weibliche Baalgottheit. — Eine
ähnliche Quellba'alin oder Quellnixe kennt Jos 19 8 {baalat beer);
vgl. noch das Baalat von Jos 19 44 1 Kön 9 18 2 Chr 8 6.
1) In der Mischna Chullin II, 9 heißt es: „Man darf nicht schlachten
und das Blut abfließen lassen in Seen, in Flüsse oder in Geräte, wohl
aber in eine Wasservertiefung [wie man solche um Bäume macht] . . .
In eine [leere] Grube darf überhaupt nicht geschlachtet werden". Diese
Mischnasätze werden von Talmud damit begründet, daß die Schlachtung
an den genannten Stätten den Anschein erweckt, als gehe eine Opferung
an Wasser- oder unterirdische Gottheiten vor sich [K].
8*
IIQ Kittel, Studien. IL Der primitive Felsaltar.
Saiil das Blut am Steine ausgießen heißt, jener Stein- oder
Feldgottheit gleichartig sei, für die der Brauch, das Blut auf
den Stein zu gießen, erstmals ersonnen worden ist. Was wir
sonst von dem Jahwe der Zeit Sauls wissen, spricht nicht
dafür. Aber es handelt sich hier darum, den Sinn der Gottes-
vorstellung zu ermitteln, unter deren Herrschaft der Brauch
entstanden ist. Sobald die Frage so gestellt wird, kann kein
Zweifel aufkommen, wie zu urteilen ist. Eine Gottheit, der
man erstmals das Blut auf die Erde oder auf einen Stein ge-
gossen hat, ist als in der Erde oder im Stein wohnend ge-
dacht. Auch ist es klar, Saul konnte auf diesen Brauch, der,
wie wir aus Eicht 6 und vielen andern Zeugnissen ersehen,
im ganzen zu seiner Zeit nicht mehr der herrschende Brauch
in Israel war, nicht zurückgreifen, wenn die Sitte, so zu
handeln, ihm nicht irgendwoher geläufig war. Sie muß bei
den Nachbarn Israels und bei den Kanaanäern existiert haben,
sie wird auch in Israel je und dann geübt worden sein. In
Ermanglung eines richtigen Altars, möglicherweise auch, weil
es im Felde so Sitte war, greift dann Saul auf einen Braucli
zurück, der jedenfalls im allgemeinen in Israel nicht mehr
der übliche war.
Vom höchsten Interesse ist hier die Geschichte von Jakob
in Betel Gen 28. Er kommt auf der Eeise an einen Ort Lüz.
Der Ort (Cipia) ist vorher schon heiliger Ort; maköm hat hier
wie das arabische makäm technischen Sinn: heilige Stätte.
Es ist wohl ein Steinkreis in der Weise des Cromlech von
Marinita 1 — bei Betel selbst will man einen solchen finden,
doch irrtümlicherweise. Er sieht das in der Dunkelheit nicht
und nimmt einen der Steine zum Kopflager. Da hat er den
Traum von der Himmelsleiter. Er wacht auf und erkennt,
daß über ihm der Eingang zum Himmel, die Himmelspforte,
da also, wo er selbst sich befindet, ein wichtiger Punkt der
Erde, ihr heiliger Mittelpunkt, sein muß. Der Stein, auf dem
er schlief, muß wohl — so läßt ihn der Erzähler schließen —
eine von den Leuten so genannte „Gottesbehausung", ein
„bet-el" oder ein Baitylion sein.
Das wird vom Erzähler ganz so berichtet, als wollte er das
1) S. unten S. 119 Anm. 1 u. S. 122 (Abb. 14).
5. Die Gottesidee in Kanaan. 117
Wort Gottesbehausimg, bet-el in Anführungszeichen gesetzt
wissen. Er nennt den Stein so, weil man einen solchen herge-
brachterweise in Kanaan und demgemäß natürlich auch in man-
chen Kreisen in Israel so nannte ^. Er selbst und Jakob, wie er
ihn sich denkt, wollen damit nichts zu tun haben. Jakob verehrt
den Stein nicht wie er ist, er richtet ihn auf zur Massebe und
salbt ihn mit Öl. Das ist bewußte Umdeutung: der Ölguß
will nicht mehr Opfer sein, sondern Weiheguß, wie man einen
Altar durch Salben weiht, und die Massebe nicht Steinaltar,
sondern Malstein, Erinnerungszeichen neben dem hier zu er-
richtenden Altar.
Daß diese Deutung richtig, ja die allein mögliche ist,
geht aus zwei Dingen hervor: aus der Himmelsleiter und der
Benennung des Ortes, nicht mehr des Steines, als bet-el. In-
dem vom Steine, an dem Jakob schlief, eine Leiter zum
Himmelstor hinaufgeht, ist von selbst Jahwe nicht als im
Steine, sondern im Himmel wohnend bekundet. Er kommt
wohl gelegentlich, vor allem durch seine Boten, auf der Leiter
herunter, hier sich kundzutun, aber seinen richtigen Wohnsitz
hat er droben im überirdischen Räume. Die Gottesidee ist
damit losgelöst vom Steine, der Stein ist nicht mehr Gottes-
behausung, baitylion, die Gottesbehausung ist der Himmels-
raum — aus dem Fetisch ist von selbst ein Denkstein ge-
worden. Ferner, indem die Ortschaft ehemals Luz hieß, ist
von selbst gegeben, daß der Name bet-el ehedem am Steine
oder den Steinen des Cromlech haftete, also fetischistischen
Sinn hatte. Seit Jakob aber, sagt uns der Erzähler der Ge-
nesis, heißt die Stadt Betel, und der maköm, die heilige Stätte
mit der Massebe und dem Altar, dem man Zehnten leistet
steht in oder bei ihr. Nicht mehr der Stein, sondern höchstens
' ' ^ , I ^' ! f !
1) Die scheinbar nächstliegende Deutung, die darum auch manche
Vertreter findet, will überhaupt die Bezeichnung bet-el nicht mit dem
Steine verbinden, sondern nur mit dem Orte. Das ist gewiß die Mei-
nung des heutigen Erzählers. Aber daß es eine andere ältere Auffassung
gab, schimmert schon in Gen 28 22 („Der Stein soll eine Gottesbehausung
sein") durch, noch deutlicher in 35 7, wo die ganze Kultusstätte (makäm)
sammt dem Altar „Gott der Gottesbehausung (bxn'^a hu)" heißt. Hier
läßt sich nicht darüber hinüberkommen, daß Ort und Gott als eins ge-
dacht sind.
118 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
der wolil früh hier errichtete Tempel, wie alle Tempel, haupt-
sächlich aber die Stadt selbst heißen Betel.
Darin zeigt sich aufs deutlichste die Wandlung der Gottes-
vorstellung. Die heilige Höhle setzt animistische, der heilige
Stein fetischistische Gottheiten voraus — wenigstens überall
da, wo sie in ihrer ursprünglichen Weise auftreten. Die Um-
deutung des Steines zum Mal stein, vor allem aber seine Er-
setzung durch den Altar, setzt die Erhebung der Gottheit
über die Erde in den Himmelsraum voraus. Sie ist der erste
Schritt zur wirklichen Vergeistigung der Gottesidee.
Es kann die Frage vollkommen ausscheiden, ob diese
Spuren animistischer und fetischistischer Religionsübung bei
der vorisraelitischen Bevölkerung Kanaans zugleich die Spuren
der Religion der Urzeit überhaupt sind. Meines Erachtens
sind sie es nichts, wofür sich auf andern Gebieten Beweise
genug beibringen lassen. Aber wir haben es hier nicht mit
der ürreligion der Menschheit zu tun, sondern mit der Re-
ligion der vorisraelitischen Bevölkerung Palästinas. Bei ihr
aber läßt sich m. E. das Vorhandensein jener niederen Reli-
gionsformen ebensowenig verkennen als sich andererseits über-
sehen läßt, wie stark die genuin israelitische Religion über
sie hinausweist.
6. Die Gestalt des Altars. Der Schalenstein. Die Massebe.
Gibt es somit, wie wir sehen, im ältesten Israel oder bei
den vorisraelitischen Bewohnern seines Landes Weisen des
Opfers, bei denen die Brandstätte, als welche wir uns den
israelitischen Altar, dem vorherrschenden israelitischen Brauche
der Verbrennung des Altaropfers gemäß, vorzustellen pflegen,
noch nicht zur Geltung kommt, so spricht die größte Wahr-
scheinlichkeit dafür, daß dieser Zustand der Dinge auch in
der Gestalt und Beschaffenheit des Altars zum Ausdruck ge-
kommen sei. Wie sah der älteste Altar auf palästi-
nischem Boden aus?
Wenn Saul einen Stein herwälzen läßt und zum Schlacht-
1) Vgl. auch meine Schrift: Die babyl. Ausgrab. u. d. bibl. Urgesch.^
(1903) S. 30 f.
6. Die Gestalt des Altars. Der Scbalenstein. Die Massebe. 119
stein bestimmt, so hat er augenscheinlich einen Felsblock wie
er war und ohne weitere Zubereitung als Schlachttisch be-
nützt. So hat schon Jakob in Gen 28 is den Feldstein, auf dem
er schlief, als Malstein aufgerichtet und mit einem Ölopfer
gesalbt (35 u), um erst später einen richtigen Altar daraus zu
machen (35 3.7). Ja, so hat Jakob einen bloßen Steinhaufen ^
als Stätte für das Mahl und darum wohl auch als Schlacht-
stätte für die Schlachttiere errichtet (Gen 31 4g). So haben die
Leute von Bet-semes in 1 Sam 6 u, als die heilige Lade Jahwes
auf einem von Kühen gezogenen Wagen zu ihnen kam, einen
großen auf dem freien Felde stehenden Stein zum Opferstein
für die Gottheit der Lade verwendet, indem sie den Wagen
zum Brennholz und die Kühe zum Brandopfer bestimmen. Und
so werden auch heute noch bloße Steine zu Schlacht- und Opfer-
stätten benützt. Sie sind nicht häufig; aber sie fehlen nicht.
Es ist die einfachste Form des Opfertisches, der roheste, primi-
tivste Steinaltar. Beispiele dafür gibt Cüetiss S. 270 f. In der
Weise des Steines beim Heiligtum des Schech Mufleh oder
auch des Schlangeusteins bei Jerusalem oder des Steines von
Bet-semes können wir uns den Schlachtstein Sauls ungefähr
vorstellen.
Wenn nun aber weiter Gideon seinen Fleisch- und Brot-
gaben die Brühe des Fleisches beigibt und sie auf den Felsen
gießt, oder wenn Saul seine Krieger anweist, ihre Tiere über
dem Steine, den er herwälzen läßt, zu schlachten, so kann
zwar in beiden Fällen die Flüssigkeit am Felsen hinunter-
laufend gedacht sein, aber das Natürliche und Nächstliegende
ist das nicht. Beim Brandaltar zwar wissen wir, daß das
Blut teils auf ihn gestrichen oder gesprengt wird, teils an
seinem Grunde oder seinen Seiten ausgegossen wird. Aber
seine eigentliche Bestimmung ist die einer Brandstätte, der
Blutbrauch geht also bei ihm nur nebenher. Er bezeichnet den
Anteil, den das spätere Opfer an der früheren Sitte behalten
hat, das Band zwischen dem Einst und dem Jetzt. Wo aber
die ausschließliche Bestimmung eines Steines ist, Mizbeach im
strengen Sinne, d. h. Schlachtstätte zu sein und das Blut in
1) Vgl. über die Steinbaufen auch Wellh. Reste^ 115. Auch beim
Opferstein von Marmita findet sich ein heiliger Steinkreis (Cromlech), s.
Abb. 14 und Schick ZDPV X (1887), S. 143.
120
Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
Empfang' zu nehmen, da ist es ebenso wahrscheinlich, daß
seine Gestalt, sobald sie über die des bloßen Natursteins hin-
ausgeht, dem Rechnung tragen wird, wie dasselbe wahrschein-
lich ist bei einem Steine, dessen Bestimmung ist, flüssige
Speise, wie die Brühe des gesottenen Fleisches, aufzunehmen.
Wir kommen damit von selbst auf das Vorhandensein von
„Altären" anderer Art als diejenigen sind, die wir gewöhnlich
so nennen.
Nun kennen wir eine stattliche Anzahl babylonischer Altäre,
welche die Bestimmung haben, Flüssigkeit aufzunehmen, sei
es Öl oder eine andere. Sie zeichnen sich vor gewöhnlichen
a.Jetzige obere riaüclxc des Opfersteias.
"b.Friiliere obere, jetzige Seiten -Fläjclie des Opfersteins,
Abb. 13. Der Opferstein von Marmita.
Opfertischen mehrfach dadurch aus, daß sie oben eine schüssel-
oder schalenartige Gestalt haben, um die Flüssigkeit entgegen-
zunehmen K Ebenso kennen wir im alten Ägypten Opfergeräte
aus Stein, Alabaster u. dergl., die eine Eeihe zweifellos zur
Aufnahme von Trankopfern bestimmte schalenartige Ver-
tiefungen an der Oberfläche haben. Im großen vizeköniglichen
Museum zu Kairo sind eine Anzahl solcher Opfersteine bezw.
Steinplatten vorhanden; irre ich nicht, auch im großen otto-
manischen Museum in Konstantinopel ähnliche Exemplare
babylonischer Herkunft. Dasselbe findet sich in Kreta 2. Es
1) S. unten S. 154.
2) Abbildung bei Karo ARW VII (1904), 121.
6. Die Gestalt des Altars. Der Schalenstein. Die Massebe. 121
müßte auffallen, wenn ähnliches nicht auch auf dem Boden
Palästinas existiert hätte.
Es ist in neuerer Zeit vielfach, und mit dem Bekannt-
werden des ostjordanischen Palästina immer mehr, die Auf-
merksamkeit der Reisenden und Forscher auf jene eigen-
artigen Steingebilde hin und her im heiligen Lande gelenkt
worden, die man kurzweg als Schalensteine bezeichnen kann ^
Auf Dolmen, auf Felsplatten, auf großen Felsblöcken wie an
Steinen mäßiger Größe findet man vielfach rätselhafte Ver-
liefungen in größerer oder geringerer Anzahl und von bald
stattlicher, bald bescheidener Größe nach Tiefe und Durch-
messer, deren Deutung den Beobachtern von Anfang an große
Schwierigkeiten bereitete. Im ganzen machen sie durchaus
den Eindruck von Schalen oder künstlichen, in den Stein ge-
meißelten Schüsseln, zur Aufnahme von Flüssigkeit bestimmt.
Und von hier aus kam man natürlich auch leicht zu der
Erwägung, ob diese Schalen nicht irgendwie dem Opfer-
dienste einer alten Vorzeit gedient haben, indem die ihnen
anvertraute Flüssigkeit: Öl, Wein, Wasser, Blut oder was es
sonst gewesen sein möge, auf diese Weise der Gottheit nahe
gebracht wurde -. Aber man fragte sich auf der andern Seite
sofort auch mit Recht, ob dieser erste Eindruck bestimmend
sein dürfe oder ob nicht andere Deutungen zulässig oder ge-
boten erscheinen.
Nun wird man meines Erachtens überhaupt bei der Be-
antwortung der Frage nach dem Wesen dieser merkwürdigen
Vertiefungen große Vorsicht walten lassen müssen. Man wird
zum voraus verschiedene Entstehungsmöglichkeiten und mehrer-
lei Gebrauchsweisen ins Auge fassen müssen. Nur dadurch
wird es möglich sein, die Frage nach dieser seltsamen Er-
scheinung einigermaßen befriedigend zu lösen.
Vor allen Dingen darf nie übersehen werden, daß die
Eigenart des in Palästina, besonders im Westjordanlande, vor-
herrschenden Kalksteines die Bildung derartiger Vertiefungen
1) Vgl. bes. GuTHE in ZDPV XIII (1800), S. 123 ff".
2) Schuhmacher ZDPV XVI (1893\ 75 ff', hat das ursprünglich noch
für unsicher, wenn auch nicht unwahrscheinlich erklärt, sich aber doch
mehr und mehr für jene Ansicht ausgesprochen ZDPV XVI, 162; XX,
175 f. 109; MuN 1904 S. 7C. Vgl. noch unten S. 124 Anm. 1.
122
Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
lind Löcher im Gestein außerordentlich begünstigt. Der Stein
ist vielfach sehr weich und zum Bruch, der Verwitterung und
Auswaschung geneigt. Er ist außerdem vielfach mit härteren
Gebilden, wohl Kiesel und Feuerstein, durchsetzt. So kommt
es, daß schon die Natur allerlei Risse, Brüche und Vertiefungen
im palästinischen Kalkstein hervorbringt. Wer beispielsweise
das Gestein zwischen Betlehem und Hebron — aber auch an
vielen andern Orten — mit einiger Aufmerksamkeit beob-
achtet, wird Gelegenheit haben, vielfache Löcher und zum
Teil richtige Schalen, kreisrunde Vertiefungen, im Felsgestein
oder in einzelstehenden Felsblöcken wahrzunehmen, die durch-
Griiadri s s de s Opfe rplatz e s .
Mas Stab 1 : 2000
Meter
BiiTchsehrntL
Abb. 14. Der üpferplatz von Marmita
aus den Eindruck machen, als wären sie gar nichts anderes
als Produkte der Natur selbst. Eegen und Schnee haben das
weichere Kalkgestein ausgewaschen und brüchig gemacht und
das in ihm eingebettete härtere Stück Kiesel herausgebrochen.
So sind neben Lüchern von unregelmäßiger durch das Spiel
des Zufalls gelegentlich auch solche von vollkommen regel-
mäßiger Gestalt nach Art künstlicher Schüsseln entstanden.
Sie alle müssen natürlich ausscheiden.
Ferner lassen sich bei Quellen, Brunnen oder Wasser-
stellen vielfach neben Trögen, wie wir sie kennen, auch voll-
kommen kreisrunde, große schalen- oder schüsselartige Ver-
tiefungen in Steinen beobachten. Es sind nichts anderes als
künstlich hergestellte Tröge zum Tränken des Viehs. Aber
6. Die Gestalt des Altars. Der Schalenstein. Die Massebe. 123
auch auf freiem Felde lassen solche Trog- oder Tränksteine
sich beobachten. Sie sind hier aus dem Felsen heraus-
gemeißelt, um das Regenwasser aufzunehmen und vor dem
Versickern im Erdreich zu bewahren und so wenigstens für
einige Zeit nach der Regenperiode noch Wasser zur Vieh-
tränke auf dem Felde zu gewähren. Natürlich liegen die
Schalen nach der Regenzeit trocken und können leicht mit
Schalen anderer Art verwechselt werden. Doch wird, wer
ein Auge für diese Dinge gewonnen hat, sie nicht leicht ver-
kennen. Auch sie scheiden natürlich aus.
Weiter ist bei den Arabern, jung und alt, der Spieltrieb
sehr stark entwickelt. Und wie in manchen Gegenden unseres
Vaterlandes die Benützung vorhandener oder in Ermanglung
solcher die Herstellung künstlicher Vertiefungen und runder
Löcher im Erdreich oder in den Steinplatten der Trottoire
eine große Rolle spielt, so findet sich Ahnliches auch heute in
Palästina. Wer beispielsweise den Abhang unmittelbar hinter
dem Hiobsbrunnen im Kidrontal bei Jerusalem gegen das
Dorf Silwan ein Stück weit hinaufsteigt, wird in dem Gestein
bald über der Talsohle allerlei runde und rundliche, größere
und kleinere Löcher wahrnehmen, bei denen er in der Tat im
Zweifel sein kann, ob sie der Natur oder der Menschenhand
entstammen und ob nicht ein Teil von ihnen einfach dem
Spiel oder der Kurzweil der Dorfbewohner von Silwan ihren
Ursprung verdanken K Auch solche Schalen, besonders wo sie
als ein festes System in parallelen Reihen von kleinen Löchern
auftreten, scheiden natürlich aus.
Endlich ist es bekannt, daß die alten Palästiner auf oder
an den Fruchttennen nicht allein mit Vorliebe ihre Heilig-
tümer hatten, sondern in ihrer Nähe oder in Verbindung mit
ihnen auch gerne ihre Felsenkeltern, Wein- und Ölpressen
einrichteten. Dieselben können natürlich komplizierterer Art
sein, sie können aber, besonders die Ölpressen, je nach den
Umständen auch in einfachen, nicht zu kleinen Vertiefungen
bestanden haben, in denen die Früchte zerquetscht werden.
Auch sie, wo sie sich wahrscheinlich machen lassen, scheiden
1) Größere Vertiefungen in der nächsten Umgebung des „Walker-
brunnens" können natürlich aucli auf das dort betriebene Gewerbe deuten.
Vgl. die Abhandlung über den Schlangenstein, S. 16t).
j[24 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
aus. Es muß aber hier sofort auch die Gegeninstanz betont
werden, daß nicht ohne weiteres jeder Fall, in dem etwa
heute eine solche Verwendung einer Örtlichkeit bei den Fel-
lachen für Zwecke der Landwirtschaft sich nachweisen läßt,
als Beweis dafür angesehen werden darf, daß sie zu allen
Zeiten diesem Zwecke gedient und nie eine andere Verwen-
dung gehabt habe. Es ist vielmehr recht wohl denkbar, daß
mit dem Verschwinden einer früheren Religion, die solche
Vertiefungen zu religiösen Zwecken herstellte, dieselben all-
mählich ihren Sinn verloren und zu profanen Gebrauchs-
zwecken verwendet wurden. Immerhin haben natürlich, wo
dies nicht wahrscheinlich ist, auch solche Vertiefungen aus-
zuscheiden.
Allein wenn nun auch die eben genannten Gesichtspunkte
alle aufs gewissenhafteste berücksichtigt werden und dem-
nach alles auf diesem Gebiete sorgfältigst ausgeschieden wird,
was für eine religiöse Bestimmung nicht in Frage kommen
kann, so bleiben doch immer noch eine stattliche Zahl jener
Gebilde übrig, die eine andere als eine religiöse Erklärung
nicht zuzulassen scheinen.
Wo die Umgebung oder der Charakter des Steines auf
eine heilige Stätte hindeutet, wie bei Altären oder altarartigen
Steinplatten oder Steintischen oder bei Dolmensteinen ' ; oder
wo im Zusammenhang damit die Form und Art der Schalen
1) Daß die Dolmen — zum Teil oder durchweg — als Gräber dienten,
ist zweifellos. Daß sie daneben auch Opferzwecken dienten, bleibt unter
allen Umständen wahrscheinlich, schon um des nahen Zusammenhangs
mit den Steinkreisen [Cromlech] willen. Bei den letzteren sollte man
dies, auch wenn unter ihnen sich noch so viele ältere und jüngere ße-
duinengräber finden, nicht einfach bestreiten, wie z. B. Eberhard
im Palästina-Jahrbuch des deutsch-ärch. Instituts 1905 S. 41 tut. Schon das
biblische Gilgal muß davor warnen. Man nehme ruhig verschiedenartigen
Gebrauch an. Auch was ebenda S. .ö9f. gegen die Verwendung der
Dolmen zu Opferzwecken gesagt ist, trifft m. E. nicht durchweg zu. Ihre
Höhe ist nicht immer ein Hindernis — s. z. B. die Abbildung dort
Tafel 4, No. 2 — und andererseits war die Form als „Tisch" viel zu
einladend zum Opfergebrauch, als daß man annehmen könnte, man habe
dieser Einladung nicht gefolgt. Vgl. auch die sehr verständigen Er-
wägungen von EcKARDT in: Palästin. Kulturbilder Leipz. 1907 S. 148f.,
außerdem oben S. 121 Anm. 2 und unten S. 144 Anm. 2. 3.
6. Die Gestalt des Altars. Der Schalenstein. Die Massebe. l2o
SO ist, daß sie, ohne etwa als Ölpressen oder dergl. gedient
zu haben, zur Aufnahme von Flüssigkeit bestimmt erscheinen,
wie z. B. wenn Einnen die einzelnen Löcher oder einige von
ihnen verbinden, damit die Flüssigkeit von der einen Schale
nach der andern hinfließe, da kann man nicht mehr zweifeln,
daß wir es mit Kultusobjekten irgendwelcher Art zu tun
haben, also Schalen, die zur Aufnahme von Trank- oder Guß-
opfern (!jpD) bestimmt waren. (In Kairo liegen Brote daneben.)
In der Tat finden sich solche Einnen zwischen den
Schalenlöchern nicht ein oder das andre Mal, sondern vielfach.
Ich führe einige Beispiele an. Schon in dem grundlegenden
großen englischen Werk über das Ostjordanland ^ wird ein
besonders interessanter Dolmen dieser Art beschrieben, 13>c 11
Fuß lang und breit, etwa 20 Zoll dick, mit einem ganzen
System von Eillen und Höhlungen. Dasselbe findet sich bei
dem von Schick entdeckten Felsenaltar von 'Artüf und dem
Opferstein von Marmita (s. Abb. 11 u. 13), ebenso bei er-Eäs un-
weit Jerusalems '-, desgleichen am heiligen Fels von Jerusalem,
und auf außerpalästinischem Boden z. B. auf einer afrikanischen
Opfertafel ^.
Diese Auffassung findet nun ihre willkommene Bestätigung
durch das, was das heutige Leben uns darbietet, wenigstens
in Gegenden, wo die alte Kultussitte sich noch erhalten konnte.
Die verdienstlichen Beobachtungen von S. I. Cuetiss haben
hier viel Licht gebracht, und gerade hier, wo es sich ledig-
lich um die Erhebung des Volksbrauches, nicht um an die
Leute gestellte Fragen oder ihnen entlockte Begriffe handelt,
hat Curtiss' Arbeit ihren besonderen Wert^. Cürtiss erzählt
auf S. 223 seines Buches von den zum Änezestamm gehörigen
Ehsini- Arabern, daß sie ihr Vieh, wenn es erkrankt, dreimal um
das Heiligtum des Mir (Emir) el-Hai in Dschüsij eherumführen'
1) CoNDER Survey of Eastern Palestine 1889, 1. S. 20 (wieder abge-
druckt bei Curtiss 272). Zahlreiche Abbildungen ebenda II S. 125 ff. 159 ff.
186 ff. 254 ff. Vgl. auch PEF 1901, 409.
2) ZDPV XIII 78 f.; vgl. überhaupt ebenda S. 123 ff.
3) S. Vincent, Canaan S. 130.
4) Vgl. das Vorwort von Graf Baudissin S. VI f.
5) Dieses Herumgehen, der alte an oder Umlauf, kommt auch sonst
noch vor, so bei massebenartigen Pfeilern; vgl. Curtiss ö. XIX. Viel-
leicht ist das die älteste Verwendung der Masseben.
126
Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
„und dann angesichts des Heiligtums auf einem niedrigen,
mit einer Höhlung für das Blut versehenen Stein
ein Tier opfern. Innerhalb und außerhalb des Heiligtums
werden mit dem Blut Strichzeichen angebracht, die als das
Wasm der Tiere gelten können. Die Schafe werden mit dem
Blut besprengt".
Al)b. 15. Masseba von Ta'anach.
Ein anderes Beispiel. „Am Heiligtum des Nebi Elischa
in Grhabäghib gibt es einen Felsenaltar, der nach Angabe des
dortigen Priesters madhbah en-nabi elischa' heißt. Er hat
seinen Platz gerade an der Vorderfront des aus der Tiefe auf-
steigenden Felsens und mißt von Nordost nach Südwest 5 Fuß.
Der höchste Punkt befindet sich l^j^ Fuß über dem Niveau
des Vorsprungs. Oben auf demselben befindet sich ein becher-
6. Die Gestalt des Altars. Der Schalenstein. Die Massebe. 127
förmiges Loch von 3 % Zoll Durchmesser bei 3 Zoll Tiefe. An
andern Stellen befinden sich ähnliche Löcher von annähernd
derselben Größe. Nach Angabe des Priesters werden die
Opfertiere auf dem Felsen selbst getötet, wobei die
becherförmigen Löcher zur Aufnahme des Blutes dienen.
Bei meinem Besuch war der . . . Madhbah mit Blut bedeckt."
Der gewiegte Kenner des Ostjordanlandes, Dr. Schuh-
MACHEE in Haifa, beschreibt mehrfach solche Opferlöcher, die
zur Aufnahme des Blutes bei den Arabern bestimmt sind. Er
hat selbst mehrfach solchen Opferzeremonien bei den Beduinen
beigewohnt, hatte auch die Güte, mir eine Eeihe ähnlicher
Heiligtümer zu beschreibend
Nun hat allerdings schon vor Jahren Güthe (a. a. 0.) das
Bedenken geäußert, daß solche Vertiefungen sich nicht bloß an
der Oberfläche der Steine finden, sondern gelegentlich auch
an der Seite. Er meint, diese Tatsache könne ihren Gebrauch
für Opferzwecke in Frage stellen. Die vorstehende Erörte-
rung hat gezeigt, daß über den Gebrauch solcher Schalen für
Opferzwecke nach dem, was wir heute wissen, kein Zweifel
mehr bestehen kann. Es könnte sich also heute, wie mir
scheint, die Frage nur allenfalls so stellen lassen: ob die
Schalen nur für Opferzwecke oder daneben auch noch für
andre Zwecke — etwa symbolische — gedient haben. Ich
glaube aber, daß auch die seitlichen, je und dann auftretenden
Vertiefungen nicht gegen jene Deutung sprechen. Denn die
Applikation des Blutes erfolgt durchaus nicht bloß durch Auf-
gießen, ebenso häufig werden Türstürze, Pfosten, Pfeiler u. dgl.
auch damit bestrichen 2. Dasselbe wird auch bei Öl der
Fall sein. Ein solches Bestreichen setzt aber durchaus nicht
notwendig eine wagrechte Fläche voraus.
Besonders das häufige Vorkommen der Seitenlöcher auf
Masseben hat die Frage in neuester Zeit wieder in Fluß ge-
bracht 3, Fast auf allen Gebieten, wo man in jüngster Zeit
den Spaten augesezt hat, haben die Ausgrabungen Masseben
1) S. auch bei Curtiss S. 272 Anm. 2. Da das dort Augeführte mit
meinen Notizen in der Hauptsache übereinstimmt, benüge ich mich
darauf zu verweisen.
2) S. z. B. Curtiss S. 216 ff.
3) S. besonders Vincent, Canaan (1907) S. 125 ff.
128
Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
in größerer Anzahl zutage gefördert, so daß das Auftreten
dieses merkwürdigen Kultusobjektes viel häufiger gewesen
sein muß, als man bisher anzunehmen Grund hatte. Überall
aber, wo der Spaten auf Mas.seben in größerer Zahl stieß, da
fanden sich neben solchen mit Schalen an der oberen, auch
solche mit Schalen an der seitlichen Fläche (s. Abb. 15—17).
Die letzteren haben zu den sonderbarsten Deutungen Anlaß
Abb. 16. Masseba von Megiddo.
gegeben. Wie man längst geneigt war, der Masseba phalli-
schen Ursprung zuzuschreiben, so besonders meinte man in
der seitlichen Vertiefung der Mas.seba oder dann überliaupt
in den Schalen der vielfachen Schalensteine das Symbol weib-
licher Fruchtbarkeit sehen zu sollen. Weder das eine noch
das andre halte ich für wahrscheinlich. Im ganzen kann man
sich nur wundern, wie wenig die in Palästina zutage getre-
tenen Mas.seben im Verhältnis zu ihrer vielfachen Zusammen-
stellung mit phallischen Symbolen seitens neuerer Schrift-
5. Die Gestalt des Altars. Der Schalenstein. Die Masseba. 129
steller den Eindruck phallischen Charakters machen. Nur
ganz ausnahmsweise ^ und auch dann in keineswegs zweifel-
loser Art ist dies der Fall. Meist sind es rohe oder viereckig
zubehauene Steinblöcke, bei denen nicht eine bestimmte Gestalt,
sondern das nach oben Gerichtetsein die Hauptsache scheint.
Ist es demnach auch nicht ausgeschlossen, daß gelegent-
lich einmal jene derb realistische Vorstellung mit der Masseba
verbunden worden ist, so scheint dies
doch keinesfalls die Eegel gewesen zu
sein. Ich halte die Masseba für nichts
anderes als für den künstlichen Er-
satz des Opfersteines. So wird es
auch im AT angesehen, denn wenn
Jakob die Massebe mit Öl salbt, so tut
er damit nichts anderes als was sonst
üblich war, nur in etwas anderem
Sinne'-. Mit dem Aufkommen des selb-
ständigen Altars wird die Mas.seba mehr
und mehr, ähnlich wie die Aschera, die
der künstliche Ersatz des heiligen Bau-
mes ist, Symbol der Gottlieit selber.
Ist das aber das Wesen der Mas-
seba 3, so sind auch die an ihr sich viel-
fach findenden Löcher, seien sie oben
oder an der Seite angebracht, nichts
anderes als Opferlöcher, zum Begießen
oder Bestreichen des Steines bestimmt. Sie sind dann
ebenso zu erklären wie bei Opfersteinen, Dolmen und Stein-
Abb. 17.
Masseba von Gezer.
1) Vgl. bei CuRTiss S. 340 und die Benennung solcher Monolithe
bei den heutigen Arabern als znbh (hasta virilis); ebenda S. 274 f. Doch
ist der letztere Punkt nicht entscheidend. Es kann späterer Volkswitz
vorliegen. Im übrigen muß ich bekennen, daß ich bei vielem, ja fast
allem, was mau mir in Europa oder in Palästina kurzweg als phallisch
bezeichnete, als wäre die Tatsache erwiesen, nicht die geringste Spur
hiervon entdecken konnte. Auch beim Hammurabiblock scheint mir die
Annahme sehr problematisch.
2) S. oben S. 117.
3) Der Name hat sich in einem Monolith im Ostjordanlaude ha-
dschar el-mansTib unweit eines größeren Dolmenf'eldes noch erhalten, Condek,
Surv. of East. Pal. II 186; MuX 19n4, S. 78. Zur Sache vgl. auch Dt 16 2if.
Kittel, Beiträpre. 0
130 Kittel; Studien. IL Der primitive Felsaltar.
terrassen. Und hier sind dann für die Erklärung dieser
Schalen, wenigstens auf palästinischem Boden und dem Boden
verwandter Völker, die verbindenden Rinnen einerseits, wie
wir sie in Artuf und Marmita finden, und anderseits jene
Opferschalen von Kreta und Ägypten maßgebend i.
Nicht minder bedeutsam ist ein anderer Einwand. In
den Darstellungen über solche Schalen liest man je und dann
die "Vermutung, die Araber der betreffenden Gegend, weil sie
sie vielfach zum Opfer benutzen, haben jene Schalen einge-
graben 2. Das mag in manchen Fällen zutreffen, wenn es sich
beispielsweise um einen seiner übrigen Bearbeitung nach er-
wiesenermaßen jungen Stein handelt. Im ganzen aber trifft
es nicht zu. Der heilige Fels in Jerusalem hat sicher seine
Löcher und Rillen nicht erst in arabischer Zeit erhalten.
Noch weniger die in neuer und neuester Zeit in großer An-
zahl erst durch Ausgrabung zutage geförderten Steine dieser Art.
Ich erinnere in dieser Hinsicht an die Kultusstätteu von Gezer,
Ta'anach, Megiddo (s. Abb. 22), die solche Vertiefungen in großer
Anzahl enthalten'', diejenige von Gezer nicht weniger als 83,
an die mit Vertiefungen versehenen Mas.seben in Gezer, Ta*anach
undMegiddo und vieles andere, endlich besondersnoch an das viel-
fach belehrende Modell einer semitischen Kultusstätte aus Susa*.
Wir können also wohl als erwiesen annehmen, daß die
1) Auch hier mag es wohl als möglich gelten, daß gelegentlich jene
derb realistische Deutung vorkam. Die stark sinnliche Art des kana-
anäischen Kultus und die zugrunde liegende Verwendung des Gedankens
au Mann und Weib im Religionssystem legt das nahe, auch scheinen
manche Spuren direkt darauf hinzuweisen (vgl. Herod. II, 106, wonach
auf Säulen in Syrien [aus der Zeit des Sesostris?] yvvaixöq aiöola ein-
gegraben waren; vielleicht muß man auch das Modell eines Astarte-
tempels von Cypern mit Löchern an den Wänden sowie die sogen. Brett-
ideole mit Löchern hierlierziehen). Aber die Regel wird das nicht ge-
wesen sein, wie schon die obengenannten Rinnen zwischen den Löchern
beweisen.
2) S. z. B. CuRTiss S. 271 (unten). 272 (Mitte).
3) Qu. Stat. 1903, pl. VI; 1904 S. 111. Bliss-Macalister, Excavations
in Palestine S. 89 (Teil Dschedede). 194 (Teil es-Säfi); MuN 1906, Fig. 16
u. 60; Sellin, Teil Taannek (1904) S. 36. 09. 83; Nachlese S. 20.
4) Bei Vjxcent a. a. 0. S. 144, jedoch mit dem oben S. 106 A. 4 ge-
machten Vorbehalt.
7. Fortsetzung. Heilige Felsplatten an geschichtl. wichtigen Orten. 131
Schalen von Hause aus für Libationen und Blutgüsse bestimmt
sind, und wir kommen somit zu dem Ergebnis, daß neben, wo
nicht vor dem einfachen Opfersteine als primitive Form
des Altars die mit Schalen versehene Felsplatte oder
Felsterrasse steht.
7. Fortsetzung. Heilige Felsplatten an geschichtlich
wichtigen Orten.
Vergegenwärtigt man sich die Beschaffenheit dieser Kultus-
stätten und Kultusobjekte, so wird man bei ihnen allen des
Eindruckes sich nicht zu erwehren vermögen, daß sie nicht
für Brand-, überhaupt für Feueropfer eingerichtet
sind, sondern für eine andere Weise der Gottesverehrung.
Nirgends sieht man einen richtigen „Altar" oder eine Ein-
richtung sonst, die sich als Feuerstelle deuten ließe. Nur bei
den Dolmen könnte etwa daran gedacht werden, nicht aber bei
den Pfeilern und Felskuppen oder Felsplatten, wie sie sonst
jene heiligen Stätten ausmachen, wodurch dann auch wieder
die Bestimmung der Dolmen als Brandaltäre zweifelhaft wird.
Auch der Altar von Sar'a und der Opferstein von Marmita
machen hiervon keine Ausnahme. Über den ersteren ist schon
oben S. 107 f. gehandelt; was den letztern anlangt, so gilt das
dort Gesagte von ihm in erhöhtem Maße. Auch er ist stark
mit Schalen und Rinnen bedeckt;' außerdem verbietet seine
bescheidene Breite (0,68 m) eigentlich zum voraus, an einen
Brandopferaltar — wenigstens der ersten Bestimmung nach
— bei ihm zu denken.
Nun ist freilich in den Ausgrabungsberichten je und dann
auch sonst von „Altären" die Eede. Aber die sicheren Fälle
schwinden auf ein Minimum zusammen. So findet sich in
Gezer in unmittelbarer Verbindung mit den Masseben (Abb. 18)
ein großer niedriger Stein mit viereckigem Loche (Abb. 19).
Macalister selbst ist sich, wie er mir im Frühjahr 1907 beim
Besuch der Stätte erklärte, über seine Bestimmung nicht voll-
kommen klar. Es ist aber begreiflich, daß er neben den man-
cherlei in Betracht kommenden Möglichkeiten (Wasserschale,
Fundament für eine Massebe, Ghabghab) mehrfach auch an
9*
132
Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
diejenige dachte, es könnte der zu den Masseben gehörige Altar
sein. Demgemäß hat ihn auch Vincent i kurzweg als „aiitel'-
in sein Werk aufgenommen. Aber schon die Niedrigkeit des
Steines sollte davon abhalten. Auch die in der Mitte des
Altars von Petra sich findende viereckige Grube kann dar-
über nicht wegtäuschen. Stand in Gezer ein Altar bei den
Masseben, so ist er zerstört. Der Stein mit der Grube er-
innert, wie mir scheinen will, am meisten an die runde, viel-
fach auch fälschlich - für einen Altar ausgegebene Grube seit-
Alib. IS. Massebenreihe von Gezer.
wärts vom Altar von Petra (Curtiss Abb. 31). Ich möchte den
Stein für den eigentlichen Schlachtstein von Gezer, nicht für
seinen Brandaltar, und die Grube für den Ghabghab ' zum Aus-
gießen des Blutes ansehen.
In Megiddo nennt Schuhmacher-* einen runden Trog, der
mit Holzkohlen, verkohlten tierischen Knochenresten, sowie
Asche und Scherben angefüllt war, und gibt dazu die Er-
1) a. a. O. S. 114.
2) S. darüber Guthe in MuX 1903, S. SOflf.
3) S. darüber oben S. 111 A. 1.
4) MuN 1904 S. 47.
7. FortsetzuDg. Heilige Felsplatten an geschichtl. wichtigen Orten. 133
klärung: „Das Ganze hatte vielleicht als Opferstein gedient,
vielleicht auch als Ölmühle; denn in einer Entfernung- von
1 m gegen Osten fanden wir Haufen von verkohlten Oliven-
kernen, die ebensowohl von einem Opfer, als auch von einer
Ölmühle herrühren mochten." Man wird, ehe Genaueres be-
kannt wird, von einer weitern Verwertung dieses Stückes ab-
sehen müssen. Ferner glaubt Schuhmacher ^ eine Tempel-
anlage aus etwa salomonischer Zeit gefunden zu haben, in
der sich neben etlichen, zum Teil an der Seite, zum Teil oben
mit runden Löchern ^ versehenen Masseben und Krügen auch
ein ausgehöhlter Stein befindet, den Schuhmacher als „Altar"
bezeichnet. Ob er ein solcher war, und nicht vielmehr der-
Abb. 19. Skizze der Massebenreihe von Gezer mit dem sog. Altarsteiii.
selben Kategorie zugehört wie der ähnliche Stein von Gezer,
und ob überhaupt die Altäre der salomonischen Zeit so aus-
sahen — nach den biblischen Nachrichten kaum — , darf man
billig in Frage stellen. Die Anwesenheit der Masseben stellt
ihn dem Stein von Gezer nahe; unter allen Umständen darf
bezweifelt werden, daß es sich hier um einen Brandaltar
handle.
In Ta'anach ferner ist neben einigen Opfersteinen, über
die sich aber nichts Genaueres sagen läßt 3, nur Ein wirk-
licher Altar gefunden worden. Es ist ein aus dem natürlichen
1) ebenda S. 48. 56.
2) s, darüber oben S. 121 ff.
3) S. Sellin, Eine Nachlese aus dem Teil Ta'annek (Denkschriften
der Wiener Äkad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. LH. Band) 1905, S. 32.
134
Kitte], Studien. IL Der primitive Felsaltar.
Felsen herausgearbeiteter Steintisch mit einem großen ovalen
Loche von 0,50 zu 0,40 m Durchmesser und drei kleinen
Löchern von 8 und 9 cm. Er erhebt sich 1 m über den
Naturfels und hat gegen Osten eine einzelne hohe Stufe, die
natürlich den Standort des Priesters bezeichnet (s. Abb. 20. 21).
Sellin selbst hat schon ganz richtig erkannt \ daß der Altar
kein Brandopferaltar war, sondern zur Aufnahme von Liba-
tionen oder von Blut diente. Ebenso hat er ihn vollkommen
richtig als das älteste Kultusobjekt auf dem Teil Ta'annek
bezeichnet'-. Wir haben hier den richtigen Typus eines primi-
tiven vorisraelitischen Felsenaltares — aus dem lebenden Fels
Al)l). 20. Felsaltar von Ta'anach.
herausgehauen, mit Löchern versehen und in einfachster Weise
zum Gottestische hergerichtet. Vergleicht man mit dem Altar
von Ta'anach einzelne Masseben von Ta'anach (Abb. 15) oder
von Gezer (Abb. 18. 19), so versteht man, welch ein kleiner
Schritt von jenem Altar zur Massebe in ihrer einfachsten Form
war. Man sieht dann ohne weiteres den oben ausgesprochenen
Satz bestätigt, daß die Massebe von Hause aus gar nichts
anderes sein will als der Ersatz jenes Felsentisches; man
1) S. Sellix, Teil Taannek (Denkschr. d. Wien. Ak. d. Wiss., phil.-
hist. Kl. L. Bd.) 1904, S. 3L
2) a. a. O. S. 36. 103. — S. 104 wird noch ein zweiter Altar der-
selben Art erwähnt, aber nirht näher besclirieben. Er wird also aus-
scheiden müssen.
7. Fortsetzung. Heilige Felsplatten an geschieht), wichtigen Orten. 135
versteht dann auch, daß ihre natürliche Bestimmung nichts
anderes gewesen sein wird, als die eines Opfersteines; und
man versteht endlich, wie Jakob in Gen 28 denselben Stein,
den er zum nächtlichen Schlafe benutzt hatte, durch einfaches
Abb. 21. Felsallar von Ta'anach.
Aufstellen zur Mas.sebe machen und als Opferstein ge-
brauchen kann.
Die Darreichung, sei es durch Hinstellen der Gabe, sei
es besonders durch Ausschütten von Blut oder anderer Flüssig-
keit, ist hier augenscheinlich die Hauptbestimmung. Wofern
eine Verwendung als Brandstätte anzunehmen ist, müßte sie
wohl als sekundär vorause-esetzt werden.
136 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
Kann es somit keinem Zweifel unterliegen, daß schon das
palästinische Altertum, nicht bloß etwa die Gegenwart oder
die jüngere Vergangenheit des Landes, denjenigen Altar oder
Gottestisch und demgemäß diejenige Art des Opfers gekannt
hat, bei denen nicht die Verbrennung, sondern die Gabe an die
Gottheit, besonders die des Blutes, die Hauptsache war, so
treten natürlich auch die wenigen oben besprochenen bibli-
schen Vorschriften, die uns das Vorhandensein solcher Ver-
ehrungsstätten ihrem Wortlaute nach nahelegen, in ein neues
Licht für uns. Nicht allein wird durch den Ausweis der
Denkmäler der Vergangenheit, die der Erdboden uns erhalten
hat, jener oben ermittelte exegetische Befund in betreif der
Heiligtümer von Ophra in Rieht 6 sowie von Eicht 13 und
1 Sam 14 vollauf bestätigt, sondern wir wissen nun weiter
auch, wie wir tatsächlich jene Opfertische uns vorzustellen
haben werden: den Stein Sauls in der Weise des Steines von
Schech Mufleh oder Marmita oder auch des Schlangensteins
im Kidrontale oder des Steines bei Bet-semes, den Felsen
Gideons in der Weise der Felsplatten und Felskuppen von
Geze]' oder Teil Säfi, von Ta'anach und Megiddo, oder auch
des heiligen Felsen ,von Jerusalem.
Aber wir haben zugleich von der so erlangten Erkenntnis
einen weiteren Gewinn. Steht einmal fest, wie die uns ge-
nauer beschriebenen Verehrungsstätten ältester Zeit in Kanaan
ausgesehen haben und welcher Art die hier geübte Gottes-
verehrung war, so können wir andere verwandter Art nach
diesen Analogien zu deuten suchen.
Wir wissen, daß inMispa unweit Jerusalem eine solche
Verehrungsstätte Jahwes stand. Samuel hat dort geopfert; in
späteren Zeiten hat der Ort geradezu zeitweilig Jerusalem
vertreten, und heute noch haftet in der Überlieferung der
Name des Profeten Samuel an dem Orte, er heißt Nebi Samwll.
Wenigstens bleibt es trotz aller Gegengründe, die gelegentlich
geltend gemacht wurden, immer wieder das Wahrscheinlichste,
daß der stolz auf der Höhe in beherrschender Lage dort auf-
gebaute Ort das alte Mispa, die Warte, war. Doch können
wir die topographische Streitfrage hier ruhig beiseite lassen,
denn eine der einstigen Opferstätten der Umgegend Jeru-
salems hat unter allen Umständen hier gestanden.
7. Fortsetzung. Heilige Felsplatten an geschieht!, wichtigen Orten. 137
Wer den Ort betritt, wird erstaunt sein, ziemlich am
nördlichen Ende des Hügels, etwas unterhalb des Gipfels,
neben manchen andern Spuren hohen Altertums ^ eine ebene
Felsterrasse mit herrlichem Ausblick ins Land vorzufinden,
die ganz und gar den Eindruck macht, die alte Kultusstätte
von Mispa (Abb. 22) gewesen zu sein. Es ist eine stattliche
Felsplatte, im Norden mit mehreren rundlichen Löchern ver-
sehen, gegen Süden mit einer größeren ziemlich regelmäßigen
Vertiefung ausgestattet. Am Südwestende führen einige in den
Fels gehauene Stufen zur Terrasse herauf, während das übrige
Abb. 22. Kultusstätte von Mispa.
Südende zum größeren Teile durch einen etwa 1 m hohen Auf-
satz ausgefüllt wird.
Der Aufsatz macht den Eindruck eines langen Tisches.
Es mag der Schlachtsein der alten Höhe von Mispa sein, viel-
leicht auch der Tisch zum Hinstellen der Gaben. Die Löcher
sind die Schalen für Blut, Öl und andre Flüssigkeit. Die
zwei kleineren scheinen heute durch den Felsen durchzugehen
und könnten also auf eine darunter liegende Zisterne führen.
Wenn sie allezeit so tief gingen, so können sie zum Schöpfen
von Wasser gedient haben, wobei man sich dessen erinnern
1) Besonders rechts der Terrasse ist — heute durch ein Bauern-
gehöft zum Teil verdeckt — eine alte Anlage wahrzunehmen.
138 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
darf, daß gerade Mispa in 1 Sam 7 6 als eine der wenigen
Stätten genannt wird, wo uns eine Wasserlibation genannt
wird: „sie schöpften Wasser und gössen es vor Jahwe aus".
Aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir hier die altkana-
anäische Höhe von Mispa vor uns. Wenn Samuel oder Israeliten
vor ihm hier opferten, so werden sie vermutlich, der israeli-
tischen Weise gemäß, einen Altar hier errichtet haben. Der
Altar ist verschwunden, die Stätte blieb.
Eine kurze Wegstrecke nordöstlich von Nebi Samwil,
durch ein Tal von ihm getrennt, liegt ebenfalls auf einer statt-
lichen, einen freien Ausblick gewährenden Anhöhe das Dörf-
chen el-Dschlb (auch esch-schib gesprochen). Man erkennt in
ihm gerne das alte Gibeon (115^23). Kampffmeyfr ^ hat gegen
die Gleichung den gewiß nicht zu verachtenden EiuAvand er-
hoben, daß das Schwinden des hebräischen y sich sonst nicht
belegen lasse, man also wohl in el-Dschib eine Ortschaft wie
Gebiiu suchen müsse. Doch ist dieses Bedenken kaum zwin-
gender Art 2.
Dieses Gibeon ist nun eine der wichtigsten vorisraelitisch-
kanaanäischen Ansiedelungen in der Nähe Jerusalems gewesen.
Seine natürliche Festigkeit — es baut sich auf merkwürdigen
natürlichen Felsterrassen auf — machte es schon vor dem
Eindringen der Israeliten zum starken Mittelpunkt einer Ver-
1) ZDPV XVI (1893) S. 26 ff. Über die Identität mit Gibeon vgl.
schon Kobinson Paläst. II, 353 f.
2) Im Vulgärarabischen hört man je und dann wenig oder nichts
mehr von ihm; gelegentlich verliert es sich ganz, vgl. mälcs (aus mä^alch s)
„es macht nichts", kuböaji = T'J'z'p. (vgl. hebr. 133^13^2). Vielleicht
erklärt sich so auch Ba^ilbek = der Baal der Biqa. An ein Sonnenheilig-
tum der Bik'a denkt wohl auch Am 1 5 mit seinem "ix ri"p3 (awen für
^on). Es wird das syrische HeJiopotis sein und sein Sonnengott ist der
Ba'al der nspD. Zum Übergang von p zu 3 vergl. Worte wie kubbaji,
kelb Herz für helb^ kahkvr für kahkur (vgl. Clerm.-Ganneau, Arch. ßese-
archs II, 33) und die vielfache fellachische und vulgäre Aussprache des k,
die nicht nur zu ", sondern auch zu g wird, und so gelegentlich auch
zu k. Vgl. LöHR, Der vulgärarab. Dialekt von Jerusalem (1905) S. 5.
[Doch kennt der Talmud ein ""m hvi = Ba'al des Weinens (für Ba'al der
Freude?) (K.)]. Wem die Schwierigkeiten zu groß dünken, der mag mit
Kampffmeyer a. a. O. ein Gebim hier suchen (aber nicht das von Jes.
10 3i), und G. als Zuname zu Gibeou ansehen : „Gibeon mit den Zisternen".
7. Fortsetzung. Heilige Felsplatten an geschieh tl. wichtigen Orten. 139
einigung von kanaanäischen Orten der Umgegend K Auch wissen
wir, daß es den Bewohnern von Gibeon gelang, noch tief in
die königliche israelitische Zeit hinein mitten im Gebiete Is-
raels ihre politische Selbständigkeit und ihre religiöse Eigen-
art zu behaupten. Einen Versuch Sauls, an sie zu rühren,
mußte auf Verlangen der hartnäckigen Bewohner Gibeons noch
David blutig ahnden: „vor Jahwe" zu Gibeon, d. h. auf der Höhe
des Ortes, mußte er ihnen die Nachkommen Sauls zu schimpf-
licher Tötung (halb Opferung) preisgeben ~. Immerhin war nun
die Höhe jahwistisch geworden. Und sie ist als solche bald
zu besonderem Ansehen gelangt. Salomo soll hier, ehe er
seinen Tempel erbaut hatte, gewaltige Hekatomben geopfert
haben; auch soll ihm hier das Traumgesicht zuteil geworden
sein, das ihm Reichtum, Ehre und Leben anbot ^.
Noch heute macht das abseits vom Wege liegende und
trotz der Nähe Jerusalems selten von Fremden besuchte Dörf-
chen einen überaus altertümlichen Eindruck. Betritt man
einzelne Hütten der Bewohner, so gewinnt man mehrfach den
Eindruck, als könnte man sich in der Behausung eines alt-
israelitischen, ja altkanaanäischen Gibeoniten befinden. An
Bau und Einrichtung der Hütte wie an Lebensart und Ge-
bahrung der Bewohner scheinen die Jahrhunderte so gut wie
spurlos vorübergegangen zu sein. Das ist an sich nichts Be-
fremdliches, wohl aber nur wenig Wegstunden vor den Toren
der Hauptstadt immerhin überraschend.
Dem entspricht nun auch die Kultusstätte. Sie führt noch
heute den eine heilige Stätte bezeichnenden Namen Diakain
und soll zu Gemeindeversammlungen der Einwohner benutzt
werden. Im Süden des heutigen Dorfes, ebenfalls etwas unter-
halb des Gipfels des Hügels, am südlichen Ende von einem
mächtigen ehrwürdigen Maulbeerfeigenbaum beschattet, dehnt
sich eine stattliche Felsplatte oder Felsterrasse (Abb. 23) mit
einer größeren Anzahl kleinerer und größerer Vertiefungen.
Die eine, aus zwei konzentrischen Kreisen bestehende scheint
1) Vgl. Jos 9 17 lOi-u.
2) 2 Sam 21, 1 ff. (s. u.). Auch sonst spielen sich blutige Ereignisse
der Geschichte Davids hier ab, vgl. 2 Sara 2 12-32 20 8-12.
3) 1 Kön 3 4-15.
140
Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
einer Zisterne zu dienen, die mit einem unter dem Felsen sich
hinziehenden Wasserlauf in Verbindung steht. Doch erinnert
sie andrerseits zu stark an die von Schuhmacher beschriebenen
kreisförmigen Altarlöcher zur Aufnahme des Opferblutes, auch
an das gleichartige Felsgebilde in Petra \ als daß man nicht
auch hier am liebsten an die eigentliche Schlachtstätte dächte.
Ein seitlicher Gang im Felsen leitet das Wasser in eine
1 — 2 m lange und etwa ebenso breite Grube. Gerne würde ich
-Zöfi^ zum
Mfluss
Abb. 28. Kultusstätte von Gibeon.
genauere Maße der interessanten Stätte mitteilen, allein die sonst
sehr entgegenk,ommenden Bewohner waren schon durch die rohe,
von mir nach flüchtigem Augenmaß in mein Notizbuch gezeich-
nete Bleistiftskizze so mißtrauisch geworden, daß sie mit der
Bemerkung: „Ihr Christen sollt uns dies Land lassen; das ist
unser Land, ihr dürft es nicht abzeichnen!" mich zwangen
Buch und Stift einzustecken. Ein Versuch genauerer Messung,
der gewiß unter andern Umständen keine Schwierigkeit hat,
1) Für beide s. Curtiss a. a. 0. S. 272f.
7. Fortsetzung. Heilige Felsplatten an geschichtl. wichtigen Orten. 141
war für mich unbedingt ausgeschlossen. In der Nähe der
konzentrischen Kreise gegen das nördliche Ende hin finden
sich mehrere zum Teil jedenfalls, wo nicht durchweg, künst-
liche Vertiefungen, ein tiefes viereckiges und mindestens fünf
runde oder rundliche Löcher, zum Teil von stattlicher Tiefe.
Desgleichen ist in den Felsboden außerhalb der Terrasse ein
großes Loch (für eine Zisterne?) gegraben. Die Löcher, be-
sonders die tieferen, machten mir schon an Ort und Stelle
durchaus den Eindruck, daß sie außer zur Aufnahme von
Flüssigkeit zum Einstellen von Masseben und Ascheren dienen
konnten. (Auch die viereckige Vertiefung zwischen den Mas-
seben in Gezer könnte man vielleicht ähnlich deuten i.) Die
durch Vincent inzwischen veröffentlichte Skizze einer solchen
Kultusstätte'- hat mich darin nur bekräftigt. Weiter gegen
das Innere der Felsplatte stehen noch zwei viereckige Löcher
verschiedener Größe, durch einen schmalen Gang verbunden,
daneben ein rundes und ein weiteres viereckiges. Irre ich
nicht, so erklärten die Bewohner, die zwei verbundenen dienen
ihnen heute als Olivenpresse. Es ist möglich, daß sie erst
später zu diesem Zwecke angelegt sind. Doch können sie
auch ihren Gebrauch gewechselt haben.
Es ist kein Zweifel, daß hier die „große Höhe" stand,
auf der Salomo seine großen Opfer darbrachte. Dann beher-
bergte sie einen großen Altar'*, der, weil erst nachträglich hier
erbaut, auch im Laufe der Zeit wieder verschwinden konnte.
An Wasser für große Opfer fehlte es nicht. Aber die ür-
gestalt der Stätte stellt die salomonische Opferhöhe nicht dar.
Die uralt kanaanäische Stadt hatte zweifellos auch eine kana-
anäische Opferstätte derselben Art, wie wir sie bislier kennen
lernten. Und sie ist, so werden wir vermuten dürfen, nachdem
der Altar im Lauf der Zeit abgebrochen wurde, geblieben und
zeigt uns in der Hauptsache heute noch ihre erste Gestalt"*.
1) Doch s. oben S. 131 f.; die Stelle neben den andern Masseben
spricht hier für eine andere Erklärung. 2) s. oben S. 106 A. 4.
3) Auch von einem „großen Stein" bei Gil)eon ist 2 Sm 20 8 die Rede.
Aber der Zusammenhang widerrät die Annahme (so z. B. v. Gall, Altisr.
Kultusstätten 91), daß er auf der Bama stand. Das Heer wird schwerlich
den Hügel bestiegen haben, sondern zog wohl am Fuße vorüber,
4) Vom Interesse ist auch die Schilderung in 2 Sm 21 9f.: David
Inßt 7 AbköTumlinge Sauls an die Gibeoniten ausliefern, die sie „vor
142 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
Ein hocliinteressantes Beispiel dieser Art findet sich bei
Tell-el-Mutesellim, dem alten Megiddo, das die neuesten
Ausgrabungen des deutschen Palästinavereins uns wieder er-
schlossen haben. Ich besuchte den Ort zu Anfang April 1907.
Wieder nicht auf dem Gipfel des Hügels, sondern etliche
20 Meter unterhalb, gegen die Jesreelebene hin, dehnt sich
eine Felsterrasse von stattlicher Größe und unregelmäßiger
Gestalt. Man steigt mehrfach auf Stufen zu einem etwas
höheren Teile des Ganzen empor, dazwischen linden sich
wieder natürliche Einsenkungen und unter dem Ganzen oder
Teilen von ihm zieht sich eine Höhle hin. Da eine eingehende
Publikation über Megiddo durch den trefflichen Dr. Schuh-
macher in Haifa in naher Aussicht steht, konnte ich mich
auch hier mit der Aufnahme einer nur die mich interessieren-
den Haupterscheinungen zur Darstellung bringenden Skizze
(Abb. 24) begnügen. Sie macht auf Genauigkeit im einzelnen
keinen Anspruch und wird wohl durch die bevorstehende Ver-
öffentlichung mehrfach berichtigt werden; mir kommt es nur
auf den Charakter des Ganzen und die Analogie mit den
bisher besprochenen Erscheinungen an.
Die Felsplatte hat am meisten Ähnlichkeit mit dem jebu-
sitischen Sachraheiligtum in Jerusalem. Aus diesem Grunde
nenne ich sie hier auch besonders. Das uns nun reichlich
bekannte System von Löchern für Opferzwecke und Aufnahme
von Kultusemblenien wird hier wie dort begleitet von einem
System von Zugängen zur unterirdischen Höhle. Ob dieselbe
direkt zur Verehrung chthonischer Gottheiten oder zu Wohn-
zwecken oder etwa nur zur Beseitigung der Schlachtreste
diente, konnte ich nicht feststellen. Es ist zu hoffen, daß die
in Aussicht stehende Veröffentlichung uns auch darüber näheren
Aufschluß geben werde. Doch ist das Erstere an sich und
nach der Analogie der in Gezer gefundenen Beste von Höhlen-
kulten wahrscheinlich.
Vorläufig ist zu vergleichen, was Schühmachee in seinem
bisher veröffentlichten Berichte mitteilt: „Auf der Nordterrasse,
Jahwe auf dem Berge" ums Leben bringen. „Aber Ri.spa, die Tochter
Ajas, nahm ihr Trauerkleid und machte sich daraus ein Lager auf dem
Felsen zurecht . . ., so daß die Vögel und das Wild sich nicht an sie
machen konnten". Der "si:: ist unsre Felsplatte.
7. Fortsetzung. Heilige Felsplatten an geschichtl. wichtigen Orten. 143
am Fuße des Teil, stießen wir schon in einer Tiefe von 0,60
bis 0,80 m auf einem großen Felsaltar mit zahlreichen runden
und ovalen Löchern und Schalen von 10 bis 40 cm im Durch-
Abb. 24. Kultiisstätte von Megiddo.
messer, 15 bis 60 cm Tiefe. Darunter befindet sich ein in
Kreuzform aus dem Naturfelsen ausgehauener, mit Erde ange-
schwemmter Raum, der einst als Grabstätte oder als Wohnraum
diente^ . . ." „Außer einem runden, gewundenen, engen Fels-
1) MuN 1906, S. 12.
144 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
eingang fanden wir südlich eine zweite bequemere, wenn
auch niedere Tür, die zu dem unterirdischen Raum führte.
Soweit es der brüchige weiße Senon erlaubte, ließ ich ihn
freilegen und fand ein unregelmäßiges mittleres Gemach von
etwa 5,50 bei 2,20 m im Geviert und von 1,95 m Höhe, an den
Seiten zwei aus dem Felsen gehauene Kammern . . . Die Wände
waren mit Lehm verputzt. Über der Mitte des Raumes öffnet
sich in der Felsdecke ein Luftloch von 0,60 m Weite . . . Der
Höhlenraum war wohl eine Wohnung, da sich in den Wänden
Lampenlöcher, 15 cm weit, vorfinden i."
Um die Mitte des Monats März 1907 unternahm ich eine
Zeltreise durch einen Teil des alten Moab und der Belka.
Die Gegend ist ganz besonders reich an Dolmen 2, Cromlechs
und ähnlichen Resten vorgeschichtlicher Zeit. Da sie von
Schuhmacher in ZDPV XVI, 162 ff., auch von Dalman MuN
1900, 21 ff. neuerdings beschrieben sind, gehe ich darauf nicht
näher ein 3.
Auf dem Berg Sijägha, einem Hauptgipfel der Nebo-
gruppe, den ich um seiner herrlichen Aussicht willen trotz
der Versuche der boshaften Belkawije-Beduinen, die Besteigung
zu hintertreiben, an einem prachtvollen Frühlingsabend von
den 'ajün Müsa aus bestieg, fand ich die Ruinen der von
Schuhmacher unter dem Widerspruch der Beduinen wenigstens
teilweise aufgenommenen alten Kirche. Man hat zweifellos,
wie schon die Nähe der Mosequellen zeigt, auch hier einmal
den echten Nebo gesucht^.
1) Ebenda S. 66.
2) Da die Dolmen zweifellos z. T. Gräber sind (s. den Nachweis bei
Schuhmacher MuN 1899, 39), so können auf ihnen die Schalen auch dem
Tränken der Toten gelten. Noch heute ist auf muslimischen Gräbern
vielfach eiue Wasserschale zu sehen. S. oben S. 124.
3) Vgl jetzt auch Musil, Arabia Petraea I (1907), S. 271flf. 334flF.
340ff. Schöne Abbildungen von Dolmenfeldern S. 267 ft'. Musil hat nir-
gends künstliche Vertiefungen gefunden; das ist möglich, beweist aber
nicht gegen ihr Vorhandensein — ebensowenig als der Umstand, daß
er keine Spuren von Gräbern fand, gegen deren Vorhandensein spricht;
s. die vorige Anm.
4) Es ist wohl möglich, daß er in Wahrheit dem Pisga entspricht,
wo man Moses Grab ebenfalls suchte: Dt 3 27 34 1. Jedenfalls trug er
eine altheilige Stätte, denn Bileam errichtet auch hier Altäre: Nu in 23 i4.
Vgl. Driver, Deuteron. 418 ff., v. Gali., altisr. Kultusst. 151 f.
7. Fortsetzung. Heilige Felsplatten an geschichtl. wichtigen Orten. 145
Ich kann nur unters clireiben, was Schuhmacher a. a. 0.
S. 168 schreibt: „Die Gegend zwischen Ijesban, mädaba, nebä
und '^ajfin vinsa ist, was die uralten Reste aus heidnischer
Zeit anlangt, noch unberührt und daher der Untersuchung
umsomehr wert. Wer Studien über Dolmen, Cromlechs, Men-
hirs und Altäre, über in Westpalästina unbekannte Beduinen-
sitten und Gebräuche, Sprache und Überlieferungen machen
will, der begebe sich nach der Belka. Mitl el-belka mä telka,
„Du findest kein Land wie die Belka", sagt der Beduine, und
in vieler Hinsicht mag es wahr sein. Allein ebenso urwüchsig
ist auch die Raub- und Beutesucht der Beduinen Moabs."
O o
o
caSOcm
Abb. 25. Stein vom Berg Sijägha (Nebo).
Unter den Trümmern der alten christlichen Kirche fand
ich einen rechtwinklig zubehauenen Stein (Abb. 25), etwa
50 cm lang und etwa 30 cm breit mit 9 Schalen verschiedener
Größe, die größte etwa 15 cm im Durchmesser und etwa 8 cm
tief, die zweitgrößte von etwa 8 cm Durchmesser und ebenso-
viel Tiefe. Die Schalen haben nicht die Verwitterung des
Gesteins zur Ursache, sondern nur Menschenhand. Woher
stammen sie?
Es besteht die Möglichkeit, daß die Araber sie für ihre
Opferzwecke eingemeißelt haben. Aber immer ist zu be-
denken, daß sich nirgends Blutspuren oder Spuren einer
neueren Opferstätte zeigten. So ist die Möglichkeit nicht
von der Hand zu weisen, daß der Stein, ehe er etwa dem
Kittel, Beiträge. 10
146 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
christlichen Heiligtum einverleibt, überhaupt in die heutige
Form gebracht wurde, vor Zeiten ganz anderen Zwecken
diente. Die Ortslage und das Vorhandensein einer christlichen
Kirche zeigen, daß man hier den Moseberg Nebo suchte.
Der Name, der mit dem des Gottes "in? identisch ist, und die
Existenz der Kirche lassen vermuten, daß hier ein altheid-
nisches Heiligtum des Nebo (oder der auf dem Pisga verehrten
Gottheit) und später ein israelitisches Heiligtum stände Es
ist wohl möglich, daß hier ein Stück des Opfersteines sich
erhalten hat. Um der Heiligkeit der Stätte willen wird man
ihn, wie den hl. Felsen in Jerusalem, der Kirche einverleibt
haben, und so findet er sich — vielleicht nicht als der einzige
Eest derselben — heute unter den Trümmern der Kirche als
ein Zeuge altheiliger Vergangenheit der Stätte.
8. Der Brandopferaltar.
Deutliche Spuren des Feueropfers finden sich, soweit ich
die Ausgrabungsberichte übersehen konnte, erstmals in Megiddo.
Hier ist nach den bisher veröffentlichten, wenn auch nur erst
vorläufigen und darum summarischen Berichten von Schuh-
macher mehrfach von Opfergruben mit Asche, Holzkohlen
und verkohlten tierischen Knochenresten die Rede. Die Gruben
sind keine Altäre, sie deuten aber auf Feueropfer hin und
lassen vermuten, daß sich Altäre in ihrer Nähe befanden.
Demgemäß ist denn auch in demselben Zusammenhange ge-
radezu von einem „Opferaltar" die Rede'-. Er soll aus drei
senkrechten Blöcken und einem 1,30 m langen Deckelstein
nach der Art der Menhir aufgebaut gewesen sein und „stand
in einer ausgemauerten, verputzten Grube, deren Bodenpflaster
sich nach einer Basaltschale im Norden zuneigte, die zur Auf-
nahme des Opferblutes gedient haben mag. 1 m südöstlich von
diesem Altar öffneten wir eine verputzte, von großen Basalt -
blocken eingefaßte Opfergrube von 1,35 m Weite und 0,60 m
Tiefe, die mit Asche, verkohlten tierischen Knochen und Holz-
1) Vgl. die Mesainschrift Zeile 18: Mesa nimmt den Altar Jahwes
von Nebo weg zum Kemosch.
2) MuN 1905, S. 10 f.
8. Der Brandopferaltar,
147
kohlen angefüllt war. Keiner der Steine des Altars oder der
Grube, mit Ausnahme der Blutschale, war von einem Werk-
zeug berührt" K Ein zweiter mit Opfergrube in derselben An-
lage und Bauart nebst einem Kessel mit Brandspuren und
Aschenresten und zwei Masseben befindet sich 8 m weiter
östlich.
Hier stoßen wir allerdings auf deutliche Anzeichen von
Feueropfern in Verbindung mit Blutriten. Den letzteren
Abb. 26. Der große Altar von Ba'albek.
dient die Blutschale; sie wird das Blut des Opfersteins auf-
genommen haben, soweit es nicht an den Altar gesprengt
oder gegossen oder an die Masseben gestrichen wird. Der
Altar selbst stellt die einfachste Form des Steintisches ohne
menschliches Werkzeug dar; die Opfergrube dient zur Auf-
nahme der halbverbrannten und verkohlten Beste des Brand-
opfers.
Es verdient Beachtung, daß dieser Altar, in dem wir
ohne Zweifel das Urbild des Brandaltars sehen dürfen, genau
1) Ebenda S. 11 f.
10 =
148
Kittel, Studien. IL Der primitive Felsaltar.
den Forderungen des Altargesetzes von Ex 20 24 ff. entspricht,
obwohl es im höchsten Grade wahrscheinlich ist, daß er
bereits einer vorisraelitisch-kanaanäischen Periode entstammt;
ferner, daß auch dieser Altar wie der von Ex 20 24 0". augen-
scheinlich noch nichts von den sonst im AT so vielfach be-
tonten „Hörnern" weiß. Der Altar wird etwa in die Mitte
des zweiten Jahrtausends vor Chr. — eher früher als später —
zu verlegen sein.
Abb. 2(. Der o-roße Altar von Ba'albek.
Außerdem sind noch an zwei anderen Stellen des alten
Megiddo ' Spuren von Kultusstätten mit Feueropfern zutage
getreten. Es handelt sich beidemale um die Zeit etwa des
13. Jahrhunderts vor Chr.. somit für Megiddo vermutlich um
die letzte kanaanäische Zeit. Aber leider erfahren wir über
den etwaigen Altar dieser Schicht nichts; wir wissen nur,
daß die eine dieser Stätten später durch eine israelitische
Massebenstätte ersetzt worden ist. sowie daß in den Weih-
1) MuN lOOG, S. 48. 55.
8. Der Brandopferaltar. 149
gesclienken jener alten Zeit die Opferschale für Eäucherwerk,
also das Räucheropfer eine nicht unbedeutende Rolle gespielt
haben muß.
Vergleicht man mit dem oben beschriebenen Altar von
Megiddo die ohne Zweifel zu Brandopferzwecken dienenden
Altäre von Ba'albek und Petra, so kann kein Zweifel darüber
aufkommen, daß wir es hier mit viel späteren Gebilden zu
tun haben. Beide Altäre werden ja erheblich älter sein als
ihre Umgebung; es besteht für Ba albek (Abb. 26 und 27) die
größte Wahrscheinlichkeit, daß wir in seinem stattlichen Altar
in der Hauptsache den Brandopferaltar des phönikisch-kana-
anäischen Ba'al der coelesyrischen Bik'a vor uns haben K Eben-
so werden wir in Petra (Abb. 28 u. 29) eine altedomitisch-kana-
anäische Altaranlage vor uns haben, die von den Nabatäer-
fürsten wohl vielleicht erweitert, schwerlich aber geschaffen
ist. Insofern können beide Altäre sowohl für das Verständnis
des spätkanaanäischen und phönikischen Brandaltars als für
das des Altars der israelitisch-judäischen Königszeit oder auch
der jüdischen Restaurationsperiode wichtige Dienste leisten ^,
aber für den primitiven Altar, der uns hier beschäftigt, werden
sie kaum zu verwerten sein.
1) Zu Abb. 26 mache ich besonders auf die Seitenstufen oben neben
den Hauptstufen aufmerksam. Sie dienten vielleicht dem Standort des
Priesters (vgl. Abb. 11). Außerdem erinnert mich Hommel daran, daß
die Stufen genau die Zahl sieben darstellen und daß die unterste, welche
seiner Ansicht nach die Erde versinnbiMlichen soll, erheblich höher ist
als die andern. An eine Doppeltreppe, die in manclien Eekonstruktions-
versuchen des Altars eine Rolle spielt, kann ich nicht recht glauben. —
Zu Abb. 27 bemerke ich, daß die Höhe ungefähr der des Altars der
Mischna (s. oben S. 79 ff.) entspricht und daß auch der Grund {Jesöd) deut-
lich zu erkennen ist. Ebenso sieht man unten am Altar V2— ^m di über
der Erde eine Anzahl Löcher im Steine. Es sind wohl die Spuren da-
von, daß hier einst Ringe zum Anbinden der Opfertiere eingelassen
waren. Ahnliche Löcher sind oben auf der Ebene gegen außen wahrzu-
nehmen. Sie können zum Teil auf die Araber zurückgehen, die hier
Pfosten für ihre Hütten einsetzten; zum Teil aber werden sie alt sein
und auf ein Geländer, das hier umlief, deuten. Bei einigen der obern
Löcher möchte man auch an Rinnen zum Abschluß des Blutes nach
außen denken, doch kann bei der Gewaltsamkeit, mit welcher die Araber
gehaust haben, der Schein trügen. — Zum Namen vgl. S. 13S A. 2.
2) S. darüber in der Abhandlung über den heiligen Fels von Jeru-
salem.
150
Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
Wie wir uns die Entwicklung des Brandaltars selbst vor-
zustellen haben, kann nach dem, was wir über die allmähliche
Gestaltung des israelitischen Altars ermitteln können, nicht
zweifelhaft sein. Der rohe Erd-^ oder Felsentisch weicht
mehr und mehr einem künstlicheren Aufbau. Mit dem Fort-
glR.. .
-vbl). 28. Der Altar von Petra
schritt der Kultur und den höheren Ansprüchen an Technik
und Kunst begnügt man sich trotz der alten, durch Sitte und
Satzung geheiligten Abneigung gegen Kunstaltäre nicht mehr
mit der einfachsten Form. Man beginnt mit Stein- und Erz-
aufsätzen, die auf den Naturfels aufgestellt werden, und
1) Erdaltäre lassen sich begreiflicherweise nicht nachweisen, haben
aber nach Ex 20 24 ohne Zweifel bestanden.
8. Der Brandopferaltar. 15t
schreitet zu Quaderbaiiten von stattlicher Höhe mit Stiifen-
aufgängen oder zu kunstvoll aus dem Felsen herausgemeißelten
Altären fort. Beispiele bieten der Altar des Ahas in Jeru-
salem \ der Altarentwurf Ezechiels und die Altäre von Ba'al-
bek und Petra.
Von hier aus wird es uns nun auch nicht schwer werden,
sowohl das Aufkommen des Feueropfers auf dem Boden
Palästinas und die mit ihm im Zusammenhang 'stehenden Wand-
Abi). JU. Der Altar vou Petrii.
hingen der Opferpraxis, als besonders die Entstehung der ihr
entsprechenden Gottesanschauung näher zu beleuchten.
Wir haben uns zunächst dessen zu erinnern, daß wir als
die älteste Praxis des Opfers auf dem Boden Palästinas das
Hinreichen von Gaben und besonders das Ausgießen von Blut
und Flüssigkeit auf den natürlichen, mit Löchern als Opfer-
schalen versehenen Felsboden ermittelt haben. Mehrfach ist
der Fels unterhöhlt und es führen in die unter ihm liegende
Höhle nicht nur Stufen, sondern auch Öffnungen, Eitzen und
1) tS. S. 149 Anm. 2. Auch die Einschnitte oben (vgl. Abb. 28)
gehören hierher.
j^52 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
Löcher von oben, so daß angenommen werden kann, daß die
Flüssigkeit durch sie in die Höhle gegossen wurde. Das führt
auf den Glauben an Erdgeister, die in der Höhle ihre Woh-
nung haben, in derselben Weise wie die ältesten Bewohner
Palästinas vielfach in den zahlreichen Höhlen des Landes als
ihren primitivsten Wohnstätten hausten.
Die Ausgrabungen an den verschiedenen Punkten Pa-
lästinas im Zusammenhang mit dem, was wir über die älteste
Geschichte des Landes wissen, machen es wahrscheinlich, daß
die älteste Besiedelung des Landes, die mit der Benutzung des
Terrains unmittelbar unter und über dem Naturfels zusammen-
fällt, uns tief in das 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung
(jedenfalls 2500—2000, wo nicht 3000-2500 v. Chr.) hinauf-
führt. Das ist die Zeit der Höhlenbewohner und der An-
betung von Erdgeistern durch sie auf dem durchlöcherten
Naturfels als dem primitivsten Naturaltare.
Ob wir jene, soweit wir bis jetzt sehen können, ersten
Bewohner des Landes schon als Kanaanäer, ja nur als Semiten
ansehen dürfen, steht dahin, ist aber immerhin recht fraglich.
Das AT selbst sieht, wie es scheint, die Horiter in Edom und
die Emiter, Sarasumiten und Refaiter^ als eine vorkanaanäische
Bevölkerungsschicht von augenscheinlich anderer Rasse an.
Das scheint auf richtiger Erinnerung zu ruhen und wird viel-
leicht auch durch die, wenn auch mit einiger Vorsicht aufzuneh-
menden Beobachtungen Macalisters- bestätigt. Es stimmt dazu,
daß sie jedenfalls nicht Ba'alsverehrer waren. Denn Ba'al,
die Hauptgottheit der semitischen Kanaanäer, ist kein Erd-
geist im Sinne einer chthonischen, unterirdischen Gottheit.
Ba'al bedeutet: Besitzer, Herr von etwas; der kauaanäische
Ba'al ist demnach auch immer der Gott des Fruchtlandes,
der Spender seiner Fruchtbarkeit, im Ackerboden des Landes
und seinen Bergen, Tälern, Bäumen, Quellen und Fruchtgärten
sich betätigend. Er ist durchaus ein irdischer, aber kein
unterirdischer Gott.
1) Man beachte den letzteren Namen: Refaim bedeutet im AT die
Totengeister. Vielleicht nannte man jene Troglodyten so, weil sie
den Totengeistern gleich unter der Erde hausten.
2) Streiflichter zur bibl. Gesch. aus der altpaläst. Stadt Geser 1907,
s. soff.
S. Der BrandopferaJtar. 153
Dieser Ba'al in seinen verschiedenen Erscheinungsformen
tritt mit der semitisch-kanaanäischen Besiedelung des Landes
an Stelle jener Urgottheit. Natürlich nicht in der Weise, daß
sofort alle Spuren der andern Gottheit verwischt worden wären,
sondern so, daß die alten Anbetungs- und Opferstätten an
Ba'al übergehen und er selbst und sein Kultus manche Züge
der früheren Gottheit und ihrer Verehrung übernimmt.
Ob er von Anfang an im Feueropfer verehrt worden ist,
wissen wir nicht. Doch ist es sehr wahrscheinlich. Im Wesen
des Baum-, Quell-, Acker- und Fruchtharkeitsgottes liegt es an
sich nicht. Die biblische Überlieferung scheint es sich ebenfalls
anders zu denken, wie oben gezeigt ist. Endlich, haben uns
die Ausgrabungen, soweit man aus ihren bisherigen Ergeb-
nissen schon Schlüsse ziehen darf, dahin belehrt, daß das Feuer-
opfer sich erst etwa seit der Mitte des zweiten Jahrtausends
mit Sicherheit nachweisen läßt. Alle diese Gründe machen
es wahrscheinlich, daß eine erste Periode der kanaanänischen
Ba'alsreligion (etwa zwischen 2500 und 1500) voranging, in
der Ba'al als reine Erdgottheit und als Fruchtbarkeitsgott die
Hauptrolle spielte. Es ist die Periode der lokalen Numina:
Baum-, Quell-, Flußgottheiten und dergl. Sie werden durch
Spenden von Früchten und Speisen auf dem Altar, an dem Baum,
der Quelle, dem Bache oder durch Gießen des Blutes in sie
und an den Altar verehrt. Hier besteht die alte Anschauung
und Verehrungsweise neben der neuen noch vielfach zu Kecht.
Das Hinstellen und der Blut-, Öl- oder Weinguß auf den Fels
oder Altar paßt zum Erdgott so gut wie zum Höhlengott. Das
ist die Weise, wie sie in Eicht 6 noch durchblickt. Sie be-
nutzt den alten Felsen oder errichtet auf ihm oder aus ihm
den primitiven Libationsaltar, wie wir ihn in Ta'anach oder
Sar'a und Marmita vor uns sehen.
Um die Zeit der Wende des 2. Jahrtausends treffen wir,
wie gesagt, den ersten kanaanäischen Brandaltar. Der Ba al,
der auf ihm verehrt wird, ist ein anderer als der lokale Erd-
gott. Das Feueropfer setzt eine andre Gottheit voraus, eine
Gottheit des überirdischen Luftraumes, der, über der Erde
schwebend, den Opferduft entgegennimmt, und zugleich wohl
einen Gott, dessen Wesen das Feuer ist. Eine solche Seite
hat Ba'al an sich. Er ist zugleich Sonnengott. Schwerlich
j^54 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
ist er das schon lediglich als Fruchtbarkeitsgott. Aber beide
Gottheiten, die der irdischen Fruchtbarkeit und die der Sonne,
konnten natürlich ohne Schwierigkeit sich in der Gestalt des
kanaanäischen Ba'al vereinigen. Auf diese Weise wird ein
neuer Gott aus ihm und jetzt erheben sich auf den alten
Felsenplatten Ba'alsaltäre, auf denen dem Sonnenba* al Opfer-
feuer entzündet werden. Es ist die zweite Periode.
In welchem größeren Zusammenhang sich diese Wandlung
vollzogen hat, wissen wir nicht. Aber es ist erlaubt, gewisse
Vermutungen auszusprechen.
In einer kurzen aber wertvollen Abhandlung^ über „Altar
und Opfer in der ältesten babylonischen Kunst" hat uns
W. H. Waed eine Übersicht über das Opferwesen im alten
Babylonien geschenkt. Es geht daraus zunächst hervor, daß
die allerälteste Gestalt des babylonischen Altars demjenigen
Typus, den wir an dem Libationsaltar von Ta anach vertreten
fanden, am meisten entspricht: ein Opfertisch mit einer ein-
zigen hohen Stufe. Die letztere ist aber hier nicht für den
Priester, wie Sellin beim Altar von Ta'anach annimmt, son-
dern für einen Teil der Opfergaben bestimmt. Diese Form
des Altars reicht in Babylonien in die Zeit vor Sargon I., also
nach gewöhnlicher Annahme bis gegen 4000 v. Chr. zurück^
Ferner sehen wir, was früher schon Erwähnung fand, viel-
fach an den Altären oben eine becherartige Vertiefung zur
Aufnahme der auf sie gegossenen Flüssigkeit, besonders des
Öles, angebracht^. Denkt man sich den Altar als Felsplatte
oder Steintisch — den natürlichen Verhältnissen Palästinas
entsprechend — , so entsteht daraus von selbst die schalenartige
Vertiefung, über die oben S. 121 ff. gehandelt ist.
Sodann aber entnehmen wir, was für uns von besonderem
Interesse ist, dem weiteren Verlauf der Abhandlung, daß in
Babylonien das Feueropfer ebenfalls in die Frühzeit zurück-
reicht. Überall finden wir schon im frühen Altertum neben
Gußopfern und auf dem Altar liegenden Gaben auch die
Altarflamme vertreten 4. Allerdings sind die uns von Ward
1) Bei CuRTiss a. a. ü. Anhang E, S. 325—339.
2) a. a. O. S. 326 ii. 327.
3) Vgl. z. B. a. a. O. Abb. 45. 47.
4) S. a. a. 0. Abb. 39. 40. 41. 42. 45. 46 usw.
8. Der ßrandopferaltar. 155
vorgeführten Altäre durchweg klein; es handelt sich also wohl
in der Hauptsache um Eauchwerk und Ol, das die Opferflamme
nährt. Zwar sind Tiere mehrfach Gegenstand derDarbringung\
aber bei der Kleinheit der Altäre kann an Brandopfer nicht
gedacht werden 2. Entweder können also nur Fleischstücke in
der Weise von Rieht 6 ^ auf den Altar gebracht worden sein,
oder es müßten wie beim israelitischen obizj n3T die Fettstücke
des Tieres auf dem Altar verbrannt worden sein.
Wie dem sein mag, jedenfalls spielt die Altarflamme eine
große Rolle. Das entspricht nach dein, was wir bisher hörten,
durchaus dem babylonischen Religionssystem, in dem Bei, der
Himmelsgott, und die Gottheiten von Sonne, Mond und Sternen
eine so große Rolle spielen. Demgemäß finden wir auch mehr-
fach auf bildlichen Darstellungen von Opferszenen die Gott-
heit mit Blitzbündel oder den Sonnenstrahlen ausgerüstet*.
Es sind also, wie nach dem früher Dargelegten zu erwarten
war, hauptsächlich die Himmels-, Sonnen-, Gestirn- und Blitz-
1) S. a. a. O. Abb. 39. 41. 42. 43. 54.
2) Auch sonst erfährt man wenig oder nichts von Brandopfern. Die
Kultustafel von Sippar (vgl. Jon. Jeremias, Leipz. o. J.) nennt zwar
Opfertiere genug , sagt aber nichts von ihrer Verbrennung. Derselbe
Autor spricht im Artikel „Ritual" der Encyclop. Bibl. Sp. 4117 zwar von
'^ö/äk in ßabyl., gibt aber kurz vorher ebenfalls zu, daß das Darbringen eines
ganzen Tieres auf dem Altar (kalil) in Babylonien schon wegen der
Kleinheit der uns bekannten Altäre selten gewesen sein müsse. — Hommel
verweist mich brieflich auf Stellen wie Eannadu, Geierstele, Rev. 38— 40:
dem Samas |iu Larsa Stiere als Speise dargebracht; Gudea, Statue E:
der Ba'u als Vermählungsgabe 2 Ochsen, 2 Schafe, 10 Hammel, 2 Lämmer
usw. Aber handelt es sich hier um Brandopfer oder um bloße Schlach-
tungen zu Ehren der Gottheit? Das scheint mir sehr die Frage. Vgl. noch
die Abbildung bei A. Jeremias ATAO2 430, wo ein Stier gegen einen
winzigen Räucheraltar geführt wird. Das sieht ebenfalls ganz aus, als
sollte der Stier lediglich durch Schlachtung „geopfert" werden. Ferner
vergleiche man das Gilgames-Epos XI, 15Gff., wo zwar ein (Lamm?) Opfer
„geopfert" wird, die Götter aber eigentlich nur durch den Duft des
Rauchwerks angezogen werden. Endlich verdient Beachtung, daß das
Hauptwort für ,, opfern" naf;ü eigentlich ausgießen, die Libation vollziehen
bedeutet. Auch wo es (oder sein Subst. mht) von Rindern, Schafen usw.
gebraucht wird, ist, soviel ich sehe, nirgends von einem Verbrennen des
Tiers die Rede.
3) S. oben S. 97 ff.
4) z. B. a. a. O. Abb. 37. 39. 42.
156 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
gottheiten, denen das Altarfeuer entzündet wird. Mindestens
wird es von ihnen seinen Ausgang genommen haben.
Von nicht geringerem Interesse ist ein zweites uns zur
Vergleichung sich darbietendes Gebiet, das der sog. my ke-
nischen, besser altachäischen Kultur. Töpferei und Plastik
ebenso wie das Auftreten der über das Mittelmeer hergekom-
menen Philister in Palästina lassen uns keinen Zweifel darüber,
daß schon frühe wie mit dem babylonischen Osten und dem
ägyptischen Süden, so auch mit dem mykenisch - ägäischen
Westen Beziehungen unterhalten wurden. Das Bindeglied ist
hier Kreta.
Gerade hier in Kreta aber haben uns die neueren Aus-
grabungen das Auftreten des Brandopfers und Brandopfer-
altares genau in der Zeit, in der wir es auch in Palästina
glauben ansetzen zu sollen, kennen gelehrt ', nämlich um die
Mitte des zweiten Jahrtausends. Die diktäische Höhle enthält
einen den Vorschriften des israelitischen Altargesetzes genau
entsprechenden Brandopferaltar aus rohen Steinblöcken. Der
Gott, dem die Opfer dargebracht werden, ist der Himmelsgott,
dessen vornehmstes Symbol das Doppelbeil, das die Wolken
spaltet, d. h. der Blitz ist. Im Palaste von Knosos ist die
Hauskapelle diesem Blitzgotte geweiht. In ihrem Vorhofe
steht ein Altar, dem Brandopferaltar des salomonischen Tempels
entsprechend. In einem Schachtgrabe bei Phaistos finden sich
Opferszenen dargestellt, darunter ein Opfertisch, auf dem ein
geschlachteter Stier liegt. Es kann somit gar kein Zweifel
bestehen, daß der altkretische Kultus jener Zeit das Brand-
opfer für den himmlischen Zeus gekannt hat.
Bei dem regen Verkehr, den die seefahrenden Kanaanäer
mit Kreta und den Mittelmeerländern unterhielten, wird man
dieses zeitliche Zusammentreffen kaum für zufällig halten
können. Mochten schon der himmlische Bei, von dem jeuer ja
wohl im letzten Grunde ausgegangen war, und der babylonische
Sonnengott den altkanaanäischen irdischen Ba'al in der Stille
beeinflußt und eine Umgestaltung seiner Verehrung angebahnt
haben, so scheint der Hauptanstoß von dem himmlischen Zeus
1) Vgl. dazu neben den Ausgrabungsberichten selbst im British
Scool Annual 1899 fF. und Journal of Hellenic Studies 1901 flf., besonders
Xäro im Archiv für Religionswissenschaft VII (1904), S. 117 ff.
8. Der Brandopferaltar. 157
von Kreta ausgegangen zu sein. Seine Verehrung hat in der
Folgezeit sei es durch Kanaanäer, sei es durch Israeliten, zur
Übernahme der in Kreta selbst noch unerklärten „Weihe-
hörner" auf den Altären geführt; in Israel sind daraus die
uns seit der Zeit Davids bekannten Altarhörner geworden,
die einen wesentlichen Hauptteil des israelitischen Altars aus-
machen. Jener Zeuskult kannte auch schon den Opferpfeiler und
den heiligen Pfahl. Von ihm wird auch die Umgestaltung des
kanaanitischen Opferwesens in der Richtung zum Brandopfer
hin und demgemäß des Altars vom Eßtisch zur Feuerstätte
beeinflußt gewesen sein.
Als die Israelstämme aus den Steppen um den Sinai und um
Kades her in Palästina eindrangen, da hatten sie ohne Zweifel
manches von den altarabischen Opfersitten und Blutriten im
Brauche. Der gewiß uralte Passahritus des Blutstreichens an die
Tür- oder Zeltpfostenstangen und manches andere wird damit
zusammenhängen. Nicht minder die allezeit in Israel so hoch-
gehaltene Wertschätzung des Opferblutes. Aber ihr Gott, den
sie mitbrachten, glich weder dem kanaanäischen Erdgott noch
dem altarabischen Steindämon; er war ein Gott, der Mose im
Feuerbusche, dem Volke in der Wolken- und Feuersäule er-
schienen war und der Israel im Gewitter und Feuer um den
Sinai sich kundgetan hatte, also ein Gott, dessen Element,
wenn er erschien, das Feuer, dessen Wohnstatt der himm-
liche Luftraum, dessen Äußerung in der Natur Gewitter
und Blitz war.
Ein solcher Gott hatte mit den vorkanaanäischen Toten-
und Erdgeistern und mit den kanaanäischen und arabischen
Stein-, Baum- und Quellgottheiten nichts zu tun. Er leckte weder
Blut noch wollte er Speise und Trank. Wollte er Speise, so
wollte er sie im Element des Feuers; nicht gegessene, sondern
nur im Opferdampf gerochene, zum Himmel emporsteigende.
Damit war bereits der Weg zur bloß symbolischen Fassung
des Opfers betreten. Auch das Speis- und Trankopfer, soweit
es nicht der Flamme übergeben wird, ist für einen Feuer- und
Himmelsgott von selbst nur Weihegabe, nicht Speise. Und
wollte er Blut sehen, so wollte er es nicht als seinen Trank,
sondern als das Sinnbild des Lebens. Für einen solchen Gott
muß der Blutbrauch, der ehedem gewiß im Gotte einen blut-
158 Kittel, Studien. II. Der primitive Felsaltar.
saugenden Dämon vorausgesetzt hatte, von Anfang zum Sym-
bol werden: dem Eigner des Lebens das Leben.
Er war auch kein Sonnengott wie Ba'al, aber als Gott
des Feuers und Gewitters und des himmlischen Luftraumes
ihm viel eher verwandt, als den altarabischen und altpalästini-
schen Göttern. Wo dieser Ba'al als Sonnengott in die Er-
scheinung trat, da konnte, wenn man die sittliche Seite an
Jahwe übersah, besonders leicht jene verhängnisvolle Verwech-
selung beider Gottheiten eintreten, die wir aus der älteren
israelitischen Geschichte in Kanaan zur Genüge kennen.
Es ist hier nicht die Frage zu untersuchen, ob Israel
schon in der Steppe selbst Opferdienst, insbesondere Brandopfer
übte. Soviel aber ist nach dem Vorhergehenden deutlich: ein
solcher Gott wie der Jahwe Israels mußte, wenn die Idee des
Feueropfers irgend im Bereiche seiner Verehrer verwirklicht
war, die letzteren notwendig auf das Feueropfer hinweisen,
sei es in der Form der Abgabe einzelner Fett- und Fleisch-
teile des Opfertieres an ihn durchs Feuer, sei es in der Form
des regelrechten Ganzopfers durchs Feuer. Wohin immer in
Kanaan Israeliten kamen, die diesen Sinaigott Jahwe ver-
ehrten, da konnten sie wohl die alten Opferstätten übernehmen,
aber ein Brandaltar, war er nicht schon vorhanden, mußte
notwendig für sie Bestandteil der heiligen Stätte werden. Und
er mußte sie bei ihrem Gotte, wurde seine Eigenart festge-
halten, immer wieder an die geistige Seite mahnen.
III. Der Schlangenstein im Kidrontal l3ei Jerusalem.
1. Salomo und Adonia.
Im ersten Buch der Könige lesen wir in Kapitel 1, daß
noch zu Davids Lebzeiten, als der große König in das Greisen-
alter eingetreten war, sich der Streit um die Nachfolge erhob ^
Während der Profet Natan und Davids Gemahlin Batseba für
Salomo, den Sohn der Batseba, eintreten, nimmt der alte Feld-
hauptmann und Waffengefährte Davids Joab und mit ihm des
Königs langjähriger Oberpriester Ebjatar die Partei des Adonia,
des Sohns einer andern Gemahlin Davids mit Namen Haggit.
Er war der der Geburtsfolge nach Nächste am Throne, seit-
dem Absalom infolge seiner Empörung ausgeschieden war.
Bekanntlich hat schließlich Salomos Partei den Sieg und
ihr Schützling den Thron davongetragen. Wie es dabei zu-
ging, wird uns in 1 Kön 1 und 2 geschildert, desgleichen was
das Schicksal des minder glücklichen Rivalen Salomos war.
Er wird mit seinen wichtigsten Parteigängern hingerichtet,
während der Priester Ebjatar seine Stelle an den bisherigen
zweiten Priester Zadok, der von der andern Partei gewesen
war, abgeben muß.
Während nun wahrscheinlich die beiden Parteien sich
längere Zeit der weiteren Dinge wartend gegenüberstanden,
wird — wohl im Zusammenhang mit dem fortschreitenden
Hinsiechen des alten Königs — die Entscheidung plötzlich
herbeigeführt durch einen Akt der Unbesonnenheit des Adonia.
Er veranstaltet mit seinen Parteigängern, unter geflissent-
lichem Ausschluß der Gegenpartei, ein Opfermahl am- Schlangen-
stein, aber zugleich so, daß — ohne seinen Willen — die
1) Vgl. dazu meinen Artikel: Salomo in PRE^.
2) QS5 = unmittelbar bei, nicht gerade auf ihm (by), aber in seiner
nächsten Nähe.
150 Kittel, Studien. III. Der Schlangenstein.
andern irgendwie Nachricht von seinem Tun erlangen. Was
der Zweck des Zusammenseins und des damit verbundenen
Festmahles war, kann keinem Zweifel unterliegen: man will
in dem kritischen Momente, da der greise König jeden Tag
die Augen schließen kann, die alle bewegende Frage der Nach-
folge besprechen und ohne Zweifel auch beraten, was ange-
sichts des nahen Endes des Königs zu tun sei, um Adonia die
Nachfolge zu sichern.
Ob weitere und gegen das Leben des Königs gerichtete
Pläne geschmiedet wurden, können wir weder mit Bestimmt-
heit behaupten noch verneinen. Die Gegenpartei hat es be-
hauptet und hat dem alten König so berichtet. Sie will be-
reits durch ihre Spione den Ruf: „König Adonia soll leben!"
am Schlangensteine vernommen haben, worauf der König, als
ihm das berichtet wird, sofort Salomo auf sein eigenes könig-
liches Maultier heben und am Gihonquell salben heißt. Dabei
erschallt der Ruf „König Salomo lebe!" so laut und dröhnend,
daß die Erde bebt, und der Trompetenschall, der ihn begleitet,
und das Getöse dringt bis an die Ohren der am Schlangen-
steine Schmausenden, die eben sich vom Mahle erhoben haben.
Sie hören nur den Lärm und Trompetenschall droben, können
aber nicht sehen, was am Gihon vorgeht. Erst Ebjatars Sohn
Jonatan, der des Weges herabkommt, meldet ihnen, was ge-
schehen ist und was das Getöse zu bedeuten hat.
Was ist der Schlangenstein, der Ort des verhängnis-
vollen, zum allermindesten in schlimmer Unbesonnenheit den
üblen Schein nicht meidenden Zusammenseins Adonias mit
den Seinen? An ihn knüpft sich eine der bedeutsamsten und
folgenschwersten Wendungen der Geschichte Altisraels, die
Thronerhebung Salomos — Grund genug, der Örtlichkeit nach-
zuspüren.
2. Der Ort der Zusammenkunft.
1 Kön 1 i) spricht von eben hazsohelet nbn-Tri "jaii und fügt
die nähere Bestimmung bei, der Stein liege neben der Quelle
Rogel (b^i T^S; bsrx). Es wird also vor allen Dingen nötig sein,
die Quelle Rogel erst zu bestimmen.
Der Name kommt außer an unserer Stelle im AT noch
vor in Jos 15 7. 18 ig. 2 Sm 17 17.
2. Der Ort der Zusammenkunft. 161
In den zwei erstgenannten Stellen wird die Grenze der
Stämme Juda und Benjamin angegeben: die Grenze Judas
zieht sich nach Jos 15? vom Toten Meer und der Jordanaue
gegen das Gebirge Juda und läuft dann am Wasser von
'En semes vorüber bis zur Quelle Eogel und von da im Tal
Ben Hinnom, südlich vom Bergrücken der Jebusiter, das ist
Jerusalem, aufwärts. Dem entspricht Jos 18 ig. Hier wird
die Grenze Benjamins beschrieben, das bekanntlich mehrfach
an Juda anstößt, dessen Grenze sich demnach zum Teil mit der
Judas deckt. Sie läuft im Süden Benjamins von Kirjat Je'anm
nach dem Berg im Osten des Tals Ben Hinnom und zieht sich
dann ins Tal Hinnom hinab südlich vom Bergrücken der Je-
busiter, und von da weiter hinunter zur Quelle Rogel, um von
hier etwas nördlich nach *En semes, der Sonnenquelle, weiter-
zugehen.
Diese zwei sich gegenseitig vollkommen entsprechenden
Grenzbestimmungen sind eigentlich für sich schon ausreichend,
den Ort zu erkennen. In beiden ist die Quelle Rogel als die
Stelle angenommen, an der die Grenze umwendet. Sie scheint
also zum voraus an dem Punkte gesucht werden zu müssen,
wo zwei Straßen oder Bachtäler sich kreuzen. Und zwar muß
der Punkt am Südende des Hinnomtales zunächst Jerusalem
vermutet werden. In der Tat findet sich hier eine wichtige
Quelle. Das Tal Hinnom „südlich vom Bergrücken der Jebu-
siter" bietet außerdem einen absolut klaren, unmißverständlichen
Ausgangspunkt. Läuft die Grenze dieses Tal abwärts, so
muß sie an seinem Endpunkte, da wo das von Norden kommende
Kidrontal mit dem von Westen und Südwesten kommenden
Tal Hinnom zusammentrifft, an dem heutigen Hiobsbrunnen
{bir ^ejjüb) vorbeiführen. Wendet sie sich vom Ende des
Hinnomtales nach Norden gegen das Tote Meer hin, so läuft
sie wohl dem Kidrontal entlang, um sich dann nach Osten zu
wenden.
Hierzu stimmt nun vollständig der Umstand, daß an der-
jenigen Stelle, von welcher die Untersuchung ausging (1 Kön I9),
Adonia seine geheime Zusammenkunft mit den Seinen an einem
Orte hält, der einerseits außerhalb der Stadt liegt, und zwar
etwas abgelegen und der Beobachtung entzogen, und ander-
seits doch nahe genug, um von den Vorgängen in der Stadt
Kittel, Beiträge. H
162 Kittel, Studien. III. Der Schlangenstein.
noch leicht erreicht zu werden. Die vom Mahle eben Auf-
gestandenen hören den Trompetenschall und das Getöse drohen
am Gihon und in der Stadt. Von dem Winkel, in dem der
heutige Hiohsbrunnen liegt, bis zum Kücken des Zion (südlich
vom Ophel und dem heutigen Haram esch-Scherif), auf dem
vermutlich Davids Burg stand, hat man, die Steigung gerechnet,
eine starke Viertelstunde, vielleicht auch nur 12 — 15 Minuten
zu gehen. Ist der Gihon, wo Salomo gesalbt und zum König
ausgerufen wird, mit der heutigen Marienquelle zusammen-
zustellen, so spielte sich jener Vorgang etwa 10 Minuten vom
Hiohsbrunnen ab.
Auch darf noch angeführt werden, daß man vom Hiohs-
brunnen die Marienquelle nicht sehen kann. Die Annahme,
daß der heutige Hiohsbrunnen die alte Quelle Rogel sei, wird
dadurch noch deutlicher in ihrer Übereinstimmung mit den
Hergängen von 1 Kön 1 ins Licht gestellt. Hatten die am
Hiohsbrunnen Gelagerten nicht auf die von der Burg nach
dem Gihon Herabziehenden, die man ja wohl hätte sehen
können, geachtet, so konnten sie schwerlich weiter verfolgen,
was am Gihon sich abspielte. Er liegt etwas seitwärts gegen
Westen, von den gegen den Zion ansteigenden Hügelwellen
verdeckt. Wohl aber konnten sie bei der geringen Entfernung
leicht größere Geräusche hören.
Von dieser Lage der Quelle Rogel aus ist auch die vierte
Stelle (2 Sm 17?), an der ihrer Erwähnung geschieht, ver-
ständlich. David hat auf der Flucht vor Absalom mit den
ihm gebliebenen Getreuen den Weg über den Ölberg zum
Jordan eingeschlagen und harrt an den Furten des Jordan
der weiteren Entwicklung der Dinge in Jerusalem. Seine
ferneren Entschließungen macht er abhängig von den aus
Jerusalem bei ihm eintreffenden Nachrichten über Absaloms
nächste Absichten. Zu diesem Zweck hat er einen vortreff-
lichen Nachrichtendienst eingerichtet. An der Quelle Rogel
sind zwei seiner Getreuen verborgen, eine Magd bringt ihnen
aus Jerusalem in unauffälliger Weise täglicli Nachricht, die
sie an David zunächst persönlich und später ohne Zweifel
durch Boten weitergeben, so lauge, bis sie eines Tages ent-
deckt und verfolgt werdeu.
Für diesen Zweck des Spionendienstes gab es keinen ge-
2. Der Ort der Zusammenkunft.
163
eigneteren Platz als den heutigen Hiobsbninnen (s. Abb. 30), nahe
genug der Stadt, um jederzeit das Neuste, was sich dort zutrug,
sofort in Erfahrung zu bringen, und doch weit genug entfernt
und im abgelegenen Winkel an der Kreuzung mehrerer Täler
und Wege gelegen, um solchen, die unentdeckt bleiben wollten,
Aufenthalt oder aber die Möglichkeit raschen Verschwindens
zu gewähren. Den ganzen Tag über ist heute der Hiobs-
Abb. 30. Der Hiobsbrunnen.
brunnen von Wasser holenden, auch von waschenden und gra-
senden Frauen und Mädchen des am Osthügel ihm gegenüber
angelehnten Dorfes Silwan besucht. Eine täglich und des
Tages mehrmals hierher gehende Magd fiel vermutlich damals
so wenig als heute jemand auf. Die Bewohner der gegen das
Kidrontal sich neigenden Abhänge — fast ausschließlich Be-
wohner des Dorfes Silwan — benutzen heute, um ihren Wasser-
bedarf zu decken, sowohl die Marienquelle als den Hiobs-
brunnen, vermutlich je nach der Lage ihrer Wohnung. Doch
gilt das Wasser des Hiobsbrunnens für wohlschmeckender als
11*
j[54 Kittel, Studien. III. Der Schlangenstein.
dasjenige der Marien- oder Stiifenquelle, so daß Viele es
vorziehen, den etwas weiteren Gang zum Hiobsbrimnen zu
machen. In alter Zeit, als die Stadt sich südlich vom heutigen
Haram auf dem sogen. Zionhügel erheblich näher gegen den
Hiobsbrunnen hinzog als heutzutage, wird das auch von selten
der Bewohner des jenseitigen (westlichen) Abhanges viel mehr
der Fall gewesen sein als heute, wo diese Seite so gut wie
unbewohnt ist.
3. Der Hiobsbrunnen.
Es wird somit nach dem bisher über die verschiedenen
Stellen, an denen die Quelle Rogel im AT vorkommt. Ausge-
führten als vorläufiges Ergebnis festgestellt werden können,
daß sie alle für die Gleichsetzung der Quelle mit dem heutigen
Hiobsbrunnen sprechen, ja daß sie, wo nicht alle, so doch ihrer
Mehrheit nach diese Gleichsetzung insofern zu fordern scheinen,
als sie bei ihr ihre beste, wo nicht ihre einzig mögliche Er-
klärung finden. Wenn man nämlich bedenkt, wie viel oder
richtiger: wie wenig Quellen die nähere Umgebung Jerusalems,
die in allen vier Stellen allein in Betracht kommt, kennt, so
wird man leicht erkennen, daß hier überhaupt eigentlich nur
zwischen der Gilion-Marienquelle und dem Hiobsbrunnen die
Frage entstehen könnte ', daß aber schon durch die Unter-
scheidung beider in 1 Kön 1, aber auch infolge der übrigen
in Frage kommenden Umstände nur der Hiobsbrunnen in Be-
tracht kommen kann. Weder zur Grenzbestimmung noch zur
Station für die Spione würde sich der Gihon nach seiner Lage
geeignet haben, während, wie aus dem Obigen erhellt, beiden
Zwecken der Hiobsbrunnen aufs beste dienen konnte.
Dieses Ergebnis findet nun eine willkommene Bestätigung
durch die in der Tat auf den Hiobsbrunnen weisende Über-
lieferung.
1) Über die „Drachenquelle" ist unten zu reden. Außerdem wird
noch auf den Karten etwa 600 m südlich vom Hiobsbrunnen eine kleine
Quelle verzeichnet, die heute ''ain el-loze heißt. Sie ist aber höchst un-
bedeutend und war es wohl immer. Zur Grenze eignete auch sie sich
nach ihrer Lage kaum.
3. Der Hiobsbrunnen. 165
Es mögen hier zunächst die alten Übersetzungen ihre
Stelle finden. Die beiden unterstrichenen Worte der arabischen
Übersetzung der Londoner Polyglotte verdienen besondere Be-
achtung.
1 Kön 1 9 % üi-Mp ^5? 11202 ^1 i^niDD inx oy
© ]b^ ^.kii. '^^^j ]Li? J.sj.£ '^^
51 ebenso
Jos 15 7 % xnip V5>b
Jos 18 16 % N-i2p pyb
2 Sm 17 17 % xnip i^yn
Aus dieser Übersicht geht hervor, daß das Targum durch-
weg Quelle Rogel einfach übersetzt, und zwar im Sinne von
Walkerqiielle, so daß aus ihm nichts Unmittelbares über die
Lage des Ortes zu entnehmen ist. Immerhin widerspricht die
Übersetzung nicht dem bisherigen Ergebnis. Die im Hebräi-
schen selbst sonst nicht vorkommende Bedeutung des Verbums
53i"i treten im Sinne von waschen, walken wird dadurch sicher-
gestellt, da über den Sinn des aramäischen -i2p kein Zweifel
herrschen kann'. Überall in Palästina werden Brunnen und
Quellen zum Waschen der Kleider benutzt, das durchweg in
der Form des starken Pressens und Walkens geübt wird:
das Gewand wird ins Wasser getaucht, zusammengefaltet und
mit einem Stück Holz oder einem großen Stein stark geklopft,
1) Vgl. z. B. ® zu Jes 7 3 (hebr. onis). Nicht ohne Interesse ist die
Erläuterung des aram. ^ip in dem Raschi zugeschriebeneu Kommentar
zu Traktat n'^33.'n 29b :'^n:?:Q;D -röais ani ^X3.;rid';i 'i^^.? ö^iii "js .'^'^sp
166 Kittel, Studien. IIL Der Schlaugenstein.
welche Prozedur alle paar Minuten erneuert wird, bis die hin-
reichende Reinheit erzielt scheint'.
Da der Hiobsbrunnen an einer Stelle liegt, wo die sich
kreuzenden Täler eine größere ebene Fläche bilden, er außer-
dem so wasserreich ist, daß das Wasser zu Zeiten über die
recht hochliegenden Brunnenränder läuft, so ist recht wohl
anzunehmen, daß hier ähnlich wie am oberen Teiche^ einzelne
Walker sich eine Arbeitsstätte geschaffen hatten. Es wäre
auch nicht ausgeschlossen, daß der der alten Davidstadt un-'
mittelbar naheliegende Gihon. der außerdem heute sich für
diesen Zweck weniger eignet, weil das Wasser erst viele
Stufen heraufgetragen werden muß ^, für die Wasserschöpfenden
reserviert war, das Waschen und Walken der Privatleute und
der gewerbsmäßigen Walker also an den weiter entfernten
Hiobsbrunnen verwiesen war*. Diesem Zwecke konnte ja
wohl auch der Siloateich, falls er schon vorhanden war, dienen,
aber der Natur der Sache nach bot er nur für eine kleinere Anzahl
wasch ender Personen Raum (s.Abb.31)^ so daß diese Verwendung
ihm kaum den Namen geben konnte, während der stattliche
freie Platz am Hiobsbrunnen und die geräumigen steinernen
Wassertröge an der Seite des eigentlichen Brunnens, auch
wenn deren erste Bestimmung dem Tränken des Viehes galt,
diesen Brunnen auch für den Zweck des Waschens in beson-
derem Maße geeignet erscheinen lassen.
Ähnlich wie mit vi verhält es sich mit S. In zweien der
vier Stellen tritt die Übersetzung Walkerquelle auf, in der
1) Für den Fall, daß hebr. D2= mit d::r treten etymologisch zu-
sammenzustellen ist, hätte das übliche Wort für walktn denselben Sinn
wie unser hy^.
2) Vgl. Jes 7 3: Das Walkerfeld am oberen Teiche.
3) Was freilich heute die Fellachinnen hier wie überall nicht
hindert, sich einfach in die Quelle selbst hineinzustellen und sie mit
ihrer Arbeit zu verunreinigen.
4)' Vgl. auch die Notiz bei Vin-cest, Canaan S. 100, auch PEF 19 10, 361 ff.
5) Der Teich ist, wie man sieht, zu Zeiten ziemlich wasserarm. Die
Frauen stehen unmittelbar an der Mündung des Siloakanals in den Teich,
das frisch hereinquellende Wasser benutzend. Die frischgewaschenen
Stücke sind am oberen Rande der Umfassungsmauer zum Trocknen an
die Sonne gehängt. Die Aufnahme ist vom gegenüberliegenden oberen
Üande der 8—10 Meter hohen Umfassungsmauer aus gemacht.
3. Der Hiobsbrunnen.
167
dritten und vierten wird in der Weise von & und ^ Rog-e/
gesagt, denn sbr" ist natürlich Schreib- hezw. Lesefehler
für xb.ri.
Hingegen geht die arabische Übersetzung wenigstens an
zwei Stellen, von denen die eine uns hier besonders interessiert,
Abb. 31. Waschende Frauen am Siloateich.
ihren eigenen Weg. In Jos. 15? nämlich redet sie von der
Hiobsquelle. Sie liefert damit den Beweis, daß schon * zu ihrer
Zeit die Überlieferung bestand, der Hiobsbrunnen sei mit der
Quelle Eogel gleichzusetzen. Dieselbe Tradition findet sich
auch schon bei dem vielleicht etwas älteren arabischen Geo-
1) Nach RöDiGER (s. darüber PRE^ III 91, 4f 93, 1 fl') stammt das
Buch Josua aus dem 10. oder 11. Jahrhundert.
168 Kittel, Studieo. III. Der Schlangenstein.
graphen Mukaddasi im Jahre 985/6, der in seiner Beschreibung
des Heiligen Landes zweimal des Hiobsbrunnens Erwähnung
tut, das eine Mal im Zusammenhang mit dem Dorf „Sulwan",
so daß kein Zweifel bestehen kann, daß er den Brunnen an
seiner heutigen Stelle suchte
Woher der heutige Name stammt, läßt sich nicht sagen;
nirgends in der biblischen und altkirchlichen Literatur wird
der Brunnen in irgend eine nähere Beziehung zu Hiob ge-
bracht. Es scheint, daß der Name in früher islamischer Zeit
aufkam, vielleicht in Anlehnung an den im Koran genannten
Brunnen, der nach Sure 38 von Allah dem Hiob gezeigt
wurde-, oder aber in der letzten Zeit vor dem Islam, so daß
der Koran eine spätjüdische oder christliche Tradition jener
Zeit wiederspiegeln würde. Welche Wertschätzung man dem
Brunnen in frühislamischer Zeit zuteil werden ließ, zeigt uns
der obengenannte Mukaddasi, indem er mitteilt, man nehme an,
daß das Wasser des bekannten Brunnens Zamzavi in Mekka
in der *'^r^Ä^Nacht das Wasser dieser Quelle besuche. Der
Hiobsbrunnen wird also in Verbindung mit den mekkanischen
heiligen Wassern gebracht 3.
Doch ist noch eine andere Erklärung möglich. Man hört
oder liest heute gelegentlich in Jerusalem vom Brunnen Joabs.
Lange war ich der Meinung, es handle sich hier um einen
bloßen Irrtum, der in neuerer Zeit vielleicht aus der Nebenform
Job für Hiob entstanden sei. Allein der Naiue Joabsbrunnen
ist jedenfalls nicht ganz jungen Datums. In den „Cippi He-
braici'' hat Hottixgee auch das aus dem 16. Jahrh. stammende
jüdische Itinerarium herausgegeben. Schon hier findet sich
der Name y^öi^^j-brunnen. Das führt auf den Gedanken, dieser
Name sei überhaupt der ältere und er sei von den Arabern"*,
1) S. ZDPV VII, S. 144. 164. Welches die weitere Quelle „von nicht
besonderem Wasser" sein mag, die er unterhalb Sulwans, aber oberhalb
des Hiobsbrunnens (S. I(j4, 20 ff) nennt, lasse ich dahingestellt. Es wird
wohl der dort zutage tretende Wasserlauf mit Abwässern sein.
2) „Und wir sagten (zu Hiob, als er in seiner Pein zu Gott rief):
Stampfe mit deinem Fuß auf die Erde, so wird eine labende Quelle für
dich entstehen zum Waschen und Trinken.» Vgl. JEAS (N. Ser.) XIX, 274.
3) a. a. 0. S. 164, 25 flf.
4) Vgl. Cippi Hebr. (ed. sec.) Heidelb. 1662, S. 48 f: Infra est puteus
4. Brunnen und Quelle. 169
die mit Joab nichts anzufangen wußten, in den Namen Hiobs-
bninnen verwandelt worden, sei es min, daß der Koran schon
unsern Brunnen im Auge habe, sei es, daß er die Veranlassung
dazu gab, den Joabsbrunnen zum Hiobsbrunnen zu machen.
Da Joab das Haupt der Partei Adonias ist, und da seine An-
wesenheit bei dem Rogelbrunnen der Anlaß für das über ihn
verhängte Todesurteil wird — eine Angelegenheit, die gewiß
noch lange die Überlieferung beschäftigte — , ist es nicht aus-
geschlossen, daß der Name Joabsbrunnen direkt auf 1 Kön 1 9
zurückzuführen ist^
4. Brunnen und Quelle.
Der Ring der Beweisführung für die Gleichsetzung der
Walkerquelle mit dem heutigen Hiobsbrunnen ist damit ge-
schlossen, und es läßt sich nach alledem mit höchster Wahr-
scheinlichkeit behaupten, daß die Begebenheit von 1 Kön I9
sich in der Tat am heutigen Hiobsbrunnen abgespielt hat. In
diesem Falle sind wir aber auch in der Lage, noch eine wei-
tere Vermutung wagen zu dürfen. Doch ist, ehe wir dazu
übergehen, noch ein letztes der Gleichsetzung der beiden Orte
scheinbar in den Weg tretendes Hindernis zu beseitigen.
Mehrfach in der Literatur über unsere Frage- begegnet
man dem Bedenken, daß im AT immer von der Quelle ('j'^:?)
Eogel die Rede sei, während heute durchweg nicht von der
Hiobsquelle, sondern vom 'K\Qi\i^bnmnen (wvj) gesprochen wird,
wie denn in der Tat die in Frage kommende Wasserstelle
heute durchaus den Charakter des Brunnens trägt. Es ist
ein ziemlich hoch über die Erde hervortretender Aufbau, auf
den man etwas mühsam heraufzusteigen hat, um vom Brunnen-
rand in die Tiefe zu blicken oder mit Hilfe von Seilen und
einem zum Wasserspiegel hinabgelassenen Eimer oder Gefäß
zu schöpfen. Der Brunnen soll 38 m tief sein, bis zur Mitte
ausgemauert und von da ab in den Fels gehauen. Er ge-
winnt sein Wasser im Felsen aus unterirdischen Kanälen und
magnus, Joabo tributus, quem Gentes putettm Jobi appellant : ^^ nta^bl
.ai"!« ^xn öiian 1^ ^"iip'i 35<i'^b Gni'^To ^115 -ittn
1) Vgl. noch die Beschreibug des Brunnens bei Kemal ed-DFn
(1470 n. Chr.), übersetzt in JRAS XIX (New Ser.). 273 f.
2) S. z. B. Buhl, Geogr. Paläst. 94.
170 Kittel, Studien. III. Der Schlangenstein.
scheint von Anfang- an dazu bestimmt gewesen, das unter-
irdiscli reichlich fließende Wasser aufzufangend
In der bisherigen Untersuchung ist nun mit Bedacht trotz-
dem bald von der Quelle, bald vom Brunnen Rogel gesprochen.
Sind wir dazu berechtigt? und darf überhaupt, wenn die Dinge
sich so verhalten, wie eben beschrieben ist. von einer Gleich-
stellung der beiden Gewässer ernstlich die Rede sein?
Die Frage ist zu bejahen. Zunächst ist daran zu erinnern,
daß allerdings im AT im allgemeinen der Unterschied von
Quelle (]''5') und Brunnen ("ii?n) festgehalten wird; jenes ist das
unmittelbar an die Oberfläche tretende fließende Wasser, ein
Gewässer, das der Besucher unmittelbar aus der Erde ..quellen"
sieht, dieser das durch Nachgraben zugänglich gemachte, unter
der Oberfläche der Erde stehende oder vorüberfließende Ge-
wässer. Es ist aber zugleich hier schon klar, daß ein Ge-
wässer der letzteren Art, bei dem man durch Graben auf ein
unter der Oberfläche fließendes „lebendes" Wasser stößt, der
Quelle viel näher steht als ein stehendes, wie es die meisten
Zisternen darboten. Solcher Art ist der Hiobsbrunnen.
Jener eben erwähnte Unterschied zwischen Quell und
Brunnen wird nun aber im AT tatsächlich nur im allgemeinen
festgehalten. Im einzelnen wird er mehrfach beiseite ge-
setzt, so daß die Grenze zwischen beiden in Wahrheit fließend
wird. Man vergleiche die Erzählung von der Brautwerbung
für Isaak in Gen 24. Hier wird in V. 11 berichtet, daß
Elieser seine Kamele bei einem Brunnen lagern ließ, zu dem
die Frauen des Abends herauskommen um Wasser zu schöpfen,
und unmittelbar darauf wird in V. 13 ff. erzählt, wie Elieser
betet: wenn nun die Töchter der Stadt herauskommen zur
Quelle um Wasser zu schöpfen, so möge das und das geschehen.
In der Tat kommt dann in V. 16 Eebekka zur Qtielle. —
Ähnlich verhält es sich in Gen 26. Dort graben nach V. 19
die Leute Isaaks eine Quelle mit fließendem Wasser. Es ist
also eigentlich ein unter der Oberfläche hinfließendes, erst
durch Nachgraben erschlossenes Gewässer, entweder ein wirk-
licher Brunnen oder ein auf der Grenze zwischen Quelle und
1) Vgl. Robinson, Palästina etc. II (1841), ISSff.; Furrer in Eiehms
Handwörterb. Art. Rogel; Güthe in PRE3 VIII, 680. Zum letztge-
nannten Punkt vgl. auch schon die Notiz bei MukaddasI, oben S. 168.
5. Der Schlangensteiu. 171
Brunnen stehendes Wasser. Das fühlt der Erzähler selbst, in-
dem er in durchaus bezeichnender Weise fortfährt (V. 21;
ähnlich 22): Hierauf gruben sie einen andern Brunnen. Die
Quelle von V. 19 ist also hier tatsächlich als Brunnen be-
zeichnet. — Desgleichen redet das Onomasticon ^ nur von der
Quelle Rogel, wie auch der Koran und Mukaddasi an den
eben angezogenen Stellen bald vom Brunnen bald von einer
Quelle sprechen. Ja selbst die arabische Übersetzung zu
2 Sam 17 17, sei sie nun aus dem hebräischen oder aus dem
syrischen 2 Texte geflossen, gibt die Quelle ihrer Vorlage mit
Brunnen wieder.
Daraus geht zur Genüge hervor, daß es wohl nur Zufall
ist, wenn im AT immer Quelle Rogel und nie Brunnen Bogel
gesagt ist: jedenfalls darf aus diesem Sprachgebrauch keinerlei
entscheidender Schluß gezogen werden. Es geht dies um so
weniger an, als. wie oben dargetan, der Hiobsbrunuen selbst ge-
rade zu jener Klasse von Brunnen gehört, die auch das AT
mit gewissem Rechte als Quellen bezeichnen kann. Wie stark
dieser Brunnen heute noch sich der „Quelle" annähert, geht
daraus hervor, daß er nach starkem Regen überströmt ^ oder
auch sein Wasser an einer andern Stelle an die Oberfläche
treibt. Dann ist er zur wirklichen Quelle geworden und bleibt
es zuweilen 2 Monate. Es ist, da das alte Palästina mehr
Wald besaß als das heutige, also auch mehr fließende Ge-
wässer, zudem gar nicht ausgeschlossen, daß dies im Altertum
die Regel war, der heutige Brunnen also einst im vollen Sinne
ein Quell heißen konnte.
5. Der Schlangenstein.
Sind wir also berechtigt, den Faden unsrer Untersuchung
ungehindert fortzuführen, so können wir nunmehr einen wei-
teren Schritt unternehmen. Das verhängnisvolle Konventikel
trägt den Charakter eines Opferfestes: Adonia schlachtet Schafe
und Rinder am Schlangensteine zur Seite der Walkerquelle.
1) E. Klostermann, Euseb. ünom. 1904, S. 94, 6. 144, 13.
2) S. PRE3 in 94, 10.
3) S. z. B. ZDPV Xir ]3Ü (im Winter 18S8/9).
172
Kittel, Studien. III. Der Schlangenstein.
Jedes Schlachtfest ist, wie überall bei den Semiten, so auch
in Israel von Hause aus in gewissem Umfange ein Opferfest.
Das heißt, es wird an einem Altar oder einer verwandten
heiligen Stätte vollzogen, um der Gottheit das Blut und die
ihr etwa gebührenden Fett- und Fleischteile zukommen zu
lassen. Der Altar braucht weder einen Tempel über oder
neben sich zu haben, noch braucht er ein künstlicher Aufbau
Abb. 32. Der Hiobsbrunnen mit Schlangenstein,
ZU sein. Ein besonders gearteter Feldstein, vollends wenn er
durch Überlieferung geweiht ist, tut ebenso wie ein aus
Erde geschichteter Altarhügel (Ex 20 24) den Dienste Ein
solcher „Altar" im weitesten Sinn des Wortes scheint der
Schlangenstein gewesen zu sein. Er mag ein vorisraelitisches
1) Vgl. Rieht 6 ; 1 Sam 14 und die Abhandlung über den primitiven
Felsenaltar oben S. 97 ff.
5. Der Schlangenstein.
173
Denkmal eines bei den Jebusiten, in deren Besitz Jerusalem
bis auf David gewesen war, mit der Quelle verbundenen
Schlangenkultus gewesen sein, gehörte also wohl seit unvor-
denklichen Zeiten zur Quelle Eogel. Daß Adonia dem Schlangen-
dämon hier opferte, ist nicht gesagt. Der Name mag, wie
mancher kanaanäische Name, geblieben sein, auch wenn man
hier längst Jahwe opferte. Doch wäre auch nicht ausge-
Abb. 33. Der Schlangenstein.
schlössen, daß die bis auf Hiskia in Jerusalem verehrte Erz-
schlange, die man im Laufe der Zeit auf Mose selbst zurück-
führte, ursprünglich mit dem Schlangenstein und der Quelle
Eogel im Zusammenhang gestanden hätte.
Nun steht in der Tat bis auf den heutigen Tag in nächster
Nähe des Hiobsbrunnens ziemlich genau in der Eichtung gegen
Jerusalem hin ein mächtiger Steinwürfel, nicht viel weniger als
1 Meter hoch und ebenso breit und tief. (Abb. 32 u. 33). Er liegt
j^74 Kittel, Studien. III. Der Schlangenstein.
von allen Seiten frei auf der kleinen ebenen Fläche, die den
Brunnen umgibt. Als ich die Stätte zum erstenmal betrat
und den Stein, der zu einem Opferstein wie geschaifen ist,
sah, war mein erster Gedanke der an den Schlaugenstein von
1 Kön 1. Ich bat einen der gewiegtesten Kenner palästinischer
Altertümer, Herrn Baurat Dr. Schuhmacher aus Haifa, der sich
zur Zeit in Jerusalem aufhielt, zum Zweck einer zweiten Be-
sichtigung des Ortes um seine Begleitung; auch zwei andre
sachkundige Herren schlössen sich an. Wir besichtigten den
Stein nochmals gemeinsam von allen Seiten, alle Verdachts-
gründe gegen meine Vermutung wurden erwogen, ohne daß
ich irgend welchen Grund gehabt hätte, die Vermutung — die
natürlich, da von einem zwingenden Beweise nicht die Rede
sein kann, nur als solche gelten will — zurückzuziehen.
Einer der mich begleitenden jüngeren Gelehrten äußerte
den Einwand: von Schlangengestalt sei aber doch bei dem
Steine nicht des Geringste zu sehen. Jedoch wird man diese
Forderung schwerlich mit Grund stellen dürfen. Daß es
nicht nur eherne Schlangenidole wie den in 2 Kön 18iff. ge-
nannten Nehustän ' gab, sondern auch steinerne, steht außer
Zweifel. Ein Beispiel eines solchen hat sich in Petra er-
halten: auf einem Steinblock windet sich um einen aus dem
Blocke selbst herausgehauenen steinernen Aufsatz eine mächtige
Schlange (s. Abb. 34). iihnlich könnte natürlich unser Schlan-
genstein ebenfalls beschaffen gewesen sein, obwohl das Idol
von Petra vermutlich aus ziemlich späterer Zeit stammt. Aber
eine Notwendigkeit dies anzunehmen liegt nicht vor. Wenn an
der Quelle ein Schlangenkult haftete, und wenn etwa gar ein
selbständiges Schlangenidol hier gestanden haben sollte, so
konnte der Stein lediglich ii^ seiner natürlichen Gestalt als
Altar- und Opferstein nach ihnen benannt sein.
Herr Dr. Schuhmacher selbst äußerte nun weiter an-
1) Man denke auch an die eherne Schlangensäule auf dem Hippo-
dram von Konstantinopel. Sie besteht aus drei in sich verschlungenen
Schlangenleibern , die oben auseinandertretend mit den Hälsen und
Köpfen in einen Dreifuß ausmünden, der eine Schale trug. Der eine
noch erhaltene Kopf befindet sich im Ottomanischen Museum. Das Ganze
war ein Weihgeschenk der griechischen Stämme an das Heiligtum zu
Delphi nach der Schlacht bei Platää. — Ob ein Idol wcggemeißelt ist?
5. Der Schlangenstein.
175
fangs das Bedenken, daß der Stein nicht mit dem Erd-
boden selbst verwachsen, also nicht ein über die Humus-
schicht heraufragendes Stück des Felsbodens sei, sondern ein
zu irgend einer Zeit hierher — durch Menschenhand oder
Naturgewalt — versetzter Block. Doch überzeugte er sich,
soweit ich mich erinnere, angesichts von Stellen wie 1 Sam 14 33
Abb. 34. Schlangenidol aus Petra.
selbst davon, daß jenes Merkmal keineswegs notwendig zum
Wesen eines Opfersteins gehört. Die eigentümlich würfel-
artige Gestalt, die der durch seine Größe von der Umgebung
sich abhebende Block allem Anschein nach von Anfang an
besaß, konnte ausreichender Grund sein, sollte er nicht längst
schon hier gestanden haben, ihn an seine jetzige Stelle unmittel-
bar vor der Quelle zu wälzen und ihm die Funktion des zu
ihr gehörigen Opfer- oder Schlaclitsteines zu verleihen.
Ein weiteres Moment gegen den Stein als den Schlangen-
176 Kittel, Studieu. III. Der Schlangenstein.
stein oder überhaupt als einen Stein von besonderer Bedeutung
wurde von Dr. Schuhmacher aus der unmittelbar vor ihm
stehenden Mauer abgeleitet. Man sieht auf Abb. 32, wie wenige
Schritte vom Steine entfernt sich eine aus starken, kaum oder
nur ganz roh zubehauenen Steinblöcken hergestellte niedrige
Mauer hinzieht. Sie grenzt den Raum um den Brunnen gegen
den nach Norden ansteigenden Zionhügel ab. Es wurde des-
halb von Dr. Schuhmacher die Vermutung geäußert, ob der
in Frage stehende Block nicht einfach als ehemaliger Teil
jener Mauer zu gelten habe, so daß er im Laufe der Zeit einmal
von ihr abgerollt und hierher geraten sei. Doch meine ich
sagen zu können, es habe bei allen damals Anwesenden bei
näherer Besichtigung Übereinstimmung darüber geherrscht,
daß auch diese Möglichkeit nicht ernstlich in Betracht kommen
könne.
Einmal ist der Stein viel größer als die sämtlichen ihm
gegenüber stehenden Mauersteine. Sodann ist nirgends in der
Mauer eine Lücke der Art, daß man ihn sich in sie hinein-
denken könnte. Drittens ist an ein „zufälliges'' Hierhergeraten
aus der Nachbarschaft, vor allem an ein Abgerolltsein aus
jener niedrigen Mauer tatsächlich gar nicht zu denken, da er
viel zu schwer, zugleich zu eckig und zu weit von der Mauer
entfernt ist, als daß man sein Hierherkommen auf diese Weise
erklären könnte. Er muß entweder immer dagestanden
haben oder er muß durch Menschenhand zu einem
ganz bestimmten Zwecke hierher geschafft worden
sein. Zu dieser Überzeugung wird man bei der Untersuchung
an Ort und Stelle, wie mir scheint, mit Notwendigkeit geführt.
Nun ist natürlich immer noch die Frage: ob der Zweck,
wenn wir einmal annehmen, daß ein solcher anerkannt werden
müsse, gerade der von mir behauptete gewesen sei. Ich selbst
habe an Ort und Stelle mir und, irre ich nicht, auch meinen
sachkundigen Begleitern die Frage vorgelegt, ob der Stein
nicht einfach als eine Art Steinbank zu denken sei, die zum
Abstellen und Aufnehmen der Lasten, etwa der Wasserschläuche
und -gefäße der Schöpfenden gedient habe. Allein einmal ist
er für diesen Zweck doch zu nahe an der Mauer, so daß man
sich nicht denken kann, warum die Leute nicht die Mauer
selbst benutzten, die hierzu niedrig genug war. Sodann aber
5. Der Schlangenstein. 177
belehrt ein Blick iu die zwischen dem Stein und dem eigent-
lichen Brunnen stehende Steinbehausung, daß in ihr für diesen
Zweck reichlich gesorgt ist'. Hier laufen an den Wänden
Steinbänke um. zum Rasten der Schöpfenden und zum Ab-
stellen der Gefäße, so daß man des Steines nicht bedarf.
Zwar wird behauptet, die Steinhütte sei eine in Verfall
geratene kleine Moschee. In diesem Falle, könnte man viel-
leicht denken, sei für den genannten Zweck doch nicht aus-
reichend gesorgt gewesen und der Block somit doch wohl zum
Abstellen der Lasten hergestellt worden. Auch könnte an-
genommen werden, die Moschee sei jüngeren Datums und der
Stein schon vorher zu jenem Zwecke hergeschafft. Allein hier
ist zu bedenken, daß, wenn die Nachricht begründet ist, woran
ich nicht zu zweifeln wage-, sie nur aufs neue wahrscheinlich
macht, daß hier eine altheilige Stätte sich befand. Stand eine
Moschee hier, so verdankt sie wohl ihren Ursprung dem Um-
stände, daß an der Stätte sich ein Quellenheiligtum befunden
hatte, das vom Islam in seiner Weise übernommen wurde.
In diesem Falle wird es aber dann aufs neue wahrscheinlich,
daß der Stein eine feste, mit dem Heiligtum im Zusammenhang
stehende Bestimmung hatte. Daß er weder durch Josia noch
bei der Umwandlung des der heidnischen oder christlichen Be-
völkerung des 7. Jahrh. n. Chr. noch als heilig geltenden Platzes
in ein muslimisches Heiligtum zertrümmert wurde, sondern
1) Natürlich ist damit nicht gesagt, daß der Stein nicht heute gelegent-
lich auch hierzu benutzt wird. (Der in Abb. 33 am Boden liegende Grasbündel,
den eben zwei Mädchen unter grimmigem Schelten zusammenraffen, hatte
unmittelbar vor der Aufnahme selbst hier gelegen und ist erst von mir,
da Bitten nichts genutzt hatten, etwas unsanft, so daß der Knoten sich
löste, heruntergeschoben worden. Aber er war hier abgesetzt worden,
nicht weil er nicht auch hätte auf der Erde oder der nebenstehenden
Mauer oder in der Hütte liegen können, sondern lediglich, um mir nach,
einer schon gemachten photograpliischen Aufnahme nicht eine weitere zu
ermöglichen. Die Abneigung der Eingebornen gegen den verhaßten
„Bild"kasten, genährt ebensosehr durch das religiöse Verbot des Bild-
nisses, wie durch den unheimlichen Charakter der im Kasten spukenden
Hexerei, kennt in Verbindung mit der Gier nach Bachschisch immer neue
Schliche, dem Fremden Aufnahmen zu erschweren). Aber die Frage ist
immer, ob der Stein — falls Menschenhand ihn herschaffte — erstmals
um dieses Zweckes willen hergestellt worden wäre.
2) Vgl. schon MuKADDASi in ZDPV VII 164.
Kittel, Beiträge. ' 12
178 Kittel, Studien. III. Der Schlangenstein.
erhalten blieb, verdankt er dem Umstände, daß er kein Idol
trug und sonst durch kein sichtbares Kennzeichen sich als
heiligen Stein kundtat.
Es bleibt noch, soweit ich sehe, als letzte Möglichkeit,
daß der Stein zwar allezeit hier stand, jedenfalls nicht für
einen bestimmten Zweck von Menschenhand hergetragen wurde,
aber, nachdem er einmal da war, entweder unbeachtet und
unbenutzt liegen blieb bis zum heutigen Tage oder gelegent-
lich, weil er eben gerade dastand, zu profanen Zwecken der
oben genannten Art, wie das Abstellen von Lasten usw. be-
nutzt wurde, wie das heute noch gelegentlich geschehen mag.
Ihr gegenüber muß ich zunächst noch einmal betonen, daß die
Stellung gerade vor dem Eingang zum Brunnen oder wenigstens
der ihm vorgelagerten Behausung, und die fast symmetrische
Gestalt den bestimmten Eindruck erwecken, der Stein sei von
Menschenhand hergeschafft worden. In diesem Falle aber muß
er einem bestimmten Zwecke haben dienen sollen. Wird der
vorhin genannte profane Zweck durch das oben Ausgeführte
ausgeschlossen, so bleibt, vor allem, wenn wir den geweihten
Charakter von Quellen und Brunnen und die Wahrscheinlich-
keit des Vorhandenseins eines alten Quellenheiligtumes an
unsrer Stelle im Auge behalten, überhaupt kein anderer als ein
heiliger Zweck übrig: es ist der Schlacht- und Opfer-
stein für die vor Zeiten einmal hier dem Numen der
Quelle, das als Schlangengottheit gedacht ist, zu Ehren
oder unter seinem Schutze geschlachteten Tiere.
6. Die Drachenquelle.
Eine weitere Vermutung bestätigt unser Ergebnis. Das
Buch Nehemia erzählt 2 13, daß Nehemia, als er des Nachts
einen Kitt um die Stadt machte, beim Taltor Jerusalem ver-
lassen habe, um in der Richtung auf die DracJienqiielle
(VDnn Xt) ^ an das Misttor 2, dann zum Quelltor und dem
1) ® liest allerdings xwv avxcüv = 'paNFin, Quelle bei den Feigen-
bäumen. Man wird aber schwerlich Grund haben, dieser LA zu folgen.
Sie sieht gauz nach künstlicher Beseitigung des anstößigen Namens in
der Weise von ZB bei 1 Kön 1 9 aus.
2) rsirxri "i:."r-^xi ^^^tt^ 'pr i:s-bx'i = und zwar in der Richtung
auf die Drachenquelle und dabei nach dem Misttor hin.
6. Die Dracheuquelle. 179
Königsteich und von da ins Tal zu kommen. Unter allen Um-
ständen ist damit die Richtung gegen das Kidrontal und dann in
ihm oder an ihm hin gemeint. Und da das Taltor seiner Lage
nach so gut wie gesichert ist, nämlich nahe der Südwestecke
der alten Stadt *, so muß die nächste Eichtung des Rittes nach
Osten gehen. Das Misttor muß demnach zum Kidrontal oder
dem Hinnomtal nahe der Vereinigung beider- geführt haben,
es diente dazu den Unrat der Davidsstadt zu Tale zu fördern;
noch heute dient das untere Kidrontal zur Aufnahme der
Kloaken Jerusalems. Demnach muß auch die Drachenquelle
in dieser Richtung vom Taltor aus liegen. Mit ihr kann so-
nach nur entweder der Gihon oder unsere Quelle Rogel, der
Hiobsbrunnen, gemeint sein. Tatsächlich scheidet der Gihon
aus, da Nehemia erst in V. 14 umbiegt ("ih^i^i) in der Richtung
noch dem Quelltor und dem Königsteich. Damit ist natürlich
die Richtung gegen den Siloateich und die dortigen Wasser,
also eine Wendung nach Norden gemeint 3. Es bleibt somit
für die Drachenquelle von selbst nur der Hiobsbrunnen übrig.
Bertholet ^ hat dagegen eingewandt, da der Hiobs-
brunnen am Vereinigungspunkt der Täler Kidron und Hinnom
liege, käme, falls die Drachenquelle mit der Quelle Rogel und
diese mit dem Hiobsbrunnen identisch wäre, ihre Erwähnung
zwischen Tal- und Misttor zu früh. Er scheint also zu er-
warten, daß die Reihenfolge in diesem Falle lauten müßte:
Taltor, Misttor, Drachenquelle. In der Tat handelt es sich
aber ja gar nicht um den Besuch der Drachenquelle, sondern
nur um die Richtung zu ihr. Das ist die östliche Richtung.
Nehemia konnte ja an sich vom Taltor auch in westlicher oder
nordwestlicher Richtung ^ gegen das heutige Jafator gehen.
1) Hier kommen besonders die Ausgrabungen des Pal. Explor. Fund
(Buss) in Betracht (1894-97). S. auch Guthe in PRE3 VIII 679, 1 ff.
2) Es ist nach Neh 3 13 1000 Ellen = etwa 500 m vom Taltor ent-
fernt. Die Karte in Bädeker Pal.c bei S. 2C, 27 ist demnach zu berichtigen.
3) An sich bedeutet ja laS-' hier, wie der zweite Halbvers zeigt, nur
„fortschreiten", nicht gerade „übersetzen, umbiegen". Aber es setzt doch
nicht das einfache Weitergehen voraus, sondern das Überwinden eines
Hindernisses, hier also entweder das Überschreiten des Tyropöons ZDPV
V, 297 oder das Umwenden nach Norden.
4) Im Kommentar zu Neh 2 13.
5) Vgl. das 'i3S-l=5< in Neh. 2 13.
12*
180 Kittel, Studien. III. Der Schlangenstein.
Jene Richtung wird durch die Anführung der Quelle als eines
allgemein bekannten, an einem von jedermann begangenen
"Wege liegenden Ortes besonders deutlich bezeichnet. Da beide,
Quelle und Tor, einander gegenüberliegen, so ist es, um die
östliche Richtung erkennen zu lassen, vollkommen gleichgültig,
ob das eine oder das andre zuerst genannt wird. Es kann
somit bei der Gleichsetzung von Drachenquelle und Rogel-
quelle wohl bleiben, und man hat nicht nötig eine unbekannte,
inzwischen versiegte Quelle zu entdecken.
Ist aber unsre Walkerquelle mit dem Schlangenstein das-
selbe wie jene Drachenquelle Neheniias, so wird es noch deut-
licher als zuvor, woher der Stein seinen Namen hat^ Die
Quelle selbst hatte neben ihrem sozusagen profanen noch einen
andern, auf die an ihr waltend oder in ihr weilend ^ gedachte
Schlangengottheit weisenden Namen. Sie ist. wie vermutlich
bei den Kanaanitern jede Quelle, eine heilige Quelle, und
der neben ihr stehende Schlangenstein ist aufs neue und von
anderer Seite her als der zum Schlangenheiligtum ge-
hörige Opferstein erwiesen.
7. Der Fels Zahwele.
Doch können wir uns auch bei diesem Ergebnisse nicht
beruhigen, ehe noch gewisse abweichende Meinungen be-
leuchtet sind.
Es ist bisher stillschweigend vorausgesetzt, daß nbn-Tn px
wirklich den Schlangenstein bedeute. Es versteht sich von
selbst, daß. wäre diese Übersetzung nicht richtig, auch die
ganze auf sie gegründete weitere Erörterung in der Luft
stünde. In der Tat hat Wellhausen dem Steine eine andere
Deutung zu geben versucht. Er bemerkt 3, der (arabische)
Name Zuhal^= Saturn erinnere an die nbnr ps von 1 Kön 1 o.
Demnach wäre nach ihm der bewußte Stein bei der Walker-
1) S. dazu schon Staue Gesch. d. V. Isr. II 165.
2) S. Cgrtiss, Ursemitische Religion im Volksleben des heutigen
Orients 1903, S. 113 flF. 121 f. Vgl. ZDPV X, 170 u. die Abhandig. über
den primitiven Felsenaltar oben S. 101. 108. 114 AT.
3) Reste arab. Heident.2 146.
7, Der Fels Zahwele. 181
quelle, den Adonia als Opferstein benutzte, ein Saturnstein
gewesen.
Auch in diesem Falle könnte natürlich unser Stein ge-
meint sein; denn alle die oben vorgeführten Gründe, die für
einen alten Opferstein sprechen, blieben auch dann in Kraft.
Nur wäre der Stein nicht ein Schlangen- sondern ein Saturnstein.
Aber für recht wahrscheinlich kann ich diese Deutung von
zohelet nicht halten. Es ist ja wohl anzunehmen, daß ein
arabisches Jo»\, das einem hebräischen briT entsprechen würde,
bei den Arabern — aus welchem Grunde immer, kann hier
dahingestellt bleiben; denn tatsächlich bedeutet das Wort auch
im Arabischen „gleiten, rutschen'' — dem Planeten Saturn
den Namen gegeben hat '. Jedenfalls aber hat im Hebräischen
das Verbum briT seine feste, ausreichend bezeugte Bedeutung.
Es kommt außer unsrer Stelle zweimal ^ vom Kriechen der
Schlange vor. Die Wahrscheinlichkeit spricht also dafür, daß
auch im dritten Falle die Kriechende, d h. die Schlange zu
übersetzen sein werde, wobei hier schon bemerkt werden mag,
daß auch im Vulgärarabischen der Fellachen des heutigen
Jerusalem 3 .zahwele nichts anderes bedeutet als „Gleitbahn,
Eutschbahn". Es kommt dazu, daß sonst der Saturn "jl^D heißt
(Am 5 26), und daß seine Verehrung im AT vor Amos nicht
genannt wird, und auch da nur in Form von Bildern oder
Bildsäulen des Saturn, von denen angenommen werden kann,
daß sie in Israel erst eine Folge der neuerdings gewonnenen
engen Beziehung zu Assur waren Man wird also die Über-
setzung Schlangenstein beibehalten müssen.
Ganz anderer Art ist ein anderer Einwand. Clermont-
Ganneau hat soweit mir bekannt, zum erstenmal darauf aufmerk-
sam gemacht^, daß der Name nbnrn in der Form ez- Zahwele
heute an einer ganz andern Stelle als dem Hiobsbrunnen hafte,
nämlich an einem Felsen innerhalb des Dorfes Silwan. Wenn
dieser Stein im übrigen zu der in 1 Kön 1 gegebenen Be-
1) S. DozY, Supplem.1582 (der Gleitende? oder der Ferne?), auchLANE,
Lexic. arab. 1220. Vgl. Ä'^/wa« = der Feststehende? Gesen.-Buhl, Lex.i*
2) ^BS "^briT Dt 32 24 und ynx i^nt Mi 7 i7.
3j Vgl. LöHR, Der vulgärarabische Dialekt des heut. Jerus. (1905) S. 5.
4) Survey of Western Palest. (Jerusalem) 1884, 293. S. weiter Bühl,
Geogr. 94; Bürney, Notes ou the hebr. text of . . Kings 1903, S. 5 f.
182
Kittel, Studien. III. Der Schlaogenstein.
Schreibung paßt, so müßte natürlich um des Namens willen
der ganze Hergang von 1 Kön 1 dorthin verlegt werden.
Ich habe, um mir auch hierüber Klarheit zu verschaffen,
dem Hiobsbruuuen einen weiteren — den dritten — Besuch
abgestattet. Es war am späten Vormittag eines sonnigen
Frühlingstages, an dem auf den den Brunnen umgebenden
Feldern die Fellachen von Silwan zahlreich an der Arbeit
HHP ^
i
-^^id
* ■*
jf^äH
^^^r» '
'.f^J^^
Mi^"^- ' MBi^^
Abb. 35. Der Fels Zahwele.
waren. In zwei Fällen wurde meine Frage nach dem Stein
Zahwele mit Kopfschüttelu und einem abweisenden ma ''ärif
„weiß nicht!" beantwortet. Das drittemal — es war ein Mann
von 25— 3i) Jahren mit seiner ihn bei der Arbeit unterstützenden
Frau, und am Rande des Ackers stand die Wiege mit dem
Säugling — erwiderte erst der Mann sein via ''ärif, und ich
begann schon an der Richtigkeit der Nachricht von jenem
Steine oder Felsen zu zweifeln, als plötzlich die Frau sich
dazwischenlegte und ilm daran erinnerte, daß es einen
7. Der Fels Zahwele.
18J
solchen Stein in der Tat gebe, worauf er gegen das Dorf hin-
wies. Ich bat ihn, mir den Stein zu zeigen, wozu er nach
längerem Hin- und Herreden über die stattliche Entfernung
und nachdrücklicher Betonung, daß mit Rücksicht darauf so-
wie min scluin ihueled „mit Rücksicht auf das Kind" die
Größe des Bachschisch entsprechend zu bemessen sei, sich
dann auch entschloß.
Abb. 30. Der Jb'els Zahwele.
Ich wurde nach dem an den Felsabhang angelehnten Dorf
Silwan, dann auf dem durch das Dorf hindurchführenden
Felsenpfad eine ziemliche Strecke bergan geführt. Als ich
schon ungeduldig werden wollte, weil mein Führer auf
meine mehrfach erhobene Frage, wo denn nun der Stein —
ich suchte immer mit den Augen nach einem Felsblocke von
der Art dessen, den ich vom Hiobsbrunnen her kannte —
sei, immer nur nach vorne gewiesen hatte, machte er endlich
an einem Punkte Halt und bedeutete mir, das sei der Fels, den
184 Kittel, Studien. III. Der Schlangenstein.
ich suche. Wir befanden uns ziemlich gegenüber der Marien-
quelle. Ich stand wider Erwarten vor einem mächtigen,
haushohen und, irre ich nicht, doppelt oder dreifach so lang
sich hinziehenden Felsen, der unmittelbar an den Abhang, fast
nur den Weg zwischen sich und diesem lassend, herantrat.
In den Felsen waren Öffnungen von verschiedener Größe
eingehauen, wie man sie bei alten Felsengräbern oder Felsen-
wohnungen antrifft, z. B. im Wadi 'ajün Müsa am Fuße des
Nebo im Ostjordanlande oder auf dem Wege nach Hebron
1 — 2 Stunden hinter den Teichen Salomos. Eines der Löcher,
das größte, ist mit einer Tür versehen und mag heute als Stall
oder Scheune dienen. Auf den Fels selbst waren Dorf häuser
hinaufgebaut, aus deren einem einer der Bewohner das An-
erbieten, mir die Tür unten zu öffnen, herabrief.
Ich zog es vor, mir einen Standort zu suchen, um den
Stein Zahwele im Bilde festzuhalten, was nicht ganz leicht
war, da der unmittelbar herantretende Abhang es unmöglich
machte, die nötige Entfernung zu gewinnen. So gelang es
mir nicht, den Fels auf ein Bild zu bringen; die zwei von
mir gewonnenen Teilbilder (Abb. 35 u. 36) sind so zu verstehen,
daß Abb. 35 den nördlichen Abschluß des Felsen darstellt.
Ohne Zweifel wird es Kundigeren gelingen, bessere Bilder
der Örtlichkeit zu erzielen. Immerhin können die hier vor-
gelegieu wenigstens eine Vorstellung dessen geben, was mir
in Silwan als der Fels Zahwele vorgeführt worden ist. Ich
halte nicht für ausgeschlossen, daß der so genannte Fels sich
noch weiter ausdehnt und von andern Gewährsmännern des-
halb andre Teile desselben Felsgebietes als ez-Zahwele be-
zeichnet werden werden.
Soviel aber ist mir vollkommen klar geworden: hier oder
in der nächsten Umgebung kann der Schlangenstein von 1 Kön 1
unmöglich gesucht werden, und insoforn ist das von mir ge-
wonnene Ergebnis m. E. vollkommen zureichend, die Zu-
sammenstellung des Schlangensteines nbnrn ps? mit diesem
Felsen ez-Zahwele ein für allemal auszuschließen. Der erste
und entscheidende Grund ist: Das Dorf Silwan besitzt keinerlei
eigene Quelle. Es liegt ganz am Felsenhang und die Bewohner
sind durchaus auf die beiden Quellen im Kidrontal: Marien-
und Hiobsquelle angewiesen. Auch ehe hier ein Dorf stand,
7. Der Fels Zahwele. 185
ist es aller Wahrscheinlichkeit nach so gewesen, und es ist
so gut wie ausgeschlossen, daß in der unmittelbaren Nähe des
Felsen sich je eine Quelle befand^.
Auf die unmittelbare Nähe einer Quelle weist aber die
Beschreibung von 1 Kön 1 9 mit Notwendigkeit hin 2. Wollte
man demgemäß annehmen, daß eben doch einmal eine Quelle
sich hier befunden haben müsse, so müßte man — abgesehen
von der eben betonten Unwahrscheinlichkeit dieser Annahme
— noch die weitere Schwierigkeit erst beseitigen, die darin
liegt, daß an dieser Stelle weder ein ausreichender Raum zum
Walken von Tüchern vorhanden ist, noch vor allem ein solcher
zum Feiern größerer Opfer und Feste. Der ziemlich steile
Felsabhang wäre dazu so ungeeignet als möglich. Auch muß,
worauf schon Bühl^ mit vollem Eechte hingewiesen hat, als
erschwerend in Rechnung gezogen werden, daß vom Abhang
von Silwan aus der Gibon sehr wohl zu sehen ist. während der
Bericht des Königsbuches das Gegenteil voraussetzt. Außerdem,
meine ich, dürfe man nur die in Abb. 35 u. 36 mitgeteilten Bilder
des Felsens ansehen, um sicli zu sagen, daß von einem Felsen
dieser Größe der Erzähler nicht wohl so reden konnte, wie er es
in 1 Kön 1 9 tut. Dort ist an einen Opferstein gedacht, nicht
an einen Felsenhügel. Es würde wohl jedem Leser von
1 Kön 1 so gegangen sein wie mir, daß er einen Opferstein im
Sinne hatte und sich zu seiner Überraschung vor einen statt-
lichen Felsen gestellt gesehen hätte.
Es bleibt somit auch nicht einmal die letzte Auskunft^
1) Mündlicher Mitteilung Prof. Dalmans verdanke ich nachträg-
lich die Notiz, daß der Name „Rutschbahn" daher kommen soll, daß die
Fellachen von Silwan, um auf dem kürzesten und schnellsten Wege zur
Marienquelle zu gelangen, einfach den Steilabhang des Hügels ab-
rutschen. Damit wäre freilich die allereinfachste Erklärung von ez-
Zahwele gegeben.
2) Vgl. die Ausdrucksweise hT\ "pS' b^X ^\rs* nbn n 'px B".
3) a. a. O. Vgl. oben S. 162.
4) So denkt z. B. wieder Burxey, Notes on . . the books of
Kings 1903, 5 f. nach Clermoxt-Ganneau. Ich lasse einige Sätze aus
des letzteren Abhandlung hier folgen: „Nearly in the centre of the line
along wich Stretches the village of Siloam, there exists a rocky plateau
surrounded by Arab buildings, wich mask its true form and extent: the
western face, cut perpeudicularly, slightly overhangs the Valley. Steps
186 Kittel, Stadien. III. Der Schlangenstein.
Übrig, nämlich anzunehmen, der Erzähler denke zwar an im-
sern Felsen, habe aber als Quelle Kogel weder den Hiobs-
brunnen noch eine versiegte Quelle im heutigen Dorf Silwan
im Auge, wohl aber die unmittelbar gegenüberliegende Marien-
quelle unten im Kidrontale, die so gut wie sicher dem Gihon
gleichzusetzen ist. Aber schon die letztere Gleichung schließt
diese Annahme aus. Es wäre daher, ehe diese Behauptung
gewagt wird, zu erweisen, sowohl daß die Marienquelle
nicht der Gihon ist, als auch wo sonst diese Quelle zu
suchen sei, da sie nach 1 Kön 1 von der Rogelquelle zu
unterscheiden ist und näher bei der Davidsstadt als diese
gesucht werden muß. Schon das wäre ein aussichtsloses Unter-
fangen.
Es würde aber noch erschwert durch den Umstand, daß,
selbst wenn die Marienquelle gemeint sein könnte, der Fels
Zaliwele dem vorhin erwähnten Erfordernis der unmittelbaren
Nähe von Stein und Quelle absolut nicht entspräche. Sollte
schon diese Quelle gemeint sein, so müßte man einen Stein
in ihrer wirklichen Nähe, nicht aber jenseits des Tales in be-
trächtlicher Höhe über ihr, suchen. Ein solcher ließe sich
schließlich finden, wie Abb. 37 zeigt. Hier sieht man in der
Reihe von Steinblöcken, welche den Eingang zur Quelle bzw.
zur Obern Treppe, die zur Quelle selbst hinabführt, einfassen,
den rechten Endstein an Größe ganz erheblich über die andern
emporragen, so daß man denken könnte, er habe eine weitere
Bestimmung gehabt als die eines bloßen Randsteines. Allein
es ist ganz gut möglich, daß er bloß als kräftiger Abschluß
der Reihe dienen sollte. Will man sich damit nicht begnügen,
so hätte, natürlich unter der Annahme, daß wir es mit dem
Gihon zu tun haben, die Phantasie weitesten Spielraum, sich
seine Bestimmung auszumalen, sobald man daran denkt, daß
rudely ciit in the rock enable one to climp it, not without difficulty,
and so to penetrate directly from the Valley to the raidst of the village.
By this road, troublesome and even dangerous, pass habitually the women
of Siloam [vgl. S. 185 Anm. 1], who come to fiU there vessels at the so
called Virgins Fount. Now, this passage and the ledge of rock in
which it is cut are called by the Fellahin ez Zehzvele , . . it becomes ex-
tremely probable that we must put En Rogtl at the Virgins Fountain,
and not at Btr Eyüb".
7. Der Fels Zahwele.
187
der Gihon die der Davidsstadt und der alten Jebusiter-Burg
nächstliegende Quelle war, daß man an ihr — doch wohl nur
um ihrer Heiligkeit willen — Salomo salbt, daß zu diesem Behufe
Natan das heilige Ölhorn aus dem Zelte holt, von dem es heißt,
es habe sich samt seinem Altar ^ in nächster Nähe, also eben-
falls bei der Quelle befunden.
Ich sehe mit gutem Bedacht von allen diesen Vermutungen
Abb. 37. Eingang zur Marienquelle (Gihon).
ab. So wahrscheinlich es ist, daß auch der Gihon wie die Walker-
quelle heiligen Charakter besaß, und so sicher es außerdem
ist, daß auch hier einmal ein Opferstein oder Opferaltar sich
befand, so hat doch vermutlich der hier in Frage stehende
Stein andern Charakter, und es mag reiner Zufall sein, daß
er erheblich größer ist als die andern derselben Reihe. Die
Fassung und Umwölbung der Quelle trägt viel zu wenig
1) Vgl. 1 Kön 1 39.
Igg Kittel, Studien. III. Der Schlangenstein.
altertümlichen Charakter, als daß man hier auf einen einzelnen
Stein, der auch durch seine heutige Lage — im Unterschied
von dem Steine beim Hiobsbrunnen — gar nicht dazu auf-
fordert, weitere Schlüsse bauen könnte.
Sollte aber der Stein beim Gilion je einmal — etwa an
anderer Stelle — heiligen Charakter gehabt haben, so hat er
jedenfalls mit dem von uns gesuchten Schlangensteine nichts
zu tun. Denn es bliebe nach wie vor dabei, daß erst der
Beweis geführt werden müßte, die Marienquelle habe ehedem
Rogelquelle geheißen. Ein solcher Beweis aber läßt sich nicht
führen.
Wir kommen damit zu dem Endergebnis: Sicher ist weder
die Marienquelle noch eine andre Wasserstelle bei Jerusalem,
sondern lediglich der Hiobsbrunnen als die Quelle Rogel
oder Walkerquelle anzusehen; sicher ist ferner unter dem
bei ihr stehenden Stein Zohelet oder Schlangenstein weder
der im Dorf Silwan stehende Fels ez-Zahwele noch einer der
Steine bei der Marienquelle zu verstehen; wohl aber darf
mit hoher Wahrscheinlichkeit der beim Hiobsbrunnen
stehende Stein als der Schlangenstein in Anspruch genommen
werden ^
1) Anhangsweise mag noch bemerkt sein, daß auch die relative
Kleinheit des Steines angesichts von 1 Sam 14 33 (s. oben S. 112 f.) kaum
als üegengrund in Betracht kommen wird.
lY. Die Kesselwagen des salomonisclieii Tempels.
In seiner Abhandlung über das Weihgesclienk des Aly-
attes im Archiv für Religionswissenschaft ^ macht Georg
Kaeo darauf aufmerksam, daß das Kunstwerk des Glaukos
am besten nach der Analogie gewisser bronzener Fragmente
aus der Zeusgrotte am Ida zu erklären sein werde. Der
Nachweis scheint mir persönlich überzeugend, doch muß ich
das endgültige Urteil hierüber den Fachmännern überlassen.
Wie dem aber sein möge, jedenfalls kann ich mich des
Eindruckes nicht erwehren, daß uns durch Karos Abhandlung
auch gewisse neue Anregungen für das richtige Verständnis
der bekannten und viel erklärten Kesselwagen beim salo-
monischen Tempel von Jerusalem an die Hand gegeben seien.
1. Das Kunstwerk des Glaukos.
Das Meisterwerk des Glaukos, das jetzt mit Vorliebe dem
ausgehenden 7. Jahrhundert vor Christo zugewiesen wird, wird
beschrieben als vjtöönjua oder vjtöD-r/^ua, somit als Untersatz,
auch ayyvO^/jxt] genannt 2. Eine solche syjvßVjxr] ist nach
Athenaios dreieckig, in der Mitte hohl und dazu bestimmt,
ein auf sie gesetztes Gefäß zu tragen ^. Also wäre, wie Kaeo
vollkommen richtig zusammenfaßt, der Untersatz des Glaukos
„ein hohles dreiseitiges Gestell, auf welches ein fußloses Ge-
fäß gestellt werden kann, nicht ein bloßer Dreifuß (trotz dem
spätem Zeugnis des Eusebios^); denn ein Dreifuß wäre ein-
1) AEW VIII (1905), Beiheft S. 54 flF.
2) Die Nachweise s. bei Karo a. a. O. S. 55.
3) fj 6' in 'AXs^avÖQeojv xakov/j-evt] syyvQ^t'jxrj tglycoro^ iavi, xava
fisGov xoik'fj, 6exfO&ai övvauivi] sTii&ifxevov xegäfiiov.
4) A. a. O. S. 56.
j[90 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
fach mit dem allezeit gebräuchlichen Namen xQiTtovq bezeichnet
worden".
Die genauere Beschaffenheit des Gestells ist nun aus
Pausanias, der das Kunstwerk noch sah, zu entnehmen. Er
schildert den Untersatz für den Mischkessel des Alyattes
wie folgte-
„Dieser ist ein Werk des Glaukos aus Chios . . . jeder Stab
des Untersatzes hing aber mit einem anderen Stabe zusammen,
nicht mit Hilfe von Nägeln oder Stiften, sondern lediglich die-
Lötung (Schweißung) hält zusammen und sie eben ist das
Bindemittel für das Eisen. Die Gestalt aber des Untersatzes
gleicht am ehesten einem Turm, der von einer breiten Basis
aus nach oben in verjüngter Form verläuft. Jede Seite aber
des Untersatztes ist nicht durchweg geschlossen, sondern da
sind die schrägen (bezw. querlaufenden-) Bänder aus Eisen,
wie die Sprossen an einer Leiter. Die geraden Eisenstäbe
sind aber oben nach außen gebogen; das war das Auflager
für den Kessel."
An dieser Darstellung ist für unseren Zweck von be-
1) TovTo rXavxov (dv ioriv egyov tov Xlov . . . eXaoßa öh exaoTOV
zov vno&fjfiazoq skäo/naxi aXXu) n^ooexhg ov nsQovatg iazlv rj xhxQOiq,
fxövt] ÖS y xöXXa ovvk/ti re xal aotn- avzr] xö> oiöt]QO) öeo/xög- oyPjfxa de
rov vnoS-TjibiaTog xarä nvQyov ßälioza sq (jlvovqov aviövxa anu evQvxsQOV
rov xdxü)' hxäoxtj dh 7rAer(j« xov vnoS-Tjfxaxog ov 6iä Tcäariq 7i6<pQaxxai,
d?.?.ä sloiv at Ttldyiai rov aiöt'jQov t,iovai, wgzsq iv xXif.iaxi oi dvaßaafxoi'
za 6s sXdoßara rov aiöfjQOv xä oQd^a dvsoxQanxat xaxd ra axQa sq rö
ixxoq' xal sÖQa xovto j/r xö> xgaxfjQt (X 16, 1).
2) Nicht verschweigen will ich, daß mir von selten meines philo-
logischen Kollegen J. H. Lipsius Bedenken gegen diese Übersetzung
geäußert worden sind, und zwar wegen des Artikels al. Mein Gewährs-
mann ist der Meinung, jene Fassung müßte eigentlich den Artikel ver-
missen lassen und es wäre zu erwarten: sondern da sind schräge Bänder.
Demnach sei mit ai nldyiai "CfVjvai eine bekannte Größe vorausgesetzt,
TtXdyioq sei darum im Sinne von an der Flanke, an der Seite im Gegen-
satz zu vorne zu fassen und unser Passus zu übersetzen (unter Weg-
lassung des Kommas hinter 'Qöjrai): sondern es sind die seitlichen Eisen-
b'dnder gleich den Sprossen. In diesem Falle müßte angenommen werden,
daß die Seiten im Gegensatz zur Front beschrieben werden sollten. Dem
widerspricht aber, wie mir scheint, die Angabe im ersten Teil des Satzes,
nach der von allen Seiten hier die Rede zu sein scheint. Man wird
daher eine sprachliche Ungenauigkeit annehmen müssen. Vgl. noch S. 196
Anm. 1.
1. Das Kunstwerk des Glaukos. 191
sonderem Interesse, daß der Untersatz für den Kessel in der
Tat ein Gestell aus iXao^iaxa d. h. getriebener oder gezogener
Metallarbeit ist, also aus Bändern oder Stäben. Daß tXaOfia
hier nicht Platte bedeutet, sondern Stab, scheint schon daraus
hervorzugehen, daß die sXao^uara unter sich gegenseitig ver-
bunden sind. Handelte es sich um Platten, die in eine Seite
eingelegt wären, so wären sie wohl nicht bloß unter sich ver-
bunden gedacht, sondern sie würden die Füllung der Seiten-
wand darstellen und wären als solche neben dem, daß sie
etwa unter sich zusammengehalten wären, jedenfalls in erster
Linie an den Leisten oder den Außenstäben des Gestells be-
festigt.
Außerdem aber werden Platten, die das Innere der
Seite bilden sollten, durch die Bemerkung von den Leiter-
sprossen (s. nachher) ausgeschlossen. Die slaOficiTa können
nach ihr auch nicht etwa durchbrochene Platten sein, sondern
Platten jeder Art sind schlechthin ausgeschlossen, und es
handelt sich um nichts anderes als um Stäbe oder Leisten,
und die Frage kann nur noch sein, ob es sich lediglich um
die Außenstäbe oder Leisten handelt, die das eigentliche Ge-
stell, den Ständer, ausmachen, oder ob alle Stäbe gemeint
sind. In diesem Falle müßten die lläöpiaxa und die ^mvai
dasselbe sein.
Gegen diese letztere Annahme scheint zu sprechen, daß
Pausanias den Ausdruck wechselt, um am Ende doch wieder
zu den llaO[iaxa zurückzukehren. Mit den letzteren, den
im Schlußpassus genannten IXctOfiaxa og&a, können jedenfalls
nur die Eisenstäbe, also die eigentlichen Füße des Gestells
gemeint sein. Für die Gleichsetzung von eXaGfiaxa und ^mvai
hingegen könnte das Epitheton oQd-a sprechen. Als aufrechte,
nach oben gehende, werden sie augenscheinlich im Unterschiede
von den :n:XayiaLC,mvat, den schrägen (bezw, querlaufenden) Bän-
dern, bezeichnet. Warum das, wenn doch bisher gar nicht von
iXdöfiaxa die Rede gewesen ist, die schräg oder nicht oqOcc
wären? Es scheint also, daß der Gegensatz von jcXayiog und
gerade die Gleichsetzung der beiden Arten von Stäben oder
Leisten heische.
Es kommt dazu noch eine andere Erwägung. Will
man sich die oben besprochene Notiz von dem Zusammen-
1^92 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
hängen der aldofiara unter sich vorstellig macheu, so fragt
man — handle es sich nun um ein dreiseitiges oder ein vier-
seitiges Gestell — vergebens, wie sie zusammenkommen, es
sei denn, sie seien entweder an der Basis durch je eine Leiste
oder einen Stab verbunden, oder sie stoßen oben zusammen,
oder aber sie seien seitlich durch Leisten oder Stäbe, die die
Stelle von Bändern vertreten, verknüpft und somit durch sie
das Ganze zusammengehalten.
Weiterhin erweckt unser Interesse an dem Kunstwerk
des Glaukos die Mitteilung des Pausanias, daß die Seiten des
Untersatzes nicht vollständig geschlossen seien, etwa durch
Tafeln in der Art von Türfüllungen, sondern daß an Stelle
solcher Füllungen bei ihm die schrägen oder querlaufenden
Eisenbänder treten nach Art der Sprossen an einer Leiter.
An sich wird man natürlich geneigt sein, an wagrechte
Verbindungsstäbe zu denken. Solche würden den Sprossen
einer Leiter an sich ohne Zweifel am nächsten entsprechen.
Die Hauptstäbe glichen dann den senkrechten Leiterstangen
und die wagrechten Zwischenstäbe den Sprossen. Allein Kaeo
deutet die Bezeichnung nläyiai im Sinne von schräg, schief
und findet darin den Gegensatz zu oQdoq gerade. Es mag
ihm dabei die Analogie solcher Dreifüße wie desjenigen von
Garenne vorgeschwebt haben, bei denen es sich tatsächlich
nicht um wagerechte Verbindungsstäbe handelt. Der Dreifuß
von Garenne zeigt deutlich das Bild von schiefen Zwischen-
stäben, welche je das untere Ende eines Hauptstabes mit dem
oberen Einge verbinden und so dem Ganzen noch größere
Festigkeit gewähren. Wird statt der wenigen Zwischenstäbe
ein ganzes System von solchen angebracht, so daß eine Art
Netz von Verbindungsstäben oder Bändern entsteht, bei dem
der einzelne Stab seinem Vorgänger parallel läuft, und zwar
je von dem einen Stabe zu dem ihm nächststehenden, so konnte
auch diese Stabreihe recht wohl als Leitersprossen bezeichnet
werden.
2. Die Fundstücke von Kreta.
Hier hat nun Karo, wie mir scheint mit vollem Rechte
— auch wenn seine Erklärung im einzelnen nicht zutreffen
sollte — weiter den Weg gewiesen, indem er auf eine Anzahl
2. Die Fundstücke von Kreta. ' 193
von Fundstücken aus der Zeusgrotte am Ida auf Kreta hin-
weist (Abb. 3S). In ihnen ist uns, wie er glaubt, das Muster
eines solchen Untersatzes, wie ihn das Weiligeschenk des
Alyattes darstellte, und zwar in fahrbarer Gestalt und aus
erheblich früherer Zeit an die Hand gegeben. Die Funde
gehören wohl dem Anfang des ersten Jahrtausends an, spä-
testens dem 8. Jahrhundert vor Chr '.
Stil, Haltung und Art der Fundstücke machen es durch-
aus wahrscheinlich, daß sie allesamt zu einem und demselben
Gegenstande gehören. Fast durchweg nämlich finden sich bei
den auf Stäben stehenden bezw. aufsitzenden Lebewesen oder
Gegenständen schiefe Querstäbe, welche, wofern sie zusammen-
gehören, ganz das Bild eines aus geraden und schiefen Stäben
gemischten Gerätes ähnlicher Art gewähren, wie wir uns nach
Karos Erklärung das Kultusgerät des Glaukos nach der bis-
herigen Erörterung vorzustellen hätten. Der einzige Haupt-
unterschied müßte wohl sein, daß das kretische Kultusgerät
ein fahrbares Kessellager, also einen Fahrstuhl, darstellen
würde, falls nämlich, wofür an sich große Wahrscheinlichkeit
spricht, das zum Funde gehörige Rad^ ebenfalls zu den übrigen
Stücken gehörte und somit einen Bestandteil des Gerätes bildete.
Gerade dieser Umstand führt uns aber dann zu dem hebräischen
Kultusgeräte hinüber.
Für jene Verwendung der Räder nämlich sprechen die
durch FüRTwÄNGLER uns erschlossenen cyprischen Kultus-
geräte, von denen fernerhin noch die Rede sein wird und die
sich uns tatsächlich als fahrbare Kesseluntersätze darstellen,
vor allem aber die in dieser Hinsicht uns längst bekannten
1) Vgl. ARW Vir, 123 und VIII, G3.
2) Gerade dieses Stück, das Rad, (seclisspeicliig und ziemlicli groß,
in der Weise der Räder bei Abb. .39), fehlt in unserer nacli dem Atlas
vonHALBiiERR uüd Orsi wiedergegebenen Abbildung. Woher Karo es hat,
ist mir unbekannt, doch wird mau es dem Geräte zurechnen dürfen —
wenngleich, seine 6 Speichen zu den 4 des kleinen Rads auf unserer Ab-
bildung nicht ganz passen wollen. Wichtiger scheint mir das Fehlen des
Auflagers, so daß eine Gewißheit darüber, daß gerade ein Kesseluntersaiz
vorliege, nicht zu gewinnen ist. Andererseits aber scheint die Konstruktions-
weise mit den schrägen Stäben, also die diagonale Stützung de.s Ganzen,
auf eiue zu tragende Last zu deuten. Ob die Last ein Kessel oder etwas
anderes war, ist dabei schließlich von geringer Bedeutung.
Kittel, Beiträge. X3
Abb. 38. Die Fundstücke von Kreta.
2. Die Fundstücke von Kreta. 195
salomonischen Kesselfahrstühle von 1 Kön 7. Darf es aber
mit hoher Wahrscheinlichkeit als Tatsache angenommen
werden, daß wir es hier mit den Besten eines Kultusgerätes
verwandter Art zu tun haben, so treten die schiefen, mit
allerlei Figuren besetzten Stäbe iu ein neues Licht. Nach
Kaeos Erklärung können sie höchst wahrscheinlich als die
Entsprechungen der xlayiai Cmvai des heiligen Gerätes des
Alyattes angesehen werden. Wie nach Pausanias die Seiten
jenes Gerätes nicht durch Tafeln oder Füllungen geschlossen,
sondern mit Stäben verbunden waren, so finden wir es
hier; wie dort die Stäbe mit allerlei Getier und Pflanzen-
ornamenten ' versehen sind, in gravierter und anderer Arbeit \
so sehen wir bei dem Gerät von Kreta an den senkrechten
und schrägen Stäben allerlei Tiere: Hunde, einen Eber, eine
Kuh (wie es scheint von einer Frau gemolken), ein Pferd,
mehrere Krieger und ein mit Ruderern besetztes Schiff" an-
gebracht, so daß wir uns die Seiten des Werkes des Glaukos
als mit durchbrochener Arbeit besetzt vorstellen können. Wie
endlich in den kretischen Fragmenten das Verhältnis der Quer-
oder Schrägstäbe zu den Langstäben derart ist, daß sie, wofern
wir sie uns mehrfach in Parallele zueinander auftretend
denken dürfen, recht wohl als Leitersprossen bezeichnet
werden können, so treffen wir bei Glaukos nach des Pau-
sanias Schilderung tatsächlich die Beschreibung der schrägen
Stäbe als „aussehend wie die Sprossen einer Leiter".
Karo kommt damit zu dem Ergebnis, daß trotz aller
Verschiedenheit in betreff des Stiles, des Metalls und teil-
weise auch der Technik die beiden Kultusgeräte, das idäische
und das von Chios, darin ihre große Ähnlichkeit erweisen, daß
sie beide den Untersatz eines Krater darstellten, der aus einem
Gestell von senkrechten oder wenig nach innen geneigten
Stäben oder Leisten bestand, die unter sich wieder durch
schräge Zwischenstäbe vielfach verbunden sind, und daß diese
so offenen und durchsichtigen Seitenwände dann selbst wieder
mit allerlei Figuren und Ornamenten versehen sind. Ein
1) Nach Athenaios V 210 c: evreTOßgiy/fcVa t,o}SaQLa xal üJJm xiva
"C^ovipici. xal (pvTCCQia.
2) Die Fassung Karos ARW VIII 57 , nach welcher srzero^svfisva
nur zu ^ojöÜQia zu beziehen wäre, ist jedenfalls nicht unmöglich.
13*
196 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
Hauptunterschied bestand, wie schon erwähnt, im ührigen
darin, daß das Gerät des Glauk!.)S feststand, vielleicht auf drei,
vielleicht auf vier Füßen, das mutmaßliche Gerät von Kreta
jedoch als Fahrstuhl oder Kesselwagen gedacht und demgemäß
mit Rädern versehen war^
Die letztere Eigenschaft bringt uns einen Schritt näher
an die cj^prischen lind hebräischen Geräte, die uns nun näher
beschäftigen sollen.
3. Die cypriseheii Kultusgeräte.
Um die weiteren möglichen Unterlagen für die uns in
erster Linie interessierenden, vielfach immer noch rätselhaften
Fahrstühle oder Kesselwagen des salomonischen Tempels zu
gewinnen, empfielilt es sich auch jetzt noch, nicht sofort an
den Text des biblischen Königsbuches und seine Erklärung
heranzutreten, sondern erst die seit einigen Jahren bekannt
gewordenen cyprischen Geräte verwandter Art uns zu ver-
gegenwärtigen. Das eine Gerät (Abb. 39) ist in Larnaka aus-
gegraben und dort geblieben. Es ist 39 cm hoch und 23 cm
breit und hat ein (Gewicht von 9.250 kg. Das andre, viel
weniger gut erhaltene Gerät (Abb. 40) entstammt den engli-
schen Ausgrabungen in Enkomi (Salamis) auf Cypern und be-
findet sich nunmehr im Biitischen Museum in London. Sie
stammen aus Gräbern der letzten Zeit der sogenannten mj^-
1) Nun ist freilich auch hier zu erwähnen, daß K.\ros Erklärung
noch nach einer andern als der vorhin schon erwähnten Seite nicht ohne
Widerspruch bleiben wird. F. Studxiczka hatte die Güte, mir seine
Meinung dahin zu äußern, daß die gewöhnliche technische Bedeutung
des' Wortes nläyioq nicht schräg, sondern quer sei. Er denkt somit (unter
Berufung auf C.I.A. II. No. 1054, s. dittenberger Sylloge^ No. 537;
I ABRicics im Hermes XVII, 551 ff. u. dörpfeld in Ath. Mitt. VIII Tf. VIII f.)
an wagrechte, nicht schiefe L.ön-ai, welche, wie er betont, auch dem Vergleich
mit Leitersprossen besser entsprechen. Das letztere ist zweifellos richtig,
aber, wie mir scheint, nicht ausschlaggebend. Die Hauptentscheidung
liegt beim ersteren Punkte, über den ich mich des Urteils enthalten
muß. — Immerhin ist sonach mit der Möglichkeit zu rechnen, daß wir
das Gerät des Glaukos ganz auszuscheiden haben. Aber auch dann bleibt
m. E. Karo das Verdienst, auf die Analogie hingewiesen zu haben, die
höchstwahrscheinlich zwischen jenen kretischen Fundstücken einer- und
den cyprischen und hebräischen Kesselwagen andrerseits besteht.
3. Die cyprischeu Kultusgeräte.
197
keuischen Kultur und stellen zwei bronzene Kesselwagen von
unter sich sehr ähnlicher Konstruktion dar. beide quadratisch,
auf vier senkrechten Füßen, welche den Hauptstäben bei
Glaukos entsprechen, stehend. Über den FüLsen erhebt sich
dadurch, daß die Zwischenräume zwischen ihnen zum Teil
ausgefüllt sind, eine Art quadratischer Kasten mit durch-
brochenen Wänden.
Auf dem Kasten liegt bei beiden ein kreisrunder, mit
Spiralen, und bei dem Gerät von Larnaka zugleich mit
Strickmustern versehener Zylinder, der als Auflager des
Kessels dient. Der Ka
sten des Gerätes von
Enkomi ist außerdem
umrahmt mit Spiral-
oi-namenten und wohl
auch mit Strickorna-
menten, während bei
dem von Larnaka aus-
schließlich Strickorna-
mente die Einfassung
des Kastens darstellen.
Oben auf den vier Eck-
pfosten sitzen hier Vö-
gel, wie es scheint Tau-
ben. Bei dem Gestühl
von Enkomi ist das
Innere der Seitenwaiid
in vier gleiche Felder geteilt, die den Eindruck von zwei
oben oft'enen Fenstern machen, zu denen zwei Gestalten
herausschauen. Bei dem von Larnaka ist das Innere durch
einen vielleicht als Palmbaum stilisierten senkrechten Bal-
ken in zwei Felder geteilt. Jedes von ihnen ist durch
eine auf einer Leiste stehende geflügt^lte Stiergestalt aus-
gefüllt. Hier sind die Räder mit je sechs Speichen, ganz
in der Art jenes Rades vom Ida, samt den durch die Pfosten
laufenden Achsen noch erhalten, beim Wagen von Enkomi
fehlen sie. Doch sind aucli hier wie dort noch die Seiten-
stützen erhalten, die in schräger Richtung von den Füßen nach
der untern Leiste des Kastens laufen und in Voluten enden.
Fuhrstuhl von Larnaka.
198
Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
Die Bestimmung dieser zwei Gestühle steht vollkommen
außer Zweifel, sie dienen wie das Gerät des Alyattes als
Untersatz für einen Kessel und sie haben somit wohl die-
selbe Abzweckung, wie das mutmaßlich fahrbare Geräte von
der idäischen Grotte. Der Unterschied der hier beschriebenen
zwei Stücke von den oben besprochenen fällt aber ebenfalls
Abb. 40. Fahrstuhl von Eukomi.
ohne weiteres ins Auge: bei der Einheit des Zweckes und
der Gleichheit mancher Einzelheiten besteht doch zwischen
jenen beiden und diesen beiden Geräten die durchgreifende
Verschiedenheit, daß hier die zwischen den Eckpfosten ange-
brachten Ornamente, wenn auch die Seiten noch durchbrochen
sind, doch viel mehr sich der Füllung einer Tür nähern als
dort, und das Ganze einem Kasten gleicht, sodann daß hier die
4. Die salomonischen Geräte. 199
im Innern angebrachten Figuren auf wagrechten Stäben stehen
bezw. an solche angelehnt sind, dort auf schrägen. Hier bei
dem Gerät von Larnaka und Enkomi kann, um das schon vor-
weg festzustellen, von Leitersprossen schlechthin nicht geredet
werden.
Hiemit wäre denn das Material gesammelt und zugleich
geordnet, das wir zur Vergleichung mit dem hebräischen
Kultusgeräte heranzuziehen haben werden. Dieses selbst soll
uns nunmehr beschäftigen.
4. Die salomonischen Geräte.
Die Erklärung des Abschnittes, der uns von den salomo-
nischen Kesselwagen Kunde gibt, 1 Kön7 27-39, hat eine ziem-
lich verwickelte Geschichte. Der erste, der sich eingehender
und zugleich mit Erfolg um sein Verständnis angenommen
hatte, war H. Ewald in den Göttinger Gel. Nachrichton
1859, S. 131 ff. und den Jahrbüchern für ßibl. Wissenschaft X
S. 273 ff. '. Er hatte zur Vergleichung die Bronzegeräte her-
angezogen, welche bei dem Dorfe Peckatel in Mecklenburg
aufgefunden worden waren. Es sind das bronzene kleine
Kesselwagen (15 — 16 Zoll hoch), die man in einem Grabhügel
— es wurde mehrfach an das Grab phönikischer Kaufleute
gedacht — in Verbindung mit einem Opfertisch und Altar
vorfand. Allein es ist unverkennbar, daß die von Lisch -
nach den uns noch erhaltenen Resten versuchte Rekonstruktion
eines solchen Gerätes, auch wenn es sich etwa als phöniki-
schen Ursprungs erweisen ließe, nur wenig zu der Beschrei-
bung passen will, die uns das Königsbuch von Salomos Kessel-
Fahrstühlen gibt. Die Geräte von Peckatel würden also,
wofern sie aus einer und derselben Wurzel wie die salomoni-
schen stammen, eine so erhebliche Veränderung des ursprüng-
lichen Typus voraussetzen, daß sie für die Erklärung jener
salomonischen Wagen nur schwer und nur teilweise zu ver-
wenden wären.
Einen neuen, kräftigen Anstoß erhielt die Untersuchung
1) Vgl. auch Ewalds Geschichte des Volk. Israel IIP S. 333 ff.
2) Vgl. Lisch, Jahrbb. des Vereins für Mecklenb. Geschichte u.
Altertumskunde IX, 373 ff., XXV, 215 ff.
200 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
iinsres Gegenstandes durcli Bernli. Stade, der erstmals im Jahr
1883 in ZAW III S. 159 ff'. 176 f. (wieder abgedruckt in seinen
Akad. Reden u. Abhandlungen, 1899, S. 166if.) und bald darauf
im ersten Bande seiner Geschichte Israels S. 337 ff. sich ein-
gehend und mit groL^em Scharfsinn der Ermittlung des richtigen
Textes unsres Abschnittes, seiner Erklärung und der Rekon-
struktion der Fahrstühle widmete. Er glaubte dort durch die
Vei-setzung einiger Verse an eine andere Stelle Liclit in das
Dunkel bringen zu können, und gab auf Grund der Vor-
stellung, die sich ihm mit Hilfe hievon und mit Hilfe der
Untersuchung einzelner Hauptbegriffe ergeben hatte, eine Ab-
bildung ^
Staues Versuch der Herstellung des Gerätes fand, da es
Stade gelungen war, auf Grund seines Textes einen Kessel-
wagen nachzubilden, der für die Zeit und die Verhältnisse
des salomonischen Tempels in der Hauptsache durchaus mög-
lich schien, und da man zugleich keinerlei greifbare Anhalts-
punkte in archäologischen Funden für eine andere Auffassung
besaß, manche Anerkennung. Seine Abbildung wurde in die
Archäologie von Benzinger (1894) sowie in diejenige von
NowACK (1894) herübergenommen, ebenso mit leichter Modi-
fikation in den Kommentar Benzingehs zum Königsbuch (1899).
Desgleichen habe ich mich in meinem Kommentar zu demselben
Buche (1900) in wesentlichen Punkten an Stade angeschlossen.
Seine Abbildung herüberzunehmen. war ich ähnlich wie beim
Libanonwaldhaus und bei den Säulen Jakin und Boas nicht
imstande, da ich in einem wichtigen Punkte anders urteilte-.
1) Gesch. d. Volks Isr. I 341.
2) Ich schrieb dort 8. U5: D'^n^'n bedeute wohl „Zapfen (vgl. Ex
26 17), Stäbe oder Leisten, die — einer umgelegten Leiter ähnlich — die
obere und untere Einfassung des Gestells verbinden: also etwa Quer-
leisten oder Querstäbe. Sie sind senkrecht zu denken und zwischen
ihnen — 'irn '"'2 — , also wagrecht zwischen sie eingefügt, laufen jene
ri1"i5Ö'2. Schwerlich ist daher die Beschreibung und Zeichnung, die
Stade gibt, ganz richtig. Eiue Scheidung von zweierlei "o^ . . wird kaum
angehen . .; auch müßte man bei seiner Beschreibung erwarten, der Text
hieße: „„die Sprossen liegen zwischen den Leisten"", nicht umgekehrt".
Ich lege darauf gar keinen Wert; wer aber Stades Abhandlung in ZAW
XXI S. 143 ff. gelesen hat, weiß, weshalb ich es hier erwähne. In einer
Besprechung von Stades Akad. Reden u. Abhandlungen hatte ich, u. a.
4. Die salomonischeu Geräte. 201
In diesem Punkte hat sich Stade später stillschweigend mir
angeschlossen — wir werden nachher sehen: ohne Grund.
Eine wirkliche, ernsten Erfolg versprechende Revision
unsrer damaligen Erkenntnis war aber erst möglich auf
Grund neuer Funde. Nachdem daher inzwischen die auf so
manchen Gebieten der Kultur- und Kunstgeschichte bedeutungs-
voll gewordenen Ausgrabungen auf der Insel Cypern auch
jene oben beschriebenen Kultusgeräte zutage gefördert hatten,
und besonders nachdem Fürtavängler seinen Aufsatz: „Über
ein auf Cypern gefundenes Bronzegerät. Ein Beitrag zur Er-
klärung der Kultgeräte des salomonischen Tempels" vo'öffent-
licht hatte', trat Stade mit einer neuen, abermals in glän-
zender Weise von seinem Scharfsinn und seiner Kombinations-
gabe zeugenden Abhandlung in seiner Zeitschrift hervor 2.
Das Verhältnis dieser neuen Abhandlung zu seiner früheren
vom Jahr 1883 ist folgendes: 1. Früher hatte Stade den Text
im ganzen für einheitlich erklärt und den dabei entstehenden
Schwierigkeiten durch gewisse Umstellungen abzuhelfen ge-
sucht, während er jetzt, der Anregung Klostermanns und
FcETwÄNGLEKS folgcud, duTch die Annahme eines Doppel-
berichtes zu helfen sucht. 2. Früher hatte er zwar ebenfalls
die Leitersprossen den Eckpfosten parallel laufen lassen, sie
also senkrecht gestellt (b, b in seiner Abbildung), aber er
hatte die Verschlußleisten, von denen es im Texte heißt, daß
sie zwischen den Sprossen liegen, sich so gedacht (a, a seiner
frühern Abbildung), daß diese rTT^JOia lediglich aus zwei oder
drei Stücken, der untern Abschlußleiste unmittelbar über den
Eädern und einer etwas über ihr stehenden, bestanden, wozu
mutmaßlicherweise vielleicht noch die obere wagrechte Leiste
(e der ersten Abbildung) kam. Dadurch entstand tatsächlich
der von mir gerügte Eindruck, als stünden die u^2biü zwischen
im Gedanken an die hier und oben im Text erwälinten Differenzpunkte,
sowie an Klostermanns und Benzingees Kommentar meinem Bedauern
Ausdruck gegeben, daß Stade nicht — wenn auch nur in etlichen An-
merkuntren — zu der inzwischen erscliieueuen Literatur etwas Stellung
genommen hatte (Lit. Centr. Bl. 1899, Nr. 48).
1) Sitzungsbericlite der Münch. Akad. d. Wissensch. (philos.-philol.
u. hist. Klasse) 1S99, 411 ff.
2. ZAW XXI (19 a), S. 143 ff.
202 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
den miSD^, nicht aber umgekehrt, wie es doch der Text for-
derte, die miscTa zwischen den D"^n!:t:?. Diesem Mangel sucht
die neue Konstruktion von 1901 dadurch abzuhelfen, daß eine
weitere wagrechte Verbindungsleiste angenommen wird (c, c
heißen jetzt die zweiten mi50i2), so daß nunmehr wirklich ge-
sagt werden kann, die m^jo^ — nämlich die von c, c — stehen
zwischen den ö^nbir. 3. Wälirend früher Stade den Kessel
auf einem eigenen Rahmen gestell als Auflager stehend dachte,
ist er jetzt durch die neuen Funde veranlaßt worden, einen
Zylinder als Mundstück anzunehmen.
Im folgenden soll nun der Versuch gemacht werden, zu
zeigen, daß auch Stades jüngste Ausführungen, so dankens-
werte Hilfe sie bieten, die Frage nach der Beschaflfenheit der
salomonischen Geräte noch nicht zum Abschluß gebracht haben,
ja daß überhaupt die Heranziehung der cyprischen Geräte
allein nicht zum Ziele führen kann, wir vielmehr erst aus der
Verbindung der cyprischen Geräte mit den mykenischen Frag-
mei.ten, deren Bedeutung und Erklärung Karo, auch wenn
seine Beschreibung des Weihgeschenks des Alyattes nicht zu-
treffen sollte, m. E. richtig erhoben hat, diejenige Hilfe ge-
winnen, die uns in den Stand setzt, jene salomonischen Unter-
sätze hinreichend zu verstehen.
Der Beweis für die Richtigkeit der von mir vertretenen
These kann natürlich nur auf Grund einer genaueren Erklä-
rung des hebräischen Textes von 1 Kon 7, 27 ff. geführt werden,
in die wir somit nunmehr einzutreten haben. Die voraus-
gehenden Erörterungen über die Kunstwerke von Chics, Cypern
und Kreta werden wir dabei fortgesetzt im Auge zu behalten
haben.
Ich lasse nun zunächst die Übersetzung folgen, so wie sie
sich mir auf Grund des stark verderbten hebräischen Textes
mit Heranziehung der textkritischen Hilfsmittel zur Verbesse-
rung der verderbten Stellen ergibt. Es ist dabei der Text
meiner BH zugrunde gelegt; nur wo von ihm abgewichen
wird, ist die Lesart in Klammern mitgeteilt. Die Beschreibung
des Gerätes lautet demnach so:
-',.Und er fertigte die Gestühle, zehn, von Bronze; vier
Ellen lang war ein Gestühl und vier Ellen breit und drei
Ellen hoch, -^ünd folgendermaßen waren die Gestühle ge-
4. Die salomonischen Geräte. 203
arbeitet: sie hatten Schliißleisten, und (außerdem) Schlußleisten
zwischen den Leitersprossen, '^^ünd auf den Schlußleisten,
die zwischen den Leitersprossen waren, waren Löwen, Rinder
und Kerube, und auf den Leitersprossen ebenso, oben und
unten (1. 'bi nnrjia^ bria'a). Und an den Löwen und Rindern
waren Gewinde, geschlagene (1. i'i'a) Arbeit. ^^ Und vier Räder
aus Bronze hatte das eine Gestühl und bronzene Axen; und
seine vier Füße (1. n^riias^B l^sisi) hatten Schulterstücke; unter-
halb des Kessels waren die Schulterstücke angegossen ....
^^Und sein Mundstück war einwärts von den Schulterstücken
und nach oben eine (bezw. eine halbe ?) Elle, und sein Mund-
stück war rund, Gestellarbeit i'/. Eiien und auch an dem
Mundstück waren Figuren. Und seine (1. n'^n — ) Schlußleisten
waren viereckig, nicht rund. ^'■'Und die vier Räder waren
unten an den Schlußleisten, und die Halter der Räder waren
am Gestühl, und die Höhe eines Rades war IV2 Ellen. ^^Und
die Räder waren gearbeitet wie Wagenräder; ihre Halter,
Felgen, Speichen und Naben — alles war Guß.
^* Und vier ScJmlter stücke waren auf den vier Eckpfosten
des einen Gestühls, von dem Gestühl gingen seine Schulterstücke
aus. ^'^ Und obeti auf dem Gestühl war ein Gestell eine Jialbe
Elle hoch, ringstpn rund, und unten (1. 'ab nnp^^) an dem
Gestühl waren seine Halter; und seine Schlussleisten gingen
von ihm aus.
^^Und er grub auf den Tafeln ein Kerube, Löwen und
Palmen und Gewinde ringsum. ^^Also ver-
fertigte er die 10* Gestühle, von einem Guß und einem Maß
und einem Zuschnitt waren sie alle. ^'^Und er machte bron-
zene Kessel, 40 Bat faßte eiil Kessel, 4 Ellen hatte ein Kessel
— je ein Kessel war auf einem Gestühl von den 10 Gestühlen."
Überblickt man die Übersetzung auch nur vorläufig, so
ist zunächst soviel deutlich, daß, wenn hier in V. 28 u. 29 von
Leitersprossen die Rede ist, zwischen denen sich Schlußleisten
befinden und auf denen Lebewesen angebracht sind — diese
Beschreibung nicht zu den beiden cyprischen Geräten, dem
von Larnaka und dem von Enkomi, paßt. Weder die Ver-
gleichung eines Bestandteils der beiden Geräte mit Sprossen
einer Leiter läßt sich m. E. irgendwie durchführen, noch lassen
sich die beiden andern Angaben, falls man irgendwo etwas
2Q4 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
wie Sprossen finden wollte, auf jene angeblichen Sprossen an-
Avenden. Daß man den stilisierten Palmbaum oder was die
Leiste mit den Windungen oben beim Geräte von Larnaka
sonst vorstellen mag, nicht für eine Leitersprosse ansehen oder
mit einer solchen vergleichen darf, ist klar. Wäre es aber
möglich, wie man von dem senkrechten Stücke zwischen den
beiden zum Fenster heraussehenden Gestalten von Enkomi
allenfalls annehmen könnte, so bleibt doch immer, daß, auch
wenn man die eine „Sprosse" sich vervielfältigt denken wollte,
zwischen diesen „Sprossen" keine Leisten denkbar sind, sondern
umgekehrt die Sprosse zwischen den Leisten steht, worauf
bereits oben aufmerksam gemacht ist.
Sodann sind unter allen Umständen auf diesen Sprossen
nirgends Figuren zu sehen. Vielmehr stehen bezw. liegen die
Figuren auf wagrechten, der untern Schlußleiste parallel lau-
fenden Balken. Im einen Falle, bei Larnaka, liegt ein solcher
Balken auf der untern Schlußleiste, im andern, bei Enkomi,
sind es vier. Doch ist das beiden Gemeinsame, daß von einem
Zwischenraum zwischen den zwei bezw. fünf Querbalken (die
Leiste eingerechnet) nichts zu sehen ist, somit gerade das
Charakteristische der Sprosse hier vollkommen fehlt. Nicht
nur also kann auch hier von „Sprossen" nicht die Kede sein,
sondern auch wofern sie je hier gefunden werden wollten, so
wäre jedenfalls von Leisten „zwischen den Sprossen" absolut
nichts vorhanden, schon aus dem einfachen Grunde, weil, wie
eben ausgeführt, ein Zwischenraum zwischen den angeblichen
Sprossen gar nicht in Frage käme. Kurz: wie man auch
immer die Sache ansehen möge, bei den cyprischen Geräten
kommen Sprossen gar nicht in Betracht und es bleibt bei
allem Werte, den diese Geräte s^nst für das Verständnis
unsres Kunstwerkes haben, doch nichts anderes übrig, als für
diese Seite der Sache von ihnen abzusehen. Um so will-
kommnere Dienste werden uns gerade hier die beiden andern
Kunstwerke, das von Chios und das kretische, leisten.
5. Kommentar zu 1 Köu 7 27-37. 205
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37.
a. Die Höhe des Gestühls.
Ich lasse nun eine Erläuterung der einzelnen Bestim-
mung-en des biblischen Textes folgen, durch welche die ge-
gebene Übersetzung und ihre in der Rekonstruktion des salo-
monischen Fahrstuhls vorausgesetzte Erklärung ihre nähere
Begründung findet. Es wird dabei natürlich besonders auf
diejenigen Punkte eingegangen werden müssen, in denen meine
Auffassung von derjenigen der Vorgänger abweicht.
V. 27. Das hebräische Wort nsizü ist absichtlich nicht
mit „Fahrstuhl" oder „Kesselwagen'" übersetzt, sondern mit
„Gestühl", um jedes Vorurteil abzuwehren. Es kann sich
nämlich fragen, ob die Höhe von 3 Ellen, die der rü^r^, also
dem Gestühl, gegeben wird, nur die Höhe des Gestells selbst
oder diejenige des ganzen Fahrstuhls, Räder und Auflager
eingeschlossen, sein soll. Da für das Gerät als Ganzes, das wir
als Fahrstuhl oder Kesselwagen bezeichnen, kein anderer
eigener Ausdruck besteht, so kann die Frage in der Tat ent-
stehen. Allein die Antwort kann doch kaum zweifelhaft er-
scheinen.
Indem V. 35 sagt, daß oben auf der M^kona ein Ken
gestanden habe, so und so hoch, und indem in V. 32 den
Rädern, die unterhalb der Schlußleisten sitzen, noch besondere
IV2 Ellen zugemessen werden, scheint der Verfasser uns die
Antwort von selbst aufzunötigen. Denn wollten wir als Ge-
samthöhe 3 Ellen annehmen, so bliebe, auch wenn für das
Auflager nur \ Elle angesetzt würde und für den Kessel
selbst ebenfalls '2 Elle, nach Abzug der halben Höhe der
Räder ^ -'j Ellen, für das innere Viereck immer nur noch
l'/4 Elle. Teilt man das Viereck von IV4 Elle Höhe nach
Abzug der obern und untern Leiste, für die doch wohl nicht
viel weniger als '4 Elle angesetzt werden kann, so daß nur
noch ^,'4 Ellen bleiben, in drei Teile, so bliebe kaum '4 Elle,
also etwa 12 cm, wodurch wir zu einer starken Annäherung
an Miniaturfiguren gedrängt würden. Ob der Bericht so be-
scheidene Dimensionen für die Figuren in Aussicht nimmt,
darf immerhin als zweifelhaft angesehen werden.
206 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
Es kommt als gewichtiges Moment dazu, daß nach V. 32
die Räder unterhalb der Schlußleisten sitzen (rnr^b). Sollte
der Vers auch, worüber noch zu reden sein wird, nicht zum
ursprünglichen Bestände des Berichtes gehören, so wird er
immerhin von einem Wohlunterrichteten stammen; wir haben
keinen Grund, ihn einfach beiseite zu legen, da er in nichts
dem übrigen Texte widerspricht. Ist er aber in Betracht zu
ziehen, so hat er eigentlich nur dann einen Sinn, wenn er
sagen will, die Räder haben unmittelbar unter den Verschluß-
leisten ihre Stelle. In jedem anderen Falle sind die Worte
sinnlos, weil die allgemeine Wahrheit, daß die Räder unten,
nicht oben am Wagen sind, sich von selbst versteht. Nun
läßt sich dies zwar auch so denken, wie oben angenommen,
nämlich daß die Achsen der Räder unmittelbar auf der untern
Leiste aufliegen, und in diesem Sinn also an die Leisten, d. h,
das Leistengestell, anstoßen. Aber streng genommen müßte
man in diesem Falle auch die Nennung der Achsen erwarten.
Lautet der Ausdruck so allgemein, wie es in V. 32 der Fall
ist, so muß wohl angenommen werden, es seien die Räder
selbst gemeint, und das bedeutet in diesem Falle die oberen
Reifen. Kommt aber der obere Teil des Radreifens unmittel-
bar an die untere Leiste zu stehen, so wie Abb. 44 es an-
nimmt, so ergeben Rad und Aufsatz mit Kessel zusammen
mindestens 1 V2 + 1 = 2 V2 Ellen, so daß für alles übrige, also
das ganze Gestell aus Pfosten und Leisten, nur V2 Elle Höhe
bliebe, was ein Ding der Uomöglichkeit ist.
Auch im anderen Falle bleibt noch die Schwierigkeit, daß
von Eckpfosten (msö) hier eigentlich nicht mehr die Rede ist.
Sind die Eckpfosten nur so lang, daß sie von der einen Haupt-
leiste zur andern reichen, so gleichen sie mehr senkrechten
Leisten als Pfosten, und die Scheidung beider Bestandteile im
Texte wird dann fast gegenstandslos.
Alle diese Erwägungen empfehlen es dringend, die 3 Ellen
Höhe des Gestühls trotz dieses Ausdrucks (nDlD^) nicht auf
das ganze Gerät zu beziehen, sondern lediglich auf das durch
die Leisten bezeichnete Viereck. Bedauerlich ist, daß über
die Höhe des Gesamtgerätes und im besonderen über die-
jenige der Eckpfosten und damit die Entfernung der Räder-
achsen von den unteren Leisten nicht Genaues gesagt ist,
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37. 207
aber nach dem eben Ausgeführten kann jedenfalls die Länge
der Pfosten, wie sie das Geräte von Larnaka angibt, hier
nicht in Frage kommen. Aber auch diejenige Form, die
Stade in seiner schematischen Zeichnung annimmt, entspricht
nicht wohl dem Texte. In beiden Fällen wäre der ganze hier
in Betracht kommende Satz zwecklos. Es kann also trotzdem
die Konstruktion an sich höhere Querstützen erwünscht er-
scheinenlassen kann, als die in Abb. 44 angenommenen, doch mit
Rücksicht auf den Text von solchen nicht wohl die Rede sein.
Als Gesamthöhe ergibt sich demnach für uns 3 + 1 V2
+ l(bezw. + II/2) Ellen, also 5V2— 6 Ellen. Von dieser Be-
rechnung aus wird man auch verstehen, weshalb die Quer-
stützen nicht wohl länger sein konnten. Das ganze Gerät
hat schon bei niederen Stützen und bei dem denkbar gering-
sten Ansatz für Auflager und Kessel 5 V2 Ellen, d. h, nahezu
2^/4 Meter Höhe. Es setzte demgemäß auch eine ganz statt-
liche Höhe des Altars voraus. Sollte das Gerät der Be-
nutzung am Altar nicht erhebliche Schwierigkeiten entgegen-
stellen, so mußte es so beschaffen sein, daß es etwa die Brust-
höhe des am Altar Dienst tuenden Priesers erreichte. Viel-
leicht läßt sich von hier aus ein Anhaltspunkt für
die Bestimmung der Höhe des Altars selbst^ ge-
winnen. Jedenfalls aber werden wir gut tun, wenn wir
nicht ohne dringende Gründe die vorher schon stattliche
Höhe des Wagens und damit auch des Altars vermehren.
Allerdings ist nicht zu leugnen, daß, dürfte man die Form
der Eckpfosten annehmen, welche das Gerät von Larnaka dar-
bietet, wonach der Zwischenraum zwischen der Räderachse
und dem Leistengestell mindestens so groß wäre wie die Höhe
des letzteren, hieraus auch wieder gewisse Vorteile entstünden.
Die Gesamtlänge der Eckpfosten stiege dadurch bei unseren
Wagen auf mindestens 6 Ellen, wozu noch unten ^j^ und
oben 1 Elle kämen, so daß sich als Gesamthöhe mindestens
l^Ji Ellen ergäben. Nun hat das eherne Meer, aus dem doch
wohl die Kesselwagen das Wasser zu entnehmen haben,
1) Vgl. die Abhandlung über deu heiligen Fels und seine Altäre
oben S. 65 u. unten S. 236 ff.
208 Kittel, Studieu. IV. Die Kesselwagen.
5 Ellen Höhe; es steht auf 12 Eindern, für die Stade'
4 Ellen annimmt (der Text sagt über ihre Größe nichts).
Könnte man, was wohl möglich scheint, mit 3 Ellen aus-
kommen, so ergäbe sich mit 8 Ellen ziemlich genau dieselbe
Höhe wie bei den Kesselwagen. Allein so erwünscht an sich
die Gleichheit der Höhe wieder wäre, so bekämen wir da-
durch doch ein Gerät von so enormen Dimensionen, daß man
trotz der Analogie des Wagens von Larnaka doch ernsthaft
an der Richtigkeit dieser Annahme zweifeln muß. Auch
würde der Altar auf eine Höhe gebracht, die ernste Bedenken
erregen muß.
Es empfiehlt sich also auch von dieser Seite aus, bei
den 5^2 Ellen zu bleiben und lieber anzunehmen, daß
zwischen dem ehernen Meer und den Wagen eine erheb-
liche Differenz in betreff der Höhe bestand. Wie man das
Wasser aus dem Meer in die Kessel beförderte, ob durch
Heber oder mit Hilfe von unten am Meere angebrachter
Hahnen, mag hier unerörtert bleiben 2. Es genügt, daß der
Höhenunterschied hier weniger ernst ins Gewicht fällt als
zwischen dem Altar und den Kesselwagen. Vor allem wäre
es kaum denkbar, daß die Wagen erheblich höher sein könnten
als der Altar bezw. die Brusthöhe des an ihm amtierenden
Priesters. Sprechen also Gründe dafür, den Altar nicht allzu
hoch über der Erde zu denken, so muß auch für die Wagen
eine entsprechende Höhe, die allenfalls gleich, nicht aber er-
heblich größer als die des Altars sein könnte, angenommen
werden. Dies gilt meines Erachtens auch wenn die Gestühle
bloß symbolischen Charakter hatten. Auch wenn sie keine
unmittelbar praktische Verwendung fanden, mußten sie doch
wohl in einem richtigen Verhältnis zum Altar stehen.
b) Leisten und Sprossen.
V. 28. Zunächst ist schon wegen des nachfolgenden nnb
nach ® (auch Si) für nroian der Plural zu lesen. Stades
1) Gesch. d. V. Israel I 336. Ich bemerke, daß Stades Maße auf
S. 340 u. 341 nach dem bei ihm angegebenen Maßstabe nicht zu dem
biblischen Texte stimmen.
2) S. darüber unten S. 230 ff.
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37. 209
Annahme, daß der Singular mit der hier erkennbaren Doppel-
heit der Berichte zusammenhänge, also am Ende doch ur-
sprünglich sein könnte, fällt durch das eben erwähnte anb,
das nur =)T\b sein kann. Es muß also beim Plural bleiben.
Die Hauptfrage bei bei der Erklärung dieses Verses,
deren Beantwortung zugleich über wesentliche Punkte der
Fassung des ganzen Gerätes und damit auch wieder über
Hauptstellen unseres Berichtes entscheidet, ist diejenige nach
der Bedeutung der Worte ninaolQ und S'^abizj.
m^D'a von nSiO schließen bedeutet Verschluß, Schließung.
Das können an sich abschließende Teile irgend welcher Art
an unserem Gerät sein. So kommt es, daß wir für mso^
sowohl die Bedeutung Verschlußleiste als die Bedeutung
Füllung vertreten finden. Allein die letztere Bedeutung ist,
wenn auch schließlich möglich, doch keineswegs naheliegend.
Ebenso wird D"^i5"iJ, das im AT hapax legomenon ist, gern
nach dem talmudischen Sprachgebrauch als Leitersprossen er-
klärt ^ Klosteemann 2 hingegen deutet es, soviel ich sehe
ohne besondere Begründung, Thenius folgend, als Ecklei-
sten, und FuKTwÄNGLER 3, Klostermanns Übersetzung von
riiJCa = Füllung übernehmend, versteht unter den ainbü
das ßahmenwerk des Kesselwagens von Larnaka und Eukomi.
Die vier Eckpfosten vergleicht Furtwängler mit den Leiter-
bäumen, die oben und unten die Eckpfosten unter einander
verbindenden Leisten vergleicht er mit den Leitersprossen
(Eckleisten oder Rahmen) und hält sie für die n^^nbü, und die
zwischen ihnen liegenden Füllungen wären die n^"i5D^. Dieser
Anschauung scheint P. Haupt ^ die etymologische Begründung
geben zu wollen, indem er d'^ibiu mit assyr. hi/dü zusammen-
stellt^, das aber gar nicht Leitersprosse, sondern, weil von
/ad/i umschließen herkommend, den Rahmen bedeute als die
Umschließung, das Fachwerk, bestehend aus den vier Eck-
pfosten samt den Querleisten, womit dann freilich wieder
1) Vgl. Levy, Neuhebr. u. talm. -Lexik.
2) Die Bücher der Könige (zur Stelle).
3) A, a. O.
4) In Sacred books of OT, the" books of the Kings z. St.
5) S. Delitzsch, Assyr. Handwörterb., S. 368 unter nnb u. sulbii.
Kittel, Beiträge. 14
210 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
eine etwas andere Deutung als die FuiiTWÄNGLERsclie ge-
geben wäre.
Nun gibt Delitzsch im Lexikon für su/l?ü die Bedeutung
„Teil der Tür, näher des Eiegels" an. Daraus geht jeden-
falls so viel hervor, daß D'^nbiZ?, weil mit /adü umschließen,
befestigen^ zusammenhängend, zwar die Umschließung, also
wohl den Teil der Tür, in dem der Riegel steckt, und von
da aus die Umrahmung bedeuten kann. Aber eine ganz
andere Frage ist, ob das Wort bloß diese Bedeutung hat,
wie denn Delitzsch für die II. Form des Verbs auch die
Bedeutung „binden" notiert. Es liegt also gar nicht fern an-
zunehmen, daß die im talmudischen Sprachgebrauch belegte
Bedeutung Leitersprosse für n^'^bü, '[■'ibirj aus der Bedeutung
Verbiudungsstab herstammt. Es kommt dazu, daß im Hebräi-
schen (in Ex. 26 17 3622) das Verbum sbü, vielleicht ein Deno-
minativum von jenem s?i/dü, jedenfalls vom hebr. C^nbiZJ, tat-
sächlich die Bedeutung verbinden besitzt. Es ist dort die
Rede von Brettern der Stiftshütte, an denen sich unten zwei
Zapfen befinden, die unter sich verbunden sind (ninblDia).
Von hier aus würden also a'^nb© Verbindungsstäbe bezeichnen,
durch welche zwei Längsstäbe zusammengehalten werden. Von
dieser Bedeutung aber ist dann zur Bedeutung Leitersprossen
nur ein Schritt-.
Etymologisch liegt demnach schwerlich eine Nötigung
vor, gerade die Bedeutung Rahmen oder Leisten für a'^nbüJ
anzunehmen und diejenige Verbindungsstäbe, Sprossen, auf deren
Seite die Überlieferung steht, fallen zu lassen. Sie scheint aus-
reichend begründet. Sachlich hingegen stößt jene Bedeutung auf
ernste Bedenken. Die von Haupt und andern gewählte Fassung
Rahmen {^frame) im Sinne von den Eckpfosten samt den
Querleisten oben und unten oder beim Gerät von Enkomi
wohl von der viereckigen feusterartigen Umrahmung führt
uns in die große Schwierigkeit, daß wir dann für die niiJOü
keine befriedigende Erklärung finden. Sie sind zwar, so wie
1) Die letztere Bedeutung gibt als einzige an Zimmern in Gesen.-
Buhl, Hebr. Lexik. 1*
2) Nicht ohne Interesse ist, daß 58 iuncturae sagt, auch darf vielleicht
verglichen werden, daß im Arabischen «-^--A-wj auch die Strickleiter aus
Palmbast bedeutet.
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37. 211
es V. 28 und 29 fordert, für Klostermann, Haupt, Furt-
wÄNGLER zwischen den n'^^biü, aber Stade macht m. E. mit
vollem Eechte darauf aufmerksam, daß die Größe der salo-
monischen Geräte aus konstruktiven Gründen außer den Eck-
pfosten und zwei wagerechten Leisten oben und unten noch
Zwischenglieder verlange, welche die Tragfähigkeit des Gestells
erhöhen. Diese Erwägung würde noch verstärkt worden sein,
wenn Stade daran erinnert hätte, daß das Ganze doch auf
den oben aufsitzenden Kessel angelegt ist, der mit Wasser
gefüllt gedacht werden muß und dann natürlich ein ganz
stattliches Gewicht repräsentierte.
Hierzu tritt noch die weitere Erwägung, daß m^D^ für
Klostermann, Furtwängler und einige andere Gelehrte im
Zusammenhang mit ihrer Fassung der D^'^bt'' als Leisten oder
Rahmen die Füllung bedeuten soll. Diese Übersetzung aber
läßt sich, wie schon erwähnt, nicht wohl aufrecht erhalten
wodurch auch jene Deutung der D"^nbt[J in Frage gestellt wird.
"l^D bedeutet „schließen", nicht „füllen". Die Übersetzung
„Füllung" könnte also immer nur in ganz sekundärer Weise
in Frage kommen, wenn die nächstliegende Wiedergabe
„Verschlußstück" aus zwingenden Gründen abzulehnen wäre.
Das Gegenteil aber ist der Fall.
Wie eine ni^o'a aussieht, ersehen wir am besten aus der
Beschreibung des Schaubrottisches der Stiftshütte ^ Ex. 2524f.
berichtet uns, daß um den Tisch eine mjo'a eine Hand breit
gelaufen sei, also eine die 4 Füße verbindende, ihnen Halt
gebende Verschlußleiste. Wo sie angebracht ist, sagt der
Bericht nicht, wohl aber daß an ihr Ringe von Gold ange-
bracht seien, durch welche Stangen, auf denen der Tisch
getragen werden soll, gesteckt werden können. Nun besitzen
wir eine authentische Abbildung des jedenfalls in der Haupt-
sache nach dem Muster des Schaubrottisches der Stiftshütte
hergestellten Tisches des herodianischen Tempels, nämlich
auf dem Titusbogen in Rom (Abb. 41). Hier aber befindet
sich ganz klar am untern Ende des Tisches, beim stehenden
Tische nahe der Erde, eine die 4 Füße verbindende Ver-
schlußleiste, an der — man sieht die Stangen — die Trag-
1) S. dazu in m. Art. „Stiftshütte" in PRES XIX, 37 f.
14*
212
Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
ringe angebraclit gewesen sein müssen. Ich habe an einem
andern Orte den Nachweis erbracht, daß der Titusbogen
seinen Maßen nach nicht ohne weiteres als den Angaben des
Buches Exodus entsprechend angesehen werden darf und beide
Zeugnisse überliaupt nur mit Vorbehalt zu ihrer gegenseitigen
Erläuterung verwandt werden dürfen. Aber eben dort ist
auch darauf hingewiesen, daß in betreff der Beschaffenheit
Al>li. 41. Vom Titusbogen in Rom.
und Lage der Leiste der Bogen uns wohl zu Hilfe kommen
könne ^
Hier sind wir also in der glücklichen Lage, die Bedeu-
tung von rn?c^ über die Etymologie hinaus aus der An-
schauung bestimmen zu können: es bedeutet in Ex. 25 nicht
Füllung, sondern Yerschlußleiste. Zeigen nun die antiken
Kesselwagen, die uns bekannt sind, eine Anlage, die diese
Fassung für m^c?; ermöglicht, so besteht zum voraus große
Wahrscheinlichkeit, daß sie die richtige ist. Nun zeigen die
1) A. a. O. S. 37, 55 ff.
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37. 213
beiden cyprisclien Bronzewag-eu ein viereckiges Gestell, am
deutlichsten der von Larnaka, bei dem die Füße oder Eck-
pfosten durch wagerechte Leisten oben und unten verbunden
sind. Der Wagen von Enkomi läßt den Unterschied der
Pfosten und Leisten nicht mehr — vielleicht überhaupt
nicht — ganz deutlich heraustreten, um so klarer der von
Larnaka. Hier ist jedenfalls die untere Leiste derjenigen
vom Schaubrottisch entsprechend, also eine nn^oia. Da aber
von einer Mehrheit von ninsoia — und zwar in doppelter
Form — die Rede ist, so dürfen wir mit Sicherheit auch die
obere wagrechte Stange als eine solche m^D^ in Anspruch
nehmen. Das Wort bedeutet sonach die wagrechten Ver-
schlußleisten, die mit den Pfosten zusammen das Viereck auf
den beiden cyprischen Wagen ausmachen '.
Gegen diese Fassung scheint zu sprechen die Notiz in
2. Kön. 16 17, nach der König Ahas die nii^o^ aus den Ge-
stühlen des Salomo herausschneiden ließ. Aber der Text
jener Stelle ist nicht in Ordnung, und gerade das entschei-
dende Wort ril-i3C^n"lns steht dort an falscher Stelle, so daß
es sehr zweifelhaft ist, ob es ursprünglich im Texte stand.
Streicht man esl so entsteht der vortreffliche Sinn, daß Ahas
wie das eherne Meer so auch die Kessel der Gestühle auf
die bloße Erde stellte und die Untersätze, dort die ehernen
Einder. auf denen das eherne Meer steht, hier die Gestühle
beseitigt, sei es um das Erz anderweitig zu verwenden, sei
es aus andern Motiven. Demnach wird auch von hier aus
kein Einwand gegen die Fassung Verschlußleisten zu er-
heben, vor allem nicht auf die Übersetzung Füllung, die
sich, wäre der Text heil, vielleicht empfehlen könnte, zu
dringen sein.
Damit sind wir aber von selbst wieder auf die Erklärung
der D'^nbttJ, die jetzt erst zu Ende gebracht werden kann,
zurückgeführt. Die oben schon gewonnene Wahrscheinlich-
keit, daß das Wort Verbindungsstäbe, Sprossen bedeute, gewinnt
durch die jetzt festgestellte Bedeutung von mn3D)a ihre Be-
1) Dies hatte Stade früher verkannt, worauf sich meine Erinnerung
im Kommentar bezog, bei seiner Erklärung stehen die Sprossen zwischen
den Leisten, nicht umgekehrt, wie doch der Text verlange.
2) So Staue in Sacred books of OT.
214 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
stätigmig. Deutlich nemlicli redet der Text von zwei Arten von
Verschlußlt^isten. Daß es sich so verhält und in V. 28b nicht
etwa übersetzt werden darf: und zwar Verschlußleisten \
sondern: und (obendrein) Verschlußleisten zwischen den a'^nbiü,
das geht mit voller Klarheit aus V. 29 hervor, wo diese
zweite Gattung von Verschlußleisten noch besonders genannt
wird. Neben den allgemein so genannten und deshalb nicht
näher zu bezeichnenden gewöhnlichen Verschlußleisten hat
also unser Gerät noch weitere, die sich zwischen den ö'^ibiiJ
befinden. Sind die ersten wagrecht und einander parallel,
so werden es auch die zweiten sein. Es müssen also noch
weitere im viereckigen Eahmen, somit zwischen den ersten
liegende Leisten angenommen werden.
Nun heißt es aber nicht, die zweiten Leisten liegen zwi-
schen den ersten. Sie tun das, aber sie werden nicht so be-
zeichnet. Vielmehr werden sie charakterisiert als zwischen
den D'^nbil? liegend. Damit ist, die Richtigkeit des Bis-
herigen vorausgesetzt, erwiesen, daß auch die ö'^nb^ü ihre
Stelle innerhalb des Rahmens und in nächster Nähe der
zweiten (inneren) Leisten haben. Haben sie hier ihre Stelle
und nicht außerhalb, so werden sie zum voraus nicht viel
anderes sein können als in anderer — senkrechter oder
schräger — Richtung laufende Stäbe.
Soweit kommen wir auf Grund der Worterklärung und
mit Hilfe der cyprischen Wagen. Demgemäß war denn mit
diesem Material zwar die Fassung „Leitersprossen" sehr
nahegelegt, obwohl die cyprischen Wagen selbst, wie schon
oben betont, eigentlich nichts enthalten, was ernstlich mit
Leitersprossen verglichen werden könnte. Aber volle Sicher-
heit war nicht zu gewinnen, und am wenigsten war über die
Art der Sprossen ins klare zu kommen. War man einmal in
der letzteren Hinsicht aufs Raten angewiesen, so war natür-
lich aus dem Namen Sprossen am ehesten auf eine den Leisten
gegenüber senh'ecJtte Stellung zu raten. Denn bei der rich-
tigen Leiter stehen die Sprossen senkrecht zu den Leiter-
bäumen.
Den abschließenden Schritt läßt uns auch hier wieder
1) So Benzinger und Kamphausex in Kautzschs Übersetzung des
AT. Es müßte jedoch außerdem der Artikel niniOMn stehen (Stade 1ü6).
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37. 215
erst die Anschauung tun. Auch hier sind wir in der glück-
lichen Lage über sie zu verfügen, denn wo uns die cyprischen
Wagen im Stiche lassen, tritt der kretische der Zeusgrotte,
selbst wenn wir ihn nicht, wie Kako will, mit dem Weih-
geschenk des Alyattes in Verbindung bringen und beide aus
einander erklären dürfen, ein. Rufen wir uns zunächst das
oben beschriebene Bild des Weihgeschenkes des Alyattes und
dazu die Fragmente aus der idäischen G-rotte mit der Deutung,
die ihnen Karo gegeben hat, nochmals in Erinnerung, und
halten wir daneben das bisher gewonnene Schema für unsere
hebräischen Gestühle: ein viereckiges mit wagrechten Quer-
stäben versehenes Gestell und diese Querstäbe zwischen Leiter-
sprossen, so bedürfte es, hätte Karo mit seiner Erklärung
des Glaukoskunstwerkes recht, nur der nochmaligen Erwähnung
der Worte des Pausanias, um uns volle Klarheit darüber zu
verschaffen, daß wir mit der Übersetzung: Sprossen im Rechte
waren und wie wir die Sprossen uns wohl zu denken hätten.
„Jede Seite das Untersatzes ist nicht vollständig ge-
schlossen, sondern da sind die schrägen Bänder . . . wie an
einer Leiter die Sprossen" — wir brauchten die Worte in
dieser Übersetzung nur zu lesen, um nunmehr den Schlüssel
für das Verständnis des hier in Frage stehenden Teiles der
salomonischen Geräte in den Händen zu haben. Wir wissen
nun, daß an solchen Geräten eine Konstruktion üblich war,
bei der der Vergleich mit Leitersprossen nahe lag. Läßt also
das betreffende hebräische Wort die Deutung von solchen
Sprossen zu, ja steht die Sache so, daß sie sich aus anderen
Gründen ernsthaft empfohlen hat, so werden wir allen Grund
haben, sie hier anzuwenden. Sagt uns die Beschreibung des
Pausanias nun weiter, jene Sprossen seien in schräger Rich-
tung gelaufen, und haben wir dazu Grund, in einem kretischen
Kunstwerk die Reste eines solchen Kesselwagens oder eines
verwandten Gerätes mit schrägen Sprossen zu sehen, so hätten
wir bei der engen Verbindung zwischen Israel und Kreta,
einem Hauptsitz der raykenischen Kunst, auch dazu alle Ver-
anlassung, die Sprossen des salomonischen Kesselwagens uns
in dieser Art vorzustellen.
So lägen die Dinge, wenn Karo im Rechte ist. Aber
auch wenn die gegen seine Erklärung geltend gemachten
216 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
Bedenken zutreffen, bleibt immer so viel bestehen, daß wir
tatsächlich in Kreta höchstwahrscheinlich die Fragmente eines
Gerätes vor uns sehen, das ein auf Rädern fahrbares Gestühl
mit senkrechtem und wagrechtem Gestell und schrägen
Zwischen Stäben darstellt. Was wir bisher vermißten, die
Anschauung über die Art der Zwischenstäbe und die Antwort
auf die Frage, ob sie senkrecht oder schräg zu denken seien,
hätten wir also damit gewonnen. Zugleich erkennen wir hier
auch den Grund der schrägen Richtung. Die Absicht des
kretischen Künstlers ist es augenscheinlich, die Figuren nach
oben wie nach unten schreitend darzustellen. Zu diesem Be-
hufe eigneten sich schräge Verkleidungsstäbe viel besser als
senkrechte. Das Auf- und Absteigen wird dadurch natürlicher
zum Ausdruck gebracht. Vergegenwärtigen wir uns nun daß
nach V. 29 b (s. u.) die Figuren des hebräischen Kunstwerks
ebenfalls oben und unten an den Stäben^ angebracht sind, so
wird es uns aus demselben Grunde auch hier als das Wahr-
scheinlichere erscheinen, daß die Stäbe nicht senkrecht, son-
dern schief standen.
Vor allem aber scheinen hier konstruktive Gründe für
diese Anlage zu sprechen. Erinnern wir uns dessen, daß das
ganze Gestell dem Zwecke dient, einen mächtigen ehernen
Kessel zu tragen und daß nach V. 38 der Kessel 40 Bat ^=
ca. 1400 Liter oder ebensoviel Kilogramm Wasser zu fassen
hatte, so können wir nicht im Zweifel sein, daß das salomo-
nische Gerät ganz andere Rücksicht auf die Gesetze der
Statik und der konstruktiven Sicherung zu nehmen hatte als
jene cyprischen Miniaturgeräte, die wohl lediglich als Weih-
geschenke oder als Zierrat in Frage kamen.
Nun ist es bei dem gewaltigen Gewichte des Kessels und
seines Inhalts überhaupt fraglich, ob man mit lediglich wag-
1) Freilich zugleich auch an den wagrechten Leisten, aber daraus
folgt nicht, daß sie an den letzteren mit dem Gesicht nach oben schreiten
würden. Wohl aber konnten vielleicht bei der Zeichnung von Abb. 44
die Figuren zum Teil noch etwas stärker an die Schrägstäbe angegossen
erscheinen ; man vergleiche die Art , wie in Abb. 88 der Kopf der ge-
molkenen Kuh durch ein eigenes kleines Verbindungstück an den obern
Stab angegossen ist. Ähnlich können wir uns die Verbindung der unter-
halb der Sprossens schreitenden Tiere mit den Sprossen vorstellen.
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37. 217
rechten und senkrechten Zwischenstäben auskommen konnte.
Hatte man schon bei den kleinen cyprischen Geräten aus
guten Gründen unten schräge Stützen angewandt, so wird
man bei den salomonischen mit ihnen nicht ausgekommen
sein, sondern schon um der Sicherheit des Ganzen willen die
schräge, diagonale Konstruktion als die erfahrungsmäßig viel
tragfähigere und widerstandskräftigere gewählt haben. Die-
selben Gründe werden wohl auch bei dem kretischen Gerät
die letzte Entscheidung gegeben haben.
Freilich kann die wirkliche konstruktive Sicherheit eigent-
lich nur durch das unverschiebliche Dreieck erreicht werden.
Es werden also mit Rücksicht auf das große Gewicht des ge-
füllten Kessels doch wohl noch senkrechte Stäbe angenommen
werden müssen, wie ^denn auch in Abb. 38 die oberste Figur
ganz deutlich zwischen den Voluten noch den Ansatz zu einem
senkrechten Stabe zeigt. Er beweist, daß man das Gesetz
der diagonalen Sicherung kannte. Somit wären wir auf
Umwegen doch wieder zum senkrechten Zwischenstabe zu-
rückgelangt. Aber er ist im Texte nicht erwähnt, vermutlich
weil er für den Verfasser lediglich eine konstruktive, keine
künstlerische Bedeutung hat.
Damit ist hinreichend erwiesen, daß wir für unsere Be-
schreibung schräge Zwischenstangen oder Bänder annehmen
müssen. Eine Frage muß dabei freilich noch offen bleiben,
nämlich ob die Sprossen bei jeder „Leiter" nur in einer Rich-
tung laufen oder in zwei, also so, daß sie sich kreuzen und
das Ganze eine Art Gitter vorstellt. Das letztere wäre nicht
unmöglich, scheint sogar durch den einen das Schiff tragenden
Stab aus der idäischen Grotte um der doppelten nach unten
gehenden Volute willen sich zu empfehlen. Aber wir brauchen
uns nicht in sklavischer Abhängigkeit von der Analogie zu
bewegen; da der Eindruck der Leiter auf die andre Art un-
mittelbarer erweckt wird, so scheint mir das Richtigere,
Sprossen anzunehmen, die bei jeder Leiter nur nach einer
Richtung laufen. Außerdem fehlt uns jede Angabe über die
Zahl der Leisten und Sprossen und demgemäß über die Länge
der letzteren. Hier sind wir auf bloße Vermutung angewiesen.
Immerhin hat sie darin eine gewisse Stütze, daß Josephus^
1) Autiqu. VIII, 3, 6.
218 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
eine Dreiteilung annimmt {ijv öl Tavra [za jtXsvga rriq ßaöscog
— er nennt die Gestülile Xovrrjgojv ßaoetg] tQtxf] dLt]Q?]fitva).
Seiner Angabe folgend teile ich in drei Abteilungen, woraus
sich die zwei Zwiscbenleisten ergeben.
Läßt sich somit mit der soeben genannten Einschränkung
der Vers 28 nunmehr nach allen Sichtungen befriedigend er-
klären/so sind auch keinerlei weitere Textänderungen ange-
zeigt. Ich kann in dieser Beziehung auf Stade in ZAW XXI
S. 164 f. verweisen, wenigstens soweit er sich gegen vorge-
schlagene Eraendationen wendet, kann aber anderseits da,
wo er selbst solche zuläßt, nicht mit ihm gehen ^ Vor allem
ist die Möglichkeit, D'^iblU^ für das erste mnso^ einzusetzen,
nicht zu empfehlen, weil sonst der Anfang von V. 29 wenig
verständlich wird — eine Annahme, die übrigens auch für
Stade die größere Wahrscheinlichkeit für sich zu haben
scheint.
c) Die Ornamentik.
Vers 29. Die Schlußleisten der Umrahmung werden nun
vorläufig beiseite gelassen. Es folgt zunächst lediglich eine
Beschreibung der andern Art von Leisten, der Innern, sowie
der Leitersprossen. Von beiden wird uns gesagt, daß an ihnen
Löwen, Einder und Kerube angebracht sind, sowohl oben als
unten, ferner daß an den Löwen und Bindern herabhängende
oder sonstwie geartete rr^b {lojotY) sich befinden.
Zunächst muß hier der masoretische Text beanstandet
werden. Er würde besagen, es befinden sich auf oder an (by)
den Leisten Figuren „und auf oder an den Stäben ebenso
oben" (bS'iQia). Da sie ohne nähere Bestimmung auch bei den
Leisten „oben" gedacht werden müssen, ist dieser Zusatz bei
den Stäben sinnlos. Man kann deshalb geneigt sein, mit Stade
nach % zu lesen bl^TSip^ "jS, das „oben" also zum folgenden zu
ziehen und zu übersetzen: oben und unten an den Löwen und
Rindern waren . . . lojot. Etliche entgegenstehende Fassungen hat
Satde in seiner zweiten Abhandlung mit Grund zurückgewiesen.
Zum Teil werden sie, wie die von Fuktränglee und Hommel,
durch die andre Deutung von Dinbiri von selbst hinfällig.
1) A. a. O. S. 167.
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37. 219
Allein Stades Textänderiing- nach ®, der ich noch in der
BHebr. zustimmte, weckt das Bedenken, daß sich auf diese
Weise kein Grund einsehen läßt, weshalb die lojot (oder wie
man das Wort aussprechen will) bei den Keruben fehlen.
Stehen dieselben über und unter den Figuren, nicht an ihnen
selbst, so könnten sie auch bei den Keruben stehen. Anders,
wenn sie zu ihnen gehören. Darüber nachher (S. 220).
Wie haben wir uns aber die Löwen, Rinder und Kerube
auf den Leisten und Sprossen angebracht zu denken? Hier
kann uns abermals das bisherige Material nur ungenügende
Auskunft geben. Indem man die D'^ibiU entweder gar nicht
als Verbiüdungsstäbe oder Leitersprossen, sondern anders ver-
stand, oder aber indem man sie zwar als „Sprossen", aber aus
den cyprischen Geräten heraus zu deuten suchte, geriet man
durchweg auf breite Leisten oder Bretter aus Erz. auf denen
man sich die Figuren eingraviert dachte i. Dem widersprach
nun freilich eigentlich zum voraus schon die Benennung
Sprossen wenigstens bei denen, die so übersetzten. Man darf
nur die sog. Sprossen bei Stade Gesch. I, 341 oder ZA W XXI lö7
ansehen, um sich zu überzeugen, daß man so breite Tafeln nicht
eigentlich Sprossen nennen kann. Ferner widersprach ihm
der Umstand, daß nach V. 37 (vgl. 33) das Ganze gegossen sein
sollte, die wichtigsten Figuren, die dem Ganzen das charakte-
ristische Aussehen und sein eigentümlifhes Gepräge gaben,
demnach auch wohl als gegossen anzunehmen waren. Dann
aber sind sie wohl an die Sprossen angegossen. Stehen aber
gegossene Figuren auf den Sprossen (vgl. Abb. 4 2) 2, so werden
wir von selbst auf Stäbe derart geführt, wie die Fragmente der
idäischen Grotte sie uns zeigen, wenigstens für die Sprossen,
während die Leisten daneben recht wohl als etwas breitere
Bänder existieren konnten.
In der Vorlage aus Kreta sind nun die Stäbe oben und
1) über n^il in V. 31 s. u. S. 226.
2) Dhs Wesentliche an der Abbildung ist für unsern Zweck die Art,
wie die beiden Steinböcke freistehend auf den Kapitellen angebracht sind.
Sie sind angenseheinlirh als ganze Figuren angegossen oder angelötet
gedacht. Sie stehen lediglich oben, aber indem sie frei im Räume stehen,
können sie leicht auch bei anderem Standort oben und unten augebracht
erscheinen.
220
Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
unten mit Figuren besetzt. Das ist auch hier, wenn wir ein-
mal dieser Vorlage folgen, wahrscheinlich und wird durch
andere Muster (s. Abb. 42) ebenso wie durch den hebräischen
Text zugelassen. Nun heißt „oben und unten" nnp'ai briQia.
Es steht aber, da einmal der Text verderbt und, wie wir sahen,
die Fassung von @ unhaltbar ist. nichts im Wege, unsern
Vers so zu lesen, daß der Atnach zu nnnü versetzt wird:
„und an den Sprossen ebenso, oben und unten. Die
Löwen und Binder hatten . . . lojot". Für die letztere
Ausdrucksweise ist der Anfang des folgenden Verses zu ver-
gleichen. Bedeutet (worüber unten) lojot einfache Eosetten oder
Gewinde, Girlanden, etwa aus Rosetten, so macht ohnehin bei
unsrer Fassung der Leitern und Figuren ihre Anbringung über
Abb. 42. Assyrischer Feldbaldacbin aus dem 9. Jahrii. v. Chr.
(als Muster freistehender Figuren).
und unter den Löwen und Rindern, an die Stade denkt,
Schwierigkeit, nicht aber wenn sie einfach an ihnen, zu ihnen
gehörig gedacht werden. Nach dieser Richtung entstände also
eine Erleichterung.
Der Rest des Verses bietet große Schwierigkeit. "ni^
bedeutet sonst den Abstieg oder Abhang, -Tra nirra müßte
also eine Abhangsarbeit, eine abschüssige, nach unten gehende
Arbeit sein. Gewöhnlich deutet man: herabhängende Arbeit,
was wohl möglich ist. aber docli gar nicht siclier. Denn ge-
rade das Herabhängen liegt in T^'^, dem Wurzelwort von
-"Tia, nicht und der Sprachgebrauch selbst kennt das Nomen
sonst nur als Bezeichnung von Örtlichkeiten.
Auch müßte der Ausdruck „Arbeit" des Herabsteigens
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37.
221
oder Herabhängens eigentlich doch Befremden erwecken. Etwas
Herabhängendes ist doch keine „Arbeit" des Abhangs. Das
läßt fast vermuten, daß auch hier ein Textfehler steckt und
daß T1I12 in der Tat eine „Arbeit", also wohl die Art der
Anfertigung der rr^b bezeichnen will. I. I. Kahan macht
mich auf die Möglichkeit aufmerksam, ob nicht "ini^a zu punk-
tieren sein könnte, was dann für nn'ü von t;-i (vgl. !y":)a von
Tan) zu setzen wäre. Dann kämen wir auf die Bedeutung:
Arbeit des Stampfens, Düunschlagens, also geschlagene Arbeit,
Metallplättchen,
Ähnlich steht es mit rnb. Gewöhnlich wird n^'b nach
n^lb Prov 1 9 4 9 erklärt und als Gewinde, Kranz gedeutet. Das
Wort n^"b würde dann von einem Ver-
bum nib abzuleiten sein, das im Assy-
rischen (als /amü) umschließen, im Ara-
bischen winden, drehen bedeutet, und
n^'b stünde dann für nYb oder rr^b, wo-
bei freilich nicht recht zu sehen ist,
wie das eine aus dem andern geworden
sein soll. Immerhin muß zugegeben
werden, daß die Bedeutung Gewinde,
wenn auch nicht diejenige Kranz. Gir-
lande im Sinne von Blumenkränzen
nach allem, was wir über den Stil der
Zeit^ wissen, und besonders nach dem,
was wir an den ziemlich gleichzeitigen
cyprischen Geräten sehen, recht .wohl
passen würde. Denn die Spirale ist
ist geradezu ein Lieblingsornament dieser Geräte. Besonders
aber darf jedenfalls auch an das überaus häufige Vorkommen
der Rosette in der kretischen und mykeuischeu Kunst erinnert
werden, sei es in einfacher Form und als Tierschmuck (man
denke z. B. an Bilder der Art von Abb. 43) oder als Kranz
von Rosetten. Am einfachsten wäre es, an die einfache Ro-
sette nach Art der Abb. 43 zu denken; nur muß fraglich bleiben.
A])b. 43.
Stier mit Rosette.
1) S. darüber Furtwängler a. a. O. S. 419 ff. F. legt Wert auf die
Übersetzung Gewinde und will nur an Spiralen denken; aber der Zusatz
scheint, so unsicher er im übrigen ist, doch gerade diese Deutung nicht
zu begünstigen.
222 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
wieweit man berechtigt ist, sie (als einen Kranz von Blnmen-
blättern) mit niib zu bezeichnen. Daher darf man allen Ernstes
fragen, ob nicht einfach r^'ib Kränze, Gewinde einzusetzen und
^'•^"5 für bloßen Schreibfehler zu erklären sei. Um ihn zu ver-
stehen, brauchen wir lediglich die volle Schreibweise n'^ib für
rr^b anzunehmen und zu vermuten, sie sei versehentlich n'^ib
statt n'iib punktiert worden.
Will man also nicht auf jede Übersetzung verzichten, so
wäre wohl, wenn auch mit allem Vorbehalt, zu übersetzen:
„Die Löwen und Rinder hatten Kränze (Gewinde), geschlagene
Arbeit". Bei aller Zurückhaltung, mit der diese Übersetzung
gegeben ist, darf doch an den einen Vorteil erinnert werden,
den sie bietet: das Rätsel, das die Erklärer vielfach beschäftigt
hat, und auf das oben S. 219 schon Stade gegenüber aufmerk-
sam gemacht wurde, nemlich warum nur die Löwen und
Rinder, nicht aber die Keruben genannt seien, löst sich dann
ohne Schwierigkeit. Löwen und Rinder gelten als irdische,
wenn auch symbolische Wesen; sie erhalten Schmuck wie
Tiere im Leben ihn tragen; man denke an die Reittiere und
Richter 8 21. Kerube hingegen sind überirdische Wesen, für
die sich ein Schmuck nicht ziemt.
d) Räder. Füße, Schulterstücke.
V. 30. Über die Räder und ihre Achsen, die zunächst in
diesem Verse beschrieben werden, sind wir nach den vor-
handenen Mustern nun so wohl unterrichtet, daß dieser Teil
des Verses keiner Erläuterung bedarf. Auffallend ist nur,
daß die eigentliche Beschreibung nicht fortgesetzt, sondern
auf V. 32 fi'. verschoben wird. Darüber ist nachher zu reden.
Klarer ist, daß die Beschreibung hier ungenügend ist und
deshalb nicht imstande, dem Leser ein Bild von der Sache
zu vermitteln. Es ist deshalb sehr verständlich, daß Stade,
um diesem Versteil aufzuhelfen, die Worte am Ende des
V. 35 „und seine Halter und seine Schlußleisten gingen von
ihm aus" hierher versetzen will. Allein ob mit Recht, ist
nur zu fraglich. Denn einmal befremdet: seine Halter (rTirrn"^),
da zwar die Schlußleisten, nicht aber die Halter uns schon
vorgestellt sind, man also eine vorangehende Benennung der
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37. 223
Halter erwartet. Sodann aber befremdet auch, daß hier, wo
von den Rädern die Rede ist, plötzlich die Leisten herbei-
gezogen werden: in einer zusammenfassenden Bemerkung oder
Übersicht könnte man das verstehen, nicht aber liier mitten
im Texte. Wollte man also hier etwas einsetzen, so müßte
man sich mit den Haltern begnügen. Dann wird aber Stades
Hypothese um so fraglicher. Man wird sich daher beschei-
denmüssen zu konstatieren, daß die Beschreibung sich zunächst
auf die Räder und Achsen beschränkt.
Von ihnen geht sie nun sofort über auf die pd^möt und ihre
Schulterstücke bezw. auf die letzteren. Seitdem man aus dem
Bronzewagen von Cypern die einzelnen Teile eines solchen
Wagens genauer kennt, kann man über diese pdamöt viel
eher ein Urteil abgeben. Vor allem sieht man jetzt, daß sie
etwas ganz anderes sind als die jadöt. Es war deshalb ein
Fehler, wenn ich nicht nur in meinem Kommentar, sondern
auch in der BH/Z/^w/ Ecken einsetzen wollte. Von Di^S Schritt.
Tritt herkommend erklären sich die ni^5>s durchaus befrie-
digend nach Ex. 25 12, 37 3, wo das Wort Tischfüße bedeutet,
als die Füße des Wagens. Es genügt das fem. Suffix einzu-
setzen. Ich hatte mich noch in der BH dadurch irreführen
lassen, daß hier der oberste Teil der „Füße" in Betracht
kommt, der besser als Ecke oder Eckpfosten bezeichnet
würde; aber die nochmalige Vergleichung des Gerätes von
Larnaka läßt mir keinen Zweifel, daß dort der ganze Fuß-
pfosten so sehr als ein Stück von unten bis oben behandelt
ist, daß man kein Bedenken zu tragen braucht, ihn auch bis
oben hin als Fuß zu bezeichnen.
Was nun die Schulterstücke oder Schultern k'teföt an-
langt, so sind auch sie durch das Gerät von Larnaka voll-
kommen klargestellt. Dort stehen auf den 4 Ecken Vögel
vielleicht Tauben. Sie mögen der Taube der Istar ent-
sprechend als das Tier der Hauptgottheit gelten. Aus diesem
Grunde wären sie dann in Israel beseitigt und durch ange-
gossene Aufsätze anderer Art ersetzt. Aber welcher Art die
Schulterstücke waren, ist leider nicht mehr zu ermitteln.
Meine Übersetzung im Kommentar: ..jenseits eines Mannes"
= über Mannshöhe war, auch wenn ich sie nur mit Fragezeichen
versehen vortrug, unbedacht und ist deshalb mit Recht Stades
224 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
Spott verfallen. Klosteräiann '): „gegenüber einem jeden"
geht ebenfalls nicht, man müßte sagen: „jenseit eines jeden"
und dann immer noch mindestens nirs, besser aber STTTinsi msx
erwarten. Soviel scheint mir nach V. 36 wahrscheinlich, daß
rr^bl (bzw. s. o. tr^lbl) am Ende zu lesen und und Gewinde
zu übersetzen ist. Daraus folgt dann, daß auch im ©"^i? nnya
entweder ein selbständiges Gebilde oder eine nähere Be-
stimmung der Beschaffenheit der Schulterstücke steckt. Bei
der großen Ähnlichkeit der Wortbilder hier und in V. 36 b
darf man wohl daran denken, daß das fremdartigere IS'^D die
Wurzel des "125^)2 enthalten könnte.
Freilich wissen wir um nichts besser, was "iS^tod heißen
könnte. Man übersetzt gewöhnlich: „nach dem Raum einer
jeden" (Tafel), so ich selbst im Kommentar. Allein abgesehen
davon, daß an unserer Stelle diese Übersetzung und Deutung
nicht anginge, bleibt doch überhaupt das Bedenken, daß das Verb.
Vi'ys doch nur entblößen, davon abgeleitete Nomina wie Jiny,
m5>^, nS'n und 15^^ (soweit sie gesichert sind) immer nur die
Entblößung, Kahlmachung oder das Instrument für sie, bzw.
ihr Produkt bezeichnen, nicht aber die kahle Stelle an sich
oder den freien Raum als solchen. Die Übersetzung: freier
Raum wird deshalb recht problematisch. Das einzige was
für iS'^a bzw. wohl rriS^^a wirklich bezeugt scheint, ist Blosse
im Sinne von Nah. 3 5. Bei der starken auf manchen Seiten
heute herrschenden Neigung, diese Art von Emblemen über-
all im kanaauitischen und hebräischen Altertum wiederzu-
finden 2, läge es nahe, auch hier ein solches anzunehmen, was
der Text ©"^i? y^D am ehesten zuließe und der Talmud^ wie
1) Vgl. schon ToENius im Komm. z. St.
2) Vgl. auch das oben S. 129 A. 1 in betreff der Masseben Gesagte.
3) Joma 55 a: ■p^bso hyh ^{hrj bx-nir"! i-^nTr ns'irn xi^ap ni n^sx
(so!) niibi ^J'^i< -ii'T33 rT3pri~-GT nariD t^yp-cin '^ssb nanan li^n ^nb
Also: . . . „man zeigte ihnen die Kerube, die aneinander ange-
schlossen (eng miteinander verbunden) waren, und sagte zu ihnen: Seht
(nämlich darin als in einem Symbol) die Liebe zu euch von selten Gottes!
(sie ist) gleich der Liebe von Mann und Weib .... "i^l ^^'^it ^"^3 was
bedeutet das? (es bedeutet ....): gleich einem Mann, der angehängt ist
(angeschlossen, eng verbunden mit) seinem Kranze". Um über den Sinn
5. Kommentar zu 1 Kön 7 37-27. 225
es scheint geradezu begünstigt. Allein es muß mit Entschie-
denheit betont werden, daß weder die cyprischen Kesselwagen
noch sonst irgend ein hier in Frage stehendes Kultusgerät
auch nur den geringsten Anlaß dazu bietet, der Möglichkeit
ernstes Gewicht beizumessen.
e) Zylinder und Kessel.
V. 31. Vom Obern Ende des Gestells geht die Beschrei-
bung nun vollkommen sinngemäß über auf den Aufsatz. Auch
über ihn sind wir durch die cyprischen Funde vollkommen
im Klaren, so daß die früheren Hypothesen dadurch zum
großen Teile von selbst hinfällig geworden sind. Was mit
dem Mund des Fahrstuhls gemeint ist, wird nun sofort' deut-
lich: es ist der auf dem Gestell sitzende Zylinder, der natür-
lich dazu bestimmt ist das Mundstück des Gerätes oder die
Öffnung darzustellen, durch welche der Kessel aufgenommen
und gehalten wird. Man lese rr'^S^ und nachher für nnriäb,
da ein Knauf nicht in Frage kommt, Jnsnsb, wie schon Ewald
vermutet hatte. Desgleichen ist vor Ji^xa eine Zahl einzu-
setzen, wie ebenfalls schon Ewald gesehen hat. Nimmt man
eins an, so wird man etwa das Mittel zwischen der Höhe des
Zylinders im Verhältnis zu der des Gestells beim Wagen von
Larnaka und derjenigen beim Fund von Enkomi einhalten.
Eine angenehmere Proportion freilich entstände, wenn man
den Zylinder etwas niedriger ansetzte, etwa \ Elle hoch,
dann wäre zu lesen n/£i5n "^^n. Immerhin darf die Notiz von
V. 35, die tatsächlich von einer halben Elle redet und dabe
augenscheinlich an das zylindrische Auflager denkt, nicht
der letztern Redensart ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen, erklärt
sie Raschi noch ausdrücklich: "^1 iniTs:: (umschlungen) pl^ni yi'ZL^Vn
T^nis-'iiT. [K.]
Der ganze Passus soll wohl lediglich der Erklärung der Worte "i5>a
und T\^ bezw. (wie gelesen wird) ni^lb dienen; ferner ist klar, daß ^Sa
zwar nicht mit n"iS' entblößen in Beziehung gebracht wird, wohl aber mit
talm. n"i2> anhängen, und zwar im obszönen Sinn, ebenso daß auch nil^
nicht in der gewöhnlichen, sondern in euphemistischer Bedeutung steht.
— Ein Grund, dieser etwas sonderbaren Phantasie der Talmudisten zu
folgen, wird kaum vorliegen.
Kittel, Beiträge. 15
226 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
Übersehen werden. Es ist selir wohl mög-lich, daß sie das
Richtige erhalten hat und daß um des Widerspruchs willen
die Ziffer hier in V. 31 fallen mußte. Jedenfalls aber sind
die anderthalb Ellen im Texte (n)2Xn ^ini n^i?) zu streichen."
Woher sie kommen, ist nicht zu sagen. Wenn der Aufsatz
eine Elle hoch gedacht war und der Kessel selbst, was recht
wohl stimmen würde, um ^2 Elle über ihn emporragte, so
wären die l'/2 Ellen beisammen, und es ließe sich immerhin
denken, daß ein Glossator dem am Rande Ausdruck lieh und
die Glosse mit der Zeit in den Text kam.
Die Beschreibung des Zylinders wird abgeschlossen durch
die Bemerkung, daß auch er Figuren hatte. Welcher Art sie
sind, ist nicht gesagt. Es steht aber nicht das Geringste im
Wege, an Spiralen und Ornamente ähnlicher Art (Strick-
ornamente), wie wir sie bei dem Gerät von Larnaka sehen,
zu denken. Gerade die Unbestimmtheit des Ausdrucks gegen-
über den früheren konkreteren Bezeichnungen — Löwen,
Rinder, Kerube; Gewinde — läßt vermuten, daß es sich um
etwas anderes als dort handeln werde. Anderseits verlang-t
die Bezeichnung mikldöt nicht notwendig gerade geschnitzte
oder gravierte Arbeit; durchbrochene Arbeit von der Art jener
Spiralen würde m. E. dem hebräischen Texte vollkommen
entsprechen.
f) Einheitlichkeit des Berichts.
Eine besonders wichtige Frage, ehe wir in die weiteren
Verhandlungen eintreten können, ist nun aber die nach der
Einheitlichkeit des biblischen Berichtes. Gewisse Uneben-
heiten und Dubletten in ihm waren längst aufgefallen, und
soweit sie nicht auf dem Wege der Textkritik zu beseitigen
waren, suchte man teils durch Umstellungen, teils durch Aus-
schaltung einzelner Stücke aus dem Hauptberichte zu helfen.
Den letztern Weg hat besonders Klosteemann betreten; ihm
folgten Benzinger und Furtwängler, letzterer indem er die
von Klostermann angeregte Ausschaltung von V. 34—36 an-
erkannte, aber Klostermanns Beobachtung auch auf V. 32
und 33 ausgedehnt wissen wollte, so daß nach ihm V. 32 —
36 einem andern Berichte angehören. In der Tat haben die
Funde von Enkomi und Larnaka die Theorie Klostermanns
5. Kommentar zu Kön 7 27-37. 227
viel eher gereclitfertigt als diejenige Stades, der auch ich
zugestimmt hatte. Infolgedessen hat Stade sie mit Recht
zurückgezogen. Er schließt sich nun Furtwängler bzw.
Klostermann an, geht aber auch über den ersteren noch um
einen Schritt hinaus, indem er mm auch die Schlußworte von
V. 31 von den vorhergehenden Versen loslöst und zu V. 32 ff.
zieht. Doch sieht er, darin nun ganz eigene Wege gehend,
in diesen so ausgeschiedenen Resten nicht eine Einschaltung
oder einen Nebenbericht, sondern er nimmt sie mit V. 27
zusammen und erklärt 27. 31b;3— 39 (außer Maß, 35b/3) für
den Hauptbericht, das Übrige aber, also besonders 29— 30 a a. 31
(wozu die oben genannten Stücke, aber in anderer Anordnung,
kommen) als Nebenbericht. Man sieht: Stades neue Theorie
ist reichlich kompliziert, sie arbeitet mit beiden in Frage
kommenden Gesichtspunkten; statt: entweder Umstellung oder
Doppelbericht lautet nun seine Losung: sowohl dieses als
jenes.
Eine Entscheidung in betreff dieser Frage kann selbst-
verständlich nur im engsten Zusammenhang mit der Erklä-
rung des Textes selbst versucht werden. Die Art wie das
Verhältnis der einzelnen Verse zu einander angesehen wird,
ist vielfach beeinflußt von der Art wie der einzelne Vers
selbst verstanden wird. Immerhin lassen sich unter Ver-
weisung auf die Ergebnisse der nachfolgenden Einzelerklä-
rung hier schon folgende Hauptgesichtspunkte feststellen.
Zunächst ist zu konstatieren, daß die hauptsächlichste
Unebenheit sich in V. 34 f. gegenüber V. 28 ff. findet.
Stade hat soforthinterV.28(ja27) einen Einschnitt gemacht:
in V. 29 soll bereits eine neue Hand erkennbar sein. Darüber
kann nun freilich kein Zweifel aufkommen, daß unser Vers
für sich, wenn man ihn mit dem Blick nach vorwärts und
nach rückwärts liest, sich vortrefflich in den Zusammenhang
eingliedert. Vor allem paßt er als Fortsetzung von V. 27 f.
ganz gut. Es ist zwar anzuerkennen, daß die andern Be-
schreibungen dieser Art in V. 15 -26 nur den Gegenstand nennen
und ihn dann ohne weitere Überleitung sofort beschreiben.
Aber daß unser Abschnitt hierin etwas von den andern seiner
Art abweicht, kann uns nicht befremden, weil er überhaupt
eine Sonderstellung einnimmt. Er allein bietet eine ausführ-
15*
228 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
licliere Beschreibung, natürlich weil kein anderer Gregenstand
so kompliziert war wie dieser. So erklärt sich also die Ab-
weichung hinreichend, und es liegt von hier aus keinerlei
Grund zu einer Scheidung von V. 29 vor.
Übersehen wir die bisher gegebene Darstellung unseres
Gerätes, so läßt sich bis zu dem Punkte, bei dem wir nun
angelangt sind, V. 31ba, eine in sich geschlossene Darstellung
der Geräte verfolgen, sei es von V. 27, sei es von V. 28 an.
Nachdem erst die Dimensionen der Gestelle ohne die Räder
angegeben waren (27). wird die Beschreibung, mit teilweisem
Eingehen ins einzelne, gegeben: erst werden die Leisten und
Sprossen genannt (28), dann genauer beschrieben, was für
Figuren an ihnen und welche Ornamente an den Figuren
sind (29), sodann die Eäder und Achsen genannt und die
Schulterstücke beschrieben (30), sodann wird das Auflager
für den Kessel beschrieben (31aba). Statt daß nun in der
Beschreibung fortgefahren würde, wird von 31b/? an auf
schon Dagewesenes zurückgegriffen, zunächst aber so, daß
einzelne vorher nicht eingehender beschriebene Dinge genauer
geschildert werden, so in 31b/3 die Leisten ihrer Gestalt nach,
sodann in 32 die Eäder nach ihrer Lage, ihren „Händen'"
d. h, Haltern, ihrer Größe und in 33 nach ihrer Beschaffenheit
bzw. der ihrer einzelnen oder der eng mit ihnen zusammen-
hängenden Teile.
Diese Übersicht läßt es sehr wohl verstehen, wie Fuet-
wÄNGLER und ihm folgend Stade auf den Gedanken kamen,
es sei von V. 32 (Furtwängler) oder dann richtiger von 31b/9
(Stade) an ein Parallelbericht anzunehmen. Aber es scheint
mir doch in hohem Grade fraglich, ob dieser Weg zum Ziele
führt. Wenigstens zunächst bis V. 33 inclusive muß ich den
Bericht trotz der eben namhaft gemachten Unebenheiten für
einheitlich erklären. Es sieht, obwohl es nicht gerade von
großer schriftstellerischer Kunst zeugt, doch ganz wie Ab-
sicht aus, wenn in 31b/9— 33 gerade solche Dinge genauer
beschrieben werden, die vorher nur genannt oder kurz ge-
streift waren, über die wir aber doch, wenn andere ein-
gehend beschrieben werden, notwendig auch eine nähere
Beschreibung erwarten. Parallelberichte pflegen wir in der
Eegel anzunehmen, wenn auffallende Dubletten oder wenig-
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37. 229
stens störende Pleonasmen vorliegen, oder wenn gar inhalt-
liclie Widersprüche die Einheit der Verfasserschaft unmöglich
machen. Von alledem ist hier nichts zu sehen. Der Nach-
trag wiederholt nichts schon Gesagtes, noch steht er mit ihm
auch nur im Geringsten in Widerspruch; im Gegenteil, er
ergänzt es in der willkommensten Weise, er bringt, was wir
eigentlich fordern müssen nach, aber so, daß eigentlich vorher
schon halb darauf hingewiesen ist. Das sind, soweit ich sehe,
nicht die Kennzeichen eines Parallelberichtes, sondern die
Merkmale eines minder geschickten Erzählers.
Es kommt dazu, daß diese Hypothese sofort eine Hilfs-
hypothese nötig macht, für die wir gar keine Anhaltspunkte
haben. V. 32 redet von den 4 Rädern und den Schlußleisten.
Die letzteren wären nach Stades Annahme wenigstens schon
in 31b/? genannt, die Räder aber nicht. Sie müssen also
wohl als bekannte Größe vorausgesetzt sein. Das heißt: es
muß entweder derselbe Verfasser reden wie vorher oder, wo
nicht, müßte angenommen werden, daß der zweite Bericht —
für Stade der Hauptbericht — uns hier die Spur seines
fragmentarischen Charakters erweise, weil die frühere Er-
wähnung der Räder, die gefordert werden muß, fehlt". Stehen
diese beiden Möglichkeiten zur Wahl, so ist für mich nach
dem oben Bemerkten kein Zweifel, welche im Ernste in Be-
tracht zu kommen hat. Dies um so mehr, als dieser an-
geblich selbständige Bericht auch sonst noch über wichtige
Dinge keinen Aufschluß gibt, so daß er jetzt die seltsame
Manier bekundet, die Beschreibung mit den Rädern zu be-
ginnen. Ihn für den „Hauptbericht" zu erklären, wie Stade
tut, ginge schon um deswillen nicht an. Wir tun also besser,
V. 31b/5— 33 als Fortsetzung des Bisherigen zu erklären
Erst mit V. 34 setzt, wie sich zeigen wird, eine andere
Hand ein.
1) Anders steht es mit den Haltern der Räder; nachdem die Räder
einmal genannt sind, kann es für selbstverständlich gelten, daß sie auch
Halter, die als notwendiges Zubehör zn ihnen gelten können, haben
müssen.
230 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
g. Noch einmal die Schlußleisten und die Eäder.
V. dihß trägt dann, wie schon erwähnt, die Beschreibung
der Schlnßleisten nach. Im Gegensatz zu den Leitersprossen,
die wohl als runde Stäbe anzusehen sind (vgl. die Fragmente
der idäischen Grotte), sind sie viereckig; auch die Eckpfosten
oder Füße mögen, nach dem Wagen von Larnaka zu schließen,
keine scharfen Ecken, wenigstens nach außen hin, gehabt
haben. Daß man •i'^n"i5D^i zu lesen und das n aus Dittographie
zu erklären habe, hat schon Beuzinger richtig erkannt. Dar-
nach wäre also auch hier BHK zu korrigieren.
V. 32. 33 tragen ebenso das Genauere über die Eäder
nach. Über den Anfang von 32 und den Sinn der Bemerkung,
daß die Räder unterhalb der Schlußleisten angebracht seien,
ist schon oben S. 206 gehandelt. Die Form b nnn^b ist frei-
lich fremdartig, hat aber doch an Bildungen wie Thy'ü^'Q eine
gewisse Analogie, so daß kaum ein Grund sein dürfte, sich
mit Stade an ihr zu stoßen. Was aber sind die „Hände" der
Räder? Es ist durchaus verlockend, an die Seitenstützen der
beiden cy prischen Gestühle zu denken, wie Stade tut, um so
mehr, da ja sogar die Seiteulehnen des Thrones Salomos als
Hände bezeichnet werden (1 Kön 10 19). Wäre hier von den
Händen der M'^köna überhaupt die Rede, so würde ich keinen
Anstand nehmen in ihnen jene Halter oder Stützen des Ge-
stells zu sehen (s. zu V. 35 und oben S. 222 f). Aber hier ist die
Rede von den Händen der Räder. So können unmöglich
jene Stützen heißen. Sie können es an sich nicht, aber noch
viel weniger, wenn nachher unter den einzelnen Bestandteilen
der Räder oder den ganz unmittelbar zu ihnen gehörigen
Dingen, also neben den Felgen, Speichen, Naben auch ihre
Hände genannt werden. Auch hier kann m. E. das Gerät von
Enkomi uns nicht im Zweifel lassen. Die Füße des Gerätes
laufen unten zu einer kreisrunden Öffnung, einer hohlen
Hand gleichend, aus, durch welche die Achse der Räder ge-
halten wird. Diese Halter, nicht die schrägen Stützen des
ganzen Gestells, sind die Hände oder Halter der Räder *.
1) Wie ich nachträglich sehe, macht schon Buhl in Gesenius' Le-
xikoni^ einen Unterschied zwischen den zwei Arten von „Händen".
5. Kommentar zu 1 Kön. 7 27-37. 231
h. Ein Parallelbericht.
V. 34. 35. Haben wir bisher keine Veranlassung gesehen,
eine zweite Hand anzunehmen, so treten nun allerdings neue
Erscheinungen auf, welche die Einheitlichkeit der Bericht-
erstattung ausschließen. Hier treten wirkliche Dubletten zutage,
dazu andere Kriterien eines Doppelberichtes bzw. einer Inter-
polation. Dies hat schon Klostermann richtig erkannt, nur
steht er sich m. E. damit wieder selbst im Lichte, daß er auch
V. 36 ausschaltet.
Zunächst ist augenscheinlich, daß die Erwähnung und
kurze Beschreibung der Schulterstücke in V. 34 nach allem,
was in V. 30 über sie gesagt ist, keinerlei Neues mehr bringt.
Der Vers kann nicht als Ergänzung oder Bereicherung irgend-
welcher Art V. 30 gegenüber gelten, sondern lediglich als
Dublette. Es kommt dazu, daß was vorher Füße {J)d"möta%v)
hieß, nun Ecken, Eckpfosten {J>innöt) heißt. Nicht einmal die
Bemerkung, daß die Schulterstücke (hier auffallenderweise
maskulinisch) „von der M^köna sind", bringt etwas Neues.
Dasselbe ist in V. 30 viel deutlicher dadurch ausgedrückt, daß
gesagt ist, sie seien angegossen.
Ähnlich steht es mit V. 35. Er wiederholt den Inhalt von
V. 31. Zunächst muß der Text so hergestellt werden, wie in
BHK kurz angegeben ist, nur daß ich jetzt die 1 1/2 Ellen mit
noch geringerem Zutrauen als dort im Texte zulassen möchte;
es wäre also in BHK das in der Note hinter p Stehende
besser zu streichen. Dann zeigt sich, daß abgesehen von der
zweiten Hälfte dieser Vers nur Bekanntes bietet, mit Ausnahme
der freilich selbstverständlichen Notiz, der Kessel sei rund
gewesen, und der schon oben S. 225 berührten halben Elle —
falls hier der Text, was freilich nicht ganz sicher ist, heil
ist. Immerhin bin ich geneigt dies anzunehmen. Ich halte
darum auch dieses Stück, das deutlich genug die Einschaltung
verrät, nicht für einfache Interpolation, sondern für ein hier-
her geratenes Stück eines zweiten Berichtes. In be-
treff der halben Elle des Auflagers hat der letztere sogar
vielleicht noch das Eichtige erhalten, und in diesem Falle tut
er uns gegenüber der Textverderbnis im Hauptbericht an
dieser Stelle (V. 31) einen guten Dienst.
232 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
Es fehlen uns nocli die Schlußworte des Verses. Die
Redeweise: ihre (der APköna) Hände und Schlußleisteu sind
von ihr, weist diese Worte mit hoher Wahrscheinlichkeit der
Einschaltung zu. Denn der Berichterstatter selbst sagt dafür:
sie sind angegossen (V. 30). Dann ist hier also von Händen
nicht der Räder, sondern der M«köna selbst die Rede. Was
sie sein werden, ist oben (S. 230) schon festgestellt, und es fragt
sich hier nur noch, wie sie in diesen Zusammenhang kommen.
Da sie und die Schlußleisten sich hier nach dem masoretischen
Text recht fremdartig ausnehmen, hat, wie oben schon er-
wähnt, Stade zu der Aushilfe gegriifen, die Worte an eine
andere Stelle, nämlich in den V. 30 zu versetzen. Daß sie
dort nicht am Platze sind, ist zu V. 30 schon — ganz unab-
hängig von unserer Stelle und rein aus dem Zusammenhang
jenes Verses heraus — erwiesen worden. Es kommt jetzt von
unsrer Stelle aus angesehen noch die Erwägung hinzu, daß
die Worte, wie sich vorhin zeigte, ihrem Stil nach zu V. 34 ge-
hören und nicht zu jener Versgruppe dort (für Stade V. 28— 31).
Aber ganz abgesehen hiervon durfte eine Versetzung
der Worte erst als Notbehelf in Frage kommen und es
mußte sich jedenfalls zuerst der Versuch empfehlen, sie an
ihrer Stelle selbst zu deuten. Da ist es nun freilich ohne
weiteres klar, daß die Halter des Gestühls nicht oben auf ihm
sitzen können, wenn schon die Schulterstücke dort sind. Viel-
mehr müssen sie unten sein; man muß also das Gegenstück
zu fSin, somit etwas wie: in der Mitte oder am Fuße vor-
aussetzen und muß die Akzente lassen wie sie sind. Dann
ist zu übersetzen etwa wie: „und nnten an der M'köna
waren ihre Stützen; ihre VerschluBleisten aber gingen von ihr
aus, d. h. gehörten zu ihr selbst." Wie man das letztere sich
denken will, kann dahingestellt bleiben. Ich möchte vermuten,
daß der Berichterstatter annahm, es seien entweder zugleich
mit jedem der 4 Füße oder Eckpfeiler jedesmal die zu ihm
gehörigen wagrechten Leisten gegossen und dann das Ganze
zusammengefügt worden, oder aber — was sich technisch wohl
eher empfehlen könnte — sie seien angeschweißt, die übrigen
Teile aber anderweitig befestigt worden. Hier endet, wie ich
glaube, die Einfügung und es folgt nun mit V. 36 und 37 die
Fortsetzung: und der Abschluß des Berichtes selbst.
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37. 233
i) Die „Tafeln".
Scheidet man zunächst die aus erweiterter Dittographie
vom Ende des vorhergehenden Verses hergekommenen Worte
fT^niaoiai b5>l n^ni-i aus, so bleibt in 36a übrig, daß er auf
die Tafeln Kerube, Löwen und Palmen eingrub. Da hier
sowohl die Palmen als das Eingraben als die Tafeln voll-
kommen neue Begriffe darstellen, so wird man vor allen
Dingen fragen müssen, ob damit auch inhaltlich etwas
Neues, noch nicht Beschriebenes gemeint sei, oder ob wir
es mit den uns schon bekannten Dingen unter neuen Namen
zu tun haben. Im letztern Falle müßte unser Vers noch
der Dublette zugehören und wir müßten in den Keruben,
Löwen und Palmen das Gegenstück dieser Quelle zu den
Löwen, Rindern und Keruben von V. 29, in den Tafeln also
wohl das Gegenstück zu den zwischen den Leitersprossen
liegenden Leisten und den Leitersprossen selbst und in dem
Eingraben das Gegenstück zu der zwar nicht beschriebenen,
aber von uns vermuteten Herstellungsart der an den Sprossen
und jenen Zwischenleisten sitzenden Figuren sehen.
Wie man sieht, ist jeder einzelne der drei Punkte von
dem andern verschieden und es bleibt überhaupt so gut wie
nichts Gemeinsames übrig. Hier kann überhaupt nicht mehr
von einer Dublette die Rede sein, auch nicht von einer ab-
weichenden Überlieferung im gewöhnlichen Sinne, sondern wir
hätten es mit einer so widerspruchsvollen Berichterstattung
zu tun, daß man bei dem Mangel an sicheren Zeugnissen für
den einen der beiden Berichte überhaupt nicht wagen dürfte,
in diesen drei Punkten sich ein Bild unsres Gerätes zu machen.
Das würde sich schon um des willen empfehlen, weil doch
eigentlich Leitersprossen unmöglich Tafeln heißen können und
weil auf Sprossen, die man sich doch zunächst als Stäbe vor-
zustellen hat, auch nicht wohl Figuren eingegraben werden
können.
Führt also jene Annahme zum voraus zu befremdlichen
und nur unter allerstärkster Bezeugung einigermaßen wahr-
scheinlich werdenden Konsequenzen, so muß jedenfalls der
Versuch einer andern Deutung gemacht werden, als sie von
Klostermann, FußTwÄNGLER uud Stade gcbotcu wird. Dann
234 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
aber kommen wir von selbst darauf, zu vermuten, es handle
sich hier um die Fortsetzung des wirklichen Berichtes, der
ja doch iu V 37 bzw. 37 if. seinen Abschluß erwartet. In
diesem Falle haben wir es natürlich hier mit Stücken zu tun,
die bisher noch nicht beschrieben sind. Nun wissen wir aus
V. 31, daß die Schlußleisten {inisg'röt) viereckig, nicht rund
sind. Wir wissen ferner, daß im bisherigen zwar die einen
Schlußleisten, nämlich die inneren, zwischen den Leitersprossen
liegenden, ihrem Schmucke nach genauer beschrieben sind
(V. 29). nicht aber die äußeren. Auch auf ihnen dürfen wir
Ornamente erwarten. Und da sie mit den starken Eckpfosten
oder Füßen (pinnöt oder p^'amöt) zusammen das eigentliche
Gestell ausmachen, das den Aufsatz samt dem Kessel und
dessen Wasserinhalt zu tragen hat, so haben wir alles Recht,
diese äußeren Leisten im Unterschied von den inneren Zwischen-
leisten von stattlicher Stärke uns vorzustellen. Das entspricht
auch durchaus den Geräten von Larnaka und besonders von
Enkomi. Sie sind also, wie ja auch schon der Altar des
Titusbogens es angibt, als breite Erzbretter oder Erztafeln
zu denken und können darum recht wohl Tafeln heißen.
Man kann freilich fragen, weshalb denn diese sonst
misg^röt genannten Leisten hier plötzlich anders heißen, näm-
lich hihöt^ und kann geneigt sein, darin das Kennzeichen eines
andern Autors zu sehen. Allein es würde sich nach dem bis-
herigen Ergebnis schon deshalb schwer ein neuer Autor aus-
findig machen lassen, weil nach unserem Befunde über V. 35
auch der zweite Autor, derjenige der Einschaltung, dem unser
"Vers doch am ehesten zuzuweisen wäre, von niisg'röt redet.
Aber auch abgesehen hiervon läßt sich der neue Name für
die alte Sache ausreichend begründen. Der Verfasser hat
bisher in V. 28. 31 und 32 diesen Teil des Gerätes als misg'röt
bezeichnet, weil er auf ihre Bestimmung und Konstruktion
sah. Jetzt will er ihren Schmuck noch beschreiben. Ihrer
Beschaffenheit nach als oberer und unterer Abschluß {inisg'rd)
des Gestells und als breite, iu dem angenommenen Falle kahle,
Flächen eignen sie sich nicht wohl für angegossene Ornamentik.
Das Gerät von Enkomi hatte dasSpiralornamtmt, das von Larnaka
das Strickmuster auch hier verwandt, Salomos Küh stier geht
hier andre Wege und wählt eingegrabene Arbeit. Sie eignet
5. Kommentar zu 1 Kön 7 27-37. 235
sich für die breite, brettartige Erzfläclie vortrefflich, und um
dies sofort anzudeuten, nennt er hier die bisher als Verschluß-
stücke bezeichneten Leisten Tafeln.
Auf diese Weise gewinnen wir von dem einzigen Bestand-
teil des Gerätes außer den Eckpfosten, dessen Ausschmückung
bisher noch nicht beschrieben war, eine befriedigende An-
schauung: Die großen äußeren Schlußleisten werden mit Ke-
ruben, Löwen und Palmen in gravierter, vielleicht auch durch-
brochener — ffattah heißt einfach: er öffnete — Arbeit verziert.
Daß hier nicht genau dieselben Dinge abgebildet sind, wie
im Innern des Eahmens, sondern an Stelle der Einder Palmen-
muster ^ treten, darf m. E. ebenfalls nicht dazu verleiten, nach
einem Interpolator oder Parallelerzähler zu suchen: es bringt
Abwechslung und Leben in das Ganze und verrät uns einen
gewissen Reichtum der Phantasie und der bildnerischen Praxis,
für den auch sonst die Beschreibung des salomonischen Tempels
Anhaltspunkte genug bietet.
Über V. 36b ist schon oben S. 224 teilweise gehandelt
Was ©"'S "iJi'^s bedeuten soll, wissen wir, wie dort dargelegt
ist, schlechterdings nicht. Die unter der Voraussetzung der
Richtigkeit des masoretischen Textes der zwei Worte einzig
in Frage kommende, oben ebenfalls abgelehnte Deutung kommt
hier noch weniger in Betracht, da in Verbindung mit Löwen,
Rindern und Palmen, wenigstens soweit irgend unsere Kenntnis
reicht, vollends nichts mit ihr anzufangen ist. Doch wäre die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß die Worte wegen der
nachfolgenden lojot aus V. 30 hierher geraten sind und sich
hier relativ besser erhalten haben als dort. Was es mit dem
Wort lojot für eine Bewandtnis hat, ist zu V. 30 ebenfalls
schon dargelegt. Bei der Allgemeinheit des Ausdrucks „Ge-
winde" sind wir auch hier keineswegs an eine bestimmte Art
derselben, also speziell das Spiralornament, gebunden. Es
steht m. E. nichts im Wege, hier an das beliebte Strickornament
zu denken, das, soweit man auf der Photographie sehen kann,
auch beim Geräte von Enkomi als Einfassung der „Tafeln"
diente.
1) Zu den Töpfen vgl. S. 43 Anm. 1.
236 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
. 6. Verwendbarkeit und Bestimmung.
Fassen wir das Ergebnis unserer Untersuchung zusam-
men, so würden wir uns das salomonische Kultusgerät etwa
in der Weise von Abb. 44 vorzustellen haben. Aber auch wenn
wir soweit gediehen sind, haben wir das Ende der an uns
herantretenden Fragen noch nicht erreicht. Vielmehr tauchen
nun, sobald wir an den Zweck und die praktische Verwend-
barkeit des Gestühles denken, neue Schwierigkeiten auf
Welche Bestimmung konnte ein so aussehendes Geräte haben?
wie konnte es ihr dienen? wie konnte es an den Altar heran-
gebracht werden'?
Es versteht sich von selbst, daß eine Opferstätte, bei der
Tiere in größerer Anzahl geschlachtet, ja, wie es beim israe-
litischen Brandopfer der Fall war, ganze Schlachttiere auf
den Altar gebracht wurden, einen reichlichen Bedarf an
Wasser hatte. Die Zerlegung des Tieres an der Schlacht-
stätte sowohl als die Verbrennung auf dem Altar hinterließen
eine Menge von Blut, Unrat und Aschenresten, die, sollten
Altar und Tempelhof nicht in kürzester Frist einer Stätte der
Unordnung und des Unrats gleichen, immer wieder beseitigt
werden mußten. Dazu war ein reichlicher Wasservorrat un-
entbehrlich. Der Tempelplatz war daher, wie er heute noch
mit einem System von Zisternen übersät und durch eine
Wasserleitung mit fließendem Wasser versehen ist 2, ohne
Zweifel auch schon in alter Zeit hinreichend mit Wasser
versorgt.
Von hier aus fände an sich die Herstellung stattlicher
Tempelgeräte wie des ehernen Meeres, eines gewaltigen Was-
serbeckens, und der 10 Kesselwagen beim salomonischen
Tempel ihre hinreichende Erklärung. Und doch ist immer
schon, zunächst für das eherne „Meer", weiterhin auch für
unsere Wasserwagen eine andere, nämlich die rein symbo-
lische Erklärung nicht zur Ruhe gekommen. Die Benennung
„Meer" erinnerte immer schon an Tiämat und die Rolle, die
1) Vgl. dazu im allgemeinen m. Kommentar zum Königsbuch S. 63f
und PRE3 Art. ,, Tempelgeräte".
2) S. darüber oben S. 48.
6. "Verwendbarkeit und Bestimmung.
237
dieser Begriff in Babylon spielte; die Tatsache, daß auch
andere große Tempel Meere besaßen, wie man denn in Kar-
nak, Ba'albek und anderwärts heute noch die Anlagen der
großen Tempelseen oder großen Wasserbecken beobachten
3 Ellen ^
Abb. 44. Der salomonische Kesselwagen.
kann; die Tatsache ferner, daß in Jerusalem und zum Teil
auch anderwärts neben den Zisternen und Wasserleitungen
für besondere große Becken kein dringendes Bedürfnis mehr
ersichtlich war — dies und manches andere verstärkte immer
238 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
aufs neue den Eindruck, daß wir es beim „Meere" mit sym-
bolischer Darstellung des Ozeans und dann wohl auch bei den
Wagen mit einer solchen der Regenwolken zu tun haben. Auf
der andern Seite ließ sich doch aber nie verkennen, daß die
hergebrachte Erklärung von wirklichen, den Opferzwecken
dienenden Wasserbecken die natürlichste und nächstliegende
Deutung in sich schließe, so daß man bei voller Anerkennung
der Möglichkeit jener symbolischen Erklärung doch immer
wieder geneigt war. auf sie als die durch den unmittelbaren
Gebrauch begünstigte zurückzugreifen.
Vielleicht läßt sich ein neuer Weg. unserer Frage
näher zu treten, einschlagen. Wenn die zuletzt genannte
Deutung unserer Kesselwagen — um bei ihnen stehen zu
bleiben — richtig ist, wir sie also als Geräte ansehen müssen,
die den Bedürfnissen des Opferdienstes unmittelbar zu dienen
hatten, so darf mit Grund angenommen werden, daß sie diesen
Bedürfnissen auch zu dienen imstande waren. Was läßt
sich darüber ermitteln?
Zunächst die Frage der Fortbewegung anlangend. Der
Kessel, auf den das ganze Gestühl angelegt ist, faßt 40 Bat.
Wir kennen die Größe des Bat einigermaßen und können von
ihr aus den Inhalt des gefüllten Kessels auf rund 1400 Liter
Wasser schätzen. Genauer würden seine 40 Bat, das Bat
zu 36,4 Liter gerechnet, 1456 Liter geben. Das Liter Wasser zu
einem Kilogramm gerechnet, erhalten wir für das Wasser
ein Gewicht von rund 1400 Kilogramm. Wir werden kaum
fehlgehen, wenn wir das Gewicht eines Metallkessels, der
dieses Quantum Wasser aufzunehmen hat\ auf mindestens
600 Kilogramm ansetzen, und ferner wenn wir für das Ge-
stühl, das dieses doppelte Gewicht, das des Kessels und das
des Wassers, zu tragen bestimmt ist. abermals etwa jene
1400 Kilogramm ansetzen. Daraus ergibt sich ein Gesammt-
gewicht des mit Wasser versehenen in Dienst gestellten Kes-
selwagens von rund 3400 Kilogr. = 68 Ctr.^.
1) Nach 1 Kön 7 23. 43-46 müssen wohl auch die 10 Kessel als ge-
gossene, nicht getriebene Arbeit angesehen werden, was für die Be-
stimmung des Gewichtes nicht ganz gleichgiltig ist.
2) Die Schätzungen beruhen auf Berechnungen, die mir Prof. Dr.
6. Verwendbarkeit und Bestimmung. 239
Natürlich muß angenommen werden, daß der Wagen,
sollte er praktischen Zwecken dienen, aus dem ehernen Meere
seinen Wasseriuhalt entnehmen sollte, um von da nach dem
Schlachtplatze 1 und besonders nach dem Altar befördert zu
werden. Es bedarf keines Beweises dafür, daß die Fortbe-
wegung eines Wagens von dem vorhin erwähnten Gewichte
sich nicht ohne weiteres und am besten nicht ohne gewisse
Vorrichtungen am Wagen selbst vollziehen ließ. Sollte er
gezogen oder geschoben werden? und im ersteren Falle durch
Menschen oder durch Zugtiere? In beiden Fällen mußte er
wohl gewisse Vorrichtungen zur Erleichterung der Fortbe-
wegung und der Einhaltung der Richtung bei ihr an sich
haben, sei es eine Deichsel oder Ringe zum Ziehen, sei es
Ringe oder Handgriffe zum Schieben. Wenigstens möchte
man bei der Größe und Schwere des Ganzen solche Hilfen
erwarten. Trotz der Genauigkeit der Beschreibung erfahren
wir von alledem nichts. Dürfen wir daraus schließen, daß
die Wagen trotz der Räder gar nicht zur Fortbewegung bestimmt
waren, sondern ähnlich wie wir es bei den Miniaturwagen
von Cypern wohl annehmen müssen, ruhig an ihrem Stand-
ort verharrten?
Sodann die Frage des Aufstiegs betreffend. Die Wagen
sind bei der niedrigsten durch den Text und die Verhältnisse
zugelassenen Annahme 5 ' , Ellen, somit nahezu 3 Meter hoch
(genauer, wenn die Elle zu 0,52 m angesetzt wird, 2,86 m).
Soll der Wagen praktische Verwendung finden, so muß er am
ehernen Meere oder sonstwo mit Wasser gefüllt und am
Altar oder dem Schlachtort entleert werden. Dazu muß er
bestiegen werden, um das Wasser ihm zuzuführen und um es
durch Eimer oder durch Röhren oder Hahnen oder sonstwie
aus ihm zu entnehmen. Er muß eine Treppe oder irgend
eine Art des Aufgangs besitzen, oder, wofern er etwa durch
angelegte Leitern bestiegen werden soll, müßte er jedenfalls
in der Höhe von 1 % bis 2 Metern über dem Erdboden einen
Umgang oder einen Tritt oder derart etwas besessen haben.
Max Schmidt von der technischen Hochschule in München freundlich
zur Verfügung gestellt hat.
1) Vgl. Joseph. Ant. VIII, H, 6 am Ende (sie sollten zum Waschen
der Eingeweide und Füße der Tiere dienen).
240 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
Doch ist auch davon bei aller sonstigen Genauigkeit der Be-
schreibung nirgends die Rede; ja. wenn mau das Bild des
Gestühls sich vergegenwärtigt, so besteht überhaupt schlech-
terdings keine Möglichkeit, dasselbe zu betreten, da der Kes-
selrand genau bis zur Verlängerung der äußeren Seite der
Eckpfosten des Ganzen herausragt. Unter diesen Umständen
könnte überhaupt uur an Leitern gedacht werden, die an den
oberen Rand des Kessels angelegt worden wären, um von
hier aus das Wasser einzugießen und auszuschöpfen.
So wenigstens muß man sich den Gebrauch der Gestühle
am Schlachtplatze vorstellen (vom Altar soll sofort die Rede
sein). Man wird sich nicht verhehlen können, daß diese Art
der Beförderung von Wasser an die Schiachstätte reichlich
mit Umständen verknüpft war: man hatte erst ein erheblich
schweres Gerät, nachdem es in vermutlich ebenfalls umständ-
licher Weise mit Wasser gefüllt war, umständlich herzu-
schieben, um sodann das Wasser auf einer Leiter aus dem
3 Meter hoch liegenden Kessel eimerweise zu entnehmen.
Es läßt sich denken, daß man um der Heiligkeit des Orts, der
Handlung und der Gestühle willeu alle diese Umstände über
sich ergehen ließ, obwohl man das nötige Wasser vermutlich
aus den Zisternen und Röhren unter der Oberfläche des Tem-
pelplatzes viel einfacher direkt entnehmen konnte; — aber
auch hier drängt sich daneben doch alles Ernstes wieder die
Frage auf, ob man nicht das Wasser tatsächlich da genom-
men haben werde, wo man es fand, und jene Kesselwagen
lediglich als sinnbildlichen Zierrat des Tempelhofes be-
trachtete?
Zu ähnlichen Erwägungen werden wir endlich noch ge-
führt, wenn wir das Verhältnis unserer Gestühle zum
Altar ins Auge fassen. Es muß, wie schon bemerkt, vor
allem angenommen werden, daß die Gestühle, wofern sie über-
haupt praktische Verwendung fanden, das nötige Wasser zum
großen Altar zu befördern hatten. Nun ist oben des genaueren
sowohl über die Gestalt des salomonischen Altars selbst als
über diejenige seiner Unterlage, des heiligen Felsen, gehan-
delt worden. Daraus hat sich ergeben, daß der salomonische
Altar höchst wahrscheinlich erheblich niedriger und an Fläche
erheblich bescheidener war, als wir bisher anzunehmen ge-
6. Verwendbarkeit und Bestimmung. 241
wohnt waren. Nehmen wir den höchsten Punkt des Felsen
als etwa 1,70— 1,85 m über dem Boden des heutigen Felsen-
domes liegend an, so hätten wir den Altar Salomos kaum
höher als etwa 2 m über dem Pflaster vorzustellen, und den
Umgang um ihn auf dem natürlichen Fels dürften wir uns
nach der Beschaffenheit des letzteren noch um einiges niedri-
ger denken.
Setzen wir nun unsere Fahrstühle zu insgesamt 3 m oder
etwas weniger an (2,86), so würde von einer Höhe von rund
1,60— 1,70 m, in der wir uns den Standort des Priesters am
Altar vorzustellen haben, aus die unmittelbare Versorgung
des Altars mit Wasser wohl denkbar sein, auch ohne daß
der Priester die Leiter bestiege, wofern das Gefährt nahe
genug an den Altar herangebracht werden konnte. In diesem
Falle stände der Priester am Altar etwa so, daß er den Rand
des Kessels gerade in Brusthöhe über sich hätte, somit wohl
noch in der Lage wäre, mit einem Gefäße das Wasser aus
dem Kessel zu schöpfen und unmittelbar auf den Altar zu
gießen.
Allein wenn unsere oben ausgesprochene Vermutung in
betreff des salomonischen Altars richtig ist, so muß derselbe
viel kleiner gewesen sein als der heilige Fels und er hat dann
höchstwahrscheinlich an keinem Punkte den Eand des Felsen
berührt, sondern stand ziemlicli in der Mitte desselben. Dar-
aus ergibt sich aber, daß, wenn auch die Höhenverhältuisse
eine unmittelbare Benützung des Kesselwagens am Altar zu-
ließen, dieselbe dadurch ausgeschlossen ist, daß es keine
Möglichkeit gab. mit dem Gestühle unmittelbar an den Altar
heranzukommen. Mau vergegenwärtige sich, um ein Bild der
Sachlage zu gewinnen, die Abb. 5 bei S. 18.
Man könnte, wenn man sich die Gestalt des Felsen vor
Augen hält (vgl. Abb. 4), auf den Gedanken kommen, die
Gestühle mögen an der Stelle im Südwesten des hl. Felsen,
wo derselbe in der Form eines großen rechten Winkels ab-
geschnitten scheint, herangeschobeu worden sein, und man habe
das Wasser dann über den Felsen weg zum Altar selbst
hingetragen. Es wäre dies sogar ein recht verlockender An-
laß, die sonderbare Ecke dort im Felsen zu erklären. Allein
der Fels fällt gegen Süden langsam ab; er wird also an jener
Kittel, Beiträge. 16
242 Kittel, Studien. IV. Die Kesselwagen.
Stelle kaum mehr als V2 — 1 '^ Höhe haben, so daß es unmög-
lich war, au dieser Stelle ohne Leiter aus dem Kessel zu
schöpfen. Auch dieser Ausweg ist also nicht möglich.
Somit blieb, wie es auf Grund dieser Erwägung aller
Möglichkeiten scheint, auch dem Priester am Altar nichts
anderes übrig, als, wollte er aus dem Kessel des Fahrstuhls
Wasser entnehmen, auf dem östlichen Aufstieg zum Altar erst
zum Pflaster des Vorhofes herabzusteigen, auf der Leiter das
nahezu 3 m hohe Gefährt zu erklimmen, um dann mit gefülltem
Eimer herab- und den Altaraufstieg hinanzusteigen, bzw.
wofern er sie nicht selbst tat, diese Arbeit durch einen der
Leviten oder Tempeldiener (Gibeoniten u. dgl.) tun zu lassen.
Die Möglichkeit, daß es so gehalten wurde, ist nicht zu be-
streiten; aber daß es andere und viel leichtere Arten gab,
das nötige Wasser zum Altar zu schaffen, ist abermals un-
verkennbar. Der Schluß ist damit, wenn wir die Kesselwagen
auf ihre Verwendbarkeit prüfen, nahezu unausweichlich: es
spricht von allen Seiten die höhere Wahi'scheiulichkeit dafür,
daß sie nicht dem praktischen Gebrauche dienten, sondern der
Verkörperung einer religiösen Idee. Sie sind die Symbole
der regenspendenden Gottheit.
Verlag der J. C. Hinrichs'schen Buchhandlung in Leipzig.
Biblia Hebraica. Adjuvantibus professorlbus G. Beer, F. Buhl,
G. Dalman, S. R. Driver, M. Löhr, W. Nowack, J. W. Roth-
stein, V. Ryssel edidit Rudolf Kittel, professor Lipsiensis.
In vorzügl. Halbfrzbd. M. lo — , in 2 Leinenbdn. M. 10.40, geh. M. 8 —
Auch in 15 Einzelhefien zum Preise von M. 1 — bis M. 1.30.
Die ausserordentlichen Vorzüge dieser neuen Biblia Hebraica haben ihr sofort
ungewöhnliche Verbreitung im In- und Auslande verschafft.
Der Text ruht auf dem eigens für dieses Bibelwerk mit peinlichster Genauig-
keit verglichenen massoretischen Mustercodex, der editio Borabergiana.
Die Anmerkungen geben in sorgfältigster Auswahl die bedeutendsten ab-
weichenden Lesarten sowie die beachtenswertesten Verbesserungsvorschläge der
namhaftesten modernen Textkritiker; sie bieten in gedrängter Kürze einen sprach-
lichen Kommentar von ausserordentlicher Reichhaltigkeit.
Aus den überaus zahlrciclien Besprechungen:
Professor D. Ernst Seilin -Wien im Literarischen Zentralblatt:
,,Dem Herausgeber u. seinen Mitarbeitern kann man nur herzlichst danken und das ganze
für das Hebräische interessierte Publikum dazu beglückwünschen, dass nun endlich
ein Text des Alten Testamentes dargeboten wird, bei dessen Benutzung der Leser
nicht mehr alle Augenblicke sich einem widersinnigen oder den erlernten gramma-
tischen Regeln widersprechenden Texte hülflos gegenübergestellt sieht, sondern die
nötigen Anweisungen und Anhaltspunkte zur Emendation in den Noten findet."
Professor D. E. Nestle-Maulbronn hat dem Herrn Herausgeber, obwohl in Einzel-
heiten andrer Ansicht, die Biblia als ein Buch von grossem Nutzen bezeichnet.
Professor D. Giesebrecht-Königsberg, obwohl eine andre Anlage empfehlend,
rühmt in der Theologischen Literaturzeitiinf;, ,,dass die Aufgaben geschickt an ver-
schiedene Arbeiter verteilt sind und dass jede Gruppe ihr Bestes getan hat . . die
Anmerkungen . . [sind] mit Geschick und Urteil ausgewählt (das ganze Material ab-
zudrucken war ja eine Unmöglichkeit) und geeignet, dem Lernenden ein gutes Bild
von dem Stand der Fragen zu geben." Derselbe Rezensent wünscht an gleicher
Stelle ,,dem Unternehmen der mit so bewährten Kräften und offenbarer Hingebung
unternommenen Arbeit" guten Erfolg.
Privatdozent Lic. Dr. W. Staerk- Jena: „Es darf aber wohl die Hoffnung
ausgesprochen werden, dass die neue Biblia Hebraica, deren Bücher ja für wenige
Groschen einzeln käuflich sind, bald ausschliesslich von den Studierenden gebraucht
werden wird. Das wäre der beste Dank für diese überaus wertvolle Gabe, der nur
Unverstand und Nörgelsucht zum Vorwurf machen kann, dass sie nicht so geworden
ist, wie der Herausgeber sie anfänglich geplant hatte."
Professor D. Koeb erle- Rostock in der Theologie der Gegenwart:
, .Kittels Biblia ist ein für jeden Theologen unentbehrliches Werk . . . Nur wenn
man ein oder das andre Buch einmal genau nach dieser Ausgabe durchgearbeitet hat,
erkennt man, welche Fülle von Arbeit in diesen unscheinbaren Notizen steckt. Wei-
teste Verbreitung und fleissigste Benutzung ist diesem Werk dringend zu wünschen."
Professor Rahlfs in den Göttingischen gelehrten Anzeigen: ,,Das Werk bietet
für den Handgebrauch viel Material, das man sonst nicht so bequem beieinander
findet, und hilft schon dem Anfänger, der von Textkritik keine Ahnung hat, über
allerlei Anstösse des hebräischen Textes hinweg."
,,Ein Denkmal deutschen Gelehrtenfleisses, zu dem man nur mit ungeteilter
Bewunderung emporschauen kann. Jeder Gelehrte u. Geistliche wird die Vorzüge schon
nach wenigen Wochen aufmerksamer Benutzung dankbar empfinden." (Der Alte Glaube.)
s. auch die nächste Seite
Verlag der J. C. Hinrichs'schen Buchhandlung in Leipzig,
Weitere Urfeile über die JBiblia Hehraica edidit Rudolf Kittel:
Professor D. Joseph Rieber im Allgem. Lteraturblatt: „Die K. 'sehe Bibelaus-
gabe mit ihrem Variantenapparat war tatsächlich ein Bedürfnis allerersten Ranges ..."
Professor D. Norbert Peters in der TheolociscU<'n Kevue: ,,Prof. Kittel wie
seinen Mitarbeitern an dem grossen Werke gebührt für die geleistete mühlselige Arbeit
der warme Dank wie eines jeden Lehrers der alttestamentlichen Wissenschaft, so der
beiden christlichen Kirchen und nicht minder der israelitischen Religions-
gemeinde . . . Ich beglückwünsche den Leipziger Gelehrten zu seiner Ausgabe aus
aufrichtigem Herzen."
Professor Dr. J. V. Prasek in der Wochenschi ift für klassische Philologie:
,,Die Wissenschaft wird dem Herausgeber sowie seinen gelehrten Mitarbeitern Dank
wissen, da die Forschung jetzt über einen richtig überlieferten, allen Anforderungen
der modernen Wissenschaft entsprechenden Text nebst allen Variationen und Konjec-
turen verfügt."
Von Professor D. Rudolf Kittel erschien ferner ;
The books of the Chronicles. Critical edition of the Hebrew
text printed in [5] colors, exhibiting the composite structure of
the book, with notes. English translation of the notes bv
B. W.Bacon. (82 S.) Lex.-8 «. 1895. [Books of the Old Test, part 20]
M. 6— ; geb. in Leinw. M. 7.50
Curtiss, Professor Samuel Ives: Ursemitische Religion im
Volksleben des heutigen Orients. Forschungen und Funde
aus Syrien und Palästina. Deutsche Ausgabe. Nebst Vorwort
von Prof. D. W. W. Graf Baudissin. (XXX, 378 S. mit 57 Abb.
und 2 Karten.) gr. 8". 1903. M. 9 — ; geb. in Leinw. M. 10 —
Dalman, Professor D. Gustaf: Palästinischer Diwan. Als Beitrag
zur Volkskunde Palästinas gesammelt und mit Übersetzung und
Melodien herausgegeben. (XXXV, 369 S.) gr. 8^. 1901.
M. 9 — ; geb. in Leinw. M. 10 —
Haupt, Professor Dr. Paul: Purim. Address dehvered at the Annual
Meeting of the Society of Biblical Literature and Exegesis New
York, December 27, 1905. (III, 53 S.) gr. 8*^. 1906. Kart. M. 4 —
(Beiträge zur Assyriologie etc., von Fr. Delitzsch u. Paul Haupt, VI, 2.)
Herrmann, Johannes: Die Ideeder Sühne im Alten Testament.
Eine Untersuchung über Gebrauch und Bedeutung des Wortes
kippen (VIII, 112 S.) 8«. 1905. M. 3.50; geb. in Leinw. M. 4.50
Jeremias, Privatdozent Pfarrer Lic. Dr. Alfred: Das Alte Testa-
ment im Lichte des Alten Orients. Handbuch zur
biblisch-orientalischen Altertumskunde. Zweite, völlig
neu bearb. u. vielfach erweit. Auflage. Mit 216 Abb. und 2 Karten.
(XII, 624 S.) gr. 80. 1906. M. 10—; geb. in Leinw. M. 11 —
Kleinert, Professor D. Paul: Die Profeten Israels in sozialer
Beziehung. (V. 168 S.) 8". 1905. M. 3.50; geb. in Leinw. M. 4.50
Procksch, Professor Dr. 0.: Das nordhebräische Sagenbuch.
— Die Elohimquelle. Übersetzt und untersucht. (VI, 394 S.)
8". 1906. M. 12 — ; geb. in Leinw. M. 13 —
A 000 088 296