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Full text of "Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur"

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TEXTE  UND  UNTERSUCHUNGEN 


ZUR  GESCHICHTE  DER 


ALTCHRISTLICHEN  LITERATUR 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


OSCAE  VON  &EBHAB,DT  und  ADOLE  HAMACK.  ^ 


III.  BAND. 


LEIPZIG 

.].  C.  HTNßlCHS'SCHE  BUCHHANDLUNG 

1888. 


Lilialtsverzeicliniss. 


Heft  1  u.  2 :  Leontins  von  Byzauz  und  die  gleichnamigen  Schriftsteller  der 
griechischen  Kirche  von  Friedrich  Loofs.  1.  Buch:  Das  Lehen  und 
die  polemischen  Werke  des  Leontins  von  Byzanz. 

Heft  3  u.  4 :  Aphrahat's,  des  persischen  Weisen,  Homilien.  Aus  dem  Syrischen 
übersetzt  und  erläutert  von  Georg  Bert. 

Die  Akten  des  Karpus,  des  Papylus  und  der  Agathonike,  untersucht  von 
Adolf  Harnack. 


TEXTE  UND  UNTERSUCHUNGEN 

ZUR  GESCHICHTE  DER 

ALTCHRISTLICHEN  LITERATUR 

VON 

OSCAR  VON  GEBHARDT  und  ADOLF  HAMACK. 


III.  BMD.    HEFT  1  und  2. 

LEONTIUS  VON  BYZANZ 

UND  DIE  GLEICHNAMIGEN  SCHRIFTSTELLER 
DER  GRIECHISCHEN  KIRCHE 


VON 
TEIEDRICH  LOOFS, 

Ä.   0.   PROFESSOR  DER  THEOLOGIE  IN  LEIPZIG. 


ERSTES  BUCH. 


LEIPZIG 
J.  C.  HINRICHS'SCHE   BUCHHANDLUNG 

1887. 


LEONTIUS  VON  BYZANZ 

UND  DIE  GLEICHNAMIGEN  SCHRIFTSTELLER 
DER  GRIECHISCHEN  KIRCHE 

VON 

Lic.  Dr.  FRIEDRICH  LOOFS, 

A.    0.    PROFESSOR    DER    THEOLOGIE    IN    LEIPZIG. 

ERSTES  BUCH: 

DAS  LEBEN  UND  DIE  POLEMISCHEN  WERKE 
DES  LEOiNTIUS  TON  BYZANZ. 


LEIPZIG 

J.  C.   HINRICHS'SCHE  BUCPIHANDLUNG 

1SS7. 


SEP    3  0    1957 


y  0  r  w  0  r  t. 

Die  vorliegende  Untersucliung  bewegt  sich  auf  einem  Gebiete, 
(las  von  der  neueren  Forschung  kaum  berührt  ist,  das  auch  von 
dem  Bereiche  meiner  eignen  Erstlingsarbeiten  weit  abliegt.  Um 
so  näher  liegt  die  Frage  nach  der  Veranlassung  derselben.  Die 
Antwort  gebe  ich  mit  besonderer  Freude,  weil  sie  mir  Gelegen- 
heit giebt,  in  einem  besonderen  Falle  einmal  den  Dank  auszu- 
sprechen, zu  dem  ich  mich  in  weit  allgemeinerem  Sinne  verpflichtet 
weiss.  Denn  letztlich  darf  ich  die  Anregung  auch  zu  der  vor- 
liegenden Arbeit  auf  meinen  verehrten  Lehrer,  Herrn  Professor 
D.  Harnack  in  Marburg,  zurückführen,  in  dessen  kirchenhisto- 
rischer Societät  ich  vor  nun  bald  zehn  Jahren ,  während  der 
hiesigen  Periode  meiner  Studentenzeit,  die  erste  Anleitung  zu 
patristischen  Studien  erhalten  habe. 

Nach  dem  Erscheinen  seiner  den  ersten  Band  dieser  „Texte 
mid  Untersuchungen"  eröffnenden  Abhandlung  über  die  Über- 
lieferung der  griechischen  Apologeten  legte  Herr  Professor 
Harnack  es  mir  nahe,  in  ähnlicher  Weise  die  Uberlieferungs- 
geschichte  des  Irenäus  durchzuarbeiten,  —  und  von  Irenaus 
ausgehend  bin  ich  schliesslich  durch  meine  Studien  selbst  auf 
den  Stoff  der  vorliegenden  Arbeit  hingeführt  worden. 

Die  Hoffnung  auf  einen  lohnenden  Ertrag  der  Arbeit  über 
die  Überlieferung  des  Irenäus  verging  mir  immer  mehr.  Nur 
zu  relativ  unbedeutenden  Berichtigungren  der  gelehrten  Tradition 


V  Vorwort. 

gab  mir  die  Einsicht  in  die  Handschriften  des  lateinischen  Irenäus 
den  Stoff  (vgl.  meine  Bemerkungen  in  der  Theologischen  Literatur- 
zeitung, 1884  coL  410f.):  über  die  Geschichte  der  handschrift- 
lichen Überlieferung  schienen  mir  unsere  Handschriften  nur  sehr 
dürftige  Auskunft  zu  geben.  Ich  habe  mich  deshalb  zur  Publication 
meines  Materials  bislang  um  so  weniger  entschliessen  können, 
je  mehr  ich  hoffe,  auch  die  inzwischen  gefundenen  vaticanischen 
Handschriften  des  Irenäus  noch  einmal  sehen  zu  können.  —  Inbezug 
auf  den  griechischen  Irenäus  schien  mir  meine  Arbeit  noch 
weniger  solche  Erkenntnisse  zu  verheissen,  die  gegenüber  den 
vorzüglichen  Artikeln  von  Zahn  (Real-Encyklopädie  für  protestan- 
tische Theologie  und  Kirche,  2.  Aufl.  Bd.  VII.  1880,  S.  129  — 
140)  und  von  Lipsius  (Dictionary  of  Christian  biography,  ed. 
by  Smith  and  Wace,  vol.  IH.  London  1882,  p.  253  —  279)  als 
so  neu  hätten  bezeichnet  werden  dürfen,  dass  sie  einer  neuen 
Arbeit  über  Irenäus  eine  Empfehlung  hätten  sein  können.  So 
verlor  ich  die  Lust  dazu,  auf  dem  längst  abgeernteten  Felde 
der  späteren  Tradition  die  Nachlese  zu  halten.  Doch  fesselte 
mich  diejenige  Stelle  dieses  Feldes,  an  der  die  altern  Forscher, 
namentlich  Halloix,  die  wertvollsten  Entdeckungen  machen 
konnten:  die  i8Qa  xaQallrßa,  die  den  Namen  des  Johannes  von 
Damascus  tragen.  Ihnen  gegenüber  musste  auch  ich  bald  die 
Erfahrung  machen,  die  neuerdings  auch  andern  sich  aufgedrängt 
hat:  das  ganze  Gebiet  der  vielverschlungenen  Parallelenlitteratur 
befindet  sich  z.  Z.  für  unsere  Kenntnis  noch  in  einer  Unordnung, 
die  der  Bemühungen  eines  Einzelnen  spottet  und  von  gemein- 
samer Arbeit  erst  dann  wird  abgestellt  werden  können,  wenn 
wenigstens  über  die  Grundzüge  der  Entstehungsgeschichte  dieser 
Parallelenlitteratur  eine  Verständigung  erzielt  sein  wird.  Da  ich 
nun  bei  dem  Versuche,  diese  Grundzüge  aufzufinden,  in  den 
^^AsovTLOv  jcQEOßvTtQov  xot  'icoavvov  TCc  f€()ß"  —  deren  zweites 


Vorwort.  V 

Buch  Mai  (scriptt.  vett.  nov.  coli.  VII,  p.  74  — 109)  fragmen- 
tarisch publiciert  hat,  während  ich  das  ßißXiov  jcqcötov  in  einem 
cod.  Coislin.  glaube  nachweisen  zu  können  —  den  Wurzeln  der 
Parallelenlitteratur  nahe  gekommen  zu  sein  meinte,  so  sah  ich 
mich  genötigt,  über  diese  Iequ  des  Leontius  und  Johannes  mir 
Auskunft  zu  suchen.  Der  vielgebrauchte  Xame  des  Johannes 
konnte  zu  näherer  Untersuchung  zunächst  nicht  locken:  so  war 
ich  also  auf  Leontius  hingewiesen  — -  und  befand  mich,  als  ich 
diesem  Hinweise  folgte,  abermals  einem  Chaos  gegenüber;  denn 
bis  jetzt  ist  kaum  einer  der  Leontii.  von  denen  uns  innerhalb 
der  griechisch -patristischen  Litteratur  Werke  erhalten  sind,  eine 
sicher  erkannte  Persönlichkeit  geworden.  —  Hier  habe  ich  ein- 
gesetzt. 

Das  vorliegende  erste  Buch  meiner  Untersuchung,  das  ein 
in  sich  geschlossenes  Ganzes  bildet,  versucht  den  Polemiker 
Leontius  von  Byzanz  unserer  Erkenntnis  näher  zu  bringen;  das 
zweite  Buch  Avird  sich  mit  dem  Bischof  Leontius  von  Xeapolis, 
mit  dem  Leontius,  presbyter  et  monachus,  der  die  vita  S.  Gregorii 
Agrigentini  verfasste,  und  mit  den  Anföngen  der  Parallelen- 
litteratur beschäftigen.  Diesen  zweiten  Teil  beabsichtigte  ich 
ursprünglich  dem  ersten  unmittelbar  folgen  zu  lassen,  —  doch 
ist  die  Arbeit  nicht  so  schnell  vorgeschi'itten,  als  ich  es  dachte; 
auch  scheinen  mir  liandschriftHche  Studien,  wenn  auch  in  be- 
schränktem Umfange,  vorher  nötig  zu  sein.  Wenn  ich  nun 
auch  hoffe,  zu  diesen  bald  Gelegenheit  zu  haben,  so  kann  ich 
doch  noch  nicht  übersehen,  ob  ich  binnen  Jahresfrist  den  zweiten 
Teil  vollenden  werde. 

Leipzig,  Ende  December  188ö. 

F.  Loofs. 


Bq 

7.6 
.T3 

N/.  3 


Corrig'eiula. 


Was  das  Äussere  des  vorliegenden  Buches  anlangt,  so  muss  ich  die 
Leser  bitten,  einige  —  wie  ich  hoft'e  wenige  —  bei  der  Correctur  über- 
sehene Fehler  —  S.  29,  Z.  17:  Verläumdungen ,  statt:  Verleumdungen- 
S.  32,  Z.  22:  1881  statt:  1883;  S.  173,  Anm.  Z.  1:  überliefert,  statt:  über- 
liefert ist,  und  einzelne  orthographische  Inconsequeuzen  —  S.  7,  Z.  3; 
Christian  biography,  sonst  Christian;  S.  13,  Z.  3:  codex,  später  meist  Codex; 
S.  23,  Z.  6  V.  u. :  Häresien,  später:  Häresieen;  S.  33,  Z.  14:  Edict,  später: 
Edikt;  S.  53,  Z.  12  v.  u.:  scythisch,  später  skythisch;  S.  53,  Z.  4  v.  u., 
u.  ö. :  giengen,  sonst  gingen  —  freundlichst  zu  verzeihen.  Die  bei  dem 
Druck  selbst  durch  Abspringen  entstandenen  fehler  S.  12,  Z.  16:  Über- 
setzungsfehler; S.  52,  Anm.:  imoaräascüg;  S.  65  Anm.,  Z.  5:  k/A';  ebenda 
Z.  7:  TW,-  S.  73.  Z.  7:  Hypostase.,  statt:  Hypostase,;  S.  81,  Z  18:  sagen., 
statt:  sagen,;  S.  90,  Z.  19  v.  u.:  &eo(pt?.eoTaTov;  S.  151,  Z.  4:  Orav; 
S.  168,  Z.  17:  T?]v:  S.  177,  Anm.,  Z.  1:  ojc;  ebenda  Z.  5:  htiitiQ  ^aoi, 
statt:  iTitxetQi'jf^aoi;  S.  183,  Z.  7  v.  u. :  ass,  statt:  dass;  S.  207,  Z.  20  v.  u. : 
'jiOQiai,  statt:  UTtofilar,  S.  210,  Z.  5  v,  u.:  \jO-o66§ov.  statt:  o^d-oöd^ov; 
S,  269,  Z.  2  V.  u. :  dyad^og  .  .  .  t7jv  wird  der  Leser  ohne  Schwierigkeit  be- 
richtigen. 


Inlialtsübersiclit. 


Einleitung S.  3  —  5 

Erster  Abschnitt:  Kritische  Untersuchungen  über  die 
polemischen  Werke  des  „Leontius  Byzantinus  seu  Hieroso- 

lyniitanus". 

Erstes  Capitel:  Die  vier  schon  um  1000  p.  Chr.  in  einer  Samm- 
lung der  opera  Leontii  Byzantini  vereinigten  Schriften. 

>^  1.   Die  alte  Sammlung  der  opera  Leontii  Byzantini.     .     S.  6 — 22 

^  2.    Die  libri  tres  atlversus  Nestorianos    et  Eutychianos, 

ihre  Abfassung  zwischen  529  und  544 S.  22 — 34 

>;  3.  Die  Schrift  adversus  argumenta  Severi,  ein  späteres 
Werk  des  Verfassers  der  tres  libri  adv.  Nestorianos 
et  Eutychianos S.  34-37 

§  4.  Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri 
adversus  Nestorianos  et  Eutychianos  und  der  Epilysis 
[d.  i.  der  Schrift  adversus  argumenta  Severi]       .     .   S.  37 — 74 

1.  Rückblick  auf  die  Entwicklung  des  christologischen 

Dogmas  bis  auf  Cyrill        S.  37 — 40 

2.  Bemerkungen  über  CyriH's  Christologie     .     .     .     .   S.  40  —  49 

3.  Übersicht  über  die  Entwicklung  des  christologischen 
Dogmas    von  CyriH's  Zeit   bis    in  den  Anfang  des 

sechsten  Jahrhunderts        S.    49  —  54 

4.  Der  Monophysitismus  des  Severus     .         ....    S.    54  —  59 

5.  Die    dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres 

libri  u.  s.  w S.    60  — 74 

i;  5.    Die  triginta  capita  adversus  Severum S.  74—82 

§  C).    Die  Schrift  adversus  fraudes  Apollinaristarum     .     .   S.  82 — 92 

Zw^eites  Capitel:  Spuren  der  Sammlung  der  opera  Leontii 
vor  dem  Jahre  1000  p.  Chr.  Der  Schriftsteller  Leontius  von 
Byzanz   und  seine  Werke   in    der   byzantinischen  Tradition. 

§  7.    Die   sogen.  „Antiquorum  patrum  doctrina  de  verbi 

incarnatione" S.  92—108 


Inlialtsübersicht. 

§  8.     Die  Fragmenta  Leontii  bei   Migue,    P.  G.  86,2 

col.  2003  sqq S.  108—120 

§  9.     Der   Schriftsteller   Leoiitius    von   Bjzaiiz    in   der 

byzantinischen  Tradition S.  120—135 

Drittes  Capitel:  Die  i:XOAIA  AEONTIOY. 

§  10.  Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  öyöXia 

Aeovxiov S.  136—163 

§  11.  Die  einem  Leontius  Hierosol3^mita.nus  zugeschriebe- 
nen Schriften  contra  Monophysitas  und  adversus 
Nestorianos  im  Allgemeinen S.  163—167 

§  12.  Die  VII  libri  adversus  Nestorianos  Leontii  Hieroso- 
l3'mitani,  ein  bearbeitetes  Stück  eines  von  Leontius 
Bj'zantinus  herrührenden  Ganzen S.  167 — 175 

§  13.  Die  dem  Leontius  Hierosolymitanus  zugeschriebene 
Schrift  contra  Monophysitas,  ein  Bruchstück  einer 
Bearbeitung  eines  Teiles   der  Oyölia  Asovriov  S.  175 — 197 

§   14.  Die  ursprüngliche  Gestalt  der  oyolia  Atovriov  S.   197 — 220 

§  15.  Schlussbemerkungen  zum  ersten  Abschnitt,  Über- 
leitung zum  zweiten S.  220 — 222 

Zweiter  Absclinitt:   Kritische   Uiitersiicbuiigeii    üher  das 
Leben  des  „Leontius  lijzantinns  seu  Hierosolymitanus". 

§  16.  Vorbemerkungen S.  223—227 

§  17.  Leontius  von  Byzanz,  einer  der  519  in  Constantinopel 

und  Eom  nachweisbaren  „skythischen  Mönche"  .  S.  228  —  261 
§18.  Leontius  von  Byzanz   bei  dem  Eeligionsgespräch 

des  Jahres  531  und  bei  der  Synode  des  Mennas 

im  Jahre  536 S.  261—273 

§  19.   Leontius  von  Byzanz,  der  Origenist  Leontius  der 

vita  Sabae S.  274-297 

§  20.  Schlussübei-sicht  über    das   Leben  und  über   die 

polemischen  Werke  des  Leontius S.  297 — 303 

§  21.  Leontius  und  Justinian S.  303—317 


ERSTES  BUCH. 

Das  Leben  und  die  polemischen  Werke  des 
Leontius  von  Brzanz. 


Einleituiig'. 

Als  Werke  eines  Leontius  sind  aus  der  spätem  Zeit  der 
altgriechischen  Kirche  mehrere  Schriften  uns  überliefert,  welche 
für  die  Geschichte  des  fünften  und  sechsten  Jahrhunderts  sowie 
für  manche  Fragen  der  altchristlichen  Litteraturgeschichte  von  an- 
erkannter Wichtigkeit  sind.  Die  Schrift  ,de  sectis"  kennt  jeder^ 
der  über  die  Quellen  zur  Geschichte  des  Monophysitismus  unter- 
richtet ist,  und  dass  die  Schriften  „contra  Xestorianos  et  Eutv- 
chianos",  _de  sectis"  und  ,  ad  versus  fraudes  Apolliuaristarum"  — 
von  dem  erst  vor  wenigen  Jahrzehnten  publicierten  und  noch 
wenig  bekannt  gewordenen  ^sacrarum  rerum  liber"  zu  schweigen 
—  sehr  wertvolle  Citate  aus  verlornen  Werken  ältrer  Väter  und 
Häretiker  enthalten,  ist  seit  Fabricius  (Fabricius,  Bibliotheca 
graeca  ed.  Harles  VIII,  309  sqq.)  gleichfalls  allgemein  bekannt,^ 
und  mehrfach  ist  noch  in  neuester  Zeit  bei  patristischen  For- 
schungen des  Leontius  Name  genannt  worden  (Zahn,  For- 
schungen z.  Gesch.  des  neutest.  Canons  IL  18S3,  S.  TS():  DL 
18S4,  S.  7:  Zeitschrift  für  Kirchengeschichte  VIII.  1885,  S.  16; 
Dräseke  ebenda  S.  86  und  Zeitschrift  für  wissenschaftl.  Theol. 
Bd.  29.  1886,  S.  303  u.  308).  Allein  bis  jetzt  ist  man  noch  nicht 
hinausgekommen  über  den  Satz,  mit  welchem  Gass  in  Herzog'-s 
lleal-Encyklopädie  1.  Aufl.  Bd.  XIX.  1865,  S.  780  ff.  den  Artikel 
über  .Leontius  von  Byzanz*^  einleitete.  „An  dem  Namen  dieses 
altkirchlichen  Polemikers  und  Häreseologen  —  so  heisst  es  in 
diesem  Artikel  —  haftet  viel  Verwirrung  der  litterarhistorischen 
und  handschriftlichen  Notizen.  Die  wichtigeren  unter  diesem 
Titel  vorhandenen  Schriften  gehören  gewiss  demselben  Verfasser 
tan,  doch  ist  gestritten  worden,  wie  sich  dieser  zu  einem  oder 
zwei  Gleichnamigen  verhalte."  Gass  selbst  hat  der  Verwirrung 
nicht  abgeholfen,  sein  Artikel  ist  vielmehr  ein  wahres  Labyrintli 
Texte  und  Untersuchungen.  III,  l.  1  * 


Einleitung. 


von  Irrtümern ").  Dennocli  ist  derselbe  unverändert  in  die  zweite 
Auflage  der  R.-E.  (VIII,  593  ff.)  übergegangen.  Nicht  einmal  die 
Gesammtausgabe  der  opera  Leontii  in  Migne's  Patrologia  graeca 
Bd.  86,  1  u.  2.    1865,  col.  1185—2100  ist  nachgetragen  worden: 


*)  Der  Artikel  scheint  besonders  nach  Canisius,  Lectiones  antiquae 
ed.  Bas  nage  I,  525  sqq.  gearbeitet  zu  sein.  Dorther  stammen  z.  B.  die 
Angaben  über  die  vita  Sabae,  wie  das  dem  vorhandenen  griechischen 
Texte  gegenüber  unerlaubte,  wörtlich  von  Canisius  (a.  a.  0.  p.  527) 
herübergenommene  Citat  „Cyi'illi  vita  S.  Sabae  ap.  Surium  T.  VI"  be- 
weist. Der  griechische  Text  der  von  Canisius  lateinisch  publicierten 
Schriften  bei  Mai,  Spicilegium  Romanum  X.  1844  pars  11  p.  1  sqq.  (nicht: 
„XII.  II  p.  1")  dient  zwar  den  Angaben  über  die  Schrift  contra  Nestorianos 
et  Eutychianos  (R.-E'.  a.  a.  0  S.  781)  zur  Grundlage,  doch  können  dem  Verf. 
des  Artikels  bei  der  Ausarbeitung  nur  eigne  ungenaue  Notizen  oder  fremde 
Referate  über  den  Mai 'sehen  Text  vorgelegen  haben.  Ohne  diese  An- 
nahme bleibt  es  unerklärlich,  wie  es  dem  Verf.  entgehen  konnte,  dass 
Mai,  an  den  er  sich  hier  anschliesst,  seiner  Handschrift  folgend  als  lib.  II 
der  Schrift  contra  Nest,  et  Eut.  gar  nicht  das  Griechische  des  bei  Cani- 
sius lateinisch  gedruckten  zweiten  Buches  mitteilt  —  dies  folgt  nach 
den  Büchern  contra  Nest,  et  Eut.  als  selbständige  Schrift  — ,  sondern  zwei 
bei  Canisius  unter  selbständigem  Titel  gedruckte  Tractate.  Weiter 
übersieht  der  Artikel  die  von  Mai,  Script  vet.  nov.  coli.  VII  und  IX  ver- 
öffentlichten Schriften  des  Leontius,  obwohl  Mai  im  Spicilegium  a.  a.  0. 
S.  151  selbst  auf  sie  hingewiesen  hatte.  Nur  von  einer  dieser  Schriften 
hat  der  Artikel  aus  Canisius-Basnage  a.  a.  0.  530  sq.  Kunde:  „Wenn 
Canisius",  so  wird  hier  gesagt,  „ein  Manuscript  der  Bibl.  Palatina 
[Bavarica  müsste  es  heissen;  doch  enthält  auch  die  Palat.,  wie  schon 
Fabricius-Harles  VIII,  318  bemerkt  ist,  dieselbe  Schrift;  ein  Blick  in 
die  Bibliothek  des  Fabricius  mag  die  Verwechselung  veranlasst  haben]  er- 
wähnt, welches  „octo  disputationes  Leontii  Hierosolymitani  contra  Euty- 
chianos et  Nestorianos"  enthalte,  so  steht  gänzlich  dahin,  wie  sich  dieses 
zu  den  obenerwähnten  gleichnamigen  Schriften  verhalten  möge".  Die 
rätselhafte  Schrift  war,  wie  erwähnt,  inzwischen  von  M  a  i  publiciert  wor- 
den. Eine  der  von  Mai,  Script,  vet.  VII  edierten  Schriften  erwähnt  der 
Artikel  allerdings:  „Dazu  kommen  noch",  so  schliesst  der  Abschnitt  über 
die  sicher  dem  Leontius  beigelegten  Schriften,  „lateinisch  von  Canisius: 
dubitationes  hypotheticae  contra  eos,  qui  negant,  esse  in  Christo  duas  veras 
naturas,  und  griechisch :  anoQiai  TCQoq  xovq  filav  (pvotv  Aiyovxaq  ovv&itov 
in  A.  Mai,  Scriptt.  vett.  VII  p.  110— 15.t".  Allein  diese  Schrift  bei  Mai  ist 
gar  nicht  identisch  mit  den  „dubitationes  hypotheticae"  bei  Canisius. 
Die  dnoQicu  axl.  sind  vielmehr  ein  Teil  der  von  Canisius  in  dem  cod. 
Bavar.  nachgewiesenen  Schrift,  während  die  „dubitationes  hypotheticae" 
bei  Canisius,  die  in  dem  Artikel  doch  offenbar  als  der  lateinische  Text 
der  liTtoQiai    auftreten,   nichts    weiter  sind  als  die  sog.  „triginta  capita 


Einleitung.  5 

zum  grössten  Schaden  des  Artikels,  denn  mit  Hülfe  der  Migne'- 
scben  Ausgabe  hätte  der  Verf.  die  Irrtümer  und  Verwechselungen 
seines  Artikels  leicht  erkennen  können. 

Die  vollständigsten  und  besten  Angaben  über  Leontius  bietet 
Jos.  Fessler,  Institutiones  Patrologiae  tom.  IL  1851,  p.  934 
|mir  nur  aus  dem  Abdrxick  bei  Migne  P.  G.  86  col.  1187  sqq. 
bekannt].  Dort  ist  auch  die  veraltete  und  wenig  ergiebige  ältere 
Litteratur  angegeben.  Doch  sind  auch  die  Angaben  bei  Fessler 
nur  eine  sorgfältige  Verarbeitung  und  dankenswerte  Zusammen- 
Stellung  des  Wenigen,  was  die  Forschung  vor  ihm  festgestellt 
hatte  oder  festgestellt  zu  haben  meinte. 

Die  Werke  des  Leontius  bieten  daher  der  kritischen  For- 
schung ein  bis  jetzt  kaum  in  Angriff  genommenes  Arbeitsgebiet. 
Einen  Anfang  der  hier  dringend  nötigen,  und,  wie  sich  zeigen 
wird,  wertvolle  Resultate  verheissenden  Arbeit,  will  die  folgende 
Untersuchung  machen,  und  eben  deshalb  glaubt  der  Verfasser 
auf  die  freundliche  Nachsicht  der  Fachgenossen  rechnen  zu 
dürfen.  Sobald  nur  erst  einige  der  Resultate  der  folgenden 
L^ntersuchuug  die  Billigung  der  Sachverständigen  gefunden  haben, 
wird  es  leichter  sein,  gefälliger  und  interessanter  über  Leontius 
von  Byzanz  zu  schreiben,  als  es  in  einer  noch  völlig  ins  Leere 
bauenden  Untersuchung  möo-lich  ist. 


adv.  Severum",  die  in  dem  Artikel  —  irrigerweise,  wie  oben  gesagt  —  be- 
reits als  ein  Teil  des  lib.  II  contra  Nest,  et  Eut.  erwähnt  wai-en.  Diese 
verwirrenden  Irrtümer  des  Artikels  mussten  im  Voraus  aufgewiesen  wer- 
den; zu  weiteren  Bericbtigungen  wird  später  Veranlassung  sein. 


Erster  Abschnitt. 

Kritische  Untersuchungen  über  die  polemischen  Werke  des 
„Leontius  Byzantinus  seu  Hierosolymitanus". 


Erstes  Capitel. 

Die  vier  schon  um  1000  p.  Chr.  in  einer  Sammlung  der  opera 
Leontii  Byzantini  vereinigten  Schriften. 

§  1.    Die  alte    Sammlung   der  opera  Leontii   Byzantini. 

Die  kirchengeschichtliche  und  litterargeschichtliche  Tradi- 
tion lässt  denjenigen,  der  nach  _Leontius  von  Byzanz",  seinen 
Werken  und  seinem  Leben  bei  ihr  sich  erkundigen  will,  völlig 
im  Stich*).  Abgesehen  von  wenigen  Citaten  aus  den  Werken 
des  Leontius  in  der  von  Mai,  Script,  vet.  nov.  coli.  VII  p.  1 — 73 
edierten  „Antiquorum  patrum  doctrina  de  verbi  incarnatione",  bei 
Johannes  Damascenus  [doch  hier  ohne  den  Namen  des  Leontius  | 
und  bei  Euthymius  Zigabenus,  kennt  man  bis  jetzt,  soviel  ich  sehe, 
nur  eine  historische  Notiz,  die  sich  auf  den  Verfasser  der  eingangs 
genannten  Schriften  zu  beziehen  scheint.  Kicephorus  Callisti  näm- 
lich bist.  eccl.  XVIII,  48  (Migne  P.  G.  147,  col.  42S)  berichtet: 
"4.1X0.  jioXloX  (lev  xal  aXXot  rovrotg  [seil,  den  Monophysiten,  als 
deren  Haupt  nach  Severus  Nicephorus  den  Johannes  Philoponus 
betrachtet]  dvztO^svTO '  (jdXiora  6s  ütävTcov  o  (lovayoc,  AeövziQg 
ysvvaicog  Iv  X  xs(faXaioic  ßißXov  oXrjV  rovroic  dvzsozijosv, 
uQdrjv  fih'  zijv  zoiavzrjv  aiQtoiv  dvazQkJiovoav,  OfpoÖQa  Öt  xal 
zo  yMd-    //fiäg  svOeßeg  öojf/a  XQazvvovöav.     ^Eüii  61   zovzop  xal 

*)  Woher  Hefele,  Conciliengesch.il  S.  904  weiss,  dass  Leontius  von 
Byzanz  f>20  gestorben  sei,  ahne  ich  nicht.  Dass  Leontius  ca.  600  gelebt 
habe,  ist  herrschende  Tradition. 


§  1.    Die  alte  Sammlung  der  opera  Leontii  Byzantini.  7 

o  davudoiog  Öucxorog  y.ui  QUL(ftQtvö<XQLog  recögyiog  6  Iliöaiöfjg 
[lebte  z.  Z.  des  Kaisers  Heraclius  (610 — 641)  vgl.  Dictionary  of 
Christian  biograp%  ed.  hj  Smith  and  Waee  1877  ff.  II  p.  648 f.] 
/jhxio'jrrjg  mv  axeivo),  sl  xal  reo  ygövo)  llav  veoiregog.  Diese 
eine  Xachricht.,  auf  welche  schon  Fabricius  hinweist  (Fa- 
bricius-Harles  VIII  p.  310),  giebt  mehr  Rätsel  auf  als  sie 
löst.  Sind  die  noch  jetzt  erhalteneu  xQicc/.ovxa  y.teplüMLa  ■Karo. 
SsvriQov  das  von  Nicephorus  gemeinte  Werk?  In  diesem  Falle 
redet  Nicephorus  ohne  das  relativ  unbedeutende  Werk,  das  er 
so  hoch  preist,  gesehen  zu  haben.  Oder  ist  ein  gegen  Philo- 
ponus  speciell  gerichtetes,  verlornes  Buch  desselben  Leontius 
gemeint,  der  die  rgiäxoma  y.iffalaia  y.ara  ^svt/QOv  geschrieben 
haben  soll?  Oder  endlich,  ist  der  Verfasser  dieses  Werkes  gegen 
Philoponus  ein  andrer  als  der  Verfasser  der  libri  adv.  Nest,  et 
Eut.,  der  TQidxoi'za  y.sg^cuara  u.  s.  w.?  Mit  dieser  Überlieferung, 
also  überhaupt  mit  der  bis  jetzt  bekannten  geschichtlichen  Tra- 
dition über  Leontius  ist  zunächst  nichts  zu  machen,  und  mit  er- 
neuter Durchsuchung  der  Tradition  zu  beginnen,  ist  unthunlich, 
weil  uns  noch  jedes  Kriterium  zur  Unterscheidung  der  verschie- 
denen Leontii  fehlt.  Wir  müssen  deshalb  von  den  Werken  aus- 
gehen, welche  unter  dem  Namen  des  Leontius  überliefert  sind. 
Schritt  für  Schritt,  vom  Sichersten  ausgehend,  muss  ein  ana- 
lytisches Verfahren  uns  zur  Erkenntnis  dessen  führen,  was  sich 
über  Leontius  wissen  lässt. 

Die  Migne'sche  Fatrologia  graeca,  welche  die  im  Druck 
bekannten  Schriften  der  griechischen  Väter  im  Grossen  und 
Ganzen  vollständig  in  sich  fasst,  hat  die  Werke,  welche  hand- 
schriftlich einem  Leontius  zugeschrieben  werden,  unter  drei  bezw. 
vier  verschiedenen  Titeln  aufgenommen.  Tom.  86  bringt  col. 
1185 — 2100  die  opera  „Leontii  Byzantini  seu  Hierosolymitani*, 
—  unter  ihnen  die  obengenannten  Schriften  ,de  sectis",  .contra 
Nestorianos  et  Eutychianos",  „adversus  fraudes  Apollinarista- 
rum"  u.  a.,  tom.  93,  col.  1559 — 1748  enthält  die  Werke  des 
,Leoutius  Keapolitanus  episcopus",  tom.  98,  col.  549 — 716  bietet 
eine  vita  Gregorii  ep.  Agrigentini  (nach  Dictionary  of  Chri- 
stian biography:  saec  VI  et  VII)  auctore  .Leontio  presbytero 
monacho".  Über  einen  vierten  Leontius,  ,.Leontius  Damascenus", 
findet  sich  in  tom.  93,  col.  1748  nur  ein  Hinweis  auf  eine  Notiz 
Montfaucons :   Leontius   Damascenus   numeratur   a  Montfauconio 


8  Erstes  Capitel. 

in  ßibl.  Coislin.  p.  412  inter  eos.  quoruni  excerpta  scripturae, 
s.  patrum  ecclesiae  aliornmque,  diversa  a  Parallelis  loannis  Da- 
masceni,  servantur  in  cod.  Coislin.  294.  Die  Unterscheidung  der 
drei  letztgenannten  Leontii  von  dem  Verf.  der  an  erster  Stelle  ge- 
nannten opera  „Leontii  Byzantini  sen  Hierosolymitani"  ist  bereits 
ein  Resultat  kritischer  Arbeit.  Ob  dasselbe  haltbar  ist,  wird 
später  zu  untersuchen  sein,  zunächst  empfehlen  es  praktische 
Gründe,  die  drei  letztgenannten  Leontii  fürs  erste  beiseit  zu  lassen 
und  mit  der  Untersuchung  derjenigen  Schriften  zu  beginnen,  die 
bei  Migne,  86,  1  u.  2  als  opera  Leontii  Byzantini  seu  Hieroso- 
lymitani gedruckt  sind.  Unter  ihnen  befinden  sich  die  für  die 
Kirchen-  und  Litteraturgeschichte  wichtigen  oben  genannten 
Schriften.  Die  Migne 'sehe  Sammlung  der  opera  Leontii  Byzan- 
tini seu  Hierosolymitani  umfasst  folgende  Stücke: 

1.  JSxoXia,  vulgo  ^de  sectis"  col.  1193 — 1268,  abgedruckt  aus 
Gallandi,  BibL  vet.  patr.  XH,  p.  625—657,  dort  (cf.  Pro- 
legg.  p.  XXX)  durch  doppelte  Vermittlung  entnommen  der 
editio  princeps  des  Joannes  Leunclavius,  Basel  1578  (Fabri- 
ciusvHarles  VIII,  310). 

2.  Xoyot  y  xara  NeoroQiaväv  xcä  EvTvytariozcöp,  „contra 
Nestorianos  et  Eutychianos"   col.   126S — 1396,  imd  zwar: 

a.  IlQoO^scoQia  und  löyoc,  d \  rijg  xarä  rtjp  d^sötrjra  zov 
xvQLov  y.al  dvO-Qmjtoxrjra  avavTiag  öoxt'/osmq  Neoro- 
QLOv  xal  EvTvyovg  sXeyxog  xcä  dvaxQOJit'j,  coL  1268 — 
1316,  griechisch  nach  Mai,  Spicileg.  Rom.  X,  pars  II, 
p.  1 — 39,  lateinisch  —  dem  griechischen  Texte,  der 
die  citierten  Väterstellen  nur  unvollkommen  mitteilt, 
entsprechend  gekürzt  —  nach  der  editio  princeps  des 
lateinischen  Textes  in  Canisius,  Lectiones  antiquae 
(Canisius-Basnage  I,  535  —  559).  Der  lateinische 
Titel  bei  Canisius  ist:    „adversus  Enantiodocetas". 

b.  Zoyog  ß  :  jcQog  zovg  ix  zcöv  ?/fi£TtQcov  jrgooi^sfiävovg 
xfj  xaxttpi^aQ^tvr}  xöiv  d(fSaQxoöoxr/xo)V  (ausgefallen: 
yvmuri  öidloyog  cf.  jtQo&scoQia  Migne,  col  1269D), 
ein  Dialog  mit  einem  Aphthartodoketen,  bei  Canisius 
(Canisius-Basnage  p.  525)  contra  .Aphthartodoce- 
tas"  genannt,  col.  1316—1357,  griechisch  nach  Mai, 
Spicileg.  a.  a.  0.  p.  95—127,  lateinisch  —  auch  hier  ge- 


§  1.    Die  alte  Sammlung  der  opera  Leoutii  Byzantini.  9 

kürzt  —  nach  Canisius  (Canisius-Basnage  a.  a.  0. 
p.  559—574). 
c.  Xöyoq  7':  [xaTO,  a(p&-aQxo6oxt]rccv'^)\  rijg  djtoQQf'jtov 
xal  dQy[ac]osiÖ£OTt()ag  rmv  NeözoQiavcov  oösßEiac  xal 
Tcöv  tavzrjg  jtartQcov  cpcoga  xal  d-Qia^ißoq,  bei  Cani- 
sius im  Inhaltsverzeichnis  (Canisius-Basnage  p.  525): 
„contra  illos,  qui  simulabant,  se  Chalceclonensem  syno- 
dum  recipere,  cum  essent  Nestoriani",  in  der  Textüber- 
schrift (a.  a.  0.  p.  575):  „de  Nestorianorum  impietate 
secreto  tradita  principio,  et  de  ejus  parentibus  trium- 
phus",  Migne,  coh  1357 — 1396,  griechisch  nach  Mai, 
Spicilegium  a.  a.  0.  p.  66 — 94  und  Script,  vet.  nov. 
coli.  VI,  p.  299 — 312,  lateinisch  —  auch  hier  dem  Grie- 
chischen entsprechend  gekürzt  —  nach  Canisius 
(Canisius-Basnage  p.  575 — 596). 

3.  Kard  xcöv  ovo  xdq  iijroozdostg  Xqiotov  Iejüvtcov  xxX., 
„adversus  Nestorianos",  sieben  Bücher  unter  Specialtiteln, 
griechisch  nach  der  editio  princeps  in  Mai,  Scriptorum  vet. 
nov.  coli. IX,  410—610,  Migne,  col.  1396—1768'  mit  eigner 
lateinischer  Übersetzung. 

4.  "ÄjioQiai  jiQog  xovg  ^iav  (pvoiv  Xeyovxag  övvd-bxov  xor 
xvQiov  7jfiojv  ^hjöovv  Xqloxop  xal  f/agxvQiai  xirn^  aylcoi^ 
xal  dvdXvOig  xov  öoyfiaxog  avxcäv,  „contra  Monophysitas" 
griechisch  nach  Mai,  Scriptorum  vet.  nov.  coli.  VII,  p. 
110 — 155,  Migne,  coh  1769 — ^1901  mit  teilweise  (vgl.  coL 
1875  not.)  eigner  lateinischer  Übersetzung. 

5.  Td  xQidxovxa  xe(pdXaia  xaxd  ^tvijQOv,  Migne,  coL 
1901 — 1916,  griechisch  nach  Mai,  der  Script,  vet.  nov. 
coli.  VII,  pars  I,  p.  40 — 45  diese  xQcdxovxa  xEtpdXaia  als 
ein  Citat  in  der  „Antic^uorum  patrum  doctrina  de  verbi 
incarnatione"  bereits  gedruckt  hatte  und  deshalb  Spieileg. 
a.  a.  0.  p.  65  diesen  Abschnitt  der  dort  von  ihm  benutzten 
Handschrift  des  Leontius  unter  Verweisung  auf  die  „doc- 
trina patrum"  ausliess,  lateinisch  nach  Canisius,  der  diese 
XQidxovxa  xefpdlaia  unter  dem  Titel  „Dubitationes  hypo- 
theticae  et  definientes  contra  eos,  qui  negant  esse  in  Christo 


*)  Diese  beiden  Wörter  gehören  in  den  Titel  des  Xöyoq  i-i',  wie  die 
Titel  zu  Hb.  II  und  III  des  lateinischen  Textes  bei  Canisius  beweisen,  und 
der  Inhalt  fordert. 


•j  0  .  Erstes  Capitel. 

post  unionem  duas   veras  naturas"  zuerst  bekannt   maclite 
(Canisius-Basnage  624 — 630). 

6.  'EjtlXvöiQ  Tcöv  vjto  Usv7]Qov  jiQoßsßXtj^tvoDV  övlloj Lö [imv , 
„solutio  argumeutorum  a  SeA^ero  objectorum",  Migne,  1916 
— 1946,  griechisch  nach  der  editio  princeps  des  griechischen 
Textes  bei  Mai,  Spicileg.  a.  a.  0.  p.  40—65,  lateinisch  nach 
Canisius  (Canisius-Basnage  p.  611 — 623). 

7.  ÜQoq  rovg  jiQoqtQovxaq  rj^üv  riva  rcäv  'AjcoXXLvagiov 
if)£vöc5Q  tjaysYQa^fitva  slq  oi'o/ja  rwv  ayicov  jcartgow, 
„adversus  eos,  qui  proferunt  nobis"  etc.,  kurz:  „adversus 
fraudes  ApoUinaristarum",  Migne,  1947 — 1976,  griechisch 
nacliMai's  editio  princeps,  Spicileg.  a.  a.  0.  128 — 151,  la- 
teinisch nach  Canisius  (Canisius-Basnage  p.  597 — 610). 

8.  ^OfuUa  slg  rt/p  MsOOJcevTfjxoOTfjv,  xal  dg  xzX.,  „homilia  in 
festum  diem  Mediaepentecostes",  Migne,  col.  1976 — 1993, 
griechisch  und  lateinisch  nach  der  editio  princeps  in  Com- 
befis,  Graecolatinae  patrum  Bibliothecae  novum  auctarium 
I,  p.  720  ff.  [nach  Migne]. 

9.  Aöyog  dg  ri)v  tqiav  IIaQaOxsv?}v  rrjg  fisyaXr]g  tßöofiäöog 
xrX.^  „oratio  in  sanctam  parasceuen",  Migne,  col.  1993 — 
2004,  griechisch  und  lateinisch  nach  der  editio  princeps 
Gretser's,  cf.  Gretseri  Opera  omnia.  Ratisbonae  1734  II, 
347—353. 

10.    Fragmente,   griechisch   nach  Mai  mit  hinzugefügter  latei- 
nisciier  Übersetzung: 

a.  col.  2004 — 2009:  ajio  rmv  Asovtiov,  von  Mai,  Script, 
vet.  nov.  coli.  VII,  52 — 54  sub  textu  aus  zwei  Vatican. 
Mss.  publiciert. 

b.  col.  2009 — 2012:  ix  xmi>  öxoXicov  Asovtiov,  aus  der 
von  Mai,  Script,  vet.  nov.  coli.  VII,  p.  1  sqq.  edierten 
„Antiquorum  patrum  doctrina  de  verbi  incarnatione" 
p.  53. 

c.  col.  2013:  tx  xöjv  Aeovriov,  aus  der  in  b  genannten 
Doctrina,  Mai  a.  a.  0.  p.  57  (Migne  irrig:   62). 

d.  col.  2013 — 2016:  Ix  rmv  Oxolicov  Aeovtiov^  aus  der 
in  b  genannten  Doctrina,  Mai  a.  a.  0.  p.  62  (Migne 
irrig:  162). 

e.  col.  2016:  ex  rov  Asovxiov  ö^oUrnv  jttQi  rov  (xqi^/iov, 
aus  der  in  b  genannten  Doctrina,  Mai  a.  a.  0.  p.  64. 


§  1.    Die  alte  Sammlung  der  opera  Leontii  Byzantini.  \\ 

11.    Appendix:  ^hovriov  rrQeoßvrtQov  xcä  %jävi'ov  rcöi'  uqo'jv 
ßißÄioi'  ß\  „Leontii  et  loannis  collectanea  de  rebus  sacris", 
kurz :  „rerurn  sacrarum  über  secundus",  griechisch  mit  hinzu- 
gefügter lateinischer  Übersetzung  nach  der  editio  princeps 
bei  Mai,  Scriptorum  vet.  nov.  coli.  VII,  p.  74—109,  Migne, 
col.  2017—2100. 
Diese  Übersicht    zeigt,    dass   die  Migne 'sehe   Ausgabe  der 
opera  Leontii  eine  Sammlung  einzelner,  von  verschiedenen  For- 
schern   imd    also   vermutlich   aus   verschiedenen    Handschriften 
herauso-e<Tebner  Werke  ist.     Wir  müssen  demnach  über  Mis'ne 
hinaus  zu  den  editiones  principes  zurückgehen  und  durch  sie  zu 
den   Handschriften.     Die   opera  Leontii  bei  Migne   lösen   sich 
dann  in  eine  Reihe  einzelner  Gruppen  auf,  die  einzeln  behandelt 
werden  müssen.    Liegen  in  einzelnen  dieser  Gruppen  bereits  An- 
fänge   einer  Sammlung   vor?    so   ist  zunächst    zu   fragen.     Bei 
einer  dieser  Gruppen  ist  dies   zweifellos,   und  von  dieser  haben 
wir  deshalb  auszugehen. 

Die  oben  sub  2*,  2^,  2°,  5,  6  und  7  genannten  Schriften  fand 
Mai  vereinigt  in  einem  ,.codex  priscus  integer  et  perrarus,  C|ui 
fuit  olim  cardinalis  Salviati  deinde  gentis  Columnensis".  Mai 
selbst  hat  ihn  für  die  Vaticana  gekauft  (Spicileg.  X,  praef.  V  sqq.) 
und  hat  im  Spicilegium  X,  pars  II,  p.  1 — 151  die  betreffenden 
Schriften  des  Leontius  mit  Ausnahme  der  schon  früher  von  ihm 
aus  einer  andern  Handschrift  publicierten  zQidxovza  TcegxxZaia 
(vgl.  oben  S.  9  Nr.  5)  veröffentlicht.  Der  codex  Vaticanus  ent- 
hält, wie  Mai's  Ausgabe  beweist,  die  fraglichen  Schriften  in 
der  Reihenfolge:    2*,  6,  5,  2%  2^\  7. 

Ganz  dieselben  vier*)  Schriften  hat  Canisius,  Antiquarum 
lectionum  toin.  IV,  p.  1  —  171  (ed.  Basnage  I,  p.  525  sqq.)  latei- 
nisch publiciert  nach  dem  ihm  übergebnen  Material  des  Jesuiten 
Turrianus.  Turriauus  hatte  seine  lateinische  Übersetzung 
hergestellt  auf  Grund  ihm  selbst  gehörigen  handschriftlichen 
Materials,  das  er  später  dem  Jesuitencolleg  in  Rom  schenkte 
(Canisius-Basnage  p.  534).  Duss  in  diesem  handschriftlichen 
Material  die  von  Turrianus  übersetzten  Schriften  in  einem  codex 

*)  Canisius  (Canisius-Basnage  p.  öül)  und  Basnage  (ibid.  p.  534) 
zählen  sie  als  drei,  -wahrscheinlich  weil  Nr.  7  in  dem  handschriftlichen 
(iesammttitel  (p.  ;.2ö  vgl.  unten  S.  19)  nicht  mit  aufgeführt  ist  und  ihnen 
daher  als  Anhang  zu  Nr.  2  erschienen  sein  mag. 


J2  Erstes  Capitel. 

sich  fanden,  sagt  Basnage  (a.  a.  0.  p.  534)  niclit,  ja  er  scheint 
das  Gegenteil  vorauszusetzen,  wenn  er  sagt:  caeterum  hi  tres 
libri  MS  Graece  servantur  Romae  in  ßibliotheca  Jesuitarum,  cui 
hos  tradidit  Turrianus.  Allein  auch  dieser  Plural  ..libri"  wider- 
spricht, weil  Bas  nage  offenbar  an  die  einzelnen  Schriften  des 
Leontius,  nicht  aber  an  codd.  mss.  gedacht  hat,  der  naheliegen- 
den Annahme  nicht,  dass  auch  Turrianus  gleichwie  Mai  die 
Sclrriften  handschriftlich  verbunden  vorfand.  Identisch  aber  sind 
der  codex  Turrianus,  wenn  ein  solcher  anzunehmen  ist,  und  der 
Vaticanus  keinesfalls.  Denn  zunächst  bot  der  codex  Turrianus 
die  Schriften  in  einer  andern  Reihenfolge  als  Mai 's  Vaticanus, 
nämlich  —  nach  dem  Druck  bei  Canisius  zu  schliessen  —  in 
der  Reihenfolge:  2*,  2'',  2",  7,  6,  5.  Weiter  beweisen  die  vielen 
Abweichungen  zwischen  dem  griechischen  Text  bei  Mai  und  dem 
lateinischen  des  Turrianus  bei  Canisius,  auch  wenn  man  viele 
Übersetzungsfehler  einerseits,  andrerseits  Editionsflüchtigkeiten 
annehmen  wollte,  dennoch  zweifellos  die  Verschiedenheit  der 
Handschriften  des  Turrianus  und  des  Cardinais  Mai"). 

Eine  dritte  Handschrift  der  in  Rede  stehenden  Schriften  des 
Leontius  besitzt  die  Bibliotheca  Bodleiana  in  Oxford  in  dem  cod. 
Laudianus  92 B  (vgl.  Coxe,  Catalogi  codicum  mss.  Bibl.  Bodl. 
p.  I.    Oxford  1853,  p.  580  f.).    Da  diese  Handschrift  für  die  Kritik 


-•■)  Einige  Beispiele  werden  genügen:  Migne  col.  1273 A  Z.  2  bietet 
Mai 's  Handschrift  (vgl.  Spicileg  a.  a.  0.  p.  5)  secunda  manu  additum  ein 
ov,  bei  Turrianus  fehlt  es;  col.  12S7D  (cf.  Canisius -Basnage  p.  541) 
fehlen  bei  Turrianus  Z.  6  zwischen  animam  und  sie  se  habet  4  Zeüen; 
col.  1360C  Z.  7  fehlen  im  griech.  Text  (vgl.  Mai,  Spicileg.  a.  a.  O.  p.  68) 
nach  xaToixri'C,6fj.8voq  mehrere  Wörter,  etwa  tneira  6h  oxi  xb  7i?.?i&og  xwv 
V7i  avxojv  i£rj7tax?]fj.iV(ov;  col.  1301  D  Z.  S  fehlen  im  griech.  Texte  (vgl. 
Mai  a.  a.  0.  S.  29)  die  Worte  confundunt  divisum  neque  divisionibus ; 
col.  1945 B  Z.  10  ist  der  lat.  Text  vollständiger;  das  unsinnige  i^axa  aif- 
S^a^xodoxr/xcliv  im  Titel  col.  1357  fehlt  bei  Turrianus  (s.  Canisius-Bas- 
nage  p.  57.5).  Überhaupt  sind  die  mit  der  verschiedenen  Reihenfolge  der 
Schriften  verbundenen  variae  lectiones  in  den  Titeln  allein  schon  be- 
weisend. Weitere  Belege  sind  fast  auf  jeder  Seite  bei  Migne  zu  finden, 
doch  muss  man,  um  sicher  zu  gehen,  auf  die  Originaldracke  bei  Mai  und 
Canisius  zurückgreifen,  denn  manche  Auslassungen  sind  nur  der  Patro- 
logia  graeca  zur  Last  zu  legen,  z.  B.  col.  1269A  Z.  1  das  Fehlen  der 
Wörter  dyvoovvxojv  iiisixa  öl  ^  rovxwv  TiQoq  xovq  hinter  kavxovc.  Auch 
auf  die  vielen  Abweichungen  zwischen  dem  griechischen  und  lateinischen 
Text  der  xQiüitovTcc  n£<fäXuia   (vgl.  gleich  Nr.  1   mit  dem  lat.  Text  bei 


§  1.    Die  alte  Sammlung  der  opera  Leontii  BA^zantini.  -[3 

der  Leontiusscliriften  von  besondrer  Wichtigkeit  ist.  müssen  wir 
sie  auf  Grund  der  Mitteilungen  des  citierten  Catalogs  genauer 
ansehen.  Der  codex  ist  ein  Quartband  von  227  Blättern,  auf  Per- 
gament gegen  Ende  des  zehnten  Jahrhunderts  (nach  Coxe)  ge- 
schrieben.    Sein  Inhalt  ist  folgender: 

fol.  1:  Tov  fiaxaQiov  Äsovx'ior  tov  tQijiürov  JiQOÄoyog 
ij'/ovv  nQodHOQia  rr/g  vjcoy.siiiti'fjg  ovi'zägsoyc.  Es  folgt  dann 
der  Prolog  Migne  col.  1267 — 1272,  sodann  Buch  I  contra  Xe- 
storianos  et  Eutychianos  mit  demselben  Titel  wie  bei  Migne 
{rr/g  zara  rijv  d^eort/Ta  zov  Xqiotov  —  Migne:  xvqiov  —  y.cä 
äv&QcojtoTi/ra  y.tX.). 

fol.  07:  TOV  avTOV  iiaxaQiov  Aeovriov  (wvccCoi'tog  Lti- 
).vC)Lg  y.TA.  wie  Migne  col.  1915 — 1946. 

fol.  97:  ....  öiöövai  jiavrog  aQi&fWv  ro  Jiooov  y.r'/.. 
Migne  col.  1904B  Z.  S  in  Nr.  YIII — 1916,  also  die  TQiäy.oina 
y.eific'uMia  in  einer  am  Anfang  verstümmelten  Gestalt. 

fol.  106:  Tov  avTov  aßßä  Aeovriov  löyog  ß'  JCQog  roig 
Ix  rcöv  ?)^usrtQO)v  JiQOO&^sf/tvovg  rij  xarsifd^agfav?]  yvaf/}j  rar 
affO-aQTodox?]rcöj^  öiaXoyog  =  Migne  col.  1316 — 1357. 

fol.  151*':  rov  avrov  Ovvrayf/a  jtEQL  xTJg  ajtoQQf'jrov  xai 
aQxatoeiöeortQag  rcöv  JVsoroQiavcöv  aosßsiag  xai  Twr  avrijg 
üiartQcov  (fOQO.  [lies:  <po^Qa]  xai  d-Qia}ißog  ==  Migne  col.  1357 — 
1 384  B  Z.  1 ,  also  Teil  I  von  lib.  III  contra  Xestorianos  et  Euty- 
chianos. 

Hieran  reiht  sich  im  Catalog  Folgendes: 

fol.  175:    TOV  avrov  xtcpakata  xara   öiacpoQov  alQtrixcör 
(cum  prologo). 
Inc.:  0  Ageiog  rQslg  vjcooräoaig  o^oXoytl  alXä  ri]v  fioräöa 
(XQveirac  xai  ov  liyu  o^oovoiov  ri/v  ayiav  rgiäöa. 

Der  erwähnte  .prologus"  lautet:  ovx  svßovXov  öh  rfpioä- 
lir/v  rag  yQ/jOiLg  ron'  JtQoyeyQauidvcov  xai  a'Jtcov  aiQerLxcör 
£voi][irjvaGdai,  xQoyrorvjicog  f/ev  öid  ro  eivai  avrag  avcocpüMg^ 
irira  df    roTg  axBQaiortQoig  mg  dxog  xai  tjttßXaßsig.  Xocjcor  dt 


Canisius-Basnage  p.  625.  weiter  Mai,  Scriptor.  vet.  nov.  coli.  VII. 
pars  1  p.  4 1  not.  1 )  darf  man  sich  nicht  berufen,  da  hier,  wie  oben  bereits 
bemerkt,  der  griechische  Text  nicht  aus  dem  cod.  Vatic.  des  Leontius 
stammt  —  obwohl  auch  dieser  ihn  enthält  cf.  Si)ici]eg.  X  pai's  II  j).  (>•"> 
—  sondern  aus  der  Handschrift  der  ,,Antiquorum  patrum  doctrina  de  verbi 
incarnatione". 


14  Erstes  Gapitel. 

oTi  xac  jiaTQi/tcög  xal  ovvoöixcög  ol  jcQoeiQfjffti'ot  naTaio(pQov£g 
drxl&soi^  TOVTiöTiv  NböxÖqloq  xal  ol  a^Kp  avzöi'  f/ysiiiöveg  xal 
ojiaöol  xarrxQiihfjoap  xal  Is^ßXrjd-riöav  sxörjlov  ysvofftvtjg  zr^g 
övooeßslag  avzcäp  ajtaoiv. 

fol.  178  folgt  sodann  der  Rest  des  lib.  111  contra  Nesto- 
rianos  et  Eutycbianos:  jcQoXoyog  zcöv  vjcoxeifih'cov  xq^oscop  xzX. 
Migne  1384B  Z.  2—1396.  Sodann  folgen  fol.  210  die  2  Briefe 
CyriH's  an  Succensus  (incip.  prior:  Ivtzvyov  zcß  vjco,uv7]OziXfö 
Cyrilli  opp.  Migne  77,  col.  228,  desinit  altera  öoXov  xal  xaxovQ- 
yiag  ibid.  245  C  (9  Zeilen  vor  dem  Schluss),  endlich  fol.  225  ff. 
der  bekannte  Brief  des  Julius  v.  Rom  xQog  Jöxiov  (richtiger: 
TiQog  IIqooöÖxiov) ,  den  Jo.  Gottlieb  Ehrlich  1750  aus  eben 
dieser  Handschrift  herausgegeben  hat  (Julii  primi,  episcopi  ro- 
mani  ad  Prosdocium  epistola  de  Trmitate  et  incarnatione  ex  cod. 
Oxoniensi  etc.  Leipzig  1750.  4*^.  35  S.  S.  25  —  35)  und  vor 
ihm  Coustant  (epp.  romanorum  pontificum  I.  1721,  append.  p. 
73 — 80)  wohl  aus  derselben  Handschrift  („ex  antiquo  codice  An- 
glicano"). 

Am  Schluss  des  ganzen  Bandes  findet  sich  —  rot  —  folgende 
Schlussbemerkung:  zezeXeOzai  ovv  d-em  rj  xaza  jiaocöv  aiQt- 
ö£cov  avazQOTirj  xal  d-Qia^ßog  zov  fiaxa()iov  Aaovzlov  ftova/^ov 
xal  fisyaXov  aoxtjzov. 

Eine  vierte  Handschrift,  bei  Omont,  Inventaire  sommaire 
des  manuscrits  du  Supplement  grec  de  la  Bibliotheque  nationale 
18S3,  p.  22,  cod.  163  genannt,  enthält  nur  „Leontii  eremitae  libri 
111  contra  Nestorianos  et  Eutychianos " .  Da  diese  Handschrift 
eine  Papierhandschrift  des  XVlll.  Jahrhunderts  ist  und  demnach 
eine  Vorarbeit  zu  einer  Ausgabe  zu  sein  scheint,  kann  sie  nicht 
beweisen,  dass  die  Schrift  contra  Nestorianos  et  Eutychianos  se- 
parat handschriftlich  überliefert  ist.  Ein  spätrer  Herausgeber 
wird  durch  sie  vielleicht  auf  die  Spur  einer  andern  altern  Hand- 
schrift gebracht,  wird  jedenfalls  einer  Untersuchung  derselben 
sich  nicht  entziehen  können.  Wir  lassen  sie  beiseit.  Die  drei 
andern  codd.,  Turrianus,  Vaticanus,  Laudianus,  bieten  eine  Samm- 
lung von  Leontiusschriften,  aber  in  verschiedener  Reihenfolge. 
Die  oben  S.  8,  9  u.  10  sub  2abc,  5,  6,  7  genannten  Schriften 
finden  sich: 

im  cod.  Turrian.  in  der  Reihenfolge:  2*,  2^',  t",  7,  6,  5, 
im  cod.  Vatic.  in  der  Reihenfolge:  2%  6,  5    2°,  2^  7, 


§  1.    Die  alte  Sammlung  der  opeia  Leontii  Byzantini.  15 

im  cod.  Laudianus  in  der  Reihenfolge:  2*.  6,  5,  2^  2°  erste 
Hälfte,  dann  nach  einem  in  den  codd.  Turr.  und  Vat.  nicht  vor- 
handenen Stück:  2"^  zweite  Hälfte,  der  sich  abermals  Stücke  an- 
schliessen,  die  im  Turr.  und  Vat.  sich  nicht  finden.  Nr.  7  da- 
•jesen  fehlt  im  Laudianus. 

Die  dem  Laudianus  eigenthümlichen  Stücke  werden  später 
behandelt  werden.  Hier  bleiben  wir  zunächst  bei  den  von 
Canisius  und  Mai  nach  den  codd.  Turr.  und  Vat.  pubKcierten 
Schriften. 

Zuerst  hat  demnach  die  oben  sub  2  genannte  Schrift  contra 
Xestorianos  et  Eutychianos  uns  zu  beschäftigen.  Dass  der  Titel, 
der  bei  Mai,  pars  Spicil.  X,  2,  p.  1  der  jtQoOswQia  vorausgeht: 
AsovTiov  fiovcr/ov  löyoi  •/  yMxä  jS'toxoQiavmv  xal  Evrvyia- 
viorojv  aus  der  Handschrift  stammt,  wird  schon  dadurch  wahr- 
scheinlich, dass  er  ähnlich  in  dem  Generaltitel  bei  Canisius 
sich  findet  (Canisius- Basnage  p.  525):  „libri  tres  contra  Euty- 
chianos et  Nestorianos".  Ein  weiteres  Argument  für  die  Herkunft 
dieses  Titels  aus  den  Handschriften  wird  sich  unten  S.  19  er- 
geben. Ob  auch  der  cod.  Land,  diesen  Titel  darbietet,  lässt  sich 
freilich  nicht  sagen,  da  nicht  ersichtlich  ist,  inwieweit  der  in 
dem  Oxforder  Catalog  dem  Prolog  vorausgeschickte  Gesammt- 
titel  , Leontii  Byzantini  monachi  contra  Eutychianos  et  Nesto- 
rianos  libri  tres  praevio  prologo"  nur  auf  Rechnung  des  Heraus- 
gebers zu  setzen  ist.  Jedenfalls  ist  der  Titel  „libri  tres  adv. 
Nest,  et  Eut."  sachlich  begründet:  das  durch  die  jiQod^tojQia 
eingeleitete  Werk  sollte  nach  Absicht  des  Verf.  aus  drei  Büchern 
bestehen  (col.  1269  A  Z.  13). 

Den  Handschriften  und  Ausgaben  gegenüber  kann  man  nun 
zweifelhaft  sein,  welches  diese  drei  Bücher  sind,  2%  2^,  2",  wie 
Canisius,  Bas  nage,  Migne  nach  dem  cod.  Turrian.  angeben, 
oder  2'',  (i,  5,  2^,  wie  Mai  mit  dem  cod.  Vaticanus  an- 
nimmt. Ein  Blick  in  die  TiQoO&coQia,  den  Mai  oöenbar  nicht 
für  nötig  erachtet  hat,  entscheidet  die  Frage.  Der  Verf.  be- 
spricht hier  nach  den  Einleitungsworten  die  Disposition  der  von 
ihm  dargebotenen  drei  Bücher  und  giebt  hierbei  sogar  die  Titel 
der  einzelnen  Bücher  an.  Der  Titel  des  ersten  Buches  ist:  r/jg 
y.axa  xijv  dtöxrjxa  xov  XqiOxov  xal  dvd^gcojcöxrjxa  kvavxiaq 
dox/joecog  Nboxoq'iov    xs   ymI   Evxv/ovq  tXsyyoq  xal   dvaxQOJr/'j 


\Q  Erstes  Capitel. 

(col.  1269B)"),  das  zweite,  nach  des  Verfassers  eigner  Angabe 
(ibid.  C.  fin.)  diaXoYixrö  yaQaxxrjQt  geschriebene  Buch  trägt  den 
Titel:  JiQoq  rovg  65  rjftcöv  jrQoOi>€fi£Vovg  riy  xazscp&aQfttv?! 
yvcömj  rcör  capd^aQToSox7]xcöi'  öiäloyoq,  (col.  1269  D),  das  dritte 
ist  überschrieben:  r/}^  ajioQ(yiixov  xal  d(r/aioEi6£OTtQag**)  x&v 
NsöroQiavmv  aoeßdag  ■kol  twv  Tavrrjg  jiazsQcov  (pcoQa  ■aal 
d-Qiaf/ßog  (col.  1272  B).  Diese  Titel  entsprechen  genau  der  von  Ca- 
nisius  befolgten  Anordnung  der  drei  Bücher.  Auch  die  kürzeren 
Titel,  welche  Canisius  (Canisius-Basnage  I,  p.  525)  in  der  In- 
haltsübersicht für  die  beiden  ersten  Bücher  darbietet,  , contra 
Enantiodocetas"  für  Buch  1,  „contra  Aphthartodocetas"  für  Buch  2, 
entstammen  offenbar  richtiger,  handschriftlicher  Überlieferung, 
denn  avavrcoöoxJjrat  nennt  der  Verf.  selbst  (col.  1276  A)  die  im 
ersten  Buch  bekämpften  Gegner,  und  „xara  acpd^aQxodoxrjxmv'^ 
(„adversus  Incorrupticolas"  wie  Mai  und  mit  ihm  Migne  über- 
setzt***) erweist  sich  dadurch  als  ein  handschriftlich  für  Buch  2 
gebrauchter  Titel,  dass  es  auch  bei  Mai  p.  96  sqq.  als  kurzer  Titel 
des  Dialogus  sich  findet,  mehr  aber  noch  dadurch,  dass  es  in 
Mai's  Handschrift  in  völlig  sinnloser  Weise,  —  an  der  aber 
weder  Mai  noch  Migne  Anstoss  genommen  haben  — ,  auch  dem 
Titel  des  dritten  Buches  vorausgestellt  ist:  loyog  7'  xaxa  d(p- 
0aQxoöox7jxcöv  xfjg  ajcoocyy/xov  xal  aQxosiösöxtQag  xxX.  Mai 
p.  116;  Migne  col.  1357  (vgl.  oben  S.  9  Anm.).  Diese  Ver- 
irrung  des  xaxd  d(p9^aQxo6ox7]xcöv  in  den  Titel  des  dritten 
Buches  erklärt  sich  aus  einer  Thatsache,  die  für  die  Beurteilung 
der  handschriftlichen  Überlieferung  nicht  unwichtig  ist  und  des- 
halb genauer  dargelegt  werden  muss  In  Handschriften,  welche 
mehrere  zusammengehörige  Schriften  oder  eine  grössere  in  Ca- 
pitel abgeteilte  Schrift  enthalten,  findet  sich  sehr  häufig  auf  dem 
ersten  Blatt  ein  Inhaltsverzeichnis,  welches  die  Titel  der  einzelnen 

*)  Ein  bloss  mit  col(umne)  eingeführtes  Citat  bezieht  sich  im  Folgen- 
den stets  auf  die  Ausgabe  der  opera  Leontii  in  Migne,  Patrologia  graeca 
86,  1  u.  2.    Bd.  86,  2  beginnt  bei  col.  1769. 

**)  Anstatt  aQyoiiÖ£ozlQaq,  wie  Migne  nach  Mai  drucken  liess,  ist 
nach  cod.  Laudian.  d^/cuoetöeottQccg  zu  lesen. 

***)  Diese  falsche  Übersetzung  ist  älter  als  Mai.  doch  woher  sie  stammt, 
weiss  ich  nicht.  Liberatus .  Breviarium  c.  1 9  Mansi,  Concilior.  ampl.  coli. 
IX  p.  1)93 D  redet  wohl  von  „Corrupticolae"  {<p&aQxoläzQai),  für  die  „incor- 
ruptibilis  assertores"  aber  nennt  er  nur  den  Ketzernamen  „Phantasiastae". 
„Incorrupticolae"  als  Ketzername  ist  ein  Unsinn. 


§  1.    Die  alte  Sammlung  der  opera  Leontii  Byzantini.  \'J 

Schriften  oder  Capitel  mitteilt.  In  der  Handschrift  selbst  fehlen 
dann  nicht  selten  die  Überschriften,  sei  es  weil  sie  bei  der  ersten 
Sammlung  der  Schriften  noch  nicht  vorhanden  waren  oder  in 
Rücksicht  auf  dies  Inhaltsverzeichnis  als  überflüssig  ausgelassen 
wurden,  sei  es  weil  der  Schreiber  des  Codex  oder  seiner  Vor- 
lage die  Überschriften  zunächst  wegliess  in  der  —  später  dann 
häufig  unausgeführt  gebliebenen  —  Absicht,  diese  Überschriften 
nach  Vollendung  der  Handschrift  in  roter  Schrift  nachzutragen. 
Mai's  codex  Vatican.  weist  auf  eine  solche  Vorlage  zurück,  in 
der  über  den  einzelnen  Schriften  keine  Titel  sich  fanden,  der 
aber  ein  Inhaltsverzeichnis  vorangestellt  war.  In  diesem  Inhalts- 
verzeichnis folgten  die  Titel  von  Buch  1  und  2  unmittelbar  auf 
einander:  jcgog  zovg  es  ^j/^oäv  jtQoöß-sf/avovg  zrj  xaT£g)&aQfavij 
ypcüf/r/  rcöv  d(p&aQTo6oxT]Tcöv  öcdXoyog  xazd  dg)&aQTo6oxrjTcöv' 
r?jg  äjtoQQ//Tov  y.al  (XQyaiosiösOTtQag  xrL  .  Nachdem  in  einer 
folgenden  Abschrift  das  xard  vxpdaQTOÖoxrjTcör  irrig  zu  dem  rrfg 
djiOQQr  rov  gezogen  war,  wurden  die  so  entstellten  Überschriften 
auch  über  die  einzelnen  Schriften  geschrieben,  das  Inhaltsver- 
zeichnis ging  verloren,  und  somit  fehlte  flu-  den,  der  die  Bücher 
abschrieb,  ohne  viel  davon  zu  verstehen,  eine  Anweisung  für  die 
Anordnung  der  Bücher.  So  kam  es,  dass  —  wahrscheinlich  in 
Folge  einer  Verlegung  der  Quaternionen  vor  dem  Einbinden  — 
die  oben  sub  G  und  5  genannten  Schriften  an  die  Stelle  des 
Xöyog  ß'  rückten,  und  infolge  dessen  später  auch  2^  und  2°  um- 
gestellt wurden,  Avahrscheinlich  Aveil  2"^,  wie  noch  jetzt  bei  Mai 
(Spicileg.  X,  2  p.  66),  ausdrückhch  als  löyog  y'  bezeichnet  war. 
Auch  diese  Thatsache  wird  gleich  weiter  zu  verwerten  sein.  Vor- 
her aber  ist  sie  erst  sicher  zu  stellen  gegen  die  Annahme,  dass 
die  kleinen  Schriften  Nr.  6  und  5  im  cod.  Vat.  und  Laudian.  an 
ihrer  rechten  Stelle  stünden  und  als  Beigaben  zu  2*  oder  als 
integrierende  Teile  desselben  zu  betrachten  seien.  Auf  den  ersten 
Blick  nämlich  könnte  es  so  scheinen,  als  begünstige  die  jcqo- 
decoQia  des  Werkes  contra  Nestorianos  et  Eutychianos  diese  Ver- 
mutung, Es  heisst  hier  nämlich  col.  1269 AB:  xal  tqeiq  zovg 
jidvzag  Xoyovg  Ovvezdscc^uev  cor  6  iih>  jiQmzog  zfjg  di'zid-tzov 
xal  tpcvöcovviiov  yvojöecog  NeözoQLOv  zs  xal  Evzvxovg  tv  zavzo} 
zag  dvd^vjiocfiOQag  xal  zag  vjiajiavzrjOtLg  xscpaXaimöSg  JtsQitx^t^ 
oytöoi'  ZI  iv  oXiyoig  zag  jrccoag  avzow  jii.Qix).doov  iTcajtoQijOHg- 
tJil  XBcpaXaicov  öl  zov  avzov  jrsjtoit'jfitda  Xoyor,  txaozov  dz/Xadij 
Texte  u.  Untersuchungen.   III,  l  2 


Ig  Erstes  Capitel. 

x8(fiaXaiov  t«  vjt'  avzo  avacptQEöd^ai  övvä(i£va  üt^Qiixovxoq.   Nun 
fehlt  aber  im  ersten  Buche,  wie  es  jetzt  vorliegt,  jede  Capitel- 
eiuteilung,  Nr.  5  dagegen,  ra  XQiaxovra  XE^älaLa  xaxa  ^evtjQov, 
scheint  dem  tag  dvd-vjcocpoQccg  xal  rag  vjiajiavr7]66ig  xecpaXaico- 
öcög  jtSQiiyßi  zu  entsprechen,  und  Nr.  G,  die  axilvGig  xcöv  vjco 
^evj'jQOV   xQoßsßXrjfievcov   Ov2.Xoyt6ficöv,  könnte    als   xag  jiaoag 
avxcöj'  jtsQixletcov  tjcajtoQTJGstg  gleichfalls  auf  den  ersten  Blick 
als  ein  Teil  von  lib.  I  contra  Nestorianos  et  Eutychianos  angesehen 
werden.    Allein  bei  näherer  Untersuchung  widerstreben  Nr.  5  und  6 
solchem  Anschluss  an  2^,  und  2*  selbst  erweist  sich  als  ein  durch- 
aus geschlossenes  Ganzes.    Nr.  5  nämlich  kann  nicht  ein  Teil  des 
ersten  Buches  adv.  Nest,  et  Eut.  sein,  weil  sich  in  diesen  xQia- 
xovxa   x£(päXaia   xaxä  ^evrjQov  nicht  die   geringste    Spur   der 
gleichzeitigen  Berücksichtigung  der  Nestorianer  findet,  welche 
die  jiQod^scoQia  für  lib.  I  adv.  Nest,  et  Eut.  verheisst.    Dasselbe 
gilt  von  Nr.  6,  und  überdies  erweist  sich  diese  tJtiXvöig  xcov 
vüio  2!ev?]Qov  jcQoßeßh]f/svcov  ovXXoyiOfiSv  als  durchaus  selb- 
ständig  gegenüber   2**  durch  die  in  der  Einleitung  (col.  1916  C) 
genommene  Rückbeziehung  auf  die  früher  {jcQcorjv)  geschriebene 
Schrift  contra  Nestorianos  et  Eutychianos.     Buch  1  contra  Ne- 
storianos et  Eutychianos  (2'*)  ist  auch  an  sich  schon  in  der  uns 
vorliegenden  Gestalt  ein   fertiges  Ganzes.     Gemäss   der  Ankün- 
digung   des    Verfassers    (col.    1272  D)    folgt    nämlich    auch    in 
diesem   ersten  Buche  gleichwie   in  den  beiden  andern  der  Aus- 
führung   selbst   eine   Reihe   patristischer  Belegstellen   (xQ/l^eig). 
Nur  vor  diesen  könnte  etwas  ausgefallen  sein.    Allein  in  dem 
Übergänge  von  der  Ausführung  zu  den  XQi'jösig  ist,  wie  man  bei 
der  Leetüre  deutlich  sieht,  keinesfalls  eine  Lücke.    Da  nun  auch 
im  Einzelnen  2*  eine  musterhafte  Disposition  zeigt,    so   ist  an 
der  Litegrität  dieses  Buches  gar  nicht  zu  zweifeln.    Ausgefallen 
sind  nur  die   Capitelzahlen ,    die    ursprünglich   hier  ebenso    wie 
noch  jetzt  im  dritten  Buche  vorhanden  gewesen  sind.    Und  was 
vom  ersten  Buche   gilt,   lässt  sich  auch  von  den  beiden  andern 
sagen:    die   Correspondenz   ihres  Inhalts   mit   den  Angaben    der 
jtQO&ecoQia  —   die  überdies  vom  Verfasser  selbst  in  den   Ein- 
gängen des  zweiten  und  dritten  Buches  hervorgehoben  wird  — 
und  die  streng  logische  Folge  der  Gedanken  beweisen,  dass  das 
dreiteilige  Buch  contra  Nestorianos   et  Eutychianos  uns  in  der 
im  cod.  Turrian.  oder  —  um  das  Sichere  zu  sagren  —  bei  Cani- 


§  1.    Die  alte  Sammlung  der  opera  Leontii  Byzantini.  JQ 

sius  gebotenen  Anordnung  im  Wesentlichen  nocli  ebenso  vor- 
liegt, wie  es  aus  des  Verfassers  Hand  hervorgegangen  ist.  Völlig 
irrtümlich  sind  also  im  cod.  Vatic.  und  Laudianus  die  Schriften 
Nr.  6  und  5  zwischen  2*  und  2''  (bezw.  2*)  eingeschoben. 

Dass  dies  geschehen  konnte,  ist,  wie  schon  oben  bemerkt, 
für  die  Beurteilung  der  handschriftlichen  Überlieferung  von 
Wichtigkeit.  Diese  Einschiebuug  wäre  nämlich  nicht  möglich 
gewesen,  wenn  nicht  beide  Schriften,  6  und  5,  bereits  zu  einer 
Zeit,  die  weit  hinter  den  codd.  Vat.  und  Laudian.  liegt,  mit  2*'^'' 
zu  einer  Sammlung  vereinigt  gewesen  wären.  Da  nun  der  cod. 
Laudianus  (nach  Coxe)  ca.  1000  p.  Chr.  geschrieben  ist,  so  dürfen 
wir  eine  Sammlung  von  Schriften  des  Leontius  bereits  in  relativ 
sehr  alter  Zeit  voraussetzen. 

Dieser  Sammlung  ist,  wie  oben  bewiesen  wurde,  wenigstens 
in  einigen  Handschriften  ein  Inhaltsverzeichnis  vorangestellt  ge- 
wesen. Da  nun  Canisius  (Canisius- Basnage  I,  p.  525)  ein 
solches  Inhaltsverzeichnis  den  von  ihm  herausgegebenen  Schrif- 
ten voranstellt,  so  liegt  die  Annahme  nahe,  dass  Turrianus 
dasselbe  in  seiner  Handschrift  gefunden  habe.  Um  der  folgen- 
den Untersuchungen  willen  ist  es  zweckmässig,  dies  Inhaltsver- 
zeichnis hier  einzuschalten: 

Leontii  Byzantini  monachi  libri  tres  contra  Eutychianos  et 
Nestorianos 

I  contra  Enantiodocetas. 
H  contra  Aphthartodocetas. 

III  contra  illos,  qui  simulabant,   se   Chalcedonensem  syno- 
dum  recipere;    cum  essent  Nestoriani. 
Ejusdem  Leontii  solutiones  argumentationum  Severi. 
Ejusdem    Leontii    dubitationes    hypotheticae    et    defiuientes 
contra  eos,  qui  negant  esse  in  Christo  post  unionem  duas 
Veras  naturas. 

Mit  der  an  letzter  Stelle  genannten  Schrift,  den  „dubitationes 
hypotheticae"  (IxajroQrjotig  cf.  col.  1916 A  fin.  vgl.  unten  §  14), 
sind  die  rQucxorta  xscpäZaca  gemeint,  die  wie  im  cod.  Turrian. 
(cf.  Canisius-Basnage  p.  624  und  625)  so  auch  im  Vaticanus 
(Mai,  Spicileg.  X,  pars  I,  p.  65  not.)  diesen  Titel  tragen,  wäh- 
rend im  Laudianus  mit  dem  Anfang  auch  der  Titel  zu  fehlen 
scheint.  Der  Titel  TQu'cxovza  xsg)aXaia  stammt  aus  der  „Anti- 
quorum   patriim    doctrina    de  verbi    incarnatione",  durch    deren 


20  Erstes  Capitel. 

Herausgabe  Mai  die   in  ihr    citierten   dubitationes  hypotbeticae 
zuerst  griechisch  publicierte  (vgl.  oben  S.  9,  Nr.  5). 

Das  Inhaltsverzeichnis  bei  Canisius  nennt  also  von  den  uns 
beschäftigenden,  von  Canisius  selbst  veröffentlichten  Schriften 
2*,  2^  2%  7,  6,  5  nur  2%  2^  2%  6,  5;  Nr.  7,  adversus  fraudes 
Apollinaristarura ,  fehlt.  Dies  ist  eine  Bestätigung  der  Vermu- 
tung, dass  Turrianus  dies  Inhaltsverzeichnis  handschriftlich 
vorfand.  Andernfalls  hätte  er  die  in  seiner  Handsclirift  (und 
ebenso  im  Vaticanus;  unter  besonderm  Titel  (cf.  Canisius- 
Basnage  p.  597)  vorhandene  Schrift  adv.  fraudes  Apollhia- 
ristarum  besonders  namhaft  gemacht.  Doch  eben  dann,  wenn 
das  Inhaltsverzeichnis  als  ein  handschriftlich  überliefertes  an- 
zusehen ist,  eben  dann  hat  die  Auslassung  der  Schrift  adv. 
fraudes  ApoUinaristarum  noch  eine  andre  Bedeutung.  Gehört 
diese  Schrift  (Nr.  7)  ursprünglich  zu  der  Sammlung  der  opera 
Leontii  nicht  hinzu?  Diese  Frage  liegt  um  so  näher,  da  der 
cod.  Laudianus  nach  den  Angaben  des  Catalogs  die  Schrift 
Nr.  7  nicht  enthält.  Doch  trotz  dieses  Fehlens  lässt  sich  die 
Zugehörigkeit  der  Schrift  adv.  fraudes  ApoUinaristarum  zu  der 
Sammlung  bereits  für  sehr  alte  Zeit  mindestens  sehr  wahrschein- 
lich machen.  Vergleicht  man  nämlich  die  Reihenfolge  der  uns 
beschäftigenden  Schriften  im  cod.  Turrian.:  2%  2^  2",  7,  6,  5 
mit  der  Reihenfolge  im  Vaticanus:  2%  6,  5,  2^  2^  7  und  er- 
innert sich  ferner  an  die  Umstellungen,  die  im  Vatic.  stattgefun- 
den haben  (vgl.  S.  17),  so  wird  man  es  für  wahrscheinlich  halten 
müssen,  dass  Nr.  7  schon  vor  der  Loslösung  der  codd.  Turrian. 
und  Vatic.  vom  gememsamen  Stamme  zwischen  1'^  und  6  ge- 
standen hat.  Da  nun  aber  bereits  im  cod.  Laudianus  die  im  cod. 
Vat.  vorliegende  Umstellung  von  Nr.  6  und  5  zu  beobachten  ist, 
so  müssen  die  Archetypi  der  codd.  Vat.  und  Turr.  vor  der  Zeit 
des  cod.  Land.  d.  h.  vor  dem  Jahre  ca.  1000  entstanden  sein.  Die 
Schrift  adv.  fraudes  ApoUinaristarum  scheint  also  bereits  längere 
Zeit  vor  dem  Jahre  1000  den  übrigen  Schriften  beigesellt  ge- 
wesen zu  sein  und  hat  offenbar  schon  in  dem  Archetypus  des 
cod.  Laudianus  ihre  Stelle  gehabt.  So  weit  die  Sammlung  der 
Werke  des  Leontius  zu  verfolgen  ist,  so  weit  ist  bis  jetzt  also 
auch  die  Zugehörigkeit  von  Nr.  7  zu  dieser  Sammlung  fast  mit 
Sicherheit  nachweisbar.  Die  Inhaltsübersicht  bei  Canisius  kann, 
obwohl  sie  wahrscheinlich  aus  dem  cod.  Turr.  stammt,  kaum  da- 


§  1.    Die  alte  Sammlung  der  opera  Leontii  Byzantini.  21 

gegen  geltend  geuiaclit  werden,  weil  über  die  Zeit  ihrer  Ent- 
stehung nichts  zu  sagen  ist. 

Der  Ausfall  der  Schrift  adv.  fi-audes  ApoUinaristarum  im 
cod.  Laudian.  kann  um  so  weniger  auffallen  je  offenbarer  im  cod. 
Land,  von  fol.  175  an  mehreres  darauf  hinweist,  dass  die  bei  An- 
fertigung der  Handschrift  geplante  Sammlung  der  Schriften  des 
Leontius  uns  nur  in  verstümmelter  Gestalt  vorliegt.  Vor  fol.  175 
bricht  contra  Nestorianos  et  Eutychianos  lib.  III  ab  bei  Migne 
col.  1384 B.  Z.  1,  also  vor  dem  jcQoXoyog  rmv  vjtoxeifievcov  XQV' 
oscov  OsoöcÖqov  xal  aX?.cov  aigsTixcöv  [so  ist  nach  dem  latei- 
nischen Text  und  nach  cod.  Laudian.  fol.  178  zu  lesen].  Die  im 
Catalog  als  Prolog  zu  dem  Folgenden  bezeichneten  Sätze  ovx 
tvßovXov  6s  rijrfiä^iriv  xaa  yQi]Quc,  rcöv  jrQoyeygafifitrcov  xal 
dO-amv  aiQerixwv  svOrjur^vaöd^aL  xr?..  (cf.  oben  S.  13  f.)  sind  dem- 
nach als  Epilog  zu  dem  Vorangehenden  anzusehen;  sie  recht- 
fertigen die  Auslassung  der  den  2.  Teil  des  lib.  III  contra  Ne- 
storianos  et  Eutychianos  bildenden  Citate  aus  Theodor,  Diodor 
und  Paul  von  Samosata.  Dass  mit  dieser  zweiten  Hälfte  von 
1^  auch  die  an  2^  angeschlossene  Schrift  adv.  fraudes  ApoUina- 
ristarum ausfiel,  ist  nicht  wunderbar.  Wenn  dann  fol.  178  jene 
Citate  aus  Theodor,  Paul  und  Diodor  mitsammt  dem  ihnen  vor- 
aufgehenden Prolog  nachgebracht  werden,  so  erhellt,  dass  fol.  178 
eine  andre  Hand  einsetzt.  „Haud  una  manu  exaratus",  sagt  auch 
der  Catalog  von  dem  codex.  Dieser  Umstand  lässt  es  wahr- 
scheinlich erscheinen,  dass  auch  die  fol.  175  begonnene  und 
schon  vor  fol.  178  endende  Schrift,  welche  in  den  andern  codd. 
fehlt  und  hier  als  rov  avrov  xs(pa2.aia  xaxa  ÖLcapögo^v  algtri- 
xmv  eingeführt  wird,  von  dem  Schreiber  unvollendet  gelassen 
sei.  Die  bei  fol.  178  neu  einsetzende  Hand  hat  dann  allerdings 
die  zweite  Hälfte  von  lib.  UI  contra  Nestorianos  et  Eutychianos 
nachgetragen,  nicht  aber  die  Schrift  adversus  fraudes  ApoUina- 
ristarum und  die  Fortsetzung  der  x£<paXaLU.  Dagegen  fügt  diese 
Hand  oder  eine  dritte  der  nachgetragenen  zweiten  Hälfte  von 
lib.  HI  contra  JSestorianos  et  Eutychianos  zwei  Briefe  CyrilVs  und 
einen  Brief  des  Julius  von  Rom  hinzu,  die  einem  verlornen 
Werke  des  Leontius  entnommen  sein  könnten,  vielleicht  auch 
mit  der  Schrift  adversus  fraudes  ApoUinaristarum  in  einem  Zu- 
sammenhange standen  (vgl,  unten  §  6). 

Aus    alle   diesem   wird   man,    zumal   wenn   man   auch   den 


22  Erstes  Capitel. 

Schlusssatz  des  cod.  Laudiauus  (vgl.  oben  S.  14)  sicli  in  Erinne- 
rung ruft,  mit  Sicherheit  schliessen  können,  dass  der  codex 
Laudianus  nicht  auf  eine  kürzere,  sondern  auf  eine  inhaltreichere 
Gestalt  der  Sammlung   zurückweist. 

Hiermit  können  wir  diese  Untersuchungen  zunächst  ab- 
schliessen.  Die  oben  S.  8 ff.  sub  2abc,  7,  6  und  5  genannten 
Schriften  sind  —  das  ist  unser  Resultat  —  bereits  längere  Zeit 
vor  dem  Jahre  1000  zu  einer  Sammlung  der  opera  Leontii  ver- 
einigt gewesen,  und  diese  Sammlung  scheint  in  der  noch  weiter 
zurückliegenden  Zeit  nicht  ärmer,  sondern  reichhaltiger  gewesen 
zu  sein.  Als  Verfasser  dieser  Schriften  wird  angegeben:  Leontius 
Byzantinus  monachus  (Canisius  nach  cod.  Turrian,),  Asovriog 
fiovaxoq  (Mai  nach  cod.  Vatic),  o  f/axagiog  Aeovriog  o  tQrj^i- 
T?jg,  o  fiaxüQiog  Asovriog  fiovaL,cop^  o  aßßäg  Asövriog,  o  fiaxa- 
Qiog  AsovTfog  fiovaxog  %al  fityag  doxt/Ttjg  (cod.  Laudianus,  vgl. 
oben  S.  13  f.  die  einzelnen  Titel  und  den  Schluss  der  Handschrift). 
Weiteres  ist  aus  der  handschriftlichen  Überlieferung  der  in  Rede 
stehenden  Scliriften  nicht  zu  entnehmen.  Wir  sind  daher  an- 
gewiesen, nun  zu  den  Schriften  selbst  überzugehen. 

§  2.  Die  libri  tres  adversus  Nestorianos  et  Eutychianos, 
ihre  Abfassung  zwischen  529  und  544. 

Bleiben  wir  zunächst  bei  der  von  den  Handschriften  an 
erster  Stelle  gebotenen  Schrift,  den  tres  libri  contra  Nestorianos 
et  Eutychianos.  Ich  versuche  vor  weiterem,  dem  Leser  die  Art 
und  den  Inhalt  der  Schrift  näher  zu  bringen.  Denn  nur  bei 
wenigen  würde  ich  eine  Bekanntschaft  mit  den  bei  Migne  Bd.  86 
gedruckten  Werken  des  Leontius  voraussetzen  dürfen;  und  dar- 
auf zu  rechnen,  dass  die  Leser  aus  dem  Werke  sich  über  das- 
selbe selbst  orientieren  könnten,  —  das  verbietet  nicht  nur  die 
Schwierigkeit  des  Verständnisses  des  Griechischen  und  die  Schlech- 
tigkeit der  lateinischen  Übersetzung,  sondern  auch  die  Mangel- 
haftigkeit des  Textes  und  der  scholastische  Charakter  der  er- 
örterten Fragen  und  ihrer  Behandlung.  Den  Eingang  teile  ich  in 
freier  aber,  wie  ich  hoffe,  treuer  Übersetzung  wörtlich  mit: 

, Ehrwürdige  (ß-sofpiXelg)*)  und  für  die  göttliche  Wahrheit 

*)  &eo(piXrjQ  ist  in  Justinian's  Zeit  fast  stehendes  Epitheton  der  Bi- 
schöfe, vgl.  den  Codex  Justinianus  und  die  Novellen. 


I 


§  2.    Die  libri  tres  adversus  Nestorianos  et  Eutychianos  etc.        23 

{9-üa  öo-yfiava)  eifrigst  interessierte  Männer,  welche  meine  häu- 
figen öffentlichen  Disputationen  mit  Beifall  aufgenommen  hatten, 
haben  mich  aufgefordert,  eine  schriftliche  Darlegung  der  oft 
erörterten  dogmatischen  Fragen  und  Antworten  (ljia:^0Qy<j£03v 
xcd  Ivo&ojv  vjtOTVJtcoOeig)  ihnen  in  die  Hand  zu  geben,  eine 
Darlegung,  die,  wie  jemand  einmal  sagte,  ihnen  ein  Mittel  gegen 
Vergesslichkeit,  ein  Anhalt  (eigentlich:  eine  Anfeuerung,  sfurv- 
Q8h\ua)  für  das  Gedächtnis  und  ein  Schutz  sein  könnte  gegen- 
über dem  alles  verdunkelnden  Einfluss  der  Zeit.  Mannigfach 
verhindert,  habe  ich  es  aufgeschoben.  Vieles  bewog  mich  dazu, 
vornehmlich  aber  zweierlei.  Zunächst  bin  ich  zur  Schriftstellerei 
nicht  geschickt,  da  ich  in  weltlicher  Bildung  nicht  unterrichtet 
bin,  und  die  geistige  Reife,  welche  die  göttliche  Gnade  denen 
giebt,  welche  reines  Herzens  sind,  noch  nicht  erreicht  habe.  — 
Dies  zu  gestehen  schäme  ich  mich  nicht,  während  die  „Weisen* 
unserer  Tage  sich  [in  dieser  Hinsicht]  in  völligster  Unkenntnis 
über  sich  selbst  befinden*).  Zweitens  aber  benahm  mu*  die  Un- 
dankbarkeit dieser  [unserer  Zeitgenossen]  gegenüber  den  Arbeiten 
der  heiligen  Väter  die  Lust,  dem  Gebot  der  Liebe  Folge  zu 
leisten.  Denn  wenn  jene  durch  die  Werke  der  Väter  nicht  über- 
zeugt werden,  die  doch  unter  so  reichem  Beistand  göttlicher 
Gnade  und  Weisheit  und  mit  so  grossem  philosophischen  Scharf- 
sinn und  [reicher]  sonstiger  Bildung  verfasst  sind,  wie  möchte 
diese  kleine,  von  geringer  Geisteskraft  und  geringer  sprachlicher 
Bildung  zeugende  Abhandlung  sie  eines  Bessern  belehren  kön- 
nen!" Diesen  einleitenden  Worten  folgen  Angaben  über  die 
Disposition  der  geplanten  drei  Bücher.  Nach  solcher  Vorrede 
(col.  1268 — 1272)  beginnt  der  Verfasser  die  gemeinsame  Polemik 
gegen  die  beiden,  einander  aufs  schroffste  widersprechenden 
Häresien  der  Nestorianer  und  Eutychianer  mit  Erörtermigen 
über  ihr  Verhältnis  zu  einander:  sie  können  gemeinsam  wider- 
legt werden,  weil  die  Voraussetzungen  ihres  Irrtums  die  gleichen 
süid  (col.  1273A— 1276D). 

yiOvx   tOTL  (pvOiq    avvjtooraxoc,'^ ^  diese  beiden  gemeinsame 
Voraussetzung    bespricht    der    Verfasser    zunächst,     indem    er 


*)  Im.  Texte  Migne's  sind  col.  1269A  Z.  1  die  Worte  äyvoovvx<av' 
hieira  6e  xal  y  rovrojv  TiQoq  xovq  vor  naXuiovq  ausgefallen.  Bei  Mai, 
Spicileg.  X,  pars  2,  p.  2  finden  sie  sich. 


24  Erstes  Capitel. 

gegenüber  den  falschen  Consequenzen  der  ovo  vjtoördaeig  einer- 
seits, der  fiia  (pvoig  andrerseits  die  Enliypostasie  entwickelt 
(col.  1276D  —  1280B).  Sodann  widerlegt  er  die  verschieden- 
artige Benutzung,  welche  Nestorianer  wie  Eutychianer  von  der 
Annahme  machen,  dass  der  Mensch  aus  unvollkommnen  Teilen 
bestehe.  Erstere  denken  deshalb,  die  Analogie  verwerfend,  die 
Einheit  in  der  Person  Christi  anders  als  im  menschlichen  Ich, 
letztere  leugnen  eben  auf  Grund  dieser  Analogie  die  vollständige 
Integrität  der  beiden  Natm-en  in  Christo.  Jedes  Gleichnis  hinkt, 
hält  der  Verfasser  beiden  entgegen;  übrigens  ist  auch  hier  die 
Voraussetzung  irrig,  denn  die  Teile  des  Menschen  sind  voll- 
kommen an  sich,  unvollkommen  nur  respectu  totius  (col.  1280B — 
1284  A  fin.).  Dasselbe  Gleichnis  benutzen  die  Gegner  weiter,  um 
zu  zeigen,  dass,  Avie  die  Seele  durch  Vereinigung  mit  dem  Körper 
leidensfähig  werde,  so  auch  der  Xöyoq,  wenn  man  eine  wirk- 
liche kvcoOLq  der  göttlichen  und  menschlichen  Natur  annähme. 
Auch  hier  ist,  so  entgegnet  der  Verfasser,  die  Voraussetzung 
unrichtig:  die  Seele  kann  nur  mit  leiden,  weil  sie  an  sich 
leidensfähig  ist  (col.  1284B— 1285B).  —  Führt  aber  die  An- 
nahme der  Vollständigkeit  beider  Naturen  nicht  doch  zur  Be- 
hauptung zweier  Hypostasen?  Keineswegs,  man  darf  nur  nicht 
(fivoiq  und  vjiöözaoig  verwechseln  (1285  B  — 1288  C).  Von  hier 
aus  wird  zunächst  die  fiia  fpvoig  der  Monophysiten  kritisiert 
( — 1297  C},  sodann  ( — 1301 C)  die  mangelhafte  tvojoig  y.ar  evsQ- 
yuav  der  Nestorianer,  und  daran  schliesst  sich  eine  sorgfaltige 
positive  Darlegung  der  %voi6ig  y,ax  ovolav  im  Sinn  des  Chal- 
cedonense  und  der  Enhypostasie  ( — 1305D)*).  Darauf  folgen 
(1305 D — 1308A)  Schlussbemerkungen  und  dann  patristische  Beleg- 
stellen, die  von  Mai  unvollständig  publiciert,  nur  im  lateinischen 
Text  des  Canisius  vollständig  vorliegen  (col.  1308A — 1316C). 
Das  zweite  Buch  wird  eröffnet  durch  eine  ausführliche 
Einleitung  (1316D  — 1320A),  welche  von  dem  Streit  zwischen 
den  Monophysiten  Severus  von  Antiochien  und  Julian  von  Hali- 
carnass  berichtet,  um  an  diesen  Bericht  die  Klage  anzuknüpfen, 

*)  ävojaic  xax'  inöoraoiv  sagt  der  Verf.  hier  nicht,  obgleich  er  eben 
das  meint,  was  dieser  terminus  besagt.  Wie  wenig  das  Referat  in  Her- 
zog's R.-E.2  VIII,  S,  594  richtig  ist,  zeigt  ein  einziger  Satz  (col.  1300B): 
ol  TTjV  h'vojoiv  /n^  y.ttx^  ovolav,  uXXa  aar  ivkQynav  t]  svöoxiav  i]  uXXtjv 
xivu  ToiavTTjv  O'/Joiv  doy/aarloavT^g,  xax'  ovöiv  fihv  xy  vlrjd^sia  iyyi^ovai. 


§  2.    Die  libri  tres  adversus  Nestoiüanos  et  Eutychianos  etc.       25 

dass  in  Folge  jenes  Streites  die  Anschauung  der  Aphtharto- 
doketen,  der  Julianisten,  selbst  in  bislang  nicht  monophysitischen 
Kreisen  Billigung  gefunden  habe.  Nach  einigen  polemischen 
Ausführungen  folgt  col.  1323  ff.  ein  Dialog  mit  einem  Aphtharto- 
doketen.  Die  Disposition  desselben  hat  der  Verfasser  selbst  in 
der  jtQO&scoQia  angegeben,  wenn  er  sagt  (1269 C):  „Man  muss 
zunächst  die  Voraussetzung  erweisen,  dass  die  Natur  der  Gott- 
heit Christi  und  ebenso  die  Natur  seiner  Menschheit  vorhanden 
sei  und  bewahrt  bleibe  nach  der  Einigung:  dann  erst  muss 
man  von  dem  gegenseitigen  Verhältnis  dieser  beiden  Naturen 
und  von  dem  Modus  ihres  Vorhandenseins  handeln".  Dement- 
sprechend erzwingt  sich  der  orthodoxe  Collocutor,  ausgehend  von 
der  Erlösungslehre,  zunächst  die  Gleichheit  der  menschlichen 
Natur  Christi  mit  der  unsern  im  Allgemeinen  (1323 — 1326  C;. 
Bei  näherer  Erörterung  der  ModaHtäten  der  Incarnation  stellt 
sich  eine  Differenz  heraus,  und,  nachdem  hier  die  Fernhaltung 
doketischer  Vorstellungen  vom  Häretiker  zugegeben  ist  ( — 1329D), 
überträgt  sich  diese  auf  das  Gebiet  der  Beurteilung  des  Leidens. 
Aach  hier  durch  das  Schreckgespenst  des  Doketismus  weggewie- 
sen ( — 1337  B),  spitzt  sie  sich  zu  zu  der  Frage  nach  der  Möglich- 
keit oder  Unmöglichkeit  der  Vergänglichkeit  der  menschlichen 
Natur  Christi,  löst  sich  zwar  infolge  des  orthodoxen  Zugeständ- 
nisses der  Unwirklichkeit  der  an  sich  möglichen  Vergänglichkeit 
fast  in  Harmonie  auf  ( — 1341 D^,  kehrt  aber  bei  der  nähern 
dogmatischen  Präcisiemng  wieder  und  bleibt  trotz  aller  Be- 
mühungen des  Orthodoxen,  das  ofioovoiog  ?jf/iv  hinsichtlich  der 
Möglichkeit  der  Vergänglichkeit  auf  Umwegen  zu  erzwingen, 
dennoch  unüberwunden.  Der  Dialog  kehrt  deshalb  zum  Anfang 
zurück,  indem  der  Orthodoxe  dem  Aphthartodoketen  vorhält, 
dass  nach  seiner  Anschauung  Christi  Werk  bereits  mit  der 
Menschwerdung  abgeschlossen  sei.  Nach  überleitenden  Bemer- 
kungen und  doxologischem  Schluss  folgt  (1353C — 1357A),  durch 
eine  kleine  Vorrede  eingeleitet,  auch  hier  eine  Reihe  von  Väter- 
stellen, die  abermals  bei  Mai  und  Migne  nur  unvollständig  mit- 
geteilt ist. 

Das  allein  gegen  die  Nestorianer  gerichtete  dritte  Buch, 
namenthch  sein  Eingang,  ist  für  die  Feststellung  der  Personalia 
des  Verfassers  sehr  wichtig.  Ich  versuche  deshalb  eine  freie  aber 
treue  Übersetzung  dieses  Eingangs: 


26  Erstes  Capitel. 

„Indem  ich  den  beiden  vorangegangenen*)  Abhandlungen 
diese  dritte  anschliesse,  um  Gott  meinen  Dank  zu  zahlen,  die 
Gottlosen  an  den  Pranger  zu  stellen  und  über  sie  zu  triumphie- 
ren, möchte  ich  den  Herrn  bitten,  auch  jetzt  mir  beizustehen 
als  Helfer  für  meine  Einsicht  und  durch  das  Wort  (den  löjoq) 
meinem  Wort  die  Bahn  zu  weisen  in  geistgewirkter  Gnade. 
Denn  wenn  ich  auch  diese  unter  meinen  Händen  befindliche  Ab- 
handlung gleichwie  alle  andere  Arbeit  mit  Gottes  Hülfe  in  An- 
griff nehme,  dann  wird  mir  diese  Hülfe  ein  ausreichender  Lohn 
für  meine  Mühe  sein.  Denen  aber,  um  deretwilleu  und  auf  deren 
Veranlassung  ich  schreibe,  sei  diese  Abhandlung  ein  Handgeld 
für  meine  Schuld,  ob  es  gleich  nicht  gemäss  dem  Sollen,  son- 
dern gemäss  meinem  Können  bemessen  ist.  Auch  in  andrer  Be- 
ziehiing  befreit  mich  die  jetzige  Abhandlung  von  einer  Verpflich- 
tung. Eine  alte  Schuld  nämlich  bezahle  ich  mit  ihr,  eine  Schuld, 
die  auf  Tilgung  am  meisten  Anrecht  hat.  Längst  schon  hätte 
sie  bezahlt  sein  müssen,  doch  wegen  meiner  grossen,  andauern- 
den Armut  komme  ich  erst  jetzt  dazu,  und  auch  jetzt  nur  mit 
Mühe  und  nicht  so,  wie  es  sein  sollte", 

„Denn  der  Gemeinschaft  eben  der  Ketzer,  denen  gegenüber  ich 
Gott  eine  Siegessäule  aufzustellen  eben  jetzt  mir  vorgenommen 
habe,  über  die  ich  triumphieren  möchte,  indem  [ich  dahin  wirke, 
dass]  sie  nicht  mehr  im  Verborgnen  ihre  Gottlosigkeit  aufspeichern 
und  ungesehen  und  unbekannt  viele  verführen,  sondern  weithin 
offenbar  werden,  damit  man  desto  mehr  vor  ihnen  flieht  und  von 
ihnen  sich  abwendet,  —  eben  deren  Gemeinschaft  gehörte  auch 
ich  einst  als  Mitglied  an  {vjcijQxov  zov  d-iaöov  /liQog).  Jung, 
wie  ich  damals  war,  an  Alter  wie  an  Verstandesbildung,  hatten 
sie  mich  an  sich  gerissen,  indem  sie  zu  diesem  Zweck  alle  Mittel 
der  Schlechtigkeit  in  Bewegung  setzten.  Ich  meinerseits  hatte 
mir  eine  sorgfältige  dogmatische  Bildung  als  Ziel  gesetzt  und 
war,  nachdem  ich  an  der  Dogmatik  —  sprichwörtlich  zu  reden 
—  eben  mit  den  Fingerspitzen  genascht  hatte,  ein  Liebhaber  des 
Ungewöhnlichen  [ein  Feinschmecker]  geworden,  und  Hess  des- 
halb auch  an  Bereitwilligkeit  nichts  zu  wünschen  übrig.  So 
nahmen  sie  mich  denn,   der  ich  wie  ein  blinder  Wanderer  war, 


*)  TiQoXcißovai  ebenso  z.  B.  de  sectis  1216B,  1221 B,  und  adv.  argum. 
Severi  1928D. 


§  2.     Die  libri  tres  adversus  Nestorianos  et  Eutycliianos  etc.       27 

und  versuchten  micli  in  die  Grube  ihrer  Gottlosigkeit  herein  zu 
ziehen.  Doch  von  oben  her  erschien  mir  die  göttliche  Gnade 
und  riss  mich,  als  ich  schon  eine  fast  gewonnene  Beute  für  sie 
geworden  war,  ihnen  aus  den  Zähnen,  indem  sie  eine  heisse  Sehn- 
sucht nach  Tugend  in  mir  anregte  und  ein  Verlangen*),  um  ihret- 
willen ausser  Landes  zu  gehen  **).  Wie  hätte  nicht  der,  welcher 
Israel  in  der  Wüste  den  Weg  führte,  auch  meiner  Pilgerreise 
Begleiter  werden  sollen!  Er  nahm  mich  auf***)  und  liess  mich 
nicht  eher,  als  bis  er  mich  den  Händen  göttlicher  Männer  an- 
vertraut hatte,  die  nicht  nur  das  Auge  meiner  Seele  von  jener 
Krankheit  völlig  heilten  [von  jener  ganzen  Triefäugigkeit  reinig- 
ten], sondern  auch  mit  heiligem  Licht  meine  Seele  erfüllten,  in- 
dem sie  durch  die  Bücher  rechter  Gottesgelehrter  (zcöv  d-sooo- 
gxjov)^  die  auch  für  sie  die  Quelle  der  Wahrheit  und  aller 
sonstigen  Tugend  waren,  Hand  und  Herz  mir  heiligten.  Würde 
ich  nicht  mit  Recht  von  allen  Edeldenkenden  der  äussersten  Un- 
dankbarkeit angeklagt  werden,  wenn  ich  es  ertrüge,  dies  mit 
völligem  Stillschweigen  zu  bedecken?" 

„Dass  ich  aber  nicht  gleich  anfangs,  nicht,  sozusagen,  in 
eben  der  Stunde,  da  ich  wieder  sehend  zu  werden  gewürdigt 
wurde,  mein  Dankesschreiben  verfasst  habe,  das  verzeihe  mir 
Gott,  verzeihe  mir  jeder  einzelne  unter  den  Freunden  Gottes. 
Denn  nicht  aus  Undankbarkeit  habe  ich  bisher  geschwiegen,  son- 
dern aus  Furcht,  damit  ich  nicht  den  Dank  als  Vorwand  zu 
nehmen  schiene  für  eine  voreilige  Schrift.  Jetzt  aber,  da  ein 
gerechter  Anlass,  der  mir  nicht  Ruhe  lässt,  mich  aufrüttelt,  be- 
eile ich  mich,  meiner  Schuld  und  meinem  Wunsche  zugleich  ge- 
nugzuthun.  —  Als  glaubwürdiger  als  alle  darf  ich  mich  viel- 
leicht bezeichnen,  sodass  ich  Glauben  linde  für  das,  was  ge- 
sagt werden  muss,  und  im  Staude  bin,  jene  Gottlosen  zu  beschä- 
men, wenn  anders  sie  für  Scham  noch  Raum  haben  (av  aga 
ßovXcovrai).  Denn  Erfahrung,  sagt  man,  ist  zuverlässiger  als 
[Belehrung  durch]  Worte.  Christus  aber  sei  mein  Zeuge,  und 
sein  Vater  mit  ihm,  dafür,  dass  ich  nicht  aus  Hass  gegen  diese 


*)  incc§iov  muss  nach  dem  Zusammenhang  Substantiv  sein  =  tna^lcooig. 
**)  Über  dies  mönchische  peregrinari  s.  meine  Antiquae  ßritonum  Sco- 
torumque  ecclesiae.  1882,  p.  68  sq. 

***)  wie  ein  Adler  sein  Junges,  —  das  Bild  scheint   im  Hintergrunde 
zu  stehen. 


28  Erstes  Capitel. 

oder  aus  Liebe  zu  jenen  gegen  diese  [Gottlosen]  zu  schreiben  im 
Begriff  bin.  Ich  thue  es  vielmehr  zunächst*)  deshalb,  weil  ich 
mit  ihnen  selbst  Mitleid  empfinde,  sodann  deshalb,  weil  ich  die 
Menge  derer,  die  sie  verführt  haben,  zu  beklagen  nicht  unter- 
lassen kann**),  drittens  endlich  habe  ich,  um  prophylactische 
Hülfe  denen  zu  gewähren ,  die  wahrscheinlich  künftig  (ööoi^ 
ovjtco  =  in  nicht  gar  langer  Zeit)  noch  in  Gefahr  geraten  wer- 
den, in  dieser  Schrift  gleichsam  eine  schützende  Medizin  zu 
mischen  mich  bemüht.  Überdies  nötigte  mich  das  zum  Schreiben, 
dass  ich  vor  dem  göttlichen  Gericht  mich  hätte  fürchten  müssen, 
wenn  meine  eignen  schmerzlichen  Erfahrungen  mich  nicht  zu 
Mitleid  gebracht  hätten  mit  andern.  Dadurch  wenigstens  will 
ich  dem,  der  mich  erlöst  und  gerettet  hat.  Dank  abstatten,  dass 
ich  um  das  Heil  andrer  mich  bemühe.  Und  unwillig  dürfen 
selbst  jene  nicht  werden,  wenn  ich  auszusprechen  wage,  was  sie 
zu  denken  sich  nicht  scheuen.  Wohlan  denn,  so  will  ich  ans 
Tageslicht  ziehen  (slg  fitoov  jraQtLOxvxh'/Oofiev)  alle  ihre  gegen 
die  Wahrheit  gerichteten  Erfindungen,  deren  sie  sich  denen  gegen- 
über bedienen,  die  in  ihren  mörderischen  Netzen  jämmerlich  sich 
fangen  lassen".     (Soweit  bis  col.  1360D.) 

Die  nähere  Ausführung  des  in  den  letzten  Worten  aus- 
gesprochenen Planes  entspricht  genau  den  Angaben  der  jtgo- 
^eooQia  (col.  1272A  u.  B),  sodass  der  sich  aufdrängende  Gedanke,, 
es  könnten  in  diesem  Abschnitt  eigentlich  dogmatisch-polemische 
Ausführungen  ausgefallen  sein,  gegenüber  dieser  Harmonie  zwi- 
schen Ankündigung  und  Ausführung  bald  zurücktritt.  Das  ganze 
dritte  Buch  hat  einen  mehr  referierenden  als  dogmatisch -pole- 
mischen Charakter,  und  wenn  auch  das  Ich  des  Verfassers  nach 
den  einleitenden  Bemerkungen  nicht  wieder  erscheint,  so  erkennt 
man  doch  des  Verfassers  persönliche  Erfahrungen  aus  dem  her- 
aus, was  er  zunächst  berichtet.  Die  Nestorianer,  so  erzählt  er, 
verleugnen,  wenn  jemand  aus  der  Kirche  zu  ihnen  kommt,  zu- 
nächst den  Theodor  (v.  Mopsueste)  und  Diodor  (von  Tarsus)  und 
stellen  sich  auf  den  Boden  des  Chalcedonense.  Sorgfältig  sehen 
sie  dann  sich  um  nach  der  Leetüre  dessen,  den  sie  fangen  wollen. 


*)  TiQwrov  stsitt  TtiiojTovq  {l3ßOC)  ist  nach  dem  Lateinischen  zu  lesen. 
**)  Man    muss    dem    lateinischen  Texte    folgen,    der  griechische    hat 
eine  Lücke. 


§  2.     Die  libri  tres  adversus  Nestorianos  et  Eutychianos  etc.         29 

sie  rülimen  die  orthodoxen  Väter,  bringen  aber  zugleich  Bücher 
ihrer  Richtung  herbei,  ohne  die  Namen  der  Verfasser  zu  nennen. 
„Lies  erst",  sagen  sie,  „und  dann  erfahre,  wer  und  wie  bedeu- 
tend diese  Männer  gewesen  sind,  deren  Namen  du  Armseliger 
bislang  nicht  einmal  erfahren  hattest"  (1362B).  Weiter  locken 
sie  durch  weltliche  Vorteile:  reden  einem  Mönch  seine  Askese 
völlig  aus  und  versprechen  einem  Cleriker  gute  Stellen.  Ja  sie 
nehmen  orthodoxe  Geistliche  auf,  ohne  von  ihnen  ein  Ausschei- 
den aus  dem  Clerus  der  Kirche  zu  fordern;  sie  begünstigen  ge- 
radezu solche  Heuchelei.  — 

An  diesen  autobiographisch-polemischen  Teil  fügt  sich  von 
cap.  7  (col.  1364B)  ab  eine  halb  schon  cap.  5  begonnene,  re- 
ferierende Polemik  gegen  Theodor  von  Mopsueste.  Cap.  7—37 
werden  seine  dogmatischen  und  exegetischen  Ketzereien  darge- 
legt, ohne  weitere  Kritik  als  die  Kraftausdrücke  der  Darstellung 
sie  enthalten.  Der  Verfasser,  der  von  sachlichen  Unwahrheiten, 
von  Verläumdungen,  sich  fernhält,  ist  bei  all  diesen  Mitteilungen 
davon  überzeugt,  dass  er  Unbekanntes  ans  Licht  zieht.  Seine 
Mitteilungen  allein  genügen,  so  meint  er  offenbar,  die  Verworfen- 
heit Theodors  zu  bezeugen.  Von  diesem  Theodor  kommt  Nesto- 
rius  her.  Darum  können  auch  die  freundschaftlichen  Briefe  ortho- 
doxer Väter  an  Diodor,  den  eigentlichen  Urheber  der  nestoria- 
nischen  Ketzerei,  ihn  und  Theodor  nicht  gegen  Anklagen  decken. 
Ebenso  wenig  verbale  L'ngenauigkeiten  bei  altern  orthodoxen 
Vätern,  denn  nicht  um  einen  Wortstreit  handelt  es  sich  den 
Nestorianern  gegenüber,  nein,  um  die  Principien  der  Christologie. 
Im  Nestorianismus  ist  derselbe  Feind  wieder  aufgelebt,  der  in 
Paul  von  Samosata  bereits  überwunden  wurde:  deshalb  sind 
Diodor  und  Theodor,  ob  sie  gleich  nie  verurteilt  sind  (cap.  42. 
col.  1382  ABC),  dennoch  in  gleicher  Verdammnis  mit  ihrem 
Schüler  Nestorius,  den  das  Anathem  erreicht  hat.  Darauf  folgt 
(1384A)  der  Schluss,  und  sodann,  abermals  von  einem  Prolog 
eingeleitet,  patristische  Citate  wie  bei  den  ersten  Büchern,  dies- 
mal aber  nicht  vor  allen  aus  den  orthodoxen  Vätern,  sondern 
vornehmlich  aus  Theodor,  Diodor  und  Paul  von  Samosata  fcol. 
1384B — 1396,  aber  unvollständig,  ganz  bei  Canisius-Basnagel. 
p.  582 — 596,  die  Stellen  aus  Theodor  vollständig  griechisch  bei 
Mai,  Script,  vet.  VI,  299—312).  Welchen  Zweck  diese  XQriOug 
haben  sollen,  zeigt  deutlich  das  Schluss  wort,  —  es  ist  zugleich 


30  Erstes  Capitel. 

das  Schlusswort  des  Buches  und  der  ganzen  Schrift  contra  Ne- 
storianos  et  Eutychiauos:  „Ich  glaube,  dass  aus  diesem  allen 
einerseits  die  Übereinstimmung  Theodors  und  seiner  Genossen 
mit  Paul  von  Samosata  offenbar  geworden  ist,  andrerseits  ihr 
Widerspruch  und  ihre  Abweichungen  gegenüber  den  heiligen 
Vätern.  Den  Lesern  steht  es  frei  der  Wahrheit  zuzufallen,  ihr 
den  Triumph  zu  lassen  über  die  Lüge." 

Soviel  über  die  Schrift  contra  Nestorianos  et  Eutychianos 
selbst.  Ihre  vorzügliche  Disposition,  die  Scharfsinnigkeit  ihrer 
Argumente  und  die  patristische  Gelehrsamkeit,  von  der  sie  Zeugnis 
ablegt,  lässt  sie  als  eine  der  bedeutendsten  dogmatisch- polemi- 
schen Werke  ihrer  Zeit  erscheinen.  Doch  wer  war  ihr  Verfasser? 
Seinen  Namen  nennt  er  nirgends,  Mönch  oder  Cleriker  ist  er 
zweifellos  gewesen  (col.  1268  B  vgl.  die  Übersetzung  oben  S.  23 
und  1362  C  cap.  4  vgl.  das  Referat  oben  S.  29)  und  zwar  wahr- 
scheinlich ersteres.  Erfährt  man  nämlich  col.  13G0A  (vgl.  die 
Übersetzung  oben  S.  27),  dass  ihn  die  göttliche  Gnade  aus  den 
Händen  der  Nestorianer  gerettet  habe  .,jr6&op  d^SQ^öraxov  aQsrrjg 
6,M/3a2o{5öß:",  so  scheint  dies  combiniert  mit  col.  1362  C.  cap.  4 
darauf  hinzudeuten,  dass  der  Verfasser  als  Mönch  zu  den  Nesto- 
rianern  kam,  von  ihnen  sich  verführen  Hess,  es  mit  der  Askese 
leicht  zu  nehmen,  dann  aber  eben  dadurch  irre  wurde  an  seinen 
Lehrern,  dass  sein  mönchisches  Gewissen  reagierte.  Die  persön- 
lichen Erfahrungen  des  Verfassers  zur  Feststellung  seiner  Persön- 
lichkeit zu  verwerten,  fehlt  es  bei  seinem  eignen  Schweigen  über 
Namen  und  Stand  hier  noch  an  näherem  Anhalt. 

Über  die  Zeit  des  Verfassers  aber  erhalten  wir  hinreichende 
Auskunft.  In  der  Einleitung  zu  lib.  II  (col.  1317)  erwähnt  der  Ver- 
fasser, wie  schon  oben  S.  24  im  Referat  angegeben  ist,  den  Streit 
zwischen  den  monophysitischen  Bischöfen  Severus  von  Antiochien 
und  Julian  von  Halicarnass.  Die  aus  ihm  hervorgegangene  Spal- 
tung der  Monophysiten  in  die  Severianer  und  Julianisten,  (pd-aQto- 
XäxQai  (corrupticolae)  und  acpü-agtodoxr/vai.  (phantasiastae),  ist  eine 
Voraussetzung  des  ganzen  zweiten  Buches.  Richtet  es  sich  doch 
vornehmlich  gegen  diejenigen  innerhalb  der  orthodoxen  Kirche, 
welche  von  der  Doctrin  der  Aphthartodoketen  sich  hatten  an- 
stecken lassen.  Dennoch  ist  seit  der  Entstehung  jener  Spaltung 
unter  den  Monophysiten  erst  kurze  Zeit  verstrichen,  den  Streit 
zwischen  Severus  und  Julian  erwähnt  der  Verfasser  als  rr/v  vvv 


§  2.    Die  libri  tres  adversus  Nestorianos  et  Eutychianos  etc.        31 

kv  TOiq  vjtepapTLOic  exavaoräoav  xar'  d?.X?]XoDV  Cvyofiayiav 
(col.  1317 A).  Aus  alle  diesem  folgt,  dass  die  Bücher  contra 
Nestorianos  et  Eutychianos  frühestens  in  den  zwanziger  Jahren, 
aber  jedenfalls  noch  in  dem  damaligen  Menschenalter,  also  vor 
etwa  550  geschrieben  sind.  Denn  jener  Streit  zwischen  Severus 
und  Julian  brach  aus,  nicht  lange  nachdem  der  im  Juli  518  er- 
folgte Tod  des  Kaisers  Anastasius  einer  antimonophysitischeu 
Reaction  gegen  die  bisherige,  wo  nicht  monophysitenfreundliche, 
so  doch  mindestens  neutrale  Hofpolitik  Raum  gemacht  hatte  (vgl. 
H  e  f  e  1  e ,  Conciliengeschichte  2  H  §  233,  H  e  r  z  o  g ,  R.-E.  2  X,  S.  242  f .). 
Severus  und  Julian  waren,  den  Gewaltmassregeln  Kaiser  Justin  s  I. 
zuvorkommend,  aus  ihren  Bischofsstädten  geflohen,  noch  ehe  die 
Wiederherstellung  der  Gemeinschaft  mit  Rom  im  Frühjahr  519 
definitiv  für  eine  entschieden  antimonophysitische  Politik  des 
Hofes  entschieden  hatte.  Schon  im  September  518  hatte  Severus 
Antiochien  verlassen  (Evagrius,  bist.  eccl.  lY,  4.  Migne,  Patrol. 
graec.  86,  2  col.  2709  vgl.  Liberatus,  Breviarium  causae  Ne- 
storiauorum  et  Eutychianorum  c.  19.  Mausi  concil.  ampl.  coli.  IX, 
693  B) ;  in  Alexandrien  fand  er,  und  ebenso  der  etwa  gleichzeitig 
geflohene  Julian  eine  Zuflucht.  Hier  in  Ägypten,  der  Heimat 
des  Monophysitismus,  in  der  jetzt  von  den  verschiedensten  Seiten 
her  mouophysitische  Flüchtlinge  sich  einfanden,  führte  eine  bis- 
lang unbeachtet  gebliebene  Diiferenz  über  die  Auffassung  der 
fiia  cfvoig  alsbald  zum  Streit  zwischen  den  beiden  Häuptern  der 
Monophysiten.  Julian  hielt  es  für  eine  notwendige  Consequenz 
des  Monophysitismus,  eine  Verklärung  der  menschlichen  Natur 
in  Christo  zur  mpd-aQOia  bereits  von  der  tvcooic.  der  Naturen  her- 
zuleiten: in  der  11  ia  cfvoig  Christi  ist  ihm  ein  physischer  Unter- 
schied {(pvOLxri  öiatpoQo)  zwischen  einer  unvergänglichen  gött- 
lichen und  einer  vergänglichen  menschlichen  Natur  nicht  mehr 
vorhanden  (vgl.  Leontius,  de  sectis  col.  1229).  Severus  dagegen, 
auf  dessen  Lehre  wir  später  noch  genauer  werden  eingehen  müssen, 
glaubte  die  cuf&aQOia  der  menschlichen  Natur  in  Christo  erst  seit 
^Qr  aväoraOLQ  datieren  zu  müssen,  eine  begriftliche  Unterscheidung 
der  unvergänglichen  göttlichen  und  der  vergänglichen  mensch- 
lichen Natur  hielt  er  flu-  verträglich  mit  der  Annahme  einer  fiia 
(fVOig,  doch  bezeichnete  er  diese  ///a  ffvoiq  ausdrücklich  als  Ovvü^s- 
toq  (vgl.  unten  §  4).  Diese  Differenz  hinsichtlich  der  Auffassung 
der  }da  cpvoig  war,   wie   gesagt,   nicht  erst  jetzt  entstanden  — 


32  Erstes  Capitel. 

schon  bei  Cyrill  einerseits,  Eutyches  andrerseits  lässt  sie  sich  beob- 
achten — ,  aber  erst  jetzt  im  Streit  zwischen  Severus  und  Julian 
wurden  die  Monophysiten  ihrer  als  trennender  Diifferenz  sich  be- 
wusst,  erst  jetzt  begann  auch  die  theologische  Reflexion  genauer 
mit  diesen  Fragen  sich  zu  beschäftigen.  Wann  dies  war,  wann 
der  Streit  zwischen  Severus  und  Julian  ausbrach,  lässt  sich  ge- 
nauer, als  es  oben  geschehen,  nicht  angeben.  Die  wichtigsten 
Quellen*)  verknüpfen  eng  die  Übersiedlung  der  beiden  Bischöfe 
nach  Alexandria  und  den  Ausbruch  des  Streites  (Liberatus 
a.  a.  0.,  Leontius,  de  sectis  col.  1229 CD).  Vor  dem  dritten 
Jahrzehnt  des  Jahrhunderts  aber  sind  die  Verhältnisse,  welche  das 
zweite  Buch  der  Schrift  contra  Nestorianos  et  Eutychianos  vor- 
aussetzt, schwerlich  vorhanden  gewesen.  Frühestens  in  den 
zwanziger  Jahren  kann  die  Schrift  contra  Nestorianos  et  Euty- 
chianos geschrieben  sein. 

Dies  bestätigt  sich  in  dem  dritten  Buche  der  Schrift  col. 
1364D.  Der  Verf.  spricht  hier  von  der  Kirche  der  syrischen 
Hauptstadt  als  der  Kirche  rr/g  jcaZai  (isv  jivrtoyov,  vvv  6h 
{^80v  üiölw^Q  yMlovfitvtii.  Den  Namen  Theupolis  erhielt  An- 
tiochien,  als  es  nach  dem  Erdbeben  am  Mittwoch  den  29.  No- 
vember 528  neu  wieder  aufgebaut  wurde  fTheophanes  ed.  de  Boor. 
1881, 1  p.  177  sq.).  In  den  sog.  Akten  der  collatio  cum  Severianis 
des  Jahres  531  (Mansi  VIII,  817)  wird  der  neue  Name  Antiochiens 
bereits  neben  dem  alten  gebraucht.  Vor  529  also  ist  die  Schrift 
contra  Nest,  et  Eut.  nicht  geschrieben.  Man  könnte  versucht  sein, 
den  term.  a  quo  noch  weiter  hinabzurücken,  wenn  man  beobachtet, 
dass  der  Verf.  der  Schrift  contra  Nestorianos  et  Eutychianos  den 
//fc'/ac  ALOvvoioq  kennt  (col.  1288 C.  1304D),  ja  ausdrücklich  ein 
pseudoareopagitisches  Citat  als  „Dionysii  Areopagitae  aetatis 
apostolorum  de  divinis  nominibus"  einführt  (in  den  bei  Migne 
nicht  vollständig  gedruckten  y^yöeig  zu  lib.  II,  Canisius-Bas- 
nage  I  p.  571).  Denn  es  ist  allbekannt,  dass  noch  bei  der  col- 
latio cum  Severianis  (traditionell:  533,  richtiger  wohl  531,  vgl. 
unten  §  19)  der  Sprecher  der  Orthodoxen,  Hypatius  von  Ephesus, 
die  Echtheit  der  Schriften  des  Areopagiten  bezweifelte  (Mansi 
VIII,   col.  821 D).     Allein    aus    dieser  Äusserung    des  Hypatius 


*)  Victor  Tununensis ,  der  in  seinem  Chronicon  (Gallandi  XII ,  p.  229) 
von  dem  Streit  ad  annum  539  berichtet,  kann  nicht  in  Betracht  kommen. 


§  2.    Die  libri  tres  adversus  Nestorianos  et  Eutychianos  etc.       33 

darf  man  nicht  zuviel  scliliessen;  die  Frage,  wann  und  wo  die 
schon  von  dem  Monophysiten  Severus  eifrig  benutzten  pseudo- 
areopagitischen  Schriften  (vgl.  Lequien,  opera  Joannis  Damasc. 
I,  dissert.  Damasc.  fol.  XXXVIII  vers.,  ferner  beispielsweise  das 
Citat  aus  Dionysius  in  dem  bei  Mai,  Scriptor.  vet.  nov.  coli.  VII, 
p.  71  gedruckten  Fragment  des  Severus)  in  orthodoxen  Kreisen 
zuerst  benutzt  sind,  ist  noch  nicht  entschieden.  Der  Verfasser 
unserer  Schrift  könnte  selbst  einer  der  ersten  sein,  die  den 
Areopagiten  anerkannten.  Wir  werden  später  auf  diese  Frage 
zurückkommen. 

Ebenso  sicher  ist  der  term.  ante  quem  für  die  Schrift  contra 
Nestorianos  et  Eutychianos  zu  bestimmen.  Er  ergiebt  sich  aus 
dem  dritten  Buche.  Dass  dieses  vor  dem  Concil  von  553,  ja  vor 
dem  ersten  Edicte  Justinian's  gegen  die  drei  Capitel,  also  vor 
544  (He feie,  Conciliengeschichte-  II,  S.  810)  geschrieben  ist, 
zeigt  nicht  nur  die  Bezeichnung  der  Synode  von  Chalcedon  als 
der  reXsvTaia  ^taoöjv  (col.  1381 A)  und  das  Eingeständnis,  dass 
Diodor  und  Theodor  bislang  nicht  verurteilt  seien  (col.  1381A, 
cap.  42  initio),  sondern  mehr  noch  der  gesamte  Inhalt.  Nach 
dem  ersten  Edict  gegen  die  drei  Capitel  hätte  der  Verf  nicht 
mehr  sagen  können,  dass  er  die  verborgene  Schlechtigkeit  der 
Verehrer  Theodor's  von  Mopsueste  ans  Licht  ziehe  (col.  1357 C), 
hätte  nicht  meinen  können,  mit  seinen  Citaten  aus  den  Werken 
Theodor's  und  Diodor's  (col.  1383 ff.  Canisius-Basnage  582ff.) 
etwas  mitzuteilen,  das  nur  ihm,  dem  frühern  Nestorianer,  be- 
kannt sei  (col.  1377B).  In  der  Zeit  des  Dreicapitelstreites  hätte 
der  Verfasser  ferner  nicht  soviel  Mühe  gehabt,  die  von  ihm  be- 
nutzten Schriften  Theodor's  sich  zu  verschaffen  (col.  1384  C),  in 
der  Zeit  hätte  er  auch  den  Brief  des  Ibas  an  Maris  und  die  gegen 
Cyrill  gerichteten  Schriften  Theodoret's  nicht  unerwähnt  lassen 
können.  Zwischen  ca.  529  und  544  also  sind  die  Bücher  adversus 
Nestorianos  et  Eutychianos  geschrieben,  ihr  Verfasser  ist  ein 
Theologe  der  Zeit  Justinian's. 

Auf  den  Inhalt  dieser  Bücher  gegen  die  Nestorianer  und 
Eutychianer  noch  näher  einzugehen,  haben  wir  hier  zunächst 
keine  Veranlassung.  Wir  wenden  uns  vielmehr  gleich  derjenigen 
unter  den  übrigen  Schriften  der  uns  beschäftigenden  alten  Samm- 
lung zu,  welche  die  Zugehörigkeit  zu  den  Büchern  contra 
Nestorianos    et  Eutychianos    am    deutlichsten   zur  Schau    trägt. 

Texte  und  Untersuchungen.  III,  1.  3 


34  Erstes  Capitel. 

Dies  ist  die  tjiiXvoig  rcöv  vjto  ^£V7}qov  :jtQoߣßXi]fitvcov  OvX- 
XoyiOficöv,  die  Schrift  adversus  argumenta  Severi  (col.  1915 — 
1946). 

§  3.    Die  Sclirift  adversus   argumenta  Severi, 

ein  späteres  Werk  des  Verfassers  der  tres  libri  adv.  Nestorianos  et 
Eutychianos. 

Dass  die  ajtiXvOig  rcöv  vjto  ^evi/Qov  XQoßsßXtjfisvcov  ovZ- 
XoyiOficöv  von  demselben  Verfasser  herrührt  wie  die  Bücher 
contra  Nestorianos  et  Eutychianos,  das  macht  schon  ihr  Eingang 
zweifellos.  „Was  ich  früher",  so  beginnt  der  Verfasser,  „der 
wahren  Lehre  gemäss  aus  den  heiligen  Vätern  gesammelt  habe 
gegen  die  Nestorianer  und  Eutychianer,  das  genügt  mit  Gottes 
Hülfe  zur  vöUigen  Widerlegung  der  hohlen  Gedanken  ihrer 
thörichten  Weisheit  {tcäv  fiazaimv  XojiOficöv  T?jg  ipevöovvfiov 
yvojöecog).  Da  sie  aber,  weil  sie  „Erfinder  schlechter  Dinge" 
sind  —  um  des  göttlichen  Apostels  Wort  (Rom.  1,  30)  zu  ge- 
brauchen —  nicht*)  aufhören,  klügelnde  Fragen  auszusinnen, 
und  infolgedessen  den  meisten  den  Schein  erwecken,  als  ge- 
brauchten sie  jetzt  neue  Argumente,  die  in  meinen  früh ern  Wider- 
legungen noch  nicht  berücksichtigt  seien,  so  war  ich  genötigt, 
der  Aufforderung  euerer  göttlichen  Liebe  nachkommend,  dem, 
was  in  jenen  [Büchern]  zwar  enthalten  ist,  aber  nicht  bis  ins 
Einzelnste  ausgeführt  wurde,  einen  Nachtrag  hinzuzufügen,  da- 
mit ihr  der  thörichten  Weisheit  gegenüber  ausser  jenen  auch 
diese,  wie  ich  glaube,  nicht  verächtlichen  Argumente  zur  Hand 
habet  und  so  treu  zur  Wahi'heit  stehet".  In  diesem  Satze  ist  die 
Rückbeziehung  auf  die  Schrift  contra  Nestorianos  et  Eutychianos 
besonders  wegen  des  doppelten  psvöojvvfiog  yvcöoig  (cf  contra 
Nest,  et  Eut.  col,  1269 B  und  1316D)  und  wegen  der  Anrede  der 
xara  &s6v  dyajtcövTsg  zweifellos.  Ein  ebenso  unbestreitbarer  Be- 
weis für  die  Identität  der  Verfasser  liegt  in  dem  zweiten  Hinweis 
auf  den  jiQmxog  löyog  rrjc  JtQayftareiag  zr/g  yevofitvrjg  rjfilv  xara 
Tcöv  6vavTioöox7]r(Bv  (1936  C).  Schon  diese  Bezeichnung  des 
lib.  I  contra  Nest,  et  Eut.  als  xarä   rmv  tvavrioöoxrjrcov  ent- 


*)  Dass  hier  ein  ova  fehlt,  wird  mir  auch  dadurch  nicht  zweifelhaft, 
dass  auch  der  cod.  Tun-ian.  (vgl.  den  lat.  Text)  es  nicht  bot. 


§  3.   Die  Schrift  ad  versus  argumenta  Severi.  35 

scheidet:  auch  lässt  sich  die  Stelle  angeben,  auf  die  der  Verf. 
der  ijtiXvoig  a.  a.  0.  sich  zurückbezieht,  es  ist  contra  Nest,  et  Eut. 
col.  1276D  if.  Endlich  zeigt  sich  die  Identität  der  Verfasser  so 
offenbar  in  der  Art  der  Argumentation,  in  der  Sprache  und  in 
den  entwickelten  dogmatischen  Anschauungen,  dass  es  Zeitver- 
schwendung wäre,  hierbei  länger  zu  verweilen.  —  Zeichen  ihrer 
Entstehungszeit  trägt  die  Schrift  nicht  weiter  zur  Schau,  doch 
wir  wissen  aus  dem  Eingang  genug:  sie  ist  einige  Zeit  nach 
den  Büchern  contra  Nestorianos  et  Eutychianos  geschrieben ; 
ob  als  selbständige  Schrift  oder  als  Teil  eines  uns  noch  unbe- 
kannten Ganzen,  das  lässt  sich  hier  nicht  entscheiden.  Doch 
nötigt  das  Fehlen  eines  Schlusses  dazu,  diese  Frage  aufznwerfen. 
Ihre  Beantwortung  wird  sie  in  §  14  finden. 

Dem  Inhalte  nach  ist  die  Epilysis  eine  Ergänzung  zu  den 
älteren  Büchern  adv.  Nest,  et  Eut.  Die  Monophysiten  Avaren  dort 
mit  den  Nestorianern  zugleich  im  ersten  Buche  bekämpft,  aber, 
während  im  zweiten  Buche  die  eine  Fraction  derselben,  die  Aph- 
thartodoketen ,  einer  besondern  Widerlegung  gewürdigt  war, 
gleichwie  im  dritten  Buch  die  Nestorianer,  hatte  sich  der  Ver- 
fasser gegen  die  Severianer  damals  nicht  besonders  ausgelassen. 
Dies  geschieht  nun  hier. 

Die  Schrift  ist  ein  Dialog.  Doch  hat  der  axtg:aXog,  der 
Severianer,  nicht  mehr  zu  thun,  als  kurz  seine  Bedenken  und 
Fragen  zu  stellen,  der  Orthodoxe  lässt  ihnen  dann  eine  ausführ- 
liche Auseinandersetzung,  eine  tütiXvöLQ  rcöv  üiQoßeßhjutvcov 
GvXXoyiOficöv  folgen.  In  der  Reihenfolge,  so  erklärt  unser  Ver- 
fasser (1916D),  habe  er  sich  trotz  der  durch  die  dialogische  Form 
gebotenen  Modificationen  an  die  Reihenfolge  der  Einwendungen 
gehalten  (191 6C:  ajcoQQij/jarojv  oder  ajioQQi'jOBcov  ist  zu  lesen 
statt  des  sinnlosen  ajio  or/iw.Tow).  Es  hat  ihm  also  eine  gegne- 
rische Schrift  vorarelegen.  Dass  diese  von  Severus  selbst  her- 
gerührt  hat,  macht  ihr  Inhalt  und  die  Überschrift  der  ejtiXvoiq 
wahrscheinlich:  weitere  Spuren  wohl  eben  dieser  Schrift  werden 
sich  unten  (§  18)  gelegentlich  zeigen.  Den  ccrooQf'/fiaTa  des 
Severus  entsprechend,  zerfällt  nun  die  i-JiiXvoic  in  etwa  S  ziem- 
lich scharf  von  einander  sich  abgrenzende  tjtiX-votig,  deren  Inhalt 
durch  die  folgenden,  kurz  formulierten  und  frei  reproducierten, 
severianischen  Einwendungen  charakterisiert  sein  mag: 

1)  Hat  Christus  individuelle   Menschennatur  angenommen? 

3* 


36  Erstes  Capitel. 

Und  wenn  das,  was  soll  dann  die  Unterscheidung  von  (pvoa;  und 
vxoöxaOLq'i    1915D— 1917D. 

2)  Wenn  vjiooraöig  das  x«^'  tavzo  vjiccq/ov  ist  (das  azo- 
jjov),  wie  verträgt  sich  damit  die  Zweiheit  [der  Naturen]?  Nur 
die  flovag  ist  azofior,  alle  andern  Zahlen  deuten  auf  eine  teil- 
bare Vielheit,  1917D— 1921B. 

3)  Wenn  auch  inbezug  auf  die  Trinitätslehre  die  Verschie- 
denheit von  (pvoig  {ovoia)  und  vjcoözaöig  zugegeben  ist,  so  ist 
doch  dem  Geheimnis  der  Mensch Averdung  gegenüber  eine  andre 
Terminologie  sachgemäss  (cf.  Severus  bei  Mai,  Script,  vet.  nov. 
coli.  VII.  p.  71  col.  a)  und  der  Tradition  entsprechend,  1921 B — 
1925B. 

4)  Es  ist  Verleumdung,  wenn  man  unser  f-iia  (pvOig  owd-szog 
mit  einer  {lia  cpvOig  ajcXTJ  für  gleichbedeutend  hält,  1925  B — 
1928  B. 

5)  Gegenüber  allen  Einzelwesen  (fioraöixa;  das  Wort  schillert 
hier  offenbar  hin  zu  dem  Begriff  des  nur  in  der  Einzahl  vor- 
handenen Wesens)  sprechen  wir  doch  von  fda  tpvOig,  weshalb 
nicht  bei  Christo?  1928B— D. 

6)  Dass  einige  Väter  von  zwei  Naturen  in  Christo  sprechen, 
leugnen  wir  nicht,  doch  was  sie  zu  ihrer  Zeit  durften,  erscheint 
heute  wegen  der  nestorianischen  Verdrehung  der  Zweinaturen- 
lehre unthunlich  (vgl.  Severus  bei  Mai  a.  a.  0.  p.  9  col.  b), 
1928D— 1929D. 

7)  Doch  erkennen  auch  wir  zwei  Naturen  an,  wenn  auch 
nur  fioi^ii  zTJ  tJiLvoia.  Ist  das  ovY^^Oig,  wie  entgeht  ihr  dann 
mit  der  Annahme  einer  Hypostase  dem  Vorwurf  der  öv/^vöt?? 
1929D— 1936C. 

8)  Wie  ist  eine  bvcooig  denkbar,  die  das  fiia  fpvGig  ablehnt, 
ohne  dass  sie  bei  der  nestorianischen  Consequenz  der  ovo  vüio- 
örccöetg  ankäme?    1936D  —  fin.  1946D. 

Was  unser  Verfasser  diesem  severianischen  Monophysitismus 
entgegenhält,  das  kann  nur  in  dem  Ganzen  seiner  dogmatischen 
Anschauung  verstanden  werden.  Aus  diesem  Grunde  und  um 
für  die  Beurteilung  der  ferner  zu  besprechenden  Schriften  ein 
wichtiges  Kriterium  zu  erhalten,  ist  es  zweckmässig,  an  diesem 
Orte  auf  die  dogmatische  Stellung  unsers  Verfassers  einzugehen, 
wenn  auch  die  nicht  zu  vermeidende  Ausführlichkeit  dieses 
dogmengeschichtlichen    Excurses     die    kritische    Untersuchimg 


§  4.  Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.      37 

der  Schriften  der   alteu    Sammlung   der  opera  Leontii  zunächst 
unterbricht. 


§  4.   Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers   der  tres 
libri    adversus    Nestorianos    et    Eutychianos    und    der 

Epilysis. 

Die  Frage  nach  dem  Verhältnis  der  Orthodoxie  des  sechsten 
Jahrhunderts  zu  den  Severianern  hat  ein  allgemeineres  Interesse: 
von  der  richtigen  Beurteilung  dieses  Verhältnisses  hängt  die 
rechte  Würdigung  der  dogmengeschichtlicheu  Stellung  und  der 
Kirchenpolitik  Justinian's  ab.  Justinian's  Regierungszeit  hat, 
auch  dogmengeschichtlich  beurteilt,  den  abschliessenden  Cha- 
rakter,  den  sie  auf  so  vielen  andern  Gebieten  zur  Schau  trägt.  Erst 
unter  Justinian's  Regierung  und  mit  Justinian's  Hülfe  ist  eine 
chalcedoneusische  Orthodoxie  im  Orient  zum  Siege  gekommen. 
Dies  von  der  herrschenden  Anschauung  abweichende  Urteil  wird, 
so  hoffe  ich,  durch  das  Ganze  meiner  Untersuchung  bewiesen 
werden.  Hier  haben  wir  zunächst  nur  die  Grundlagen  zu  legen 
für  den  allmähligen  Weiterbau.  Mit  wenigen,  auf  einzelne 
Quellennachweise  verzichtenden  Bemerkungen  müssen  wir  dabei 
zurückgreifen  auf  die  christologischen  Streitigkeiten  der  frühe- 
ren Zeit 

1)  Die  christologischen  Aussagen  der  neutestamentlichen 
Schriftsteller  gehen  aus  von  der  historischen  Person  Jesu. 
Auch  den  meisten  der  sog.  apostolischen  Väter  —  dem  Barna- 
basbrief  wohl  am  wenigsten  —  steht  der  geschichtliche  Jesus, 
der  erhöhte  Herr,  im  Mittelpunkt  ihrer  Gedanken  von  Christo. 
Bei  den  Apologeten  wird  das  anders ;  sie  nehmen  bei  dem  Logos, 
bei  dem  vorweltlichen  Sein  Christi  den  Ausgang  ihrer  christo- 
logischen Speculation,  und  während  noch  Irenäus  in  dieser  Hin- 
sicht starke  Einwirkungen  der  urchristlichen  Anschauung  zeigt, 
kam  durch  die  Alexandriner  die  apologetisch-philosophische  An- 
schauung im  Orient  immer  mehr  zur  Herrschaft.  Kur  bei  den 
dynamistischen  Monarchianern  erhielt  sich  ein  archaischer  Rest. 
Derselbe  ist  freihch  nicht  darin  zu  suchen,  dass  sie  die  Prä- 
existenzvorstellung überhaupt  verwarfen.  Denn  die  ältesten 
Formen  christologischer  Anschauung,  die  wir  kennen,  sind  prä- 
existentianisch .  und  diese  ältesten  Formen  vertragen  sich   sehr 


38  Erstes  Capitel. 

wohl  mit  dem  Ausgehen  von  der  historischen  Person  Jesu:  dem 
Glauben,  der  Jesu  Herrhchkeit  schaut,  wächst  diese  Person  immer 
mehr  hinaus  über  diese  Welt,  sodass  ihm  die  Präexistenzvor- 
stellung zu  einem  Grenzbegriff  wird,  zu  einem  Verzicht  auf 
empirische  Erklärung  der  geschichtlichen  Erscheinung  Jesu. 
Den  Monarchianern  trat  aber  die  Präexistenzvorstellung  in  dieser 
Form  nicht  mehr  entgegen.  Der  philosophischen  Logoslehre 
gegenüber  vertraten  sie  deshalb  trotz  ihrer  Abweisung  auch  der 
altern  präexistentianischen  Auffassungen  einen  archaischen  Stand- 
punkt, weil  auch  sie  noch  von  der  historischen  Person  Jesu  aus- 
giengen.  Durch  die  Verurteilung  Paul's  von  Samosata  ward 
dieser  archaische  Rest  beseitigt.  Die  philosophische  Logoslehre 
war  nun  der  anerkannte  Ausgangspunkt  der  Christologie.  Ein 
Jahrhundert  lang  bemühten  sich  sodann  die  Theologie  und  die 
Politik,  eine  einheitliche  Vorstellung  über  die  Art  des  vorwelt- 
lichen Seins  Christi  durchzusetzen.  Seit  381  war  dies  Ziel  er- 
reicht. Über  den  Logos  und  sein  Verhältnis  zum  Vater  und 
Geist  wusste  man  nun  sehr  genaue  Angaben  zu  machen,  —  aber 
noch  ehe  man  soweit  war,  rächte  sich  die  Verschiebung  des  Aus- 
gangspunktes der  christologischen  Aussagen,  welche  durch  die 
Apologeten  inauguriert  war.  Eben  das,  von  dem  man  früher 
ausgegangen  war,  die  historische  Persönlichkeit  Jesu,  war  nun 
ein  unfassbares  Rätsel  geworden.  Wo  blieb  die  menschliche 
Persönlichkeit  Jesu,  wo  blieb  die  Möglichkeit  ethischer  Würdi- 
gung seines  Lebens  und  Leidens,  wenn  man  in  dem  historischen 
Jesus  zunächst  nur  den  göttlichen  Logos  sah?  Oder  wo  blieb 
die  Einheit  der  geschichtlichen  Person,  wenn  man  zugleich  die 
Gottheit  und  die   Menschheit  Jesu  festhalten  wollte? 

Längst  hatte  man  sich  gewöhnt,  der  Person  Jesu  gegenüber 
von  einer  göttlichen  vmd  einer  menschlichen  Natur  zu  sprechen. 
Über  die  göttliche  Natur  wusste  man  nun  Bescheid,  —  die  ganze 
bisherige  Entwicklung  aber  trug  ihre  Fehler  offen  zur  Schau, 
solange  nicht  auch  die  menschliche  Natur  und  die  wirkliche  Ein- 
heit beider  Naturen  in  der  historischen  Person  Jesu  gesichert 
war.  Die  Vollständigkeit  der  menschlichen  Natur  war,  seit  ApoUi- 
naris  offen  auf  Kosten  derselben  die  Einheit  der  Persönlichkeit 
Jesu  festzustellen  versucht  hatte,  ein  anerkanntes  Postulat  ge- 
worden. Dennoch  hatte  keine  der  beiden  im  vierten  Jahrhundert 
sich  entgegenstehenden  theologischen  Schulen  eine  Lösung  des 


§  4.   Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     39 

Problems  gefunden,  welche  allen  anerkannten  Forderungen  ge- 
recht geworden  wäre.  Die  antiochenische  Schule  war  dazu  schon 
deshalb  nicht  imstande,  weil  ihre  Anschauung  nicht  innerhalb 
der  Entwicklungslinie  lag,  welche  durch  die  dogmengeschicht- 
lichen Ereignisse  seit  der  apologetischen  Zeit  bezeichnet  war. 
Der  Verfasser  der  Schrift  contra  Nestorianos  et  Eutychianos 
lib.  III  (col.  1388Dff.  besonders  1392D)  hat  Recht,  wenn  er  einen 
Zusammenhang  der  antiochenischen  Christologie  mit  Paul  von  Sa- 
mosata  behauptet  (vgl.  Harnack  in  der  Theol.  Literaturzeitung 
1SS3  col.  566)*).  Die  Christologie  der  Antiochener  unterscheidet 
sich  von  der  altem  der  dynamistischen  Monarchianer  nur  durch 
die  schuldige  Rücksichtnahme  auf  das  Nicaenura,  ihre  Cliristo- 
logie  ist  die  an  die  zweite  Person  der  Trinität,  nicht  mehr  an 
die  göttliche  (iovccq^  angeknüpfte  Anschauung  der  dynamistischen 
Monarchianer.  Man  würde  freilich  zuviel  sagen  (vgl.  Thoma- 
sius,  Dogmengeschichte  I,  S.  329),  wenn  man  behauptete,  der  an- 
tiochenische Christus  sei  eine  Person,  deren  eigentliches  Subject 
der  Mensch  Jesus  sei.  Consequent  durchgeführt  würden  die  Ge- 
danken der  Antiochener  allerdings  bei  dieser  Anschauung  an- 
kommen, und  soweit  von  einer  Einheit  der  historischen  Person 
des  Herrn  bei  ihnen  geredet  werden  kann,  soweit  sind  sie  be- 
reits bei  dieser  Anschauung  augelangt.  Aber  eben  das  ist  cha- 
rakteristisch für  die  antiochenische  Christologie,  dass  sie  so 
ausschliesslich  nicht  mehr  von  dem  historischen  Christus  aus- 
geht; sie  hat  einen  doppelten  Ausgangspunkt.  Der  eine  ist  der 
präexistente  filius  dei,  der  andre  der  von  Maria  geborne  filius 
David.  Beide  verhalten  sich  zu  einander  wenig  anders  als  der 
Mensch  Jesus  und  die  götthche  fioväg  im  dynamistischen  Mon- 
archianismus.  Die  Vollständigkeit  beider  Naturen  war  bei  dieser 
Anschauung  freilich  leicht  festzuhalten,  eine  wirkliche  Einigung 
der  Naturen  aber  vermochten  die  antiochenischen  Formeln  nicht 
deutlich  zu  machen.  Man  erkannte  zwar  die  Forderung  an,  dass 
in  Christo  ein  eig  müsse  angeschaut  werden  können,  aber  man 
wurde  dieser  Forderung  nur  scheinbar  gerecht  durch  einen,  dem 
doppelten  Ausgangspunkte   entsprechenden  Wechsel    des   Beur- 


*)  Schon  im  vorigen  Jahrhundert  ist  auf  diese  Verwandtschaft  hin- 
gewiesen u.  a.  von  Feuerlin,  Diss.  de  haeresi  Pauli  Sam.  und  von  J.  G.  Ehr- 
lich, Diss.  de  erroribus  Pauli  Sam.    Lips.  1745  p.  21 — 31. 


40  Erstes  Capifcel. 

teilungsstandpunktes  (ovrs  ovo  cpaf/h^  vlovg  ovrs  Si'o  xvqwvc^ 
ejcsiör/  ...  elg  vlog  xaz  ovolav,  Symbol  Theodors  von  Mopsueste, 
Mansi  IV,  p.  1349C,  Hahn,  Bibliothek  der  Symbole  S.  231; 
6vo  vtovg  zov  Aaßlö  ov  Ityc:),  Diodor  bei  Leontius,  contra 
Nestorianos  et  Eutychianos  col.  1388  A)  und  durch  Beiseitstellung 
der  Zerteilung  Christi  für  die  Praxis  (Divido  naturas,  sed  con- 
jungo  reverentiam,  Nestorius,  sermo  I,  übersetzt  von  Marius  Mer- 
cator,  Migne  P.  L.  48,  col,  762  A).  Factisch  blieb  Christus  ein 
aXXog  -KOI  aXXog,  ein  Nebeneinander  von  zwei  (fvösig  oder  vjio- 
GTCcöeig  oder  jtQoöcojta,  ein  Nebeneinander  von  zvrei  vloi.  An 
diese  Christologie  konnte  die  Entwicklung  nicht  anknüpfen,  ohne 
ihre  bisherige  Richtung  aufzugeben. 

Die  Alexandriner  dagegen  hielten  sich  ganz  innerhalb  der 
von  den  Apologeten  her  laufenden  Entwickluugslinie.  War  den 
Apologeten  die  Menschwerdung  nur  ein  Widerfahrnis,  eine  Thafc 
des  Logos  gewesen,  der  man  im  System  tiefere  Bedeutung  nicht 
abgewonnen  hatte,  so  hatte  man  seit  Irenäus  und  Origenes  aller- 
dings viel  gelernt.  In  dem  menschgewordenen  Logos  wollte 
man  den  Vollzug  der  rein  physisch  gedachten  Erlösung  der 
Menschen  anschauen,  die  Beschaffung  der  dcpd^aQöia  für  die  der 
(p{}^OQa  anheimgefallne  menschliche  Natur.  Die  tvcoöig  (pvOLxrj 
der  beiden  Naturen  in  Christo  war  deshalb  den  Alexandrinern 
ein  religiös  wertvoller  Begriff.  Und  von  hier  aus  war  ihnen 
auch  die  Vollständigkeit  der  menschlichen  Natur  ein  religiöses 
Postulat,  ro  yaQ  ajTQooXr/jtTOi',  a&sQccjcEvrov  f  Gregor.  Nazianzen. 
or.  50,  [sive  ep.  ad  Cledonium  I]  Migne  P.  G.  37,  col,  181 C). 

2)  Trotzdem  ist  noch  bei  Cyrill*)  die  alte  Grundlage  un- 
verkennbar: von  dem  Logos  geht  er  aus,  der  Logos  bleibt  das 
Personbildende  in  dem  Gottmenschen  oder,  mehr  im  Geiste  Cy- 


*)  Eine  genaue  dogmengeschichtliche  Monographie  über  Cyrill  ist 
ein  dringendes  Bedürfnis.  Die  allgemeinern  Darstellungen  in  den  Dogmen- 
geschichten  und  auch  bei  Dorner,  Entwickelungsgeschichte  der  Lehre 
von  der  Person  Christi  II 2.  1853,  S.  64  —  83  und  Schultz,  die  Lehre  von 
der  Gottheit  Christi.  1S81,  S.  109—114  genügen  nicht;  Kopallik,  Cy- 
rillus  von  Alexandrien.  Mainz  1881,  hat  ein  wertloses  Heiligenbild  mit  ultra- 
montanem Pinsel  gemalt.  Die  folgenden  Ausführungen  können  und  wollen 
nicht  die  Lücke  ausfüllen,  doch  hoffe  ich  einige  Gedanken,  die  mir  be- 
sonders betonenswert  zu  sein  scheinen,  in  schärferes  Licht  rücken  zu 
können. 


§  4.  Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     41 

rill's  geredet,  er  bleibt,  indem  er  einen  beseelten  Leib  und  eine 
vernünftige  Seele  annehmend  Mensch  wird,  die  eine  Persönlich- 
lichkeit,  die  er  vor  der  Menschwerdung  war  —  f/£fni'7]y.£  yaQ 
ox£Q  i]v,  xovT  tOti  (fvoiL  ÜEQQ'  jTQooXaßcop  öt  xoi  x6  eirat 
avd^Qcojioq,  r/TOi  ytvtodca  xß/>  nfjäg  Itc  yvvaixoq  xaxa  OaQTca, 
jiäXiv  £(c  /JSfiiPt]xev  lioc'  Jth]i'  ovx  aoa()Xoq,  xa&a  xal  JtaXat, 
fjroL  JTQO  xcöv.  xvjc  IvavB^QOJJcn'jOtcoq  xaiQmv^  a^Kpiaöaiisvoq  de 
cööjieQ  xal  xfjp  TßitxtQav  (pvGiv  (Cyrill  ep.  II  ad  Succensum 
Migne  77,  col.  240 B).  Als  sein  Fleisch  nimmt  der  Logos  das 
Fleisch  an,  macht  sich  zu  eigen,  was  des  Fleisches  ist,  und  teilt 
umgekehrt  dem  Fleische  mit,  was  (pvoixmq  nur  dem  Xoyoq  eignet 
(vgl.  Thoniasius,  Dogmeugesch.  I  S.  333  ff.,  Dorner,  11"^  S.  77, 
Schultz,  S.  112  ff.).  Dass  Cjrill  dabei  eine  aXloimöiQ  der  Na- 
turen abwies,  ist  bekannt:  evvoovvxeq  xoivvv  —  nur  diese  Stelle 
will  ich  eitleren  —  xTjC  evm^&QcojtrjöEcag  xov  XQÖjtOi\  oQcöfJEV 
öxi  ovo  fpvosig  ovvTjXdov  aXXrjXaLq  xaü-'  tvcoöiv  aÖiaöjtaöxov 
aov/xvxcog  xal  axQSJcxcog '  r/  yaQ  OaQ§  Oagc,  aoxi,  xal  ov  d^soxijg, 
et  xal  ytyovs  &eov  öag^ '  ofioicog  öh  xal  o  Xoyoa  d-eog  eOxl  xal 
ov  ö«()s,  d  xal  löiav  sjioL/jOaxo  xrjv  oagxa  olxovofuxcög  (ad 
Succ.  ep.  I.  Migne  77,  coL  232  C,  vgl.  die  Ausführungen  de  in- 
carnat.  unigen.  Migne  75,  col.  1197Dff.).  Selbst  nicht  geboren 
werdend,  selbst  nicht  leidend  und  sterbend,  macht  sich  der  Logos 
diese  Widerfahrnisse  seines  Fleisches  selbst  zu  eigen  (cf.  z.  B. 
ep.  4.  Migne  77,  col.  45D  u.  48A:  ep.  39,  Migne  77,  col.  180C). 
Auch  die  von  den  Kappodokiern  noch  gebrauchten  Begriffe  XQa- 
Oig,  Ovyxvoig  u.  s.  w.  hat  Cyrill  ausdrücklich  zurückgewiesen 
(z.  B.  ep.  ad  Acacium  Migne  77,  col.  200  A).  Dennoch  redet  man 
nicht  selten  von  einem  cyrillischen  Monophysitismus.  Mit  wel- 
chem Rechte?  Diese  Frage  hat  gerade  für  Justinian's  Zeit  eine 
besondre  Bedeutung. 

Wenn  Cyrill  den  Antiochenern  gegenüber  die  Einheit  der 
historischen  Persönlichkeit  Christi  behauptet,  so  bedient  er  sich 
in  der  Regel  der  Worte  £ig  oder  £^c  xal  6  avxog  oder  £ig  viög 
oder  £(g  Ägioxög.  Die  bekannten  Briefe  an  Nestorius  haben 
andre  Termini  überhaupt  nicht.  Bekanntlich  aber  benutzt  Cyrill 
auch  die  ursprünglich  apollinaristischen,  von  ihm  für  athana- 
sianisch  gehaltenen  Worte:  (\uoXoyovfi£v  ....  ov  ovo  <pvö£tg 
xov  £va  v(0v^  (iiav  jTQooxvvijxrjj'  xal  fdav  djtQooxvi'tjxoj',  aXXa 
fiiav  (pvoiv  xov  {)£oc  Xoyoc  OEOaQxofitrrjv  xal  JtQOOxvvovfiEvyv 


42  Erstes  Capitel. 

fAthanasii  opp.  ed.  Montfaucon,  1698,  II  p.  1;  kritiscli  ediert 
von  Caspari,  Ungedruckte Quellen  zur  Geschichte  des  Tauf- 
symbols I.  1866,  S.  151  ff.:  bei  Cyrill  am  vollständigsten  citiert 
de  recta  fide  ad  reginas,  Migne  76,  col.  1212;,  und  ohne  die 
Antithese  gegen  das  6vo  <pvO£Lq  findet  das  [lia  (pvaiq,  rov  d^eov 
löyov  0£0aQX03fiiv7j  sich  bei  Cyrill  sehr  häufig.  Diese  Formel 
wird  falsch  verstanden,  wenn  man  die  fiia  (pvöig  als  die  durch 
Addition  der  Katuren  entstandene  neue  Summe  auffasst.  Nicht 
von  fiia  (pvoig  Xqloxov  redet  Cyrill,  sondern  von  {lia  (pvOiQ 
rov  &-£ov  Xöyov  osoaQxcofitr?/.  Die  Natur  des  Logos  ist  eine 
und  bleibt  eine  auch  als  oeoaQxcof/tvtj;  —  fiia  yaQ  ofioXoyov- 
f/tvcog  ?}  rov  löyov  cpvOLq'  io[itv  ös  öxi  OtoÜQxcoxa'i  t£  xal  tvtjv- 
&QO)Jt7jO£v  (ep.  ad  Acacium,  Migne  77,  col.  193 B).  Nicht  infolge 
der  ivcooiQ  ist  die  ^ia  (fvoiq  Christi  entstanden,  sondern  sie  ist 
geblieben  trotz  derselben  und  ist  durch  dieselbe  eine  [lia  q)vOLq 
0£OaQxcofi8vrj  geworden.  Nichts  zeigt  so  deutlich  wie  diese 
Formel,  wie  vollief  CvriH's  Christologie  vom  Logos  ausgeht.  Die 
Annahme  der  menschlichen  Natur  hebt  nicht  nur  die  Einheit  der 
Persönlichkeit  des  Logos  nicht  auf,  sondern  nicht  einmal  die  Ein- 
heit der  (fvoiiz.  Die  menschliche  Natur  kommt  zwar  hinzu  zu 
der  des  Xoyoq^  allein  diese  ovv&eöig  hebt  die  Einheit  der  (fvoig 
Tov  Xöyov  nicht  auf,  ov  yccQ  tjcl  fiovcov  rmv  aoiXcöv  xarä  g)vöcv 
x6  tv  a)jid-(ög  liy^xai,  alla  xal  Im  xojv  xaxa  ovv&söiv  ovr- 
7jyfitvcov  ojiotov  XL  XQrina  iaxiv  6  avd-Qcojtog,  o  ax  ^pvyr/g  xal 
Goy}iaxog  (ad  Succensum  I,  Migne  77,  ep.  46,  col.  241 B,  cf. 
quod  unus  sit  Christus,  Migne  75,  col.  1285 C).  Man  kann 
deshalb  nach  Cyrill  auch  nach  der  tpoyOig  von-  fiia  rpvOig  xov 
löyov  reden,  ohne  damit  die  Menschheit  Christi  zu  beeinträch- 
tigen: die  Erwähnung  der  Menschheit  liegt  eben  in  dem  ötGag- 
xo^iitvri^  das  hinzugefügt  wird  (ad  Succensum,  ep.  IL  Migne  77, 
coL  244  A).  Man  wird  den  Gedanken  sich  am  leichtesten  erläu- 
tern durch  das  in  vieler  Hinsicht  unzureichende,  aber  noch  von 
Cyrill  nicht  verschmähte  Bild  eines  bekleideten  oder  unbekleide- 
ten Menschen.  Das  ula  (pvOug  xov  ^tov  löyov  ösOaQxojfisv?]  be- 
deutet für  Cyrill  nicht  viel  mehr  als  das  s'ig  vlög.  Das  nur  be- 
deutet es  mehr,  dass  es  deutlicher  noch  als  das  slg  viög  darauf 
hinweist,  dass  die  menschliche  Natur  eine  selbständige  Bedeutung 
für  Cyrill  nicht  hat;  sie  hat  nie  für  sich  subsistiert  und  subsistiert 
nicht  für  sich,  sondern  ist  xaß-'  vjcöoxaoiv  dem  Logos  zu  eigen 


§  4.    Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     43 

geworden,  sodass  er.  der  eig,  die  löicöfiara  beider  Naturen  elg  sv 
cvXXtysi  (de  incarn.  unigen.,  Migne  75,  col.  1244B). 

Völlig  klar  werden  diese  Gedanken  erst,  wenn  man  die 
Formel  zu  verstehen  sucht,  welche  Cyrill  am  häufigsten  an- 
wendet, die  Formel  tx  ovo  (pvoscov  sie.  Wie  kann  Cyrill,  so 
fragt  jeder  moderne  Mensch,  in  dieser  Weise  das  jtQo  rijg  tvoj- 
OHog  und  fteza  rrjV  tvoDOiv  unterscheiden?  Vor  der  tvcoGig  ist 
doch  die  menschliche  Natur  erst  recht  nicht  vorhanden  gewesen  ? 
Nach  unsern  Begriflfen  allerdings  nicht,  anders  aber  nach  den 
Begriffen  jener  Zeit.  Das  menschliche  Individuum  entsteht  erst 
■durch  die  Geburt,  die  menschliche  Natur  aber  besteht  vor  den 
einzelnen  Individuen  als  die  Gesammtheit  der  Wesenseigentüm- 
lichkeiten der  Gattung.  Christus  hatte  nach  Cyrill  zwar  mensch- 
liche cpvöig,  d.  h.  der  Logos  hatte  die  sämtlichen  Wesensmerk- 
male der  menschlichen  Natur  angenommen  als  Bestimmtheiten 
seines  individuellen  Seins,  individueller  Mensch  aber  war  er  nicht. 
Aus  diesen  Voraussetzimgeu  erklärt  sich  das  Ix  ovo  (pvoemv  sig. 

Dass  dies  CyriH's  Gedanken  gewesen  sind,  darf  man  zuver- 
sichtlich behaupten.  Doch  muss  daneben  stark  betont  werden, 
dass  Cyi-ill  noch  nicht  imstande  gewesen  ist,  diese  Gedanken 
in  klarer  Weise  und  mit  gesicherter  Terminologie  darzulegen. 
Dies  zeigt  sich  besonders  im  Gebrauch  der  termini  ^v6ig  und 
vjiSoTaoig.  Innerhalb  der  trinitarischen  Speculation  hatte  die 
alexandrinische  Theologie  während  des  vierten  Jahrhunderts  ver- 
lernt, ovoia  (oder  (pvöig)  und  vjtooraoig  als  identische  Begriffe 
zu  ofebrauchen.  Dort  nahm  die  Theoloo-ie  schon  im  endenden  vierten 
Jahrhundert  an,  dass,  wie  die  Epilysis  des  Leontius  col.  192-4 C 
und  1928 B C  inbezug  auf  Trinitätslehre  und  Christologie  aus- 
fährt, (pvatg  und  vjtöoTa<jig  sich  zu  einander  verhielten  wie  Gat- 
tungsmerkmale und  Individuum,  xolvov  und  löiov.  In  der  christo- 
logischen  Speculation  aber  wirkte  die  alte  Terminologie  nach: 
<fvoig  und  vjiooxaOLg  braucht  Cyrill  hier  mehrfach  promiscue,  so- 
dass also  vjiooraOLg  auch  für  das  xoivcv  der  Natur,  givöig  auch  für 
die  individualisierte  Natur  gebraucht  wird,  vgl.  die  bei  Lequien, 
opera  Jo. Damasc.I,  p.  37  not.  citierten  Stellen:  eig  loutov  ivoc,  ///« 
<pvoig  avTov  (ep.  ad  Eulogium,  Migne  77,  col.  225  D*});  clovy- 


*)  Diese  Stelle  ist  nach  dem  oben  S.  42  Gesagten  zu  erklären,  denn 
Cyrill  fährt  fort:  cic  ouQxojü-lvToq  rov  /.öyov. 


44  Erstes  Capitel. 

XVTOL  al  g)VO£ig  rjjovv  vjcoOTCcoeig  (Schol.  de  incarnat.,  Migne75^ 
col.  1381  B);  //  Tov  loyov  ^vöiq  rjyovv  rj  vjcoöxaüig,  6  löriv  av- 
Toc  o  XoyoQ  (Defensio  anatliem.  2  contra Tlieodoretum,  Migne  76, 
col.  401 A)*).  Erschwert  wurde  dera  Cyrill  die  Vermeidung  dieser 
terminologischen  Verwirrung  dadurch,  dass  die  Antiochener,  viel- 
leicht infolge  der  Nachwirkung  aristotelischer  Einflüsse,  die  durch 
Paul  von  Samosata  von  den  römischen  Monarchianern  hergeleitet 
werden  könnten,  in  der  Christologie  ebenso  entschieden,  wie  im 
vierten  Jahrhundert  die  Schüler  Lucian's  inbezug  auf  die  Theologie, 
die  (fvöiQ  nur  als  individuelle  anerkennen  wollten  und  deshalb  cpv- 
aig  und  vjtoöraoig  zu  unterscheiden  gar  keinen  Anlass  hatten.   Re- 

*)  Eine  sehr  richtige  und  vollständige  Erkenntnis  dieser  Verhältnisse 
zeigen  die  orthodoxen  Collocutoren  bezw.  der  Vorsitzende  der  Collatio 
cum  Severianis  des  Jahres  531,  und  es  sei  mir  gestattet,  durch  einen  Ab- 
di-uck  der  beachtenswerten  Äusserungen  auf  dieselben  besonders  hinzu- 
weisen: Contradicentes  dixerunt:  In  epistula  duodecim  capitulorum 
[Cyrillus]  duas  subsistentias  [vTCOoräoecg]  pro  duabus  naturis  [cfvaeiq]  dicit. 
Episcopus:  Antiqui  patres  et  maxime  Romani  pro  substantia  [ovala]  et 
natura  [Ms.  naturam,  (pvoig]  subsistentiam  [vnöoraaiq]  nuncupabant.  Unde 
sicut  unam  naturam  et  unani  substantiam  ita  et  unam  subsistentiam 
sanctae  trinitatis  esse  dicebant.  Orientalibus  vero  sanctis  patribus  pro 
persona  suscipientibus  subsistentiam,  et  sicut  tres  personas  ita  et  tres 
subsistentias  in  sancta  trinitate  dicentibus,  per  multa  tempora  dissidium 
factum  est  inter  orientales  et  occidentales  sanctas  ecclesias;  orientalibus 
quidem  occidentales  Sabellianorum  sectam  defendere  suspicantibus ,  quia 
unam  dicebant  esse  in  trinitate  subsistentiam,  occidentalibus  vero  orien- 
tales Arianam  sectam  sequi  dicentibus  eo,  quod  tres  subsistentias  in 
|lies:  i.e.  =  id  est]  tres  alterius  substantiae  vel  naturae  personas  proferrent 
secundum  imitationem  Arii.  Quam  divisionem  per  sanctum  Athanasium 
deus  univit,  Utriusque  enim  linguae  peritus  utrasque  partes  per  dei  gra- 
tiam  ad  concordiam  revocavit,  et  ab  eo  tempore  usque  in  hodiernum  diem, 
et  apud  nos  et  apud  Romanos,  sicut  una  substantia  et  una  natura  in  tri- 
nitate suscipitur,  et  sicut  tres  personas  in  sancta  trinitate  confitemur,  ita 
et  tres  subsistentias  glorificamus.  Si  (Ms.  sie)  auditis  igitur,  quoniam  in- 
differenter beatus  Cyrillus  idem  dicebat  esse  substantiam  quod  naturam 
\el  subsistentiam  et  ideo  in  illis  duodecim  capitulis  suis  i3ro  duabus  sub- 
stantiis  vel  naturis  duas  subsistentias  posuit,  ostendite  nobis  et  in  sancta 
trinitate  ita  indifferenter  eum  dicere  et  pro  tribus  personis  vel  subsisten- 
tiis  unam  personam  secundum  Sabellium  confiteri  et  unam  (—  ,, indem  er 
auch  eine"  — )  subsistentiam  in  sancta  trinitate  glorificantem,  et  ( — „und 
andrerseits"  — )  pro  una  trium  personarum  substantia  et  natura  tres  in 
eadem  trinitate  naturas  atque  substantias  secundum  imitationem  Arii 
praedicantem  [lies:  praedicare].     (Mansi  VIII,  p.  822.) 


§  4.     Die  dogmatische  Stelluug  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.    45 

deten  die  Antiocheuer  von  zwei  (pvotiq  oder  vjTOOraotig  in  Christo, 
so  lag  es  für  Cyriil  um  so  näher,  nicht  nur  von  einer  voiooraoiQ^ 
sondern  auch  von  einer  (pvöiq  zu  sprechen.  Und  dadurch  ent- 
steht ein  monophysitischer  Schein,  weil  man  nicht  sofort  erkennt, 
dass  Cyriil  in  diesem  Falle  unter  jAia  qvoiQ  nicht  eine  einheit- 
liche Natur,  sondern  ein  einheitliches  Individuum  versteht.  Dass 
aber  auch  schon  bei  Cyriil  eine  schärfere  Terminologie  sich  an- 
bahnt, zeigt  sich  darin,  dass  die  Termini  trcoOtg  xad-^  vjiöotaoiv 
und  Ix  ovo  ifvotmv  nicht  mit  evcoüig  xaza  <pvoiv  und  sx  6vo 
vjtoOxaöemv  alternieren,  obwohl  der  Terminus  tvcoßig  (pvoix}] 
aus  älterer  Zeit  beibehalten  wird,  und  bisweilen  von  ovo  (pvösig 
i'/yovv  vjiooräoeig  gesprochen  wird. 

Kann  man  unter  diesen  Umständen  von  einem  Monophysi- 
tismus  Cyrill's  sprechen?  In  dem  Sinne  nicht,  als  ob  Cyriil  in 
Christus  eine  durch  die  Vermischung  der  beiden  Naturen  ent- 
standene neue  Natur,  eine  Christusnatur ,  gesehen  hätte.  Dem 
widerspricht  weder  der  Terminus  tvojoig  (pvötxt),  noch  die 
Formel  [da  (f^vOLg  zov  {^eov  Xoyov  oeoagxcofiew]^  noch  das  Ix 
6vo  (pvöecov  dg^  noch  endlich  die  Behauptung,  die  Zweiheit  der 
Naturen  könne  nur  xara  [iövi]v  rrjv  {hscoQiav  wahrgenommen 
werden. 

Der  Ausdruck  tvatOig  cpvoix?}  stand  allerdings  ursprünglich  in 
vor  cyrillischer  Zeit  in  Correlativität  mit  den  Begriffen  xQaöig, 
ovyxvoig  und  ähnlichen,  für  Cyriil  ist  er  aber  bereits  eine  abge- 
griffene Münze  der  älteren  Zeit.  Der  Ausdruck  ist  auch  weit 
länger  in  Curs  gewesen,  als  oft  angenommen  wird.  Er  sagt 
für  Cyriil  nicht  mehr  als  die  communio  naturarum  und  commu- 
nicatio  idiomatum  der  lutherischen  Dogmatiker.  Die  ünvermischt- 
heit  der  Naturen  auch  nach  der  tvcoOLg  hat  Cyriil  ausdrücklich 
behauptet  (vgl.  ep.  4  ad  Nestor.,  Migne  77,  col.  45 C:  ov^  ojg  zF/g 
rcöv  q)vö£cov  diatpogäg  dv}jQr][avrjg  öid  rrjp  tvcociv,  das  doppelte 
c.fioovöiog  hat  ihm  stets  festgestanden  (vgl.  z.  B.  ep.  40  ad  Aca- 
cium  Migne  77,  col.  192  A),  er  hat  es  festgehalten  bis  zur  cor- 
ruptibilitas  carnis  Christi  (vgl.  de  incarnat.  unigen.,  Migne  75, 
col.  1216C:  siagd^osov  öh  xal  ovÖEii  rcöv  wrcov  d{^at\uaOTOv, 
ort  (j<5fia  fiev  dreßim  ro  ri/  cpvosi  g)ü^aQT6r).  Insofern  ist  Cyriil 
ein  Dyophysit  (vgl.  Schultz,  S.  111). 

Ebensowenig  wie  der  Ausdruck  tvcooig  (pvöixy),  darf  die 
Formel  ida  (pvoiq  rov  d-eov  Xoyov  so  ausgebeutet  werden,  dass 


46  Erstes  Capitel. 

man  sagt,  Cyrill  habe  zwar  für  die  Zeit  jiqo  xfjc  tvcoöscog  „in 
abstracto"  von  zwei  Naturen  gesprochen,  in  concreto  aber  habe 
nach  ihm  nur  von  einer  gottmenschlichen  Natur  die  Rede  sein 
können  (vgl.  z.  ß.  Kurtz,  Kirchengeschichte.  9.  Aufl.  1885^ 
§  52,  2;  ähnlich  auch  Schultz,  S.  111:  „Vereint  sind  beide  Na- 
turen; keine  ist  forthin  ohne  die  andre  zu  denken;  sie  sind  — 
das  scheut  sich  Cyrill  so  wenig  wie  Athanasius  zu  sagen  —  zu 
einer  Natur  geworden,  einer  Christusnatur,  wie  aus  Seele  und 
Leib  eine  Menschennatur  wird,  wobei  doch  die  Naturen  von 
Seele  und  Leib  an  sich  unverwandelt  und  unveimischt  bleiben"). 
Wäre  dies  Cyrill's  Meinung,  dann  wäre  dieselbe  von  der  mono- 
physitischen  in  der  That  wenig  verschieden.  Es  ist  aber  nicht 
so.  Schon  oben  ist  darauf  hingewiesen,  dass  Cyrill  nicht  von 
einer  Natur  Christi  spricht.  Ausdrücklich  hat  er  erklärt,  er 
rede  nicht  von  einer  f/ia  cfvOig  OeöaQxmfct'vov  xal  tvrjvd^Qco- 
xrjxoxoq  (quod  unus  sit  Christus,  Migne  75,  col.  1292D);  wo 
er  von  [i'ta  (pvoiq  redet,  denkt  er  stets  an  die  [lia  (pvöiq  roh 
&£ov  Xöyov  {osöaQxcof/tvr/).  Diese  Formel  verträgt  sich  auch 
mit  dem  späteren  Dyophysitismus. 

Weiter  ist  das  ix  ovo  (pvoecov  eig  nicht  anders  aufzufassen, 
als  Cyrill  es  factisch  gebraucht.  Dass  dies  Ix  ovo  cpvöemv  dem 
späteren  iv  ovo  (pvOEOiv  slg  nicht  entgegengesetzt  ist,  beweist 
das  von  Cyrill  unendlich  oft  gebrauchte  Bild  vom  Menschen. 
Ad  Succensum  ep.  2.  Migne  77,  col.  245A  hat  Cyrill  selbst 
bei  der  Erklärung  dieses  Bildes  von  zwei  Naturen  im  Menschen 
gesprochen  (ovo  .  .  .  EJt'  avzov  vooi\uev  rag  <pvO£ig),  ja  er  hat 
an  eben  dieser  Stelle  (col.  245  B)  einen  der  späteren  dyophy- 
sitischen  Lehre  entsprechenden  Satz  —  den  Satz,  dass  Christus 
gelitten  habe  (pvöEi  dv&QOJjtOTfjZog  —  ausdrücklich  zugegeben, 
tl  (iTj  SvözQOJtog  Iejoito  tovto*).  Hat  er  doch  auch  in  dem 
Unionssymbol  von  433  (ep.  39,  Migne  77,  col.  177 B)  zuge- 
geben: rag  ös  svayysXcxag  xal  axoGrolixag  jcsqI  rov  xvgiov 
(pcovag  lonBV  rovg  d-Eo)Jr/ovg  ccvÖQag,   zag  (ikv  xotvojcoiovvtag 


*)  Wie  bewusst  Cyrill  sonst  es  vermeidet,  von  einer  menschlichen 
(fvaig  in  Christo  neben  der  göttlichen  zu  sprechen,  zeigt  eine  Vergleichung 
der  parallelen  Sätze  in  ep.  17,  Migne,  col.  11 6 B.  In  dem  oben  be- 
rührten Zusammenhange  sagt  Cyrill  gewöhnlich,  dass  der  Logos  ouqxI 
d.  h.  an   seinem  Fleische  gelitten  habe. 


§  4.     Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     47 
(oq  l(f    iVOQ  jcQOOcojcov ,  rag  ds  ÖiaiQOvvrac   03g  Ijtl  Ovo  (pv- 

OECOV*). 

So  bleibt  als  die  des  Monophysitismus  am  meisten  verdäch- 
tige Formel  diejenige,  welche  behauptet,  nach  der  tvcooiq  seien 
die  beiden  Naturen  d^scoQia  iiövn  zu  unterscheiden  (vgl.  unter 
vielen  Stellen:  quod  unus  sit  Christus,  Migne  75,  col.  1292B). 
Allein  wenn  man  dies  d-ecogia  fiovtj  durch  den  Gegensatz  von  in 
abstracto  und  in  concreto  erläutert,  so  wird  man  den  Gedanken 
Cyrill's  nicht  gerecht.  Das  d-tmQia  [iovri  erklärt  sich  richtig 
nur  aus  dem  nestorianischen  Gegensatze,  der  überall,  wo  jenes 
d-eojQia  fiovy]  sich  findet,  entweder  ausdrücklich  erwähnt  oder 
wenig.stens  vorausgesetzt  wird.  Dem  diaigelv  oder  rti/veiv  xov 
tva  Xqloxov  eig  ovo  vlovg  oder  jtQoomjca  oder  vTiooraoeig  tritt 
das  öiacQSlv  tri  d-scoQia  fi6r)j  entgegen,  nicht  um  die  Zweiheit 
der  Naturen  als  etwas  Unwirkliches  zu  bezeichnen,  sondern  um 
darauf  hinzuweisen,  dass  die  Person  Jesu  eine  einheitliche  sei, 
an  der  erst  der  betrachtende  Verstand  die  durch  die  tvoDOig  nicht 
aufgehobenen  Naturunterschiede  zu  erkennen  vermöge.  Auch 
Seele  und  Leib  in  dem  einheitlichen  Menschen  meint  Cyrill  nm* 
d-eo3Qia  f(6i'>i  (quod  unus  sit  Christus,  Migne  75,  col.  1292B), 
nur  tv  ipiXaig  irvoiaig  y.al  ojg  Iv  ioyvalg  O-scoQiaig  (ep.  ad  Suc- 
cens.  II,  Migne  77,  col.  245  A)  unterscheiden  zu  können.  Auch 
dies  O^emgia  fiövtj  öiaiQtiv  widerspricht  deshalb  der  späteren, 
dyophysitischen  Orthodoxie  nicht. 

So  hätte  also  Cyrill's  Anschauung  nichts  Monophysitisches? 
Das  habe  ich  nicht  behauptet  und  will  ich  nicht  behaupten. 
C}Till  hat  das  dt'o  cfvoaig  mehrfach  ausdrücklich  zurückgewiesen 
(z.  B.  de  recta  fide  ad  reginas,  Migne  76,  col.  1212),  und  wenn 
auch  hier  wieder  stark  zu  betonen  ist,  dass  Cyrill  das  ovo  (pvösig 
in  seiner  nestorianischen  Ausprägung  vor  Augen  hat,  die  wie 
ovo  (pvOEig  so  auch  ovo  vjcoozccoeig  annahm,  so  lässt  sich  doch 


*)  Es  ist  dies  kein  Widerspruch  gegen  Anathem.  4  contra  Nestor. 
(Migne  77,  col.  120C).  weil  Cyrill  dort  den  nestorianischen  Gegensatz 
des  TtQoao'jTioig  oval  r'/yoiv  vTiooTÜaeai  . .  .  öiavtiair  im  Auge  hat.  Nur 
der  Schein  eines  Widerspruchs  entsteht  durch  die  Unklarheiten  der  Ter- 
minologie Cyrül's  (vgl.  oben  S.  43  f.).  Doch  ist  zuzugeben,  dass  Cyrill  von 
sich  aus  die  seinen  Gedanken  allerdings  nicht  widersprechende,  aber 
doch  vom  Gegner  ihm  gelehrte  Terminologie  des  ünionssymbols  vielleicht 
nicht  gefunden  hätte. 


4§  Erstes  Capitel. 

nicht  leugnen,  dass  diese  Abweisung  des  6vo  g: votig  einen  starken 
monophysitischen  Schein  hat.  Auch  lässt  sich  nicht  in  Abrede 
stellen,  dass  Cyrill,  wenn  er  von  der  fila  <pvOig  xov  &eov  löyov 
spricht,  in  Folge  der  noch  vorhandenen  Vermischung  der  Be- 
griffe ffivoig  und  vjröoraoig  nicht  selten  so  redet,  dass  man  ihn 
dahin  miss verstehen  kann,  als  denke  er  au  eine  aus  der  tvmoig 
hervorgegangene  fiia  (pvoig  neuer  Art,  und  nicht  an  die  fiia 
(fvöig  Tov  ^60 «3  ?Myov  Os6aQxo)(itvr].  —  Zusammenfassend  glaube 
ich  behaupten  zu  können: 

a)  Cyrill  ist,  wenn  man  von  ungenauen,  durch  die  Polemik 
schief  gewordenen  Sätzen  und  von  der  Unsicherheit  im  Grebrauch 
der  Termini  (pvöig  und  Vjioöraöig  absieht,  Monophysit,  nur  in- 
sofern nach  seiner  Anschauung  lediglich  die  cf/vöig  xov  &tov 
löyov  in  Christo  eiue  selbständige  Hypostase  hat,  während  die 
menschliche  Natur,  als  ein  Hinzugethanes,  gleichsam  nur  als  Kleid 
der  d-ela  (pvOig  gewürdigt  wird. 

h)  Soweit  aber  neben  der  Annahme  der  Anhypostasie  der 
menschlichen  Natur  eine  Zweiheit  der  Naturen  behauptet  werden 
kann,  soweit  hat  Cyrill  sie  behauptet.  Eine  Mischung  der 
idiayfiara  der  Naturen  ide  incarn.  unigen.  Migne  75,  col.  1244B), 
nicht  eine  Mischung  der  Naturen  selbst  hat  er  gelehrt. 

c)  Doch  Avird  der  schon  durch  die  Voraussetzung  der  An- 
hypostasie der  menschlichen  Natur  hervorgerufene  monophysi- 
tische  Schein  der  cyi'illischen  Anschauung  dadurch  noch  verstärkt, 
dass  der  Begriff  der  fda  (pvOig,  obwohl  eigentlich  nur  bezogen 
auf  die  f/la  (pvöig  xov  löyov^  dennoch  vermöge  der  erwähnten 
Unsicherheit  im  Gebrauch  der  Termini  cpvöig  und  vjiööxaOig  oft 
Bezeichnung  für  die  einheitliche  Persönlichkeit  des  Gottmenschen 
wird.  Der  ethische  Begriff  der  Persönlichkeit  fehlt;  Cyrill  hat 
nur  physische  Kategorien  [ida  (pvöig^  [lia  vjiooxaOig)  zur  Be- 
schreibung der  Einheit  in  Christo.  — 

Der  Gegensatz  zwischen  Cyrill  und  den  Antiochenern  lässt 
sich  daher  letztlich  darauf  zurückführen,  dass  Cyrill  zu  Gunsten 
der  Einheit  der  Person  Christi  die  Zweiheit  der  Naturen  nur 
soweit  zu  betonen  vermag,  als  es  mit  der  Annahme  verträglich 
ist,  die  menschliche  Natur  in  Christo  sei  die  nicht  individuali- 
sierte menschliche  Natur  im  Allgemeinen,  während  die  Antioche- 
ner  zu  Gunsten  der  Zweiheit  der  Naturen  die  Einheit  der  Person 
Christi  nur  soweit  zu  behaupten  vermögen,   als   es  mit  der  An- 


^  §  4.     Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  ti-es  libri  etc.     49 

nalime,  Christus  sei  individueller  Mensch  gewesen,  verträglich 
ist.  Der  tiefstliegende  Diiferenzpunkt  war  also  der:  ist  Christus 
individueller  Mensch  gewesen  oder  nicht? 

3)  Ist  dieser  letzte  Grund  der  Verschiedenheit  der  antioche- 
nischen  und  alexandrinischen  Christologie  blossgelegt,  so  erkennt 
man  leicht,  dass  die  Eintrachtsformel  von  433  (Cyrill,  ep.  39, 
Migne  77,  col.  173Cff.)  eine  wirkliche  Einigung  nicht  bringen 
konnte.  Die  Hauptdifferenz  war  völlig  unerörtert  geblieben. 
Cyrill  hat  auch  nach  433  noch  von  der  f/ia  cpvoig  rov  &tov 
Xoyov  osaaQxcoffti'?]  gesprochen,  umgekehrt  hat  Theodoret  es  nie 
anders  wissen  wollen,  als  dass  ovo  vjtoOTaösiQ  seien  in  dem 
einen  Christus  (vgl.  Bertram,  Theodoreti  episcopi  Cyrensis 
doctrina  christologica.  Hildesheim  18S3.  S.  149). 

Auch  zu  Chalcedon  ist  die  theologische  Streitfrage  nicht 
ausgetragen.  Man  würde  freilich  zuviel  sagen,  wenn  man  be- 
hauptete, dass  zu  Chalcedon  dem  Orient  die  occidentalische  An- 
schauung octroyiert  sei,  welche  (vgl.  die  vortreffliche  Charakte- 
ristik beiHarnack,  Dogmengeschichte  I.  S.  639),  ohne  auf  die 
philosophischen  oder  psychologischen  Schwierigkeiten  der  Frage 
sich  einzulassen,  einfach  das  volle  deus  et  homo  von  dem  einen 
Christus  aussagte.  Denn  es  scheint  allzuwenig  beachtet  zu  wer- 
den, dass  unter  den  gemässigten  Antiochenern  d.  h.  unter  denen, 
die  an  der  alt-antiochenischen  Tradition  noch  weit  weniger  fest- 
hielten als  Theodoret,  bereits  vor  der  berühmten  ep.  Leonis  ad 
Flavianum  die  chalcedonensischen  Schlagwörter  cursierten.  Als 
in  Eutyches  diejenige  Gestalt  der  alexandrinischen  Theologie  zur 
Verantwortung  gezogen  wurde,  die  ohne  Verständnis  für  Cyrill's 
feine  Distinctionen  beim  eigentlichen  Monophysitismus  angelangt 
war,  d.  h.  die  ///«  cfvoig  des  Gottmenschen  als  das  Resultat  einer 
durch  die  tvcooig  vollzogenen  Vergottung  der  menschlichen  auf- 
fasste  und  deshalb  das  Ofioovoiog  tjfilv  bestritt:  da  haben  die 
Gegner  des  Eutyches  in  Constantinopel  (vgl.  Mausi  VI,  p.  649  sqq.) 
nicht  etwa  die  genuin  antiochenische  Zweihypostasenlehre  ihm  ent- 
gegengesetzt, sondern  haben  von  einer  Hypostase  tx  ovo  (fvösmv 
(a.  a.  0.  679),  teilweise  auch  Ir  ovo  (fvösoiv  (ib.  685  C),  gesprochen. 
Flavian's  Glaubensbekenntnis  vom  Frühjahr  449  (Mansi  VI,  p.  539, 
vgl.  Hefele,  Conciliengeschichte  II  '^,  p.  340)  enthält  durchaus  chal- 
cedonensische  Formeln,  behauptet  n'ia  vjtöoraoig  ir  öro  ffiotoi 
und  lehnt  doch  das   fiia  rpvoig   rov  dsov  Xoyov    OEOaQXcoittvtj 

Texte  u.   UnterHUchuDgen.  111,  1.  4 


50  Erstes  Capitel. 

Cyriirs  niclit  ab.  Man  wird,  glaube  ich,  der  Bedeutung  dieser 
Thatsache  nicht  gerecht,  wenn  man  wie  Dorner  (II,  1  S.  103  ff.) 
die  Gegner  des  Eutyches  als Gesinnungs-  und  Kampfgenossen  Theo- 
doret's  beurteilt,  die  nur  aus  Diplomatie  cyrillischen  Formeln  sich 
accomodieren  und  Cyrill  „durch  herausgerissene  Stellen  als  testis 
veritatis  zu  benutzen"  wissen.  Daraus  erklärt  man  nicht,  dass  in 
dem  Glaubensbekenntnis  Flavian's  der  Einfluss  Cyrill's  stärker  ist 
als  der  der  antiochenischen  Tradition.  Es  hat  zu  allen  Zeiten, 
hat  auch  damals  im  Orient  Theologen  gegeben,  die  den  könig- 
lichen Weg  der  orthodoxen  Mitte  (vgL  de  sectis,  Migne,  P.  G. 
86,  1,  col.  1200  A)  durch  halbe  Anlehnung  an  jeden  der  Gegner 
fanden.  Ein  Mann  der  Art  ist  Euseb  von  Doryläum  gewesen. 
Auch  dem  Flavian  thut  man  schwerlich  Unrecht,  wenn  man  ihn 
diesen  Kreisen  zuzählt.  Leo  hat  diese  Kreise  vielleicht  nicht 
mehr  beeinflusst  als  sie  ihn.  Doch  wenn  auch  das  Chalcedonense 
deshalb  mehr  ist  als  eine  Sanction  der  abendländischen  Entschei- 
dung, dennoch  bleibt  es  eine  Entscheidung  in  Formeln,  hinter 
denen  eine  klar  durchdachte  theologische  Lehre  noch  nicht  stand. 
Man  hatte  sich  begnügt,  das  Mysterium  mit  mysteriösen  Worten 
zu  beschreiben,  die  zum  Teil  dem  Schatze  der  Schlagwörter 
beider  Parteien  entlehnt  waren.  Der  eigentlichste  Differenzpunkt 
—  die  Frage,  ob  Christus  individueller  Mensch  gewesen  sei  oder 
nicht  —  wurde  nicht  völlig  ausgetragen.  Nicht  völlig,  sage  ich. 
Denn  zunächst  scheint  die  Frage  erledigt  zu  sein.  Das  Symbol 
von  Chalcedon  ist  cyrillischer,  als  es  vielfach  dargestellt  wird. 
Mit  Ausnahme  des  ev  ovo  (pvösöLV  lassen  sich  alle  Gedanken, 
die  meisten  wörtlich,  bei  Cyrill  nachweisen.  Ausdrücklich  ist 
ferner  behauptet,  dass  die  Naturen  zu  einer  Hypostase  sich  ver- 
einigen. Sodann  sind  als  rechte  Erläuterungen  des  rechten  Glau- 
bens anerkannt  (Mansi  VII,  p.  114): 

1.  Cyrill's  epp.  synodicae  an  Nestorius,  d.  h.  a)  ausdrücklich 
die  feierlich  verlesene  (Hefele  II,  S.  440)  ep.  4,  Migne  77, 
p.  44  sqq.  b)  implicite  ep.  17,  Migne  77,  col.  105  sqq.  mit- 
sammt  den  ihr  angehängten  12  Anathematismen  *). 

*)  Über  die  vom  Chalcedonense  recipierten  Briefe  CyriH's  findet  man 
vielfach,  z.  B.  auch  Hefele  II,  S.  469,  eine  durch  Unklarheit  der  Akten 
verursachte  Unsicherheit  oder  Unbestimmtheit  des  Urteils.  Obige  An- 
gaben sind  orientiert  an  der  Collatio  cum  Severianis  (Mansi  VIII,  S21f.). 
Hier  beklagen  sich  die  Severianer,  dass  die  epistula   duodecim  capitulo- 


§  4.     Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     51 

2.  Cyrill's  ep.  an  die  Orientalen  d.  h.  ep.  39,  der  berühmte 
Brief  „Laeteutur  caeli"  mit  dem  Unionssymbol  von  433,  Migne 
77,  col.  173  sqq. 

In  diesen  Briefen  CyrilFs  findet  sich  freilich  seine  Formel 
ina  (fvOiq  Tov  d^EOV  Xoyov  OsoaQxcof/evfj  nicht,  übrigens  aber 
hat  in  ihnen  Cyrill's  Anschauung  einen  klaren,  eigentlich  mono- 
physitischer  Missdeutung  nicht  fähigen  Ausdruck  gefunden.  Zum 
Beweise  nur  einige  Citate:  ep.  4,  col.  48 C:  aZXa  xal  tv  jtqoO- 
h'/rpH  oaQxog  iJ8fie7'?fyccog  ojisq  ?]v;  ep.  17,  col.  112A:  tva  (i6- 
vov  döoreg  Xqiotov,  tov  ex  d-sov  jiazQog  loyov  [isxa  zrjq  iöiag 
öüQxog;  ibid.  H2B:  Ivoj&dg  xaxa  (fvOLV  dem  Fleische  wie  unsere 
Seele  dem  Leibe;  ibid.:  tvmoig  (pvoixf'/;  ibid.  C:  h'co&^elg  xaü-' 
vxöoraöiv;  ibid.  116A:  ovös  yaQ  aori  öiJtXovg;  ibid.  116B  wird 
bei  Besprechung  von  Job.  14,  9.  10,  30  auf  die  {^sia  (pvoig  hin- 
gewiesen, gegenüber  Joh.  8,  40  aber  nur  bemerkt,  dass  wir  hier 
denselben  Logos  erkennen  xal  Ix  rcöv  rr/g  av&Qcojtozrjrog  avzov 
fitzQow,  ibid.  1 16C:  vstoözäoEi  fiiä,  z^j  zov  Xoyov  OtöagxcDiitvri; 
ibid.  120A:  xad^^  v:jio6zaöw  tvojoag  lavxS  zo  ävi^Qcojnvop 
(NB.  die  neutrale  Ausdrucks  weise);  ibid.  121 D  Anathera.  12: 
Xfjyog  lözavQCßiibvog  OaQxi.  —  In  ep.  39  ist  nichts,  was  dieser 
cyrillischen  Anschauung  widerspricht;  auch  der  berühmte  oben 
S.  46  schon  citierte  Satz:  zeig  6s  svayyshxag  xal  djtoozohxäg 
JiiQi  zov  xvQiov  cpcopag  io^iev  zovg  d-wX6yovg  avÖQag  zag  fisv 
xoLvoxoLovvzag  cog  i(p  ivog  jtQOOcojiov,  zag  6h  6iaiQovvzag  cog 
Ijil  6vo  (pvdscov ,  verträgt  eine  cyrillische  Ausdeutung.  Hätte 
man  zu  Chalcedon  nur  das  Symbol  erlassen  und  diese  cyrillischen 
Briefe  anerkannt,  dann  wäre  hier  der  Streit  zwischen  den  An- 
tiochenern  und  Alexandrinern  wesentlich  im  Sinne  Cyrill's  ent- 
schieden,   die  Anhypostasie  der  menschlichen  Natur  Christi  an- 

rum  vom  Clialcedonense  nicht  recipiert  sei.  Der  Vorsitzende  antwortet: 
Si  omnes  formas  et  definitiones  fidei  in  Epheso  adversus  Nestorium  facti 
concilii  suscepit  et  confirmavit  Clialcedonense  eoncilium,  quemadmodum 
hanchabuit  refeilere?  Sed  quia  adversus  Nestorii  blasphemias,  quae  duas 
naturas  in  duas  personas  et  duas  subsistentias  \xniooxäafi(i\  dividunt,  unam 
personam  et  unam  subsistentiam  jiTroaraa/j']  volebant  deönire,  illa  autem 
epistula  duarum  subsistentiarum  intulit  mentionem,  propterea  proprie  eam 
(.VIS.  ea)  nominare  distulerunt,  ut  non  invenirentur  aut  illi  aut  sibi  esse 
contrarii,  sed  magis  illam  alteram  epistulam  ejus  praeposuerunt,  quae 
super  consensu  symboli  Nicaeni  laudata  est  (d.  i.  die  oben  1  -i  genannte), 
et  eam,  quae  ad  orientales  scripta  est. 

4* 


52  Erstes  Capitel. 

erkannt  worden.  Allein  neben  diesen  Briefen  ist  Leos  ep.  ad 
Flavianum  (Mansi  V,  p.  1366  sqq.)  für  eine  Norm  der  Recht- 
ffläubiffkeit  erklärt.  Dieser  Brief  enthält  nun  freilich  darüber 
gar  keine  Aussage,  ob  die  menschliche  Natur  Christi  anhyposta- 
tisch  zu  denken  sei,  oder  nicht,  —  die  abendländische  Orthodoxie 
Hess  sich  auf  solche  Fragen  gar  nicht  ein  — ,  allein  wenn  auch 
einige  Sätze  gut  alexandrinisch  klingen  (z.  B.  cap.  2:  nisi  natu- 
ram  nostram  ille  susciperet  et  suam  faceret),  wenn  auch  von  einer 
besondern  Hypostase  der  menschlichen  Natur  nirgends  die  Kede 
ist*),  so  wird  hier  doch  die  Selbständigkeit  der  menschlichen 
Natur  in  einer  dem  Cyrill  fremden  Weise  betont  (vgl.  c.  3 :  unus 
voluit  esse  mortalium;  c.  4:  non  dedignatus  est  homo  esse  passi- 
bilis;  und  vor  allem  den  schon  zu  Chalcedon  selbst  angefochtenen 
Satz  in  cap.  4:  agit  utraque  forma  cum  alterius  communione 
quod  proprium  est,  verbo  scilicet  operante  quod  verbi  est,  et 
carne  exequente  quod  carnis  est).  Solch  ein  selbständiges  agere 
(ersQysiv)  der  menschlichen  Natur  widerspricht  der  cyrillischen 
Anschauung  ganz  entschieden,  obwohl  nicht  geleugnet  werden 
kann,  dass  in  den  damaligen  philosophischen  Anschauungen  die 
Möglichkeit  eines  Ausgleichs  lag:  es  konnten  die  ovo  evegysiai 
der  göttlichen  imd  der  menschlichen  Natur  lediglich  als  ruhende 
Wirkungsfähigkeiten  der  Naturen  aufgefasst  werden,  die  erst 
durch  die  ,«/«  vjtoöxaOiq  resp.  die  una  persona  —  die  Begriffe 
decken  sieh  nicht,  doch  ist  es  unnötig,  hier  auf  die  Differenz 
einzugehen  —  in  Actualität  gesetzt  werden.  Allein  dieser  Aus- 
gleich ist  in  Chalcedon  selbst  noch  nicht  angedeutet.  Im  Gegen- 
teil, wenn  der  auf  der  Räubersynode  abgesetzte  Theodoret,  der 
zwar  das  tv  jiqoOcojiov  und  das  dq  vlog  fiovoysv/jg  zugegeben, 
aber  sein  ovo  vjtoözaOHg  nicht  aufgegeben  hatte  —  man  beachte 
auch  das  Fehlen  eines  Anathems  gegen  die  Ovo  vjioOTaOsig  im 
Chalcedonense  — ,  zu  Chalcedon  restituiert  wurde  (sess.  8;  Hefele 
II-,  S.  478f),  so  ist  offenbar,  dass  die  chalcedonensischen  Formeln 
die  Differenz  zwischen  einem  cyrillischen  Dyophysitismus  und  dem 
abendländisch -antiochenischen  nur  zugedeckt,  nicht  aber  gelöst 
hatten.    Cyrill  hätte  das  „agit  utraque  forma"  etc.  aus  Leo's  Brief, 


*)  Das  wahrscheinlich  echte  [naturae]  et  substantiae  in  cap.  3 
ist  durch  ;<ul  ovolaq,  nicht  xcd  vnoarc'cafwg,  zu  übersetzen,  vgl.  oben  S.  44, 
Anmerkung:. 


§  4.     Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     53 

die  Abeudländer  und  Theodoret  das  löyoq,  loravQcontvoq  oaQxi 
aus  Cjrill's  epist.  17  nur  unter  Umdeutungen  anerkennen  können. 

Wie  sollte  das  Chalcedonense  interpretiert  werden,  cyrillisch 
oder  abendländisch-antiochenisch?  Wer  sollte  mehr  gelten,  Cyrill, 
der  erbitterte  Gegner  des  Diodor  von  Tarsvis  und  Theodor  von 
Mopsueste,  oder  Theodoret,  der  Geistesverwandte  dieser  beiden, 
der  Verfasser  einer  Gegenschrift  gegen  die  vom  Chalcedonense 
anerkannten  Anathematismen  Cyrill's? 

Angebahnt  war  zu  Chalcedon  die  Antwort  durch  das  Über- 
wiegen des  cyrillischen  Einflusses;  wirkHch  anerkannt  aber  war 
die  cyrillische  Interpretation  des  Chalcedonense  erst  dann,  wenn 
die  Anhypostasie  der  menschlichen  Natur  mit  der  Annahme  der 
vollkommenen  Menschheit,  das  ^.öyog  söTavQOJfitvog  oaQxi  mit 
dem  „agit  utraque  forma"  etc.  in  Einklang  gebracht  war,  und  wenn 
die  Stellung  Theodoret's,  Theodor's,  Diodor's  zum  Chalcedonense 
offen  erörtert  war.  Das  ist  in  Justinian's  Zeit  geschehen,  und  da- 
durch ist  unter  Justinian  das  Dogma  der  alten  griechischen  Kirche 
zum  Abschluss  gekommen. 

Wenn  wir  dies  etwas  genauer  zu  verfolgen  versuchen,  so 
werden  wir  durch  die  Sache  selbst  zu  unserm  Autor  contra 
Nestorianos  et  Eutychianos  zurückgeführt. 

Die  nächsten  sechzig  Jahre  nach  dem  Chalcedonense  waren 
für  eine  Erledigung  der  in  Chalcedon  ungelösten  Fragen  nicht 
geeignet.  Erst  als  519  im  Orient  das  Chalcedonense  restituiert 
war,  war  Anlass  und  Ruhe  zur  Erörterung  dieser  Fragen  vor- 
handen. Und  in  eben  diesem  Jahre  beginnt  auch  die  Erörterung 
bereits.  Man  sieht  das  an  einem  Doppelten.  Zunächst  in  dem 
Auftreten  der  sog.  scythischen  Mönche  für  das  Xoyog  öTavQOjQ^nq 
oaQxl  und  gegen  Diodor  und  Theodor,  sodann  in  der  durch 
Severus  von  Antiochien  angeregten  Discussion  über  das  Ver- 
hältnis der  epist.  Leonis  ad  Flavianum  zu  Cyrill.  Von  Ersterem, 
von  den  scythischen  Mönchen,  wird  in  anderem  Zusammenhange  zu 
sprechen  Gelegenheit  sein  (vgl.  unten  §  17);  auf  den  severianischen 
Monophysitismus  müssen  wir  hier  etwas  näher  eingehen. 

Die  Julianisten  (Aphthartodoketen)  brauchen  uns  nicht  auf- 
zuhalten, sie  giengen,  wie  das  Referat  über  Cyrill  oben  S.  45 
zeigt,  über  Cyrill  ebensoweit  hinaus  als  Eutyches.  Severus  da- 
gegen wollte  die  genuin  cyrillische  Anschauung  festhalten  und 
warf  dem  Chalcedonense  nur  das  vor,  dass  es  durch  das  tV  ovo 


54  Erstes  Capitel. 

(pvöeöLV  und  durch  Approbation  der  ovo  avegysiai  des  leoninischen 
Briefes  sich  in  Widerspruch  zu  Cp-ill  gesetzt  hätte.  —  Hielt 
Severus  wirklich  genau  den  cyrillischen  Standpunkt  fest? 

4)  Diese  Frage  zu  beantworten,  ist  man  durch  neuere  Funde 
wenigstens  einigermassen  in  den  Stand  gesetzt.  Während  man 
am  Anfang  dieses  Jahrhunderts  aus  den  zahlreichen  Werken  des 
Severus  nur  wenige  Fragmente  kannte  (s.  Fabricius-Harles  X, 
p.  614  sqq.),  sind  durch  Cardinal  Mai  mehrere  Schriften  mit  reich- 
haltigen Severuscitaten  veröffentlicht  worden,  und  überdies  sind 
aus  der  syrisch,  wenigstens  bruchstückweise,  wieder  gefundenen 
bist.  eccl.  des  Johann  von  Ephesus  und  aus  der  vita  Severi  des- 
selben Verfassers  die  biographischen  Angaben  über  Severus  zu 
vervollständigen.  Leider  sind  die  vita  Severi  und  die  auf  Seve- 
rus bezüglichen  Abschnitte  der  historia  ecclesiastica  nur  syrisch 
veröffentlicht  (von  Land,  Anecdota  syriaca  IL  Bd.  1868).  Die 
erwähnten  griechischen  Fragmente  finden  sich: 

1.  in  der  sog.  „Antiquorura  patrum  doctrina  de  verbi  incar- 
natione"  (s.  über  dieselbe  unten  §  7)  bei  Mai,  Scriptorum  vete- 
rum  nov.  colL  VIL  1833,  p.  6—73, 

2.  in  des  „Leontius  Hierosolymitanus".  contra  Monophysitas 
(über  diese  Schrift  s.  unten  §  13)  Mai,  L  c,  p.  110  — 155  und 
daraus  bei  Migne  86,2,  coL  1769—1901. 

3.  in  der  aus  dem  sechsten  Jahrhundert  stammenden  epistula 
eines  sonst  unbekannten  Eusthatius  monachus  ad  Timotheum 
scholasticum  de  duabus  naturis  adversus  Severum  bei  Mai,  L  c, 
p.  277—291  und  daraus  bei  Migne  86,  1,  col.  901—942. 

Die  Schrift  „Justiniani  imperatoris  contra  Monophysitas" 
Mai,  L  c,  p.  292—313  (Migne  86,  1,  col.  1103—1145;  s.  über 
diese  Schrift  unten  §  21)  bietet  nichts  Neues,  und  von  den  altern, 
meist  exegetischen  Fragmenten  kann  hier  abgesehen  werden. 

Auf  Grund  dieser  Fragmente  hat  schon  Dorner  (II,  1, 
S.  166 — 172)  eine  sorgfältige  Darstellung  des  severianischen  Mo- 
nophysitismus  gegeben,  und  ich  würde  gern  lediglich  auf  diese 
Darstellung  verweisen,  wenn  mir  nicht  einige  Punkte  einer 
schärfern  Beleuchtung  bedürftig  erschienen,  als  ihnen  bei  Dor- 
ner zuteil  wird. 

Severus  gebraucht  —  davon  können  wir  ausgehen  —  wie 
alle  Monophysiten  gern  und  oft  die  cyrillische  Formel  ix  ovo 
(pvöewv  elg  XQiöTog  (vgl.  Migne  86,2,  col.  184lC).    Und  ebenso 


§  4.     Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     55 

wie  Cyrill  hält  er  im  Gegensatz  zu  den  Julianisten  das  fest, 
dass  der  Unterschied  der  Naturen  durch  die  tvojoig  nicht  auf- 
gehoben sei  (ep.  ad  Solonem:  rä  eg  cor  o  'E{i(iavovrjX  vrpsGzrjxsi 
xal  fiera  rijv  ti'coGiv  ov  rtrQajirai,  v^torrjxs  öe  Iv  ttJ  tvo)- 
ösi  TCxX.^  Migne  86,  2,  col.  1845  D).  Selbst  nach  der  avä- 
Oraöiq  bleibt  die  öaQs  trotz  des  UnvergänglicliAverdens  mensch- 
liche ö«(>5,  völlig  gleich  also  den  durch  die  dereinstige  avü- 
öxaöiQ  vollendeten  Christen  (contra  Felicissimum  I,  c,  5:  rj  ö«()g 
rov  "Ef^fiavovTjX  rö  tx  yfjg  sivat  fzsra  t?)i'  dräöraöiv  ov  fiE- 
rtßaXs  xal  f/£T8Xc6()7]0£P  dg  ^eoTTjTog  cpvoiv,  dXZ'  sfisivsv 
EJil  TTJg  iöiag  ovoiag,  Mai,  1.  c,  p.  9,  col.  a).  Ja  deutlicher  als 
Cyrill  und  weit  geflissentlicher  behauptet  Severus,  dass  wir  mit 
unserem  reflectierenden  Verstände  auch  fierd  zip  tvmOiv  die 
zwei  Naturen  unterscheiden,  d.  h.  um  ihren  wesenhaften  Unter- 
schied wissen  könnten  (contra  Grammaticum  III,  17:  rt)v  öiatpoQccv 
rffga.wfcrot,  ovo  rag  (pvöeig  Iv  avxcö  voovf/ev^  xrjv  fiav  XTLöxrjV, 
rrjv  61  dxTiorov,  Migne  86,  2,  col.  1845 C),  Diese  Behauptung 
der  zwei  Naturen  teile  er,  so  versichert  Severus  gar,  mit  den 
Nestorianern  (1.  c.  1S45D:  zo  ovo  (pvoeig  Xtyaiv  dzovv  ovofid^siv 
xoivov  Tjfilv  xal  ÄeozoQiqy  ^tXQi  zov  yivcoöxsiv  zijv  öiacpogdv 
zov  d-wv  Xoyov  xal  zijg  öaQxog);  allein  diese  Behauptung  der 
zwei  Naturen  ist  nur  ein  Wissen  um  die  d6vy)(^vzog  evoKjig 
derselben,  sie  ist  kein  Teilen  der  <pvoig  {tziga  [itv  lözi  xazd 
(fvGLV  idiav  tj  GaQs  JtaQcc  zov  ex  &sov  jtazQog  rpvvza  loyoi\ 
tT£Qog  6  av  xazd  je  zov  z/]g  iöiag  «pvöEcog  löyov  6  novoyevrjg- 
dXX  ov  z6  tlötvai  zavza,  (IeqLC^elv  eOzl  z^v  tpvOLV 
iiExd  xi]v  tvcoöiv  Mai,  1.  c,  p.  8,  col.  b).  Severus  will  mit 
der  Behauptung  der  ovo  (pvoeig  nicht  mehr  als  xaxd  xov  Oo- 
(pcozaxov  KvQiXXov  d-emQia  fcov^]  dvaxQiVELV  xt)v  ovöicoörj  öia- 
(fOQav  Xiov  GvvEVE'/ßEvxcov  ajioQQrjzojg  eIq  %v  ,'contra  Grammat., 
Migne  86,2,  col.  1841 C;;  den  chalcedoneusischen  Dyophysitis- 
mus  weist  er  aufs  entschiedenste  zurück  (sermo  in  Trishagium: 
hl  ÖE  [lEZa  Z/jV  kVCOOLV  Iv  Öv(ii  (pVOEGi  yvcoQiG&f'/GEzai^  XvEzai 
(dv  7j  bvojoig^  zt]  övdöi  ötaiQed-ElGa,  [iEQiGdrjGExai  61  x6  fivGz/j- 
Qiov  xal  zfj  (lEV  d-Eia  cpvGEL  xriv  dd^avaGiav,  xfj  öe  dvd-Qcojtivt] 
xov  d-dvaxov  djcoxXrjQOJGofiEv,  Migne  86,  1,  col.  932A). 

Dies  letzte  Citat  zeigt  zugleich,  wo  der  eigentliche  Nerv 
des  severianischen  Widerspruchs  gegen  das  Chalcedonense  zu 
suchen  ist.    Es  ist  das  abendländisch-antiochenische  Element  iiii 


55  Erstes  Capitel. 

Chalcedonense ,   das   den  Severus  abstösst,   vor  alleüi  jener  Satz 
der  ep.  ad  Flavianum:  agit  utraque  forma  etc.  (vgl.  das  Citat  aus 
dem    ^Philalethes"    des   Severus   bei   Eusthatius   monuchus: 
d  6  löyoq  xaxEQyäC,ExaL  xä  xov  loyov,  xo  dh  Ocöfia  IxxüM  xä 
xov  üojfiaxoc^  ocül  xo  fisv  ÖLaXafijisi  xolg  &avfia6L^  x6  de  xolq 
jtad-EOiV  vjtojttJixor/.£v,   7)   xoircovia  xcöv  fioQcpcöv   Ox^xl'/.»!  x'lq 
töxi,    xdi   vjioyvojfuxijg    öia&toscog^   xadcug    0   xaQajih)^   tcpj/ 
NeoxoQtog,  Migne  86,  1,  col.  925  C).    Diese  Behauptung  von  ovo 
(pvörAol  h'tQfHai,  die,  wie  Severus  höhnend  sagt  (Mai  1.  c,  p.  71, 
col.  b),  consequenterweise  zur  övag  ihhjfidxcov  führen  müsse,  er- 
scheint dem  Severus  ebenso  unvernünftig  wie  ketzerisch  (nestoria- 
nisch),  sie  macht  ihm  das  Chalcedonense  unannehmbar  (ex  epist. 
ad  medicum  Prosdocium:    //  övvoöog  Xaly.tjöovog  xal  ^Lto)i\  o 
xfjg  Qcofiaicov  t/y/joäi/svog  axxhjOiag,  ovo  cpvöeig  Im  Xqiöxov  xal 
<Svo   xovxcoi'  IvsQYEiag  oQiöäiuvoL  fisxa  xt)v   acpQaöxov  tv(X)6ii\ 
dixalmg    ava&tf.taxi^io{}^cooa}\    cog   xov    tva    Xqiöxov    dg    ovo 
xQoocojia  xaxaj/SQioavxsg'  ov   yag  tvtQysi  xoxs  cpvOig  ovx 
vcpsöxcööa^  Mai  1.  c,  p.  71).    Severus  gründet  also  den  Wider- 
spruch gegen  die  ep.  ad  Flavianum  auf  die  cyrillische,  zu  Chalce- 
don  halb  anerkannte  Annahme   der  Anhj^postasie   der    mensch- 
lichen   Natur.      So    scheint    Severus    auch    hier    zunächst    die 
cyrillischen  Gedanken  festzuhalten;  allein,  wenn  man  näher  zu- 
sieht, so  erkennt  man  m.  E.  gerade  hier,  dass  Severus  über  Cy- 
rill  hinaus  bei  eigentlichem  Monophysitismus  angekommen  ist: 
7/,«£rc,  —  so  sagt  er  in  einer  ep.  ad  Joannem  abbat.  (Mai  1.  c, 
p.  71)  unter  Berufung  auf  x^]v  cpcovr/v  xov  jcavOocpov  Aiovvöiov 
xov  dgeojcaytjxixov  xrjv  liyovOav  aZZ'  dvÖQOJ&evxog  d-eov  xcu- 
vrjv  xLva  xijv  deavögixrjv  sviQyeiav  rjf/iv  jisjtoXixevfitvov  f/iav 
evo?]Oafiev  ovvOaxov  xal  voovf/sv  —  //lav   offo2.oyovfisv   cpvöLV 
X6  xal  vjcoOxaOLV  d-savÖQixtjv,  oiöJttg  xal  fdaj'  (pvötv  xov  dwv  Xo- 
yov  öeOaQxcofitvrjv'  .  .  .  tojg  dv  ovv  tig  toxiv  6  XQioxög,  fjiav  o)g 
bvog  avxov  xrjv  xe  (pvöLV  xal  xTJv  vjiöoxaöiv  xal  xrjv  evtQyeiav 
Ovvdexov  .  .  .  xrjQvxxofisv.    Auch  hier  lehnt  sich  Severus  aller- 
dings an  Cyrill  an;  und  zwar  nicht  nur  durch  die  Anknüpfung 
an   das   fila   fpvoig  xov  &sov  loyov,  sondern  auch  in  der  Ver- 
wendung  des  Begriffes   OvvxL&tvai  (vgl.  oben  S.  42),  allein  er 
geht  doch  offenbar  über  Cyrill  hinaus.    Wo  Cyrill  von  der  fila 
(pvdig   redet,   da   denkt  er   an    die  ///«    (pvöig  xov  O-sov  Xöyov; 
redete  er  ausdrücklich  von  fzla  tvtQyEia  —  was,  soviel  ich  weiss, 


§  4.   Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     57 

nicht  geschieht  — ,  so  würde  auch  diese  /<m  tvsQyeia  zunächst 
die  des  Xoyog,  der  &eia  (pvöiq  sein.  Auch  Severus  vermag  sich 
zu  Zeiten  in  den  Grenzen  dieser  cyrillischen  Tradition  zu  halten; 
so  redet  er  (bei  Eusthatius,  Migne  86,  1,  col.  925  C)  da- 
von, dass  o  Xöyoq  Ti]v  6aQxa  {isrsözoix^icooev  slg  rrjv  lavrov 
66c,av  TS  xal  IviQytiav.  Doch  dies  ist  nicht  die  durchschlagende 
Betrachtungsweise  des  Severus.  Schon  der  Ausdruck  ///«  (fvöiq 
övvß-STog  und  der  parallele  fda  IvtQyeia  övvd-txoc,  weist  da- 
rauf hin,  dass  Severus  nicht  wie  Cyrill  vom  loyog  aOaQXoq  aus- 
geht, sondern  von  der  Annahme  einer  ^da  (pvoig  des  löyog  tv- 
oagxog.  Diese  {Jia  (pvOig  bezeichnet  er  im  Bewusstsein  einer 
ov6L(6ö?]g  öcafpoQa  zwischen  Gottheit  und  Menschheit  als  eine 
övvd^tTog.  Dasselbe  beweist  der  areopagitische  terminus  einer 
xaiv7j  ß-sapÖQixfj  tvegyeia.  Severus  hat  ihn  nicht  nur  über- 
nommen, wie  man  auch  ein  ungenaues  dictum  probans  sich  ge- 
fallen lässt,  wenn  man  bessere  nicht  hat,  sondern  er  hat  sich 
selbst  häufig  so  ausgesprochen,  dass  gerade  dies  xann)  als  zu- 
treffend erseheint.  So  beschränkt  unsere  Fragmente  sind,  so 
lässt  sich  doch  behaupten,  dass  Severus  mehrfach  so  argumen- 
tiert hat,  wie  wir  ihn  bei  Eusthatius  in  einem  sermo  in  Na- 
tivitatem  argumentieren  sehen:  jcoiag  oiw  rpvnjscog  iöiav  evtQ- 
ysiav  eijccofiav  xo  i3aÖiC^8Lv  sjcl  tov  vöarog,  djioxQivaoß^cooav  ol 
fjarä  TTJv  ivcooir  ?ifilv  zag  ovo  cpvOtLg  döäyovrsg.  Tyg  O^siaq; 
xdi  jicög  ■d-a('jT?jTog  Iölov  xb  ocof/axixolg  Uvai  jiooir;  lilla 
xJjg  avd-QOjjtivtjg;    xal  jrcög  ovx   aXlöxQLOv  (xv&qojjtov   t6   Ijii 

xrjg  vyQäg  ovOiag  jceQiJtaxstv; 'AXla  jcQoörßov  xal  ovöa- 

[icTjg  cificfißoXov^  81  ff?]  txapxsg  (.isdvofisv,  cog  xov  d-tov  Xoyov 
xov  dl,  //fiäg  oaQxcoi^tvxog,  Ivbg  xal  ccfisQtOxov  xvyyavovxog, 
afttQioxog  vjcaQxsi  xal  ij  svtQyEia'  xal  löiov  ijv  avxov  x6  jib^svelv 
lütt  xov  vöaxog,  tv  xavxcö  xo  d-tojcQSJchg  tycov  xal  xb  ccv&qoj- 
jiLvov  (Migne  86,  1,  col.  924 CD  vgl.  86,  2,  col.  1772 D).  Ganz 
dementsprechend  redet  Severus  in  dem  oben  aus  Mai  1.  c.  p.  71 
citierten  Fragment  von  der  einen  <pvOig  des  einen  Christus. 
Das  ist  nicht  cyrillisch.  Cyrill  und  Severus  unterscheiden  sich 
ebenso  wie  die  Formeln  ///«  <pvöig  xov  ß^iov  ibyov  OecaQxo)- 
fiäv?]  und  (Aa  cpvüig  xov  d-tov  Xöyov  OEOaQxcofievov.  —  Es 
lässt  sich  freilich  nicht  leugnen  und  ist  oben  auch  zugegeben, 
dass  Cyrill  manchmal  die  Grenze  überschreitet,  die  ihn  von 
Severus  trennt;   das   von  Cyrill  und   von  Severus   gleich  häufig 


58  Erstes  Capitel. 

gebrauchte  Bild  von  der  Einigung  des  Leibes  und  der  Seele 
zum  Menschen  passt  z.  B.  gewiss  besser  zur  severianischen 
Christologie  als  zur  cyrillischen:  dennoch  bleibt,  ganz  abge- 
sehen davon,  dass  eine  alte  Anschauung  unter  neuen  Verhält- 
nissen schon  dieser  neuen  Verhältnisse  wegen  nicht  die  alte  ist, 
ein  Unterschied  zwischen  Severus  und  Cyrill  unverkennbar.  Der- 
selbe zeigt  sich  auch  darin,  dass  das  tjiivoia  oder  d^BcoQla  liovn 
öiaiQslr  bei  beiden  eine  verschiedene  Bedeutung  hat.  Bei  Cyrill 
hatte  es  an  dem  Nestorianismus ,  an  den  wirklich  behaupteten 
ovo  vjioöraoeiQ  oder  gar  ovo  jtctoooyjia  seinen  Gegensatz,  bei 
Severus  steht  dem  decoQia  ovo  das  bpsgyeia  ovo  als  Gegensatz 
gegenüber:  was  &ea)Q'ia  unterschieden  wird,  ist  nicht  wirklich 
als  Unterschiedenes  vorhanden.  Deutlich  zeigt  sich  dies  darin, 
dass  Severus  Ijiivoia  auch  zwei  Hypostasen,  ja  zwei  jcQoöojjia 
unterscheiden  will  {Iv  r^j  sjiivoia  diaiQovf/tvaig  xaTg  cpvosöii' 
tjyovv  VjioGräoBöiv  ovvejiiroslTai  xal  ra  jcQOöcojta,  bei  Eustha- 
tius,  Migne  86,  1,  col.  924B^*).  Das  beweist,  dass  das  tJiivoia 
di'axQiveiv  bei  Severus  nicht  mehr  bedeutet,  als  ein  nachträg- 
lich an  die  fiia  (pvöiq  rov  XqiOtov  herangebrachtes  Beurteilen. 
Severus  war  von  Haus  aus  Monophysit.  Au  der  Behauptung  der 
fjia  (pvGiq  hat  er  wegen  des  für  die  Erlosungslehre  nötigen  [ivörrj- 
QLOV  der  fpvoixrj  tvo:>6iq  (vgl.  das  Citat  oben  S.  55 ,  Z.  7  v.  u.) 
ein  religiöses  Interesse.  Nun  hat  er  sich  aber,  vor  allem,  wie  es 
scheint,  durch  das  Studium  Cyrill's,  von  der  speculativen  Unhalt- 
barkeit  des  massiveren  Monophysitismus  überzeugt  und  verbindet 
daher  nachträglich  mit  seinem  Monophysitismus  ein  d-scoQia  avaxQi- 
v£u\  das  freilich  ernst  gemeint  war,  aber  nicht  ernstlich  durch- 
führbar war,  da  das  monophysitische  fivörr/Qtop  einer  q)VOixt)  tvojöig 
jedes  ernsten  d-acoQLa  xq'lvuv  spottet.  Dies  Mysterium  lässt  sich 
eben  besser  anstaunen  und  anbeten,  als  mit  Hülfe  von  Logik,  Psy- 
chologie und  Metaphysik  beschreiben.  Es  ist  daher  erklärlich,  dass 
die  Gegner  in  der  jcoXvjtoixiXog  6og)ia  (Eusthatius,  Migne  86,  1, 
coL  9 17  D)  des  JtoXvfiOQg)Og  (ibid.  9 13  B)  oder  fivQiofioQrpog  SsvtjQog 

*)  Auch  hierfür  lassen  sich  Parallelen  bei  Cyrill  finden  (vgl.  oben 
S.  43).  Allein  es  ist  doch  ein  grosser  Unterschied  zwischen  dem,  der 
(fvoiq  und  vrcöoraoiq  stets  zu  unterscheiden  noch  nicht  recht  gelernt  hat, 
[Cyrill]  und  dem,  welcher  trotz  der  inzwischen  geklärten  Terminologie 
nicht  nur  von  tULVola  ovo  (pvatiq,  sondern  auch  von  mivoin  ovo  vnoaru- 
oeig  redet  [Severus]. 


§  4.    Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     59 

(ibid.  929  A)  eine  grosse  Menge  von  Widersprüchen  gefunden 
haben.  Bezeichnend  klagt  Eusthatius  col.  921  C: '*// Tß/a  tV  öoi 
tOTL  xal  X.VUV  TTjv  tvmöiv  xal  öwäysiv  avrr/v,  ocal  oxav  fihv  ßovhj 
&tG}QEic  raq  cfvosig^  ore  6e  d-tXeig,  vxEs'^öravrai.  Diese  schwan- 
kende Stellung  des  Severus  erklärt  sich  eben  daraus,  dass  er 
einen  Standpunkt  vertritt,  der  durch  Concessionen  an  die  ent- 
gegenstehenden in  sich  unhaltbar  geworden  ist.  Der  Monophysi- 
tisnius  des  Severus  ist  nicht  die  genuin  cyrillische  Anschauung, 
sondern  er  ist  ein  durch  cyrillische  Gedanken  corrigierter  Mono- 
physitismus.  Eben  dies  machte  ihn  für  seine  Zeit  gefährlich. 
Was  man  an  Eutyches  getadelt  hatte,  das  verurteilte  auch  Seve- 
rus, er  vertrat  eine  Anschauung,  wie  sie  ohne  die  zum  Chalce- 
donense  führende  antiochenisch-abendländlische  Reaction  wahr- 
scheinlich als  die  durch  das  Ephesinum  von  431  geforderte 
Orthodoxie  gegolten  hätte  (vgl.  oben  S.  47  Anm.),  er  griff  im 
Chalcedonense  eben  das  an,  was  in  ihm  als  ein  mit  dem  cyril- 
lischen Element  noch  nicht  verarbeitetes,  abendländisch-antioche- 
nisches  Element  anerkannt  werden  musste.  Und  dieser  seve- 
rianische  Monophysitismus  machte  sich  geltend  eben  in  dem 
Zeitpunkt,  als  nach  längeren  Jahren  monophysitenfreundlicher 
oder  doch  wenigstens  neutraler  Politik  des  Hofes  das  Chalce- 
donense restituiert  und  durch  die  wiederhergestellte  Einigung 
mit  dem  Abendlande  die  Bürgschaft  für  seine  Aufrechterhaltung 
gegeben  war. 

Wie  schwierig  diese  Situation  war,  zeigt  der  später  noch 
genauer  zu  erörternde  theopaschitische  Streit:  der  römische 
Bischof  widerstrebte  einer  vom  Chalcedonense  indirect  aner- 
kannten cyrillischen  Formel  (vgl.  oben  S.  51).  Denn,  wenn  es 
recht  ist  —  und  so  versichert  das  vom  Chalcedonense  anerkannte 
zwölfte  der  Anathematismen  Cyrill's  — ,  von  dem  löyog  löravQco- 
fikvoQ  OttQxl  zu  reden,  so  ist  die  theopaschitische  Formel  iva  t% 
ayiag  TQiäöog  xejcov&Evai  CaQxi  ihrem  christologischen  Gehalte 
nach  durchaus  orthodox  im  Sinne  des  cyrillisch  interpretierten 
Chalcedonense.  Die  Formel  steht  auf  ganz  derselben  Linie  mit 
dem  d^soTOXog.  Die  Möglichkeit  der  Aufrechterhaltung  des 
Chalcedonense  im  Orient  hieng  davon  ab,  ob  man  imstande  war, 
den  Severianern  gegenüber  die  Bestimmungen  des  Chalcedonense 
unter  einander  in  Einklang  zu  bringen  und  das  Abendland  von 
der  Richtigkeit  dieser  Deutung  des  Chalcedonense  zu  überzeugen. 


60  Erstes  Capitel. 

5)  Einer  der  Theologen,  die  an  dieser  Aufgabe  gearbeitet 
haben,  ist  unser  Verfasser  der  tres  libri  contra  Nestorianos  et 
Eutychianos  und  der  ajcUvOig  rmv  vjto  ^svtjQov  jiQoßsßXrjfiei^cov 
ovXXoyiOficöp.  Welche  dogmatische  Stellung  nimmt  er  ein? 
Eine  Antwort  in  kurzen  Formeln  würde  nichtssagend  sein,  denn 
die  Formeln,  in  welche  die  christologischen  Aussagen  sich  zu- 
spitzen, sind  die  von  Chalcedon.  Überdies  ist  gerade  die  Art 
der  nähern  Begründung  charakteristisch  für  unsern  Verfasser: 
nicht  exegetische,  nicht  religiöse  Argumente  treten  voran,  son- 
dern philosophische,  und  die  philosophische  Anschauung,  auf 
welcher  die  Argumente  unsers  Verf.  ruhen,  ist  entschieden  aristo- 
telischer, nicht  platonischer  Herkunft.  Unser  Autor  ist  ein  Vor- 
läufer des  Johann  von  Damaskus.  Dies  alles  im  Einzelnen  nach- 
zuweisen, würde  ein  eigenes  Buch  erfordern.  Nur  die  Grund- 
gedanken will  ich  anzugeben  versuchen. 

Alles  Seiende  ist  unter  sich  verbunden  durch  die  gemein- 
samen Merkmale  des  Allgemeinen  {raig  xad-'  öXov  xotvorrjOi), 
wird  aber  getrennt  durch  die  specifischen  Differenzen  (ralg  döo- 
jioioTg  diafpoQalg  1301 D).  —  Der  allgemeinste  Begriff,  den  es 
giebt,  ist  also  eben  der  der  ovöia;  Gott,  Engel,  Menschen, 
Tiere,  Pflanzen  fallen  unter  ihn  (1921C).  Der  nächsthöchste  Be- 
griff ist  der  des  Genus;  mehrere  ytri]  sind  unter  den  ovöiai  zu 
unterscheiden  (1921  CD).  Ein  Beispiel  sei  der  Gattungsbegriff, 
unter  den  auch  der  Mensch  fällt:  xo  C,mov.  Unter  den  ytvrj^ 
den  Gattungen,  stehen  die  Arten,  tlöi]  (1921  CD).  Man  erhält 
ihren  Begriff  —  „sie  entstehen",  könnte  man  auch  sagen  im 
Sinn  unsers  Verf.  wie  im  Sinn  des  Aristoteles  — ,  wenn  zu  dem 
Genus  die  döojcoiol  öiacpogai,  die  specifischen  Differenzen,  hin- 
zutreten (1301 D).  Unter  diesen  döojtoiol  öiafpoQai  versteht 
Aristoteles  (vgl.  Zeller,  Philosophie  der  Griechen  II,  2,  3.  Aufl. 
1879.  S.  206  Anm.  1)  solche  jroiOT/;T£c,  die  nicht  Accidenzen 
sind  d.  h.  nicht  in  der  Weise  einem  Subject  anhaften,  dass 
dasselbe  auch  ohne  sie  seinem  Wesen  nach  bliebe,  was  es  ist, 
mithin  solche  Eigenschaften,  die  selbst  das  Wesen  konstituieren 
(vgl.  Trendelenburg,  historische  Beiträge  zur  Philosophie  1. 
1846,  S.  56  ff.).  Als  Beispiele  nennt  Aristoteles,  Kategoriae 
p.  P,  18  (Bekker)  bei  Waitz,  Aristotelis  Organon  I,  p.  83:  x6 
jts^ov,  xo  6iüiovi\  xo  jcxfjvov,  xo  ivvÖQov,  Johannes  Damascenus 
(Dialectica  c.  12,  opp.  ed.  Lequien,  I,  p.  28)  als  Beispiel  für  die 


§  4.    Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     ßj 

Species  Mensch,  xo  XoyLy.öv.  Dieser  Begriff  der  döoüioioX  öia- 
(fOQai  ist,  wie  das  Folgende  beweisen  wird  (vgl.  auch  1928  D),  auch 
bei  unserm  Verf.  zu  constatieren;  ihm  entsprechend  bezeichnet 
er  die  dÖojtoiol  ÖiacpoQcd  als  die  jioiortjreg  ovOioiösig  (1277 D) 
oder  als  Jtoiorrjrsg  ovOicoöcög  xar  avxcöv  (i.  e.  xara  r<5v 
ovöLcöv)  xarriyoQovi^iivaL  (1280 B)*).  Da  nun  das  Wort  für  das 
Wesen  des  Eiöog  (pvoig  ist  oder  ovoia  im  engern  Sinne  (vgl. 
unten),  so  wird  die  (fvöig  charakterisiert  durch  die  Eigentümlich- 
keiten des  ytvog  und  durch  die  öiaffogai  Diese**)  sind  daher 
övörarixal  rijg  ovolag  (1945  B),  sind  ovoiojioiol  iöiorr/rsg,  xr/v 
(pvoiv  xov  vjtoxsif/tvov  ötjXovvTsg  (1928 C).  Die  g^voig  oder 
ovOia  des  Menschen  beispielsweise  wird  charakterisiert  durch  das 
C,ojov  dvai  —  dies  ist  eine  xoivöxtjg  des  Genus  i^ojov  —  und 
durch  das  XoyLxov  und  d^i'rjxov  dvai,  die  specifischen  Differenzen, 
durch  welche  die  Species  Mensch  sich  von  andern  Species  des 
Grenus  C,mov  unterscheidet  (1945  B). 

Die  specifischen  Differenzen  führen  erst  bis  zu  den  Species. 
Zu  den  Individuen  (ärofia  1917A)  gelangt  man  von  den  Species 
in  ganz  ähnlicher  Weise  wie  zu  diesen  von  den   eiöi]:  den  öia- 


*)  Die  Gleichsetzung  von  eiSoiroiol  öta(fOQal  und  TtotoTtjteg  ovoiw- 
öfiQ  ist  in  den  beiden  Schriften,  die  wir  bis  jetzt  vor  uns  haben,  aller- 
dings nicht  direct  ausgesprochen.  Es  ist  das  Zufall,  denn  sie  ist  selbst- 
verständlich. Man  überzeugt  sich  leicht  davon,  wenn  man  die  Gedanken 
unseres  Verf.  mit  den  indirect  zu  Grunde  liegenden  aristotelischen  einer- 
seits (vgl.  Trendelenburg  a.  a.  0.  S.  46),  andrerseits  mit  denen  Johann's 
von  Damascus  vergleicht  (Dialect.  c,  5  und  c.  12,  Lequien,  I,  p.  12  und  28). 
Das  Fragment  des  Leontius  Migne  8(5,  2  col.  2009  CD,  von  dem  unten 
zu  reden  sein  wird,  spricht  sie  ausdrücklich  aus. 

**)  Der  Verf.  der  Epilysis  unterscheidet  in  diesem  Zusammenhang 
nicht  zwischen  den  das  Genus  bildenden  öiaifOQai  wie  'C,(j)Ov  tlvui,  <pvrbv 
tlrcu  u.  a.  und  den  6ia<poQal  eiöonoiol.  Hinter  dem  Begriff  des  elSog 
tritt  der  des  yävoQ  überhaupt  zurück,  nicht  weil  der  Verf.  ihn  nicht 
kannte  (vgl.  oben  und  1921  C),  sondern  weil  dem  Individuum  gegenüber 
yi'vog  und  tiSog  zusammen  das  xoiröv  bilden,  weil  das  ykvoq  im  tlöoq 
enthalten  ist.  Darin  ist  es  auch  begründet,  dass  auch  von  unserm  Verf. 
gilt,  was  Johann  von  Damascus  von  den  ayioi  naxl-Qfq  sagt:  die  heid- 
nischen Philosophen  [ol  (ihv  t'|cw  (piX6oo<poi)  hätten  einen  Unterschied 
statuiert  zwischen  ovola  [dem  Wesen  des  yvvoc\  und  cfvoig  [dem  Wesen 
des  tidiogl,  die  heiligen  Väter  aber  hätten  beide  Begriffe  als  gleichbe- 
deutend gebraucht  (Dialect.  c.  30,  Lequien,  I,  p.  36).  Unser  Verf.  setzt 
beide  Begriffe  ausdrücklich  gleich  1 309  A. 


62  Erstes  Capitel. 

cpogai  ddojcoio't  entsprechen  liier  die  iöicofiara  a(poQi6Tixa  (191 7 C). 
Unser  Verfasser  nennt  diese,  ebenso  wie  Aristoteles,  sämmtlich 
Ovfißeßijxöza,  denn  ilire  Anwesenheit  oder  Abwesenheit  übt  auf 
die  (pvöiQ,  auf  die  ovöia  der  Individuen  keinen  ändernden  Ein- 
fluss  aus,  denn  alle  Individuen  eines  £i'(5'og  sind  OjMOOvötot  (1280  A). 
Doch  scheidet  unser  Verf.  zwischen  den  övfißEßrjxöza  xcoQi^Otcc 
und  d/coQtöra  (1945B).  Letzterer  Begriff  scheint  eine  contra- 
dictio  in  adjecto  zu  enthalten,  doch  schwindet  dieser  Schein, 
wenn  man  in  den  Gedankenkreis  jener  Zeit  sich  versetzt.  Ver- 
gleicht man  nämlich  einerseits  die  Ausführungen  des  Aristoteles, 
an  welche  die  Unterscheidung  unsers  Verf.  indirect  anknüpft,  die 
Ausführungen  über  das  iöiov  und  das  övftßsßrjxog  im  eigent- 
lichsten Sinne  (Top.  1,  5,  fol.  102%  18  ff.  [Bekker]  Waitz  a.  a.  0. 
II,  83),  andrerseits  des  Johann  von  üamascus  Definitionen  der 
övfißeßrjxora  xcoQtOzä  und  aymQiOxa  (Dialect.  c.  13,  Lequien  I, 
p.  29),  so  ergiebt  sich,  dass  unter  den  OvfißEßrjxöra  aiojQiOxa 
bleibende  Eigentümlichkeiten  des  Individuums  zu  verstehen 
sind,  die  zwar  die  (pvöiq  desselben  nicht  besondern  —  denn 
(pvöiq  sidovq  Xoyov  lütiiu  (1280A)  —  und  deshalb  Ovfißtßt/xöva 
sind,  durch  welche  aber  das  Individuum  von  andern  Individuen 
derselben  Gattung  sich  stets  unterscheidet,  z.  B.  stumpfnasig, 
blauäugig  u.  s.  w.  Die  ovftßEßrixora  xco(>*öt«  dagegen  sind 
solche  Gvfißsßjjxora,  die  an  demselben  Individuum  bald  vor- 
handen sind,  bald  nicht,  das  Individuum  von  heute  von  dem  In- 
dividuum von  gestern  unterscheiden,  z.  B.  gesund,  krank  u.  s.  w. 
Die  avf/ßsßrjxora  axcoQiara  sind  die  a(poQi6rixä  67][i£ia  xal  iöico- 
fiara (1928  C),  das  iöiov  oder  iÖiojtoiov  im  eigentlichsten  Sinne 
(1928  CD  vgl.  1917C),  sie  sind  für  das  Individuum  das,  was  die 
siöojtoiol  6iag)0Qai  für  die  Species  sind.  Doch  muss  bemerkt 
werden,  dass  diese  logisch  schärfste  Fassung  des  löiov  und 
lÖLcofia  nicht  immer  festgehalten  wird.  Da  auch  die  specifischen 
Differenzen  dem  xoivov  der  ofioysvr/  gegenüber  ein  löiov  [des 
siöog  und  also  auch]  des  Individuum  sind,  so  werden  unter 
löicofia  und  iöiov  nicht  nur  die  individuellen,  sondern  auch  die 
speciellen  Eigentümlichkeiten  des  Individuums  verstanden  (vgl. 
z.  B.  1304  C.  1305B).  —  Im  Gegensatz  zu  den  jioiortjTEg  ovüioj- 
ösig  werden  diese  övf^ßeßrjxora  axcögiora  als  jcoiorrjTSg  ejrovOico- 
Ö8ig  bezeichnet  und  als  solche  von  den  avfißsßrjxoza  im  eigent- 
lichsten Sinne,  den  avfißeßfjxoza  yjcoQiaxä,  unterschieden  (1277  D). 


§  4.    Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     63 

Doch  wie  hängt  dies  alles  mit  der  Theologie  zusammen? 
Wir  werden  das  erkennen,  wenn  wir  der  Erörterung  der  Begrifte 
uns  zuwenden,  welche  flir  die  Theologie  jener  Zeiten  am  funda- 
mentalsten waren.  Top  jisqI  vjiootäoecog  yML  ovoiag  Xöyov 
f'/yovv  jiQoöcojtov  '/Mi  cpvoscog^  so  nennt  unser  Verfasser  selbst 
(1273A)  die  uestorianisch-eutychianische  Frage.  YjtoOTaOig  und 
jTQoöcojror  einerseits,  ovoia  und  c^vOig  andrerseits  erklärt  er  unter 
Berufung  auf  die  Kappadokier  ausdrücklich  für  identische  Be- 
griffe (1309 AB  vgl.  1273 A,  wo  natürlich  das  ov  zu  streichen 
ist),  ^voig  und  vjcöoraoig  sind  die  gebräuchlicheren  termini. 
Was  <pvOig  bezeichnet,  ist  schon  im  Vorangehenden  gelegentlich 
bemerkt.  (Pvoig  und  VTcöoraoig  verhalten  sich  zu  einander  wie  die 
Begriffe  uöog  und  atofiov:  ?/  fisv  yäg  cpvöLg  xov  rov  sivai  X6- 
yov  IjnötyeTai'  t)  de  vjcoGraoig  xal  rov  rov  xa&  kavrov  sivai' 
xal  i)  ^m>  döovg  Xoyov  ejityn^  t)  61  rov  rivog  Icxiv  öi]XairLyJ]. 
Kai  t]  fiiv  xaO-oXLxov  Jigay/iarog  yßQaxrfJQa  ötjXol'  //  de  rov 
xoivov  ro  lÖLOv  ccjzoöiaoxiXXsraL  (1280 A  vgl.  1915A). 

(pvoig  ist  also  das  gemeinsame  Wesen  der  Gattung.  Diese 
Annahme  ist  nicht  neu;  neu  aber  ist,  wenn  die  herrschende  Tra- 
dition über  den  Piatonismus  der  Kirchenväter  richtig  ist,  die 
aristotelische  Auffassung  dieser  Annahme :  Ovx  tön  gjvoig  avvjio- 
Orarog,  das  giebt  der  Verfasser  als  etwas  Selbstverständliches  zu; 
avvjtoOrarog  fthv  ovv  (pvüig,  rovxtoxLV  ovoia,  ovx  av  eh]  jiori 
(r280A).  Das  Allgemeine  besteht  nur  im  Individuellen,  diese  An- 
nahme ist  der  gemeinsame  Boden,  auf  dem  unser  Verf.  und  seine 
Gegner  stehen.  Ich  will  hier  nicht  weiter  verfolgen,  von  welcher 
Bedeutung  dies  für  das  Verständnis  des  tritheistischen  Streites 
ist,  für  den  Johannes  Philoponus  ganz  mit  Unrecht  allein  ver- 
antwortlich gemacht  wird.  Unser  Verfasser  selbst  würde  bei 
tritheistischen  Consequenzen  ankommen,  wenn  er  der  Anwendung 
seiner  philosophischen  Gedanken  auf  die  Trinitätslehre  noch  ge- 
nauer nachgienge.  Er  fasst  das  Verhältnis  der  drei  göttlichen 
vjcooräotig  zu  dem  xoivov  der  göttlichen  ovoia  nicht  anders  auf, 
als  das  Verhältnis  menschlicher  Individuen  zu  dem  xoivov  der 
menschlichen  ovoia  (1917  CD).  Es  wird  später  (§  17)  Gelegen- 
heit sein,  hierauf  noch  einmal  zurückzuweisen. 

Hier  bleiben  wir  bei  der  Christologie.  Die  menschliche  (pvoig 
wird,  wie  schon  gesagt(vgl.  1945  B)  charakterisiert  durch  das  C,mov 
tivai  [die  öta(fOQa  yevixrj]  und  durch  die  specifischen  Differenzen, 


64  Erstes  Capitel. 

von  denen  das  loyiTCOv  dvai  und  iyvy]xov  dvai  genannt  werden. 
Von  hier  aus  schon  widerlegt  sich  dem  Verfasser  der  Monophysi- 
tismus.  Ist  Christus  wirklich  Mensch  geworden  —  und  den  Aus- 
druck hielten  auch  die  Julianisten  fest  — ,  so  niuss  er  dieselbe 
raenschliche  (pvOiq  gehabt  haben  wie  wir,  muss  d-v?]Tog  ge- 
wesen sein.  Wo  nicht,  so  ist  sein  Leiden,  ist  seine  Menschheit 
nur  Schein:  die  Julianisten  sind  Aphthartodoketen. 

War  Christus  wirklich  d-vf/rog,  JiaS-rjTog  und  q)d-aQx6g  einer- 
seits, andrerseits  acf&aQzog  und  a^^ärarog  —  und  das  gab  Seve- 
rus  zu  — ,  dann  waren  die  öiatfOQCi  und  die  i6i6TtjT£g  einer  jeden 
der  beiden  Naturen  zugegeben,  und  es  war  nach  Ansicht  unseres 
Verfassers  nur  unbegreifliche  Thorheit,  dann  nicht  die  Zweiheit 
der  Naturen  zugeben  zu  wollen  (1317D).  Diese  Zweiheit  der 
Naturen  vor  der  tvcooig  behaupten  zu  wollen,  durch  die  tvcoOig 
sie  für  aufgehoben  erachten,  das  ist  vollends  Thorheit.  Denn,  da 
das  Allgemeine  nur  im  Besondern  besteht,  so  hat  die  mensch- 
liche Natur  Christi  vor  der  Menschwerdung  überhaupt  nicht 
existiert  (1933  BC*)).  Auch  das  vielgerühmte  Beispiel  vom  Men- 
schen rechtfertigt  es  nicht,  inbezug  auf  Christus  von  einer  fiia 
(pvöig  zu  sprechen.  Denn  auch  der  Mensch  besteht  aus  zwei 
unvermischten  Naturen,  aus  Seele  und  Leib,  und  wenn  wir  trotz- 
dem von  einer  cpvoig  des  Menschen  sprechen,  so  hat  dies  darin 
seinen  Grund,  dass  hiemit  von  dem  Individuum  etwas  ausge- 
sagt wird,  was  von  der  Gattung  gilt  (12S9D— i292C).  Denn 
wie  alle  Unterabteilungen  teilhaben  an  dem  Wesen  des  Ganzen, 
so  kann  auch,  was  von  dem  Ganzen  gilt,  ausgesagt  werden  von 
den  Unterabteilungen  (1289D  und  1921  C**)).  Nun  kann  die  Spe- 
cies  Mensch  eine  fiia  cpvaig  genannt  werden,  weil  innerhalb  der- 
selben nichts  IrtQoovOiov  ist,  weil  jeder  xlg  avO-QOJjcog,  d.  i.  jedes 
menschliche  Individuum,  ofioovoiog  ist  dem  xa&öyiov  av&Qfojiog 
(1292A).  Da  nun  aber  von  einem  slöog  Xqiöxcöv  nicht  geredet 
werden  kann,  so  kann  Jesus  Christus  in  dieser  Hinsicht  nicht 
fila  cpvOig  genannt  werden.     Man   kann   überhaupt   nur  in   drei 


*)  Diese  Stelle  ist  für  eine  Vergleichung  unsers  Verf.  mit  Cyrill  in- 
structiv. 

**)  Es  liegt  hier  1921  CD  in  dem  xarriyoQovvxai  6h  xal  xu  yivi]  xal 
Ol  ÖLa(poQal  xxX.  ein  beinahe  wörtliches  Citat  aus  Aristoteles  vor  (Kateg. 
fol.  3a,  35  ff.  [Bekker],  Waitz  a.  a.  0.  I  S.  87  f.),  doch  ist  dasselbe 
schwerlich  direct  aus  Aristoteles  entnommen. 


§  4.    Die  diigmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     (jf) 

Fällen  von  ,<//a  g:vüig  sprechen:  1)  inbezug  auf  die  Species, 
2)  inbezug  auf  das  Individuum,  sofern  es  an  der  Species  teilhat 
und  Benennung  von  ihr  erhält,  3)  da,  wo  durch  Mischung  zweier 
ungleichartigen  Teile  ein  beiden  ungleichartiges  Drittes  entsteht 
(ig  txeQoeiöwv  trsQoeiöhg  ajcox8xiXBörai)\  —  keiner  dieser  Fälle 
aber  passt  auf  Christus  (1292  B).   — 

Hier  sieht  man  deutlich  die  Verschiedenheit  der  philo- 
sophisch-terminologischen Voraussetzungen  der  Severianer  und 
des  Vertreters  des  Chalcedonense.  Die  Severianer  gebrauchen 
das  Wort  (pvoic.  bald  für  die  ^atur  der  Species,  für  die  allge- 
meine Menschennatur,  bald  aber  völlig  gleichbedeutend  mit  vjio- 
OTCiOig.  für  Einzelwesen,  und  sie  rechtfertigen  dies  ausdrücklich 
gegenüber  der  auerkanntermassen  abweichenden  Terminologie  in 
der  Trinitätslehre :  et  yccQ  rag  <pvosig  lyMirozo/jtjOev  ro  y.aivojcQt- 
jrtc  rov  f/vOTj/riiov  [seil,  t/^c  tvoaQxcöoeojg]  xara  vor  d^üov 
IqiI'/Öqiov.  y.cuvoxoiuioti.  oiiica.  y.cd  xag  jiQOtjyjyoQiag  (1921 B), 
vgl.  den  fast  gleichlautenden  Ausspruch  des  Severus  selbst  bei 
Mai,  Script,  vet.  nov.  coll.A^lI,  p.  71*.  Die  Inconsequenz  auf  Seiten 
der  Severianer  liegt  hier  deutlich  am  Tage.  Unser  Verfasser 
dagegen  macht  mit  seiner  Terminologie  den  vollsten  Ernst: 
ffvoig  eiöovg  löyo%y  IjitytL  (12S(lA). 

Doch  gelingt  es  unserm  Verfasser  auch,  die  severianischen 
Einwendungen  zu  beseitigen? 

Die  Ainiahme  zweier  Naturen,  zweier  LvtQ'/siaL  führe,  so 
behauptet  Severus,  notwendig  zur  Annahme  zweier  Hypostasen 
in  (Jhristo,  führe  zum  Nestorianismus.  Vermag  unser  Verfasser 
die.ser  Consequenz  auszuweichen?  Er  versucht  es  durch  die  bei 
ihm  zuerst  nachweisbare,  an  Cyrill  anknüpfende  Theorie  von  der 
Enhypostasie  der  menschlichen  Natur  Christi.  Die  menschliche 
Natur  in  Christo  ist  nicht  uvvjtöoxaxog,  nicht  selbst  vjtÖoxccOiq, 
sondern  tvvjiöoxaxog  1277 D ff.),  d.  h.  sie  hat  ihr  vxooxTivcu  Iv 
xffj  koyro  (1944  C)*).     Was   versteht   nun   unser  Verfasser  unter 


*)  Die  oben  angeführte  Stelle  hat  etwas  Rätselhaftes  und  wird  erst 
unten  (§  10)  in  anderm  Zusammenhange  verständlicher  werden.  Es  wird 
hier  zurückgewiesen:  '/.lytiv,  diu  xo  lici/  nQo6iuntvc).äox}cn ,  /jiijds  7i(jov(ft- 
axävui  T//V  rot'  xvfjlov  uvU^QOjnöxtjxa ,  /jtrjöe  XfXaluv  n^oa filTjifd^ai, 
u/.k  tv  XO)  ).oyv)  vnooxTivai,  diu  xovxo  (ituv  vTiöoxaoiv  dfKfOXiQcov  noulv. 
Man  würde  diese  Stelle  gänzlich  missverstehen,  wenn  man  auch  das  tv 
XO)  ).oyo)    inoaxT/vuc    für    abgewiesen    hielte.     Wie  der  Verfasser   in  den 

Texte  u.   Untersucbungeu.  111,  1.  5 


66  Erstes  Capitel. 

diesem  evvjtoGTaror  sh'ai?  welcher  Art  ist  das  durcli  diese  An- 
nahme gesetzte  Verhältnis  zwischen  dem  Logos,  der  schon  vor 
seiner  Menschwerdung  Hypostase  war,  und  der  menschlichen 
Natur?  Wir  sind  im  Stande,  dieser  Frage  wenigstens  etwas 
nachzugehen,  denn  unser  Verfasser  hält  das  tvvjioorarov  elvai 
der  menschlichen  Natur  Christi  nicht  für  etwas  völlig  Singuläres, 
ein  tvvjtooraror  üvai  kommt  auch  sonst  vor.  Aiisdrücklich 
nämlich  wird  1277  D  ausgeführt,  dass  inbezug  auf  jtäoca  ai 
üioiöxrirtq^  ai  re  ovöicööetg  xal  £jtovOi(6Ö8iQ  xaXovf/Ei'ai,  das 
Evvjroorarov  sivai  gelte,  weil  sie  weder  Oimßsßrjxöxa  seien  (im 
engern  Sinne  vgl.  oben)  noch  ütQCtyf^iara  vcfsörmra^)^  weil  sie 
vielmehr  mit  der  ovoia,  zu  der  sie  als  ov^u:;tZrjQ03Tixa  TTJg  ovoiaq 
hinzugehören,  xfji^  rov  slvai  xoivcoviav  haben.  Unter  völlig 
gleichen  Bedingungen  steht  das  twjioorarov  sivai  dieser  jtoLÖxrj- 
xeg  und  das  der  menschlichen  Natur  Christi  freilich  nicht.    Jene 


folgenden  Erörterungen  das  ^t/  7tQoi(peozüvai  zugiebt,  ebenso  ist  auch 
das  iv  zw  Xöyoj  vTtoortjvai  gemeinsame  Annahme  unseres  Verfassers  und 
der  von  ihm  zurückgewiesenen  Leute.  Diese  Zurückgewiesenen  sind  nach 
dem  Context  offenbar  Anhänger  des  Chalcedonense ,  aber  solche,  deren 
dogmatische  Begründung  der  chalcedonensischen  Formeln  unser  Verfasser 
abzuweisen  für  nötig  hält,  Leute,  die  Wahres  und  Falsches  verbinden. 
Anstössig  ist  dem  Verfasser  das  in  dem  Citat  gesperrt  Gedruckte.  Dass 
die  Zurückweisung  eine  geschickte  sei,  kann  man  freilich  nicht  behaupten. 
Ebenso  wenig  aber  kann  man  sich  über  die  Mängel  dieser  Ausführung 
wundern.  Der  Verfasser  polemisiert  gegen  solche,  welche  die  mensch- 
liche Natur  Christi  für  äwnöaxuxoQ  halten,  dem  Cyrill  noch  näher  stehen 
als  unser  Verfasser  selbst.  Von  der  Anhypostasie  in  der  Anschauung 
dieser  Leute  unterscheidet  sich  die  Enhypostasie  bei  unserm  Verfasser 
nur  terminologisch  Jene  fassten  wahrscheinlich,  wie  auch  Cyrill  es  ge- 
than  hatte,  (fiaiq  nicht  nur  als  Wesensbezeichnung  der  Species,  sondern 
zugleich  als  individualisierte  Natur.  Unser  Verfasser  aber  bedarf  nach 
seinen  philosophischen  Voraussetzungen  den  Begrift'  der  inöoraaic,  um 
die  menschliche  cpiaig  in  Christo  zu  individualisieren,  deshalb  unter- 
scheidet er  zwischen  ccrvTiöaruroc  und  ivvnöoraxoq,  ohne,  auch  oben  wird 
sich  das  zeigen,  einen  wirklichen  Unterschied  zwischen  dem,  was  er  meint, 
und  dem,  was  die  Vertreter  des  (IvvTtooraroQ  wollen,  herauszubringen. 
In  diesen  Verhältnissen  ist  es  wohl  zum  Teil  begründet,  dass  die  Aus- 
führungen 1944  C  ff.  uns  ungenügend  und  missverständlich  erscheinen. 
Weitere  Aufklärung  werden  wir  später  erhalten. 

*)  Unser  Verfasser  sagt:  wv  ovöereQa  earlv  oioi'a,  Tovreazi  TtQäyficc 
v<psozojg.  Da  ist  einmal  die  genuin  aristotelische  Definition  der  ovaia 
gegeben,  die  sonst  beseitigt  ist.     Inconsequenzen  derart  sind  häufig. 


§  4.     Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     67 

üioioxrjTsg  können  überliaupt  nicht  selbständig  bestehen,  die 
menschliche  Natur  aber  existiert  ausser  in  der  Person  Christi 
tausendfach  selbständig  in  den  menschlichen  Individuen.  Doch 
aber  bleibt  es  dieselbe  Art  des  Seins  —  die  des  evvjioörarov 
tlvai  — ,  die  uns  bei  jenen  jtoioxfjrsg  und  bei  der  menschlichen 
Natur  Christi  entgegentritt;  und  nicht  nur  hier,  denn  die  trco- 
öLq  in  Christo  ist  nur  ein  Specialfall  unter  andern  Fällen  der 
Zusammensetzung,  Von  Zusammensetzung  redet  man  nämlich 
überall  da,  wo  verschiedene  (pvOuq  (IreQo^i&rj)  durch  Identität 
ihrer  Hypostasen  verbunden  werden  (1301D  — 1304A)*). 

Eine  evcooig  dieser  Art  kann  zwiefacher  Natur  sein.  Ent- 
weder nämlich  gleichen  sich  die  Gegensätze  der  h'ov^itva  durch 
Mischung  und  Alteration  aus,  —  in  diesem  Falle  entsteht  ein 
neues  tiöog  (1304  B  und  1305  B);  oder  sie  behalten  xov  Iölov 
vjtccQ^ecoq  Xöyor,  d.  h.  ihre  eigne,  ihrem  sidog  entsprechende 
(pvoiq^  bilden  aber  eine  numerische  Einheit  (1304  BC).  So  ist's 
bei  dem  aus  Seele  und  Leib  zusammengesetzten  Menschen,  so, 
um  ein  Beispiel  aus  dem  Gebiet  der  cpvoixa  ocöf/ava  zu  geben, 
bei  einer  brennenden  Fackel.  Im  letztern  Falle  findet  zwar  eine 
dvriöoöLg  rcöv  idicofidrcov  statt,  doch  bleibt  jede  <pvOig  als  solche 
in  ihrer  16lot}]q  (1304  C).  Dies  ist  der  Fall,  in  welchem  bei  Zu- 
sammensetzungen ein  h'vjtoörarov  üvai  vorkommt.  Welcher 
der  beiden  Teile  des  Zusammengesetzten  das  tvvütooraxoi'  ist, 
welcher  in  seine  H^'postase  auch  die  qvöig  des  andern  aufnimmt, 
sagt  der  Verfasser  hier  nicht.    Genau  passen  beide  Beispiele  nicht, 


*)  Den  oben  citierten  Absatz  vermag  ich  im  vorliegenden  Texte  nicht 
zu  verstehen,  doch  glaube  ich  ihn  richtig  deuten  zu  können,  wenn  ich 
1304A,  Z.  1  u.  2  die  gesperrt  gedruckten  Worte  für  ausgefallen  ansehe: 
xcd  TüJi'  7jvujfxtv(ov  (jlIv  Toig  iiösai,  6i}jQ7]fxtriov  6h  zalq  vnooxüasai  xccl 
Tüjv  ?]VWf.it:Vü)v  xalq  vTtoaxaa eo l,  6iyQ7jfxsvojv  dh  zoZq  el'öeoi  xa 
(xhv  anXr^v  tyei  xtjv  evcoolv  xs  xal  xtjr  öiÜxqlgiv,  xu  Sk  avv&sxov.  Der 
Ausfall  dieser  Worte  ist  bei  ihrer  Ähnlichkeit  mit  den  vorangehenden 
nicht  auffällig.  Der  ziemlich  simple  Sinn  der  stelzbeinigen  Sätze  ist  als- 
dann: "Erojoiq  und  öiüxQioiq  kommt  in  zwiefacher  Art  vor:  1.  ['vuyaiq 
xoiq  eiötai,  ötaigeoiq  xuiq  vnooxäatOL,  2.  t'vwoiq  rcdq  hnoozc'caeoc,  öiccigeaiq 
xolq  ti'ötoi.  Im  erstem  Fall  ist  die  önry  oy/aig,  d.  h.  das  Verhältnis  der 
l'viooig  und  der  öuiy.QLOiq,  ein  einfaches,  im  letztern  Falle  entstehen  oytaeiq 
der  Zusammensetzung,  entsteht  eine  oin&eotq,  avfxn/.ox/j,  y  xQäoiq,  i] 
h'vcooiq,  7]  oncjq  noxh  (pI?.ov  xaXelr  xaq  ovaiwötiq  xwv  hxsQOSiööiv  ayloftq 
(1304  A). 


ß8  Erstes  Capitel. 

man  ist  genötigt,  daran  zn  erinnern,  dass  nnser  Verfasser  bei  ähn- 
licher Gelegenheit  sagt:   ov  yaQ  tri  av  eh]  JtaQadsr/fia,   d  pi)) 
xal  x6  djtEoixoQ  lyoL  (1280  D).     Dennoch   kann   nach  dem  Bis- 
herigen   der    Begriff   des    hvvxöoxaxov   üvcu   analysirt  werden. 
Factisch  ist  das  tvvjioararov  eivat  bei  Zusammensetzungen  ein 
prädicatives   Sein   von    sonst  selbständigen   (pvöeiq  oder  ovoiai. 
Sonst  selbständige  cptosig  nehmen  eine  Stellung  ein  ähnlich  der 
der  jcoiozrjTsg  ovoiojÖEig  und  ejiovGicoösig.    Dieser  Begriif  prä- 
dicativer  Substanzen  —  avvjtoOTarot  ovolai  —  ist  nach  aristo- 
telischer Terminologie  ein  Nonsens,  denn  es  ist  eben  das  Wesen 
der  ovoia,   dass    sie  nicht  Prädicat  ist  (Zell er,  a.  a.  0.  S.  305, 
Trendelenburg,  S.  54 f.).    Doch  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass 
ein  Anknüpfungspunkt  für  unseres  Verfassers  Terminologie  bei 
Aristoteles  vorliegt.     Aristoteles  bezeichnet  einmal  (Kateg.  c.  5, 
fol.  2%  15fF.  [ßekker]  Waitz  I,  84*))  die  dör]  als  ötvzEQca  ovolai 
und  führt  aus  (vgl.  Trendelenburg  S.  55),  dass  diese  öevreQcu 
ovolai  von  den  jtQcörai  ovoiai^  den  Einzelsubstanzen,  ausgesagt 
würden,  z.  B.  o  av&Qcojtog  xad-^  vjioxtif^iivov  Xtysrca  xov  xivog 
av&()0}Jiov  (a.  a.  0.  Z.  22).     Da  nun  das,  was  in   diesem  Falle 
von  dem  xig  av&Qcojcog  ausgesagt  wird,  das  Genus  und  die  Diffe- 
renzen sind,  d.  h.  die  jioi6xi]X€g  ovoicoösig^  so  wird  hier  offenbar, 
dass  schon  bei  Aristoteles  die  jioiöxrixEg  ovOuoösig  eine  Mittel- 
stellung   einnehmen    zwischen    den   Substanzen    und   Qualitäten. 
Dass  diese   unsichere  Stellung  der   Gattungsbegriffe  bei  Aristo- 
teles ein  aus  platonischen  Einflüssen  stammender  Fehler  ist,  hat 
Zell  er  nachgewiesen  (II,  2.  S.  309  ff.).    An  diesen  Fehler  knüpft 
die  Theologie  unseres  Verfassers  an:  sein  Begriff  der  cpvOig  oder 
ovoia  ist  der  der  aristotelischen  ötvxtQa  ovoia,  dem  aristotelischen 
jcQcöxTj   ovoia  entspricht  der  Begriff'  der   vxöoxaOig.    Gleichwie 
bei  Aristoteles  das  Genus  und  die  öiacfOQai,  welche  die  ösvxtQa 
ovoia  constituieren ,    individualisiert  werden    durch    das  slvai  kv 
xii  ovoia,  so  wird  bei  unserm  Verfasser  die  menschliche  Natur 
in  Christo  individualisiert  durch  das  dvau  ev  xrj  vjiooxaou  xov 
löyov^  durch  das  vjtoox?jvai  Iv  xm  loyco. 

Eine  Unmenge  von  Widersprüchen    Hesse  sich  von  unsern 
Anschauungen  aus  dieser  Construction   nachweisen,   doch   muss 


*)  Nach  Zeller  11,  2,  S.  307,  Anm.  1  kommt  der  Ausdruck  öfvzeQai 
oioiai  nur  hier  vor. 


§  4.     Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     69 

man  anerkennen,  dass  sie  vor  der  Philosophie  jener  Zeit  bestehen 
konnte.  Auch  die  ovo  svsQyeiai  konnte  man  ohne  Schwierigkeit 
in  dies  Gedankengefüge  aufnehmen.  Es  kam  nur  darauf  an,  den 
Begriff  der  tvtQy^La  dementsprechend  aufzufassen.  Als  Leo  der 
Grosse  schrieb:  „agit  utraque  natura  cum  alterius  communione, 
quod  proprium  est",  hatte  er  gewiss  nicht  darüber  refiectiert,  ob 
das  agere,  von  dem  er  sprach,  als  etwas  der  Natur  im  Allgemei- 
nen Anhaftendes,  oder  als  eine  Lebensäusserung  einer  individuali- 
sierten Natur  aufgefasst  werden  sollte.  Trotzdem  lässt  sich,  so- 
bald man  in  Leo's  Formeln  eine  metaphysische  Theorie  sucht, 
die  sie  ursprünglich  nicht  enthalten,  nur  von  der  ersteren  Auf- 
fassung aus  Einheit  in  die  Formeln  bringen.  Diese  Auffassung 
genügte  auch  völlig  dem  Interesse,  das  man  an  den  ovo  IveQytiai 
hatte.  Nicht  darauf  kam  es  an,  die  Besonderheiten  hervorzu- 
heben, durch  welche  das  Sterben  Christi  sich  von  dem  andrer 
Menschen,  die  Wunder  Christi  von  denen  Gottes,  des  Vaters,  sich 
unterschieden  haben,  vielmehr  darauf,  zu  constatieren ,  dass  sein 
Sterben  der  Art  nach  gleich  gewesen  mit  dem  andrer  Menschen, 
seine  Wunder  Zeichen  göttlicher  Natvir.  Wurden  dement- 
sprechend die  svsQysiai  aufgefasst  als  zu  den  cpvoeLg  als  solchen 
gehörig,  als  g:vOixal  IvtQyeiai  —  diesen  Ausdruck  fand  schon 
Severus  bei  seineu  Gegnern  vor,  s.  Mai,  Vet.  Script,  nov.  coli. 
YII,  p.  71  {ovo  g)vö£iQ  küil  Xqlotov  xal  ovo  rovxmv  (pvoixag 
IveQytiag)  — ,  so  war  die  Annahme  solcher  ovo  cfvoixal  IvtQyeiai 
mit  der  Annahme  einer  Hypostase  sehr  wohl  verträglich.  Der 
menschlichen  Natur  eine  svtQyeia  zuschreiben,  hiess  dann  nicht 
mehr,  als  die  Idioxrjrtq  derselben  noch  wirklich  vorhanden  denken 
(vgl.  Severus  bei  Mai,  a.  a.  0.,  p.  73:  y.al  rovrov  IveQydaq  y 
idunijxaQ).  Die  dvo  li'tQyuai  waren  dann  nicht  mehr  als  die 
in  Actualität  oder,  noch  genauer,  in  der  Möglichkeit  einer  Actua- 
lität  gedachten  iÖLo'jnaxa  der  Naturen.  Es  war  nicht  ausge- 
schlossen, den  tiq  XqioxÖq  als  den  intellectuellen  Urheber  dieser 
Actualität  zu  denken,  ein  einheitliches  Subject  trotz  der  ovo 
IvtQyeiat  anzunehmen.  Diese  rein  physische  Auffassung  der 
IvtQytiaL  entsprach  auch  entschieden  der  griechisch- philosophi- 
schen Tradition  (vgl.  Zeller  II,  2,  S.  344 ff.),  und  die  Zweiheit 
der  tvtQysiai  hatte,  wenn  einmal  die  Abweisung  einer  (dsig  fest- 
stand, an  Aristoteles  eine  Stütze,  denn  nach  Aristoteles  (vgl. 
Zeller,  a.  a.  0.,  S.  421)  ist  es  ein  Charakteristicum  der  Mischung, 


70  Erstes  Capitel. 

dass  die  gemischten  Stoffe  nur  noch  övvafisi,  nicht  mehr  evEQ- 
yeia  vorhanden  sind. 

Ich  musste  diese  Ausführungen  zunächst  ohne  Rücksicht  auf 
unsern  Verfasser   geben,    weil   eine    eingehende  Erörterung   der 
Fracfe  bei  ihm  sich  nicht  findet,  während  es  doch  den  Anschein 
hat,   als  ob   er  über  die  Frage   sich   klar  sei.     Dass  in  Christo 
zwei  IvtQyeica  vorhanden  seien  (1320 AB),  dass  die  (pvOEiq  tvsg- 
yda  beständen  (1932C),   erkennt  er  an,  und  zwar  ohne  zu  ver- 
raten, dass  ihm  diese  Anerkennung  irgendwelche  Schwierigkeiten 
mache.    Dies  erklärt  sich  eben  daraus,  dass  auch  ihm  die  tvtg- 
yeiai  nicht  mehr  bedeuten  als  die  wirklich   {evegyela)  vorhan- 
denen iöicoaara.     Deutlich  zeigt  sich   dies   1320 AB.     In   dieser 
zu   Cj'rill  zurücklenkenden  Auffassung  der  auch  antiocheni>cher 
Deutung  fähigen  berühmten  Stelle  des  rofiog  Atovrog  zeigt  sich 
deutlich,   dass  wir  es  hier  mit  einer  cyrillischen  Interpretation 
des   Chalcedonense  zu  thun  haben.     Eine   öiaiQtOLq  xar'  evsg- 
ysiav  weist  unser  Verf.  weit  ab  (1932  C.  1933  B).     Eine  solche 
hatte  auch  Leo   nicht  behauptet  (agit  utraque  natura   cum  al- 
terius  communione),  selbst  die Nestorianer  lehrten  emetvcoOig 
xar  IvtQyeiav.  Der  Begriff  der  evegysia,  der  in  diesen  Ausdrücken 
„tvcoOig  xar    IvtQytiav'  und  .öiaigeoig  y.ax  Iviqytiav'  vorliegt, 
ist   ein   völlig   anderer    als   der  der   cpvoiyML   tvtQyeiai.     So  be- 
achtenswert es  nun  auch  ist,  dass  auch  auf  diesem  Punkte  der 
terminologische  Wirrwarr  gross  ist,  so  würde  doch  dieser  wahr- 
lich  nicht  seltene  Umstand  keine  Veranlassung  dazu  sein,  auf 
die  Abweisung  der  diaigsoig  xaz^  f^vtQyeiav  einzugehen.     Doch 
sind  diese  Ausführungen  aus  andern  Gründen  wichtig,  und  des- 
halb   mögen    sie    uns    den    Weg    zu    den    Schlussbemerkungen 
bahnen.     Unser  Verf.  polemisiert  hier  gegen  das   severianische 
rag  q)votig  fiöv}]  xrj  Ixivolu  O^Ecogovfiev.    ^Ejcivoia^  so  führt  er 
aus,  ist  entweder  eine  auf  Wahrnehmungen  ruhende,   oder  eine 
phantastische  Vorstellung,  der  in   der  Wirklichkeit  nichts  ent- 
spricht, wie  z.  B.  7]  T(äv  iJtjioxsvzavQcov  jiv&ojiXaöria  1932B. 
In  beiden  Fällen  ist  das  exivola  fi6v7]  rag  q)vOeig  d^scoQSlv  irrig. 
Denn,  um  vom  zweiten  Falle  zu  schweigen,  im   ersteren   würde 
Christus   nicht  aus  Naturen,    sondern  aus  Wahrnehmungen  be- 
stehen.    Das  ist  sophistisch  und  braucht  uns  nicht  aufzuhalten, 
beachtenswert   aber  ist,  dass  gelegentlich  dieser  Ausführungen 
zugegeben  wird,  die  Xaturen  seien  zwar  ivegysia  vorhanden,  da 


§  4.    Die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     71 

aber  eine  Sialgsöig  Tcax  ivtQyuav  abzuweisen  sei,  so  sei  der  von 
den  Vätern  gebrauchte  Ausdruck  T/}r  xäjv  (pvoscov  ötaiQEOLP 
xaz  tJilvoLav  lafißccpsiv  an  sich  tadellos  (1932  C  vgl.  1937  C): 
eine  Trennung  der  Naturen  vollziehen  wir  nur  in  unserer  Vor- 
stellung, die  Naturen  waren  verschieden  und  blieben  in  ihrer 
Verschiedenheit,  getrennt  aber  waren  sie  nicht,  —  sie  hatten 
nur  eine,  nicht  zwei  Hypostasen,  eine  Trennung  vollzieht  nur 
unser  Denken.  Auch  hier  also  wieder  dieselbe  Thatsache:  miser 
Verf.  vertritt  eine  möglichst  zur  alexandrinischen  Theologie  zu- 
rücklenkende Orthodoxie.  Das  ist  der  bleibende  Eindruck,  den 
all  seine  Ausführungen  hinterlassen. 

Verstärkt  wird  dieser  Eindruck  durch  zwei  kurz  erwähnte, 
aber  erst  in  diesem  Zusammenhang  recht  zu  wertende  Mo- 
mente. Das  erste  derselben  ist  die  Polemik  gegen  Diodor 
und  Theodor.  Beide  waren  von  Cyrill  bekämpft,  dennoch 
zu  Chalcedon  unverurteilt  geblieben,  ihr  Schüler  Theodoret 
hatte  dort  sogar  restituiert  werden  können.  Diese  ausdrück- 
liche Anerkennung  Theodoret's  ist  es  gewiss  gewesen,  die  ihn 
bei  anserm  Verfasser  geschützt  hat;  gegen  Diodor  und  Theo- 
dor eröffnet  er  die  entschiedenste  Polemik.  Der  nestorianische 
Sauerteig  soll  ausgefegt  werden,  allen  denen,  die  unter  An- 
erkennung des  Chalcedonense  nestorianisierende  Gedanken  ein- 
führen wollen,  erklärt  das  dritte  der  Bücher  adv.  Nestorianos 
et  Eutychianos  den  Krieg.  —  Das  zweite  der  die  cyrillische 
Farbe  der  Anschauungen  unsers  Verf.  ganz  besonders  bedingen- 
den Momente  ist  der  von  unserm  Verf.  für  die  orthodoxe  An- 
schauung stets  gebrauchte  terminus  tvcoOig  xaz'  ovolav  oder  tvco- 
Oig  ovoic66?]g.  Für  ihn  eintretend,  weist  unser  Verf.  die  nestoria- 
nische tvcoOig  xciT  h'tgysiav  und  —  ebenso  richtig  wäre  „oder" 
—  kvo3(jig  xaxä  yvcohtjv  zurück  (1297D),  und  während  er  1940  C 
allerdings  die  tvcoOig  ovy^vTixi]  als  eine  besondere,  irrige  Art 
der  Auffassung  der  tvcoOig  neben  der  ötaiQEtiy.i'i  oder  oytxi.x,ij  und 
der  von  ihm  gewollten  kvoiXLX))  namhaft  macht,  fasst  er  r297Df. 
und  13U4B  die  eigentlich  monophysitische  Anschauung  als  irrige 
Unterart  der  richtigen  tvcoöig  y.ax  ovolap;  eine  ipcooig  ovoico- 
örjg,  wie  die  Väter  sie  lehrten,  will  auch  er  vertreten  gegenüber 
der  nestorianischen  tvcooig  Ox^xixi]  oder  yvconixri  (1380D).  Nun 
entspricht  aber  dieser  Begriff  der  tviooig  xax'  ovoiav  dem,  was 
unser  Verfasser  wirklich  will,  eigentlich  nicht.     Denn  da  ovoia 


72  Erstes  Capitel. 

und  (f/vöiQ  als  Synonyma  bezeichnet  werden  (13ü9A),  so  ist  die 
ivcooig  xar'  ovoiav  oder  tvooig  ovouodtjg  dasselbe  wie  tvcooig 
(pvoiyjj.  Die  tvcoOig  aber,  welche  unser  Verf.  vertritt,  ist  eine 
tvcooig  xa&-'  vxöörctOiv,  und  sofern  er,  um  das  Factum  der  h^cooig 
zu  beschreiben,  nur  von  xoLvcovia  und  avrldoOig  roZv  idim^ätoav 
redet  (oft,  z.  B.  1305D),  ist  seine  trmoig  eigentlich  selbst  eine 
0X8X1X7],  ja  er  selbst  giebt  (1304  A)  als  die  Sache,  welche  durch  die 
Ausdrücke  Ovv&tOig,  tvcoOig,  XQaOig,  OvfiJikoxT/  bezeichnet  werde, 
ovOLCoöeig  rmv  trsQosiöcöv  oysOsig  an.  Dennoch  bleibt  der  fast 
stets  gebrauchte  terminus  trcooig  xar  ovoiav.  Und  weshalb?  Er 
entspricht  der  cyrillischen  Tradition.  Aber  auch  hier  bleibt  unser 
Verfasser  in  den  Grenzen  chalcedonensischer  Orthodoxie,  denn,  wie 
oben  schon  erwähnt  wurde,  war  jener  terminus  tvcoOig  (pvOix?] 
mitsamt  den  Anathematismen  Cyrill's,  die  ihn  enthalten,  indirect 
vom  Chalcedonense  recipiert.  Freilich  war  auch  Theodoret's 
Gegenschrift  unverurteilt  geblieben,  doch  eben  dies  Schwanken 
zwischen  Alexandrien,  Antiochien  und  Rom  war  ein  Mangel,  eine 
UnVollständigkeit  der  chalcedonensischen  Entscheidung.  Hier  aber 
haben  wir  eine  klare  Anschauung:  eine  zweifellos  cyrillische  Auf- 
fassung des  Chalcedonense.  Selbst  das  ftia  fpvOig  xov  O^tov  ib- 
yov  OsoaQxwfitvt]  erscheint  unserm  Verfasser  - —  und  wie  wir 
sahen  (oben  S.  46)  nicht  mit  Unrecht  —  einer  dyophysitischen 
Deutung  fähig  (1277A.    1936  BC). 

Doch  bei  allem  Zurücklenken  zu  Cyrill  bleibt  unser  Ver- 
fasser, wie  schon  oft  bemerkt,  innerhalb  der  Grenzen  der  chal- 
cedonensischen Orthodoxie.  Ja,  das  specifisch  chalcedonensische 
Element  in  seiner  Anschauung  ist  ein  sehr  beträchtliches  und 
verdient  zum  Schluss  besonders  hervorgehoben  zu  werden.  Es 
zeigt  sich  in  dem  Begriff  der  vTcoOraoig. 

Fjiöozaoig  wird  mit  arofiov  identificiert,  wie  wir  sahen, 
scheint  also  zunächst  ein  rein  physischer  Begriff  zu  sein.  Allein 
man  erkennt  bald,  dass  dem  nicht  so  ist.  Nach  130'1  B  ist  die 
&QvaXkig.,  das  Holz  der  Fackel,  Hypostase.  Doch  aber  ist  dies 
Holz  ein  f/tgog  ars^Jg  eines  Baumes.  Hier  ist  also  mit  dem 
Begriff  des  arofiov  mehr  Ernst  gemacht,  die  eine  Hypostase  des 
Baumes  ist  —  allerdings  ziehen  erst  wir  diese  Consequenzen 
—  teilbar  in  mehrere  Hypostasen.  Weshalb  ist  dies  bei  dem 
Menschen  nicht  der  Fall?  Weiter  wird  gesagt,  vjioOraoig  be- 
zeichne  das   numerisch    Eine  (1304  B).     Ist   ein  Haus    eine    nu- 


§  4.    Die  clogmatische  Stellung  des  Verfassers  der  tres  libri  etc.     73 

merisclie  Einheit?  sind  die  einzelnen  Steine  Hypostasen  ge- 
blieben oder  sind  sie  IvvTcöoraroL'^  Wenn  Ersteres  der  Fall 
ist,  —  weshalb  ist  dann  der  Mensch  nur  eine  Hypostase? 
Ist  Letzteres  der  Fall,  dann  ist  offenbar  auch  ein  Steinhaufen 
eine  Hypostase.  Bedingt  aber  das  räumliche  Nebeneinander 
das  Enhypostatisch-Werden  früherer  Hypostasen,  so  wäre  nur 
das  ov  Hypostase,  alles  einzelne  Seiende  in  ihm  enhypostatisch. 
Man  sieht,  die  Gleichsetzung  von  vjcoOraöig  und  arof/ov  ist 
undurchführbar.  Und  wenn  nun  auch  zweifellos  unser  Ver- 
fasser von  seiner  Gesamtanschauung  aus  manche  der  oben  her- 
vorgehobenen Consequenzen  würde  abweisen  können,  so  bliebe 
doch,  wenn  vjioGxaöLQ  wirklich  nur  ein  physischer  Begriff  wäre, 
die  Haltlosigkeit  der  Auffassung  unseres  Verfassers  unbegreif- 
lich. Das  ist  aber  auch  nicht  der  Fall.  Weshalb  ist  der  Mensch 
—  die  Frage  nehme  ich  wieder  auf  —  eine  Hypostase?  weshalb 
ist  er  arof/oj'?  Man  wird  nur  antworten  können:  weil  er  sich 
als  einer  weiss.  Der  Begriff  der  Hypostase,  den  unser  Verf. 
handhabt,  ist  beeinflusst  von  dem  abendländisch-chalcedouen- 
sischen  Begriff  der  Persönlichkeit.  Ohne  in  endlose  Wider- 
sprüche zu  geraten,  kann  man  ihn  auf  die  unbelebte  Natur  nicht 
anwenden,  ja  schon  ausserhalb  des  yivoQ  C,cüop  wird  er  unbrauch- 
bar. Dass  unser  Verf.  ihn  auch  auf  die  (pvoixa  Ocofiara  an- 
wendet, beweist  nur,  wie  tief  die  griechische  Theologie  in  phy- 
sischen Vorstellungen  befangen  ist.  Doch  zeigt  sich  selbst 
hier  eine  Einwirkung  des  abendländischen  Begriffs.  Weshalb  er- 
scheint eine  brennende  Fackel  unserm  Verf.  als  eine  Hypostase? 
weshalb  würde  er  wahrscheinlich  von  einem  brennenden  Holz- 
stoss  dasselbe  annehmen,  Avährend  ein  nicht  brennender  Holz- 
stoss  ihm  nach  seinen  sonstigen  Voraussetzungen  ein  a&QoiOfia 
von  Hypostasen  sein  müsste?  Offenbar  deshalb,  weil  eine  bren- 
nende Fackel  einheitlich  auf  uns  wirkt.  Dies  einheitliche  Wir- 
ken ist  ein  Analogen  der  Persönlichkeit. 

In  diesen  Verhältnissen  liegt  der  Schlüssel  zum  vollen  Ver- 
ständnis der  Theologie  unsers  Verfassers.  Innerhalb  der  rein  phy- 
sischen Auffassung  giebt  es  zwischen  dem  Monophysitismus  und 
Nestorianismus  kein  Mittelding;  man  muss  entweder  physisch  einen, 
und  das  geht  trotz  aller  Gegenargumente  der  Antimonophysiten  nur 
durch  /n§ig,  oder  man  bleibt  stets  bei  einem  Nebeneinander,  und 
gehintjt   von   den  eisenen  Anschauunsren   aus   ebenso  wenio:  zur 


74  Erstes  Capitel. 

Bewusstseinseinlieit ,  als  der  moderne  Materialismus  es  vermag. 
Der  Begriff  der  lebendigen  Persönlichkeit  liegt  über  das  Gebiet 
des  Physischen  hinaus.  Indem  man  ihn  recipiert,  steht  man  über 
dem  alexandrinisch-antiochenischen  Gegensatze.  Hierauf  beruht 
es,  dass  unser  Verfasser  nach  beiden  Seiten  hin,  adversus  Nestorianos 
und  adv.  Eutychianos  polemisieren,  beiden  aber  auch  Zugeständ- 
nisse machen  kann,  ohne  sich  in  die  Netze  ihrer  Consequenzen 
einfangen  zu  lassen.  Mit  Hülfe  der  ch'xiöooig  rcöv  iöicojictrcov 
kann  er  von  der  einen  Persönlichkeit  {vjiooraöiQ)  Christi  fast 
alles  aussagen,  was  die  Monophysiten  von  ihrer  fiia  (pvoiq  aus- 
sagten; andrerseits  hindert  ihn  niclits,  die  Zweiheit  der  Naturen 
im  Sinne  des  tv  ovo  cpvotoiv  zu  behaupten:  er  bleibt  stets  un- 
widerlegbar, denn  der  Begriff  der  Persönlichkeit  ist  mit  physischen 
Begriffen  überhaupt  nicht  messbar  (vgl.  1944 B).  Dies  Rechnen 
mit  einem  incommensurablen  Begriff  ist  die  Stärke  und  zugleich 
die  Schwäche  der  Ausführungen  unsers  Verfassers.  Doch  diese 
Schwäche  störte  nicht.  Die  Formeln  thaten  ihren  Dienst,  indem 
sie  gestatteten,  dem  Chalcedonense  und  zugleich  der  alexandri- 
nischen  Tradition  gerecht  zu  werden.  —  Hätte  man  den  Begriff 
der  persona  nur  mit  dem  des  jiQoooijrov  identificiert,  von  vjcö- 
öraoiq  aber  geschieden,  so  wäre  eine  factisch  ganz  ähnliche,  in 
den  Formeln  sehr  abweichende  Christologie  herausgekommen. 
Theodoret's  Christologie  wäre  solcher  Entwicklung  fähig  gewesen. 
Doch  die  bisherige  Entwicklung  hatte  über  den  künftigen  Ver- 
lauf schon  entschieden.  Nach  dem  Ephesinum  von  431  konnte 
das  Chalcedonense  Cyrill  nicht  als  Lehrer  der  Orthodoxie  ver- 
schmähen, und  folglich  war  nur  auf  Grund  cyrillischer  Inter- 
pretation des  Chalcedonense  ein  Definitivum  zu  schaffen.  Dies 
ist  in  Justinian's  Zeit  geschehen.  Unser  Verfasser  hat  daran 
mitgearbeitet.  Ob  irgendwie  auch  so,  dass  er  eingriff  in  die 
practische  Kirchenpolitik  seiner  Zeit,  —  diese  Frage  wird  erst 
später  erwogen  werden  können.  Hier  genügt  es  uns,  die  dogma- 
tische Stellung  unsers  Verfassers  soweit  charakterisiert  zu  haben, 
als  es  zur  Beurteilung  der  Aveiteren  ihm  vielleicht  angehörigen 
Schriften  nötig  ist. 

§  5.    Die  triginta   capita  adversus  Severum. 

Die  in  den  bisherigen  Paragraphen  besprochenen  Schriften 
der    alten   Sammlung    von   opera  Leontii,    die   Bücher    adversus 


§  5.     Die  triginta  capita  adversus  Severum.  75 

Nestorianos  et  Eutycliianos  und  die  sjüXvGis,  gehören,  wie  wir 
sahen,  unzweifelhaft  demselben  Verfasser  an.  Sehen  wir  uns  nun 
nach  den  übrigen  Schriften  der  Sammlung  um,  so  bietet  sich 
uns  zunächst  die  in  dem  Index  des  codex  Turrian.  (vgl.  oben 
S.  19)  neben  den  behandelten  Schriften  allein  noch  genannte 
Schrift  dar,  die  jetzt  unter  dem  Titel  TQtaxovTcc  x£rfc'(?MLa  xara 
Ssvt'iQov  vorliegt  (Migne  86,2  col.  19(11—1910;,  während,  wie 
schon  oben  (S.  19)  gezeigt  ist,  der  handschriftliche  Titel  bis 
jetzt  nur  in  der  lateinischen  Übersetzung  bekannt  ist:  Dubi- 
tationes  hypotheticae  et  definieutes  contra  eos,  qui  negant  esse 
in  Christo  post  unionem  duas  veras  naturas.  übrigens  ist  der 
Titel  xQicuovxa  xB(pcdaia  '/.ara  ^tv7]Qov  dem  Inhalt  ganz  ent- 
sprechend, denn  die  Schrift  besteht,  so  wie  sie  jetzt  vorliegt,  aus 
30  antiseverianischen  Thesen,  deren  kürzeste  wenige  Zeilen  um- 
fassen, deren  längste  eine  Halbseite  bei  Migne  füllt.  Ob  der 
Verfasser  schon  die  Teilung  in  gerade  diese  dreissig  Thesen  vor- 
genommen hat,  oder  ob  etwa  im  Lauf  der  handschriftlichen 
Überlieferung  Thesen,  die  der  Verfasser  unter  eine  Xummer 
stellte,  getrennt,  andre  irrig  verbunden  sind,  das  lässt  sich  nicht 
sagen.  Denn  wenn  auch  die  Anordnung  der  Schrift  in  TQiä- 
xovxa  y.t(pa).caa  sehr  alt  ist  —  die  Sammlung,  aus  der  dieser 
Titel  stammt,  ist,  wie  sich  später  zeigen  wird,  im  7.  Jahrb. 
entstanden  — ,  so  ist  doch  der  Titel  xQiay.ovxa  x^cpälaia  nicht 
ursprüugUch.  Und  wenn  auch  andrerseits  manche  der  xsg^aXcaa 
den  Eindruck  machen,  als  seien  sie  auseinandergerissene  Teile 
eines  Ganzen,  so  1  und  2,  3  und  4,  5  und  6,  u.  a.,  so  ist  doch 
zu  bedenken,  dass  uns  in  diesen  XQiäy.ovxa  'AecfäXaia  nach  des 
Verfassers  eigner  Aussage  (1916A)  keine  wohldisponierte  Schrift 
vorliegt,  sondern  kurzer  Hand  aufgezeichnete  Sätze,  die  der  Ver- 
fasser mehr  als  jMaterialiensammlung  denn  als  ein  Buch  ange- 
sehen wissen  will.  Ebendeshalb  ist  auch  schwer  zu  entscheiden, 
wie  die  unleugbaren  Wiederhokmgen  zu  beurteilen  sind,  die  in 
dem  Schriftchen  sich  finden  (vgl,  6  und  2S,  10  und  22,  2  und 
21).  Sind  sie  Beweise  dafür,  dass  die  trig.  cap.  eine  Bearbeitung 
einer  älteren  Grundlage  sind?  oder  weisen  sie  wenigstens  auf 
Interpolationen  hin,  denen  Schriftstücke  dieser  Art  besonders 
ausgesetzt  sind?  oder  sind  sie  nur  eine  Folge  davon,  dass  der 
Verfasser  schriftstellerische  Mühe  auf  das  Schriftchen  nicht  ver- 
wendet  hat?      Das    Alter    der    handschriftlichen    Überlieferung 


76  Erstes  Capitel. 

und  der  Umstand,  dass  eine  dieser  Wiederholungen  ausdrück- 
lich als  solche  anerkannt  ist  (vgl.  28  und  6),  begünstigen  die 
letztere  Annahme,  doch  sind  wir  nicht  imstande,  die  ünwirklich- 
keit  der  ersteren  Möglichkeiten  zu  erweisen*).  Von  nennens- 
werter Bedeutung  für  die  Kenntnis  der  Vergangenheit  sind  die 
TQiäxovra  xsq)äÄaia  nicht,  denn  severianische  Citate  finden  sich 
in  ihnen  nicht,  und  die  Polemik  des  Verf.  ist  nicht  geeignet, 
von  der  Anschauung  seiner  Gegner  eine  deutliche  Vorstellung 
zu  geben,  weil  der  Verf.  stets  nur  von  seinem  Standpunkte  aus 
operiert  und  auch  einige  Male  seine  Gegner  missversteht.  Zur 
Charakteristik  der  Anschauung  des  Verf.  der  bisher  behandelten 
Schriften  vermögen  die  rQiaxopra  xtfpa?.aia,  wenn  auch  sie  von 
ihm  herrühren,  gleichfalls  nicht  viel  Neues  beizutragen.  Den- 
noch müssen  wir  etwas  genauer  auf  den  Inhalt  des  Schriftchens 
eingehen,  weil  eben  die  Frage,  ob  die  rgiaxorra  xtg)äXaLa  von 
dem  Verf.  der  bisher  behandelten  Schriften  herrühren,  für  das 
Ganze  unserer  Untersuchung  von  besondrer  Wichtigkeit  ist. 

Die  Persönlichkeit  des  Verf.  tritt  nur  am  Schluss  in  un- 
deutlichen Umrissen  auf.  '^Hfitic,  so  schliesst  das  Büchlein,  tm 
TOiQ  HQijfitroig  TP?  ß-em  ivyaQiorriOavrtc^  avrov  xov  top  ccQLxi^nov 
rmv  InaüioQrjOtojv  ort/öcof^ftv  ov  /.oyoyQatptlv,  ac/OQj/rjv  öh  xai 
OJitQfia  rolg  (piXonovcottQOLc,  xal  zeXsiortQag  sjts^eQyaolag  xara- 
Ätjcelr  jiaoij  dvrccf/ti  jtQoot{H\u7jihjf^£v.  Dieser  Satz  könnte  dazu 
verleiten,  in  dem  Verfasser  einen  in  der  Schriftstellerei  ungeübten 
Mami  zu  sehen  und  deshalb  seine  Identität  mit  dem  Verfasser  der 
Bücher  adv.  Nest,  et  Eut.  zu  bezweifeln,  oder,  falls  andre  Argumente 
sie  wahrscheinlich  machen  sollten,  in  den  trig.  cap.  ein  Jugend- 
werk jenes  Mannes  zu  vermuten.  Allein  eine  andre  Erklärung  liegt 
näher.  (Pü.ojtovojreQoi  sind  nicht  nur  die  .Eifrigeren",  sondern 
auch  die,  welche  zu  grösserer  litterarischer  Arbeit  Lust,  weil 
Müsse  haben.  Wer  sich  schmeichelt,  andren,  die  mehr  Müsse  zu 
ruhiger  Thätigkeit  haben,  die  Materialien  geben  zu  können,  der 
kann  nicht  mehr  zu  den  Anfängern  gehören.  Von  hier  aus  sind 
die  Schlussworte  der  triginta  capita  im  Munde  des  Verfassers 
der  Bücher  adv.  Nest,  et  Eut.  sehr  wohl  denkbar.  Auch  sonst 
passen  die  Bemerkungen  am  Schluss  auf  den  Verf.  der  Bücher 
adv.  Nest,  et  Eut.    Denn  dieser  war  (vgl.  126SB  und  die  Über- 


*)  Weiteres  s.  unten  §  14. 


§  5.     Die  triginta  capita  adversus  Severum.  77 

Setzung  oben  S.  23)  ein  beliebter  Disputator.  Auf  Disputationen 
aber  weist  auch  der  Ausdruck  IjtaTcogriosiq  hin  col.  191 6  A), 
und  die  ganze  Art  der  Polemik  in  den  zoiaxorta  xecfaXaia  passt 
ausgezeichnet  für  jemanden,  der  die  Haarspalterei  und  Klopf- 
fechterei  dogmatischer  Disputationen  kamite  und  übte.  Ent- 
scheidend für  die  Identität  der  Verfasser  ist  der  Inhalt,  Freilich 
wären  viele  Parallelen  in  den  positiven  und  in  den  antihäretischen 
Ausführungen  auch  aus  der  Gleichheit  des  Stoffes  zu  erklären. 
Hier  aber  geht  die  Verwandtschaft,  ohne  je  in  wörtlicher  Über- 
einstimmung sich  zu  zeigen,  so  weit,  dass  an  ihrer  Beweiskraft 
nicht  im  geringsten  gezweifelt  werden  kann.  Ich  lege  das  Ma- 
terial vor,  indem  ich  die  beweisendsten  Parallelen  in  die  Inhalts- 
übersicht einfüge.  Diese  gebe  ich  genauer  als  bei  den  übrigen 
Schriften,  um  die  Leetüre  des  schwerverständlichen  und  oft  cor- 
rumpierten  Textes  zu  erleichtern   bezw.  überflüssig  zu  machen: 

1.  Das  durchaus  Gleiche  nur  ist  inäg  (pvöecog.  Wie  können 
Christi  Gottheit  und  Menschheit  }(iäg  (pvoscog  sein? 

2.  Was  eine  cftoig  hat.  ist  begrifflich  gleich  [rovron'  xoi- 
vog  o  Xöyog^X  alles  begrifflich  Gleiche  ist  ofioovoiov.  Also 
müssten  Gottheit  und  Menschheit  in  Christo  ofioovoia  sein.  Vgl. 
Migne  86,  col.  12S0AB. 

3.  Weil  Christus  aus  Gottheit  und  Menschheit  bestehe, 
lassen  sie  ihn  6x  ovo  (fvöscov  bestehen.  Da  sie  nun  zugeben, 
dass  Christus  nach  der  tvcoöig  in  Gottheit  und  Menschheit  be- 
steht, wie  können  sie  das  hv  ovo  (pvoeoiv  leugnen? 

4.  Leugnen  sie  das  Iv  ovo  (pvoeoiv ,  so  müssten  sie  cou.se- 
quenterweise  auch  das  Vorhandensein  von  Gottheit  und  Mensch- 
heit nach  der  tvcooig  bestreiten. 

5.  Wenn  das,  was  geeint  wird,  in  der  tvojcig  nicht  ver- 
mischt wird;  dann  muss  man  es  auch  nach  der  tvcooig  als  uu- 
vermischt  vorhanden  anerkennen,  und  kann  und  muss  dann  auch 
die  Zweizahl  benutzen. 

(j.  Ist  das,  woraus  Christus  besteht,  nach  der  tvcooig  nicht 
in  ihm,  in  wem  soll  es  denn  sein? 

7.  Das  ida  cpvoig  bezeichnet  die  ravroTi]g  der   ofioovoia, 


*)  Der  Begriff  {?.öyog)  ist  correlat  dem  tido^  [und  der  ^fl■alg],  nicht 
dem  Einzelwesen,  auch  bei  Aristoteles  s.  Zeller  II,  2,  S.  207  tt'.,  beson- 
ders 212,  Anm.  5. 


78  Erstes  Capitel. 

das  ovo  mithin  das  didcpogov  der  trsQOOVöia,   nicht    aber   die 
Trennung.    Vgl.  col.  1921  AB. 

8.  Wenn  der  Gebrauch  der  Zahlen  die  Trennung  mit  sich 
bringt,  dann  läge  die  trennende  Kraft  in  der  Zahl,  dann  dürfte 
man  geeinte  Dinge  nie  zählen  oder  gezählte  nie  einen.  Vgl. 
col.  1920  A—D. 

9.  EvcoöLq  und  rjvcoiiiva  sind  Correlata  [xmv  üiqÖq  n]  und 
gehören  als  solche  zusammen.  Sind  die  t]va)[iiva  nicht  mehr 
vorhanden,  so  hat  auch  die  tvcoOig  aufgehört.    Vgl.  col.  1937  D. 

10.  Wenn  die  Zahl  trennt,  so  trennen  auch  die  Severianer, 
da  sie  von  mehreren  Iöiotijtsc  sprechen*). 

11.  Wenn  es  nach  Gregor  v.  Nazianz  mit  der  heil,  zgidg 
sich  umgekehrt  verhält,  wie  mit  der  oixovofiia  xaTcc  zöv  Oco- 
rrJQa,  so  müssen  hier  zwei  Naturen  und  eine  Hypostase  sein, 
wie  dort  drei  Hypostasen  und  eine  Natur.  Vgl.  col.  1920 D — 
1921 B,  1924AB,  1937  A,  1276C. 

12.  Wie  in  der  Trinität  das  aXloq  xal  dXXoq  stets  bleibt 
und  stets  auf  die  Verschiedenheit  der  Hypostasen  hinweist,  so 
bleibt  in  der  oixovo^ula  stets  das  dXXo  xal  allo  und  weist  stets 
auf  eine  Verschiedenheit,  eine  Zweiheit  der  Naturen  hin 

13.  Wenn  dem  [ixXlo  ymI]  äXXo  eine  dXXrj  fpvOLc  entspricht, 
so  kann,  wie  von  einem  dXXo^  stets  auch  von  einer  dXXrj  (pvoiQ 
gesprochen  werden. 

14.  Da  ajiXri  (pvöiq  etwas  andres  ist  als  Ovv&ezog  (pvöiq, 
die  ajiXTj  (pvöiq  xov  Xoyov  aber  fila  ist,  so  kann  die  severianische 
(pvoiq  Gvv&£Tog  keine  ///«  fpvoig  sein.  Wenn  doch,  so  ist  zwischen 
der  ax?Ji  g)vöig  xov  Xoyov  und  der  6vvd^£xog  g)vOtg  Xqlöxov 
kein  Unterschied. 

15.  Es  giebt  Wörter  pluraler  Form,  die  eine  Einheit  be- 
deuten (z.  B.  yid-ijvai)^  aber  auch  Wörter  singularer  Form,  die 
eine  Mehrheit  einschliessen  (öijfiog^  JioXig  u.  a.).  Ist  das  gjvOig 
Ovvd-Bxog  im  letztern  Sinne  gemeint,  dann  ist  das  hinzugesetzte  (lia 
ein  Unsinn**),  ist  aber  unter  der  (.da  cpvoig  Ovvd-exog  eine  Ein- 
heit gedacht  [die  fiia  cpvöig  xov  Xöyov],   dann  ist   dasselbe  ge- 

*)  Geschiedene   iSiorrireq  hat  Severus  trotz   dieser  Voraussetzung 

unsers  Verfassers  nicht  zugegeben,  vgl.  bei  Mai,  Script,  vet.  VII,  p.  73. 

**)  Diese  Folgerung  klingt  thörichter  als  sie  ist.    Sie  scheint  thöricht 

zu  sein,    weil   man   doch   auch  von  (xia  nökig   sprechen   kann.     Um  die 

Folgerung  zu  verstehen,  muss  man  beachten,  dass  (pvaig  dem  Verfasser 


§  5.     Die  triginta  capita  adversus  Severum.  79 

meint,  was  aucli  unter  fiia  (pvoiz  aovvd-sxoq  zu  verstehen  wäre; 
ist  keins  von  beiden  der  Fall,  dann  ist  die  q)VOLq  OvvO^stog  ein 
Mischproduct  wie  die  der  Maulesel  und  der  m3'thologisclien 
Doppelgestalten.     Vgl.  zu  Letzterem  col.  1932B  und  1292  B  fin. 

1 6.  Wenn  das  ///«  rpvOig  rov  d-eov  Xoyov  öeöaQxcofiavi]  dem 
Dyophysitismus  widerspricht,  dann  ist  entweder  die  öcxq^  jener 
(pvotg  ösöaQxcofiivt]  nicht  (fvOig  oder  die  cfvOig  osoaQxofitvt]  hat 
keine  öäg^.    Vgl.  col.  1277A,  1936  BC. 

17.  Der  Ausdruck  ///«  cfvoig  rov  deov  Xoyov  OeoaQxoyfievt/ 
kann  in  dreifacher  Weise  verstanden  werden:  1.  xar  avxLGXQo- 
^/j^*),  d.  h.  so,  dass  man  annimmt,  auch  als  OsoaQxwfiivTj  sei 
die  n'ia  (pvOig  xov  Xoyov  eine  f/ia  geblieben,  wie  sie  vorher  es 
war,  habe  also  keinen  Körper  gehabt.  Beispiel:  fiia  (pvOig  yaX- 
xov  löxr/fiaxiöfjtvr].  2.  xaxa  xqoxtjv  ovöiag^  d.  h.  so,  dass  man 
in  Christo  eine  zu  Fleisch  gewordene  Logosnatur  sieht.  Beispiel: 
ida  ffvoig  vöaxog  axoXid-cod-Höa.  3.  so,  dass  man  in  dem  ötöag- 
xcoiitvr]  den  Hinweis  darauf  findet,  dass  die  [lia  gwoig  xov  Xöyov 
Fleisch  angenommen  hat.  Die  beiden  ersten  Deutungen  sind 
offenbar  gottlos,  die  dritte  nötigt  zur  Anerkennung  zweier  Na- 
turen. 

18.  Reine  Gegensätze  schliessen  sich  gegenseitig  aus.  Mla 
(pvoig  und  ovo  g)V(jeig  sind  reine  Gegensätze**).  Wenn  sie  nun 
dem  fda  cpvGig  noch  etwas  hinzufügen  [ösöaQxcofitvi]  scheint  ge- 
meint], so  können  sie  das  fda  (pvoig  nicht  als  reinen  Gegensatz 
zu  dem  ovo  auffassen,  sondern  ihre  ganze  Ausdrucksweise  muss 
als  Umschreibung  verstanden  werden.  Dann  aber  macht  sich 
auch  bei  ihnen  das   Bekenntnis   der  zwei  Naturen  geltend,   be- 


Gattuiigsbegrift'  ist,  jxla  erhält  daher  teilweise  den  Sinn  des  einfachen, 
denn  dieselbe  (fvatq  kann  ja  nicht  im  Plural  vorkommen,  mehrere  (pv- 
osig  sind  zugleich  verschiedene  (pvasiq. 

*)  Dieses  xca  cb'ZiaT()0(f//v  hat  Turrianus  m.  E.  richtig  mit  „secun- 
dum  reciprocationem"  übersetzt,  denn  diese  Übersetzung  entspricht  dem 
aristotelischen  t.  t.  xa  avrioTQscpovza  (=  Correlata,  Reciproca),  den  auch 
unser  Verfasser  kennt  (s.  No.  18,  col.  190SA).  Man  muss  sich  dann  in 
der  Erklärung  nach  Cicero  de  divinatione  I,  0  richten:  ista  [Götter  und 
Weissagung]  sie  recii^rocautur,  ut  et,  si  divinatio  sit,  dii  sint,  et,  si  dii 
sint,  sit  divinatio  (nach  Scheller's  lat.  Lexicon  sub  voc.  reciproco).  Es  ist 
dann  zu  erklären:  ].  nach  reciprokem  Verständnis,  sodass  die  fiia  (fvaiq 
als  incarnierte,  und  die  incarnierte  als  dieselbe  [.da.  anzusehen  wäre. 
**)  Vgl.  die  Anm.  zu  c.  15. 


80  Erstes  Capitel. 

stehend  aus  der  Subjectsbezeichuung  ovoiia)  der  Logosnatur  und 
aus  der  prädicativen  Xäherbestimmung  oqoq)  beseelten  Fleisches. 
Diese  Näberbestimmung  aber  ist  die  Definition  der  menschlichen 
Natur.  Wie  können  sie  dann  vernünftigerweise  sich  weigern, 
von  zwei  Naturen  zu  sprechen?*) 

19.  Die  aji)S]  g)voig  ist  nicht  oftoovoio^  der  ovr&sroc,  also 
ist  Christus  nicht  ofiooCoiog  dem  Vater.  Oder  wenn  es  doch  so 
ist,  dass  die  Ovv&szog  cfvoig  Christi  dem  Vater  und  uns  ofio- 
ovoioc  ist,  so  sind  wir  ofioovöioi  dem  Vater,  oder  eine  Hälfte 
Christi  ist  dem  Vater  OfioovOioq,  die  andre  Hälfte  uns.  Auch 
letztere  Annahme  ist  irrig,  denn  sie  zerlegt  die  ftia  cfvoig  in 
Teilstücke**),  und  das  ist  Apollinarismus  und,  sofern  damit  die 
vollkommene  Gottheit  Christi  geleugnet  wird,  Arianismus. 

20.  Wenn  Christus  auch  f/era  xrjv  tvojoiv  Gott  und  Mensch 
ist,  wie  sie  zugeben,  so  folgt  daraus  das  ovo  g)vOeig. 

21.  Aus  dem  doppelten  ofioovoiog  folgt  das  ovo  ^vOsig. 

22.  Wenn  sie  ovo  löiorf/reg  annehmen***)  auch  nach  der 
Menschwerdung,  so  folgt  daraus  das  ovo  (pvösig,  deim  die  iöiozy- 
Tsg  haften  an  den  g:v08ig. 

23  Aus  der  diarfOQa  {^eörtjrog  xcd  av&QODJtörrjXog  folgt  das 
6vo  g)vO£ig,  denn  als  ovOTarixal  öiacfOQol  xa  ovoicoöcög  diacpt- 
Qovxa  öiaxQivovoiv.     Vgl.  zu  20 — 23  col.  13l7Dff. 

24.  ^vGig  und  vxooraOLg  verhalten  sich  wie  xolvov  und 
töiov^  fiia  (pvoig  hat  also  Christus  mit  dem  Vater,  nicht  mit 
seiner  oaQ^. 

25.  Als  Hypostase  unterscheidet  sich  Christus  von  dem  Vater, 
nicht    aber   auch  zugleich   von  seiner  oÜqB,.     Dieser   gegenüber 


*)  Ich  bin  nicht  sicher,  ob  meine  der  Inhaltsangabe  dieses  Capitels 
zugrundeliegende  Übersetzung  richtig  ist.  Der  eventuelle  technische  Sinn 
von  TitQLtfQartiq  ist  mir  unbekannt.  Über  6vo/j.u  s.  Aristot.  de  interpret. 
lOb,  11  f.  Waitz  I,  133,  über  oQog  Waitz  im  Commentar  zu  Analyt. 
prior.  24h,  ig,  j^  p.  370  und  Zeller  II,  2  S.  2Ü9f.,  Anm.  1. 

**)  Statt  des  sinnlosen /xeQL^s IV..  e lg  7iQ 6 q  zjj  ^o/()«  (in  Mai's  Codex 
m  margine:  xtj/xoQia)  xwv  gvixtiXtjqovvtwv  avxolq  tt]v  (ilav  tov  A'qiotov 
(pvGiv  muss  dq  noorrj/xögia  gelesen  werden.  IlooTTjfxÖQiov  in  der  leicht 
erklärlichen  Bedeutung  ,  Teilstück "  ist  auch  sonst  (contra  Nest,  et  Eut. 
1277  A)  bei  Leontius  nachweisbar. 

***)  Diese  Voraussetzung  ist  in  dieser  scharfen  Form  allerdings  nicht 
zutreffend,  vgl.  Anm.  zu  c.  lü. 


§  5.     Die  triginta  capita  adversus  Severum.  81 

kann  er  sich  nur  durch  das  öiäffOQOV  der   (f,vOiq  unterscheiden. 
Vgl.  zu  24  und  25  col.  1288  A—C  und  1293  AB. 

26.  Die  6/ioov(Jia  werden  durch  die  rpvoig  verbunden,  stsqo- 
ovöia  durch  tpcooig.  Evcooiq  vmd  g^vöig  sind  aber  etwas  Ver- 
schiedenes, yerschieden  also  auch  das  tvcooei  tv  und  ^voel  tv. 
Im  letztern  Falle  redet  man  von  fiia  g)voig,  im  erstem  zwar  von 
^la  v:ji6oTaaig,  aber  nicht  von  f/ia  cfvoig.    Vgl.  1301 D — 1304 A. 

27.  Das  Wort  „Mensch"  bezeichnet  die  g)vOig,  die  Namen 
Petrus  und  Paulus  [Namen  individueller  Menschen,  tlvojv  avO^gm- 
ji03v]  die  Hypostase.  Das  Wort  , Christus"  ist  nach  Cyrill  nicht 
Naturbezeichnuug.  Also  passt  das  Beispiel  vom  Menschen  nicht 
auf  Christus.  Nur  mit  dem  rlg  av&Qcojtog  kann  Christus  ver- 
glichen werden.  Ein  rlg  avd^Qcojcog  aber  ist  Hypostase  und  be 
steht  aus  zwei  Naturen.  Vgl.  1280CD,   1292AB. 

28.  Das  i-A  ovo  (pvoemv  könnte  gesagt  sein  entweder  inbezug 
auf  den  Ursprung  Christi,  oder  inbezug  auf  die  Teile,  die  geeint 
wurden.  Im  erstem  Falle  wäre  vielmehr  l^  vjtooraoeov  zu 
sagen,  da  Christus  seinen  Ursprung  hat  vom  Vater  und  von  der 
Maria.  Jedenfalls  aber  muss  Christus,  obwohl  nicht  identisch 
mit  beiden,  doch  dasselbe  sein,  was  sie  sind.  Im  letztern  Falle 
müssen  die  Teile  bleiben,   wie  schon  oben  [in  c.  6]   gesagt  ist. 

29.  Das  jtooov  [das  „Zusammengesetztsein"  kann  man  viel- 
leicht übersetzen  entsprechend  der  Bedeutung  der  aristotelischen 
Kategorie  und  zugleich  dem  Context  dieser  These]  wird  nicht 
nur  durch  bestimmte  Zahlen  angezeigt,  sondern  auch  durch  un- 
bestimmte Zahlwörter  —  viele,  wenige  —  oder  durch  Propor- 
tionsbegriffe —  mehr,  weniger  —  oder  durch  Demonstrativa  — 
dieses  und  jenes  [nach  dieser  Seite  und  nach  jener  Seite]  *)  —  oder 
durch  Begriffe  zeitlicher  Ordnuug  —  vor  diesem,  nach  jenem  u.  a. 
—  oder  vielleicht  noch  auf  andere  Weise.  Wenn  all  diese  Be- 
zeichnungen trennende  Kraft  haben,  dann  trennen  die  Severianer 
auch,    da   auch   sie    von   a/.Xo  y.al   aXlo  u.  dergl.   reden.      Oder 


*)  Das  an  sich  schwiei-ige  Verständnis  wird  durch  Verschiedenheit 
des  lateinischen  und  griechischen  Textes  (cod.  Turr.  und  cod.  Vat.)  er- 
schwert, und  ich  bin  zweifelhaft,  ob  ich  das  Richtige  getroffen  habe.  Mit 
dem  «;tö  T/^g  df;«T<;^^g  ^wv/Js  des  griechischen  Textes  (vgl.  Mai,  Script,  vet. 
nov.  coli.  Vn,  p.  44)  ist  schwerlich  etwas  zu  machen,  obwohl  x6  tStxxixöv 
ein  aristotelischer  t.  t.  ist  (Waitz,  a.  a.  0.  I,  290  zu  4»,  11).  Der  latei- 
nische Text:   „a  voce  quae  vocatur  indicativa"  weist  auf  öeixTixT/C. 

Tüzte  u.  Untersuchungen.  III,  1.  (*> 


§2  Erstes  Capitel. 

hat  etwa  nur  die  bestimmte  Zahl  6vo  diese  furchtbare  Kraft,  zu 
trennen  ?  *) 

30.  Wenn  jede  Zusammensetzung  den  Gebrauch  von  Zahlen 
verbietet,  so  sind  wir  Menschen  nicht  zusammengesetzt,  oder  man 
darf  inbezug  auf  den  Menschen  keine  Zahlen  gebrauchen.  Die 
heilige  Schrift  thut  jedoch  das  Letztere  und  der  Herr  selbst 
scheidet  (Mt.  10,  28)  zwischen  Sterblichem  und  Unsterblichem 
im  Menschen. 

Die  aufgewiesenen  Parallelen,  die  sich  vermehren  liessen, 
obgleich  ich  die  bezeichnendsten  genannt  zu  haben  glaube,  sind 
allein  schon  beweisend  dafür,  dass  die  trig.  capita  ihrem  wesent- 
lichen Inhalt  nach  von  dem  Verfasser  der  Bücher  adv.  Nest. 
et  Eut.  und  der  Epilysis  herrühren.  Doch  kommt  zu  ihnen  noch 
hinzu  die  schwer  mit  einzelnen  Citaten  belegbare  Gleichheit  der 
philosophischen  Voraussetzungen.  So  kurz  die  rQiaxovxa  xstpä- 
Xaia  sind,  diese  Gleichheit  zeigen  sie  doch,  wie  schon  meine  In- 
haltsangabe aufweisen  kann,  durchaus  deutlich.  Darüber  freilich, 
ob  die  trig.  cap.  auch  in  ihrer  jetzigen  Anordnung  und  Form 
auf  den  Verfasser  der  in  §  2  und  3  behandelten  Schriften  zurück- 
gehen, darüber  erhalten  wir  auch  hier  keine  Antwort.  Wir 
müssen  uns  daran  genügen  lassen,  zu  wissen,  dass  die  trig.  cap. 
ihrem  wesentlichen  Inhalt  nach  von  demselben  Manne  her- 
rühren, der  die  tres  libri  adv.  Nest,  et  Eut.  und  die  Epilysis  ge- 
schrieben hat. 

§  6.    Die  Schrift  adversus  fraudes  Apollinaristarum. 

Wir  kommen  nun  zu  der  letzten  der  in  der  alten  Sammlung 
enthaltenen  Schriften,  der  Schrift  jtQoq,  rovg  jiQO(ptQOPTag  ^iilv 
Tiva  Tcöv  AjioXlLvaQiov  ipsvöcöq  ejtc/EyQafifisva  sig  ovofia  rcov 
aylcov  jtariQcoi\  kurz  „adversus  fraudes  Apollinaristarum"  ge- 
nannt, Migne  86,  2,  col.  1947—1976.  Die  Schrift  fehlt  zwar 
im  cod.  Laudianus  und  auch  im  Index  des  cod.  Turrian. ,  doch 
ist  oben  S.  20  f.  wahrscheinlich  gemacht,  dass  sie  schon  vor  dem 
Jahre  1000  p.  Chr.  in  der  Sammlung  gestanden  hat. 

*)  Dieses  Capitel  beweist,  was  auch  sonst  sich  zeigt,  dass  unser  Ver- 
fasser die  aristotelische  Philosophie  nur  durch  Vermittlungen  kennt.  Denn 
es  klingen  hier  zwar  aristotelische  Formeln  durch,  aber  wie  fernes  Glocken- 
geläut, halb  verstanden,  halb  übertönt  von  dem  Lärm  der  Nähe. 


§  6.     Die  Schrift  adversus  fraudes  Apollinaristarum.  g3 

Das  kleine  Schriftchen  verdient  einen  hervorragenden  Platz 
in  der  altkirchlichen  Litteratur.  ^icht  deshalb,  weil  es  wertvolle 
Fragmente  häretischer  Schriftsteller  uns  erhalten  hat  —  das  Ver- 
dienst haben  viele  antihäretische  Schriften  — ,  wohl  aber  deshalb, 
weil  es  weiter  nichts  ist  und  weiter  nichts  sein  will  als  eine 
kritische  Untersuchung.  Die  Frage  nach  der  Echtheit  der  Ju- 
liusbriefe, der  'Äaxa  {itQoq,  JttOrig  und  der  athanasianischen  Schrift 
jieQi  TTJg  oaQxcoOeojg  rov  ü^sov  Xoyov  hat  bis  in  die  neueste  Zeit 
die  Forschung  beschäftigt.  Der  Verfasser  unserer  Schrift  spielt 
bei  diesen  Verhandlungen  eine  grosse  Rolle,  und  nicht  nur  als 
Quelle,  sondern  als  einer  der  ersten  Kritiker.  Die  abschliessen- 
den Untersuchungen  von  Caspari  (Alte  und  neue  Quellen  zur 
Geschichte  des  Taufsymbols.  1879,  S.  05 — 124)  smd  zu  eben  dem 
Resultat  gekommen,  für  das  unser  Verfasser  schon  eintrat,  und 
nicht  nur  das:  noch  interessanter  ist,  dass  die  Argumente 
Caspari's,  wie  er  selbst  hervorhebt  (S.  91,  Anm.  42),  wesent- 
lich dieselben  sind,  die  schon  unser  Verfasser  geltend  gemacht 
hat.  Fast  einzigartig  ist  deshalb  die  Stellung  unseres  Schrift- 
chens innerhalb  der  altkirchlichen  Litteratur. 

Etwas  Eigenartiges  hat  dies  Schriftchen  auch,  wenn  mau 
es  allein  für  sich  betrachtet:  nur  die  Einleitung,  der  Schluss 
und  einige  Zeilen  in  der  Mitte,  in  Summa  etwa  ein  Zwölftel  des 
Ganzen  rührt  von  dem  Verfasser  selbst  her,  zu  elf  Zwölfteln  be- 
steht das  Schriftchen  aus  Citaten. 

Nach  der  Einleitung  (col.  1947  und  1948  AB)  will  der  Ver- 
fasser beweisen,  dass  mehrere  „von  den  Apollinaristen  oder  Euty- 
chianeru  oder  Anhängern  Dioscur's"',  den  Anhängern  des  Chalce- 
donense  oft  vorgehaltene  Zeugnisse  des  Gregorius  Thaumaturgos, 
des  Athanasius  und  des  Julius  nichts  weiter  seien  als  falschlich 
jenen  ehrwürdigen  Vätern  zugeschriebene  Schriften  des  Apolli- 
narios.  Es  handelt  sich  dabei,  wie  ausdrücklich  gesagt  wird, 
I)  um  die  dem  Gregorius  Thaumaturgos  zugeschriebene  sogen. 
xara  .utQog  moxig  (griechisch  zuerst  bei  Mai,  Script,  vet.  nov. 
coli.  VlI,  170 — 176,  nachgedruckt  u.  a.  von  Lagarde,  Titi 
Bostrensis  quae  ex  opere  contra  Manichaeos  .  .  .  servata  sunt. 
1859,  Append.  S.  103 — 113),  2)  um  einige  dem  Julius  von  Rom 
zugeschriebene  Briefe*).    3)  um  die  jisqL  oaQxojotcog  Xoyoi^   die 

*)  Wir  kennen  heute  —  zum  Teil  nur  fragmentarisch  —  noch  ü  hier 
in  Betracht  kommende  Juliusbriefe.     Sie  liegen  gesammelt  vor,  wie  ich 


•§4  Erstes  Capitel. 

dem  Athanasius  zugeschrieben  würden,  speciell  um  den  löyoq, 
der  unter  dem  Titel  IxdeöLq  avfKfwvovOa  rij  rSv  xuj  verbreitet 
werde.  Es  ist  dies  die  das  berühmte  n'ia  (pvöiq  xov  ü-sov  ?.6yov 
Ce6aQxo)fitvrj  enthaltende  kleine  Schrift  xsqI  rrjq  öaQxcöoBcoq 
(kritisch  ediert  von  Caspari,  Ungedruckte  . .  .  Quellen  u.  s.  w.  I. 
1866,  S.  151—156). 

Um  den  apollin  aristischen  Ursprung  dieser  Stücke  zu  bewei- 
sen, bringt  unser  Verfasser  eine  Menge  von  Citaten  bei,  und  zwar: 

1)  col.  1948  B  — 1952  A  aus  den  xtfpälaia  ajioloylaq 
OvaXsvrivov  ^AjioXXivagiOTov.  Dies  Citat  besteht  aus  einer 
durch  zwei  Athanasiuscitate  eingeleiteten  Reihe  von  Apollinarios- 
citaten  Valentin's.  Die  Mehrzahl  derselben  sollte  nach  unseres 
Verfassers  Absicht  wohl  dazu  dienen,  des  Apollinarios  Lehr- 
meinung und  Ausdrucksweise  zu  belegen.  Besondere  Beachtung 
aber  verdienen  (vgl.  Caspari,  Alte  und  neue  Quellen  S.  lOoff.) 
die  beiden  Citate  aus  einem  Brief  des  Apollinarios  an  Dionysius 
7jg  aQyiy  d-cwnä^co  (col.  1949B).  Die  citierten  Sätze  finden  sich 
nämlich  indem  ersten  der  unten  genannten  Juliusbriefe  (Lagard  e, 
114,  3  —  5;  115,  38 — 116,  4).  Auch  das  Incip.  und  die  Adresse 
beider  Briefe  sind  gleich.  Der  Apollinarist  Valentin  kannte  also 
den  ersten  der  Juliusbriefe  noch  als  einen  Brief  des  Apollinarios. 


glaube,   nur   in   den   Lagarde'schen  Nachdrucken   (Titi  Bostrensis   etc. 
S.  114—124).    Es  sind  folgende: 

1)  ep.  ad  Dionysium,  ed.  princeps  Muratori,  anecdota  graeca,  1709, 
p.  341 — 346.  Coustant,  epp.  roman.  pontif.,  1721,  app.  p.  62 — 70,  La- 
garde,  S.  114 — 116,  30.  Incip.:  d-aißc<L,oj  nvvd^avöfievoq. 

2)  ep.  ad  Prosdocium,  durch  Coustant  und  Ehrlich  publiciert 
(vgl.  oben  S.  14),  bei  Lagarde,  S.  116,  31—118,  12.  Incip.:  tu  (f^örrj/xa 
T]fxüjv  xara  t?/v  dnooTokixrjv. 

3)  'Eyxvxliov,  ed.  princ.  Mai,  Script,  vet.  nov.  coli.  VII,  p.  168, 
Lagarde,  S.  118,  12 — 36.  Incip.:  TcmsLOfiaL  ^ikv,  uyamjxol  d6sl<poL 

4)  Tte^l  TTJq  ev  Xqloxw  hvözrjzog,  ed.  princ.  Mai,  a.  a.  0.,  p.  165 — 
168,  Lagarde,  S.  118,  37 — 122,25.  Incip.:  ayiov  £§  c(QXriQ  ytvvrnxa  xaXöjq 
ofxoXoyHxai. 

5)  ngoq  rovg  y.axd  zTjg  Q-flaq  rov  ).6yov  ouQxiöoeioq  (}yü)vit,ofX6vovq, 
ed.  princ.  Mai,  a.  a.  0.,  p.  168—169,  Lagarde,  S.  122,  26—124,  14. 

Nicht  alle  diese  Briefe  sind  als  von  unserm  Verfasser  gemeint  nach- 
zuweisen. Ebensowenig  kann  geleugnet  werden,  dass  unser  Verfasser 
auch  nicht  mehr  erhaltene  Briefe  in  Gedanken  gehabt  haben  kann,  denn 
von  mindestens  acht  unechten  Juliusbriefen  hören  wir  in  dem  später  zu 
behandelnden  Werk  de  sectis  Migne,  P.  G.  86,  1,  col.  1253D. 


§  6.    Die  Schrift  adversus  fraudes  Apollinaristarum.  85. 

2)  folgt  ein  zweites  Valentincitat,  wohl  aus  demselben  Werke 
V.'s;  in  ihm  a)  ein  Bekenntnis  V.'s,  welches  er  als  Bekenntnis 
des  Apollinarios  und  seiner  eignen  Freunde  bezeichnet  \/ljco?M- 
vüQioc  xcd  Ol  ovv  t[iol  rüök  g)Qovovf/tv],  col.  1952  AB*),  b)  ein 
mit  a  zusammenhängendes  (vgl.  Gas  pari,  a.  a.  0.,  S.  92,  Aum.  43) 
Bekenntnis  des  Apollinaristen  Jobios,  col.  1952  CD.  Die  Ge- 
dankenverwandtschaft beider  Stücke  mit  den  fraglichen  Schriften 
des  Gregor,  Athanasius  und  Julius  ist  eine  sehr  enge  (vgl. 
Caspari,  Alte  und  neue  Quellen.  S.  91  ff.  und  für  b  besonders 
S.  98),  speciell  berührt  sich  a  aufs  engste  mit  dem  zweiten 
der  Juliusbriefe,  der  ep.  ad  Prosdocium,  Lagarde,  117,30 — 118,  2 

3)  schliesst  sich  an  (col.  1 953  A— 1960  A)  ein  Fragment  aus 
einer  polemischen  Schrift  Valeutin's  gegen  den  Apollinaristen 
Timotheus,  einen  Schüler  des  Polemo,  der  aber  nach  Ansicht 
unsers  Verfassers  fcol.  1974C  und  1976  A)  ebenso  wie  Valentin 
den  Apollinarios  selbst  noch  gekannt  hatte.  Streitig  war  zwi- 
schen den  beiden  Apollinaristen  die  Frage,  ob  Christi  Fleisch 
dem  unsern  völlig  6f/oovoiog  gewesen  sei  [Valentin],  oder  nicht 
[Timotheus].  Die  Bedeutung  dieses  Citates  an  dieser  Stelle  ist 
mir  nicht  ganz  deutlich.  Soll  es  nur  in  den  Gedankenkreis  der 
Apollinaristen  uns  einführen?  oder  war  es  unserm  Verfasser 
wichtig,  darauf  hinzuweisen,  dass  Valentin  dem  Timotheus  und 
den  Seinen  Fälschungen  an  den  Schriften  des  Apollinarios  vor- 
wirft (col.  1956C)?  Es  scheint  das  Letztere  der  Fall  zu  sein, 
vgl.  col.  1974  D  fin.  Möglich  ist  aber  auch,  dass  in  diesem  Frag- 
ment beweisende  Parallelen  sich  fanden  zu  jetzt  verlornen  Julius- 
briefen, vgl.  oben  S.  84,  Anm. 

4)  reiht  sich  an  (col.  1960 A— 1969 A,  Z.  5)  ein  Fragment 
eines  Briefes  des  bereits  erwähnten  Apollinaristen  Timotheus  an 

*)  Caspari  S.  91  iF.,  vgl.  besonders  S.  92,  Anm.  43;  sieht  in  dem 
Bekenntnis  ein  Bekenntnis  des  Apollinarios  selbst  und  der  bei  ihm  ver- 
sammelten Bischöfe.  Mir  scheint,  dann  müsste  die  Überschrift  lauten 
entweder:  'Eyoj  'An.  xul  ol  avv  ifxol  xüös  (fQOvovfxtv,  oder:  'Art.  xcd  oi 
avv  avzoj  T«df  (fQovovoi.  Dass  der  Inhalt  zum  grössten  Teil  von  Apolli- 
narios selbst  herrührt,  bleibt  anzunehmen,  auch  wenn  meine  Erklärung 
die  richtige  ist  Beachtenswert  ist,  wenn  darüber  entschieden  werden 
soll,  dass  vor  diesem  Bekenntnis  unser  Verfasser  mit  dem  xal  7iü).iv  6 
aizög  wieder  auf  Valentin  zurückweist.  Dies  7itO.iv  ö  avrSg  wäre  über- 
flüssig, wenn  Casj)ari's  Auffassung  richtig  wäre;  Caspari  hat  es  auch 
unbeachtet  gelassen. 


8ß  Erstes  Capitel. 

den  Homonios.  Timotheus  versucht  iu  demselben,  den  Homonios 
durch  Mitteilung  vieler  Apollinarioscitate  für  seine  Beurteilung 
der  occQs  Christi  zu  gewinnen.  Diese  Citate  haben  hier  dieselbe 
Bedeutung  wie  die  sub  Nr.  1  angeführten,  und  im  besondern  ist 
hier  ähnlich  wie  bei  1  beachtenswert,  dass  auch  Timotheus  einen 
der  Juliusbriefe,  den  S.  84,  Anm.  imter  Nr.  4  aufgeführten,  als  Brief 
des  Apollinarios  citiert.  Schon  Caspari  (a.  a.  0.,  S.  167,  Anm.  36) 
hat  dies  bemerkt,  obgleich  der  Mai 'sehe  Druck  (Spicileg.  X, 
p.  139  und  mit  ihm  Migne,  col.  1961 A,  Z.  7  bis  B,  11),  von 
Turrianus  falsch  beeinflusst  (Canisius-Basnage  I,  p.  604),  den 
Thatbestand  verhüllt.  Teilweise  ist  auch  Caspari  noch  getäuscht, 
denn  nur  zwei  Citate  liegen  hier  vor,  nicht  drei,  wie  Caspari 
nach  dem  Druck  annimmt.  Es  ist  nämlich  von  col.  1961 A,  Z,  7 
an  zu  lesen: 

8cp7j  yaQ  8V  reo  Z6ym,  ov  ?]  aQ/j/'  „Ayiov  tg  ^QXV'i  xcc^o5g 
ofioXoysirai  xaza  ro  Omfia  o  Xgcaroq'^  ovzcog  Jtmc,: 

Kai  ovx  80TIV  lÖLOjg  xtiOfia  xrX.  .  .  .  avvTJJcrai  (La  gar  de 
S.  119,  Z.  9—12). 

Kai  fisd-    izsQa. 

Ovro)  xal  &£(ö  ofioovoiog  xaza  z6  :!tvst\ua  zo  aogazov, 
OvfijreQi?M{jßavofitr?jg  to3  ovöfiazi  xal  z7jg  öaQxog^  ozl  jtQog 
zov  d^sov  ofioovöiov  f'jvcozai^  xal  jcaXiv  dv&Qcojcoig  ofioovoiog 
xzX.  .  .  .  of/oovoiov  oaQxög  (Lagarde  S.  120,  16 — 25). 

Bei  col.  1969,  Z.  5  hinter  iiyoviitvoi  schliesst,  was  Mai 
nicht  bemerkt  hat,  und  Migne  trotz  der  richtigen  Abteilung 
bei  Canisius  gleichfalls  verhüllt,  der  erste  Hauptabschnitt 
unserer  Schrift.    Der  Verfasser  selbst  nimmt  das  Wort  und  sagt: 

, Denen,  die  nicht  allzu  unverständig  sind,  zeigt  dies  hin- 
reichend deutlich,  dass  die  unter  dem  Namen  des  Julius  circu- 
lierenden  Briefe  dem  Apollinarios  angehören  mit  Ausnahme  der 
Briefe,  welche  Athanasius  und  die  Historiker  als  Juliusbriefe  er- 
wähnen. Denn  die  eignen  Schüler  des  Apollinarios  sind  älter 
als  aUe  die,  welche  die  Briefe  [als  Briefe  des  Julius]  gebrauchen, 
älter  nicht  nur  als  die  Häretiker,  welche,  wie  zu  vermuten  ist, 
den  Briefen  die  falsche  Überschrift  der  Juliusbriefe  gegeben 
haben*),  sondern  älter  auch  als  diejenigen  der  Orthodoxen,  die, 


*)  zwv  ccTioayiozüiv   tüjv  ^Iov/Jov,    (oq    elxög,    xavxaq  iniy^aipavTCOV 
lautet  der  griecliisclie  Text.    'lov?.iov  ist  offenbar  abhängig  von  einem  zu 


§  6.     Die  Schrift  adversus  fraudes  Apollinaristarum.  87 

durch  die  ITbersclirift  getäuscht,  wahrscheinlich  wegen  des  An- 
sehens des  Julius  ruhig  angenommen  haben  {rjveoxtd~r]Oav\  dass 
der  Sinn  und  die  Worte  dieser  Briefe  orthodox  seien,  da  es  doch 
sonst  den  Orthodoxen,  und  ihnen  mehr  als  allen,  geziemt,  die 
Worte  des  eignen  Lehrers  anzuerkennen*).  Damit  wir  aber 
nicht  nur  auf  Grund  des  Zeugnisses  der  Schüler  des  Apollina- 
rios  seine  Worte  als  die  seinigen  anerkennen,  auch  wenn  sie 
falschlich  dem  Julius,  Gregor  und  Athanasius  zugeschrieben  werden, 
sondern  auch  aus  der  Verwandtschaft  der  Lehrmeiuung  und  der 
Ausdrucks  weise  (fcx  t%  ovyysveiag  rmv  Xoycov  xal  xov  -/^aQax- 


ergänzenden  tnioxo/.äq;  die  lateinische  Übersetzung,  welche  den  Genitiv 
von  ccTioo/Loräiv  abhängig  macht:  „qui  a  lulio  per  schisma  discesserunt" 
kann  ich,  obwohl  Caspari,  S.  117,  Anm.  81  ihr  folgt,  doch  nur  für  in-ig 
halten. 

*)  Griechisch:  äk/.üjg  ze  xal  Ttävrojv  ixä?.?.ov  twv  oq9-o6Öc(ov  ixeivovq 
flxoQ  Tovq  Xöyovg  tov  lölov  tTxioxaa&aL  didaoxa/.ov.  Wer  ist  der  l'öioq 
ÖLÖäaxuXoq'^  Ist  das  TJ/o?  an  oq&oöÖ^ojv  anzuknüiDfen?  und  ist,  wie  oben 
in  der  Übersetzung,  infolgedessen  bei  dem  i'öiog  öiöüoxaXoq  an  Julius  von 
Rom  zu  denken?  oder  muss  das  \'6ioq  aus  dem  vorangehenden  xovq  Xöyovq 
erklärt  werden,  sodass  der  Sinn  des  Satzes  wäre:  während  es  doch  sonst 
Pflicht  der  Orthodoxen  ist,  jene  [apollinaristischen]  Schriften  als  Schriften 
ihres  eigentlichen  Lehrers,  d.  h.  des  Apollinarios ,  zu  erkennen?  Diese 
letztere,  grammatisch  schwer  denkbare  Übersetzung  hat  an  dem  unmittel- 
bar folgenden  Vr«  6h  ,«7/  f.i6vov  tx  xT/g  ^uqxvqIuq  xdJv  fiad-ijxcüv  xovg 
«iTor  [seil.  'A7io?.?.iraQlov]  tniyivioaxofxev  ).oyovg  eine  energische  Empfeh- 
lung. Apollinarios  wird  —  im  Deutschen  ist  das  gar  nicht  nachzumachen 
—  im  Folgenden  gar  nicht  mehr  genannt,  und  die  Ergänzung  dieses  Na- 
mens ist  entschieden  leichter,  wenn  Apollinarios  unter  dem  löiog  öidüoxa- 
/.og  zu  verstehen  ist.  Doch  entscheidend  ist  dies  nicht,  und  entschieden 
gegen  diese  Übersetzung  spricht  1)  dass  eine  Entschuldigung  der  ge- 
täuschten Orthodoxen  weit  mehr  am  Platze  ist  als  eine  Anklage  derselben, 
2)  das  närxojv  fxüD.ov,  dem  nur  bei  der  oben  befolgten  Übersetzung  ein 
Sinn  abzugewinnen  ist,  3)  das  l'öiog  öiSäaxuXog,  denn  die  logische  An- 
knüpfung des  fötog  an  ixfirorg  xovg  ?.6yovg  ist  sehr  unwahrscheinlich. 
Dass  bei  meiner  Übersetzung  das  txflvovg  störend  ist,  gebe  ich  zu.  Ich 
hätte  es  übersetzen  können:  „da  es  doch  unter  andern  Umständen  den 
Orthodoxen  und  ihnen  vor  allen  geziemt  hätte,  jene  Worte  als  Worte 
des  eignen  Lehrers  anzuerkennen",  oder,  da  man,  wenn  der  Schriftsteller 
dies  sagen  wollte,  statt  txelvovg  xohc  Xoyovg  eher  ^xslvag  xag  tniaxoXäg 
erwarten  müsste,  besser  mit  kleiner  Ändei-ung:  .  .  .  jenes  Worte  {ixfii>ov 
.  .  .  xovg  ).6yovg)  als  Worte  des  eignen  Lehrers  u.  s.  w.  Allein  ich  glaubte, 
bei  einer  Übersetzung  —  bei  einer  Textrecension  wäre  freilich  anders 
zu  verfahren  —  das  txslvovg  ausfallen  lassen  zu  dürfen,    weil  ohne  das- 


88  Erstes  Capitel. 

TTjQog),  will  ich  den  Citaten  aus  Äusserungen*)  des  Apollinarios, 
welche  seine  vorher  genannten  Schüler  beigebracht  haben,  un- 
verkürzte und  vollständige  Äusserungen  desselben  anschliessen, 
damit  die  wahrheitsuchenden  Leser  völlig  überzeugt  werden  von 
der  Übereinstimmung  derselben  mit  den  Pseudepigraphen". 

Darauf  folgt  nun  1)  col.  1969  C — 1972A  ein  Bruchstück  aus 
einem  Brief  des  Apollinarios  an  [ägyptische,  in  der  Verbannung 
lebende]  Bischöfe  in  Diocaesarea  (vgl.  Caspari,  a.  a.  0.,  S.  930".^ 
entnommen  einer  alten  Handschrift  in  der  Bibliothek  des  Bischofs 
Andreas  von  Sidon.  der  um  518  nachweisbar  ist  (Caspari,  a.  a.  0., 
Mansi,  VllI,  1082); 

2)  und  3)  col.  1972  A — 1973  A  zwei  Citate  aus  der  xara  [ib- 
Qog  JtiOTtg^  nämlich  Lagarde,  Tit.  ßostr.,  S.  110,  9  —  28  und 
109,  25 — 110,  9  (mit  nicht  unbedeutenden  Varianten,  vgl,  Ca- 
spari, a.  a.  0.,  S.  18f).  Die  Citate  sind  von  unserm  Verfasser 
[nicht  in  der  alten  Handschrift;  sie  enthielt  nur  Nr.  1,  s.  Caspari, 
a.  a.  0.,  S.  78  ff.]  mit  rov  avrov  [sc.  'AxoXXivaQiov]  ex  rrjc  xazd 
fitQOQ  jrioreoogundi  xcä  ev  reo  üiqo  avrov  xegpoi^a/ot; überschrieben; 

4)  endlich  col.  1973  AB  ein  kurzes  Citat  aus  einer  Tauf- 
predigt des  Apollinarios. 

Daran  reihen  sich  kurze  Schlussbemerkungen  unsers  Ver- 
fassers selbst  (col.  1973 Cff.).  Er  glaubt,  dass  auf  Grund  des 
Mitgeteilten  jeder,  der  nicht  streitsüchtig  sei,  zugeben  müsse, 
dass  die  unter  den  irrigen  Namen  des  Julius,  Gregor  und  Atha- 
nasivis  circulierenden  IjiiGxolal  rjtoi  jcsql  oaQxojOscog  Xöyoi  von 
Apollinarios  herrühren,  und  schliesst  mit  einigen  Bemerkungen 
über  den  Streit  zwischen  den  Apollinaristen  Valentin  und  Timotheus. 

Ehe  wir  der  Frage  nach  dem  Verfasser  nahe  treten,  drängt 
sich  eine  andere  auf  Liegt  uns  die  Schrift  noch  so  vor,  wie  der 
Verfasser  sie  schrieb?  Aus  dem  Zurücktreten  des  Autors  hinter 
den  von  ihm  gebrachten  und  ohne  Zwischenbemerkungen  anein- 
andergereihten Citaten  darf  man  nicht  das  Gegenteil  schliessen, 
denn  die  Bemerkungen  in  der  Mitte  und  am  Schluss  beweisen 
die  ürsprünglichkeit  dieser  stillschweigenden  Argumentation.  Der 
zweite  Teil  aber  erscheint  eben  in  der  Mitteilung  des  Materials  un- 


selbe  Sinn  und  Construction  des  Satzes  verständlicher  wird,  und  weil  eine 
Entstehung  des  ixelvovq  aus  dem  eixdq  nicht  undenkbar  wäre. 

*)  löyoq  ist  hier  unübersetzbar,  , Äusserungen"  passt  vielleicht  hier 
und  im  Folgenden  am  besten. 


§  6.     Die  Schrift  adversus  fraudes  Apollinaristarum.  89 

vollständig  und  hat  schon  Caspari  Not  gemacht  (vgl.  a.  a.  0.  79, 
Anm.  25).  Der  Verfasser  will  „oXotsXbIq  avxov  [seil,  des  ApoUi- 
narios]  y.al  oXoy.h]Qovc  ^Jyyovq'^  beibringen,  damit  der  Leser  die 
Gleichheit  dieser,  d.  i.  der  vollständig  beigebrachten  Xoyoi  und  der 
Pseudepigraphen,  d.  i.  der  -Kaxa  (isQoq  JtioTic^  der  Juliusbriefe  und 
der  pseudoathanasianischen  txß^eoig  Jt&Qi  oagxcoOECog  erkennen 
könne.  Man  erwartet  daher  eine  reichliche  Mitteilung  umfang- 
reicherer Äusserungen  des  Apollinarios  und  daneben  etwa  ebenso 
reichliche  Anführungen  aus  den  Pseudepigraphen.  Statt  dessen 
erhält  man  zwei  ganze  Apollinarioscitate  und  zwei  Citate  aus  der 
xara  fUQog  Jtioxtc.  Allerdings  sind  die  beiden  ApoUinarios- 
stellen  in  hervorragendem  Masse  beweisend  (vgl.  zu  dem  erste- 
ren  Caspari,  a.  a.  0.,  S.  94if.,  und  mit  dem  letztem  die  pseudo- 
athanasianische  sxd-soig),  und  auch  die  Citate  aus  der  xard  (ligog 
jilorig  sind  geschickt  ausgehoben.  Dennoch  scheint  das  Gegebene 
hinter  dem  Versprochenen  so  weit  zurückzubleiben,  dass  der  Ge- 
danke an  eine  unvollständige  Überlieferung  der  Schrift  nicht 
ganz  beiseit  zu  schieben  ist.  Unsere  älteste  Handschrift,  dpr  cod. 
Laudianus,  enthält  die  Schrift  überhaupt  nicht.  Aber  er  bietet 
innerhalb  des  Ganzen  der  opera  Leontii  den  vollständigen  Text 
des  zweiten  der  obengenannten  unechten  Juliusbriefe,  die  ep.  ad 
Prosdocium.  Die  Vermutung,  dass  dieser  Brief  an  dieser  Stelle . 
ein  Hinweis  sein  könnte  auf  eine  ursprünglich  grössere  Voll- 
ständigkeit des  zweiten  Teiles  der  Schrift  adv.  fraudes  Apollina- 
ristarum, lässt  sich  unter  diesen  Umständen  nicht  ganz  zurück- 
weisen (vgl.  oben  S.  21),  aber  freilich  auch  ebensowenig  beweisen. 
Die  Frage  nach  der  Integrität  unseres  Schriftchens  muss  deshalb 
in  suspenso  bleiben. 

Nicht  günstiger  steht  es  mit  der  Möglichkeit  einer  Entschei- 
dung der  Frage  nach  dem  Verfasser.  Eine  wahrscheinlich  alte 
handschriftliche  Überlieferung  verknüpft  freilich  die  Schrift  adv. 
fraudes  Apollinaristarum  mit  den  bisher  behandelten  drei  Schrif- 
ten (vgl.  oben  S.  20),  doch  fehlt  uns  bis  jetzt  fast  alles  Material, 
um  die  Richtigkeit  dieser  Überlieferung  zu  prüfen. 

Zuzutrauen  wäre  die  Schrift  adv.  fraudes  Apollinaristarum 
dem  Verfasser  der  drei  bisher  besprochenen  Schriften  sehr  wohl. 
Die  schweigsame,  mit  Citaten  operierende  Argumentation  der 
Schrift  adversus  fraudes  Apollinaristarum  hat  eine  frappante 
Parallele   an  dem  dritten   Buch   adversus  Nestorianos    et  Eutv- 


90  Erstes  Capitel. 

chianos,  insbesondere  an  der  Art,  wie  dort  in  den  -/QriOtLq  durch 
Citate  ans  Theodor  von  Mopsueste  und  Diodor  von  Tarsus  einer- 
seits, Paul  von  Samosata  andrerseits  die  Verwandtschaft  des 
Nestorianismus  und  des  Samosatenismus  erwiesen  wird.  Dort 
(col.  1396  A)  wie  hier  (col.  1973  C)  folgt  den  Citaten  ein  mit 
oluai  eingeleitetes  Schlusswort  des  Verfassers.  Überdies  ist  es 
nachweisbar,  dass  der  Verfasser  der  Bücher  adv.  Nest,  et  Eut. 
(vgl.  col.  1377  C)  die  Kirchengeschichte  des  Apollinaristen  Timo- 
theus  gekannt  hat,  über  dessen  Lehrweise  der  Verfasser  der  Schrift 
adv.  fraudes  ApoUinaristarum  aus  eignen  Schriften  desselben 
unterrichtet  ist. 

Auch  die  Zeit  der  Schrift  adv.  fraudes  scheint  für  die  Rich- 
tigkeit der  handschriftlichen  Überlieferung  zu  zeugen.  Da  col. 
1969  B  rov  zrjg  ^LÖcovirnv  d^eorpiXsörarov  ejnöxojcov  '4vÖQta 
Erwähnung  geschieht,  und  da  dieser  sonst  gänzlich  unbekannte 
Mann  (Lequien,  Oriens  christianus  II,  p.  813)  518  auf  der  Sy- 
node von  Tyrus  nachweisbar  ist  (Mansi  VIII,  1082),  so  kann 
die  Schrift  adv,  fraudes  ApoUinaristarum  auf  keinen  Fall  lange 
vor  518  geschrieben  sein.  Nach  der  andern  Seite  weit  über  518 
hinauszugehen,  hindert  ein  Doppeltes.  Zunächst  scheint  aus  dem 
Epitheton  des  Andreas  „ü^tocpiXeGrarov  tJiiOxojrov'''  und  aus 
der  ganzen  Art  seiner  Erwähnung  [ex  jtaXaiov  apziygag^ov  evq£- 
d^ivroq  bv  rfj  ßißXiod->]X7j  rov  xTjq  ^lÖojv'kdv  d-.  L  [4.]  gefolgert 
werden  zu  dürfen,  dass  Bischof  Andreas  von  Sidon  zu  der  Zeit, 
als  die  Schrift  adv.  fraudes  ApoUinaristarum  entstand,  noch  am 
Leben  war,  denn  andernfalls  wäre  wohl  rov  f/axaQtov  Ijiiöxöjiov 
oder  rov  rijg  d^socpiXovg  fiv)]fi7jg  tJiiöxojiov  geschrieben,  wahr- 
scheinlich auch  der  jetzige  Besitzer  der  Handschrift  genannt. 
Sodann  ist  beachtenswert,  dass  mit  keinem  Wort  der  Severianer 
gedacht  wird,  die  doch  von  den  apollinaristischen  Fälschungen  sehr 
reichlichen  Gebrauch  gemacht  haben  (vgl.  die  Collatio  cum  Seve- 
rianis  anni  531,  Mansi  VIII,  820 sq.).  Im  Eingang  werden  als 
jtQocptQovveg  ?/fuv  zum  zcäv  'AjtoXlLraQLov  ^svöcäg  IjnysyQan- 
fiava  nur  ziveg  zmv  zä  ^jtokXivagiov  voöovvzmv  tjzol  za  Evzv- 
Xovg  7j  zcöv  ajto  JioöxoQOv  genannt,  und  am  Schluss,  wo  ge- 
legentlich der  Angaben  über  den  Streit  zwischen  den  Apollina- 
risten Valentin  und  Timotheus  nach  520  eine  Erwähnung  der 
severianisch-julianistischen  Controverse  sehr  nahe  gelegen  hätte, 
hören  wir  nichts  derart. 


§  6.     Die  Schrift  adversus  fraudes  Apollinaristarum.  91 

Es  scheint  mir  daher  nicht  zu  kühn,  aus  diesen  Umständen 
zu  folgern,  dass  die  Schrift  adversus  fraudes  Apollinaristarum 
vor  520  geschrieben  ist,  ehe  die  „Severianer''  von  sich  reden 
machten.  Da  nun  im  Herbste  511,  als  in  Sidon  eine  monophy- 
sitische  Synode  gehalten  wurde  (Mansi  VlII,  371),  schwerlich 
schon  Andreas,  der  Feind  des  Severus  (Mansi  VIU,  1082),  Bischof 
von  Sidon  gewesen  ist,  so  würde  die  Zeit  zwischen  511  und  520 
als  wahrscheinliche  Abfassungszeit  der  Schrift  adv.  fraudes  Apolli- 
naristarum zu  gelten  haben.  Da  nun  die  Schrift  adv.  Nest,  et 
Eut.  zwischen  529  und  544  geschrieben  ist,  so  würde,  so  scheint 
es,  die  Abfassungszeit  der  Schrift  adv.  fraudes  der  Annahme  der 
Identität  der  Verfasser  keine  Schwierigkeiten  machen. 

Und  doch  lässt  sich  ein  Bedenken  nicht  zurückdrängen. 
Die  Schrift  adv.  Nest,  et  Eut.  bringt  unter  den  dem  ersten  Buche 
angehängten  yjQriöuq,  in  die  der  Verfasser,  wie  er  ausdrücklich 
bemerkt  (col.  1308  B),  nichts  Zweifelhaftes  aufnehmen  wollte, 
(bei  Canisius-Basnage  I,  p.  552)  auch  ein  Citat  aus  dem  vier- 
ten der  unechten  Juliusbriefe  (=Lagarde,  S.  122,  20 — 25),  der 
adv.  fraudes  Apollin.  col.  1961  AB  (vgl.  oben  S.  86)  als  ein  Brief 
des  Apollinarios  erwiesen  ist.  Kann  unter  diesen  Umständen 
die  Schrift  adv.  fraud.  Apollinarist,  ein  älteres  Werk  des  Ver- 
fassers der  tres  libri  adv.  Nest,  et  Eut.  sein?  Die  Antwort  braucht 
nicht  so  unbedingt  verneinend  zu  lauten,  als  es  zunächst  nötig 
scheint.  Denn  da  in  der  Schrift  adv.  Nest,  et  Eut.  das  Julius- 
citat  von  Cyrill  herübergenommen  ist,  überdies  der  betreffende 
Juliusbrief  nicht  weiter  bezeichnet  wird,  so  konnte  es  dem  Ver- 
fasser entgehen,  dass  jenes  Citat  dem  unechten  Juliusbriefe  ent- 
nommen war.  Hierbei  würde  man  sich  beruhigen  können,  wenn 
in  den  drei  bisher  besprochenen  Schriften  an  andern  Stellen  eine 
Einsicht  in  die  apollinaristischen  P^älschungen  sich  verriete.  Da 
das  nicht  der  Fall  ist,  so  bleibt  der  Umstand,  dass  die  Schrift 
adv.  fraudes  Apollin.  anscheinend  vor  den  Büchern  adv.  Nest,  et 
Eut.  und  also  auch  vor  der  Epilysis  und  nicht  minder  auch  vor 
den  TQiaxorra  xtcpa^aia  xaza  ^sv?/qov  geschrieben  ist,  eine 
Schwierigkeit,  welche  das  Vertrauen  auf  die  Richtigkeit  der 
handschriftlichen  Überschrift  erschwert. 

Endlich  ist  auch  das  nicht  ganz  ausser  Acht  zu  lassen,  dass 
die  adv.  fraudes  Apollin.  col.  1969  A  für  die  Monophysiten  ge- 
brauchte Bezeichnung  der  ajiooyiozai  zwar  in  Sjnrien  und  Pa- 


92  Zweites  Capitel. 

lästina  häufig  vorkommt  (Mansi  VIII,  1087  acclamationes  populi 
Tyriorum  anni  518:  ^svtjqov,  rov  axeq^aXov^  xal  axooxiorrjv; 
Cyrillus  Scythopolitanus,  vita  Sabae  (bei  Cotelerius,  eccle- 
siae  graecae  monumenta  III)  z.  B,  p.  319.  344;  Johannes  Scy- 
thopolitanus xazä  Tcöv  ajtoöxi-OTcöv,  Photius  cod.  95),  dagegen 
in  den  tres  libri  adv.  Nest,  et  Eut.,  in  der  Epilysis  und  den  rgiä- 
xovra  xsg^alaia,  wenn  ich  nicht  irre,  nicht  nachweisbar  ist. 

Nach  alle  diesem  kann  man  weder  die  Richtigkeit  der  hand- 
schriftlichen Überlieferung  inbezug  auf  den  Verfasser  der  Schrift 
adv,  fraudes  Apollinaristarum  zuversichtlich  behaupten,  noch  auch 
ihre  Unrichtigkeit  nachweisen.  Auch  die  Verfasserfrage  muss 
deshalb  noch  in  suspenso  bleiben. 


Zweites  Capitel. 

Spuren  der  Sammlung  der  opera  Leontii  vor  dem  Jahre  1000 

p.  Chr.     Der   Schriftsteller  Leontius   von  Byzanz  und   seine 

Werke  in  der  byzantinischen  Tradition. 

§  7.     Die  sogen.  „Antiquorum  patrum  doctrina  de  verbi 
incarnatioue". 

Schon  vor  dem  Jahre  1000  p.  Chr.  existierte,  so  haben  wir 
gesehen,  eine  Sammlung  mehrerer,  einem  Mönch  Leontius  zuge- 
schriebener Schriften.  Von  den  in  dieser  Sammlung  vereinigten 
Schriften  ergaben  sich  uns  die  drei  Bücher  adv.  Nest,  et  Eut.,  die 
Epilysis  und  wenigstens  ihrem  wesentlichen  Gehalt  nach  auch 
die  triginta  capita  als  Werke  eines  Verfassers,  eines  Mannes, 
der  in  der  Zeit  zwischen  ca.  520  und  544  geschrieben  haben 
muss.  Ob  die  mit  den  genannten  Büchern  wahrscheinlich  schon 
vor  dem  Jahre  1000  p.  Chr.  in  der  Sammlung  der  opera  Leontii 
zusammengeschlossene  Schrift  adv.  fraudes  Apollinaristarum,  die 
anscheinend  schon  zwischen  511  und  520  entstanden  ist,  wirklich 
von  demselben  Verfasser  herrührt,  oder  nicht,  das  Hess  sich  bis 
jetzt  nicht  entscheiden. 

Ist  die  in  den  besprochenen  Handschriften  vorliegende  Tra- 
dition, dass  der  Verfasser  der  durch  sie  uns  erhaltenen  Schriften 
ein  Mönch  Leontius  gewesen  sei,  die  allgemeine?    Kann  sie  über 


§  7.     Die  sog.  ,  Antiquonmi  patrum  doctrina  de  verbi  incarnatione".     93 

das  Jahr  1000  p.  Chr.  znrückverfolgt  werden?  Zeigen  sich  Spu- 
ren einer  Sammlung  der  opera  Leontii  schon  vor  diesem  Zeit- 
raum? Diese  Fragen  müssen  uns  zunächst  beschäftigen.  Ihre 
Beantwortung  hat  mit  mancherlei  Schwierigkeiten  zu  kämpfen. 
Denn  da  die  besprochenen  Handschriften  uns  nur  bis  zum  Jahre 
1000  p.  Chr.  hinaufführen,  da  andre  Handschriften,  welche  die- 
selben Schriften  unter  anderm  Verfassernamen  böten,  soviel  man 
weiss,  nicht  existieren,  so  ist  man  ausschliesslich  auf  die  Litte- 
ratur  nach  ca.  544  angewiesen.  Wie  aber  kann  man  sich  ver- 
trauensvoll hinauswagen  auf  dies  offene  Meer,  wenn  man  weiss 
(vgl.  oben  S.  3^.,  dass  die  Schwierigkeit  unserer  Untersuchung  eben 
darin  besteht,  dass  die  Gefahr  naheliegt,  den  Verfasser  der  bis- 
her besprochenen  Schriften  mit  „einem  oder  mehreren  gleich- 
namigen zu  verwechseln"  ?  Ein  Scheitern  an  dieser  Klippe  wird 
vermieden  werden  können,  wenn  man  nicht  gleich  hinauszufahren 
sucht  auf  die  Höhe  einer  Übersicht  der  „testimonia  veterum  de 
Leontio",  sondern  sich  bemüht,  von  dem  festen  Boden  aus,  den 
wir  in  Cap.  1  gewonnen  haben,  allmählich  die  Höhe  zu  gewinnen. 
Es  fehlt  solchem  Bemühen  der  Ausgangspunkt  nicht.  Ge- 
legentlich erfuhren  wir  —  oben  S.  9  — ,  dass  die  sog.  triginta 
capita  ihrem  ganzen  Umfange  nach  in  einer  Sammlung  pa- 
tristischer  Excerpte  citiert  werden  (Mai,  Scriptor.  vet.  nov.  coli. 
Vn,  p.  40 — 45),  die  nach  dem  Urteile  ihres  Herausgebers  lange 
vor  dem  Jahre  1000  p.  Chr.  zusammengestellt  ist.  Schlägt  man 
diese  Sammlung  resp.  die  Bruchstücke  aus  ihr,  die  Mai  publi- 
ciert  hat,  auf,  so  bemerkt  man  in  dem  von  Mai  dem  betreffenden 
Bande  vorangestellten  Index  auctorum  sofort,  dass  die  Samm- 
lung ausser  den  triginta  capita  nach  Mai's  Angabe  (p.  VUI) 
noch  vier  andre  Citate  aus  Leontius  enthält  (p.  53  und  54,  57,  62 
und  63,  64),  und  gewahrt  ein  langes  fünftes  Citat,  das  Mai  nach 
zwei  Vaticanhandschriften  unter  dem  Text  der  erwähnten  Samm- 
lung abdruckt.  Alle  fünf  Citate  sieht  der  Herausgeber  der  Werke 
des  Leontius  in  Migne's  Patrologie  als  Citate  aus  verlorenen 
Werken  des  Leontius  an,  denn  die  „Leontii  Byzantini  Fragmenta", 
die  er  86,2  coL  2003  —  2016  zum  Abdruck  bringt,  sind  nichts 
andres  als  jene  fünf  von  Mai,  Script,  vet.  nov.  coli.  VH  zuerst 
publicierten  Citate.  Da  nun  die  triginta  capita,  welche  von  der- 
selben Sammlung  citiert  werden,  wenigstens  iln-em  wesentlichen 
Inhalt  nach  von  dem  Verfasser  der  tres  libri  adv.  Nest,  et  Eut. 


94  Zweites  Capitel. 

herrühren,  so  dürfen  wir  den  übrigen  Citaten  mit  dem  Vertrauen 
entgegenkommen,  ans  ihnen  in  zuverlässiger  Weise  eine  Er- 
weiterung unseres  Wissens  von  der  schriftstellerischen  Thätigkeit 
des  Leontius  entnehmen  zu  können.  Und  für  das  unter  dem 
Text  von  Mai  publicierte  Fragment  wird  ein  günstiges  Vor- 
urteil durch  den  Umstand  erweckt,  dass  Mai  zur  Veröffent- 
lichung dieses  Fragments  an  dieser  Stelle  durch  die  Gedanken- 
verwandtschaft veranlasst  wurde,  welche  er  zwischen  dem  im 
Text  mitgeteilten  Leontiusfragment  und  dem  jetzt  unter  dem 
Texte  gedruckten  beobachtete. 

Auf  die  „Fragmenta  Leontii''  also  sehen  wir  uns  hingewiesen. 
Doch  ehe  wir  auf  diese  eingehen,  wird  es  nötig  sein,  die  Samm- 
lung selbst,  der  sie  fast  sämtlich  entnommen  sind,  genauer  an- 
zusehen. Im  nächsten  Paragraphen  werden  wir  dann  zu  den 
Fragmenten  zurückkehren. 

Hätte  Cardinal  Mai  die  Pflichten,  die  sonst  für  einen  Heraus- 
geber gelten,  auch  für  sich  anerkannt,  so  hätte  er  freilich  nicht 
eine  solche  Unmenge  von  Publicationen  vollenden  können,  wie 
wir  sie  jetzt  ihm  verdanken,  aber  er  würde  den  neugefundenen 
Stoff  wenigstens  zu  weiterer  Verarbeitung  geeignet  gemacht 
haben.  Auch  der  Sammlung  gegenüber,  die  uns  jetzt  beschäftigen 
soll  —  „Antiquorum  patrum  doctrina  de  verbi  incarnatione"  hat 
sie  Mai  genannt  [„Doctrina"  citiere  ich  im  Folgenden]  — ,  em- 
pfindet man  das  Fehlen  fast  aller  Editorenarbeit  sehr  unange- 
nehm. Mai  hat  die  Bruchstücke  dieser  Schrift,  die  er  zu  publi- 
cieren  für  gut  befand,  ohne  jeden  weitern  Commentar  und  ohne 
genügende  Angaben  über  die  Handschriften  auf  den  Markt  ge- 
worfen. Die  13  Zeilen  der  Vorrede,  die  sich  auf  die  Doctrina 
beziehen,  sind  mehr  geeignet,  Fragen  anzuregen  als  zu  lösen. 

Mai  druckt  nach  einem  „antic^uus  cod.  vat.  oliui  columnen- 
sis"  mit  gelegentlicher  Hinzuziehung  eines  andern  cod.  Vat.,  der 
dasselbe  Werk  enthält,  ,,imperfectum  tamen".  Nach  welchem 
Massstab  misst  Mai  die  Integrität?  Man  hat  Veranlassung  so 
zu  fragen,  da  Mai  selbst  einen  grossen  Teil  seines  cod.  Column. 
ungedruckt  lässt,  obwohl  der  handschriftliche  Index  operis  (Mai 
p.  1 — 5)  auch  auf  diesen  Teil  des  Codex  Rücksicht  nimmt.  „Hac- 
tenus",  so  erklärt  Mai  p.  73,  „codicem  vaticano-columnensem 
typis  committere  libuit,  cetera  enim,  quae  in  praevio  indiculo 
promittuntur  neque  ejusdem  auctoris  necjue  paris  pretii  visa  sunt". 


§  7.     Die  sog.  „Antiquorum  patium  doctrina  de  verbi  incarnatione".     95 

Man  niuss  das  auf  Treu  und  Glauben  hinnehmen.  —  Weiter 
sind  die  Angaben  über  die  concurrierenden  Arbeiten  ältrer 
Forscher  unglaublich  ungenügend.  .,Auctoris  nomen  in  utroque 
codice  desideratur;  sed  eum  esse  Anastasiuioi  presbyterum,  dicit 
saepe  in  variis  scholiis  Sirmondus,  qui  in  codice  Jesuitarum 
claromontano  id  opus  legerat.  Quin  adeo  Labbaeus  in  couspectu 
operum  S.  Job.  damasceni  summaria  capitum,  cum  auctorum 
laudatorum  nominibus  edidit.  Harduinus  quoc^ue  in  opusc.  select. 
p.  239  et  243,  nee  non  Muratorius  in  dissert.  de  epist.  Julii 
papae,  aliique  aliquot  ut  memini  auctores,  hanc  iVnastasii  lucu- 
brationem,  seu  ;f(>?^'ö£ß>r  l'ycloyriv  commemorant;  non  quia  sit 
edita,  sed  quia  particulas  aliquot  in  Sirmondi  scholiis  obser- 
varunt.''  Das  ist  Alles.  Wo  finden  sich  Sirmond's  Schollen? 
Wie  verhält  sich  sein  cod.  Claromont.  zu  denen  Mai's?  Wo 
veröffentlicht  Lab be  die  summaria  capitum?  Und  aus  welchem 
Codex?  Wer  ist  Anastasius  presbyter?  Ist  Anastasius  Sinaita 
gemeint,  an  den  Lequien  denkt  (Opp.  Jo.  Damasc.  I,  Diss. 
Damasc.  p.  XXXIV)?  Die  zwei  einzigen  erkennbaren  Citate  sind 
die  aus  Muratori  und  Harduin.  Muratori's  Hinweis  auf  „Ana- 
stasius presbyter  in  Eclog.  xQ^]o£cov"'  (s.  den  Abdruck  der  Diss. 
bei  Migne,  P.  L.  8,  col.  949 D  und  950 B;  hilft  nicht  weiter, 
Harduin,  opera  selecta.  Amsterdam  1709,  p.  243  giebt  nevie 
Rätsel  auf.  Die  von  Labbe  „in  conspectu  novae  editionis  opp. 
Jo.  Damasc.  p.  51"  besprochene  Sammlung  des  cod.  Claromont., 
ein  Werk  des  Anastasius  presbyter  —  was  Labbe  noch  nicht 
bemerkt  habe  — ,  sei  dieselbe,  die  allerdings  in  weit  kürzerer 
Gestalt,  Canisius  in  einer  Übersetzung  des  Turrianus  publi- 
ciert  habe  [Canisius- Basnage  II,  p.  250 — 260],  —  so  hören 
wir  von  Harduin.  Von  jener  Sammlung  bei  Canisius  sagt 
Mai  nichts,  obwohl  er  gelegentlich  auf  einige  der  parallelen 
Stellen  in  den  Noten  hinweist  (s.  p.  12  sqq.).  Und  weiter:  Be- 
nutzte Labbe  denselben  Codex  wie  Sirmond  und  Harduin,  wie 
konnte  es  ihm  entgehen,  dass  Anastasius  presbyter  der  Verfasser 
ist?  oder  woher  wissen  es  Sirmond  und  Harduin,  wenn  im 
cod.  Ciarom.  nichts  davon  steht?  Schlägt  man  ferner  die  von 
Harduin  bezeichneten  Collectanea  incerti  auctoris  contra 
Severianos  bei  Canisius-Basnage  auf,  so  wird  die  Ver- 
wirrung noch  grösser:  Ist  dies  10  Seiten  umfassende  Werk,  das 
nirgends    als  Auszug    bezeichnet   ist,    identisch  mit  der  Ixloyi] 


96  Zweites  Capitel. 

yQ?jO£a>v  des  cod.  Claromont.,  wie  kann  dann  die  txXoy/]  im  cod. 
Vat.-Column.,  aus  der  Mai  auf  73  Seiten  nur  die  Citate  aus  ver- 
lornen Werken  der  Patres  mitteilt,  dieselbe  sein  wie  die  des 
cod.  Ciarom.?  Und  wenn  ferner  die  collectanea  bei  Canisius, 
wie  Basnage  ausdrücklich  hervorhebt  (a.  a.  0.  p.  250),  und  jeder 
Leser  schon  im  Text  bei  Canisius  sehen  konnte,  gelegentlich 
(a.  a.  0.  p.  259)  auf  Joli.  Damasc.  verweisen,  wie  konnte  man 
denken  (Lequien,  a.  a.  0.),  dass  Anastasius  Sinaita  der  Verfasser 
sei?  —  Doch  ich  will  die  Aufzählung  der  von  Mai  nicht  ge- 
lösten Fragen  nicht  weiter  fortsetzen. 

Als  das  nötigste  Hülfsmittel  bei  dem  Versuche,  hier  etwas 
Licht  zu  schaffen,  erscheint  nach  Obigem  Philipp  Labbe's 
conspectus  novae  editionis  omnium  operum  S.  Joannis  Dama- 
sceni  monachi  etc.  Paris  1652.  Ö7  S.  4^,  doch  dies  Buch  wird 
auf  den  meisten  deutscheu  Bibliotheken  fehlen.  Auch  in  Göt- 
tingen ist  es  nicht  vorhanden.  —  Der  gütigen  Vermittlung 
meines  Freundes  und  CoUegen  Lic.  Dr.  Gregory  und  der  be- 
reitwilligen Hülfe  des  Herrn  Dr.  Gundermann,  d.  Z.  in  Paris, 
verdanke  ich  ausführliche  Mitteilungen  aus  dem  Pariser  Exem- 
plar des  Labbe'schen  Büchleins,  und  mit  Hülfe  derselben  ver- 
mag ich  wenigstens  einiges  von  dem  zu  geben,  was  Mai  seiner 
Ausjjabe  des  Doctrina  hätte  voranschicken  müssen. 

Im  Anhang  des  genannten  Büchleins  (p.  39  sqq.)  erörtert 
Labbe,  der  damals  eine  Ausgabe  der  opera  Joannis  Damasceni 
plante,  die  Frage:  quid  ad  hanc  editionem  adjumenti  conferre 
possint  Claromontani  mss.  Codices.  Bei  der  Beantwortung  dieser 
Frage  kommt  p.  40  sub  Nr.  10  die  Rede  auf  den  cod.  Claromont., 
der  unsere  Sammlung  enthält.  „Exstat  denique",  sagt  Labbe, 
„Logicae  compendium  non  vulgare,  ex  ejusdem  Joannis  Dama- 
sceni prolixioribus  capitibus  in  angustiora  spatia  contractum, 
cui  altera  lucubratio  subjungitur  auro  contra  non 
cara,  [d.  h.  „nicht  mit  Gold  zu  bezahlen",  vgl.  Plautus,  Epid. 
HI,  40:  non  carus  est  auro  contra;  nach  Scheller's  lateinischem 
Lexicon  sub  voc.  contra]  ex  sanctorum  patrum  ecclesiasti- 
corum  tractatorum  auctoritatibus  variis  testomoniis- 
que  insignioribus  compacta  atque  in  capita  41  distri- 
buta". 

Die  Titel  dieser  41  Capitel  werden  dann  nach  dem  hand- 
schriftlichen  Index   mitgeteilt  (bis  p.  47).     Die    40    ersten  Titel 


§  7.     Die  sog.  ^Antiquorum  patrum  doctrina  de  verbi  incarnatione".     97 

decken  sich  mit  den  bei  Mai,  a.  a.  0.  p.  1 — 3  unter  den  gleichen 
Nummern  {a—(i)  gedruckten,  der  4P*^  und  letzte  lautet:  öiacpoQoi 
d.7io6£is£iQ  ^ccl  fiagrvQiaL  rcöv  cr/lo)v  jiartQcov  JtSQL  dxovcov. 
An  diese  Inhaltsübersicht  schliesst  Labbe  p.  47 — 54  ein  offen- 
bar erst  von  ihm  selbst  nach  den  Überschriften  der  einzelnen 
Citate  zusammengestelltes  Verzeichnis  der  in  der  Sammlung  ci- 
tierten  Schriftsteller  und  Schriften.  Den  Namen  sind  die  Titel 
ihrer  angeführten  Werke  kurz  hinzugefügt,  und  ferner  ist  nach 
den  Nummern  der  Capitel  der  Ort  angegeben,  an  welchem  in 
der  Sammlung  die  betr.  Citate  sich  finden.  Ich  teile  im  Folgen- 
den nur  die  IS  amen  mit: 

1)  jiO-araolov  ejt.  jUE^avÖQslaq.  2)  läfißQoOiov  8Jt.  Msöio- 
Xävcov.  3)  4i^i(fLXoylov  sjt.  'Jxoviov.  4)  Avaoraoiov  ijt.  Av- 
riox^iccg  [f  598,  vgl.  Dictionary  of  Christian  biography,  ed.  by 
Smith  and  Wace,  I.  1877,  p.  109^,  1].  5)  AjtoXXivaQiov  hjt. 
AaoÖLxdaq.  6)  ^4ttixov  hji.  Kcovotavr LvovjtolEcoq  [f  426,  Dic- 
tionary, I  p.  207].  7)  Asriov  Agsiarov.  8)  BaöiXslov  f/eyäXov 
sjc.  KaiOaQHag.  9)  rtlaölov  ijc.  Kaioagdag  IlalaiGThnjQ  [senior, 
f  vor  395,  Dictionary  IL  1880,  p.  621,  vgl.  Canisius-Basnage  I, 
p.  554].  10)  Tgt/yoglov  ^av^uarovQjov.  11)  rQtjyoQiov  AaC,tav- 
^7]vov  rov  d^soXojov.  12)  rQ7/yoQiov  £jc.  NvoorjQ.  13)  Aiado- 
Xov  Ix.  fPcoTixr/g  'lljcdgov  [ca.  450,  Dictionary  I,  823].  14)  Jio- 
jwoiov  Iji.  l4{^r/vmv  Agsiojcayitov.  15)  Elgi^valov  Agxaöov 
[ca.  500,  Dictionary  III.  1882,  p.  282  Nr.  11].  16)  "Ejtiffaviov 
KvjcQov.  17)  Evaygiov  rov  kJcixaTagärov  [der  im  sechsten 
Jahrhundert  vielfach  genannte  Origenist  muss  gemeint  sein,  der 
Zeitgenosse  des  Hieronymus:  vgl.  über  ihn  R.-E.-  IV,  421  f.]. 
18)  Evßicovog  [in  der  Doctrina,  p.  68  unter  dem  Gesamttitel 
XQt'/oeig   &£00Tvy(5v   aiQsrixSv    richtig:    'Eßlojvog]"^).     19)  Ev- 


*)  Auf  diese  Citate  legt  Hilgenfeld  grosses  Gewicht  bei  seinem 
Versuche,  den  mythischen  Ebion  zu  einer  geschichtlichen  Grösse  zu  machen 
(Ketzergeschichte,  437  sqq.,  vgl.  Zeitschrift  für  -wässenschaftl.  Theol.  1SS6, 
Heft  4,  S.  415).  Ich  kann  dieselben  doch  nur  für  Fälschungen  oder  für 
falsch  überschriebene  Stücke  ansehen,  die  orthodoxerseits  dem  alten  Ketzer 
untergeschoben  sind,  um  „unter  seinem  Namen  den  Monotheletismus  ab- 
scheulich zu  machen*  (vgl.  Hilgenfeld,  Ketzergeschichte,  438).  Sehr 
beachtenswert  ist,  dass  dies  Urteil  über  die  Ebioncitate  auch  die  Zuver- 
lässigkeit der  wichtigen  Citate  verdächtigt,  welche  die  Doctrina  angeb- 
lich aus  Paul  von  Samosata  beibringt  (vgl.  Harnack,  R.-E. 2  X,  l'J4tf.). 

Texte  u.  UnterBuchungen.  III,  1.  7 


98  Zweites  Capitel. 

ßovXov  In.  ÄvQycov  [wohl  ein  Lesefehler  L ab be's  für  .Ivötqcov. 
vgl.  Doctrina,  p.  31;  Eubulus  von  Lystra  lebte  ca.  621,  vgl. 
Dictionary  11,  p.  243  Nr.  5].  20)  Evöo^iov  tJi.  KcovoravtL- 
vovxoXscog  jiQsiavov.  21)  Evloylov  hjt.  uiXs^avÖQStag  [f  607, 
vgl.  Dictionary  II,  283  Nr.  14].  22)  Evvofiiov  sji.  BEQQorjg 
[ߣ()o//;c  Doctrina,  p.  71j  0Qaxr/g  [lebte  zwischen  370  und  451, 
ein  Apollinarist,  vgl.  Dictionary  II,  p.  290  Nr.  5].  23)  Evota- 
^lov  ejc.  jivTLoyidaq.  24)  EvOta&LOV  ijt.  BrjQvrov  [ca.  450,  vgl. 
Dictionary  II, p. 388, Nr.  22].  2hynUov  cpiXooöfpov [d.  Fabricius- 
Harles  XI, 616,  Zeit  unbekannt,  doch  nach  300].  26)  'llQaxXsucpov 
[B.  von  Chalcedon,  von  Maximus  confess.  citiert,  Dictionary  II, 
901  Nr.  6;  Canisius-Basnage  II,  254:  anno  599].  27)  Oefit- 
öxiov  ayvdixov.  28)  ßsodorov  Ijc.  l4yxvQag  [saec.  V,  Fabricius- 
HarlesX,512].  29) Öeodorou  £jt.l4vTioxdag[sa.ec.Y,Fahricins- 
Harles  X,  515].  30)  (-JeoÖcoq'ixov.  31)  ßsoöcoQov  tjc.  Moipov- 
soriag.  32)  Osoöcoqov  IltQOov  NeoroQiavov  ['?].  33)  Geoöco^ov 
"Pati^-ovc  [saec.  VII  med.,  Fabricius-HarlesX,  p.430sq.].  34)6'£o- 
(piXov  8Ji.  'AXe^avÖQstag.  35)  ^lyvaxiov  xov  {^tog)6Qov.  36)  Jjcjto- 
Xvxxov  sjt.  xov  JIÖqxov  tf/ow  xov  Xi//£vog  Pcofitjg  xal  fiaQ- 
xvQog.  37)  %vXica'ov  xov  AXixagraootojg.  38)  lovXiavov 
ptad^ijxov lijioXXivaQiov  [ein  Zeitgenosse  des  Polemo,  saec.  IV  ex., 
vgl.  Doctrina,  p.  70].  39)  %vXuov  Ijt.  Pcofirjg  [ep.  ad  Prosdoc. 
als  jtQog  'Axaxiov  citiert,  cf.  Muratori  bei  Migne  P.  L.  8, 
col.  949].  40)  'lovoxLviavov  löixxov.  41)  %vGxivov  (fiXooocpov 
xal  fcccQxvQog.  42)  'loidcoQOv  üiQ£6ßvxtQ0v  [=  Dictionary  III, 
p.  320  Nr.  34  oder  42?].  43)  'Jcoavvov  XQvöoaxofiov.  44)  Ico- 
avvov  £ji.  AvxLOisiag  [der  Zeitgenosse  Cyrill's  von  Alexandrien]. 
45)  'Icoävvov  YQaf/fiaxixov  [Philoponus,  saec.  VI].  46)  'icoavvov 
£jt.  2xv{ho.7t6X£03g  [Dictionary  III,  p.  494  Nr.  363,  saec.  VI  in.,  vgl. 
unten  §  18].  47)  KXi)[^i£VTog  xov  ^xQcof(ax£03g.  48)  KX7/ii£vxia 
Ueqöov  xov  xoQvcpaiov  xmv  ajtoOx6X£cov  £x  xcöv  KXrjfiEvxicov 
(sie!).  49)  KoXXov&ov  xov  aiQ£xixov  [Monophysit,  vor  649,  vgl. 
Dictionary  I,  596  Colluthus  Nr.  3].  50)  KvqlXXov  uqueji.  AXe^. 
51)  KvqlXXov  £jt.  ^QOooXvfzcor.  52)  Kvqov  ejc.  Ovavcov  [Mono- 
physit, cf.  Doctrina,  p.  72,  saec.  V  vel  VI].  53)  Aeovxiov  fio- 
vajpv  xov  Bvlßvxlov.  54)  Aiovxog  eüi.  '^Pojfir/g.  55)  Aovxiov 
AX£$,av6Q£(x>g  'AQEiavov  [Arianischer  ß.  v.  Alex,  bis  378,  vgl. 
Dictionary  III,  p.  753  Nr.  11].  56)  Ma§ifiov  ^ova^ov  t}  dßßä 
ofioXoytjXov  [f  13.  Aug.  662].    57)  Malov  xov  fivoaQov  IIeqgov 


§  7.    Die  sog.  jAntiquorum  patium  doctrina  de  verbi  incamatione".     99 

[Manes  ist  gemeint,  Marov  ist  zu  lesen,  vgl.  Doctrina,  p.  17: 
MavtvTOQ  rov  uvoagov  und  p.  69:  Marov  BtQOov  xtX.].  58)  Mc(Q- 
xov  aox7jTOV  [6  ütoXvO^QvXXrixoQ  doxr^zTJg  nach  Niceph.  Call., 
saec.  V,  vgl.  Dictiouary  III,  p.  826  Nr.  14].  59)  Msd^odiov  aji. 
IIuraQmv.  60)  Movrarov.  61)  NtöTogiov  ex.  Kcovoravxiv. 
62)  Ilafjffikov  [B.  V.  Abydene,  saec.  V,  cf".  Canisius-Basnage 
11,  p.  253  not.].  63)  UavP.ov  2!afw6artcoc.  64)  Uo^Jf/covog 
Tov  övoötßovg  fia&tjTov  l4:;ioVuva(iiov  [saec.  IV].  65)  ügöxlov 
(XQyiejt.  EcovotavTiv.  [f  447].  66)  ^Jeß/jQiavov  tjt.  Fußakcav 
[Zeitgenosse  des  Chrysostomus,  Fabricius-Harles  X,  p.  507]. 
67)  ^sßf'/Qov  TOV  övoOEßovg.  68)  ^zecpäpov  rov  (piXoootpov 
[Peripatetiker,  vgl.  Doctrina,  p.  58,  anscheinend  Zeitgenosse  des 
sub  Xr.  25  erwähnten  Elias,  cf.  Fabricius-Harles  111,  p.  505]. 
69)  ^vvoöog  Iv  ^E(f,tocp.  70)  ^cvoÖog  TsraQzrj.  71  Exi^eoig 
xöjv  Tir/  tq'uov  naxiqcov  x(öv  Iv  ISixcäa  xaxu  Uavlov  ^Ufio- 
Oaxtojg  [von  Mai,  vet.  Script,  nov.  coli.  VII,  p.  162  „ex  antiquo 
codice  vaticano"  publiciert:  offenbar  eine  apollinaristische  Fäl- 
schung]. 72)  "Exß-eOig  jrioxecog  xiov  qv  ay'uov  jiaxtQODV  [cf. 
Harnack  R.-E.^  VIII,  212  ff.].  1^)  "ÜQog  x7]g  Iv  Xalxi]6l)VL 
ovvööov.     74)  Ttfio&tov  xov  Allovgov. 

Hinter  diesem  Autorenverzeichnis  bemerkt  Labbe  endlich 
noch,  dass  er  den  Johannes  Damascenus  als  Autor  der  besproche- 
nen Sammlung  nicht  ausgeben  möge,  da  seine  Handsclu'ift  nirgends 
den  Namen  des  Daraasceners  trage  (codex  .  .  .  Damasceni  nomen 
nullibi  adscriptum  habet). 

Aus  diesen  Angaben  Labbe 's  erhellt  sogleich  ein  Doppeltes: 
1)  die  Ixloyt)  yx^ifiton'  Labbe's  ist  allerdings  mit  derjenigen, 
die  Mai  in  seinen  codd.  Column.  und  Vatic.  fand,  nahezu  identisch, 
jedoch  ist  2)  Labbe 's  cod.  Claromont.  von  den  Mai'schen  codd. 
verschieden.  Letzteres  folgt  daraus,  dass  von  den  41  Capp.  des 
cod.  Claromont.  nur  die  ersten  40  im  cod.  Column.  sich  wieder- 
finden, während  andrerseits  dem,  was  auf  cap.  40  im  cod.  Column. 
folgt,  im  Claromont.  nichts  entspricht.  Der  zweite  cod.  Vai,  der 
Mai  zu  Gebote  stand,  enthält  offenbar  nicht  einmal  40  Capp., 
kann  also  keinesfalls  mit  dem  Claromont.  identisch  sein. 

Wir  haben  also  drei  codd.  der  Doctrina  patrum,  denVatic- 
Column.,  den  Vatic.  und  den  Claromontanus.  —  Aber  haben  wir 
letzteren  wirklich  noch? 

Die    reiche   Bibliotliek    des   Colleijium  Claromontanum    der 


IQQ  Zweites  Capitel. 

Pariser  Jesuiten  ist  mit  getroffen  von  den  Schlägen,  die  den 
Jesuitenorden  im  vorigen  Jahrhundert  trafen.  Als  der  Orden 
durch  Parlamentsbeschluss  vom  6.  August  1762,  den  ein  könig- 
liches Decret  vom  December  1764  zwar  formell  cassierte,  aber 
inhaltlich  bestätigte  (R.-E.^  VI,  632),  in  Frankreich  aufgehoben 
war,  ist  die  Bibliotheca  Claromontana,  nachdem  noch  im  Jahre 
1764  ein  Auctionskatalog  ausgegeben  war  [dessen  ich  nicht  hab- 
haft werden  konnte],  nach  mehreren  Seiten  hin  zerstreut.  Einen 
grossen  Teil  wertvoller  Manuscripte  kaufte  (vgl.  für  das  Fol- 
gende Gras,  Elogium  Johannis  Meermanni,  Amsterdam  und  Haag 
1817)  ein  reicher  und  gelehrter  niederländischer  Jurist,  der  1769 
von  Joseph  IL  geadelte  Gerard  Meerman  (f  1771).  Dessen 
Sohn,  der  in  Deutschland  gebildete,  durch  sein  gelehrtes  Inter- 
esse, seine  Reisen  und  seine  Bibliothek  mehr  noch  als  durch 
seine  eignen  Bücher  in  ganz  Europa  s.  Z.  bei  den  Gelehrten  be- 
kannte Johann  Meerman,  „Heer  vanDalem  eu  Vureu"  (f  1815), 
hat  seines  Vaters  Bücherschätze  noch  vermehrt.  Doch  er  starb 
kinderlos.  Ein  vierljändiger  Auctionskatalog  (Bibliotheca  Meer- 
manniana  sive  catalogus  libroruni  impressorum  et  codicum  ma- 
nuscriptorum,  quos  etc.,  Leyden  und  Haag,  sine  anno)  kündigte 
den  Verkauf  der  Bibliothek  an  auf  den  8.  Juni  bis  3.  Juli  1824. 
Bei  dieser  Auction  ist  auch  die  Bibliotheca  Meermanniana  nicht 
beisammen  geblieben.  Einen  grossen  Teil  der  Handschriften 
kaufte  aus  zweiter  Hand  der  gelehrte  Sir  Thoraas  Phillip ps  in 
Middlehill,  dessen  Bibliothek  jetzt  in  den  Besitz  des  Herrn  John 
E.  A.  Fenwick,  Esq.,  in  Cheltenham,  übergegangen  ist  Ein 
Gesamtkatalog  dieser  Bibliotheca  Phillippica  ist  nicht  vorhan- 
den. Eine  Übersicht  nur  giebt  Haenel  in  Catalogi  librorum 
mss.,  qui  in  bibliothecis  Galliae,  Helvetiae,  Belgii,  Britanniae  .... 
asservantur.  1830,  p.  8U3sqq.  sub  voce  Middlehill.  Doch  existieren 
eine  Reihe  kleinerer,  von  Sir  Thomas  Phillipps  herausgegebener 
Kataloge,  die  im  British  Museum  in  einem  Sammelbande  vereinigt 
sind.  An  zweiter  Stelle,  mit  Vorrede  von  1829,  findet  sich  der 
Katalog  der  ,  Codices  manuscripti  ex  Bibliotheca  |  Meermanni  | 
Hagae  comitis  |  olim  ex  Bibliotheca  collegii  societatis  Jesu  j 
Claromontani,  Parisiis  |  quorum  pars  |  ex  celeberrimo  monasterio 
Corbeiensi  prope  Ambianos  |  nunc  in  Bibliotheca  Phillippica  etc.*). 

*)  Erst  bei  der  Correctur  ersehe  icli  aus  der  „Theologischen  Litera- 
turzeitung"  vom  16.  Octobgj;.4€00 ,  düjui»^4ie  obigen  Ausführungen  inzwi- 


§  7.    Die  sog.  „Antiquorum  patrum  doctrina  de  verbi  incarnatione".     JQl 

Ein  andrer  Teil  der  Meer  man 'sehen  Handschriften  hat  in  Ox- 
ford eine  bleibende  Stätte  gefunden.  Bei  denjenigen  Hand- 
schriften der  Bodleiana,  welche  im  Katalog  als  früher  Meer- 
m  an 'sehe  bezeichnet  werden,  ist  deshalb  eine  Herkunft  aus  dem 
Collegium  Claromontannm  möglich.  Eine  solche  Handschrift 
ist  der  cod.  miscellaneus  184  (Meerman,  Auct.  T.  1,  6),  mem- 
branac.  in  fol.,  ff.  191,  saec.  XIII  ineuntis;  bene  scriptus  et  con- 
servatus.  Der  cod.  enthält  nach  Coxe,  catalogi  codd.  mss.  Biblio- 
thecae  Bodleianae  I,  p.  738 sq.  Folgendes: 

1)  f.  1  sqq.:  Dialectica  quaedam,  praecipue  ut  videntur,  ex 
Joanne  Damasceno  confecta. 

2)  fol.  18 sqq.:  Theologica  ex  eodem  de  fide  orthodoxa  par- 
tim desumpta. 

3)  fol.  o3-fin.  löyoi  ayicav  jcarsQCOv,  rjyovv  exXoyal  xqV^^ojp 
öl  cor  Tfjv  '6h]V  rriq  djioöToXixr/g  txyJj]Oiag  66^av  6a(pcöq  öi- 
Öa0x6[i£d-a,  xo  TS  xrjg  d-EoXoyiag  cprjfu  x/'/Qvyfia  xal  rijg  ß-slag 
oixovofiiag  rcöv  Zoycop  [lies:  top  X6yov\  xal  xmv  clXXcov  oq&cöp 
Tijg  IxxXrioiag  SoyuccTcov  Ttjv  axgißiiccv. 

Es  ist  dies  derselbe  Codex,  der  in  der  Bibliotheca  Meer- 
manniana,  tom. IV  [sivecatal.  codicum  manuscriptorum]  p.  14sq., 


sehen  einen  Teil  ihrer  Bedeutung  verloren  haben.  Deshalb  nämlich  bin 
ich  oben  auf  das  Geschick  der  Claromontana  genauer  eingegangen,  als 
es  zunächst  nötig  war,  weil  wir  im  zweiten  Buche  bei  der  Kritik  des 
„Aeovxlov  TtQeaßvtirQOV  xal  loiävvov  tüjv  Isqcöv  ßißXlov'^  (vgl  obenS.  11) 
noch  einmal  der  Frage  gegenüber  gestellt  werden,  wo  ein  cod.  Claromon- 
tanus,  der  berühmte  cod.  Rupefucaldinus  der  Parallelen  des  Johannes  \  on 
Damascus,  geblieben  sei.  Auch  dieser  Codex  ist  von  Meerman  gekauft; 
ausdrücklich  als  einstiges  Geschenk  des  Cardinais  Rochefoucault  (Rupe- 
fucaldus)  bezeichnet,  wird  er  in  dem  Katalog  der  Meermanniana,  tom  IV, 
p.  13  unweit  des  Codex,  um  den  es  oben  sich  handelt,  sub  Nr.  94  auf- 
geführt. Da  nun  Sir  Thomas  Phillipps  und  ebenso  Haenel  bei  den 
früher  Me  erman'schen  Mss.  der  Philippica  stets  die  Signatur  der  Meer- 
manniana angeben,  so  ist  selbst  bei  Haenel,  p.  832  ersichtlich,  dass  der 
cod.  Rupefucaldinus  in  dem  cod.  Philippicus  1450  in  Cheltenham  zu  suchen 
ist.  Eben  dies  nun  hat,  wie  ich  sehe,  Harris,  Fragments  of  Philo  Ju- 
daeus,  Cambridge.  1886,  inzwischen  festgestellt.  Ich  kann  mich  des  nur 
freuen.  Denn,  als  ich  Ostern  1884  selbst  in  Cheltenham  war,  wusste  ich 
von  dem  cod.  Rupefucaldinus  noch  nichts;  mein  jetziges  Wissen  um  den 
Verbleib  des  Codex  war  deshalb  ebenso  unfruchtbar,  als  Harris'  Mittei- 
lungen lehrreich  sind. 


102  Zweites  Capitel. 

sub  Nr.  109  als  „Collectio  philosophica  et  theologica,  ex  variis 
auctoribus  ac  de  diversis  argumentis"  aufgeführt  wird:  „In 
niembr.  saec.  XII,  fol.  191;  infine  uonnuUa  perierunt;  ligat.  anti- 
qua/'  Der  Titel  sub  3  ist  bis  auf  zwei  variae  lectiones  {txloyal 
für  IxXoyri^  rmv  Zoywv  für  top  Xhyov)  identisch  mit  dem  Titel 
der  Mai'schen  Doctrina  patrum.  Auch  einen  Index  operis 
enthält  der  cod.,  gleichwie  der  Vatic.-Columnensis:  „Titulos  capi- 
tum,  sagt  der  Katalog,  evulgavit  Angelus  Majus  in  Script."  etc. 
Doch  findet  sich  hier  alles  das  nicht,  was  bei  Mai  nach  Titel  40 
folgt,  dagegen  ein  Cap.  41:  öiätpoQoi  ajtoöei^sig  xal  juaQrvQiai 
T(5v  aylcov  jiartQmv  jieqL  sixotwjr,  welches,  wie  oben  schon 
bemerkt,  in  Mai's  Doctrina  fehlt.  Dies  Alles  scheint  zu  der 
Annahme  zu  nötigen,  dass  wir  hier  Labbe's  cod.  vor  uns  haben. 
Dass  Labbe  fol.  1 — 33  der  Handschrift  zusammengefasst  haben 
müsste,  steht  der  Annahme  nicht  im  Wege.  Dagegen  stimmt 
das  Autorenverzeichnis,  das  Coxe  zusammengestellt  hat,  nicht 
völlig  mit  dem  Labbe's.  Von  den  67  Namen,  die  Coxe  nennt, 
fehlen  bei  Labbe:  Eusebius,  Felix  [papa  Rom.]  und  Sophronius, 
dagegen  finden  sich  bei  Labbe  mehr:  1)  Ebion  (oben  18),  2)  Igna- 
tius  (oben  35),  3)  Julian,  der  Apollinarist  (oben  38),  4}  Cja-ill 
von  Alex.,  5)  Montanus,  6)— 10)  die  oben  unter  Nr.  69 — 73  ge- 
nannten Syuodalbeschlüsse.  Die  übrigen  64  Namen  sind  iden- 
tisch. Scheinbare  Abweichungen  beruhen  auf  Versehen:  der 
Gregorius  Magnus  bei  Coxe  entspricht  zweifellos  dem  Gregorius 
Thaumaturgos  bei  Labbe,  der  Petrus  Coryphaeus  den  wunder- 
baren Angaben  oben  unter  48.  Die  erstgenannten  Abweichun- 
gen —  Bodleian.  =  64  +  3x,  Claromont.  =  64  +  10  y  —  wür- 
den genügen,  die  Verschiedenheit  der  codd.  Ciarom.  und  Bodleian. 
festzustellen,  wenn  sie  selbst  mit  Sicherheit  constatiert  wären. 
Allein  so  gewiss  die  5  Synoden  von  Coxe  nur  aus  formellen 
Gründen  nicht  genannt  sein  werden,  und  so  gewiss  Cyrill  von 
Alexandrien  lediglich  vergessen  sein  muss,  so  gewiss  können  die 
drei  andern  Auslassungen  nichts  beweisen.  Und  dass  auch  bei 
Labbe  drei  Namen  unbeachtet  geblieben  seien,  wird  niemand 
für  unglaublich  halten,  der  selbst  einmal  Verzeichnisse  derart 
zusammengestellt  hat.  Freilich  erledigen  lässt  sich  die  Frage  nur, 
wenn  man  Labbe's  Büchlein  selbst  mit  dem  cod.  Bodl.  selbst 
oder  den  Katalog  der  Claromontana  von  1764  mit  dem  der  Meer- 
manniana  vergleichen  kann;    als   sehr  wahrscheinlich   aber  darf 


§  7.    Die  sog.  jAntiquorum  patrum  doctrina  de  verbi  incamatione".     103 

ich  es  wohl  hinstellen,  dass  Labbe's  cod.  Ciarom.  noch  heute  im 
Bodl.  misc.  184  uns  erhalten  ist. 

Noch  nach  einem  vierten,  schon  gedruckten  Codex  haben  wir 
uns  umzusehen,  ehe  wir  nach  der  Zeit  und  nach  dem  Verfasser 
der  Doctrina  fragen,  nach  dem  Codex,  aus  welchem  Turrianus 
die  bei  Canisius-Basnage  II,  1,  p.  250 — 260  publicierten  Col- 
lectauea  übersetzt  hat.  Alle  Angaben  über  den  Codex  fehlen;  ob 
das  Gebotene  eine  vollständige  Übersetzung  der  in  der  Hand- 
schrift vorhandenen  Sammlung  ist,  oder  ein  Auszug  aus  dersel- 
ben, wird  nicht  gesagt.  Nur  von  Harduin  (opera  selecta  p.  239, 
not.  5  und  p.  243)  hören  wir,  jene  Sammlung  des  Turrianus  sei 
identisch  mit  der  des  cod.  Claromont.  Wir  sind  deshalb  ge- 
nötigt, die  Sammlung  des  Turrianus  selbst  nach  ihrem  Verhält- 
nis zu  der  Ixloy^i  der  codd.  Vatt.  und  Ciarom.  zu  fragen. 

Der  Titel  p.  253:  „Collectanea  quaedam  incerti  auctoris 
contra  Severianos  et  Acephalos"  findet  sich  in  keinem  der  andern 
codd.  Das  „quaedam",  welches  in  dem  vor  der  Vorrede  Bas- 
nage's  befindlichen  Titel  p.  250  fehlt,  weist  darauf  hin,  dass 
der  Titel  von  Turrianus  herrühre.  Auch  die  Nennung  der  Ace- 
phali  neben  den  Severiani  macht  dies  wahrscheinlich,  denn 
mit  dem  altern  Namen  der  Acephali  wurden  von  den  Alten  die 
Severianer  selbst  bezeichnet  (vgl.  die  oben  besprochene  tJiiZvOig 
bei  Migne,  P.  G.  86,  2,  col.  1915ff.:  der  severianische  Collocutor 
wird  stets  als  axtg:aXog  eingeführt). 

Das  erste  Citat  des  Textes:  „Severus  in  libro  contra  Caesa- 
reum"  deckt  sich  mit  dem  in  Mai's  Doctrina,  p.  12^,  Z.  7  v.  u, 
bis  p.  13^  gedruckten.  Auch  bei  Canisius  folgt  dann  das  Citat 
aus  Pamphilus,  darauf  der  Abschnitt  jisgl  öiacfOQÜq  ovolag  xal 
fpvOEmg^  endlich  das  Pamphiluscitat  jcsql  vjioozäosojg;  kurz  alles 
bei  Mai  bis  zum  Schluss  von  cap.  VI  (p.  \4^)  Gedruckte.  Dem 
schliesst  sich  bei  Canisius  das  Citat  an,  welches  bei  Mai  dem 
ersten  des  Canisius  vorangeht  (Mai,  p.  12%  Z.  4  v.  u.  bis  zu  der 
auf  p.  12''  von  Mai  bezeichneten  Stelle). 

Sodann  beginnt  bei  Canisius  ein  neuer  Abschnitt,  dem 
diesmal  eine  besondere  Überschrift  vorangesetzt  ist.  Diese  Über- 
schrift ist  identisch  mit  den  ersten  6  Zeilen  des  Titels  von  cap.  IX 
der  Mai'schen  Doctrina  (s.  den  Index,  Mai,  p.  1).  Dabei  ist 
zu  beachten,  dass  nach  Labbe,  conspectus  novae  editionis  etc., 
p.  47  im   cod.  Ciarom.   die   Lemmata    des  Index   im  Texte   rot 


104  Zweites  Capitel. 

wiederholt  waren.  Von  dem,  was  unter  diesem  Titel  bei  Cani- 
sius  folgt,  ist  nur  das  erste,  zweizeilige  Citat  aus  Gregor  von 
Nazianz  —  es  ist  mehr  ein  Referat  als  ein  Citat:  „Greg.  Naz. 
de  spiritu  sancto  probat  commentitium  esse  unam  naturam  ex 
divinitate  et  creatura  compositam  esse"  —  bei  Mai  nicht  zu 
finden;  Mai  giebt  eben  nur  die  Teile  der  Doctrina,  „quae  ad  de- 
perdita  patrum  opera  pertinent"  (Vorrede  p,  V):  alles  Übrige, 
was  bei  Canisius  auf  p.  255  und  25(3  folgt,  steht  in  derselben 
Reihenfolge  bei  Mai,  p.  15''  bis  p.  18%  Z.  12  v.  o.;  nur  sind  die 
beiden  ersten  Citate  aus  Cyrill  und  Ambrosius  bei  Canisius 
teils  länger  [Cyrill citat],  teils  kürzer  [Ambrosiuscitat]  als  bei  Mai. 

Es  folgt  dann  bei  Canisius  (vgl.  255^)*)  der  Titel  von 
cap.  X  der  Mai 'sehen  Doctrina.  Von  den  ersten  3  Citaten 
steht  das  erste  vollständiger,  das  dritte  aus  Cyrill  unvollständiger 
bei  Mai  an  der  gleichen  Stelle  (p.  18),  von  dem  zweiten  (Chry- 
sostomus  ad  Caesarium)  wissen  wir  aus  Harduin,  a.  a.  0.,  p.  239, 
dass  es  im  cod.  Ciarom.  stand. 

Die  beiden  bei  Canisius  folgenden  Abschnitte  sind  geeignet, 
uns  über  die  Natur  dieser  Collectanea  des  Turrianus  aufzuklären. 
Der  zweitfolgende  Abschnitt  nämlich,  „Ex  Eulogio  Alexandrino", 
findet  sich  genau  so  im  elften  Cap.  der  Doctrina  (Mai,  p.  18 sq.). 
Was  zwischen  dem  letzten  aus  dem  zehnten  Cap.  erwähnten  Citat 
[„Cyrillus  de  fide"]  und  diesem  Eulogiuscitat  sich  findet,  der  Ab- 
schnitt, über  welchem  „Ejusdem  ad  Orientales''  als  Überschrift 
steht,  ist  nur  in  den  ersten  beiden  Zeilen  ein  Citat  aus  dem  an- 
gezeigten Briefe  Cyrill's  (ep.  XXXIX  ol.  XXXIV,  Migne,  P.  G. 
77,  col.  180B).  Das  Übrige  rührt  von  Turrianus  her  (vgl.  das 
„a  nobis  excussum"  in  der  drittletzten  Zeile),  und  ist  ein  kurzes 
Referat  über  den  Rest  des  zehnten  Cap.,  ein  Referat,  in  welchem 
Turrianus  zugleich  den  Übergang  macht  zu  cap.  XI,  dessen 
Titel  (s.  Mai,  p.  1)  durch  die  Worte  des  Turrianus  hindurch- 
klingt. Gleichzeitig  zeigt  der  Abschnitt,  mit  welch  geringem 
Mass  von  Sorgfalt  und  Überlegung  Canisius  die  ihm  übergebe- 
nen  schedulae  des  Turrianus  abgedruckt  hat:  den  letzten  Satz 
des  Abschnitts  kann   auch   Canisius   nicht   verstanden  haben, 


*)  In  der  Paginierung  sind  hier  bei  Canisius  einige  Irrtümer  ent- 
standen: p.  251  und  252  fehlen,  255  und  256  finden  sich  doppelt,  ohne 
dass  im  Text  Auslassungen  oder  Wiederholungen  sich  finden. 


§  7.    Die  sog.  ,  Antiquorum  patrum  cloctrina  de  verbi  incarnatione".     [05 

aber  er  hat  drucken  lassen,  was  er  entziffert  zu  haben  meinte: 
„Ejusdem  circa  finem,  ejusdem  cap.  has  nos  communes,  et  unitas 
TJjg  olorrjroq,  id  est,  universitatis  etc."   (sie!). 

Bedenkt  man  nun,  dass  Turrianus  (f  1584),  der  noch  in 
späterem  Lebensalter  selbst  Jesuit  wurde,  dem  1561  gegründeten 
Collegium  Claromontanum  der  Pariser  Jesuiten  (vgl.  R.-E.'-  VI, 
624)  nahe  stand,  bedenkt  man  weiter,  dass  Harduin,  welcher 
die  Identität  der  Sammlung  des  Claromont.  und  der  des  Turrian 
behauptet,  selbst  ein  Pariser  Jesuit  war,  mithin  über  die  Her- 
kunft des  cod.  Claromont.  Bescheid  wissen  konnte,  so  scheint  die 
Identität  des  von  Turrianus  benutzten  Codex  und  des  cod.  Claro- 
mont. nach  allem  bisher  Ausgeführten  so  wahrscheinlich,  dass 
die  Wahrscheinlichkeit  fast  zar  Gewissheit  wird.  Das  wenigstens 
ist  gewiss,  dass  die  Collectanea  des  Turrianus  ein  Auszug  aus 
einer  Handschrift  sind,  welche,  soweit  nach  dem  zu  urteilen  ist, 
was  Turrianus  mitteilt,  ihrem  Inhalt  nach  mit  dem  Ciarom. 
sich  deckte. 

Von  dem,  was  auf  die  letzterwähnte  Eulogiusstelle  bei  Ca- 
nisius  noch  folgt,  ist  freilich  nur  ein  Teil  bei  Mai  in  der 
Doctrina  nachweisbar:  p.  256  „contra  particularem"  etc.  =  der 
zweiten  Hälfte  der  avrid^EOig  Mai,  p.  19  sq.;  p.  257:  .Eusthatii 
ep.  Beryti"'  =  Mai,  p.  25;  p.  258  sq.  der  Abschnitt  „Quod  in  crea- 
turis"  etc.  bis  „Anastasius  contra  öicaxrjTrjv''''  (excl.)  =  Mai, 
cap.  XXVI,  p.  51  bis  ,,ovoiaq'\  p.  52  vor  cap.  XXVII;  der  Rest 
bei  Canisius  ist  ohne  Parallele  bei  Mai.  Doch  da  auch  Mai 
nur  einen  Auszug  giebt,  und  überdies  Schollen,  wie  das  zweite 
auf  p.  259,  im  cod.  Ciarom.  gestanden  haben  können,  auch  wenn 
sie  im  Vatic.-Column.  fehlen,  so  kann  dieser  Umstand  nichts 
beweisen.  Im  Gegentheil  machen  die  letzterwähnten  Parallelen 
auch  aus  dem  26.  Cap.  der  Doctrina,  sowie  die  Identität  des 
ersten  Scholion  auf  p.  259  mit  dem,  welches  bei  Mai  p.  52  die 
Auszüge  aus  dem  26.  Cap.  abschliesst,  die  Identität  des  cod.  Tur- 
riani  und  des  Claromontanus  zu  einer  fast  notwendigen  An- 
nahme. Die  Collectanea  des  Turrianus  können  daher  nur  als 
Mitteilungen  über  den  cod.  Claromont.  künftig  noch  Wert  haben; 
selbständige  Bedeutung  haben  sie  nicht. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  der  Verfasserfrage,  so  ist  dieselbe 
bald  erledigt.  Die  uns  beschäftigende  Ixloyt)  XQit]Os<x)V  trägt  in 
keiner   der    Handschriften    einen  Verfassernamen    (s.    über    die 


jQß  Zweites  Capitel. 

beiden  codd.  Vatt.  Mai,  praef.  p.  V;  über  den  cod.  Claromont. 
Labbe,  conspectus  etc.  p.  54,  Canisius  -  Basnage,  p.  250, 
Coxe,  Catalogi  etc.  I,  p.  738).  Wenn  Mai  nun  darin  Recht 
hat,  dass  die  Ansicht,  ein  „Anastasius  presbyter"  sei  der  Ver- 
fasser, auf  Sirmond's  „varia  scholia"  zurückgeht,  so  ist  diese 
Ansicht  wertlos.  Sirmond  erwähnt,  wenn  man  sich  auf  die  In- 
dices  der  fünf  Fohanten  umfassenden  Sammlung  seiner  opera 
varia  (Paris  1696)  verlassen  kann,  die  txXoyt)  yQrjOscov  des  cod. 
Ciarom.  nur  in  den  Anmerkungen  zu  seiner  Ausgabe  des  Fa- 
cundus  pro  defensione  trium  capit.,  tom.  II  der  opp.  varia 
p.  429,  430,  512,  655,  656,  696,  738,  751,  763,  777.  An  allen 
diesen  Stellen  citiert  Sirmond  die  txloyrj  xq7]oe(dv  als  „Ana- 
stasius (presb.)  in  ecloge",  ohne  je  eine  Bemerkung  darüber  zu 
machen,  woher  er  den  Verf  kennt.  Harduin  macht  es,  wie 
schon  erwähnt,  ebenso.  Es  ist  ja  möglich,  dass  beide  einen  von 
anderen  geführten  Beweis  kannten,  den  sie  anzuführen  vergassen; 
aber  ebenso  möglich  ist,  dass  ursprünglich  eine  Verwechselung 
oder  sonst  irgend  ein  Irrtum  die  Quelle  dieser  von  dem  einen 
Forscher  dem  andern  entnommenen  neuen  Erkenntnis  ist.  Solange 
diese  letztere  Möglichkeit  nicht  als  unwirklich  erwiesen  ist,  muss 
die  Doctrina  patrum  als  ein  anonymes  Werk  gelten. 

Mit  der  Zeitfrage  sind  wir  also  lediglich  auf  den  Inhalt  der 
tTcXoyi]  angewiesen,  und  aus  ihm  ist  auch  die  Zeit  des  Verfassers 
sehr  wohl  zu  erkennen.  Der  jüngste  der  citierten  Autoren  ist 
Maximus  Confessor  (f  662);  die  Zeit  der  monergistischen  und 
monotheletischen  Streitigkeiten  spiegelt  sich  deutlich  in  dem  In- 
dex der  ersten  40  Capp.  und  in  dem,  was  Mai  aus  dem  Texte 
selbst  mitteilt.  Weiteres  ergiebt  sich  aus  einer  Vergleichung 
des  cod.  Vatic.-Column.  und  des  Claromont.  (Bodleianus).  Umfasst 
die  Sammlung  im  cod.  Ciarom.  41  Capp.,  nämlich  die  40  Capp., 
welche  den  cod.  Vatic.-Column.  eröffnen,  und  ausserdem  das  auf 
die  Bilderverehrung  Rücksicht  nehmende  41.  Cap.,  welches  bei 
Mai  fehlt,  so  ergiebt  sich  hieraus: 

1)  Was  bei  Mai  auf  cap.  40  folgt,  ist,  wie  Mai  schon  be- 
hauptete, ausser  allem  Zusammenhang  mit  der  Doctrina. 

2)  Cap.  41  des  cod.  Ciarom.  gehört  gleichfalls  nicht  in  das 
ursprüngliche  Werk.  Die  Sammlung  ist,  das  beweist  auch 
das  Fehlen  aller  XQijöHq  aus  Johannes  Damascenus,  vor  den 
Bilderstreitigkeiten   entstanden;    doch  liegt   sie  im   cod.  Ciarom. 


§  7.    Die  sog.  „Antiquorum  pafcrum  doctrina  de  verbi  incarnatione".     JOT 

in  einer  zur  Zeit  der  Bilderstreitigkeiten  erweiterten  Gestalt 
uns   vor. 

Ausgezeichnet  passt  hierzu,  dass  ein  Scholion  des  cod.  Claro- 
mont.  (in  Turrianus'  CoUectanea  p.  259)  auf  Johannes  Dama- 
seenus,  wie  es  scheint,  als  auf  eine  unter  die  äjioi  üiaxtgsq 
noch  nicht  aufgenommene  Autorität  der  Gegenwart  hinweist. 
Sollte  dies  Scholion  auch  im  Vatic.-Column.  sich  finden,  so  läge 
der  eigentümliche  Zufall  vor,  dass  im  cod.  Vatic.-Column.,  der 
dann  auch  als  ein  Zeuge  der  erweiterten  Gestalt  der  Sammlung 
zu  gelten  hätte,  eben  das  Capitel  (cap.  41)  zufällig  verloren 
gieng,  welches  zweifellos  ein  späterer  Zusatz  zu  einem  altem 
Ganzen  ist.  Doch  wird  man  Mai  zutrauen  dürfen,  dass  er  auf 
p.  52''  hinter  dem  Basiliuscitat  das  Scholion  über  Johannes  von 
Damascus,  das  im  cod.  Ciarom.  an  eben  dieser  Stelle  sich  findet, 
erwähnt  haben  würde,  wenn  sein  Codex  es  enthielte. 

In  der  von  Mai  teilweis  gedruckten  IxXoyi)  des  cod.  Column. 
dürfen  wir  deshalb  wahrscheinlich  die  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  siebenten  Jahrhunderts  stammende  ursprüngliche  Recension 
der  Doctrina  patrum  erblicken.  Da  das  Symbol  der  sechsten 
Synode  und  der  Brief  Agatho's  von  Rom  nicht  erwähnt  wird, 
darf  man  die  Zeit  zwischen  662  und  679  als  die  Eutstehungs- 
zeit  der  Sammlung  ansehen.  Das  ist  die  Zeit,  in  der  auch  Ana- 
stasius  presbyter  Sinaita  lebte,  in  dem  Lequien  den  Verf.  der 
Verfasser  der  Sammlung  vermutete*).  Doch  ist  es  sehr  un- 
wahrscheinlich, dass  Anastasius  Sinaita  der  Verfasser  der  Doc- 
trina ist.  Man  würde,  wenn  es  der  Fall  wäre,  eine  grössere 
Übereinstimmung  des  Verzeichnisses  der  bei  Anastasius  Sinaita 
citierten  Autoren  und  des  Index  auctorum  der  Doctrina  erwarten 
dürfen.    Überdies  fehlt,  wie  wir  gesehen  haben,  der  Annahme, 


*)  Vgl.  das,  wie  es  scheint,  ziemlich  unbeachtete  Buch:  Kumpf- 
müller,  de  Anastasio  Sinaita.  Würzburg  1865.  Der  Verfasser  dieses 
Buches  hat  sich  freilich  von  der  Menge  der  Fragen,  welche  der  Name 
Anastasius  Sinaita  einschliesst,  sobald  man  auf  ungedrucktes  Matei-ial  und 
Handschriftenkataloge  Rücksicht  nimmt,  nur  einen  ungenügenden  Begriff 
gemacht,  hat  es  auch  mit  den  wissenschaftlichen  Beweisen  oft  etwas 
leicht  genommen,  doch  bleibt  das  Buch  das  Beste,  was  de  Anastasio  Si- 
naita vorliegt.  In  R.-E.2  I,  p.  372  wäre  sub  voce  Anastasius  Sinaita  eine 
Notiz  über  dies  Buch  lehrreicher  gewesen,  als  der  dürftige,  fehlervolle 
Text  es  ist.  Auch  der  sehr  gute  Artikel  des  Dictionary  of  Christ,  biogr.  I, 
109  kennt  das  Buch  nicht. 


\Qg  Zweites  Capitel. 

dass  ein  Anastasms  der  Verfasser  der  Doctrina  sei,  jede  hand- 
schriftliche Grundlage. 

Weit  wichtiger  übrigens  als  Vermutungen  über  den  Namen 
des  „Verfassers"  ist  ein  Hinweis  darauf,  dass  der  „Verfasser" 
offenbar  nur  Compilator  gewesen  ist,  ein  Mann  recht  unter- 
geordneten Ranges.  Der  deutlichste  Beweis  dafür  ist  der, 
dass  in  cap.  24  sich  eine  umfangreiche  Doublette  findet,  vgl. 
Mai,  p.  37*  (ine:  rfjg  Ovvoöov)  bis  39*  (desin.:  döjiä^ovTai)  mit 
p.  47* — 49^.  Hier  zeigt  sich  deutlich,  dass  dem  zwischen  662 
und  679  lebenden  Compilator  schon  ältre  Sammlungen  vor- 
lagen. Da  nun  p.  22  ein  ^löliov  ^ccxpQov'iov  im  Texte  sich 
findet,  da  ferner  zwischen  dem  Verzeichnis  der  Schriftsteller, 
die  Photius  in  der  Ixloyi]  yjQrio^cov  citiert  fand,  welche  mit 
der  epistula  synodica  des  Sophronius  in  einem  Codex  ver- 
einigt war  (Biblioth.,  cod.  231),  viele  auffällige  Ähnlichkeiten  zu 
beobachten  sind,  so  ist  es  vielleicht  nicht  allzu  kühn,  wenigstens 
frageweise  die  Vermutung  auszusprechen,  dass  in  jener  von 
Photius  gelesenen  kxXoyyj  xqiiosojv  eine  der  Quellen  der  Doc- 
trina, ein  Werk  des  Sophronius  von  Jerusalem,  zu  sehen  sei. 
Dieser  Vermutung  weiter  nachzugehen,  ist  jedoch  hier  nicht 
der  Ort. 


§  8.    Die  Fragmenta  Leontii  bei  Migne,  P.  G.  86,2, 
col.  2003  sqq. 

Die  Doctrina  patrum,  so  haben  wir  im  vorangehenden 
Paragraphen  gesehen,  stammt  aus  der  Zeit  zwischen  662  und 
679  und  ruht  auf  noch  älteren  Sammlungen.  Dies  Resultat  unserer 
Untersuchung  giebt  den  Leontiuscitaten  der  Doctrina  eine  be- 
sondre Bedeutung  und  rechtfertigt  es,  dass  wir  bei  der  Frage 
nach  Mitteilungen  aus  und  über  Leontius  in  der  Litteratur  von 
den  Fragmenten  bei  Migne  ausgehen,  die  zu  vier  Fünfteln  aus 
Citaten   in   der  Doctrina  bestehen. 

Allem  Weiteren  schicke  ich  eine  kurze  Übersicht  über  die 
Fragmente  voraus: 

Fragment  1:  Ajto  tcöp  yLeovriov,  iuc:  ön  ov  zavzov 
vjtoOraGig  xal  svvjtoOrarov,  Migne  86,  2,  col.  2U03C— 2009D; 
nach  Mai,  Script,  vet.  VE,  52—54  sub  textu  Doctrinae.  Mai 
erhielt  die  Fragmente  durch  „Codices  vaticani  duo",  die  er  nicht 


§  8.    Die  Fragmenta  Leontii  bei  Migne,  P.  G.  SO,  2,  col.  2003  sqq.     109 

weiter  nennt.  Jetzt  nach  dem  Erscheinen  des  Katalogs  der  Co- 
dices manuscripti  Palatini  Graeci  Bibliothecae  Vaticanae  (recens. 
Henricus  Stevenson,  Rom  1885)  kann  man  die  Handschriften 
wenigstens  mit  Wahrscheinlichkeit  identificieren.  Es  sind  cod. 
Vat.-Pal.  262,  saec.  XV.  4^,  fol.  203  (Inscriptio:  djco  rcöv  Aeov- 
Ticov)  und  cod.  Vat.-Pal.  281,  membr.  in  fol.,  a  Nicoiao  calligrapho 
anno  1040  egregie  scriptus.  fol.  153  (Inscr.:  ajto  rcöv  Atoinivcov 
[sie!]).  Beide  codd.  :>ind  Miscellancodd.,  und  zwar,  bis  auf  Kür- 
zungen in  cod.  202,  identischen  Inhalts;  doch  ist  262  schwerlich 
Abschrift  von  281.  —  Dies  Fragment  ist  in  dogmatisch-polemi- 
schen Sammlungen  oft  zu  finden,  z.  B.  cod.  Caesar. -Vindob. 
CLXXIV  (v.  Nessel,  Catalogus  [Bd.  II],  pars  IV,  p.  96,  Lam- 
becius,  Comm.  ed.  Kollar  VII,  p.  136)  fol.  121—125  (Inscr.: 
ajio  Tcöv  AeovTlcov)  und  cod.  Escurial.  249,  fol,  159  (Miller, 
Catalogue  des  mss.  grecs  de  la  bibliotheque  de  l'Escurial,  p.  190). 
Auch  das  Citat  in  cod.  Bodleian.  miscell.  179,  ol.  Claromont.  saec, 
XVII  (Coxe,  Catalogus  I,  p.  730,  Nr.  58)  scheint  auf  dies  Frag- 
ment sich  zu  beziehen. 

Fragment  2:  Ix  tmv  oyoXimv  yleovrlov,  ine:  iaztov  öri 
to  avvjtoörarov,  col.  2009 D — 201 2D;  bis  ^^axoXoyiag  jtoislöü^ai''^ 
col.  2012C,  9,  aus  der  Doctrina,  p.  53.  Woher  das  C,  10— D,  13 
Folgende  genommen  ist,  sagt  Migne  nicht,  bemerkt  auch  nicht, 
dass  die  C,  10  —  D,  13  gedruckten  Sätze  sich  decken  mit  den 
B,  1  —  C,  9  aus  der  Doctrina  mitgeteilten.  —  Man  kann  nur 
erraten,  woher  Migne  diese  Doublette  entnommen  habe:  sie 
findet  sich  nämlich  wörtlich  bei  Lequien,  opp.  Jo.  Damasc.  I, 
p.  45  not.,  „ex  collectaneis  MSS.  contra  Severianos  cap.  27".  Aus 
Lequien  wird  das  Fragment  stammen.  Und  woher  hatte  es 
Lequien?  welche  coUectanea  MSS.  meint  er?  Der  parallele 
Abschnitt  der  Doctrina  steht  gleichfalls  in  cap.  27  derselben, 
Lequien  kennt  und  benutzt  den  cod.  Claromont.  der  Doctrina 
(vgl.  Diss.  Damasc,  opp.  I,  p.  XXXIV).  Auch  dort  nennt  er  die 
Sammlung  des  cod.  Ciarom.  „coUectanea  contra  Severianos".  Es 
kann  deshalb  keinem  Zweifel  unterworfen  sein,  dass  wir  bei 
Migne  den  letzten  Abschnitt  des  Fragment  2  a)  nach  dem  cod. 
Vatic.-Column.,  b)  nach  dem  cod.  Ciarom.  der  Doctrina  vor  uns 
haben. 

Fragment  3:  Ix  rmv  Asovxiov  (wi'ccyov  rov  BvL^avxiov^ 
coL  2013  und  2014 AB;  aus  der  Doctrina,  p.  57. 


HO  Zweites  Capitel. 

Fragment  4:  tx  xcZi>  oyoXicav  ^hovrlov,  OvXXoytOfzdg  ovv- 
äycov  Ötl,  ei  fiia  (pvoiq  o  av&Qcojtog^  ovo  cpvoeig  o  Xqlg%6c, 
ine:  EjcEiörjjiEQ  eldlv  aQ^ci-i,  col.  2013B — 2015 B;  aus  der  Doc- 
trina,  p.  62. 

Fragment  5:  fcx  rov  Aeovt'iov  öxoXicov  jieql  tov  (cqi&iiov, 
ine:  iöxtov  jiaXiv,  ort  ojOjcsq,  col.  2015  und  2016BC;  aus  der 
Doctrina,  p.  64. 

Wären  nun  diese  , Fragmente"  das,  als  was  sie  in  Migne's 
Ausgabe  erscheinen,  Fragmente  verlorner  Schriften  des  Leontius, 
so  würden  wir  auf  Grund  der  citierten  Stellen  von  diesen  ver- 
lornen Werken  uns  eine  Vorstellung  bilden  müssen,  und  wären 
sodann  angewiesen,  nach  weiteren  Spuren  dieser  verlornen  Schätze 
zu  suchen.  Als  ich  zu  diesem  Zweck  das  erste  Fragment  zu  ver- 
stehen suchte,  bemerkte  ich  bald,  dass  es  aus  einzelnen  zusam- 
menhanglosen Abschnitten  besteht,  deren  manche  ich  gelesen  zu 
haben  mich  erinnerte.  Ich  fand  die  Abschnitte  in  adv.  Nest,  et 
Eut. .  Diese  Wahrnehmung  lockte  zu  dem  Versuche,  möglichst 
alle  Abschnitte  wiederzufinden,  und  der  Versuch  gelang.  Nur 
ein  Abschnitt  des  Fragment  1  —  der  Schlussabschnitt  —  ist,  so- 
viel ich  gesehen  habe,  in  den  gedruckten  Werken  des  Leontius 
nicht  nachweisbar.  Während  der  Arbeit  an  Fragment  1  entstand 
ein  begreifliches  Misstrauen  gegen  die  übrigen  „Fragmente".  Auch 
sie  habe  ich,  von  einem  Abschnitt  abgesehen,  in  den  gedruckten 
Werken  des  Leontius  aufgefunden,  muss  aber  gleich  hier  be- 
merken, dass  das  Verhältnis  der  parallelen  Texte  nicht  das 
völliger  Identität  zu  sein  scheint. 

Von  der  Untersuchung  der  einzelnen  Fragmente  brauchen 
hier  nur  die  Resultate  gegeben  zu  werden.  Ich  gebe  sie  in 
folgender  tabellarischer  Übersicht: 

Fragment  I. 

1.  Inc.:  ov  ravTov  vjtoora-x 
Oig,  col.  2004C,  (_  Adv.  Nest,  et  Eut.,  col.  1277 C, 

des.:  xal  6  Xoyog  6iafpo-i~  Z.  13  bis  1280B,  Z.  10. 
Qog,  2005  B,  Z.  9.  ) 

Die  Abweichungen  beider  Texte  sind  —  von  den  letzten 
Zeilen  abgesehen  —  unbedeutend,  z.  B.: 

2004C,  6:  ojisq  1277D,  5:  o 

„     9 f.:  jigayuarog  „       9:  jiQayfia 


§  8.    Die  Fragmenta  Leontii  bei  Migne,  P.  G.  S6,  2,  col.  2ii()3  sqq. 

2004 C,  10:  aV^  atl  1277D,     :  «//'  o  «« 

,,      12:  ahii^cÖ!;,  .,      12:  ah/^t'g. 

Bedeutender  ist  die  Abweicliunsr  in  den  letzten  Zeilen: 


111 


2005 B,  5 ff.: 

xartjyoQovfitvcov  cog 
t)  SV  Ocofiari  jioi6T?]g,  Xtvy.6- 
xriq,  fisXavortjg' 


OJt£Q 

av  xig  EVQOL  xcä  Iv  cO.Xoig, 
fiäXXov  de  ijil  y)vx^]g  'iictl 
Ocöfiazog^  cor  xoiv?)  (zev 
vjiooraöig,  iSia  öh  ?]  <pvotg, 
xal  o  loyog  öidci:oQog. 


Adv.Nest.  et  Eut.  col.  12S0B, 
3ff.:  xarf/yoQovfitpcov'  .toi- 
OTtjreg  öe  avrcu  xaXovvrai, 
a7J^  ojg  rr/g  d^axtQOv  (fvOEcog 
xal  ovoiag,  [it)  '/.ad^  tavziji'  S-em- 
QOVfisvrjg,  a?.Xa  fisrd  rrjg  avyxsi- 
fav?jg  xal  ovf/jiECfvxviag.  OjtSQ 
dv  Xig  svQot  xal  Icp  trtQwv 
(isv  jcgayfidrcov,  ovx  r/xiora  ös 
£jcl  ipvyjjg  xal  Ocofiarog, 
cov  X01V7]  f/EV  7]  vjcooraöig, 
löla  de  7]  (pvOLg,  xal  o  Xöyog 
öiccffOQog. 
Der  Text  des  Fragments  ist  durch  die  handschriftliche  Über- 
lieferung, oder  bei  der  Anführung  von  dem,  der  citiert,  corrunipiert. 

2.  6x1  öixxog  6  xr/g  xeXeiox?/-  Adv.  Nest,  et  Eut.,  col.  12S1C 
xog  OQog^  o  f/hv  ajc/.cög  ZEyo-  10—12:  öixxov  sivat  xov  rrjg 
fiEvog,  0  ÖS  OXEOEi  {)^Eco()ot\uEvog  rsXsioxtjxog  oqov,  xal  xov  [isv 
2005  B,  9 — 11.  d:jiXcög    IsysOxi^aL,     xov    de    sv 

Ö'/JOSL   &EO}QElO{)-ai. 

Abgesehen  von  einem  im  Fragment  ausgelassenen  xai.  sind 
beide  Stücke  wörtlich  gleich,  soweit  es  bei  hier  directer,  dort 
obliquer  Rede  möglich  ist. 

3.  2005  B,  1 1  ff. :  Adv.  Xest.  et  Eut.  1 284  B,  9  ff. : 
öxi  EL  fpvOEi  xa&7/x6g  r/v  Ei  fiev  ovv  (pvOsi  Jiaß-tjxog 
o  Xoyog  ?}  xcov  Ivxavd^a  e6e-  o  Xoyog  rj  x^v  sv  xojrcp  ösys- 
XExo     JcsQr/Qa(pr']v,      söxai     xai  jt£()iyQa<pf]v,EOxaixav- 


xotg  djco  NeOxoq'iov  xavxa  tv 
avxäj^xo  cf:oßEto&ai  oagxl  Ovv- 
ajtxELV  xal  öXfp  dv&QOJJcco,  i'va 
Ht)  JiEQiB-Qa(f^ii  (sie!)' 

eI  de  (fvOEL 

axQETtxog xal 

yjoQlg    ocof/axog   (2005D,  2). 


xa  EV  avxcp  öi  avxör,  dXX' 
ov  öid  xTJv  jiQog  x6  jcEQiygajt- 
xov  xal  jtafhf/xov  ocöfta  evcjoiv 
xal  EOxai  ovxcog  Jiaü-fjxög  jieql- 
ygajtxSg,  xdv  fir  xsxovihs  firjös 
jtsQLysyQajixai'    et    de    (pvOec 

ax  QEJtxog xal 

ycoQlg  acofiaxog  (12840,  13). 


In   dem  Abschnitt  von  et   de  r/iOEi  axQSJixog   an    sind  die 


j  \2  Zweites  Capitel. 

Abweichungen  nur  unbedeutende  variae  lectiones,  im  Anfang 
aber  ist  der  jetzt  auf  dem  Wege  der  handschriftlichen  Überliefe- 
rung sinnlos  gewordene  erste  Satz  des  Fragments  ursprünglich 
wohl  ein  den  besondern  polemischen  Zwecken  des  Anführenden 
zu  Liebe  modificiertes  Citat  des  parallelen  Satzes  aus  adv. 
Nest,  et  Eut.  gewesen, 

4.  Inc.:  öri  aQQrjToq  bvTmg\ 

eört,  20Ü5D,  2,  |_^*^^-    ^^^^-    ^^    ^"*-     1300  A, 

des.:    yvcoQi^ovTcct    övo,l  8 — 13. 

2005  D,  7.  J 

Wörtlich  gleich  bis  auf  eine  unbedeutende  varia  lectio  im 
Schluss  und  bis  auf  die  durch  die  Anfübrung  verursachte  Aus- 
lassung eines  yaQ. 

5.  2005D,  7ff.:  ori  ösl  dvri-        Adv. Nest,  et  Eut.  1300B,  11  ff.: 
öTTJvaL,    cog    Ol    rrjv   tvcoöiv     Ol  rrjv  tvoJOiv  (i7J  xar^  ov- 

[iTj  xaz^  ovoiav  .  .  .  tpsvöog     olav ipevdog  üto- 

jcoXvoxi^^^G  ov  afiSQioavTO'     Zvo/iöhg     av     tfisQiöavro^ 

alloig  alh]v   xiva  (loiQav  av- 

rov   jraQaOjcaöccfievoi,    xal    sig 

tp  älhjloig  iXd^ovrtg  ttj  djco- 

Iloia     Ttv^si.    TTJg    aX7]&tiag.      Iloia 

yctQ  ai'  sirj  ravTi] jaQ  av  8l?/  avrrj 

ovväipsi  rag     ovvd^psi   xar 

cpvoeig.  zag  (pvosigov  yaQ  dr)  Jiävr?] 

avrdg  /cö(>/ö£t  rov  üvvajtrov- 
Tog,  [iTj  jiüvrr}  xsyojQLOfiivov. 
OjtoOov  yaQ  fiertyovOi  t?;c 
a^iag^  HExiyßiv  6(fiSiXov6i  xal 
El  öe     rijg  rov  Xöyov  cpvoscog.    El  6  t 

ZIVI  (2008  A,  15) zivL  (1301 A,  1) 

6V  jcvEVfiä  eoziv  (20Ü8B,  4).  tv  jtvsvf/d  aoziv  (1301A,  5). 
Von  den  Auslassungen  abgesehen,  weicht  das  Fragment  von 

dem  Text    adv.   Nest,    et   Eut.    nur   durch    unbedeutende    variae 

lectiones  ab  (wie  ov  richtig  statt  av,  zavzi]  statt  avzrj). 

6.  2008  B,   5ff.:    ozi,   (p?jOiv,        Adv.Nest.etEut.1301  A,  Uff.: 
sösi  zovg  ad-tovg  NeOzoQLa-     tÖHL  yaQ  zovg  d&tovg  elÖt- 

vovg  slöevai jiqozÖ-     vai jiqcozo- 

zvjiov  VLOv  (C,  2),    ozi  f/ia     zvjiov  vlöv,  xal  [ii]  (pQovBTv 

[ilv  aXXa,  (pd-tyytöd-üL  ös.  tzsQa. 


§  S.     Die  Fragmenta  Leontii  bei  Migne,  P.  G.  S6,  2,  col.  2003  sqq.     113 

löTiv  7j  (pvöixrj  vl6r?jg,  l^  Miäg  jaQ  ovörjg  rrjg  <fvoi- 
ijgxarä  ftezo/j/v  jcäoa  vl6-  xrjgvi6Ti]rog^e§?)g  xara  fit- 
ri]g'  xdi  öiä  xovxo  aväyxi]  xov  t oirjv  jcäöa  vi6rf]g,  avc'cy- 
djiooxsöiao&tvra  xolg  A^-  x?j  xov  ajcooyEÖtaod^avxa 
OTOQiavolg  avd^Qcojtov  //  xTjg     avxoig  uvd^Q(ojiov  7j  xtjg  (pv- 

oixF/g  ijtxt/jiv  vtoxfjxog  ?j  xyg 
ty.  yc'cQixog  yivofitvr/g.  kx  yo.Qixog  Yivof^iivrjg. 

In  den  nicht  ausgeschriebenen  parallelen  Satzteilen  sind  nur 
geringe  Abweichungen,  im  Schluss  zeigt  sich  neben  handschrift- 
licher Corruption  wieder  die  ändernde  Hand  des  excerpierenden 
Schriftstellers. 

7.  2008 C,  4f.:  oxl  Adv.  Xest.  et  Eut.  1301 C,  9f.: 
xTjg  xax^  ovölav  tvcoCsoig  xijg  xax^  ovolav  Ivwoecog 
f/sjaXocfOJVcog  xrjQvOOtöd 03  fiayaXoqxjJvcog  xriQvöOtod-co 
i]  aXrid-tia.                                      ij  aXiid^tia. 

8.  2008  C,  5 ff.:  oxl  Adv.  Nest. et  Eut.  130 ID,  10 ff.: 
xcöv  IvojOscov  xal  xcäv  öia-  Tojv  Öe  IvcoOtcov  xal  xcöi' 
xQLOscov  ÖLXxog  olöyog'xa  öio.xqIöecov  öixxog  o  ibyog. 
f^iEv  yag  i'jVcoxaL  xolg  Eiösoi^  Ta  fiev  yccQ  rivcoxai  xolg 
dtijQr/xai  de  xalg  vjtooxä-  uöeoi,  öirjQr/xai  ds  xalg 
OEOf  xd  6h  öl//  QT/xai  ftlv  vjcooxdoeot.  Td  öh  öi-Z/Qr/- 
xolg  Eidsoi,                                    xai  xolg  aiösocv^   fjvcoxai  Öh 

xalg  vjcoöxdöEOr  xal  xcöv  rjvo^- 

6i7]Qrj-     titrow  fiiv   xolg  hösol  öirjQrj- 

{Jtvcop  6t  xalg  vjtooxäoeoi,     iitrcov  66  xalg  vjtooxdoeot, 

xd  filv  djtlfjv  tyEL xd  iitv  ajiPSjv  £ysL 

.  .  .  xaxd  fitQog  t^ujt/.woig  ■  ■  .xaxd  fitgog  is^'cjiZcooig 
(C,  13)  (1304A,  6),  xal  dXlcog  xtjv  xcöv 

jioX/.cöv  ÖLacpevysLV   yvcäolv  xs 
IltQl  Je  xcöv     xal    udd-r/Oiv.      IIsqI    6e    xcov 

xaxa.  ovvO  eotv xaxd  0 vvd-söiv 

xov  jivQog  ovoia  (2009A,  5).     xov  jivQOg  ovola  (1304 B,  15). 
Ausser  den  Auslassungen  zeigt  das  Fragment   in  den  nicht 
ausgeschriebenen  Parallelsätzen  unbedeutendere  Varianten. 
d.2i)09A,m.:  OXL  xal)-' Zäov    =  Adv.   Nest,  et  Eut.    1305A, 

(pdvaL 4 — 8  mit  unbedeutenden  variae 

.  .  .  xal  ov  6()dö£L£v  (A,  10).     lectiones. 

10.  2009 A,  lOff'.:  oxl  6eI  Adv.Nest.etEut.  1308B,4— 8: 
xo  xaxd  xijv  {hslav  aiod-t]-     xö  xaxd  xrjv  ß-aiav 

Texte  u.  U  utersuchungeu.  111,  1.  y 


114 


Zweites  Capitel 


OIV liaQXVQCOV   TO      fiaQTVQCOV   vt(poq, 

vtcpog  vJtoöi^aod^UL  (A,  14).  ?}  g)rj6iv  6  aji6oroXoq,iiJcoLOO(i8v. 

Unbedeutende  Varianten. 
11.  2009A.  14  bis  B,  2: 


Adv.Nest.etEut.l308C,  11  ff.: 
El  6k  TIC  ro  xovrcov  jt?Sj&^og 

7j    TCÖV    JlQOOcöxmV    TO    a^lOjtLG- 

xov   y.axa    x6i>    tv    x^j    YQacpij 

oxL  aösßriq  ovx  alöeixai     doeßr]  ovx   aiöetxat  (Aosßt/g 

XQoOoaxov    svxifiov,     ao?'/-     YaQ(prjOiv,ogovxrj6to&^7j  jtgoo- 

fiovg  ÖS  cojcov  tvxifiov)  dorj/iovg  öh 

xal  ovx  i'/vcoöfitvag  xal  ovx  kyvcoöiiivag,  cog  e^ 

avxcöj^  ?}  txtQwv,  xovxoig  Ivav- 
XQ^lOSLg    jcQOxo^uiCovOi.     xiag    XQriOeig     JiQOxofil^oiy 
Jtisdxcooav    31QCÖX0V     oxi     ösi^dxoj    JiQmxov^    oxi    fi/) 
fiTJ  xcöv  jcaxtQcov  elolv  al  '/q?/- 

oeig  xcöv  lyxQLXcov,  xal  xöxs  avxai  Ixdvow  ovoai  xvy/ä- 
ex8ivag,  ag  rpaöi,  jtQoaytxco-  vovoi^  xal  ovxcog  Ixsivag 
oav.  öt§aif/89-a. 

Die  Varianten  scheinen  mehr  durch  die  Freiheit  des  An- 
schlusses au  den  citierten  Text  als  durch  Textverderbnis  ver- 
ursacht zu  sein. 


12.  2009ß,  2- 
xovg  jiaxtQag  .  . 
d^eov  dv&tOX7]xs. 


6: 


ovxovv  o 
.  .  .   .xov 


=  Adv.  Nest,  et  Eut.  1309  A, 
7- — -10  mit  nur  einer  bedeuten- 
deren Variante:  es  fehlt  A,  9  das 
aXX"  dvxiöiaxaxxofisvog  xov- 
xoig. 

wörtlich  =  Adv.  Nest,  et  Eut. 
1380B,  2—4. 


13.  2009  B,  6—8:  xal  xi  6h 
XtjiLv  jitQl  xr/g  xax'  ovoiav  xal 
ovoicoÖovg  kvojoaojg,  xrjv  xs 
fiiav  vjtoöxaöiv  xmv  6vo  fpv- 
0£03p; 

14.  2009  B,  8—10:  xal  oxi  =  Adv.  Nest,  et  Eut.  1380A, 
xd  xoiavxa  xrjg  6ia(poQäg  ovxa  8 — 10:  xal  öoa  xoiavxa  xxX.^ 
67]Xcoxixd  xcöv  ovOLO)6mg  rivo>     wörtlich. 

fiivcov  tpvotcov  xov  Xqiöxov. 

15.  2009 B,  10—14:  6  xqojcoc    =  Adv.  Nest,   et  Eut.   1380  C, 

6rjÄa6?)  xrjg  Ivojoemg 1 — 5    mit    unbedeutenden   Va- 

fiexd  xTjv  tva>oiv.  rianten. 


§  8.     Die  Fragmenta  Leontii  bei  Migne,  P.  G.  80,  2,  col.  2003  sqq.     115 

16.  2009 B,  14— C,  4:   'ß'jra-  =  Adv.  Nest,   et  Ent.   1380 D, 

6//JCSQ,  cog  'iffT/fiev 2  —  7    mit    imbedeutenden    Va- 

TavT7]v  aioayei.  rianten. 

17.  2009  C,  5  —  D,  1:  ort 
ddog  ioTLV  olov  avd-Qcojtoc. 
^iütjioq,  ßovg'  ofioicog  yag  o  2co- 

xQarrjg  y.rX xov 

öxojrov  7/  airla^  r  süiiygacpr]. 

Fragment  II:    ly,  zcov  oyoX'uov  Aeovtiov,   aus    der  Doctrina. 

1.  2009 D,  4  —  2012 A,   15:  vgl.  de  sectis,   Migne,  86,  1, 

'foTiov  öri  To  svvjtoOTarov  1240C,  12  — 1241 A,  1:  'lortov 

ölttÖv  ton'  ötjfiaivei  yccQ  x6  ovv    ort    to    ai'vüiooraxov 

ajiXcöq  ov  xa&'  o  0?]fiaiv6-  r/xoi  7j  vjcooraOig    ovo    07jf/ai- 

fisvov  ov  (lövov  ryp^   ovoiav^  vsi.  ^Tjfialvsi  yccgro  ajtXcög 

9]v*)av&vjt6oTaTOPoljc8QiTav-  ov    xad-'    o    07]fiaiv6fievov 

ra  ösivol  VjcoyQag)OVOiv.6JWjt6-  Xtyofisv    xai    ra    Oi^fißsß?]- 

OTaroi'xaXovf/sr  dl  avTOTOVTO  xora  avvjcoGzara,  slxallv 

TO  Hvai  ajcÄcög  xal  vcpsozccvai,  tragoig     syovGi     x6     alvai. 

cüXa   xal    Tcc    ovfißsß7jx6Ta  ^Tjfiaivei  xal  x6  xa{h'  tav- 

tvvjcoöxaxa    liyoy.BV^    xav  xo   ov,    eng    xa    axo^a   xcöv 

tv  txtQO}  eyovoi**)  x6  sivai,  ovoicöv     ojöxs    ovfißaivsi    x6 

xovxo  eoxiv  SV  xij  ovöia'   xal  xaB^  lavxo  evvjcöoxaxov,  (Stycög 

tlöLv  xvQiojxsQov  Eijttlv  txsQov-  Xtytod^aL   Ivvjtöoxaxov.      Kad^ 

Jiöoxaxa-   07]fiaiv8i   dh  jtcü.LV  o    ov   toxiv,    xal   xa&-'    tavxo, 

xal  xo  xaß-'  tavxo  ov  xovxo  xovx^  lox l  UtxQog  xalllav- 

ea'ca***)  iöioovoxäxcog^  xaO^  o  Xog. 
or/fiaiv6fievov  xal  xd  hxofia 
ivvjtoöxaxa  Xtyovxat ,  xovxo 
6 f  r ca ***)  o  II t XQog  //  o  ^lomv- 
vtjg.ajitQ  xvQuog  ovx  tvvjtoöxa- 
xa^dXX^  vjcoaxdoeig  fiäXXov  doiv 

Tfc   xal   yvmQi^ovxaij).    lAXX.d  llXXd  xal 

xal    xo    avcjtooxaxov   öix-  xo    dvvjtöoxaxov     öixxov. 


*)  cod.  Ciarom.  (Lequien,  Opp.  Jo.  Dam.  I,  p.  46  not.)  add.:  «i'^r- 
nuQxxov  xal. 

**')  cod.  Ciarom.:  i'/ojoi. 
***)  cod.  Ciarom.:  tovtlgti. 
t)  Bis  hierher  das  Citat  aus  dem  cod.  Ciarom.  bei  Lequien,  a.  a.  0. 

S* 


116 


Zweites  Capitel. 


zcög  £VQiöxou£v  ^.r/öfnvov  It-  Atytrat  yaQ  arvjcöoxaxov 
jtxaiyaQ  awxooxaxov  xai  xai.  xo  fi7joafiojg  ov,  cog  xQa- 
x6  iit]danri  (Ujöafuög  ov,  cog  ytXacpog  xal  Ijijcoxavxav- 
XQaytZafßog  xal  ijtjcoxev-  gog.  ÄtytxaixälLvavvjcö- 
xavQog'  XtysxaL  ütäliv  avv-  oxaxov  ov  x6  ft?)  ov  fitv,  xo 
jioöxaxov  ov  xo  firjöafit]  exov  6)-  hv  ixtgoy  xt)v  vjio- 
fzrjdaficög  ov,  dXXa  xo  av  Ixä-  öxaöiv  xal  p)  xad-'  aavxo 
Qmsxov  xrjv  vjtooxaoiv^cöo-  vq)i<jxäfi£VOV'  cog  xa  ovfißi 
jiSQ  uolv  xa  övjißsßrjxöxa'  ßi]x6xa. 
öioxi  d  xal  v(p£Oxrjxaöiv  av 
xalg  ovolaig ,  all  ajisiör)  xad- 
aavxa  (ii)  vcpsoxdvat  liyaxai^ 
xal  xovxo  xo  orjfmivöijevov 
dvvjcöoxaxa. 

2.  1212  B,  1  —  C,9undC,  10 
— D,  13:   [xov  öfwiop  6h  xqo- 

jio)'  xal*)]   tj   VTcooxaOig  xaxd  i 

ovo  XX X.  .  .  .  dvdi^sfia  aöxco**). 
Jal  ovv  rj^äg  yivccoxovxag  .  . 
ajcoXoyiag  jtoietoüai. 

Fragment  III:  ax  xcöv  ylaovxiov  fwvayov  xov  BvC,avxiov, 
aus  der  Doctrina. 

20iaA,  3  — B,  2:     Tr/v  am-    =  Epilysis  1932A,7— B,  8  mit 

voiav  OL  jcaxägag unbedeutenden  Varianten. 

av  alScoloxob^öav. 

Fragment  IV:  ax  xcöv  oyoXlcov  Aaovtiov,   OvlXoyiOnog  ovvc'c- 
ycov  xxX.,  aus  der  Doctrina. 
2013B,  7  — 2016B,  5:  'Ejiai-     =  de  sectis  1248D,6— 1249D,2. 

öyjtaQ  alölv  agyai  xiveg 

vjtooxdoacog  xov  XqcOxov. 

Die  Abweichungen  beider  Texte  sind  unbedeutend.  Den  rei- 
neren Text  bietet  das  Fragment,  vgl.  z.  B.  2013  C,  5  dvagawcäv- 
xag  anstatt  des  gewiss  durch  absichtliche  Änderung  eingetrage- 


Ir 


*)  Nur  im  cod.Vatic.-Column.,  vielleicht  Einführuugsformel  desCitats. 

«*)  Was  folgt  scheint  im  cod.  Ciarom.  zu  fehlen,  Avenigstens  teilt  es 

Lequien  nicht  mit.  Sonst  weichen  die  Texte  von  einander  fast  ffar  nicht  ab. 


j  s.    Die  Fragmenta  Leontii  bei  Migne,  P.  G.  86,  2,  col.  2003  sqq.     117 

nen  Iv  rij  ayta  YQacpri  1249 A,  4.    Auch  das  xo  jitQl  fiiäg  (pvoscog 
2013C,  7  ist  gewiss  das  Ursprüngliclie. 

Fragment  V:    ix  rov  Äeovriov   O'/o/.uov   ntQi   rov  agiß^itov, 
aus  der  Doctrina. 

2016B,  S  — D,   2:    'lortov  De  sectis  1244B,  12  — C,  13: 

I  :n:ä}uv     öxi     oiOjrsg    xo     tv  loxaov    ovv   oxi    ojOJtSQ    ro 

rcöv   jto/.Xaycöc   Itjofitvojv  tr     ütollayma     leyofievov 

söxlv    ItyExai   yaQ   tv  xcö  loxr    Itysxai    yaQ    tv    xcp 

agid  ficö   oig  xo  IltxQog,    xal  dgid^ficß  mg  o  ^ojxQaxTjg,  xal 

xcö  slösL  cog  xo  avd-Qcojcoc.  tr  xrp   u6ti   cog  avd-Qcojtog, 

xal    xfp  ytv^L  03g   xo  ^cöov  xal  tv  xcö  ytrsi  ojg  xo  Ccäor. 

ovxcog  xal  xd  ovo'  Xtysxai  ^AD.u  xal  xd  Ovo  ofioicog-  Xt- 

ydg  ovo  xcö  dgid  iicö  cog  Tlh-  yovxai  ydg  ovo  xm  dgid-ficö 

xQog  xal 'lcoccrv7/g'  x cd  ovo  xcö  cog  o  ^coxQaxrjg  xal  Illdxcov 

slÖei  cog  av&Qoyxog  xal  Fjr-  xal  ovo  xcö  eiösL  cog  avi^Qco- 

ücog'    xal  ovo   xcö  yivn   cog  jtog  xal  ixjiog'  xal  ovo  xcö 

ovoia  xal  ygcöficc.    Oxav  ovv  yevsi   cog  ovGia  xal  Xsvxov. 

Xkycofisv    xd    ovo    IjtI    xov  Tovxcov   ovv    ovxojg  lyövxcov. 

Xqioxov.    ov    xcö    ccQiS-ftcö  öxav    djrcoüij'    xd    ovo    tjcl 

Xtyof(8v  ccvxdv  dvo^dX/.^  tvcc  xov  XqlOxov,  ov  xcö  dgid^- 

fihv  xcö  dgid^iicö,  ovo  6e  xcö  fioö  Xtyofisv avxov  övo^ctX?.^ 

i  ELÖei.    xovxo  löxiv  xii   q)vosi'  %va  fisv  xm  dgid^ficö,  ovo  öh 

I  oxi  da  övvc'cfisß-a  ovxcog  ei-  xcö  eJöei.   Oxi  6t  övvdiisß-a 

3tsiv,   ÖTjXol  xal  ÄQLOxoxt-  ovxojg  EiTtslv,    dijloi  xal  o 

Xrjg,    dg  ov  Ixüvoi  tjngdÖoi^-  'AQLOxoxt?.i]g 

xai,   jt8Ql  xfjg  vXijg  xal  xov  jisqI   xrjg   vXrjg   xal   xov  sl- 

siöovg  sljicov,  0X1  xavxcc  tv  öovg    ^avsQcög     sijtcöv,     6xi 

(itv  hOxLV   xcö   dgiO^ficö.   Ovo  xavxa  tv  ^sv  sioi  xcp  dgid-- 

6e   xcö    e'iösi.   liyti  Je  xcd  o  ,«o5,  ovo  6\  xcö  s'iösi.    'O  Öh 

ayiog  Fgiiyögiog   jtsgl    xov  dytog  FQ/jyoQLog   jttgl  xov 

Xqioxov,    cooxt   xo  ovvafi-  Xqioxov     Xeycov,     cöoxe    xo 

cpoxtQov    tv,    ov  xij    cpvoei,  Ovva^icpöxsQov    tv,     ov    xij 

Tij  6h  6vv66qy  (C,  7)*  ovxovv  cpvoti^  xij  6t  ovv66cp. 

xax    aXXo  xal  dXXo 

T//   cfvGtL  6io  (D,  2). 

Die  Abweichungen  sind  vielleicht  zum  Teil  eine  Folge  von 

Correcturen,  doch  sind  sie  nicht  bedeutend  genug,  um  dies  deut- 
lich zu  zeigen,  geschweige  denn,  um  eine  Entscheidung  darüber 


jj^g  Zweites  Capitel. 

zu  ermöglichen,  wo  der  reinere  Text  geboten  wird.  —  Schliess- 
lich könnten  als  , Fragment  VI"  die  rQtäxovra  xecpäXaia  ge- 
nannt werden,  die,  wie  schon  oft  erwähnt,  in  der  Doctrina, 
p.  40 — 45,  als  Ta  xQLäxovra  xscfccXaia  xov  fiaxaQLOv  Atovrloc 
y.ara  ^svt'jqov  citiert  werden. 

Nach  dieser  Übersicht  erscheint  zunächst  das  erste,  allein 
nicht  aus  der  Doctrina  stammende  Fragment  von  geringer  Be- 
deutung zu  sein.  Denn  bis  auf  ein  Stück  sind  alle  Teile  dieses 
zusammengeflickten  Fragments  in  der  Schrift  adv.  Nest,  et  Eut. 
nachgewiesen,  und  dass  diese  im  Jahre  1040  —  aus  diesem  Jahre 
stammt  ja  der  cod.  Pal.  281  —  einem  Leontius  zugeschrieben 
wurde,  ist  uns  nichts  Neues.  Allein  bei  näherer  Untersuchung 
gewinnt  dies  .Fragment  I*   eine  ganz  besondere  Wichtigkeit. 

Dass  dem  Cardinal  Mai  bei  seiner  Editorenarbeit  unglaub- 
liche Flüchtigkeit  zugetraut  werden  kann,  das  freilich  zeigt  dies 
, Fragment  I"  deutlich,  denn  als  Ganzes  ist  es  sinnlos.  Doch 
selbst  wenn  man  keine  Handschrift  kennte,  würde  man  Mai 
nicht  zutrauen  dürfen,  dass  e  r  erst  diese  schauerliche  Mosaik  zu- 
sammengestellt hätte.  Die  oben  Seite  109  namhaft  gemachten 
Handschriften  —  unter  ihnen  auch  die  Yon  Mai  benutzten  — 
entlasten  ihn  völlig  von  diesem  Verdacht.  Das  „Fragment"  ist 
in  vielen  dogmatisch- polemischen  Sammelwerken  als  ein  Ganzes 
mitgeteilt.  Es  Hessen  sich  an  diese  Wahrnehmung  recht  erbau- 
liche Betrachtungen  anknüpfen:  man  erkennt,  wie  wenig  denen, 
die  ein  solches  Sammelwerk  sich  abschrieben,  an  dogmatischem 
Verständnis  gelegen  war;  man  freute  sich  über  das  Dictum  pro- 
bans —  auch  wenn  es  Unsinn  war.  Doch  Andrem  nachzugehen, 
liegt  uns  näher.  Dies  „Fragment  I"  ist  anscheinend  nicht  direct 
aus  den  Schriften  des  Leontius  zusammengestellt.  Die  Abwei- 
chungen von  dem  Text  in  adv.  Nest,  et  Eut.  besonders  in  Nr.  3 
(additum:  rolg  ajto  NeöTogiov)^  6  (additum:  NeoroQiavovq)  und 
1 1  {ÖHsC'.Tcooav  statt  ötLsürco)  und  mehr  noch  das  stets  wieder- 
holte OTL  der  Einfühi-ung  machen  es  wahrscheinlich,  dass  dies 
„Fragment  I"  aus  einem  autinestorianischen  Werke,  das  den 
Leontius  citiert  hatte,  zusammengesucht  ist.  Nun  ist  die  älteste 
Handschrift,  die  dies  Fragment  enthält,  im  Jahre  1040  geschrie- 
ben (vgl.  oben  S.  109).  Schon  deshalb  muss  man  es  für  wahr- 
schehalich  halten,  dass  die  Quelle  dieses  Codex  oder  seines  Arche- 
*^ypus,  jene  mutmasslich  anzunehmende  antinestorianische  Schrift, 


§  8.     Die  Fragmenta  Leontii  bei  Migne,  P.  G.  86,  2,  col.  2003  sqq.     119 

in  das  erste  Jahrtausend  unserer  Zeitrechnung  gehört.  Überdies 
macht  ihr  Inhalt  dies  wahrscheinlich ;  ja  mit  einer  antinestoriani- 
schen  Schrift  gienge  man  gern  möglichst  weit  hinauf,  denn  zwi- 
schen Johannes  Damascenus  und  Euthymius  Zigabenus  kennen  wir 
kaum*)  einen  griechischen  Schriftsteller,  der  sich  mit  antinesto- 
rianischer  Polemik  befasste  (vgl.  Fabricius-Harles  X,  540 sq.;. 
Es  ist  uns  also  in  dem  , Fragment  I"  vielleicht  eine  sehr  alte 
Bezeugung  der  Herkunft  der  tres  libri  adv.  Nest,  et  Eut.  von 
„Leontius"  gegeben. 

Und  nicht  nur  das.  Der  Titel  des  „Fragments"  lehrt  noch 
mehr.  Mai's  (und  Migne's)  Text  „£x  xcöv  Asovziov'  ist  nichts 
als  ein  Lesefehler  oder  eine  schlechte  Conjectur.  Von  Mai's 
Handschriften  liest  die  ältere  (anni  1040):  sx  xcöv  Aeovrivcov, 
die  jüngere  (saec.  XV.):  sx  zwv  Aeovricov.  Letztere  Lesart  findet 
sich  auch  in  dem  cod.  Caes.-Vindob.;  der  cod.  Escur.  (vgl.  oben 
S.  109)  bietet  nach  Miller:  Ix  zov  Atovriov.  Wie  ist  zu  lesen"? 
Die  Erinnerung  an  xa  KXrjfitvxLa  und  die  Majorität  der 
Handschi'iften  empfiehlt  xmv  Asovxlmv.  Die  Leontiushand- 
schrift,  der  die  in  „Fragment  I "  vereinigten  Bruchstücke 
aus  Leontius  entnommen  wurden,  trug  also  den  Titel  xä  Asov- 
Tia.  über  die  Bedeutung  dieses  Titels  könnte  man  selbst 
dann  kaum  zweifelhaft  sein,  wenn  alle  im  , Fragment  P  ver- 
einigten Abschnitte  aus  der  einen  Schrift  adv.  Nest,  et  Eut. 
stammten.  Da  nun  aber  das  „Fragment"  auch  einen  Abschnitt 
enthält  —  oben  Nr.  17  — ,  der  weder  in  adv.  Nest,  et  Eut.,  noch 
in  einem  andern  der  gedruckten  Werke  nachweisbar  ist,  dessen 
Herkunft  von  dem  Verfasser  der  tres  libri  adv.  Nest.  et.  Eut- 
trotzdem  fast  unzweifelhaft  ist,  weil  in  ihm  die  philosophischen 
Voraussetzungen  des  Verfassers  der  Bücher  adv.  Nest,  et  Eut. 
sich  unverkennbar  zeigen**):  so  wird  es  zweifellos,  dass  „Frag- 

*)  Icli  denke  an  die  auch  Harles  noch  unbekannte  Schrift  des  Ger- 
tnanus  von  Constantinopel  „de  haeresibus  et  synodis"  (Migne,  P.  G.  98), 
die  Mai  entdeckt  hat.     Eigentliche  Polemik  findet  man   aber  auch  hier 
eol.  61  sqq.)  nicht. 

**)  Auffällig  ist,  dass  neben  yivo^  und  dw.tfOQÜ  das  eL6oc  nicht  als 
das  resultierende  Dritte,  sondern  coordiniert  genannt  wird.  Doch  scheint 
dies,  wenn  nicht  eine  Textcorniption  anzunehmen  ist,  mehr  eine  unge- 
schickte Form  für  die  oben  S.  60  dargelegten  Gedanken  zu  sein,  als  ein 
gegen  die  Autorschaft  des  Verfassers  der  Bücher  adv.  Nest,  et  Eut. 
sprechendes  Missverständnis  derselben. 


120  Zweites  Capitel. 

nient  I"  uns  das  Vorhandensein  einer  ra  A^övria  be- 
titelten Sammlung  von  opera  Leontii  beurkundet,  in 
der  neben  den  tres  libri  adv.  Nest,  et  Eut.  auch  eine 
jetzt,  wenigstens  in  ursprünglicher  Gestalt,  nicht  mehr 
vorhandene  Schrift  sich  befand,  in  welcher  der  Ver- 
fasser von  seinen  philosophischen  Voraussetzungen 
gehandelt  hat.  Dies  Resultat  ist  um  so  wichtiger,  je  wahr- 
scheinlicher es  gemacht  werden  konnte,  dass  die  Zeit,  in  der  die 
in  „Fragment  T'  vereinigten  Bruchstücke  aus  Leontius  den  Schrif- 
ten des  Leontius  entnommen  wurden,  ziemlich  weit  vor  dem  Jahre 
1000  p.  Chr.  gesucht  werden  muss. 

Nicht  minder  wichtig  sind  die  Fragmente  2  —  6  aus  der 
Doctrina.  Die  Sammlung  von  opera  Leontii.  die  wir  schon  um 
1000  p.  Chr.  nachweisen  konnten,  scheint  allerdings  dem  Ver- 
fasser der  Doctrina  resp.  dem  Verfasser  seiner  Quellen  nicht  be- 
kannt zu  sein.  Denn  weder  die  Schrift  adv.  Nest,  et  Eut,  noch 
die  Schrift  adv.  fraudes  Apollinaristarum  ist  benutzt.  Doch  trotz- 
dem ist,  was  wir  erfahren,  wichtig  genug.  Wir  sehen  nämlich, 
dass  in  der  Zeit  zwischen  662  und  679  als  Werke  Asovziov 
(lovayov  Bv^ainiov  galten  1)  die  sjiiXvöig  xcöv  vjto  ^ein'jQov 
TcxL,  2)  die  xQia'/.ovxay.Eq)ä7.aia^  3)  ein  y,oyolLa A^ovxiov'^  betiteltes 
Werk,  das  mit  den  gewöhnlich  „de  sectis"  genannten  A^ovx'iov 
oyoXaoxixov  Bv^avxiov  oyoZta  djto  g:a)v/jg  ßsoöoiQov  (Migne, 
86,  1,  col.  1193 — 1268)  identisch  oder  eng  verwandt  ist. 

Diese  letzte  sub  Nr.  3  genannte  Erkenntnis  würde  uns  eine 
Aufforderung  dazu  sein  müssen,  uns  zu  einer  Untersuchung  der 
Schrift  „de  sectis"  zu  wenden,  wäre  es  nicht  zweckmässiger,  den 
einmal  eingeschlagenen  Weg  inne  zu  halten  und  demgemäss  zu- 
nächst nach  weiteren  Spuren  der  schriftstellerischen  Thätigkeit 
des  „Leontius  von  Byzanz"  in  der  Litteratur  zu  suchen. 

Die  Resultate  der  beiden  letzten  Paragraphen  werden  es 
uns  erleichtern,  bei  solchem  Suchen  der  Gefahr  auszuweichen, 
einen  andern  Leontius  mit  dem  zu  verwechseln,  von  dessen 
Schriften  wir  bis  jetzt  gehandelt  haben. 

§  9.    Der  Schriftsteller  Leontius  von  Byzanz  in  der 
byzantinischen  Tradition. 

Dem  oben  (S.  93)  dargelegten  Plane  gemäss  unterlasse  ich 
es,  aus  der  Litteratur  nach  544  möo-Hchst  alle  Stellen  zusammen- 


§  9.    Der  Schriftsteller  Leontius  v.  Byzanz   in  d.  byzant.  Tradition.     \2\ 

zusucheu,  die  von  einem  Schriftsteller  Leontius  handeln,  den  man 
in  das  sechste  Jahrhundert  setzen  könnte.  Ich  suche  vielmehr 
anzuknüpfen  an  die  bisher  pjewonnenen  Resultate. 

Zunächst  ist  man  genötigt,  dieDoctrina,  in  der  Mai  fünf 
Citate  aus  Leontius  nachgewiesen  hat,  selbständig  aufs  genaueste 
zu  untersuchen.  Eine  Flüchtigkeit  bei  Abfassung  des  Index  auto- 
rum  würde  bei  Mai  nicht  überraschen.  In  der  That  ist  solches 
Durchsuchen  nicht  fruchtlos.  Mai  hat  die  Marginalnote,  die  er 
Doctrina  p.  48  unter  dem  Texte  abdruckt,  übersehen.  Sie  macht 
uns  auf  ein  weiteres  Citat  ^x  xcöv  xov  Asovriov  oxoXlcov  auf- 
merksam, das  Doctrina  p.  48 '^  bei  xal  alla  öi  xLva  y.axa  X7]q 
aylac,  ovi'oöov  beginnt  und  anscheinend  bis  zum  Schluss  des 
Cap.  24,  bis  d(jJtaC,ovxai  p.  49^  reicht  Ja  dies  Citat  findet  sich 
—  auf  diese  Doublette  ist  schon  oben(S.  108)  hingewiesen  —  noch 
ein  zweites  Mal  in  der  Doctrina,  nämlich  p.  38'',  Z.  17  von  unten 
bis  p.  39%  Z.  7  von  unten;  an  letzterer  Stelle  ohne  irgend  eine 
auf  Leontius  hinweisende  Überschrift  —  wenigstens  im  Texte 
Mai's.  Zur  Würdigung  dieses  Citates  —  es  enthält  ein  Bruch- 
stück einer  Apologie  des  Chalcedonense  —  wird  später  Gelegen- 
heit sein. 

Von  der  Doctrina  aus  werden- wir  sodann  nach  zwei  Seiten 
hin  auf  neue  Fährten  gewiesen.  Wir  sahen  (vgl.  oben  S.  108), 
dass  zu  den  Quellen  der  Doctrina  vielleicht  die  Sammlung  von 
XQf'jGeic  xorv  jraTfc'(><»r  gehört,  welche  Photius,  cod.  231,  bespricht. 
Da  nun  auch  in  dieser  Leontiuscitate  enthalten  waren,  so  ist  es 
wahrscheinlich,  dass  diese  Citate  aus  den  Werken  unsers  Leon- 
tius herrührten.  Die  Sammlung  ist  nicht  erhalten,  soviel  man 
weiss.  Der  einzige  Beitrag,  den  die  Sammlung  zur  Lösung  der 
uns  beschäftigenden  Fragen  geben  kann^  ist  daher  die  Einfüh- 
rung des  Leontius  als  AminiOQ  o  xrjv  sQrj^fixTJv  jioXiTelav  y.di 
xov  [ioväöa  ßiov  l?.6{itrog  (Photius  a.  a.  0.,  Migne,  P.  G.  103, 
col.  1092).  Dass  diese  Einführung  von  Photius  der  Handschrift 
entnommen  ist,  folgt  daraus,  dass  Photius  selbst  irgendwelche 
Kenntnis  von  unserm  Leontius  nicht  verrät.  Etwaige  Zweifel 
daran,  dass  der  Leontius  der  Sammlung  der  ist,  von  dessen 
Schriften  Avir  sprechen,  treten  zurück,  wenn  man  beobachtet,  wie 
gut  die  citierte  Einführung  des  Leontius  zu  den  Titeln  passt,  die 
ihm  der  cod.  Laudianus  giebt:  Asovxiov  xov  aQt]fiixov  —  xov  (m- 
xagiov  AEOtniov  novaC.ovxoc  —  f/ayMQiov  Asovxiov  //oi'ayov  xal 


j22  Zweites  Capitel. 

fisydXov  doxrjTOv.  Der  cod.  231  des  Photius  bat  also  die  Be- 
deutung, dass  er  uns  in  den  Stand  setzt,  die  Überlieferung  des 
cod.  Laudianus  über  die  Lebensstellung  des  Leontius  bis  in  eine 
fast  400  Jahr  hinter  dem  cod.  Land,  zurückliegende  Zeit  zu  ver- 
folgen. Die  Wichtigkeit  dieses  Umstandes  wird  erst  später  (§  19) 
offenbar  werden. 

Nach  der  andern  Seite  hin  sehen  wir  uns  von  der  Doc- 
trina  auf  Johannes  Damascenus  hingewiesen,  denn  wir 
hatten  Gelegenheit  zu  bemerken,  dass  einige  in  der  Doctrina 
citierte  Abschnitte  aus  Leontius  durch  Lequien  bei  Johannes  Da- 
mascenus aufgefunden  sind  (vgl.  oben  S.  109). 

Johannes  Damascenus  steht  in  einem  höchst  eigentümlichen 
Verhältnis  zu  Leontius.  Dass  er  nicht  selten  teils  die  Gedanken, 
teils  auch  die  Worte  von  Leontius  herübergenommen  hat,  das  haben 
in  einzelnen  Fällen  schon  Turrianus  (cf.  Lequien,  opp.  Jo.  Da- 
masc.  I,  p,  396)  und  Lequien  bemerkt.  Die  Abhängigkeit  des 
-Johannes  Damascenus  ist  aber  noch  grösser,  als  die  Nachwei- 
sungen der  beiden  genannten  Gelehrten  erkennen  lassen.  Um 
so  auffälliger  ist  es,  dass  Johannes  Damascenus,  soviel  ich  sehe, 
den  Leontius  nirgends  genannt  hat. 

Zur  Einführung  am  geeignetsten  ist  die  Schrift  contra  Jaco- 
bitas  (Lequien  I,  p.  396 — 427).  Dass  hier  die  von  Johannes 
Damascenus  entwickelten  Gedanken  vielfach  mit  den  leonti- 
anischen  Schriften  gegen  die  Monophysiten,  d.  i.  mit  der  Schrift 
contra  Nestorianos  et  Eatychianos,  der  sjtiXvOig  und  den  xQtä- 
y.ovxa  XHpdXaLa  sich  berühren,  ist  so  sehr  in  der  Gleichheit  des 
Stoffes  begründet,  dass  eine  Benutzung  des  Leontius  nur  aus  be- 
sonders auffälligen  Parallelen  und  aus  wörtlicher  Übereinstim- 
mung einzelner  Abschnitte  erwiesen  werden  kann.  Als  beson- 
ders auffällige  Parallelen  nenne  ich:  cap.  29,  Lequien  I,  p.  404 
nnd  Epilysis  1932  A,  7  ff.;  cap.  54,  p.  410  und  contra  Nest,  et 
Eut.  1292AB,  triginta  capita  27,  coL  1912 A f.;  cap.  61,  p.  411 
und  trig.  cap.  6,  col.  1904 A;  cap.  67,  p.  412  und  trig.  cap.  17, 
col.  1905C;  cap.  68,  p.  412  und  trig.  cap.  18,  col.  1908A;  cap.  69, 
p.  412  und  trig.  cap.  26,  col.  1909D.  Wörtliche  oder  fast  wört- 
liche Übereinstimmung  waltet  ob  zwischen  cap.  11,  p.  399  und 
contra  Nest,  et  Eut.  1277D;  cap.  47,  p.  407  und  Epilysis  1936  A; 
cap.  50,  p.  407  und  Epilysis  1920  A;  cap.  58,  p.  411  und  trig. 
«ap,  27,  col.  1912B;  cap.  63,  p.  412  und  trig.  cap.  9,  col.  1904B; 


§  9.    Der  Schriftsteller  Leontius  v.  Byzanz  in  d.  byzant.  Tradition.     123 

cap.  77,  p.  414  und  trig.  cap.  29,  col.  1912D.  Auch  iu  den  xqtj- 
<j€cg  Tcöv  jtaztQcov,  welche  der  Schrift  contra  Jacobitas  angehängt 
sind,  macht  sich  Johannes  Damascenas  stillschweigend  die  Be- 
lesenheit des  Leontius  zu  nutz.  Allerdings  wissen  wir,  dass 
schon  im  sechsten  und  vollends  im  achten  Jahrhundert  Samm- 
lungen von  dogmatisch  brauchbaren  Vätercitaten  vorhanden  ge- 
wesen sind,  sodass  also  durch  eine  dritte  unbekannte  Grösse  die 
Verwandtschaft  der  Citate  bei  Leontius  und  bei  Johannes  Da- 
masceuus  vermittelt  sein  könnte.  Da  aber  Johannes  Damascenus 
die  Schrift  adv.  Nest,  et  Eut.  kannte,  scheint  diese  Annahme 
angesichts  der  Menge  der  Parallelen  künstlich.  Bis  zu  den  Cy- 
rillcitaten  (contra  Jacob,  p.  424)  sind  von  den  22  von  Johannes 
Damascenus  angeführten  Stellen  14  iu  der  Schrift  contra  Nest. 
et  Eut.  (Canis.-Basn.  I,  p.  548  sqq.)  nachweisbar*).  —  Dass  Jo- 
hannes Damascenus  die  Schrift  contra  Nest,  et  Eut.,  die  Epilysis 
und  die  triginta  capita  kannte  und  fleissig  benutzte,  ist  also 
zweifellos.  Unter  den  übrigen  Schriften  des  Johannes  Damas- 
cenus ist  in  Rücksicht  auf  die  eben  genannten  opera  Leontii  zu- 
nächst noch  beachtenswert  das  Fragment  der  hjillvöiq  JcQog  rovg 
Xtyovrag  xrX.  aus  der  ßißXog  Jiavösxxog  des  Johannes  (Lequien  I, 
p.  572  sq.):  von  p.  572 C,  3  ovo  (pvüeig  7]fi£tg  Xtyofiev  an  bis  zum 
Schluss  p.  573  A  ist  hier,  wieder  ohne  Nennung  des  Namens  Leon- 
tius, contra  Nest,  et  Eut.  col.  1293D,  letzte  Zeile,  bis  1296A,  Z.  3 
und  1296  C,  Z.  8  bis  1297B,  Z.  1  wörtlich  ausgeschrieben. 

Auch  das  Hauptwerk  des  Johannes  Damascenus,  die  jtrjy?) 
yi'cöoEcog^  zeigt,  wie  meist  schon  Lequien  bemerkt  hat,  mehr- 
fach Entlehnungen  aus  Leontius.  In  dem  dritten  Teile  dieses 
Werkes,  der  Ixdooig  dxQißTJg  xxX.  erinnern  zwar  manche  Aus- 
führungen sehr  an  Leontius  (vgl.  z.  B.  p.  237 CD  mit  adv.  Nest, 
et  Eut.  1289Dsqq.  und  p.  251  CD  mit  de  sectis  1261  CD),  doch 


*)  Der  Kürze  wegen  citiere  ich  nur  die  Seiten  bei  Canisius-Bas- 
nage  in  der  Reihenfolge  der  Citate  bei  Johannes  Damascenus:  549,  549, 
549,  Athanas.  contra  haer.  — ,  Methodius  — ,  550,  (Pseudo-)  Basilius  contra 
Aetium  — ,  Athanasius  ad  Epict.  — ,  548,  551,  551,  54S  (selbst  das  Scho- 
lion  ißt  mit  dem  bei  Leontius  befindlichen  verwandt),  551,  Gregorius  ex 
versibus  — ,  Ambrosius  de  incarnat.  — ,  552  (selbst  die  Einführungsformel 
„quam  auctoritatem  Cyrillus  protulit  in  Ephesina  synodo"  findet  sich  bei 
Leontius),  553,  553,  553,  Amphilochius  ex  eadem  ep.  ad  Seleucum  — . 
Gregorius  Nyssenus  ad  Philippum  — ,  552. 


\  24  Zweites  Capitel. 

beweisend  sind  diese  Anklänge  nicht.  Wörtlich  herübergenoni- 
mene  Ausführungen  finden  sich  nur  in  den  beiden  ersten  Teilen, 
und  zwar  sind  es  die  in  der  Doctrina  uns  genannten  <jxö?ua 
Asovxiov  und  die  Epilysis,  die  Johannes  von  Damascus  hier 
tacite  ausschreibt.  Ich  nenne  die  fünf  beweisendsten  Stellen: 
\)y.£(pä)MLa  (ptXoaoqjLy.a  cap. 29,  p. 35,  vgl.  das  oben  in  §  8,  S.  115f. 
unter  Nr.  II,  1  und  2  angeführte  Fragment  tx  rcöz'  oyolicov 
AsovTiov   aus   der   Doctrina   (Migne    86,  2,    col.  2009  D  ff.); 

2)  ibid.  cap.  42,  p.  45,  vgl.  die  zweite  Hälfte  des  bei  der  vorigen 
Nummer   genannten    Fragments    (Migne  86,  2,   col.  20128  ff.); 

3)  ibid.  cap.  44  und  45,  p.  46  f.  z.  T.  wörtlich  aus  demselben 
oben  S.  115  sub  II,  1  genannten  Fragment  ez  rmv  oyoXicov  Asov- 
Ttov  in  der  Doctrina  (Migne  86,  2,  col.  2009Dff.);  4)  ibid. 
cap.  65,  p.  67  B,  6 — D,  4  fast  wörtlich  gleich  dem  aus  der  Epi- 
lysis stammenden  Fragment  III  in  der  Doctrina  (Migne  86,  2, 
col.  2013  A),  vgl.  oben  S.  116;  5)  Jisgl  cugioscov  cap.  84,  p.  107, 
nach  Lequien  in  annot.  z.  T.  wörtlich  aus  den  oyöXia  AeovTiot\ 
wie  ein  Citat  der  Ecloge  Claromontana  beweise*). 

Überblickt  man  die  letztgenannten  Entlehnungen  aus  den 
O/oXia  Aeovziov,  so  bemerkt  man  sogleich,  dass  sie  sämmtlich 
auch  in  der  Doctrina  sich  finden.  Bei  den  sub  Nr.  1,  2,  3  an- 
geführten können  wir  diese  Thatsache  selbst  beobachten,  bei 
Nr.  5  sind  wir,  weil  die  Mai'schen  Mitteilungen  aus  der  Doc- 
trina das  fragliche  Citat  aus  den  oyoha  Aeovziov  nicht  ent- 
halten, genötigt,  erst  durch  einen  Rückschluss  von  der  Ecloge 
Claromontana  auf  die  Doctrina  die  Thatsache  festzustellen. 
Doch  ist  dieser  Schluss  nach  dem  in  §  7  über  das  Verhältnis 
zwischen  der  Ecloge  Claromontana  und  der  Doctrina  Bemerkten 
ein  völlig  sicherer**).  Es  kann  daher  nicht  entschieden  werden, 
ob  Johannes  Damascenus  ausser  den  tres  libri  adv.  Nest,  et  Eut., 


')  Diese  Angabe  ist  controlierbar ,  da,  wie  Lequien  bemerkt,  das 
Citat  der  Ecloge  Claromontana  sich  auch  in  des  Euth_ymius  Panoplia 
tit.  17  (Migne.  P.  G.  130,  col.  1088)  findet. 

'*)  Doch  vermute  ich,  dass  Lequien  sich  geirrt  hat,  wenn  er  sagt, 
das  betreft'ende  Citat  finde  sich  im  17.  Cap.  der  Ecloge  Claromontana. 
Der  Titel  dieses  Cap.  (vgl.  die  Capiteltafel  der  Doctrina,  Mai,  p.  2  und 
oben  S.  96f.)  lässt  dies  unwahrscheinlich  erscheinen,  während,  cap.  16  {xaza 
ayvoLTcöv  .  .  xcd  xaza  c<(p9-a Qxoöoy j/tüv)  als  der  Ort  erscheint,  wo  jenes 
Fragment  zu  suchen  ist. 


§  9.     Der  Schriftsteller  Leontius  v.  Byzanz  in  d.  byzant.  Tradition.     125 

deu  trigiiita  capita  und  der  Epilysis  auch  die  cyölia  A^ovxiov 
selbst  gelesen  hat,  oder  ob  ihm  letztere  nur  aus  einer  Sammlung, 
wie  die  Doctrina  es  ist,  bekannt  waren. 

Johannes  Damascenus  scheint  deshalb  uns  mehr  aufgehalten 
als  gefördert  zu  haben.  Allein  ein  Doppeltes  haben  wir  doch 
gewonnen.  Zunächst  sind  wir  auf  ein  siebentes  Leontiuscitat  in 
der  Doctrina  hingewiesen,  und  sodann  haben  wir  erfahren,  dass 
dies  von  Mai  nicht  mit  abgedruckte  Citat  bei  Euthymius  Zi- 
gabenus  [f  nach  1118]  zu  finden  ist. 

Wir  wenden  uns  deshalb  zu  diesem.  Wir  finden  hier  (Pan- 
oplia,  tit.  17,  Migne  130,  col.  lOSSf.)  das  auch  bei  Johannes  Da- 
mascenus benutzte  Stück  der  oyoha  Aeovrioh\  eingeführt  als  xard 
dg)&-aQzo6oxiT(äv  (sie)  rcäv  djio  lovZiavov  rov  AXrxagvaooiojg 
y.al  raiavov  tov  'AXesavögacog  tx  rcöv  oyokicov  ylsovriov.  Ein 
zweites  Leontiuscitat  bei  Euthymius,  ein  Citat  Asoi'rlov  BvC,av- 
Tiov  EX  TMV  X  xsg)a).aioji^  xcov  xaxd  ^evf'/QOV  (Panoplia,  tit.  16, 
Migne,  F.  G.  130,  col.  1068—1073)  ist  schon  bei  Fabricius- 
Harles  VIII,  p.  310  not.  ee  nachgewiesen.  Ein  drittes  Citat, 
eingeführt  unter  dem  Titel  Aeoptiov  BvZ,avxiov,  ola  ßXaO(f7jfiti 
^svijQog  xal  ol  xax  avxov  {iovo<pvotxat  xaxd  xrjq  av  XaAxfj- 
öövL  ovi'oöov ,  finden  wir  gleichfalls  in  tit.  16  der  Fauoplia 
(Migne  130,  col.  1084 f.  .  Es  ist  identisch  mit  dem  im  Eingang 
dieses  Paragraphen  nachgewiesenen  Citat  ax  xSv  oyolicov  Aaov- 
xiov  in  der  Doctrina  p.  48  und  3S.  Da  nun  auch  die  beiden 
andern  Citate  bei  Euthymius  in  der  Doctrina  sich  finden  — 
das  Citat  ax  xcöv  X  xacpaXaicov  bei  Euthymius  bietet  die  Nummern 
1,  2,  3,  4,  5,  8,  9,  12,  14,  18,  19,  20,  24,  26,  27  der  Doctrina 
p.  40 — 45  citierten  triginta  capita  — ,  so  erhellt,  dass  Euthymius 
eine  originale  Kenntnis  von  den  Werken  des  Leontius  nicht 
mehr  hatte.  Er  hat  eine  Sammlung  wie  die  Doctrina  benutzt. 
Nur  weil  das  eine  der  Citate  in  der  Doctrina  nur  bei  Euthy- 
mius uns  vorliegt  (Nr.  1  der  Citate  bei  Euthymius),  und  weil  bei 
dem  dritten  der  bei  Euthymius  nachgewiesenen  Citate  der  Text 
von  dem  der  Doctrina  etwas  abweicht,  das  Citat  bei  Euthymius 
auch  weiter  zu  reichen  scheint,  als  das  der  Doctrina,  kann 
Euthymius  im  weitern  Verlauf  unserer  Untersuchung  nicht 
ganz  beiseit  ffelassen  werden*). 


*)  Dieselben  Leontiuscitate,    welche  Euthymius  bietet,    tinden  sich 


126  Zweites  Capitel. 

Soweit  sind  wir  sicher  A^on  einem  zum  andern  gefüTirt.  Nun 
bleibt  uns  nichts  andres  übrig,  als  auf  die  Höhe  zu  fahren  und 
Überschau  zu  halten  über  die  ganze  Litteratur  nach  544,  ob  wir 
so  vielleicht  noch  weitere  Citate  aus  Leontius  oder  Nachrichten 
über  ihn  erspähen  möchten.  Trotz  manches  blätternden  Suchens 
in  den  Schriften  des  Maximus  und  in  denen  der  spätem  Griechen, 
trotz  der  Benutzung  aller  Indices  der  Migne'schen  Patrologie, 
habe  ich  nur  zwei  Citate  und,  ausser  der  schon  bekannten  (vgl. 
oben  S.  6)  Nachricht  des  Nicephorus  Callisti,  nur  zwei  Angaben 
gefunden,  die  sich  auf  unsern  Leontius  beziehen  müssen. 

Von  den  beiden  Citaten  ist  das  eine,  ein  Citat  Ix  xmv  xs- 
(paXaimv  Asovzlov  rwi^  xaxa  2eßt)Qov,  in  dem  noch  ungedruck- 
ten (Fabricius-Harles  VII,  p.  742)  „Thesaurus  orthodoxias" 
des  Nicetas  Choniates  [f  nach  1206]  (s.  den  Index  zum  cod.  Med. 
Laurent.  Plut.  IX,  Nr.  XXV  bei  ßandini,  Catalogus  etc.  I, 
p.  434)  völlig  wertlos,  denn  es  ist  zweifellos  aus  Euthymius 
herübergenommen. 

Und  wenig  bedeutsamer  ist  das  zweite  Citat.  Patriarch  Ni- 
cephorus von  Constantinopel  (f  828)  citiert  in  seinen  erst  neuer- 
dings griechisch  bekannt  gewordenen  Antirrhetica  (bei  Pitra, 
Spicilegium  Solesmense  I.  1852,  p.  348)  neben  andern  testimo- 
nia  patrum  den  Abschnitt  Leontius  adv.Nest.  etEut.I,  col.  1284B 
(des.:  atQeipiaq,  löyov)^  und  zwar  unter  dem  Titel:  xov  fiaxaQiov 
Atovxiov  Ix  xov  xaxa  NboxoqIov  xal  Evixvyovq  Xoyov,  ov  rj 
^QXV  ij'^ov  x£qX  vjiO(jxa080jg  xal  ovolag  k6jop^\  xQLxrj  xcöv 
aiQSxixcöv  jiQoxaöig.  An  diesem  Citat  ist  nur  das  gesperrt 
Gedruckte  nicht  unwichtig.  Pitra  freilich  wusste  mit  diesen  vier 
Wörtern  nichts  anzufangen.  „Sed  undenam"  —  so  sagt  er  in 
der  Anmerkung  —  „pro  tertia  haereticorum  expositione  habeatur,. 
quod  apud  Majum  [Spicileg.  Rom.  X,  pars  II,  Nr,  13]  aperte 
inscribitur  et  inscribi  debet  loyog  A,  nihil  est  nisi  scholion 
insulsum".    Allein  die  Thorheit  ist  hier  auf  Seiten  des  gelehrten 


in  einer  anonymen  Sammlung  antiliäretischer  Citate  aus  den  Vätern  in 
Cheltenham  (Bibliotheca  Pliillippica  cod.  1483),  doch  ist  diese  anonyme 
Handschrift  nach  der  Beschreibung  im  Catalogue  des  Manuscrits  grecs 
de  Guillaume  Pelicier  eveque  de  Montpellier,  ambassadeur  de  Fran^ois 
ler  ä  Venise,  publie  par  H.  Omont,  Paris  1886,  p.  24  f.,  offenbar  mit  der 
Panoplia  des  Euthymius  identisch. 


§  9.    Der  Schriftsteller  Leontius  v.  Byzanz  in  cl.  byzant.  Tradition.     127 

Cardinais,  der  einem  Scholiasten  zutraut,  dass  er  das  erste  Buch 
eines  orthodoxen  Werkes  als  rgirtj  aiQsrixföv  jiQÖraüig  bezeich- 
net habe.  Es  ist  hingewiesen  auf  die,  wie  oben  (S.  18)  gesagt, 
in  unsern  Handschriften  verlorene  Unterabteilung  des  ersten 
Buches:  „bei  der  Erörterung  des  dritten  Einwandes  der  Häre- 
tiker". Die  Erörterung  der  ersten  jigöraOiQ  beginnt  offenbar 
col.  1276 C,  die  der  zweiten  col.  1280B,  die  der  dritten  —  dies. 
passt  völlig  zu  der  Angabe  des  Nicephorus  —  col.  1284B.  Wir 
finden  also  durch  dies  Citat  des  Nicephorus  bestätigt,  dass,  wie 
ich  oben  S.  18  ohne  Beweis  glaubte  voraussetzen  zu  müssen, 
die  Capitelzahlen  in  adv.  Nest,  et  Eut.  I  bei  Mai,  Spicileg.  X, 
von  Mai  herrühren,  nicht  aber  aus  seiner  Handschrift  stammen. 

Sehr  viel  wichtiger  sind  die  drei  Nachrichten  über  Leontius,. 
die  wir  noch  zu  besprechen  haben,  wenigstens  zwei  von  ihnen. 

Die  älteste  dieser  Nachrichten  findet  sich  bei  dem  Nestor 
auf  dem  constantinopolitanischen  Patriarchenstuhle,  bei  dem  730 
abgesetzten  Bilderfreunde  Germanus,  der  etwa  98 jährig  im 
Jahre  733  gestorben  ist.  Unter  seinen  Werken  druckt  Migne, 
P.  G.  98,  col.  39 — 88  nach  der  editio  princeps  von  Mai  (Spicileg. 
Rom.  VII*),  p.  3  sqq.)  ein  Buch  .de  haeresibus  et  synodis",  das 
seine  Entstehung  in  den  nächsten  Jahren  nach  726  deutlich  zur 
Schau  trägt  (Migne,  col.  77),  und  anscheinend  in  der  That  von 
dem  abgesetzten,  also  etwa  95jährigen  Germanus  herrührt  (vgl. 
col.  80 D**).  In  diesem  Buche  berichtet  Germanus  da,  wo  er 
von  der  Zeit  des  Kaisers  Anastasius  spricht,  noch  ehe  er  den 
Justinian  und  den  Severus  erwähnt  hat,  col.  69 D  von  den  An- 
griffen des  Philoponus  —  den  er  als  Tritheisten  nicht  kennt  — 
auf  das  Chalcedonense.  AsövxLoq  de,  so  fährt  er  dann  col.  72  "* 
fort,  o  rTjQ  tQ/'/fiov  f/ovaxog  ßißXiov  (jvv£d-i]XEV  svaxoör/crov 
vjcsQ  TTJg  ToiavTTjg  ovpoöov  ti'iöTafispog '  üioXlag  ö'k  [laQxvQiag 
Iv  avTcö  xarayQcctpag  jcsql  t//c  övCxijg  q)(avrjg^  oO-sv  xal  Aeov- 
Tia  TO  ßißUov  tx  TOVTOV  lxh'id^7].  — ■  Dass  hier  von  unserm 
Leontius  die  Rede  ist,  macht  die  Zeit  desselben  und  die  Bezeich- 
nung 0  ri/c  iQijfiov  novayög  (vgl.:  Aiövxiog  o  xi]v  tQrimxijV  xo- 

*)  Bei  Migne  98,  col.  35  ist  irrig  VIII  angegeben 
*■■■)  AVäre  Germanus    nicht   selbst  der  Verfasser,    so  wäre  die  Nicht- 
erwähnung desselben  bei  den  Angaben  über  den  Bilderstreit  (col.  77  sqq.) 
kaum  begreiflich.     Auch  die  genauen  Angaben   über  die  sechste  Synode 
SYjrechen  für  die  Autorschaft  des  Germanus. 


128  Zweites  Capitel. 

XiTEiav  .  .  tXo^uevog  —  laovrlov  tgyjii'iTOV  u.  s.w.  oben  S.  121)  fast 
gewiss,  die  Erwähnung  der  Äsovxia  zweifellos.  Dass  Germanus 
diesen  Titel  falsch  erklärt,  daher  vermutlich  die  yhovzia  nie  ge- 
nauer gelesen  hat,  verringert  die  Bedeutung  dieser  Stelle  nicht. 
Ta  Aeovria  ist,  wie  wir  oben  S.  1 19  aus  dem  dort  besprochenen 
,  Fragment  1"  schon  gelernt  haben,  und  wie  das  Wort  selbst  es 
andeutet  (vgl.  die  Bemerkung  von  Mai,  Spicileg.  Rom.  X,  pars  II, 
p.  151  not.),  die  Sammlung  der  Werke  des  Leontius.  Diese  Samm- 
lung, die  wir  schon  oben  auf  Grund  des  „Fragment  I"  wenig- 
stens vermutungsweise  für  bedeutend  älter  hielten,  als  den  cod. 
Laudianus  und  den  ältesten  der  codd.  (col.  Pal.  281  anni  1040), 
welche  Ix  rcor  Asovricov  Fragmente  bringen,  ist  also  schon 
circa  730  nachweisbar.  Das  ist  die  eine  wichtige  Lehre  dieser 
Germanusstelle.  Nicht  minder  wichtig  ist  die  Nachricht,  dass 
in  diesen  yhovria  eine  Apologie  des  Chalcedonense  enthalten  ge- 
wesen sei,  der  —  ganz  nach  Art  des  Leontius  — -  viele  XQ'J^^'? 
Tcöv  jtarsQcov  zu  Gunsten  der  Zweinaturenlehre  eingefügt  waren. 
L^nter  den  in  Cap.  I  besprochenen  Schriften  befindet  sich  eine 
Apologie  des  Chalcedonense  nicht.  Wir  werden  hier  also  über 
den  Bestand  der  Sammlung  im  cod.  Laudian.  hinausgewiesen. 
Ob  die  antithetische  Verknüpfung  dieser  Schrift  mit  den  An- 
griffen des  Philoponus  auf  das  Chalcedonense  von  Germanus  nur 
zu  Nutz  des  Pragmatismus  der  Darstellung  beliebt  ist.  oder  in 
dem  Werke  selbst  begründet  war,  diese  Frage  wird  später  ihre 
Erledigung  finden. 

Fast  hundert  Jahre  später  als  Germanus  erwähnt  Theodo- 
rus  Studita  (f  826)  den  Leontius.  In  einem  zwischen  819  und 
826  geschriebenen  Briefe  (epp.  lib.  II,  Nr.  168,  Migne,  P.  G.  99, 
col.  1532)  dankt  er  dem  Johannes  Grammaticus  dafür,  dass  der- 
selbe [„?)  Tif/wztjq  öou"  ist  die  Anrede]  sich  der  Correctur  rov 
jcQoq  ri(.imv  rcöv  dfiaü'wv  ovvrax>>tvroQ  26/ov  unterzogen  habe,  An- 
merkungen aufgeschrieben  habe,  die  er,  Theodor,  benutzen  werde. 
EjcELÖr)  6s,  so  fährt  er  nun  fort,  rjjtÖQrjös  [seil,  rj  n^iörriq  oov], 
jcäq  tjULv  vBvor]xai  xo  vjioxeinevov,  y.al  coq  aXlmq  ly.XanßävsO- 
&at.  3iaQ  avxTJg  [diese  in  Klammer  beigefügte  Lesart  scheint  .der 
andern  xüq'  avxov  vorgezogen  werden  zu  müssen,  da  xiuwxtj- 
xog  zu  ergänzen  ist]  xa&ä  vjisof/fi/jvaxo-  Ovi^/jjcoQ/'jöafar  yMl 
rjfisig,  oxL  r^jcoQrjOav  o  xsqI  üiävxa  00(p6q  [nämlich  der  Ange- 
redete].    T6  yccQ  vjtoxd^i8vov\  co  davuaoie,  xaxa  Aeorxior  xov 


§  9.    Der  Schriftsteller  Leontius  v.  Byzanz  in  d.  byzant.  Tradition.     129 

(ittxccQLOv,  ov  za  O'/öXta  vjieQyMZF/,  ovoiav  sLvaL  liyu  [^t'/o?*)] 
y,i.xa  vjtoozaOECog. 

Beruht  dies  Urteil  über  die  oyoXia  Asoi'zlov  auf  eigner 
Keuntuisnabme  ?  In  deru  Falle  würde  man  Spuren  der  oxöXia 
auch  sonst  bei  Theodorus  Studita  vermuten  dürfen.  Ich  habe 
vergeblich  nach  ihnen  gesucht,  wenn  auch  nicht  mit  der  Sorg- 
falt, die  mir  erlaubte,  das  Vorhandensein  derselben  entschieden 
zu  verneinen.  Theodorus  Studita  steht  mit  seinem  theologischen 
Denken  ganz  in  der  griechisch-aristotelischen  Scholastik,  deren 
erster  Repräsentant  für  uns  Leontius  ist,  als  deren  bedeutendster 
Vertreter  Johannes  von  Damascus  gilt.  Eben  deshalb  darf  man 
auch  an  Stellen  wie  Antirrhet.  III,  Migne  99,  col.  397 CD,  trotz 
der  engen  Verwandtschaft  mit  dem  Fragment  der  öy^oXia  Atov- 
riov,  das  oben  S.  117  unter  Nr.  5  aufgeführt  ist  (Migne  86,2, 
col.  2016),  die  Annahme  einer  directen  Beeinflussung  durch  Leon- 
tius nicht  als  geboten  ansehen.  Allein  wenn  auch  sonst  in  den 
Schriften  des  Theodorus  Studita  wirklich  nichts  mit  Notwendig- 
keit auf  Leontius  hinwiese,  so  kann  doch,  da  auch  nichts  dieser 
Annahme  geradezu  widerspricht,  auf  Grund  jener  schlichten 
brieflichen  Erwähnung  des  Leontius  angenommen  werden,  dass 
Theodorus  Studita  die  oyjolia  Aeoiniov  kannte.  Man  ist  dann 
genötigt,  seine  Aussage,  dass  in  denselben  Ausführungen  über 
den  Begriff  des  vjcoxeifitvov  oder  wenigstens  eine  Definition 
desselben  sich  fand,  vertrauensvoll  zu  späterer  Benutzung  ad 
acta  zu  nehmen. 

Nach  den  letzten  beiden  lehrreichen  Nachrichten   kann  der 

*)  Ohne  die  vorgeschlagene  Änderung  des  Textes  verstehe  ich  den 
Brief  nicht.  Bleibt  /Jyizi  stehen,  so  müsste  man  entweder  ein  Anako- 
luth  annehmen;  wie  Sirmond  in  seiner  Übersetzung:  „Suppositum  .  .  . 
beatus  Leontius,  cujus  scholia  exstant  praestantissima,  substantiam  esse 
dicit  cum  hypostasi",  oder  man  müsste  zu  ?Jy6i  das  ?/  ri^iöxriq  gov  als 
Subject  ergänzen,  in  dem  Satze  also  eine  Wiederholung  dessen  sehen,  was 
Johannes  Grammaticus  bemerkt  hatte.  Allein  gegen  die  erstere  Annahme 
spricht  die  Kürze  des  Satzes,  gegen  letztere  der  Umstand,  dass  alles,  was  folgt 
Aiyti  dl  neu  6  fibyaq  BuaiXeioq  xx)..),  die  Richtigkeit  der  Definition  ovoia 
iif-zt:  inoazccG8(og  begründet,  mithin  in  dem  Satz  über  Leontius  das  aus- 
gesprochen sein  muss,  was  Theodorus,  nicht  aber  Johannes  meint.  Über- 
dies ist  nach  der  directen  Anrede,  cü  &avfj.äois,  zu  dem  kcyei  schwerlich 
der  Angeredete  als  Subject  zu  denken.  Muss  demnach  geändert  werden, 
dann  ist  es  einfacher,  für  „Xtyei"  „?Jy(o*  zu  lesen,  als  das  xara  zov  [la- 
xÜqiov  AtövxLov  in  ein  o  [xaxuQioq  Aeoviioq  zu  verbessern. 
Texte  u.  Uutersuchungeu.  III,  1.  9 


130  Zweites  Capitel. 

confuse  Bericht  des  IS^icephorus  Callisti  um  so  weniger  Anspruch 
auf  Interesse  machen,  je  weniger  neu  das  Wissen  um  diese  Stelle 
ist  (vgl.  Fabricius-Harles  VIII,  p.  310,  not.  ee).  Dennoch 
kann  es  uns  nicht  erspart  werden,  auf  denselben  einzugehen; 
eine  Kritik  ist  eben  deshalb  nötig,  weil  der  Bericht  so  confus  ist. 
Um  die  Angaben  des  Nicephorus  über  Leontius  richtig  zu 
würdigen,  muss  man  mit  der  Leetüre  seiner  Kirchengeschichte 
mindestens  da  einsetzen,  wo  er  die  Dogmengeschichte  der  nach- 
chalcedonensischen  Zeit  nachzuholen  beginnt,  nachdem  er  der 
politischen  Geschichte  bis  in  den  Anfang  des  7*^°  Jahrhunderts 
gefolgt  war  (lib.  18,  cap.  45,  Migne,  P.  Gr.  147,  col.  417).  Zur 
Zeit  des  Anastasius,  so  erzählt  Nicephorus,  bekamen  die  An- 
hänger des  Eutyches  neuen  Mut.  In  viele  Sekten,  Jacobiten, 
Theodosianer,  Julianisten,  Tritheisten,  Agnoiten,  Theopaschiten, 
Armenier,  Severianer  gespalten,  sagten  sie  sich  von  der  Kirche 
los,  griffen  das  Chalcedonense  an  und  vertraten  —  ol  jtsgl  Jloö- 
xoQov  TS  xal  FaCov  xal  rov  rtjg  \4vtl6xov  ^evtjqov,  xqoq  ös 
xal  'Idxcoßov  xal  rov  yQafjftarixov  ^Icoavvyp^  og  txlrjO-rj  <PlXÖ- 
Jtovog  —  die  Behauptung  fila  ftlv  cpvOLg  ovo  öe  v^ooraösig 
(!  col.  42  lA).  Über  die  Zeit  der  eben  erwähnten  Häresiarchen 
ist  Nicephorus  in  völligster  Unkenntnis.  Dass  Severus  das  Haupt 
der  Monophysiten  gewesen  ist,  weiss  er  allerdings  (cap.  49,  col. 
429  C),  doch  sowohl  den  Theodosius,  als  den  Philoponus  nennt 
er  (a.  a.  0.)  in  der  confusesten  Weise  als  seinen  Nachfolger. 
Überdies  setzt  er  das  Treiben  des  Severus,  Gaius,  Philoponus 
ausdrücklich  in  die  Zeit  vor  Justinian  (vgl.  cap.  45,  col.  421 B: 
xal  xavra  fisv  tjiexQc'ctsi  axQt  xal  rr/g  'lovöriviavov  äva(>QrjG£cog). 
Die  relativ  beste  Kenntnis  hat  er  über  Philoponus.  Zu  ihm  geht 
er  deshalb  auch  nach  den  allgemeinen  Bemerkungen  alsbald 
über;  cap.  47  handelt  allein  von  ihm,  und  cap.  48  beginnt 
abermals:  All'  o  fzev  ^iZojtovog  xal  oöoi  exelvov  öv/KpQovsc 
xrX.  Hier  in  cap,  48  folgt  nun  nach  einigen  Bemerku.ngen  über 
die  Trinitätslehre  des  Philoponus  und  seiner  Gesinnungsgenossen 
die  oben  S.  6  schon  citierte  Stelle  über  Leontius :  'AUa  jroUoi 
fiiv  xal  alXoL  xovxoig  avxid^tvxo'  ^laXioxa  6s  üiavxmv  6  fio- 
vaxog  AsövTLog  ysvvaimg  sv  1'  xstpalaioig  ßißXov  oXr^v  xovxoig 
avxsöxrjösv ,  aQÖrjv  [isv  xrjv  xoLavTi]v  aiQsOLV  avaxQSüiovöav, 
CcpoÖQa  ÖS  xal  xo  xad^'  fjf^äg  evosßsg  öoy^ua  XQaxvvovOav.  'Ejcl 
ÖS  xovxcp  xal  6  d-avftaöiog  öiäxovog  xal  QairfsgsvöaQiog  FscoQ- 


§  9.    Der  Schriftsteller  Leontius  v.  Byzanz  in  d.  byzant.  Tradition.     131 

yioc.  o  IliöOlötjg  [unter  Heraclius,  610 — 641,]  yXixicörrjg  ojv  ixtivo) 
d  xal  T(ß  yjQÖvco  l'iav  vscorsQog  xzl. 

Trotz  der  vielen  Irrtümer  und  trotz  der  grossen  Verwirrung 
in  diesem  Berichte  —  Georgius  Pisides  ein  Zeitgenosse  des  Mannes, 
der  einem  Ketzer  der  vorjustinianisclien  Zeit  entgegentrat!  —  scheint 
es  zunächst,  als  ob  die  Angaben  über  Leontius  auf  zuverlässiger 
Überlieferung  beruhten.  Denn  von  einem  grossen  Werk  des 
Leontius  gegen  Philoponus  hörten  wir  schon  den  Germanus 
reden,  und  Nicephorus  weiss  sogar,  in  wieviel  Capitel  es  einge- 
teilt sei!  Beobachtet  man  aber,  dass  Nicephorus  auch  darin  mit 
Germanus  übereinstimmt,  dass  er  den  Philoponus  in  die  Zeit  vor 
Justinian  setzt,  dann  hört  die  Harmonie  zwischen  beiden  auf,  eine 
Stütze  ihrer  Behauptungen  zu  sein,  weil  die  Vermutung,  Nice- 
phorus sei  von  Germanus  abhängig,  sich  nicht  zurückdrängen 
lässt.  Glücklicherweise  lässt  sich  über  die  Richtigkeit  dieser 
Vermutung  sicher  entscheiden.  Die  folgende  Nebeneinander- 
stellung zweier  Abschnitte  aus  dem  ersten  der  besprochenen 
dogmengeschichtlichen  Capitel  des  Nicephorus  und  eines  Capitels 
aus  Germanus  erweist  zweifellos,  dass  Germanus,  de  haeresibus 
et  synodis  eine  der  Quellen  des  Nicephorus  ist: 

Germanus,  de  haeresibus  cap.     Nicephorus,  h.  e.  18,  cap.  45 
32  und  33  init.  (Migne,  P.  G.     (Migne,  P.  G.  147,  col.  420 f.). 
98,  col.  69). 

Cap.  32:  Avrov  de  xov  Uy-  Col.  420,  Z.  1:    Toh  6\  ßaoi- 

d^svTOg    Atovxog     xov     ßlov  Xtcog  Äiovxog  x6  ßiovv  (itx- 

vjcsS,8ld^6vxog    y.al    Zf'/rcorog  aXXä^arxog^  Ztjvcovog  xe  y.aX 

8X1  fir/v  y.al  'Aimoxaoiov  /^er'  Ai^aoxaolov    xtjv    ßaoiXeio7' 

oZiyov  vöxsQov  ßaGiXevödvxcov,  ctQ^riv   vjtoC,coöafi£vcov, 

xa(tQrjoiav  xov  ItjEiv  ol  öi'  jtaQQrjOlav   6xi    JcXdoxrjv   ol 

kvavxiag   xaxa   xijg   övvodov  öl    svavxiag  ovxot  xij  ö'  ov- 

iXafißavov,    xal  xo  xöJv  'Ja-  voöqo  lovxeg  kXa(ißavov.    Tr/- 

itmßixcöv  xal  SeoöoöLavojv  j^ixavxa  öe  xal  xo  xcop  axscpa- 

Xcov,  cor  jtQoazäxtjg  o  xfjg  llv- 

küiBxcofiaöe  jcXrjd^og,  [liav  (pv-  xioy^ov  JSsvtJQog  tyti'sxo,  fitav 

Giv  xov  Xoyov  xal  xijg  OaQ-  cpvOLV  xov    Xöyov   xal    xr/g 

xog    jiQe<jß(iv6vxa)v ,    xal    x?jv  oaQxog  xaxajg  öoyfiaxi^a)v,xal 

tsxagxi^v    dvad^sfiaxiC^ovxmv  xo  xöJv  'laxmßixwv,  Otodo- 

Cvvoöov.    'ExuQwvxo  61  dva-     oiavcöv ibid.  D,  Z.  2:  .  .  . 

9* 


1^32  Zweites  Capital. 

TQijtiiv  y.ai  xor  r  6 [lov  ro v  &hov  rofiov  rov  tv  ayloig 
AeovTog^  rov  fjaxaglov  ys-  hgovAeovrog  r ov  rijg  xqso- 
yovöxog  jcäjca'Pc6[i7]g.  'AXX'  ßvrtQag'PcofUjg  aQyisQtmg^ 
EvXoyiog^  6  h>  ayloig,  rov  rjv  on'jhiv  OQ&odosiag  ol  svos- 
t6t6  TOfiop  £jts^7]y7jOaTO,  ßovvreg  tvöixcog  mvofzaoav, 
xal  xaXoJg  tyuv  jcccvra  ajii-  dvazQtjtaiv  sv  f/äXa  og  a(p6- 
dei^E,  fi7]d£V  oxoXiov  tr  xotg  öga  rrjv  OvvoÖov  tJtSQeiöovza. 
ygafifiaöi  rov  üiQoXex^ävrog  Ov  öTjxa  xal  o  d^siozarog  jcdjt- 
yltoi'Tog  lvT£TVjtcöo&ai  diöc'csag.  jiag  liXssavÖQdag  EvXoyiog 
ficO.Xop  ÖS  jtX)/Q?]  slvai  &eoO£-  es?]yi/Odfi£Vog  vöteqov,  ccqi- 
ßsiag  xal  Öoyiiärcov  6q{^cöv  rä  öxa  xal  cog  XQecov  ovyxstod-ai 
xovxov  Ovyygdf/i/axadjtoösisag.  xovxov  Oag^Sg  ajts(p7)vaxo'  og 
"Of/cog  f'j  x£  ovpoöog  sJil  jtolv  xal  txtga  jcXtlöxa  OvyyQccfi- 
d[jv7]fx6vevxog  Sfisivs,  xal  Jiäg  f/aza  Xoyov  xal  (iv/jfirjg  dgia 
tavzcß  Z7)v  vofii^ofievr/v  xal  zfj  exxX7]oia  Xqiözov  xazaXi- 
öoxovöav  agy/jv  tjtsojiäzo,  xal,  Xoljcbv.  Mezä  öt  zovzov  yjQO- 
(og  djiEiv,  txaozoi'  JcQog  zrjv  vq:>  jioXXm  vozsqov  xal  o  x/jg 
oixeiav  jc'iozlv  xal  yvcö[H]v  cmo- 
zQäyEiv,  xal  jtXrjd^og  JtoXv  6zi 
djcooyiozcöv    xdvzsv&ev    tßXd- 

oxrjosv.  'Avxiöyov  jiQotÖQog^  o  ex^ivaiov 

Cap.  33:  Avaoxdoiog  6s  o  ötjXaöf'/^Avacx do lo g,  jiX.sloxov 
^ivxioyslag  fisydXcog  vjisq  xr/g  xal  ovzog  vjisq  xi'ig  aylag  d' 
Ovvööov  Gvviöxaxai  xxX.  Ovvödov  öiafjayofiarog  xxX. 

Ist  demnach  Nicephorus  von  Germanus  abhängig,  so  ist  aus 
Nicephorus  über  die  gegen  Philoponus  gerichtete  Schrift  des 
Leoutius  nicht  mehr  zu  entnehmen,  als  schon  bei  Germauus  steht, 
d.  h.  es  bleibt  fraglich,  ob  Leontius  ein  Gegner  des  Philoponus 
gewesen  ist,  oder  ob  ihn  nur  der  Pragmatismus  des  Germanus 
dazu  gemacht  hat.  Auch  für  die  Zeitangabe  kommt  Nicephorus, 
seit  seine  Quelle  nachgewiesen  ist,  nicht  mehr  in  Betracht. 

Doch,  so  müssen  wir  uns  selbst  entgegenhalten,  zeigt  sich 
nicht  in  der  Angabe,  das  Werk  habe  aus  dreissig  Capiteln  be- 
standen, um  so  mehr  eine  eigne  Kenntnis  des  Nicephorus,  je  auf- 
fälliger es  ist,  dass  er  den  Titel  xd  Asovxia  aus  Germanus  zu 
wiederholen  unterlässt?  Ich  glaube,  diese  Frage  muss  bedingt 
bejaht  werden.  Noch  Euthymius  und  Nicetas  Choniates  haben 
ein  Citat  ex  xcöv  zQidxovza  xsg:aXata)v  Asovziov  (s.  oben  S.  126); 
dies  Citat  wird  Nicephorus  ungenau  gekannt  haben,  und  diese 


§  9.    Der  Schriftsteller  Leontius  v.  Byzanz  in  d.  byzant.  Tradition.     133 

dürftige  Dosis  eignen  Wissens  hat  er  mit  dem,  was  er  bei  Ger- 
manus fand,  zusammengemischt:  so  ist  sein  confuser  Bericht 
entstanden.  Irgend  welchen  Wert  für  die  Forschung  hat  daher 
die  Nachricht  des  Nicephorus  nicht. 

Wir  schliessen  demnach  diese  Übersicht  mit  einer  ihrem 
Resultate  nach  wenig  erfreulichen  Untersuchung.  Im  Ganzen  aber 
hat  dem  Streifzug  in  die  Litteratur  die  Beute  nicht  gefehlt;  wir 
dürfen  mit  Befriedigung  sie  zählen: 

Schon  zwischen  662  und  679  —  so  lernten  wir  aus  den 
Citateu  der  Doctrina  —  galten  als  Werke  des  Asovriog  fio- 
vayog  Bvi^avxiov  die  Epilysis  [die  zweifellos  von  demselben  Ver- 
fasser herrührt,  wie  die  tres  libri  adv.  Kest.  et  Eut.,  vgl.  oben 
S.  34],  die  triginta  capita  und  die  y^Oyölia  AeovTiov*^  die,  wie 
wir  sahen,  mit  der  noch  nicht  besprochenen,  aber  bei  Migne 
unter  den  Werken  des  Leontius  gedruckten  Schrift  de  sectis,  den 
yiöxöXia  Asovzlov  ajio  g)(X)r?jg  &80Öc6qov'  ,  wie  ihr  handschrift- 
licher Titel  lautet,  eng  zusammenhängen.  Ohne  diesem  Zusam- 
menhange nachgehen  zu  können,  hatten  wir  erkannt,  dass  die 
cyolia  Asovzlov  nach  Ausweis  der  Citate  in  der  Doctrina 
philosophisch-terminologische  Ausführungen  fFragment  2.  4  und 
5  der  oben  S.  108  ff.  genannten;  vgl.  auch  die  Stelle  bei  Theo- 
dorus  Studita  oben  S.  128  f.)  enthalten  haben,  daneben  aber  auch 
solche,  welche  das  Chalcedonense  verteidigten  (Fragment  6  in 
der  Doctrina,  oben  S.  121),  und  ferner  polemisch  gehaltene 
Mitteilungen  über  die  Lehre  einzelner  Ketzer  (Fragment  7  der 
Doctrina,  nur  aus  Euthymius  bekannt,  vgl.  oben  S.  125). 

Und  nicht  nur  über  einzelne  Schriften  erhielten  wir  Aus- 
kunft. Schon  ca.  730,  so  erfuhren  wir  durch  Germanus  (vgl. 
auch  Fragment  I,  oben  S.  119),  existierte  eine  ta  Asovzta  betitelte 
Sammlung  von  Werken,  welche  dem  Asövziog  ffovayöc  BvCccv- 
rlov  oder,  wie  er  auch  heisst  (Photius,  cod.  231,  und  bei  Ger- 
manus), dem  Asövziog  zrjv  eQ7]}nxrjv  Jtohzslav  eXofievog,  dem 
rrjg  Iq7)hov  [lovayög  Asoi'ziog  zugeschrieben  wurden.  Zu  dieser 
Sammlung  gehörten  —  das  lehrte  ,.  Fragment  1",  vgl.  oben 
S.  1 19  —  die  tres  libri  adv.  Nest,  et  Eut.  und  ausserdem,  nach 
Zeugnis  desselben  Fragments,  ein  Werk,  in  dem  philosophisch- 
terminologische Ausführungen  der  Art,  wie  der  letzte  Abschnitt 
des  „Fragment  P  sie  zeigt,  enthalten  waren.  Nach  Germanus 
(oben  S.  128)   enthielt    die   Sammlung   ein  Werk   zur  Verteidi- 


134  Zweites  Capitel. 

gung  des  Chalcedouense  gegen  die  Angriffe  des  Johannes  Phi- 
loponus. 

Aus  alle  diesem  ergiebt  sich  durch  Combination  mit  grösster 
Wahrscheinlichkeit,  dass  das  Werk  in  den  Atovria,  in  dem  der 
Schlussabschnitt  des  Fragment  I  zu  Hause  ist,  das  Werk,  in  dem 
nach  Germanus  eine  Apologie  des  Chalcedouense  enthalten  war, 
in  den  „o^oXia  Atovrlov"'  zu  suchen  ist.  Die  Sammlung  der 
opera  Leontii  hat  demnach  um  730  ein  Werk  enthalten,  das  die 
uns  erhaltenen  Codices  der  Sammlung  nicht  mehr  liieteu. 

Dies  Resultat  passt  aufs  schönste  zu  demjenigen,  das  schon 
in  §  1  (oben  S.  22)  sich  uns  aufdrängte,  als  wir  erkannten,  dass  der 
cod.  Laudianus  selbst  über  seinen  jetzigen  Bestand  hinausweist. 
Ja  eben  die  Stelle  des  cod.  Laudianus,  welche  am  deutlichsten 
auf  grössern  Umfang  des  Archetypus  hinweist,  eben  sie  ist  der 
Punkt,  in  dem  die  couvergierenden  Untersuchungen  sich  vereini- 
gen. Der  cod.  Laudianus  enthält,  so  sahen  wir  S.  13  und  21,  einen 
Abschnitt,  der  nur  Fragment  sein  kann:  xov  avzov  x£g)aXaia 
xaza  öiag:6{)ojp  aiQ^rixcöv  [ine:  0  'Agtioc,  TQ£ig  vjioOraö^ic, 
o^oXoytl  alXa  xi]v  fwraöa  aQvuraL  xal  ov  lijai  oiioovolov  rrjv 
aylav  xQLä6a\.  Auch  dies  Fragment  weist  in  doppelter  Weise 
darauf  hin,  dass  einst  die  ^6i6).La  Asovzlov'^  zu  der  Sammlung 
der  opera  Leontii  hinzugehört  haben.  Zunächst  nämlich  erinnert 
der  Titel  xscpaXaia  xaxä  6ia(p6Qcov  aiQExtxcöv  daran,  dass,  wie 
noch  eben  bemerkt  wurde,  auch  die  oyolia  polemisch  gehaltne 
Mitteilungen  über  die  Lehren  einzelner  Ketzer  enthielten.  So- 
dann erhalten  wir  auch  durch  dies  Fragment  einen  Hinweis  auf 
die  Schrift  de  sectis,  die,  wie  bemerkt,  mit  den  oyolia  Aeovxiov 
unzweifelhaft  in  einem  Zusammenhang  steht.  Dasselbe  Fragment 
nämlich,  das  der  cod.  Laudianus  bietet,  scheint  in  dem  cod. 
Escurial.  458  (saec.  XI),  fol.  200—202  (Miller,  Catalogue  p.433) 
enthalten  zu  sein,  wenigstens  wird  man  durch  den  Titel,  den 
Miller  dem  Fragment  giebt,  „Traite  de  Leontius  contre  les  he- 
retiques",  an  das  xov  avxov  xecpälaia  xara  öiatpoQcov  atQSxi- 
xcöv  des  cod.  Land,  erinnert.  Nun  verweist  aber  Miller  zugleich 
auf  Fabricius-Harles  VIII,310,  d.h.  auf  die  Schrift  de  sectis. 
Die  Schrift  de  sectis  jedoch  findet  auf  drei  Folioseiten  nicht  Platz; 
nur  die  Verwandtschaft  seines  Fragments  mit  der  Schrift  de 
sectis  scheint  Miller  andeuten  zu  wollen.  In  der  That  findet 
sich   auch   in    dem   cod.   Caes.-Vindob.  CLXXXII   (v.  Nessel  I, 


§  9.    Der  Schriftsteller  Leoutius  v.  Byzanz  in  d.  byzant.  Tradition.     135 

p.  270,  fol.  128 — 138)  ein  dem  Oxforder  [und  walirsclieinlicli  auch 
dem  spanischen]  Fragment  verwandtes  Bruchstück  der  Schrift  de 
sectis:  oy^oXia  axo  (pcovtjQ  OsoÖcoqov,  xov  0^£oq)ik80TCUov  aßßä 
xal  oocpcozatov  q)L?.o(j6cpov,  rrjv  rs  d-elav  y.al  es^^rixrjv  (piXodo- 
(pi'jöavroq  yQa<priv.  AiQEOig  xov  "Aqhov.  0  Agsiog  tQSig  vjco- 
öraOsig  tÄtys  y.al  rgüq  (pvouc  y,x)..  (=  Migne  86,  1  de  sectis, 
col.  1197  Dff.}. 

Sowohl  durch  die  Tradition  als  durch  den  ältesten  unserer 
Codices  wird  uns  demnach  die  Frage  zugeschoben:  Ist  die  Schrift 
de  sectis  identisch  mit  den  ursprünglich  zu  der  xa.  Asovxia  be- 
titelten Sammlung  der  opera  Leontii  hinzugehörigen  oxoXia 
A80vxiov?  Diese  Frage  muss  uns  im  Folgenden  zunächst  be- 
schäftigen. 

Eine  zAveite  Frage,  welche  durch  die  Untersuchungen  der 
drei  letzten  Paragraphen  nahe  gelegt  ist,  erheischt  gleichfalls 
eine  Antwort.  Um  das  Jahr  1000  p.  Chr.,  so  sahen  wir  früher 
(vgl.  oben  S.  22),  standen  in  der  Sammlung  der  opera  Leontii  die 
tres  libri  adv.  Xest.  et  Eut..  die  Epilysis,  die  triginta  capita  und 
wahrscheinlich  auch  die  Schrift  adversus  fraudes  Apollinaris- 
tarum.  Für  die  Zeit  vorher  haben  Avir  bis  jetzt  nur  die  tres 
libri  adv.  Nest,  et  Eut.  und  die  oyölia  Aeoixiov  in  den  Atövxia 
nachweisen  können,  haben  jedoch  gesehen,  dass  die  Epilysis  und 
die  triginta  capita  schon  im  siebenten  Jahrhundert  als  Werke  des 
Leontius  galten.  Sind  diese  beiden  Schriften,  die  Epilysis  und 
die  triginta  capita,  ursprünglich  neben  den  tres  libri  adv.  Nest. 
et  Eut.  und  den  oyjo7.ia  Asovxiov  in  der  Sammlung  vorhanden 
gewesen,  oder  sind  sie  später  hinzugekommen,  oder  —  diese 
Möglichkeit  darf  nicht  unerwähnt  bleiben  —  hängen  etwa  diese 
beiden  Schriften  auch  mit  den  ^oyolia  yhovxlov'  zusammen? 

Auch  diese  Frage  wird  im  Folgenden  ihre  Erledigung 
finden.  Zunächst  aber  beginnen  wir  mit  der  Schrift,  auf  welche 
wir  am  eindringlichsten  hingewiesen  wurden,  mit  der  Schrift  de 
sectis. 


136  Drittes  Capitel. 

Drittes  Capitel. 
Die  2X0AIÄ  AEONTIOY. 

§  10.     Die  Schrift  de  sectis,   eine  Bearbeitung  der 
oy^olia  Asovrlov. 

Die  Schrift  de  sectis  — ■  der  Kürze  halber  ist  auch  im  Fol- 
genden dieser  gebräuchliche,  wenn  auch  handschriftlich  nicht 
überlieferte  Titel  verwendet  —  ist  die  am  längsten  bekannte 
und  in  der  Gegenwart  am  meisten  benutzte  unter  den  bei  Migne 
gedruckten  Schriften  des  Leontius.  Sie  wurde  zuerst  publiciert 
„ex  Jo.  Sambuci  bibliotheca,  graece  et  latine,  Jo.  Leunclavio  inter- 
prete,  una  cum  imp.  Manuelis  Comneni  legatione  ad  Armenios, 
Leonis  magni  ep.  de  fide  etc.",  Basel  1578  (Fabricius-Harles 
VIII,  p.  310}.  Alle  andern  Drucke  sind  Nachdrucke  dieser  ersten 
Ausgabe.  Die  Handschrift,  w^he  Leunclavius  benutzte,  ist  noch 
vorhanden.  Es  ist  die  erste  der  hier  folgenden,  mir  bekannten 
Handschriften  der  Schrift  de  sectis: 

1)  cod.  Caes.-Vindob.  CXC,  chartac.  4^'.  (v.  Nessel  I,  p.  278, 
Lambecius-Kollar  V,  p.  306,  sub  uro  cod.  CCL),  fol.  P  — 10^ 
et  fol.  79* — 108*:  Asovxiov  oiolaorixov  Jiv^avziov  Cyölia  ano 
(ßcovTJg  OsodoiQov^  rov  ^tocpiXeöTarov  aßßä  xal  oocpcorarov 
(pilo(jo(fot\  Trjv  TS  dsiav  xal  tscorixTJv  (piXoOocfi'iOavzog  yQafpi]v. 

2)  cod.  Caes.-Vindob.  CLXXIII,  chart.  4"  (v.  Nessel  I,  p.  253, 
Lambecius-Kollar  V,  p.  165  in  cod.  CCXXXV)  fol.  178*— 
210*,  sine  inscriptione.  YnöO-sOLz.  lAjio  fpcovriq,  [sie  catal.:  nonne 
Yxo&80ig  ajco  gjon>7^g?]  &£o6c6qov,  rov  {^socpü.eoziXTOv  aßßä 
xal  Oocpcorarov  g)i2.oa6cßov,  rr/v  rs  ^tiav  xal  s^mrixrjp,  cog  ygi], 
(piXoGocpTioarrog  yQacprjV. 

3)  Med.-Laurent.  Flut.  IV,  cod.  XII  (Bandinius,  Catalogus  I, 
p.  535),  Chart.  4^.  saec.  XV,  fol.  85 sqq.:  Aeovriov  oyoXaorixov 
Bv^avriov  oyoUa  aüio  (pojvrig  OeoÖojqov  xrl.  wie  in  Nr.  2. 

4)  cod.  Par.  reg.  1115,  im  Jahre  1276  von  Leo  Cinamus  ab- 
geschrieben, angeblich — s.  dagegen  Montfaucon,  Palaeographia 
graeca  p.  65  sq.  —  aus  einem  Codex  des  J.  759.  Der  Codex  ent- 
hält nach  Combefis,  ad  Scriptt.  post  Theoph.,  p.  302  ed.  Par. 
(vgl.  Gallandi,  BibL  XII,  praef.  p.  XXX):  „Leontium  de  sectis 
longe  editis  emendatiorem  et  auctoritatibus,  quae  illic  desideran- 


§  10.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  o/olia  Aeovr/ov.     137 

tur,  aiictiorem" ;  der  Katalog  der  Bibl.  reg.  (II,  p.  21 8j  verrät  in 
seiner  dürftigen  Übersicht  über  den  Inhalt  des  Codex  nichts  da- 
von und  scheint  bei  seinen  Angaben  über  diesen  Codex  den  Höhe- 
punkt seiner  Liederlichkeit  zu  erreichen*). 

5)  Eine  Handschrift,  welche  „Leonis  (lies:  Leontii)  Byzantü 
scholia  ad  historiam  ecclesiasticam  pertinentia,  quae  decem  absol- 
vuntur  capitibus"  enthielt,  befand  sich  unter  den  Büchern  des 
Isaak  Vossius  (vgl.  Pauli  Colomesii  opp.  ed.  Fabricins.  1709, 
p.  850,  in  catalogo  librorum  mss.  Isaaci  Vossii,  Nr.  28).  Die 
Handschrift  ist  jetzt  in  Leiden  (Catalogus  librorum  .  .  Bibl.  publ. 
Univ.  Lugd.  Bat.  1716,  p.  392,  codd.  Voss,  graec.  var.  arg.  Nr.  30, 
ein  cod.  miscell.).  Nach  Fabricius  ist  auch  sie  editis  auctior 
(Fabricius-Harles  A^II,  p.  310**). 

In  der  gedruckt  vorliegenden  Gestalt  ist  diese  Schrift  de  sec- 
tis ein  eigentümliches  Mittelding  zwischen  einem  historischen 
und  einem  polemischen  Werke.  Sie  zerfällt  in  zehn  ,.jiQäQeig'-'- 
(„Actiones",  Verhandlungen) : 

Actio  I  orientiert  zunächst  über  die  dogmatische  und  dog- 
mengeschichtliche Stellung  der  vier  paarweis  zusammengehörigen 
Ketzereien  der  Arianer  und  Sabellianer,  der  Nestorianer  und 
Eutychianer  oder,  um  sie  nach  der  Verwandtschaft  der  Häresieen 
zusammenzustellen:  der  Arianer  und  Nestorianer,  die  von  mehre- 
ren ovoiai  und  vjtooraoeig  sprechen,  erstere  in  der  Theologie, 
letztere  in  der  Christologie,  und  der  Sabellianer  und  Eutychianer, 
die  nur  von  einer  ovola  oder  vjcÖGraöig  etwas  wissen  wollen. 
Nach  diesen  Bemerkungen  beginnt  die  Geschichtserzählung,  ab  ovo, 
d.  h.  von  Adam  und  Eva  an,  in  kurzen  Zügen  die  Heilsgeschichte 
fortführend,  bis  dieselbe  in  einer  auf  dem  Chalcedonense  ruhenden 
regula  fidei  ihren  Zielpunkt  gefunden  hat. 


*)  Eine  Vergleichung  der  Angaben  Montfaucon's  und  der  des  Ka- 
talogs wird  dies  Urteil  bestätigen.  Die  Identität  von  Montfaucon's 
cod.  reg.  2951  und  Nr.  1115  des  Katalogs  ergiebt  sich  durch  die  Ver- 
gleichung von  selbst,  sie  ist  mir  ausserdem  durch  Herrn  Pi-ofessor  Gardt- 
hausen  hierselbst,  der  den  Codex  in  der  Hand  gehabt  hat,  bestätigt. 

**)  Ein  künftiger  Herausgeber  hätte  ausser  den  genannten  Codices 
eine  Leidener  Papierhandschrift  des  XVIII  saec  zu  berücksichtigen,  in 
der  sich  u.  a.  befindet  „Leontius  Byzantinus  de  sectis  coli,  cum  cod.  MS. 
a  M.  Meibomio"  (s.  Geel,  Catalog.  libr.  mss.,  qui  inde  ab  anno  1741 
Bibliothecae  Lugd.  Batav.  accesserunt,  1852,  cod.  230). 


138  Drittes  Capitel. 

Actio  II  schickt  einer  Geschichte  der  Häresieen  eine  Auf- 
zählung der  biblischen  Bücher  voraus,  in  welche  gelegentlich 
der  Herzähluug  der  alttestamentlichen  Bücher  Angaben  über  die 
jüdische  Geschichte  eiugefiochten  sind.  Darauf  werden  die  „Häre- 
sieen" der  Juden  und  Samaritaner  besprochen. 

Actio  III  teilt  die  christliche  Zeit  in  die  vorconstantinische 
und  in  die  nachconstantinische  Periode,  erwähnt  die  Patres  dieser 
Perioden  und  handelt  von  Manichäern  und  Sabellianern,  Paul 
von  Samosata  und  Arius. 

Actio  IV  giebt  eine  Geschichte  der  Ketzer  bis  zum  Chalce- 
donense,  der  Macedonianer,  Apollinaristen,  Nestorianer  und  Euty- 
chianer. 

Actio  V  bespricht  die  Kampfe  um  Chalcedon  und  die  Ent- 
stehung der  Ketzereien  der  Severianer,  Julianisten,  Agnoeten  und 
Tritheisten. 

Die  zweite  Hälfte  der  Actiones  ist  rein  polemisch.  In  drei- 
facher Weise,  so  führt  der  Verfasser  aus  (Actio  VI,  col.  1233BC), 
argumentieren  die  monoph3"sitischen  Häretiker  gegen  die  Kirche: 
1)  indem  sie  mit  geschichtlichen  Gründen  die  Entscheidung  von 
Chalcedon  verdächtigen,  2)  mit  dogmatischen  Gründen  und  3)  mit 
patristischen  Citaten.  Demgemäss  geht  Actio  VI  ein  auf  die 
gegen  das  Chalcedonense  geltend  gemachten  historischen  Argu- 
mente, Actio  VII  bringt  die  dogmatische  Polemik,  Actio  VIII 
bespricht  die  patristischen  Zeugnisse,  welche  die  Monophysiten 
anführen,  und  weist  ihren  orthodoxen  Sinn  nach  oder  ihre  Un- 
echtheit.  Actio  IX  ist  ein  keine  Halbseite  füllender  Nachtrag 
zu  Actio  VI — VIII  und  handelt  von  einigen  Sätzen  der  chalce- 
don ensischen  Entscheidung  selbst,  welche  den  Gegnern  Anlass 
zum  Tadel  geben.  Actio  X  ist  den  Ketzereien  der  Gajaniten 
(Julianisten),  Agnoeten  und  Origenisten  gewidmet.  Das  Ganze 
schliesst  mit  folgendem  sonderbaren  Satze:  „Das  Vorstehende 
(ravTa)  hat  zum  Erweis  der  rechtgläubigen  Dogmen  und  zur 
Widerlegung  der  irrgläubigen  Häresieen,  der  Geber  alles  Guten 
durch  Aufthun  seines  Mundes  uns  dargereicht,  Christus,  unser 
Gott  (Xqiotoq  6  d-eög),  welchem  sei  Herrlichkeit  und  Macht  u.s.w.". 

Nach  der  Leetüre  dieser  Schrift  wird  jeder  Leser  davon  über- 
zeugt sein,  dass  wir  in  ihr,  Avenn  nicht  ein  Werk  des  Leontius,, 
des  Verfassers  der  früher  besprochenen  Schriften,  so  doch  jeden- 
falls  eine  Bearbeitung   eines   solchen  vor  uns  haben.     Die  enge 


§  10.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  ayölia  Aiorriov.     139 

Verwandtschaft  vieler  Ausführungen  in  der  Schrift  de  sectis  mit 
ähnlichen  Abschnitten  der  früher  besprochenen  Schriften,  sowohl 
im  Sinn,  wie  im  Ausdruck,  lassen  darüber  nicht  den  geringsten 
Zweifel  übrig. 

In  Actio  I  erinnert  gleich  der  Eingang,  col.  1193A,  an  die 
Einleitung  des  ersten  Buches  adv.  Nest,  et  Eut.  (1273A),  und 
der  Abschnitt  1197D  — 1200C  hat  in  adv.  Nest,  et  Eut.  I,  coL 
1273  C  — 1276  D  seine  Parallelen.  In  Actio  II— V  incl.  ähnelt 
zwar  die  dogmatische  und  polemische  Terminologie  mehrfach 
der  des  Leontius,  doch  sind  die  Anklänge  nicht  derartig,  dass 
sie  die  Annahme  der  Identität  der  Verfasser  forderten.  Actio  VI 
behandelt  einen  in  den  andern  Schriften  des  Leontius  kaum 
berührten  Stoff,  beweisende  Gründe  für  die  Identität  des 
Verfassers  mit  Leontius  bieten  sich  auch  hier  nicht  dar. 
Actio  VII  aber  beweist  für  sich  allein  genug;  die  Verwandt- 
schaft mit  dem  ersten  Buche  adv.  Nest,  et  Eut.  und  mit  der 
Epilysis  ist,  obwohl  nirgends  wörtliche  Übereinstimmung  von 
Sätzen  oder  bedeutenderen  Satzteilen  vorliegt,  eine  so  enge, 
dass  es  unnötig  ist,  einzelne  Parallelen  anzuführen;  jeder  Ur- 
teilsfähige wird  sofort  den  Leontius  wiedererkennen.  Auch  die 
philosophischen  Voraussetzungen  sind  die  gleichen,  der  Aristo- 
telismus  des  Leontius  verschmäht  es  hier  auch  nicht,  seinen 
Meister  zu  eitleren  'col.  1244  C:  öri  de  övvafis&a  ovroog  djteiv, 
öijÄol  y.cä  6  liQiOTOtihjc.].  In  Actio  VIII  sind  der  Parallelen 
gleichfalls  viele.  In  col.  1252  B — D  ist  die  Terminologie  und  Ar- 
gumentationsweise des  Leontius  unverkennbar,  und  in  col.  1253  AB 
ist  die  Beurteilung  des  Terminus  f/ia  (fvoig  tov  d^sov  Zoyov 
otoaQxcof^tv?/  ganz  dieselbe  wie  adv.  Nest,  et  Eut.  1277 A  und 
Epilysis  1936  BC.  Beachtenswert  ist  auch,  dass  coh  1253  C,  8  — 
1256D,  4  ebenso  wie  in  der  Schrift  adv.  fraudes  Apollinaristarum, 
wenn  auch  weit  kürzer  und  z.  T.  mit  andern  Argumenten,  der 
apollinaristische  Ursprung  mehrerer  Juliusbriefe,  der  xara  [itQoq 
jiioTiQ  und  der  pseudoathanasianischen  Schrift  jctQl  OaQxcooecog 
behauptet  wird.  Dieser  L instand  ist  freilich,  da  die  Herkunft 
der  Schrift  adv.  fraudes  Apollinaristarum  von  Leontius  uns 
keineswegs  feststeht,  zunächst  noch  von  geringer  Bedeutung, 
wird  aber  später  verwertet  werden  können.  Und  schon  jetzt 
verdient  es  Beachtung,  dass  wir  de  sectis  1253  C  ff.  Ausführungen 
über  apollinaristische  Fälschungen  finden,  die,  dem  wesentlichei' 


140  Drittes  Capitel. 

Inhalt  nach,  mit  denen  harmonieren,  die  eine  von  der  Überliefe- 
rung der  Schrift  de  sectis  völlig  unabhängige  Tradition,  nämlich 
die  handschriftliche  Inscription  der  Schrift  adv.  fraudes  ApoUi- 
naristarum,  dem  Leontius  —  einerlei  ob  mit  Recht  oder  irriger- 
weise —  zuschreibt.  Actio  IX  bietet  in  ihrer  Kürze  kein  Be- 
weismaterial. Actio  X  endlich  trägt  zwar  in  manchen  Ausführun- 
gen, z.  B.  in  dem  Abschnitt  über  die  Julianisten,  dessen  Stoff 
auch  in  andern  Schriften  des  Leontius  berührt  wird,  ein  leon- 
tianisches  Gepräge,  doch  fehlt  es  für  andre  Abschnitte  zu  sehr  an 
Vergleichungsmaterial;  wirklich  beweisende  Parallelen  sind  mir 
in  der  ganzen  Actio  nicht  aufgefallen. 

Dass  in  der  Schrift  de  sectis  ein  Werk  des  Leontius  oder 
eventuell  eine  Bearbeitung  eines  solchen  vorliegt,  das  machen 
im  Verein  mit  dem  handschriftlichen  Zeugnis  die  aufgewiesenen 
Parallelen  zweifellos.  Doch  für  welche  dieser  beiden  Möglich- 
keiten haben  wir  uns  zu  entscheiden?  Für  die  letztere  und  gegen 
die  erstere  entscheiden  folgende  Gründe:  1)  der  handschriftliche 
Titel  der  Schrift  de  sectis;  2)  die  Zeit  der  Schrift  de  sectis; 
3)  innere  Gründe  verschiedener  Art:  4)  die  oben  in  Cap.  II  nach- 
gewiesenen Citate  aus  den  ö)[6).La  Aeovriov. 

1)  Bleiben  wir  zunächst  bei  dem  Ersten.  Die  Schrift  de  sectis 
hat  in  der  dem  Druck  der  editio  princeps  zu  Grunde  liegenden 
Handschrift  und  ebenso  in  dem  oben  S.  1 36  unter  Nr.  3  genannten 
Codex,  verkürzt  auch  in  dem  unter  Nr.  2  aufgeführten  den  Titel: 
Aeovriov  oyolaGny.ov  BiC^avTiov  öyöha  axo  (powyg  Owdo'jQov 
y.xL  Was  bedeutet  dieser  Titel?  Überall,  wo  die  Sache  er- 
wähnt ist,  finde  ich  die  Ansicht  ausgesprochen,  der  Titel  besage, 
dass  Leontius  den  Inhalt  der  Schrift  ex  ore  Theodori  abbatis  er- 
halten habe  (Fabricius-Harles  VIII,  p.  310).  Wäre  dies  der 
Fall  gewesen,  dann  wäre  —  das  folgt  aus  der  engen  Verwandt- 
schaft von  Actio  VII  de  sectis  mit  über  I  adv.  Nest,  et  Eut.  — 
Leontius  in  Hb.  I  adv.  Nest,  et  Eut.  wenig  mehr  gewesen  als 
ein  Papagei  jenes  Theodor,  während  doch  die  Epilysis  beweist, 
dass  er  in  selbständigem  Besitz  einer  nicht  un Gewöhnlichen  dogr- 
matischen  Bildung  war.  Es  wäre  auch  vninderbar,  dass  Leon- 
tius in  den  früher  besprochenen  Schriften  diesen  Lehrer,  dem  er 
alles  verdankte,  nicht  nennt.  Doch  diese  Gründe  entscheiden 
nicht,  ja  den  letztern  könnte  man  durch  einen  Hinweis  auf  die 
anonymen  Citate  adv.  Nest,  et  Eut.,  col.  1276  not.  (^)  und  1285 


§  10.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  ayö'^.ia  AeoiTiov.     141 

not.  C^)  entkräften.  Entscheidend  ist  ein  andrer  Umstand:  djro 
(pcovTJg  OeoÖcoQov  besagt  nicht  das,  was  man  darin  findet.  Von 
den  zwei  Büchern  der  Kirchengeschichte  des  Theodorus  Lector 
(saec.  VI  exeunte*)  sind  bekanntlich  ausser  den  neuerdings  be- 
kannt gewordenen  Fragmenten  nur  Excerpte  des  Nicephorus 
Callisti  erhalten  (Migne  P.  G.  86,  1  col.  165 sqq.).  Dieselben 
tragen  handschriftKch  den  Titel:  ixZoyal  Ix  rrjg  exxX7jOiaOTixr/g 
loroQiag  Otodcögov  avcr/vcöorov  ajid  (po^vrjg  Nlxv^pÖqov  Kal- 
XioTov  rov  ^av&ojtovZov.  Leo  Allatius  (bei  Migue  a.  a.  0., 
col.  157)  übersetzt  dies  richtig:  „Selecta  ex  historia  ecclesiastica 
Theodori  Lectoris,  ex  ore  dictantis  Xicephori  Callisti."' 
Ganz  ebenso  ist  das  ajto  (pojvtjg  handschriftlich  gebraucht  in 
einem  ,fragmentum  prolegomenorum  in  introductionem  (in  quiu- 
que  voces)  Porphyrii  ab  ore  Eliae  philosophi"'  (Fabricius- 
Harles  XI,  p.  616).  Demnach  kann  unter  den  o/6?ua  Äsov- 
riov  djto  (provr/g  OsoöcoQOV  dreierlei  verstanden  werden:  1)  die 
O'/öXia  des  Leoutius  nach  einem  Dictat  des  Theodorus;  2)  die 
ayölia  des  Leontius  in  der  Bearbeitung  [und  nach  dem  Dictat] 
des  Theodorus;  3)  Schollen  nach  Leontius  oder  zu  Leontius 
dictiert  [und  verfasst]    von  Theodor. 

Erstere,  wenngleich  sprachlich  mögliche  Deutung,  schliesst 
sich  von  selbst  aus.  Das  Dictieren  war  bei  dem  Abschreiben 
der  Handschriften  etwas  so  Häufiges,  dass  der  Dictierende,  wenn 
er  dem  Schreiber  nur  einen  vorliegenden  Text  in  die  Feder  dic- 
tierte,  auf  eine  Nennung  seines  Namens  im  Titel  kein  Anrecht 
hatte.  Hier  zumal,  wo  des  Theodor,  rov  d-socfileOTatov  dßrjä 
xdi  Oo^coxdxov  (füooöqov  zf/v  ze  &8iap  xal  IgoiiTixijv  <fiXooo- 
(priöavxog  ygacpriv^  in  so  panegyrischer  Weise  Erwähnung  ge- 
schieht, ist  der  Gedanke,  Abt  Theodor  habe  dem  Schreiber  des 

*)  Von  Theodorus  Lector  heisst  es  bei  Fabricius-Harles  VlI,  p.  435: 
Justino  et  Justiniano,  ut  videtur,  imi^erantibus  clarus  (post  a.  525).  Der 
Artikel  der  R. -E.2  XV.  1885,  S,  395  hat  dies  ut  videtur  unbeachtet  ge- 
lassen, die  traditionelle  Zahl  ist  zur  sichern  Zahl  geworden:  „Theodorus 
war"  —  so  heisst  es  hier  —  „um  525  Vorleser  der  Kirche  von  Constanti- 
nopel".  Dass  dies  irrig  ist,  darf  jetzt  als  erwiesen  gelten.  Die  Zeit  des 
Theodorus  Lector  ist  zu  bestimmen  auf  Grund  der  Benutzung  des  Jo- 
hannes von  Ephesus  durch  Theodor,  vgl.  Theodorus  Lector  II,  31  hei 
Migne,  P.  G.  80,  col.  2Ü0B  und  Sarrazin,  de  Theodoro  Lectore  Theo- 
phanis  fönte  praecipuo.  Diss.  inaug.,  Lipsiae  1881,  S.  193ä".  und  Krü- 
ger, Monophysitische  Streitigkeiten.  Jena  1SS4,   S.  45. 


J42  Drittes  Capitel. 

Archetypus  der  betreffenden  Handschriften  lediglich  den  Text  des 
Leontius  dictiert,  völlig  ausgeschlossen. 

Eine  Bearbeitung  einer  leontianischen  Grundlage  kündigt 
also  schon  der  Titel  der  Schrift  de  sectis  an.  Ob  aber  dem  Be- 
arbeiter, dem  Abt  Theodor,  eine  Schrift  vorlag,  welche  bereits 
den  Titel  oyolia  Aeovriov  trug  (Nr.  2  der  oben  erwähnten 
Möglichkeiten),  oder  ob  derselbe  erst  seinem  Machwerke  den 
Titel  der  oyölia  gab,  und  eine  anders  betitelte  bezw.  mehrere 
anders  betitelte  Schriften  des  Leontius  vor  sich  hatte,  das  ist 
aus  dem  Titel  oyölia  Aeovriov  djco  (pcovrjg  OeoÖcoqov  nicht  zu 
erkennen*).  Nur  darauf  könnte  man  liin weisen,  dass  die  Be- 
zeichnung des  Leontius  als  Oyo^aOrixog  die  erstere  Annahme 
zu  begünstigen  scheint  und  entschieden  bewiese,  wenn  es  er- 
weislich wäre,  dass  der  Titel  oyoXaOTLxog  für  Leontius  nur  als 
Schluss  aus  dem  Titel  GyoZia  sich  erklären  Hesse 

Eine  Entscheidung  über  diese  Frage  nach  dem  Titel  der  vom 
Abt  Theodor  bearbeiteten  Schrift  des  Leontius  würde  schon  durch 
die  in  Cap.  II  nachgewiesenen  Citate  Ix  tcov  oyoXicov  Aeovxiov 
gegeben  sein,  —  wenn  diese  Citate  älter  wären  als  die  Schrift  de 
sectis,  die  öyölia  aüto  (pcovtjg  GeoöcoQov.  Da  das,  wie  wir  gleich 
sehen  werden,  nicht  der  Fall  ist,  so  ist  die  Möglichkeit  bis 
jetzt  nicht  ausgeschlossen,  dass  jene  Citate  sich  auf  die  oyölia 
AeovTiov  ajto  (pwvr/g  Qeoöcoqov  selbst  beziehen.  Die  Frage  nach 
dem  Titel  der  von  Abt  Theodor  bearbeiteten  Schrift  des  Leontius 
muss  daher  einstweilen  zurückgestellt  werden.  Zunächst  wird 
es  nötig  sein,  auch  die  andern  Gründe  zu  besprechen,  welche 
darauf  hinweisen,  dass  in  den  oyölia  a:jiö  (pcovrig  Gso6o3Qoi\  der 
Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  einer  leontianischen  Grund- 
lage zu  erkennen  ist. 

2)  Von  entscheidender  Beweiskraft  ist  nämlich  zweitens  im 
Verein  mit  der  oben  dargelegten  engen  Verwandtschaft  der 
Schrift  de  sectis  mit  echten  Werken  des  Leontius  die  Entsteh- 
ungszeit dieser  Schrift  de  sectis.  Sie  tritt  in  dem  Texte  mit 
wünschenswerter  Klarheit  hervor.  Die  oyölia  djcö  (fowrjg  &so- 
öcÖqov  sind  geschrieben  längere  Zeit  nach  Justinian  (col.  1237  C: 
ajio  zcöv  yqövcov  'lovOziviavov),   zu  einer  Zeit,   als  man  Justi- 


*)  Vgl.   den  Titel  des    oben  S.  135    genannten  Bruchstücks   aus    de 
sectis:  ayölia  cmo  (fwvTjg  Of-oömQov.  —  ^Aeovxiov''  fehlt  hier  ganz. 


§  10.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  a/ö't.ia  ^Uoizi'ov.     143 

uiiin's  Vorgänger  Justin  als  den  'lovartvog,  6  jcQcörog,  von  Jus- 
tin, dem  Zweiten  (565 — 578),  untersclieiden  musste  (col.  1229C), 
zur  Zeit,  als  Eulogius  Patriarch  von  Alexandrien  war  (col.  1232 C*), 
d.  h.  (vgl.  Dictionary  of  Christian  biography,  II,  283)  zwischen 
579  und  607.  Unsere  Handschriften  der  oy6?ua  ajto  gjcovrjg 
ßsoöcoQov  sind  weit  jünger,  überdies  bestimmt  die  angegebene 
Zeit  so  mannigfach  die  Ausführungen  der  Schrift  de  sectis,  dass 
jene  Hinweisungen  auf  die  Zeit  um  600  nicht  durch  Interpola- 
tionen in  den  Text  gekommen  sein  können.  Die  oyöha  ajco 
fpcovrjq  OboÖcÖqov  selbst  sind  zwischen  579  und  607  entstanden. 
Dann  aber  kann  nicht  Leontius  ihr  Verfasser  sein.  Denn  als 
dieser  zwischen  529  und  544  die  Bücher  adv.  Ne.st.  et  Ent. 
schrieb,  war  bereits  eine  längere  Zeit  verstrichen,  seit  er  von  den 
Nestorianern  sich  abgewandt  hatte,  in  deren  Netze  er  als  Jüng- 
ling geraten  war  (vgl.  adv.  Nest,  et  Eut.,  col.  1357  B  — 1360  C, 
übersetzt  oben  S.  26).  Ja  Leontius  sprach  damals  schon  davon, 
dass  er  seine  Bücher  adv.  Nest,  et  Eut.  seinen  Freunden  hinter- 
lasse, als  ein  Xfjd-rjq  (pagfiaxop,  %al  fisra  ri/v  rtlivraiav  tx6t]- 
fiiav  7jficöv  cr/djcrjc  vjtofivr/f/a  (col.  1305  D),  und  wenn  auch  mit 
der  rsXevraia  txö?]fi[a  vielleicht  nicht  direct  der  Tod  gemeint 
ist,  so  liegt  doch  offenbar  trotz  weiterer  schriftstellerischer  Pläne 
(col.  1385  AB)  dieser  Äusserung  ein  Gedanke  an  den  Tod  zu 
Grunde.  Kurz,  dass  Leontius  noch  nach  579  gelebt  habe,  ist  sehr 
unwahrscheinlich,  und  dass  er  damals  in  ganz  ähnlicher  Weise 
schriftstellerisch  thätig  gewesen  sei,  wie  mindestens  vierzig  Jahre 
früher  in  einer  Schrift,  bei  deren  Abfassung  er  schon  an  seinen 
Tod  dachte,  das  ist  unmöglich.  Mithin  muss  man  in  den  oyoZia 
djio  (pcovrjQ  Oeoöcoqov,  in  der  Schrift  de  sectis,  eine  in  der  Zeit 


*)  Basnage  (Canisius-Basnage  I,  p.  533)  schloss  irrig  aus  dieser 
Stelle,  dass  Eulogius  zur  Zeit,  als  die  Schrift  de  sectis  entstand,  schon 
gestorben  gewesen  sei.  Ebenso  iriig  folgerte  er  aus  der  Erwähnung  des 
Philoponus,  welche  den  Tod  des  Philoponus  vorauszusetzen  scheint  (col. 
1232Dfin.),  die  Abfassung  der  Schrift  de  sectis  im  siebenten  Jahrhundert, 
indem  er  den  Tod  des  Philoponus,  wie  viele  Ältere,  ins  Jahr  608  setzte. 
Dass  dieser  Grund  nicht  stichhaltig  ist,  hat  schon  Gass  (R.-E.2  VllI, 
S.  593)  hervorgehoben;  Johannes  Philoponus  lebte  in  der  Zeit  Justinian's 
und  zwar  in  der  ersten  Hälfte  derselben.  Der  beste  Zeuge  für  die  Rich- 
tigkeit dieser  Datierung  des  Johannes  Philoponus  ist  jetzt  Johannes  von 
Ephesus  (übersetzt  von  Payne  Smith,   p.  56,  57,  vgl.  50  ff.). 


j^44  Drittes  Capitel. 

zwischen  579  und  607  erfolgte  Bearbeitung  einer  altern  Schrift 
des  Leontius  anerkennen. 

3)  Dies  bestätigen  drittens  innere  Gründe  verschiedener  Art, 
nämlich  a)  die  Disposition  der  Scliriffc  de  sectis,  b)  der  Umstand, 
dass  einige  Ausführungen  in  der  Schrift  de  sectis  vor  der  Zeit 
concipiert  sein  müssen,  in  der  die  uns  jetzt  vorliegende  Schrift 
de  sectis  entstanden  ist,  c)  endlich  die  Charakterverschiedenheit, 
welche  zwischen  manchen  Abschnitten  in  de  sectis  und  den  echten 
Werken  des  Leontius  beobachtet  werden  kann.  Gehen  wir  auf 
diese  Gründe  etwas  näher  ein: 

Ad  a.  Die  Disposition  der  Schrift  de  sectis  erscheint  zwar 
als  eine  im  Einzelnen  durchaus  sorgfältige.  Den  Eindruck  eines 
harmonischen  Ganzen  macht  aber  die  Schrift  nicht.  Die  Aus- 
einandersetzungen über  die  Arianer  und  Sabellianer,  Nestorianer 
und  Eutychianer  in  Actio  I  erscheinen  vor  der  m  Actio  II  be- 
gonnenen chronologischen  Aufzählung  der  Häresieen  als  unmoti- 
viert. Die  Richtigkeit  des  ersten  Satzes  (Avayxalov  sOti  f/eX- 
Xovraq  yf^äg  aiQtOscov  £jiifiV7]0&Jjrai,  jcQmzov  JceQt  TeööaQO)V 
xivmv  kv  raZq  röiv  jtarsQcov  XQf'jOsOi  öialaßelp'  eiol  6s  avrac 
ovoicc,  ffvoig,  vjiooraöLQ^  jcqÖocojiov)  ist  an  der  Spitze  des  Werkes 
de  sectis  um  so  weniger  einzusehen,  je  abgeschmackter  es  ist,  die 
Häresie  der  Samaritaner  mit  Hülfe  dieser  dogmatischen  Begriffe 
zu  beschreiben  (col.  1209C).  Begreiflicher  wäre  jener  Satz  als  Ein- 
leitung eines  Werkes  über  die  vier  in  Actio  1, 1197  D  ff.  genannten 
Häresieen  der  Sabellianer  und  Arianer,  Nestorianer  und  Eutychianer. 
Vergleicht  man  ferner  den  Eingang  von  Actio  11  (AxoXovd-öv 
toxi  f/sra  xa  jtQOJ.aßövxa  jitgl  algtotojv  xtvöJv  öia?.aßtlv.  Elol 
de  al  üiaöai  jiö  ,  ag  aüiagid-fiElxai  'EjcKpavLog  6  Kvjiqov  ejtl- 
Oxojcog  col.  1200D)  mit  den  unendlich  dürftigen  Angaben  über 
die  wenigen  vor  Arius  genannten  Ketzereien,  so  sieht  man  sich 
nicht  nur  durch  den  Hinweis  auf  die  84  Häresieen  des  Epipha- 
nius  an  das  Sprichwort  vom  mons  parturiens  erinnert,  sondern 
auch  hier  zu  der  Vermutung  gedrängt,  dass  eine  Behandlung 
der  vornicänischen  Häresieen  in  dem  Plane  des  ursprünglichen 
Werkes  nicht  gelegen  habe,  dass  also  manches  in  Actio  I  und 
die  Hauptmasse  von  Actio  II  und  IH  erst  durch  spätere  Bearbei- 
tung mit  einer  altern  Grundlage  verbunden  sei.  In  den  spätem 
Actiones  macht  die  eigentümliche  Mischung  zwischen  Histori- 
schem und  Polemischem  den  Eindruck  derllrsprünghchkeit  nicht. 


§  10.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  a/ö'/.iu  Afovriov.     145 

Es  fällt  vielmehr  auf,  dass  in  den  Actiones  VI — IX  die  chrono- 
logische Sachordnung  durch  rein  polemische  Erörterungen  unter- 
brochen wird,  und  Actio  X,  welche  den  chronologischen  Faden 
wieder  aufnimmt,  schleppt  entschieden  nach.  Es  lässt  sich  schon 
hier  die  Vermutung  nicht  zurückdrängen,  dass  in  der  Schrift  de 
sectis  der  chronologische  Rahmen  secundär  sei. 

Ad  b  ist  vornehmlich  auf  Actio  VI  und  VIII  zu  verweisen 
In  Actio  VI  wird  von  dem  Einwände  der  Monophysiten  gegen 
das  Chalcedonense  gesprochen,  den  sie  auf  Grund  der  Anerken- 
nunof  des  Theodoret  und  des  Ibas  formulierten.  Dieser  Einwand 
war  durch  das  Concil  von  553  gegenstandlos  geworden.  Dies 
Concil  aber  wird  überhaupt  nicht  erwähnt.  Wenn  nun  an  jene 
Erörterungen  über  die  Anerkennung  des  Theodoret  und  Ibas 
(col.  1237  C)  eine  Ausführung  sich  anlehnt,  welche  auf  die  Ver- 
urteilung der  beiden  durch  Justinian  eingeht  und,  mit  einem 
„Tovrow  ovTOJc  exovTCov,  uXXt]  axoQia  i/fitp  arEcpvf/  ajco  xmv 
yjjövojv  lovöTLViavov'^  eingeleitet,  einen  aus  der  Verurteilung 
des  Theodoret  und  des  Ibas  hergeleiteten  Einwand  der  Mono- 
physiten bekämpft,  scheint  dann  nicht  in  den  griechisch  citierten 
Worten  die  Naht  sichtbar,  welche  das  einer  altern  Vorlage  Ent- 
nommene mit  den  Zuthaten  des  Bearbeiters  verbindet?  —  Ver- 
wandte Beobachtungen  lassen  sich  in  Actio  VIII  machen.  Wes- 
halb, so  klagen  nach  der  Angabe  des  Verfassers  die  Monophy- 
siten, hat  das  Chalcedonense  die  cyrillischen  Termini  tvcoaig  y.ad^ 
vjtöoraoiv'^).  Ix  dto  (f.rotcov  und  ,«/«  (pvOig  rov  fhwv  ?.6yov 
0£GaQxojfiti')j  nicht  acceptiert?  Auch  diese  Klage  hatte  nach 
dem  Concil  von  Constantinopel  ihre  Schärfe  verloren,  denn  dies 
Concil  hat  jene  Termini,  in  chalcedonensische  Beleuchtung  ge- 
stellt, acceptiert  (Anathemat.  V  und  VIII,  Mansi  IX,  p.  379  sq.). 
Auch  der  Verfasser  der  Schrift  de  sectis,  bezw.  ihrer  Grundlage, 
weiss  allen  drei  Terminis   einen  orthodoxen  Sinn   abzugewinnen 


*)  Dies  monophysitische  Desiderium  ist  lehrreich.  Man  sieht:  indem 
rXccl  tig  tv  TiQoownov  xal  filccv  vtiootuoiv  aviTQe/ovotjQ'^  des  Chalcedo- 
nense fand  man  die  eviootg  /caO-'  inöoiaoiv  nicht  notwendig  gelehrt.  Eint' 
correlate  Aufkläning  giebt  Anathematisma  V  der  Synode  von  553  (Mansi 
IX,  p.  379):  si' Tiq  ttjv  [iiav  vnöaxaaiv  xov  xvqIov  ijfKJiv  'Itjaov  XQtoxor 
ovxmq  tx?.a(xßävsi  wq  iniöeyofihvtjv  noXXäJv  vnooxäoswv  orifxaaluv  xxk. 
Auch  eine  theodoretische  Exegese  des  tiq  tv  tcqÖoojtcov  xal  (xlav  vnöaxa- 
<uv  GvvxQiyj-iv  war  also  möglich. 

Texte  u.  Untersuchungen.  III,  1  10 


[4G  Drittes  Capitel. 

1 1252  CD,  1253  AB,  und  für  kx  ovo  gjvßeov  r24lD);  man  brauclit 
nicht  immer  alles  zu  sagen,  was  man  anerkennt,  sagt  er  in 
Actio  VIII  (col.  1252 D:  ovx  fg  avayxtjg  6h  xa  oiioloyov^tti>a 
jiccvrog  zi&svar  aXX^  sOziv  sviors  jcagalifucäveiv).  Wenn  trotz- 
dem das  Concil  von  553  nicht  erwähnt  ist,  ein  erklärlicher 
Grund  für  eine  Missstimmung  des  Verfassers  gegen  dies  Concil 
aber  nicht  gefunden  werden  kann,  so  weist  dies  darauf  hin,  dass 
die  betreffenden  Ausführungen  der  Actio  YIII  vor  553  concipiert 
sind,  mithin  einer  Grundschrift  angehören,  die  von  dem  spätem 
Verfasser  des  jetzt  vorliegenden  Ganzen  überarbeitet  ist. 

Ade  endlich  ist  zunächst  («)  darauf  hinzuweisen ,  dass,  wie 
schon  oben  (S.  139)  dargelegt  ist,  die  Verwandtschaft  der  einzel- 
nen Abschnitte  der  vorliegenden  Schrift  de  sectis  mit  der  Rede- 
weise und  dem  Gedankenkreise  des  Leontius  eine  sehr  verschieden 
enge  ist  in  den  verschiedenen  Abschnitten.  Während  in  Actio  VII 
niemand  den  Leontius  verkennen  kann,  macht  der  Abschnitt 
1196B — 1197C  in  Actio  I  und  der  gesamte  Inhalt  der  Actio  II 
dem,  der  von  den  echten  Werken  des  Leontius  herkommt,  einen 
durchaus  fremden  Eindruck,  und  in  Actio  III,  IV  und  V  ist 
des  Fremdartigen  wenigstens  ebensoviel  als  des  an  Leontius  Er- 
innernden. 

Weiter  wären  iß)  Einzelheiten  zu  nennen  innerhalb  der  Schrift 
de  sectis,  die  von  Leontius  nicht  herrühren  können.  Nur  einige 
seien  erwähnt.  In  dem  Abschnitt  über  Paul  von  Samosata  in 
Actio  III  (1213D— 1216B)  wird  (1216A)  von  Paul  von  Samo- 
sata ausdrücklich  gesagt  ,,«/}  dosC(.L.ojv  xa  avxa  xcö  A^öxogirp- . 
Im  Zusammenhang  der  ganzen  Stelle  ist  dies  Urteil  zwar  nicht 
als  geradezu  unleontianisch  zu  bezeichnen,  doch  ist  es  schwer 
glaublich,  dass  Leontius,  wenn  auch  nur  scheinbar,  das  gerade 
Gegenteil  von  dem  gesagt  hätte,  was  er  adv.  Nest,  et  Eut.,  col. 
1 388  D  — 1396  A  ausführt. 

Eine  zweite  Stelle,  die  wenigstens  in  ihrer  jetzigen  Gestalt 
nicht  von  Leontius  geschrieben  sein  kann,  ist  1229  C.  Hier  wird 
dem  Kaiser  Justin,  dem  Ersten  (518—527),  eine  nur  anderthalb- 
jährige Regierung  zugeschrieben,  und  die  Flucht  des  Severus  aus 
Antiochien  nach  Alexandria  in  die  Regierungszeit  Justinian's 
verlegt.  Ersteres  könnte  man  durch  Annahme  eines  Textfehlers 
beseitigen:  statt  tva  rjfiiöv  avtavvov  müsste  avvia  xal  ?]fiiövp 
gelesen  werden;  ein  Irrtum  beim  Abschreiben  oder  ein  Verhören 


§  10.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  ayö?.ia  Aeovxiov.     147 

wäre  hier  möglicli.  Allein  damit  wäre  wenig  geholfen.  Dass 
durch  das  sv&tojc  Jovoriviavoc  das  tva  geschützt  scheint,  will 
ich  nicht  betonen,  jedenfalls  aber  bhebe  der  Ii'rtum  stehen,  dass 
des  Severus  Flucht  in  die  Zeit  Justinian's  gesetzt  wird,  ja  der 
Irrtum  wäre  grösser,  wenn  in  tva  f/uiov  ein  Textfehler  vorläge. 
Leoutius,  der  Zeitgenosse  dieser  Ereignisse,  kann  auf  keinen  Fall 
der  Urheber  dieser  Angaben  sein. 

Drittens  endlich  kann  derselbe  Verfasser,  der  adv.  Xest.  et 
Eut.,  col.  1373B,  gegen  die  Annaluue  einer  dyvoia  inbezug  auf 
Christus  polemisiert,  das  von  den  Agnoeten  handelnde  Stück  de 
sectis  (1261 D — 1264  B)  nicht  geschrieben  haben,  denn  in  diesem 
wird  die  Annahme  des  dyvoelv  entschieden  begünstigt. 

Die  Gesamtheit  der  bis  jetzt  entwickelten  Gründe  lässt  m.  E. 
darüber  keinen  Zweifel  mehr  übrig,  dass  wir  in  den  oyoha 
Aeovriov  ajto  g)0}ptjg  Oboöojqov,  d.  i.  in  der  Schrift  de  sectis, 
eine  echt  leontianische  Grundlage  nur  in  späterer,  aus  der  Zeit 
zwischen  579  und  607   stammender  Bearbeitung  vor  uns  haben. 

4)  Haben  wir  nun  diese  leontianische  Grundlage  in  den  oyö- 
Zia  Aeovriov  zu  suchen,  von  denen  wir  in  Cap.  II  gehört  haben, 
oder  bezieht  sich  das,  was  wir  aus  der  nachleontianischen  Litte- 
ratur  über  die  öyoXia  Aeovriov  erfahren,  auf  die  oyoXia  Aeov- 
riov ajio  (poyvriQ  OeoöojQov,  auf  die  Schrift  de  sectis?  Diese  oben 
S.  142  zurückgestellte  Frage  muss  jetzt  ihre  Beantwortung  finden. 

Auf  die  Schrift  de  sectis  in  ihrer  vorliegenden  Gestalt  passt 
das,  was  wir  in  Cap.  II  aus  den  oyoXia  Aeovriov  und  über  die- 
selben gehört  haben,  nicht.  Das  ist  leicht  zu  zeigen.  Fünf 
Fragmente  ex  rcöv  oyoXicov  Aeovriov  haben  wir  kennen  gelernt: 
P)  und  1''),  Doctrina  p.  53,  oben  S.  115f.:  Fragment  II,  1  und  2: 
2)  Doctrina  p. 62,  oben  S.  116:  FragmentIV;  3)  Doctrina  p.  64. 
oben  S.  117:  Fragment  V;  4)  das  in  der  Doctrina  vorhandene, 
aber  bislang  nur  aus  Euthymius  bekannte  Fragment  gegen  die 
Aphthartodoketen.  vgl.  oben  S.  125:  5)  das  bei  Euthymius  und  in 
der  Doctrina  p.  38  f.  und  48 f.  citierte  Fragment  einer  Apologie 
des  Chalcedonense,  vgl.  oben  S.  121.  Von  diesen  Fragmenten 
stimmt,  wie  die  Zusammenstellung  auf  S.  115  fi'.  gezeigt  hat,  das 
zweite  (oben  S.  116:  Fragment  IV)  mit  dem  parallelen  Abschnitt 
in  de  sectis  (1248D,  Z.  6— 1249  D,  Z.  2)  fast  vollständig  überein,  und 
auch  bei  dem  dritten  (oben  S.  117:  Fragment  Vj  sind  die  Abwei- 
chungen vom  Paralleltext  (de   sectis  1244B,  12  —  C,  13)   unbe- 

10* 


j^48  Drittes  Capitel. 

deutend,  sodass  mau  dieseu  beiden  Fragmenten  gegenüber  mit  der 
Aunalime  auskäme,  die  Doctrina  citiere  unsere  oxolia  Asov- 
Tiov  djco  (fcovTjQ  ßsoöo)QOV.  Allein  schon  bei  dem  ersten  (oben 
S.  115f.  unter  Nr.  II,  1  u.  2  genannten)  Fragment  erweist  sich  diese 
Annahme  als  unzureichend.  Die  erste  Hälfte  dieses  Fragments 
hat  zwar,  wie  oben  angegeben  ist,  in  de  sectis  1240  C,  12  — 
1241  A,l  ihre  Parallele,  doch  erkennt  man  leicht,  dass  die  Ver- 
schiedenheiten beider  Texte  schwerlich  zufällig  auf  dem  Wege 
der  handschriftlichen  Überlieferung  entstanden  sind.  Und  die 
zweite  Hälfte  des  Fragments  (oben  S.  116:  II,  2)  ist  in  dem  vor- 
liegenden Text  de  sectis  überhaupt  nicht  aufzufinden,  weist  also 
mit  zwingender  Deutlichkeit  darauf  hin,  dass  der  Doctrina 
nicht  der  uns  im  Druck  jetzt  zugängliche  Text  de  sectis  vorlag. 
Zu  demselben  Schlüsse  nötigen  die  beiden  letzten,  auch  bei 
Euthj'mius  vorhandenen  Citate  in  der  Doctrina.  Das  erstere 
derselben,  Nr.  4,  hat  in  de  sectis  1260  B,  Z.6— 1261D.  Z.  8  seine 
Parallele.  Doch  sind  der  Abweichungen,  die  nicht  aus  verschie- 
dener handschriftlicher  Überlieferung,  sondern  nur  aus  bewusster 
Umgestaltung  des  Textes  erklärt  werden  können,  nicht  wenige. 
Da  jedoch  für  dies  Fragment  leider  der  Text  der  Doctrina 
selbst  noch  nicht  vorliegt,  ist  es  nicht  zweckmässig,  jetzt  bei 
demselben  länger  zu  verweilen.  Und  es  ist  um  so  unnötiger,  je 
deutlicher  das  letzte  der  Fragmente  beweist,  dass  die  Doctrina 
unsere  oyiölia  Asovtiov  djto  (pcovrjq  OtoöcoQOV  nicht  kannte. 
Auch  diesem  Fragment  fehlt  die  Parallele  in  de  sectis  nicht 
(col.  1233  Cif.),  doch  verhält  sich  der  Text  in  de  sectis  zu  dem 
Fragment  fast  so,  wie  eine  Predigt  zu  dem  zugrundeliegenden  Texte. 

Auch  das,  was  wir  ausserdem  in  Cap.  II  über  die  öyölia 
Asovtiov  hörten,  passt  zu  unsern  oy^öXia  djio  (pcovrjg  GsoScoqov 
nicht.  Der  Schlussabschnitt  des  oben  S.  llOff.  unter  Nr.  I  bespro- 
chenen Fragments,  der  in  den  öyölia  Asovx'iov  zu  Hause  sein 
muss  (vgl.  oben  S.  134),  ist  in  de  sectis  nicht  nachweisbar.  Eben- 
sowenig terminologische  Auseinandersetzungen  über  den  Begriff 
des  vjioxei^usvov,  wie  sie  Theodorus  Studita  in  den  ayölia  Amv- 
xlov  kannte,  ebensowenig  endlich  die  üiolldi  naQxvQiai  jisql  rrjc 
Svixrjg  (pcovtjg,  die  nach  Germanus  der  Apologie  des  Chalcedo- 
nense  eingefügt  waren. 

Da  demnach  die  aus  Cap.  II  uns  bekannten  ayolia  Asov- 
tiov  mit    den    uns   vorliegenden   oyölia  Asovtiov    djto   cpcovrig 


§   10.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  ayöua  Afovilov.     149 

f>^o6(ÖQOV  nicht  identisch  sein  können,  so  bleiben  zur  Erklärung 
der  engen  Verwandtschaft  der  Mehrzahl  der  Citate  ly.  vcöv  Atov- 
riov  OxoXicov  mit  einzelnen  Abschnitten  der  OioIlu  Asovriov 
ajio  g)covrjg  OsoöcoQOv  nur  zwei  andre  Annahmen  möglich.  Ent- 
weder sind  die  ö^öha  Asovriov  identisch  mit  der  leontianischen 
Grundschrift  der  C/^öXia  axo  (pcovijg  OsoÖcoqov,  die  aus  den  oben 
S.  140  bis  S.  147  dargelegten  Gründen  angenommen  werden  muss, 
oder  es  ist  anzunehmen,  dass  der  gedruckte  Text  der  oyölia 
aüio  (fmvTjq  0£OÖ(dqov  uns  nicht  den  ursprünglichen  Text  dieses 
auf  leontianischer  Grundlage  ruhenden  Werkes  biete,  und  dass  die 
Citate  der  Doctrina,  des  Germanus  und  Theodorus  Studita  auf 
eine  ursprünglichere,  jedenfalls  andre  Recension  dieser  OyoPua 
Abovxlov  ajto  (fcovr/g  Osoöcoqov  sich  beziehen.  Letztere  An- 
nahme müsste  allerdings  mit  complicierten  Verhältnissen  rech- 
nen. Denn,  da  die  Notwendigkeit,  hinter  den  oyölia  ajio  (pco- 
vr/g  GsoöcoQOv  eine  auf  Leontius  zurückgehende  Grundschrift 
anzunehmen,  bestehen  bleibt,  auch  wenn  die  Citate  der  Doc- 
trina, der  Schlussabschnitt  des  oben  S.  110 — 115  zerlegten 
„Fragment  I",  sowie  die  Angaben  des  Germanus  und  des  Theo- 
dorus Studita  nicht  auf  diese  Grundschrift,  sondern  auf  eine  vom 
Druck  der  Schrift  de  sectis  abweichende  Recension  der  Gyoha  a:!i() 
(pcovTJg  SwÖcÖqov  hinwiesen,  so  hätte  man  m  diesem  Falle  eine 
doppelte  Bearbeitung  der  leontianischen  Grundlage  anzunehmen. 
Allein  diese  Annahme  ist  so  künstlich  nicht,  als  sie  scheint; 
denn  jene  complicierten  Verhältnisse  sind  anscheinend  wirklich 
vorhanden.  Unser  Druck  der  o/oXia  AeovxLov  clüio  cpcovTJg  0eo- 
6c6()ov  ruht  (Vgl.  oben  S.  136)  auf  einer  sehr  jungen  Handschrift, 
zwei  der  übrigen  vier  Handschriften  aber  werden  von  denen,  die 
sie  gesehen  haben,  als  editis  emendatior  oder  auctior  bezeichnet 
(vgl.  oben  S.  136  f.,  Nr.  4  u.  5),  und  von  einer  dritten  (oben  S.  136, 
Nr.  2)  wird  von  Lambeck  ausdrücklich  gesagt,  dass  eine  Verglei- 
chung  derselben  mit  dem  gedruckten  Texte  sich  lohnen  würde. 
Unsere  Untersuchung  scheint  uns  also  in  ein  Dilemma  cre- 
führt  zu  haben,  aus  dem  vor  Einsichtnahme  in  die  Handschriften 
der  OxoXia  AeovtIov  djio  (fcov^g  OsoöcoQov  kein  Ausweg  sicli 
eröffnet.  Doch  es  scheint  nur  so.  Freilich  über  das  Verhältnis 
unseres  Textes  de  sectis  zu  der  ursprünglichen  Arbeit  des  Abtes 
Theodor  wird  man  schweigen  müssen,  bis  man  die  Handschriften 
der   oyolia   .Uovriov   ajco   c/coi^J/g   (-JsoöcoQov   durchforscht  hat. 


-[50  Drittes  Capitel. 

Dass  aber  die  in  der  Doctrina  citierten  c/ölLa  Atoiniov  mit 
den  Qyolia  ihovrlov  ajio  g:cov7Jg  OtoöcoQOV  nicht  identisch  sein 
können,  auch  wenn  deren  ursprüngliche  Gestalt  noch  so  sehr 
„editis  emendatior  et  auctior"  gewesen  ist,  das  kann  eine  ge- 
nauere Untersuchung,  wenn  nicht  schon  des  vierten,  so  doch  des 
fünften  der  S.  147  aufgeführten,  in  der  Doctrina  befindlichen 
Fragmente  l'x,  zo3v  öyoXlcov  A&optIov  schon  jetzt  zeigen. 

Das  erstere,  bis  jetzt  nur  aus  Euthymixis.  Panoplia  tit.  17 
(Migne,  P.  G.  130,  col.  1088)  bekannte  Citat  wü-d  bei  Euthy- 
raius  eingeführt  als:  xaza  aqfhaQxodoxLxcöv  xcä  rSv  cmo  lov- 
Xtavov  rov  AhyMQvaOotojq  y.di  ra'iarov  rov  'AltsccvÖQtcoq  Ix 
Tcöv  0'/oUo)v  Asovriov  BvCavziov.  Von  dem,  was  unter  dieser 
Überschrift  folgt,  sind,  soviel  ich  sehe,  die  ersten  acht  Zeilen 
in  de  sectis  nicht  nachweisbar.  Sie  lauten:  Ol  ajio  'lovXiavov 
xal  ratarov  acpd^aQroöoxlrai  ?.F.y6fisvoi  Iv  f(hv  roTg  uIXolq 
döyiiaot  OviicptgorzaL  rolc,  2ev7jQov,  sv  rovrco  6h  fwvov  öia- 
fßtQOvrai  JTQog  avrovg,  av  tcö  Ityeiv  txsivovg  ftev  öiacpoQav  iif^ra 
rriv  svooOiv  sjcl  Xqlözov^  zovg  6s  ^lovlLaviözag  xdi  raiarlzag 
firj  [lovov  aQVEiod^ai  zrjv  öiacfOQav  zcöv  ovo  zov  XqlOzov  (pv- 
Oscov,  alXa  xal  arp&^agzov  öoyi^mzi^siv  z6  ocöf/a  zov  Xqiözov  tg 
avzfjg  öiajc?MO£(og.  Die  dann  sich  anschliessenden  58  Zeilen  (ine: 
xal  za  fiev  xä^-rj  XtyovOLV  vjtofistvai  z(n>  xvqioi\  jrsivdv  cf/rjfii 
xal  öiipav  xal  xojcov  xal  za  £s^g,  ov  zov  avzov  dh  zqÖjiov  tjfih' 
xzl.)  decken  sich  im  Wesentlichen  mit  de  sectis.  Actio  X,  col. 
1260B,  Z.  6  — 1261D,  Z  8.  Doch  sind,  wie  schon  oben  S.  148 
gesagt  ist,  der  Abweichungen,  welche  nicht  aus  verschiedener 
handschriftlicher  Überlieferung,  sondern  nur  aus  bewusster  Um- 
gestaltung des  Textes  erklärt  werden  können,  nicht  wenige.  So 
ist  z.  B.  die  Reihenfolge  der  de  sectis  col.  1260  C  ff.  citierten 
Väterstellen:  Gregorius,  Cyrillus,  Athanasius,  nicht  dieselbe  wie 
bei  Euthymius:  Athanasius,  Gregorius,  Cyrillus;  weiter  fehlt  bei 
Euthymius  der  ganze  Satz  de  sectis  1261 A,  Z.  8 — 12:  xal  ujio- 
Qovfisv  zoiavzr/i'  ajioQiav  .  .  .  aXla  jcQog  zovzo  amtijioitr ,  es 
schliesst  sich  vielmehr  bei  Euthymius  (col.  1088  D,  7)  der  Satz 
de  sectis  1261A,  Z.  12:  ov  zqoüiov  [isza  zffV  avdözaOiv,  durch 
ein  avzajioxQivovzai  6h  jtdXiv ,  özi  eingeleitet,  direct  an  den 
mit  TjfiiztQOV  (de  sectis  1261 A,  8)  schliessenden  an.  Endlich  ist, 
um    von    den    mancherlei   Abweichungen   inbezug    auf  einzelne 


§  10.    Die  Schnft  de  sectis.  eine  Bearbeitung  der  o/ö'/.ta  Aeovxlov.     15 j[ 

Wörter  und  Wortformen  zu  schweigen,  der  Scliluss  von  de  sectis 
1261  C,  Z.  11  an  ein  ganz  verschiedener: 

Euthymius:  De  sectis  12G1C,  Z.  11  ff.: 

Otav  de  täq  xoLavxac,  xagcc-  Oxav  de  xaq  xoLavxaq  jiaga- 

ymOL  •/Q7]6tLq,  öiaiQtxtov  xa  yayojoi  xgrjosig,  sjtLOxtrpai,  oxt 
orinaLvbiiiva  x^g  q)doQÜq  xal  oficövv^uoi^  toxi  x6  x/jg  (fid^ogäg 
tcpaQftoöxe'op  xcö  0(6fiaxt  xov  ovofia.  Ätyexai  yccg  (pQoQo.  i] 
Xgioxov  xa  jiQijtovxa  xcov  orj-  jtavxüSjg  ÖLCcZvOig  xov  oojfia- 
^uaivo(itva)v.  xog  dg  xa  oxoixsicc,  8$,  cov  ovv- 

£xa&ty  xal  Xtyaxai  (pü^oga  xa 
avd^gojjiiva  xavxa  jcc'c&f]  xovx' 
töxLv  x6  jtaivTJv  xal  öiipfjv  xal 
oGa  xoiavxa.  Oxav  ovv  stJt?} 
xig  XMv  jtaxtgcov,  öxr  ovx  vjtt- 
fisivs  fp&ogdv  x6  Oojfia  xov 
Xgtoxov^  xovxo  /.tyei,  oxi  ov 
öiafijiä^  tXvd-fj'  ojieg  ahjihsg 
ÖTJXov  t§  oov  avxüJyovöiv.  'Ei' 
jiolXolg  yäg  Jtgo  xJjg  avaoxa- 
ösmg  cp&agxöv  avxo  Xtyovoi, 
fisxd  Öh  xfjv  dvdöxaoiv  d<p- 
&agxov. 

Die  wichtigste  der  genannten  Verschiedenheiten  der  beiden 
Texte  ist  der  verschiedene  Eingang,  der  dem  beiden  gemein- 
samen Stücke  de  sectis  1260 B,  Z.  6 — 1251 D,  Z.  8  vorangeht. 
Sind  die  dem  Citat  bei  Euthymius  eigentümlichen  ersten  acht 
Zeilen  herübergenommen  aus  einer  von  dem  Text  in  de  sectis 
abweichenden  Recension  der  oyoXia  Atovxiov  djco  (fcovTJg  0eo- 
öc6goi\  oder  entstammen  sie  mitsamt  dem,  was  folgt,  der  Grund- 
schrift der  Schrift  de  sectis,  oder  endlich  rühren  sie  her  aus  einer 
dritten  Quelle,  aus  einem  Werke,  das  den  Abschnitt,  der  dem 
Fragment  und  den  oyoXia  djio  gjowrjg  Oeo6(ögov  gemeinsam  ist. 
in  sich  aufgenommen  hatte?  Die  erster e  Möglichkeit  ist 
m.  E.  gänzlich  ausgeschlossen.  Denn  im  Zusammen- 
hang einer  Schrift,  die  im  Wesentlichen  die  Anordnung 
der  Schrift  de  sectis  befolgt,  sind  die  Eingangssätze 
bei  Euthymius  überhaupt  nicht  denkbar,  weil  ihr  In- 
halt bereits  Actio  V,  col.  12:32B  und  Actio  VII,  col.  1245B 


]  52  Drittes  Capitel. 

zur  Greltuiig  gebracht  ist.  Die  dritte  Möglichkeit,  deren 
vielfache  Formen  zu  specialisieren  nicht  nötig  ist,  kann  nun 
freilich  nicht  ebenso  als  undenkbar  bezeichnet  werden.  Im 
Gegenteil,  es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  scheinbar  etwas  für  sie 
spricht.  Unverkennbar  nämlich  erscheint  der  Text  bei  Euthy- 
mius  auf  den  ersten  Blick  an  einigen  Stellen  secundär  gegenüber 
dem  Text  de  sectis.  Soweit  dies  aus  Textcorruptionen  erklärt 
werden  kann,  welche  die  bis  auf  Euthymius  reichende  hand- 
schriftliche Überlieferung  verursacht  hat,  braucht  es  uns  nicht 
aufzuhalten.  Doch  reicht  da,  wo  der  Satz  xal  djtoQOVfier  xrl. 
in  dem  Euthymiustexte  fehlt,  und  im  Schluss  des  Citates  ein 
Hinweis  auf  mögliche  Textcorruption  nicht  hin,  um  den  secun- 
dären  Schein  des  Euthymiustextes  zu  zerstören.  Trotzdem  sind 
aber  auch  diese  Stellen  nicht  beweisend  für  den  secundären 
Charakter  des  Fragments.  Denn  der  Satz  xcä  d:jioQoi\utr  y.rX. 
(de  sectis  1261 A,  Z.  8  ff.)  ist  bei  näherer  Betrachtung  sehr  wohl 
als  Zusatz  des  Abtes  Theodor  zu  begreifen,  und  am  Schluss  des 
Euthymiuscitates  verschwindet  der  secundäre  Schein,  wenn  man 
annimmt,  dass  die  Quelle  des  Euthymius  das  Citat  vor  dem 
Schluss  des  Abschnittes  abgebrochen  habe,  sodass  also  das  Ixl- 
oxtipat  ort  ofic6rvf(ov  xzZ.  im  Text  de  sectis  als  Fortsetzung 
des  Citats  bei  Euthymius  aufzufassen  wäre.  Wenn  demnach  die 
scheinbaren  Gründe  für  die  dritte  Möglichkeit  wegfallen,  so  ist 
es  entschieden  das  Nächstliegende,  die  zweite  Möglichkeit  als 
wirklich  vorauszusetzen,  d.  h.  anzunehmen,  dass  man  in  den  Ein- 
gangssätzen bei  Euthymius  die  von  dem  Abt  Theodor  beseitigten 
Eingangssätze  der  von  ihm  bearbeiteten  Leontiusstelle  zu  er- 
kennen hat.  Mit  dieser  Annahme  wäre  die  andre  gegeben,  dass 
in  den  öiölia  Aeovriov  die  Grundschrift  der  ö^olia  Atoinlov 
djio  cpcovTJQ  0soÖ(6qov  zu  suchen  sei.  Doch  je  unsicherer  diese 
Beweisführung  ist,  desto  besser  wird  man  thun,  vor  Bekannt- 
werden des  Textes  der  Doctrina  auf  dies  vierte  Fragment  nicht 
zuviel  zu  bauen.  Stimmt  wirklich  —  wie  man  nach  Lequien, 
opp.  Jo.  Damasc.  I,  p.  107  not.  vermuten  darf  • —  der  Wortlaut 
des  Fragments  in  der  Doctrina  mit  dem  bei  Euthymius  über- 
ein, dann  freilich  wird  der  vorgetragenen  Argumentation  einiges 
Gewicht  nicht  abzusprechen  sein;  bietet  aber  die  Doctrina 
nicht  dieselben  Eingangssätze,  dann  wird  die  ganze  Argumen- 
tation haltlos. 


§  10.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  o/öliu  Aeovxiov.     15;^ 

Doch  wenn  auch  dies  vierte  Fragment  uns  sichere  Auf- 
klärung nicht  geben  kann,  dennoch  ist  gegenüber  dem  oben 
S.  149  dargelegten  Dilemma  eine  Entscheidung  möglich,  und  zwar 
auf  Grund  des  fünften  Fragments.  Seinen  Text  besitzen  wir 
nicht  nur  in  einfacher,  sondern  in  dreifacher  Recension,  zweimal 
in  der  Doctrina,  einmal  bei  Euthymius.  Da  nun  die  Überein- 
stimmung des  Textes  bei  Euthymius  mit  dem  der  Doctrina  keine 
völlige  ist,  so  mussten  in  der  folgenden  Vergleichungstab  eile 
drei  Columnen  nebeneinandergestellt  werden,  eine  für  den  Text 
der  Doctrina,  eine  für  den  des  Euthymius,  eine  für  den  der 
Schrift  de  sectis.  Der  Text  der  Doctrina  ist  nach  dem  Texte 
auf  p.  38  f.  (Text  a)  gegeben  worden,  doch  so,  dass  die  Abwei- 
cliungen  des  Textes  b  auf  S.  48  f.  in  den  Anmerkungen  ange- 
führt und  offenbare  Lücken  im  Text  a  in  []  nach  Text  b  aus- 
gefüllt sind. 

Doctrina  p.  38 f.     Euthymius,  Panopl.     Leontius,   de  sectL^ 
und  49.  dogm.  Migne,  F.  G.     Migne,  F.  G.  86,  1, 

130,  col.  1084.  col.  1233  C. 

Mexa  xa  siQtjfitva, 
g)tQS  xal  xsQL  sjir/£i- 
Qrifiaxcov  xii'coi'.icjteQ 
xoivcöq  jcQoc  xijv  £XxX?]öiav  XtyovöL  Jtdvxsg  ot  ÖLaxQivöfiei'oi, 
fiixQa  öiaXaßcofiev.  zliiXojf/sv  de  avxa  xQiyij,  tjrsiöt)  xa  fisv 
avxcöv  loxoQixa  eloiv,  Ix  xf'jv  jiQcc/ß^ivxojv  xij  Iv  XaZx?/ö6vi 
Ovvööcp  Zafißav(\u£va'  xa  öh  djco  OvXXoyiOficöv  xal  jtSQivoiac' 
xct  öe  djio  yj)f]0i:03v.     'AlXct  jrQmxov  xeql  x65v  iöxoqixcöv  6ia- 

Äafißdvcofiar.     Eio\ 
de.  a  (itZXofisv  Xtysir, 
ijtiy£iQj]fiaxa   xiooa- 
Atyov-  Aeyov-    (>a,  cov  jtQcöxov  ton 

ßLV  ,  OXL  OV  Ö£l  oii\  oxi  ov  XQV  ^^'  xovxo,  öxi  ov  dt( 
dt§.aoO-ai  X7]v  Iv  ;f£öi9-a£  xrjv  sv  ötysöüai  xijV  tr 
XaXxrjdövi  XaXx/jöovi  Ovvo-  XaXxtjöovt  Ovvo- 
övvoöov,öi6xi  Ol  öoi^,  öioxi  Ol  xavxtjg  öov,  hjieiöi)  oi  tr 
tv    avxfi    övvay-  avxij   ysv6fi£voi    dr- 

d-kvxeq 
jiaXifißovXoi^)  jtaXifißoXoi       öqsq  jiaX'i^ißoXoi 

1)  b:    na?.i'/ißo?.oi. 


154 


Drittes  Capitel. 


Doctrina  etc. 

i)oav  xal  allö- 
xoTOL.  Oi^)  av- 
xol  yctQ  y.al  Iv 
Bv^avzicp  xad^- 
iZXoV     TOP     Ev- 

T vyi] '-)     yMi     ev 

^Eg)t(jcp  TOVTOV 
söi^avTo      [itza 

J  lOöXOQOVMTCO- 

ßaXldiievoL 
^Zaßiavov  xal 
jcaP.cv  ol  avTol  sv 

XaXx7jd6ri   <PXa- 
ßiavov    fihv    eöt- 

sccvTO ,     röv    de 
AlÖoxoqov  ajießdX- 

ZovTO^).  Ilgog 
rovTO  läyofisv, 
ort  ov  6el  Xo- 
ylC^sod-ai  T«  av- 
Q^QoyjtLva,  jiol- 
Xol  yag  jtoXXayuq 
TOVTO  (pairovrai 

iO(og  xal  xöjv  60- 
xovvTcov  xXrjv  ei 

xal  JitvTS  1] 
[xal]*)  jiXslovg  r] 
\xaX\'^)  TQiaxoi'- 
ra  axo  xcöv  £5^- 
xooimv  TQLaxov- 
ra8<f>äv7]6avjia- 
XiiißovXoL'^),  cöq 
<paxi^  ov  öia  xov- 
xo     XQV     £s«^o- 


Euthymius  etc.  Leontius  etc. 

fjOav  xal  dXXoxo-  rjoav  xal  aXXöxo- 

xof  xal  yccQ  ol  av-  xol.    Ovtol  yccQ  xal 
xad-tlXov  xov  Ev- 

xol    Iv    BvCarxlfp  xvyjj  tv BvC,avxlqy 

l^thv  xa&eiXov  xov  xal    sie    E(psoor   eX- 

Evxvyjj,  Iv  'Efptocp  d^ovxec,  xov  filv  Ev- 

ösxovxov  sös^avxo  xvyjj  sös^avxo  [le- 

[i£xa     AloGxoqov  ,  xaJ  loöxÖqov^xov 

xov    fPXaßiavov  6h  fpXaßtavov  djrs- 

dxoßaXofisvoixal  ßdXovro. 
jrdXiv    Ol    avxol    sv 
XaXx7]66vL    fi£V 


£Ö£§avxo  fPXaßiavov, 
xov  ob  /hoöXOQOV 
djteßäXovxo.  ÜQog 
xovxoig  da  dvxL- 
Xi^ofiBv,  6x1  JioXlol 

jtolXdxig  fisxaßdX- 
Xovxai  öid  XLvag  oi- 

xovofiiag   svXoyovg 
cpaivofiEvag  avxoig. 


nXrjv 
et  xal  xtvxa  xvyov 
t)  dexa  rjxal  jiXelovg 
dxo  xüjv  t§axo- 
oio)v  xQtdxovxa 
jtaXifißoXoi  ysyö- 
vaOLV^  ojg  vfisTg  (faxe, 

ov  yQtj  öid  xovxo 
xtjv  xcävtsaxooimv 


ÜQog 
xovxo  Xtyo(itP,  öxL 
XQcörov  (lav  6tov 
XoyiL,so&ai  f],uäg 
X  d  dvd^  Q  CO  Jt  L2>a. 
Kai  dXXayov  ydq  xl- 
vsg  x(5v  aylcov  jiaxt- 
Qcov  lyxQLxojv  xovxo 
cpahovxai  jcoXXdxig 
xaxovdoxag.  Ejceixa 
öh  ei  xal  Jttvxe  1) 
xQidxovxa  7)  xXeico 
djco  xcöv  yX  [d.  i. 
e^axoöicov  xQid- 
xovxa]  exeivcov  evge- 
d-evxeg  ev  X7J  övvo- 
6cp  ecpdvrfiav  jcaXifi- 
ßoXoi^  ov  öid  xov- 
xo yQ7)  e§axo6io3v 


1)  om.  b.     2)  b:  rov  Evzvy/i  xcc9^ü?.ov.     3)  b:  uneßc'O.ovzo.     4)  add.  b. 
5)  b:  naXifxßokoi. 


§  10.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  oyö'ua  Aeovrlnv.     155 

Leoutius  etc. 


Doctrina  etc. 

öicOV  UVÖQCÖV  ÖV- 

roöov  aüioßc'iX- 
l^od^uL^),  ojtov  yl 
Ol  avTol  y.al  tv 
'Ecpioo)  Ovvi/ÖQEV- 
oav  fisru  Jiooy.6- 
QOV  'AOL  ov  öia  xov- 
Tovg  ajroßdXXeo- 
d-ai  2)    ri/i'    Toiav- 

TTJV   OVVOÖOV. 


Ilcdiv  XtjovOiv, 
ort  si  xarä  rrjv 
(pcovTjv  \4varoliov 

[zov\  3)    Kcovozav- 

TLVOVJtoltCOq  ov^) 
6ia  jtioxLV  xad-- 
)jQä&t]  6  AlÖö- 
TCOQog,  Tf  firj  6b- 
ysöd-e  avTOv;  xal 
^Jyoiisv,  6t i  ijt' 
(\lrid-slag  ov  öiä 
jiioTLV  xad-r/Qt- 
ih].  ['')Aia  TOVTO 
ydg    ov    övvijX- 

d-BV  tv  TTj  OVVO- 
()iqy,     'Iva    [11]    L^Tj- 

Tfjß-ii  xd  y,ax  av- 
xov  et  öh  dvTjl- 
{}■£,  'AOL  ^TjxrjOiq 
ytyovEv    xal    cog 


Euthymius  etc. 

dvÖQCÖV       OVVOÖOV 

djcoßälXbOd-ai,  '/cal 

6id  xovg  oliyovg 
dd-EXsTv  xdg  xooov- 
xmv  ^ijfpovg^  ojcov 
yh  OL  avxol  y.ca  Iv 
^Eg:iocp  ovi'tÖQtvoav 
ij£xd  JioöxoQov,  xal 
ov  öid  xovxovg  ajto- 
ßdXXtöd^e  X7iv  tv 
^E(p86<p  OVVOÖOV,  i/g 
rjQys  JiöoxoQog. 

ndXiv     XtyovOLv, 

öxL     d    xaxd     xrjv 

ffcovTjv    'AvaxoXiov 

KcovoxavxLVOVJiö- 

Xscog    ov^)  Öid    xi- 

oxiv    xa{h}]Qtd-rj 

AioOxoQog,    ri    [irj 

öexsoü^s    avxöv;    xal 

XsyoiiEV,    öxL     sjt^ 

dXjjd-siag  ov  öid 
jrioxiv  xad-rjQt&r/' 
öid  xovxo  ydg  ov 

OVVJjX&SV      SV      xfi 

Ovvoöfp,  %va  y,r\  C,7j- 
xijihri  xd  xax^  av- 
x6v  81  öt  dv//Xi}t. 
xal  ^r/x?]Oig  ytyove, 
xal  oj  g  aiQsxixog 
xai^^jQitxo.      Kai 


XQiaxovxa     av- 

ÖQCÖV      OVVOÖOV 

djioßdXXaod-ai. 


AtvxEQOv  de  tjci- 
XdQfj^ud  eOTiv  8Jil 
xovxo,  oxi  avxrj  fj 
tv  XaXxTjöövL  Ovvo- 
Öog,  ojg  tOxiv  tx  xcöv 
jiEJiQayiitvojv  avxij 
ua&tiv,  (paivBxai  ti- 

jiocoa,  oxi  ov^)  öid 
jiioxiv  xad-rjQtd^i] 
6  AioOxoQog.    Aga 

avTog    fihv   xaXcög 
töo^aOtv,  //  öe  ovvo- 

öog  xaxcög  avxdv 
djtsßdXtxo.  Kai  jtmg 
xi]v  xoiavxrjv  ovvo- 
öov  tyofisv  djioötQ,ao- 
d^ai;  'ü4^iov  öt  toxir, 
tJitiöt)  xal  dXX.o  axo- 

JIOV   tx    XOVXOV  7]fÜV 

dvacfaivtxai,    sijietv, 
x'ivog    xivt]{^ivxog 

tXtyß^?]  x6  QTJXOV  xov- 
XO.      lOXtOV    OVV,    OXI 


1)  b:  dnoxa/.HO&at.  2)  b:  c.noßulioi^ui.  3)  add.  b.  4)  In  diesem 
Abschnitt  ist  die  Übereinstimmung  der  Texte  selten  eine  wörtliche.  Die 
Hervorhebung  einzelner  Satzteile  durch  den  Druck  soll  daher  hier  nur 
darauf  hinweisen,  dass  die  so  hervorgehobenen  Abschnitte  inhaltlich  — 
und  zum  Teil  auch  wörtlich  —  correspondieren.  5)  Dieser  Abschnitt 
fehlt  in  a  und  ist  deshalb  oben  nach  b  gegeben. 


156  Drittes  Capitel. 

Doctriua  etc.  Euthymius  etc.  Leontius  etc. 

aiQerixoq    xaß-  övvaxd^tvrcov    xmr 

aiQSiTO  (sie)*  xal  X^  ^^'  Xa?.x?j66iH  xal 

yaQrjvijtEiörj  ÖS  yag  riv.  'EjcslÖ?)  de  xaßsUvrcop  rov 
xX?jd-slg  £x  TQi-  xlrjd^Elq  ex  tqLzov  ^t66xoQor,fi8TaTaV' 
xov  o  V  xaQsyt-  ov  jtaQsytvero,  '^^  Uo^ev  avTolCr 
PSTO,  xal  rav-  zal  ravTTjv  ejioi//-  c^*^^^  ögov  JCLörscog 
Tfjv  eütoi^Oavxo  oaxo  xriv  alxlai'  ^^''  f^a^^fit^  jtoiijoai. 
alxiav  xtjQxaß-  rtjg  xan-aigtOecog  ^al  61)  oiJtQmxoi 
aiQtösmg  avxov,  avxcov  xad^   lavxovg. 

xovxov  Evsxa  avxov  xov  xov  ysvofzevot,  is8(fO)vrj- 
sijtsv  o  'Avaxo-  tvsxasljiev  o'Ava-  oav  xw  oqov,  ov'Ao- 
lioq,  oxL  ov  öiä  xoliog,  oxiov  ölu  x/.tjjiL(x6?jg  hnaviyvm 
jcioxiv  xad'7]Qt-  jtloxir  xad-ijQid^rj.  '^11  Ovvööcp.^  JltQielxe 
{)-rj\.  öh   ovxog   o   Öqoq  xo 

Ix  ovo  cpvüscov  xov- 
xov dvayvwGd^tPXOQ 
jiollrj    yiyovev    dfj- 
(pißoXia  fiexa^v  xcöp  kjiiöxojtmp.       Ol    6e  agxoi'xeg,    ovg  exefi- 
ipBP  o  ßaOiXevg  xQog  xaxdöxaoiv,  OQcöpxeg  avxovg  a(i<pißdXXo7'- 
xag,  eijiov  jiQog  avxovg^  oxi   o  AiööxoQog  xo   ex  ovo   cpvOecov 
eXeyev'   o  6h  ayicöxaxog  Aecop  ev  ovo   cpvoeOLv  eXsye  XqkJxop 
dxQejixmg^  dovyxvxmg,  döiaigexcog.    Tlvi  dxoXov&eixe;  AloOxoqo) 
//  Aeopxi;  Apaöxdvxeg  6e  jcdvxeg  eijiop^  oxi  mg  Aecop  jtiGxevo- 
fiev  dvddefia  AioöxoQop.      Tovxcov  6e    xal   aXXcop  xipcöp   Xe^- 
ü^evxmv,    cog    e^st    xd    jcejigay^eva^    'ApaxoXiog    o    jiaxQidgyj/g 
sijcsp,  0x1   ov  6ia  jciöxip  xad^TjQefhyj  o  Aioöxogog,  dXX    0x1  dxoi- 
va)Pi]6iap  eJtoh](je  xm  fiaxagio)  Aeovxi^  xal  0x1  ex  xgixov  xXtj- 
delg  ex  xTJg  öwoöov  ovx  i]Xd-e.     Tovxmv  ovxcog  exopxcov^   ovo 
xipd  ajtoQovoiP  Ol  öiaxQiPOfisPOi  Jtgog  xtjv  exxXrjö'iap.    IIqwxop 
liep^   OXL  et  öid  jtlöxiv  eijtep  y  Gvpoöog  aüxt/  firj  xad-aiged-rjpaL 
xop  Ai6öxoQ07\  öid   XL  djioßdXXexai    (1.    djtoßdXXexe)  ?)fiäg;   cog 
exsLVog  ydg  ovxcog   jciöxevofiep.     Ilgog  ovg  Xeyofiep,  6xl  d  0x0- 
jtfjOsi  xLg  xfjr  dX/jd-£Lav,  ov  dm  xijp  jiiöxiv  djteßXrid^t]  6  Aloöxo- 
Qog^  ovöe  xovxo   yeyove  xtg  xad-aigeöecog  avxov  aiXLOi'  {ovös 
yag    elor/Xdep   elg   xtjv    Ovpoöop,    Iva    xql&ij    jisql    xov- 
xov)' dXX"  OXL  xXr/- 
&£lg    xw    opxi    ex 
XQLxov,    ovx    fjve- 


§  10.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  o/6/.uc  AtovTiov.     157 

Doctrina  etc.  Euthymius  etc.  Leontius  etc. 

0/8X0    Ovv  sX&sTv. 

Ei  ovvfjl&s  6t, 
xal  dta  zrjv  jtl- 
otLV  ajctßällero.  ni?}v  jiQog  zavTa  ajtoßltjtcov  6  jlra- 
röXioq  £ix£v,  ort  ov  öid  jiioriv  y.ad-ijQtd-rj  6  Jiooxo- 
Qoq.  Aevtbqov  ajioQov  löXL.  6 La  xi  ajteßc'dsxo  i]  övvoSoq  xov 
Öqov  xov  üi^Qiiiovxa  Itc  ovo  (fvöEmv  xaixoiyt  6  ayiog  Kv- 
QiXloq  av(o  xal  xdxco  Ix  ovo  <pv08cov  Xiyei.  ÜQoq  xovxo  liyo- 
(Atv,  oxL  ovx  ajisßäXexo  avxov,  tJieiöfj  xo  tx  ovo  fpvötcoi''  eiyt 
{xovxo  yuQ  xal  tjftstq  xal  01  öiaxQivof/svot  Ötypvxat,  xal  6 
Evxvyjjq)'  dll^  öxL  tXliJirjq  7]v.  Ov  ydg  sl/e  xo  dvaxQtjtor 
xd  ööyftaxa  Evxvxovq,  alX  o  növov  xoLvojq  rjfiZv  lÖösaCt. 
ToOovxov  ÖE  ovx  dvxioxi]  jtQoq  xo  Ix  ovo  (pvoscov,  oxi  sv  xcß 
ösvxBQop  OQcp  Jiavxaxov  dvaxQejtovOa  xov  EvxvyJ]^  ovöafiov 
t{ivrj0&ij  xo  tx  ovo  (pvötcov,   coq  örjXovoxL  öeyofitvr/  avx6. 

TtxdgxT]  loxlv  djio- 

Qia    {7j  ydg    ösvxtga 

ndXiv   XtyovOiv,  Udliv  Xtyovoi,     tiq     ovo    öiaigtlrai) 

oxi     aiQsxixovq       oxi     aigtxixovq       6x1  aiQtxixovq  dv- 

töiS^axo    tj    avxij      löt^axo    rj    avxfj       d^Qc6:itovq  iöt^axo  t] 

ovvoöoq,   xal  ov     Ovvoöoq.     <Paol    6i     tv  XaXx7j,66vt  ovvo- 

Öti    ötsaö&ai.    av-     Jcsql    &£oöo}Qf/xov     6oq.      ^Edi^ccxo    ydg 

xrjV  ffaol  dt  jitgl     xal  Ißa  &todoJQ7jxov     xal 

ßsoÖoQixov  ')  xov   Ißäv   (sie)"    cov 

xal  "ißa  o    fihv     &eoöo3Q7jx6q 

SOXLV  o  avxsijicov 
JiQoq  xd  tß'  x£(pd- 
Xaia  xov  fiaxa- 
Qiov  KvqIXXov.  coq 
xd  NtoxoQiov  rpQo- 
vcöv.  '0  6t  'ißdq  xal 
avxoq  AtoxoQiavöq, 
mq  6t]Xoi  f/  ygacptioa 
jtagi'  avxov  toiLöxoXt] 
JtQoq  MÜqlv  xov  IltQ- 
07jv,   tv   ii   avco    xal 


1)    b:    &E06(JJQt'jT0V. 


-j^^g  Drittes  Capitel. 

Doctrina  etc.  Euthymius  etc.  Leontius  etc. 

xdtco  huiaivBi  rov 
QeoÖwqov,  a(fj  ov 
rä  oixela  öoyfiata 
ioxvQi^ero  o  Ntörö- 
yMl  Xsyofisv,     xal  Xtyoiiiev,  Qtog-    Aiyonsv  ovv 

3iq6q  (isv  10  ßwSco- 
oTi    OV    jiQore-  ort  ov    Qrixov  6oyna,ox^i  oy 

QovUi^axo  av-    jiqÖteqov  eötgav-    jcqoxsqov^     avxov 
xovg,    fccöc    ov^)       xo   avxovg,   fctöc       £(3'fc's«T0  rj  övvoöoc, 
avad-s^iäxioav       dved-sfiärioav  (sie)     jcqIv  dvad^sfiaxioat 
NböxÖqlov.  NsGxÖQiov.  NeoxoQiov   xal  xo 

<pQ6v7]ficc    avxov. 
l4XXd    ütdliv    '4?,Xd  jcdXiv  dvxi-    'AXXd    jidliv    Ijt«- 

Üjti 

öl 

X'i 

xov 

x'iOai     xd     iÖLxd  ovyygdfifiaxa  xd  xa,   a  EjcoirjOe   JCQog 

OvyyQafifiaxa  xaxd  KvqIXXov;  xa  iß   xs(paXaia  xov 

xaxdKvQiXXovxxal  fiaxaQiov    EvqIXXov, 

Xiyo^sv   ütQog  dva&sfiaxiöai; 

xovxo,   oxi   ovx  xca  Xeyo-  ÜQog    xovxo    Xtyo- 

lÖBL     avxovg    xy  i"£^  ^^Q^i-   xovxov,  fiav.oxi  xovxo  ovx 

övvoöcp     xovxo  6x t  ovx  £Ö£i  avxovg  töei  avxij  xtj  övvo- 

ayxaXtOai,    dXXd  X7J  ovvööqy    xovxo  ö ro ^iä?J.ov tyxaXtöai, 

xm  dyiop  KvqlX-  tyxaXtOai,    dXXd 

Xcp-     xoLvmviav  xS  dyicp  Kvq'lXXo).  7]  xm  ayloj  KvqIX- 

ydg     Jtoirjoag  Koivmvlav    ydg  Xcp.^ExelvogyaQ  xot- 

jtQog  xovg  dva-  uiou']6ag   jtgog  rojviav    jtoi/j6ag 

xoXixovg    xal  xovg  dvaxoXixovg  JiQog  xovg  avaxo- 

xal     jtQog     avxov  Xixovg    xal     jiqoc 

XQog  avxovOso-  &eo6ojQ?jxov,   ovx  avxov  xov  Otoöo^- 

ÖCOQLXOV'^)       ovx      djtl'iXfjOSV        avxov      Q7]X0V,0VX  ajc{jX7j- 

djt'(jX7]ö£v  av-  dvad^sfiaxioat  xd  osv  avxov  avad-s- 
xov  dvad-Bfiaxi-  oixela  ovyyQdfi-  fiaxiöai  xa  olxeia 
oat     xd    olxBla  OvyyQafifiaxa,     xd 


1)  om.  b.      2)  b :  6so6(VQtjTov. 


§  10.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  o/6).iu  A^ovriov.     159 


Doctrina  etc.  Euthymius  etc.  Leontius  etc. 

ov/ygctunaxa  ^)'  fiara.  0  ovv  ovx  :xq6z  rä  iß'  xE(pä.Xaia 
6  ovv  ovx  Ijioi-  tjtohjöev  o  äyiog  yn'Ofiei'a.  0  ovv  o 
7jOsv  o  äyLog  Kv-  KvQiXZog.  ?]  Ovvo-  ayiog  KvQiXXoq 
QiXXog,  t)  ovvo-  60g  fif)  jtoi?jOa0a  ovx tjioir]0£,TOvro 
öog  fi9]  jroi/'jOa-  tyzaXsiO&ai  ovx  ?j  ovvoöog  orpsiXsi 
oa^  syxaXelo&ccL  cotpeiXe.  Kairoi  o 
ovx  w^eiXs-)'  ovx  sjioitjCiev  txü- 
}'og,aJtolrjO£vavTr/, 
axaiT?]oaoa  cwxov 
avad-sfiarloai  7\f- 

OTOPIOV. 


xaiTot   o    OVX 
tJtoitjOsv  txtivog, 
tjtoirjOev    avrrj, 
djtaiTyöaöa  avtöv 

avaß-sfiarioai 
NtorooLov 


tyxaXetoO^cu  fiTJ 
jtoi/'jOaoa;  Kairoi 
o  fctj  Ijtoirjosv  o 
ayiog  KvQÜXog,  av- 
XI]  tJtoi7]OBV,  avay- 
xdoaöa    vov   Oeoöoj- 

Q7JT0V     8311     JldvTCOV 

ajto  öröf-iarog  dva- 
d^s/farioai  rov  Ne- 
Otoqio  V. 

ÜQog    ds    xo    xov 

Ißä  Xtyo/iev,  öxi  ot- 

6e    xovxov    töescixo, 

ei  ft/]  jtQoxEQov    xov 

NtOxoQiov  dvaO-efiaxio?!  xal   xo   (fQovrjfia  avxov.     'AXXm  jcdXur 

kjiajtoQOvOiv,  oxi  xal  öid  zL  fi7j   djt/jxtjOev  avxov  dvadsf/axioai 

OeodcoQov ,   dXj^  löi^axo  ri]v   ejcloxoXjjv  avxov,  xt)v  jiQog  Md- 

(uv.  iv  )j  xoX^Xd  loxiv  Ijtaivcöv  xov  Oeoöcoqov;  Oxi  xal  xovxo 

jiQoxiQOV  fiäX.Xov  lyxaXioat   xm  ayico  KvQiXXqy  mcpsiXov,    i/jcsq 

xtj    Ovvoöo).    Avxog   oiv    o    Iv    ayioig   KvQiXX.og,    C,t]X7]odvxo)v 

xivmv  ?]6?j  dvadsfiaxioai  xov  Seoöcoqov,  cpaivExai  ygd^cov  jcqoc 

IIqÖxXov^  0X1  ov   öeI  dvad^E[iaxiC^Eiv.     Ol  yaQ  dvaxoXixol  Jidv- 

xEg,  fftjOi,  luyav  'i/ovöi  öiödoxa/.ov  xov  OeoÖojqov,  xal  Idv  avxov 

aval^^EfiaxioojfiEV ,  fiaya   O'/iOfia  jcoiovfav  Iv  xij    IxxXfjola  xcöv 

avaxoXjxcöv,   oov  Eig  xal  XSäg,  iirj  dvaoyß^iEvog  avxov  dva&Efta- 

xioai.  0  ovv  o  ayiog 

KvQiXX.og    exojXve, 

xovxo  Jicög  El^E  JCOl- 

T/oai  ?/  ovvoöog;   Ei 

tl  61  xal  d  ojfiEV,     El    6e  xal  O^cöfisv,     Öh  xal  öäifiEv  (sie), 

0x1    aiQEXLxol  0x1     aiQExixol        \)xi    ffavEQcög   ijoai' 


1)  b:  avvxüyixaxa.     2)  b:  OKfiiktv. 


160 


Drittes  Capitel. 


Doctrina  etr. 

IjOav,  ovo'  ^)  ov- 
Tcoq  ?/  Oviwöog 
(Sia  TOVTOvg  anö- 
ß^.rjTOg'  iöov  /«(> 
[x«f]"-)  /}  Iv  A'i- 
xaia  EÖt^aro 
lütra  aiQSTixovg 

Xal  JtQO^JTOVTOV 

itgsiaroi-g,  xal 
fiera  ravra  tjii- 
^Eivarzag  rij  al- 
Qtöw  xal  ov  6ia 
Tovro  Xtysrai 
[f]*)]   ovvodog 

TCOV  TQLaXOölcOV 

tvösxa.     aXXa 
zmv  TQiaxoöicov 
ötxa  xal   oxToj' 
ojtov  ye  xau  lov- 
ßEvdZiog    [o^)] 
JsQooolvficov^ 
xal  alloL  ixavol 
tJilöxojtoi  slg  T1JV 
Iv  Ecptüqy  övvo- 

60V     EVQSdiVTSg 

fiera  Jioöxoqov, 
BVQsd-Tjöav'^)  tv 
XaXxrjöövi^  xal 
ov  6ia  TovTo  djco- 
ßdlXovTai  Ixslvoi 
ryv  ovvoöov  Ixel- 
vfjv,  alX"  öxi  xal '') 
(ujjtaC^ovxaL. 

Hier    endet    das 


Eutliymius  etc. 

i]öav,  ov6e  ovTmg 
tj  övvoöog  did  TOV- 
TO vg     aTiößXijTog. 
"16 ov  yaQ  xal  rj  Iv 
Nixaia   EÖE^aTO 

EJITO.  aiQETLXOVg 
JIQO    TOVTOV    (XQEL- 

avovg^  xal  heto. 
TavTa  EJcifiEivav- 
Tag  TTJ  aiQEöEL,  xal 

OV  öid  TOVTO  Ieje- 
Tai  tj  övi'oöogTcov 

Tia',    dXXd    Tc~)v 
Tirj'    ojiov    JE    xal 


'JovßEvdXiog  o  1e- 

QoOoX.vficov ,  xal 

aXXoL  ixavol  ejiiöxo- 

JCOl  Elg  TfjV  EV^EffE- 
OO)     CVVOÖOV     EVQE- 

d-EVTEg       [JETO.      JlOO- 

xoQov      EVQEd^rjOar 

Iv  XaXxrjöovt,  xal 

ov    Öld    TOVTO     djto- 

ßdXXovzai    EXEivoL 

TTJV  ÖVVOÖOV  EXELV7]V^ 

aXXd  xal  X'iav  doxa- 
C,ovTai. 

rV(X)TCOÖaV  Ol    TfjV 


Leontius  etc. 

aiQET  LXOI     OVTOl, 

ovÖE   ovTCog  cog)£i- 

Xov  djtoßdXXEO^ai 
Tfjg  övpoöov.     'löov 

ydg  xal  i)  Iv  Ni- 
xaia övvoöog  EÖE^a- 

TO       EJtTa      aiQETL- 

xovg,xal  jcqo  tov- 
Tov  dQEiavovvTag, 
xal  [jETa  TavTa 
EJtifiEivavTag.  Kai 
o/jmg  ov  6id  tovto 
XEyofiEv  xrjv  ovv- 

oöov  TLa\  dXXd 
Tit]',  xal  "lovßEvd- 
Xiog   öe  o   Ieqooo- 

Xv^cov   EJtiöxojiog^ 
xal  aXXoiTivlgTÖJv 

yEV0[lEVCOV  EV    Tri   EV 
"E(pE6Cp      ÖEVTEQa 

ßvvoöq),  r/v  xaTEÖE- 

yOVTO^     EVQEd-TjÖaV 

EV  XaXxrjöövi. 


ToiTCOV    ÖE    OVTCOg 


1)  b:   ovöL      2)  om.  a.      3)  b:   nQoq.      4)  om.  a.      5)  om.  a.      6)  b: 
tjVQiO^rjoav.     7)  b:  dXXa  xal. 


§  lü.    Die  Schrift  de  sectis,  eine  Bearbeitung  der  ayö'ua  Atovx'iov.     161 

Doctrina  etc.           Euthymius  etc.  Leontius  etc. 
Citat  sowohl  in  a     Iv    XaXxfjdon    dia-  lyövxcov,  alh]  axo- 
als  in  b.                      ßaXXovrsg     ovvoöov  gia    rjfitv    avag)vt) 
ooag    aiQtösig    ccjtco-  ajco    t(dv  xqovcoj^ 
oazo,  xal  Tcc  doyfia-  %vgt(.vucpov  xtX., 
xiod^tvra  avxi]  rij  ev  es  folgt  eine  ErÖrte- 
Xajixt]ö6vi     övvoöcp.  rung     der    Verurtei- 
"Eva   xal    rov  av-  lung    des   Theodoret 
rov    xxl.,    es    folgt  und   Ibas    durcli   Ju- 
das Symbol  von  Chal-  stiuian ;     dann    Ende 
cedon  mit  erläutern-  der  Actio, 
den    Zwischenbemer- 
kungen ;   dann    Ende 
des  Citats. 

Die  richtige  Beurteilung  dieser  parallelen  Texte  ist  nicht 
schwer.  Ohne  Mühe  findet  man  hier  die  Antwort  auf  die  uns 
seit  S.  149  beschäftigende  Frage.  Eine  Vergleichung  der  Texte 
macht  es  zweifellos,  dass  in  dem  Fragment  Ix  xcöv  xov  Aeov- 
xiov  OyoUcop,  dessen  reineren  Text  die  Doctrina  bietet,  uns 
ein  Bruchstück  der  Grundschrift  der  oyöXia  Asoi'xiov  ajco 
(pcot^rjg  OeoöojQOv  erhalten  ist. 

Nur  an  einer  Stelle  kann  der  Text  de  sectis  als  nicht  secun- 
där  erscheinen.  Es  ist  nämlich  m.  E.  nicht  unwahrscheinlich, 
dass  der  dem  Abschnitt  über  Theodoret  entsprechende  Abschnitt 
über  Ibas  (de  sectis  1237  A,  Z.  13  ff.)  im  ursprünglichen  Texte  eine 
Stelle  gehabt  habe.  Doch  auch  wenn  diese  Annahme  sicher 
wäre,  würde  sie  dem  nicht  widersprechen,  dass  uns  bei  Euthy- 
mius und  in  der  Doctrina  ein  Stück  der  Vorlage  des  Abtes 
Theodor  erhalten  ist.  Denn  der  Ausfall  jenes  Abschnittes  über 
Ibas  in  der  Doctrina  und  bei  Euthymius  ist  aus  einem  Ver- 
sehen des  Abschreibers  oder  auch  aus  dem  Streben  nach  Kürzung 
bei  dem  Excerptor  zu  begreifen. 

Dieser  letztere  Umstand  weist  in  zweckmässiger  Weise  da- 
rauf hin,  dass  wir  nicht  mit  Sicherheit  behaupten  dürfen,  in 
diesem  Fragment  der  Doctrina  (und  ebenso  in  den  früher  be- 
handelten) wirklich  den  ganz  ursprünglichen  Text  der  betreffen- 
den Stücke  der  ö^oXia  Asovxiov  zu  besitzen.  Doch  fehlt  auch 
für  die  Behauptung   des  Gegenteils  weitere  Veranlassung.     Wir 

Texte  und  Uutersuchuugeii.  111,  1.  11 


-[52  Drittes  Capitel. 

dürfen  zunächst  mit  der  Annahme  rechnen,  dass  uns  in  den 
Citaten  ix  rcör  öyoXimv  äwvtiov  der  Doctrina  Fragmente 
der  Grundschrift  der  (iyo7.ia  ajio  <pojv9jg  SeoÖcoqov  in  wesent- 
lich ursprünglicher  Textgestalt  erhalten  sind.  Damit  sind  die 
y,oy6Xia  Asovrlov'^,  von  denen  wir  im  Cap.  II  hörten,  als  ein 
leontianisches  Werk  nachgewiesen,  und  für  die  Vermutungen 
über  ihren  Inhalt,  sowie  für  die  Kritik  der  oyolia  Asovtiov  ajio 
fpovfjq  GeodcoQOV  ist  eine  sichere  Unterlage  geschaffen. 

Es  ist  wie  eine  Probe  auf  die  Richtigkeit  dieses  Resultats, 
dass  eine  Betrachtung  der  als  Fragmente  der  öyoXia  Ätovxiov 
erkannten  Stücke  alles  das  bestätigt,  was  im  Anfang  dieses 
Paragraphen  ausgeführt  ist.  Eben  die  Actiones  der  Schrift  de 
sectis,  welche  oben  als  die  am  meisten  leontianischen  erschienen. 
Actio  VI  und  VII,  sind  als  überarbeitete  leontianische  Stücke 
jetzt  erwiesen.  Und  besonders  beachtenswert  ist,  dass  die  in  dem 
letztbehandelten  Fragment  ersichtliche  Art  der  Bearbeitung  aufs 
genaueste  die  Richtigkeit  dessen  verbürgt,  was  oben  (S.  1 45)  bei 
Kritik  der  Actio  VI  ausgeführt  ist:  eben  die  Stellen  in  Actio  VI. 
welche  auf  Justinian's  Zeit  hinweisen,  fehlen  in  der  in  dem  Frag- 
ment uns  bruchstückweise  vorliegenden  Grundschrift.  Die  Aus- 
führungen über  Theodoret  und  Ibas  in  dem  Fragment  der  Scholien 
des  Leontius  sind  ebenso  zweifellos  vor  dem  Dreicapitelstreit  con- 
cipiert,  als  die  entsprechenden  Ausführungen  in  de  sectis  der  Zeit 
nach  Justinian  angehören. 

Dass  wir  die  oyblia  Asovriov  djio  cpmvrjg  Osoöcoqov,  d.  i. 
die  Schrift  de  sectis,  für  eine  Bearbeitung  der  Oyöha  Äsovx'iov 
zu  halten  haben,  das  dürfte  demnach  als  sicher  erwiesen  gelten. 
Doch  bei  diesem  Resultat  kann  die  Untersuchung  nicht  stehen 
bleiben.  Ist  es  möglich,  aus  der  Schrift  de  sectis  die  oyölta 
Asovriov  herauszuschälen?  können  über  Inhalt,  Anordnung  und 
Art  der  Cyblia  Asovriov  genauere  Aussagen  gemacht  werden? 
Fingerzeige  für  die  Beantwortung  dieser  Frage  giebt  namentlich 
Actio  VI  de  sectis,  denn  hier  kann  die  Art  der  Redactionsarbeit 
des  Abtes  Theodor  beobachtet  werden.  Sodann  ist  beachtens- 
wert, dass  das  letztbehandelte  Leontiusfragment  aus  Euthymius 
in  der  Doctrina  als  Teil  eines  grösseren  Ganzen  erscheint,  un- 
löslich, wie  es  scheint,  verflochten  mit  dem,  was  vorhergeht. 
Gehört  das  ganze  Stück  Doctrina  p.  37* — 39*  =  47* — 49^  in 
die  Scholien  des  Leontius?    Die  Frage  liegt  um  so  näher,    weil 


§  11.    Die  einem  Leontius  Hierosolyuiitanus  zugeschr.  Schriften  etc.     163 

(las,  was  bei  Euthjmius  den  oben  ausgeschriebenen  Ausführungen 
folgt,  und  zwar  so  folgt,  als  gehöre  es  noch  hinzu  zu  dem 
Leontiuscitat,  mit  den  in  der  Doctrina  denselben  Ausführungen 
vorangehenden  Bemerkungen  (Doctrina  p.  37%  Z.  10  von  unten 
bis  38%  Z.  19  von  oben  und  p.  47%  Z.  9  von  oben  bis  4S'^  Z.  9 
von  unten)  identisch  ist.  Doch  empfiehlt  es  sich  nicht,  schon 
hier  auf  diese  Fragen  einzugehen.  Es  muss,  ehe  die  Frage  nach 
dem  Inhalt  und  dem  Charakter  der  oyölia  Asovrlov  genauer  er- 
örtert wird,  zuvor  das  Material  noch  erweitert  werden.  Actio  VI, 
VII  und  VIII  der  Schrift  de  sectis  zeigen  nämlich  eine  auffäl- 
lige Verwandtschaft  mit  einigen  Abschnitten  der  von  Migne 
unter  den  Werken  unsers  Leontius  gedruckten,  handschriftlich 
einem  Leontius  Hierosolymitanus  zugeschriebenen  Schrift  contra 
Monophysitas.  Auf  diese  Schrift  (Migne  86,  2,  col.  1769—1902) 
und  auf  die  eng  mit  ihr  verbundenen  Bücher  adversus  Nesto- 
rianos  (Migne  86,  1,  col.  1399 — 1768^;  sind  wir  daher  zunächst 
hingewiesen. 


§  11.  Die  einem  Leontius  Hierosolymitanus  zugeschrie- 
benen   Schriften    contra    Monophysitas    und    adversus 
Nestorianos  im  Allgemeinen. 

Die  bei  Migne  P.  G.  86,  col.  1399  —  1902  gedruckten  Werke 
Tov  jiavoöfpov  iiovayov  y.vQ[LOv\  Abovxlov  leQOüoXvfiirov  ad- 
versus Nestorianos  und  contra  Monophysitas  sind  Nachdrucke 
nach  Mai,  Script,  vet.  nova  coli.  VII,  p.  HO — 155  und  IX,  p.  410 
bis  610.  Mai  meinte  —  nicht  ganz  mit  Recht,  wie  wir  sehen 
werden  —  die  editio  princeps  dieser  Schriften  zu  geben. 

Über  die  Handschriften,  denen  Mai  seine  Texte  entnahm, 
sagte  er,  wie  so  häufig,  gar  nichts.  Dass  beide  Schriften  von 
Mai  handschriftlich  verbunden  vorgefunden  sind,  darauf  deutet 
schon  die  völlig  gleiche  Bezeichnung  des  Verfassers  hin,  und 
vollends  wahrscheinlich  wird  es  durch  die  Thatsache,  dass  beide 
Schriften  in  andern  Handschriften  verbunden  vorliegen.  Schon 
Canisius  (Canisius-Basnage  I,  p.  530sq.)  wusste  von  einem 
cod.  Bavar.,  der  diese  beiden  Schriften  enthalte.  Es  ist  der  bei 
Hardt,  Catalog.  codd.  mss.  graec.  Bibl.  reg.  Bavar.,  München 
1806,  I,  p.  411  sqq.  genannte  cod.  XL VII  saec.  XVI.  Auf  fol. 
1—206  enthält  derselbe: 

n  * 


jß4  Drittes  Capitel. 

1)  Tov  jrarooffov  }iovayov  xvq.  Aeoiniov  xov  UqoooXvh'ixov 
djtOQiai  jiQOQ  TOVu  iiiar  ffvoiv  Xtyovrag,  d.  i.  die  Migne  86, 
2,  col.  1769— J 902  gedruckte  Schrift  contra  Mouophys., 

2)  xaza  zräv  ovo  rag  vjtoOTc'cö&ig  zrl.  =  adv.  Nestorianos 
]ib.  I,  Migne  S6,  1,  col.  1399—1525, 

3)  ösvziQac  aösßdag  avrcöv  xzL  =  adv.  Nest.  lib.  II, 
Migne,  col.  1525—1602, 

4)  zQizfjg  aötßdag  avzcör  xzX.  =  adv.  Nest.  lib.  III,  Migne, 
1603—1649, 

5)  ztzaQZijg  y.zl.  =  adv.  Nest.  lib.  IV,  Migne,  1649 — 1721, 

6)  jiefiJczTjc  xzX.  =  adv.  Nest.  lib.  V,  Migne,  1721 — 1753, 

7)  txzjjg  xzL    =   adv.  Nest.  lib.  VI,   Migne,  1753—1757, 

8)  tßdo/iwg  (sie)  ajcioziag  avzmv  Oz7]l[zsvGig  xzX.  -=  adv. 
Nest.  lib.  VII,  Migne,  1757— 1768^. 

Am  Scliluss  der  Handschrift  und  des  letztgenannten  Buches 
findet  sich  die  Bemerkung:  olfiai,  6z l  Xdjifi  zijc  oy6oi]g  avzmv 
dosßsiag  o  tXsjXog'  yt']zu  zovzov. 

Eine  ganz  ähnliche  Handschrift  ist  der  von  Zanetti,  Graeca 
D.  Marci  Bibliotheca  p.  46  genannte  cod.  LXIX,  saec.  XII,  char- 
tac,  der  Marcusbibliothek  in  Venedig.  Er  enthält  dieselben 
Stücke  wie  der  cod.  Bavar.  und  ganz  in  derselben  Reihenfolge. 
Auch   die  Schlussbemerkung  oifiai  ozt   XdxEi  xzX.  fehlt  nicht. 

Beobachtet  man  nun,  dass  die  Titel  der  von  Mai  getrennt 
publicierten  Schriften,  der  aüroQiaL  contra  Monophysitas  und  der 
7  [erhaltenen]  Bücher  adv.  Nestorianos,  aufs  genaueste  harmo- 
nieren mit  den  Titeln  der  codd.  Bavar.  und  Marcian.,  ja,  dass 
selbst  jenes  oL^ai,  ozi  XsijtEt  xzX.  in  Mai's  Handschrift  der 
Bücher  adv.  Nestorianos  gestanden  hat  (s.  Migne,  col.  1768*), 
so  würde  man  auch  ohne  weiteren  Beweis  annehmen  können, 
dass  Mai  beide  Schriften  einem  Codex  entnahm,  der  den  codd. 
Bavar.  und  Marcian.  sehr  ähnlich  war.  Der  kürzlich  erschienene 
Katalog  der  Codices  graeci  Palatini  (Codices  manuscripti  Palatini 
graeci  Bibliothecae  Vaticanae  .  .  .  rec.  Henricus  Stevenson) 
macht  die  Sache  zweifellos.  Denn  der  hier  beschriebene  cod. 
Pal.  342  enthält  zunächst  die  ajroQiai  („sapientissimi  Leontii 
Hierosolymitani  dubitationes"  etc.),  sodann  fol.  50  sqq.  ejusdem 
disputationes  VII  adversus  Nestorianos.  Dass  dieser  cod.  Pal. 
342  die  Handschrift  ist,  der  Mai  die  Schriften  adv.  Nestorianos 
und  contra  Monophysitas  entnahm,  darüber  lässt  die  Unterschrift 


§  11.     Die  einem  Leontins  Hierosolymitanus  zugeschr.  Schriften  etc.   165 

keinen  Zweifel  übrig.  Sie  zeigt,  dass  der  cod.  Pal.  342  gleich- 
wie Mai's  Handschrift  (Migne  86,  1,  col.  1768')  im  Jahre  1552 
.vjt"  ii/ov  KoQV7j?dov  Tov  AavjrÄtiODQ'^  in  Venedig  geschrieben  ist. 

Alle  drei  Handschriften  gehen,  wie  das  ol^uai,  ort  Zeijtet 
Ti]q  oyöoriq  avrmv  dosßdag  o  eXtyyoq'  [xdi\  C,f]T£i  tovtov  am 
Schluss  beweist,  auf  einen  bereits  unvollständigen  Archetypus 
zurück,  den  man  in  dem  Marcianus  zu  suchen  geneigt  sein  würde, 
wenn  diese  Annahme  nicht  durch  später  zu  erwähnende  Text- 
verschiedenheiteu  zwischen  dem  cod.  Marcianus  und  Palatinus 
unraöghch  gemacht  würde. 

Doch  ist  es  wirklich  so,  .ort  Zeljitt  zF/g  6yöo?]Q  avxcöv 
dotßsiac  o  tlir/yog'^ '-i  v.  d.  Hardt  wirft  in  dem  citierten  Katalog 
der  Bibl.  reg.  Bavar.  diese  Frage  auf,  um  sie  zu  verneinen.  Es 
seien  ja,  so  bemerkt  er,  factisch  acht  Bücher  vorhanden.  Allein 
nicht  der  alte  Abschreiber,  wie  v.  d.  Hardt  meint,  sondern  der 
moderne  Gelehrte  ist  im  Irrtum.  Die  8  Stücke  der  Codices  sind 
von  Mai  richtig  zwei  ihrem  Stoff  kreise  nach  verschiedenen 
Schriften  zugewiesen:  das  erste  Stück  ist  contra  jNIouophysitas, 
die  sieben  letzten  adversus  Nestorianos  gerichtet.  Anstatt  dieser 
7  Stücke  sollten  es  eigentlich  acht  sein,  wie  in  dem  ersten  der 
7  Stücke  (col.  1401 A)  ausdrücklich  gesagt  wh'd.  Das  Xetsiet 
tTjq  oyöorjQ  avrojv  aöEßeiag  o  tliyyog  ist  durchaus  richtig.  Schon 
der  Archetypus  unserer  3  Handschriften  war  am  Schluss  unvoll- 
ständig. Und  nicht  minder  am  Anfang.  Das  zeigt  der  Eingang  der 
djcoQiai  jtQog  rovg  Ztyovrag  fiiar  tpvöLV  xxX.,  d.  h.  der  Schrift 
contra  Monophysitas:  AXXd  xaig  avxmv  djcavxrjoavxeg  djco- 
(/icag  oliya  xivd  vvv  ly.  jcXeiovcov  xal  ?jf/£tg  avxoTg  dvxajioQij- 
iKofiev.  Hier  ist  deutlich  ersichtlich,  dass  den  63  Bedenken  {djio- 
Qiai)  des  Orthodoxen  gegenüber  der  monophysitischen  Doctrin 
eine  Entgegnung  auf  die  monophysitischen  Bedenken  gegenüber 
der  orthodoxen  Doctrin  vorangegangen  ist. 

Und  nicht  nur  am  Anfang  und  am  Schluss  unserer  Hand- 
schriften sind  Lücken;  auch  in  dem,  was  zwischen  beiden  er- 
halten ist,  ist  der  Text  —  wenigstens  in  der  allein  bekannten 
Handschrift  der  Palatina  —  in  einem  sehr  dürftigen  Zustande 
auf  uns  gekommen.  Selbst  der  Mai-Migne'sche  Text  weist  auf 
einige  Lücken  hin  (s.  z.  B.  col.  1477B  und  D,  1494D,  1496  ABC). 
Wie  vielfach,  wievielhundertfach  der  Text,  abgesehen  von  diesen 
Lücken,  vmverständlich  ist,  das  konnte  Mai  nicht  merken,  denn 


1(36  Drittes  Capitel. 

er  kümmerte  um  den  Sinn  sich  nicht,  und  der  Herausgeber  in 
Migne's  Patrologie  hat  es  nicht  gemerkt,  denn  seine  lateinische 
Übersetzung  zeigt,  dass  ihm  die  Befähigung  zu  der  ihm  ge- 
wordenen Arbeit  völlig  abgieng.  Als  Beweis  für  diesen  Vorwurf 
nur  ein  Beispiel;  col.  1777C  heisst  es:  Ei  [ikv  ovv  xaxa  yvco- 
fitjv  fiovor,  xara  q)vöLv  /y  d-ärsQoi^  zcöv  Svo,  rj  trsQov  ri  ton 
jtaQO.  xa  dv'o,  die  Übersetzung  lautet:  Si  igitur  secundum  sen- 
tentiam  quidem  tantum,  secundum  naturam  aut  utrumque  e 
duobus,  aut  alterum  quoddam  est  propter  haec  duo  [anstatt:  aut 
unum  vel  alterum  ex  his  duobus,  aut  tertium  quoddam  praeter 
haec  duo]! 

Unter  diesen  Umständen  ist  eine  ins  Einzelne  gehende 
Untersuchung  oft  geradezu  unmöglich.  Manche  Fragen,  die 
dem  Leser  sich  aufdrängen,  müssen  unterdrückt  werden,  weil 
eine  fruchtbare  Erörterung  derselben  mit  Hülfe  des  vorliegen- 
den Materials  nicht  möglich  ist.  Doch  hoffe  ich,  die  für  unsere 
Untersuchung  wichtigsten  Fragen  wenigstens  einer  Lösung  nahe 
zu  bringen. 

Beide  Schriften  sind  demselben  Verfasser  zugeschrieben. 
Und  die  Richtigkeit  dieser  handschriftlichen  Nachricht  kann, 
ganz  abgesehen  von  der  Frage,  wer  dieser  Verfasser  ist,  wahr- 
scheinlich gemacht  werden.  Denn  die  Bücher  adversus  Nesto- 
rianos  sind  nicht  nur  handschriftlich  mit  der  Schrift  contra 
Monophysitas  als  Werke  desselben  Verfassers  verbunden,  auch 
ihr  Eingang  zeigt,  dass  eine  antimonophysitische  Schrift  des- 
selben Verfassers  voraufgegangen  ist:  ^Evxsvd^sv  rjfilv  7]  ölxo- 
TOfiog  ö6§,a,  nällov  öh  ?j  öixöxfir/rog  yXcöooa,  xaxEsavioxaxai^ 
....  xavxl  jaQ  i](ilv  txtQ03&8v  lyxaZovoiv  Ol  xfjg  drpQaöxov 
xal  d^eojtQtxovq  tvoxjscog  xov  löyov  jtgog  xrjv  öaQxa  öiaigixai. 
Überdies  sind  —  um  von  sprachlicher  Verwandtschaft  zu  schwei- 
gen, weil  das  Material  zu  umfangreich  ist,  um  eine  sorgfältige 
Untersuchung  desselben  zu  gestatten  —  inhaltliche  Berührungen 
zwischen  beiden  Schriften  trotz  der  Verschiedenheit  des  Stoffes 
zu  constatieren.  Diejenigen  nämlich  unter  den  in  den  Büchern 
adversus  Nestorianos  widerlegten  nestorianischen  ajcoQiai,  welche 
nicht  sowohl  die  chalcedonensische  Orthodoxie,  als  den  Mono- 
physitismus  treffen,  finden  sich  in  ähnlicher  Form,  wenigstens 
teilweise,  unter  den  63  den  Monophysiten  entgegengehaltenen 
aütoQiaL    der   Schrift    contra  Monophysitas,    vgl.    ccjioQia  5,    col. 


§12.     Die  VII  libri  adv.  Nestoriaiios  Leontii  Hierosolymitani  etc.     167 

1772B  mit  adv.  Nest.  I.  c.  26,  col.  1492;  djioQia  0,  col.  1772C 
mit  adv.  Nest.  I,  c.  11,  col.  1445;  ajioQia  19,  col.  1780D  mit  adv. 
Nest.  I,  c.  10,  col.  1437;  ajioQia  27,  col.  1785D  mit  adv.  Nest.  II, 
c.  11  u.  12,  col.  1556  f.;  ajioQia  37,  col.  1792C  mit  adv.  Nest.  I, 
c.  30,  col.  1496:  ajioQia  38,  col.  1792D  mit  adv.  Nest.  I,  c.  15 
u.  10,  col.  1460  u.  1437;  ajcoQia  58,  col.  1800C  mit  adv.  Nest.  II, 
c.  6,  col.  1544;  ajcoQia  63,  col.  1804 C  mit  adv.  Nest.  II,  c.  2, 
col.  1536.  —  Bewiesen  wird  die  Identität  der  Verfasser  durch 
diese  drei  Argumente  freilich  noch  nicht,  doch  hier  genügt  das 
Gesagte.  Weiteres  zur  Verfasserfrage  wird  die  Einzeluntersuchung 
bringen.  Ich  beginne  dieselbe  aus  praktischen  Gründen  mit  den 
Büchern  gegen  die  Nestorianer. 

5^   12.     Die  VII  libri  adversus  Nestorianos  Leontii 

Hierosolymitani, 

ein  bearbeitetes  Stück  eines  von  Leontius  Byzantinus  herrührenden  Ganzen. 

Die  Schrift  adversus  Nestorianos  sollte,  wie  schon  der  vorio^e 
Paragraph  gezeigt  hat,  aus  acht  Büchern  bestehen,  deren  Titel, 
in  dem  Proömium  col.  1400  f.  angedeutet,  jedem  der  einzelnen 
Bücher  übergeschrieben  sind. 

Buch  1  (col.  1399 — 1525)  soll  nach  dem  Proömium  die  Be- 
hauptung widerlegen,  on  ovtc  OQdöJg  ovvi)^toiv  r/jg  {hsiag  xai 
o.vd^Q(x):jtsiaQ  cpvöemg  öosci^ofisv,  sein  Titel  lautet:  xazä  rmr 
ovo  rag  vjcoOtaöeig  Xqigtov  Xsyovrcov  rr/v  öh  oiavovv  Ovvd-£öi7' 
kx    avTOv  ovy  ofioXoyovvrcov. 

Buch  2  (col.  1525—1602)  wendet  sich  gegen  die  Anklage, 
6x1  ovo  ohOcöv  Tcöv  vjioordosojv  Xqiötov  ov  xaXmg  xad-^  vjiö- 
öraoiv  tvayGir  yevto&ai  Xtyof/ev,  sein  Titel  lautet:  ösvztQag 
doeßeiag  avrcov  tXtyyog.  Isyövxcov  ovo  xai  ov  filav  Tf)r  vjto- 
oraöLv  tx  TTJg  xaxd  rrjv  oaQxcoöLv  xov  löyov  olxovofiiag  OQao&ai. 

Buch  3  (col.  1603 — 1649)  bekämpft  die  nestorianische  These, 
ozi  ovo  Ofxo})'  vlcüj'  xaxojg  tra  ofioXoyovfisr  sivai  vlor  xov 
XqiOxov,  sein  Titel  ist:  xQixfjg  doeßsiag  avxmv  eXsyyog,  ovo 
vlovg  dösvai  xaxd  xt/v  oixoroniav  ßovXo{iti'03v. 

Buch  4  (col.  1649 — 1721)  begegnet  dem  Vorwurf,  oxi  i/'fct'- 
dcög  d-soxoxov  XTjv  ayiav  jcaQ&tvov  ovofid^o^usv,  dementsprechend 
ist  es  betitelt:  xtxdQxtja  avxcöv  doeßtiac  tXtyyog.  JtaQaixoviitvcov 
Xhyuv  d^koxöxov  xf/i'  dyiav  jiaQfhtrov. 


16g  Drittes  Capitel. 

Buch  5  (col.  1721  —  1753)  geht  aus  von  der  angeblich  nesto- 
rianischen  Anklage,  ort  fit)  rpiXov  avf^Qcojiov  növov  ri/  (fvou 
'lOfisr  XqlGxÖv,  aXla  xal  d^EOV,  es  ist  deshalb  überschrieben: 
jieiijirtjQ  avToZv  dasßsiag  tx(pav6ig,  arai6t]v  rrjv  (pvaixrjv  d-eo- 
rrjTa  üQvoviitvmv  XqlGxov  tov  cdrj&irov  &sov  fjfzcöv. 

Buch  6  (col.  1753 — 1757)  geht  aus  von  der  Unzufriedenheit 
der  Nestorianer  darüber,  ort  firj  ^socpögov  avd^Qmüiov ^  alla 
d^iov  tvavdQmjcD'iöavra  löfiev  zw  Xoyov,  daher  sein  Titel:  bxr'r]Q 
avrmv  dösßsiag  öeIsiq^  d^sotpoQOv  dvd^Qcojtov  xdi  ov  d^aöv  er- 
avd^Qcojit/öavTa  Xsyovrcov  rov  xvqiov  rjficöv  ^Irjöovv  XqlOtov. 

Buch  7  (col.  1757 — 1768')  tritt  der  Behauptung  entgegen. 
öxL  d&tOfiojg  rov  tva  xfjg  dyiag  xQiäöog  jtijtov&ivai  occqxl  xtj- 
Qvrrofisv,  seine  Überschrift  ist  deshalb:  tß66fit]g  djciörtag  avrmv 
otr/XlrevOig,  diaf^iej-Kfoiitvcor  rotg  Xtyovöi  rov  tva  rfjg  ayiag 
TQiäöog  Jtsjtov&svai  oagxi. 

Das  achte  Buch  sollte  darauf  eingehen,  dass  die  Nestorianer 
Ttjv  xad-^  vjtoozaoiv  tvmoiv  aQvovfisvoi  dövatdrovg  rivdg  Izt- 
Qag  TSQarsvovrai,  doch  ist,  wie  erwähnt,  schon  in  dem  Arche- 
typus unserer  Handschriften  bemerkt,  on  Idjiti  rt/g  oySorjg 
avTcöv  dösßelag  o  tXsyyog. 

Die  einzelnen  an  Umfang  sehr  verschiedenen  Bücher,  — 
Buch  1  umfasst  ohne  die  Übersetzung  63  Halbseiten  bei  Migne, 
Buch  6  wenig  mehr  als  2^2  —  zerfallen  in  Capitel,  deren  Zahl 
—  Buch  1:  52:  6:  10  —  ebenso  verschieden  ist  als  ihre  Länge. 
Innerhalb  der  einzelnen  Capitel  aber  ist  durch  das  ganze  um- 
fangreiche Werk  hindurch  die  Art  der  Behandlung  stets  die 
gleiche:  ohne  weitere  Vorrede,  bald  durch  ein  eingeschobenes 
fpaöl  eingeführt,  bald  durch  löcog  djtoQ/jOoiEV  oder  sijtoisv  oder 
dergleichen,  am  häufigsten  ohne  jede  Einleitungsformel  wird 
zunächst  in  directer  Rede  ein  nestorianischer  Einwand  mitgeteilt. 
daran  schliesst  sich  die  Entgegnung,  deren  Beginn  oft  nur  aus 
dem  Sinn  erkenntlich  ist.  Der  Verfasser  muss  eine  sehr  genaue 
Kenntnis  des  Nestorianismus  und  der  Theologie,  die  er  für  nesto- 
rianisch  hielt,  besessen  haben,  denn  in  den  52  +  49-1-  14  -t- 
49  +  33  +  10-1-11,  also  in  Summa  218  Capiteln  der  sieben 
erhaltenen  Bücher  wird  eine  Fülle  nestorianischer  Einwendungen 
widerlegt,  welche  den  Leser  überrascht.  Die  Entgegnung  ist 
meist  scholastisch  scharfsinnig  (vgl.  die  ausführlichen  Erörte- 
rungen   über    den  Begriff  vjtoGtaOig,    col.    1525  sqq.),   seltener 


§  12.     Die  VII   libri   adv.  Nestorianos  Leontii  Hierosolj^mitani   etc.     1(39 

biblisch  -  erbaulich  (wie  z.  B.  col.  1449),  häufig  spitzfindig  und 
abgeschmackt  (vgl.  lib.  II,  c.  22,  col.  1584,  wo  der  Unterschied 
zwischen  avrvjTÖoxaxoQ  und  Ivvjioöraroc.  an  einem  ungestalteten 
txTQCof^a  und  einem  gleichgestalteten  Geschwür  klar  gemacht 
■wird). 

Auf  die  einzelnen  Einwendungen  und  Entgegnungen  referie- 
rend einzugehen,  das  würde  ebenso  nutzlos  als  langweilig  sein. 
Und  anstatt  vorher  zu  Nutz  einer  Beantwortung  der  Verfasser- 
frage die  dogmatische  Stellung  des  Verfassers  auseinanderzu- 
setzen, nehme  ich  lieber  gleich  die  Frage  nach  der  Person  des 
Verfassers  vor. 

Die  Beantwortung  ist  zunächst  sehr  leicht:  eben  der  Leon- 
tius,  von  dessen  Schriften  wir  bisher  gehandelt  haben,  ist  der 
Verfasser  auch  dieser  Schrift,  bezw.  einer  in  ihr  überarbeiteten 
Grundlage.  Das  ist  bündig  zu  beweisen  aus  lib.  I,  c.  6,  col.  142UD 
und  II,  c.  14,  col.  1565C.  An  ersterer  Stelle  ist  kurz  von  der 
Verschiedenheit  der  Begriffe  (pvoig  und  vnöoraöiq  die  Kede. 
Der  Verfasser  lässt  sich  auf  terminologische  Ausführungen  hier 
nicht  ein,  sondern  sagt:  Kai  xa  alla  öh  vfiäg  d^Qia^ißbvoti  ra 
jteqX  tovtov  Iv  red  iöUo  aigr/fttra  XHfaXaicp "  tv  op  xoivtög  vfielg 
TS  xal  ol  ajio  Evrvyovg  rovro  ^julv  laxaKogr/Oars  Xtyovzsg, 
ort  (pvOig  xal  vjtoozaoig  ravrdv  orniaivsr  .,//  ovv  ovo  xal  rag 
vjroOraöEig,  )]  fitjdh  zag  cpvöeig  Xtyoiza".  All  tztQcoös  ,(/«' 
zäds  vfilv  ZB  xaxe'ivoig  öiiilaxzai.  Hier  wird  man  unmittelbar 
erinnert  an  das  adv.  Nest,  et  Eut.  1276Cf.  Ausgeführte:  'lozsor 
yaQ,  cog  zavzov  xixovfht  :xeQl  zijv  olxorofdav  Evzvyjjg  jiQog 
iSeOzÖqlov,  6  jctQL  z7]v  d^eoXojiar  ^aßtXXiog  JtQog  zov  Aqeloi' 

(paol  yaQ  (seil,  ol  ajto  Evzv/ovg  zs  xal  ol  NaozoQiavoi) ' 

d  ovo  (pvosig  tjcl  zov  tvog  Xqiozov  (paze^  ovx  sozi  öh  (fvoig 
avvjtöozazog,  ovo  aQa  av  sisv  xal  al  vjtoözaösig'  stg  öt  lozir 
afiifoztQoig  dycöi\  xav  o  Oxojcog  7]  öiaffOQog.  Dass  an  der 
citierten  Stelle  des  lib.  I  adv.  Nestorianos  auf  diese  Stelle  der 
Schrift  adv.  Nest,  et  Eut.  hingewiesen  ist,  glaube  ich  trotzdem 
nicht.  Die  Verweisung  in  lib.  I,  c  6  adv.  Nest,  scheint  sich 
vielmehr  auf  die  Stelle  einer  verlornen  Schrift  zu  beziehen,  die 
Leontius  in  der  Epilysis,  1936  C,  neben  dem  eben  angeführten 
Passus  der  Schrift  adv.  Nest,  et  Eut.  citiert,  Avenn  er  sagt:  jcwg 
de  xal  zira  zqojiov  zov  zs  deov  Xöyov  xal  z/jg  xaz  avzor 
a7^QO):;töz)/zog  ztXticog  xal  avelXtiJtöJg  kxorzmv  ovy  vjcoozä- 


170  Drittes  Capitel. 

oaig  aXX  ovoiac.  slg  zr/v  rcöv  Ivcoüevzcov  6vv6Q0[irji>  ol  JiattQsg 
siccQaXafißavovoiv,  ovo'  ojioztQaq  ovö7]g  avvxoozdzov,  tv  re 
zm  JCQcözco  xsqaXaicp  zcöv  aQziog  7]:jtoQ7jfiJv(DV ,  xal 
t^rjg  xal  kv  zm  xqojzco  ös  Xöyo)  ztjg  XQayfiazdag  zrjg  ysvofit- 
vt]c  Tjulv  xaza  zcöv  tvai>zioöox?/z(öi'  —  hier  ist  adv.  Nest,  et 
Eut.  1276 ff.  gemeint  —  jchjQtozaza  ajioötSozca  (lies:  S^öeLxzaiV)i 
üialilloyüv  yi  zoi  dia  zovzo  xal  ejil  zoig  avzoig  za  avzd 
avaxvxXovv  jtaQ7jz7'jii£&a.  —  Ebenso  beweisend  ist  die  zweite 
Stelle,  adv.  Nest.  lib.  II,  c.  14,  col.  1565C.  Der  Verfasser  will 
liier  dem  Einwände  entgegentreten,  dass  in  der  orthodoxen 
Dogmatik  die  widersprechendste  Terminologie  herrsche,  insofern 
von  dem  Menschen  behauptet  werde,  er  sei  ovo  (jhr  (fvOtig  [xia 
Se  vjiöozuoig,  trotzdem  aber  bei  Christo  anstatt  von  drei  Naturen 
von  zwei  Naturen  gesprochen  werde.  Seine  Entgegnung  beginnt 
er  mit  folgenden  Worten:  \iXXd  xal  fiiav  xal  6vo  (fvottg  eivat 
zor  dv&-QOjjto2\  tztQco  //fV  zoi  xal  tztQco  Xoyop  [d.  h.  in  der  einen 
und  in  der  andern  Hinsicht],  tv  zolg  JtQog  zovg  Xiyovzag  avzov 
fiiav  sivai  (iov7]v  Z7]v  (pvöiv  djieöei^af/ev  övv  rftor  xal  i'va  id) 
jcXeiova  ovza  zd  avzd.  jcaXiXX-oyöif/sv,  tveoziv  txei&£v  z<n  ßov- 
Xo^svm  xsqI  zovöe  xXtjQotpoQHöihai.  Die  hier  herangezogenen 
antimonophysitischen  Erörterungen  standen  vielleicht  in  der  uns, 
wie  schon  erwähnt,  unvollständig  erhaltenen,  mit  den  Büchern 
adversus  Nestorianos  eng  verbundenen  Schrift  contra  Monophy- 
sitas,  in  der  ich  jetzt  die  betreffenden  Ausführungen  nicht  finde. 
Doch  sind  trotzdem  auch  für  uns  noch  Erörterungen  wie  die 
hier  erwähnten  bei  Leontius  nachweisbar,  nämlich  in  den  anti- 
monophysitischen Ausführungen  adv.  Nest,  et  Eut.  1289  D  — 
1293  CD,  und  unmöglich  ist  es  nicht,  dass  auf  eben  diese  Aus- 
führungen zurückgedeutet  wird,  denn  die  Übereinstimmung  der- 
selben mit  jener  Stelle  adv.  Nestorianos  II,  c.  14,  col.  1565C  ist 
frappant.  Man  höre  nur  eine  Stelle.  Derjenige  fingierte  Gegner, 
dem  Leontius  adv.  Nest,  et  Eut.  1 292  C  vorwirft,  ,dass  er  auf  die 
Erörterung  der  Frage  nach  der  Zahl  der  Naturen  im  Menschen 
sich  nur  deshalb  eingelassen  habe,  um  sein  (iiav  fiovrjv  (pvOiv 
zu  erweisen,  sagt,  nachdem  Leontius  zu  Wort  gekommen  ist, 
1293 B:  xad-oig  ooi  tdoge  jtQoÖLsozsiXco  hjtl  zov  xad-'  txaozov 
avihQcöüiov  ovo  Xsysöd-ai  (pvösig  xal  (ilav  ig  ov  zi  dxoXov&si; 
Td  ejcl  Xqlozov  [iri  ovo  iiovov  ffvaeig  ofioXoyElr,  dXXd  xal  zQEig. 
Ilcög  zoLvvv  z6  tzsQov  ofioXoyovvzsg  d-dzsQov  djiavaireö&e;  — 


§  12.     Die  VII  libri  adv.  Nestorianos   Leoutii  Hieiosolymitani  etc.      171 

Die  Verweisung  des  Verfassers  des  Hb.  II,  c.  14,  adv.  Nestorianos 
auf  eine  eigne  antimonopliysitische  Schrift  passt,  wie  sich  hier 
zeigt,  so  völlig  auf  adv.  Nest,  et  Eut.  12S9Dff..  dass,  wenn  nicht 
diese  Stelle,  sondern  eine  Stelle  in  der  unvollständig  erhaltenen 
Schrift  contra  Monophysitas  gemeint  sein  sollte,  die  Verweisung 
dennoch  ein  fast  zwingendes  Argument  bleibt  für  die  Herkunft 
der  Bücher  adv.  Nestorianos  von  unserm  Leoytius.  Dazu  kommt, 
dass  die  Bücher  auch  handschriftlich  einem  Mönch  Leontius 
zugeschrieben  werden.  Allerdings  wird  dieser  als  Hierosolvmi- 
tanus  bezeichnet,  und  man  könnte  geneigt  sein,  in  diesem  Zusatz 
eben  die  Absicht  zu  erkennen,  den  Verfasser  von  Leontius  By- 
zantinus  zu  unterscheiden.  Doch,  wenn  schon  andre  Gründe  auf 
die  Autorschaft  des  Leontius  Byzantinus  hinweisen,  so  ist  es 
jedenfalls  das  Nächstliegende,  in  der  Überschrift:  rov  jtavaorpov 
^uorcv/ov  AeovTiot\  eine  Bestätigung  der  Autorschaft  des  Leon- 
tius von  Byzanz  zu  finden  und  den  Zusatz  "hQoooXv^UTOV  als 
einen  Irrtum  oder  als  eine  Bereicherung  unsers  Wissens  über 
Leontius  von  Byzanz  anzusehen.  Man  könnte  dieser  Annahme  nur 
durch  die  sehr  künstliche  Hypothese  ausweichen,  dass  ein  Leon- 
tius von  Jerusalem  auf  Grund  einer  von  ihm  überarbeiteten 
Vorlage  des  Leontius  von  Byzanz  die  Bücher  adv.  Nestorianos 
geschrieben  habe.  Da  diese  Annahme  sehr  künstlich  ist,  so 
scheint  zunächst  durch  die  Überschrift  und  durch  die  bespro- 
chenen beiden  Verweisungen  der  leontianische  Ursprung  der 
Bücher  adv.  Nestorianos  gesichert  zu  sein.  Wenn  man  also  in 
den  Büchern  adv.  Nestorianos  Wahrnehmungen  machen  würde, 
welche  zu  der  Autorschaft  des  Leontius  nicht  passen,  so  würde 
man  daher  genötigt  sein,  Interpolationen  oder  eine  t^berarbeitung 
anzunehmen,  würde  aber  jenem  ersten  Ergebnis  unserer  Erörte- 
rung der  Verfasserfrage  nicht  völlig  widersprechen  dürfen. 

Zunächst  darf  aber  darauf  hingewiesen  werden,  dass  im 
Gegenteil  nicht  wenige  Beobachtungen"  in  den  Büchern  adv. 
Nestorianos  gemacht  werden  können,  welche  die  eben  gewonnene 
p]rkenutnis  der  Autorschaft  des  Leontius  von  Byzanz  durchaus 
l)estätigen. 

Zunächst  passt  die  Reichhaltigkeit   der  Bücher  adv.  Nesto- 
rianos ausgezeichnet    zu    ihrem   leontianischen    Ursprung.     Mai 
Script,  vet.  nov.  coli.  IX,  p.  XIV,  Migne  86,   col.  1395}   Avirft 
die  Frage  auf,  woher  Leontius  —  Mai  nahm  ohne  Weiteres  die 


172  Drittes  Capitel. 

Identität  des  Leontius  ßyzantinus  und  des  Leontius  Hierosolymi- 
tanus  au  —  die  Menge  der  nestorianisclien  Einwendungen  ge- 
nommen habe,  und  bedauert,  dass  wir  keinen  der  zweifellos 
vielen  nestorianischen  Schriftsteller  nennen  könnten,  die  er  be- 
nutzte. Ich  will  dem  nicht  widersprechen,  dass  der  Verfasser 
der  Bücher  adv.  Nestorianos  nestorianische  Schriften  vor  sich 
hatte:  denn  wenn  q,uch  viele  Stellen  in  den  Büchern  adv.  Nesto- 
rianos darauf  hindeuten,  dass  der  Verfasser  mindestens  einen 
Teil  der  nestorianischen  Einwendungen  auf  Grund  persönlicher 
Erfahrungen  selbst  formuliert  hat  (vgl.  I,  c.  48.  col.  1505  D;  ib. 
c.  52,  col.  1517D;  V,  c.  5,  col.  1729B),  so  machen  doch  wieder 
andre  Stellen  es  wahrscheinlich,  dass  dem  Verfasser  auch  schrift- 
lich formulierte  nestorianische  Argumente  zur  Verfügung  stan- 
den (vgl.  I,  c.  8,  col.  1432A  mit  1429C:  1,  c.  13,  col.  1452B: 
I,  c.  18,  col.  1468B;  II,  c.  14,  col.  lä65D  {oif/oXoyijOars}  vgl. 
mit  II,  c.  1,  col.  1528  A).  Doch  selbst  wenn  der  Verfasser  viele 
nestorianische  Schriften  benutzt  hätte,  bleibt  eben  dies  aulfällig. 
Wo  hat  sonst  ein  Orthodoxer  so  genau  häretische  Schriften  stu- 
diert? Und  hat,  wie  ich  glaube,  der  Verfasser  die  meisten  Ar- 
gumente selbst  formuliert,  so  ist  es  erst  recht  aullällig,  wie  er 
zu  so  genauer  Kenntnis  der  nestorianischen  Anschauungen  kam. 
Das  Auffällige  dieser  Thatsache  verschwindet  aber,  wenn  Leon- 
tius von  Byzanz  der  Verfasser  der  Bücher  ist,  denn  dieser  hat 
längere  Zeit  unter  .heimlichen  Nestorianern"  gelebt  und  hat  ihre 
Bücher  studiert  (adv.  Nest,  et  Eut.    1357 ff.,   vgl.  oben  S.  26  f.). 

Es  ist  auch  die  ganze  Stimmung  der  antinestorianischen  Po- 
lemik in  den  Büchern  adv.  Nestorianos  die  gleiche  wie  in  dem 
dritten  Buch  adv.  Nest,  et  Eut.  Der  VorAvurf  to  rrjg  aösßslag 
vficöv  xQVJtTOv  fivöog  ay.alvipaTs  (adv.  Nest.  II,  c.  11,  col.  1556  D) 
kehrt  öfter  wieder,  und  lib.  IV,  c.  1  fin.,  col.  1653  A  erinnern 
selbst  die  Worte:  a$£TaCiOd^o)  6e  xal  xa  t^tjg  vfiiv  dgr/fitva 
fi)MO(fjrjiia  y,di  [itj  Xav&avtrco  rivag  firj  arrjXiTSvöf/eva.  an  den 
Eingang  des  lib.  III  adv.  Nest,  et  Eut.  (col.  1357 f.).  Auch  klingt 
der  adv.  Nest,  et  Eut.  gegen  den  Nestorianismus  erhobene  Vor- 
wurf des  Samosatenismus  adv.  Nest.  lib.  V  und  VI  deutlich 
durch  die  Ausführungen  hindurch,  obgleich  Paul  von  Samosata 
nicht  genannt  wird. 

Sodann  scheint  aus  dem  Wenigen,  was  auf  die  Abfassungs- 
zeit  der  Bücher  adversus  Nestorianos  ein  Licht  wii-ft,   kein  Ar- 


l  2.     Die  VII  libri  adv.  Nestorianos  Leontii  Hierosolymitani  etc.     173 

guraent  gegen  die  Autorschaft  des  Leontius  entnommen  werden 
zu  können:  wir  sehen  uns  in  die  Zeit  gewiesen,  in  welcher  der 
Kampf  mit  den  Severianern  die  Kirche  beschäftigte  (col.  ISSöA). 

Weiter  ist  unverkennbar,  dass  nicht  nur  einzelne  Ausfüh- 
rungen an  Leontius  von  Byzanz  erinnern  (vgl.  1424D  mit  12S4CD: 
145aB  mit  1280D:  1464Dmit  1284 Cfi::  152SC  mit  1925B;  1568BC 
mit  1288 ABC:  1 585  C  mit  1905  A  u.  a.),  dass  vielmehr  auch  die  ganze 
theolocfische  Stellunff  des  Verfassers  der  Bücher  adv.  Nestoria- 
nos  wesentlich  dieselbe  ist  wie  die  des  Leontius.  Mit  Hülfe  der 
Annahme  der  Enhypostasie  wird  auch  hier  die  chalcedonensische 
Orthodoxie  auf  Cyrill  zurückgebogen,  auch  hier  finden  wir  eine 
an  Aristoteles  gebildete  Terminologie,  auch  hier  wird  die  Frage 
nach  der  Individualität  der  menschlichen  Natur  Christi  mit  be- 
sondrer Sorgfalt  erörtert  und  mit  Hülfe  der  Annahme  der  Enhy- 
postasie ebenso  wie  Epilysis  col.  1917  bejaht,  vgl.  die  bündige 
und  trotz  der  mangelhaften  Textüberlieferung  noch  durchsichtige 
Formel,  col.  1748 D:  z'^v  jiQovJtccQ'/ovoav  rrjg  di'&Qcojieiag  g:v- 
üsmg  vjioGxaOLv  tavzov  xal  q)vöii\  o  XoyoQ,  rrjv  aoaQxov  jiqo 
aimvGiv  Iv  vOTiQOLg  xaiQOlg  [adde:  evOaQxov  jtoi7]oä{i£vog  oder 
etwas  Ahnliches],  tavrcß  oaQxa  jtsgißaXcov,  avxy  rij  löia  vjioöxäou, 
ovx  av&Qojjtor  ipilov,    rrjv  av&Qcojiaiar  cfvoir   tvvjieOTt]Oev*). 

Dennoch  wird  niemand,  der  die  Werke  des  Leontius  Yon  By- 
zanz kennt,  bei  der  Leetüre  der  Bücher  adversus  Nestorianos  sich 
der  Wahrnehmung  entziehen  können,  dass  die  Sprache  und  das 
Begrifismaterial,  auch  die  ganze  Art  der  Schriftstellerei  in  den 
Büchern  adversus  Nestorianos  von  der  des  Leontius  von  Byzanz 
verschieden  ist.  Diese  Verschiedenheit  durch  Inductionsbeweis 
nachzuweisen,  versuche  ich  nicht.  Denn  da  wir  von  der  anti- 
nestorianischen  Polemik  des  Leontius  nur  in  deui  dritten  Buch 
adv.  Nest,  et  Eut.  eine  mehr  als  dürftige  Probe  haben,  so  würde 
die  sehr  grosse  Mühe  sich  schlecht  lohnen;  die  Beweiskraft  der 


*)  Dieser  8atz  ist  allerdings,  so  wie  er  überliefert,  ebenso  unver- 
ständlich wie  viele  andere  Sätze  der  Bücher  adv.  Nestorianos,  und  es  ist 
daher  wohl  entschuldbar,  dass  der  lateinische  Übersetzer  infolge  sklavisch 
treuer  Übersetzung  auch  des  von  dem  7i(}oinä(ixovacci-  abhängigen  Gene- 
tivs  (praeexistentem  humanae  naturae  hypostasin  suam  etc.)  völligen  Un- 
sinn auftischt.  Es  müssen  einige  Wörter  ausgefallen  sein,  die  eben  das 
aussagten,  was  die  oben  ergänzten  Wörter  tvauQxor  noiijaccfierog  be- 
deuten. 


174  Drittes  Capitel. 

Einzelheiten  bliebe  doch  in  vielen  Fällen  bestreitbar,  da  z.  B. 
der  gegenüber  den  echten  Leontiusschriften  auffällige,  häufige 
Gebrauch  der  termiui  ovvßtüig,  övr&eTog  XgcOrog,  oXört/g^  vjto- 
orarix?)  oXüxijg  (auch  selten:  övi'&tzog  vjioöraotg)  sich  durch 
den  nestorianischen  Gegensatz  begreiflich  machen  Hesse.  Ich 
zweifle  nicht,  dass  auch  ohne  lexicographische  Nachweisungen 
jeder  Leser  den  Eindruck  haben  wird,  einem  andern  Schriftsteller 
gegenüber  zu  stehen  als  dem  Leontius  von  Byzanz.  Verursacht  wird 
der  Eindruck  nicht  zum  Avenigsten  durch  die  grössere  Breite  der 
Darlegung  in  adv.  Nestorianos,  ferner  durch  das  weit  häufigere 
Vorkommen  biblischer  Beispiele  und  exegetischer  Argumenta- 
tationen  einerseits,  andrerseits  durch  das  völlige  Zurücktreten 
patristischer  Gelehrsamkeit  und  durch  die  geringere  Schärfe  und 
grössere  Gedehntheit  der  philosophischen  Ausführungen;  man 
vgl.  z.  B.  die  Ausführungen  über  den  Begriff  vjcoOraCig  in  adv. 
Nest,  lib  U,  1  col.  1525fl'.  mit  den  Ausführungen  des  Leontius  in 
den  Schollen  (Fragm.  11,  Migne  86,  2  col.  2012).  Ferner  tritt 
alles  Persönliche  völlig  zurück:  in  ermüdender  Langweiligkeit 
reiht  sich  ein  Capitel  an  das  andre.  Bei  Leontius  von  Byzanz 
ist  das  anders.  Wie  abwechslungsreich  ist  selbst  die  der  ganzen 
Anordnung  nach  ähnliche  Epilysis  gegenüber  dieser  erschreck- 
lichen Gleichförmigkeit ! 

Durch  diese  Wahrnehmungen  kann  nun  freilich  das  früher 
gewonnene  Resultat,  Leontius  sei  der  Urheber  dieser  Bücher 
bezw.  ihrer  Grundschrift,  nicht  umgestossen  werden,  die  Ver- 
mutung aber  drängt  sich  mit  Notwendigkeit  auf,  dass  wir  in 
den  Büchern  adv.  Nestorianos  eine  Schrift  des  Leontius  nur  in 
einer  Überarbeitung  besitzen  möchten,  und  zwar  in  einer  Bear- 
beitung, die  nicht  sowohl  durch  Interpolationen  als  vielmehr 
durch  gleichmässige  Neugestaltung  des  Stoffes  entstanden  sein 
müsste. 

Einen  Anhalt  für  diese  Hypothese  bietet  der  namentlich  im 
ersten  Buche  sehr  spürbare  Mangel  einer  Disposition;  dieselben 
oder  ganz  ähnliche  Argumente  kehren  mehrfach  wieder;  der  Ver- 
such, die  Aufeinanderfolge  der  Capitel  als  eine  sachlich  begrün- 
dete zu  begreifen,  ist  völlig  undurchführbar.  Leontius  von  By- 
zanz schreibt  anders.  Sodann  ist  darauf  hinzuweisen,  dass  selbst 
inbezug  auf  sehr  häufig  vorkommende  dogmatische  Begriffe  sich 
Dissonanzen  finden,  welche  in  einer  Originalcomposition  schwer 


§  13.    Die  Schrift  contra  Monophysitas.  175 

beajreiflich  sind.  Die  auffälligste  derselben  ist  die  schwankende 
Stellung  zu  dem  Begriff  der  vjtööraoiQ  ovi'ß-srog.  Lib  I,  c.  20, 
col.  1485  D  wird  dieser  terminus  ausdrücklich  verworfen  [ovts 
vjcooraOiQ  ovvd^txoQ,  ort  ovx  £$,  vjcootccoscov),  doch  ib.  c.  11. 
col.  1445D,  ebenso  ib.  c.  24,  col.  1492ß  und  II,  c.  1,  col.  1528B 
wird  er  gebraucht.  Eine  sachliche,  dogmatische  Differenz  zwischen 
den  bezeichneten  Stellen  liegt  allerdings  nicht  vor.  dennoch  bleibt 
die  terminologische  Dissonanz  bei  einem  so  sorgfältigen  Schrift- 
steller wie  Leontius  von  ßyzanz  schwer  begreiflich. 

Ich  gebe  gern  zu,  dass  die  vorgebrachten  Argumente  nicht 
genügen,  um  die  ausgesprochene  Vermutung  zu  beweisen.  Eine 
bis  ins  Einzelne  gehende  Untersuchung  der  Bücher  adversus 
Nestorianos  wird  erst  möglich  sein,  wenn  für  den  Text  wenigstens 
das  Notdürftigste  gethan  sein  wird. 

Hier  genügt  mir  das  Resultat:  die  Bücher  adversus  Nesto- 
rianos sind  eine  —  wahrscheinlich  stark  und  zwar  gieichmässig 
überarbeitete  —  Schrift  des  Leontius  von  Byzanz,  die  in  ihrer 
jetzigen  und  sehr  wahrscheinlich  auch  in  ihrer  ursprünglichen 
Gestalt  —  vgl.  die  oben  (S.  170)  besprochene  Verweisung  in 
col.  1565C  und  den  Schluss  von  §  11  —  einem  grösseren  Ganzen 
angehörte,  in  welchem  auch,  und  zwar  unmittelbar  vor  den 
Büchern  adversus  Nestorianos,  eine  antimonophysitische  Schrift 
sich  befand. 

Dass  diese  antimonophysitische  Schrift  in  der  handschrift- 
lich mit  den  Büchern  adv.  Nestorianos  verbundenen  Schrift  contra 
Monophysitas  zu  suchen  ist,  versteht  sich  von  selbst.  Dieser 
Schrift  also  haben  wir  uns  jetzt  zuzuwenden. 


§  13.     Die  dem  Leontius  Hierosolj^mitanus  zugeschrie- 
bene Schrift  contra  Monophysitas, 
ein  Bruchstück  einer  Bearbeitung  eines  Teiles  der  ax6?.ta  Aeovxlov. 

Die  Schrift  contra  Monophysitas  —  ^Ajioquu  :;iQdg  rovg 
(liav  (pvOLv  Xt-/ovraq  ovvüezov  xov  xvqiov  f/ftcov  hjOovv  Xqio- 
xöv  —  hat  nicht  erst  Mai  zum  ersten  Male  publiciert.  Die 
Hauptmasse  der  Schrift  ist,  wie  teilweise  schon  Migne's  Aus- 
gabe bemerkt  hat  (Migne  8(3,  2,  col.  1875  not.),  schon  durch 
Mansi  herausgegeben,  zunächst  im  Supplementum  der  Labbe'- 


■|76  Drittes  Capitel. 

seilen  Collectio  conciliorum  .in  appendice  ad  Tom.  IV,  p,  467", 
dann  in  seiner  eignen  Conciliensammlung  VII,  1762,  p.  799 — 868. 
Üallandi  (Bibliotheca  XII,  1799,  p.  719—750)  hat  den  Mansi'- 
schen  Text  nachgedrnckt.  Die  Handschrift,  aus  der  Mansi  den 
Text  entnahm,  war  der  oben  (S.  164)  genannte  cod.  Marcianus. 
Da  dieser  cod.  Marcianus  3—400  Jahre  älter  ist  als  die  von 
Mai  benutzte  vaticanische  Handschrift,  so  ist  vor  allem  Weiteren 
eine  Vergleichung  des  Mansi'schen  und  des  fMai-)  Migne'schen 
Textes  nötig.  Die  Resultate  einer  solchen  Vergleichung  zeige 
folgende  Übersicht. 

Mansi  VII,  p.799— 824  =  Migne,  col.  1876D— 1902A  (fin.  op.) 

,  ,825—830=  r  r  1804D— 1842B*) 

,  ,831—840=  „  .  1842B— 1850A 

„  ^841—846=  ,  „  1850A— 1853A 

,  ,846-848=  ,  ,  1864A,  Z.  3-1865B 

.  ,  848—858  =  ,  ,  1865B— 1876A**) 

,  „  858-868C  =  „  ,  1853A— 1864A,  Z.  2**=^) 

„  ,868DE     =  ,  ,  1876B,  7-C,  4 

Eine  ins  Einzelne  gehende  Vergleichung  der  parallelen  Texte 
zeigt  eine  auffällig  weitreichende  Übereinstimmung  der  Hand- 
schriften; sehr  verdächtige  Lesarten  finden  wir  hier  wie  dort. 
Um  so  eigentümlicher  ist  die  aus  obiger  Übersicht  ersichtliche 
Abweichung  der  beiden  Texte  in  der  Anordnung  der  einzelnen 
Abteilungen  der  Schrift.  Von  dieser  zunächst  zu  handeln,  haben 
wir  um  so  mehr  Veranlassung,  je  leichter  sich  mit  der  Erörte- 


*)  Eigentlicli  entspricht  Mansi  VII,  p.  825  —  S30  nur  Migne,  col. 
1824D — 1837 B.  Da  Mansi  aber  (vgl.  p.  823)  nur  einen  Auszug  aus  den 
Citaten  geben  will,  so  ist  zunächst  anzunehmen,  dass  die  bei  Mansi 
fehlenden  Citate  —  so  der  ganze  Abschnitt  1837 B — 1842B  —  uur  bei 
Mansi,  nicht  aber  in  dem  cod.  Marcianus  fehlen.  Für  den  Abschnitt 
1804D— 1824D  ist  dies  sicher  anzunehmen  auf  Grund  der  Vorbemerkungen 
M  ansi's:  objiciunt  praeterea  Eutychiani  vocabulum  hoc  duarum  in  Christo 
naturarum  novum  esse  et  nusquam  nee  in  sacris  litteris,  nee  a  sanctis 
patribus  usurpatum;  quod  ut  refellat  Leontius  in  medium  affert  plura 
veterum  patrum  oracula  etc. 

**)  Migne  1873B,  10  — C,  7  fehlt  vielleicht  auch  in  der  Handschrift 
Mansi 's,  denn  es  ist  eine  Doublette  zu  1S65B.  Über  1876  A,  11 — B,  6 
siehe  unten. 

***)  Migne  1857B  hat  Mansi  ^861  E)  wohl  ausgelassen. 


§  13.     Die  Schrift  contra  Monophysitas.  177 

rung  der  Disposition  eine  Übersicht  über  den  Inhalt  der  Schrift 
verbindet. 

Die  Abweichimg  in  der  Anordnung  innerhalb  der  beiden 
Texte  zu  veranschaulichen,  teile  ich  den  ganzen  Abschnitt  bei 
Migne,  der  bei  Mansi  seine  Parallelen  hat,  d.  h.  col.  1804D— 
1902A,  auf  Grund  der  oben  gewonnenen  Vergleichungsresultate 
in  5  Abschnitte:  1)  1S04D— 1S53A,  S.  2)  1853  A,  9-1864A.  2. 
3)  1864 A,  3  — 1876 A,  10.  4)  a:  1876A,  11  — B,  6.  b:  1876B, 
7—10.  c:  1S76B.  11  — C.  4.  d:  1876C,  5  — C,  15.  5)  1S76D  — 
1902A.  —  Von  diesen  Abschnitten  fehlen  in  dem  Mansi 'sehen 
Texte  4*  und  4^ :  ob  auch  in  der  Handschrift,  davon  wird  unten 
die  Rede  sein.  Die  Reihenfolge  der  Abschnitte  bei  Mansi  ist: 
5.  1.  3.  2.  4^  4''.  Welche  Reihenfolge  ist  die  ursprüngliche? 
Bei  Beantwortung  dieser  Frage  muss  man  aus  Gründen,  die  so- 
gleich erhellen  werden,  von  dem  Abschnitt  4*^  ausgehen.  Der- 
selbe lautet : *) 

.In  dem  Bestreben,  ihnen  gegenüber  möglichst  keine  der 
gehässigen  Einwendungen  gegen  uns  unerwidert  zu  lassen,  will 
ich  [jcagcr/ayörrsc,  mit  dem  Conjunctiv  ccnoreQ/^aTiocofitv  ver- 
bunden, kann  nur  futurisch  übersetzt  werden]  auch  die  Klagen 
gegen  uns,  welche  sie  der  dogmatischen  Erörterung  beizugeben 
pflegen  [welche  sie  in  dem  /^oyog,  d.  i.  in  der  Verhandlung  mit 
ihnen,  so  vorbringen,  wie  der  Chor  in  den  Comödien  die  Para- 
base],  anführen  und  dann  diese  Widerlegung  des  kirchenfeind- 
lichen Lügengewebes  zum  Abschluss  bringen.  Da  sie  nämlich 
ihre  eignen  Gedanken  weder  mit  dogmatischen  Gründen  erweisen, 
noch  durch  Zeugnisse  aus  der  Schrift  und  aus  den  Vätern  be- 
gründen können,  so  führen  sie  schliesslich  unter  den  Gründen 
für  ihre  Trennung  von  uns  folgende  an". 

Dieser  Abschnitt  ist,  wie  sein  Inhalt  zeigt,  eine  Einleitung 
zu  der  Erörterung  der   lS76Dtf.  besprochenen   historischen  Ar- 


*)  Mriöhv  dh  dO^eQÜnfvrov  xaxcü.mtlv  wc  oiövTf^  onov6c''.t,o%'Tfq  aitoTc 
x<Lv  x7jq  TtQOQ  rj/xäg  (ft?.eyßeiag  riQOtfaaiaßÜTüJV,  xal  rag  av  nccQaßdafi 
xov  Xöyov  flcjQviaq  avxoig  7tQ0O(piQ8a9-ai  (jitfiypfig  xaS-'  ijfiwi'  nv.Quya- 
yövxeg,  tvxavQ-ol  nov  xov  t?.syxov  xov  xuxcc  xrjg  ix>c?.TjOiug  rpsvöovg  utio- 
xfQfiaxlawfiev  intl  j'«p  f^iTJxe  dnoSeixxixolg  ^7ii)^siQr]/naai  naQUorTjoai, 
(JLi]xf  yoaifixoTg  J)  naxQixoIg  /xaQXVQtjfiaai  ßeßauöaui  xu  otxHu  (fQOvri- 
fiuxa.  ötövvTivxai,  tv  iayaxokoyl«  xwv  ahidiv  xTjg  u<p  riucüv  ^x(poiX7jGf(vg, 
tpaalv  txf 

Texte  u.  Untersuchungen.  III,  1.  12 


178  Drittes  Capitel. 

gumente  der  Monopliysiten.  Diese  gehört  also  au  den  Schluss 
des  Werkes,  wenn  der  Abschnitt  4*^  ursprünglich  ist.  Bei  Mansi 
fehlt  er,  und  zweifellos  auch  in  der  Handschrift,  denn  in  dem  von 
Mansi  benutzten  cod.  Venet.-Marc.  ist  für  diesen  Abschnitt  gar 
kein  Platz,  da  in  ihm  der  Abschnitt  Migne,  1876Dtf.  (Nr.  5)  allen 
andern  vorangeht.  Dennoch  kann  an  der  Ursprünglichkeit  dieses 
Abschnittes  nicht  gezweifelt  werden,  weil  er  über  die  ursprüng- 
liche Disposition  der  ganzen  Schrift  uns  Aufschlüsse  giebt,  die 
über  die  jetzt  vorliegende  Gestalt  des  Werkes  hinausweisen,  doch 
aber  durch  das,  was  uns  vorliegt,  völlig  bestätigt  werden.  Die 
ganze  Schrift  hat  ursprünglich  aus  drei  Teilen  bestanden,  deren 
erster  die  dogmatischen  Gründe  der  Monophysiten  widerlegte, 
deren  zweiter  ihren  Schrift-  und  Traditionsbeweis  zu  erschüttern 
versuchte,  deren  dritter  auf  die  andern,  zumeist  historischen 
Gründe  eingieng,  durch  welche  die  Monophysiten  ihre  Trennung 
von  der  Kirche  rechtfertigten.  Der  zweite  dieser  Teile  liegt  in 
den  oben  als  Abschnitt  1,  2,  3  bezeichneten  Ausführungen  bei 
Migne,  l804D—187öA  =  Mansi,  825—868  (und  in  den  hieher 
gehörigen,  später  genauer  zu  besprechenden  Teilen  des  Abschnitt  4; 
uns  vor.  Von  dem  ersten  ist  uns  in  den  bei  Mansi  nicht  abge- 
druckten, aber  nach  dem  Katalog  der  Marciana  auch  in  seiner 
Handschrift  enthaltenen  63  ajtoQiai  nur  noch  ein  kleiner  Teil 
erhalten,  denn  zweifellos  deutlich  zeigt,  wie  schon  oben  S.  165 
erwähnt  ist,  der  Anfang  derselben,  dass  eine  weit  umfangreichere 
Widerlegung  der  dogmatischen  Bedenken ^der  Monophysiten  vor- 
angegangen ist.  Dies  bestätigt  auch  der  Eingang  des  zweiten 
Teiles  (1804D).  Der  ihn  bildende  Satz:  'AXXa  ri  tjfiäg,  <paoi 
xavTa/o&er  JieQiTQexovrag,  slg  z/jv  vfisTtgav  öo^av  owslav- 
vtre;  würde  auf  eine  lächerliche  Selbstüberschätzung  des  Ver- 
fassers hinweisen,  wenn  nur  die  63  ajtoQiai  ursprünglich  voran- 
gegangen wären.  Je  besser  aber  der  1804D  beginnende  Teil  an 
den  ursprünglich  weit  inhaltsreicheren  ersten  Teil  sich  anschliesst, 
desto  sicherer  ist  es,  dass  der  Abschnitt  4*^  (1876 C,  5 ff.),  der 
rückblickend  den  1804D  beginnenden  Abschnitt  über  die  yga- 
fpixa  und  jtargixd  [iaQrvQ7][iaxa  als  zweiten  Teil  des  Ganzen 
erscheinen  lässt,  ursprünglich  ist,  und  dass  demnach  der  Ab- 
schnitt 5  bei  Mansi  und,  nach  Mansi's  ausdrücklichen  Angaben 
(p.  799,  praemonitio)  zu  urteilen,  auch  in  seiner  Handschrift  an 
durchaus    falscher  Stelle    steht.     Der  Abschnitt  5    gehört   nach 


§  13.     Die  Schrift  contra  Monophysitas.  179 

der  aus  4*^  erkennbaren  Disposition  des  Verfassers  an  den  Schluss 
des  Ganzen,  bat  also  bei  Migne  seine  richtige  Stellung. 

Doch  damit  sind  noch  nicht  alle  Differenzen  der  Anordnung 
bei  Migne  und  Mansi  erledigt.  Über  den  ersten  und  dritten 
Hauptteil  des  Ganzen  ist  freilich  hier  nichts  mehr  zu  sagen.  Denn 
Mansi  hat  das  in  seiner  Handschrift  enthaltne,  bei  Migne  col. 
1769 — -1804  gedruckte  Fragment  des  ersteren,  die  63  ajcogiai,  un- 
gedruckt gelassen,  und  in  dem  dritten  Hauptteile,  dem  fünften 
der  oben  genannten  Abschnitte,  zu  dem  nach  Obigem  4*^  als 
Einleitung  hinzuzunehmen  ist,  stimmen  die  Handschriften  von 
Mai-Migne  und  Mansi  bis  auf  ganz  unbedeutende  variae 
lectiones  vollständig  überein.  Wie  aber  war  ursprünglich  die 
Disposition  des  zweiten  Hauptteiles?  War  die  Reihenfolge  der 
Abschnitte  so  wie  bei  Migne:  1.  2.  3.  4*'^",  oder  so  wie  bei 
Mansi:  1.  3.  2.  4*"',  oder  hat  keiner  der  Texte  das  Ursprüng- 
liche? Die  Frage  kann  zwar  nicht  mit  völliger  Sicherheit,  aber 
doch  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  beantwortet  werden. 

Der  zweite  Hauptteil  soll  die  monophysitische  Behauptung 
widerlegen,  dass  die  Zweinaturenlehre  eine  Neuerung  sei,  welche 
keine  Tradition  für  sich  habe  (vgl.  1876C  und  1804D— 1805A). 
Nach  einleitenden  Ausführungen,  in  denen  gelegentlich  auch  die 
Stellung  der  heiligen  Schrift  zu  der  monophysitischen  Frage  er- 
örtert wird,  stellt  der  Verfasser  1817A  eine  Reihe  von  dyophy- 
sitischen  Citaten  der  Orthodoxen  in  Aussicht,  welche  die  Mono- 
physiten  für  sich  in  Anspruch  nehmen.  Diesen  Citaten,  so  sagt 
er,  wolle  er  Zeugnisse  monophysitischer  Väter  beifügen,  welche 
dasselbe  bewiesen,  d.  h.  Avelche  gleichfalls  die  dyophysitische 
Lehre  der  in  Rede  stehenden  orthodoxen  Väter  bezeugen  könnten. 
Dementsprechend  folgen  1817C — 1841A  fin.  Citate  aus  verschie- 
deneu orthodoxen  Vätern,  ihnen  reihen  sich  1841 B  — 1849 C,  1 
Anführungen  an  aus  den  Werken  der  Monophysiten  Amphi- 
lochius,  Severus  und  Timotheus  Aulurus.  18490,2  — 1853  A,  8 
sind  ganz  unverkennbar  Schlussbemerkungen  zu  dem  bis  jetzt 
behandelten  Unterteile  des  zweiten  Hauptteiles.  Doch  was  folgt 
nun,  da  wir  am  Ende  des  oben  als  Nr.  1  bezeichneten  Abschnittes 
stehen?  Folgt  nun  Abschnitt  2  bei  Migne  (1853 ff.)?  oder  folgt 
der  bei  Mansi  vorangestellte  Abschnitt  3  (Migne,  1864 A,  3 ff.)? 

Suchen  wir  Auskunft  in  dem  das  Folgende  ankündigenden 
Schlusssatze  des  Abschnitts.    Derselbe  lautet  völlig  übereinstim- 

12* 


180  Drittes  Capitel. 

raend  in  beiden  Texten:  ^Soviel  hierüber.  Es  bleibt  uns  nocli 
übrig  zu  sehen,  welcher  Art  die  Äusserungen  [öoyiiaTa]  der 
Väter  sind,  welche,  wie  sie  sagen,  ausdrücklich  eine  Natur  des 
Herrn  lehren  und  die  Zweinaturen  lehre  \raq  ovo  rpvosig]  völlig 
verwerfen."  *) 

Wir  sehen  aus  dem  XoiJtov,  dass  der  zweite  Hauptteil  nur 
noch  diese  eine  Unterabteilung  hat.  In  der  That  folgen  auch 
in  beiden  Texten  nur  noch  monophysitisch  klingende  Väterstellen, 
welche  von  Erklärungen  des  Verfassers  begleitet  werden,  die 
ihre  Unechtheit  oder  ihre  Unverfänglichkeit  darthun.  Nur  die 
Reihenfolge  dieser  Väterstellen  ist  eine  verschiedene.  Bei  Mansi 
folgen  zunächst  die  Citate  aus  den  nach  des  Verfassers  Ansicht  von 
den  Apollinaristen  gefälschten  Schriften  des  Athanasius,  Julius 
und  Gregorius  Thaumaturgos  (oben:  Abschnitt  3},  dann  lauter 
Cyrillcitate ,  deren  monophysitischen  Schein  der  Verfasser  zu  be- 
seitigen sich  bemüht  (oben:  Abschnitt  2  und  4'"^).  Bei  Migne 
werden  die  Cyrillcitate  vorangestellt,  welche  den  oben  abge- 
grenzten Abschnitt  2  füllen,  dann  folgen  die  apoUinaristischen 
Fälschungen  (oben:  Abschnitt  3),  diesen  wird  der  wenige  Zeilen 
umfassende  Abschnitt  4*,  ein  monophysitisch  klingendes  Citat 
aus  Gregor  von  Nyssa,  angehängt,  und  den  Schluss  macht  das 
den  Abschnitt  4  ^'^  bildende  Cyrillcitat  mit  den  zu  ihm  gehörigen 
Bemerkungen  des  Verfassers.  —  Sinnlos  ist  keine  der  beiden 
Anordnungen,  und  deshalb  ist  wohl  nicht  mit  völliger  Sicherheit 
gegen  den  Migne 'sehen  Text  zu  entscheiden,  der  sich  bis  jetzt 
als  der  bessere  erwiesen  hat.  Allein  wahrscheinlich  ist  doch, 
dass  in  diesem  die  Reihenfolge  gestört  ist.  Denn  dass  der  Ab- 
schnitt 4^"=  den  ganzen  Teil  abschliesst,  beweist  die  Überein- 
stimmung beider  Texte  und  mehr  noch  die  dem  Cyrillcitat  (4^) 
angefügte  Auseinandersetzung  des  Verfassers  (4^^).  Nun  ist  es 
aber  doch  gewiss  wahrscheinlicher,  dass  die  Citate  aus  Cyrill 
ursprünglich  alle  nebeneinander  gestanden  haben  wie  bei  Mansi, 
als  dass  schon  ursprünglich  die  apoUinaristischen  Fälschungen 
sich  so  zwischen  dieselben  eingeschoben  haben,  wie  es  im 
Migne 'sehen  Texte   der  Fall  ist.     Überdies  war   es  bei  weitem 


*)  Kai  TCtQL  jxhv  xovös  räöe.  Aoinov  Sh  löcüjuev,  olä  saziv  xal  a 
(fiaaiv  avTol  oacpwg  [iiav  (fvaiv  rov  xvqiov  X^yetv  xal  xac  Svo  dnayo- 
Qfviiv  (fvoeig  TtamfXwq  naxQixa  öoynaxa  (Migne,  1853A). 


§  13.     Die  Schrift  contra  Monophysitas.  Igj 

wirksamer,  den  Abschnitt  über  die  dicta  probantia  der  Mono- 
pliysiten  mit  der  Erörterung  jener  Fälschungen  zu  beginnen,  als 
mit  den  Citaten  aus  Cyrill,  deren  monophysitischer  Schein  den 
Orthodoxen  höchst  unangenehm  war.  Der  Abschnitt  4^  wäre 
dann  dem  dritten  unmittelbar  anzufügen;  von  Mansi  ist  er  wohl 
nur  ausgelassen,  weil  dem  Citat  an  sich  kein  Interesse  zukommt 
(vgl.  das  „argumentum",  Mansi,  p.  S23).  Wahrscheinlich  ist  also 
die  Reihenfolge  der  Abschnitte  ursprünglich  die  folgende  ge- 
wesen: 1.  3.  4*^.  2.  4'"='*.  5. 

Der  dritte  Hauptteil,  Abschnitt  5,  Migne,  col.  1S76D  — 
1902 A,  scheint  vollständig  erhalten  zu  sein.  Die  zurückgewie- 
senen monophysitischen  Argumente  sind  zunächst  Gründe  gegen 
das  Chalcedonense,  welche  der  Geschichte  desselben  entnommen 
sind  ( —  18S9A),  dann  folgt  die  Erörterung  dreier  Gründe  all- 
gemeinerer Art:  die  Monophysiten  werfen  der  Kirche  vor,  dass 
ihre  Bischofswahleu  {xsigoTOvlai)  vielfach  durch  Simonie  zu- 
stande gekommen  seien  (1889B — 1893  C),  berufen  sich  darauf, 
dass  sie  ihre  Überzeugung  festzuhalten,  sittlich  verpflichtet  seien 
(1893C— 1896B),  und  machen  endlich  (1S9()B  ff.)  die  bei  ihnen 
geschehenen  Wunder  als  göttliche  Bestätigung  ihrer  Lehre 
geltend. 

Ob  das  erhaltene  Stück  des  ersten  Hauptteiles,  die  63  ajto- 
(nat,  uns  den  Schluss  des  ersten  Hauptteiles  in  ursprünglicher 
Gestalt  aufbewahrt  hat,  darüber  ist  ein  Urteil,  wie  mir  scheint, 
unmöglich.  Der  gänzliche  Mangel  einer  erkennbaren  Disposition 
innerhalb  dieser  63  ajcoQiaL  und  die  mancherlei  Wiederholungen 
(vgl.  Nr.  4,  21  und  48;  5,  12  und  40;  17  und  26;  36  und  41;  16 
und  20;  22  und  61;  53  und  58)  erwecken  allerdings  den  Verdacht 
einer  Interpolation.  Da  aber  der  ganze  Abschnitt  nur  ein  An- 
hängsel zum  ersten  Hauptteile  ist,  so  darf  man  an  die  Disposi- 
tion nicht  die  strengsten  Anforderungen  stellen,  und  weiter  ist 
bei  Schriftstücken,  wie  diese  63  ajioQiai  es  sind,  schon  seit  dem 
sechsten  Jahrhundert  die  Abhängigkeit  von  Vorgängern  oft  eine 
so  grosse,  dass  auch  bei  nicht  interpolierten  Compositionen  oder 
Compilationen  der  Schein  entstehen  kann,  als  hätten  Interpola- 
tionen stattgefunden. 

Soviel  über  das  Verhältnis  des  vorliegenden  Textes  der  Schrift 
contra  Monophysitas  zum  ursprünglichen.  Wenden  wir  uns  nun 
zur  Verfasserfray;e. 


J82  Drittes  Capitel. 

Es  drängen  sich  inbezug  auf  diese  bei  näherer  Betrachtung 
der  Schrift  contra  Mouophysitas  zwei  verschiedenartige  Beob- 
achtungen mit  fast  gleicher  Stärke  auf:  die  Schrift  steht  offenbar 
in  Beziehung  zu  Leontius  von  Byzanz,  kann  aber  doch,  so  wie 
sie  jetzt  vorliegt,  nicht  von  ihm  herrühren. 

Um  das  Letztere  zu  beweisen,  kann  man  auch  hier  sich  auf 
die  Sprache  berufen.  Sie  hat  manche  Ähnlichkeit  mit  der  des 
Leontius,  unterscheidet  sich  aber  von  ihr  in  eben  dem  Masse,  in 
der  sie  der  Sprache  der  Bücher  adv.  Nestorianos  ähnelt.  Auch 
auf  die  Dispositionslosigkeit  und  auf  die  vielen  Wiederholungen 
in  den  63  ajcoQiai  kann  hingewiesen  werden.  Leontius  von  By- 
zanz schreibt  präciser,  geordneter,  inhaltsschwerer  als  der  Ver- 
fasser der  vorliegenden  Schrift  contra  Monophysitas. 

Doch  glücklicherweise  haben  wir  nicht  nötig,  diese  sprach- 
lichen Argumente,  die  schwer  unwiders])rechlich  zu  machen  sind, 
hier  besonders  in  den  Vordergrund  zu  schieben.  Denn  wir  haben 
ein  völlig  unanfechtbares  Argument  gegen  die  Abfassung  der 
vorliegenden  Schrift  contra  Monophysitas  durch  Leontius  von 
Byzanz,  dasjenige  nämlich,  das  aus  der  Abfassungszeit  der  Schrift 
contra  Monophysitas  sich  ergiebt. 

Fabricius  (Fabricius-Harles  VIII,  p.  318)  urteilte  frei- 
lich, der  Verfasser  unserer,  ihm  nur  aus  einem  Handschriften- 
katalog der  Palatina  und  aus  den  Mitteilungen  bei  Canisius 
(Canisius-Basnage  I,  p.  530  sq.)  bekannten  Schrift  müsse  ge- 
lebt haben  ,in  fine  saeculi  quiuti  aut  sexti  initio,  quia  postre- 
mam  omnium  synodum  laudat  Chalcedonensem".  Die  Thatsache, 
auf  der  dies  LTrteil  fusst,  ist  allerdings  unbestreitbar;  das  Concil 
von  553  wird  in  der  Schrift  contra  Monophysitas  nicht  erwähnt, 
das  Chalcedonense  steht  noch  im  Mittelpunkt  der  Discussion. 
Doch  der  Schluss,  den  Fabricius  aus  dieser  Thatsache  zog,  ist 
unrichtig.  Die  Erwähnung  der  'laxojßizcöv  aigsaig  (col.  1900  Clf) 
und  ihres  Begründers  Jacobus  (Baradaeüs,  Bischof  von  543—578, 
vgl.  Kleyn,  Jacobus  Baradaeüs.  Leiden  1882,  S.  53  und  88)  weist, 
da  Jacobus  Baradaeüs  hier  weit  eher  als  eine  Grösse  der  Ver- 
gangenheit erscheint,  denn  als  ein  Häretiker  der  Gegenwart, 
mindestens  in  die  beiden  letzten  Jahrzehnte  des  sechsten  Jahr- 
hunderts. Da  nun  andrerseits  bei  Erwähnung  der  Sarazenen  (col. 
1900)  vom  Islam  noch  nichts  verlautet,  auch  von  dem  mono- 
theletischeu  Streite  und  dem,  was  ihm  unmittelbar  vorhergieng, 


§  13.     Die  Schrift  contra  Monophysitas.  183 

sich  keine  Spur  zeigt,  so  ist  die  Schrift  contra  Monophysitas 
nach  ihren  Schkissausführungen  in  die  Zeit  zwischen  ca.  580  und 
[040  oder  vielmehr]  ca.  620  zu  setzen.  Dass  die  Schlussausfüh- 
rungen ein  späterer  Zusatz  seien,  ist  durch  nichts  nahe  gelegt, 
sie  zeigen  im  Gregenteil  entschieden  schriftstellerische  Verwandt- 
schaft mit  der  übrigen  Masse  der  Schrift,  insonderheit  z.  B.  mit 
den  Ausführungen  am  Eingang  des  zweites  Teiles  (col.  1S05;. 
Es  bestätigt  sich  auch  die  aus  dem  Schluss  gewonnene  Datierung 
noch  an  andern  Stellen  der  Schrift:  Severus  von  Antiochien  er- 
scheint z.  ß.  ISGSD  als  einer  der  jiaXaiöxtQOL  aiQSOLÜQ'/aL^  und 
die  Erwähnung  der  Franken  (1805  C)  und  der  Longobarden 
( lS9(iC)  pas.st,  obwohl  sie  allenfalls  auch  schon  in  Justinian's 
Zeit  erklärlich  wäre,  dennoch  entschieden  besser  in  die  Zeit  nach 
ca.  5h0.  Ist  demnach  als  sicher  anzunehmen,  dass  die  Schrift 
contra  Monophysitas  in  ihrer  jetzigen  Gestalt  nicht  vor  ca.  5S0 
entstanden  ist,  so  kann  nicht  Leontius  von  ßyzanz  ihr  Verfasser 
sein,  denn  dieser  kann,  wie  schon  oben  (S.  143)  in  anderem  Zu- 
sammenhange hervorgehoben  ist,  damals  nicht  mehr  litterarisch 
thätig  gewesen  sein. 

Diesem  Resultat  tritt  nun  aber,  wie  schon  bemerkt,  in  eigen- 
tümlicher Weise  die  Wahrnehmung  entgegen,  dass  zwischen  der 
Schrift  contra  Monophysitas  und  Leontius  von  Byzanz  enge  Be- 
ziehungen unzweifelhaft  bestehen.  Indem  ich  dies  ausführe,  habe 
ich  zunächst  auf  fünf  Punkte  die  Aufmerksamkeit  der  Leser  zu 
lenken. 

1;  Zunächst  ist  daran  zu  erinnern,  dass,  wie  schon  oben 
gezeigt  ist,  die  Schrift  contra  Monophysitas  wahrscheinlich  von 
demselben  Verfasser  herrührt,  wie  die  Bücher  adv.  Nestorianos. 
Da  diese  überarbeitet  worden  sind,  ist  der  leontianische  Ur- 
sprung ihrer  Grundschrift  allerdings  kein  zwingender  Beweis 
für  die  Herkunft  der  Schrift  contra  Monophysitas  von  Leontius, 
weil  nicht  mit  völliger  Sicherheit  nachgewiesen  werden  konnte, 
ass  schon  die  Grundschrift  der  Bücher  contra  Nestorianos  mit 
contra  Monophysitas  verbunden  Avar;  beachtenswert  aber  bleibt 
dies  Argument  dennoch. 

2)  Zweitens  ist  auch  hier  die  handschriftliche  Überschrift  rov 
jcavo6(pov  fiova/ov  AtovTiov  geltend  zu  machen.  Dass  dieselbe, 
wenn  andre  Gründe  für  die  Autorschaft  des  Leontius  von  Byzanz 
sprechen,  zur  Unterstützung  derselben  dienen  kann,  obwohl  der 


134  Drittes  Capitel. 

Mönch  Leontius  hier  als  Hierosolymitanus  bezeichnet  wird,  darauf 
ist  in  ähnlichem  Zubammeuhange  schon  oben  hingewiesen  (S.  171). 
Doch  darf  allerdings  nicht  verschwiegen  werden,  dass,  seit  die 
Bücher  adv.  Nestorianos  für  uns  als  eine  Bearbeitung  einer 
Schrift  des  Leontius  von  Byzanz  gelten,  die  Annahme,  ein  von 
Leontius  von  Byzanz  verschiedner  Leontius  von  Jerusalem  sei 
der  Bearbeiter  dieser  altern  Schrift,  etwas  von  Künstlichkeit 
verloren  hat.  Wollte  man  Ahnliches  für  die  Schrift  contra 
Monophysitas  annehmen,  so  würde  diese  Annahme  daran  eine 
Stütze  haben,  dass  in  der  That  der  Verfasser  der  vorliegenden 
Schrift  contra  Monophysitas  ein  Hierosolymitanus  gewesen  ist, 
wenigstens  in  der  Nähe  Jerusalems  gelebt  hat  (col.  lOOOA). 
Wenn  freilich  die  Herkunft  der  dann  anzunehmenden  Grund- 
schrift der  Schrift  contra  Monophysitas  von  Leontius  von  Byzanz 
mit  andern  Gründen  erwiesen  werden  könnte,  so  wäre  die  Ver- 
mutung, ein  Leontius  von  Jerusalem  sei  der  Überarbeiter  ge- 
wesen, auch  hier  eine  unnatürliche  Künstlichkeit. 

'^)  An  dritter  Stelle  ist  auf  die  enge  Gedankenverwandtschaft 
und  die  wesentliche  Gleichheit  des  dogmatischen  Standpunktes 
hinzuweisen,  welche  zwischen  den  Büchern  adv.  Nest,  et  Eut, 
der  Epilysis  und  den  triginta  capita  des  Leontius  von  Byzanz 
und  den  G3  djcoQiai  der  Schrift  contra  Monophysitas  zu  beob- 
achten ist.  Allerdings  erklärt  sich  ein  grosses  Mass  von  Ver- 
wandtschaft so  leicht  aus  der  Gleichheit  des  Stoffes,  dass  den 
meisten  Parallelen  beweisende  Kraft  nicht  zukommt.  Doch 
scheinen  mir  die  in  dem  folgenden  Parallelenverzeichnisse  durch 
den  Druck  hervorgehobenen  Parallelen  in  der  That  dafür  be- 
weisend, dass  der  Verfasser  der  63  ajcoQiai  entweder  mit  Leon- 
tius identisch  ist,  oder  eine  leontianische  Schrift  bearbeitete,  oder 
wenigstens  leontianische  Schriften,  wenn  auch  sehr  frei,  so  doch 
sehr  ausgiebig  benutzte.  Die  Parallelen  sind,  soweit  sie  mir  auf- 
gefallen sind,  folgende: 

Zu  djtoQia  1  vgl.  trig.  cap.  1  und  2,  adv.  Nest,  et  Eut.,  col. 
1293  A;  zu  2  vgl.  den  Gebrauch  der  auch  von  Johannes  Da- 
mascenus  benutzten  und  Dialect.,  c.  16  (Lequien  I,  p.  31)  er- 
läuterten Begriffe  ovvojvvf/og  und  of/ojvv/Mg  in  der  Epilysis, 
1921 C  und  1925AB:  zu  3  vgl  trig.  cap.  9  und  Epilysis 
1933  C:  zu  4  vgl.  adv.  Nest,  et  Eut.  1292  B;  zu  5  — ;  zu  6 
vgl.   adv.  Nest,   et  Eut.   1336 C;     zu  7   vgl.  trig.  cap.   26:    zu  8 


§   13.     Die  Schrift  contra  Monophysitas.  X85 

Vgl.  Epilj^si«  193GA:  zu  9  vgl.  adv.  Nest,  et  Eut.  1345D; 
zu  10*)  vgl.  Epilysis  1932  Äff.  und  adv.  Nest,  et  Eut.  1296Cff.; 
zu  11  — :  zu  12  -;  zu  13  vgl.  adv.  Nesi  et  Eut.  1289A: 
zu  14  — ;  zu  15  vgl.  trig.  cap.  30;  zu  16  vgl.  trig.  cap.  3; 
zu  17  vgl.  trig.  cap.  23;  zu  18  vgl.  trig.  cap.  24  und  25  und 
adv.  Nest,  et  Eut.  1288A— C;  zu  19  vgl.  trig.  cap.  19:  20  ist 
neben  16  nur  eine  Wiederholung;  zu  21  vgl.  trig.  cap.  27» 
adv.  Nest,  et  Eut.  1296A,  Epilysis  1928A;  zu  22  vgl.  Epi- 
lysis 19l7ff.  und  adv.  Nest,  et  Eut.  1292B:  zu  23  vgl.  adv. 
Nest,  et  Eut.  1277  C:  24  hängt  mit  23  eng  zusammen;  zu  25 
vgl.  trig.  cap.  22:  zu  26  vgl.  trig.  cap.  23:  zu  27  vgl.  trig,  cap. 
10;  zu  28  vgl.  trig.  cap.  10:  zu  29  — :  zu  30  vgl.  adv.  Nest. 
et  Eut.  1293AB;  zu  31—33  — :  zu  34  vgl.  die  bei  18  ange- 
führten Stellen:  über  35  siehe  Nr.  21:  zu  36  vgl.  ti-ig.  cap.  19; 
zu  37 — 41  sind  besondere  Parallelen  um  so  weniger  zu  bemerken, 
je  weniger  die  hier  ausgesprochenen  Gedanken  neben  den  früher 


*)  Diese  zehnte  aTiofjit:  hat  ein  besonderes  Interesse  nicht  nur,  weil 
gerade  hier  die  Parallelen  besonders  auffällig  sind,  sondern  auch  deshalb, 
weil  sie  zeigt,  dass  dem  tmvoit:  oder  Sttojijln  fiövjj  öiuxfjiri-iv  ein  ortho- 
doxer Sinn  untergeschoben  werden  kann  (vgl.  Anathem.  YH  gyn.  Const. 
ann.  hh'd ,  Mansi  IX,  p.  ;-J^l  und  oben  S.  47).  Da  der  griechische  Text 
nicht  leicht  schnell  zu  verstehen  ist,  lasse  ich  hier  eine  kürzende  Repro- 
duction  dieser  Nummer  folgen; 

Die,  welche  eine  Zweiheit  der  Naturen  nur  &7iivoln  anerkennen,  sind 
zu  fragen,  ob  sie  die  öiuffOQU  (fvaix?'j  des  Sichtbaren  und  Unsichtbaren 
auch  nur  tTiirota  sehen.  Wenn  sie  diese  öiatfO{>ä  nicht  i-Tcivoic.,  sondern 
alox^rjati  wahrzunehmen  behaupten,  dann  machen  sie  sich  des  Unsinns 
schuldig,  das  Unsichtbare  sinnlich  wahrnehmen  zu  wollen.  Lassen  sie 
aber  diese  dta(fO(^ici  auch  tnivoui  wahrgenommen  werden,  so  ist  zu  be- 
achten, dass  inivoiu  ein  Doppeltes  bedeutet.  'Etilvoiü  bezeichnet  näm- 
lich sowohl  die  auf  die  inneren  Beziehungen  des  Seienden  und  auf  das 
Übersinnliche  gerichtete  receptive  Thätigkeit  des  vorstellenden  Ver- 
standes {inlrota  c(?.tjx}i^q:  //  tcZv  ovtcov  XQixixri  xcd  rwv  vtiIq  aia^i]Oiv 
xuxuXr/nrix!]  inhouc),  als  auch  die  phantastisch  productive  Thätigkeit 
desselben  {tnlvoia  n'tv6r,q:  ij  zuir  fti)  oviojv  avan/.aoxtxij  knivoiu).  Unter- 
scheiden sie  nun  die  physische  Differenz  der  Naturen  und  die  Zweiheit 
derselben  mit  derselben  i-nlvoia,  so  ist  entweder  die  Zweiheit  ebenso 
wirklich  wie  die  Differenz,  oder  letztere  so  unwirklich  wie  die  Zweiheit. 
Unterscheiden  sie  aber  die  Difl'erenz  zwar  mit  der  iniroia  tü.rid^ijq,  die 
Zweiheit  aber  mit  der  tnlroicc  \ptv6i}q,  weshalb  bleibt  ihre  Einbildung, 
weshalb  bleiben  die  Väter  dann  bei  der  Zweiheit  der  Naturen  stehen, 
anstatt  von  3  oder  1()  oder  mehr  Naturen  zu  sprechen? 


jgß  Drittes  Capitel. 

entwickelten  wirklich  neu  sind,  \g\.  40  mit  12,  41  mit  36:  zu 
42  Tgl.  trig.  cap.  16:  7a\  43  vgl.  Epilysis  1936B.  Von  44— 
63  gilt  teils  das  zu  37—41  Bemerkte  —  vgl.  z.  B.  48  mit  4  und 
21,  53  mit  10,  58  mit  53  und  10,  59  mit  42  und  63,  61  mit  22 
— .  teils  finden  sich  hier  z.  B.  in  Nr.  46,  49  und  50  Gedanken, 
deren  Form  ich  sonst  bei  Leontius  nicht  nachweisen  kann. 

4)  Ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  hei  den  col.  1817  C  ff. 
folgenden  patristischen  Citaten.  Unter  den  hier  benutzten  Schrift- 
stellern sind  nur  wenige,  die  nicht  auch  adv.  Nest,  et  Eut.  citiert 
werden,  mehrfach  sind  auch  die  Citate  selbst  ganz  oder  teil- 
weise identisch.  Auch  hier  stehen  wir  daher  vor  dem  Trilemma-* 
entweder  ist  Leontius  von  Byzanz  der  Verfasser  der  Schrift 
contra  Monophysitas,  oder  der  Verfasser  der  vorliegenden  Schrift 
contra  Monophysitas  bearbeitete  eine  leontianische  Grundlage, 
oder  endlich  er  schrieb  in  sehr  weit  gehender  Weise  den  Leon- 
tius aus.  Das  Nähere  über  das  Verhältnis  der  patristischen  Ci- 
tate in  contra  Monophysitas  zu  denen  in  adv.  Nest,  et  Eut.  (im 
lat.  Text  bei  Canisius-Basnage  1)  mag  die  folgende  Aufzäh- 
lung der  contra  Monophysitas  citierten  Väter  ausweisen.  Die 
Namen  der  auch  adv.  Nest,  et  Eut.  citierten  Schriftsteller  (vgl. 
den  Index  derselben  bei  Fabricius-Harles  VIII,  p.  314  sqq.*)) 
sind  gesperrt  gedruckt,  die  Übereinstimmung  in  den  Citaten  selbst 
ist  in  Klammern  angegeben.  Vollständigkeit  der  Angaben  habe 
ich  angestrebt,   aber  nicht  ängstlich    controliert. 

Ambrosius  (von  9**)  Citaten  5  auch  adv.  Nest,  et  Eut., 
vgL  contra  Monoph.,  col.  1825  D  und  adv.  Nest,  et  Eut.  bei 
Canisius-Basnage  I,  p.  553:  1837A  und  ibid.;  1837B  und 
ibid.:  1837  C  und  ibid.;  1837C  und  552)  —  Amphilochius 
(von  3  Citaten  2,  beide  1837  C,  auch  adv.  Nest,  et  Eut.  553) 
—  Amphilochius  Sidensis,  ein  Monophysit,  den  anzuführen  adv. 
Nest,  et  Eut.  jede  Veranlassung  fehlte:    hier   1841B   findet  sich 

*)  In  diesem  Index  ist  jedoch  auch  die  Schrift  adv.  fraudes  mit  be- 
rücksichtigt. 

**)  Die  Zahl  der  Citate  ist  im  Folgenden  oft  schlecht  anzugeben, 
weil  man  oft  zweifelhaft  sein  muss,  ob  zwei  Citate,  die  durch  ein  /ueza 
ß()cr/ta  xov  avxov  oder  dergleichen  verbunden  sind,  als  ein  Citat  oder 
als  zwei  angesehen  werden  müssen.  In  der  Regel  sind  Citate  derart  im 
Folgenden  als  eines  gerechnet.  Streng  durchführbar  aber  ist  das  aus 
verschiedenen  Gründen  nicht. 


§  13.     Die  Schrift  contra  Monophysitas.  187 

ein  kurzes  Citat  ans  einem  sonst  imbekannten  Brief  desselben  — 
Athanasius  (von  4  Citaten  eines.  1S17C,  anscheinend  z.T.  iden- 
tisch mit  adv.  Xest.  et  Eui.  550)  —  Augustin  (das  1837D  be- 
tindliche  einzige  Citat  ebenso  adv.  Xest.  et  Eut.  554)  —  Basilius 
(von  ihm  drei  adv.  Nest  et  Eut.  nicht  vorkommende  Citat e)  — 
Cyrillus  Alexandrinus  (von  mehr  als  37  [s.  die  Anmerkung 
S.  186]  Citaten  nur  3  adv.  Xest.  et  Eut.  nachweisbar:  1S23D  und 
1829  A  auf  p.  559,  1840B  auf  p.  556)—  Cyrillus  Hierosolymi- 
tanus  ('1836A  ein  Citat.  verschieden  von  dem  einzigen  in  adv.  X'^est. 
et  Eut.)  —  Ephraem  Syrus  (JS28C  ein  Citat  ans  demselben 
Buch,  aus  dem  adv.  Nest,  et  Eut.  554  ein  Citat  entnommen  ist)  — 
Eusthatius  Antiochenus  —  Flavianus  Antiochenus  (1840 A 
zwei  Citate,  die  auch  adv.  Nest,  et  Eut.  555  sich  finden)  —  Fla- 
vianus Constantinopolitanns  (1844  C  und  1885DfP.  aus  seinem 
Glaubensbekenntnis) —  Gregor  ins  Nazianzenus  (8  Citate,  von 
denen  5,  nämlich  1818C,  1820AB,  1S20D,  1821  B  und  1S21C 
adv.  Nest,  et  Eut.  551,  548,  551,  551,  551  gleichfalls  an- 
geführt sind)  —  Gregor  ins  Nyssenus  (6  Citate,  von  denen 
zwei,  1821D  und  1833  D.  adv.  Nest,  et  Eut.  551  und  552  ihre 
Parallelen  haben)  —  Gregorius  Thaumaturgos  {y.axa  [ligoq  Jciorig: 
über  diese  und  die  andern  apollinaristischen  Fälschungen  siehe 
unten  S.  191  f.)  —  Hilarius  (1836D  zwei  auch  adv.  Nest, 
et  Evit.  552  vorkommende  Citate)  —  Hippolyt  (1836 C  ein  auch 
adv.  X'^est.  et  Eut.  550  nachweisbares  Citat)  —  Johannes  Cliry- 
sostomus  (4  Citate,  von  denen  in  adv.  Xest.  et  Eut.  verschieden 
—  Isidorus  Pelusiota  (col.  1828,  1836  und  1840  drei  auch  adv. 
Xest.  et  Eut.  555  beigebrachte  Citate)  —  Julius  Romanus 
lieben  3  Citaten,  die  als  apollinaristisch  bezeichnet  werden,  1828A 
eines,  das  adv.  Xest.  et  Eut.  552  unter  derselben  auf  Entlehnung 
von  Cyrill  hinweisenden  Überschrift  gebracht  wird)  —  Justinus 
Apologeta  (1825  CD  ein  Sammelcitat,  das  adv.  Xest.  et  Eut. 
549  seine  Parallelen  hat)  —  Leo  Romanus  —  Paulus  Enie- 
senus  (1828D  ein  Citat,  das  adv.  Xest.  et  Eut.  557  nebst  einem 
andern  mit  ganz  ähnlicher  weitläufiger  Einführungsformel  sich 
findet)  —  Petrus  Alexandriuus  (col.  1836  ein  Citat,  das  auch 
adv.  Xest.  et  Eut.  550  sich  findet  —  Polemo  Apollinarista 
(1864C)  —  Proclus  Constantinopolitanns  '1836B  und  C 
zwei  Citate,  die  auch  adv.  Xe.st.  et  Eut.  548  und  555  vor- 
kommen)  —   Severianus  Gabalae   (ein   adv.    Nest,  et  Eut.    nicht 


188  Drittes  Capitel. 

nachweisbares  Citat  1S36B)  —  Silvester  Romanus  (lbo6BC  ein 
adv.  Nest,  et  Eut.  nicht  vorkommendes  Citat)  —  Severus  An- 
tiochenus  (ca.  12  Citate:  diesen  Häretiker  zu  citieren,  fehlte  adv. 
Nest,  et  Eut.  die  Veranlassung)  —  Timotheus  Aelurus  (ein 
Citat,  vgl.  das  eben  über  Severus  Gesagte)  —  Theodotus  Anti- 
ochenus  (1836A  ein  Citat,  das  adv.  Nest,  et  Eut.  keine  Paral- 
lele hat). 

•  5)  Entscheidend  für  die  Beurteilung  der  Schrift  contra  Mono- 
physitas  ist  das  Verhältnis  derselben  zu  der  Schrift  de  sectis. 
Drei  Hauptteile,  so  sahen  wir  oben  (S.  178),  umfasst  die  Schrift 
contra  Monophysitas,  deren  erster,  unvollständig  erhaltener,  den 
ajcoöeixTixolg  lxix^LQrj[ia6i  der  Monophysiten  entgegentrat,  wäh- 
rend der  zweite  gegenüber  den  yQacpLXOlg  und  jtarQixolg  fiagrv- 
(>/jfiaOL  derselben  die  Sache  der  Orthodoxie  verteidigte,  und  der 
dritte  auf  andre,  zumeist  historische  Gründe  eingieng,  durch  welche 
die  Monophysiten  ihre  Trennung  von  der  Kirche  zu  rechtfertigen 
versuchten.  Ganz  dieselbe  Disposition  fanden  wir  (vgl.  oben 
S.  138)  in  de  sectis  Actio  VI,  VlI  und  VIII,  vgl.  Actio  VI  init. 
col.  1233B:  Msza  ra  slgrjfi^va  g}eQ£  xccl  jregl  £:jnxsiQ?]iiccT03V 
XLvmv^  ä:jt£Q  xou'cög  jiQog  rf/v  exxX/]Oiav  lijovoi  jcävxeg  ol 
öiaxQivofnvot,  f/ixQcc  öiaXäßcof/ev.  JiD.contv  6e  avta  xQijTiy 
hjiEiöri  To.  n\v  avrcöv  löroQixa  sIülv,  Ix  xmv  TtQax^'oinmv  xij 
Iv  Xalxrjöövi  ovvoöcp  Xa^ißai^ofiEva ,  ra  öh  axo  üvk^^oyiOficöp 
xal  jtsQivolag,  xa  rJe  axo  yjQriö^anK  Dieser  Disposition  ent- 
sprechend antwortet  Actio  VI  auf  die  icxoQixa  hxLX^iQWaxa^ 
Actio  VII  auf  die  IxixtiQy'llioixa  axo  6vXXoyi6fio5v,  Actio  VIII 
auf  die  txLX£iQ>]^ictxa  axo  yQ/joscov.  Schon  diese  Übereinstim- 
mung in  der  Disposition  weist  auf  Identität  der  Verfasser  oder 
auf  ein  Abhängigkeitsverhältnis  zwischen  beiden  Schriften.  Dass 
die  Schrift  contra  Monophysitas  von  de  sectis  abhängig  sei,  oder 
umgekehrt,  ist,  da  beide  Schriften  ungefähr  gleichzeitig  sind, 
unwahrscheinlich.  Nun  haben  wir  aber  oben  (S.  162)  gesehen, 
dass  in  de  sectis  Actio  VI  und  VII  die  Vorlage  der  Schrift 
de  sectis,  die  Oyaha  Atovxlov,  besonders  deutlich  durchklingen. 
Es  muss  daher  bei  der  eingehenderen  Untersuchung  da,  wo  wir 
über  den  Text  de  sectis  hinaus  auf  die  öyölia  Asovxiov  zurück- 
greifen können,  auch  deren  Text  zur  Vergleichung  mit  contra 
Monophysitas  herangezogen  werden. 

Inbezug  auf  den  ersten  Hauptteil  der  Schrift  contra  Mo- 


§  13.     Die  Schrift  contra  Monophysitas.  1S9 

nophysitas  ist,  wenigstens  bis  jetzt,  die  Möglichkeit  einer  nähern 
Vergleichung  nicht  gegeben,  da  von  demselben  nur  ein  An- 
hängsel, die  63  axogiai^  erhalten  sind  (vgl.  jedoch  §  14). 

Dem  zweiten  Hauptteil  der  Schrift  contra  Monophysitas 
(col.  1804D — 1S76C),  über  dessen  ursprüngliche  Anordnung  das 
oben  (S.  179  ff.)  Gesagte  zu  vergleichen  ist,  entspricht  de  sectis 
Actio  VIII.  Den  hier  bearbeiteten  Text  der  oyölia  kennen  wir 
nicht,  wir  sind  deshalb  auf*  den  Text  de  sectis  angewiesen.  Die 
Disposition  dieser  Actio  VIII  ist  folgende: 

Von  den  Gründen,  welche  die  Monophysiten  anführen,  r« 
li^v  (I)  eioir  acp  cov  ovx  sijisv  fj  Ovvoöog'  rä  6h  (II)  jraga- 
(phQovOi  JiQOQ  Jtiöriv  rov  olxeiov  öoyfiarog'  ra  de  (III)  «95  cov 
eijtsr  (Migne,  86,  col.  1252B). 

Ad  I  werden  3  von  den  Vätern  gebrauchte  termini  genannt, 
deren  Erwähnung  durch  die  Synode  zu  Chalcedon  die  Monophy- 
siten vermissen,  nämlich 

1.  der  terminus  xad-    vjtöoraüiv  tvcooig, 

2.  der  terminus  fiia  cpvOig  rov  ß-eov  PMyov  OEöaQXcofitvr], 

3.  der  terminus  tx  ovo  <pv6^ow. 

Nur  inbezug  auf  1,  wird  1252CD  einiges  bemerkt,  sodann 
folgt  gleich  der  Übergang  zum  Zweiten. 

Ad  II  wird  gesagt,  dass  die  Monophysiten  igriCug  Jiollag 
jiaQacpiQovot,  besprochen  aber  wird  nur 

1.  col.  1252D— 12530  das  cyrillische  fiia  (pvtjiq  xov  d-wv  Xoyov 
6E0aQxco[iiin].  Von  hier  wird  mit  dem  Satze:  jiQcöxoq  tr 
OQ&oöo^oic  zö  .f-tlav  (pvöLV  T.  {}■.  1.  ö."  ujii.v  6  äyiog  KvqlX- 
Xog'  kv  OQ&^o66§.oiQ  de  Hjüofjsv,  sjcsiö?)  'AjioXXwccQiog  JtoX- 
laxig  hXsys  tovto,  der  Übergang  gemacht  zu  den  apolli- 
naristischen  Fälschungen,  von  denen  dann  zunächst 

2,  col.  1253D  — 12566  ein  Fragment  aus  Pseudo- Julius  ad 
Dionysium  mitgeteilt  und  als  ap ollin aristisch  in  Anspruch 
genommen  wird,  weil 

a)  überhaupt  Julius   nichts   geschrieben  habe   {ovÖev  (ptQtrai 
rov  ftaxagiov  Iovl'iov\ 

b)  weil  der  dogmatische  Sprachgebrauch  der  ep.  ad  Dionysium 
auf  Apollinarios  weise, 

c)  weil  Gregor  von  Nyssa  offenbar  Stellen  aus  diesem  Briefe 
als  apollinaristisch  bekämpfe, 


190  Drittes  Capitel. 

d)  weil  die  Behauptung,  dieser  Brief  sei  in  Ephesus  von  Cv- 
rill  citiert,  eine  Lüge  sei.    Dort  werde  ein  andrer  unechter 
Juliusbrief  citiert*),  dessen  eigentlicher  Verfasser  der  Apol- 
lin ar  ist  Tiraotheus  sei. 
[\.  col.  125{5B   folgt  ein  ganz   kurzes   Citat   aus   der  xata  fieQog 

jiiOrtg,  die  dem  Gregorius  Thaumaturgos  zugeschrieben  wird. 

Für  ihre  Unechtlieit  wird  geltend  gemacht: 

a)  ort  auff6ßh'/{^7/  jr«()«  rolg  jcalaiortgoLq. 

b)  der  Umstand,  dass  Gregor  von  Nyssa  berichte,  fiijöh^  ovy- 
YQafifia  (ptQ&o{)-ai  avzov  (seil.  Gregorü  Thaum.),  sl  ///} 
l-iovrjv  T?]v  jtiüTiv,  rjv  y.axa  oxxacAav  at^ez^.  **) 

4,  col.  1256C — 1257B  wird  ein  Citat  aus  dem  pseudoathanasiani- 
schen  loyog  jcegl  oaQxojOscog  mitgeteilt,  und  bezüglich  des- 
selben behauptet, 

a)  dass  es  orthodox  interpretiert  werden  könne, 

b)  dass  es  unecht  sei,  weil  es  in  den  gesammelten  Werken 
des  Athanasius  nicht  stehe,  sondern  separat  cursiere  in 
jenem  kleinen  loyog  ,,cog  ovo  (pvllcov'"y 

c)  dass  die  Erwcähnung  des  Wortes  als  athanasianisch  bei 
Cyrill  contra  Theodorum  alte  Interpolation  sei.  Hiermit 
schliesst  nach  kurzsilbiger  Beiseitschiebung  eines  Erechtius- 
citates  [siehe  dasselbe  bei  Mai,  Script,  vet.  nov.  coli.  VII, 
p.  165]  der  zw^eite  Teil. 

Ad  III  bringt  Actio  IX  nur  eine  angegriffene  Äusserung 
der  Synode  von  Chalcedon ,  der  die  Monophysiten  (vgl.  unten 
§  14  im  Anfang)  den  Vorwurf  gemacht  haben  müssen:  T£T()ad« 
öoB,aC,BL. 

Diesem  letzten  Abschnitt  fehlt  in  contra  Monophysitas  die 
Parallele.  Dass  aber  zwischen  den  beiden  ersten  Abschnitten, 
namentlich  dem  zweiten,  und  contra  Monophysitas  eine  enge 
Verwandtschaft  besteht,  wird  am  besten  eine  Übersicht  über  die 
Disposition  des  parallelen  Abschnittes  in  contra  Monophysitas 
zeigen : 

Der  zweite  Hauptteil  der  Schrift   contra  Monophysitas  will 


*)  Die  ep.  ad  Prosdocium  nämlich,  die  oben  S.  84,  Anm.  unter  Nr.  2 
genannt  ist,  vgl.  Mansi  IV,  p.  1188. 

*■*■)  Leontius  von  ßyzanz  kennt  (adv.  Nest,  et  Eut.  1377  C)  auch  den 
Panegyricus  auf  Origenes  als  Werk  des  Gregorius  Thaumaturgos. 


§  l.H.    Die  Schrift  contra  Moncphysitas.  |91 

der  Behauptung  entgegentreten,  dass  die  Zeugnisse  [der  Schrift 
—  dies  tritt  fast  ganz  zurück  —  und]  der  Väter  für  den  Mono- 
physitismus  und  gegen  das  Ir  ovo  q)voeoiv  sprächen.  Er  zerfällt 
in  zwei  Unterabteilungen. 

I.  In  der  ersten  derselben  (1804  D  — 1849  C)  wird  gezeigt, 
dass  das  sv  ovo  (pvOtOLV  nicht  traditionslos  sei,  es  wird  deshalb 

1,  das  .athanasianische"  *)  nia  q)VOLQ  rov  &eov  )Myov  dyophv- 
sitisch  erläutert  (col.  1S04D — 1817B;.  darauf 

2,  eine  lange  Reihe  patristischer  Citate  gebracht  (1817  C— 1849  C,, 
orthodoxer  wie  monophvsitischer,  welche  beweisen  sollen,  dass 
nicht  etwa  nur  das  Ix  ovo  (pvotcor ,  sondern  die  Annahme 
zweier  Xaturen  iitTO.  tyiv  tvcooir  die  Tradition  für  sich  habe. 
Sodann  beginnt 

II,  nach  einleitenden  Worten  (1S49C  — 1853  A)  die  zweite 
Unterabteilung  (1853  A — 1876  C,  4,  und  zwar  wahrscheinlich 
(vgl.  oben  S.  180f.)  so,  dass  erst  1864A— 1S76B,  6.  dann  1853 A 
— 1864A,  endlich  1876B.  7  —  C,  4  folgte.  Es  werden,  wenn 
diese  Annahme  hinsichtlich  der  ursprünglichen  Reihenfolge  rich- 
tig ist,  zunächst  die  apollinaristischen  Fälschungen  besprochen, 
und  zwar 

1,  1864  A — 1865A  ein  Fragment  aus  dem  angeblich  athanasiani- 
schen  löyoq  jtsqI  oaQxojOECog.  Das  mitgeteilte  Bruchstück  ist 
mit  dem  de  sectis  citierten  identisch.  Ausgeführt  wird  so- 
dann, 

a)  dass  diese  XQr/oig  orthodox  interpretiert  werden  könne, 

b)  jedoch  apollinaristisch  sei,  wie  dies  «)  die  Kirchenge- 
schichte des  Apollinaristen  Timotheus,  ß)  ein  Citat  des  Apol- 
linaristen Polemon  beweise, 

c)  dass  Cyrill,  indem  er  die  betr.  /Q^jOig  als  athanasianisch 
eitlere,  sie   orthodox  verstehe; 


*)  Da  es  für  das  Folgende  von  Bedeutung  ist,  festzustellen,  dass 
contra  Moncphysitas  1804 Dfi'.  das  (xicc  (piaiq  rov  Ssov  ?.6yov  als  athana- 
sianisch gilt,  ist  es  wichtig,  den  Abschnitt  1805 D,  Z.  11  ff.  recht  zu  ver- 
stehen. Wenn  jeder  neue  Terminus  seiner  Neuheit  wegen  verwerflich 
wäre,  sagt  hier  der  Verfasser,  so  würden  wir  auch  das  athanasianische 
/ula  (fioiq  y.z'/..  nicht  annehmen  können,  denn  vor  Athanasius  ist  dieser 
Terminus  nicht  gebraucht. 


192  Drittes  Capitel. 

2,  a)  col.  1865  B — D  iiii.  ein  Fragment  aus  dem  vierten  der  oben 

S.  84  genannten  Juliusbriefe  '=Lagarde.  a.  a.  0..  S.  119. 
31 — 37).     Die  Unechtheit  wird  behauptet 
a)   weil  die  Römer  von  diesem  Brief  nichts  wüssten, 
ß)   weil   .Johannes  von  Scytbopolis  das    aus   diesem  Brief 
entnommene    dictum    probans   bei    Apollinarios    gefun- 
den habe, 
/)    aus  dogmatischen  Gründen: 

b)  col.  1S6SA  -  1873  B  drei  Fragmente  aus  dem  angeblichen 
Juliusbrief  an  Dionysius.  deren  mittleres  das  de  sectis 
mitgeteilte  Bruchstück  in  sich  fasst.  Für  die  Unechtheit 
dieses  Briefes  wird  geltend  gemacht 

a)   der   Umstand,    dass    dem    Dioscur    und    Severus,    kurz 

den  altern  Häresiarchen,  der  Brief  unbekannt  sei, 
ß)   die  dogmatische  Anschauung  des  Briefes; 

c)  col.  1873  BC  dasselbe  Citat  aus  dem  vierten  der  oben 
S.  84  genannten  Juliusbriefe,  das  schon  col.  1865  B  (siehe 
oben  2a)  besprochen  ist  (vgl.  oben  S.  176,  Anm.  2).  Der 
apollinaristische  Ursprung  wird  hier  unter  Hinweis  auf 
den  Inhalt  kurz  behauptet. 

3,  col.  1873C  — 1876 A  ein  Stück  aus  der  yMza  ^tQOc  jclortg. 
in  dem  auch  der  de  sectis  mitgeteilte  Satz  sich  befindet. 
Zur  Beurteilung  desselben  wird  behauptet 

a)  anffißä-lXerai  Xiav  rj  yQfjoig  rjöe, 

b)  sie  könnte  orthodox  verstanden  werden. 

Darauf  folgen  dann  nach  Besprechung  dieser  apoUinaristi- 
schen  Fälschungen  viele  mouophysitisch  klingende  Citate  vor- 
nehmlich aus  Cyrill  (col.  1&76A—B,  1853 A— 1864 A  und  1876BC  . 
deren  orthodoxer  Sinn  nachgewiesen  wird.  Soviel  von  dem 
zweiten  Hauptteil  der  Schrift  contra  Monophysitas. 

Für  den  dritten  Hauptteil,  1876D— 1902A,  haben  wir 
zur  Vergleichung  nicht  nur  den  Text  der  Actio  YI  de  sectis, 
sondern  auch  das  ihm  zugrundeliegende  Stück  der  ayölia  (s. 
oben  S.  153£F.).  Man  erkennt  sofort,  dass  alles  das,  was  dem  Text 
de  sectis  eigentümlich  ist  gegenüber  dem  Text  der  oyölia^  in 
contra  Monophysitas  keine  Parallele  hat.  Es  braucht  also  nur 
das  Fragment  der  oyöXia  mit  dem  betreffenden  Abschnitt  in 
contra  Monophysitas  verglichen  zu  werden.    Hier  wie  dort  finden 


t;  13.     Die  Schrift  contra  Monophysitas.  ■jQ^ 

wir  eine  Apologie  des  Chalcedonensischen  Concils,  doch  fällt  in 
contra  Monophysitas  vieles  über  den  Rahmen  des  kurzen  Frag- 
ments hinaus.  In  dem  Fragmente  werden  nur  drei  Einwendungen 
gegen  das  Chalcedonense  besprochen:  l.  ol  Iv  Xa/.y.tj6övi  ovvay- 
iVeVrfc  xaXi[ißovkoL  rjoav  xal  aX2.6y.orot,  2)  d  ov  Öut  jüotlv 
7ca&t]Qt{hj  JiooxoQog,  zi  jjfj  ötyeods  avrov.  3)  aiQbxi'/Covq  idt- 
c,aro  Tj  ovi'odoc^  —  in  contra  Monophysitas  aber  werden  etwa  9 
weit  mehr  inemander  übergehende  Vorwürfe  der  Monophysiten 
widerlegt.  Keine  der  3  Einwendungen  des  Fragments  findet  sich 
wörtlich  avich  contra  Monophysitas,  höchstens  die  zweite,  denn 
die  monophysitische  Frage  1884  C  {jccog  ovv  avrij  i)  ovvodog 
iff}/  Ai(HjxoQOi>  f(r  dia  ööyy.a  xai/^eyovra  [sie!  vielleicht  aus  xa- 
irsXovTU  corrumpiert:  statt  dieses  Activs  wäre  xadaiQtO-tvxa  zu 
lesen.]"  äXl  ort  xXijd^elg  ovy  vjttjxovOE;}  und  ihre  Beantwortung 
ist  nicht  nur  sachlich  mit  jenem  zweiten  Einwand  und  seiner 
Widerlegung  aufs  engste  verwandt,  sondern  zeigt  auch  verein- 
zelte wörtliche  Anklänge.  Der  erste  und  dritte  Einwand  haben 
aber  keine  Parallelen.  Der  Vorwurf  der  Wankelmütigkeit,  im 
Fragment  der  erste,  wird  gar  nicht  ausgesprochen,  und  des  Ibas 
und  Theodoret,  von  welchen  der  dritte  Einwand  handelt,  wird 
gar  nicht  gedacht,  —  erklärlicherweise,  denn  die  Schrift  contra 
Monophysitas  in  ibrer  vorliegenden  Gestalt  ist  nach  der  Verur- 
teilung der  drei  Capitel  geschrieben.  Um  so  beachtenswerter  ist 
es,  dass  in  den  beiden  zusammengehörigen  Abschnitten  contra 
Monophysitas  1877B— ISSüB  und  1880 B— 1881  C,  welche  sach- 
lich verwandten  Einwendungen  begegnen  —  den  Einwendungen 
nämlich,  dass  f/oav  XLVtg  tv  x/]  övvoöco,  ot  ttpcogäd^y^Oav  Neo- 
TOQicp  JcaXai  jcQOöxdfnvoi,  und:  d  oXcng  fitgog  loyt  rptxxov,  xo 
oXov  XoiJiov  aööxiiwv  XQivtxaL  —  diejenigen  Gedanken  der  bei- 
den in  Rede  stehenden  Abschnitte  des  Fragments  wiederkehren, 
welche  aus  dem  Rahmen,  dem  sie  eingefügt  sind,  lösbar  waren. 
Wer  sähe  sich  nicht  bei  dem  Satze  des  Fragments:  JcX7]v  sl  xal 
Jttvxe  7  xal  jiXtiovg  //  xal  xQiäxovxa  äiio  xcöv  yX'  kq^cirrjOav 
jiaXifißovXoi  xxX.  (oben  S.  154)  an  Abraham's  Bitten  für  Sodom  er- 
innert? In  contra  Monophysitas,  col.  1877B,  wird  ausdrücklich 
darauf  hingewiesen,  jtcög  Jttvxs  öixaUov  tvtxa  xal  2.'6dofta  kOcö- 
C.txo,  und  dass  daher  unmöglich  wegen  zweier  oder  dreier  Ketzer 
o  Xaog  o  aytog  xov  rmv  y).  h(>axsi\uaxog  verwerflich  sein  könne. 
Und  wie  im  Fragment  bei  der  Erörterung  de.'^  dritten  Vorwurfs  ge- 

Texte  u.  UnterBUchuiißeii.  III,   1.  IJ^ 


194  Drittes  Capitel. 

sagt  wird:  löov  /«()  xal  i)  Iv  NiTcaia  tdi^aTo  Lirra  aiQSTixovc;  xal 
JCQO  TOVTov  agsiarovg  xal  fitta  xavxa  tJrtitelvavTag  rij  aiQtou, 
xal  ov  dta  xovxo  X^ysxai  ij  övvoöog  xcöv  xia  alla  xcöv  xifj 
(oben  S.  160),  so  lieisst  es  ähnlich,  contra  Monophys.  1880  C: 
7j  ayvoslxs,  6xc  xal  xmv  Iv  Nixala  xirj  üiaxkQcov  xovg  dexa 
xal  hxxa  (poßm  xTJg  xa&atQtüscog  vjityQaipav  xaxä  Agdov^  ot 
xal  exoXtfit](jav  öttrcög  tiExa  xavxa  xov  [^leyav  Ad-aväöiov;  xal 
ov  jiagä  xovxo  fj  ovvoöog  oltj  diaßäXXhxai.  —  Für  die  weite- 
ren in  contra  Monophysitas  besprochenen  Vorwürfe  würde  man 
vielleicht  Parallelen  finden,  wenn  wir  die  öjöXia  Asorxiov 
selbst  noch  besässen,  denn  aus  Actio  VI  de  sectis  ist  nicht  zu 
schliessen,  dass  die  in  unserm  Fragment  erörterte  Sache,  da, 
wo  unser  Fragment  aufhört,  das  Ende  ihrer  Behandlung  ge- 
funden hätte. 

Die  Darlegung  des  Thatbestaudes  der  zwischen  contra  Mo- 
nophysitas und  de  sectis  bestehenden  Beziehungen  hat  lange  ge- 
dauert; es  wird  nun  Zeit,  dass  wir  fragen,  was  aus  ihm  folgt. 
Ich  verbinde  die  Beantwortung  dieser  Frage  mit  einer  Zusam- 
menfassung alles  dessen,  was  bis  jetzt  explicite  und  implicite 
inbezug  auf  die  Herkunft  der  Schrift  contra  Monophysitas  aus- 
geführt ist: 

1.  Da  nicht  wenige  Gründe,  nämlich  a)  der  Zusammenhang 
zwischen  contra  Monophysitas  und  adv.  Nestorianos,  b)  der  hand- 
schriftliche Titel  der  Schrift  contra  Monophysitas,  c)  und  d)  die 
Verwandtschaft  der  63  ajiOQiaL  und  der  XQ^jOug  in  contra  Mono- 
physitas mit  den  Werken  des  Leontias  von  Byzanz,  e)  die  auf- 
fälligen Berührungen  zwischen  contra  Monophysitas  und  de  sectis, 
bezw.  der  leontianischen  Grundlage  dieser  Schrift,  dafür  sprechen, 
dass  Leontius  von  Byzanz  der  Verfasser  der  Schrift  contra  Mo- 
nophysitas sei,  andre  gewichtige  Gründe  aber,  nämlich  a)  die 
Sprache  der  Schrift  und  b)  ihre  Abfassungszeit,  die  Herkunft  der 
vorliegenden  Schrift  contra  Monophysitas  von  Leontius  von  By- 
zanz unmöglich  machen:  so  muss  die  Schrift  contra  Monophy- 
sitas eine  Bearbeitung  einer  leontianischen  Schrift  sein. 

2.  Dafür  spricht  auch,  dass  von  der  mit  contra  Monophysitas 
eng  verbundenen  Schrift  contra  Nestorianos  eben  dasselbe  min- 
destens als  sehr  wahrscheinlich  gelten  musste  (vgl.  oben  S.  174  f.). 

3.  Dass  die  Schrift  contra  Monophysitas  eine  Bearbeitung 
einer  altern  Schrift  ist,  das  zeigt  sich  auch  darin,  dass  in  der- 


§  13.     Die  Schrift  contra  Monophysita?.  195 

selben  trotz  ihrer  Abfassung  nach  553   das  Chalcedonense  noch, 
im  Mittelpunkt  der  Discussion  steht. 

4.  Zweifellos  deutlich  ergiebt  sich  dasselbe  daraus,  dass 
innerhalb  der  Schrift  contra  Monophysitas  an  einzelnen  Stellen 
deutlich  Vorlage  und  spätere  Bearbeitung  zu  unterscheiden  sind. 
Am  deutlichsten  ist  dies  1805 D  und  IS64AB.  Wenn  an  letzte- 
rer Stelle  der  apollinaristische  Ursprung  der  '/iQ^]Giq\  {da  cpvöi^ 
rov  i)-£Ov  Xöyov  xtX.  behauptet,  an  ersterer  aber  ihre  Herkunft 
von  Athanasius  festgehalten  wird  (vgl.  oben  S.  191  Aum.\  so 
wird  offenbar,  dass  18U5D  dem  Verfasser  des  vorliegenden  Textes 
ungehört,  während  1864  AB  eine  Vorlage  im  Hintergrunde  steht. 

5.  Ein  unanfechtbares  Argument  dafür,  dass  die  Schrift 
contra  Monophysitas  eine  Bearbeitung  einer  altern  Schrift  ist, 
sind  ferner  die  Doubletten,  die  in  ihr  sich  finden:  1829A  und 
I812C  wird  dasselbe  Cyrillcitat  angeführt,  und  zwar  an  letzterer 
Stelle  mit  der  falschen  Überschrift:  Lx.  rov  JtQog  Osoöööiov*) : 
1873  BC  und  1865  B  wird  dasselbe  Juliuscitat  besprochen  (vgl. 
oben  S.  192  sub  2  c  und  S.  176,  Anm.  2). 

6.  Da  die  umfangreichen  Schlussausführungeu  (col.  1900)  der 
leontianischen  Grundlage  nicht  angehören  (vgl.  oben  S.  182  f.), 
mit  dem  Nächstvorangehenden  aber  so  eng  verbunden  sind,  dass 
nirgends  eine  Naht  sichtbar  ist,  da  ferner  die  Hand  des  spätem 
Bearbeiters  auch  da,  wo  eine  Vorlage  benutzt  ist,  sich  einmal 
deutlich  in  einem  ganzen,  allein  von  ihm  herrührenden  Satz- 
gefüge zeigt  (186SD),  dieses  aber  von  seiner  Umgebung  nicht 
absticht,  so  muss  die  Bearbeitung  der  leontianischen  Grundlage, 
deren  Resultat  die  Schrift  contra  Monophysitas  ist,  eine  gleich- 
massige    und  tiefgreifende  gewesen  sein. 

7.  Dennoch  darf  man  noch  von  Bearbeitung  einer  Grundlage 
reden,  anstatt  von  einer  neuen  Schrift,  die  eine  Schrift  des 
Leontius  benutzte,  weil  die  Verwandtschaft  zwischen  de  sectis 
Actio  VI — VIII  und  contra  Monophysitas  beweist,  dass  —  trotz 
weitgehendster,  völliger  Neubearbeitimg  im  Einzelnen  —  die  An- 
la<£e  des  Ganzen  der  Vorlage  folffte. 


*)  Die  beiden  Texte  differieren  etwas.  Da  ich  aber  das  Citat  la 
Tov  ni}oq  OforSöoiov  weder  in  dem  Apologeticus  ad  Theodosium  (.Migno 
"ß,  4.54 — 489),  noch  in  der  Schrift  de  recta  fide  ad  Theodosium  (ib.  113;{ 
—1200),  noch  in  ep.  71  ad  Theodosium  (Migne  77,  342)  finden  kann, 
zweifle  ich  an  der  Identität  der  Citate  nicht. 

13» 


196  Drittes  Capitel. 

8  Wo  diese  Vorlage  zu  suchen  ist,  das  zeigt  die  Ver- 
gleichung  zwischen  de  sectis  und  contra  Monophysitas.  Dass 
die  Verwandtschaft  zwischen  beiden  Schriften  nicht  durch  die 
Annahme  der  Identität  der  Verfasser  erklärt  werden  kann,  das 
machen  schon  die  Widersprüche  zwischen  beiden  Schriften  (vgl. 
z.  B.  de  sectis  1256D,  Z.  5  ff.  und  contra  Monophysitas  1865A, 
Z.  11  —  15)  zweifellos;  das  zeigt  sich  auch  darin,  dass  in  Actio  VI 
de  sectis  alles  das,  was  über  die  zugrundeliegenden  oyölia  Aeov- 
TLOv  hinausgeht,  in  contra  Monophysitas  keine  Parallele  hat. 
Da  nun  auch  eine  Benutzung  der  einen  Schrift  durch  die  andre 
aus  ebendenselben  und  vielen  andern  Gründen  nicht  angenom- 
men werden  kann,  überdies  beide  Schriften  als  Bearbeitungen 
erwiesen  sind,  so  muss  die  Verwandtschaft  beider  Schriften  aus 
einer  Verwandtschaft  der  Grundschriften  erklärt  werden.  Wäre 
man  nun  allein  darauf  angewiesen,  aus  den  verAvandtschaftlichen 
Beziehvmgen  zwischen  de  sectis  und  contra  Monophysitas  auf 
das  Verwandtschaftsverhältnis  der  Vorlagen  zu  schliessen,  so 
verböte  sich  die  Annahme  nicht,  dass  die  Vorlage  von  contra 
Monophysitas  zu  der  Vorlage  von  de  sectis,  den  oxoXia  Asov- 
Tioi\  in  einem  vielleiclit  mannigfach  vermittelten  Abhängigkeits- 
verhältnis gestanden  habe.  Da  aber  auch  die  Schrift  contra 
Monophysitas  aus  mehreren  Gründen  als  eine  Bearbeitung  einer 
leontianischen  Schrift  gelten  muss,  so  bleibt,  wenn  man  nicht 
zu  sehr  künstlichen  Constructionen  seine  Zuflucht  nehmen  will, 
nur  eine  doppelte  Möglichkeit,  die  Verwandtschaft  zwischen  de 
sectis  Actio  VI— VIII  und  contra  Monophysitas  zu  erklären. 
Entweder  nämlich  sind  die  Vorlagen  beider  Schriften  eng  ver- 
wandte Schriften  des  Leontius,  oder  es  ist  dasselbe  Werk,  die 
Giolia  Asovriov,  die  hier  wie  dort  zu  Grunde  liegen.  Die  erste 
Möglichkeit  ist  bei  der  grossen  Ähnlichkeit  der  Disposition  und 
der  engen  Verwandtschaft  mancher  Einzelheit  um  so  künstlicher, 
je  begreiflicher  trotz  des  Fehlens  wörtlicher  Übereinstimmung 
die  Benutzung  einer  identischen  Vorlage  deshalb  ist,  weil  die 
Bearbeitung,  deren  Resultat  die  Schrift  contra  Monophysitas  ist, 
eine  sehr  tiefgreifende  gewesen  sein  muss  (vgl.  oben  Nr.  6). 
Dazu  kommt,  dass  Leontius  von  Byzanz  seine  Scheu  vor  dem 
üialilloyüv  zweimal  sehr  deutlich  ausspricht  (Epilysis  1936  C  und 
adv.  Nest.  II,  c.  14,  col.  1565C.  vgl.  oben  S.  170).  Es  bleibt  also 
die  einzig  natürliche  Annahme  die,  dass  die  Schrift  contra  Mono- 


S  14.     Die  ursprüngliche  Gestalt  der  tjyö'/.icc  ^hovxinv.  197 

physitas  eine  Bearbeitung  eines  Teiles  der  auch  der  Schrift  de 
s-^ctis  zu  Grunde  liegenden  ojöXia  AeovtIov  sei.  Dass  unter 
dieser  Voraussetzung  sowohl  die  Verwandtschaft,  als  die  grosse 
Verschiedenheit  des  dritten  Hauptteiles  der  Schrift  contra  Mono- 
physitas  (1876D — 1902  A)  und  des  einem  Teile  desselben  parallelen 
Fragments  der  oyoXta  leovriov  erklärlich  ist,  wird  schon  aus  den 
obigen  Ausftilirungen  (vgl.  namentlich  S.  195,  Nr.  G)  hervorgehen. 
Eine  Bestätigung  des  leontianischen  Ursprungs  der  Grund- 
schrift von  contra  Monophysitas  bietet  endlich  das,  was  über  die 
verlorne  erste  Hälfte  des  ersten  Hauptteiles  der  Schrift  contra 
Monophysitas,  bezw.  deren  Vorlage,  und  das,  was  über  die  ur- 
sprüngliche Gestalt  der  zweiten  Hälfte  desselben,  der  63  ajroQiai 
festgestellt,  bezw.  vermutet  werden  kann.  Da  aber  die  Schrift 
contra  Monophysitas  als  eine  Bearbeitung  der  ayöXia  /hovriov 
sich  erwiesen  hat,  mithin  alle  Fragen  nach  der  Vorlage  der 
Schrift  contra  Monophysitas  zugleich  Fragen  nach  der  ursprüng- 
lichen Gestalt  der  oyölia  Aeorriov  sind,  so  werden  die  hierauf 
bezüglichen  Untersuchungen  besser  in  dem  nächsten  Paragraphen 
ihre  Stelle  finden.  Nur  das  mag  hier  noch  erwähnt  werden, 
dass  das  Resultat  dieses  Paragraphen  selir  gut  zu  der  Nach- 
richt passt,  die  wir  dem  Patriarchen  Germanus  verdanken  (vgl. 
oben  S.  127 f.).  Der  Apologie  des  Chalcedonense  durch  Leontius, 
welche  Germanus  kannte,  waren  jcoX).ai  fiaQtvQiai  ji£qI  rrjg 
dv'Cxr/g  (poovijq  beigegeben;  diese  Apologie  des  Chalcedonense 
aber  ist,  wie  wir  S.  134  sahen,  m  den  oyölia  Asovriov  zu  suchen. 
In  der  Schrift  contra  Monophysitas  finden  wir  beides,  die  Apo- 
logie des  Chalcedonense,  die  auch  de  sectis  Actio  VI  sqq.  ihre 
Spuren  zurückgelassen  hat,  und  die  jcoXXal  fiaQxvQiai  jisqI  rrjg 
6vixr/g  rpoyvTjg,  die  dort  fehlen,  wenigstens  in  unserm  gedruckten 
Texte,  wenn  auch,  wie  oben  (S.  136,  Nr.  4)  gezeigt  ist,  nicht  in 
allen  Handschriften. 

^5  14.     Die   ursprüngliche  Gestalt   der  oyöXta  Akovxiov. 

Die  Erörterung  der  Frage  nach  der  ursprünglichen  Gestalt 
der  oyoXia  Aeorriov  ist  in  hervorragendem  Masse  geeignet,  un- 
sere kritischen  Untersuchungen  über  die  Werke  des  Leontius 
abzuschliessen ,  denn  sie  gestaltet  sich  von  selbst  zu  einer  Re- 
capitulation  und  Revision  vieler  der  bisherigen  Resultate. 

Nicht   nur   die   Schrift  de   sectis,    sondern   auch  die  Schrift 


|<)g  Drittes  Capitel. 

contra  Monophysitas,  so  sahen  wir  in  i;  13,  ruht  auf  den  oxoXta 
AtorTiov.  Ruht  aber  die  Schrift  contra  Monophysitas  auf  einem 
Teil  der  oxöXia  Jtovriov^  so  ist  ebendasselbe  inbezug  auf  die 
Bücher  adv.  Nestorianos  schon  deshalb  wahrscheinlich,  weil 
diese  vermöge  ihrer  gleichen  Geschichte  —  auch  sie  ruhen  auf 
überarbeiteter  leontianischer  Grundlage  und  sind  offenbar  von 
demselben  Manne  überarbeitet,  von  dem  contra  Monophysitas 
herrührt  —  und  vermöge  ihres  jetzigen  Verbundenseins  mit  contra 
Monophysitas  mit  dieser  Schrift  aufs  engste  zusammengehören. 
Überdies  fehlt  es,  wie  schon  oben  erAvähnt,  auch  nicht  ganz  an 
einem  andern  Hinweise  darauf,  dass  schon  die  Grundschrift  von 
adv.  Nestorianos  sehr  wahrscheinlich  mit  einer  vorangehenden 
antimonophysitischen  Schrift  zu  einem  Ganzen  verbunden  war 
(adv.  Nest.  II,  c.  14,  col.  1565 C,  vgL  oben  S.  170).  Doch  bleiben 
wir  mit  der  Annahme,  dass  auch  die  Bücher  adv.  Nestorianos 
auf  einem  Teile  der  oyölia  Atovriov  ruhen  könnten,  völlig  im 
Bereich  der  anfechtbaren  Wahrscheinlichkeit,  solange  nicht  auch 
anderweitig  erwiesen  ist,  dass  die  6yölia  Awj'tiov  auch  anti- 
nestorianische  Ausführungen  enthielten. 

Um  darüber  Auskunft  zu  erhalten,  kehren  wir  hier  zunächst 
zu  der  in  i^  10  nur  gelegentlich  berührten  Frage  zurück,  was 
aus  der  Schrift  de  sectis  über  die  Gestalt  und  Anlage  der  ayöXia 
Jeovziov  zu  schliessen  ist. 

Sicher  erwiesen  ist  bis  jetzt,  dass  Actio  VI— VIII  und  ein 
Teil  von  Actio  X  (120üC  —  TiOlD)  auf  den  6'/Jilia  Amvxiov 
ruht.  Für  Actio  VI — VllI  ergiebt  sich  dies  einerseits  aus  dem 
Verhältnis  derselben  zu  contra  Monophysitas,  sodann  daraus,  dass 
aus  den  Actio  VI  und  Actio  VII  bearbeiteten  Stücken  der  oyö- 
lia Fragmente  in  der  Doctrina  vorliegen,  vgl.  inbezug  auf 
Actio  VI  das  oben  S.  153  ff.  behandelte,  bei  Migne  übersehene 
Citat  aus  Euthymius  und  aus  der  Doctrina  (Mai,  Scr.  vet.  nov. 
coli.  VII,  p.  3S  und  48),  inbezug  auf  Actio  VII  die  oben  S.  115 ff. 
besprochenen,  gleichfalls  aus  der  Doctrina  stammenden  Frag- 
mente II,  IV  und  V  bei  Migne.  Für  Actio  X,  col.  1260C-  1261 C 
ist  das  oben  S.  170ff'.  besprochene  Fragment  bei  Euthymius,  das, 
bislang  ungedruckt,  gleichfalls  in  der  Doctrina  vorhanden  ist, 
beweisend. 

Wie  steht  es  nun  mit  den  übrigen  Actiones?  Actio  IX  ist, 
wie  oben  (S.  190)  gezeigt  wurde,  durch  die  Disposition  aufs  engste 


§  14.     Die  virsprüngliohe  Gestalt  der  oyo'/.iu  JhovTtov.  199 

mit  Actio  VIII  verbunden.  Dennoch  könnte  man  zweifelhaft  sein, 
ob  auch  für  Actio  IX  schon  in  den  CtjölLa  Asovriov  eine  Vor- 
lage vorlag,  weil  in  contra  Monophysitas  keine  Parallele  zu 
Actio  IX  vorhanden  ist.  Doch  beweisend  ist  dies  nicht.  Ja 
Actio  IX  macht  ganz  den  Eindruck,  als  ob  in  derselben  eine 
reichere  Vorlage  von  unverständiger  Hand  einer  kürzenden  Be- 
arbeitung unterworfen  wäre.  Es  wird  hier  erwähnt  (col.  1257  C;, 
dass  von  den  Monophj^siten  folgende  Äusserung  des  Chalce- 
donense  angegriffen  Averde:  rjQxti  [liv  ovv  sie  hnsXTj  rr/g  svOt- 
ßsiag  aJilyvmoii'  zo  CO(pdv  tovto  zcä  ocotvqlov  rr/g  &eiag  -/ä- 
(UTog  Ovfißo^.OT'  JTtQi  T£  jctQ  xov  jcazQog  Tccd  Tov  vtov  y.di  rov 
cr/iov  jiri^vfiatog  txÖLÖaOxti  xo  rtlsiov,  xal  rov  xvQiov  xf/v 
ii'avd^Qr6:i:rjOn'  xolg  Jiiöxcög  Ssyofisvoig  xaQLüxipiv.  V^'^as  aber 
diesem  unschuldigen  Satze  vorgeworfen  wird,  das  hört  man  nicht. 
Allerdings  ist  in  den  folgenden  kurzen  Ausführungen  eine  Stelle, 
aus  der  man  es  erraten  könnte.  Es  wird  nämlich  col.  1257D 
nach  kurzen  Bemerkungen,  die  dem  citierten  AVort  der  Synode 
von  Chalcedon  folgen,  gesagt,  dass  y.cu  avxol  [ol  cv/lol  jiaxtQsg] 
jioXXa  xoiavxa  dgr/xaoi,  und  wird  als  Beispiel  ein  Citat  aus 
Cyrill  gebracht.  Darauf  heisst  es  1260  A:  xal  öooi'  £§  mv  Xt- 
yovoi  [seil,  die  Monophysiten],  xal  o  ftaxagiog  KvQiXlog  xsxQccöa 
^o^äC,Bi.  Dennoch  würde  man  kaum  darauf  kommen,  in  diesem 
Satze  des  Rätsels  Lösung  zu  suchen,  fände  sich  nicht  in  der  Doc- 
trina  p.  35,  und  ebenso  p.  45,  ein  Abschnitt:  XQf'jOeig  aj>xid-£- 
rtxal  jtQog  xovg  Kyovxag  xaxa  xrjg  ay'iag  ovvodov  cog  xixaQxov 
jTooocojtop  ixtujäyizL  dui  xov  Ztysiv  jtegi  xe  yccQ  xov  jiaxQog 
xal  xov  viov  xal  xov  aylov  jrj'svfiaxog  kxöidäoxEt  xö  xtZsLov, 
xal  xov  xvQiov  xijv  tvai^dQcojir/oip  xolg  jtLOxwg  dtxofitpoig  Jta- 
QiOxr/ocr.  Dieser  Abschnitt  in  der  Doctrina  verhilft  uns  dazu, 
über  Actio  IX  de  sectis  urteilen  zu  kihmen.  Doch  müssen  wir, 
ehe  wir  zu  diesem  Resultate  kommen,  auf  den  betreffenden  Ab- 
schnitt der  Doctrina  genauer  eingehen,  Aveil  derselbe  für  die 
uns  beschäftigenden  Fragen  eine  besondere  Bedeutung  hat. 

Dieser  Abschnitt  gehört  nämlich  demjenigen  in  der  Doc- 
trina doppelt  vorhandenen  Ganzen  an,  in  dem  auch  das  der 
Actio  VI  jDarallele,  lange  Citat  tx  xcöv  xov  Atovxiov  oxoXiojv 
sich  befindet,  einmal  p.  48  mit  dieser  Überschrift,  das  andere 
Mal  p.  38,  ohne  als  Citat  gekennzeichnet  zu  sein  (vgl.  oben  S.  147 
und  153  ff.).    Über  die  für  unsere  folgende  Untersuchung  wichtige 


200 


Drittes  Gapitel. 


Frage  nach  dem  Umfang  jenes  Ganzen  klärt  eine  Übersicht 
über  den  Inhalt  des  betreffenden  Capitels  der  Doctrina  um 
besten  auf.  Ich  setze  in  derselben  die  parallelen  Abschnitte 
gleich  nebeneinander.  Wo  das  Capitel  beginnt,  hat  Mai  anzu- 
zeigen versäumt,  doch  erkennt  man  es  aus  dem  p.  34*  befind- 
lichen Abschnitt:  nQoßh'maxa  Tiva  tcqoq  rovg  Xiyovxaq,  (liav 
(pvoiv  xal  ajtoloyia  jtQog  riva  täv  .ircu/  avrcöv  jtQorsivofa- 
vcov  xscpaXaicor'  xal  övvrjyoQia  vjcIq  r/jg  ovvödov ,  ji&qI  oiv 
ravr7]v  oi  StvijQov  yMTafihtKfOvrai.  Dies  ist  nämlich,  wie  aus 
dem  Index  operis  (Mai,  Script,  vet.  nov.  coli.  VII,  p.  2)  ersicht- 
lich ist,  die  Überschrift  des  Cap.  24  der  Doctrina:  p.  'i\^  also 
beginnt  dasselbe.     Sein  Inhalt  nun  ist  folgender: 


L  p.  34* — ^35=^:  'EjiajioQfjOig 
oqO-oöosod  JtQog  rovg  fdar 
jtQsaßsvoinag  tm  Xqiotov 
(pvoiv. 

IL  p.  35* — 35'*:  ÄQ/jöeig  arri- 
dsTixal  jiQog  rovg  Xsyov- 
zag  xard  r?/g  ayiag  Ovvo- 
öov  xtX.  (vgl.  oben  S.  199). 


III. 


1-    1 


40  *" — 45'':    Ta   r^naxorra 
xtcf.äXaia      rov     [Uixagiov 
Atnvxiov  xara  ^Üivt'jQOv. 

p.  45''  —  46*:    XQt'/oeig  avri- 
{^ETixal  xtI.  wie  links. 


Unter  dieser  Überschrift  folgt: 

«)  p.  45''   ein   Citat    Lx   tol 

xara  Marfhaior  tvayyt- 

X'iov, 
ß)  p.  45'' — 46=^:  ein  oxoXioi\ 
y)  p.  46*:    ein  Citat  tx  rr/g 

övpoöixrjg  ejifOToXfjg,  /)g 

tygay^ar  oi  .  .  .  qv    Ja- 

(ü)  p.  46*:  das  auch  links 
aufgeführte  Citat  aus 
Timotheus  Aelurus, 

t)  p.  46*:  OQog  r/yc  tv  XaX- 
xr/dövi  övvoöov. 

p.  46* — 49'':  lijtoXoyia  JCQog 
rovg  ovxotparrovvrag  rfji' 
ayiav  ovvoÖov. 


a  (d)  p.  35'':  ein  Citat  aus 
Timotheus  Aelurus. 


p.  35'' --39*:  \4jToXoyla 
JtQOg  rovg  Ovxoipavrovvrag 
rrjv  ayiav  ovvoöoi'. 


4}  14.     Die  ursprüngliche  Gestalt  der  oxokia  Atoviiov. 


201 


Unter  dieser  Überschrift  folgt: 


a^  p.  35'' — 36^   der  Abschnitt: 
Ixuöi]  tiv8q   xtX.^   des.:    sv 
XaXxrjöövL     y^vonivri     ayia 
övvoÖog, 
b;  p.  36^ — 37*  ein  neuer  Unter- 
teil mit  der  Überschrift  Kv- 
QiXXov  yQrjOBiq  xov   ayicoxä- 
Tov  jcajia  [tXs^cü'ÖQiiac,  alg 
OvvTjyoQü    //   Iv  XaXyCf]ö6vi 
TSTCCQT?]   ayla  övpodog'    xal 
fxd-EOic  jiioTtmq  t%  hv  XaX- 
•/CTjöövL  ayiaq  zerccQTfjg  ovv- 
66ov  cvvadQOLöB-eiorjg    to3v 
i§axooicoi'  TQiay.ovra  ayLcov 
jrazHjmv  (Wiicpmi'ovoa    xalg 
KvQiXXo V  XQf']OL Ol . 
Dieser  Überschrift  folgt  ein 
längerer  Abschnitt  mit  mehre- 
ren   Cyrillcitaten,    unter   denen 
als  Teil   eines  grösseren  Citats 
auch:  „eyoj  t6  ovyxtxQafZfitror 
(sie)  xtX.,  desin.:   tag  (pvöeic^', 
sich  befindet.    Eine  Bemerkung 
über  die  Entscheidung  von  Chal- 
cedon   schliesst   den   Abschnitt. 
c)   p.    37''— 38S    Z.   27:     Eine 
Erläuterung    des    symbolum 
Chalcedonense.  Dieselbe  Avird 
so  gegeben,  dass  nach  Voran- 
stellung   des    Symbols    und 
eines    auf    dasselbe    bezüg- 
lichen   Scholions    stückweis 
das  Symbol  abermals  citiert 
und  jedem  Stück  ein  Scholion 
angehängt  wird,  in  dem  dar- 
auf hingewiesen  wird,  gegen 
welche  Häresieen  die  einzel- 
nen    Absätze    des    Symbols 


a) 


ß) 


7) 


p.  46^  —  46'':  ein  Abschnitt 
ganz  gleich  dem  links  auf- 
cfeführten. 


p.  46''  —  47*:  KvQiXXov  ex 
To  V  crsQL  jiioremg  Xoyov  jigog 
AXsscci'ÖQsag:  lym  x6  Ovyxs- 
xgaiitvov  xxX.,  desin.:  xcg 
ffvOeig,  ganz  wie  links. 


p.  47*— 48^  Z.  2  von  unten: 
Wörtlich  bis  auf  einige  va- 
riae  lectiones  —  namentlich, 
wie  es  scheint,  im  Eingange 
—  der  links  beschriebene  Ab- 
schnitt bis  hin  zum  Schluss- 
wort ypcogiCöfisvor. 


202 


Drittes  Capitel 


d)  p.  48*",  Z.  2  von  unten  bis 
p.  49^^,  Z.  14:  Das  auch  links 
aufgeführte  Citat;  hier  ganz 
wie  links  durch  den  Satz: 
y.al  aXXa  öt  nva  xr/l.,  mit 
dem  Vorigen  verbunden,  doch 
[offenbar  durch  Marginal- 
note|  als  Ix  tcöv  xov  Asor- 
riov  OyoUcov  bezeichnet. 


Cap.  XXV. 


sich, wenden.    Der  ganze  Ab- 
schnitt schliesst  mit  ypcoQi- 

^OflSPOV. 

d)  p.  38  ^  Z.  27—39%  Z.  7  von 
unten:  das  schon  oben  be- 
sprochene Citat  aus  den  oyö- 
Xia  Asovriov,  an  das  Voran- 
gehende angereiht  mit  dem 
Satze:  xal  alla  6i  xira 
xard  rrjc  ayiag  ovvoöov  oi 
Xtyofievoi  axtcpakoi  üiQoßcü.- 
lorrai,  xal  ött  xal  tovtwv 
fiv)]{iov8v6aL  •  Atyovoi  ort 
ov  öelxtI.,  des.:  aajiäCoinai. 

e)  p.  39*— 39**:  drei  Citate  ßto- 
ffiXov  süiiöxoütov. 

f)  p.  39*'— 40*:  ein  Citat  IIqÖ- 

X?.OV    tXLOxÖjtOV, 

g)  p.  40*:  ein  Qiiidii  ^A&avaoiov 
tjnoxöütov^ 

h)  p.  40*— 40'',  Z.  8:  drei  Citate 
^Jomvvov[XQvaoor6[iov\.  Da- 
rauf folgen  p.  40,   Z.  9  die 
oVjen  rechts  zuerst  genannten 
TQtaxovxa  xeqjäXaia. 
Zu  dieser  Übersicht  ist  zunächst  zu  bemerken,  dass  Mai  m 
seiner  fragmentarischen   Publication   nur   Auszüge  mitteilt.     Es 
ist  möglich,  dass  in  derDoctrina  der  links  stehende  erste  und 
der  rechts  stehende  zweite  Text  bis  auf  variae  lectiones  und  bis  auf 
die  bei  I  und  1  ersichtliche  Verschiedenheit   völlig   gleich  sind. 
Möglich  ist  aber  auch,  dass  beide  Texte  schon  in  derDoctrina 
Auszüge  aus  einem  Ganzen  sind,   das  uns  aus  beiden  zusammen 
vollständiger,  aber  stets  noch  unvollständig  entgegentritt.  Welche 
dieser  beiden  Möglichkeiten  wirklich  ist,   wird  erst  eine  bessere 
Publication  der  Doctrina  lehren.   Völlig  deutlich  erhellt  jeden- 
falls, dass  uns  in  den  beiden  Texten  bei  Mai  eine  Parallelreihe 
von  Fragmenten   eines   Ganzen  vorliegt,   das  bei  I  (1)  beginnt 
und  bei  III  d  (3rf),   wenn  nicht  III  h,    für  uns  sein  Ende  findet. 
Die  parallelen  Texte  geben  uns  zwei  Recensionen  dieses  Ganzen, 


§  14.     Die  iirsprüngliche  Gestalt  der  o/ö/.icc  Atovrlor.         203 

die  nur  iu  dem  ersten  Stücke  bei  aller  Verwandtschaft  wesent- 
lich von  emander  abweichen.  Was  für  ein  Ganzes  ist  es,  das 
hier  fragmentarisch  uns  vorliegt':'  Es  genügt  zunächst,  darauf 
hinzuweisen,  dass  dasselbe  en  miniature  grosse  Ähnlichkeit  mit 
der  Schrift  contra  ]Monophysitas  zeigt.  Die  Abschnitte  I  und  1 
entsprechen  den  63  ccjcoQiai  der  Schrift  contra  Monophysitas. 
Abschnitt  II  '2)  und  Illabc  {^aßy)  erörtern  die  yQa(fLyM  und 
jiaxQi'/M  naQTVQrmaxa  ähnlich  wie  der  zweite  Hauptteil  der 
Schrift  contra  Monophysitas,  Abschnitt  III d  (Sd")  endlich  hat 
nicht  nur  manche  Ähnlichkeit  mit  dem  dritten  Hauptteil  der 
Schrift  contra  Monopli3"sitas.  sondern  bietet,  wie  schon  oben 
(S.  193)  erwiesen  ist,  teilweise  geradezu  die  Grundlage  desselben. 

Unter  diesen  Umständen  wird  man  —  wir  kehren  nun  m 
den  Zusammenhang  der  S.  199  zurück  —  aus  dem  Zusammen- 
ti-effen  von  Actio  IX  de  sectis  und  Abschnitt  II  des  Doctrina- 
citates  schhessen  dürfen,  dass  ein  der  Actio  IX  de  sectis  ent- 
sprechender Abschnitt  schon  in  der  Vorlage,  in  den  oyöXia  Ahov- 
riov.  zu  finden  war. 

Inbezug  auf  die  übrigen  Actiones  ist  die  entscheidende  Frage 
die  schon  oben  (S.  145;  gelegentlich  berührte:  Ist  der  historische 
Rahmen  der  Schrift  de  sectis  ursprünglich,  oder  gehört  er  erst 
dem  Bearbeiter  an.  Für  das  Letztere  entscheiden  m.  E.  folgende 
Gründe : 

1.  Actio  II  und  111,  in  denen  der  Unterbau  des  chrono- 
logischen Gerüstes  gelegt  wird,  sind,  wie  schon  oben  (S.  146) 
bemerkt  ist.  der  Sprache  und  ganzen  Art  nach  verschieden  von 
den  echten  Werken  des  Leontius  von  Bjzanz.  Für  das  Gegen- 
teil darf  man  sich  nicht  darauf  berufen,  dass  die  in  de  sectis 
Actio  III  genannten  Kirchenväter  ungefähr  dieselben  sind,  die 
Leontius  von  Byzanz  citiert.  Da  nämlich  die  oyoÄia  .Uorriov^ 
wie  schon  oben  (S.  197)  ersichtlich  wurde,  yQ/'joeig  xcZv  jiaxEQcov 
in  grosser  Menge  enthalten  haben  müssen,  so  kann  die  Auswahl 
in  Actio  III  auf  den  oyolta  Jtorxiov  ruhen,  auch  wenn  kein 
einziger  Abschnitt  in  denselben  der  Actio  III  ähnlich  gewesen  ist. 

2.  Von  mehreren  Stellen,  die  in  den  andern  Actiones  dem 
historischen  I\ ahmen  der  Schrift  de  sectis  angehiJren,  ist  ihre 
Herkunft  von  dem  Bearbeiter  schon  erwiesen;  vgl.  zu  12320, 
12:37  CD  und  1229  CD  oben  S.  142  f. 

3.  Col.  M93A— I196A  und  1 197 D— 1200C,  zwei  Abschnitte, 


204  Drittes  Capitel. 

die  wegen  ihrer  Verwandtschaft  mit  den  echten  leontianischen 
Stücken,  als  mehr  oder  minder  bearbeitete  Stücke  der  Vorlage 
gelten  müssen,  legen  die  Vermutung  nahe,  dass  die  öxo/iicc  Asov- 
rlov  ein  vornehmlich  gegen  Arianer  und  Sabellianer,  Eutychianer 
und  Nestorianer  gerichtetes  dogmatisches  Werk  polemischen  und 
apologetischen  Charakters  gewesen  sind  (vgl.  oben  S.  144). 

4.  Die  in  Actio  I,  col.  ri93A,  in  Aussicht  gestellten  ge- 
naueren Erörterungen  über  die  Begriffe  ovöia,  cpvoiQ,  vjiöoTaoic, 
jtQOöcojtov  folgen  in  Actio  I  nur  in  sehr  dürftiger  Gestalt,  Actio 
VII  dagegen  enthält  vieles,  das  unmittelbar  nacli  jener  An- 
kündigung inll93A  am  rechten  Platz  zu  sein  scheinen  könnte. 
Die  geschichtlichen  Ausführungen  in  Actio  II — V  scheinen 
also  einen  zwischen  1 193  A  und  den  polemischen  Actiones  IV — 
IX,  insonderheit  der  Actio  VIT,  ursprünglich  vorhandenen  Zu- 
sammenhang  zu  unterbrechen. 

5.  Umgekehrt  durchbrechen  die  polemischen  Actiones  VI — IX 
den  geschichtlichen  Rahmen  der  vorliegenden  Schrift. 

6.  Nach  Epilysis  1936  C  und  adv.  Nest.  I,  6,  col.  1420  (vgl. 
oben  S.  169 f.)  hat  Leontius  von  Byzanz  ein  Buch  geschrieben,  in 
dessen  erstem  Capitel  in  ganz  ähnlicher  Weise  wie  adv.  Nest,  et 
Eut.  1277D  über  die  Begriffe  q)iOiQ,  vjtÖGxaöiq,  hvvjiööxaxov  ge- 
handelt ist.  Ahnliches  müssen  nach  de  sectis  1193  A  die  Schollen 
gleich  im  ersten  Capitel  enthalten  haben,  Ahnliches  enthält  jetzt 
Actio  VII.  Da  nun  Leontius  in  der  Epilysis  sich  vor  jittliXloyslv 
inbezug  auf  diese  Dinge  scheut,  so  ist  nicht  anzunehmen,  dass 
er  dreimal  oder  gar  viermal  sich  über  dieselben  ausgelassen 
hätte.  Es  bleibt  daher  nichts  andres  übrig,  als  jenes  Citat  der 
Epilysis  auf  das  jtQcörov  xtgxxXaioi^  der  Schollen  zu  beziehen 
und  Reste  seines  Inhalts  in  Actio  VII  de  sectis  zu  vermuten 
(vgl.  Nr.  4). 

7.  In  dem  cod.  Laudianus  ist  ein  Werk  des  Leontius,  ^xe- 
fpaXaia  xara  ÖLaq)OQcoi>  alQsxLxmv'^,  mit  einem  Fragment  ver- 
treten, das  (vgl.  oben  S.  134)  mit  einem  Abschnitt  gegen  die 
Arianer  in  de  sectis  verwandt  ist. 

Dies  alles  scheint  die  Annahme  zu  rechtfertigen,  dass  die 
Schollen  des  Leontius  —  Aeomiov  öföXia  rjrot  x8<päXaia  xarä 
ÖLttcpoQcov  aLQETLxmv  mag  der  Titel  gelautet  haben  —  eine  vor- 
nehmlich gegen  Arianer  und  Sabellianer,  Eutychianer  und  Nesto- 
rianer gerichtete  dogmatisch- polemische  Schrift  gewesen  sind. 


§  14.     Die  ursprüngliche  Gestalt  der  o-^ö'^iu  Atovrlov.  205 

Von  dieser  Schrift,  so  ist  weiter  anztiuehiaen,  liegt  uns  in 
de  sectis  eine  Bearbeitung  vor,  die  den  Stoff  der  o/oXia  nur 
teilweise  aufnahm  —  denn  nur  die  antiinonophysitischen  Aus- 
führungen, nicht  aber  die  antinestoriauischen  u.  s.  w.  sind 
herübergenommen  —  und  überdies  durch  viele  Zusätze,  vor- 
nehmlich aber  dadurch  ihn  umgestaltete,  dass  sie  ihn  einem 
selbstentworfeneu  historischen  Ealimen  einfügte  Die  Schriften 
contra  Monophysitas  und  adv.  Nestorianos  aber  sind  als  freie 
Bearbeitungen  der  Teile  der  oyoXia  anzusehen,  welche  den  be- 
zeichneten Häresieen  im  besondern  gewidmet  waren. 

"Wie  viel  nun  innerhalb  der  Actiones  in  de  sectis,  in  denen 
die  Hand  des  Bearbeiters  vornehmlich  zu  erkennen  ist  (II — Y 
und  X),  dennoch  der  Vorlage  entnommen  bezw.  auf  Grund  der- 
selben concipiert  ist,  darüber  wird  man  höchstens  dann  Ver- 
mutungen wagen  dürfen,  wenn  über  die  ursprüngliche  Gestalt 
der  O'/öXta  Atovriov  genauere  Auskunft  erlangt  werden  könnte. 

Will  man  eine  solche  zu  erlangen  suchen,  so  hat  man  von 
dem  Abschnitt  der  ayöXia  auszugehen,  für  dessen  Erkenntnis 
vms  die  meisten  Hülfsmittel  zu  Gebote  stehen,  d.  h.  von  den 
antimonophysitischen  Ausführungen,  über  welche  aus  de  sectis 
Actio  VI — IX,  aus  contra  Monophysitas  und  aus  dem  oben  (8.  2ü0fl'.) 
analysierten  c.  24  der  Doctrina  Aufklärung  zu  holen  ist. 

Dass  dieser  antimonophysitische  Abschnitt  der  oyölLa  in 
drei  Teile  zerfiel,  deren  einer  die  t7CL%BiQrj!iara  loroQixa  behan- 
delte, während  die  beiden  andern  den  tjtixsiQf'jfiara  ajto  OvXXo- 
yiOfKÖv  und  den  tJtiyiiQyfiara  djto  yQt'jOEfov  gewidmet  waren, 
das  ist  schon  oben  (S.  188  ff.)  gezeigt.  Welcher  dieser  Abschnitte 
ist  der  erste:  der  rä  ccjio  Gvl/^oyiOfiojv  behandelnde,  welcher  in 
contra  Monophysitas  voransteht,  oder  der  die  tJiiysiQr/f^ara  lözo- 
(H'/cä  erörternde,  welcher  in  de  sectis  (als  Actio  VI)  den  andern 
vorangeht?  Schon  daraus,  dass  wahrscheinlich  ein  enger  Zu- 
sammenhang zwischen  Actio  VII  de  sectis  und  Actio  I  anzu- 
nehmen ist  (vgl.  oben  S.  204,  Nr.  4  und  6),  kann  gegen  die  An- 
ordnung in  de  sectis  argumentiert  werden.  Entscheidend  ist 
c.  24  der  Doctrina,  denn  in  ihm  finden  wir  dieselbe  Reihen- 
folge wie  in  contra  Monophysitas.  —  Der  patristische  Teil,  in  de 
sectis  der  dritte,  der  wie  in  contra  Monophysitas,  so  auch  in 
c.  24  der  Doctrina  in  der  Mitte  steht,  wird  ursprünglich  an 
zweiter,   der    die    bjitytiQi' fiara  ioxoQixä  behandelnde  Abschnitt 


206  Drittes  Capitel. 

ursprünglich  an  dritter  Stelle  gestanden  haben.  Danach  richtet 
sich  auch  die  Disposition  des  Folgenden. 

Zunächst  also  haben  wir  von  dem  ersten  Hauptteile  zu 
haudehi,  der  die  tjtr/eiQ/ifiara  djcodeixzixä  (contr.  Monophys. 
1876C)  oder  die  sjcixeiQTj^uara  ajto  0vX?<.oyi0ficöv,  wie  es  de  sectis 
12330  heisst,  der  Monophysiten  bekämpfte. 

In  der  Schrift  contra  Monophysitas  hat  bezw.  liatte  derselbe 
zwei  Unterabteilungen,  deren  erste,  verlorene,  nach  1769 A  den 
äjcoQicu  der  Monophysiten  entgegentrat,  deren  zweite  orthodoxer- 
seits  den  Monophysiten  63  a^Togiai  entgegenhält.  Dass  schon 
die  öyöXia  diese  beiden  Unterabteilungen  gehabt  haben,  folgt 
1)  daraus,  dass  in  Actio  VIT  de  sectis  die  dogmatischen  Erörte- 
rungen die  Form  von  Beantwortungen  monophysitischer  ccjtOQiai 
haben,  2)  daraus,  dass  die  zweite  Unterabteilung  auch  in  c.  24 
der  Doctrina  vertreten  ist  (vgl.  oben  S.  200  Xr.  I  und  1). 

Lässt  sich  über  die  erste  dieser  Unterabteilungen  noch  etwas 
aussagen?  Eine  Aufklärung  über  iliren  Inhalt  wird  man  in  Actio 
VII  de  sectis  suchen.  Allein  hier  stellt  sich  bald  eine  Schwierig- 
keit entgegen.  Es  erwies  sich  oben  (S.  204,  Nr.  6)  als  wahr- 
scheinlich, dass  in  Actio  Vll  ein  Teil  des  Stoffes  stecke,  der  im 
ersten  Capitel  der  Schollen  erörtert  sein  muss.  Wäre  nun  die 
Hauptmasse  von  Actio  VII  überdies  eine  Bearbeitung  der  ersten 
Unterabteilung  des  ersten  Hauptteiles  contra  Monophysitas,  so 
müssten  die  Schollen  mit  den  antimonophysitischen  Ausführungen 
begonnen  haben.  Das  aber  ist  anzunehmen  unmöglich.  Denn 
nach  de  sectis  1193A  sind  die  begrifflichen  Erörterungen  über 
<pvaig^  vjtooraoig  u.  s.  w.  offenbar  der  besondern  Polemik  gegen 
die  einzelnen  Häresieen  vorangegangen,  und  dem  entsprechend 
wird  adv.  Xest.  I,  c.  6,  col.  1420D  das  erste  Capitel  der  Scho- 
llen —  dass  dies  gemeint  sei,  ist  oben  (S.  204,  Nr.  6)  wahrschein- 
lich gemacht  —  als  gegen  Nestorianer  und  Eutychianer  gemem- 
sam  gerichtet  bezeichnet.  Entweder  also  ist  die  oben  ausge- 
sprochene Annahme,  dass  in  Actio  VII  wenigstens  teilweise  der 
Stoff  des  Cap.  I  der  ayölia  vorliege,  irrig,  oder  Actio  VII  hat 
sich  an  die  erste  Unterabteilung  des  ersten  Hauptteiles  der  anti- 
monophysitischen Ausführungen  der  oyölia  nur  der  Form  nach 
angeschlossen,  während  der  Inhalt  dem  Cap.  I  der  cyölia  ent- 
lehnt ist.  Letzteres  ist  zweifellos  der  Fall.  Denn  hat  Cap.  I 
der   Schollen  begriffliche  Ausführungen  über  (fvoig,  vjcööraoig 


§   14.     Die  uisprünp^liche  Gestalt   der  o/6?ua  Atorrlov.  207 

u.  s.  w.  euthalteu,  die  denen  in  Actio  VII  verwandt  gewesen  sein 
müssen  —  und  dies  ist  abgesehen  von  aller  Rücksichtnahme 
auf  Actio  VII  wahrscheinlich  — ,  so  kann  die  erste  Unterabtei- 
lung des  ersten  Hauptteiles  der  antimouophysitischen  Ausfüh- 
rungen, die  mit  diesem  Cap.  I  nicht  identisch  sein  kann,  nicht 
abermals  dasselbe  enthalten  haben.  Überdies  ist  beachtenswert, 
dass  die  Citate  ly.  tojv  oyokicov  Atovriov  in  der  Doctrina.  die 
in  Actio  VII  nachgewiesen  sind,  weit  mehr  den  Charakter  ter- 
minologischer Vorbemerkungen  tragen,  als  den  einer  Erörterung 
monophysitischer  ovXZo-/i(j}/oi.  Keiner  der  Sätze  in  Actio  VII, 
welche  jene  terminologischen  Ausführungen  als  Erwiderung 
monophysitischer  djtogiai  erscheinen  lassen,  findet  sich  in  jenen 
Citaten.  Ja  eine  Stelle  in  Fragment  IV  ( =^  de  sectis  1249  A: 
t^sraooyfiev  ovv  sjil  Tavzaig  hxarsQOv  ö6y{ia,  passt  ebenso 
ausgezeichnet  in  jene  gegen  Nestorianer  und  Monophysiten  zu- 
gleich gerichteten  Vorbemerkungen,  als  schlecht  in  die  erste 
Unterabteilung  des  ersten  Hauptteiles  der  antimonophysitischen 
Ausführungen.  Es  ist  deshalb  anzunehmen,  dass  Actio  VII  de 
sectis  zwar  eben  das  geben  will,  was  jene  erste  Unterabteilung 
gab,  eine  Beantwortung  monophysitischer  jroQiaL,  inhaltlich 
aber  dabei  auf  Cap.  I  der  o/oXia  zurückgritf,  von  dem  in  Actio  I 
nur  wenig  mitgeteilt  war.  Es  lag  dies  Zurückgreifen  auf  Cap.  I 
der  O'/öXia  um  so  näher,  da  auch  dieses  an  djtoQiai  anknüpfte, 
die  von  Monophysiten  und  Nestorianern  zugleich  geltend  ge- 
macht wurden  (vgl.  adv.  Nest.  I,  6,  col.  1420 D  mit  Actio  VII 
initium).  Je  leichter  nun  fast  der  gesammte  Inhalt  von  Actio  VII 
als  StofP  aus  jenem  ersten  Capitel  der  Scholien  begriifen  wer- 
den kann,  desto  völliger  verlässt  uns  die  Möglichkeit,  von  Ac- 
tio \Ll  aus  über  die  erste  Unterabteilung  des  ersten  Hauptteiles 
der  antimonophysitischen  Ausführungen  der  oyöha  irgend  etwas 
auszusagen.  Und  da  nun  der  correspondierende  Abschnitt  in 
contra  Monophysitas  verloren  ist,  auch  Cap.  24  der  Doctrina 
erst  mit  einer  Parallele  zur  zweiten  ünterabteilimg  beginnt,  so 
scheint  es  unmöglich  über  die  erste  Unterabteilung  noch  irgend 
etwas  festzustellen. 

Doch  von  völlig  andrer  Seite  her  eröli'net  sich  die  Möglich- 
keit ungeahnt  vollständiger  Aufklärung.  Den  monophysitischen 
ujcoQtaL  (contr.  Monophys.  1769A)  oder  ihren  (jvXXoyiOfioi  (de  sectis 
1233 Cj  sollte  jene  erste  Unterabteilung  entgegentreten;  der  term. 


208  Drittes  Capitel. 

techn.  aber  für  ein  solches  Beantworten  dogmatischer  ajtoQiat 
ist  (vgl.  Actio  VII  de  sectis.  z.  B.  1240  A  u.  passim):  tjriXvsodai 
oder  ijiiXvstr.  Der  Titel,  der  jener  ersten  Unterabteilung  des 
ersten  Hauptteiles  der  antimonophysitischen  Ausführungen  der 
oxoXia  wahrscheinlich  ebenso  wenig  gefehlt  hat,  wie  den  unten 
zii  besprechenden  andern  Unterabteilungen,  kann  daher  kaum 
anders  gelautet  haben  als:  tjtiXvoig  tmv  vjio  ^svf'/Qov  jiQoßs- 
ßXrjfiivcov  ovXXoytOficöv.  Sollte  etAva  in  der  Epilysis  uns  jener 
Teil  der  öyoXia  in  ursprünglicher  Gestalt  erhalten  sein?  Ich 
glaube,  diese  Annahme  ist  mindestens  eine  sehr  wahrscheinliche 
Hypothese.  Denn  nicht  wenige  Gründe  lassen  sich  für  sie  an- 
führen: 1)  der  Titel  der  IjiiXvOiq;  2)  die  Unwahrscheinlichkeit 
der  Annahme,  dass  Leontius  trotz  seiner  Scheu  vor  jiaXiXX.oyuv 
denselben  Stoff,  die  monophysitischen  cvXXoyiO^oL  zweimal  be- 
arbeitet hätte;  3)  der  Umstand,  dass  in  der  Epilysis,  1936 C,  aiif 
das  erste  Capitel  der  Schoben  (s.  oben  S.  204.  Nr.  6)  als  auf  das 
JTQCÖTOV  x£<päXaiov  Twv  agriwg  rjjtoQrßikvcov  zurückgewiesen 
wird;  4)  die  kurze  Bemerkung  in  der  Epilysis,  col.  1929A:  ov 
yaQ  fiovov  ralg  jiaxQixaic  aXXa  xal  ralg  ygacpixaig  (seil,  fßw- 
i'Olg)  Ol  aiQSTixol  .  .  .  ovvajroxtyQrjVTai^  passt,  je  weniger  ihr 
eine  genauere  Ausführung  folgt,  um  so  besser  in  den  ersten 
Hauptteil  eines  Ganzen,  dessen  zweiter  Hauptteil  nach  contra 
Monophys.  1S76C  den  yQaipixolz  und  jiazQixolg  fiaQTVQTjfiaoi 
der  Monophysiten  entgegentrat;  5)  nach  Epilysis  1940C:  tütet 
ovv  o  TQOJCog  rrjg  Ivcoöecog,  aXX  ovx  o  Xoyog  rijg  cpvoswg^  xo 
^dya  rrjg  svöeßdag  jitQitxti  f/vör'fjQioi%  («ptf^ievoi  rov  ji^ql  rrjg 
(früCecog  Tcöv  Ivcod-tvxoiv  xai  xov  xax  avxag  xeXblov  oxojielv 
—  ov  yaQ  xov  Jiagövxog  toxi  xavxa  jcQoßXr'jLiaxog'  x6  (lev  yag 
OeoXoyiag,  xo  öh  (jvoixTJg  toxi  ü^ecoQiag'  xai  x6  fiev  JtQog 
^ÄQBiavovg  oixELOxtQov  öxtg)d?j08xai,  xo  de  jiQog  xovg  jiavxrj 
xtjg  r/fiexegag  (pvöemg  xi]v  üiQÖoXr(^iv  dgvovfievovg  .  .  .  — ,  Jiegl 
xov  XQOXOV  xyg  evcooemg  .  .  .  e^exaocof/ev''^  scheint  die  Epilysis 
ein  Teil  eines  Ganzen  zu  sein,  in  welchem  der  Polemik  gegen  die 
häretischen  Vorstellungen  über  die  evcooig  der  zwei  Naturen  po- 
lemische Ausführungen  gegen  Arianer  und  Apollinaristen  (?)  folg- 
ten; ein  Ganzes  derart  aber  sind  die  oyöXia  Aeovxiov  gewesen;  6) 
das  Citat  aus  der  Epilysis  in  der  Doctrina  (oben  S.  116:  Frag- 
ment 111)  wird  eingeführt  als  ex  xöJv  /leovxiov  [lovayov  xov 
JlvC,avxiov,    Hier  ist  vielleicht  öyoXicov  ausgefallen.     Jedenfalls 


S  14.     Die  ursprüngliche  Gestalt  der  o/öXiu  AiOYxiov.  209 

ist  (lies  Citat,  auch  wenn  xa  Atovriov  absolut  steht,  kein  Hin- 
dernis für  die  Annahme,  dass  die  Epilysis  kein  selbständiges 
Werk,  sondern  ein  Teil  der  oyölia  sei,  und  zwar  die  erste  Unter- 
abteilung des  ersten  Hauptteiles  der  antimonophysi tischen  Aus- 
führungen derselben. 

Auffällig  bleibt  bei  dieser  Hypothese  nur,  dass  zwischen  de 
sectis  Actio  VII  und  der  Epilysis  Berührungen,  welche  diese 
Hypothese  beweisen  könnten,  nicht  vorliegen.  Hat  der  Abt  Theo- 
dor, der  Verfasser  von  de  sectis,  etwa  die  Epilysis  nicht  ge- 
kannt? Man  könnte  zu  Gunsten  dieser  Annahme  darauf  hin- 
weisen, dass  die  erste  Unterabteilung  des  ersten  Hauptteiles 
der  antimonophysitischen  Ausführungen  der  oyölia  auch  in 
contra  Monophysitas  und  in  Cap.  21  der  Doctrina,  abgesehen 
von  dem  zurückweisenden  Satze  in  contra  Monophys.  1769A, 
eine  Spur  nicht  zurückgelassen  hat.  Doch  auch  ohne  diese 
Annahme  ist  die  in  Rede  stehende  Thatsache  angesichts  der 
vielen  Auslassungen  in  de  sectis  daraus  erklärlich,  dass,  wie 
schon  oben  gesagt,  in  de  sectis  der  durch  die  Disposition  der 
ayolta  gegebene  Rahmen  einer  sjiiXvOig  zcöv  vjio  ^svtjqov  jcqo- 
ßeßhjfitrcov  OvX/.oyi(j^ucöp  durch  die  Entlehnungen  aus  Cap.  I 
der  Schollen  ausgefüllt  wurde.  Kannte  Abt  Theodor  die  Epilysis, 
so  ist  ihm  vielleicht  die  Verweisung  in  col.  1936  C  der  Epilysis 
der  Anlass  gewesen  zu  den  Entlehnungen  aus  Cap.  I  der  oyoXia. 
Keinesfalls  genügt  die  in  dem  Verhältnis  der  Epilysis  zu  Ac- 
tio VII  liegende  Schwierigkeit  dazu,  die  Wahrscheinlichkeit  der 
Hypothese  zu  erschüttern,  dass  uns  die  erste  Unterabteilung  des 
ersten  Hauptteiles  der  antimonophysitischen  Ausführungen  der 
o^öXia  Asovriov  noch  heute  in  der  Epilysis  vorliegt. 

Inbezug  auf  die  zweite  Unterabteilung  des  ersten  Haupt- 
teiles ist  es  leider  unmöglich,  zu  einem  ebenso  schlichten  Re- 
sultat zu  kommen.  Allerdings  haben  wir  nicht  weniger  als  drei 
Texte,  aus  denen  Auskunft  zu  holen  ist:  1)  die  (63)  äjtoQiui. 
jiQOQ  Tovg  [iiav  (pvOLV  Xkyovzac.  ovvi^^trov  xov  xvqlov  rjfiöjv 
I/jOovv  XqujtÖv  in  contra  Monophysitas  col.  1769 — 1804;  2)  die 
im  zweiten  Texte  des  Cap.  24  der  Doctrina  an  paralleler  Stelle 
stehenden  sog.  triginta  capita,  deren  eigentlicher  Titel  uns  im  cod. 
Turrian.  aufbewahrt  ist  und  dort  im  Index  nach  der  Übersetzung 
des  Turrianus  lautet  (vgl.  oben  S.  19  und  75):  Dubitationes 
hypotheticae  et  definientes  contra  eos,  qui  negant  esse  in  Christo 

Texte  u.  Untersuchungen.  111,  1.  14 


210  Drittes  Capitel. 

post  unioneni  duas  veras  naturas;  3)  die  im  ersten  Texte  des 
Cap.  24  der  Doctrina  an  paralleler  Stelle  stehenden  tjiajto- 
QrjOEiQ  —  so  wird  anstatt  des  handsckriftliclien  (?)  InanoQifitc, 
bei  Mai  vgl.  oben  S.  200)  zu  lesen  sein,  vgl.  trig.  cap.  col.  1916A 
—  OQdoööB,ov  jtQog  Tovg  fiiav  jcQEößEvovraQ  sjtl  Xqiötov  q)v- 
öiv.  Dass  diese  drei  Texte  sämtlich  in  einer  verwandtschaft- 
lichen Beziehung  zu  dem  Stück  der  6x<>^-m  stehen,  welches  der 
Epilysis  folgte,  das  zeigt  ein  flüchtiger  Blick.  Im  allgemeinen 
vermögen  wir  daher  sehr  wohl  anzugeben,  was  diese  zweite 
Unterabteilung  des  ersten  Hauptteiles  der  antimonophysitischen 
Ausführungen  der  öxoXia  enthielt.  Nach  der  tJtiXvöig  rcöv  vjto 
^sv?'jQov  jtQoßEßlrj^droyv  övXXoyiöfimi'  stellte  sie  orthodoxerseits 
den  Monophysiten  Einwürfe  entgegen;  ihr  Titel  mag  (vgl.  trig. 
cap.  1916A  mit  Doctrina  Text  a,  Überschrift)  gelautet  haben: 
bjiajioQrjöBiQ  JiQog  rovg  fiiar  jcQSößsvovrag  //er«  t?)v  ivcoOiv 
Ijil  Xqiötov  cpvOiv.  Wie  aber  im  Einzelnen  diese  tjiajioQf'jüHg 
gelautet  haben,  das  ist  nicht  mit  Sicherheit  auszumachen.  Dass 
die  63  ajioQiai  nicht  den  ursprünglichen  Text  bieten,  das  be- 
weist schon  die  gänzliche  Dispositionslosigkeit  derselben,  be- 
weist auch  der  Umstand,  dass  die  Schrift  contra  Monophysitas 
überhaupt  als  eine  sehr  freie  Bearbeitung  der  Gyjjlia  erwiesen 
ist.  Die  63  ajtoQiai  sind  offenbar  eine  Neuschöpfung  des  Ver- 
fassers der  vorliegenden  Schrift  contra  Monophysitas  auf  Grund 
des  leontianischen  Materials.  Man  erkennt  auch  leicht  die  dog- 
matische Terminologie  des  Bearbeiters.  Schwierig  aber  ist  die 
Entscheidung  bezüglich  der  ejiajiOQt]6£ig  in  Text  a  und  b  der 
Doctrina.  Den  sehr  kurzen,  präcisen  und  logisch  wohlgeord- 
neten Abschnitt  in  a  würde  man  für  den  Text  der  ojöXia  zu 
halten  sehr  geneigt  sein,  wäre  es  erklärlich,  dass  der  Text  in 
b,  die  trig.  cap.,  und  die  63  äjtogiaL  eine  Bearbeitung  desselben 
wären.  Das  aber  ist  eine  unmögliche  Annahme;  die  Verwandt- 
schaft der  Texte  ist  nicht  eine  derartige.  Selbst  in  den  63  ajio- 
Qiai  finden  sich  Gedanken  und  termini  (z.  B.  axoQia  2),  die  man 
in  der  leontianischen  Grundlage  erwarten  könnte,  in  den  ejr«- 
jroQyö£ig  "^doön^ov  aber  nicht  findet.  Vollends  verbieten  die 
trig.  capita  diese  Annahme.  Allerdings  ist  schon  oben  (S.  76 
und  82)  bemerkt,  dass  uns  keine  Bürgschaft  dafür  vorliegt,  dass 
in  ihnen  ein  leontianisches  Werk  uns  völlig  ohne  Alterationen 
erhalten  ist.    Doch  aber  scheint  der  leontianische  Ursprung  bei 


§  14.     Die  ursprüngliche  Gestalt  der  axäkta  Atortlov.  211 

ihnen  auch  in  vielen,  ja  den  meisten  Einzelausführuugen  und 
Formulierungen  so  gesichert,  wie  es  nie  der  Fall  sein  könnte, 
wenn  sie  eine  von  fremder  Hand  herrührende  Bearbeitung  der 
kurzen  IjiajtoQi'jO'cLq  OQd-oöö^ov  wären.  Allein  schon  der  Um- 
stand, dass  trig.  cap.  17.  18.  27.  29  in  den  ejcajtoQ/jOsic.  oq&oÖosov 
keine  rechten  Parallelen  haben,  entscheidet  hierüber.  Eher  schon 
Hessen  sich  die  IjiajcoQijösi^  OQ&oöö^ov  als  ein  Excerpt  aus  den 
trig.  cap.  begreifen.  Doch  widerstrebt  dem  die  Wohlgeordnet- 
heit des  Excerptes,  die  relative  üngeordnetheit  der  Vorlage. 
Diese  Schwierigkeit  würde  wegfallen,  wenn  die  uns  erhaltenen 
trig  cap.  als  ein  in  ihrer  Anordnung  und  hie  und  da  auch  in 
ihrem  Wortlaut  entstelltes  leontianisches  Werk  augesehen  wer- 
den könnten.  Dafür  lässt  sich  auch  das  anführen,  dass  die 
zweite  der  63  ajioQtai  die  Begriffe  oijojpvfiog  und  övvojvvfiOQ 
wahrscheinlich  aus  ihrer  leontianischen  Grundlage  hat,  während 
die  trig  cap.  nichts  dergleichen  enthalten.  Auch  die  zehnte  der 
()3  ccnoQicu  (vgl.  oben  S.  1S5,  Anm.)  scheint  an  ähnliche  Aus- 
führungen der  Vorlage  anzuknüpfen.  Wenn  ich  demgemäss  die 
trip.  cap.  in  einer  ursprünglicheren,  von  der  gegenwärtigen  viel- 
leicht mir  wenig  abweichenden  Form  als  die  zweite  Unterabtei- 
lung des  ersten  Hauptteiles  der  antimonophjsitischen  Ausfüh- 
rungen der  Oxöha  Atovx'iov  vermutungsweise  auszugeben  wage, 
so  bin  ich  mir  wohl  bewusst,  dass  der  Beweis  für  diese  Hypo- 
these noch  fehlt  und  wahrscheinlich  vor  Erweiterung  des  Ma- 
terials auch  nicht  zu  führen  sein  wird. 

Der  zweite  Hauptteil  der  antimonophjsitischen  Ausfüh- 
rungen der  ö'/iöha  soll  nach  contra  Monophysitas  11:5760  den 
YQar/ixoTg  und  jiazQixolc  (laQxvQTj^aOi  der  Monophysiten  ent- 
gegentreten. De  sectis  1233 C  wird  nur  von  IjiLy^uQi'iiiaxa  ccjto 
XQ?jOtcoi>  gesprochen  und  scheinen  unter  den  yg/josig  nur  patri- 
stische  Citate  verstanden  zu  sein.  Audi  in  contra  Monophysitas 
1 804  ff.  ist  der  Schriftbeweis  zu  kurz  gekommen.  Doch  da  es 
in  contra  Monophysitas  an  Hinweisungen  auf  j(^ta(fixa  [laQxvQt]- 
iiaxa  nicht  fehlt,  und  da  in  dem  Doctrinatext  b  bei  einer 
Unterabteilung  dieses  zweiten  Hauptteiles  /iaQxc{)/jiiaxa  jQa- 
(fixa  aufgeführt  werden  (s.  oben  S.  200:  2a),  darf  man  an- 
nehmen, dass  in  den  oyölia  auf  die  ygafpixa  /taQxvQ}}fmxa  ge- 
nauer eingegangen  war  (vgl.  auch  oben  S.  208,  Nr.  4).  Ob 
aber    die    auf  sie    bezüglichen   Ausführungen    mit   den    die    Jia- 

14* 


212  Drittes  Capitel. 

TQixa  [iaQTVQt'juaxa  betreifenden  verbunden  waren,  oder  ob  sie 
eine  besondere  Unterabteilung  —  man  würde  an  die  erste  zu 
denken  haben  —  bildeten,  das  wird  nicht  auszumachen  sein. 

Über  den  sonstigen,  die  yrt/josig  tÖjV  jiartQOjp  behandelnden 
Inhalt  des  zweiten  Hauptteiles  sind  wir  besser  unterrichtet,  ob- 
gleich auch  hier  vieles  dunkel  bleibt.  iVIit  völliger  Sicherheit  ist 
schon  über  die  Disposition  nicht  zu  entscheiden.  Hat  Actio  VUI 
de  sectis  (vgl.  oben  S.  189  f.),  oder  hat  die  Schrift  contra  Mo- 
nophysitas  ^vgl.  oben  S.  191  f;,  oder  keine  von  beiden  die  ur- 
sprüngliche Disposition?  Wahrscheinlich  ist  die  erstere  Mög- 
lichkeit anzunehmen.  Für  sie  spricht  nämlich,  wie  schon  oben 
(S.  203)  berührt  ist.  Cap.  24  der  Doctrina.  Die  beiden  Texte 
dieses  Cap.  24  sind  nach  allem  Vorhergehenden  als  Auszüge 
aus  einer  Schrift  anzusehen,  die  sehr  eng  an  die  Schollen  des 
Leontius,  bezw.  einen  Teil  derselben  sich  anschloss,  ganze  Ab- 
schnitte, so  die  trig.  cap.  und  das  oben  (S.  153  ff.)  behandelte 
Fragment,  ihnen  entnahm.  Da  nun  die  Doctrina  schon  im 
siebenten  Jahrhundert  zusammengestellt  ist,  ihr  Compilator  aber 
—  wie  die  Doublette  beweist  —  die  Auszüge  aus  der  auf  den 
O'/olia  ruhenden  Schrift  schon  so  vorfand,  wie  er  sie  giebt,  so 
sind  die  Texte  des  Cap.  24  der  Doctrina  sehr  alte  Zeugen. 
Finden  wir  nun  in  ihnen  die  letzte  der  in  Actio  VIII  und  IX 
de  sectis  vorhandenen,  in  contra  Monoph3'sitas  aber  fehlenden 
Unterabteilungen,  die  ygrfiuq  awid^erixal  xzX.  (oben  S.  200: 
II  und  2  =  oben  S.  189 f.:  HI),  so  darf  man  wegen  der  engen 
sachlichen  Zusammengehörigkeit  der  Unterabteilungen  in  de 
sectis  hieraus  schliessen,  dass  jene  letzte  Unterabteilung  ge- 
wiss, und  wahrscheinlich  auch  die  beiden  in  de  sectis  vorher- 
gehenden schon  in  den  O'/oÄia  sich  fanden.  Über  die  Reihen- 
folge ist  nichts  mehr  auszumachen;  sie  mag  gewesen  sein  wie 
in  de  sectis.  Es  ist  also  wohl  zunächst  gehandelt  von  dem, 
a  ovx  d:jtEv  ij  övvoöog,  und  sind  hier  wahrscheinlich  (vgl.  oben 
S.  189)  in  drei  Abschnitten  die  termini  a)  h'cooig  xaz'  vjto- 
oraoiv,  b)  fiia  g^voig  rov  {^eov  löyov  oeoaQxcontvrj,  c)  Ix  ovo 
(pvöscov  besprochen  worden.  Wie  a  behandelt  ist,  davon  giebt 
de  sectis  1252 CD  noch  eine  ungetahre  Vorstellung,  die  Aus- 
führungen über  b  mögen,  übertönt  von  vielem  Fremdartigen, 
in  contra  Monophysitas  1804D— 1&17B  (vgl.  oben  S.  191)  nach- 
klingen.    Die   Erörterungen   über   ex  ovo    (pvoecov,    von   denen 


§  14.     Die  ursprüngliche  Gestalt  der  ayöXia  Atovrlov.  213 

de  sectis  1236 C  vielleicht  ein  Fragment  erhalten  ist,  scheinen 
zu  der  zweiten  Unterabteilung  übergeleitet  zu  haben,  welche 
der  Besprechung  derjenigen  yQt'jösiQ  gewidmet  war.  welche  die 
Monophysiten  jcaQcaptQOvoi  üiQoq  jiiöTiv  rov  oixdov  doy/zarog 
(oben  S.  189:  II).  Auf  diesem  Abschnitt  scheint  contra  Mono- 
physitas  1817  C  — 1876  D  zu  ruhen,  und  es  ist  nicht  unwahr- 
scheinlich, freilich  auch  nicht  beweisbar,  dass  auch  in  den  Scho- 
lien  die  Disposition  so  gewesen  ist,  wie  jetzt  in  contra  Mo- 
nophysitas  (vgl.  oben  S.  179  und  191).  Wäre  diese  Annahme 
richtig,  dann  wäre  der  Inhalt  dieser  zweiten  Unterabteilung  des 
zweiten  Hauptteiles  der  antimonophysitischen  Ausführungen  der 
<r/6Xia  dem  Nachweise  gewidmet  gewesen,  dass  nicht  das  mono- 
physitisch  interpretierte  Ix  ovo  (fvöEODV,  sondern  das  Lv  ovo 
fpvosoir  die  Tradition  für  sich  habe.  Der  Beweis  wäre  geführt 
a)  positiv,  und  zwar  a  durch  orthodoxe  Citate,  ß  durch  mono- 
physitische  Citate,  welche  die  dyophysitische  Lehre  orthodoxer 
Väter  anerkennen,  b)  negativ,  und  zwar  a  durch  Ausführungen 
adv.  fraudes  Apollinaristarum,  ß  durch  Besprechung  derjenigen 
echten  yQ/jOeig  xcöv  JcartQcov,  namentlich  CyrilFs,  welche  die 
Monophysiten  für  sich  in  Anspruch  nahmen  Da  Actio  A'^III 
de  sectis  aus  dem  ersten,  positiven  Abschnitt  nichts  mitteilt  und 
mit  einem  jiagafptQovOL  yQtjOsig  jtoXZäc  über  die  Hauptmasse 
des  zweiten,  negativen  Abschnitts  hinweggeht,  die  Schrift  contra 
Monophysitas  aber  als  eine  sehr  freie  Bearbeitung  erwiesen  ist, 
so  kann  im  Einzelnen  über  die  Ausführungen  in  dieser  zweiten 
Unterabteilung  fast  nichts  ausgesagt  werden. 

Nur  der  Abschnitt  adversus  fraudes  Apollinaristarum,  der 
auch  in  de  sectis  zu  Worte  gekommen  ist,  erfordert  eine  Er- 
örterung deshalb  um  so  mehr,  weil  eine  eigne  Schrift  adversus 
fraudes  Apollinaristarum  unter  den  Werken  des  Leontius  erhalten 
ist.  Was  wir  über  die  Epilysis  und  über  die  trig.  cap.  erfahren 
haben,  das  legt  die  Vermutung  nahe,  es  könne  auch  in  adv. 
fraudes  Apollin.  ein  Bruchstück  der  oyöha  uns  erhalten  sein. 
Doch  rauss  man  diese  Vermutung  bald  wieder  zurückdrängen, 
denn  die  Erörterung  der  fraudes  Apollin.  in  der  Schrift  adv. 
fraudes  ist  eine  völlig  andre,  als  in  de  sectis  und  contra  Mono- 
physitas. Offenbar  sind  wie  in  de  sectis  und  in  contra  Mono- 
physitas, so  auch  in  den  oyü/ua  zunächst  die  apollinaristischen 
yQi'jOtiq  angeführt,  und  dann   ihre  Unechtheit  nachgewiesen;  in 


214  Drittes  Capitel. 

der  Schrift  adv.  fraudes  aber  finden  sich  parallele  Abschnitte 
nicht,  können  auch  nie  in  ihr  gestanden  haben,  es  ist  nirgends 
dort  Raum  für  sie.  Die  Schrift  adv.  fraudes  Apollinaristarum 
ist  also  kein  Bruchstück  der  oyolia  Aeovriov.  Zu  diesem  Re- 
sultate passt,  dass,  wie  schon  oben  (S.  90  f.)  gezeigt  ist,  die 
Schrift  adv.  fraudes  Apollin.  wahrscheinlich  schon  zwischen  5 1 1 
und  52Ö  geschrieben  ist,  während  die  o/oXia  der  Zeit  angehören, 
da  der  severianische  Gegensatz  die  Orthodoxie  beschäftigte.  Für 
die  oben  in  suspenso  gelassene  Frage  nach  dem  leontianischen 
Ursprung  der  Schrift  adv.  fraudes  ist  dies  Resultat  leider  ohne 
entscheidende  Bedeutung.  Allerdings  steht  ja  nun  das  fest,  dass 
Leontius  von  den  fraudes  Apollinaristarum  gewusst  hat,  und  das 
spricht  für  die  Richtigkeit  der  handschriftlichen  Überlieferung 
hinsichtlich  des  Verfassers  der  Schrift  adv.  fraudes  Apollinari- 
starum. Doch  bleibt  das  oben  (S.  91)  ausgesprochene,  aus  der 
Benutzung  des  vierten  der  unechten  Juliusbriefe  in  adv.  Nest. 
et  Eut.  sich  ergebende  Bedenken  in  Geltung,  und  ein  neuer  Ein- 
wand lässt  sich  darauf  gründen,  dass  jeder  Hinweis  auf  die  ältere 
Schrift  adv.  fraudes  Apollin.  wenigstens  in  unsern  Bearbeitungen 
der  dyölia  fehlt,  sowie  darauf,  dass  man  von  dem  Verfasser  der 
Schrift  adv.  fraudes  Apollin.  eine  noch  wuchtigere  Beweisführung 
erwarten  dürfte,  als  in  den  ayolia  gegeben  zu  sein  scheint.  Die 
Frage  nach  dem  Verfasser  der  Schrift  adv.  fraudes  Apollinari- 
starum muss  auch  hier  noch  in  suspenso  bleiben. 

Fragen  wir  nun,  zu  den  ojplia  zurückkehrend,  nach  der 
ursprünglichen  Gestalt  der  in  ihnen  enthaltenen  Ausführungen 
adv.  fraudes  Apollinaristarum ,  so  ist  neben  dem  Text  in  contra 
Monophysitas  und  in  de  sectis  auch  hier  ein  Abschnitt  in  der 
Doctrina  (c.  9,  p.  16 f.)  heranzuziehen,  denn  derselbe  zeigt  enge 
Verwandtschaft  mit  contra  Monophysitas  und  schon  sein  Vor- 
handensein in  der  Doctrina  bringt  ihn  vermutungsweise  in 
Zusammenhang  mit  den  6y6Xia  Amvx'iov. 

Welches  der  apollinaristischen  Citate  in  den  oyoXia  zunächst 
behandelt  ist,  kann  bei  der  inbezug  auf  diesen  Punkt  zwischen 
de  sectis  und  contra  Monophysitas  bestehenden  Differenz  (vgl. 
oben  S.  1890".)  nicht  sicher  entschieden  werden.  In  der  Voraus- 
setzung, dass  ein  Zusammenhang  der  Ausführungen  in  der  Doc- 
trina mit  den  Scholien  im  Folgenden  wahrscheinlich  werden 
wird,  gebe  ich,  auf  Doctrina  p.  16  gestützt,  der  Anordnung  in 


§  14.     Die  ursprüngliche  Gestalt  der  o/ö/.uc  Atorriov.  215 

contra  Monophysitas  den  Vorzug.  Es  handelt  sich  also  zunächst 
lim  die  pseudoathanasianische  tx&eoig.  Als  ersten  Grund  für 
die  apollinaristische  Herkunft  derselben  wird  in  contra  Monophy- 
sitas angeführt,  dass  es  Tifiod^sög  nq  tovtov  [seil.  AccoVuvccqiov] 
fmü-r/Tt)g  SV  xtj  bxxX/jOiaözr/cfi  ioroQia  liyu.  In  der  Doctrina 
p.  16^'  heisst  es  an  entsprechender  Stelle:  -TQocptQovoir  xrL  .  .  . 
:xQoSrj)xoq  ^AjioXXivaQiov  ovra,  ojc  huqxvqbZ  Tif/öü^eoc  6  xhi^ 
:xivay.a  x&v  löycov  \i:xo)./.LvaQ[ov  avvxaiag^  iv  oig  xal  xov  jcqo- 
(pegofisi'ov  cog  'A&araoiov  exage.  Ist  nun  adv.  Nest,  et  Eut. 
1377  C  ersichtlich,  dass  Leontius  von  Byzanz  diesen  jtiva^  ge- 
kannt hat,  so  ist  aus  dem  Bisherigen  zu  schliessen,  dass  der 
erste  Grund  für  die  ünechtheit  der  txOiOig  in  contra  Monophy- 
sitas auf  die  O'/oXia  zurückgeht  und  in  der  Doctrina  uns  in 
ursprünglicherer  Gestalt  vorliegt,  als  in  contra  Monophysitas. 
Dasselbe  ergiebt  sich  für  das  zweite  contra  Monophysitas  geltend 
gemachte  Argument:  das  Citat  aus  Polemo,  und  zwar  in  ganz 
derselben  Abgrenzung,  bringt  auch  die  Doctrina  p.  IG.  wenn 
auch  an  etwas  andrer  Stelle.  Inbezug  auf  die  pseudoathana- 
sianische exd-sGig  lindet  sich  demnach  in  contra  Monophysitas 
mehr  aus  den  Scholien  als  in  de  sectis.  Doch  möchte  ich  die 
nur  in  de  sectis  befindliche  Behauptung,  die  Berufung  Cp'ill's  auf 
die  tx&aoig  als  auf  ein  Werk  des  Athanasius  beruhe  auf  einem 
orpa/.fia  agyalov  in  den  Werken  CyrilFs,  wenigstens  vermutungs- 
weise auf  die  o/olia  zurückfüliren:  denn  ihre  Auslassung  in 
contra  Monophysitas  ist  weit  begreiflicher  (vgl.  oben  S.  191, 
Anm.),  als  ihre  Hinzufügung  in  de  sectis,  und  dass  von  diesem 
Citat  bei  Cyrill  in  den  Scholien  die  Rede  gewesen  ist.  zeigt 
auch  contra  Monophysitas  1865A. 

An  zweiter  Stelle  folgt  ein  Abschnitt  über  die  fälschlich  dem 
Julius  zugeschriebene  ep.  ad  Dionysium.  Von  ihr  nur  redet  de 
sectis,  von  ihr  nur  die  Doctrina,  und  dass  die  Bemerkungen  über 
den  vierten  Juliusbrief  in  contra  Monoi)hysitas  1S65B  nicht  von 
Leontius,  sondern  von  dem  Bearbeiter  herrühren,  wird  auch  da- 
durch wahrschemlich,  dass  eben  dieser  Brief,  bezw.  ein  Fragment 
aus  ihm.  von  Leontius  als  echt  citiert  wird.  Im  Einzelnen  scheint 
wiederum  in  der  Doctrina  der  ursprünglichste  Text  enthalten 
zu  sein.  Denn  der  wunderbare  Grund  de  sectis  1253 D:  oxi  ovötr 
(ptQBxai  xov  fiaxaQiov  JovXiov.  könnte  auf  einem  Missverständni.^ 
dessen  beruhen.  Avas  Doctrina  p.  17"  ausgeführt  wird. 


216  Drittes  Gapitel. 

Eine  weitere,  auch  das  Citat  aus  der  y.axa  (itQoq  jciörig  be- 
handelnde und  noch  mehr  ins  Einzelne  gehende  Vergleichung  der 
parallelen  Texte  ist  zwecklos,  da  sie  kein  sicheres  Resultat  giebt. 
Nur  die  Frage  muss  aufgeworfen  werden,  die  vielleicht  dem  Leser 
sich  schon  aufgedrängt  hat:  bietet  uns  die  Doctrina  in  der  be- 
sprochenen Stelle  etwa  ein  Citat  direct  aus  den  ayölia  ?  Unmög- 
lich ist  das  nicht;  auch  diese  Frage  wird  und  muss  nach  besserer 
Veröffentlichung  der  Doctrina  genauer  erörtert  werden.  Zunächst 
aber  kann  es  nicht  als  wahrscheinlich  gelten,  weil  Wortüberein- 
stiramuugen  mit  de  sectis  oder  contra  Monophysitas  fehlen  und 
Aveil  das  Citat  aus  Polemo  —  wenigstens  nach  Mai 's  Text  zu 
urteilen  —  an  andrer  Stelle  steht,  als  es  in  den  G'/öXia  gestanden 
haben  wird.  Auch  hier  werden  wir  es  mit  einer  vermittelten 
Entlehnung  aus  den  O'/^öha  zu  thun  haben.  Soviel  über  die  zweite 
T  nterabteilung  des  zweiten  Hauptteiles.  Dass  die  dritte  Unter- 
abteilung den  Titel  getragen  hat:  ÄQi/Osig  arrtd^erixal  xzX.,  ist 
schon  oben  S.  203  und  212  wahrscheinlich  gemacht.  Über  ihren 
Inhalt  können  erst  dann  Aussagen  gemacht  werden,  wenn  der 
betreffende  Abschnitt  der  Doctrina  zur  Vergleichung  mit 
Actio  IX  de  sectis  vollständig  vorliegt.  Das  aber  darf  schon 
jetzt  behauptet  werden,  dass  die  an  diese  '/QrjöeiQ  in  der  Doc- 
trina sich  fast  unmittelbar  anlehnende  dogmengeschichtliche 
Exegese  des  Chalcedonense  aus  den  öyölia  stammt;  denn  bei 
Euthymius  Zigabenus  wird  sie  ohne  neue  Überschrift  unmittel- 
bar mit  dem  oben  behandelten  Citat  aus  den  6%ölia  verbunden 
(vgl.  oben  S.  161  und  163). 

Über  den  dritten  Hauptteil  endlich  der  antimonophysi- 
tischen  Ausführungen  der  oyoXia  ist  wenig  zu  sagen.  Der  Teil 
desselben,  der  in  de  sectis  Actio  VI  bearbeitet  ist,  wird  uns  durch 
die  Doctrina  in  ursprünglicher  Gestalt  geboten.  Dass  aber  dies 
Citat  den  ganzen  dritten  Hauptteil  umfasse,  ist  unwahrscheinlich. 
Doch  kann  nicht  im  Einzelnen  ausgemacht  werden,  wieviel  von 
dem,  was  in  contra  Monophysitas  1876  D— 1902  über  den  Rahmen 
jenes  Citates  hinausgeht,  auf  den  cyolia  ruht  (vgl.  S.  194). 

Hier  dürfen  wir  einmal  still  stehen.  Es  ist  vieles  lediglich 
Hypothese,  vieles  noch  ganz  unsicher  von  dem,  was  über  die 
antimonophysitischen  Ausführungen  der  üyoZia  gesagt  ist.  Das 
aber  wird  sich  bestätigt  haben,  dass  die  oyjiXta  umfangreiche 
antimonophysitische  Ausführungen  enthalten  haben.     Auch  von 


§  14.     Die  ui'sprüngliche  Gestalt  der  u/ö/.ta  Atoiriov.  217 

der  Art  derselben  kann  man  sich  eine  ziemlich  deutliche  Vor- 
stellung machen.  Dass  die  Epilysis,  die  trig.  capita  und  die 
Schrift  contra  Monophysitas  zusammen  gehören  und  für  uns 
Zeugnisse  und  Fragmente  jener  antimonophysitischen  Ausführun- 
gen der  öyölia  sind,  das  darf  fast  als  sicher  gelten. 

Sehen  wir  nun  noch  kurz  auf  den  weitern  Inhalt  der  oyöXia. 
Dass  Cap.  I  derselben  terminologische  Vorbemerkungen  ent- 
hielt, haben  wir  schon  gesehen.  In  diesem  Capitel  werden  wir 
nicht  nur  das  in  de  sectis  nicht  nachweisbare  Stück  des  Frag- 
ment I  (oben  S.  115:  17,  vgl.  S.  134)  und  die  zweite  Hälfte 
des  Fragment  II  zu  suchen  haben;  auch  die  Ausführungen 
über  den  Begriff  des  vjtoxsifisvor.  die  Theodorus  Studita  in  den 
ö/bXia  las,  haben  höchst  wahrscheinlich  hier  ihren  Platz  gehabt. 
Zu  einer  weitergehenden  Vermutung  giebt  uns  das  Verhältnis 
des  Joliannes  von  Damascus  zu  Leoutius  Veranlassung.  Johannes 
von  Damascus  hat,  wie  wir  oben  S.  122  ff.  sahen,  mehrfach  den 
Leontius  stillschweigend  ausgeschrieben.  Im  besondern  zeigten 
sich  seine  -/cupalaia  (pi)MGo(fi/cä  von  den  oyölia  ylsovzlov  ab- 
hängig. Da  nun  die  von  Leontius  entlehnten  Abschnitte  der 
x£cpa?Mfcc  cp'iXoOoffixd  ihrer  ganzen  Art  nach  vielen  andern 
Stücken  der  xtcfälaia  rfiXoöog)ixi'c  aufs  engste  verwandt  sind,  so 
drängt  sich  die  Vermutung  auf,  ob  nicht  etwa  Johannes  von  Da- 
mascus in  den  y.h(pälcua  ff.ü.oOo(fLy.ä  von  den  terminologischen 
Vorbemerkungen  des  Cap.  I  der  iV/olia  abhängiger  sei,  als  wir 
es  nach  Verlust  der  GyoXia  noch  erkennen  können.  In  diesem 
Falle  würden  wir  das  Cap.  I  der  OyöXia  nach  Anlage  und  Aus- 
führung im  Kleinen  den  xtq)uXcau  (piXoöOffixä  des  Johannes 
von  Damascus  ähnelnd  uns  denken  dürfen.  — -  Ein  gewichtiger 
üegengrund  ist  der,  dass  uns  die  ö/o/f«-Citate  bei  Johannes  Da- 
mascenus  als  vermittelte  erschienen  (vgl.  S.  124  f ).  Allein  dieser 
Schein  trog,  .lohannes  Damascenus  kannte  die  Epilysis  und 
die  trig.  ca]j.,  die  zu  den  oyöXia  gehörten,  und  dass  wir  die  Ent- 
lehnungen aus  dem  Cap.  I  der  6yöXia  bei  Joliannes  von  Damas- 
cus in  der  Do  et  ri  na  nachweisen  können,  ist  nicht  wunderbar: 
selbst  wenn  Johannes  von  Damascus  in  den  y.t(pct.Xaia  cpiXooo- 
(pixa  vielmal  soviel,  als  wir  jetzt  wissen,  dem  Cap.  I  der  öyöXia 
entlehnt  hätte,  so  würden  wir  doch  diese  Entlehnungen  eben  mu- 
da  constatieren  können,  wo  Citate  der  Doctrina  uns  den  Text 
der  oyöXia  erkemien  lassen.    Freilich  bleibt  ebendeshalb  die  aus- 


218  Drittes  Capitel. 

gesprochene  Vermutung  über  das  Verhältnis  der  xt(päXaia  ffiXo- 
oocfixa  des  Johannes  Damascenus  zu  Leontius  eben  nur  eine 
noch  unbewiesene  Vermutung. 

Doch  kehren  wir  zu  den  O'folia  zurück.  Ob  auf  das  erste 
Capitel,  Avelches  die  philosophischen  Grundbegriffe  erläuterte, 
sogleich  die  antimonophysitischen  Ausführungen  folgten,  das  ist 
nicht  aiiszumachen.  Die  Möglichkeit  einer  andern  Annahme  wird 
weiter  unten  offenbar  werden. 

Jedenfalls  —  dies  beweist  das  Verhältnis  zwischen  contra 
Monophysitas  und  adv.  Xestorianos  —  schlössen  sich  dem  anti- 
monophysitischen Abschnitt  die  antin estorianischen  Ausführungen 
an,  die  Grundlage  der  8  Bücher  adv.  Nestorianos.  Über  die  Ge- 
stalt dieser  Grundlage  können  Auseagen  nicht  gemacht  werden 
Nur  das  kann  man  vermuten,  dass  ursprünglich  die  dialogische 
Form,  die  noch  jetzt  in  adv.  Nestorianos  undeutlich  durchscheint, 
schärfer  hervorgetreten  ist.  Die  Anordnung  dieses  Abschnittes 
wird  ähnlich  gewesen  sein  wie  die  der  Epilysis,  das  Ganze  wahr- 
scheinlich viel  kürzer  als  die  jetzt  vorliegende  Scluüft  adv.  Nesto- 
rianos. 

Danach  erst  sollte,  zufolge  der  Ankündigung  in  Epilysis 
19400,  von  den  Häresieen  gesprochen  werden,  die  jii.Qi  rriq  (pv- 
Oecog  Tcov  tvco^ävrcov  xcd  rov  '/.ax^  avxaq  reXsiov  nach  ortho- 
doxer Anschauung  in  Irrtum  befangen  waren,  d.  i.  von  Arianern 
und  Apollinaristen.  Da  nun  mit  der  antiarianischen  Polemik 
nach  de  sectis  1197D  die  antisabellianische  verbunden  sein  muss, 
so  wird  auch  diese  erst  dann  haben  folgen  sollen.  Es  ist  nun 
sehr  wohl  möglich,  dass  dies  Vorhaben  auch  ausgeführt  ist,  und 
dass  die  betreffenden  Ausfülu'ungen  verkürzt  den  Abschnitten 
de  sectis  1 ! 97 D~  1200C,  1216Cff.  und  1220Cff.  zu  Grunde  liegen 
und  in  dem  oben  (8.  134)  erwähnten  P'ragment  des  cod.  Laudianus 
teilweise  in  ursprünglicherer  Gestalt  erhalten  sind.  Möglich  ist 
aber  auch,  dass  nach  den  terminologischen  Vorbemerkungen  in 
Cap.  I  zunächst  ein  Cap.  II  mit  häreseologischen  Vorbemerkungen 
gefolgt  ist,  und  dass  die  Vorlagen  der  Ausführungen  gegen  die 
Arianer,  Sabellianer  und  Apollinaristen  in  de  sectis  in  diesem  Ca- 
pitel zu  suchen  sind.  Mit  dieser  Annahme  liesse  sich  die  andere 
verbinden,  dass  der  Plan  ausführlicherer  Auseinandersetzung  auch 
mit  den  Arianern,  ApolHnaristen  u.  s.  w.  unausgeführt  geblieben 
sei.     Man  würde   dann   auch   die   uns  aus  Euthymius  bekannten 


§  14.     Die  ursprüngliche  Gestalt  der  oyöha  Aeovxiov.  219 

Bemerkungen  der  o^oXia  über  Julianisten  und  Gajaniten  (vgl. 
oben  S.  150  f.)  als  aus  den  bareseologischen  Vorbemerkungen 
des  Cap.  II  stammend  ansehen  können  und  entginge  damit 
der  Schwierigkeit  der  Aufgabe,  nach  den  umfangreichen  Ab- 
schnitten contra  Monophysitas  [Severianos]  und  adv.  Nestorianos 
einen  Platz  für  sie  ausfindig  zu  machen.  Es  wäre  ferner,  wenn 
kürzere  häreseologische  Bemerkungen  schon  in  Cap.  II  ge- 
bracht waren,  begreiflicher,  dass  die  eingehendere  Polemik  mit 
den  Häresieen  der  Zeit,  den  Monophysiten  und  Xestorianern, 
begonnen  wurde.  Und  wenn  wii'klich  die  geplante  ausführ- 
lichere Polemik  gegen  Arianer  u.  s.  w.  unterblieben  wäre,  so 
erklärte  sich  so  am  leichtesten,  dass  von  umfangreicheren  Aus- 
führungen des  Leontius  gegen  diese  Häresieen  keine  Kunde  auf 
uns  gekommen  ist. 

Doch  es  wird  Zeit,  abzubrechen;  wir  sind  bereits  bei  Ver- 
mutungen angelaugt,  denen  eine  sichere  Grundlage  völlig  fehlt. 
Die  ursprüngliche  Gestalt  der  öyoXia  Aeovriov  wird,  wenn  nicht 
weiteres  Quellenmaterial  gefunden  wird,  nur  in  einzelnen  Ab- 
schnitten festgestellt  werden  können:  das  Ganze  bleibt  eine  in 
Dunkel  gehüllte  Grösse. 

Es  ist  dies  um  so  bedauernswerter,  je  bedeutender  dies  Werk 
gewesen  sein  muss.  Wir  bedürfen  dafür  eines  Beweises  nicht 
mehr.  Die  Fragmente  im  Verein  mit  den  Nachrichten  bei  Theo- 
dorus  Studita  und  bei  Germanus  von  Constantinopel  reden  deut- 
lich genug.  Doch  will  ich  nicht  unterlassen,  darauf  hinzuwei- 
sen, dass  auch  der  cod.  Laudianus,  dessen  Fragment  gegen  die 
Arianer  ein  Rest  der  ursprünglich  in  der  Sammlung  der  opera 
Leontii  entlialtenen  oyöha  zu  sein  scheint,  in  seiner  nicht 
nur  hierdurch  beachtenswerten  Unterschrift  einen  Hinweis  auf 
die  Bedeutsamkeit  der  oyoXia  enthält.  ^^Tertltorai  ovv  »V-fo5  // 
xara  jtaocov  algeötcov  dvarQOjir/  xal  d-Qiaf^ßog  xov  fiaxaQiov 
Asovriov'''  (vgl.  oben  S.  14),  so  konnte  die  Unterschrift  um- 
lauten, wenn  und  weil  die  Sammlung  zur  Zeit,  als  die  Unter- 
schrift entstand,  die  oyölia  Aeovriov  enthielt.  Der  ursprüngliche 
Concipient  dieser  Unterschrift  hat  anscheinend  die  Asovxia  für 
ein  Werk  gehalten.  Ihrem  Inhalte  nach  —  die  Leontia  ent- 
hielten die  Schrift  adv.  Nest,  et  Eut.  und  die  oyolta,  vielleicht  (?) 
auch  adv.  fraudes  ApoUinaristarum  —  konnte  er  sie  als  xara 
:jiaOcöv   aiQtotcor   avaritojiri    bezeichnen,    —   wenn    er  vor  dem 


220  Drittes  Capitel. 

Monotheletenstreit  und  vor  dem  Bilderstreit  lebte.  Nicht  erst 
im  Anfang  des  VIII.  Jahrh.  (Germanus),  sondern  schon  im  An- 
fang des  siebenten  wird  man  die  Sammlung  der  opera  Leontii 
als  vorhanden  denken  müssen. 

Schliesslich  noch  ein  Wort  über  die  Zeit  der  cyölia.  Der 
Abschnitt,  der  Actio  VI  de  sectis  zu  Grunde  liegt  (vgl.  oben 
S.  153  ff.),  ist  ebenso  wie  adv.  Nest,  et  Eut.  gewiss  vor  553, 
ja  vor  543  geschrieben  (vgl.  oben  S.  33  und  162).  Da  nun  der 
aus  Euthymius  bekannte  Abschnitt  der  öyöXia  (vgl.  oben  S.  150  f.) 
die  aphthartodoketische  Fraction  der  Monophjsiten  als  Gajaniten 
bezeichnet,  Gajanus  aber  erst  537  (oder  538)  Patriarch  wurde 
(Dictionar}'  of  christ.  biogr.  II,  590),  so  muss  die  Abfassungs- 
zeit der  OyoXia  in  die  Zeit  zwischen  538  und  543  fallen.  Eine 
Bestätigung  dieser  Zeitbestimmung  bietet  vielleicht  de  sectis 
1232 C.  Wenn  es  nämlich  hier  von  Gajanus  —  der  nach  300- 
tägigem  Episcopat  vertrieben  wurde  —  heisst:  top  ffsr  ra'Cavor 
a^coQiOslv  6  Ä^aQOtjg],  xal  a(pavf)g  eyivsro  t^  txeivov  ^utyQi  rijg 
öTjfiSQOv,  so  liegt  die  Vermutung  nahe,  dies  dcparijq  tytvszo  y.rl. 
sei  den  oyoXia  Aeovrlov  entnommen.  Denn  zwischen  578  und 
607,  d.  h,  zur  Zeit  der  Abfassung  der  Schrift  de  sectis,  klingt 
dies  d(pav>)g  iytvEzo  höchst  sonderbar,  imi  540  aber  wäre  es 
sehr  wohl  begreiflich. 

§  15.   Schlussbemerkungen  zum  ersten  Abschnitt,  Über- 
leitung  zum  zweiten. 

Unsere  bisherigen  Untersuchungen  haben  nicht  nur  manches 
Dunkel,  das  über  den  besprochenen  Werken  des  Leontius  lagert, 
ungelichtet  lassen  müssen,  sondern  haben  auch  ein  neues  Rätsel 
aufgegeben. 

Zwei  gegeneinander  zweifellos  selbständige  (vgl.  Epilysis 
1936C),  anscheinend  schon  im  7.  Jahrhundert  (vgl.  oben)  in  den 
ÄsövxLa  vereinigte,  bedeutende  W^erke,  so  sahen  wir,  hat  Leontius 
von  Byzanz  geschrieben:  die  tres  libri  adv.  Nestorianos  et  Euty- 
chianos,  die  ganz  erhalten  sind,  und  die  öyoXia  {i]roL  xs(f)äXaia 
y.axd  diatpoQcov  aiQSziXfJöv?),  von  denen  uns  in  einzelnen  Citaten 
der  Doctrina,  ferner  sehr  wahrscheinlich  in  der  sicher  von  Leon- 
tius herrührenden  Epilysis  und  ebenso,  nur  ein  wenig  alteriert, 
auch  in  den  triginta  capita  Fragmente  vorliegen,  während  in  con- 


§  15.  Schlussbemerkungen  zum  ersten  Abschnitt.  221 

tra  Monophysitas  und  adv,  Nestorianos  bearbeitete  Bruchstücke 
erhalten  sind.  Vielleicht,  doch  ist  das  Gegenteil  wahrscheinlicher, 
«ifehört  auch  die  Schrift  adv.  fraudes  Apollinaristarum  demselben 
Leontius  an;  sie  wäre,  wenn  sie  von  ihm  herrührte,  die  älteste 
seiner  besprochenen  Schriften,  und  wäre  trotz  ihrer  Kürze  den 
andern  durchaus  ebenbürtig.  Leontius  von  Byzanz  ist  —  das 
zeigen  seine  Schriften  —  als  Schriftsteller  kein  unbedeutender 
Mann  gewesen;  -in  theologica  scientia  aevo  suo  facile  princeps"' 
nannte  Mai  (Spicileg.  Rom.  X.  p.  V,  Migue  SO,  1,  col.  1191)  ihn 
mit  Recht. 

Das  erste  Rätsel,  das  uns  hier  aufgegeben  wird,  ist  daher 
dies:  wie  erklärt  es  sich,  dass  die  Überlieferung  über  diesen 
^lann,  wenn  auch  mehr  als  man  bisher  wusste  (vgl.  die  Nach- 
weisungen in  §  9  mit  S.  6f),  so  doch  verhältnismässig  herz- 
lich wenig  uns  berichtet? 

Noch  rätselhafter  ist  ein  zweiter  Umstand.  Die  oyöXicc 
Asovziov  als  Ganzes  sind  verloren,  aber  zwei  verschiedene  Be- 
arbeiter derselben  sind  nachgewiesen:  der  in  Palästina  lebende 
Verfasser  der  Bücher  contra  Monophysitas  und  adv.  Nestorianos 
und  der  Abt  Theodor,  der  Verfasser  der  Schrift  de  sectis,  d.  i. 
der  oyölia  Aeovziov  djco  rpcovrjg  (-Jsoöcoqov.  Auch  letzterer  hat, 
wenn  nicht  in  Ägypten,  vielleicht  in  Palästina  gelebt.  Denn  an 
Ijeiden  Orten  sind  in  der  Zeit,  da  er  lebte,  agnoetische  Nei- 
gungen, wie  Abt  Theodor  sie  hat  (de  sectis  1261  Df.),  in  ortho- 
doxen Kreisen  nachweisbar  (Gregorius  Magnus  ep.  lib.  X,  ep.  35 
und  39  ed.  Ben.  II.,  1064 ff.  und  1068 ff.).  Hat  diese  doppelte 
Bearbeitung  der  oyölia  und  der  Untergang  ihrer  Urgestalt  etwa 
besondre  Gründe  gehabt?  Ist  Leontius  von  Byzanz  vielleicht 
gerade  in  Palästina  irgendwie  verdächtig  gewesen?  Oder  sind 
die  oyoXia  lediglich  deshalb  nur  in  Bearbeitungen  erhalten,  weil 
ihre  Urgestalt  zu  gut  war  für  die  spätere  Zeit? 

Ein  drittes  Rätsel  endlich  liegt  in  dem  Titel  der  Schriften 
contra  Monophysitas  und  adv.  Nestorianos.  Allenfalls  möglich 
ist  es  ja  allerdings,  dass  der  hier  als  Verfasser  genannte  ,,jrc(v- 
oo(poQ  iiovayoq  Aunnioq  '^hQOOolvidxi]^^''  der  Bearbeiter  der  le- 
ontianischen  Grundlage,  der  Verfasser  der  uns  vorliegenden 
Schriften  contra  Monophysitas  und  adv.  Nestorianos  ist  (vgl.  oben 
S.  184),  aber  recht  unwahrscheinlich  ist  doch  diese  Annalune. 
Lässt  man  sie  deshalb  beiseit,  so  entstellt   ib'»'  Frage,   wie  es  zu 


222  Drittes  Capitel. 

erklären  sei.  dass  Leontius  von  ßyzaiiz  hier  als  Leontiiis  von 
-lerusalem  erscheint. 

Diese  drei  Fragen  sind  ebensoviele  Aufforderungen  dazu 
den  ^^ersuch  zu  machen,  durch  Forschungen  in  den  Werken  des 
Leontius  und  in  der  Geschichte  seiner  Zeit  den  Mangel  einer 
Tradition  über  sein  Leben  auszugleichen. 

Alle  drei  hier  hervorgehobenen  Rätsel  werden  auch  in  dem, 
was  sich  über  das  Leben  des  Leontius  feststellen  iässt,  ihre 
Antwoi-t  finden. 


Zweiter  Abscliiiitt. 

Kritische  Untersucliungen  über  das  Leben  des  ^Leontius  Byzan- 
tinus  seu  Hierosolymitanus*. 


vj    Kl.     Vorbemerkungen. 

Sehr  wenig  haben  wir  bis  jetzt  von  dem  Leben  des  Mannes 
gehört,  dessen  Werke  wir  besprochen  haben.  Er  war  ein  theo- 
logisch gut  gebildeter  Mann,  wahrscheinlich  ein  Mönch  (vgl. 
oben  S.  30),  der  in  seiner  Jugend  in  die  Netze  „heimlicher  Xesto- 
rianer"  sich  hatte  fangen  lassen,  als  Schriftsteller  aber  in  der 
Zeit  zwischen  529  (511?)  und  544  als  eifriger  Verfechter  des 
Chalcedonense  auftrat.  Das  lehrten  uns  die  Werke  selbst.  Eine 
bis  in  das  siebente  Jahrhundert  zurückverfolgte,  nü-geuds  wider- 
sprochene  und  deshalb  zuverlässige  Tradition  nennt  ihn  Leontius. 
Auch  darüber,  dass  dieser  Leontius  Mönch  gewesen  sei,  stimmt 
die  Überlieferung  beinah  völlig  überein.  Nur  in  dem  Titel  der 
oyolia  and  g^on'tjg  ßsoöojoou  wird  Leontius  als  ßyoXaorixog 
bezeichnet.  Diese  Nachricht  kann  die  andre  Überlieferung  nicht 
Aviderlegen,  höchstens  ergänzen,  und  kann  deshalb  zunächst  un- 
beachtet bleiben.  Wo  Leontius  Mönch  gewesen  ist,  ersehen  wir 
aus  dem,  was  wir  bis  jetzt  gehört  haben,  nicht.  Schon  im 
siebenten  Jahrhundert  wird  er  als  fiovayog  BvC,aj^riov  bezeichnet 
(in  der  Doctrina),  doch  ebenso  früh  hören  wir  (vgl.  oben  S.  121  f.), 
er  sei  Eremit  gewesen,  und  diese  Nachricht  weist  nicht  gerade 
darauf  hin,  dass  Leontius  in  der  Reichshauptstadt  gelebt  habe. 
Bis  jetzt  wissen  mr  also  nur,  dass  der  Verfasser  der  im  ersten 
Abschnitt  behandelten  Schriften  ein  Eremitenmönch  Leontius 
gewesen  ist,  der,  von  nestorianisierenden  Jugendirrtümern  ge- 
heilt, zwischen  529  und  544  als  eifriger  Verteidiger  des  Chalce- 
donense  schriftstellerisch  thätisc  wai*. 


224  Zweiter  Abschnitt. 

Kann  man  mehr  von  unserem  Leontius  wissen?  Eine  Unter- 
suchung dieser  Frage  hat  noch  niemand  ernstlich  in  Angriö' 
genommen.  Nur  drei  hierher  gehörige  Fragen  sind  mehrfach, 
allerdings  mit  sehr  ungenügendem  Material,  erörtert  worden. 
Zunächst  die  Frage,  ob  „Leontius  von  Byzanz"  identisch  sei  mit 
dem  aus  der  vita  Sabae  (ed.  Cotelerius,  ecclesiae  graecae  mo- 
uumenta  III,  1686,  p.  220 — 376)  bekannten  Origeuisten*)  Leon- 
tius, den  Cyrillus  Scythopolitanus,  der  Verfasser  der  vita  Sabae, 
als  einen  Zerstörer  des  Friedens  der  palästinensischen  Mönchs- 
siedeleien  darstellt.  Canisius  (Canisius-Basnage  I,  p.  527 sq.) 
bejahte  diese  Frage  vmbedenklich.  Doch  nachdem  Oudin,  Com- 
mentarius  de  scriptoribus  ecclesiasticis  I.  1722,  p.  1463  und  wenig 
später  Basnage  (Canisius-Basnage  1.  1725,  p.  531  sqq.) 
dem  Canisius  aufs  entschiedenste  widersprochen  hatten,  hätte 
die  Frage  erledigt  sein  sollen.  Denn  da  es  bis  jetzt  allgemeine 
Annahme  war,  dass  die  Schrift  de  sectis  in  ihrer  vorliegenden 
[zwischen  579  und  607  entstandenen]  Gestalt  von  Leontius  her- 
rühre, so  war  das  Argument,  dass  der  vor  550  gestorbene  Ori- 
genist  (vit.  Sab.  cap.  86,  p.  366**))  unmöglich  identisch  sein  könne 
mit  dem  weit  Jüngern  Verfasser  der  Schrift  de  sectis,  unanfecht- 
bar, obgleich  Bas  nage  —  nicht  so  Oudin  —  bei  der  Ent- 
wicklung desselben  mancher  Irrtümer  sich  schuldig  gemacht 
hatte.  Mit  Recht  wiesen  daher  Fabricius  [f  1736J  (Fabri- 
cius-Harles,  Vm,  p.  310),  Mansi  VIL  1762,  p.  797***),  Gal- 
landi,  Bibliotheca  XII.  1779,  p.  XXX,  Fessler,  Institutiones 
Patrologiae  II.  1851,  p.  934  die  Gleichsetzung  des  Leontius  von 
Byzanz  und  des  Origenisten  Leontius  ab,  und  wenn  Cave,  Script. 


*)  Irrig  bezeichnete  man  diesen  Origenisten  als  „Nestorianer  und 
Origenisten".  Die  vita  Sabae  giebt  keinen  Anlass  zu  dieser  wundersamen 
(vgl.  adv.  Nest,  et  Eut.  1377C)  Zusammenstellung,  vielmehr  scheidet  sie 
ausdrücklich  zwischen  den  Mönchen  in  der  Gesellschaft  des  Sabas,  welche 
als  Nestorianer  entlarvt  wurden,  und  denen,  welche  Origenisten  waren 
(vit.  Sabae  cap.  72,  a.  a.  0.,  p.  344  . 

**)  Oudin  und  Basnage   beriefen    sich    auf  eine  minder  deutliche 
Stelle  aus  der  vita  Cyriaci  (Cotelerius  a.  a.  0.  IV,  p.   Il6). 

***)  Mansi  ist  unentschieden,  doch  irrt  Fessler,  Patrol.  tom.  II, 
p.  934,  not.  2,  wenn  er  Mansi  als  Anhänger  der  Hypothese  des  Cani- 
sius bezeichnet.  Mansi  sagt  ausdrücklich:  nihilosecius,  si  quis  vellet 
Leontium  Constantinopolitanum  a  Hierosolymitano  discernere,  me  sane 
haberet  opinionis  suae  adstipulatorem  magis  quam  refragatorem. 


§  16.     Vorbemerkungen.  225 

eccl.  hist.  litter.  Genf  1705,  p.  352,  Gass,  R.-E.  Art.  .Leontius" 
und,  wie  es  scheint,  aucli  Mai,  Script,  vet.  nov.  coli.  IX,  p.  XIII 
an  der  Ansicht  des  Canisius  festhielten,  so  war  dies  nur  bei 
Cave,  der  die  Gegengründe  noch  nicht  kennen  konnte,  ent- 
schuldbar, Gass  hat  die  Gegengründe  nur  unvollständig  er- 
wogen*), Mai  eine  Begründung  seiner  Ansicht  gar  nicht  ver- 
sucht. —  Wie  diese  Frage  jetzt  zu  beantworten  ist,  seit  die 
Schi-ift  de  sectis  als  eine  spätere  Bearbeitung  einer  ums  Jahr 
540  geschriebenen  Schrift  des  Leontius  erkannt  ist,  werden  wir 
später  sehen. 

Die  zweite  Frage,  über  die  verhandelt  ist,  war  die,  ob  der 
Byzantiner  Leontius  identisch  sei  mit  dem  als  Schriftsteller  be- 
kannten Bischof  Leontius  von  Neapolis  auf  Cypern,  der  noch 
im  zweiten  Jahrzehnt  des  siebenten  Jahrhunderts  am  Leben  war. 
Cave  (a.  a.  0.,  p.  352)  war  dafür,  Oudin  (a.  a.  0.,  p.  1575),  Fa- 
bricius  (a.  a.  0..  p.  320),  Basnage  (a.  a.  0.,  p.  793),  Fessler 
(a.  a.  ().,  p.  934,  Anm.  2),  Gass  (a.  a.  0.,  S.  595)  wiesen  die 
Gleichsetzung  ab.  Die  Frage  ist  für  uns  entschieden  durch  die 
Erkenntnis,  dass  Leontius  von  Byzanz  der  ersten  Hälfte  des 
sechsten  Jahrhunderts  angehört,  doch  werden  wir  später  im 
zweiten  Buche  bei  Gelegenheit  der  von  Migne  unter  den  Werken 
des  Byzantiners  gedruckten  Predigten  auf  diesen  Bischof  Leon- 
tius von  Neapolis  zurückkommen. 

Drittens  endlich  hat  man  die  Frage  erwogen,  wie  die  Be- 
zeichnung des  Leontius  als  oxo2.aOTr/c6g  im  Titel  der  Schrift  de 
sectis  sich  mit  der  Überlieferung  vertrage,  dass  Leontius  Mönch 
gewesen  sei.  Nur  dem  Canisius  (a.  a.  0.,  p.  530)  scheint  es 
schwierig  gewesen  zu  sein,  beides  zu  vereinen.  Wir  lassen  jene 
Tradition  im  Titel  einer  bearbeiteten  Schrift  zunächst  völlig  bei- 
seit.    Erst  später  wird  Gelegenheit  sein,  darauf  zurückzukommen. 

Überhaupt  haben  wir  von  derjenigen  Erörterung  der  Frage 
nach  den  Lebensumständen  unsers  Verfassers  völlig  abzusehen, 
die  nur  die  in  der  bisherigen  Tradition  aufgeworfenen  Einzel- 
fragen   berücksichtigt.     Wenn    überhaupt   ein   Resultat   erreicht 


*)  Dass  Basnage  ,einv;iumt,  dass  beide  —  der  Origenist  und  Leon- 
tius von  Byzanz  —  ungetalu'  gleichzeitig  lebten"  (R.-E.'-  VIII,  S.  593),  ist 
doch  nur  richtig,  wenn  man  das  , ungefähr  gleichzeitig"  so  versteht,  dass 
Basnage's  von  Gass  unbeachtet  gelassene  Polemik  gegen  die  völlige 
Gleichzeitigkeit  daneoen  zu  ihrem  Recht  kommt. 

Texte  u.  UutersuchuDgen.  111,  1.  15 


226  Zweiter  Abschnitt. 

werden  kann,  so  Avird  nur  eine  melir  methodische  Untersuchung 
es  aus  Licht  fordern. 

Eine  solche  Uutei"suchung  hat  zunächst  festzustellen,  dass 
es  auf  den  ersten  Bück  ein  hedenklich  unsicheres  Geschäft  ist, 
einen  .Mönch  Leoutius",  von  dessen  Lehensumständen  fast  nichts 
bekannt  ist,  ideutifi eieren  zu  wollen.  Denn  der  Name  Leontius 
war  ein  sehr  verbreiteter.  Aus  der  Zeit,  in  der  unser  Verfasser 
lebte,  sind  mir,  obwohl  ich  gar  nicht  besonders  gesucht  habe, 
nicht  weniger  als  folgende  20,  vorbehaltlich  späterer  Identifi- 
cierungsversuche  zunächst  zu  unterscheidende  Leontii  bekannt 
geworden. 

1.  AaovTiog  tjiioxojcog  ^coC^ovOfjg  in  dem  rescriptum  Jo- 
annis  Hierosolymitani  auni  518,  Mansi  VIII,  1074  —  wohl  iden- 
tisch mit  dem  im  libellus  monachorum  anni  518,  ibid.,  p.  1049 
genannten  Bischof  Leontius  — :  noch  536  nachweisbar,  Mansi 
VIU,  p.  1172. 

2.  AsovTiog  jtQtoßvTEQog  xal  a.QyinavÖQ'ixi]g  rov  tv  ooloig 
TQvg)covog  unterschreibt  den  libellus  monachorum  anni  518, 
Mansi  VIII,  p.  1054. 

3.  AtövTiog  JiQtoßvtiQog  xal  aQiLjiai'ÖQLTrig  fiovr/g  rov 
ayiov  aQ'/ayyiXov  rov  tv  roig  IlovOiov,  ibid.  p.  1055. 

4.  Leontius  diaconus  sancti  Maronis  unterschreibt  einen  im 
Febr.  518  ; Mansi  VIII,  p.  1023  sqq.)  beantworteten  Brief  syri- 
scher Mönche  an  den  römischen  Bischof  Hormisdas,  Mansi  VIII. 
p.  427. 

5.  Leontio  abbati  schreibt  der  zweimal  (515  und  517)  nach 
Constantinopel  gesandte  Ennodius  von  Pavia  (f  521)  die  Gal- 
landi,  Bibliotheca  XI,  p.  85  gedruckte  epistula  VI. 

6.  Leontius,  filius  Matroniani,  diaconus,  kurz  vor  518  in  der 
Kirchenprovinz  Apamea  nachweisbar,  Mansi  VIII,  p.  1113. 

7.  Ein  zweiter  Diacon  Leontius,  ebenda  p.  1116. 

8.  und  9.    Zwei  weitere  Cleriker  Leontius,  ebenda  p.  1128. 
10.  Einem  ÄsovxLog,  y^ov  oßicözarov  xal  ^socpiltorarov  xal 

jiartQa  ajcoösfirvfsi'^ ,  widmet  der  nestorianisch  gesinnte  anti- 
ochenische  Presbyter  Basilius  Cilix  —  derselbe,  der  eine  von 
Marcian  bis  Justin  I  (518  —  27)  incl.,  ja  vielleicht  noch  etwas 
weiterreichende  Kirchengeschichte  geschrieben  hat  (Fabricius- 
Harles  VII,  p.  419]  —  sein  gegen  Johann  von  Skythopolis  ge- 
richtetes Werk  "^Pcofiaicov  jäpaoraolov  ßaoiltvovrog  (491 — 518), 


§  16.     Vorbemerkungen.  227 

Photius.    Bibl.    cod.    107,    Migne  P.  G.    J03,    col.  380  C  und 
381 A. 

11.  Leontius,  ein  vir  sublimis  oder  clarissimus  in  Coiistanti- 
nopel  anuo  519,  suggestio  Germani  legati  bei  Thiel,  epistolae 
Romanorum  pontificum  I.  1868,  in  epp.  Hormisdae.  ep.  59,  3  = 
Mansi  VIII,  p.  450. 

12.  Leontius,  einer  der  519  nach  Rom  gereisten  sog.  skythi- 
schen  Mönche,  Thiel  a.  a.  0.  ep.  75,  2  =  Mansi  VIII,  p.  479 
und  öfter;  vgl.  das  von  ihm  mitunterschriebene  Schriftstück  bei 
Gallandi,  Bibliotheca  XI,  p.  227  und  Migne,  P.  L.  65,  col. 
442  sqq. 

13.  Leontius,  vir  venerabilis  monachus  et  apocrisiarius  pa- 
trum  in  sancta  civitate  constitutorum,  nimmt  als  orthodoxer  Col- 
locutor  teil  an  der  collatio  cum  Severianis  im  Jahre  531,  Mansi 
VIII,  p.  818. 

14.  AtovTLoq.  iiovcc/oq  xal  //yovfitrog  xal  TOJcorrjQrjTTJg  rrjc 
igrjfiov  jcäofjQ  erscheint  in  einer  Gesandtschaft  Jerusalemischer 
Mönche  536  auf  dem  Coneil  zu  Constantinopel,  Mansi  VIII, 
p.  884.  911,  931,  942,  954,  992,  1019. 

15.  ÄEOVTiog  tjtioxojiog  '^EP.svovjtöXtojg  nimmt  an  derselben 
Synode  teil,  Mansi  VIII,  p.  950,  974  u.  s.  w. 

16.  Der  Mönch  Leontius  der  vita  Sabae. 

17.  Leontius.  ein  Hofbeamter  (Referendarius)  zu  Justinian's 
Zeit,  dem  Theodora  seine  Braut  nicht  gönnte,  Procop,  bist, 
arcana,  ed.   Bonn.  tom.  lU,  p.  104. 

18.  Leontius.  ein  Hofbeamter,  der  als  Gesandter  Justinian's 
an  den  Hof  des  Frankenkönigs  Theodebald  (548 — 555)  ging,  Pro- 
cop, de  bell.  Goth.,  ed.  Bonn.  II,  p.  587. 

19.  Leontius,  Feldherr  im  Vandalenkrieg,  Procop,  de  hello 
Vandal.,  ed.  Bonn.  I,  493,  Theophanes,  ed.  de  Boor  1,  p.  205. 

20.  Leontius,  ein  Jurist,  der  durch  die  Constitution  Justi- 
nian's de  novo  codice  coraponendo  vom  13.  Februar  528  neben 
andern  mit  der  Bearbeitung  des  cod.  Justinianus  beauftragt 
wird,  cod.  Justinian.,  ed.  Krueger,  p.  1,  Z.  13,  vgl.  p.  3,  Z.  14. 

Weitergehend  könnte  ich  anknüpfen  an  das  vorstehende  Ver- 
zeichnis: doch,  damit  die  sichere  Grundlage  der  im  Folgenden 
entwickelten  Ansicht  offenbar  werde,  empfiehlt  es  sich,  dass  ich 
auch  bei  der  Darlegung  meiner  Resultate  den  Weg  einschlage, 
den  ich  suchend  gegangen  bin. 

15* 


228  Zweiter  Abschnitt. 

§  17.  Leontius  von  Byzanz,  einer  der  519  in  Constanti- 
nopel  und  liom  nachweisbaren  „skythischen  Mönche". 

Die  früher  charakterisierte  dogmatische  Stellung  des  Schrift- 
stellers Leontius  ist  in  der  Zeit,  in  der  er  gelebt  hat,  nicht  die 
allgemeine  gewesen.  Die  Sicherheit,  mit  der  er  seine  Ortho- 
doxie abgrenzt  gegen  die  beiden  einander  entgegengesetzten 
Häresieen  der  Zeit,  die  nestorianische  und  monophysitische,  das 
bewusste  Bestreben,  Cyrill,  Leo  und  das  Chalcedonense  unter 
einen  Hut  zu  bringen,  seine  Einsicht  in  die  apollinaristischen 
Fälschungen,  seine  entschlossene  Polemik  gegen  Theodor  von 
Mopsueste  und  Diodor  von  Tarsus:  das  alles  ist  in  der  Zeit  zwi- 
schen 520  und  540  durchaus  nicht  selbstverständlich. 

Findet  es  sich  überhaupt  irgendwo?  Einen  Fingerzeig  giebt 
uns  die  Stellung  des  Schriftstellers  Leontius  zu  der  These,  8va 
zr/g  aylag  rgiaÖog  Jisjcovd-tvai  oaQxl. 

Ein  ausdrückliches  Eintreten  für  diese  Formel  ist  allerdings 
nur  in  der  überarbeiteten  Schrift  adv.  Nestorianos  nachweisbar, 
deren  siebentes  Buch  ganz  der  Erörterung  dieser  Frage  gewidmet 
ist.  Dennoch  darf  man  mit  völliger  Sicherheit  die  in  diesem 
Buche  behauptete  dogmatische  Stellung  auch  dem  Leontius  von 
Byzanz  zuschreiben.  Denn  die  Behauptung,  tva  xrjg  ajiag  rgia- 
öog  jisjTOv&^tvai  oaQxi,  ist  eine  notwendige  Consequenz  seiner 
Christologie  (vgl.  oben  S.  74)  und  seines  die  Personen  der  Tri- 
nität  verselbständigenden  Aristotelismus  (vgl.  oben  S.  63). 
Dass  die  Formel  ausser  in  adv.  Nestorianos  in  den  erhaltenen 
Werken  des  Leontius  nicht  nachweisbar  ist,  kann  niemanden 
Wunder  nehmen.  Sind  doch  diese  mit  alleiniger  Ausnahme  des 
dritten  Buches  adv.  Nest,  et  Eut.  gegen  Monophysiten,  nicht 
gegen  Nestorianer  gerichtet.  Das  dritte  Buch  adv.  Nest,  et  Eut. 
aber  enthält  sehr  wenig  dogmatische  Polemik.  Wenn  trotzdem 
auch  hier  (col.  1377  A)  indirect  deutlich  ersichtlich  ist,  dass 
Leontius  von  Byzanz  das  „deus  passus  carne'^  für  orthodox  hält 
(vgl.  auch  adv.  Nest,  et  Eut.  1289  C),  so  darf  er  mit  Sicherheit 
zu  den  Vertretern  des  Satzes,  tva  xrjg  aylag  xQiäöog  jcEJtovd^tvaL 
öagxi,  gerechnet  werden.  Überdies  ist  es  unwahrscheinlich,  dass 
auch  die  Titel  der  einzelnen  Bücher  adversus  Nestorianos  von 
dem  Bearbeiter  herrühren.  Denn  die  Art  und  Weise,  wie  sie  in 
der  Einleitung   (col.  1400)  eingeführt  werden,   erinnert  ganz  an 


§   17.     Leontius  von  Byzanz,  einer  der  skjthischen  Mönche.      229 

adv  Nest,  et  Eut.  1268  sqq,  auch  das  adv.  Nest,  et  Eut.  a.  a.  0. 
aus  dem  Titel  des  Irenäischen  Hauptwerkes  entlehnte  iltyyoc 
findet  sich  hier,  und  das  OTtj^urevOig  eben  im  Titel  von  Buch  VII 
adv.  Nestorianos  erinnert  an  adv.  Nest,  et  Eut.  1 357  B.  Leontius 
von  Bjzanz  darf  also  als  ein  Anhänger  der  These,  tva  rrjg 
ayiag  TQidSog  jtejior{^tvai  oagxi,  angesehen  werden. 

Für  eben  diese  These  sind  die  sogenannten  „skythischen 
Mönche^  in  Constantinopel  im  Jahre  519  eingetreten*).  Finden  wir 
bei  ihnen  eine  dogmatische  Stellung,  die  auch  sonst  der  des  Leon- 
tius ähnlich  ist?  Die  Antwort  auf  diese  Frage  ist  za  entnehmen 
zunächst  dem  Briefe,  den  vier  dieser  skythischen  Mönche,  die  im 
Jahre  519  und  520  in  Rom  waren,  von  Rom  aus  an  Fulgentius 
von  Ruspe  und  andere  in  Sardinien  im  Exil  lebende  afrikanische 
Bischöfe  richteten  (Migne,  P. L.  65,  col.  442sqq.),  sodann  aus  den 
—  dem  Verdacht  falscher  Inscription,  wie  mir  scheint,  durchaus 
nicht  ausgesetzten  —  Werken  des  Johannes  Maxentius,  welcher 
der  Patron  dieser  Mönche  war.  Es  sind  diese  in  lateinischer 
Textgestalt,  die  wohl  mit  Unrecht  als  Übersetzung  angesehen 
wird,  auf  uns  gekommen  und  im  Jahre  1520  aus  einer  Nürn- 
berger Handschrift  der  Werke  des  Fulgentius  von  Ruspe  durch 
Johann  Cochläus  sowohl  im  Anhang  der  Erasmischen  Ausgabe 
des  Cyprian,  als  auch  in  der  von  Willibald  Pirkheimer  und 
Cochläus  besorgten  Ausgabe  des  Fulgentius  veröffentlicht.    Ein 


*)  Die  besten  Erörterungen  über  die  kirchengeschichtliche  Be- 
deutung dieser  Mönche  hat  der  Cardinal  Noris  gegeben:  Historia  Pela- 
giana,  editio  nova  ab  ipso  auctore  nunc  plurimum  locupletata  quinque 
eruditissimis  dissertationibus  historicis,  quarum  prima  est  in  historiam 
controversiae  de  uno  ex  Trinitate  passo,  secunda  est  apologia  mona- 
chorum  Scythiae  ab  anonymi  scrupulis  vindicata,  tertia  etc.  Lovanii 
1702.  Zu  vergleichen  sind  in  diesem  Buche  bist.  Pelag.  lib.  II,  c.  18. 
19.  20.,  p.  192—204  und  die  beiden  ersten  der  mit  eigener  Paginie- 
rung angehängten  Dissertationen.  In  neuerer  Zeit  ist  von  den  skythischen 
Mönchen  nur  in  grösserem  Zusammenhange  —  und  dann  kurz  — ,  oder  in 
encyklopildischen  Werken  gesprochen  worden  —  vgl.  R.-E.^,  Art.  Theo- 
paschiten  (XV,  p.  h'di)  und  Dictionary  of  Christian  biography,  Art.  Maxen- 
tius (III,  p.  SeT)).  Über  Noris  haben  die  neuern  Arbeiten  noch  nicht  hin- 
ausgeführt, und  doch  entsprechen  dessen  Ausführungen,  obwohl  sie  an  dem 
Lobe  teilnehmen  dürfen ,  welches  der  katholischen  Kirchengeschichts- 
forschung jener  Zeit  zu  spenden  ist,  den  Anforderungen  unserer  Zeit 
nicht  mehr. 


230  Zweiter  Abschnitt. 

vielfach  vermittelter  und  auf  solchem  Wege  mehrfach  entstellter 
Abdruck  findet  sich  bei  Migne,  P.  Gr.  86,  col.  73 — 158. 

Es  könnte  verwegen  erscheinen,  im  Kreise  dieser  Mönche 
Gesinnungsgenossen  des  Leontius  zu  suchen.  Denn  seit  Baronius 
den  Maxentius,  der  es  gewagt  hatte,  einem  römischen  Bischof  in 
seiner  „ad  epistulam  Hormisdae  responsio"  (Migne,  a.a.O.  93 sqq.) 
sehr  derb  die  Wahrheit  zu  sagen,  der  Verachtung  preisgegeben 
hat,  welche  den  „Ketzern"  gebührt,  ist  —  trotz  der  beredten  und 
gelehrten  Verteidigung,  welche  die  Orthodoxie  der  skythischen 
Mönche  durch  den  Cardinal  Noris  gefunden  hat  —  der  Verdacht 
heimlicher  Sympathie  mit  den  Monophysiten  von  jenen  Mönchen 
noch  nicht  ganz  weggenommen  worden.  Dass  Cardinal  Noris 
in  diesem  Punkte  gegen  Baronius  völlig  im  Rechte  war,  wird 
sich  im  Folgenden  mehrfach  zeigen.  Doch  ist  die  Frage,  ob 
jene  Mönche  orthodox  oder  heterodox  waren,  für  uns  zunächst 
gleichgiltig;  nur  darum  handelt  es  sich,  ob  die  in  dem  Briefe 
der  skythischen  Mönche  und  in  den  Werken  des  Maxentius  uns 
entgegentretenden  dogmatischen  Anschauungen  denen  des  Leon- 
tius von  Byzanz  verwandt  sind.  Lassen  wir  bei  Beantwortung 
dieser  Frage  diejenigen  Ausführungen  der  skythischen  Mönche, 
welche  sich  auf  die  Schriften  des  Faustus  von  Reji,  auf  die  se- 
mipelagianische  Frage  beziehen,  einstweilen  ausser  Acht,  so  kann 
eine  Verwandtschaft  dogmatischer  Anschauungen  kaum  irgendwo 
sichtbarer  sich  zeigen,  als  es  hier  bei  einer  Vergleichung  des 
Leontius  von  Byzanz  mit  den  skythischen  Mönchen  der  Fall  ist. 
Dieselbe  energische  Abweisung  der  Nestorianer  und  Monophy- 
siten (Migne,  P.  L.  65,  col.  447,  c.  5  der  ep.  monachorum;  Jo. 
Maxent.,  Migne,  P.  G.  86,  col.  111  sqq.  und  115  sqq.),  dieselbe 
Berufung  auf  Cyrill  und  Leo  (ep.  mon.  a.  a.  0.;  Jo.  Maxentius 
col.  77  C),  dieselbe  Polemik  gegen  Theodor  von  Mopsueste, 
„den  Lehrer  des  Nestorius"  (ep.  mon.  a.  a.  0.;  Jo.  Maxentius 
col.  81 B  und  84B),  dieselbe  orthodoxe  Literpretation  der  Formel 
-Mt'a  (pvGiq  Tov  d-eov  Xöyov  ö8öaQX03f/tJ'r/  (ep.  mon.  c.  2,  col. 
443;  Jo.  Maxentius  col.  81 A).  Das  Glaubensbekenntnis  der 
Mönche  (ep.  mon.  c.  2)  kann  gleich  dem  des  Maxentius  (col. 
89  sq.)  geradezu  als  kurze  Formulierung  auch  der  Gedanken  be- 
zeichnet werden,  die  Leontius  von  Byzanz  ausführt. 

Wäre  es  nun  denkbar,  dass  der  Schriftsteller  Leontius  in  der 
That   den   Kreisen  jener  skythischen    Mönche    nahestand?    Wir 


jj  17.     Leontius  von  Byzaiiz.  einer  der  skythischen  Mönche.       231 

ktnneii  nur  wenige  jener  Müucbe  mit  Namen,  —  aber  einer 
dieser  Namen  ist:  Leontins.  Dieser  Leontius  wird  in  den  auf 
die  theopaschitische  Frage  bezüglicben  Briefen  aus  Constauti- 
nopel  mehrfacb  erwähnt  (Thiel,  epp.  rom.  poutiff.  I.  1S6S,  epp. 
Hormisdae  75,  2;  78,  1;  89  =  Mansi  VIII,  p.  479E,  483 B  und 
E),  er  gehört  auch  zu  denen,  welche  den  Brief  an  die  afrikani- 
schen Bischöfe  unterschreiben  (Migne,  P.  L.  65,  col.  451).  Die 
Versuchung,  den  Schriftsteller  Leontius  mit  diesem  gleichnami- 
gen Zeitgenossen  zu  identificieren .  ist  daher  sehr  gross.  Doch 
würde  solche  Gleichsetzuug  nur  den  Wert  einer  sehr  unsicheru 
Hypothese  haben,  wenn  es  unmöglich  wäre,  dieselbe  weiter  zu 
begründen.  Dem  ist  aber  nicht  so.  Ich  glaube,  die  Identität 
der  beiden  in  Eede  stehenden  Leontii  lässt  sich  beweisen. 

Ein  nicht  zu  unterschätzendes  Argument  ergiebt  sich,  so- 
bald man  auf  eine  Erörterung  eines  Bedenkens  sich  einlässt, 
w,elches  der  Gleichsetzung  sich  zunächst  entgegenstellt.  In  dem 
Briefe  der  skythischen  Mönche  an  die  sardinischen  Bischöfe  tritt 
ein  antipelagianisches  Interesse  der  Mönche  sehr  hervor,  selbst 
semipelagianische  Vermittelungsgedanken  werden  zurückgewiesen, 
die  Prädestinationslehre  wird  acceptiert.  Bei  Leontius  von  By- 
zanz  aber  findet  ein  gleicher  Eifer  für  Augustin  sich  nicht.  L^m 
diese  Thatsache  recht  zu  würdigen,  muss  man  sich  zunächst 
fragen,  ob  wirklich  das  antipelagianische  Interesse  der  skythi- 
schen MiJnche  so  gross  war,  als  es  in  ihrem  Briefe  erscheint. 
Schon  allgemeinere  Erwägungen  legen  es  nahe,  diese  Frage  zu 
verneinen :  ein  tiefgehendes  antipelagianisches  Interesse  im  Orient 
ist  schwer  begreiflich,  zufällige  Gründe  —  so  möchte  man  ver- 
muten —  müssen  es  veranlasst  haben,  wenn  Orientalen  sich  für 
Augustin's  Sündenlehre  interessiert  zeigen.  Specielle  Beobach- 
tungen bestätigen  die  Richtigkeit  dieser  Erwägungen.  Doch  ehe 
ich  diese  darlege,  muss  ich  über  die  Chronologie  der  hier  in 
Betracht  kommenden  Ereignisse  einige  Bemerkungen  voraus- 
schicken. 

Der  Streit  über  die  von  den  skythischen  Mönchen  vertei- 
digte Behauptung,  tva  rijg  ayiag  xQiäöog  JitJtovdtvca  oaQxi, 
erreichte  seinen  Höhepunkt  zu  der  Zeit,  als  die  Bischöfe  Ger- 
manus und  Johannes,  die  Diaconen  Felix  und  Dioscorus  nebst 
dem  Presbyter  Blandus  als  Gesandte  des  römischen  Stuhles  in 
Constantinopel  Aveiltcn,  um  die  seit  dem  Tode  des  Kaisers  Ana- 


232  Zweiter  Abschnitt. 

stasius  (f  9.  Juli  5 IS)  möglich  gewordene  Union  zwischen  Orient 
nnd  Occident  herzustellen. 

Die  erste  Erwähnung  der  skythischen  Mönche  findet  sich  in 
den  Berichten  der  Gesandten  vom  29.  Juni  519  (Thiel,  ep.  75 
und  76  =  Mansi  VIII,  479  und  4S0*)):  dass  aber  die  Discussion 
über  die  dogmatische  Anschauung  derselben  schon  etwas  früher 
begonnen  hatte,  sagt  ein  späterer  Brief  des  Diaconus  Dioscor  vom 
15.  October  519  (Thiel,  ep.  98,  2  =  Mansi  VIII,  p.  486**)). 
Die  Mönche  hätten,  so  berichtet  hier  Dioscor.  mit  einem  Diacon 
Victor  —  den  sie  später  (ep.  91  =  Mansi  VIII,  485 D)  in  Rom 
hart  verklagten  — ,  schon  ehe  die  Gesandten  nach  Rom  kamen,  über 
den  Satz:  unus  de  triuitate  crucifixus  est,  gestritten.  Die  Ge- 
sandten kamen  nach  Constantinopel  am  Montag  nach  Quasimodo- 
geniti  (secunda  feria  hebdoraadis  majoris,  ep.64, 1  =  Mansi  VIII, 
453 ß:  secunda  feria  hebdomadis  authenticae,  ep.  65,  2  =  Mansi 
VIII,  454  D);  es  war  am  25.  März  519.  Sicher  vor  dem  25.  März 
519  hat  also  der  theopaschitische  Streit  begonnen. 

*)  Die  beiden  Briefe  sind  handschriftlich  verschieden  datiert,  75: 
ITI.  Cal.  Junias,  76:  111.  Cal.  Julias.  Dass  es  naheliegt,  das  Datum  des 
ersten  nach  dem  zweiten  zu  verbessern,  dessen  Datum  durch  die  gleiche 
Datierung  von  ep.  77.  geschützt  wird,  erkennt  Thiel  zwar  an,  doch 
glaubt  er  p.  871,  not.  8  von  einer  Änderung  absehen  zu  müssen,  weil  in 
ep.  76,   4   (Magnopere  iiraedicti  monachi  ad  Italiam  venientes  aliquanta 

capitula  proponere  habent sicut  et  in  aliis  litteris  signifi- 

cavimus,  et  modo  etc.)  auf  eine  frühere  Meldung  über  die  skythischen 
Mönche  zurückgewiesen  werde,  wir  aber  ausser  ep.  75  keinen  altern  Brief 
besitzen,  welcher  die  Mönche  erwähnt.  Diese  Gründe  sind  nicht  stich- 
haltig, denn  dass  die  Correspondenz  der  Legaten  uns  unvollständig  erhalten 
ist,  verrät  das  Erhaltene  auch  sonst  (s.  Thiel,  p.  999  Nr.  XIX,  p.  1002 
Nr.  XXX);  weiter  war  der  Bericht,  auf  den  76,  4  zurückweist,  ein  Bericht 
der  Legaten,  ep.  75  aber  schreibt  Dioscor  allein.  —  Entscheidend  für  die 
Änderung  ist  ein  Umstand,  dem  Thiel  nicht  scharf  genug  ins  Auge  ge- 
sehen hat:  zur  Zeit  der  ep.  75  waren  die  skythischen  Mönche,  bezw.  et- 
liche von  ihnen,  schon  nach  Rom  gereist,  sie  haben  aber  nach  ep.  76,  2 
(=  Mansi  VIII,  481  A)  beinahe  3  Monat  den  am  25.  März  angekommenen 
Legaten  Mühe  gemacht.  Thiel  in  seiner  Erörterung  dieses  Umstandes 
übersieht,  dass  die  76,  2  (481  A)  erwähnten  certamina  an  den  Vorschlag 
der  Legaten  inbezug  auf  die  Neubesetzung  des  antiochenischen  Bischof- 
stuhles  anknüpften. 

**)  Die  fehlerhafte  Subscription  dieses  Briefes  hätte  schon  Mansi 
nach  Noris,  dissert.  in  hist.  controv.  de  uno  ex  trinitate  passo  p.  19  be- 
richtigen können.    Bei  Thiel   steht  die  richtige  Lesart  der  Handschrift. 


§  17.     Leontius  von  Byzanz,  einer  der  skythisclien  Mönche.       233 

Als  die  Gesandten  am  29.  Juni  519  über  die  skythischen 
Mönche  berichten,  sind  diese,  bezw.  etliche  von  ihnen,  bereits 
unterwegs,  um  in  Rom  bei  dem  Papste  persönlich  ihre  Sache  zu 
führen  (Romam  festinant,  ep.  75,  2  =  Mansi  479E).  In  Rom 
blieben  sie  bis  unmittelbar  vor  der  Zurückkunft  der  päpstlichen 
Legaten  (Jo.  Maxentius,  ad  ep.  Hormisdae  resp.,  Migne,  P.  G.  86, 
col.  104  C),  fast  vierzehn  Monate  lang  (ibid.,  col.  100  A),  Da  nun 
die  am  13.  August  520  geschriebene  ep.  Hormisdae  ad  Posses- 
sorem  die  Abreise  der  skythischen  Mönche  aus  Rom  voraussetzt 
(Thiel,  ep.  124,  3  =  Mansi  VIII,  499 B),  am  15.  Juli  520  aber 
der  Papst  noch  sehnsüchtig  ausschaut  nach  Nachricht  von  seinen 
Legaten  (vgl.  die  epp.  122  und  123  bei  Thiel  vom  10.  und 
15.  Juli  520  =  Mansi  VIII,  p.  496),  so  erhellt  aus  alle  diesen  aufs 
Ijeste  harmonierenden  Angaben,  dass  die  skythischen  Mönche  im 
Juni  519  aus  Constantinopel  abgereist  sind  und  bis  in  den  August 
520  in  Rom  verweilt  haben.  Johannes  Maxentius  war  während 
der  Zeit  in  Constantinopel  geblieben  (vgl.  ad  ep.  Horm.  resp.  col. 
94  sqq.*).  Bis  etwa  Mitte  Juli  52(1  weilten  dort  auch  die  päpst- 
lichen Legaten. 

Beobachtet  man  nun,  dass  in  der  Correspondenz  der  Legaten 
und  in  den  gleichzeitigen  Briefen  des  Kaisers  Justin  und  Justi- 
nian's  die  pelagianische  Frage  überhaupt  nicht  erwähnt  wird, 
dass  vielmehr  der  erste  Brief  aus  Constantinopel,  der  ihrer  ge- 
denkt, der  am  18.  Juli  520-,  also  nach  Abreise  der  Legaten,  ge- 
schriebene Brief  des  in  Constantinopel  lebenden  afrikanischen 
Bischofs  Possessor  ist  (Thiel,  ep.  115  =  Mansi  VIII,  497), 
beobachtet  man  ferner,  dass  die  an  Possessor  gerichtete  Antwort 
des  Papstes  (Thiel,  ep.  124  =  Mansi,  498 sqq.)  die  Auskunft 
über  die  Werke  des  Faustus  mit  den  gleichzeitigen  Mitteilungen 
über  die  inzwischen  aus  Rom  abgereisten  skythischen  Mönche 
durchaus  nicht  weiter  verknüpft:  so  könnte  man  auf  die  Ver- 
mutung kommen,  dass  die  Mönche  gar  nicht  ursprünglich,  son- 
dern erst  nach  ihrer  Romreise  für  die  augustinische  Lehre  inter- 
essiert seien.  Diese  Vermutung  kann  bestärkt  werden,  wenn  man 
wahrnimmt,    dass    unter   den  Schriften  des  Maxentius  nicht  nur 


*)  Der  Zweifel  an  der  Mitreise  des  Maxentius  bei  Thiel,  p.  S76 
not.  6,  würde,  wenn  diese  resp.  ad.  Horm.  ep.  berücksichtigt  wäre,  ent- 
schiedner  Negation  gewichen  sein. 


234  Zweiter  Abschnitt. 

der  ..libellus  contra  Acephalos"*  (Migne,  P.  G.  86,  col.  112—116). 
<lie  „dialogi  contra  Nestorianos''  (ibid.,  col.  116 — 158)  und  die  „adu- 
nationis  verbi  dei  ad  propriam  carnem  ratio"  (ibid.,  90 — 92),  son- 
dern aucb  die  „professio  fidei"  (ibid.,  89  und  90)  und  die  ,,ep.  ad 
legatos  sedis  apostolicae"  (ibid.,  76 — 78)  antipelagianische  Aus- 
führungen nicht  enthalten,  während  die  noch  übrigen  Schriften, 
die  ..professio  de  Christo'"  'ibid.,  col.  79 — 86),  die  „capitula  contra 
Nestorianos"  (ibid.,  86 — 88)  und  die  ,.ad  ep.  Hormisdae  responsio 
(ib.,  94 — 112),  den  Gegensatz  gegen  Pelagianer  und  Semipelagi- 
aner  betonen.  Allein  diese  Annahme  scheitert  an  einem  Doppelten. 
Zunächst  scheint  es  unnatürlich  zu  sein,  den  die  pelagianische 
Frage  berührenden  Brief,  welchen  „Petrus  diaconus,  Joannes. 
Leontius,  alius  Joannes  et  ceteri  fratres  in  causa  fidei  Romam 
directi"  (Migne,  P.  L.  65,  col.  443)  den  afrikanischen  Bischöfen 
schicken,  nicht  in  Rom  geschrieben  sein  zu  lassen.  Sodann  er- 
giebt  sich  aus  einer  Vergleichung  der  zwölf  letzten  Zeilen  der 
ep.  Maxentii  ad  legatos  (Migne,  P.  G.  86,  col.  78 CD)  mit  der 
Disposition  der  „de  Christo  professio"  (ibid.,  79 — 86)  zweifellos 
deutlich,  dass  letztere  mit  Unrecht  neben  jenem  Briefe  als  selb- 
ständige Schrift  erscheint,  vielmehr  nur  ein  Teil  jenes  Briefes 
ist.  Sobald  dies  erkannt  ist,  muss  zugegeben  werden,  dass  im 
Kreise  der  skythischen  ^lönche  schon  AA'ährend  der  Anwesenheit 
der  Legaten  in  Constantinopel  die  pelagianische  Ketzerei  be- 
stritten ist.  Ja  da  in  dieser  ep.  ad  legatos  der  Eingang  (Domi- 
nis  ....  ab  exiguo  Maxentio  et  omnibus,  c[ui  mecum  sunt), 
weiter  das  Fehlen  einer  Erwähnung  der  Romreise  einiger  Brüder, 
ferner  die  freundschaftliche  Stellung  zu  den  Legaten,  endlich  die 
aus  der  Gleichheit  der  Anschauungen  kaum  genügend  erklärte 
Verwandtschaft  des  Briefs  an  die  afrikanischen  Bischöfe  und 
dieser  ep.  ad  legatos,  einschliesslich  der  zu  ihr  gehörigen  jirofessio 
de  Christo,  fast  dazu  nötigen,  die  ep.  ad  legatos  in  die  Zeit  vor 
der  Romreise  des  Petrus  und  seiner  Genossen  zu  setzen:  so  darf 
mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  behauptet  werden,  dass  die 
Mönche  schon  zur  Zeit  ihrer  ersten  Berührung  mit  den  päpst- 
lichen Legaten  ihre  antipelagianischen  Gedanken  ausgesprochen 
haben. 

Allein  dennoch  lässt  sich  darthuu,  dass  die  Polemik  der 
skythischen  Mönche  gegen  Pelagianismus  und  Semipelagianismus 
zufällige  Gründe  hatte   und   nicht  annähernd  so  ihr  Interesse  in 


§  17.     Leontius  von  B3'zanz,  einer  der  skythischen  Mönche.       235 

Anspruch  nahm,  wie  die  theopaschitische  These  und  überhaupt 
die  christologische  Frage.  Man  kann  dies  schon  daraus  schiiessen, 
dass  die  antipelagianischen  Behauptungen  der  Mönche  in  der 
Correspondenz  der  Legaten  keine  Rolle  spielen.  Wären  die 
Mönche  in  Constantiuopel  so  energisch  für  die  Prädestination 
eingetreten,  als  sie  es  den  afrikanischen  Bischöfen  gegenüber 
zu  thun  für  gut  halten,  wer  möchte  glauben,  dass  die  Legaten 
dann  geschwiegen  hätten?  Sodann  sagt  des  Maxentius  ep.  ad 
legatos  in  ihrem  „professio  de  Christo"  überschriebenen  zwei- 
ten Teile  (col.  85 B)  ausdrücklich,  man  halte  es  für  nötig,  die 
eigne  Anschauung  über  die  Gnade  darzulegen,  weil  „etiam  in 
hac  parte  —  d.  h.  .auch  in  dieser  Frage"  —  inimici  gratiae 
dei,  id  est  Pelagii  et  Coelestii  sectatores^  nimium  nobis  in- 
festi  esse  videntur"'.  Die  Mönche  waren  also  provociert.  Und 
welcher  Art  diese  Provocationen  gewesen  sein  mögen,  zeigt  eine 
Stelle  in  Jo.  Maxentii  ad  ep.  Hormisdae  responsio.  Maxentius 
sagt  nämlich  hier  (col.  107A),  nachdem  er  den  häretischen  Cha- 
rakter der  Bücher  des  Faustus  von  Reji  erwiesen  zu  haben 
glaubt,  Folgendes:  „Sicque  confundantur  omnes,  qui  eos  hactenus 
defendunt  catholicos.  Quorum  princeps  et  auctor  est  Possessor 
Africanus  episcopus,  si  tameu  in  hac  parte  - —  d.  i.  in  der  Frage 
nach  der  Bedeutung  der  Gnade,  vgl.  die  oben  citierte  Stelle  aus 
der  ep.  ad  legatos  85  ß  und  ausserdem  in  dem  Brief  an  die  afri- 
kanischen Bischöfe  c.  ü  init.,  Migne,  P.  L.  65,  col.  447B:  quin 
etiam  in  hac  parte  etc.  —  non  hujus  reputat  sententiam,  cujus,  ut 
Cliristus  filius  dei  vivi,  qui  pro  humana  salute  in  carne  est  cru- 
cihxus,  unus  negetur  ex  trinitate,  magnam  praedicat  auetorita- 
tem".  Bischof  Possessor,  so  lernen  wir  hier,  ein  eifriger  Gegner 
des  „unus  ex  trinitate  passus",  hatte,  obwohl  er  selbst  nicht  Semi- 
pelagianer  war,  gegen  die  skythischen  Mönche  den  Faustus,  den 
er  für  orthodox  hielt,  ins  Feld  zu  führen  begonnen*),  und  viele 


*)  Dass  dies  möglich  war,  zeigt  sich  noch  heute  in  dem  Bruchteil 
der  Werke  des  Faustus,  der  erhalten  ist.  In  ep.  Yl  z.B.  (Migne,  P.  L 
öS,  col.  854)  glaubt  Faustus  den  Monophysitismus  mit  folgender  Ausfüh- 
rung ad  absurdum  zu  führen:  Ergo  in  substantia  majestatis  suae  divini- 
fas  crucifixa  est!  Si  unam  Dei  solius  naturam  dicis,  in  substantia  sua 
majestas  mortua  vel  sepulta  est.  Quae  omnia  Dens  non  in  se,  sed  in  na- 
tura suscepti  hominis  excepit.  —  Diese  Polemik  trifft  zwar  die  skythischen 
Mönche  nicht,  —    sie  verteidigten  nur  das  Dens  passus  est  carne  (cf.  Jo. 


236  Zweiter  Abschnitt 

(vgl.  oben  das  „omnes")  hatten  ihm  zugestimmt.  Die  Mönche 
sind  nun  gegen  den  Semipelagianismus  interessiert  worden,  weil 
ihnen  daran  lag,  den  gegen  sie  angefahrten  Faustus  als  einen 
Ketzer  hinzustellen.  Den  Vertreter  der  gegnerischen  Lehre, 
Augustin,  meinen  sie  —  ein  Beweis,  wie  wenig  sie  ihn  wirklich 
kennen  —  als  einen  Zeugen  für  ihre  theopaschitische  These  an- 
führen zu  können  (ep  ad  leg.,  prof.  de  Christo,  Migne  86,  col. 
81 C  f.). 

Aus  alle  diesem  glaube  ich  schliessen  zu  dürfen,  dass  es 
selbst  dann  nicht  verboten  wäre,  den  Leontius  von  Byzanz  mit 
dem  gleichnamigen  „skythischen  Mönch"  zu  identificieren,  wenn 
in  den  Werken  des  Leontius  von  Byzanz  ein  Einfluss  Augustin's 
überhaupt  nicht  zu  erkennen  wäre.  Denn  die  obigen  Aus- 
führungen lassen  es  durchaus  als  denkbar  erscheinen,  dass  nur 
einige  der  durch  ihre  christologisclien  Anschauungen  verbunde- 
nen skythischen  Mönche  antipelagianische  Polemik  zu  treiben 
vermochten,  —  und  weshalb  sollte  gerade  Leontius  einer  dieser 
Mönche  sein?  Daraus,  dass  er  den  Brief  an  die  afrikanischen 
Bischöfe  mit  unterschrieb,  folgt  nicht,  dass  er  allein  ihn  ebenso 
hätte  concipiereu  können.  Es  gab  in  dem  Kreise  der  nach  Rom 
gesandten  Mönche  mindestens  einen,  der  dem  Occident  und  seiner 
Sprache  und  also  wohl  auch  seinem  Denken  näher  stand  als 
Leontius,  —  ich  meine  den  Diacon  Johannes,  der  zum  Über- 
bringer des  Briefes  an  die  afrikanischen  Bischöfe  ausersehen 
Avird  (vgl.  die  Antwort  des  Fulgentius,  Migne,  P.  L.  65  col. 
452  A). 

Wenn  nun  aber  dennoch  in  den  Werken  des  Leontius  von 
Byzanz  uns  manches  begegnet,  was  bei  einem  Orientalen  uns 
auffällt  und  entschieden  an  den  Occident  erinnert,  so  liegt,  meine 
ich,  hierin  ein  gewichtiges  Argument  für  die  Identität  der  beiden 
Leontii.     Die  Thatsache  aber,  dass  in  den  Werken  des  Leontius 


Maxentii  dialogi,  col.  142  A)  — ,  doch  verdrehte  man  ihre  These  so,  dass 
eine  Polemik  wie  die  obige  zu  gebrauchen  war.  Überdies  ist  zwischen 
der  Meinung  des  Faustus  und  der  der  Mönche  allerdings  eine  wirkliche 
Differenz  (vgl  das  „natura  assumpti  hominis"  im  Brief  des  Faustus  mit 
Jo.  Maxentii  dial.  144  C,  9  ff'.):  bei  Maxentius  finden  wir  cyrillisch  chalce- 
donensische  Orthodoxie ^  bei  Faustus  diejenigen  augustinischen  Formeln, 
die  an  nestorianische  Zweiteilung  der  Person  erinnern  (.vgl.  Dorner, 
Augustinus,  S.  103  ff.). 


§  17.     Leontius  von  Byzanz,  einer  der  skythischen  Mönche.       237 

manches  auf  occideutalischen  Einfluss  hinweist,  ist  nicht  zu  leug- 
nen. Beweisend  sind  nicht  sowohl  die  Citate  aus  „Ambrosius"" 
(contra  Nest,  et  Eut.,  Canisius-Basnage  I,  p.  552.  553.  572. 
573  und  ausserdem  —  die  übereinstimmenden  Citate  lasse  ich 
beiseite  —  contra  Monophys.  Migne,  86,  col.  1837 B  [ine:  Xverai 
/«(>],  182SA,  1837  A  [tx  rrjg  xQoq  zovg  oyXovg  diaXt^scog]^ 
1837 B  [jtQoq  zovg  cpiZojtovovg])  und  das  eine  contra  Nest,  et 
Eni,  Canisius-Basnage,  p.  554  und  contra  Monophys.  1837D 
beigebrachte  Augustincitat,  —  denn  diese  Citate  sind  dem  Leon- 
tius zweifellos  auf  Umwegen  zugekommen;  beweisender  sind 
solche  Ausführungen,  die  durch  ihren  Inhalt  eine,  wenn  auch 
oberflächliche  und  vermittelte,  Beeinflussung  des  Leontius  durch 
Augustinus  Gnaden-  und  Öündenlehre  wahrscheinlich,  ja  fast  ge- 
wiss machen.  Ich  führe  die  wichtigsten  derselben  an:  adv.  Nest, 
et  Eut.  1332  C:  jcäcr/g  afiarniag  y.Qtirxojv  fpaveioa  [seil,  fj  xov 
y.vQiov  GccQs]  ovy.  tXQtcöorti  a  verbo  yQtcoöxta),  bin  Schuldner) 
öl.'  tavxrjv  &avaxov  s'ijceQ  xal  xi/v  aQyr/v  o  dävaxog  öia  xrjh' 
auaQxiav  dot(pQ7]Ot  (a  verbo  ElocpntG),  begebe  mich  hinein),  xal 
öiä  jiäorjg  x£yo}Qi]xt  xtjc  cwi)^Q(OJtivi]g  (pvoeojg,  Irp"  co  xaxä  xhv 
IlavXov  üiavxEg  rmaQxov  ov  jaQ  eoriv  y  ytyovsp  ex  xov  Jtav- 
xog  cdojvog  avd^Qwjcov  ^vyj)  txovöiov  xe  //  dxovoiov  afiaQxiag 
xaffaQcc  —  adv.  Nest,  et  Eut.  1370  (J,  wo  dem  Theodor  von  Mop- 
sueste  Folgendes  vorgeworfen  wird:  Parva*)  haec.  Tu  vero 
adde  mihi,  fictum  esse  peccatum  Adae,  idque  deo  auctore,  ut 
Judicium  iniquissimura  in  Adam,  qui  non  peccasset  sed  per  ca- 
lumniam  damnatus  fuisset,  et  exilium  ei  decretum  justa  et  proba- 
bilis  causa  redimendi  mundum  fierent.  Annon  propter  hanc  ra- 
dicem  malorum  et  reliquae  deinceps  impietatis  hominum  Christus 
venit,  ut  Adam,  ovem  a  compascuo  centum  abductam  et  aber- 
rantem,  tanquam  bonus  pastor  salvaret  —  adv.  Nest,  et  Eut.  col. 
1372 B:  Da  deinde,  non,  quidquid  est,  esse  ex  dei  creatione  et 
Providentia,  sed  multa  inutilia  suborta  esse  ex  accidenti  et  con- 
secutione  rerum,  non  facta  deo  volente,  sed  ex  natura  rerum  deo 
non  prohibente**),   ferner  aus   den  Büchern   adv.  Nestorianos  I, 

*)  Der  griechische  Text  ist  hier  vöUif^  unbrauchbar,  man  muss  der 
Handschrift  des  Turrianus  folgen  d.  h.  an  des  Turrianus  lateinische  Über- 
setzung sich  halten. 

**)  Auch  hier  ist  der  griechische  Text,  wenigstens  im  Anfang,  corrum- 
piert:  dlöov  tVi-  xal  r^g  ötjfiiovQyiccg  xal  tT^i:  7i(ji)roiag  ovy  ooov  loxlv  tirai 


23S  Zweiter  Abschnitt. 

c.  41,  col.  1501 C:  //  dh  y)'ojfi7]  xcu  ai  f/ficöv  ai/aQriai  duörcöoir 
uvb.  fitoov  iji^iojv  xal  avrov  (seil.  &-80v)^  und  vor  allem  das  ganze 
achte  Cap.  des  dritten  Buches,  aus  dem  ich  nur  die  Stelle 
162SBC  heraushebe,  wo  Leontius  —  denn  von  ihm  selbst  wird 
man  diese  Ausführungen  herleiten  dürfen  — ,  nachdem  er  be- 
sprochen, inwieweit  auch  die  Juden,  ei  xal  ^oßop  zov  vo/wv  xai 
ov  jtQoaLQtosi  lömaiojiQaYovv ,  Kinder  Gottes  genannt  seien, 
von  den  Christen  sagt:  tjUtiQ  ovv  JtQog  xm  öia  rSf  löycov  jcai- 
(hvtodac  x6  ara^äQrrjTOv ,  y.di  rijV  vjihg  xo  jQamia  ölo.  jcvbv- 
iiaroQ  öiyMioovvtp'  öiöaoxofa&a  {^£ov ,  xai  em  ü.avd-sQia  xal 
adavaoia  lxl/j{)-ijfi£v  xal  axQ8^)la  s^  avaoxaöscoq  vbxq<5v'  xl^co- 
QLav  ovxkXL  dsÖLoxtg,  ov  (itxaßoXrp  xf/g  ö laössf^ f/ti'7]g  fiaxccQiac 
Zfjofjq,  jcövcov  D.evf^SQOi  xal  xojv  aQ/övxcov  xov  alojvog  xov 
öxoTovg  ioöfiEVOL  iv  ovgavim  xs  JtoXixsla  ßi(aOovxeq'  slg  /«(> 
To  eivai  fj^uiig  ayiovg  xal  aficoftovg  xaxtvcojtiov  avxov  er  ayäiin 
siQoo}Qiod-?iUEr  eig  vlodeoiav  &eov  xxX. 

Allerdings  finden  sich  bei  demselben  Leontius  andre  Aus- 
führungen, die  zu  augustinischen  Gedanken  nicht  passen,  z.  B. 
adv.  Nestoriau.  1484 C:  Tivog  ovv  iöojftev  ))  ccf/aQxia;  H  drjXov 
[statt  //  öijXov  bei  Migne]  cog  xov  xa&^'  exaoxov  xojv  ard-goj- 
jicov  avxesovoiov^  xovrov  yccQ  xal  rj  öixaioovvt/'  ei  yaQ  fi?]  xov 
xaxa  jigoaigeOiP  xal  np"  milv  al  af/agriai  xe  xal  al  öixaioov- 
vai  —  tva  jiävxa  jiagaXeitpwfiei^  — .  aöixog  o  xoXäCmv  xov  xe 
ovx  es  eavxov  aiiagxavovxa  xxX. ,  vgl.  auch  I,  c.  47,  col.  1505. 
Allein  so  unbegründet  es  wäre,  gerade  in  solchen  Stellen  eine 
Interpolation  oder  Alteration  des  Textes  annehmen  zu  wollen, 
so  irrig  wäre  es,  dieselben  als  Gegenbeweis  gegen  eine 
Berührung  mit  augustinischen  Gedanken  geltend  zu  machen. 
Eine  solche  Berührung  scheint  mir  fast  zweifellos;  aber  sehr 
begreiflich  ist  es,  dass  sie  nicht  das  ganze  Denken  des  griechi- 
schen Theologen  umgewandelt  hat.  Auch  bei  den  skythischen 
Mönchen  wird  es  nicht  anders  gewesen  sein.  Um  so  wenigfer 
Grund  liegt  vor,  von  hier  aus  die  Identität  des  Leontius  von 
Byzanz  mit  dem  , skythischen"  Mönch  Leontius  zu  bezweifeln. 
Im  Gegenteil,  ich  glaube,  dass  schon  die  obigen  Ausführungen 
diese  Identität  sehr  wahrscheinlich  gemacht  haben. 

tx  &£ov,  7io)Jm  de  xal  raiv  ov  /Qijoifiojv  Tia^eioy/ßai.  7iu^>uy.o}.ovi^7]ij.t:xa 
xal  7taQaov[ißä{xaxa  ovxa  xüiv  ytyovöxoiv,  ovx  ix  ^J-eov  öh  ßovloßbvov  yivo'- 
/xeva,  xij  6h  <pvaei  xojv  TtQayßäxcov  knnueva  xal  fi?/  xa>).voutva. 


§  17.     Leoatius  von  Byzanz,  einer  der  skj'thischen  Mönche.       239 

Diese  Walirscheinlichkeit  vergrössert  sich,  wenn  mau  auf 
eine  genauere  Yergleichung  des  Schriftstellers  Leontius  mit  den 
skytliischen  Mönchen  sich  einlässt.  Nur  Einiges  will  ich  an- 
führen. Die  skythischen  Mönche  treten  auf  als  Verfechter  des 
Chalcedonense  (Jo.  Maxen tii  ep.  ad  legatos,  Migne  86,  col.  75) ; 
allen  denen,  die  ihren  Behauptungen  inbezug  auf  das  „deus  passus 
carne"  entgegentreten,  werfen  sie  Xestorianismus  vor  (suggestio 
Dioscori.  Thiel,  ep.  98,  H  =  Mansi  VIII,  486 D  und  Jo.  Ma- 
xentius,  dial.  praef.  col.  115):  der  Verfasser  des  dritten  Buches 
adv.  Nest,  et  Eut.  macht  es  ebenso ;  der  im  Index  des  cod.  Tur- 
rian.  (vgl.  oben  S.  19)  befindliche  Titel  dieses  Buches:  ..contra 
illos.  qui  siraulabant,  se  Chalcedonensem  synoduni  recipere,  cum 
essent  Nestoriani"  (Canisius- Basnage  I,  p.  525)  charakterisiert 
die  polemische  Position  dieses  Buches  sehr  richtig.  Weiter:  als 
etwas  für  die  skythischen  Mönche  Charakteristisches  hebt  Maxen- 
tius  (ep.  ad  legatos  col.  75  und  77  C:  ad  Hormisdae  ep.  responsio 
102D)  ihre  Berufung  auf  die  auctoritates  patrum  hervor:  die 
sachlichen  Gründe,  die  sie  daneben  geltend  machen,  erklärt  Papst 
Hormisdas  Thiel,  ep.  124,  2  =  Mansi  VIII,  p.  498 D)  für 
..subtili  calliditate  tectae  versutiae",  iind  Maxentius  selbst  lässt  in 
seinen  dialogi  (143  A)  den  Gegner  über  seine  [des  Maxentius] 
,.callida  et  subtilissima  ars  fallendi'"  klagen.  Giebt  es  etwas,  das 
für  den  Schriftsteller  Leontius  mehr  charakteristisch  ist,  als  die 
■/Qi'jösiq  rcöv  jtartQow  und  die  calliditas  seiner  Argumente?  Die 
Verwandtschaft  der  Argumente  und  der  citierten  Väterstellen 
will  ich  nicht  belegen,  sie  ist  nicht  beweisend;  doch  wenn  wir 
sowohl  bei  dem  .skythischen"  Mönch  Leontius  (ep.  Petri  et  alio- 
runi  ad  Fulgent.,  Migne,  P.  L.  65,  col.  444  C),  als  auch  bei  Leon- 
tius von  Byzanz  (adv.  Nest,  et  Eut.  1392)  eine  Bekanntschaft  mit 
der  damals  gewiss  selten  gelesenen  Disputation  zwischen  Paul 
von  Samosata  und  dem  Presbyter  Malchion  antreffen,  so  ist 
neben  anderem  auch  dies  ein  Argument  für  die  Identität  der 
beiden  Leontii. 

Wenn  nun  durch  dies  alles  die  Identität  des  Leontius  von 
Byzanz  mit  dem  skythischen  Mönch  Leontius  sehr  wahrschein- 
lich gemacht  ist,  so  wird  sie  m.  E.  bewiesen,  wenn  zu  allen 
obigen  Gründen  noch  die  Beobachtung  hinzukommt,  dass  Leon- 
tius von  Byzanz  in  seiner  antinestorianischen  und  autimonophy- 
sitischen  Polemik  stark   abhängig    ist  von  dem  Patron  der  isky- 


240  Zweiter  Abschnitt. 

tbischen  Mönche,  Maxentiiis.  Bei  den  langen  dialogi  contra 
Nestorianos  des  Maxentius  ist  die  Grösse  der  Abhängigkeit  des 
Leontius  von  denselben  um  so  schwerer  zu  übersehen,  je  weniger 
genau  festgestellt  werden  kann,  was  in  den  sieben  Büchern  adv- 
Nestorianos  direct  auf  Leontius  zurückgeht.  Doch  scheint  es 
mir  zweifellos,  dass  in  jenen  Büchern  adv.  Nestorianos  eine  Be- 
kanntschaft mit  den  Dialogen  des  Maxentius  spürbar  ist.  Ich 
will  nur  eine  Parallele  hervorheben,  die  beachtenswert  ist,  weil 
sie  einem  wohl  nicht  sehr  häufig  ausgesprochenen  Gedanken 
Ausdruck  giebt. 

Jo.  Maxentius,  dialog.  133 B:  Leontius,  adv.  Nest.  1501 C: 

Haec   quae  dicis  compositae  et     ...  Ov  yaQ  öiaftaxsraL  tv  zqy 
passibilis  naturae  sunt  propria,     xavxxi  o-^^ovOrarco   xal  aöia- 
impassibili   autem  et  incompo-     (poQco    ayad-S  &£(p   yvcofuj  xal 
sitae  non  est  aliud  naturaliter,     fpvoig '    ojOts  d  yvcof.uxöjq  öv- 
aliud    voluntarie    quidpiam   fa-     vaxai  ovva(f&rivai  yfilv,  jtoXZrö 
cere,    sed  prorsus  unum  atque     ^uzXXov  (pvoixcäg. 
idipsum  est.    Quia  ibi  non  aliud 
est  natura  aliud  voluntas,   sed 
natura  voluntas  est  et  voluntas 
natura.      Idcirco    deus   verbum 
....    cum   dicitur    naturaliter 
carni  unitus  etc. 

Eine  Reihe  weiterer  Parallelen  aufzuzählen,  unterlasse  ich, 
weil  es  zwecklos  ist,  einzelne  Berührungspunkte  aufzuweisen. 
Ein  Beweis  wäre  nur  erbracht,  wenn  adv.  Nest,  et  Eut.  lib.  111 
und  die  VII  libri  adv.  Nestorianos  einer  Vollständigkeit  an- 
strebenden Vergleichung  mit  den  Dialogen  des  Maxentius  unter- 
zogen, und  zugleich  alle  in  Betracht  kommenden  Stellen  aus  den 
Büchern  adv.  Nest,  darauf  hin  geprüft  würden,  ob  sie  von  Leon- 
tius selbst,  oder  von  dem  Bearbeiter  der  Bücher  adv.  Nest,  her- 
rühren. Die  Mühe  dieser  weitschichtigen  Arbeit  ist  jedoch  un- 
nötig, weil  schon  bei  dem  kurzen  contra  Acephalos  libellus 
des  Maxentius  (Migne  86,  col.  112  —  116)  die  Abhängigkeit 
des  Leontius  von  Maxentius  sich  mit  Evidenz  ergiebt.  In  dem 
contra  Acephalos  libellus  des  Maxentius  ist  kaum  ein  Gedanke, 
der  nicht  von  Leontius  herübergenommen  wäre.  Um  dies  zu 
beweisen,  zerlege  ich  den   contra  Acephalos  libellus  in  die  ein- 


§  17.     Leontius  von  Bj'zanz,  einer  der  skytbiscben  Mönche.       241 

zelnen,  ihn  constituierenden  Gedankeugruppen  und  füge  bei  jeder 
derselben  die  Parallelen  aus  Leontius  hinzu: 

1.*)  Eingang,  col.  111 D:  Der  monophysitischen  Behauptung: 
ovx  8GTC  (pvoig  avvjiööxaxoq.  ist  Folgendes  entgegenzusetzen:  — 
Vgl.  adv.  Nest,  et  Eut.  1276D,  Z.  6  f. 

2.  112D,  1 — 7:  Wenn  Christus  nach  der  Menschwerdung  ///« 
(pvOiQ  ist,  dann  hat  keine  evcoGig  mit  der  OaQs  stattgefunden. 
Hat  eine  solche  avcoöig  aber  stattgehabt,  dann  besteht  Christus 
aus  zwei  Naturen,  der  göttlichen  und  der  der  oüq^.  Vgl.  trig. 
cap.  9,  col.  1904  B. 

3.  112D,7 — J13A,  11:  Wenn  trotz  einer  stattgehabten  eW- 
Oig  nach  derselben  nur  eine  Natur  da  ist,  so  niüsste,  da  das  Re- 
sultat einer  bvmOLc  stets  ein  compositum  ist,  die  göttliche  Natur 
—  die  doch  allein  diese  eine  sein  kann  —  eine  zusammengesetzte 
geworden  sein.  Diese  Annahme  ist  gottlos.  Es  bleibt  also  nur 
die  Annahme,  dass  die  compositio  eine  derartige  ist,  die  zur 
Zweiheit  der  Naturen  führt.  —  Diese  ungeschickte  Argumenta- 
tion kann  ich  ganz  so  bei  Leontius  nicht  nachweisen,  zu  ver- 
gleichen ist  trig.  cap.  14  und  19,  col.  1904D  und  1908B. 

4.  113A,  12 — 14:  Wenn  Christus  [ila  g)vöig  ist,  so  kann  er 
nur  Gott,  oder  Mensch  sein.  Vgl.  contra  Monophys.  ajtoQia  2, 
col.  1769A. 

5.  113A,  14 — B,  7:  Wenn  keine  q)voig  ohne  vjtöozaoig  und 
keine  vjiooraoig  ohne  (fvoig  ist,  dann  sind  in  der  Trinität  drei 
(fvöug.    Vgl.  Epilysis  1921  A. 

6.  113B,  7 — C,  13:  Was  soll  das  „fisxa  rriv  tvcooiv  [lia' 
bedeuten?  War  vor  der  tvcoGLg  auch  nur  eine  fpvöig  da,  dann 
ist  das  fiera  ri/v  tvwGLV  überflüssig,  dann  hat  überhaupt  keine 
tvcoGLg  stattgefunden.  Sind  vor  der  tvmGig  zwei  Naturen  anzu- 
nehmen, dann  müssen  die,  welche  behaupten:  ovx,  eGri  (pvGLg 
avvjtÖGrarog,  mit  den  Nestorianern  vor  der  tvcocig  auch  zwei 
Hypostasen  annehmen.  Vgl.  Epilysis  1933A  und  adv.  Nest,  et 
Eut.  1277  C. 

7.  113C,  13 — 114A,3:  Wer  auf  dem  „oi'^  Igtl  (pvGig  avvjio- 


")  Der  contra  Acepbalos  libellus  ist  unvollständig  erbalten.  Wie  die 
J]ingangsworte  zeigen,  ist  ihm  eine  „catholicae  iidei  confessio"  ursprünglicb 
vorangestellt  gev?esen.  Es  liegt  nabe,  zu  vermuten,  dass  die  „alia  tidei 
professio"  (Migne  86,  col.  &9sq.)  dies  fehlende  Stück  ist;  beweisen  kann 
ich  es  nicht. 

Texte  u.  Untersuchungen.  HI,  1.  16 


242  Zweiter  Abschnitt. 

orazog  bestellt,  muss  entweder  Christi  Gottheit  oder  die  Natur- 
haftigkeit  seines  Fleisches  leugnen,  oder  zwei  Hypostasen  in 
Christo  anerkennen  mit  den  N estorianern.  Vgl.  trig.  cap.  16, 
col.  1905  C;  contra  Monophys.  ajtOQta  2,  col.  1769A  und  20,  col. 
ITSlC:  endlich  adv.  Nest,  et  Eut.  1277 B. 

8.  114 A,  3 — C,  4:  Wo  man  Zahlen  anwendet,  sagen  sie, 
trennt  man.  In  der  Zahl  selbst  aber  liegt  solch  trennende  Macht 
nicht.  Wie  könnten  wir  sonst  die  drei  Hypostasen  der  Trinität 
für  eine  Einheit  ansehen?  Wir  zählen  oft  Teile,  wo  wir  nur 
hjiLvoia  (cogitatione)  trennen.  So  beim  Menschen,  so  auch  bei 
Christo.  Vgl.  Epilysis  1920 A— 1921 B,  dazu  1932C  (vgl.  oben 
S.  70)  und  contra  Monophysitas  ajtogla  10,  col.  1773  D  sq.  (oben 
S.  185,  Anm.)  und  trig.  cap.  S,  col.  1904B  (oben  S.  78). 

9.  114C,  4 — C,  15:  Zur  Rechtfertigung  der  Annahme  einer 
fila  (pvoig  Christi  darauf  zu  verweisen,  dass  aus  Leib  und  Seele 
eine  Meuscheunatur  werde,  ist  unstatthaft.  Denn  Christus  exi- 
stierte vor  der  Menschwerdung  und  wurde  Mensch  aus  Barm- 
herzigkeit, die  menschliche  Seele  existiert  aber  nicht  vor  dem 
Fleische;  das  Gleichnis  passt  also  nicht.  Vgl.  adv.  Nest,  et  Eut. 
1280  B,  11  ff.  und  Epilysis  1 940  A,  8  ff. 

10.  114C,  15— fin.:  Wenn  in  Christo  aus  Gottheit  und  Mensch- 
heit eine  Natur  wird,  wie  soll  sie  bezeichnet  werden?  Mia  (pvOig 
OsoaQxa)fcsvi]  ist  keine  Bezeichnung  für  eine  fita  (pvOiq,  denn 
dieser  Ausdruck  Aveist  auf  zwei  Naturen  hin.  „Christus"  aber  ist 
keine  Naturbezeichnung.  Vgl.  Epilysis  1936B  und  1928  A;  trig. 
cap.  27,  col.  191 2  AB. 

Die  Beweiskraft  einzelner  Parallelen  mag  bestritten  werden, 
ihre  Gesamtheit  beweist,  da  eine  Benutzung  des  Leoutius  durch 
Maxentius  durch  äussere  und  innere  Gründe  ausgeschlossen  ist^ 
m.  E.  zweifellos,  dass  Leontius  von  Byzanz  den  libellus  contra 
Acephalos  des  J\Iaxentius  gekannt  oder  mit  Maxentius  persönlich 
verkehrt  hat.  In  beiden  Fällen  wird  hierdurch  die  ohnedies  fast 
erwiesene  Identität  des  Leontius  von  Byzanz  mit  dem  „skythischen" 
Mönch  Leontius  zur  Gewissheit.*) 


*)  Beachtenswert  ist  die  enge  Verwandtschaft  des  libellus  contra 
Acephalos  des  Maxentius  mit  den  oben  S.  210  f.  besprochenen  t7ra:nco(J7'ioeig 
OQ&oöögov  in  der  Doctrina  p.  34.  Auch  dies  ist  vielleicht  ein  Hinweis 
darauf,  dass  die  inanoQj'joei;  der  o/ü/.iu  Aeopzlov  in  ihrer  Anordnung  den 


§  ]  7.     Leontius  von  Byzanz,  einer  der  skj'thischen  Mönche.       243 

Was  ergiebt  sich  nun  hieraus  inbezug  auf"  das  Leben  des 
Leontius  V 

Die  wichtigste,  für  das  Verständnis  des  Folgenden  höchst 
bedeutsame  Nachricht  scheint  mir  die  zu  sein,  dass  Leontius  ein 
VerAvandter  des  Comes  Vitalianus  gewesen  ist,  vgl.  suggest.  Dios- 
cori,  Thiel,  ep.  75,  2  =  Mansi  VIII,  p.  479:  .  .  monachos  de 
Scythia,  qui  de  domo  magistri  militum  Vitaliani  sunt  ....  isti 
monachi,  inter  quos  est  Leontius,  qui  se  dicit  esse  parentem 
magistri  militum.  Dieses  „parens"  weist  auf  mehr  hin,  als  nur 
auf  den  Besitz  der  Gunst  Vitalian's,  dessen  die  Mönche  sich  er- 
freuten, es  kann  nur  auf  wirkliche  Verwandtschaft  hindeuten 
(vgl.  auch  Thiel  in  annot.  ad  ep.  75,  2).  Eine  Bestätigung  hier- 
für könnte  man  in  der  sugg.  Germani,  Thiel,  ep.  59,  3  =  Mansi 
VIII,  p.  450  finden,  wenn  es  sicher  wäre,  dass  der  eine  der  zwei 
vornehmen  Männer  [viri  clarissimi,  oder  —  nach  anderer  Lesart 
—  sublimes  I,  die  diesem  Briefe  zufolge  den  Gesandten  im  Auf- 
trage des  Kaisers  entgegengereist  waren,  eben  unser  Leontius 
sei.  Es  spricht  freilich  dagegen,  dass  in  den  Worten  „Stephanus 
et  Leontius  vv.  ss.  (Mansi:  cc.)  ab  imperatore  missi"  von  dem 
Mönchsstaude  des  Leontius  nichts  gesagt  wird.  Trotzdem  aber 
ist  die  Identität  nicht  ganz  unwahrscheinlich,  da  von  dem 
Stephanus  ausdrücklich  gemeldet  wird,  dass  er  der  parentela 
Vitalian's  angehöre.  Doch  auch  wenn  auf  diese  Stelle  gar  kein 
Gewicht  gelegt  werden  darf,  die  Verwandtschaft  des  Leontius 
mit  Vitalian  steht  ohnedies  fest. 

Diese  Verwandtschaft  ist  für  die  Geschichte  und  die  kirch- 
liche Stellung  der  skythischen  Mönche,  und  also  auch  des  Leon- 
tius, um  den  allein  es  für  uns  sich  handelt,  so  wichtig,  dass  wir 
Ijei  diesem  Vitalian  etwas  stehen  bleiben  müssen.  Die  Bedeutung 
dieses  Mannes  für  die  Kirchengeschichte  scheint  mir  auch  in  dem 
vorzüglichen  Artikel  „Monophysiten''  von  Möller,  R.-E.  ■^  X, 
S.  241  ff.  noch  nicht  genug  hervorgehoben  zu  sein.*) 


tTcaTtoQ^aeiQ  6q&oö6cov  mehr  geähnelt  haben,  als  die  trig.  capita  in  ihrer 
vorliegenden  Gestalt,  vgl.  oben  S.  211. 

*)  Unter  den  Quellen  für  das  zunächst  Folgende  geben  allein  die  kurzen 
Notizen  in  den  gleichzeitigen  Briefen  des  Kaisers  Anastasius  sichere  An- 
lialtspunkte  für  die  in  der  Tradition  sehr  verwirrte  Chronologie.  Mar- 
i'oUinus  cumes  (Migne,  P.  L.  51),  der  älteste  der  Berichterstatter,  bietet 
wenig,  und  dies  Wenige  ist  nicht  ohne  Irrtümer,  Procop  berührt  die  (Je- 

16* 


244  Zweiter  Abschnitt. 

Der  Feldherr  Vitalian,  ein  Sohn  des  Comes  Patriciolus  (Pro- 
cop.  de  hello  persico,  ed.  Bonn.  I,  39,  19f.;  Victor  Tnnun.,  Gral- 
landi  XII,  p.  227,  ad.  ann.  510;  Theophanes  ad  ann.  miindi  6005 
ed.  de  Boor  I.  1883,  p.  157),  ein  Thraker  (Malalas  ed.  Bonn., 
p.  402;  Evagrius  3,  43,  Migne,  F.  G.  86,  coL  2696)  oder  ein 
Skythe  von  Geburt  (Marcellinus  comes  ad  ann.  514,  Migne,  P. 
L.  51 ,  col.  938),  beginnt  eine  Rolle  zu  spielen,  nicht  lange  nach- 
dem die  orthodox  chalcedonensisch  gesinnten  Bischöfe  Macedonius 
von  Constantinopel  (im  Jahre  511)  und  Flavian  von  Antiochien 
(im  Jahre  512)  durch  den  monophvsitenfreundlichen  Kaiser  Ana- 
stasius  aus  ihren  Sitzen  verdrängt  v^^aren.  Vitalian  — •  Xiav  yaQ 
rjv  OQd-oöosog  (Theophanes,  p.  165)  —  stellte  sich  nun  an  die 
Spitze  einer  gegen  die  monophysitenfreundliche  Politik  des  Kaisers 
opponierenden  empörerischen  Bewegung.  Auf  einen  beträcht- 
lichen Teil  des  Heeres  gestützt  (Marcellinus  ad  ann.  514,  Theo- 
phanes ad  ann.  6005),  besetzte  er  Thrazien,  Mysien  und  Skythien 
(Malalas,  Theophanes),  x\m  von  diesen  orthodox  gesinnten  Pro- 
vinzen aus  gegen  den  Kaiser  zu  operieren. 

Dachte  er  etwa,  auf  diesem  Wege  sich  die  Krone  zu  ver- 
schaffen? Seine  Stellung  war  später  factisch  der  eines  Usur- 
pators ähnlich  (vgl.  das  srvQavvfjös  bei  Procop.  de  hello  pers.,  ed. 
Bonn.  I,  p.  39,  21  und  de  bell.  Goth.,  ib.  II,  p.  163,  24  und  Theo- 
phanes. p.  159, 16f.),  und  Evagrius  sagt  ausdrücklich  (3,  43,  Migne, 
P.  G.  86,  col.  2696),  Vitalian  habe  im  weitern  Verlauf  seiner 
Erhebung  „nichts  andres  beabsichtigt,  als  sicli  der  Krone  {rr/g 
ßaöiZsiag)  zu  bemächtigen".  Allein  hätte  Vitalian  wirklich  ernst- 
lich nach  der  Krone  getrachtet,  so  würde,  scheint  mir,  der  Ver- 
lauf der  Geschichte  wahrscheinlich  ein  etwas  andrer  gewesen 
sein.  Man  kann  allerdings  über  die  verborgenen  Gründe  des 
Mannes  weder  nach  der  einen  noch  nach  der  andern  Seite  hin 
unbestreitbare  Aussagen  machen,  doch  scheint  mir  hier  die  an 
sich  minder  glaubliche  Annahme  die  wahrscheinlichere  zu  sein. 


schichte  Vitalian's  kaum,  Victor  Tununensis  macht  einige  richtige  Angaben, 
setzt  aber  oifenbar  die  Empörung  Vitalian's  zu  früh  an ;  die  ausführlichsten 
Nachrichten  finden  wir  bei  Evagrius,  Malalas  und  bei  Theophanes.  Letz- 
terer ist  in  den  betreffenden  Abschnitten  von  Malalas  abhängig,  muss  aber 
ausserdem  eine  andre  gute  Quelle  benutzt  haben ,  da  er  allein  über  die 
geplante  Synode  in  Heraclea  etwas  weiss,  von  der  wir  durch  den  Kaiser 
Anastasius  selbst  hören. 


§  17.     Leontius  von  Byzanz,  einer  der  skythischen  Mönche.       245 

Gewiss  ist,  dass  Vitalian  als  eiu  Verteidiger  der  gefährdeten 
Orthodoxie  auftrat  und  diese  Rolle,  wenn  es  eine  Rolle  war. 
auch  zu  Ende  gespielt  hat.  Evagrius  freilich  sagt  gar  nichts 
von  den  religiösen  Motiven  Vitalian's,  doch  neben  Marcellinus 
(ad  ann.  514)  und  Victor  Tunun.  (ad  ann.  510)  bestätigt  auch  Ma- 
lalas  (402,  4),  dass  Vitalian  sein  Thun  durch  religiöse  Gründe  — 
die  Malalas  freilich  als  vorgeschobne  beurteilt  —  gerechtfertigt 
habe.  Theophanes  (p.  157,  11  ff.)  will  sogar  wissen,  dass  Vitalian 
zu  seinem  Auftreten  durch  „die  Orthodoxen  in  Skythien,  Mysien 
und  der  Nachbargegend''  veranlasst  worden  sei.  Kaiser  Ana- 
stasius  selbst  beurteilte  die  Bewegung,  als  deren  Heerd  er  Sky- 
thien  bezeichnet,  als  eine  religiösen  Motiven  entsprungene  (epp. 
1  und  2  bei  Thiel  inter  epp.  Hormisdae  =  Mansi  VIII,  388 
und  384). 

Es  scheint  noch  im  Jahre  513  gewesen  zu  sein,  als  die  Be- 
wegung ihren  Anfang  nahm*).  Kaiser  Anastasius  schickte  dem 
Empörer  seinen  Neffen  Hypatius  mit  einem  Heere  entgegen 
(Theoph.,  p.  157;  Evagr.;  Malal.**)).  Allein  er  wurde  geschla- 
gen***) und  geriet,  von  den  Seinigen  verraten  '^Evagr.,  Mal.),  in 
die  Gefangenschaft  Vitalian's. 


*)  Entschieden  irrig  ist  die  Angabe  des  Victor  Tunun.,  Vitalian  habe 
sich  schon  510  empört.  Damals  war  Macedonius  noch  Bischof,  und  Victor's 
Angaben  erweisen  sich  überhaupt  als  unzuverlässig.  Marcellinus  comes 
bringt  ad  ann.  514  gleich  spätere  Ereignisse.  Der  feste  Punkt  ist  das 
Ende  514  geplante  Concil  von  Heraclea  (ep.  Anastasii  bei  Thiel,  ep.  1  = 
Mansi  VIII,  p.  3SS).  Da  das  Concil  auch  bei  Theophanes  (p.  160,  2ü) 
da  erwähnt  ist,  wo  Theophanes  von  dem  vierten  Jahre  vor  dem  Tode 
des  Anastasius,  also  vom  Jahre  514  spricht,  so  wird  man,  dem  Theophanes 
folgend,  die  Erhebung  Vitalian's  in  das  vorangehende  Jahr  setzen  dürfen. 
Dieser  Ansatz  passt  auch  am  besten  zu  allem,  was  wir  über  die  Zeitver- 
hältnisse wissen. 

**)  Victor  Tunun.  ad  ann.  511  verwechselt,  wie  es  scheint,  den  Pa- 
tricius  und  magister  militum  Hypatius  mit  dem  —  z.  B.  von  Procop.  de 
bello  persico,  ed.  Bonn.  I,  39  genannten  —  magister  militum  Patricius. 

***)  An  dieser  Stelle  scheint  sich  zu  zeigen,  dass  Tlieophanes  in  seinen 
Nachrichten  über  Vitalian  auf  alten  annalistischen  Aufzeichnungen  fusste, 
deren  Angaben  z.  T.  auch  dem  Victor  Tunun.  bekannt  waren.  Theophanes 
erzählt  nämlich,  Vitalian  habe  {(puaO  den  Hypatius  mit  65  000  Mann 
, geworfen"  (t;if()7/^j'/(>f),  Victor  Tunun.  berichtet,  es  seien  in  der  Schlacht 
67  Mann  getötet  worden.  Sollte  nicht  LXVll  aus  LXV  M  entstellt,  und 
also  bei  Victor  dieselbe  Überlieferung  wie  bei  Theophanes  zu  consta- 
tiereu  seinV 


246  Zweiter  Abschnitt. 

Da  nun  alsbald  (Tlieoph.,  p.  159  zum  Jahr  513)  die  Be- 
wegung auch  in  der  Hauptstadt  ihr  Echo  fand,  bei  blutigen 
Strassentumulten  das  Volk  den  Vitalian  an  Stelle  des  Anastasius 
zum  Kaiser  begehrte,  sah  sich  Anastasius  genötigt,  im  neuen 
Jahre  aufs  neue  eine  Überwältigung  Vitalian's  zu  yersuchen. 
Unter  dem  Oberbefehl  eines  gewissen  Cyrillus  wurde  abermals 
ein  Heer  gegen  Vitalian  ausgeschickt*).  Allein  diesem  ging  es 
nicht  besser  als  dem  des  Hypatius.  Um  Odessus  in  Moesien 
wurde  längere  Zeit  gekämpft**),  schliesslich  geriet  die  Stadt 
und  mit  ihr  Cj^rill  selbst  in  Vitalian's  Hände,  und  dieser  liess 
den  gefangenen  Feind  töten.  Nun  war  der  Weg  nach  Constan- 
tinopel  offen,  plündernd  führte  Vitalian  seine  Scharen  gegen  die 
Hauptstadt.  Dicht  vor  der  Stadt  bezog  er  sein  Lager***).  Jetzt 
bot  Anastasius  Frieden  anf).  Durch  eine  Gesandtschaft  von 
Senatoren  versprach  er,  die  vertriebenen  Bischöfe  zurückzuru- 
fen. Und  Vitalian?  Dachte  er  jetzt,  da  er  sie  hätte  erlangen 
können,  an  die  Krone?  Uns  wird  nichts  derart  berichtet. 
Wohl  aber  benutzte  Vitalian  seine  siegreiche  Position,  um  wo- 
möglich definitiven  Kirchenfrieden  herbeizuführen.  Zu  Heraclea 
—  so  wurde  ausgemacht,  wahrscheinlich  gegen  Ende  des  Jahres 
514  —  sollte  am  1.  Juli  515  eine  allgemeine  Synode  gehalten 
werden ,  und  an  dieser  Synode  sollte ,  das  forderte  Vitalian  aus- 
drücklich, auch  ßom  teilnehmen:  mit  und  durch  Rom  sollte  der 
Kirchenfrieden  hergestellt  werden  (vgl.  Theophanes,  p.  160,  Victor 
ad  ann.  514,  ep.  Auast,,  Thiel,  ep.  1  =  Mansi  VHI,  3S8).  Auf 
diese  Bedingungen  hin  schloss  Vitalian  Frieden,  Hypatius  wurde 
zurückgegeben,  Vitalian  wurde  Oberbefehlshaber  in  Thrazien 
(Marcellin  ad  ann.  515).  Es  begannen  nun  seit  December  514 
die  Verhandlungen   mit   Rom,    über    welche   die   Correspondenz 


*)  Von  dieser  Expetlition  des  Cyrill  berichten  alle  Quellen  ausser 
Victor  Tunun.;  Theophanes  und  Marcellin  setzen  sie  übereinstimmend  ins 
Jahr  514,  doch  verschiebt  Marcellin  die  Reihenfolge  der  Ereignisse  inner- 
halb dieses  Jahres. 

**)  Genaueres  bei  Evagrius  und  Malalas,  welch  letzterem  am  meisten 
zu  trauen  sein  dürfte. 

***)  Nähei'e   z.   T.  kaum   identificierbare    geographische  Angaben  bei 
Evagr.,  Malalas  und  Theophanes. 

t)  Theophanes,  p.  160  und  Victor  Tunun.  ad  ann.  514  berichten 
wiederum  auf  Grund  verwandter  alter  Überlieferung,  vgl.  Marcellin  ad 
ann.  515. 


§  17.     Leontius  von  Byzanz,  einer  der  skythischen  Mönche.       247 

des  Hormisdas  uns  Auskunft  giebt.  Der  Brief  des  Papstes  au  Vi- 
talian,  der  bei  Thiel  in  ep.  7,  3  =  Mansi  VIII,  p.  390  A  erwähnt 
wird,  ist  leider  nicht  erhalten.  Es  ist  bekannt  (vgl.  R.-E.  ^  X, 
242),  dass  die  Verhandlungen  sich  zerschlugen;  das  Concil  zu 
Heraclea  kam  nicht  zustande.  .Graeci",  so  erzählt  Hormisdas 
später  (517)  brieflich  dem  Bischof  Avitus  von  Vienne  (Thiel 
ep.  22,  2  =  Mansi  VIII,  p.  41 OB),  ..ore  potius  praeferunt  pacis 
vota,  quam  pectore,  et  loc^uuntur  magis  justa,  quam  faciunt;  ver- 
bis  velle  se  jactant,  quod  operibus  nolle  declarant;  quae  fuerint 
professi,  negligunt  et  c^uae  damnaverint,  haec  sequuntur".  Schon 
im  Jahre  515  scheinen  die  nach  Constantinopel  geschickten 
römischen  Gesandten  zurückgekehrt  zu  sein*). 

Da  nun  Theophanes  (p.  161)  von  einer  Erneuerung  der  Er- 
hebung Vitalian's  nach  dem  „Treubruch"  {sjcioqxio)  des  Ana- 
stasius  im  Jahre  515  zu  berichten  weiss,  Malalas  (p.  403)  und 
Evagrius  (Migne  86,  col.  2696)  von  einer  Seeschlacht  gegen  Vi- 
talian  wissen,  die  nach  der  Niederwerfung  Cyrill's  in  der  Nähe 
Constantinopers  geschlagen  sei**),  so  scheint  es  geboten,  jene 
Seeschlacht  nicht  vor  den  Friedensschluss  zu  setzen,  sondern  in 
das  Jahr  515  oder  516,  Man  hätte  dann  anzunehmen,  Vitalian 
sei  nach  dem  Friedensschluss,  nun  als  vom  Kaiser  anerkannter 
Oberbefehlshaber  in  Thrazien,  mit  seinem  Heere  in  der  Nahe 
Constantinopel's  geblieben,   während  seine   (auch   bei  Marcellin 

*■)  Die  den  zurückkehrenden  päpstlichen  Gesandten  mitgegebene 
ep.  Anast.,  Thiel,  ep.  10  ^  Mansi  VIII,  p.395f.  ist  leider  nicht  datiert,  doch 
ist  der  am  16.  Juli  516  geschriebene,  durch  die  Laien  Theopompus  und 
Severianus  bestellte  Brief  des  Anastasius  (T  h  i  e  1 ,  ep.  1 1  =  M  an  si  VIII,  p.  397) 
offenbar  nicht,  wie  Binius  meinte  (s.  Mansi  VIII,  p.  397),  gleichzeitig  mit 
jenem  undatierten  Briefe;  die  Laien  Theopompus  und  Severianus  haben 
nicht  die  zurückkehi-ende  päpstliche  Gesandtschaft  begleitet,  sondern  sind 
erst  längere  Zeit  nach  Rückkehr  der  Gesandten  nach  Rom  gesandt  (ep. 
Anast.,  Thiel,  ep.  11  =  Mansi  VIII,  p.  397DE  und  ep.  Hormisd.,  Thiel, 
ep.  22,  2  =  Mansi  p.  410  C).  Zwischen  der  Abreise  der  Legaten  und 
der  Laiengesandtschaft,  die  ep.  Anast.,  Thiel,  ep.  11  =  Mansi  Vlll,  p.  397 
überbringt  (Juli  516),  scheint  der  Winter  515  auf  5 IG  zu  liegen.  Thiel  ist, 
wenn  er  neben  ep.  10  das  Datum  „a.  516  d.  16.  Juli"  druckt,  nur  schein- 
bar der  Ansicht,  die  ich  eben  verworfen  habe.  In  den  Monita  praevia 
in  Hormisdae  epp.  ad  ep.  10  (p.  105)  datiert  er  ep.  10  richtig  „ante  anni 
515  exitum". 

**)  Marcellin  ad  ann.  516:  Mutata  fide  Anastasius  imp.  Vitaliano 
succedit,  eique  Rufinum  destinat  successorem,  ist  mir  unklar. 


248  Zweiter  Abschnitt. 

ad  ann.  515  erwähnte)  Flotte  an  der  Küste  des  schwarzen  Meeres 
kreuzte.  Nach  Scheitern  der  Concilspläne  scheint  Vitaliau  als- 
bald wieder  eine  feindliche  Haltung  eingenommen,  doch  durch 
den  Syrer  Marinus  zur  See  geschlagen,  sich  nach  Anchialus  zu- 
rückgezogen zvx  haben.  Mit  Sicherheit  werden  sich  diese  Ereig- 
nisse schwerlich  feststellen  lassen.  Sicher  ist  aber,  dass  die 
kirchlichen  Ziele  Vitalian's  unerreicht  blieben.  Da  deshalb  auch 
die  Spannung  zwischen  Vitalian  und  dem  Kaiser  geblieben  sein 
muss,  so  ist  nichts  wahrscheinlicher,  als  dass  Vitalian  dort  blieb, 
wo  seine  Erhebung  ihren  Stützpunkt  gehabt  hatte,  im  nördlichen 
Thrazien,  Moesien  und  Skythien. 

Als  Anastasius  in  der  Nacht  vom  9.  auf  den  10.  Juli  518 
gestorben  war*),  weilte  Vitaliau  noch  ausserhalb  der  Hauptstadt. 
Doch  hat  Justin  L,  dessen  W^ahl  in  ihrer  Genesis  uns  dunkel 
ist,  ihn  alsbald  zurückgerufen,  und  ihn  am  7.  Tage  nach  seiner 
Ankunft  wieder  zum  magister  militum  gemacht  (vgl.  Malal.,  p.  411, 
Evagr.  4,  3,  col.  2705,  Marcellin.  comes  ad  ann.  519).  Als  Ver- 
trauter des  Kaisers  (Theophan.  p.  165;  Evagr.  4,  3**))  ist  Vitalian 
neben  Justinian  der  Hauptbeförderer  der  Union  mit  Rom  ge- 
worden. In  der  päpstlichen  Correspondenz  erscheint  begreif- 
licherweise die  Einigung  weit  mehr  als  ein  persönliches  Ver- 
dienst Justin's  und  seines  Neffen.  Trotzdem  ist  es  noch  deutlich 
zu  erkennen,  welch  bedeutenden  Einfluss  Vitalian  ausgeübt  hat. 
Den  römischen  Gesandten  ist  er,  ehe  sie  ihn  gesehen  haben, 
eine  bekannte  Grösse,  ein  filius  des  Papstes  (Thiel  ep.  59,3  = 
Mansi  VHI,  450 A).  Er  geht,  als  die  Gesandten  am  25.  März 
519  in  Constantinopel  einziehen,  nebst  Justinian  u.  a.  ihnen  ent- 
gegen, und  der  Legat  Dioscor  nennt  in  seinem  Bericht  hierüber 
(Thiel,  ep.  65,  2  =  Mansi  VHI,  454D)  unter  den  Männern,  die 


*)  Ranke's  Angabe  (Weltgescli.  IV,  2  p.  8),  Anastasius  sei  am  1.  Juli 
gestorben ,  beruht  wohl  auf  einem  Druckfehler.  Die  vita  Sabae  c.  60  (ed. 
Cotelerius,  eccles.  gi-aecae  monum.  III.  Paris  1686,  p.  325  f.)  giebt  die 
(■).  Stunde  der  Nacht  vom  9.  auf  den  10.  Juli  an,  Malalas  p.  410  den  9. 

**)  Evagr.  sieht  die  Freundschaft  des  Kaisers  als  erheuchelt  an,  doch 
imterstützen  die  Briefe  aus  Constantinopel  bei  Thiel  ep.  59  ft'  =  Mansi 
VIII,  450  ff.  diese  Annahme  keineswegs.  Justin  und  Vitalian  stimmten  in 
ihren  kirchlichen  Zielen  zusammen;  das  verband  beide.  Evagrius  kennt 
die  kirchliche  Bedeutung  Vitalian's  nicht;  lediglich  auf  dem,  was  er  über 
V's.  politische  Rolle  gesagt  hat,  ruht  bei  Evagrius  der  falsche  Pragmatis- 
mus, der  4,  3  hervortritt. 


§  17.     Leontius  von  Byzanz,  einer  der  skythischen  Mönche.      249 

„catliolicae  fidei  ardore  ac  desiderio  rediutegrandae  pacis  ardebant", 
den  Vitalian  zuerst.  Tlieophanes  (p.  1(35)  sagt  ausdrücklich,  die 
Legaten  seien  gekommen  ajcovS)/  BLxaXiavov.  Weiter  hören  wir 
(Mal.  p.  411  j,  Severus  von  Antiochieu,  der  Monophysit,  sei  (im 
J.  518  schon)  geflohen  ,^cpoßrjO-siq  BLzahavov''';  auch  Liberatus, 
Breviarium  c.  19  (MansilX,  693}  sieht  in  Vitalian  den  Urheber 
der  Absetzung  des  Severus,  und  das  Volk  von  Tyrus  giebt  am 
16.  Sept.  518*y  bei  einer  tumultuarischen  Scene  in  der  Kirche 
seine  Sympathie  für  Vitalian  durch  Acclamation  zu  erkennen 
(Mansi  VIII,  1085).  — 

Als  einen  Verwandten  dieses  Vitalian  führte  der  skythische 
Mönch  Leontius  sich  ein.  Inwiefern  diese  Verwandtschaft  ihm 
und  seinen  Genossen  förderlich  war,  darüber  nachher.  Fragen 
wir  zunächst,  seit  wann  jene  skj^hischen  Mönche  in  Constanti- 
nopel  waren,  was  über  ihr  Vorleben  bekannt  ist,  ob  und  wie 
dasselbe  sich  combiniereu  lässt  mit  dem,  was  wir  früher  aus  der 
Schrift  adv.  Kest.  et  Eut.  über  die  Jugend  des  Schriftstellers 
Leontius  erfahren  haben. 

Streitigkeiten  über  die  theopaschitische  Behauptung  der  sky- 
thischen Mönche  haben,  wie  wir  sahen  (vgl.  oben  S,  231  f.;,  schon 
vor  der  Ankunft  der  päpstlichen  Legaten,  vor  März  519,  statt- 
gefunden. Doch  scheinen  die  skythischen  Mönche  nicht  lange 
vor  März  519  nach  Constantinopel  gekommen  zu  sein.  Zur  Zeit 
der  erregten  Tumulte,  welche  dem  Tode  des  Anastasius  folgten, 
(Mansi  VIU,  1041  sc|q.),  hört  mau  nichts  von  ihnen,  obwohl  auch 
die  Mönche  der  Hauptstadt  und  ihi-er  Umgebung  an  der  Be- 
wegung lebhaft  teilnahmen  (a.  a.  0.,  1049  scjci.),  und  die  Art,  wie 
im  Jahre  519  von  ihnen  gesprochen  wird,  macht  durchaus  den 
Eindruck,  als  seien  jene  skythischen  Mönche  erst  seit  kurzem  in 
Constantinopel.  Mit  Gewissheit  ist  hier  freilich  nichts  zu  sagen, 
doch  darf  man  es  für  wahrscheinlich  halten,  dass  die  Mönche 
etwa  anfangs  519  nach  Byzanz  gekommen  sind. 

Vorher,  wenn  auch  nicht  notwendigerweise  unmittelbar  vor- 
her, müssen  sie  längere  Zeit  in  Skythieu  sich  aufgehalten  haben. 
Das  beweist  die  stetige  Bezeichnung  derselben  als  monachi  de 

*)  Das  Jahr  würde  auch  ohne  Datierung  zu  erniittehi  sein.  Die 
Mansi  VIII,  1083  angegebene  Indiction  (12.)  ist  richtig,  das  Jahr  613  der 
tyrischen  Ära  wiese  jedoch  auf  September  517.  In  dieser  Angabe  muss 
daher  ein  Fehler  stecken. 


250  Zweiter  Abschnitt. 

Scythia,  das  zeigt  sich  auch  darin,  dass  Bischof  Paternus  von 
Tomi  ein  Bischof  ihrer  Provinz  genannt  wird  (Thiel,  ep.  76  = 
Mansi  VllI,  p.  481 B). 

Von  ihrem  frühern  Leben  hören  Avir  nur  dies,  dass  sie 
eine  Zeit  laug  mit  dem  Occident  Kirchengemeinschaft  ge- 
halten hätten,  während  der  Orient  ihm  gegenüber  in  schismati- 
scher  Stellung  verharrte.  Johannes  Maxentius  sagt  nämlich  (ad 
Hormisdae  ep.  responsio,  Migne  86,  col.  103  D):  monachi  autem, 
C{uos  inique  laceras  —  Hormisdas  hatte  ihnen  u.  a.  ein  „inte- 
grum ecclesiae  corpus  odisse"  vorgeworfen  —  in  tautum  ab  hoc  cri- 
mine  alieni  sunt,  ut  numquam  per  dei  gratiam  a  catholica  com- 
munione  discesserint ,  licet  ad  tempus  ob  nonnuUa  scan- 
dala  in  orientis  partibus  orta  occidentalibus  ecclesiis 
communicaverint*).  Diese  Angabe  passt  sehr  gut  zu  dem 
oben  Ausgeführten:  mindestens  seit  513,  seit  der  Erhebung  Vi- 
talian's,  muss  es  in  Skythien  viele  gegeben  haben,  welche  die 
Kirchengemeinschaft  mit  dem  Occident  der  mit  Byzanz  vorzogen. 
Ja  wenn  man  Theophanes  trauen  darf  —  und  es  hat  sich  oben 
erwiesen,  dass  er  sehr  gute  Quellen  benutzte  — ,  so  sind  es  „die 
Orthodoxen"  in  Skythien  u.  s.  w.  gewesen,  die  Vitalian's  Erhebung 
veranlassten;  es  scheint  so,  als  ob  hier  die  Kirchengemeinschaft 
mit  dem  Occident  überhaupt  nicht  unterbrochen  wäre. 

Eigentümlich  verwickelt  werden  diese  Verhältnisse  nun  da- 
durch, dass  wir  wissen:  die  skythischen  Mönche  sind  in  Byzanz 
als  Kläger  der  episcopi  de  sua  provincia,  inter  quos  est  Pater- 
nus Tomitanae  civitatis  antistes,  aufgetreten  (Thiel,  ep.  76  = 
Mansi  VIII,  p.  481).  Haben  sie  jene  Bischöfe  des  Monophysitismus 
angeklagt?  Dann  wäre  die  Anklage  nicht  auffällig,  wenn  auch 
die  Möglichkeit  derselben  gegenüber  skythischen  Bischöfen  rätsel- 
haft wäre.  Aber  alles  spricht  gegen  diese  Annahme.  Auch  den 
von  den  päpstlichen  Gesandten  ins  Auge  gefassten  Nachfolger 
des  Severus,  einen  Mann  aus  dem  Kreise  derjenigen  Antiochener, 
welche  zur  Zeit  des  Severus  mit  Rom  Kirchengemeinschaft  ge- 
halten hatten,  klagten  die  skythischen  Mönche  an.  „Nestoriani 
sunt,  qui  sedi  apostolicae  communicabant",  sollen  sie  gesagt  haben 

*)  Ich  habe  den  Text  nach  der  editio  princeps  citiert  (ed.  Jo.  Coch- 
läus,  in  append.  opp.  Cyxjriani,  ed.  Erasmus.  1520)  da  Migne's  Text 
—  licet  ad  tempus  nonnuUa  secunda  in  Orientis  etc.  —  durch  Druckfehler 
völlig  unverständlich  geworden  ist. 


§  17.     Leontius  von  Byzanz,  einer  der  skythischen  Mönche.      251 

(sugg.  Germani  et  Joannis,  Thiel,  ep.  76,  2  =  Mansi  VIII, 
p.  4S0E;,  und  eben  diese  Anklage  offenbar  haben  sie  —  nach  Mei- 
nung der  Legaten  —  auch  gegen  die  skythischen  Bischöfe  er- 
hoben. Wie  reimt  sich  das  mit  jener  Angabe  des  Maxentius? 
Lügt  dieser,  oder  lügen  die  Legaten?  hatten  die  Mönche  jetzt 
ihre  Sympathie  mit  dem  Occident  aufgegeben?  Dass  Letzteres 
nicht  der  Fall  ist,  zeigt  der  Umstand,  dass  die  skythischen 
Mönche,  in  Constantinopel  von  den  Legaten  abgewiesen,  in  Rom 
ihr  Recht  suchen,  sperantes  per  litteras  apostolicae  [im  Text: 
vestrae]  sedis  suas  intentiones  confirmare  (Thiel,  ep.  76,  3  = 
Mansi  VIII,  481 B).  Also  sagt  Maxentius  die  Wahrheit.  Die 
Legaten  braucht  man  deshalb  nicht  der  Lüge  zu  zeihen,  wohl 
aber  haben  sie  sich  einer  verleumderischen  Yerallgemeinerunff 
schuldig  gemacht.  Nicht  alle,  welche  mit  Rom  Kirchen- 
gemeinschaft hielten,  klagten  die  skythischen  Mönche  als  Xe- 
storianer  an,  wohl  aber  hielten  sie  alle  die  für  heimliche  Nesto- 
rianer,  welche  das  „deus  passus  carne'"  bestritten  (vgl.  Jo.  Maxen- 
tius, dial.  praefatio,  Migne  86,  col.  115),  auch  wenn  sie  mit  Rom 
Kirchengemeinschaft  hielten,  ja  selbst  den  Legaten  warfen  sie 
Nestorianismus  vor  (Jo.  Max.,  ad  Horm.  ep.  responsio,  Migne  86, 
col.  96B).  Sie  setzten  dabei  voraus,  dass  Rom,  sobald  es  über 
den  Streitpunkt  unterrichtet  wäre,  jene  Leugner  des  „unus  ex  tri- 
nitate  passus  carne"  desavouieren  werde  (vgl.  Jo.  Max.  a.  a.  0., 
col.  lOOA).  Die  Angabe  des  Maxentius  und  die  der  Legaten  sind 
deshalb  in  völligster  Hanuonie,  sobald  man  annimmt,  dass  die 
skythischen  Mönche  zwar  darin  stets  mit  den  skythischen  Bi- 
schöfen, die  sie  verklagten,  eins  gewesen  sind,  dass  sie  Kirchen- 
gemeinschaft mit  dem  Occident  hielten,  daneben  aber  entweder 
von  Anfang  an,  oder  erst  im  Lauf  der  Zeit  daran  Anstoss 
nahmen,  dass  der  Antimonophysitismus  der  skythischen  Bischöfe 
unter  chalcedonensischeu  Formeln  Gedanken  in  sich  schloss,  die 
ihnen  als  nestorianisierende  erschienen.  Diese  Annahme  —  und 
zwar  in  der  Form  der  zweiten  Alternative  —  bestätigt  sich,  wenn 
man  hört  (sugg.  Germ,  et  Joann.,  Thiel,  ep.  76,  3  =  Mansi  VIII, 
p.  481  C;,  dass  der  Kaiser  den  Vitalian,  den  Gönner  der  sk)i;hi- 
schen  Mönche,  und  den  Paternus  von  Tomi  wieder  mit  einan- 
der ausgesöhnt  (Paternum  ...  et  Vitalianum  .  .  .  reduxit  ad  gra- 
tiam),  auch  die  Mönche  genötigt  habe,  ihren  Bischof  um  Ver- 
zeihung zu  bitten.    Hier  erkennt  man  deutlich,  jene  Mönche  und 


252  Zweiter  Absclinitt. 

Vitalian,  ihr  Gönner,  haben  einst  in  guteni  Einvernehmen  mit 
den  skythischeu  Bischöfen  gestanden,  sind  aber  mit  ihnen  zer- 
fallen, seit  sie  , heimlichen  Nestorianismus"  bei  ihnen  entdeckt 
zu  haben  meinten. 

Es  wird  niemandem  entgangen  sein,  aus  welchem  Grunde 
ich  so  ausführlich  auf  die  eben  erörterten  Punkte  eingegangen 
bin,  Sie  zeigen  uns,  dass  das  Wenige,  was  wir  von  dem  Leben 
des  Schriftstellers  Leontius  wissen,  ausgezeichnet  sich  dem  ein- 
fügt, was  wir  über  den  skythischeu  Mönch  Leontius  erfahren. 
Der  Schriftsteller  Leontius  hat,  wie  wir  schon  früher  aus  adv. 
Nest,  et  Eut.  1357Cff.  (vgl.  oben  S.  26f.)  entnahmen,  als  Jüng- 
ling längere  Zeit  unter  dem  Einfluss  solcher  Nestorianer  ge- 
standen, welche  das  chalcedonensische  Symbol  anerkannten 
(1360 D),  welche,  wie  die  Überschrift  des  dritten  Buches  adv. 
Nest,  et  Eut.  im  cod.  Turr.  (Canisius-Basnage  I,  p.  525,  oben 
S.  19)  richtig  sagt,  „simulabant  se  Chalcedonensem  synodum  re- 
cipere,  cum  essent  Nestoriani".  Leontius  erzählt  in  der  zwischen 
529  und  544  geschriebenen  Schrift  adv.  Nest,  et  Eut.  von  jenen 
Erfahrungen  seiner  Jugend  erst  lange  Zeit  nach  seiner  „Be- 
kehrung" (vgl.  1360B, 6ff.).  Es  passt  demnach  sehr  gut,  wenn 
man  jene  Angaben  der  Schrift  adv.  Nest,  et  Eut.  auf  die  Er- 
fahrungen bezieht,  die  Leontius  in  Skythien  in  den  ersten  Jahren 
des  zweiten  Jahrzehnts  des  sechsten  Jahrhunderts  oder  noch  etwas 
früher  gemacht  hat. 

Nur  eine  scheinbare  Schwierigkeit  stellt  sich  dieser,  wie  ich 
glaube,  einleuchtenden  Combination  entgegen.  Leontius  erzählt, 
er  sei  bekehrt  worden,  nachdem  er  sich  losgerissen  von  dem 
Orte,  da  er  verführt  Avar,  und  dann  auf  seinen  Reisen  die  &£loL 
avÖQsg  getroffen  habe,  die  ihn  von  seiner  Blindheit  heilten 
(vgl.  oben  S.  27).  Da  es  nun  höchst  wahrscheinlich  ist,  dass 
unter  den  ß^stoi  avÖQsg  Maxentius  und  der  Kreis  der  skythischeu 
Mönche  verstanden  werden  muss,  so  scheint  für  Reisen  des 
Leontius  kein  Platz  zu  sein.  Aber  es  scheint  nur  so.  Maxentius 
und  mindestens  einige  der  Mönche  in  seiner  Gemeinschaft  kön- 
nen unmöglich  unmittelbar  vorher,  ehe  sie  nach  Constantinopel 
kamen,  in  Skythien  ansässig  gewesen  sein.  Wäre  dies  der  Fall 
gewesen,  so  hätten  die  Legaten  wissen  müssen,  wo  Maxentius 
zu  Hause  war.  Die  Nachricht  des  Legaten  Dioscor  (sugg.  Diosc, 
Thiel,  ep.  98,  4  =  Mansi  VIII,  p.  487):    Maxentius,   qui  sub 


§  17.     Leontius  von  Byzanz,  einer  der  skythiscLen  Mönche.      253 

abbatis  vocabulo  dixit  se  congregationem  habere,  si  interrogetur, 
aut  cum  qiiibus  monacliis  vixit,  aut  in  quo  monasterio  aut  sub 
quo  abbate  moiiaclius  factus  est,  dicere  non  potest.  Similiter 
et  si  de  Achille  dicere  voluero,  rem  facio  supervacuam,  cui  sufficit 
semper  latere  etc.,  —  diese  Nachricht  des  Dioscor,  sage  ich, 
macht  sich  freilich,  wie  die  gesperrt  gedruckten  Worte  zeigen, 
verleumderischer  Übertreibung  schuldig:  das  aber  lässt  sie  doch 
als  sehr  wahrscheinlich  erscheinen,  dass  auch  Maxentius  in  der 
Zeit  vor  519  eine  Zeit  lang  keinen  festen  Wohnsitz  gehabt  hat. 
Beachtet  man  nun,  dass  auch  die  Kenntnis  des  Lateinischen  im 
Kreise  der  skythischen  Mönche,  ihre  wenn  auch  geringe,  so  doch 
hu  Orient  auffällige  Fähigkeit,  abendländische  Gedanken  über 
Sünde  und  Gnade  zu  verstehen.  Reisen  in  der  westlichen  Hälfte 
des  Reiches  sehr  glaublich  erscheinen  lässt,  so  erkennt  man, 
dass  die  fast  gebotene  Identificierung  der  „Retter*  des  Leontius 
mit  Maxentius  und  seinem  Kreise  demjenigen  durchaus  nicht 
widerspricht,  was  Leontius  (a.  a.  0.,  1360A,  oben  S.  27)  von  seiner 
6i^  aQBTTjj)  ssvLTsia  und  txöf]{iia  erzählt. 

Doch  trotz  dieser  guten  Harmonie  zwischen  dem,  was  wir 
über  den  Schriftsteller,  und  dem,  was  vnr  über  den  skythischen 
Mönch  Leontius  wissen,  bleibt  die  Geschichte  des  Leontius  vor 
519  ein  mangelhaft  aufgehelltes  Gebiet.  Deutlich  aber  erkennen 
wir,  was  Leontius  seit  der  etwa  Anfang  519  erfolgten  Übersied- 
lung nach  Constantinopel  erlebte. 

Leontius  und  seine  Freunde  fanden  an  Vitalian,  dem  Ver- 
wandten des  Leontius,  einen  natürlichen  Gönner.  Die  päpstlichen 
Gesandten  meinen  freilich,  Vitalian  sei  durch  die  Mönche  erst 
umgestimmt  worden;  „cujus  immutationem  omnis  nobiscum  de- 
tiet  ecclesia",  schreiben  die  Legaten  Ende  Juni  519  (Thiel,  ep. 
76,  5  =  Mansi  VHI,  481 E).  Die  Mönche,  „omuium  christia- 
norum  votis  adversarii"  (ep.  75,  2;  Text  bei  Mansi  479E  anders), 
so  meinen  die  Legaten,  hätten  in  Vitalian's  Vertrauen  sich  hin- 
eingeschmuggelt und  ihn  so  verführt  (Thiel,  ep.  76,  5  =  Mansi, 
p.  481 E).  Allein  diese  Auffassung  des  Verhältnisses  Vitalian's 
zu  den  Mönchen  trägt  durchaus  die  Farbe  der  gehässigen  Ent- 
stellung, die  alle  Briefe  der  Legaten  zeigen.  Es  ist  freilich 
daraus,  dass  Vitalian  im  Juni  519  mit  Paternus  von  Tomi  zer- 
fallen war,  nicht  mit  Sicherheit  zu  schliessen,  dass  die  frühere 
Freundschaft  mit  ihm   schon  seit    längerer  Zeit  gelockert  war, 


254  Zweiter  Abschnitt. 

dass  Vitalian  also,  schon  ehe  die  Gesandten  Rom's  anhängten, 
ein  Gesinnungsgenosse  der  Mönche  auch  in  demjenigen  war,  was 
sie  von  den  sk3^thischen  Bischöfen  trennte;  doch  ist  dies  nach 
dem  ganzen  Auftreten  Vitalian's  im  Jahre  519  mindestens  nicht 
unwahrscheinlicher,  als  die  gegenteilige  Meldung  der  Legaten, 
die  in  ihrem  Hass  auch  offenbare  Unwahrheiten  zu  sagen,  sich 
nicht  gescheut  haben*).  Mit  Sicherheit  ist  der  Hergang  über- 
haupt nicht  mehr  zu  erkennen.  Um  ihn  recht  zu  beurteilen, 
muss  man  sich  vor  allem  klar  machen,  dass  die  Behauptung  der 
skythischen  Mönche,  unum  ex  triuitate  carne  passum  esse,  nicht 
als  eine  dogmatische  Curiosität  aufgefasst  werden  darf,  die  das 
Ein  und  Alles  der  skythischen  Mönche  gewesen  sei,  und  noch 
viel  weniger  als  eine  Behauptung,  die  dem  Monophysitismus 
Vorschub  leisten  sollte.  In  den  Briefen  der  Legaten  scheint  es 
allerdings  so.  Wie  irreführend  aber  dieser  Schein  ist,  das  zeigen 
die  Schriften  der  Mönche. 

Allerdings  war  zur  Zeit  des  Anastasius  —  im  Sommer  512**) 
—  in  Constantinopel  die  theopaschitische  Erweiterung  des  Tris- 
hagion  von  mouophysitisch  gesinnten  Mönchen,  bezw.  von  dem 
durch  Monophysiten  bestimmten  Kaiser  versucht  worden  (Theo- 
phanes,  p.  154;  Marcellinus,  ad.  ann.  512;  Evagr.  3,44;  Theodor. 
Lector  II,  26,  Migne  86,  1,  col.  198;  Malalas,  p.  407),  allein  mit 
dieser  Bewegung  haben  die  skythischen  Mönche  absolut  nichts 
zu  thun.  Sie  sind  —  vgl.  die  antimonophysitischen  Schriften 
des  Maxentius  und  Leontius  —  die  entschiedensten  Gegner  des 
Severus;  Vitalian,  ihr  Gönner,  veranlasste  seinen  Sturz,  und  Ma- 
rinus,  der  Gönner  der  Freunde  des  theopaschitisch  erweiterten 
Trishagion,  war  der  Gegner  Vitalian^s.  Es  ist  auch  die  theo- 
paschitische Erweiterung  des  Trishagion  dogmatisch  ganz  anders 
zu  beurteilen  als  die  Behauptung,  unum  ex  trinitate  passum  esse 
carne.     Dort  ist   von  eigentlich  theopascbitischen  Gedanken  zu 

*)  Ich  führe  nur  an  sugg.  Dioscori,  Thiel,  ep.  98,3  ==  Mansi,  p.  486  D: 
Isti  Scythae  .  .  .  omnes  qui  accipiunt  synodum  Chalcedonensem  Nesto- 
rianos  dicunt. 

**j  Theophanes,  p.  154,  giebt  das  Jahr  511,  Marcellinus  comes  512. 
Dass  letztere  Angabe  die  richtige  ist,  zeigt  die  vita  Sabae  Cyrilli  Scythop. 
(Cotelerius,  eccl.  graecae  monumenta  111,  p.  305).  Die  Zerstörung  des 
Hauses  des  Marinus,  welche  mit  diesen  Ereignissen  zusammenhängt,  fand 
nach  dieser  vita  statt,  wenige  Monate  nachdem  Sabas  im  Mai  512  [indict.  5.] 
Constantinopel  verlassen  hatte. 


§  17.     Leontius  von  Byzanz,  einer  der  skythischen  Mönche.      255 

reden,  denen  noch  dazu  ein  sabellianischer,  patripassiauischer 
Schein  anhaftet,  hier  ist  eine  Zweinaturenlehre  Voraussetzung, 
und  daneben  hat  die  Behauptung  einen  fast  tritheistischen  Schein. 
Letzterer  hat  der  Anerkennung  der  Behauptung,  unum  ex  sancta 
trinitate  passum  esse,  mehr  im  Wege  gestanden,  als  ein  nur  für 
den  Urteilslosen  vorhandener  monophysitischer  Schein  derselben 
(vgl.  die  epp.  Hormisdae,  Thiel,  ep.  112  und  137  =  Mansi  VIII, 
p.  517  und  521).  Der  theopaschitische  Streit  ist  weit  mehr  ein 
Ereignis  in  der  Geschichte  der  Trinitätslehre,  als  in  der  der 
Christologie :  er  ist  eines  der  ersten  Zeichen  vom  Siege  des  Ari- 
stoteles über  Plato. 

Nicht  minder  irrig  wäre  es,  die  theopaschitische  Behaup- 
tung der  skythischen  Mönche  als  eine  Curiosität  zu  beurtei- 
len, auf  die  sie  sich  capriciert  hätten.  Allerdings  wissen  wir 
nicht,  wie  die  Mönche  auf  jene  Formel  gekommen  sind.  Nur 
Vermutungen  kann  man  darüber  aufstellen*).  Das  aber  sehen 
wir  deutlich,  seit  jene  Formel  einmal  in  die  Discussion  gezogen 
war,  war  sie  den  Mönchen  mehr  als  eine  vereinzelte  Formel. 
Wer  die  antimonophysitischeu  und  antinestorianischen  Schriften 
des  Maxentius  und  Leontius  zu  lesen,  sich  die  Mühe  macht,  wird 
leicht  erkennen,  dass  in  der  Behauptung,  unum  ex  sancta  trini- 
tate passum  esse  carne,  ihre  antinestorianische  und  antimono- 
physitische  und  antisabellianische  Position  ihren  knappesten 
Ausdruck  findet.     Daher  drangen  sie,   nachdem  man  diese  Be- 


*)  Es  ist  selbstverständlich,  dass  in  jener  Zeit,  da  das  Schisma  bei- 
gelegt wurde,  die  kirchenpolitischen  ^lassnahmen  der  letzten  Kaiser  mehr- 
fach erörtert  sind.  Das  Henoticon  Zeno's  (Evagrius  3,  14,  Migne,  P.  G., 
''i),  cnl.  2020),  und  die  Berechtigung  der  einzelnen  Sätze  desselben  wird 
oft  besprochen  sein.  Nun  findet  sich  hier  der  —  zweifellos  völlig  ortho- 
doxe —  Satz:  Ivog  yuQ  tivai  (fcc/Atv  xä  xe  Q-avfxaxcc  xcd  xcc  7iä&tj,  aneg 
ixovaimq  vTttfxeire  augai  (col.  2624  B).  Wenig  weiter  det  Satz:  ße/xtvTjxe 
yuQ  XQiaq  //  XQiäg,  aal  ouQXUiQ^hvxoq  xov  krog  xy?  xgiäöog  d-eov  Xöyov. 
Disputationen  über  diese  Sätze  können  —  um  so  leichter,  wenn  gleich- 
zeitig die  theopaschitische  Erweiterung  des  Trishagion  zur  Sprache  kam  — 
zur  Aufstellung  der  theopaschitischen  Behauptung  der  skythischen  Mönche 
gefülirt  haben.  Die  Formel  sieht  fast  aus  wie  eine  berichtigende  Zusam- 
menfassung dieser  Sätze.  Sie  knüpfte,  ohne  selbst  monophysitisch  zu  sein, 
berichtigend  an  die  monophysitische  Tradition  an.  Eben  dies  nahm  die 
päpstlichen  Legaten  gegen  sie  ein,  eben  dies  machte  die  Formel  aber 
auch  geeignet  zu  einer  ünionsformel  für  die,  welche  zwischen  Nesto- 
rianern  und  Monophysiten  hindurch  den  Weg  der  orthodoxen  Mitte  suchten. 


256  Zweiter  Abschnitt. 

hauptung  bestritten  hatte,  auf  Anerkennung  dieses  einzelnen 
Satzes,  daher  konnte  andrerseits  Leontius  zu  einer  Zeit,  da  die 
Formel  inzwischen  anerkannt  worden  war,  in  der  Schrift  adv. 
Nest,  et  Eut.  antinestorianische  und  antimonophysitische  Aus- 
führungen geben,  ohne  express  jener  Formel  zu  gedenken,  deren 
Anerkennung  selbstverständlich  war,  wo  diese  Ausführungen 
acceptiert  wurden  (vgl.  oben  S.  228). 

Unter  diesen  Umständen  kann  man  leicht  annehmen  —  und 
diese  Annahme  scheint  mir  der  Stellung  Vitalian's  am  ehesten 
gerecht  zu  werden  — ,  Vitalian  sei  zwar  von  vorn  herein  ein 
Freund  jener  Mönche  gewesen,  ein  Freund  ihrer  theopaschitischen 
Behauptung  aber  erst  dann  geworden,  als  er  im  Jahre  519  zu 
Constantinopel  im  persönlichen  Verkehr  mit  den  Mönchen  sich 
davon  überzeugte,  dass  jene  Behauptung  nichts  andres  war,  als 
eine  kurze  Formel  für  die  Nestorianern  wie  Monophysiten  gegen- 
über gleich  scharf  abgegrenzte,  cyrillisch-chalcedonensische  An- 
schauung der  skythischen  Mönche.  Genug,  seit  über  das  „unus 
ex  trinitate  passus  carne"  gestritten  Avurde,  finden  wir  in  Vitalian 
einen  Gönner  der  Mönche. 

Wie  schon  oben  (S.  232)  erwähnt  ist,  gerieten  die  Mönche  — 
die  nähern  Umstände  sind  uns  unbekannt  —  zunächst  mit  einem 
gewissen  Diacon  Victor  in  Streit,  nicht  lange  vor  der  am  25.  März 
519  erfolgten  Ankunft  der  Legaten.  Als  die  Legaten  anlangten, 
glaubten  die  Mönche  bei  ihnen  der  Zustimmung  sicher  zu  sein. 
Wie  dem  Bischof  von  Constantinopel,  so  überreichten  sie  auch 
den  Legaten  ein  Libell  gegen  Victor  (sugg.  Diosc,  Thiel,  ep. 
98,  2  =  Maus i  VII,  4S6AB).  Vielleicht  ist  dies  die  Jo.  Maxentii 
ep.  ad  legatos  nebst  der  professio,  über  die  oben  (S.  234)  ge- 
sprochen ist,  denn  es  ist  nicht  notwendig,  anzunehmen,  dass  in 
jenem  Libell  Victor  genannt  sein  müsse;  der  Eingang  des  Briefes 
des  Maxentius  (Quoniam  nonnulli  videntes  nos  contra  eos,  qui 
inimico  proposito  venerabilis  Chalcedonensis  concilii  fidem  ni- 
tuntur  evertere,  patrum  proferre  sententias  etc.,  Migne,  P.  G.  86, 
col.  75)  passt  sehr  gut  in  die  von  Dioscor  gezeichnete  Situation. 
Es  ergäbe  sich  dann,  dass  damals  jener  Victor  keineswegs  der 
einzige  war,  der  an  der  Verteidigung,  welche  die  Mönche  dem 
Chalcedonense  zuteilwerden  liessen,  Anstoss  nahm.  Schon  damals 
werden  wir  —  vgl.  oben  S.  234  f.  —  auch  den  Bischof  Possessor 
unter   den  Gegnern    der  skythischen   Mönche   vermuten   dürfen. 


§  17.     Leontius  von  Byzanz,  einer  der  skythischen  Mönche.      257 

Doch  nur  der  Streit  mit  dem  Diacon  Victor  machte  von  sich 
reden.  In  Gegenwart  der  Legaten  verhörte  Bischof  Johannes 
von  Constantinopel  den  Victor  und  die  skythischen  Mönche.  Die 
Verhandlung  endete  resultatlos,  da  Victor  zwar  dem  „unus  ex 
triuitate  etc."  widersprach,  das  Chalcedonense  aber  feierlich  an- 
erkannte (sugg.  Diosc,  Thiel,  ep.  98,  2  ==  Mansi,  p.  486 B). 
Die  Legaten  waren  von  Victors  Orthodoxie  überzeugt,  daher  seit 
dieser  Zeit  Gegner  der  skythischen  Mönche.  Bischof  Johannes 
und  Vitalian  nahmen  sodann  den  Victor  noch  einmal  vor,  und 
Victor  scheint  von  Vitalian  gewonnen  zu  sein,  denn  bei  den 
Legaten  zeigte  er  sich  nie  wieder,  und  auch  die  Klage  gegen 
ihn  wurde  nicht  verfolgt  (Thiel,  ep.  98,  2  =  Mansi,  p.  486 C). 

Dies  muss  bald  nach  Ankunft  der  Legaten  gewesen  sein. 
Denn  als  bald  nach  Herstellung  der  Union  (vgl.  das  „per  tres 
menses'^  in  dem  Briefe  vom  29.  Juni  519,  Thiel,  ep.  76,  2  = 
Mansi,  p.  481 A)  die  Neubesetzung  des  antiochenischen  Stuhles 
in  Angriff  genommen  wird,  und  die  Legaten  einen  antiocheni- 
schen Presbyter  ernannt  wissen  wollen,  der  zur  Zeit  des  Severus 
der  dissentierenden,  antimonophysitischen  Partei  der  antiocheni- 
schen Gemeinde  angehört  hatte,  finden  wir  die  Mönche,  die  durch 
Vitalian  einflussreich  waren,  als  entschiedene  Gegner  des,  wie 
sie  meinen,  die  Nestorianer  begünstigenden  Verhaltens  der  Le- 
gaten (sugg.  Germ,  et  Joanuis,  Thiel,  ep.  76,  2  =  Mansi, 
p.  480 E  cf.  sugg.  Dioscori,  Thiel,  ep.  75,  2  =  Mansi,  p.  479 E). 
Dies  und  weiter  die  Anklage  der  Mönche  gegen  die  mit  Rom 
im  Kirchenfrieden  stehenden  skythischen  Bischöfe  machte  den 
Legaten  die  Mönche  höchst  unbequem.  Wider  ihren  Willen 
mussten  sie,  durch  des  Kaisers  Befehl  und  durch  Vitalian  ge- 
nötigt, sich  mit  der  Klagsache  gegen  die  skythischen  Bischöfe 
befassen  (Thiel,  ep.  76,  3  =  Mansi,  p.  48lB).  Doch  trotz  vieler 
Verhandlungen  richteten  sie  nichts  aus.  Deshalb  griff  der  Kaiser 
ein;  er  nötigte  Vitalian,  sich  mit  Bischof  Paternus  von  Tomi 
wieder  auszusöhnen,  und  zwang  die  Mönche,  den  Bischof  um 
Verzeihung  zu  bitten  (vgl.  oben  S.  251). 

So  in  Constantinopel  unterlegen,  versuchten  die  Mönche, 
durch  Rom  Recht  zu  bekommen.  Mehrere  von  ihnen  machten 
sich  jetzt  auf  nach  Rom;  den  Johannes,  Leontius,  Achilles  und 
Mauritius  nennt  Justinian  (Thiel,  ep.  78,  1  =  Mansi  VIII, 
p.  483  B),    die  beiden  ersten  unterzeichnen  nebst  einem  Petrus 

Texte  u.  Untersuchungen.  III,  l.  17 


258  Zweiter  Abschnitt. 

und  einem  zweiten  Johannes  für  sich  und  andere  ungenannte 
Brüder  die  ep.  ad  Fulgentium  (Migne,  P.  L.  65,  col.  442 — 451). 
In  Rom  haben  die  Mönche  während  der  ganzen  Dauer  ihres 
Aufenthalts  die  Kirchengemeinschaft  mit  dem  Papste  bethätigen 
dürfen  ; Jo.  Max.  ad  Hormisdae  ep.  responsio,  lOOA*)).  Trotz  und 
infoige  der  Berichte  seiner  Legaten  scheute  sich  der  Papst,  eine 
Entscheidung  zu  geben.  Und  als  nun  ausser  Vitalian  auch 
Justinian,  der  anfangs  ganz  gegen  die  Mönche  eingenommen  war 
(Thiel,  ep.  78  =  Mansi  VIII,  483 B),  offenbar  durch  Vitalian 
bestimmt,  spätstens  schon  im  October  519  für  das  „unus  ex  tri- 
nitate  etc."  eintrat  (ep.  Justiniani,  Thiel,  ep.  99  ==  Maus  i,  p.  484), 
da  beschloss  der  Papst,  die  Entscheidung  dem  Bischof  Johann 
von  Constantinopel  zu  übertragen,  der  wahrscheinlich  für  die 
Mönche  nicht  ungünstig  entschieden  hätte  (vgl.  sugg.  Diosc, 
Thiel,  ep.  98,  1  =  Mansi,  p.  485E  und  486A}.  Allein  dieser 
Plan  zerschlug  sich.  Eine  eigne  Entscheidung  zu  geben,  ver- 
schob der  Papst  von  einem  Monat  zum  andern  (Jo.  Max.  ad 
Horm.  ep.  resp.,  col.  95  D),  obgleich  die  Frage  bei  kirchlichen 
Zusammenkünften  und  auch  im  Senat  zur  Sprache  kam  (ibid., 
104C).  Wenn  die  Legaten  zurückkehren  würden,  so  versprach 
er,  dann  wolle  er  entscheiden  (ibid.;  bestätigt  durch  ep.  Hormisd. 
ad  Justinianum,  Thiel,  ep.  91  =  Mansi  VIII,  485).  Wenn 
nun  die  skythischen  Mönche  dennoch  vor  Abreise  der  Legaten 
Rom  verlassen  haben,  so  ist  es  ganz  glaublich,  dass  Hormisdas, 
wie  Jo.  Maxentius  klagt  (ad  Horm.  ep.  resp.,  col.  104 CD),  durch 
die  defensores  ecclesiae  sie  hat  ausweisen  lassen,  um  nicht  durch 
eine  Verhandlung  zwischen  den  Legaten,  welche  seit  Jahresfrist 
die  Mönche  für  Ketzer  erklärt  hatten,  und  den  Mönchen,  welche 
während  derselben  Zeit  seine  Kirchengemeinschaft  genossen  hatten, 
selbst  in  eine  unangenehme  Lage  ojebracht  zu  werden.  Nach 
dem  Briefe  des  Hormisdas  vom  3.  December  519  (Thiel,  ep.  103,  3 
^  Mansi,  VIII,  478 A)  müsste  man  freilich  annehmen,  dass  die 
skythischen  Mönche  die  Ankunft  der  Legaten  nicht  hätten  abwar- 
ten wollen,  und  nur  gewaltsam  zurückgehalten,  schliesslich  wider 


*)  Dass  Maxentius  hier  die  Wahrheit  berichtet,  zeigt  sich  darin,  dass 
Hormisdas  in  der  ep.  ad  Possessorem  (Thiel,  ep.  124  =  Mansi  VIII, 
498)  nichts  davon  sagt,  dass  er  die  Mönche  excommuniciert  habe.  Über- 
haupt ist  der  Brief  des  Maxentius  zweifellos  wahrhaftiger  als  der  des 
Hormisdas. 


§  17.     Leontius  von  Byzanz.  einer  der  skythisclien  Mönche.      259 

den  Willen  des  Papstes  glücklich  entkommen  seien,  naclidem  ein 
früherer  Fluchtversucli  —  eben  der,  von  demHormisdas  am3.Dec. 
519  spricht  —  raissglückt  war.  Es  wird  sich  schwerlich  entscheiden 
lassen,  ob  Maxentius  die  volle  Wahrheit  berichtet.  Die  gehässige 
Verleumdung,  welche  Hormisdas  iu  dem  Brief  an  Possessor  zeigt, 
ist  ein  Argument  dafür,  und  die  Darstellung  des  Maxentius  ist 
an  sich  klar  und  begreiflich.  Gewiss  ist  (Horm.  ad  Possess., 
Thiel,  ep.  124,  3  ==  Mansi,  p.  499  A  und  Jo.  Max.  responsio, 
col.  104 CD),  dass  die  Mönche  vor  ihrer  Abreise  das  römische 
Volk  durch  öffentliches  Auftreten  für  sich  einzunehmen  suchten 
und  schriftliche  Proteste  aufsetzten.  Die  Frage,  ob  der  Bericht 
des  Maxentius  über  die  Entstehung  dieser  Proteste  —  die  nach 
Maxentius  an  die  Adresse  des  römischen  Bischofs,  der  Senatoren 
und  der  Kirche  gerichtet  waren  —  durchaus  wahrheitsgetreu 
ist,  hat  für  unsern  Zweck  nicht  Bedeutung  genug,  um  ausführ- 
licher erörtert  zu  werden.  Der  Brief  an  die  in  Sardinien  lebenden 
afrikanischen  Bischöfe  (Migne,  P.  L.  65,  col.  442 ff.)  scheint  schon 
etwas  früher  geschrieben  zu  sein. 

In  Rom  war  die  Aufregung  keine  geringe.  Dass  die  dog- 
matische Frage  auch  in  der  römischen  Gemeinde  erörtert  wurde, 
zeigt  die  lateinische  Übersetzung  der  von  den  Mönchen  viel  an- 
geführten ep.  Prodi  ad  Armenios  durch  Dionysius  Exiguus,  der 
selbst  ehi  „skythischer  Mönch"  war,  zeigt  weiter  das  Fragment, 
welches  von  der  gegen  die  Behauptung  der  skythischen  Mönche 
gerichteten  ep.  Trifolii  presbyteri  ad  beatum  Faustum  senatorem 
erhalten  ist  (Mansi  VIII.  p.  583 — 586). 

Im  August  520  haben  die  skythischen  Mönche  Rom  ver- 
lassen. Dass  sie  nach  Constantinopel  zurückgekehrt  sind,  macht 
des  Maxentius  ad  Horm.  ep.  resp.  deshalb  wahrscheinHch,  weil 
Maxentius  sich  in  diesem  Briefe  über  die  römischen  Vorgänge 
so  gut  unterrichtet  zeigt,  wie  es  ohne  mündlichen  Bericht  seiner 
Freunde  kaum  erklärlich  wäre.  In  Constantinopel  hatten  die 
Mönche  inzwischen  ihren  eifrigsten  Beschützer  verloren:  Vitalian 
war    im    Juli  520    ermordet  worden"^).     Doch  Avar,   wie  gesagt, 

*)  Von  wem?  diese  Frage  wird  kaum  mit  Sicherheit  beantwortet 
werden  können.  Die  historia  arcana  Procop's  (?  s.  Ranke,  Weltgesch. 
rV,  2,  300—312)  ed.  Bonn.  III,  p.  46,  Victor  Tunun.  ad  ann.  523  und  Eva- 
grius  4,  3  schreiben  die  That  dem  Justinian  (hist.  arc),  seiner  Partei 
(Victor)  oder  dem  Kaiser  Justin  (Evagrius)  zu.    Theophanes  (p.  166)  macht 

17* 


260  Zweiter  Abschnitt. 

Justinian  inzwischen  ein  Anhänger  ihrer  theopaschitischen  Be- 
hauptung geworden,  und  ist  es  geblieben.  Im  Jahre  533  oder 
einige  Zeit  vorher  erliess  er  ein  Edikt  (Codex  Justinian.,  ed. 
Krueger  I,  1,  6),  welches  die  Anerkennung  des  „unus  ex  tri- 
nitate  passus  carne"  implicite  forderte*).  Papst  Johann  IL 
(532 — 535),  der  vierte  Nachfolger  des  Hormisdas,  hat  dies  Edikt 
bestätigt  (nostra  autoritate  confirmamus,  Mansi  VIII,  p.  798 B, 
vgl.  Liberatus,  Breviarium  c.  20,  Mansi  IX,  693  E). 

Dennoch  hören  wir  nach  520  in  Constantinopel  von  den 
skythischen  Mönchen  nichts  mehr.  Überhaupt  verliert  sich  seit 
der  Zeit  ihre  Spur  völlig.  Denn  das  Antwortschreiben  der 
afrikanischen  Bischöfe  (Fulgentii  opp.,  Migne,  P.  L.  65,  col. 
451  sqq.)  ist  offenbar  von  demjenigen  der  Mönche,  der  ihren  Brief 
überbracht  hatte,  mitgebracht  worden  und  weist  nicht  über  520 
hinaus.  Dass  die  Mönche  von  Constantinopel  aus  einen  zweiten 
Brief  gesandt  und  mit  ihm  die  Werke  des  Faustus  geschickt 
hätten  (Hefele  II,  698,  vgl.  vita  Fulgentii,  c.  28,  Migne,  P.  L. 
65,  col.  145  A**)),  Fulgentius  aber  darauf,  in  einer  Zeit  nach  523 
(s.  Hefele  II,  S.  699),  ihnen  die  „ad  Joannem,  presbyterum,  et 
Venerium,  diaconum",  gerichtete  Schrift  de  veritate  praedestina- 
tionis  (Migne,  col.  603  sqq.)  gewidmet  habe  und  etwas  später 
mit  den  andern  Bischöfen,  die  nach  Sardinien  verbannt  gewesen 
waren,  die  an  den  Johannes  „presbyter  et  archimandrita"  und  an 
den  Diacon  Venerius  gerichtete  sog.  ep.  synodica  (Migne,  P.  L. 
65,  col.  435)  ihnen  geschickt  habe:    das  ist  eine  Hypothese,  die 

die  Byzantiner  zu  den  Schuldigen;  seine  Vorlage,  Malalas  (ed.  Bonn.,  p.  412), 
und  der  älteste  der  Berichterstatter,  Marcellinus  comes,  melden  einfach  die 
Thatsache.  Justinian's  Schuld  scheint  sehr  zweifelhaft,  denn  Evagrius  ist 
von  der  hist.  arcana  abhängig  (siehe  Jeep  in  dem  14.  Supplementbande  der 
Jahrbücher  für  klassische  Philologie,  S.  161),  der  historia  arcana  ist  nicht 
zu  trauen,  und  Victor  giebt  seine  Behauptung  ausdrücklich  als  ein  Gerücht. 
*)  Von  diesem  Edikte  erzählten  die  im  Sommer  533  nach  Rom  ge- 
schickten Gesandten  Justinian's  (vgl.  ep.  Joannis  II,  Mansi  VIII,  p.  798 B); 
dass  es  u.  a.  den  oben  angegebenen  Inhalt  hatte,  darf  aus  der  von  den 
Gesandten  überbrachten  ep.  Justiniani  (Mansi  VIII,  p.  796),  aus  Libe- 
ratus (Brev.  c.  20)  und  aus  Victor  Tunun.  ad  ann.  529  gefolgert  werden, 
und  dass  es  mit  dem  im  Codex  I,  1,  6  erhaltenen  identisch  ist,  beweist 
die  im  Codex  sub  I,  1,  7  und  8  folgende  Correspondenz,  zu  der  auch  der 
Mansi  VIII,  795  sqq.  gedruckte  Briefwechsel  mit  Rom  gehört. 

**)  Nach  dieser  Stelle  hat  Fulgentius  die  Briefe  des  Faustus  von  Con- 
stantinopel her  erhalten. 


§  18.     Leontius  von  Byzanz  bei  dem  Religionsgespräch  53 J  etc.      261 

nicht  nur  nicht  zu  erweisen  ist  —  Noris  (hist.  pelag.  II,  21  p.  205 
ed.  Lovan.  1702)  vermutete  nur,  jener  Archimanclrit  Johannes 
sei  Joh.  Maxentius  — .  die  vielmehr  auch  offenbar  falsch  ist.  Denn 
es  wäre  doch  ein  gar  wundersames  Freundschaftsstück,  skythischen 
Mönchen  die  ep.  Hormisdae  ad  Possessorem  zu  empfehlen,  wie 
die  ep.  synodica  es  thut  (col.  442).  Die  ep.  syn.  kann  an  den 
Joh.  Maxentius,  der  die  ad  Horm.  ep.  ad  Possessorem  responsio 
geschrieben  hat,  keinesfalls  gerichtet  sein.  Überdies  ist  ein  Ve- 
nerius  im  Kreis  der  skythischen  Mönche  nicht  nachgewiesen*). 
Es  bleibt  also  dabei:  nach  August  520  verliert  sich  die  Spur  der 
skythischen  Mönche  überhaupt,  also  auch  die   unseres  Leontius. 

§  18.     Leontius  von  Byzanz  bei  dem  Religions- 
gespräch des  Jahres  531  und  bei  der  Synode  des  Mennas 

im  Jahre  536. 

Nach  August  520,  so  sahen  wir  soeben,  verliert  sich  die 
Spur  der  skythischen  Mönche  überhaupt,  also  auch  die  des  Leon- 
tius. Doch  sollte  nicht  vielleicht  dort  ein  Hinweis  auf  die 
Mönche  oder  gar  speciell  auf  unsern  Leontius  sich  finden,  wo 
im  Jahre  533,  wie  oben  schon  bemerkt  wurde,  die  These  der 
Mönche  abermals  zwischen  Rom  und  Constantinopel  erörtert 
wurde?  In  dem  Briefe  Justinian's,  den  Bischof  Hypatius  von 
Ephesus  und  Demetrius,  Bischof  von  Philippi,  in  dem  ge- 
nannten Jahre  nach  Rom  bringen,  wird  weder  Leontius  noch 
ein  anderer  der  skythischen  Mönche  erwähnt  (Mansi  VIII, 
p.  795  sqq.).  Ebensowenig  in  der  päpstlichen  Antwort  vom 
25.  März  534.  Doch  weist  diese  Gesandtschaft  auf  eine  neue 
Fährte.  Hypatius  von  Ephesus  präsidierte  der  bekannten,  eben 
jener  datierbaren  Gesandtschaft  wegen  —  wohl  mit  Unrecht, 
s.  unten  S.  283,  Anm.  —  meist  in  das  Jahr  533,  anstatt  ins  Jahr 
531,  gesetzten  coUatio  cum  Severianis;  Demetrius  war  gleichfalls 
berufen,  au  ihr  teilzunehmen,  konnte  nur  krankheitshalber  den 
Verhandlungen  nicht  anwohnen,  obwohl  er  nach  Constantinopel 
hatte  kommen  können  (Mansi  VIII,  817). 


*)  Ob  die  von  He  feie  in  diesem  Zusammenhang  (II,  698  ft".)  nach 
Noris  entwickelten  Ansichten  über  Abfassungszeit  und  -Ort  der  in  Frage 
kommenden  Schriften  des  Fulgentius  die  richtigen  sind,  das  zu  unter- 
suchen, ist  hier  nach  dem  oben  Ausgeführten  keine  Veranlassung.  Eine 
Untersuchung  würde  m.  E.  Hefele's  Behauptungen  nicht  stehen  lassen. 


262  Zweiter  Abschnitt. 

Es  ist  bekannt  (R.-E.  ^X,  244),  dass  an  diesem  Religions- 
gespräcli  von  orthodoxer  Seite  nur  solche  Collocutoren  teilnah- 
men, welche  sich  ausdrücklich  zu  dem  Satze  bekannten,  ^dass 
Gott  der  Herr,  einer  aus  der  Trinität,  am  Fleisch  gelitten  habe'^ 
Hier  würden  also  skythische  Mönche  uns  nicht  ü])erraschen  kön- 
nen. Insbesondere  unser  Leontius,  den  seine  Schriften  als  ge- 
wandten Polemiker  erweisen,  der,  wie  wir  oben  (S.  23  und  76  f.) 
gesehen  haben,  einen  Ruf  als  Disputator  hatte,  würde  hier  an 
seinem  Platze  sein.  In  der  That  wird  unter  den  orthodoxen 
Collocutoren  (Mansi  VIII,  818)  auch  genannt:  „Leontius  vir 
venerabilis  monachus  et  apocrisiarius  patrum  in  sancta  civitate 
constitutorum".  Ist  dieser  Mönch  Leontius,  Apokrisiar  oder  stell- 
vertretender Gesandter  der  Väter,  d.  i.  offenbar  der  Mönche,  in 
der  heiligen  Stadt,  in  Jerusalem*),  identisch  mit  dem  Schrift- 
steller, dem  skythischen  Mönch  Leontius?  In  den  sog.  Akten 
der  coUatio  cum  Severianis,  d.  h.  in  dem  in  unglaublich  cor- 
rupter  Textgestalt  uns  erhaltenen  Briefe,  den  einer  der  ortho- 
doxen Collocutoren,  Bischof  Innocentius  von  Maronia  (östlich 
von  Philippi,  am  Meer),  über  die  Verhandlungen  einem  befreun- 
deten Presbyter  schrieb,  erfaliren  wir  über  den  Leontius  apocri- 
siarius nichts  Näheres.  Die  einzige  —  übrigens  sehr  dürftige  — 
Quelle,  die  m.  W.  neben  jenen  Akten  für  die  collatio  vorhanden 
ist,  ist  die  syrische  Lebensbeschreibung  des  Johannes  von  Telia 
I  Constantina  in  Mesopotamien],  der  als  CoUocutor  der  Monophy- 
siten  an  dem  Religionsgespräch  teilnahm  (Mansi  VIII,  817; 
Kleyn,  Het  leven  van  Johannes  van  Telia  door  Elias,  Leiden 
1882,  S.  XLIXsq.);  sie  geht  überhaupt  auf  die  Verhandlungen  gar 
nicht  ein,  nennt  auch  keinen  der  orthodoxen  Collocutoren**). 


*)  Über  diesen  Titel  „apocrisiarius  patrum  etc."  habe  ich  Aufklärung 
zu  erhalten,  mich  vergeblich  bemüht.  Es  ist  offenbar,  dass  es  sich  hier 
nicht  um  einen  Apokrisiar  eines  Patriarchen  handelt,  sondern  wirklich 
um  einen  Apokrisiar  der  Mönche  in  Jerusalem.  Gemeint  ist  wahrschein- 
lich dieselbe  Stellung,  die  bei  andrer  Gelegenheit  (vgl.  unten  S.  272)  durch 
T07iOTr]Q7]rrjg  näarjq  trjQ  tQtifxov  (Mansi  VIII,  911)  bezeichnet  wird.  Von 
einem  oder  vielmehr  von  mehreren  apocrisiarü  in  Mönchscolonieen  scheint 
auch  Novell.  79,  ed.  Zachariae  v.  Lingenthal  II,  p.  9  (Nr.  98)  ge- 
redet zu  sein.  Doch  kann  ich  weiteres  über  dies  Amt  (?)  nicht  angeben. 
**)  Streng  zu  erweisen  ist  nicht  einmal  die  Identität  der  beiden  Re- 
ligionsgespräche, denn  die  vita  Joannis  nennt  (Kleyn,  a.  a.  0.)  acht  mo- 


§  18.     Leontius  von  ßyzanz  bei  dem  Religionsgespräch  531  etc.    263 

Es  bleibt  daher  nur  ein  Weg  übrig,  um  zu  einem  Urteil 
über  die  Wahrscheinlichkeit  oder  Unwahrscheinlichkeit  der  Iden- 
tität des  Leontius  apocrisiarius  und  des  skythischen  Mönchs  Leon- 
tius von  Byzanz  zu  gelangen:  man  muss  nachsehen,  ob  die  Werke 
des  Leontius  die  Annahme,  er  sei  einer  der  Teilnehmer  an  dieser 
collatio  gewesen,  begünstigen,  oder  nicht. 

Das  Resultat  einer  solchen  Untersuchung  ist  ein  frappieren- 
des. Wenn  überhaupt  die  Parallelen  zwischen  den  Akten  der 
collatio  und  den  Werken  des  Leontius  die  Identität  des  Schrift- 
stellers und  des  Leontius  apocrisiarius  zn  beweisen  vermögen, 
dann  ist  durch  die  auffällige  Menge  solcher  Parallelen  in  der 
That  jeder  Zweifel  an  der  Identität  der  beiden  Leontii  ausge- 
schlossen. 

Ich  glaube  dies  am  besten  zeigen  zu  können,  indem  ich  ein 
Referat  über  die  Verhandlungen  des  Religionsgespräches  gebe 
und  die  parallelen  Stellen  aus  den  Werken  des  Leontius  in  dies 
Referat  einfüge. 

Am  ersten  Verhandlungstage  (Mansi  VIII,  818  und  819) 
knüpft  die  Discussion  an  ein  von  den  Severianern  eingereichtes 
Glaubensbekenntnis  an,  von  dem  sie  selbst  sagen:  omnia  quae  nobis 
ambigua  videbantur  et  scandalizabant  nos,  intexuimus.  Der  or- 
thodoxe Vorsitzende,  Hypatius  von  Ephesus,  bemerkt  über  diese 
Schrift:  chartulam  illam  pervidimus,  in  qua  tam  supra  quam  in- 
fra   Chalcedonense  concilium  criminamini. 

Anknüpfend  an  diese  Schrift  gegen  das  Chalcedonense,  fragt 
Hypatius  die  Severianer  nach  ihrem  Urteil  über  Eutyches  und 
Dioscur.  Letzteren  erklären  die  Severianer  für  orthodox,  von 
ersterem  sagen  sie:  „haereticus  [est],  magis  autem  princeps  hae- 
resis".  Dann  hat,  folgert  Hypatius,  Dioscur  Unrecht  gethan,  als 
er  auf  der  ephesinischen  [Räuber-]  Synode  ihn  recipierte,  den  Fla- 
vian  (von  Constantinopel)  und  Euseb  (von  Doryläum),  die  An- 
kläger des  Eutyches,  verurteilte.  „Eutychen  tanc[uam  acta  forsitan 
poeuitentia  justificarunt",  wenden  die  Monophysiten  ein.  Hypa- 
tius widerlegt  dies  durch  den  Hinweis  darauf,  dass  Dioscur  schon 
vor  der  Verurteilung  des  Eutyches  in  Constantinopel  für  ihn  ein- 

nophysitische  Teilnehmer,  Innocenz  von  Maronia  sechs.  Immerhin  aber 
ist  doch  die  Identität  fast  sicher,  weil  Johannes  von  Telia  in  beiden  Be- 
richten genannt  wird,  und  weil  sein  Biograph  von  einer  zweimaligen 
Reise  nach  Constantinopel  nichts  weiss. 


264  Zweiter  Abschnitt. 

getreten  sei,  und  drängt  —  nach  der  Darstellung  des  ortho- 
doxen Collocutors,  zu  der  freilich  die,  in  ihrer  Allgemeinheit 
übrigens  bedeutungslosen,  Nachrichten  der  vita  des  Johannes 
von  Telia  nicht  passen  —  die  Severianer  dahin,  anzuerkennen, 
dass  Dioscur  mit  der  Reception  des  Eutyches  und  der  Verur- 
teilung seiner  Gegner  nicht  Recht  gethan  habe,  sodass  „Chalce- 
done  juste  congregatum  concilium  est,  ut  ea,  quae  universale 
concilium  deliquerat  vel,  sicut  vos  [Severianij  dicitis,  minus  vide- 
rat,  ab  universali  concilio  corrigerentur"  *). 

Dies  die  Verhandlungen  des  ersten  Tages.  Dass  der  Schrift- 
steller Leontius  eine  monophysitische  Schrift  oder  monophysi- 
tische  Erörterungen  über  das  Chalcedonense  kennt,  die  an  die 
hier  erwähnte  Schrift  und  an  die  hier  besprochenen  Argumente 
erinnert  bezw.  erinnern,  ist  in  Actio  VI  de  sectis  und  contra 
Monophys.  1876Dff.  (vgl.  auch  oben  S.  35)  offenbar  und  wird 
bei  den  Verhandlungen  des  zweiten  Tages  noch  deutlicher  wer- 
den. Hier  weise  ich  nur  auf  contra  Monophys.  1884  C  und 
1885  BC.  Die  Erörterungen  an  letzter  Stelle  knüpfen  an  an  den 
monophysitischen  Einwand:  Nai,  cprjoi  fiexarorjOarra  yaQ  avtov 
[seil.  Evrvyjj]  tjii  rovroiq  löi^axo  [Subject  Dioscur]  xal  aX?]- 
d-cöc  oQd^odo^ovvra  vOz6Q07\  , Entweder",  zu  dieser  Alternative 
drängt  die  Schrift  contra  Monophysitas,  deren  Grundlage  auch 
hier  die  OyjölLa  sein  werden,  in  ihrer  Entgegnung,  „hat  Eutyches 
aufrichtig  seine  Meinung  geändert,  —  dann  hatte  Flavian  ein 
Recht,  vor  der  Sinnesänderung  ihn  abzusetzen,  Dioscur  aber  Un- 
recht mit  seinem  Einschreiten  gegen  Flavian,  —  oder  Dioscur 
hat  den  Eutyches  recipiert,  ohne  dass  dieser  seine  Meinung  ge- 
ändert hatte". 

Am  zweiten  Verhandlungstage  (Mansi  a.  a.  0.,  820  —  831) 
greift  Hypatius  zurück  auf  das  am  ersten  Zugestandene.  Die 
Severianer  geben  auch  jetzt  zu,  der  Zusammentritt  der  Synode 
von  Chalcedon  sei  berechtigt  gewesen,  das  Resultat  der  Ver- 
handlungen aber  greifen  sie  an.  Zuerst  (I)  tadeln  sie  die  Zwei- 
naturenlehre von  Chalcedon  als  eine  unberechtigte  Neuerung; 
die  altern  Väter,  Cyrill,  Athanasius,  Felix  und  Julius  von  Rom, 
Gregorius  Thaumaturgos  und  Dionysius   Areopagita  hätten  an- 


*)  Man  beachte  diese  Erörterungen  über  die    delicta  des  ökume- 
nischen Concils  zu  Ephesus. 


§  18.    Leontius  von  Byzanz  bei  dem  Religionsgespräch  531  etc.      265 

ders  gelehrt  (820  C).  Die  Debatte  richtet  sich  zunächst  (I,  P) 
auf  die  von  den  Monophysiten  beigebrachten  Schriften  des  Atha- 
nasius,  Julius  und  Grregorius  Thaumaturgos.  Man  erkennt  leicht, 
es  sind  die  pseudoathanasianische  Schrift  jt^gl  oaQxojöeojg  rov 
Xoyov^  die  unechten  Juliusbriefe  und  die  xard  fisgog  jclöxig, 
um  die  es  sich  handelt  (s.  Mansi,  821 A  und  821D).  —  Hypa- 
tius  erklärt  diese  Schriften  für  apollinaristische  Fälschungen, 
und  weist  dann  (I,  1^)  die  Berufung  auf  Dionysius  Areopagita 
mit  der  Bemerkung  zurück,  die  Echtheit  der  betr.  Schriften  sei 
nicht  zu  erweisen*). 

Dann  (I,  2)  wendet  man  sich  zu  Cyrill.  Die  Severianer  ta- 
deln (I,  2^),  dass  zu  Chalcedon  die  ep.  Cyrilli  duodecim  capitu- 
lorum  nicht  direct  recipiert  sei  (82 iE  —  822D),  machen  (1,2^) 
geltend,  auch  die  recipierten  Briefe  Cyrill's,  die  ältere  ep.  dogma- 
tica  an  Nestorius  (Migne,  P.  G.  77,  col.  43 sqq.)  und  die  ep.  ad 
Orientales  (Migne  77,  col.  173 sqq.)  widersprächen  der  Zweinatu- 
renlehre durch  die  Anerkennung  der  fcia  g^votg  rov  d-sov  löyov 
OtoaQxoyfitrii  (822  D — 824 A),  und  berufen  sich  endlich  (I,  2*=)  auf 
andere  Briefe  Cyrill's,  unter  denen  die  ep.  ad  Eulogium  (Migne 
77,  col.  223  sqq.)  imd  die  ep.  ad  Succensum  altera  (ibid.,  237  sqq.) 
besonders  genannt  werden  (824  A — 828  E).  Hypatius  erwidert  in- 
bezug  auf  das  Erste  (I,  2*),  der  Brief  sei  implicite  anerkannt, 
ausdrücklich  deshalb  nicht,  weil  er  [in  dem  Satze:  sl  rig  sjil  rov 
tvog  Xqiotov  öiaiQsT  zag  vüioöxaöug  fisza  rijv  evojöiv]  von 
2  Hypostasen  in  Christo  zu  reden  scheine,  überdies  gegen  Eut}'- 
ches  gar  nicht  brauchbar  gewesen  sei  (vgl.  oben  S.  50  f.  Anm.). 
An  diese  Antwort  schliesst  sich  eine  Debatte,  in  der  Hypatius 
feststellt,  dass  Cyrill,  obwohl  er  in  der  Trinitätslehre  zwischen 
ovota  und  vjtöotaoig  stets  scheide,  in  der  Christologie  bisweilen 


*)  Wenn  R.-E.2  III,  p.  61ü  [im  Anschluss  an  Walch  und  Hipler] 
gesagt  wird,  die  Monophysiten  hätten  dem  gegenüber  behauptet,  Cyrill 
habe  in  seinen  Schriften  gegen  Diodor  von  Tarsus  und  Theodor  von 
Mopsueste  den  Areopagiten  citiert,  wie  man  aus  dem  Exemplar  dieser 
beiden  Schriften  im  Archiv  von  Alexandria  sehen  könne,  so  ist  damit,  wie 
mir  scheint,  nur  ein  weitverbreiteter  Irrtum  ausgesprochen.  Den  be- 
treffenden Einwand  machen  die  Monophysiten  (821  BC),  als  die  Debatte 
noch  bei  den  apollinaristischen  Fälschungen  verweilt.  Der  Übergang  zu 
dem  Areopagiten  ist  821 D  mit  dem  Satze:  „Quod  autem  prius  dici  de- 
buit,  hoc  in  ultimo  dicimus",  deutlich  genug  markiert. 


266  Zweiter  Abschnitt. 

beide  Begriffe  verwechsele  (vgl.  oben  S.  44  Anm.).  Den  zweiten 
Einwand  (I,  2  ^)  entkräftet  man  durch  Hinweis  auf  das  bei  dieser 
Gelegenheit  recitierte  Bekenntnis  Flavian's,  das  für  die  Zwei- 
naturenlehre und  doch  auch  für  das  fiia  (fvötq  zov  {^sov  AÖyov 
OsöaQxcofisvr]  eintritt.  Schwach  bleibt  die  Polemik  gegen  die  Be- 
rufung auf  andere  Briefe  Cyriirs  (I,  2*=).  Man  erwidert  nur,  in 
den  echten  Schriften  Cyrill's  werde  zweifellos  die  Zweinaturen- 
lehre gelehrt,  dem  widersprechende  Ausführungen  seien  deshalb 
verdächtig.  In  diesem  Zusammenhange  wird  die  Reception  der  ep. 
dogmatica  an  Nestorius  und  der  ep.  ad  Orientales  in  der  zweiten 
Sitzung  des  Chalcedonense  (Mansi  VI,  955)  besprochen*),  und 
von  letztem!  Briefe  ausgeführt,  dass  er  in  der  That  Cyrill's  eigene 
Meinung,  nicht  nur  die  der  Orientalen  zum  Ausdruck  bringe. 
Man  wolle  nichts  Cyrillisches  verdammen,  so  urteilt  man  hn  all- 
gemeinen, Kirchengesetz  seien  aber  die  nichtanerkannten  Briefe 
nicht  (824 B)  und  könnten  es  um  so  weniger  sein,  je  näher  die 
Befürchtung  läge,  dass,  was  mit  den  orthodoxen  Äusserungen 
Cyrill's  nicht  harmoniere,  von  Ketzern  gefälscht  sei.  — 

Bleiben  wir  hier  erst  einmal  stehen.  Fast  alles  bis  jetzt 
über  die  Verhandlungen  des  zweiten  Tages  Erwähnte  hat  eine 
auffällige  Parallele  an  dem  zweiten  Hauptteil  der  antimonophy- 
sitischen  Ausführungen  der  OjoXta  Asovriov  (vgl.  oben  S.  211  f.), 
bezw.  namentlich  an  dem  Abschnitt  der  Schrift  contra  Mono- 
physitas,  in  welchem  derselbe  bearbeitet  vorliegt.  Auch  dort 
tritt  Leontius  der  Behauptung  der  Monophysiten  entgegen,  die 
Zweinaturenlehre  sei  eine  Neuerung,  auch  dort  werden  zunächst 
dieselben  apoUinaristischen  Fälschungen  besprochen,  sodann  ver- 
dächtige Stellen  aus  Cyrill.  Die  Briefe  ad  Succensum  treten  da- 
bei (Migne  86,  col.  1853,  1856,  1876)  besonders  hervor,  die  ep. 
ad  Eulogium  erscheint  an  etwas  früherer  Stelle  (1833  C).  Er- 
gänzend tritt  auch  hier  der  Schrift  contra  Monophys.  die  Schrift 
de  sectis  zur  Seite:  die  Behauptung  des  Hypatius  (82 iC;,  die 
Citate  aus  den  [oder  einer  der|  apoUinaristischen  Fälschungen  in 
CyriH's  Schriften  gegen  Diodor  und  Theodor  seien  auf  häretische 
Interpolationen  zurückzuführen,  findet  sich  ebenso  de  sectis 
1256D:  AHa  rl  £)[p(iBV  dnüi^  öri  jtaQacptQovoi  xov  fiaxccQiov 


*)  Das  zeigt  ein  Blick  auf  die  Akten  von  Chalcedon,   der  Text  der 
Akten  der  coUatio  ist  hier  (824  E)  besonders  arg  verstümmelt. 


§  18.    Leontius  von  Byzanz  bei  dem  Religionsgespräch  531  etc.     267 

KvQiXXov,  jtaQcc/ovTa  avrrjv  [seil,  die  pseudoathanasianische 
Schrift  jtSQi  OaQxcoGsojg]  jiagd  (lies:  xara)  tov  &£o6ojqov  coc 
dxo  TOV  ayiov  Ad-avaGiov;  Atyoftsr  Jigog  rovro,  oxi  rrö  ovxl 
fiev  xeiraL  Iv  tolq  xov  fzayMQiov  Kvq'lXIov  y.axd  GsoÖojqov  q/)- 
&8Wiv,  dXXä  ocpäXfia  koxlv  dg^atov  (vgl.  oben  S.  215). 

Die  missverständliche  Terminologie  (öiaigstv  xdg  vxooxä- 
ostg)  in  Cj'rill's  ep.  synodica  (s.  oben  I,  2^)  ist  dein  Leontius 
wohlbekannt  (Epilysis  1925  Äff.,  vgl.  de  sectis  1241 C),  und  den 
Ausführungen  des  H^-patius  über  stillschweigende,  wenn  auch 
nicht  ausdi'ückliche ,  Reception  dieses  Briefes  ist  der  Abschnitt 
de  sectis  1252  CD  eng  verwandt.  Dass  die  Ausführungen  des 
Hypatius  ad  I,  2^  inhaltlich  bei  Leontius  ihre  Parallelen  haben, 
braucht  nicht  mehr  ausdrücklich  erwähnt  zu  werden  (vgl.  oben 
S.  213,  b^),  auch  Flavian's  Glaubensbekenntnis  wird  contra  Mono- 
phys.  1844C  und  lSS5Dff.  verwertet.  —  Nur  eines  finden  wir 
anders  bei  Leontius  als  in  der  collatio:  Hypatius  bezweifelt  die 
Echtheit  der  areopagitischen  Schriften,  Leontius  citiert  den  iityag 
/iiovvOLog  (adv.  Nest,  et  Eut.  12S8C,  1304D  und  Canisius-Bas- 
nage  I,  p.  571)  ohne  Bedenken  (vgl.  oben  S.  32).  Allein,  da  der 
Vorsitzende  doch  nicht  in  allen  Einzelheiten  die  Meinung  aller 
einzelnen  vertritt,  da  ferner  H3'patius  seine  Zweifel  sehr  vorsichtig 
ausspricht,  so  ist  dies  gar  kein  Grund  gegen  die  Identität  des  Leon- 
tius apocrisiarius  mit  dem  Schriftsteller  Leontius.  Im  Gegenteil, 
gerade  aus  jenen  Erwähnungen  des  Dionysius  Areopagita  lässt 
sich  ein  Argument  für  dieselbe  formulieren;  doch  ist  es  nicht 
zweckmässig,  durch  Erörterungen  darüber  hier  den  Zusammen- 
hang zu  unterbrechen.  Wir  werden  davon  sprechen,  wenn  wir 
auch  den  Rest  der  Verhandlungen  des  Religionsgespräches  be- 
handelt haben. 

Nach  einigen  Wechselreden  über  die  Bedeutung  der  Con- 
cilien  (828 E — 829 C),  denen  zwar  alles  Eigentümliche  fehlt,  zu 
denen  aber  doch  Epilysis  1929 D  verglichen  werden  kann,  brin- 
gen die  Monoph^'siten  (829  C  ff.)  einen  neuen  Vorwurf  gegen  das 
Chalcedonense  vor:  „Ibas  et  Theodoretus  sicut  rectae  fidei  suscepti 
sunt  a  synodo".  Beide,  entgegnet  Hypatius,  hatten  zuvor  den 
Nestorius  verurteilt.  Und  wenn  Theodoret  hier  nicht  aufrichtig 
gehandelt  hätte,  —  wer  verwirft  das  Nicaenum,  weil  auch  Euseb 
von  Nicomedien  und  Theognis  von  Nicäa  es  unterschrieben 
haben?     Übrigens   hat  Cyrill  selbst  mit  Theodoret  sich    ausge- 


268  Zweiter  Abschnitt. 

söhnt,  hat  einen  freundschaftlichen  Brief  mit  ihm  gewechselt.  — 
Inbezug  auf  Ibas  wird  länger  über  seinen  Brief  an  Maris  debat- 
tiert, das  Hauptargument  des  Hypatius  aber  bleibt,  auch  Ibas  sei 
erst  recipiert,  nachdem  er  den  Nestorius  verurteilt  hatte,  und 
so  schliesst  er  die  Debatte  mit  der  siegesgewissen  Behauptung: 
„Chalcedonense  ergo  concilium  circa  Ibam  et  Theodoretum  di- 
strictius  agit  (lies:  egit)  quam  beatus  Cyrillus.  Beatus  enim 
Cyrillus  contentus  fuit  in  consensu  damnationis  Nestorii  et  ordi- 
natione  beati  Maximiani,  qui  pro  illo  in  hac  civitate  episcopus 
factus  est,  Chalcedonense  autem  sanctum  concilium,  nisi  sub 
praesentia  sua  anathematizasset  Nestorium  et  omnia  dogmata 
ejus  et  scriptis  inter  acta  insertae  fuissent  voces  eorum,  non  fuit 
contentum  suscipere  eos"  (831  CD). 

Ebendieselben  Gedanken  hat  Leontius  in  den  ö^ölia  (vgl. 
den  Text  oben  S.  157  0".)  gegen  den  gleichen  Vorwurf  der  Seve- 
rianer  ausgeführt:  selbst  wenn  Ibas  und  Theodoret  Häretiker 
wären,  würde  das  Chalcedonense  deshalb  ebensowenig  zu  ver- 
werfen sein  wie  das  Nicaenum,  denn  dort  nahm  man  auf  Ijixa 
aiQETiaovq  jcQo  rovrov  aQsiavovg,  aber  beide,  Theodoret  wie 
Ibas,  haben  factisch  Nestorius  verurteilt,  und  Cyrill  schon  hat 
die  Kirchengemeinschaft  mit  den  Orientalen  wieder  aufgenommen ; 
o  ovp  ovx  tjcolr]0£2'  o  äyiog  KvQiXlog,  i]  Ovvoöog  fif}  jcoirjoaoa 
syxaXsiGfhai  ovx  ccxp^iXe'  xaltoi  o  ovx  8Jioh]6£v  axalvog,  hjtoi- 
rjösv  avT7],  ajcaiTf'jaaOa  avxov  (seil.  &eo6(x>Qrjxov)  avad^Bjiar'iOai 
NeoroQiov  (oben  S.  159). 

Soviel  über  die  zweitägigen  Verhandlungen  selbst.  Von 
dem,  was  danach  (Mansi  VIII,  832  sqq.)  über  die  Audienz  der 
Collocutoren  bei  dem  Kaiser  erzählt  wird,  ist  nur  dies  hervor- 
zuheben, dass  Hypatius  für  alle  orthodoxen  Collocutoren  sich  zu 
dem  „deum  esse,  qui  carne  passus  est,  atque  unum  esse  de  trini- 
tate"  bekannte.  Das  Glaubensbekenntnis,  das  er  ablegt,  enthält 
nichts,  was  der  Schriftsteller  Leontius  nicht  auch  verträte. 

Ist  es  vorschnell,  wenn  man  auf  Grund  des  dargelegten  Ver- 
hältnisses zwischen  den  Werken  des  Leontius  und  den  Akten  der 
coUatio  cum  Severianis  die  Identität  des  unter  den  orthodoxen 
Collocutoren  genannten  „Leontius  monachus  et  apocrisiarius  pa- 
trum  in  sancta  civitate  constitutorum"  mit  dem  Schriftsteller 
Leontius,  dem  skythischen  Mönch,  behauptet?  Ich  glaube  kaum; 
doch  würde  ich  von  der  Richtigkeit  dieser  Behauptung  nicht  so 


§  18.     Leontius  von  Byzanz  bei  dem  Religionsgespräch  531  etc.    269 

fest  überzeugt  sein,  wenn  dieselbe  nicht  auch  im  Folgenden 
(s.  §  19)  weitere  Stützen  fände. 

Allein  ist  es  denkbar,  dass  der  -skythische  Mönch"  Leontius 
jetzt  im  Jahre  531  Apocrisiar  der  Mönche  in  der  Nähe  Jeru- 
salem's  ist?  Denkbar  gewiss,  wir  verloren  520  seine  Spur.  Doch 
haben  wir  Anhaltspunkte? 

Hier  ist  an  den  Titel  der  Schriften  contra  Monophysitas 
und  adv.  Nestorianos  zu  erinnern.  Wir  sahen  oben  S.  221  f.:  das 
Wahrscheinlichste  ist  doch,  dass  Leontius  von  Byzanz  hier  als 
Hierosolj^mitanus  bezeichnet  wird.  Sodann  sind  hier  die  Er- 
wähnungen des  (leyaq  Aiovvötog  durch  Leontius  zu  verwerten. 
Leontius  ist  einer  der  ältesten  Orthodoxen,  welche  die  Schriften 
des  Areopagiten  als  echt  benutzen.  Eben  dies  aber  weist  nach 
Palästina,  denn  dort  sind,  soviel  wir  wissen,  die  areopagitischen 
Schriften  zuerst  auch  von  Orthodoxen  benutzt,  dort  haben  sie 
in  Johannes  von  Skythopolis,  wohl  in  der  Zeit  zwischen  532  und 
548,  ihren  ersten  Commentator  gefunden*). 


*)  Inbezug  auf  ^Johannes  von  Skythopolis"  ist  da,  wo  allein,  soviel 
ich  weiss,  neuerdings  Untersuchungen  über  ihn  angestellt  sind,  im  Dictio- 
nary  of  Christian  biography,  vieles  m.  E.  Unrichtige  behauptet  worden. 
Es  werden  hier  glücklich  drei  gleichzeitige  Joannes  Scythopolitani  unter- 
schieden: 1)  III,  p.  394,  Joannes  Nr.  363:  der  Bischof,  dessen  Amtszeit 
zunächst  nach  Lequien,  Oriens  christianus  III,  690  f.  auf  496— 518  an- 
gegeben, dann  aber  über  518  hinausgeschoben  wird,  weil  ein  Citat  aus 
einem  Werk  des  Johannes  gegen  Severus  in  den  Akten  des  Concils  von 
680  (MansiXI,  p.  438)  der  Controverse  zwischen  Severus  und  Julian  ge- 
denkt. Auf  dies  Werk  gegen  Severus  wird  die  Erwähnung  der  für  das 
Chalcedonense  eintretenden  schriftstellerischen  Thätigkeit  des  Johannes 
durch  Sophronius  von  Jerusalem  —  bezw.  richtiger:  durch  die  mit  seiner 
ep.  synodica  früher  handschriftlich  vereinigte  Sammlung  von  yQi'ja^iq  (vgl. 
oben  S.  108)    —    und  durch  Papst  Agatho  (Mansi  XI,  p.  270C)  bezogen. 

2)  ibid.,  Joannes  Nr.  565 :  der  o-^oXaorixoq  'iwdvvrjq^JxvO-onoUrtjq,  von  dessen 
12  Büchern  xara  röJv  anoaxioxöJv  rrjq  ixxl?]olaQ,  d.  i.  gegen  die  Anhänger 
des  Dioscur  und  Eutyches,  Photius  (cod.  95)  spricht.  Mit  Photius  wird  an- 
genommen, dass  dieser  Johannes  derselbe  sei,  gegen  den  Basilius  Cilix 
„zur  Zeit  des  Anastasius"  seine  einem  gewissen  Leontius  gewidmeten  16 
Dialoge  adv.  Joannem  Scythopolitanum  schrieb.  Er  wird  auch  als  der 
Verfasser  der  Scholien  zum  Areopagiten  angesehen,  Anastasius  Bibliothe- 
carius  wird  getadelt,  dass  er  (vgl.  Lequien,  opp.  Jo.  Damasc. I,  Diss. 
Dam.  p.  XXXIXa)  diesen  Scholasticus  mit  dem  Bischof  verwechselt  habe. 

3)  ibid.,  Joannes  Nr,  568:  der  axokaazixoq  'iwävvtjg,  dvtjQ  dya&og  xccl  xrjv 
rpvyjjv  Ttfipconafiivog,  von  dem  die  vita  Sabae  c.  61  (Cotelerius,  ecclesiae 


270  Zweiter  Abschnitt. 

Weitere  Bestätigung  der  Annahme  der  Identität  des  Leon- 
tius  von  Byzauz  und  des  Leontius  der  collatio  erhält  man, 
wenn  man  der  Gestalt  des  „Leontius  monachus  et  apocrisiarius 
patrum  in  sancta  civitate  constitutorum"   weiter  nachgeht. 


graecae  monumenta  III,  p.  327)  erzählt ,  dass  er  im  Jahre  520  —  genauer 
wäre:  nicht  lange  nach  dem  6.  August  519  (cap.  60  fin)  —  in  Begleitung 
des  Bischofs  Theodosius  von  Skythopolis  tv  Sxv&onöXei,  seinem  Wohnort, 
den  heiligen  Sabas  getroffen  habe. 

Die  Irrigkeit  dieser  Angaben  ist  leicht  zu  erweisen:  Völlig  sicher 
ist,  dass  Bischof  Theodosius  schon  im  August  518  Bischof  war  (urkund- 
lich Mansi  VIII,  1072,  vgl.  auch  vita  Sabae  p.  327)  und  noch  532  (vita 
Sabae  p.  349),  ja  noch  536  Bischof  war,  denn  in  diesem  Jahre  unterschreibt 
er  die  Akten  der  von  Mennas  gehaltenen  constantinopolitanischen  Synode 
(Mansi  VIII,  1171).  Kennt  nun  Bischof  Johann  von  Skythopolis  die  Con- 
troverse  zwischen  Severus  und  Julian  —  und  dies  folgt  aus  dem  Citat  in 
den  Akten  des  6.  ökumenischen  Concils  mit  Notwendigkeit  (Mansi  XI,  43S: 
"Eri  dvsyvojod-ij  tx  xov  avrov  xcoöixlov  [einer  Sammlung  dyotheletischer 
XQi^aeig]  XQV^^?  ^ov  iv  ayloig  'iwävvov  inioxönov  2xv&on6?.Sü)i;  ix  rcüv 
xazä  Seß)']Qov  ßXaacprjfMiwv  Xoyov  oySöov  tyovoa  ovicjg.  "IÖoj/lisv  6h  ....  - 
insiöij  (og  uxonov  xaxtaxQcoaag  xtjv  iSQav  zavx?]v  (fwvrjv,  axoveiv  oi'ov  xov 
\-VuxaQvccooe(t)g  'lov?.iavov  uvzKfO^syyof^i'vov  ool  xal  xoiovxojg  xa  aa  dia- 
ovQOvxog)  — ,  so  kann  an  der  Hypothese  Lequien's,  Johannes  von  Sky- 
thoi^olis  sei  zwischen  dem  496  gestorbenen  Bischof  Cosmas  und  Theo- 
dosius Bischof  gewesen,  habe  496—518  den  Stuhl  von  Skythopolis  inne- 
gehabt, nicht  mehr  herumkorrigiert  werden,  sie  muss  vielmehr  völlig  auf- 
gegeben werden,  da  jene  Bemerkung  über  Julian  als  Gegner  des  Seve- 
rus mindestens  in  die  zwanziger  Jahre  des  sechsten  Jahrhunderts  weist. 
Johannes  von  Skythopolis  muss  nach  Theodosius  Bischof  gewesen  sein. 
Aber  wann?  Als  nach  dem  im  Oktober  546  (vita  Sabae  p.  369;  statt 
indict.  9.  wäre  10.  zu  schreiben  gewesen,  vgl.  unten  S.  285,  Anm.  2)  erfolgten 
Tode  des  Abtes  Gelasius  mindestens  17  Monat  vergangen  waren  (7+  10,  vita 
Sabae  p.  371)  —  also  frühestens  548,  vielleicht  aber  noch  kürzere  Zeit 
vor  dem  fünften  ökumenischen  Concil  (vita  Sabae  p.  374)  —  machte 
Theodorus  Askidas  von  Cäsarea  den  origenistischen  Mönch  Theodor  zum 
Bischof  von  Skythopolis.  Dieser  hatte  mindestens  noch  557  sein  Bistum 
inne,  denn  Gyrillus  Scythopolitanus  weiss,  als  er  die  vita  Sabae  schiieb, 
noch  nichts  von  der  ,, Bekehrung"  des  Theodor,  von  der  sein  vor  559  ge- 
schriebener libellus  de  erroribus  Origenianis  (Migne,  P.G.86,  col.231 — 236) 
uns  Kunde  giebt.  Johannes  von  Skythopolis  muss  demnach  zwischen 
Theodosius  und  Theodor,  oder  nach  letzterem  Bischof  von  Skythopolis 
gewesen  sein.  Eine  sichere  Entscheidung  hierüber  könnte  aus  einer 
Stelle  in  der  §  13  besprochenen  Schrift  contra  Monophysitas  (col.  1865  C) 
entnommen  werden,  falls  dieselbe  aus  den  axöXia  Aeovxiov  stammte,  die 
(vgl.  oben  S.  220)  zwischen  ca.  538  und  543  geschi-ieben  sein  müssen.     Es 


§  18.     Leontius  von  Byzanz  bei  dem  Religionsgespräch  531  etc.    271 

Vor  der  von  dem  Biscilof  Mannas  vom  2.  Mai  bis  4.  Juni 
536  abgehaltenen  Synode  zu  Constantinopel  erschien  bekanntlich 
(s.  Hefele  II,  765 fF.)  in  jeder  der  5  Sitzungen  eine  Gesandt- 
schaft von  mehr  als  SO  Abten  und  Mönchen  aus  Constantinopel, 
Antiochien  und  Jerusalem,  welche  mündlich  und  durch  ver- 
schiedene schriftliche  Eingaben  eine  Verurteilung  des  Anthimus, 
frühern  Bischofs  von  Constantinopel,  des  Severus,  des  Petrus  von 


wird  hier  nämlich,  um  einen  Satz  aus  einem  der  unechten  Juliusbriefe  als 
apollinaristisch  zu  erweisen,  hem.evkt:'lajch'VTjg  öt  o  2!yCV&o:x6?.sajg  tTilanonog 
(fi).onovriaaq  iv  zoig  7ta).uioxdroLq  \A7to).XivaQiov  avyyQc'cfifiaoiv  sigev  trtl 
ktcsojc  rtjv  '/QTjGir.  Wäre  dies  um  540  geschrieben,  so  müsste  Johannes 
vor  Theodor  Bischof  von  Skythopolis  gewesen  sein.  Allein  es  ist  oben 
(S.  215)  als  wahi-scheinlich  erschienen,  dass  der  Abschnitt  in  contra 
Monophysitas,  welcher  diesen  Hinweis  auf  Johannes  von  Skythopolis  ent- 
hält, in  den  oyö/.icc  nicht  stand.  Sichere  Entscheidung  ist  daher  nicht 
zu  geben,  doch  wahrscheinlich  ist  es  jedenfalls,  dass  der  antiseverianische 
Polemiker  Johannes  vor54S,  nicht  erst  nach  557,  Bischof  von  Skythopolis  war; 
denn  die  Hauptzeit  der  antiseverianischen  Polemik  ist  die  Zeit  zwischen  520 
und  553.  —  Doch  wie  steht  es  nun  mit  den  beiden  andern  Johannes? 
Zu  einer  ausführlichen  Erörterung  ist  hier  nicht  der  Ort.  Folgende 
Bemerkungen  mögen  genügen.  Der  Commentator  des  Dionysius  lebte 
zur  Zeit  der  origenistischen  Wirren  (Lequien,  opp.  Jo.  Dam.  I,  Diss. 
Damasc.  f.  XXXIXa;  xcd  vvi-  de  oi  cctto  ton'  'ÜQiyhroig  TiQosQyö/iitroi 
fxiS^wv) ;  das  weist  zunächst  auf  die  Zeit  zwischen  dem  Todesjahr  des  Sabas 
(532)  und  dem  fünften  ökmnenischen  Concil,  obgleich  auch  schon  seit  ca.510 
eine  Erwähnung  origenistischer  Wirren  denkbar  ist.  Der  Scholiast  war 
weiter  otfenbar  derselbe,  gegen  den  nach  Photius  (cod.  107)  der  „Nesto- 
rianer"  Basilius  Cüix  schrieb,  denn  BaaO.navol  und  NeaxoQiavoi  sind 
ihm  Bezeichnungen  derselben  Ketzer  (Lequien,  a.  a.  0.).  Basilius  Cilix 
lebte  zur  Zeit  des  Anastasius,  Justin  und  Justinian,  denn,  während  seine 
Bücher  gegen  Johannes  von  Skythopolis  nach  Photius  zur  Zeit  des  Ana- 
stasius geschrieben  sind,  begann  das  dritte  Buch  seiner  Kirchengeschichte 
nach  Photius  (cod.  42)  ei'st  mit  dem  Jahre  518.  —  Ist  ein  Basilius  Cilix 
Gegner  des  Dionyscommentators  gewesen,  dann  ist  dieser  identisch  mit 
dem  Scholasticus  Johannes  von  Skythopolis,  der  nach  Photius  (cod.  95) 
12  Bücher  xuxu  räJv  anooyiazwv  schrieb.  Denn  dass  diese  gegen  Basi- 
lius Cilix  geschrieben  sind,  ist  eine  einleuchtende  Vermutung  von  Photius. 
Soweit  geht  auch  der  Verf.  des  Artikels  über  den  Scholasticus  Johannes 
im  Dictionary ,  Joannes  Nr.  505.  Ein  Dreifaches  aber  führt  weiter  und 
legt  es  nahe,  ja  nötigt  dazu,  den  Scholasticus,  den  Dionyscommentator, 
mit  dem  Bischof  zu  identifizieren:  1)  Anastasius  Bibliothecarius  nennt  als 
Verfasser  der  Schollen  zum  Areopagiten  den  Bischof  Johann  von  Skytho- 
polis (Lequien,  a.  a.  O.).    2)  Der  Commentator  des  Dionys  hat  die  Frage 


272  Zweiter  Abschnitt. 

Apamea  und  des  monophysitischen  Mönclis  Zoaras  zu  erwirken 
bemüht  waren.  In  der  Zahl  dieser  Mönche,  und  zwar  in  der 
Reihe  der  Jerusalemischen,  erscheint  auch  (Mansi  VIII,  pp.  884, 
911,  931,  942,  954,  992,  1019)  ein  Asovziog  fiova^og  xal  ?]yov- 
(levoq  xal  zojcoT?]Qr]zr]q  Jtäorjg  tfjg  t()tjfiov  (p.  911)  oder:  As6v- 
ziog  tXtcp  d-eov  jigeößvzsQog  xal  fjjovfisvog  iöiov  f/ovaözrjQiov 
jcoiovfjsvog  zovg  löyovg  xal  vjreg  jiävzajv  zcöv  sv  zfj  Igt/fio) 
xal  %Qdavt]  aylcov  jiaziQcov  (p.  1019). 

Es  müsste  ein  wunderbares  Spiel  des  Zufalls  sein,  wenn 
dieser  Leontius  nicht  mit  dem  der  coUatio  identisch  wäre.  Wir 
dürfen  es  zunächst  einfach  voraussetzen*). 


erörtert,  ob  die  Werke  des  Areopagiten  zu  den  apollinaristischen  Fäl- 
schungen gehörten  (Lequien,  a.  a.  0.,  XXXVII  verso);  Bischof  Johann 
von  Skythopolis  wird  contra  Monophys.  1865  C  als  (piXoTiovrjoaq  iv  roZq 
■jiaXaLOxaxoLQ  AnoXXivaQiov  ovyyQaiifiaoi  bezeichnet.  3)  Bischof  Johann 
hat  ein  Werk  geschrieben,  dessen  achtes  Buch  gegen  Severus  gerichtet 
war  (Mansi  XI,  438);  dasselbe  achte  Buch  ist  auch  in  der  Doctrina 
(Mai,  vet.  script.  nov.  coli.  VII,  p.  21)  citiert  und  in  den  Akten  des  Late- 
ranconcils  (Mansi  X,  1107),  und  das  ganze  Werk  ist  zweifellos  dasselbe, 
durch  das  nach  der  bei  Photius  (cod.  231)  besprochenen  y^yonov  ixloyi) 
Bischof  Johann  das  chalcedonensische  Concil  verteidigt  hat,  denn  zwischen 
den  Citaten  in  der  hxXoyi}  yQrjonov,  die  Photius  in  cod.  231  bespricht,  und 
der  Doctrina  besteht  ein  Verwandtschaftsverhältnis  (vgl.  oben  S.  108). 
Ist  es  nun  nicht  absurd,  anzunehmen,  von  diesem  vielgebrauchten  Werke 
habe  Photius  nichts  gesehen,  das  Werk  xuxa  xwv  aTtoGyiatüiv  des  Scho- 
lasticus  Johannes  sei  von  jenem  Werk  des  Bischofs  verschieden?  Nichts 
hindert  die  Gleichsetzung,  obwohl  Photius  den  Scholasticus  von  dem 
Bischof  unterschieden  zu  haben  scheint.  Sobald  man  annimmt,  jenes 
Werk  xaxa  xcüv  dnoo/Laxöiv  stamme  aus  der  vorbischöflichen  Zeit  des 
Johannes,  so  ist  alles  klar.  Diese  Annahme  empfiehlt  aber  auch  die 
Gegnerschaft  des  Basilius  Cilix,  denn  dessen  Buch  gegen  Johannes  ist 
nach  Photius  schon  zur  Zeit  des  Anastasius  geschrieben. 

Aus  alle  diesem  wird  man  schliessen  können,  dass  Johannes  von 
Skythopolis  etwa  in  den  zwanziger  Jahren  sein  Werk  xaxa  Ütcogxi-Oxöjv 
schrieb,  in  der  Zeit  zwischen  532  und  548  den  Dionys  commentierte  und 
als  Nachfolger  des  noch  530  nachweisbaren  Theodosius  bis  ca.  548  Bischof 
von  Skythopolis  gewesen  ist.  Ob  auch  der  dritte  oben  genannte  .Johannes 
von  Skythopolis,  der  vita  Sabae  p.  327  erwähnte,  mit  dem  Bischof  iden- 
tisch ist,  das  lässt  sich  nicht  entscheiden.  Da  Cyrill  von  Skythopolis  es 
nicht  ausdrücklich  sagt,  kann  man  bei  der  Häufigkeit  des  Namens  Jo- 
hannes mehr  dagegen  als  dafür  anführen. 

*)  Neben  Namen  und  Heimat  ist  es  ganz  besonders  die  Functions- 
bezeichnung  xonoxtjQijxrjq  nccorjQ  xTjq  SQi'jfxov,  welche  die  Gleichsetzung  mit 


§  19.    Leontius  von  Byzanz  bei  dem  Religionsgespräch  531  etc.    273 
Doch    wer    war   jener   Asovrioq   zojtozrjQi^Ttjg    jtaOt^g    rz/g 

Er  stammt,  wie  schon  seine  eigene  Unterschrift  zeigt,  und 
die  Namen  in  der  Nähe  zweifellos  machen,  aus  den  Mönchs- 
colonien  des  heiligen  Sabas.  Mehrere  der  neben  ihm  genannten 
Mönche  sind  in  Cyriirs  vita  Sabae  (Cotelerius,  ecclesiae  grae- 
cae  monumenta  III ,  p.  220  —  376)  nachweisbar :  zlofisriavog 
jtQeOßvrsQog  xal  aQ^ifiavÖQizrjg  f^ovi/g  MaQxvQiov  (Mansi  VIII, 
p.  910)  ist  der  vita  Sabae  p.  360  erwähnte  Jof^sriavog  6  xTJg 
MaQTVQiov  r]Yov(-ievog^  der  spätere  Bischof  von  Ancyra  (ibid.), 
&s6öcoQog  öucxovog  xal  aovaxog  rtjg  viag  lavQag  (Mansi  VIII, 
91 IJ  scheint  der  vita  Sabae  p.  360  neben  Domitian  genannte 
HsööcjOQog  o  tjtixlriv  läöxLÖäg,  xcöv  rrjg  veag  Xavgag  Is^aQycov 
[==  Parteiführer,  nicht  Abt]  ji^yovmg  zu  sein,  KaCOiavog  jcQtO- 
ßvTSQog  lavQag  rov  fiaxagiov  ^aßßa  (Mansi  VIII,  911)  wird 
vita  Sabae  371  als  Abt  eingeführt,  doch  wird  seiner  früheren 
Stellung  als  Presbyter  der  grossen  Laura  (d.  i.  der  des  Sabas) 
ausdrücklich  gedacht.  Kann  es  unter  diesen  Umständen  noch 
zweifelhaft  sein,  dass  der  Äsövxiog  xojioxrjgi^xrig  bei  Mansi 
identisch  ist  mit  dem  in  der  vita  Sabae  oft  genannten  Leontius, 
der  p.  360  als  Genosse  des  Domitian  und  Theodor  erscheint? 
Die  Bejahung  der  Identitätsfrage  ist  folgenschwer:  der  Leontius 
der  vita  Sabae  ist  einer  der  Führer  der  Origenisten.  Wir  stehen 
demnach,  da  wir  in  dem  Leontius  apocrisiarius  der  collatio  cum 
Severiauis  und  also  auch  in  dem  xoxoxrjQj^zrig  der  Synode  von 
Constantinopel  den  Schriftsteller  Leontius  erkannt  haben,  schliess- 
lich vor  der  schon  von  andern  erörterten  Frage,  ob  der  Schrift- 
steller Leontius  identisch  sei  mit  dem  Origenisten. 


dem  apocrisiarius  der  collatio  notwendig  macht.  Und  in  diesem  Zusam- 
menhang erhält  auch  die  Bezeichnung  „apocrisiarius  patrum"  einiges  Licht. 
TonoTrj(jrjT7']g  ist  —  das  Wort  kommt  oft  in  den  Novellen  vor  —  der 
„Stellvertreter".  Hier  wird  (p.  1019)  in  dem  noiovfisvog  xovq  Xöyovq  xal 
vne^  nävxwv  t(Sv  iv  xf/  tfi^fxcp  xal  ^loQÖüvy  aylcjv  naxeQiov  der  Inhalt 
dieser  Stellvertretung  angegeben.  Ob  aber  diese  Stellvertretung  eine 
amtliche  war,  oder  auf  speziellem  Auftrage  ruhte,  das  ist  nicht  sicher  zu 
erkennen.     Für  Ersteres  spricht  manches. 


Tuxte  u.   Uutoraucliungen.   UI,  1.  13 


274  Zweiter  Abschnitt. 

§  19.  Leontius  von  Byzanz,  der  Origenist  Leontius 
der  vita  Sabae. 
Die  Frage,  ob  der  Schriftsteller  Leontius  mit  dem  Leontius 
der  vita  Sabae  identisch  sei,  ist,  wie  schon  in  §  16  (S.  224)  be- 
merkt wurde,  bereits  von  andern  erörtert  worden,  doch  nur  auf 
Grund  sehr  mangelhafter  oder  irriger  Sachkenntnis.  Die  Hypo- 
these der  Identität  hätte,  wie  schon  oben  bemerkt  ist,  abgethan 
sein  müssen,  weil  die  Schrift  de  sectis,  wenn  sie  in  ihrer  vor- 
liegenden Gestalt  von  Leontius  herrührt,  den  Schriftsteller  Leon- 
tius als  weit  jünger  erscheinen  lässt  als  den  Origenisten.  Die 
Wiederaufnahme  der  Identitätshypothese  durch  den  Artikel  der 
R.-E.  2  VIII,  593  ist  aber,  auch  abgesehen  von  der  Nichtbeach- 
tung der  Abfassungszeit  der  Schrift  de  sectis,  eine  sehr  un- 
glückliche. Denn  wenn  die  Angaben  der  vita  Sabae  über  die 
Ketzereien  des  Leontius  auf  die  „heterodoxen  Anfänge"  des 
Schriftstellers  bezogen  werden,  weil  dieser  adv.  Nest,  et  Eut. 
(1357  f.)  selbst  sage,  dass  er  als  junger  Mann  in  grosser  Gefahr 
gewesen  sei,  von  jenen  Häretikern  (den  Nestorianern)  in  den 
Abgrund  ihrer  Gottlosigkeit  hinabgerissen  zu  werden,  so  ist 
demgegenüber  zu  bemerken,  dass  1)  unter  den  Ketzereien  des 
Leontius  der  vita  Sabae  Nestorianismus  nicht  genannt  wird,  und 
2)  dass  der  Leontius  der  vita  Sabae  zur  Zeit  seines  von  der  vita 
angefochtenen  ketzerischen  Treibens  kein  Jüngling  mehr  war, 
vielmehr  noch  während  der  origenistischen  Wirren  starb  (vita 
Sabae  p.  366).  Die  Frage  ist,  seit  die  Schrift  de  sectis  als  eine 
Bearbeitung  erkannt  ist,  in  ein  neues  Stadium  eingetreten  und 
bedarf  daher  erneuter,  sorgfältiger  Behandlung. 

Welches  sind  die  Quellen,  die  von  dem  Origenisten  Leon- 
tius berichten?  so  müssen  wir  zunächst  fragen.  Es  sind  drei 
byzantinische  Heiligenleben,  die  vita  Sabae  [f  532]  (Cotelerius, 
ecclesiae  graecae  monum.  III,  220 — 376),  die  vita  Euthymii 
[t  473]  (in  der  Bearbeitung  des  Simeon  Metaphrastes  bei  Cote- 
lerius a.  a.  0.,  tom.  II,  in  ursprünglicher  Gestalt  tom.  IV,  1 — 99), 
endlich  die  vita  S.  Cyriaci  [f  ca.  557],  nur  in  der  Bearbeitung 
des  Simeon  Metaphrastes  erhalten  (Cotelerius  a.  a.  0.  IV,  100 
— 127).  Die  beiden  erstgenannten  vitae  haben  einen  Verfasser, 
den  Cyrillus  Scythopolitanus,  der  sich  vita  Sabae  p.  350,  vgl.  329, 
359,  375f,  und  vita  Euthymii  p.  1,  vgl.  96ff.  selbst  nennt  und 


§  19.    Leontius  von  Byzanz,  der  Origenist  Leontius  der  vita  Sabae.    275 

als  Mönch  erst  der  grossen,  später  der  neuen  Laura  bezeichnet. 
Aufgefordert  von  einem  Abt  Georgius,  hatte  Cjrill  über  das 
Leben  der  beiden  Heiligen  Erkundigungen  eingezogen  (vita  Eu- 
thym.  p.  1  ff;  vita  Sabae  p.  220  f.  und  248),  namentlich  bei  dem  hei- 
ligen Cyriacus  (vita  Euthym.  p.  37).  Als  bald  nach  dem  fünften 
ökumenischen  Concil  (vita  Euthym.  p.  96)  im  23.  Jahre  nach 
dem  Tode  des  (am  5.  Dec.  532  gestorbenen)  heiligen  Sabas  (vita 
Sabae  p.  376),  d.  i.  zwischen  dem  5.  Dec.  554  und  5.  Dec.  555, 
also  555  die  Nova  Laura  den  Origenisten  entrissen  war,  und  mit 
anderen  Antiorigenisten  auch  Cyrill  in  die  Nova  Laura  einzog, 
hatte  er  bereits  eine  Anzahl  schriftlicher  Notizen  für  die  beiden 
Heiligenleben  bei  sich  (vita  Euthym.  p.  97).  Zwei  Jahre  fast 
dauerte  die  Bearbeitung  der  zuerst  publicierten,  der  vita  Euthymii 
(vita  Euthym.  p.  97  und  99,  vgl.  vita  Sabae  p.  220);  557  also  ist 
die  vita  Euthymii  vollendet.  Die  vita  Sabae  folgte  alsbald  nach 
(vgl.  vita  Euthym.  p.  99;  vita  Sabae  p.  220  und  348:  6ta  rrjq 
rvvl  6vvad-Q0i0&ei07]g  .  .  .  Ovvoöov  Jttfijtr7]g).  —  Dass  die  vita 
Cyriaci  ursprünglich  von  demselben  Cyrill  geschrieben  ist,  das 
machen  die  Erzählungen  von  seinem  Verkehr  mit  Cyriacus  (vita 
Cyriaci  p.  115ff.,  besonders  p.  120)  zweifellos;  die  uns  vorliegende 
Bearbeitung  hat  aber  offenbar  diese  Grundschrift  nur  in  sehr 
verunstalteter  Form  auf  uns  kommen  lassen. 

Die  vita  Euthymii  und  die  vita  Sabae  gehören  zu  den  inter- 
essantesten und  lehrreichsten  Heiligenleben.  Über  das  orientalische 
Mönchtum  um  500  hat  man  keine  bessern  Quellen.  In  der  vita 
des  schon  473  gestorbenen  Euthymius  treten  allerdings  die  con- 
creten  Züge  hinter  dem  Legendencharakter  sehr  zurück,  den  hl. 
Sabas  aber  hat  Cyrill  noch  selbst  gekannt,  und  überdies  haben 
gute  Gewährsmänner  ihn  unterrichtet.  Eine  besondre  Eigentüm- 
lichkeit der  beiden  vitae  sind  die  auffallend  genauen  chrono- 
logischen Angaben,  die,  wie  vita  Sabae  c.  3,  p.  222  {cog  ex  rtjg 
dxQLßsiag  rcov  rr/g  C,co?jg  avzov  XQovcov  öityj'co^uei')  ersichtlich 
ist,  auf  altern  Aufzeichnungen  ruhen.  Da  die  altern  Unter- 
suchungen über  die  Chronologie  der  vitae  (Lequien,  Oriens 
christianus  HI,  passim)  teils  in  Vergessenheit  geraten  sind  (vgl. 
R.-E.'^  Art.  Sabas  XHl,  156 :  die  Zeit,  in  welcher  Sabas  starb,  ist 
ungewiss*)),   teils  der  Verbesserung  und  Vervollständigung  be- 


'')  Ein  andres  Beispiel  ist  die  Unsicherheit  über  das  Todesjahr  der 

18* 


276  Zweiter  Abschnitt. 

dürfen,  muss  ich  wegen  der  Wichtigkeit  der  chronologischen  An- 
gaben der  vita  Sabae  für  unsern  Zweck  mich  zunächst  bei  den 
chronologischen  Fragen  etwas  auflialten. 

Einfacher  als  in  der  vita  Sabae  liegen  die  Verhältnisse  bei 
der  für  uns  minder  wichtigen  vita  Euthymii.  Ich  begnüge  mich 
damit,  durch  wenige  Mitteilungen  die  Harmonie  innerhalb  der 
chronologischen  Angaben  der  vita  aufzuweisen: 

Euthymius  wird  (vita  p.  7)  geboren  im  August  des  4.  Con- 
sulats  des  Gratian:  377*). 

Euthymius  kommt  in  die  Nähe  Jerusalem's  in  seinem  29. 
Jahre  (vita  p,  13),  also  zwischen  August  405  und  406. 

Die  Weihe  der  Kirche  seiner  Laura  findet  statt  am  7.  Mai 
428  (indict.  2.)  y.axa  xov  jcsvTrjxoOrnv  ösvtsqov  [irrig  statt  jtgcä- 
rov]  zyg  rov  fisyaXov  Ev&vfiiov  7ßixiag  XQOVOV  (vita  p.  32). 

Die  erste  ephesinische  Synode  [Juni  431]  fallt  in  das  54. 
Jahr  des  Euthymius  (vita  p.  40),  also  in  die  Zeit  zwischen 
August  430  und  431. 

Die  chalcedonensische  Synode  [October  451]  wird  gehalten 
während  des  75.  Jahres  des  Euthymius  (vita  p.  54),  also  zwischen 
August  451  und  452. 

Im  90.  Jahre  des  Euthymius  (August  466 — 467)  stirbt  der 
Abt  Theoktistus  am  3.  September,  ccq/Ji  r^/g  Jitfijtttjg  ivöixrov^ 
d.  i.  466  (vita  p.  74). 

Euthymius  stirbt  (vita  p.  82)  in  seinem  96.  Jahre  (zwischen 
August  472  und  473)  am  20.  Januar,  indict.  2.  (d.  i.  473),  im 
16.  Jahre  Kaiser  Leo's  (zwischen  7.  Februar  472  und  473),  anno 
mundi  5965,  d.  i.**)  473  p.  Chr.,  anno  incarnationis  465,  d.  i.**) 
473  unserer  Zeitrechnunor. 


Kaiserin  Eudokia  (s.  Dictionary  of  Christian  biograpliy  II,  p.  264);  EudoMa 
starb  nach  vita  Euthym.  p.  74  am  20.  October  46ü. 

*)  Die  Herausgeber,  die  Benedictiner,  machen  hier  die  Bemerkung, 
irrig  nehme  hier  der  Autor  an,  das  vierte  Consulat  des  Gratian  falle 
in  das  Jahr  369.  Schon  vita  p.  8  hätte  vor  diesem  Irrtum  bewahren 
sollen;  hier  wird  nämlich  gesagt,  Kaiser  Valens  sei  gestorben  (378)  f^'^noj 
TtXrjQw&ävTog  rov  nQcüxov  iviavrov  änd  xTjg  EvQ-vßiov  yevvi^aewg. 

**)  Dass  hier  nach  der  sog.  alexandrinischen  Weltära,  der  Ära  des 
Anianus  [Ideler,  Handbuch  der  Chronologie  II,  S.  453]  gerechnet  ist,  darf 
als  sicher  angenommen  werden,  obgleich  ich  es  aus  der  beigesetzten 
rätselvollen  Erklärung  „xarcc  zovg  ovyyQacpivxaq  '/Qovovq  vno  zcüv  ayiwr 


§  19.    Leontius  von  Byzanz,  der  ürigenist  Leontius  der  vita  Sabae.    277 

Diese  auffällig  genauen  chronologischen  Angaben  der  vita 
Euthymii  lassen  erwarten,  dass  auch  die  vielen  chronologischen 
Daten  der  vita  Sabae  sich  sicher  in  Zahlen  unserer  Chronologie 
umsetzen  lassen.  Damit  dies  möglich  sei,  muss,  weil  die  vita 
Sabae  vielfach  nach  Jahren  des  Sabas  rechnet,  Anfangs-  und 
Endpunkt  des  Lebens  des  Sabas  sicher  gefunden  werden.  Dies 
kann  trotz  einiger  Irrtümer  des  Cyrillus  oder  unsrer  Hand- 
schriften mit  absoluter  Sicherheit  geschehen,  da  die  vita  Sabae 
—  eine  Seltenheit  in  der  hagiographischen  Litteratur  —  eine 
grosse  Reihe  chronologischer  Angaben  enthält,  welche  die  Chro- 
nologie der  vita  Sabae  mit  Daten  andrer  chronologischer  Systeme 
in  Verbindung  bringen.  Wir  haben  mit  folgenden  Angaben  zu 
rechnen: 

war  also  geboren  zwischen 

1.  vita  Sabae  c.3,  p.  222:  Sabas  Avurde 
geboren  Im  tjiraxcuöexaxrjg  Oe- 

oöoolov  vjtariag, 1.  Januar  u.  31.  Dec.  439. 

2.  c.  6,  p.  227:  IIsqI  to  rtlog  ri/g 
MaQTCiavov  ßaöLltiag  (M.  f  zwi- 
schen 2G.  Januar  und  7.  Februar 
457,  vgl.  Ranke,  Weltgesch.  IV,  1, 
S.  341,  Anm.  3),  also  um  Neujahr 

457  stand  Sabas  im  18.  Jahre     .     Neujahr  439  u.  Neujahr  440. 

3.  c.  19,  p.  247:  Am  12.  Dec.  des 
Jahres,  da  Kaiser  Zeno  starb,  d.  i. 
491  ind.  14.  (irrig  statt  15.)  stand 

Sabas  im  53.  Jahre 13.  Dec.  438  u.  11.  Dec.  439. 

4.  c.  27,  p.  254:  Am  21.  Jan.  indict. 
15.,  d.  i.  492  [denn  477  und  507 
sind  durch  die  Altersangabe  des 
Sabas  ausgeschlossen  |  stand  Sabas 

im  54.  Jahre 22.  Jan.  438  u.  20.  Jan.  439. 

5.  c.  31,  p.  262:  Am  23.  Juli 
ind.  2.,  d.  i.  494  stand  Sabas  im 

56.  Jahre 24.  Juli  438  u.  22.  Juh  439. 


TcaTiQojv'^lTinolvxov  zov  7iu?.aiov  xtd  yycj()i/xov  tlüv  dnooxö)Mi\  xcd'Eni- 
(paviov  Tov  KvkqkÜtov,  xal  "HQovog  zov  <fi?.o<>6ifov  y.cd  o/noXoytjzov'' 
nicht  herzuleiten  vermag. 


278  Zweiter  Abschnitt. 

war  also  geboren  zwischen 

6.  c.  60,  p.  325:  Als  Kaiser  Anasta- 
sius    am    9.   Juli    ind.    IL,    d.   i. 

518  starb,  stand  S.  im  80.  Jahre     10.  Juli  438  u.  8.  Juli  439. 

7.  c.  68,  p.  336:  Als  Johannes  von 
Jerusalem  3  Jahr  vor  der  Adop- 
tion Justinian's  (1.  April  527, 
Ranke  IV,  2,  S.  12,  Anm.  3),  also 
im  April  524  starb,  stand  Sabas 

im  86.  Jahre April  438  u.  März  439. 

8.  a)  c.  70,  p.  341:  ö.  reist  nach  Con- 

stantinopel  April  ind.  9.,  i.  e.  531 
b)  c.  74,  p.  34S:  Sabas  kehrt  zu- 
rück  im  September  desselben 
Jahres,  ind.  9. 

9.  c.  77,  p.  353:  Sabas  stirbt  nach 
manchen  Reisen  in  Palästina  94- 
jährig  am  5.  December, 

a)  ind.  10.  i.  e.  531 6.  Dec.  437  u.  4.  Dec.  438, 

b)  anno  mundi  6024|d.  i.*j  5.  De-     „   ^,        ._^         .   -p.       .^„ 
;  .  ^^,  (       /     -o-i      6.  Dec.  437  u.  4.  Dec.  438, 

c)  anno  mcarn.  o24  jcember  ool 

d)  anno  Justiniani  6,  d.  i.  5.  De- 
cember 532 6.  Dec.  438  u.  4.  Dec.  439, 

e)  post  consul.  Lampadii  et  Ore- 

stis  2,  d.  i.  5.  Dec.  532 .     .     .     6.  Dec.  438  u.  4.  Dec.  439. 

Diese  Angaben  sind  mit  Ausnahme  von  S^  und  9*,  9**  und 
9°  in  völligster  Harmonie,  sobald  man  (vgl.  Nr.  1  und  Nr.  4) 
die  Geburt  des  Sabas  in  die  Zeit  zwischen  den  1.  und  20.  Januar 
439  ansetzt.  Da  nun  c.  70,  p.  339  gesagt  wird,  dass  Sabas  am 
11.  Januar  seines  91.  Jahres  im  Anfange  dieses  91.  Lebens- 
jahres gestanden  habe  {aQyof^itvov  rov  tvevrjxoOrov  jiqojtov  r?/^ 
Tov  cr/lov  jiatQoq  tjfiSv  2äßa  J/Xixiag  ygovov)^  so  bestätigt  sich 
dieser  Ansatz  völlig.  Man  wird  daher  mit  völliger  Sicherheit 
die  chronologischen  Angaben  der  vita  Sabae  in  unsere  Chrono- 


*)  Es  kommt  hier  dieselbe  Ära  in  Betracht  wie  in  der  vita  Euthymii 
p.  82  (vgl.  oben  S.  276,  Anm.  2  mit  vita  Sabae  p.  354).  Da  nun  als  Jahres- 
anfang dieser  Ära  der  1.  Thoth,  d.  i.  der  29.  August,  angenommen  werden 
muss,  so  weisen  die  obigen  Zahlen  auf  den  5.  Dec.  531,  nicht  532. 


§  19.    Leontius  von  Byzanz,  der  Origenist  Leontius  der  vita  Sabae.    279 

logie  umsetzen  können,  sobald  die  zu  obigem  Ansatz  nicht 
passenden  Angaben  in  9*,  9^^,  9°  erklärt  sind.  Die  Erklärung  für 
9*  liegt  in  8^:  da  auch  Cyrill  das  Indictionsjahr  mit  dem  1.  Sep- 
tember beginnt  (^vita  Euthym.,  p.  74:  (.irpn  ^ejtrefißQkp  zgizy]. 
aQXli  Tfjg  jctfijtrrjg  ivdlxzov),  so  steckt  bei  8^  (vgl.  8*)  in  der 
Angabe  .,ind.  9."  ein  Irrtum:  „ind.  10."  hätte  geschrieben  werden 
müssen.  Dieser  Irrtum  hat  offenbar  auch  in  9*  die  irrige  An- 
gabe der  Indictionszahl  nach  sich  gezogen*).  Dass  factisch  ein 
Irrtum  hier  vorliegt,  das  zeigen  nicht  nur  die  übrigen  chrono- 
logischen Angaben,  sondern  auch  die  mancherlei  Reisen,  die  Sabas 
nach  seiner  Rückkehr  aus  Constantinopel  noch  unternommen  hat 
(c.  74,  p.  349;  c.  76,  p.  352):  nicht  2  Monate,  sondern  14  Monate 
nach  seiner  Rückkehr  muss  er  gestorben  sein.  —  Bei  9*^  und  9° 
liegt  der  Irrtum  vielleicht  nur  darin,  dass  Cyrillus  als  Jahres- 
anfang den  Geburtstag  des  Sabas  in  Gedanken  hatte  und  daher 
das  Jahr  der  alexandrinischen  Weltära  nannte,  welches  seinem 
grössten  Teile  nach  dem  letzten  Jahre  des  Sabas  gleich  war. 
Oder  es  hat  die  irrige  Indictionszahl  diesen  Irrtum  nach  sich  ge- 
zogen. Wie  dem  auch  sei,  bei  der  Unsicherheit  der  Angaben 
nach  anni  mundi  und  anni  incarnationis  können  die  Angaben  in 
9''  und  9*^  keinesfalls  als  Zeugen  gegen  die  Richtigkeit  aller 
andern  Angaben  in  Betracht  kommen. 

Sabas  ist  also  Anfang  Januar  439  geboren  und  am  5.  De- 
cember  532  gestorben. 

Nachdem  hiedurch  für  die  chronologischen  Angaben  der 
vita  Sabae  ein  fester  Boden  gefunden  ist,  können  wir  nun  der 
Frage  näher  treten,  ob  der  Leontius  der  vita  Sabae  mit  unserm 
Leontius  identisch  ist. 

Für  die  Erledigung  dieser  Frage  wird  es  zunächst  nötig 
sein,  vollständig  zusammenzustellen,  was  Cyrillus  Scythopolitanus 
von  dem  „Origenisten"  Leontius  erzählt. 

Schon  im  48.  Jahre  des  hl.  Sabas,  also  im  Jahre  486,  machte 
sich  unter  den  Einsiedlern,  die  sich  um  ihn  geschart  hatten,  eine 
Opposition  gegen  Sabas  geltend  (vita  Sabae  p.  245).  Die  Unzu- 
friedenen bitten  den  Bischof  Salustius  von  Jerusalem  um  einen 


*)  Auch  c.  84,  p.  .S(ilf.  noch  zeigt  sich  der  Irrtum:  fünf  Jahr  nach 
Sabas'  Tode  stehen  wir  im  Anfang  des  ersten,  nicht  des  fünfzehnten 
Indictionsjahres. 


280  Zweiter  Abschnitt. 

mit  der  Priesterweihe  verselieneu  Abt:  Sabas  habe  keine  Weihe 
erhalten,  leide  auch  nicht,  dass  ein  andrer  der  Eremiten  um  ihn 
sie  erhalte,  er  sei  überhaupt  dia  jioXh)v  ajQOL'KÖxrixa  ungeeignet 
zu  der  Stellung  an  der  Spitze  der  Eremiten.  Salustius  hört  nicht 
auf  diese  Klagen,  sondern  weiht  den  Sabas  selbst  ziim  Presbyter, 
bestätigt  ihn  damit  gleichsam  in  der  Stellung  des  Vorstehers  der 
Anachoretencolonie  seiner  Laura.  Die  Opposition  starb  aber 
nicht  aus.  Im  Gegenteil,  sie  wuchs,  je  mehr  das  Gebiet  sich  aus- 
dehnte, iu  dem  Sabas  als  Haupt  der  Anachoreten  sich  ansehen 
durfte.  Etwa  501  (vita  Sabae  p.  264  u.  266)  ist  die  Zahl  der  Un- 
zufriedenen in  der  Laura  des  Sabas  auf  40  gestiegen.  Die  Oppo- 
sition ging  jetzt  offenbar  dem  Sabas  über  den  Kopf:  jiQa'vg 
vjcaQ'/ojv  zieht  er  sich  zurück  in  die  Gegend  der  Einsiedler  von 
Skythopolis  (vita  Sabae  p.  266).  Bei  seiner  Rückkehr  findet  er 
die  Oppositionspartei  auf  60  Köpfe  angewachsen  (ibid.,  p.  268), 
und  nach  kurzem  Versuch  des  Zusammenlebens  zieht  er  sich 
abermals  zurück  (ibid.,  p.  269).  Seine  Abwesenheit  benutzen 
die  Gegner,  um  unter  dem  Vor  wand,  Sabas  sei  gestorben,  bei 
dem  Patriarchen  Elias  von  Jerusalem  einen  neuen  Abt  sich  zu 
erbitten.  Das  Erscheinen  des  Sabas  vor  dem  Patriarchen  vereitelt 
dies  Vorgehen  der  Opposition;  ein  Brief  des  Patriarchen  ruft; 
die  Eremiten  der  Laura  zur  Obedienz  zurück  (ibid.,  p.  2701'.). 
Doch  dieser  Brief  wird  der  Anlass  zu  offener  Empörung,  zur 
Secession  der  Sechzig,  zur  Gründung  der  via  XavQa  bei  Thekoa 
ibid.,  p.  272). 

Unmittelbar  hernach  finden  Avir  —  die  vita  erklärt  dies 
nicht  —  den  Sabas  in  durchaus  gutem  Einvernehmen  mit  den 
Neolauriten:  er  hüft  ihnen  bauen,  er  weiht  —  es  war  im 
69.  Jahre  des  Heiligen,  also  im  Jahre  507  (vita  p.  273)  —  ihre 
Kirche,  er  bestellt  ihnen  als  Hegumenos  einen  Anachoreten  aus 
seiner  Laura,  den  Johannes,  „der  zwar  von  Geschlecht  ein 
Hellene  war  (  EXÄaöixog),  aber  ein  prophetisches  Charisma  er- 
halten hatte"  (vita  Sabae  p.  273> 

Sieben  Jahre  laug  regiert  dieser.  Johannes  die  via  XavQcc. 
Nach  seinem  dann  erfolgten  Tode  wählen  seine  Untergebenen  — 
514  oder  515  —  im  Einverständnis  mit  Sabas  einen  „Eömer"  zu 
seinem  Nachfolger,  Paulus  mit  Namen,  einen  sehr  heiligen,  aber 
beschränkten  Menschen.  Sechs  Monat  nur  blieb  derselbe  im 
Amte,  dann  floh  er.    Doch  sein  Nachfolger  Agapet.  ein  Schüler 


§  19.    Leontius  von  Byzanz,  der  Origenist  Leontius  der  vita  Sabae.    2S1 

des  Sabas,  erkannte  bald,  dass  Paul's  Abtszeit  trotz  ihrer  Kürze 
nicht  spurlos  vorübergegangen  war:  es  waren  durch  Paulus  vier 
Mönche  aufgenommen,  die  verstohlen  den  origenistischen  Irr- 
lehren anhingen*).  Der  bedeutendste  unter  ihnen  war  Nonnus. 
ein  Palästinenser.  Agapet  vertrieb  ihn  samt  seinen  3  Genossen 
aus  der  via  Xavga  (vita  Sabae  p.  274).  Die  Vertriebenen  blieben 
in  Jerusalem,  bis  nach  5  Jahren  —  zwischen  Ende  519  und  An- 
fang 521  —  Agapet's  Tod  und  die  Milde  seines  Nachfolgers 
Mamas  ihnen  die  Rückkelir  in  die  Laura  gestattete  (vita  Sabae 
p.  275).  Nebst  dem  Nonnus  wurde  damals  ein  Mönch  aufge- 
nommen, der  später  selbst  den  Nonnus  in  den  Schatten  stellte, 
Leontius,  ein  Byzantiner  von  Geburt  (ibid.,  p.  344).  Dass  dieser 
Leontius  gleichwie  Nonnus  schon  früher  in  der  Laura  o-elebt 
hatte,  ist  dui'ch  die  Art,  vide  seine  Reception  durch  Mamas  be- 
richtet wird  (ibid..  p.  344).  ausgeschlossen.  Leontius  war  Ori- 
genist wie  Nonnus.  Doch  solange  Sabas  lebte,  hielten  diese 
Origenisten  ihre  Ketzerei  völlig  geheim,  sagten  keinem  der 
Mönche  etwas  von  ihr  ..aus  Furcht  vor  dem  heiligen  Sabas" 
(vita  Sabae  p.  275).  Unser  Bericht  ist  hier  vielleicht  tendenziös; 
er  scheint  zu  verschweigen,  dass  das  Verhältnis  des  Sabas  zu 
einigen  dieser  Mönche  anders  gewesen  ist,  als  die  eben  mitge- 
teilte Erzählung,  erwarten  lässt.  Denn  als  im  April  531  Sabas 
nach  Constantinopel  reiste,  angeblich  um  eine  Steuererleichterung 
für  die  Palästinenser  zu  erwirken  (vita  p.  340),  finden  wir  u.  a. 
auch  den  Leontius  in  seiner  Begleitung.  —  Sabas  und  seine  Be- 
gleiter werden  in  Constantinopel  aufs  ehrenvollste  empfangen: 
der  Patriarch  Epiphanius,  der  ^^jiajtccg'"  Eusebius  [Presbyter  und 
Cimeliarcha  der  städtischen  Hauptkirche**))  und  Hypatius    von 


*)  Wie  Agapet  diese  heimlichen  Origenisten  als  solche  erkannt  hat, 
sagt  die  vita  nicht.  Die  Unwahrscheinlichkeit  ihrer  Erzählung  lässt  be- 
fürchten, dass  dem  Verfasser  der  Hergang  nicht  genau  bekannt  war,  oder 
nicht  erbaulich  genug  schien,  um  erzählt  zu  werden. 

**)  Dass  die  oben  vollzogene  und  schon  früher  vorgeschlagene  Gleich- 
setzung (vgl.  Cotelerius  III,  in  not.  p.  tiÜ4)  richtig  ist,  folgt  m.  E.  mit 
ziemlicher  Sicherheit  schon  aus  den  von  Cotelerius  und  vor  ihm  ange- 
führten Stellen.  Beobachtet  man  nämlich  vita  Sabae  p.  30.t,  341,  3(Jl,  364, 
366,  dass  jener  nccTiag  Eusebius  in  Constantinopel  bei  Justinian  sehr  ein- 
üussreich  und  offenbar  in  Constantinopel  zu  Hause  gewesen  ist,  während 
er  andrerseits  ein  besonders  reges  Interesse  für  die  Verhältnisse  in  Palästina 
zeigt,    so    wird  man   aus  der  ep.  Mennae  ad  Petrum   Hiersol.   anni   53t) 


282  Zweiter  Abschnitt. 

Ephesus  mit  den  Seinigen  fahren  im  Auftrag  des  Kaisers  auf 
kaiserlichen  Schnellseglern  dem  Sabas  entgegen. 

Die  Geschäfte  des  Sabas  in  der  Residenz  zu  verfolgen,  hat 
für  uns  keinen  Zweck.  Das  aber  verdient  unsere  Aufmerksam- 
keit, dass  während  der  Anwesenheit  des  Sabas  in  Constantinopel 
im  Palast  eine  Disputation  mit  den  Monophysiten  stattfindet, 
an  der  auch  Begleiter  des  Sabas  teilnehmen.  Cyrill  berichtet, 
dass  bei  dieser  Gelegenheit  einige  der  Mönche  des  Sabas  als 
Verehrer  des  Theodor  von  Mopsueste  entlarvt  seien,  während 
Leontius  von  dem  hl.  Sabas  als  Origenist  erkannt  worden  sei*). 

Ist  diese  Disputation  die  bekannte  coUatio  cum  Severianis? 
Sehr  wahrscheinlich;  denn  die  Argumente,  mit  denen  man  (s. 
Mansi  VIII,  p.  833  sqq.)  die  collatio  der  Akten  in  das  Jahr  533 
weist,  sind  nicht  stichhaltig,  und  andrerseits  haben  wir  an  dieser 
Stelle  der  vita  Sabae  (p.  341)  drei  der  in  den  Akten  der  collatio 
genannten  orthodoxen  Collocutoren  beisammen,  Hypatius  von 
Ephesus,  den  Presbyter  und  Cimeliarcha  Euseb  und  den  Leontius 


(Mansi  VIII,  p.  1166C:  ra  iv  vfüv  xaxoQS^ajßara  7to7.Xol  (ihv  öirjyovvrcct, 
i^aiQtzwg  äh  o  xoivog  u6ek(p6q,  fiükXov  öe  itTCtlv,  6  xoivoq  svsQyhyjq,  6 
&eo(pi?JaTaToq  TtQSoßvtfQoq  Evotßioq)  und  aus  Justinian,  Novella  40  ad 
Petrum  Hiersolymit.  anni  536  (Nr.  51  ed.  Zachariae  v.  Lingenthal; 
tom,  I,  p.  350:  Evaißioq  6  d^eocpiXtazaroq  ji^eaßvzfQoq  xal  xiißt^XiÜQxriq 
TTjq  xaxu  rtjv  ßaaiXidu  ravxrjv  noXiv  ayiwrürrjq  txxhjalaq  na^ccyevo/nsvoq 
tv  ry  ()7j&slGy  Ton'''IeQOooXv{HTä)v  noXei,  xal  rbv  ae^vov  avxov  xal  &so(piXTj 
xal  vvv  tvÖEixvvfisvoq  XQonov,  öl  ov  noXXaZq  xal  fisya?.aiq  xal  öixalaiq  «v^jj- 
oeai  xrjv  XTJq  ayiwxdxtjq  hxxXrialaq  tjv^rjoe  7t(}6aodov)  unzweifelhaft  denselben 
Eusebius  herauserkennen.  Cotelerius'  Gegenargument,  jener  mcnaq  Eusebius 
müsse,  weil  er  vita  Sabae  p.  341  vor  Hypatius  von  Ephesus  genannt  werde, 
mehr  gewesen  sein  als  ein  Presbyter,  hat  keine  Bedeutung;  die  Gunst  des 
Kaisers  wog  reichlich  soviel  als  bischöfliches  Ansehen.  Auch  die  „Akten" 
der  collatio  cum  Severianis,  die  in  diesem  Zusammenhange  vonCotelerius 
nicht  erwähnt  werden,  zeigen,  welch  bedeutende  Stellung  jener  Presbyter 
Eusebius  einnahm :  Nobiscum  vero  dominus  vir  venerabilis  Eusebius,  pres- 
byter  et  cimeliarcha  sanctissimae  majoris  ecclesiae  (Mansi  VIII,  p.  817). 
Falls  trotzdem  noch  Zweifel  an  der  Identität  der  beiden  Eusebii  bleiben 
sollten,  so  werden  sie,  denke  ich,  durch  die  folgende  Untersuchung  be- 
seitigt werden. 

*)  vita  p.  344  :  xivhq  xöjv  dvsX&ovxwv  fA£x'  avxov  /AovayjSv  OeoöfÜQOV 
xov   Moxpovtoxiaq  rjvQiO-rjOav  avxiXaßßavößtvoi,   elq  xjjv  ßaaiXixrjV  /nexa 

xüjv    dnoaxioxüJv   dvxißdXXorxeq, 7]v^i&7j    xiq   xaJv   fjiex^   avxov 

IxovaxöJv ,  Bvt,ca'Xioq  xiÖ  ytvtt,  Aeövzioq  ov6f.iaxi,  .  .  .  .,  xüiv  ^i^iQiyevovq 
(hyficcxwv  uvxiXafxßavöjifvoq. 


§  19.    Leontius  von  Byzanz,  der  Oiigenist  Leontius  der  vita  Sabae.     283 

(vgl.  Mansi  VIII,  p.  817 sq.),  und  für  die  übrigen  Mönche  des 
Sabas,  die  teilgenommen  haben  sollen,  ist,  wenn  diese  Nachricht 
zuverlässig  ist,  unter  den  Zuhörern  und  Zuschauern  Platz,  übrigens 
ist  diese  Frage  für  uns  gleichgiltig.  Denn  da  Sabas  den  „als 
Ketzer  erkannten"  Leontius  und  ebenso  die  entlarvten  Verehrer 
des  Theodor  von  Mopsueste  in  Constantinopel  lässt,  so  bleibt  für 
die  in  den  Akten  bezeugte  Anwesenheit  des  Leontius  bei  jenem 
Religionsgespräch  Raum,  auch  wenn  dasselbe  532  oder  533  statt- 
fand. Wahrscheinlicher  scheint  es  jedoch,  dass  die  collatio  cum 
Severianis  mit  der  von  der  vita  Sabae  angegebnen  Disputation 
identisch  ist,  also  im  Sonuner  531  gehalten  wurde*). 


*)  Die  collatio  cum  Severianis  wird  bald  531,  bald  532,  bald  533  an- 
gesetzt. Die  Zahl  531  erklärt  sich  wohl  aus  der  anscheinend  durch  Annahme 
eines  Druckfehlers  zu  erklärenden  Überschrift  Mansi's:  Habita  .  .  anno 
DXXXI;  532  wird  im  Index  bei  Mansi  angegeben;  533  ist  die  einzige  mit 
Gründen  gestützte  Zahl.  Das  Jahr  532  eignet  sich  wegen  der  politischen 
Unruhen  dieses  Jahres  (Nika- Aufstand)  sehr  schlecht,  der  einzige  Grund 
für  533  ist  der,  dass  in  dem  von  Hypatius  vonEphesus,  dem  Vorsitzenden 
der  collatio,  und  Demetrius  von  Philippi,  einem  geladenen,  aber  durch 
Krankheit  verhinderten  Collocutor,  überbrachten  Briefe  Justinian's  an 
Johannes  II  von  Rom  (Mansi  VIII,  p.  795  sq.)  Justinian  erwähnt:  onanes 
sacerdotes  universi  orientalis  tractus  et  subjicere  et  unire  sedi  vestrae 
sanctitatis  properavimus.  Dieser  Brief,  so  sagt  man,  ist  533  geschi-ieben 
[cf.  Codex  Justinian.  ed.  Krueger  I,  1 ,  5  ff.] ,  mithin  war  die  collatio  533. 
Allein  jener  Satz  des  Briefes  ist  so  allgemein,  dass  nichts  darauf  zu  bauen 
ist;  Justinian's  Kirchenpolitik  hat  sich  seit  51S  in  der  angegebenen  Bahn 
Viewegt.  Weiter  dai-f  aus  der  Anwesenheit  des  Hypatius  und  Demetrius 
in  Constantinopel  im  Jahre  533  nichts  gefolgert  werden,  denn  Hypatius 
ist  auch  531  in  der  Hauptstadt  (vita  Sabae  p.  340),  und  für  Demetrius 
kann  das  Gleiche  leicht  angenommen  werden.  Also  sind  die  Argumente 
für  533  nicht  stichhaltig.  Ja  es  lassen  sich  Gründe  gegen  die  Annahme 
dieses  Jahres  geltend  machen,  die  freilich  nicht  zwingend  sind,  aber  doch 
die  Identificierung  mit  der  in  der  vita  Sabae  erwähnten  Disputation  des 
Sommers  531  begünstigen.  Konnte  nämlich,  dies  ist  der  erste  Grund, 
Demetrius  von  Philippi  533  nach  Rom  reisen,  so  hat  die  collatio  schwer- 
lich in  diesem  Jahre  stattgefunden,  denn  zur  Zeit  der  collatio  war  Deme- 
trius krank  (Mansi  VllI,  p.  817).  Zweitens  ist  beachtenswert,  dass  von 
Anthimus  von  Trapezunt,  einem  der  orthodoxen  Collocutoren  (Mansi  VIll, 
p.  817),  im  Jahre  536  berichtet  wird  (Mansi  VIII,  891).  er  habe  „t^r  noXlov" 
seine  Bischofsstadt  Trapezunt  verlassen  und  unter  der  Maske  eines  Asketen 
in  Constantinopel  gelebt.  Zur  Zeit  der  collatio  scheint  von  Anthimus  ein 
Verlassen  seines  Bischofssitzes  noch  nicht  behauptet  zu  sein,  die  collatio 
scheint  daher  im  Jahre   531  besser  untergebracht  werden  zu  können,  als 


284  Zweiter  Abschnitt. 

Xach  dem  Religionsgespräch  blieb  Leontius  in  Constanti- 
nopel,  Sabas  reiste  im  September  531  nach  Palästina  zurück  und 
starb  dort  am  5.  December  532.  Bis  zu  seinem  Tode,  erzählt 
Cyrill  (vita  Sabae  p.  360),  herrschte  unter  seinen  Mönchen  die 
völligste  Harmonie  in  dogmatischen  Fragen.  Der  Tod  des  Sabas 
giebt  dem  Nonnus,  der,  wie  erwähnt,  zu  den  Mönchen  der  vta 
Xavga  gehörte,  Anlass,  mit  seinen  origenistischen  Ketzereien  her- 
vorzutreten. Alle  Begabteren  {XoytcoTeQovg)  in  der  neuen  Laura 
bringt  er  auf  seine  Seite,  auch  die  Einwohner  der  Siedelei  des 
Martyrius  und  der  Laura  des  Firminus  verführt  er.  Ja  damit 
nicht  genug:  zwei  seiner  Anhänger,  Domitian,  Abt  der  fiovf]  des 
Martyrius,  und  Theodorus,  mit  Beinamen  Askidas,  der  geistige 
Führer  der  Neolauriten  (rcör  t%  vtag  XavQaq  t^aQycov  ysyovojg. 
vita  Sabae  p.  361)  reisen  nach  Constantinopel,  geben  sich  dort 
den  Schein,  für  das  Chalcedonense  zu  kämpfen  (vjisq  rt/q  tp 
Xaly.rjööin  Ovvoöov  jiqoojiolovubvol  dycovi^eod-ai,  p.  361;  — 
dasselbe  wh-d  p.  344  von  dem  Auftreten  des  Leontius  in  Constan- 
tinopel gesagt:  zTJg  Iv  Xaly.rfiövi  Ovvoöov  jtQOLOraod-ai  jcqog- 
jtoiovf/tvog  — ),  gelangen  durch  Leontius,  der  ja  noch  in  Constanti- 
nopel weilt,  in  die  Gunst  des  näutag  Eusebius  und  durch  ihn 
in  die  Gunst  des  Kaisers:  so  wird  Domitian  Bischof  von  Au- 
C}T:a,  Theodor  Bischof  von  Cäsarea  in  Kappadocien  (vita  Sabae 
p.  361). 

Wann  war  dies  alles?  Noch  auf  dem  Concil  von  Constanti- 
nopel 536  erscheint  Domitian  als  jigsoßvzEQog  y.al  aQyjfiavÖQir tjg 
(lOvTjg  MaQxvQLov^  Theodor  —  dass  Theodorus  Askidas  hier  ge- 
meint ist,  kann  kaum  bezweifelt  werden  —  als  öidxovog  xal 
fiova/6g  rrjg  veag  XavQag  (vgl.  oben  S.  273,  Mansi  VIII,  SS2f., 
910,  911,  931  [irrig:  Jofxvlvov  für  Ao^i^TLavov],  942,  954,  991, 
1018,  1019).     Daraus   folgt,  dass  die  von  der  vita  Sabae  p.  361 


zwei  Jahr  näher  an  536  heran  Doch  ist  zuzugeben,  dass  letzteres  Argu- 
ment sehr  anfechtbar  ist,  da  viele  Bischöfe  lange  Zeit  in  der  Hauptstadt 
lebten,  und  die  Feindschaft  ein  solches  Leben  in  der  Hauptstadt  leicht 
als  ein  xara/uTiüv  des  eigenen  Sitzes  auffassen  konnte.  — ■  Mit  Sicher- 
heit wird  die  Zeit  der  collatio  nicht  zu  ermitteln  sein.  Da  aber  in 
der  vita  Sabae  eine  Disputation  im  J.  551  erwähnt  ward,  so  liegt  es  m.  E. 
am  nächsten,  die  Akten  mit  dieser  Erwähnung  zu  verknüpfen.  Allerdings 
haben  unter  Justinian  mehrere  Religionsgespräche  derart  stattgefunden 
(Mansi  Vül,  833),  allein  schwerlich  in  Zwischenräumen  weniger  Jahre. 


§  19.    Leontius  von  Byzanz,  der  Origenist  Leontius  der  vita  Sabae.    285 

erwähnte  Reise  des  Domitian  und  Theodor  nach  Constantinopel 
auf  denselben  Aufenthalt  in  der  Hauptstadt  hinweist,  von  dem 
die  Akten  der  Constantinopolitanischen  Synode  von  536  uns  ur- 
kundliche Nachricht  gehen*).  Es  bestätigt  sich  dies  auch  da- 
durch, dass  neben  Domitian  und  Theodor  auch  ein  Vertreter  der 
Laura  des  Firminus  in  Constantinopel  erscheint  (s.  Mansi  VIII, 
911  etc.),  die  Cyrill  als  von  der  Ketzerei  inficiert  bezeichnet. 
Was  daraus  für  den  Charakter  der  Erzählung  des  Cyrillus  Scy- 
thopolitanus  folgt,  soll  später  erörtert  werden;  wir  sehen  zu- 
nächst, was  Cyrill  weiter  berichtet. 

In  dieser  Zeit  —  Ende  537  (vgl.  Anm.  1)  —  starb  Melitas,  der 
Nachfolger  des  Sabas.  Sein  Bruder  Gelasius  trat  an  seine  Stelle. 
Dieser  ist,  wie  Cyrill  an  verborgener  Stelle  gelegentlich  verrät, 
ein  Verehrer  Theodors  von  Mopsueste  gewesen:  er  be- 
dauert nicht  lange  vor  seinem  im  October  545,  oder  vielmehr  546**) 
erfolgten  Tode,  eine  für  den  Mopsuestener  eintretende  Petition  der 
Eremiten  mit  unterschrieben  zu  haben  (vita  Sabae  p.  369).  Aus- 
drücklich berichtet  Cyrill,  dass  Gelasius  ein  eifriger  Gegner  der  Ori- 
genisten  gewesen  sei  (ibid.,  p.  362).  Die  Gegensätze  standen  sieb  in 
Palästina  jetzt  schroff  gegenüber.  Leontius  war  von  Constantinopel 
zurückgekehrt  und  stand  mit  Nonnus  an  der  Spitze  der  Neolau- 
riten.  Auch  in  der  alten  Laura  wuchs  ihr  Anhang;  Gelasius  und 
seine  Anhänger  vertrieben  von  dort  fast  40  Gesinnungsgenossen 
des  Leontius  (vita  Sabae  p.  362).  Das  war  das  Zeichen  zu  den 
nun  folgenden  brutalen  Scenen,  für  welche  Cyrill  den  Leontius 
verantwortlich  macht.  Gegen  Gelasius  aufs  ärgste  erbittert,  ver- 
suchen ol  JtsQi  Asovnov  die  alte  Laura  mit  Gewalt  zu  erobern, 
—  doch  der  Sturm  misslang. 

In  dieser  Zeit,  so  fährt  Cyrillus  fort,  kamen  Ephräm  von 
Antiochien  und  der  jiccjiag  Eusebius  nach  Palästina,  um  die  Ab- 
setzung des  [nach  Liberatus,  Breviarium  c.  23,  Mansi  IX, 
]).  698]   in  Gaza  in  der   Verbannung  lebenden  Bischofs   Paulus 


*)  Dazu  passt,  dass  unmittelbar  nachher  (vita  Sabae  p.  361)  der  Tod 
des  Melitas  erwähnt  wii-d,  des  Nachfolgers  des  Sabas;  denn  da  Melitas 
5  Jahr  Abt  gewesen  ist  (ibid.),  muss  sein  Tod  in  das  Ende  des  Jahres  537 
gefallen  sein  (vgl.  p.  362:  tV  cIq/J^  ^^?  ntfX7iT7jg  acd  ötxäzijc;  ii'öixriörog, 
anstatt  tcqojttjq,  wie  oben  [S.  279]  gezeigt  ist). 

'*)  ind.9.i.e.545,  doch  wird  wohl  noch  hier  der  Irrtum  in  derIndictions= 
Zählung  nachwirken,  der  seit  531  nachweisbar  war  (vgl.  oben  S.  279). 


286  Zweiter  Abschnitt. 

von  Alexaudrien  zu  ordnen.  Gemeint  ist  unfraglich  die  Synode 
von  Gaza,  von  der  Liberatus  a.  a.  0.  berichtet,  an  der  nach  seiner 
Mitteilung  auch  Petrus  von  Jerusalem,  Hypatius  von  Ephesus 
und  der  päpstliche  Apokrisiar  Pelagius  teilnahmen.  Wann  die 
Synode  war,  ist  nicht  sicher  festzustellen,  und  da  es  unnötig  ist, 
hier  auf  die  viel  erörterten  chronologischen  Fragen  der  Anfänge 
des  origenistischen  und  des  Dreicapitelstreits  einzugehen,  so  folge 
ich  Hef  ele  (II,  S.  784)  und  Möller  (R.-E.2  XI,  p.  112),  welche  die 
Synode  von  Gaza  in  das  Jahr  541  oder  542  setzen.  Auf  sie,  auf 
den  Artikel  „Dreicapitelstreit"  der  R.-E.-  und  auf  die  ältere  bei 
Hefele  angeführte  Litteratur  verweise  ich  auch  inbezug  auf  alle 
über  den  engen  Rahmen  unseres  Stoffes  hinausliegenden  ge- 
schichtlichen Fragen  betreffs  der  Anfänge  der  erwähnten  Streitig- 
keiten. Uns  interessieren  dieselben  hier  nur,  soweit  sie  für  das 
Leben  des  Leontius  von  Wichtigkeit  sind. 

Nach  Beendigung  der  Synode  [von  Gaza],  so  erzählt  Cyrill, 
begab  sich  Leontius  nach  Jerusalem,  um  dort  den  Eusebius  zu 
treffen.  Dieser  lässt  sich  von  Leontius  täuschen,  „xal  (itjÖsv 
jiSQi  rrjg  aiQtöecog  yrovc"^,  lässt  er  den  Gelasius  kommen  und 
fordert  von  ihm  Wiederaufnahme  der  vertriebenen  „Origenisten", 
oder  Vertreibung  ihrer  Ankläger.  Diese  Forderung  bewegt  die 
Mönche  der  alten  Laura,  eine  Gesandtschaft  an  Ephräm  von 
Antiochien  zu  schicken,  und  von  dieser  gebeten,  verurteilt  Ephräm 
feierlich  die  origenistischen  Lehren.  Doch  auch  die  Origenisten 
sind  nicht  unthätig.  Leontius  ist  nach  Constantinopel  gereist: 
auf  ihn  und  auf  Theodor  von  Cäsarea  und  Domitian  von  An- 
cyra  gestützt,  fordern  die  Origenisten  in  Palästina  vom  Patri- 
archen Peter  den  Abbruch  der  Kirchengemeinschaft  mit  Ephräm. 
Der  Patriarch  muss  nachgeben,  lässt  aber  durch  Gelasius  und 
durch  Sophronius,  den  Abt  der  Siedelei  des  Theodosius  (vita 
Sabae  p.  363),  eine  Klagschrift  gegen  die  Origenisten  aufsetzen 
und  schickt  diese  nach  Constantinopel  ein  (p.  365).  Ihre  Wir- 
kung war  das  —  nach  Hefele  im  Jahre  543  erlassene  —  Edikt 
Justinian's  gegen  Origenes  (Mansi  IX,  p.  487 — 538),  von  dem 
Liberatus  (Breviarium  c.  23,  Mansi  IX,  p.  698)  berichtet,  dass 
es  vornehmlich  den  Bemühungen  des  päpstlichen  Apokrisiars 
Pelagius  zu  danken  sei. 

Als  dies  Edikt  in  Palästina  bekannt  wurde,  waren  Eusebius 
und  Leontius  schon  gestorben.     Was  Cyrill  noch  weiter  erzählt 


§  19.    Leontius  von  Byzanz,  der  Origenist  Leontius  der  vita  Sabae.    287 

über  die  Ereignisse  in  Palästina,  das  geht  uns  deshalb  hier  nichts 
an.  Dagegen  muss  gleich  hier  auf  das  hingewiesen  werden,  was 
Cyrill  nicht   erzählt. 

Was  wollte  Leontius  in  Constantinopel  bei  seiner  letzten 
Reise?  Wie  konnte  Theodorus  Askidas  bald  nachher  (vit.  Sa- 
bae p,  367)  von  Constantinopel  aus  den  Patriarchen  Petrus 
z^vingeu,  mit  den  Anhängern  des  Nonnus  durch  eine  ihm  ab- 
geforderte Erklärung  sich  auszusöhnen  {ri'jv  aixrjd^eTöav  üth]- 
QOfpoQim^  jiou'jöaod-ai,  vita  Sabae  p.  367)?  Dass  Theodorus  in 
dieser  Zeit  von  Justinian  ein  Anathem  über  Theodor  von  Mop- 
sueste  und  Ibas  von  Edessa  verlangte  (Liberatus  c.  24,  Mansi 
IX,  p.  699),  um,  wie  Domitian  von  Ancyra  sagt,  so  die  Machina- 
tionen der  Antiorigenisten  zu  vernichten  („ad  abolitionem  eorum, 
quae  contra  Origenem  mota  constituerant",  Fragment  bei  Facun- 
dus,  defensio  trium  capit.  IV,  4,  bei  Sirmond,  opp.  II,  p.  530  C); 
dass  er  nach  weiterer  Ausdehnung  der  Forderung  auch  auf  die 
anticyrillschen  Schriften  Theodoret's  das  Edikt  gegen  die  drei 
Capitel  erlangte;  dass  Ephräm  von  Antiochien  und  Petrus  von 
Jerusalem,  die  Gönner  der  Antiorigenisten,  anfangs  die  Unter- 
schrift dieses  Ediktes  verweigerten  (Facundus,  def.  trium  capit. 
IV,  4,  Sirmond,  a.  a.  0.,  p.  530):  das  alles  erwähnt  C}T*ill  nicht. 
Die  fünfte  ökumenische  Synode  erscheint  vita  Sabae  p.  374  im 
Widerspruch  mit  den  Thatsachen*)  primär  gegen  Origenes  ge- 
richtet, nur  gelegentlich  wird  hier  des  Anathems  über  Theodor 
von  Mopsueste  gedacht.  Bedenkt  man  nun,  dass  schon  531  in 
Constantinopel  Verehrer  des  Theodor  von  Mopsueste  in  Sabas' 
Kähe  entlarvt  sein  sollen  (vita  Sabae  p.  344);  weiter,  dass  von 
Abt  Gelasius  erzählt  wird,  er  habe  kurz  vor  seinem  Tode  be- 
dauert, den  von  den  Einsiedlern  auf  Antrieb  des  Patriarchen  gegen 
die  Verurteilung  Theodors  eingereichten  Libell  unterschrieben  zu 
haben  {OfpoÖQa  fierafieiuXtifiai  xaß^vjroyQccipai  reo  yevofiivcp  vjio 
rtjg  BQrj(iov  XißtXXqy  xar'  kjtLXQOJcrjv  xov  jcargiag/ov  JtQoq  ro 

*)  Dass  die  fünfte  ökumenische  Synode  überhaupt  ein  Anathem  gegen 
Origenes  erlassen  hat,  behauptet  Möller  (R.-E.2  XI,  S.  113  Anm.)  mit 
gutem  Grunde.  Ausser  den  V(in  Möller  genannten  Zeugen  ist  noch  Ger- 
manus, de  haeresibus  (vgl.  oben  S.  127)  cap.  34  zu  nennen,  denn  dieser 
sagt  ausdrücklich:  'Avax^sßuxi'Qovai  de  xa  Scoöexa  xs(pd?.caa  QsoöwqIxov  .... 
xal  XU  xov  '£i^iyhvovs'^E/.?.7jvixu  ovyyQäf^fjiaxa  (Migne,  P.  G.  9S,  col.  72C). 
Dass  aber  die  Synode  primär  gegen  die  drei  Capitel  gerichtet  war, 
machen  die  Akten  zweifellos. 


2S8  Zweiter  Abschnitt. 

inj  ava&Eiiaxiöd^Tjvai  avxöv^  vita  Sabae  p.  369):  so  erkennt  man 
leicht,  dass  die  vita  Sabae  und  mit  ihr  die  vita  Euthymii  eine 
grelle  Parteifärbung  tragen;  sie  sind  geschrieben  im  Sinn  und  zu 
Gunsten  einer  nicht  nur  antiorigenistischen,  sondern  auch  —  nach 
Anschauung  der  Gegner  Theodor's  von  Mopsueste  —  nestoriani- 
sierenden  Partei.  Die  Anfänge  des  origenistischen  Streites  und 
des  Dreicapitelstreites  sind  enger  verbunden,  als  die  bisherigen 
Darstellungen  erkennen  lassen.  Nicht  die  Launen  des  Theodo- 
rus  Askidas,  sondern  die  A^erhältnisse  in  Palästina  erklären,  dass 
Justinian  etwa  gleichzeitig  mit  der  einen  Hand  den  Origenes,  mit 
der  andern  Hand  die  drei  Capitel  schlug. 

Hier  werden  wir  gut  thun,  einzuhalten,  um  nun  die  Beant- 
wortung der  Frage  in  Angriff  zu  nehmen,  die  für  uns  die  Haupt- 
sache ist.  Ist  der  Leontius  der  vita  Sabae  identisch  mit  dem 
Schriftsteller  Leontius  ? 

Sehen  wir  zunächst  ab  von  dem  Vorwurf  origenistischer 
Ketzerei,  den  die  vita  Sabae  dem  Leontius  macht,  so  kann  an 
der  Identität  des  Schriftstellers  Leontius  und  des  Leontius  der 
vita  Sabae  nicht  im  geringsten  gezweifelt  werden.  Der  Gründe, 
welche  die  Identität  teils  begünstigen,  teils  fordern,  sind  so  viele, 
dass  schon  ein  Teil  derselben  genügen  würde: 

1.  Während  der  Schriftsteller  Leontius,  o  {lovayßq  BvL,av- 
riov,  Berührung  mit  Palästina  zu  haben  scheint  (vgl.  das  oben 
S.  222  und  S.  269  Bemerkte),  zur  Zeit  der  Abfassung  der  Bücher 
gegen  die  Nestoriauer  und  Eutychianer  zwar  in  einer  grossen 
Stadt  lebte  (Migne,  P.  G.  86,  col.  1268),  doch  aber  sich  nicht  zu 
den  aOxeiOTSQOi  rechnet  (1273 B):  wird  von  dem  Leontius  der 
vita  Sabae  ausdrücklich  berichtet,  dass  er  sein  eigentliches  Heim 
in  den  Einsiedeleien  Palästinas  hatte,  doch  nicht  nur  aus  Byzanz 
stammte  (vita  Sabae  p.  344,  vgl.  p.  363  u.  ö.:  Asovriog  6  Bv^m'- 
Tiog),  sondern  auch  oft  und  lange  sich  in  der  Hauptstadt  aufhielt. 

2.  Was  wir  über  die  Chronologie  des  Lebens  des  Schrift- 
stellers Leontius  bislang  feststellen  konnten,  harmoniert  aufs 
beste  mit  dem,  was  wir  in  dieser  Hinsicht  über  den  Leontius  der 
vita  Sabae  erfahren.  Der  Schriftsteller  Leontius  hat  seine  Bücher 
adv.  Nest,  et  Eut.  geschrieben  vor  dem  Dreicapitelstreit  (oben 
S.  33),  seine  Oyölia  zwischen  538  und  544,  hat  das  5.  ökume- 
nische Coucil  nie  erwähnt;  —  der  Leontius  der  vita  Sabae  ist 
ca.  543  gestorben.     Seit  520,  so  sahen  wir  ferner  (oben  S.  261), 


§  19.    Leontius  von  Byzanz,  der  Origenist  Leontius  der  vita  Sabae.    289 

verlieren  wii'  die  'Spur  des  zu  den  skythischen  Mönchen  gehöri- 
gen Schriftstellers  Leontius;  in  eben  der  Zeit  taucht  der  Leon- 
tius der  vita  Sabae  in  Palästina  auf  (oben  S.  2S1). 

3.  Die  Art  der  Handlungsweise  des  skythischen  Mönches 
Leontius,  d.  i.  des  Schriftstellers,  und  des  Leontius  der  vita  Sa- 
bae ist  die  gleiche.  Jener  hat  mit  seinen  Grenossen  in  Constanti- 
nopel  dogmatische  Streitigkeiten  angefacht  und  reist,  sie  zu  er- 
ledigen, schnell  entschlossen  nach  Rom;  dieser  bringt  die  Siede- 
leien  Palästinas  in  Bewegung  und  sucht  sich  in  der  Hauptstadt 
des  Ostens  Rückhalt. 

4.  Der  skythische  Mönch,  d.  i.  der  Schriftsteller  Leontius, 
war  mit  Vitalian  verwandt  und  hatte  durch  ihn  Beziehungen  zum 
Hofe;  der  Mönch  der  vita  Sabae  steht  in  Gunst  bei  dem  jiajcac. 
Eusebius,  der  bei  Justinian  viel  vermochte,  und  war  im  stände, 
in  der  Hauptstadt  für  seine  Zwecke  zu  wü-keu. 

5.  Sehr  alte  Tradition  weiss,  dass  der  Schriftsteller  Leon- 
tius Eremit  gewesen  ist  (vgl.  oben  S.  223),  —  wie  alle  Sabas- 
mönche  es  waren. 

6.  Zu  der  Stelle  adv.  Nest,  et  Eut.  J273Cf.:  xalöjq  yag 
avTOvg  tvlaß/)g  xal  &8log  dvr/Q  ovzcog  xtx2.r]xev,  bemerkt  ein 
Scholion  in  margine  (sowohl  im  cod.  Vatic.  als  im  cod.  Tur- 
rian.):  Jt8()l  rov  dßßä  Novvov  g)i]oL 

7.  Der  Leontius  der  vita  Sabae  war  ein  Freund  des  Theo- 
dorus  Askidas,  welcher  der  Tradition  nach  die  Verurteilung  der 
drei  Capitel  veranlasste;  der  Schriftsteller  Leontius  hat  wie  schon 
Johannes  Maxentius  vor  dem  Dreicapitelstreit  eifrig  für  eine 
Verurteilung  des  Diodor  und  Theodor  gewirkt. 

S.  Man  kann  für  die  Polemik,  welche  der  Schriftsteller  Leon- 
tius gegen  heimliche  Xestorianer  übt  (adv.  Nest,  et  Eut.  lib.  III), 
sich  kaum  einen  bessern  Hintergrund  denken  als  die  Verhält- 
nisse, in  denen  wir  den  Leontius  der  vita  Sabae  sehen  gegen- 
über dem  den  Theodor  von  Mopsueste  verehrenden  Abte  Ge- 
lasius. 

9.  —  und  dies  entscheidet  fast  allein:  Der  Schriftsteller  Leon- 
tius ist,  wie  wir  früher  sahen,  identisch  mit  dem  Leontius  der 
collatio  cum  Severianis.  Dass  dieser  identisch  ist  mit  dem  Leon- 
tius der  vita  Sabae,  das  kann  nach  dem  oben  Ausgeführten  gar 
nicht  bezweifelt  werden. 

Doch  stellt  sich  nicht  diesen  Gründen  mit  überlegenem  Ge- 

Texte  u.  Untersuchungen.  III,  1.  19 


290  Zweiter  Abschnitt. 

wicht  die  Thatsache  entgegen,  dass  der  Leontius  der  vita  Sabae 
ein  Origenist  gewesen  ist?  Diese  Frage  bedarf  genauerer  Erör- 
terung. Und  zwar  muss  zunächst  festgestellt  werden,  was  Cy- 
rillus  Scythopolitanus  den  Origenisten  nachsagt. 

Die  vita  Sabae  und  die  vita  Euthymii  geben  hierüber  nur 
dürftige  Auskunft.  Dass  die  Origenisten  mit  Origenes  eine  Prä- 
existenz der  Seelen  und  eine  Apokatastasis  annähmen,  berichten 
beide  ("vita  Sabae  p.  374,  vita  Euthymii  p.  52);  die  vita  Sabae 
(p.  372 f.)  berichtet  ausserdem,  dass  die  Origenisten  in  einer  Zeit 
nach  dem  Tode  des  Leontius,  nicht  lange  vor  dem  5.  ökumeni- 
schen Concil  in  zwei  Parteien  sich  getrennt  hätten,  in  die  jiQco- 
TOXTiOrai  7jY0tw  TEZQaöiTai  der  Laura  Firmini  und  in  die 
ioöxQiOTOi  der  vta  XavQa;  über  die  eigentümlichen  Lehren  dieser 
Parteien  aber  wird  nichts  gesagt*).  Mehr  bietet  die  vita  Cyriaci, 
und  es  ist  erfreulich,  dass  gerade  in  den  betreffenden  Abschnitten 
der  Metaphrast  sich  genauer  an  die  cyrillische  Vorlage  anzu- 
schliessen  scheint  als  sonst.  Cyrillus  (von  Skythopolis,  vgl.  oben 
S.  275},  so  wird  hier  erzählt  (p.  11 5 ff.),  begab  sich  mit  einem 
Brief  eines  in  der  vita  Sabae  vielgenannten  Eremiten,  des  ?jöv- 
yaöTTJg  (d.  i.  Eremiten,  vgl.  Novell.  5,  ed.  Zachariae  v.  Lingen- 
thal,  Nr.  13,  tom.  I,  p.  63,  Z.  17)  ajriöxoxog  ^coävvrjg  zu  Cy- 
riacus,  um  diesen  durch  Brief  und  Bericht  gegen  die  Origenisten 
einzunehmen.  Die  Antwort,  die  er  auf  die  Frage  des  Cyriacus 
nach  den  Lehren  der  Origenisten  giebt,  ist:  jene  behaupten  ra 
jieqI  jtQovjiaQsecog  xal  djioxazaOTaOEcog  ööyf/ata  fieöa  rs  sivai 
y.al  axivövva  (p.  116).  Beachtenswert  ist  ferner,  dass  hier 
(p.  118),  ebenso  wie  vita  Sabae  p.  360,  die  Klügeren  unter  den 
Neolauriten  als  Anhänger  des  Nonnus  und  Leontius  bezeichnet 
werden,  und  dass  bemerkt  wird,  die  Origenisten  beriefen  sich  auf 
Gregor  von  Nazianz  (p.  116).  Cyriacus,  der  eben  erst  nach  den 
Lehren  der  Ketzer    gefragt    hat,    weiss   seinen  Auskunftgeber 


*)  Was  die  Namen  der  Protoktisten  oder  Tetraditen  bedeuten,  bleibt 
überhaupt  dunkel.  Die  Namen  der  Isochristen  zu  ei-läutern,  verweist  schon 
Cotelerius  auf  das  Fragment  des  Theodorus  Askidas,  der  nach  vita  Sabae 
p.  373  zu  den  Isochristen  gehörte,  bei  Evagrius  h.  e.  IV,  38,  Migne,  P. 
G.  86,  col.  2780  A:  Ei  vvv  ol  cmöavokoL  aal  ol  ßÜQxvQsq  Q^avixaxovQyovoi, 
xal  iv  zf/  Toaavry  Tifxy  vnäQyovoLV,  tv  tj7  dnoxazaGzaosi  et  fX7j  l'aoi 
yevoivzo  zw  Xqlozoj,  nola  anoxazäozaoiq  aizoTg  ioziv;  (vgl.  auch  die 
S.  291,  6  citierte  Stelle  der  vita  Cyriaci). 


§  19.    Leontius  von  Byzanz,  der  Origenist  Leontius  der  vita  Sabae.     291 

alsbald  seinerseits  zu  belehren  und  das  Sündenregister  der  Ori- 
genisten  zu  vergrössern:  1)  <paöX  fiij  tva  zTJg  rgiäöog  xov 
Xqiöxov  atvat.  2)  XtyovOi  xa  e^  avaöxaaecog  7j[i(5v  öoijiaxa 
big  ajtcöXsiav  ?j§,£iv  jtavxekr/  xal  Xqiötov  jiqcqxov.  3)  XsyovOn', 
oxt  ovx  7]  XOV  x6o(iov  örj^uovQfog  r]  xQiag.  4)  oxi  xs  kv  x) 
ajtoxaxaOxäösL  övv/'jöovxai.  Jidvxa  xa  Xoyixa  ^iyjQi  xal  öaif/o- 
vcov  &f]fCL0VQY£tv  alcövag.  5)  xal  öxi  aid^iQia  xal  öfpaiQosLÖij 
EjeiQovxai  Tjiicöv  xa  ocöfiaxa  av  xtj  avaöräöw  ovxco  yaQ  xal 
xo  xov  xvQiov  (f)aolv  eyfjytQ&ai.  6)  xal  6xi  iöoi  avxcö  tv  xij 
aüioxaxaOxäöEL  yivoi^tad-a  (p.  117  sq.). 

Wäre  das  hier  den  Origenisten  Nachgesagte  auch  von  dem 
Origenisten  Leontius  sicher  anzunehmen,  und  wären  andrerseits 
die  Schriften  des  Leontius  sämtlich,  so  wie  sie  vorliegen, 
von  dem  Schriftsteller  Leontius  von  Byzanz  verfasst,  dann  könn- 
ten der  Schriftsteller  und  der  Origenist  Leontius  auf  keinen  Fall 
identisch  sein.  Denn  die  sub  Nr.  1  genannte  Klage  passt  auf 
den  Schriftsteller  Leontius  nicht  besser,  als  der  Vorwurf  des 
Arianismus  auf  Athanasius,  und  die  origenistischen  Vorstellungen 
über  jtQovjiaQst?  und  ajioxaxäötaüig  werden  de  sectis  12G4  sqq. 
ausdrücklich  verurteilt. 

Allein  jene  Stelle  in  de  sectis  kann  dem  Überarbeiter  an- 
gehören, und  in  den  obigen  Anklagen  kann  man  nur  ein  ent- 
stellendes Zeugnis  des  Feindes  erblicken.  Allerdings  stimmen 
die  berühmten  1 5  Anathematismen  gegen  Origenes,  welche  die  Sy- 
node von  553  erlassen  zu  haben  scheint  (Mansi  IX,  396 sqq.)*), 
mit  den  Angaben  der  vita  Cyriaci  aufs  beste  überein;  nur  der 
vierte  der  obigen  Klagpunkte  hat  dort  keine  Parallele,  die  übri- 
gen: 1,  2,  3,  5,  6  entsprechen  den  Nummern  8,  11,  6,  10,  13  der 
Anathematismen  der  Synode.  Allein  die  Harmonie  der  Anathe- 
matismen mit  Cyrill  ist  im  ersten  Anathem  eine  so  auffällige 
(die  Synode:  si  xig  xijv  fivOo'jöfj  jiQovjiaQ^iv  xäJv  yw/cöv  xal 
xTjv  xavxi]  tjtofitv?]v  XEQaxcoörj  a:xoxaxaGxa6iv  JiQsoßevei  d.  L, 
Cyrill,  vita  Euthymii  p.  52:  xrjv  jtag'  avxoig  fiv&svofitrtjv  xijv 
vöüiv  7iQovjiaQc,iv  xal  xfji'  xavx>j  i:jio{.itvtjv  xeQaxcööt]  ajtoxa- 
xdöxaOiv\  dass  Cyrill  von  den  Anathematismen,  oder,  was  reich- 
lich so   wahrscheinlich   ist,    diese  von   dem   Bericht  palästinen- 

*)  Ich  folge  hier  Möller  (R.-E.2  XI,  113)  gegen  Hefele,  betone 
aber,  dass,  wie  auch  Hefele  (II,  S.  791)  einräumt,  Gewissheit  in  dieser 
Sache  nicht  mehr  erlangt  werdeü  kann.     Vgl.  auch  S.  287,  Anm. 

19* 


292  Zweiter  Abschnitt. 

sischer  Gesinnungsgenossen  Cyrill's  abhängig  sein  müssen.  In 
beiden  Fällen  vermögen  die  verschiedenen  Angaben  sich  nicht 
gegenseitig  zu  stützen;  beide  sind  von  Gegnern  dictiert.  Selbst 
der  libellus  de  erroribus  Origeniauis  (bei  Migne,  P.  G.  86,  col. 
231  sqq.)  des  oben  (S.  270,  Anm.)  erwähnten  Bischofs  Theodor 
von  Skythopolis,  dessen  Einsetzung  durch  Theodorus  Askidas 
die  vita  Sabae  p.  373  berichtet,  ist  nur  eine  Nachricht  aus  dem 
feindlichen  Lager,  denn  von  den  12  Anathematismen,  die  Theo- 
dorus Scythopolitanus  hier  ausspricht,  sind  9  herübergenommen 
aus  der  ep.  Justiniani  ad  Mennam  (Mansi  IX,  534).  Es  ent- 
sprechen nämlich  Theodors  Anathematismen  1,  2,  3,  5,  6,  7,  8, 
9,  10  den  Anathematismen  Justinian's  1,  3,  4,  5,  6,  7,  8,  9,  2. 
Auch  der  Schluss  des  libellus  Theodori  stammt  aus  jenem  Briefe. 
Die  „origenistischen  Irrtümer"  der  Origenisten  des  sechsten  Jahr- 
hunderts kennen  wir  fast  nur  durch  die  Gegner;  nur  das  hören 
wir  auch  von  Domitian  von  Ancyra  in  einem  Fragment  eines 
Briefes  an  Vigilius  von  Rom  (bei  Facundus,  defensio  trium 
capit.  IV,  4,  Sirmond,  opp.  II,  530B),  dass  die  Origenisten  die 
Lehren  von  der  Präexistenz  der  Seelen  und  der  Apokatastasis 
verteidigt  hätten. 

Unter  diesen  Umständen  würde  es  verfehlt  sein,  wenn  man 
bei  der  Frage,  ob  Leontius,  der  Schriftsteller,  Origenist  war,  von 
jenen  entstellenden  Angaben  der  Gegner  ausginge.  Insonderheit 
darf  und  muss  die  oben  unter  den  Anklagen  des  Cyriacus  sub 
Xr.  1  genannte  (=  Nr.  8  der  15  Synodal-Anathematismen)  ein- 
fach gestrichen  werden.  Je  wahrscheinlicher  es  ist,  dass  Abt 
Gelasius  und  die  Seinen  dem  „unus  ex  trinitate  passus  carne" 
nicht  sympathisch  gegenübergestanden  haben,  desto  denkbarer 
wäre  es  sogar,  dass  in  jener  ersten  Klage  der  vita  Cja'iaci  und 
in  der  Versicherung  der  vita  Sabae,  dass  Sabas  zwar  ein  Gegner 
des  monophysitisch  erweiterten  Trishagion  gewesen  sei  (p.  265), 
sich  aber  sehr  betrübt  habe  über  nestorianisierende  Mönche,  welche 
das  Xqlotov  tva  eii'ac  rfjq  cr/iag  zQUiSog  leugneten  (p.  278), 
nur  eine  Selbstrechtfertigung  Cyrill's  zu  sehen  sei.  Jedenfalls 
liegt  die  nestorianisierende  Behauptung,  Xqlotov  p)  üvai  eva 
T%  aylag  zQcaöog,  dem  Theodorus  Askidas,  den  Liberatus  — 
allerdings  img  —  als  einen  Monophysiten  bezeichnet  hat  (Bre- 
viar.  c.  24,  Mansi  IX,  699;,  und  dem  mit  ihm  und  dem  Pres- 
byter Euseb   befreundeten  Leontius  der  vita  Sabae    völlig   fern. 


§19.    Leontius  von  Byzanz,  der  Origenist  Leontius  der  vita  Sabae.     293 

Allein  entscheidet  nicht  schon  das,  was  wir  sicher  wissen, 
dass  die  Origenisten  xa  jC£qI  JtQOVJtaQ^eo^g  xal  ajroxataoräosojg 
ööy^uara  verteidigt  haben,  darüber,  dass  der  Schriftsteller  Leon- 
tius nicht  der  Origenist  sein  kann? 

Ja,  wenn  man  genötigt  wäre,  ausdrückliche  Ausführungen 
über  diese  origenistischen  Irrtümer  bei  dem  Schriftsteller  Leon- 
tius vorauszusetzen,  —  dann  würde  man  allerdings,  in  solcher 
Voraussetzung  getäuscht,  in  dem  Schriftsteller  Leontius  den 
Origenisten  nicht  wiedererkennen  können.  Allein  Leontius  würde, 
falls  er  jene  origenistischen  Irrtümer  geteilt  hätte,  sie  gewiss 
nicht  unnötigerweise  gezeigt  haben.  Sodann  ist  zu  beachten, 
dass  nach  der  aus  Innern  Gründen  zweifellos  zuverlässigen  Nach- 
richt der  vita  Cyriaci  p.  116  die  Origenisten  rä  jisql  jiqov- 
jiciQsEOjg  xal  ajcoxavccoraotojg  öoyfiara  als  fisoa  bezeichnet 
haben,  dass  also  unfraglich  schon  diejenigen  zu  den  Origenisten 
gerechnet  wurden,  welche,  ohne  selbst  jene  Dogmen  zu  ver- 
fechten, ein  Anathem  über  die  Freunde  derselben  für  unnötig 
hielten.  Unter  diesen  Umständen  glaube  ich  in  dem  Vorwurf 
origenistischer  Ketzerei  gegen  den  Leontius  der  vita  Sabae  nicht 
nur  kein  Hindernis  finden  zu  müssen  gegen  die  Annahme,  der- 
selbe sei  mit  dem  Schriftsteller  identisch,  sondern  glaube  sogar 
einige  Argumente  anführen  zu  können,  welche  auf  „origenisti- 
sche  Ketzerei"  bei  dem  Schriftsteller  Leontius  hindeuten.  Es 
sind  folgende: 

1.  Adv.  Nest,  et  Eut.  137760  spricht  Leontius  in  Xr.  XXXIX 
davon,  dass  die  von  ihm  bekämpften  Freunde  Diodor's  von  Tar- 
sus und  Theodor's  von  Mopsueste  ihren  Gegnern  zum  Erweis 
der  Orthodoxie  Diodor's  vorhielten,  dass  der  grosse  Basilius  dn 
brieflicher  Verbindung  mit  ihm  gestanden  habe.  Seine  Gegner 
von  der  Thorheit  solches  indirecten  Beweises  zu  überzeugen, 
fährt  er  in  XL  fort:  „Den  Origenes  freilich  bewundern  sie  deshalb 
(noch)  nicht,  weil  Gregorius  Thaumaturgos  in  seiner  Abschieds- 
rede in  tausend  immer  sich  wiederholenden  Lobeserhebungen  ihn 
feiert.  Doch  was  rede  ich  von  Origenes,  da  ja  auch  Apollina- 
rios,  der  in  einer  dem  Origenes  entgegengesetzten  Weise  von 
der  Wahrheit  abwich,  unzählige  Briefe  erhalten  zu  haben  sich 
rühmt  von  Athanasius"  u.  s.  w. 

Dieser  Abschnitt  lehrt  mehr,  als  Turrianus  ihm  entnahm, 
wenn  er  die  Bemerkung  machte:    „Etiam   hinc   liquet  Leontium 


294  Zweiter  Abschnitt. 

Origenis  sectatorem  non  faisse,  saltem,  cum  haec  scriberet;  cimi 
Origenem  errorum  arguat"  (Migne,  P.  G.  86,  col.  1377  not.). 
Folgendes  vielmehr  ist  dieser  Stelle  zu  entnehmen:  a)  Leontius 
giebt  allerdings  zu,  dass  Origenes  von  der  Wahrheit  abgeirrt 
sei,  —  allein  das  werden  mit  den  Verehrern  des  Origenes  im 
vierten  Jahrhundert  auch  viele  der  Origenisten  des  sechsten  zu- 
gegeben haben,  b)  Die  Gegner  des  Leontius  sind  Antiorigenisten 
gewesen;  dies  ergiebt  sich  mit  Notwendigkeit  und  scheint  mir 
von  besonderer  Wichtigkeit  zu  sein,  c)  Leontius  weiss  über  die 
origenistischen  Lehren  gut  Bescheid;  denn  wenn  er  den  ApoUi- 
narismus  als  einen  entgegengesetzten  Irrtum  bezeichnet,  so  kann 
er  als  das  Wichtigste  an  der  Lehre  des  Origenes  nur  dessen 
Anschauungen  von  der  menschlichen  Seele  Christi  angesehen 
haben.  Diese  aber  spielten  m  der  That  in  den  origenistischen 
Streitigkeiten  des  sechsten  Jahrhunderts,  wie  Justinian's  Ana- 
thematismen  und  der  libellus  Theodori  Scythopolitaui  zeigen, 
eine  besondere  Rolle.  Von  seinen  tiefsinnigen  Gedanken  vom 
Gottmenschen  aus  ist  Origenes  in  den  dogmatischen  Streit  des 
sechsten  Jahrhunderts  hineingezogen.  Dass  Leontius  dies  weiss, 
zeigt,  dass  er  den  Streitigkeiten  nicht  fern  gestanden  hat;  und 
da  nun  seine  Gegner  auf  Seiten  der  Antiorigenisten  stehen,  so 
scheint  die  Stelle,  von  der  wir  sprechen,  die  Annahme  durchaus 
zu  begünstigen,  dass  Leontius,  wenn  er  auch  Irrtümer  bei  Ori- 
genes zugab,  doch  auf  Seiten  derer  stand,  die  ein  Anathem 
über  Origenes  für  unnötig  hielten. 

2.  Die  Origenisten  Palästinas  werden  von  ihren  Gegnern 
(vita  Sabae  p.  360,  vita  Cyriaci  p.  118)  als  die  Klügeren  und 
geistig  Bedeutenderen  bezeichnet.  Beobachtet  man,  dass  es  ihnen 
zum  Verbrechen  ausgelegt  wird,  dass  sie  xa  jt^qX  jtQovjtccQsscog 
,  .  .  doyfxara  als  fitoa  erklären,  dass  sie,  ihren  Standpunkt  zu 
rechtfertigen ,  auf  Gregor  von  Nazianz  [und  vermutlich  auch  auf 
Gregor  von  Nyssa  und  Athanasius]  sich  beriefen,  so  erhält  man 
den  Eindruck,  dass  die  Origenisten  wirklich  theologisch  gebildete 
Leute  waren,  die,  anknüpfend  an  die  grossen  Theologen  des 
vierten  Jahrhunderts,  von  diesen  eine  grössere  Freiheit  und  Weite 
des  Denkens  gelernt  hatten,  als  ihre  traditionalistisch  gewordene 
Zeit  sie  besass.  Einen  Kreis  zu  finden,  in  den  der  Schriftsteller 
Leontius  besser  passte,  als  in  einen  Kreis  solcher  „Origenisten", 
wird  schwer  fallen.    Denn  dass  auch  Leontius  durch  eine  gewisse 


§  19.    Leontius  von  Byzanz,  der  Origenist  Leontius  der  vita  Sabae.    295 

Freiheit  und  Weite  seiner  theologischen  Überzeugung  sich  aus- 
gezeichnet hat,  dafür  hat  die  Untersuchung  seiner  Werke  schon 
Beispiele  gebracht;  um  auch  hier  eine  Probe  zu  geben,  verweise 
ich  auf  sein  Urteil  über  die  Kindheitsevangelien  (adv.  Nest,  et 
Eut.  1336  A)*). 

3.  Leontius  bringt  adv.  Nest,  et  Eut.  1285  AB  ein  Citat:  xal 
xaXdÖQ  sLQrjzai  zivc  xwv  jiqo  ?if/cüv  dvögl  ^sooScpm'  stg  jtoO^og 
dya&ög  xal  alcovioa  o  tTjg  dXt]&ovg  yvcoöscog  a^isfztvog.  Eine 
Randnote  der  codd.  Vatic.  und  Turr.  bemerkt  dazu:  jt£Ql  EvayQiov. 
Dass  der  bekannte  Origenist  gemeint  ist,  der  Mönch  Evagrius 
Ponticus  (f  398,  vgl.  Dictionary  of  Christian  biography  II,  p.  422), 
ist  um  so  wahrscheinlicher,  je  besser  das  von  Leontius  gebrachte 
Citat  in  die  Schrift  des  Evagrius  jtsqI  tov  ßiov  yvcoOzLxov 
passt,  welche  Evagrius,  de  vita  practica,  Cotelerius,  eccl.  grae- 
cae  monum.  III,  p.  70,  erwähnt,  von  der  aber  nur  ein  Fragment 
bei  Socrates,  bist.  eccl.  IV,  23,  Migne,  P.  G.  67,  col.  520A  sqq. 
auf  uns  gekommen  ist.  —  Hier  ist  auch  an  die  Verweisung  auf 
Nonnus  zu  erinnern,  von  der  oben  S.  289  unter  Nr.  6  schon 
gesprochen  ist. 

4.  Leontius  weist  allerdings  das  den  Origenisten  vorgeworfene 
(Theodor.  Scythopol.  Migne  86,  col.  233,  cap. II)  jiQ0V7idQ)iELV  der 
menschlichen  Natur  Christi  vor  der  tvmöig  energisch  zurück  (Epi- 
lysis  1933A,  1937  A,  1944A;  adv.  Nest,  et  Eut.  1351 D),  sagt  auch, 
dass  er  die  Zusammensetzung  des  Menschen  aus  Seele  und  Leib 
als  Beispiel  für  die  trcooig  der  Naturen  in  Christo  nicht  öid  ro 
jiQOVJcaQXSiv  rj  (jWvjkxqx^iv  [seil,  der  menschlichen  Natur  mit  der 
göttlichen]  gebrauche  (adv.  Nest,  et  Eut.  1280  D\  Allein  an  den 
zuerst  genannten  Stellen  scheint  vorwiegend  an  das  menschliche 
oätfia  gedacht  zu  sein  (vgl.  besonders  adv.  Nest,  et  Eut.  1351 D), 
dessen  jtQOVJtÜQif^LV  die  Origenisten  nicht  angenommen  haben, 
und  an  letzterer  Stelle  scheint  das  jcQovjtccQysiv  der  mensch- 
lichen Seele  zum  mindesten  nicht  ausgeschlossen.  Jedenfalls 
erklärt  Leontius  in  einer  Stelle,  die  m.  E.  erst  verständlich  wird, 
wenn  man  sie  an  antiorigenistische  Adresse  gerichtet  denkt  (Epi- 
lysis  1944C,  vgl.  oben  S.  65,  Anm),    dass   er  zwar  tu  fit)  jiqo- 


*)  Man  würde  auch  auf  de  sectis  1224B  verweisen  können,  wenn  nicht 
manches  dafür  spräche,  dass  diese  Beurteilung  des  Streites  zwischen  Cyrill 
und  Theodorct  dem  Bearbeiter  der  Schrift  de  sectis  angehört. 


296  Zweiter  Abschnitt. 

öiaxsjclaöd^ai  f/7]6h  TtQovcpsörävai  r;yr  r.ov  xvqlov  dvd^QOJjro- 
Trjxa  zugäbe,  dem  aber  widersprechen  müsse,  dass  wir  deshalb 
von  füa  vxoöracig  in  Christo  sprächen,  da  es  für  Gott  auch 
aXlmc,  [d.  h.  doch:  im  Fall  des  üTQOV!fpiOxävai\  möglich  gewesen 
wäre,  yM%^  vjtööxaOLV  sich  einem  vollkommnen  Menschen  zu 
einen.  Kommt  diese  Ausfährung  nicht  an  das  ra  jteQi  vTiäg- 
semc  ■  .  {itöa  elrai  dicht  heran  ?  Endlich  ist  darauf  aufmerksam 
zu  machen,  dass  bei  Leoutius  die  menschliche  Seele  so  sehr  als 
selbständiges  Wesen  erscheint,  dass  es,  auch  wenn  Leontius  kein 
jiQOVJiaQysiv  derselben  angenommen  liat,  dennoch  sehr  begreif- 
lich wäre,  dass  Gegner  diese  Annahme  ihm  unterstellt  hätten. 
7't  yaQ  Xsijioi,  sagt  er  adv,  Nest,  et  Eut.  1281 B,  rf]  ipvxtj,  yoi- 
Qi6r7)v  exovö7]  xal  löiav  ^cotjv,  jr()og  ro  slvai  ovöiar  aöcof/arov 
avroxh?/Tov;  (vgl.  1284CD,  1289 D,  1—4). 

5.  Hier  ist  an  die  allerdings  sehr  verschieden  bedingte  Über- 
einstimmung zwischen  Origenes  und  Augustin  hinsichtlich  der  all- 
gemeinen Sündhaftigkeit  und  an  den  augustinischen  Einfluss  auf 
Leontius  zu  erinnern,  vgl.  adv.  Nestorianos  1332C:  ov  yaQ  eOziv 
■t]  ytyovEV  £X  rov  jiavtoq  aicövog  avd-gmjtov  ipvx^]  'cxovo'iov  rs 
xal  axovoiov  afiagriag  xad-aga.  Hinter  diesem  Satze  können 
sehr  wohl  origenistische  Gedanken  stehen. 

6.  Unter  den  gegnerischen  Anklagen  gegen  Origenes  [und 
die  Origenisten]  findet  sich  auch  die,  dass  der  Vater  als  grösser 
bezeichnet  werde  als  der  Sohn  (Justinian  ad  Mennam,  Mansi  IX, 
p.  524  E);  —  Leontius  schreibt  (Epilysis  1933  B)  gelegentlich 
einer  Ausführung  über  die  Bedeutung  des  sjiivoia  öiaxQivsiv 
Folgendes:  cog  yag  ro  xat'  tjiivoLav  fisl^ov  i-Jti  t£  xaxQog  xal 
vlov,  rfj  rov  airlov  lsy6[ievov  cpvösi,  ro  z(j  <pvOEL  fieiC,ov  ov 
övvsiöaysi,  ovxco  x6  xax*  hmvoiav  öiaiQsxov  xxX.  Äusserungen 
dieser  Art  konnte  der  Unverstand  leicht  missdeuten. 

7.  Eines  der  gewichtigsten  Argumente  für  die  Identität  des 
Schriftstellers  Leontius  mit  dem  Origenisten  ist  die  Stellung  der 
Tradition  zu  ihm  —  dürftige  Kunde  nur  hat  sie  von  Leontius  be- 
wahrt, vgl.  §  9  — ,  und  im  besondern  das  Verhältnis  des  Johannes 
Damascenus  zu  Leontius.  Johannes  von  Damascus  kannte  mehrere 
Schriften  des  Leontius  (s.  oben  S.  122fF,).  Schon  dies  ist  be- 
merkenswerth,  denn  Johannes  Damascenus  lebte  im  Sabaskloster. 
Aber  weshalb  nennt  er  den  Leontius  nie,  obwohl  er  ihn  aus- 
schreibt?   Die  wahrscheinlichste  Antwort  wird  die  sein:    er   er- 


§  20.   Schlussübersicht.  297 

fuhr  im  Sabaskloster  zugleich,  dass  Leontius  ein  origenistischer 
Ketzer  gewesen  sei. 

8.  Endlich  ist  daran  zu  erinnern,  dass  die  oyölia  Atovriov 
in  ursprünglicher  Gestalt  verloren,  aber  von  zwei  verschiedenen 
Bearbeitern  überarbeitet  sind.  Dieser  umstand  ist  um  so  gewich- 
tiger, da  jedenfalls  ein  Bearbeiter,  vielleicht  beide,  in  Palästina 
lebten,  und  da  der  Verfasser  der  einen  Bearbeitung,  Abt  Theo- 
dor, der  Verfasser  der  Schrift  de  sectis,  offenbar  Antiorigenist 
gewesen  ist.  Denn  ist  es  in  diesem  Zusammenhange  nicht  offen- 
bar, dass  die  antiorigenistischen  Ausführungen  in  de  sectis  1264  B  ff. 
von  ihm,  nicht  aus  den  öyolia  herstammen? 

Diesen  Gründen  gegenüber  ist  nun  allerdings  zuzugestehen, 
dass  ein  ausdrückliches  Eintreten  für  Origenes  bei  Leontius  nicht 
nachweisbar  ist,  weiter  dass  er  die  origenistischen  Vorstellungen 
von  den  letzten  Dingen  entschieden  nicht  geteilt  hat  (adv.  Nest. 
et  Eut.  1368 D).  Dennoch  glaube  ich  gewiss,  dass  die  ange- 
führten Argumente  genügen,  um  zu  zeigen,  dass  die  Klagen  des 
parteiischen  Cyrillus  Scythopolitanus  über  die  origenistischen 
Ketzereien  des  Leontius  keine  Gegeninstanz  bilden  können  gegen 
die  Menge  der  Gründe,  welche  dazu  nötigen,  den  Schriftsteller 
Leontius  mit  dem  Origenisten  zu  identificieren. 

§  20.     Schlussübersicht   über    das   Leben   und   über    die 
polemischen  Werke  des  Leontius. 

Wir  stehen  am  Ende  unserer  Untersuchung.  Eine  Reca- 
pitulation  aller  gewonnenen  Resultate  erscheint  mir  unthunlich; 
doch  wird  es  zweckmässig  sein,  noch  einmal  kurz  zurückzu- 
blicken auf  das  Hauptsächlichste  dessen,  was  wir  über  das  Leben 
und  die  polemischen  Werke  des  Leontius  erfahren  haben.  Es 
wird  dabei  Gelegenheit  sein,  einige  bislang  noch  nicht  entschie- 
dene Nebenfragen  zu  erledigen. 

,,BvC,(xvTtog  Top  ytvsi''^  nennt  den  Leontius  Cyrillus  Scytho- 
politanus (vit.  Sabae  p.  344).  Die  Herkunft  aus  Byzanz  würde 
die  handschriftliche  Bezeichnung  des  Leontius  als  (.lovayoq  Bv- 
C,avziov  am  besten  erklären.  Sie  widerspricht  auch  der  That- 
sache  nicht,  dass  Leontius  zu  den  monachi  de  Scythia  gehörte. 
Längerer  Aufenthalt  in  Skythien  und  die  Zugehörigkeit  des 
Leontius   zu   den   übrigen  skythischen  Mönchen   würde    es  hin- 


298  Zweiter  Abschnitt. 

reichend  erklären,  dass  auch  Leontius  als  monachus  de  Scythia 
bezeichnet  wü-d.  Völlig  ausgeschlossen  ist  es  freilich  nicht,  dass 
Cyriirs  Angabe  auf  einem  irrigen  Schlüsse  ruht,  zu  dem  die 
Reisen  des  Leontius  nach  Byzanz  und  die  Beziehungen,  die  er 
dort  hatte,  die  Veranlassung  gaben.  Wäre  dies  der  Fall,  so 
müsste  man  Skythien  als  das  Geburtsland  des  Leontius  ansehen, 
denn  dorthin  weist  seine  Zugehörigkeit  zu  den  skythischen  Mön- 
chen, dorthin  auch  (vgl.  oben  S.  244)  seine  Verwandtschaft  mit 
Vitalian.  Wahrscheinlicher  aber  bleibt  wegen  der  handschrift- 
lichen Bezeichnung  des  Leontius  als  f/oi^ayog  BvC,avxiov  doch 
wohl  die  Angabe  Cyriirs. 

Auch  die  Geburtszeit  ist  nicht  zu  bestimmen.  Wir  fanden 
es  oben  (S.  252)  wahrscheinlich,  dass  die  Erzählung  des  Leontius 
über  seine  Jugend,  d.  h.  nach  dem  Context  die  Zeit  etwa  zwischen 
dem  20.  und  30.  Jahre,  den  Erfahrungen  gelte,  die  Leontius  im 
ersten  oder  zweiten  Jahrzehnt  des  sechsten  Jahrhunderts  in  Sky- 
thien gemacht  habe.  Nähme  man  daher  an,  Leontius  wäre  etwa 
480 — 490  geboren,  so  wäre  er  zur  Zeit  seines  Todes  (ca.  543) 
etwa  50 — 60  Jahr  alt  gewesen.  Dies  würde  dazu  passen,  dass 
seine  Gegner  seinen  Tod  als  eine  unverhoffte  Freude  ansahen 
(vita  Cyriaci,  p.  116),  während  Leontius  selbst  schon  adv.  Nest. 
et  Eut.  1305D  und  1385 A  die  Möglichkeit  baldigen  Todes  ins 
Auge  zu  fassen  scheint. 

Vielleicht  um  485  also  war  Leontius  geboren;  vielleicht  in 
Skythien,  wahrscheinlicher  in  Byzanz,  jedenfalls  —  das  lehrt 
seine  Verwandtschaft  mit  Vitalian  —  von  vornehmen  Eltern. 

Früh  scheint  er  Mönch  geworden  zu  sein,  denn  nach  adv. 
Nest,  et  Eut.  1360  A  und  1361 C  ist  es  wahrscheinlich,  dass  er 
schon  als  Jüngling  Mönch  war  (vgl.  oben  S.  30).  Ein  Einwand 
dagegen  könnte  nur  aus  der  Bezeichnung  des  Leontius  als  ö/o- 
XaGTixög  im  Titel  der  Schrift  de  sectis  (s.  o.  S.  136)  entnommen 
werden.  Doch  da  diese  Angabe  völlig  allein  steht,  und  Leontius 
ausdrücklich  versichert,  dass  er  der  e^co  jiatöda  nicht  teilhaftig 
geworden  sei  (adv.  Nest,  et  Eut.  1268B),  so  wird  man  annehmen 
dürfen,  der  Titel  oyolaörixog,  den  Leontius  in  der  Überschrift 
der  Schrift  de  sectis  oder  der  oyoXia  djto  (pcovrjg  GsoöcoQOV 
führt,  beruhe  lediglich  auf  einem  irrigen  Schluss  aus  dem  Titel 
der  vom  Abt  Theodor  bearbeiteten  oyo^icc  Aeovx'lov  (vgl.  oben 
S.  142).    Lediglich  theologisch  also  war  die  Bildung  des  Leontius. 


§  20.     Schlussübersiclit.  299 

Auf  theologischem  Gebiet  aber  war,  wie  seine  Werke  zeigen, 
sein  Wissen  kein  geringes.  Schon  als  Jüngling,  so  erzählt  er 
selbst  (adv- Nest,  et  Eut.  1357  C),  hatte  er  eine  sorgfältige  dog- 
matische Ausbildung  sich  als  Ziel  gesetzt  und  war  für  die  dog- 
matischen Fragen  der  Zeit  aufs  höchste  interessiert. 

Dies  Interesse  wurde  ihm  verhängnisvoll.  Gleichviel  näm- 
lich, ob  Leontius  von  Jugend  auf  in  Skythien  gelebt  hat,  oder 
ob  er  erst  später  durch  seine  skythische  Verwandtschaft  dorthin 
gezogen  war :  jedenfalls  glaubten  wir  annehmen  zu  müssen 
(vgl.  oben  S.  252),  dass  er  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  sechsten 
Jahrhunderts  in  Skythien  lebte.  Sk}i:hien  aber  nahm  damals  in 
kirchlicher  Hinsicht  eine  eigentümliche  Stellung  ein;  während 
Rom  und  Byzanz  durch  das  Schisma  getrennt  waren,  hielten  die 
Bischöfe  Skythiens,  wenigstens  zum  Teil,  Kirchengemeinschaft 
mit  Rom,  und  manche  der  Bischöfe  gingen  in  ihrer  Opposition 
gegen  den  in  Byzanz  protegierten  Monophysitismus  so  weit,  dass 
sie  nestorianisierenden  Vorstellungen  sich  näherten.  Den  Ein- 
wirkungen dieser  Kreise  erschloss  sich  auch  Leontius:  dort  in 
Skythien  scheint  er  zunächst  seine  Kenntnis  der  Schriften  Dio- 
dor's  und  Theodors  sich  erworben  zu  haben.  Doch  wurde  Leon- 
tius von  diesen  seinen  nestorianisierenden  Neigungen  geheilt;  er 
wurde  bekehrt,  als  er  auf  Reisen,  zu  denen  ihn  mönchisch-as- 
ketische Wanderlust  drängte,  Männer  kennen  lernte,  die  ihn 
klar  sehen  lehrten  über  die  dogmatischen  Fragen  der  Zeit.  Wahr- 
scheinlich sind  diese  Männer  Maxentius  und  seine  Genossen  ge- 
wesen. 

Jedenfalls  ist  Leontius  —  und  von  nun  ab  sind  wir  aus  dem 
Gebiet  der  Wahrscheinlichkeiten  und  Möglichkeiten  in  das  Ge- 
biet sicherer  Thatsachen  gekommen  —  etwa  seit  Anfang  519 
im  Kreise  der  an  Maxentius  sich  anlehnenden,  von  Vitalian,  dem 
Verwandten  des  Leontius,  geschützten  „skythischen  Mönche"  in 
Constantinopel  nachweisbar.  Als  diese  von  den  Legaten  und 
von  dem  Kaiser  Zurückweisung  anstatt  Anerkennung  ihrer  Be- 
hauptungen erfuhren,  reist  im  Juni  519  Leontius  nebst  einigen 
Genossen  nach  Rom.  Dort  finden  sie  es  nicht  so,  wie  sie 
wünschen;  mehr  von  dem  Fluche  als  von  dem  Segen  des  Papstes 
begleitet,  kehren  sie  im  August  520  nach  Constantinopel  zurück. 
Dort  war  freilich  inzwischen  Justinian  für  ihre  dogmatischen 
Behauptungen  gewonnen,  doch  Vitalian    ihr  Gönner    war  eben 


300  Zweiter  Abschnitt. 

ermordet  worden.  Leontius  scheint  sich  deshalb  in  Constanti- 
nopel  kaum  aufgehalten  zu  haben.  Er  begab  sich  ins  heilige 
Land,  fand  sich  zusammen  mit  dem  ^Origenisten"  Nonnus,  der 
nach  seiner  Vertreibung  aus  der  via  Xavga  mit  3  Genossen  in 
der  Nähe  Jerusalem's  lebte  (vgl.  oben  S.  281).  Mit  ihm  wurde 
Leontius  520  oder  521  in  die  neue  Laura  aufgenommen  und  hat 
in  den  nächsten  Jahren  anscheinend  still  in  Palästina  gelebt. 
531  im  April  reist  er  mit  Sabas  nach  Jerusalem,  vielleicht  in 
der  Absicht  und  auf  die  Aufforderung  hin,  an  dem  geplanten 
Religionsgespräch  teilzunehmen*).  Jedenfalls  beteiligte  sich  Leon- 
tius, als  dasselbe  im  Sommer  531  im  kaiserlichen  Palaste  vor 
sich  ging.  Leontius  bethätigte,  sei  es  hier,  sei  es  in  andrer  Weise, 
regen  Eifer  für  das  Chalcedonense  (vita  Sabae  344).  Vielleicht 
weil  diesem  Eifer  in  Constantinopel  Beschäftigung  in  Aussicht 
stand  —  gewiss  nicht,  weil  Sabas  den  „Ketzer"  nicht  wieder 
mitnehmen  wollte,  wie  Cyrill's  unwahrscheinlicher  Bericht  (vita 
Sabae  345)  angiebt  — ,  blieb  Leontius  in  Constantinopel,  woselbst 
er  an  dem  einflussreichen  Presbyter  und  Cimeliarcha  Euseb 
einen  Freund  und  Gesinnungsgenossen  fand.  Die  nächsten  sechs 
bis  sieben  Jahre  etwa  muss  Leontius,  wenn  auch  vielleicht  mit 
Unterbrechungen  und  in  steter  Verbindung  mit  Palästina,  in 
Constantinopel  gelebt  haben.  536  ist  er  unter  den  Mönchen,  die 
vor  den  in  Constantinopel  versammelten  Concilsvätern  erscheinen. 
Etwa  538  finden  wir  ihn  wieder  in  der  neuen  Laura  als  das 
Haupt  der  Partei,  die  von  ihren  Gegnern  als  Partei  der  Orige- 
nisten  bezeichnet  wird.  In  der  Zeit,  als  der  Kampf  um  eine 
Verurteilung  des  Theodor  von  Mopsueste,  oder  des  Origenes,  um 
542  einer  Entscheidung  in  Constantinopel  entgegengeführt  ist, 
verlässt  Leontius  abermals  das  hl.  Land,  offenbar  um  in  Constan- 
tinopel, wohin  er  reiste,  seine  Connexionen  für  seine  Sache  nutz- 


*)  Ich  sage  nicht  mehr,  weil  mit  Sicherheit  nicht  geurteilt  werden 
kann,  muss  aber  wenigstens  hier  darauf  hinweisen,  dass  die  Bezeichnung 
des  Leontius  in  den  Akten  der  Collatio  „apocrisiarius  patrum  in  sancta 
civitate  constitutorum"  (vgl.  oben  S.  273,  Anm.)  und  die  Einholung  des 
Sabas  und  Leontius  durch  Hypatius  von  Ephesus,  den  Vorsitzenden  der 
collatio  cum  Severianis,  und  durch  den  Presbyter  Euseb,  einen  ihrer  Theil- 
nehmer  (vgl.  oben  S.  282),  sehr  dafür  spricht,  dass  der  Bericht  des  Cyrillus 
Scythopolitanus  über  diese  Reise  des  Sabas  und  Leontius  das  Wichtigste 
tendenziös  verschweigt. 


§  20.     SchlussübersicM.  301 

bar  zu  machen.  Doch  anscheinend  noch  vor  Erlass  des  Ediktes 
gegen  die  drei  Capitel  starb  er  (ca.  543)  — ,  wie  es  scheint,  in 
Byzanz  — ,  in  der  Stadt,  die,  auch  wenn  sie  nicht  des  Leontius 
Geburtsstadt  gewesen  sein  sollte,  dennoch  so  vielfach  der  Schau- 
platz seines  Wirkens  gewesen  war,  dass  die  Bezeichnung  des 
Leontius  als  novayoq  Bv^avriov  auch  dann  begreiflich  wäre, 
wenn  seine  Wiege  in  Skythien  gestanden  hätte. 

Soviel  von  dem  Leben  des  Leontius.  Die  Resultate  der 
Untersuchung  seiner  Werke  sollen  hier  nicht  genauer  recapitu- 
liert  werden.  Nur  die  Frage  gehört  hierher,  wie  die  besproche- 
nen Werke  dem  nun  gefundenen  Rahmen  des  Lebens  des  Leontius 
sich  einfügen. 

Sehr  einfach  liegt  die  Sache  bei  den  drei  Büchern  adv.  Nest. 
et  Eut.  Sie  sind  (vgl.  S.  30— 33j  geschrieben  zwischen  529  und 
544,  zu  einer  Zeit,  da  Leontius  bereits  mehrfach  als  Disputator 
in  der  Hauptstadt  thätig  gewesen  war  (col.  1268  B):  dies  alles 
weist  hin  auf  die  Zeit  des  531  beginnenden  sechs-  oder  sieben- 
jährigen Aufenthalts  des  Leontius  in  Constantinopel. 

Schwerer  ist  für  die  O'/^öha  Platz  zu  finden,  zu  denen  nach 
§  14  auch  die  triginta  capita  adv.  Severum  und  die  Epilysis  hinzu- 
gerechnet werden  dürfen.  Denn,  wenn  man  nicht  an  der  be- 
treffenden Stelle  eine  Interpolation  annehmen  will  —  und  diese 
gewaltsame  Annahme  habe  ich  oben  (S.  220)  absichtlich  gar 
nicht  zur  Discussion  gestellt  — ,  so  sind  sie  geschrieben  nach 
der  Wahl  des  Gajanus  zum  Bischof  von  Alexandria,  also  nach 
537,  ja  vielleicht  (vgl.  oben  S.  220)  erst  einige  Zeit  nach  seiner 
Vertreibung,  zwischen  ca.  540  und  543.  In  Palästina  also  oder 
nach  der  ca.  542  erfolgten  Rückkehr  des  Leontius  nach  Constan- 
tinopel, im  letzten  Lebensjahre  des  Leontius,  müssten  sie  entstan- 
den sein.  In  dieser  Zeit,  so  könnte  es  scheinen,  hatte  Leontius 
kaum  Ruhe  zum  Schriftstellern;  doch  ein  ernstliches  Bedenken 
kann  auf  Grund  dieses  Scheines  nicht  formuliert  werden.  Und 
ein  Vorteil  dieser  Annahme  einer  späten  Abfassung  der  oy^oXia 
liegt  darin,  dass  sie  es  begreiflich  machen  würde,  wenn  der  um- 
fassend angelegte  Plan  dieses  Werkes  nicht  mehr  ganz  zur  Voll- 
endung gekommen  sein  sollte  (vgl.  oben  S.  218). 

Schwierig  ist  das  Endurteil  über  die  Schrift  adv.  fraudes 
ApoUinaristarum.  Hätte  diese  Schrift  nicht  wahrscheinlich  schon 
vor  dem  Jahre  1000  p.  Chr.  in  der  Sammlung  der  Werke   des 


302  Zweiter  Abschnitt. 

Leontius  gestanden,  so  würde  man  m.  E.  gar  nicht  darüber 
zweifeln  können,  dass  sie  nicht  von  Leontius  herrührt.  Schon 
die  oben  (S.  91  f.  und  2 13  f.)  geltend  gemachten  Bedenken  sind 
nicht  unwichtig;  hier  kommt  hinzu,  dass  die  Zeit  zwischen  511 
und  520,  die  vermutliche  Entstehungszeit  der  Schrift  adv.  fraudes 
Apollinaristarum,  im  Leben  des  Leontius  als  die  Zeit  sich  uns 
ergeben  hat,  in  der  er  sein  „Verführt werden"  und  seine  „Bekeh- 
rung" erlebte.  Sollte  er  in  jener  Zeit  die  Schrift  adv.  fraudes 
haben  schreiben  können?  Das  Übergewicht  der  Gründe  spricht 
entschieden  gegen  den  leontianischen  Ursprung  der  Schrift;  um 
so  entschiedener,  je  weniger  unanfechtbar  die  Überlieferung  ist, 
welche  die  Schrift  dem  Leontius  zuschreibt.  Allerdings  bis  zum 
Jahre  1000  p.  Chr.,  ja  etwas  über  dasselbe  hinaus  kann  diese 
Tradition  verfolgt  werden;  weiter  aber  nicht.  In  der  Litteratur 
ist  uns  überhaupt  kein  Zeugnis  für  den  leontianischen  Ursprung 
der  Schrift  adv.  fraudes  Apoll,  begegnet;  dass  sie  schon  in  der 
Zeit  des  Germanus  in  den  Asovzia  gestanden  habe,  ist  nicht  zu 
erweisen.  Unter  diesen  Umständen  halte  ich  es  für  wahrschein- 
licher, dass  die  Schrift  adv.  fraudes  Apoll,  nicht  von  Leontius 
herrührt,  sondern  von  einem  altern  Zeitgenossen  desselben.  Viel- 
leicht stammt  sie  aus  den  Kreisen  derjenigen  palästinensischen 
Mönche,  aus  deren  Brief  an  den  Bischof  Alcison  von  Nicopolis 
(t  516,  cf.  Valesii  notam  ad  Evagrii  h.  e.  III,  31,  Migne,  P.  G. 
86,  2,  col.  2657  not.  44)  Evagrius,  h.  e.  III,  31  ein  umfangreiches 
Bruchstück  mitteilt.  Denn  auch  dieser  Brief  weiss  von  den 
apollinaristischen  Fälschungen  (Migne,  a.  a.  0.,  col.  2661 C,  vgl. 
Gas  pari,  Alte  und  neue  Quellen  zur  Geschichte  des  Taufsymbols, 
1879,  S.  66,  88  und  114),  und  stammt  aus  eben  der  Zeit,  in  der 
die  Schrift  adv.  fraudes  Apoll,  entstanden  ist:  er  ist  nach  der 
Absetzung  des  Macedonius  von  Constantinopel  (511)  und  des 
Flavian  von  Antiochien  (512,  vgl.  Dictionary  of  Christian  bio- 
graphy  II,  533  f.)  und  vor  dem  Tode  des  Alcison  (f  516),  ja 
offenbar  (vgl.  den  Schluss)  vor  der  Vertreibung  des  Elias  von 
Jerusalem  (513,  vgl.  Dictionary  of  christ.  biogr.  II,  84 ff.),  also 
im  Jahre  512   geschrieben*).     Nach  Palästina  aber  wurden  wir 


*)  Da  die  bei  obiger  Datierung  benutzten  chronologischen  Daten 
durchaus  sicher  sind,  kann  Caspari's  Datierung  des  Briefes  auf  496  oder 
497  (a.  a.  0.,  S.  88)  nur  als  irrig  bezeichnet  werden.  Caspari  sagt  auch 
nicht,  worauf  er  seine  Datierung  gründet. 


§  21.     Leontius  und  Justinian.  303 

auch  durch  die  Schrift  adv.  fraudes  Apoll,  hingewiesen  (vgl. 
oben  S.  92).  —  Die  durch  contra  Monophys.  1865C  nahegelegte 
Vermutung,  Johannes  von  Skythopolis  (vgl.  oben  S.  272,  Anm.) 
könne  der  Verfasser  sein,  Hesse  sich  mit  dieser  Hypothese  sehr 
wohl  combinieren,  kann  aber  nicht  bewiesen  werden.  —  Dass 
die  Schrift  adv.  fraudes  Apoll.,  wenigstens  in  späterer  Zeit,  unter 
den  Werken  des  Leontius  einen  Platz  fand,  ist,  auch  wenn  Leontius 
nicht  der  Verfasser  war,  nicht  wunderbar,  sobald  ilir  palästinen- 
sischer Ursprung  feststeht.  Denn  in  Palästina  hatte  auch  Leon- 
tius gelebt,  dort  wusste  man,  dass  auch  er  —  in  den  öyoXia  (vgl. 
oben  S.  213  if.)  —  adv.  fraudes  Apollinaristarum  polemisiert  hatte. 
Ob  von  den  übrigen  bei  Migne  86,  1  und  2  gedruckten 
Schriften  die  bislang  noch  nicht  behandelten  unter  den  Werken 
des  , Leontius  Byzantinus  seu  Hierosolymitanus"  —  die  Predigten 
und  das  hQcov  ßißXi02>  (vgl.  oben  S.  10 f.,  Nr.  8.  9.  und  11)  — 
von  unserm  Leontius  herrühren,  oder  gleichwie  die  Schrift  adv. 
fraudes  Apoll,  ihm  abgesprochen  werden  müssen,  davon  wird  im 
zweiten  Buche  meiner  Untersuchung  zu  handeln  sein.  Hier 
schliesse  ich  mit  einem  Abschnitt,  der,  sofern  er  eine  Recapitu- 
lation  dessen  in  sich  schliesst,  was  über  die  Stellung  des  Leon- 
tius in  der  Dogmengeschichte  gelegentlich  gesagt  ist,  als  eine 
Ergänzung  zu  dem  laufenden  Paragraphen  angesehen  werden 
kann,  zugleich  aber  auch  dazu  dienen  mag,  die  allgemeinere 
Bedeutung  des  Leontius  von  Byzanz  für  die  Kirchengeschichte 
ins  Licht  zu  rücken. 


§  21.    Leontius   und   Justinian. 

Dass  Leontius  von  Byzanz  als  Schriftsteller  zu  den  bedeu- 
tendsten Theologen  seiner  Zeit  gehörte,  das  ergab  sich  uns  als 
ein  Resultat  der  Untersuchungen  unseres  ersten  Abschnittes. 
Dass  er  auch  im  praktischen  Leben  keine  unbedeutende  Rolle 
gespielt  hat,  haben  wir  in  dem  nun  zu  Ende  gehenden  zweiten 
Abschnitt  mehrfach  zu  bemerken  Gelegenheit  gehabt.  Näher 
nachzufragen  nach  der  Bedeutung,  die  er  für  seine  Zeit,  die  Zeit 
Justinian's,  gehabt  hat,  das  ist  die  Aufgabe  dieses  Schlusspara- 
graphen. 

Als  im  Jahre  519  das  Schisma  zwischen  Orient  und  Occi- 
dent  beigelegt  wurde,  da  lag  es  sehr  nahe,  dass  die  Vorteile  der 


304  Zweiter  Abschnitt. 

veränderten  Situation  vor  allen  denen  zugute  kamen,  die  wäh- 
rend des  Schismas,  der  kaiserlichen  Politik  Trotz  bietend,  mit  dem 
Abendland  Kirchengemeinschaft  gehalten  hatten.  Sahen  wir 
doch,  dass  die  päpstlichen  Legaten  für  den  durch  des  Severus 
Vertreibung  erledigten  antiochenischen  Patriarchenstuhl  einen 
Mann  aus  diesen  Kreisen  sich  ausersahen  (Thiel,  epp.  rom.  pon- 
tiff.  I,  epp.  Hormisd.  76,2  =  Mansi  VIII,  p.  48üE).  Zum  Heile 
des  orientalischen  Kirchenfriedens  wäre  das  nie  ausgeschlagen. 
Denn  wer  die  Geschichte  des  Chalcedonense  kennt,  wird  sich 
leicht  davon  überzeugen,  dass  zu  diesen  Kreisen  und  ihren  Ge- 
sinnungsgenossen auch  alle  diejenigen  Orientalen  gehören  muss- 
ten,  die  noch  mehr  unter  der  Nachwirkung  antiochenischer  Ein- 
flüsse, als  unter  dem  Einfluss  Cyrill's  standen.  Die  Geistesge- 
nossen Theodoret's  und  selbst  die  Freunde  des  Theodor  von  Mop- 
sueste  waren  noch  nicht  ausgestorben.  Wären  sie  an  die  Spitze 
der  antimonophysitischen  Reactiou  getreten,  so  hätte  dies  zweifel- 
los die  verhängnisvollsten  Folgen  gehabt.  Nur  auf  der  Bahn  der 
cyrillischen  Tradition  konnte  man  wirklichen  Kirchenfrieden  für 
den  Orient  zu  erreichen  hoffen.  Es  ist  das  Verdienst  der  sky- 
thischen  Mönche,  zu  denen  Leontius  gehörte,  diese  Wahrheit 
selbst  den  päpstlichen  Gesandten  gegenüber  energisch  vertreten 
zu  haben.  Ihre  Formel:  tva  zrjg  aylac  TQidöog  jcejiov&tvai  OaQxi, 
war  ein  Damm  gegen  nestorianisierende  Tendenzen,  eine  kurze 
Zusammenfassung  ihrer  ebensowohl  autinestorianischen  wie  anti- 
monophysitischen Theologie,  und  empfahl  sich  als  Unionsformel 
auch  dadurch,  dass  sie  berichtigend  anknüpfte  an  die  monophysi- 
tische  Tradition  und  an  Zeno's  Henoticon  (vgl.  oben  S.  255,  Anm.). 

Justinian,  schon  zu  Justin's  Zeit  der  Leiter  der  Religion  s- 
politik  des  Hofes,  war  anfangs  ein  entschiedener  Gegner  der 
These  der  skythischen  Mönche  (vgl.  oben  S.  258).  Dass  er  nach 
kurzer  Zeit  umgestimmt  wurde,  war  folgenschwer.  Justinian's 
officielle  Entscheidung  für  die  Formel  der  Mönche  (schon  in  dem 
ersten,  undatierten  Edikt  des  Codex,  1, 1 ,  5  [anni  527  ?],  dann  533 
in  dem  Edikt,  I,  1,  6),  unter  gleichzeitiger  Verurteilung  der  Ne- 
storianer  und  Eutychianer,  wurde  richtunggebend  für  seine  Politik. 

Dass  diese  erste  wichtige  Entscheidung  unter  Einfluss  der 
von  den  skythischen  Mönchen  ausgegangenen  Bewegung  erfolgt 
war,  zeigt  schon  ihre  Genesis.  Es  verrät  sich  dies  aber  auch 
noch  in  dem  Wortlaut  des  Edikts  von  533.     Da  sich  dies  vor- 


§  21,     Leontius  und  Justinian.  305 

nelimlich  gegen  .Nestorianer"  richtet  {ava9^6fiaTiC,o^u6v  .  .  .  a^ai- 
QSTCog  NböxÖqcov,  ed.  Krueger,  p.  11,  20),  so  ist  mit  dem  am 
Eingange  stehenden  Satze  {ol  61  aviärmq  e/ovrsg^  xQVjrzovTig 
ttjv  tavTcöv  jcXävrjV  :jiaQdQyovxai.  '/Md^u  tuiiad-ii'/iauBV,  rag  xcöv 
ajiXovöxtQcov  ipvyag  exraQccOOovrtg  rs  xai  oxavöaXiCovreg  xal 
tvavxia  rr/g  ayiag  xad^oXixr/g  xal  djcooroXixr/g  sxxh/olag  liyov- 
rsg,  ed.  Krueger,  p.  10,  37  ff.)  besonders  auf  heimliche  Nesto- 
rianer  hingewiesen,  und  so  erinnert  dies  Edikt  an  Jo.  Maxen - 
tius,  Dial,  contra  Nestor.,  praefatio,  Migne,  P.  G.  86,  115  und  an 
Leontius,  adv.  Nest,  et  Eut,  1272AB  und  1357Bff. 

War  Justinian's  Kirchenpolitik  demnach  von  vornherein 
einer  schroff  abendländisch-antiocheuischen  Reaction  gegen  die 
bisherige  Politik  ausgewichen  —  man  beachte  hier  auch,  dass 
die  beiden  erwähnten  Edikte  Justinian's  (Codex,  1,1,  5  und  1,1, 
6)  mehrere  unanfechtbare  Sätze  aus  dem  berüchtigten  Henoti- 
con  Zeno's  herübernahmen  — ,  so  bedarf  es  wahrhch  nicht  erst 
.  des  Hinweises  auf  die  monophysitischen  Sympathien  der  Kaiserin, 
um  es  begreiflich  zu  machen,  dass  Justinian  eine  Verständigung 
mit  den  Severianern  suchte.  Severus  selbst  freilich  war  518  zu 
Constantinopel  wegen  seiner  Schmähungen  gegen  das  Chalcedo- 
nense  anathematisiert  (Hefele  U,  S.  690).  Seine  Anhänger  aber 
schienen  gewonnen  werden  zu  können.  Denn  auch  sie  wollten 
Cyrill's  Lehre  festhalten;  Eutyches  verurteilten  sie,  ihre  termiui 
waren  z.  T.  —  so  ovp&szog  XQiOrog,  tJiivola.  öiaxQirtLV  rag 
q)Voeig  u.  a.  —  orthodoxer  Deutung  fähig.  Es  musste  daher  ver- 
sucht werden,  ihren  Widerspruch  gegen  das  Chalcedouense  zu 
brechen.  Jedenfalls  war  eine  Auseinandersetzung  mit  ihnen  un- 
bedingt nötig  und  schien  aach  nicht  aussichtslos,  weil  der  Streit 
zwischen  Julianisten  und  Severianern  auf  monophysitischer  Seite 
klärend  gewirkt  hatte,  a  jag  ovx  av  rig  avxovg  (seil,  rovg  xi]g 
SevTjQov  (lEQLÖog)  jiQo  Tovrov  tixEtv  Ejcsios,  ravra  rj  vvv  jtQog 
rovg  oixHOvg  Svo^uti'sta  ofioloyijoai  fjväxyaotv  (Leontius,  adv, 
Nest,  et  Eut.  1317  C).  Leontius  von  Byzanz  hat  nicht  Jiur  durch 
seine  Schriften  mitgearbeitet  an  dieser  Auseinandersetzung  mit 
den  Severianern:  als  im  Jahre  531  Justinian  die  bekannte  coUa- 
tio  catbolicorum  cum  Severianis  veranstaltete,  war  Leontius  unter 
den  orthodoxen  CoUocutoren.  Auch  hier  also  bewegt  sich  die 
litterarische  und  die  praktische  Thätigkeit  des  Leontius  in  eben 
den  Bahnen,  welche  Justinian's  Kirchenpolitik  einschlug. 

Texte  u.  Untersuchungen.  111,  1.  20 


306  Zweiter  Abschnitt. 

Das  Religionsgespräch  verlief  resultatlos.  Ohne  Folgen  aber 
war  es  nicht.  Das  Entgegenkommen  gegen  die  Severianer,  welches 
in  der  Veranstaltung  des  Religionsgespräches  anzuerkennen 
ist*),  musste  die  monophysitischen  Sympathien,  die  in  der  Reichs- 
kirche vorhanden  waren,  neu  beleben.  Um  so  mehr,  da  be- 
kanntlich die  Neigung  der  Kaiserin  nach  dieser  Seite  ging. 
Und  naturgemäss  war  bei  den  Bemühungen  um  eine  Verständi- 
gung mit  den  Severianern  die  ßundesgenossenschaft  monophy- 
sitenfreundlicher  Theologen  gar  nicht  abzuweisen,  sobald  diese 
ihre  monophysitischen  Tendenzen  versteckten.  Ein  Mann  der- 
art war  Bischof  Anthimus  von  Trapezunt.  Auch  er  hatte  an  der 
collatio  cum  Severianis  als  orthodoxer  Collocutor  teilgenommen 
(Mansi  VIII,  817),  war  demnach  auf  die  Politik  des  Kaisers 
eingegangen;  doch  gewiss  nur,  um  sie  unter  der  Hand,  soviel  er 
konnte,  in  seine  Bahnen  zu  lenken.  Als  nun  dieser  Anthimus, 
durch  die  Gunst  der  Kaiserin  unterstützt,  die  erste  kirchliche 
Stellung  im  Orient  erlangt  hatte,  Patriarch  von  Constantinopel 
geworden  war  (535),  da  war  Justinian's  Politik  offenbar  in  Gefahr, 
auf  eine  abschüssige  Bahn  zu  geraten,  an  deren  Ende  ein  neues 
Schisma  mit  Rom  gelegen  hätte.  Bekanntlich  hat  der  römische 
Bischof  Agapet  selbst  gelegentlich  seiner  Anwesenheit  in  Con- 
stantinopel —  vom  Februar  536  bis  zu  seinem  im  April  erfolg- 
ten Tode  —  den  Sturz  des  Anthimus  herbeigeführt.  Man  kann 
zweifelhaft  sein,  ob  diese  Beseitigung  des  Anthimus  geglückt 
wäre,  wenn  nicht  (vgl.  Hefele  II,  763  0?.)  Agapet  von  einer  Reihe 
orientalischer  Bischöfe  und  Mönche  unterstützt  wäre,  wenn  nicht 
nach  Agapet's  Tode  gleichsam  an  seiner  Stelle  jene  Gesandtschaft 
von  mehr  als  achtzig  Mönchen,  die  vor  der  Synode  des  Mennas 
erschien  (vgl.  oben  S.  271),  die  Rolle  des  Klägers  übernommen 
hätte.  Zu  dieser  Gesandtschaft  gehörten  auch  Leontius  und  seine 
palästinensischen  Freunde  (vgl.  oben  S.  272).  Abermals  also 
ging  Justinian,  wenn  er,  der  Entscheidung  der  Synode  folgend, 
am  6.  August  536  ein  Verurteilungsedikt  gegen  Anthimus,  Se- 
verus  und  zwei  andere  oben  (S.  271  f.)  genannte  Monophysiten  er- 
liess    (Novella    42,    Nr.   56    ed.  Zachariae   v.   Lingenthal  I, 


*)  Dass  von  sachlichem  Entgegenkommen  nicht  geredet  werden  kann, 
zeigt  sich  deutlich  in  der  monophysitischen  Bem-teilung  der  collatio  in 
der  vita  des  Johannes  von  Telia  (vgl.  oben  S.  262). 


§  21.    Leontius  und  Justinian.  307 

p.  367 ff.;  Mansi  VIII,   1149—1156)  iu  Bahnen,    die  u.  a.  auch 
Leontius  vorgezeichnet  hatte. 

Aber  auch  nach  der  andern  Seite  hin  hatte  die  collatio  cum 
Severianis  bedeutsame  Folgen.  Die  Severiauer  hatten  bei  dem 
Religionsgespräch  die  Anerkennung  des  Ibas  und  Theodoret 
durch  das  Chalcedonense  gegen  dieses  geltend  gemacht  (vgl. 
oben  S.  267).  In  der  That  hatten  sie  damit  auf  einen  wunden 
Punkt  der  Entscheidung  von  Chalcedon  hingewiesen  (vgl.  oben 
S.  51  ff.).  Die  Frage,  ob  das  Chalcedonense  nach  Cyrill  inter- 
pretiert werden  müsse,  oder  auch  nach  Theodoret  interpretiert 
werden  dürfe,  musste,  wenn  Klarheit  erreicht  werden  sollte,  wirk- 
lich entschieden  werden.  Schon  519  hatten  deshalb  die  skythi- 
schen  Mönche,  Johannes  Maxentius  an  der  Spitze,  unter  Schonung 
des  Theodoret  und  Ibas,  wenigstens  gegen  Diodor  von  Tarsus 
und  Theodor  von  Mopsueste  polemisiert.  Leontius  erneuerte  jetzt 
in  der  Zeit  seines  sechs-  oder  siebenjährigen  Aufenthalts  in  Con- 
stantinopel,  zwischen  531  und  538,  diese  Polemik  (adv.  Nest,  et 
Eut.,  lib,  III),  auch  jetzt  noch  den  Theodoret  und  Ibas  aus  dem 
Spiele  lassend.  Doch  schon  die  Polemik  gegen  Theodor  von 
Mopsueste  rief  Widerspruch  hervor.  Theodor  hatte  seine  Ver- 
ehrer selbst  in  dem  Kreise,  in  dem  Leontius  lange  gewohnt 
hatte,  mit  dem  er  auch  jetzt  noch  in  enger  Verbindung  stand, 
—  in  den  Siedeleien  des  hl.  Sabas,  Auf  Seite  des  Leontius  stan- 
den die  begabteren  der  dortigen  Mihiche,  Theologen,  die  bei  den 
grossen  Alexandrinern  des  vierten  Jahrhunderts  m  die  Schule 
gegangen  waren  und  von  ihnen  u.  a.  auch  ein  billigeres  Urteil 
über  Origenes  übernommen  hatten,  als  die  antiochenische  Tradi- 
tion es  bot,  —  Theologen,  die  z.  T.  selbst  auf  origenistische  Vor- 
stellungen zurückgegriffen  hatten,  um  mit  ihrer  Hülfe  das  christo- 
logische  Problem  zu  lösen. 

Die  Gegensätze  traten  in  Palästina  einander  immer  schärfer 
gegenüber,  537  wurde  ein  erklärter  Verehrer  Theodors  Nach- 
folger des  bl.  Sabas  (vgl.  oben  S.  285).  Bald  darauf  kehrte 
Leontius  nach  Palästina  zurück  und  trat  dort  mit  Nonnus  an  die 
Spitze  der  „origenistischen"  Partei,  während  Theodorus  Askidas, 
jetzt  Bischof  von  Caesarea,  und  Domitian  von  Ancyra,  seine 
frühern  Genossen,  bei  Hofe  für  seine  Sache  wirkten.  Auf  heim- 
lichen Nestorianismus  klagte  die  eine  Partei,  auf  origenistische 
Ketzerei  die  andere.   Noch  ehe  eine  Entscheidung  fiel,  vertauschte 

20* 


308  Zweiter  Abschnitt. 

Leontius  den  Aufenthalt  in  Palästina  wieder  mit  dem  in  Con- 
stantinopel.  Seine  Beziehungen  zu  dem  bei  Hofe  angesehenen 
Presbyter  Eusebius  machten  ihn  dort  einflussreich;  ja  vielleicht 
durfte  er  infolge  seiner  Verwandtschaft  mit  Vitalian  und  infolge 
dessen,  was  er  selbst  schon  gethan  hatte,  dem  Kaiser  selbst  nahe 
treten  zu  können  hoffen. 

Als  nun  Justinian  543  das  Edikt  gegen  Origenes  erliess,  da 
ist  Leontius  bei  diesem  Schritt  der  kaiserlichen  Kirchenpolitik 
gewiss  ebensowenig  im  Spiele  gewesen  als  Theodorus  Askidas. 
Nur  das  ist,  wenn  man  bedenkt,  mit  welchem  Ketzerhass  die 
vita  Sabae  den  Leontius  verfolgt,  bemerkenswert,  dass  bei  der 
Verurteilung  des  Origenes  weder  Leontius  noch  irgend  ein  an- 
derer der  „origenistischen"  Ketzer  der  Gegenwart  mit  dem  Ana- 
them  belegt  ist.  Wenn  aber  Justinian  bald  darauf  auch  die  drei 
Capitel  anathematisierte,  so  Avar  dies  nicht,  wie  Liberatus  es 
darstellt,  die  Folge  eines  Rates  des  Theodorus  Askidas,  der  aus 
Parteirücksichten  des  Augenblicks  echnell  geboren  war,  sondern 
war  ein  durch  die  Wirksamkeit  des  Theodorus  Askidas  und  des 
inzwischen  verstorbenen  Leontius  längst  vorbereiteter  Schritt. 
Leontius  selbst  hatte  freilich  eine  Verurteilung  der  betreffenden 
Schriften  des  Ibas  und  Theodoret,  soviel  wir  wissen,  noch  nicht 
gefordert;  nur  gegen  Theodor  hatte  er  geeifert.  Doch  zeigen 
seine  Scholien  (vgl.  das  Fragment  in  der  Doctrina,  p.  39  und  49, 
oben  S.  1 57  ff.),  dass  er  ein  Anathem  über  jene  Schriften,  wenn 
auch  nicht  für  nötig,  so  doch  für  sachlich  berechtigt  hielt.  Ausser- 
dem wissen  wir  (siehe  Liberatus,  Breviarium  c.  24,  Mansi  IX, 
p.  699),  dass  anstatt  des  Edikts  gegen  die  drei  Capitel  noch  kurze 
Zeit  vor  dem  Erlass  desselben  nur  gegen  Theodor  und  den  Brief 
des  Ibas  ein  Anathem  geplant  wurde.  Und  dass  auch  der  Brief 
des  Ibas  nicht  von  Anfang  an  mit  Theodor  in  der  gleichen  Ver- 
dammnis war,  das  ist  z.  B.  aus  dem  Edikt  Justinian's  bei  Mansi 
IX,  589 — 646  zu  erkennen.  Auch  hier  also  sehen  wir  den  Kaiser 
Justinian  in  Bahnen,  die  Leontius  vorgezeichnet  hatte. 

Wenn  es  nach  alle  diesem  so  scheinen  kann,  als  ob  die 
Bedeutung  des  Leontius  für  seine  Zeit  sich  spiegele  in  einem 
nicht  unbedeutenden  Einfluss  auf  Kaiser  Justinian,  so  sieht  man 
sich  doch  von  dieser  Annahme  zunächst  zurückgehalten,  weil, 
von  der  vita  Sabae  abgesehen,  kein  einziger  der  Berichte  über 
Justinian's  dogjmatische  Entscheidungen  des  Leontius  bedenkt. 


§  21.     Leontius  und  Justinian.  309 

Allein  dieser  Umstand  darf  nicht  als  argumentum  e  silentio 
für  das  Gegenteil  ausgebeutet  werden,  bevor  eine  Quelle  befragt 
ist,  die  bisher  noch  nicht  in  Betracht  gezogen  ist:  die  theologi- 
schen Schriften  Justinian's.  Die  Briefe  und  kurzen  Edikte  des 
Kaisers  können  zwar  gegebenen  Falls  zeigen,  dass  Justinian's 
Kirchenpolitik  im  allgemeinen  die  Wege  geht,  die  u.  a.  auch 
Leontius  für  die  richtigen  hielt,  es  fehlt  aber  in  ihnen  an  Stoff, 
der  eine  engere  Anlehnung  an  die  Gedanken  des  Leontius  zu 
constatieren  im  Stande  sein  würde.  Niu*  aus  den  umfangreicheren 
theologischen  Schriften  Justinian's  ist  eine  Auskunft  über  das 
Vorhandensein  oder  Nichtvorhandensein  einer  solchen  Anlehnung 
zu  erlangen. 

Justinian  selbst  sagt  in  einem  Edikt  vom  5.  April  544  (No- 
vella  132;  ed.  Zachariae  v.  Lingenthal  Nr.  147,  tom.  11, 
p.  244),  dass  sein  Interesse  für  den  rechten  Glauben  zu  ersehen 
sei  tx  Tcöv  jcag^  9jfi(äv  6ia(pÖQ(oq  yQacpivxGiv  Xöycov  rs  xal 
iöixTcov,  und  auch  Liberatus  weiss  von  schriftstellerischer  Thätig- 
keit  Justinian's  für  den  Glauben  neben  der  legislatorischen*). 

Von  diesen  theologischen  Schriften  Justinian's,  deren  schon 
544  mehrere  waren,  sind  uns  nur  wenige  erhalten,  doch  lassen 
sich  einige  der  Briefe  und  Edikte  ihrer  Ausführlichkeit  wegen 
den  theologischen  Streitschriften  zuzählen. 

Der  Übersichtlichkeit  wegen  knüpfe  ich  an  an  Migne's 
Patrologie.  Dieselbe  bringt  in  ihrer  series  latina  tom.  72  die- 
jenigen der  Edikte,  die  sie  für  kirchengeschichtlich  bedeutsam 
hält,  in  tom.  63,  66  und  69  die  Briefe  Justinian's  an  die  Päpste 
und  an  die  Väter  des  fünften  ökumenischen  Concils;  in  der 
series  graeca  tom.  86,  1,  col.  943 — 1152  eine  Reihe  griechischer 
Schriften  und  Briefe  des  Kaisers.  Vollständig  ist  diese  Samm- 
lung der  opera  Justiniani  nicht;  es  fehlen  viele  Edikte  des  Codex 
und  der  Novellen^  und  auch  ein  Brief,  der  eine  in  Mopsueste 
zu  haltende  Synode  betrifft  (Mansi  IX,  274),  hat  keine  Stelle 
gefunden.  Dennoch  können  wir  uns  darauf  beschränken,  von 
den  Migne,  P.  G.  86,  1  gedruckten  Schriften  auszugehen.     Der 


*)  Breviarium  c.  24  nämlich  (Mansi  IX,  p.  699),  da  er  sich  anschickt, 
von  dem  Edikt  gegen  die  drei  Capitel  zu  berichten,  erzählt  er:  Scribente 
principe  contra  Acephalos  in  defensionem  synodi  Chalcedonensis,  accedens 
Theodorus  .  .  .  imperatori  suggessit,  scribendi  laborem  non  eum  debere 
pati,  quando  etc. 


310  Zweiter  Abschnitt. 

Codex  nämlicli  und  die  Novellensammlung,  auch  in  ihrer  neuer- 
dings vermehrten  Gestalt,  enthalten  nur  wenige  und  ganz  kurze 
auf  den  Glauben  bezügliche  Edikte,  und  die  wichtigsten  von 
ihnen  (Codex  I,  1,  5  und  6  und  Novella  42  gegen  Anthimus) 
sind  schon  im  Vorhergehenden  besprochen.  Auch  die  Briefe  an 
die  Päpste  sind  zu  kurz,  um  hier  in  Frage  zu  kommen.  Das- 
selbe gilt  von  den  beiden  Briefen  an  die  fünfte  ökumenische 
Synode  (Mansi  IX,  178—186  und  366—367). 

Auch  von  den  bei  Migne,  P.  G.  86,  1  gedruckten  Stücken 
können  wir  nur  einzelne  gebrauchen;  doch  will  ich  die  Ausschei- 
dung des  Unbrauchbaren  nicht  hinter  den  Coulissen  vornehmen. 
Migne,  tom.  86,  1,  col.  943  ff.  enthält: 

1)  col.  945 — 989  das  Edikt  gegen  Origenes  vom  Jahre  543,  wie 
man  annimmt  (Hefele  II,  786ff.),  in  der  Ausfertigung  an  den 
Patriarchen  Mennas  =  Mansi  IX,  487 — 534,  betitelt:  loyoq 
Tov  tvö^ßsorärov  rjficöv  ßaOiltcog  'lovOtiviavov  xtX.  .  .  xard 
Slgiyavovg. 

2)  col.  989 — 993:  yQa^ufia  rov  ßaOtXtcog  ^lovonviavov  jtQog  xrjv 
ayiav  ovvoöov  jisql  'ilQiysvovg  =  Mansi  IX,  534 — 538;  nach 
Mansi's  und  Hefele's  (II,  790)  Vermutung  an  die  von  Men- 
nas 543  gehaltene  Synode  gerichtet,  wahrscheinlicher  (vgl. 
Möller,  R.-E.2  XI,  113  und  oben  S.  291,  Anm.)  an  das  Concil 
des  Jahres  553. 

3)  col.  993 — 1035  die  berühmte  ofioXoyia  jtlozecog  ^lovotiviavov 
avToxQaroQog  xaxa  rcöv  tqlojv  X8g:aXaioDV  aus  der  Zeit  zwi- 
schen 551  und  553  (Hefele  11,  836)  =  Mansi  IX,  537—582. 

4)  col.  1035 — 1041  TVJiog  rov  ßaOiXtcog  'lovOziviavov  XQog  t?}v 
ayiav  ovvoöov  jc£qI  &soÖcoqov  tov  Mo^povsörlag  xdi  röJv 
loLjtcöv  =  Mansi  IX,  582 — 588.  Dieser  griechische  Brief  ist 
trotz  mancher  Abweichungen  identisch  mit  dem  in  den  Akten 
des  5.  Concils  lateinisch  erhaltenen  Brief  ad  patres  synodi 
(Mansi  IX,  178  —  186),  vgl.  Hefele  II,  866,  Anm.  1. 

5)  col.  1041  — 1095  iöov  tJcioroPS/g  avnyQa^SLOfjg  jcaQcc  rov 
svOEßeGzarov  ....  'JovOriviavov  jtQog  xivag  yQaipavrag 
xal  exöixrjoavxag  Osoöcogov  xov  övoöEß/j  xxl.  =  Mansi 
IX,  589  —  646,  nach  Hefele's  (II,  912  f.)  wohl  irriger  Ver- 
mutung circa  555  an  die  Bischöfe  von  Illyricum  occidentale 
gesandt. 

6)  col.  1095—1103  =  Mansi  VIII,  1149—1156  das  Edikt  gegen 


§  21.     Leontius  und  Justinian.  311 

Anthimus   vom   Jahre  536,  schon   oben   als   Novelle  42    (ed. 

Zachariae  v.  Lingenthal,  Nr.  56,  I,  p.  367)  erwähnt, 
7)    col.  1103 — 1145  löyoq,  öoyfiaTixog  .  .  jtQog  rovg  tv  reo  Ivurco 

TTjc.  AXesavÖQtcoi'   fiovayovg,  tractatus  contra  Monophysitas, 

nach  der  editio  princeps  von  Mai,  Script,  vet.  nov.  coli.  YII, 

292—313. 
S)    col.  1145 — 1149   sx  ri/g  jtQog  ZcoiXov  IjiioxoXrjg  [Zoilus,  B. 

V.  Alexandrien  542  —  ca.  550,  vgl.  He  feie  II,  7S6  und  845j, 

nach  Mai,  Spicil.  Rom.  IV,  468 f. 
9)    col.  1149 — 1152  XQvo6ßov?Mv  . .  slg  top  tov  ^ivä  OQOvg  7]yov- 

fisvov^  nach  Tischendorf,  Anecdota  sacra  et  profana  p.  56. 
Von  diesen  neun  Stücken  hat  das  letzte  mit  der  Dogmatik 
überhaupt  nichts  zu  thun;  Nr.  6  ist,  soweit  es  bei  seiner  allge- 
meinen Haltung  wichtig  ist,  schon  oben  besprochen;  dasselbe 
gilt  von  Nr.  4,  und  in  Nr.  1  und  2  wird,  wie  schon  oben  (S.  30S) 
erwähnt,  niemand  Anlehnung  an  Leontius  erwarten  können. 
Nr.  8  ist  ein  kurzes  Fragment,  aus  dem  nur  das  hervorzuheben 
ist,  dass  der  Kaiser  hier  für  ovo  ^voixal  £Vt(r/£iai  eintritt  (vgl. 
oben  S.  69f),  ja  sogar  ein  —  nur  ausserhalb  des  Zusammen- 
hangs beweisendes  —  dictum  probans  aus  Cyrill  (Thesaurus  de 
sancta  trinitate,  Migne  75,  col.  453 B)  anzuführen  weiss.  So 
bieten  sich  demnach  als  Material  für  eine  ^'ero■leichunff  Justi- 
nians  mit  Leontius  lediglich  Nr,  3,  5  und  7  uns  dar. 

Diese  3  Schriftstücke  stehen  zu  einander  in  offenbarem  Ab- 
hängigkeitsverhältnis. Von  Nr.  3  und  5  ist  dies  schon  von  an- 
dern hervorgehoben  (s.  Hefele  H,  S.  912),  und  inbezug  auf  3 
und  7  erkennt  schon  ein  flüchtiger  Blick,  dass  die  Disposition 
heider  Schriftstücke  anfangs  die  gleiche  ist,  und  dass  manche 
Abschnitte  sich  auch  inhaltlich  so  decken,  wie  es  bei  verschie- 
denen Äusserungen  eines  Verfassers  über  denselben  Gegenstand 
auch  ohne  Selbstausschreiben  möglich  ist.  Nun  ist  der  tractatus 
contra  Monophysitas  die  älteste  der  drei  in  Frage  kommenden 
Schriften.  Denn  da  er  zur  Zeit  des  Patriarchen  Zoilus  geschrie- 
ben ist  (col.  1105A),  von  den  drei  Capiteln  aber  noch  nicht 
spricht,  muss  er  542  oder  543  entstanden  sein.  Die  Zweitälteste 
der  drei  Schriften  ist  m.  E.  Nr.  5*),  die  jüngste  die  wohl  551 

*)  Hefele  II,  912  lässt  das  Schreiben  nach  dem  fünften  Concil  ge- 
schrieben sein.  Zunächst  gewiss  deshalb,  weil  der  Kaiser  den  Adressateu 
vorwirft,  dass  sie  nävzag  roig  ie^tTg  xT^q  tov  i^tov  txx'/.rjaiaq  gering  achte- 


312  Zweiter  Abschnitt. 

geschriebene  oi/o^oyia  möTtcoa.  Wir  haben  demnach  zunächst 
den  tractatus  contra  Monophysitas  auf  sein  Verhältnis  zu  Leon- 
tius  anzusehen. 

Der  tractatus  contra  Monophysitas  ist  an  monophysitische 
Mönche  in  Ägypten  gerichtet,  Avelche  zur  Kirche  zurückgekehrt 
waren  oder  zurückzukehren  sich  anschickten.  Diese  Adresse 
erklärt  es,  dass  dem  Abscheu  vor  Nestorius  bereitwilligst  und 
reichlich   Ausdruck    gegeben   wird,    auf   der    andern  Seite   aber 


ten  (1043 A),  und  weil  er  (1045 A)  von  sich  sagt:  ?j,usTg,  et  xal  (pave(pu  i]v  // 
Xüjv  uvxüjv  xe(fcö.cdü)v  uGirßfitt,  Ofxüjg  tjQwzi'iaafxev  rohq  hQeiq  ryg  rov 
&eov  hxx).rjGlaq  [die  moderne,  aus  dem  vorigen  Jahrhundert  stammende 
Übersetzung  hat  irrig:  antistites  in  unum  congregatos],  xi  ttsqI  xovxcov 
<PQOvovoiv.  Sodann  weil  er  die  den  Theodor  u.  s.  w.  verteidigenden  Adres- 
saten des  Briefes  in  Illyricum  occidentale  sucht  und  den  Inhalt  des  Briefes 
damit  in  Zusammenhang  bringt,  dass  im  Jahre  554  oder  555  der  Metro- 
polit Frontinus  von  Salona  in  Dalmatien  wegen  Verteidigung  der  drei 
Capitel  nach  Constantinopel  citiert  wurde.  Allein  gegen  letztere  Combi- 
nation  spricht  schon  der  griechische  Text  des  kaiserlichen  Schreibens ;  denn 
einen  nach  lUyrien  gerichteten  kaiserlichen  Erlass  erwartet  man  lateinisch 
abgefasst  zu  finden  (vgl.  Biener,  Geschichte  der  Novellen  Justinian's, 
1824,  S.  13  if.).  Und  die  Unsicherheit  des  ersten  Arguments  beweist  eine 
Stelle  in  dem  bei  Eröffnung  der  fünften  Synode  verlesenen  Briefe  Justi- 
nian's ad  patres  synodi:  Nos  igitur  sequentes  sanctos  patres  .  .  primum 
quidem  et  in  vestris  vos  degentes  ecclesiis  inteiTOga^nmus  de  praedictis 
impiis  capitulis  etc.  (Mansi  IX,  181 B).  —  Dass  der  uns  beschäftigende 
Brief  vielmehr  vor  dem  fünften  ökumenischen  Concil  geschrieben  ist,  das 
folgt  m.  E.  1)  daraus,  dass  des  Concils  nicht  gedacht  ist,  während  doch, 
wenn  der  Brief  ca.  554  geschrieben  wäre,  nichts  wh'ksamer  den  Adressaten 
entgegengehalten  werden  konnte,  als  die  Autorität  des  Concils;  2)  daraus, 
dass  in  dem  Briefe  nicht  erwähnt  ist,  der  Name  Theodor's  sei  schon  in 
früheren  Zeiten  in  den  Diptychen  seiner  Gemeinde  getilgt,  während  doch 
Justinian  nach  der  Synode  zu  Mopsueste,  auf  welcher  dies  constatiert 
wurde  (im  Juni  550,  vgl.  Hefele  II,  S.  832  f.),  diesen  Umstand  in  ähn- 
lichen Ausführungen  (Maus  i  IX,  1S3D  ad  patres  synodi;  undMansilX, 
57lE  =  Migne  86,  1,  1027C)  anzuführen  nicht  unterlässt;  3)  endlich  die 
ganze  Art  der  kaiserlichen  Antwort:  nach  dem  Concil  hätte  der  Kaiser 
ein  vollständigeres  Beweismaterial  gehabt,  wenn  er  überzeugen  wollte; 
hätte  aber  wahrscheinlich  zu  einer  Discussion  über  die  Berechtigung  der 
Synodalentscheidung  sich  gar  nicht  hergegeben.  —  Wo  die  Adressaten 
zu  suchen  sind,  das  wage  ich  nicht  zu  erraten.  Man  würde  an  die  Petition 
der  Jerusalemer  für  Theodor  vom  Jahre  544  oder  545  (vgl.  oben  S.  285) 
denken  können,  wenn  nicht  die  Bemerkung,  bislang  habe  in  jenen  Gegenden 
eme  Ketzerei  noch  nicht  Fuss  gefasst  (Migne,  col.  1045C),  auf  das  Infec- 
tionsgebiet  der  origenistischen  Ketzerei  schlecht  passte. 


§  21.     Leontius  und  Justinian.  313- 

zunächst  nur  Eutyches  verurteilt  wird,  wälireud  die  Polemik 
gegen  Severus  anfangs  anonym  geführt,  sein  Name  erst  gegen 
das  Ende  hin  erwähnt  wird. 

Nach  einleitenden  Worten  und  einem  voraufgeschickten  Be- 
kenntnis wird  zunächst  (llOSC — 1112C)  die  Richtigkeit  des  ev 
ovo  (pvosGiv  begründet.  Die  Ausführungen  sind  theologisch 
den  entsprechenden  des  Leontius  aufs  engste  verw^andt,  viel  weiter 
aber  geht  die  Übereinstimmung  mit  Leontius  nicht.  Nur  das 
ist  zu  bemerken,  dass  von  den  fünf  patristischen  Citaten  das 
11  CSD  aus  Cyrill  mitgeteilte  auch  bei  Leontius,  adv.  Nest,  et 
Eut.,  bei  Canisius-Basnage  I,  557  sich  tindet.  und  dass  die 
Argumentation  in  1109C  sich  deckt  mit  der  in  dem  dritten  der 
trig.  cap.  (Migne  86,  2,  col.  1901 C). 

Darauf  wendet  sich  der  Verfasser  zur  Kritik  zweier  beson- 
ders energisch  geltend  gemachter  monophysitischer  Argumente; 
zunächst  (1112  C — 1116B)  polemisiert  er  gegen  die  monophysi- 
tische  Verwertung  des  f/ia  f/voig  tov  &£ov  /.oyov  osoaQxcofitv?], 
dann  (ril6B  — 1117 C)  gegen  den  Beweis  für  die  fiia  (pvöiq 
Xqloxov  aus  der  ^da  cpvaig  avd^QODJtov.  Beide  Abschnitte  er- 
innern an  Leontius.  Die  Beurteilung  des  ,w/«  cpvOig  otöaQxoy- 
filv7]  ist  ganz  der  des  Leontius  gleich,  die  patristischen  Citate 
sind  verschieden  (vgl.  trig.  cap.  17,  contra  Monophys.  ISOSCff.). 
Enger  ist  die  Verwandtschaft  der  Argumentation  im  zweiten 
Abschnitt;  er  erinnert  —  selbst  durch  aristotelische  Schultermini 
—  an  adv.  Nest,  et  Eut.  1280  C— 1296  A. 

Die  nächstfolgende  Gedankengruppe  (1117D — 1121C)  ent- 
wickelt dieselbe  Anschauung  über  das  Verhältnis  des  Nestorius 
zu  Paul  von  Samosata  wie  adv.  Nest,  et  Eut.,  coL  1388Dff., 
hat  aber  engere  Berührungspunkte  mit  Leontius  nicht. 

Wenn  dann  der  term.  (fvCiq  ovvdsroq  als  apollinaristisch  be- 
kämpft wird  (1121C— 1124D),  so  bietet  trig.  cap.  14  (1904D) 
und  Epilysis  1925 D ff.  allerdings  einige  Parallelen,  aber  wenig 
bezeichnende. 

Darauf  wird  von  den  apollinaristischen  Fälschungen  ge- 
redet (1124D — 1128  C),  von  der  pseudoathanasianischen  tx&soig 
[hier  tjiiOroXrj  'A&avaoiov  jtgog  'loßiavov]  und  von  dem  Julius- 
brief an  Dionysius.  Enger  als  mit  den  entsprechenden  Ab- 
schnitten in  de  sectis  (1253  C  ff.)  und  contra  Monophysitas 
(1864 Äff.),    sind    die    Ausführungen   verwandt    mit    den   in   der 


314  Zweiter  Absclinitt. 

Doctrina,  p.  I6f.  citierten.  Von  den  drei  Apollinarioscitaten, 
die  von  Justinian  (col.  1125C)  zum  Beweise  verwendet  sind,  fin- 
den sich  zwei  auch  in  der  Doctrina,  p.  17*.  Beachtenswert 
ist  auch,  dass  die  pseudoathanasianische  txd-soiq  als  Brief  an  Jo- 
vian  eingeführt  ist,  denn  auch  dies  erinnert  an  Doctrina,  p.  16, 
wo  die  Überschrift  AjioX)uvaQiov  s§,  sjciözoXrjc  jtQog  'loßcavov 
offenbar  ein  späterer  Zusatz  ist.  Besonders  auffällig  ist  die 
Übereinstimmung  von  Justinian,  col.  1128B  und  Doctrina, 
p.  17%  Z.  Iff.  Auch  die  in  der  Doctrina  benutzte  Kirchenge- 
schichte des  Apollinaristen  Timotheus  ist  in  dem  Tractat  Justi- 
nian's  benutzt  (col.  112SC).  Alle  diese  Parallelen  werden  in  un- 
serm  Zusammenhange  wichtig,  sobald  man  sich  erinnert,  dass 
die  betreflFenden  Citate  in  der  Doctrina  wahrscheinlich  mit  den 
Ausführungen  adv.  fraudes  Apollinaristarum  in  den  Scholien  des 
Leontius  zusammenhängen  (vgl.  oben  S.  2 14  f.). 

Was  dann  noch  folgt  1132A — 1145C,  von  Mai  nicht  ein- 
malvollständig publiciert,  braucht  uns  nicht  aufzuhalten.  Wesent- 
lich dieselbe  theologische  Haltung  wie  bei  Leontius  finden  wir 
auch  hier,  irgend  bemerkenswerte  Parallelen  aber  sind  mir  nicht 
aufgefallen. 

Schnell  kann  auch  das  gesagt  werden,  was  über  die  epist. 
Justiniani  adv.  nonnuUos  impium  Theodorum  ...  et  ep.  Ibae  .  .  . 
propugnantes  (Nr.  5)  bemerkt  werden  muss.  Ihr  Inhalt  ist  so  sehr 
bedingt  durch  ihren  Anlass  —  eine  Schrift  zur  Verteidigung  der 
drei  Capitel,  namentlich  der  ep.  Ibae,  wird  in  ihr  beantwortet  — , 
dass  eine  Anlehnung  an  einzelne  Ausführungen  des  vor  dem 
eigentlichen  Dreicapitelstreit  gestorbenen  Leontius  nicht  möglich 
ist.  Auffällig  aber  ist,  dass  von  den  10  Citaten  aus  Theodor, 
welche  die  ep.  Justiniani  enthält,  acht  auch  bei  Leontius,  adv. 
Kest.  et  Eut.  (lateinisch  bei  Canisius-Basnage  I,  p.  582ff., 
griechisch  bei  Mai,  Scr.  vet.  nov.  coli.  VI,  299 ff.)  sich  finden, 
und  zwar,  wie  die  folgende  Übersicht  zeigen  wird,  in  derselben 
Reihenfolge:  1)  Erstes  Citat  bei  Justinian,  col.  1049 C f.  = 
Mai,  a.  a.  0.  Nr.  30,  p.  309f.;  2)  col.  1051C  =  Nr.  31,  p.  310; 
3=^)  1053A==Nr.32,  p.310,  3»')  1 053  AB  =  Nr.  33,  p.  310;  4)  col. 

1057ABC  =  Nr.  34,  p.  31  Of.;  5)  col.  1059 A ;  6)  col.  1061 C 

— 1063A  =  Nr.  35,  p.  311;  7)  col.  1063 AB  =  Nr.  36,  p.  311f.; 
8)  col.  1071 D ;  9)  col.  1073  A  =  dem  um  einen  Satz  um- 
fangreicheren   Citat   bei    Mai,    Nr.  6,    p.  305.  —  Diese    Paral- 


§  21.    Leontius  und  Justinian.  315 

lelen  und  die  Lücke  in  ihnen  bei  Nr.  5  und  8  würde  eine  Be- 
nutzung des  Leontius  durch  Justinian,  bezw.  seinen  theologischen 
Beirat,  nicht  erklären.  Abhängigkeit  von  einer  gemeinsamen 
Quelle  ist  nicht  unmöglich;  aber  unwahrscheinlich,  da  die  Citate 
bei  Leontius  originale  zu  sein  scheinen.  Es  bleibt  also  nur 
übrig,  die  Citate  bei  Justinian  durch  Vermittlung  auf  Leontius 
zurückzuführen. 

Die  onoXoyia  jciOrscog  (Nr.  3,  Migne  86,  993 — 1035)  ist  in 
den  beiden  vorigen  Schriften  schon  besprochen.  In  ihrem  ersten 
Teile  bis  zu  den  zehn  ersten  Anathematismen  incl.  (1017  A)  ist 
sie  von  dem  tractatus  abhängig,  in  der  zweiten  Hälfte  von  dem 
Briefe  gegen  die  Verteidiger  Theodor's.  Da  in  diesem  zweiten 
Teile  die  Citate  aus  Theodor  weggelassen  sind,  so  fehlt  hier  fast 
alle  nähere  Verwandtschaft  mit  Leontius.  Im  ersten  Teile  aber 
ist  sie  bisweilen  noch  enger  als  in  den  correspondierenden  Ab- 
schnitten des  tractatus.  Dies  zeigt  sich  z.  B.  999  D — 1003  B,  wo 
nicht  nur  wie  im  entsprechenden  Abschnitt  des  tractatus  (1112C 
— 1116B)  die  Ausführungen  sachlich  denen  des  Leontius  glei- 
chen, sondern  auch  als  Hauptbeweisstelle  ebendasselbe  Citat 
aus  Cyrill's  ep.  ad  Succ.  II  verwendet  wird,  das  contra  Monoph. 
1813  B  und  de  sectis  1253  AC  —  an  letzterer  Stelle  in  ganz  der- 
selben Ausdehnung  —  benutzt  ist:  zeigt  sich  ferner  da,  wo  die 
ofioZoyla  jclozecog,  den  Gang  des  tractatus  verlassend,  zur  Wider- 
legung des  Einwandes  übergeht:  fi?)  öelv  aQi&fidv  (pvötcov  Im 
Xqigxov  Xiyuv  wq  xov  aQi&fiov  ÖLaiQtOiv  doayovzog  (lOOSBff.); 
hier  sieht  man  sich  an  Epilysis  1920 Äff,  (vgl.  trig.  cap.  8.  10. 
29.  30)  erinnert. 

Was  folgt  nun  aus  dem  allen?  Hat  Justinian  den  Leontius 
näher  gekannt,  von  ihm  sich  beraten  lassen?  Unmöglich  ist's 
nicht;  doch  mit  unserm  Material  nicht  zu  beweisen.  Das  aber 
ergiebt  sich  zweifellos:  die  Theologie,  die  Leontius  vertritt  — 
und  neben  ihm,  wie  namentlich  die  Doctrina  beweist,  noch 
manche  andre,  Aristoteliker  gleich  wie  er,  vertreten  haben  — , 
sie  ist  die  Orthodoxie  der  Zeit  Justinian's,  die  Theologie,  die  der 
Kaiser  selbst  billigte,  deren  Sieg  er  553  durchsetzte. 

Dieser  Umstand  ist  es  vor  allem,  der  dem  Leontius  und 
seinen  Werken  eine  selbständige,  von  seinen  Citaten  unabhängige 
Bedeutung  giebt.  Deutlicher  als  in  dem  Getriebe  der  Hofpoli- 
tik erkennt  man  in  den  Schriften  des  Leontius ,   wie  die  Ortho- 


316  Zweiter  Abschnitt. 

doxie  jener  Zeit  zu  beurteilen  ist.  Nicht  als  ein  zufälliges  Pro- 
dukt principlosen  Lavierens  zwischen  den  Monophysiten  und  dem 
Abeudlande,  auch  nicht  als  Resultat  bewusster,  nur  durch  das 
Chalcedonense  gehemmter,  monophysitenfreundlicher  Politik,  son- 
dern vielmehr  als  aufrichtig  chalcedonensische,  aber  zugleich  cy- 
rillische Rechtgläubigkeit  *j. 

Das  Chalcedonense  selbst  war,  wie  oben  S.  49  &.  gezeigt  ist, 
eine  ungenügende  Lösung  der  Streitfragen  des  fünften  Jahrhun- 
derts. Sollte  es  wirklich  zu  einem  Einheitsbande  zwischen  Orient 
und  Occident  werden  —  und  nach  Beendigung  des  Schismas  im 
Jahre  519  rückte  es  in  diese  Stellung  ein  —  so  musste  seine 
Erklärung  zuvor  gesichert  sein.  Justinian  hat  sie  gesichert; 
er  hat  dem  wiedergeeinten  Reiche  eine  cyrillisch -chalcedonen- 
sische Orthodoxie  aufgenötigt  und  dadurch  sie  zur  Herrschaft 
gebracht  auch  für  die  Zukunft. 

Mit  diesem  Siege  einer  cyrillisch-chalcedonensischen  Ortho- 
doxie kommt  die  Entwicklung  des  christologischen  Dogmas  zum 
Abschluss.  Denn  der  monergistische  Streit  des  siebenten  Jahr- 
hunderts behandelte  lediglich  eine  Frage,  die  schon  seit  Justi- 
nian's  Zeit  erörtert  und  schon  in  Justinian s  Zeit  im  Sinn  der 
spätem  Orthodoxie  entschieden  war;  und  der  monotheletische 
Streit  ist  nur  eine  Variation  desselben  Themas,  denn  der  Begriff 
des  (pvöixdv  d^sXrjfia  unterscheidet  sich  kaum  von  dem  der  <pv- 
öLyJj  tviQjsia,  —  sieht  man  (vgl.  oben  S.  69)  in  letzterer  die  Mög- 
lichkeit der  Actualität  der  iöicofiaza  einer  jeden  der  Naturen, 
so  kann  unter  dem  (pvöLxov  Q^tlrj^ia  die  Actualität  selbst  ver- 
standen werden. 

Justinian  hat  also  auch  für  die  Dogmengeschichte  der  alten 
orientalischen  Kirche  die  abschliessende  Bedeutung,  die  seine 
Regierungszeit  auf  vielen  andern  Gebieten  charakterisiert. 

Ja  auch  für  das  Abendland  sind  seine  Entscheidungen  ab- 
schliessend gewesen.  Der  adoptianische  Streit  behandelte  keine 
neue  Frage,  er  ist  nichts  als  eine  Reaction  der  abendländisch 
augustinischen   Auffassung   des   Chalcedonense   gegen    die  cyril- 

*)  Die  Nachricht  des  Evagrius  (h.  e.  IV,  39,  Migne  86,  2,  col. 
2781  sq.),  Justinian  sei  kurz  vor  seinem  Tode  für  die  Doctrin  der  Aphtharto- 
doketen  eingetreten,  kann  hier  aus  dem  Spiele  bleiben.  Hält  man  sie  für 
zuverlässig,  so  wird  man  doch  zugeben  müssen,  dass  nach  den  Eintällen 
eines  Greises  nicht  die  Ziele  seiner  Mannesjahre  beurteilt  werden  dürfen. 


§  21.    Leontius  und  Justinian.  3X7 

lisclie,  die  auch  Rom,  weil  es  politisch  unter  Justinian  stand, 
hatte  annehmen  müssen,  und  die  durch  Rom  der  angelsächsi- 
schen und  fränkischen  Theologie  übermittelt  wurde.  Alcuin  ver- 
tritt den  Adoptianern  gegenüber  die  cyrillisch-chalcedonensische 
Orthodoxie  der  Zeit  Justinian's. 

Je  wünschenswerter  demnach  eine  richtige  dogmengeschicht- 
liche  Würdigung  der  Zeit  Justinian's  ist,  desto  wichtiger  ist  uns 
Leontius.  Seine  Geschichte  lehrt  uns,  wie  die  Orthodoxie  der 
Zeit  Justinian's  zustandegekommen  ist,  denn  sie  zeigt  uns  den 
Innern  Zusammenhang  der  Streitigkeiten  des  6.  Jahrhunderts  und 
der  Entscheidungen  Justinian's.  Und  seine  Werke  ermöglichen 
ein  genaueres  dogmatisches  Verständnis  jener  von  Justinian 
zum  Siege  gebrachten  cyrillischen  Orthodoxie;  sie  lehren,  wie 
man  die  aristotelische  Philosophie  bei  der  dogmatischen  Verarbei- 
tung der  alten  Formeln  benutzte:  sie  zeigen  uns  die  griechische 
Theologie  —  am  Ende  ihrer  Entwicklungszeit,  —  am  Anfang 
ihrer  scholastischen  Periode. 


X^ 


} 


/ 


Druck  von  August  Pries  iu  Leipzig. 


Neuer  Verlag  der  J.  C.  Hinrichs'schen  Buchhandlung  In  Leipzig. 

Patrum  apostolicornm  opera 

Textu'm    ad    fidem    codicum   et  graecorum   et  latinorum  adhibitis  prae- 

stantissimis  editionibus  recensuerunt,  commentario  exegetico  et  historico 

illustraverunt,  apparatu  critico,  versione  latina  passim  correcta, 

prolegomenis,  indicibus  instruxerunt 

Oscar  de  Gerhardt  Adolfus  Harnack  Tlieodorus  Zahn. 

Editio  post  Dresselianam  alteram  tertia. 

1876— TS.  3  Bände  iu  4  Abtlieihmgen.    rr  Ei'inässig'ter  Preis  M.  16.  — =: 

Fasciculi  I.  partis  I.  Editio  secunda. 
Clementis  Romani  epistnlae.    Textum  ad  fidem  codicum  et  Alexandriui 
et    Constantinopoiitani    nuper   inventi    recensuerunt    et  illustraverunt 
Oscar  de  Gebhardt  et  Adolfns  Harnack.     1876.    238  S.    M.  4.  50. 
Fascicnli  I.  partis  U.  Editio  secunda. 
Barnabae   epistnlae  graece  et  latine,  recensuerunt  atque  illustraverunt, 
Papiae  quae   supersunt,  Presbyterorum  reliquias  ab  Irenaeo  servatas, 
vetus  ecclesia  romanae  symbolum,  epistolam  ad  Diognetum  adjecerunt 
Oscar  de  Gebhardt  et  Adolfus  Harnack.    1878.    272  S.    M.  5.  — 
Fasciculus  II. 
Ignatii  et  Polycarpi  epistnlae  martyria  fragmeuta,  recensuit  et  illustravit 
Theodorus  Zahn.     1876.    464  Seiten.    M.  8.  — 
Fasciculus  III. 
Hermae  pastor  graece  addita  versione  latina  recentiore  e  codice  Palatino 
recensuerunt  et  illustraverunt  Oscar  de  Gebhardt  et  Adolfus  Har- 
nack.     1877.     372  S.     M.  7.  — 

Die  Kirche  Christi  und  ihre  Zeugen 

oder  die 

Kircheiigeschichte  in  Biographien 
von  Friedrich  Böhringer. 

Neue  Ausgabe  iu  24  Bänden.    Herabgesetzter  Preis  M.  66.  — 

Inhalt  und  Preis  der  einzelnen  Bände: 
Bd.  I.  Ignatius,  Polj'karpus,  Perpetua.  M.  3.  —  Bd.  II.  Irenäus. 
M.  4.  20.  Bd.  III.  1.  2.  TertuUianus.  M.  12.  60.  Bd.  IV".  Cyprianus.  M.  4.  20. 
Bd.  V.  Origenes  und  Klemens.  M.  7.  20.  Bd.  VI.  i.  2.  Athanasius  und 
Arius.  M.  1.^.  80.  Bd.  VII.  Basilius.  M.  4.  20.  Bd.  VIII.  Gregor  von  Nyssa, 
Gregor  von  Nazianz.  M.  6.  —  Bd.  IX.  Chrysostomus  und  Olympias.  M.  4.  20. 
Bd.  X.  Ambrosius.  M.  2.  40.  Bd.  XI.  i.  2.  Augustinus  M.  15.  —  Bd.  XII. 
Leo,  Gregor  der  Grosse.  M.  6.  —  Bd.  XIII.  Kolumban  und  St.  GaU,  Boui- 
fazius,  Ansgar.  Bd.  XIV.  Anselm  von  Kanterbury,  Bernhard  von  Clairvaux, 
Arnold  von  Brescia.  Bd.  XV.  Peter  Abaelard.  M.  4.  20.  Bd.  XVI.  Heloise, 
Innozenz  III.,  Franziskus  von  Asisi,  Elisabeth  von  Thüringen.  M.  4.  80. 
Bd.  XVII.  Johannes  Tauler.  M.  3.  —  Bd.  XVIII.  Heinrich  Suso,  Johannes 
Rusbroek,  Gerhard  Groot.  M.  3.  —  Bd.  XIX.  Florentius  Radevynzoon,  Thomas 
von  Kempen.  M.  2.  40.  Bd.  XX.  i.  2.  Johannes  von  Wykllffe.  ä  M.  4.  20. 
Bd.  XXI.  Konrad  Waldhauser,  Müic  von  Kremsier,  Matthias  von  .Janow. 
M.  1.  80.  Bd.  XXII.  1.  2.  Johann  Hus.  ä  M.  3.  60.  Bd.  XXIII.  Hieronymus 
von  Prag.  Das  Conzil  von  Konstanz.  M.  1.  SO.  Bd.  XXIV.  Hieronymus 
Savonarola.  M.  2.  40. 

Band  XIV  kann  nicht  mehr  einzeln  geliefert  werden. 


Druck  von  August  Pries  in  Leipzig. 


TEXTE  UND  UNTERSUCHUNGEN 

ZUR  GESCHICHTE  DER 

ALTCHRISTLICHEN  LITERATUR 

VON 

OSCAR  VON  &EBHAR13T  und  ADOLF  HAMACK. 


HI.  BAND.    HEFT  3  u.  4. 
APHKAHAT-S  DES  PERSISCHEN  WEISEN  HOMILIEN. 

AUS  DEM  SYEISCHEN  ÜBERSETZT  UND  ERLÄUTERT 

YON 

GEORG  BERT. 


DIE  AKTEN  DES  KARPUS,  DES  PAPYLÜS  UND  DER  AGATHONIKE 

EINE  URKUNDE  AUS  DER  ZEIT  MARC  AUREL'S, 

UNTERSUCHT  VON 

ADOLF  HARNACK. 


LEIPZIG 
J.  C.  HINRICHS'SCHE  BUCHHANDLUNG 

1888. 


Verlag  der  J.  C.  HINRICHS'sclien  Buchhandlung  in  Lei2>zig. 

Texte  imd  Untersiicliimgen  zur  Gescliiclite  der 

Altchristlichen  Literatur 

von  Oscar  Ton  Oelbhardt  und  Adolf  Hariiack. 

I,  1.  2.  Die  üeberlieferung  der  giiecliisclieu  Apologeten  des  zweiten  Jahrhunderts  in 
der  alten  Kirche  und  im  Mittelalter,  von  Adolf  Harnack.    308  S.    1882.    M.  9.— 

I,  3.  1.  Die  Altercatio  Simonis  ludaei  et  Theophili  Christiani  nebst  Untersuchungen 
über  die  autijüdische  Polemik  in  der  alten  Kirche.  Von  Adolf  Harnack.  2.  Die 
Acta  Arehelai..  und  das  Diate.ssaron  Tatians.  Von  Adolf  Harnack.  3.  Zur  hand- 
schriftlichen Überlieferung  der  griechischen  Apologeten.  I.  Der  Arethascodex, 
Paris.    Gr.  451..   Von  Oscar  v.  Gebhardt.    III,  196  S.    1883.    6  M. 

1,  4.  Die  Evangelien  des  Matthäus  und  des  Jlarcus  aus  dem  Codex  purpureus 
Rossanensis,  herausgegeben  von  Oscar  v.  Gebhardt.  Der  angebliche  Evangeliencom- 
mentar  des  Theophilus  von  Autiochien,  von  Adolf  Harnack.  LIV,  176  S.   1883.  7  M  50. 

II,  ].  2.  Lehre  der  zwölf  Apostel,  nebst  Untersuchungen  zur  ältesten  Geschichte  der 
Kirchenverfassung  und  des  Kirchenrechts  von  Adolf  Harnack.  Kebst  einem  An- 
hang: Ein  überselienes  Fragment  der  JtAuxn  in  alter  lateinischer  üebersetzung. 
Mitgetheilt  von  Oscar  v.  Gebhardt.  70  u.  204  S.  1884.  10  M.  (Nicht  mehr  einzeln 
zu  liaben.) 

II,  3.  Die  Offenbarung  Johannis,  eine  jüdische  Apokalyp.se  in  christlicher  Bearbei- 
tung von  Eberh.  VIscher.  Mit  einem  Nachwort  von  Adolf  Harnack.  137  S.  1886. 
5  M. 

II,  4.  Des  heil.  Eustatliius,  Erzbischofs  von  Antiochien ,  Beurtheilung  des  Origenes 
lietr.  die  Auffassung  der  Wahrsagerin  1.  Könige  [Sam.]  28  und  die  diesbezüg- 
liche Homilie  des  Origenes,  aus  der  Münchener  Hds.  331  ergänzt  u.  verb.,  mit 
kritischen  u.  exegetischen  Anmerkungen  von  Alb.  Jahn.  XXVII,  75  S.  1886.  3  M.  50; 
Einzelpr.  4  M.  50.    , 

II,  5.    Die  Quelle  der  sogenannten  apostolischen  Kirchenordniing,  nebst  einer  Unter- 
suchung über  den  Ursprung  des  Lectorats  und  der  anderen    niederen  Weihea 
von  Adolf  Harnack.    106  ä.    188G.    4  M. 
III,  1.   2.    Leontius    v.   Byzanz  und    die    gleichnamigen    Schriftsteller    der    griecli 
sehen  Kirche  v.  Prof.  Lic.  Dr.  Friedr.  Loofs.    1.  Buch:  Das  Leben  und  die  poleii 
Werke  des  Leontius  v.  Byzanz.    VIII,  318  S.    1887.    10  M. 

III,  3.  4.   Die  Homilien  des  persischen  Weisen  Aphraates,  aus  dem  Syrischen  überset 
und  mit  Anmerkungen  versehen  von  Oberpfarrer  Bert  in  Beerfelden.  — Die  Act| 
des  Papylus   und  der  Agathonike.    Eine  Urkunde   aus  der  Zeit  M.  Aureis 
Ad.  Harnack.    II  u.  466  S.    1888.     16  M. 

IV,  1.    Tatiani  oratio  ad  Graecos  recensuit  Eduardus  Schwartz.    VI  u.  105  S.    189| 
M.  3.60. 

V,  1.  Der  pseudocyprianische  Tractat  de  aleatoribus,  die  älteste  lateinische,  chriia 
liehe  Schrift,  ein  Werk  des  römischen  Bischofs  Victor  I.  (saec.  IL),  von  Ada 
Harnack.     1888.     VI,     151  S.    4  M.  50. 

V,  2.  Die  Abfassnngszeit  der  Schriften  Tertullians  von  Ernst  Noeldechen.  f  ragmeii| 
d.  Papias,  Hegesippus  u.  Pierius  von  0.  de  Boor.    1888.  192  S.  ca.  6  M. 

V,  3.    Das  Hebräerevangelium  von  Lic.  Rud.  Handmann.    136  S.     1888.    4  M.  50. 

Harnack;  Prof.  Dr.  Adf.,  die  Apostellehre  und  die  jüdischen  beid^ 
AVege.  Erweiterter  Abdruck  aus  der  Realencyklopädie  f.  protesj 
Theologie  u.  Kirche,  nebst  Texten.     EI,  59  S.     1886.     1  M. 

— —  die  Zeit  des  Tgnatius  und  die  Chronologie  der  Antiochenisch^ 
Bischöfe  Ins  Tyrannus  nach  Julius  Africanus  und  den  später^ 
Historikern.  Nebst  einer  Untersuchung  über  die  Verbreitung  d^ 
Passio  S.  Polycarpi  im  Abendlande.     III,  92  S.     1878.     3  M. 


APHRAHAT'S 

DES  PERSISCHEN  WEISEN 

HOMILIEN. 

AUS  DEM  SYRISCHEN  ÜBERSETZT  UND  ERLÄUTERT 
VON 

Dr.  GEORG  BEBT 

PFARRER. 


DIE  AKTEN 


DES 


KARPUS,  DES  PAPYLÜS  UND  DER  AGATHONIKE 

EINE  URKUNDE  AUS  DER  ZEIT  MARC  AUREL"S, 

UNTERSUCHT 

VON 

ADOLF  HARNACK. 


LEIPZIG 
J.  C.  HINRICHS'SCHE  BUCHHANDLUNG 

1888. 


Vorwort. 


Die  uach  Origenes  ältesten,  bis  jetzt  bekannten,  Honiilien 
der  christlichen  Kirche,  den  für  die  Zeit  vor  Ephräm,  ,dem 
Propheten  der  Syrer",  wichtigsten  Zeugen  der  syrischen  Kirche 
durch  eine  deutsche  Übersetzung  allgemein  zugänglich  zu 
machen,  schien  mir  eine  Arbeit  zu  sein,  die  nicht  blos  der  theo- 
logischen Wissenschaft  einen  guten  Dienst  thun,  sondern  zu- 
gleich mir  für  mein  Amt  Förderung  bringen  würde.  Nachdem 
dieselbe  nun  unter  Gottes  Hülfe  zu  ihrem  Abschluss  gekommen 
ist,  darf  ich  sie  nicht  in  die  Öffentlichkeit  gehen  lassen,  ohne 
die  Dankespflicht  zu  erfüllen  gegen  diejenigen,  welche  mir  bei 
derselben  rathend  zur  Seite  gestanden  haben. 

Meinem  verehrten  Lehrer,  Herrn  Professor  Merx  in  Heidel- 
berg, verdanke  ich  nicht  nur,  dass  er  mich  vor  Jahren  in  Giessen 
neben  vielseitiger  Förderung  in  den  theologischen  Disciplinen 
auch  in  die  Muttersprache  Jesu  und  seiner  Apostel  eingeführt 
hat,  sondern  dass  er  mich  jetzt  wieder  von  anderen,  für  spätere 
Zeit  vorbehaltenen  Arbeiten  auf  diese  im  Syrischen  ausserordent- 
lich fördernde  Arbeit  hingewiesen  und  während  derselben  mit 
Rath  unterstützt  hat.  Die  Winke  des  Herrn  Professor  Zahn  in 
Leipzig  sind  für  mich  gute  Wegweiser  gewesen.  Was  ich  seinen 
„Forschungen"  I  (Tat.  Diät.)  verdanke,  bezeugen  die  Anmerkungen. 
Von  der  ßickell'schen  (Jebersetzung  eines  Theils  unserer  Homilien 
(I.  IL  HI.  IV.  Vn.  XII.  XVIII.  XXII)  erhielt  ich  erst  Kunde 
nachdem  ich  die  vier  ersten  Homilien  übersetzt  hatte.  Bei  den 
Homüien  VII.  XH.  XVIII.  XXH.  hat  mir   dieselbe  meine  Mühe 


lY  Vorwort. 

erleichtert.  Es  ist  mir  eine  Freude,  mit  Dank  das  ausserordent- 
lich liberale  Entgegenkommen,  mit  dem  die  Grossherzogliche 
Universitätsbibliothek  in  Heidelberg  die  Hilfsmittel  für  meine 
Arbeit  mir  dargeboten  hat,  öffentlich  zu  bezeugen. 

Die  Übersetzung  eines  Schriftstellers  des  Alterthums  kann 
zwei  verschiedene  Wege  gehen.  Sie  kann  die  Gedanken  desselben 
in  der  ihnen  adäquaten  Form  unserer  heutigen  Sprache  wieder- 
geben, oder  sie  kann  sich  auch  in  der  sprachlichen  Form  mög- 
lichst eng  an  ihr  Original  anschliessen.  Der  Zweck  meiner 
Übersetzung  schien  mir  das  Letztere  zu  fordern.  Bei  der  Ein- 
fachheit und  Klarheit  der  Sprache  Aphrahats  scheint  mir  die 
Verständlichkeit  der  Übersetzung  hierdurch  nicht  beeinträchtigt 
worden  zu  sein. 

Beerfelden,  am  12.  Juli  1888. 

D.  V. 


APHRAHAT'S 

DES  PERSISCHEN  WEISEN 

HOMILIEN. 

AUS  DEM  SYRISCHEN  ÜBERSETZT  UND  ERLÄUTERT 

VON 

OBERPFARRER  Dr.   GEORG  BERT. 


Einleitung'). 


Unsere  Homilien,  die  hier  zum  ersten  Mal  vollständig  in 
deutscher  üebersetzung  vorliegen,  lassen  uns  über  ihren  Ur- 
sprung nicht  in  Zweifel.  Als  Abfassungszeit  nennen  sie  uns  die 
Jahre  337 — 345  p.  Chr.-).  Als  Abfassungsort  lassen  sie  uns 
deutlich  Ostsyrien  erkennen.  Der  Verfasser  nennt  sich  zwar  in 
den  Homilien  selbst  nicht;  aber  die  Unterschriften  einiger  Homi- 
lien in  den  Handschriften,  deren  älteste  aus  dem  Jahre  474 
stammt,  nennen  uns  als  solchen  „Mor  Jakub,  den  persischen 
Weisen".  Aus  anderen  syrischen  Schriftstellern  erfahren  wir, 
dass  der  Verfasser  ausserdem  den  Namen  Aphrahat  geführt  hat; 
und  zwar  ist  letzterer  bei  den  Syrern  der  für  unseren  Verfasser 
gebräuchlichere  Name, 

Die  Abfassung  unserer  Homilien  durch  den  von  den 
Handschriften  genannten  Verfasser  in  Frage  zu  stellen,  bietet 
uns  weder  der  Inhalt  der  Homilien  selbst,  noch  die  geschicht- 
lichen Zeugnisse  über  dieselben  irgend  welchen  Anlass.  Wein- 
garten^) bestreitet,  da  unsere  Homilien,  insbesondere  hom.  VI 
,.Von  den  Bundesbrüdern",  mit  seiner  Hypothese,  dass  die 
Anfänge    des    Mönchthums    in    der    nachconstantinischen    Zeit, 


1)  Vgl.  Wright,  the  homilies  of  Aphraates,  the  persian  sage.  London 
1869,  preface;  Nöldeke  (Göttiug.  gelehrte  Anzeigen,  1S69,  S.  1521tf.);  Wein- 
garten, Herzogs  Realencyklop.,  2.  Aufl.,  Art.  Mönclitlium;  Bickell,  Aus- 
gewählte Abhandlungen  des  Bischofs  Jakob  Aphraates  von  Mar  Matthaeus,  in 
Thalhofers  Bibliothek  der  Kirchenväter,  Kempten  1S74;  enthält  die  deutsche 
Üebersetzung  von  hom.  I.  II.  III.  IV.  VII.  XII.  XYIII  u.  XXII;  Sasse, 
Prolegom.  in  Aphraatis  Sap lentis  Persae  serm.  homilet.  Leipzig  1879; 
Forget,  de  vita  et  scriptis  Aphraatis  Sapientis  Persae.  Löwen  1882,  ent- 
hält die  lateinische  Üebersetzung  von  hom.  XXI;  Ryssel,  Ein  Brief  Georgs, 
Bischofs  der  Araber,    Gotha  1883. 

2)  Hiermit  stimmt  die  unten  gegebene  Notiz  des  Barhebraeus  genau. 

3)  Herzogs  Realencyklop.,  2.  Aufl.,  Art.  Mönchthum. 


^^^I  Einleitung. 

im  Morgenland  360,  im  Abendland  380,  zu  suchen  seien,  in 
Widerspruch  stehen,  deren  Abfassung  durch  Aphrahat  und  in 
den  Jahren  337 — 345.  Zur  Begründung  führt  er  an,  dass  die 
kirchliche  Tradition  nur  einen  Aphrahat  kenne,  der  in  der  letzten 
Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  in  Edessa  und  Antiochien  als  Mönch 
gelebt  habe  und  erst  nach  dem  Jahre  400  gestorben  sein  könne; 
ferner  sei  es  eine  kircheugeschichtliche  Unmöglichkeit,  dass, 
"vvie  von  Aphrahat  berichtet  wird,  ein  Bischof  zugleich  Abt  eines 
Klosters  gewesen  sei;  endlich  findet  er  in  den  ,räthselhaften, 
dem  Christenthum  scheinbar  widersprechenden  und  mit  talmu- 
dischen Sagen  sich  berührenden  Elementen'^  unserer  HomiHen 
einen  Grund  gegen  die  Abfassung  in  der  von  ihnen  selbst  ange- 
gebenen Zeit  und  gegen  ihre  Authenticität, 

Dem  gegenüber  ist  zu  bemerken  '),  dass,  wenn  auch  die  kirch- 
liche Tradition  seither  nur  einen  Aphrahat,  der  um  das  Jahr  400 
gelebt  hat,  kannte,  dies  doch  nichts  beweist,  da  der  Name  Aph- 
rahat, später  Pharhaad,  im  Persischen  ziemlich  häufig  ist.  Ferner 
ist  es  keine  kirchengeschichtliche  Unmöglichkeit,  dass  Aphrahat 
als  Bischof  zugleich  Abt  eines  Klosters  war.  Denn,  wenn  auch 
sonst  in  der  christlichen  Kirche  Bischöfe,  die  aus  Klöstern  her- 
vorgingen, damit  zugleich  ihr  Kloster  verliessen,  so  ist  das  doch 
in  Syrien  von  jeher  anders  gcAvesen.  Es  gab  allein  bei  den 
Jakobiten  21  Klöster,  die  zugleich  Bischofssitze  waren  (Biblioth. 
Orient. IL Diss.  de  Monophysit.:  Notitiaepiscopatuum Jacobitarum), 
zu  denen  auch  das  Kloster  Mor  Mattai  gehört,  als  dessen  Bischof 
Aphrahat  bezeichnet  wird;  und  in  der  arabisch  geschriebenen 
Biographie  des  Isaak  von  Ninive,  welche  die  Einleitung  zu  der 
arabischen  Uebersetzung  seiner  Werke  (Biblioth.  Vatic.  cod. 
Nitr.  XXII)  bildet,  ist  von  seiner  bischöflichen  Zelle  die  Rede; 
ferner  werden  (Bibl.  Orient.  I.  419^'  als  Vorsteher  des  Klosters 
Mor  Mattai  neben  einander  genannt  der  Bischof  Christophorus 
und  der  Archimandrit  Adaeus.  Uebrigens  ist  die  Nachricht,  dass 
Aphrahat  Abt  eines  Klosters  gewesen  sei,  durchaus  nicht  sicher. 
(Vgl.  S.  XII  ff.) 

Die  von  Weingarten  angeführten  sagenhaften  Elemente  in 
den  Homilien  Aphrahats  rühren  von  seiner  Kenntniss  rabbinischer 
Gelehrsamkeit  her,  die  sich  aus  den  religiösen  Verhältnissen  des 


1)  Vgl.  Ryssel,  Theolog.  Literaturzeit.  1885  Nr.  16. 


Einleitung.  IX 

östlichen  Syriens  hinläuglicli  erklären  lassen.  Was  nun  die  An- 
fänge des  Mönclithums  betrifft,  so  hat  Keim  i„Aus  dem  Ür- 
christenthum"  I,  7.  S.  204  ff.)  den  Beweis  geführt,  dass  dieselben 
spätestens  um  330  zu  setzen  seien.     S.  hom.  VI  Anm.  1. 

Der  Verfasser  wird  in  den  Unterschriften  der  Homilien  in 
verschiedener  Weise  genannt.  Die  10.  Homilie  schliesst:  Zu 
Ende  sind  des  persischen  Weisen  erste  Briefe,  welches  zehn 
an  der  Zahl  sind.  Hiermit  stimmt  wörtlich  überein  die  Unter- 
schrift unter  der  22.  Homilie  in  Handschrift  A:  Zu  Ende  sind 
die  zwei  und  zwanzig  Briefe  des  persischen  Weisen,  während 
uns  die  Unterschrift  unter  der  23.  Homilie  auch  den  einen 
Namen  des  Verfassers  nennt:  Zu  Ende  sind  nun  in  dieser  Schrift 
alle  Briefe  des  Mor  Jakub,  des  persischen  Weisen,  wel- 
ches sind  22  an  der'  Zahl  nach  dem  Alphabet  und  eine  über 
die  Weinbeere.  Ueber  den  Namen  Aphrahat  s.  S.  XVIII  ff. 
Ueber  das  Verhältniss  beider  Namen,  Aphrahat  und  Jakub,  fehlt 
uns  jede  Nachricht.  Wir  werden  aber  wohl  nicht  fehlgehen, 
wenn  wir  ersteren  als  den  ursprünglichen  Namen  des  Verfassers 
ansehen,  letzteren  als  denjenigen,  den  er,  nach  der  Sitte  der 
Syrer,  sei  es  bei  seinem  Uebertritt  zum  Christenthum,  sei  es  bei 
seinem  Eintritt  in  den  Mönchsstand,  sei  es  bei  der  Uebernahme 
des  Bischofsamtes  angenommen  hat. 

Der  Name  Aphrahat  in  dieser  seiner  älteren  und  selteneren, 
und  in  seiner  jüngeren  und  häufigeren  Form  Pharhaad,  ist  per- 
sischen Ursprungs.  Aus  der  für  unseren  Verfasser  gebräuch- 
licheren Form  w^(jij,s1,  Aphrahat  (plaij-s,  Pharhaad,  kommt  für 
unseren  Verfasser  nur  bei  Barhebraeus  vor)  ist  die  griechische 
Form    Ag)QaaT7]Q  geworden. 

Ueber  einen  Aphrahat  wird  uns  noch  berichtet  in  dem  alten 
syrischen  Martyi'ologium,  gesammelt  vor  dem  Jahr  4 1 2,  veröffent- 
licht von  Wright  in  Journal  of  Sacred  Literat.  Oktob.  1865  u. 
Januar  1866.  Derselbe  wird  hier  erwähnt  unter  den  alten  per- 
sischen' Märtyrern  vor  den  Zeiten  des  Simeon  Bar-Sabbä'  und 
des  Schahdüst,  des  9.  und  10.  Bischofs  von  Seleucia  und  Kte- 
siphon.  Er  erduldete  den  Märtyrertod  zur  selben  Zeit,  da  ,der 
persische  Weise"  seine  letzten  Homilien  schrieb. 

Theodoret  ^)  erwähnt  einen  Aphrahat,  der,  .weil  er  die  Gott- 

1)  Philotheus  s.  bist.  rel.  ed.  Schulze  111,  2  (S.  1175—1185)  und  hist. 
eccl.  ed.  Gaisford  IV,  25.  26. 


X  Einleitung. 

losigkeit  seiner  Volksgenossen  verflucht  und  eine  fremde  Religion 
seinem  Yaterlande  verkündigt  habe",  aus  Persien  habe  fliehen 
müssen  und  sich  zuerst  in  Edessa  und  später  in  Antiochien 
niedergelassen  habe,  wo  er  um  die  Zeit  373 — 377  eine  berühmte 
Unterredung  mit  dem  arianischen  Kaiser  Valens  gehabt  habe, 
und  er  selbst  (Theodoret)  habe  ihn  dort  als  Knabe  (also  c.  400) 
besucht.  Dieser  von  Theodoret  erwähnte  Aphrahat  wird  in  der 
griechischen  Kirche  als  Heiliger  verehrt.  Seinen  Gedächtnisstag 
setzen  die  Menaea  auf  den  29.  Januar  ^).  In  dem  römischen 
Martyrolog.  setzte  Baronius  seinen  Gedächtnisstag  auf  den 
7.  April,  worin  ihm  die  Bollandisten  gefolgt  sind,  (Acta  Sanc- 
torum  für  April  i  I  p.  664;  Tillemont,  Memoires  t.  X  p.  477; 
s.  Martyrologium  Romanum  ed.  noviss.  1845  p.  63:  „In  Syria 
sancti  Aphraatis  Anachoretae,  qui  Valentis  tempore  Catholicam 
fidem  virtute  miraculorum  adversus  Arianos  defendit"). 

Der  Versuch,  unseren  Verfasser  mit  einem  dieser  beiden  an- 
geführten Aphrahat  zu  identificiren,  wäre  ebenso  gewagt  und 
auch  fruchtlos,  wie  derjenige,  ihn  mit  einem  der  Märtyrer  Na- 
mens Jakob  unter  König  Sapur  II.  zu  identificiren-). 

Der  zweite  Name  unseres  Verfassers,  Jakub,  hat  zu  einer 
Verwechselung  Anlass  gegeben,  die  sehr  bald  nach  Abfassung 
unserer  Homilien  auftritt  und  erst  durch  die  Ausgabe  des 
syrischen  Textes  derselben  durch  Wright  beseitigt  worden  ist. 
Unsere  Homilien  wurden  nicht  Jakub  Aphrahat,  sondern  Jakob, 
dem  Bischof  von  Nisibis,   zugeschrieben. 

Wir  finden  diesen  Irrthum  schon  in  der  armenischen  Ueber- 
setzung,  die  um  das  Jahr  430  entstanden  ist  (s.  unten).  Wir 
finden  ihn  wieder  bei  Gennadius,  Bischof  von  Massilia,  der  490 — 
495  den  von  Hieronymus  angefangenen  Katalog  De  viris  illustri- 
bus  fortgesetzt  hat  (s.  unten).  Da  uns  unsere  Homilien  zuerst 
in  der  armenischen  Uebersetzung  bekannt  geworden  sind,  durch 
die  Veröfi'entlichung  des  N.  Antonellus  (Rom  1756),  kamen  sie 
auch  zuerst  unter  dem  Namen  des  Jakob  von  Nisibis  zu  uns. 
Durch  den  von  Wright  herausgegebenen  syrischen  Text  ist  dieser 
Irrthum  beseitigt.  Hiernach  sind  die  10  ersten  Homilien  im  Jahre 
336/337,  die  12  folgenden  im  Jahre  343/344,  und  die  letzte  erst 
im  Jahre  345  geschrieben.  Jakob  von  Nisibis  dagegen  ist  schon 

1)  S.  Ausgabe  Venedig  1612. 

2)  Siehe  Wright  pref.  S.  7. 


Einleitung.  XI 

im  Jahre  338  gestorben,  wie  Bickell  i)  nachgewiesen  hat.  Nach 
dem  Berichte  Theodorets  ist  Jakob  von  Nisibis  auf  der  Synode  zu 
Nicäa  als  eifriger  Gegner  des  Arius  aufgetreten.  Dies  wäre  von 
Aphrahat  keineswegs  zu  erwarten  gewesen  (s.  hom.  XVII).  Auch 
kann  Nisibis  nicht  der  Abfassungsort  unserer  Honiilien  sem 
(vgl.  S.  XX,  Anm.  2). 

lieber  das  Leben  unseres  Verfassers  fehlt  uns  jede  geschicht- 
liche Nachricht.  In  hom.  XXII  Schluss^)  spricht  unser  Ver- 
fasser selbst  sich  folgendermassen  aus:  „Wenn  jemand  sagen 
wird,  diese  Reden  hat  ein  Beliebiger  geschrieben,  so  möge  er 
sie  nur  ernstlich  studiren  —  sich  um  den  Verfasser  zu  beküm- 
mern, wird  nicht  von  ihm  verlangt.  Auch  ich  habe  nach  meiner 
Wenigkeit  dieses  geschrieben  als  ein  Mensch,  der  von  Adam  ge- 
boren und  von  der  Hand  seines  Gottes  gemacht  ist,  der  ich  ein 
Schüler  der  heiligen  Schriften  bin". 

Der  älteste  und  einzige  Zeuge,  Georg •^),  Bischof  der  Ara- 
ber, kennt  weder  den  Namen,  noch  das  kirchliche  Amt  Aphra- 


1)  Bickell,  S.  Ephraemi  Syri  Carmina  Nisibena,  introd.  p.  20:  Quod 
ad  Nisibin  attinet,  quatuor  eius  episcopi  sibi  invicem  succedentes  com- 
memorantur  Jakobus,  Babu,  Vologeses,  Abraham.  De  tempore  mortis 
S.  Jacobi  scriptores  non  inter  se  conveniunt,  cum  Chronicon  Edessenum 
et  Dionysius  Telmachrensis  eum  a.  338  defunctum  esse  statuant,  Theo- 
doretus  autem,  Philostorgius  aliique  recentiores  eum  adhuc  a.  350  in  ob- 
sidione  Nisibis  superstitem  fuisse  affirment.  E  nostiis  hymnis  certo  de- 
monstrari  potest  eum  a.  338  mortuum  esse.  Nam  non  solum  commemo- 
ratur,  secundam  obsessionem  a.  346  sub  Babu  accidisse  (13.  2.  17)  et  sub 
eodem  bellum  Persicum  gestum  esse  (13,4—9,  14 — 15),  sed  etiam  expresse 
dicitur,  sub  Jacobo  pacem  fuisse  et  nonnisi  una  cum  ipsius  fine  finitam 
esse  (13,  15).  Ergo  Jacobus  post  a.  338  vixisse  non  potest.  .  .  Haec  certa 
de  morte  Jacobi  definitio  eo  quoque  nomine  valde  commendatur,  quod 
pro  certo  probat  hunc  sauctum  infami  illi  Ariauorum  synodo  Antiochenae 
a,  341  minime  adfuisse. 

2)  Vgl.  hom.  XXII  S.  367. 

3)  Zum  erstenmal  wurde  der  syrische  Text  des  Briefs  Georgs,  Bischofs 
der  Araber,  herausgegeben  von  De  Lagarde,  Analecta  Syriaca  p.  108  ft. 
(vgl.  Cowper,  Syriac  Miscellanies  p.  61  ff.),  zum  erstenmal  übersetzt  von 
Lic.  theol.  Dr.  V.  Ryssel  ,,Ein  Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber,  an  den 
Presbyter  Jesus,  aus  dem  Syrischen  übersetzt  und  erläutert",  Gotha  1883. 
Den  auf  Aphrahat  und  seine  Homilien  bezüglichen  Theil  des  syrischen 
Textes  hat  Wright  in  seiner  Einleitung  zum  syr.  Text  unserer  Homilien 
S.  19—37  abgedruckt.  Die  deutsche  Uebersetzung  hiervon  lassen  wir 
unten  folgen. 


XII  Einleitung. 

hats.  Er  nennt  ihn  durchweg  .,den  persischen  Weisen"  und 
weiss  nicht,  ob  er  in  Nisibis  oder  einer  anderen  benachbar- 
ten Stadt  gelebt  habe.  Er  schreibt  am  Anfang  seines  Briefs, 
den  wir,  soweit  derselbe  Aphrahat  und  seine  Homilien  betrifft, 
in  deutscher  Uebersetzung  unten  folgen  lassen:  ,,Was  den  Mann 
betrifft,  der  den  Beinamen  ,der  persische  Weise'  führt,  und  der 
eme  Schrift  in  Briefen  über  verschiedene  Gegenstände  verfasst 
hat,  wer  dieser  persische  Weise  war,  d.  h.  welches  sein  Axioma 
d.  i.  sein  Rang  in  den  kirchlichen  Ordnungen  war,  oder  welches 
sein  Name  oder  sein  Wohnsitz  war,  können  wir  nicht  mit  Sicher- 
heit sagen.  Denn  er  hat  uns  weder  selbst  dieses  oder  eins  von 
diesen  mitgetheilt  in  seiner  Schrift,  die  er  geschrieben  hat,  noch 
haben  wir  es  an  einer  anderen  Stelle  bis  jetzt  geschrieben  ge- 
funden, auch  haben  wir  es  von  niemandem,  der  es  genau  wusste, 
erfahren  können". 

Doch  können  wir  Folgendes  aus  den  Homilien  mit  grösserer 
oder  geringerer  Wahrscheinlichkeit  schliessen  ^).  Was  zunächst 
das  Alter  unseres  Verfassers  betrifft,  so  nennt  er  uns  in  seinen 
Homilien  nur  die  Abfassungszeit  derselben,  und  zwar  zum  Theil 
nach  Monaten  genau.  Es  sind  die  Jahre  336/337 — 345.  Daraus  aber, 
dass  unserem  Verfasser  von  einer  Synode  der  Auftrag  wird,  im 
Namen  derselben  ein  Sendschreiben  an  christliche  Gemeinden  zu 
richten  's.  hom.  XIV),  ferner  aus  der  ganzen  Art,  wie  Aphrahat  zu 
den  Lesern  seiner  Briefe  redet  'vgl.  insbes.  hom.  VI.  X.  XXII  S.  36ö 
u.  A.),  endlich  aber  hauptsächlich  aus  der  grossen  Kenntniss  der 
heil.  Schrift,  die  er  in  seinen  Homilien  bekundet,  dürfen  wir  wohl 
mit  Wahrscheinlichkeit  schliessen,  dass  Aphrahat  zur  Zeit  der 
Abfassung  seiner  Homilien  schon  im  vorgerückteren  Lebensalter 
gewesen  sein  muss.  Die  Richtigkeit  dieser  Annahme  vorausgesetzt, 
hätten  wir  als  Zeit  seiner  Geburt  ungefähr  das  Jahr  280  anzu- 
nehmen 2). 

Schon  Georg,  Bisch,  d.  Ar.,  weist  darauf  hin,  dass  die 
zu  seiner  Zeit  verbreitete  Meinung,  Aphrahat  sei  ein  Schüler 
Ephräms  des  Syrers  gewesen,  nicht  blos  durch  den  Charakter 
der  Lehre,  die  bei  beiden  verschieden  ist,  sondern  auch  durch 
das  Alter  Aphrahats   ausgeschlossen    sei.     Wenn  auch  Ephräm 


1)  Vgl.  auch  den  Brief  Georgs,  Bischofs  d.  Araber,  Cap.  1. 

2)  Vgl.  Sasse  S.  7. 


Einleitung.  xm 

vielleicht  irgend  eine  Zeit  lang  gleichzeitig  mit  dem  Leben  des 
persischen  Schriftstellers  oder  auch  mit  dem  Leben  und  der 
Lehrthätigkeit  desselben  gelebt  habe,  so  könne  dies  nur  in  der 
Weise  der  Fall  gewesen  sein,  dass  Ephräm  noch  ein  Knabe  war,  als 
der  persische  Schriftsteller  schon  im  besten  Mannesalter  stand  ^). 

lieber  die  Abstammung  unseres  A'^erfassers  enthalten  unsere 
Homilien  keine  direkten  Angaben.  Die  Bekanntschaft  mit  rabbi- 
nischer  Gelehrsamkeit  und  jüdischen  Traditionen,  die  an  vielen 
Stellen  unserer  Homilien  auftritt-,  und  der  Gegensatz  gegen 
das  Judenthum,  der  besonders  in  einigen  Homilien  des  2.  Theils 
(hom.  XI — XXH)  unserer  Sammlung  stark  hervortritt,  könnte 
dazu  verleiten,  an  eine  Abstammung  aus  dem  Judenthum 
zu  denken.  Dies  ist  aber  nicht  blos  durch  den  persischen  Namen 
unseres  Verfassers,  sondern  noch  mehr  durch  Stellen,  in  denen 
sich  derselbe  im  Gegensatz  zu  den  Juden  als  Heidenchristen 
kennzeichnet,  so  z.  B.  hom.  XVI,  §  5;  XVH,  §  8,  ausgeschlossen. 
Diese  beiden  genannten  Stellen,  besonders  die  letztere,  sind  es 
zugleich,  die  uns  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  annehmen 
lassen,  dass  die  Eltern  Aphrahats  noch  dem  Heidenthuni  ange- 
hört haben,  und  dass  dieser  selbst  nicht  mehr  in  den  Jahren 
der  Kindheit  war,  da  er  zum  Christenthum  übertrat. 

Die  eben  angeführte  Bekanntschaft  mit  rabbinischer  Gelehr- 
samkeit und  jüdischen  Traditionen  berechtigt  uns  zu  der  Ver- 
muthung,  dass  unser  Verfasser  seine  wissenschaftliche  Ausbildung 
unter  dem  direkten  Einfluss   jüdischer  Gelehrten  gewonnen  hat. 

1)  Vgl.  S.  XXXIX  f. 

2)  So  lässt  er  nach  rabbinischen  Traditionen  die  Römer  von  Esau 
abstammen  (hom.  V  §  lOV  Er  führt  nach  derselben  Quelle  an,  dass 
Hieram,  der  König  von  Tyrus,  440  Jahre  regiert  habe  (hom.  V  §  7),  dass 
Kain  wegen  der  Ermordung  des  Abel  den  Fluch  für  7  Geschlechter  em- 
l)fangen  habe  (hom.  IX  §  6).  In  den  chronologischen  Daten  der  XXIII. 
Homilie  ist  er  rabbinischen  Traditionen  gefolgt,  insbes.  dem  Targ.  Jo- 
nathan zu  2.  Mos.  12,  40.  Auch  Georg,  Bisch,  d  A„  bemerkt  am  Schluss 
des  3.  Cap.  seines  Briefs:  „Wisse  deshalb,  o  du  Freund  der  Belehrung, 
dass  der  persische  Schriftsteller  nach  der  Ueberlieferung  der  Schriften 
der  Juden  alle  seine  Berechnungen  machte  und  nicht  nach  der  Ueber- 
lieferung der  LXX  oder  nach  der  Ueberlieferung  der  Samaritaner,  wie  du 
auch  selbst  vorher  geschrieben  hast".  Vgl.  Sasse  S.  1 1  Anm.  Vgl.  S.  XLIX  f. 
Siehe  S.  382.  392.  Die  eulogische  Formel:  ,,Sein  Gedächtniss  sei  in  Segen", 
die  Aphrahat  braucht  (z.  B.  S.  387),  ist  die  bei  den  Juden  übliche:   -iri-rr 


XIV  Einleitung. 

Im  Uebrigen  finden  wir  in  unseren  Homilien  noch  soweit 
Auskunft  über  das  Leben  Apbrahats,  als  aus  einigen  Stellen  mit 
Sicherheit  hervorgeht,  dass  er  dem  Mönchsstande  und  dem  Clerus 
angehört  habe.   Schon  der  Araberbischof  Georg  schreibt  (Cap.  I): 

„Dass  er  ferner  auch  ein  Mönch  war  und  dem  kirchlichen 
Clerus  zugehörig,  ist  aus  seinen  eigenen  Worten  zu  erkennen. 
Zunächst  dass  er  ein  Mönch  war,  thut  er  kund  in  dem  Briefe, 
welcher  überschrieben  ist:  Unterweisung  über  die  Bundesbrüder 
(hom.  VI)  —  denn  so  wurden  damals  die  Mönche  benannt,  zu- 
gleich auch  mit  dem  Ausdruck  ,Einsiedler'  —  indem  er  darin 
also  schreibt:  ,Nun  ist  dieser  Rath  passend  und  gut,  den  ich  mir 
selbst  wie  auch  euch  gebe,  meine  Lieben,  für  die  Einsiedler, 
welche  nicht  Weiber  nehmen,  und  für  die  Jungfrauen,  welche 
keinen  Männern  angehören,  und  für  die,  welche  die  Heiligkeit 
lieben,  ist  es  recht,  passend  und  schön,  dass,  wenn  es  auch 
jemandem  Zwang  kostet,  er  allein  bleibe.  Und  so  ist  es  schön 
für  ihn  zu  wohnen,  wie  geschrieben  ist  im  Propheten  Jeremia: 
Es  ist  gut  für  einen  Mann,  dass  er  das  Joch  trage  in  seiner 
Jugend  und  sitze  einsam  und  schweige,  weil  er  dein  Joch  auf 
sich  genommen  hat.  Denn  so  ist  es  schön,  mein  Lieber,  dass, 
wer  das  Joch  Christi  trägt,  es  in  Reinheit  bewahre.'  Diese  Stelle 
zeigt,  dass  der  sogenannte  persische  Weise  ein  Mönch  war.  Dass 
er  aber  dem  kirchlichen  Clerus  beigeordnet  war,  zeigen  meiner 
Ansicht  nach  die  Worte,  welche  er  am  Anfang  seines  Briefes 
oder  seiner  Abhandlung  geschrieben  hat,  die  überschrieben  ist: 
Ueber  den  Streit  und  die  Spaltungen,  welche  an  jeglichem  Ort 
entstanden  sind  in  Folge  des  Stolzes  und  Hochmuths,  und  über 
den  Wettstreit  um  die  Herrschaft  (hom.  XIV);  dieselben  lauten 
also:  Wir  alle,  indem  wir  hier  versammelt  sind,  haben  uns  ent- 
schlossen, diesen  Brief  an  alle  unsere  Brüder,  die  Cleriker, 
an  jeglichem  Ort  zu  schreiben,  wir  die  Bischöfe  und  Presbyter 
und  Diakonen  und  die  ganze  Kirche  Gottes  mit  allen  ihren 
Kindern  an  jeglichem  Ort,  die  bei  uns  sind.  Unseren  geliebten 
und  verehrten  Brüdern,  den  Bischöfen  und  Presbytern  und  Dia- 
konen sammt  allen  Kindern  der  Kirche,  die  bei  euch  sind,  und 
dem  ganzen  Volke  Gottes,  das  zu  Salk  und  Ktesiphon  und  an 
jeglichem  Orte  ist,  durch  unseren  Herrn  und  unseren  Gott  und 
unseren  Lebensspender,  der  durch  seinen  Gesalbten  uns  lebendig 
gemacht  hat  und  uns  mit  sich  versöhnt  hat,  vielen  Frieden!" 


Einleitung.  XV 

Siehe,  hierdurch  thut  er  kund,  dass  er  dem  Clerus  beige- 
ordnet war,  wie  wir  gesagt  haben.  Wo  er  aber  lebte,  in  der 
Stadt  Nisibis,  wie  einige  gesagt  haben,  oder  an  einem  anderen 
Orte  in  jenen  Gegenden,  thut  er  ganz  und  gar  nicht  kund". 

Zu  dem,  was  der  Araberbischof  Georg  über  den  Mönchs- 
stand Aphrahats  sagt,  tritt  noch  als  Bestätigung  hinzu  die  Art 
und  Weise,  wie  dieser  hom.  VII,  §  1 1  von  den  }i^^...  ]^r  ^ai: 
i.A--j-Do,  den  „Einsiedlern,  Bundesbrüdern  und  Heiligen",  und 
hom.  XVIII,  §  1  ff.  von  oi.s  ^i*V).«,n?  Ua-A-fjo  Us^o£.sc,  „denen, 
die  in  Jungfräulichkeit  und  Heiligkeit  stehen",  redet  und  sich 
dabei  einschliesst. 

Ueber  die  Würde  und  den  Rang  Aphrahats  in  den  kirch- 
lichen Aemtern,  worüber  dem  Araberbischof  Georg  nichts  be- 
kannt war,  kommt  uns  von  anderer  Seite  eine  Nachricht  zu.  In 
einer  Handschrift  des  britischen  Museums  fand  Wright  die  Rand- 
bemerkung (von  Wright  bekannt  gegeben  in  Catalogue  of  Sy- 
riac  manuscripts  in  the  British  Museum,  London  1871  II  pag.  401 
col.  2,  also  2  Jahre  nach  der  Ausgabe  unseres  sjn:.  Textes): 
Aphrahat,  der  Weise,  ist  Jakub,  der  Bischof  des  Klosters  Mor 
Mattai. 

Dass  Aphrahat  wirklich  ein  höheres  kirchliches  Amt  be- 
kleidet und  sich  zugleich  durch  hervorragende  Begabung  aus- 
gezeichnet haben  muss,  können  wir  schon  daraus  schliessen,  dass 
er  von  einer  Synode  den  Auftrag  erhält,  in  ihrem  Namen  ein 
Sendschreiben  an  die  Cleriker  und  Christengemeinden  zu  richten 
(hom.  XIV).  Und  wenn  Aphrahat  in  derselben  hom.  §  15  von 
„der  heiligen  Auflegung  der  Hände,  welche  die  Menschen  von 
uns  nur  zur  Bestätigung  der  Priesterweihe  empfangen",  spricht, 
so  konnte  er  so  doch  wohl  nur  reden,  wenn  er  selbst  Bischof 
war.  Hierzu  stimmt  ganz  die  Art  und  Weise,  wie  er  bes. 
hom.  VI  und  X  zu  den  Clerikern  und  „Hirten"  redet  und  sie 
ermahnt.  Nur  ein  Mann  in  einem  hervorragenden  kirchlichen 
Amt  konnte  schreiben  wie  imser  Verfasser  (hom.  XXII  S.  366): 
„Denn  was  in  diesen  Kapiteln  geschrieben  steht,  ist  nicht  nach 
der  Ansicht  eines  einzelnen  Mannes  geschrieben  und  auch  nicht 
zur  Belehrung  eines  einzelnen  Lesers,  sondern  nach  der  Ansicht 
der  ganzen  Gemeinde  und  zur  Belehrung  über  den  ganzen 
Glauben". 

Ueber  die  Abfassungszeit  unserer  Homilien  enthalten  diese 


XVI  Einleitung. 

selbst  mehrere  dii-ekte  Angaben.  Was  Weingarten  ^)  gegen  die 
Möglichkeit  dieser  Abfassungszeit  sagt,  findet  seine  Widerlegung 
in  dem,  was  wir  oben  über  Weingartens  Bedenken  gegen  die 
Abfassung    unserer  Homilien  durch  Aphrahat  angeführt  haben. 

Zunächst  ist  es  die  Unterschrift  am  Schlüsse  der  XXII.  Hom., 
die  uns  die  Abfassungszeit  der  22  ersten  Homilien  nennt.  Hom. 
XXII,  Schluss:  „Diese  22  Reden  habe  ich  nach  den  22  Buch- 
staben geschrieben.  Die  10  ersten  habe  ich  im  Jahre  648  nach 
der  Regierung  Alexanders,  des  Sohnes  Philipps  von  Macedonien, 
geschrieben,  wie  am  Schlüsse  derselben  bemerkt  ist  (=  a.  d. 
336,37;  die  Bemerkung,  auf  die  sich  Aphrahat  hier  beruft,  fehlt 
in  unseren  Handschriften),  und  diese  12  letzten  habe  ich  im 
Jahre  655  des  Reichs  der  Griechen  und  Römer,  nämlich  des 
Reichs  Alexanders,  und  im  35.  Jahre  des  persischen  Königs  ge- 
schrieben (=  a.  d.  343/344). 

Sodann  finden  wir  noch  in  einzelnen  Homilien  genauere  An- 
gaben über  deren  Abfassungszeit.  Hom.  V  nennt  uns  in  §  5 
als  ihre  Abfassungszeit  das  Jahr  648  aer.  Seleuc.  =  337  (s. 
S.  74  Anm.  2).  Aus  dem  Inhalt  dieser  Homilie  können  wir 
ferner  mit  Wahrscheinlichkeit  schliessen,  dass  die  Abfassung 
derselben  in  die  Sommermonate  des  Jahres  337  fällt  (s.  S.  69, 
Anm.  1). 

Am  Schluss  der  XIV.  Hom.  finden  wir  die  Angabe:  Dieser 
Brief  ist  geschrieben  im  Monat  Schebat  (=  Februar)  des  Jahres 
655  der  Regierung  Alexanders,  des  Sohnes  Philipps  von  Mace- 
donien [=  a.  d.  344),  und  im  Jahre  35  Schaburs,  des  Königs  von 
Persien  (reg.  309—379). 

In  Hom.  XXI  (S.  333)  nennt  uns  Aphrahat  als  das  Jahr 
der  Gegenwart,  von  dem  aus  er  seine  Berechnungen  anstellt, 
das  Jahr  655  der  Regierung  Alexanders,  des  Sohnes  Philipps 
von  Macedonien  (=  343/344). 

Die  XXIII.  Hom.  schliesst  mit  der  Bemerkung:  „Ich  habe 
dir  diesen  Brief  geschrieben,  mein  Lieber,  im  Monat  Ob  2)  des 
Jahres  656  der  Regierung  Alexanders,  des  Sohnes  Philipps  von 
Macedonien,  und  im  Jahre  36  Schaburs,  des  Königs  von  Persien, 

1)  In  Herzog's  Realencyklop.  Art.  ,,Mönchthum". 

2)  Der  Monat  Ob  ist  nach  der  Rechnung  der  Juden,  die  das  Jahr 
mit  dem  Oktober  anfangen,  der  11.  Monat  des  Jahres,  entspricht  also 
unserem  August. 


Einleitung.  XVII 

der  die  Verfolgung  veranstaltete,  im  5.  Jahre,  seitdem  die  Ge- 
meinden ausgerottet  wurden,  im  Jahre,  da  das  grosse  Morden 
der  Blutzeugen  im  östlichen  Lande  war,  nachdem  ich  die  22  Ka- 
pitel geschrieben  hatte,  die  nach  dem  Alphabet  geordnet  sind." 

Hiernach  wären  die  zeitlichen  Grenzen,  innerhalb  deren  wir 
die  Abfassung  unserer  Homilien  zu  setzen  hätten,  zweifellos 
gegeben:  Es  ist  die  Zeit  von  336  37 ')  bis  zum  August  des 
Jahres  345. 

Dagegen  geben  uns  unsere  Homilien  solche  sichere  Nach- 
richt nicht  über  den  Ort  ihrer  Entstehung.  Wenn  die  oben 
bereits  mitgetheilte  Notiz,  die  Wright  als  Randbemerkung  in 
einer  der  syrischen  Handschriften  des  Brit.  Mus.  gefunden  hat, 
nämlich  „Aphrahat,  der  Weise,  ist  Jakub,  der  Bischof  des  Klosters 
Mor  Mattai",  uns  zuverlässige  geschichtliche  Nachricht  brächte, 
dann  wäre  hiermit  die  Frage  nach  dem  Abfassungsort  unserer 
Homilien  beantwortet.  Da  Aphrahat,  wie  wir  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit annehmen  dürfen  (s.  oben),  dieselben  in  den 
späteren  Jahren  seines  Lebens  geschrieben  hat,  so  würde  er  sie 
dann  sicher  als  Bischof,  und  zwar  im  Kloster  Mor  Mattai  ge- 
schrieben haben.  Die  vorhandenen  Nachrichten  über  dieses 
Kloster  machen  uns  aber  den  geschichtlichen  Werth  obiger 
Notiz  fraglich. 

Das  Kloster  Mor  Mattai.  etwa  4  Stunden  nördlich  von  den 
Ruinen  des  alten  Ninive,  gegenüber  dem  jetzigen  Mosul,  auf 
emem  Berge  der  Höhen  von  Makluba,  mit  Namen  Elphaph  oder 
auch  Chuchta,  gelegen,  ist  jetzt  noch  vorhanden  und  ist  in  den 
Händen  der  Jakobiten.  In  diesem  Jahrhundert  ist  das  Kloster 
besucht  worden  von  Rieh  (13. — 16.  Dezember  1820),  der  uns 
eine  genaue  Beschreibung  desselben  mit  seiner  Umgebung  gibt'-), 
und  von  Badger  ''j  (Oktober  1843),  der  uns  zugleich  eine  Ansicht 
des  Klosters  und  einen  Grundriss  der  Klosterkirche  gibt. 

üeber  die  Entstehung  des  Klosters  liegen  uns  verschiedene 
Nachrichten  vor.  Nach  der  einen  Nachricht  ward  dasselbe  im 
Jahre   334  gegründet   durch   Mor   Mattai,   einen   Gefährten  des 

1)  Da  der  Anfang  des  Jahres  nach  der  Rechnung  der  aer.  Seleuc.  nicht 
mit  dem  Anfang  unseres  Jahres  zusammenfällt  (vgl.  vor.  Anm),  so  fallt 
das  Jahr  64S  gr.  in  die  beiden  Jahre  336/337  unserer  Zeitrechnung. 

2)  S.  Ritter,  Erdkunde  iX  S.  732  if. 

3)  Badger,  The  Nestorians  and  their  Rituals  I  S.  96  f. 
Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  4.  ** 


xvin  Einleitung. 

Georgios,  der  vor  Diocletians  Christenverfolgung  hierher  floh. 
Er  heilte  durch  Gebete  die  kranke  Tochter  Havla  des  damaligen 
Königs  von  Assyrien  und  erhielt  so  die  Erlaubniss  zum  Bau  des 
Klosters.  Nach  einer  anderen  Nachricht,  die  uns  Assemani  be- 
richtet, wurden  zur  Zeit  Schaburs,  Königs  von  Persien  (welches, 
I.,  IL  oder  III.?),  zwei  Convente,  Ninive  benachbart,  in  Assyrien 
errichtet,  das  eine  von  St.  Matthäus  auf  dem  Berge  Elphaph, 
und  dieses  ward  von  Jakobiten  bewohnt.  Das  andere  wurde 
von  St.  Jona  gestiftet  und  mit  Nestorianern  besetzt  ^).  Eine 
dritte  Nachricht,  in  syrischen  Märtyrerakten  enthalten-),  be- 
richtet uns  Folgendes:  In  Folge  der  Verfolgungen  Julians 
Apostat  in  Persien  wanderten  die  Mönche  nach  verschiedenen 
Richtungen  hin  aus.  Ein  Asket  von  diesen,  der  durch  seine 
Heilungen  und  Wunderkuren  sehr  berühmt  geworden  war, 
Namens  Mattai,  wanderte,  begleitet  von  anderen  Klosterbrüdern, 
in  die  Diöcese  Nlnwe  aus,  weil  die  Christen  dazumal  im  Perser- 
reiche Ruhe  hatten.  Er  Hess  sich  auf  einem  grossen  und  mäch- 
tigen Gebirge  daselbst  nieder,  und  lange  dauerte  es  nicht,  bis 
sich  der  Ruhm  des  heiligen  Herrn  Mattai  auch  dort  verbreitet 
hatte.  Die  Mönche,  die  um  ihn  waren,  hatten  ihren  Lebens- 
unterhalt von  den  Kuren,  die  Mattai  bei  den  Christen,  die  zu 
ihnen  kamen,  verrichtete.  Als  im  weiteren  Verlauf  Behnam  und 
seine  Schwester  Sara  von  Mattai  getauft  und  von  ihrem  Vater 
hingerichtet  waren,  baute  dieser,  schliesslich  selbst  bekehrt,  für 
Herrn  Mattai  das  Kloster  auf  dem  Berge,  d.  h.  dem  Berge  Al- 
pheph,  nach  den  Tausenden  (=  Alphajeh)  von  Mönchen  genannt, 
die  auf  dem  Gebirge,  theils  in  Felsspalten,  theils  in  Höhlen, 
theils  in  Höfchen,  d.  h.  Hürden,  wohnten. 

Die'  letzte  dieser  Nachrichten,  und  wahrscheinlich  doch  wohl 
auch  die  zweite,  welche  die  Gründung  des  Klosters  Mor  Mattai 
nach  den  Lebzeiten  des  Verfassers  oder  doch  sicher  nach  Abfas- 
sung unserer  Homilien  setzen,  schliessen  beide  aus,  dass  Aphrahat 
Abt  dieses  Klosters  gewesen  sein  könne.  Gründe,  die  dem 
einen  oder  dem  anderen  der  drei  vorliegenden  Berichte  den  Vor- 
rang geben  würden,    finden  wir  weder  in   den  Berichten  selbst, 


1)  Rieh  in  Ritters  Erdlvunde  IX  S.  732  ff. 

2)  Brit.  Mus.  Ms.  Add.  12,  174  fol.  347  vers.    S.  Hoffmann,  Auszüge 
aus  syrischen  Akten  persischer  Märtyrer  S.  9. 


Einleitung.  XIX 

noch  ausserhalb  derselben.  Die  Frage,  ob  Aphrahat  Abt  des 
Klosters  Mor  Mattai  gewesen  sein  könne,  ist  nicht  bloss  von 
der  Glaubwürdigkeit  der  Nachrichten  über  dieses  Kloster,  son- 
dern auch  von  der  Frage  abhängig,  ob  zur  Zeit  Aphrahats  das 
Mönchsleben  schon  so  weit  entwickelt  war,  dass  sich  die  Mönche 
zu  gemeinsamem  Leben  in  Klöstern  vereinigten.  Bis  jetzt  liegt 
keine  sichere  Antwort  auf  diese  Frage  vor.  In  unsern  Homi- 
lien,  insbesondere  in  liom.  VI  ,Von  den  Bundesbrüdern",  finden 
wir  keine  Nachrichten,  die  zur  Beantwortung  dieser  Frage  dienen 
könnten  (s.  hom.  VI,  Anm.  1).  Hiernach  müssen  wir  auch  die 
Frage,  ob  Aphrahat  Abt  des  Klosters  Mor  Mattai  gewesen  sei, 
unbeantwortet  lassen. 

Welche  Anhaltspunkte  zur  Bestimmung  ihres  Entstehungs- 
ortes geben  uns  nun  die  Homilien  selbst?  In  der  bereits  mit- 
getheilten  Unterschrift  der  22.  Homilie  gibt  uns  Aphrahat  die 
Zeitbestimmung  nach  den  Kegierungsjahren  „des  persischen 
Königs";  und  in  der  Unterschrift  der  23.  Homilie  gibt  uns 
Aphrahat  als  Abfassungszeit  derselben  an:  „Das  36.  Jahr  Scha- 
burs, des  Königs  von  Persien,  der  die  Verfolgung  veranstaltete, 
im  5.  Jahre,  seitdem  die  Gemeinden  ausgerottet  wurden,  im  Jahre, 
da  das  grosse  Morden  der  Blutzeugen  im  östlichen  Lande  war" 
In  der  Unterschrift  der  14.  Homilie  giebt  uns  Aphrahat  als  Ab- 
fassungszeit der  letzteren  das  35.  Jahr  Schaburs,  des  Königs  von 
Persien,  an. 

Aus  diesen  Zeitbestimmungen  nach  den  Regierungsjahren 
des  persischen  Königs  Schabur  können  wir  wohl  mit  Sicherheit 
schliessen,  dass  der  Verfasser  dem  persischen  Reiche  selbst  an- 
gehört hat.  Denn  bei  dem  Verhalten  Schaburs  gegen  die 
Christen,  wie  es  in  der  eben  angeführten  Unterschrift  angegeben 
ist,  und  bei  der  Gesinnung,  wie  sie  Aphrahat  in  der  5.  Homilie 
gegen  Schabur  und  sein  Reich  ausspricht,  hätte  unser  Verfasser 
gewiss  nicht  seine  Zeitbestimmung  nach  den  Regierungsjahren 
dieses  Königs  gegeben,  wenn  er  nicht  selbst  seinem  Reich  an- 
gehört hätte.  Ferner  macht  nicht  bloss  die  Abfassung  unserer 
Homilien  in  syrischer  Sprache,  sondern  ganz  besonders  der  Cha- 
rakter der  Sprache  in  unsern  Homilien  es  uns  zur  Gewissheit, 
dass  diese  in  dem  syrisch  redenden  Theil  des  persischen 
Reichs  entstanden  sind.  Die  Sprache  unserer  Homilien  ist  rein 
von  den  sonst  bei  den  Syrern   so   beliebten  Fremdwörtern,   und 


XX 


Einleitunc 


ihre  Syntax  hat  eine  solche  specifisch  semitische  Form,  dass 
Noeldeke  (Mandäische  Grammatik,  Halle  1875,  p.  XXI)  be- 
hauptet, dass,  wer  eine  syrische  Syntax  schreiben  wolle,  sich 
hauptsächlich  an  Aphrahat  halten  müsse.  Eine  auffallende  Er- 
scheinung ist  ferner,  dass  in  unsern  Homilien  die  Arianischen 
Streitigkeiten,  die  zur  Zeit  der  Abfassung  unserer  Homilien  ganz 
Westsyrien  in  Bewegung  setzten,  mit  keinem  Wort  erwähnt 
Averden.  Am  Schluss  der  XXIII.  Homilie  spricht  er  von  der 
diokletianischen  Verfolgung,  die  gerade  die  römischen  Länder  in 
Asien  besonders  betraf,  als  der  „über  unsere  Brüder  im  Westen 
in  den  Tagen  Diokletians  verhängten  Verfolgung".  Dies  Alles 
macht  es  wahrscheinlich,  dass  wir  den  Abfassungsort  unserer 
Homilien  in  Ostsyrien  zu  suchen  haben.  Eine  Bestätigung  findet 
dieses  dadurch,  dass  Aphrahat  gegen  die  gnostischen  Sekten  der 
Marcioniten,  Valentinianer  und  Manichäer,  die  zu  seiner  Zeit  in 
Ostsyrien  blühten'),  polemisirt. 

Hiei-uach  lassen  uns  unsere  Homilien  selbst  als  ihre  Hei- 
math den  unter  persischer  Oberhoheit  ^)  stehenden  Theil  von 
Ostsyrien  erkennen.  Da  das  Kloster  Mor  Mattai  in  diesem  Theil 
Syriens  gelegen  ist  ^) ,  so  würde  demnach  der  Inhalt  unserer 
Homilien  selbst  nicht  gegen  die  Annahme  dieses  Klosters  als 
ihres  Abfassungsortes  sein ''). 

Unsere  Homilien  nennen  sich  selbst  mit  den  verschiedensten 
Namen,  Die  Ueberschriften  der  einzelnen  Homilien  bezeichnen 
diese  als  ];_i».z,  demonstratio,  institutio,  Unterweisung,  Abhand- 
lung, Belehrung  •').     In  dem  Texte  selbst  werden  sie  bezeichnet 


1)  hom.  III,  §  6.    hörn.  VI,  §  15.    bom.  XXIII,  S.  409  f. 

2)  Nisibis,  das  der  Araberbischof  Georg  nennt,  ist  also  ausgeschlossen, 
denn  dies  kam  erst  in  dem  schimpflichen  Frieden  Jovians  364  an  das 
neupersische  Reich. 

3)  Mosul  mit  seiner  Umgebung  ist  schon  von  Ardasir  I,  dem  ersten 
der  Sasaniden- Könige,  ums  Jahr  230  erobert  worden. 

4)  Nöldeke  (in  „Göttingische  gelehrte  Anzeigen"  S.  1530)  glaubt  auch  in 
gewissen  Spracherscheinungen  bei  Aphr.  Eigenthümlichkeiten  der  Sprache 
der  Ostsyrer  erkennen  zu  dürfen,  z.  B.  dass  sich  bei  Aphr.  keine  der  län- 
geren Perfect-  und  Imperativformen  auf  N  findet,  wie  .c  in  der  3.  pl.  m. 
Perf.,  2.  pl.  m.  Imper.,  _*  in  der  3.  pl    f.  Perf.,  ^  in  der  1.  pl.  Perf. 

5)  Ebenso  hom.  XXII  Schluss. 


Einleitung.  XXI 

als  jjii^lLc  1;,  Reden,  Uj.^1 -),  Briefe,  ^■j.sr^),  Schriften,  Bücher, 
j.j?cnai.^)  oder  nach  B  jy^aJi,  Erinnerungen. 

Diese  Bezeichnungen  kehren  bei  späteren  syrischen  Schrift- 
stellern, von  denen  unsere  Horailien  erwähnt  werden,  wieder. 
Der  Araberbischof  Georg  nennt  sie  in  seinem  Brief  an  den  Pres- 
byter Jesus  \L^a^z  und  ]^^] ;  beide  Bezeichnungen  finden  wir  bei 
Gregorius  Barhebraeus ') ;  Ebedjesus  Sobiensis'')  nennt  sie  jjicUß. 

Die  Bezeichnung  --jäsj,  Bücher  oder  Schriften,  ist  die  all- 
gemeinste. Die  Bezeichnung  |j?cTiiV.,  Erinnerungen,  nennt  uns 
den  Zweck,  den  die  Homilien  für  den  Leser  haben.  Die  beiden 
Bezeichnungen  ]l^s^z  und  Ijiscjjie,  Untersuchungen  oder  Abhand- 
lungen, und  Reden  oder  Homilien,  nennen  uns  die  Form  der 
Darstellung,  wälirend  uns  die  Bezeichnung  l^rJi,  Brief,  die 
äussere  Form  nennt,  in  die  der  Verfasser  seine  Abhandlungen 
oder  Reden  gekleidet  hat. 

Der  Verfasser  gibt  uns  nämlich  die  Homilien  als  Antwort 
auf  einen  Brief,  in  dem  ein  uns  Unbekannter  ihn  über  verschiedene 
Gegenstände  des  Glaubens  um  Rath  fragt.  Dieser  Brief  ist  in 
der  Ausgabe  des  syrischen  Textes  von  Wright  und  dem  ent- 
sprechend auch  in  der  vorliegenden  Uebersetzung  den  Homilien 
vorgedruckt.  In  den  der  Ausgabe  von  Wright  zugrunde  liegen- 
den Manuscripten  sind  uns  nur  Bruchstücke  dieses  Briefes  er- 
halten; Ms  B  bietet  uns  nur  wenige  Zeilen,  und  Ms  A  enthält 
den  Brief  von  der  6.  Zeile  an.  In  der  armenischen  Bearbeitung 
mit  der  lateinischen  Uebersetzung  unserer  Homilien  ist  uns  der 
ganze  Brief  erhalten.  Die  im  Syrischen  fehlenden  5  ersten  Zeilen 
mit  der  Ueberschrift  haben  wir  in  der  Anmerkung")  aufgenommen. 

In  der  armenischen  Uebersetzung  trägt  dieser  Brief  die 
Ueberschrift:  „Brief  unseres  heiligen  Gregor  Illuminator  an  den 
heiligen  Jakob,  Bischof  von  Nisibis".  Gregor  Illuminator,  dessen 
Wirksamkeit  in  das  letzte  Drittel  des  3.  Jahrhunderts  fällt,  kann 


1)  hom.  X  §  5.    hom.  XXII  Schluss. 

2)  S.  den  Anfang  der  1.  Homilie.    Ueberschrift  der  hom.  X  u.  A. 

3)  hom.  X  §  7. 

4)  hom.  X  §  5. 

5)  Greg.  Barhebraeus,  Chron.  eccles.  ed.  Abbeloos  III,  p.  33;  I,  85. 

6)  Bibl.  or.  Clement.  Vat.  III,  1.  S.  85. 

7)  S.  1,  Anm.  1. 


xxn  Einleitung. 

unmöglich  der  Schreiber  unseres  Briefs  sein.  Mau  darf  aber 
aus  dieser  in  der  armenischen  Uebersetzung  sich  findenden  Ueber- 
schrift  schliessen,  dass  der  Schreiber  des  Briefs  Gregor  geheissen 
hat  1).  Wie  die  armenische  Uebersetzung  für  unseren  weniger 
bekannten  Jakub-Aphrahat  ohne  weiters  den  bekannteren  Jakob, 
Bischof  von  Nisibis,  gesetzt  hat,  so  erkannte  sie  in  dem  sonst 
nicht  näher  bezeichneten  Gregor  sofort  den  berühmten  Apostel 
der  Armenier,  Gregorius  Illuminator. 

In  der  uns  vorliegenden  Sammlung  der  23  Homilien  lassen  sich 
deutlich  drei  Abtheilungen  unterscheiden.  Zunächst  bilden  die  22 
ersten  Homilien  ein  in  sich  abgeschlossenes  Ganzes.  Die  23.  Homilie 
ist  erst,  nachdem  diese  Sammlung  zum  Abschluss  gekommen  war, 
aus  einer  besonderen  Veranlassung  entstanden.  Dass  die  22  ersten 
Homilien  nach  der  Absicht  Aphrahats  ein  in  sich  abgeschlossenes 
Ganzes  ])ilden  sollten,  erkennen  wir  schon  aus  der  alphabetischen 
Ordnung  derselben,  ferner  aus  dem  Schluss  der  XXII.  wie  derXXHI. 
Homilie.  Letztere  ist  ein  Jahr  nach  Abschluss  der  Sammlung 
der  22  ersten  Homihen  aus  Anlass  der  von  König  Schabur  über 
die  Christengemeinden  verhängten  Verfolgungen,  als  Antwort  auf 
einen  an  Aphrahat  gerichteten  (uns  nicht  mehr  erhaltenen)  Brief, 
geschrieben  und  gibt  Antwort  auf  mehrere,  durch  die  Ver- 
folgungen veranlasste  Fragen-). 

Die  Sammlung  der  22  ersten  Homilien  zerfallt  wieder  in  zwei 
Abtheilungen,  nämlich  hom.  I — X  und  hom.  XI — XXII.  Diese 
Trennung  ist  von  dem  Verfasser  selbst  deutlich  angegeben  in 
dem  Schluss  der  X.  und  der  XXII.  Homilie:  Beide  Abtheilungen 
gehören  verschiedenen  Abfassungszeiten  an,  hom.  I — X  dem  Jahre 
336/37  p.  Chr.,  hom.  XI— XXII  dem  Jahre  343,44  p.  Chr.  Auch 
in  ihrem  Inhalt  sind  beide  Abtheilungen  verschieden.  In  den 
Homilien  der  2.  Abtheilung  mit  Ausnahme  von  hom.  XIV, 
XX  und  XXII  polemisirt  Aphrahat  gegen  die  Juden,  während 
in  der  1.  Abtheilung  diese  Polemik  vollständig  fehlt. 

Dass  diese  beiden  Abtheilungen,  hom.  I—X  und  hom.  XI — XXII, 
auch  in  2  Bände  getheilt  im  Umlauf  waren,  sehen  wir  aus  Hand- 
schrift B  und  B  und  aus  der  unten  mitzutheilenden  Notiz  des 
Ebedjesus  Sobiensis. 


J)  Vgl.  auch  Sasse  S.  9. 

2)  Siehe  Anfang  der  XXIII.  Homilie. 


Einleitung.  XXIII 

Die  alphabetische  Ordnung^),  die  wir  bei  den  22  ersten 
Homilien  finden,  d.  h.  die  Einrichtung,  dass  jede  derselben  mit 
einem  der  22  Buchstaben  nach  der  Reihenfolge  des  syrischen 
Alphabets  beginnt,  ist  eine  bei  semitischen  Schriftstellern  öfters 
vorkommende  Form  -).  Dass  diese  Ordnung  bei  unseren  Homilien 
von  Aphrahat  selbst  herrührt,  ersehen  wir  aus  dem  Schluss  der 
X.,  XXII.  und  XXllI.  Homilie.  Am  Schluss  der  X.  Homilie  nennt 
uns  der  Verfasser  auch  den  Grund  der  Anwendung  derselben: 
„Diese  zehn  Schriften,  die  ich  dir  geschneiten  habe,  hängen  unter 
einander  zusammen  und  sind  eine  auf  die  andere  gebaut,  trenne 
sie  nicht  von  einander;  von  Aleph  bis  Jud  habe  ich  dir  ge- 
schrieben, einen  Buchstaben  nach  dem  anderen'". 

Verfolgen  wir  nun  die  Geschichte  unserer  Homilien  in  der 
christlichen  Kirche,  so  finden  wir  in  ihrer  Heimath,  der  syrischen 
Kirche,  nur  wenige  Spuren  ihrer  Benutzung  und  ihres  Einflusses. 
Von  den  syrischen  Schriftstellern,  deren  Schriften  uns  erhalten 
sind,  ist  der  älteste,  bei  dem  wir  eine  Benutzung  unserer  Homilien 
und  Anklänge  an  dieselben  finden,  Isaak  von  Antiochien  ^in  der 
ersten  Hälfte  des  5.  Jahrhunderts)  '■^). 

Der  älteste  Zeuge  in  der  syrischen  Kirche,  der  unseren  Ver- 
fasser und  seine  Homilien  ausdrücklich  erAvähnt  und  bespricht, 
ist  der  Araberbischof  Georg  in  seinem  bereits  angeführten  Brief 
an  den  Presbyter  Jesus  ^). 

Bei  dem  syrischen  Lexicographen  Jesu  Bar  Bahlul  (10. 
Jahrh.)  finden  wir  die  Notiz  unter  dem  Namen  Aphrahat:  i^as 
—kialiJiLißj  ^]  i^jßfS  ]\r.~ ^  a_c3i?  .  ?i^?,  „dass  der  im  Buch  vom 


1)  In  der  armenischen  Bearbeitung  ist  diese  alpliabetisclie  Ordnung 
selbstverständlich  nicht  mehr  erkennbar.  Die  19  Homilien,  die  wir  in  der 
armenischen  Bearbeitung  noch  haben,  sind  hier  auch  in  anderer  Reiben- 
folge aufgeführt,  als  im  syrischen  Text. 

2)  S.  Psalm  25.  34.  37.  111.  112.  119—145.  Klagel.  1  —  4.  Prov.  31, 
10 — 31.  Lucubrationes  alphabetico  ordine  digestas  Ephraemus  scripsisse 
perhibetur  ab  Kbedjesu.  Assem.  Bibl.  or.  T.  I.  p.  58.  59.  59.  T.  111.  P.  I.  p.  63. 

3)  S.  Bickell  S.  22.  S.  Isaaci  Antiocheni,  doctoris  Syrorum,  opera 
omnia  ed.  G.  Bickell.  T.  I.  Gissae  1873.  Vgl.  insbes.  Isaaks  Gedicht  über 
das  Paschafasten  (1,  p.  251  ff.)  V.  50—70  und  115  tf.  mit  hum.  111  i;  2.  3  f.; 
ferner:   Carm.  VIII  (I,  p.  85  tf.)  V.  1290  f.  mit  hom.   I   §   10. 

4)  S.  Einleitung  S.  XI,  Anm.  H.  Der  Brief  ist  im  Jahre  714  p.  Chr. 
geschrieben. 


xxrv  Einleitung. 

Paradies  erwähnte  Aphrahat  nach  der  Ueber lieferung  der  per- 
sische Weise  sei  ^)''. 

Elias  Bersiuaeus  (1 1.  Jahrh.)  führt  die  genealogischen  Zahlen 
Aphrahats  aus  der  XXIII.  Hom.  (S.  474  des  syr.  Textes'  an  mit 
den  Worten:  i^js-^s  j  Vi . -, ..  -nZoir^b  U-^'  t-l  >«?l  ^^-^?  1~«J^;  -»die 
Jahre  des  Hauses  Adam  nach  der  Berechnung  Aphrahats,  des 
persischen  Weisen"  -}. 

Gregorius  Barhebraeus  (-f-  1286)  i^Chronic.  eccl.  ed.  Abbe- 
loos  et  Lamy,  Lovan.  1877  III  p.  33)  schreibt:  ).jti?  au^i^o 
)^2o  ?iJ:^  ^]?  ?]nr^  n  Vi  4 7  \..ä^f^  j  V) « ^1  M  ]c^  ^,_«Z^ 
i  ]Zcz]  \^  ^i-^1  ..OSO  2w-l-.?ojai.  ,Und  zu  seiner 
Zeit  (nämlich  des  Bischofs  Papa  von  Seleucia)  war  bekannt 
der  persische  Weise,  dessen  Namen  Pharhaad  ist,  der  ein 
Buch  „der  Ermahnung"  in  syrischer  Sprache  geschrieben  hat 
und  22  Briefe  nach  dem  Alphabet."  Die  Schrift  ]zsJ.-.<ii^j,  der 
Ermahnung,  die  Aphrahat  nach  Barhebraeus  geschrieben  haben 
soll,  ist  wohl  unsere  XXIII.  Homilie  „von  der  Weinbeere",  da 
Barhebraeus  sie  von  den  22  in  alphabetischer  Ordnung  ge- 
schriebenen Homilien  trennt.  Der  angeführte  Titel  würde  mehr 
der  XIV.  Homilie  In^i  |^g_.»z  entsprechen  3). 

Wright  ^)  führt  noch  die  Stellen  Barhebr.  Chron.  eccl.  I,  85 
an:  ^iz  ^sici^l?   |~»JOi^    )Vi«n.M,    ■  f^^i  .y  ]\r,.^.^   _=]o  ^?  ''^|->z] 

]^J^z^Zj  J^z^  f£iL.o  wia-A.  „Es  ist  auch  bekannt  der  weise  Buzitis, 
der  persische  Weise,  welcher  ist  rechtgläubig  und  ein  Buch 
Unterweisungen  geschrieben  haU'.  W^right  meint,  Buzitis  sei 
durch  einen  Irrthum,  vielleicht  nur  durch  einen  Schreibfehler 
eines  Abschreibers,  aus  ■  ^'  Z^j^Q)  entstanden.  Es  war  dies  an 
sich  schon  sehr  unwahrscheinlich.  Sasse '")  hat  die  richtige 
Erklärung     gefunden.       In     den     Handschriften    von     Barhebr. 

oper.  in  Cambridge  u.  Oxford  heisst  die  Stelle:  ^|   .  ^^  •  -|^ 

Ujs-fS   jjiÄ..^^  (cod.  Oxon.  ws]c);  Barhebraeus  hat  also  Buzitis  von 

1)  Smith,  thesaur.  syriac.  I,  Col.  350. 

2)  S.  Handschrift    des  Brit.  Mus.   Add.    7197   Chronic,  fol.  3  a.     Vgl. 
Wright  pref.  S.  38. 

3)  Vgl.  Sasse  S.  14.    Forget  S.  137. 

4)  Wright,  Pref.  S.  2  f. 

5)  Sasse  S.  6,  Anm.  5. 


Einleitung.  XXT 

dem  „persischen  Weisen"  unterschieden.  Dies  geht  auch  aus 
Chron.  eccl.  11  S.  866  u.  922  f.  hervor. 

Der  Nestorianerbischof  Ebed  Jeschua  (f  1318)  berichtet  uns 
in  seinem  Katalog  syrischer  Kirchenschriftsteller'):   ^.^^  ^^ir^i 

i,^^  oV],  „Der  selige  Aphrahat,  der  persische  Weise,  schrieb 
zwei  Bände,  ebenso  Reden,  die  nach  dem  Alphabet  geordnet 
sind".  Nach  dieser  Mittheilung  hätte  Aphrahat  zwei  Werke  hin- 
terlassen, ein  zweibändiges  und  ausserdem  Reden  nach  alpha- 
betischer Ordnung.  Es  ist  aber  dies  wohl  nur  ein  Irrtlium  des 
Ebed  Jeschua.  Unsere  HomiKen  sind  selbst  das  zweibändige 
Werk:  1.  Bd.  hom  1— X,  2.  Bd.  hom  XI-XXIII,  wie  auch  die 
Handschrift  B  B.  die  Wright's  Ausgabe  zu  Grunde  liegt,  in  zwei 
Manuscripte  getheilt  ist. 

Der  einzige  Zeuge  aus  dem  Abendland  für  unsere  Homilien 
ist  Gennadius,  der  aber,  wie  die  armenische  Bearbeitung,  dieselben 
dem  Bischof  Jakob  von  Nisibis  zuschreibt.  Er  schreibt  in  seiner 
490—495  verfassten  Fortsetzung  der  Schrift  De  viris  illustribus 
des  Hieronymus -) :  „Jacobus,  cognomento  Sapiens,  Nisibenae 
nobilis  Persarum  modo  civitatis  episcopus,  unus  ex  uumero  sub 
Maxünino  persecutore  confessorum,  et  eorum  qui  in  Nicaena 
synodo  Arianam  perversitatem  homousii  oppositione  damnanint. 
Hunc  visum  beatus  Hieronymus  in  libro  Chronicou  velut  magna- 
rum  virtutum  hominem  nominans  in  Catalogo  cur  non  posuerit, 
lacile  excusabitur,  si  consideremus.  quod  ipsos  tres  vel  quatuor 
Syros,  quos  posuit,  et  interpretatos  in  Graecum  se  legisse  testetur. 
Unde  constat  eum  illo  tempore  ignorasse  Sjnram  linguam  vel 
litteras  et  ideo  hunc.  qui  necdum  versus  est  in  aliam  linguam, 
nescisse  scriptorem.  Comprehendit  autem  omne  opus  suum  in 
viginti  sex  libris,  id  est,  de  fide;  contra  haereses;  de  charitate 
generali;  de  jejuniis;  de  oratione;  de  dilectione  erga  proximum 
speciali;  de  resurrectione;  de  vita  post  mortem:  de  humilitate; 
de  patientia;  de  poenitentia;  de  satisfactione;  de  virginitate;  de 
sensu  animae;  de  circumcisione;  de  acino  benedicto,  pro  quo  in 
Isaia  LXV,  8  legitur:  Non  est  exterminandus  botrus;  de  Christo, 
quod  Filius  Dei  sit,  et  consubstantialis  Patri;   de  castitate;  ad- 

1)  Assemani  Bibl.  Or.  T.  I.  p.  539.  T.  III.  pars  I.  p.  3. 

2)  Migne,  Patrologiae  cursus  completus.  Paris  1847.  Tom.  58.  p.  1061  f. 


XXVI  Einleitung. 

versus  gentes;  de  coustructione  tabernaculi;  de  gentium  conver- 
satione;  de  reguo  Persarum;  de  persecutione  Christianorum. 
Composuit  et  Chronicon  minoris  quidem  Graecorum  curiositatis, 
sed  majoris  fiduciae  etc." 

Diese  Aufzählung  der  Abhandlungen  bei  Gennadius  lässt 
keinen  Zweifel  darüber,  dass  sich  dieselbe  auf  unsere  23  Homilien 
bezieht.  Die  Aenderungen  in  der  Reihenfolge  und  in  den  Ueber- 
schriften,  die  zum  Theil  nur  ungenau  den  Inhalt  der  Homilien 
■wiedergeben,  machen  es  uns  wahrscheinlich,  dass  Gennadius 
letztere  nicht  selbst  vor  Augen  gehabt,  sondern  nur  nach  Hören- 
sagen über  sie  berichtet  hat.  Sasse  ^)  spricht  die  Vermuthung  aus, 
dass  Gennadius  seine  Mittheilungen  dem  Johannes  Cassianus, 
der  sehr  viele  Klöster  in  Syrien  und  Aegypten  besucht  und  im 
Jahre  415  zu  Massilia  zwei  Klöster  gegründet  hat,  verdanke,  und 
von  diesem  auch  den  Irrthum  bezüglich  des  Namens  unseres 
Verfassers  überkommen  habe.  Doch  mehr  als  eine  Vermuthung 
lässt  sich  hierin  nicht  aussprechen. 

Da  Gennadius  selbst  nur  24  Abhandlungen  aufzählt,  so  mag 
die  vorausgenannte  Zahl  26  auf  einem  Schreibfehler  eines  Ab- 
schreibers beruhen.  Unter  dem  Chronicon  haben  wir  ohne 
Zweifel  unsere  23.  Homilie  „über  die  Weinbeere"  zu  verstehen. 
In  dieser  gibt  uns  Aphrahat  genealogische  Berechnungen,  um 
den  Nachweis  zu  führen,  dass  die  gesegnete  Weinbeere  von 
Adam  bis  auf  Christus  erhalten  worden  sei.  Diese  Homilie  ist 
zwar  schon  vorher  unter  dem  Titel:  „De  acino  benedicto,  pro 
quo  in  Isaia  LXV,  8  legitur:  Non  est  exterminandus  botrus" 
genannt,  doch  lässt  sich  ein  Irrthum  hierin  bei  der  Unzuver- 
lässigkeit  des  ganzen  Berichts  des  Gennadius,  insbesondere  bei 
der  Ungenauigkeit  in  der  Wiedergabe  der  Ueberschriften  leicht 
erklären. 

Grösseren  Einfluss  als  in  ihrer  Heimath,  der  syrischen  Kirche, 
haben  unsere  Homilien  in  der  benachbarten  armenischen  Kirche 
ausgeübt,  und  zwar  bis  in  die  jetzige  Zeit.  Hier  waren  sie  übri- 
gens, wie  bereits  oben  angeführt  ist,  nur  unter  dem  Namen 
•Jakobs  von  Nisibis  bekannt.  Von  den  bis  jetzt  bekannten  arme- 
nischen Schriftstellern  ist  der  im  10.  Jahrh.  lebende  Gregor  von 
Nariek^)  der  älteste,  der  sie  erwähnt.     Doch  ist  die  Entstehung 

1)  a.  a.  0.  S.  15. 

2)  Antonellus  p.  XLII  ,Libros  mundo  utiles  ac  salutares  scripsit  (Ja- 


Einleitung.  xxvii 

der  armenisclien  Uebersetzung  nach  Sasse  ^)  wohl  ohne  Zweifel 
in  die  klassische  Zeit  der  armenischen  Litteratur,  das  5.  Jahr- 
hundert, in  der  ein  reger  wissenschaftlicher  Verkehr  zwischen 
Armenien  und  Syrien  bestand,  zu  setzen.  Das  schliesst  Sasse 
aus  dem  Charakter  der  Sprache  dieser  Uebersetzung,  in  der  sich 
einige  grammatische  Formen,  die  nur  in  jeuer  Zeit  vorkommen, 
finden.  Als  genauere  Grenze,  innerhalb  deren  die  Ueber- 
setzung entstanden  sein  müsse,  nimmt  derselbe  die  Jahre  432  u. 
500  an.  Der  Uebersetzer  kennt  nämlich  schon  die  armenische 
Bibelübersetzung,  welche  im  Jahre  432  entstanden  ist;  ferner 
hat  derselbe  die  Stelle  hom.  II,  §  13,  nach  welcher  das  Ende  der 
Welt  nach  6000  Jahren  (d.  i.  im  Jahre  500  n.  Chr.  nach  da- 
maliger armenischer  Zeitrechnung;  zu  erwarten  sei,  unverändert 
in  seine  Uebersetzung  aufgenommen.  Wäre  die  Uebersetzung 
nach  dem  Jahre  500  n.  Chr.  entstanden,  so  hätte  der  Ueber- 
setzer wohl  diese  Stelle,  wie  er  es  auch  bei  anderen  gethan  hat, 
geändert. 

Nach  Sasse  hat  sich  der  armenische  Uebersetzer,  mit  genauer 
Kenntniss  des  Syrischen  ausgerüstet,  im  Allgemeinen  bemüht, 
eine  genaue  und  treue  Uebersetzung  des  Urtextes  zu  geben,  so- 
dass er  sogar  einige  Eigenthümlichkeiteu  der  syrischen  Sprache 
in  die  armenische  Uebersetzung  herübergenommen  hat.  An 
vielen  Stellen  aber  habe  er  offenbar  falsch  übersetzt,  sei  es,  dass 
er  einen  fehlerhaften  S}Tischen  Text  vor  sich  gehal)t  oder  un- 
genau gelesen  habe.  Zuweilen  habe  er  auch  willkürlich  Zusätze 
gemacht  oder  auch  den  Text  abgekürzt.  Besonders  häufig  sei 
der  Fall,  dass  ein  Wort  des  syrischen  Textes  durch  zwei  syno- 
njTiie  Wörter  im  Armenischen  wiedergegeben  werde  -). 

Anzeichen  dafür,  dass  Mehrere  an  der  Uebersetzung  gearbeitet 
haben,  kann  Sasse  nicht  finden;  er  kann  auch  dem  Urtheil  des 
Antonellus  nicht  zustimmen:  stilum,  modum  ac  rationem  scribendi 
homiliae  XIV.  dissimilem  esse  minimeque  cum  aliis  sermonibus 
seu  epistolis  consentientem. 


•cobus  Nisibenus)  rebus  praeclare  definitis  et  ad  rationis  exame*»'  exactis 
maledicorum  ora  obstruxit  et  haereticam  sectam  obmutescere  f'ecit  et  in- 
delebiles  regulas  perpetuo  stabilivit. 

1)  Sasse  S.  25. 

2)  Gewöhnliche   Uebersetzungsmethode,  Merx   auf  Grund  der  Ver- 
gleichung  der  armenischen  Uebersetzung  des  Eusebius. 


xxvni  Einleitung. 

Der  syrisclie  Text,  welcher  der  armenischen  Uebersetzung 
zu  Grunde  liegt,  stimmt  fast  immer  mit  der  jüngeren  der  der 
Ausgabe  von  Wright  zu  Grunde  liegenden  Handschriften  (A) 
überein.  Doch  hat  derselbe  auch  seine  eigenen  Lesarten,  die  mit 
den  von  Wright  benutzten  beiden  Handschriften  nicht  überein- 
stimmen, und  die  den  Lesarten  derselben  vorzuziehen  sind. 

Die  oben  mitgetheilte  Nachricht  desGennadius,  in  welcher  dieser 
unsere  Homilien  Jakob  von  Nisibis  zuschreibt,  blieb  im  Abend- 
lande die  einzige  Kunde  von  dem  Vorhandensein  unserer  Homi- 
lien. Es  tauchen  indess  wiederholt  Zweifel  über  die  Richtigkeit 
dieser  Nachricht  auf.  Solche  Zweifel  finden  wir  u.  A.  von  dem 
Jesuiten  Job.  Garnerus  ^)  (Ende  des  17.  Jahrh.)  ausgesprochen. 
Er  begründet  dieselben  mit  dem  Schweigen  der  kirchlichen  Schrift- 
steller, insbesondere  des  Theodoret,  der  uns  einen  genauen  Bericht 
über  das  Leben  Jakobs  von  Nisibis  gibt,  über  Schriften  desselben. 
Diesen  Zweifeln  schloss  sich  zuerst  Sim.  Assemani  ('Bibl.  orient. 
tom.I)  an,  indem  er  zugleich  dieVermuthung  aussprach,  dass  nicht 
Jakob  von  Nisibis,  sondern  Jakob  von  Sarug  (451 — 521)  der 
Verfasser  unserer  Homilien  sei.  Nachdem  er  aber  von  Petrus 
Mechitar,  Abt  des  armenischen  Klosters  in  Venedig,  Nachricht 


1)  Op.  Theodor,  tom.  V.  p.  200.  s  Anton,  p.  VII.  Observanclum ,  de 
doctrina  librisque  Jacobi  Nisibeni  nihil  a  Theodoreto  scriptum  esse,  cum 
tarnen  ad  commendationem  plurimum  faceret :  nihil  ab  Hieronymo ,  sive 
in  Chi'onico,  sive  in  Catalogo  Scriptorum  ecclesiasticorum;  nihil  pariter 
ab  Hebed  Jesu,  diligente  caeteroquin  librorum  Syrorum  inquisitore;  nihil 
ab  uUo  veterum ,  praeter  unum  Gennadium ,  qui  viginti  quattuor  libros 
recenset.  Verum  Gennadii  auctoritas  non  videtur  mihi  tanta,  ut  omnem 
scrupulum  evellat.  Unde  enim  novit  Syriaca  opera,  qui  vix  novit  Graeca? 
Unde  seit  a  Hieronymo  praeterita,  propterea  quod  nondum  in  Graecam 
linguam  versa  essent,  nee  Hieronymus  intelligeret  adhuc  Syriacam  lin- 
guam?  An  conversa  fuerunt  postea  et  in  Graecam  et  in  Latinam  linguam, 
ut  innotescere  possent  Gennadio,  non  peritissimo,  ut  videtur,  linguae 
Graecae?  Si  conversa  sunt  in  utramque  linguam,  quomodo  perierunt 
omnino,  cum  forent  in  triplicem  quasi  orbem  sparsa,  Latinum,  Graecum 
et  Syrum?  Cur  nulli  veterum  nota;  ne  Photio  quidem,  tanto  scriptorum 
veterum  tamque  curioso  censori?  Augetur  ex  eo  suspicio,  quod  Gennadius 
cognomentum  Sapientis  Jacobo  tribuat  tamquam  vulgatum,  cuius  tarnen 
nemo  meminit,  nisi  qui  Gennadium  exscripsit.  Unde  crediderim  facile 
supposita  fuisse  Jacobo  Nisibeno  scripta,  quae  Jacobi  alterius,  ut  puto 
Amideni  Eremitae  clarissimi  forent.  Sed  in  tanta  obscuritate,  cui  ad- 
haeream,  nullus  scio. 


Einleitung.  XXIX 

von  einer  dort  vorhandenen  Handschrift  der  armenischen  Bear- 
beitung unserer  Homilien  und  zugleich  ein  Inhaltsverzeichniss 
derselben  erhalten  hatte,  zog  er  seinen  ausgesprochenen  Zweifel 
an  der  Abfassung  durch  Jakob  von  Nisibis  zurück.  Zugleich 
theilt  er  ein  Verzeichniss  der  Ueberschriften  der  Homilien  mit 
(Bibl.  or.  tom.  I  p.  557. 

Unter  dem  Namen  Jakobs  von  Nisibis  und  in  ihrer  arme- 
nischen Bearbeitung  sind  unsere  Homilien  im  Abendland  zuerst 
in  die  Oeffentlichkeit  getreten  und  zwar  in  der  von  Nicolaus 
Antonellus  im  Jahre  1756  besorgten  Ausgabe  ^).  Nie.  Ant.  hat 
keine  Kenntniss  davon,  dass  unsere  Homilien  ursprünglich 
syrisch  geschrieben  sind.  Er  vermuthet,  dass  die  diesbezügliche 
Nachricht  bei  Gennadius  auf  einem  Irrthum  beruhe.  Er  schreibt: 
Ad  haec  illud  etiam  addendum  esse  existimo  fieri  potuisse,  ut 
mendum  irrepserit  in  textum  Gennadii  et  pro  Syro  sermone 
legendum  esse  Armeno,  vel  etiam,  si  placet,  memoria  lapsum 
esse,  dum  scripsit  Syriaca  lingua,  non  autem  Armena. 

Die  Ausgabe  des  Antonellus  enthält  19  von  unseren  Homilien 
und  zwar  mit  folgenden  Ueberschriften:  1.  De  fide;  2.  de  dilec- 
tione;  3.  de  jejunio;  4.  de  oratione;  5.  de  hello;  6.  de  devotis; 
7.  de  poenitentia;  8.  de  resurrectione  mortuorum:  9.  de  humili- 
tate;  10.  de  pastoribus;  11.  de  circumcisione  contra  Judaeos; 
12.  de  sabbato  contra  Judaeos;  13.  de  ciborum  delectu;  14.  de 
pascha;  15.  de  ingressu  gentium  pro  populo  Judaeorum:  16.  de 
Christo,  t^uod  sit  filius  dei;  17.  de  virginitate  et  sanctitate 
contra  Judaeos;  18.  ad  versus  Judaeos  dicentes  synagogam  pro- 
pediem  instaurandam ;  19.  de  contentionibus  et  divisionibus,  seu 
schismatibus. 

In  den  11  ersten  Homilien  stimmt  die  Ordnung  der  arme- 
nischen Ausgabe  mit  derjenigen  des  syrischen  Textes  überein. 
Die  in  den  Handschriften  des  syrischen  Textes  als  14.  aufge- 
führte Homilie:  jja-^?,  in  der  armenischen  Uebersetzung:  de  con- 
tentionibus et  divisionibus  seu  schismatibus,  hat  Antonellus  an  den 
Schluss  gestellt  und  zwar,  wie  er  ausdrücklich  erklärt,  weil  ihm 
deren  Abfassung  durch  Jakob  von  Nisibis  zweifelhaft  erscheint  '^). 


1)  Sancti  Patris  nostri  Jatobi  Episcopi  Nisibeni  sermones  cum  prae- 
fatione,  notis  et  dissertatione  de  ascetis,  Romae  MDCCLVI. 

2)  Siehe  S.  2ü8  Anm.  zur  XIV.  Homilie. 


XXX  Einleitung.' 

Ob  die  übrigen  Aenderungen  in  der  Ordnung  der  Homilien 
XII — XVIII  schon  in  den  armenischen  Handschriften  von  Antonellus 
vorgefunden,  oder  von  ihm  selbst  vorgenommen  sind,  und  aus 
welchem  Grunde  letzteres  geschehen  ist,  geht  aus  seiner  Aus- 
gabe nicht  hervor.  Dass  die  Ordnung  in  der  armenischen  Ueber- 
setzung  ursprünglich  dieselbe  gewesen  ist,  wie  in  den  Hand- 
schriften des  syrischen  Textes,  geht  hervor  aus  der  Stelle  S.  309 
Z.  26  ff.:  Ich  will  dich  über  den  Sabbath  belehren,  wie  ich  dich 
über  die  Beschneidung  und  das  Pascha  belehrt  habe. 

Dem  armenischen  Text  ist  von  Antonellus  eine  lateinische 
Uebersetzung  beigegeben;  ferner  hat  er  eine  Einleitung,  reich- 
liche Anmerkungen,  eine  Abhandlung  de  Ascetis  und  eine  Zu- 
sammenstellung der  Schriftcitate  beigefügt.  Die  Ausgabe  von 
Antonellus  wurde  noch  wiederholt  abgedruckt,  und  zwar  1.  in 
Gallandii  biblioth.  vet.  patr.  tom.  V,  mit  gekürzter  Einleitung 
und  Weglassung  der  Anmerkungen.  2.  in  einer  Ausgabe  von 
Venedig  1765  mit  allen  Beigaben  der  Ausgabe  von  Antonellus. 
3.  in  einer  Ausgabe  von  Constantinopel  1824,  welche  nur  den 
armenischen  Text  enthält  ^). 

Erst  die  Ausgabe  des  syrischen  Textes  unserer  Homilien, 
von  Wright '-)  besorgt,  brachte  Licht  sowohl  über  die  Person  und 
den  Namen  des  Verfassers,  als  auch  über  die  ursprüngliche  Ab- 
fassung der  Homilien  in  syrisclier  Sprache. 

Die  Ausgabe  Wright's  enthält  auf  ^^.^z  =  508  Quartseiten 
den  syrischen  Text  unserer  23  Homilien,  der  22  ersten,  nach  dem 
Alphabet  geordneten,  und  der  23.  über  „die  Weinbeere".  In  den 
19  ersten  Homilien,  die  auch  in  der  römischen  Ausgabe  in  ar- 
menischer Uebersetzung  enthalten  sind,  ist  aus  dieser  Ausgabe 
die  Paragraph eneintheilung  herübergenommen  3).  In  die  An- 
merkungen sind  die  Textabweichungen  der  dieser  Ausgabe  zu 
Grunde  liegenden  Handschriften  A,  B  und  B  ■*),  und  die  Schrift- 

1)  Vgl.  Neumann,  Versuch  einer  Geschichte  der  armenischen  Litte- 
ratur.  Leipzig  1836.  S.  19. 

2)  The  homilies  of  Aphraates,  the  persian  sage,  edited  from  syriac 
manuscripts  of  the  fifth  and  sixth  centuries  in  the  british  museum,  with 
an  english  translation.  Vol.  I,  the  syriac  text.  Vol.  II,  das  die  englische 
Uebersetzung  bringen  sollte,  ist  bis  heute  noch  nicht  erschienen. 

3)  Dieselbe  ist  auch  in  vorliegender  Uebersetzung  beibehalten. 

4)  Der  überwiegend  grössteTheil  dieser  Textverschiedenheiten  ist  ortho- 
graphischer  Art  und  nur  für  den  Grammatiker  von  Werth;    soweit  die- 


Einleitung.  XXXI 

citate  nach  der  römischen  Ausgabe  der  armenischen  Uebersetzung 
aufgenommen.  In  den  Text  selbst  sind  die  Seitenzahlen  der 
Handschriften  B  und  B  aufgenommen.  Am  Anfang  jeder  Ho- 
uiilie  sind  die  Seitenzahlen  der  Handschrift  A  und  der  römi- 
schen Ausgabe  der  armenischen  Uebersetzung  in  Anmerkungen 
angegeben. 

Dem  syrischen  Text  der  Homilien  ist  vorgedruckt  der 
syrische  Text  eines  Briefes,  der  Aphrahat  zum  Schreiben  seiner 
Homilien,  zunächst  der  ersten,  über  den  Glauben,  veranlasst  hat. 
S.  o.  u.  S.  1. 

Der  dem  Texte  vorangestellte  Titel:  ^^i::^  ^fh£^  Ir^l-^ 
•iWfS  h,^  z\  wjsij^l  cci?  Utsj-s  i.Vi°ii,  „Reden  des  Mor  Jakub, 
des  persischen  Weisen,  der  auch  Aphrahat  oder  auch  Pharhaad 
genannt  wird",  ist  nicht  in  den  Handschriften  enthalten,  sondern 
von  Wright  selbst  gebildet.  Dem  syrischen  Texte  hat  Wright 
eine  Einleitung  beigegeben,  in  welcher  uns  Mittheilungen  über 
die  Geschichte  unserer  Homilien,  den  Namen  und  das  Leben  des 
Verfassers  und  über  die  der  Ausgabe  zu  Grunde  liegenden  Hand- 
schriften gegeben  werden.  Ferner  ist  in  die  Einleitung  auf- 
genommen: 1.  ein  Theil  eines  Briefes  des  Araberbischofs 
Georg,  soweit  sich  derselbe  auf  unsere  Homilien  und  ihren  Ver- 
fasser bezieht^).  2.  Ein  Citat  des  Elias  Barsiuaeus  (11.  Jahrb.), 
in  welchem  dieser  aus  unserer  XXIII.  Homilie  eine  Stelle  an- 
führt (die  Jahre  des  Hauses  Adam,  nach  der  Berechnung  Aphra- 
liats,  des  persischen  Weisen).  3.  Eine  Zusammenstellung  der 
Schriftcitate  unserer  Homilien. 

Auf  die  hervorragende  Bedeutung  unserer  Homilien  als 
„eines  für  Theologie  und  Philologie  hochwichtigen  Werkes"  und 
auf  die  Thatsache  ihres  geringen  Einflusses  in  ihrer  Heimath- 
kirche hat  schon   die  erste  Anzeige"-)    des    syrischen  Textes  von 


selben  auf  den  Sinn    der  Stellen  von  Einfluss  sind,   sind   sie  in  der  vor- 
liegenden Uebersetzung  in  den  Anmerkungen  angegeben. 

1)  Vgl.  S.  Yll  Anm. 

2)  Nöldeke  in  Götting.  gel.  Anzeig.  Jhrg.  1S69  S.  1521  ff.  Wir  fügen 
seine  Charakteristik  unserer  Homilien  bei:  „Wir  erhalten  durch  diese 
ziemlich  populären  und  oft  etwas  breit  gehaltenen  Homilien  —  oder 
vielmehr  Briefe  —  einen  Einblick  in  ein  zwar  echt  orientalisches  aber 
einfaches  und  von  dem  vergiftenden  Einfluss  der  christologischen  Streitig- 
keiten noch  nicht  berührtes  Christenthum.     Ich  kann  nicht  leugnen,  dass 


XXXn  Einleitung. 

Aphrahats  Homilien  liingewiesen.  Wir  können  ihre  Bedeutung 
nicht  besser  begründen,  als  indem  wir  ihren  geringen  Einfluss 
in  der  syrischen  Kirche  zu  erklären  suchen. 

Die  Zeit  der  Entstehung  unserer  Homilien  bildet  einen 
Wendepunkt  in  der  Entwickelung  der  Kirche  sowohl  im  Ganzen 
als  in  der  Heimath  Aphrahats,  in  Ostsyrien.  Die  christliche 
Kirche  war  wenige  Jahre  vorher,  nach  langer  Zeit  schwerer 
Leiden  unter  den  Verfolgungen,  im  römischen  Reich  zur  Herr- 
schaft gelangt.  Eine  alle  Lebensthätigkeit  mächtig  in  Bewegung 
setzende  Siegesfreudigkeit  und  zugleich  die  Aufgabe,  die  äusser- 
lich  beitretenden,  zum  Theil  hochgebildeten  Massen  geistig  zu 
bewältigen  und  der  miteinströmenden  Sittenlosigkeit  entgegen 
zu  wirken,  war  für  die  Kirche  die  Frucht  dieser  Umwandlung. 
Für  die  nächste  Zeit  nahm  die  auf  den  grossen  Concilien  sich 
vollziehende  Lehrentwickelung  der  christologischen  und  anthro- 
pologischen Fragen  die  Hauptkratt  der  Kirche  und  das  Haupt- 
interesse des  christlichen  Volks  in  Anspruch. 

Die  osts3'^rische   Kirche,  die  seither  in  Folge  ihrer  sprach- 

mich  das  ganze  Wesen  des  Verfassers  weit  mehr  anspricht  als  das  des 
h.  Ephräm  oder  gar  der  späteren  syrischen  Kirchenväter.  Natürlich 
steht  Aphraates  in  den  Vorurtheilen  seiner  Zeit  und  seines  Orts.  Er 
spricht  u.  A.  sehr  für  die  Ehelosigkeit,  ohne  freilich  die  Ehe  zu  ver- 
dammen, und  legt  auf  asketische  Uebungen  viel  Gewicht  aber  ohne  die 
Uebertreibungen  der  Späteren,  welche  übrigens  bei  den  östlichen  Syriern 
wohl  nie  so  arg  gewesen  sind  wie  bei  den  westlichen;  er  bedient  sich 
einer  ganz  unwissenschaftlichen  Auslegungsmethode  und  entfaltet  nicht 
gerade  einen  blendenden  Scharfsinn  Aber  dabei  spricht  aus  diesen 
Schriften  ein  warmes  Herz,  ein  grader  ehrlicher  und  doch  milder  Sinn, 
ein  achtes  Gefühl  für  das  Ethische.  Ein  Kirchenschriftsteller  des  4.  Jahrb., 
der,  ein  eifriger  und  strenger  Christ,  doch  wenig  von  Ketzern  spricht  — 
nur  einmal  werden  die  Erzketzer  Marcion,  Valentinus  und  Mani  kurz  aber 
scharf  besprochen  —  der  in  der  Polemik  selbst  gegen  die  Juden,  wider 
deren  Behauptungen  ein  grosser  Theil  seines  Buchs  gerichtet  ist,  fast 
ganz  frei  von  Gehässigkeit  bleibt  und  sich  durchgängig  an  das  Sachliche 
hält,  ein  solcher  Mann  verdient  wahrlich  unsere  Anerkennung.  Für  seine 
ethische  Gesinnung  ist  besonders  die  Encyclica  an  die  Geistlichen  und 
Laien  der  orientalischen  Kirche  (hom.  XIV)  von  Wichtigkeit.  Freilich 
darf  man  sich  auf  die  in  solchen  Schriftstücken  enthaltenen  schönen 
Grundsätze  gemeinlich  nicht  allzusehr  verlassen,  aber  ich  habe  wenigstens 
aus  diesem  Briefe  den  Eindruck  bekommen,  dass  es  dem  Verfasser  ernst 
war  um  die  Abmahnung  von  den  argen  Missbräuchen  und  die  Empfehlung 
eines  wahrhaft  christlichen  Wandels". 


Einleitung.  XXXIir 

liehen  und  staatlichen  Abgeschlossenheit  ziemlich  unahhäugior 
Yun  dem  Einfluss  des  Westens  in  eigenthümlicher  Weise  sich 
entwickelt  hatte,  kam  in  Folge  der  veränderten  Lage  der  Kirche 
im  Römerreich  in  eine  dem  Anschluss  an  die  katholische  Kirche 
zustrebende  Bewegung.  Die  von  den  ostsyrischen,  zum  neu- 
persischen  Reich  gehörigen,  Christen  offen  bekannten,  auch  in 
unseren  Homilien  hom.  V)  zum  Ausdruck  kommenden  Spn- 
pathien  für  das  Römerreich,  die  neben  Anderem  Yeraillassung 
zu  den  blutigen  Verfolgungen  der  ostsyrischen  Christen  unter 
Sapur  II.  (vgl.  hom.XXI  u.  XXIII)  waren  :  die  Verdrängung  kirch- 
licher Sitten  wie  diejenige  der  Ostsyrien  eigenthümlichen  Passah- 
feier, die  von  den  Synoden  zu  Arelate  (314  ,  Nicaea  (325)  ver- 
urtheilt,  von  den  Synoden  zuAntiochien  (341;  can.  1),  Laodicaea 
(364;  can.  7),  Constantinopel  (381;  -can.  7)  mit  der  Excommuni- 
cation  belegt  wurde;  die  Annäherung  des  Peschitotextes  an 
denjenigen  der  griechischen  Bibel  A.  und  X.  Testaments;  die 
Verdrängung  des  der  ostsyrischen  Kirche  eigenthümlichen 
Schriftkanons  durch  denjenigen  der  katholischen  Küx-he,  indem 
im  X.  Testament  an  die  Stelle  der  allgemein  gebräuchlichen 
Evangelienharmonie  Tatians  ^J  unsere  vier  kanonischen  Evan- 
gelien gesetzt  und  zu  der  Apostelgeschichte  und  den  Paulus- 
briefen einschl.  Hebräerbr.^  die  katholischen  Briefe  und  die 
Apocalypse  aufgenommen,  im  A.  Testament  zu  den  kanonischen 
Büchern  mit  den  2  Bb.  der  Maccabäer  auch  die  übrigen  Apo- 
cryphen  aufgenommen  wurden  —  das  Alles  sind  die  Zeichen 
dieser  Bewegung.  Die  theologische  Wissenschaft,  besonders 
die  Schrifterklärung  erlebt  etwa  50  Jahre  nach  dem  Tode 
Aphrahats  eine  Blüthezeit  in  der  antiochenischen  Schule,  die 
„an  die  kritischen  Arbeiten  des  Origenes  sich  anlehnend  die 
allegorische  Auslegung  des  Origenes  und  seiner  Nachfolger 
zurückweist,  in  lebendiger  und  befruchtender  Berührung  mit 
den  in  Syrien  blühenden,  besonders  die  Exegese  pflegenden  jüdi- 
schen Schulen  mit  ungewöhnlicher  Strenge  auf  den  eigent- 
lichen Wortsinn  zurückgeht,  ohne  in  Buchstäbelei  zu  verfallen, 
und  das  hermeneutische  Ziel  einer  wirklichen  Auslegung  des 
Schriftworts  mit  Kenntniss,  Geschick  und  Ernst  ins  Auge  fasst, 
ohne  die  religiöse  Verwerthung  des  Stoffes  zu  beschränken''  -). 

1)  Vgl.  Zahn,  Forschungen  I  S.  35  u.  A. 

2)  Die.stel  Gesch    d.  A.  T. 

Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  4.  *** 


XXXIV  Einleitung. 

In  allen  diesen  Punkten  gehört  Aphraliat  nicht  der  be- 
ginnenden neuen,  sondern  der  abgelaufenen  alten  Entwickelung  an. 

Noch  steht  die  ostsyrische  Kirche  in  der  Zeit  der  Be- 
drückung durch  die  Verfolgungen  Sapurs  IL  (vgl.  hom.  XXI 
u.  XXIII). 

Von  den  seine  Zeit  so  gewaltig  bewegenden  dogmatischen 
Fragen  ist  Aphr.  vollständig  unberührt.  In  seiner  XVII.  Ho- 
milie,  „der  Unterweisung,  die  von  Christus  zeigt,  dass  er  Gottes 
Sohn  ist",  sind  die  arianischen  Streitigkeiten  mit  keiner  Silbe 
erwähnt.  Dagegen  klagt  er  (hom.  XIV)  über  die  Zwietracht 
und  die  Spaltungen,  welche  überall  in  den  Provinzen  entstehen, 
und  über  den  Hochmuth  und  die  Hofifahrt  und  die  Kang- 
streitigkeiten  der  Cleriker. 

In  hom.  XII  finden  wir  eine  Passahfeier  dargestellt  und 
vertheidigt,  in  der  wir  wohl  eine  Fortsetzung  der  in  den  Frag- 
menten der  Passahchronik  ^)  erwähnten,  in  Laodicaea  um  17f> 
n.  Chr.  umstrittenen  Passahfeier  zu  erkennen  habend).  (Vgl. 
S.  179  ff.).  — 

Der  Schriftkanon  3)  Aphrahats  stimmt  bei  dem  A.  Testa- 
ment mit  demjenigen  der  ostsyrischen  Juden  überein*)  (die 
kanonischen  Bücher  mit  den  hebräischen  bezw.  syrischen  I. 
und  U.  Maccab.;,  und  umfasst  im  N.  Testament,  überein- 
stimmend mit  dem  Kanon  der  Doctrina  Addaei^)  eine  Evan- 
gelienharmonie,  und  zwar   Tatians  Diatessaron*'),   die  Apostel- 


1)  Euseb.  IV,  26  §  3. 

2)  Vgl.  Steitz  in  Herzogs  Realencyklopädie  unter  „Passahfeier".  Nach 
Hilgenfeld  dagegen  ist  der  laodiceniscbe  Streit  nur  ein  Moment  in  dem 
Verlauf  des  grossen  Passahstreites  und  die  dortige  Passahfeier  nur  ein 
Stadium  in  der  Entwickelung  der  kleinasiatischen  Passahfeier  überhaupt. 

3)  Vgl.  das  Verzeichniss  der  Schriftcitate  S.  41 8  ff. 

4)  Ruth,  Cant.  cant.,  Obadjah  und  Nehem.  werden  nicht  citirt,  aber 
das  kann  zufällig  sein  und  kann  leicht  aus  ihrem  geringen  Umfange  er- 
klärt werden. 

5)  The  Doctrine  of  Addai  the  apostle  ed.  G.  Philips,  London  1876 
S.  46.  Z.  8—17.     Vgl.  auch  Zahn,  Forschungen  I.  S.  91  f. 

6)  Wie  Zahn  in  seinen  „Forschungen  !•'  nachgewiesen  hat.  Auch 
Lechler  (Urkunden  zur  Geschichte  des  christlichen  Alterthums  II,  S.  7)  hält 
den  Beweis  für  erbracht  (von  Zahn),  dass  das  Evangelienbuch,  das  Aphr. 
citirt  hat,  nichts  anderes  sein  kann,  als  eine  Evangelienharmonie,  welche 
in  der  Umgegend  des  ehemaligen  Niniveh  um  330—350  bei  den  dortigen 


Einleitung.  xxxv 

^eschiclite  und  sämmtliche  Briefe  des  Paulus,  /u  denen  der 
Hebräerbrief  gerechnet  wird,  und  die  Aphrahat  in  der  Regel 
als  .,der  Apostel"  citirt.  Wright ')  fülirt  in  seiner  Zusammen- 
stellung der  Schriftcitate  noch  3  Citate  aus  den  katholischen 
Briefen  an,  nämlich  1.  Petr.  4,  18  (Syr.  Text  S.  144),  1.  Joh. 
3,  24.  4,  15  (Syr.  Text  S.  69.  Aber  schon  Zahn  hat  darauf 
hingewiesen,  dass  die  erste  Stelle  aus  Prov.  11,  31  entnommen 
(Aphr.  citirt  ausdrücklich  „Salomo"),  die  beiden  anderen  Citate 
so  ungenau  sind,  dass  sie  gerade  so  gut  aus  vielen  anderen 
Stellen  der  Shrift  entnommen  sein  können. 

Die  Textgestalt  der  syrischen  Bibelübersetzung  hat  eine 
längere  Entwickelung  durchgemacht,  die  für  das  N.  Testament 
durch  die  Namen:  Tatians  Diatess.,  Syr.  Cureton.-),  Peschito,. 
Philoxenes,  Heracleensis  bezeichnet  wird,  und  die  im  Allge- 
meinen als  eine  zunehmende  Annäherung  an  den  griechischen 
Text  charakterisirt  werden  kann.  Unsere  Homilien  nun  stimmen,, 
wie  Zahn  nachgewiesen  hat,  durchweg  mit  der  Textgestalt  von 
Tatians  Diatessaron  überein. 

In  der  Schrifterklärung  gibt  sich  Aphrahat  durch  seinen 
Zusammenhang  mit  den  Gelehrtenschulen  der  Juden  in  Meso- 
potamien-^} und  durch  die  reichliche  Anwendung  der  typischen 
Auslegung  als  Vorläufer  der  antiochenischen  Schule  zu  erkennen. 
Daneben  finden  wir  aber  bei  ihm  auch  die  allegorische  Aus- 
legung, und  dieses  stellt  ihn  in  Gegensatz  zur  antiochenischen 
Schule  und  weist  ihn  nicht  dem  Anfang  der  neuen,  sondern 
dem  Ende  der  vorhergehenden  Periode  zu.  Noch  machen  wir 
auf  das  Glaubensbekenntniss  Aphrahats  aufmerksam,  das  als  ein 
siebentheiliges  sich  von  allen  übrigen  gleichzeitigen  kirchlichen 
Glaubensbekenntnissen  unterscheidet.  (Vgl.  hom.I,Schluss.  Anm.) 


Cliristen  in  kirchlichem  Gebrauch  stand  und  mit  dem  von  Ephräm  com- 
mentirten  (Tat.  Diät.)  identisch  ist. 

1)  a.  a.  0.  S.  69. 

2)  Zahn  hatte  in  seinen  ,, Forschungen  I"  Syr.  Cureton.  vor  Tat.  Diät, 
gesetzt.  Bäthgen  (Evangelienfragmente,  der  griech.  Text  des  Curetun'schen 
Syrers  wiederhergestellt.  Leipzig  1SS5)  macht  Tat.  Diät,  zur  (Grundlage 
des  Syr.  Cureton.  Nach  einer  brieflichen  Mittheilung  ist  Zahn  jetzt  ge- 
neigt, Bäthgen  hierin  zuzustimmen.  Abbe  Martin  setzt  freilich  Syr. 
Curet.  erst  in  das  7.  Jahrh.  Vgl.  Journal  Asiatique  Fevr.-Mars  188S,  Art. 
L'Hexameron  de  Jacques  d'Edesse  S.  208  fF. 

3')  in  Sora,  Pumpeditha  und  Nahardea. 


XXXVI  Einleitung. 

Wenn  Aphrahat  sich  hiernach  in  der  für  die  Gesammt- 
kirche,  wie  für  die  ostsyrische  Kirche  wichtige  Uebergangszeit 
der  ersten  Hälfte  des  4.  Jahrh.  als  einen  der  letzten  Ausläufer 
der  zu  Ende  gehenden  Zeit  zu  erkennen  gibt,  so  ist  hierdurch 
nicht  blos  sein  geringer  Einfluss  in  seiner  Heimath  und  in  der 
übrigen  Kirche  (mit  Ausnahme  von  Armenien)  erklärt,  sondern 
zugleich  seine  hervorragende  Bedeutung  als  Hauptzeuge  für  die 
vorhergehende  Periode  der  ohne  Einfluss  des  Westens  unter  der 
fortwährenden  Berührung  mit  dem  Judenthum  und  zwar  unter 
dem  Einfluss  desselben  und  im  Gegensatz  gegen  dasselbe  sich 
eigenthümlich  entwickelnden  ostsyrischen  Kirche  begründet. 


Des  heiligen  Georgios'), 

Bischofs  der  Tanukiten  und  der  Tuiten  und  der  Akuliten, 

Antwort  auf  neun  Fragen, 
die  der  Presbyter  Jeschu,  der  Klausner,  an  ihn  richtete. 

Dem  Freunde  und  Verehrer  Gottes,  dem  geistliehen  und  ge- 
liebten Bruder  in  Christo,  Mor  Jeschu,  dem  Presbyter  und  Klaus- 
ner in  der  Stadt  Anab,  sagt  Georg,  der  gering  ist  in  dem  Herrn, 
seinen  Gruss. 

Deine  verehrte  Brüderlichkeit  glaube  nicht,  dass  ich  aus 
Verachtung  derselben  oder  aus  Vergesslichkeit  oder  Gering- 
schätzung bis  jetzt  es  verschoben  habe,  nach  meiner  schwachen 
Kraft  zu  antworten  auf  die  Fragen,  die  sie  geschrieben  und  mir 
gesandt  hat  durch  den  ehrenwerthen  Georgios,  ihren  Vetter  und 
geistlichen  Bruder;  sondern  sie  soll  wissen,  dass  es  geschah  zum 
Theil  wegen  der  Mannigfaltigkeit  der  Geschäfte,  die  mir  obliegen, 
sowohl  innerhalb  als  ausserhalb  des  Klosters,  zum  Theil  aber 
wegen  der  Krankheiten  des  Leibes,  die  fortwährend  ihm  anhangen 
und  ihn  verfolgen,  wie  es  denn  auch  (nämlich  wegen  meines  Alters) 
begreiflich  ist.  Nun  aber,  da  die  Seele  etwas  Ruhe  hat  vor 
beidem,  will  ich  im  Vertrauen  darauf,  dass  durch  die  heiligen 
Gebete  deiner  Brüderlichkeit  der  Herr  meine  Schwachheit  hierzu 
stärkt,  versuchen,  auf  ihre  an  mich  gerichteten  Fragen  zu  ant- 
worten, indem  ich  gedenke  in  Kapiteln  von  jeder  derselben  an 
ihrem  Ort  zu  handeln,  damit  nicht,  indem  ich  über  alle  Worte 
einer  jeden  deiner  Fragen,  wie  sie  geschrieben  sind,  handele,  die 
Abhandlung  sich  in  die  Länge  ziehe  und  deshalb  keinen  Nutzen 


1)  Vgl.  Ein  Brief  (leoxgs,  Bischofs  der  Araber,  an  den  Presbyter  Jesus 
aus  dem  Syrischen  übersetzt  und  erläutert  von  Lic.  theol.  Dr.  V.  Ryssel. 
Gotha  1883. 


XXXVni  Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber. 

bringe  wegen  der  Uebersättigung.  Denn  darin  besteht  die  Treff- 
lichkeit der  Rede,  sagt  der  in  allen  göttlichen  Dingen  Aveise 
Basilius,  dass  man  mit  Wenigem  Vieles  mittheile;  womit  er  sagen 
will:  darin  besteht  die  Trefflichkeit  der  Erkenntniss  und  Weis- 
heit eines  Lehrers,  dass  sie,  indem  sie  wenige  Worte  redet,  er- 
funden wird  als  solche,  die  in  denselben  einschliesst  und  kund 
gibt  die  Erkenntniss  und  Weisheit  vieler  Dinge.  Das  will  auch 
ich  nach  meiner  schwachen  Erkenntniss  thun.  Nun  will  ich  mit 
der  Rede  beginnen. 

Erstes  Kapitel.  lieber  den  Mann,  der  den  Beinamen  „der 
persische  Weise"  führt,  von  dem  auch  eine  Schrift  in  Briefen 
über  verschiedene  Gegenstände  verfasst  ist. 

Wer  dieser  persische  Weise  gewesen  sei,  d.  h.  welches  seine 
Würde  und  sein  Rang  war  in  den  kirchlichen  Rangordnungen, 
oder  welches  sein  Name  oder  sein  Wohnort  war,  können  wir 
nicht  mit  Zuversicht  sagen.  Denn  er  theilt  uns  dieses  oder  eines 
von  diesen  nicht  mit  an  einer  Stelle  seiner  Schrift,  die  er  ge- 
schrieben hat,  und  auch  an  einer  anderen  Stelle  haben  wir  es 
bis  jetzt  nicht  geschrieben  gefunden ;  auch  haben  wir  dieses  von 
Jemand,  der  es  genau  wüsste,  nicht  erfahren:  und  zu  sagen  und 
zu  dichten,  wie  es  gerade  kommt,  wovon  wir  nicht  fest  über- 
zeugt sind,  und  wofür  wir  nicht  einigermassen  einen  Beweis 
geben  können,  ziemt  sich  nicht,  wie  mir  und  jedem,  der  die  Wahr- 
heit liebt,  scheint.  Dass  der  Mann  aber  eine  scharfsinnige  Natur 
war,  und  dass  die  priesterlichen  Schriften  soweit  wie  möglich 
von  ihm  gelesen  und  studirt  waren,  zeigt  seine  Schriftstellerei. 
Auch  ferner,  dass  er  ein  Mönch  war  und  zu  dem  kirchlichen 
Clerus  gehörig,  kann  man  aus  seinen  eigenen  Worten  ersehen. 
Dass  er  ein  Mönch  war,  theilt  er  uns  mit  in  dem  Briefe,  der 
überschrieben  ist:  Abhandlung  über  die  Bundesbrüder  —  so 
wurden  nämlich  die  Mönche  damals  genannt  oder  auch  Ein- 
siedler. Er  schreibt  darin  nämlich  also:  „Nun  ist  dieser  Rath 
schön,  recht  und  gut,  den  ich  mir  selbst  gebe  mid  euch,  meine 
Lieben,  für  die  Einsiedler,  welche  keine  Weiber  nehmen,  für  die 
Jungfrauen,  welche  keinen  Männern  augehören  und  für  die, 
welche  die  Heiligkeit  lieben,  ist  es  recht  passend  und  schön,  dass, 
wenn  es  auch  Jemandem  Zwang  kostet,  er  allein  bleibe,  und  so 
ist  es  schön  für  ihn  zu  wohnen,  wie  geschrieben  ist  in  dem 
Propheten  Jeremia:  Es  ist  gut  für  einen  Mann,  dass  er  das  Joch 


Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber.  xxxix 

trage  in  seiner  Jugend  und  sitze  einsam  und  schweige,  weil  er 
dein  Joch  auf  sich  genommen  hat.  Denn  so  ist  es  schön,  mein 
Lieber,  dass,  wer  das  Joch  Christi  trägt,  es  in  Reinlieit  bewahre". 
Dies  zeigt,  dass  der  Mann,  der  den  Beinamen  „der  persische 
Weise"  führt,  ein  Mönch  war.  Dass  er  dem  kirchlichen  Clerus 
zugeordnet  war,  zeigt,  wie  ich  glaube,  das,  was  am  Anfang  des 
Briefes  oder  der  Abhandlung  geschrieben  steht,  die  überschrieben 
ist:  lieber  den  Streit  und  die  Spaltungen,  die  an  allen  Orten 
sind  wegen  des  Stolzes  und  Hocluuuths,  und  über  die  Streitig- 
keiten um  die  Herrschaft.  Es  lautet  nämlich  also:  „Wir  haben 
den  Beschluss  gefasst,  wir  alle,  indem  wir  versammelt  sind,  diesen 
Brief  zu  schreiben  unseren  Brüdern,  alle  Kinder  der  Kirche 
hin  und  her,  Bischöfe  und  Presbyter  und  Diakonen  und  die 
ganze  Gemeinde  Gottes  hin  und  her,  welche  bei  uns  sind.  Den 
geliebten  und  theuren  Brüdern,  den  Bischöfen,  Presbytern  und 
Diakonen  mit  allen  Kindern  der  Kirche,  welche  bei  euch  sind, 
und  dem  ganzen  Volk  Gottes,  das  in  Salk  und  in  Ktesiphon  und 
hin  und  her  wohnt,  in  unserem  Herrn  und  Gott  und  unserem 
Erlöser,  der  durch  Christum  uns  das  Leben  gegeben  und  uns 
zu  sich  gebracht  hat,  viel  Friede".  Siehe,  hierdurch  thut  er 
uns  kund,  dass  er  zum  Clerus  zugeordnet  war,  wie  wir  gesagt  haben. 
Wo  er  aber  war,  in  der  Stadt  Nisibis,  wie  von  Manchen  ge- 
sagt wird,  oder  an  einem  anderen  Ort  jener  Gegenden,  theüt  er 
uns  ganz  und  gar  nicht  mit. 

Was  aber  deine  Brüderlichkeit  geschrieben  hat,  dass  von 
Manchem  gesagt  werde,  er  sei  ein  Schüler  des  seligen  Mor 
Ephräm  gewesen,  ist  nicht  wahr.  Denn  der  Charakter  seiner 
Lehre  gleicht  nicht  derjenigen  des  seligen  Mor  Ephräm.  Auch 
lässt  der  Unterschied  der  Zeiten  ihrer  Lehrthätigkeit  nicht  zu, 
dieses  zu  behaupten.  Denn  dieser  sogenannte  persische  Weise 
war  bekannt  als  Lehrer  im  Jahre  648  der  Griechen,  d.  i.  nach 
der  Aera  Alexanders;  und  ebenso  in  den  Jahren  655  und  656 
der  Griechen.  Er  schreibt  nämlich  in  dem  Briefe,  der  über- 
schrieben ist  „Abhandlung  vom  Tod  und  den  letzten  Zeiten" 
also:  ,, Diese  22  Reden  habe  ich  geschrieben  nach  den  22  Buch- 
staben. Ich  habe  die  10  ersten  geschrieben  im  Jahre  648  des 
Königreichs  Alexanders,  des  Sohnes  Philipps  von  Macedonien, 
wie  an  ihrem  Schluss  geschrieben  steht,  und  diese  12  letzten 
habe  ich  geschrieben  im  Jahre  655  des  Königreichs  der  Griechen 


XL  Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber. 

und  Römer,  d.  i.  des  Königreichs  Alexanders,  und  im  Jahre  35' 
Schaburs,  des  Königs  von  Persien".  Auch  in  dem  Brief,  der  über- 
schrieben ist:  .,Abhandlung  über  die  Weinbeere"  sagt  er  also: 
„Ich  habe  dir  diesen  Brief  geschrieben,  mein  Lieber,  in  dem 
Monat  Ob  des  Jahres  656  des  Königreichs  Alexanders,  des  Sohnes 
Philipps  von  Macedonien,  und  im  Jahre  36  Schaburs,  des  Königs 
von  Persien,  der  die  Verfolgung  veranstaltete,  im  5.  Jahre,  da 
die  Gemeinden  ausgerottet  wurden,  im  Jahre,  da  das  grosse 
Morden  war  der  Zeugen  im  Lande  des  Ostens,  nachdem  ich  dir 
geschrieben  hatte  diese  22  Kapitel,  die  nach  den  Buchstaben  ge- 
ordnet sind,  eins  nach  dem  anderen".  Das  Jahr  648,  von  welchem 
er  sagt,  dass  er  darin  geschrieben  und  vollendet  habe  die  10 
ersten  Reden,  ist  das  12.  Jahr  nach  der  heiligen  Synode  in  der 
Stadt  Nicäa,  d.  i.  1  Jahr  nach  dem  seligen  Tode  des  gläubigen 
Königs  Konstantin.  Denn  die  heilige  Synode  zu  Nicäa  ver- 
sammelte sich,  wie  die  kirchlichen  Schriftsteller  berichten,  im 
Jahre  636  der  Griechen  und  im  Jahre  20  des  Königreichs  des 
Konstantin,  ■  Es  regierte  aber  Konstantin-  im  Ganzen  31  Jahre. 
Wenn  wir  nun  von  648  Jahren  636  abziehen,  bleiben  12  übrige 
wie  wir  gesagt  haben,  und  wenn  wir  ferner  die  20  Jahre,  nach 
denen  die  Synode  von  Nicäa  sich  versammelte  (von  den  31  Jahren, 
der  Regierung  des  Königs  Konstantin)  abziehen,  so  bleiben  uns 
11  Jahre,  d.i.  ein  Jahr,  bevor  dieser  Schriftsteller  diese  10  ersten 
Reden  vollendete.  Wenn  nun  also  12  Jahre  nach  der  Synode 
von  Nicäa  und  ein  Jahr  nach  dem  Tode  des  Königs  Konstantin 
dieser  persische  Schriftsteller  diese  10  ersten  Reden  schrieb  und 
.  vollendete,  so  ist  gewiss,  dass  er  auch  in  den  Jahren,  die  vor  dem 
Jähre  648  liegen,  d.  h.  zu  Lebzeiten  des  Königs  Konstantin,  an 
diesen  Reden  geschrieben  hat.  Es  wird  dies  aber  auch  hieraus 
erkannt:  Die  12  letzten  Reden,  die  er  darnach  schrieb,  hat  er 
7  Jahre  später  geschrieben.  Er  schreibt  nämlich,  wie  wir  auch 
oben  angeführt  haben,  also:  Diese  22  Reden  habe  ich  geschrieben 
nach  den  22  Buchstaben.  Ich  habe  die  10  ersten  geschrieben 
in  dem  Jahre  648  des  Königreichs  Alexanders,  des  Sohnes 
Philipps  von  Macedonien,  wie  an  ihrem  Schluss  geschrieben  ist. 
Und  diese  12  letzten  habe  ich  geschrieben  im  Jahre  655  des 
Königreichs  der  Griechen  und  Römer,  d.  i.  des  Königreichs 
Alexanders.  Wenn  wir  nun  648  Jahre  von  655  Jahren  ab- 
ziehen, bleiben  7  Jahre,   wie  wir  gesagt  haben.    Und  wenn  wir 


Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber.  Xbl 

zu  diesen  7  ein  Jahr  hinzuzählen,  nämlich  das,  in  welchem  er 
die  Rede  über  die  Weinbeere  geschrieben  hat,  im  Jahre  656, 
wie  er  gesagt  hat,  so  sind  es  8  Jahre,  in  welchen  er  also  diese 
13  letzten  Reden  geschrieben  hat.  Wir  bringen  aber  alles  in 
allem  von  der  Synode  zu  Nicäa  bis  zum  Jahre  656  20  Jahre 
zusammen. 

Das  ist  die  Zeit,  in  welcher  dieser  persische  Schriftsteller  ge- 
schrieben hat.  Diese  haben  wir,  soweit  möglich,  aus  seiner  Schrift 
gefunden.  Was  die  Zeit  vorher  betrifft,  besonders  vor  dem  Jahre 
648 ,  so  haben  wir  nirgends  gefunden ,  dass  Mor  Ephräm  da 
schon  gelehrt  und  geschrieben  habe,  so  dass  wir  sagen  könnten, 
dass  er  der  Vorgänger  dieses  persischen  Schriftstellers  gewesen 
sei,  und  dass  er  sein  Lehrer  oder  auch  sein  Meister  gewesen  sei. 
Die  Zeit  aber,  in  welcher  der  selige  Mor  Ephräm  als  Schrift- 
steller bekannt  war,  kann  man  aus  Folgendem  finden.  Es  schreibt 
nämlich  Theodoretos  von  Kyros  im  31.  Kapitel  des  2.  Buches 
seiner  Kirchengeschichte  in  dem  Bericht  über  König  Schabur 
imd  das  Heer  der  Perser,  die  gekommen  waren  und  Nisibis  be- 
lagerten, also:  „Da  wunderte  sich  Ephräm;  es  war  dies  aber  ein 
weiser  Schriftsteller  und  unter  den  Syrern  berühmt.  Da  bat 
ihn  der  selige  Jakub,  Bischof  der  Stadt,  dass  er  auf  die  Mauern 
steige  und  die  Barbaren  sehe  und  auf  sie  Geschosse  von  Flüchea 
werfe".  Es  war  aber  dieser  Krieg  in  der  Zeit  des  Konstantins» 
des  Sohnes  Konstantins,  kurz  vor  dem  Lebensende  des  Kon- 
stantius.  Wie  auch  seine  Erzählung  zu  vergleichen  ist  im 
29.  Kapitel  des  4.  Buchs,  da  er  redet  von  der  Zeit  des  Königs 
Valens:  „In  dieser  Zeit  glänzten  der  berühmte  Ephräm  von 
Edessa  und  Didymos  in  Alexandria  durch  ihre  Schriften 
gegen  die  Lehren,  die  wider  die  Wahrheit  sind".  Es  war 
dies  aber  die  Zeit  vor  dem  Ende,  innerhalb  des  Lebens  des 
Valens,  wie  wiederum  auch  aus  den  Erzählungen  zu  ersehen 
ist.  Wenn  wir  nun  die  Mittelglieder  übergehen,  um  nicht  zu 
weitschweifig  zu  werden,  so  finden  wir,  wenn  wir  vergleichen, 
was  wir  gefunden  haben,  dass  von  der  ersten  Zeit,  da  der  per- 
sische Schriftsteller  die  zehn  ersten  Reden  geschrieben  hat,  bis 
zu  der  Zeit,  da  der  selige  Mor  Ephräm  gegen  die  Lehren  schrieb, 
d.  h.  aber,  nachdem  die  Perser  Kisibis  eingenommen  hatten,  und 
er  von  dort  weggezogen  und  nach  Edessa  gekommen  war,  nahezu 
5ü  Jahre  sind.     Denn  wenn   wir  annehmen,   dass   der  persische 


XLn  Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber. 

Schriftsteller  die  lU  ersten  Reden  in  den  letzten  S  Jahren  vor 
dem  Tod  des  gläubigen  Königs  Konstantinos  geschrieben  hat,  und 
indem  wir  diese  8  Jahre  festhalten,  und  25  Jahre,  die  Konstan- 
tios  regiert  hat,  und  3  Jahre  des  Julianos  und  des  Jobinianos 
hinzurechnen  zu  den  14  Jahren  des  Königs  Valens,  bekommen 
wir  50  Jahre  zusammen,  wie  wir  gesagt  haben.  Wie  lange  aber 
jeder  dieser  genannten  Könige  regierte,  erkennt  man  aus  Fol- 
gendem: Es  schreibt  nämlich  Sokrates  im  40.  Kapitel  des  ersten 
Buches  seiner  Kirchengeschichte  also:  Es  lebte  aber  der  König 
Konstantinos  65  Jahre.  Davon  regierte  er  31  Jahre.  Im  45.  Kapitel 
des  2.  Buches:  Es  lebte  aber  Konstantios  45  Jahre;  er  regierte 
aber  davon  38  Jahre;  mit  seinem  Vater  3  Jahre,  nach  dem  Tod 
seines  Vaters  25  Jahre*).  Und  im  16.  Kapitel  des  3.  Buches: 
Julianos  starb  in  seinem  4.  Consulat,  das  er  mit  Salustios  führte, 
am  25.  des  Monats  Thamus  im  Lande  der  Perser,  wie  ich  oben 
sesagt  habe;  das  war  aber  das  dritte  Jahr  seines  Königreichs, 
Und  ebenderselbe  sagt  im  20.  Kapitel  des  3.  Buches,  indem  er 
von  dem  König  Jobmianos  redet,  an  derselben  Stelle  also,  die 
oben  genannt  ist:  „Zur  Winterzeit  erkrankte  er  an  einer  Nieren- 
krankheit und  starb  unter  seinem  und  seines  Sohnes  Beroninos 
Consulat,  am  15.  des  Monats  Schebath,  da  er  7  Monate  regiert 
und  33  Jahre  gelebt  hatte.  Es  ist  aber  die  Zeit  der  Jahre 
in  diesem  3.  Buch  zusammen  3  Jahre  und  2  Monate.  Der- 
selbe sagt  im  35.  Kapitel  des  4.  Buches ,  da  er  von  dem  König 
Valens  redet:  „Er  lebte  aber  50  Jahre,  indem  er  mit  seinem 
Bruder  Valentinianos  13  Jahre,  nach  dessen  Tod  aber  3  Jahre 
regierte". 

Da  also  die  Zeit  von  50  Jahren  zwischen  der  Blüthe  der  Lehr- 
thätigkeit  dieses  persischen  Schriftstellers  und  der  Blüthe  der 
Lehrthätigkeit  des  seligen  Mor  Ephräm  liegt,  Avie  kann  da  Jemand 
sagen,  dass  der  persische  Schriftsteller  ein  Schüler  des  Mor 
Ephräm  gewesen  sei?  Denn  es  hat  sich  dies  nicht  als  Wahrheit 
erwiesen,  wie  auch  die  Prüfung,  die  wir  oben  angestellt  haben, 
gezeigt  hat,  wenn  auch  vielleicht  der  heilige  Mor  Ephräm  theil- 
weise  mit  seinem  Leben  den  persischen  Schriftsteller  erreicht 
hat,    oder  auch  mit   seinem   Leben    und    seiner  Lehrthätigkeit; 


1)  Es  liegt  hier  im  syr.  Text  offenbar  ein  Schreibfehler  vor;  statt  38 
runss  es  2S  heissen. 


Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber.  XLIII 

wenu  auch  nur  so,  dass  Ephräm  noch  ein  Jünglmg,  dieser  per- 
sische Schriftsteller  aber  schon  ein  Greis  war. 

Dass  also  von  diesem  sogenannten  persischen  Weisen  der 
Name,  der  Rang  und  der  Wohnort  uns  unbekannt  sei;  dass  er 
übrigens  aber  ein  Mimch  und  zum  kirchlichen  Clerus  gehörig 
war  und  dass  er  nicht  ein  Schüler  des  seligen  Mor  Ephräm  war, 
das  haben  wir  in  Kürze  dargelegt. 

2.  Kapitel.  Darüber,  dass  dieser  persische  Schriftsteller  ge- 
sagt hat,  nach  Ablauf  von  6000  Jahren  werde  diese  Welt  unter- 
gehen. 

Betreffs  dessen  aber,  was  deine  Brüderlichkeit  geschrieben  hat, 
dass  der  persische  Schriftsteller  gesagt  habe,  dass  nach  Ablauf 
von  6000  Jahren  der  Untergang  der  Welt  sein  werde,  sollst  du 
wissen,  dass  auch  viele  andere  Christen  von  denen,  die  nach  der 
Ankunft  Christi  gelebt  haben,  diese  Ansicht  gehabt  haben,  wie  ihre 
Worte  zeigen.  Von  diesen  wollen  wir  mit  Uebergehung  der 
Meisten  derselben  einige  wenige  anführen  zum  Beweis  für  unsere 
Behauptung.  So  schreibt  Bardaizan,  der  alte  und  durch  die  Kennt- 
niss  der  Dinge  berühmte  Mann,  in  einem  von  ihm  verfassten  Werke 
j.Ueber  die  gegenseitigen  ovvoöoi  der  Gestirne  des  Himmels'"  also : 
2  Umläufe  des  Kronos  sind  60  Jahre;  5  Umläufe  des  Zeus  sind 
60  Jahre:  40  Umläufe  des  Ares  sind  60  Jahre;  60  Umläufe 
der  Sonne  sind  60  Jahre;  72  Umläufe  der  Aphrodite  sind  60  Jahre; 
150  Umläufe  des  Hermes  sind  60  Jahre;  720  Umläufe  des 
Mondes  sind  60  Jahre.  Dies  ist  nämlich  eine  ovvoSog  aller,  oder 
auch  die  Zeit  einer  ihrer  ovroöo^;  sodass  also  100  solcher  avvoöoi 
6000  Jahre  sind;  sodass  also  200  Umläufe  des  Kronos  6000  Jahre 
sind,  500  Umläufe  des  Zeus  6000  Jahre;  4000  Umläufe  des  Ares 
6000  Jahre;  6000  Umläufe  der  Sonne  6000  Jahre;  7200  Umläufe  der 
Aphrodite  6000  Jahre;  12000  (?)  Umläufe  des  Hermes  6000  Jahre  ; 
72000  Umläufe  des  Mondes  6000  Jahre.  Dies  berechnet  Bardaizan 
also  in  der  Absicht,  um  zu  beweisen,  dass  diese  Welt  nur  6000 
Jahre  steht. 

Auch  der  heilige  Hippolytos,  der  Bischof  und  Märtyrer,  spricht 
also  in  seiner  4.  Abhandlung  über  den  Propheten  Daniel:  „Die 
erste  Ankunft  unseres  Herrn,  diejenige  im  Fleisch  in  Bethlehem, 
ist  in  den  Tagen  des  Augustus  geschehen,  im  Jahre  5500  der 
Welt.     Er  litt  aber  im  33.  Jahre  nach  seiner  Geburt.    Es  müssen 


XT.TT  Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber. 

aber  uoth wendig  6000  Jahre  erfüllt  werden,  bis  der  grosse  Sab- 
bath  der  Ruhe  komme,  an  welchem  Gott  ruhet  von  allen  seinen 
Werken,  die  Gott  angefangen  hat  zu  thun."  Und  kurz  darauf: 
„Von  der  Geburt  Christi  also  müssen  wir  rechnen  und  herab- 
steigen diese  übrigen  500  Jahre,  bis  diese  6000  Jahre  erfüllt 
sind,  und  so  wird  das  Ende  kommen."  So  lautet  zwar  dieser 
Ausspruch,  in  Avelchem  der  heilige  Hippolytos  ganz  deutlich  sich 
ausspricht  in  der  Absicht,  zu  zeigen,  dass  diese  Welt  nur  6000 
Jahre  bestehen  soll.  Man  muss  aber  wissen,  dass  nach  seinem 
Wort  die  Welt  hätte  vor  215  Jahren  untergegangen  sein  müssen, 
in  diesem  Jahre  10*25  der  Griechen.  Denn  wenn  500  Jahre 
nach  der  Ankunft  Christi  das  6.  Jahrtausend  und  diese  Welt 
zu  Ende  gehen  werden,  von  der  Ankunft  Christi  aber  bis  zu 
diesem  laufenden  Jahre  715  Jahre  sind  —  im  Jahre  310  näm- 
lich haben  wir  angenommen,  dass  Christus  geboren  sei,  wie  wir 
an  einer  anderen  Stelle  in  sehr  gilindlicher  Untersuchung  gezeigt 
haben  —  wenn  wir  also  von  715  Jahren  500  Jahre  abzählen^ 
Avie  Hippolytos  gesagt  hat,  bleiben  uns  215  Jahre,  wie  wir  auch 
gesagt  haben. 

Zu  diesen  aber  will  ich  auch  den  heiligen  Mor  Jakub,  den 
Lehrer  anführen,  der  ebendieselbe  Meinung  vorträgt;  der  in  der 
6.  der  von  ihm  verfassten  Abhandlungen  über  das  Sechstage- 
werk also  schreibt:  Tausend  Jahre  werden  vor  Gott  wie  ein  Tag 
gerechnet,  denn  Tausend  Jahre  sind  in  den  Augen  des  Herrn 
ein  Tag.  Und  diese  6  Tage,  in  denen  die  Schöpfungen  geschahen, 
sind  die  Jahre  der  Welt,  die  schon  6000  Jahre  besteht.  Und 
im  siebten  Tausend  hört  die  Welt  auf,  und  die  Umläufe  stehen 
still,  und  es  ist  Ruhe,  wenn  der  Lauf  des  sechsten  vollendet  ist." 
Und  kurz  darauf:  Der  Herr  ruhete  am  siebenten  Tage,  indem  er 
damit  zeigte,  dass  er  nur  6  Tage  die  Welt  laufen  lassen  wolle. 
Am  sechsten  Tage  war  zu  Ende  die  Erschaffung  aller  Geschöpfe, 
dass  die  Welt  lerne,  dass  sie  in  sechs  Tagen  ward  und  in  sechs 
Tagen  aufhört.  Und  kurz  darauf  wiederum:  Nicht  ist  der  Herr 
bedürftig,  dass  er  ausruhe,  da  er  nicht  müde  wird,  sondern  er 
gab  ein  klares  Gleichniss  über  das  Ende,  dass  nämlich  die  Welt- 
scheibe 6000  Jahre  läuft  und  im  siebenten  aufhört  und  nicht 
mehr  läuft. 

Und  das  haben  sie  so  gesagt  und  behauptet,  indem  ein 
jeder  von  ihnen  irgend  ein  Gleichniss  von  den  Verhältnissen  der 


Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber.  XLV 

Dinge  nahm,  die  am  Himmel  oder  auch  auf  Erden  oder  auch 
an  beiden  sind.  So  sprach  auch  dieser  persische  Schriftsteller 
im  Gleichniss.  Er  spricht  nämlich  in  der  Abhandlung  von 
der  Liebe,  wie  auch  deine  Brüderlichkeit  geschrieben  hat,  also: 
Stosse  dich  nicht,  mein  Lieber,  an  dem  Wort,  das  ich  dir  geschrie- 
ben habe,  dass  Gott  die  Hälfte  eines  Tages  Jerusalem  vergeben 
habe.  Denn  also  steht  geschrieben  im  David,  im  90.  Psalm: 
Tausend  Jahre  sind  in  den  Augen  des  Herrn  wie  der  Tag,  der 
gestern  vergangen  ist.  Und  auch  unsere  weisen  Lehrer  sagen  also: 
Gleichwie  in  sechs  Tagen  die  ^^'elt  von  Gott  geschaffen  ist,  wird 
nach  Ablauf  von  6000  Jahren  die  Welt  aufhören,  und  es  wird 
der  Sabbath  Gottes  sein,  gleichwie  der  Sabl^ath  nach  den  sechs 
Tagen. 

Ich  Geringer  aber,  wenn  ich  höre  unseren  Erlöser  und 
Gott  und  Herrn  Jesum  Christum,  der  da  spricht  zu  seinen  Jün- 
gern, da  sie  ihn  fragten  nach  seiner  Auferstehung  von  den  Todten : 
Wirst  du  zu  dieser  Zeit  wieder  aufrichten  das  Reich  Israel:  Es 
ist  dies  nicht  eure  Sache,  zu  wissen  Zeit  oder  Zeiten,  welche  der 
Vater  in  seiner  eigenen  Macht  beschlossen  hat,  so  sage  ich  L^n- 
wissender,  dass  weder  die  Jahre  vom  Anfang  der  Welt  bis  jetzt, 
noch  diejenigen  von  jetzt  bis  zum  Ende  der  Welt,  noch  die- 
jenigen von  ihrem  Anfang  bis  zu  ihrem  Ende  irgend  Jemand 
von  allen  Menschen  gewusst  habe  oder  wisse  oder  wissen  werde. 
Und  damit  ich  noch  Grösseres  sage:  Auch  die  Engel,  wie  mir 
scheint,  wissen  nicht  die  Zeit  des  Endes  der  Welt,  wie  unser 
Herr  vor  seinem  Leiden  und  semem  Tod  und  seiner  Auferstehung 
von  den  Todten  zu  seinen  Jüngern  sprach:  Die  Stunde  weiss 
niemand,  auch  nicht  der  Sohn,  auch  nicht  die  Engel  im  Himmel. 
Und  wenn  er  auch  von  sich  selbst  pädagogisch  und  uneigent- 
lich sagt,  dass  er  es  nicht  wisse,  da  er  es  wusste,  so  sagt  er  es  in 
Bezug  auf  die  Engel  nicht  uneigentlich,  sondern  wirklich  und  eigent- 
lich, wie  mir  scheint.  Und  darum  ist  die  Frage,  ob  nach  6000  Jah- 
ren oder  nach  7000  Jahren  oder  nach  wiewiel  Jahren  das  Ende 
dieser  Welt  kommen  werde,  allein  des  Vaters,  wie  auch  der  Sohn 
gesagt  hat.  Und  Sache  des  Sohnes,  dem  Alles,  was  des  Vaters 
ist,  eigen  ist,  und  Sache  des  heiligen  Geistes,  der  Alles  ergrün- 
det, auch  die  Tiefen  der  Gottheit,  ist  es,  dies  als  Boten  zu  ver- 
künden. 

Dies  habe  ich  dir  wiederum   geschrieben,   darüber  dass  der 


XLVI  Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber. 

persische  Schriftsteller  gesagt  hat,  dass  nach  6000  Jahren  diese 
Welt  vernichtet  werde  und  aufhöre,  und  deine  Brüderlichkeit 
Anstoss  daran  genommen  hat. 

3.  Kapitel.  Ueber  die  Ansicht  des  persischen  Schriftstellers, 
dass,  wenn  die  Menschen  sterben,  der  seelische  Geist  in  dem 
Leibe  begraben  werde  ohne  Bewusstsein. 

Betreffs  aber  des  Anderen,  das  deine  Brüderlichkeit  ge- 
schrieben hat,  dass  der  persische  Schriftsteller  also  gesagt  habe 
in  der  Abhandlung  über  die  Bundesbrüder:  In  der  ersten  Geburt 
werden  die  Menschen  mit  einem  seelischen  Geist  geboren,  imd 
derselbe  sei  nicht  sterblich,  gleich^vie  es  heisst:  Adam  ward 
eine  lebendige  Seele;  und  in  der  2.  Geburt  der  Taufe  empfangen 
sie  den  heiligen  Geist,  und  er  sei  nicht  sterblich.  Wenn  nämlich 
die  Menschen  sterben,  werde  der  seelische  Geist  in  dem  Leib 
begraben  und  das  Bewusstsein  werde  von  ihm  genommen;  und 
der  himmlische  Geist,  den  sie  empfangen  haben,  gehe  zu  seiner 
Katur  bei  Christo:  und  dieses  beides  lehre  uns  der  Apostel;  er 
sage  nämlich:  Der  Leib  wird  begraben  in  seelischer  Weise  und 
steht  auf  in  geistlicher  Weise,  und  der  Geist  geht  wieder  zu 
Christo  zu  seiner  Katur.  L'nd  der  Apostel  sage  wiederum:  W^enn 
wir  von  dem  Leibe  scheiden,  werden  wir  bei  unserem  Herrn  sein. 
Zu  dem  Herrn  nämlich  gehe  der  Geist  Christi,  den  die  Geist- 
lichen empfangen  haben,  und  der  seelische  Geist  werde  in  seiner 
Natur,  in  dem  Leibe,  begraben  und  das  Bewusstsein  werde  von 
ihm  genommen  —  Betreffs  dessen  darf  die  Weisheit  deiner 
Brüderlichkeit  den  persischen  Schriftsteller  nicht  zu  den  erprobten 
Schriftstellern  oder  zu  solchen  von  erprobten  Schriften  zählen 
oder  rechnen,  sodass  du  dich  deshalb  in  deinen  Gedanken  quältest 
und  in  deinem  Geiste  abmühtest,  dass  du  erfassest  und  verstehest 
die  Bedeutung  aller  Worte,  die  in  dem  Buch  seiner  Abhand- 
lungen stehen.  Denn  wenn  er  auch,  wie  wir  oben  gesagt  haben, 
von  Natur  ein  scharfsinniger  Mann  ist  und  die  heiligen  Schriften 
studirt  hat,  so  gehört  er  doch  nicht  zu  denen,  welche  die  be- 
währten Lehren  der  bewährten  Lehrer  gelesen  haben;  denn  es 
war  dies  zu  seiner  Zeit  auch  nicht  möglich,  dass  er  sie  beachte 
und  seine  Gedanken  und  Worte  nach  denen  jener  richte,  und 
deshalb  sind  auch  viele  Fehler  und  dunkle  ^Worte  in  diesem  Buch 
für  den,  der  da  weiss  und  versteht,  was  er  liest,  so  wie  es  ge- 
schrieben steht.     Dazu  gehören  auch  die  Worte,  über  die  deine 


Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber.  XLVII 

Brüderlichkeit  jetzt  in  Zweifel  gerathen  ist.  Denn  da  er  den 
göttlichen  Apostel  Paulus  sagen  hörte:  Es  wird  gesäet  ein 
seelischer  Leib  und  wird  auferstehen  ein  geistlicher  Leib,  und 
da  er  die  Bedeutung  und  den  Sinn  des  Wortes  nicht  verstehen 
konnte,  kam  er  dazu,  zu  schreiben  und  zu  sagen,  dass,  wenn  die 
Menschen  sterben,  der  seelische  Geist  mit  dem  Leibe  begraben 
und  das  Bewusstsein  von  ihm  genommen  werde;  und  der 
himmlische  Geist,  den  sie  empfangen  haben,  gehe  zu  seiner  Natur 
bei  Christo:  und  dieses  beides  lehre  uns  der  Apostel,  denn  er 
sage,  der  Leib  werde  auf  seelische  Weise  begraben,  und  der  Leib 
stehe  auf  geistliche  Weise  auf,  indem  er  das  Wort,  dass  er  be- 
graben werde,  für  das  Wort,  dass  er  gesäet  werde,  setzt,  sei  es 
nun  gemäss  der  Handschrift,  die  er  damals  hatte,  sei  es,  dass  er 
vielleicht  die  Lesart  zu  ändern  suchte  gemäss  dem  Sinn,  den  sie 
(nach  seiner  Meinung  hatte,  d.  h.  dass  der  seelische  Geist  mit 
dem  Leibe  begraben  werde,  darum,  dass  es  ihm  nicht  sehr  an- 
messen war,  zu  sagen,  dass  der  seelische  Geist  mit  dem  Leib 
gesäet  werde  und  das  Bewusstsein  von  ihm  genommen  werde. 
W^ elcher  Sinn  und  Verstand  ist  in  dieser  Ansicht?  Denn  seelischer 
Geist  ohne  Bewusstsein  ist  auch  nicht  in  irgendeinem  von  allen  Ge- 
schöpfen ausser  allein  in  den  Saaten  und  den  Kräutern  und  den 
Bäumen  und  vielleicht  bei  den  Kindern  im  Mutterleib.  Denn 
was  sie  wachsen  und  reif  werden  lässt,  ist  ohne  Bewusstsein 
und  ohne  die  Fähigkeit  der  freien  Bewegung  von  einem  Ort 
zum  andern.  Denn  wie  nach  der  Ansicht  der  Philosophen  die 
Substanz  (ovoia)  sich  theilt  in  Körperliches  und  Unkörperliches, 
so  theilt  sich  auch  das  Körperliche  in  Beseeltes  und  Unbeseeltes. 
Das  Beseelte  wiederum  theilt  sich  in  Thier,  Thierpflanze  und 
Pflanze.  Thier  nun  ist  alles,  was  lebt  und  sich  bewegt  von  einem 
Ort  zum  andern,  entweder  in  der  Luft  oder  auf  dem  Trockenen 
oder  im  Meer.  Thierpflanzeu  aber  sind  die  Schwämme  und 
Schnecken,  die  es  ja  in  Menge  giebt,  und  alles,  was  an  einem 
Ort  festhaftet  und  sich  von  demselben  nicht  entfernt  nach  seinem 
Willen,  aber  doch  lebt  und  es  empfindet,  wenn  sich  etwas  ihm 
naht  und  es  berührt.  Und  ein  Zeichen,  dass  sie  leben,  ist  neben 
dem,  dass  sie  Empfindung  haben,  auch  das,  dass  Blut  von  ihnen 
ausfliesst,  wenn  sie  zerschnitten  werden.  Eine  Pflanze  aber  ist 
das,  was,  während  es  an  einem  Ort  festhaftet,  gepflanzt  ist  und 
steht,  eine  Seele  ohne  Empfindung  in  sich  trägt,  die  sie  wachsen 


XLVni  Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber. 

imd  reif  werden  lässt  mit  Erde  und  Wasser  und  der  Flu-sorge 
des  Schöpfers.  Dieser  Art  von  Pflanzenseele  vergleicht  dieser 
l)ersische  Schriftsteller  die  Seele  des  Menschen,  von  der  er  sagt, 
dass  sie  mit  ihrem  Leibe  ohne  Bewusstsein  begraben  werde  nach 
dem  Tode.  Ja  er  zeigt  sogar  von  dieser  Seele,  die  mit  dem 
Leibe  des  Menschen  begraben  wird,  dass  sie  noch  geringer  ist 
als  die  Pflanzenseele.  Denn  die  Pflanzenseele  erhält  alles,  so- 
lange sie  in  demselben  ist,  frisch,  wohlbehalten  und  fröhlich, 
sodass  es  den  Augen  wie  lebend  erscheint;  sobald  sie  aber  von 
der  Pflanze  weicht,  wird  diese  dürr,  vertrocknet  und  vergeht  und 
erscheint  den  Augen  wie  gestorben.  Die  Seele  aber,  von  der 
dieser  persische  Weise  sagt,  dass  sie  mit  dem  Leibe  des  Menschen 
begraben  Averde  nach  dem  Tode,  kann  auch  nicht  drei  ganze 
Tage  ihn  erhalten  ohne  Auflösung  und  Zersetzung  und  Verwe- 
sung im  Grab. 

Und  auch  die  andere  Behauptung,  dass  der  heilige  Geist, 
den  die  Menschen  bei  der  Taufe  empfangen,  sofort  nach  dem 
Tod  zu  seiner  Natur  bei  Christo  gehe  —  das  bedeutet  nämlich  das 
Wort,  „dass  der  Geist  Christi  zu  unserem  Herrn  gehe",  denn  ich 
wüsste  nicht,  was  ,zu  unserem  Herrn"  anders  bedeuten  sollte 
als  „zu  Christo"  —  ist  voll  Dunkelheit  und  ohne  städtische 
Gelehrsamkeit. 

So  ist  auch  das  Andere,  was  er  darnach  sagt;  er  schreibt 
nämlich  kurz  darauf:  „Denn  wer  den  Geist  Gottes  in  Reinheit 
bewahrt,  über  den  sagt  er,  wenn  er  zu  Christo  kommt,  also:  Der 
Leib,  zu  dem  ich  gegangen  bin,  und  der  mich  angezogen  hat 
aus  dem  Wasser  der  Taufe,  hat  mich  in  Heiligkeit  bewahrt. 
Und  der  heilige  Geist  bemüht  sich  bei  Christo  um  die  Aufer- 
stehung des  Leibes,  der  ihn  in  Reinheit  bewahrt  hat,  imd  der 
Geist  bittet,  dass  er  wieder  mit  ihm  vereinigt  werde,  dass  der 
Leib  auferstehe  in  Herrlichkeit.  Und  derjenige  Mensch,  der  den 
Geist  aus  dem  Wasser  empfangen  hat  und  ihn  betrübt,  von  dem 
geht  er  aus,  noch  ehe  er  gestorben  ist,  und  geht  zu  seiner  Natur 
bei  Christo  und  klagt  über  den  Menschen,  der  ihn  betrübt  hat 
Und  wenn  die  Zeit  der  endlichen  Vollendung  kommt,  und  die  Zeit 
der  Auferstehung  nahe  ist,  empfängt  der  heilige  Geist,  der  in  Rein- 
heit bewahrt  worden  ist,  grosse  Kraft  von  seiner  Natur  und  kommt 
vor  Christo  und  stellt  sich  vor  die  Thüren  der  Gräber,  wo  die 
Menschen,  die  ihn  in  Reinheit  bewahrt  haben,  begraben  liegen, 


Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber.  XLIX 

und  wartet  auf  eleu  Ruf  des  Horns,  und  wenn  die  Engel  die 
Tb  Liren  des  Himmels  öffnen  vor  dem  König,  alsdann  ertönt  das 
Hörn,  und  die  Posaunen  erschallen,  und  der  Geist,  der  auf  den 
Ruf  wartet,  hört  es  und  öffnet  eilig  die  Gräber,  und  er  lässt 
auferstehen  die  Leiber,  und  was  in  ihnen  begraben  ist".  Und 
kurz  darauf:  „Dieser  Geist,  mein  Lieber,  den  die  Propheten 
empfangen  haben  und  ebenso  auch  wir,  wird  nicht  allezeit  bei 
denen,  die  ihn  empfangen  haben,  gefunden,  denn  zuweilen  geht 
er  zu  dem,  der  ihn  gesandt  hat,  zuweilen  kommt  er  zu  denen,  die 
ihn  empfangen  haben.  Höre,  was  unser  Herr  sagt:  Verachtet 
nicht  einer)  von  diesen  Kleinen,  die  an  mich  glauben,  denn  ihre 
Engel  sehen  allezeit  das  Angesicht  meines  Vaters.  Dieser  Geist 
gehet  alleztit  vmd  steht  vor  Gott  und  sieht  sein  Angesicht,  und 
wer  den  Tempel  schädigt,  in  dem  er  wohnt,  über  den  beklagt 
er  sich  vor  Gott''. 

Du  siehst  o  unser  Bruder,  die  Bäuerlichkeit  der  Worte, 
welche  Ehre  si?  dem  heiligen  Geiste  zutheilen,  und  wie  die  Engel 
der  Gläubigen  aufgefasst  werden,  von  denen  unser  Herr  sagt, 
dass  sie  allezeit  das  Angesicht  seines  Vaters  sehen.  Diese  An- 
sicht wird  auch  festgehalten  in  denjenigen  seiner  Worte,  die 
gegen  Ende  der  Abhandlung  „Von  der  Auferstehung  der  Todten" 
stehen,  die  ich  w>gen  der  Länge  der  Stelle  vermeide  hier  an- 
zuführen. 

Diese  Stellen,  n  denen  die  Geister  aufgefasst  werden,  wie 
mitgetheilt  ist,  lassei  wir  und  wollen  zu  dem  Anderen  kommen, 
woran  deine  Brüderichkeit  als  Ausspruch  dieses  Mannes  er- 
innert hat.  Er  sagt  lämlich  in  der  Abhandlung  über  die  Wein- 
beere, dass  Noah  bis  zim  58.  Lebensjahre  Abrahams  gelebt  und 
in  Ur  in  Chaldäa  gewdmt  habe,  und  dass  er  daselbst  gestor- 
ben und  begraben  woiien  sei.  Und  auch  von  Sem  sagt  er, 
dass  er  bis  zum  52.  L6ensjahre  Jakobs  gelebt  habe.  Wisse 
nun,  o  Freund  der  Belebung,  dass  dieser  Schriftsteller  nach  der 
Ueberlieferung  der  Schrifen  der  Juden  alle  seine  Berechnungen 
gemacht  hat  und  nicht  nah  der  Ueberlieferung  der  Septuaginta 
oder  nach  der  Ueberlieferuig  der  Samaritaner,  wie  du  ja  auch 
vorher  geschrieben  hast.  Li  aber  schliesse  dich  an  die  Ueber- 
lieferung der  L^ebersetzung  der  Septuaginta  an  und  folge  ihr 
und  zwar  besonders  in  Bezuf.  auf  die  Jahre  der  Erzväter;  denn 
das  bezeugen  die  weisen  Schtftsteller,  dass  sie  wahrer  sind  als 

Texte  und  Untersuchungen  HI,  3.  -i.  **** 


L  Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber. 

diese  anderen;  indem  du  von  Adam  bis  zur  SintÜutli  2242  Jahre 
festhältst  und  von  der  Fluth  bis  zu  Abraham  943  Jahre,  und 
von  Adam  bis  zu  Abraham  3185  Jahre;  und  von  Abraham  bis 
zum  Auszug  Israels  aus  Aegypten  515  Jahre,  und  von  dem  Aus- 
zug bis  zum  Anfang  des  Baues  des  Tempels  480  Jahre,  wie  es 
im  Buch  der  Könige  geschrieben  steht;  und  von  dem  Anfang 
des  Baues  des  Tempels  bis  zu  seiner  Verbrennung  durch  Nebu- 
kadnezar  441  Jahre;  und  von  der  Verbrennung  des  Tempels  bis 
zum  Anfang  der  Jahre  der  Griechen  280  Jahre;  im  Ganzen 
aber  sind  von  Adam  bis  zum  Anfang  der  Jahre  der  Griechen 
4901  Jahre,  und  von  Adam  bis  zu  diesem  Jahre,  dem  Jahre 
1025  der  Griechen,  sind  es  5926  Jahre,  indem  an  6^00  Jahren 
74  Jahre  fehlen. 

Betreffs  dessen  aber,  das  deine  Brüderlichkeit  gefragt  hat  — 
damit  auch  dieses  nicht  ohne  Antwort  gelassen  w«rde  —  wes- 
halb Noah  seine  Zeitgenossen  nicht  ermahnte,  das^  sie  das  Bild 
des  Kenan,  des  Sohnes  des  Arpakschad,  nicht  rerehrten,  und 
Sem  wiederum  diejenigen  seines  Geschlechtes,  dass  sie  den 
Götzen  nicht  dienten  —  hierauf  antworten  wir  lurz:  Wegen  der 
Freiheit  und  Selbständigkeit,  die  Gott  dem  Geschlecht  der 
Menschen  gegeben  hat,  wonach  er,  wenn  er  vill,  sündigt,  und, 
wenn  er  will,  gerecht  handelt.  Deshalb  luilen  diejenigen  aus 
jener  Zeit  auch  nicht  in  den  100  Jahren  va"  der  Sintfluth,  da 
sie  Noah  sahen,  wde  er  Cedern  pflanzte  uxd  zersägte  und  die 
Arche  baute  zur  Rettung,  Reue  empfunden,  noch  sind  sie  um- 
gekehrt von  ihren  bösen  Wegen,  sondern  se  assen  imd  tranken, 
freieten  und  Hessen  sich  freien,  bis  die  Sntfluth  kam  mid  alle 
vernichtete,  nach  dem  Wort  des  Herrn.  Wiederum  auch  nach 
der  Sintfluth  wollte  weder  Kenan,  der,  wie  gesagt  wird,  ein 
grosser  Zauberer  und  Bösewicht  war  mid  deshalb  vergöttert 
wurde,  noch  alle  die  Zeitgenossen  N/)ahs  und  Sems  sich  be- 
lehren lassen,  um  abzulassen  von  ih/en  bösen  Wegen,  wemi 
anders  sie  von  ihnen  ermahnt  Avurd'U.  Es  gibt  jedoch  auch 
Einige,  die  da  sagen,  dass  in  den  Tagen  des  Sarug  die  Menschen 
anfingen  Bilder  zu  machen  und  Götzfii  zu  verehren.  Und  wenn 
dies  wahr  ist,  so  erreichten  also  w/der  Noah,  noch  sein  Sohn 
Sem  jene  Zeit,  da  es  ja  von  der  Sinfluth  bis  zu  Sarug  —  selbst- 
verständlich nach  der  UebersetzuW  der  Septuaginta  —  unter 
Zurechnung  auch  der  130  Jahre  is  Kenan  794  Jahre  sind.    Es 


Brief  Georgs,  Bischofs  der  Araber.  Li 

lebte  aber  Noah  nach  der  Sintfluth  330  (350)  Jahre,  also  444 
Jahre  weniger  denn  794  Jahre.  Sem  aber  lebte  nach  der 
Fluth  500  Jahre,  also  494  (294)  Jahre  weniger  als  die  794  Jahre 
bis  Sarug. 

Der  ganze  Inhalt  dieser  3  Kapitel  bezieht  sich  auf  das, 
was  deine  Gottesliebe  uns  gefragt  hat  über  den  persischen 
Weisen  und  über  einige  Worte,  die  in  seiner  Schrift  ge- 
schrieben stehen. 


Inlialtsverzeicliiiiss. 

Seite 

Homilie          I.    Die  Unterweisung  vom  Glauben 1 —  19 

,,               IL    Die  Unterweisung  von  der  Liebe 2Ü —  40 

„             111.    Die  Unterweisung  vom  Fasten 41 —  52 

„             IV.    Die  Unterweisung  vom  Gebet 53^  68 

„              V.    Die  Unterweisung  von  den  Kriegen 69 —  88 

„             VI.    Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern  .     .  89—113 

„           VII.    Die  Unterweisung  von  der  Busse 114 — 129 

„  VIII.    Die  Unterweisung    von    der   Auferstehung    der 

Todten 130—144 

„             IX.    Die  Unterweisung  von  der  Demuth 145 — 157 

,,              X.    Die  Unterweisung  von  den  Hirten 158—165 

„             XI.    Die  Unterweisung  von  der  Beschneidung      .     .  166 — 178 

„           XII.    Die  Unterweisung  vom  Pascha 179—195 

„          XIll.    Die  Unterweisung  vom  Sabbath 196—206 

„          XIV.    Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung     .     .     .  207 — 258 
„            XV.    Die  Unterweisung  über  die  Unterscheidung  der 

Speisen 259—269 

„  XVI.  Die  Unterweisung  über  die  zwölf  Stämme  unter 
den  Völkern,  die  an  die  Stelle  des  Volkes  ge- 
treten sind 270—278 

„        XVII.    Die  Unterweisung,  die  von  Christus  zeigt,  dass 

er  Gottes  Sohn  ist 279—289 

,,       XVIII.    Die    Unterweisung    vom   jungfräulichen  Leben 

und  von  der  Heiligkeit,  gegen  die  Juden  .     .  290 — 298 
„          XIX.    Die  Unterweisung  gegen  die  Juden  darüber,  dass 
sie  sagen,  dass  es  bestimmt  sei  für  sie,  ver- 
sammelt zu  werden 299 — 314 

„  XX.    Die  Unterweisung  von    der  Unterstützung  der 

Armen 315 — 328 

„          XXI.    Die  Unterweisung  von  den  Verfolgungen  .     .     .  329 — 348 
„        XXII.    Die    Unterweisung   vom  Tod    und    den   letzten 

Zeiten 349—368 

„       XXIII.    Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere  ....  369—418 

Verzeichniss  der  Schriftcitate 419 — 431 


.  .  .  . '}.  Und  öffnest  mir  die  geistigen  Sinne  deines  Verstandes 
und  belehrst  mich  über  das,  was  du  aus  den  heiKgen  Schriften 
erfasst  hast,  damit  mein  Mangel  von  dir  ausgefüllt  und  mein 
Hunger  von  deiner  Lehre  satt  werde,  und  mein  Durst  an  der 
Quelle  deines  Flusses  gestillt  werde.  Denn  ich  habe  gar  Vieles 
auf  dem  Herzen,  das  ich  dich  fragen  will,  aber  alles  bleibt  bei 
mir  aufbewahrt,  dass,  wenn  ich  zu  dir  komme,  du  mich  über 
alle  Dinge  belehrest. 

Vor  allem  aber  möchte  ich,  dass  du  mir  über  das,  was  mich 
beunruhigt,  schreibest  und  mich  unterweisest;  Über  unsern  Glau- 
ben, welcher  Art  derselbe  ist,  welches  seine  Grundlage  ist,  und 
worauf  der  Bau  sich  erhebt,  und  worauf  er  gegründet  ist,  und 

wie   seine-) und   seine   Vollendung  beschaffen    ist,    und 

welche  Werke   für  ihn  erforderlich  sind.    Denn  ich  glaube  nur, 


1)  Die  zwei  ersten  Zeilen  dieses  unsere  Homilien  veranlassenden  Briefes 
fehlen  in  den  Manuscripten  vollständig.  Von  der  3 — 5.  Zeile  sind  nur 
kleine  Bruchstücke  vorhanden.  Zeilen  6  —  20  fehlen  in  Handschrift  B.  Die 
lateinische  Übersetzung  der  armenischen  Bearbeitung  unserer  Homilien 
hat  als  Überschrift  und  in  den  5  ersten  Zeilen  unseres  Briefes  Folgendes: 

Brief  unseres  heiligen  Gregor  Illuminator  an  den  heiligen  Jakob 
Bischof  von  Nisibis  (vgl.  Einleitung). 

Ich  sende  dir,  mein  Lieber,  einige  Fragen,  über  die  ich  um  Rath 
fragen  muss.  Möchtest  du  mir  das  Gehör  nicht  verweigern.  Denn  es  ist 
vieles,  was  ich  bei  mir  im  Geiste  überlege,  und  wodurch  ich  bewogen 
worden  bin,  an  dich  zu  schreiben,  dass  du  mir  öffnest  etc. 

2)  Hier  fehlt  ein  Wort  im  syr.  Text.  Die  lateinische  Übersetzung  des 
Arm.  hat:  quibus  rebus  firmetur  et  quibus  rebus  indigeat,  ut  perficiatur. 
Die  arm.  Übersetzung  bezieht  also  oi-ii  auf  )\!>.-iaAc.  Wenn  wir  die 
letzte  Zeile  dieses  Briefes  vergleichen,  so  wird  es  uns  wahrscheinlich,  dass 
es  auf  IZnTVi^oi  zu  beziehen  ist. 

Texte  und  Untersuchungeu  III,  3.  4.  1 


2 

dass  ein  Gott  ist,  der  Himmel  und  Erde  am  Anfang  gemacht 
hat,  und  dass  er  die  Welt  mit  seil. on  Herrlichkeiten  geschmückt 
hat,  und  dass  er  den  Menschen  nach  seinem  Bilde  gemacht  hat, 
und  dass  er  es  ist,  der  das  Opfer  Abels  angenommen  hat,  und 
dass  er  Henoch  entrückt  hat,  darum  dass  er  an  ihm  sein  Wohlge- 
fallen hatte,  und  dass  er  Noah  errettet  hat  um  seiner  Gerechtig- 
keit willen,  und  dass  er  Abraham  erwählt  hat  um  ^)  seines  Glau- 
bens willen,  und  dass  er  mit  Moses  geredet  hat  um  seiner  De- 
niuth  willen,  und  dass  er  durch  alle  Propheten  geredet  hat,  und 
dass  er  ferner  seinen  Messias  in  die  Welt  gesandt  hat.  Daran, 
mein  Bruder,  glaube  ich  also,  dass  es  sich  so  verhält.  Deshalb, 
mein  Bruder,  bitte  ich  dich,  dass  du  mir  schreibest  und  mich 
belehrest,  welche  Werke  für  diesen  unsern  Glauben  erforderlich 
sind,  und  mich  beruhigst. 


1)  Hier  beginnt  Handschrift  B. 


Die  Unterweisung')  vom  Grlanben. 

Deinen  Brief,  mein  Lieber,  habe  ich  empfangen,  und  da  ich 
ihn  las,  machte  er  mir  grosse  Freude,  weil  du  deine  Gedanken 
auf  diese  Untersuchungen  gerichtet  hast.  Denn  diese  Frage,  die 
du  mir  gestellt  hast  —  (Es  gilt  das  Wort)  ^)  Umsonst  gegeben, 
mnsonst  empfangen:  wer  da  hat,  und  will  es  versagen  dem.  der 
ihn  darum  bittet,  von  dem  soll  genommen  werden,  was  er  ver- 
sagt; denn  wer  in  Güte  empfangen  hat,  dem  ziemt  es  auch,  dass 
er  in  Güte  gebe  —  Was  du  nun,  mein  Lieber,  mich  gefragt, 
darüber  will  ich  dir,  soweit  meine  Schwachheit  es  versteht,  schrei- 
ben. Und  auch,  worum  du  mich  nicht  gebeten  hast,  das  will 
ich  von  Gott  erflehen  und  dich  lehren.  So  höre  mich  denn,  mein 
Lieber,  und  öffne  mir  die  inneren  Augen  deines  Herzens  und  die 
geistigen  Sinne  deines  Verstandes  (für  das),  was  ich  dir  sagen 
will.  Denn  der  Glaube  ist  aus  vielen  Dingen  zusammengesetzt, 
und  mit  vielen  Farben  geschmückt.  Denn  er  gleicht  einem  Bau, 
der  aus  vielem  Material  aufgebaut  ist,  und  sein  Bau  steigt  bis 
in  die  Höhe.  Aber  wisse,  mein  Lieber,  dass  in  den  Fundamenten 
eines  Baus  Felsen  gelegt  werden,  und  dann  auf  den  Felsen  steigt 
der  ganze  Bau  bis  zu  seiner  Vollendung.  So  auch  ist  das  Fun- 
dament '^)  unseres  ganzen  Glaubens  der  wahre  Felsen,  welcher  ist 
unser  Herr  Jesus  Christus  *).  Und  auf  diesen  Felsen  ist  der  Glaube 
gegründet.  Und  auf  dem  Glauben  erhebt  sich  der  ganze  Bau 
bis  zu  seiner  Vollendung.  Dieses  Fundament  aber  ist  der  An- 
fang des  ganzen  Gebäudes.  Denn  wenn  jemand  zum  Glauben 
kommt,  dann  ist  er  auf  den  Felsen  gegründet,  welcher  ist  unser 
Herr  Jesus   Christus^).     Und   sein  Haus   wird   von   den  Wellen 


1)  ]£— a-*Z  =  ostensio,  demonstratio.  —  2)  Ungenau  nach  Matt.  10,  8. 
Aphr.  (Vgl.  S.  199,  20.  S.  456,  15  des  syr.  Textes)  hat  hier  wie  Ephr.  glei- 
chen Schrifttext  mit  Pesch.  —  3)  A  Plural.  —  4)  Vgl.  1.  Cor.  3,  11.  — 
5)  Vgl.  1.  Cor.  10,  4. 

1* 


4  Honiilie  I. 

nicht  erschüttert  untl  von  den  Winden  nicht  verletzt  und  von 
den  Stürmen  fällt  es  nicht,  darum  dass  sein  Bau  sich  erhebt 
auf  dem  Gestein  des  wahren  Felsen  ').  Dass  ich  Cliristum  Felsen  -) 
nenne,  das  sage  ich  nicht  aus  meiner  Seele,  sondern  die  Propheten 
haben  ihn  schon  vormals  Felsen  genannt:  und  ich  will  es  dir 
zeigen. 

§  2.  Für  jetzt  aber  höre  über  den  Glauben,  der  auf  den 
Felsen  gegründet  ist,  und  über  den  Bau,  der  auf  dem  Felsen  sich 
erhebt.  Denn  zuerst  glaubt  der  Mensch;  und  sobald  er  glaubt, 
liebt  er,  und  sobald  er  liebt,  hofft  er,  und  sobald  er  hofft,  wird 
er  gerecht,  und  sobald  er  gerecht  ist,  wird  er  vollendet,  und  so- 
bald er  vollendet  ist,  wird  er  vollkommen.  Und  wenn  sein 
ganzer  Bau  aufsteigt  und  vollendet  und  vollkommen  ist,  alsdann 
ist  er  ein  Haus  und  Tempel  zur  Wohnung  Christi.  Wie  der 
Prophet  Jereraias  sagt:  Der  Tempel  des  Herrn,  der  Tempel  des 
Herrn,  der  Tempel  des  Herrn  seid  ihr,  wenn  ihr  bessert  eure 
Wege  und  eure  Werke  ^),  Und  wiederum  spricht  er  in  dem 
Propheten:  Ich  will  in  ihnen  wohnen  und  in  ihnen  wandeln  ■*). 
Und  auch  der  selige  Apostel  spricht  also:  Ihr  seid  der  Tempel 
Gottes,  und  der  Geist  Christi  wohnt  in  euch-^).  Und  auch  der 
Herr  spricht  weiter  also  zu  seinen  Jüngern:  Ihr  seid  in  mir  und 
ich  in  eucli'^O- 

§  3.  Wenn  nun  das  Haus  zur  Wohnstätte  wird,  dann  fängt 
der  Mensch  an  Sorge  zu  tragen  für  das,  was  dem,  der  im  Hause 
wohnt,  nöthig  ist,  gleich  als  ob  ein  König  oder  ein  hochge- 
ehrter Mann,  über  welchem  ein  königlicher  Name  genannt  wird, 
in  dem  Hause  wohnte.  Es  kommen  aber  dem  Könige  zu  alle 
Insignien  des  Königthums  und  aller  dem  König  gebührende 
Ehrendienst.  Denn  in  einem  Hause,  das  leer  ist  von  allen  Gü- 
tern, wohnt  der  König  nicht  und  bleibt  nicht  darin,  sondern  der 
König  verlangt  allen  Schmuck  des  Hauses,  da  nichts  darin  fehlt. 
Und  wenn  etwas  fehlt  daselbst  in  dem  Hause,  darin  der  König 
wohnet,  so  ist  der  Hüter  des  Hauses  dem  Tode  verfallen,  darum 
dass  er  nicht  den  Dienst  dem  Könige  zugerichtet  hat. 

§  4.  Also  möge  auch  der  Mensch,  der  da  ist  ein  Haus  und 
eine  Wohnstätte  für  Christum,  zusehen,  was  zum  Dienste  Christi, 

1)  Vgl.  Matt.  7,  24.  25.  —  2)  A  fügt  hinzu:  das  Fundament  des  Baues. 
—  3)  Jerem.  7,  4.  5.  —  4)  2.  Cor.  6,  16  vgl.  Ezech.  43,  9  und  3.  Mos.  26, 
12.  —  5)  1.  Cor.  3,  16.  —  6)  Joh.  14,  20. 


Die  Unterweisung  vom  Glauben.  5 

der  in  ihm  wohnt,  gehört,  nnd  mit  diesen  Dingen  schmücke  er 
es  ans.  Denn  znerst  baut  er  seinen  Bau  auf  den  Felsen,  wel- 
cher ist  Christus,  und  auf  diesen  Felsen  wird  der  Glaube  ge- 
gründet, und  auf  dem  Glauben  erhebt  sich  der  ganze  Bau.  Und 
es  gehöret  zum  Bewohnen  des  Hauses:  Reines  Fasten,  und  das 
kommt  durch  den  Glauben  zu  Stande.  Und  es  wird  ^)  reines 
Gebet  gefordert,  und  das  wird  durch  den  Glauben  angenehm. 
Und  nützlich  ist  die  Liebe,  und  sie  wü'd  durch  den  Glauben  in 
richtiges  Yerhältniss  gebracht.  Und  es  sind  Almosen  nöthig, 
und  sie  werden  im  Glauben  gegeben.  Und  es  erfordert  Demuth, 
und  diese  wird  durch  Glauben  geschmückt.  Und  er  erwählt 
sich  jungfräuliches  Leben,  und  das  wird  durch  den  Glauben  ge- 
liebt. Und  er  lässt  die  Heiligkeit  zu  sich  nahen,  und  die  wird 
durch  den  Glauben  gepflanzt.  Und  er  sinnt  auf  Weisheit,  und 
die  wird  durch  den  Glauben  gefunden.  Und  er  verlangt 
auch  Gastfreundschaft,  und  sie  wird  durch  den  Glauben  ge- 
mehrt. Und  er  verlangt  Einfachheit,  und  durch  den  Glauben 
wird  sie  eingeprägt.  Und  er  bedarf  auch  Geduld,  und  sie  wird 
durch  den  Glauben  vollendet.  Und  er  wird  erquickt  durch  Ge- 
lassenheit, und  die  wird  durch  den  Glauben  erworben.  Und  er 
liebt  Askese,  und  sie  erscheint  durch  Glauben.  Und  er  fordert 
auch  Reinheit,  und  die  wird  durch  den  Glauben  bewahrt.  Alle 
diese  Dinge  fordert  der  Glaube,  welcher  gegründet  ist  auf  das 
Gestein  des  wahren  Felsen,  welcher  ist  Christus,  und  diese  Dinge 
sind  nöthig  für  den  König  Christus,  der  in  den  Menschen  wohnt, 
die  aus  diesen  Werken  auferbaut  sind. 

§  5.  Wenn  du  aber  sagst:  Wenn  Christus  als  Fundament 
gelegt  ist,  wie  kann  dann  auch  Christus  in  dem  Bau  wohnen, 
wenn  er  vollendet  ist?  —  so  wisse,  dass  Beides  der  selige  Apostel 
gesagt  hat.  Er  sagt  nämlich-):  Ich  habe  wie  ein  weiser  Bau- 
meister das  Fundament  gelegt.  Und  er  bestimmt  dort'^)  das 
Fundament  und  beschreibt  es;  er  spricht  nämlich  also^):  Einen 
anderen  Grund  kann  niemand  legen,  ausser  dem,  der  gelegt  ist, 
welcher  ist  Jesus  Christus.  Und  dass  Christus  wiederum  in  dem 
Bau^)  wohnt,   davon  redet  das  Wort,   das  oben  geschrieben  ist, 

1)  A  fügt  zu  ^zJ.,  weiter.  —  2)  1.  Cor.  3,  lü.  —  3)  A  setzt  statt 
^i^Z'  dort  -.cc-l;  weiter  wiederum.  —  4)  1.  Cor.  3,  11.  —  .5)  A  liest  statt 
(.1^.1  c^ ,  in  dem  Bau,  IjtJ]-^!  ".''■  in  den  ^lenschen. 


Q  Homilie  I. 

da  Jeremia  die  Menschenkinder  Tempel  nennt  und  von  Gott  sagt, 
dass  er  in  ihnen  wohne.  Und  der  Apostel  sagt^j:  Der  Geist 
Christi  wohnet  in  euch.  Und  unser  Herr  sagt  2):  Ich  und  der 
Vater  sind  eins.  Und  so  stimmen  die  beiden  Worte  überein, 
dass  Christus  wohnet  in  denjenigen  Menschen,  die  an  ihn  glau- 
ben, und  dass  er  das  Fundament  ist,  auf  welchem  der  ganze  Bau 
sich  erhebt. 

§  (5.  Nun  komme  ich  zu  meinem  ersten  Wort,  da  ich  ge- 
sagt habe,  dass  Christus  in  den  Propheten  Fels  genannt  werde. 
Zuerst  nämlich  sagt  David '^)  über  ihn:  Der  Fels,  den  die  Bau- 
leute verworfen  haben,  ist  zum  Schlussstein ^)  geworden.  Denn 
wie  anders  haben  die  Bauleute  diesen  Felsen,  welcher  ist  Christus, 
verworfen,  als  damals  vor  Pilatus,  da  sie  sprachen^):  dieser  soll 
nicht  König  über  uns  sein;  und  dann  wiederum  in  dem  Gleich- 
niss,  das  unser  Herr  gesagt  hat"):  Ein  Mann  aus  vornehmem  Ge- 
schlecht zog  aus,  dass  er  ein  Königreich  einnehme  und  wieder 
umkehre  und  über  sie  herrsche;  und  sie  schickten  nach  ihm 
Boten  aus  und  sprachen:  dieser  soll  nicht  König  über  uns  sein. 
Dadurch  verwarfen  sie  den  Felsen,  welcher  ist  Christus.  Und 
wie  anders  ist  er  der  Schlusssteiu  des  Baus  geworden,  als  da- 
durch dass  er ' )  sich  erhob  über  den  Bau  der  Völker ,  und  dass 
auf  ihm  ihr  ganzer  Bau  sich  erhebt.  Wer  sind  die  Bauleute 
anders  als  die  Priester  und  Pharisäer,  die  nicht  den  wahren  Bau 
bauten,  sondern  zerstörten,  was  er  gebaut  hatte;  wie  geschrieben 
ist  in  dem  Propheten  Hesekiel  ^) :  Er  hatte  eine  Wand  aufgebaut, 
und  sie  stiessen  daran,  dass  sie  umfalle.  Und  wiederum  steht 
geschrieben  9) :  Ich  suchte  unter  ihnen  einen  Mann,  der  einen 
Zaun  ziehe  und  stehe  in  dem  Riss  vor  dem  Land,  dass  ich  es 
nicht  zerstöre,  und  ich  fand  ihn  nicht.  Und  wiederum  weissagte 
auch  Jesaia  über  diesen  Felsen;  denn  er  sagfi'^):  So  spricht  der 


1)  1.  Cor.  3,  16.  —  2)  Job.  10,  30.  —  3)  Ps.  118,  22.  Vgl.  Matt.  21,  42. 
Marc.  12,  10.    Act.  4,  11  (1.  Pet.  2,  7). 

4)  Aph.  fasst  rtsB  lasi  Ps.  1 1 8,  22,  das  Luther  und  Bickell  (Syr.  Kirchen- 
väter 102  und  103  S.  22)  mit  Eckstein  übersetzen,  als  den  die  Spitze  des 
Baus  bildenden,  den  ganzen  Bau  abschliessenden  Schlussstein;  sodass 
Christus  zugleich  Fundament  und  Schlussstein  des  Baus  der  Kirche  ist. 
Vgl.  §  7  dieser  Homilie. 

5)  Joh.  19,  15.  —  6)  Luc.  19,  14.  —  7)  nämlich  der  Schlussstein.  — 
8)  Ezech.  13,  10.  II.  —  9)  Ezech.  22,  30.  —  10)  Jes.  28,  16. 


Die  Unterweisung  vom  Glauben.  7 

Herr,  siehe  ich  habe  in  Ziou  einen  auserwählten  Stein  gelegt 
an  einer  hervortretenden  Ecke  als  Eckstein  des  Fundaments. 
Und  er  sagt  wiederum  daselbst  \) :  Jeder,  der  an  ihn  glaubt,  wird 
sich  nicht  fürchten,  und  wer  auf  diesen  Stein  fällt,  wird  zer- 
schellen, und  jeden,  auf  den  er  fällt,  wird  er  zermalmen.  Es  ist 
nämlich  auf  ihn  gefallen  das  Volk  Israel,  und  es  ist  seine  Zer- 
störung ewig.  Und  er  ist  wiederum  auf  das  Bild  -)  gefallen  und 
hat  es  zermalmt.  Und  es  glaubten  an  ihn  die  Völker  und  sie 
fürchten  sich  nicht. 

§  7.  Und  er  lehrt  von  diesem  Felsen,  dass  er  als  Schluss- 
stein  und  als  Fundament  gesetzt  ist.  Wenn  aber  der  Felsen  als 
Fundament  gelegt  ist.  wie  kann  er  auch  Schlussstein  sein?  — 
Auf  folgende  Weise:  Da  unser  Herr  kam,  legte  er  seinen  Glau- 
ben auf  Erden  als  Fundament,  und  er  stieg  über  alle  Himmel 
als  der  Schlussstein,  und  der  ganze  Bau  wird  durch  die  Felsen 
unten  und  oben  abgeschlossen.  Dass  ich  von  dem  Glauben  ge- 
sagt habe:  Er  hat  seinen  Glauben  auf  Erden  gegründet,  das  hat 
auch  David  zuvor  verkündigt  über  Christus.  Denn  er  sagt  •') : 
Der  Glaube  wächst  aus  der  Erde;  und  dass  er  in  der  Höhe  ist, 
das  sagt  er  in  dem  Wort  3}:  Gerechtigkeit  schaut  vom  Himmel. 

Und  wiederum  auch  Daniel  redet  von  diesem  Felsen,  wel- 
cher ist  Christus;  er  sagt  nämlich^):  Ein  Stein  wird  losgelöst 
von  der  Mauer  ohne  Hände,  und  er  zerschlägt  das  Bild,  und  es 
Avird  von  ihm  erfüllt  die  ganze  Erde.  Das  hat  er  zuvor  ver- 
kündigt von  Christo,  von  welchem  die  ganze  Erde  erfüllt  ist. 
Von  dem  Glauben  an  Christum  nämlich  sind  erfüllt  alle  Grenzen 
der  Erde;  wie  David  gesagt  hat''):  Auf  die  ganze  Erde  gehet 
aus  die  Stimme  des  Evangeliums  von  Christo.  Und  wiederum 
zu  seinen  Jüngern,  da  er  sie  aussendet,  spricht  er  so  ^') :  Gehet  aus 
und  lehret  alle  Völker,  und  sie  werden  an  mich  glauben.  Und 
auch  der  Prophet  Sacharia  wiederum  hat  geweissagt  über  diesen 
Felsen,  welcher  ist  Christus.  Er  sagt  nämlich'):  ich  habe  einen 
erhabenen  Felsen  gesehen,  der  da  ist  Gerechtigkeit  und  Barm- 
herzigkeit. Dass  er^)  ihn  erhaben  nennt,  das  ist,  dass  er  bei 
seinem  Vater  ist.  Dass  er  wiederum  von  Barmherzigkeit  redet, 
das  geschieht  darum,  dass  er,  der  in  die  Welt  gekommen  ist,  so 

1)  Jes.  28,  16.  —  2)  Vgl.  Dan.  2,  34.  —  3)  Ps.  85,  12.  —  4)  Dan.  2, 
34.  35.  —  5)  Ps.  19,  4.  —  6)  Matt.  28,  19.  —  7)  Zachai-.  4,  7.  —  8)  A: 
Warlfni  anders  nennt  er  ihn  erhaben,  als  weil  er  bei  seinem  Vater  ist. 


§  Homilie  I. 

zu  seinen  Jüngern  gesagt  hat'):  das  ist  mein  Gebot,  dass  ihr 
euch  einander  liebt:  und  Aviederum  sagt  er"-^):  ich  habe  euch 
Freunde  genannt.  Und  der  selige  Apostel  sagt  so^):  Gott  hat 
sich  über  uns  erbarmt  in  der  Liebe  seines  Sohnes,  Christus"*') 
hat  uns  wahrhaftig  geliebt  und  hat  seine  Seele  für  uns  dahm- 
gegeben. 

§  S.  Und  er  beschreibt  uns  den  Felsen  und  lehrt  ül^er 
ihn  ^) :  Auf  diesem  Felsen  habe  ich  7  Augen  geöffnet.  Und  wer 
sind  diese  7  Augen,  die  auf  diesem  Felsen  geöffnet  sind,  anders 
als  der  Geist  Gottes,  der  auf  Christo  ruhet  in  den  7  Gaben:  wie 
der  Prophet  Jesaia  sagf^j:  Es  wird  ruhen  und  wohnen  auf  ihm 
der  Geist  Gottes,  der  Geist  der  Weisheit,  des  Verstandes, 
des  Rathes,  der  Stärke,  der  Erkenntniss  und  der  Furcht  des 
Herrn.  Das  sind  die  7  Augen,  die  auf  dem  Felsen  geöffnet  sind, 
und  das  sind  die  7  Augen  des  Herrn,  die  da  schauen  auf  die 
ganze  Erde.  Und  auch  das^)  ist  von  Christo  gesagt,  denn  er 
spricht:  Es  ist  gegeben  ein  Licht  allen  Völkern,  wie  der  Prophet 
Jesaia  sagf^):  Ich  habe  dich  zu  einem  Licht  unter  allen  Völkern 
gemacht,  dass  du  seiest  mein  Heil  bis  an  die  Enden  der  Erde. 
Und  auch  David  wiederum  sagt''^):  Dein  Wort  ist  meines  Fusses 
Leuchte  und  ein  Licht  auf  meinem  Wege.  Und  auch  das  Wort 
und  die  Rede  des  Herrn  ist  Christus;  wie  geschrieben  ist  am  An- 
fang des  Evangeliums  unseres  Erlösers  ^^j :  Am  Anfang  war  das 
Wort*').  Und  über  das  Licht  wiederum  bezeugt  er  daselbst^-): 
Das  Licht  leuchtete  in  der  Finsterniss,  und  die  Finsterniss  hat  es 
nicht  begriffen.  Und  was  bedeutet  das:  Das  Licht  leuchtete  in 
der  Finsterniss  und  die  Finsterniss  hat  es  nicht  begriffen,  anders. 


I)  Joh.  15,  12.  —  2)  Jok  1.5,  15.  —  3)  Rom.  5,  S.  10?  —  4)  Ephes. 
.5,  2.  —  5)  Zachar.  3,  9.  —  6)  Jes.  9,  2.  —  7)  Nämlich  dass  seine  Augen 
schauen  auf  die  ganze  Erde.  —   S)  Jes.  49,  (i.  —  9)  Ps.  119,  105.  —  10) 

1  -  -•  -  wörtlich  unser  Lebendigmacher. 

II)  Hier  wird  als  Anfang  ,,des  Evangeliums  unseres  Erlösers"  bezeich- 
net: ,.Im  Anfang  war  das  Wort".  Auffallend  ist  die  Bezeichnung:  .,das 
Evangelium  unsers  Erlösers''  ohne  nähere  Bezeichnung,  welches  der  ein- 
zelnen Evangelien  gemeint  sei.  Die  Evangelienharmonie  des  Tatian  be- 
gann mit  Joh.  1.1.  Es  ist  dieses  Citat  darum  ein  Zeugniss  dafür ,  dass 
dieses  „Evangelium  unsei-es  Erlösers",  nach  welchem  Aphr.  hier  citirt,  das 
Diatessar.  des  Tat.  ist.     Vgl.  Einleitung  und  spätere  Anmerkungen. 

12)  Joh.  1,  5. 


Die  Untenveisving  vom  Glauben.  9 

als  tlass  Christus  sein  Licht  leuchten  liess  unter  dem  Volke  des 
Hauses  Israel,  und  das  Volk  des  Hauses  Israel  das  Licht  Christi 
nicht  begriffen  hat,  indem  sie  nicht  an  ihn  glaubten:  wie  ge- 
schrieben steht ') :  Er  kam  in  sein  Eigenthum,  und  sein  Eigenthum 
nahm  ihn  nicht  auf.  Und  auch  unser  Herr  Jesus  nennt  sie 
Finsterniss,  denn  er  sagt  zu  seinen  Jüngern-):  Was  ich  euch 
sage  in  Finsterniss,  das  saget  ihr  im  Licht-*);  unter  den  Hei- 
den nämlich  soll  euer  Licht  leuchten,  denn  diese  nahmen 
das  Licht  Christi  auf,  der  da  ist  das  Licht  der  Völker.  Und  er 
sagt  wiederum  zu  seinen  Aposteln^):  ihr  seid  das  Licht  der  Welt. 
L"nd  wiederum  sagt  er  zu  ihnen  ^;:  Lasset  euer  Licht  leuchten 
vor  den  Leuten,  dass  sie  eure  guten  Werke  sehen  und  euren 
Vater  im  Himmel  preisen.  Und  wiederum  lehret  er  von  sich 
selbst,  dass  er  sei  das  Licht,  denn  er  sagt  zu  seinen  Jüngern^;: 
Wandelt,  solange  das  Licht  bei  euch  ist,  bevor  euch  die  Finster- 
niss ergreift.  Und  wiederum  sagt  er  zu  ihnen "  :  Glaubet  an  das 
Licht,  damit  ihr  Kinder  des  Lichtes  seid.  L'ud  wiederum  sagt 
er  ^) :  Ich  bin  das  Licht  der  Welt.  Und  wiederum  sagt  er  '■') : 
Niemand  zündet  ein  Licht  an  und  setzt  es  unter  einen  Scheffel 
oder  unter  ein  Bett,  oder  setzt  es  an  einen  verborgeneu  Ort; 
.•sondern  setzt  es  auf  einen  Leuchter,  damit  jedermann  den  Schein 
des  Lichtes  sehe.  Und  das  helle  Licht  ist  Christus,  wie  David 
.^-agt^^J:  Dein  Wort  ist  meines  Fusses  Leuchte  und  ein  Licht  auf 
meinem  Wege.  Und  wiederum  sagt  auch  der  Prophet  Hosea  '  ^] : 
Zündet  das  Licht  an  und  suchet  deu  Herrn.  Und  unser  Herr 
Jesus  Christus  sagt'-):  Welche  Frau,  die  10  Groschen  hat  und 
verlieret  einen  von  ihnen,  zündet  nicht  ein  Licht  an  und  kehret 
das  Haus  und  suchet  ihren  Groschen,  den  sie  verloren  hat?  Und 
wer  ist  diese  Frau  anders  als  die  Gemeinde  des  Hauses  Israel, 
Avelcher  die  10  Gebote  gegeben  waren,  uud  welche  das  erste  Ge- 
bot verloren  hat.  durch  welches  er  sie  ermahnt  hat  und  ge- 
sprochen '-*):  Ich  bin  der  Herr  euer  Gott,  der  euch  aus  dem  Lande 
Aegypten   geführet  liat.      Und   nachdem   sie   dieses    erste   Gebot 

1)  Joh.  1,  11.  —  2)  Matt  10,  27.  —  3)?  Auch  Wright  hat  mit  der 
löm.  Ausgabe  der  armenischen  Übersetzung  die  Bemerkung:  In  quatuor 
evangeliis,  quibus  Catholica  ecclesia  utitur,  haec  ultima  verba  non  legun- 
tur.  —  4)  Matt.  5,  14.  —  5)  Matt.  5,  IG.  —  6)  Joh.  12,  35.  —  7)  Joh.  12,  36. 
—  8)  Joh.  8,  12.  —  9)  Matt.  5,  15.  Mc.  4,  21.  Lc.  8,  16;  11,  13.  —  10)  Ps. 
119,  105.  —  11^  Hos.  10,  12?  —  12)  Lc.  15,  S.  —  13)  Exod.  2t",  2.  Deut.  5,  6. 


10  Homilie  I. 

nicht  gehalten  hatten,  so  konnten  sie  die  9,  die  nach  ihm  folgen, 
auch  nicht  halten;  (denn  an  dem  ersten  hangen  die  9) ').  Denn 
das  ist  nicht  möglich,  dass,  wenn  sie  Baal  anbeteten,  sie  die  9 
Gebote  halten  konnten ;  denn  sie  haben  das  erste  Gebot  verloren, 
wie  die  Frau,  die  einen  von  ihren  zehn  Groschen  verloren  hat. 
Und  es  ruft  ihnen  der  Prophet  zu-';:  Zündet  euer  Licht  an  und 
suchet  den  Herrn.  Und  wiederum  spricht  auch  der  Prophet 
Jesaia'^):  Suchet  den  Herrn,  ob  ihr  ihn  findet,  rufet  ihn  an;  und 
wenn  er  nahe  ist,  lasset  der  Sünder  seinen  Weg  und  der  Frevler 
seine  Gedanken.  Denn  ein  Licht  hat  er  ihnen  angezündet,  und 
sie  suchten  mit  demselben  nicht  den  Herrn,  ihren  Gott;  und 
sein  Licht  Hess  er  in  der  Finsterniss  leuchten,  und  die  Finsterniss 
hat  es  nicht  begriffen.  Und  auf  den  Leuchter  wurde  das  Licht 
gestellt,  und  die  in  dem  Hause  waren,  sahen  sein  Licht  nicht.  Und 
was  bedeutet  das  gestellt  werden  des  Lichtes  auf  den  Leuchter 
anders,  als  sein  Erheben  zum  Kreuz,  wodurch  das  ganze  Haus 
über  ihnen  dunkel  wurde?  Denn  da  sie  ihn  kreuzigten,  ver- 
dunkelte sich  das  Licht  vor  ihnen  und  leuchtete  unter  den  Völ- 
kern. Denn  von  der  Zeit  der  sechsten  Stunde,  da  sie  ihn  kreu- 
zigten, bis  zur  neunten  Stunde,  war  Finsterniss  im  ganzen  Land 
Israel,  imd  die  Sonne  ging  imter  um  Mittag,  und  das  Land  ward 
finster  am  hellen  Tag,  wie  geschrieben  steht  im  Propheten 
Sacharia^):  Es  wird  geschehen  an  diesem  Tag,  spricht  der  Herr, 
dass  ich  werde  die  Sonne  untergehen  lassen  um  Mittag  und  das 
Land  yerfinstern  am  hellen  Tag. 

§  9.  Ich  komme  aber  nun  zu  meinem  ersten  Wort  vom 
Glaiiben,  dass  auf  ihm  sich  erheben  die  schönen  Werke  des 
Baus.  Und  was  ich  wiederum  über  den  Bau  gesagt  habe,  damit 
habe  ich  nichts  fremdes  gesagt,  sondern  der  selige  Apostel  schreibt 
in  dem  ersten  Brief  an  die  Korinther  und  spricht''):  Ich  habe 
wie  ein  weiser  Baumeister  den  Grund  gelegt  und  jedermann  bauet 
darauf;  und  es  sind  solche,  die  darauf  bauen  Silber,  Gold,  Edel- 
steine, und  es  sind  solche,  die  darauf  bauen  Rohr,  Heu,  Stop- 
peln, und  am  jüngsten  Tage  wird  der  Bau  im  Feuer  geprüft 
werden.  Denn  Gold,  Silber  und  Edelsteine  werden  bewahret 
bleiben  im  Feuer,  weil  sie  der  wahre  Bau  sind.    Und  über  Heu, 


1)  Diese  Worte  fehlen  in  B.  —   2)  Hos.  10,  12?  —  3)  Jes.  .55,  6 f. 
4)  Nicht  Zach,  sondern  Arnos  8,  9.  —  5)  1.  Cor.  3,   10—12. 


Die  Unterweisung  vom  Glauben.  11 

Rohr,  Stoppeln  wird  das  Feuer  hereinbreclien,  und  sie  Averden 
verbrennen.  Und  was  ist  Gold,  Silber  und  Edelsteine,  aus  denen 
der  Bau  sich  erhebt,  anders  als  die  guten  Werke  des  Glaubens, 
die  im  Feuer  bewahret  bleiben,  weil  in  diesem  wahren  Bau 
Christus  wohnet,  und  ihn  vor  dem  Feuer  bewahret.  Lasset  uns 
aber  dies  sehen  und  verstehen  aus  dem  Torbild,  das  uns  Gott 
auch  in  dieser  Welt  giebt,  damit  uns  gewiss  werden  die  Ver- 
heissungen  jener  Welt.  Lasset  es  uns  aber  wahrnehmen  an  jenen 
drei  gerechten  Männern,  die  in  das  Feuer  gefallen  und  nicht  ver- 
brannt sind;  Chanania  und  Asaria  und  Mischael,  über  welche 
das  Feuer  keine  Gewalt  erhielt,  weil  sie  den  wahren  Bau  ge- 
baut hatten  und  zurückgewiesen  das  Gebot  des  Königs  Nebu- 
kadnezar  und  nicht  angebetet  hatten  das  Bild,  das  er  gemacht 
hatte.  Und  über  diejenigen,  welche  die  Gebote  Gottes  übertreten 
hatten,  brach  das  Feuer  sofort  herein  und  verbrannte  sie  und  sie 
verbrannten  ohne  Erbarmen.  Denn  es  verbrannten  die  Sodomiter 
wie  Heu,  Rohr  und  Stoppeln.  Und  wiederum  verbrannten  Xadab 
und  Abichu,  die  das  Gebot  Gottes  übertreten  hatten.  Wiederum 
verbrannten  250  Männer,  welche  Weihrauch  darbrachten.  Wie- 
derum verbrannten  2  Hauptleute  mit  100  Andern,  die  mit  ihnen 
waren,  darum  dass  sie  sich  dem  Berg  genähert  hatten,  auf  wel- 
chem Elias  sass,  welcher  auf  einem  Feuerwagen  gen  Himmel 
fuhr.  Wiederum  verbrannten  die  Ankläger,  dafür  dass  sie  eine 
Grube  gegraben  den  gerechten  Männern.  Also  werden,  mein 
Lieber,  die  Gerechten  im  Feuer  erprobt,  wie  Gold,  Silber  und 
Edelsteine,  und  die  Gottlosen  verbrennen  im  Feuer  wie  Heu, 
Rohr  und  Stoppeln,  über  welche  das  Feuer  Gewalt  hat:  wie  der 
Prophet  Jesaia  sagt ') :  Im  Feuer  richtet  der  Herr,  und  er  prüft 
darin  alles  Fleisch.  L^nd  wiederum  sagt  er"^):  Ihr  werdet  liinaus 
gehen  und  sehen  die  Leichname  der  Männer,  die  gegen  mich  ge- 
sündigt haben,  deren  Wurm  nicht  stirbt,  und  deren  Feuer  nicht 
verlöscht  und  die  allem  Fleisch  ein  Greuel  sind.  Und  es  lehrt 
uns  wiederum  der  Apostel  über  diesen  Bau  und  über  dieses 
Fundament.     Er  spricht  nämlich   also^):    Einen   anderen    Grund 

1)  Jes.  6G,  10.  Der  hebr.  Text  der  Mas.  liest  statt  Vil:^  -l^  r^-- 
fjojz,  und  er  prüfte  durch  dasselbe  alles  Fleisch,  jjas  '^^.il-  -\.^j^as:.z., 
und  durch  sein  Schwert  alles  Fleisch. 

2)  Jes.  60,  24.  —  3)  1.  Cor.  3,  11. 


12  Homilie  I. 

kann  niemand  legen  als  den,  der  gelegt  ist,  welcher  ist  Jesus 
Christus.  Und  wiederum  redet  der  Apostel  über  den  Glauben, 
der  mit  der  Hoffnung  und  Liebe  verbunden  ist.  Er  sagt  näm- 
lich also  1):  Das  sind  die  drei,  die  da  bleiben:  der  Glaube  und 
die  Hoffnung  und  die  Liebe.  Und  er  lehrt  über  den  Glauben, 
dass  er  zu  allererst  als  wahres  Fundament  gelegt  ist-). 

§  10.  Des  Abels  Opfer  wurde  wegen  dessen  Glauben  ange- 
nommen. Und  Enoch  wurde  darum,  dass  er  durch  den  Glauben 
Avohlgefällig  war,  vor  dem  Tod  hinweggenommen.  Und  Noah 
wurde  darum,  dass  er  glaubte,  vor  der  Sintfluth  errettet.  LTnd 
Abraham  wurde  durch  seinen  Glauben  gesegnet,  und  er  wurde 
ihm  zur  Gerechtigkeit  angerechnet.  Und  Isaak  fand  Barmherzig- 
keit darum,  dass  er  glaubte.  Und  Jakob  wurde  um  seines  Glaubens 
willen  errettet.  Und  Joseph  wurde  um  seines  Glaubens  willen 
in  dem  Wasser  der  Versuchung  erprobt  und  wurde  aus  der  Ver- 
suchung befreit,  und  sein  Herr  legte  Zeugniss  für  ihn  ab;  wie 
David  sagt'^''/:  Er  legte  Zeugniss  für  Joseph  ab.  Und  auch  Moses 
that  durch  seinen  Glauben  grosse  und  wunderbare  Wunder  und 
dm'ch  den  Glauben  vernichtete  er  die  Aegypter  in  10  Plagen. 
Und  wiederum  theilte  er  durch  seinen  Glauben  das  Meer  und 
führte  sein  Volk  hindurch  und  ertränkte  die  Aegypter  darin. 
Und  im  Glauben  warf  er  Holz  in  bitteres  Wasser,  und  es  wurde 
süss.  Und  durch  den  Glauben  holte  er  Manna  herunter  und 
sättigte  sein  Volk.  Und  im  Glauben  breitete  er  seine  Hände  aus 
und  siegte  über  Amalek.  Wie  geschrieben  steht:  Seine  Hände 
waren  im  Glauben  (fest)  bis  die  Sonne  unterging.  Auch  im 
Glauben  stieg  er  auf  den  Berg  Sinai,  nachdem  er  zweimal  je 
40  Tage  gefastet  hatte.  Und  wiederum  im  Glauben  siegte  er 
über  Sichon  und  Og,   die  Könige  der  Amoriter. 

§  11.  Das  war  ein  wunderbares,  mein  Lieber,  und  grosses 
Wunder,  das  Moses  that  in  dem  Schilfmeer,  da  die  Wasser  ge- 
theilt  wurden  durch  den  Glauben  und  wie  hohe  Berge  und  starke 
Felsen  standen,  und  zurückgehalten  wurden  und  standen  auf  Be- 
fehl und  eingeschlossen  waren  wie  in  Schläuchen,  festgebunden  in 
der  Höhe  wie  in  der  Tiefe.  Und  trotz  ihrer  Dünnheit  überschritten 
sie  nicht  die  Grenze,  und  sie  veränderten  ihre  anerschaffene  Natur, 


1)  1.  Cor.  13,  13.  —  2)  Ps.  81,  5.  —  3)  A:  Dass  er  zu  allererst  auf  das 
wahre  Fundament  gegründet  ist. 


Die  Unterweisung  vom  Glauben.  j3 

und  die  vernunftlose  Creatur  war  gehorsam.  Und  die  Wellen 
waren  aufgerichtet  und  warteten  auf  die  Vergeltung,  wenn  das 
Volk  hindurchgezogen  sein  würde.  Und  es  starrten  die  Winde 
und  harreten  und  sahen  auf  den  Befehl  und  auf  die  Vergeltung. 
Und  es  Avurden  entblösst  die  Fundamente  von  Urzeit  her,  und 
das  Nass  von  Anfang  her  Avard  plötzlich  trocken.  Und  es  er- 
hoben die  Thore  ihre  Häupter  und  es  wurden  erhoben  die  ewigen 
Thore.  Und  eine  Feuersäule  richtete  sich  auf  und  leuchtete  dem 
ganzen  Heer  und  das  Volk  ging  hinüber  im  Glauben.  Und  es 
erging  das  gerechte  Gericht  über  Pharao,  sein  Heer  und  seine 
Wagen.  So  theilte  auch  Josua,  der  Sohn  Nuns,  den  Jordan  im 
Glauben,  und  die  Kinder  Israel  gingen  hinüber  wie  in  den  Tagen 
Moses. 

§  1 2.  Wisse  aber,  mein  Lieher,  dass  der  Uebergang  über  den 
Jordan  dreimal  getheilt  wurde.  Das  erste  Mal  durch  Josua,  den 
Sohn  Nuns.  Das  zweite  Mal  durch  Elias,  und  dann  durch  Elisa. 
Denn  das  Wort  der  Schrift  berichtet  uns,  dass  gegenüber  dem 
Uebergang  bei  Jericho  Elias  gen  Himmel  gefahren  sei.  Denn 
da  Elisa  sich  von  ihm  wieder  umwendete  und  den  Jordan  zer- 
theilte  und  hinüberschritt,  kamen  die  Prophetenkinder  von 
Jericho  heraus,  Elisa  entgegen  und  sprachen  \':  Es  ruhet  der 
Geist  des  Elias  auf  Elisa.  Von  dem  Durchzug  des  Volkes  in 
den  Tagen  Josuas,  des  Sohnes  Nuns,  steht  aber  so  geschrieben  2): 
Das  Volk  ging  hinüber  gegenüber  von  Jericho.  Auch  warf  Josua, 
der  Sohn  Nuns,  die  Mauern  von  Jericho  durch  den  Glauben  um, 
und  sie  fielen  ohne  Arbeit.  Und  wiederum  unterwarf  er  in  seinem 
Glauben  einunddreissig  Könige  und  gab  das  Land  den  Kindern 
Israel  zum  Eigenthum.  Und  wiederum  breitete  er  im  Glauben 
seine  Hände  aus  gegen  den  Himmel  und  hielt  die  Sonne  auf 
bei  Gibeon  und  den  Mond  auf  der  Ebene  von  Ajalon.  Und  sie 
hielten  ein  und  standen  still  in  ihrem  Umlauf.  Kurz:  Alle  die 
gerechten  Väter,  alles  was  sie  im  Glauben  thaten,  darin  siegten 
sie,  wie  auch  der  selige  Apostel  über  sie  alle  bezeugt"^):  Im 
Glauben  überwanden  sie.  Und  wiederum  sagt  Salomo"*):  Viele 
Männer  werden  barmherzig  genannt,  aber  einen  gläubigen  Mann, 

1)  2.  Kön.  2,  15.  —  2)  Jos.  3,  16b.  —  3)  Hebr.  11.  Der  Hebräerbrief 
wird  hier  in  derselben  Weise  citirt  wie  die  Briefe  des  Paulus:  |>.^  V*.. 
5ovie  j-lso^,  der  selige  Apostel  bezeugt.  —  4)  Spr.  Sal.  20,  G. 


14  Homilie  1. 

wer  findet  den?  Und  auch  Hiob  spricht  so^j:  Meme  Recht- 
schaffenheit soll  nicht  von  mir  weichen,  und  bei  meiner  Gerechtig- 
keit will  ich  verbleiben. 

§  13.  Und  auch  unser  Erlöser  sprach  zu  jedem,  der  zu  ihm 
kam,  um  geheilt  zu  werden,  also  2):  Nach  deinem  Glauben  geschehe 
dir.  Und  da  ein  Blinder  zu  ihm  kam,  sprach  er  zu  ihm-^): 
Glaubst  du,  dass  ich  dich  heilen  kann?  Und  es  sprach  der  Blinde 
zu  ihm:  Ja  Herr,  ich  glaube;  und  sein  Glaube  öffnete  ihm  die 
Augen.  Und  zu  dem,  dessen  Sohn  krank  war,  sprach  er^):  Glaube, 
so  wird  dein  Sohn  leben.  Und  er  sprach  zu  ihm:  Herr  ich  glaube, 
hilf  meinem  Kleinglanben.  Und  durch  seinen  Glauben  ward 
sein  Sohn  hergestellt.  Und  auch  des  königlichen  Knechts  Knabe, 
da  jener  zu  ihm  kam,  ward  durch  dessen  Glauben  gesund,  da  er 
zu  dem  Herrn  sprach''):  sprich  nur  ein  Wort,  so  wird  mein 
Knabe  gesund.  Und  der  Herr  wunderte  sich  über  seinen  Glauben 
und  gemäss  seinem  Glauben  geschah  ihm.  Und  auch  zu  dem 
Obersten  der  Schule,  da  ihn  dieser  bat  wegen  seiner  Tochter, 
sprach  er  so '') :  Glaube  nur,  so  wird  deine  Tochter  leben.  Und 
er  glaubte,  und  seine  Tochter  lebte  und  stand  auf.  Und  da  La- 
zarus gestorben  war,  sprach  der  Herr  zu  Martha'):  Wenn  du 
glaubst,  so  wird  dein  Bruder  auferstehen ;  und  Martha  sprach  zu 
ihm:  Ja  Herr,  ich  glaube.  Und  er  erweckte  ihn  nach  4  Tagen. 
Und  auch  Simon,  der  da  heisset  Fels,  wird  um  seines  Glaubens  wil- 
len der  wahre  Fels  genannt.  Und  wiederum,  da  der  Herr  seinen 
Aposteln  das  Geheimniss  der  Taufe  übergab,  sprach  er  so  zu 
ihnen  ^,:  Wer  da  glaubet  und  getauft  wird,  wird  leben,  und  wer 
nicht  glaubt,  wird  verdammt  werden.  Wiederum  spricht  er  zu 
seinen  Aposteln^):  Wenn  ihr  glaubet  und  nicht  zweifelt,  so  gibt 
es  nichts,  das  ihr  nicht  thun  könnt  ^^).  Denn  da  der  Herr  auf 
den  Wellen  des  Meeres  ging,  ging  auch  Simon  im  Glauben  mit 
ihm.     Und  da    er  in   seinem  Glauben  zweifelte,  und  anfing  zu 


1)  Job.  27,  5.  6.  —  2)  Mt.  9;  29.  -  3)  Mt.  9,  28.  -  4)  Mc.  9,  23.  24. 
—  5)  Mt.  8,  8.    Lc.  7,  7.  —  6)  Mc.  5,  36.    Lc.  8,  50.  —  7)  Job.  11,  23.  27. 

8)  Mc.  16,  16.  Die  diese  Stelle  einleitenden  Worte  beweisen,  dass 
Apbr.  Mc.  16,  16  in  Verbindung  mit  der  Einsetzung  der  Taufe  also  mit 
Mt.  28,  19  gelesen  bat.    Vgl.  Zabn  S.  219. 

9)  Mt.  21,  22.    Mc.  11,  23. 

10)  Mt.  14,  31.    Apbr.  bat  mit  Epbr.  Com.  S.  131  f.  nacb  Pescb.    bal.] 
jZnlNi  tji    wäbrend  Syr.  Cur.  ]/n1Vi  .ci    i  >n  m  bat. 


Die  Unterweisung  vom  Glauben.  15 

sinken,  nannte  ihn  der  Herr  kleingläubig.  Und  da  seine  Jünger 
den  Herrn  baten,  erbaten  sie  sich  nichts  anders,  als  dass  sie 
zu  ihm  sprachen  ^) :  Mehre  uns  den  Glauben.  Er  hatte  zu  ihnen 
gesprochen:  Wenn  ihr  Glauben  habt,  so  wird  auch  ein  Berg  vor 
euch  weichen.  Und  er  spricht  zu  ihnen-):  Zweifelt  nicht, 
auf  dass  ihr  nicht  versinket  in  der  Welt,  wie  Simon,  da 
er  zweifelte  und  anfing  zu  sinken  im  Meere.  Und  wiederum 
spricht  er  so-^):   Dieses  Zeichen  wird  bei  denen  sein,  die  glauben: 


1)  Lc.  1",  5.  Mt.  17,  20.  Die  Verbindung  von  Lc.  17,  5  und  Mt.  17, 
20  oder  vielmehr  Mt.  21,  22  findet  sich  auch  bei  Ephr.,  nur  in  umgekehrter 
Reihenfolge  (Eph.  Com.  S.  182— 1S7):  Mt.  21,  21  ff.:  Dieit  ad  eos  et  vos 
si  habueritis  fidem  et  non  dubitaveritis  (Mc.  11,  23)  in  corde  vestro,  di- 
cetis  huic  monti:  vade,  mittere  in  mare,  et  transferetur.  Quodcunque  in 
orationibus  vestris  in  fide  petieritis  a  deo,  dabo  vobis.  Quod  cum  ante 
oculos  eorum  positum  esset  (Luc.  17,  5)  dixerunt  ad  eum:  Adauge  nobis 
fidem.  Die  von  Mt.  21,  22  zu  Lc.  17,  5  überleitenden  Worte  lassen  keinen 
Zweifel  darüber,  dass  sie  so  in  Tat.  Diatess.  verbunden  waren.  Das  wird 
auch  bestätigt  von  Cod.  Fuld.  p.  107,  26—31. 

-coi^  j-ic)  ist  also  hier  zu  übersetzen  „Er  hatte  zu  ihnen  gesagt".    Da 

dies  nämlich  hier  ohne  Copula  steht,  so  kann  es  nicht  die  Antwort  des 
Herrn  auf  die  Bitte  der  Jünger  (,, Mehre  uns  den  Glauben'-)  sein,  sondern 
es  will  ein  Rückgriff  auf  das  die  Jünger  zu  ihrer  Bitte  veranlassende  Wort 
Jesu  sein.     (Vgl.  den  Text  bei  Eph.) 

Aph.  gibt  also  das  apokryphe  Wort:  „Zweifelt  nicht,  auf  dass  ihr 
nicht  versinket  in  der  Welt"  als  Antwort  Jesu  auf  die  Bitte  in  Lc.  17;  5. 
Zahn  kann  dies  Wort  ebensowenig  nachweisen  wie  Antonelli,  Wright  u. 
Bickell.    Vgl.  Zahn  S.  183. 

2)  Apostolis  a  Christo  domino  haec  dicta  fuisse  nullibi  in  Evangeliis 
reperitm-.    (Whrigt.  Anton.) 

3)  Mc.  16,  17.  18.  Diese  Stelle  ist  citirt  abweichend  von  Syr.  Cur. 
(Der  ganze  Text  des  Mc.  beginnt  bei  Syr.  Cur.  erst  hier):   ,    «1 V^  »ovlic?  .  .  . 

.-i^.'NmUo  •o(ji_i,.rf|  .oI&aIlJ  und  von  Pesch.:  ,  t\.j^  —•?  l^c^l 
.ooi^f^jo     .  .c?iJ^    7'n.J    ).^    .c£w.aJ     )Zs.L:7     j  Viw     .je     . n \ n  a  1     ]Zcs.j*o 

Zahn  (S.  21!))  hält  es  für  möglich,  dass  in  diesem  Zusammenhang  in 
Tat.  Diät,  auch  von  Heilung  durch  Öl  (vgl.  Mc.  6,  13)  die  Rede  war  und 
dass  sich   darauf  die  räthselhafte  Erörterung  Ephr.  Com.  S.  272  bezieht, 


1^  Homilie  I. 

Mit  neuen  Zungen  werden  sie  reden,  und  Geister  werden  sie 
austreiben;  und  wenn  sie  ihre  Hände  auf  die  Kranken  legen,  so 
werden  sie  gesund  werden. 

§  14.  Lasst  uns  doch,  mein  Lieber,  zu  dem  Glauben  hin- 
zutreten, dessen  Wunderkräfte  so  vielfältig  sind.  Denn  der  Glaube 
führt  zum  Himmel  und  siegt  über  die  Fluthen,  und  lässt  die 
Unfruchtbarkeit  gebären  und  befreit  von  dem  Schwert  und  führt  aus 
dem  Grab,  und  die  Armen  macht  er  reich,  und  die  Gefangenen 
erlöst  er.  Und  die  Verfolgten  errettet  er,  und  das  Feuer  löscht 
er,  und  das  Meer  zertheilt  er,  und  den  Felsen  zerschlägt  er,  und 
Wasser  gibt  er  den  Durstigen  zu  trinken,  und  die  Hungernden 
speist  er;  und  von  der  Hölle  führt  er  herauf,  und  die  Wellen 
bringt  er  zum  Schweigen,  und  die  Kranken  macht  er  gesund, 
und  die  Heere  besiegt  er;  und  die  Mauern  wirft  er  nieder;  und 
den  Rachen  der  Löwen  schliesst  er.  und  die  Flamme  des  Feuers 
löscht  er,  und  die  Stolzen  demüthigt  er,  und  die  Demüthigen 
führt  er  zur  Ehre.  Alle  diese  Wunderkräfte  werden  durch  den 
Glauben  bewirkt. 

§  15.     Denn  das  ist  der  Glaube  '):  Dass  man  glaubt  an  Gott, 


■welche  beginnt:  Dominus  oleum  (var.  lect. :  unctionem)  symbolum  nominis 
sui  discipulis  suis  dedit  etc. 

Auch  Isaak.  Ant.  (übersetzt  von  Bickell  S.  1.52.  153)  spricht  wieder- 
holt von  Öl  der  Apostel. 

Vorliegendes  Citat  bei  Aphr.  spricht  indess  gegen  obige  Vermuthung 
Zahns. 

1)  Bickell  bemerkt  zu  dieser  Stelle:  „Die  folgende  Stelle  ist  deshalb 
wichtig,  weil  sie  eine  Begriffsbestimmung  des  Glaubens  zu  geben  beab- 
sichtigt. Wir  sehen  daraus,  dass  Aphr.  den  Glauben  nicht  als  ,die  die 
Kechtfertigung  ergreifende  absolute  Gewisswerdung  der  Sündenvergebung 
und  Zurechnung  des  Verdienstes  Christi'  definirt,  sondern  als  gehorsame 
Annahme  alles  dessen,  was  uns  Gott  durch  seine  Kirche  geoff'enbart  hat".  — 
Es  gehören  wohl  besonders  geartete  Augen  dazu,  um  dies  aus  unserer 
Stelle  herauszulesen.  Diese  eigenthümliche  Sehkraft  hat  bei  Bickell  wohl 
die  Erinnerung  bewirkt,  dass  er  auch  einmal  der  Kirche  angehört  hat, 
welche  die  fides  salvifica  (justificans)  definirt  als  certa  persuasio  de  venia 
peccatorum  per  Christum  obtinenda.  Wir  können  in  dieser  Stelle  des 
Aphr.  nicht  eine  Begrifl'sbestimmung  des  Glaubens  finden,  wohl  aber 
ein  Glaubensbekenntniss,  das  um  so  merkwürdiger  ist,  als  es  sich  nach 
Form  und  einzelnen  Bestandtheilen  von  allen  anderen  aus  der  alten  Kirche 
uns  erhaltenen  Formen  des  Glaubensbekenntnisses  unterscheidet.  Dass 
wir  in  dieser  Stelle  wirklich  die  officielle  Form   eines  Glaubensbekennt- 


Die  Unterweisung  vom  Glauben.  17 

den  Herrn  über  Alles,  welcher  o^eschaffen  hat  Himmel,  Erde  und 
die  Meere   und  Alles,  was  darinnen  ist,   welcher  den  Menschen 


nisses  zu  erkennen  haben,  ergibt  sich  wohl  mit  Sicherheit  aus  den  dieselbe  ein- 
leitenden Worten  )ilc.liÄ-.3i  j-»-^  -»ci  ]?5i  ,,denn  das  ist  der  Glaube-'  und 
den  dieselbe  abschliessenden  Worten:    jaoJi!.]?    l-^r^?    I^oIIq-^i    ^m    l?5i 

,,das  ist  der  Glaube  der  Gemeinde  Gottes'-. 

Aphr.  will  hier  die  Antwort  geben  auf  die  Frage  des  diese  Abhand- 
lung vei-anlassenden  Briefs :  „Vor  allem  aber  möchte  ich,  dass  du  mir  über 
das,  was  mich  beunruhigt,  schreibest  und  mich  unterweisest:  über  un- 
seren Glauben,  welcher  Art  derselbe  ist".  Den  Worten  in  jenem  Brief 
foil;^]  c(n  f.^^  1. 1  Sn . gl  alVfi-tgL^jg  ^^-^'^  i_i^  p].  „denn  ich  glaube,  dass 
nur  ein  Gott  ist",  setzt  Aphr.  hier  gegenüber:  Ji^ji^?  |Zs.1  V  <gi  ^31  ]?3i 
]ciZ]5  „das  ist  der  Glaube  der  Gemeinde  Gottes". 

Während  alle  übrigen  aus  der  alten  Kirche  uns  erhaltenen  Formen 
des  Glaubensbekenntnisses  nach  dem  Grundbekenntniss  zu  dem  dreieinigen 
Gott  dreitheilig  sind  (Caspari,  Ungedruckte,  unbeachtete  und  wenig  be- 
achtete Quellen  zur  Geschichte  des  Taufsymbols  und  der  Glaubensregel. 
3  Bb.  1S6(! — 75.  Alte  und  neue  Quellen  zur  Geschichte  des  Taufsymbols 
und  der  Glaubensregel  1879),  haben  wir  hier  ein  siebentheiliges  Glaubens- 
bekenntniss.  Der  Anfang  der  einzelnen  Artikel  ist  deutlich  gekenn- 
zeichnet bei  II — V  durch  das  gleichmässige  ctic.  bei  VI  durch  ,  \n  .3i?o 
wukjj,  bei  VII  durch  ^Sn.aiJ    wScZo. 

Ein  7theiliges  Glaubensbekenntniss  finden  wir  noch  in  einem  Ordi- 
nationsformular,  nach  welchem  die  Frediger  der  Waldenser  im  Mittelalter 
verpflichtet  wurden.  Es  ist  uns  dasselbe  in  einer  jetzt  verloren  gegan- 
genen Handschrift  der  Strassburger  Bibliothek  (abgedruckt  in  Zeit- 
schrift für  histor.  Theologie  v.  Niedner  XXII,  S.  244)  in  lat.  Sprache;  und 
im  Codex  Teplensis,  enthaltend  die  Schrift  des  newen  Gezeuges,  herausge- 
geben von  P.  Phil.  Kilimesch.  Augsb.  u.  München.  Th.  III,  S.  101  fi'.  in  deut- 
scher Sprache;  und  in  einer  Genfer  und  Dubliner  Handschrift  (gedruckt 
bei  Leger,  histoire  generale  des  eglises  evangeliques  des  vallees  de  Piemont 
S.  50  mit  Veränderungen)  in  romanischer  Sprache  erhalten.  Die  beiden 
ersteren  setzen  wir  zur  Vergleichung  hierher: 

Strassburger  Handschr.  Cod.  Tepl. 

Item  tempore  ordinationis  interro-  Daz  erste  Stucke,  daz  wir  glauben: 
gant  de  septem  articulis  fidei  scilicet  czu  sein  einen  Got  yn  der  dreival- 
uti-unicredat(l°)unum  deum  in  trini-  dikheit  czu  even  in  der  einikheit. 
täte  personarum  et  unitate  essentiae.  Daz  II  ist,  daz  wir  glauben,  daz  got 
(2'')  quod  idem  deus  sit  creator  om-  selber  hat  geschalten  alle  ding  di 
nium  visibilium  et  invisibilium.  (:{'")  unter  ym  sint.  Daz  III,  daz  er  hat 
quod  condidit  legem  Moysi  in  monte  geben  die  ee  moyses  an  dem  perg 
Sinay.    4°  quod  misit   filium  suum     sina.    Daz  IV  daz  er  hat  gesant  den 

Texte  und  Uutersuchungeu  III,  3.  4.  2 


IS  Homilie  I. 

geschaä'en  hat  nach  seinem  Bild,  und  welcher  das  Gesetz  dem 
Moses  gegeben  hat,  und  von  seinem  Geist  in  die  Propheten  ge- 
sandt hat,  und  welcher  wiederum  seinen  Gesalbten  in  die  Welt 
gesandt  hat,  und  dass  man  glaubt  an  die  Auferstehung  der  Todten, 
und  wiederum  glaubt  auch  an  das  Geheimniss  *)  der  Taufe.  Das 
ist  der  Glaube  der  Kirche  Gottes.  Und  dass  man  sich  davon  los 
mache  zu  halten  Stunden  und  Wochen  und  Monate  und  Jahre  und  '^) 


ad  incarnandum  de  virgine  incor-  sun  von  dem  hymel  in  dem  leib  der 
rupta.  5"  quod  elegit  sibi  ecclesiam  seligen  mayd.  Daz  V  ist,  daz  er 
immaculatam.  (>'  Carnis  resurrectio-  im  selber  hat  derwelt  die  wunnichen 
nem.  7"  quod  venturus  est  judicare  Kirchen.  Daz  VI  ist  die  künftige 
vivos  et  mortuos.  auferstendunge  des  fleische.  Daz  VII 

ist  daz  ewige  Gericht. 
Eine  Verwandtschaft  des  , Glaubens"  des  Aphr.  und  dieser  regula 
fidei  der  Waldenser  lässt  sich  nicht  verkennen.  Eine  Erklärung  dieser 
Verwandtschaft  wird  bei  dem  grossen  räumlichen  und  zeitlichen  Abstand 
beider  grossen  Schwierigkeiten  begegnen  und  wird  bei  dem  jetzigen  Stand 
der  einschlägigen  Fragen  noch  nicht  möglich  sein.  (Vgl.  auch  über  einen 
Zusammenhang  der  Waldenser  mit  der  /Jidcr/?/  r.  dwö.  aTtoar.  Harnack. 
die  Lehre  der  12  Apostel  S.  270.)  Wir  finden  dagegen  nicht  die  geringste 
Verwandtschaft  zwischen  diesem  Glauben  des  Aphr.  und  der  Form  der 
regul.  fid.,  wie  wir  sie  bei  Irenäus  I,  10,  1.  2  und  bei  TertuU.  de  prae- 
script.  haeret.  c.  13;  de  virgin.  velandis  c.  1  (cf.  Harnack,  Dogmenge- 
schichte S.  2fi0  ff.)  finden.  Was  Irenäus  für  seine  Zeit  versichert:  „dass  alle 
Kirchen  —  die  in  Germanien,  Iberien,  unter  den  Kelten,  im  Orient,  in 
Ägypten,  in  Libyen  und  Italien  —  dasselbe  apostolische  Kerygma  be- 
sitzen" (I,  1 0,  2.  III,  4,  1  ff.)  trifft  für  Ostsyrien  selbst  in  der  Zeit  des  Aphr. 
also  c.  15  Jahre  nach  dem  C.  Nicaenum  noch  nicht  zu.  Wir  sehen  ferner 
aus  diesem  „Glauben"  des  Aphr.  und  den  daran  sich  anschliessenden 
Grundgeboten  für  das  Leben,  dass  nicht  allgemein  richtig  ist,  was  Harnack 
Dogmengesch.  S.  259  sagt:  dass  in  die  kurzen  Bekenntnissformeln  An- 
weisungen für  das  christl,  Leben  nicht  aufgenommen  worden  seien. 

1)  Syr.  ]"[)],  sacramentum. 

2)  S.  Levit.  19,  26.  31.  Deut.  18,  10  f.  Vgl.  auch  Aidcr/^ri  x.  6iü6. 
UTCOOX.  III,  4.  Tsxvov  fxov,  fxi]  yivov  olojvoaxönoq,  irtsiör]  böip/tl  etq  zr/r 
£i6w?.o?.azQlav  /irjdh  tnuoiöbq,  fxrjöh  ixaO-rjuaxtxoq,  ,u7jÖ£  TifQixa&aiQwr, 
ßrjdh  &D.e  avxa  ßXkneiv  ex  yuQ  xovxojv  anüvxojv  elöojXoXaxQia  yevvüxui. 
Harnack,  Die  Lehre  der  12  Ap.  S.  11  f.  ad  tnaoidöq  Iren.  I,  25,  4.  inccoi- 
Sai  II,  32.  5.  —  /naii-rjfxcaixöq  Tertull.  de  idol.  9.  adv.  Marc.  I,  18.  Justin 
apol.  I,  14.  Philos.  IX,  14  p.  293.  X,  29.  Ep.  Hadr.  ad  Servian.  Nemo 
Christianorum  presbyter  non  mathematicus ,  non  haruspex,  non  aliptes. 
ad  ntQixuQ-aiQwv.  Bryenn.  citirt  das  Scholion  zu  Const.  apostol.,  aber  in 
Deut.  18,  9  ist  das  Wort  in  anderem  Sinn  gebraucht. 


Die  Unterweisung  vom  Glauben.  19 

Wahrsagerei  und  Zeiclieudeuterei  und  die  Clialdäisclie  Kunst 
(Astrologie)  und  Zauberei  (Magie),  (und  erlöst  ist)  von  der 
Hurerei  und  von  dem  Gesang,  und  von  den  eiteln  Lehren  der 
Gefässe  des  Bösen,  und  von  der  Verblendung  der  süssen  Worte 
und  von  der  Gotteslästerung  und  von  Ehebruch ;  und  dass  '  > 
niemand  falsches  Zeugniss  rede,  und  dass  niemand  mit  zwei 
Zungen  rede:  Das  sind  die  W^erke  des  Glaubens,  der  gegründet 
ist  auf  den  wahren  Felsen,  welcher  ist  Christus,  auf  welchem  sich 
der  ganze  Bau  erhebt. 

§  16.  Weitschichtig,  mein  Lieber,  ist  in  den  heiligen  Schriften 
die  Angelegenheit  des  Glaubens.  Nur  weniges  von  dem  Vielen 
habe  ich  dir  geschrieben  und  es  deiner  Liebe  zu  Herzen  geführt, 
dass  du  es  wissest  und  lehrest,  und  glaubest  und  Glauben  findest. 
Und  wenn  du  die  Werke  des  Glaubens  gelesen  und  gelernt 
hast,  so  gleiche  du  dem  gepflügten  Acker '^),  in  welchen  der 
gute  Samen  fällt  und  Früchte  trägt,  der  eine  hundertfältig,  der 
eine  sechszigföltig  und  der  eine  dreissigMtig.  Und  wenn  du  zu 
deinem  Herrn  gehst  ^j,  wird  er  dich  nennen  einen  guten,  braven  und 
getreuen  Knecht,  der  wegen  seines  grossen  Glaubens  eingeht  zu  dem 
Reich  seines  Herrn. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  vom  Glauben. 


1)  Aiöcc/ji  X.  6.  an.  11,  3.  4.  Ovx  miOQxififKi  ov  wevdo/naQrvQtjoeiq 
ov  xaxo?.oyt'jastg  ov  ßvijoixuyJjOiic.  Ovx  tatj  ör/vcü/xcov  ovdh  di'ykcoaoog' 
naylq  yuQ  i^avüxov  r/  ÖLykatoaia  cf.  V,  1.  Vgl.  Barnabas:  Oix  ta^  öiyvcö- 
/x(t)v  ovöh  y/.ojoacöörjc'  naylq  yuQ  &uvcczov  /j  Öiykojaoia. 

2)  Mt.  13,  8.  -^  3)  Mt.  25,  21.  23. 


2* 


Die  Unterweisung  von  der  Liebe. 

In  Wahrheit^),  mein  Lieber,  hanget  das  ganze  Gesetz  und 
die  Propheten  in  zwei  Geboten;  wie  unser  Erlöser  sagt.  Wer 
freilich  sich  nicht  überzeugen  lassen  will,  den  können  selbst  Ge- 
setz und  Propheten  nicht  überzeugen'^).  Denn  unser  Erlöser 
sagt:  In  diesen  beiden  Geboten  hanget  das  ganze  Gesetz  und  die 
Propheten:  dass  man  den  Herrn  seineu  Gott  liebe  von  ganzer 


1)  ]j£L^2  Castelli:  intercessio,  persuasio,  supplicatio,  deprecatio;  j-ia^^a^ 
,,in  Wahrheit";  die  Bedeutung  dieses  Wortes  ist  hier  zweifelhaft.  Die 
latein.  Uebersetzung  des  Arm.  hat:  Universa  lex  et  prophetae  in  duobus 
mandatis  mira  quadam  conspiratione  pendent.  Sie  lässt  also  ent- 
weder )ja.*.as  unübersetzt,  oder  hat  ein  anderes  Wort  hier  gelesen,  das 
sie  durch  „mira  quadam  conspiratione"  wiedergibt.  Bickell  hat:  „Für 
den  der  Wahrheit  Zugänglichen,  mein  Freund,  hangen  das  ganze 
Gesetz  und  die  Propheten  an  zwei  Geboten".  ,,Für  den  der  Wahrheit 
Zugänglichen"  kann  j-niAas  niemals  heissen,  es  soll  dies  wohl  auch  nur 
eine  Conjectur  sein.  Bickell  konnte  dies  Wort  auch  nicht  erklären  und 
hat  deshalb  einen  Gegensatz  gebildet  zu  dem  im  2.  Satz  folgenden  ^^Vi\? 
ja^^Ä^  )^?  „Wer  sich  nicht  belehren  lassen  will" ,  unter  Zuziehung 
von  einer  Stelle  in  der  22.  Homilie,  wo  S.  441  Z.  8  \ja.^3  ^i— ?  wörtlich 
Kinder  der  üeberzeuguug  oder  Ermahnung,  am  besten  mit:  „die  der  Wahr- 
heit Zugänglichen"  wiedergegeben  wird.  Um  diese  Uebersetzung  hier  an- 
zuwenden, müssten  wir  im  syrischen  Texte  haben:  j.ia*.3  ^jllü^.  Diese 
Conjectur  ist  aber  ausgeschlossen  durch  die  Stellung  dieser  Homilie  in  der 
alphabetischen  Reihenfolge  unserer  Homilien.  Nach  ihrer  Stellung  muss 
unsere  Homilie  mit  dem  Buchstaben  ^i  anfangen,  jjüjls  Gal.  5,  8  per- 
suasio, 7tsiGßov>'j.  Col.  2,  2  plenitudo  intellectus;  TiXi]QO(poQLa  xTjq  ovvs- 
oeojg  Luth.  Gewisser  Verstand.  Col.  2,  4  j.ia*.as,  in  sublimitate  sermo- 
num,  md-avoXoyUi  Luth.  mit  vernünftigen  Reden,  De  Wette:  mit  Über- 
redungskünsten. 

2)  Vgl.  Luc.  16,  31. 


Die  Unterweisung  von  der  Liebe.  21 

Seele  und  von  ganzer  Kraft  und  nach  all  seinem  Vermögen,  und 
dass  man  wiederum  seinen  Nächsten  liebe  wie  sich  selbst '). 
§  2.  Und  wenn  du  zur  Untersuchung  dieser  beiden  Gebote 
schreitest,  in  welchen  die  ganze  Kraft  des  Gesetzes  und  der  Pro- 
pheten hanget,  so  wirst  du  erkennen,  dass,  wenn  diese  beiden  Ge- 
bote, in  denen  die  ganze  Kraft  des  Gesetzes  und  der  Propheten 
hangt,  eingeftigt  wären  in  die  Herzen  und  Seelen  der  Menschen, 
es  nicht  nöthig  wäre,  dass  das  Gesetz  und  die  Propheten  ge- 
schrieben wurden.  Wie  geschrieben  steht  2):  Den  Gerechten  ist 
das  Gesetz  nicht  gegeben,  sondern  den  Sündern.  Und  wegen  der 
Sünder  ist  das  Gesetz  gegeben.  Und  wenn  die  Gerechtigkeit  ge- 
blieben wäre  unter  den  Menschen,  so  wäre  das  Gesetz  nicht 
nöthig  gewesen.  Und  wiederum,  wenn  das  Gesetz  nicht  ge- 
geben worden  wäre,  so  wäre  die  Kraft  Gottes  nicht  erkannt  wor- 
den in  allen  Geschlechtern  und  in  allen  seinen  Wundern,  die  er 
ausführt.  Durch  die  Gebotsübertretung  Adams  ward  der  Tod 
verhängt  über  die  Welt;  und  die  Kraft  Gottes  wird  gesehen, 
Avenn  alle  Menschenkinder  auferstehen  am  Ende,  zu  der  Zeit,  da 
die  Herrschaft  dem  Tode  genommen  wird.  Und  wegen  der  Sün- 
der in  den  Tagen  Noahs  erschien  die  Kraft  Gottes  in  den 
Wassern  der  Sintfluth.  Und  weil  Abraham  die  Gerechtigkeit 
des  Gesetzes  bewahrte,  da  das  Gesetz  noch  nicht  gegeben  war,  so 
ist  in  ihm  die  Kraft  Gottes  erschienen  durch  Gerechtigkeit,  da  er 
die  Gefangenschaft  Sodoms  aufhob  durch  die  Kraft  seines  Gottes 
und  nach  der  Beute  seine  Hand  nicht  ausstreckte,  und  da  Gott 
zu  ihm  sprach  nach  diesem  Tag  3):  Dein  Lohn  soll  sehr  gross 
sein  um  dehier  Gerechtigkeit  willen.  Und  er,  dem  das  Gesetz 
nicht  gegeben  war,  vollbrachte  die  Werke  des  Gesetzes,  und  das 
Gesetz  war  seiner  Gerechtigkeit  nicht  nöthig.  So  war  auch  für 
Isaak  und  Jakob,  seine  Söhne,  nicht  nöthig,  dass  das  Gesetz  für 
ihre  Gerechtigkeit  gegeben  wurde,  weil  ihr  Vater  ihnen  geboten 
hatte,  dass  sie  Recht  und  Gerechtigkeit  üben  sollten.  Wie  ge- 
schrieben steht:  Der  Herr  sprach  über  Abraham';:  ich  weiss^ 
dass  er  seinen  Söhnen  nach  ihm  gebietet,  dass  sie  alle  meine 
Gebote  halten.  Und  auch  Joseph  bewahrte  die  Gerechtigkeit  des 
Gesetzes,   da  er  seiner  Herrin   kein  Gehör  schenkte;   er  sprach 


1)  Matt.  22,  37—40.  —  2)  1  Tim.  1 ,  i».  —  3)  Genes.  15,  1.  —  4)  Ge- 
nes. 18,  19. 


22  Homilie  II. 

nämlich ') :  Wie  soll  ich  ein  so  gross  Uebel  thun  und  wider 
Gott  sündigen.  Und  auch  Moses  bewahrte  die  Gerechtigkeit  des 
Gesetzes,  da  er  sich  weigerte,  sich  einen  Sohn  der  Tochter 
Pharaos  nennen  zu  lassen.  Darum  hat  ihn  auch  Gott  für  wür- 
dig erachtet,  dass  er  durch  seine  Hand  das  Gesetz  seinem  Volke 
gebe.  Diese  alle  vollbrachten  die  Werke  des  Gesetzes,  und  für 
ihre  Gerechtigkeit  war  das  Gesetz  nicht  gegeben.  Sie  waren 
sich  selbst  das  Gesetz. 

§  3.  Als  aber  die  Zeit  des  Gesetzes  kam,  da  Avard  es  hinzu- 
gefügt, wegen  der  Uebertretung.  Und  er  zeigte  dadurch,  dass 
das  Gesetz  eine  Beilage  sei.  Und  warum  anders  ist  dies  eine 
Beilage  als  in  Bezug  auf  die  Berufung  der  Heiden,  welche  schon 
zuvorverheissen  war  vor  dem  Gesetz.  Und  das  Gesetz  war  der 
Wächter  und  Zuchtmeister  bis  der  Same  kam,  in  welchem  die 
Heiden  gesegnet  werden  sollten.  Denn  der  Schwur,  der  Abraham 
verheissen  wurde,  ist  der  Bund  der  Verheissung,  da  Gott  zu  ihm 
sprach  2):  In  deinem  Samen  sollen  gesegnet  werden  alle  Völker. 
Und  dieses  Wort  ist  der  Bund,  der  430  Jahre,  bevor  das  Gesetz 
gegeben  war,  geschlossen  ist,  da  dem  Abraham  verheissen  ward, 
dass  die  Völker  in  seinem  Samen  gesegnet  werden  sollen,  wel- 
cher ist  Christus.  Und  das  Gesetz  ist  430  Jahre  später  als 
dieses^),  denn  da  Abraham  diese  Verheissung  empfing,  war  er 
89  Jahre  alt.  Und  von  dieser  Zeit,  bis  dass  Jakob  nach  Aegypten 
zog,  sind  205  Jahre,  und  von  der  Zeit,  da  Jakob  nach  Aegypten 
zog,  bis  das  Volk  auszog  unter  Mose,  sind  225  Jahre. 

§  4.  Und  es  steht  geschrieben  von  ihrem  Aufenthalt:  Dass 
die  Kinder  Israel  im  Lande  Aegypten  430  Jahre  wohnten. 
Warum  aber,  mein  Lieber,  wenn  sie  225  Jahre  dort  wohnten,  ist 
für  sie  geschrieben  430  Jahre?  Warum  anders  als  darum,  dass 
von  der  Stunde  an,  da  Er  zu  Abraham  sprach^):  , Wisse,  dass 
dein  Same  wohnen  wird  in  einem  Lande,  das  nicht  sein  eigen 
ist,  und  da  man  sie  arbeiten  lässt  und  knechtet  400  Jahre",  zu 
derselben  Zeit  das  Wort,  das  zu  Abraham  gesprochen  war:  Du 
wirst  einen  Sohn  haben  durch  den  Glauben,  in  dem  Herzen  des 
Abraham  Gestalt  gewann,  wie  geschrieben  steht:  Abraham 
glaubte  Gott  und  das  wurde  ihm  zur  Gerechtigkeit  angerechnet: 

1)  Genes.  39,  9.  —  2)  Gal.  3,  19.  —  3)  Genes.  22,  IS.  —  4)  Gal.  3, 17. 
—  5)  Genes.  15,  13. 


Die  Unterweisung  von  der  Liebe.  23 

und  (zu  derselben  Zeit)  auch  das  Wort  von  dem  Dienste,  zu  dem 
seine  Kinder  in  Aegypten  geknechtet  werden  sollten,  in  dem 
Herzen  Abrahams  empfangen  wurde,  und  er  anfing  besorgt  zu 
sein  darüber,  wie  sein  Same  in  Knechtschaft  sein  werde  in 
Aegypten,  und  so  sein  Herz  in  Knechtschaft  in  Aegypten  war. 
Ebenso  gedachten  auch  Isaak  und  Jakob  an  die  Knechtschaft, 
und  ihre  Gedanken  waren  in  Gefangenschaft  in  Aegypten.  Es 
wurde  aber  die  Verheissung  gegeben  von  der  Knechtschaft  über 
den  Namen  Abrahams,  da  sie  noch  nicht  geboren  waren.  Denn 
dieses  Wort  war  früher  als  die  Geburt  Isaaks.  um  15  Jahre.  Und 
die  Verheissung  von  der  Knechtschaft  war  früher  als  ihre  Wan- 
derung nach  Aegypten  um  205  Jahre.  Und  die  Verheissung,  dass 
in  dem  Samen  Abrahams  alle  Völker  gesegnet  werden  sollen, 
ist  früher  als  das  Gesetz  um  430  Jahre.  Und  das  Gesetz  konnte 
die  ^"erheissung  nicht  aufheben.  Also  war  das  Gesetz  die  Bei- 
lage zu  dem  Wort  der  Verheissung,  bis  dass  seine  Zeit  kam. 

§  5.  Und  es  wurde  dieses  Wort  bewahrt  1794  Jahre,  von 
der  Zeit,  da  die  Verheissung  zu  Abraham  geschah,  bis  dass  er 
kam;  und  es  war  dies  Wort  in  Verwahrung  1364  Jahre,  nach- 
dem das  Gesetz  geofeben  war,  und  das  Wort  war  früher  als  das 

CT        CT  ' 

Gesetz  um  436  Jahre.  Und  da  er  kam,  hob  er  die  Beobachtung 
des  Gesetzes  auf.  Und  es  wurde  von  ihm  das  Gesetz  und  die 
Propheten  zusammengefasst  in  diese  beiden  Gebote,  von  welchen 
der  Herr  spricht.  Denn  es  stehet  das  Wort  geschrieben  i) :  Das 
ganze  Gesetz  und  die  Propheten  haben  geweissagt  bis  auf  die 
Tage  Johannes  des  Täufers.  Und  der  Herr  spricht-):  Ich  bin 
nicht  gekommen,  das  Gesetz  imd  die  Propheten  zu  verwerfen, 
sondern  sie  zu  erfüllen.  Und  wiederum  stehet  gesclmeben  ■^) :  Die 
Wahrheit  des  Gesetzes  ist  durch  Jesum  geworden^). 

§  6.  Und  warum  anders  war  das  Gesetz  und  die  Propheten 
unvollkommen  und  bedurften  der  Erfüllung,  als  darum,  dass  in 
ihnen   verborgen  lag  der  Bund,    der   da  ist  das  Wort  der  Ver- 

1)  Matt.  11,  13.  —  2)  Matt.  5,  17.  Aphr.  citirt  diese  Stelle  in  der- 
selben abgekürzten  Form  wie  Ephr.  Com.  64f.  —  3)  Vgl.  Job.  1,  17. 

4)  Aphr.  citirt  in  wesentlicher  Uebereinstimmung  mit  Ephr.  Com.  30 
Joh.  1,  17  gegen  alle  sonstige  Tradition:  Die  Wahrheit  des  Ge.setzes  ist 
durch  Jesum  geworden.  Pesch.  Zcsi  ^s-a-  p^-c.  j-l^-C^Jc  ^»  l'i-.*.- 
Syr.  Cm-.:  ]zry    U^j^m.' c   \s..4_.    ~^c   1'j-a.c    \J.z^.^1o. 


24  Homilie  II. 

heissuug.  Denn  dieser  Bund,  der  dem  Mose  gegeben  war,  wurde 
nicht  eher  besiegelt,  als  bis  dieser  letzte  Bund  kam.  welcher 
der  erste  ist,  indem  er  früher  verheissen  und  später  versiegelt 
worden  ist,  bis  der,  welcher  den  Bund  brachte,  gestorben  war, 
und  beide  Bünde  rechtskräftig  geworden  waren,  und  er  sie  beide 
zu  einem  gemacht,  und  er  das  Gesetz  der  Gebote  durch  seine 
Gebote  aufgehoben  hatte.  Denn  die  Gebräuche  des  Gesetzes 
wurden  aufgehoben  bei  der  Ankunft  unsers  Erlösers.  Und  Er 
brachte  sich  selbst  als  Opfer  dar  an  Stelle  der  Opfer  des  Ge- 
setzes, und  er  wurde  geführt  wie  ein  Lamm  zur  Schlachtbank  ^) 
statt  der  Lämmer  der  Versöhnung,  und  liess  sich  tödten  für  uns 
als  fetter  Stier,  dass  wir  nicht  nöthig  hätten,  Kälber  zu  opfern. 
Er  kam  und  stieg  an  das  Kreuz,  dass  von  uns  nicht  gefordert 
würden  Opfer  und  Schlachtopfer.  Er  gab  sein  Blut  für  alle 
Menschenkinder,  damit  uns  nicht  nöthig  wäre  das  Blut  der 
Thiere.  Und  er  ging  in  den  heiligen  Tempel,  der  nicht  mit 
Händen  gemacht  ist,  und  ward  Priester  und  Diakonus  des  Heilig- 
thums  -).  Von  der  Zeit  nämlich  an,  da  er  kam,  hob  er  die  Vor- 
schriften des  Gesetzes  auf.  Von  der  Zeit  an,  da  sie  ihn  fesselten, 
wurden  die  Festtage  in  Ketten  gefesselt.  Und  darum,  dass  sie 
den  Unschuldigen  richten  wollten,  hat  er  von  ihnen  genommen 
die  Gerichtsbarkeit.  Und  darum,  dass  sie  sein  Königreich  ver- 
warfen, hat  er  das  Königreich  von  ihnen  genommen.  Denn  es 
kam  der,  dess  das  Königreich  eigen  war,  und  brachte  sich  selbst 
als  lebendiges  Opfer  für  uns  dar  und  hob  ihre  Opfer  auf.  Und  es 
wohnen  nun  die  Kinder  Israels  ohne  Opfer  und  ohne  Altar,  ohne 
Versöhnungskleid,  und  ohne  Weihrauch.  Und  er  liess  bei  ihnen 
aufhören  Seher  und  Propheten,  weil  sie  nicht  hörten  auf  den  grossen 
Propheten.  Und  der  erste  Bund  wurde  erfüllt  durch  den  letzten. 
Und  er  erklärte  für  veraltet  und  stellte  ab  die  Werke  des  Ge- 
setzes, und  sie  waren  dem  Untergang  verfallen;  denn  seitdem  der 
neue  Bund  gegeben  wurde,  hörte  der  alte  auf.  Und  es  waren 
nicht  erst  seit  der  Zeit  der  Ankunft  unseres  Erlösers  die  Opfer 
verworfen,  sondern  auch  vorher  waren  ihre  Opfer  ihm  nicht  an- 
genehm, wie  geschrieben  steht  ^):  Ich  esse  nicht  das  Fleisch  der 
Rinder  und  trinke  nicht  das  Blut  der  Böcke,  sondern  opfere  du 
Gott  Dank   und    bezahle    dem    Höchsten    deine    Gelübde.      Und 


1)  Jesaia  53,  7.  —  2)  Hebr.  9,  11.  —  3)  Psalm  50,  13.  14. 


Die  Unterweisung  von  der  Liebe.  25 

wiederum  sagt  er  ^) :  Ein  geäugstetes  Herz  verwirft  Gott  nicht. 
Und  wiederum  sagt  er"'^):  Ich  will  nicht  Opfer  und  habe  kein 
Verlangen  nach  ganzen  Brandopfern.  Die  Opfer  Gottes  sind  ein 
demüthiger  Geist.  Und  auch  der  Prophet  Jesaia  sagt-*;:  Ich  be- 
darf nicht  der  Menge  eurer  Opfer,  spricht  der  Herr.  Und  wie- 
derum sagt  er  zu  ihnen  ^):  Ich  hasse  und  verwerfe  eure  Feste 
und  mag  in  eure  Festversammlungen  nicht  riechen. 

§  7.  Dieses  Wort  nun,  von  dem  unser  Erlöser  sagt,  dass  in 
ihm  hangen  das  Gesetz  und  die  Propheten,  ist  vorzüglich,  gut 
und  schön:  denn  der  Herr  spricht  also''):  Nicht  ein  Buchstabe 
Jud  von  dem  Gesetz  und  den  Propheten  wird  vergehen,  bis  dass 
Alles  geschehen.  Er  nahm  nämlich  das  Gesetz  und  die  Pro- 
pheten und  hängte  sie  in  2  Gebote  und  hob  nichts  von  ihnen 
auf.  Wenn  du  aber  genau  dieses  Wort  erwägst,  so  (wirst  du 
finden,  dass)  es  in  Wahrheit  die  Erfüllung  des  Gesetzes  ist,  und 
Alles,  was  in  ihm  geschrieben  ist,  in  diesem  Wort  enthalten 
ist^):  Du  sollst  lieben  den  Herrn,  deinen  Gott,  von  ganzer  Seele, 
aus  aller  Kraft  und  von  ganzem  Herzen.  Und  alles  was  gethan 
wurde  nach  dem  Gesetz,  sollte  also  geschehen,  dass  sie  kämen  zur 
Liebe  des  Herrn,  ihres  Gottes;  und  dass  man  seinen  Nächsten 
liebe  wie  sich  selbst.  Diese  beiden  Gebote  stehen  über  dem 
ganzen  Gesetz.  Und  wenn  du  genau  und  aufmerksam  das  Ge- 
setz betrachtest,  so  stehet  über  dem  ganzen  Gesetz  also  geschrie- 
ben^): Ich  bin  der  Herr,  dein  Gott,  der  dich  aus  Aegyptenland 
geführt  hat,  du  sollst  dir  neben  mir  nicht  irgend  ein  Bilduiss 
noch  irgend  ein  Gleichniss  machen.  Und  wenn  sich  jemand 
nicht  einen  anderen  Gott  neben  ihm  macht,  so  steht  er  unter 
dem  Wort,  in  welchem  das  Gesetz  und  die  Propheten  hangen. 
Und  erinnere  dich,  mein  Lieber,  dass  ich  dir  geschrieben  habe, 
dass  den  Gerechten  das  Gesetz  nicht  gegeben  ist,  weil  derjenige, 
welcher  die  Gerechtigkeit  bewahrt,  über  dem  Gebot  und  dem  Ge- 
setz und  den  Propheten  stehet.  Und  wahr  ist  das  Wort,  dass 
der  Herr  spricht '^),  dass  nicht  ein  Jud-Buchstabe  vom  Gesetz 
und  von  den  Propheten  vergessen  wird,  weil  er  sie  eingeschlossen 
und  gehängt  hat  in  2  Gebote. 


1)  Ps.  51,  17.  —  2)  Jerem.  6,  20.  Ps.  51,  17.  —  3)  Jesaia  1,  11.  —  4) 
Arnos  5,  21.  —  5)  Matt.  5,  20.  —  6)  Deuter.  6,  5.  Matt.  22,  37.  —  7)  Exod. 
20.  2.  4.  —  8)  Matt.  5,  20. 


26  Homilie  IL 

§  8.  Höre  aber,  mein  Lieber,  die  Erklärung  dieses  Wortes, 
wenn  man  sagt,  warum  steht  geschrieben  von  dem  Aufenthalt 
der  Kinder  Israels  in  Aegypten,  dass  sie  430  Jahre  daselbst  ge- 
wohnt haben  i),  während  doch  bei  der  Verheissung  zu  Abraham 
gesagt  worden  war,  dass  es  4ü0  Jahre  sein  sollten  ■^),  und  warum 
haben  sie  also  30  Jahre  dazu  bekommen?  Ich  will  dir  es  er- 
klären, mein  Lieber,  wie  es  sich  verhält.  Da  nämlich  die  Zeit 
kam,  dass  die  400  Jahre  voll  wurden,  wurde  Moses  gesandt,  dass 
er  sie  befreie,  da  er  den  Aegypter  tödtete.  Und  sie  verwarfen 
ihren  Befreier,  und  Moses  floh  nach  Midian  und  der  Zorn  blieb 
über  ihnen,  dass  sie  in  Aegypten  noch  30  Jahre  blieben.  Sie 
hatten  nämlich  zu  Mose  gesprochen  '^) :  Wer  hat  dich  zum  Herr- 
scher und  Richter  über  uns  gesetzt?  Und  da  sie  ihren  Befreier 
verwarfen,  hielt  sie  der  Zorn  Gottes  noch  30  Jahre  in  Aegypten 
zurück.  Und  Moses  war  in  Midian  30  Jahre.  Alsdann,  da  die 
Bedrückung  auf  ihnen  gross  war,  führte  er  sie  aus  Aegypten. 
Diese  Verzögerung  Hess  Gott  eintreten,  ei'stens  damit  sie  ge- 
züchtigt würden  dafür,  dass  sie  Moses  verworfen  hatten;  und 
zweitens,  dass  die  Schuld  der  Amoriter  voll  werde.  Er  hat  über 
das,  was  er  dem  Abraham  verheissen  hatte,  dem  Volke  hinzuge- 
fügt noch  30  Jahre,  und  den  Amoritern  hat  seine  Langmuth 
noch  70  Jahre  gewährt,  30  Jahre  in  Aegypten  und  40  Jahre 
in  der  Wüste.  Und  da  434  Jahre  ^)  erfüllt  waren  und  die  Schuld 
der  Amoriter  voll  war,  führte  er  sie  in  das  Land  der  Verheissung. 
Wisse  aber,  mein  Lieber,  dass  Gott  ohne  Gesetz  ist.  Denn  bald 
verkürzt  er,  bald  fügt  er  zu  dem  Kleinen  noch  hinzu.  In  den 
Tagen  Noahs  nämlich  verhiess  er  wegen  der  Sünden  der  Men- 
schenkinder''),  dass  die  Tage  der  Menschen  noch  120  Jahre  sein 
sollten,  und  er  vernichtete  sie  in  dem  600.  Lebensjahre  des  Noah. 
Er  sprach  nämlich:  120  Jahre  sollen  sie  auf  Erden  bleiben  und 
in  dem  600.  Lebensjahre  des  Noah  wurden  sie  vernichtet.  Und 
er  kürzte  die  Frist  um  20  Jahre.  Und  wiederum  steht  geschrie- 
ben, da  die  Sünde  des  Reichs  und  die  Uebertretung  des  Hauses 


1)  Exod.  12,  40.  —  2)  Vgl.  Genes.  15,  13.  —  3)  Exod.  2,  14. 

4)  Nach  der  im  vorausgehenden  Satz  aufgestellten  Berechnung  kann 
die  Zahl  434  nicht  richtig  sein.  Statt  ,-*i^  Vn^lo  ^lOl^Zo  llialiC;^ 
haben  wir  wohl  zu  lesen  ^*-l-»^  ^.».l^ri^lo  _.£^Zo  ÜViSt?!  430  und 
40  Jahre.  —  5)  Gen.  6,  3. 


Die  Unterweisung  von  dei-  Liebe.  27 

Ephraim  gross  war,  da  Jerobeam,  der  Sohn  Nadabs,  über  sie 
herrschte,  welcher  sündigte  und  Israel  zur  Sünde  verführte,  und 
da  sie  sündigten,  da  gab  er  die  Verheissung  über  ihnen  in  der 
Weissagung  des  Propheten  Jesaia,  der  zu  ihnen  sprach  i):  Nach 
65  Jahren  wird  Israel  aufhören  ein  Volk  zu  sein.  Im  ersten 
Jahre  des  Ahas  geschah  dieses  Wort,  und  im  4.  Jahre  des  His- 
kia  kam  Salmanassar,  der  König  von  Assur,  über  sie  -),  und  nach 
ihm  Tiglat  Pilesar,  und  führte  sie  aus  ihrem  Lande  in  die  Ge- 
fangenschaft. Ahas  herrschte  nämlich  über  sie  16  Jahre,  und  im 
4.  Jahre  des  Hiskia  überwältigten  sie  die  Könige  von  Assyrien; 
es  waren  nur  20  Jahre,  da  Ephraim  aufhörte  zu  Israel  zu  ge- 
hören: und  um  45  Jahre  hatte  er  sie  gekürzt.  Und  so  hatte  er 
doch  zuvor  gesagt  und  die  Zeit  bestimmt  und  nicht  erfüllt,  wie 
er  es  bestimmt  hatte. 

§  9.  Er  hatte  aber  nicht,  weil  er  es  nicht  wusste,  über 
ihnen  die  Verheissung  gegeben,  dass  es  so  geschehen  würde,  und 
dann  abgekürzt  und  auch  Jahre  hinzugesetzt,  sondern  er  hat  es 
mit  Wissen  gethan.  Denn  er  wusste,  bis  zu  welchem  Mass 
sie  kommen  würden.  Und  er  gab  aus  Barmherzigkeit  Zeit  zur 
Bekehrung,  damit  die  Menschen  ohne  Entschuldigung  wären. 
Und  die  Menschen  verachteten  die  Langmuth  Gottes,  und  da  sie 
hörten,  dass  noch  lange  Zeit  war,  bis  der  gedrohte  Zorn  käme, 
so  sündigten  sie  übermüthig  vor  ihm  und  sprachen:  Was  die 
Propheten  gesagt,  das  ist  für  ferne  Zeiten  geweissagt.  Des- 
halb, da  dieser  Gedanke  über  sie  kam  in  den  Tagen  des  Pro- 
pheten Hesekiel,  und  sie  sprachen:  Was  dieser  ge weissagt  hat, 
das  gilt  für  ferne  Zeiten,  sprach  er  zu  Hesekiel:  So  wahr  ich 
lebe,  spricht  der  Herr  der  Herren,  es  soll  ferner  kein  Aufschub 
sein  für  die  Erfüllung,  denn  das  Wort,  das  ich  gesprochen  habe, 
will  ich  sofort  ausführen  3).  Und  was  er  zuvor  festgesetzt  hatte, 
damit  hatte  er  Zeit  zur  Bekehrung  den  Menschen  gegeben,  dass 
sie  sich  vielleicht  bekehrten;  und  sie  verachteten  die  Langmuth 
Gottes  und  bekehrten  sich  nicht,  und  so  hat  auch  er  die  Zeit, 
die  er  ihnen  bestimmt  und  festgesetzt  hatte,  nicht  festgehalten; 
und  das  hat  er  nicht  gethan,  weil  er  es  nicht  wusste,  sondern  wie 
geschrieben  steht'):    Wehe   deiu,    der  da  raubt,    iiir  sollt  nicht 

1)  Jes.  7,  S.  —  2)  Tiglat  Pilesar  wird  irrthümlich  als  Nachfolger  Sal- 
nianassars  bezeichnet.  —  3)  Ezech.  12,  28.  —  4)  Edit.  Rom.  bemerkt  zu 
dieser  Stelle  (Wriglit  eignet  sich  diese  Bemerkung  an):  Unde  haec  S.  Ja- 


28  Homilie  II. 

rauben,  und  ein  Betrüger  betrüge  unter  euch  nicht,  denn  wenn 
ihr  rauben  wollt,  werdet  ihr  beraubt  werden,  und  wenn  ihr  be- 
trügen wollt,  werdet  ihr  betrogen  werden.  Und  wiederum  steht 
geschrieben  im  Jeremia  '):  Wenn  ich  auch  gesagt  habe  über 
das  Volk  und  über  das  Königreich,  dass  ich  es  ausrotten  wolle 
und  zerstören  und  niederwerfen  und  vernichten,  wenn  das  Volk 
sich  bekehrt  von  seiner  Sünde,  so  will  auch  ich  doch  mein  Wort 
Lügen  strafen  und  von  ihnen  abwenden,  was  ich  über  sie  ausge- 
sprochen habe.  Wiederum  spricht  Jeremia 2):  Wenn  ich  auch  ge- 
sagt habe  über  das  Volk  und  das  Reich,  dass  ich  es  bauen  und 
pflanzen  wolle,  und  das  Volk  thut  Sünde  vor  mir,  so  werde  auch 
ich  mein  Wort  Lügen  strafen  und  werde  von  ihm  abwenden  das 
Gute,  wovon  ich  gesagt,  dass  ich  es  ihm  erweisen  wolle. 

§  10.  Das  ist  Alles,  was  ich  dir  geschrieben  habe,  mein 
Lieber.  Denn  ich  habe  zuerst  in  der  ersten  Hede,  die  über 
den  Glauben  handelt,  dir  gezeigt,  dass  im  Glauben  gegründet 
werden  kann  das  Fundament  dieses  Bundes,  auf  welchen  wir 
gegründet  sind.  Und  in  dieser  zweiten  Rede  habe  ich  dir  ge- 
schrieben und  dich  erinnert,  dass  das  ganze  Gesetz  und  die  Pro- 
pheten in  2  Geboten  hangen,  in  denjenigen,  von  denen  unser  Er- 
löser sagt:  In  diesen  beiden  Geboten  ist  das  ganze  Gesetz  und  die 
Propheten  eingeschlossen.  Und  im  Gesetz  ist  der  Glaube  einge- 
schlossen, und  auf  den  Glauben  ist  die  wahre  Liebe  gegründet, 
welche  aus  den  beiden  Geboten  kommt,  dass  der  Mensch,  nachdem 
er  den  Herrn  seinen  Gott  liebt,  auch  seinen  Nächsten  lieben  soll, 
wie  sich  selbst.  Höre  nun,  mein  Lieber,  über  die  Liebe,  die  aus 
diesen  beiden  Geboten  kommt.  Denn  da  unser  Erlöser  kam,  zeigte 
er  den  Werth  und  die  Bedeutung  der  Liebe.  Denn  er  sprach  zu 
seinen  Jüngern  ^j:  Das  ist  mein  Gebot,  dass  ihr  einander  liebet. 
Und  wiederum  spricht  er  zu  ihnen*):  Ein  neu  Gebot  gebe  ich 
euch,  dass  ihr  euch  untereinander  liebet.  Und  wiederum,  da  er 
sie  über  die  Liebe  belehrt,  mahnet  er  sie^):  Liebet  eure  Feinde, 
segnet,  die  euch  fluchen,  bittet  für  die,  die  euch  beleidigen  und 
verfolgen.  Und  dieses  wiederum  spricht  er  zu  ihnen''):  Wenn 
ihr  liebt  den,  der  euch  liebt,  was  ist  dann  euer  Verdienst?  Denn 


cobus  sumpserit,  me  prorsus  latet,  nam  neque  in  veteri  neque  in  novo 
testamento  aliquid  huiusmodi  me  legisse  memini.     Es  ist  Jesaia  33,  1. 

1)  Jerem.  IS,  7.  8.  —  2)  Jerem.  18,  9.  ]0.  —  3)  Job.  15,  12.  —  4)  Job. 
13.  34.  —  5)  Matt.  5,  44;  Luc.  6,  27.  28.  —  6)  Matt.  5,  46;  Luc.  6.  32. 


Die  Unterweisung  von  der  Liebe.  29 

wenn  du  liebst  den,  der  dich  liebt,  so  thun  dasselbe  auch  die 
Heiden:  Den,  der  sie  liebt,  lieben  sie  wieder.  Wiederum  sagt 
unser  Erlöser  ') :  Wenn  ihr  Gutes  thut  dem,  der  euch  Angenehmes 
erweist,  was  ist  euer  Verdienst?  Siehe,  auch  die  Zöllner  und 
Sünder  thun  also  "^).  Sondern  ihr,  weil  ihr  Kinder  Gottes  im  Him- 
mel seid,  sollt  ihm  auch  ähnlich  sein,  der  auch  liebt  diejenigen,  die 
gegen  seine  Güte  undankbar  sind.  Wiederum  sagt  unser  Er- 
löser 3) :  Vergebet,  so  wird  euch  vergeben,  erlasset,  so  wii'd  euch 
erlassen,  gebet,  so  wird  euch  gegeben.  Wiederum  spricht  er 
und  macht  uns  Furcht^):  Wenn  ihr  den  Menschen  ihre  Sünden, 
die  sie  gegen  euch  begangen  haben,  nicht  vergebt,  so  wird  euch 
euer  Vater  auch  nicht  vergeben  Denn  so  ermahnet  er  und 
spricht :   Wenn  dein  Bruder  gegen  dich  sündigt,  so  vergib  ihm  ^). 


1)  Matt.  5,  47;  Luc.  6,  .S3.  —  2)  Luc.  ü,  35. 

.^)  Luc.  6,  37.  Aphr.  citirt  hier  nebeneinander:  Vergebet,  und  es  wird 
euch  vergeben  werden,  und  lasset  los  (erlasset),  und  ihr  werdet  los  gelassen 
werden,  und  gebet,  und  es  wird  euch  gegeben  werden.  Der  erste  Satz, 
welcher  S.  40,  7  im  Anschluss  an  Luc.  5,  35  citirt  wird,  entspricht  ebenso 
wie  das  dimittite  et  dimittatur  vobis  des  Ephr.  (Com.  S.  72)  einem  dtflevt 
xccl  ihpe&rjaezai  vfxlr.  Dass  dies  ausser  und  neben  dem  drcolvtxs  y.al  dno- 
Xv'&7](ua')-s  in  Tat.  Diät,  gestanden  hat,  bezeugt  nicht  nur  Aphr.,  es  er- 
gibt sich  auch  aus  der  Stellung,  welche  ihm  Ephr.  anweist  gleich  nach 
jAij  xQivsrs  und  vor  fit)  xaradixd'Qets ,  was  Ephr.  durch  nolite  punire  frei 
wiedergibt.  Die  Lesai't  ist  aber  uralt.  Polycarp.  ad  Philipp.  2,  3  schliesst 
gleichfalls  an  ßtj  nQh'ert  etc.  an:  d(fiers  etc.  Zahn  S.  13S.  Syr.  Cur.  fehlt 
hier.     Peschito  hat  den  gewöhnlichen  Text. 

4)  Matt.  6,  15. 

51  Luc.  17,  3.  4.  Matt.  18,  21  u.  22.  Die  Verse  Luc.  17,  4;  Matt.  18, 
21.  22  schliesst  Aphr.  hier  in  ununterbrochener  Folge  an  die  wie  S.  298, 
4 — 9  abgekürzte  Anführung  von  Luc.  17,  3  (Matt.  IS,  15)  an.  Eben  diese 
auf  den  ersten  Blick  fremdartige  (vgl.  Ephr.  1G5)  Einschiebung  von  Luc. 
17,  4  vor  die  Frage  des  Petrus  Matt.  18,  21  hat  aber  auch  Ephr.  vorge- 
funden, denn  seine  ganze  folgende  Erklärung  fusst  darauf,  dass  die  Frage 
des  Petrus  auf  ein  siebenmaliges  Vergeben  an  einem  Tage  lautete  (Ephr. 
164  sed  unum  tantum  diem  Petrus  irae  concedit  etc.  cf.  Mösinger  zu  der 
Stelle).  Da  nun  dies  nicht  in  der  Frage  des  Petrus  nach  Ephr.  eigenem 
Citat  wie  nach  Matt.  21  steht,  so  nmss  in  Tat.  Diät,  dieser  Frage  das 
Wort  Jesu  aus  Luc.  17,  4  vorangegangen  sein.  Diese  Combination  findet 
sich  aber  ausser  in  dem  von  Ephr.  und  Aphr.  benutzten  Texte  (Tat.  Diät.) 
ähnlich  auch  im  aramäischen  Hebräerevang.  (Hieron.  adv.  Pelag.  III,  2 
ed.  Vallarsi,  Quartausgabe,  II,  738:  In  eodem  volumine:  ,si  peccaverit, 
inquit,  frater  tuus  in  verbo  et  satis  tibi  fecerit,  septies  in  die  suscipe  cum 


30  Homilie  IL 

Und  wenn  er  7mal  gegen  dich  sündigt  an  einem  Tag,  so  A^ergib 
ihm.  Und  da  Simon  Petrus  dieses  Wort  hörte,  sprach  er  zu  dem 
Herrn:  Wieviel  mal,  wenn  mein  Bruder  gegen  mich  sündigt, 
muss  ich  ihm  vergeben?  Siebenmal?  Sprach  zu  ihm  der  Herr: 
Nicht  blos  7 mal,  sondern  70  mal  7.  Wenn  er  nämlich  auch  490- 
mal  gegen  dich  sündigt,  so  vergib  ihm  an  einem  Tag.  Und  er 
war  hierdurch  ähnlich  seinem  guten  Vater,  der  Jerusalem  viel 
Vergebung  schenkte.  Da  er  die  Kinder  Israel  in  die  Gefangen- 
schaft führte  nach  Babel,  züchtigte  er  sie  dort  70  Jahre,  und  da 
sich  sein  Erbarmen  offenbarte,  sammelte  er  sie  wieder  in  ihr  Land 
durch  Esra,  den  Schriftgelehrten,  und  schenkte  ihnen  viel  Ver- 


Dixit  illi  Simon  discipulus  eius:  Septies  in  die?  Respondit  dominus  et 
dixit  ei:  Etiam  ego  dico  tibi,  usque  septuagies  septies''.)  Von  dem  daran 
angeschlossenen  Satz :  „Et  enim  in  proplietis  quoque,  postquam  uncti  sunt 
spiritu  sancto  inventus  est  sermo  peccati",  welcher  auch  griechisch  be- 
zeugt ist  (Tischendorf,  Notitia  cod.  Sinait.  p.  58),  findet  sich  bei  Aphr.  u. 
Ephr.  keine  Spur. 

Die  Abkürzung  von  Luc.  17,  4  an  unserer  Stelle  wird  theilweise  er- 
klärt durch  den  unmittelbaren  Anschluss  an  Luc.  17,  3  (Matt.  18,  15)  und 
hat  gar  nichts  zu  bedeuten,  denn  S.  298,  12  liegt  eine  Textmischung  aus 
Luc.  17,  4  und  Matt.  18,  22  vor,  welche  einen  vollständigeren  Text  von 
Luc.  17,  4  voraussetzt:  „Wenn  bis  zu  siebzigmal  siebenmal  der  Sünder 
an  dir  sündigt,  so  vergib  ihm  an  einem  Tage".  Im  einzelnen  ist  noch 
Folgendes  zu  bemerken:  Aphr.  u.  Ephr.  stimmen  in  der  Frage  des  Petrus 
Matt.  18,  21  bis  septies  mit  Syr.  Cur.  und  Pesch.  überein  gegen  Hebräer- 
evang.;  nur  hat  Aphr.  noch  j.lC|.iÄ  =  usque  vor  septies  und  Aphr.  wie 
Ephr.  haben  noch  ^j^  =  xvqi£.  Satisne  est  hat  nur  Ephr.  und  mag  Zu- 
that  des  Commentators  sein,  ebenso  wie  er  willkürlich  Matt.  18,  22  den  Ver- 
neinungssatz ausgelassen  hat.  Vgl.  jedoch  Hebräerevang.  —  ,.Der  Herr" 
■  i-iß  hat  nur  Aphr.  (cf.  Hebräerevang.),  „Jesus"  hat  Peschito  und  der  griech. 
Text,  während  es  bei  Syr.  Cur.  und  Ephräm.  fehlt.  jt*Jii^  ''^^si^  p^  ,  nicht 
sieben  nur"  hat  Aphr.;  Syr.  Cur.  hat  Vä^  Pi»,  ,, nicht  sieben"  Peschito 
Vsi.4^  i^r-^  ^t^  U)  r^l  1-^  ,. nicht  sage  ich  dir  bis  zu  sieben",  ebenso 
hat  der  griech.  Text,  während  dieser  Verneinungssatz  bei  Ephr.  ganz 
fehlt;  es  hat  wohl  bei  T.  D.  gestanden  und  ist  von  Ephr.  willkürlich  weg- 
gelassen worden. 

usque  sept.  gibt  Aphr.  wie  Syr.  Cur.  mit  '^^^Ji,  (Carm.  Nisib.  39,  13; 

syr.  Text  S.  72,  158)  während  Peschito  j-i^Of:^  dafür  hat.  ,:^-i=l  ,-*i..=^; 
das  .-»-1^1 '  das  Aphr.  mit  Pesch.  hinter  .  t*-^.  a.  hat ,  fehlt  bei  Syr.  Cur. 
vgl.  Zahn  S.  170  f. 


Die  Unterweisung  von  der  Liebe.  31 

gebung,  während  der  Hälfte  eines  seiner  Tage  ^),  70  Jahrwoclien, 
490  Jahre.  Und  da  sie  das  unschuldige  Blut  vergossen  hatten, 
wurde  der  Stadt  Jerusalem  nicht  mehr  vergeben,  sondern  er  gab 
sie  in  die  Hand  ihrer  Feinde.  Und  sie  rotteten  sie  aus  und  Hessen 
ihr  nicht  einen  Stein  auf  dem  andern  und  Hessen  nicht  die  Fun- 
damente dem  Herrn.  Und  er  sprach  nicht  zu  den  Edomitern, 
dass  es  an  ihnen  gerächt  werden  sollte,  darum,  dass  sie  nicht  über 
Jerusalem  gerufen  hatten  2) :  Rein  ab ,  rein  ab ,  bis  auf  ihre  Fun- 
damente. Gott  aber  vergab  während  der  Hälfte  eines  seiner  Tage, 
nämlich  490  Jahre,  und  trug  ihre  Sünden;  und  alsdann  rottete 
er  auch  Jerusalem  aus,  und  vernichtete  sie  durch  die  Hand  der 
Fremden.  So  gebietet  ihnen  der  Erlöser,  dass  mau  an  einem  Tag 
seinem  Bruder  490mal  vergebe. 

§  13.  Lass  dich  nicht  hindern,  mein  Lieber,  durch  das  Wort,  das 
ich  dir  geschrieben  habe,  dass  Gott  während  der  Hälfte  eines 
seiner  Tage  Jerusalem  vergeben  habe.  Denn  so  steht  geschrieben 
im  David,  im  90.  Psalm:  1000  Jahre  sind  in  den  Augen  des 
Herrn  wie  der  Tag,  der  gestern  vergangen  ist.  Und  auch  unsere 
weisen  Lehrer  sagen  also:  Wie  in  6  Tagen  die  Welt  von  Gott 
geschaffen  worden  ist,  so  wird  auch,  wenn  6000  Jahre  erfüllt 
sind,  die  Welt  von  ihm  zerstört,  und  dann  wird  der  Sabbath 
Gottes  sein,  gleichwie  der  Sabbath  nach  den  sechs  Tagen,  wie 
unser  Erlöser  erklärt  und  uns  lehrt  über  den  Sabbath.  Er  spricht 
nämlich  also  ^) :  Bittet,  dass  eure  Flucht  nicht  geschehe  im  Win- 
ter und  am  Sabbath.  Und  auch  der  Apostel  wiederum  spricht*): 
Noch  stehet  der  Sabbath  Gottes,  lasset  uns  darnach  streben,  dass 
wir  eingehen  zu  seiner  Ruhe. 

§  14.  Und  wiederum,  da  der  Herr  seine  Jünger  das  Gebet 
lehrte,  sprach  er  zu  ihnen:  So  sollt  ihr  beten  ^):  Vergib  uns  unsere 
Schuld,  und  auch  wir  vergeben  unseren  Schuldigern.  Und 
wiederum  spricht  er '') :  Wenn  du  dein  Opfer  opfern  willst,  und 
erinnerst  dich,  dass  du  von  einer  Feindschaft  ergriffen  bist  gegen 
deinen  Bruder,  so  lass  dein  Opfer  vor  dem  Altar  und  gehe  und 
versöhne  dich  mit  deinem  Bruder,  und  alsdann  komm  und  opfere 
dein  Opfer,  damit,  wenn  jemand  bittet,  vergib  uns  unsere  Schuld, 


1)  =  1000  Jahre.  Vgl.  Ps.  90,  4  Die  Hälfte  eines  seiner  Tage,  also 
500  Jahre.  —  2)  Ps.  137,  7;  Ezech.  25,  12.  —  3)  Matt.  24,  2Ü.  —  4)  Hebr. 
4    9.  11.  —  5)  Matt.  6,  12.  —  6)  Matt.  5,  23.  24. 


32  Homilie  II. 

inid  auch  wir  vergeben  unseren  Scliuldigern,  er  nicht  mit  seinen 
eigenen  Worten  gefangen  wird,  und  zu  ihm  gesprochen  wird  von 
dem,  der  die  Gebete  annimmt:  Du  hast  deinem  Bruder  nicht  ver- 
geben, wie  sollen  wir  dir  vergeben,  und  es  bleibe  dein  Gebet  auf 
der  Erde.  Wiederum  gibt  uns  der  Herr  ein  Beispiel  an  jenem 
Mann^),  der  anfing  Rechenschaft  zu  fordern  von  seinen  Knechten. 
Und  da  sein  Knecht  vor  ihn  kam,  der  ihm  viele  Talente  schuldig 
war,  und  da  sein  Herr  ihn  drängte,  dass  er  ihm  bezahle,  was  er 
ihm  schuldete,  und  da  er  seinem  Herrn  seine  Schuld  nicht  be- 
zahlen konnte,  gab  sein  Herr  Befehl  und  entliess  ihn  und  alles, 
was  er  schuldete,  erliess  er  ihm.  Der  Knecht  aber  in  seiner  Bos- 
heit gedachte  nicht  an  die  Vergebung  seines  Herrn,  wieviel  Ver- 
gebung er  ihm  geschenkt  hatte;  und  da  er  hinausging,  fand  er 
einen  von  seinen  Mifknechten,  der  ihm  100  Denare  schuldig  war; 
und  er  ergriff  ihn,  würgte  ihn  und  sprach  zu  ihm:  Bezahle  mir, 
was  du  mir  schuldig  bist,  und  er  nahm  die  Bitte  seines  Mit- 
knechts, die  er  von  ihm  erbat,  nicht  an,  sondern  ging  und  schloss 
ihn  ins  Gefängniss.  Und  weil  er  nicht  seinem  Mitknecht  das 
W^enige  erlassen  hatte,  da  ihm  doch  so  viel  erlassen  war,  wurde 
den  Dienern  befohlen,  dass  sie  ihn  peinigten,  bis  er  bezahlte,  was  er 
schuldig  war.  Und  er  sprach  zu  ihnen:  So  wird  euch  mein 
himmlischer  Vater  auch  thun,  wenn  ihr  nicht  vergebet,  ein  Jeg- 
licher seinem  Bruder. 

§  15.  Wiederum  siehe,  mein  Lieber,  wie  hoch  der  selige 
Apostel  die  Liebe  stellt,  da  er  spricht  '^) :  Wenn  ihr  strebet  nach 
grossen  Gaben,  so  will  ich  euch  zeigen,  welches  die  grösste  Gabe 
ist;  und  er  spricht'^):  Wenn  ich  Weissagung  hätte,  und  wüsste 
alle  Geheimnisse  und  alle  Erkenntniss  und  allen  Glauben,  so 
dass  ich  Berge  versetzte,  und  hätte  die  Liebe  nicht,  so  wäre  ich 
nichts  nütze.  Und  wenn  ich  alle  meine  Habe  den  Armen  gäbe 
und  Hesse  meinen  Leib  brennen,  und  hätte  die  Liebe  nicht,  so 
wäre  ich  wiederum  nichts  nütze.  Denn  er  spricht  also:  Die 
Liebe  ist  langmüthig   und    freundlich,  und   sie  eifert  nicht   und 


1)  Matt.  18,  23  if.  Bei  Eplir.  Com  findet  sich  nichts  hiervon,  aber 
da  Matt.  18,  21  u.  22  von  Ephr.  besprochen  sind,  ist  auch  nicht  zu  be- 
zweifeln, dass  die  folgende  Parabel  in  seinem  Texte  Tat.  Diät,  stand.  Eine 
freie  Anspielung  daran  kommt  vor  Ephr.  I,  526  e.    Zahn  S.  171. 

2)  1.  Cor.  12,  31.  —  3)  1.  Cor.  13,  2  ff . 


Die  Unterweisung  von  der  Liebe.  33 

rühmet  sich  auch  nicht  und  ist  nicht  übermüthig,  und  sie  suchet 
nichts,  was  blos  ihr  Erquickung  bringt,  sondern  das,  was  Vielen 
nützt.  Die  Liebe  hofft  alles,  duldet  alles,  die  Liebe  hört  niemals 
auf.  Und  wiederum  sagt  er,  dass  die  Liebe  grösser  ist  als  alles 
Andere,  und  der  Apostel  zeigt  und  erklärt,  dass  nach  dem  Glauben 
die  Liebe  das  Vorzüglichste  ist,  und  durch  sie  der  wahre  Bau 
aufgerichtet  Avird.  Und  er  lehrt,  dass  die  Weissagung  auf  die 
Liebe  gegründet  ist,  und  die  Geheimnisse  in  der  Liebe  geoffenbart 
werden,  und  die  Erkenntniss  in  der  Liebe  erfüllt  wird,  und  der 
Glaube  in  der  Liebe  sich  bewährt,  und  dass  wer  Glauben  hat 
und  einen  Berg  versetzt,  ohne  Liebe  gar  keinen  Nutzen  davon 
hat.  Und  wenn  ein  Mensch  alles,  was  er  hat,  den  Armen  gibt, 
und  seine  Almosen  werden  nicht  in  der  Liebe  gegeben,  so  ist 
es  ihm  kein  Nutzen.  Selbst  wenn  er  um  des  Namens  des  Herrn 
willen  seinen  Leib  brennen  liesse  im  Feuer,  so  wäre  ihm  damit 
nichts  geholfen.  Und  er  lehrt  weiter,  dass  die  Langmuth  und 
die  Geduld  und  der  Glaube,  und  dass  man  gegen  seinen  Bruder 
nicht  eifert,  bei  dem  gefunden  werden,  der  voll  Liebe  ist.  Und  auch 
die  Geduld  und  die  Demuth  und  die  Freundlichkeit  werden  durch 
die  Liebe  aufrecht  erhalten.  Der  Glaube  ist  nämlich  auf  den  Fel- 
sen als  das  Fundament  des  Baues  gelegt,  und  die  Liebe  ist  das 
Gebälke  des  Baues,  durch  welches  die  Wände  des  Hauses  zusam- 
mengehalten werden.  Und  wenn  ein  Fehler  in  den  Balken 
des  Hauses  sich  vorfindet,  so  fällt  der  ganze  Bau  zusammen. 
Ebenso,  wenn  in  der  Liebe  Zweifel  gefunden  wird,  so  fällt  der 
ganze  Glaube  zusammen.  Und  der  Glaube  kann  nicht  Hass  und 
Streit  vermeiden,  bis  die  Liebe  Christi  kommt,  gleichwie  der  Bau 
sich  nicht  schön  erheben  kann,  bis  die  Wände  durch  Balken 
zusammengehalten  werden. 

§  16.  Weiter  will  ich  dir  zeigen,  dass  die  Liebe  alles  über- 
trifft, und  dass  durch  sie  vollkommen  wurden  die  gerechten  Vor- 
väter. Denn  er  lehrt  von  Mose  ^) ,  dass  er  für  die  Kinder  seines 
Volkes  seine  Seele  dahingegeben  hat,  dass  er  von  dem  Buch  der 
Lebendigen  getilgt  werde,  und  nur  sein  Volk  nicht  vertilgt 
werde.  Und  selbst  da  sie  aufstanden  gegen  ihn,  ihn  zu  stei- 
nigen, brachte  er  Gebet  vor  Gott  für  sie,  dass  sie  leben  möchten. 
Und  auch  David  gab  Beispiele  der  Liebe,   da  er  von  Saul  ver- 


1)  Exod.  32,  32. 
Texte  und  Untersuchungen  111,  3.  4. 


34  Homilie  II. 

folgt  wurde.  Da  man  seiner  Seele  nachjagte,  um  ihn  zu  tödten, 
übte  David  Barmherzigkeit  in  grosser  Liebe  gegen  Saul,  seinen 
Peind,  der  ihm  nach  dem  Leben  stand.  LTnd  zweimal  wurde  er 
in  die  Hände  Davids  gegeben,  und  dieser  tödtete  ihn  nicht  und 
vergalt  ihm  Böses  mit  Gutem.  Deshalb  wich  das  Heil  nicht  von 
seinem  Haus.  Und  er,  der  vergeben  hatte,  erhielt  Vergebung. 
Und  von  dem  Hause  Sauls,  der  Gutes  mit  Bösem  vergalt,  wich 
nicht  das  Unheil:  und  er  rief  zu  Gott,  und  dieser  erhörte  ihn  nicht, 
und  er  fiel  in  das  Schwert  der  Philister,  und  David  weinte  über 
ihn  bitterlich.  So  hat  David  zuvor  erfüllt  das  Gebot  unseres 
Erlösers,  der  da  spricht  ^) :  Liebet  eure  Feinde,  vergebet,  so  wird 
euch  vergeben.  So  liebte  David  und  wurde  geliebt;  er  vergab 
und  es  wurde  ihm  vergeben.  Und  auch  Elisa  zeugte  von  dieser 
Liebe,  da  seine  Feinde  zu  ihm  kamen,  um  ihn  zu  ergreifen,  dass 
sie  ihm  Böses  zufügten,  und  er  ihnen  Gutes  erwies  und  Brot  und 
Wasser  vorsetzte  und  sie  in  Frieden  von  sich  entliess,  und  so  er- 
füllte das  Wort,  das  geschrieben  steht-):  Wenn  deinen  Feind 
hungert,  so  speise  ihn,  dürstet  ihn,  so  tränke  ihn.  Und  auch  der 
Prophet  Jeremia  betete  vor  Gott  für  die,  welche  ihn  in  der  Grube 
gefangen  hielten  und  ihn  fortwährend  peinigten.  An  diesem  Bei- 
spiel der  Vorväter  lehrt  uns  unser  Erlöser,  dass  wir  die  Feinde 
lieben  sollen  und  beten  für  die,  welche  uns  hassen.  Und  wenn 
er  uns  sogar  geboten  hat,  unsere  Feinde  zu  lieben  und  zu  bit- 
ten für  die,  welche  uns  hassen,  w^elche  Entschuldigung  haben 
wir  da  am  Tage  des  Gerichts,  wenn  wir  hassen  unsere  Brüder 
und  unsere  Glieder:  denn  wir  gehören  zu  dem  Leibe  Christi 
und  sind  Glieder  von  seinen  Gliedern.  Denn  wer  eines  von  den 
Gliedern  Christi  hasst,  ist  getrennt  von  seinem  ganzen  Leibe,  und 
wer  seinen  Bruder  hasst,  ist  von  den  Kindern  Gottes  ausge- 
schieden. 

§  17.    Was'^)  uns  unser  Erlöser  lehrt,  zeigt  uns,  wie  sehr  ihm 


1)  Luc.  6,  35.  37.  .oa^  wü^-aJo  a-can^c,  das  hier  im  Anscliluss  an 
Luc.  6,  35  citirt  wird,  finden  wir  ebenso  S.  29  wieder  in  Vei'bindung  mit 
Luc.  6,  37.    Vgl.  die  dortige  Anmerkung. 

2)  Proverb.  25,  21. 

3)  Die  hier  S.  34 — 40  folgende  Reihe  von  Thaten  und  Worten  Jesu, 
durch  welche  Aphr.  die  Liebe  Jesu  in  der  Mannigfaltigkeit  ihrer  Erwei- 
sungen verherrlichen  will,  wird  von  Zahn   als  besonders  triftiger  Grund 


Die  Unterweisung  von  der  Liebe.  35 

an  der  Liebe  gelegen  ist,  denn  er  vollbringt  sie  vor  allen  Dingen 
au  sich  selbst  und  alsdann   lehrt  er  sie  seine  Zuhörer.     Er  ver- 


dafür  angeführt,  dass  Aphr.  dasselbe  Evang.  benutzt  habe,  das  Ephr.  com- 
mentirt  hat  (Tat.  Diät.).  ^Die  Reihenfolge  ist  hier  diese:  1.  Bergpredigt. 
2.  Als  erstes  Beispiel  von  Krankenheilungen  der  Sohn  des  Hauptmanns  von 
Kapernauui.  3.  Stillung  des  Sturms  und  Austreibung  der  Dämonenlegion. 
4.  Heilung  der  Tochter  des  Jairus  und  des  blutflüssigen  Weibes.  .").  Hei- 
lung zweier  Blinder.  6.  Aussendung  der  Apostel  mit  dem  Verbot,  zu  den 
Heiden  und  Samaritern  zu  gehen.  7.  Die  grosse  Sünderin.  8.  Die  Kosten 
des  Thurmbaus  (Luc.  18,  28 f.).  9.  Er  hat  die  Dämonen  aus  uns  ausgetrieben 
und  uns  zur  Wohnung  der  Gottheit  gemacht.  10.  Gleichnisse  vom  Säe- 
mann  und  vom  Schatz  im  Acker.  11.  Der  vergebliche  Versuch,  Jesus  vom 
Berge  herabzustürzen  (Luc.  4,  29f.).  12.  Speisung  der  .5000.  13.  Das  ka- 
nanäische  Weib.  14.  Heilung  eines  Stotternden.  15.  Heilung  von  Blin- 
den, die  ihn  preisen.  16.  Verklärung  auf  dem  Berge.  17.  Heilung  eines 
mondsüchtigen  Knaben.  18.  ,, Werdet  wie  die  Kinder"  und  Warnung  vor 
Verachtung  der  Kleinen,  deren  Engel  Gottes  Angesicht  schauen.  19.  Der 
38jährige  Kranke.  20.  Weltverleugnung  lehrt  er  an  dem  Reiclien, 
welcher  auf  seinen  Reichthum  vertraute;  ferner  21.  durch  die  Parabel 
vom  reichen  Mann  und  Lazarus.  22.  Parabel  von  den  Arbeitern  im 
Weinberg. 

Von  dieser  Reihe  könnten  Nr.  1—6  einExcerpt  aus  Matt.  5  — 10  mit  einigen 
Erinnerungen  auLuc.  sein,  mindestens  aber  ebenso  gut  aus  T.  §  16 — 24  (Zahn, 
Tatians  Diatessaron  S.  112—219).  Hier  findet  sich  (T.  §  19)  die  Mischung 
der  Bergpredigt  des  Matt,  mit  derjenigen  des  Luc.  Hier  ist  die  Heilung 
des  Aussätzigen,  die  als  erstes  Heilungswunder  nach  der  Bergpredigt 
(Matt.  S,  1—4)  sonst  wohl  am  wenigsten  leicht  von  Aphr.  übergangen 
worden  wäre,  ausgestossen.  Ueber  Nr.  5  siehe  T.  §  23  N.  13.  An  die 
Aussendung  der  Apostel  (Matt.  10  =  Nr.  6),  die  grosse  Sünderin  (Luc.  7, 
36 — 50)  und  an  diese  eine  Rede  anzuschliessen ,  worin  Luc.  14,  28  f.  vor- 
kam ,  darauf  eine  Bemerkung  über  Austreibung  der  unreinen  Geister  aus 
dem  Hause  (Matt.  12,  43  f.)  folgen  zu  lassen,  das  alles  ist  sachlich  so  fern- 
liegend, dass  man  nach  einem  äusserlichen  Erklärungsgrund  suchen  müsste. 
Nun  folgen  aber  im  T.  auf  Jj  24  (=  Nr.  6)  zunächst  3  Stücke  (i?  25—27), 
welche  besonders  wenig  Anspruch  auf  eine  Stelle  in  dieser  excerpirenden 
Aufzählung  des  Aphraates  erheben  können,  dann  aber  §  28.  29.  (Nr.  12) 
30  die  drei  den  Nr.  7.  8.  9  entsprechenden  Stücke.  Dass  Nr.  10  und  11 
folgen,  könnte  wieder  durch  die  Folge  bei  Matt.  12,  43  ff.  — 13,  58  veran- 
lasst sein.  Aber  Nr.  10.  11  entsprechen  auch  den  §  31.  32  in  T.,  und  nicht 
durch  Matt.,  sondern  nur  durch  T.  konnte  Aphr.  veranlasst  werden,  von 
dem  Besuch  Nazareths  einen  Zug  herauszuheben,  den  nur  Luc.  mittheilt 
(T.  §  32  N.  7).  Nr.  12.  13  folgen  wiederum  bald  genug  in  Matt.  14  u' 
15,  aber  auch  in  T.  §  34.  37.  Dass  Nr.  14  (Marc.  7,  32—37)  in  T.  hinter 
§  37  stand,  ist  aus  Ephr.  Commentar  nicht  nachzuweisen,  wird  aber  durch 

3* 


36  Homilie  IL 

söhnt  unsere  Feindschaft  mit   seinem  Vater,    weil  er  uns  liebt; 
imd  seine  Unschuld  gibt  er  für  die  Schuldigen,  und  Er,  der  Gute, 


Vergleichung  mit  einer  anderen  Harmonie,  die  von  T.  abhängig  ist, 
sehr  wahrscheinlich  (s.  T.  §  'M  N.  5).  Die  unbestimmten  Hinweisungen 
auf  Blindenheilungen ,  welche  Lobpreisungen  hervorrufen  (Nr.  15),  nach 
der  Heilung  des  Stummen  kann  aus  rein  rhetorischen  Gründen  erklärt 
werden;  sie  könnte  wegen  der  Stellung  bald  hinter  der  Geschichte  vom 
kananäischen  Weib  auch  auf  Matt.  15,  31  (s.  T.  §  37  N.  5)  bezogen 
werden.  Wahrscheinlich  aber  ist  dies  für  das  Gedächtniss  des  Aphr. 
ein  Anlass  geworden,  an  Marc.  8,  22 — 26  sich  zu  erinnern,  und  in  der 
That  finden  sich  die  Nrn.  15—18,  wenn  man  Nr.  15  auf  Marc.  8,  22—26 
bezieht,  in  T.  §  41.  43.  44.  50  ebenso  gut  wieder  wie  bei  Marc,  nur 
durch  solches  unterbrochen,  was  für  Aphr.  hier  unbrauchbar  war.  — 
Nr.  19  (Joh.  5)  ist  ein  Rückgriff  auf  T.  §  40,  der  aber  weniger  auffällig 
ist,  als  der  im  anderen  Fall  anzunehmende  Seitensprung  zum  4.  Evangel. 
in  einem  Zusammenhang,  in  welchem  sonst  nur  synoptische  Stoffe 
verarbeitet  sind.  Wichtig  ist  wieder  die  letzte  Gruppe  Nr.  20  —  22  = 
T.  §  53 — 55.  Es  ist  zwar  nicht  ganz  deutlich,  wen  Aphr.  (Ni\  20)  unter 
dem  Reichen  versteht,  der  auf  seinen  Reichthum  vertraate,  ob  den  reichen 
Jüngling  (Matt.  19,  16—24.  Marc.  10,  17—25.  Luc.  18,  18—25)  oder  den 
Reichen  Luc.  12,  16 — 21.  Auch  ersteres  ist  möglich,  denn  erstens  hat 
weder  Aphr.  392,  5  noch  Eph.  1 68  ft".  jemals  den  reichen  Jüngling  als  Jüng- 
ling bezeichnet  (Matt.  19,  20);  zweitens  haben  Beide,  also  auch  ihre  ge- 
meinsame Quelle  T.  von  den  an  diese  Geschichte  angeknüpften  Worten 
Jesu  das  bei  Marc.  10,  24  allein  erhaltene  von  der  Unzulässigkeit  des  Ver- 
trauens auf  den  Reichthum  vor  den  wesentlich  gleichbedeutenden  Aus- 
sprüchen Matt.  19,  23  f.;  Marc.  10,  23.  25;  Luc.  18,  24  f.  bevorzugt.  Wahr- 
scheinlicher ist  jedoch,  dass  Luc.  12,  16 — 21  gemeint  ist.  Denn  wie  hier 
Aphr.  die  fragliche  Geschichte  als  )JLi.,l.s  Vi.  VaZZ]?  li-»^^?  ji^o_»»Z 
bezeichnet,  wird  fast  buchstäblich  so  Aphr.  381  Z.  1 1  die  dort  unzweideutig 
reproducirte  Parabel  aus  Luc.  12,  16—21  angeführt,  und  zwar  geht  sie  auch 
dort  derjenigen  vom  reichen  Mann  und  armen  Lazarus  voran.  In  Ephr. 
Commentar  ist  Luc.  12,  16 — 21  nicht  berücksichtigt;  aber  dass  dies  Stück 
in  T.  nahe  bei  der  Geschichte  vom  armen  Lazarus  und  der  vom  reichen 
Jüngling  stand,  ist  auch  abgesehen  von  Aphr.  wahrscheinlich.  Einen  sol- 
chen Complex  von  Perikopen,  welcher  die  Gefahren  des  Reichthums  schil- 
derte und  diese  in  den  Evangelien  zerstreuten  Geschichten  unter  dem 
Gesichtspunkt  der  von  Jesus  geforderten  Weltverleugnung  zusammenfasste, 
fand  Aphr.  in  T.  §  53.  54  bereits  vor.  Und  dass  er  dorther  seinen  Stoff 
entlehnt,  wird  bewiesen  durch  den  Anschluss  von  Nr.  22  an  21.  Ebenso 
folgt  in  T.  §  55  das  Gleichniss  von  den  Weinbergsarbeitern  Matt.  20,  1 — 16 
auf  den  armen  Lazarus  Luc.  16,  19 — 31  in  T.  §  54,  eine  Verbindung  also 
von  Stücken,  welche  in  den  kanonischen  Evangelien  weit  auseinander 
liegen  und  doch  wahrlich  nicht  durch  ein  besonders  enges  Band  ideeller  Zu- 


Die  Unterweisung  von  der  Liebe.  37 

lässt  sich  für  die  Bösen  beschimpfen,  und  der  Reiche  wird  für 
uns  arm;  nnd  der  Lebendige  stirbt  für  die  Todten,  und  durch 
seinen  Tod  macht  er  unseren  Tod  lebendig.  Und  der  Sohn  des 
Herrn  über  Alles  nahm  um  unsertwillen  die  Knechtsgestalt  an. 
Und  er,  dem  Alles  unterthan  ist,  macht  sich  selbst  zum  Knecht, 
dass  er  uns  von  der  Knechtschaft  der  Sünde  befreie.  Und  in 
seiner  grossen  Liebe  preist  er  die  geistlich  x4.rmen  selig;  und 
verheisst  den  Friedfertigen,  dass  sie  seine  Brüder  sein  und 
Kinder  Gottes  genannt  werden  sollen.  Und  er  verheisst  den 
Demüthigen  ^) ,  dass  sie  das  Land  des  Lebens  ererben  sollen.  Und 
er  verheisst  den  Trauernden  2),  dass  man  sie  anflehen  werde,  und 


sammengehörigkeit  verknüpft  sind.  Woher  anders  wird  Aphr.  diese  Ver- 
bindung haben,  als  aus  der  Evangelienharmonie,  in  welcher  sie  nach  Ephr. 
Zeugniss  vorlag?  Nimmt  man  hinzu,  dass  gerade  an  einem  Stück  dieser 
Gruppe  T.  §  53  die  Identität  der  Textgestaltung  bei  Aphr.  u.  Ephr.  bis 
ins  Einzelne  nachgewiesen  werden  konnte,  so  darf  man  es  ruhig  abwarten; 
ob  jemand  den  Unverstand  haben  wird,  von  Zufall  zu  reden.  Dass  das 
Evangelium,  aus  welchem  Aphr.  seine  Kenntniss  der  Geschichte  u.  Worte 
Jesu  geschöpft  hat  und  welches  in  seinem  Kirchenkreis  die  kanonischen 
Evangelien  regelmässig  vertrat,  dasselbe  war,  welches  Ephr.  commentirt 
hat,  ist  bewiesen".     Zahn,  Tat.  Diät.  S.  80  -  84. 

1)  In  Handschrift  A  fehlt  bei  \^i]  das  Wort  l-ij»?.  Dort  heisst  es: 
..dass  sie  die  Erde  ererben  sollen''. 

2)  Matt.  5,  4  übersetzen  Peschito  und  Syr.  Curet.  das  ozi  avrol  nuQa- 
a/.tjd^riaovxai  durch  .oj.*sZ,0  .oJsi?  d.  h.  dass  sie  getröstet  werden  sollen; 
dagegen  heisst  es  Aphr.  41,  11  in  freier  Reproduktion  dieses  Makarismus 
^osA^iJ  .cmJii.?  j^Ä.cti.  v^^Vo,  und  er  verhiess  den  Trauernden,  dass 
man  sie  anflehen  werde.  Der  Urheber  des  dem  Aphraates  vor- 
liegenden Textes  fasste  also  nuQuxaXHv  im  Sinne  von  bitten  und  über- 
setzte darnach  das  Passivum.  Ebenso  übersetzt  der  Schrifttext  des 
Aphraates  (Tat.  Diatess.)  Luc.  IG,  15:  vvv  öh  o6t  naQaxakHxai  mit 
ovlio  iv*La  _*j  jJiasa-.  d.  h.  heute  aber  bittest  du  von  ihm  Aphr.  383, 
16;  vgl.  Aphr.  390,  4,  wo  Luc.  6,  24  xi]v  TtaQclxhjaiv  avxmv  mit  ^aiZais^ 
übersetzt  wird,  und  da  Aphr.  sicherlich  des  Griechischen  nicht  mächtig 
gewesen  ist,  so  liegt  ein  starker  Beweis  für  die  wesentliche  Verschieden- 
heit seines  , Evangeliums  Christi"  von  den  zu  seiner  Zeit  existirenden  sy- 
rischen Versionen  der  kanonischen  Evangelien  d.  h.  von  Syr.  Cur.  und 
Fesch,  in  solchen  Citaten  des  Aphr.,  welche  eigenthümliche,  in  jenen  Ver- 
sionen nicht  ausgesprochene,  Auffassung  des  griechischen  Originals  dar- 
stellen.   (Zahn  S.  78.) 


38  Homilie  II. 

verheisst  den  Hungernden  Sättigung  in  seinem.  Reich,  und  die 
Weinenden  erfreut  er  durch  seine  Yerheissungeu ,  und  er  ver- 
heisst den  Barmherzigen,  dass  sie  Barmherzigkeit  erlangen  sollen, 
und  denen,  die  reines  Herzens  sind,  sagt  er,  dass  sie  Gott  schauen 
werden;  und  er  A^erheisst  weiter  denen,  die  verfolgt  werden  um 
der  Gerechtigkeit  willen,  dass  sie  in  das  Himmelreich  eingehen 
werden;  und  denen,  die  verfolgt  werden  um  seines  Namens  willen^ 
verheisst  er  Seligkeit  und  Frieden  in  seinem  Reich;  und  er 
ändert  unsere  Staubes-Natur  und  macht  uns  zum  Salz  der  Wahr- 
heit und  befreit  uns  von  der  Speise  der  Schlange,  und  nennt  uns  das 
Licht  der  Welt,  dass  er  uns  befreie  von  der  Herrschaft  des  Todes ; 
und  macht  uns  gut  statt  bös,  und  geehrt  statt  gehasst,  und  gibt 
uns  Liebe  statt  Hass  und  vereinigt  uns  mit  dem  guten  Mann,  der 
aus  seinen  Schätzen  Gutes  hervorbringt,  und  befreit  uns  von  dem, 
der  aus  dem  Ueberfluss  seines  Herzens  Böses  hervorbringt.  Und 
wegen  seiner  grossen  Liebe  heilte  er  die  Wunden  der  Kranken. 
Er  heilte  nämlich  auch  den  Sohn  des  Hauptmanns  um  seines 
Glaubens  willen,  und  er  stillt  vor  uns  die  Stürme  des  Meeres  durch 
seine  Kraft  und  vertreibt  von  uns  die  Dämonen-Legionen  um 
seiner  Güte  willen.  Und  in  seiner  Barmherzigkeit  erweckte  er 
die  Tochter  des  Obersten  der  Schule  zum  Leben  und  reinigte 
wiederum  das  Weib  von  der  Unreiuigkeit  ihres  Bluts,  und  öffnete 
die  Augen  der  2  Blinden,  die  ihm  nahten.  Und  er  gab  auch 
seinen  Zwölfen  Macht  und  Herrschaft  über  jeden  Schmerz  und 
über  jede  Krankheit,  und  auch  uns  durch  sie;  und  er  hält  uns 
zurück  von  dem  Weg  der  Heiden  und  der  Samariter  und  gibt  uns 
Kraft  in  seiner  Barmherzigkeit,  dass  wir  uns  nicht  fürchten,  wenn 
sie  uns  stellen  vor  die  Fürsten  der  Welt  •).    LTnd  er  bringt  Spaltung 


1)  Ed.  Rom.  übersetzt  liier:  Et  divisiones  graitiarum  misit  in  teiTam 
ad  spiritualem  multorum  aedificationem,  und  bemerkt  hierzu  Ephes.  4,  12. 
Bickell  übersetzt:  „Durch  seinen  grossen  Frieden  hat  er  Versöhnung  in  die 
Welt  gebracht".  ]Za-^\=<  heisst  aber  Spaltung,  Zwiespalt,  niemals  Ver- 
söhnung. Aphr.  gibt  uns  hier  kurz  zusammengefasst  Matt.  10,  34  ff.  In 
Matt.  10  folgt  eben  wie  hier  auf  die  Aussendung  der  Zwölfe  mit  der  War- 
nung, nicht  auf  der  Heiden  Strasse  und  in  der  Samariter  Städte  zu  gehen, 
die  Verheissung,  dass  man  die  Jünger  um  Jesu  willen  vor  Fürsten  und 
Könige  führen  werde,  mit  der  Mahnung:  Sorget  nicht,  wie  oder  was  ihr 
reden  sollt;  denn  es  soll  euch  zu  der  Stunde  gegeben  werden,  was  ihr 
reden  sollt.    Daran  schliesst  sich  dann  das  Wort   V.  21:    Es  wird  aber 


Die  Unterweisung  von  der  Liebe.  39 

auf  die  Erde,  um  seiueü  grossen  Friedens  willen,  und  er  erlässt 
grosse  Schulden  der  Sünderin  um  seiner  Liebe  willen;  und  er  wür- 
digt uns,  um  seiner  Güte  Avillen,  dass  wir  denThurm  bauen  auf  seine 
Kosten,  und  treibt  von  uns  aus  die  unreinen  Geister  und  macht  uns 
zu  Wohnungen  seiner  Gottheit;  und  er  sät  in  uns  den  guten  Samen, 
dass  wir  Früchte  bringen,  der  eine  hundertfältig,  der  eine  sechzig- 
fältig,  der  eine  dreissigfältig.  Und  er  ist  in  die  Welt  gelegt  wie 
der  Schatz,  der  in  den  Acker  gelegt  ist,  und  er  zeigt  die  Kraft 
seiner  Majestät,  da  er  aus  der  Höhe  in  die  Tiefe  gestürzt  und  nicht 
beschädigt  wird.  Und  er  sättigt  die  müden  Hungernden,  mit 
5  Broten  und  2  Fischen  5000  Mann  ausser  den  Kindern  und  Frauen, 
und  er  zeigt  die  Grösse  seiner  Herrlichkeit.  Und  um  seiner 
grossen  Liebe  willen  erhört  er  das  Kananitische  Weib,  und  richtet 
ihre  Tochter  auf  von  ihrer  Krankheit.  Und  in  der  Kraft  dessen, 
der  ihn  gesandt  hatte,  stellt  er  die  Zunge  des  Stummen  her,  des 
Stummen,  dessen  Ohr  taub  war.  Und  die  Blinden  sehen  sein  Licht 
und  preisen  durch  ihn  den,  der  ihn  gesandt  hat.  Und  da  er  auf 
den  Berg  steigt,  um  zu  beten,  wird  der  Glanz  der  Sonne  übertroffen 
durch  sein  Licht.  Und  er  lässt  uns  erkennen  seine  grosse  Kraft 
an  dem  Knaben,  der  einen  feindseligen  Geist  hatte,  und  den  Mond- 
süchtigen heilte  er  durch  sein  Wort.  Und  er  gab  uns  Vorbild 
und  Muster,  dass  wir  sein  sollen  wie  die  Kinder,  um  in  das  Himmel- 
reich einzugehen ;  und  er  sprach  und  lehrte  von  den  Kleinen  ^) : 
Kiemand  verachte  sie,  denn  ihre  Engel  sehen  allezeit  den  himm- 
lischen Vater.  Und  er  zeigte  uns  weiter  seine  vollkommene 
Macht  zu  heilen  an  dem  Mann,  der  38  Jahre  krank  war,  und 
gegen  den  er  grosses  Erbarmen  erwies  und  ihn  gesund  machte. 
Weiter  gab  er  uns  das  Gebot,  dass  wir  die  Welt  verlassen  und 
uns  zu  ihm  wenden  sollen,  und  offenbarte  uns,  dass,  wer  die 
Welt  lieb  hat,  vor  Gott  nicht  angenehm  sein  kann;  an  dem 
Beispiel  des  reichen  Mannes,  der  auf  seinen  Besitz  sich  verlässt, 
und  durch  den  Mann,  der  in  seinen  Gütern  üppig  lebt,  mid 
dessen  Ende  in  der  Hölle  ist,  und  der  für  die  Spitze  seines 
kleinen  Fingers  Wasser  verlangt,  und  dem  es  niemand  gibt.    Uad 


ein  Bruder  den  andera  zum  Tod  überantworten  u.  s.  w.  und  V.  34:    Ihr 
sollt  nicht  wähnen,  dass  ich  gekommen  sei,  Frieden  zu  bringen;  ich  bin 
nicht  gekommen,  Frieden  zu  senden,  sondern  das  Schwert. 
1)  Matt.  IS,  10. 


40  Homilie  II. 

er  miethete  uns  g-leicliwie  Arbeiter,  dass  wir  arbeiten  in  seinem 
Weinberg,  welcher  ist  der  Weinberg  der  Wahrheit.  Das  Alles 
thut  unser  Erlöser  an  uns  um  seiner  grossen  Liebe  willen. 
Und  auch  wir,  mein  Lieber,  sollen  theil  haben  an  der  Liebe 
Christi,  indem  wir  uns  untereinander  lieben  und  diese  beide 
Gebote  erfüllen,  in  welchen  das  ganze  Gesetz  und  die  Pro- 
pheten hangen. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  der  Liebe. 


__; 


Die  Unterweisung'  vom  Fasten'). 

A  userwühlt  ist  das  reine  Fasten  vor  Gott  und  wie  ein  Schatz 
bewahrt  im  Himmel.  Und  es  ist  eine  Waffe  gegen  den  Bösen 
und  ein  Schild,  der  die  Pfeile  des  Feindes  auffängt.  Das  sage 
ich  nicht  aus  meiner  eigenen  Seele,  sondern  aus  den  heiligen 
Schriften,  die  zuvor  gelehrt  haben,  dass  das  Fasten  allezeit  ein 
Helfer  gewesen  ist  denen,  die  es  in  Strenge  geübt  haben.  Denn 
das  Fasten  ist  nicht  allein  die  Enthaltung  von  Brot  und  Wasser, 
sondern  gar  mannichfaltig  sind  die  Beobachtungen  des  Fastens. 
Es  gibt  nämlich  solche,  die  sich  enthalten  des  Brotes  und 
Wassers,  bis  sie  hungern  und  dürsten;  es  gibt  solche,  welche 
fasten,  indem  sie  jungfräulich  sind  und  hungern  und  nicht  essen, 
und  dursten  und  nicht  trinken;  und  dieses  Fasten  ist  grösser. 
Und  es  gibt  solche,  die  in  Heiligkeit  fasten,  und  das  ist  auch 
ein  Fasten;  und  es  gibt  solche,  die  sich  enthalten  von  Fleisch 
imd  Wein  und  dieser  und  jener  Speisen;  und  es  gibt  solche, 
welche  fasten,  indem  sie  ihrem  Munde  einen  Zaun  setzen,  dass 
sie  nicht  unehrbare  Worte  reden.  Und  es  gibt  solche,  welche 
sich  enthalten  vom  Zorn  und  ihre  Leidenschaft  unterwerfen,  da- 
mit sie  nicht  besiegt  werden.  Und  es  gibt  solche,  welche  sich 
enthalten  vom  Besitz,  damit  sie  ihre  Seele  von  seinem  Dienste 
befreien.  Und  es  gibt  solche,  welche  sich  enthalten  von  den 
Betten  der  Hurer,  dass  sie  wachsam  seien  im  Gebet.  Und  es 
gibt  solche,  welche  sich  enthalten  von  den  Dingen  dieser  Welt, 
dass  sie  keinen  Schaden  leiden  von  dem  Feinde.  Und  es  gibt 
solche,   welche  fasten,   indem   sie  traurig  sind,    damit   sie   dem 


1)  Diese  Abhandlung  liegt  deutlich  dem  ersten  der  von  Bickell  heraus- 
gegebenen Gedichte  Isaaks  von  Antiochien  über  das  Fasten  zu  Grunde. 
Viele  Gedanken  und  Ausdrücke  stimmen  wörtlich  überein.  Bickell,  Ausge- 
wählte Abhandlungen  des  Bischofs  Jakob  Aphraates  von  Mar  Mattheus  S.  52. 


42  Homilie  III. 

Herrn  gefallen  in  ihrer  Niedergeschlagenheit.  Und  es  gibt  auch 
solche,  die  alles  dieses  vereinigen  und  es  zu  einem  Fasten  macheu. 
Wie  nun  jemand  sich  der  Speise  enthält  bis  zum  Hungern,  und, 
wenn  er  sich  enthält  von  Essen  und  Trinken,  Fastender  genannt 
wird,  und  wenn  er  aber  nur  weniges  isst  und  trinkt,  sein  Fasten 
dadurch  bricht,  so  bricht  auch  ein  Mensch  sein  Fasten,  der  sich 
enthält  von  diesem  Allen  und  bald  das  eine,  bald  das  andere 
von  diesen  übertritt.  Auch  Avird  es  ihm  ebenso  wenig  als  Fasten 
angerechnet,  Avenn  er  eins  von  diesem  Allen  übertritt,  als  es 
dem  als  Fasten  angerechnet  wird,  der  gierig  isst  und  trinkt. 
Und  wem  es  vor  Hunger  zustösst,  dass  er  sein  Fasten  bricht, 
dessen  Sünde  ist  nicht  gross.  Aber  wer  diesem  Allen  entsagt 
hat  und  kommt  dazu,  eines  oder  das  andere  davon  zu  übertreten, 
dessen  Sünde  ist  gross  und  nicht  klein. 

§  2.  Höre  aber,  mein  Lieber,  die  Lehre  vom  reinen  Fasten. 
Denn  zuerst  hat  das  reine  Fasten  gezeigt  Abel  in  seinem  Opfer, 
und  Henoch  dadurch,  dass  er  angenehm  war  vor  Gott,  und 
Noali,  der  seine  Rechtschaifenheit  bewahrte  unter  dem  verderb- 
ten Geschlecht,  und  Abraham  dadurch,  dass  er  sich  auszeichnete 
im  Glauben,  vmd  Isaak  wegen  des  Bundes  des  Abraham,  und 
Jakob  wegen  des  Schwurs  des  Isaak,  weil  er  Gott  erkannte,  und 
Joseph  wegen  seiner  Güte  und  wegen  seiner  Herrschaft.  Diesen 
Allen  galt  ihre  Reinheit  vor  Gott  als  vollkommenes  Fasten.  Und 
wenn  keine  Reinheit  des  Herzens  vorhanden  ist,  wird  das  Fasten 
nicht  angenommen.  Und  erinnere  dich  und  siehe,  mein  Lieber, 
dass  es  eine  grosse  Sache  ist,  dass  ein  Mensch  sein  Herz  reinige 
und  seine  Zunge  bewahre  und  seine  Hände  vom  Bösen  zurück- 
halte, wie  ich  dir  das  oben  geschrieben  habe.  Denn  es  ziemet 
nicht  einem  Menschen,  Honig  und  Galle  zu  mischen.  Denn  wenn 
ein  Mensch  sich  enthält  des  Brotes  und  des  Wassers,  so  soll  er 
nicht  unter  sein  Fasten  mischen  Lästerung  und  Verleumdung. 
Denn  eine  Thür  nur  ist  vorhanden  an  deinem  Haus,  welches 
ist  der  Tempel  Gottes,  und  es  ziemet  dir  nicht,  o  Menschenkmd, 
dass  durch  dieselbe  Thür,  durch  welche  der  König  eingehet, 
Schmutz  und  Unratli  ausgehet.  Denn  der  Mensch  möge  seinen 
Mund  bewahren,  durch  welchen  der  Sohn  des  Königs  eingeht, 
indem  er  sich  enthält  von  allen  Unehrbarkeiten  und  (so)  em- 
pfängt den  Leib  und  das  Blut  Christi;  es  ist  dir  nicht  erlaubt,  o 
Mensch,  durch  deinen  Mund  unreine  Worte  ausgehen  zu  lassen. 


Die  Unterweisung  vom  Fasten.  43 

Höre,  was  unser  Erlöser  sagt\):  Was  zu  dem  Menschen  ein- 
geht, verunreinigt  den  Menschen  nicht,  sondern  was  von  dem 
Munde  ausgeht,  das  verunreinigt  ihn.  Es  hielt  nämlich  auch 
Moses  ein  reines  Fasten,  da  er  auf  den  Berg  stieg  und  das  Ge- 
setz seinem  Volke  brachte.  Und  er  wurde  durch  sein  zwei- 
maliges Fasten  von  40  Tagen  gestärkt  und  empfing  grosse  Herr- . 
lichkeit,  so  dass  die  Haut  seines  Angesichts  erglänzte;  und  er 
wendete  den  Zorn  von  seinem  Volke  ab,  und  es  wurde  nicht 
vertilgt.  Nach  dem  Beispiel  des  Fastens  Moses  tastete  auch 
Elias  40  Tage,  ein  starker  Mann,  der  von  Isabel  verfolgt  wurde 
und  bis  zum  Horeb  kam,  wo  mit  Mose  gesprochen  worden  war. 
Und  er  offenbarte  sich  ihm  daselbst  und  er  befahl  ihm  und  sprach 
zu  ihm-):  Gehe  hin  und  salbe  Jehu,  den  Sohn  Imaschi's  und 
Gazeel,  dass  er  Vergeltung  übe  an  den  Kindern  Israels,  und  Elisa, 
den  Sohn  Saphals,  der  deine  Stelle  ausfüllen  soll.  Und  er  freute 
sich  der  Offenbarung  seines  Herrn  in  reinem  Fasten,  wie  sich 
Mose  freute,  da  er  2 mal  je  40  Tage  fastete  und  den  Zorn  seines 
Gottes  abwendete  von  seinem  Volk  und  die  2  Bundestafeln  herab- 
brachte, die  beschrieben  waren  von  dem  Finger  Gottes.  Die 
Herrlichkeit  dieser  beiden  bestand  in  ihrem  Fasten  und  durch 
dasselbe  waren  sie  vollkommen. 

§  o.  Weiter  will  ich  dir  auch  zeigen  das  Fasten  der  Sünde, 
das  da  Blut  vergiesst.  das  nicht  angenommen  wird,  das  Isabel 
anordnete,  die  Verführerin  des  Ahab,  und  die  Israel'"*)  zu  Grunde 
gerichtet  hat.  Sie  schrieb  nämlich  einen  Brief  im  Namen  Ahabs 
und  sandte  zu  den  Kindern  Israels  sündhafte  Männer,  die  der 
sündhaften  Isabel  dienstbar  waren,  und  schrieb  in  diesem  sünd- 
haften Brief  und  sprach  also:  Ordnet  ein  Fasten  an  und  stellet 
den  Xabot  an  die  Spitze  des  Volks  und  stellet  zwei  schlechte 
Menschen  gegen  ihn  auf,  welche  bezeugen  und  sprechen:  Xabot 
hat  Gott  und  den  König  gelästert.  Und  er  soll  mit  Steinen  ge- 
steinigt werden  und  sterben.  Das,  mein  Lieber,  dass  Isabel  ihnen 
schreibt:  Zwei  Männer  sollen  zeugen  gegen  Nabot,  das  hat  sie 
nach  dem  heiligen  Gesetz  ihnen  befohlen,  weil  geschrieben  ist 
in  dem  Gesetz  4):  Wer  des  Todes  schuldig  ist,  soll  nicht  getödtet 
werden  auf  die  Aussagen  eines  Zeugen,  sondern  auf  die  Aussagen 


1)  Matt.  15,  11.  —   2)    1.  Kön.  19,  15.    Kl.  —  H)  Handschrift  A:  ver- 
führt hat.  —  4)  Deuter.  IT,  G;  19,  15. 


44  Homilie  III. 

zweier  Zeugen  soller  sterben.  Und  so  steht  geschrieben'):  Die 
Hand  der  Zeugen  soll  zuerst  über  ihm  sein,  ihn  zu  steinigen, 
und  die  Hand  des  ganzen  Volks  zuletzt.  Weiter  schrieb  sie  ihnen : 
So  sollen  sie  zeugen  gegen  ihn:  Nabot  hat  Gott  und  den  König 
gelästert.  Und  das  hat  sie  wiederum  nach  dem  heiligen  Gesetz 
ihnen  geschrieben  in  ihrem  sündhaften  Brief;  es  steht  nämlich 
geschrieben  2) :  Wer  den  Namen  Gottes  lästert,  soll  mit  Steinen 
gesteinigt  werden,  darum  dass  er  den  heiligen  Namen  genommen 
und  ihn  gelästert  hat.  Isabel  aber  hatte  keine  Sorge  umVlen 
Namen  Gottes,  dass  er  gelästert  wurde,  sondern  um  die  Hab- 
sucht des  Ahab  war  sie  besorgt,  der  den  Weinberg  des  Nabot 
begehrte.  Und  Ahab  gedachte  nicht,  dass  es  geschrieben  steht  ■^) : 
Du  sollst  nicht  begehren  alles,  was  dein  Nächster  hat. 

0  Isabel,  die  du  Ahab  vernichtet^),  wo  ist  dieser  Gott,  den 
Nabot  gelästert?  Ist  es  der,  dessen  Altar  du  zerstört  hast,  oder 
der,  dessen  Propheten  du  getödtet  hast?  Oder  welchen  König 
hat  er  gelästert?  Ist  es  der,  welcher  das  Gesetz  übertreten  hat 
und  das  Eigenthum  des  Nabot  rauben  wollte?  Warum,  Isabel, 
hast  du  nicht  erfüllt,  was  geschrieben  steht  am  Anfang  der  Ge- 
bote des  Gesetzes,  da  geschrieben  isf^):  Du  sollst  nicht  einen 
fremden  Gott  anbeten;  und  Isabel  hat  dem  Baal  gedient?  Weiter 
steht  gesclirieben**):  Du  sollst  nicht  unschuldiges  Blut  vergiessen 
in  dem  Lande,  das  du-  der  Herr  dein  Gott  gibt.  Du  solltest 
aber,  o  Isabel,  dich  erinnern,  dass  geschrieben  steht"):  Die  Erde, 
auf  welcher  man  Blut  vergossen  hat,  soll  nicht  früher  gesühnt 
sein,  als  bis  auf  ihr  vergossen  ist  das  Blut  dessen,  der  das  Blut 
vergossen  hat.  Fürchtest  du  dich  aber,  o  Isabel,  vor  diesem,  und 
entbrennst  dann  in  gottlosem  Eifer  (mit  der  falschen  Anklage), 
dass  Nabot  Gott  gelästert  habe,  da  er  doch  nicht  gelästert  hat? 
Weiter  steht  geschrieben'^):  Wer  das  Blut  eines  Menschen  ver- 
giesst,  des  Blut  soll  vergossen  werden.  Und  Isabel  hat  in  ihrem 
Zorn  das  unschuldige  Blut  Nabots  vergossen.  Deshalb  ist  auf 
demselben  Ort,  auf  welchem  das  unschuldige  Blut  vergossen 
worden  ist  in  sündhaftem  Fasten,  das  sie  angeordnet  hatte,  das 
Blut  der  Isabel  vergossen  worden,  und  die  Hunde  haben  sie  ge- 


1)  Deuter.  13,  9;  17,  7.  —  2)  Levit.  24,  16.  —  3)  Exod.  20,  17;  Deu- 
ter. 5,  21.  —  4)  Handschrift  A:  verführt  hat.  —  5)  Exod.  20,  3;  Deut.  5,  7. 
—  6)  Deuter.  19,  10.  —  7)  Numer.  35,  33.  —  8)  Genes.  9,  6. 


._1 


Die  Unterweisung  vom  Fasten.  45 

fressen.  Und  da  Aliab  auf  ihren  Rath  gehört  hatte,  haben  die 
Hunde  daselbst  sein  Blut  geleckt. 

Wenn  nun  Isabel  von  dem  Gesetz  sich  ausgewählt  und  heraus- 
genommen hat,  was  ihr  zu  ihrem  Verderben  verholfen  hat,  da 
sie  das  Gesetz  nicht  erfüllte:  wie  habt  denn  ihr,  Kinder  Israels, 
ihr  gottlosen  Männer,  den  Brief  annehmen  können,  in  welchem 
das  sündhafte  Fasten  geschrieben  stand,  und  in  welchem  das 
falsche  blutvergiessende  Zeugniss  geschrieben  stand?  In  welchen 
Geschlechtern  habt  ihr  denn  gehört,  dass  man  das  Fasten  hielt 
und  zugleich  unschuldiges  Blut  vergoss?  Warum  habt  ihr  den 
sündhaften  Brief  und  das  falsche  Zeugniss  nicht  zurückgewiesen? 
Darum  sind  Ahab  und  Isabel  in  einem  gerechten  Gericht  be- 
straft worden,  weil  sie  das  unschuldige  Blut  des  Nabot  vergossen 
haben.  Und  die  Kinder  Israels,  die  Isabel  gehorcht  hatten,  sind 
auch  mit  einem  gerechten  Gericht  bestraft  worden.  Denn  Hosea 
weissagte  und  sprach^):  Ueber  ein  Kleines  werde  ich  das  Blut 
Israels  rächen  über  dem  Hause  Jehus.  Und  Jehu  rächte  das 
Blut  des  Nabot  an  Isabel  und  dem  Hause  Ahabs,  und  die  Kin- 
der Israels  tödtete  er  in  dem  Tempel  des  Baal.  Und  es  kam 
über  sie  das  Blut  des  Nabot,  wie  Jehu  am  Tage  der  Vergeltung 
sprach  2):  Ich  sah  am  Abend  das  Blut  des  Nabot,  das  Blut  seiner 
Kinder.  Vergeltung  ist  ihm  geworden.  Und  so  ward  das 
Fasten,  das  die  Kinder  Israel  hielten,  ihnen  zur  Verdammung. 

§  4.  Weiter  hielten  die  Bewohner  Ninives  ein  reines  Fasten, 
da  Jona  ihnen  die  Zerstörung  verkündigte.  Denn  so  steht  ge- 
schrieben'■*):  Da  sie  die  Predigt  des  Jona  hörten,  ordneten  sie 
ein  ständiges  Fasten  an  und  eifriges  Gebet,  indem  sie  in  Sack 
und  Asche  sassen;  und  sie  legten  ihre  Freudenkleider  ab  und 
kleideten  sich  statt  dessen  in  Säcke,  und  hielten  ihre  Kinder  fern 
von  den  Brüsten  ihrer  Mütter,  und  Schafe  und  Rinder  von  der 
Weide ;  denn  so  steht  geschrieben :  Das  Wort  kam  zum  Könige 
von  Ninive,  und  er  stand  auf  von  seinem  Thron  und  nahm  die 
Krone  ab  und  demüthigte  sich  auf  Sack  und  Asche  sitzend,  und 
Hess  in  seiner  Stadt  Ninive  verkündigen  und  sprach:  Auf  Be- 
fehl des  Königs  und  seiner  Hoheit:  Menschen  und  Vieh  sollen 
nichts  essen,  auch  nicht  weiden  und  auch  kein  Wasser  trinken, 
sondern  es  sollen  sich  kleiden  in  Säcke  Menschen  und  Vieh  und 


1)  Hosea  1,  4.  —  2)  2.  Kön.  ü,  26.  —  3)  Jon.  3,  5—10. 


46  Homilie  III. 

zu  Gott  rufeu  mit  Seufzen,  er  möge  von  uns  wenden  seinen  Grimm 
und  seinen  Zorn  und  uns  niclit  verderben.  Und  so  stehet  ge- 
schrieben: Gott  sah  ihre  Werke,  dass  sie  von  ihren  bösen  Wegen 
umkehrten,  und  wendete  von  ihnen  seinen  Grimm  und  vernich- 
tete sie  nicht.  Und  er  sagt  nicht:  Er  sah  das  Fasten  von  Brot 
und  Wasser  und  in  Sack  und  Asche,  sondern  dass  sie  umkehrten 
von  ihren  bösen  Wegen  und  von  der  Bosheit  ihrer  Werke.  Denn 
der  König  von  Ninive  hatte  also  verkündigen  lassen:  Jedermann 
wende  sich  von  seinem  bösen  Weg  und  von  dem  Raub  in  seinen 
Händen.  Und  es  war  ein  reines  Fasten,  und  das  Fasten  wurde 
angenommen,  das  die  Xiniviter  hielten,  da  sie  sich  von  ihren 
bösen  Wegen  wandten  und  von  dem  Raub  in  ihren  Händen,  und 
das  reine  Fasten,  das  die  Niniviten  hielten,  war  angenehm,  und 
es  glich  nicht  dem  Fasten  der  Kinder  Israel,  durch  Avelches  un- 
schuldiges Blut  vergossen  wurde. 

§  5.  Denn  allezeit  ist  die  Enthaltung  vom  Bösen,  Avenn  diese 
ein  Mensch  übt,  besser;  sie  ist  besser  als  die  Enthaltung  von 
Brot  und  Wasser,  und  besser,  als  wenn  ein  Mensch  sich  demüthigt 
und  seinen  Hals  beugt  wie  einen  Haken  und  sich  in  Sack  und 
Asche  demüthigt.  Wie  Jesaia  sagt  ^) :  Wenn  nämlich  ein  Mensch 
sich  enthält  von  Brot  und  Wasser  und  von  allen  Speisen,  und 
in  Sack  und  Asche  sich  demüthigt  und  traurig  ist.  so  ist  er 
beliebt,  gut  und  angenehm.  Noch  angenehmer  aber  ist  das, 
wenn  ein  Mensch  seine  Seele  demüthigt  und  die  Fesseln  des 
Bösen  löst  und  die  Bande  des  Listigen  zerreisst,  alsdann  er- 
glänzt sein  Licht  wie  die  Sonne  und  seine  Gerechtigkeit  schreitet 
vor  ihm  her,  und  er  ist  wie  ein  Lustgarten  und  wie  ein  Wasser- 
quell, dessen  Wasser  nicht  ausbleibt,  und  er  gleicht  nicht  den 
Heuchlern,  die  ein  trauriges  Gesicht  machen  und  ihre  Geberden 
verstellen  und  ihr  Fasten  zur  Schau  tragen. 

§  6.  Denn  siehe,  auch  die  Irrlehrer,  die  Werkzeuge  des  Satans, 
fasten  und  gedenken  ihrer  Sünden,  aber  einen  Herrn,  der  es 
ihnen  lohnt,  haben  sie  nicht.  Denn  wer  wird  es  dem  Marcion 
lohnen,  der  unsern  Schöpfer  nicht  als  den  Gütigen  bekennt.  Und 
wer  wird  dem  Valentinus  sein  Fasten  vergelten,  der  verkündigt, 
dass  es  viele  Schöpfer  gibt,  und  der  sagt,  dass  der  vollkommene 
Gott  mit  dem  Munde  nicht  genannt  und  von  der  Vernunft  nicht 

1)  Jes.  58,  5—11. 


Die  Unterweisung  vom  Fasten.  47 

erkannt  wird?  Oder  wer  wird  es  lohnen  den  Kindern  der  Fin- 
sterniss,  der  Sekte  des  verdammten  Mani,  die  im  Finstern 
wohnen  wie  die  Schlangen  und  Chaldäische  Kunst  treiben  und 
die  Lehre  von  Babel?  Siehe,  alle  Diese  fasten  iiud  ihr  Fasten 
wird  nicht  angenommen. 

§  7.  Höre  weiter,  mein  Lieber,  ich  will  dir  ein  Fasten  zeigen, 
das  angenommen  wurde,  weiches  Murdokai  und  Esther  veran- 
stalteten; und  ihr  Fasten  ward  ein  Schild  der  Erlösung  für  alle 
ihre  Volksgenossen,  und  sie  machten  den  Uebermuth  Hamans, 
ihres  Zerstörers,  zu  nichte,  und  seine  Unthat  kehrte  sich  gegen 
sein  Haupt,  und  sein  hinterlistiger  Plan  wendete  sich  gegen  ihn 
Und  mit  dem  Gericht,  mit  dem  er  richten  wollte,  wurde  er  ge- 
richtet, und  mit  dem  Mass,  mit  dem  er  suchte  zu  messen,  wurde 
ihm  gemessen,  und  wie  er  gedachte  zu  thun,  so  wurde  ihm  ge- 
than.  und  er  wurde  gefesselt  mit  dem  Stricke  seiner  Sünden. 
Und  dass  er  um  seines  Reichthums  willen  gepriesen  wurde,  half 
ihm  nichts,  und  seine  Weisheit  befreite  ihn  nicht.  Und  da  er 
klug  war  zum  Bösen,  wurde  sein  L^ebermuth  gedemäthigt,  und 
seine  Ehre  wich  von  ihm,  und  sein  Ruhm  wurde  vernichtet,  und 
seine  Stärke  wurde  gedemüthigt,  und  mit  dem  Schlag,  mit  dem 
er  schlagen  wollte,  wurde  er  geschlagen,  und  mit  dem  Tode,  mit 
dem  er  tödten  wollte,  wurde  er  getödtet:  Denn  er  wollte  alle 
Juden,  welche  im  Reiche  des  Königs  .\ehschirisch  waren,  ver- 
nichten. Und  es  ward  das  Fasten  des  Murdokai  und  der  Esther 
ein  Schild,  der  alle  Geschosse  des  Haman  auffing.  L^nd  Haman 
wurde  in  seiner  Sünde  gefangen,  und  sein  gezücktes  Schwert 
ging  in  sein  Herz,  und  der  Bogen,  der  gespannt  war  zur  Sünde, 
wurde  zerbrochen:  wie  geschrieben  steht  über  die  Gottlosen  ^): 
Ihr  Schwert  wird  in  ihr  Herz  gehen,  und  ihre  Bogen  werden 
zerbrochen  werden.  Das  erfüllte  sich  über  Haman:  Da  er  das 
Kreuz  aufrichtete  für  Murdokai  und  seine  Kinder,  wurde  Haman 
und  seine  Kinder  daran  gehängt,  und  wurde  gefangen  in  der 
Grube,  die  er  gemacht,  und  wurde  gefangen  in  der  Schlinge, 
die  er  gelegt,  und  sein  Netz  wurde  über  ihn  ausgebreitet,  und 
er  fiel  in  die  Schlinge  der  Sünde.  Und  es  war  sein  Ende 
für  ewig. 

§  8.    Warum    anders   aber,    mein   Lieber,    forderte  und  l)at 

1)  Ps.  37.  1.5. 


4S  Homilie  III. 

Haman  von  dem  König,  dass  alle  Juden  untergingen,  als  weil 
er  Rache  nehmen  wollte  für  die  Kinder  seines  Volks,  und  der 
Name  der  Kinder  Israel  vertilgt  werden  sollte,  wie  das  Gedächt- 
niss  Amaleks  unter  dem  Himmel  vertilgt  worden  war.  Haman 
war  nämlich  übrig  geblieben  von  den  Amalekitern.  Denn  so 
steht  geschrieben'):  Haman,  der  Sohn  Hamdats  des  Agigiters, 
war  hochgeehrt  im  Hause  des  Königs  Achschirisch.  Und  Murdo- 
kai  sass  täglich  an  der  Thür  des  Königs,  wegen  Esther,  die 
sein  Pflegling  war.  Diese  war  zum  König  Achschirisch  geführt 
worden  und  hatte  ihm  mehr  gefallen  als  alle  Jungfraiien,  ihre 
Genossinnen,  und  war  eingegangen  und  an  die  Stelle  der  Königin 
Vaschti  gesetzt  worden.  Und  Murdokai  sass  täglich  vor  der 
Thür  des  Königs.  Und  Haman  war  dritter  Beamter"^)  des 
Königs  und  geehrt  in  seinem  ganzen  Reich.  Und  jedermann, 
der  in  der  Thür  des  Königs  war,  wenn  er  den  Haman  sah,  fiel 
nieder  und  betete  ihn  an.  Und  Murdokai  stand  nicht  auf  vor 
ihm.  Deshalb  wollte  er  bei  dieser  Gelegenheit  Rache  nelimen 
an  seinen  Volksgenossen,  und  ihnen  vergelten,  was  sie  an  den 
Amalekitern  gethan  hatten.  Denn  Haman  war  nach  seinem 
Geschlecht  vom  Hause  Agigs,  des  Königs  Amaleks,  den  Saul 
gefangen  geführt  und  Samuel  getödtet  hatte  vo*r  dem  Herrn. 
Und  Murdokai  war  von  der  Familie  des  Hauses  Sauls,  vom  Stamm 
Benjamin,  von  den  Nachkommen  des  Kis.  Weil  Saul  die  Ama- 
lekiter  geschlagen  hatte,  wollte  Haman  Rache  fordern  für  die 
Kinder  seines  Volks  von  Israel,  und  für  den  Tod  des  Agig  von 
Murdokai.  Und  es  ^vusste  nicht  der  Thor,  dass  beschlossen  war 
über  Amalek,  dass  sein  Gedächtniss  vertilgt  werden  sollte  unter 
dem  Himmel.  Denn  es  steht  geschrieben  in  dem  heiligen  Gesetz: 
Gott  sprach  zu  Mose'^):  Sage  Josua,  dem  Sohn  Nuns,  er  solle 
sich  Männer  auslesen  und  eine  Schlacht  schlagen  gegen  Ama- 
lek; und  Josua  bewaffnete  sich  ^^nd  schlug  eine  Schlacht  gegen 
Amalek,  und  Amalek  wurde  besiegt  durch  das  Zeichen  des 
Kreuzes,  nämlich  durch  die  Ausbreitung  der  Hände  Moses.  Und 
da  die  geschlagen  waren,  welche  zum  Kampf  ausgezogen  waren, 
blieb  von  ihnen  noch  ein  Rest  zu  Hause  übrig.  Da  sprach  der 
Herr  zu  Mose:  Schreibe  ein  Buch  des  Gedächtnisses  und  setze 
es  vor  Josua,   den  Sohn  Nuns,    denn  ich  will  vertilgen  das  Ge- 


1)  Esther  3,  1.  —  2)  Bickell  übersetzt:  Reichskanzler.  —  3)  Exod.  17.  9. 


Die  Unterweisung  vom  Fasten.  49 

däclitniss  Amaleks  unter  dem  Himmel.  Und  Er  hatte  Geduld 
mit  Amalek,  dass  sie  vielleicht  hörten,  was  geschrieben  stand 
in  dem  heiligen  Buch  Gottes,  der  da  spricht:  Ich  will  die  Ama- 
lekiter  vertilgen;  und  dass  sie  sich  bekehrten  zu  ihm,  und  er  sich 
zu  ihnen  wenden  könnte.  Denn  wenn  sie  sich  bekehrten,  gab 
es  für  sie  noch  eine  Umkehr:  wie  es  eine  Umkehr  gab  für  die 
Kiniviter.  da  er  ihnen  Zerstörung  ankündigte,  dann  aber,  da  sie 
Bekehrung  zeigten,  seinen  Zorn  von  ihnen  wandte.  Lnd  wie 
den  Gibeonitern  die  Rechte  gereicht  wurde,  und  sie  nicht  unter- 
gingen mit  den  Kananitern;  und  wie  Umkehr  geschenkt  wurde 
der  Rahab,  die  da  glaubte;  so  wäre  auch  den  Amalekitern  Um- 
kehr geschenkt  worden,  wenn  sie  geglaubt  hätten,  da  er  Geduld 
mit  ihnen  hatte  400  Jahre.  Und  da  er  nach  all  dieser  Zeit  sah, 
dass  sie  sich  nicht  bekehrten,  brach  sein  Zorn  über  sie  herein, 
und  er  gedachte  an  das,  was  Mose  im  heiligen  Buch  geschrieben 
hatte:  Als  nämlich  Saul  das  Königthum  angetreten  hatte,  sprach 
Gott  zu  Samuel,  sage  ihm  '):  ich  gedenke  an  das,  was  Amalek 
euch  gethan  hat,  da  ihr  von  Aegypten  auszöget,  dass  sie  euch 
entgegenzogen  mit  dem  Schwert.  Nun  gehe  und  streite  wider 
den  Sünder  Amalek.  Und  Saul  zog  aus  und  besiegte  die  Ama- 
lekiter.  Und  weil  Saul  Barmherzigkeit  übte  gegen  Amalek,  wurde 
er  von  dem  Königthum  Verstössen;  denn  er  hatte  von  ihnen  einen 
Rest  übrig  gelassen,  und  Haman  war  übrig  geblieben  von  dem 
Hause  Agags,  den  Saul  übrig  gelassen  hatte.  Und  Murdokai 
war  von  der  Familie  des  Hauses  Sauls.  der  die  vom  Hause  Agags 
getödtet  hatte. 

§  9.  Und  es  gibt  Leute,  mein  Lieber,  welche  Murdokai  einen 
Vorwurf  machen  und  sprechen:  „Warum  stand  er  nicht  auf  vor 
Haman,  der  doch  geehrt  Avar  von  dem  ganzen  Königreiche;  was 
hätte  es  ihm  denn  geschadet,  wenn  er  ihm  die  Ehre  erwiesen 
hätte?"  Und  sie  sprechen  also:  „Wenn  Murdokai  aufgestanden 
wäre  vor  Haman,  so  hätte  dieser  nicht  den  bösen  Plan  gefasst  über 
Murdokai  und  die  Kinder  seines  Volks."  So  sagt  aber  nur,  wer 
nicht  die  Bedeutung  der  Sache  kennt.  Murdokai  that  solches 
aber  als  gerechter  Mann,  der  das  Gesetz  hielt,  und  stand  nicht 
auf  vor  dem  Frevler  Haman,  weil  er  auf  Saul,  seinen  Vorfahren, 
blickte,  welcher,  weil  er  Barmherzigkeit  übte  gegen  den  König 


1)  1.  Sam.  lö,  2.  3. 
Texte  und  Untersuchungen  HI,  3.  4. 


50  Homilie  III. 

Agag,  den  Yorfaliren  des  Haniaii,  von  dem  Königthum  gestossen 
Avurde  und  den  Zorn  auf  sich  lud.  Auch  auf  Murdokai,  wenn  er 
dem  gottlosen  Haman  Ehre  erwiesen  hätte,  wäre  der  Zorn  ge- 
kommen wie  auf  Saul.  Warum  aber,  mein  Lieber,  ist  Amalek  vor 
allen  Völkern  ausgezogen;  Israel  entgegen,  zum  Kampf?  Also 
dachte  nämlich  Amalek,  wir  wollen  ausziehen  und  die  Kinder 
Israel  schlagen  und  die  Segensverheissungen  des  Isaak  vernichten. 
Er  fürchtete  sich  nämlich  vor  der  Knechtschaft  der  Kinder  Jakobs. 
Denn  also  hatte  Isaak  zu  Esau  gesprochen'):  Dn  sollst  deinem 
Bruder  Jakob  dienen,  und  wenn  du  dich  bekehrst,  wird  das  Joch 
von  deinem  Halse  weichen.  Du  musst  indessen  wissen,  dass 
Amalek  der  Sohn  des  Kebsweibes  des  Eliphas,  des  Sohnes  Esau, 
war;  und  er  wollte  nicht  den  Kindern  Jakobs  dienstbar  werden. 
Und  warum  aber,  mein  Lieber,  sprach  Isaak  zu  Esau:  Du  sollst 
deinem  Bruder  Jakob  dienen?  —  Dieses  Wort  sprach  er  näm- 
lich, weil  Esau  sich  Weiber  von  den  Töchtern  Kanaans  genommen 
hatte,  welcher  verflucht  war  von  seinem  Vater  Noah.  So  sprach 
nämlich  zu  ihm  Noah  2) :  Du  sollst  der  niedrigste  Knecht  unter 
deinen  Brüdern  sein.  Weil  nämlich  Abraham  und  Isaak  wussten, 
dass  die  Kananiter  verflucht  waren,  so  nahmen  sie  keine  von 
deren  Töchtern  für  ihre  Söhne.  Denn  es  nahm  Abraham  keine, 
für  Isaak,  auch  Isaak  keine  für  Jakob,  damit  nicht  der  verfluchte 
Samen  der  Kananiter  vermischt  würde  mit  dem  Samen  Sems, 
der  gesegnet  war  von  Noah.  Deshalb  wollte  Amalek,  der  Sohn 
des  Eliphas,  des  Sohnes  des  Esau,  den  Fluch  des  Noah  und  den 
Segen  des  Isaak  vernichten  und  mit  den  Kindern  Jakobs  kämpfen. 
Auch  hat  Gott  in  gerechter  Weise  über  Amalek  geschrieben,  dass 
sein  Gedächtniss  durch  die  Söhne  der  Rahel  vertilgt  werden  solle. 
Zuerst  führte  Krieg  mit  ihm  Josua,  der  Sohn  Nuns,  von  dem 
Stamm  des  Joseph,  und  darnach  Saul  von  den  Kindern  Ben- 
jamins, und  den  Rest  vernichtete  Murdokai  durch  sein  Pasten.  Von 
allen  Kindern  Esaus  nämlich  wollte  Amalek  Krieg  führen  mit 
den  Kindern  Jakobs ;  und  (deshalb)  wurde  sein  Gedächtniss  ver- 
nichtet. Siehe,  wie  durch  das  Fasten  des  Murdokai  und  der  Esther 
Haman  von  seiner  Höhe  herabgestürzt  wurde,  und  der  Rest  der 
Amalekiter  untergegangen  ist,  und  Murdokai  die  Ehre  des  Haman 
empfangen  hat  und  der  Oberste  ward  in  dem  ganzen  Reich  des 
Achschirisch ,   und  Esther  Königin  ward  an  Stelle  der  Waschti. 

1)  Genes.  27,  4Ü.  —  2)  Genes.  9,  25. 


Die  Unterweisung  vom  Fasten.  5j 

§  10.  Weiter  hielt  Daniel  ein  Gott  wohlgefälliges  Fasten, 
drei  Wochen  lang  für  sein  Volk,  damit  ihnen  nicht  ein  längerer 
Aufenthalt  wurde  in  Babel  als  70  Jahre.  Und  durch  sein  ein- 
undzwanzigtägiges Fasten  ward  ihm  Erhörung  vor  Gott.  Und 
in  diesen  Tagen  stand  Gabriel,  der  die  Gebete  allzeit  annimmt, 
ihm  zu  Hilfe  und  mit  Gabriel  half  ihm  auch  Michael  ihr  Engel  ^ 
und  sie  standen  entgegen  dem  Herrn  (Engel)  Persiens  einund- 
zwanzig Tage:  und  er  half  dem  Daniel  in  seinem  Fasten.  Du 
musst  nämlich  wissen,  mein  Lieber,  dass  Gabriel  die  Gebete  vor 
Gott  empfängt.  Denn  da  Daniel  betete,  kam  Gabriel  zu  ihm  und 
stärkte  ihn  und  sprach  zu  ihm  '):  Dein  Gebet  ist  erhört  vor  Gott, 
und  ich  bin  gekommen  auf  deine  Worte.  Und  er  tröstete  ihn 
und  sprach  zu  ihm:  Fasse  Muth  dann  des  Verlangens.  Auch 
auf  das  Gebet  wiederum  seines  Fastens  kam  er  zu  ihm.  Auch 
das  Gebet  des  Zacharias  brachte  er  wiederum  vor  Gott,  da  er 
ihm  die  Geburt  des  Johannes  verkündigte  -).  Denn  er  sprach  zu 
ihm:  Dein  Gebet  ist  erhört  vor  Gott.  Auch  das  Gebet  der  Maria 
brachte  er  vor  Gott  und  verkündigte  ihr  die  Geburt  Christi.  Denn 
er  sprach  zu  ihr  ^) :  Du  hast  Gnade  gefunden  vor  Gott.  Und  wo- 
durch anders  fand  Maria  Gnade,  als  durch  ihr  Fasten  und  durch 
ihr  Gebet?  Denn  Gabriel  nimmt  die  reinen  Gebete  an  und  bringt 
sie  vor  Gott.  Und  Michael  war  der  Fürst  der  Kinder  Israel: 
er,  von  dem  Er  zu  Mose  sprach^):  Siehe,  mein  Engel  wird  vor 
dir  hergehen  und  wird  die  Bewohner  des  Landes  tödten  vor  dir 
her.  Und  er  ist  es,  der  erschien  der  Eselin  des  Bileam,  da  Bileam 
auszog  Israel  zu  fluchen.  Und  er  wiederum  erschien  dem  Josua, 
dem  Sohn  Nuns,  mit  gezücktem  Schwert  in  der  Ebene  von  Jericho. 
Und  Josua,  da  er  ihn  sah,  hielt  ihn  für  einen  von  den  Feinden, 
und  Josua  sprach  zu  ihm  "■):  Gehörst  du  zu  uns  oder  zu  unseren 
Feinden?  Michael  sprach  zu  ihm:  Ich  bin  der  Fürst  der  Heere  des 
Herrn,  und  nun  bin  ich  gekommen.  Und  er  warf  die  JMauern  von  Je- 
richo nieder  vor  Josua,  dem  Sohn  Nuns.  Und  er  Aviederum  tödtete 
vor  ihm  die  31  Könige,  und  er  tödtete  die  Tausend  mal  Tausend 
Indier  vor  Asa;  und  er  wiederum  tödtete  in  dem  Lager  Assyriens 


1)  Dan.  10,  11.  12.  —  2)  Luc.  1,  13.  Aphr.  hat  mit  Ephr.  Com.  den 
Zusatz  lovl-l  >c,.^,  der  bei  Pesch.  fehlt.  Bei  Syr.  Cur.  fehlt  die  Stelle. 
Vgl.  Dan.  10,  12  oben;  Zeile  4  im  syr.  Text.  —  3)  Luc.  1,  30.  —  4)  Exod. 
23,  22;   33,  2.  —  5)  Josua  5,  13.  14. 

4* 


52  Homilie  III. 

185000.  Und  da  die  Kinder  Israels  nach  Babel  zogen,  ging  auch 
er  mit  ihnen  und  stritt  für  sie.  Warum  aber,  mein  Lieber,  fastete 
Daniel  diese  3  Wochen  und  bat  und  flehete  zu  Gott,  und  vor  dieser 
Zeit  steht  nicht  geschrieben,  dass  er  fastete?  So  steht  nämlich 
geschrieben,  da  70  Jahre  (seit)  der  Zerstörung  Jerusalems  erfüllt 
waren,  wie  der  Prophet  Jeremia  ^)  gesagt  hatte,  brachte  er  sein 
Gebet  und  flehete  vor  seinem  Gott,  dass  sie  nicht  länger  bleiben 
müssten  als  diese  70  Jahre;  wie  Er  kürzte  die  Zeit  in  den  Tagen 
Noahs,  und  Avie  Er  die  Zeit  verlängerte  für  die  Kinder  Israel 
in  Aegypten,  und  wie  Er  sie  verkürzte  den  Kindern  Ephraims. 
Und  Daniel  besorgte,  ob  Er  nicht  wegen  der  Sünden  des  Volkes 
es  länger  bleiben  Hesse  als  diese  70  Jahre,  von  denen  Jeremia 
gesagt  hatte.  Und  Gabriel  half  während  seines  Fastens  und 
Michael  ihr  Fürst,  dass  auch  Michael  Ruhe  finden  möchte  unter 
ihnen,  wenn  sie  in  ihr  Land  zurückgeliehrt  wären,  und  Gabriel, 
welcher  mit  ihm  half,  damit  sie  reichliche  Früchte  ihrer  Gebete 
im  heiligen  Tempel  darbrächten  und  gross  machten  die  Opfer,  die 
er  täglich  vor  Gott  brächte.  Und  der  Fürst  (Engel)  des  König- 
reichs Persien  wollte  nicht,  dass  der  heilige  Same  Israels  sich 
trenne  von  dem  sündigen  Reich  Persiens,  das  ihm  bestimmt  war 
von  Gott.  Denn  je  mehr  Gerechte  daselbst  unter  ihnen  waren, 
um  so  mehr  hatte  er  seine  Freude  an  ihnen.  Und  siehe  das  aus- 
erwählte Fasten  des  Daniel  war  stärker  und  wendete  die  Ge- 
fangenschaft seines  Volks,  da  die  70  Jahre  erfüllt  waren.  Unser 
Heerführer  aber  ist  grösser  denn  Gabriel  und  mehr  denn  Michael, 
und  er  ist  stärker  als  der  Fürst  (Engel)  Persiens;  es  ist  unser 
Herr  Jesus  Christus,  Avelcher  gekommen  ist  und  unsere  Mensch- 
heit angezogen  hat  und  litt  und  versucht  ward  in  dem  Leib,  den 
er  von  uns  trug.  Und  er  kann  denen  helfen,  die  versucht  werden, 
denn  er  fastete  für  uns  und  besiegte  unseren  Feind,  und  gebot 
uns,  dass  wir  fasten  sollten  und  wachen  allezeit,  dass  wir  durch 
die  Kraft  des  reinen  Fastens  kommen  zu  seinem  Frieden. 
Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  vom  Fasten. 


1)  Jerem.  25,  12;   19,  10. 


Die  riiterweisimg  vom  Grebet. 

Die  Reinheit  des  Herzens  ist  ein  vorzügliclieres  Gebet,  denn 
alle  Gebete,  die  mit  lauter  Stimme  gebetet  werden:  und 
Schweigen,  wenn  es  verbunden  ist  mit  reiner  Gesinnung,  ist  mehr 
werth  als  eine  laute  Stimme,  wenn  ein  Mensch  schreit.  —  Nun, 
mein  Lieber,  o-ib  mir  dein  Herz  und  deine  Seele  und  höre  die 
Kraft  des  reinen  Gebets  und  siehe,  wie  unsere  gerechten  ^"äter 
der  Vorzeit  sich  ausgezeichnet  haben  durch  ihr  Gebet  vor 
Gott  und  wie  dieses  ihnen  zu  einem  reinen  Opfer  wurde.  Denn 
durch  das  Gebet  wurden  ihre  Opfer  angenommen.  Das  Gebet 
wiederum  wendete  die  Sintfluth,  und  es  heilte  die  Unfruchtbar- 
keit, und  es  warf  Heere  nieder,  und  es  offenbarte  Geheimnisse, 
imd  es  theilte  das  Meer  und  schied  den  Jordan,  und  es  hielt 
die  Sonne  auf  und  stellte  den  Mond,  und  es  vernichtete  die  Un- 
reinen und  brachte  Feuer  herab:  und  es  verschloss  den  Him- 
mel, und  es  führte  aus  der  Grube  heraus  und  befreite  aus 
dem  Feuer  und  erlöste  aus  dem  Meere,  und  seine  Kraft  ist  sehr 
gross,  wie  die  Kraft  des  reinen  Fastens  gross  ist.  Denn  wie  ich 
dir  in  der  vorhergehenden  Rede  die  Sache  des  Fastens  aus- 
einandergesetzt und  gezeigt  habe,  so  verdriesst  es  mich  nicht 
auch  über  das  Gebet  dich  wiederum  zu  belehren. 

§  2.  Zuer.st  nämlich  wurde  durch  die  Herzensreinheit  des 
Abel  dessen  Opfer  angenommen  vor  Gott,  Kains  Opfer  aber 
ward  verworfen.  Und  wie  ist  uns  bekannt,  dass  Abels  Opfer 
angenommen  und  Kains  Opfer  verworfen  ward?  und  woran  er- 
kannte Abel  dass  sein  Opfer  angenommen  war,  und  auch  Kaiii, 
dass  das  seinige  verworfen  war?  Darüber  will  ich  dich,  so  gut 
ich  kann,  belehren.  Wisse  aber,  mein  Lieber,  dass  dadurch  ein 
Opfer  bezeichnet  wurde,  ob  es  angenommen  war  vor  Gott:  Es 
kam  Feuer  herab  vom  Himmel,  und  das  Opfer  wurde  durch  das- 


54  Homilie  IV. 

selbe  aufgezehrt.  Als  nämlich  Abel  und  Kain  ihre  Opfer  zu- 
sammen darbrachten,  kam  lebendiges  Feuer,  das  vor  Gott  dient, 
und  verzehrte')  das  reine  Opfer  Abels,  und  dem  Opfer  des  Kain. 
das  nicht  rein  war,  näherte  es  sich  nicht.  Und  daher  wusste 
Abel,  dass  sein  Opfer  angenommen  war,  und  auch  Kain  wieder- 
um wusste,  dass  das  seinige  verworfen  war.  Und  die  Früchte 
des  Herzens  des  Kain  zeigten  und  bewiesen  über  ihn,  dass  er 
voll  Trug  war;  da  er  seinen  Bruder  tödete.  Denn  was  seine  Seele 
empfangen  hatte,  das  gebaren  seine  Hände.  Die  Herzensreinheit 
des  Abel  aber  war  sein  Gebet. 

§  3.  Ich  will  dich  aber  überzeugen  davon,  mein  Lieber,  dass 
alle  Opfer,  die  angenommen  wurden,  das  Feuer  verzehrte.  Denn 
da  Manoach,  der  Vater  des  Simson,  ein  Opfer  darbrachte,  kam 
lebendiges  Feuer  herab  und  verzehrte  es,  und  auf  der  Flamme 
fuhr  der  Engel,  der  mit  ihm  geredet  hatte,  gen  Himmel. 
Und  auch  bei  Abraham,  da  ihm  Gott  die  Verheissung  gewiss 
machte,  dass  ihm  ein  Sohn  geboren  werden  sollte,  sprach  Er  2): 
Nimm  eine  dreijährige  Kuh  und  eine  dreijährige  Ziege  und 
Turteltauben  und  junge  Tauben.  Und  da  i^braham  sie  geschlachtet 
hatte  und  zertheilt  und  die  Glieder  einander  gegenüber  gelegt 
hatte,  fiel  auf  ihn  ein  Schlaf,  und  es  ward  eine  Finsterniss,  und 
es  kam  Feuer  herab  und  ging  zwischen  den  Theilen  durch  und 
verzehrte  das  Opfer  des  Abraham.  Auch  bei  den  Opfern, 
welche  in  der  Stiftshütte  '^)  dargebracht  wurden,  kam  lebendiges 
Feuer  herab,  sie  zu  verzehren.  Auch  bei  den  Söhnen  Aarons, 
Nadab  und  Abihu,  da  sie  nachlässig  waren  im  Dienst  des  Opfers, 
kam  Feuer  herab  nach  seiner  Gewohnheit,  zur  Zeit  des  Opfers. 
Und  es  fand  ihre  Opfer  nicht  in  Reinheit,  und  es  nahete  sich 
ihnen  nicht.  Und  da  sie  sahen,  dass  ihr  Opfer  nicht  verzehrt  ward, 
brachten  sie  fremdes  Feuer,  dass  es  dasselbe  verzehre,  damit  sie 
von  Mose  nicht  gestraft  Avürden,  weil  das  Opfer  nicht  verzehrt 
ward.  Und  das  fremde  Feuer  verzehrte  das  Opfer,  und  das  Feuer 
vom  Himmel  verzehrte  sie  selbst.  Und  der  Herr  heiligte  sich 
an  ihnen,  dafür,  dass  sie  in  seinem  Dienste  nachlässig  waren. 
Auch  als  gegen  Mose  jene  250  Mann  eine  Spaltung  anstifteten 
und  ßauchopfer  ')  darbrachten  ohne  Gebet,  ward  dem  Feuer  ge- 


1)  Wörtlich:    leckte.    —    2)  Genes.    15,  9.    —    3)  Wörtlich:    ^-^^^^ 
l-LC],  zeitliches  Zelt.  —  4)  Bickell:  Weihrauchfässer. 


Die  Unterweisung  vom  Gebet.  55 

boten,  dass  es  ausgehe  vor  dem  Herrn  und  sie  verzehre,  und  es 
wurden  ihre  Rauchopfer  geheiligt  durch  ihre  Seelen.  Ferner 
da  Salonion  das  Haus  des  Heiligthums  baute  und  Opfer  und  Brand- 
opfer darbrachte,  betete  er,  und  es  kam  Feuer  vom  Himmel  und 
verzehrte  das  Fett  der  Brandopfer  auf  dem  Altar.  Weiter  da 
Elias  Opfer  darbrachte,  kam  Feuer  hernieder  und  verzehrte  es, 
und  es  ward  sein  Opfer  angenommen  wie  das  des  Abel,  und 
das  der  Baalsdiener  ward  verworfen  wie  das  des  Kain.  Diese 
ganze  Beweisführung  über  das  Feuer  habe  ich  dir  geschrieben, 
damit  du  überzeugt  seist,  dass  das  Feuer  das  Opfer  des  Abel 
verzehrt  habe. 

§  4.  Höre  aber,  mein  Lieber,  über  dieses  reine  Gebet,  welche 
Wunder-Kräfte  durch  dasselbe  bewirkt  worden  sind.  Da  näm- 
lich Abraham  betete,  wandte  er  die  Gefangenschaft  von  fünf 
Königen,  und  die  Unfruchtbare  gebar  durch  sein  Gebet.  Ferner 
empfing  er  durch  die  Kraft  des  Gebets  die  Verheissung,  dass 
durch  seinen  Samen  die  Völker  gesegnet  werden  sollen.  Und 
auch  Isaak  wiederum  zeigte  die  Kraft  des  Gebets,  da  er  über 
Rebekka  bat,  und  sie  ihm  gebar,  und  über  Abimelek,  und  der 
Zorn  von  ihm  zurückgehalten  wurde.  Und  auch  unser  Vater  Ja- 
cob betete  zu  Bethel  und  sah  die  Thür  des  Himmels  geöffnet  und 
eine  Leiter,  die  in  die  Höhe  stieg.  Das  ist  das  Geheimniss') 
unseres  Erlösers,  das  Jakob  sah.  Die  Thür  des  Himmels  das 
ist  Christus,  wie  er  sagt-):  ich  bin  die  Thür  des  Lebens,  jeder, 
der  durch  mich  eingeht,  wird  leben  in  Ewigkeit.  Und  auch 
David  spricht-^):  Dieses  ist  die  Thür  des  Herrn,  durch  welche  die 
Gerechten  eingehen.  Und  die  Leiter  wiederum,  die  Jakob  sah, 
ist  das  Vorbild  unseres  Erlösers,  auf  welchem  die  Gerechten 
Menschen  emporsteigen  aus  der  Tiefe  in  die  Höhe;  und  sie  ist 
wiederum  Vorbild  des  Kreuzes  unseres  Erlösers,  das  aufgerichtet 
ist  gleich  wie  eine  Leiter.  Und  der  Herr  stand  über  derselben; 
denn  über  Christo  ist  der  Herr  über  alles,  wie  der  selige  Apo- 
stel sagt^):  das  Haupt  Christi  ist  Gott.  Und  Jakob  nannte 
diesen  Ort '")  Bethel,  und  Jakob  errichtete  daselbst  ein  Denkmal 
von  Stein  zum  Zeugniss,  und  goss  Oel  oben  darauf    Und  auch  das 


1)  ]]')]  =  arcanum,  secretum,  mysterium,  sacramentum,  dasselbe  Wort, 
mit  welchem  die  Sacramente  bezeichnet  werden,  z.  U.  die  Taufe  hom.  I 
§  15.  —  2)  Joh.  lü,  9.  —  3)  Ps.  8,  20.  —   l)  1.  Cor.  11,  3.  —  5)  Ueues.  28,  13. 


56  Homilie  IV. 

that  unser  Vater  Jakob  zuvor  als  Geheimniss :  die  Steine,  welche 
die  Salbung  empfingen,  das  sind  die  Heiden  nämlicb,  die  an  Chri- 
stum glauben.  Die  sind  es,  die  gesalbt  werden,  wie  Johanne.^- 
über  sie  sagte  ') :  Gott  vermag  aus  diesen  Steinen  dem  Abraham 
Kinder  zu  erwecken.  Denn  durch  das  Gebet  des  Jakob  wurde 
zuvor  gezeigt  das  Geheimniss  der  Berufung  der  Heiden. 

§  5.  Siehe  aber,  mein  Lieber,  welche  Geheimnisse  verborgen 
sind  in  dem  Gesicht,  das  Jakob  sah.  Er  sah  nämlich  die  Thür 
des  Himmels,  welche  ist  Christus;  und  er  sah  die  Leiter,  das 
Geheimniss  des  Kreuzes;  und  er  salbte  die  Steine,  als  Typus 
der  Heiden;  und  er  gelobte,  die  Zehnten  Levi  zu  geben;  denn 
in  ihm  waren  verborgen  die,  welche  den  Zehnten  gaben,  und 
die,  welche  die  Erstlinge  empfingen.  Und  in  seinen  Lenden  war 
der  Embjro  des  LövY^en  Juda,  in  welchem  verborgen  war  Christus, 
der  König,  und-)  in  Ihm  zeigte  er  seine  Salbung.  Und  die 
Stämme  die  in  ihm  waren,  gelobten  den  Leviten,  und  die  Könige 
in  seinen  Lenden  stärkten  sein  Herz,  und  es  sah  hell  in  ihm  der 
Geist  der  Propheten,  derer,  die  bestimmt  waren,  aus  seinem 
Samen  zu  sein.  Mit  seinem  Stab  allein  ging  er  über  den  Jor- 
dan: Ein  wunderbares  Geheimniss  hielt  er  im  Voraus  in  seiner 
Hand,  nämlich  das  Bild  des  Kreuzes  des  grossen  Propheten. 
Und  •^)  er  hob  seine  Füsse  zu  dem  Lande  der  Kinder  des  Auf- 
gangs, weil  von  ihm  aufgegangen  ist  das  Licht  der  Heiden. 
Und  er  ruhete  bei  dem  Brunnen,  auf  dessen  Oeffnung  der 
Stein  lag,  den  auch  Viele  nicht  vermochten  zu  heben,  denn  viele 
Hirten  konnten  ihn  nicht  heben  und  den  Brunnen  öffnen,  bis 
Jakob  kam  und  durch  die  Kraft  des  Hirten,  der  in  seinen  Lenden 
verborgen  war ,  den  Stein  weghob  und  seine  Schafe  tränkte. 
Und  viele  Propheten  kamen  und  vermochten  nicht  die  Taufe  zu 
offenbaren,  bis  der  grosse  Prophet  kam,  und  er  allein  öffnete  sie 
und  wurde  darin  getauft  und  rief  und  sprach  mit  sanfter  Stim- 

1)  Luc.  3,  8;  Matt.  3,  9.  Aphr.  hat  hier  wie  S.  331  Z.  7  überein- 
stimmend mit  Ephr.  Com.  S.  40  diese  Stelle  in  der  Wortstellung  wie  bei 
Peschito  Luc.  3,8,  während  Syr.  Cur.  auch  bei  Luc.  3,  8  wie  Syr.  Cur. 
und  Pesch.  Matt.  3,  9   stellt:    ^?    Isi^j    ..^-aV?    j«.^    ^üli.    Pr^) 

2)  ..Diesen  kündigte  er  an  durch  die  Salbung":  Bickell.  Diese  Ueber- 
setzung  ist  nach  dem  vorliegenden  Text  nicht  möglich ;  ebensowenig  nach 
dem  Zusammenhang.  —  3)  Genes.  29,  1. 


Die  Unterweisung  vom  Gebet.  57 

me '):  Jeder,  der  dürstet,  komme  zu  mii*  und  trinke.  Und  Jakob  betete 
wiederum,  da  er  von  Laban  zurückgekehrt  war  und  befreit  wurde 
aus  den  Händen  seines  Bruders  Esau.  Und  er  betete  also,  dankte  und 
sprach-):  Mit  meinem  Stab  bin  ich  über  diesen  Jordan  gegangen,  und 
nun  bin  ich  zwei  Heere  geworden.  Fürwahr,  ein  wunderbares  Ge- 
heimniss  unseres  Erlösers.  Denn  da  unser  Herr  zum  erstenmal  kam, 
ging  er  aus  als  ein  Stab  aus  der  Wurzel  Isais,  gleichwie  der  Stab 
Jakobs ;  und  wenn  er  wieder  kommen  wird  von  seinem  Vater  in 
seiner  zweiten  Ankunft,  geht  er  zu  ihm  mit  zwei  Heeren:  das  eine 
aus  dem  ,, Volke'',  das  andere  aus  den  „Völkern",  gleichwie  Jakoh, 
der  zu  Isaak  seinem  Vater,  mit  zwei  Heeren  zurückkehrte.  Es  kehr- 
ten nämlich  um  Jakob  und  seine  elf  Söhne;  und  es  kommen  auch 
mit  unserem  Erlöser  seine  elf  Jünger,  weil  Judas  nicht  bei  ihnen 
ist.  Und  darnach  wurde  Benjamin  geboren,  und  es  waren  dann 
zwölf  Söhne  des  Jakob,  und  darnach  wurde  T  u  1  m  a  i  "*)  erwählt 
und  es  waren  dann  zwölf  Jünger  unseres  Erlösers.  Das  ist  die 
Geschichte  von  dem  Gebete  des  Jakob. 

Was  sollen  wir  aber  sagen  zu  der  Kraft  des  Gebetes  Moses, 
das  keine  Grenzen  hat.  Denn  sein  Gebet  befreite  ihn  aus  den 
Händen  Pharaos:  und  es  zeigte  ihm  die  Wohnung  seines  Gottes; 
und  durch  sein  Gebet  brachte  er  zehn  Plagen  über  Pharao,  und 
sein  Gebet  wiederum  theilte  das  Meer,  und  es  machte  das  bittere 
Wasser  süss,  und  es  brachte  Manna  herab,  und  brachte  Wachteln 
herauf,  und  spaltete  den  Felsen,  und  Hess  das  Wasser   üiessen 


1)  Joh.  7,  37.  —  2)  Genes.  32,  10. 

3)  Bickell  liest  Bartholemäus  und  bemerkt  hierzu:  „Wohl  nur  Ab- 
schreibefehler für  Matthias".  Aber  wer  gibt  uns  das  Recht,  für  Tulmai. 
das  im  Texte  steht,  ohne  weiteres  Bartulmai  zu  setzen?  Und  ist  wohl  bei 
derUnähnlichkeit  der  beiden NamenBartholemäus  undMatthias  (^iÄ^=Zi..c 
und  j-.t.iai)  eine  Verwechselung  derselben  durch  einen  Abschreibefehler  wahr- 
scheinlich? Es  scheint  uns  nicht  unwahrscheinlich,  dass  Aphr.  den  Namen 
Tulmai  schon  in  seinem  Text  der  Apostelgeschichte  vorgefunden  hat, 
diesei  kann  leicht  aus  Matthia  durch  emen  Schreibfehler  entstanden  sein. 
Act.  I,  23.  26  kommt  der  Name  Matthias  (U^-i^)  i»  folgenden  Verbin- 
dungen vor:  V.  23.  j-LLcliC  afliJoec-.,  V.  26.  U-^i^i^  :.-z!-^z.  Aus  bei- 
den Verbindungen  lässt  sich  leicht  durch  Wegfall  des  Z  in  U;.:;^;  die  Ent- 
stehung des  Namens  Tulmai  durch  einen  Schreibfehler  erklären.  Der 
Name  Tulmai  ist,  soviel  uns  bekannt  ist,  in  Act.  I,  23.  26  in  keiner  der 
griechischen  Handschriften  bezeugt. 


5S  Homilie  IV. 

und  besiegte  Amalek,  und  stärkte  Josua,  und  verwirrte  ')  Og 
und  Sichon  in  der  Schlacht;  und  es  brachte  die  Bösen  zur  Hölle, 
und  es  wandte  den  Zorn  seines  Gottes  von  seinem  Volk,  und 
es  vernichtete  das  Kalb  der  Sünde,  und  es  brachte  die  Tafeln 
vom  Berg  herab,  und  es  verklärte  sein  Angesicht.  Und  grösser 
war  sein  Gebet  als  das  Gebet  Jakobs.  Auch  Josua,  der  Sohn 
des  Nun,  zeichnete  sich  durch  sein  Gebet  vor  seinem  Gott  aus. 
Sein  Gebet  theilte  den  Jordan,  sein  Gebet  wiederum  warf  die 
Mauern  von  Jericho  nieder,  und  vernichtete'^)  den  Achan,  und 
hielt  die  Sonne  zurück,  und  stellte  den  JNIond,  und  schlug  die 
Könige,  und  eroberte  das  Land,  und  gab  es  den  Kindern  Israel 
zum  Eigenthum.  Lasst  uns  nun  zu  dem  stillen  Gebet  kommen, 
das  Hanna,  die  Mutter  Samuels,  betete,  und  das  angenehm  war  vor 
Gott,  und  ihre  Unfruchtbarkeit  öffnete  und  ihre  Schmach  weg- 
nahm; und  sie  gebar  einen  Nazir  und  einen  Priester.  Und  auch 
Samuel  betete  vor  seinem  Gott,  da  er  den  Kindern  Israel  das 
Zeichen  geschehen  liess:  da  er  ihnen  ihre  Sünde  vorhielt,  darum 
dass  sie  einen  König  verlangten,  brachte  Samuel  ein  Opfer  auf 
dem  Altar  dar,  und  ein  Regen  _  fiel  in  den  Tagen  der  Weizen- 
ernte. Wiederum  auch  David  betete  vor  seinem  Gott  und 
wurde  errettet  aus  den  Händen  Sauls.  Auch  da  er  für  das  Volk 
betete,  wandte  sein  Gebet  von  ihnen  den  Grimm  und  den  Zorn, 
da  der  Verderber  unter  ihnen  herrschte.  Und  es  betete  wieder- 
um auch  Asa,  und  sein  Gebet  zeigte  grosse  Kraft,  da  gegen  ihn 
auszog  Sirach  der  Indier-^),  und  Tausend  mal  Tausend  Mann 
mit  ihm.  Damals  betete  Asa  und  sprach*;:  daran  wird  die  Kraft 
unseres  Gottes  erkannt,  dass  Du  ein  grosses  Volk  in  die  Hand 
eines  kleinen  Volkes  gelegt.  Und  Gott  hörte  sein  Gebet  und 
sandte  seinen  Engel  und  warnte  sie,  und  es  wurde    ein   grosses 

1)  Bickell:  „überwandt".  —  2)  Bickell:  ,. erlangte  die  Bestrafung 
Ach  ans". 

ü)  Bickell:  „A.ethioj)ier".  Aethiopien,  Arabien  und  die  demselben  be- 
nachbarte Insula  Dioscoridis  (die  Insel  Diu  Zokotara  an  der  Mündung  des 
Arabischen  Meerbusens)  wurden  mit  dem  Namen  Indien  bezeichnet;  nach 
Eitter,  Erdkunde  von  Asien,  Bd.  IV,  1.  Abtheil ,  S.  603  daher  zu  erklären, 
weil  nicht  nur  indische  Handelskolonien  dort  ansässig  waren  und  weil 
•es  dort  überall  Stapelorte  der  indischen  Waaren  gab,  sondern,  weil  es 
für  die  ununterbrochene  Schiti'ahrt  die  wenigen  direkten  Vermittelungs- 
stationen  mit  dem  äussern  Indien  waren. 

4)  2.  Chron.  14,  11. 


Die  Unterweisung  vom  Gebet.  59 

Heer  besiegt  durch  die  Kraft  des  Gebetes  des  Asa.  Aucli  seines 
Sohnes  Josaphat  Gebet  vernichtete  das  Heer  der  Feinde  und 
besiegte  sie.  Und  auch  Hiskia  betete,  und  185  Tausend  warf 
sein  Gebet  nieder  durch  den  Engel,  den  Führer  des  Heeres'). 
Und  Jonas  wiederum  betete  vor  Gott  aus  der  Tiefe  des  Meeres, 
und  es  wurde  ihm  Erhörung  und  Antwort  zu  Theil,  und  er 
wurde  errettet  ohne  Seil,  denn  sein  Gebet  theilte  die  Wogen 
und  besiegte  die  Wellen,  und  besiegte  die  Stürme  und  theilte 
die  Wolken  und  flog  durch  die  Luft  und  öffnete  den  Himmel 
und  kam  vor  den  Thron  der  Herrlichkeit  durch  Gabriel,  der 
die  Gebete  vor  Gott  bringt,  und  die  Wogen  spieen  den  Propheten 
aus,  und  der  Fisch  Hess  ihn  frei  auf  das  Trockene.  Wiederum 
besiegte  das  Gebet  des  Chanania,  des  Asaria  und  des  Michael 
die  Flammen,  nnd  kühlte  die  Hitze  des  Feuers,  und  veränderte 
die  Natur  der  Flammen,  und  überwandt  den  Grimm  des  Königs, 
und  befreite  die  gerechten  Männer.  Und  wiederum  betete  Daniel, 
und  sein  Gebet  verschloss  den  Kachen  der  Löwen,  und  der  ge- 
frässige  Rachen  wurde  verschlossen  vor  dem  Fleisch  und  den 
Knochen  des  gerechten  Mannes.  Und  die  Löwen  streckten  ihre 
Hände  aus  und  hielten  Daniel,  dass  er  nicht  zur  Erde  fiel,  und 
sie  umfassten  ihn  mit  ihren  Armen  und  küssten  seine  Füsse. 
Und  wenn  Daniel  sich  erhob  in  der  Höhle  zu  beten,  und  seine 
Hände  gen  Himmel  ausbreitete,  thaten  auch  sie  wie  Daniel,  und 
es  kam  zu  ihnen  herab,  der  die  Gebete  annimmt,  und  verschloss 
den  Rachen  der  Löwen.  Denn  Daniel  sprach  zu  Darius  -) : 
Mein  Gott  sandte  seinen  Engel,  und  er  verschloss  den  Rachen 
der  Löwen,  und  sie  vernichteten  mich  nicht.  Die  Höhle  war 
nämlich  verdeckt  und  verschlossen;  und  ein  Licht  leuchtete  da- 
rinnen; es  freuten  sich  aber  die  Löwen,  da  sie  wegen  des  Daniel 
ein  Licht  sahen.  Wenn  nämlich  Daniel  ruhte  und  schlafen 
wollte,  legten  sich  die  Löwen  nieder,  dass  er  auf  ihnen  schliefe 
und  nicht  auf  der  Erde.  Denn  die  Höhle  war  erleuchtet  mehr 
als  ein  Gemach  mit  vielen  Fenstern.  Und  er  betete  daselbst 
sehr  oft,  öfter  als  in  seinem  Gemach,  da  er  nur  dreimal  gebetet 
hatte.  Und  Daniel  stieg  herauf  unversehrt,  und  seine  Ankläger 
fielen  an  seiner  Stelle  hinein,  und  der  Rachen  der  Löwen  wurde 
wieder  geöffnet,  und  sie  frassen  sie   auf  und  ihre  Knochen   zer- 

1)  Bickell:  „der  himmlischen  Heerschaaren".  —  2)  Dan.  (5,  22. 


(50  Homilie  IV. 

malmten  sie.  Und  sein  Gebet  wiederum  wendete  die  Gefangen- 
schaft, da  die  70  Jalire  von  Babel  erfüllt  waren.  Und  jeder 
unserer  gerechten  Väter  hatte  zu  der  Zeit  der  Anfechtung,  die 
auf  ihnen  lag,  die  Waffe  des  Gebets  angelegt,  und  durch  das- 
selbe wurden  sie  befreit  aus  der  Anfechtung.  —  Wiederum  lehrt 
unser  Erlöser  vom  Gebet  und  spricht:  Ihr  sollt  beten  im  Ver- 
borgenen zu  dem  Verborgenen,  Er  sieht  Alles  ^).  Er  spricht 
nämlich -j:  Gehe  in  das  Kämmerlein  und  bete  zu  deinem  Vater 
im  Verborgenen,  und  der  Vater,  der  ins  Verborgene  sieht,  wird 
dir  vergelten.  Warum  aber,  mein  Lieber,  unser  Erlöser  lehrt 
und  spricht :  Bete  zu  deinem  Vater  im  Verborgenen,  da  die  Thür 
verschlossen  ist,  darüber  will  ich  dich,  so  weit  ich  es  verstehe, 
belehren.  Er  sagt  nämlich:  Bete  zu  deinem  Vater  im  Ver- 
borgenen, da  die  Thür  verschlossen  ist.  Das  bedeutet  also  und 
das  Wort  unseres  Herrn  will  uns  lehren:  Bete  im  Verborgenen 
deines  Herzens  und  verschliesse  die  Thür.  Und  was  ist  die 
Thür,  von  der  er  sagt,  verschliesse  sie,  anderes  als  dein  Mund, 
denn  du  bist  ein  Tempel,  in  welchem  Christus  wohnt.  Wie  der 
Apostel  sagt-^):  Ihr  seid  der  Tempel  des  Herrn,  der  in  den 
innern  Menschen  eingeht,  in  dieses  Haus  und  es  reinigt  von 
allem  Unreinen,  wenn  die  Thür  verschlossen  ist,  welche  ist  dein 
Mund.  Wenn  sich  das  aber  nicht  so  verhält,  wie  willst  du  dann 
dieses  verstehen?  Denn  wenn  es  sich  trifft,  dass  du  auf  dem 
Felde  bist  und  kein  Haus  und  keine  Thür  hast,  willst  du  da  nicht 
im  Verborgenen  beten  ?  Und  wenn  es  sich  wiederum  trifft,  dass 
Du  auf  der  Spitze  eines  Berges  bist,  willst  du  da  nicht  beten? 
Und  das  ist  es,  was  unser  Erlöser  uns  lehrt :  dass  er  den  Willen 
des  Herzens  und  die  Gedanken  kennt.  Wie  der  Herr  schreibt'*): 
Euer  Vater  weiss,  was  ihr  bedürft,  ehe  ihr  ihn  bittet.  Und  im 
Propheten  Jesaia  steht  geschrieben''):    Ehe  meine  Auserwählten 


1)  A,  der  Alles  sieht. 

2)  Matt.  6,  6.  Apliraat.  hat  mit  Syr.  Curat.  |.Jc^Jii,  in  die  Kammer, 
während  Pesch.  .^oi^..!^,  in  deine  Kammer  hat.  Aphr.  hat  mit  Syr.  Cui". 
U-21S..C  .^ü;1^  j^rC,  bete  zu  deinem  Vater  im  Verborgenen,  Pesch. 
j..*.fiiÄ^?  ^^0.^1^  j-^tc,  bete  zu  deinem  Vater,  der  im  Verborgenen  ist. 
Bei  Aphr.  fehlt  am  Schluss  wie  bei  Syr.  Cur.  |..fclii^r;,  öftentlich,  das  wir 
bei  Peschit.  finden. 

3)  1.  Cor.  3,  16.  —  4)  Matt.  6,  8.  —  5)  Jesaia  65,  24. 


Die  Unterweisung  vom  Gebet.  61 

rufen,  will  ich  sie  boren,  und  ehe  sie  sclireien,  will  ich  ihnen 
antworten.  Weiter  sagt  Jesaia  über  die  Sünder  i):  Auch  wenn 
ihr  viel  betet,  will  ich  euch  doch  nicht  hören.  Und  wiederum 
spricht  Er  -) :  Sie  werden  in  meine  Ohren  rufen  mit  lauter 
Stimme,  und  ich  will  sie  nicht  hören.  Das  aber  sagt  er  über  das 
Lügen-Gebet,  dasnichtangenommen  wird.  Alle  diese  Worte  nämlich 
musst  du  mit  genauer  Unterscheidung  aufnehmen,  dann  wirst 
du  ibre  Bedeutung  auch  verstehen.  Der  Erlöser  sagt  wiederum^) 
ein  anderes  Wort,  und  das  muss  auch  mit  genauer  Unterschei- 
dung gehört  werden.  Er  sagt  nämlich^):  Wo  zwei  oder  drei  ver- 
sammelt sind  in  meinem  Namen,  da  bin  ich  mitten  unter  ihnen. 
Wie  wird  dieses  Wort  von  dir  verstanden,  mein  Lieber?  Siehe 
unser  Erlöser  sagt:  Wo  zwei  oder  drei  versammelt  sind  in  meinem 
Kamen,  da  bin  ich  mitten  unter  ihnen;  wenn  du  nun  allein 
bist,  ist  Christus  dann  nicht  bei  dir?  Und,  siehe,  es  steht  doch 
geschrieben  über  die,  welche  an  Christum  glauben,  dass  Christus 
in  ihnen  wohne').  Und  in  diesem  Worte  lehrt  er,  dass  erst 
wenn  es  zwei  oder  drei  sind,  alsdann  Christus  bei  ihnen  sei.  Und 
ich  will  dir  zeigen,  dass  zuweilen  statt  zwei  oder  drei  mehr  als 
Tausend  versammelt  sind  in  dem  Namen  Christi,  und  Christus  nicht 
bei  ihnen  ist,  und  (zuweilen)  ein  Mensch  allein  ist,  und  Christus 
bei  ihm  ist.  Dies  Wort,  das  unser  Erlöser  spricht,  ist  schön 
und  angenehm  denen,  welche  es  verstehen, 

8  (5.  Er  sagt  nämlich  •') :  Wo  zwei  oder  drei  versammelt  sind  in 


1)  Jes.  1,  15.  —  2)  Ezech.  8,  Ib.  —  3)  Nach  A,  welches  .^zZ  hat; 
B  hat  .-^Z  ,.daselbst".  -  4)  Matt.  IS,  20. 

5)  Die  Edit.  Roman,  und  Wright  führen  hier  die  Stellen  an  Job.  ü,  56; 
1.  Job.  3,  24;  4,  15.  Es  ist  keine  dieser  Stellen  genau  citirt.  1.  Job.  3,  24; 
4,  15  sind  in  jedem  Fall  zu  streichen,  da  Aphr.  die  katholischen  Briefe 
nicht  in  seinem  Canon  gehabt  hat. 

(j)  Matt.  18,  20;  Ephr.  Com.  165  hat  hier  das  merkwürdige  Citat: 
Ubi  unus  est  ibi  et  ego  sum  et  ubi  duo  sunt,  ibi  et  ego  ero.  Aphr.  führt 
hier  und  noch  einmal  am  Schluss  dieser  Erörterung  das  Citat  richtig  nach 
Peschito  und  Syr.  Cur.  an.  Es  ergibt  sich  hieraus  mit  gleicher  Sicher- 
heit, dass  Aphr.  den  apokryphen  Satz ,  den  wir  bei  Ephr.  finden,  nicht  in 
seinem  Text  hatte,  und  dass  Aphr.  auf  dem  Wege  einer  geistreichen  Inter- 
pretation denselben  Gedanken  erreicht,  welchen  Ephr.  als  ein  Trostwort 
Jesu  an  die  Einsamen  in  seinem  Text  gefunden  hat.  Die  auch  bei  Aphr. 
vielleicht  nicht  originelle  Interpretation  wird  zuerst  Glosse,  dann  Text 
in  dem  von  Ephr.  benutzten  Evangelientext  geworden  sein.    Zahn  S.  170. 


62  Homilie  IV. 

meinem  Namen,  da  bin  icli  mitten  unter  ihnen.  Wenn  ein  Mensch 
seine  Seele  im  Namen  Christi  sammelt,  so  wohnet  Christus  in 
ihm.  Und  Gott  wohnet  in  Christus.  Nun  ist  der  Mensch  einer 
von  Dreien:  Er  selbst  und  Christus,  der  in  ihm  wohnt,  und  Grott, 
der  in  Christus  ist,  wie  unser  Herr  sagt  \) :  Ich  bin  in  meinem 
Vater,  und  mein  Vater  ist  in  mir.  Und  er  sagt-):  Ich  und 
mein  Vater,  wir  sind  eins.  Und  wiederum  sagt  er  3):  ihr  seid  in 
mir  und  ich  in  euch.  Wiederum  sagt  er  in  dem  Propheten  *) : 
ich  will  in  ihnen  wohnen  und  in  ihnen  wandeln.  In  diesem 
Sinn  kannst  du  dieses  Wort  verstehen,  das  unser  Erlöser  ge- 
sagt hat.  Ich  aber  will  es  dir  zeigen,  dass  in  jedem  unserer 
gerechten  Väter,  welche  beteten,  Gott  war.  Denn  da  Mose  auf 
dem  Berge  betete,  war  er  allein,  und  Gott  war  mit  ihm;  vmd 
nicht  wurde  er,  weil  er  allein  war,  nicht  erhört.  Sondern  in 
reichem  Masse  wurde  das  Gebet  Moses  erhört  und  besänftigte 
den  Zorn  seines  Gottes. 

Auch  Elias  war  auf  dem  Berg  Karmel  allein  und  sein  Ge- 
bet bewies  wunderbare  Kräfte;  denn  durch  sein  Gebet  wurde 
der  Himmel  verschlossen,  und  wiederum  durch  sein  Gebet 
wurden  seine  Fesseln  gelöst,  und  sein  Gebet  riss  aus  den  Händen 
des  Todes  und  befi-eite  aus  der  Hölle.  Und  sein  Gebet  wiederum 
tilgte  alle  Unreinigkeit  ^)  aus  Israel;  und  sein  Gebet  brachte  Feuer 
herab  dreimal;  einmal  auf  den  Altar  und  zweimal  auf  die 
Fürsten.  Und  das  Feuer  nahm  Rache  für  ihn,  das  durch  sein 
Gebet  herabkam.  Und  er  lag  auf  seinen  Knieen  und  betete  und 
wurde  sofort  erhört;  und  450,  welche  mit  lauter  Stimme  schrieen^ 
wurden  nicht  erhört,  weil  sie  im  Namen  Baals  anriefen.  Und  Elias, 
trotzdem  er  allein  war,  wurde  in  reichem  Masse  erhört.  Auch 
der  Prophet  Jona,  da  er  aus  der  untersten  Tiefe  betete,  wurde  er- 
hört; trotzdem  er  allein  war.  wurde  er  sofort  vernommen  und 
erhört.  Und  auch  Elisa  betete  und  brachte  (Verstorbene)  aus 
der  Tiefe  zurück  und  wurde  befreit  aus  den  Händen  der  Bösen, 
die  ihn  umgaben.  Und  obgleich  er  dem  Anschein  nach  allein 
war,  so  war  er  doch  von  einem  grossen  Heere  umgeben.  Denn 
er  sprach  zu  seinem  Schüler '') :  Es  sind  ihrer  mehr,  die  mit  uns 
sind,  als  derer,  die  mit  ihnen  sind.    Und  obgleich  sie  allein  waren, 


1)  Job.  14,  10.  11.  —  2)  Job.  10,  30.  —  3)  Job.  14,  20.  —  4)  2.  Cor. 
6,16;  Ezecb.  43,  9.  —  5)  „Greuel  der  Abgötterei" :  Bickell.  —  6)  2.  Köm.  6,  1 6. 


Die  Unterweisung  vom  Gebet.  (53 

waren  sie  doch  nicht  allein.  Durch  das,  was  ich  dir  gezeigt 
habe,  kannst  du  verstehen  das  Wort  unseres  Herrn,  welcher 
spricht:  Wo  zwei  oder  drei  versammelt  sind  in  meinem  Xamen^ 
da  bin  ich  mitten  unter  ihnen. 

§  7.  Wie  ich  dich  oben  belehrt  habe:  Wann  du  nämlich 
betest,  so  erhebe  dein  Herz  nach  oben,  und  deine  Augen  senke 
nach  unten,  mid  gehe  hinein  in  das  Innere  deines  Menschen  und 
bete  im  Verborgenen  zu  deinem  Vater  im  Himmel.  Das  Alle.s 
habe  ich  dir  geschrieben  über  die  Sache  des  Gebets,  nämlich 
dass  das  reine  Gebet  erhört  wird,  und  dass  das  nicht  reine  Ge- 
bet nicht  erhöi-t  wird,  weil  es  unter  uns  Leute  gibt,  welche  viel 
beten  und  lang  bitten  und  sich  beugen,  und  ihre  Hände  aus- 
breiten,  und  die  Thaten  des  Gebets  sind  fern  von  ihnen.  Sie 
beten  nämlich  das  Gebet  unseres  Erlösers,  das  er  gelehrt  hat'): 
Vergib  uns  unsere  Schulden,  wie  auch  wir-  vergeben  unseren 
Schuldigern.  0  du,  der  du  betest,  bedenke,  dass  du  vor  Gott 
dein  Opfer  darbringst:  scheust  du  dich  nicht,  deine  Gebete  als  ein 
Opfer  darzubringen,  an  welchem  ein  Flecken  ist?  Du  bittest,  dass 
dir  vergeben  werde;  und  du  versprichst,  dass  du  vergeben  wollest. 
Bedenke  zuvor  in  deiner  Seele,  ob  du  vergeben  habest,  und  als- 
dann versprich:  ich  will  vergeben.  Du  wirst  aber  Gott  nicht 
täuschen  und  sprechen:  ich  will  vergeben,  da  du  doch  nicht  ver- 
gibst. Denn  Gott  ist  nicht  ein  Mensch  wie  du,  den  du  täuschen 
könntest.  Wenn  ein  Mann  gegen  einen  anderen  sündigt,  so  mag 
er  den  Herrn  bitten,  wenn  aber  ein  Mensch  gegen  Gott  sündigt, 
wen  soll  man  dann  bitten?  Verurtheile  dich  aber  nicht  selbst 
durch  dein  Gebet.  Höre  weiter,  was  unser  Herr  sagt  '^] :  Wenn 
du  eine  Gabe  opferst  und  erinnerst  dich,  dass  du  in  einer  Feind- 
schaft gegen  deinen  Bruder  befangen  bist,  so  lasse  deine  Gabe 
vor  dem  Altar  und  gehe  und  versöhne  dich  mit  deinem  Bruder, 
und  alsdann  komme  und  opfere  deine  Gabe,  damit  du  nicht,  wenn 
du  betest,  dich  erinnerst,  dass  du  in  einer  Feindschaft  befangen 
bist.  Bedenke  also  in  deiner  Seele,  dass  dein  Gebet  vor  dem 
Altar  bleibt,  und  der  die  Gebete  darbringt  3),  es  nicht  von  der 
Erde  hinauftragen  will,  weil  dein  Opfer  durch  Flecken  beschmutzt 
ist.     Wenn  es  rein  ist,  wird  er  es  vor  Gott  bringen.     Wenn  sich 


1)  Matt.  6,  12    —  2)  Matt.  5,  28.  24.  —  3)  Nämlich  der  Engel  Gabriel. 
Vgl.  hom.  IV  §  .5. 


Q4  Homilie  IV. 

aber  in  deinem  Gebete  findet:   Vergib  mir,  so  will  aucli  ich  ver- 
geben, so  wird  also  zu  dem,  der  da  betet,  gesprochen  von  dem, 
der  die  Gebete   hinaufbringt:   Zuerst  vergib  deinem  Schuldiger, 
alsdann  werde  ich   auch  deine  Schuld  vor  den  Herrn    bringen. 
Erlasse  du  die  100  Groschen  nach  deiner  Armuth,    so  wird  der 
Herr  dir  deine  Schuld  von  vielen  Talenten  erlassen  nach  seinem 
Iveichthum,    und  wird  dir  nicht  anrechnen  Kapital  noch  Zinsen. 
Wenn  du  das  willst  und  vergibst,   alsdann  wird  er,  welcher  die 
Gebete  darbringt,  deine  Gabe  auf  heben  und  mit  sich  hinaufnehmen. 
Wenn  du  aber  nicht  vergibst,  so  spricht  er  also  zu  dir :   ich  bringe 
ein  unreines  Opfer  vor  den  Thron  der  Heiligkeit  nicht,  sondern 
siehe,  gehe    du   selbst  hin,    damit   du    dem  Herrn  Rechenschaft 
gebest  über  deine  Schuld;  auch  dein  Opfer  bringe  du  ihm  selbst; 
und  er   lässt   deine  Gabe  und  geht ').     Höre  aber  auf  den  Pro- 
pheten.    Was  sagt  er?  —  Verflucht  sei,  wer  unter  seiner  Beute 
ein  gutes  männliches  Thier  hat  und  opfert  als  ein  Gelübde  dem 
Herrn  ein  krankes.    Denn  er  spricht'^):  Bringe  es  deinem  Fürsten, 
ob   er  an  dir  Wohlgefallen  finde,  o  Heuchler.  —  Nun  also  ge- 
bühret es  dir,  dass  du  deinem  Schuldiger  vor  deinem  Gebet  ver- 
gibst,  und  alsdann  bete,    und  wenn  du  betest,  wird  dein  Gebet 
in  die   H()he   steigen    vor   Gott   und   wird   nicht  zurückgelassen 
Averden. 

§  8.  Denn  er  spricht  im  Propheten-^):  Das  ist  meine  Ruhe, 
dass  ihr  ercj^uicket  die  Müden.  So  bereite  denn  Gott  diese  Ruhe, 
o  Mensch,  und  du  hast  nicht  nöthig  zu  bitten:  Vergib  mir.  Er- 
quicke die  Müden,  pflege  die  Kranken  und  speise  die  Armen: 
Das  ist  ein  Gebet.  Ich  will  dir  zeigen,  mein  Lieber,  dass  so  oft 
jemand  Gott  diese  Ruhe  bereitet,  dies  für  ihn  ein  Gebet  ist.  Denn 
es  steht  also  geschrieben^):  Da  Sirari  hurete  mit  der  Midianitin, 
sah  ihn  Pinehas,  der  Sohn  des  Elieser,  und  ging  in  das  Hurengemach 
und  tödtete  sie  alle  beide;  und  dass  er  sie  tödtete,  das  wurde  ihm 
zum  Gebet  angerechnet;  denn  also  sagt  David  über  ihn  ^):  Pinehas 
stand  auf  und  betete,  und  das  ward  ihm  zur  Unschuld  angerechnet 
auf  alle  Geschlechter  und  bis  in  Ewigkeit.  Dass  er  also  jene 
um  seines  Gottes  willen  tödtete,  wurde  ihm  als  Gebet  angerechnet. 
Siehe  zu,  mein  Lieber,  wenn  sich  dir  Gelegenheit  bietet,  ein  Gott 


1)  Maleach.  ]  ,  14.  —  2)  Maleach.    1,8.  —  3)  Jesaia  28,  12.  —  4)  4. 
Mos.  25,  6tf.  —  5)  Ps.   106,  3ü.  iJl. 


Die  Unterweisung  vom  Gebet.  ß5 

wolilgefälliges  Werk  zu  tliun,  dass  du  iiicht  sprechest:  Die 
Zeit  des  Gebets  kommt  herbei,  ich  will  beten,  und  alsdann  es 
thun.  Ehe  dein  Gebet  noch  vollendet  ist,  könnte  dir  die  Gelegen- 
heit, das  Gott  wohlgefällige  Werk  zu  thun,  entgehen  und  du 
würdest  ausgeschlossen  von  der  Ruhe  und  dem  Wohlgefallen 
Gottes,  und  du  würdest  durch  dein  Gebet  dir  eine  Sünde  zu  Schulden 
kommen  lassen;  sondern  thue  das  Gott  wohlgefällige  Werk  und 
das  gilt  dir  als  Gebet.  Höre  aber  das  Wort,  das  der  Apostel 
spricht '):  Wenn  wir  uns  selbst  richten  würden,  so  würden  wir 
nicht  gerichtet  werden.  Richte  in  deiner  Seele,  was  ich  dir  sage: 
Wenn  es  dich  trifft,  dass  du  einen  weiten  Weg  gehest,  und  es 
befällt  dich  Durst  in  der  Hitze,  und  du  kommst  zu  einem  der 
Brüder  und  sprichst  zu  ihm,  erquicke  mich  in  der  Qual  des 
Durstes,  und  er  spricht  zu  dir:  Die  Zeit  des  Gebets  ist  da,  ich 
will  beten  und  alsdann  will  ich  zu  dir  kommen,  und  bis  er  ge- 
betet hat  und  zu  dir  kommt,  stirbst  du  vor  Durst  —  Welches 
scheint  dir  richtiger,  dass  er  hingehet  und  betet,  oder  dass  er  dich 
in  der  Qual  erquickt?  Und  wenn  du  wiederum  auf  der  Strasse 
wanderst  zur  Winterzeit,  und  es  kommt  über  dich  Schnee  und 
Regen,  und  du  bist  von  Kälte  gequält,  und  du  kommst  wieder  zur 
Zeit  des  Gebets  zu  deinem  Freunde,  und  er  gibt  dir  dieselbe 
Antwort,  und  du  stirbst  vor  Kälte;  was  wird  er  für  Lohn  seines 
Gebets  haben,  er,  der  den  Geplagten  nicht  erquickt?  Denn  un- 
ser Herr,  der  uns  lehrt  von  der  Zeit  des  Gerichts,  und  da  er  sie 
scheidet  und  stellt  zu  seiner  Rechten  und  zu  seiner  Linken,  spricht 
also  zu  denen  zu  seiner  Rechten-):  Ich  bin  hungrig  gewesen, 
und  ihr  habt  mir  zu  essen  gegeben;  ich  bin  durstig  gewesen,  und 
ihr  habt  mich  getränket;  und  ich  bin  krank  gewesen,  und  ihr  habt 
mich  versorgt;  ich  bin  ein  Fremdling  gewesen,  und  ihr  habt  mich 
aufgenommen.  Geradeso  spricht  er  zu  denen  zu  seiner  Linken; 
und  weil  sie  das  nicht  gethan  haben,  sendet  er  sie  in  die  Qual, 
und  die  Kinder  der  Rechten  sendet  er  in  das  Reich.  Das  Gebet 
ist  schön  und  seine  Werke  angenehm,  und  das  Gebet  wird  ange- 
nommen, wenn  Friede'')  in  demselben  ist,  und  das  Gebet  wird 
erhört,  wenn  Vergebung"*)  in  demselben  gefunden  wird;   und  das 

1)  1.  Cor.  n,  31.  —  2)  Matt.  25,  35.  —  3)  Nach  dem  Vorausgehenden 
heisst  das  hier:  Wenn  die  Gott  wohlgefälligen  Werke  dabei  sind.  Bickell: 
Wenn  es  mit  guten  Werken  verbunden  ist.  —  4)  d.  h.  wenn  man  dabei 
seinem  Nächsten  vergibt. 

Texte  und  Untersuchungen  IIJ,  ;!.  4.  5 


66  Homilie  IV. 

Gebet  ist  angenehm,  wenn  es  rein  ist  von  aller  Sclialkheit,  und 
das  Gebet  ist  kräftig,  wenn  es  von  der  Kraft  Gottes  erfüllt  ist. 
§  9.     Was   ich  dir  geschrieben  habe,  mein  Lieber,  dass  ein 
Mensch  den  Willen  Gottes  thun  soll,  und  dass  dieses  ein  Gebet 
sei,  das  scheint  mir  gut  zu  sein;    und  wegen  dessen,  das  ich  dir 
gesagt  habe,  lass  nicht  ab  vom  Gebet,  sondern  sei  um  so  eifriger 
zum  Gebet  und  Averde  nicht  müde:  wie  geschrieben  steht '):  Unser 
Herr  sprach:  Betet  und  werdet  nicht  müde.     Und  in  der  Wach- 
samkeit sei  fleissig.  halte  von  dir  fern  den  Schlaf  und  die  Träg- 
heit,   und  sei   wachsam  Tag  und  Nacht  und  werde   nicht  müde. 
Ich   will   dir    aber  die  Zeiten  des  Gebets  zeigen.     Es  gibt  Bitt-, 
Dank-  und  Lobgebet.     Bittgebet,   wenn  man  Gnade  erbittet  für 
seine  Sünde;  Dankgebet,  wenn  du  dankest  deinem  Vater  im  Him- 
mel, und  Lobgebet,  wenn  du  ihn  lobest  über  seine  Werke.     Wann 
du  Mühsal  hast,  so  bringe  Bitte  dar;   und  wann  dir  seine  Güter 
mitgetheilt  werden,  so  danke  dem  Geber.     Und  wann  deine  Seele 
sich  freut,  so  bringe  ihm  Preis  dar.     Und  alle  diese  Gebete  bete 
vor  Gott  mit  Unterscheidung;   und  siehe,  wie  auch  David  allezeit 
also  gesprochen  hat"-):  Ich  stehe  auf  und  will  dich  preisen  über 
deine  gerechten  Gerichte.     Auch  in  einem  anderen  Psalm  spricht 
er  3):    Preiset  den  Herrn  vom  Himmel,  preiset  ihn  in  der  Höhe. 
Wiederum   spricht  er^j:   Ich   will  den  Herrn  loben  allezeit,  und 
allezeit  sei    sein  Lob   in    meinem  Munde.     Und   er   betete  nicht 
in  Einer  Weise,  sondern  mit  Unterscheidung  ^i.     LTnd   ich,  mein 
Lieber,  bin  mir  darin  gewiss,  dass  Alles,  Avas  die  Menschen  bit- 
ten  mit  Fleiss,   Gott  ihnen  gibt.    Wer  aber  mit  Heuchelei  sein 
Gebet  darbringt,  an  dem  hat  er  kein  Gefallen.    Wie  geschrieben 
steht ''):   Erst   muss  der  Betende,  der  sein  Gebet. darbringt,  seine 
Gabe  wohl  untersuchen,  ob  an  ihr  kein  Flecken  gefunden  werde,  und 
alsdann  soll  er  es  darbringen,  dass  sein  Opfer  nicht  auf  der  Erde 
bleibe.     Und  was  ist  das  Opfer   anders    als   das  Gebet,  wie  ich 
dir  oben  geschrieben  habe?  Denn  David  sagt^):  Opfere  dem  Herrn 
Dank  und  bezahle  dem  Höchsten  deine  Gelübde,  denn  imter  allen 
Opfern  ist  das  reine  Gebet  das  beste.  —  Nun  sei  fleissig,  mein 
Lieber,  zum  Gebet,  das  für  dich  mit  Gott  redet,  wie  geschrieben 
steht  im  Propheten  Jesaia,  da  er  den  Kindern  Israel  ihre  Sünde 

1)  Luc.  18,  1.  —  2)  Ps.  57,  8.  9?  —  3)  Ps.  148,  1.  —  4)  Ps.  34,  1.  — 
5)  d.  h,  in  verschiedener  Weise  je  nach  den  Umständen.  —  6)  Ed.  Rom. 
bemerkt  hierzu  Matt.  5,  23.  24;   Wright  Ps.  5,  4(?).  —  7)  Ps.  50,  14. 


Die  Unterweisung  vom  Gebet.  67 

vorhielt  und  sie  Fürsten  Sodoms  nannte,  statt  Kinder,  die  er  auf- 
gezogen und  erliöht  hatte,  weil  sie  ihre  Ehre  in  Schande  ver- 
wandelten. Oben  hatte  Jesaia  von  ihnen  gesagt  i):  Ich  habe  Kinder 
aufgezogen  und  erhöht,  und  unten  nennt  er  sie  Fürsten  von  Sodom 
und  Volk  von  Gomorrha.  Und  da  sie  nicht  hörten  auf  die  Stimme 
des  Propheten,  der  ihnen  sagte,  dass  ihr  Land  verwüstet  würde, 
und  ihre  Städte  mit  Feuer  verbrannt  würden,  und  sie  Fürsten 
Sodoms  nannte  und  Volk  von  Gomorrha,  da  nahmen  sie  und 
brachten  ihre  Opfer,  dass  sie  mit  Gott  versöhnt  würden.  Und 
ihre  Opfer  wurden  nicht  angenommen,  weil  ihrer  Sünde  viel 
war,  wie  die  des  Hauses  des  Priesters  Eli.  Denn  Er  sagt  in  der 
Schrift  2):  Die  Sünde  des  Hauses  Eli  soll  nicht  versöhnt  werden 
durch  ihre  Opfer  und  Speiseopfer.  Und  auch  den  Kindern  Israel 
wurde  dieselbe  Antwort.  Denn  Jesaia  spricht  zu  ihnen  3):  Was  soll 
mir  die  Menge  eurer  Opfer,  spricht  der  Herr;  ich  habe  satt  die 
Opfer  der  Widder  und  das  Fett  der  Opferthiere,  und  das  Blut  der 
Stiere  und  Böcke  mag  ich  nicht.  Wer  fordert  solches  von  euren 
Händen?  Und  sie  sprachen  zu  ihm:  Warum  hast  du  das  gefordert, 
und  warum  werden  unsere  Opfer  (nun  doch)  nicht  angenommen? 
Sprach  zu  ihnen  der  Prophet*):  Weil  eure  Hände  voll  Bluts  sind. 
Sprachen  sie  zu  ihm:  Welche  Sühne  gibt  es  für  uns?  Er  sprach 
zu  ihnen:  Waschet  und  reinigt  euch  und  entfernt  die  Bosheit  eurer 
Werke  aus  meinen  Augen.  Lasset  ab  von  dem  Bösen  und  lernet 
Gutes  thun.  Suchet  Gerechtigkeit  und  thuet  Gutes  den  Unter- 
drückten, schaffet  Recht  den  Waisen  und  schaffet  Recht  den 
Wittwen.  Und  sie  sprachen  zu  dem  Propheten:  Wenn  wir  das 
thun,  was  wird  uns  dann  werden?  Er  sprach  zu  ihnen:  So 
spricht  der  Herr:  Wenn  ihr  das  thut,  dann  kommt,  wir  wollen 
mit  einander  reden.  Und  wie  reden  die  Menschen  mit  Gott 
anders  als  im  Gebet,  in  welchem  kein  Flecken  ist.  Und  das- 
jenige, in  welchem  ein  Flecken  ist,  redet  nicht  mit  Gott.  Wie 
geschrieben  steht,  da  er  spricht  in  dem  Wort:  Wenn  ihr  auch 
viel  betet,  will  ich  es  doch  nicht  hören,  weil  eure  Hände  voll 
Blut  sind.  Und  er  spricht  dann  zu  ihnen:  Wenn  ihr  euch  waschet, 
wollen  wir  zusammen  reden;  wenn  eure  Sünden  wie  Scharlach 
sind,  will  ich  sie  weiss  machen  wie  Schnee,  und  wenn  sie  roth 
sind  wie  Rosinfarbe,    sollen   sie  wie  Wolle  werden.     Und  wenn 


1)  Jes.  1,  2.  —  2)  1.  Sam.  3,  14.    —  3)  Jes.  1 ,  12.   —  4)  Jes.  1,  15  ft". 


68  Homilie  IV. 

ihr  gehorchet  und  höret  auf  mich,  so  sollt  ihr  das  Gut  des  Landes 
verzehren.  Und  wenn  ihr  nicht  gehorchet  und  widerspenstig 
seid,  so  werdet  ihr  durchs  Schwert  umkommen.  Der  Mund  des 
HeiTn  spricht  es.  —  0  herrliche  Geheimnisse,  die  Jesaia  zuvor 
gesehen  hat!  Denn  er  spricht  zu  ihnen,  eure  Hände  sind  voll 
Blut.  Was  ist  das  Blut,  dass  Jesaia  zuvor  gesehen  hat,  anders 
als  das  Blut  Christi,  das  sie  brachten  auf  sich  und  ihre  Kinder? 
Und  das  Blut  der  Propheten,  die  sie  getödtet  haben  ?  Dieses  Blut 
ist  roth  wie  Scharlach  und  Rosinfarbe,  und  es  beschmutzt  sie,  und 
sie  können  nicht  anders  gereinigt  werden,  als  wenn  sie  sich  waschen 
im  Wasser  der  Taufe  und  empfangen  Leib  und  Blut  Christi.  Das 
Blut  wird  durch  das  Blut  gesühnt,  und  der  Leib  wird  durch  den 
Leib  gereinigt,  und  die  Sünden  werden  durch  das  Wasser  abge- 
waschen. Und  (alsdann)  redet  das  Gebet  mit  der  Majestät.  Siehe, 
mein  Lieber,  wie  die  Opfer  und  Speiseopfer  verworfen  sind,  und  an 
ihrer  Statt  das  Gebet  erwählt  ist.  Nun  liebe  das  reine  Gebet 
und  sei  fleissig  in  der  Bitte,  und  als  erstes  unter  allen  Gebeten 
bete  das  Gebet  des  Herren  und  sei  fleissig  in  Allem,  was  ich 
dir  geschrieben  habe.  Und  so  oft  du  betest,  gedenke  deines 
Freundes. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisunor  vom  Gebete. 


Die  Unterweisniig  von  den  Krieg*en'j. 

Diese  Betrachtung  kam  über  mich  zu  dieser  Zeit  über  die 
Bewegung,  die  geschehen  soll  zu  dieser  Zeit,  und  über  das  Heer, 
das  sich  versammelt  zur  Schlacht.   Die  Zeiten  aber  sind  zuvor- 


1)  Diese  Homilie  j-^'j-ß?  j^^-a^»^,  demonstratio  de  bellis,  glaubt  Anto- 
nelli  (Assemani  Biblioth.  Orient.  I,  S.  557)  allegorisch  auslegen  und  auf 
den  Kampf  der  guten  und  bösen  Mächte  im  Menschen  und  unter  den 
Menschen  beziehen  zu  müssen.  Dagegen  bemerkt  schon  Sasse  (Pi-olegom. 
in  Aphr.  sap.  Pers.  serm.  hom.  S.  11)  mit  Recht:  ^Aphraates  handelt  von 
dem  Krieg  Sapurs  II.  gegen  die  Römer".  Er  wolle,  um  seinen  Freund 
zu  trösten,  beweisen,  dass  Sapur  besiegt  werde.  Dagegen  können  wir 
der  weiteren  Bemerkung  Sasse's  nicht  zustimmen:  Um  die  freundschaft- 
liche Gesinnung  gegen  die  Römer,  die  schon  oft  Ursache  zur  Verfolgung 
der  persischen  Chi-isten  war,  nicht  offen  auszusprechen  und  dadurch  neue 
Gefahren  herauf  zu  beschwören,  nenne  er  weder  Sapur  noch  die  Römer 
mit  Namen,  sondern  stelle,  seine  Darlegungen  in  die  dunklen  Worte  des 
Propheten  Daniel  verhüllend,  Sapur  unter  dem  Bild  des  Widders  (Dan. 
8,  3)  die  Römer  unter  dem  Bild  des  4.  Thieres  der  Danielischen  Vision  dar. 

Die  Darstellung  seiner  Gedanken  in  der  Danielischen  Vision  hat  Aphr. 
doch  wohl  nicht  gewählt,  um  den  Sinn  seiner  Worte  zu  verhüllen.  Da  die 
vorliegende  Homilie  in  Form  eines  Briefes  abgefasst,  zunächst  nur  an 
einen  Einzelnen  gerichtet  und  für  einen  kleinen,  ausschliesslich  christ- 
lichen Leserkreis  bestimmt  ist,  ist  eine  solche  Absicht  bei  dem  Verfasser 
doch  nicht  wahrscheinlich,  das  hierzu  gewählte  Mittel  nicht  geeignet. 
Die  Weissagung  Daniels  ist  für  Aphraates  vielmehr  der  Beweis  dafür, 
dass  Sapur  in  dem  begonnenen  Kampfe  unterliegen  werde.  Aphraates 
sieht  in  den  bevorstehenden  kriegerischen  Ereignissen  die  Erfüllung  von 
Dan.  7  u.  8.  Aphraates  gibt  selbst  als  seine  Absicht  an,  zu  zeigen,  dass 
,die  Zeiten  zuvorbestimmt  sind  von  Gott"  (§  1  am  Anfang),  dass  ,die 
Zeiten  vorherbestimmt  sind  und  die  Zeit  ihrer  Erfüllung  kommt  ({?  1 
Schluss)".  Unsere  Homilie  ist  übrigens  ein  deutliches  Zeugniss  dafür, 
wie  die  Christen  Persiens  mit  ihren  Sympathien  ganz  auf  der  Seite  Roms 
standen.  Schon  Noeldeke  (Tabari  S.  501)  weist  darauf  hin.  Aphraates 
bezeichnet  hier  in  nicht  misszuverstehender  Weise   das  persische  Reich 


70  Homilie  V. 

bestimmt  von  Gott.  Die  Zeiten  des  Friedens  erfüllen  sich  in  den 
Tagen  der  Guten  und  Gerechten;  und  die  Zeiten,  in  denen  viel 
böse  Dinge  geschehen,  erfüllen  sich  in  den  Tagen  der  Bösen 
und  Gottlosen.  Denn  es  steht  also  geschrieben  '):  das  Gute  ist 
bestimmt  zu  kommen  und  wohl  dem,  durch  den  es  kommt; 
und  das  Böse  ist  bestimmt  zu  kommen,  aber  wehe  dem,  durch 
den  es  kommt.  Das  Gute  kommt  für  das  Volk  Gottes,  und  wohl 
dem,  durch  den  das  gehoifte  Gute  kommt.  Und  das  Böse  wird  er- 
weckt über  das  versammelte  Heer  durch  den  Bösen  und  Ueber- 


als  ein  durchaus  frevelhaftes,  das  römische  als  das  christliche,  von  Gott 
geliebte,  das  auch  den  Angiiffen  des  gottlosen  Perserkönigs  widerstehen 
weide,  so  gefährlich  dieselben  erschienen. 

Das  Trachten  Sapurs  II.  (309  —  379)  war  besonders  darauf  gerichtet, 
Mesopotamien  den  Römern  zu  entziehen,  wozu  ihm  durch  Constantins  des 
Grossen  Tod  (22.  Mai  337)  eine  Gelegenheit  geboten  schien.  Die  bei  dieser 
Gelegenheit  unternommenen  Kriegsrüstungen  können  wir  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit als  den  Anlass  zur  Abfassung  dieser  unserer  Homilie  an- 
sehen. Es  gibt  uns  dies  zugleich  einen  Anhalt  zur  Bestimmung  der  Ab- 
fassungszeit unserer  Homilie.  Es  sind  die  Sommermonate  (.luni — Juli) 
337.  Vgl.  S.  74  Anm.  2  zu  dieser  Homilie.  Die  kriegerischen  Unter- 
nehmungen Sapurs  waren  hauptsächlich  auf  die  Einnahme  der  römischen 
Festung  Nisibis  gerichtet.  An  dem  Besitz  dieser  Festung  hing  die  Herr- 
schaft über  ganz  Mesopotamien.  Zweimal  widerstand  Nisibis  seinem  An- 
stürmen, sodass  er  347  einen  Waffenstillstand  schliessen  musste.  Im  fol- 
genden Jahre  aber  eroberte  er  Singara,  und  350  erschien  er  mit  einem 
grossen  Heer  vor  Nisibis,  welches  eine  4 monatliche  Belagerung  auszu- 
halten hatte.  Trotz  der  Eröffnung  einer  Bresche  mit  Hilfe  des  aufgestauten 
Wassers  des  Mygdonius  und  wiederholter  Sturmläufe  mit  Reitern  und 
Elephanten  mussten  die  Perser  unverrichteter  Sache  abziehen.  Erst  nach 
dem  für  die  Römer  glücklichen,  aber  mit  dem  Tode  des  Kaisers  endigen- 
den Feldzug  Julians  Apost.,  wurde  des  letzteren  Nachfolger,  Jovian.  von 
Sapur  zu  einem  schimpflichen  Frieden  genöthigt,  in  welchem  Mesopota- 
mien mit  dem  unbezwungenen  Nisibis  und  Armenien  den  Persern  ausge- 
liefert wurden.  Vgl.  Justi,  Geschichte  der  Oriental.  Völker  im  Alterthum, 
Berlin  1884,  S.  465. 

Die  freundliche  Gesinnung  der  Christen  für  die  Römer,  die  doch  nicht 
verborgen  bleiben  konnte,  sowie  die  trotzige  Auflehnung  des  Bischofs  der 
Hauptstadt  gegen  die  königliche  Autorität  (Mart.  I.  17)  musste  nothwendig 
zu  Conflicten  mit  der  weltlichen  Macht  und  zu  Verfolgungen  führen. 

(Dass  Sapur  H.  bei  seiner  zweimaligen  Christenverfolgung  die  Nestu- 
rianer  verschont  habe,  hätte  man  geglaubt,  ohne  dass  es  uns  Justi  allen 
Ernstes  versichert  hätte  [S.  466]  [Nestorius  428]). 

1)  Vgl.  Matth.  18,  7. 


Die  Unterweisung  von  den  Kriegen.  71 

mütliigen,  der  sich  brüstet,  und  das  Wehe  bleibt  auch  über  dem, 
durch  dessen  Hände  das  Böse  erweckt  wird.  Du  aber  sollst  den 
Bösen,  der  das  Böse  über  Viele  bringt,  nicht  anklagen ;  denn  die 
Zeiten  sind  vorherbestimmt  und  die  Zeit  ihrer  Erfüllung  kommt. 
Weil  nun  böse  Zeit  ist,  so  höre,  was  ich  dir  im  Geheimniss 
schreiben  will. 

§  2.  Es  steht  nämlich  also  geschrieben  ^) :  Was  unter  den 
Menschen  gross  ist,  das  ist  vor  Gott  verachtet.  Und  wiederum  steht 
geschrieben'^):  Jeder,  der  sich  erhöht,  wird  erniedrigt  werden, 
und  jeder,  der  sich  erniedrigt,  wird  erhöht  werden.  Auch  Jeremia 
sagt  2):  der  Starke  rühme  sich  nicht  seiner  Stärke,  auch  der  Reiche 
nicht  seines  Reichthums.  Und  der  selige  Apostel  sagt  wiederum  ^) : 
Wer  sich  rühmt,  der  rühme  sich  des  Herrn.  Und  David  sagt '") : 
Ich  sah  den  Gottlosen,  der  sich  erhöhte  und  sich  erhob  wie  die 
Ceder  des  Libanons,  und  da  ich  vorüber  ging,  war  er  nicht  mehr 
da,  und  ich  fragte  nach  ihm  und  fand  ihn  nicht  Jeder,  der  sich 
rühmte,  wurde  gedemüthigt. 

§  3.  Es  rühmte  sich  Kain  über  seineu  Bruder  Abel  und  tödtete 
ihn,  und  er  ward  verflucht  und  war  unstät  und  flüchtig  auf  Erden. 
Wiederum  rühmten  sich  die  Sodomiter  gegen  Lot,  und  es  fiel 
auf  sie  Feuer  vom  Himmel  und  verbrannte  sie,  und  es  wurde  ihnen 
ihre  Stadt  zerstört.  Und  es  rühmte  sich  Esau  über  Jakob  und 
verfolgte  ihn;  und  Jakob  empfing  seinen  Segen  und  den  Segen 
Esaus.  Und  es  rühmten  sich  die  Söhne  Jakobs  über  Joseph,  und 
sie  fielen  nieder  und  beteten  ihn  an  in  Aegypten.  Und  es  rühmte 
sich  Pharao  über  Mose  und  sein  Volk,  und  Pharao  wurde  ver- 
senkt im  Meere  sammt  seinem  Heere.  Und  es  rühmten  sich 
Dathan  und  Abiram  über  Mose,  und  sie  fuhren  lebendig  zur 
Hölle.  Und  Goliad  griff  David  an  und  fiel  vor  ihm  und  wurde 
beraubt.  Und  wiederum  verfolgte  Saul  den  David  und  fiel  durch 
das  Schwert  der  Philister.  Und  es  erhob  sich  über  ihn  Absalom, 
und  es  tödtete  ihn  Joab  in  der  Schlacht.  Es  rühmte  sich  wiede- 
um  Barhadad  über  Ahab,  und  er  wurde  in  die  Hände  Israels 
gegeben.  Und  es  lästerte  Sanherib  über  Hiskia  und  seinen  Gott, 
und  sein  Heer  ward  zu  todten  Leichnamen,  da  einer  von  den  Engeln 
ausging  und  schlug  in  seinem  Lager  1 80  000  Mann ,  auf  das  Gebet 

1)  l'rov.   lö,  5.  —  2)  Luc.  14,  11.   —  3)  Jereiu.   9,  23.  -    4)  2.  Cor. 
10,   17.  —  5)  Ps.  ?,-,  85.  36. 


72  flomilie  V. 

des  Hiskia  iiud  auf  das  Gebet  des  Jesaia,  des  Gepriesensten  unter 
den  Propheten.  Und  es  erhob  sichAhab  über  Micha,  und  er  stieg 
hinauf  nach  Ramoth  in  Gilead  und  fiel  daselbst.  Und  es  rühmte 
sich  Isebel  über  Elias,  und  es  frassen  sie  die  Hunde  auf  dem  Erb- 
gut von  Jesreel.  Und  es  rühmte  sich  Haman  über  Murdokai,  und 
seine  Sünde  wendete  sich  auf  sein  Haupt.  Und  es  rühmten  sich 
die  ßabylonier  über  Daniel  und  warfen  ihn  in  die  Löwengrube, 
und  Daniel  stieg  herauf  unversehrt,  und  sie  fielen  statt  seiner  in  die 
Grube.  Wiederum  rühmten  sich  die  Babylonier  und  verklagten 
Chanania  und  seine  Genossen,  und  sie  fielen  in  den  Feuerofen  und 
sie  stiegen  heraus,  und  die  Flamme  verzehrte  ihre  Ankläger. 

§  4.  Es  sprach  nämlich  Nebukadnezar  ^):  Ich  will  bis  zum 
Himmel  steigen  und  über  die  Sterne  Gottes  meinen  Thron 
erhöhen  und  will  wohnen  auf  den  hohen  Bergen  und  an  den 
Grenzen  des  Kordens.  Es  sprach  über  ihn  Jesaia''^):  Weil  dein 
Herz  dich  so  erhebt,  sollst  du  bis  zur  Hölle  hinabgeführt  werden, 
und  alle,  die  dich  sehen,  sollen  sich  über  dich  wundern.  Und 
auch  Sanherib  hatte  also  gesprochen^):  Ich  will  auf  die  Höhe 
der  Berge  steigen  und  auch  zu  den  Spitzen  des  Libanons;  ich 
will  graben  und  Wasser  trinken,  und  will  mit  den  Hufen  meiner 
Pferde  alle  tiefen  Flüsse  austrocknen.  Und  weil  er  sich  so  er- 
hob, sprach  wieder  über  ihn  Jesaia  ^) :  Mag  sich  auch  die  Axt 
rühmen  über  den,  der  mit  ihr  haut,  oder  ist  die  Säge  erhöht 
über  den,  der  mit  ihr  sägt?  Oder  ist  der  Stab  erhaben  über 
den,  der  ihn  erhebt?  Du,  Sanherib,  bist  nämlich  die  Axt  in  den 
Händen  dessen,  der  da  haut;  du  bist  die  Säge  in  den  Händen 
dessen,  der  da  sägt,  und  der  Stab  in  der  Hand  dessen,  der  ihn 
erhebt  zur  Züchtigung.  Du  bist  die  Ruthe  zum  Schlagen;  du  wirst 
gesandt  zu  dem  g-ottlosen  Volk,  und  wiederum  wirst  du  befohlen 
über  ein  widerspenstiges  Volk,  dass  du  gefangen  führest  und 
Beute  machest  und  machest  alle  Menschen  und  alle  Völker  wie 
den  Kehricht  der  Strassen.  Und  wenn  du  das  Alles  gethan  hast, 
warum  erhebst  du  dich  über  den,  der  dich  hält?  und  rühmst 
dich  über  den,  der  mit  dir  schlägt,  und  schmähest  die  Stadt  des 
Heiligen  und  sprichst  zu  den  Kindern  Jerusalems'):  Ob  euer 
Gott  euch  wohl  befreien  kann  aus  meinen  Händen?  Du  erkühnst 


1)  Jes.  14,  13.  —  2)  Jes.  14,  15.  16.  —  3)  2.  Kön.  19,  23.  24;   Jes.  .57, 
24.  25.  —  4)  Jes.  10,  15.  —  5)  2.  Kön.  18,  35;  Jes.  36,  20. 


Die  Unterweisung  von  den  Kriegen.  73 

dich  und  sprichst:  Wo  ist  der  Herr,  der  euch  aus  meinen  Hän- 
den befreit?  Darum  höre  die  Antwort  des  Herrn,  der  da  spricht '): 
Ich  will  zerbrechen  Asur  in  meinem  Lande  und  auf  meinen 
Bergen  will  ich  es  zertreten.  Und-'  wenn  es  zerbrochen  ist  und 
zertreten,  spottet  sein  die  jungfräuliche  Tochter  Zion  und  die 
Tochter  Jerusalem  schüttelt  ihr  Haupt  und  spricht:  Wen  hast 
du  verspottet  und  gelästert?  Und  über  wen  hast  du  deine 
Stimme  erhoben?  Du  hast  deine  Augen  in  die  Höhe  gehoben 
über  den  Heiligen  Israels  und  durch  deine  Gesandte  hast  Du 
den  Herrn  geschmähet.  Nun-')  siehe:  ein  Ring  kommt  in  deine 
Nase  und  ein  Gebiss  in  deinen  Mund,  und  du  kehrest  um  mit 
gebrochenem  Herzen,  der  du  bist  gekommen  mit  hof fährtigem 
Herzen  *).  Und  sein  Mord  geschah  durch  die  Hände  seiner 
Freunde  und  in  dem  Hause  seiner  Zuflucht  wurde  er  niederge- 
worfen und  fiel  hin  vor  seinen  Gott.  Und  es  war  auch  schön,  mein 
Lieber,  dass  dieser  eine  Gabe  und  ein  Opfer  ward  für  den  Gott, 
auf  den  er  gehofft  hatte,  und  in  dem  Hause  seiner  Anbetung  und 
sein  Leib  ein  Denkmal  seines  Götzen. 

§  5.  Wiederum  erhob  sich^)  und  stieg  empor  der  Widder  und 
stiess  gegen  Abend  und  gegen  Norden  und  gegen  Süden  und 
warf  nieder  die  vielen  Thiere.  und  es  widerstand  ihm  keins,  bis 
der  Bock  kam  von  Westen  und  stiess  den  Widder  und  zerbrach 
seine  Hörner  und  warf  den  Widder  sehr  nieder.  Der  Widder 
aber  ist  der  König  von  Medien  und  Persien ,  Darius ,  und  der 
Bock  ist  Alexander,  der  Sohn  Philipps  von  Macedonien.  Es  sah 
nämlich  Daniel  den  Widder  im  Osten;  vor  dem  Thore  von  Su- 
san, der  Burg  der  Stadt  Elam,  am  Flusse  Ulai.  L^nd  er  stiess 
gegen  Westen,  gegen  Norden  und  gegen  Süden,  und  alle  Thiere 
konnten  ihm  nicht  widerstehen.  Und  der  Ziegenbock  ging  aus  von 
der  Stadt  der  Griechen  und  erhob  sich  über  den  Widder  und 
stiess  ihn  und  zerbrach  seine  beiden  Hörner,  das  grosse  und  das 
kleine.  Warum  anders  aber  sprach  er:  Er  zerbrach  die  beiden 
Hörner,  als  weil  er  die  beiden  Königreiche  niederwarf,  die  er 
regiert  hatte,  das  kleine,  das  der  Meder,  das  grosse,  das  der 
Perser.  Als  aber  Alexander  der  Grieche  kam,  tödtete  er  den  Da- 
rius, den  König  von  Medien  und  Persien.      So    sprach    nämlich 

1)  Jes.  14,  25.  —  2)  Jes.  37,  22—24;  2.  Kün.   19,  21—23.  —  3)  2.  Kün. 
19,  28;  Jes.  37,  29.  —  4)  2.  Chron.  32,  21.  —  5)  Dan.  8,  2  tt'. 


74  Homilie  V. 

der  Engel  zu  Daniel,  da  er  ihni  das  Gesicht  auslegte  '):  Der 
Widder,  den  du  gesehen  hast,  ist  der  König  von  Medien  und 
Persien,  der  Bock  ist  der  König  der  Griechen.  Yon  der  Zeit  näm- 
lich, da  die  beiden  Hörner  des  Widders  zerbrochen  wurden,  bis 
zu  dieser  Zeit  sind  es  64S  Jahre"'^). 

§  6.  Nun  sind  die  Hörner  des  Widders  zerbrochen  und  da 
seine  Hörner  zerbrochen  sind,  siehe,  da  steigt  es  empor  und  erhebt 
sich  gegen  das  4.  Thier,  das  stark  und  mächtig  ist,  dessen  Zähne 
von  Eisen,  und  dessen  Klauen  von  Erz  sind,  und  das  da  frisst  und 
zermalmt,  und  was  übrig  ist,  mit  seinen  Füssen  zertritt,  0  Widder, 
dessen  Hörner  zerbrochen  sind,  lass  ab  von  dem  Thier  und  reize 
es  nicht,  damit  es  dich  nicht  fresse  und  zermalme.  Dem  Bock 
konnte  der  Widder  nicht  widerstehen,  wie  will  er  dem  starken 
Thiere  widerstehen,  dessen  Mund  Grosses  redet,  vmd  das  auf 
jeden,  den  es  nur  findet,  sich  stürzt,  wie  der  Löwe  auf  seine 
Heerde?  Wer  den  Löwen  angreift,  der  ist  sein  Theil,  und  wer 
das  Thier  erweckt,  den  frisst  es,  und  wer  da  kommt,  der  fällt  unter 
die  Füsse  des  Thiers,  das  ihn  zertritt.  Denn  das  Thier  wird  nicht 
getödtet,  bis  der  Alte  der  Tage  auf  seinem  Thron  sitzt^),  und  vor 
ihn  kommt  der  Menschensohn  und  ihm  die  Herrschaft  gegeben 
ist,  und  alsdann  wird  das  Thier  getödtet,  und  sein  Leib  vergeht,  und 
das  Reich  des  Meuschensohns  ist  ein  ewiges  Reich  und  seine  Herr- 
schaft ewig. 

§  7.  Lass  ab,  der  du  dich  erhebst,  rühme  dich  nicht.  Denn 
wenn  dein  Reichthum  dein  Herz  stolz  macht,  so  ist  er  nicht 
grösser  als  der  des  Hiskia,  welchem  darum,  dass  er  sich  rühmte 
vor  den  Babyloniern,  sein  Kasten  genommen  wurde  und  nach  Babel 
wanderte"*).  Und  wenn  du  dich  deiner  Söhne  rühmst,  werden  sie 
von  dir  weg  zu  dem  Thier  geführt  werden,  wie  die  Söhne  des  Königs 
Hiskia  weggeführt  wurden  und  Eunuchen  wurden  im  Palaste  des 
Königs  von  Babel.  Und  wenn  du  dich  deiner  Weisheit  rühmst,  so 
ist  sie  nicht  grösser  als  die  des  Fürsten  von  Tyrus,  welchen  Hesekiel 
verspottete  und  zu  ihm  sprach'^):  Ob  du  wohl  weiser  bist  als  Daniel 
oder  das  Verborgene  siehst  in  deiner  Weisheit?  Und  wenn  deine 


1)  Dan.  8,  20.  21. 

2)  Aphraates  rechnet  von  dem  Anfang  der  Aera  der  Seleuciden  311 
a.  Chr.;  demnach  weist  uns  auch  diese  Zahl  in  das  Jahr  337  als  Abfassungs- 
zeit dieser  Homilie.    Vgl.  S.  69  Anm.  1  zu  dieser  Homilie. 

3)  Daniel  7.  Off.  —  4)  2.  Kön.  20,  12 ff.  —  5)  Ezech.  28,  3. 


Die  Unterweisung  von  den  Kriegen.  75 

Seele ')  wegen  der  vielen  Jahre  sich  erhebt,  so  sind  es  doch  nicht 
so  viele,  wie  die  des  Fürsten  von  T3TUS,  der  sein  Reich  regierte 
während  22  Regierungen-)  des  Hauses  Juda,  deren  Jahre  440 
Jahre  waren  ^).  Und  da  der  Jahre  des  Königs  von  Tyrus  viele  waren 
diese  seine  ganze  Zeit,  sprach  er  also  in  seinem  Herzen :  ich  bin  Gott 
und  sitze  auf  dem  Throne  Gottes  mitten  im  Meer.  Denn  es  spricht 
zu  ihm  HesekieP):  Du  bist  ein  Menschenkmd  und  bist  nicht  Gott. 
Denn  so  lange  der  Fürst  von  Tyrus  fleckenlos  unter  feuerigen 
Steinen  wandelte,  war  über  ihm  Gnade  ■^) ,  und  da  sein  Herz  sich 
erhob,  vernichtete  ihn  der  beschützende  Cherub. 

§  8.  Und  was  sind  die  feuerigen  Steine  anders,  als  die  Kinder 
Zions  und  die  Kinder  Jerusalems?  Denn  in  der  ersten  Zeit,  in  den 
TagenDavids  und  seines  Sohnes  Salomo  war  Chiram  ein  Freund  des 
Hauses  Israel,  und  da  sie  in  Gefangenschaft  geführt  wurden  aus 
ihrem  Lande,  freute  er  sich  über  sie  und  trat  sie  mit  demFusse  und 
gedachte  nicht  der  Freundschaft  des  Hauses  Davids.  Und  dass 
ich  gesagt  habe,  feuerige  Steine  wurden  die  Kinder  Judas  ge- 
nannt, das  habe  ich  nicht  aus  meinem  Geiste  gesagt,  sondern 
der  Prophet  Jeremia  sagt  es  von  ihnen.  Denn  er  weint  über 
sie  in  seinen  KlageKederu  und  spricht  *') :  Die  Eänder  Zions  sind 
besser  als  Edelsteine,  imd  wiederum  spricht  er:  Wie  sind  doch 
die  Steine  des  Heiligthums  geworfen  über  alle  Gassen.  Und 
wiederum  sagt  er  in  dem  Propheten:  Die  heiligen  Steine  sind 
es,  welche  geworfen  sind  in  sein  Land.  Und  in  diesen  Steinen 
brannte  ein  Feuer,  wie  Jeremia  sagt'):  Das  Wort  des  Herrn  ist 
in  meinem  Herzen  wie  ein  brennendes  Feuer  und  wie  eine  Gluth 
in  meinen  Knochen.  Und  wiederum  spricht  er  zu  Jeremia-;: 
Siehe,  ich  gebe  mein  Wort  in  deinen  Mund  als  ein  Feuer,  und 
dieses    Volk    wird    sein    -^vie    Holz.       Und     wiederum    spricht 


1)  Sapur  II.  i-egierte  309  —  879,  stand  also  im  Jahre  der  Abfassung 
dieser  Homilie  (337)  in  seinem  28.  Regierungsjahre,  eine  ausserordentlich 
lange  Zeit  für  einen  persischen  König.  Sapur  IL  ist  in  dem  Zeitraum 
von  ungefähr  80  Jahren  seit  Gründung  des  Reichs  der  Sasaniden  (226) 
der  9.  König  aus  diesem  Geschlecht. 

2 )  Handschrift  A  liest  statt:  .in\v  ^Z'ijiz  ^jjii»  =  22  Regierungen, 
^^'-.Nv.  —.■•».Zc  —ij-öli  =  22  Könige. 

3)  In  dieser  Angabe  ist  Aphr.  wohl  rabbinischen  Traditionen  gefolgt. 
Vgl.  Sasse  prol.  S.  11  Anm.  ü.  —  4)  Ezech.  28,  2.  —  5)  Ezech.  28,  14.  —  (5) 
Klagelieder  Jerem.  4,  1.  2.  —  7)  Jerem.  20,  9.  —  8)  Jerem.  ö,  14. 


76  Homilie  V. 

er';:  Meine  Worte  gehen  aus  wie  ein  Feuer,  und  wie  Eisen,  das 
Felsen  zerschnieisst.  Darum  ging  Chiram,  der  Fürst  von  Tyrus, 
unter  Propheten,  welche  feuerige  Steine  genannt  wurden. 

§  9.  Und  wiederum  spricht  er  zu  ihm-):  Du  bist  das  Volk 
des  Cherubs,  der  gesalbt  ist  und  beschirmet.  Cherub  wurde 
nämlich  der  König  genannt,  der  gesalbt  ist  mit  dem  Oel  des 
Heiligthums,  und  er  beschirmte  das  ganze  Volk.  Wie  Jeremia 
sagt 3):  Der  Geist  unseres  Antlitzes^)  ist  der  Gesalbte  des 
Herrn;  er,  von  dem  wir  sagen,  unter  seinem  Schirm  wollen 
wir  leben  unter  den  Völkern.  Denn  unter  dem  Schirm  des  Königs 
wohnten  sie,  da  er  an  ihrer  Spitze  stand,  und  da  die  Krone  ihres 
Hauptes  fiel,  waren  sie  ohne  Schirm.  Und  wenn  jemand  sagen 
sollte,  dass  von  Christo  dieses  Wort  gesagt  sei,  der  möge  anhören, 
was  ich  ihm  schreibe  ohne  Streit,  so  wird  er  sich  also  über- 
zeugen, dass  es  von  dem  Könige  gesagt  sei.  Denn  Jeremia 
spricht  für  sein  Volk^):  Wehe  uns,  dass  die  Krone  unseres  Hauptes 
gefallen  ist.  Der  König  nämlich  vom  Hause  Juda  ist  gefallen, 
und  ihr  Königreich  ist  nicht  wieder  aufgericht  worden.  Und 
wenn  er  wiederum  sagt''},  dass  der  scliirmende  Cherub  ihn  ver- 
nichten werde,  so  ist  nämlich  der  Cherub,  der  ihn  vernichtet, 
Kebukadnezar,  wie  geschrieben  steht '}:  Er  machte  sich  Arbeit  um 
Tyrus,  und  es  wurde  ihm  von  Tyrus  nicht  der  Lohn  gegeben  für  sein 
Heer;  für  seine  Arbeit  um  Tyrus  wurde  ihm  das  Land  Aegypten 
gegeben.  Warum  anders  aber  wurde  dem  Nebukadnezar  nicht 
der  Lohn  von  Tyrus  gegeben  als  darum,  weil  dessen  Reichthum 
ins  Meer  ging  und  Nebukadnezar  ihm  nicht  nahte.  Und  zu  dieser 
Zeit  vernichtete  ihn  der  beschirmende  Cherub,  der  da  ist  Nebu- 
kadnezar. Denn  es  giebt  2  Cherub:  Einer,  der  gesalbt  ist  und 
beschirmt,  und  einer,  der  beschirmt  und  nicht  gesalbt  ist.  Denn 
oben  sagt  er^):  Du  bist  ein  Volk  des  Cherubs,  der  gesalbt  ist 
und  beschirmt;  und  unten  sagt  er"):  Es  vernichtet  dich  der 
Cherub,  der  beschirmt,  und  sagt  nicht:  der  gesalbt  ist;  denn  Ne- 
bukadnezar war  nicht  gesalbt,  sondern  nur  David  und  Salomo 
und  die  andern  Könige,  die  nach  ihnen  waren.  Und  warum  an- 
ders wurde  Nebukadnezar  der  Beschirmende  genannt,  als  wegen 


1)  Jerem.  23,  29.  —  2)  Ezech.  28,  14.  —  3)  Klagel.  Jerem.  4,  20.  — 
4)  Luther:  Unser  Trost.  —  5)  d.  h.  an  Stelle  seines  Volks.  —  6)  Ezech, 
28,  16.  —  7)  Ezech.  29,  18.  19.  —  8)  Ezech.  28,  14.  —  9)  Ezech.  28,  16. 


Die  Unterweisung  von  den  Kriegen.  77 

des  Gesichtes  des  Baumes  \;,  da  er  einen  Baum  mitten  im  Lande 
sah,  unter  welchem  alle  Thiere  des  Feldes  wolinten,  und  auf  dessen 
Zweigen  alle  Yögel  des  Himmels  wohnten,  von  denen  alles  Fleisch  ge- 
fressen wurde.  Als  Daniel  ihm  seinen  Traum  auslegte,  sprach  er  zu 
ihm-^):  Du  bist  der  Baum,  der  Baum,  den  du  mitten  im  Lande 
gesehen  hast,  und  unter  dir  wohnen  alle  Völker.  Deshalb  war 
er  der  beschirmende  Cherub,  der  den  Fürsten  von  Tyrus  ver- 
nichtete, darum  dass  dieser  sich  über  die  Kinder  Israel  gefreut  hatte, 
dass  sie  aus  ihrem  Lande  gefangen  geführt  wurden;  und  weil  sein 
Herz  sich  erhob.  Auch  Tyrus  wurde  verwüstet  70  Jahre  lang, 
wie  Jerusalem  in  der  Verwüstung  sass  70  Jahre.  Denn  es  sagt 
über  sie  Jesaia^):  Tyrus  wird  70  Jahre  herumirren,  so  lange 
die  Tage  Eines  Königs  währen  und  wird  huren  mit  allen  König- 
reichen auf  Erden. 

§  10.  0  du,  der  du  dich  brüstest  und  selbst  erhöhst,  der 
Hochmuth  deines  Herzens  führe  dich  nicht  in  die  Irre,  und  spreche 
du  nicht,  ich  will  in  ein  reiches  Land  hinaufsteigen  und  über 
das  starke  Thier,  denn  das  Thier  wird  nicht  getödtet  durch  den 
Widder,  nachdem  dessen  Hörner  zerbrochen  sind.  Denn  der 
Bock  zerbrach  die  Homer  des  Widders.  Also  war  der  Bock 
das  stärkere  Thier.  Denn  da  die  Kinder  Japhets  des  Königreichs 
sieh  bemächtigten,  tödteten  sie  Darius,  den  König  von  Persien. 
Hierauf  siegte  das  vierte  Thier  über  das  dritte.  Und  das  dritte 
Thier  sind  die  Kinder  Japhets  und  das  vierte  Thier  sind  die  Kinder 
Sems,  nämlich  die  Kinder  Esaus  ^).  Denn  da  Daniel  das  Gesicht 
von  den  vier  Thieren  sah,  sah  er  zuerst  das  der  Kinder  Chams, 
des  Samens  des  Nimrod.  welches  sind  die  Babylonier.  Und  so- 
dann sah  er  das  der  Perser  und  Meder,  welches  sind  die  Kinder 
Japhets;  und  als  drittes  sah  er  das  der  Griechen,  der  Brüder 
der  Meder.  und  als  vieiies  sah  er  das  der  Kinder  Sems,  welche 
Kinder  Esaus  sind.  Denn  es  war  eine  Verbindung  der  Kinder 
Japhets  mit  den  Kindern  Sems;  und  es  ward  die  Regierung  von 
den  Kindern  des  jüngeren  Japhet  genommen   und    dem    älteren 

1)  Dan.  4,  10—12.  —  2)  Dan.  4,  20—22.  —  3)  Jes.  23,  1.5.  17.  Aphr. 
liest  hier:  ho.  \^Z^ ,  Tyrus  wird  herumirren  oder  auch  untergehen, 
während  Peschit.  mit  dem  hebräischen  Text  liest:  ?o.  \:L4ZZ,  Tyrus  wird 
vergessen  werden.  —  4)  Die  Bemerkung,  dass  die  Römer  Nachkommen 
Esaus  seien,  verdankt  Aphr.  rabbinischen  Traditionen;  vgl.  Sasse  proleg. 
S.  11  Anm.  6. 


78  Homilie  V. 

Sem  gegeben,  und  bis  heute  ist  sie  es  und  bis  in  Ewig;keit. 
Wenn  aber  die  Zeit  der  Vollendung  der  Regierung  der  Kinder 
Sems  kommt,  dann  empfängt  das  Königreich  der  Fürst,  der  aus- 
gegangen ist  von  den  Kindern  Judas,  wenn  er  kommen  wird  in 
seiner  zweiten  Ankunft.  Denn  bei  dem  Gesicht  des  Nebukadnezar, 
das  er  sah,  das  Daniel  ihm  auslegte  imd  erklärte,  da  er  sah  ein 
Bild,  das  ihm  gegenüber  stand,  da  war  das  Haupt  des  Bildes 
von  Gold  und  seine  Brust  und  seine  Arme  von  Silber,  und  sein 
Bauch  und  seine  Oberschenkel  von  Erz,  und  seine  Unterschen- 
kel und  seine  Füsse  waren  von  Eisen  und  von  Thon.  Da  sprach 
Daniel  zu  Nebukadnezar:  Du  bist  das  goldene  Haupt.  Und 
Avarum  (anders)  Avurde  er  das  goldene  Haupt  genannt,  als  weil 
das  Wort  des  Jeremia  über  ihm  erfüllt  wurde.  Denn  Jeremia 
sagt'):  Ein  goldener  Becher  ist  Babel  in  der  Hand  des  Herrn, 
der  dem  ganzen  Land  zu  trinken  gibt  von  seinem  Wein.  Und 
auch  das  Haupt  aller  Königreiche  wird  Babel  genannt,  wie  ge- 
schrieben steht-):  Das  Haupt  des  Königreichs  des  Nimrod  ist 
Babel.  Und  er  sagt,  dass  die  Brust  und  die  Arme  des  Bildes  von 
Silber  seien,  damit  lehrt  er  von  dem  Königreich,  das  geringer 
ist  als  dieses,  nämlich  von  demjenigen  des  Meders  Darius;  denn 
er  empfing  das  Reich  von  geringerem  Gewicht.  Denn  das  Reich 
des  Hauses  Kimrods  wurde  gewogen  und  mangelhaft  gefunden. 
Und  weil  es  Darius  mangelhaft  empfing,  deshalb  sagt  er,  dass 
sein  Königreich  geringer  sei;  und  weil  es  mangelhaft  war,  heiTSch- 
ten  die  Söhne  Mediens  nicht  über  das  ganze  Land.  Dass  der 
Bauch  und  die  Oberschenkel  des  Bildes  von  Erz  waren,  und  dass 
er  sagte  ^),  das  dritte  Reich  herrsche  über  das  ganze  Land,  welches 
ist  das  Reich  der  Kinder  loniens,  welche  sind  Nachkommen 
Japhets,  das  bedeutet:  Ueber  das  Reich  ihrer  Brüder  kommen 
die  Söhne  loniens.  Denn  die  Meder  und  lonier  sind  Söhne  Japhets. 
Der  Medier  aber  war  zu  thöricht  und  zu  schwach,  das  Reich  zu 
regieren,  bis  der  lonier  kam,  sein  weiser  und  schlauer  Bruder, 
das  Reich  zu  vernichten.  Denn  Alexander,  der  Sohn  Philipps 
herrschte  über  das  ganze  Land.  Und  die  Schenkel  und  Füsse 
des  Bildes  waren  von  Eisen,  welches  bedeutet  das  Reich  der 
Kinder  Sems,  welche  Nachkommen  Esaus  sind,  das  stark  ist  wie 
Eisen.     Und  er   spricht"*):    Wie  Eisen   alles  zermalmt  und  zer- 


1)  Jerem.  5,  17.  —  2)  Genes.  10,  10.  —  3)  Dan.  2,  39.  —  4)  Dan.  2,  40. 


Die  Unterweisung  von  den  Kriegen.  7^ 

drückt,  so  zermalmt  und  beherrscht  auch  das  vierte  Reich  Alles. 
Und  er  erklärt  über  die  Füsse  und  Zehen,  dass  sie  theils  von 
Eisen,  theils  von  irdenem  Thon  seien,  denn  er  spricht'):  Also 
werden  sie  sich  durch  Menschensamen  imter  einander  vermischen, 
und  sie  werden  doch  nicht  aneinanderhaften,  wie  sich  nicht  ver- 
menget Eisen  mit  Erde.  Das  lehrt  er  über  das  vierte  Reich. 
Denn  über  das  Reich  der  Kinder  Esaus  ist  nicht  ein  König,  der 
der  Sohn  des  Königs  ist,  gesetzt,  dass  er  das  Reich  regiere, 
sondern  die  Kinder  Esaus  versammeln  sich  in  einer  befestigten 
Stadt  und  halten  einen  Rath  und  wählen  dann  ein  Haupt  des 
Staats,  einen  weisen  Mann,  der  das  Reich  regiere,  damit  nicht, 
wenn  der  Führer  ihres  Reichs  sie  wiege,  sie  zu  leicht  gefunden 
würden  und  das  Reich  von  ihnen  genommen  würde,  wie  das  Reich 
der  Kinder  des  prahlerischen  Nimrod  genommen  wurde,  und  den 
Kindern  des  thörichten  Meders  gegeben  wurde.  Und  der  König, 
der  da  in  der  Regierung  steht,  vernichtet  die  Nachkommen 
des  Königs,  der  vor  ihm  war,  und  sie  hängen  nicht  aneinander. 
Mit  dem  Menschensamen  aber,  der  mit  dem  Thon  verglichen 
wird,  verhält  sich  die  Sache  also:  Wenn  ein  König  für  das  Reich 
gewählt  war,  so  vermischt  er  sich  mit  der  Wurzel  des  Reiches, 
die  von  Eisen  ist. 

Und  er  lehrte,  dass  in  den  Tagen  dieser  Könige,  die  über 
dem  Reiche  stehen,  Gott  vom  Himmel  ein  Reich  aufrichten  werde, 
das  ewiglich  nicht  zerstört  wird  und  nicht  vergehen  wird,  welches 
ist  das  Reich  des  Königs  Christus,  welches  das  vierte  Reich  aus 
dem  Wege  räumen  wird. 

§  11.  Vorher  hatte  er  gesagt-):  Du  siehst  einen  Stein,  der 
losgelöst  wird  ohne  Hände,  und  er  trifft  das  Bild  auf  seine  Fasse, 
die  von  Eisen  und  Thon  sind,  und  zermalmt  sie  sehr.  Und  er 
sagt  nicht,  dass  er  das  Haupt  des  Bildes  getroffen  habe,  und 
nicht  seine  Brust  und  seine  Arme  und  auch  nicht  seinen  Bauch 
und  seine  Oberschenkel,  sondern  seine  Füsse,  weil  der  Stein  von 
dem  ganzen  Bilde  seine  Füsse  allein  vorfand,  da  er  kam.  Und 
im  folgenden  Satz  sagt  er:  Es  wurden  zugleich  zermalmt  das 
Eisen  und  das  Erz  und  das  Silber  und  das  Gold.  Denn  wenn 
nach  diesen  Christus,  der  König,  herrschen  wird,  dann  wird  er 
das  vierte  Reich  unterwerfen  und  wird  das  ganze  Bild  zermalmen. 


1)  Dan.  2,  43.  —  2)  Dan.  2,  34.  35. 


80  Homilie  V. 

Denn  mit  dem  Bilde  wird  die  ganze  Welt  bezeiclmet;  und  sein 
Haupt  ist  Xebukadnezar,  und  seine  Brust  und  seine  Arme  ist 
der  König  von  Medien  und  Persien:  und  sein  Bauch  und  seine  Ober- 
schenkel ist  der  König  der  lonier;  und  seine  Schenkel  und  Fiisse 
ist  das  Reich  der  Kinder  Esaus:  und  der  Stein,  der  das  Bild 
trifft  und  es  zermalmt,  uud  von  dem  die  ganze  Erde  erfüllt  wird, 
das  ist  das  Reich  Christi,  des  Königs,  der  das  Reich  dieser  Welt 
vernichtet  und  herrschet  in  Ewigkeit. 

§  12.  Weiter  höre  von  dem  Gesicht  der  vier  Thiere,  welche 
Daniel  ^;  aus  dem  Meere  aufsteigen  sah,  und  welche  unter  ein- 
ander verschieden  waren;  und  das  war  ihr  Aussehen:  Das  erste 
war  wie  ein  Löwe,  und  es  hatte  Adlerflügel,  und  ich  sah,  dass 
seine  Flügel  ausgerupft  wurden,  und  es  stand  wie  ein  Mensch  auf 
seinen  Füssen,  und  ein  Menschenherz  war  ihm  gegeben.  Und 
das  zweite  Thier  glich  einem  Baren,  und  es  stand  auf  einer  Seite 
uud  drei  Rippen  waren  in  seinem  Munde  zwischen  seinen  Zähnen. 
Und  das  dritte  Thier  war  wie  ein  Parder.  und  es  hatte  vier  Flügel 
und  vier  Köpfe.  Und  das  vierte  Thier  war  über  die  Massen  mächtig 
und  stark  und  kräftig,  und  es  hatte  grosse  Zähne,  uud  es  frass  und 
zermalmte,  und  was  übrig  war,  trat  es  mit  Füssen.  Das  grosse 
Meer  nämlich,  das  Daniel  sah,  ist  die  Welt  und  diese  vier  Thiere 
sind  die  vier  Reiche,  die  oben  beschrieben  sind. 

§  13.  Und  von  dem  ersten  Thier  sagt  er,  dass  es  einem  Löwen 
gleicht,  und  dass  es  Adlerflügel  hat.  Das  erste  Thier  ist  näm- 
lich das  Reich  Babylon,  das  einem  Löwen  gleicht.  Denn  also 
schreibt  Jeremia  und  spricht"^):  Israel  ist  eine  zerstreute  He  erde, 
Löwen  haben  sie  zerstreut.  Zuerst  hat  sie  gehasst  der  König 
von  Assur:  und  dieser  zweite  ist  noch  stärker  als  er:  Nebukaduezar, 
der  König  von  Babylon.  Einen  Löwen  nennt  ihn  Jeremia  und 
sagt,  dass  er  Adlerflügel  habe:  denn  also  steht  geschrieben-^): 
Da  Nebukadnezar  auszog  in  die  Wüste  mit  den  Thieren,  war 
sein  Haar  gross  wie  das  eines  Adlers.  Und  er  sagt:  ich  sah, 
wie  seine  Flügel  ausgerupft  wurden,  und  er  stand  auf  seinen 
Füssen  wie  ein  Mensch,  und  ein  Menschenherz  wurde  ihm  gegeben. 
Zuerst  nämlich  in  dem  Gesicht  des  Bildes  wurde  er  mit  Gold 
verglichen,  das  mehr  werth  ist  als  Alles,  was  in  der  Welt  ge- 
macht wird.     Und  in  dem  Gesicht  der  Thiere  wird   er  mit   dem 


1)  Dan.  7,  3—7.  —  2)  Jerem.  .50,  17.  —  3)  Dan.  4,  3Ü. 


Die  Unterweisung  von  den  Kriegen.  81 

Löwen  vergliclien,  der  durch  seine  Kraft  alle  Thiere  übertrifft: 
und  er  wird  wiederum  mit  einem  Adler  vergliclien,  der  vor  allen 
Vögeln  ausgezeichnet  ist.  Was  über  ihn  geschrieben  ist,  das 
hat  sich  an  ihm  erfüllt.  Denn  es  spricht  über  ihn  der  Herr'): 
Ich  habe  dich  als  ein  eisernes  Joch  gelegt  auf  den  Xacken  aller 
Völker  und  sie  sollen  dienen  dem  'König  von  Babylon  70  Jahre, 
und  auch  die  Thiere  des  Feldes  und  die  Vögel  des  Himmels  habe 
ich  ihm  gegeben,  dass  sie  ihm  dienen  sollen.  Denn  da  der  König 
war  wie  ein  goldenes  Haupt,  dienten  ihm  die  Menschenkinder 
wie  einem  König.  Und  da  er  auszog  in  die  Wüste,  dienten  ihm 
die  Thiere  wie  dem  Löwen,  und  da  sein  Haar  war  wie  das 
eines  Adlers,  dienten  ihm  die  Vögel  des  Himmels  Avie  dem  Adler. 
Und  da  sein  Herz  sich  erhob  und  nicht  erkannte,  dass  die  Herr- 
schaft vom  Himmel  ihm  gegeben  war,  da  wurde  das  eiserne  Joch 
von  dem  Xacken  der  Menschenkinder  zerbrochen.  Und  er  zog 
aus  mit  den  Thieren  und  statt  des  Herzens  eines  Königs  wurde 
ihm  das  Herz  eines  Löwen  gegeben.  Und  da  er  sich  über  die 
Thiere  erhob,  da  wurde  das  Herz  des  Löwen  von  ihm  genom- 
men und  es  wurde  ihm  das  Herz  eines  Vogels  gegeben.  Und 
da  ihm  Flügel  wuchsen  wie  die  eines  Adlers,  erhob  er  sich 
über  die  Vögel;  und  alsdann  wurden  ihm  die  Flügel  ausge- 
rupft und  wurde  ihm  ein  schwaches  Herz  gegeben.  Und  da 
er  erkannte,  dass  der  Höchste  der  Fürst  über  das  Menschen- 
reich sei,  dass  er  es  gebe,  wem  er  wolle,  da  pries  er  ihn  als 
ein  Mensch. 

§  14.  Und  über  das  zweite  Thier  sagte  er,  dass  es  einem  Bären 
glich  und  auf  einer  Seite  stand,  denn  da  das  Reich  von  Medien  und 
Persien  sich  erhob,  stand  es  im  Osten.  Und  drei  Rippen  waren  in 
seinem  Munde,  weil  der  Widder  stiess  gegen  Westen,  gegen 
Korden  und  gegen  Süden,  gegen  die  drei  Winde  des  Himmels; 
diese  dreiAVinde  hielt  er  und  stiess  wie  mit  drei  Rippen,  die  in  dem 
Munde  des  Bären  waren;  bis  der  Bock  von  Westen  kam  und 
den  Widder  traf^  und  die  Rippen  seines  Mundes  zerbrach.  LTnd 
über  das  dritte  Thier  sagt  er,  dass  es  einem  Parder  gleiche,  und 
dass  es  vier  Vogelflügel  an  seinen  Seiten  habe,  und  dass  das  Thier 
vier  Köpfe  habe.  Das  dritte  Thier  nämlicli  ist  Alexander  von  Mace- 
donien,  denn  er  war  stark  wie  ein  Parder.    Und  es  sind  vier  Flügel 


1)  Jerem.  28,  14;   25,  11. 
Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  4. 


S2  Homilie  V. 

und  vier  Köpfe,  die  das  Thier  hat,  weil  er  sein  Reich  seinen  vier 
Freunden  gab,  die  nach  ihm  regieren  sollten,  da  er  gekommen  war 
und  den  Darius  getödtet  hatte  und  an  seiner  Stelle  König  war.  Und 
über  das  vierte  Thier  sagt  er,  dass  es  über  alle  Massen  mächtig, 
stark  und  kräftig  war  und  ass  und  zermalmte,  und  was  übrig 
war,  mit  seinen  Füssen  zertrat.  Das  ist  aber  das  Reich  der  Kin- 
der Esaus;  denn  nachdem  Alexander  von  Macedonien  die  Re- 
gierung angetreten  hatte,  kam  das  Reich  der  Griechen,  denn  auch 
Alexander  gehörte  zu  den  Griechen.  Aber  das  Gesicht  des  dritten 
Thieres  hat  sich  an  ihm  erfüllt;  denn  das  dritte  und  vierte  Thier 
ist  eins.  Alexander  aber  regierte  12  Jahre.  Und  der  griechischen 
Könige  nach  Alexander  waren  17  und  ihrer  Jahre  waren  269, 
von  Seleiikus  Nikanor  bis  zu  Ptolemäus.  Und  es  waren  der 
Kaiser  von  Augustus  bis  zum  Kaiser  Philippus  27  und  ihrer  Jahre 
waren  293  und  18  des  Severus.  Denn  Daniel  sagt^):  ich  sah 
zehn  Hörner  auf  dem  Kopfe  des  Thiers.  Als  die  zehn  Hörner  näm- 
lich standen  zehn  Könige  auf  zu  dieser  Zeit  bis  zu  Antiochus. 
Und  er  sagt:  ein  kleines  Hörn  stieg  zwischen  diesen  zehn  auf  und 
drei  fielen  vor  ihm. 

§  15.  Denn  als  Antiochus  in  dem  Reiche  aufstand,  unterwarf 
er  drei  Könige  und  erhob  sich  über  die  Heiligen  des  Höchsten 
und  über  Jerusalem  und  verunreinigte  das  heilige  Haus,  und 
unterdrückte  das  Opfer  und  die  ßrandopfer  eine  Woche  und  die 
Hälfte  einer  Woche,  welches  sind  zehn  und  ein  halbes  Jahr. 
Und  er  brachte  Hurer  in  das  Haus  des  Herrn,  und  schaffte  ab 
die  Ordnungen  des  Gesetzes,  und  tödtete  gerechte  Menschen  und 
gab  sie  den  Vögeln  des  Himmels  und  den  Thieren  der  Erde. 
Denn  in  seineu  Tagen  erfüllte  sich  das  Wort,  das  David  sprach -): 
Gott,  es  sind  Heiden  gekommen  in  dein  Erbe  und  haben  deinen 
heiligen  Tempel  verunreinigt;  sie  haben  Jerusalem  zur  Ver- 
wüstung gemacht,  und  haben  die  Leichname  deiner  Knechte  den 
Vögeln  des  Himmels  zur  Speise  gegeben  und  das  Fleisch  deiner 
Gerechten  den  Thieren  der  Erde.  Sie  haben  ihr  Blut  vergossen 
wie  Wasser  um  Jerusalem  her,  und  es  war  niemand  da,  der  be- 
grub. Denn  das  erfüllte  sich  in  dieser  Zeit^),  da  der  greise  und 
hochbetagte  Elieser  getödtet  wurde  und  die  Söhne  der  seligen 
Schemuni,  die  ihrer  sieben  waren,  und  da  Juda  iind  seine  Brüder 


1)  Dan.  7,  8.  24.  —  2)  Psalm  79,  1—3.  —  3)  2.  Maccab.  Cap.  6—9. 


Die  Unterweisung  von  den  Kriegen.  83 

kämpften  vor  dem  Volk,  und  da  sie  in  verborgenen  Oertern 
wohnten.  Zu  dieser  Zeit  kämpfte  das  Hörn  mit  den  Heiligen  und 
ihr  Heer  wurde  überwunden,  und  der  Frevler  Antiochus  sprach 
Worte  gegen  den  Herrn  und  änderte  die  Zeiten  und  Feste  und 
hob  den  Bund  Abrahams  auf  und  hob  auf  den  Sabbath  der  Ruhe ; 
denn  er  gebot  den  Juden,  dass  sie  sich  nicht  beschneiden  sollten. 
Deshalb  sagt  er  über  ihn^):  Er  wird  es  wagen,  die  Zeiten  und 
Feste  und  Gesetze  zu  ändern;  und  sie  werden  in  seine  Hand  ge- 
geben werden  eine  Zeit  der  Zeiten  und  die  Hälfte  der  Zeit.  Und 
es  ist  die  Zeit  und  die  Hälfte  der  Zeit  die  Woche  und  ihre 
Hälfte,  welches  sind  IOV2  Jal^'e.  Und  er  sagt  wiederum  2):  Und 
es  sitzt  ein  Richter  und  sie  nehmen  seine  Herrschaft  von  ihm. 
Und  sie  werden  ihn  vernichten  und  zu  Grunde  richten  bis  an 
das  Ende  des  Reiches.  Denn  es  kam  ein  Gericht  über  Anti- 
ochus, ein  Gericht  vom  Himmel,  und  er  erkrankte  an  einer 
schweren  und  bösen  Krankheit.  Und  wegen  seines  Geruchs, 
welcher  stank,  kam  niemand  zu  ihm,  da  Würmer  sich  bildeten 
und  aus  ihm  heraus  kamen  und  sein  Fleisch  frassen,  darum, 
dass  er  bezwungen  hatte  den  Wurm  Jakobs.  Und  sein  Fleisch 
stank  bei  seinem  Leben,  darum  dass  er  die  Leichname  der  Kin- 
der Jerusalems  hatte  stinken  lassen,  und  diese  nicht  begTaben 
wurden.  Und  er  war  unrein  in  seinen  eigenen  Augen,  darum 
dass  er  das  Heiligthum  Gottes  verunreinigt  hatte.  Und  er 
betete  und  wurde  nicht  erhört,  darum  dass  er  nicht  das  Seufzen 
der  Gerechten  gehört  hatte,  welche  er  tödtete.  Denn  er  schrieb 
einen  Brief  und  sandte  ihn  an  die  Juden  und  nannte  sie 
Freunde,  und  Gott  erbarmte  sich  nicht  über  ihn  und  er  starb 
in  seiner  Qual. 

§  16.  Er  sagt  weiter  ^),  dass  die  Heiligen  des  Höchsten  das 
Reich  empfangen  werden.  Was  sollen  wir  darüber  sagen? 
Haben  die  Kinder  Israel  etwa  das  Reich  des  Höchsten  em- 
pfangen? Das  sei  ferne!  Oder  ist  etwa  dieses  Volk  auf  den  Wol- 
ken des  Himmels  gekommen?  Nein,  sondern  dasselbe  ist  ferne 
von  ihnen  gewichen,  denn  Jeremia  sagt  über  sie-"):  Verwor- 
fenes Silber  hat  man  sie  genannt,  weil  sie  der  Herr  verworfen 
hat.  Weiter  sagt  er:  Er  wird  nicht  fortfahren  nach  ihnen  zu 
sehen.     Und  Jesaia  sagt  über  sie  ^):  W^eichet,  weichet  und  nahet 

1)  Dan.  7,  25.  —  2)  Dan.  7,  26.  —  3)  Dan.  7,  1^.  —  4)  Jerem.  6,  30.  — 
."))  Jes.  52,  11. 


84  Homilie  V. 

euch  nicht  den  Unreinen.  Und  über  die  Heiligen  des  Herrn 
sagt  er  also^):  In  alle  Ewigkeit  werden  sie  das  Reich  besitzen. 
Denn  diese  hatten  ein  wenig  Ruhe  vor  den  Bedrückungen  der 
Könige  und  Fürsten,  nämlich  von  dem  Tode  des  Antiochus 
bis  erfüllt  waren  62  Wochen  und  der  Menschensohn  kam,  der 
sie  befreien  und  sie  sammeln  sollte.  Und  sie  nahmen  ihn  nicht 
auf,  denn  er  kam,  um  Früchte  von  ihnen  zu  nehmen,  und  sie 
gaben  sie  ihm  nicht,  weil  ihre  Reben  von  der  Rebe  Sodoms 
und  von  der  Pflanze  Gomorrhas  waren.  Denn  in  dem  Weinberg 
wuchsen  Dornen  und  er  trug  Schoten-);  und  ihr  Wein  war 
Essig  und  ihre  Früchte  Galle.  Die  Dornen  können  nicht  weich 
Averden,  auch  verändert  sich  der  Essig  nicht  zur  Natur  des 
Weines:  auch  die  Bitterkeit  verwandelt  sich  nicht  zur  Natur  des 
Süssen.  Denn  Jesaia  hat  schon  zuvor  Richter  gesetzt  über  sie, 
Männer  aus  Juda,  dass  unter  sie  gepflanzt  war  eine  neue  und 
beliebte  Pflanze.  Diese  Richter  sind  aber  die,  welche  sitzen 
auf  12  Stühlen  und  richten  die  12  Stämme.  Und  so  spricht  er 
zu  den  Richtern-^):  Richtet  zwischen  mir  und  meinem  Weinberg, 
Was  gebührt  sich,  o  Richter,  zu  than  einem  Weinberg,  das  ich 
ihm  nicht  gethan  hätte.  Siehe,  ich  habe  Ruthen  gepflanzt,  und 
sie  wurden  ein  fremder  Weinberg,  ich  habe  zu  seinem  Zaun  die 
Engel  des  Himmels  gemacht  und  habe  als  ihren  Thurm  gebaut 
den  heiligen  Tempel  und  habe  als  ihre  Kelter  gegraben  das 
Taufbecken  der  Priester,  und  habe  als  Regen  über  sie  kommen 
lassen  die  Worte  meiner  Propheten.  Ich  habe  sie  beschnitten 
und  gereinigt  von  den  Werken  der  Amoriter.  Ich  hoffte,  dass 
sie  als  Trauben  bringen  würden  Gerechtigkeit,  und  sie  brachten 
als  Schoten  Sünde  und  Frevel ;  ich  hoffte  auf  Recht  \md  es  war 
Gewaltthat,  und  auf  Gerechtigkeit  und  es  war  Geschrei.  Höret, 
ihr  Richter,  was  ich  meinem  Weinberg  thun  will.  Ich  will 
seinen  Zaun  öffnen,  und  er  wird  zertreten  werden,  und  ich  will 
seinen  Thurm  zerstören,  und  er  wird  zur  Beute  werden,  und  ich 
will  ihn  zur  Verwüstung  werden  lassen,  weil  er  Schoten  ge- 
bracht hat,  und  er  wird  nicht  bearbeitet  und  beschnitten  werden. 
Und  es  werden  Dornen  und  Disteln  in  demselben  wachsen.  Und 
ich  will  den  Wolken  befehlen,  dass  sie  nicht  auf  denselben  regnen. 
Denn  es  wichen  die  Ensiel  des  Himmels  von  dem  Zaun  des  Wein- 


1)  Dan.  7,  18.  —  2)  Luther:  Herlinge.  —  3)  Jes.  5,  3. 


Die  Unterweisung  von  den  Kriegen.  §5 

bergs:  und  es  wurde  der  Thurm  zerstört,  das  sichere  Haus  ihrer 
Hoffnung.  Es  wurden  verwüstet  die  Kelter  der  ßeinigung  ihrer 
Schulden.  Da  der  Weinberg  ohne  Tadel  war,  kam  er  nicht  zur 
That.  Nun,  da  Feuer  ihn  verzehrt  und  zerstört  hat,  wie  soll  er 
zur  That  kommen?  Zwei  Flügel  verzehrte  das  Feuer  und  seine 
Mitte  die  Verwüstung.  Seine  zwei  Flügel  waren  nämlich  die 
beiden  Reiche  und  die  Mitte  der  Verwüstung  war  Jerusalem. 
Es  wurden  zu  ihm  geschickt  von  dem  Herrn  des  Weinbergs 
viele  Knechte,  und  sie  tödteten  sie,  und  die  Früchte  sandten  sie 
dem  Herrn  des  Weinbergs  nicht.  Nach  den  Knechten  wurde  der 
geliebte  Sohn  gesandt,  dass  er  von  ihnen  die  Früchte  empfange 
und  sie  bringe  dem,  der  ihn  gesandt  hat.  Und  sie  griffen  ihn 
und  führten  ihn  aus  dem  Weinberg  und  rissen  Zweige  von  den 
Aesten  des  Weinbergs  und  banden  seine  Hände.  Und  es  hun- 
gerte ihn,  und  er  bat  sie  um  Speise,  und  sie  nahmen  und  gaben 
ihm  Galle  von  den  Früchten  des  Weinbergs.  Und  er  dürstete 
und  erbat  sich  von  ihnen  zu  trinken,  und  sie  gaben  ihiu  Essig, 
und  er  wollte  es  nicht  trinken.  Und  sie  flochten  die  Dornen, 
die  in  dem  Weinberg  gewachsen  waren  und  setzten  sie  auf  das 
Haupt  des  Sohnes  des  Herrn  des  Weinbergs.  Denn  seitdem  der 
Weinberg  bestand,  zeigte  er  diese  Früchte.  Sein  Herr  riss  ihn 
aus  und  warf  ihn  ins  Feuer  vmd  pflanzte  in  den  Weinberg  gute 
Reben,  welche  Früchte  bringen  und  dem  Weingärtner  Freude 
machen.  Der  Weinstock  nämlich  ist  Christus  und  sein  Vater 
ist  der  Weingärtner;  und  die  Reben  sind  die,  welche  aus  seinem 
Kelche  trinken.  Jetzt  trat  ein  anderer  Weinberg  an  die  Stelle 
jenes  Weinbergs  und  das  Reich  wiederum  übergab  er  bei  seiner 
Ankunft  den  Römern,  welche  Kinder  Esaus  genannt  werden, 
und  diese  Kinder  Esaus  bewahrten  das  Reich  für  den  Geber 
desselben. 

^17.  Und  das  Reich  der  Welt  ererbte  das  heilige  Volk, 
das  auserwählt  wurde  statt  des  Volkes  ^).  Denn  er  reizte  sie 
gegen  ein  Volk,  das  kein  Volk  ist,  und  gegen  ein  thörichtes  Volk 
erzürnte  er  sie.  Und  er  befreite  das  heilige  Volk.  Denn  siehe, 
der  ganze  Bund  Gottes  ist  befreit  von  dem  Tribut  der  Könige 
und  Fürsten,  denn  wenn  auch  jemand  den  Götzen  gedient  hat, 
so  ist  er  von  seiner  Sünde,  sobald  er  dem  Bunde  Gottes  beitritt» 


1)  Deuter.  32,  21. 


86  Homilie  V. 

befreit.  Und  die  Juden  leben  in  Knechtschaft  unter  den  Heiden. 
Denn  also  spricht  er  über  die  Heiligen  ^) :  Sie  werden  das  Reich 
unter  dem  Himmel  besitzen.  Denn  wenn  er  über  sie  das  gesagt 
hätte,  warum  leben  sie  dann  unter  den  Heiden  in  Knechtschaft? 
Und  wenn  sie  sagen  werden,  dass  es  noch  nicht  eingetreten  sei, 
(so  frage  ich:)  Ist  denn  aber  das  Reich,  das  dem  Menschensohne 
gegeben  wird,  von  dem  Himmel  oder  von  der  Erde?  Siehe,  die 
Kinder  des  Reichs  sind  bezeichnet,  und  sie  empfangen  ihre 
Befreiung  von  dieser  Welt.  Denn  wenn  es  jetzt  da  wäre,  so 
wollte  es  nicht  unterworfen  werden  den  Händen  des  Königs, 
der  da  kommt  und  sein  Reich  einnimmt:  aber  es  hält  seine 
Pfander  in  Ehren,  damit,  wenn  der  kommen  wird,  der  das  Reich 
aufhebt,  er  ohne  Zorn  über  sie  komme.  Denn  wenn  Er  kommt, 
dem  das  Reich  gehört,  in  seiner  zweiten  Ankunft,  nimmt  er, 
Avas  er  gegeben  hat,  und  ist  König  in  Ewigkeit,  und  sein  Reich 
vergehet  nicht,  weil  ihm  das  Reich  der  Welt  gehört-). 

§  18.  Denn  zuerst  gab  er  das  Reich  den  Kindern  Jakobs 
und  machte  ihnen  dienstbar  die  Kinder  Esaus;  wie  Isaak  sprach 
zu  Esau:  Du  sollst  deinem  Bruder  Jakob  dienen.  Und  da  sie 
wiederum  im  Reich  nichts  Gutes  leisteten,  nahm  er  es  von  den 
Kindern  Jakobs  und  gab  es  den  Kindern  Esaus,  bis  Der  kommt, 
Dem  es  gehört;  und  sie  übergeben,  was  ihnen  anvertraut  war, 
dem  Geber  desselben,  und  verweigern  es  nicht;  und  es  wird 
ihm  dienstbar  der,  der  das  Reich  bewahrt  hat,  Ihm,  dem  Alles 
dienstbar  ist.  Deshalb  wird  dieses  Reich  der  Kinder  Esaus  nicht 
übergeben  in  die  Hände  der  versammelten  Heere,  die  über 
dasselbe  kommen  Avollen,  weil  das  Reich  für  den  Geber  bewahrt 
wird,  und  er  beschützt  es.  Und  über  das,  was  ich  dir  ge- 
schrieben habe,  mein  Lieber,  dass  das  Reich  der  Kinder  Esaus 
für  den  Geber  aufbewahrt  werde,  zweifele  nicht.  Denn  das  Reich 
kann  nicht  besiegt  werden:  weil  der  starke  Mann,  dessen  Name 
Jesus  ist,  kommt  im  Heere,  und  seine  Waffe  trägt  das  ganze 
Heer  des  Reiches.  Und  prüfe  und  siehe ^),  dass  er  mit  ihnen 
bei  der  Schätzung  gezählt  ist  und  wie  er  mit  ihnen  bei  der 
Schätzung  gezählt  ist,  so  wird  er  ihnen  auch  helfen.  Und  sein 
Zeichen  ist  vielfach  an    diesem  Orte;    und  sie  sind  mit   seinen 


1)  Dan.  7,  IS.  27.  —  2)  Handschrift  A  hat  dafür:   Weil  es  das  Reich 
der  Welt  ist.  —  3)  Luc.  2,  1. 


Die  Unterweisung  von  den  Kriegen.  g7 

Waffen  bekleidet  und  sie  werden  im  Kriege  nicht  besiegt.  Und 
wenn  du  mir  sagen  wirst:  Warum  haben  sie  in  den  Jahren  der 
früheren  Könige  das  Thier  besiegt  und  es  dienstbar  gemacht? 
(so  antworte  ich  dir):  Weil  die  Häupter  und  Könige,  die  da- 
mals im  Reiche  der  Kinder  Esaus  aufstanden,  nicht  mit  in  den 
Krieg  nehmen  wollten  den  Mann,  der  mit  ihnen  bei  der  Schätzung 
gezählt  worden  war;  deshalb  wurde  das  Thier  kurze  Zeit  unter- 
worfen, aber  es  wurde  nicht  getödtet. 

§  19.  Dieses  aber,  was  ich  dir  geschrieben  habe,  mein  Lieber, 
als  geschrieben  im  Daniel,  habe  ich  nicht  zu  Ende  geführt, 
sondern  es  ist  noch*)  unvollendet,  und  wenn  jemand  darüber 
streitet,  so  sprich  zu  ihm  also:  Diese  Worte  sind  nicht  vollendet. 
Denn  die  Worte  Gottes  sind  nicht  begrenzt  und  auch  nicht  be- 
schränkt. Denn  ein  thörichter  Mensch  spricht:  bis  hierher  gehen 
die  Worte;  und  wiederum:  Es  ist  nichts  mehr  da,  was  man  zu 
denselben  hinzufügen  könnte,  und  was  an  denselben  fehlte.  Denn 
der  Reichthum  Gottes  kann  nicht  berechnet  und  nicht  begrenzt 
werden.  Denn  wenn  du  Wasser  aus  dem  Meere  nimmst,  so  wird 
das  Fehlende  nicht  gemerkt.  Und  wenn  du  Sand  von  seinem 
Ufer  nimmst,  so  fehlt  au  seiner  Zahl  nichts.  Und  wenn  du  die 
Sterne  des  Himmels  zählen  willst,  so  kommst  du  nicht  an  ihr 
Ende.  Und  wenn  du  Feuer  an  einem  Brand  anzündest,  so  wird 
er  um  nichts  vermindert.  Und  wenn  du  von  dem  Geist  Christi 
empfängst,  so  entbehrt  Christus  nichts;  und  wenn  Christus  in 
dir  wohnt,  so  ist  er  nicht  ganz  in  dir.  Und  wenn  die  Sonne  in 
die  Fenster  deines  Hauses  kommt,  so  kommt  nicht  die  ganze 
Sonne  zu  dir.  Und  das  Alles ,  was  ich  dir  aufgezählt  habe "-). 
trifft  zu  bei  dem  AVorte  Gottes.  Deshalb  wisse,  dass  zum 
Worte  Gottes  niemand  kommt,  der  bis  zum  Ende  kommt.  Darum 
entstehe  dir  kein  Streit  hierüber,  dass  du  sprechest:  So  ist  es,  und 
nun  ists  fertig.  Aber  das  höre  von  mir,  und  auch  bei  unsern 
Brüdern,  den  Kindern  des  Glaubens,  forsche  darüber.  Demi  wer 
über  die  Worte  seines  Bruders  spottet,  auch  wenn  er  spricht, 
die  meinigen  sind  weise,  dessen  Worte  höre  nicht.  Und  wenn 
ich  dir  geschrieben  habe,  über  die  Heere,  die  sich  aufgemacht 
haben  zum  Gericht,  so   habe  ich  das  nicht  gethan,   als   ob  mir 


1)  Wörtlich:  Diesseits  des  Endes.  —  2)  Wörtlich:  Ist  verwirklicht  im 
Worte  Gottes. 


88  Homilie  V. 

etwas  geoffenbart  worden  wäre,  das  ich  dir  hier  mitgetheilt  hätte, 
sondern  höre  auf  die  Worte  vom  Anfang  des  Briefs :  Jeder,  der 
sich  selbst  erhöht,  wird  erniedrigt.  Denn  wenn  auch  die  Heere 
heraufkommen  und  siegen,  so  wisse,  dass  es  eine  Mahnung  Gottes 
ist.  Und  wenn  sie  siegen  werden,  werden  sie  doch  durch  ein  ge- 
rechtes Gericht  verurtheilt  werden.  Uebrigens  aber  wisse  du, 
dass  das  Thier  zu  seiner  Zeit  wird  getödtet  werden.  Du  aber, 
mein  Bruder,  sei  eifrig  zu  dieser  Zeit,  Gnade  zu  erflehen,  dass 
Friede  sei  über  dem  Volke  Gottes. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  den  Krieeren. 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern 'J. 

Es  ziemet  sich  das  Wort,  das  ich  rede,  und  es  ist  werth,  dass 
man  es  annehme,  dass  wir  erwachen  von  unserem  Schlaf  zu 
dieser  Zeit  und  unsere  Herzen  mit  unseren  Händen  zu  Gott  im 
Himmel  erheben,  dass  der  Herr  des  Hauses  nicht  plötzlich  komme, 

1)  Die  folgende  Homilie  von  den  „Bundesbrüdern"  (wörtlich  von  „den 
Söhnen  des  Bundes'-)  ist  ein  wichtiger  Beitrag  zur  Aufklärung  der  An- 
fangszeiten des  Mönchthums,  an  denen  ja  die  kirchengeschichtliche  For- 
schung gegenwärtig  besonders  Interesse  nimmt  (vgl.  H.  Weingarten,  Ueber 
den  Ursprung  des  Mönchthums,  Zeitschr.  f.  Kircheng.  1876 — 1877,  Separat- 
abdruck 1877,  ferner  den  Artikel  „Mönchthum"  von  dems.  Verfasser  iu 
Herzogs  Realencyclopädie.  2.  Aufl.  10.  Bd.  S.  776ff.  Gass  und  Hilgenfeld 
in  Zeitschr.  f.  K.  G.  1878  S.  Keim  „Aus  dem  Urchristenthum"  I,  7.  S.  204  ff. 
Bornemann,  In  investiganda  monachatus  origine,  quibus  de  causis  ratio 
habenda  sit  Origenes.    Göttingen  18S5). 

Weingarten,  der  die  Anfänge  des  Mönchthums  in  die  nachconstan- 
tinische  Zeit,  im  Morgenland  360;  im  Abendland  380,  setzt,  will,  weil 
diese  unsere  Homilie  im  Widerspruche  mit  seiner  Hjrpothese  steht,  die 
Abfassung  unserer  Homilien  überhaupt  durch  Aphraates  und  um  das  Jahr 
ö40  zweifelhaft  machen  (Herzogs  Realencyclop.  X,  S.  776f.).  Demgegenüber 
bemerkt  Loofs  (in  d.  Theol.  Literaturz.  1885  Nr.  9)  mit  Recht,  dass  „so- 
lange Weingarten  nicht  weitere  Gründe  vorgebracht  habe,  gegenüber  dem 
einstimmigen  Urtheile  der  Orientalisten  die  Zeit  jener  Homilien,  die  aus 
direkten  Angaben  in  ihnen  erhelle,  nicht  als  dubium  bezeichnet  werden 
könne".  Ryssel  stimmt  dieser  Bemerkung  zu  (Theol.  Literaturz.  1885 
Nr.  Kl). 

Der  Beweis,  den  Keim  („Aus  dem  Urchristenth."  I,  7.  S.  204  ff.)  dafür 
führt,  dass  die  Anfange  des  Mönchthums  spätestens  330  zu  setzen  seien 
darf  wohl  als  erbracht  gelten.  Unsere  Homilie  tritt  als  Bestätigung  zu 
den  Ausführungen  Keims  hinzu.  Ueber  die  äussere  Lebensform  der  Ji^c 
i^»*-,  ob  dieselben  schon  in  Klöstern  vereinigt  waren,  oder  getrennt  für 
sich  lebten,  lässt  sich  aus  unserer  Homilie  nichts  mit  Sicherheit  erkennen. 
Stünde  die  Nachricht,  dass  Aphraates  Abt  des  Klosters  Mar  Mattai  ge- 
wesen sei,   ausser  Zweifel,   so  wäre   damit  die  Frage  beantwortet.     Vgl. 


90  Homilie  VI. 

dass  er,  wenn  er  kommt,  uns  wacliend  findet.  Lasset  uns  die 
Zeit  des  herrlichen  Bräutigams  in  Acht  nehmen,  damit  wir  mit 
ihm  in  sein  Gemach  eingehen.  Lasset  uns  Oel  bereit  halten  auf 
unseren  Lampen,  dass  wir  ausziehen  ihm  entgegen  mit  Freuden. 
Lasset  uns  Weggeld  zurechtlegen  in  unserer  Herberge  für  den 
Weg  '),  der  da  eng  ist  und  schmal.  Und  lasset  uns  von  uns  ab- 
thun  und  entfernen  allen  Schmutz,  dass  wir  die  hochzeitlichen 
Kleider  anziehen.  Lasset  uns  wuchern  mit  dem  Silber,  das  wir 
empfangen  haben,  dass  wir  nützliche  Knechte  genannt  werden. 
Lasset  uns  beharrlich  sein  im  Gebet,  dass  wir  vorbeikommen  am 
Ort  der  Qual.  Lasset  uns  unser  Herz  reinigen  von  Sünde,  dass 
wir  den  Höchsten  in  seiner  Herrlichkeit  sehen.  Lasset  uns  barm- 
herzig sein,  wie  geschrieben  steht-),  dass  sich  Gott  über  uns  er- 
barme. Lasset  Friede  sein  unter  uns,  dass  wir  Brüder  Christi 
genannt  werden.  Lasset  uns  hungern  nach  Gerechtigkeit,  dass 
wir  satt  werden  von  dem  Tisch  seines  Reichs.  Lasset  uns  sein 
das  Salz  der  Wahrheit,  dass  wir  nicht  werden  die  Speise  der 
Schlange.  Lasset  uns  unseren  Samen  reinigen  von  Dornen,  das.^ 
er  hundertfältige  Früchte  bringe.  Lasset  uns  unseren  Bau 
auf  Felsen  gründen,  dass  wir  nicht  von  Winden  und  Wellen  be- 
wegt werden.  Lasset  uns  Gefässe  der  Ehre  sein,  dass  wir  unserem 
Herrn  nothig  sind  zu  seinem  Gebrauch.  Lasset  uns  all  unseren 
Besitz  verkaufen  und  uns  die  Perle  kaufen,  dass  wir  reich  werden. 
Lasset  uns  unseren  Schatz  im  Himmel  sammeln,  dass,  wenn  wir 
kommen.  Er  uns  öffne  und  wir  erfreut  werden.  Lasset  uns  unseren 
Herrn  besuchen  in  den  Kranken,  dass  er  uns  ruft  und  wir  stehen  zu 
seiner  Rechten.  Lasset  uns  uns  selbst  hassen  und  Christum  lieben, 
wie    er   uns    geliebt  hat  und  hat  sich  für  uns  gegeben.     Lasset 

Einleitung.  Was  Aphr.  m  §  4  dieser  Homilie  über  das  Zusammenwohnen 
der  Bundesscliwestern  mit  den  Bundesbrüdem  sagt  (vgl.  die  Sorores  subin- 
troductas  Pauls  von  Samosata  Euseb.  VII,  30,  12;  vgl.  ferner  Cypr.  ep. 
6,  3;  62,  2;  ferner  Concil.  Illib.  27;  Ancyr.  19;  Nie.  3;  Carth.  um  345  c.  3 f. 
bei  Hefele,  Conciliengeschichte  S.  166)  spricht  für  Letzteres.  Ueber  die 
Bedeutung  jLisa-i-D  ^ZLc  vgl.  die  Bemerkungen  von  J.  G.  E.  Hoffmann,  Auszüge 
aus  syrischen  Akten  persischer  Märtyrer  S.  34  „d.  i.  Mönche  und  Andere, 
die  ein  kirchliches  Gelübde  abgelegt  haben,  namentlich  das  der  Keusch- 
heit". S.  36.  2.  C.  Kaiser,  Theol.  Literaturblatt  1884  Nr.  20.  3.  Ryssel, 
Theol.  Literaturz.  1885  Nr.  16. 

1)  Eine  Anspielung  an  Matt.  7,  14.    Dass  sich  dies  in  Tat.  Diät,  fand, 
ist  auch  bezeugt  durch  Ephr.  S.  263.  —  2)  Luc.  6,  36. 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern.  91 

uns  ehren  den  Geist  Christi,  dass  wir  von  ihm  Gnade  empfangen. 
Lasset  uns  fremd  sein  in  der  VVelt^  wie  Christus  nicht  von  der 
Welt  war.  Lasset  uns  sanftmüthig  und  gelassen  sein,  dass  wir 
das  Land  des  Lebens  ererben.  Lasset  uns  treu  sein  in  seinem 
Dienst,  dass  er  uns  diene  in  den  Wohnungen  der  Heiligen.  Lasset 
uns  beten  sein  Gebet  in  Reinheit,  dass  es  kommt  vor  den  Herrn 
der  Herrlichkeit.  Lasset  uns  seines  Leidens  theilhaftig  sein,  dass 
wir  auch  ebenso  durch  seine  Auferstehung  das  Leben  haben. 
Lasset  uns  sein  Zeichen  auf  unseren  Leibern  tragen,  dass  wir 
von  dem  kommenden  Zorn  befreit  werden. 

Denn  furchtbar  ist  der  Tag,  an  welchem  er  kommt;  wer  kann 
ihn  ertragen^)?  Grimmig  und  heiss  ist  sein  Zorn  und  er  ver- 
nichtet alle  Gottlosen  -).  Lasset  uns  auf  unser  Haupt  den  Helm 
des  Heils  nehmen,  dass  wir  nicht  getödtet  werden  und  umkommen 
im  Kampf.  Lasset  uns  unsere  Lenden  mit  Wahrheit  umgürten, 
damit  wir  nicht  feige  gefunden  werdem  im  Zweikampf.  Lasset 
uns  aufstehen  und  Christum  wecken,  dass  er  die  Wellen  vor  uns 
stille.  Lasset  uns  den  Schild  gegen  den  Bösen  nehmen  und-) 
Bereitschaft  zu  (verkündigen)  das  Evangelium  unseres  Erlösers. 
Lasset  uns  von  unserem  Herrn  die  Gewalt  annehmen,  Schlangen 
und  Skorpionen  niederzutreten  ■^).  Lasset  uns  von  uns  ablegen 
den  Zorn  mit  all  seiner  Glutli  und  all  seiner  Bosheit.  Flüche 
wollen  wir  nicht  aus  unserem  Munde  gehen  lassen,  mit  welchem 
wir  zu  Gott  beten.  Lasset  uns  nicht  Flucher  sein,  damit  wir  be- 
freit werden  von  dem  Fluch  des  Gesetzes.  Lasset  uns  fleissige 
Arbeiter  sein,  damit  wir  unser  Lohn  mit  den  Ersten  fordern 
können.  Lasset  uns  die  Hitze  des  Tages  tragen  *),  dass  wir  mehr 
Lohn  fordern  können.  Lasset  uns  nicht  träge  Knechte  sein;  siehe, 
unser  Herr  hat  uns  für  seinen  Weinberg  gedingt.  Wir  sind  ge- 
pflanzt wie  Reben  in  seinen  Weinberg,  welcher  ist  der  Weinberg 
der  Wahrheit.  Lasset  uns  gute  Reben  sein,  dass  wir  nicht  aus- 
gerissen werden  aus  dem  Weinberg.  Lasset  uns  sein  ein  guter 
Geruch,  dass  sich  unser  Geruch  zu  denen,  die  um  uns  sind,  verbreite. 


1)  Joel  2,  11;  Mal.  3,  2. 

2)  Vgl.   Ephes.   6,    15—17:    —sc-^j    ciZjüifl?   j-=ua4    Bereitwilligkeit 

für  das  Evangelium  unseres  Erlösers ;  Pesch.:  }.Lal..ik.?    -a^^^Joj?   itl^^z.^ 

griech.    tr   kxoifxaaUi  xov  fvayytXiov  xTiq  tL()/}r),g;    Luther:    „als  fertig  zu 
treiben  das  Evangelium  des  Friedens". 

3)  Luc.  10,  19.  —  4)  Matt.  20,  12. 


92  Homilie  VI. 

Lasset  uns  arm  sein  in  der  Welt  und  viele  reich  machen  an  der 
Lehre  unseres  Herrn  ^).  Man  nenne  uns  nicht  Vater  auf  Erden, 
dass  wir  Kinder  des  himmlischen  Vaters  seien.  Wenn  uns  nichts 
gehört,  haben  wir  Alles;  wenn  niemand  uns  kennt,  sind  derer, 
die  uns  kennen,  viele.  Lasset  uns  fröhlich  sein  in  unserer  Hoff- 
nung allezeit,  dass  sich  unsere  Hoffnung  und  unser  Erlöser  sich 
über  uns  freue.  Lasset  uns  selbst  uns  gerecht  richten  und  ver- 
iirtheilen,  dass  wir  uns  nicht  beugen  müssen  vor  den  Richtern, 
welche  auf  den  Stühlen  sitzen  und  die  Stämme  richten.  Lasset 
uns  die  Waffe  des  Krieges  ergreifen  und  die  Bereitschaft  2)  des 
Evangeliums.  Lasset  uns  klopfen  an  die  Thür  des  Himmels, 
dass  sie  vor  uns  geöffnet  werde,  und  wir  hineingehen.  Lasset 
uns  ernstlich  Gnade  erflehen,  dass  wir  empfangen,  wie  wir  es  be- 
dürfen. Lasset  uns  trachten  nach  seinem  Reich  und  seiner  Ge- 
rechtigkeit 3),  dass  wir  auf  Erden  die  Zugabe  empfangen.  Lasset 
uns  trachten  nach  dem,  das  droben  ist,  nach  den  himmlischen 
Dingen,  und  dem  nachsinnen,  wo  Christus  erhöhet  ist  und  er- 
hoben. Lasset  uns  aber  die  Welt  verlassen,  die  nicht  unser  ist, 
dass  er  uns  führe  zu  dem  Ort,  zu  dem  wir  berufen  sind.  Lasset 
uns  unsere  Augen  in  die  Höhe  heben,  dass  wir  den  Glanz 
sehen,  der  geoffenbart  wird.  Lasset  uns  unsere  Flügel  heben  wie 
die  Adler,  dass  wir  sehen  den  Leib,  wo  er  ist.  Lasset  uns  Opfer 
dem  König  bereiten,  angenehme  Früchte,  Fasten  und  Gebet. 
Lasset  uns  sein  uns  anvertrautes  Pfund  in  Reinheit  bewahren, 
dass  er  uns  setze  über  sein  ganzes  Schatzhaus.  Denn  wer  bei 
seinem  anvertrauten  Pfund  betrügt,  den  wird  man  nicht  über  dem 
Schatzhaus  lassen.  Lasset  uns  bewahren  den  Leib  Christi,  dass 
unsere  Leiber  auferstehen  bei  der  Stimme  der  Posaune.  Lasset 
uns  hören  auf  die  Stimme  des  Bräutigams,  dass  wir  mit  ihm 
eingehen  zu  seinem  Gemach.  Lasset  uns  bereit  halten  das  Hoch- 
zeitsgeschenk für  sein  Hochzeitsmahl  und  ihm  entgegengehen 
mit  Freude.  Lasset  uns  anlegen  das  heilige  Kleid,  und  wir 
werden  lagern  an  der  Spitze  der  Auserwählten.  Wer  nicht  ge- 
kleidet ist  mit  dem  hochzeitlichen  Kleid,  den  werden  sie  hinaus- 
werfen in  die  äusserste  Finsterniss.  Wer  sich  ausschliesst  von 
dem  Hochzeitsmahl,  wird  das  Mahl  nicht  schmecken.     Wer  das 


1)  Matt.  23,  9.  —  2)  Siehe  S.  91  Anm.  2.  —  3)  Luther:  Dass  uns  das 
Uebrige  zufalle. 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern.  93 

Land  und  die  Lohnarbeit  liebt,  wird  aus  der  Stadt  der  Heiligen 
entfernt  werden.  Wer  nicht  Früchte  bringt  im  Weinberg,  der 
wird  ausgerissen  und  in  die  Qual  geworfen  werden.  Wer  Silber 
empfängt  von  seinem  Herrn,  der  erstatte  es  dem  Geber  zurück  mit 
Zinsen.  Wer  ein  Kaufmann  sein  will,  der  kaufe  sich  den  Acker  und 
den  Schatz  darin.  Wer  guten  Samen  empfängt,  der  reinige  sein 
Land  von  Dornen.  Wer  ein  Fischer  sein  will,  der  werfe  sein  Netz 
allezeit  aus.  Wer  sich  in  der  Athletenkunst  auszeichnen  will,  der 
bewahre  seine  Seele  vor  der  Welt.  Wer  die  Krone  empfangen  will, 
der  laufe  im  Kampf  als  Sieger.  Wer  ins  Stadion  treten  will 
zum  Kampf,  der  lerne  (kämpfen)  gegen  seinen  Feind.  Wer  in 
den  Kampf  ziehen  will,  der  ergreife  die  Waffe,  dass  er  kämpfe, 
und  mache  sie  blank  allezeit.  Wer  die  Aehnlichkeit  der  Engel  er- 
langen will,  der  werde  fremd  den  Menschen.  Wer  das  Joch  der 
Heiligen  nehmen  will,  der  halte  Heuchelei  und  Scheinweseu  von  sich 
fern.  Wer  sucht  zu  ererben  seine  Seele,  der  halte  den  Besitz  der 
Welt  von  sich  fern.  Wer  das  Haus  im  Himmel  liebt,  der  arbeite 
nicht  an  dem  Bau  auf  Erden,  welcher  zerfällt.  Wer  da  wünscht, 
dass  er  von  den  Wolken  weggerafft  werde,  der  schaffe  sich  keine 
geschmückten  Pferde  an.  Wer  verlangt  nach  dem  Mahle  des  Bräu- 
tigams, der  liebe  nicht  das  zeitliche  Mahl.  Wer  da  will  erfreut 
werden  an  dem  Trunk,  der  uns  aufbewahrt  ist,  der  halte  Trunken- 
heit von  sich  fern.  Wer  seine  Seele  vorbereitet  auf  das  Mahl,  der 
unterlasse  es  nicht  und  werde  Kaufmann.  Jeder,  in  Avelchen  guter 
Samen  fällt,  der  lasse  den  Bösen  nicht  Unkraut  darunter  säen. 
Wer  anfängt  einen  Thurm  zu  bauen,  der  berechne  alle  seine 
Kosten:  wer  bauet,  soll  es  auch  bis  zur  Vollendung  führen,  dass 
er  nicht  zum  Gelächter  werde  für  die,  welche  des  Wegs  vorüber- 
gehen. Wer  seinen  Bau  auf  Felsen  gründet,  der  grabe  seine  Fun- 
damente tief,  dass  er  nicht  falle  vor  den  Wellen.  Wer  vor  der 
Finsterniss  fliehen  will,  der  gehe,  bis  er  Licht  bekommt.  Wer 
da  fürchtet  im  Winter  zu  fliehen,  der  sorge  im  Sommer  für  seine 
Seele.  Wer  da  trachtet  nach  der  oberen  Ruhe,  der  schaffe  sich  die 
Kosten  für  die  Ruhe.  Wer  von  dem  Herrn  Vergebung  erbittet,  der 
vergebe  auch  seinem  Schuldiger.  Wer  die  100  Denare  nicht  ver- 
langt, dem  erlässt  sein  Herr  auch  die  10  000  Talente.  Wer  das 
Silber  seines  Herrn  auf  den  Tisch  wirft ,  wird  nicht  ein  böser 
Knecht  genannt  werden.  Wer  Demuth  liebt,  wird  das  Land  des 
Lebens  erben.     Wer  Frieden  halten  will,  jT^ehört  zu  den  Kindern 


94  Honiilie  VI. 

Gottes.  Wer  den  Willen  seines  Herrn  weiss  und  tliut  seinen 
Willen,  wird  nicht  viel  Streiche  leiden  müssen.  Wer  sein  Herz 
von  Falschheit  reinigt,  dessen  Augen  werden  den  Herrn  in  seiner 
Herrlichkeit  sehen.  Wer  den  Geist  Christi  empfängt,  soll  seinen 
inneren  Menschen  schmücken.  Wer  ein  Tempel  Gottes  genannt 
wird,  soll  seinen  Leib  reinigen  von  aller  Unreinigkeit.  Wer  den 
Geist  Christi  betrübt,  wird  sein  Haupt  nicht  aus  Trübsaleu  er- 
heben. Wer  den  Leib  Christi  empfängt,  der  soll  seinen  Leib  vor 
aller  Unreinigkeit  bewahren.  Wer  den  alten  Menschen  auszieht, 
der  soll  nicht  zu  seinen  früheren  Werken  zurückkehren.  Wer  den 
neuen  Menschen  anzieht,  bewahre  seine  Seele  vor  aller  Schande. 
Wer  die  Rüstung  anlegt  aus  dem  Wasser^),  der  lege  seine 
Rüstung  nicht  ab,  damit  er  nicht  besiegt  werde.  Wer  den  Schild 
nimmt  gegen  den  Bösen,  der  bewahre  seine  Seele  vor  den  Pfeilen, 
die  er  nach  ihm  wirft.  Wer  da  schwach  wird,  an  dem  hat  sein 
Herr  kein  Wohlgefallen.  Wer  dem  Gesetz  seines  Herrn  nach- 
denkt, wird  durch  die  Sorgen  dieser  Welt  nicht  bewegt.  Wer  dem 
Gesetz  seines  Herrn  nachsinnt,  der  ist  einem  Baum  ähnlich,  der 
am  Wasser  geflanzt  ist.  Derjenige,  dessen  Hoffnungen  auf  seinen 
Herrn  gebaut  sind,  ist  wiederum  dem  Baume  ähnlich,  der  am 
Bach  festgewurzelt  ist.  Wer  auf  Menschen  hofft,  empfängt  die 
Flüche  des  Jeremia.  Wer  auf  den  Bräutigam  wartet,  der  bereite 
seine  Seele.  Wer  sein  Licht  leuchten  lässt,  der  lasse  es  nicht  er- 
löschen. Wer  auf  das  Geschrei  wartet,  der  nehme  sich  Oel  in  sein 
Geföss.  Wer  die  Thür  hütet,  warte  auf  seinen  Herrn.  Wer  Jung- 
fräulichkeit liebt,  der  gleiche  dem  Elias.  Wer  das  Joch  der 
Heiligen  nimmt,  der  sitze  und  schweige.  Wer  die  Ruhe  liebt, 
der  warte  auf  seinen  Herrn,  auf  die  Hoffnung  des  Lebens.  Denn 
unser  Widersacher  ist  ein  Künstler  und  schlau  ist  der,  welcher 
gegen  uns  kämpft,  und  gegen  die  Weisen  und  Vornehmen  2) 
rüstet  er  sich,  dass  sie  zu  Fall  gebracht  'werden,  denn  die 
Schwachen  gehören  ihm.  Er  kämpft  nicht  mit  dem  gefangenen 
Volk,  dass  in  seiner  Gefangenschaft  ist.  Wer  Flügel  hat,  der 
fliege  von  ihm,  und  es  erreichen  ihn  nicht  die  Geschosse,  die  er 
nach  ihm  wirft.  Die  da  geistlich  gesinnt  sind,  sehen  ihn,  wenn 
er  sich  naht,   und   seine    Waffe   überwältigt  nicht   ihre  Leiber. 


1)  Nämlich    aus    dem    Bad    der    Taufe.    —    2)    Die   Ausgezeichneten. 
Die  Sieger. 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern.  95 

Alle  Kinder  des  Lichts  fürchten  sich  nicht  vor  ihm,  weil  die 
Finsterniss  vor  dem  Lichte  flieht.  Und  die  Kinder  des  Guten 
fürchten  sich  nicht  vor  dem  Bösen,  weil  er  ihn  zum  Fussschemel 
gemacht  hat  unter  ihre  Füsse. 

§  2.  Wenn  er  sich  ihnen  verwandelt  in  die  Gestalt  der 
Finsterniss,  so  sind  sie  das  Licht;  und  wenn  er  gegen  sie  kriecht 
wie  eine  Schlange,  so  sind  sie  Salz,  wovon  er  nichts  essen  kann. 
Und  wenn  er  sich  ihnen  verwandelt  in  die  Gestalt  einer  Natter, 
so  sind  sie  wie  Kinder.  Und  wenn  er  über  sie  kommt  im  Ver- 
langen nach  Speise,  so  besiegen  sie  ihn  mit  Fasten,  gleich  wie 
unser  Erlöser,  und  wenn  er  durch  die  Augenlust  mit  ihnen 
kämpfen  will,  erheben  sie  ihre  Augen  in  die  Höhe  zum  Himmel. 
Und  wenn  er  durch  Schmeichelei  sie  besiegen  will,  so  leihen 
sie  ihm  kein  Gehör.  Und  wenn  er  oö'en  mit  ihnen  kämpfen 
will,  siehe,  dann  ziehen  sie  ihre  Waffen  an  und  stellen  sich 
gegen  ihn.  Und  wenn  er  im  Schlaf  über  sie  kommen  will, 
dann  erwachen  sie  und  wachen  und  singen  und  beten.  Und 
wenn  er  sie  durch  den  Besitz  versuchen  will,  so  geben  sie  ihn 
den  Armen.  Und  wenn  er  als  Süsser  über  sie  kommen  will, 
so  versuchen  sie  ihn  nicht,  weil  sie  wissen,  dass  er  bitter  ist. 
Und  wenn  er  sie  von  Verlangen  nach  der  Eva  entbrennen  lässt, 
.so  bleiben  sie  für  sich  allein  und  sind  nicht  zusammen  mit  Evas 
Töchtern. 

§  3.  Denn  er  kam  über  Adam  durch  die  Eva,  und  Adam 
wurde  bethört  in  seiner  Unerfahrenheit.  Und  er  kam  über  Joseph 
durch  das  Weib  seines  Herrn,  und  Joseph  erkannte  seine  Schlau- 
heit und  wollte  ihm  kein  Gehör  schenken.  Durch  ein  Weib 
kämpfte  er  mit  Simson,  bis  er  ihm  nahm  seine  ^)  Enthaltsamkeit. 
Der  Erstgeborene  war  Ruhen  unter  allen  seinen  Brüdern,  und 
durch  das  Weib  seines  Vaters  warf  er  einen  Flecken  auf  ihn. 
Der  Hohepriester  war  Aaron  in  Israel,  und  wegen  Miriam, 
seiner  Schwester,  eiferte  er  wider  Mosen.  Mose  wurde  gesandt, 
dass  er  das  Volk  aus  Aegypten  befreie-,  und  er  führte  mit  sich 
ein  Weib,  das  ihm  zum  Bösen  rieth.  Und  der  Herr  kam  Mose 
entgegen  und  suchte  ihn  zu  tödten,  bis  sein  Weib  wieder  um- 
kehrte nach  Midian  -).  David  siegte  in  allen  seineu  Kämpfen, 
und   durch   eine  Evastochter    wurde  ein  Flecken  an  ihm  gefun- 


1)  ci^cj.-p.  seine  Nasiräerwürde.  —  2)  Exod.  4,  24;   18,  2. 


96  Homilie  VI. 

den  ^}.  Chamnuii  war  scliüii  und  lieblich  von  Gestalt,  und  er 
fesselte  ihn  durch  das  Verlangen  nach  seiner  Schwester;  und 
es  tödtete  ihn  Absalom  wegen  des  Ehebruchs  der  Tamar.  Salo- 
mon  war  der  grösste  unter  allen  Königen  der  Erde,  und  in  den 
Tagen  seines  Alters  verführten  die  Weiber  sein  Herz.  Durch 
Isebel,  die  Tochter  Ithbaals,  war  die  Bosheit  des  Ahab  gross, 
und  er  beschmutzte  sich  sehr.  Und  er  versuchte  wiederum  Hiob 
durch  seine  Söhne  und  durch  seinen  Besitz;  und  da  er  ihn  nicht 
überwältigen  konnte,  kam  er  und  brachte  mit  sich  seine  Waffe;  er 
kam  und  brachte  mit  sich  eine  Tochter  der  Eva,  die  den  Adam  zu 
Fall  gebracht  hatte;  und  sprach  durch  ihren  Mund  zu  Hiob, 
dem  gerechten  Mann,  dass  er  Gott  fluchen  solle,  und  Hiob  ver- 
warf ihren  Rath.  Und  auch  der  König  Asa  besiegte  den  Ver- 
fluchten des  Lebens,  da  er  durch  seine  Mutter  über  ihn  kom- 
men wollte.  Denn  Asa  erkannte  seine  Schlauheit  und  setzte 
seine  Mutter  von  ihrem  königlichen  Amt  und  legte  ab  und  warf 
weg  ihren  Götzendienst.  Johannes  war  der  grösste  unter  allen 
Propheten,  und  Herodes  tödtete  ihn  um  des  Tanzes  einer  Evas- 
tochter willen.  Reich  war  Haman,  der  3.  Beamte  des  Königs, 
und  es  rieth  ihm  sein  Weib,  dass  er  die  Juden  vernichten  solle. 
Simri  war  ein  Fürst  des  Stammes  Simeon,  und  es  vernichtete 
ihn  Kusbi,  eine  Tochter  des  Fürsten  Midians.  Um  Eines  Weibes 
willen  fielen  von  Israel  24000  an  einem  Tag. 

§  4.  Deswegen,  meine  Brüder,  für  jeden  Sohn  des  Bundes 
und  Heiligen,  der  die  Einsamkeit  liebt  und  will,  dass  ein  Weib,  das 
eine  Tochter  des  Bundes  ist,  gleich  wie  er,  bei  ihm  wohne,  für  den 
ist  es  also  besser,  dass  er  ein  Weib  öffentlich  nehme  und  nicht  im 
Verlangen  brenne.  Und  wiederum  für  ein  Weib  ziemt  es  sich 
also,  dass  wenn  sie  sich  nicht  von  einem  Mann  einsam  abson- 
dert, sie  öffentlich  einem  Mann  gehöre;  dass  ein  Weib  bei  einem 
Weibe  wohne,  das  ist  schön,  und  dass  ein  Mann  bei  einem 
Manne  wohne,  das  ist  recht.  Auch  soll  bei  einem  Manne,  der 
in  Heiligkeit  bleiben  will,  seine  Gattin  nicht  wohnen,  dass  er 
nicht  umkehre  zu  seiner  früheren  Art  und  es  ihm  als  Ehe- 
bruch angerechnet  werde.  Nun  ist  dieser  Rath  schön,  recht 
und  gut,  den  ich  mir  selbst  gebe  und  euch,  meine  Lieben, 
die  Einsiedler,   die  keine  Weiber   nehmen,  und  die  Jungfrauen, 


1)  Hebr   T-ris  Amuon. 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern.  97 

die  keinen  Männern  angehören,  und  die,  welche  die  Heilig- 
keit lieben:  es  ist  recht,  passend  und  schön,  dass,  wenn  es  auch 
jemandem  Zwang  kostet,  er  allein  bleibe.  Und  so  ist  es  schön 
für  ihn,  zu  wohnen  Avie  geschrieben  ist  im  Propheten  Jeremia  ^  : 
Es  ist  gut  für  einen  Mann,  dass  er  das  Joch  trage  in  seiner 
Jugend  und  sitze  einsam  und  schweige,  weil  er  dein  Joch  auf 
sich  genommen  hat.  Denn  so  ist  es  schön,  mein  Lieber,  dass, 
wer  das  Joch  Christi  trägt,  es  in  Reinheit  bewahre. 

§  5.  Denn  also  steht  geschrieben,  mein  Lieber,  über  Mose, 
dass,  seitdem  der  Heilige  sich  ihm  geoffenbart  hatte,  er  auch  die 
Heiligkeit  liebte,  und  seitdem  er  sich  heiligte,  diente  ihm  sein 
Weib  nicht:  sondern  also  steht  geschrieben  2) :  Josua,  der  Sohn 
Nuns,  war  der  Diener  Moses  von  seiner  Jugend  auf.  Und  auch, 
über  Josua  wiederum  steht  also  geschrieben '^l,  dass  er  von  dem 
Zelt  nicht  wich:  und  die  Stiftshütte ^)  war  nicht  von  einem 
Weibe  bedient,  weil  das  Gesetz  es  nicht  erlaubte,  dass  Weiber 
in  die  Stiftshütte  gingen,  sondern  auch  wenn  sie  zum  Gebet  ge- 
kommen waren,  beteten  sie  in  der  Thür  der  Stiftshütte  und 
kehrten  wieder  um.  Und  auch  den  Priestern  befahl  er,  dass  sie 
zur  Zeit  ihres  Dienstes  in  Heiligkeit  blieben  und  ihre  Weiber 
nicht  erkannten.  L^nd  auch  über  Elia  steht  also  geschrieben, 
dass  er  theils  auf  dem  Berg  Karmel  wohnte  und  theils  in  dem 
Thal  Krith,  und  dass  er  von  seinem  Schüler  bedient  wurde.  Und 
weil  sein  Herz  im  Himmel  war,  brachten  die  Vögel  des  Him- 
mels ihm  Speise^),  und  weil  er  die  Aehnlichkeit  der  Engel  des 
Himmels  auf  sich  nahm,  brachten  eben  diese  Engel  ihm  Brot 
und  Wasser,  da  er  vor  Isebel  floh*^).  Und  weil  er  seine  ganze 
Sorge  auf  den  Himmel  richtete,  wurde  er  von  einem  feurigen 
Wagen  in  den  Himmel  entrückt,  und  seine  Wohnung  ist  da- 
selbst für  ewig').  Und  auch  Elisa  ging  in  den  Spuren  seines 
Meisters  und  wohnte  in  dem  Kämmerlein  der  Schilumitin  und 
wurde  von  seinem  Schüler  bedient.  Denn  also  sprach  die  Schi- 
lumitin^): Der  Prophet  Gottes  ist  heilig,  und  er  kommt  allezeit 
bei  uns  vorüber.  Denn  also  ist  es  passend  für  seine  Heiligkeit, 
dass  wir  ihm  das  obere  Kämmerlein  und  die  Einrichtung  darin 
herrichten.     Und  was  war   die  Einrichtung  in  dem  Kämmerlein 

1)  Klagel.  Jerem.  3,  27.  28.  —  2)  Deuteron.  1,  38.  —  3)  Exod.  33,  H.  — 
4)  Wörtlich:  Das  zeitliche  Zelt.  —  .5)  1.  Kön.  17,  15.  —  6)  1.  Kön.  19,  5.  — 
T)  1.  Kön.  2,  11.  —  8)  2.  Reg.  4.  9.  10. 

Texte  und  Untersuchungen  111,  34.  7 


9S  Homilie  VI. 

des  Elisa  anders  als  nur  ein  Bett  nnd  ein  Tisch  und  ein  Stulil 
und  ein  Leuchter.  Was  sollen  wir  über  Johannes  sagen,  der 
auch  nicht  unter  den  Menschen  wohnte  und  seine  Jungfräulich- 
keit bewahrte  in  Reinheit  und  den  Geist  des  Elia  empfing.  Und 
auch  der  selige  Apostel  sagt  über  sich  und  Barnabas^):  Ist  es 
uns  denn  nicht  erlaubt  zu  essen  und  zu  trinken  und  Weiber  mit 
uns  herumzuführen?  aber  es  ist  nicht  schön  und  nicht  recht. 

§  ().  Deshalb,  meine  Brüder,  sollen  wir  wissen  und  sehen, 
dass  von  Anfang  an  der  Widersacher  Zugang  hatte  zu  den  Men- 
schen durch  das  Weib,  und  bis  ans  Ende  führt  er  es  aus  durch 
dasselbe;  denn  sie  ist  die  Waffe  des  Satans  und  durch  sie  kämpft 
er  gegen  die  Athleten.  Denn  auf  ihr  spielt  er  alle  Zeit,  denn 
vom  ersten  Tag  an  war  sie  seine  Cither.  Denn  wegen  ihr  wurde 
der  Fluch  des  Gesetzes  gegeben  und  wegen  ihr  wurde  der  Tod 
verhängt;  denn  in  Schmerzen  gebar  sie  Kinder  und  übergab  sie 
dem  Tode.  Wegen  ihr  wurde  die  Erde  verflucht,  dass  sie  Dor- 
nen und  Disteln  tragen  solle.  —  Nun,  da  der  Sohn  der  seligen 
Maria  kam,  wurden  die  Dornen  ausgerissen  und  der  Schweiss 
aufgehoben;  der  Feigenbaum  war  verflucht  und  der  Staub  in 
Salz  verwandelt,  aber  der  Fluch  wurde  ans  Kreuz  geheftet.  Und 
die  Schärfe  des  Schwertes  wurde  hinweggenommen  von  dem 
Baum  des  Lebens,  und  er  wurde  zur  Speise  gegeben  den  Gläu- 
bigen, und  das  Paradies  wurde  verheissen  den  Seligen,  den  Jung- 
fräulichen und  Heiligen,  und  es  wurden  ihnen  die  Früchte  vom 
Baum  des  Lebens  gegeben,  und  das  Reich  den  Gläubigen  und 
den  Jungfräulichen;  und  denen,  die  den  Willen  Gottes  thaten,  ist 
die  Thür  geöfinet  und  der  Weg  geebnet.  Und  die  Quelle  fliesst 
und  tränket  die  Dürstenden;  der  Tisch  ist  bereitet  und  das  Mahl 
zugerichtet;  das  Mastvieh  ist  geschlachtet;  der  Becher  des  Heils 
ist  gemischt;  das  Mahl  ist  fertig.  Der  Bräutigam  naht,  sich 
niederzulassen.  Die  Boten  laden  ein,  und  sehr  viele  sind  ge- 
rufen. Ihr  Auserwählten,  rüstet  euch:  das  Licht  ist  glänzend, 
schön  und  herrlich  und  die  Kleider,  die  nicht  mit  Händen  ge- 
macht sind,  sind  bereitet.  Das  Geschrei  ist  nahe.  Die  Gräber 
sind  geöffnet  und  die  Grüfte  aufgethan,  die  Todten  stehen  auf 
und  die  Lebendigen  fliegen  dem  Könige  entgegen.  Das  Gast- 
mahl ist  bereit,  das  Hörn  ermuntert  und  die  Posaunen  treiben 
zur  Eile,  die  Engel  des  Himmels  eilen.  Der  Stuhl  für  den 
1)  1.  Cor.  9,  4.  .5. 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern.  99 

Richter  ist  bereit.  Der  gearbeitet  hat,  freuet  sich,  untl  der  ge- 
fallen ist,  fürchtet  sieh,  und  der  gesündigt  hat,  nahet  sich  dem 
Richter  nicht.  Die  Kinder  der  Rechten  sind  fröhlich,  und  die 
zur  Linken  weinen  und  jammern.  Die  im  Lichte  sind,  werden 
erfreut,  und  die  in  der  Finsteruiss  sind,  seufzen,  dass  man  ihre 
Zunge  benetze;  die  Gnade  ist  vergangen  und  die  Gerechtigkeit 
herrschet.  Gnade  ist  nicht  an  diesem  Orte.  Der  Winter  ist  ge- 
kommen und  der  Sommer  ist  vergangen.  Der  Sabbath  der  Ruhe 
ist  gekommen;  die  Arbeit  ruhet,  die  Nacht  hört  auf,  das  Licht 
herrschet.  Der  Stachel  des  Todes  ist  zerbrochen,  und  er  selbst 
ist  verschlungen  ins  Leben.  Die  nach  der  Hölle  sich  wenden, 
weinen  und  ihre  Zähne  klappen;  und  die  zum  Reiche  eingehen, 
freuen  sich  und  sind  fröhlich  und  sind  erfreut  und  loben.  Denn 
diejenigen,  welche  keine  Weiber  genommen  haben,  werden  von 
den  Engeln  des  Himmels  bedient  und  die,  welche  die  Heilig- 
keit bewahrt  haben,  sind  zur  Ruhe  gekommen  im  Heiligthum 
des  Höchsten. 

§  7.  Alle  Einsiedler  erfreut  der  Einzige  (Sohn)  von  dem 
Busen  seines  Vaters.  Daselbst  ist  kein  Mann  und  kein  Weib, 
kein  Knecht  und  kein  Sohn  der  Edlen,  sondern  alle  sind  Kinder 
des  Höchsten.  Alle  reinen  Jungfrauen,  welche  sich  Christo  ver- 
lobt haben,  zünden  daselbst  ihre  Lampen  an  und  gehen  mit  dem 
Bräutigam  in  seine  Kammer.  Und  alle  diese,  welche  Christo 
verlobt  sind,  sind  von  dem  Fluche  des  Gesetzes  fern  und  von 
den  Strafen  der  Evastöchter  befreit.  Denn  sie  gehörten  keinen 
Männern,  dass  sie  die  Flüche  empfingen  und  in  Schmerzen  seien. 
Und  sie  achten  den  Tod  für  nichts,  weil  sie  ihm  keine  Kinder 
geboren  haben.  Und  statt  eines  sterblichen  Mannes  smd  sie 
Christo  verlobt.  Und  da  sie  keine  Kinder  gebären,  ist  ihnen  ein 
Name  gegeben,  der  besser  ist  als  Söhne  und  Töchter,  und  statt 
der  Klagen  der  Evastöchter  singen  sie  Lieder  des  Bräutigams. 
Das  Hochzeitsmahl  der  Evastöchter  dauert  7  Tage;  ihr  Bräu- 
tio;am  weichet  in  Ewigkeit  nicht.  Der  Schmuck  der  Evastöchter 
ist  Wolle,  die  veraltet  und  verdirbt;  ihre  Kleider  veralten  nicht. 
Die  Schönheit  der  Evastöchter  macht  das  Alter  verwelken,  ihre 
Schönheit  wird  zur  Zeit  der  Auferstehung  erneut.  0  ihr  Jung- 
frauen, die  ihr  eure  Seelen  Christo  verlobt  habt,  wenn  einer  von 
den  Bundessöhnen  zu  einer  von  euch  wird  sprechen:  ich  will 
bei  dir  wohnen,  diene  mir;  so  spreche  zu  ihm  also:  Ich  bin  als 


100  Homilie  VI. 

einem  Mann  dem  Könige  verlobt,  und  ihm  diene  ich.  Und  wenn 
ich  seinen  Dienst  verlassen  und  dir  dienen  würde,  so  würde  mein 
Verlobter  über  mich  erzürnen  und  mir  einen  Scheidebrief  schrei- 
ben und  mich  aus  seinem  Hause  werfen.  Und  wenn  du  ver- 
langst, dass  du  von  mir  geehrt  werdest,  so  will  auch  ich  von 
dir  geehrt  werden,  damit  nicht  Verderben  treffe  mich  und  dich. 
Lege  kein  Feuer  in  deinen  Busen,  dass  du  nicht  deine  Kleider 
verbrennest,  die  von  dem  Bräutigam  bereitet  sind  für  diejenigen, 
die  zu  seinem  Mahle  eingehen,  sondern  sei  du  in  Ehren  allein, 
und  auch  ich  will  in  Ehren  allein  bleiben  ').  Mache  du  dir  dein 
Hochzeitsgeschenk  bereit  und  bereite  deine  Seele  ihm  entgegen: 
und  ich  will  mir  das  Oel  bereit  halten,  dass  ich  mit  den  klugen 
Jungfrauen  gehe,  und  nicht  draussen  vor  der  Thür  gelassen 
werde  mit  den  thörichten  Jungfrauen. 

§  8.  Höre  aber,  mein  Lieber,  was  ich  dir  schreiben  will; 
Alles  was  sich  ziemet  für  Einsiedler,  für  Bundessöhne,  für  Jung- 
fräuliche, Heilige.  Vor  Allem  ziemet  sich  für  den  Mann,  der 
das  Joch  auf  sich  genommen  hat,  dass  sein  Glaube  wahr  sei, 
wie  ich  dir  im  ersten  Briefe  geschrieben  habe;  dass  er  fleissig 
sei  im  Fasten  und  im  Gebet,  dass  er  warm  sei  in  der  Liebe 
Christi;  dass  er  demüthig  sei  und  geduldig  und  massig;  und 
dass  sein  Wort  milde  und  angenehm  sei;  und  dass  seine  Ge- 
sinnung rein 2)  sei  gegen  jedermann;  und  dass  er  seine  Worte 
rede  mit  der  Wage;  und  dass  er  seinem  Munde  einen  Zaun  mache 
vor  den  boshaften  Worten;  und  dass  er  von  sich  fern  halte  das 
vorlaute  Lachen;  und  dass  er  nicht  den  Schmuck  der  Kleider 
liebe  und  weiter  nicht  den  seines  Haares,  dass  er  es  nicht  lang 
wachsen  lasse  und  es  schmücke;  dass  er  sich  nicht  mit  wohl- 
riechenden Oelen  salbe,  ziemet  ihm;  und  dass  er  nicht  bei  Gast- 
mählern liege.  Und  es  ziemet  ihm,  dass  er  sich  nicht  in  ge- 
schmückte Gewänder  kleide,  vmd  dass  er  nicht  wage  an  den 
Wein  zu  gerathen;  und  dass  er  den  Hochmuth  von  sich  fern 
halte,  und  es  ziemet  ihm,  dass  er  nicht  nach  geschmückten  Klei- 
dern sehe,  und  dass  er  nicht  Mäntel  trage;  und  dass  er  die 
falsche  Zunge  von  sich  fern  halte;  und  dass  Hass  und  Streit  bei 


1)  Hier  ist  im  syrischen  Text  eine  Zeile  verrückt  worden;  für  iVi\s\ 
das  der  syrische  Text  hat,  ist  i.\«s'>.  zu  lesen. 

2)  oder  billig,  gerecht. 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdeim.  101 

ihm  keinen  Eingang  finde  ^);  und  dass  er  die  falschen  Lippen 
ablege;  und  dass  er  Worte,  die  über  einen  Menschen  gesagt 
werden,  wenn  der,  über  den  sie  gesprochen  werden,  nicht  in  der 
Nähe  ist,  nicht  anhöre  und  nicht  annehme,  bevor  er  geprüft  hat, 
damit  er  nicht  sündige.  Die  Spottsucht  ist  ein  verhasster  Fehler, 
und  man  soll  sie  nicht  in  seinem  Herzen  aufkommen  lassen; 
und  dass  er  keine  Zinsen  zuschlage  und  nehme;  und  dass  er  den 
Geiz  nicht  liebe;  dass  er  Unrecht  leide  und  nicht  Unrecht  thue; 
dass  er  ferner  Streit  von  sich  fern  halte,  dass  er  Fabelreden 
nicht  führe;  dass  er  nicht  jemand  verspotte,  der  sich  von  seinen 
Sünden  bekehrt  hat;  dass  er  nicht  seinen  Bruder  verlache,  der 
da  fastet;  und  dass  er  nicht  den,  der  nicht  fasten  kann,  be- 
schäme. Wo  er  angenommen  wird,  soll  er  ermahnen,  wo  man 
ihn  nicht  annimmt,  soll  er  seine  Ehre  wahren"^).  Wenn  sein 
Wort  angenommen  wird,  soll  er  reden,  wenn  nicht,  soll  er 
schweigen.  Wegen  seines  Bauches  mache  er  nicht  seine  Seele 
verächtlich  durch  seine  Bitten.  Dem,  der  Gott  fürchtet,  offen- 
bare er  sein  Geheimniss,  und  vor  dem  Bösen  nehme  er  sich  in 
Acht.  Nach  einem  bösen  Mann  soll  er  nicht  reden,  und  auch 
nicht  nach  einem,  der  ihn  hasst,  dass  er  nicht  in  Streit  gerathe 
und  dieser  ihn  nicht  ganz  hasse.  Wenn  er  ihn  um  des  Guten  willen 
hasst,  so  soll  er  noch  zunehmen  im  Guten,  und  um  des  Hasses 
willen  soll  er  sich  nicht  grämen.  Wenn  er  hat  und  gibt  den 
Armen,  soll  er  sich  freuen.  Wenn  er  nicht  hat,  soll  er  nicht 
traurig  sein.  Mit  einem  bösen  Menschen  soll  er  keinen  Ver- 
kehr haben  und  mit  einem  schandbaren  Mann  soll  er  nicht  reden, 
damit  er  nicht  sich  selbst  in  Schande  begebe.  Mit  einem  gottes- 
lästerlichen Menschen  soll  er  sich  nicht  disputiren,  damit  sein 
Herr  nicht  wegen  ihm  gelästert  werde.  Von  Verleumdung  soll 
er  fern  bleiben,  und  sie  sollen  sich  nicht  unter  einander  zu  ge- 
fallen suchen  durch  schmeichlerische  Worte.  Dieses  ziemt  sich 
für  die  Einsiedler,  für  diejenigen,  welche  das  himmlische  Joch 
auf  sich  genommen  haben  und  Jünger  Christi  sind;  denn  also 
gebühret  es  den  Jüngern  Christi,  dass  sie  ihrem  Meister  Christus 
ähnlich  seien. 

§  9.    Lasset  uns  ein  Vorbild  nehmen ,  mein  Lieber,  an  un- 
serem Erlöser,  der,  da  er  reich  Avar,  arm  geworden  ist,  und  da 

1)  Wörtlich:  an  ihm  vorübergehe.  —  2)  Wörtlich:  soll  er  seine  Ehre- 
erkennen. 


102  Homilie  VI. 

er  hoch  war.  seine  Majestät  erniedrigt  hat,  und  da  seine  Woh- 
nung in  der  Höhe  war-,  nicht  hatte,  wo  er  sein  Haupt  hinlege  i), 
und  er,  der  auf  den  Wolken  kommen  soll,  ritt  auf  einem  Esel 
und  kam  nach  Jerusalem.  Und  da  er  Gott  war,  der  Sohn  Gottes, 
nahm  er  Knechtsgestalt  an.  Und  da  er  die  Ruhe  war  für  alle 
die  Mühseligen,  nahm  er  auf  sich  die  Mühsal  des  Weges.  Und 
da  er  die  Quelle  war,  die  den  Durst  stillt,  dürstete  er  und  bat 
um  Wasser  zum  trinken.  Und  da  er  die  Speise  war  und  unseren 
Hunger  stillte,  hungerte  er,  da  er  in  die  Wüste  ging  und  ver- 
sucht wurde.  Und  da  er  der  Wächter  war,  der  nicht  schlief, 
schlief  und  schlummerte  er  im  Schiff  mitten  im  Meer.  Und 
da  er  bedient  wurde  in  der  Wohnung  seines  Vaters,  wurde 
er  von  Menschenhänden  bedient.  Und  da  er  der  Arzt  war 
aller  kranken  Menschen,  wurden  ihm  Nägel  in  seine  Hände  ge- 
schlagen. Und  da  sein  Mund  nur  Gutes  hervorbrachte ,  gaben 
sie  ihm  Galle  zu  essen.  Und  da  er  keinem  Menschen  schadete 
und  wehe  that,  erlitt  er  Schläge  und  erdul^lete  Verhöhnung. 
Und  da  er  zum  Leben  erweckte  alle  Verstorbenen,  gab  er  sich 
selbst  hin  in  den  Tod  am  Kreuz.  Alle  diese  Erniedrigung  zeigte 
unser  Erlöser  an  sich  selbst.  So  lasset  uns  nun,  meine  Lieben, 
auch  uns  selbst  erniedrigen.  Unser  Herr  kam  aus  seiner  Natur, 
und  ging  in  unsere  Natur.  Lasset  uns  hoffen  in  unserer  Natur, 
dass  er  am  Tag  des  Gerichts  uns  theilhaftig  macht  seiner  Natur. 
§  10.  Unser  Herr  nahm  von  uns  ein  Pfand  und  ging;  und 
Hess  uns  ein  Pfand  von  dem  Seinen  und  wurde  erhöht;  Er,  der 
nichts  bedurfte,  wurde  wegen  unserer  Bedürftigkeit  also  erfun- 
den. Das  Unserige  war  ja  das  Seinige,  auch  von  Anfang  an; 
wer  aber  würde  uns  von  dem  Seinigen  geben?  Es  ist  nämlich 
wahr,  was  uns  unser  Herr  verheissen  hat"^):  Wo  ich  bin,  da 
werdet  ihr  auch  sein.  Da  das,  was  er  von  uns  empfangen  hat, 
bei  ihm  in  Ehren  und  die  geflochtene  Krone  auf  seinem  Haupte 
ist,  so  gebühret  uns  auch,  dass  wir  das  Seinige,  das  wir  em- 
pfangen haben,  ehren.  Das  Unserige  ehret  er  bei  sich  nicht 
nach  unserer  Natur;  lasset  uns  das  Seinige  ehren  nach  seiner 
eigenen  Natur.  Wenn  wir  ihn  aber  ehren,  werden  wir  kommen 
zu  ihm,  der  da  empfangen  hat  und  emporgestiegen  ist;  und 
wenn  wir  ihn  verachten,   wird  er  von  uns  nehmen,  was  er  uns 


1)  Matt.  8,  20.  —  2)  Joli.  14,  3. 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern.  103 

gegeben  hat;  vuid  wenn  wir  seiu  Pfand  verweigern,  so  wird  er 
dort  das  Seinige  wegnehmen;  und  was  er  ims  verheissen  hat, 
wird  er  uns  versagen.  Lasset  uns  den  Sohn  des  Königs,  der  bei  uns 
ist,  herrlich  erheben,  denn  er  sei  als  Geissei  an  seiner  Statt  von 
uns  gehalten.  Wer  den  Sohn  des  Königs  in  Ehren  hält,  findet 
von  dem  Könisr  viele  Geschenke.  Das  Unserige,  das  bei  ihm  ist, 
sitzet  in  Ehre,  und  die  Krone  ist  um  sein  Haupt  geflochten; 
und  er  hat  ihn  gesetzet  neben  den  König.  Und  wir,  die  wir 
arm  sind,  was  sollen  wir  dem  Königssohn  thun,  der  bei  uns  ist? 
Er  bedarf  nichts  von  uns,  als  dass  wir  ihm  unsern  Tempel 
schmücken,  damit  er,  wenn  die  Zeit  erfüllet  ist  und  er  zu  seinem 
Vater  geht,  er  ihm  von  uns  rühmend  erzähle,  weil  wir  ihn  ge- 
ehrt haben.  Da  er  zu  uns  kam,  hatte  er  nichts  von  dem  Unserigen 
und  auch  wir  hatten  nichts  von  dem  Seinigen,  obgleich  die  Na- 
turen ihm  und  seinem  Vater  gehörten.  Denn  da  Gabriel  der 
seligen  Maria,  die  ihn  gebar,  die  Verkündigung  brachte,  nahm 
er  das  Wort  aus  der  Höhe  und  kam,  und  i)  das  Wort  ward 
Fleisch  und  wohnte  unter  uns.  Und  da  er  ging  zu  dem,  der 
ihn  gesandt  hatte,  ging  er  und  nahm  mit  sich,  was  er  nicht 
gebracht  hatte;  wie  der  Apostel  sagt  2):  Er  führte  uns  hinauf 
und  versetzte  vms  zu  sich  in  den  Himmel.  Und  da  er  zu  seinem 
Vater  gegangen  war,  sandte  er  uns  seinen  Geist  und  sprach  zu 
uns  3):  Ich  bin  bei  euch,  bis  die  Welt  beendet  ist.  Christus 
nämlich  sitzet  zur  Rechten  seines  Vaters,  und  Christus  wohnet 
zugleich  in  den  Menschenkindern;  er  ist  theilhaftig  der  Weis- 
heit seines  Vaters  in  die  Höhe  und  in  die  Tiefe;  und  er  wohnet 
bei  Vielen,  da  Er  doch  nur  Einer  ist  und  bei  den  Gläubigen 
hin  und  her,  weil  sie  von  ihm  stammen;  und  er  wird  da- 
durch nicht  vermindert,  wie  geschrieben  steht  ^):  Er  hat  ihn 
unter  viele  vertheilt.     Und  obgleich  er  unter  viele  vertheilt  ist, 


1)  Job.  1,  14.  —  2)  Ephes.  2,  6. 

3)  Matt.  28,  20.  Ebenso  in  der  Wortstellung  und  Abkürzung  S.  4S4,  3 
(Wrigbt)  nur  statt:  |.lcui»i»  >aNA.?,  bis  die  Welt  beendet  ist,  heisst  es 
dort  l^nV'--;'  |v«Vn  aV  bis  ans  Ende  der  Welt.  Pescb.  übereinstimmend 
mit  dem  griech.  Text:  (TvSn';^^ 3.^.1:;^  i-^r^  jiJxc.-  ^coi-li^  Ul  ,--iiO^  l-J]  l^  = 
. ,— Cäo]    .  jVi\N?    Syr.  Cur.  fehlt. 

4)  Jesaia  53,  12. 


104  Homilie  VI. 

SO  sitzt  er  zur  Rechten  seines  Vaters,  und  er  ist  in  uns  und  wir 
in  ihm;  wie  er  gesagt  hat'):  Ihr  seid  in  mir  und  ich  in  euch. 
Und  an  einer  anderen  Stelle  sagt  er^):  Ich  und  der  Vater 
sind  eins. 

§  11.  Und  wenn  nun  jemand,  dessen  Erkeuntniss  zu  klein 
ist,  um  es  zu  verstehen,  hierüber  streiten  wollte  und  sagen:  Wenn 
Christus  Einer  ist  und  Einer  sein  Vater,  wie  wohnet  Christus 
und  sein  Vater  in  gläubigen  Menschenkindern?  Und  wie  sind 
gerechte  Menschenkinder  Tempel  Gottes,  und  wie  wohnet  Er  in 
ihnen':'  Wenn  es  also  sich  so  verhält  und  zu  einem  jeden  der 
gläubigen  Menschenkinder  ein  Christus  kommt,  und  Gott,  der 
in  Christus  ist.  wenn  es  sich  also  verhält,  so  sind  viele  Götter 
und  unzählige  Christus?  So  höre,  mein  Lieber,  die  Widerlegung, 
wie  sie  sich  für  dieses  Wort  gebührt.  Aus  der  sichtbaren  Welt 
nehme  die  Lehre,  wer  also  spricht.  Denn  jedermann  weiss,  dass 
die  Sonne  am  Himmel  befestigt  ist,  und  dass  ihre  Strahlen  auf 
der  Erde  verbreitet  sind,  und  es  kommt  von  ihr  in  viele  Thüren 
und  in  die  Fenster  der  Häuser;  und  wo  ein  Sonnenstrahl  hin- 
fällt, auch  wenn  es  nur  eine  Hand  breit  wäre,  wird  er  Sonne 
genannt,  und  wenn  er  an  viele  Ort  fällt,  wird  er  also  genannt; 
und  die  Sonne  selbst  ist  am  Himmel.  Wenn  es  sich  nun  also 
verhält,  gibt  es  dann  viele  Sonnen?  Und  auch  des  Wassers  des 
Meeres  ist  viel,  und  wenn  du  eine  Schale  davon  nimmst,  so 
wird  es  Wasser  genannt,  und  wenn  du  es  in  100  Gefässe  ver- 
theilst,  so  wird  es  mit  Namen  Wasser  genannt.  Und  auch  wenn 
du  Feuer  anzündest  an  einem  Feuer  an  vielen  Orten,  so  wird 
das,  wovon  du  genommen  und  angezündet,  nicht  vermindert,  und 
es  wird  mit  einem  Namen  Feuer  genannt,  und  es  führt  nicht, 
weil  du  es  an  vielen  Orten  vertheilt  hast,  viele  Namen.  Und 
wenn  du  Staub  von  der  Erde  nimmst  und  ihn  an  viele  Orte 
wirfst,  so  wird  der  Staub  nicht  vermindert,  und  du  kannst 
ihn  auch  nicht  mit  vielen  Namen  nennen.  Ebenso  auch  Gott 
und  sein  Christus,  obgleich  sie  einer  sind,  wohnen  sie  doch  in 
vielen  Menschenkindern;  und  sie  selbst  sind  im  Himmel  und  sind 
um  nichts  vermindert,  da  sie  (doch)  in  vielen  wohnen;  wie  die 
Sonne  am  Himmel  um  nichts  vermindert  wird,  da  sie  ihre  Kraft 
auf  Erden  sendet.     Sie  ist  eine,  wie  auch  die  Kraft  Gottes  nicht 


1)  Joh.  14,  20.  —  2)  Joh.  10,  30. 


Die  Unterweisung  von  den  Biindosbrüdern.  105 

eine  vielfache  ist;  denn  aucli  die  Sonne  ist  durch  die  Kraft 
Gottes  geschaffen.  Weiter  erinnere  ich  dich,  mein  Lieber,  auch 
an  das,  was  geschrieben  steht.  Denn  also  steht  geschrieben: 
Da  es  dem  Mose  zu  schwer  wurde,  das  Heer  allein  zu  führen, 
sprach  zu  ihm  der  Herr^):  Siehe,  ich  nehme  von  dem  Geist,  der 
auf  dir  ist,  und  gebe  ihn  70  betagten  Männern  von  Israel.  Und 
obgleich  er  von  dem  Geist  des  Mose  nahm,  und  70  Männer  von 
ihm  erfüllt  wurden,  so  entbehrte  Mose  doch  nichts,  oder  ist  sein 
Geist  als  solcher  bekannt,  dem  etwas  fehlte?  Und  auch  der  selige 
xlpostel  sagt:  Gott  vertheilte  von  dem  Geiste  seines  Christus 
und  sandte  ihn  in  die  Propheten.  Und  Christus  wurde  um  nichts 
geschädigt,  weil  ihm  sein  Vater  den  Geist  nicht  nach  Mass  ge- 
geben hatte.  In  diesem  Sinn  kannst  du  zustimmen,  dass  Christus 
in  den  gläubigen  Menschenkindern  wohnt;  da  Christus  um 
nichts  geschädigt  wird,  wenn  er  in  vielen  vertheilt  ist.  Denn 
von  dem  Geiste  Christi  haben  die  Propheten  empfangen,  jeder 
von  ihnen  nach  dem  Masse,  als  er  tragen  konnte,  und  von  dem 
Geiste  Christi  wiederum  ist  jetzt  ausgegossen  auf  alles  Fleisch, 
und  es  weissagen  die  Söhne  und  Tochter,  die  Greise  und  die 
Jünglinge,  die  Knechte  und  Mägde.  Und  von  Christo  ist  ein  Tlieil 
in  uns,  und  Christus  ist  im  Himmel  zur  Rechten  seines  Vaters, 
und  Christus  hat  den  Geist  nicht  nach  Mass  empfangen,  sondern 
sein  Vater  liebt  ihn,  und  er  hat  Alles  in  seine  Hände  gegeben, 
und  über  seinen  ganzen  Schatz  hat  er  ihn  zum  Herrn  eingesetzt. 
Denn  Johannes  sagt  2):  Nicht  nach  Mass  hat  der  7ater  den  Geist 
seinem  Sohne  gegeben,  sondern  er  liebt  ihn  und  hat  ihm  Alles 
in  seine  Hände  übergeben.  Und  auch  unser  Herr  spricht -') :  Alles 
ist  mir  von  meinem  Vater  übergeben.  Wiederum  sagt  er*):  Der 
Vater  richtet  niemand,  sondern  alles  Gericht  hat  er  dem  Sohne 
gegeben.  Und  auch  der  Apostel  sagt^):  Alles  ist  Christo  unter- 
than  ausser  seinem  Vater,  der  ihm  Alles  unterthan  gemacht  hat, 
und  wenn  ihm  von  seinem  Vater  Alles  unterthan  gemacht  ist, 
dann  ist  auch  er  Gott  seinem  Vater  unterthan,  der  ihm  alles 
unterthan  gemacht  hat.  Und  Gott  ist  Alles  in  Allem,  und  in 
jedem  Menschen. 


1)  Num.  11,  17.  —  2)  Joh.  3,  34.  oii-ii!:^.,  das  Aphr.  wie  Ephr.  Com. 
105  zusetzt,  fehlt  in  Pesch.  und  Syr.  Ciu-.  —  3)  Matt.  11,  27.  —  4)  Joh. 
5,  22.  —  .-))  J.  Cor.   1.5,  27.  28. 


106  Homilie  VI. 

§  12.  lieber  Jobauues  bezeugt  unser  Herr,  dass  er  der 
grösste  ist  unter  den  Propheten;  und  docb  hat  er  den  Geist  nach 
Mass  empfangen;  denn  nach  dem  Masse,  nach  welchem  Elia 
empfangen  hatte,  hat  auch  Johannes  den  Geist  empfangen.  Und 
wie  Elia  in  der  Wüste  wohnte,  also  auch  führte  den  Johannes 
der  Geist  Gottes,  und  er  wohnte  in  der  Wüste,  auf  Bergen  und 
in  Höhlen.  Den  Elia  speisten  die  Vögel,  und  Johannes  ass  ge- 
flügelte Heuschrecken;  Elia  war  mit  einem  Gewände  von  Fell 
um  seine  Lenden  umgürtet,  und  Johannes  war  mit  einem  ledernen 
Gürtel  um  seine  Lenden  gegürtet.  Den  Elia  verfolgte  Isebel; 
imd  den  Johamies  verfolgte  Herodias.  Elia  tadelte  den  Aliab, 
und  Johannes  mahnte  den  Herodes.  Elia  theilte  den  Jordan, 
und  Johannes  öfthete  die  Taufe.  Des  Elia  Geist  ruhte  doppelt 
auf  Elisa.  Und  Johannes  legte  seine  Hand  auf  unsern  Erlöser, 
und  dieser  empfing  den  Geist  ohne  Mass.  Elia  ööhete  den  Himmel 
und  stieg  hinauf,  und  Johannes  sah  den  Himmel  geöffnet  und 
den  Geist  Gottes,  der  herabkam  und  auf  unserem  Erlöser  ruhte. 
Elisa  empfing  den  Geist  des  Elia  in  doppeltem  Masse,  und  unser 
Erlöser  empfing  den  des  Johannes  und  den  des  Himmels.  Elisa 
empfing  den  Mantel  des  Elia;  und  unser  Erlöser  die  Auflegung 
der  Priesterhände.  Elisa  machte  Oel  aus  Wasser,  und  unser 
Erlöser  machte  Wein  aus  Wasser;  Elisa  sättigte  mit  wenigem 
Brot  nur  100  Mann,  und  unser  Erlöser  sättigte  mit  wenigem 
Brot  5000  Mann,  ausser  den  Kindern  und  Frauen.  Elisa  reinigte 
den  Naeman  vom  Aussatz,  und  unser  Erlöser  reinigte  die  Zehne. 
Elisa  fluchte  den  Knaben,  und  sie  wurden  von  Bären  verzehrt, 
und  unser  Erlöser  segnete  die  Kinder.  Den  Elisa  verspotteten 
die  Knaben,  und  unsern  Erlöser  priesen  die  Kinder  mit  Hosianna. 
Elisa  verfluchte  seinen  Schüler  Gehasi,  und  unser  Erlöser  fluchte 
seinem  Jünger  Judas  und  segnete  alle  seine  übrigen  Jünger. 
Elisa  machte  nur  Einen  Verstorbenen  lebendig,  und  unser  Er- 
löser machte  3  lebendig.  Elisa  weckte  einen  Verstorbenen  zum 
Leben  durch  seine  Gebeine,  und  unser  Erlöser,  da  er  in  die  Unter- 
welt herabfuhr,  machte  viele  lebendig  und  Hess  sie  auferstehen. 
Und  viele  sind  der  Zeichen,  die  Christi  Geist  gethan  hat,  von 
welchem  die  Propheten  empfangen  haben. 

§  13.  Deshalb ,  mein  Lieber ,  haben  auch  wir  von  dem 
Geiste  Christi  empfangen,  und  Christus  wohnet  in  uns,  wie  ge- 
schrieben steht,  dass  der  Geist  durch  den  Mund  des  Propheten 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern.  107 

spricht  ^):  Ich  will  in  ihnen  Avohnen  und  in  ihnen  wandeln.  Nun  so 
lasset  uns  unsern  Tempel  dem  Geiste  Christi  zurichten  und  ihn 
nicht  betrüben,  damit  er  nicht  von  uns  weiche.  Erinnert  euch  dessen, 
was  der  Apostel  euch  gemahnet  hat,  nämlich  -;:  Betrübet  nicht  den 
heiligen  Geist,  damit  ihr  versiegelt  seid  auf  den  Tag  der  Er- 
lösung. Denn  seit"^)  der  Taufe  haben  wir  den  Geist  Christi 
empfangen:  denn  in  der  Stunde,  da  die  Priester  den  Geist  an- 
rufen, öffnet  er  den  Himmel  und  kommt  herab  und  schwebt 
über  dem  Wasser  und  es  ^)  ziehen  ihn  an  diejenigen,  die  ge- 
tauft werden.  Denn  von  allen,  die  vom  Leibe  geboren  sind,  ist 
der  Geist  fern,  bis  sie  zur  Geburt  des  Wassers  kommen,  und  als- 
dann empfangen  sie  den  heiligen  Geist;  denn  bei  der  ersten  Ge- 
burt werden  sie  in  dem  natürlichen'^)  Geiste  geboren,  der  ge- 
schaffen ist  in  dem  Menschen  und  nicht  mehr  sterblich  ist;  wie  er 
sagt*^):  Adam  ward  eine  lebendige  Seele.  Und  bei  der  zweiten 
Geburt,  die  in  der  Taufe  geschieht,  empfangen  sie  den  heiligen 
Geist  von')  der  Gottheit  selbst,  und  er  ist  nicht  wieder  sterblich. 
Denn  wenn  die  Menschen  sterben,  wird  der  natürliche  Geist  mit 
dem  Leibe  begraben,  und  das  Bewusstsein  wird  von  ihm  ge- 
nommen und  der  himmlische  Geist  geht  zu  seiner  Natur  bei 
Christo.  Und  dieses  beides  lehrt  uns  der  Apostel;  denn  er  sagt^,: 
es  wird  begraben  ein  natürlicher  Leib,  und  stehet  auf  ein  geist- 
licher Leib.  Der  Geist  geht  wieder  zu  Christo  zu  seiner  Natur. 
Und  der  Apostel  sagt  wiederum  ^):  Wenn  wir  von  dem  Leibe 
ausgehen,  werden  wir  bei  dem  Herrn  sein.  Denn  zu  unserm 
Herrn  geht  der  Geist  Christi,  er,  den  die  Geistlichen^")  em- 
pfangen haben;  und  der  natürliche  Geist  wird  begraben  zu  seiner 


1)  2.  Cor.  G,  16;  Levit.  2G,  12.  —  2)  Ephes.  4,  30.  —  3)  oder  auch 
von  der,  oder  durch  die  Taufe  U...?iViSV  ^i^.  —  4)  d.  h.  sie  bekleiden 
sich  damit. 

5)  Der  Gegensatz  i;_«_L*.^3  l.»*=i  und  i..A.?=..2?  ].m.c'>  oder  U.j.1  tNn  4   )_*kc^ 

entspricht  dem  Gegensatz  in  1.  Cor.  2,  14.  15  cci  -a°1^?  I-aJi-—  und 
).1.<4C^  ].jLJf^  griech.  \['v/i/idg  avÜ^QWTtoq  und  nvtvuaxixug  dri^Q.  Vulg. 
homo  animalis  et  spiritualis;  Luther:  Der  natürliche  Mensch  und  der 
geistliche  Mensch,  vgl.  hom.  VlII  §.2. 

6)  Genes.  2,  7.  —  7)  Wörtlich:  „Ex  ipsa  divinitate"  als  einen  Theil 
der  Gottheit  selbst.  —  8)  1.  Cor.  15,  44;  Eccles.  12,  7.  —  9)  2.  Cor.  5,  8.  — 
10)  d.  h.  die  den  heiligen  Geist  haben,  die  geistlich  Gesinnten. 


108  Homilie  VI. 

Natur,  und  das  Bewusstsein  wird  von  ihm  genommen.  Wer  den 
Geist  Christi  in  Reinheit  bewahrt,  über  den  spricht  dieser,  wenn  er 
zu  Christo  kommt,  also:  der  Leib,  zu  dem  ich  gekommen  bin, 
und  der  mich  angezogen  hat  aiis  dem  Wasser  der  Taufe,  hat  mich 
in  Heiligkeit  bewahrt.  Und  der  heilige  Geist  ermahnt  Christum, 
dass  er  den  Leib,  der  ihn  rein  beAvahrt  hat,  auferwecke,  und  der 
Geist  bittet,  dass  er  wieder  mit  ihm  vereinigt  ^)  werde,  dass  der 
Leib  auferstehe  in  Herrlichkeit.  Und  von  demjenigen  Menschen, 
der  den  Geist  aus  dem  Wasser  empfängt  und  ihn  betrübt,  von 
dem  geht  er  wieder  aus,  ehe  dieser  gestorben  ist,  und  geht  zu  seiner 
Natur  bei  Christo  und  verklagt  bei  ihm  den  Menschen,  der  ihn 
betrübt  hat.  Und  wenn  die  Zeit  da  ist,  dass  das  Ende  gekommen 
ist,  und  wenn  die  Zeit  der  Auferstehung  nahe  ist,  dann  nimmt 
der  heilige  Geist,  der  in  Reinheit  bewahrt  ist,  grosse  Kraft  von 
seiner  Natur  und  kommt  vor  Christus  her  und  stehet  an  der 
Thür  der  Gr<äber,  wo  die  Menschen  begraben  sind,  die  ihn 'in 
Reinheit  bewahrt  haben,  und  wartet  auf  den  Ruf.  und  wenn 
die  Engel  die  Thüren  des  Himmels  öffnen  vor  dem  Könige,  als- 
dann ruft  das  Hörn  und  die  Posaunen  erschallen,  und  der  Geist, 
der  auf  den  Ruf  wartet,  höret  es,  und  eilends  öffnet  er  die  Gräber 
und  erwecket  die  Leiber,  und  was  in  ihnen  begraben  ist  und  be- 
kleidet ihn  mit  Herrlichkeit,  die  mit  ihm  kommt,  und  er  (der 
Geist)  ist  inwendig  in  der  Auferstehung  des  Leibes,  und  die  Herr- 
lichkeit dienet  von  aussen  zum  Schmuck  des  Leibes,  und  der 
natürliche  Geist  wird  in  den  himmlischen  Geist  verschlungen  und 
der  ganze  Mensch  gehört-)  dem  Geiste,  da  sein  Leib  in  ihm  ist. 
Und  der  Tod  ist  verschlungen  in  das  Leben,  und  der  Leib  ist 
verschlungen  in  den  Geist,  und  der  Mensch  fliegt  (getragen;  von 
dem  Geiste  dem  Könige  entgegen  und  empfängt  ihn  mit  Freude^ 
und  Christus  hat  sein  Wohlgefallen  an  der  Güte  des  Leibes, 
der  den  Geist  rein  bewahrt  hat.  Und  das  ist  der  Geist,  mein 
Lieber,  welchen  die  Propheten  empfangen  haben  und  ebenso  auch 
wir.  Und  er  wird  nicht  allezeit  gefunden  bei  denen,  die  ihn 
empfangen  haben,  sondern  bald  geht  er  zu  dem,  der  ihn  gesandt 
hat,  bald  kommt  er  zu  dem,  der  ihn  empfangen  hat.  Höre  auf 
das,  was   unser  Herr  sagt''):   Verachtet  nicht   einen  von  diesen 


1)  Wörtlich:    „dass  er  hinzugefügt  werde".  —  2)  l^ohj  könnte  auch 
übersetzt  werden:  Ist  geistlich.  —  3)  Matt.  18,  10. 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern.  J09 

Kleinen,  die  an  micli  glauben,  denn  ihre  Engel  im  Himmel  sehen 
allezeit  das  Angesicht  meines  Vaters.  Dieser  Geist  gehet  alle- 
zeit und  stehet  vor  Gott  und  siehet  sein  Angesicht,  und  wer  den 
Tempel  verletzt,  darinnen  er  wohnt,  den  verklagt  er  vor  Gott. 
Ich  will  dich  lehren,  was  (darüber)  geschrieben  steht,  dass  der 
Geist  nicht  allezeit  gefunden  wird  bei  denen,  die  ihn  empfangen 
haben.  Denn  also  steht  geschrieben:  Von  Saul  wich  der  heilige 
Geist,  den  er  empfangen  hatte,  da'  er  gesalbt  wurde,  weil  er  ihn 
betrübt  hatte,  und  es  schickte  ihm  Gott  statt  seiner  einen  Geist 
der  Anfechtung.  Und  da  er  von  dem  bösen  Geiste  geängstigt 
wurde,  schlug  David  die  Cither,  und  es  kam  der  heilige  Geist, 
den  David  empfangen  hatte,  da  er  gesalbt  wurde,  und  es  floh 
vor  ihm  der  böse  Geist,  der  Saul  gequält  hatte.  Und  es  wurde 
der  heilige  Geist,  den  David  empfangen  hatte,  nicht  allezeit  bei 
ihm  gefunden;  wenn  er  die  Cither  schlug,  alsdann  kam  er.  Denn 
wenn  er  allezeit  bei  ihm  gewesen  wäre,  so  hätte  er  ihn  auch 
nicht  an  dem  Weibe  des  Uria  sich  versündigen  lassen.  Denn  da 
er  betete  um  seiner  Sünde  willen  und  seine  Thorheiten  vor  Gott 
bekannte'),  sprach  er  also:  Nimm  deinen  heiligen  Geist  nicht 
von  mir.  Und  auch  von  Elisa  steht  geschrieben"-),  dass,  wenn 
er  die  Cither  schlug,  alsdann  der  heilige  Geist  zu  ihm  gekommen 
sei;  und  dann  habe  er  geweissagt  und  gesprochen:  So  spricht 
der  Herr:  Ihr  werdet  nicht  Wind  noch  Regen  sehen,  und  doch 
soll  an  diesem  Bach  Cisterne  neben  Cisterne  gegraben  werden. 
Und  auch  da  die  Schilumitin  zu  ihm  kam  wegen  ihres  Sohnes, 
der  gestorben  war,  sprach  er  also  zu  ihr  3):  Der  Herr  hat  es  vor 
mir  verborgen  und  hat  es  mir  nicht  mitgetheilt.  Und  da  der 
König  von  Israel  zu  ihm  sandte,  dass  er  ihn  tödten  Hesse,  machte 
es  ihm  der  Geist  kund,  ehe  der  Bote  zu  ihm  kam,  und  er  sprach  ^) : 
Siehe,  dieser  Sohn  des  Frevels  hat  gesandt,  dass  er  mein  Haupt 
nehme.  Und  er  theilte  ihm  ferner  mit  das  fruchtbare  Jahr,  das 
in  Samaria  darnach  war.  Wiederum  aber  that  es  ihm  der  Geist 
kund,  als  Gechasi  das  Geld  gestohlen  hatte  und  es  verheimhchte. 
§  14.  Deshalb,  mein  Lieber,  wenn  der  heilige  Geist  von 
einem  Menschen,  der  ihn  empfangen  hat,  weicht,  dann  kämpft, 
bis  er  wieder  zu  ihm  kommt,  der  Satan  mit  diesem  Menschen, 
damit  er  ihn  zu  Fall  bringe,  und  der  heilige  Geist  ganz  von  ihm 

1)  Ps.  51,11.  —2)  2  Kon.  3,  15—17.-3)  2.  Kön.  4,  27.  —  4)  2.  Kön.  fi,  32. 


HO  Homilie  VI. 

weiche.  Demi  sobald  der  Geist  bei  dem  Mensciien  ist,  fürchtet 
sich  der  Satan  ihm  zu  nahen.  Und  siehe,  mein  Lieber,  dass 
auch  unser  Herr,  der  von  dem  Geiste  geboren  ist,  nicht  versucht 
ward  von  dem  Satan,  bis  er  den  Geist  der  Taufe  ^)  empfing  aus 
der  Höhe ;  alsdann  führte  ihn  der  Geist  hinaus,  dass  er  von  dem 
Satan  versucht  würde.  Diese  Art  hat  aber  der  Mensch,  dass  er 
zu  der  Stunde,  da  er  aufgeregt  ist  in  seiner  Seele,  in  dem  Geiste 
nicht  warm  ist,  und  wenn  seine  Seele  in  die  Sorgen  dieser  Welt 
verfällt,  so  wisse  er,  dass  der  Geist  nicht  bei  ihm  ist;  er  stehe 
auf,  bete  und  wache,  dass  der  Geist  Gottes  zu  ihm  komme,  da- 
mit er  von  dem  Feinde  nicht  besiegt  werde.  Der  Dieb  aber 
bricht  nicht  in  das  Haus  ein,  bis  er  sieht,  dass  der  Herr  ausge- 
gangen ist.  Ebenso  auch  der  Satan  kann  nicht  diesem  Hause 
nahen,  welches  unser  Leib  ist,  bis  der  Geist  Christi  von  dem- 
selben ausgezogen  ist.  Und  Avisse  aber,  mein  Lieber,  dass  der 
Dieb  nicht  weiss,  ob  der  Herr  des  Hauses  darinnen  ist  oder  nicht; 
sondern  zuvor  horcht  und  sieht  er,  ob  er  die  Stimme  des  Haus- 
herrn höre,  der  darin  ist  und  spricht:  Ich  habe  einen  Weg  zu 
machen.  Und  wenn  er  forscht  und  sieht,  dass  der  Hausherr  aus- 
gegangen ist,  sein  Geschäft  zu  besorgen,  alsdann  kommt  der 
Dieb  und  bricht  in  das  Haus  ein  und  stiehlt.  Wenn  er  aber 
die  Stimme  des  Hausherrn  hört,  welche  seine  Hausgenossen  wach 
hält  und  ihnen  befiehlt,  dass  sie  wachen  sollen  und  das  Haus 
behüten  und  zu  ihnen  spricht:  Auch  ich  bin  in  dem  Hause,  als- 
dann fürchtet  sich  der  Dieb  und  flieht,  damit  er  nicht  ergriifen 
und  gefangen  wird.  Also  hat  auch  der  Satan  nicht  Vorauswissen, 
dass  er  wisse  und  sehe,  wann  der  Geist  ausgegangen  ist,  und 
komme  den  Menschen  zu  berauben,  sondern  auch  er  horcht,  be- 
obachtet und  gehet  vorüber,  ob  er  aber  höre  von  dem  Menschen, 
in  welchem  Christus  wohnet,  dass  er  schandbare  Worte  sagt, 
oder  dass  er  erzürnt  ist,  streitet  oder  zankt.  Alsdann  weiss  der 
Satan,  dass  Christus  nicht  bei  ihm  ist,  und  kommt  und  führt  in 
ihm  seinen  Willen  aus.  Denn  Christus  wohnt  in  den  Ruhigen 
und  Demüthigen  und  in  ihnen  bleibt  er,  in  denen,  welche  sich 
vor  seinem  Worte  fürchten;  wie  er  sagt  in  den  Propheten-): 
Auf  wen  anders  soll  ich  sehen  und  in  ihm  wohnen,  als  in  den 
Ruhigen  und  Demüthigen,   und  in  denen,  die  sich  fürchten  vor 


1)  A:  Bis  er  den  Geist  durch  die  Taufe  empfing,  —  2)  Jes.  66,  2. 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern.  111 

meinem  Wort.  Und  unser  Herr  sagt ') :  Wer  in  meinen  Geboten 
wandelt  und  meine  Liebe  bewahrt,  zu  dem  kommen  wir  und 
machen  Wohnung  bei  ihm.  Und  wenn  er  aber  hört  von  einem 
Menschen,  dass  er  wacht  und  betet  und  an  das  Gesetz  seines 
Herrn  denkt  Tag  und  Nacht,  alsdann  wendet  er  sich  von  ihm, 
denn  er  weiss,  dass  Christus  bei  ihm  ist.  Und  wenn  du  aber 
■sprichst:  Wie  ist  der  Satan  beschaiFen,  dass  er  mit  vielen  kämpft? 
so  höre  aber  und  lass  dich  belehren  daraus,  woraus  ich  dich  oben 
belehrt  in  Bezug  auf  Christus,  dass  er  sich  unter  Viele  vertheilt 
und  doch  nicht  vermindert  wird.  Denn  ein  Haus,  durch  dessen 
Fenster  ein  wenig  Sonne  hereinkommt,  erleuchtet  diese  ganz,  und 
ein  Menschenkind,  in  welches  ein  Wenig  vom  Satan  hinein- 
kommt, das  ist  ganz  dunkel.  Höre,  was  der  Apostel  sagt 2): 
Wenn  der  Satan  sich  in  einen  Engel  des  Lichts  verwandelt,  so 
ist  es  keine  grosse  Sache,  Avenn  auch  seine  Diener  sich  in  Diener 
der  Gerechtigkeit  verwandeln.  Und  unser  Herr  wiederum  sagt 
zu  seinen  Jüngern^):  Siehe,  ich  habe  euch  die  Herrschaft  ge" 
geben,  dass  ihr  das  Heer  des  Feindes  niedertretet.  Und  die 
Schriften  lehren,  dass  er  ein  Heer  hat  und  auch  Diener.  Und 
auch  Hiob  sagt  über  ihn,  dass  Gott  ihn  gemacht  hat,  Krieg  zu 
bereiten.  Diese  seine  Diener  nun  schickt  er  aus  in  die  Welt, 
Krieg  zu  bereiten.  Uebrigens  wisse,  dass  er  nicht  offen  kämpft, 
denn  Gott  hat  die  Herrschaft  über  ihn  gegeben  seit  der  Ankunft 
unsers  Erlösers;  sondern  er  raubt  und  stiehlt  nur. 

§  15.  Ich  will  dich  aber,  mein  Lieber,  über  das  Wort  be- 
lehren, das  der  Apostel  gesprochen  hat,  in  welchem  die  Lehren, 
welche  Gefässe  des  Bösen  sind,  welche  Lügen  lehren,  widerlegt 
werden.  Der  Apostel  sagt  nämlich*):  Es  gibt  einen  seelischen 
Leib  und  es  gibt  einen  geistlichen  Leib.  Also  steht  nämlich  ge- 
schrieben :  der  erste  Adam  war  in  einer  lebendigen  Seele,  und 
der  zweite  Adam  war  der  lebendigmachende  Geist,  und  sie  sagen, 
dass  zwei  Adam  gewesen  seien,  und  er  sagt  ^),  dass  wie  wir  das 
Bild  des  Adam,  der  von  der  Erde  stammt,  ang-ezogen  haben,  so 
sollen  wir  das  Bild  des  Adam,  der  vom  Himmel  stammt,  an- 
ziehen. Der  Adam  nämlich,  der  von  der  Erde  stammt,  ist  der, 
welcher  gesündigt  hat,  und  der  Adam,  der  vom  Hinnnel  stammt, 


1)  Job.  14,  23.  —  2)  2.  Cor.  11,  15.  —   3)  Luc.  10,  19.    —  4)  1.  Cor. 
15,  44.    Vgl.  S.  107  Anm.  5.  —  5)  1.  Cor.  15,  49. 


112  Homilie  VI. 

ist  uuser  Erlöser,  unser  Herr  Jesus  Christus.  Diejenigen  nun, 
welche  den  Geist  Christi  empfangen  haben,  sind  ähnlich  dem 
himmlischen  Adam,  welcher  ist  unser  Erlöser,  unser  Herr  Jesus 
Christus,  weil  das  Seelische  i)  in  das  Geistliche  verschlungen  ist, 
wie  ich  dir  oben  geschrieben  habe.  Der  Mensch  aber,  der  den 
Geist  Christi  betrübt,  bleibt  bei  der  Auferstehung  in  der  Seele, 
weil  der  himmlische  Geist  nicht  bei  ihm  ist,  dass  das  Seelische 
in  ihn  verschlungen  werden  könnte,  sondern  wenn  er  aufersteht, 
bleibt  er  in  seiner  Natur,  da  er  vollständig  los  ist  vom  Geiste; 
weil  er  den  Geist  von  sich  heruntergerissen  hat,  wird  er  in  grosse 
Nacktheit  hingegeben.  Und  derjenige,  welcher  den  Geist  ge- 
ehrt hat  und  in  dem  dieser  in  Reinheit  bewahrt  worden  ist,  den 
wird  der  heilige  Geist  an  diesem  Tage  bewahren.  Und  er 
ist  ganz  von  Geist  und  wird  nicht  nackt  erfunden;  wie  der 
Apostel  sagt 2):  0  dass  wir  doch,  wenn  wir  uns  kleiden,  nicht 
nackt  erfunden  Averden.  Und  wiederum  sagt  er-^):  Wir  werden 
alle  entschlafen ,  aber  bei  der  Auferstehung  werden  wir  nicht 
alle  verwandelt  werden.  Und  wiederum  sagt  er*;:  Dieses  Sterb- 
liche soll  anziehen  das  Unsterbliche  und  dieses  Verwesliche  das 
Unverwesliche.  Wenn  aber  dieses  Sterbliche  das  Unsterbliche 
angezogen  hat  und  dieses  Verwesliche  das  Unverwesliche,  alsdann 
wird  erfüllt  das  Wort,  das  geschrieben  steht:  Der  Tod  ist  ver- 
schlungen in  den  Sieg.  Wiederum  sagt  er^):  Plötzlich  in  einem 
Augenblick  werden  die  Todten  auferstehen  unverweslich;  und 
wir  werden  verwandelt  werden;  und  diejenigen,  welche  verwan- 
delt werden,  werden  anziehen  das  Bild  des  himmlischen  Adam 
und  werden  geistlich  sein;  und  diejenigen,  welche  nicht  verwan- 
delt werden,  bleiben  in  ihrem  seelischen  Wesen,  in  der  Natnr 
der  Schöpfung,  des  Adam,  der  von  Staub  ist,  und  bleiben  in  ihrer 
Natur  unten  auf  Erden.  Und  alsdann  werden  die  Himmlischen 
in  den  Himmel  entrückt,  und  der  Geist,  den  sie  angezogen,  trägt 
sie,  und  sie  ererben  das  Reich,  das  ihnen  bereitet  war  von  An- 
fang an.  Und  die  Seelischen  bleiben  auf  Erden  durch  die  Schwere 
ihrer  Leiber,  und  sie  wenden  sich  zur  Hölle  und  dort  ist  V\'einen 

1)  Siehe  S.  107  Anm.  5.  —  2)  2.  Cor.  5,  3.  —  3)  1.  Cor.  15,  51.    Pesch.: 

w=i\»t£J   — .j   ^-^=  oißfJ   »r-^^    ^-^;   text.  graec:    IlävTsg  [ilv  ov  y.oi(i.rj- 

S-rio6jjiex^a,  rcuvtsq  6h  cc^./.ayrjaöfieO^a.  —  4)  1.  Cor.  15,  53.  54.  —  5) 
1.  Cor.   15,  52. 


Die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern.  113 

und  Zähneklappen.  Das  habe  ich  geschrieben  zur  Mahnung 
für  mich  selbst  und  für  dich,  mein  Lieber.  Nun  liebe  die  Jung- 
fräulichkeit, das  himmlische  Loos,  die  Gemeinschaft  der  Engel 
des  Himmels.  Denn  es  gibt  nichts,  was  ihr  gleicht.  Und  in 
denen,  welche  also  sind,  wohnet  Christus;  die  Zeit  des  Sommers 
nahet  und  der  Feigenbaum  treibt  Blätter  und  die  Schnitter 
gehen  aus.  Die  Zeichen,  welche  unser  Erlöser  gegeben  hat,  fangen 
an  sich  zu  erfüllen.  Denn  er  sagt ') :  Es  wird  ein  Volk  gegen 
das  andere  aufstehn  und  ein  Königreich  gegen  das  Andere.  Und 
es  wird  sein  Hungersnoth  und  Pestilenz  und  Schrecken  vom 
Himmel.  Und  siehe,  das  Alles  erfüllt  sich  in  unsern  Tagen.  Nun 
lies  dieses,  was  ich  dir  geschrieben  habe,  du  und  die  Brüder, 
die  Söhne  des  Bundes,  diejenigen,  welche  die  Jungfräulichkeit 
lieben.  Und  vor  den  Spöttern  hüte  dich.  Denn  wer  spottet  und 
höhnet  über  seinen  Bruder,  über  dem  erfüllt  sich  das  Wort,  das 
geschrieben  steht  im  Evangelium,  da  unser  Herr  Rechenschaft 
fordern  wollte  von  den  Geizigen  und  von  den  Pharisäern;  es 
steht  nämlich  geschrieben'^),  dass  sie,  weil  sie  das  Geld  liebten, 
über  ihn  spotteten.  Und  auch  jetzt  spotten  alle  diejenigen,  welche 
es  nicht  erfüllen,  darüber.  Du  aber  lies  und  lerne  es,  und 
sei  fleissig  zum  Lesen  und  zum  Thun,  und  das  Gesetz  Gottes  sei 
dein  Gedanke  allezeit.  Und  wenn  du  diesen  Brief  gelesen  hast, 
bei  deinem  Leben,  mein  Lieber,  stehe  auf  und  bete  und  gedenke 
meiner^)  Sünde  in  deinem  Gebet. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  den  Bundesbrüdern. 

1)  Luc.  21,  10.  11.  —   2)  Luc.  16,  14.   —   3)  A  liest  statt  ^Zc*4\.«!i^ 
meiner  Sünde,  l^ii^Aaj»!^,  meines  Fleisses. 


Texte  und  Untersuclunigeii  III,  ä   4. 


Die  Unterweisimg*  von  der  Bnsse'). 

Siegreich  '^)  ist  einer  allein  von  den  Geborenen,  die  mit  dem 
Leib  sich  umkleidet  haben:  Das  ist  unser  Herr  Jesus  Christus: 
wie  er  von  sich  selbst  bezeugt ;  er  sagt  nämlich  '^j :  Ich  habe  die 
Welt  überwunden.  Und  auch  der  Prophet  bezeugt  über  ihn*): 
Er  hat  keine  Sünde  gethan,  ist  auch  kein  Betrug  in  seinem  Munde 
erfunden  worden.  Und  der  selige  Apostel  sagt'^):  Er  hat  den, 
der  von  keiner  Sünde  wusste,  unser  et  wegen'')  zur  Sünde  gemacht'). 
Und  wie  anders  machte  er  ihn  zur  Sünde,  als  dadurch,  dass  er 
die  Sünde  auf  sich  nahm ,  da  er  sie  doch  nicht  gethan  hatte, 
und  sie  an  sein  Kreuz  heftete.  Wiederum  sagt  der  Apostel^): 
Es  sind  viele,  die  da  in  der  Rennbahn  laufen,  aber  einer  nur 
empfängt  die  Krone.  Es  ist  ausserdem  keiner  unter  den  Söhnen 
Adams,  der  sich  in  den  Kampf  begeben  hätte,  ohne  dass  er  ge- 
schlagen und  verwundet  worden  wäre.  Denn  die  Sünde  herrschte, 
seitdem  Adam  das  Gebot  übertreten  hatte,  und  von  Vielen  wurde 
sie  geschlagen,  und  viele  schlug  sie  und  viele  tödtete  sie.  Und 
niemand  von  Vielen  konnte  sie  tödten,  bis  unser  Erlöser  kam 
und  sie  auf  sich  nahm  und   an   sein  Kreuz  heftete.     Und  auch 


1)  Nach  B  wörtlich:  Von  den  sich  Bekehrenden.  Nach  A:  Von  der  Busse. 

2)  Das  syrische  ]~*-^}  bedeutet ,, unschuldig"  und  „siegreich",  beide  Be- 
deutungen sind  an  sich  hier  möglich.  Letztere  ist  vorzuziehen  mit  Rück- 
sicht auf  das  zuerst  citirte  Wort  des  Herrn  Joh.  16,  33. 

3)  Joh.  16,  33.  —  4)  Maleach.  2,  6.  —  5)  2.  Cor.  5,  21.  —  6)  A:  euretwegen. 

7)  A  fügt  hinzu:  Dass  ihr  würdet  in  ihm  die  Gerechtigkeit  vor  Gott. 
Während  die  Pesch.  mit  dem  griech.  Text  die  1 .  Person  plur.  hat,  finden 
wir  hier  bei  Aphr.  die  2.  Person.  Ferner  hat  Aphr.  statt  des  Genitivs 
der  Pesch.  jo!.^)?  |2a£i-i?l,  die  Gerechtigkeit  Gottes,  den  Dativ  |.Za.Q^7] 
Icn^i-^,  die  Gerechtigkeit  für,  vor  Gott. 

8)  1.  Cor.  9,  24. 


Die  Unterweisung  von  der  Busse.  115 

da  sie  ans  Kreuz  geheftet  war,  blieb  ihr  Stachel,  und  sie  ver- 
wundet viele,  bis  das  Ende  kommt  und  ihr  Stachel  abgebrochen 
wird.  Für  alle  Schmerzen  gibt  es  Arzneien,  und  sie  werden 
geheilt,  wenn  ein  weiser  Arzt  sie  findet.  Und  für  die,  welche 
in  unserem  Kampfe  verwundet  werden,  ist  die  Arznei  die  Busse. 
Wenn  sie  diese  auf  ihre  Wunden  legen,  so  werden   sie  geheilt. 

0  ihr  Aerzte,  Schüler  unseres  weisen  Arztes,  nehmet  euch 
diese  Arznei,  damit  ihr  mit  derselben  die  Wunden  der  Kranken 
heilet.  Denn  wenn  die  Krieger,  die  in  der  Schlacht  von  denen, 
mit  denen  sie  gekämpft  haben,  verwundet  worden  sind,  einen 
weisen  Arzt  finden,  so  denkt  dieser  über  ihre  Heilung  nach, 
dass  er  die  Verwundeten  heile.  Und  wenn  der  Arzt  den,  der 
in  der  Schlacht  verwundet  worden  ist,  geheilt  hat,  empfängt  er 
Geschenke  und  Auszeichnung  von  dem  König.  So,  mein  Lieber, 
rauss  man  dem,  der  sich  in  unserem  Kampf  abmüht,  und  über 
den  der  Feind  kommt  und  ihn  schlägt,  die  Busse  als  Arzneimittel 
geben,  wenn  die  Reue  des  Verwundeten  gross  ist.  Denn  Gott 
verwirft  nicht  die,  welche  sich  bekehren.  Der  Prophet  Hese- 
kiel  sagt  nämlich  '  :  Ich  habe  kein  Wohlgefallen  am  Tode  des 
gestorbenen  Sünders,  sondern  dass  er  sich  bekehre  von  seinem 
bösen  Wesen  und  lebe. 

Denn  wer  in  der  Schlacht  verwundet  worden  ist,  schämt 
sich  nicht,  sich  den  Händen  eines  weisen  Arztes  zu  über- 
geben, weil  ihn  die  Schlacht  überwunden  und  geschlagen.  Und 
wenn  er  geheilt  ist,  verwirft  ihn  der  König  nicht,  sondern  zählt 
und  rechnet  ihn  zu  seinem  Heere.  So  soll  sich  (auch)  ein  Mensch, 
den  der  Satan  verwundet  hat,  nicht  schämen,  seine  Sünde  zu 
bekennen,  sie  zu  lassen  und  sich  als  Arznei  die  Busse  zu  erbitten. 
Denn  wer  sich  schämt,  seine  Wunde  zu  zeigen,  bekommt  den 
Krebs,  und  über  seinen  ganzen  Leib  kommt  der  Schaden.  Und 
wer  sich  nicht  schämt,  dessen  Wunde  wird  geheilt,  und  er  kehrt 
wieder  zurück,  um  sich  in  den  Kampf  zu  begeben.  LTnd  wer 
sich  den  Krebs  zugezogen  hat,  kann  nicht  wieder  geheilt  werden, 
und  die  Rüstung,  die  er  abgelegt  hat,  nicht  wieder  anziehen. 
So  kann  auch  der,  welcher  in  unserem  Kampf  besiegt  worden 
ist,  wieder  geheilt  werden,  wenn  er  spricht:  „Ich  habe  gesündigt", 
und  um  Busse  bittet,   L^nd  wer  sich  schämt,  kann  nicht   jjeheilt 

1)  Ezech.  IS,  23;   23,  11. 

8* 


116  Homilie  VII. 

werden,  weil  er  seine  Wunden  dem  Arzt  nicht  zeigen  will,  der 
zwei  Denare  empfangen  hat,  um  damit  alle  Verwundeten  zu 
heilen  ^).  Und  auch  ihr,  o  Aerzte,  ihr  Schüler  unseres  herrlichen 
Arztes,  sollt  die  Heilung  nicht  verweigern  dem,  der  der  Heilung 
bedarf.  Wer  euch  seine  Wunden  zeigt,  dem  gebt  als  Arznei  die 
Busse.  Und  wer  sich  schämt,  seinen  Schmerz  zu  zeigen,  den  er- 
mahnet, dass  er  ihn  vor  euch  nicht  verberge.  Und  wer  ihn  euch 
offenbart,  den  stellt  nicht  blos,  damit  seinetwegen  nicht  auch 
die  Unschuldigen  für  schuldig  gehalten  werden  von  den  Hassern 
und  Feinden.  Denn  der  Schlachtreihe,  in  welcher  Todte  gefallen 
sind,  wird  dies  als  Niederlage  aller  angerechnet  von  den  Feinden. 
Und  wenn  solche,  die  verwundet  sind,  unter  ihnen  gefunden 
werden,  so  heilen  diejenigen,  welche  nicht  verwundet  sind,  ihre 
Schmerzen,  und  offenbaren  sie  nicht  ihren  Feinden.  Wenn  sie  aber 
jedermann  es  mittheilen,  dann  zieht  sich  das  ganze  Heer  einen 
schlechten  Namen  zu,  und  auch  der  König,  der  Führer  des  Heeres, 
zürnt  denen,  die  sein  Heer  biosgestellt  haben,  und  sie  werden 
von  ihm  mit  Schlägen  geschlagen,  die  härter  sind  als  diejenigen, 
welche  die  in  der  Schlacht  Verwundeten  erlitten  haben.  Wenn 
aber  diejenigen,  welche  verwundet  worden  sind,  ihre  Wunden 
nicht  offenbaren  wollen,  dann  verdienen  die  Aerzte  keinen  Tadel 
dafür,  dass  sie  die  Kranken,  die  verwundet  worden  sind,  nicht 
geheilt  haben.  Und  wenn  diejenigen,  welche  verwundet  worden 
sind,  ihre  Schmerzen  verheimlichen  wollen,  so  können  sie  keine 
Rüstung  mehr  anziehen,  weil  sie  sich  den  Krebs  zugezogen 
haben  an  ihren  Leibern.  Und  wenn  sie  den  Krebs  haben,  und 
wagen  dennoch  die  Rüstung  anzuziehen,  indem  sie  sich  in  den 
Krieg  begeben,  dann  macht  ihnen  die  Rüstung  heiss,  und  ihre 
Wunden  werden  stinkend  und  faul,  und  sie  müssen  sterben. 
Und  wenn  diejenigen,  vor  denen  sie  ihre  Wunden  verborgen 
haben,  ihre  Leichname  finden,  dann  spotten  sie  über  ihre  ganze 
Art,  weil  sie  die  Schmerzen  ihrer  Wunden  verborgen  haben;  und 
ihre  Leichname  bringen  sie  auch  nicht  zu  Grabe;  und  sie  gelten 
ihnen  als  Thoren  und  Gottlose  und  Frevler.  Und  auch  der(jenige}, 
welcher  seine  Wunden  gezeigt  hat  und  geheilt  worden  ist,  soll  die 
Stelle  hüten,  die  geheilt  worden  ist,  damit  er  an  derselben  nicht 
zum  zweiten  mal  verwundet  werde.  Denn  wenn  jemand  zum  zweiten 


1)  Vgl.  Luc.  10,  33. 


I 


Die  Unterweisung  von  der  Busse.  i  1 7 

mal  vevwundet  wird,  ist  es  auch  für  einen  geschickten  Arzt  schwer, 
ihn  zu  heilen.  Denn  keine  Wunde,  die  auf  einer  Narbe  ist, 
kann  geheilt  werden.  Und  auch  selbst  wenn  sie  geheilt  worden 
ist,  so  kann  man  doch  die  Rüstung  nicht  mehr  anlegen;  und 
auch  wenn  man  wagt  die  Rüstung  anzulegen,  hat  man  doch 
die  Gewohnheit  zu  unterliegen  angenommen.  0  ihr,  die  ihr  die 
Rüstung  Christi  angezogen  habt,  lernt  die  Waffenkünste  des 
Kriegs,  damit  ihr  nicht  unterliegt  und  schwach  werdet  im  Kampf. 
Schlau  und  listig  ist  unser  Feind,  aber  seine  Rüstung  ist  ge- 
ringer als  die  unserige,  wir  müssen  nun  mit  ihm  ringen  und 
ihm  seine  Rüstung  abnehmen,  im  Schlafe  wachend.  Denn  er 
ist  nicht  für  uns  sichtbar,  wenn  er  mit  uns  kämpft.  Lasset  uns 
zu  dem  uns  wenden,  der  ihn  •)  sieht,  dass  er  ihn  vor  uns  zu 
nichte  mache. 

§  3.  Auch  euch,  die  ihr  verwundet  seid,  rathe  ich,  dass  ihr 
euch  nicht  schämt  zu  sagen:  Wir  sind  im  Kampf  unterlegen, 
nehmet  euch  die  Arznei  umsonst  und  thut  Busse  und  kommt 
zum  Leben,  ehe  ihr  getödtet  werdet.  Euch  aber,  ihr  Aerzte,  er- 
innere ich  an  das,  was  in  den  Büchern  unseres  weisen  Arztes 
geschrieben  steht,  der  nicht  die  Busse  verweigert.  Denn  da  Adam 
gesündigt  hatte,  rief  er  ihn  zur  Busse,  indem  er  zu  ihm  sprach  -) : 
Adam,  wo  bist  du?  L%d  er  verbarg  seine  Sünde  vor  dem,  der 
das  Herz  prüft,  und  nahm  Eva  zum  Vorwande,  die  ihn  verführt 
hatte.  LTnd  weil  er  seine  Sünde  nicht  bekannte,  verhängte  er 
über  ihn  und  über  alle  seine  Kinder  den  Tod.  Und  auch  Kain, 
der  voll  Falschheit  war,  und  von  dem  er  das  Opfer  nicht  ange- 
nommen hatte,  gab  er  Gelegenheit  zur  Busse,  und  dieser  nahm 
sie  nicht  an.  Er  sprach  nämlich  zu  ihm^):  Wenn  du  recht  han- 
delst, nehme  ich  dein  Opfer  an,  und  wenn  du  nicht  recht  han- 
delst, so  häufet  dir  deine  Sünde  an.  Und  er  tödtete  seinen  Bnuler 
in  der  Falschheit  seines  Herzens  und  ward  verflucht,  und  ward 
unstät  und  flüchtig  auf  Erden.  Und  auch  dem  Geschlecht  in 
den  Tagen  Noahs  gab  er  120  Jahre  Frist  zur  Busse,  imd  sie 
wollten  sich  nicht  bekehren.  Und  da  12ü  Jahre  erfüllt  waren, 
vertilgte  er  sie.  Und  siehe,  mein  Lieber,  wie  viel  besser  es  ist, 
wenn  jemand  seine  Sünde  bekennt  und  lässt;  und  unser  Gott 
verwirft  die  sich  Bekehrenden  nicht.    Denn  die  Sünden  der  Be- 


1)  B:  der  uns  sieht.  —  2)  Gen.  3,  8.  —  3)  Gen.  4,  7. 


118  Homilie  YII. 

wohnei*  Niuives  waren  gross,  und  sie  nahmen  die  Predigt  des 
Jonas  an,  da  er  ihnen  die  Zerstörung  ankündigte,  und  sie  be- 
kehrten sich,  und  Gott  erbarmte  sich  über  sie.  Und  da  die  Schuld 
der  Kinder  Israel  gross  war,  rief  er  sie  zur  Busse,  und  sie  nahmen 
es  nicht  an.  Denn  er  rief  ihnen  durch  Jeremia  zu  und  sprach  '): 
Kehret  wieder  als  bussfertige  Kinder,  so  will  ich  euch,  die  ihr 
euch  bekehret  -),  heilen.  Und  wiederum  Hess  er  Jerusalem  predigen 
und  sprach"^):  Kehre  wieder  zu  mir  als  bussfertige  Tochter. 
Wiederum  sprach  er  zu  den  Kindern  Israel  ^; :  Thuet  Busse  und 
bekehret  euch  von  euren  bösen  Wegen  und  von  der  Bosheit 
euerer  Werke.  Und  also  spricht  er  zu  dem  Volk^):  Wenn  du 
zu  mir  zurückkehrst,  Avill  ich  dich  umwenden,  und  du  sollst  vor 
mir  stehen.  Und  wiederum  spricht  er  also  im  Erbarmen  über 
sie  '^):  Ich  habe  gesagt:  Kehre  dich  wieder  zu  mir,  du  Bewohnerin 
Israels,  von  ganzem  Herzen,  und  sie  kehrte  nicht  wieder.  Und 
wiederum  nahm  er  ein  Gleichniss  über  sie  und  erinnerte  sie  an 
das,  was  im  Gesetz  geschrieben  steht,  und  wollte  das  Gesetz  auf- 
heben um  ihrer  Busse  willen.  Er  spricht  nämlich'^):  Wenn  ein 
Mann  ein  W^eib  nimmt,  und  sie  wendet  sich  von  ihm  und  ge- 
höret einem  andern  Manne  an,  und  wenn  der  andere  Mann,  den 
sie  genommen  hat,  stirbt  oder  sie  verlässt,  und  wenn  sie  wieder 
zu  ihrem  ersten  Herrn  zurückkehrt,  so  ist  es  ihrem  ersten  Herrn 
nicht  erlaubt,  sie  wieder  zu  nehmen,  nachdem  sie  entweiht  worden 
ist.  Und  wenn  er  sie  aber  nimmt,  so  soll  das  Land  entweiht 
werden.  Und  nun  hatte  auch  ich  dich  angenommen,  Jerusalem, 
und  du  warst  mein,  und  du  hast  dich  von  mir  gewandt  und  bist 
hingegangen  und  hast  mit  Stein  und  Holz  gehurt.  Nun  kehre 
dich  wieder  zu  mir,  und  ich  will  dich  annehmen,  und  um  deiner 
Busse  willen  will  ich  das  Gesetz  aufheben. 

§  4.  Fürchtet  euch  nicht,  ihr  die  ihr  Busse  thut,  vor  der 
Vernichtung  der  Hoffnung ,  die  in  den  Schriften  geschrieben 
steht.  Denn  für  den  Geist  Gottes  geziemt  es  sich,  also  zu  er- 
mahnen. Er  hat  nämlich  eine  solche  Furcht  erregende  Ermah- 
nung gegeben  durch  den  Propheten  Hesekiel,  da  er  zu  ihm 
spricht '^):  Wenn  ein  Mensch  alle  seine  Tage  Recht  und  Gerechtig- 
keit übt,  und  am  letzten  seiner  Tage  thut  er  Sünde,  so  wird  er 

1)  Jerem.  3,22.  —  2)  Wörtlich:  so  wül  ich  eure  Bekehrung  heilen.  — 
3)  Jerem.  3,  12.  —  4)  Jerem.  25,  5.  —  5)  Jerem.  15,  19.  —  6)  Jerem.  3,  7. 
—  7)  Jerem.  3,  1.  —  8)  Ezech.  23,  18.  19. 


Die  Unterweisung  von  ilei'  Busse.  ||9 

um  dieser  seiner  Sünde  willen  sterben.  Und  wenn  ein  Mensch 
alle  seine  Tage  Sünde  thut,  und  sich  bekehrt  und  Recht  und 
Gerechtigkeit  übt,  so  soll  seine  Seele  leben.  Durch  ein  und 
dasselbe  Wort  ermahnt  er  den  Gerechten,  dass  er  nicht  sündige 
und  seinen  Lauf  vernichte,  und  gibt  Hoffnung  dem  Sünder,  dass 
er  lasse  von  seiner  Sünde  und  lebe.  Weiter  spricht  er  zu  Hese- 
kiel '):  Wenn  auch  ich  die  Hoffnung  des  Sünders  abschneide, 
so  ermahne  du  ihn  doch;  wenn  auch  ich  den  Gerechten  tröste, 
so  mache  du  ihm  Furcht,  dass  er  vorsichtig  sei.  Wenn  ich  zu 
dem  Sünder  spreche:  Du  wirst  des  Todes  sterben,  und  du  hast 
ihn  nicht  ermahnt,  so  wird  der  Sünder  um  seiner  Missethat  willen 
sterben,  und  sein  Blut  will  ich  von  deinen  Händen  fordern,  weil 
du  ihn  nicht  ermahnt  hast.  Und  wenn  du  den  Sünder  ermahnst, 
und  der  Sünder,  den  du  ermahnt  hast,  zum  Leben  kommt,  so 
hast  du  deine  Seele  errettet.  Und  wenn  du  zu  dem  Gerechten 
sprichst:  Du  wirst  leben,  und  er  baut  darauf,  so  musst  du  ihn 
ermahnen,  dass  er  sich  nicht  überhebe  und  sündige;  und  er,  der 
ermahnt  worden  ist,  wird  leben,  und  du  hast  deine  Seele  errettet. 
Weiter  höret,  ihr,  die  ihr  euch  bekehret,  von  der  Hand,  die  da 
ausgestreckt  ist  und  zur  Busse  ruft.  Er  spricht  nämlich  auch 
durch  den  Propheten  Jeremia  und  gibt  ihnen  Gelegenheit  zur 
Busse.  Er  spricht  nämlich  also-):  Wenn  ich  über  das  Volk 
und  über  das  Reich  sprechen  werde:  Ich  will  es  ausrotten,  zer- 
stören, vernichten,  vertilgen,  und  wenn  das  Volk  sich  bekehrt 
von  seiner  Sünde,  so  will  ich  das  Unglück  von  ihm  wenden, 
das  ich  über  dasselbe  beschlossen  hatte.  L^nd  wenn  ich  über 
ein  Volk  und  über  ein  Reich  sprechen  werde:  Ich  Avill  es  bauen 
und  pflanzen,  und  es  vertrauet  darauf  und  thut,  was  böse  ist  vor 
mir,  so  will  ich  das  Gute  von  ihm  wenden,  das  ich  über  das- 
selbe verheissen  habe,  und  um  semer  Missethat  und  seiner  Sünde 
willen  werde  ich  es  vernichten. 

§  5.  Höret  weiter  auch  ihr,  die  ihr  die  Schlüssel  derHimmels- 
thüren  ^)  innehabt,  und  öffnet  die  Thürcn  denen,  die  sich  be- 
kehren. Lasset  euch  belehren  über  das,  was  der  selige  Apostel 
sagt''):  Wenn  jemand  unter  euch  von  einem  Fehler  übereilt 
wird,  so  helfet  ihr,  die  ihr  geistlich  seid,  ihm  wieder  zurecht  mit 


1)  Ezech.  3,  17-21;  23,  7—9.  —  2)  Jerem.  IS,  7—10.  —  3)  A  Singul.: 
der  Himmelsthnr.  —  4)  Gal.  6,  1. 


120  Homilie  VIT. 

sanftmüthigem  Geist,  und  seid  vorsichtig,  dass  uiclit  etwa  auch 
ihr  versucht  werdet.  Es  schreckt  sie  nämlich  der  Apostel  und  er- 
mahnet sie.  Denn  er  sagt  über  sich  selbst  ^) :  Dass  ich  nicht 
Anderen  predige,  und  selbst  verworfen  werde.  Wer  unter  euch 
sich  mit  Sünden  abmüht,  den  haltet  nicht  wie  einen  Feind,  son- 
dern rathet  ihm  und  zeigt  ihm  den  Weg,  wie  einem  Bruder, 
denn  wenn  ibr  ihn  von  euch  geschieden  habt,  wird  er  von  dem 
Satan  vernichtet  werden.  Wiederum  sagt  er "-) :  Wir,  die  wir  fest 
sind,  sind  schuldig,  die  Gebrechlichkeit  der  Schwachen  zu  tragen. 
Und  wiederum  sagt  er  ■^) :  Wer  da  lahm  ist,  soll  nicht  niederge- 
worfen, sondern  geheilt  werden. 

§  (5.  Und  auch  euch,  die  ihr  Busse  thut,  sage  ich,  dass  ihr 
euren  Seelen  dieses  Mittel  nicht  versagt,  das  zur  Heilung  gegeben  ist. 
Denn  er  sagt  in  der  Schrift^):  Wer  seine  Sünden  bekennt  und 
lässt,  wird  die  Barmherzigkeit  Gottes  erlangen.  Sehet  auf  den 
Sohn,  der  seine  Güter  durchbrachte.  Und  da  er  zu  seinem  Vater 
zurückkehrte,  freute  dieser  sich  über  ihn  und  nahm  ihn  auf,  und 
schlachtete  ihm  ein  gemästetes  Kalb.  Und  sein  Vater  freute 
sich  über  seine  Rückkehr  und  rief  auch  seine  Freunde,  dass  sie  sich 
mit  ihm  freuen  sollten.  Und  sein  Vater  umarmte  ihn  und  küsste 
ihn  und  sprach  •^):  Dieser  mein  Sohn  war  todt  und  ist  wieder 
lebendig  geworden,  und  er  war  verloren  und  ist  wieder  gefunden 
worden:  und  sein  Vater  verstiess  ihn  nicbt  wegen  der  Güter,  die 
er  verschleudert  hatte.  Und  unser  Herr  tröstet,  die  da  Busse 
thun,  und  spricht"^):  Ich  bin  nicht  gekommen,  dass  ich  die  Ge- 
rechten zur  Busse  rufe,  sondern  die  Sünder.  Und  wiederum 
spricht  er ''):  Es  wird  grössere  Freude  sein  im  Himmel  über  Einen 
Sünder,  der  da  Busse  thut,  als  über  99  Gerechte,  die  der  Busse 
nicht  bedürfen.  Um  ein  Schaf,  das  sich  von  der  ganzen  Heerde 
verloren  hat,  ist  der  Hirte  besorgter,  als  über  diejenigen,  welche 
sich  nicht  verirrt  haben.  Denn  Christus  ist  um  der  Sünder 
willen  gestorben  und  nicht  um  der  Gerechten  willen.  Wie  er 
im  Propheten  sagt^):  Die  Sünden  Vieler  hat  er  getragen.  Und 
der  Apostel  sagt**):  Wenn  Gott,  da  wir  noch  Sünder  waren,  sich 
mit  uns  versöhnt  hat  durch  den  Tod  seines  Sohnes,  wie  sollten 
wir  nicht  umsomehr  jetzt,  da  wir  in  der  Versöhnung  stehen,  das 

1)  1.  Cor.  9,  27.  —  2)  Rom.  15,  1.  —  3)  Hebr.  12,  13.  —  4)  Prov. 
28,  13.  —  5)  Luc.  15,  32.  —  6)  Marc.  2,  17.  —  7)  Luc.  15,  7.  —  8)  Jesaia 
53,  12.  —  9)  Rom.  5,  10. 


Die  Unterweisung  von  der  Busse.  121 

Leben  haben  dnrcli  sein  Leben?  Wer  seine  Sünde  bekennt,  dem 
vergibt  Gott.  Denn  da  David  gesündigt  hatte,  kam  der  Prophet 
Nathan  zu  ihm  und  sagte  ihm  seine  Sünde  an  und  die  Strafe, 
die  er  empfangen  sollte.  Da  bekannte  David  und  sprach  ^):  Ich 
habe  gesündigt.  Sprach  zu  ihm  der  Prophet:  Auch  der  Herr 
hat  deine  Sünde  vergeben,  weil  du  sie  bekannt  hast.  Und  da 
er  betete,  sprach  er  also  2):  An  dir  allein  habe  ich  gesündigt  und 
Uebel  vor  dir  gethan.  Und  er  bat  wiederum  Gott  und  sprach'*): 
Führe  deinen  Knecht  nicht  ins  Gericht,  denn  vor  dir  ist  kein 
Lebendiger  gerecht.  Und  auch  Salomo  spricht  also^):  Wer  will 
sagen,  du  bist  unschuldig,  mein  Herz,  und  rein  von  Sünden.  Und 
auch  im  Gesetz  steht  geschrieben'^):  Mose  betete  vor  Gott  und 
sprach:  Du  vergibst  Sünde  und  Missethat,  und  zuweilen  vergibst 
du  nicht.  Und  da  Er  sein  Volk  vertilgen  wollte  wegen  ihrer 
Sünden,  sprach  Mose  also,  indem  er  bat  und  flehete  und  zu  ihm 
sprach*^):  Vergib  deinem  Volk  seine  Sünde,  wie  du  ihnen  ver- 
geben hast  von  Aegypteu  her  bis  heute.  Und  Gott  sprach  zu 
ihm:  Ich  vergebe  ihnen  nach  deinem  Wort.  Gleichet  doch,  ihr, 
die  ihr  Busse  sucht,  Aaron,  dem  Hohenpriester,  der,  da  er  das 
Volk  durch  das  Kalb  verführt  hatte,  seine  Sünde  bekannte,  und 
dem  der  Herr  vergab.  Und  auch  David,  der  vornehmste  unter 
den  Königen  Israels,  bekannte  seine  Sünde,  und  sie  wurde  ihm 
vergeben.  Und  auch  Simon,  den  vornehmsten  unter  den  Jüngern,- 
da  er  geleugTiet  hatte:  Christus  hat  mich  nicht  gesehen,  und  sich 
verflucht  und  geschworen  hatte'):  ich  kenne  ihn  nicht,  und  da 
dann  die  Reue  über  ihn  kam  und  er  viele  Thränen  weinte^), 
nahm  ihn  unser  Herr  wieder  an  und  machte  ihn  zum  Funda- 
ment und  nannte  ihn  den  Felsen  des  Baues  der  Kirche. 

Seid  nicht  Thoren  wie  Adam,  der  sich  schämte,  seine  Sünde 
zu  bekennen.  Gleichet  auch  nicht  Kain,  der,  da  er  überführt 
wurde,  dass  er  seinen  Bruder  getödtet  hatte,  sprach^):  Ich  weiss 
nicht,  wo  Abel  ist,  denn  ich  bin  nicht  sein  Hüter.  Ueberhebt 
euch  auch  nicht  mit  hartnäckigem  Sinn  gleich  dem  verderbten 
Geschlecht,  und  häuft  nicht  Sünde  auf  Sünde  und  vermehrt  eure 
Sünden  nicht,  indem  ihr  euch  selbst  rechtfertigt,   da   ihr    doch 


1)  2.  Sam.  12,  13.  —  2)  Ps.  51,  4.  —  8)  Ps.  143,  2.  —  4)  Prov.  20,  9.  — 
5)  Exod.  34.  7;  Num.  14,  18.  —  6)  Num.  14,  19.  20.  —  7)  Matt.  2«,  74; 
Marc.  14,  71.  —  8)  A:  Und  da  er  seine  Sünden  durch  seine  Thränen  ab- 
wusch. —  9)  Gen.  4,  9. 


122  Homilie  VII. 

schuldig  seid.  Höret  auf  unsere  früheren  Väter,  die  auch,  ob- 
gleich sie  gerecht  waren,  sich  selbst  demüthigten.  Denn  Abra- 
ham sprach^):  Ich  bin  Staub  und  Asche,  und  achtete  sich  selbst 
gering.  Und  auch  David  sprach'-):  Des  Menschen  Tage  sind  wie 
ein  Rauch.  Und  Salomo  sprach  und  ermahnte  3):  Wenn  der 
Gerechte  nur  mit  Mühe  sein  Leben  erhält,  wie  sollte  der  Sünder 
und  Gottlose  es  können? 

§  7.  Ich  bitte  dich,  mein  Lieber,  bei  der  Barmherzigkeit 
Gottes,  dass  du  nicht,  weil  ich  dir  geschrieben  habe,  Gott  ver- 
werfe die  sich  Bekehrenden  nicht,  nachlassest  in  deinem  Eifer 
und  werdest  der  Busse  bedürftig.  Allein  für  die,  welche  es  be- 
dürfen, ist  die  Busse  gegeben.  So  aber  soll  es  bei  dir  stehen, 
dass  du  der  Busse  nicht  bedarfst.  Diese  Hand  ist  für  die  Sünder 
ausgestreckt.  Die  Gerechten  suchen  sie  nicht.  Denn  ein  Almosen 
wird  den  Armen  gegeben,  und  die  Reichen  bedürfen  es  nicht. 
Einem  Mann,  der  von  den  Räubern  ausgeplündert  ist,  gibt  man 
(Kleider)  anzuziehen,  damit  er  seine  schamerregende  Blosse  be- 
decke. Was  du  hast,  verliere  nicht,  damit  du  dich  nicht  ab- 
mühen musst,  es  wieder  zu  suchen.  Entweder  findest  du  es, 
oder  nicht.  Und  wenn  du  es  auch  findest,  so  ist  es  doch  dem 
Deinigen  nicht  ähnlich.  Denn  nicht  gleichet  der,  welcher  sün- 
digt und  sich  bekehrt,  dem,  von  welchem  die  Sünde  fern  ist. 
Erwähle  du  das  höhere  Theil  und  halte  dich  von  jedem  Ver- 
gehen fern.  Sei  tapfer  in  deiner  schönen  Rüstung,  damit  du  in 
der  Schlacht  nicht  geschlagen  werdest.  Komme  nicht  in  die  Lage, 
dass  du  Arznei  suchen  und  mühsam  zum  Arzt  gehen  musst. 
Und  wenn  du  auch  geheilt  wirst,  so  bleiben  diese  Narben  doch 
erkennbar.  Vertraue  nicht  darauf,  dass  es  eine  Heilung  gibt,  und 
ziehe  dir  nicht  selbst  den  Namen  als  Feigling  zu,  sondern  sei 
erhaben  über  die  Busse.  Wessen  Kleid  zerrissen  ist,  der  muss 
es  flicken  lassen;  und  wenn  es  auch  geflickt  ist,  unterscheidet  es 
doch  jedermann.  Und  wessen  Zaun  zerbrochen  ist,  der  stellt  ihn 
mit  Mühe  wieder  her;  und  wenn  er  ihn  auch  herstellt,  so  wird 
es  doch  ein  Riss  genannt  werden.  Und  in  wessen  Haus  die 
Diebe  einbrechen,  der  wird  von  innen  beraubt  und  der  Einbruch 
wird  bemerkt,  und  mit  grosser  Mühe  erwirbt  er,  was  er  verloren 
hat.      Und    wenn   jemand    seinen    Fruchtbaum    abschneidet,    so 


1)  Gen.  18,  27.  -   2)  Ps.  144,  4.  —  3)  Prov.  11,  31  (1.  Petr.  4,  1! 


Die  üntei'weisung  von  der  Busse.  123 

dauert  es  lauge  Zeit,  bis  er  Avieder  ausschlägt  uud  Frucht  bringt. 
Und  wer  seine  Wasserleitung  geöffnet  hat,  arbeitet  und  müht 
sich  ab,  bis  er  sie  wieder  verschlossen  hat.  Und  wenn  er  sie 
auch  verschlossen  hat,  befürchtet  er  doch,  die  Wasser  möchten 
zunehmen  und  sie  sprengen.  Und  wer  seinen  Weinberg  zur  Zeit 
der  Blüthe  liest,  wird  des  Genusses  der  Trauben  beraubt.  Und 
wer  da  stiehlt,  dessen  Antlitz  ist  voll  Scham,  und  er  hat  Mühe  und 
Arbeit,  bis  er  wieder  Gnade  findet.  Und  wessen  Arbeit  nach- 
lässig gewesen  ist  im  Weinberg,  der  empfängt  den  Lohn  und 
neigt  sein  Haupt  und  kann  nicht  mehr  fordern  ^).  Und  wer  die 
Leidenschaften  seiner  Jugend  gezähmt  hat,  freut  sich,  dass  er 
alt  an  Tagen  wird  -).  Und  wer  gestohlenes  Wasser  nicht  ge- 
trunken hat,  wird  erquickt  an  der  Quelle  des  Lebens. 

§  8.  0  ihr,  die  ihr  zum  Kampf  gerufen  seid,  höret  den  Ruf 
des  Horns  und  fasset  Muth,  und  auch  zu  euch  rede  ich,  die  ihr 
die  Hörner  habt,  ihr  Priester.  Schriftgelehrten  und  Weisen,  rufet 
und  sprecht  zu  dem  ganzen  Volk:  Wer  sich  fürchtet,  kehre  um 
von  dem  Kampf,  damit  er  das  Herz  seiner  Brüder  nicht  auch 
muthlos  mache  wie  das  seinige.  Und  wer  einen  Weinberg  ge- 
pflanzt hat,  der  kehre  wieder  um,  ihn  zu  bebauen,  damit  er  nicht 
daran  gedenke  und  besiegt  werde  in  der  Schlacht.  Und  wer 
sich  mit  einem  Weibe  verlobt  hat  und  sie  heirathen  will,  der 
kehre  um  und  freue  sich  mit  seinem  Weibe.  Und  wer  ein  Hans 
gebaut  hat,  der  kehre  zu  demselben  zurück,  damit  er  nicht  an 
sein  Haus  denke  und  unterlasse,  aus  allen  Kräften  zu  kämpfen. 
Den  Einsiedlern  gebühret  der  Kampf:  denn  sie  haben  ihr  An- 
gesicht vorwärts  gerichtet  und  gedenken  nicht  an  das,  was  hinter 
ihnen  ist.  Denn  ihre  Schätze  sind  vor  ihnen,  und  was  sie  er- 
beuten, gehört  alles  ihnen,  und  sie  tragen  ihren  Gewinn  davon 
in  reichlichem  Masse. 

Euch  aber,  die  ihr  die  Hörner  blaset,  sage  ich,  wenn  ihr  diese 
Ermahnung  vollendet  habt,  so  sehet  auf  die,  welche  umgekehrt 
sind,  und  schaut  auf  die,  welche  übrig  geblieben  sind,  und  führet 
zu  dem  Frobewasser  diejenigen,  die  sich  selbst  haben  zum  Krieg  an- 
werben lassen.  Das  Wasser  wird  alle  die,  welche  tapfer  sind,  er- 
proben, und  alle  die,  welche  feige  sind,  werden  dort  ausgeschieden. 

1)  Dies  beruht  auf  einer  eigenthümlichen  Auslegung  von  Matt.  20,  1  fi. 
Vergl.  hom.  VI  §  1. 

2)  Bickell  übersetzt:  Freut  sicli  darüber  vor  dem  Alten  der  Teige. 


124  Homilie  VII. 

Höre  aber,  mein  Lieber,  dieses  Geheimniss,  das  Gideon  vor- 
bildlich voraus  verkündigt  hat.  Da  er  das  Volk  zum  Krieg 
sammelte,  ermahnten  die  Schriftgelehrten  mit  den  Worten  des 
Gesetzes  und  mit  den  Reden,  die  ich  dir  oben  geschrieben  habe. 
Da  kehrte  vieles  Volk  um  von  dem  Heer.  Und  da  übrig  ge- 
blieben waren  diejenigen,  die  nun  zum  Krieg  geworben  wurden, 
sprach  der  Herr  zu  Gideon^  :  Führe  sie  zum  Wasser  und  prüfe 
sie  daselbst.  Wer  das  Wasser  mit  seiner  Zunge  leckt,  der  ist 
bereit  und  beherzt,  in  den  Krieg  zu  ziehen,  und  wer  auf  den 
Bauch  sich  niederwirft,  um  Wasser  zu  trinken,  der  ist  zu  matt 
und  schwach,  in  den  Krieg  zu  ziehen.  Gross  aber  ist  dies  Ge- 
heimniss, mein  Lieber,  das  Gideon  zuvor  verkündigt  hat,  als  Vor- 
bild der  Taufe  und  als  das  Geheimniss  des  Kampfes  und  als  das 
Gleichniss  der  Einsiedler.  Denn  er  hat  das  Volk  zuerst  er- 
mahnt vor  der  Prüfung  durch  das  Wasser.  Und  da  er  sie  durch 
das  Wasser  prüfte,  wurden  von  10000  nur  300  Mann  auserwählt, 
die  Schlacht  zu  schlagen.  Es  stimmt  aber  dies  überein  mit  dem 
Wort  unsers  Herrn,  der  da  spricht-):  Viele  sind  berufen  und 
wenige  auserwählt.  Deshalb  gebühret  es  also  denen,  welche  die 
Hörner  blasen,  den  Predigern  der  Kirche,  dass  sie  rufen  und 
ermahnen  den  ganzen  Bund  Gottes  vor  der  Taufe.  Diejenigen, 
die  sich  selbst  zum  jungfräulichen  Leben  und  zur  Heiligkeit  ent- 
schlossen haben  als  heilige  Jünglinge  und  Jungfrauen,  die  sollen 
die  Prediger  vermahnen  und  sprechen:  Wessen  Herz  auf  die 
eheliche  Verbindung  gerichtet  ist,  der  verbinde  sich  vor  der  Taufe, 
damit  er  sich  nicht  in  den  Kampf  begebe  und  getödtet  werde. 
Und  wer  sich  fürchtet  vor  diesem  Loos  des  Kriegs,  der  kehre 
um,  damit  er  nicht  das  Herz  seiner  Brüder  so  muthlos  mache 
wie  das  seinige.  Und  wer  den  Besitz  liebt,  der  kehre  um  von 
dem  Heer,  damit  nicht,  wenn  ihm  der  Krieg  beschwerlich  wird, 
er  seines  Besitzes  gedenke  und  zu  demselben  zurückkehre.  Wer 
von  dem  Kampf  umkehret,  geräth  in  Schande;  wer  sich  nicht 
hat  anwerben  lassen  und  die  Rüstung  noch  nicht  angezogen  hat, 
geräth  nicht  in  Schande,  wenn  er  umkehret.  Aber  jeder,  der 
sich  anwerben  hat  lassen  und  die  Rüstung  angezogen  hat,  wird 
verspottet,  wenn  er  von  dem  Kampf  umkehret.  Wer  sich  selbst 
ausgeschieden  hat ,  dem  gebühret  der  Kampf,   weil  er  nicht  ge- 


1)  Judic.  7,  4.  —  2)  Matt.  20,  16;  22,  14. 


Die  Unterweisung  von  der  Busse.  125 

denket  dessen,  was  hinter  ihm  ist,  und  nicht  zu  demselben  zurück- 
kehrt. Und  wenn  sie  verkündigt,  gepredigt  und  Ermahnung  er- 
theilt  haben  dem  ganzen  Bund  Gottes,  dann  sollen  sie  diejenigen 
zu  dem  Wasser  der  Taufe  führen,  die  da  auserwählt  sind  zum 
Kampf  und  die  erprobt  werden  sollen.  Und  nach  der  Taufe 
sollen  sie  sehen  diejenigen,  welche  eifrig  sind,  und  diejenigen, 
welche  schwach  sind:  Den  Eifrigen  sollen  sie  Muth  zusprechen. 
Und  die  Schwachen  und  Matten  sollen  offen  wieder  von  dem 
Kampf  zurückkehren,  damit  sie  nicht,  wenn  der  Kampf  über  sie 
kommt,  ihre  Rüstung  verstecken  und  fliehen  und  geschlagen 
werden.  Er  sprach  nämlich  zu  Gideon:  Führe  die,  welche  sich 
anwerben  haben  lassen,  zum  Wasser.  Und  da  er  das  Volk  zum 
Wasser  geführt  hatte,  sprach  der  Herr  zu  Gideon:  Alle  die- 
jenigen, welche  Wasser  lecken,  wie  der  Hund  leckt  mit  seiner 
Zunge,  die  sollen  mit  dir  in  die  Schlacht  ziehen.  Und  alle  die- 
jenigen, welche  sich  niederfallen  lassen,  um  Wasser  zu  trinken, 
sollen  nicht  mit  dir  in  die  Schlacht  ziehen.  Gross  ist  dies  Ge- 
heimniss,  mein  Lieber,  dessen  Gleichniss  er  Gideon  zuvor  ver- 
kündigt hat.  Er  sprach  nämlich  zu  ihm:  Jeder,  der  Wasser  leckt 
wie  ein  Hund,  soll  in  die  Schlacht  ziehen.  Und  von  allen  Thieren, 
die  mit  dem  Menschen  geschaÖen  sind,  ist  keines,  das  sehien  Herrn 
liebt,  wie  der  Hund.  Und  er  hält  Wache  für  ihn  Tag  und  Nacht. 
Und  wenn  ihn  auch  sein  Herr  schlägt,  so  weicht  er  doch  nicht 
von  ihm.  Und  wenn  er  mit  seinem  Herrn  auf  die  Jagd  geht, 
und  es  begegnet  seinem  Herrn  ein  starker  Löwe,  so  begibt  er 
sich  selbst  in  den  Tod  für  seinen  Herrn.  So  sind  auch  jene 
Tapferen,  die  durch  das  Wasser  ausgesondert  sind,  die  hinter 
ihrem  Hen-n  hergehen  wie  Hunde,  die  sich  selbst  für  ihn  in  den 
Tod  begeben,  und  seinen  Kampf  herzhaft  führen,  und  seine 
Wache  halten  Tag  und  Nacht,  und  bellen  wie  Hunde,  indem  sie 
über  das  Gesetz  nachsinnen  Tag  und  Nacht.  Und  sie  lieben 
ihren  Herrn  und  lecken  seine  Wunden,  wenn  sie  seinen  Leib 
empfangen,  und  ihn  auf  ihre  Augen  legen  und  mit  ihren  Zungen 
lecken,  wie  der  Hund  seinen  Herrn  leckt.  Und  diejenigen,  welche 
über  das  Gesetz  nicht  nachsinnen,  werden  stumme  Hunde  ge- 
nannt, die  nicht  bellen  können.  Und  alle  diejenigen,  welche 
nicht  eifrig  sind  im  Fasten,  werden  gierige  Hunde  genannt,  die 
nicht  satt  werden  können ').    Und  diejenigen,  welche  eifrig  sind, 

1)  Jes.  5(;,  10.   11. 


126  Homilie  VII. 

um  Barmherzigkeit  zu  bitten,  empfangen  das  Brod  der  Kinder  '), 
und  diese  werfen  es  ihnen  hin. 

Und  der  Herr  sprach  weiter  zu  Gideon:  Diejenigen,  welche 
sich  niederfallen  lassen,  um  Wasser  zu  trinken,  sollen  nicht  mit 
dir  in  die  Schlacht  ziehen,  damit  sie  sich  nicht  in  die  Schlacht 
begeben  und  darin  unterliegen:  Denn  diejenigen,  welche  so  träge 
Wasser  tranken,  verkündigten  zuvor  das  Geheimniss  des  Falls. 
Deshalb,  meine  Lieben,  sollen  also  diejenigen,  welche  sich  in  den 
Kampf  begeben,  nicht  gleichen  diesen  Trägen,  damit  sie  nicht 
umkehren  von  dem  Kampf  und  zur  Schande  werden  für  alle  ihre 
Genossen. 

§  9.  Höre  aber,  mein  Lieber,  dieses  Wort:  Werde,  weil  ich 
dich  belehrt  habe  aus  der  Schrift,  dass  Gott  nicht  diejenigen  ver- 
wirft, welche  Busse  thun,  nicht  sicher  und  sündige  nicht  leicht- 
fertig; und  weil  ich  dir  dieses  gesagt  habe,  so  ermatte  der  Ver- 
wundete nicht  und  unterlasse  nicht  um  Busse  zu  bitten.  Denn 
also  gebühret  es  ihm,  dass  er  alle  seine  Tage  in  Trauer  zubringe, 
damit  er  sich  nicht  überhebe  und  verurtheilt  werde.  Der  Knecht, 
der  vor  seinem  Herrn  gesündigt  hat,  wechselt  sein  Kleid,  damit 
sein  Herr  mit  ihm  versöhnt  werde.  Früh  und  spät  kommt  er 
zu  ihm,  ob  er  sich  nicht  über  ihn  erbarme.  Und  wenn  sein  Herr 
sieht,  dass  er  treu  vor  ihm  ist,  vergibt  er  ihm  sein  Vergehen 
und  versöhnt  sich  mit  ihm.  Denn  wenn  er  zu  seinem  Herrn 
spricht:  Ich  habe  gesündigt  vor  dir,  dann  erbarmt  sich  sein  Herr 
über  ihn.  Wenn  er  aber,  obgleich  er  gesündigt  hat,  zu  seinem 
Herrn  spricht:  Ich  habe  nicht  gesündigt,  dann  vermehrt  er  den 
Zorn  seines  Herrn.  Gedenke,  mein  Lieber,  an  den  Sohn,  der  seine 
Güter  durchgebracht  hatte.  Und  da  er  es  seinem  Vater  bekannte, 
vergab  er  ihm  seine  Schuld.  Und  auch  die  Sünderin  hatte  viel 
gesündigt,  und  da  sie  zu  unserm  Herrn  kam,  vergab  er  ihr  ihre 
vielen  Sünden  und  nahm  sie  in  Gnaden  an.  Und  auch  der  Zöllner 
Zachäus  war  ein  Sünder,  und  er  bekannte  seine  Sünden,  und  unser 
Herr  vergab  sie  ihm.  Auch  spricht  unser  Erlöser  also  '^) :  Ich 
bin  nicht  gekommen,  dass  ich  die  Gerechten  zur  Busse  rufe, 
sondern  die  Sünder.  Denn  unser  Herr  ist  für  die  Sünder  ge- 
storben. Und  sein  Kommen  war  nicht  vergeblich.  Und  auch 
der  Apostel  sagt  über  sich  selbst  3):  Ich  war  ein  Schmäher  und 


1)  Matt.  1.5,  26;  Marc.  7,  27.  —  2)  Matt.  9,  13.  —  3)  1.  Tim.  1,  13. 


Die  Unterweisung  von  der  Busse.  127 

Verfolger  und  Lästerer,  und  Gott  hat  sich  über  mich  erbarmt. 
Wiederum  spricht  er  also  ^) :  Christus  ist  für  uns  gestorben.  Denn 
das  Schaf,  das  von  der  ganzen  Heerde  verloren  gegangen  ist, 
sucht  sein  Herr  und  findet  es  und  freuet  sich.  Und  es  ist  Freude 
bei  den  Engeln  im  Himmel,  wenn  ein  Sünder  sich  von  seiner 
Gottlosigkeit  bekehrt  2).  Denn  der  Vater  im  Himmel  will  nicht, 
dass  eins  von  diesen  Kleinen  verloren  gehe  3),  die  da  sündigen 
und  Busse  suchen  ^).  Denn  unser  Herr  ist  nicht  gekommen,  dass 
er  die  Gerechten  zur  Busse  rufe,  sondern  die  Sünder-^).  Bei 
jedem  Erkrankten  unter  uns  lasset  uns  sein  Leiden  mittragen,  und 
so  jemand  augefochten  wird,  für  ihn  kämpfen. 

§  10.  Wenn  über  eines  unserer  Glieder  ein  Schmerz  kommt, 
so  werden  wir  für  seine  Wunde  sorgen,  bis  sie  geheilt  ist.  Wenn 
eins  unserer  Glieder  gepriesen  ist,  so  ist  der  ganze  Leib  herrlich 
und  schön.  Und  wenn  über  eins  unserer  Glieder  Schmerz  kommt, 
so  belästigt  den  ganzen  Leib  das  Fieber.  Jeder,  der  eins  von 
diesen  Kleinen  ärgert,  soll  ins  Meer  geworfen  werden,  indem 
ein  Mühlstein  an  seinen  Hals  gehängt  ist.  Und  wer  sich  freut 
über  das  Unglück  seines  Bruders,  dessen  Untergang  kommt  bald. 
Wer  seinen  Bruder  mit  Füssen  tritt,  wird  nicht  geheilt  werden, 
und  für  die  Wunde  des  Spötters  gibt  es  keine  Heilung;  und  die 
Schuld  des  Verächters  wird  nicht  vergeben.  Denn  wer  eine 
Grube  gräbt,  fällt  hinein,  und  wer  einen  Stein  wälzt,  gegen  den 
wendet  er  sich.  Wer  gesündigt  hat  und  gefallen  ist,  soll  nicht 
sprechen:  Jedermann  soll  mir  gleich  sein.  Und  der  Reiche,  der 
zur  Armuth  gekommen  ist,  soll  nicht  sprechen,  alle  Reichen  sollen 
mir  gleich  sein.  Denn  wenn  seine  Bitte  erhört  würde,  wer  sollte 
dann  seinen  Mangel  ersetzen? 

§  1 1.  Das  Alles  habe  ich  dir  geschrieben,  mein  Lieber,  weil 
es  in  unserer  Zeit  solche  gibt,  die  sich  selbst  erwählen,  Einsied- 
ler, Mönche  und  Heilige  zu  sein.  Wir  kämpfen  gegen  unseren 
Feind,  und  unser  Feind  kämpft  gegen  uns,  um  uns  zu  dem  Wesen 
zurückzuführen,  von  dem  wir  uns  losgesagt  haben.  Und  es  gibt 
solche  unter  uns,  die  überwunden  und  geschlagen  werden,  und 
obgleich  sie  schuldig  sind,  sich  selbst  rechtfertigen.  Und  wenn 
wir  auch  ihre  Sünden  wissen,  so  wollen  diese,  die  in  dieser  Ge- 


1)  1.  Thess.  5,  10.  —  2)  Matt.  18,  12.  13;  Luc.  15,  6.  7.  lU.  —  3)  Matt. 
18,  14.  —  4)  Bickell  übersetzt  statt  „und  Busse  suchen"  ,.und  der  Busse 
bedürfen'-.  —  5)  Matt.  9.  13. 


128  Homilie  VII. 

siunuug  stehen,  doch  nicht  zur  Busse  kommen,  und  um  ihrer 
Scham  willen  sterben  sie  des  zweiten  Todes  und  gedenken  nicht 
dessen,  der  die  Gewissen  prüft.  Und  es  gibt  wiederum  solche, 
welche  ihre  Sünde  bekennen,  und  denen  man  keine  Busse  gibt. 
0  Haushalter  Christi,  gib  Busse  deinen  Genossen  und  gedenke 
daran,  dass  dein  Herr  die  sich  Bekehrenden  nicht  verwirft.  Es 
ist  Unkraut  auf  den  Acker  gesät,  und  der  Herr  der  Saat  lässt  seine 
Knechte  das  Unkraut  nicht  ausjäten  aus  dem  Weizen  bis  zur 
Zeit  der  Ernte.  Und  das  Netz  ist  in  das  Meer  geworfen,  und 
die  Fische  werden  nicht  ausgelesen,  bis  es  herausgezogen  ist. 
Und  die  Knechte  empfangen  von  ihrem  Herrn  Geld,  und  den 
faulen  Knecht  richtet  sein  Herr.  Weizen  und  Spreu  sind  unter- 
einander gemischt,  und  der  Herr  der  Tenne  scheidet  und  reinigt 
(sie).  Es  sind  viele,  die  zum  Mahle  geladen  sind,  und  wer 
keine  Kleider  hat,  den  wirft  sein  Herr  in  die  Finsterniss.  Die 
klugen  und  thörichten  (Jungfrauen)  stehen  untereinander  und  der 
Bräutigam  weiss,  welche  er  hineinführt. 

§  12.  0  Hirten,  Jünger  unseres  Herrn,  weidet  die  Heerde 
und  führet  sie  recht;  stärket  die  Kranken,  pfleget  die  Schwachen, 
machet  gesund  die  Verwundeten,  heilet  die  Verstümmelten  und 
bewahrt  die  Fetten  dem  Herrn  der  Heerde.  Gleichet  nicht  dem 
rohen  und  thörichten  Hirten,  der  in  seiner  Thorheit  die  Heerde 
nicht  weiden  konnte;  und  dessen  Arm  verdorrete  und  dessen 
Auge  erblindete,  weil  er  sprach :  Es  mag  sterben  und  untergehen, 
und  was  übrig  bleibt,  mag  das  Fleisch  seine  Gefährten  fressen. 
Und  wenn  der  Oberhirte  kommt,  wird  er  den  rohen  und  thörichten 
Hirten,  der  seine  Genossen  nicht  recht  geleitet  hat,  verurtheilen. 
Und  derjenige,  der  die  Heerde  recht  geweidet  und  geleitet  hat,  wird 
ein  guter  und  eifriger  Hirte  genannt  werden,  der  die  Heerde  dem 
Hirten  unversehrt  zuführt.  0  ihr  Wächter,  wachet  recht,  und  warnet 
das  ganze  Volk  vor  dem  Schwert,  damit  nicht  das  Schwert  komme 
und  ihre  Seelen  wegnehme.  Denn  die  Seele  wird  wohl  durch  ihre 
eigene  Sünde  hinweggenommen,  (aber)  ihr  Blut  wird  von  euren 
Händen  gefordert.  Wenn  aber,  nachdem  die  Ermahnung  geschehen, 
die  Seele  hinweggenommen  wird,  dann  wird  die  Seele  durch  ihre 
Sünden  hin  weggenommen,  und  ihr  werdet  nicht  angeklagt  werden. 
0  ihr  fetten  Schafe,  stosset  nicht  die  Schwachen,  damit  ihr  nicht 
verurtheilt  werdet  von  unserm  Oberhirten,   wenn  er  kommt. 

Nimm  diese  Ermahnung  an,   mein  Lieber,  welche  die  sich 


Die  Unterweisung  von  der  Busse.  129 

Bekehrenden  herbeiführt  und  die  Gerechten  ermahnt.  Diese  Welt 
ist  die  Zeit  der  Gnade,  und  bis  zu  ihrer  Vollendung  ist  in  ihr  Be- 
kehrung möglich.  Es  naht  die  Zeit,  da  die  Gnade  aufhört  und 
Gerechtigkeit  herrscht;  und  es  gibt  keine  Bekehrung  mehr  zu 
dieser  Zeit.  Und  die  Gerechtigkeit  ruht,  weil  die  Gnade  stark  ist 
in  ihrer  Kraft.  Und  wenn  die  Zeit  der  Gerechtigkeit  kommt,  dann 
will  die  Gnade  die  sich  Bekehrenden  nicht  mehr  annehmen,  weil 
ihr  das  Ende  ^)  als  Grenze  gesetzt  ist.  Darnach  gibt  es  keine  Be- 
kehrung mehr.  Lies,  mein  Lieber,  und  lerne,  und  verstehe  und 
siehe,  dass  ihrer  jeder  Mensch  bedarf,  mehr  oder  weniger.  Denn 
Viele  laufen  in  der  Rennbahn,  und  der  Sieger  trägt  die  Krone 
davon.  Und  ein  jeder  empfängt  je  nach  seiner  Arbeit  seinen 
Lohn. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  der  Busse  -). 


1)  Bickell  übersetzt  j-ln^i'-^r,  ,, Ausgang,  Ende,"  mit  „das  Weltende  oder 
der  Tod".  —  2)  B:  Von  den  sich  Bekehrenden. 


Texte  und  LInt«rsuclmngeii  III,  3.  4. 


Die  Unterweisung  von  der  Auferstehung 
der  Todten. 


Es  ist  allezeit  Streit  hierüber,  wie  nämlich  die  Todten  auf- 
erstehen und  in  welchen  Leib  sie  kommen.  Siehe,  der  Leib  ver- 
geht und  verwest,  und  auch  die  Knochen,  wenn  einige  Zeit  ver- 
gangen ist,  verwittern  und  werden  nicht  mehr  erkannt,  und  wenn 
du  in  ein  Grab  kommst,  in  welchem  hundert  Todte  beerdigt  sind, 
findest  du  keine  Hand  voll  Staub  daselbst.  Und  also  sprechen 
die,  welche  dieses  bedenken:  Wir  wissen  wohl,  dass  die  Todten 
auferstehen,  aber  sie  ziehen  ')  einen  himmlischen  Leib  an  und 
eine  geistige  Gestalt.  Und  wenn  sich  das  nicht  also  verhält,  dass 
nämlich  diese  hundert  Todten,  die  in  einem  Grabe  beerdigt  sind, 
und  von  denen,  wenn  lange  Zeit  vergangen  ist,  auch  gar  nichts 
mehr  daselbst  vorhanden  ist,  wenn  die  Todten  auferstehen  und 
sie  die  Leiber  anziehen  und  auferstehen,  einen  himmlischen  Leib 
anziehen  2),  von  wo  soll  da  der  Leib  kommen  ?  Denn  siehe,  es  ist 
ja  nichts  mehr  im  Grabe! 

§  2.  Ein  Thor  und  ohne  Erkenntniss  ist,  wer  also  denkt. 
Wenn  die  Verstorbenen  zum  Grabe  eingehen,  so  sind  sie  etwas, 
und  wenn  sie  lange  gewesen  sind,  sind  sie  nichts  mehr.  Und 
wenn  die  Zeit  kommt,  dass  die  Todten  auferstehen,  ist  das  Nichts 
etwas,  wie  seine  erste  Natur,  und  seiner  Natur  wird  die  Verwand- 
lung hinzugefügt.  0  du  Dummer,  der  dieses  denkt;  höre,  was  der 
selige  Apostel  sagt,  wenn  er  belehrt  einen  Tlioren,  wie  du  bist, 
und  spricht  ^) :  Du  Thor,  der  Same,  den  du  säest,  wird,  wenn  er 
nicht  stirbt,  nicht  lebendig,  und  was  du  säest,  ist  nicht  wie  das, 
was  in  der  Aehre  entsteht,  sondern  es  ist  ein  nacktes  Korn,  von 


1)  A:    ,,sie  sind  mit   einem  himmlischen  Leib  umkleidet".  —  2)  A: 
„mit  einem  himmlischen  Leib  umkleidet  sind".  —  3)  1.  Cor.  15,  36 — 38. 


Die  Unterweisung  von  der  Auferstehung  der  Todten.  131 

Weizen  oder  Gerste  oder  der  übrigen  Samen,  und  jedem  der 
Samen  wird  sein  eigener  Leib  gegeben.  Gott  aber  kleidet  deinen 
Samen  mit  seinem  Leib,  wie  er  will  0-  Lass  dich  also  hieraus  über- 
zeugen, o  Thor,  dass  jeder  der  Samen  seinen  eigenen  Leib  anzieht: 
Niemals  säest  du  Weizen  und  erntest  Gerste,  und  niemals  pflanzest 
du  einen  Weinstock,  und  er  trägt  Feigen,  sondern  alles  geht  nach 
seiner  Natur.  Ebenso  wird  auch  derselbe  Leib,  welcher  fällt,  auch 
aufstehen.  Und  darüber,  dass  der  Leib  verwest  und  vergeht,  musst 
du  dich  aus  dem  Gleichniss  des  Samens  überzeugen  lassen,  dass  es 
auf  dieselbe  Weise  geschieht,  wie  der  Same,  wenn  er  in  die  Erde 
fällt,  vergeht  und  verwest  und  aus  seiner  Verwesung  sprosst,  grünt 
und  Früchte  bringt.  Denn  die  gepflügte  Erde,  in  welche  kein 
Same  fällt,  bringt  keine  Früchte,  auch  wenn  die  Erde  allen  Regen 
trinkt;  so  gehen  auch  aus  dem  Grabe,  in  welchem  Verstorbene 
nicht  beerdigt  sind,  bei  der  Auferstehung  der  Todten  keine 
Menschen  hervor,  wenn  auch  die  ganze  Stimme  der  Posaune  hinein- 
ruft. Wenn  es  aber  so  wäre,  wie  sie  sagen,  dass  die  Geister 
der  Gerechten  in  den  Himmel  hinaufkommen  und  einen  himm- 
lischen Leib  anziehen  2),  dann  wären  sie  im  Himmel,  und  er,  der 
die  Todten  auferweckt,  wohnte  im  Himmel,  und  wen  sollte  denn 
unser  Erlöser,  wenn  er  kommt,  aus  der  Erde  auferwecken?  Und 
warum  schreibt  er  uns^):  Es  kommt  die  Stunde,  auch  ist  sie 
schon  jetzt,  dass  auch  die  Todten  die  Stimme  des  Menschensohnes 
hören  und  leben  und  hervorgehen  aus  den  Gräbern?  Denn  es 
kommt  nicht  der  himmlische  Leib  und  geht  in  das  Grab  und 
geht  wieder  aus  demselben  hervor.  Also  sagen  nämlich  die 
Dummen:  Warum  sagt  dann  der  Apostel-*):  Ein  anderer  ist  der 
Leib  im  Himmel,  ein  anderer  der  auf  Erden.  Aber  wer  dieses 
hört,  der  höre  auch  auf  das  andere,  was  der  Apostel  sagt^): 
Nämlich  es  ist  ein  seelischer  •')  Leib  und  es  ist  ein  geistlicher 
Leib.    Und   wiederum  sagt    er'):  Wir   werden    alle   entschlafen, 


1)  A  fügt  nocli  hinzu:  ,,Und  jedem  der  Samenkörner  wird  sein  natür- 
licher Leib  gegeben".  —  2)  A  schiebt  hier  ein:  „Dann  wären  sie  zwei 
Naturen".  —  3)  Joh.  5,  25.  28.  29.  —  4)  1.  Cor.  15,  40.  —  5)  1.  Cor.  15,  44. 

6)  Luther:  natürlicher  Leib.    Vgl.  S.  107  Anm.  5  zu  hom.  VI. 

7)  1.  Cor.  15,  51.  Aphr.  stimmt  in  seiner  Lesart  überein  mit  Cod. 
Sinait.  (s)  TtävzEq  xoifxtj&rjaöf^iO^a,  ov  nävxtq  6e  a.XXayrja6fJ.ex^a;  auch  Lach- 
mann hat  diese  Lesart  in  seinen  Text  aufgenommen;  während  Pesch. 
übereinstimmend  mit  den  übrigen  griechischen  Handschriften  ,^\i   a^ 

9* 


J32  '  Homilie  Vlll. 

aber  wir  werden  nicht  alle  verwandelt  werden.  Und  wiederum 
sagt  er*):  Dieses  Sterbliche  soll  anziehen  das  Unsterbliche,  und 
dieses  Verwesliche  soll  anziehen  das  Unverwesliche.  Wiederum 
sagt  er  2):  Wir  werden  alle  stehen  vor  dem  Kichterstuhl  Christi, 
dass  einem  jeglichen  vergolten  werde  an  seinem  Leibe,  was  er 
zuvor  gethan  hatte,  sei  es  gut  oder  böse.  Wiederum  sagt  er^): 
Was  thun  denn  die,  welche  sich  taufen  lassen  für  die  Todten? 
Denn  wenn  die  Todten  nicht  auferstehen,  warum  lassen  sich  diese 
für  sie  taufen?  Wiederum  sagt  er^J:  Wenn  es  keine  Aufer- 
stehung der  Todten  gibt,  so  ist  denn  auch  Christus  nicht  aufer- 
standen, und  wenn  Christus  nicht  auferstanden  ist,  so  ist  euer 
Glaube  eitel  und  unsere  Predigt;  und  wenn  es  sich  also  verhält, 
so  werden  wir  erfunden  als  lügenhafte  Zeugen,  die  über  Gott 
bezeugt  haben,  dass  er  Christum  auferweckt  habe,  den  er  (doch) 
nicht  auferweckt  hat  '•').  Nun  gibt  es  auch,  wenn  die  Todten 
nicht  auferstehen,  kein  Gericht,  und  wenn  es  kein  Gericht  gibt, 
so  lasst  uns  dann  essen  und  trinken,  denn  morgen  sind  wir  todt. 
Irret  nicht,  böse  Geschwätze  verderben  gute  Sitten.  Das  Wort 
aber,  das  der  Apostel  sagf):  Ein  anderer  ist  der  Leib,  der  im 
Himmel  ist,  ein  anderer,  der  auf  Erden  ist,  dieses  Wort  muss  von 
dir  also  verstanden  werden:  Wenn  der  Leib  der  Gerechten  auf- 
erstanden und  verwandelt  ist,  so  wird  er  himmlisch  genannt; 
und  derjenige,  welcher  nicht  verwandelt  wird,  wird  nach  seiner 
Natur  irdisch  genannt.  Höre  aber,  mein  Lieber,  das  W^ort,  das 
diesem  ähnlich  ist,  das  wiederum  der  Apostel  spricht.  Er  sagt 
nämlich''):  Der  geistliche  Mensch  richtet  Alles,  und  er  wird  von 
Niemand  gerichtet.     Und    wiederum  sagt    er  ^) :    Diejenigen,    die 

°^"^'  _»?  ■  \s  t^i-l  Tiävreg  ov  xoi/ntjS-TjoS/bis&a,  namg  di  ulXayu- 
aöfieO^a  liest.  Ersteres  ist  die  schwierigere  und  ältei'e,  also  wohl  richtige 
Lesart. 

1)  1.  Cor.  15,  53. 

2)  2.  Cor.  5,  10  griech,  Handschr. :  <V«  xofxiajjtai  exaaxoq  ra  Siu  rov 
OMfiaroq,  TtQoq  a  aiQu^sv  hts  aya&ov  ehe  xaxöv.  Luth.:  dass  ein  Jeg- 
licher empfange  nachdem  er  gehandelt  hat  bei  Leibes  Leben,  es  sei  gut 
oder  böse. 

3)  1.  Cor.  15,  29.     Der  griech.    Text  hat  für  1^.*:^   wslikj*  vtihq  xiüv 

vexQolv,  was  auch  „für"  oder  „an  Stelle"  der  Todten  heissen  kann,  aber 
von  Luther  u.  Winer  (Grammatik)  local  „über"  den  Todten  erklärt  wird. 

4)  1.  Cor.  15,  13—15.  —  5)  1.  Cor.  15,  32.  33.  —  6)  1.  Cor.  15,  40.  — 
7)  1.  Cor.  2,  15.  —  8)  Rom.  8,  5. 


Die  Unterweisung  von  der  Auferstehung  der  Todten.  133 

geistlicli  sind,  denken,  was  geistlich  ist,  und  diejenigen,  die  fleisch- 
lich sind,  denken,  was  fleischlich  ist.  Und  wiederum  sagt  er^): 
Da  wir  fleischlich  waren,  waren  die  Leidenschaften  der  Sünden 
thätig  in  unsern  Gliedern,  dass  wir  Früchte  waren  für  den  Tod. 
Wiederum  sagt  er  -) :  Wenn  der  Geist  Christi  in  euch  wohnet,  so 
seid  ihr  geistlich.  Das  Alles  sagte  der  Apostel,  da  er  in  Fleisch  ge- 
kleidet war  und  die  Werke  des  Geistes  that ;  also  werden  auch  bei 
der  Auferstehung  der  Todten  die  Gerechten  verwandelt  werden,  und 
es  wird  die  irdische  Gestalt  verschlungen  in  die  himmlische  und 
wird  der  himmlische  Leib  genannt;  und  der  nicht  verwandelt 
wird,  wird  der  irdische  Leib   genannt  3). 

Ueber  diese  Auferstehung  der  Todten  aber,  mein  Lieber,  will 
ich,  so  gut  ich  kann,  dich  belehren.  Am  Anfang  schuf  nämlich  Gott 
den  Adam,  er  bildete  ihn  aus  Staub  und  richtete  ihn  auf.  Denn 
wenn  er,  da  Adam  noch  nicht  war,  ihn  aus  nichts  schuf,  wie  viel 
mehr  ist  es  jetzt  ein  Leichtes  für  ihn,  ihn  aufzuerwecken,  da  er  in  die 
Erde  gesät  ist.  Denn  wenn  Gott  das,  was  für  uns  leicht  ist,  thun 
würde,  so  würden  uns  seine  Werke  nicht  gross  erscheinen.  Denn 
siehe,  es  gibt  unter  den  Menschen  Künstler,  welche  wunderbare 
Dinge  machen,  und  diejenigen,  welche  nicht  Künstler  dieser  Werke 
sind,  stehen  and  verwundern  sich  darüber,  wie  sie  gemacht  sind, 
und  das  Werk  ihrer  Genossen  ist  schwer  in  ihren  Augen;  wie 
viel  mehr  ist  es  (nicht)  gerecht,  dass  die  Werke  Gottes  bewun- 
dert werden.  Für  Gott  aber  ist  das  nichts  grosses,  dass  die 
Todten  auferstehen.  Da  kein  Same  in  die  Erde  gesät  war,  brachte 
die  Erde  hervor,  was  nicht  in  sie  gefallen  war,  und  da  sie  nicht 
empfangen  hatte,  gebar  sie  in  ihrer  Jungfräulichkeit.  Wie  sollte 
aber  dann  dieses  schwer  sein,  dass  die  Erde  wieder  hervorsprossen 
lasse,  was  in  sie  gefallen  ist,  und  gebären,  nachdem  sie  empfangen 
hat?  Siehe,  ihre  W^ehen  sind  nahe,  wie  Jesaia  sagt  ^).  Wer  hat 
solches  gesehen,  und  wer  hat  solches  gehört,  dass  die  Erde  an 
einem  Tage  gebiert,  und  dass  ein  Volk  in  einer  Stunde  geboren 
wird!  Denn  Adam  war  nicht  gesät  und  wuchs  hervor,  und  er 
war  nicht  empfangen  und  wurde  geboren.  Jetzt  aber  seine 
Kinder,  siehe,  sie  sind  gesät  und  warten  auf  Regen  und  sprossen, 
und  die  Erde,  siehe,  sie  hat  viele  empfangen,  und  es  naht  die 
Zeit  ihrer  Geburt. 


1)  Rom.  7,  5.  —  2)  Rom.  S,  9.  —  3)  Vgl.   honi.  VI.  —  4)  Jes.  20,   V 


134  Homilie  VIII. 

§  3.  Denn  alle  unsere  Väter  warteten  auf  die  Hoffnung 
der  Auferstellung  und  der  Erweckung  der  Todten,  und  eilten 
ihr  zu,  wie  der  selige  Apostel  sagt:  Wenn  die  Gerechten  die 
Stadt,  von  welcher  Abraham  ausgegangen  war,  erwarteten,  so  hatten 
sie  Zeit,  dass  sie  wieder  umkehrten  und  zu  ihr  gingen;  aber  sie 
zeigten,  dass  sie  etwas  besseres  als  diese  erwarteten,  nämlich  die- 
jenige, die  im  Himmel  ist,  und  sie  warteten,  dass  sie  darin  wohnen 
würden  und  sofort  zu  ihr  gehen  würden.  Und  aus  dem,  was 
ich  dir  nun  schreiben  will,  verstehe  und  siehe,  dass  sie  auf  die 
Auferstehung  warteten.  Denn  da  unser  Vater  Jakob  starb,  be- 
schwor er  seinen  Sohn  Joseph  und  sprach  zu  ihm  -) :  In  dem 
Grabe  meiner  Väter  begrabe  mich  bei  Abraham  und  Sarah  und 
Isaak  und  Rebekka.  Warum  aber,  mein  Lieber,  wollte  Jakob 
nicht  in  Aegypten  begraben  sein,  sondern  bei  seinen  Vätern? 
Damit  hat  er  uns  zuvor  gezeigt:  dass  er  auf  die  Auferstehung 
der  Todten  hoffte,  dass  wenn  der  Ruf  und  die  Stimme  des  Hornes 
ergehet,  seine  Auferstehung  nahe  sei  der  seiner  Väter,  und  dass 
er  nicht  vermischt  würde  zur  Zeit  der  Auferstehung  unter  die 
Bösen,  welche  zur  Hölle  und  zur  Qual  gehen.  Und  ebenso  be- 
schwor auch  Joseph  seine  Brüder  und  sprach  zu  ihnen  ^) : 
Wenn  Gott  eurer  gedenket,  so  führet  meine  Gebeine  von  hier 
mit  euch  hinauf.  Und  es  thaten  seine  Brüder  nach  dem  Wort 
des  Joseph  und  hielten  den  Schwur  125  Jahre.  Zu  der  Zeit, 
da  die  Heere  des  Herrn  auszogen  aus  dem  Lande  Aegypten,  da 
nahm  Mose  *Üie  Gebeine  Josephs  und  zog  aus ;  und  sie  ehrten 
die  Gebeine  des  gerechten  Mannes  und  hielten  sie  für  besser, 
als  das  Gold  und  Silber,  das  die  Kinder  Israel  aus  Aegypten 
mitgenommen  hatten,  da  sie  es  beraubten.  Und  die  Gebeine 
Josephs  waren  40  Jahre  in  der  Wüste,  und  zu  der  Zeit,  da  Mose 
entschlief,  übergab  er  sie  Josua,  dem  Sohne  Nuns.  Denn  die 
Gebeine  seines  Vaters  Joseph  waren  ihm  mehr  werth ,  als 
alle  Beute  des  Landes,  welches  er  eroberte.  Warum  anders 
aber  gab  Mose  die  Gebeine  Josephs  Josua,  als  weil  er  von 
dem  Stamme  Ephrems  war,  des  Sohnes  Josephs  ?  Und  er  begrub 
sie  im  Lande  der  Verheissung,  dass  als  ein  Schatz  in  diesem 
Lande  die  Gebeine  Josephs  seien,  die  in  ihm  begraben  waren. 
Und  auch  zu  der  Zeit,  da  Jakob  starb,  segnete  er  seine  Stämme 


1)  Hebr.  11,  15.  16.  —  2)  Gen.  49,  29.  31.  —  3)  Gen.  50,  25. 


Die  Unterweisung  von  der  Auferstehung  der  Todten.  135 

und  zeigte  ihnen,  was  ihnen  begegnen  würde  am  Ende  der 
Tage.  Und  er  sprach  zu  Rubil  ^):  Rubil,  du  bist  mein  Erstge- 
borener, meine  Kraft  und  meine  erste  Stärke,  du  hast  dich  ver- 
laufen, wie  das  Wasser  sollst  du  nicht  bleiben,  darum  dass  du 
auf  das  Ehebett  deines  Vaters  gestiegen  bist,  in  Wahrheit  hast 
du  mein  Bett  beschmutzt  und  bist  hinaufgestiegen.  Und  es 
waren  von  der  Zeit,  da  Jakob  entschlief,  bis  Mose  entschlief 
233  Jahre:  Da  wollte  Mose  durch  sein  Priesteramt  Rubil  Sühne 
geben,  der  in  Thorheit  gefallen  war  und  gesündigt  hatte,  darum 
dass  er  bei  ßilha,  dem  Kebsweibe  seines  Vaters,  schlief,  damit, 
wenn  seine  Brüder  auferständen,  er  nicht  unter  ihrer  Zahl  vermisst 
werde.  Er  sprach  nämlich  am  Anfang  seiner  Segenssprüche-): 
Rubil  wird  leben  und  nicht  sterben  und  wird  unter  der  Zahl 
sein.  Und  auch  da  die  Zeit  kam,  dass  Mose  entschlafen  sollte 
zu  seinen  Vätern,  war  er  traurig  und  betrübt  und  bat  und  er- 
flehte von  seinem  Herrn,  dass  er  hinübergehe  in  das  Land  der 
Verheissung.  Warum  anders  aber,  mein  Lieber,  war  Mose,  der 
gerechte  Mann,  traurig  darüber ,  dass  er  nicht  in  das  Land  der 
Verheissung  kam,  als  darum,  weil  er  wollte  gehen  und  begraben 
werden  bei  seinen  Vätern  und  nicht  begraben  werden  im  Lande 
seiner  Feinde,  im  Lande  Moab,  weil  die  Moabiter  Bileam,  den 
Sohn  Beurs,  erkauft  hatten,  dass  er  Israel  fluche.  Deshalb  war 
Mose  also  gewillt,  dass  er  nicht  in  diesem  Lande  begraben  werde, 
damit  nicht  die  Moabiter  kämen  und  an  ihm  Rache  nähmen,  und 
die  Gebeine  des  gerechten  Mannes  hervorholten  und  sie  zer- 
streuten. Und  sein  Herr  that  Barmherzigkeit  an  Mose  und 
führte  ihn  auf  den  Berg  Nebo  und  zeigte  ihm  das  ganze  Land, 
indem  er  es  vor  ihm  vor  üb  erführte.  Und  Mose  sah  das  ganze 
Land  und  das  Gebirg  der  Jebusiter,  wo  das  Zelt  bleiben  sollte.  Und 
er  ward  traurig  und  weinte,  da  er  das  Grab  in  Hebron  sah,  wo 
seine  Väter  begraben  waren:  Abraham,  Isaak  und  Jakob,  weil  er 
nicht  bei  ihnen  begraben  werden  sollte  und  seine  Gebeine  nicht  zu 
ihren  Gebeinen  gelegt  werden  sollten,  um  mit  ihnen  aufzuerstehen 
bei  der  Auferstehung.  Und  da  er  das  ganze  Land  gesehen  hatte, 
tröstete  ihn  sein  Herr  und  sprach  zu  ihm''):  Ich  will  dich  be- 
graben und  dich  verbergen,  und  niemand  soll  dein  Grab  wissen. 
Und  Mose  starb  nach  dem  Wort  des  Mundes  des  Herrn  und  Er 
begrub  ihn    in  einem  Thal  des  Landes  Moab,   gegenüber  ßeth 

1)  Genes.  49,  3.  4.  —  2)  Deut.  33,  6.  —  3)  Deut.  34,  5.  6. 


136  Homilie  VIII. 

Peor,  wo  Israel  gesündigt  hatte.  Und  niemand  weiss  sein  (irab 
bis  auf  diesen  Tag.  Zwei  Wolilthaten  aber  that  der  Herr  an 
Mose,  indem  er  sein  Grab  den  Kindern  Israel  nicht  zeigte: 
erstens,  dass  es  seine  Feinde  nicht  wüssten  und  seine  Gebeine 
aus  seinem  Grabe  würfen;  und  zweitens,  dass  es  die  Kinder  seines 
Volkes  nicht  wüssten  und  nicht  sein  Grab  zu  einem  Betört 
machten,  denn  als  ein  Gott  galt  er  in  den  Augen  seines  Volks. 
Das  siehe  hieraus,  mein  Lieber:  Als  er  sie  verliess  und  auf  den 
Berg  stieg,  sprachen  sie  ^) :  Von  diesem  Mose,  der  uns  aus  Aegyp- 
tenland  geführt  hat,  wissen  wir  nicht,  was  er  ist,  und  machten 
sich  ein  Kalb  und  beteten  es  an  und  gedachten  nicht  au  Gott, 
der  sie  aus  Aegypten  geführt  hatte  durch  Mose  mit  starker  Hand 
und  hohem  Arm.  Deshalb  bewahrte  Gott  Mose  und  machte  sein 
Grab  nicht  bekannt,  damit,  wenn  er  sein  Grab  bekannt  machte, 
die  Kinder  seines  Volks  nicht  in  Irrthum  geriethen  und  sich  ein 
Bild  machten  und  es  anbeteten  und  ihm  opferten,  und  in  ihren 
Sünden  die  Gebeine  des  gerechten  Mannes  nicht  wegbrächten. 

§  4.  Und  Mose  wiederum  verkündigte  offenbarlich  die 
Auferstehung  der  Todten.  Denn  er  sprach  als  aus  dem  Munde 
seines  Gottes'-^):  Ich  tödte  und  ich  mache  lebendig.  Und 
Hannah  wiederum  sprach  also  in  ihrem  Gebet''):  Der  Herr 
tödtet  und  machet  lebendig,  und  er  führet  hinab  in  die  Hölle 
und  er  führet  herauf.  Und  auch  der  Prophet  Jesaia  spricht 
also^):  Deine  Verstorbenen,  o  Herr,  werden  leben  und  ihre 
Leiber  werden  auferstehen;  und  es  werden  erwachen  und  preisen, 
die  im  Staube  liegen.  Und  auch  David  verkündigt  und  spricht-''): 
Siehe,  an  den  Todten  thust  du  Wunder,  und  die  Männer  werden 
auferstehen  und  dich  preisen,  und  es  werden  erzählen,  die  in  den 
Gräbern  sind,  deine  Güte.  Und  wie  anders  wollen  sie  in  den 
Gräbern  die  Güte  Gottes  erzählen,  als  wenn  sie  die  Stimme  der 
Trompete  hören,  welche  ruft,  und  das  Hörn,  das  aus  der  Höhe 
erschallt,  und  wenn  die  Bewegung  geschieht,  und  die  Gräber 
geöffnet  werden;  und  die  Männer  aufstehen  mit  Rühmen  und 
einander  erzählen  in  den  Gräbern  und  sprechen:  Gross  ist  die 
Güte,  die  an  uns  gethan  worden  ist,  unsere  Hoffnung  war  uns 
genommen,  und  Hoffnung  ward  uns  Aviedergegeben ;   wir  waren 

1)  Exod.  32,  1.  —  2)  Deut.  32,  39.  —  3)  1.  Sam.  2,  6.  —  4)  Jes. 
26,  19.  —  5)  Ps.  88,  10.  11.  Aphr.  fasst  dieses  mit  Pesch.  als  Aussage- 
satz, während  es  nach  dem  hebr.  Text  Frage  ist. 


Die  Unterweisung  von  der  Auferstehung  der  Todten.  137 

eingeschlossen  in  Finsterniss  und  kamen  heraus  zum  Licht.  Wir 
waren  gesät  zur  Vernichtung  und  stehen  auf  in  Herrlichkeit, 
wir  waren  begraben  in  seelischer  Weise,  und  stehen  auf  in 
geistlicher  Weise,  wir  waren  ferner  gesät  in  Schwachheit  und 
stehen  auf  in  Kraft  ^) ;  das  ist  die  Güte,  die  sie  in  den  Gräbern 
erzählen. 

§  5.  Und  nicht  in  Worten  allein,  mein  Lieber,  sprach  der 
Herr:  Ich  will  die  Todten  lebendig  machen,  sondern  auch  mit 
Thaten  bewies  er  es  durch  viele  Zeugnisse.  Damit  wir  nicht 
zweifeln  können,  hat  er  es  uns  zuvor  offenbarlich  gesagt.  Durch 
die  Hand  des  Elia  nämlich  wurde  das  Wunder  gesehen,  dass  die 
Todten  leben  und  auferstehen,  die  da  im  Staube  liegen.  Da 
nämlich  der  Sohn  der  Wittwe  gestorben  war,  machte  ihn  Elia 
lebendig  und  gab  ihn  seiner  Mutter.  Und  Elisa  wiederum,  sein 
Schüler,  machte  den  Sohn  der  Schilumitin  lebendig,  damit  uns 
sicher  und  fest  stehe  das  Zeugniss  von  Zweien.  Und  auch  auf 
die  Gebeine  wiederum  des  Elisa  warfen  die  Kinder  Israel  einen 
Todten,  und  er  ward  lebendig  und  stand  auf  von  dem  Tode. 
Und  es  steht  fest  das  Zeugniss  von  Dreien.  Und  auch  durch 
die  Hand  des  Propheten  Hesekiel  wurde  wiederum  offenbarlich 
gesehen  die  Auferstehung  der  Todten;  da  ihn  Gott  hinausführte 
auf  das  Feld  und  ihm  viele  Gebeine  zeigte  und  ihn  durch  die- 
selben führte  ringsum  und  zu  ihm  sprach-):  Werden  diese  Ge- 
beine leben,  o  Menschenkind?  Da  sprach  zu  ihm  Hesekiel:  Du 
weisst  es,  Herr  der  Herren.  Und  es  sprach  zu  ihm  der  Herr: 
Weissage,  Menschenkind,  über  diese  Gebeine.  Er  weissagte  und 
sprach  über  diese  verdorrten  Gebeine:  Höret  das  Wort  des  Herrn 
der  Herren.  Und  da  er  sie  hören  Hess  diese  Worte,  entstand 
eine  Bewegung  und  ein  Getön,  und  es  versammelten  sich  die  Ge- 
beine, auch  diejenigen,  welche  verwittert  waren  und  zerfallen; 
und  der  Prophet  sah  sie  und  staunte,  da  sie  von  allen  Seiten 
zusammenkamen,  und  die  zusammengehörigen  Knochen  sich  zu- 
sammenschlössen, und  jedes  Glied  zu  seinem  zugehörigen  Glied  kam, 
and  an  einander  gefügt  wurden,  und  ihre  Trockenheit  angefeuchtet 
wurde,  und  die  Glieder  durch  Sehnen  verbunden  wurden,  und 
das  Blut  warm  wurde  in  den  Adern,  und  das  Fleisch  mit  einer 
Haut  umgeben  Avurde,  und  Haar  wuchs  nach  seiner  Natur,    Und 


1)  Vgl.  ).  Cor.  ]-},  42—14.  —  2)  Ezech.  37,  1— S. 


138  Homilie  VIII. 

sie  lagen  da  und  war  kein  Geist  in  ihnen.  Alsdann  gebot  Er 
Aviederum  dem  Propheten  und  sprach  zu  ihm:  Weissage  über  den 
Geist  und  sprich  zu  ihm:  Komm',  o  Geist,  von  den  vier  Winden 
imd  wehe  in  diesen  Todten,  so  werden  sie  leben.  Und  da  er  sie 
das  andere  Wort  hören  Hess,  kam  in  sie  der  Geist,  und  sie  wurden 
lebendig  und  standen  auf  ihren  Füssen,   ein  sehr  grosses  Heer. 

§  6.  Warum  aber,  mein  Lieber,  sind  diese  Todten  nicht 
auf  ein  W^ort  auferstanden  durch  Hesekiel  und  ist  vollendet 
worden  ihre  Auferstehung  der  Leiber  und  des  Geistes,  sondern 
durch  ein  Wort  sind  die  Gebeine  zusammengefügt  worden,  und 
auf  ein  anderes  kam  der  Geist?  Warum  anders  als  damit  die 
Vollkommenheit  bleibe  bei  unserm  Herrn  Jesu  Christo,  der  durch 
eine  Stimme  und  ein  Wort  auferweckt  am  Ende  alles  Fleisch 
Adams.  Denn  nicht  das  Wort  war  zu  schwach,  sondern  der,  der 
es  brachte,  war  zu  klein.  Das  verstehe  und  siehe  auch  daran, 
dass  auch  Elia  und  Elisa,  sein  Schüler,  da  sie  die  Todten  auf- 
erweckten, nicht  durch  ein  Wort  sie  erweckten,  sondern  erst  da 
sie  beteten  und  flehten  und  nicht  kleine  Zeit  gewartet  hatten, 
alsdann  standen  diese  auf. 

Und  auch  unser  Herr  erweckte  bei  seiner  ersten  Ankunft 
drei  Todte,  damit  feststehe  das  Zeugniss  von  Dreien.  Und  jedes- 
mal durch  zwei  Worte  erweckte  er  einen  jeden  von  ihnen.  Denn 
da  er  den  Sohn  der  Wittwe  erweckte,  rief  er  ihn  zweimal,  indem 
er  zu  ihm  sprach  '):  Jüngling,  Jüngling,  stehe  auf,  und  dieser  er- 
wachte zum  Leben  und  stand  auf.  Und  die  Tochter  wiederum  des 
Synagogenvorstehers  rief  er  zweimal,  indem  er  zu  ihr  sprach  2): 
Mägdlein,  Mägdlein,  stehe  auf.  Und  es  kehrte  ihr  Geist  zurück, 
und  sie  stand  auf.  Und  da  Lazarus  gestorben  war,  kam  er  zum 
Grabe,  betete  und  rief  mit  lauter  Stimme  und  sprach"^):  Lazarus, 
komme  heraus.  Und  dieser  erwachte  zum  Leben  und  kam  aus  seinem 
Grabe.  Das  alles  habe  ich  dir  gezeigt  — ,  dass  nämlich  jedes- 
mal durch  zwei  Worte  diese  Todten  auferstanden  sind  —  weil  es 
zwei  Auferstehungen  gibt:  Die  eine  ist  diese  Auferstehung,  die 
andere  die  zukünftige.  Denn  bei  jener  Auferstehung,  bei  wel- 
cher alle  Menschen  auferstehen,  werden  sie  nicht  wieder 
sterben,  und  dm'ch  ein  Wort  Gottes,  das  durch  seinen  Gesalbten 
gesandt  wird,  stehen  alle  Verstorbenen  auf,  schnell  wie  in  einem 


1)  Luc.  7,  14.  —  2)  Marc.  5,  41.  —  3)  Job.  11,  43. 


Die  Unterweisung  von  der  Auferstehung  der  Todten.  139 

Augenblick,  denn  nicht  zu  klein  und  zu  gering  ist  der.  welcher 
das  Wort  bringt.  Denn  durch  ein  Wort,  das  er  ruft,  wird 
er  gehört  an  allen  Enden,  und  es  brechen  hervor  und  stehen 
auf  alle  die  Begrabenen.  Und  es  kehrt  das  Wort  nicht  leer 
zurück  zu  dem,  der  es  gesandt  hat;  sondern  wie  geschrieben 
steht  im  Propheten  Jesaia,  der  das  Wort  mit  dem  Schnee  und 
dem  Regen  vergleicht.  Er  sagt  nämlich  \^:  Wie  der  Regen  und 
der  Schnee  vom  Himmel  herabkommt  und  nicht  wieder  dahin 
zurückkehrt,  sondern  die  Erde  grünen  macht  und  fruchtbar  und 
Samen  gibt  dem  Saemann  und  Brot  zur  Speise;  so  wird  auch 
das  Wort  sein,  das  aus  meinem  Munde  hervorgeht;  und  es  wird 
nicht  leer  zu  mir  zurückkehren,  sondern,  wemi  es  gethan  hat, 
was  ich  Avill,  und  vollbracht,  wozu  ich  es  gesandt.  Denn  der 
Regen  und  der  Schnee  kehren  nicht  zum  Himmel  zurück,  weil 
sie  den  Willen  dessen,  der  sie  gesandt  hat,  auf  Erden  vollbringen. 
Und  das  Wort,  das  er  gesandt  hat  in  seinem  Gesalbten,  welcher 
ist  sein  Wort  und  seine  Offenbarung,  kehrte  zu  ihm  zurück  mit 
grosser  Kraft.  Denn  da  er  kam  und  es  brachte,  kam  er .  gleich 
dem  Regen  und  dem  Schnee,  und  es  sprossten  durch  ihn  alle 
Samen  und  trugen  gerechte  Früchte,  und  das  Wort  kehrte  zurück 
zu  dem,  der  es  gesandt  hat,  und  seine  Rückkunft  war  nicht  leer, 
sondern  also  spricht  er  vor  dem,  der  ihn  gesandt  hat'-):  Siehe, 
ich  und  die  Kinder,  die  mir  der  Herr  gegeben  hat.  Und  über 
diese  Stimme,  durch  welche  die  Todten  zum  Leben  erwachen, 
bezeugt  unser  Erlöser,  indem  er  spricht'*^):  Es  wird  die  Stunde 
kommen,  dass  auch  die  Todten  werden  die  Stimme  des  Menschen- 
sohnes hören  und  hervorgehen  aus  ihren  Gräbern.  Wie  ge- 
schrieben steht ^):  Im  Anfang  war  die  Stimme,  welche  ist  das 
Wort.  Wiederum  sagt  er  ^) :  Das  Wort  ward  Fleisch  und  wohnte 
unter  uns.  Und  diese  Stimme  Gottes  ruft  aus  der  Höhe  und 
erweckt  alle  Verstorbenen.  Weiter  belehrt  unser  Herr  die  Sadu- 
cäer  über  die  Auferstehung  der  Todten,  da  sie  ihm  das  Gleich- 
niss  brachten  von  dem  einen  Weibe,  das  sieben  Männer  hatte, 
und  zu  ihm  sj»rachen '^) :  Siehe,  sie  war  das  Weib  Aller;  bei  der 
Auferstehung  der  Todten,  welchem  von  ihnen  wird  sie  gehören? 
Da  sprach  unser  Herr  zu  ihnen:  Ihr  irret  sehr  und   kennet  die 


1)  Jes.  55,  10.  11.  —  2)  Job.  17,  G.  9.  11.  —  3)  Job.  5,  25.  —  4)  Job. 
1,  1.  —  5)  Job.  1,  14.  —  6)  Mt.  22,  2S— 32. 


140  Homilie  VIII. 

Schrift  nicht  und  auch  nicht  die  Kraft  Gottes;  denn  bei  denen, 
welche  jener  Welt  und  der  Auferstehung  von  den  Todten  würdig 
sind,  werden  die  Männer  keine  Weiber  nehmen,  und  auch  den 
Männern  werden  keine  Weiber  augehören,  weil  sie  nicht  sterben 
können.  Denn  sie  werden  sein  wie  die  Engel  Gottes  und  die 
Kinder  der  Auferstehung.  Ueber  die  Auferstehung  aber,  da  die 
Todten  auferstehen,  habt  ihr  nicht  gelesen  in  der  Schrift,  was 
Gott  sprach  zu  Mose  vom  Sinai:  Ich  bin  der  Gott  Abrahams 
und  Isaaks  und  Jakobs?  Und  siehe,  Gott  ist  nicht  ein  Gott  der 
Todten.     Denn  ihm  leben  sie  alle  '}. 

§  7.  Es  gibt  auch  solche,  welche,  während  sie  leben,  für 
Gott  gestorben  sind.  Er  gab  aber  dem  Adam  das  Gebot  und 
sprach  zu  ihm:  An  dem  Tage,  da  du  von  dem  Baume  issest, 
wirst  du  des  Todes  sterben.  Und  nachdem  er  das  Gebot  über- 
treten und  gegessen  hatte,  lebte  er  (noch)  930  Jahre;  und  bei 
Gott  galt  er  für  todt  wegen  seiner  Sünden.  Damit  es  dir  fest- 
stehe, dass  der  Sünder  todt  genannt  wird,  auch  wenn  er  noch 
lebt,  will  ich  dich  belehren.  Also  steht  nämlich  geschrieben  im 
Propheten  Hesekiel-) :  So  wahr  ich  lebe,  spricht  der  Herr  der  Herren, 
ich  habe  kein  Wohlgefallen  am  Tode  des  todten  Sünders.  Und 
auch  unser  Herr  spricht  zu  dem  Mann,  welcher  zu  ihm  sagte  ^): 
Ich  will  hingehen  und  meinen  A'^ater  begraben  und  dann  zu  dir 
kommen:  Lass  die  Todten  ihre  Todten  begraben,  und  du  gehe 
hin  imd  verkündige  das  Reich  Gottes.  Wie  aber  wird  dieses 
Wort  von  dir  verstanden,  mein  Lieber?  Hast  du  jemals  gesehen 
Todte,  die  ihre  Todten  begraben?  Oder  wie  stehet  ein  Todter 
auf,  einen  Todten  zu  begraben?  Nein,  (sondern)  nimm  diese  Er- 
klärung von  mir  an:  Der  Sünder,  während  er  lebt,  ist  todt  für 
Gott,  und  der  Gerechte,  Avährend  er  todt  ist,  lebt  für  Gott,  denn 
dieser  Tod  ist  ein  Schlaf.  Wie  David  sagt-*):  Ich  liege  und  schlafe 
und  erwache.  Wiederum  sagt  Jesaia-''):  Es  werden  erwachen,  die 
in  der  Erde  schlafen.  Und  unser  Herr  sagt  über  die  Tochter 
des  Vorstehers  der  Synagoge*'):  Das  Mägdlein  ist  nicht  ge- 
storben, sondern  es  schläft.  Und  über  Lazarus  sagt  er  zu  seinen 
Jüngern'):  Lazarus,  unser  Freund,  schläft,  aber  ich  gehe  hin,  dass 


1)  A  hat  für:  „Denn  ihm  leben  sie  alle"  =  „sondern  der  Lebendigen". 
—  2)  Ezech.  33,  11;  18,  23.  32.  —  3)  Luc.  9,  59.  60.  —  4)  Ps.  3,  .5.  —  5) 
Jes.  26,  19.  —  6)  Mt.  9,  24.  —  7)  Joh.  11.  11. 


Die  Unterweisung  von  der  Auferstehung  der  Todten.  141 

ich  ihn  aufwecke.  Und  der  Apostel  sagt '):  Wir  werden  alle  ent- 
schlafen, aber  nicht  alle  verwandelt  werden.  Und  wiederum  sagt 
er^):    Ueber   die,   Avelche  da  schlafen,  seid  nicht  traurig. 

§  S.     Vor  dem  zweiten  Tod   aber  sollen    wir  uns  fürchten, 
vor  dem,  der  da  voll  ist  von  Weinen  und  Zähneklappeu  und  Seuf- 
zen  und  Herzeleid,   vor    dem.    der   da  wohnet  in  der  aussersten 
Finsterniss.     Selig    aber  sind  die  Gläubigen  und  Gerechten   bei 
der  Auferstehung,  denn  sie  haben  die  Hoffnung,  dass  sie  erwachen 
werden  und  empfangen  ihre  seligen  Yerheissungen.    Den  Sündern 
aber,   die    nicht  an  die  Auferstehung  glauben,    wehe  ihnen,   um 
dessen  willen,  das  ihrer  wartet  ^),    Es  wäre  ihnen  besser,  wenn  sie 
nicht  auferständen,  wie  sie  (ja  auch)  glauben.     Denn  der  Knecht, 
welchem  von  seinem  Herrn  Schläge  und  Fesseln  bestimmt  sind,  der 
will,  wenn  er  schläft,  nicht  erwachen,  denn  er  weiss,  dass,  wenn  es 
Morgen  wird,  und  er  erwacht,    sein  Herr  ihn  schlagen  und  ihn 
fesseln  wird.    Und  der  giite  Knecht,  Avelchem  sein  Herr  Geschenke 
versprochen  hat,  wartet  bis  es  Morgen  wh-d,  und  er  die  Gaben  von 
seinem  Herrn  empfängt.     Und  auch  wenn  er  schläft,  sieht  er  im 
Traum,    wie  sein  Herr  ihm   gibt,    was  er  ihm  versprochen  hat, 
und  freut  sich  in  seinem  Traum  und  ist  glücklich  und  fröhlich. 
Und    des  Sünders  Schlaf  ist  nicht  süss  für  ihn,    denn  er  denkt 
an  das,  was  der  Morgen  ihm  bringt,  und  sein  Herz  ist  zerbrochen 
in  seinem  Traum.     Und  die  Gerechten  schlafen,  und  ihr  Schlaf 
ist    ihnen  süss  Tag   und  Nacht,    und   von   der   ganzen   Nacht 
merken   sie    nicht,    dass    sie  lang  ist^).     Und   wie    eme  Stunde 
gilt  sie  in  ihren  Augen.     Und  alsdann,  wenn  der  Morgen  herab- 
träufelt, erwachen  sie  und  freuen  sich.     Und  der  Sünder  Schlaf 
liegt  auf  diesen,  und  sie  gleichen  einem  Mann,  der  in  ein  starkes 
und  schweres  Fieber  verfallen  ist  und  sich  auf  seinem  Bett  hin 
und  her  wendet  und  geängstigt  ist  die  ganze  Nacht,  welche  lang 
über  ihm  ist;    und  er  fürchtet  sich  vor  dem  Morgen,  an  welchem 
sein  Herr  ihn  verdammen  wird.    Unser  Glaube  aber  lehrt  uns  also, 
dass  die  Menschen,  wenn  sie  in  diesem  Schlafe  liegen,  schlummern 
und  nicht  wissen  (zu  unterscheiden)  Gutes  vom  Bösen;   und  die 
Gerechten    empfangen   nicht   ihre  Verheissungen ,    und  auch  die 


1)  1.  Cur.  15,  51.  Vgl.  S.  131  Aninerk.  7  —  2)  1.  Thessal.  4,  13. 
—  b)  Wörtlich:  ,.das  ihnen  uufbewakrt  ist".  —  4)  Oder  auch:  und  die 
ganze  Nacht  hindurch,  welche  lang  ist,  werden  sie  nicht  bewegt  oder 
gestört. 


142  Homilie  VIII. 

Sünder  werden  nicht  bestraft  für  das  Böse,  bis  der  Richter  kommt 
und  scheidet  zwischen  der  Rechten  und  der  Linken.  Lass  dich 
überzeugen  von  dem,  was  geschrieben  steht:  Dass,  wenn  der  Richter 
sitzet,  und  die  Bücher  vor  ihm  geöffnet  sind,  und  die  guten 
und  bösen  Thaten  gelesen  werden,  diejenigen,  die  Gutes  gethan 
haben,  Gutes  empfangen  von  dem  guten,  vind  diejenigen,  die  Böses 
gethan  haben,  Böses  empfangen  von  dem  gerechten  Richter.  Bei 
den  Guten  nämlich  verwandelt  er  seine  Natur  nicht  ^)  und  ist  ge- 
recht, denn  nach  der  Gerechtigkeit  verdammt  er  Viele.  Und 
bei  den  Bösen  verwandelt  er  seine  Natur  in  dieser  Welt,  indem 
seine  Gnade  verschwindet  in  seiner  Gerechtigkeit,  und  er  ist  jedem 
gerecht.  Und  er  verbindet  nicht  die  Gnade  mit  der  Gerechtig- 
keit bei  ihnen;  wie  denn  die  Gnade  nicht  der  Verdammniss 
hilft  und  die  Gerechtigkeit  nicht  der  Gnade.  Denn  die  Gnade 
ist  fern  von  dem  Richter;  Gerechtigkeit  fordert  der  Richter. 
Und  wem  die  Gnade  nahe  ist,  der  wende  sich  zu  ihr,  und  über- 
gebe sich  nicht  in  die  Hand  der  Gerechtigkeit,  damit  sie  ihn  nicht 
verdamme,  indem  sie  seine  Sünden  an  ihm  rächt.  Und  von  wem 
die  Gnade  ferne  ist,  den  führet  die  Gerechtigkeit  zur  Untersuchung, 
und  durch  dieselbe  wird  er  verurtheilt  und  gehet  zur  Qual.  Höre 
aber,  mein  Lieber,  diese  Lehre  von  der  Vergeltung,  die  geschieht 
am  Ende:  Der  Hirte  nämlich  theilt  seine  Heerde  und  stellt  sie 
zu  seiner  Rechten  und  Linken,  und  wenn  die  Guten  Gnade  em- 
pfangen haben,  alsdann  lässt  er  sie  ererben  das  Reich.  Und  wenn 
die  Bösen  verurtheilt  sind,  alsdann  schickt  er  sie  in  die  Qual. 
Und  diejenigen,  welche  Boten  gesandt  haben  nach  dem  König 
und  gesprochen '-) :  Dieser  soll  nicht  König  über  uns  sein,  werden, 
wenn  er  das  Reich  eingenommen  hat  und  umkehrt,  alsdann  als 
seine  Feinde  vor  ihm  getödtet  werden.  Und  die  Arbeiter,  welche 
laufen  und  sich  abmühen  im  Weinberg,  empfangen  keinen  Lohn 
bis  zum  Feierabend.  Und  von  den  Handelsleuten,  welche  Geld 
empfangen  haben,  werden,  wenn  der  Herr  des  Geldes  kommt, 
die  Zinsen  gefordert  werden.  Und  die  Jungfrauen,  welche  auf 
den  Bräutigam  warten,  schlafen  und  schlummern,  solange  er 
zögert  zu  kommen,  bis  sie  das  Geschrei  hören,  und  alsdann  er- 
wachen sie  und  bereiten  ihre  Lampen,  und  die  Klugen  gehen  hinein. 


1)  Die  Negation    haben    wir   auch    zu    „und  ist  gerecht"  zu  ziehen. 
Er  handelt  nicht  mit  ihnen  nach  seiner  Gerechtigkeit.  —  2)  Luc.  19,  14. 


Die  Unterweisung  von  der  Auferstehung  der  Todteu.  143 

und  die  Thöricliten  werden  draussen  gelassen.  Und  diejenigen, 
welche  im  Glauben  gelaufen  sind,  werden  ohne  uns  nicht  vollendet'}. 
Aus  diesem  Allen  erkenne  und  sei  gewiss,  dass  noch  niemand  seine 
Vergeltung  empfangen  hat.  Denn  die  Gerechten  haben  das  Reich 
noch  nicht  ererbt.  Und  auch  die  Bösen  sind  noch  nicht  in  die 
Qual  gegangen,  und  der  Hirte  hat  noch  nicht  seine  Heerde  ge- 
theilt.  Und  die  Arbeiter  mühen  sich  noch  ab  im  Weinberg,  und 
sie  haben  noch  nicht  den  Lohn  empfangen,  und  die  Kaufleute 
handeln  mit  dem  Geld,  und  ihr  Herr  ist  noch  nicht  gekommen, 
Rechenschaft  zu  fordern.  Und  der  König  ist  ausgezogen,  das  Reich 
einzunehmen  und  ist  noch  nicht  wieder  zurückgekehrt.  Und 
die  Jungfrauen,  welche  auf  den  Bräutigam  warten,  schlafen  bis 
zu  dieser  Stunde  und  warten  auf  das  Geschrei,  dass  sie  erwachen. 
Und  die  Ersten,  welche  sich  im  Glauben  abmühen,  werden  nicht 
fertig,  bis  die  Letzten  gekommen  sind.  Die  Kinder  in  der  Erkennt- 
niss  -;  aber  sagen:  Wenn  aber  noch  niemand  die  Vergeltung  em- 
pfangen hat,  warum  sagt  der  Apostel:  Wenn  wir  aus  dem  Leibe 
scheiden  werden,  werden  wir  bei  dem  Herrn  sein?  Erinnere  dich 
aber,  mein  Lieber,  dass  ich  dich  hierüber  in  der  Unterweisung  von 
den  Einsamen  •'')  belehrt  habe.  Dass  sie  bei  dem  Herrn  sind,  das 
bedeutet:  Der  Geist,  welchen  die  Gerechten  empfangen  haben, 
geht  in  seine  himmlische  Natur  bis  zur  Zeit  der  Auferstehung, 
und  er  kommt,  um  den  Leib  anzuziehen,  in  welchem  er  gewohnt 
hatte.  Und  allezeit  erinnert  er  an  ihn  vor  Gott  und  sehnet  sich 
nach  der  Auferstehung  des  Leibes  desjenigen,  in  welchem  er  ge- 
wohnt hatte.  Wie  der  Prophet  Jesaia  gesagt  hat  über  die  Ge- 
meinde aus  den  Heiden  ^) :  Sie  werden  beständig  sein  und  stehen 
und  an  dich  erinnern  vor  dem  Herrn,  und  es  wird  ihnen  keine 
Ruhe  gegeben.  Die  Sünder  aber  haben  niemand,  der  an  sie  erinnert 
vor  Gott,  weil  der  heilige  Geist  fern  von  ihnen  ist.  Denn  sie 
sind  seelisch  und  in  seelischer  Weise  beerdigt. 

§  9.  Ferner  werden  die  Lehren,  welche  W  erkzeuge  des  Bösen 
sind,  hinfällig  gemacht  durch  das  Wort,  welches  unser  Herr 
sagt^):  Niemand  fähret  gen  Himmel,  als  wer  vom  Himmel  herab- 


1)  D.  h.  diejenigen,  die  vor  uns  im  Glauben  gewandelt  haben,  be- 
kommen doch  nicht  vor  uns  (=  ohne  uns)  ihren  Lohn,  sondern  müssen 
warten,  bis  wir  alle  zusammen  vollendet  werden. 

2)  D.  h.  die  Thörichten.  —  3)  d.  i.  hom.  VI  von  den  ßundesbrüdern. 
—  4)  Jes.  fi2,  H.  7.  —  5)  Job.  3,  13. 


144  Homilie  VIII. 

gekommen  ist,  des  Menschen  Sohn,  der  im  Himmel  war.  Und 
diejenigen,  welche  sagen:  Siehe,  unser  Herr  bezeugt,  dass  der  ir- 
dische Leib  nicht  zum  Himmel  fährt,  haben  in  ihrer  Thorheit 
diese  seine  Bedeutung  nicht  verstanden.  Denn  da  unser  Herr  den 
Kikodemus  belehrte,  begriff  dieser  nicht  die  Bedeutung  des  Wortes. 
Da  sprach  unser  Herr  zu  ihm:  Niemand  fährt  gen  Himmel  und 
kommt  herab,  dass  er  euch  erzähle,  was  daselbst  ist ;  denn  wenn 
ich  zu  euch  rede  über  das,  was  auf  Erden  ist,  und  ihr  glaubet 
es  nicht,  wie  würdet  ihr,  wenn  ich  zu  evich  redete  über  das,  was 
im  Himmel  ist,  glauben?  Siehe,  ein  anderer  Zeuge  kommt  nicht 
von  dort  herab  mit  mir,  dass  er  über  das,  was  im  Himmel  ist, 
zeuge,  damit  ihr  glaubet.  Denn  Elia  ist  dahin  aufgefahren  und 
ist  nicht  herabgekommen,  dass  er  mit  mir  zeuge  und  das  Zeug- 
uiss  von  Zweien  feststehe.  Du  aber,  mein  Lieber,  habe  keinen 
Zweifel  über  die  Auferstehung  der  Todten;  denn  der  lebendige 
Mund  spricht  ^):  Ich  tödte  und  ich  mache  lebendig.  Und  aus 
einem  Munde  ist  beides  gekommen.  Und  wie  es  für  uns  gewiss 
ist,  dass  er  uns  tödtet,  wie  wir  es  sehen,  so  ist  es  auch  wahr 
und  glaubwürdig,  dass  er  uns  lebendig  macht. 

Und  was  ich  dich  gelehrt  habe,  nimm  an  und  glaube,  da- 
mit am  Tag  der  Auferstehung  dein  Leib  auferstehe  in  Vollkommen- 
heit, und  damit  du  vor  deinem  Herrn  empfangest  die  Vergeltung 
deines  Glaubens,  und  damit  du  dich  freuest  und  ergötzt  werdest 
durch  das,  was  du  geglaubt  hast. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  der  Auferstehung 
der  Todten. 

1)  Deut.  32,  39. 


Die  Unterweisung'  von  der  Denmtli'). 

Die  Demuth  ist  allezeit  gut,  und  befreit  von  allen  Anfech- 
tungen diejenigen,  welche  sich  ihr  nahen.  Und  ihrer  Früchte 
sind  viele,  und  viel  Gutes  bringt  die  Demuth  hervor.  Die 
Lauterkeit  wird  aus  ihr  geboren.  Und  Noah  zeichnete  sich  in 
ihr  aus  und  sie  errettete  ihn,  wie  geschrieben  steht  2) :  Gott  sprach 
zu  ihm:  Ich  habe  dich  gesehen,  dass  du  gerecht  und  lauter  bist 
unter  diesem  Geschlecht.  Zahlreich  sind  die  Zeugnisse  der  De- 
muth. Die  Schrift  nämlich  sagt^j:  Die  Demüthigen  werden  die 
Erde  besitzen  und  in  Ewigkeit  auf  ihr  wohnen.  Wiederum  sagt 
der  Prophet  Jesaia^):  Auf  wen  anders  soll  ich  sehen  und  in 
wem  wohnen,  als  in  dem  Ruhigen  und  Demüthigen,  der  sich 
fürchtet  vor  meinem  Worte?  Wiederum  sagt  er^):  Der  demüthig 
ist  im  Geiste  und  demüthig  in  den  Augen,  ist  besser,  denn  der 
eine  Stadt  einnimmt.  Wiederum  sagt  er  also  ^) :  Die  Gerechtigkeit 
des  Lauteren  geht  vor  diesem  her.    Und  über  Mose,  den   gläu- 


1)  jA^V  und  |Zir.A,r.'^r  stellt  im  N.  T.  bald  für  „sanftmüthig"  und 
,,Sanftmutli",  bald  für  „demüthig'-  und  „Demuth".  —  Matt.  5,  5  J^Iä^ 
^  graec.  rtQCCH<;  =  vulg.  mites  =  Luther:  die  Sanftmüthigen.  —  Dagegen 
Matt.  11,  29  «-..»J  =  graec.  TtQuog  ^  vulg.  mitis  =  Luther:  sanftmüthig; 
während  f  t ', V  =  graec.  zarteirog  =  ynlg.  humilis  =^  Luther:  demüthig.  — 
Und  Philipp.  2,  3  jz^^.t'-.V^  =  graec.  xanHvoipQoavvi}  =  vulg.  humi- 
litas  =  Luther:  Demuth.  —  Unsere  Homilie  überschreibt  Bickell  „Von 
der  Sanftmuth".  Die  lateinische  Uebersetzung  des  Armeniers  dagegen  „De 
humilitate".  Die  Grundbedeutung  von  «^  ist  stratus,  dejectus,  submissus 
est.  Pael  ^'^c  =  humiliavit,  demisit,  submisit  (Castelli  Lexic.  Syriac. 
ed.  Michaelis).  Wir  haben  deshalb  durch  die  ganze  Homilie  ., demüthig" 
und  „Demuth"  übersetzt. 

2)  Gen.  7,  1.  —  3)  Mt.  5,  5.  —  4)  Jes.  GG,  2.  —  5)  Prov.  16,  19.  32.  — 
6)  Prov.  11,  .•>. 

Texte  und  Cntersuchungeu  III,  3.  4.  10 


t46  Homilie  IX. 

bigen  Manu,  steht  also  geschriebeu  ^):  Er  war  demüthiger   denn 
alle  Menschen  auf  Erden.     Denn  die  Demuth  ist  das  Zeugniss 
der  guten  Wirkungen  der  Eurcht  Gottes.    Und  auch   viele   sind 
der  Gaben,  welche  wegen  der  Demuth  diejenigen  besitzen,  welche 
sie  lieben.    Wenn  du  Barmherzigkeit  suchst  —  beim  Demüthigen 
wird  sie  gefunden,  und  die  Demuth   ist  die  Wohnung    der  Ge- 
rechtigkeit; Gelehrsamkeit  wird  bei    den  Demüthigen  gefunden, 
und  Wissenschaft  bringen    ihre   Lippen    hervor.    Weisheit   und 
Klugheit  gebiert  dieDemuth.  Gelassenheit  besitzen  die  Demüthigen ; 
Mässigung  und  Geduld,  wenn  du  sie  suchst,  werden  bei  den  De- 
müthigen gefunden.    Religion  ist  ihnen  angenehm  und  erwünscht. 
Lieblich  ist  das  Wort  des  Demüthigen.  Heiter  ist    sein  Antlitz, 
und  er  lacht  und  freuet  sich.    Die  Liebe  ist  schön  bei  den  De- 
müthigen, die  da  wissen  in  ihr  zu  wandeln.   Die  Demüthigen  ent- 
halten sich  alles  Bösen.   Ihr  Antlitz  ist  heiter  von  ihrem   guten 
Herzen.   Der  Demüthige  spricht,  und  es  steht  ihm  wohl  an,  und 
seine  Lippen  lachen,  vmd  seine  Stimme  wird   nicht  gehört.   Der 
Demüthige  fürchtet  sich  vor  dem  Streit,  weil  dieser  Hass  erzeugt. 
Wenn  der  Demüthige  Worte  des  Zorns  hört,  verschliesst  er  seine 
Ohren,  und   sie   gehen  nicht   in  sein  Herz.    Die   Seele   des  De- 
müthigen gebiert  alles  Gute,  und   die   Gedanken    seines    Geistes 
sinnen   auf  Ehrbares.   Der  Demüthige   trinkt  die  Gelehrsamkeit 
wie  Wasser,  imd  sie  gehet  wie   Oel  in  seine  Adern.    Der  De- 
müthige ist  niedrig,  und  sein  Herz  ist  hoch  in  der  höchsten  Höhe. 
Und  wo  sein  Schatz  ist,    dahin  sinnt  auch   sein  Gedanke.      Die 
Augen  seines  Gesichts  blicken  zur  Erde,  und  die  Augen  seines 
Geistes  in  die  höchste  Höhe.   Der  Demüthige  fürchtet  sich  alle- 
zeit, dass  er  ein  Wort  der  Klage  mit  jemandem  habe.    An   das 
Gesetz  seines  Herrn  denkt  der  Demüthige,  und  von  ihm  empfängt 
er  die  Arznei,  die  er  sucht.   Es  freut  sich  der  Demüthige   über 
das  Gute  seines  Wachsten,  und   wie  sich    selbst  hält  er    seinen 
Freund.    Es  naht  sich  der  Demüthige    dem   Hochmüthigen  und 
Aufgeblasenen    und    nimmt    gefangen   und    führet    weg    seinen 
ganzen  Geist;  die  Demuth  zerstört  befestigte  Burgen   und  wan- 
delt Zorn  und  Feindschaft  um. 

§  2.    Die  Demuth  des  Jakob  hat   den  Zorn  seines  Bruders 
Esau  besiegt  und  die  400  Männer,  die  mit  ihm  waren.  Und  die 

1)  Num.  12,  3. 


Die  Unterweisung  von  der  Demutb.  j^47 

Demutli  des  Joseph  hat  den  Zorn  seiner  Brüder  besiegt,  die  ihn 
beneideten  und  hassteu.  Und  es  besiegte  Mose  durch  seine  De- 
muth  und  warf  nieder  den  ganzen  Hochmuth  des  Pharao.  Und 
es  besiegte  die  Demuth  des  David  den  Hochmuth  des  Goliath,  der 
im  Zorn  auf  ihn  einstürmte.  Und  es  besiegte  die  Demuth  des 
Hiskia  die  ganze  Drohung  des  Sanherib,  der  da  drohte  und 
histerte.  Und  es  besiegte  die  Demuth  des  Murdokai  den  ganzen 
Uebermuth  des  Haman.  Und  es  besiegten  Daniel  und  seine 
Brüder  durch  ihre  Demuth  die  Uebelthäter,  die  sie  verleumdet 
hatten. 

§  3.  Die  Demüthigen  entwöhnen  sich  von  Hass  und  Neid 
und  Streit,  und  verflucht  ist  in  ihren  Augen  der  Hochmuth; 
und  sie  haben  keinen  Theü  an  der  Härte  und  halten  von  sich 
fern  die  Lüge;  Verleumdung  ist  ihnen  fremd.  Feindschaft  treiben 
sie  von  sich  aus  und  werfen  sie  von'  sich,  weil  sie  Kinder  des 
Friedens  sind;  Uebermuth  treiben  sie  aus  und  werfen  ihn  aus 
sich  heraus,  Aveil  sie  sich  eines  guten  Namens  befleissigen. 
Widerstand^)  kennen  sie  nicht,  da  sie  Einfachheit  und  Ge- 
rechtigkeit lieben.  Sie  sind  friedlich  und  lauter  und  erwarten 
den  Bräutigam  -) ;  sie  sind  fremd  von  der  ganzen  Welt;  fern  ist 
von  ihnen  die  Anmassung,  und  Spötter  sind  in  ihren  Augen 
verhasst.  Die  Kammern  ihrer  Herzen  sind  voll  guter  Schätze, 
und  ihre  Gewissen  sind  rein  von  Falschheit.  Ihre  geistigen 
Augen  3)  richten  sie  in  die  Höhe  und  sehen  auf  die  Herrlichkeit 
ihres  Herrn  und  freuen  sich  in  ihm  allezeit.  Ihr  Herz  ist  voll  ^) 
alles  Schönen  und  ihre  Lippen  bringen  hervor  gute  Früchte. 
Der  Same  ist  gut,  den  sie  von  ihrem  Herrn  empfangen  haben, 
und  sie  reissen  aus  und  werfen  aus  ihm  heraus  die  bösen  Dornen. 
Ihr  Same  bringt  hundertfältige  Früchte,  denn  sie  haben  ihn  getränkt 
aus  dem  Brunnen  des  Lebens.  In  ihnen  ist  gepflanzt  die  Demuth, 
und  diese  bringt  hervor  die  Früchte  des  Glaubens  und  der  Liebe. 
Sie  haben  Christum  angezogen  als  ein  gutes  Kleid,  und  sie  be- 
wahren es  vor  jeder  Unreinigkeit.  Und  es  wohnet  in  ihnen  der 
Geist,  welchen  sie  empfangen  haben,  und  er  ist  geliebt  bei  ihnen, 
und  sie  betrüben  ilm  nicht;  sie  schmücken  ihre  Tempel  dem 
grossen  Könige,  und  er  gehet  ein  und   wohnet  bei  den  Fried- 


1)  od.  Aufstand,  Rebellion.  —   2)  A:   und  erwarten  den  Frieden. 
3)  Wörtlich:  die  Augen  ihrer  Geister.  —  4)  d.  i.  schwanger. 

10* 


148  Homilie  IX. 

liehen  und  Demütliigen.  Sie  gründen  ihren  Bau  auf  den  Felsen 
der  Wahrheit  und  fürchten  sich  nicht  vor  den  Wellen  und 
Winden.  Es  leuchten  wie  die  Lichter ')  ihre  Werke,  und  ihr 
Licht  leuchtet  vor  ihnen  her.  Sie  bereiten  das  flochzeits- 
geschenk  für  den  Bräutigam ,  der  da  kommt,  und  warten, 
dass  sie  eingehen  in  sein  Gemach.  Sie  haben  Geld  empfangen 
und  handeln  damit,  und  wollen  zehn  Talente  2)  erwerben.  Sie 
geben  aus  und  lassen  fliegen  ihre  Schätze,  und  schliessen  ihr  Geld 
nicht  ein  und  verbergen  es  nicht.  Ihr  sichtbarer  Leib  wandelt 
auf  Erden,  und  alle  ilare  Gedanken  ruhen  bei  ihrem  Herrn.  Sie 
wandeln  und  gehen  auf  dem  schmalen  und  engen  Pfad  und 
gehen  ein  durch  die  enge  Pforte  des  Reiches.  Ihren  Willen  zwingen 
sie,  das  Gesetz  zu  halten,  und  gedenken  daran  allezeit.  Sie 
denken^)  und  wandeln  in  der  Welt  als  Fremdlinge  und  warten 
auf  die  Stadt,  die  im  Himmel  ist.  Ihr  Sinn  strebt  und  ist  ge- 
richtet in  die  Höhe  und  zu  dem  heiligen  Tempel,  in  welchen 
sie  erwarten  einzugehen.  Ihre  Augen  sind  geöffnet  und  blicken 
dorthin  und  sehen  den  Bräutigam,  der  sich  bereitet;  und  ihre 
Engel  gehen  dorthin  alle  Tage  und  empfangen  imd  bringen  Ruhe 
und  Frieden.  Ihre  Namen  stehen  im  Buch  des  Lebens  geschrieben, 
und  sie  bitten  und  flehen,  dass  sie  nicht  aus  demselben  ausge- 
löscht werden.  Ihre  Opfer  bringen  sie  dar,  Gaben,  Fasten  und 
Gebet  zu  dem,  welcher  der  Herr  ist  über  das  Schreiben  und  das 
Auslöschen.  Und  in  ihr  Herz  schreiben  sie  das  Gesetz  ihres  Herrn, 
damit  sie  geschrieben  bleiben  in  diesem  Buch,  das  für  ewig  ist. 
Sie  löschen  ihre  Sünden  allezeit  aus,  damit  ihre  Namen  nicht 
aus  dem  Buch  des  Lebens  ausgelöscht  werden.  Sie  lieben  die  An- 
fechtungen der  Zeit,  damit  sie  fern  bleiben  "•)  von  der  ewigen  Qual. 
Ihre  Zunge  lehren  sie  die  Lieder  Christi,  damit  sie  ergötzt  werden 
an  dem  Ort  der  lieblichen  und  süssen  Lieder.  Sie  streben  danach, 
zu  erblicken  diesen  Ort.  Sie  leiden  Noth,  damit  das  Nöthige 
bei  ihnen  sei.  Das  sind  die,  welche  die  Demuth  lieben,  deren 
Frieden  gross  ist  mit  jederrhann. 


1)  A:  wie  die  Sonne. 

2)  A  statt  ^^.-/ii    jjoli.  =  zehn  Talente,  -^-^r-   Vr^^  =  ^^^^  Städte 

3)  Hier  wird  vielleicht  für  _«j7e  „und  sie  denken",  _..?5o  ,,und  sie  wan- 
deln" zu  lesen  sein. 

4)  A:   damit  sie  erquickt  werden. 


Die  Unterweisung  von  der  Deniuth.  149 

§  4.  Die  Demüthigen  sind  Kinder  des  Höchsten  und  Brüder 
Christi,  der,  da  er  verkündigt  wurde,  um  des  Friedens  willen  zu 
uns  kam.  Und  um  ihrer  Demuth  willen  empfing  ihn  Maria. 
Denn  da  Gabriel  der  seligen  Maria  die  Verkündigung  brachte, 
sprach  er  also  zu  ihr^):  Friede  sei  mit  dir,  du  Gesegnete  unter 
den  Weibern;  und  Friede  empfing  und  brachte  Gabriel  der  ge- 
segneten Frucht.  Und  es  wurde  hineingesäet  in  die  Maria  der 
geliebte  Sohn.  Und  sie  pries  und  lobte  den  Herrn,  dass  er 
Wohlgefallen  hatte  an  der  Demuth  seiner  Magd,  und  kein  Wohl- 
gefallen hatte  an  den  Hohen  und  Stolzen.  Und  der  Höchste  er- 
höht alle  Demüthigen.  Und  siehe,  mein  Lieber,  dass  Friede  zu 
den  Demüthigen  kommt.  Und  auch  da  der  Lehrer  der 
Demuth  geboren  war,  sangen  die  Engel  des  Himmels  also  und 
sprachen  2):  Friede  im  Himmel,  Ehre  auf  Erden  und  eine  gute 
Botschaft  den  Menschenkindern.  Und  da  er  die  Demuth  lehrte 
bei  seiner  Ankunft,  sprach  er  also-^):  Wer  dich  auf  den  Backen 
schlägt,  dem  reiche  auch  den  andern  dar;  und  wer  dich  nöthigt, 
dass  du  mit  ihm  gehest  eine  Meile,  mit  dem  gehe  zwei  andere;  und 
wer  dir  deinen  Rock  nehmen  will,  dem  gieb  auch  deinen  Mantel. 
Das  Alles,  was  unser  Erlöser  lehrt,  das  können  die  Demüthigen 
thun.  Hoheit  und  Würde  stehet  den  Demüthigen  nicht  schön, 
und  auch  nicht  eine  Krone  auf  dem  Haupte  der  Armen.  Den 
Demüthigen,  der  sich  überhebt,  hasst  sein  Herr,  und  den  Armen, 
der  eine  Krone  auf  sein  Haupt  setzt,  tödtet  der  König.  Würde 
und  Hoheit  sind  die  schöne  Krone  unseres  Königs.  Deshalb 
steht  ihm  allein  die  Würde  schön,  weil  sie  sein  ist  und  das  Ab- 
zeichen ist  seines  Königthums.  Und  seiner  Natur  steht  auch 
die  Hoheit  schön,  während  sie  verhasst  und  verflucht  ist  bei  den 
Verachteten.     Zeichen    und  Abzeichen    des  Königthums  stehen 

1)  Luc.  1,  28. 

2)  Luc.  2,  14.  Die  Abweichungen  in  den  beiden  ersten  Gliedern  von 
den  gewöhnlichen  Lesarten:  Friede  im  Himmel,  Ehre  auf  Erden,  werden 
wohl  durch  ungenaue  Anführung  der  Stelle  entstanden  sein;  denn  hom. 
XX  Wright  S.  3b5  Z.  5  lesen  wir:  Ehre  sei  Gott  im  Himmel  und  gute 
Botschaft  den  Menschen.  Das  3.  Glied:  Und  gute  Botschaft  den  Men- 
schen, das  wir  an  beiden  Stellen  finden,  stimmt  mit  Pesch.  und  wahr- 
scheinlich auch  mit  Ephraems  Commentar  (E.  27  extr.  vgl.  Zahn,  For- 
schungen I,  S.  119)  überein.  Syr.  Cur.  fehlt  hier.  Griech.  Text  (Tischen- 
dorf, S.  krit.  Ausg.):  hv  dvf^Qvjjcoi^  tvöoy.iaq. 

•6)  Mt.  5,  39—41. 


150  Homilie  IX. 

dem  Könige  schön,  und  nicht  den  Geringen.  Deshalb,  mein 
Lieber,  was  Gott  hasset  bei  uns  und  liebt  bei  ihm,  das  werde 
nicht  bei  uns  gefunden,  sondern  bei  ihm  bleibe  das  Seinige,  und 
wir  wollen  in  unserer  Natur  bleiben;  uns  stehet  dieDemuth  schön 
und  ihm  Hoheit  und  Würde.  Und  uns  gibt  er  das  Unserige: 
die  Demuth.  Und  was  er  uns  nicht  gibt,  das  wollen  wir  nicht 
nehmen.  Und  auch  wenn  er  uns  Gutes  gibt,  will  er  uns  versuchen ; 
denn  wer  nimmt,  was  nicht  sein  ist,  den  hält  man  für  einen 
Uebelthäter  und  Betrüger.  Und  wer  in  seiner  demüthigen  Na- 
tur bleibt,  den  wird  der  Höchste  erhöhen.  Der  Hoheit  gehe'") 
nicht  nach. 

§  5.  Denn  Niemand  kann  zweien  Herren  dienen -) :  Es  lässt 
sich  nicht  vereinigen  Stolz  mit  Demuth  und  auch  nicht  Ueber- 
muth  mit  Bescheidenheit.  Es  lässt  sich  nicht  vereinigen  Au- 
massung  mit  Gelassenheit  und  auch  nicht  Eile  mit  Ruhe.  Wer 
hier  Hoheit  empfängt,  wird  in  der  zukünftigen  Welt  ihrer  be- 
raubt werden;  und  jeder,  welcher  Demuth  liebt,  wird  erhöht  und 
erhoben  werden  an  den  Ort  der  Herrlichkeit.  Der  Reiche,  der 
in  Purpur  gekleidet  war  und  sich  überhob  und  sich  brüstete 
und  sich  rühmte,  da  er  dorthin  kam,  fiel  er  in  die  Qual.  Und 
Lazarus,  der  sich  selbst  demüthigte,  wurde  erhoben  und  sass  in 
Abrahams  Schoss.  Und  der  Pharisäer  und  der  Zöllner  beteten 
im  Tempel.  Der  Pharisäer  überhob  und  rechtfertigte  sich  selbst, 
und  ging  hinab  in  sein  Haus  ungerechtfertigt,  und  der  Zöllner, 
der  sich  selbst  demüthigte,  ging  hinab  in  sein  Haus  gerecht. 
Das  Böse  ist  dem  Guten  entgegengesetzt  und  die  Finsterniss  dem 
Licht  und  die  Feindschaft  der  Gerechtigkeit,  und  der  Demuth  ist 
der  Hass  entgegengesetzt,  und  dem  Streit  ist  das  Schweigen  ent- 
gegengesetzt. Das  Böse  hat  keine  Kraft  dem  Guten  zu  wider- 
stehen. Und  wenn  die  Finsterniss  das  Licht  sieht,  flieht  sie  vor 
ihm,  und  der  Bitterkeit  nimmt  die  Süssigkeit  ihren  Geschmack, 
und  auch  über  die  Feindschaft  siegt  die  Demuth;  und  den  Hass 
vernichtet  die  Gerechtigkeit,  und  den  Streit  löscht  aus  das 
Schweigen.  Denn  die  Finsterniss  hasst  nicht  die  Dunkelheit; 
und  die  Feindschaft  hasst  auch  nicht  die  Zwietracht,  und  auch 
der  Hass  verachtet  nicht  den  Streit,  und  auch  die  Bitterkeit 
hasst  nicht  den  Absynth;    sondern  die  Bösen  hassen  die  Guten, 


1)  d.  h.  trachte,  jage  nicht  nach.  —  2)  Mt.  ß,  24;  Luc.  16,  13. 


Die  Unterweisung  von  der  Demuth.  151 

und  die  Gottlosen  hassen  die  Gerechten,  und  die  Hochmüthigen 
rühmen  sich  über  die  Demüthigen;  und  die  Lügner  verspotten 
die  Wahrhaftigen,  und  die  Thoren  verachten  die  Weisen.  Und 
derjenige,  bei  welchem  keine  Wahrheit  ist,  will  nicht,  dass  Ge- 
rechte gefunden  werden;  und  wer  in  Hochmuth  gekleidet  ist, 
dem  erscheint  der  Demüthige  als  dessen  Mörder  ^) ;  und  derjenige, 
dessen  Hände  in  Sünde  verflochten  sind,  hat  kein  Wohlgefallen 
an  einem  gerechten  Menschen.  Wessen  Mund  voll  Lüge  ist,  in 
dessen  Augen  ist  die  Wahrheit  verhasst  und  verflucht. 

§  6.  Als  Arzneimittel  für  den  Hass  gibt  es  nichts  anderes 
als  Schweigen  und  Demuth.  Und  eine  böse  Vergeltung  kommt 
über  den  Hass.  Dafür,  dass  die  Schlange  den  Adam  hasste  im 
Paradiese,  empfing  sie  drei  Flüche  zur  Strafe.  Er  nahm  ihr  ihre 
Füsse,  und  sie  ging  auf  ihrem  Bauch;  und  er  nahm  ihre  Speise 
und  gab  ihr  den  Staub,  und  setzte  sie  zum  Feinde  und  machte 
sie  zum  Zertretenen  für  den  Menschen.  Und  Kain,  welcher  Abel 
tödtete  in  seinem  Hass,  empfing  Flüche  auf  sieben  Geschlechter, 
und  ward  unstet  und  flüchtig  auf  Erden.  Und  da  Esau  Jakob, 
seinen  Bruder,  hasste  und  ihn  verfolgte,  empfing  der  demüthige 
Jakob  seine  Erstgeburt  und  seinen  Segen,  und  es  wurde  dienst- 
bar gemacht  der  Stolze  dem  Demüthigen.  Und  diejenigen,  welche 
den  demüthigen  Joseph  hassten,  über  sie  wurde  Joseph  erhoben, 
und  seine  Hasser  fielen  nieder  und  beteten  ihn  an.  Und  Pharao, 
welcher  das  Volk  der  Hebräer  hasste  und  befahl  über  ihre  Kinder, 
dass  sie  ins  Meer  geworfen  würden,  wurde  mit  ebendemselben 
Gericht  gerichtet,  mit  welchem  er  richtete,  und  empfing  die  Ver- 
geltung seiner  Sünden.  Und  über  Korach  und  seine  Genossen, 
welche  Mose  hassten,  kam  die  böse  Vergeltung,  und  die  Hölle 
öffnete  ihren  Mund  und  verschlang  sie,  und  das  Feuer  loderte 
auf  und  verzehrte  sie.  Und  vor  Aaron  und  Miriam,  welche  den 
demüthigen  Mose  hassten,  offenbarte  sich  der  Heilige,  dass 
er  sie  vernichte,  und  Miriam  war  aussätzig  sieben  Tage.  Und 
von  Saul,  welcher  dem  demüthigen  David  zürnte  und  ihn  hasste, 
wich  der  heilige  Geist,  und  der  quälende  Geist  ängstigte  ihn. 
Und  da  Ahab  den  Naboth  hasste  und  ihn  tödtete,  leckten  auf 
demselben  Platz,  da  die  Hunde  Naboths  Blut  geleckt  hatten, 
die  Hunde  auch  sein  Blut.     Und  Isebel,    welche   den   Eha   ver- 


1)  Nämlich  des  Hochmuths. 


152  Homilie  IX. 

folgte,  konnte  ihm  nicht  schaden;  und  sie  frassen  die  Hunde  und 
Elia  fuhr  gen  Himmel.  Und  die  Verleumder,  welche  die  ge- 
rechten Männer  hassteu,  verzehrte  die  Flamme  ihres  eigenen 
Feuers,  und  die  gerechten  Männer  wurden  vor  ihm  errettet.  Und 
die  Chaldäer,  welche  den  Daniel  verleumdeten,  füllten  selbst  die 
Gruben,  die  sie  ihm  gegraben  hatten.  Und  Haman,  welcher 
Murdokai  und  sein  Volk  hasste,  richtete  nichts  aus  mit  seinem 
Befehl;  und  es  empfingen  den  Kreuzestod  er  und  seine  Söhne. 
Und  das  thörichte  Volk,  das  den  demüthigen  König  Christus 
nicht  aufnahm,  rottete  er  aus  von  ihrem  Ort  und  zerstreute  sie. 
Und  wenn  er  das  Reich  eingenommen  hat  und  zurückkehrt, 
werden  vor  ihm  seine  Feinde  vernichtet  werden.  An  das  Alles, 
was  ich  dir  geschrieben  habe,  erinnere  ich  dich,  und  es  verdriesst 
mich  nicht,  damit  dir  das  Wort  feststehe,  dass  die  Gottlosen 
böse  Strafe  empfangen  von  der  Hand  der  Demüthigen. 

§  7.  Deshalb,  mein  Lieber,  stehe  dir  also  dieses  Wort  fest, 
dass  in  jedem,  der  sich  mit  Hass  kleidet,  der  Böse  wohnet,  und 
der  unreine  Geist,  der  in  Saul  wohnte,  in  ihm  wohnet.  Da 
David  die  Zither  schlug  für  Saul,  dass  er  ihn  erleichtere,  warf 
Saul,  der  sich  in  Hass  gekleidet  hatte,  den  Speer  nach  seinem 
Wohlthäter.  Und  in  jedem,  in  welchem  Demuth  gefunden  wird, 
wohnet  der  Friedliche  und  Demüthige;  und  er  ist  eine  Wohnung 
Christi.  Und  erinnere  dich  weiter  dessen,  was  ich  dir  oben  ge- 
schrieben habe,  dass  nicht  die  Guten  die  Bösen  hassen,  sondern 
die  Bösen  hassen  die  Guten.  Ich  habe  niemals  einen  Reichen 
gesehen,  der  die  Armen  gehasst  hat,  und  auch  hassen  die  Ge- 
rechten nicht  die  Gottlosen,  und  auch  hassen  die  Rechtschaflenen 
nicht  die  Sünder  und  auch  nicht  die  Kinder  des  Friedens  den 
Aufstand  ^) ,  und  auch  nicht  die  Wahrhaftigen  die  Lügner.  Und 
auch  hassen  die  Beständigen  nicht  die  Gefallenen,  und  auch  nicht 
die  Züchtigen  die  Ehebrecher.  Deshalb  jage  der  Demuth  nach, 
welche  den  Hass  besiegt  und  den  Streit  vermeidet,  und  verbinde 
mit  ihr  Schweigen  und  Geduld,  damit  du  frei  seiest  von  vielem 
Streit.  Liebe  die  Demuth  und  erwirb  Mässigung  und  verbinde 
mit  Beiden  Geduld.  Die  Demüthigen  lieben  viele,  die  Hoch- 
müthigen  hassen  selbst  die,  welche  Sünder  sind,  wie  sie.  Hasse 
den    Zorn    und   befreie    dich    von    den   Fehlern  -)    der    Hasser. 

1)  A:  die  Aufständischen.  —  2)  Wörtlich:  , Flecken \ 


Die  Unterweisung  von  der  Demuth.  153 

Deinem  Zorn  öfFue  nicht  deinen  Mund  und  dein  Gesicht  bringe 
ihm  ^)  nicht  in  verschiedene  Formen,  und  lehre  ihn  nicht  deine 
Zunge,  damit  sie  nicht  böse  Früchte  von  ihm  hervorbringe.  Die 
Keime  des  Zornes  sollen  nicht  in  dir  entstehen,  damit  nicht  viele 
Gedanken  erzeugt  werden  von  ihren  Kindern. 

§  8.  Wenn  der  Zorn  in  dir  empfangen  ist,  so  ist  in  dir 
eine  Glut;  bringe  sie  also  nicht  hervor  zu  deiner  Zunge  und 
hänge  sie  nicht  auf  deine  Lippen.  Alle  Gedanken,  die  in  deinem 
Herzen  aufsteigen,  verbirg  in  deiner  innersten  Kammer.  Die 
guten-),  die  dein  Herz  empfängt,  gib  deiner  Zunge,  und  die 
schönen  Worte  lerne  dein  Mund.  Das  Wort  soll  in  deinem 
Herzen  viele  Tage  herumgewendet  werden,  und  siehe,  ob  es  sich 
ziemt  —  dann  gieb  es  deiner  Zunge;  ziemt  es  sich  nicht,  so 
sterbe  es  in  deinem  Herzen,  und  begrabe  es  in  deinen  Gedanken. 
Behüte  deine  Zunge  vor  falschem  Zeugniss,  damit  nicht  ein  Feuer 
entbrenne  in  deinem  ganzen  Leibe.  Der  Sohn  des  Königs,  welcher 
wohnet  in  dir,  wachse  herrlich,  und  lass  nicht  zu  ihm  eingehen 
böse  Feinde,  denn  allein  will  er  wohnen  in  dem  Menschen,  und 
bei  dem,  der  viele  Gedanken  hat,  wohnet  er  nicht.  Deine  Zunge 
liebe  das  Schweigen,  denn  sie  leckt  die  Wunden  deines  Herrn; 
deine  Lippen  hüte  vor  Zwietracht,  denn  du  küssest  mit  ihnen 
den  Sohn  des  Königs.  Aus  deinem  Mund  gehe  nicht  Eitelkeit 
hervor,  damit  er  sich  nicht  von  dir  entwöhne  und  nicht  mehr  in 
dir  wohne.  Liebe  die  Demuth,  sie  ist  eine  feste  Mauer,  die  dem 
Eisen  gleichet.  Liebe  die  Mässigung,  die  süssen  Früchte;  wer 
von  ihnen  isset,  sättiget  seine  Seele  und  freut  sich  und  ist  fröh- 
lich. Alle  Bäume  werden  an  ihren  Früchten  erkannt^);  und 
die  Gedanken  des  Menschen  werden  an  seinem  Munde  erkannt. 
Bei  einem  jeden  Menschen,  dem  ein  Weiser  naht,  erkennt  dieser 
seine  Seele  an  seiner  Zunge.  Denn  aus  dem  üeberfluss  des 
Herzens  reden  die  Lippen.  Und  der  Mensch,  welcher  sich  vor 
Gott  fürchtet,  redet  alles  Gute  allezeit,  und  das  Gesetz  seines 
Herrn  erzählt  er  und  redet  davon.  Und  auch  wenn  er  Fabel- 
worte hört,  leiht  er  ihnen  kein  Gehör,  und  er  redet  alle  guten 
Worte,  und  verletzende  Worte  sind  nicht  in  seinem  Munde,  denn 
in  seinen  Gedanken  kommt  nichts  auf,  was  abscheulich  ist.    So 


1)  Nämlich:  dem  Zorn,  fehlt  bei  A.  —  Nämlich:  die  guten  Gedanken. 
3)  Wörtlich:  geschmeckt. 


J54  Homilie  IX. 

wird  erkannt  der  Mensch,  welcher  über  das  Gesetz  seines  Herrn 
nachsinnt.  Das  Alles  sind  Früchte  des  guten  Baumes.  Und 
denjenigen  Menschen,  welcher  Böses  sinnt,  erkennt  der  Weise 
an  seinen  Lippen,  wenn  er  lauter  verletzende,  höhnende,  ver- 
spottende und  lästernde  Worte  redet.  Es  erkennt  ihn,  wer  ihn 
hört.  Denn  sie  werden  empfangen,  und  alsdann  werden  sie  ge- 
boren. Denn  alles  bringt  die  Empfängniss  zur  Geburt.  Erinnere 
dich  dessen,  was  unser  Erlöser  sagt^):  Der  gute  Baum  bringt 
gute  Früchte,  und  der  böse  Baum  bringt  böse  Früchte.  Der 
böse  Baum  kann  nicht  gute  Früchte  bringen,  und  der  gute  Baum 
kann  nicht  böse  Früchte  bringen;  denn  an  seinen  Früchten  wird 
der  Baum  erkannt.  So  bringt  und  redet  der  gute  Mann  aus  den 
guten  Schätzen,    welche  in  seinem  Herzen  sind,  Gutes,  und   der 

1)  Mt.  7,  18;  Luc.  C,  43  —  45.  Der  erste  Theil  1?U  Ui4  i-l^l? 
^Äou-  etc.  bis  j-i-lLc  ]?U  ''^i^i^^  |>=i^  U^l  j-^o  ist  nach  Mt.  7,  17 
u.  18  citirt;  nur  dass  bei  Aphr.  ^aoi^  und  '^avwV  gesetzt  ist,  wo  bei 
Pesch.  ,.nik  und  ,  n\Sn!^,  und  bei  Syr.  Cur.  ,-a:s.  und  y-nM?  steht. 
Graec:  noiü  und  tveyxsTv.  — Für  \JLl  l?}^,  was  Aphr.  mit  Syr.  Cur.  ge- 
meinsam hat,  steht  bei  Pesch.  j  ,• » ■^  4.   ]V).s. 

iJ.^]  ^.frf^^iö  cai  ^cicVl-a  ^i*?  *^^>-^iäO  nach  Luc.  6,  44  a  bildet  dann 
den  Uebergang  zu  Luc.  6,  45.  Das  schon  Dagewesene  bei  Luc.  wird  von 
Aphr.  ausgelassen. 

Luc.  6,  45  wird  hier  bei  Aphr.  Syr.  Text  S.  1 86  und  S.  303  Z.  8  sehr  gleich- 
massig  citirt;  nur  ist  hier  S.  186  vorausgeschickt:  V^^"'»  i-so"  oder  nach 
anderer  Lasar  tAwslUiisi,  „so  auch",  und  S.  303  das  Wort  ^VZcZ,  „Ueber- 
schüsse"  TieQloaev^a  schon  vorher  statt  ]h  h'i"   |^.Vi»ff7,  ,,böse  Schätze" 

gebraucht;    und  am  Schluss  des  Citats  S.  303  Z.  11,   „wie  unser  Erlöser 
lehrte  und  sprach". 

\JiiVco  wÄa^,  „holt  hervor  und  redet"  (2  mal)  ist  Combination  von 
Mt.  12,  35  (Pesch.  und  Syr.  Cur.:  v  n'^V;  Graec:  TtQoßäXlsL)  oder  Luc. 
6,  45a  (Pesch.:  .n°V;  Syr.  Cur.  fehlt;  Graec:  7t()0(ptQ^i)  und  von  Luc. 
6,  45  (Schluss). 

Die  Plurale  „Schätze",  j^ViVu?  (Graec  ^rjoav^og),  „Ueberschüsse" 
•-VZoZ  (Graec.  TceQiaoevfxa),  „Lippen*  jZctaxB  (Graec.  orö/na)  hat  Aphr. 
mit  Pesch.  und  Syr.  Cur.  an  beiden  Stellen  gemein,  erst  Hl.  hat  die  Spuren 
alterthümlicher  Freiheit  getilgt,  bis  auf  den  Plural  nsQiaosvfiaxa,  das 
wenigstens  Mt.  12,  34  auch  dort  stehen  blieb.    Vgl.  Zahn  S.  139. 


Die  Uuterweisurig  von  der  Demutli.  155 

böse  Mann  bringt  und  redet  aus  den  bösen  Schätzen,  die  in 
seinem  Herzen  sind,  Böses.  Denn  aus  dem  Ueberfluss  des  Herzens 
reden  die  Lippen.  Denn  wenn  auf  einem  Baum  tausend  Früchte 
wären,  so  könntest  du  an  einer  den  ganzen  Baum  erkennen,  und 
wenn  du  eine  von  den  Früchten  des  Baumes  schmeckst,  dass  die 
Früchte  zahlreich  und  gut  und  angenehm  sind,  so  wünschet 
deine  Seele,  dass  du  alle  Früchte  dieses  Baumes  allein  ässest. 
Also  wenn  ein  weiser  INIann  zu  einem  bösen  Menschen  kommt, 
so  erkennt  er  ihn  erst  an  seinen  Worten.  Weim  er  aber  sieht, 
dass  seine  Worte  verdorben  sind,  so  will  er  sie  nicht  weiter  hören. 
Wenn  ein  Weiser  zu  einem  weisen  und  gelehrten  Manne  kommt, 
so  setzt  und  stellt  er  sich  zu  ihm,  bis  er  seine  Worte  erkannt 
hat,  und  wenn  er  sieht,  dass  sie  gut  und  angenehm  sind  und 
voll  Erkenntniss  und  Weisheit,  so  will  er  von  dieser  Zeit  an 
alle  seine  Worte  hören  und  lernen.  Auch  den  Menschen,  der 
demüthig  genannt  wird,  bestimmt  der  Weise  nach  seiner  Aeusse- 
rung.  Es  gibt  solche,  welche  rechtschaffen,  schweigsam  und 
demüthig  scheinen,  und  deren  Herz  Schlechtes  denkt.  Es  gleicht 
aber  dieser  demüthige  Thor  unter  den  demüthigen  W^ eisen,  welche 
Gutes  denken,  der  Hypomele,  die  unter  Quitten  gemischt  ist, 
deren  Aussehen  der  Quitte  gleichet,  und  deren  Geschmack  bitter 
ist  für  den  Gaumen. 

§  9.  Liebe  die  Demuth,  mein  Lieber,  deren  Geruch  lieblich, 
und  deren  Geschmack  süss  ist.  Der  Demüthige.  der  auch  in 
der  Höhe  demüthig  ist,  ist  geliebt  bei  Hohen  und  Niederen. 
AVenn  ihm  Erniedrigung  widerfährt,  so  verändert  er  sich  nicht, 
denn  er  wandelt  ja  in  der  Xatur,  in  welcher  er  gestanden  hatte. 
Wenn  aber  dem  Hochmüthigen,  der  sich  nicht  demüthigt,  Er- 
niedrigung widerfährt,  dann  ist  sein  Fall  gross,  darum,  dass  er 
sich  in  seinem  Hochmuth  nicht  gedemüthigt  hat.  Der  Freunde 
des  Demüthigen  sind  viele,  und  die  seinen  Gruss  suchen,  sind 
ohne  Zahl;  und  derer,  die  sein  Lob  erzählen,  sind  viele.  Und  seine 
Demuth  deckt  auch  seine  Fehler  zu,  denn  in  seinem  Herzen 
redet  er  gegen  niemanden  Böses.  Es  sitzet  der  Demüthige  und 
sinnet  Weisheit,  und  sein  Geist  ist  zur  Höhe  des  Hinnnels  ge- 
richtet. Das  Wort  des  Demüthigen  ^)  wird  gehört  und  vernom- 
men, denn  er  bildet  es  und  bringt  es  hervor  mit  der  ^Vage.     Die 

1)  B:  „des  Weisen". 


156  Homilie  IX. 

Kammern  seines  Herzens  sind  voll  guter  Schätze,  und  seine  Zunge 
bringt  liebliche  Früchte  hervor.  Die  Demuth  ist  die  Quelle  des 
Friedens,  und  die  Bächlein  des  Friedens  rinnen  aus  ihr  hervor. 
Noah  liebte  die  Demuth,  und  sie  schützte  ihn  vor  den  Wassern 
der  Sintfluth.  Und  Abraham  nahte  zu  ihr,  und  ward  Erbe  im 
Lande  des  Lebens,  und  er  fiel  vor  Gott  nieder  und  demüthigte 
sich  wie  Staub  und  Asche.  Und  Isaak  ward  in  der  Demuth  er- 
zogen; und  die  Könige  lernten  ihn  kennen^)  und  liebten  seinen 
Bund.  Und  Jakob  war  ein  rechtschaffener  Mann  und  blieb  in 
der  Wohnung  und  empfing  von  seinem  Vater  den  Segen  Esaus. 
Und  alle  unsere  früheren  Väter  waren  demüthig  und  friedlich 
und  gelassen,  und  der  Höchste  erhöhte  die  Demüthigen,  und  er- 
niedrigte die  Hochmüthigen  und  brachte  sie  in  Schande.  Hiob 
liebte  die  Demuth,  und  über  seine  Rechtschaöenheit  legte  sein 
Herr  Zeugniss  ab.  Es  hasste  ihn  der  böse  Satan,  und  Hiob  be- 
schämte ihn,  den  Feind,  der  ein  Gegner  ist  der  Gerechten;  und 
es  erhöhte  der  Herr  Hiob,  weil  er  beharrte  in  seiner  Recht- 
schafi'enheit,  wie  sein  Mund  bezeugt  hatte. 

§  10.  Liebe,  mein  Lieber,  dieses  Loos,  das  Wesen,  in  welchem 
die  Kinder  des  Fleisches  wohnen;  denn  das  ist  recht,  dass  ein 
Mensch  sich  selbst  erniedrige.  Die  Natur  des  Adam  war  irdisch  ';, 
denn  er  war  von  Erde.  Und  sein  Herr  gab  ihm  ein  Gebot,  wel- 
ches er  halten  sollte,  dass,  wenn  er  hielte,  was  ihm  geboten  war^ 
sein  Herr  zur  hohen  Natur  ihn  führte.  Und  darum,  dass  er  die 
Hoheit  selbst  sich  nehmen  wollte,  die  nicht  zu  seiner  Natur  ge- 
hörte, wendete  ihn  sein  Herr  zu  seiner  ersten  Natur  der  Er- 
niedrigung. Darüber  bezeugt  unser  Erlöser  und  spricht-^):  Jeder, 
der  sich  erhöht,  wird  erniedrigt  werden,  und  jeder,  der  sich  er- 
niedrigt, wird  erhöht  werden.  Es  erhöhte  sich  Adam  und  ward 
erniedrigt,  und  kehrte  wieder  um  zum  Staub,  zu  seiner  ersten 
Natur.  Und  unser  hoher  und  herrlicher  Erlöser  erniedrigte  sich, 
und  ward  erhöht  und  erhoben  zu  seiner  ersten  Natur,  und  ward 
ihm  noch  hinzugefügt  die  Herrlichkeit,  und  es  ward  ihm  alles 
dienstbar  gemacht.  Unser  Erlöser,  der  sich  demüthigte,  empfing 
Ruhm  und  empfing  Zulage,  und  Adam,  der  sich  erhöhte,  empfing 
Erniedrigung  und  empfing  Flüche,  als  Zulage  zur  Erniedrigung. 

1)  A:  wurden  ihm  dienstbar.  —  2)  A:  war  Staub.  —  3)  Mt.  23,  12; 
Luc.  14,  11;  18,  14. 


Die  Unterweisung  von  der  Demuth.  157 

Deshalb,  mein  Lieber,  ist  es  also  schön  und  recht  für  einen 
Menschen,  welcher  Gott  liebt,  dass  er  die  Demuth  liebe  und 
bleibe  in  der  Natur  der  Erniedrigung,  deren  Wurzel  in  die  Erde 
gepflanzt  ist.  und  deren  Früchte  vor  den  Herrn  der  Herrlichkeit 
steigen;  die  Demuth,  deren  Früchte  begehrenswerth  sind  und  bei 
welcher  Gelassenheit  und  Bescheidenheit,  ein  liebenswürdiger 
Sinn  gefunden  werden.  Die  Demüthigen  sind  gerade  und  geduldig 
und  geliebt  und  rechtschaffen  und  gerecht  und  schlau  zum 
Guten  und  gescheut  und  friedlich  und  weise  und  keusch  und 
ruhig  und  barmherzig  und  bussfertig  und  nachsichtig  und  tief 
und  verträglich  und  schön  und  erwünscht.  Wer  ^)  diesen  Baum 
dieser  seiner  Früchte  liebt:  Selig  ist  seine  Seele,  denn  sie  wohnet 
im  Frieden,  und  es  wohnet  in  ihr  der,  welcher  Wohlgefallen  hat 
an  den  Friedfertigen  und  Demüthigen. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  der  Demuth. 


1)  d.  h.  wer  die  Demuth,  die  solche,  wie  die  eben  genannten  Früchte 
trägt,  liebt. 


Die  Unterweisung'  von  den  Hirten. 

Die  Hirten  stehen  der  Heerde  vor  und  geben  der  Heerde 
die  Speise  des  Lebens.  Wer  da  wachet  und  arbeitet  für  seine 
Heerde,  der  sorgt  für  seine  Heerde  und  ist  ein  Jünger  des  guten 
Hirten,  der  sich  selbst  für  seine  Heerde  hingegeben  hat.  Und 
wer  sich  nicht  fleissig  kehret  um  seine  Heerde,  gleicht  dem  Mieth- 
ling,  der  nicht  sorgt  für  die  Heerde.  Werdet  ähnlich,  o  Hirten, 
den  ersten  rechten  Hirten.  Jakob  hütete  die  Heerde  des  Laban, 
und  er  schützte  und  bewachte  sie  und  arbeitete  für  sie  und 
empfing  den  Lohn.  Denn  Jakob  sprach  zu  Laban  i):  Siehe, 
zwanzig  Jahre  bin  ich  bei  dir;  deine  Schafe  und  Heerden  habe 
ich  nicht  beraubt  und  die  Widder  deiner  Heerde  habe  ich  nicht 
verzehrt ;  was  zerrissen  ward,  habe  ich  dir  nicht  gebracht,  denn 
von  meinen  Händen  hast  du  es  gefordert.  Des  Tags  verzehrte 
mich  die  Hitze  und  die  Kälte  des  Nachts.  Mein  Schlaf  floh 
von  meinen  Augen.  Sehet,  ihr  Hirten,  auf  diesen  Hirten,  wie  er 
sorgte  für  seine  Heerde.  Er  wachte  des  Nachts,  um  sie  zu  be- 
hüten, und  bewachte  sie  und  arbeitete  des  Tags,  um  sie  zu  weiden. 
Jakob  war  ein  Hirte,  und  Joseph  war  ein  Hirte:  und  seine  Brüder 
waren  Hirten,  Mose  war  ein  Hirte,  und  auch  David  war  ein 
Hirte;  und  Amos  war  ein  Hirte,  diese  alle  waren  Hirten,  welche 
die  Heerde  weideten  und  fleissig  leiteten.  Warum  anders  aber, 
meine  Lieben,  haben  diese  Hirten  zuerst  die  Heerde  geweidet 
und  sind  alsdann  auserwählt  worden,  dass  sie  die  Menschen 
weideten,  als  damit  sie  lernten,  wie  ein  Hirte  für  seine  Heerde 
sorge,  und  wache  und  arbeite  für  seine  Heerde?  Und  nachdem 
sie  das  Amt  der  Hirten  gelernt  hatten,  wurden  sie  zur  Regierung 
auserwählt.  Es  hütete  Jakob  die  Heerde  des  Laban  und  arbeitete 
und  wachte  und  leitete  (sie)  fleissig.     Und  alsdann  weidete  und 

1)  Gen.  31,  38-40. 


Die  Unterweisung  von  den  Hirten.  159 

leitete  er  fleissig  seine  Söhne  und  lelirte  sie  das  Hirtenamt. 
Und  Joseph  hatte  mit  seinen  Brüdern  die  Heerde  gehütet,  und 
in  Aegypten  war  er  i)  der  Leiter  eines  grossen  Volkes,  und  er 
lenkte  sie  wie  ein  guter  Hirte  seine  Heerde. 

§  2.  Und  Mose  hütete  die  Heerde  seines  Schwiegervaters 
Jethron,  und  ward  auserwählt  von  seiner  Heerde  weg,  dass  er 
sein  Volk  weide.  Und  wie  ein  guter  -)  Hirte  führte  er  sie. 
Mose  trug  den  Stab  auf  seiner  Schulter  und  ging  dem  Volk 
voran,  dass  er  sie  führte  und  weidete  40  Jahre,  und  wachte 
und  arbeitete  für  seine  Heerde,  und  war  ein  emsiger  und  guter 
Hirte.  Da  sein  Herr  sie  vertilgen  wollte  wegen  ihrer  Sünden, 
da  sie  das  Kalb  angebetet  hatten,  bat  Mose  und  flehte  zu  dem 
Herrn  und  sprach  '^) :  Vergib  dem  Volk  seine  Sünden,  und  wenn 
nicht,  so  vertilge  mich  von  dem  Buch,  das  du  geschrieben  hast. 
Das  war  der  eifrige  Hirte,  der  sich  selbst  für  seine  Heerde 
opferte;  das  war  der  vorzügliche  Führer,  der  sich  selbst  für  seine 
Heerde  gab;  das  war  der  barmherzige  Vater,  der  über  seinen 
Kindern  schwebte^)  und  sie  gross  zog.  Und  es  lehrte  Mose 
einen  grossen  und  weisen  Führer,  der  verstand  die  Heerde  zu 
lenken,  Josua,  den  Sohn  Nuns,  einen  Mann  des  Geistes,  welcher 
die  Heerde  iind '")  das  ganze  Heer  Israels  führte.  Er  vernichtete 
die  Könige  und  eroberte  das  Land  und  gab  ihnen  das  Land  zur 
Weide  und  theilte  die  Hüi-den  und  Wohnungen  unter  seine 
Heerde.  Weiter  weidete  David  die  Heerde  seines  Vaters,  und 
von  der  Heerde  weg  wurde  er  berufen  zu  weiden  sein  Volk; 
und  er  weidete  sie  in  Rechtschaffenheit  seines  Herzens,  und  mit 
der  Klugheit  seiner  Hände  führte  er  sie;  und  da  David  die 
Heerde  seiner  Schafe  zählte,  kam  der  Zorn  über  sie,  und  sie  fingen 
an  vernichtet  zu  werden.  Da  gab  David  sich  selbst  für  seine 
Heerde,  indem  er  betete  und  sprach''):  Herr  Gott,  ich  habe  ge- 
sündigt, dass  ich  Israel  gezählt  habe;  deine  Hand  sei  auf  mir  und 
auf  dem  Haus  meines  Vaters;  diese  Heerde  ist  rechtschaffen, 
was  haben  sie  gesündigt?  Und  auch  alle  die  eifrigen  Hirten 
gaben  so  sich  selbst  für  ihre  Heerden. 

§  3.    Und   diejenigen  Hirten,  welche    nicht  für   die  Heerde 
sorgen,  diese  sind  Miethlmge,  die  nur  sich  selbst  weiden.    Deshalb 

1)  A:  der  Hirte  und  der  Leiter.  —  2)  A:  wie  ein  guter  und  fleissiger 
Hirte.  —  3)  Exod.  32,  32.  —  4)  Wie  der  Vogel  über  seinen  Jungen  brütet. 
—  5)  A:  die  Heerde  des  Heeres  von  ganz  Israel.  —  6)  2.  Sam.  24,  17. 


160  Homilie  X. 

ruft  der  Prophet  ihnen  zu  und  spricht  zu  ihnen  i):  0  ihr  Hirten,  die 
ihr  die  Heerde  meiner  Weide  zu  Grunde  richtet  und  zerstreut,  höret 
das  Wort  des  Herrn.  Also  spricht  der  Herr-):  Siehe,  ich  sorge 
für  meine  Heerde,  wie  ein  Hirte  für  seine  Heerde  sorgt  am  Tage 
des  Sturmes,  und  ich  fordere  meine  Heerde  von  euren  Händen. 
0  ihr  thörichten  Hirten,  mit  der  Wolle  der  Heerde  kleidet  ihr 
euch,  und  das  Fleisch  der  Fetten  esset  ihr;  und  die  Heerde 
weidet  ihr  nicht,  und  das  Kranke  hütet  ihr  nicht,  und  das  Zer- 
rissene verbindet  ihr  nicht,  und  das  Schwache  stärket  ihr  nicht, 
und  was  zu  Grunde  geht  und  zerstreut  wird,  sammelt  ihr  nicht, 
und  die  Starken  und  Fetten  beschützet  ihr  nicht,  sondern  mit 
Härte  herrschet  ihr  über  sie:  und  ihr  weidet  eine  gute  Weide, 
und  was  übrig  ist,  zertretet  ilir  mit  euren  Füssen.  Und  süsse 
Wasser  trinket  ihr,  und  was  übrig  ist,  trübet  ihr  mit  euren 
Füssen;  und  meine  Heerde  weidet,  was  eure  Füsse  zertreten 
haben,  und  trinket  das  Wasser,  das  eure  Füsse  getrübt  haben. 
Das  sind  die  garstigen  und  nichtswürdigen  Hirten,  die  Miethlinge, 
welche  die  Heerde  nicht  schön  weiden  und  führen  und  sie  nicht 
befreien  von  den  Wölfen.  Wenn  aber  der  Oberhirte  kommt, 
ruft  er  seine  Heerde  und  sorgt  für  sie,  und  fordert  seine  Heerde, 
und  die  Hirten  bringen  sie,  und  er  fordert  von  ihnen  Rechen- 
schaft und  vergilt  ihnen  nach  ihren  Werken.  Und  diejenigen, 
welche  die  Heerde  schön  geweidet  haben,  erfreut  der  Oberhirte 
und  schenkt  ihnen  Leben  und  Ruhe.  0  du  nichtswürdiger, 
thörichter  Hirte,  der  du  meine  Heerde  unter  deine  rechte  Hand 
und  unter  dein  rechtes  Auge  bekommen  hast  —  dafür  dass  du 
über  die  Heerde  gesagt  hast''):  Was  sterben  will,  mag  sterben, 
und  was  zu  Grunde  gehen  will,  mag  zu  Grunde  gehen,  und  was 
übrig  bleibt,  mag  sich  gegenseitig  auffressen  —  deshalb,  siehe, 
will  ich  dir  dein  rechtes  Auge  verdunkeln  und  deinen  rechten 
Arm  verdorren  lassen.  Dein  Auge,  das  auf  Geschenke  gesehen 
hat,  soll  erblinden,  und  deine  Hand,  welche  nicht  in  rechter 
Weise  geleitet  hat,  soll  vernichtet  werden^).  Ihr  seid  nämlich 
meine  Heerde,  die  Heerde  meiner  Weide ^),  o  Menschen,  und 
ich  bin  der  Herr  euer  Gott;  siehe,  von  nun  an  will  ich  euch 
weiden  auf  guter  und  fetter  Weide. 


1)  Jerem.  23,  1.  —  2)  Ezech.  34,  2—19.  —  3)  Zachar.  11,  9.  17.  — 
4)  Ezech.  34,  31.  14.  —  5)  B:  die  Heerde  meiner  Sorge. 


Die  Unterweisung  von  den  Hirten.  lß| 

§  4.  Der  gute  Hirte  ^)  hat  sich  selbst  für  seine  Heerde  hin- 
gegeben. Und  wiederum  sagt  er-):  Ich  habe  noch  andere  Schafe, 
und  auch  sie  muss  ich  hierher  führen,  und  es  wird  Alles  eine 
Heerde  und  ein  Hirte  sein.  Und  mein  Vater  liebt  mich,  darum 
dass  ich  mich  selbst  für  die  Heerde  hingebe.  Und  wiederum 
sagt  er 3):  Ich  bin  die  Thür  der  Heerde,  und  jeder,  der  durch 
mich  eingeht,  wird  leben  und  wird  eingehen  und  ausgehen  und 
Weide  finden.  Werdet  ähnlich,  o  Hirten ,  diesem  eifrigen  Hirten, 
dem  Haupte  der  ganzen  Heerde,  wie  er  sorget  für  seine  Heerde 
und  die  Entfernten  herbeiholt,  und  die  Verirrten  wiederbringt, 
und  die  Kranken  versorgt,  und  die  Schwachen  stärkt,  und  die 
Zerrissenen  verbindet,  und  die  Fetten  beschützt,  und  sich  selbst 
für  die  Heerde  hingibt.  Und  er  hat  sich  auserwählt  und  unter- 
richtet vorzügliche  Vorsteher,  und  die  Heerde  in  ihre  Hände  über- 
geben und  sie  über  die  ganze  Heerde  gesetzt.  Denn  er  sprach 
zu  Simeon  Petrus^):  Weide  mir  meine  Heerde  und  meine  Schafe 
und  meine  Lämmer.  Und  Simeon  weidete  sie  und  vollendete 
seine  Zeit  und  übergab  auch  die  Heerde  und  ging.  Weidet  auch 
ihr  und  leitet  sie  schön.  Ein  Hirte  nämlich,  welcher  sorgt  für 
seine  Heerde,  treibet  keine  andere  Arbeit  daneben.  Er  pflegt 
keinen  Weinberg,  und  pflegt  auch  keine  Gärten,  und  verfallt  auch 
nicht  in  die  Händel  dieser  Welt.  Denn  wir  haben  niemals  einen 
Hirten  gesehen,  der  seine  Heerde  in  der  Wüste  gelassen  hätte 
und  ein  Kaufmann  geworden  wäre,  und  auch  keinen,  der  seine 
Heerde  in  die  Irre  hätte  gehen  lassen  und  ein  Ackersmann  ge- 
worden wäre.  Wenn  er  aber  seine  Heerde  verliess  und  dieses 
trieb,  so  übergab  er  seine  Heerde  den  Wölfen.  Und  erinnere 
dich,  mein  Lieber,  an  das,  was  ich  dir  geschrieben  habe  über 
unsere  ersten  Väter,  welche  zuerst  das  Hirtenamt  lernten  und 
hierin  eine  Probe  der  Sorgfalt  ablegten,  und  alsdann  zur 
Regierung  auserwählt  wurden,  damit  sie  lernen  und  sehen  sollten, 
wie  ein  Hirte  für  seine  Heerde  sorgt;  und  wie  sie  die  Heerde 
sorgfältig  leiteten,  so  sollten  sie  nun  auch  in  der  Kegierung 
vollkommen  sein.  Joseph  nämlich  wurde  auserwählt  von  der 
Heerde  weg,  dass  er  die  Aegypter  führe  zur  Zeit  der  Noth. 
Und  Mose  wurde  auserwählt  von  der  Heerde  weg,  dass  er  sein 
Volk  führe  und  sie  weide.    Und  David  wurde  hinter  der  Heerde 


1)  Joh.  10,11.  —  2)  Joh.  10,  10.  —  ;•!)  Job.  10,9.  —  4)  Job.  21,  15—17. 
Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  4.  11 


1(32  Homilie  X. 

weggeholt,  dass  er  König  sei  über  Israel,  Und  Arnos  fährte 
sein  Herr  hinter  der  Heerde  weg  und  machte  ihn  zum  Propheten 
über  sein  Volk;  und  auch  Elisa  wurde  hinter  dem  Joch  weg- 
geholt, dass  er  ein  Prophet  sei  in  Israel;  Mose  kehrte  nicht  zu 
seiner  Heerde  zurück  und  verliess  nicht  die  Heerde,  die  ihm 
übergeben  war.  Und  es  kehrte  David  nicht  wieder  um  zur 
Heerde  seines  Vaters,  sondern  führte  sein  Volk  in  Rechtschaffen- 
heit seines  Herzens.  Und  Amos  kehrte  nicht  wieder  um,  die 
Heerde  zu  hüten  und  Holz  zu  lesen,  sondern  führte  und  voll- 
brachte sein  Prophetenamt.  Und  Elisa  kehrte  nicht  wieder  um 
zu  seinem  Joch,  sondern  diente  dem  Elia  und  trat  an  seine  Stelle. 
Und  den  Aufseher,  den  er  hatte,  wollte  er  nicht  zum  Jünger 
haben,  weil  er  die  Aecker  liebte  und  den  Handel  und  die  Wein- 
berge und  die  Oelbäume  und  den  Ackerbau;  und  er  übergab 
nicht  die  Heerde  in  seine  Hand. 

§  5.  Ich  bitte  euch,  ihr  Hirten,  dass  ihr  nicht  über  die 
Heerde  thörichte,  nichtswürdige  Vorsteher  bestellet,  und  auch 
nicht  Geizige  und  solche,  die  den  Gewinn  lieben.  Jeder,  der  die 
Heerde  weidet,  soll  von  ihrer  Milch  essen,  und  wer  das  Joch 
führt,  soll  seine  Arbeit  gebrauchen,  und  die  Priester  sollen  von 
dem  Opfer  ihren  Theil  haben,  und  die  Leviten  sollen  ihre  Zehnten 
empfangen.  Wer  von  der  Milch  isst,  dessen  Herz  soll  bei  seiner 
Heerde  sein,  und  wer  die  Arbeit  seines  Joches  gebraucht  '),  soll 
eifrig  sein  -)  bei  seiner  Arbeit,  und  die  Priester,  welche  von  dem 
Opfer  ihren  Theil  bekommen,  sollen  mit  Gewissenhaftigkeit  dem 
Opfer  dienen,  und  die  Leviten,  die  ihre  Zehnten  empfangen,  haben 
keinen  Theil  in  Israel.  0  ihr  Hirten,  ihr  Jünger  des  grossen 
Hirten,  gleichet  nicht  den  Miethlingen,  denn  der  Miethling  sorget 
nicht  für  die  Heerde.  Ihr  aber  werdet  ähnlich  dem  süssen  Hirten, 
der  nicht  sich  selbst  mehr  liebt  als  seine  Heerde.  Erziehet 
die  Jünglinge  und  ziehet  heran  die  Jungfrauen  und  liebet  die 
Lämmer,  und  an  euren  Busen  sollen  sie  heranwachsen,  damit 
ihr  kommt  zu  dem  Oberhirten  und  ihm  eure  ganze  Heerde  bringt 
unversehrt,  und  er  euch  gebe,  was  er  euch  verheissen  hat-'}: 
Wo  ich  bin,  sollt  auch  ihr  sein. 

Dieses    wenige    aber  genüge    den   guten   Hirten    und    Vor- 


1)  d.  i.  die  Frucht  seines  Pfluges.  —  2)  A  fügt  hinzu:    ,allezeit\  — 
3)  A  fügt  hinzu:  „da  er  sagt'.    Joh.  12,  26. 


Die  Unterweisung  von  den  Hirten.  [()3 

Stehern.  Oben  aber,  mein  Lieber,  habe  ich  dir  geschrieben  und 
dich  erinnert  an  die  Sitten,  die  wohl  anstehen  der  ganzen 
Heerde;  in  dieser  Rede  habe  ich  dir  geschrieben  über  die  Hirten, 
welche  die  Leiter  sind  der  Heerden.  Diese  Erinnerungen  habe 
ich  dir,  mein  Lieber,  geschrieben,  wie  du  sie  in  deinem  geliebten 
Brief  von  mir  erbeten  hast. 

§  6.  Der  Hausmeister  ')  führte  mich  in  das  Schatzhaus  des 
Königs  und  zeigte  mir  allda  viele  Schätze,  und  da  ich  sie  sah, 
wurde  mein  Geist  eingenommen  von  dem  grossen  Schatz,  imd  da 
ich  nach  ihm  sah,  blendete  er  die  Augen,  und  nahm  die  Sinne 
gefangen  und  verwirrte  die  Gedanken  durch  die  vielen  Arten. 
Wer  davon  nimmt,  ist  reich  und  macht  reich,  und  er"^)  ist  ge- 
öffnet und  zugänglich  für  jeden,  der  ihn  suchet;  und  wenn  auch 
viele  davon  nehmen,  so  wird  er  doch  nicht  weniger;  und  wenn 
sie  geben  von  dem,  was  sie  empfangen  haben,  so  vermehrt  sich 
das  Ihrige.  Die  es  umsonst  empfangen  haben,  sollen  es  umsonst 
geben,  wie  sie  es  empfangen  haben.  Denn  für  Geld  wird  es  nicht 
erkauft,  denn  es  gibt  nichts,  was  ihm  gleich  ist',  denn  es  fehlt 
darin  kein  Schatz.  Und  die  ihn  empfangen,  werden  nicht  satt, 
sie  trinken  und  haben  Verlangen  darnach,  sie  essen  und  hungern 
darnach.  Wer  nicht  durstet,  kann  nicht  trinken;  und  wer  nicht 
hungert,  kann  nicht  essen.  Der  Hunger  darnach  sättigt  viele, 
und  aus  dem  Durst  darnach  fliessen  Quellen.  Denn  ein  Mensch, 
der  zur  Kraft  Gottes  kommt,  gleicht  einem  durstenden  Mann, 
der  zur  Quelle  kommt  und  trinkt  und  satt  wird.  Und  die  Quelle 
wird  nicht  weniger,  und  die  Erde,  welche  Verlangen  hat  ^V' asser 
zu  trinken,  trinkt  von  der  Quelle,  und  ihr  Wasser  nimmt  nicht 
ab.  Und  wenn  die  Erde  trinkt,  verlangt  sie  wieder  zu  trinken, 
und  die  Quelle  wird  nicht  vermindert  in  ihrem  Lauf.  Ebenso 
ist  es  mit  der  Erkenntniss  Gottes.  Wenn  alle  Menschenkinder 
davon  nehmen,  so  ist  bei  ihr  doch  kein  Abnehmen,  und  sie  wird 
auch  nicht  von  den  Kindern  des  Fleisches  umfasst-').  Niemand, 
der  davon  nimmt,  hört  auf  davon  zu  nehmen,  und  sie  nimmt 
nicht  ab,  wenn  Er  etwas  davon  gibt.  Wenn  du  Feuer  mit  einem 
Lichte  von  einem  Brande  nimmst,  so  kannst  du  viele  Lichter 
damit  anzünden.     Der  Brand  )iinimt  nicht  ab,  Avenn   du  davon 


1)  Es  ist  das  Folgende  ein  Rückblick  auf  die  zehn  ersten  Homilien.  — 
2)  Nämlich  der  Schatz.  —  3)  d.  i.  begriffen,  begrenzt,  ganz  aufgenoinnien. 

11* 


164  Homilie  X. 

nimmst,  und  das  Licht  wird  nicht  vermindert,  das  viele  entzündet. 
Es  kann  nicht  ein  einzelner  Mensch  den  ganzen  Schatz  des  Königs 
nehmen,  und  auch  werden,  wenn  ein  Durstiger  von  der  Quelle 
trinkt,  ihre  Wasser  nicht  vermindert.  Und  wenn  ein  Mensch 
sich  auf  einen  hohen  Berg  stellt,  so  kann  sein  Auge  auch  nicht 
das  Nahe  und  Ferne  erreichen.  Und  wenn  er  sich  hinstellt  und 
die  Sterne  des  Himmels  zählen  will,  so  kann  er  auch  nicht  die 
Heere  des  Himmels  umfassen,  und  wenn  er  zur  Furcht  Gottes 
kommt,  so  kann  er  sie  auch  nicht  ganz  empfangen.  Und  wenn 
er  sehr  viel  davon  empfängt,  so  merkt  man  nicht,  dass  sie  ab- 
genommen hat,  und  wenn  er  von  dem,  was  er  empfangen  hat, 
gibt,  so  wird  er  auch  nicht  damit  fertig  und  kommt  nicht  zu 
ihrem  Ende.  Und  erinnere  dich,  mein  Lieher,  an  das,  was  ich 
dir  in  der  ersten  Rede,  vom  Glauben,  geschrieben  habe:  Wer 
umsonst  empfängt,  soll  es  auch  umsonst  geben,  wie  er  es  em- 
pfangen hat.  Wie  unser  Herr  sagt^):  Umsonst  habt  ihr's 
empfangen,  umsonst  gebt  es;  denn  wer  verweigert,  was  er  em- 
pfangen hat,  von  dem  wird,  auch  was  er  empfangen  hat,  ge- 
nommen. Deshalb,  mein  Lieber,  habe  ich  dir,  soviel  du  jetzt 
empfangen  kannst,  von  diesem  Schatz,  der  nicht  abnimmt,  ge- 
schickt. Und  obgleich  ich  dir  geschickt  habe,  so  ist  er  doch 
bei  mir  noch  ganz.  Der  Schatz  nimmt  nicht  ab;  denn  es  ist 
die  Weisheit  Gottes,  und  der  Hausmeister  ist  unser  Herr  Jesus 
Christus;  wie  er  bezeugt  und  spricht'^):  Alles  ist  mir  von  dem 
Vater  übergeben.  Und  wenn  er  auch  der  Hausmeister  der 
Weisheit  ist,  so  ist  er  wiederum  doch  die  Weisheit;  wie  der 
Apostel  sagt^):  Christus  ist  die  Kraft  Gottes  und  seine  Weis- 
heit. Und  diese  Weisheit  ist  unter  viele  vertheilt  und  nimmt 
nicht  ab.  Wie  ich  dich  oben*)  belehrt  habe,  dass  von  dem 
Geist  Christi  die  Propheten  empfangen  haben,  und  Christus  um 
nichts  vermindert  worden  ist. 

§  7.  Zehn  Gegenstände  habe  ich  dir  geschrieben,  mein 
Lieber.  Worüber  du  mich  gefragt  hast,  darüber  habe  ich  dich  ohne 
Lohn  belehrt.  Und  was  du  nicht  von  mir  erbeten  hast,  das 
habe  ich  dir  gegeben.  Ich  habe  deinen  Namen  erfragt  und  habe 
es  dir  geschrieben.  Ich  legte  deine  Frage  meiner  Seele  vor  und 
beantwortete  sie  dir,  damit  ich  dich  überzeugen  könnte.    Ueber 


1)  Mt.  10,  8.  —  2)  M.tJJ^-Tr.^-^  ÄirAt^^^Sj.  24.  —  4)  liom.  VI,  §  13. 


Die  Unterweisung  von  den  Hirten.  165 

(las  Alles,  was  ich  dir  geschrieben  habe,  sinne  allezeit  nach,  und 
sei  fleissig  zu  lesen  die  Schriften,  die  in  der  Gemeinde  Gottes 
gelesen  werden.  Diese  zehn  kleinen  Schriften,  die  ich  dir  ge- 
schrieben habe,  hängen  eine  an  der  andern;  und  es  ist  eine  auf 
die  andere  gebaut;  trenne  sie  nicht  von  einander.  Von  Olaph 
bis  Jud  habe  ich  dir  geschrieben;  lies  und  lerne  ein  Zeugniss 
nach  dem  andern,  du  und  die  Brüder,  die  Söhne  des  Bundes  und 
die  Kinder  des  Glaubens,  diejenigen,  von  denen  Spötterei  ferne  ist, 
wie  ich  dir  oben  geschrieben  habe.  Und  erinnere  dich  an  das, 
was  ich  dir  bemerkt  habe,  dass  ich  diese  Worte  nicht  bis  zum 
Ende  geführt  habe,  sondern  vor  dem  Ende  stehe,  und  nicht  sei 
das  Alles  und  damit  genug,  sondern  das  höre  von  mir  ohne 
Streit,  und  die  Brüder,  welche  in  der  Lehre  erfahren  sind,  frage 
darüber,  und  alles,  was  du  hörest,  das  da  erbaut,  nimm  an,  und 
alles,  was  auf  andere  Lehren  baut,  das  verwirf  und  widerlege, 
denn  wer  da  baut,  kann  nicht  streiten.  Ich  habe  wie  ein  Stein- 
hauer die  Steine  zum  Bau  herbeigebracht;  die  weisen  Baumeister 
mögen  sie  behauen  und  auf  den  Bau  setzen.  Alle  Arbeiter, 
welche  am  Bau  arbeiten,  bekommen  von  dem  Herrn  des  Hauses  ') 
ihren  Lohn. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  den  Hirten. 
Zu  Ende  sind   des  Persischen  Weisen  erste  Briefe,  welche 
KJ  an  der  Zahl  sind.     Ehre  sei  dem  Vater  und  dem  Sohne  und 
dem  heiligen  Geist  in  Ewigkeit.     Amen. 


1)  A:  von  dem  Herrn  des  Weinbergs. 


Die  Unterweisung  von  der  Besclmeidung'). 

Da  Gott  Abraham  segnete  und  ihn  zum  Haupte  aller  Gläu- 
bigen, Rechtschaffenen  und  Gerechten  setzte,  machte  ihn  Gott 
nicht  zum  Vater  eines  Volkes,  sondern  vieler  Völker,  da  er  zu 
ihm  sprach-):  Dein  Name  soll  nicht  Abram  heissen,  sondern  dein 
Name  soll  Abraham  sein,  denn  ich  habe  dich  zum  Vater  der 
Menge  der  Völker  gemacht.  Nun  höre,  geliebter  Freund,  von 
dem  Zeichen,  das  gegeben  ist,  und  dem  Grund,  der  gelegt  ist, 
weshalb  es  recht  ist,  dem  ersten  Volk  gegenüber  zu  treten,  die 
von  sich  selbst  glauben,   dass  sie  Abrahams  Samen   seien. 

§  2.  Und  sie  verstehen  nicht,  dass  sie  Fürsten  Sodoms  ge- 
nannt vrerden  und  Volk  von  Gomorrha^),  und  ihr  Vater  ein 
Amoriter  und  ihre  Mutter  eine  Chetiterin  ^),  und  (dass  sie)  ver- 
worfenes Silber^)  und  abtrünnige  Kinder 6)  genannt  werden. 
Mose,  ihr  Führer,  bezeugt  über  sie  und  spricht  zu  ihnen'):  Ihr 
seid  Widerspenstige S),  von  dem  Tage  an,  da  ich  euch  kenne. 
Und  wiederum  sagt  er  im  Gesang  des  Zeugnisses  ^) :  Euer  Wein- 
berg ist  von  dem  Weinberg  Sodoms  und  von  dem  Garten 
Gomorrhas;  eure  Trauben  sind  bittere  Trauben,  und  eure  Früchte 
sind  Galle  für  euch.  Und  er  sagt  in  dem  Lobgesang  des  Zeug- 
nisses über  das  Volk  unter  den  Völkern,  indem  er  zu  ihnen 
spricht  ^^):  Ich  will  euch  reizen  gegen  ein  Volk,  das  kein  Volk 
ist,  gegen  ein  thörichtes  Volk  will  ich  euch  erzürnen.  Und  durch 
Jesaia  bezeugt  der  Heilige,  indem  er  spricht  ^^):  Ich  habe  einen 
Weinberg  gepflanzt  und  ihn  bebaut,  und  statt  Trauben  hat  er 
Herlinge   gebracht.      Und  es  sagt  wiederum   auch   der  Prophet 


1)  Hier  ist  eine  längere  Lücke  in  B.  —  2)  Gen.  17,  5.  —  3)  Jes.  1,  lü. 
4)  Ezech.  16,  45.  —  5)  Jerem.  6,  30.  —  G)  Jes.  30,  1.  —  7)  Deuter.  9,  24. 
8)  Wörtlich:  Solche,  die  den  Zorn  herausfordern.  —  9)  Deuter.  32,  32. 
10)  Deuter.  32,  10.  —  11)  Jesaia  5,  2. 


Die  Unterweisung  von  der  BescbneicTung.  |(j7 

Jeremia  über  die  Gemeinde  des  Volkes'):  Ich  habe  diclj  ge- 
pflanzt als  junge  Rebe,  deren  sämmtlicher  Same  rechter  Same 
war,  du  aber  hast  dich  gewandt  und  bist  von  mir  abgefallen, 
wie  ein  fremder  Weinberg.  Und  Hesekiel  bezeugt  über  den 
Weinberg -j:  Seine  Z^veige  hat  das  Feuer  verzehrt  und  sein  In- 
neres ist  Verwüstung,  und  er  gehet  nicht  wieder  znr  Arbeit 
Es  waren  als  junge  Beben  gepflanzt  ihre  früheren  Väter,  als 
Same  der  Wahrheit,  und  die  Kinder  haben  sich  gewendet  zu 
dem  unreinen  Volke  der  Amoriter.  Welche  unter  allen  Völkern 
nämlich  Gerechtigkeit  üben,  werden  Kinder  und  Erben  ihres 
Vaters  Abraham  genannt,  und  wenn  die  Kinder  Abrahams  das 
unreine  Werk  der  fremden  Völker  thun,  so  sind  sie  Sodomiter 
und  Volk  von  Gomorrha.  Wie  Jesaia  über  sie  bezeugt  3):  Höret 
das  Wort  des  Herrn,  ihr  Fürsten  Sodoms  und  du  Volk  von 
Gomorrha.  Wenn  das  nicht  so  ist,  so  zeige  mir,  o  Weiser,  wer 
die  Fürsten  und  das  Volk  in  Sodom  und  Gomorrha  sind  zu  den 
Tagen  Jesaias;  denn  seid  den  Tagen  Loths  sind  sie  durch  den 
Zorn  zerstört,  und  bis  in  Ewigkeit  werden  sie  nicht  wieder  auf- 
gebaut werden.  Und  Hesekiel  zeigt  die  Sünde  Sodoms  und 
nennt  sie  Schwester  Jerusalems,  wenn  er  zu  dieser  spricht^): 
Sodom,  deine  Schwester,  und  ihre  Töchter  haben  die  bösen  Thaten 
nicht  gethan,  die  du  gethan  hast  und  deine  Töchter.  Und  das 
ist  die  Sünde  Sodoms  und  ihrer  Töchter,  dass  sie  den  Armen 
und  Elenden  nicht  halfen.  Und  da  ich  diese  Werke  bei  ihnen 
sah,  zerstörte  ich  sie.  AVenn  aber  Sodom  und  Gomorrha,  ihre 
Genossin,  früher  zerstört  wurden,  warum  anders  spricht  Jesaia: 
Höret,  ihr  Fürsten  Sodoms  und  du  Volk  von  Gomorrha,  als 
damit  gerichtet  würden,  die  er  also  nennt,  dafür  dass  sie  gethan 
und  geübt  hatten  die  Werke  der  Sodomiter.  Sie  waren  be- 
schnitten und  wurden  unbeschnitten,  und  auserwählt  und  wurden 
verworfen,  und  wir  rühmen  uns,  dass  wir  beschnitten  sind  und 
auserwählt  und  erkannt  unter  allen  Völkern. 

§  3.  Denn  das  ist  jedem  Verständigen  bekannt,  dass  die 
ßeschneidung  ohne  Glauben  keinen  Nutzen  und  Gewinn  bringt; 
denn  der  Glaube  ist  früher  denn  die  Beschneidung,  und  die  Be- 
schneidung wurde  zum  Zeichen  und  Bund  dem  Abraham  gegeben, 
Avie  Gott  zu  ihm  sprach''):    Das  ist  mein  Band,    den  ihr  halten 

1)  Jerem.  2,  21.  —  2)  Ezech.  19,  12.  —  3)  Jes.  1,  10.  —  4)  Ezecli.  10,  48. 
—  5)  Gen.  17,  Hl. 


Ißg  Homilie  XI. 

sollt:  das^s  ihr  alles  Männliche  beschneidet.  Und  solange  es 
ihrem  Geber  gefiel  und  sie  gehalten  wurde  ^)  mit  den  Geboten 
des  Gesetzes,  nützte  sie  und  machte  lebendig,  und  solange  das 
Gesetz  nicht  gehalten  wurde  in  ihr,  nützte  die  Beschneidung 
nichts.  Jerobeam  der  Sohn  Nebais,  von  den  Kindern  Josephs, 
von  dem  Stamme  Ephraim,  war  beschnitten,  wie  der  Heilige  dem 
Abraham  befohlen  und  Moses  im  Gesetz  angeordnet  hatte.  Und 
alle  Könige  Israels,  die  im  Gesetz  Jerobeams  wandelten,  waren 
beschnitten  und  ausgeschieden,  und  die  Erinnerungen  gedenken 
ihrer  dennoch  nicht  wegen  ihrer  Sünden.  Welchen  Gewinn  hatte 
Jerobeam  von  seiner  Beschneidung  und  alle  Könige  Israels,  die 
in  seinen  Spuren  wandelten?  Welchen  Gewinn  und  Vortheil  aber 
hatte  Manasse,  der  Sohn  Hiskias,  wegen  dessen  Sünden,  deren 
viele  waren,  Gott  Jerusalem  nicht  wieder  vergeben  konnte? 

§  4.  Mit  allen  Geschlechtern  und  Stämmen  schloss  Gott 
seine  Bündnisse  für  etliche  Geschlechter,  wie  es  ihm  gefiel;  sie 
wurden  gehalten  zu  ihrer  Zeit  und  (dann)  verändert.  Dem  Adam 
gebot  er  nämlich,  dass  er  von  dem  Baum  der  Erkenntniss  des 
Guten  und  Bösen  nicht  essen  solle,  und  weil  er  das  Gebot  und 
den  Bund  nicht  hielt,  wurde  er  verurtheilt.  Und  Henoch,  der 
Wohlgefallen  fand  vor  Gott,  war  nicht,  weil  er  das  Gebot  be- 
züglich des  Baumes  gehalten  hatte,  ins  Leben  versetzt  worden, 
sondern  weil  er  glaubte.  Und  der  Grund  seines  Wohlgefallens 
gleichet  nicht  dem  Gebote,  dass  er  von  dem  Baume  nicht  essen 
solle.  Und  Noah,  welcher  Rechtschaffenheit  und  Gerechtigkeit 
bewahrte,  befreite  er  von  dem  Zorn  der  Sintfluth  und  richtete 
mit  ihm  und  den  nachfolgenden  Geschlechtern  einen  Bund  auf, 
dass  sie  fruchtbar  sein  und  sich  mehren  sollten,  und  den  Bund 
des  Bogens  in  den  Wolken,  zwischen  Gott  und  der  Erde  und 
allem  Fleisch.  Und  mit  keinem  von  diesen  Bündnissen  ward  die 
Beschneidung  gegeben.  Und  da  er  Abraham  auserwählte,  be- 
rief und  wählte  er  ihn  nicht  aus  durch  die  Beschneidung,  und 
ernannte  ihn,  dass  er  der  Vater  sein  sollte  aller  Völker,  sondern 
durch  den  Glauben,  und  erst  nach  seinem  Glauben  gebot  er  ihm, 
dass  er  sich  beschneiden  solle,  denn  wenn  in  der  Beschneidung 
das  Leben  wäre,  dann  hätte  Abraham  zuerst  sich  beschnitten 
lind  dann  hätte  er  geglaubt,  und  wenn  die  Beschneidung  zur  Ge- 

1)  Für  Zf^lZ]  haben  wir  gelesen  ZiJLj.Z]c. 


Die  Unterweisung  von  der  Beschneidung.  169 

winnnng-  des  ewigen  Lebens  gegeben  wäre,  dann  hätte  die  Schrift 
gelehrt:  Abraham  beschnitt  sich  und  die  Beschneidung  wurde 
ihm  zur  Gerechtigkeit  gerechnet.  Aber  also  steht  geschrieben  '); 
Abraham  glaubte  an  Gott,  und  sein  Glaube  wurde  ihm  zur  Ge- 
rechtigkeit gerechnet.  Diejenigen  nämlich,  welche  glauben,  leben, 
obgleich  sie  nicht  beschnitten  sind;  und  die  sich  beschneiden 
und  nicht  glauben,  denen  nützt  ihre  Beschneidung  nichts.  Abel 
und  Henoch  und  Noah  und  Sem  und  Japhet  fanden  nicht  durch 
die  Beschneidung  Wohlgefallen  vor  Gott,  sondern  jeder  von 
ihnen,  weil  er  den  Bund  seiner  Zeit  hielt  und  glaubte,  dass 
Einer  die  Bündnisse  macht  für  etliche  Geschlechter,  wie  er 
will.  Melchisedek  war '  der  Priester  des  höchsten  Gottes,  und 
er  segnete  Abraham,  da  er  nicht  beschnitten  war;  und  es  ist 
bekannt,  dass  der  Kleinere  gesegnet  wird  von  dem,  der  grösser 
ist,  denn  er. 

§  5.  Nun  höre,  mein  Lieber,  ich  will  dir  zeigen,  in  welcher 
AVeise  die  Beschneidung  gegeben  wurde:  Da  nämlich  Abraham 
glaubte  und  auszog  von  Ur  in  Chaldäa  und  kam  und  wohnte 
in  Haran,  gebot  Gott  ihm  nicht,  sich  zu  beschneiden ;  und  während 
er  24  Jahre  im  Lande  Kanaan  wohnte,  beschnitt  er  sich  nicht, 
weil  er  einen  Sohn  noch  nicht  hatte,  den  Sohn  der  Verheissung, 
von  welchem  die  Gerechten  und  die  Könige  und  die  Priester 
und  die  Gesalbten  geboren  werden  sollten.  Aber  da  er  99  Jahre 
alt  war,  that  ihm  der  Heilige  kund,  dass,  wenn  die  100  Jahre 
voll  wären,  ein  Sohn  ihm  geboren  werden  sollte,  alsdann  be- 
schnitt er  sich.  Und  da  er  100  Jahre  alt  war,  ward  ihm  Isaak 
geboren.  Und  Er  gebot  ihm,  dass  er  das  Fleisch  seiner  Vorhaut 
beschneiden  sollte,  als  Zeichen  und  Merkmal  des  Bundes,  dass, 
wenn  sein  Same  viel  würde,  er  abgesondert  wäre  von  allen 
Völkern,  unter  welchen  er  wandelte;  damit  sie  sich  nicht  ver- 
mischten mit  ihren  unreinen  Werken.  Und  Abraham  beschnitt 
das  Fleisch  seiner  Vorhaut,  99  Jahre  alt,  und  beschnitt  Ismael, 
seinen  Sohn,  im  Alter  von  13  Jahren,  und  die  in  seinem  Hause 
geboren  waren  und  seine  gekauften  Sklaven  beschnitt  Abraham 
an  diesem  Tage,  wie  Gott  mit  ihm  geredet  hatte.  Und  nachdem 
er  (sie)  beschnitten  hatte,  wurde  Isaak  empfangen  und  geboren 
und  ward  beschnitten  am  achten  Tage.     Und  die  Beschneidung 

1)  Rom.  4,  3. 


\1Q  Homilie  XI. 

wurde  gehalten  bei  dem  Samen  Abraliaius,  bei  Isaak  und  bei 
Ismael  und  bei  Jakob  und  seinen  Söhnen  und  bei  Esau  und 
seinen  Nachkommen  190  Jahre,  bis  Jakob  nach  Aegypten  kam. 
Und  in  Aegypten  hielten  sie  die  Kinder  Jakobs  225  Jahre,  bis 
sie  auszogen  in  die  Wüste.  Und  auch  Loth,  da  er  sah,  dass 
Abraham  sein  Geschlecht  beschnitt,  beschnitt  auch  er  seinen 
Sohn,  nachdem  er  sich  von  ilmi  getrennt  hatte,  und  sie  hielten 
die  Beschneidung,  die  mit  der  Hand  geschah,  ohne  den 
Glauben. 

§  6.  Wenn  sie  also  durch  die  Beschneidung  das  Leben  hatten, 
so  hatten  demnach  die  Kinder  Ismaels  und  die  Kinder  der  Kine- 
tura  und  die  Kinder  Loths  und  die  Kinder  Esaus  auch  das 
Leben,  denn  sie  waren  beschnitten,  und  obgleich  sie  beschnitten 
waren,  verehrten  sie  viele  Götzen.  Aber  der  Prophet  Jeremia 
zeigt  mir  oifenbar,  dass  alle  Beschnittenen  ohne  Glauben  unbe- 
schnitten sind  und  von  dem  Zorn  durch  ihre  Beschneidung  nicht 
erlöst  werden.  Denn  er  spricht'):  Siehe,  ich  suche  heim  alle, 
die  beschnitten  sind  an  ihrer  A'orhaut:  die  Aegypter  und  Juden 
und  Moab  und  Edom  und  die  Kinder  Amons  und  alle,  die  den 
Schnurrbart  geschoren  haben,  die  in  der  Wüste  Avohnen,  denn 
sie  Alle  sind  luibeschnittene  Völker,  und  alle  vom  Hause  Israel 
sind  unbeschnitten  an  ihrem  Herzen.  Wenn  sie  Vortheil  hätten 
von  ihrer  Beschneidung,  warum  wurde  der  Jude  unter  die  Ae- 
gypter gerechnet  und  unter  die  Edomiter  und  Moabiter  und 
Amoniter  und  unter  die,  welche  den  Schnurrbart  geschoren  haben, 
welche  Kinder  der  Hagar  und  der  Kinetura  sind?  Aber  (daraus) 
wird  erkannt,  dass  ihre  Beschneidung  Vorhaut  war.  Siehe,  auch 
Juda  suchte  sein  Zorn  heim  wie  alle,  die  beschnitten  waren  an 
der  Vorhaut.  Denn  da  der  Heilige  sah,  dass  sie  sprachen:  Da- 
durch haben  wir  das  Leben,  dass  wir  Kinder  Abrahams  sind 
und  beschnitten,  und  ihren  harten  Nacken  nicht  beugten  zum 
Dienst  des  Gesetzes,  sprach  er  zu  ihnen  durch  den  Propheten -): 
Beschneidet  die  Vorhaut  eures  Herzens  und  macht  euren  Nacken 
nicht  wieder  steif.  Und  daraus  wird  erkannt,  dass,  wer  an  der 
Vorhaut  des  Herzens  nicht  beschnitten  ist,  auch  von  der  Be- 
schneidung des  Fleisches  keinen  Nutzen  hat,  wie  sie  nichts  nützte 
allen,  die  beschnitten  waren  ohne  beschnitten  zu  sein. 


1)  Jerem.  9,  2.5.  26.  —  2)  Deut.  10,  16. 


Die  Unterweisung  von  der  Beschneidung.  171 

§  7.  Und  das  stehe  dir  fest,  mein  Lieber,  dass  die  ße- 
selineidung  ein  Zeichen  ist,  damit  sie  ausgesondert  wären  aus 
den  unreinen  Völkern.  Siehe,  da  er  sie  aus  Aegyptenland  führte, 
und  sie  vierzig  Jahre  in  der  Wüste  wanderten,  beschnitten  sie  sich 
nicht,  weil  sie  das  einzige  Volk  waren,  und  nicht  unter  andere  Völker 
gemischt  Avaren.  Damals  zeichnete  er  sie  nicht,  weil  sie  allein 
weideten.  Und  dadurch,  dass  er  den  Samen  Abrahams  zeichnete,  hat 
er  nicht,  weil  alle  Völker  nicht  sein  wären,  den  Samen  Abrahams, 
der  sich  beschnitt,  ausgesondert,  sondern  alle  Völker,  welche  die 
bösen  Werke  des  Heidenthums  thaten,  verliess  er  wegen  ihrer 
Werke.  Und  dass  er  sie  als  sein  Volk  zeichnete,  das  that  er 
nicht,  damit  er  sich  selbst  ein  Merkzeichen  machte,  dass  sie  der 
Same  Abrahams  seien,  sondern  damit  sie  einander  kannten/  damit 
sie  nicht  in  Lügenwesen  verfielen.  Denn  es  konnte  vorkommen, 
wenn  sie  nicht  gezeichnet  gewesen  wären,  dass,  wenn  unter  ihnen 
solche  erfunden  wurden,  welche  den  Götzenbildern  dienten,  oder 
Hurer  und  Ehebrecher  und  Diebe  waren  und  etwas  gegen  das 
Gesetz  thaten,  diese,  welche  hierin  erfunden  wurden,  logen  und 
leugneten,  dass  sie  Kinder  Abrahams  seien,  damit  sie  nicht  ge- 
tödtet  würden  und  die  Strafe  empfingen  und  die  Verurtheilung 
zum  Tode,  die  geschrieben  steht  im  Gesetz  über  diejenigen,  die 
solches  übten.  Aber  wer  erfunden  wurde  als  solcher,  der  das 
Gesetz  übertrat  und  eines  von  diesen  hässlichen  Dingen  verübte, 
konnte  nicht  wiederum  in  Lügeuwesen  verfallen  (und  sagen): 
Ich  gehöre  nicht  zu  dem  Samen  und  Nachkommen  Abrahams. 
Denn  wenn  er  leugnend  erfunden  wurde,  stellten  sie  ihn  fest 
nach  seiner  Beschneidung  und  gaben  ihm  die  Strafe,  wie  sie 
seiner  Sünde  entsprach.  Denn  wenn  nicht  in  diesem  Sinn  die 
Beschneidung  gegeben  worden  wäre,  so  wäre  es  uöthig  gewesen, 
dass  sie  auch  in  der  Wüste  beschnitten  wurden.  Aber  Aveil  sie 
von  den  Völkern  getrennt  waren  und  allein  weideten  in  der 
Wüste,  wurden  sie  nicht  gezeichnet.  Und  da  sie  den  Jordan 
überschreiten  wollten,  gebot  der  Herr  Josua,  dem  Sohne  Nuns, 
und  sprach  zu  ihm  ^):  Kehre  um  und  beschneide  die  Kinder 
Israels  nochmals.  Und  warum  anders  sprach  er  zu  Josua,  dem 
Sohne  Nuns,  dass  er  sie  nochmals  beschneiden  solle,  als  darum, 
weil  sie   beschnitten    wann  in   ihrem  Herzen;     wie   er   sagt   im 

1)  Josua  .5,  2. 


172  Homilie  XL 

Propheten  '):  Beschneidet  die  Vorhant  eurer  Herzen  und  seid 
lurder  nicht  halsstarrig.  Es  wendete  sich  wiederum  Josua,  be- 
schnitt sie  und  zeichnete  sie  an  ihrem  Fleisch  nochmals.  Aber 
wenn  sich  das  nicht  so  verhält,  wie  willst  du  da  verstehen  das 
Wort,  dass  Josua  das  Volk  nochmals  beschnitt,  denn  sie  waren 
ja  noch  nicht  beschnitten  an  ihrem  Fleisch?  Denn  nachdem 
Josua  sie  beschnitten  hatte,  bezeugte  die  Schrift  2),  dass  Josua 
alle  diejenigen  beschnitt,  welche  in  der  Wüste  geboren  waren, 
denn  es  waren  nicht  beschnitten  alle  Kinder,  die  in  der  Wüste 
geboren  waren. 

§  8.  Siehe  aber,  mein  Lieber,  und  wundere  dich  darüber, 
dass  alle  Beschnittenen,  Avelche  ausgezogen  waren  aus  Aegypten, 
in  der  Wüste  starben  wegen  ihrer  Sünden,  weil  sie  den  Geist  des 
Heiligen  betrübt  und  ihm  nicht  geglaubt  hatten,  und  es  ist  offen- 
bar, dass  sie,  wenn  sie  geglaubt  hätten,  nicht  verhindert  worden 
wären  einzuziehen  in  das  Land  der  Verheissung.  Und  Josua, 
der  Sohn  Nuns,  und  Kaleb,  der  Sohn  Juphanos,  blieben  lebendig 
von  den  600,000,  die  aus  Aegypten  ausgezogen  waren,  und  kamen 
in  das  Land  und  nahmen  dasselbe  in  Besitz.  Und  die  Kinder, 
welche  in  der  Wüste  geboren  waren  und  welche  glaubten,  ob- 
gleich sie  nicht  beschnitten  waren,  blieben  lebendig  und  kamen 
zu  ererben  das  Land.  Und  er  beschnitt  sie,  da  sie  eingingen  in 
das  Land  der  Kananiter,  und  es  wurde  ihnen  als  zweite  Beschnei- 
dung angerechnet.  Und  warum  behandelte  er-^),  da  er  seinen 
Zorn  kommen  Hess  über  alle,  die  an  der  Vorhaut  beschnitten 
waren,  auch  die  Aegypter,  die  nicht  zu  dem  Samen  Abrahams 
gehörten,  wie  die  Moabiter  und  Amoniter,  welche  Nachkommen 
Loths  waren,  des  Sohnes  des  Bruders  Abrahams,  und  die  Edo- 
miter,  welche  Nachkommen  Esaus  waren,  und  wie  die,  welche 
den  Schnurrbart  rasirten,  die  da  wohnten  in  der  Wüste,  welche 
Nachkommen  Ismaels  und  der  Kinetura  waren,  und  Juda,  den 
Nachkommen  Jakobs:  die  also  alle  Nachkommen  des  Hauses 
Abrahams  waren? 

§  9.  Die  Aegypter  nahmen  nämlich  die  Beschneidung,  die 
mit  der  Hand  geschah,  an,  ohne  den  Glauben,  von  den  Kindern 
Israel,  da  sie  unter  ihnen  wohnten.  Und  sie  nahmen  sie  wiederum 
von  Joseph  an.    Da  ihm  Manasse  und  Ephraim  geboren  wurden, 


1)  Deut.  10,  16.  —  2)  Josua  5,  5.  —  3)  Vgl.  Jerem.  9,  25.  26. 


Die  Unterweisung  von  der  Beschneidung.  173 

lind  er  sie  beschnitt,  lernten  auch  sie  es  von  Joseph  und  fingen 
an  zu  beschneiden.  Denn  der  Befehl  Josephs  galt  bei  allem, 
was  in  Aegypten  geschah.  Und  weil  es  Leute  gibt,  mein  Lieber, 
Avelche  sagen,  die  Tochter  Pharaos,  da  sie  Mose  fand,  habe  ihn 
an  dem  Bund(eszeichen)  an  seinem  Fleische  als  zu  den  Kindern 
Israels  gehörig  erkannt,  so  wisse,  die  Thatsache  des  Wortes  ver- 
hält sich  nicht  also,  wie  es  scheint.  Denn  das  Bundeszeicheu 
der  Beschneidang  des  Mose  war  in  nichts  verschieden  von  der 
Beschneidung  der  Kinder  Aegyptens.  Und  wer  nicht  weiss,  dass 
die  Aegypter  beschnitten  waren,  soll  sich  von  Jeremia  belehren 
lassen.  Denn  da  die  Tochter  Pharaos  Mose  fand  und  sah,  dass 
er  in  dem  Fluss  schwamm,  wusste  sie,  dass  er  eines  von  den 
Kindern  der  Hebräer  war;  denn  es  war  ja  nicht  über  die  Aegypter 
geboten  worden,  dass  sie  in  den  Fluss  geworfen  werden  sollten, 
wie  Pharao  über  die  Kinder  Israel  geboten  und  gesagt  hatte  ^) : 
Alle  männlichen  Kinder,  die  geboren  werden,  sollen  in  den  Fluss 
geworfen  Averden.  Und  sie  erkannte,  dass  aus  Furcht  vor  dem 
Gebot  dieses  geschehen  war.  Und  da  sie  sah,  dass  er  in  ein 
hölzernes  Kästchen  gelegt  war,  erkannte  sie,  dass  sie  ihm  das 
Kästchen  gemacht  und  es  in  den  Fluss  gesetzt  hatten,  damit  seine 
Männer-)  es  nicht  versenken  könnten.  Denn  wenn  die  Kinder 
Israels  durch  die  Beschneidung  unterschieden  waren,  indem  die 
Aegypter  nicht  beschnitten  waren,  so  konnte  Mose  nicht  erzogen 
werden  im  Hause  Pharaos,  denn  in  seiner  Jugend  wäre  allezeit 
das  Bund(eszeichen)  seines  Fleisches  erkannt  worden.  Und  wenn 
die  Tochter  Pharaos  das  Gesetz  und  Gebot  ihres  Vaters  über- 
treten hätte,  so  hätte  auch  in  ganz  Aegypten  Pharaos  Gebot  und 
Gesetz  nicht  mehr  bestanden. 

§  10.  Ich  will  dich  weiter  belehren,  mein  Lieber,  auch  über 
die  Nachkommen  der  Kinetura,  denn  auch  sie  waren  Grenznach- 
barn wie  die  jS  achkommen  Ismaels.  Denn  da  sich  versammelten 
die  Midianiter,  welches  sind  Nachkommen  der  Kinetura,  und  die 
Kinder  Kedoms,  welches  sind  Nachkommen  Ismaels,  und  kamen 
mit  Israel  Krieg  zu  führen  in  den  Tagen  Gideons,  des  Sohnes 
des  Joas,  wollten  sie  in  Gemeinschaft  mit  einander  Israel  unter- 
werfen, aber  sie  wurden  in  die  Hand  Gideons  gegeben,  durch 
dreihundert  Mann.    Das  sage  ich  dir  aber  über  die  Kinder  der 


1)  Exod.  1,  22.  —  2)  nilmlich  Pharaos  Männer. 


174  Homilie  XI. 

Kinetura.  Denn  sie  und  die  Kinder  Ismaels  hatten  in  der  Wüste 
ihre  Wohnung.  Denn  seitdem  Abraham  Hagar  und  Ismael 
fortgeschickt  hatte,  war  in  der  Wüste  die  Wohnung  Ismaels 
und  seiner  Nachkommen.  Also  stehet  geschrieben  ^) :  Er 
wohnte  in  der  Wüste  und  lernte  den  Bogen,  dass  seine  Hand 
gegen  jedermann  sei,  und  die  Hand  eines  Jeden  gegen  ihn,  und 
wohnte  an  der  Grenze  aller  seiner  Brüder.  Auf  seiner  einen 
Seite  nach  Osten  zu  wohnten  die  Kinder  Esaus,  welches  sind 
die  Edomiter,  denn  da  Israel  aus  Aegypten  zog,  umzogen  sie 
das  Land  Edoms,  das  Gebirg  Esaus.  Und  auch  die  Amoniter 
und  Moabiter  schlössen  sie  ein  von  Norden  her.  Und  Grenz- 
nachbarn waren  die  Kinder  der  Kinetura  von  Osten  her  mit  den 
Edomitern.  den  Kindern  Esaus. 

Denn  da  Abraham  die  Kinder  der  Kinetura  fortschickte, 
schickte  er  sie  zuerst  nach  Osten.  Und  die  Kinder  der  Hagar 
hielten  das  ganze  Land  im  Süden  inne;  und  die  Edomiter,  die 
Kinder  Esaus,  wohnten  östlich  von  Allen  bis  gen  Bozar.  Denn 
der  Herr  gebot  auch  Mose-):  Das  Land  der  Kinder  Esaus 
sollt  ihr  nicht  bekriegen,  denn  ich  gebe  euch  von  ihrem  Lande 
keinen  Fuss  breit;  Esau  habe  ich  das  Gebirg  Seir  gegeben. 
Sondern  das  Brot  kaufet  von  ihnen  für  Geld  und  esset,  und  das 
Wasser  kaufet  von  ihnen  für  Geld  und  trinket.  LTnd  Mose 
that,  wie  ihm  der  Herr  geboten  hatte,  und  er  bedrängte  nicht 
die  Kinder  Esaus,  sondern  da  er  bis  Rekom  De  Gaio  kam,  schickte 
er  Boten  mit  Friedensbotschaft  zu  dem  Könige  von  Edom  und 
sprach  zu  ihm:  So  spricht  dein  Bruder  Jakob  ^):  Du  weisst  die 
ganze  Mühsal,  die  uns  betroffen  hat  auf  dem  Weg,  und  dass 
die  Aegypter  uns  geknechtet  haben.  Siehe,  wir  sind  jetzt  bei 
Rekom,  der  Stadt  an  deiner  Grenze.  Nun  wollen  wir  durch 
dein  Land  ziehen,  auf  dem  Wege  des  Königs  wollen  wir  gehen; 
das  Brot  verkaufet  uns,  das  wir  essen,  und  auch  für  das  Wasser, 
das  wir  trinken  und  unser  Vieh,  wollen  wir  den  Preis  bezahlen. 
Und  er  sprach  zu  Israel:  Du  sollst  nicht  durch  meine  Grenze 
ziehen,  damit  ich  nicht  mit  dem  Schwert  gegen  dich  ausziehe; 
und  Israel  wandte  sich  von  ihnen,  da  er  sah,  dass  sie  sich  nicht 
überreden  Hessen;  und  indem  sie  an  ihrer  Grenze  vorüberzogen, 
nahmen  die  Kinder  Israel  ihnen  Bozar  in  der  Wüste  und  behielten 


1)  Gen.  21,  20;  16,  12.  —  2)  Deut.  2,  5.  6.  —  3)  Nurn.  20,  14—21. 


Die  UnterweistiDg  von  der  Beschneidung.  175 

es  im  Besitz,  und  machten  es  zur  Freistadt.  Und  wer  Beweis 
dafür  haben  will,  dass  Bozar  früher  den  Kindern  Esaus  gehört 
hat,  welches  sind  die  Edomiter,  der  höre  es  von  dem  Propheten 
Jesaia  '),  da  er  den  Heiligen  sah,  wie  er  von  Edom  kam  und 
seine  Gewänder  roth  waren  von  Bozar,  das  er  niedertrat  und 
ausrottete  und  Vergeltung  übte  an  den  Kindern  Esaus,  dafür, 
dass  er  seinen  Bruder  nicht  aufnahm  und  seinen  Zorn  festhielt 
für  ewiff.  Und  wer  sich  wieder  nicht  belehren  lassen  will  über 
Bozar,  dass  es  früher  den  Edomitern  gedient  hat,  der  höre  weiter 
aus  der  Genesis  -) :  Da  Könige  herrschten  in  Edom,  war  Jobeb, 
der  Sohn  Serachs  von  Bozar,  König.  Und  wiederum  sagt  Je- 
saia s):  Siehe  es^)  wird  über  den  Edomitern  sein  und  über  dem 
Volk,  das  verurtheilt  ist  im  Gericht.  Und  David  spricht'^):  Ich 
will  auf  Edom  meine  Schuhe  setzen,  weil  Esau  für  immer  seine 
Liebe  vernichtet  hat,  und  für  immer  seinen  Zorn  bewahrt  hat, 
und  seinen  Bruder  nicht  durch  seine  Grenze  ziehen  Hess:  des- 
halb ist  er  verurtheilt  im  Gericht,  dass  er  seine  Feindschaft 
immer  tragen  soll.  Und  da  Israel  von  seinem  Bruder  Esau  sich 
wandte,  sandte  er  Boten  zu  den  Moabitern,  den  Kindern  Loths, 
ob  sie  durch  ihre  Grenze  ziehen  könnten:  und  sie  hörten  nicht 
und  Hessen  sich  nicht  überreden,  sondern  erkauften  sich  den 
Bileam,  den  Sohn  Beurs,  dass  er  ihnen  fluche.  Und  weil  sie 
sie  nicht  in  Frieden  durch  ihre  Grenzen  ziehen  Hessen,  gebot 
der  Heilige  ^';,  dass  die  Amoniter  und  Moabit  er  nicht  zu  der  Ge- 
meinde des  Herrn  kommen  sollten,  und  auch  nicht  bis  zum 
zehnten  Geschlecht;  weil  sie  Israel  nicht  Brot  und  Wasser  ge- 
bracht hatten  auf  dem  Weg  und  ihnen  mit  dem  Schwert  wider- 
standen hatten,  und  Israel  sich  abgemüht  und  geplagt  hatte. 
Und  über  die  Aegypter  und  die  Edomiter  gebot  er,  dass  Israel 
sie  nicht  vertreiben  solle;  über  die  Aegypter,  weil  sie  in  ihrem 
Lande  gewohnt  hatten,  und  über  den  Edomiter,  weil  er  sein 
Bruder  war.  Und  das  Alles  habe  ich  dir  erkhärt  und  dir  mit- 
getheilt,  dass  du  wissest,  dass  Ismael  auf  der  Grenze  aller  seiner 
Brüder  wohnte  und  ein  Wildesel')  der  Menschen  war.  Und 
den  Kindern  der  Kinetura  gab  Abraham  Geschenke  S)  und  schickte 


1)  Jes.  63,  1.  —  2)  Syr.  l:u-i^  ^Lc.  Gen.  'M,  :Vd.  —  3)  Jes.  34,  5.  — 
4)  nämlich  mein  Schwert.  —  5)  Ps.  60,  8;  108,  9.  —  (>)  Deut.  23,  3.  4.  — 
7)  Vgl.  Gen.  16,  12.  —  8)  Gen.  25,  6. 


176  Homilie  XI. 

sie  zu  ihrem  Bruder  Ismael,  damit  sie  nicht  Erben  seien  mit 
Isaak,  dem  Sohne  der  Verheissung.  Denn  wenn  sie  durch  die 
Beschneidung  das  Leben  gehabt  hätten,  so  würden  auch  die 
Kinder  Ismaels  und  die  Kinder  der  Kinetura  und  die  Kinder 
Loths,  die  Moabiter  und  Amoniter,  und  die  Kinder  Esaus,  die 
Edomiter,  und  die  Aegypter  auch  sich  sehr  rühmen.  Siehe,  auch 
sie  waren  beschnitten  und  verehrten  dennoch  viele  Götzenbilder. 
Nun  ist  deutlich,  dass  kein  Gewinn  in  der  Beschneidung  ist 
ohne  Glauben,  sondern  jeder,  der  die  Vorhaut  seines  Herzens 
beschneidet  und  glaubt,  hat  das  Leben  und  ist  ein  Sohn  Abra- 
hams, und  es  ist  erfüllt  das  Wort,  das  Gott  zu  Abraham  sprach^): 
Ich  habe  dich  zum  Vater  der  Menge  der  Völker  gemacht. 

§  11.  Denn  in  Allem  wurde  das  Gesetz  und  der  Bund  ge- 
ändert. Denn  zuerst  änderte  Gott  den  Bund  Adams  und  gab 
einen  anderen  Noah  und  gab  wiederum  auch  einen  Abraham; 
und  änderte  denjenigen  Abrahams  und  gab  einen  anderen 
Mose;  und  da  derjenige  Moses  nicht  gehalten  wurde,  gab  er 
einen  anderen  unter  dem  letzten  Geschlecht,  einen  Bund,  der 
nicht  geändert  wird.  Adam  (gab  er)  den  Bund,  dass  er  von 
dem  Baum  nicht  essen  solle,  Noah  den  Bogen  in  den  Wol- 
ken: Abraham  erwählte  er  sich  zuerst  wegen  seines  Glau- 
bens, und  darnach  (gab  er  ihm)  die  Beschneidung,  als  Zeichen 
und  Merkmal  für  seine  Kinder.  Und  (der  Bund)  Moses  war, 
dass  er  das  Lamm  für  das  Volk  schlachten  sollte.  Und  von 
allen  diesen  Bündnissen  glich  keines  dem  andern.  Die  Be- 
schneidung nämlich,  in  welcher  er  die  Bündnisse  geben  wollte, 
ist  diejenige,  von  welcher  Jeremia  sagt:  Beschneidet  die 
Vorhaut-)  eures  Herzens.  Denn  wenn  der  Bund,  den  Gott 
Abraham  gab,  wahr  ist,  so  ist  auch  dieser  wahr  und  glaub- 
würdig. Und  er  konnte  nicht  (wieder)  ein  Gesetz  geben,  das  ver- 
worfen wurde  von  denen,  welche  ausserhalb  des  Gesetzes  waren, 
oder  von  denen,  welche  unter  dem  Gesetze  waren.  Denn  er 
gab  das  Gesetz  Mose  mit  seineu  Geboten  und  Bündnissen,  und 
da  sie  das  Gesetz  und  seine  Bündnisse  nicht  hielten,  hob  er  es 
auf  und  verhiess,  den  Neuen  Bund  zu  geben.  Und  er  sprach 
nicht  wie  das  erste  Mal,  da  doch  der  Geber  von  Beiden  ein  und 
derselbe  ist.     Denn  das  ist  der  Bund,  den  er  verheissen  hat  zu 


1)  Gen.  17,  5.  —  2)  Jerem.  4,  4. 


Die  Unterweisung  von  der  Beschneidiing.  177 

geben  ') :  Sie  sollen  mich  alle  erkennen,  von  ilu'en  Jüngsten  bis 
zu  ihren  Aeltesten.  Und  in  diesem  Bunde  gibt  es  keine  Be- 
schneidung des  Fleisches  und  Zeichen  des  Volkes.  Wir  wissen, 
mein  Lieber,  gewiss,  dass  Gott  die  Gresetze  für  etliche  Geschlechter 
gegeben  hat,  und  sie  haben  gedient,  solange  es  ihm  gefiel,  und 
wurden  dann  verändert;  wie  der  Apostel  sagt:  Zuvörderst  bleibet 
in  allen  Gestalten  das  Keich  Gottes  für  alle  Zeiten.  Den  Weisen 
und  den  Verständigen  ist  es  bekannt  und  gewiss,  dass  jeder 
Mensch,  der  zu  dem  Bund  gehörte  und  nachdem  er  die  Be- 
schneidung verworfen  hatte,  wegen  seiner  unreinen  Lust  und 
seiner  Schamlosigkeit  sich  beschneiden  Hess,  nicht  verstanden 
hat,  was  der  Apostel  sagt-":  0  wenn  doch  entmannt  würden 
diejenigen,  welche  euch  verwirren.  Denn  unser  Gott  ist  wahr, 
und  seine  Bündnisse  sind  sehr  gewiss,  und  jeder  Bund  war  zu 
seiner  Zeit  Avahr  und  gewiss;  und  die  in  ihrem  Herzen  be- 
schnitten sind,  haben  das  Leben  und  sind  nochmals  beschnitten 
im  wahren  Jordan,  der  Taufe  der  Vergebung  der  Sünden. 

§  12.  Josua,  der  Sohn  Nuns,  beschnitt  sein  Volk  zum 
zweiten  Mal  mit  dem  steinernen  Messer,  da  er  den  Jordan  über- 
schritt, er  und  sein  Volk;  und  Jesus,  unser  Erlöser,  beschnitt 
die  Völker,  welche  an  ihn  glaubten,  nochmals  mit  der  Beschnei- 
dung des  Herzens,  und  sie  wurden  getauft  in  der  Taufe  und 
wurden  beschnitten  mit  dem  Messer,  welches  ist  das  Wort,  das 
schärfer  ist  denn  ein  zweischneidiges  Schwert.  Josua,  der  Sohn 
Nuns,  führte  das  Volk  in  das  Land  der  V^erheissung;  und  Jesus, 
unser  Erlöser,  verhiess  das  Land  des  Lebens  jedem,  der  über 
den  wahren  Jordan  ging  und  glaubte  und  beschnitten  wurde 
mit  der  Beschneidung  des  Herzens.  Josua,  der  Sohn  Nuns,  stellte 
die  Felsen  des  Gedächtnisses  auf  in  Israel;  und  Jesus,  unser  Er- 
löser, nannte  den  Simeon  den  wahren  Felsen  und  stellte  ihn  als 
treuen  Zeugen  unter  die  Völker.  Josua,  der  Sohn  Nuns,  feierte 
Pascha  in  der  Ebene  von  Jericho,  in  dem  verfluchten  Land,  und 


1)  Jerem.  31,  34. 

2)  Gal.  5,  12.  Luther:  Wollte  Gott,  dass  sie  ausgerottet  würden,  die 
euch  verstören.  Pesch.:  ~  rT""!  "■  ^'w'-^  gnech.  dno/iöipoyrai,  wird  wie 
von  Aphraat,  auch  von  Chrysostomus  und  Theophylact  von  der  Ent- 
mannung verstanden.  Utinam  se  non  solum  circumcidant,  imo  etiam  ex- 
secent  sibi  genitalia.    Bretschneider. 

Te.xte  uüd  Untersucliungen  III,  3.  -1.  12 


178  Homilie  XI. 

das  Volk  ass  von  dem  Brot  des  Landes;  und  Jesus,  unser  Er- 
löser, feierte  Pascha  mit  seinen  Jüngern  in  der  Stadt  Jerusalem, 
die  er  verflucht  hatte,  dass  in  ihr  kein  Stein  auf  dem  andern 
bleiben  solle;  und  gab  ihnen  daselbst  das  Geheimniss  im  Brot 
des  Lebens.  Josua,  der  Sohn  Nuns,  bestrafte  den  geldgierigen 
Achan,  welcher  stahl  und  es  verbarg:  und  Jesus,  unser  Er- 
löser, bestrafte  den  geldgierigen  Judas,  der  heimlich  Geld  ge- 
stohlen hatte  aus  dem  Beutel,  welchen  er  hatte.  Josua,  der  Sohn 
Nuns,  vernichtete  die  unreinen  Völker;  und  Jesus,  unser  Erlöser, 
warf  den  Satan  nieder  und  sein  Heer.  Josua,  der  Sohn  Nuns, 
machte  die  Sonne  stillstehen  am  Himmel;  und  Jesus,  unser  Er- 
löser. Hess  die  Sonne  untergehen  am  Mittag,  da  sie  ihn  kreu- 
zigten. Josua,  der  Sohn  Nuns,  war  der  Erlöser  des  Volkes;  und 
Jesus  wird  genannt  der  Erlöser  der  Völker.  Wohl  denen,  welche 
beschnitten  sind  im  Herzen  von  der  Vorhaut  und  geboren  sind 
aus  dem  Wasser  der  nochmaligen  Beschneidung,  denn  sie  sind 
Miterben  Abrahams,  des  treuen  Hauptes  und  Vaters  aller  Völker, 
dem  sein  Glaube  zur  Gerechtigkeit  angerechnet  wurde. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  der  Beschneidung. 


Die  Untenveisuuo'  yom  Pasclia'). 

Mose  gebot  der  Heilige  bezüglich  des  Pascha,  dass  man 
es  feiern  solle  am  14.  des  ersten  Monats,  Er  sprach  näm- 
lich   zu    Mose*):    Gebiete    der    Gemeinde    der    Kinder   Israels, 


*)  Exod.  12,  3—13.  46. 

1)  In  der  vorliegenden  Homilie  finden  wir  eine  Paschafeier  dargestellt 
und  vertheidigt ,  die  in  den  Paschastreitigkeiten  der  ersten  Jahrhunderte 
eine  besondere  und  eigenthümliche  Stellung  einnimmt,  die  sich  sowohl 
von  derjenigen  derQuartodecimaner  als  auch  von  der  römischen  Feier  unter- 
scheidet. Gegen  beide,  hauptsächlich  aber  gegen  erstere,  wendet  sich 
Aphraat  polemisch,  indem  er  diese  Homilie  schliesst  mit  den  Worten: 
.,Denn  wenn  wir  hierin  Schwierigkeiten  finden  und  allein  über  den  vier- 
zehnten besorgt  sind  und  nicht  über  das  Fest  von  Anfang  bis  zu  Ende, 
so  könnte  es  uns  belieben,  den  vierzehnten  jeden  Monats  zu  feiern  und 
am  Freitag  jeder  Woche  zu  trauern.  Uebrigens  aber  gebühret  uns  also, 
dass  wir  an  allen  Wochentagen  thun,  was  vor  dem  Herrn  unserm  Gott 
recht  ist".  Neander,  Weitzel,  Hilgenfeld  nehmen  an,  dass  die  christliche 
Paschafeier  schon  im  2.  Jahrhundert  den  zwiefachen  Charakter  der  Pas- 
sionstrauer  und  Auferstehungsfreude  in  sich  vereinigt  habe.  Nach  Steitz 
(Herzogs  Realencykl.)  versteht  die  alte  Kirche  bis  zum  4.  Jahrh.  unter 
dem  Pascha  nicht  die  Feier  der  Auferstehung,  sondern  nur  die  Feier  des 
Leidens  Christi.  Jene  beiden  Feststimmungen  der  Passionstrauer  und 
Auferstehungsfreude  vertheilten  sich  auf  zwei  Festzeiten,  das  Pascha  und 
die  Pentekoste,  welche  ihren  Grundgedanken  nach  den  wöchentlichen 
Stationen  und  dem  Sonntage  entsprachen.  Erst  seit  dem  4.  Jahrh.  um- 
fasste  nach  Steitz  das  Paschafest  die  Feier  seines  Todes  und  seiner  Auf- 
erstehung zugleich,  als  -xv-aya  axuvQwaifxov  und  draazuoifxov;  später  be- 
schränkte sich  der  Begrifi'  auf  das  Osterfest. 

Hier  bei  Aphraat  fehlt  in  der  Paschafeier  die  Feier  der  Aufer- 
stehung uoch  vollständig. 

Wir  haben  hier  eine  Paschafeier  vor  uns,  die  nicht  den  Inhalt  und 
Ursprung  hat,  den  die  Paschafeier  nach  Neanders  Ansicht  in  den  heiden- 
christlichen Gemeinden  hatte,  dass  sie  nämlich  aus  der  Wochenfeier  des 
Leidens  Christi  erwachsen  und  so  nur  als  Potenzierung  derselben  anzu- 

12* 


180  Homilie  XII. 

dass  sie  ein  einjähriges  Lamm  nehmen  sollen,  ein  Lamm,  an  dem 
kein  Fehler  ist.     Von  den  Lämmern  und  von  den  Böcken  sollen 


sehen  ist,  sondern  die  vorliegende  Feier  ist  die  Fortsetzung  der  jüdischen 
Paschafeier  in  der  christlichen  Gemeinde,  als  Wiederholung  der  letzten 
Paschafeier,  die  Jesus  mit  seinen  Jüngern  vor  seinem  Kreuzestod  begangen 
hat.  Das  mosaische  Gebot  Exod.  12,  3 — 13  ist  die  Grundlage  auch  der 
christlichen  Paschafeier.  §  1.  Zunächst  ist  dies  Gebot  ja  dem  Volk  Israel 
gegeben,  aber  dies  Volk  kann  ja  das  Pascha  nicht  mehr  feiern,  denn 
nach  dem  Gesetz  soll  das  Paschalamm  im  Tempel  zu  Jerusalem  ge- 
schlachtet werden.  Wenn  sie  also  jetzt,  da  sie  unter  den  Heiden  zer- 
streut sind,  immer  noch  das  Pascha  feiern,  thun  sie  es  mit  Uebertretung 
des  Gesetzes  (§  2).  —  Dem  Volk  Israel  ist  der  Scheidebrief  geschrieben, 
an  seine  Stelle  ist  das  „bunte  Gevögel",  die  Gemeinde  der  Völker  ge- 
treten.   §  3  vgl.  §  7. 

In  der  christlichen  Gemeinde  wird  das  wahre  Pascha,  das  Pascha  in 
seiner  Erfüllung  gefeiert,  während  das  Volk  Israel  nur  das  Vorbild,  das 
„Geheimniss",  Ipj,  des  Paschas  hatte.  Das  wahre  Lamm  ist  unser  Er- 
löser. „Unser  Erlöser  ass  mit  seinen  Jüngern  in  der  gewohnten  Nacht 
des  14.  Nisan  das  Pascha  und  verwandelte  das  vorbildliche  Pa,scha  in 
das  wahre  Pascha,  indem  er  sprach:  Das  ist  mein  Leib,  nehmet,  esset  ihr 
alle  davon,  das  ist  mein  Blut  des  neuen  Testaments  u.  s.  w."     §  4. 

Nachdem  Aphraat  so  die  alttestamentliche  Grundlage  der  jüdischen 
wie  christlichen  Paschafeier  gegeben  hat,  stellt  er  uns  nun  die  neutesta- 
mentliche  Grundlage  für  den  neuen  Inhalt  und  die  Umgestaltung,  welche 
die  Paschafeier  in  der  christlichen  Kirche  gewonnen  hat,  dar:  Die  letzte 
Paschafeier  Jesu  mit  seinen  Jüngern  in  der  Nacht  vor  seinem  Kreuzestod. 

Es  tritt  hier  wie  in  der  ganzen  Abhandlung  die  Ansicht  zu  Tage,  dass  der 
auf  den  13.  Nisan  folgende  Abend,  d.  h.  die  Nacht  des  14.  Nisan,  und  nicht  der 
auf  den  14.  Nisan  folgende  Abend,  die  vom  Gesetz  vorgeschriebene  und,  wie 
von  den  Juden  allezeit,  so  auch  von  Jesus  bei  seiner  letzten  Paschafeier 
beobachtete  Zeit  des  Paschamahles  sei,  sodass  Jesus  sowohl  nach  dem  Be- 
richt der  Synoptiker  als  auch  dem  des  Johannes  am  14.  Nisan  vor  An- 
bruch des  15.  Nisan  am  Kreuz  gestorben  wäre.  Diese  Differenzen  der 
evangelischen  Berichte  über  den  Tag  der  Kreuzigung  sowie  über  das  letzte 
Mahl  Jesu  mit  seinen  Jüngern  sind  hier  bei  Aphr.  vollständig  aufgehoben. 
Ob  Aphraat  die  vorhandenen  Differenzen  übersehen  oder  dieselben  in 
harmonistischem  Interesse  auszugleichen  gesucht,  oder  diese  Ausgleichung 
schon  in  seinem  Evangelium  vorgefunden  hat,  lässt  sich  aus  dieser  Ho- 
milie allein  nicht  entscheiden.  Wenn  wir  aber  den  Bericht  des  Aphr. 
über  die  letzte  Paschafeier  Jesu  mit  seinen  übrigen  Citaten  aus  den  Evan- 
gelien zusammennehmen,  so  ist  Letzteres  das  Wahrscheinlichste.  Zahn 
(Forschungen  I,  S.  75)  bemerkt  hierzu:  „Wenn  man  bedenkt,  welch  grosse 
Rolle  die  Verschiedenheiten  der  Darstellungen  der  Leidensgeschichte  bei 
den  Synoptikern  einerseits  und  Johannes  andererseits  schon  in  den  Oster- 


Die  Unterweisung  vom  Pascha.  181 

sie  es  nehmen,  nnd  es  sollen  das  Pascha  dem  Herrn  feiern  alle 
Kinder  Israels.   Er  sprach  nämlich  zu  Mose:    Sie  sollen  ein  Lamm 


Streitigkeiten  des  zweiten  Jahrhunderts  und  dann  wieder  in  allen  Er- 
örterungen dieser  Frage  bei  den  griechischen  Vätern  des  4.  Jahrh.  und 
noch  späterer  Zeit  gespielt  haben,  so  ist  die  ins  Einzelne  der  historischen 
Grundlagen  der  christlichen  Osterfeier  eingehende  Abhandlung  des  Aphr. 
über  das  Pascha  an  sich  schon  ein  Beweis  dafür,  dass  jene  wirklichen 
oder  scheinbaren  Differenzen  der  kanonischen  Evangelien  für  die  ost- 
syrische Kirche  um  340  gar  nicht  existirten,  d.  h.  aber  auch,  dass  im 
Evangelium  derselben  jene  Differenzen  ausgeglichen  waren.  Trotz  der 
gelehrten  und  zum  Theil  polemischen  Behandlung  der  schwierigen  Frage 
ist  bei  Aphraat  von  verschiedenen  Berichten,  die  mit  einander  auszu- 
gleichen wären,  gar  keine  Rede.  Die  Reihenfolge  der  Ereignisse  der  Leidens- 
geschichte nach  Zeit  und  Stunde  wird  einfach  aus  „dem  Evangelium" 
abgelesen.  Dass  zum  Beispiel  Jesus  das  Abendmahl  erst  nach  dem  "Weg- 
gang des  Judas  eingesetzt  habe,  wird  nicht  als  wahrscheinlich  oder  mög- 
lich oder  gewiss  erwiesen,  sondern  als  selbstverständlich  dem  Evangelium 
nacherzählt.  Das  war  nicht  in  dem  kanonischen  Evangelium,  wohl  aber 
in  dem  von  Ephräm  commentirten  Diatessaron  zu  lesen". 

Den  Verlauf  der  Leidensgeschichte  nach  Tag  und  Stunde  gibt  uns 
Aphraat  in  §  4.  Dabei  rechnet  er  den  Tod  Jesu  von  da  an,  da  Jesus 
im  h.  Abendmahl  seinen  Leib  und  sein  Blut  gereicht.  „Denn  wer  sein 
Fleisch  zu  essen  und  sein  Blut  zu  trinken  gibt,  wird  unter  die  Todten  ge- 
rechnet". Das  thut  Aphraat  aber  nur,  um  die  drei  Tage  und  drei 
Nächte  von  Matt.  12,  40  herauszubekommen,  deren  eigenthümliche  Be- 
rechnung wir  in  §  .5  finden.  Da  wo  es  sich  um  die  Feier  des  Gedächt- 
nisses seines  Todes  handelt,  ist  es  nicht  der  14.  Nisan  —  an  dem  doch 
der  Herr  auch  nach  Aphraat  das  h.  Abendmahl  eingesetzt  hat,  —  den 
Aphraat  als  Tag  des  christlichen  Paschas  gefeiert  haben  will,  sondern 
der  15.  Nisan  (der  Abend  oder  Nachmittag  des  14.  Nisan).  Nachdem 
Aphraat  uns  in  §  5  die  eben  erwähnte  Berechnung  der  drei  Tage  und 
drei  Nächte  aus  Matt.  12,  40  gegeben  hat,  führt  er  uns  in  §  6  das  Ge- 
meinsame und  das  Unterscheidende  der  alttestamentlichen  und  neutesta- 
mentlichen  Paschafeier  vor  und  zeigt,  dass  und  in  welcher  Bedeutung  die 
alttestamentlichen  Gesetzesvorschriften  auch  für  die  neutestamentliche 
Paschafeier  ihre  Giltigkeit  behalten.  Den  neuen  Inhalt  der  neutestament- 
lichen  Paschafeier  bezeichnet  uns  Aphraat  mit  den  Worten:  ,,Sie  ent- 
kamen an  dem  Paschafest  aus  der  Knechtschaft  Pharaos,  und  wir  wurden 
am  Tage  der  Kreuzigung  von  dem  Dienste  Satans  erlöst.  Sie  schlach- 
teten das  Lamm  von  der  Heerde  und  wurden  durch  sein  Blut  vor  dem 
Würgengel  errettet,  und  wir  wurden  durch  das  Blut  des  ausei'wählten 
Sohnes  von  den  Werken  des  Verderbens  erlöst,  die  wir  gethan  haben". 
In  Bezug  auf  die  L^mgestaltung  der  Form  der  Paschafeier  in  der  christ- 
lichen Gemeinde  ist  hauptsächlich  der  Unterschied  in  der  Zeit  der  Feier 


182  Homilie  XII. 

nehmen  am  10.  des  Monats,  und  es  soll  von  ihnen  aufgehoben 
werden   bis    zum    14.  desselben  Monats.     Und  sie  sollen  es  bei 


bemerkenswertli.  „Das  Pascha  der  Juden  ist  nämlich  der  14.  Nisan,  seine 
Nacht  und  sein  Tag,  und  unser  Tag  des  grossen  Leidens  ist  der  Freitag, 
der  15.  Nisan,  seine  Nacht  und  sein  Tag".  Bemerkenswerth  ist  ferner, 
das  Aphraat  in  der  mit  dem  letzten  Mahl  verbundenen  Fusswaschung 
die  Einsetzung  der  neutestamentlichen  Taufe  erkennt,  die  er  im  Unter- 
schied von  der  Taufe  des  Priestergesetzes,  als  der  Taufe  zur  Bekeh- 
rung von  den  Sünden,  oder  der  Taufe  zur  Busse,  bezeichnet  als  die  Taufe 
des  Leidens  und  Todes  Christi  (§  (3  Schluss).  In  §  7  erklärt  Aphraat 
wiederholt  wie  in  §  3,  dass  Israel  von  Gott  verworfen  sei  und  deshalb 
nur  mit  Uebertretung  des  Gesetzes  das  Pascha  feiern  könne;  dass  an 
seine  Stelle  das  Volk  der  Verheissung  aus  den  Heiden  getreten  sei. 
Am  Schluss  der  Homilie,  in  §  6,  gibt  uns  Aphraates  eine  Darstellung 
der  Paschafeier  in  seiner  Gemeinde  mit  der  ausdrücklich  ausgesprochenen 
Absicht,  Schwierigkeiten,  die  über  die  Zeit  des  Paschafestes  entstanden 
sind,  zu  beseitigen.  Dabei  bespricht  Aphraat  zwei  Fälle:  1.  dass  der 
Tag  des  Paschas  und  des  Leidens  unseres  Erlösers  auf  einen  Sonntag  fällt, 
und  2.  dass  er  auf  einen  Wochentag  fällt.  Folglich  wurde  in  der  Ge- 
meinde des  Aphraates  das  Pascha  nicht  auf  einen  bestimmten  Wochentag 
gefeiert,  sondern  an  einem  bestimmten  Monatstag,  welcher  auf  verschie- 
dene Wochentage  fallen  konnte.  Als  dieser  Monatstag  wird,  wie  in  §  C 
Anfang,  so  auch  hier  der  1.5.  Nisan  bezeichnet,  der  am  Abend  oder  Nach- 
mittag des  14.  Nisan  begann.  Während  also  die  Paschafeier  des  Aphr. 
die  Wiederholung  der  letzten  Paschafeier  Jesu  mit  seinen  Jüngern  ist, 
fand  sie  doch  nicht  an  dem  Tag  statt,  an  dem  nach  der  Meinung 
Aphraats  Jesus  das  letzte  Paschamahl  mit  seinen  Jüngern  gegessen  hatte, 
sondern  an  dem  Tag  und  zu  der  Stunde,  da  Jesus  als  das  wahre  Pascha- 
lamm gestorben  war.  Hierin  weiss  Aphraat  sich  in  Uebereinstimmung 
mit  den  übrigen  Quartodecimanern.  Den  Unterschied  zwischen  der  Pascha- 
feier der  Quartodecimaner  und  seiner  eigenen  erkennt  Aphraat  darin, 
dass  jene  nur  den  14.  Nisan  feierten,  während  er  die  ganze  Woche  ge- 
feiert wissen  will.  Aphraat  feiert  das  christliche  Paschafest  an  dem  auf  den 
14.  Nisan  folgenden  Abend  im  bewussten  Gegensatz  gegen  die  Juden,  welche 
es  (nach  der  freilich  irrthümlichen  Meinun;=^  Aphraats)  schon  am  Abend 
vorher  feierten;  während  es  nach  Baur  „in  jedem  Fall  gewiss  sein  sollte, 
dass  sie  es  als  Paschamahl,  was  es  sein  sollte,  an  demselben  Tag  mit  den 
Juden  feierten". 

Die  Dauer  des  Paschafestes  war  nicht  auf  den  15.  Nisan  beschränkt, 
sondern  erstreckte  sich  auf  eine  vollständige  Woche.  Vgl.  §  8  Anfang: 
„damit  die  ganze  Woche  des  Festes  mit  seinem  Leiden  und  mit  seinem 
Ungesäuerten  gefeiert  werde.  Denn  auf  das  Pascha  folgen  die  sieben  Tage 
der  ungesäuerten  Brote  bis  zum  einundzwanzigsten".  Und  dann  weiter 
unten:  „Aber  von  uns  wird  gefordert,  dass  wir  das  Fest  halten  zu  seiner 


Die  Unteiweisunsf  vom  Pascha.  1§3 

Sonnenuntercfans:  schlachten  und  sollen  von  seinem  Blut  an  die 
Thür  ihrer  Häuser  streichen  vor  dem  Würgengel,  damit  er  nicht 

Zeit  von  Anfang  bis  zu  Ende".  Und  dann  am  Schluss  von  §  8:  „Denn 
■wenn  wir  hierin  Schwierigkeiten  finden  und  allein  über  den  14.  besorgt 
sind  und  nicht  über  das  Fest  von  Anfang  bis  zu  Ende,  so  könnte  es  uns 
belieben,  den  vierzehnten  jeden  Monats  zu  feiern  und  am  Freitag  jeder 
Woche  zu  trauern.  Uebrigens  aber  gebührt  uns  also,  dass  wir  an  allen 
Wochentagen  thun,  was  vor  dem  Herrn  -unserm  Gott  recht  ist. 

Fiel  der  15.  Nisan  auf  einen  Sonntag,  so  war  das  Pascha  an  dem 
darauf  folgenden  Montag  zu  feiern.  Denn  ein  Hauptbestandtheil  der 
Paschafeier  war  das  Fasten.  Der  Sonntag  aber  war  als  solcher  kein  Fast- 
tag (Barnabasbrief  Cap.  15:  ayofiev  xijv  rjfxsQav  zrjv  oydotjv  ^Ig  eiipQOOv- 
vrjv.  Die  Freude  fand  später  ihren  Ausdruck  in  der  Unterlassung  der 
Kniebeugung  und  des  Fastens.     TertulL,  Coron.  milit.  Cap.  3). 

Aphraat  schreibt  (§  8  Anfang):  „Wenn  es  sich  trifft,  dass  der  Tag 
des  Paschas  und  des  Leidens  unsers  Erlösers  auf  einen  Sonntag  fallt,  so 
müssen  wir  ihn  nach  dem  Gesetz  auf  den  Montag  feiern,  damit  die  ganze 
Woche  des  Festes  mit  seinem  Leiden  und  mit  seinem  Ungesäuerten  ge- 
feiert werde". 

Der  in  die  Paschawoche  fallende  Freitag  ward  vor  den  übrigen  Fest- 
tagen (wohl  durch  besonders  strenges  Fasten)  ausgezeichnet.  „Unser  grosser 
Festtag  aber  ist  der  Freitag".  —  Als  Bestandtheile  der  Paschafeier  wer- 
den genannt:  Fasten,  Gebet,  Lobpreis  und  Gesänge;  die  Taufe  und  das 
h.  Abendmahl  und  ,, Gebräuche  des  Festes". 

Da  die  christliche  Paschafeier  ganz  nach  den  Gesetzesvorschriften  des 
A.  T.  und  analog  der  jüdischen  Paschafeier  gestaltet  war,  so  haben  wir 
anzunehmen,  dass,  wie  die  jüdische  Feier  mit  dem  Paschamahl  eröffnet 
wurde,  so  die  christliche  Feier  mit  dem  neutestamentlichen  Paschamahl, 
der  h.  Abendmahlsfeier.  Und  zwar  wie  (nach  der  Meinung  des  Aphr.) 
das  jüdische  Paschamahl  am  14.  Nisan  d.  h.  an  dem  den  13.  Nisan  be- 
schliessenden  Abend  zwischen  Sonnenuntergang  gehalten  wurde,  so  wurde 
das  christliche  Paschamahl,  das  h.  Abendmahl,  zur  selben  Stunde  des 
15.  Nisan,  also  an  dem  den  14.  Nisan  beschliessenden  Abend  gehalten. 
Abendmahlsfeier  war  nach  der  herrschenden  Ansicht  der  alten  Kirche  mit 
den  Wochenstationen,  also  jedenfalls  auch  mit  dem  Jahresfest  des  Pascha 
unvereinbar  —  man  feierte  den  Sonntag  als  den  Auferstehungstag  com- 
municirend  — ,  hier  bei  Aphraat  bildet  sie  dagegen  einen  Hauptbestand- 
theil der  Paschafeier. 

Das  Paschalamm  sollte  nach  Exod.  12,  6  ,, zwischen  beiden  Abenden" 
geschlachtet  werden.  Die  Karaiten  und  Samaritaner  erkläi-en  dies  „zwi- 
schen Sonnenuntergang  und  Dunkelheit",  die  Pharisäer  und  die  spätere 
Praxis:  „zwischen  3  Ulir  Nachmittags  und  Sonnenuntergang",  Raschi 
und  Kimchi:  ,,die  Zeit  unmittelbar  vor  und  nach  Sonnenuntergang". 
Aphraat  stimmt  mit  der  Erklärung  der  Pharisäer  überein. 

Mit   besonderer  Betonung  wird  hervorgehoben,    dass,  wie  die  Fuss- 


184  -  Homilie  XII. 

zu  ihneu  eingehe,  Aveiiu  er  durch  Aegyptenland  geht.  Und  die 
ganze  Gemeinde  soll  das  Lamm  reisefertig  essen;  und  also  sollen 
sie  es  essen:  die  Lenden  umgürtet,  die  Füsse  beschuht,  die  Stäbe 
in  ihren  Händen.  Und  er  ermahnte  sie,  dass  sie  es  reisefertig 
essen  sollten,  und  dass  sie  es  weder  roh,  noch  in  Wasser  ge- 
kocht essen  sollten,  sondern  am  Feuer  gebraten.  Und  sie  sollten 
nichts  davon  aus  dem  Hause  bringen,  und  sollten  kein  Bein 
daran  zerbrechen.  Und  es  thaten  also  die  Kinder  Israel.  Und 
sie  assen  das  Pascha  am  14.  des  ersten  Monats,  der  da  heisset 
Nisan,  im  Blüthenmonate,  im  ersten  Monat  des  Jahres.  Siehe  aber, 
mein  Lieber,  welche  Geheimnisse  in  dem  Gebot  des  Heiligen, 
das  Pascha  zu  feiern,  verschlossen  liegen.  Er  schärfte  ihnen 
alle  seine  Gebote  ein  und  sprach  zu  ihnen  '):   In  einem  Hause 


Waschung  der  Einsetzung  des  heil.  Abendmahls  vorausgegangen  sei,  so 
auch  die  durch  die  Fusswaschung  eingesetzte  Taufe  der  Feier  des  heil. 
Abendmahls  vorauszugehen  habe.  Bei  der  Aufzählung  der  einzelnen  Be- 
standtheile  der  Paschafeier  (§  S)  wird  die  Taufe  darum  vor  dem  h.  Abend- 
mahl, den  Einsegnungen  des  Heiligen,  genannt. .  Die  Begründung  finden 
wir  in  §  6.  „Israel  nämlich  wurde  im  Meer  getauft  in  der  Nacht  des 
Paschas,  am  Tage  der  Erlösung;  und  unser  Erlöser  wusch  die  Füsse  seiner 
Jünger  in  der  Pascha-Nacht,  welches  die  Vorbedeutung  ist  der  Taufe". 
Und  am  Schluss  von  §  fi:  „Und  nachdem  er  ihre  Füsse  gewaschen  und 
sich  niedergelassen  hatte,  alsdann  gab  er  ihnen  seinen  Leib  und  sein  Blut, 
und  nicht  wie  bei  Israel,  die,  nachdem  sie  das  Pascha  gegessen  hatten,  als- 
dann getauft  wurden  in  der  Wolke  und  im  Meere,  wie  der  Apostel  sagt: 
Unsere  Väter  sind  alle  unter  der  Wolke  gewesen  und  sind  alle  durch  das 
Meer  gegangen".  Während  also  in  der  übrigen  Kirche  der  stille  Sams- 
tag, der  grosse  Sabbath  die  übliche  Zeit  für  die  Taufe  war,  ging  in  den 
Gemeinden  Aphraats  die  Taufe  der  am  Nachmittag  des  N.  Nisan  zu  hal- 
tenden Abendmahlsfeier  voraus. 

Ueber  Ort,  Zeit  und  Reihenfolge  der  übrigen  Bestandtheile  der  Pascha- 
feier des  Aphr.,  wie  wir  sie  §  8  aufgezählt  finden,  giebt  uns  unsere  Ho- 
milie keine  sichern  Anhaltspunkte.  Mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  können 
wir  die  Reihenfolge,  in  der  dieselben  dort  aufgezählt  werden,  als  ihre 
Reihenfolge  bei  dem  Feste  selbst  annehmen.  Mit  grosser  Wahrschein- 
lichkeit können  wir  wohl  annehmen,  dass  das  Fasten  den  Anfang  des 
Festes  bildete,  denn  einmal  wird  es  in  der  Aufzählung  der  Bestandtheile 
der  Paschafeier  an  erster  Stelle  genannt,  und  dann  wird  kurz  vorher  noch 
besonders  hervorgehoben:  „aber  von  der  Zeit  des  Hahnenrufes  an  hat  er 
(unser  Herr)  nicht  mehr  gegessen  und  getrunken,  weil  sie  ihn  gefangen 
genommen  und  angefangen  hatten,  Gericht  über  ihn  zu  halten". 

1)  Exod.  12,  46. 


Die  Unterweisung  vom  Pascha.  185 

soll  es  gegessen  werden,  und  ihr  sollt  nichts  davon  aus  dem 
Hause  bringen.  Und  also  gebot  ihnen  Mose'):  Wenn  ihr  in 
das  Land  kommt,  das  euch,  der  Herr  gibt,  und  das  Pascha  feiert 
zu  seiner  Zeit^  so  ist  nicht  erlaubt,  das  Paschalamm  in  irgend 
einer  der  Städte  zu  feiern,  sondern  nur  an  dem  Ort,  den  sich 
der  Herr  dein  Gott  auserwählt.  Du  und  dein  Haus,  freuet  euch 
an  einem  Feste.  Und  also  gebot  er  ihnen  weiter  2):  Ein  Fremd- 
ling und  Tagelöhner  soll  nicht  von  dem  Pascha  essen,  und  ein 
Knecht,  den  du  um  Geld  zum  Eigenthum  gekauft  hast,  soll 
erst  von  dem  Pascha  essen,  wenn  seine  Vorhaut  beschnitten 
worden  ist. 

§  2.  Gross  und  wunderbar  sind  diese  Geheimnisse,  mein 
Lieber.  Wenn  es  Israel,  solange  es  noch  in  seinem  Lande  war, 
nicht  erlaubt  war,  das  Pascha  an  einem  anderen  Ort  zu  feiern, 
ausser  allein  in  Jerusalem,  so  essen  sie  heute,  da  sie  unter  alle 
Völker  und  Zungen  zerstreut  sind,  unter  Unreine  und  Unbe- 
schnittene, ihr  Brot  in  Unreinigkeit  unter  den  Heiden,  wie 
Hesekiel  über  sie  gesprochen  hat,  da  Er  ihm  als  ein  Zeichen  zu 
erkennen  gab,  dass  er  sein  Brot  in  Unreinigkeit  essen  sollte,  und 
da  er  bat  und  sprach  2):  0  Herr  der  Herren,  meine  Seele  ist 
nicht  verunreinigt,  und  in  meinen  Mund  ist  kein  unreines  Fleisch 
eingegangen,  und  da  Er  dann  zu  Hesekiel  sprach:  Das  soll  ein 
Zeichen  sein.  Also  sollen  die  Kinder  Israel  ihr  Brot  in  Un- 
reinigkeit essen  unter  den  Heiden,  unter  die  ich  sie  zerstreuen 
werde.  Wenn  es  nämlich,  wie  ich  oben  gesagt  habe,  solange 
Israel  in  seinem  Lande  war,  ihm  nicht  erlaubt  war,  überall  das 
Paschalamm  zu  schlachten,  sondern  allein  vor  dem  einen  Altar 
in  Jerusalem,  wie  kann  es  heute  das  Geheimniss  des  Paschas 
feiern?  Denn  da  sie  nun  unter  den  Heiden  als  Fremdlinge  zer- 
streut sind,  haben  sie  keine  Erlaubniss  mehr.  Und  in  dem  Pro- 
pheten bezeugt  er  also  über  sie^):  Viele  Tage  werden  die  Kinder 
Israel  ohne  Opfer  und  ohne  Altar  wohnen  und  ohne  Ephod  und 
ohne  Rauchopfer.  Und  wiederum  spricht  er  zu  Jerusalem^): 
Ich  will  ihre  Freuden  und  ihre  Feste  abschaffen,  ihre  Neumonde 
und  ihren  Sabbath.  Und  über  die  Bundeslade  spricht  er*»):  Sie 
werden  nicht  weiter  sagen:   die  Bundeslade  des  Herrn,  und  sie 

1)  Deut.  IG,  3.  6.  —  2)  Exod.  12,  43-45.  —  3)  Ezech.  4,  13.  U.  — 
4)  Hos.  3,  4.  —  5)  Hos.  2,  11.  —  r.)  Jerem.  3.  IC. 


186  Homilie  XII. 

werden  nicht  ihrer  gedenken,  und  sie  wird  nicht  wieder  herge- 
stellt werden.  Nun,  da  er  gesagt  hat,  sie  werden  ihrer  nicht 
gedenken,  und  sie  wird  nicht  hergestellt  werden,  und  man  wird 
sie  nicht  zw  Herzen  nehmen,  warum  erkühnen  sie  sich  denn,  sie 
herzustellen '?  Und  Mose  hat  zuvor  über  sie  gesagt  ^) :  Ich  will 
sie  reizen  an  einem  Volk,  das  kein  Volk  ist,  und  an  einem 
thörichten  Volk  will  ich  sie  erzürnen.  Nun  will  ich  dich  fragen, 
o  weiser  Disputator  des  Volkes,  der  du  die  Worte  des  Gesetzes 
nicht  erforscht  hast,  zeige  mir,  wann  sich  dies  erfüllt  hat,  dass 
Gott  sein  Volk  gereizt  hat  an  einem  Volk,  das  kein  Volk  ist, 
und  wann  er  sie  an  einem  thörichten  Volk  erzürnt  hat?  Wenn 
du  dich  aber  an  dem  Volk  aus  den  Heiden  erzürnt  hast,  so  hast 
du  das  Wort,  das  geschrieben  ist,  erfüllt,  das  Mose  dir  im  Voraus 
angezeigt  hat  im  Buch.  Und  wenn  du  das  Pascha  feierst  überall, 
da  du  als  Fremdling  wohnest,  so  feierst  du  es  mit  Uebertretung 
des  Gebots. 

§  3.  Denn  euch  ist  der  Scheidebrief  geschrieben.  Und  wenn 
du  dich  nicht  überzeugen  lassen  willst,  so  höre  auf  den  Propheten 
Jeremia,  der  da  sagt  2):  Ich  habe  mein  Haus  verlassen  und  mein 
Erbe  verlassen;  ich  habe  die  Geliebte  meiner  Seele  in  die  Hand 
ihrer  Feinde  gegeben,  und  das  bunte  Gevögel  ist  mein  Erbe  ge- 
worden. Was  ist  das  bunte  Gevögel?  frage  ich  dich.  Das 
bunte  Gevögel  ist  die  Gemeinde  der  Völker.  Siehe,  darum  nennt 
er  sie  bunt,  weil  sie  aus  vielen  Sprachen  versammelt  und  aus 
den  fernen  Völkern  herzugebracht  worden  ist.  Und  wenn  du 
dich  aber  nicht  überzeugen  lassen  willst,  dass  die  Völker  das 
Erbe  Gottes  sind,  so  höre  weiter,  wie  Jereraia^  spricht,  da  er  die 
Völker  beruft  und  Israel  verwirft.  Er  spricht  nämlich  ■^):  Tretet 
auf  die  Wege,  und  sehet  und  fraget  nach  den  ewigen  Pfaden, 
und  sehet,  welches  der  rechte  Weg  ist,  und  wandelt  darauf.  Und 
ihr  sprechet:  Wir  wandeln  nicht  darauf.  Und  wiederum  spricht 
er:  Ich  habe  Wächter  über  euch  gestellt,  dass  ihr  auf  die  Stimme 
der  Posaune  höret;  und  sie  sprechen,  wir  hören  nicht  darauf. 
Und  alsdann,  da  ihn  die  Kinder  Israel  nicht  hörten,  wandte  er 
sich  zu   der  Gemeinde  aus   den  Völkern.    Er  spricht  nämlich^): 


1)  Deut.  32,  21. 

2)  Jerem.  12,  7.  9.    Luther:  Mein  Erbe  ist  wie  der  sprengliclite  Vogel, 
um  welchen  sich  die  Vögel  sammeln. 

3)  Jerem.  6.  16.  17.  —  4)  Jerem.  6,  18. 


Die  Unterweisung  vom  Pascha.  187 

Höret,  ihr  Völker,  und  verstehe,  du  Geneinde  unter  ihnen.  Und 
David  spricht  ^) :  Gedenke  deiner  Gemeinde,  die  du  dir  von  An- 
fang an  erworben  hast.  Und  Jesaia  spricht  2):  Höret,  ihr  Völker, 
was  ich  gethan  habe,  und  erkennet,  die  ihr  ferne  seid,  meine 
Kraft.  Und  wiederum  redet  Jesaia  von  der  zukünftigen  Gemeinde 
unter  den  Völkern;  er  sagt  nämlich  3):  Es  wird  geschehen  in 
den  letzten  Tagen,  dass  der  Berg  des  Hauses  des  Herrn  gesetzt 
ist  über  die  Berge  und  höher  ist  als  die  Höhen,  und  nach  ihm 
sehen  werden  alle  Völker.  Warum  spricht  Jesaia  *) :  Höret,  ihr 
Völker,  was  ich  gethan  habe,  und  erkennet,  die  ihr  ferne  seid, 
meine  Kraft;  bestürzt  sind  die  Sünder  in  Zion.  und  Zittern  hat 
die  Gottlosen  befallen?  Was  bedeutet  das,  dass  er  hören  lassen 
will,  was  er  gethan  hat,  und  dass  er  diejenigen,  die  ferne  sind, 
seine  Kraft  erkennen  lassen  will,  dass  er  Bestürzung  kommen 
lässt  über  die  Sünder  in  Zion,  und  Zittern  über  die  Gottlosen? 
Das  bedeutet  es:  Er  beruft  die  Völker  und  reizt  an  ihnen  das 
Volk,  und  lässt  die  Seinigen,  die  ferne  sind,  seine  Kraft  erkennen, 
indem  er  seinen  Zorn  hereinkommen  lässt,  der  sein  Volk  richtet, 
und  die  Sünder  Zions,  welche  die  Heilige  Stadt  genannt  ist,  in 
Bestürzung  bringt,  und  Zittern  hereinbrechen  lässt  über  die  Gott- 
losen,  welches  die  Lügenpropheten  sind.  Wie  er  über  die  Pro- 
pheten Jerusalems  sagt  ^):  Von  ihnen  gehet  die  Gottlosigkeit  aus 
in  das  ganze  Land. 

§  4.  Du  hast  aber  gehört,  mein  Lieber,  was  ich  dir  über 
das  Pascha  gesagt  habe,  dass  sein  Geheimniss '')  dem  ersten  Volk 
gegeben  ist,  und  dass  seine  Wahrheit  heute  unter  den  Völkern 
verkündigt  wird.  Denn  sehr  verwirrt  sind  die  Gedanken  der 
thörichten  und  unverständigen  Menschen  über  diesen  grossen 
F'esttag,  wie  sie  ihn  verstehen  und  halten  sollen.  Das  wahre 
Lamm  nämlich  ist  unser  Erlöser,  ein  Jahr  alt  und  ohne  Fehler; 
wie  der  Prophet  über  ihn  sagt ') :  Es  ist  keine  Sünde  in  ihm, 
ist  auch  kein  Betrug  in  seinem  Munde  erfunden  worden,  aber 
der  Herr  wollte  Demüthigung  vmd  Leiden  über  ihn  bringen.  Und 
dass  er  ihn  einjährig  nennt,  das  geschieht  deshalb,  weil  er  ein 
Kind  ist  an  Sünden,  wie  er  zu  seinen  Jüngern  spricht^):  Wenn 
ihr  nicht  umkehret  und  werdet  wie  diese  Kinder,  so  werdet  ihr 

1)  Ps.  74,  2.  —  2)  Jes.  33,  13.  —  3)  Jes.  2,  2.  —  4)  Jes.  33,  13.  14.  — 
5)  Jerem.  ?3,  15.  —  6)  d.  i.  sein  Vorbild,  sein  Typus.  —  7)  Jes.  53,  9.  10. 

—  8)  Mt.  18,  3. 


18S  Homilie  XU. 

niclit  m  das  Hinimelreicli  kommen.  Und  Jesaia  sagt  über  den 
Gerechten'):  Das  Kind,  das  da  sündigt,  soll  wie  ein  hundert- 
jähriger Greis  sterben,  dass  er  verflucht  werde. 

Es  ass  nämlich  unser  Erlöser  das  Pascha  mit  seinen  Jüngern 
in  der  gewohnten  Nacht  des  14.  (Nisan)^);  und  das  vorbildliche 
Pascha  verwandelte  er  seinen  Jüngern  in  das  wahre  Pascha. 
Nachdem  Juda  von  ihnen  hinausgegangen  war,  nahm  er  das 
Brot  und  dankte  und  gab  es  seinen  Jüngern  und  sprach  zu 
ihnen  "^):  Das  ist  mein  Leib,  nehmet,  esset  ihr  alle  davon.  Und 
auch  über  den  Wein  dankte  er  also  und  sprach  zu  ihnen:  Das 
ist  mein  Blut  des  neuen  Testamentes,  das  für  Viele  vergossen 
wird  zur  Vergebung  der  Sünden.  So  sollt  ihr  thun  zu  meinem 
Gedächtniss,  so  oft  ihr  euch  versammelt.  Bevor  unser  Herr  ge- 
fangen genommen  wurde,  sprach  er  dieses.  Und  unser  Herr 
stand  auf  von  da,  wo  er  das  Pascha  gefeiert  hatte  und  seinen 
Leib  zur  Speise  und  sein  Blut  zum  Trank  gegeben  hatte,  und 
ging  zu  seinen  Jüngern  an  den  Ort,  da  er  gefangen  genommen 
wurde.  Denn  wer  sein  Fleisch  zu  essen  und  sein  Blut  zu  trinken 
gibt,  wird  unter  die  Todten  gerechnet.  Unser  Herr  hat  mit 
seinen  eigenen  Händen  seinen  Leib  zur  Speise  gegeben,  und  ehe 
er  gekreuzigt  war,  sein  Blut  zum  Trank  gegeben.  Und  er  wurde 
gefangen  genommen  in  der  Nacht  des  14.  Nisan;  und  bis  zur 
6.  Stunde  wurde  Gericht  über  ihn  gehalten.  Und  um  die 
6.  Stunde  verurtheilten  sie  ihn  und  führten  ihn  hinaus  und 
kreuzigten  ihn.  Während  man  Gericht  über  ihn  hielt,  sprach 
er  nämlich  nichts  und  gab  keine  Antwort  seinen  Richtern.  Er 
hätte  nämlich  reden  und  Antwort  geben  können,  aber  es  ist 
nicht  möglich,  dass,  wer  unter  die  Todten  gerechnet  ist,  rede. 
Und  von  der  sechsten  bis  zur  neunten  Stunde  war  eine  Finsterniss, 
und  er  übergab  semen  Geist  seinem  Vater  um  die  neunte  Stunde. 
Und  er  war  unter  den  Todten  in  der  Nacht  des  hereinbrechenden 
15.  Nisan,  in  der  Nacht  des  Sabbaths  und  den  ganzen  Tag  über, 
und  drei  Stunden   des  Freitags.     Und   in   der  Nacht  des  herein- 


1)  Jes.  65,  20. 

2)  Es  tritt  hier  und  in  der  ganzen  Abhandlung  die  Ansicht  zu  Tage, 
dass  der  den  13.  Nisan  beschliessende  Abend  d.  h.  die  Nacht  des  14.  Nisan 
und  nicht  der  Abend  des  14.  Nisan  die  vom  Gesetz  vorgeschriebene  und 
von  Jesus  beobachtete  Zeit  des  Paschamahles  sei. 

3)  Mt.  26,  26  ff.;  Marc.  14,  22;  Luc.  22,  19. 


Die  Unterweisung  vom  Pascha.  189 

brechenden  Sonntags,  zu  der  Zeit,  da  er  seinen  Leib  und  sein 
Blut  seinen  Jüngern  überreicht  hatte,  stand  er  auf  von  den 
Todten. 

§  5.  Nun  zeige  uns,  o  Weiser,  die  drei  Tage  und  drei 
Nächte,  die  unser  Erlöser  unter  den  Todten  war.  Siehe,  wir 
finden,  dass  es  drei  Stunden  vom  Freitag  und  die  Nacht  des  an- 
brechenden Sabbaths  und  den  ganzen  Tag  desselben  währte, 
und  in  der  Nacht  des  Sonntags  stand  er  wieder  auf.  Zähle  mir 
nun  die  drei  Tage  und  drei  Nächte  zusammen;  wo  sind  sie? 
Siehe,  es'  ist  nur  ein  ganzer  Tag  und  eine  ganze  Nacht.  Und 
doch  verhält  sichs  in  Wahrheit  so,  wie  unser  Erlöser  gesagt 
hat  ^) :  Wie  Jonas,  der  Sohn  Mathais,  drei  Tage  und  drei  Nächte 
im  Bauche  des  Fisches  war,  also  wird  des  Menschen  Sohn  auch 
sein  im  Herzen  der  Erde.  Von  der  Zeit  an  nämlich,  da  er  seinen 
Leib  zur  Speise  und  sein  Blut  zum  Trank  gab,  sind  es  drei  Tage 
und  drei  Nächte.  Denn  es  war  Nachtzeit,  da  Juda  von  ihnen 
hinausging,  und  die  elf  Jünger  den  Leib  des  Erlösers  assen  und 
sein  Blut  tranken.  Siehe,  die  Nacht  des  anbrechenden  Freitags 
ist  die  erste  Nacht,  und  bis  zur  sechsten  Stunde,  da  sie  ihn 
richteten,  ist  es  ein  Tag  und  eine  Nacht.  Und  die  drei  Stunden, 
da  es  Finsterniss  war,  von  der  sechsten  bis  zur  neunten  Stunde, 
und  die  drei  Stunden  nach  der  Finsterniss,  sind  schon  zwei  Tage 
und  zwei  Nächte,  Zählen  wir  nun  noch  dazu  die  ganze  Nacht 
des  anbrechenden  Sabbaths  und  den  ganzen  Tag  des  Sabbaths. 
so  war  unser  Herr  drei  Tage  und  drei  Nachte  unter  den  Todten, 
und   in   der  Nacht  des  Sonntags  stand  er   auf  von  den  Todten. 

§  G.  Das  Pascha  der  Juden  ist  nämlich  der  14.  Nisan, 
seine  Nacht  und  sein  Tag.  Und  unser  Tag  des  grossen  Leidens 
ist  der  Freitag,  der  15.  Nisan,  seine  Nacht  und  sein  Tag. 
Alsdann  nach  dem  Pascha  isst  Israel  Ungesäuertes  sieben  Tage, 
bis  2um  21.  des  Monats,  und  wir  feiern  als  das  Fest  des  Un- 
gesäuerten das  Fest  unseres  Erlösers.  Sie  essen  das  Ungesäuerte 
mit  Bitterem,  und  unser  Erlöser  verwarf  den  bitteren  Kelch, 
und  nahm  die  ganze  Bitterkeit  der  Völker  weg,  da  er  ihn  schmeckte 
und  nicht  trinken  wollte.  Die  Juden  aber  gedenken  ihrer  Sünden 
von  Zeit  zu  Zeit;  und  wir  gedenken  der  Kreuzigung  und  der 
Schmach  unseres  Erlösers.    Denn  sie  entkamen  an  dem  Pascha- 

1)  Mt.  12,  40. 


190  Homilie  XII. 

fest  aus  der  Knechtschaft  Pharaos;  und  wir  wurden  am  Tage 
der  Kreuzigung  von  dem  Dienste  Satans  erlöst.  Sie  schlachteten 
das  Lamm  von  der  Heerde  und  wurden  durch  sein  Blut  vor 
dem  Würgengel  errettet;  und  wir  wurden  durch  das  Blut  des 
auserwählten  Sohnes  von  den  Werken  des  Verderbens  erlöst, 
die  wir  gethan  haben.  Ihnen  war  Mose  Führer  und  uns  ist  Jesus 
Führer  und  Erlöser.  Ihnen  theilte  Mose  das  Meer  und  führte 
sie  hindurch;  und  unser  Erlöser  theilte  die  Hölle  und  zerbrach 
ihre  Thore,  da  er  zu  ihr  einging  imd  sie  öffnete,  und  den  Weg 
bahnte  vor  allen  denen,  die  an  ihn  glaubten.  Ihnen  wurde  Manna 
zu  essen  gegeben;  und  uns  gab  unser  Herr  seinen  Leib  zu  essen. 
Ihnen  brachte  er  Wasser  aus  dem  Felsen;  und  uns  Hess  unser 
Erlöser  das  Wasser  des  Lebens  aus  seinem  Leibe  fliessen.  Ihnen 
verhiess  er  das  Land  der  Kananiter  als  Erbe ;  und  uns  verheisst 
er  das  Land  des  Lebens  in  der  Verheissung.  Ihnen  erhöhte  Mose 
die  eherne  Schlange,  dass  jeder,  der  sie  ansehe,  von  dem  Biss  der 
Schlange  genese;  und  uns  erhöhete  Jesus  sich  selbst,  damit  wü', 
Avenn  wir  zu  ihm  aufschauen,  errettet  werden  von  dem  Biss  der 
Schlange,  welche  ist  der  Satan.  Ihnen  errichtete  Mose  die  zeit- 
liche Hütte,  damit  sie  darin  Schlachtopfer  und  Speisopfer  dar- 
brächten, dass  sie  Sühnung  erhielten  für  ihre  Sünden;  und 
Jesus  errichtete  die  Hütte  Davids,  die  gefallen  war,  und  stand 
auf.  Und  wiederum  sprach  er  zu  den  Juden  ^):  Diesen  Tempel, 
den  ihr  sehet,  werde  ich,  wenn  ihr  ihn  abbrecht,  in  drei  Tagen 
wieder  aufrichten.  Und  seine  Jünger  verstanden,  dass  er  von 
seinem  Leibe  redete,  den  er,  da  sie  ihn  abbrachen,  in  drei  Tagen 
wieder  aufrichtete.  In  dieser  Hütte  verheisst  er  uns  das  Leben, 
und  in  ihr  werden  unsere  Sünden  gesühnt.  Ihre  Hütte  nennt 
er  zeitliche  Hütte,  weil  sie  kurze  Zeit  bedient  wurde,  und  die 
unsrige  nennt  er  Tempel  des  heiligen  Geistes  für  ewig. 

Lass  dich  aber  belehren,  mein  Lieber,  über  dieses  Pascha- 
Lamm,  wie  der  Heilige  über  dasselbe  geboten  hat,  dass  -)  es  in 
einem  Haus  gegessen  werde  und  nicht  in  vielen  Häusern;  das 
eine  Haus  ist  die  Gemeinde  Gottes.  Und  wiederum  spricht  er 3): 
Es  sollen  nicht  davon  essen  die  Taglöhner  und  Fremdlinge. 
Und  wer  sind  die  Taglöhner  und  Fremdlinge  anders  als  die 
Lehrer   des  Bösen  ^),    die  nicht  von  dem  Pascha  essen  dürfen, 


1)  Joh.  2,  19.  —  2)  Exod.  12,  -16.  —  3)  Exod.  12,  45.  —  4)  masculin. 


Die  Unterweisung  vom  Pascha.  191 

über  welche  unser  Erlöser  sagt'):  Der  Miethliug,  dessen  die 
Heerde  nicht  eigen  ist,  verlässt,  wenn  er  den  WoK  kommen  sieht, 
die  Heerde  und  flieht? 

Und  er  spricht-):  Ihr  sollt  es  nicht  roh  essen,  auch  nicht 
in  Wasser  gekocht.  Das  will  so  verstanden  und  erklärt  sein, 
dass  das  Opfer,  das  in  der  Gemeinde  Gottes  dargebracht  wird, 
am  Feuer  gebraten  ist;  und  mau  kocht  es  nicht,  auch  wird  es 
nicht  roh  dargebracht. 

Und  er  spricht 3):  Also  sollt  ihr  es  essen:  mit  umgürteten 
Lenden,  mit  beschuheten  Füssen  und  mit  Stäben  in  euren  Händen. 
Diese  Geheimnisse  sind  sehr  gross.  Wer  aber  von  dem  wahren 
Lamm,  Christus,  isst,  umgürtet  seine  Lenden  mit  Glauben,  be- 
schuht seine  Füsse  mit  der  Bereitschaft  des  Evangeliums  und 
ergreift  mit  seiner  Hand  das  Schwert  des  Geistes,  welches  ist  das 
Wort  Gottes^;.  Und  er  sagt  ferner^):  Ein  Bein  soll  an  ihm 
nicht  zerbrochen  werden:  und  das  erfüllte  sich  an  dem  Tage, 
da  sie  ihn  kreuzigten,  da  sie  die  Beine  derer,  die  mit  ihm  ge- 
kreuzigt waren,  brachen,  und  die  seinigen  nicht  brachen,  und  da 
er  dann  spricht*^):  Es  ist  erfüllt  das  Wort,  das  geschrieben  steht: 
Es  soll  an  ihm  kein  Bein  zerbrochen  werden. 

Und  er  spricht ') :  Ein  um  Geld  gekaufter  Knecht  soll  nicht 
eher  von  dem  Pascha  essen,  als  bis  seine  Vorhaut  beschnitten 
ist.  Der  erkaufte  Knecht  nämlich  ist  der  Sünder,  der  sich  be- 
kehrt hat  und  durch  das  Blut  Christi  erkauft  ist.  Und  wenn  er 
sein  Herz  von  den  bösen  Werken  beschnitten  hat,  alsdann  kommt 
er  zur  Taufe,  der  wahren  Erfüllung  der  Beschneidung,  und  wh-d 
mit  dem  Volk  Gottes  vereinigt  und  nimmt  Theil  an  dem  Leib 
und  Blut  Christi.  Und  wenn  er  sagt  ^) :  esset  es  als  die  hinweg- 
eilen, so  wird  dies  in  der  Gemeinde  Gottes  in  der  Weise  erfüllt, 
dass  sie  das  Lamm  essen  „als  die  hinwegeilen",  mit  Zittern  und 
Zagen  auf  den  Füssen  stehend,  weil  sie  eilen  das  Leben  zu  essen 
von  der  Gabe  des  heiligen  Geistes,  die  sie  empfangen. 

Israel  nämlich  wurde  im  Meere  getauft  in  der  Nacht  des 
Paschas,  am  Tage  der  Erlösung;  und  unser  Erlöser  wusch  die 
Füsse  seiner  Jünger  in  der  Pascha-Nacht,  welches  die  Vorbe- 
deutung ist  der  Taufe. 

1)  Job.  10,  12.  —  2)  Exod.  12,  9.  —  3)  Exod.  12,  11.  —  4)  Vgl.  Ephes. 
6,  14-17.  —  5)  Exod.  12,  4G.  —  Cj  Joh.  19,  3G.  —  7)  Exod.  12,  44.  — 
8)  Exod.  12,  11. 


192  Homilie  Xll. 

Du  sollst  aber  wissen,  mein  Lieber,  dass  erst  von  jener 
Nacht  an  unser  Erlöser  die  wahre  Taufe  gegeben  hat.  Denn  so- 
lange er  mit  seinen  Jüngern  umherwandelte,  waren  sie  nur  mit 
der  Taufe  des  Priestergesetzes  getauft,  mit  der  Taufe,  bei  der 
Johannes  sprach  ');  Bekehret  euch  von  euren  Sünden.  Und  in 
jener  Nacht  zeigte  er  ihnen  das  Geheimniss  der  Taufe  des  Lei- 
dens und  seines  Todes ;  wie  der  Apostel  sagt  -) :  Ihr  seid  mit  ihm 
durch  die  Taufe  begraben  in  den  Tod,  und  stehet  mit  ihm  auf 
durch  die  Kraft  Gottes.  Wisse  aber,  mein  Lieber,  dass  die  Taufe 
des  Johannes  nicht  zur  Vergebung  der  Sünden  nützte,  sondern 
zur  Busse.  Die  Geschichte  der  zwölf  Apostel  berichtet  uns 
hierüber-^):  Wenn  die  Jünger  diejenigen,  die  aus  den  Völkern 
und  aus  Israel  berufen  waren,  fragten  und  zu  ihnen  sprachen: 
Seid  ihr  getauft,  und  sie  sprachen:  Wir  sind  mit  der  Taufe  des 
Johannes  getauft,  alsdann  tauften  sie  dieselben  mit  der  wahren 
Taufe,  dem  Geheimniss  des  Leidens  unsers  Erlösers.  Und  auch  unser 
Erlöser  bezeugt  hierüber,  indem  er  zu  seinen  Jüngern  spricht  ^) : 
Johannes  hat  mit  Wasser  getauft,  und  ihr  werdet  mit  dem  heiligen 
Geist  getauft  werden  ').  Da  nämlich  unser  Erlöser  das  Wasser 
nahm  imd  in  das  Waschbecken  goss  und  die  Schürze  nahm  und 
seine  Lenden  damit  umgürtete  und  anfing,  die  Füsse  seiner  Jünger 
zu  waschen;  und  da  er  zu  Simeon  Kephas  kam,  sprach  dieser  zu 
ihm:  Herr,  solltest  du  mir  die  Füsse  waschen?  Nimmermehr 
sollst  du  mir  die  Füsse  waschen.  Sprach  zu  ihm  Jesus:  Wenn 
ich  dich  nicht  waschen  werde,  so  hast  du  keinen  Theil  an  mir. 
Sprach  zu  ihm  Simeon:  Dann,  Herr,  wasche  nicht  blos  meine  Füsse 
allein,  sondern  auch  meine  Hände  und  mein  Haupt.  Sprach  zu 
ihm  Jesus:  Wer  gewaschen  ist,  bedarf  nur,  dass  man  ihm  die 
Füsse  wasche.  Und  nachdem  er  die  Füsse  seiner  Jünger  ge- 
waschen hatte,  legte  er  seine  Kleider  an  und  Hess  sich  nieder 
und  sprach  zu  ihnen:  Ihr  nennt  mich  Meister  und  Herr,  und  ich 
bin's;  wenn  ich  nun,  euer  Meister  und  Herr,  eure  Füsse  wasche, 
wieviel  mehr  ziemt  es  euch,  dass  ihr  einander  die  Füsse  wascht? 
Dieses  Vorbild  habe  ich  euch  gegeben,  dass,  wie  ich  gethan  habe, 
also  auch  ihr  thut.  Und  nachdem  er  ihre  Füsse  gewaschen  und 
sich  niedergelassen  hatte,  alsdann  gab  er  ihnen  seinen  Leib  und 


1)  Mt.  3,  2.  —  2)  Col.  2,  12;  Rom,  6,  3.  4.  —  3)  Act.  19,  3.  —  4)  Act. 
1,  5.  —  5)  Joh.  13,  6—15. 


Die  Unterweisimcf  vom  Pascha.  193 

sein  Blut;  und  nicht  Avie  bei  Israel,  die,  nachdem  sie  das  Pascha 
gegessen  hatten,  alsdann  getauft  wurden  in  der  Wolke  und  im 
Meere;  wie  der  Apostel  sagt '):  Unsere  Väter  sind  alle  unter  der 
Wolke  gewesen  und  sind  alle  durch  das  Meer  gegangen. 

§  7.  Diese  wenigen  Worte  der  Ermahnung,  habe  ich  ge- 
schrieben zur  Vertheidigung  gegen  die  Juden,  weil  sie  die  Zeit 
des  Paschafestes  begehen,  mit  Uebertretung  des  Gebotes,  da  sie 
doch  keine  Erlaubniss  dazu  haben,  und  die  Bundeslade  herstellen, 
da  sie  doch  kein  Gebot  liabeu,  und  weil  sie  nicht  verstehen  den 
Propheten,  der  da  spricht"-):  Sie  werden  nicht  mehr  sagen:  die 
Bundeslade  des  Herrn,  und  man  wird  sie  sich  nicht  zu  Herzen 
nehmen,  und  man  wird  ihrer  nicht  mehr  gedenken  und  wh-d  sie  nicht 
mehr  suchen,  und  sie  wird  nicht  mehr  hergestellt  werden.  Nun, 
da  er  spricht:  Sie  soll  nicht  mehr  hergestellt  werden,  und  man 
soll  nicht  mehr  sie  zu  Herzen  nehmen  und  sie  nicht  mehr  suchen, 
so  wisse,  dass  wer  sie  herstellt,  das  Gebot  übertritt.  Und  es 
sagt  wiederum  Jeremia-^):  Die  Kinder  Israels  und  die  Kinder  Judas 
haben  meinen  Bund  aufgehoben.  Und  über  den  Bund,  der  dem 
Volke  geschenkt  werden  sollte,  verkündigt  er  also  und  spricht  ^) : 
Mit  dem  Hause  Israel  und  mit  dem  Hause  Juda  will  ich  einen 
neuen  Bund  abschliessen ,  der  nicht  wie  der  Bund  ist,  den  ich 
mit  ihren  Vätern  abgeschlossen  habe  an  dem  Tage,  da  ich  sie 
bei  ihrer  Hand  ergriff  \md  sie  aus  dem  Lande  Aegypten  führte. 
Weil  sie  meinen  Bund  aufgehoben  haben,  habe  auch  ich  sie  ver- 
schmäht. Und  wenn  sie  sagen  werden:  Siehe,  zu  Israel  und  zu 
Juda  hat  er  gesagt,  dass  er  einen  neuen  Bund  aufrichten  wolle, 
so  wisse,  derselbe,  der  Israel  Fürsten  Sodoms  und  Volk  von  Go- 
morrha  genannt  hat^),  der  hat  auch  Abraham  berufen  und  hat 
ihm  verheissen,  indem  er  ihn  segnete  und  zu  ihm  sprach**): 
Dein  Name  soll  nicht  mehr  Abram  heissen,  sondern  dein  Name 
soll  Abraham  sein,  denn  ich  habe  dich  zum  Vater  der  Menge 
der  V()lker  gemacht.  Und  wiederum  spricht  er  zu  ihm'):  Durch 
(leinen  Samen  sollen  sfeses'uet  werden  alle  Völker  der  Erde. 

i?  8.  Damit  du  überzeugt  werdest  und  überzeugest  die  Brüder, 
die  zu  dei)UM-  Gemeinde  gehören,  welche  Schwierigkeiten  finden 
bezüglich  der  Zeit  des  Paschas,  will  ich  dir  Folgendes  schreiben  — 


1)  1.  Cor.  10,  1.  —  2)  Jerem.  3,  16.  —  3)  Jerem.  11,  10.  —  4)  Jerem 
31,  31.  32.  ~  5)  Jes.   1,  10.  —  ö)  Gen.  17,  5.  —  7)  Gen.  22,  18. 

Texte  und  Uutei-suchungeii  III,  3.  4.  13 


194  Homilie  XII. 

für  die,  welche  gesunden  Verstandes  sind,  ist  es  nicht  schwer, 
es  zu  verstehen  — :  Wenn  es  sich  nämlich  trifft,  dass  der  Tag  des 
Paschas  und  des  Leidens  unsers  Erlösers  auf  einen  Sonntag 
fällt,  so  müssen  wir  ihn  nach  dem  Gesetz  am  Montag  feiern, 
damit  die  ganze  Woche  des  Festes  mit  seinen  Leiden  und  mit 
seinem  Ungesäuerten  gefeiert  werde.  Denn  auf  das  Pascha  folgen 
die  sieben  Tage  der  ungesäuerten  Brote  bis  zum  einundzwanzig- 
sten. Und  wenn  das  Leiden  auf  einen  anderen  Tag,  auf  einen 
der  Wochentage  fiillt.  so  brauchen  wir  uns  darüber  keine 
Schwierigkeit  zu  machen.  Unser  grosser  Festtag  aber  ist  der 
Freitag.  Und  wenn  man  nach  der  Zahl  der  Monatstage  den 
Tag  der  Kreuzigung,  und  an  dem  unser  Erlöser  litt  und  unter  den 
Todten  war,  seine  Nacht  und  seinen  Tag,  bestimmen  will,  so  ist  es 
der  fünfzehnte  '),  von  der  sechsten  Stunde  am  Freitag,  bis  der  Sonn- 
tag anbricht.  Und  am  Sonntag,  am  sechzehnten,  stand  er  wieder 
auf.  Denn  beim  Anbruch  des  vierzehnten  ass  er  das  Pascha  mit 
seinen  Jüngern,  nach  dem  Gesetz  Israels.  Und  am  Freitag,  am 
vierzehnten ,  wurde  Gericht  über  ihn  gehalten  bis  zur  sechsten 
Stunde,  und  er  hing  drei  Stunden  am  Kreuz,  und  er  stieg  zu  den 
Todten  herab  in  der  Nacht,  da  der  fünfzehnte  anbrach.  Am  Tage 
des  Sabbaths,  der  da  ist  der  fünfzehnte,  war  er  unter  den  Todten. 
Und  in  der  Nacht,  da  der  Sonntag  anbricht,  welches  ist  der 
sechzehnte  (Nisan),  stand  er  wieder  auf,  und  erschien  Maria 
Magdalena  und  zweien  seiner  Jünger,  die  auf  dem  Wege  wan- 
delten. Nun  begreift,  wer  über  diese  Tage  in  Schwierigkeiten  ver- 
fallen ist,  dass  beim  Anbruch  des  vierzehnten  unser  Herr  das 
Pascha  gefeiert  und  gegessen  und  getrunken  hat  mit  seinen 
Jüngern;  aber  von  der  Zeit  des  Hahnenrufs  an  hat  er  nicht  mehr 
gegessen  und  getrunken,  weil  sie  ihn  gefangen  genommen  und 
angefangen  hatten,  Gericht  über  ihn  zu  halten.  Und  wie  ich  dir 
oben  gezeigt  habe,  am  fünfzehnten  war  er  Tag  und  Nacht  unter 
den  Todten.  Aber  von  uns  wird  gefordert,  dass  wir  das  Fest 
halten  zu  seiner  Zeit,  von  Anfanoj  bis  zu  Ende:  das  Fasten  in 
Reinheit,  das  Gebet  in  Wahrheit,  den  Lobpreis  mit  Eifer  und 
die  Gesänge,  wie  es  sich  gebühret;  dass  2)  wir  das  Zeichen  geben 

1)  nämlich  der  15.  Nisan. 

2)  Bickell  übersetzt  hier:  „Das  Siegel  der  Taufe  nach  der  Vorschrift 
zu  ertheilen."  Nach  dem  syr.  Text  heisst  es  wörtlich:  Das  Zeichen  zu 
geben  und  die  Taufe,   wie  es  recht  ist.     Unter  dem  Zeichen  haben  wir 


Die  Unterweisung  vom  Pascha.  195 

und  die  Taufe,  wie  es  recht  ist,  dass  wir  i)  die  Einsegnungen 
des  Heiligen  halten  zu  ihrer  Zeit,  und  alle  Gebräuche  des  Festes 
erfüllen.  Denn  unser  Herr  litt  und  stand  auf,  und  nun  2)  wird 
er  nicht  mehr  sterben,  und  der  Tod  wird  nicht  mehr  über  ihn 
herrschen.  Denn  was  er  gestorben  ist,  das  ist  er  der  Sünde  ge- 
storben einmal,  und  was  er  lebt,  das  lebt  er  Gott.  Und  auch 
uns,  die  wir  gestorben  waren,  hat  er  mit  sich  lebendig  gemacht. 
Denn  wenn  wir  hierin  Schwierigkeiten  finden  und  allein  um 
den  vierzehnten  uns  kümmern,  und  nicht  um  das  Fest  von  An- 
fang bis  zu  Ende,  so  könnte  es  uns  belieben,  den  vierzehnten 
jeden  Monats  zu  feiern  und  am  Freitag  jeder  Woche  zu  trauern. 
Uebrigens  aber  gebühret  uns  also,  dass  wir  an  allen  Wochen- 
tagen thun,  was  vor  dem  Herrn,  unserem  Gott,  recht  ist. 

Nun  lasse  dich  durch  das  Wenige,  das  ich  dir  geschrieben 
habe,  belehren  und  suche  nicht  die  Schwierigkeiten  im  Wort- 
gezänk auf.  Denn  das  bringt  keinen  Gewinn,  sondern  ein  reines 
Herz,  welches  das  Gebot  und  das  Fest  und  die  Zeiten  und  Ge- 
bräuche des  Tages  hält. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  vom  Pascha. 


wohl  das  Symliolum  zu  verstehen.  Nach  der  spätei-en  Praxis  wurde  am 
Palmsonntag  den  Katechumenen  in  der  Gemeinde  das  apostolische  Sym- 
bolum  feierlich  übergeben  (Conc.  Agath.  Can.  13  im  Jahre  506;  man 
nannte  dies  tradere  Symbol  um  ='^i>Jsa^  tioA.©?).  Am  Donnerstag  hatten 
sie  dasselbe  in  der  Kirche  vor  dem  Bischof  oder  den  Presbytern  abzulegen 
(Conc.  Laodic.  370  =  reddere  Symbolum).  In  der  Vigilie  vor  dem  Auf- 
erstehungsfeste wurden  sie  getauft.  Antonell.  in  seiner  Ausgabe  der  arm. 
Uebersetzung  S. 350  Anm. 2  bezieht  }.Si  ao^  auf  sacramentum  confirmationis. 

1)  Dies  haben  wir  wohl  auf  die  Einsegmmg  des  heil.  Abendmahls  zu 
beziehen,  und  nicht  auf  die  später  übliche  Einsegnung  des  Taufwassers 
und  dergl. 

2)  Rom.  B,  9.  10. 


13' 


Die  Unterweisung  vom  Sabbatli. 

Der  Herr  gebot  seinem  Knechte  Mose  über  den  Tag  des 
Sabbaths,  dass  die  Kinder  Israel  ihn  halten  sollten.  Er  sprach 
nämlich  also  zu  ihnen  '):  Sechs  Tage  sollst  du  deine  Arbeit  thun, 
und  der  siebente  Tag  ist  der  Sabbath  der  Ruhe,  der  da  heilig 
ist  dem  Herrn,  deinem  Gott;  denn  in  sechs  Tagen  hat  der  Herr 
Himmel  und  Erde  gemacht  und  die  Meere  und  alles,  was  da- 
rinnen ist,  und  feierte  und  ruhete  am  siebenten  Tage;  darum 
segnete  Gott  den  siebenten  Tag  und  heiligte  ihn,  denn  an  ihm 
ruhete  er  von  allen  seinen  Werken,  die  er  gemacht  hatte.  Und 
also  ermahnet  er  sie:  Du  sollst  ruhen,  und  dein  Knecht  und 
deine  Magd  und  deine  Ochsen-)  und  dein  Esel.  Und  er  fügt 
noch  hinzu  und  mahnet  sie:  Es  soll  ruhen  der  Taglöhner  und 
der  Beisass  und  alles  Vieh,  das  sich  abmühet  und  arbeitet 
im  Dienste.  Ueber  diesen  Tag  des  Sabbaths  nämlich,  mein 
Lieber,  auf  welchen  trotzet,  und  dessen  sich  rühmet  das  Volk 
der  Juden,  und  sprechen:  Dadurch  haben  wir  das  Leben,  dass 
wir  den  Sabbath  halten  und  die  Sitten,  will  ich  dich,  so  gut 
ich  kann,  in  wenigen  Worten  unterweisen,  wie  ich  dich  über 
die  Beschneidung  und  das  Pascha  unterwiesen  habe. 

§  2.  Der  Sabbath  ist  nämlich  nicht  eingesetzt,  dass  er 
denen,  die  das  Leben  haben,  zum  Tode  gereiche,  und  auch  nicht 
zur  Rechtfertigung  von  der  Sünde,  sondern  er  ist  zur  Ruhe  ge- 
geben. Es  ist  nicht  wie  bei  anderen  Geboten,  welche  da  waren, 
damit  durch  sie  die  Menschen  das  Leben  hätten,  und  wenn  sie 
sie  nicht  hielten,  dem  Tode  verfielen.  Zur  Zeit  nämlich,  da  der 
Sabbath  gehalten  wurde,  war  er  dem  Volke  zur  Ruhe  gegeben, 
und  nicht  den  Menschen  allein,  dass  sie  ruhen,  sondern  auch  dem 


1)  Exod.  20,  9—11;  Deut.  5.  12—14.  —  2)  A  hat  Singul. 


Die  Unterweisung^  vom  Sabbath.  197 

Vieh.  Er  sagt  nämlich^):  Es  soll  ruhen  dein  Ochse  und  dein 
Esel  und  all  dein  Vieh.  Denn  wenn  der  Sabbath  emgesetzt 
wäre,  dass  er  denen,  die  das  Leben  haben,  zum  Tode  gereiche 
und  zur  Rechtfertigung  von  den  Sünden,  was  hätte  das  Vieh  für 
einen  Gewinn,  das  den  Sabbath  hielte,  oder  was  hätte  es  für  Scha- 
den, wenn  es  ihn  nicht  hielte.  Denn  siehe,  wir  nehmen  wahr, 
dass  an  den  anderen  Tagen,  an  welchen  das  Vieh  in  Dienst  und 
Mühe  der  Arbeit  sich  plaget,  es  mehr  Gerechtigkeit  übet,  als 
am  Sabbathtage.  Denn  an  den  Werktagen  arbeitet  und  plaget 
sich  das  Vieh  in  Mühe  und  Arbeit,  und  die  Stiere  tragen  das 
Joch.  Und  weil  sie  arbeiten,  haben  sie  keine  Zeit  Sünde  zu 
thun.  Aber  am  Sabbathtage  sind  die  Esel  und  Ochsen  und  alles 
Vieh  losgelassen,  dass  die  einzelnen  Familien  von  ihren  Müttern 
und  ihren  Schwestern  und  allen  ihren  Blutsverwandten  nicht  fern- 
gehalten sind,  sich  mit  ihnen  zu  vermischen;  und  es  wird  ihnen 
nicht  zur  Sünde  angerechnet,  dass  sie  solche  Sünden  thun  am 
Sabbathtage,  denn  das  ist  das  Gesetz  für  alles  Vieh.  Und  wisse, 
wie  es  keine  Sünde  ist  für  das  Vieh,  dass  sie  dieses  thun,  so 
gibt  es  für  sie  auch  keine  Gerechtigkeit.  Denn  die  Vergeltung 
der  Gerechtigkeit  geschieht  in  der  neuen  Welt  bei  der  Aufer- 
stehung der  Todten  für  Alle,  welche  die  Werke  der  Gerechtig- 
keit gethan  haben.  Und  für  das  Vieh  gibt  es  keine  Aufer- 
stehung, dass  es  den  Lohn  empfange  dafür,  dass  es  den  Sabbath 
gehalten  hat,  und  es  kommt  auch  nicht  in  das  Gericht.  Und 
wie  ein  anderes  Gebot  dem  Vieh  nicht  als  Gesetz  gegeben  ist, 
dass  es  dasselbe  halte,  so  hat  es  auch  vom  Sabbath  keinen  Ge- 
winn. Denn  es  gebot  der  Heilige  in  seinem  Gesetz'):  Du  sollst 
nicht  ehebrechen;  und  das  Vieh  bricht  frei  die  Ehe  und  huret 
öffentlich.  Es  gebietet  und  ermahnet  das  Gesetz-^):  Verflucht 
ist  jeder,  der  seine  Schwester  nimmt  und  seine  übrigen  Bluts- 
verwandten; und  das  Alles  thut  das  Vieh.  Und  Aviederura  steht 
geschrieben*):  Du  sollst  nicht  tödten;  und  das  Vieh  tödtet  in 
seiner  Thorheit  seinen  Genossen  und  isst  von  seinem  Fleisch. 
Wiederum  steht  geschrieben^):  Alles  schlachte  und  iss,  und  Blut 
sollst  du  nicht  essen;  und  das  Vieh  leckt  sein  eigenes  Blut^),  und 

1)  Exod.  23,  12;  Deut.  5,  14.  —  2)  Exod.  20,  14.  —  3)  Levit.  18,  9; 
20,  17.  —  4)  Exod.  20,  13.  —  5)  Deut.  12,  1.5.  IG.  23.  —  6)  Im  jüdischen 
(»esetz  wild  (nach  Meix)  erörtert,  ob  man  Blut  eines  blutenden  Zahnes 
verschlucken  darf.    Also  kennt  Aphr.  so  etwas. 


198  Homilie  XIII. 

unreines  Fleiscli  isst  es  selir  gerne.  Denn  wenn  das  Vieli  einen 
Gewinn  hätte,  indem  es  den  Sabbath  hält,  so  hätte  das  Gesetz 
es  zuerst  von  diesen  Unreinigkeiten  zurückgehalten,  und  alsdann 
wäre  es  gerechtfertigt  worden,  indem  es  den  Sabbath  hält. 

Und  das  ist  der  Beweis  dafür,  dass,  wie  ich  dir  geschrieben 
habe,  der  Sabbath  zur  Ruhe  gegeben  ist  aller  Creatur,  die  sich 
plaget.  Wenn  er  nämlich  nicht  wegen  der  Ruhe  gegeben  wor- 
den wäre  allem  Fleisch,  das  sich  plaget,  dann  hätten  am  Anfang 
auch  die  Geschöpfe,  welche  sich  nicht  plagen,  ebenfalls  den  Sab- 
bath halten  müssen,  um  gerechtfertigt  zu  sein.  Wü-  sehen  aber, 
dass  die  Sonne  gehet,  und  der  Mond  wandert,  und  die  Sterne  eilen, 
und  die  Winde  wehen,  und  die  Wolken  fliegen,  und  das  Ge- 
vögel wandert,  und  die  Wasserbrunuen  sprudeln  in  ihren  Quellen, 
und  die  Wellen  steigen,  und  die  Blitze  eilen  und  leuchten  den 
Creaturen,  und  die  Donner  zu  ihrer  Zeit  gewaltig  rollen,  und 
die  Bäume  ihre  Früchte  bringen,  und  das  Wachsthum  von  allem 
Ding  zunimmt;  und  nichts  sehen  wir,  das  am  Sabbath  ruhe 
ausser  den  Menschenkindern  und  dem  Vieh,  das  unter  dem  Dienst 
der  Arbeit  steht. 

§  3.  Denn  wenn  der  Sabbath  zur  Gerechtigkeit  gegeben 
wäre,  so  hätte  er  nämlich  schon  vor  Israel  dem  Adam  gegeben  wer- 
den müssen,  dass  er  ihn  hielte  und  durch  ihn  gerechtfertigt  würde, 
und  Gott  hätte  ihm  nicht  das  Gebot  gegeben,  dass  er  von  dem 
Baum  der  Erkenntniss  des  Guten  und  Bösen  ''  nicht  essen  solle, 
damit  er  nicht  sterbe.  Aber  Aveil  Adam  nicht  zur  Arbeit  be- 
stimmt war,  solange  er  nicht  das  Gebot  übertreten  würde,  gab 
Er  ihm  nicht  den  Sabbath.  Aber  nachdem  er  das  Gebot  über- 
treten hatte,  alsdann  empfing  er  den  Richterspruch  der  Mühe 
und  Arbeit,  dass  er  arbeiten  sollte  auf  Erden  wie  ein  Verbrecher 
und  Frevler;  und  Er  verhängte  über  ihn  den  Tod.  Denn  wenn 
im  Sabbath  die  Gerechtigkeit  wäre,  so  hätte  Henoch  sich  durch 
ihn  ausgezeichnet  und  alle  Geschlechter  nach  ihm. 

§  4.  Und  auch  Noah  hielt  den  Sabbath  nicht,  dass  er  durch 
ihn  rechtschaffen  und  sündenrein  genannt  würde;  sondern  also 
sprach  Gott  zu  Noah'^):  Dich  habe  ich  gesehen,  dass  du  gerecht 
und  rechtschaffen  bist  unter  diesem  Geschlecht.  Und  er  war 
nicht,  weil  er  den  Sabbath  hielt,  für  gerecht  erklärt,  sondern 
weil  er  Rechtseh affenheit  bewahrte  unter  dem  verderbten  Ge- 
1)  Gen.  2,  17.  —  2)  Gen.  7,  1. 


Die  Unterweisung  vom  Sabbath.  199 

schlecht,  wie  die  Thatsache  zeigt.  Denn  es  stehet  auch  nicht  ge- 
schrieben, dass  er  sich  mit  der  Welt  vermischte  '  .  Noah  war 
nämlich  fünfhundert  Jahre  alt,  da  Gott  mit  ihm  redete  und  zu 
ihm  sprach:  Dich  habe  ich  gesehen,  dass  du  A'or  mir  gerecht 
und  rechtschaffen  bist  unter  diesem  Geschlecht.  Und  seine  Recht- 
schaffenheit bestand,  wie  uns  die  Sache  sich  darstellt,  darin,  dass 
er,  da  er  sah,  dass  sich  das  Geschlecht  Seths  vermischte  mit  denen 
vom  Hause  Kains,  welche  verflucht  waren,  sich  vornahm,  keine 
Frau  zu  nehmen  und  keine  Kinder  zu  zeugen,  damit  sie  sich 
nicht  vermischten  und  verflucht  würden  mit  denen  vom  Hause 
Kains,  dem  verfluchten  Samen.  Und  da  Gott  sein  Herz  sah,  dass 
es  rein  war  und  rechtschaffen,  wünschte  Er.  dass  von  ihm  eine 
Umwandlung  in  der  Welt  geschehe.  Da  Er  gedachte,  sie  wegen 
ihrer  Sünden  zu  vertilgen,  da  redete  Er  mit  ihm,  da  er  fünf- 
hundert Jahre  alt  war,  und  sprach:  Ich  habe  dich  gesehen,  dass  du 
vor  mir  rechtschaffen  in  diesem  Geschlecht  bist;  da  er  noch  keinen 
Sohn  hatte,  denn  Noah  hatte,  wie  uns  die  Geschichte  erzählt, 
und  wie  ich  oben  gesagt  habe,  noch  keine  Frau  genommen  in 
der  ganzen  Zeit,  bis  Gott  mit  ihm  redete  und  zu  ihm  sprach: 
Dich  habe  ich  gesehen,  dass  du  vor  mir  rechtschaffen  bist  unter 
diesem  Geschlecht  "^) ;  nun  mache  dir  einen  Kasten  von  Holz,  dass 
du  in  demselben  geborgen  werdest.  Da  dieses  Koah  hörte,  dass 
Gott  ihm  gebot,  dass  er  sich  einen  Kasten  machen  solle,  und  zu 
ihm  sprach'):  Ich  will  die  Menschenkinder  von  der  Erde  ver- 
tilgen, weil  sie  ihren  Weg  verderbt  haben,  da,  in  seinem  fünf- 
hundertsten Jahre,  nahm  Noah  ein  Weib  von  den  Töchtern  Seths, 
dem  gesegneten  Samen  der  Gerechten,  und  zeugte  Sem,  Ham 
und  Japhet,  diese  drei.  Noah  enuahnte  seine  Söhne,  dass  sie 
W^eiber  von  den  Töchtern  Kains  nicht  nehmen  sollten,  sondern 
er  gab  ihnen  von  dem  Samen  der  Gerechten  Weiber,  damit  von 
ihnen  Samen  erhalten  bleibe  auf  Erden,  damit  von  ihnen  die  Welt 
wieder  aufgerichtet  werde. 

Und  damit  du  einsiehst,  dass  sich  dies  also  verhält,  will  ich  es 
dir  aus  der  Berechnung  der  Jahre  beweisen.  Sem  nämlich,  der  äl- 
teste Sohn  Noahs,  bekam  zwei  Jahre  nach  derSintfluth  (seinen)  Sohn, 
Arphakschar;  und  Sem  war  hundert  Jahre  alt,  da  er  Arphakschar 

1)  d.  h.  dass  er  in  eine  eheliche  Verbindung  trat.  —  2)  Gen.  7,1;  6,  14. 
—  6)  Gen.  6,  7;  7,  4. 


200  Homilie  XIll. 

zeugte,  zwei  Jahre  uach  der  Sintfliith.  Daraus  berechnen  wir,  dass 
Noah  in  einem  Alter  von  fünfhundertzwei  Jahren  den  Sem  erzeugte, 
und  aus  dieser  Berechnung  wird  ersehen,  dass  Noah  kein  Weib  ge- 
nommen hatte,  bevor  Gott  mit  ihm  redete.  Und  auch  seinen  Söhnen 
nahm  er  keine  Weiber  bis  zur  Zeit,  dass  er  in  die  Arche  ging. 
Denn  wenn  er  in  seiner  Jugend  ein  Weib  genommen  hätte,  so  hätte 
er  auch  Kinder  gezeugt,  wie  Adam,  der  im  Alter  von  hundert- 
dreissig  Jahren  den  Seth  zeugte,  und  Seth  zeugte  im  Alter  von 
hundertfünf  Jahren  den  Enosch;  und  Enosch  zeugte  im  Alter 
von  neunzig  Jahren  den  Kainan:  und  Kainan  zeugte  im  x'Vlter 
von  siebzig  Jahren  den  Mehalleel;  und  Mehalleel  zeugte  im  Alter 
von  fünfundsechzig  Jahren  den  Jared;  und  Jared  zeugte  im  Alter 
von  hundertzweiundsechzig  Jahren  denHenoch:  undHenoch  zeugte 
im  Alter  von  fünfundsechzig  Jahren  den  Methusalem;  und  Methusa- 
lem zeugte  im  Alter  von  hundertsiebenundachtzig  Jahren  den 
Lamech;  und  Lamech,  der  Vater  Noahs,  zeugte  ihn  im  Alter  von 
hundertzweiundachtzig  Jahren.  Und  auch  er,  wenn  er  ein  Weil) 
genommen  hätte,  bevor  Gott  mit  ihm  geredet  hatte,  hätte  wie 
seine  Väter  Kinder  gezeugt,  denn  es  war  ja  über  ihn  keine  Un- 
fruchtbarkeit verheisseu.  Denn  zu  jener  Zeit  waren  die  Kinder 
Adams  gesegnet,  dass  sie  wachsen  und  sich  mehren  sollten  in 
ihren  Geschlechtern,  damit  von  ihnen  die  Welt  erfüllt  würde. 
Und  Noah  nämlich,  welcher  Rechtschaffenheit  bewahrte,  fürchtete 
nicht  wegen  seiner  selbst,  dass  er  sich  vermischen  möchte  mit  dem 
verfluchten  Samen  vom  Hause  Kains,  sondern  dass,  wenn  er  ein 
Weib  nehmen  und  Kinder  erzeugen  würde,  seine  Söhne  das 
Gesetz  übertreten  und  Weiber  von  diesem  Samen  nehmen  würden. 
Aber  da  er  sah,  dass  Gott  mit  ihm  redete  und  zu  ihm  sprach: 
Ich  will  die  Menschen  von  der  Erde  vertilgen,  und  dich  allein 
will  ich  erretten,  da  nahm  er  ein  Weib,  damit  er  Samen  hätte, 
und  von  ihm  die  Welt  aufgerichtet  würde,  und  er  der  Vater 
der  Gerechten  und  Rechtschaffenen  würde.  Und  es  ersah  ihn  auch 
der  heilige  Geist  aus,  dass  Christus,  der  Erlöser  der  Welt,  der  die 
Verfluchungen  Adams  aufheben  sollte,  von  seinem  Samen  geboren 
werden  sollte.  Da  nahm  er  baldigst  ein  Weib  von  dem  ge- 
segneten Samen  und  zeugte  den  Sem,  den  Vater  der  Gerechten, 
im  fünfhundertzweiten  Jahre  seines  Lebens  und  im  zweiten  Jahre, 
nachdem  Gott  mit  ihm  geredet  hatte.  Und  da  er  drei  Söhne  ge- 
zeugt hatte,   begann   er  die  Arche  zu  bauen.     Und  er  ermahnte 


Die  Unterweisnns'  vom  Sabbath.  201 

seine  Söhne,  das«  sie  keine  Weiber  nehmen  sollten,  bis  zur  Zeit, 
da  sie  in  den  Kasten  gingen,  damit  sie  keine  Kinder  bekämen, 
und  diese  dann  ihren  Weg  verderbten,  und  wegen  ihrer  Sünden  nicht 
errettet  würden  ') ,  wegen  des  Zornes,  der  kommen  sollte.  Und 
er  bewahrte  seine  Söhne  siebenundneunzig  Jahre,  und  nahm  ihnen 
Weiber  von  dem  gesegneten  Samen  seiner  Väter.  Alsdann  im 
sechshundertsten  Jahre  des  Lebens  des  Noali  redete  Gott  mit  ihm 
und  sprach  zu  ihm  2):  Gehe  in  die  Arche,  du  und  dein  Weib 
und  deine  Söhne  und  deiner  Söhne  Weiber  mit  dir.  Und  Noah 
ging  in  die  Arche  im  Alter  von  sechshundert  Jahren;  und  sein 
Sohn  Sem  war  siebenundneunzig  Jahre  alt,  da  er  in  die  Arche  ging, 
und  alsdann  kam  die  Sintfluth  und  das  Ende  des  verderbten  Ge- 
schlechts. Und  Noah  und  seine  Söhne  waren  in  der  Arche,  bis 
zwölf  Monate  und  zehn  Tage  vergangen  waren.  Und  von  Noah 
kam  die  zweite^)  Welt,  weil  er  Rechtschaffenheit  bewahrt  hatte 
unter  dem  verderbten  Geschlecht;  und  er  hatte  nicht  den  Sabbath 
gehalten,  war  auch  nicht  durch  die  Beschneidung  gerechtfertigt 
worden,  sondern  durch  das,  was  ich  dir  gezeigt  habe. 

Und  von  Noah  ward  geboren  der  gläubige  Mann,  das  Haupt 
der  Gerechten:  Abraham,  welcher  das  Gesetz  hielt,  da  ihm  doch 
kein  Gesetz  gegeben  war.  Und  er  zeugte  Isaak,  den  Sohn  der 
Verheissung,  und  Jakob,  das  Haupt  des  Volkes.  Und  diese  ge- 
rechten Väter  hielten  den  Sabbath  nicht,  sondern  wurden  durch 
den  Glauben  gerecht:  wie  geschrieben  steht ') :  Abraham  glaubte  an 
(lott,  und  es  wurde  ihm  zur  Gerechtigkeit  angerechnet.  Und  Isaak 
und  Jakob,  seine  Söhne,  wandelten  in  dem  Gebot  und  dem  Ge.setz 
ihres  Vaters  und  wurden  durch  den  Glauben  gerecht,  und  nicht 
durch  den  Sabbath.  Und  Joseph  im  Lande  Aegypten  wurde  nicht, 
weil  er  den  Sabbath  hielt,  gerecht  in  seiner  Gerechtigkeit.  Und 
da  das  Weib  seines  Herrn  ihr  Auge  auf  ihn  warf,  dass  er  Un- 
reinigkeit  mit  ihr  treibe,  redete  er  und  sprach  zu  seiner  Herrin''): 
Wie  sollte  ich  ein  so  grosses  Uebel  thun  und  Avider  Gott  sündigen  ? 
Dadurch  wurde  Joseph  gerecht,  und  nicht  durch  den  Sabbath. 
Denn  wenn  er  zum  Tode  diente  denen,  die  das  Leben  haben,  und 


1)  A:  errettet  würden  von  dem  Zorn  etc.  —  2)  Gen.  6,  IS. 

3)  Stammt  nach  Merx  aus  hebr.  aram.  Quelle,  ist  also  jüdisch,  denn 
^-aJZ  ist  nur  „chaldäisch",  nicht  syrisch.  In  der  Apocalypse  ist  iZa:^ 
|J-»J.^  ein  hebr.  '1  heologumen  in  ,chaldäischer"  Sprache, 

4)  Wom.  4,  3.  —  5)  Gen.  39,  9. 


202  Homilie  XIII. 

zur  Sünde  gereichte  der  Gerechtigkeit,  so  würde  diesen  Gerechten, 
deren  Namen  ich  oben  genannt  habe,  derSabbath  gegeben  worden 
sein,  dass  sie  ihn  hielten  und  das  Leben  hätten.  Sondern  darum 
wurde  der  Sabbath  zu  halten  gegeben,  damit  die  Knechte  und 
Mägde  und  Taglöhner  und  Beisassen  und  das  stumme  Vieh  ruhe- 
ten,  damit  diese,  die  sich  in  Arbeit  abmühen,  feierten. 

§  5.  Denn  Gott  sorget  für  alle  seine  Geschöpfe,  auch  für 
die  Thiere  und  das  Vieh,  auch  für  die  Vögel  und  die  Thiere  des 
Feldes.  Denn  Mose  sprach,  da  er  dem  Volk  das  Gesetz  Avieder- 
holte  '):  Sechs  Jahre  sollst  du  dein  Land  besäen  und  seine  Früchte 
einsammeln.  Und  im  siebenten  Jahre  sollst  du  es  pflügen  und 
es  lassen,  dass  die  Armen  deines  Volkes  davon  essen,  und  das 
Uebrige  die  Thiere  des  Feldes  essen.  Und  auch  über  die  Vögel 
gebietet  der  Heilige  also  durch  seinen  Knecht  Mose  -) :  Wenn 
du  ein  Vogelnest  findest  auf  irgend  einem  Baum  oder  auf  der 
Erde,  und  die  Mutter  und  die  Eier  sind  darin  oder  die  jungen 
Vöglein,  und  die  Mutter  brütet  über  den  Eiern  oder  über  den 
Jungen,  so  sollst  du  nicht  die  Mutter  mit  ihren  Eiern  nehmen, 
sondern  die  Mutter  sollst  du  fliegen  lassen,  und  die  Eier  nimm 
dir.  Um  deswillen  wird  dich  der  Herr,  dein  Gott,  segnen.  Und 
David  sagt-*):  Die  jungen  Raben,  die  zu  ihm  rufen,  sättigt  er. 
Und  wiederum  sagt  David  ^):  Die  Menschenkinder  und  das  Vieh 
erlösest  du,  Herr.  Und  auch  lob  sagt^):  Wer  lässt  den  Wild- 
esel frei  und  nimmt  von  ihm  das  Joch,  der  im  Feld  sein  Haus 
hat  und  die  Wüste  zu  seiner  Wolmung  macht?  Und  wiederum 
sagt  lob*'):  Den  jungen  Adlern  bereitet  er  Speise.  Und  wiederum 
sagt  er,  indem  er  die  Vögel  und  das  Vieh  meint '') :  Sie  alle 
warten  auf  dich,  dass  du  ihnen  gebest  die  Speise  zu  ihrer  Zeit. 
Denn  du  gibst  ihnen,  so  werden  sie  gespeiset,  du  öfi'nest  deine 
Hand,  so  werden  sie  gesättigt,  und  wenn  du  dein  Antlitz  ab- 
wendest, so  werden  sie  geängstigt.  Und  auch  Jesaia  sagt^): 
Daselbst  versammeln  sich  die  Weihe  mit  einander,  und  er  ge- 
bietet mit  seinem  Munde,  und  sein  Geist  versammelt  sie,  und  seine 
Hand  theilt  ihnen  die  Masse  des  Erbes  aus.  Siehe  aber  hieraus, 
dass  Gott  sorgcit  für  alle  seine  Geschöpfe,  und  keines  entgeht  ihm ; 
für  sie  ermahnt  und  gebietet  er,  dass  den  Sabbathtag  Ruhe  sei. 

§  6.    Höre  aber,  was  er  sagt:    In  sechs  Tagen  machte  Gott 

1)  Exod.  23,  10.  11.  —  2)  Deut.  22,  6.  —  3)  Ps.  147,  9.  —  4)  Ps.  36,  7.  — 

5)  lob  39,  5.  6.  -   6)  lob  38,  41?  —  7j  Ps.  1U4,  27—29.  —  8)  Jes.  34,  15—17. 


Die  Unterweisung  vom  Sabbath.  203 

Himmel  und  Erde,  und  feierte  und  ruhete  von  allen  seinen  Werken ; 
deshalb  segnete  Gott  den  siebenten  Tag  und  heiligte  ihn').  Was 
sollen  wir  darüber  sagen,  dass  Gott  am  siebenten  Tage  ruhete? 
Höre  aber,  ich  will  dich  darüber  belehren,  dass  Gott  nicht  müde 
ward  durch  die  Arbeit  dieser  sechs  Tage,  und  dass  er  nicht,  weil 
er  müde  war,  am  siebenten  Tage  ruhete.  Das  sei  ferne  von  uns, 
dass  wir  sagen,  Gott  werde  müde,  sondern  die  Bedeutung  des 
Wortes  ist  diese:  Es  vollendete  Gott  in  sechs  Tagen  alle  seine 
Werke  und  ruhete  am  siebenten  Tage  von  allen  seinen  Werken, 
die  er  gemacht  hatte.  Und  höre  den  Beweis,  dass  Gott  nicht 
müde  wird.  David  sagt  nämlich-):  Es  schläft  und  schlummert 
nicht  der  Hüter  Israels ;  und  wer  nicht  schläft  und  nicht  schlum- 
mert, wird  auch  nicht  müde.  Und  zu  den  Kindern  Israel  spricht 
Jesaia^):  So  spricht  der  Herr:  Weil  die  Gedanken  in  eurem 
Herzen  aufgestiegen  sind,  Gott  kann  uns  nicht  erlösen  —  spricht 
Er  zu  ihnen  durch  Jesaia  —  hat  etwa  vielleicht  meine  Hand  eine 
Ernte  geerntet  und  sich  geirrt?  Oder  habe  ich  nicht  Kraft  zu  er- 
retten? Siehe,  durch  mein  Drohen  vernichte  ich  das  Meer,  und  ich 
mache  die  Flüsse  wie  die  Wüste,  und  ihre  Fische  stinken  vor  Wasser- 
mangel und  sterben;  und  ich  kleide  die  Himmel  mit  Finsterniss, 
und  wie  einen  Sack  mache  ich  ihre  Decke;  wie  ich  das  Schilfmeer 
austrocknete  in  den  Tagen  unserer  Väter  und  den  Jordan  theilte 
und  sie  hinüberführte.  Und  auch  jetzt  ist  Macht  in  meiner  Hand, 
euch  zu  erlösen,  aber  durch  eure  Sünden  werdet  ihr  verkauft, 
und  durch  euren  Frevel  wird  eure  Mutter  verlassen.  Und  da 
ich  nicht  müde  wurde,  machtet  ihr  mir  Mühe:  wie  der  Prophet 
Maleachi  sagt^):  Ihr  habt  dem  Herrn  Mühe  gemacht  durch  eure 
Worte.  Höre  aber  und  lass  dich  überzeugen,  dass  Gott  ohne 
müde  zu  werden  und  ohne  zu  arbeiten  alle  seine  Werke  schuf. 
Er  sagt  nämlich '") :  Der  Himmel  ist  durch  das  Wort  des  Herrn 
gemacht  und  all  sein  Heer  durch  den  Geist  seines  Mundes, 
Adam  allein  schuf  er  mit  seinen  Händen,  und  es  steht  nicht 
geschrieben,  dass  er  müde  ward,  da  er  ihn  machte.  Und  bei 
allen  Geschöpfen,  da  er  sie  maclite  durch  das  Wort  seines  Mundes, 
sprach  er,  und  es  ward,  ohne  Arbeit  und  ohne  Mühe.  Nein,  das 
ist  so  zu  verstehen,  Gott  hörte  auf  mit  allen  seinen  Werken  und 
ruhete  am  siebenten  Tag^):    Werm  nämlich  Gott,  der  nicht  müde 

1)  Gen.  2,  1—3.  —  2)  Ps.  121,  4.  —  3)  Jes.  50,  2  Pesch.  —  4)  Mal.2,  17. 
—  h)  Pe.  33,  6.  —  6)  Gen.  2,  2. 


204  Homilie  XIIl. 

wird,  ruliete  und  feierte  von  seinen  Werken,  wieviel  mehr  muss 
jeder,  welcher  unter  der  Arbeit  und  unter  dem  Dienst  steht, 
ruhen?  Und  auch  Jesaia  spricht  also  über  Gott  ^):  Er  wird  nicht 
müde  und  schläft  nicht,  und  es  gibt  keine  Erkenntniss  seiner 
Weisheit.  Und  an  einer  anderen  Stelle  spricht  er  wegen  der 
Sünden  des  Volkes-):  Du  hast  mir  Arbeit  gemacht  durch  dein 
Unrecht,  und  durch  deine  Sünden  hast  du  mir  Mühe  gemacht. 
Siehe,  wie  einmal  geschrieben  steht,  er  wird  nicht  müde  und  schläft 
nicht,  und  er  dann  doch  wegen  ihrer  Sünden  zu  Israel  spricht:  Du 
hast  mir  Arbeit  gemacht  und  hast  mir  Mühe  gemacht!  Alle  diese 
Worte  sind  recht  geschrieben  und  werden  von  den  Weisen  mit 
richtigem  Verständnisse  aufgenommen.  Wie  der  Apostel  sagt'): 
Das  Gesetz  ist  recht,  wenn  man  es  mit  dem  richtigen  Verständ- 
nisse liest.  Und  der  Prophet  wiederum  sagt^):  Die  Wege  des 
Herrn  sind  recht,  und  die  Sünder  stossen  sich  auf  ihnen,  und  die 
Gerechten  gehen  und  wandeln  auf  ihnen  ebenen  Weges.  Es  ist 
aber  mit  der  Stelle,  dass  Gott  ruhete  von  seinen  Werken,  was 
von  den  Thoren  so  verstanden  wird,  als  ob  er  müde  würde,  ähn- 
lich Avie  mit  der  andern,  in  welcher  er  die  Menschen  wegen  ihrer 
vielen  Sünden  vertilgen  wollte,  und  sprach^):  Es  reuet  mich,  dass 
ich  sie  gemacht  habe.  Aber  höre  den  Apostel,  der  da  spricht ''; : 
Wenn  es  uiclit  also  wäre,  wie  könnte  Gott  die  Welt  rich- 
ten? Höre  aber,  mein  Lieber,  über  den  Sabbath,  und  lass  dich 
belehren.  Win  ich  dich  über  die  ßeschneidung  belehrt  habe, 
dass  sich  derselben  vergeblich  rühmet  das  Volk  Israel,  so  lass 
dich  auch  über  den  Sabbath  belehren,  dass  sie  vergeblich  auf 
denselben  pochen  und  darauf,  dass  sie  denselben  halten. 

§  7.  Josua  nämlich,  der  Sohn  Nuns,  liess  sie  nicht  ruhen 
am  Sabbath,  dass  er  Krieg  führte  gegen  Jericho.  Wie  der  herr- 
liche Apostel  sagt'):  Wenn  Josua,  der  Sohn  Nuns,  sie  hätte  ruhen 
lassen,  so  wäre  nicht  noch  einmal  vom  Sabbath  die  Rede  gewesen: 
Aber  noch  stehet  fest  der  Sabbath  Gottes.  Und  auch  die  Maka- 
bäer^)  wiederum,  da  ihre  Feinde  über  sie  kamen,  da  sie  mit 
ihnen  Krieg  führten  am  Sabbathtage,  wollten  nach  dem  Gesetz 
den  Sabbath  halten,  und  da  sie  ihn  hielten,  kamen  ihre  Feinde 
am  Sabbath   über   sie   und   erschluj^en  ihrer  Viele.     Und  da  sie 


1)  Jes.  40,  2S.  —  2)  Jes.  43,  24.  —  3)  Rom.  7.  12.  16;  1.  Tim.  1,8.— 
1)  Hos.  14,  10.  —  5)  Gen.  6,  7.  —  6)  Rom.  3,  6.  —  7)  Heb.  4,  s.  9.  — 
8)  1.  Makk.  2,  32. 


Die  Unterweisung  vom  Sabbath.  205 

sahen,  dass  sie  mit  List  überfallen  würden,  wenn  sie.  bei  treuer 
Haltung  des  Sabbaths,  wiederum  mit  ihnen  Krieg  fuhren  wür- 
den, so  brachen  sie  den  Sabbath  und  führten  an  demselben 
Krieg  und  besiegten  ihre  Feinde.  Und  sie  wurden  nicht  getadelt 
darum,  dass  sie  den  Sabbath  brachen.  Und  niclit  sie  allein 
brachen  den  Sabbath,  sondern  auch  die  Priester  im  Tempel  ent- 
weihten den  Sabbath,  und  es  ^\■urde  ihnen  nicht  zur  Sünde  ge-  ^ 
rechnet.  Denn  am  Sabbathtage  brachten  die  Priester  das  Opfer 
dar.  Sie  schlachteten  und  zogen  die  Opferthiere  ab  und  spalteten 
das  Holz  und  zündeten  das  Feuer  an.  Und  sie  wurden  nicht 
getadelt  darum,  dass  sie  den  Sabbath  brachen,  denn  also  war 
ihnen  geboten  zu  thuu.  Wenn  nämlich  die  Priester,  welche 
das  Volk  von  den  Sünden  abmahnen,  den  Sabbath  brechen  —  und 
wenn  es  doch  nur  an  einem  weniger  wichtigen  Orte  geschähe, 
aber  es  geschieht  da.  wo  alle  Sünden  gesühnt  Averden  —  und 
wenn  sie  damit  kein  Unrecht  thun,  und  es  ihnen  nicht  zur  Sünde 
angerechnet  wird,  warum  rühmen  sich  diese  doch  so  sehr,  dass 
sie  den  Sabbath  halten,  der  zur  Ruhe  gegeben  ist,  wie  ich  dich 
belehrt  habe? 

§  8.  Uebrigens  aber  höre,  welches  der  Sabbath  ist,  an 
welchem  Gott  Wohlgefallen  hat.  Es  spricht  nämlich  zu  ihnen 
Jesaia  ^):  Das  ist  meine  Ruhe,  dass  man  die  Müden  ruhen-)  lasse. 
Und  wiederum  sagt  er^):  Wer  den  Sabbath  hält,  ohne  ihn  zu 
brechen,  das  sind  diejenigen,  welche  in  meinem  Bund  fest  stehen 
und  erwählen,  woran  ich  Wolilgefallen  habe.  Zu  denen,  welche 
den  Sabbath.  der  da  ist  die  Ruhe  Gottes,  nicht  brechen,  spricht 
er  und  verheisst  ihnen,  was  er  ihnen  geben  wolle.  Er  sagt 
nämlich^):  Ich  will  euch  geben  in  meinem  Hause  und  meiner 
Mauer  einen  Namen,  der  besser  ist  als  Söhne  und  T(')chter.  Denn 
keinen  Gewinn  bringt  der  Sabbath  den  Süiich  rn  und  auch  nicht 
den  Mördern  und  Dieben,  sondern  denjenigen,  welche  erwählen, 
woran  Gott  Wohlgefallen  hat,  und  ihre  Hände  bewahren  vor 
dem  Bösen.  In  ihnen  wohnet  Gott,  und  in  ihnen  bleibt  er;  wie 
•T  sagt''):  Ich  will  in  ihnen  wohnen  ujul  in  ihnen  wandeln.  In 
den  Tagen  Jesaias  nämlich  hielten  .sie  den  Sabbath  und  wan- 
delten in  den  Werken    der    unreinen  \'ölker  und  tliaten   Werke 


1)  Jes.  28,  12.    —  2)  oder:   „erquicke".    -  3)  Jes.  50,  4.  —  4)  2.  Cor. 
ti,  It»;  Levit.  26,  12.  —  .'))  Jes.  55,  5. 


206  Homilie  XIIT. 

wie  diejenigen  Sodoms  und  Gomorrhas,  und  sprachen  zu  den 
Heiden:  Halte  dich  fern  von  mir,  denn  ich  bin  heiligt).  Darum 
spricht  Jesaia:  Solche  sind  Rauch  in  meinem  Zorn  und  ein  Feuer, 
das  alle  Tage  brennt.  Und  er  nahm  sie  und  warf  sie  aus  seinem 
Lande  und  zerstreute  sie  unter  alle  Völker,  weil  sie  nicht  die 
Ruhe  Gottes  hielten,  und  hielten  den  Sabbath  auf  fleischliche 
Weise.  Wir  aber  wollen  den  Sabbath  Gottes  feiern,  in  einer  Weise, 
welche  seinen  Willen  befriedigt,  damit  wir  eingehen  zu  seinem  Sab- 
bath 2)  der  Ruhe,  in  welchem  feiern  Himmel  und  Erde,  und  ruhen 
und  feiern  alle  Geschöpfe,  und  damit  nicht  dann  unsere  Flucht 
stattfinde,  wie  unser  Erlöser  sagt^):  Eure  Flucht  geschehe  nicht 
im  Winter  und  am  Sabbath.  Und  der  Apostel  sagt^):  Noch  stehet 
fest  der  Sabbath  Gottes. 

Diese  kleine  Belehrung  habe  ich  dir  geschrieben   über  den 
Sabbath  gegen  diejenigen,  welche  sich  dessen  rühmen. 
Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  vom  Sabbath. 


1)  Jes.  65,  5.  —  2)  A:   zu  dem  Sabbath  Gottes,  der  da  erquicket.  — 
3)  Mt.  24,  20.  —  4)  Hebr.  4,  9. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermalinung'). 

Wir  haben  den  Beschluss  gefasst,  wir  alle,  indem  wir  ver- 
sammelt sind,  diesen  Brief  zu  schreiben  unsern  Brüdern,  alle  Kinder 


1)  Diese  unsere  XIV.  Homilie,  welche  im  syrischen  Text  die  Ueber- 
schrift:  „Ermahnung"  oder  ^Mahnschreiben"  trägt,  welche  Aphraat  selbst 
in  der  22.  Homilie  (S.  440  des  syr.  Textes)  citirt  als  ,,Ermahnung  gegen 
die  in  unseren  Tagen  einreissende  Streitsucht" ,  welche  in  der  armenischen 
üebersetzung  mit  genauerer  Angabe  des  Inhalts  „Ueber  die  Zwietracht 
und  die  Spaltungen,  welche  überall  in  den  Provinzen  entstehen,  und  über 
den  Hochmuth  und  die  Hoffahrt  und  die  Rangstreitigkeiten  der  Cleriker" 
überschrieben  ist,  nimmt  insofern  eine  einzigartige  Stellung  unter  den 
Homilien  Aphraats  ein,  als  sie  nicht,  wie  die  übrigen,  an  eine  ein- 
zelne Person,  sondern  an  die  christlichen  Gemeinden  einer  DiöCese  ge- 
richtet ist,  und  als  sie  nicht  von  Aphraat  allein  ausgeht,  sondern 
von  einer  Synode,  in  deren  Namen  und  Auftrag  er  dieselbe  ge- 
schrieben hat. 

Die  Empfänger  des  Briefes  sind  klar  genannt:  Die  Brüder,  nämlich 
die  Bischöfe,  Presbyter  und  Diakonen  mit  allen  Kindern  der  Kirche  und 
dem  ganzen  Volk  Gottes,  das  in  Seleucia  und  Ctesiphon  und  hin  und  her 
wohnt,  d.  i.  die  Diöcese  Seleucia-Ctesiphon  mit  den  Stadt-  und  Land- 
gemeinden. 

Bezüglich  der  Frage,  wer  Absender  des  Briefes  sei,  steht  nach  unserm 
Texte  nur  soviel  fest,  dass  dies  eine  kirchliche  Versammlung  ist.  Ist  die 
vorliegende  Üebersetzung,  nach  welcher  das  erste  l.Z,Ji  >ULS  .oail;;»^,  ,,Alle 
Kinder  der  Kirche"  u.  s.  w.  auf  die  Schreiber,  und  nicht  auf  die  Em- 
pfänger des  Briefs  bezogen  wird,  welche  Erklärung  sich  auf  den  Gegen- 
satz von  .Zo^^j?,  ..welche  bei  uns  sind"  und    ^c^jLz^L^j,  ,, welche  bei 

euch  sind"  gründet,  richtig,  so  sind  als  Theilnehmer  dieser  kirchlichen 
Versammlung  genannt:  Bischöfe,  Presbyter,  Diakonen  und  ,,die  ganze  Ge- 
meinde Gottes  hin  und  her".  Wright  (pref.  S.  9)  nimmt  ohne  weiteres 
an,  daas  unsere  Homilie  von  Aphraat  im  Auftrag  einer  im  Jahre  344 
in  Ctesiphon  abgehaltenen  Synode  geschrieben  sei.  Nach  8.  304  letzte 
Zeile  (syr.  Text)  ist  dieselbe  allerdings  im  Februar  344  geschrieben.    Da- 


208  Homilie  XIV. 

der  Kirche  hin  und  her,  Bischöfe  und  Presbyter  und  Diakonen  und 
die  ganze  Gemeinde  Gottes  nebst  allen  ihren  Kindern  hin  und  her. 


gegen  findet  sich  in  unserem  Text  nicht  die  geringste  Andeutung  darüber, 
wo  die  kirchliche  Versammlung,  in  deren  Auftrag  das  Eruiahnungsschreiben 
verfasst  ist,  tagte,  üeber  eine  im  Jahre  344  in  Ctesiphon  abgehaltene 
Synode  ist  uns  nirgends  etwas  berichtet.  Ist  die  vorliegende  üebersetzung 
richtig,  nach  welcher  .,bei  uns"  und  „bei  euch"  im  Gegensatz  steht,  so 
ist  die  Möglichkeit,  dass  diese  kirchliche  Versammlung  in  Ctesiphon  statt- 
gefunden haben    könnte,    geradezu  ausgeschlossen. 

Hiernach  steht  als  Abfassungszeit  dieser  Homilie  der  Monat  Fe- 
bruar des  Jahres  .844  fest,  der  Abfassungsort  dagegen  ist  vollständig 
unbekannt. 

Als  Veranlassung  unserer  Homilie  gibt  Assemani  (Bibl.  orient.  I, 
S.  .5.58)  das  wegen  Papas,  Bischof  von  Seleucia  und  Ctesiphon,  entstan- 
dene Schisma  an.  Doch  ist  dies,  wie  schon  Sasse  (p.  13)  bemerkt,  durch 
die  Abfassungszeit  unserer  Homilie  ausgeschlossen.  Nach  Barhebraeus 
(Chron.  eccl.  III,  p.  30)  ist  die  Synode,  welche  über  Beilegung  dieses 
Schismas  verhandelte,  im  Jahre  334  gehalten  worden.  Bischof  Papas  selbst 
ist  nach  Barhebraeus  (Chron.  eccl.  p.  32)  im  Jahre  33.5,  nach  Assemanus 
(Biblioth.  Orient.  III,  1,  p.  612)  schon  im  Jahre  32ü  gestorben.  Aus  der 
Homilie  selbst  geht  hervor,  dass  Habsucht,  Ehrgeiz,  Vernachlässigung 
des  Amts,  Streit  und  Zwietracht,  die  unter  den  Geistlichen  eingerissen 
waren,  den  .Anlass  zu  diesem  Ermahnungsschreiben  gegeben  haben. 

Nicol.  Antonellus  zieht  die  Abfassung  unserer  Homilie  durch  Aphraat 
in  Zweifel.  Er  schreibt  in  seiner  Ausgabe  der  armenischen  Üebersetzung 
unserer  Homilien:  Sermonem  seu  potius  epistolam,  quae  sequitur,  esse 
s.  Jacobi  maxime  dubito;  primuni  quia  nulla  de  ea  mentio  est  apud  Gen- 
nadium,  qui  solus  ex  autiquis  operum  s.  doctoris  Nisibeni  catalogum  nobis 
exhibuit;  secundo  quia  ipse  librarius,  qui  codicem  scripsit,  de  ea  dubius, 
quatenus  ex  ipsius  verbis,  quae  inferius  adscribam,  conjectura  assequi 
possum,  fuisse  videtur;  tertio  quia  stilus.  modus  ac  ratio  scribendi  dissi- 
milis  est  minimeque  cum  superioribus  sermonibus  seu  epistolis  consen- 
tiens;  demum  quia  haec  epistola  synodica  est  et  multorum  nomine  scripta, 
non  autem  s.  Jacobi  episcopi,  cuius  neque  nomen,  neque  episcopalis  digni- 
tas  et  auctoritas,  nuUaque  alia.  quae  aliqua  ex  parte  eum  auctorem  fuisse 
obscure  saltem  indicent,  ullibi  apparent. 

Diese  Gründe  von  Antonellus  gegen  die  Abfassung  unserer  Homilie 
durch  Aphraat  sind  jedoch  bei  näherer  Prüfung  nicht  stichhaltig.  Ad  I . 
Die  Ueberschriften.  die  wir  bei  Gennadius  für  unsere  Homilien  finden,  sind 
so  allgemein  gehalten  und  so  ungenau .  dass  man  aus  denselben  nicht 
sicher  schliessen  kann,  ob  unsre  Homilie  unter  denselben  erwähnt  ist  oder 
nicht.  Wahrscheinlich  hat  Gennadius  unsere  Homilien  gar  nicht  selbst 
gesehen,  sondern  berichtet  nach  einem  ungenauen  mündlichen  Bericht 
(vgl.  auch  Sasse  S.  15).     Ad  2.    Das  Vorwort,  von  dem  Anton,  hier  redet, 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  209 

welche  bei  uns  sind.  Den  geliebten  und  theuren  Brüdern,  den  Bi- 
schöfen, Presbytern  und  Diakonen  mit  allen  Kindern  der  Kirche, 
welche  bei  euch  sind,  und  dem  ganzen  Volk  Gottes,  das  in  Selik  ^) 
und  in  Ctesiphon  und  hin  und  her  wohnt,  in  unserm  Herrn  und 
(rott  und  unserm  Erlöser-),  der  durch  Christum  uns  erlöst  hat 
und  uns  zu  sich  gebracht  hat,  viel  Frieden. 

Wir  thun  euch  kund,  Brüder  und  Freunde,  und  indem  wir 
es  euch  kund  thun,  erinnern  wir  uns  selbst  daran,  was  in  unsern 
Tagen  geschehen  ist  um  unserer  Sünden  willen,  die  da  viel  und 
gross  und  ärgernisserregend  sind.  Unser  Verstand  ist  verfinstert  für 
die  Erkenntniss,  und  wir  erwecken  unsere  Seelen  nicht,  dass  Gott 
sich  zu  uns  wende ;  wie  er  sagt  im  Propheten  ^) :  Kehret  euch 
zu  mir,  so  kelire  ich  mich  zu  euch.  Und  auch  Hosea  sagt^): 
Nehmet  auf  euch  die  Worte,  und  wendet  euch  zu  dem  Herrn. 
Und  Jesaia  eagt^):  Suchet  den  Herrn,  und  wenn  ihr  ihn  findet, 
rufet  ihn  an,  und  wenn  er  sich  nahet,  so  lasse  der  Sünder  seinen 
Weg    und   der  Frevler    seine  Gedanken.     Und  wiederum   steht 


und  das  sich  in  der  Ausgabe  der  armenischen  Uebersetzung  abgedruckt 
findet,  lautet  inlateinischerUebersetzung:  Prudens  lector!  Quamvis  hie  sermo, 
qui  sequitur,  non  sit  scriptus  adllluminatorem  nostrum,  tarnen  quia  est  sermo 
magni  viri,  non  aestimo  esse  inutile,  si  subjungatur  post  epistolas,  quas 
ad  interrogationes  s.  lUuminatoris  nostri  rescripsit,  quum  multa  ad  aedi- 
ficationem  nostram  in  se  contineat."  Nach  diesen  Worten  scheint  der 
Schreiber  doch  nicht  den  geringsten  Zweifel  zu  haben  über  die  Abfassung 
unserer  Homilie  durch  Aphraat.  Ad  3.  Was  Anton,  hier  über  Schreib- 
art und  Stil  dieser  Homilie  sagt,  kann  sich  selbstverständlich  nur  auf  die 
armenische  Uebersetzung  der  letzteren  beziehen.  Etwaige  Abweichungen 
in  dieser  Beziehung  von  den  übrigen  Homilien  lassen  sich  hinreichend 
aus  Veranlassung  und  Zweck,  die  hier  andere  sind,  als  bei  den  anderen 
Homilien,  erklären.  Ad  4.  Dass  der  Verfasser  dieser  Homilie  das  bischöf- 
liche Amt  bekleidete,  geht  klar  aus  der  Stelle  S.  286  Z.  16  (des  syr. 
Textes)  hei-vor:  Was  auch  die  heilige  Handaul  legung  betrifft,  welche  die 
Menschen  von  uns  empfangen  etc." 

Die  Abfassung  durch  Aphraat  wird  zweifellos  gemacht:  1.  durch 
die  alphabetische  Ordnung  der  Homilien;  2.  dadurch,  dass  Aphraat 
selbst  diese  Homilie  S.  440  Z.  .j  (syr.  Text)  unter  seinen  Schriften 
aufzählt. 

1)  d.  i.  Seleucia. 

2)  In  Handschrift  A  sind  die  Worte  ) .« »  a  V  f^t^j  ausradirt;  die  dog- 
matischen Gründe  hierfür  liegen  klar  zu  Tage. 

3)  Zachar.  1,  3.  —  4)  Hosea  14,  2.  —  5)  Jes.  öö,  ü.  7. 
Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  4.  14 


210  Homilie  XIV. 

geschrieben  '):  Wenn  ihr  den  Herrn  suchet,  so  wird  er  sich  von 
euch  finden  lassen,  und  wenn  ihr  ihn  verlasset,  so  wird  er  euch 
verlassen.  Und  in  David  steht  geschrieben'^).  Der  Herr  schaut 
vom  Himmel,  dass  er  sehe,  ob  jemand  da  sei,  der  klug  sei  und 
nach  Gott  frage;  und  sie  sind  alle  abgewichen  und  allesammt 
verworfen,  und  es  ist  keiner,  der  Gutes  thue,  auch  nicht  einer. 
Und  Jeremia  spricht'-):  Ich  suchte  in  meinem  Volk  einen  Mann^ 
der  einen  Zaun  aufrichte  und  im  Riss  stehe  vor  dem  Lande,  dass 
ich  es  nicht  verderbe,  und  ich  fand  keinen.  Und  wiederum 
spricht  sein  Herr  zu  Jeremia^):  Gehe  und  sprich  zu  den  Leuten 
von  Juda  und  zu  den  Bewohnern  von  Jerusalem:  Bis  wann 
wollet  ihr  nicht  die  Zucht  annehmen?  Und  wiederum  spricht 
er  im  Propheten''):  Ich  habe  euch  gerufen,  und  ihr  habt  nicht 
geantwortet.  Ihr  werdet  in  meine  Ohren  rufen  mit  lauter  Stimme, 
und  ich  will  euch  nicht  hören.  Und  wiederum  steht  geschrieben^')* 
Es  ist  keiner,  der  bereue  seine  Sünde  und  spreche:  Was  habe 
ich  gethan! 

§  2.  Denn  es  stehen  Führer  unter  unserm  Volk  auf,  welche 
das  Gesetz  verlassen  und  in  Sünden  frech  sind,  welche  Besitz 
erwerben,  und  welche  der  Geiz  besiegt;  sie  borgen  für  Zinsen 
und  nehmen  Wucher,  und  ist  keiner,  der  daran  denkt,  dass  ge- 
schrieben steht  ^) :  Du  sollst  nicht  Wucher  und  Zinsen  nehmen, 
und^):  Wer  im  Hause  des  Herrn  bleiben  will,  der  gebe  kein  Geld 
auf  Zinsen.  Und  wiederum  sagt  er-'):  Wer  keine  Zinsen  nimmt 
und  nicht  auf  Wucher  leiht  und  nicht  ein  einziges  von  diesen 
schändlichen  Dingen  thut,  der  ist  es,  von  dem  Hesekiel  meint, 
dass  Gott  sein  Wohlgefallen  an  ihm  habe.  Es  gibt  zu  dieser 
Zeit  Leute,  welche  gewaltthätig  regieren  und  das  Recht  verdrehen 
und  die  Person  ansehen,  und  die  Schuldigen  frei  sprechen  und 
die  Unschuldigen  verurtheilen,  und  die  Reichen  lieben  und  die 
Armen  hassen,  und  sich  selbst  weiden  und  die  Heerde  zerstreuen, 
und  welche  die  Welt  blind  macht,  welche  Bestech vmg  lieben,  und 
die  Wahrheit  vertreiben,  welche  die  Armutli^'^)  hassen  und  die 
Ruchlosigkeit  lieben,  die  Demüthigen  hassen  und  lieben  die 
Stolzen,  Hochmüthigen  und  Uebermüthigen.   Und  zu  ihren  Tagen 

1)  2.  Chron.  15,  2.  —  2)  Ps.  53,  2.  3.  —  3)  Nicht  Jerem.  sondern  Ezech. 
22,  30.  —  4)  Jerem.  35,  13.  —  5)  Vgl.  Jerem.  7,  13.  16  u.  Ezech.  8,  18.  — 
6)  Vgl.  Num.  23,  19  u.  1.  Sam.  15,  29.  —  7)  Levit.  25,  36.  —  8)  Ps.  15,  5.  — 
9)  Ezech.  18,  8.  —  10)  B  hat  ]ZaJ.maifi  =  reprehensio,  Tadel. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  21 1 

ist  das  Licht  dunkel,  das  Salz  ist  geschmacklos,  die  Lehre  ist 
dunkel,  das  Gesetz  hört  auf;  der  Weinberg  ist  verwüstet,  und  es 
wachsen  Dornen ;  die  Menschen  schlafen,  und  der  Böse  sät  Un- 
kraut. Die  Wellen  thürmen  sich  auf,  und  die  Stürme  sind  ge- 
waltig; die  Fuhrleute  fallen,  und  die  Wagen  geratben  in  Verwir- 
rung, die  Schiffsleute  schlafen,  und  ihre  Schiffe  sinken.  Das 
Gesetz  ist  verschlossen  und  das  Zeugniss  versiegelt;  und  es  ist  der 
Priester  wie  das  Volk.  Der  Fürst  verlangt  Gold,  und  der  Richter 
erstrebt  ein  Geschenk,  der  Oberste  redet  nach  seinem  eigenen 
Wohlgefallen,  sie  verachten  die  Armen  und  vertilgen  die  Armen 
des  Landes;  sie  beissen  mit  ihren  Zähnen  und  predigen  Frieden, 
und  wer  nicht  hoch  steht,  über  den  predigen  sie  mit  ihrem 
Munde  Krieg.  Sie  verwerfen  die  Gerechtigkeit  und  verdrehen 
alle  Rechte.  Sie  bauen  Zion  mit  Blut  und  Jerusalem  mit  Sünde; 
ihre  Führer  richten  nach  Bestechung,  und  die  Priester  lehren  für 
Lohn,  und  die  Propheten  weissagen  für  Geld,  und  auf  den  Herrn 
vertrauen  sie  und  sprechen :  Siehe,  der  Herr  ist  unter  uns.  Des- 
halb kommt  Nacht  über  sie,  und  es  ist  finster  vor  ihnen,  so  dass 
sie  nicht  weissagen  ^).  Sie  sind  voll  Grimms  und  von  Zorn  auf- 
gebläht, sie  lieben  den  Spott  und  haben  Wohlgefallen  an  den 
Sünden.  Süss  finden  sie  die  Fabeln,  einer  nach  dem  andern;  wie 
wenn  ein  Mann  Honig  essen  will  und  die  Wabe  eifrig  leckt.  Die 
Wahrheit  wird  vertrieben  und  die  Vermahnung  flieht.  Ver- 
achtet sind  die  Edlen  und  die  Lehrer  verspottet.  Sie  nennen 
die  Guten  böse  und  die  Bösen  gut;  sie  setzen  Licht  zur  Finster- 
niss  und  Finsterniss  zum  Licht.  Sie  nennen  das  Bittere  süss  und 
das  Süsse  bitter.  Sie  sind  weise  in  ihren  eigenen  Augen  und 
vor  sich  selbst  klug.  Sie  sprechen  den  Schuldigen  frei  um  seines 
Geschenkes  willen,  und  die  Unschuld  der  Unschuldigen  nehmen 
sie  von  diesen  weg.  Die  Gesichte  hören  auf,  und  die  Weissagung 
ist  stinkend  geworden. 

i^  3.    Dieses-)  tliun  wir  und  dieses  trifft  uns;   wir  sind  be- 
rniibf.  verfolgt  und  zerstreut;  diejenigen^),  welche  nicht  geneigt 

1)  Wörtlich:  du  verfinsterst  sie  vor  der  Weissagung. 

2)  d.  h.  dasselbe  was  wir  thun,  trifft  uns. 

3)  Hier  scheint  der  Text  corrumpirt  zu  sein.    Nach  der  Analogie  der 
folgenden    Sätze   ist    statt   ,-^  <-.»N).a    "'s^ÄJsal:»   oc?i  T;^*ij*  i^?   .^«'^»] 

Ij-.:.-^     ^esiJ^  '^^■^aoX    zu  lesen    r^^U-   "^^^-^^a^   ^.m   ^*'»«'   i^?   '''^^ 

14* 


212  Homilie  XIV. 

sind  zu  geben,  fordern  von  uns,  dass  wir  ihnen  geben  über  die 
Massen;  darum  dass  wir  uns  einander  hassen,  sind  derer,  die  uns  um- 
sonst hassen,  sehr  viele;  weil  wir  spotten,  werden  wir  verspottet;  weil 
wir  verachten,  werden  wir  verachtet:  weil  wir  lügen,  werden  wir 
belogen;  weil  wir  uns  erhöhen,  werden  wir  erniedrigt;  weil  wir 
unterdrücken,  werden  wir  unterdrückt;  weil  wir  misshandeln,  wer- 
den wir  misshandelt.  Darin,  meine  Lieben,  wandeln  etliche  unter 
uns.  Mit  Gerechtigkeit  richten  sie  nicht  und  Recht  suchen  sie 
nicht,  und  es  ist  keiner,  der  da  gedenket  an  den  Propheten,  der  da 
spricht'):-  Suchet  das  Recht  und  thut  Gutes  den  Unterdrückten. 
§  4.  Denn  unser  Gott  in  seiner  reichen  Liebe  gibt  den 
Menschen  zuweilen  Ermahnungen,  Avenn  sie  thöricht  sind,  und 
geht  ins  Gericht  mit  den  Menschen,  und  wenn  er  auch  könnte, 
so  behandelt  er  doch  niemand  gewaltthätig.  Es  sagt  nämlich 
der  Prophet  Jesaia  '■^) :  Der  Herr  stehet  auf  zum  Gericht,  stehet  auf 
zum  Gericht  über  sein  Volk.  Der  Herr  geht  ins  Gericht  mit 
den  Aeltesten  seines  Volkes  und  mit  seinen  Fürsten,  darum  dass 
sie  den  Weinberg  verbraunt  haben  und  haben  den  Raub  der 
Armen  gesammelt  und  haben  die  3)  Hilflosen  unterdrückt  und 
verachtet.  Und  Jeremia  sagt^):  Ich  will  mit  euch  Gericht  halten, 
spricht  der  Herr,  wie  ich  mit  euren  Vätern  Gericht  gehalten 
habe.  Und  Micha  sagt^):  Der  Herr  hält  Gericht  mit  seinem 
Volk  und  Israel  überführet  er.  Und  Jesaia  sagt  6):  Bringt  euren 
Process  vor,  spricht  der  Herr,  legt  eure  Gedanken  vor,  spricht 
der  König  Jakobs.  Und  Mose  spricht  zu  Israel'):  Richter  und 
Schriftgelehrte  mache  dir  in  allen  deinen  Stämmen,  und  sie  sollen 
das  Volk  richten  mit  gerechtem  Gericht.  Und  du  sollst  keine 
Geschenke  nehmen  und  die  Person  nicht  ansehen,  sondern  den 
Kleinen  wie  den  Grossen  sollt  ihr  hören,  dass  dich  der  Herr 
segne.  Und  auch  bei  dem  gewaltigen  Gericht  Sodoms  übte  Ge- 
duld unser  guter  Gott  und  zeigte  Abraham  seine  Liebe,  indem 
er   zu  ihm   sprach,    dass  nicht  im  Zorn  das    Gericht    geschehe. 


li_»i-».£    .oav!^  %!  Ni\   _li»,  ,,Weil  wir  nicht  fleissig  sind  zu  geben,   for- 
dert man  von  uns,  dass  wir  geben  über  die  Massen". 
1)  Jes.  1,  17.  —  2)  Jes.  3,  13—15. 

3)  A  hat:  sie  haben  den  Kaub  der  Armen  gesammelt  und  haben  das 
Volk  unterdrückt  und  die  Hilflosen  verachtet. 

4)  Nicht  Jerem.,  sondern  Ezech.  20,  36. 

5)  Micha  0,  2.  —  6)  Jes.  41,  21.  —  7)  Deut.  16,  18.  19;   1,  17. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  213 

Und  er  rechtfertigte  sich  wiederum  vor  dem  Hesekiel  wegen  des 
schweren  Gerichts,  da  der  Verderber  auszog,  Jerusalem  zu  zerstören, 
und  der  Prophet  anfing  Vorwürfe  zu  machen^):  Warum  bringst 
du  Verderben  über  Alles,  das  übrig  geblieben  ist  von  Israel? 
Und  er  gab  ihm  die  Erklärung,  indem  er  ihm  zeigte  die  Un- 
reinigkeit  von  zwanzig  Männern.  Und  der  Prophet  Hess  sich 
belehren,  dass  die  Bösen  mit  ßecht  die  Vergeltung  empfingen.  Und 
er  belehrte  Jona  durch  den  Wuchs  des  Kürbis,  da  er  Ninive  ver- 
schonte 2),  und  sprach  zu  ihm:  Du  hast  den  frischen  Trieb  des  Kür- 
bises  verschont,  welcher  in  einer  Nacht  wächst  und  in  einer  Xacht 
verdorret,  ich  aber  sollte  nicht  Ninive  verschonen,  die  grosse  Stadt, 
in  welcher  mehr  denn  120000  Menschen  sind  ausser  den 
Knaben  und  Kindern,  welche  nicht  wissen  (zu  unterscheiden) 
zwischen  rechts  und  links,  und  eine  Menge  Viehs?  Und  ferner, 
da  er  seinen  Weinberg  zerstören  wollte,  darum  dass  er  Herlinge 
brachte  statt  Trauben,  setzte  er  zum  Gericht  ein  die  Männer  von 
Juda  und  die  Bewohner  von  Jerusalem  und  sprach'^):  Richtet 
zwischen  mir  und  meinem  Weinberg. 

§  5.  Sehet  meine  Lieben,  die  Barmherzigkeit  unseres  guten 
Schöpfers,  der,  wenn  er  die  Bösen  im  Zorne  vernichtet,  die  Un- 
schuldigen errettet  und  befreit.  Denn^)  er  vernichtete  das  Ge- 
:sclilecht  in  den  Tagen  Noahs,  darum  dass  sie  Uebel  thaten,  und 
errettete  Noah  und  die  Kinder  seines  Hauses  nach  seiner  Gnade. 
Und  er  zerstörte  Sodom  und  die  anderen  Städte,  und  errettete  Loth 
mitten  aus  der  Zerstörung.  Auch  in  Aegvpten.  da  er  die  Erstge- 
])orenen  der  Aegypter  tödtete,  Hess  er  die  Erstgeborenen  der 
Kinder  Israel  leben  •^).  Und  in  den  Tagen  Hesekiels,  da  er  die 
Stadt  zerstörte,  gab  er  ein  Zeichen  vor  den  Augen  der  gerechten 
Männer  und  errettete  sie,  und  Gott  verdammte  nicht  ohne  Gericht. 

§  (3.  Heute  aber  werden  in  unserem  Volk  weise  Richter  ge- 
funden, welche  eine  hervorragende  Erkenntniss  "J)  haben,  welche, 
i)evor  sie  den  Menschen  in  Untersuchung  bringen,  richten  und  ver- 
urtheilen.    Aber  eines  ist  hart,  dass  sie,  wenn  sie  auch  hervor- 


1)  Ezech.  9,  8;  11,  13.  —  2)  Jon.  3,  10.  11.  A:  „da  er  verschonte, 
Avas  verdorret".  —  3)  Jes.  5,  3.  —  4)  B:  „Er  gab  Frist  dem  Geschlecht  - 
oder ,.Er  verlängerte  das  Leben  des  Geschlechts";  nach  alter  bekannter 
Exegese  Genes.  6,  4.  Die  Analogie  der  folgenden  Sätze  spricht  für  die 
licsart  A.  —  5)  Vgl.  Ezech.  9.  4.  —  6)  Diese  Bemerkung  ist  ironisch 
gemeint.     Vgl.  S.  215  Z.  16. 


214  Homilie  XIV. 

ragende  Erkenntniss  haben,  in  ihrem  Gerichte  nicht  nur  die 
Menschen,  welche  wissen  zu  unterscheiden  zwischen  rechts  und 
links,  verurtheilen ,  sondern  auch  die  Kinder  und  viele  Kleine, 
die  noch  in  ihrer  Mutter  Leibe  sind,  und  noch  nicht  geboren  sind, 
und  Arme  und  Elende  und  den  heiligen  Bund  ')  in  Myriaden. 
Unter  euch  wurde  einer  unserer  Brüder  gefunden,  welcher  sich 
eine  Krone  aufsetzte,  und  sein  Ort  beachtete  ihn  nicht.  Und  da 
sein  Ort  ihn  nicht  aufnehmen  wollte,  ging  er  zu  anderen  Königen. 
zu  solchen,  die  ferne  von  ihm  waren,  und  forderte  von  ihnen  Ket- 
ten und  Fesseln  und  fing  an,  sie  an  seinen  Ort  und  Stadt  zu  ver- 
theilen'^).  Wir  meinten,  dass  statt  der  Ketten,  welche  dieser  König, 
der  die  Krone  aufsetzte,  von  den  Königen,  seinen  Freunden,  sich  er- 


1)  d.  i.  die  Mönche. 

2)  Aphraat  rügt  hier  das  Verfahren  eines  christlichen  Fürsten,  der 
sich  der  Königsmacht  in  seiner  Vaterstadt  bemächtigt  hat  und  nun  statt 
durch  Geschenke  und  durch  mildes  Regiment  sich  die  Liehe  seuier  Unter- 
thanen  zu  erwerben,  durch  hartes  grausames  Bedrücken  dieselben  knech- 
tete. Ueber  das  in  Persien  übliche  Verfahren  bei  dem  Regierungsantritt 
eines  Königs  gibt  uns  Tabari  genaue  Nachricht.  Er  schreibt  über  den 
Regierungsantritt  Sapurs  I.  (Nöldeke,  Tabari  S.  30 ff.):  „Die  Perser  hatten 
aber,  schon  ehe  er  zur  Regierung  kam,  noch  bei  Lebzeiten  seines  Vaters, 
Sapurs  Verstand,  Genie  und  Wissen,  ferner  seine  grosse  Kühnheit,  Be- 
redtsamkeit,  Milde  gegen  die  ünterthanen  und  seinen  weichen  Sinn  er- 
probt. Als  ihm  nun  die  Krone  auf  das  Haupt  gesetzt  war,  versammelten 
sich  die  Grossen  bei  ihm,  wünschten  ihm  durch  Zurufe  langes  Leben  und 
redeten  in  überschwenglicher  Weise  von  seinem  Vater  und  dessen  vor- 
züglichen Eigenschaften.  Da  that  er  ihnen  zu  wissen,  dass  sie  ihn  durch 
nichts  so  gnädig  gestimmt  hätten ,  als  durch  das ,  was  sie  von  seinem 
Vater  geredet,  und  gab  ihnen  schöne  Verheissungen.  Darauf  Hess  er  das 
Geld,  das  in  den  Schatzkammern  war,  holen,  machte  damit  reiche  Schen- 
kungen an  die  Leute  und  vertheilte  es  unter  die  Angesehenen,  die  Truppen 
und  die  Bedürftigen.  Auch  schrieb  er  an  seine  Statthalter  in  den  ver- 
schiedenen Kreisen  und  Ländern,  dass  sie  es  mit  dem  Gelde  ebenso  machen 
sollten.  So  erstreckte  sich  seine  Güte  und  sein  Wohlthun  insgesaiumt  auf  nah 
und  fern,  edel  und  gering,  hoch  und  niedrig  und  wurde  ihnen  allen  das  Leben 
erleichtert.  Dann  wählte  er  für  sie  Statthalter  aus,  ragte  aber  gewaltig 
über  sie  und  alle  Ünterthanen  hervor.  So  wurde  sein  herrlicher  Wandel 
offenbar,  sein  Ruhm  ausgebreitet  und  stand  er  hoch  über  allen  Königen". 

Auf  welches  geschichtliche  Ereigniss  sich  die  Bemerkungen  des  Aphr. 
beziehen,  ist  bis  jetzt  nicht  bekannt.  Auf  dem  Königsthron  land  um  diese 
Zeit  (344)  kein  Wechsel  statt  (Sapur  11.  309—379).  Da  der  Fürst,  von  dem 
Aphr.  redet,  ein  Christ  ist,  „einer  unserer  Brüder",  so  haben  wir  wohl  an 
einen  persischen  Satrapen  zu  denken;  vgl.  auch  folgende  S. 


Die  Unterweisung  von  der  Emiahnung.  215 

bat,  er  sich  von  ihnen  Geschenke  erbitten  imd  sie  unter  seine 
Fürsten  und  die  Angehörigen  ')  seines  Orts  und  seiner  Stadt  hätte 
vertheilen  sollen,  statt  der  Ketten  und  Banden.  Ein  Weiser  wird 
es  hören  und  verstehen :  deshalb  schreiben  wir  euch  also.  Denn 
wenn  ein  König  die  Krone  aufsetzt  in  seiner  Stadt,  so  nimmt  er  in- 
mitten seiner  Fürsten  die  Herrschaft  an,  und  wenn  alle  ihm  wohl- 
gesinnt sind,  alsdann  geht  er  in  sein  Schatzhaus,  und  nimmt 
viele  Gaben  und  Geschenke,  und  vertheilt  sie  unter  alle  seine 
Fürsten,  und  erlässt  eine  Amnestie  in  seinem  ganzen  Reich,  und 
zerbricht  die  Ketten  aller  Gefängnisse  in  seinem  ganzen  Reich, 
und  entlässt  die  Gefangenen,  und  lässt  die  Gefesselten,  frei,  und 
erquicket  die  Elenden,  weil  er  neu  das  Reich  übernommen  hat, 
und  alsdann  vertrauen  sie  ihm,  dass  er  mächtig  wird  in  seinem 
ganzen  Reich;  und  er  wird  König  über  sein  ganzes  Volk.  Uebri- 
gens  aber  ist  diese  Sünde  schlimmer  als  die  des  Rehabeam,  und 
diese  Richter  sind  geringer  an  Erkenntniss  als  die  jungen  Knaben 
des  Königs  Rehabeam.  —  Höret  weiter,  meine  Lieben.  Wenn  es 
sich  begiebt,  dass  ein  grosser  König  da  ist,  und  einen  Haushal- 
ter über  all"  seinen  Besitz  und  über  sein  ganzes  Haus  setzt,  und 
dieser  Haushalter  thöricht  wandelt  und  sich  über  seine  Mitknechte 
erhebt  und  über  die  Diener  des  Königs  sich  setzet  und  ohne 
Gericht  und  ohne  Anklage  sie  ergreift  und  fesselt,  sie  schlägt 
und  beschimpft,  und  als  Richter  nicht  untersucht  und  nicht 
weiss,  ob  sie  schuldig  oder  unschuldig  sind,  und  wenn  aus  dem 
Kerker  und  aus  dem  Gefängniss  die  Knechte  rufen  und  es  ihrem 
Herrn  sagen:  Dieser  dein  Haushalter,  unser  Mitknecht,  hat  uns 
gefesselt  oluie  Schuld  und  hat  uns  nicht  gerichtet  und  uns  nicht 
gefragt  und  nicht  angeklagt;  —  was  saget  ihr  —  da,  unsere  Brü- 
der, wird  wohl  sein  Herr  diesen  Haushalter  loben?  Das  wissen 
wir,  dass  der  König  den  Haushalter,  der  seine  ^litknechte  ohne 
Gericht  gefesselt  und  beschimpft  hat,  von  seiner  Herrschaft  ent- 
fernen wird,  und  wie  er  gegen  seine  Mitkuechte  gehandelt  hat, 
so  wird  ihm  gethan  werden.  Denn  der  König  hat  uns  also  ge- 
schrieben'-):  Mit   demselben   Gericlit,   mit   welchem    ihr   richtet, 

1)  Wörtlicü:  Kinder  seines  Orts. 

2)  Mt.  7,  2;  Marc.  4,  24.  Zahn  (Forschungen  1,  S.  13S  macht  hierzu 
die  Bemerkung:  „Wenn  hier  derselbe  Satz  mit  den  Worten  aus  Marc.  4,  24 
J>uc.  8,  18  als  Einleitung  wiederholt  wird,  so  folgt  nicht,  dass  die  Sätze  so  in 
dem  ,, Evangelium"  des  Aphr.  geordnet  waren.    Es  wäre  dann  vielmehr  die 


216  Homilie  XIV. 

werdet  ihr  gerichtet  werden.  Und  er  klagte  sie  an  und  er- 
mahnte sie  und  sprach:  Sehet,  was  ihr  höret:  Mit  dem  Gericht, 
mit  welchem  ihr  richtet,  werdet  ihr  gerichtet  werden. 

§  7.  Denn  die  Hoffart  und  der  Uebermuth  hat  viele  ge- 
.^türzt.  Durch  seine  Hoffart  kam  Adam  aus  dem  Paradiese  und 
ward  Staub,  die  Speise  der  Schlange;  und  Kain  erschlug  in 
seiner  Hoffart  seinen  Bruder  und  ward  unstet  und  flüchtig  auf 
Erden.  Und  Ham,  weil  er  sich  überhob  und  seinen  Vater  ver- 
spottete, ward  verflucht  und  der  niedrigste  Knecht  bei  seinen  Brü- 
dern. Und  Esau  verlor  um  seiner  Hoffart  willen  sein  Erstge- 
burtsrecht. Und  Pharao  versank,  darum  dass  er  sich  verhärtete 
und  sich  überhob,  im  Schilfmeer,  er  und  sein  Heer.  Und  die 
Söhne  des  Priesters  Eli  wurden,  weil  sie  sich  über  das  Volk  er- 
hoben, aus  dem  Priesterthum  des  Heiligen  Verstössen.  Und  der 
Philister  Goliad  ward  wegen  seiner  Ueberhebung  über  David 
gedemüthigt  und  beschämt  und  fiel  durch  seine  Hoflart.  Und 
über  Abimelech,  den  Sohn  Gideons,  der  sich  über  seine  Brüder 
erhob  und  sie  tödtete.  kam  der  Fluch  seines  Bruders  Jotham. 
Und  Absalom,  der  sich  überhob  und  das  Königthum  raubte, 
fiel  und  ward  gedemüthigt  vor  den  Knechten  Davids.  Und 
Adonia,  der  Sohn  Chagiths,  der  das  Königthum  stahl,  besass 
nicht  seine  Herrschaft  und  war  nicht  glücklich  darin.  Und  Ahito- 
phel,  der  die  abscheulichen  Rathschläge  gab,  dessen  Hofl'art  ward 
durch  seine  eigene  Hand  gedemüthigt.  Und  Jerobeam,  der  Sohn 
Nebats,  der  Knecht  Salomos,  welcher  Spaltung  in  das  Volk 
brachte,  ward  eine  böse  Erinnerung  in  Israel.  Und  Ahab,  den 
Sohn  Omris,  überwand  die  Begierde  nach  dem  Besitz  Jezreels; 
er  empfing  seinen  Lohn.  Und  für  den  König  von  Edom,  der 
sich  über  Ahab  überhob,  wurde  niemand  gefunden,  der  sich  (mit 
Waffen)  umgürtete  und  der  sie  ablegte  ').    Und  Haman,  der  sich 

unmittelbar  davorstehende  Anführung  derselben  Worte  ohne  jene  Einleitung 
aus  Marc.  4,  24  unbegreiflich.  Es  folgt  auch  nicht,  dass  diese  Worte  dicht 
hinter  einander  zweimal  im  Text  standen;  denn  woher  sollte  der  Hannonist 
auf  die  Wiederholung  gekommen  sein,  da  sie  nur  einmal  Mt.  7,  2,  und  nicht 
Marc.  4,  24,  und  vollends  nicht  Luc.  8.  IS  in  seinen  Vorlagen  zu  lesen  waren? 
Es  folgt  nur  und  zwar  unweigerlich,  dass  in  dem  Evangelium  des  Aphr.  das 
ßktnezs  Ti  diiovexe  in  nächster  Nähe  bei  Mt.  7,  2  stand,  sodass  Aphr.  mit 
Recht  sagen  konnte,  .Tesus  habe  nicht  nur  Mt.  7,  2  gesprochen,  sondern  dieses 
Wort  auch  noch  durch  die  besondere  Mahnung  Marc.  4,  24  eingeschärft"*. 
1)  1.  Reg.  20,  11.    Der  hebr.  Text  hat:    nrtxt  -;h  Wn^i-Vs,  hiermit 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  217 

über  Murdokai  überhob,  empfing  den  Lohn  am  Kreuz,  er  und 
seine  Söhne.  Und  die  Gebeine  der  Babylonier,  welche  Daniel  ver- 
leumdeten, zermalmten  die  Löwen.  Und  Juda,  der  unseren  Er- 
löser verrieth,  stürzte  sich  in  das  Meer  mit  einem  Mühlstein  am 
Halse.  Diese  Alle  warf  ihre  Hoffart  nieder;  wie  geschrieben 
steht ') :  Die  Hoffart  des  Menschen  stürzt  ihn,  und  wer  demüthigen 
Geistes  ist,  wird  viel  Ehre  haben. 

§  8.  Sehet  aber,  meine  Lieben,  dass  je  und  je,  und  von  Ge- 
schlecht zu  Geschlecht  Gott  grosse  Siege  gab  durch  weise  Men- 
schen, welche  Frieden  brachten  und  Versöhnung  stifteten  unter 
den  Getrennten  ;  und  nicht  durch  Männer  allein,  sondern  auch  durch 
Frauen.  Ein  Tekoitisches  Weib  versöhnte  Absalom  mit  David 
nach  dem  Rath  des  Joab.  L^nd  durch  ein  Weib  ward  Friede  in 
Israel,  da  Schemoa,  der  Sohn  Bichri's-).  sich  gegen  David  empörte. 
Und  die  weise  Frau  redete  von  der  Mauer  mit  Joab  und  sprach  3): 
Höre,  Joab,  höre.  Und  er  sprach:  Ich  höre.  Und  sie  sprach 
zu  Joab:  Vor  Zeiten  hat  man  gesagt,  dass  man  die  Propheten 
frage  und  alsdann  zerstöre.  Ich  büsse  die  Schuld  Israels.  Willst 
du  zerstören  das  Kind  sammt  seiner  Mutter  in  Israel?  Und  es 
sprach  zu  ihr  Joab:  Das  sei  ferne  von  mir;  ich  will  nicht  zer- 
stören und  vernichten,  denn  so  verhält  es  sich  nicht.  Sondern 
ein  Mann,  Schemoa,  der  Sohn  Bichri's,  hat  seine  Hand  gegen 
den  König  David  erhoben.  Gieb  ihn  uns,  und  wir  wollen  gehen. 
Und  sie  sprach  zu  ihm :  Sofort  soll  dir  sein  Haupt  von  der 
Mauer  herabgeworfen  werden.  Und  sie  ging  hin  und  sprach 
mit  dem  ganzen  Volk.  Und  sie  schlug  das  Haupt  des  Schemoa, 
des  Sohnes  Bichri's,  ab,  uud  sie  warfen  es  dem  Joab  von  der 
Mauer  herab.  LTnd  es  ward  Friede  in  Israel  durch  das  Weib.  Und 
Debora  nahm  Mutterstelle  ein  und  hielt  Gericht  in  Israel.  L^nd  Jael 
(Aniel),  das  Weib  des  Keniters  Chubar  ^},  hieb  ab  und  warf  nieder 
den  Hochmuth  des  Sisera,  des  Heerführers  des  Königs  dabin  (Nabin) 
von  Chazor,  indem  sie  einen  Nagel  in  seine  Schläfe  schlug.  Das 
sind  die  Keniter  vom  Hause  des  Schwiegervaters  Moses,  über 
welche  Bileam,  der  Sohn  Beurs,  in  der  Weissagung  gesagt  hatte  ^y: 

übereinstimmend  Pesch.:  jj-*.  ^  t-.]  ^Jel?  ^  -m^:-^  )^,  ne  glorietur 
is  qui  se  cingit  armis  ac  qui  solvit.  Aphr.  hat  statt  ^«.üI^-^J  j.1-,  ne  glo- 
rietur,  wM£i..ik]    1^,  non  inventus  est. 

1)  Prov.  29,  23.  —  2)  Sam.  20,  13  hebr.:  ---ra  -,=  3sr,  Scheba,  der  Sohn 
Bichri's.  —  3)  2.  Sam.  20,  17—22.  —  4)  hebr.:  Cheber.  —  5)  Num.  24,  21. 


218  Homilie  XIV. 

Deine  Wohnung  ist  fest  und  dein  Nest  in  Felsen  gebaut.  Und 
auch  Rebekka,  die  Mutter  der  Gerechten,  brachte  Frieden  zwischen 
Esau  und  Jakob,  da  sie  ihn  zu  Laban  sandte.  Und  unser  Er- 
löser, der  grosse  König,  welcher  die  abtrünnige  Welt  mit  seinem 
Vater  versöhnte,  da  wir  Sünder  waren,  trug  die  Sünde  unser 
aller  inid  ward  der  Versöhnungsbote  zwischen  Gott  und  seiner 
Creatur.  Obgleich  wir  die  Sünder  waren  und  die  Bitteren, 
bat  er  uns,  dass  wir  uns  versöhnen  Hessen  mit  ihm;  wie  der 
Apostel  sagt^;:  Er  war  der  Versöhnungsbote,  und  er  versöhnte 
uns  mit  seinem  Vater.  Da  es  sich  doch  ziemte,  dass  wir,  die 
gesündigt  und  übel  gethau  hatten,  bäten  und  begnadigt  würden, 
und  dass  unser  Schöpfer  sich  mit  uns  versöhnte,  bat  er  uns,  dass 
wir  uns  mit  ihm  versöhnen  Hessen.  Denn  er,  welcher  der  Vernich- 
ter ist  des  Bösen,  empfing  die  Strafe  der  bösen  Vergeltung. 

§  9.  Durch  den  Rath  der  Schlange,  welchen  sie  der  Eva  gab, 
kam  Adam  aus  dem  Paradies;  ihre  Strafe  ist  hart  und  schwer. 
Er  nahm  von  ihr  ihre  Speise  und  gab  ihr  Staub,  und  sie  wurde 
auf  die  Erde  erniedrigt  und  ging  auf  ihrem  Bauch,  und  er  be- 
raubte sie  der  Füsse  -),  auf  welchen  sie  gesündigt  hatte  vmd  gegen 
Adam  gelaufen  war,  und  sie  isst  Staub  alle  ihre  Tage  bis  in 
Ewigkeit.  Weil  sie  Eva  durch  die  Speise  verführt  hatte,  setzte 
er  sie  zum  Feind,  und  ihr  Haupt  gab  er  zum  Zutreten.  Denn  gleich 
der  Schlange,  welche  Adam  verführte,  sind  unter  uns  A'^erführer 
und  Aufrührer  und  Böse  und  Freche  und  Betrüger  und  Sünder 
aufgestanden,  welche  Sünde  bauen  und  Gerechtigkeit  niederreissen, 
welche  Bosheit  pflanzen  und  Gütigkeit  ausrotten;  welche  das 
Unkraut  gross  ziehen  und  den  Weizen  vernichten;  welche  die 
Gerechten  verfluchen  und  die  Sünder  segnen;  welche  die  Hoftär- 
tigen  lieben  und  die  Demüthigen  hassen ;  welche  die  Lügner  loben 
und  ihnen  zustimmen,  und  die  Wahrhaftigen  verachten  und  sie  für 
Lügner  erklären;  welche  Sünde  geloben  und  Unterdrückung  aus- 
führen; welche  schwanger  sind  und  gebären  verderbliche  Worte; 
welche  ihre  Zungen  verkehren  und  Eitelkeit  reden;  welche  leer  sind 
von  Gütigkeit  und  von  Lüge  angeschwellt;  es  sind  in  ihnen  keine 
essbaren  Früchte,  denn  sie  sind  entnommen  von  dem  Gift  der 
Schlange.  Denn  was  nützt  der  Streit,  und  was  hilft  der  Hass 
dem,  der  ihn  hegt?  Kain  trennte  er  von  seinem  geliebten 
Abel;  denn  der  Streit  verfluchte  Kain,  und  er  verkaufte  Jo- 
1)  2.  Cor.  5,  18.  —  2)  Wörtlich :  er  machte  sie  ohne  die  Füsse. 


Die  Unterweisung  von  dei-  Ermahnung.  219 

seph,  und  er  vernichtete  Pharao,  und  vertrieb  Jakob,  und  er 
verschlang  Korah  und  vernichtete  seine  Genossen,  und  er  tödtete 
Zimri.  und  steinigte  Akar,  und  brachte  Elemo  ^)  zum  Untergang, 
und  vernichtete  Sisera  und  schkig  Jabin  (Nabin),  und  verv^irrte 
Saul,  und  warf  Gohad  nieder,  und  trat  Amalek  zu  Boden,  und 
vergrub  den  Absalom,  und  verwirrte  Adonia,  und  verführte 
Jerobeam  und  theilte  das  Volk,  und  vernichtete  Gibea  und 
schlug  seine  Bewohner,  und  verwirrte  Sanherib  und  schlug 
sein  Heer,  und  brachte  Haman  in  Schuld,  und  verspottete  die 
Verleumder,  und  vernichtete  Israel  und  zerstreute  es  unter  alles 
Volk:  Diese  alle  hat  der  Hass  und  Streit  zu  Grunde  gerichtet. 
§  10.  Wir  wollen  uns  zu  unserem  Erlöser  wenden,  der  zu 
uns  spricht-):  Das  ist  mein  Gebot,  dass  ihr  euch  unter  einander 
liebet;  und  der  Apostel  sagt^*):  Seid  Niemandem  etwas  schuldig, 
denn  dass  ihr  euch  unter  einander  liebet.  Und  er  preiset  die 
Liebe  über  die  Massen  hoch  und  spricht^):  Wenn  ich  alles 
Gute  und  Schöne  thäte,  und  es  wäre  keine  Liebe  in  mir,  so  wäre 
ich  nichts.  Die  Liebe  bedecket  das  Abscheuliche;  die  Liebe  ver- 
nichtet die  Sünden,  die  Liebe  ist  fern  von  Uebermuth,  die  Liebe 
ist  zu  gross  für  den  Hochmuth,  die  Liebe  ist  frei  von  Streit,  die 
Liebe  ist  erhaben  über  Hass,  die  Liebe  ist  erhaben  über  Zwie- 
tracht, die  Liebe  ist  fremd  dem  Geize,  die  Liebe  ist  fremd  dem 
Spott,  die  Liebe  ist  frei  von  Bösem.  Denn  die  Früchte  der 
Liebe  sind  beliebt  und  angenehm  und  lieblich  und  schön.  Die 
Liebe  befreite  Noah  von  der  Sintfluth,  und  befreite  Rahab  von 
dem  Schwerte  des  Josua,  und  erhöhete  David  und  vernichtete 
seine  Sünden,  und  erlöste  Hiskia  aus  den  Händen  seiner  Feinde, 
und  machte  Assa  gerecht,  und  entsühnte  Josia.  Die  Liebe 
löschte  das  Feuer  des  Ofens  aus  vor  Hanania  und  seinen  Brüdern 
im  Lande  Babylon,  und  führte  Daniel  aus  der  Grube,  und  Esther 
und  Murdokai  befreite  sie  aus  den  Händen  Hanians.  Die 
Liebe  überwindet  den  Hass,  und  vernichtet  die  Sünden,  und  ent- 
lernt die  Uebelthat,  und  vertreibt  den  Neid,  und  vernichtet  den 
Streit,  und  vertreibt  die  Feindschaft,  und  besänftigt  die  Erzürnten, 
und  zerreisst  die  Netze  des  Bösen.  Die  Liebe  hat  viele  Freunde, 
\uid  ihre  Güte  ist  reich.  Die  Liebe  findet  Gnade.  Die  Liebe 
lässt  sich  schmähen.    Die  Liebe  ist  geduldio;.    Die  Liebe  versöhnt 


1)  Jos.  10,  33.  hebr.:  a^n;  LXX:  'E?mix. 

2)  Joh.  15,  12.  —  3)  Rum.  13,  8.  —  4)  1.  Cor.   13, 


220  Homilie  XIV. 

die  Hassenden  und  bringt  Frieden  unter  die  Getrennten.  Die 
Liebe  leidet  Unrecht.  Die  Liebe  liebt  das  Schweigen,  liebt  die 
Demüthigen,  liebt  die  Frommen,  liebt  die  Weisen,  liebt  das 
Fasten,  liebt  das  Gebet,  liebt  die  Almosen,  liebt  die  Einfachen, 
liebt  die  Rechtschaffenen,  liebt  die  Schamhaften,  liebt  die  Buss- 
fertigen, liebt  die  Kinder  des  Friedens:  sie  ist  mitleidig  und 
barmherzig,  sie  sammelt  und  vereinigt,  sie  tröstet  und  erfreut: 
die  Liebe,  wenn  sie  geschmäht  wird,  bändigt  ihren  Zorn;  und 
ist  geduldig  und  ruhig  und  schweigsam  und  erduldet  Unrecht, 
Die  Liebe  hat  kein  Wohlgefallen  am  Zorn  und  freut  sich  nicht 
der  Zwietracht;  Hass  ist  ihr  nicht  angenehm;  sie  sorgt  nicht 
für  die  Tage  und  ängstigt  sich  nicht  um  das,  was  die  Jahre 
bringen.  Denn  die  Liebe  ist  langmüthig  und  geduldig;  ihr  Sinn 
ist  sicher  und  ruhig,  und  ihre  Gedanken  frei,  und  ihr  Sinnen 
ruhig.  Die  Liebe  ^)  verspottet  nicht  und  tadelt  nicht,  sie  ver- 
höhnt nicht,  sie  blähet  sich  nicht  auf,  rühmet  sich  nicht,  sie 
iiberhebt  sich  nicht,  sie  erhöht  sich  nicht.  Die  Liebe  sieht  sich 
.selbst  und  kennet  ihre  Gestalt,  sie  ist  ruhig,  schweigsam  und 
beständig.  Sie  liebt  Jedermann  und  wird  von  Jedermann  geliebt. 
Die  Liebe  ist  schwanger  von  Frieden  vmd  gebiert  Frieden,  sie 
gehet  mit  Gutem  um  und  sinnet  Treffliches.  Denn  die  Liebe 
wird  von  dem  Bösen  nicht  besiegt.  Die  Liebe  ist  ein  Licht,  die 
Liebe  ist  das  Salz,  die  Liebe  ist  die  Quelle  des  Guten,  die  Liebe 
ist  ein  schönes  Siegel,  eine  köstliche  Perle  und  ein  Schatz, 
das  Siegel  von  Allem  ist  die  Liebe ;  sie  sinnet  auf  Weisheit,  und 
ihre  Handlungen 2)  sind  begehr enswerth.  Die  Liebe  ist  gesunde  Er- 
kenntniss,  erhabener  Gedanke,  Bedenken  der  Hoffnung,  vollkom- 
menes Ueberlegen,  ein  gläubiges  Gewissen.  Selig  ist  der,  der 
Liebe  besitzt,  auf  welchem  reifen  liebliche  Früchte,  Denn  die 
Liebe  ist  fern  von  Spott  •^),  der  da  ist  der  Störer  des  Friedens. 

§  11,  0  König  der  Welten,  wir  beten  dich  an,  der  du  geduldig 
bist  mit  aller  deiner  Creatur,  und  vor  dir  sind  offenbar  alle  Werke 
der  Finsterniss.  Du  kennst  die  Gedanken  aller  Menschenkinder,  Es 
sind  viele,  die  dich  verleugnen  und  fdoch)  deine  Nahrung  empfan- 

1)  Nach  Arm.  und  dem  Zusammenhang  ist  statt  w-l-sZ^io,  „wird  ver- 
spottet", ^1*}.:=^,  , (Verspottet",  zu  lesen. 

2)  Oder  auch  ,,ihr  Umgang,  ihr  Verkehr". 

3)  >-nila-;    Smith  bemerkt  hierzu:    vox   incerta;    forte  irrisio;    arm. 
contentio. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  221 

gen,  und  dich  verleugnen  durch  ihre  Werke.  Und  du,  wie  gut  bist 
du,  der  du  langmüthig  bist  über  die  Menschen  und  vor  deinem  Ge- 
richt uns  nicht  richtest,  uns  nicht  anklagst,  uns  nicht  verurtheilst 
und  deine  Güte  den  Bösen  nicht  verweigerst.  Du  lässt  deine  Sonne 
scheinen,  und  du  lässt  regnen,  und  du  lässt  deinen  Wind  wehen, 
und  du  speisest,  und  du  sättigest.  Du  lässt  in  die  Hohe  und  in 
die  Breite  wachsen.  Und  die  Bösen  werden  mit  den  Guten  in 
der  Welt  gelassen,  und  das  Unkraut  mit  dem  Weizen,  und  die 
Sünder  mit  den  Gerechten,  und  die  Schuldigen  mit  den  Unschul- 
digen. Wegen  des  Weizens  wird  das  Unkraut  erhalten  bis  zur 
Ernte.  Und  wegen  der  Guten  werden  die  Bösen  gelassen  bis 
zuletzt:  und  wegen  der  Gerechten  werden  die  Sünder  erhalten 
bis  ans  Ende.  Wegen  der  Gerechten  werden  die  Abtrünnigen 
nicht  gerichtet  bis  zum  Gericht.  Denn  wenn  zehn  Gerechte  ge- 
funden worden  wären,  wären  die  fünf  Städte  errettet  worden 
wegen  derselben.  Um  des  Loth  willen  wurde  Zoar  nicht  zer- 
stört. Und  wenn  in  den  Tagen  Jeremias  sich  jemand  gefunden 
hätte,  der  in  den  Riss  getreten  wäre  und  einen  Zaun  aufgeführt 
hätte,  so  wäre  wohl  Jerusalem  nicht  zerstört  worden;  wie 
Mose  in  den  Riss  seines  Volkes  trat,  und  Josua,  der  Sohn  Nuns, 
einen  Zaun  aufrichtete,  und  Hiskia  Gebet  darbrachte,  und  Assa 
Flehen  opferte,  und  Josia  das  Land  reinigte,  und  Daniel  die  Ge- 
fangenschaft wendete,  und  Murdokai  Sieg  zeigte,  und  ein  jeder 
von  den  Gerechten  zu  seiner  Zeit  in  den  Riss  seines  Volkes  trat  und 
Flehen  darbrachte  und  die  Barmherzigkeit  des  Höchsten  erlangte. 

§  12.  Und  wer  ist  zu  dieser  Zeit  ein  weiser  Arzt,  der  in 
den  Riss  trete  und  einen  Zaun  aufrichte,  damit  nicht  auch  über 
uns  sich  erfülle  das  Wort  des  Propheten,  da  er  schilt  die  Lügen- 
propheten seines  Volks  und  zu  ihnen  spricht  i):  Wie  Füchse  in 
der  Wüste  sind  deine  Propheten,  o  Israel,  die  ihr  nicht  in  den 
Riss  heraufsteiget  und  keinen  Zaun  errichtet  vor  den  Kindern 
Israel.  Wohl  dem  weisen  Arzte,  welcher  Arzneien  nimmt  und 
sich  Mühe  gibt  um  die  Kranken;  ein  vorzüglicher  Wächter 
soll  das  Volk  warnen  vor  dem  gezückten  Schwert;  und  ein  tüch- 
tiger Athlet  soll  siegen  im  Kampf  und  nicht  unterliegen  im 
Kampf.  Und  ein  weiser  Baumeister  soll  sein  Fundament  tief 
legen,  damit  sein  Bau  nicht  falle  von  den  Wellen.  Und  ein 
tüchtiger    Landmann    soll    seine    Frucht    sammeln    im  Sommer, 

1)  Ezech.  13,  4.  5. 


222  Homilie  XIV. 

dauiit  kein  Mangel  sei  im  Winter.  Und  der  Thürwächter  soll 
wachen,  damit  er  nicht  vom  Schlaf  übermannt  werde,  damit, 
wenn  sein  Herr  klopft,  er  sofort  ihm  öffne.  Und  ein  erleuchteter 
Kaufmann  soll  seinen  Besitz  verkaufen  und  sich  die  Perle 
kaufen,  dass  er  reich  werde.  Und  der  wachsame  Steuermann 
soll  sein  Schiff ')  recht  hüten ,  damit  sein  Schiff  nicht  versinke, 
und  er  seinen  Gewinn  verliere;  und  der  weise  Fuhrmann  binde 
seinen  Wagen,  damit  er  nicht  falle  und  verspottet  werde.  Und 
der  berühmte  Athlet  soll  im  Stadion  kämpfen,  damit  er  nicht 
seine  Krone  verliere  und  zum  Spott  seiner  Genossen  werde. 
Und  ein  guter  Haushalter  soll  seine  Mitknechte  regieren  und 
nicht  in  seinem  Herzen  sprechen:  Mein  Herr  verziehet  zu  kommen. 
Und  die  gemietheten  Arbeiter  sollen  im  Weinberg  arbeiten, 
damit  sie  mehr  fordern  können  mit  freiem  Angesicht.  Und  die 
Jünglinge  des  Bräutigams  sollen  ihre  Kleider  bereit  machen, 
damit,  wenn  ihr  Herr  kommt,  sie  eingehen  in  sein  Gemach. 
Und  die  Haushalter  über  die  Armen  sollen  ihre  R-eichthümer 
ausstreuen  und  ihre  Schätze  senden  an  den  Ort,  der  vor  ihnen 
liegt.  Und  die  Kinder  des  Friedens  sollen  den  Streit  auslöschen, 
damit  sie  würdig  sein  möchten.  Kinder  zu  sein  des  himmlischen 
Vaters.  Und  die,  welche  die  Hörner  blasen,  sollen  das  Volk 
warnen ,  damit  nicht  eine  Seele ,  die  gefangen  wird ,  von  ihren 
Händen  gefordert  werde.  Die  Gefangenen  der  Gemeinde  sollen 
im  Thurm"-^)  sitzen  und  warten  in  Schweigen,  dass  Vergeltung 
geschehe.  Und  die  die  Schlüssel  bewahren,  sollen  den  Eintre- 
tenden öffnen,  damit  die  Thür  des  Reiches  nicht  vor  ihnen 
verschlossen  werde.  Und  die  der  Welt  abgestorben  sind  und 
ihren  Begierden  entsagt  haben,  sollen  sich  enthalten  von  der 
Welt  mit  allen  ihren  Stürmen.  Und  die  aus  dem  Wasser  ge- 
boren und  durch  das  theure  Blut  erlöst  sind,  sollen  sich  be- 
wahren vor  dem  Feuer  und  der  äussersten  Finsterniss.  Und 
die  mit  dem  Panzer  bekleidet  sind,  sollen  sich  fest  umgürten  •'), 
damit  sie  nicht  zum  Spott  werden  für  alle  ihre  Genossen.  Und 
die  auf  den  Ruf  warten,  sollen  ihre  Lampen  bereit  halten,  damit 
sie  nicht  hilflos  sind,  wie  die  thörichten  Jungfrau.en,  Und  die 
einen  Thurm   bauen,    sollen  seine  Kosten  berechnen,   damit   sie 

1)  ).-,.£Lffl],  ein  ins  Syrische  aufgenommenes  griechisches  Fremdwort 
a^sdia,  ein  leicht  gebautes  Schiff,  Floss. 

2)  \XäLää.  arx,  castellum.  —  3)  A:  sollen  sich  tapfer  auszeichnen. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  223 

nicht  zum  Spott  werden  für  die,  welche  des  Weges  gehen.  Und 
die  tüchtigen  Hirten  sollen  ihre  Heerde  versorgen,  damit  sie 
Lohn  empfangen  von  dem  obersten  Hirten.  Und  die  Geld  em- 
pfangen haben,  sollen  Gewinn  bringen,  damit  sie  nicht  mit  den 
bösen  Knechten  ^)  in  die  Finsterniss  kommen.  Und  die  da  gesunden 
Sinnes  sind,  sollen  die  Krankheit  ausziehen  und  sieb  nicht  fürchten 
vor  den  Stürmen  und  den  sich  thürmenden  Wellen.  Die  Gäste 
des  Mahles  sollen  ihre  Geschenke-)  bereit  halten  und  ihre  Kleider 
anziehen,  die  da  würdig  sind  des  Gemaches.  Und  die  das  Joch 
tragen,  sollen  Schmähungen  ertragen  mit  Geduld.  Und  die  klugen 
Jungfrauen  sollen  ihre  Lampen  bereit  halten. 

§  13.  Lasset  uns,  unsere  Geliebten,  treten  in  Arbeit  und 
Mühe  und  in  Wachen  und  Beten  und  in  Fasten'^)  und  in  Gebet 
und  in  seufzendes  Flehen,  damit  wir  nicht  plötzlich  aus  dieser 
Welt  geführt  und  verurtheilt  werden  in  dem  gerechten  Gerichte 
Gottes.  Denn  lasset  uns  nicht  verachten  den  Dienst  des  Heiligen, 
damit  wir  nicht  von  ihm  verworfen  werden,  wie  er  im  Propheten 
sagt^):  Weil  du  das  Gesetz  Gottes  verworfen  hast,  habe  ich  dich 
verworfen  von  dem  Priesterthum.  Und  wiederum  steht  ge- 
schrieben ^) :  Die  mich  ehren,  will  ich  ehren,  und  meine  Ver- 
ächter sollen  zu  Schanden  werden.  Sehet  aber,  welche  Vergel- 
tung die  Priester  empfingen,  die  seinen  Dienst  verachteten.  Nadab 
und  Abihu,  die  heiligen  Priester,  waren  mit  dem  Priesterkleid 
ansrethan.  und  mit  dem  Mantel  bekleidet  und  mit  Leinwand  um- 
hüllt  und  mit  Purpur  geschmückt  und  hatten  Kronen  und  Turbane 
und  Kopfschmuck'';  auf;  sie  brachten  Opfer  dar  und  entsühnten 
Israel,  sie  lehrten  das  Volk  und  heiligten  die  Gemeinde.  Und  da 
kurze  Zeit  Blindheit  über  sie  kam,  und  sie  den  Dienst  des  Hei- 
ligen verachteten  und  fremdes  Feuer  zur  Unzeit  hereinbrachten, 
da  entbrannte  das  Feuer  in  ihren  Kauchpfannen  und  verbrannte 
sie;  und  man  brachte  sie  hinaus  und  warf  sie  hinaus  aus  dem 
Lager.  Und  nicht  allein  Nadab  und  Abihu  (traf  dies  Gericht), 
sondern  auch  Hophni  und  Pinehas,  die  Söhne  des  Priesters  Eli, 
darum,  dass  sie  sich  selbst  mehr  ehrten  als  den  Dienst,  der 
ihnen  befohlen  war,   und  Geschenke  nahmen  von    dem  Volk   in 

1)  B:  mit  den  bösen  Männern.  —  2)  |.J=-»-^  =  ',  strena  nuptialis,  Mi- 
chaelis, lex.  Syr.  —  3)  „und  in  Fasten"  fehlt  in  B.  —  4)  Hosea  4,  (5.  — 
5)  1.  Sam.  2,  30.  —  ö)  j^waJwlc  ist  hebräisch  rty^i,  bedeutet  auch  den 
Turban  des  Hohenpriesters. 


224  Homilie  XIV. 

ihrem  Geiz,  und  die  Weiber  schändeten,  welche  in  der  Stifts- 
hütte beteten,  und  (darum,  dass)  Eli,  ihr  Vater,  sie  nicht  hart  und 
streng  strafte,  sondern  sie  leicht  und  nachlässig  tadelte.  Da  er 
von  dem  ganzen  Volk  hörte,  welches  schrie,  dass  sie  als 
Priester  und  Lehrer^)  sich  übel  betrugen,  da  rief  er  sie  und 
sprach  zu  ihnen 2':  Meine  Söhne,  was  ist  das  für  ein  Ge- 
rücht, das  ich  über  euch  höre  von  dem  ganzen  Volk,  dass  ihr 
schändet  das  Volk  Gottes?  Nicht  also,  meine  Söhne!  Das  ist 
kein  schön  Gerücht,  das  ich  höre.  Wenn  nämlich  ein  Mann  sich 
an  einem  Anderen  versündigt,  so  bittet  er  es  bei  dem  Herrn  ab: 
wenn  jemand  sich  an  dem  Herrn  versündigt,  bei  wem  will  er 
es  abbitten?  Das  war  der  leichte  Tadel,  den  Eli  seinen  Söhnen 
gab  und  dann  schwieg,  und  durch  seinen  Tadel  Hessen  sie  sich 
nicht  zurechtweisen.  0  Eli,  oberster  Priester  des  Volkes,  da 
deine  Söhne,  die  frevelhaften  Männer,  dich  nicht  hörten,  so  ziemte 
es  nicht  dem  Priesteramte,  das  du  führtest,  dass  es  theil- 
nahm  an  den  Sünden,  die  deine  Söhne  thaten.  Denn  es  Avar 
bekannt,  dass  er  sie  vor  den  Augen  des  Volkes  tadelte  und 
nicht  aus  ganzem  Herzen.  Darum  ermahnet  uns  unser  Erlöser^;: 
Wenn  dich  dein  Auge  ärgert,  so  reisse  es  aus  und  wirf  es  von 
dir;  oder  deine  Hand  oder  dein  Fuss;  denn  das  sind  die  vor- 
nehmsten Glieder  am  Leibe:  das  Auge,  das  da  sieht,  die  Hand, 
die  da  arbeitet,  und  der  Fuss,  der  da  geht;  wenn  nämlich  diese 
Glieder  dich  ärgern,  so  haue  sie  ab  und  wirf  sie  von  dir,  und 
du  allein  wirst  von  dem  Leben  nicht  ausgeschlossen  sein.  Auch 
Mose  mahnet  wie  unser  Erlöser  ^).  Wenn  dein  Sohn,  oder  deine 
Tochter,  oder  dein  Eheweib,  oder  dein  Freund,  der  dir  ist  wie 
deine  eigene  Seele,  wenn  einer  von  diesen  dich  auffordert  und  zu 
dir  spricht:  Verlass  den  Herrn  und  komme,  wir  wollen  anderen 
Göttern  dienen,  so  höre  ihn  nicht  und  lass  dich  nicht  überreden 
und  schone  und  verbirg  sie  nicht,  sondern  mit  Steinen  sollen 
sie  gesteinigt  werden  und  sterben.  Der  Sohn  und  die  Tochter 
und  das  Weib  der  Jugend  sind  die  geliebtesten  Glieder,  sind 
das  Auge,  die  Hand,  der  Fuss,  die  vornehmsten  und  liebsten 
(Glieder)  am  ganzen  Körper.  Und  unser  Erlöser  lehrt  weiter : 
Wer  mich  nicht  mehr  liebt  als  seinen  Vater  und  seine   Mutter 


1)  ,,und  Lehrer-'  fehlt  bei  A.  —  2)  1.  Saiu.  2,  23—25.  —  3)  Mt.  5,  29.  — 
4)  Deut.  13,  6.  8.  10. 


Die  Unterweisung'  von  der  Ermahnunj?.  225 

und  mehr  als  sich  selbst  ^),  der  kann  nicht  mein  Jünger  sein.  Und 
Mose  spricht  ^) :  Liebe  den  Herrn,  deinen  Gott,  aus  deiner  ganzen 
Seele,  aus  deiner  ganzen  Kraft  und  aus  deinem  ganzen  «Vermögen. 
Das  lehren  ims  die  heiligen  Schriften,  dass  wir  fleissig  da- 
rin seien,  damit  uns  Gott  liebe  vmd  einführe  zu  seinem  herrlichen 
Reich.  Denn  wegen  ihrer  Sünden  wurden  die  Söhne  Aharons, 
welche  mit  Heiligkeit  gekleidet  waren,  aus  dem  Lager  geworfen, 
ohne  Schonung,  an  einen  unreinen  Ort.  Und  wegen  der  Sünde 
der  Söhne  Elis  fiel  das  Volk  Israel  durch  das  Schwert  der  Phi- 
lister, und  die  Bundeslade  ward  hinweggeführt,  und  sie  brachten 
sie  nach  Asdod,  in  das  Haus  Dagons,  ein  unreines  Haus  ^).  Uiul 
wiederum  an  dem  Priester  Uzza  that  der  Herr  darum,  dass  er  den 
Dienst  der  Lade  Gottes  verachtete,  einen  Riss,  und  er  starb. 
Und  was  war,  unsere  Lieben,  die  Verachtung  des  Uzza  anders, 
als  dass  er  die  Lade  auf  einen  Wagen  lud  und  übertrat  das  Ge- 
setz und  that,  was  ihm  von  Mose  nicht  geboten  war.  Denn  da 
die  Fürsten  Israels  ihre  Opfer  brachten  bei  der  Einweihung 
der  Stiftshütte,  Stiere  und  Wagen,  gebot  der  Heilige  seinem 
Knechte  Mose  und  sprach  zu  ihm^.:  Ximm  sie  von  ihnen  und 
gib  sie  den  Leviten,  dass  sie  mit  diesen  Wagen  den  Dienst  der 
Stiftshütte  thun  und  laden  auf  die  Wagen  den  ganzen  Dienst  der 
Stiftshütte.  Er  sprach  nämlich  zu  ihm:  Gib  sie  den  Söhnen 
Gersons,  entsprechend  ihrem  Dienste,  und  den  Söhnen  Qohats 
sollst  du  sie  nicht  geben,  weil  sie  den  Dien.st  des  Heiligtimms  -'), 
der  ihnen  übergeben  war,  auf  ihren  Schultern  tragen  sollten, 
mit  Ehrfurcht  und  Vorsicht  und  Ehrenerweisungen.  Ihr  wisset, 
unsere  Brüder,  dass  die  Bundeslade  niemals  auf  einen  Wagen 
geladen  wurde,  bis  zu  der  Zeit,  da  sie  die  Fürsten  der  Philister 
schickten  und  sie  auf  einen  \\'agen  luden,  da  sie  zwei  Kühe  zogen, 
deren  entwöhnte  Jungen  hinter  ihnen  zurückgelassen  waren.  Und 
da  die  Kinder  Israel  die  Lade  empfingen,  holten  sie  die  Leviten  von 
dem  Wagen,  da  die  Philister  sie  gesandt  hatten,  und  setzten  sie  in 

1)  Axjhr.  und  Ephrilm  Com.  98  geben  nach  Mt.  10,  37  (cf.  Luc.  14, 
26),  der  eine  abkürzend,  der  andere  vollständiger,  als  Ausspruch  Jesu: 
Wer  mich  nicht  mehr  liebt  als  seine  Seele  (sich  selbst)  etc.;  Peschito  hat: 
s»^    ]o-».    U    ,»^?     ^     i-.i_     j>icl    cj     |.^|     >3-ik^?    ^;    Syr.  Cur.:  _ic 

2)  Deut.  6,  :>.  —  ü)  Vgl.  1.  Chron.  14,  11.  —  4)  Nuni.  7,  5—9.  —  5) 
d.  i.  der  Bundeslade. 

Texte  und  Uuter.suchungen  HI,  3.  4.  15 


226  Homilie  XIV. 

das  Haus  Abiuadabs,  der  in  Gibea  war.  Nach  dieser  Gewohnheit 
wollten  die  thun,  die  sie  trugen,  und  wollten  sie  nicht  auf  ihre  Schul- 
tern laden,  wie  der  Heilige  Mose  geboten  hatte,  und  Mose  den  Prie- 
stern geboten  hatte.  Und  wusste  Uzza  nicht,  dass  Gott  auch  Josua, 
dem  Sohne  Nuns,  da  er  den  Jordan  überschritt,  also  geboten  hatte, 
die  Priester  sollen  die  Lade  tragen  und  vor  dem  Volk  hergehen, 
und  der  Jordan  solle  sich  theilen,  und  dass  das  ganze  Volk  hin- 
durch zogV  Daher  wusste  es  Uzza,  darum  empfing  er  mit  Recht  das 
Gericht  des  Zorns.  Und  da  David  sah,  dass  der  Herr  den  Riss  an 
Uzza  gethan  hatte,  fürchtete  er  sich,  die  Lade  Gottes  zu  sich 
bringen  zu  lassen.  Da  brachten  sie  dieselbe  in  das  Haus  Obar-Edoms 
von  Gath,  weil  Obar-Edom  von  Gath  im  Philisterland  war,  aus 
dem  unreinen  Volk  und  nicht  aus  Israel.  Und  er  wusste,  dass 
wer  die  Lade  Gottes  nicht  ehrte,  mit  bitteren  Schmerzen  und  bösen 
Plagen  geschlagen  wurde;  wie  die  Philister  geschlagen  wurden 
auf  ihren  Hintern,  und  die  Ekroniter  heulten  und  sprachen  ^} : 
Die  Lade  soll  nach  Gath  kommen.  Seitdem  Avusste  Obar-Edom, 
dass  die  Philister,  da  sie  die  Lade  fortführten,  Opfer  darbrach- 
ten. L^nd  die  Söhne  Elis,  die  Priester  Hophni  und  Pinehas, 
welche  den  Dienst  schändeten,  wurden  getödtet.  Und  die  Philister 
fürchteten  sich  und  ehrten  die  Lade  Gottes :  und  auch  da  sie  dieselbe 
schickten,  schickten  sie  sie  mit  Opfer,  und  wie  ein  grosser  Gott 
war  sie  in  ihren  Augen  gehalten.  Denn  früher,  da  sie  dieselbe  sahen, 
dass  sie  ins  Lager  kam,  sprachen  sie  2):  Wehe  uns,  denn  siehe, 
es  kommt  ein  Gott  ins  Lager  der  Hebräer.  Ermannt  euch,  ihr 
Philister,  denn  das  ist  der  Gott,  der  die  Aegypter  ^)  vernichtete 
durch  allerlei  Plagen.  L^nd  sehet,  unsere  Lieben,  dass  Obar-Edom 
von  Gath,  darum  dass  die  Lade  Gottes  in  sein  Haus  gekommen 
war,  gesegnet  wurde.  Und  da  David  sie  hinaufführte  aus  dem 
Hause  Obar-Edoms  in  die  Stadt  Zion,  gebot  er  den  Priestern,  und  sie 
trugen  sie  auf  ihren  Schultern.  Und  es  geschah,  da  er  wandelte 
auf  seinen  Füssen  und  freute  sich  und  spielte  vor  der  Lade,  dass 
Melchol  (Michal),  die  Tochter  Sauls,  seiner  spottete. 

Das  ist  es,  unsere  Lieben,  was  uns  drängte  euch  zu  schrei- 
ben, dass  wir  uns  und  euch  erinnern,  dass  darum,  dass  wir  den 
Dienst  des  Heüigen  verachten,  uns  dieses  Alles  zu  dieser  Zeit 
trifft.    Weil   wir  ihn  nicht  ehren,  macht  er  uns   zum  Spott  vor 

1)  1.  Sam.  5,  8.  11.  —  2)  1.  Sam.  4,  7—9.  —  3)  A:  der  die  Aegypter 
geschlagen  hat. 


Die  Unterweisung  von  dei-  Ermahnung.  227 

unseren  Feinden,  und  macht  uns  veräclitlicb,  wie  er  gesagt  hat '): 
Meine  Verächter  sollen  zu  Schanden  werden. 

§  14.  Denn  unsere  Erkenntniss  ist  verfinstert  durch  denHoch- 
muth,  und  es  hat  uns  überwunden  die  Begierde  und  hat  verstopft 
die  Quellen  der  Weisheit,  und  die  Grand  Wahrheiten  sind  ver- 
finstert durch  die  Begierde  und  durch  den  Hochniuth.  Die  Sünde 
ist  in  die  Welt  gekommen  dadurch,  dass  der  Begierde  geschmei- 
chelt wurde,  da  Adam  durch  das  Essen  von  dem  Baume  sündigte 
und  aus  dem  Paradiese  ging.  Denn  der  Heilige  hatte  vor  Adam 
alle  Bäume  des  Paradieses  frei  gelassen,  da  sie  gesegnete  Früchte 
trugen,  und  zu  ihm  gesprochen  -) :  Von  ihnen  allen  sollst  du  essen. 
aber  von  dem  Baume  der  Erkenntniss  des  Guten  und  Bösen  sollst 
du  nicht  essen,  damit  du  nicht  sterbest.  Und  seiner  Begierde  ge- 
nügte nicht  das  ganze  Paradies,  das  ausgebreiteter  und  grösser 
war  als  die  ganze  Erde,  auf  der  jetzt  die  Kinder  Adams  zersti'eut 
sind;  und  am  Ende  sollen  alle  Gerechten,  welche  auf  ihr  sind,  Ruhe 
finden,  zu  der  Zeit,  da  die  Herrschaft  der  Begierde  aufgehoben  ist: 
wie  unser  Erlöser  sagt  zu  dem  zu  seiner  Rechten'^):  Wahrlich, 
ich  sage  Air:  Heute  wü'st  du  mit  mir  im  Garten  Eden  sein.  Und 
wiederum  steht  geschrieben  in  den  Propheten*):  Die  Gerechten 
erben  die  Erde  und  wohnen  darinnen  ewiglich.  Und  sie  erben 
sie  doch  nicht  für  alle  Geschlechter,  weil  sie  vergeht,  wie  ge- 
schrieben steht  ^):  Die  Himmel  werden  vergehen  wie  ein  Rauch, 
und  die  Erde  wird  wie  ein  Kleid  veralten.  Und  auch  unser  Herr 
sagt''):    Himmel   und  Erde  werden  vergehen,   und  meine  Worte 


1)  1.  Sam.  2,  30.  —  2)  Gen.  2,  16.  17. 

3)  Luc.  23,  43.  Ephr.  Com.  S.  244.  245  citirt  diese  SteUe  3  mal  ohne 
hodie;  aber  in  der  Auslegung  betont  er  gerade  dieses  und  zieht  es  zu  dem 
Satz  „heute  wirst  du  mit  mir  im  Paradiese  sein-',  wie  die  meisten  Grie- 
chen (besonders  eifrig  polemisirt  gegen  die  Interpunktion  hinter  oi)u£qov 
Macar.  Magn.  111.  14  ed.  Blondel  S.9t),  auch  Peschito  („dass  du  heute  etc."). 
He.  cod.  graec.  D  (welcher  ü-Üqgsi  vor  orifiSQOv  einschiebt):  dagegen  hat 
Syr.  Curet.:  .^^  ^^^^^  ]oüiZ  >»iÄli,?  U^a»  t^  U\  r^l  ,^^^^1  „Wahr- 
lich ich  sage  dir  heute,  dass  du  mit  mir  im  Garten  Eden  sein  wirst". 

In  dieser  Uebersetzung  von  tr  nuQuöilav)  stimmen  Aphr.  2  mal  (S.  437), 
Ephr.  3 mal,  also  ohne  Frage  Tat.  Diatess.  mit  Syr.  Cur.;  während  Pesch. 
und  He.  TiuijiaStiou)  behalten  haben.    Vgl.  Zahn,  Forsch.  I,  S.  214. 

B  hat  hier:  Wahrlich  ich  sage  dir:  heute  wirst  du  etc.;  A  dagegen: 
Wahi'lich  ich  sage  dir  heute:  du  wirst  mit  mir  etc. 

4)  Ps.  37,  29.  —  .j)  Jes.  .51,  (5.  —  6)  Mt,  24,  3.=>. 

1.5* 


228  Homilie  XIV. 

werden  uiclit  vergehen.  Dieser  Himmel,  der  über  uns  ist  und 
Veste  genannt  wird,  vergehet,  imd  diese  Erde,  die  da  trocken  ist, 
veraltet,  aber  die  Erde  des  Lebens  und  die  Himmel,  die  über  der 
Veste  sind,  die  veralten  nicht  und  vergehen  nicht.  Diese  ganze 
Erde  und  dieses  ganze  Paradies  genügte  der  Begierde  nicht,  die 
über  Adam  kam,  also  dass  er  begehrte  auch  von  dem,  das  ihm 
verboten  war,  zu  nehmen  und  zu  essen. 

Und  wegen  der  Begierde^)  verkaufte  Esau  sein  Erstgeburts- 
recht, und  wurde  auch  des  Segens  flu-  verlustig  erklärt.  Und 
wegen  der  Begierde  Pharaos  wurde  das  Land  Aegypten  ver- 
wüstet, denn  es  genügte  seiner  Begierde  nicht  das  ganze  Volk, 
das  er  regierte,  sondern  er  wollte  auch  Israel  in  Knechtschaft 
beherrschen.  Und  auch  die  Söhne  Aharons,  die  da  begierig  waren, 
wurden  aus  dem  Priesterthum  verworfen.  Und  auch  über  die 
Kinder  Israel,  welche  Speise  verlangten  mit  Begierde  immer  und 
immer  wieder,  kam  der  todbringende  Zorn  und  kamen  Schlangen 
und  andere  Plagen  aller  Art.  Und  auch  Achar  wurde  wegen  seines 
begierigen  Verlangens  mit  Steinen  gesteinigt,  und  ward  ausge- 
tilgt aus  seinem  Volk.  Und  die  frevelhaften  Priester-  ,  die 
Söhne  Elis,  brachte  die  Begierde  aus  dem  Leben.  Und  Saul, 
der  erwählte  König  des  Volkes,  fiel,  darum  dass  er  das  Verbannte 
der  Amalekiter  begehrte,  von  seiner  Höhe,  und  sein  Königthum 
ward  zerrissen.  Und  Ahab,  der  Sohn  Omris,  König  von  Israel, 
begehrte  und  nahm  den  Weinberg  Naboths  und  fiel  im  Kampf 
auf  der  Höhe  von  Gilead.  Und  den  Gehasi,  den  Schüler  Elisas, 
bedeckte  seine  Begierde  mit  Aussatz.  Die  Begierde  hat  Viele  ge- 
tödtet  und  sie  ihres  Lebens  beraubt.  Und  die  Begierde  des  Juda 
Iskariot"^),  von  den  Zwölfen,  war  nicht  damit  zufrieden,  dass  er 
stahl,  bis  er  den  Preis  des  Herrlichen  nahm,  und  durch  die  Be- 
gierde ward  er  von  den  Jüngern,  seinen  Genossen,  ausgeschlossen. 
Und  auch  Anania  besiegte  die  Begierde,  und  es  ward  an  ihm 
das  Wunder  gesehen  vor  den  Füssen  der  Apostel.  Der  Begierde 
genügt  die  ganze  Welt  nicht.  Denn  den  Königen  über  alle 
Völker  und  über  alle  Zungen,  einem  jeden  von  ihnen  genügt 
sein  Ort  nicht.  Sie  sammeln  Heere  und  führen  Kriege,  und  zer- 
stören Städte  und  plündern  Länder,  sie  führen  gefangen  und 
erwerben,  und  nichts  genügt  ihnen.    Sie  arbeiten  und  mühen  sich 

1)  od.  Genusssucht. 

2)  B:  die  Söhne  Aharons.  —  3)  A  liest:  lii-j-sju  =  Skarioth. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  229 

ab,  und  lernen  Kriege  imd  zerstören  Burgen  und  halten  Jagden. 
Sie  steigen  und  kommen  in  die  Höhe  und  steigen  nieder  in  die 
Tiefe,  dass  vielleicht  die  Begierde  sich  sättige,  und  sie  wird  nicht 
satt.  Wenn  der  Reichthum  wächst,  nimmt  die  Begierde  zu,  und 
wenn  der  Besitz  in  Uebermass  da  ist,  trauert  das  überraüthige 
Auge.  Dem  Armen  genügt  das  tägliche  Brot,  und  der  Reiche 
sorgt  für  die  Jahre,  da  er  nicht  mehr  lebt.  Ein  Kleid  von  Lum- 
pen genügt  den  Armen,  und  in  einem  Kleide  mit  allen  Herrlich- 
keiten und  aus  allen  Ländern  steht  nackt  die  Begierde.  Das 
Lager  des  Armen  ist  auf  der  Erde,  und  es  genügt  ihm,  und  da.s 
Lager  des  Reichen  sind  Betten  mit  allen  Herrlichkeiten,  und  Lager 
von  allen  Farben,  und  diese  sind  der  Begierde  (noch)  zu  gering. 
Das  Getränk  des  Armen  ist  Wasser,  und  er  ist  gesättigt,  und  der 
Reiche  trinkt  Alten  i)  und  ist  voll  Durst.  Gold  und  Silber  besitzen 
die  Reichen,  und  es  wird  ihnen  zum  Stein  des  Anstosses,  und 
durch  denselben  werden  sie  getödtet.  Es  flieht  der  Schlaf  alle, 
welche  die  Begierde  lieben.  Erquickend  und  ruhig  ist  das  Bett 
der  Armuth-;.  Der  Arme  smnet.  wie  er  von  seinem  Brot  den 
Dürftigen  breche,  und  der  Reiche  sorgt,  wie  er  verschlinge  den. 
der  schwächer  ist  als  er.  Wohl  dem,  der  nicht  dient  der  Herr- 
schaft des  Bauches,  und  dem  Mann,  den  die  Begierde  nicht  be- 
siegt. Wohl  dem  Menschen,  der  über  die  Erkenntniss  nachdenkt, 
durch  welche  die  Wurzeln  der  Begierde  abgeschnitten  werden. 
§  15.  Und  auch  über  das,  was  wir  gesckrieben  haben,  unsere 
Lieben,  wisset  ihr,  dass  um  der  Begierde  willen  hassen  und 
neidisch  sind  diejenigen,  welche  das  Gesetz  lehren  und  die  Herr- 
schaft führen  in  unserem  A^olk.  Wenn  unsere  Lehre  mit  unserem 
Wandel  übereinstimmt,  dann  wandeln  wir  offenbarlich  •'}  und  wer- 
den ofPenbarlich  ^)  erzogen.  Und  auch  über  die  heilige  Auflegung 
der  Hände,  welche  die  Menschen  von  uns  nur  zur  Bestätigung  der 
Priesterweihe  empfangen,  streiten  sie.  Und  es  wird  nicht  leicht 
jemand  gefunden  zu  unserer  Zeit^),  der  fragt:  Wer  fürchtet  Gott? 
Sondern  (man  fragt) :  Wer  ist  der  ältere  nach  der  Auflegung  der 
Hände?  Und  wenn  sie  sagen:  Es  ist  jemand  der  ältere,  so  sprechen 
sie:  Ihm  gebühret  obenan  zu  sitzen.  Und  es  ist  niemand,  der 
da  gedenke  an  die  Worte  des  Erlösers ''),  da  er  sein  Wehe  ruft 

1)  Nämlich  Wein.  —  2)  A:  „das  Bett  des  Armen".  —  8)  2^|-i-.i_c 
manifeste,  .liquido.  Michael.  Lex.  syr.  S.  824.  —  4)  A:  „unter  unserem 
Volk".  —  .5)  A:  „unsers  Erlösers". 


230  Homilie  XIV. 

über  die  Schriltgelehrten  und  Pharisäer  und  zu  ilinen  spricht^;-. 
Wehe  euch,   die  ihr  die  Sitze  in  den  Versammlungen  lieht  und 
die  Plätze  bei  den  Gastmählern,  und  die  ihr  gerne  habt,  dass  ihr 
Kabbi,  Kabbi  genannt  werdet.   0  unsere  Brüder,  die  Namen  führen 
nicht  zum  Leben-)    ein   und    befreien  nicht  vom  Tode,   wie  sie 
nicht  Nadab  und  Abihu   befreit   haben    und    nicht    den  Hophni 
und  Pinehas  erlöst  haben,  sondern  mit  den  Namen  werden  auch 
die  guten  Werke  gefordert,    denn  die  Werke  ohne  die  Namen 
befreien  diejenigen,  die  sich  darin  abmühen,  und  die  Namen  ohne 
die  guten  Werke  nützen  und  helfen  nichts,   wie  wir  auch  oben 
geschrieben  haben.    Und  es  brüsten  sich  unsere  Brüder  mit  den 
Namen,  die  sie  erhalten,  um  mit  ihnen  zu  fesseln  und  zu  schmei- 
cheln und  sich  zu  rühmen :  Ich  bin  der  Fürst.  Heute  aber  ist  erfüllt, 
was  der  Prophet  gesagt  hat^):  Der  Grosse  redet  nach  dem  Wohl- 
gefallen seines  Herzens.   Und  er  spricht:  Meine  Heerde  ist  zerstreut 
worden,  weil  sie  keinen  Hirten  hat.    Und  wiederum  spricht  er  \) : 
Die  Hirten   weiden   sich    selbst,    und    meine  Heerde    weiden  sie 
nicht.    Und  wiederum  spricht  er:  0  ihr  Hirten,  die  ihr  zu  Grunde 
richtet  und  zerstreut  die  Heerde  meiner  Weide.     Und  wiederum 
spricht  er  zu  den  Hirten:  Eine  gute  Weide  weidet  ihr,  und  was 
übrig  ist,  das  tretet  ihr  nieder  mit  euren  Füssen,  und  liebliches 
Wasser  trinket  ihr,  und  was  übrig  ist,  das  trübet  ihr  mit  euern 
Füssen.   Und  meine  Heerde  weidet,  was  ihr  mit  euern  Füssen  nieder- 
getreten habt,  und  trinkt  das  trübe  Wasser,  das  ihr  übrig  gelassen 
habt.     Und  wiederum  spricht  er  zu  den  Hirten:  Die  Fetten  der 
Heerde  esset  ihr,    und  mit  der  Wolle  kleidet  ihr  euch,  und  die 
Heerde  weidet  ihr  nicht,    sondern  mit  Strenge  knechtet  ihr  sie. 
0  Hirte,  der  nicht  seine  Ehre  kennt:  Wer  bist  du,  dass  du  den 
Knecht  richtest,    der   nicht   dein  Eigenthum  ist;    der,   wenn   er 
steht,  seinem  Herrn  steht,  und  wenn  er  fällt,  seinem  Herrn  fällt? 
Uebrigens  aber  steht  er.     Wenn   du  nicht  gerechtfertigt  werden 
kannst,    warum   sündigst    du?     Wenn    du  dich  aber  erhebst  in 
deinem   Geiste  °)   über   mich  und  sprichst:    Ich   bin  Lehrer  und 
König  über  dich,  und  falls  ich  dich  nicht  annehme,  mich  fesselst, 
wie  kannst  du  mich  Demuth  lehren,    da  du  stolz,    hochmüthig 
und  hoffärtig  bist?  Wie  kannst  du  mich  lehren:  Liebet  einander*^), 


1)  Mt.  23,  6.  7;  Luc.  20,  46.  —  2)  B:  „zur  Ruhe,  zum  Frieden".  —  3) 
Mich.  7,  3.  —  4)  Ezech.  34,  5.  8.  18.  19.  3.  4.  —  5)  „In  deinem  Geist"  fehlt 
hei  A.  —  f.)  Joh.  15,  12. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  231 

da  du  voll  Hass  und  Zorn  bist?  Wie  kannst  du  mich  lehren: 
Wenn  dir  jemand  das  Deinige  nimmt,  so  fordere  es  nicht  zurück  ^;, 
da  du  doch  das  Deinige  forderst  und  Zinsen  nimmst?  Und 
wie  kannst  du  mich  lehren:  Du  sollst  bescheiden  sein,  da  du 
anmassend  und  geschwätzig  und  ruhmsüchtig  bist?  Und  wie 
kannst  du  mich  lehren:  Verlasse  diese  Welt,  da  du  mitten  hinein 
gefallen  und  darin  erstickt  bist?  Und  ^Yie  kannst  du  mich  lehren: 
Erquicke  die  Armen,  da  du  deine  armen  Mitmenschen  verfolgst? 
Wie  kannst  du  mich  lehren :  Verlasse ,  was  in  deinem  Herzen 
ist,  da  der  alte  Sauerteig  in  dir  aufgesammelt  ist?  Wie  kannst 
du  mich  lehren^):  Halte  Frieden  mit  deinem  Bruder,  da  du  alle-^j 
Welt  aufhetzest?  Denn  wenn  ich  an  dir  Früchte,  welche  nicht 
schön  sind,  sehe,  so  sprichst  du  zu  mir,  wenn  du  böse  und  gottlos 
bist,  so  wandle  nach  meinen  Worten.  Wer  da  lehrt  und  es  thut, 
wird  gross  genannt  werden,  und  wer  es  übertritt  und  lehret,  wird 
klein  genannt  werden.  Du  hast  Geld  empfangen,  und  du  ver- 
schliesst  es.  Und  der  Schlüssel  ist  dir  übergeben,  und  du  hütest 
die  Thür;  du  kommst  nicht  hinein,  und  die  da  kommen,  hinein- 
zugehen, lassest  du  nicht.  Du  bist  das  Auge  des  Leibes,  du  bist 
blind  geworden,  und  der  Leib  ist  dunkel  ohne  das  Auge.  Du  bist 
blind  geworden,  und  der  Leib  ist  erblindet.  Es  ist  zu  besorgen  'j. 
dass  du  als  Blinder  einen  Blinden  führest,  und  suchst,  deinen  ganzen 
Leib  in  die  Grube  zu  stürzen.  Wenn  das  Salz  schmacklos  wird,  wird 
es  hinausgeworfen.  Und  der  Knecht,  der  sein  Geld  verschliesst, 
geht  in  die  Finsterniss.  Und  an  dem  Knechte,  der  seine  Mitknechte 
schlägt,  wird  sein  Herr  Rache  nehmen.  Und  des  unnützen  Hir- 
ten Auge  wird  geblendet,  und  sein  Arm  vertrocknet.  Die  Priester 
sprechen  nicht:  Wo  ist  der  Herr?  Und  die  Gesetzeslehrer  kennen 
ihn  nicht,  und  die  Hirten  lügen  über  ihn,  und  von  den  Propheten 
in  Jerusalem  ist  Gottlosigkeit  ausgegangen  in  das  ganze  Land.  Die 
Fürsten  meines  Volkes  zerstören  es,  und  Weiber  üben  Gewalt  aus 
wider  dasselbe.  Vor  dem  Herrn  haben  wir  uns  nicht  schon  jetzt  ge- 
fürchtet, was  wird  der  König  uns  thun?  W  ehe  uns,  was  ist  uns  ge- 
schehen, dass  das  Gesetz  verlassen  ist,  und  etliche  von  uns  sich  der 
Sünde  rühmen?  Uns  gebühret,  dass  wir  sitzen  und  schweigen  und 
staunen.  Du  sprichst  zu  mir:  Komm,  sei  ein  Genosse  mit  uns  bei 
allem,  was  ich  thue.     Nun,  o  Lehrer,  wird  über  dich  erfüllt  das 

1)  Luc.  6,  30.  —  2)  Mt.  5,  24.  —  3)  Wörtlich:  viele  Welt.  —  4)  Statt 
U-c ,  haben  wir  U^,,  cura,  sollicitudo,  gelesen. 


232  Honülie  XIV. 

Wort,  das  unser  Herr  spricht'):  Ihr  umsegelt  Meer  und  Land, 
dass  ihr  einen  Proselyten  macht,  und  wenn  er  es  geworden  ist, 
macht  ihr  aus  ilim  einen  Sohn  der  Hölle.  Ein  Prophet  hat  den  an- 
deren verführt  und  belogen,  und  weil  er  auf  seine  Worte  gehört,  ist 
er  in  die  Hände  des  Löwen  gegeben  worden,  und  dieser  hat  ihn  zer- 
rissen. Und  da  die  Priester  und  viele  Propheten  in  den  Tagen 
Aliabs  irrten,  wurden  von  Gott  700Ü  übrig  gelassen,  solche,  die 
ihre  Knie  nicht  gebeugt  und  Baal  nicht  angebetet  hatten  —  unter 
welchen  selbst  Elia  nicht  bemerkt  wurde  — ,  und  nicht  den  bösen 
und  blinden  Priestern,  die  zum  Untergange  führen,  nachgefolgt  sind. 
Wenn  Rehabeam  das  Reich  theilt,  soll  ich  ihm  da  nachfolgen'?  Das 
sei  ferne  von  mir.  Wenn  Jerobeam  seinen  Gott  verlässt,  soll  ich 
da  auf  seinen  Spuren  wandeln?  Mein  Gott  bewahre  mich  davor. 
§  16.  Du  sprichst  zu  mir:  Ich  bin  schön  und  prächtig,  und 
Gott  hat  mich  auserwählt  und  mich  gesalbt,  dass  ich  herrsche 
über  die  Kinder  meines  Volkes.  Lass  dich  belehren,  o  Menschen- 
kind, dass  Gott  Pinehas,  dem  Sohne  Eleasars,  geschworen  und 
verheissen  hat,  dass  der  Bund  des  Priesterthums  auf  ihm  und 
seinen  Kindern  bleiben  solle  ewiglich.  Und  Pinehas  (Linie)  diente 
im  Priesteramt  die  ganze  Zeit  der  Richter,  bei  dreihundertfünfund- 
sechzig  Jahren.  Und  darnach  trat  Eli  auf  nach  ihm.  Und  da 
Eli  und  seine  Söhne  das  Gesetz  übertraten,  verleugnete  der  Heilige 
seine  Verheissung,  und  er  sprach  zu  Eli  durch  den  Propheten-):  Ich 
habe  gesagt:  Du  und  das  Haus  deines  Vaters  sollt  vor  mir  dienen 
ewiglich ;  nun  sei  dies  ferne  von  mir,  spricht  der  Herr.  Die  mich 
ehren,  die  ehre  ich,  und  meine  Verächter  sollen  zu  Schanden  wer- 
den. Und  auch  unser  Vater  Isaak  wollte  Esau,  seinen  Erstgebore- 
nen, segnen,  und  Jakob  war  von  seiner  Mutter  Leib  an  erwählt  und 
empfing  seinen  Segen,  wie  Er  zu  Rebekka  gesagt  hatte '^j:  Der 
Grosse  soll  dem  Kleinen  dienstbar  sein.  Und  es  erwählte  der 
Heilige  Saul,  dass  er  König  sei ;  und  weil  er  nicht  seinen  Willen 
that,  erwählte  Er  David  und  verwarf  Saul.  Nun  beschönigen  sie 
es  und  bringen  alberne  Gegenreden,  die  nicht  hierher  gehören.  Zur 
bösen  Zeit,  sagen  sie,  hat  uns  Gott  an  die  Spitze  des  Volkes  ge- 
stellt, gleichwie  Jehu,  der  in  der  Kammer  gesalbt  wurde.  ^Venn 
dich  aber  jemand  fragt:  0  weiser  Schriftgelehrter,  wann  ist  die 
Verheissung  gegeben,  dass  Jehu  gesalbt  werden  solle,  und  wann 
ist  die  Salbung  zu  ihm  gekommen,   was  willst   du  ihm  da  ant- 

1)  Mt.  23,   15.  —  2)  1.  Sam.  2,  30.  —  3)  Gen.  25,  23. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  233 

Worten?  Es  wurde  Elia  auf  dem  Berge  Horeb  der  Befehl  ge- 
geben und  Er  sprach  zu  ihm\):  Gehe  und  salbe  Jehu,  dass  er 
König  sei  über  Israel  und  das  Haus  Ahabs  vernichte.  Elia  erhielt 
den  Befehl  und  diente  dann  viele  Jahre,  bis  er  in  den  Himmel  er- 
hoben wurde,  und  nach  ihm  kam  Elisa.  Und  da  die  Zeit  Jehus  kam, 
und  das  Mass  der  Sünden  des  Hauses  Ahabs  überfloss,  da  sandte 
Elisa  einen  von  den  Prophetensöhnen,  und  der  ging  und  salbte 
ihn,  wie  ihm  geboten  war.  Und  wenn  wir  aber  also  mit  Jehu  die 
Lage  vergleichen  würden,  so  wäre  also  dem  Priester  geboten, 
dass  er  im  Volke  auftreten  solle,  dass  er,  wenn  er  aviftrete,  alle 
seine  Brüder  vernichte  und  sie  fessele  und  verführe,  wie  Jehu  das 
Haus  Ahabs  niederwarf  und  vernichtete.  Diese  Vertheidigung  ist 
derjenigen  der  Isebel  ähnlich,  die,  als  sie  Jehu  sah,  der  König  war 
und  kam,  sich  schmückte  und  aus  dem  Fenster  auf  ihn  nieder  sah 
und  zu  ihm  sprach-):  Sei  willkommen  Simri,  Mörder  seines  (deines) 
Herrn!  Und  diese  Entschuldigung  verurtheilte  sie.  und  Jehu  töd- 
tete  auch  sie  und  zertheilte  sie  und  warf  sie  den  Hunden  hin. 

Und  ob  er  von  seiner  Mutter  Leib  an  erwählt  ist,  wie  Jakob, 
das  soll  man  uns  sagen,  und  ob  er  von  seiner  Mutter  Leib  an  ge- 
heiligt  ist  wie  Jeremia,  und  ob  er  zum  Königthum  bestimmt  ist 
und  ein  Sohn  Gottes  genannt  wird  wie  Salomo,  und  ob  er  vor 
seiner  Empfängniss  erwählt  ist  wie  Josia,  und  ob  er  den  Tempel 
gebaut  hat  wie  Koresch.  Und  lass  dich  belehren,  o  Mensch, 
dass  Aharon  nicht  sich  selbst  empfahl,  dass  er  oberster  Priester 
werde.  Und  auch  Mose,  da  ihn  sein  Herr  zu  einem  Gott  für  Pharao 
und  zum  Fürsten  der  Kinder  seines  Volkes  machen  wollte,  wei- 
gerte sich  oftmals,  bevor  Er  ihn  mit  vielem  Drängen  nach  Ae- 
gjpten  sandte  und  durch  seine  Hand  Zeichen  und  Wunder  that. 
Lasst  uns  nicht  sehen  auf  Leibeslänge  wie  bei  Saul,  noch  auf 
Gestalt,  die  schön  ist,  wie  die  des  Eliab,  noch  auf  Vollkommen- 
heit der  Schönheit,  wie  die  des  Absalom.  Der  Herr  hat  nicht 
Wohlgefallen  an  der  Gestalt  und  auch  nicht  an  den  Stolzen  imd 
üebermüthigen.  Samuel  sprach  3):  Der  Herr  prüfet  das  Herz, 
und  der  Mensch  siehet  mit  seinen  Augen.  Und  der  Apostel 
sagt^):  Gott  erwählt  die  Thörichten  der  Welt,  damit  er  durch 
sie  die  Weisen  beschäme,  und  er  erwählt  die  Schwachen,  damit 
er  durch  sie  die  Starken  beschäme,  und  er  erwählt  die  Unedlen  •^) 

1)  1.  Kön.  19,  16;  2.  Kön.  1»,  6.  7.  —  2)  2.  Kön.  9,  31.  —  3)  1.  Sam.  l(i,  7.— 
4)  1.  Cor.  1.  27 — 30.  —  ö)  Wörtlich:  „die  keine  edle  Abstammung  haben". 


234  Homilie  XTV. 

uud  die  Geriugeu  und  Verachteten  und  diejenigen,  die  nichts 
sind,  damit  er  zurückweise  diejenigen,  die  etwas  sind,  damit  alles 
Fleisch  sich  nicht  rühme  vor  Gott,  von  welchem  ihr  seid.  Und  auch 
Jeremia  sagt.  ^):  Der  Starke  rühme  sich  nicht  seiner  Stärke,  und 
der  Reiche  nicht  seines  Reichthums,  und  der  Kräftige  nicht  seiner 
Kraft,  sondern  wer  sich  rühmet,  der  rühme  sich  des  Herrn.  Denn 
alle  Menschen  sind  Geschöpfe  Gottes.  Und  vor  ihm  ist  kein 
Knecht  und  Freier  und  Reicher  und  Armer,  sondern  alle  die  ihm 
dienen,  sind  vor  ihm  (gleich)  werth.  Und  wenn  der  Menge  der 
Rede  und  der  übermässigen  Weisheit  die  Menschenkinder  sich 
rühmen,  so  können  sie  dadurch  nicht  gewinnen:  Denn  also 
steht  geschrieben  -) :  Auf  die  Menge  der  Worte  antwortet  er  nicht, 
auch  wird  ein  redegewandter  Mann  durch  seine  Worte  nicht  ge- 
rechtfertigt. Und  wiederum  steht  geschrieben  3):  Er  lässt  schwin- 
den die  Rede  der  Selbstgewissen,  und  die  Weisheit  der  Alten 
nimmt  er  weg.     Nebst  vielem  Anderen,  das  geschrieben  steht. 

i^  17.  Uebrigens  aber,  unsere  Brüder,  wandelt  in  Ruhe, 
imd  seid  eifrig  im  Frieden,  und  rottet  aus  das  Böse,  und  gebet 
die  Feindschaft  auf,  und  bringet  die  Aufrührerischen  zum  Frieden, 
denn  die  Wahrheit  wird  nicht  von  der  Sünde  besiegt,  und  die 
Gerechtigkeit  nicht  von  der  Ruchlosigkeit  verurtheilt,  und  der 
Friede  nicht  von  dem  Streit  zum  Schweigen  gebracht,  und  die 
Wahrheit  nicht  von  der  Lüge  der  Lüge  gestraft.  Und  es  stimmt 
nicht  bei  der  Gerechte  dem  Sünder,  noch  der  Rechtschaffene  dem 
Ruchlosen,  noch  der  Gute  dem  Bösen,  noch  das  Süsse  dem  Bit- 
teren, noch  das  Finstere  dem  Hellen,  noch  das  Licht  der  Fin- 
sterniss,  noch  das  Geschmacklose  dem  Salzigen,  noch  der  alte 
Sauerteig  dem  neuen  Teig,  (es  stimmt  nicht  überein)  das 
Feuer  mit  dem  W" asser,  noch  die  Kinder  des  Friedens  mit  den 
Aufrührerischen,  noch  die  Gläubigen  mit  den  Spöttern,  noch 
die  die  Krone  tragen,  mit  den  Gefesselten,  noch  die  Kinder  der 
Rechten  mit  den  Kindern  der  Linken,  noch  die  Kinder  des 
Reiches  mit  den  Kindern  der  Hölle,  noch  diejenigen,  welche  Gott 
fürchten,  mit  denen,  die  seine  Heerde  aufwiegeln;  noch  die  Ge- 
meinde des  Heiligen  mit  den  Lehren  des  Bösen.  Die  Sünde 
bleibt  nicht  geheim,  noch  die  Lüge  verborgen.  Denn  wer  da 
will  wandeln  und  eifrig  sein  in  der  Ruhe  und  dem  Frieden,  dem 
gilt  die  Seligpreisung,  die  unser  Erlöser  gibt  mit  den  Worten^): 
1)  Jerem.  9,  23.  24.  —  2)  lob  11,  2.  —  3)  lob   12,  2ü.  —  4)  Mt.  5,  9. 


i 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  235 

Selig  sind  die  Friedfertigen,  denn  sie  werden  Gottes  Kinder 
heissen.  Wer  sehnete  sich  nicht,  ein  Kind  des  himmlischen  Vaters 
zu  sein  imd  ein  Bruder  des  Königs  Christus!  Sehet  '}  aber, 
unsere  Brüder,  wie  eines  guten  Gedächtnisses  werth  sind,  die  sich 
abmühen  um  die  Ruhe  und  den  Frieden  des  Volks.  Denn  wie 
war  miser  Erlöser  des  Todes  schuldig,  und  was  hatte  er  von  der 
Hölle  geliehen,  der,  da  er  das  Leben  hatte,  starb  für  die  Ab- 
trünnigen und  sie  mit  seinem  Vater  versöhnte;  und  in  die  Hölle 
ging  und  ihre  Gefangenen  herausführte,  und  mit  dem  Bösen 
kämpfte  und  ihn  besiegte  und  ihn  niedertrat  und  seine  Spuren 
zerstörte  und  seinen  Besitz  raubte  und  seine  Thüren  zerbrach 
und  seine  Riegel  zerstörte?  Und  seine  Dornen  nahm  er  und 
setzte  sie  auf  sein  Haupt.  Er  siegelte  unsere  Seelen  mit  sei- 
nem eigenen  Blut.  Er  brachte  die  Gefangenen  aus  der  Höhle 
des  Gefängnisses;  er  zerbrach  den  Zaun  und  die  Schneide  des 
Schwerts.  Er  nahm  den  Fluch  und  heftete  ihn  an  sein  Kreuz; 
er  sammelte  die  Zerstreuten  und  brachte  zum  Frieden  die  Auf- 
rührerischen. Er  speiste  die  Hungrigen  und  tränkte  die  Durstigen ; 
er  öffnete  den  Blinden  die  Augen  und  heilte  die  Kranken;  er 
richtete  die  Gekrümmten  auf  und  machte  die  Lahmen  gehen. 
Er  trug  unsere  Schmerzen,  und  milderte  unsere  Plagen,  und 
heilte  unsere  Krankheit,  und  brachte  wieder  nahe  unser  Ent- 
ferntsein, und  brachte  zusammen  unser  Zerstreutsein,  und  machte 
uns  zu  Genossen  seiner  Wohnung.  Er  machte  uns  reich  durch 
seine  Armuth,  und  durch  seine  Krankheit  machte  er  uns  gesund, 
und  durch  seinen  Kreuzestod  heilte  er  uns,  und  durch  seine 
Qualen  schaffte  er  uns  Erquickung.  Und  2)  weil  er  das  Alles 
für  uns  erduldete,  gab  ihm  sein  Vater  einen  Namen,  der  über 
alle  Namen  ist,  dass  in  dem  Namen  Jesu  sich  beugen  sollen  alle 
Kniee,  nicht  allein  derer,  die  auf  Erden  sind,  sondern  auch  derer, 
die  im  Himmel  sind,  und  indem  sie  die  Kniee  beugen  und  an- 
beten, sprechen :  Jesus  Christus  ist  der  Herr,  zur  Ehre  Gottes,  seines 
Vaters.  Und  er  ist  der  Richter  und  der  Herr  über  die  Todten  und 
die  Lebendig«!  geworden,  wie  er  sagt  in  seinem  Evangelium^): 
Der  Vater  richtet  niemand,  sondern  alles  Gericht  hat  er  dem 
Sohne  o-eo-eben.  Denn  das  ist  der  Lohn  der  Arbeit  unseres  Er- 
lösers,   der  grosse  und    herrliche  Name,  dafür  dass    er  den  ab- 

1)  B:  Wir  sehen.  —  2)  Phil.  2,  9—11.  —  3)  Joh.  5,  22. 


236  Homilie  XIV. 

trünuigeu  Ort  wieder  zum  Frieden  brachte.  Und  diejenigen,  welche 
in  der  Gemeinschaft  stehen  mit  ihm  imd  Ruhe  und  Friede  üben, 
sind  seine  Brüder  und  Kinder  Gottes  und  erben  das  Reich  und 
dienen  und  werden  bedient  von  den  Engeln  des  Himmels,  die 
nicht  hassen  ^)  vmd  nicht  neiden,  nicht  müde  werden  und  schlafen, 
und  sich  freuen  über  die  Sünder,  die  sich  bekehren  von  den 
Sünden.  Unsere  Lieben,  die  Schriften  Gottes  sind  nicht  gegeben, 
dass  wir  sie  lernen  und  lesen,  sondern  auch  dass  wir  sie  thun. 
Denn  also  sehen  wir  es,  dass,  wenn  jemand  in  Schelten  und 
Streit  lebt,  sein  Gebet  nicht  angenommen  wird,  und  sein  Bitten 
nicht  erhört  wird,  und  sein  Opfer  von  der  Erde  nicht  aufsteigt, 
und  seine  Almosen  nicht  zur  Vergebvmg  der  Sünden  dienen. 
Denn  so  oft  keine  Ruhe  und  kein  Frieden  da  ist,  ist  die  Thür 
den  Bösen-)  geöffnet,  dem  Schelten  und  dem  Aufruhr;  und  ist 
kein  Gericht  und  keine  Prüfung  da.  Der  Weizen  ist  vermischt, 
das  Unkraut  mischt  sich  darunter,  es  wachsen  die  Dornen, 
die  Aufrührer  nehmen  zu,  die  Spötter  werden  stark  und  die  Ver- 
ächter vermehren  sich.  Da  gibt  es  keine  Zurechtweisung,  kein 
Strafen,  keinen  Geschmack;  das  Salz  ist  geschmacklos,  das  Auge 
dunkel,  der  Leib  finster;  aller  Handel  ist  aufgehoben,  keinen  Frie- 
den hat  der,  der  ein-  und  ausgeht.  Solche  Früchte  bringt  der  Streit. 
Denn  nun  werden  erkannt  die  Vortrefflichen  und  ausgesondert  die 
Kützlichen  und  alle  Tapferen  erprobt,  so  viele  ihrer  in  Ruhe  wan- 
deln und  am  Frieden  arbeiten.  Der  Lohn  ist  ausgesetzt  und  die 
Vergeltung  ist  gross.  Das  sind  diejenigen,  die  in  den  Riss 
treten,  die  den  Zaun  ziehen  und  begeben  sich  selbst  in  die  Ar- 
beit und  für  ihr  Volk  eintreten,  und  sind  gezeichnet  durch  ein 
gutes  Gedächtniss  mit  den  vortrefflichen  und  nützlichen  Arbeitern. 
§  18.  Für  alle  Geschlechter,  unsere  Lieben,  und  alle  Zeiten 
macht  unser  guter  Schöpfer,  wie  es  ihm  gefällt,  die  Kleinen 
gross  und  verachtet  die  Stolzen,  und  erhöhet  die  Demüthigen 
und  erniedrigt  die  Hoffartigen,  und  macht  die  Reichen  arm  und 
erhebet  die  Armen,  und  fället  die  Starken  und  stärkt  die  Ohnmäch- 
tigen, er  vernichtet  die  Mächtigen  und  stärket  die  Schwachen.  Er  er- 
höhte den  jüngeren  Seth  statt  des  erstgeborenen  Kain,  und  Noah 
statt  Adams  zum  Vater  der  zweiten  Welt;  und  Isaak  statt  Ismaels, 
und  Jakob  statt  Esaus,  und  Joseph   statt  Rubens,   und  Ephrem 

1)  Dieses  spielt  vielleicht  auf  die  bekannte  Legende  vom  Neid  des  Teufels 
gegen  Adam  an,  vor  dem  der  Teufel  niederfallen  sollte.  —  2)  A  :  dem  Bösen. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  237 

statt  Manasses,  und  Elieser  und  Ithamar  statt  Kadabs  und  Abihus, 
und  Josua  und  Kaleb  statt  ihrer  zehn  Mitkundschafter,  und 
»Samuel  statt  Elis,  und  David  statt  Sauls,  und  Salomo  statt  Adonias. 
und  Jerobeam  statt  Rehabeams,  und  Jehu  statt  Ahabs,  und  Mur- 
dokai(Mardochai)  statt  Hamans,  und  Daniel  und  seine  Genossen  statt 
der  Weisen  von  Babel,  und  die  „Völker"  statt  des  Volkes.  Ebenso 
auch  die  Frauen.  Er  erhöhte  Sarah  statt  der  Hagar,  die  den  erstge- 
borenen geboren  hatte:  und  Rahel  statt  der  Lea,  und  Hanna  statt 
der  Peninna.  und  Esther  statt  der  Vasthi.  Und  auch  das  Propheten- 
und  Richteramt  ward  Frauen  übergeben  zu  manchen  Zeiten,  da  es 
der,  welcher  die  Demütliigen  erhöht,  wollte.  Miriam  war  eine  Pro- 
phetin, und  Hanna  war  eine  Prophetin,  Choldai  (Hulda)  war  eine 
Prophetin,  und  Elisabeth  war  eine  Prophetin,  und  Maria,  die 
Prophetin,  gebar  den  grossen  Propheten:  und  Deborah,  die  Pro- 
phetin, richtete  Israel  in  den  Tagen  des  Königs  Barak,  des 
Sohnes  Abinaams.  Und  niemand  klagt  den  Willen  unseres  guten 
Gottes  an,  denn  niemand  erforschet  seine  Gerichte,  und  seine 
Wege  sind  unerforschlich.  und  nicht  zu  umfassen  sind  seine  Ge- 
richte und  unermesslich  seine  Gedanken. 

§  19.  Denn  gross  sind  die  Werke  Gottes  und  tief  und  wun- 
derbar seine  Gedanken,  er  hängt  auf  den  Himmel  ohne  Stützen  und 
gründet  die  Erde  ohne  Säulen,  er  sammelt  die  Wasser  in  Seen, 
und  schliesst  die  Winde  und  Stürme  in  die  Kammern  seines 
Willens.  Er  spannt  die  Veste  aus  in  der  Mitte  zur  Scheidung 
zwischen  den  Wassern  und  Wassern:  er  scheidet  das  Trockne 
von  dem  Meer  und  heftet  die  Lichter  an  der  Veste  an:  er  lässt 
die  Berge  aufsteigen  über  die  Erde :  er  scheidet  den  Tag  von  der 
Nacht,  und  das  Licht  von  der  Finsterniss  und  den  Sommer  vom 
Winter;  er  schliesst  den  Sand  zusammen  zur  Grenze  des  Meeres,  und 
schliesst  die  Meere  ein  durch  den  Ocean,  und  die  sich  thürmenden 
Wellen  überschreiten  die  Grenze  nicht.  Die  Sonne  wandelt  ohne 
Füsse,  und  es  läuft  der  Mond  im  Wechsel :  es  eilen  die  Wolken 
ohne  Fittiche,  und  es  weht  der  Wind  ohne  Flügel,  und  es  flies- 
sen  die  Wasser  ohne  Seele.  Es  schwebt  die  Erde  auf  den 
Wassern,  und  die  Wasser  sind  versammelt  in  den  Fundamenten. 
Der  Wind  ist  unsichtbar,  und  die  Luft  unfühlbar,  und  der  Him- 
mel hat  keine  Gestalt,  und  die  Wolken  werden  nicht  erkannt. 
Stark  sind  (zwar)  die  Thiere  des  Meeres  und  wunderbar  die  grossen 
Seethiere,  die  darinnen  sind.  Aber  ausgebreitet  sind  die  Flügel  des 


23S  Homilie  XIV. 

Geistes  und  ausgespannt  die  Fittiche  der  Gedanken.  Es  forschen 
die  Sinne  des  Geistes,  und  schauen  die  Augen  des  Gewissens,  und 
horchen  mit  den  Ohren  i),  um  zu  sehen  und  zu  erkennen  die  Er- 
forschung, und  es  werden  nicht  erreicht  alle  Begriffe. 

§  20.  Wer  lernt  den  Ort  der  Erkenntniss  kennen,  und  wer 
erreichet  die  Wurzeln  der  Weisheit,  und  wer  erkennt  den  Ort 
der  Klugkeit  V  Dies  ist  verborgen  vor  allen  Lebendigen  und  vor 
den  Gedanken  alles  Fleisches  und  wird  nicht  für  Gold  gekauft 
von  den  Thoren.  Ihr  Schatz  ist  ge()ifnet  und  überlassen  denen, 
die  ihn  suchen.  Ihr  Licht  ist  heller  als  die  Sonne,  und  ihr  Glanz 
schöner  und  herrlicher  als  der  Mond.  Es  erforschen  ihn  die 
Tiefen  des  Geistes,  und  es  besitzen  sie  die  Sinne  der  Gedanken, 
und  erwerben  sie  die  Gedanken  des  Herzens.  Der,  dessen  Herzens- 
thür  geöffnet  ist,  findet  sie,  und  der  die  Flügel  seines  Geistes 
aiisbreitet,  ererbt  sie,  und  sie  wohnt  in  einem  tüchtigen  Menschen, 
und  ist  gepflanzt  in  das  Herz  des  Weisen.  Und  ihre  Wur- 
zeln sind  an  ihren  Quellen  befestigt,  und  man  besitzt  in  den- 
selben einen  verborgenen  Schatz.  Und  ihre  Gedanken  fliegen 
in  alle  Höhen,  und  ihre  Sinne  steigen  in  alle  Tiefen.  Sie-)  bildet 
in  seinem  Herzen  Wunderbares.  Und  die  Augen  seiner  Sinne 
sehen  über  die  Meere:  in  seinen  Gedanken  sind  alle  Geschöpfe 
eingeschlossen.  Und  seine  Seele  steht  oflen,  dass  sie  es  aufnehme. 
Er  ist  ein  grosser  Tempel  seines  Schöpfers.  Es  kommt  und 
wohnet  in  ihm  der  König  der  Höhe,  und  führet  seine  Vernunft 
in  die  Höhe,  und  lässt  seine  Gedanken  zum  Hause  seines  Heilig- 
thums  fliegen,  und  er  zeigt  ihm  Schätze  aller  Art.  Und  es  schweift 
umher  sein  Geist  in  dem  Schauen,  und  sein  Verstand  wird  allen 
seinen  Wahrnehmungen  unterworfen.  Und  er  zeigt  ihm,  was  er 
nicht  gewusst  hat.  Er  schaut  an  diesem  Ort  und  beobachtet,  und 
sein  Geist  staunet  über  alles,  was  er  sieht.  Alle  Engel  eilen  zu  sei- 
nem Dienst,  und  die  Seraphe  singen  das  Heilig  zu  seiner  Ehre.  Sie 
fliegen  mit  ihren  schnellen  Flügeln,  imd  weiss  und  herrlich  sind 
ihre  Gewänder,  sie  verbergen  ihr 'Antlitz  vor  seiner  Herrlichkeit. 
Und  schneller  ist  ihr  Lauf  als  der  Wind.  Daselbst  ist  der  Königs- 
thron ^)  aufgerichtet  und  der  Richter  bereit  auf  seinem  Richter- 
stuhl; es  sind  aufgerichtet  die  Stühle  für  die  Gerechten,  welche  die 


1)  Wörtlich:  den  Häusern  des  Gehörs.  —  2)  nämlich  die  Weisheit  und 
Erkenntniss.  —  3)  A:  „Thron  der  Majestät". 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  239 

Sünder  richten  am  Tage  des  Gerichts.  Wenn  der  Weise  in  seinem 
Geiste  den  Ort  seiner  vielen  Schätze  gesehen  hat,  alsdann  wird 
sein  Gedanke  erhoben,  und  sein  Herz  empfängt  und  gebiert  alles 
Gute,  und  er  sinnt  auf  Alles,  das  ihm  geboten  ist.  Seine  Gestalt 
und  sein  Anblick  sind  auf  Erden,  und  die  Sinne  seines  Geistes  sind 
in  der  Höhe  und  m  der  Tiefe.  Sein  Gedanke  ist  schneller  als  die 
Sonne,  und  die  Strahlen  desselben  fliegen  schneller  als  der  W^ind. 
wie  eine  schnelle  Schwinge  nach  allen  Seiten.  Der  Weise  ist  fest 
in  seinen  Gedanken;  er  ist  klein  und  unscheinbar  nach  seinem 
Aussehen,  und  reich  angefüllt  mit  mächtigen  Schätzen.  In 
dunkler  Xacht  ist  er  erleuchtet,  und  er  schickt  seine  Gedanken 
nach  allen  Seiten;  sein  Geist  durchforschet  alle  Gründe  und 
bringt  ihm  herbei '  den  Schatz  der  Erkenntniss.  W^as  seine  Oliren 
nicht  hören,  sieht  er,  und  was  seine  Augen  nicht  sehen,  nimmt 
er  wahr;  seine  Gedanken  fahren  über  alle  Meere.  Für  ihn  gibt 
es  keine  starken  Wellen,  sein  Geist  ist  ohne  Schifl'  und  Matro- 
sen. Gross  und  reich  ist  der  Schatz  seines  Handels;  wenn  er 
von  dem  Seinigen  gibt,  verliert  er  nichts,  und  von  seinem  Schatz 
werden  die  Armen  reich.  Sein  Geist  hat  keine  Grenze,  denn  in 
ihm  ist  eingeschlossen  und  wohnet  sein  Schöpfer-).  Wo  ein  König 
wohnt  und  bedient  wird,  wer  kann  dir  dieses  Ortes  Schätze  auf- 
zählen? Viel  sind  seine  Einkünfte  und  seine  Ausgaben,  wie  die 
eines  Königs,  der  kein  Bedürfniss  fühlt. 

§  21.  Höret  aber,  unsere  Lieben,  woran  wir  uns  selbst  und 
euch  erinnern,  wie  alle  Geschöpfe  Gottes  seinen  W^illen  thun 
und  nicht  seinem  Gebot  widerstehen.  Ein  jedes  von  ihnen,  wie 
es  ihm  geboten  ist,  thut  es  schnell  seinen  Willen.  Und  die 
Menschen  widerstreben  zu  allen  Zeiten  und  thun  seinen  Willen 
nicht,  und  sehen  nicht  und  hören  nicht  und  verstehen  nicht. 
Denn  es  schilt  der  Heilige  durch  Jeremia  die  Kinder  Israel  und 
spricht  zu  ihnen  •*) :  Vor  mir  fürchtet  ihr  euch  nicht,  spricht  der 
Herr,  und  vor  mir  ist  euch  nicht  bange,  der  ich  den  Sand  dem 
Meere  zur  Grenze  gesetzt  habe  als  ein  ewiges  Gesetz,  und  es 
überschreitet  dasselbe  nicht,  es  kämpft  dagegen  vmd  es  ver- 
mag nichts,  und   seine  Wellen   erheben   sich  und   überschreiten 


1)  Statt  £^^-jc  haben  wir  U^^-*^  gelesen.     Ersteres  gibt  keinen  Sinn. 

2)  B:    sein  Geist  hat  keine   Grenze,    der  da  ist  eingeschlossen  und 
wohnet  in  seinem  Busen.  —  3)  Jerem.  5,  22.  33. 


240  Homilie  XIV. 

es  nicht.  Und  dies  Volk  hat  ein  abtrünniges,  verbittertes  Herz, 
und  sie  wollen  meine  Gebote  nicht  hören.  Sehet  aber  die  er- 
staunlichen Wunder,  dass  das  Meer  eingeschlossen  ist  in  Sand, 
xmd  die  Wellen  gefangen  sind  durch  das  Gebot,  und  alle 
Stürme  zurückgehalten  durch  das  Wort.  Erheben  sie  sich  und 
richten  sich  auf  bis  zum  Himmel,  so  zerstäuben  sie  und  fallen 
hernieder  bis  in  die  Tiefe,  und  die  Grenze,  die  ihnen  geboten  ist, 
überschreiten  sie  nicht,  und  wenn  jemand  sagen  wollte ,  dass  sie 
durch  ihre  Natur  gefesselt  sind,  der  lasse  sich  nur  aus  dem,  was 
in  den  Tagen  Noahs  geschehen  ist,  belehren,  da  er  seinen 
Zorn  durch  die  Wasser  der  Sintfluth  kommen  liess.  Er  nahm 
das  Wort  weg  von  der  Fluth  und  hob  sein  Gebot  weg  von  dem 
einschliessenden  Sand.  Und  es  wurden  die  Wasser  entfesselt  und 
überscliritten  die  Grenze,  und  die  Kanäle  des  Himmels  wurden 
geöffnet,  und  die  Veste  wurde  gespalten,  die  Grenze  zwischen  den 
(oberen  und  unteren)  Wassern,  und  es  wurde  Gericht  gehalten 
über  die  Sünder.  Denn  die  Veste  wurde  als  Grenze  gesetzt  zwi- 
schen den  Wassern  über  der  Veste  und  den  unteren  Wassern.  Wie 
geschrieben  steht  i):  Gott  machte  die  Veste  in  der  Mitte  der  Wasser, 
damit  sie  scheide  zwischen  Wassern  und  Wassern,  und  er  heftete 
an  ihr  die  Lichter  an  und  nannte  sie  Himmel,  und  sammelte  die 
W^ asser  von  dem  Trocknen  an  einen  Ort.  Die  Sammlung  der 
Wasser  nannte  er  Meer,  und  das  Trockne  nannte  er  Land.  Und  da 
er  Gericht  gehalten  hatte  über  die  Gottlosen ,  und  das  Ende  gekom- 
men war  über  das  verderbte  Geschlecht,  das  das  Gebot  übertreten 
hatte,  da  wandten  sich  die  untern  Wasser  zur  Tiefe,  und  der  Sand 
stand,  das  Gebot  aufrecht  zu  erhalten,  und  die  Schleusen  des  Him- 
mels wurden  verschlossen,  und  es  schloss  ab  die  Veste  die  oberen 
Wasser  nach  dem  Gebote;  und  die  Welt  lag  zwischen  den  Wassern 
über  der  Veste  und  den  Wassern  unter  der  Erde.  Und  der  Wasser 
waren  viel,  welche  eingeschlossen  waren  in  den  Wolken,  und  alle 
waren  gehalten  und  ruheten  auf  dem  '^)  Fundamente  seines  Willens. 
Und  nicht  die  Wasser  allein  thaten  seinen  Willen,  sondern  auch 
alle  seine  Geschöpfe  erfüllten  allezeit  schnell  sein  Gebot:  Das 
Wasser  in  den  Tagen  Noahs,  und  das  Wasser  und  das  Feuer 
und  die  Finsterniss  und  das  Ungeziefer  und  die  Heuschrecken  und 
der  Hagel  und  alle  Plagen,  die  in  Aegypten  geschahen  durch  Mose. 
Und  es  gehorchte  die  Sonne  und  der  Mond  und  die  Hagelsteine 
1)  Gen.  1,  6.  —  2)  A  hat  Plural  und  bietet:  standen. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  241 

Hagelsteine  dem  Gebote  Josuas,  des  Sohnes  Nuns,  da  er  sprach  •): 
Sonne,  bleibe  stehen  in  Gibeon,  und  Mond,  in  der  Ebene  von 
Ajalon.  Und  warum  anders  blieb  die  Sonne  in  Gibeon  stehen, 
als  weil  die  Gibeoniter  ihre  Zuflucht  genommen  hatten  zu  dem 
Gott  Israels  und  über  sie  kamen  die  Könige  der  Amoriter,  bis 
Josua  sie  vernichtete,  während  die  Sonne  stand  und  der  Mond 
stehen  blieb  ?  Und  es  thaten  seinen  Willen  die  Sterne  des  Himmels 
und  stritten  von  ihren  Plätzen  aus  und  führten  Krieg  mit  Sisera  und 
Midian  in  den  Tagen  Deboras  und  Baraks,  des  Sohnes  Abinoams. 
Und  es  thaten  seinen  Willen  auch  die  reissenden  Thiere.  Der  Bär 
zerriss  die  Knaben,  die  Kinder  der  Gottlosen,  und  die  Löwen  be- 
wahrten Daniel  auf  das  Gebot.  Und  es  that  wiederum  seinen 
Willen  der  Fisch  im  Meer,  da  er  ihm  gebot,  und  er  Jona  ver- 
schlang; und  da  er  es  ihm  sagte,  gab  er  ihn  frei  auf  das  Trockne. 
Und  es  that  wiederum  seinen  Willen  der  Wurm  in  der  Kürbis- 
staude der  Hütte  Jonas;  da  er  ihm  gebot,  biss  er  sie  ab,  und 
ein  heisser  W^ind  machte  sie  verdorren  auf  das  Gebot.  Und  es 
thaten  wiederum  seinen  Willen  die  Raben,  das  geflügelte  Ge- 
vögel, und  nährten  Elia  am  Bache  Krit.  Und  es  thaten  wieder- 
um seinen  Willen  die  vielen  Fische,  da  sie  durch  ein  Wunder 
von  den  Aposteln  unsers  Erlösers  gefangen  wurden;  und  ein 
anderer  Fisch  gab  die  Steuer  für  unsern  Erlöser  und  für  Simeon, 
seinen  Jünger.  Und  Himmel  und  Erde  und  alle  Geschöpfe 
thuen  seinen  Willen  zu  jeder  Zeit,  und  keines  von  ihnen  hat 
seinem  Willen  widerstanden. 

§  22.  Aber  Uebertretung  des  Gesetzes  wurde  bei  Adam  ge- 
funden von  dem  ersten  Tage  an,  und  auch  bis  in  Ewigkeit  über- 
tritt er  das  Gesetz.  Welches  Aergerniss,  unsere  Lieben,  ist  grösser 
denn  dieses?  Durch  die  Aufreizung  zur  Verwirrung  und  zum 
Streit  sind  unter  unserem  Volk  hervorgegangen  Unverschämte  und 
Böse  und  Nachäffer  und  Verächter,  Verleumder  und  Flucher  und 
Eifersüchtige  und  Neider  und  Aufrührer  und  Schweiger,  die  sich 
freuen  am  Zusammenreissen  und  Wohlgefallen  haben  am  Einsturz, 
welche  die  Wahrheit  hassen  und  die  Gerechtigkeit  vertreiben,  und 
Räuber  und  Betrüger  und  Lügner,  und  die  ihre  Nächsten  ver- 
achten, und  die  in  Falschheit  stehen  und  in  Ruchlosigkeit  ihre  Zu- 
flucht suchen,  und  die  über  die  Griten  s]iotten,  und  die  Besitz  sam- 


1)  Josua  10,  12. 
Texte  und  Uiitersucliungen  III,  :!.  1.  16 


242  Homilie  XIV. 

mein,  und  welche  die  Rechtschaffenen  vei'achteu  nnd  die  Streitig- 
keiten lieben,  welche  die  Friedfertigen  aufreizen  und  die  Streitig- 
keiten anstiften;  welche  schwanger  sind  mit  Sünde  und  Treulosig- 
keit gebären:  welche  die  Worte  verdrehen  und  die  Mahnung  zurück- 
weisen, die  voll  Grimms  sind  und  unfähig  zur  Ueberlegung  i);  die 
hartnäckig  sind  in  ihrem  Willen  und  die  Armen  hassen,  Ueber- 
müthige,    Stolze^    Plünderer,    Gewaltthätige ,    Schmeichler    und 
Possenreisser,  Schwelger  und  Schmutzige,  die  in  den  Untergang 
verführen,  Trunkenbolde  und  Fresser,  Listige  und  Lügner,  die  die 
Eifersucht  verbergen  und  böses  Verderben  lieben,  die  die  Eifersucht 
vergelten  und  Streit  erregen,  die  angefüllt  sind  mit  Falschheit  und 
leer  von  Güte,  die  Geld  ausleihen  und  mit  Gewinn  verkaufen,  böse 
Arbeiter  und  faule  Knechte,  die  im  Namen  unseres  Herrn  essen  und 
mit  seinem  Namen  geehrt  sind  und  nach  seinem  Namen  genannt  sind 
und  von  seinen  Worten  leer  sind.    Das  sind  die  listigen  Arbeiter, 
welche  das  Geld  zusammenscharren,  ohne  dass  es  ihnen  Nutzen 
bringt.  Das  sind  die  bösen  Knechte  und  die  würgenden  Mitknechte 
und  das  Unkraut  unter  dem  Weizen.    Das  sind  die  Finsteren  im 
Lichte,  die  Lügenpropheten,  die  falschen  Messias.     Das  sind  die 
Kinder  der  Linken  und  die  Erben  der  Finsterniss,  und  welche  die 
Gerechten  um  Wasser  bitten  2).     Diese  sind  die  Dornen  im  Wein- 
berg, und  die  da  bauen  auf  den  Sand  den  Bau,  der  da  fällt.    Das 
sind  die,  welche  vor  dem  Kampfe  fliehen,  und  deren  Gott  ihr  Bauch 
ist,   und    deren  Ruhm   ihre  Schande    ist.     Diese    sind   die  über- 
tünchte Wand,    und   das  Heer   der  Bösen   und   die  Kinder   des 
Satans.     Das   sind   die   grausenhaften  Schlangen,    die    stummen 
Hunde,  welche  nicht  bellen  können.     Das  sind  die,  welche  sich 
selbst  gerecht  dünken;  die  da  weise  sind  zum  Bösen,  und  in  denen 
keine  Erkenntniss  ist.    Das  sind  die,   welche  da  Streit  bringen 
und  sich  freuen  über  die  Zwietracht  und  fröhlich  sind  über  die 
Sünden.     Das  sind  die,    welche  da  schlafen  für  das   Gute  und 
wachen  für  das  Böse  und  Streitigkeiten  erzeugen.    Das  sind  die, 
welche  sich  selbst  lieben,   gemästete  Feinde,   und  die  Christum 
hassen,  diese  sind  der  alte  Sauerteig,  die  alten  Schläuche,  die  zer- 
rissenen Kleider;  das  sind  die  Samenkörner  unter  den  Dornen,  der 
Felsen  für  den  Samen  und  der  Sand  für  den  Bau;  das  sind  die, 
Avelche    vom    Reich    ausgeschlossen    sind,    der    Staub    für    die 
Schlange   und    das   Licht   unter    dem   Scheff'el,    diese    sind    das 
1)  A:  bar,  ledig  der  Ueberzeuguug.  —  2)  Vgl.  S.  37,  Anmerk.  2. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  243 

dumme  Salz,  das  hinausgeworfen  wird  und  niclit  zum  Gebrauch 
taugt.     Das  sind  die,  welche  des  Guten  entwöhnt  sind,  sie  sind 
Msches  Geld,  zerbrochene  Gefässe.     Diese   sind  der  Weinberg, 
der  Herlinge  bringt,  und  die  Rebe,  die  bittere  Trauben  trägt,  und 
die  Pflanzung  von  Gomorrha.     Diese  sind  das  verworfene  Silber, 
das  der  Herr  verworfen  hat,  und  die  er  unrein  genannt  hat;  (sie 
sind)  die  verkehrte  Liebe,  die  thörichten  Jungfrauen,  die  schlafen- 
den Thürhüter;  das  sind  die,  welche  die  Schuldigen  freisprechen 
und    die    Unschuldigen    verurtheilen ,    das    sind    die   Kinder   des 
Spottes^);  das  sind  die,  welche  den  Tadel  hassen  und  schöne  Worte 
als  Entschuldigung  zu  machen  wissen.     Das  sind  die  2),  welche 
täglich  mit  Fabeln  umgehen.     Das   sind    die,   welche  die  Rede 
schmücken  und  im  Verborgenen  zischeln  und  hinter  dem  Rücken 
verletzen;    das  sind  die,  welche  pfiffig  sind  in  den  Worten,  und 
welche  sehen  auf  das  „Gib  mir**,  welche  unter  den  Brüdern  Strafen 
auflegen.    Diese  sind  die  Lügenzuugen  und  das  Herz,   das  auf 
Sünde  und  Bosheit  sinnet.     Das  sind  die,  deren  Worte  süss  sind 
und  (doch)  bitterer   als  Wermuth    und  gleich  Pfeilen,    das  sind 
überwundene  Athleten,  Schiffer,  welche  die  Schiffe  versenken,  und 
Leute,  die  in  das   Verderben  jagen;  das  sind  die  listigen  Späher, 
die  da  nach  dem  Untergange  ausschauen,   und  Streit  erwecken. 
Das  sind  die  aufwiegelnden  Boten,  die  einen  Stein  des  Anstosses 
hinwerfen  und  die  Königreiche  aufrührerisch  machen.    Diese  sind 
das   Gift  des  Todes,  die  Bitterkeit   der  Schlange  und  der  Zahn 
der  Viper.    Das  sind  die  Feinde  des  Gekreuzigten,  das  Aergerniss 
des  Kreuzes,  die  Christum  hassen.    Das  sind  die  Menschen,  welche 
Streit  erzeugen,  und  das  sind  die  Früchte  der  Zwietracht. 

§  23.  Unsere  Lieben,  die  Jünger  des  Herrn  sind  Kinder  des 
Friedens.  Ihr  seid  das  Licht  der  Welt,  das  Salz  der  Erde,  das 
Auge  des  Leibes,  ihr  seid  die  Söhne  des  Paradieses,  der  gute 
Samen  und  der  Bau  auf  dem  Felsen,  ihr  seid  die  weisen  Bau- 
meister, die  das  Fvmdament  graben  und  die  Fehler  3)  aufdecken. 
Ihr  seid  die  eifrigen  Landleute,  welche  die  Scheunen  voll  haben  und 
die  Früchte  einsammeln.  Ihr  seid  die  weisen  Kaufleute,  welche 
Geld  empfangen  und  Gewinn  aufweisen.    Ihr  seid  die  gemietheten 


1)  Die  Bedeutung  des  Wortes  uala-  ist  ungowiss. 

2)  Wörtlich:   „welche  das  Brot  essen  mit  Fabeln". 

ii)  Oder  auch:   ..Schimmel,  Pilz,  Schwamm,  Wurmt'rass''. 

16* 


244  Homilie  XIV. 

Arbeiter,  welche  Lohn  empfangen  und  mehr  verlangen  ').  Ihr 
seid  die,  welche  die  Schlüssel  haben,  die  treuen  Gesandten  und 
die,  die  das  Wachthorn  blasen.  Ihr  seid  die  Haushalter  und  Ver- 
walter und  die  neuen  Schläuche  und  die  Kleider  der  Herrlich- 
keit. Ihr  seid  die  Brautwerber  um  die  geschmückte  Braut  und 
das  Licht  in  der  Finsterniss.  Ihr  seid  die  Kinder  des  Frie- 
dens und  die  Brüder  Christi  und  der  Tempel  des  Geistes.  Ilir 
seid  die,  welche  laufen  in  der  Rennbahn  und  sich  abmühen  im 
Stadion  und  die  Kronen  empfangen.  Ihr  seid  die  Reben  im 
Weinberg,  und  der  Same  des  guten  Weizens,  welcher  hundert- 
ftiltige  Frucht  bringt.  Ihr  seid  die,  welche  das  Licht  leuchten 
lassen,  welche  durch  die  enge  Pforte  des  Reiches  eingehen.  Ihr 
seid  die  Kinder  der  Rechten,  die  da  wandeln  auf  dem  schmalen 
und  engen  Weg.  Ihr  seid  die  durch  das  Kreuz  Erlösten,  die 
erkauft  sind  durch  das  2)  Blut  und  den  Leib  Christi.  Ihr  seid 
die  Gesandten  Christi,  die  wahren  Prediger,  die  aus  dem 
Wasser  erzeugen.  Ihr  seid  der  angenehme  Geruch,  deren  Ge- 
ruch an  allen  Orten  weht.  Ihr  seid  der  neue  Teig,  in  welchem  der 
alte  Sauerteig  nicht  ist.  Ihr  seid  eingeladen  zu  dem  Bräutigam 
und  bekleidet  mit  den  Kleidern,  die  würdig  sind  des  Gastmahls. 
Ihr  seid  die,  Avelche  das  Joch  tragen,  die  im  Schweigen  sitzen 
und  die  Gefangeneu  der  Gemeinde.  Ihr  seid  die  Kinder  der  Ge- 
meinde, die  Ernährer  ihrer  Kinder,  und  die  Sammler  der  Heerde. 
§  24.  Ihr  seid  die  trefflichen  Hirten,  die  ihre  Heerde  auf 
gute  Weide  führen.  Und  unser  Erlöser  Jesus  ist  der  oberste  der 
Hirten,  das  Licht  in  der  Finsterniss,  das  Licht  auf  dem  Leuchter, 
das  die  Welt  erleuchtet  und  ihre  Sünden  sühnet.  Denn  er  ist 
die  gute  Perle,  und  wir  sind  die  Kaufleute,  die  ihren  Besitz  ver- 
kauft und  sie  gekauft  haben.  Und  er  ist  der  Schatz  im  Acker, 
und  wir,  da  wir  ihn  fanden,  freuten  uns  darüber  und  erwarben  ihn. 
Denn  er  ist  die  Quelle  des  Lebens,  und  wir,  die  wir  dürsteten, 
haben  aus  ihr  getrunken.  Und  er  ist  der  Tisch,  der  voll  ist  von  fetter 

1)  Es  beruht  dieses  auf  einer  eigeuthümlichen  Erklärung  des  Gleich- 
nisses von  den  Arbeitern  im  Weinberg,  Mt.  20,  1  —  16,  nach  welcher  als 
Grundgedanke  dieses  Gleichnisses  angenommen  wird,  dass  die  Arbeiter, 
die  am  Morgen  und  um  die  dritte  Stunde  in  den  Weinberg  gegangen  sind, 
vor  dem  Herrn  einen  Vorzug  haben,  der  darin  besteht,  dass  sie  getrost 
einen  grösseren  Lohn  verlangen  können,  als  ihnen  der  Herr  gleichwie 
den  später  eingetretenen  Arbeitern  gewährt.     Vgl.  §  12  dieser  Homilie. 

2)  A:  „durch  den  Leib  und  das  Blut  Christi". 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  245 

Speise  und  Labimg,  und  wir,  die  wir  hungrig  waren,  assen  davon 
und  wurden  ')  erquickt.  Und  er  ist  die  Thür  des  Reiches,  welche 
offen  steht  vor  allen,  die  eintreten.  Und  er  ist  der  Wein, 
welcher  erfreut ,  und  die  Trauernden ,  die  davon  trinken ,  ver- 
gessen ihre  Schmerzen.  Und  er  ist  das  Kleid  und  Gewand  der 
Herrlichkeit,  und  es  sind  damit  bekleidet  alle  Edlen.  Und  er 
ist  der  wahre  Weinberg,  und  sein  Vater  ist  der  Weingärtner, 
und  wir  sind  die  Reben,  die  darin  gepflanzt  sind.  Und  er  ist 
der  Thurm,  auf  welchen  viele  bauen.  Lasset  uns  seine  Kosten 
berechnen  und  (ihn)  bauen  und  vollenden.  Und  er  ist  der 
Bräutigam,  und  die  Apostel  sind  die  Brautwerber,  imd  wir  sind  die 
Braut,  lasset  uns  das  Hochzeitsgeschenk  bereit  halten  -).  Und  er 
ist  die  Leiter,  welche  in  die  Höhe  führt;  lasset  uns  arbeiten  und 
fleissig  sein,  dass  wir  auf  ihr  hinaufsteigen  zu  seinem  Vater. 
Er  ist  der  schmale  und  enge  Weg.  Lasset  uns  in  seinen  Spuren 
wandeln,  dass  wir  in  den  Hafen  kommen.  Und  er  ist  der  Priester, 
der  heilige  Diener,  undj  wir  wollen  arbeiten,  dass  wir  werden  die 
Kinder  seiner  Wohnung.  Und  er  ist  der  König,  der  Sohn  des 
grossen  Geschlechts,  der  da  auszieht,  das  Reich  einzunehmen. 
Lasset  uns  seine  Niedrigkeit  ehren,  damit  er  uns  an  seiner  Herrlich- 
keit theilnehmen  lasse;  und  er  ist  der  Prediger  und  der  Gesandte 
des  Höchsten,  lasset  uns  seine  Worte  hören,  dass  wir  Kinder  seien 
seines  Mysteriums.  Und  er  ist  das  Samenkorn,  das  viele  Frucht 
bringt,  das,  da  es  klein  ausgesät  ist,  zu  einem  starken  Baume 
wird.  Und  das  von  Maria  stammende  Kind  ist  (zugleich)  der  Erst- 
geborne. Lasset  uns  seine  Niedrigkeit  annehmen,  damit  wir  uns 
auch  seiner  Herrlichkeit  freuen.  Und  er  ist  der,  der  da  gelitten 
hat  und  lebendig  geworden  ist  und  in  die  Höhe  aufgefahren.  Lasset 
uns  in  Wahrheit  au  ihn  glauben,  dass  wir  seine  Wiederkunft  em- 
pfangen. Und  er  ist  der  Richter  der  Todten  und  der  Lebendigen, 
der  auf  dem  Throne  sitzet,  und  der  die  Stämme  richtet.  Und  er 
ist  es,  der  das  Reich  ererben  lässt,  und  in  die  Qual  sendet,  und 
nicht  die  Person  ansieht,  imd  keine  Bestechung  nimmt.  Nun  lasset 
uns  durch  ihn  seinem  Vater  danken,  und  lasset  uns  durch  ihn  anbeten 
den,  der  ihn  gesandt  hat,  und  durch  ihn  heiligen  seinen  Sender, 
der  Wohlgefallen  an  uns  hat  und  uns  durch  ihn  erAväliU  hat,  und 
uns  erfreut  hat  durch  ihn,  und  uns  berufen  hat  durch  ihn,  und  un- 

1)  A:  „und  wui'den  gesättigt". 

2)  U-».iöo9  Castell.  Michael,  lex.  syr.  S.  S65.  strena  nuptialis. 


246  Romilie  XI Y. 

sere  Niedrigkeit  mit  seiner  Herrlichkeit  versöhnt  hat.  Denn  wir 
haben  nichts,  um  zu  vergelten  diese  Liebe,  als  Preis  undAnbetnng, 
und  dass  wir  uns  unter  einander  lieben.  Um  diese  Früchte  lasset 
uns  uns  bemühen,  welche  zum  ewigen  Leben  führen. 

§  25.  LTns  gebühret,  unsere  Lieben,  dass  Avir  uns  zu  Gott 
wenden  und  ihm  darbringen  Bekehrung  des  Herzens,  und  dass 
wir  keinen  Theil  haben  an  der  Verstocktheit  Pharaos  und  der 
Thorheit  Kehabeanis,  und  dass  wir  fern  bleiben  von  Streit  und 
Zwietracht,  welche  den  Willen  des  Satans  erfüllen.  Denn  mit 
List  kommt  er  zu  den  Menschen  und  macht  sie  ihrem  Leben 
fremd')  und  erregt  sie  durch  seine  vielen  Begierden.  Mit  der 
Begierde  nach  allen  möglichen  Dingen  kommt  er  zu  den  Kindern 
Adams  und  entleert  sie  wie  leere  Gefässe,  wie  er  anfing  bei 
ihrem  ersten  Vater,  bevor  er  seine  einzige  Begierde  erkennen 
und  vor  ihr  fliehen  konnte.  Denn  zahlreich  sind  die  Künste 
des  Listigen.  Durch  die  Begierde  nach  Speise  brachte  er  Adam 
aus  dem  Paradiese.  Durch  die  Begierd^  nach  Mord  trennte  er 
Abel  von  seinem  Bruder  Kain,  durch  Spottlust  ward  Cham  der 
niedrigste  Knecht  seiner  beiden  Brüder,  und  durch  die  Ge- 
frässigkeit  schloss  er  Esau  von  dem  Segen  und  von  dem  Erst- 
geburtsrecht aus.  Durch  seine  schamlose  Begierde  fiel  Si- 
chem,  der  Sohn  Hamors,  in  das  Schwert,  er  und  sein  ganzes 
Volk.  Durch  die  Begierde  des  Hasses  und  Neides  verkauften 
die  Söhne  Jakobs  ihren  Bruder  Joseph  den  Arabern.  Und  durch 
ihre  schamlose  Begierde  suchte  das  Weib  seines  Herrn  Joseph 
zu  verführen,  und  er  kam  aus  ihrem  Dienst.  Und  durch  ihre 
schändliche  Begierde  gingen  die  Sodomiter  unter,  welche  sich  in 
das  Feuer  stürzten  und  umkamen  und  verbrannten  im  Feuerofeu. 
Und  durch  die  Begierde  der  Wuth  Pharaos,  des  Königs  von 
Aegypten,  versank  er  ins  Meer,  er  und  sein  Heer.  Und  durch 
die  Begierde  nach  dem  Fleischgeruch  des  Landes  Aegypten 
kamen  die  Kinder  Jakobs  um  in  der  öden  Wüste.  Durch  die 
Begierde  nach  Besitz  wurden  die  Kinder  Rubens  und  Gads  und 
Manasses  zurückgehalten  und  kamen  nicht  in  das  Land  der  Ver- 
heissung  mit  ihren  Brüdern.  Und  durch  die  Begierde  ihrer  Schwel- 
gerei und  ihrer  Trunkenheit  verbrannten  Nadab  und  Abihu  in 
der  Stiftshütte.  Und  um  der  Begierde  nach  Luxus  und  Diebstahls 
willen   erschreckte    der  Herr  Achan   durch   Josua.     Und   durch 

i)  wörtlich:  überflüssig,  überzählig  für  ihr  Leben. 


Die  Unterweisung  van  der  Ermahnung.  247 

die   schamlose  Begierde  Simris,    des   Sohnes  Sahims,   fielen  von 
Israel    24000    in    einer    Stunde,    und   wegen    des    Streites    und 
Frevels  tödtete  Abimelech,  der  Sohn  Gideons,  seine  siebzig  Brüder. 
Und   durch  die  Begierde  nach  Delila,    dem  Hurenweibe,    wurde 
Simson    seiner    Kraft    beraubt,    und    es    entwich    von   ihm   sein 
Nasiräat.    Und  durch  die  unreine  Begierde  der  Männer  von  Gaba 
fielen  von  Israel  und  Benjamin  durch  das  Schwert  65000.    Und 
durch  die  Begierde  der  Gefrässigkeit  der  Söhne  Elis  wurden  sie 
verworfen   und    schieden    aus    dem   Priesterthum   des   Heiligen. 
Und    durch    die  Begierde   der  Barmherzigkeit,    des   Erbarmens 
über  Amalek,   brach   er  das  Königthum  Sauls.     Und   durch  die 
Begierde  nach  Tamar,   der  Schwester  Absaloms,    ward   Cham- 
non '),  der  älteste  Sohn  Davids,  getödtet.    Und  durch  die  Begierde 
seines  Hochmuths  gelangte  Adouia,  der  Sohn  Chagits-),  nicht  zum 
Königthum  des  Hauses  Davids.     Und  durch  die  Begierde  nach 
vielen  Weibern  wich  das  Herz  Salomos  von  seinem  Gott.     Und 
durch  die  thörichte   Begierde  Rehabeams   theilte  der  Herr  und 
brach  sein  Reich.     Und  durch   die  Streitsucht  Jerobeams,    des 
Sohnes  Nebats,    fielen  von  Israel  durch  die  Hand  Ablas,    des 
Sohnes  Rehabeams,  fünfhunderttausend  an  einem  Tag.   Und  durch 
die  Begierde  nach   dem  Weinberg  Nabots,  den  Ahab   begehrte, 
zog  dieser  hinauf  und  fiel  im  Krieg  zu  Ramoth  Gilead.  Und  durch 
die    Begierde    nach    dem    Gelde    Naemans,    das    Gehasi    nahm, 
ward  dieser  mit  Aussatz  bedeckt,  er  und  sein  Same  ewiglich.   Und 
durch    die    Begierde    nach    seiner   Schatzkammer    rühmte    sich 
Hiskia,  und  es  wurden  gefangen  geführt  sein  Besitz,  auch  seine 
Kinder  nach  Babel  3).     Und  durch  die   Begierde  der  Lästerung 
Sanheribs    fiel    sein   Heer    durch    das    Schwert    des    Höchsten. 
Und  durch   die  Begierde    seines  Herzens   wurde  Nebukadnezar 
von  den  Menschenkindern  vertrieben  zu  den  Thieren  des  Feldes. 
Und  in    der  Begierde  nach    seinem   Besitz   wollte  Haman  den 
Samen  der  Juden  vernichten.     Und  in  der  Begierde  des  frevel- 
haften Bundes  verleumdeten  die  Chaldäer  Daniel.     Und   durch 
seine    Diebsgelüste     wurde    Juda     der    Verräther     des    Königs 
Christus.     Und  durch  die  Begierde  der  Erbitterung  Israels    ver- 
warfen sie  Christum  und  wiesen  sein  Reich  von  sich.     Und  es 
ist  vieles  Aehnliche,  das  geschrieben  ist  von  Gesclilecht  zu  Ge- 

1)  Amnon.  —  2)  Luther:  Haggiths. 

2)  B  statt  '^  nnN,  „nach  Babel",  ^-iSl.::^.,  ewiglich. 


248  Homilie  XI Y. 

schlecht.  Die  Schlingen  des  Listigen  sind  gelegt,  und  er  spannt 
seine  Netze  aus  wie  ein  weiser  Jäger.  Er  fängt  und  leitet  und  führt 
ins  Verderben  nach  seinem  Wohlgefallen  und  seine  Lüste  sind  süss. 
Und  er  führt  nicht  mit  Gewalt,  sondern  mit  Schmeichelei,  er  scheinet 
süss,  da  er  doch  bitterer  ist  denn  Wermuth.  Wenn  jemand,  der  er- 
zürnt war,  sich  mit  seinem  Genossen  versöhnt,  klagt  und  weint  er, 
dass  er  aus  seinem  Dienste  entwischt  ist.  Frieden  kränkt  ihn,  und 
er  liebt  den  Aufruhr,  und  bei  allen  Gelegenheiten  wirft  er  seine 
Lockspeise  aus  zum  Fang  und  verbirgt  seine  Schlingen  wie  ein 
Jäger,  ein  weiser  Künstler,  und  er  wirft  (seine  Netze  aus)  und 
sammelt  zu  sich  alle  seine  Hausgenossen.  Seine  Wege  sind  weit 
und  seine  Stege  breit,  und  es  eüen  zu  ihm  alle  Kinder  des  Auf- 
ruhrs. Und  es  schauen  auf  ihn  die  Weisen  und  hüten  sich  ^)  vor 
ihm,  und  thun  seinen  Willen  nicht,  da  sie  wissen,  dass  er  listig 
ist;  und  seine  verborgenen  Schlingen  sehen  die  Weisen  und  sein 
ausgespanntes  Netz  ist  vor  ihnen  offenbar.  Sie  glauben  nicht 
seinen  Schmeicheleien  und  entgehen  allen  seinen  Speisen,  welche 
bitter  sind. 

§  26.  Das  haben  wir  euch  geschrieben,  unsere  Lieben,  und 
auch  uns  selbst  daran  erinnert,  nicht  als  ob  ihr  nöthig  hättet 
von  uns  zu  lernen,  sondern  wie  Berather  und  Gehilfen  (haben 
wir  geschrieben) ;  wie  geschrieben  steht  ■^) :  Wenn  einem  Bruder 
von  seinem  Bruder  geholfen  wird,  ist  er  wie  eine  Stadt,  die  unter- 
stützt wird  von  ihrer  Burg.  Und  der  Apostel  sagt^j:  Wir  sind 
Gehilfen  eurer  Freude;  und  wiederam  sagt  er^):  Diese  sind  un- 
sere Gehilfen  im  Reiche  Gottes.  Und  wiederum  steht  geschrieben 
in  einem  anderen  Briefe):  So  ist  unter  euch  auch  nicht  ein 
Weiser,  der  da  könne  Frieden  stiften  zwischen  einem  Bruder  und 
seinem  Bruder?  Denn  die  Weisen  und  die,  welche  Gott  fürchten, 
nehmen  ein  Wort,  auch  wenn  es  von  einem  Unwissendeii  ausgeht, 
doch  auf  und  schämen  sich  nicht.  Mose,  der  Prophet,  das  Oberhaupt 
des  ganzen  Volkes  Israel,  nahm  einen  guten  Rath  an  von  Jethron^), 
dem  Priester  Midians,  und  es  ward  geschrieben  der  Name  Jethrons 
in  seinem  heiligen  Buche "),  und  es  besteht  ^)  das  Gebot  Israels 
ewiglich.  Und  wenn  aber  jemand  gegen  diesen  unseren  Rath 
streitet  und  nicht  dem  Frieden  nacheilt,  der  möge  bedenken,  was 

1)  r^V^.  ein  unsicheres  Wort.  —  2)  Prov.  IS,  19.  —  3)  2.  Cor.  1,  24. 
—  4)  Col.  4,  11.  —  5)  1.  Cor.  6,  5.  —  6)  Luther:  Jetro.  —  7)  A:  im  Buche 
des  Heiligen.  —  8)  A :  sein  Rath  in  Israel. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  249 

von  solclieu  Dingen  geschehen  ist  von  Anfang  an.  Denn  in  allen 
Geschlechtern  wurden  thörichte  Menschen  gefunden,  welche  einen 
guten  Rath  nicht  hörten,  und  diese  blieben  im  Unglück  bis  ans 
Ende.  Da  Adam  gesündigt  hatte,  rief  ihn  sein  Herr,  dass  er 
Busse  thue,  aber  er  nahm  es  nicht  an,  und  er  suchte  sich  zu 
decken  durch  das  Wort:  Eva  hat  mich  verführt;  und  er  bereaete 
es  nicht  und  that  nicht  Busse.  Und  da  Kain  seinen  Bruder 
getödtet  hatte,  sprach  Er  mit  ihm,  dass  er  es  bereuete  und  Busse 
thäte,  und  er  nahm  seine  Zuflucht  zu  der  Lüge:  Ich  habe  ihn 
nicht  gesehen.  Und  die  Sodomiter  versuchte  Er  durch  die  Engel, 
ob  sie  sich  vielleicht  bekehrten,  und  diese  blieben  in  ihrer  Frech- 
heit und  gingen  unter  und  kamen  um  und  verbrannten  in  Feuer 
und  Schwefel.  Und  dem  Könige  Pharao  rietheu  seine  Fürsten  ^j:  Du 
hast  Aegypten  zu  Grunde  gerichtet  durch  deinen  Widerstand, 
und  er  hörte  nicht  den  Rath  der  Weisen.  Und  Rehabeam 
riethen  die  Aeltesten,  die  mit  seinem  Vater  das  Reich  geleitet 
hatten,  und  er  verwarf  den  Rath  der  Weisen  und  berieth  sich 
mit  den  Jungen,  und  sein  Reich  wm'de  getheilt,  und  er  gerieth  in 
Schanden.  Uebrigens  aber  ihr,  unsere  Brüder,  seid  weise  und 
von  Gott  gelehrt.  Wir  wollen  uns  nicht  schämen  und  uns  nicht 
bedenken,  um  Frieden  zu  bitten  und  im  Frieden  zu  wandeln, 

§  27.  [Denn  Eifersucht  und  Streit  -)  trennt  Brüder  von  ihren 
Freunden  und  treibt  sie  von  Stadt  zu  Stadt  und  macht  sie  zu 
Fremdlingen  und  Leuten,  die  aus  ihrer  Heimath  vertrieben  sind. 
So  lange  sie  leben  und  wandeln  auf  Erden,  werden  sie  für  Todte 
gehalten  von  den  Kindern  ihres  Gesclilechts.]  Denn  Eifersucht  und 
Streii  verwü'rt  die  Kihiigreiche  und  zerstört  die  Städte  und  ver- 
nichtet die  Völker  und  zerstört  die  Burgen  und  iiift  viele  Morde 
hervor,  imd  der  Verwüstung  ist  viel  durch  ihn.  Es  trennt  die  Eifer- 
sucht die  Weiber  von  ihren  Gatten,  und  die  Kinder  stehen  durch 
dieselbe  auf  gegen  ihre  Eltern.  Und  Liebende  trennt  sie  von  denen, 
welche  sie  lieben,  und  Freunde  macht  sie  zu  Feinden  gegen  die, 
welche  ihnen  theuer  sind.  Sie  reizet  und  wiegelt  einen  gegen 
den  andern  auf  und  spaltet  zwei  gegen  drei  und  drei  gegen 
zwei.  Einer  tödtet  den  andern  durch  seine  Zunge  und  vernichtet 
ihn  durch    seinen  Mund   und   verschont  nicht.     Es   erzeugt  die 


1)  Exod.  10,  7.  —  2)  Das  Eingeklammerte  fehlt  bei  A.  Dieser  hat 
dafür  nach:  „der  Verwüstung  ist  viel  durch  ihn"  den  Satz:  „Eifersucht 
und  Neid  trennen  Ihüder  von  ihren  Freunden". 


250  Houiilie  XIV. 

Eifersucht  in  dem  Mensclieu  Seufzer  Tag  für  Tag,  und  böse  Ge- 
danken schlummern  in  denen,  welche  die  Streitigkeiten  lieben,  und 
der  alte  Sauerteig  gährt  und  wü-d  alt  in  ihnen;  ein  solcher  geht 
schwanger  mit  Verderben  und  bringet  bittere  Früchte ;  ihn  flieht 
der  Schlaf  in  langer  Nacht,  und  der  Freund  wird  umgewan- 
delt, dass  er  seinen  Freund  schmäht.  Und  wenn  es  sich  trifft, 
und  ein  trefflicher  Gedanke  in  sein  Herz  kommt,  vertreibt  ihn 
der  Böse  aus  seinem  Herzen  und  pflanzt  seine  Wurzeln  in  die 
Winkel  seines  Innern,  und  schlägt  seine  Nägel  in  die  Gedanken 
seines  Herzens.  Er  sammelt  und  bringt  über  ihn  viele  Gedanken, 
und  sie  gehen  hinein  und  nisten  sich  fest  in  seinem  Innern.  Es 
tritt  herein  und  wird  in  ihn  gesät,  was  vom  Bösen  geboren  ist, 
und  es  sind  ihm  fi-emd  die  Gedanken  der  Weisen;  es  wird  in 
ihm  der  gute  Same  unterdrückt,  wie  der  Weizen  von  den  Dornen 
erdrückt  wird.  Es  fehlen  in  seiner  Seele  die  guten  Früchte,  und 
er  rottet  aus  und  wirft  heraus  den  guten  Samen  aus  seinem 
Herzen,  Es  stellt  der  Böse  seine  Wächter  an  die  Thüren  seiner  Ge- 
danken, und  diese  verwirren  seine  Seele  durch  viele  Schmeicheleien, 
sie  gehen  sanft  in  ihn  ein  wie  Wasser  und  tränken  ihn.  Sein 
Herz')  ist  wie  der  harte  Felsen,  der,  wenn  guter  Samen  auf 
ihn  fällt,  ihn  rasch  aufnimmt,  aber  seine  Zweige  werden  dürr 
und  er  bringt  keine  Früchte.  Er  steht  und  betet  nach  der 
täglichen  Gewohnheit;  er  beginnt  und  beendigt  und  vollendet 
sein  Gebet,  und  sein  Herz  merkt  nichts  von  dem,  was  seine  Lippen 
sprechen.  Er  übt  seinen  Mund  im  Hersagen  der  gewöhnlichen 
Lehre,  und  sein  Herz  ist  leer  vom  Guten.  Er  lässt  verschwinden 
aus  seinem  Herzen  die  Lehre  des  Geistes,  und  seine  Seele  ver- 
gisst,  was  er  gestern  gelernt  hat.  Während  er  daran  denkt, 
seufzt  sein  Geist  einmal  über  das  andere,  und  es  stärkt  ihn  der 
Böse  und  füllt  ihm  das  Herz  aus,  und  es  haften  in  ihm  fest  die 
Gedanken  des  Listigen  2).  Und  sein  Herz  schwimmt  wie  auf 
einem  See  mit  tiefen  Wassern,  Sein  Herz  ist  finster,  und  sein 
Geist  ist  dunkel,  und  seine  Erkenntniss  ist  blind  und  tastet  iind 
stösst  sich.  Der  Böse  hält  ihn  bei  der  Hand  und  treibt  ihn 
zur  Eile,  und  führet  ihn  auf  seinen  Pfaden  in  Irrthum,  da  kein 
Weg  ist.  Er  entfernt  und  nimmt  von  ihm  alle  guten  Gedanken 
und  lässt   ihn  sinnen  über  seine  eigenen  Schlechtigkeiten.     Er 

1)  Die  Lesart  A,  die  Wright  in   den  Text    aufgenommen  hat,    gibt 
keinen  Sinn.    Wir  haben  Lesart  B  übersetzt.  —  2)  B :  Gedanken  der  List. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  251 

hetzt  ihn  auf:  Du  sollst  nicht  Ermahnimg'  hören  und  sollst  nicht 
die  Erniedrigung  auf  dich  nehmen  und  dich  versöhnen.  Der 
Böse  lacht  über  ihn,  wenn  er  ihm  schmeichelt,  denn  er  macht 
ihn  zu  seinem  Knechte,  der  seinen  Willen  thut.  Und  jener  merkt 
es  nicht,  dass  er  erkauft  ist  ohne  Kaufpreis,  und  er  sieht  nicht, 
dass  seine  Erkenntniss  blind  ist.  Er  ist  listig  und  schmeichelt 
ihm  mit  allen  Künsten.  Und  die  Lockspeise  legt  er  ihm  wie 
den  Vögeln.  Der  junge  (unerfahrene)  Vogel  freut  sich  in  seinem 
Herzen,  wenn  er  die  Lockspeise  sieht,  die  verborgen  ist  in  der 
Oeffnung  der  Schlinge.  Er  kommt  in  seiner  Unerfahrenheit  her- 
bei, sie  aufzupicken,  und  die  Schlinge  geht  zu.  Und  er  will  ent- 
fliehen, da  er  doch  gefangen  ist.  Es  freut  sich  der  kluge  Jäger 
über  sein  Loos,  dass  er  nicht  vergeblich  gewartet  hatte.  Also 
auch  den  Menschen,  der  Streit  und  Eifersucht  liebt,  bläst  der  Böse 
auf  und  füllt  ihn  mit  bitteren  Früchten  und  schmeichelt  ihm  und 
verlockt  ihn  wie  den  Vogel;  er  legt  ihm  Lockspeise,  und  die  Schlinge 
geht  über  ihm  zusammen.  Und  wenn  er  ihn  durch  die  Süssigkeit 
seiner  Schmeicheleien  gefangen  hat,  lehrt  er  ihn  Lehren,  die  er 
nicht  gehört  hatte;  er  erfährt  ein  Gericht  und  wird  durch  Worte 
geplagt,  und  er  verschliesst  in  seinem  Innern  verderbliche  Lehren. 
Das  Gute,  das  er  vielleicht  gelernt  hat,  vergisst  er,  und  es  weicht 
aus  seinem  Herzen.  LTnd  sein  Eigenes  ist  in  seinem  Innern  be- 
wahrt wie  ein  gehüteter  Schatz.  Und  die  bösen  Sehnen  sitzen 
fest  in  seinem  Innern.  Kaum  werden  mit  vieler  Mühe  seine 
Klauen^)  ausgerissen  wie  die  des  Löwen  über  seiner  Herde; 
und  ein  Aveiser  Arzt  rottet  nur  mit  vielen  Arzneien  die  Klauen 
aus  seinem  Herzen  aus.  Denn  wenn  die  Tage  lang  währen,  da 
böse  Gedanken  in  dem  Menschen  sind,  bringt  sein  Herz  böse 
Früchte,  und  seine  Zunge  redet  viel  aufrührerische  Reden.  Süss 
ist  die  Begierde  des  Bösen  und  verlockt  seine  Seele,  und  ihr 
Ende  ist  bitterer  denn  das  Gift  der  Schlange.  Und  für  jeden, 
der  Zorn  in  seinem  Herzen  hat,  gibt  es  keine  andere  Arznei  zur 
Heilung,  als  den  Frieden ;  und  man  unterwerfe  sich  seinem  Bru- 
der und  erdulde  Unrecht  von  seinem  Freunde.  Und  solange  die 
Früchte  des  Friedens  nahe  sind,  werden  die  Gedanken  der  Eifer- 
sucht vergehen,  und  man  wird  ihrer  nicht  gedenken,  und  sie 
werden  nicht  im  Herzen  aufsteigen. 

§  28.    Unsere  Lieben,  unserer  eigenen  Sünden  sind  genug. 

1)  B:  „seine  Geheimnisse*'  (geheime  Schätze)  statt  , .seine  Klauen". 


252  Homilie  XIV. 

Werden  iiiclit  durch  die  Aergernisse,  die  wir  geben,  viele  wankend 
gemacht?  Denn  es  begegnet  ein  Bruder  seinem  Freunde,  und 
neiget  sein  Angesicht  und  verweigert  ihm  den  Gruss,  und  wenn 
ihm  vielleicht  ein  frevelhafter  Heide  begegnet,  grüsst  er  ihn  zuerst 
mit  seinem  Gruss.  0  Blindheit,  die  die  Seele  verfinstert,  o  sicherer 
Schlaf,  o  Todesschlummer!  Welche  Entschuldigung  werden  wir 
haben?  Denn  wenn  ein  frevelhafter  Manu,  ein  Uebelthäter  und 
Reicher,  uns  begegnet,  dann  bezeugen  wir  ihm  unsere  Verehrung 
und  grüssen  ihn  mit  seinem  Gruss,  und  den  Gruss  der  Brüder 
und  Freunde  hält  der  Böse  mit  seinem  Neid  von  uns  ferne. 
Unser  Herr  gebietet^):  Liebet  einander;  und  der  selige  Apostel 
mahnt  zur  Liebe,  und  Mose,  das  Fundament  der  Propheten, 
spricht'^):  Du  sollst  deinen  Bruder  nicht  in  deinem  Herzen  hassen, 
damit  du  nicht  sündigst.  Und  Etliche  von  uns  hassen  in  ihrem 
Herzen  und  belfern  mit  den  Lippen.  Unser  Herr  hat  geöffnet  vor 
uns  seine  grosse  Schatzkammer,  die  voll  ist  von  allen  Gütern. 
In  ihr  ist  Liebe,  in  ihr  ist  Friede,  in  ihr  ist  Barmherzigkeit,  in 
ihr  ist  Heil,  in  ihr  ist  Reinheit  und  in  ihr  sind  alle  Arten  gut 
und  schön  und  vorzüglich.  Und  er  hat  Haushalter  über  sein 
ganzes  Schatzhaus  gesetzt  und  hat  wiederum  in  die  Hand  der 
Haushalter  avich  Ketten  und  Gefangnisse  und  Gefangene  gegeben, 
und  hat  ihnen  die  Macht  gegeben  zu  binden  und  zu  lösen.  Und 
die  Haushalter  verlassen  die  Liebe  und  den  Frieden  und  das  Er- 
barmen und  die  gauze  Schatzkammer  mit  ihrem  Lihalt,  und  er- 
wählen sich  und  nehmen  Ketten  und  Banden,  und  sind  Gefäugniss- 
verwalter  und  Scharfrichter  und  Quästoren  statt  Haushalter  der 
Schatzkammer  aller  Güter.  Wer  eingeht,  ist  gefesselt,  und  wer 
herauskommt,  ist  gebunden.  Da  ist  einer,  der  sündiget  und 
Uebel  thut  vor  Gott,  und  den  Gefängnissverwaltern  schön 
thut,  und  die  entbinden  ihn  von  seinen  Ketten  und  sprechen  zu 
ihm:  „Gott  ist  gnädig  und  vergibt  die  Sünden;  Sünder,  komme 
zum  Gebet  3)".  Zu  dem,  der  ihnen  übel  thut,  auch  in  einer  ge- 
ringen Sache,  sprechen  sie:  „Du  bist'')  gebunden  und  verflucht 
im  Himmel  und  auf  der  Erde.  Wehe  auch  dem,  der  mit  ihm 
redet".  Wir  meinen,  unsere  Brüder,  dass  der  König,  wenn  er 
von  seinen  Haushaltern  sieht,  dass  sie  das  Gesetz  übertreten  und 
verändern  das  Gebot,  das  er  ihnen  gegeben  hat,  und  ihren  eigenen 

1)  Joh.  15,  12.  —  2)  Levit.  19,  17.  —  3)  Es  ist  dies  wohl  die  Formel 
der  Aufhebung  der  Excommunication.  —  4)  Formel  der  Excommunication. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  253 

Willen  dafür  setzen,  sie  mit  den  Fesseln,  die  sie  gern  anwendeten, 
fesselt  und  das  Blut  seiner  Knechte  an  ihnen  rächt  und  denen 
seinen  Schatz  entzieht,  die  nicht  seine  Freunde  sind.  Unser  Herr 
lehrt  ^):  Wenn  an  dir  dein  Bruder  übel  thut,  so  stelle  ihn  zur  Rede 
zwischen  dir  und  ihm,  und  wenn  er  sich  bekehrt,  so  vergib  ihm, 
und  wenn  er  dich  nicht  hören  wird,  so  bringe  einen  oder  zwei, 
damit  auf  zweier  oder  dreier  Zeugen  Augen  alle  Sache  bestehe. 
Und  wenn  er  auf  diese  nicht  hören  wird,  so  sage  es  der  Ge- 
meinde, und  wenn  er  die  Gemeinde  nicht  hören  wird,  alsdann 
werde  er  von  dir  wie  ein  Heide  gehalten  und  wie  ein  Zöllner, 
weil  er  die  Ermahnung  nicht  angenommen  hat.  Und  wir  stellen 
ilm  nicht  zwischen  uns  zur  Rede  und  auch  nicht  vor  Zweien 
oder  Dreien  und  auch  nicht  in  der  Gemeinde,  da  ist  kein  Ge- 
richt und  keine  Anklage,  sondern:  Er  sei  gebunden  und  verflucht, 
spricht  man.  Und  wiederum  sagt  unser  Herr  2) :  Wenn  siebzig  mal 
sieben  mal  ein  Uebelthcäter  an  dir  sündigt,  so  vergib  ihm  au 
einem  Tag.  Wer  wäre  der  Mensch,  dessen  Uebelthaten  so  viele 
wären,  dass  er  an  einem  Tage  490  mal  Unrecht  thäte  an  seinem 
Nächsten?  Und  auch  wenn  er  alles  dieses  Unrecht  thäte,  ge- 
bietet unser  Herr  doch  zu  vergeben.  Und  wir  vergeben  nicht 
einmal  in  490  Tagen  ein  Unrecht.  Und  wir  sind  todt  in  unsern 
Sünden,  die  im  Festhalten  des  Zorns  bestehen,  ganz  abgesehen 
von  unsern  anderen  Sünden. 

§  29.  Unsere  Brüder,  diese  wenigen  Worte  der  Ruhe  und  des 
Friedens  haben  wir  euch  wegen  der  Unruhe,  die  zu  dieser  Zeit 
unter  uns  ist,  geschrieben,  damit  wir  theilhaftig  würden  eures 
Friedens,  und  auch  an  die  Brüder  an  allen  Orten,  wohin  dieser 
Streit  und  diese  Zwietracht  gekommen  sind.  Und  Avenn  jemand 
diese  Worte  nicht  annimmt,  so  werden  nicht  wir  verschmäht 
und  auch  nicht  beraubt.  Denn  auch  gegenüber  Allen,  deren  die 
Welt  nicht  werth  war,  wurden  zu  allen  Zeiten  bei  ihrem  Lehren 
böse    Menschen    gefunden,    die    gegen    sie    aufstanden    und    sie 

1)  Luc.  17,  3;  Mt.  18,  15  ft'.  Es  ist  diese  Stelle  eine  Verschmelzung 
von  Luc.  17,  3  (abgekürzt)  und  Mt.  18,  15.  In  Mt.  18,  15  haben  Pesch. 
und  Syr.  Curet.  das  hier  fehlende  ?om\^,  „allein".  Von  dieserTextmischung 
ist  sonst  keine  Spur  zu  finden.  Es  ist  eben  Tat.  Diatess.  (cf.  Cod.  Ful- 
densis  p.  91,  9  —  12),  welchem  Aphr.  folgt.  Vgl.  Ephraem.  Com.  S.  165 
(Zahn,  Forschungen  I). 

2)  Mt.  18,  22. 


254  Homilie  XIV. 

scbmähten  und  gegen  ihre  Worte  kämpften.  Und  sie  schmähten 
Mose,  und  es  stand  gegen  ihn  auf  die  Gemeinde  der  Gottlosen. 
Und  auch  seine  eigenen  Brüder  hassten  Jeremia  und  warfen  ihn 
in  die  Grube.  Da  er  die  Kinder  seines  Volkes  für  ihre  Sünden 
strafte,  sprachen  sie  gegen  ihn  ^) :  Dieser  Mann  hat  kein  Wohl- 
gefallen an  dem  Frieden  dieses  Volkes  und  macht  die  Hände  der 
kämpfenden  Männer  schlaff.  Und  auch  von  Babel  sandten  die  fal- 
schen Propheten  zu  den  Priestern  Jerusalems  mit  der  Botschaft-^): 
Hindert  Jeremia  an  seiner  W^eissagung.  Und  da  er  die  Wider- 
spenstigkeit sah,  dass  sie  seine  Strafreden  nicht  annahmen,  sprach 
er  3):  Ich  sprach,  ich  will  nicht  im  Namen  des  Herrn  reden  und 
nicht  seines  Wortes  gedenken ;  und  es  Avard  in  meinem  Munde  wie 
Feuer,  das  brannte,  und  wie  Gluth  in  meinen  Gebeinen.  Und 
ich  suchte  es  zu  ertragen  und  konnte  es  nicht.  Und  zu  der  Zeit 
gebot  sein  Herr  auch  Hesekiel  und  sprach  zu  ihm*):  Siehe,  über 
dich  sind  Ketten  geworfen,  und  sie  fesseln  dich  damit,  und  wenn 
sie  dir  also  thun  werden,  sollst  du  verstummen  und  ihnen  nicht 
Strafredner  sein,  denn  ich  klebe  deine  Zunge  an  deinen  Gaumen. 
Und  zu  anderer  Zeit  sprach  er^):  Mein  Mund  ist  geöffnet, 
und  er  soll  nicht  wieder  geschlossen  werden.  Und  auch  zu 
Amos  sprachen  sie''):  Du  sollst  nicht  weissagen  im  Namen  des 
Herrn ,  und  sollst  nicht  belehren  die  vom  Hause  Isaaks ,  und  er 
liess  sich  in  seinen  Weissagungen  nicht  hindern.  Und  als  Baruch, 
der  SohnNerias,  die  heiligen  Worte  aus  dem  Munde  Jeremias  nieder- 
geschrieben hatte,  und  da  der  König  Zedekia  sie  hörte,  verbrannte 
er  dieselben  mit  Feuer,  weil  Strafrede  in  ihnen  war.  Und  Jeremia 
schrieb  sie  wieder  und  fügte  noch  andere  zu  ihnen  hinzu.  Und  diese 
nahmen  die  Belehrung  nicht  an  und  bekehrten  sich  nicht  von 
ihren  Sünden.  Und  die  Strafe,  die  da  gebührt  den  Uebertretern 
des  Gesetzes,  empfingen  sie  von  der  Hand  des  Königs  von  Babel. 
Und  wiederum  sprach  Gott  über  alle  Propheten '') :  Ich  schlug 
meine  Propheten  und  tödtete  sie  durch  das  Wort  meines  Mundes; 
und  es  bekehrten  sich  die  Kinder  Israels  nicht  von  ihren  Sünden. 
Und  unsern  Erlöser  nannten  die  Kinder  seines  Volkes  auch  Sama- 
riter und  schimpften  ihn  Beelsebub,  und  als  ob  der  Teufel  in 
ihm  wäre.  Und  Paulus,  da  er  lehrte,  nannten  sie  einen  leeren 
Schwätzer.     Und  nicht   allein  ihre  Worte  nahmen  sie  nicht  an, 

1)  Jerem.  38,  4.  —  2)  Jerem.  29,  27.  —  3)  Jerem.  20,  9.  —  4)  Ezech. 
3,  25.  26.  —  5)  Ezech.  33,  22.  —  6)  Amos  7,  16.  —  7)  Hosea  6,  5. 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  255 

sondern  sie  wurden  auch  mit  Schlägen  und  Geisseihieben  unter 
ihnen  gepeinigt  und  auch  bis  zum  Tode.  Gegen  Mose  stand  sein 
Volk  auf,  ihn  zu  steinigen.  Micha  sandte  Ahab  ins  Geföngniss. 
Jeremia  warfen  sie  in  die  schlammige  Cisterne.  lieber  Hesekiel 
warfen  sie  Ketten.  Und  unsern  Erlöser  ergriffen  und  höhnten  sie 
und  sprachen  ihn  der  Sünde  schuldig  und  hängten  ihn  ans  Holz. 
Und  Paulus  fesselten  sie  bald,  bald  steinigten  sie  ihn,  bald  Hessen 
sie  ihn  im  Korbe  von  der  Mauer  herunter.  Alle  diese  Schmähungen 
erduldeten  sie  von  den  Händen  der  Kinder  ihres  Volks.  Und  sie 
sind  nicht  betrübt  über  ihre  Anfechtungen  gewesen,  weil  ihr  Bau 
auf  das  feste  Fundament  gegründet  ist.  Wenige  verwarfen  sie,  und 
Viele  nahmen  sie  auf,  und  erhielten  das  Leben  durch  ihre  Worte, 
und  ihr  guter  Xame  besteht  für  ewige  Geschlechter.  Unser  Herr  ist 
der  Säemann,  und  wir  sind  das  Land,  das  den  Samen  aufnimmt.  Und 
es  füllt  der  Säemann  seine  Hand  und  warft  auf  sein  Land.  Etliches 
föllt  unter  die  Dornen  und  etliches  auf  den  Felsen,  und  davon  lesen 
es  die  Vögel  auf.  Und  was  davon  auf  gutes,  gepflügtes  Land 
fällt,  das  bringt,  wenn  es  gross  wird  und  aufsteigt,  Früchte  hun- 
dertfältig und  sechzigfältig  und  dreissigfaltig.  Und  sehet,  dass  nur 
einer  von  vier  Theilen  als  Samen  gerettet  wird  und  Früchte  bringt. 
Ein  Theil  fällt  vmter  die  erstickenden  Dornen,  und  ein  Theil  fällt 
auf  den  Felsen,  welchen  die  Sonne  mit  ihren  Strahlen  austrocknet, 
und  einen  Theil  liest  der  Vogel  auf,  welcher  ist  der  böse  räube- 
rische Vogel,  und  ein  Theil  fällt  auf  gepflügtes  Land,  und  es 
empfängt  Wasser  und  bringt  Früchte.  Und  wir,  unsere  Lieben, 
wenn  wir  auch  Sünder  und  schwach  sind,  wir  sind  doch  auf  dieses 
Fundament  gebaut,  und  war  haben  von  dem  Sauerteig  empfangen, 
und  in  unser  Land  ist  der  Same  unseres  Herrn  gefallen,  und  von 
dem  reichen  Kaufmann  haben  wir  Geld  empfangen,  und  über 
alles  Fleisch  ist  sein  Geist  ausgegossen,  und  seine  Güte  wird 
niemand  versagt.  Wenn  vielleicht  jemand  uns  verachtet  und,  was 
wir  geschrieben  haben,  nicht  annimmt,  so  schadet  er  uns  nicht, 
und  er  findet  keine  Hilfe;  und  uusre  Worte  bringen  Gewinn  denen, 
die  sie  hören.  Denn  wir  haben  euch  nichts  ausser  dem  Gesetz 
geschrieben,  auch  einen  gestohlenen  Schatz  haben  wir  eucii  nicht 
gesandt,  sondern  von  dem  Samen  und  von  dem  Teig  der  heiligen 
Schriften.  Falsches  Geld  wird  allerorten,  wo  es  hinkommt, 
nicht  angenommen,' und  alter  Sauerteig  wird  nicht  unter  gutes 
Weizenmehl  gemengt.     Denn  alte  Schläuche  nebmen  die  Kraft 


256  Homilie  XIV. 

des  Weines  nicht  auf,  und  ein  neuer  Lappen,  der  auf  ein  altes 
Kleid  kommt,  zerreisst  es,  und  die  Rebe,  welche  Pflege  findet, 
bringt  Früchte  und  keine  Herlinge,  und  ein  Herz,  das  hart  ist 
wie  Felsen,  lasst  den  Samen  vertrocknen.  Und  den  Bau,  der 
auf  Sand  gebaut  ist,  schwemmt  der  Regen  weg,  und  er  fällt  vom 
Winde.  Und  das  Salz,  das  schmacklos  wird,  isst  die  Schlange. 
Und  die  schlechten  Fische  wirft  der  Fischer  hinaus.  Denn  das 
Unkraut  wird  zu  seiner  Zeit  ausgejätet;  und  die  Spreu  wird  am 
Ende  von  dem  W^eizen  ojeschieden.  Und  die  schlechten  Arbeiter 
werden  zur  Zeit  des  Lohnes  beschämt.  Und  die  thörichten  Jung- 
frauen, die  kein  Oel  haben,  können,  wenn  der  Bräutigam  kommt, 
solches  nicht  kaufen;  und  der  Haushalter,  der  seine  Mitknechte 
schlägt,  —  wenn  sein  Herr  kommt,  welches  Gericht  wird  er  mit 
ihm  halten?  Und  der  böse  Knecht,  der  das  Geld  seines  Herrn 
verbirgt  —  es  kommt,  der  es  ihm  gegeben  hat,  und  der  Haus- 
halter rechnet  mit  ihm.  Und  der  Thürhüter,  der  den  Schlaf  liebt, 
wird  zur  Zeit  des  Erwachens  seines  Lebens  beraubt  werden.  Ein 
weiser  König  schickt,  so  lange  der  Krieg  noch  fern  ist,  Boten 
und  bittet  um  Frieden. 

Diese  wenigen  Erinnerungen  haben  wir  euch  geschrieben,  un- 
sere Lieben,  und  wenn  jemand  uns  verlacht  und  verachtet,  klagen 
wir  ihn  nicht  an,  denn  von  dem  Ueberfluss  seines  Herzens  bringt 
jeder  hervor,  und  womit  seine  Gedanken  schwanger  sind,  das 
kreisst  ^)  und  gebiert  er.  Und  jeder  Mensch  gibt,  bringt  hervor  und 
redet  aus  seinem  Besitz  heraus.  Wer  kein  Gold  hat,  was  soll  der 
dir  geben  von  seinem  Schatze?  Ein  reicher  Mann,  der  allerlei 
Schätze  besitzt,  bringt  von  ihnen  hervor  und  gibt  den  Bittenden. 
Und  ein  armer  Mann  bringt  von  seinem  Gute  Zink  und  Blei  hervor, 
das  mit  falschen  Mineralien  gemischt  ist.  Jeder  Obstbaum  treibt 
zur  Zeit  des  Sommers.  Und  derjenige,  der  Herlinge  bringt, 
wird  aus  dem  Weinberg  ausgerottet  und  ist  Speise  und  Brand  für 
das  Feuer,  und  die  Rebe,  welche  gute  Früchte  bringt,  reinigt 
ihr  Herr  und  pflegt  sie  noch  mehr.  Und  die  Rebe,  die  Herlinge 
bringt,  ist  aus  dem  Weinberg  Sodoms,  und  ihre  Trauben  sind 
bitter.    Man  2)   liest  nicht  von   den  Dornen  Trauben,  und  nicht 

1)  Wir  haben  nicht,  wie  Wright  im  syr.  Text,  den  Punkt  vor,  sondern 
hinter  ^JL-o  gesetzt. 

2)  Mt.   7,   16—18;   Luc.   6,  43—45.     ^*.A-q.X   j^    „man   liest  nicht"; 


Die  Unterweisung  von  der  Ermahnung.  257 

Feigen  von  den  Disteln,  denn  ein  guter  Baum  gibt  gute  Früchte'), 
und  ein  böser  Baum  gibt  böse  Früchte;  ein  guter  Baum  kann 
nicht  böse  Früchte  geben,  und  ein  böser  Baum  kann  nicht  gute 
Früchte  geben.  Ein  guter  Mann  bringt  von  den  guten  Schätzen, 
die  in  seinem  Herzen  sind,  hervor  und  redet  Gutes,  und  ein 
böser  Mann  bringt  von  dem  Ueberfluss  seines  Herzeus  hervor 
und  redet  Böses,  denn  von  dem  Ueberfluss  des  Herzens  reden 
die  Lippen  (wie  unser  Erlöser  lehrt  und  spricht)  '^).  Denn  jeder- 
mann bringt  von  dem ,  was  er  hat ,  hervor .  und  von  dem, 
was  er  besitzt,  gibt  er  Kunde.  Der  Mensch,  der  voll  Unruhe 
ist,  meint  bei  sich,  dass  es  einen  Schatz,  der  grösser  ist  als  der 
seinige,  nicht  gibt;  und  wenn  der  Frieden  kommt,  der  dem  Streit 
ein  Ende  macht,  hört  die  Unruhe  auf,  und  der  Böse  ist  seines 
Schatzes  beraubt. 

§  30.  Unsere  Brüder,  in  der  Welt  fehlt  nichts,  und  sie  ist 
voll  aller  Arten:  Guter  und  Böser,  und  Reicher  und  Armer,  und 
Süsser  und  Bitterer,  und  Heller  und  Dunkeler,  und  Schändlicher 
und  Sünder,  und  Frevler  und  Uebelthäter.  Und  Alles  steht  gegen 
einander,  und  es  ist  in  dieser  Welt  keine  Vollkommenheit. 
Denn  3)  der  Richter  kommt  und  scheidet  die  Spreu  aus  und  rottet 
das  Unkraut  aus.  Jetzt  aber  ist  das  Unkraut  unter  den  Weizen 
gemischt,  und  die  Guten  sind  mit  den  Bösen  vermischt;  und  die 
Gerechten  sind  nicht  von  den  Sündern  getrennt,  und  nicht  die 
Rechtschaffenen  von  den  Uebelthätern,  und  nicht  die  Thörichten 
von  den  Weisen.  Zu  jener  Zeit  aber  gibt  der  Herr  der  Ernte  Be- 
eben so  hat  Syr.  Cur.  Mt.  7,  16,  während  Peschito  ^«  A  n\  1.1a—  und 
griech.  Text  Mr/Vi  av?Myovai  haben.  Luc.  G,  44  hat  griech.  Text  auch 
wie  Aphr.  ov  yuQ  i§  uxavd-div  xxX.,  Pesch.  dagegen  ebenfalls  jViN 
^^Ar.:^.     Syr.  Cur.  fehlt. 

jV???  _:aD  jj'lz  j.^0  jJil^  UicLs  _iÄ  in  Stellung  und  Ausdruck  ganz 
wie  Syr.  Cur.,  wo  nur  für  Ui»c  Vl^i  steht.  Pesch.  dagegen  hat:  ,-i^  o| 
p|Z  JJi^Vaxi.  Griech.  Text:  dno  dxavS^üiv  axacpvXaq  ij  dno  XQißoXüiv  avxcc. 

Für  >^ai^  und  \iJsQ^,  ,,gibt"  und  „geben",  haben  Pesch.  u.  Syr.  Cur. 
t-ai«.  und  ,  ^.l^Vi-:. ,  „macht"  und  „machen",  und  griech.  Text  noiei  und 
^vsyxsZv. 

1)  Vgl.  S.  154  Anm.  1.  —  2)  ()  fehlt  in  B.  —  3)  A:  „bis  der  Richter 
kommt". 

Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  4.  17 


258  Homilie  XIV. 

fehl,  und  sie  sammeln  den  Weizen  und  rotten  das  Unkraut  aus, 
und  scheiden  die  Gerechten  aus  zum  Leben,  und  die  Sünder 
gehen  zur  Fiusterniss.  und  mit  dem  Bräutigam  gehen  ein  die 
klugen  (Jungfrauen),  und  die  Tliörichten  werden  ausgeschlossen. 
Und  das  Geld  wird  genommen  von  den  bösen  Knechten,  und 
es  ererben  die  guten  Knechte  ihre  Pfunde.  Und  alle,  die 
bitten,  finden,  was  sie  gebeten  haben.  Und  alle  die  gesät  haben, 
ernten  ihre  Arbeit.  Uebrigens  aber  vertrauen  wir  auf  euch, 
unsere  Brüder,  dass  ihr  dem  Frieden  nacheilt,  und  dass  ihr  ver- 
meidet die  Unruhe  und  den  Streit  und  den  Neid  und  die  Eifer- 
sucht und  die  Zwietracht.  Weil  niemand  alsbald  sich  selbst  sieht, 
wenn  er  im  Bösen  steht,  wie  man  auch  nicht  sein  eigenes  Ge- 
sicht sehen  kann,  also  schien  es  uns  gut.  so  gut  wir  können, 
zu  dieser  Zeit  euch  zu  erinnern  an  den  Wandel  der  Früheren, 
wie  gut  die  Vollkommenen  und  Trefflichen  waren  und  wie 
schlecht  die  Thoren,  die  Verwirrung  anstiften.  Ihr  seid  Kinder 
des  Friedens,  liebet  den  Frieden,  damit  ihr  erlangt  den  Lohn 
von  dem  Herrn  des  Friedens;  damit  ihr  theilhaftig  werdet  der 
Seligkeit,  die  unser  Erlöser  schenkt,  wenn  er  die  Seligkeit  den 
Vielen  schenkt.  Denn  er  sagt  ^) :  Selig  sind  die  Friedfertigen, 
denn  sie  werden  Gottes  Kinder  heissen. 

Dieser  Brief  ist  geschrieben  im  Monat  Schebat  des  Jahres 
655  -)  des  Reiches  Alexanders,  des  Sohnes  Philipps  von  Mace- 
donien,  und  im  Jahre  35  Schaburs,  des  Königs  von  Persien.  Ein 
gutes  Andenken  sei  mit  dem,  der  sich  abgemüht  und  dies  ge- 
schrieben hat,  und  auch  mit  dem,  der  es  bort  und  die  guten 
Rathschläge  annimmt  und  im  Frieden  wandelt  und  keinen  Streit 
erweckt.  Denn  die  Kinder  des  Streites  werden  Kainskinder  ge- 
nannt, und  die  Kinder  des  Friedens  sind  die  Brüder  Christi, 
Kinder  des  himmlischen  Vaters,  die  das  Reich  ererben. 
Zu  Ende  ist  das  Ermahnunsrsschreiben. 


1)  Mt.  5,  9. 

2)  d.  i.  im  Februar  344.     Nöldeke  (Tabari  S.  409  ff.)   benützt  dieses 
Datum  zur  Berechnung  des  Anfangs  der  Dynastie  der  Sasaniden. 


Ueber  die  Untersclieidmig  der  Speisen. 

Gar  sehr  werden  beunruhigt  die  Gemüther  unerfahrener  und 
beschränkter  Menschen  über  das,  was  zum  Munde  eingeht,  das 
doch  den  Menschen  nicht  verunreinigen  kann.  Und  also  sprechen 
diejenigen,  die  sich  damit  quälen:  Gott  hat  seinem  Knecht 
Mose  Anweisung  und  Belehrung  gegeben  über  die  unreinen  und 
reinen  Speisen  und  dem  Mose  kund  gethan,  dass  man  diese 
essen  dürfe  und  jene  für  unrein  halten  müsse,  und  ihm  An- 
weisung gegeben  über  die  Thiere  und  die  Vögel  und  die  Fische 
im  Meer  nach  ihren  Arten  ').  Hierüber  aber,  mein  Lieber,  will 
ich,  so  gut  ich  kann,  dir  wenige  Belehrung  geben. 

§  2.  Die  Speisen  nützen  nichts  denen,  die  darauf  achten, 
und  schaden  auch  nichts  denen,  die  sie  gebrauchen;  denn  der 
heilige  Mund  spricht'-^):  Nicht  was  in  den  Menschen  eingeht^ 
verunreinigt  ihn,  sondern  was  von  dem  Menschen  ausgeht,  das 
verunreinigt  ihn.  Und  das  sagt  unser  Erlöser,  damit  er  die 
Pharisäer  und  Saducäer  widerlege,  die  sich  rühmen  des  Badens 
und  der  Reinigung  und  des  Händewaschens  und  der  Unter- 
scheidung der  Speisen.  Alsdann  straft  er  sie  und  spricht  zu 
ihnen ^):  Ihr  blinden  Pharisäer,  warum  waschet  ihr  das  Aeussere 
des  Bechers  und  der  Schale,  und  inwendig  sind  sie  voll  Sünde  und 
Raubes?  Und  ihr  gleicht  den  Gräbern,  die  von  aussen  weiss  sind 
und  schön  scheinen,  und  inwendig  voll  Todtengebeine  und  alles 
Unflaths  sind.  Und  er  zeigt  ihnen  und  belehrt  sie,  dass  sie  keinen 
Gewinn  haben  von  ihren  Bädern  und  Reinigungen,  und  spricht 
zu  ihnen  ^) :  Im  Herzen  sind  die  bösen  Gedanken ;  und  diese  bösen 

1)  Levit.  11.  —  2)  Mt.  15,  11.  —  3)  Mt.  23,  25—27. 

4)  Mt.  15,  19.  Aphr.  citirt  hier  ebenso  wie  Ephräm  in  seinem  Com- 
mentar  gegen  alle  syrische  (Syr.  Cur.,  Peschit.  und  He.)  aber  auch  grie- 
chische Ueberlieferung :  „Im  Herzen  sind  die  bösen  Gedanken".  Pesch.  u. 
Syr.  Cur.:  ]1.jl1^   ]LJL»^'^   —a.Bi    j-»^  ein    {..di.  ,;^. 

17* 


260  Homilie  XV. 

Gedanken,  die  im  Herzen  sind,  verunreinigen  den  Menschen,  und 
nicht  die  Speisen.  Denn  die  Speisen  gehen  in  den  Bauch,  und  von 
da  werden  sie  in  den  Abtritt')  hinausgeworfen,  es  wird  aber  durch 
sie  der  Mensch  nicht  verunreinigt.  Denn  wenn  von  allen  Speisen, 
welche  rein  und  angenehm  sind  für  den  Gaumen  und  für  den 
Geruch  und  für  das  Gesicht  und  den  Geschmack  —  wenn  von 
diesen  allen  jemand  isset,  so  merket  allein  sein  Gaumen  ihren 
angenehmen  Geschmack,  und  von  da  empfängt  sie  sein  Magen, 
und  dessen  Kraft  vertheilt  sie  in  alle  Arterien  und  Glieder  des 
Leibes.  Und  wenn  die  Speise  nach  unten  abgeht,  so  ist  ihr  an- 
genehmer Geruch  verwandelt  und  ist  zum  Gestank  geworden, 
und  statt  des  guten  Geschmacks  und  des  lieblichen  Ansehens 
hat  sie  ein  böses  Ansehen  bekommen  und  wird  hinaus  in  den 
Abtritt  geworfen.  Und  wenn  jemand  einfaches  Brot  isset,  das 
kein  liebliches  Ansehen  hat  und  keinen  angenehmen  Geschmack 
und  keinen  lieblichen  Geruch,  so  geht  es  auf  demselben  Weg 
in  den  Menschen  hinein  und  bringt  Kraft  in  alle  seine  Arterien 
und  Glieder,  und  von  da  wird  es  in  den  Abtritt  hinausgeworfen. 
Und  es  trifft  sich,  dass  die  angenehme  Speise  mehr  in  Gestank 
verwandelt  wird,  als  die,  welche  nicht  rein  und  angenehm  ist. 
Hierin  ist  keine  Sünde  und  auch  keine  Gerechtigkeit. 

§  3.  Und  auch  der  berühmte  -)  Apostel  widerlegt  diejenigen, 
welche  sich  der  Speisen  rühmen.  Denn  er  spricht  zu  denen,  die 
stolz  sind  in  diesem  Gedanken,  dass  Speisen  verworfen  und  unter- 
schiedlich seien  3):  Die  Speisen  richten  uns  nicht  auf  vor  Gott; 
denn  wenn  wir  essen,  werden  wir  nicht  besser,  und  auch,  wenn 
wir  nicht  essen,  nicht  schlechter.  Denn  wenn  ein  Mensch  alle 
Speisen  und  Nahrungsmittel  isst  und  in  rechtschaffener  Gerech- 
tigkeit und  ohne  Gefrässigkeit  die  Creatur  Gottes  gebraucht  und  im 
Glauben  seine  Gabe  annimmt,  so  ist  es  ihm  keine  Sünde  und 
Unrecht.  Und  wenn  er  aber  Staub  ässe,  wie  die  Schlange,  und 
dabei  von  dem  Gift  der  Schlange  durchtränkt  wäre,  so  wäre  es  ihm 
kein  Nutzen  und  GeAvinn.  Denn  alle  Geschöpfe  Gottes  sind  vor- 
trefflich, und  unter  ihnen  ist  nichts  verworfen.  Und  sie  werden  ge- 
heiligt durch  das  Wort  Gottes  und  das  Gebet.  Und  dieses,  welches 
der  Apostel  sagt^),  mein  Lieber,  das  sagt  er  gegen  seine  Volksge- 
nossen, da  er  sah,  dass  sie  die  Speisen  der  Völker  für  unrein  er- 

1)  ]L^m.^Z  bezeichnet  per  euphemismum   purgationem    corporis  per 
excrementa.  —  2)  A:  „der  selige  Apostel".  —  3)  1.  Cor.  S,  8.  —  4)  1.  Tim. 4, 4. 5. 


Die  Unterweisung  von  der  Unterscheidung  der  Speisen.  261 

klären.  Denn  die  Kinder  Israel  gebrauchen  nicht  ohne  Unterschied 
allerlei  Speisen,  welche  die  Heiden  bereiten,  und  allen  Wein,  den 
die  Völker  keltern,  trinken  sie  nicht,  weil  die  heidnischen  Völker 
über  allen  ihren  Keltern  und  über  allen  ihren  Tennen  opfern  und 
der  Namen  ihrer  Götzen  gedenken ').  Darum  gebrauchen  die  Kinder 
Israel  nicht  ihre  Speise.  Und  das  ist  das  ungesunde  Gewissen. 
Und  der  Apostel  widerlegt  diejenigen,  welche  in  diesem  Ge- 
danken stehen,  und  spricht 2):  Alle  Speisen  werden  durch  das 
Wort  Gottes  und  durch  das  Gebet  geheiligt.  Denn  wenn  ein 
Mensch,  welcher  der  Geschöpfe  Gottes  gebraucht,  bevor  er  Speise 
nimmt,  des  Namens  des  Schöpfers  der  Geschöpfe  gedenkt,  und 
ihn  preist  und  segnet  und  heiligt  und  betet,  dann  werden  sie 
geheiligt,  und  es  flieht  von  ihnen  die  Kraft  des  Bösen.  Und 
wiederum  sagt  der  Apostel-^):  Wenn  jemand  von  den  Heiden 
euch  zum  Gastmahl  ladet,  und  ihr  hingehen  wollt,  so  esset,  was 
das  Gewissen  anlaugt,  alles,  was  er  euch  vorsetzt. 

§  4.  Darüber,  mein  Lieber,  will  ich,  so  gut  ich  kann,  dich 
belehren.  Dass  unser  heiliger  Gott  den  Kindern  Israel  die  Spei- 
sen unterschied,  das  that  er  nicht,  damit  es  ihnen  zur  Gerechtig- 
keit gereichte,  sondern  wegen  ihrer  Begierde  und  Zuchtlosigkeit 
erfand  er  diese  Art,  damit  sie  von  dem  Götzendienst  und  den 
Sünden  abgehalten  würden,  denen  sie  im  Lande  Aeg}^ten  gedient 
hatten.  Denn  von  Anfang,  da  er  den  Menschen  schuf,  gebot 
Gott  also  Adam  und  seinen  Nachkommen,  und  Noah  und  seinem 
Samen-*):  Siehe,  ich  habe  euch  die  Thiere  und  Vögel  und  alles 
Fleisch  gegeben,  vergiesse  sein  Blut  auf  die  Erde  und  iss,  und 
wie  Kraut  soll  es  von  dir  gehalten  werden.  Nur  das  Blut  sollt 
ihr  nicht  essen,  sondern  es  auf  die  Erde  ausgiessen  wie  Wasser, 
denn  das  Blut  ist  die  Seele.  Solches  gebot  Gott  diesen  ersten 
Geschlechtern.  Und  die  Speisen  unterschied  er  ihnen  nicht. 
Denn  wenn  irgend  eine  Sünde  und  Gesetzesübertretung  in  den 
Speisen  wäre,  so  hätte  er  am  Anfang  dem  Adam  und  dem  Noah 
die  unreinen  von  den  reinen  unterschieden,  wie  er  sie  ermahnt 
und  spricht :  Blut  sollt  ihr  nicht  essen,  aber  alles  Fleisch  schlachte 
und  iss,  und  wie  Kraut,  so  soll  es  von  euch  gehalten  werden. 
Und  Abraham  und  seinen  Söhnen  wiederum  gebot  erzwar,  dass  sie 

1)  Diese  Bestimmungen  gibt  der  talmud.  Tractat  Aboda  zara. 

2)  1.  Tim.  4,  4.  5.  —  3)  1.  Cor.  10,  27.  —  4)  Gen.  1,  29.  30;  9,  3.  4; 
Levit.  17,  13.  14;  Deut.  12,  16. 


262  Homilie  XV. 

vom  Unreinen  keinen  Gebrauch  machen  sollten,  aber  wir  wissen, 
dass  alle  Gerechten  und  Rechtschaifenen  die  unter  den  ersten 
Geschlechtern  waren  bis  zu  Mose,  der  die  Speisen  für  Israel 
unterschied,  alle  diese  Geschlechter  alle  die  Speisen  gebrauchten, 
vor  welchen  die  Seele  nicht  Ekel  empfindet,  ohne  Sünde. 
Aber  dass  er  dieses  den  Kindern  Israel  gebot  und  die  Speisen 
für  sie  unterschied,  das  /^that  er:,  weil  die  Kinder  Israel  zum 
Götzendienst  der  Aegypter  abfielen  und  den  Gott  ihrer  Väter 
verliessen.  Denn  die  Aegypter  verehrten  die  Stiere  und  Kälber. 
Ich  aber  will  dich  hierüber  belehren.  Da  nämlich  die  Brüder 
Josephs  zu  ihm  kamen,  und  er  dem  Hausmeister  Befehl  gab,  und 
ihnen  ein  Mahl  bereitete,  und  es  nun  Zeit  war,  sich  niederzulassen, 
da  deckten  sie,  wie  geschrieben  steht  ^),  ihm  allein,  und  seinen 
Brüdern  allein,  und  den  Aegyptern,  die  mit  ihm  assen,  allein,  denn 
die  Aegypter  können  nicht  mit  den  Hebräern  essen,  weil  dieses 
für  sie  Verunreinigung  ist.  Denn  die  Kinder  Israel  hatten  von 
Alters  her,  bis  sie  nach  Aegypten  kamen,  alles  Fleisch  gegessen, 
die  Aegypter  aber  assen  das  Fleisch  der  Schafe  und  der  Stiere,  die 
ihre  Götter  waren,  nicht.  Und  auch  da  Jacob  nach  Aegypten 
herabkam,  führte  Joseph  von  seinen  Brüdern  fünf  Männer  und 
stellte  sie  Pharao  vor:  und  er  gebot  ihnen  2):  Wenn  Pharao 
euch  fragen  wird  und  zu  euch  sprechen,  welches  ist  eure  Beschäf- 
tigung, so  sprecht  zu  ihm:  Deine  Knechte  sind  Schafhirten  und 
Herdenbesitzer,  wir  und  auch  unsere  Väter;  wenn  ihr  also  zu  ihm 
sprecht,  bereichert  er  euch  —  (denn  sie  waren  Hirten  dessen,  was 
die  Aegypter  verehrten)  —  und  er  gibt  euch  als  guten  Weideplatz 
das  Land  Gosen,  und  achtet  euch  gering,  dass  er  niemand  von  euch 
nehme  und  setze  ihn  über  seine  Arbeit,  wie  geschrieben  steht:  Alle 
Viehhirten  sind  den  Aegyptern  ein  Greuel.  Und  wiederum  steht  ge- 
schrieben ■^) :  Da  Mose  vor  Pharao  sprach:  Wir  wollen  gehen  und 
dem  Herrn,  unserem  Gott  opfern  in  der  Wüste,  sprach  zu  ihm 
Pharao:  Dienet  dem  Herrn  eurem  Gott  im  Lande  Aegypten.  Sprach 
zu  ihm  Mose:  Wir  können  dieses  Wort  nicht  thun,  denn  wenn 
wir  Thiere  der  Aegypter  opfern  vor  ihren  Augen,  steinigen  sie 
uns.  Und  wiederum  steht  geschrieben"*):  Auch  über  die  Götter 
der  Aegypter  hielt  der  Herr  Gericht,  da  er  den  Besitz  an  Schafen 


1)  Gen.  43,   32.   —  2)  Gen.  46,  33.  34.  —  3)  Exod.  8,  25.  26.   —   4) 
Num.  33,  4. 


Die  Unterweisung  von  der  Unterscheidung  der  Speisen.  263 

und  den  Besitz  an  Stieren  durch  Hagel  und  Pestilenz  vernich- 
tete. Denn  den  Besitz  an  Schafen  und  Stieren  hatten  die  Aegyp- 
ter  zum  Grebrauche,  (aber)  sie  assen  sie  nicht,  denn  sie  beteten 
sie  an.  Uebrigens  aber  ist  die  Speise  der  AegTpter  auch  bis  heute 
Schweinefleisch  mit  Fischen,  deren  es  viele  gibt  in  ihrem  Lande;  wie 
denn  die  Kinder  Israel  sprachen,  da  sie  nach  Speise  verlangten  '): 
Wir  gedenken  der  Fische,  die  wir  in  Aegvpten  umsonst  gegessen 
haben,  mit  dem  Duft  der  Zwiebeln  und  des  Knoblauchs  und  des 
Lauchs  und  der  Gurken  und  der  Melonen.  Und  die  Kinder  Israel 
hatten  nach  der  Gewohnheit  der  Aegypter  gelebt  und  ihre  Speisen 
gegessen  und  ihre  Götter  verehrt-^). 

§  5.  Und  damit  du  wissest,  dass  sie  im  Lande  Aegypten 
heidnisches  Wesen  getrieben,  und  ihre  Götter  verehrt  hatten  (so 
höre  folgendes):  Josua,  der  Sohn  Nuns,  nämlich  berief,  da  die 
Zeit  seines  Todes  kam,  die  Kinder  Israel  und  sprach  zu  ihnen  "^): 
Erwählet  euch  heute,  wem  ihr  dienen  wollt,  ob  den  Göttern, 
welchen  eure  Väter  jenseits  des  Flusses  gedient  haben,  Terah, 
der  Vater  Abrahams  und  der  Vater  Nahors,  oder  den  Göttern, 
denen  ihr  im  Lande  Aegypten  gedient  habt.  Uebrigens  aber 
ich  und  die  Kinder  meines  Hauses,  wir  wollen  den  Herrn  verehren. 
Und  er  fuhr  fort  und  ermahnte  sie:  Erwählt  euch  heute,  wem  ihr 
dienen  wollt.  Und  sie  sprachen:  Wir  wollen  den  Herrn  anbeten  und 
ihm  dienen,  denn  er  ist  unser  Gott.  Und  er  sprach  zu  ihnen:  Sehet, 
ob  es  für  euch  nicht  unmöglich  ist  dem  Herrn  zu  dienen.  Und  sie 
sprachen:  Wir  können.  Und  er  sprach:  Bezeuget  bei  euch  selbst, 
dass  ihr  euch  erwählet  habt,  dem  Herrn  zu  dienen,  und  sie 
sprachen:  Wir  bezeugen.  —  Und  damit  du  weiter  gewiss  bist, 
dass  sie  Schafe  und  Stiere  verehrt  haben  in  Aegypten:  Siehe 
da  Moses  verzog  auf  den  Berg,  und  sie  von  dem  Herrn  wichen 
und  Götzen  anbeteten,  machten  sie  sich  nicht  ein  beliebiges  Bild 
zur  Verehrung,  sondern  das  Bild  eines  Kalbes,  das  sie  gewohnt 

1)  Num.  11,  5. 

2)  Auch  nach  Euseb.  Caes.  hat  Mose  das  Gesetz  gegeben  mit  dem 
doppelten  Zweck,  das  Volk  zm*  Tugend  der  Vorväter  zu  leiten  und  sie 
zugleich  von  dem  ägyptischen  Leben,  besonders  von  der  Neigung  zum 
Götzendienst  zurückzubringen  ij  7ia(j  AiyvTiziovg  ofiOioTQoma.  Das  Gesetz 
ist  demnach  t'tjTilüjr  aal  drt^.wv  inizQOTtoq  xal  oiaovöfxog,  ist  ein  Arzt  für 
die  Aegyptische  Krankheit  (Euseb.  demonstr.  evang.  p.  Ifi.  22),  aber  auch 
ay.ioJötjg  xul  xvnixöq  (Com.  in  Psalm,  p.  9). 

3)  Josua  24,  14—22. 


264  Homilie  XV. 

waren  anzubeten  im  Lande  Aegypten.  Und  sie  kämpften 
und  feierten  Feste  vor  dem  Kalb,  dass  sie  gemacht  liatten. 
Und  auch  Jerobeam,  der  Sohn  INebats,  da  er  sie  verführte, 
machte  ihnen  ein  Kalb  zur  Verehrung,  das  sie  in  Aegypten 
angebetet  hatten.  Und  da  der  Heilige  sah,  dass  sie  von  dem 
»Sauerteig  Aegyptens  noch  nicht  gereinigt  waren  und  noch  in 
heidnischer  Gesinnung  verharrten,  da  gebot  er  Mose,  dass  er 
ihnen  die  Speisen  unterscheide.  Und  er  machte  für  sie  unrein  das, 
was  für  sie  rein  war  zum  essen  im  Lande  Aegypten.  Und  er 
gestattete  ihnen  zu  essen  das,  was  sie  im  Lande  Aegypten  ver- 
ehrt, und  wovon  sie  nicht  gegessen  hatten.  Und  weil  ihr  Wille 
böse  war,  gebot  er  auch  für  das  Opfer,  das  sie  vor  ihm  dar- 
brachten, von  dem,  was  sie  verehrt  hatten,  darzubringen,  damit 
wenn  sie  auch  nicht  essen  wollten,  um  ihrer  Opfer  willen  das 
Fleisch  der  Schafe  und  Stiere  essen  müssten.  Und  siehe,  während 
er  doch  viele  Thiere  als  reine  ihnen  bestimmte,  so  hat  er  doch 
von  allen  keine  ihnen  verordnet,  dass  sie  sie  als  Opfer  darbrächten, 
als  allein  Schafe  und  Stiere.  Sei  also  überzeugt,  mein  Lieber, 
dass  das  Rühmen  Israels  über  die  Unterscheidung  der  Speisen 
eitel  ist, 

§  6.  Sage  mir,  o  Gesetzesgelehrter,  weiser  Lehrer  des  Volkes, 
wenn  es  eine  Verunreinigung  war  für  Israel,  Avenn  sie  be- 
rührten und  gebrauchten,  was  das  Gesetz  für  unrein  erklärt 
hatte,  warum  hat  Simson,  der  starke  Nasiraeer  Israels,  von  einem 
unreinen  Thier,  von  dem  Gerippe  des  Löwen,  Honig  genom- 
men und  gegessen,  so  dass  er  über  seine  Hände  lief?  Und  er 
hatte  keine  Sünde  und  Schuld  wegen  dieser  That,  und  es  steht 
nicht  geschrieben,  dass  er  unrein  wurde.  Und  auch  da  er  den 
Sieg  davon  trug  durch  den  Eselskinnbacken  und  einen  Haufen 
von  Philistern  aufhäufte,  durstete  er  und  betete  vor  seinem  Gott 
und  sprach  ^):  Herr  Gott,  du  hast  durch  die  Hand  deines  Knechts 
diesen  grossen  Sieg  gethan,  und  nun  sterbe  ich  vor  Durst.  Und 
Gott  hörte  das  Gebet  Simsons  und  Hess  Wasser  aus  dem  Esels- 
kinnbacken sprudeln,  und  er  trank  und  sein  Durst  liess  nach. 
Denn  wenn  eine  Verunreinigung  und  Sünde  gewesen  wäre  in 
dem  Eselskinnbacken,  der  doch  unrein  war  nach  dem  Ge- 
setz, warum  liess  er  dann  seinem  Nasiraeer  aus  dem  Kinnbacken 


1)  Judic.  15,  18.  19. 


Die  Unterweisung  von  der  Unterscheidung  der  Speisen.  265 

Wasser  liervorsprudeln  zum  Trinken?  Denn  wenn  das  eine 
Verunreinigung  war,  so  inusste  er  doch  für  ihn  (Wasser;  aus 
dem  Felsen  hervorsprudehi  lassen,  wie  er  Wasser  aus  dem 
Felsen  hervorbrachte  für  die  Kinder  Israel  in  der  Wüste,  oder 
aus  der  Erde,  wie  er  für  die  Hagar  hervorbrachte,  so  dass  Ismael 
trank.  —  Wenn  aber  in  der  Speise  eine  Verunreinigung  ist,  so 
sind  doch  unter  allen  Vögeln  keine  unreiner  und  abscheulicher 
denn  die  Raben,  welche  Brot  und  Fleisch  dem  heiligen  Propheten 
Elia  brachten,  da  er  am  Bach  Krith  sass.  Und  von  wo  anders 
brachten  die  Raben  die  Speise  des  Elia,  als  von  Jerusalem? 
Sein  ihm  gehöriges  Theil  hatten  die  Priester  bei  Seite  gelegt 
und  im  Glauben  den  Raben  übergeben,  und  diese  nahmen  es  und 
brachten  es  dem  Elia  auf  Befehl  seines  höchsten  Gottes.  Und 
die  Speise  des  Elia  war  rein,  die  er  von  dem  Munde  der  Raben 
empfangen  hatte,  von  dem  Vogel,  den  das  Gesetz  für  unrein  er- 
klärt. Und  damit  du  erkennest,  mein  Lieber,  dass  er,  um  ihnen 
die  Gelegenheit  zu  nehmen  zur  Verehrung  der  Kälber,  die  sie 
in  Aegypten  verehrt  hatten,  ihnen  die  Speisen  unterschieden  hat 
und  geboten,  dass  sie  Opfer  darbringen  sollten  von  dem,  das 
sie  im  Lande  Aegypten  verehrt  hatten,  (so  wisse:)  Gott  hatte  kein 
Bedürfniss  nach  ihren  Opfern  und  Gaben,  sondern  damit  sie 
durch  ihre  Opfer  verhindert  würden,  die  Götter  der  Völker  zu 
verehren,  wenn  sie  zu  ihnen  kämen  und  unter  sie  vermischt 
würden,  wie  sie  die  Götter  der  Aegypter  verehrten,  da  sie  zu 
ihnen  kamen  und  sich  mit  ihnen  vermischten,  deshalb  band  er 
sie  und  hielt  sie  zurück  dadurch,  dass  sie  vor  seinem  Altar  ihre 
Opfer  darbringen  und  ihre  Opferthiere  schlachten  sollten.  Und 
trotzdem  er  sie  so  sehr  ermahnt  hatte,  wichen  sie  doch  von 
ihm  ab  und  verehrten  die  Götter  der  Völker  und  dienten  ihnen 
und  verderbten  ihren  Weg,  wie  Mose  zu  ihnen  gesagt  hatte '): 
Ich  weiss,  dass  ihr  nach  meinem  Tod  verderben  werdet  und  ab- 
weichen von  dem  Weg,  den  ich  euch  geboten  habe,  und  es 
werden  euch  viel  Uebel  begegnen  am  Ende  der  Tage. 

§  7.  Und  damit  du  überzeugt  werdest,  dass  Gott  nichts  be- 
darf von  ihren  Opfern  und  Gaben  und  ganzen  Opfern  und 
Räucheropfern ,  sondern  damit  sie  zurückgehalten  würden  — 
(siehe)  da  sie  abwichen  und  bei  den  Opfern,  die  er  ihnen  gegeben 

1)  Deut.  31,  29. 


266  Homüie  XV. 

hatte,  anfingen,  ihren  Götzen  zu  opfern,  da  sprach  er  durch  den 
Propheten  zu  ihnen  '):  Es  nützen  mir  nichts  die  Menge  eurer 
Opfer,  spricht  der  Herr.  Und  er  sprach  zu  ihnen:  Das  Opfer  ist 
von  mir  verworfen,  und  eure  Neumonde  und  eure  Versammlungen 
hasst  meine  Seele.  Und  auch  David  spricht  2):  Ich  esse  nicht 
das  Fleisch  der  Kälber,  und  das  Blut  der  Böcke  trinke  ich  nicht, 
sondern  statt  dessen  opfere  Gott  Dank  und  bezahle  dem  Höchsten 
deine  Gelübde,  und  wenn  du  das  thust,  so  rufe  mich  an  am  Tage 
der  Noth,  so  will  ich  dich  erretten,  und  du  sollst  mich  preisen. 
Und  wiederum  steht  geschrieben  in  dem  Propheten  •') :  Ich  hasse 
und  verwerfe  eure  Festfeiern  und  will  nicht  riechen  eure  Opfer 
eurer  Versammlungen.  Und  wiederum  steht  geschrieben^):  Wenn 
ihr  mir  auch  Opfer  darbringt  in  Menge,  so  mag  ich  eure  feisten 
(Dankopfer)  nicht  ansehen.  Und  wiederum  spricht  er  ^) :  Habet  ihr 
Kinder  Israel  nicht  40  Jahre  in  der  W^üste  Schlachtopfer  und  Speis- 
opfer geopfert  und  wenn  ihr  asset  und  tränket,  wäret  ihr  es  nicht,  die 
assen  und  tranken?  spricht  der  Herr.  Und  Jesaia  sagt  ^):  Wer  ein 
Lamm  schlachtet,  ist  wie  der,  der  einen  Hund  schlachtet,  und  wer 
einen  Stier  opfert,  ist  wie  der,  der  einen  Mann  tödtet;  und  wer  Weih- 
rauch opfert,  der  ist  wie  einer,  der  Schweineblut  opfert.  Und  wer  vor 
mir  betet,  ist  wie  einer,  der  Götzenbilder  segnet.  Und  Samuel  sprach 
zu  Saul,  da  er  die  Stimme  der  Schafe  und  Rinder  hörte,  die  von 
den  Amalekitern  kamen"):  Was  ist  das  für  eine  Stimme,  die 
ich  höre?  Sprach  zu  ihm  Saul:  Das  Volk  verschonte  das  Beste 
der  Schafe,  um  es  dem  Herrn  deinem  Gott  zu  opfern.  Und  Samuel 
sprach  zu  ihm :  Siehe,  Gehorsam  ist  besser,  denn  Opfer,  und  Ge- 
horchen besser,  denn  das  Fette  der  feisten  Opfer.  Und  wiederum 
spricht  er:  Der  Herr  hat  kein  Wohlgefallen  an  den  Opfern  der 
Sünder.  Und  wiederum  steht  geschrieben*^):  Die  Sünde  des 
Hauses  Eli  wird  nicht  gesühnt  werden  durch  Schlachtopfer  und 
Speisopfer  bis  in  Ewigkeit.  Und  wiederum  steht  geschrieben^): 
Der  Herr  hat  kein  Wohlgefallen  an  den  Widdern  und  auch  nicht 
an  den  1 0,000  der  Heerde  der  Rinder.  Sondern  statt  dessen  will 
ich  dir  zeigen,  o  Mensch,  was  da  hilft,  was  der  Herr  von  dir 
fordert:  Dass  du  Gerechtigkeit  übest  und  Glauben  suchest  und 
bereit  seiest,  deinem  Gott  nach  zu  wandeln.    Und  auch  da  er  die 


1)  Jes.  1,  11.  13.  —  2)  Ps.  50,  13—15.  —  3)  Arnos  5,  21.  —  4)  Arnos 
5,  22.  —  5)  Arnos  5,  25;  Sach.  7,  6.  —  6)  Jes.  66,  3.  —  7)  1.  Sam.  15,  14. 
15.  22.  —  8)  1.  Sam.  3,  14.  —  9)  Micha  6,  7.  8. 


Die  Unterweisung  von  der  Unterscheidung  der  Speisen.  267 

Schlachtopfer  und  Speisopfer  verwarf  in  den  Tagen  Jesaias,  sprach 
er  ^):  Ich  will  euch  zeigen,  was  ich  fordere:  Lasset  vom  Bösen 
und  lernet  Gutes  thun,  suchet  Recht  und  thuet  wohl  den  Unter- 
drückten, richtet  die  Waisen  und  richtet  die  Wittwen.  Und  wenn 
ihr  das  thut,  so  kommt,  so  wollen  wir  mit  einander  reden,  spricht 
der  Herr;  und  wenn  eure  Sünden  wären  wie  Scharlach,  sollen 
sie  weiss  werden  wie  Schnee,  und  wenn  sie  roth  wären  wie  Rosin- 
farbe, sollen  sie  werden  wie  Wolle.  Und  Maleachi  spricht  2): 
Bringet  nicht(s)  auf  meinem  Altare  dar,  da  es  umsonst  ist.  denn 
ich  habe  kein  Wohlgefallen  an  euch,  spricht  der  Herr.  Und  Daniel 
spricht  zu  Xebukadnezar  3):  Sühne  deine  Sünden  durch  Almosen 
und  deine  Missethat  durch  Barmherzigkeit  mit  den  Schwachen, 
und  nicht  durch  Schlachtopfer  und  Speisopfer.  Denn  er  hat 
Israel  verworfen  und  hat  seine  Opfer  verworfen,  wie  Jeremia 
sagt"*):  Verworfenes  Silber  nennet  sie,  denn  der  Herr  hat  sie 
verworfen.  Und  wiederum  sagt  er-'):  Führe  sie  von  meinem 
Angesicht  weg,  im  d  sie  sollen  hinweggehen.  Und  wenn  sie  sprechen 
werden:  Wohin  sollen  wir  gehen?  sprich  zu  ihnen:  Wer  in  das 
Schwert  gehen  will,  der  gehe  in  das  Schwert,  und  wer  in  den 
Hunger  gehen  will,  der  gehe  in  den  Hunger,  und  wer  in  die 
Gefangenschaft  gehen  will,  der  gehe  in  die  Gefangenschaft.  Und 
wiederum  steht  geschrieben'*):  Er  wird  sie  nicht  mehr  ansehen. 
Und  auch  Jesaia  spricht'):  Trennet  euch  von  ihnen  und  nennet 
sie  unrein.  Und  auch  Jeremia  spricht^):  Ich  habe  mein  Haus  ver- 
lassen, ich  habe  mein  Erbe  verlassen;  ich  habe  die  Geliebte 
meiner  Seele  in  die  Hand  ihrer  Feinde  gegeben.  Und  vdederum 
steht  geschrieben  9) :  Ich  habe  der  Tochter  meines  Volkes  einen 
Scheidebrief  gegeben.  Und  wiederum  steht  geschrieben"'):  Der 
Herr  machte  vergessen  in  Zion  die  Feste  und  den  Sabbath.  Und 
auch  im  Propheten  Hesekiel  unterwies  und  belehrte  er  sie  wegen 
ihres  Rufes,  und  verordnete  ihnen  Schlachtopfer  und  Speisopfer, 
ob  sie  vielleicht  durch  dieselben  zurückgehalten  würden  von  ihren 
Sünden.  Er  spricht  oben  zu  ihnen"):  Ich  habe  ihnen  Gebote 
gegeben  und  ihnen  die  Rechte  kund  gethan;  dass,  wenn  jemand 
sie  thun  würde,  er  durch  dieselben  das  Leben  habe.    Und  wieder- 


1)  Jes.  1,  16  —  18.  —  2)  Mal.  1,  10.  —  3)  Dan.  4,  27.  —  4)  Jerem. 
G,  30.  —  5)  Jerem.  15,  1.  2.  —  6)  Lament.  4,  16.  —  7)  Nicht  Jesaia  son- 
dern Lament.  4,  15.  —  8)  Jerem.  12,  7.  —  9)  Jerem.  3,  8.  —  10)  Lament. 
2,6.  —  11)  Ezech.  20,  11. 


268  Homilie  XV. 

um  sagt  er^):  Ich  habe  ihnen  Gebote  gegeben,  die  nicht  schön 
sind,  und  Rechte,  durch  welche  sie  nicht  das  Leben  haben,  und 
ich  habe  sie  für  unrein  erklärt  mit  ihren  Gaben,  wenn  sie  ihre 
Opfer  darbringen. 

Lass  dich  nun  belehren,  thörichter  Schriftgelehrter,  Lehrer  des 
Volks;  nun  da  der  heilige  Mund  bezeugt,  dass  die  Gebote  und  Rechte, 
die  dir  gegeben  sind,  nichts  nützen  und  nicht  schön  sind,  warum 
ist  dein  Gesicht  so  kühn  und  ereiferst  dich  im  Disputiren?  Siehe, 
wegen  deiner  Sünden  hat  dir  Gott  die  Opfer  gegeben  und  dir 
die  Speisen  geschieden.  lieber  Avelche  Gebote  und  Rechte  sagt 
nun  Hesekiel:  Wer  sie  thut,  hat  durch  sie  das  Leben?  Und  über 
welche  sagt  er:  Ich  habe  euch  Gebote  gegeben,  die  nicht  schön 
sind,  und  Rechte,  durch  welche  sie  nicht  das  Leben  haben?  Die 
Gebote  nämlich  und  Rechte,  die  das  Leben  bringen,  sind  diejenigen, 
die  zuerst  geschrieben  sind,  und  die  gerechten  und  rechtschaffe- 
nen Rechte,  die  er  vor  ihnen  aufgestellt  hat,  sind  die  heiligen 
zehn  Gebote,  die  er  mit  seinen  Händen  geschrieben  und  dem 
Mose  gegeben  hat,  dass  er  sie  dieselben  lehre.  Und  da  sie  sich 
em  Kalb  machten  und  von  ihm  abwichen,  da  gab  er  ihnen  Ge- 
bote und  Rechte,  die  nicht  schön  sind,  Opfer  und  Reinigung  des 
Aussatzes  und  des  Flusses  und  der  monatlichen  Reinigung  und 
der  Geburt,  und  dass  niemand  einen  Verstorbenen,  ein  Grab,  Ge- 
beine und  Ermordete  berühre,  und  dass  er  für  alle  Sünden  Opfer 
darbringe  und  für  alle  Verunremigung  des  Menschen.  Und  über 
jedes  von  diesen  spricht  er:  Er  sei  unrein  bis  zum  Abend,  auch 
wenn  er  sich  mit  Wasser  reinigt.  In  Wahrheit  war  durch  das, 
das  geschrieben  ist,  für  Israel  auch  nicht  ein  Tag  rein  von  Sün- 
den, sondern  sie  verbrachten  alle  Tage  in  Sünden  und  Unreinig- 
keiten.  Und  aus  dem  Gesetz  konnten  sie  nicht  gerechtfertigt  wer- 
den, wie  der  Apostel  sagt  '^):  Aus  dem  Gesetz  wirdKiemand  gerecht- 
fertigt, sondern  wer  die  Vorschriften  thut,  die  darin  geschrieben 
stehen,  wird  durch  dieselben  das  Leben  haben.  Und  es  ist  bekannt, 
dass  niemand  dieselben  thun  und  halten  kann.  Und  es  sagt  auch 
unser  Herr,  da  er  sieht,  dass  es  so  schwer  ist,  er  ruft  uns  und  spricht 
zu  uns  3):  Kommt  zu  mir,  die  ihr  mühselig  und  beladen  seid,  ich 
will  euch  erquicken,  nehmet  auf  euch  mein  Joch,  denn  mein  Joch 
ist   leicht  und  sanft.     Wir  preisen  die  Barmherzigkeit,    die  das 


1)  Ezeck  20,  25.  26.  —  2)  Gal.  3,  11.  12.  —  3)  Mt.  11,  28—30. 


Die  Unterweisung  von  der  Unterscheidung  der  Speisen.  269 

harte  Joch  und  das   schwere  Joch  weggenommen  und  uns  sein 
sanftes  Joch  gegeben  hat. 

Diese  wenigen  Erinnerungen  habe  ich  dir  geschrieben,  mein 
Lieber,  darüber,  dass  das  Volk  der  Juden  stolz  und  übermüthig 
ist  und  sich  rühmt,  dass  sie  für  unrein  erklären  und  unter- 
scheiden die  Speisen.  Denn  dieser  drei  Dinge  rühmen  sie  sich: 
der  Beschneidung  und  der  Sabbathfeier  und  der  Unterscheidung 
der  Speisen  nebst  anderen  Dingen.  Ueber  diese  drei  Dinge  habe 
ich  dir  kurz,  so  gut  ich  konnte,  geschrieben  und  dich  belehrt. 
Ueber  die  anderen  Dinge  will  ich,  wie  Gott  es  mir  schenkt,  je 
und  je  schreiben  und  dich  belehren. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  der  Unterscheidung 
der  Speisen. 


Die')  Unterweisimg-  über  die  zwölf  Stämme 

unter  den  Völkern,  die  an  Stelle  des  Volkes 

getreten  sind. 

Die  Völker  von  allen  Zungen  waren  nämlich  zuerst  zum 
Erbe  des  Höchsten  berufen  worden,  vor  Israel;  wie  Gott  zu  Abra- 
ham sprach-):  Ich  habe  dich  zum  Vater  der  Menge  der  Völker 
gemacht.  Und  Mose  verkündigte  und  sprach-^):  Sie  werden  die 
Völker  zum  Berge  rufen,  und  daselbst  werden  sie  opfern  Opfer 
der  Gerechtigkeit.  Und  im  Lobliede  des  Zeugnisses  spricht  er 
zum  Volk  ^j :  Ich  will  euch  reizen  durch  ein  Volk,  das  kein  Volk 
ist,  und  durch  ein  thörichtes  Volk  will  ich  euch  erzürnen,  und 
unser  Vater  Jakob  bezeugte  über  die  Völker,  da  er  Juda  segnete, 
und  sprach  zu  ihm^):  Das  Scepter  wird  nicht  von  Juda  weichen, 
noch  der  Gesetzgeber  von  seinen  Füssen,  bis  der  kommen  wird, 
dem  das  Reich  gehört,  und  auf  ihn  werden  die  Völker  hoffen. 
Und  Jesaia  sagt ''] :  Der  Berg  des  Hauses  des  Herrn  wird  aufge- 
richtet sein  zum  Haupt  der  Berge  und  wird  höher  sein  als  die 
Höhen,  und  alle  Völker  werden  auf  ihn  hoffen.  Und  es  werden 
kommen  die  vielen  Völker  aus  der  Ferne  und  werden  sprechen: 
Kommt,  lasset  uns  auf  den  Berg  des  Herrn  gehen  und  zum 
Hause  des  Gottes  Jakobs.  Er  wird  uns  lehren  von  seinen  Wegen, 
und  wir  wollen  wandeln  auf  seinen  Pfaden.  Denn  von  Zion  gehet 
das  Gesetz  aus,  und  das  Wort  des  Herrn  von  Jerusalem,  und  er 
wird  richten  unter  den  Völkern,  und  er  wird  strafen  alle  die 
fernen  Völker.  Und  wenn  er  sie  richtet  und  sie  straft,  alsdann 
werden  sie  Zucht  annehmen  und  werden  zum  Frieden  gebracht 
und  werden  gedemüthigt  werden  aus  ihrer  Herzenshärtigkeit. 
Und  sie  werden  ihre  Schwerter  zu  Pflugscharen  und  ihre  Speere 

1)  B:  Die  sechszehnte  Unterweisung.  —  2)  Gen.  17,  5.  —  3)  Deut.  33, 
19.  —  4)  Deut.  32,  21.  —  5)  Gen.  49,  10.  —  6)  Jes.  2,  2—4;  Micha  4,  1-3. 


Die  Unterweisung  über  das  Volk  und  die  Völker.  271 

zu  Sicheln  umbiegen,  und  es  wird  niclit  wieder  ein  Volk  gegen 
das  andere  das  Schwert  erheben,  und  sie  werden  nicht  wieder 
Krieg  lernen.  Denn  A^on  Anfang  an  haben  die  Völker,  welche 
Gott  nicht  kannten,  gegen  Räuber  und  Unterdrücker  mit  Schwer- 
tern und  Speeren  und  Lanzen  gekämpft.  Und  da  Christus,  der 
Erlöser,  kam,  zerbrach  er  den  Bogen  des  Kriegs  und  sprach: 
Friede  sei  mit  den  Völkern,  und  Hess  sie  ihre  Schwerter  zu  Pflug- 
scharen umbiegen,  und  ihre  Speere  machten  sie  zu  Sicheln,  dass 
sie  essen  möchten  ihrer  Hände  Arbeit  und  nicht  von  Beute. 
Und  wiederum  steht  geschrieben  i):  Ich  will  den  Völkern  aus- 
erwählte Lippen  geben,  dass  sie  alle  den  Xamen  des  Herrn  an- 
rufen, denn  früher  hatten  die  Völker  keine  auserwählten  Lippen 
und  riefen  nicht  den  Kamen  des  Herrn  an:  denn  mit  ihren  Lip- 
pen priesen  sie  die  Götzen,  die  sie  mit  ihren  Händen  gemacht 
hatten,  und  riefen  den  Namen  ihrer  Götter  an  und  nicht  den  Namen 
des  Herrn.  Und  auch  der  Prophet  Sacharia  spricht-):  Die  vielen 
und  starken  Völker  werden  dem  Herrn  anhangen.  L^nd  der  Pro- 
phet Jeremia  predigt  offen  und  deutlich  über  die  Völker,  da  er 
spricht'^):  Die  Völker  werden  ihre  Götzenbilder  verlassen  und 
werden  rufen,  verkündigen  und  sprechen:  Die  Götzen  der  Lüge, 
die  unsere  Väter  uns  vererbt  haben,  sind  nichts. 

§  2.  Und  seinem  Volke  predigt  Jeremia  und  spricht  zu 
ihnen  ■■):  Tretet  auf  die  Wege  vmd  fraget  nach  den  ewigen  Pfa- 
den und  sehet,  welcher  der  rechte  Weg  ist,  und  gehet  darauf. 
Und  diese  antworteten  in  ihrer  Verstocktheit  und  sprachen  zu 
ihm:  Wir  gehen  nicht  darauf.  Und  wiederum  spricht  er  zu  ihnen: 
Ich  habe  Wächter  über  euch  gestellt,  dass  ihr  höret  die  Stimme 
der  Posaune.  Und  sie  sprachen  wiederum  zu  ihm:  Wir  wollen 
sie  nicht  hören.  Und  das  thaten  sie  deuthch  und  offen  in  den 
Tagen  Jeremias,  da  er  ihnen  verkündigte  das  Wort  des  Herrn,  und 
diese  antworteten  und  zu  ihm  sprachen^):  Das  Wort,  das  du  zu 
ims  redest  im  Namen  des  Herrn,  hören  wir  nicht,  sondern  wir 
thun  unseren  Willen,  und  alles  Gelöbniss,  das  aus  unserem  Munde 
geht,  den  fremden  Göttern  Rauchopfer  zu  bringen.  Und  da  er  sah, 
dass  sie  ihn  nicht  hörten,  wandte  er  sich  zu  den  Völkern  und  sprach 
zu  ihnen''):    Höret,  ihr  Völker,    und  wisse,    du  Gemeinde   unter 


1)  Zephan.  3,  9.  —  2)  Sachar.  2,  11.  —  3)  Jerem.  16,  19.  —  4)  Jerem 
6,  16.  17.  —  5)  Jerem.  44,  16.  17.  —  6)  .Terem.  fi,  18. 


272  Homilie  XVI. 

ihnen,  und  es  höre  die  Erde  in  ihrer  ganzen  Fülle.  Und  da  er 
sah,  dass  sie  keck  sich  gegen  ihn  stellten  und  frech  auf  das 
Wort  antworteten,  da  verliess  er  sie,  wie  er  geweissagt  und  ge- 
sprochen hatte  '):  Ich  verlasse  mein  Haus  und  verlasse  mein 
Erbe;  ich  gebe  die  Geliebte  meiner  Seele  in  die  Hand  ihrer 
Feinde,  und  statt  ihrer  ist  das  bunte  Gevögel  mein  Erbe,  das 
ist  die  Gemeinde  aus  den  Völkern,  die  aus  allen  Zungen  ver- 
sammelt ist  2;.  Und  damit  du  wissest,  dass  Er  sie  gewiss  ver- 
lassen hat,  spricht  Jesaia  wiederum  über  sie-^):  Du  hast  dein 
Volk  aus  dem  Hause  Jakobs  verlassen.  Und  er  nennt  ihren  Namen 
Sodomiter  und  Volk  von  Gomorrha,  und  führt  die  Völker  statt 
ilirer  herein  und  nennt  sie  „die  vom  Hause  Jakobs".  Denn 
Jesaia  spricht  und  nennt  die  Völker  mit  dem  Namen  des  Hauses 
Jakobs  und  spricht  zu  ihnen'):  Ihr  vom  Hause  Jakobs,  kommt 
und  lasset  uns  wandeln  im  Lichte  des  Herrn,  denn  das  Volk  vom 
Hause  Jakobs  ist  verlassen  und-^)  sie  sind  Fürsten  Sodoms  und 
Volk  von  Gomorrha,  und^)  ihr  Vater  ist  ein  Amoriter  und  ihre 
Mutter  eine  Chetiterin,  und')  sie  haben  sich  umgewandt  und 
sind  ein  fremder  Weinberg  geworden,  deren  Trauben  bittere 
Trauben  sind,  und  deren  Trauben  Galle  sind,  und  sie^)  sind  ab- 
trünnige Kinder  und  verworfenes  Silber,  und^)  der  Weinberg 
von  Sodom  und  der  Pflanzung  von  Gomorrha^''),  der  Weinberg,  der 
da  Herlinge  bringt  statt  Trauben  i^),  und  der  Weinstock,  dessen 
Reben  das  Feuer  verzehrt,  und  der  zu  nichts  gut  vmd  nützlich 
ist,  und  zu  keinem  Gebrauch  verwendbar  ^'^).  Zwei  nämlich  nennt 
er  Jakob:  Den  einen,  der  im  Lichte  des  Herrn  wandelt,  und  den  an- 
deren, der  verlassen  ist.  Statt  Jakob  werden  Diese  metaphorisch  Für- 
sten Sodoms  genannt,  und  mit  dem  Namen  Jakob  wird  das  Volk  aus 
den  Völkern  genannt.  Und  wieder  sagt  der  Prophet  über  die  Völ- 
ker, dass  sie  Opfer  darbringen  würden  an  Stelle  des  Volks.  Er  spricht 
nämlich  '•'):  Mein  Name  ist  gross  unter  den  Völkern  und  an  allen 


1)  Jerem.  12,  7.  9. 

2)  In  A  findet  sich  hier  am  Rand:  „Und  ich  will  mir  aus  den  Völ- 
kern Priester  und  Leviten  und  Diakonen  aufstellen  wie  einen  neuen  Himmt:'! 
und  eine  neue  Erde,  spricht  der  Herr. 

3)  Jes.  2,  6.  —  4)  Jes.  2,  5.  6.  —  5)  Vgl.  Jes.  1,  10.  —  6)  Ezech.  16,  3. 
—  7)  Vgl.  Jerem.  2,  21;  Deut.  32,  32.  —  8)  Vgl.  Jes.  33,  1.  —  9)  Vgl. 
Jerem.  6,  30.  —  10)  Deut.  32,  32.  —  11)  Jes.  5,  2.  —  12)  Ezech.  19.  12.  — 
13)  Mal.  1,  11. 


Die  Unterweisung  über  das  Volk  und  die  Völker.  273 

Orten  bringen  sie  in  meinem  Namen  reine  Opfer  dar.  Und  über  Israel 
sagt  der  Prophet  1):  An  euren  Opfern  hat  er  kein  Wohlgefallen. 
Und  wiederum  sagt  er:  Eure  Schlachtopfer  gefallen  mir  nicht. 
Und  wiederum  spricht  auch  Hosea  über  Israel  -),  dass  sie  in 
Lüge  den  Herrn  bitten;  und  Jesaia  sagt-^),  dass  sein  Herz  ferne 
sei  von  seinem  Gott.  Er  sagt  nämlich:  Dieses  Volk  ehrt  mich 
mit  seinen  Lippen,  und  sein  Herz  ist  ferne  von  mir.  Und  Hosea 
spricht^):  Ephraim  umgibt  mich  mit  Lüge  und  das  Haus  Israels 
und  Judas  mit  Falschheit,  bis  das  Volk  Gottes  herabkommt. 
Und  welches  ist  das  Volk  anders  als  das  gerechte  und  gläubige 
Volk?  Wenn  Er  nämlich  von  Israel  sagt:  Es  umgibt  mich  mit 
Lüge  und  Falschheit,  und  über  Ephraim:  Siehe,  ein  sündiges 
Reich  ist  von  Ephraim  aufgestanden  in  Israel:  wenn  also  der  Käme 
Judas  in  diesem  Wort  nicht  genannt  wird,  so  sagen  sie  entschul- 
digend, Juda  sei  das  heilige  und  gläubige  Volk,  das  herabkommt 
und  dem  Herrn  anhängt.  Aber  der  Prophet  verkündigt  offenbar 
und  deutlich:  Es  umgibt  mich  mit  Lüge  Ephraim  und  Israel; 
darum  dass  Jerobeam,  der  Sohn  Nebats,  offenbar  sie  verführt 
hat  durch  das  Kalb;  und  Juda  durch  Falschheit,  darum  dass  sie 
in  Falschheit  und  im  Verborgenen  Götzen  verehrten;  da  er 
wiederum  ihre  Unreinigkeit  dem  Hesekiel  zeigte,  und  über  sie 
Hosea  predigte,  da  er  sie  Hurenweib  und  Ehebrecherin  nannte; 
denn  er  sagt  von  der  Gemeinde  Israel^),  dass  sie  ihre  Hurerei 
wegthun  solle  von  ihrem  Angesicht;  und  von  der  Gemeinde  des 
Hauses  Juda  spricht  er,  dass  sie  die  Ehebrecherei  von  ihren 
Brüsten  thun  solle.  Und  damit  du  wissest,  dass  der  Prophet 
über  beide  Gemeinden  redet  und  sie  Hure  und  Ehebrecherin 
nennt,  so  beachte,  dass  er  nach  dem  Worte  so  fortfährt:  Wenn 
sie  ihre  Hurerei  von  ihrem  Antlitze  nicht  abthut  und  ihren  Ehe- 
bruch von  ihren  Brüsten,  so  werde  ich  sie  nackt  ausziehen  und 
will  sie  lassen  wie  an  dem  Tag,  da  sie  geboren  ist,  und  wie  au  dem 
Tag,  da  sie  aus  Aegyptenland  auszog  ^).  Und  es  sind  ihre  beiden 
Gemeinden,  die  eine  die  Gemeinde  Israels,  die  andere  die  Gemeinde 
Judas;  die  Gemeinde  Israels  ist  das  Huren weib,  die  Gemeinde 
Judas  ist  die  Ehebrecherin,  und  das  Volk  aus  den  Heiden  ist 
das  heilige  und  gläubige  Volk,  das  herabkommt  und  dem  Herrn 

1)  Jerem.  (>,  20.  —  2)  Vgl.  Hosea  5,  7.  —  3)  Jes.  29,  13.  —  4)  Hosea 
11,  12.  —  5)  Hosea  2,  2.  —  6)  Hosea  2,  2.  15. 

Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  4.  18 


274  Homilie  XVI. 

anliaugt.  Und  warum  anders  sagt  er  ,es  kommt  herab",  als  weil 
sie  von  ihrem  Hochmuth  herabkommen.  Denn  Hesekiel  nennt 
sie  weiter  Ohola  und  Oholiba.  und  die  beiden  Gemeinden 
nennt  er  die  beiden  Reben  des  VVeinstocks,  die  das  Feuer 
verzehrt  hat  ^).  Und  David  wiederum  verkündigt  und  spricht 
über  die  Völker  2):  Der  Herr  zählt  in  der  Schrift  die  Völker; 
und  über  die  Kinder  Israel  weissagt  er  und  spricht^):  Sie  wer- 
den von  deinem  Buch  des  Lebens  ausgetilgt  werden,  und  unter 
deine  Gerechten  werden  sie  nicht  geschrieben  werden. 

Wisse  aber,  mein  Lieber,  dass  die  Kinder  Israel  geschrieben 
sind  in  dem  Buch  des  Heiligen.  Wie  Mose  spricht  vor  seinem  Gott^j: 
Entweder  vergib  die  Sünde  diesem  Volk,  oder  vertilge  mich  aus 
deinem  Buch,  das  du  geschrieben  hast.  Und  er  spricht:  Wer  gegen 
mich  sündigt,  den  werde  ich  von  meinem  Buch  vertilgen.  Und 
da  sie  sündigten,  sprach  David  über  sie 3):  Sie  werden  vertilgt 
werden  von  deinem  Buch  des  Lebens,  und  unter  deine  Gerechten 
werden  sie  nicht  geschrieben  werden.  Und  über  die  Völker 
spricht  er-):  Der  Herr  wird  zählen  in  der  Schrift  die  Völker. 
Die  Völker  waren  nämlich  nicht  gezeichnet  in  das  Buch  und 
die  Schrift.  Und  siehe,  mein  Lieber,  dass  die  Berufung  der  Völ- 
ker beschlossen  war  vor  der  Berufung  des  Volkes.  Denn  immer 
und  immer  wieder  sündigten  sie  in  der  Wüste.  Er  sprach  näm- 
lich zu  Mose^):  Lass  mich  dieses  Volk  vertilgen,  und  ich  will 
dich  zu  einem  Volke  machen,  das  grösser  und  erhabener  ist  als  sie. 
Und  weil  die  Zeit  der  Völker  noch  nicht  gekommen  war,  und  ein 
Anderer  ihr  Erlöser  war,  war  Mose  nicht  überzeugt,  dass  ein  Er- 
löser und  Lehrer  für  das  (Christen-) Volk  aus  den  Heiden  kommen 
würde,  welches  grösser  und  erhabener  ist  als  das  Volk  Israel.  Denn 
diese  grosse  und  reiche  Ehre  gebührt  es  sich  dem  Sohn  Gottes  bei- 
zulegen, wie  Jesaia  sagt*^):  Das  ist  viel  zu  gering,  dass  du  mein 
Knecht  seist  und  den  Schössling  Jakobs  herstellest  und  den  Stamm 
Israels  aufrichtest,  sondern  ich  habe  dich  zum  Licht  für  die  Völ- 
ker gemacht,  dass  du  seist')  mein  Heil  bis  an  die  Enden  der 
Erde.  Und  wiederum  verkündigt  Jesaia  über  die  Völker^): 
Höret  mich,  ihr  Völker,  und  merket  auf  mich,  ihr  Nationen, 
denn  das  Gesetz  geht  von  mir  aus  und  mein  Recht  ist  das  Licht 

1)  Ezech.  19,  12.  —  2)  Ps.  87,  6.  —  3)  Ps.  69,  28.  —  4)  Exod.  32, 
32.  33.  —  5)  Exod.  32,  10.  —  6)  Jes.  49,  6.  —  7)  B:  dass  du  zeigest  mein 
Heil.  —  8)  Jes.  51,  4. 


Die  Untei-weisung  über  das  Volk  und  die  Völker.  275 

für  die  Völker.  Und  David  spricht^):  Fremde  Kinder  werden  mich 
mit  ihren  Ohren  hören,  und  diese  fremden  Kinder  werden  zurück- 
gehalten und  lahm  gemacht  von  ihren  Wegen.  Die  Völker  nämlich 
hörten  und  wurden  lahm  gemacht  von  den  Wegen  der  Verehrung 
der  Bilder  und  Götzen.  Und  wenn  sie  sagen  werden,  uns  hat  er 
fremde  Kinder  genannt,  (so  wisse)  diese  werden  nicht  fremde 
genannt,  sondern  Kinder  und  Erben.  Wie  Jesaia  sagt-):  Ich 
habe  Kinder  gross  gezogen  und  herangezogen,  und  sie  sind  von 
mir  abgefallen.  Und  der  Prophet  spricht'^):  Von  Aegypten 
habe  ich  meinen  Sohn  gerufen.  Und  zu  Mose  spricht  der  Hei- 
lige^): Sprich  zu  Pharao:  Lasse  meinen  Sohn,  dass  er  mir  diene. 
Und  wiederum  sagt  er^):  Mein  erstgeborener  Sohn  ist  Israel. 

§  3.  Nem,  es  sind  die  Völker,  die  auf  Gott  hören  und  lahm 
gemacht  und  zurückgehalten  werden  von  den  Wegen  ihrer  Sün- 
den. Und  wiederum  sagt  Jesaia '') :  Du  wirst  die  Völker  rufen,  die 
dich  nicht  kennen,  und  die  Völker,  die  dich  nicht  kenneu,  wer- 
den zu  dir  kommen  und  sich  bekehren.  Und  wiederum  sagt 
Jesaia'):  Höret,  ihr  Völker,  was  ich  thue,  und  erkennt,  ihr  Fer- 
nen S),  meine  Kraft.  Und  über  die  Gemeinde  und  die  Versamm- 
lung der  Völker  sagt  David 9):  Gedenke  deiner  Gemeinde,  die  du 
von  Anfang  an  erworben  hast.  Und  wiederum  sagt  David  ^o): 
Preiset  den  Herrn,  alle  Völker,  und  seiuen  Namen  mögen  rühmen 
die  Nationen.  Und  wiederum  sagt  er^^):  Dem  Herrn  gehört  das 
Reich,  und  er  ist  der  Fürst  über  die  Völker.  Und  wiederum 
sagt  der  Prophet'-):  In  den  letzten  Tagen  will  ich  meinen  Geist 
ausgiessen  über  alles  Fleisch,  und  sie  werden  weissagen.  Und 
niemand  wird  seinen  Mitbürger  lehren  und  auch  nicht  seinen  Bru- 
der, und  wird  sprechen,  erkenne  unseren  Herrn,  denn  alle  Aver- 
den  mich  kennen  von  ihrer  Jugend  bis  zu  ihrem  Alter.  Und 
über  die  Kinder  Israel  sagt  er^'^):  Ich  werde  einen  Hunger  in  das 
Land  senden,  nicht  einen  Hunger  nach  Brot  und  nicht  einen 
Durst  nach  Wasser,  sondern  (einen  Hunger)  zu  hören  das  Wort 
des  Herrn.  Und  sie  werden  kommen  vom  Abend  bis  zum  Mor- 
gen und  vom  Mittag  bis  zur  Mitternacht,  zu    suchen  das  Wort 


1)  Ps.  18,  45.  40.  —  2)  Jes.  1 ,  2.  —  3)  Hos.  11,  1.  —  4)  Exod. 
4,  23.  —  5)  Exod.  4,  22.  —  6)  Jes.  55,  5.  A:  Du  wirst  die  Völker  rufen, 
die  du  nicht  kennst,  und  Völker,  die  dich  nicht  kennen  etc.  —  7)  Jes. 
33,  13.  —  8)  A:  und  erkennt  ihr  Nahen.  -  9)  Ps.  74,  2.  —  10)  Ps.  117,  1. 
—  11)  Ps.  22,  28.  —  12)  Joel  2,  28;   Jerem.  31,  34.  —  13)  Arnos  8,  11.  12. 

18* 


276  Homilie  XVI. 

des  Herrn,  und  sie  werden  es  nicht  finden,  denn  es  ist  von  ihnen 
gewichen.  Mose  schrieb  zuvor  über  sie'):  Wenn  dir  viel  Böses 
begegnen  wird  am  Ende  der  Tage,  wirst  du  sprechen:  Dieses 
Böse  trifft  mich,  weil  Gott  nicht  in  meiner  Mitte  ist.  Wie  sie 
gesprochen  haben  in  den  Tagen  Hesekiels-):  Der  Herr  hat  das 
Land  verlassen;  und:  Der  Herr  sieht  nicht  mehr  nach  uns.  Und 
.lesaia  sagt  über  sie'^):  Eure  Schulden  trennen  euch  von  eurem 
Gott,  und  eure  Sünden  halten  das  Gute  von  euch  zurück.  Und 
wiederum  spricht  er"*):  Ihr  werdet  in  meine  Ohren  mit  lauter 
Stimme  rufen,  und  ich  will  euch  nicht  erhören.  Und  über  das 
Volk  aus  den  Völkern  spricht  David ''; :  Alle  ihr  Völker,  klat- 
schet in  die  Hände  und  preiset  Gott  mit  Lobgesang.  Und  wie- 
derum sagt  er*'):  Höret  dieses,  alle  ihr  Völker,  und  merket  auf, 
alle,  die  ihr  auf  Erden  wohnet. 

§  4.  Und  auch  von  Alters  her  wurde  jeder,  der  Gott  gefiel 
unter  den  Völkern,  mehr  gerechtfertigt  denn  Israel.  Jethron, 
der  Priester  aus  den  Völkern,  wurde  gesegnet,  er  und  sein  Same, 
und  er  machte  seine  Wohnung  stark  und  baute  sein  Nest  auf 
Felsen").  Und  den  Gibeonitern  aus  den  unreinen  Völkern  gab 
Josua  die  rechte  Hand,  und  sie  traten  ein  und  wurden  bekleidet 
mit  dem  Erbe  des  Herrn,  und  sie  wurden  Holz-  und  Wasserträger 
für  die  Versammlung  und  den  Altar  des  Herrn  ^).  Und  da 
Saul  sie  zu  tödten  suchte,  wurde  der  Himmel  für  den  Regen 
verschlossen,  bis  die  Söhne  Sauls  getödtet  waren,  und  alsdann 
wandte  sich  der  Herr  zu  dem  Lande  und  segnete  sein  Erbe.  Und 
Rahab,  das  Hurenweib,  das  die  Kundschafter  aufnahm,  empfing 
ein  Erbe  in  Israel,  sie  und  das  Haus  ihres  Vaters.  Und  Obed 
Edom  von  Gath  im  Philisterland,  in  dessen  Haus  die  Bundeslade 
des  Herrn  kam  und  bei  dem  sie  mehr  als  von  ganz  Israel  geehrt 
wurde,  wurde  von  dem  Herrn  gesegnet  mit  seinem  Hause.  Und 
Ithai,  der  Gethiter,  speiste  David  zur  Zeit  seiner  Verfolgung,  und 
sein  und  seines  Samens  Name  wurde  geehrt.  Und  Ebedmelech,  der 
Kuschite,  ein  gläubiger  Mann,  holte  Jeremia  aus  der  Grube,  da  die 
Kinder  Israels,  seines  Volkes,  ihn  gefangen  hielten.  Das  ist  der 
Sinn  des  mosaischen  Wortes  über  sie"):  Der  Fremdling,  der  bei 
dir  ist,    wird   dich  überragen,    und  du    wirst    hinabsteigen.     Sie 

1)  Deut.  31,  17.  —  2)  Ezech.  8,  12.  —  3)  Jes.  59,  2.  —  4)  Ezech.  8,  18. 
—  5)  Ps.  47,  1.  —  6)  Ps.  49,  1.  —  7)  Vgl.  Num.  24,  21.  —  8)  Vgl.  Josua 
9,  27.  —  9)  Deut.  28,  43. 


Die  Unterweisung  über  das  Volk  und  die  Völker.  277 

nahmen  Jeremia  gefangen  und  führten  ihn  in  die  unterste  Grube, 
und  Ebedmelech,  der  Fremdling  aus  Aethiopien,  holte  Jeremia  aus 
der  Grube.  Und  Ruth,  die  Moabitiu  aus  dem  vom  Zorne  bedrohten 
Volke,  kam  und  wurde  unter  das  Volk  Israel  gemischt,  und  von 
ihrem  Samen  erhob  sich  die  Regierung  der  Könige,  aus  wel- 
chen der  Erlöser  unter  den  Völkern  geboren  wurde.  Und  Uria, 
der  Chetiter,  von  dem  unreinen  Volk,  war  Oberster  unter  den 
Männern  Davids.  Und  weil  David  ihn  mit  List  tödtete  im  Krieo- 
gegen  die  Kinder  Ammons  und  sein  Weib  begehrte  und  sie  nahm, 
empfing  David  den  Urtheilsspruch,  dass  das  Schwert  von  seinem 
Hause  nicht  weichen  solle  ewiglich  '). 

§  5.  Und  wiederum  sagt  Jesaia  über  unseren  Erlöser-): 
Ich  habe  dich  zum  Bund  für  das  Volk  gemacht  und  zum  Licht 
für  die  Völker.  Wie  anders  wurde  er  nun  zum  Bund  für  das 
Volk,  als  dadurch,  dass,  seit  das  Licht  und  der  Erlöser  der  Völker 
kam,  seit  dieser  Zeit  Israel  von  der  Verehrung  der  Götzen  zurück- 
gehalten wurde,  und  Er  so  für  sie  der  wahre  Bund  wurde.  Darüber 
sagt  Mose  ^):  Ich  will  euch  erzürnen  durch  ein  Volk,  das  kein  Volk 
ist,  und  durch  ein  thörichtes  Volk  will  ich  euch  erregen.  Sie  sind 
eifersüchtig  gegen  uns  und  unseretwegen  verehren  sie  die  Götzen 
nicht,  damit  sie  von  uns  nicht  geschmäht  werden.  Denn  wir  haben 
die  Götzen  verlassen  und  haben  Lüge  genannt,  was  unsere  Väter  uns 
hinterlassen  haben.  Und  sie  zürnen,  und  ihr  Herz  ist  gebrochen 
darüber,  dass  wir  hereingekommen  und  Erben  geworden  sind 
an  ihrer  Stelle.  Denn  für  sie  war  dies  der  Bund,  dass  sie  nicht 
andere  Götter  anbeten  sollten.  Wenn  sie  ihn  auch  nicht  ange- 
nommen haben,  so  hat  er  sie  doch  gegen  uns  eifersüchtig  gemacht. 
L^nd  für  uns  ist  er  das  Licht  und  das  Leben,  wie  er  verkündigt 
und  spricht,  indem  er  lehrt  ^):  Ich  bin  das  Licht  der  Welt.  Und 
wiederum  sagt  er  '") :  Glaubet,  so  lange  das  Licht  bei  euch  ist, 
bevor  euch  die  Finsterniss  überfällt.  Und  wiederum  sagt  er^): 
Wandelt  im  Licht,  damit  ihr  Kinder  des  Lichts  genannt  werdet. 
LTnd  wiederum  sagt  er  über  ihn"):  Das  Licht  leuchtete  in  der 
Finsterniss.  Das  ist  der  Bund,  der  für  die  Ewigkeit  ist ,  und  das 
Licht,  das,  da  erleuchtet  alle  Völker  und  sie  lahm  macht  und  sie 
zurück  hält  von  den  verkehrten  Wegen;  wie  geschrieben  steht ^): 

1)  2.  Sam.  12,  10.  —  2)  Jes.  42,  6.  —  3)  Deut.  32,  21.  —  4)  Job.  8,  12. 
—  5)  Job.  12,  35.  36.  —  (i)  A:  Glaubet  an  das  Liebt,  damit  ibr  Kinder 
des  Licbtes  seid.  —  7)  Job.  1,  5.  —  8)  Jes.  40,  4.  .">;  Luc.  3,  5.  (5. 


278  Homilie  XVI. 

Bei  seiner  Ankunft  soll  das  Hügelige  eben  und  das  Höckerige 
gleich  werden,  und  die  Herrlichkeit  des  Herrn  soll  geoifenbart 
werden,  und  alles  Fleisch  soll  das  Leben  Gottes  sehen. 

§  6.  Diese  kurze  Erinnerung  habe  ich  dir  geschrieben  über 
die  Völker,  weil  die  Juden  sich  rühmen  und  sprechen:  Wir  sind 
das  Volk  Gottes  und  die  Kinder  Abrahams.  Uebrigens  aber 
lasset  uns  Johannes  hören,  der  da  zu  ihnen  spricht.  Da  sie  sich 
rühmen :  Wir  sind  Kinder  Abrahams,  da  spricht  zu  ihnen  Johan- 
nes ^):  Seid  nicht  übermüthig  und  sprechet  nicht:  Wir  haben 
Abraham  zum  Vater;  denn  aus  diesen  Steinen  vermag  Gott 
Abraham  Kinder  zu  erwecken.  Und  unser  Erlöser  sagt  zu  ihnen  2) : 
Ihr  seid  Kinder  Kains  und  nicht  Kinder  Abrahams.  Und  der 
Apostel  sagt  3):  Die  Zweige,  die  da  sündigten,  sind  abgebrochen 
worden,  und  wir  sind  an  ihre  Stelle  eingepfropft  worden  und  sind 
theilhaftig  geworden  des  Fettes  des  Oelbaums.  Nun  wollen 
wir  uns  nicht  rühmen  und  sündigen,  damit  nicht  auch  wir  ab- 
gebrochen werden.    Siehe,  wir  sind  in  den  Oelbaum  eingepfropft. 

Dies  ist  die  Vertheidigung  gegen  die  Juden,  weil  sie  sich 
rühmen:  Wir  sind  die  Kinder  Abrahams,  und  wir  sind  das  Volk 
Gottes. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  über  das  Volk  u.nd  die 
Völker. 

1)  Mt.  3,  9.  Luc.  3,  8.  Aphraat  hat  hier  wie  S.  56  übereinstim- 
mend mit  Ephr.  S.  40  diese  Stelle  in  der  Wortstellung  wie  bei  Pesch. 
Luc.  3,  8,  während  Syr.  Cur.  auch  bei  Luc.  3,  8  wie  Syr.  Cur.  und  Pesch. 
Mt.   3,  9  stellt:    Ui^    ^»\qi    ^?     ]ai^]      ..i>V?     j-...^    ^a^^    }Jy.:=o| 

2)  Vgl.  Joh.  8,  39—44.  —  3^  Vgl.  Rom.  11,  17—21. 


Die  Unterweisung^  die  von  Christus  zeigte 
dass  er  Gottes  Solm  ist'). 

Zusammeustelluug  der  Worte  gegen  die  Juden,  die  da  lästern 
über  das  (Christen)  volk  aus  den  Völkern.  Denn  also  sprechen  sie :  Ihr 

1)  Durch  diese  Homilie  findet  eine  neue  Bestätigung,  was  Harnack 
in  seiner  Dogmengeschichte  (S.  82  f.  133)  über  den  Gebrauch  des  gött- 
lichen Namens  in  den  ersten  christl.  Jahrhunderten  sagt.  Vgl.  Luthardt 
im  Theolog.  Litteraturblatt  1886  Nr.  14.  Besonders  ist  die  Bezeichnung 
der  Könige  als  Götter  in  den  morgenländischen  Staaten  allgemein  ge- 
wesen. In  einem  grossem  Relief  unter  den  Königsgräbern  von  Naqsch-i- 
Rustam  ist  der  Triumph  des  ersten  Königs  des  neupersischen  Reiches  über 
Artaban  und  seinen  Bruder  Vologeses  abgebildet.  Ardeschir  zu  Pferd 
nimmt  von  Ahuramazda,  der  gleichfalls  beritten  ist,  den  Ring  der  Herr- 
schaft entgegen.  Die  Inschriften  auf  dem  Bug  der  Rosse  sind  in  soge- 
nannter West-  oder  Chaldäo-pahlawischer  Schrift,  in  griechischer  Sprache 
und  in  östlicher  oder  sasanischer  Pahlawi-Schrift  verfasst.  Sie  besagen: 
„Dies  ist  das  Bild  des  mazdajasnischen  (Ahuramazda  verehrenden)  Gottes 
Artaschato,  Königs  der  Könige  von  Airan,  himmlischen  Sprösslings  der 
Götter,  Sohn  des  Gottes  Papak,  des  Königs";  auf  dem  Ross  des  Gottes 
steht:  „Dies  ist  das  Bild  des  Gottes  Ahuramazda". 

Die  Bezeichnung  des  Königs  als  Gott  entspricht  der  orientalischen 
Idee  von  der  Erhabenheit  des  Monarchen  und  findet  sich  nicht  nur  in 
Aegypten,  sondern  auch  stellenweise  auf  den  Münzen  der  Parther  (nach 
seleucidischem  Vorgang  Theos,  Theopator).  Den  Sasanideu  schwebte  aber 
wohl  die  Vergöttlichung  der  römischen  Cäsaren  vor,  wie  einige  Kunst- 
werke aus  ihrer  Zeit  zeigen,  auf  welchen  der  Raub  des  Ganymedes  durch 
den  Adler  d.  h.  die  Erhebung  des  Königs  zu  den  Unsterblichen,  die  Apo- 
theose dargestellt  ist.  Der  Adler  wird  auch  durch  einen  Cherub  ersetzt, 
auf  welchem  der  König  reitet. 

Eine  ähnliche  Triumphscene  ist  in  den  Ruinen  von  Gur  oder  Firu- 
zabad  erhalten.  Dr.  Ferdinand  Justi,  Geschichte  der  orientalischen  Völker 
im  Alterthuui  S.  454  f.  Arnet,  Monumente  des  k.  k.  Münz-  und  Antiken- 
kabinets  in  Wien  1850,  Taf.  28.  32.  J.  Lessing,  Jahrb.  d.  Preuss.  Kunst- 
samml.I.  1880.  120.  Flandin  etCostePl.44.  Gesenius,  Comuit.zu  JesajasI,3S7. 


280  Homilie  XVII. 

verehret  und  dienet  einem  geborenen  Mann,  und  einem  gekreu- 
zigten Menschensobn:  und  ihr  nennet  einen  Meuschensohn  Gott. 
Und  während  Gott  keinen  Sohn  hat,  sprecht  ihr  über  ihn: 
Dieser  gekreuzigte  Jesus  ist  der  Sohn  Gottes.  Und  sie  geben 
die  Erklärung,  dass  Gott  spreche^):  Ich  bin  Gott  und  kein  an- 
derer ausser  mir;  und  wiederum  spreche  er-):  Du  sollst  keinen 
anderen  Gott  anbeten.  Also  stellet  ihr  euch,  (sagen  sie,)  gegen 
Gott  und  nennet  einen  Menschensohn  Gott. 

§  2.  Darüber  aber,  mein  Lieber,  will  ich,  so  gut  ich  kann 
und  meine  Schwachheit  vermag,  dich  belehren,  dass,  wenn  wir 
ihnen  auch  zugeben,  dass  er  ein  Menschensohn  ist,  und  wenn 
wir  ihn  auch  ehren  und  nennen  als  Gott  und  Herrn,  wir  ihn 
doch  nicht  absonderlich  benennen,  und  ihm  keinen  absonderlichen 
Namen  beilegen,  dessen  diese  sich  nicht  bedienen.  Das  aber  steht 
für  uns  fest,  dass  Jesus,  unser  Herr,  Gott  ist,  der  Sohn  Gottes,  und 
König,  der  Sohn  des  Königs,  Licht  vom  Licht,  Sohn,  Berather 
und  Führer  und  Weg  und  Erlöser  und  Hirte  und  Sammler  und 
Thür  und  Perle  und  Leuchte,  und  mit  vielen  Namen  genannt  wird. 
Wir  wollen  aber  jetzt  alle  lassen  und  von  ihm  zeigen,  dass  er 
Gottes  Sohn  ist,  und  dass  er  Gott  ist,  der  von  Gott  gekommen  ist. 

§  3.  Der  ehrwüi-dige  Name  der  Gottheit  wird  auch  ge- 
rechten Menschen  beigelegt,  und  sie  sind  würdig  mit  demselben 
genannt  zu  werden,  und  die  Menschen,  an  denen  Gott  sein  Wohl- 
gefallen hat,  nennt  er  meine  Kinder  und  Freunde.  Mose,  seinen 
Freund  und  Geliebten,  nennt  er,  da  er  ihn  auserwählt  und  ihn 
zum  Haupt  und  Lehrer  und  Priester  seines  Volkes  macht,  Gott. 
Denn  er  spricht  zu  ihm  ^) :  Ich  habe  dich  zu  einem  Gott  gemacht 
für  Pharao;  und  er  gab  seinen  Priester  ihm  zum  Propheten  (Spre- 
cher): Und  dein  Bruder  Aaron  soll 'für  dich  mit  Pharao  sprechen: 
und  du  sollst  für  ihn  ein  Gott  sein,  und  er  soll  für  dich  der  Dolmet- 
scher sein.  Und  nicht  allein  für  Pharao,  der  böse  war,  sondern  auch 
für  Aaron,  den  heiligen  Priester,  machte  er  Mose  zum  Gott.  Höre 
weiter  darüber,  dass  wir  ihn  Gottes  Sohn  nennen,  sie  aber  sagen: 
„Während  Gott  doch  keinen  Sohn  hat,  macht  ihr  diesen  ge- 
kreuzigten Jesus  zum  erstgeborenen  Sohn  Gottes",  folgendes 
Israel  nennt  Gott:  „mein  erstgeborner  Sohn",  da  er  zu  Pharao 
sandte  und  durch  Mose   zu  ihm  sprach^):    Israel  ist  mein  erst- 

1)  Deut.  32,  39.  —  2)  Exod.  34,  14.  —  3)  Exod.  7,  1.  2;  4,  Iß.  —  4) 
Exod.  4,  22.  23. 


Die  Unterweisung  über  den  Sohn  Gottes.  281 

geborner  Sohn.  Ich  sage  dir:  Lasse  meinen  Sohn,  und  er  soll 
mü-  dienen,  und  wenn  du  ihn  nicht  (ziehen)  lassen  wülst,  siehe, 
so  tödte  ich  deinen  erstgeborenen  Sohn.  Und  auch  durch  den 
Propheten  legt  er,  indem  er  ihnen  Vorwürfe  macht,  Zeugniss  ab 
und  spricht  zu  dem  Volk  ^) :  Aus  Aegypten  habe  ich  meinen  Sohn 
gerufen.  Wie  ich  sie  gerufen  hatte,  so  sind  sie  gegangen,  üjad 
sie  haben  Baal  verehrt  und  den  Götzen  geräuchert.  Und  Jesaia 
sagt  über  sie'-^):  Ich  habe  Kinder  gross  gezogen  und  herange- 
zogen, und  sie  sind  von  mir  abgefallen.  Und  wiederum  steht 
geschrieben'''):  Ihr  seid  Kinder  des  Herrn,  eures  Gottes;  und  über 
Salomon  sagt  er^):  Er  wird  mein  Sohn  sein,  und  ich  werde  sein 
Vater  sein.  Und  auch  wir  nennen  diesen  Christum  den  Sohn 
Gottes,  durch  den  wir  Gott  erkennen,  wie  er  Israel  „mein  erst- 
geborener Sohn"  genannt  hat,  und  wie  er  über  Salomon  spricht, 
er  soll  mein  Sohn  sein.  Und  wir  nennen  ihn  Gott,  wie  er  Mose 
mit  seinem  eigenen  Namen  genannt  hat.  Und  auch  David  sagt 
über  sie:  Ich  habe  gesagt^):  Ihr  seid  Götter,  und  Kinder  des 
Höchsten  seid  ihr  alle.  Und  da  sie  sich  nicht  gut  betrugen, 
sprach  er  noch  über  sie:  Ihr  werdet  wie  Menschenkinder  sterben, 
und  wie  einer  von  den  Fürsten  werdet  ihr  fallen.  Denn  der 
Käme  der  Gottheit  wird  zu  grosser  Ehre  in  der  Welt  gegeben, 
und  an  wem  Gott  sein  Wohlgefallen  hat,  dem  legt  er  ihn  bei. 
Uebrigens  aber  sind  die  Namen  Gottes  zahlreich  und  ehrwürdig, 
wie  er  seine  Namen  Mose  gegeben  hat  und  zu  ihm  gesprochen  ^) : 
Ich  bin  der  Gott  eurer  Väter,  der  Gott  Abrahams,  der  Gott 
Isaaks  und  der  Gott  Jakobs;  das  ist  mein  Name  ewiglich,  und 
das  ist  mein  Gedächtniss  für  alle  Geschlechter.  Und  er  nennt 
seinen  Namen:  Ehjeh  Ascher  Ehjeh  und  El  Schadai  und  Adonai 
Zebaoth.  Mit  diesen  Namen  wird  Gott  genannt.  Und  wenn  der 
Name  der  Gottheit  auch  gross  und  ehrwürdig  ist.  so  verweigert 
er  ihn  doch  auch  nicht  den  Gerechten,  und  wenn  er  auch  der 
grosse  König  ist,  so  legt  er  doch  seinen  grossen  und  ehrwür- 
digen Kömgsnamen  ohne  Neid  den  Menschenkindern  bei,  die 
doch  seine  Geschöpfe  sind. 

§  4.  Nebukadnezar,  den  gottlosen  König,  nämlich  nennt 
Gott  durch  den  Mund  seines  Propheten  König  der  Könige,  Je- 
remia  sagt  nämlich';:  Jedes  Volk  und  Reich,  das  seinen  Nacken 

1)  Hos.  11,  1.  2.  —  2)  Jes.  1,  2.  —  3)  Deut.  14,  1.  —  4)  2.  Sam.  7,  14; 
1.  Chron.  22,  10.  —  b)  Ps.  S2,  6.  7.  —  (i)  Exod.  3,  .'..  —  7)  Jerem.  27,  6.  8. 


282  Homilie  XVII. 

niclit  unter  das  Joch  Xebukaclnezars ,  des  Königs  der  Könige, 
meines  Knechts,  beugen  will,  solches  Volk  will  ich  mit  Hunger 
und  Schwert  und  Pestilenz  heimsuchen.  Und  während  er  der 
oberste  König  ist,  verweigert  er  den  Königsnamen  nicht  den 
Menschenkindern.  Und  während  er  der  grosse  Gott  ist,  ver- 
weigert er  den  Gottesnamen  nicht  den  Fleischgeborenen ,  und 
während  ihm  alle  Vaterschaft  gehört,  so  nennt  er  doch  auch  die 
Menschenkinder  Väter ;  denn  er  spricht  zu  der  Gemeinde^):  Anstatt 
deiner  Väter  werden  deine  Söhne  sein.  Und  während  ihm  die  Herr- 
schaft gehört,  so  gibt  er  doch  den  Menschenkindern  die  Herrschaft 
über  einander:  und  während  ihm  die  Prosternation  als  Verehrung 
zukommt,  so  gibt  er  doch  zu.  dass  die  Menschen  durch  dieselbe 
sich  in  der  Welt  unter  einander  ehren.  Denn  wenn  auch  je- 
mand sich  vor  Sündern  und  Gottlosen  niederwirft  und  vor  sol- 
chen, die  gegen  seine  Gnade  ungläubig  sind,  so  wird  er  doch 
nicht  von  Gott  beschuldigt.  Und  über  die  Prosternation  gebietet 
er  (doch)  seinem  Volk-^):  Du  sollst  nicht  vor  der  Sonne  nieder- 
fallen und  nicht  vor  dem  Monde  und  nicht  vor  dem  Heere 
des  Himmels,  und  auch  vor  allen  Geschöpfen,  die  auf  Erden 
sind,  sollt  ihr  nicht  begehren  niederzufallen.  Und  siehe  die 
Güte  und  Barmherzigkeit  unseres  guten  Schöpfers,  der  den 
Menschen  nicht  verweigert  den  Gottesnamen,  und  den  Namen  der 
Prosternation,  und  den  Königsnamen,  und  den  Herrschernamen. 
Denn  er  ist  der  Vater  der  Geschöpfe,  die  auf  der  Welt  sind, 
und  unter  allen  seinen  Geschöpfen  hat  er  am  meisten  geehrt 
und  erhöht  und  herrlich  gemacht  die  Menschen.  Denn  mit  seinen 
heiligen  Händen  hat  er  sie  gebildet,  und  von  seinem  Geist  hat 
er  in  sie  geblasen,  und  ihre  Wohnung  war  er  von  Anfang  an, 
und  iu  ihnen  wohnt  er,  und  in  ihnen  wandelt  er.  Denn  er 
sprach  durch  den  Propheten  3):  Ich  will  in  ihnen  wohnen  und 
in  ihnen  wandeln.  Und  wiederum  spricht  auch  der  Prophet  Je- 
remia^):  Ihr  seid  der  Tempel  des  Herrn,  wenn  ihr  eure  W^ege 
und- Werke  gTit  machet.  Und  zuvor  sprach  David  ^):  Herr,  du 
bist  unsere  Wohnung  für  und  für;  ehe  denn  die  Berge  em- 
pfangen wurden,  und  ehe  die  Erde  kreisste  %  und  ehe  der  Erd- 
kreis gegründet  wurde,  bist  du  Gott  von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit. 
Und  wie  verstehest  du  das?    Der  eine  Prophet  sagt:    Herr,   du 

1)  Ps.  45,  16.  —  2)  Deut.  4,  19.  —  3)  Vgl.  2.  Cor.  6,  16.  —  4)  Jerem. 
7,  4.  5.  —  5)  Ps.  90,  1.  2.  —  6)  od.  in  Geburtswehen  lag. 


Die  Unterweisung  über  den  Sohn  Gottes.  283 

bist  unsere  Wohnung,  und  der  andere  sagt:  Ich  will  in  ihnen 
wohnen  und  m  ihnen  wandeln  ?  Zuerst  war  er  unsere  Wohnung, 
und  darnach  wohnte  und  wandelte  er  in  uns.  Und  für  die 
Weisen  ist  beides  gewiss  und  leicht  (zu  verstehen).  Denn  David 
sagt:  Herr,  du  bist  unsere  Wohnung  für  und  für,  ehe  denn  die 
Berge  empfangen  wurden,  und  ehe  die  Erde  kreisste,  und  ehe 
der  Erdkreis  gegründet  wurde. 

§  5.  Du  weisst,  mein  Lieber,  dass  alle  Geschöpfe  in  der 
Höhe  und  in  der  Tiefe  zuerst  geschaffen  sind  und  zuletzt 
von  allen  der  Mensch.  Denn  da  Gott  gedachte  die  Welt  zu 
schaffen  mit  allem  ihren  Schmuck,  empfing  und  bildete  er  in 
seinem  Geiste  zuerst  den  Menschen.  Und  nachdem  der  ^Mensch 
empfangen  war  in  seinen  Gedanken,  alsdann  empfing  er  die  Ge- 
schöpfe. Wie  er  sagt:  Ehe  denn  die  Berge  empfangen  wurden, 
und  die  Erde  in  der  Geburt  kreisste.  Denn  der  Mensch  ist  das 
älteste  und  erste  von  allen  Geschöpfen  nach  der  Empfängniss, 
aber  nach  der  Geburt  sind  die  Geschöpfe  älter  und  früher,  denn 
Adam.  Adam  wurde  empfangen  und  wohnte  in  den  Gedanken 
Gottes.  Und  während  er  durch  die  Empfängniss  in  seiner  Seele 
eingeschlossen  war,  schuf  Er  durch  das  Wort  seines  Mundes 
alle  Geschöpfe.  Und  da  er  die  Welt  vollendet  und  geschmückt 
hatte,  dass  nichts  darin  fehlte,  da  erzeugte  er  Adam  aus  seinen 
Gedanken  und  bildete  ihn  mit  seinen  Händen  zu  dem  Menschen- 
kinde. Und  Adam  sah  die  Welt,  da  sie  gegründet  war.  Und 
er  setzte  ihn  über  Alles,  das  er  gemacht  hatte;  wie  ein  Manu, 
der  etwa  einen  Sohn  hat  und  ihm  Hochzeit  machen  will,  ihm 
ein  Weib  verlobt  und  ihm  ein  Haus  baut  und  bereitet  und 
schmückt  alles,  was  seinem  Sohn  nöthig  ist;  und  alsdann  die 
Hochzeit  macht  und  seinen  Sohn  über  sein  Haus  setzt.  Und  nach 
der  Empfängniss  Adams  erzeugte  er  ihn  und  setzte  ihn  zum  Herrn 
über  seine  ganze  Schöpfung.  Hierüber  sagt  der  Prophet:  Du, 
Herr,  bist  unsere  Wohnung  für  und  für:  ehe  denn  die  Berge 
empfangen  wurden,  und  ehe  die  Erde  kreisste,  und  ehe  der  Erd- 
kreis gegründet  wurde,  bist  du,  Herr,  von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit. 
Damit  nicht  jemand  glaubt,  Gott  sei  ein  anderer,  der  frühere 
und  der  spätere,  sagt  er  ,,von  E%vigkeit  zu  Ewigkeit'*.  Wie  Jesaia 
sagt^):   Ich  bin  der  erste  und  bin  der  letzte. 

I)  Jesaia  41,  4. 


284  Homilie  XVII. 

Und  nachdem  Gott  Adam  erzeugt  hatte  aus  seinen  Gedanken, 
bildete  er  ihn  und  blies  ihm  von  seinem  Geist  ein  und  gab  ihm  die 
Erkenntniss  der  Unterscheidung,  dass  er  imterscheide  Gutes  von 
Bösem,  lind  dass  er  erkenne,  dass  Gott  ihn  gemacht  hat.  Und  in- 
dem er  seinen  Schöpfer  erkannte,  ward  Gott  gebildet  und  em- 
pfangen in  den  Gedanken  des  Menschen,  und  er  ward  ein  Tempel 
für  Gott,  [\^  seinen  Schöpfer.  Wie  geschrieben  steht  ^):  Ihr  seid  ein 
Tempel  Gottes];  und  er  sprach:  Ich  will  in  ihnen  wohnen  und 
unter  ihnen  wandeln.  Uebrigens  aber  wird  Gott  in  den  Men- 
schen, die  ihren  Schöpfer  nicht  erkennen,  nicht  gebildet,  und 
er  wohnet  nicht  in  ihnen,  und  er  wird  nicht  empfangen  in  ihren 
Gedanken,  sondern  sie  sind  wie  das  Vieh  gerechnet  vor  ihm,  und 
wie   die    übrigen    Geschöpfe. 

Hierdurch  werden  die  Hartnäckigen  überzeugt  werden,  dass 
das  nichts  Absonderliches  ist,  Avenn  wir  Christum  den  Sohn  Gottes 
nennen.  Siehe,  alle  Menschen  hat  er  empfangen  und  erzeugt  aus 
seinen  Gedanken;  und  werden  überführt  werden,  dass  auch  der 
Gottesname  auf  ihm  ruht,  da  er  [Gott]  auch  seinen  Gerechten 
den  Namen  Gottes  beilegt. 

§  6.  Wenn  wir  nun  vor  Jesu  niederfallen,  durch  welchen  wir 
Gott  erkannt  haben,  so  mögen  die  sich  schämen,  die  auch  vor 
den  gottlosen  Gewalthabern,  welche  aus  den  unreinenHeiden  sind, 
sich  niederwerfen  und  niederfallen  und  sie  verehren.  Und  doch 
gereicht  dies  ihnen  nicht  zum  Tadel,  weil  Gott  diese  Ehre  und 
Prosternation  den  Menschen  gegeben  hat,  damit  sie  sich  damit 
unter  einander  ehren  sollten  und  auch  diejenigen,  die  mehr  und 
ehrwürdiger  sind  als  sie.  Denn  wenn  sie  vor  den  Gottlosen  nieder- 
fallen und  sie  ehren  mit  dem  Namen  der  Prosternation  und  sogar 
diejenigen,  die  in  ihrer  Ruchlosigkeit  auch  den  Namen  Gottes  ver- 
leugnen, verehren,  vor  ihnen  aber  nicht  gleich  wie  vor  ihrem 
Schöpfer  sich  prosternieren ,  und  das  für  sie  nicht  Sünde  ist? 
W  ieviel  mehr  ziemt  es  uns,  dass  wir  vor  Jesu  uns  niederwerfen 
und  ihn  verehren,  der  unsere  harten  Seelen  bekehrt  hat  von  allen 
Prosternationen  des  eitlen  Heidenthums  und  uns  kund  gethan 
hat,  dass  wir  vor  dem  einen  Gott ,  unserem  Vater  und  Schöpfer, 
uns  niederwerfen,  ihm  dienen  und  gehorchen  sollen.  Und  sie 
sollen  wissen,  dass  die  Könige  der  W'elt  sich  selbst  Götter  nennen, 


1)  [J  fehlt  in  B.  —  2)  2.  Cor.  6,  16. 


Die  Unterweisung  über  den  Sohn  Gottes.  285 

mit  dem  Xamen  des  grossen  Gottes  ^)  und  sie  dabei  Ungläubige 
und  Gottesleugner  sind;  und  sie  fallen  doch  nieder  und  werfen 
sich  doch  nieder  vor  ihnen  vmd  dienen  ihnen  und  ehren  sie  wie 
die  Bilder  und  Götzen,  ohne  dass  sie  das  Gesetz  irgendwann 
anklagt,  und  ohne  dass  es  Sünde  ist.  Wie  auch  Daniel  Nebu- 
kadnezar  geehrt  hat,  den  Ungläubigen  und  Gottesleugner,  und 
keine  Schuld  auf  sich  lud.  Und  Joseph  warf  sich  vor  Pharao 
nieder,  und  es  steht  nicht  geschrieben,  dass  es  ihm  Sünde  war. 
Uns  aber  ist  es  gewiss,  dass  Jesus  Gott  ist,  der  Sohn  Gottes,  und 
dass  wir  durch  ihn  seinen  Vater  erkennen,  und  dass  er  uns  von 
allen  Prosternationen  zurückhält.  Nun  haben  wir  nichts,  um 
zu  vergelten  dem,  der  dieses  für  uns  geduldet  hat:  aber  durch 
die  Prosternation  wollen  wir  ihm  Verehrung  darbringen  für  seine 
Qual,  (die  er)  um  unsertwillen  (getragen  hat). 

§  7.  Weiter  müssen  wir  zeigen,  dass  dieser  Jesus  zuvor  ver- 
heissen  war  von  Alters  her  durch  die  Propheten  und  Sohn  Gottes 
genannt  wurde.  David  spricht-):  Du  bist  mein  Sohn,  heute  habe 
ich  dich  gezeugt.  Wiederum  spricht  er^):  Im  Schmucke  des 
Heiligthums  von  Mutterleib  an  habe  ich  dich  von  Alters  her 
als  Knabe  gezeugt.  Und  Jesaia  spricht  ^) :  Uns  ist  ein  Kind  ge- 
boren, ein  Sohn  ist  uns  gegeben,  und  seine  Herrschaft  ist  auf 
seiner  Schulter;  und  sein  Name  wird  genannt:  W^underbar  und 
Berather,  und  starker'  Gott  der  Aeonen,  und  Friedefürst,  dass 
seine  Herrschaft  gross  sei  und  seines  Friedens  kein  Ende.  Nun 
sage  mir,  weiser  Lehrer  von  Israel:  Wer  ist  das,  der  geboren 
werden  sollte,  und  dessen  Name  genannt  wird:  Kind,  und  Sohn, 
und  Wunderbar,  und  Berather,  und  starker  Gott  der  Aeonen, 
und  Friedefürst,  dass  seine  Herrschaft  gross  sei,  und  von  dessen 
Frieden  er  sagt,  dass  er  kein  Ende  habe?  Wenn  wir  nämlich  den 
Messias  den  Sohn  Gottes  nennen,  so  lehrt  uns  das  David;  und 
dass  wir  ihn  Gott  nennen,  das  haben  wir  von  Jesaia  gehört.  Und 
dass  seine  Herrschaft  auf  seine  Schulter  gegeben  ist,  das  ist, 
dass  er  trägt  sein  Kreuz  und  herausgeht  aus  Jerusalem.  Und 
dass   er   als  Kind  geboren   ist,  sagt  uns   noch  einmal  Jesaia^): 

1)  A:  „Gottes  des  Vaters".  —  2)  Ps.  2,  7.  —  3)  Ps.  110,  3.  —  4) 
Jes.  9,  6.  7. 

.5)  Jes.  7,  14.  Mt.  1,  23.  Aphr.  hat  hier  nicht  wie  der  hebräische 
Text  =  r.ttVy,  .junges  mannbares  Weib",  sondern  mit  Pesch.LXX  (naQ&£vog) 
und  Mt.  1,  23  YlI^cL^,  „Jungfrau". 


286  Homilie  XVII. 

Siebe,  eine  Jungft-au  wird  schwanger  werden  und  gebären,  und 
sein  Name  wird  Immanuel  genannt  werden,  das  ist:  Unser  Gott 
ist  mit  uns. 

§  8.  Und  wenn  du  (Jude)  sprechen  wirst,  der  Messias  sei 
noch  nicht  gekommen,  so  will  ich  dir  auch  dieses  zu  lesen  geben. 
Denn  es  steht  geschrieben '),  dass,  wenn  er  kommt,  die  Heiden  auf 
ihn  hoffen  werden.  Siehe,  ich  habe  von  den  Heiden  gehört,  der 
Messias  sei  gekommen,  und  so  hätte  ich  also  zuvor  an  ihn  geglaubt, 
ehe  er  gekommen  wäre,  und  würde  durch  ihn  den  Gott  Israels  ver- 
ehren. Er  wird  doch  nicht,  wenn  er  kommt,  mich  überfülu-en, 
dass  ich,  bevor  er  gekommen  war,  an  ihn  geglaubt  habe?  Uebrigens 
aber,  du  Thor,  lassen  dich  die  Propheten  nicht  sprechen,  dass  der 
Messias  noch  nicht  gekommen  sei.  Denn  Daniel  überführt  dich 
und  spricht  2):  Nach  zweiundsechzig  Wochen  wird  der  Messias 
kommen  und  getödtet  werden.  Und  bei  seinem  Kommen  wird 
die  Stadt  des  Heiligthums  zerstört  werden,  und  ihr  Ende  wird  sein 
in  der  Fluth.  Und  bis  die  festgesetzten  Zeiten  vollendet  sind,  wird 
sie  in  Verwüstung  bleiben.  Du  (Jude)  nämlich  erwartest  und  hoffst, 
dass  bei  dem  Kommen  des  Messias  Israel  ans  allen  Orten  gesam- 
melt werde,  und  Jerusalem  gebaut  werde  und  bewohnt  sei.  Und 
Daniel  bezeugt,  dass,  wenn  des  Messias  kommt  und  getödtet  wird, 
Jerusalem  zerstört  werde  und  in  der  Verwüstung  bleibe,  bis 
zur  Vollendung  der  festgesetzten  Zeiten  in  Ewigkeit.  Und  über  das 
Leiden  Christi  spricht  David  •^):  Sie  durchbohrten  meine  Hände  und 
meine  Füsse,  und  alle  meine  Gebeine  heulten;  sie  (aber)  schauen 
und  blicken  nach  mir,  und  sie  theilen  meine  Kleider  unter  sich, 
und  über  meinen  Rock  werfen  sie  das  Loos.  Und  Jesaia  spricht^): 
Siehe,  mein  Knecht  wird  erkannt  und  offenbart  vmd  erhöhet 
werden,  dass  sich  viele  über  ihn  erstaunen  werden.  Seine  Ge- 
stalt ist  hässlicher  denn  die  eines  Mannes,  und  sein  Angesicht 
denn  das  der  Menschenkinder.  Und  er  spricht:  Er  wird  die 
vielen  Völker  reinigen,  und  Könige  werden  sich  über  ihn  wun- 
dern. Und  er  spricht  in  demselben  Kapitel^):  Er  steigt  vor 
ihm  auf  wie  ein  Reis,  und  wie  eine  Wurzel  aus  dürrem  Erd- 
reich. Und  er  sagt  am  Ende  des  Kapitels''):  Er  ist  um  unserer 
Sünde  willen  getödtet  und  um  unserer  Missethat  willen  ge- 
demüthifft.    Die  Strafe  unseres  Friedens  liegt  auf  ihm  und  durch 


1)  Gen.  49,  10.  —  2)  Dan.  9,  26.  27.  —  3)  Ps.   22,  16—18.  —  4)  Jes. 
52,  13—15.  —  5)  Jes.  53,  2.  —  6)  Jes.  53,  5. 


Die  Unterweisung  über  den  Sohn  Gottes.  2S7 

seiue  Wunden  sind  wir  geheilt.  Durch  welche  Wunden  sind  die 
Menschenkinder  geheilt?  David  wurde  nicht  getödtet,  denn  er 
starb  in  einem  guten  Alter,  uud  er  wurde  in  Bethlehem  be- 
graben. Und  wenn  man  es  auf  Saul  beziehen  wollte  —  Saul  ist 
nämlich  auf  den  Bergen  Gilboa  gestorben,  im  Krieg  der  Phi- 
lister —  und  sagte,  dass  sie  seine  Hände  uud  Füsse  durchgruben. 
da  sie  seinen  Leib  auf  die  Mauer  von  Bethjaschan  hängten,  (so 
wisse),  bei  Saul  ist  nicht  die  Erfüllung:  denn  da  die  Glieder 
Sauls  durchbohrt  wurden,  merkten  seine  Gebeine  nichts  von  dem 
Leide,  weil  er  gestorben  war,  und  nachdem  Saul  gestorben  war, 
hingen  sie  seinen  Leib  und  diejenigen  seiner  Söhne  auf  die  Mauer 
von  Bethjaschan.  Und  wenn  David  gesprochen  hat'):  Sie  durch- 
bohren meine  Hände  uud  meüie  Füsse,  und  es  heulen  alle  meine 
Gebeine;  so  fährt  er  nach  diesem  Worte  fort:  Gott  bleibe  zu 
meiner  Hilfe  und  befreie  meine  Seele  von  dem  Schwert.  Chri- 
stus nämlich  wurde  von  dem  Schwerte  befreit,  und  er  stieg 
herauf  aus  der  Unterwelt,  und  ward  lebendig  und  stand  nach 
drei  Tagen  auf:  und  Gott  blieb  zu  seiner  Hilfe.  Und  Saul  aber  rief 
zu  dem  Herrn,  und  dieser  erhörte  ihn  nicht,  und  er  fragte  durch 
die  Propheten,  und  es  ward  ihm  keine  Antwort  gegeben.  Und 
er  verhüllte  sich  und  fragte  dmxh  die  Zauberer,  und  er  erfuhr 
es,  und  ward  von  den  Philistern  besiegt  und  tödtete  sich  selbst 
mit  seinem  Schwert,  da  er  sah,  dass  er  im  Krieg  besiegt  wurde. 
Und  David  spricht  in  demselben  Kapitel-}:  Ich  will  deinen 
Namen  meinen  Brüdern  vei-kündigen  und  in  der  Gemeinde  dich 
preisen.  Wie  kann  sich  dieses  an  Saul  erfüllen  V  Und  wieder- 
um spricht  David '^j:  Du  gibst  nicht  zu,  dass  dein  Heiliger 
den  Untergang  sehe.  Uebrigens  aber  hat  sich  dies  Alles  erfüllt 
in  Christo,  da  er  zu  ihnen  kam,  und  sie  ihn  nicht  aufnahmen, 
und  sie  ihn  richteten  um  Sünde  willen  und  auf  falsches  Zeugniss, 
und  er  ans  Holz  gehängt  wurde  von  ihren  Händen,  und  sie  seine 
Hände  und  Füsse  mit  Nägeln  durchbohrten,  die  sie  in  ihn  hinein- 
bohrten, und  alle  seine  Gebeine  heulten.  Und  an  diesem  Tag  ge- 
schah das  grosse  Wunder,  dass  das  Licht  finster  ward  in  der 
Mitte  des  Tags,  wie  Sacharia  ge weissagt  hatte  und  gesprochen  *) : 
Ein  Tag  wird  dem  Herrn  bekannt  sein,  da  weder  Tag  noch  Nacht 
ist.  und  zur  Zeit  des  Abends  wird  Licht  sein.    Welches  ist  nun  der 


1)  Ps.  22,    16.    17.    l'J.   20.   —   2)  Ps.    22,  22.   —   3)  Ps.    16,   10.   —   4) 
Sachar.  14,  7. 


288  Homilie  XVII. 

Tag,  der  ausgezeichnet  ist  durch  das  Wunder,  der  weder  Tag  noch 
Nacht  ist,  und  der  zur  Abendzeit  Licht  wird,  anders  als  der 
Tag,  da  sie  ihn  kreuzigten,  da  es  Finsterniss  ward  um  die 
Mitte  des  Tags,  und  um  die  Abendzeit  Licht?  und  wiederum 
sagt  er'):  An  diesem  Tag  wird  Kälte  und  Eis  sein;  wie  du 
weisst,  dass  an  dem  Tag,  da  sie  ihn  kreuzigten,  Kälte  war,  und 
sie  ein  Feuer  anmachten,  dass  sie  sich  wärmten,  da  Simon  kam 
und  sich  zu  ihnen  stellte.  Und  wiederum  spricht  er^):  Eine 
Lanze  wird  sich  aufmachen  gegen  den  Hirten  und  gegen  die 
Schafe,  meine  Freunde,  und  wird  den  Hirten  schlagen  und  die 
Schafe  seiner  Heerde  werden  zerstreut  werden,  und  ich  will  meine 
Hand  zu  den  Obersten^}  wenden.  Und  David  spricht  wiederum  über 
sein  Leiden  ■'):  Sie  gaben  mir  als  meine  Speise  Galle,  und  für 
meinen  Durst  gaben  sie  mir  Essig  zu  trinken.  Wiederum 
spricht  er  in  demselben  Kapitel:  Den  du  geschlagen  hast,  ver- 
folgen sie",  und  sie  vermehren  den  Schmerz  des  Getödteten.  Denn 
sie  fügten  ihm  noch  vieles  hinzu,  was  nicht  über  ihn  geschrieben 
ist ,  Flüche  und  Lästerungen ,  solche ,  dass  auch  die  Schrift  sie 
nicht  mittheilen  kann,  denn  abscheulich  waren  ihre  Lästerungen, 
üebrigens  aber  wollte  der  Herr  ihn  erniedrigen  und  plagen; 
und  er  wurde  getödtet  wegen  unserer  Sünden  und  gedemü- 
thigt  wegen  unserer  Missethaten,  und  die  Sünde  wurde  auf 
seine  Seele  gelegt.  Wir  beten  diese  Liebe  an  und  beugen  das 
Knie  vor  der  Majestät  seines  Vaters,  der  unsere  Anbetung  zu 
ihm  gekehret  hat.  Wir  nennen  ihn  Gott,  wie  Mose,  und  Erst- 
geborenen und  Sohn  wie  Israel,  und  Jesus  wie  Josua'^),  den  Sohn 
Nuns,  und  Priester  wie  Aaron,  und  König  wie  David,  und  einen 
grossen  Propheten  wie  alle  Propheten,  und  Hirten  wie  die  flirten, 
die  Israel  weideten  und  leiteten.  Und  uns  nannte  er  Kinder,  wie 
er  spricht '") :  Fremde  Kinder  werden  mich  hören.  Und  er  macht 
uns  zu  seinen  Brüdern,  wie  er  spricht"):  Ich  will  deinen  Namen 
meinen  Brüdern  verkündigen.  Und  wir  sind  seine  Freunde,  wie  er  zu 
seinen  Jüngern  spricht^):  Ich  habe  euch  meine  Freunde  genannt, 

1)  Sachar.  14,  6. 

2)  Sachar.  13,  7.  Armenische  Uebersetzung  virum  amicum  meum,  liest 
also  Ih^  statt  i— i^  wie  der  hebr.  Text.  Letzterer  hat  zugleich  Impe- 
rativ statt  Futurum.  —  3)  ).ll^,  decanus  Michaelis  Lex.  syr. 

4)  Ps.  69,  21.  26.  —  5)  Im  Syrischen  sind  beide  Namen  gleichlautend. 
—  6)  Ps.  18,  44.  —  7)  Ps.  22,  22.   —  8)  Joh.  15.   15. 


Die  Unterweisung  über  den  Sohn  Gottes.  289 

wie  sein  Vater  Abraham  ^)  „mein  Freund"  genannt  hat.  Und 
er  spricht  zu  uns:  Ich  bin  der  gute  Hirte,  und  die  Thür,  und 
der  Weg,  und  der  Weinstock,  und  der  Säemann,  und  der  Br?u- 
tigam,  und  die  Perle,  und  die  Leuchte,  und  das  Licht,  und  König, 
und  Gott,  und  Heiland,  und  Erlöser,  und  mit  vielen  (anderen) 
^^ameu  wird  er  genannt.  Diese  kurze  Belehrung  habe  ich  dir 
geschrieben,  mein  Lieber,  damit  du  dich  vertheidigst  gegen  die 
Juden,  weil  sie  sagen:  Gott  habe  keinen  Sohn;  und  weil  wir 
ihn  nennen;  Gott,  Sohn  Gottes,  und  König,  und  den  Erstge- 
borenen aller  Creaturen. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisuns;  über  den  Sohn  Gottes. 


1)  Jes.  41,  8. 


Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  4.  19 


Die  Unterweisung'  vom  jungfräulichen  Leben 
und  von  der  Heiligkeit^  gegen  die  Juden. 

Ich  will  dich  auch  belehren,  mein  Lieber,  über  eine  Sache, 
die  mir  sehr  am  Herzen  liegt,  nämlich  über  diesen  heiligen  Bund  ^) 
and  über  das  jungfräuliche  Leben  und  über  die  Heiligkeit,  in 
der  wir  stehen,  an  welcher  das  Volk  der  Juden  wegen  seiner  Sinn- 
lichkeit und  fleischlichen  Begierde  Anstoss  nimmt,  und  abwendig 
und  schwach  macht  die  Gedanken  thörichter,  einfältiger  Menschen, 
die  sich  von  der  Ueberredung  ihrer  Verkehrtheit  verführen  und 
gefangen  nehmen  lassen.  Sie  sagen  nämlich:  Da  Gott  den  Men- 
schen geschaffen  hatte,  segnete  er  ihn  also  und  sprach  zu  ihm  2): 
Wachset  und  mehret  euch,  seid  fruchtbar  und  füllet  die  Erde. 
Und  auch  zu  Noah  sprach  er  auf  gleiche  Weise  ■^) :  Mehret  euch 
auf  Erden  und  seid  fruchtbar  darauf  Und  Abraham  segnete  er 
und  sprach  zu  ihm*):  Siehe  den  Himmel  an  und  zähle  die  Sterne; 
kannst  du  sie  zählen?  Und  er  sprach  zu  ihm:  Also  wird  dein 
Same  auch  sein.  Und  zu  Israel  sprach  er  im  Segen  ^):  Unter 
dir  soll  kein  Unfruchtbarer  und  keine  Unfruchtbare  sein.  Und 
wiederum  spricht  er*^):  In  eurem  Lande  soll  keine  Kmderlose 
und  keine  Unfruchtbare  sein.  Und  dem  Abraham  wurde  im 
Segen  Isaak  geschenkt.  Und  Isaak  betete  über  Rebekka,  dass 
sie  gebären  möge.  Und  Er  segnete  Jakob,  dass  sein  Same  sich 
mehren  solle,  und  Hanna  erfleh ete  sich  mit  Seufzen  Samuel, 
und  es  ward  zahlreich  die  Nachkommenschaft  der  Unfrucht- 
baren durch  dieVerheissung,  und  alle  Gerechten  empfingen  Nach- 
kommenschaft und  Segen.  Und  ihr  thut,  was  von  Gott  nicht 
geboten  ist,     Ihr  nehmt  den  Fluch  auf  euch,  und  befördert  die 


1)  Vgl.  hom.  VI.  —  2)  Gen.  1,  28.  —  3)  Gen.  9,  7.  —  4)  Gen.  15,  5. 
5)  Deut.  7,  14.  —  6)  Exod.  23,  26. 


Die  Unterweisung  vom  jungfräulichen  Leben  und  von  der  Heiligkeit,     291 

Unfruchtbarkeit,  ihr  verhindert  die  Nachkommenschaft,  den 
Segen  der  Gerechten.  Ihr  nehmet  keine  Weiber,  und  die 
Weiber  heirathen  nicht.  Ihr  hasset  die  Nachkommenschaft, 
den  Segen,  der  von  Gott  verliehen  ist.  lieber  diese  Worte  will 
ich  dich,  mein  Lieber,  so  gut  ich  kann,  belehren. 

§  2.  Zu  Adam  nämlich,  den  er  segnete,  sprach  Gott:  Seid 
fruchtbar  und  mehret  euch  auf  Erden.  Denn  er  segnete  sie  ja, 
damit  von  ihnen  die  Welt  gefüllt  würde.  Denn  von  ihren  Kindern 
aus  wurden  sie  fruchtbar.  Und  da  sie  sich  gemehrt  hatten, 
verfielen  sie  in  Verderben  und  Gottlosigkeit,  bis  sie  durch  ihre 
Sünden  den  Geist  ihres  Schöpfers  kränkten  und  betrübten,  und 
er  sprach'):  Es  reut  mich,  dass  ich  sie  gemacht  habe;  und  sie 
mit  ausgegossenem  Zorn  und  scharfem  Gericht  im  Wasser  der 
Sintfluth  vertilgte.  Nun  sage  mir,  o  Anwalt  Israels,  was  hat 
der  Segen  Adams  denen  geholfen,  die  ihre  Wege  verderbten  und 
in  den  Wassern  der  Sintfluth  vertilgt  wurden,  und  welche  im  Zu- 
stand der  Ehe  verderbt  und  schuldig  wurden,  so  dass  durch  die  Sün- 
den der  Frevler  der  Segen  ausgelöscht  wurde?  Und  Noah  baute 
mit  einer  kleinen  und  geringen  Zahl  den  Altar  und  besänftigte  die 
Barmherzigkeit  des  Heiligen.  Und  Noah  galt  mehr  mit  seiner 
geringen  Zahl  als  das  ganze  verderbte  Geschlecht,  und  von  ihm 
wurde  die  zweite  Welt  hergestellt.  Und  wiederum  war  es  Noah, 
der  gesegnet  wurde,  dass  er  sich  mehren  sollte  durch  die  Nach- 
kommenschaft, damit  die  Welt  gefüllt  würde  und  die  Menschen 
sich  mehrten.  Und  da  sie  sich  mehrten  und  stark  und  zahlreich 
wurden  durch  die  Nachkommenschaft,  vergassen  sie  Gott  und 
beteten  Götzen  an.  Alle  Völker  und  Zungen,  die  von  seinem 
Samen  waren,  galten  vor  Gott  wie  nichts  -),  wie  der  Tropfen  am 
Eimer  und  wie  einStäubchen  an  der  Wagschale.  Allein  derSauie  der 
Gerechten  hatte  das  Leben  und  ward  vor  Gott  errettet.  Denn  was 
hatte  der  Segen  den  zehn  Geschlechtern  geholfen,  die  vor  der 
Sintfluth  lebten,  und  was  half  er  den  Sodomitern,  deren  Leben 
von  Feuer  und  Schwefel  getödtet  wurde,  und  da  der  Segen  durch 
die  Sünden  der  Frevler  ausgelöscht  wurde?  Oder  welchen  Nutzen 
und  Gewinn  brachte  der  Segen  den  Sechshunderttausend,  die  von 
Aegypten  ausgezogen  waren,  und  die  in  der  Wüste  durchs  Schwert 


1)  Gen.  6,  7.  —  2)  Jes.  40,  15. 

19^ 


292  Homüie  XVIII. 

umkamen,  und  die  den  Heiligen  erzürnt  hatten?  Und  welcher 
Nutzen  und  Gewinn  war  in  dem  Segen  der  Nachkommenschaft 
für  die  unreinen  Völker,  welche  Josua  vertilgte?  Oder  was  nützte 
Israel  der  Segen,  dass  sich  sein  Same  vermehren  sollte,  wie  die 
Sterne,  da  Krieg  und  Schwert  sie  vertilgte? 

§  3.  Vor  der  Majestät  Gottes  aber  ist  ein  Mensch,  der 
seinen  Willen  thut,  vorzüglicher  und  angesehener,  als  Tau- 
sende und  Zehntausende,  die  gottlos  sind.  Noah  war  vorzüg- 
licher und  angesehener  vor  Gott,  als  die  zehn  verderbten  Ge- 
schlechter, die  vor  ihm  waren.  Und  Abraham  galt  vor  Gott 
mehr  als  die  zehn  Geschlechter,  die  vor  ihm  waren,  und  auch 
mehr  als  die,  welche  nach  ihm  kamen.  Isaak  und  Jakob,  die 
Söhne  der  Verheissung,  waren  besser  und  vorzüglicher  vor 
Gott  als  alle  Amoriter,  unter  denen  sie  wohnten.  Und  Joseph 
galt  vor  Gott  mehr  als  das  ganze  sündige  Geschlecht  des 
Hauses  Pharaos.  Und  Mose,  der  grosse  Prophet  in  Israel,  war 
besser  und  vorzüglicher  vor  Gott  als  die  Sechshunderttausend, 
die  er  aus  Aegypten  führte,  die  durch  ihre  Halsstarrigkeit 
Gott  betrübten  und  nicht  in  das  Land  der  Verheissung  eingehen 
konnten. 

§  4.  Von  dem  jungfräulichen  Leben  und  der  Heiligkeit  will 
ich  dir  zeigen,  dass  sie  in  jenem  ersten  Volk  weit  wohlgefälliger 
waren  vor  Gott,  als  die  Menge  der  Nachkommenschaft,  die  nichts 
taugte.  Mose,  der  grosse  Prophet  und  Führer  des  ganzen  Vol- 
kes Israel,  liebte  von  der  Zeit  an,  da  sein  Herr  mit  ihm  geredet 
hatte,  die  Heiligkeit,  und  diente  dem  Heiligen  und  hielt  sich 
fern  von  der  Welt  und  ihrer  Fortpflanzung,  und  blieb  für  sich 
allein,  um  dem  Herrn  zu  gefallen.  Und  wenn  sich  das  nicht  so 
verhält,  so  zeige  mir,  was  du  zum  Beweis  dafür  anführen  kannst, 
o  weiser  Anwalt  des  Volkes,  dass  von  der  Zeit  an,  da  Gott  mit 
Mose  geredet  hatte,  dieser  der  Natur  der  Ehe  dienstbar  blieb. 
Wenn  du  uns  aber  einen  falschen  Beweis  bringst,  so  unterwerfe 
ich  mich  nicht  deiner  Verkehrtheit,  der  du  den  Heiligen  ver- 
unreinigen willst  um  deiner  Begierde  willen.  Denn  wenn  er  in 
ehelicher  Gemeinschaft  gelebt  hätte,  so  hätte  er  nicht  der  Majestät 
seines  Herrn  dienen  können,  wie  Israel  nicht  die  heilige  Rede 
und  die  lebendigen  Worte,  die  der  Heilige  mit  Mose  auf  dem 
Berg  redete,  empfangen  konnte,  bis  er  das  Volk  geheiligt 
hatte  drei  Tage  lang,  und  alsdann  redete  mit  ihnen  der  Heilige. 


Die  Unterweisung  vom  jungfräulichen  Leben  und  von  der  Heiligkeit.     293 

Er  spracli  nämlich  zu  Mose  ^):  Gehe  hinab  zu  dem  Volk  und 
heilige  sie  drei  Tage  lang.  Und  also  sprach  Mose  ausdrücklich 
zu  ihnen  2):  Nahet  euch  zu  keinem  Weibe.  Und  als  sie  sich  ge- 
heiligt hatten  diese  drei  Tage,  alsdann  offenbarte  sich  ihnen  der 
Heilige  am  dritten  Tag  in  starkem  Glänze  und  in  grosser  Herr- 
lichkeit und  mit  gewaltiger  Stimme  und  mit  furchtbarem  Donner 
und  mit  starken  Posaunentönen  und  mit  schrecklichen  Fackeln 
und  strahlenden  Blitzen.  Und  es  erbebten  die  Berge  und  er- 
zitterten die  Höhen,  und  Sonne  und  Mond  wichen  von  ihrer  Bahn. 
Und  Mose  stieg  auf  den  Berg  Sinai  und  ging  in  die  Wolke  und 
empfing  das  Gebot.  Und  Mose  sah  den  herrlichen  Glanz  und 
erschrak  und  erbebte,  und  Zittern  ergriif  ihn,  da  er  die  Schechina 
(Majestät)  des  Höchsten  sah,  die  auf  dem  Berg  lagerte,  die  grosse 
Kraft  des  Thrones  Gottes,  vor  deren  herrlichem  Glänze,  wenn 
ihm  Mjriaden  und  Tausende  dienten,  diese  ihr  Antlitz  verhüllten, 
und  eilten  und  flogen  mit  ihren  schnellen  Flügeln,  und  riefen 
und  heiligten  und  erhoben  seine  Majestät,  als  Engel,  und 
bereit  und  schnellen  Flugs,  herrlich  und  schön  und  an- 
muthig  und  lieblich,  eilend  und  heiligend  und  sein  Gebot  er- 
füllend, auf-  und  niedersteigend  in  der  Luft  wie  die  schnellen 
Blitze.  Denn  Mose  redete ,  und  Gott  antwortete  ihm  im 
Donner.  Und  Israel  stand  an  diesem  Tage  in  Zittern,  Furcht 
und  Beben,  und  sie  fielen  auf  ihr  Angesicht  und  konnten  es 
nicht  ertragen,  und  sie  sprachen  zu  Mose^):  Gott  möge  nicht  mit 
uns  reden,  damit  wir  nicht  sterben.  0  du  Unverständiger,  der 
du  hierin  Schwierigkeiten  findest  und  Anstoss  daran  nimmst! 
Wenn  das  Volk  Israel,  mit  dem  Gott  nur  eine  Stunde  redete, 
bevor  es  drei  Tage  sich  geheiligt  hatte,  die  Stimme  Gottes  nicht 
hören  konnte,  da  es  doch  nicht  auf  den  Berg  stieg  und  auch 
nicht  in  die  furchtbare  Wolke  einging,  um  wie  viel  weniger  konnte 
Mose,  der  Prophet,  das  helle  Auge  des  ganzen  Volkes,  der  allezeit 
vor  Gott  stand  und  von  Mund  zu  Mund  mit  ihm  redete,  in  ehe- 
licher Gemeinschaft  leben?  Und  wenn  Gott  mit  Israel,  das  nur 
drei  Tage  sich  heiligte,  redete,  um  wie  viel  vorzüglicher  und 
wohlgefälliger  werden  diejenigen  sein,  die  ihr  ganzes  Leben  lang 
sich  heiligen  und  wachen  und  bereit  sind  und  vor  Gott  stehen! 
Wird  Gott  sie  nicht  noch  viel  mehr  lieben,  und  sein  Geist  in  ihnen 

1)  Exod.  19,  10.  11.  —  2)  Exod.  19,  15.  —  3)  Exod.  20,  19. 


294  Homilie  XVIIl. 

wohnen  ?  Wie  er  sagt  ^):  Ich  will  unter  ihnen  wohnen  und  in  ihnen 
wandeln.  Und  Jesaia  sagt  2):  Auf  wen  anders  sollte  ich  schauen 
und  in  wem  wohnen,  als  in  dem  Friedlichen  und  Demüthigen, 
der  da  zittert  vor  meinem  Wort? 

§  5.  Ich  wiU  dir  zeigen,  dass  das  jungfräuliche  Leben  viel 
besser  und  wohlgefälliger  ist  vor  Gott.  Denn  der  Heilige  gebot 
den  Priestern,  den  Söhnen  Aarons,  die  vor  ihm  dienten,  dass 
keiner  von  ihnen  eine  Wittwe  oder  eine  Verlassene  oder  eine 
solche,  die  sich  durch  Unzucht  verunreinigt  hatte,  nehmen  solle; 
sondern  eine  Jungfrau  aus  ihrem  Volk  sollte  er  nehmen,  eine 
solche,  die  durch  keinen  anderen  Manu  verunreinigt  war.  Siehe, 
die  Wittwe  ist  unreiner  denn  die  Jungfrau,  Wenn  aber  das 
eheliche  Leben  besser  wäre  als  das  jungfräuliche  Leben  und  die 
Heiligkeit,  warum  wäre  es  dann  nöthig  gewesen,  dass  er  Israel  er- 
mahnte und  sie  drei  Tage  heiligte  und  dann  erst  mit  ihnen  redete  ? 
Und  warum  wäre  es  nöthig  gewesen,  dass  ein  Priester  eine  Jungfrau 
nehmen  sollte  und  zu  einer  Wittwe  und  einer  Verlassenen  sich  nicht 
nahte?  Und  warum  hatte  Mose  sich  selbst  geheiligt  und  vierzig 
Jahre  sich  enthalten  seines  Weibes,  da  er  vielleicht  noch  andere 
Söhne  gezeugt  hätte  ausser  Gerson  und  Eliesar.  Ich  denke  also  in 
meinem  Geiste:  0  wäre  doch  Simri  gar  nicht  geboren  worden 
wegen  seiner  Hurerei,  da  in  einer  Stunde  24  000  von  Israel  fielen. 
Wäre  doch  auch  Ach^r  in  seiner  Mutter  Leib  nicht  gebildet  worden, 
weil  er  über  das  Lager  Israels  den  Bann  brachte.  Und  wäre 
doch  Eli  in  Heiligkeit  geblieben,  und  wären  ihm  Hophni  und 
Pinehas  nicht  geboren  worden,  die  das  Priesterthum  schän- 
deten und  in  Gier  wandelten.  Und  warum  hatte  Samuel  Söhne 
nöthig,  die  das  Gesetz  nicht  hielten  und  nicht  in  seinen  Wegen 
wandelten?  Und  viele  giebt  es  gleich  diesen,  denen  es  besser 
gewesen  wäre,  wenn  sie  keine  Kinder  gezeugt  hätten,  und  wenn 
sie  auch  nicht  geboren  worden  wären. 

Mose  liebte  die  Heiligkeit  und  ward  von  dem  Heiligen  ge- 
liebt, und  er  zeigte  ihm  seine  Herrlichkeit.  Und  Josua,  der  Sohn 
Nuns,  liebte  das  jungfräuliche  Leben  und  blieb  in  der  Stifts- 
hütte, wo  man  dem  Heiligen  diente.  Und  Elia  zeichnete  sich 
durch  jungfräuliches  Leben  aus,  und  wohnte  in  der  Wüste  und 
auf  den  Bergen  und  in  Höhlen,   und  der  Heilige  erhob  ihn  an 


1)  2.  Cor.  6,  16.  —  2)  Jes.  66,  2. 


Die  Unterweisung  vom  jungfräulichen  Leben  und  von  der  Heiligkeit.     295 

den  Ort  der  Heiligen,  wo  diejenigen,  welche  die  Begierde  lieben, 
keinen  Zutritt  haben.  Und  Elisa  blieb  einsam  und  keusch,  und 
Gott  that  wunderbare  Thaten  durch  seine  Hand.  Und  Jeremia 
wiederum  spricht  ^):  Den  Geburtstag  des  Menschen  habe  ich  nicht 
lieb.  Und  auch  sein  Herr  gebot  ihm  und  sprach  zu  ihm  '^) :  Du  sollst 
dir  kein  Weib  nehmen  und  sollst  keine  Söhne  und  Töchter  haben. 
Hiergegen  bringt  der  Jude  die  Ausrede  vor:  Deshalb  gebietet  er 
Jeremia:  Du  sollst  dir  kein  Weib  nehmen  und  sollst  keine  Söhne 
und  Töchter  haben  an  diesem  Ort,  weil  der  Herr  also  über  die 
Söhne  und  Töchter,  die  an  diesem  Ort  geboren  waren,  gesprochen 
hatte  3):  Sie  sollen  des  Hungertodes  sterben.  Deshalb  sprach  er 
zu  ihm:  Du  sollst  dir  kein  Weib  nehmen.  0,  du  Thor,  der  du 
in  diesen  Gedanken  stehst.  Er,  der  Jeremia  Gnade  verliehen  hat  m 
den  Augen  des  Königs  von  Babel,  hätte  auch  seine  Kinder,  wenn 
er  solche  gezeugt  hätte,  vor  dem  Schwert  und  vor  dem  Hunger 
erretten  können.  Auch  dem  Hesekiel  erwies  sein  Herr  Gnade  und 
nahm  ihm  die  Lust  seiner  Augen  weg  durch  eine  plötzliche  Plage, 
und  nahm  und  warf  von  ihm  das  schädliche  Joch.  Wenn  sich 
das  nicht  so  verhält,  so  zeige  mir,  o  Lehrer,  von  Josua,  dem 
Sohn  Nuns,  dass  er  ein  Weib  genommen  und  Kinder  gezeugt 
hat.  Und  zeige  mir  auch  von  Elia  und  seinem  Schüler  Elisa, 
welches  eigene  Haus  sie  besassen  in  dieser  Welt.  Siehe,  in  der 
Wüste  und  auf  Bergen  und  in  Höhlen  haben  sie  gewohnt,  in 
Bedränguiss  und  Verfolgung,  und  keiner  von  ihnen  hatte  ein 
Weib,  und  sie  wurden  von  ihren  Schülern  bedient.  Und  siehe, 
da  Gehasi,  der  Schüler  Elisas,  sich  dieser  Welt  zuwandte  und 
Besitz  und  Weib  und  Kinder  begehrte,  sprach  zu  ihm  Elisa ^): 
Ist  jetzt  Zeit,  dass  du  Besitz  verlangst  und  Weinberge  und  Oel- 
baumgärten  ?  Nun,  da  du  solches  gethan  hast,  wird  der  Aussatz 
Naemans  Gehasi  anhaften  und  seinem  ganzen  Geschlecht  ewig- 
lich. Wenn  du  nun  gegen  jedes  von  diesen  mir  Beweise  aus 
der  Schrift  bringst,  so  will  ich  sie  von  dir  annehmen.  Und  was 
du  aus  deinen  Gedanken  faselst  und  redest,  das  will  ich  nicht 
hören,  denn  du  willst  den  Heiligen  durch  deine  Liigenbeweise 
verunreinigen. 

§  6.    Dass  wir  gegen   die   eheliche   Gemeinschaft,   die   Gott 
selbst  in  der  Welt  eingesetzt  hat,  irgend  einen  Tadel  vorbringen, 

1)  Jerem.  17,  16.    Nach  der  irrigen  Auflassung  der  Peschito.  —  2)  Je- 
rem.  16,  2.  —  3)  Jerem.  16,  4.  —  4)  2.  Kön.  5,  26.  27. 


296  Homilie  XVIII. 

das  sei  ferne  von  uns.  Denn  also  steht  geschrieben^):  Gott  sah 
an  Alles,  was  er  gemacht  hatte,  und  siehe,  es  war  sehr  gut. 
Uebrigens  aber  gibt  es  Dinge,  von  denen  das  eine  besser  ist  als 
das  andere.  Gott  schuf  Himmel  und  Erde,  und  sie  sind  sehr 
gut;  und  der  Himmel  ist  besser  denn  die  Erde.  Und  er  schuf 
die  Finsterniss  und  das  Licht,  und  es  ist  sehr  gut  so,  und  das 
Licht  ist  besser  denn  die  Finsterniss.  Und  er  schuf  Nacht  und 
Tag,  und  es  ist  sehr  gut  so,  und  der  Tag  ist  besser  denn  die 
Nacht.  Und  er  schuf  Sonne  und  Mond,  und  es  ist  sehr  gut  so, 
und  die  Sonne  ist  besser  denn  der  Mond.  Und  er  schuf  die 
Sterne  des  Himmels,  und  es  ist  sehr  gut  so,  und  ein  Stern  zeichnet 
sich  vor  dem  anderen  durch  sein  Licht  aus.  Und  er  schuf  Adam 
und  Eva,  und  es  ist  sehr  gut  so;  und  Adam  ist  besser  denn  Eva. 
Und  er  schuf  das  eheliche  Leben  zur  Bevölkerung  der  Welt; 
und  es  ist  sehr  gut  so,  und  besser  als  das  eheliche  Leben  ist 
das  jungfräuliche  Leben.  Solange  die  Erde  jungfräulich  war, 
ward  sie  nicht  verunreinigt,  und  nachdem  Regen  auf  sie  ge- 
fallen war,   brachte  sie  Dornen  hervor. 

§  7.  Und  Adam  war  in  seiner  Jungfräulichkeit  (vor  Gott) 
angenehm  und  recht;  und  nachdem  er  Eva  hervorgebracht  hatte, 
veru-rte  er  sich  und  übertrat  das  Gebot.  Und  die  Söhne  Seths 
waren  in  ihrer  Jungfräulichkeit  schön,  und  da  sie  sich  mit  den 
Töchtern  Kains  vermischten,  wurden  sie  in  den  Wassern  der 
Sintfluth  vertilgt.  Simson  war  vortrefflich  in  seiner  nasiräischen 
Enthaltsamkeit  und  in  seiner  Jungfräulichkeit,  und  durch  seine 
Hurerei  vernichtete  er  seine  Nasiräerwürde.  David  war  lieblich 
in  seiner  Jugend,  und  durch  seine  Begierde  nach  Bathseba  über- 
trat er  das  Gesetz  und  verletzte  drei  von  den  zehn  Geboten:  Du 
sollst  nicht  begehren,  und  du  sollst  nicht  tödten,  und  du  sollst 
nicht  ehebrechen.  Und  Amnon  war  vortrefflich  in  seiner  Jung- 
fräulichkeit, und  wegen  seiner  wollüstigen  Begierde  nach  seiner 
Schwester  tödtete  ihn  Absalom.  Schön  und  lieblich  war  Sa- 
lomo  in  seiner  Jungfräulichkeit;  und  in  seinem  Alter  wich  sein 
Herz  durch  die  Begierde  nach  den  Weibern  von  seinem  Gott. 

§  8.  Wir  haben  aus  dem  Gesetz  gehört  2):  Ein  Mann  wird 
seinen  Vater  und  seine  Mutter  verlassen  und  seinem  Weibe  an- 
hangen, und  sie  werden  ein  Fleisch  sein.     Und  in  der  That  ist 


1)  Gen.  1,  31.  —  Gen.  2,  24. 


Die  Unterweisung  vom  jungfräulichen  Leben  und  von  der  Heiligkeit.     297 

dies  eine  grosse  und  herrliche  Weissagung.  Warum  verlässt 
Vater  und  Mutter,  wer  ein  Weib  nimmt?  Das  ist  die  Erklärung: 
Solange  ein  Mensch  noch  kein  Weib  genommen  hat,  liebt  und 
ehrt  er  Gott,  seinen  Vater,  und  den  heiligen  Geist,  seine  Mutter; 
und  er  hat  keine  andere  Liebe.  Und  wenn  jemand  ein  Weib  ge- 
nommen hat,  verlässt  er  Vater  und  Mutter,  die  oben  genannt 
sind,  und  sein  Sinn  wird  von  dieser  Welt  ergriffen,  und  sein 
Sinn  und  sein  Herz  und  seine  Gedanken  werden  von  Gott  weg 
zu  der  Welt  hingezogen,  und  er  liebt  sie,  wie  ein  Mann  das  Weib 
seiner  Jugend  liebt,  und  wie  dann  die  Liebe  zu  ihr  grösser  ist 
als  die  zu  Vater  und  Mutter.  Und  er  sagt:  Die  Beiden  werden 
ein  Fleisch  sein,  und  das  ist  wahr.  Wie  ein  Mann  mit  seinem 
Weib  ein  Fleisch  und  ein  Geist  wird,  und  sein  Sinn  und  seine 
Gedanken  sich  von  seinem  Vater  und  seiner  Mutter  lostrennen, 
also  ist  auch  der  Mann,  der  noch  kein  Weib  genommen  hat 
und  allein  steht,  eines  Geistes  und  eines  Sinnes  mit  seinem 
Vater. 

§  9.  Das  habe  ich  dir  geschrieben,  mein  Lieber,  über  das 
jungfräuliche  Leben  und  über  die  Heiligkeit,  weil  ich  von  einem 
jüdischen  Mann  gehört  habe,  der  einen  von  unseren  Brüdern, 
Mitglied  unserer  Gemeinde,  geschmäht  und  zu  ihm  gesagt  hat: 
Ihr  seid  unrein,  weil  ihr  keine  Weiber  nehmt,  wir  sind  heilig 
und  besser,  weil  wir  für  Nachkommenschaft  sorgen  und  den 
Samen  vermehren  in  der  Welt.  Darüber  habe  ich  dir  diese  Be- 
lehrung geschrieben.  Uebrigens  aber  habe  ich  dir  über  das  jung- 
fräuliche Leben  und  die  Heiligkeit  schon  oben  geschrieben  und 
dich  belehrt  in  der  Abhandlung  von  den  Bundesbrüdern  (den  Mön- 
chen), wie  herrlich  und  liebhch  das  jungfräuliche  Leben  ist,  selbst 
wenn  es  Jemand  aus  Zwang  übt;  wie  unser  Herr  sagt '):  Es  kann 
es  nicht  jedermann  begreifen,  sondern  wem  es  gegeben  ist.  Und 
der  Apostel  sagt-):  Um  der  Noth  in  der  Welt  willen  ist  es  besser 
für  den  Menschen,  dass  er  also  bleibe.  Diesem  Loos  ist  ein  grosser 
Lohn  bestimmt,  weil  wir  in  Freiheit  es  üben  und  nicht  aus  Unter- 
werfung und  unter  dem  Zwang  des  Gebots,  und  weil  wir  dabei 
nicht  unter  dem  Gesetze  gebunden  sind.  Sein  Bild  und  Gleich- 
niss  haben  wir  in  der  Schrift  gefunden.  Und  wir  haben  gesehen, 
dass  bei  den  Vortrefflichen  die  Aehnlichkeit  mit  den  Engeln  im 


l)  Mt.  19,  11.  —  2)  1.  Cor.  7,  26. 


298  Homilie  XVIII. 

Himmel  gefunden  wird.  Und  auf  Erden  wird  sie  durch  Gnaden- 
gabe erworben.  Das  ist  ein  Besitz,  den  man  nicht  wiederfindet, 
wenn  man  ihn  verloren  hat;  und  für  Geld  kann  ihn  niemand  er- 
werben. Und  niemand,  der  ihn  besessen  und  verloren  hat,  Avird 
ihn  wiederfinden.  Und  niemand,  dem  er  fehlt,  kann  ihn  im  Laufe 
erjagen.  Liebe,  mein  Lieber,  diese  Gnadengabe,  deren  Gleichen 
es  in  der  ganzen  Welt  nicht  gibt.  Mit  dem,  was  ich  dir  ge- 
schrieben habe,  vertheidige  dich  gegen  die  Juden,  die  in  ihrer 
Sinnlichkeit  die  Kraft  des  jungfräulichen  Lebens  und  der  Heilig- 
keit nicht  begreifen. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  dem  jungfräulichen  Leben 
und  von  der  Heiligkeit. 


Die  Unterweisung*  gegen  die  Juden  darüber, 

dass  sie  sagen,  dass  es  bestimmt  sei  für  sie, 

versammelt  zu  werden. 

Die  Stimme  des  Heiligen  geschah  zu  Mose,  und  Er  sandte 
ihn,  dass  er  das  Volk  aus  Aegypten  führe,  aus  dem  Hause 
Pharaos,  aus  der  Knechtschaft  der  Aegypter;  und  er  sprach  zu 
ihm'):  Sage  zu  Pharao:  Israel  ist  mein  erstgeborener  Sohn.  Ich 
eage  dir,  lasse  meinen  Sohn  ziehen,  dass  er  mir  diene.  Und  da 
er  sie  aus  Aegypten  geführt  hatte  durch  Zeichen  und  Wunder 
und  durch  seine  starke  Hand  und  durch  seinen  erhobenen  Arm 
und  durch  grosse  Gesichte,  und  da  er  sie  durch  die  Wüste 
geführt  und  sie  daselbst  40  Jahre  geleitet  hatte,  führte  er  sie 
in  das  Land  der  Verheissung  und  führte  sie  über  den  Jordan, 
und  gab  es  ihnen  zu  eigen,  nachdem  er  seine  Bewohner  vor 
ihnen  vertilgt  hatte.  Und  sie  wohnten  daselbst  440  Jahre,  bis 
Salomo  den  heiligen  Tempel  baute,  und  400  Jahre,  bis  der  König 
von  Babel  die  Herrschaft  über  sie  bekam.  Und  wegen  ihrer 
Sünden,  die  da  viel  waren,  rottete  er  sie  aus  und  zerstreute  sie 
unter  alles  Volk,  weil  sie  seine  Propheten  nicht  gehört  hatten, 
die  er  zu  ihnen  gesandt  hatte.  Und  da  sie  in  Babel  70  Jahre 
gewesen,  gedachte  er  wieder  des  Bundes  ihrer  Väter  und  ver- 
kündigte ihnen  durch  seinen  Propheten,  dass  sie  aus  Babel 
heraufkommen  -)  sollten  nach  70  Jahren.  Und  da  70  Jahre  voll 
waren,  wie  Jeremia  geweissagt  hatte,  betete  Daniel  und  bat 
flehentlich,  dass  er  ihre  Gefangenschaft  wenden  und  sich  ihrer 
erbarmen  wolle.  Und  es  erweckte  der  Herr  den  Geist  des  Koresch. 
Und  er  liess  ein  Gebot  ausgehen  in  seinem  ganzen  Reich,  und 
er  verkündigte  ihnen  und   sprach  ^) :    Wer  übrig  ist  von  allem 

1)  Exod.  4,  22.  23.  —  2)  A:    „dass  sie  zurückkehren  und  von  Babel 
heraufkommen  sollten".  —  3)  Esra  1,  3, 


300  Homilie  XIX. 

Volk  des  Herrn,  mit  dem  sei  sein  Gott;  er  kehre  um  und  ziehe 
nach  Jerusalem  in  Juda.  Und  weil  diese  sich  mit  den  Völkern 
vermischt  und  am  Ort  ihrer  Gefangenschaft  gebaut  und  gepflanzt 
und  erworben  hatten,  so  wollten  sie  nicht  hinaufziehen,  alle 
ohne  Ausnahme.  Aber  es  zog  ein  Theil  von  ihnen  hinauf,  und 
ein  Theil  von  ihnen  bheb.  Und  weil  Gott  ihre  böse  Neigung 
kannte,  drängte  er  sie  nicht,  von  Babel  hinaufzuziehen,  sondern 
ohne  Drängen  verkündigte  es  ihnen  Koresch,  der  König  von  Per- 
sien. Denn  auch  da  er  sie  aus  Aegypten  führte  durch  Mose, 
hätten  sie,  wenn  die  Knechtschaft  Pharaos  nicht  hart  gewesen 
wäre  über  ihnen,  aus  Aegypten  nicht  hinaufziehen  wollen.  Wie 
sie  zu  Mose  sprachen,  da  sie  murrten  in  der  Wüste  ^):  Das  ist 
das  Wort,  das  wir  zu  dir  in  Aegypten  gesprochen  haben :  Lasse 
uns  den  Aegyptern  dienen,  denn  wir  hatten  es  gut  in  Aegypten. 
Siehe,  obgleich  sie  durch  die  Knechtschaft  gedrückt  waren, 
wollten  sie  doch  nicht  hinaufziehen  aus  Aegypten,  bis  die 
Aegypter  sie  drängten,  dass  sie  aus  ihrem  Lande  ziehen  sollten, 
da  sie  sahen,  dass  ihre  Erstgeborenen  starben,  und  sprachen-): 
Wir  alle  sind  des  Todes.  Und  es  steht  geschrieben:  Die  Aegyp- 
ter drängten  das  Volk,  dass  sie  aus  ihrem  Lande  zögen.  Und 
auch  aus  Babel  wären  sie,  wenn  sich  Bedränger  über  ihnen  ^)  ver- 
sammelt hätten,  alle  heraufgezogen. 

Das  habe  ich  dir  geschrieben,  weil  sie  noch  heute  die  leere 
Hoffnung  hegen  und  sprechen:  Es  ist  für  Israel  noch  bestimmt, 
dass  es  versammelt  wird.  Denn  der  Prophet  spricht  also:  Ich 
will  von  ihnen  niemand  übrig  lassen  unter  den  Heiden.  Wenn 
nun  unser  ganzes  Volk  schon  versammelt  wäre  •*),  warum  wären 
wir  heute  noch  unter  allem  Volk  zerstreut?  Hierüber  will  ich, 
mein  Lieber,  so  gut  ich  kann,  dich  belehren,  dass  es  für  Israel 
nicht  noch  einmal  (bestimmt)  ist,  versammelt  zu  werden,  bis  in 
Ewigkeit,  denn  sie  vertrauen  darauf,  dass  alle  Propheten  Israel 
diese  Hoffnung  gegeben  haben.  Höre  nun,  du  Anwalt  Israels:  Für 
Gott  ist  kein  Gesetz  gegeben,  oder  ist  jemand  über  ihm,  der  Ihn 
tadle  in  dem,  das  er  thut?  Denn  er  spricht^):  Wenn  ich  zu 
einem  Volke  und  zu  einem  Reiche  spreche,  dass  ich  es  bauen 
und  pflanzen  wolle,  und  darnach  thut  es  Böses  vor  mir,  so  werde 

1)  Exod.  14,  12.  —  2)  Exod.  12,  33.  —  3)  A:  „gefunden  hätten"  statt 
„versammelt  hatten".  —  4)  Wenn  also  diese  Verheissung  schon  erfüllt 
wäre.  —  5)  Jerem.  18,  7 — 10. 


Die  Unterweisung  gegen  die  Juden.  301 

ich  auch  mein  Wort  Lügen  strafen,  und  werde  das  Gute,  das  ich 
ihm  verheissen  habe,  von  ihm  wenden  und  in  seinem  Frevel  und 
in  seinen  Sünden  werde  ich  es  verderben.  Und  wenn  ich  wie- 
derum über  ein  Volk  und  ein  Reich  sagen  werde  i),  (dass  ich  es 
bauen  und  pflanzen  wolle  und  darnach),  dass  ich  es  ausrotten 
und  zerstören  und  niederwerfen  und  verderben  wolle,  und  wenn 
es  dann  thun  wird,  was  vor  mir  recht  ist,  so  werde  auch  ich 
das  Böse  von  ihm  wenden,  das  ich  ihm  angedroht  habe.  Auch 
Jesaia  spricht ^j:  Wehe  dem,  der  da  raubt;  ihr  sollt  nicht  rauben 
und  ein  Lügner  soll  nicht  unter  euch  lügen.  W^enn  ihr  rauben 
wollt,  werdet  ihr  beraubt  werden,  und  wenn  ihr  lügen  wollt, 
werdet  ihr  belogen  werden.  Und  hier  ist  niemand,  der  den 
Willen  Gottes  tadelt!  Ich  will  dir  schreiben  und  zeigen,  dass 
Gott  niemals  sein  Wohlgefallen  an  ihnen  gehabt  hat,  Mose  nicht 
und  alle  Propheten  auch  nicht.  Denn  Mose  sprach  zu  ihnen  3): 
Ihr  seid  halsstarrig  gewesen  vor  dem  Herrn,  seit  dem  Tage,  von 
dem  an  ich  euch  kenne.  Und  wiederum  spricht  er  ■*) :  Es  ist  ein 
Volk,  dessen  Verstand  zerstört  ist,  und  in  dem  keine  Weisheit 
ist.  Und  wiederum  spricht  er-'):  Sie  haben  mich  durch  ihre  Bilder 
erzürnt  und  mit  ihren  Götzen  haben  sie  mich  gereizt.  Auch  ich 
will  sie  reizen  durch  ein  Volk,  das  kein  Volk  ist,  und  durch  ein 
thörichtes  Volk  will  ich  sie  erzürnen.  Und  Mose  wiederum 
spricht  zu  ihnen  6):  Ich  weiss,  dass  ihr  nach  meinem  Tod  verderb- 
lich handeln  werdet  und  weichen  von  dem  Weg,  den  ich  euch 
geboten  habe,  und  es  wird  euch  viel  Böses  begegnen  am  Ende 
der  Tage.  Siehe  solange  ich  unter  euch  lebte,  seid  ihr  hals- 
starrig gewesen  gegen  den  Herrn.  Und  Hosea  spricht'):  Ich 
habe  die  Propheten  abgethan  und  sie  getödtet  durch  das  W^ort 
meines  Mundes,  und  ihr  Kinder  Israel  habt  euch  nicht  von 
euren  Sünden  bekehrt  seit  den  Tagen  eurer  Väter.  Und  wiederum 
sagt  er^):  Eure  Güte  ist  wie  die  Wolke  am  Morgen  und  wie 
der  Thau,  der  frühe  da  ist  und  vergeht.  Und  wiederum  sagt  er^): 
Wehe  denen,  die  vor  mir  Abscheu  haben,  Böses  werde  ich  über 
sie  bringen.    Und  wiederum  sagt  er*"):  Sie  gehen  zu  Baalpeor^') 


1)  ( )  fehlt  in  A.  —  2)  Jes.  33,  1.  —  3)  Deut.  9,  24.  —  4)  Deut.  32,  28. 
—  5)  Deut.  32,  21.  —  6)  Deut.  31,  29.  27. 

7)  Hos.  6,5;  Maleach.  3,  7.  Hebr.  Text:  o-'s-'a«  "raun  •j3->»  „deshalb 
habe  ich  (sie)  getödtet  durch  die  Propheten".  —  8)  Hos.  6,  4.  —  9)  Hos. 
7,  13.  —  10)  Hos.  9,  10.  11.  12.  IG.  —  11)  B:  „Beelsebub^ 


302  Homilie  XIX. 

und  weihen  sich  den  Götzen.  Und  wiederum  sagt  er:  Wie 
ein  Vogel  fliegt  ihre  Ehre  von  ihnen.  Wenn  sie  auch  Kin- 
der erziehen,  will  ich  sie  nicht  volkreich  werden  lassen  und 
will  die  Lust  ihrer  Eingeweide  vernichten  ^).  Und  wiederum  sagt 
Jeremia^):  Nennet  sie  verworfenes  Silber,  weil  sie  der  Herr 
verworfen  hat.  Und  Hosea  spricht  3):  Aus  meinem  Haus  wiU 
ich  sie  führen  und  will  mich  nicht  mehr  über  sie  erbarmen  *). 
(Nun,  da  er  spricht:  Ich  will  mich  nicht  mehr  über  sie  erbarmen, 
was  haben  sie  da  noch  zu  sagen?)  Und  wiederum  sagt  er^): 
Der  Herr  hat  sie  verworfen,  weil  sie  ihn  nicht  gehört  haben. 
Und  wiederum  spricht  er:  Sie  werden  herumirren  unter  den 
Völkern.  Und  wiederum  spricht  er  über  sie:  Wie  das  Gut  (viel) 
ist  in  ihrem  Land,  so  machen  sie  ihre  Altäre  zahlreich  und 
bauen  Heiligthümer.  Und  wiederum  sagt  er:  Schande  wird 
Ephraim  empfangen,  und  Israel  wird  sich  schämen  in  seinen 
Gedanken.  Und  wiederum  spricht  er :  Ephraim  umgiebt  mich  mit 
Lüge  und  Juda  und  das  Haus  Israel  mit  Falschheit.  Und 
wiederum  spricht  er^):  (Ich  habe  dich,  Israel,  verderbet,  wer 
wird  dir  helfen?  Und  wiederum  spricht  er):  Ich  habe  dir  einen 
König  im  Zorn  gegeben  und  im  Grimm  ihn  genommen.  Und 
Micha  spricht:  Ihr  sollt  nicht  euren  Nacken  aufrichten,  und  nicht 
mit  aufgerichteter  Gestalt  einhergehen.  Und  wiederum  spricht 
er:  Stehet  auf  und  gehet,  denn  das  ist  meine  Ruhe  nicht.  Und 
wiederum  spricht  er:  Es  werden  zu  Schanden  werden,  die  da 
Gesichte  sehen,  und  werden  zu  Schanden  werden  die  Wahrsager, 
und  sie  sollen  Alle  ihre  Lippen  verhüllen;  denn  Gott  antwortet 
ihnen  nicht.  Und  warum  spricht  er  über  die  Wahrsager  und 
über  die,  welche  Gesichte  sehen:  sie  werden  zu  Schanden  werden 
und  ihre  Lippen  verhüllen?  —  Das  ist  nämlich  die  Wunde,  für 
die  es  keine  Heilung  giebt. 

§  3.  Denn  es  steht  im  Gesetz  geschrieben'):  Wenn  ein 
Aussätziger  in  Israel  ist,  soll  er  seine  Lippen  verhüllen,  und 
seine  Kleider  sollen  zerrissen  sein,  und  sein  Haupt  soll  bloss 
sein,  und  ausserhalb  des  Lagers  soll  seine  Wohnung  sein, 
und  unrein  soll  er  sich  nennen  alle  Tage,  solange  er  den  Aus- 
satz hat.     Deshalb  empfängt  der  Prophet,  der  mit  Lügenlippen 

1)  Hos.  9,  11.  —  2)  Jerem.  6,  20.  —  3)  Hos.  9,  15.  —  4)  ()  fehlt  in  A, 
—  5)  Hos.  9,  17;  10,  1.  6;  11,  12;  13,  9.  11.  —  6)  ( )  fehlt  in  A.  —  7)  Mich. 
2,  3.  10;  3,  7. 


Die  Unterweisung  gegen  die  Juden.  303 

predigt,  die  Plage  des  Aussatzes  und  muss  seine  Lippen  ver- 
hüllen alle  Tage  und  sitzt  in  Schande  wie  üsia,  der  König  vom 
Hause  Juda,  der,  weil  er  das  Priesterthum  rauben  wollte,  aus- 
sätzig aus  dem  Tempel  des  Heiligen  herausging;  und  er  traf 
ihn  zwischen  den  Augen.  Und  er  wohnte  in  einem  Hause  ver- 
borgen in  Schande  alle  Tage  (seines  Lebens}.  Und  es  ward 
eine  grosse  Bewegung  im  ganzen  Volk.  Wie  Sacharia  sagt  ^): 
Ihr  werdet  fliehen,  wie  ihr  geflohen  seid  in  der  Bewegung,  die 
da  war  in  den  Tagen  Usias,  des  Königs  vom  Hause  Juda.  Und 
siehe,  dass  sie  sich  noch  nicht  gebessert  haben  seit  ihren  Tagen. 
Denn  er  spricht  2);  Ich  habe  euch  mit  Hitze  und  Hagel  ge- 
schlagen, und  die  Menge  eurer  Gärten  hat  die  Raupe  gefressen, 
und  ihr  habt  euch  nicht  zu  inir  bekehret,  spricht  der  Herr. 
Und  wiederum  spricht  er:  Ich  habe  euch  umgewandt,  wie 
Gott  Sodom  und  Gomorrha  umgewandt  hat,  und  thut  ihnen 
kund,  dass  sie  keine  Hoffnung  mehr  haben,  dass  gefallen  ist 
die  Jungfrau  Israel,  und  dass  sie  nicht  wieder  aufstehen  werde. 
Und  wiederum  spricht  er:  Sie  ist  verlassen  auf  Erden,  und  es 
ist  niemand,  der  sie  wieder  aufrichte.  Und  wiederum  spricht 
er^):  In  allen  Strassen  ist  Klage,  und  in  allen  Gassen  sprechen 
sie:  Wehe,  wehe.  Und  er  verwirft  und  verstösst  sie  von  sich. 
Er  spricht^):  Ich  hasse  und  verwerfe  eure  Feiertage  und  mag 
eure  Opfer  nicht  riechen.  Und  wiederum  spricht  er:  An  euren 
Opfern  habe  ich  kein  Wohlgefallen,  und  nach  der  Schönheit 
eurer  fetten  Opfer  sehe  ich  nicht.  Und  wiederum  spricht  er  zu 
ihnen:  Habt  ihr  mir  die  40  Jahre  in  der  Wüste  Schlachtopfer 
und  Speisopfer  dargebracht,  ihr  Kinder  Israel?  Und  darüber, 
dass  er  sie  verlassen  hat,  spricht^)  (Jeremia:  Ich  habe  mein 
Haus  verlassen  und  mein  Erbe  verlassen.  Und  wiederum  spricht) 
er*^):  Ich  habe  der  Tochter  meines  Volkes  den  Scheidebrief  ge- 
geben. Weil  sie  sich  rühmen:  Wir  sind  das  Volk  Gottes,  ruft 
der  Prophet  und  spricht  zu  ihnen''):  Siehe,  wie  die  Kinder 
Aethiopiens  seid  ihr  mir,  Kinder  Israels.  Siehe,  die  Kinder 
Israel  habe  ich  aus  dem  Lande  Aegypten  geführt,  und  die  Phi- 
lister von  Kappadokia  und  Aram  aus  Kir.  Und  die  Augen  des 
Herrn  der  Herren  sind  auf  ein  sündliches  Reich  gerichtet,  und 

1)  Sach.  14,  .5.  —  2)  Arnos  4,  9.  11.  —  3)  Arnos  5,  16.  —  4)  Arnos 
5,  21.  22.  25.  —  5)  (  )  fehlt  in  B.  Jerem.  12,  7.  —  6)  Jerem.  3,  8.  —  7) 
Arnos  9,  7.  8. 


304  Homüie  XIX. 

ich  will  es  von  dem  Angesicht  der  Erde  vertilgen.  Und  wisse, 
dass  er  sie  wie  die  Philister  hält.  Und  Jeremia  sagt  über  die 
Gemeinde  von  Israel  '):  Ich  habe  dich  gepflanzt  als  eine  Rebe, 
die  ganz  Same  der  Wahrheit  ist,  und  du  hast  dich  gewandt 
und  bist  von  mir  abgefallen,  wie  ein  fremder  Weinstock.  Und 
Mose  spricht  2):  Ihre  Weinrebe  ist  von  der  Weinrebe  Sodoms 
und  von  der  Pflanzung  Gomorrhas,  und  ihre  Trauben  sind  bit- 
tere Trauben  und  ihre  Früchte  sind  Galle.  Und  David  spricht^): 
Du  hast  die  Rebe  aus  Aegypten  geholt  und  hast  nach  ihr  ge- 
sehen und  hast  ihre  Wurzel  gepflanzt;  und  er  spricht:  Du  hast 
die  Völker  vertilgt  und  sie  gepflanzt.  Und  da  sie  sündigten, 
sprach  er  ^) :  Das  Schwein  des  Waldes  hat  sie  gefressen  und  die 
Thiere  des  Feldes  haben  sie  abgeweidet.  Und  Hesekiel  spricht 
über  die  Weinrebe^):  Zwei  Zweige  hat  das  Feuer  verzehrt  und 
ihr  Inneres  verwüstet.  Denn  er  spricht:  Als  die  Weinrebe 
ohne  Fehler  war,  war  sie  zu  nichts  nütze,  und  nun,  da  sie  das 
Feuer  verzehrt  und  verwüstet  hat,  wie  sollte  sie  zu  etwas  nütze 
sein?  Und  über  den  ganzen  Weinberg  weissagt  Jesaia  und 
spricht^):  Mein  Freund  hatte  einen  Weinberg  auf  Bergesspitze 
an  fettem  Ort  und  er  bebaute  ihn  und  umgab  ihn  mit  einem 
Zaun  und  pflanzte  Reben  darein.  Und  da  der  Weinberg  Her- 
linge  brachte,  riss  er  seinen  Zaun  nieder  und  brach  seinen 
Thurm  ab  und  Hess  ihn  ohne  Bebauung,  und  er  hinderte  die 
Wolken,  dass  sie  nicht  auf  ihn  niederregneten.  Und  über  die 
Lügenpropheten  spricht  er"):  Wehe  denen,  die  Zion  mit  Blut 
bauen  und  Jerusalem  mit  Sünde.  Und  er  spricht  wiederum 
über  sie^):  Von  den  Propheten  Jerusalems  geht  das  heidnische 
Wesen  aus  ins  ganze  Land.  Und  über  die  Berufung  der  Völker 
sagt  Jesaia^):  In  den  letzten  Tagen  wird  der  Berg  des  Herrn 
über  alle  Berge  gesetzt  sein,  und  wird  höher  als  (alle)  Höhen 
sein,  und  es  werden  sich  zu  ihm  die  Völker  versammeln  und 
viele  Völker  werden  kommen  und  sprechen:  Kommt,  lasst  uns 
auf  den  Berg  des  Herrn  gehen  und  zu  dem  Hause  des  Gottes 
Jakobs  und  er  wird  uns  von  seinen  Wegen  lehren  und  auf 
seinen  Pfaden  wollen  wir  gehen;  denn  von  Zion  geht  das  Gesetz 
aus  und  das  Wort  des  Herrn  von  Jerusalem.     Und  da  das  Ge- 


1)  Jerem.  2,  21.  —  2)  Deut.  32,  32.  —  3)  Ps.  80,  9.  —  4)  Ps.  80.  14. 
—  5)  Ezech.  15,  4.  5.  —  6)  Jes.  5,  1—6.  —  7)  Mich.  3,  10;  Habak.  2,  12.  — 
8)  Jerem.  23,  15.  —  9)  Jes.  2,  2.  3. 


Die  Unterweisunfi-  gegen  die  Juden.  305 

setz  von  Zion  ausging,  wohin  ging  es  denn?  Er  sagt  nämlich  ^'i: 
Er  wird  unter  den  Völkern  richten  und  wird  viele  Völker  in 
der  Ferne  strafen.  Und  Jesaia  sagt  über  sie  2):  Trennet  euch 
von  ihnen  und  nennet  sie  unrein,  denn  der  Herr  hat  sie  ver- 
worfen. Und  wiederum  sagt  der  Prophet  3):  Sie  haben  ihr 
Gutes  verachtet,  Avie  ein  Kleid,  das  die  Motte  zerfressen  hat. 
Und  wiederum  sagt  er:  Sie  werden  sich  erzürnen  über  ihre 
Wege,  und  vor  dem  Herrn  unserem  Gott  w^erden  sie  erschrecken 
und  werden  sich  fürchten.  Und  wiederum  sagt  er^):  Ich  werde 
deine  Versammlungen  ^)  mit  Rauch  verbrennen,  und  deine  jungen 
Löwen  wird  das  Schwert  fressen.  Und  wiederum  sagt  er^):  Wehe 
der  Blutstadt,  die  ganz  voll  Lüge  ist,  und  in  der  die  Zerstörung 
nicht  aufhört.  Und  Micha  s}3richt'):  Juda  lügt,  und  es  geschieht 
Gräuel  in  Israel  und  Jerusalem,  denn  Juda  hat  entheiligt  das 
Heiligthum  des  Herrn,  t^nd  er  spricht:  Ihr  seid  abgewichen 
von  dem  Weg  und  habt  vielen  am  Gesetz  Aergerniss  gegeben 
und  habt  vernichtet  den  Bund  Levis.  Auch  ich  will  euch  ver- 
spottet und  verachtet  machen  im  ganzen  A'^olk,  weil  ihr  meine 
Wege  nicht  gehalten  habt.  L^nd  über  die  Völker  spricht  er^): 
Ich  will  auserwählte  Lippen  zu  ihnen  wenden.  Und  über  sie 
spricht  Maleachi^):  Ihr  habt  dem  Herrn  Mühe  gemacht  mit 
euren  Worten.  L^nd  wiederum  spricht  er'^'}:  Ihr,  Kinder  Jakobs, 
habt  nicht  von  euren  Sünden  gelassen  seit  den  Tagen  eurer 
Väter  und  habt  nicht  meine  Gebote  gehalten. 

§  4.  Nun  höre,  mein  Lieber,  dass  nur  zweimal  Gott  Israel 
erlöst  hat,  das  eine  Mal  aus  Aegypten  und  das  zweite  Mal  aus 
Babylon.  Aus  Aegypten  durch  Mose  und  aus  Babel  durch  Esra, 
nach  der  Weissagung  Haggais  und  Sacharias.  Haggai  nämlich 
spricht  ' ') :  Baut  dieses  Haus,  und  ich  will  mein  Wohlgefallen 
daran  haben  und  will  mich  darin  verherrlichen,  spricht  der  Herr. 
Und  wiederum  spricht  er  '-):  Arbeitet,  denn  ich  bin  mit  euch,  und 
mein   Geist  steht  unter   euch.     Fürchtet  euch   nicht,    denn   also 

1)  Jes.  2,  4.  —  2)  Lament.  4,  1.')  (vgl.  Jes.  .52,  11)  und  Jereni.  0,  30.  — 
;i)  Mich.  7,  4.  17.  —  4)  Nah.  2,  14.    Tesch.:  iX2L^    fjzc],  werde  im  Rauch 

vernichten. 

5)  Der  liebr.  Text  hat  hier  a:i,  Wagen. 

<>)  Nahum  3,  1.  —  7)  Nicht  Micha,  sondern  Maleach.  2,  11.  8.  9.  — 
b)  Zeph.  3,  9.  —  0)  Maleach.  2,  17.  —  10)  Maleacli.  3,  6.  7.  —  11)  Haggai 
1,  8.  —  12)  Haggai  2,  .5—8.  10. 

Texte  und  Uuteisuchungeii  III,. 3.  4.  2Ü 


306  Homilie  XIX. 

spricht  der  Herr  der  Heerscliaareu'):  Noch  eine  kleine  Zeit,  so  will 
ich  den  Himmel  und  die  Erde  und  das  Meer  und  das  Trockene 
bewegen,  und  will  alle  Völker  bewegen,  und  sie  werden  die  Kost- 
barkeiten aller  Völker  bringen  und  werden  dieses  Haus  mit 
Herrlichkeit  erfüllen,  und  wird  die  letzte  Herrlichkeit  des  Ha^^ses 
grösser  sein  denn  die  erste.  Das  Alles  wurde  in  den  Tagen  Seru- 
babels  und  in  den  Tagen  Haggais  und  Sacharias  geredet.  Und 
diese  waren  fleissig  über  dem  Bau  des  Hauses.  Und  Sacharia 
spricht  -):  Ich  habe  mich  in  Barmherzigkeit  zu  Jerusalem  gewandt, 
und  mein  Haus  setze  ich  in  seine  Mitte.  Und  wiederum  spricht 
er:  Die  Städte  werden  beraubt  der  Güter,  und  der  Herr  wird 
Zion  bauen  und  wird  Jerusalem  wiederum  erwählen.  Und  wie- 
derum spricht  er:  Ich  habe  gegen  Zion  und  Jerusalem  ge- 
eifert mit  einem  grossen  Eifer,  und  in  einem  grossen  Zorn  zürne 
ich  über  die  übermüthigen  Völker.  Und  wiederum  spricht 
er  3):  Auf  weiten  Fluren  wird  Jerusalem  liegen  wegen  der 
Menge  der  Menschen  und  des  Viehs,  die  darin  sind.  Und  ich 
will  in  ihr  sein  wie  eine  eherne  Mauer,  und  zur  Verherrlichung 
will  ich  darin  sein,  spricht  der  Herr.  Und  wiederum  spricht  er: 
Hui,  hui,  flüchtet  aus  dem  Lande  des  Nordens,  spricht  der  Herr, 
denn  nacli  den  vier  Winden  des  Himmels  habe  ich  euch  zer- 
streut. 0  Zion,  befreie  dich,  die  da  als  Beisassiu  wohnst  bei 
der  Tochter  Babels.  Und  wiederum  spricht  er:  Der  Herr  wird 
Jnda  sein  Erbtheil  geben  in  seinem  heiligen  Land,  und  er  wird 
wieder  sein  Wohlgefallen  haben  an  Jerusalem.  Und  wiederum 
spricht  er^j:  Die  Hände  Serubabels  haben  die  Fundamente  dieses 
Hauses  gelegt,  seine  Hände  vollenden  es  auch.  Dieses  Alles 
weissagte  Sacharia,  und  an  der  Gemeinde  Israels  aus  Babel  ward 
es  erfüllt  und  vollendet.  Und  es  ist  nicht  wie  diese  sagen,  dass 
es  noch  bestimmt  ist  für  Israel,  versammelt  zu  werden. 

Höre  aber,  mein  Lieber,  ich  will  dir  zeigen,  dass  Israel  zwei- 
mal erlöst  wurde,  das  erste  Mal  aus  Aegypten  und  das  zweite 
Mal  aus  Babel.  Denn  Jesaia  spricht^):  Der  Herr  wird  noch  ein- 
mal seine  Hand  ausstrecken,  dass  er  den  Rest  seines  Volkes,  der 
übrig  geblieben  ist,    sich  zu  eigen  mache,   aus  dem  Lande  As- 

1)  Vj^^.».^   Ur^  =  Pi5<as  MIM"'. 

2)  Sach.  1,  lü.  17.  14.  15.  —  3)  Sach.  2,  4—7.  12.  —  4)  Sacli.  4,  9.  — 
5)  Jes.  11,  11. 


Die  Unterweisuno;  gegen  die  Juden.  307 

Syrien  und  aus  Aegypten  uud  aus  Tyrus  und  aus  Sidon  und  von 
Hamatli  und  von  den  fernen  Inseln.  Denn  wenn  es  für  sie  be- 
stimmt ist,  versammelt  und  erlöst  zu  werden,  warum  spricht  dann 
Jesaia:  Der  Herr  wird  noch  einmal  seine  Hand  ausstrecken,  dass 
er  den  Rest  seines  Volkes,  der  übrig  geblieben  ist,  sich  zu  eigen 
mache?  Denn  wenn  es  noch  eine  Erlösung  für  sie  gäbe,  so 
hätte  Jesaia  sagen  müssen:  Der  Herr  wird  zum  dritten  Mal 
seine  Hand  ausstrecken,  dass  er  den  Rest  seines  Volkes  sich  zu 
eigen  mache,  er  hätte  aber  nicht  gesagt:  noch  einmal. 

Weiter  höre,  ich  will  dich  belehren  über  das  Gebet,  das  Daniel 
betete  vor  seinem  Gott,  und  bat  und  flehete  für  die  Kinder  seines 
Volkes,  dass  sie  umkehren  möchten  und  zurückkehren  von  Babel. 
Denn  Daniel  war  ein  Mann  des  Wohlgefallens,  dem  die  Geheim- 
nisse offenbart  wurden,  und  dem  er  das  Ende  kund  gab.  Weil 
er  ein  Prophet  war,  baute  er  auf  die  Worte  der  Propheten. 
Denn  da  sein  Volk  nach  Babel  in  die  Gefangenschaft  geführt 
wurde,  standen  unter  ihnen  falsche  Propheten  auf  und  weissagten 
in  Lüge  und  Betrug  und  sprachen  '):  So  spricht  der  Herr:  Von 
jetzt  an  nach  zwei  Jahren  werde  ich  das  Joch  Nebukadnezars, 
des  Königs  von  Babel,  zerbrechen  von  dem  Hals  aller  Völker. 
Und  alsdann,  da  Jeremia  die  Weissagung  der  Lügenpropheten 
hörte,  schrieb  er  einen  Brief  und  sandte  ihn  nach  Babel"^): 
Höret  nicht  auf  die  falschen  Propheten,  die  unter  euch  sind,  die 
euch  verheissen  und  sprechen:  Von  jetzt  an  nach  zwei  Jahren 
werdet  ihr  aus  Babel  zurückkehren.  Denn  also  spricht  der  Herr: 
Bauet  Häviser  und  bewohnet  sie,  und  pflanzet  Gärten  und  esset 
ihre  Früchte.  Nehmet  euren  Söhnen  Weiber  und  gebet  eure 
Töchter  Männern,  denn  wenn  in  Babel  siebzig  Jahre  erfüllt 
sind,  alsdann  werdet  ihr  von  dort  zurückkehren. 

§  5.  Und  Daniel,  der  mit  dem  Geiste  bekleidet  war,  wusste, 
dass  die  Weissagung  des  Jeremia  gewiss  war.  Und  da  die  sieb- 
zig Jahre  erfüllt  waren,  da  betete  und  bat  und  üehete  er  vor 
seinem  Gott ').  Im  ersten  Jahre  des  Darjawesch  *),  des  Sohnes  des 
Achschirisch,  aus  dem  Stamme  der  Meder,  der  König  war  über 
das  Reich  der  Chaldäer,  im  ersten  Jahr  seines  Königthums,  sann 
ich,  Daniel,  nach  im  Buch  über  die  Zahl  der  Jahre,  und  sah, 

1)  .Terem.  28,  11.  —  2)  Jerem.  29,  8.  5.  6.    10.  —  3)  Dan.  9,  1—19. 
4)  Von  Rawlinson,  Lassen  u.  A.  ist  dieser  Name  in  den  Keilinschriften 
von  Persepolis:  Darjawusch  (Darajawusch)  gelesen  worden. 

20* 


308  Homilie  XIX. 

welches  das  Wort  des  Herrn  war,  das  der  Prophet  Jeremia  ge- 
sprochen hatte.  Da  über  der  Verwüstung  Jerusalems  siebzig 
Jahre  hingegangen  waren,  erhob  ich  mein  Angesicht  vor  Gott 
dem  Herrn  (im  Gebet  und  Bitten  und  Flehen  und  im  Sack  und 
in  der  Asche,  und  betete  vor  dem  Herrn,  meinem  Gott^)),  und 
pries  und  sprach  mit  Flehen:  Herr  Gott,  gross  und  schrecklich, 
der  da  Bund  und  Gnade  hält  seilten  Freunden,  denen,  die  seine 
Gebote  halten:  Wir  haben  gesündigt  und  Unrecht  gethan ,  wir 
liaben  übel  gethan  und  sind  abgefallen,  wir  sind  von  deinen  Ge- 
boten und  Rechten  gewichen  und  haben  nicht  auf  deine  Knechte, 
die  Propheten,  gehört,  die  in  deinem  Namen  geredet  haben  über 
unsere  Kihiige  und  unsere  Fürsten  und  über  unsere  Väter  und 
über  das  ganze  Volk  des  Landes.  Dein,  Herr,  ist  der  Sieg-), 
und  unser  ist  die  Schande,  wie  es  jetzt  ist,  der  Männer  von  Juda 
und  der  Bewohner  von  Jerusalem  und  des  ganzen  Israel,  nahe 
und  fern,  in  allen  Landen,  wohin  du  sie  zerstreut  hast,  um  der 
Missethat  willen,  die  sie  an  dir,  Herr,  begangen  haben.  Unser 
ist  die  Schande,  unserer  Könige  und  unserer  Fürsten  und  unserer 
Väter,  weil  wir  an  dir  gesündigt  haben.  Bei  Gott  dem  Herrn 
ist  Gnade  und  Vergebung  der  Sünden,  von  welchem  wir  abge- 
fallen sind,  vmd  haben  nicht  gehört  auf  die  Stimme  des  Herrn, 
unseres  Gottes,  dass  wir  wandelten  in  seinem  Gesetze,  das  er 
vor  uns  gestellt  hat  durch  seine  Knechte,  die  Propheten.  Und 
ganz  Israel  liat  dein  Gesetz  übertreten  und  ist  abgewichen  und 
hat  nicht  auf  deine  Stimme  gehört.  Und  du  hast  über  sie  ge- 
bracht die  Flüche  und  Plagen,  die  geschrieben  sind  in  dem  Ge- 
setze Moses,  des  Knechtes  Gottes,  über  diejenigen,  die  vor  ihm 
sündigen.  Und  er  hat  seine  Worte  gehalten,  die  er  über  uns  ge- 
redet hat  und  über  unsere  Richter,  die  uns  richten,  indem  er 
grosses  Unglück  über  uns  gebracht  hat,  desgleichen  nicht  geschehen 
ist  imter  dem  Himmel,  wie  es  geschehen  ist  in  Jerusalem,  wie 
im  Gesetze  Moses  geschrieben  ist  dieses  ganze  Unglück,  das  du 
über  lins  brachtest.  Und  wir  beteten  nicht  vor  dem  Herrn,  unserem 
Gott,  dass  wir  uns  bekehrten  von  unseren  Sünden  und  deinen 
Glauben  lernten.  Und  der  Herr  erweckte  Unglück  und  brachte 
es  über  uns,  denn  der  Herr,  unser  Gott,  ist  gerecht  in  allen  seinen 
Werken,  die  er  gethan  hat,  imd  wir  hörten  nicht  auf  seine  Stinmie. 

1)  (  )  felilt  in  B.  —   2)  oder  auch  die  Reinheit,  Unschuld. 


Die  ünterweis,ung  gegen  die  Juden.  309 

Und  doch  bist  du  es  der  Herr,  unser  Gott,  der  du  dein  Volk  aus  dem 
Lande  Aegypten  geführt  hast  mit  starker  Hand  und  hohem  Arm, 
und  hast  dir  einen  Namen  gemacht,  wie  er  jetzt  ist.  Wir  haben 
gesündigt  und  übel  gethan,  o  Herr.  Nach  deiner  ganzen  Ge- 
rechtigkeit, die  du  an  uns  gethan  hast,  wende  deinen  Grimm  und 
deinen  Zorn  von  deiner  Stadt  Jerusalem  und  von  deinem  heiligen 
Berge.  Denn  durch 'unsere  Sünden  und  durch  die  Missethat  unserer 
Väter  wurde  dein  Volk  an  allen  Orten  zerstreut.  Jerusalem  Avard 
zum  Spott  unter  allen  Völkern.  Nun  höre,  Gott,  auf  das  Gebet 
deines  Knechts  und  auf  unser  Flehen;  lasse  dein  Angesicht  leuch- 
ten in  deinem  Heiligthum,  das  zerstört  ist,  um  deines  Namens 
willen,  Herr.  Neige,  mein  Gott,  dein  Ohr  und  erhöre  und  öffne 
deine  Augen  und  siehe  unsere  Zerstörung  und  unsere  Verwüstung, 
und  die  Stadt,  über  der  dein  Name  genannt  ist.  Nicht  im  Ver- 
trauen auf  unsere  Gerechtigkeit  beten  wir  vor  dir,  sondern  auf 
deine  grosse  Barmherzigkeit.  Herr  erhöre,  Herr  erbarme  dich 
unser,  Herr,  merke  auf,  und  thue  es,  und  verziehe  nicht,  um  deines 
Namens  Avillen,  mein  Gott,  weil  dein  Name  über  deiner  Stadt  und 
deinem  Volke  genannt  ist. 

Und  alsdann,  da  Daniel  sein  Gebet  vollendet  hat,  spricht 
er'):  Während  ich  betete  und  meine  und  meines  Volkes  Israel 
Sünde  bekannte  und  mein  Flehen  vor  den  Herrn,  meinen  Gott, 
])rachte  um  den  heiligen  Berg  meines  Gottes,  und  während  ich 
im  Gebet  noch  redete,  kam  der  Mann  Gabriel,  den  ich  zuvor 
gesehen  hatte,  geschwebt  und  geflogen,  und  kam  vom  Himmel 
und  nahte  sich  zu  mir  zur  Zeit  des  Abendopfers,  und  kam  und 
redete  mit  mir  und  sprach  zu  mir:  Daniel,  jetzt  bin  ich  ausge- 
gangen, dass  ich  dich  belehre  und  damit  du  verstehest:  Am  An- 
fang deines  Gebets  ging  das  Wort  aus,  und  ich  bin  gekommen, 
es  dir  zu  verkündigen,  weil  du  augenehm  bist.  Merke  auf  das 
Wort  und  verstehe  das  Gesicht:  Siebzig  Wochen  wird  über  dein 
Volk  und  deine  heilige  Stadt  Ruhe  sein^),  bis  zum  Völligsein 
der  Scliulden  und  dem  Voll(kommen)sein  der  Sünden,  bis  zur 
Vergebung  des  Frevels  und  der  Herbeiführung  der  ewigen  Ge- 
rechtigkeit und  bis  zur  Erfüllung  von  Gesicht  uiul  Propheten 
und  bis  zum  Messias,  dem  hochheiligen.  Wisse  und  verstehe, 
von  da  an,  da  dies  Wort  ausgegangen  ist,  dass  man  zurückkehren 

1)  Dan.  9, 20 — 27.  —  2)  hcl)r. :  i'oy  hy  -rn:,  sind  bestimmt  über  dein  Volk. 


31(j  Horailic  XIX. 

und  Jerusalem  bauen  solle,  bis  zur  Ankunft  des  Messias,  des 
Königs,  sind  sieben  Wochen  und  zweiundsechszig  Wochen.  Und 
er  wird  zurückkehren  und  Jerusalem  bauen  und  ihre  Strassen  und 
Gassen  in  der  Erfüllung  i)  der  Zeit.  Und  nach  zweiundsechszig 
Wochen  Avird  der  Messias  getödtet  werden,  und  wird  nicht 
mehr''^)  für  sie  sein.  Und  die  Stadt  des  Heiligthums  wird  zer- 
stört werden  sammt  dem  Könige,  der  kommt ^),  und  am  Ende*) 
durch  die  Fluth,  und  bis  zum  Ende  des  Kriegs,  der  vorherbe- 
stimmt ist,  wird  sie  in  Verwüstung  bleiben.  Und  er  wird  den 
Bund  vielen  stärken,  eine  Woche  und  die  Hälfte  einer  Woche  *). 
Und  das  Opfer  und  Speisopfer  wird  aufhören  und  über  den  Flü- 
geln des  Gräuels  wird  Verwüstung  sein  ^). 

Siehe  aber,  mein  Lieber,  und  merke  auf  das  Gebet,  das 
Daniel  betete,  und  auf  das  Gesicht,  das  ihm  ausgelegt  wurde,  auf 
das  Vollwerden  von  siebzig  Jalu'en  bis  zur  Zerstörung  von  Jeru- 
salem. Er  betete  und  bekannte  im  ersten  Jahre  des  Darjawesch,  und 
da  er  seine  und  seines  Volkes  Israel  Schuld  bekannte,  da  kam  Ga- 
briel zu  ihm,  der  die  Gebete  annimmt,  und  sprach  zu  ihm:  Am 
Anfang  deines  Gebets  ist  das  Wort  ausgegangen.  Das  Wort  am 
Anfang  seines  Gebets  war  dieses,  dass  die  Gefangenschaft  von 
Babel  sich  wenden  werde.  Und  Aveiter  überlegte  Daniel,  wie  es 
dem  Volke  wohl  gehen  werde  nach  seiner  Rückkehr.  Da  sprach 
Gabriel  zu  ihm:  Weil  du  angenehm  bist,  will  ich  dir  zeigen,  was 
dem  Volke  begegnen  Avird  am  Ende  der  Tage:  Nun  merlce  auf 
das  Wort  und  verstehe  das  Gesicht:  Siebzig  Wochen  wird  über 
dein  Volk  und  deine  heilige  Stadt  Ruhe  sein,  bis  zum  Völlig- 
sein der  Schulden  und  dem  Voll(kommen)sein  der  Sünden,  bis 
zur  Vergebung  des  Frevels  und  der  Herbeiführung  der  eAvigen 
Gerechtigkeit  und  bis  zur  Erfüllung  von  Gesicht  und  Pro- 
pheten und  bis  zum  Messias,  dem  hochheiligen.  Wisse  und 
verstehe,    von  da  an,    da  dies  Wort  ausgegangen   ist,    dass   sie 


1)  hebr. :  BT.:h  isisa,  in  der  Bedrängniss  der  Zeiten. 

2)  A:  und  wird  nicht  mehr  sein. 

3)  Aphr.  stimmt  hier  mit  Pesch.  überein;  hebr.  hat:  r^nri  ttinpni  i'^yni 
sa^i  -f'ii  DJ»  Und  die  Stadt  und  das  Heiligthum  wird  zerstören  das  Volk 
eines  Fürsten,  der  da  kommt.  Arm.:  Et  civitatem  et  sanctuarium  dissi- 
pabit  populus  cum   duce  venture. 

4)  hebr.:  eine  Woche.  Und  in  der  Hälfte  der  Woche  wird  das  Opfer  etc. 

5)  Pesch.:  Und  ihr  Ende  ist  durch  die  Fluth. 


Die  Unterweisung  gegen  die  Juden.  311 

/Airückkehreii  und  Jerusalem  bauen  sollen,  bis  zur  Ankunft  des 
Messias,  des  Königs,  sind  sieben  Wochen  und  zweiundsechszig 
Wochen.  Und  es  wird  zurückkehren  und  Jerusalem  bauen  und 
ihre  Strassen  und  Gassen  in  der  Erfüllung  der  Zeit.  Und  nach 
zweiundsechszig  Wochen  werde  der  Messias  getödtet  werden 
und  er  werde  nicht  mehr  ')  für  sie  sein.  Und  die  heilige  Stadt 
werde  zerstört  werden  sammt  dem  Könige,  der  da  kommt, 
und  am  Ende  durch  die  Fluth,  und  bis  zum  Ende  des  Kriegs, 
der  vorherbestimmt  ist,  werde  sie  in  Verwüstung  bleiben. 
Und  er  werde  den  Bund  vielen  stärken  eine  Woche  und  die 
Hälfte  einer  Woche.  Und  das  Opfer  und  Speisopfer  werde  auf- 
hören und  über  den  Flügeln  des  Gräuels  werde  Verwüstung  sein. 
Er  sagt  ihm  nämlich:  Siebzig  Wochen  wird  über  deinem  Volk 
und   deiner  heiligen  Stadt  Ruhe  sein. 

§  6.  Siebzig  Wochen  das  sind  vierhundertneunzig  Jahre, 
von  der  Zeit  an,  da  Daniel  betete,  bis  dahin,  da  Jerusalem  zer- 
stört wurde  in  der  letzten  ZerstiJrung  und  nicht  wieder  be- 
wohnt wurde.  Und  er  sagte:  In  sieben  Wochen  wird  es  Jeru- 
salem wieder  aufl^auen,  denn  da  die  Gefangenen  zurückkehr- 
ten unter  Esra  und  das  Haus  anfingen  zu  bauen,  seit  den 
Tagen  des  Koresch  und  Dariawesch,  da  legten  sie  die  Funda- 
mente des  Hauses.  Und  ihre  Feinde  hinderten  sie  in  den  Tagen 
des  Dariawesch  und  des  Artachschaschta  und  der  anderen  per- 
sischen Könige,  und  sie  Hessen  sie  nicht  (weiter)  bauen  und 
vollenden.  Und  ich  will  dir  zeigen  die  Bedeutung  des  Wortes. 
Also  steht  nämlich  geschrieben  in  dem  Propheten  Sacharia^): 
Ich  habe  einen  Leuchter  gesehen  und  sieben  Lampen  darauf,  und 
je  sieben  OeflFnungen  hatten  die  Lampen,  (zusammen)  neunund- 
vierzig, welches  sind  sieben  AVochen.  Und  er  spricht  in  der 
Weissagung:  Das  ist  das  Wort  des  Herrn  über  SerubabeP): 
Nicht  durch  Kraft,  nicht  durch  Stärke,  sondern  allein  durch  Geist. 
Und  weiter  oben  hat  er  gesagt^):  Die  Hände  Serubabels  haben 
die  Fundamente  dieses  Hauses  gelegt,  und  seine  Hände  sollen  es 
auch  vollenden.  Nun  sind  alle  Tage  von  dem  Tag,  da  die  Funda- 
mente   des  Hauses    gelegt    wurden,    bis   dahin  da  der  Bau  des 


1)  Siehe  S.  310  Anm.  2. 

2)  Sach.  4,  2.  —  3)  Sach.  4,  6.  —  4)  Sach.  4,  9,  statt  ViJiä.  ^o,  weiter 
oben,  ist   also   zu  lesen  I-«»Z,vlii  ^''^^'  ^^iter  unten. 


312  Homilie  XIX. 

Hauses  vollendet  wurde,  neunundvierzig  Jahre;  das  sind  sieben 
Wochen  von  den  siebzig',  und  das  ist  das  Gesicht  von  dem 
Leuchter  mit  sieben  Lampen  und  ihren  neunundvierzig  üetf- 
nungen;  und  das  ist  das  Wort  des  Herrn,  das  geschah  über  Seru- 
babel.  Das  sind  neunundvierzig  Jahre.  Und  nach  diesen  sieben 
Wochen  des  Baues  des  Hauses,  der  geschah  in  den  Tagen  Seru- 
babels,  blieb  Jerusalem  zweiundsechszig  Wochen,  vierhundert- 
undvierunddreissig  Jahre.  Und  warum  sagte  er  oben:  Siebzig 
Wochen  wird  Ruhe  sein  über  deinem  Volk  und  deiner  heiligen 
Stadt,  und  unten  waren  es  ihrer  sieben  und  zweiundsechszig, 
welches  sind  zusammen  neunundsechszig  ?  —  Aber  unten  sagt  er 
(ja):  eine  Woche  und  eine  halbe  Woche  wird  er  die  Opfer  und 
Speisopfer  beseitigen.  Siehe,  das  ist  die  eine  Woche  von  den  sieb- 
zig, da  das  Opfer  aufhörte.  So  wurden  über  sie  siebzig  Jahre 
gezählt,  die  sie  in  Babel  wohnten,  da  das  Land  in  Gefangenschaft 
war,  die  ganze  Zeit  ihrer  Verwüstung. 

Nun  lass  dich  überzeugen,  dass  nach  diesen  Wochen  der 
Messias  kam  und  getödtet  wurde,  zur  Erfüllung  des  Gesichts 
und  der  Propheten.  Auch  unser  Vater  Jakob  sprach,  da  er 
Juda  segnete '):  Es  wird  das  Scepter  nicht  von  Juda  weichen, 
noch  der  Gesetzgeber  von  seinen  Füssen,  bis  der  kommen  wird, 
dem  das  Reich  gehört.  Lass  dich  überzeugen,  mein  Lieber,  und 
überlege,  dass  die  Wochen  erfüllt  sind,  und  die  Gesichte  und 
Propheten  ihr  Ende  gefunden  haben,  und  das  Reich  von  Juda 
gewichen  ist.  Siehe,  Jerusalem  ist  zerstört,  und  sein  Volk  unter 
allem  Volk  zerstreut.  LTnd  die  Kinder  Israel  wohnen  ohneOpfer  und 
ohne  Altar.  Und  bis  zur  Erfüllung  der  festgesetzten  Zeiten  ist  Jeru- 
salem zerstört  und  bleibt  in  Verwüstung.  Der  Weinberg  ist  ver- 
wüstet und  bringt  Herlinge,  und  die  beiden  Zweige  der  Weinrebe 
hat  das  Feuer  verzehrt,  der  Zaun  des  Weinbergs  ist  niedergerissen 
und  sein  Thurm  zerstört  und  seine  Kelter  verwüstet.  Das  Silber 
ist  verworfen  und  hat  keinen  Nutzen  mehr.  Für  Jerusalem  ist 
der  Scheidebrief  geschrieben. 

Diese  kleine  Ermahnung  habe  ich  du'  geschrieben,  damit  du 
dich  vertheidigst,  wenn  es  nöthig  ist,  Antwort  zu  geben,  und 
damit  du  stärkest  die  Seele  dessen,  der  dich  anhört;  dass  er  nicht 
zustimme  ihrer  verwirrende  Lehre  (der  Juden),  denn  diese  lassen 

1)  Gen.  49,  10. 


Die  Unterweisung  gegen  die  Juden.  313 

sich  nicht  überzeugen.  Denn  die  Schrift  hat  sie  verschlossen, 
damit  sie  nicht  hören  und  überzeugt  Averden,  dass  Gott  über  alle 
Menschen  sich  erbarmen  will.  Denn  er  sagt  über  sie  ^) :  Dieses  Volk 
ehret  mich  mit  seinen  Lippen,  und  in  seinem  Herzen  ist  es  ferne 
von  mir.  Und  zu  Jeremia  sprechen  sie  2) :  Das  Wort,  das  du  uns 
gesagt  hast  im  Namen  des  Herrn,  wollen  wir  nicht  hören. 

Und  über  diese  Gesichte  des  Daniel-^),  mein  Lieber,  habe 
ich  dir,  so  gut  ich  konnte,  geschrieben,  üebrigens  aber  wisse, 
dass,  nachdem  Gabriel  ihm  gedeutet  hatte,  was  seinem  Volk  be- 
gegnen werde,  alsdann  im  dritten  Jahre  des  Koresch  ein  Wort 
Daniel  geofifenbart  Avurde.  L^nd  er  spricht^):  Das  Wort  ist 
gewiss;  und  er  merkte  auf  das  Gesicht  mit  grosser  Kraft, 
und  er  spricht:  Ich  sass  in  Trauer  drei  Wochen  lang,  und  das 
Brot,  nach  dem  ich  verlangte,  ass  ich  nicht,  und  Fleisch  imd 
Wein  kamen  nicht  in  meinen  Mund.  Und  siehe,  im  dritten  Jahre 
des  Koresch  sah  Daniel  dieses  Gesicht,  am  vierundzwanzigsten 
Tag  des  ersten  Monats,  welches  ist  der  Nisan:  zwei  Jahre  nach- 
dem er  das  Gebot  in  seinem  Reich  hatte  ergehen  lassen,  dass  die 
Gefangenen  nach  Jerusalem  zurückkehren  sollten.  Im  ersten  Jahre 
des  Dariawesch,  des  Sohnes  des  Achschirisch,  hatte  er  vor  Gott 
gebetet,  da  die  siebenzig  Jahre  vorüber  Avaren  und  sich  die  Worte 
Jeremias  erfüllt  hatten.  Und  Avie  es  die  Natur  der  Sache  ergiebt, 
ist  dies  das  erste  Jahr  des  Königthums  des  Dariawesch  von  Me- 
dien. Denn  da  er  den  Beltschazar  getödtet  hatte,  regierte  er  an 
seiner  Stelle.  Und  nur  eine  kurze  Zeit  Avaltete  er  in  seinem 
Reiche,  da  empfing  es  der  Perser  Koresch.  Und  Avarum  anders 
empfing  zuerst  DariaAvesch  das  Reich,  ausser  damit  uns  die  Sache 
klar  werde,  Aveil  das  Gesicht,  das  Daniel  dem  Beltschazar  aus- 
gelegt hatte,  vollendet  war,  da  er  zu  ihm  sprach  ^) :  Das  ist  die 
Erklärung  des  Wortes  und  die  Lösung  der  Schrift:  Mcne  Tekel 
Upharsin.  Mene:  Gott  hat  gezählt  dein  Reich  und  es  vollendet. 
Tekel:    Man   hat    dich   in   einer  Wage  gcAvogen   und  zu  leicht 


1)  Jes.  29,  13;  Mt.  15,  8.  —  2)  Jerem.  44,  16. 

3)  Zahn  (Tat.  Diät.  S.  89)  veruiuthet,  dass  Aphr.  die  wenig  frucht- 
bare und  in  Bezug  auf  die  Zahlen  nicht  zuverlässige  überlieferte  Berech- 
nung der  Daniel'schen  Jahreswochen  von  Julius  Africanus  empfangen  hat. 
Vgl.  Aphr.  syr.  Text  S.  473  Z.  7,  S.  483  Z.  15ff.,  S.  3(j  Z.  5tf.;  Routh  rel. 
t.  II,  297  ff.;  Euseb.  ecl.  proph.  ed.  Gaisford  p.   151—153. 

4)  Dan.  10,  1—3.  —  5)  Dan.  5,  26—28. 


314  Horuilie  XIX. 

gefundeu.  Phares:  Dein  Reich  soll  getheilt  und  dem  Meder  und 
dem  Perser  gegeben  werden.  Deshalb  kam  Dariawesch  zuerst 
an  die  Regierung,  damit  das  Gesicht  erfüllt  würde,  und  nach 
ihm  empfing  es  Koresch  der  Perser,  da  die  siebzig  Jahre  er- 
füllt waren,  zur  Zeit  da  Daniel  betete,  dass  die  Grefangenen  durch 
ihn  zurückkehren  möchten;  wie  Jesaia  über  ihn  geweissagt  hatte  '): 
Er  wird  meine  Stadt  bauen  und  meine  Gefangenen  loslassen. 
Und  Koresch  sprach 2):  Gott  hat  mir  die  Herrschaft  des  Landes  ge- 
geben und  mir  geboten,  dass  ich  ihm  baue  das  Haus  in  Jerusa- 
lem, im  Lande  Juda.  Und  siehe,  das  Fasten  des  Daniel  geschah 
nach  seinem  Gebet.  Darum  fastete  er,  weil  Jerusalem  siebzig 
Wochen  blieb  und  darnach  zerstcu't  wurde  und  in  der  Verwüstung 
blieb  für  ewig,  bis  zur  Erfüllung  der  bestimmten  Zeiten. 
Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  gegen  die  Juden. 


])  Jes.  45,  13.  —  2)  Ezra  1,  2. 


Die  Unterweisung  von  der  Unterstützung 
der  Armen. 

Gross  und  herrlicli  ist  diese  Gabe,  weim  bei  einem  Menschen 
die  Auszeichnung  gefunden  wird,  dass  er  den  Dürftigen  giebt 
von  seiner  Hände  Arbeit,  ohne  Beraubung  anderer.  Wie  Gott 
im  Propheten  spricht  ^) :  Das  ist  meine  Ruhe,  zu  erquicken  die 
Geplagten,  und  das  ist  der  Pfad  dessen,  der  da  gehorcht.  Und 
wiederum  sagt  der  Prophet-):  Das  ist  das  angenehme  Fasten, 
welches  Gott  liebt,  wenn  du  dein  Brot  dem  Hungrigen  brichst 
und  den  Fremdling  in  dein  Haus  führst,  und  so  du  einen  Nacken- 
den siehst,  ihn  kleidest  und  dich  nicht  entziehst  dem  Sohne 
deines  Fleisches.  Und  wer  solches  thut,  der  ist  wie  ein  fröhlicher 
Garten  und  wie  ein  Wasserbrunnen,  dem  sein  Wasser  nicht  aus- 
geht, und  seine  Gerechtigkeit  geht  vor  ihm  her,  und  er  wird 
zur  Herrlichkeit  des  Herrn  versammelt.  Und  Mose,  der  grosse 
Prophet  Israels,  ermahnt  und  gebietet  über  die  Armen  und 
Unglücklichen  und  Gäste  und  Beisassen  und  Fremdlinge  und 
Waisen  und  Wittwen.  Er  spricht  nämlich  zu  IsraeP):  Wenn 
du  deine  Ernte  erntest,  so  sollst  du  deine  Aecker  nicht  ganz 
leeren,  und  wenn  du  eine  Garbe  vergissest,  sollst  du  nicht  um- 
kehren, sie  zu  holen,  sondern  sie  soll  den  Armen  und  Fremd- 
lingen und  Waisen  und  Wittwen  gehören,  und  gedenke  daran, 
dass  auch  du  also  in  Aeg3^pten  wärest.  Und  er  fährt  fort  und 
spricht:  Wenn  du  deinen  Weinberg  gelesen  hast,  so  sollst  du 
nicht  hinter  dir  Nachlese  halten,    und  sollst    auch    nicht,  wenn 


1)  Jes.  28,  12.  Pesch.:  aJoio  .  ).3^Sn\  a.MA.3]  .  ^L^^a^l^  ^<n\ym 
.\.'^h\)\  a£ .  |.likO  .  )..<^iA.  „das  ist  meine  Ruhe:  Erquicket  die  Ge- 
plagten;   das  ist  Friede"  und  sie  wollen  nicht  hören. 

2)  Jes.  58,  6.  7.  11.  8.  —  S)  Deut.  24,  1<J— 22;  Levit.  23,  22. 


316  Homilie  XX. 

du  deinen  Oelbaiim  abgeschlagen  hast,  hinter  dir  Nachsuche  halten, 
sondern  es  soll  den  Fremdlingen  und  Armen  unter  dir  gehören. 
Und  wenn  du  solches  thust,  wird  dich  der  Herr  dein  Gott 
segnen  in  allem,  wonach  du  deine  Hand  ausstreckst;  und  ')  du 
wirst  von  dem  Alten  essen,  und  ihr  werdet  das  Alte  vor  dem 
Neuen  wegthun^).  Siehe,  ich  führe  euch  in  ein  gutes  und 
fettes  Land,  darinnen  Milch  und  Honig  fliesst;  in  ein  Land,  dessen 
Felsen  Eisen  sind,  und  aus  dessen  Bergen  du  Erz  hauen  Avirst, 
ein  Land,  auf  dem  die  Augen  Gottes  des  Herrn  ruhen  vom  Anfang 
des  Jahres  bis  zimi  Ende  des  Jahres,  ein  Land,  in  welchem  du 
ohne  Armuth  dein  Brot  essen  wirst,  denn  so  gut  und  fett  ist 
das  Land.  Der  Arme  wird  nicht  aufliören  darinnen.  Und  wiederum 
gebietet  er  ihnen  und  spricht  zu  ihnen  ^):  Sechs  Jahre  sollst  du 
dein  Land  besäen  und  sollst  seine  Früchte  ernten,  und  im 
siebenten  Jahre  sollst  du  es  pflügen  und  liegen  lassen.  Und  es 
sollen  von  ihm  die  Armen  essen,  die  unter  dir  sind,  und  den 
Rest  sollen  die  Thiere  des  Feldes  essen.  Und  also  spricht  er  zu 
ihnen  ^):  Im  siebenten  Jahre  sollst  du  nicht  seine  Zweige  abpflücken 
und  nicht  die  von  selbst  gewachsenen  Früchte  sammeln,  sondern 
sie  sollen  den  Armen  gehören.  Und  weil  er  ihren  bösen  Willen 
kannte,  sprach  er  zu  ihnen ^):  Und  wenn  ihr  sprechen  werdet: 
Was  sollen  wir  im  siebenten  Jahre  essen,  da  wir  nicht  säen 
und  keine  Früchte  ernten,  spricht  er  zu  ihnen:  Ich  will  euch 
im  sechsten  Jahre  meinen  Segen  senden,  und  es  soll  Frucht 
bringen  für  drei  Jahre,  für  das  sechste,  siebente  und  achte,  und 
ihr  sollt  essen  von  den  Früchten  des  sechsten  Jahres  bis  zum 
neunten  Jahre.  Find  er  ermahnt  sie  ernstlich*'):  Der  Lohn  deines 
Tagelöhners  soll  nicht  bei  dir  über  Nacht  bleiben,  sondern  an 
demselben  Tage  gieb  ihm  seinen  Lohn,  damit  er  nicht  über 
dir  zu  Gott  rufe,  und  es  dir  zur  Sünde  gereiche.  Denn  wenn 
der  Lohn  deines  Tagelöhners  bei  dir  über  Nacht  bleibt,  so 
möchte  in  derselben  Nacht  deine  Seele  von  dir  genommen  werden, 
und  der  Arme  möchte  um  seinen  Lohn  gebracht  werden,  der 
bei  dir  liegt,  um  deswillen  er  sich  dir  verdungen  hat,  oder  er 
möchte  sterben,  und  es  findet  sich  dann  Niemand,  der  seinen 
Lohn   einfordert,    dem   du    ihn   gäbest.      Und    wiederum    sorgte 


1)  Levit.  26,  10.  —  2)  A  fügt  hier  ein:  „und  wiederum  spricht  er 
zu  ihnen\  Deut.  8,  7.  9;  11,  9.  12;  15,  11.  —  3)  Exod.  23,  10.  11.  —  4)  Levit. 
25,  5.  —  5)  Levit.  25,  20-22.  —  0)  Levit.  19,  13;  Deut.  24,  15. 


Die  Unterweisung  von  der  Unterstützung  der  Armen.  3^7 

auch  David  für  die  Armen  und  Unglücklichen  und  die 
Waisen    und    die  Wittwen,    und     setzte  Aufseher    ein   in   ffauz 

CD 

Israel,  welche  die  Armen  speisen  und  unterhalten  sollten.  Und 
da  er  singt  und  lobt  vor  seinem  Gott,  preist  er  selig  diejenigen, 
welche  die  Armen  speisen.  Er  spricht  nämlich  ^):  Wohl  dem, 
der  nach  den  Armen  sieht,  den  wird  der  Herr  am  bösen  Tage 
erretten,  und  der  Herr  wird  ihn  bewahren  und  ihm  das  Leben 
erhalten  und  es  ihm  gut  gehen  lassen  im  Lande.  Und  er 
wird  ihn  nicht  seineu  Feinden  überliefern.  Und  in  Krank- 
heit wird  er  ihm  nahe  sein  '^)  auf  seinem  Schmerzenslager.  und 
wiederum  spricht  er  in  einem  anderen  Psalm  3):  Er  streuet  aus 
und  giebt  den  Unglücklichen  und  seine  Gerechtigkeit  bleibet  in 
Ewigkeit.  Und  wiederum  steht  geschrieben  "*) :  Wer  dem  Armen 
giebt,  leiht  Gott.  Wiederum  sagt  er:  Uebe  Barmherzigkeit,  und 
du  sammelst  dir  Schatze,  die  besser  sind,  als  alle  Schätze.  Und 
wiederum  steht  geschrieben:  Gieb  Gott  von  dem,  was  er  dir  ge- 
geben hat.  Und  siehe,  von  dem  Dürftigen  empfängt  auch  der 
Almosenspender  etwas,  so  dass  seine  Dürftigkeit  durch  die  Dürf- 
tigen angefüllt  (aufgehoben,  beseitigt)  wird,  wenn  sie  auferstehen, 
so  dass  er  nicht  ganz  bedürftig  erscheint,  sondern  wenn  er  solches 
gethan  hat,  den  Lohn  (Dank)  seitens  der  Armen  besitzt,  dessen  er 
durch  jenes  Verhalten  (Geiz)  beraubt  worden  wäre.  Der  Reiche  giebt 
dem  Armen,  und  wenn  er  empfängt,  preist  der  Arme  den  Herrn 
beider.  Und  da  unser  Herr  Jesus  die  Unterweisung  giebt  über 
das  Gericht  am  jüngsten  Tag,  da  er  sie  theilet  und  stellt  zu  seiner 
Rechten  und  zu  seiner  Linken,  da  empfängt  er  den  Dank  der  Guten 
und  nennt  sie  Gesegnete  seines  Vaters,  die  ererben  sein  Reich, 
weil  sie  den  Armen  geholfen  haben.  Er  sagt  nämlich  zu  denen 
zu  seiner  Rechten'^);  Kommt  her,  ihr  Gesegneten  meines  Vaters, 
ererbet  das  Reich,  das  euch  bereitet  ist  von  Anbeginn.  Denn 
ich  bin  hungrig  gewesen  und  ihr  habt  mir  zu  essen  gegeben; 
und  ich  bin  durstig  gewesen,  und  ihr  habt  mich  getränkt;  und 
ich  bin  nackend  gewesen,  und  ihr  habt  mich  bekleidet,  und  ich 
bin  ein  Gast  gewesen,  und  ihr  habt  mich  beherberget;  und  ich 
bin  krank  gewesen,  und  ihr  habt  mich  besucht;  und  ich  bin  ge- 
fangen gewesen,  und  ihr  seid  zu  mir  gekommen.  Alsdann  ver- 
stehen   diese  Gerechten    nicht    die    Redeutung    des  Wortes    des 

1)   Ps.  41,    1—3.   —  2)    Wörtlich:    Er  wird    ihn   stützen.    —    [])    Ps. 
112,  9.  —  4)  Prov.  19,  17;  2S,  27.  —  5)  Mt.  2.5,  34-3«. 


318  Homilie  XX. 

Herru,  antworten  und  sprechen  zu  ihm ' ) :  Herr,  wann  haben 
wir  dich  in  dieser  Dürftigkeit  gesehen  und  haben  dir  also  ge- 
than?  Alsdann  spricht  er  zu  ihnen-):  Was  ihr  gethan  habt  einem 
von  diesen  meinen  geringsten  Brüdern,  das  habt  ihr  mir  selbst 
gethan.  Und  er  wendet  sich  zu  denen  zu  seiner  Linken  und 
spricht  zu  ihnen''):  Gehet  von  mir,  ihr  Verfluchten,  in  das  Feuer, 
das  bereitet  ist  dem  Bösen  und  seinen  Engeln,  weil  ihr  dieses 
mir  nicht  gethan  habt.  Alsdann  antworten  auch  die  zu  seiner 
Linken  und  sprechen  zu  ihm:  Herr,  wann  haben  wir  dich  ge- 
sehen in  einem  von  diesem  und  haben  dir  nicht  gedient?  Spricht 
er  zu  ihnen:  Was  ihr  diesen  Bedürftigen  nicht  gethan  habt,  das 
habt  ihr  mir  auch  nicht  gethan;  und  die  Grerechten,  die  Christo 
gedient  haben  in  den  Bedürftigen,  gehen  zum  ewigen  Leben;  und 
die  Gottlosen  gehen  zum  Feuer  und  zur  Finsterniss,  weil  sie 
Christo  nicht  geholfen  haben  in  den  Armen.  Und  wiederum 
spricht  er  in  einer  anderen  Unterweisung  über  den  Reichen,  der 
auf  seinen  Besitz  vertraute,  da  er  von  seinem  Felde  viele  Früchte 
geerntet  hatte  und  zu  seiner  Seele  sprach^):  Siehe,  du  hast  nun 
viele  Güter  gesammelt  für  viele  Jahre;  liebe  Seele,  habe  Ruhe, 
iss  und  habe  guten  Muth.  Spricht  Gott  zu  ihm:  Du  Narr, 
siehe,  heute  Nacht  wird  man  deine  Seele  von  dir  fordern,  und 
wessen  wird  das  sein,  das  du  bereitet  hast?  Und  darnach  spricht  er: 
Also  geht  es  dem,  der  sich  Schätze  sammelt  und  ist  nicht  reich 
in  Gott.  Und  wiederum  giebt  er  andere  Belehrung  durch  einen 
Reichen,  der  sichs  wohl  sein  Hess  bei  seinen  Reiehthümern  und 
dessen  Ende  war  in  der  Unterwelt,  und  über  den  Armen,  der  vor 
seiner  Thür  lag  und  begehrte  und  verlangte  seinen  Hunger  zu 
stillen  mit  dem,  was  von  des  Reichen  Tische  fiel.  Und  er 
sagte:  Niemand  gab  es  ihm.  Und  er  spricht  daselbst^):  Die 
Hunde  kamen  und  leckten  ihm  seine  Schwären.  Der  Reiche 
nämlich,  der  sichs  in  seinen  Reiehthümern  wohl  sein  lässt,  das 
ist  das  Volk,  das  da  isset  und  fett  wird  und  den  Herrn  mit 
Füssen  tritt  und  vergisst  und  Gott  lästert,  wie  geschrieben 
steht '^):  Die  Kinder  Israel  redeten  wider  Gott  und  wider  Mose 
nicht  schöne  Worte.  Und  Mose  nennt  sie  reich.  Er  spricht 
zu  ihnen"):  Wo  ist  ein  Volk,  dem  sein  Gott  also  nahe  ist,  wie 


1)  Mt.  25,  37.  —  2)  Mt.  25,  40.  41.  —  3)  Mt.  25,  44.  45.  —  4)  Luc.  12, 
19—21.  —  5)  Luc.  16,  19  tf.  —  G)  Num.  21,  5.  —  7)  Deut.  4,  7.  8. 


Die  Unterweisung  von  der  Unterstützung  der  Armen.  319 

der  Herr  unser  Gott,  und  das  so  gerechte  Gesetze  und  gerade 
Gerichte  hat?  Und  wiederum  spricht  er  zu  ihnen  '):  Siehe,  ihr 
geht  in  das  Land  der  Kanaaniter  und  nehmt  es  als  Erbe  ein; 
ihr  kommt  nämlich  in  Häuser,  die  ihr  nicht  gebaut  habt, 
and  in  Weinberge  und  in  Oelbaumgärten ,  die  ihr  nicht  gepflanzt 
habt,  und  zu  gegrabenen  Brunnen,  die  ihr  nicht  gegraben  habt. 
Und  ihr  esset  und  werdet  satt  und  ergötzet  euch,  und  ihr  ver- 
gesset den  Herrn.  Durch  die  vielen  Güter,  die  er  ihnen  gegeben 
hat,  sind  sie  reich  gewesen.  Und  der  Arme,  der  vor  seiner  Thür  lag, 
ist  die  Gestalt  unseres  Erlösers.  Und  er  verlangte  und  begehrte 
von  ihnen  Früchte  zu  nehmen,  dass  er  sie  bringe  dem,  der  ihn  ge- 
sandt hat,  und  niemand  gab  sie  ihm.  Und  wenn  er  sagt:  Die  Hunde 
kamen  und  leckten  ihm  seine  Schwären,  so  sind  nämlich  die 
Hunde,  die  da  kommen,  die  Heiden,  welche  die  Striemen  unseres 
Erlösers  lecken,  d.  h.  seinen  Leib,  den  sie  nehmen  und  sich  vor 
Augen  setzen  -).  Jene  nämlich  sind  die  Hunde,  die  da  gefrässig 
sind  und  nicht  satt  werden  können  und  auch  nicht  bellen  können. 
Aber  siehe,  diese  Hunde,  welche  die  Schwäre  des  Armen  lecken, 
sind  nicht  gefrässig,  denn  wenn  sie  gefrässig  wären,  würden  sie 
nach  dem  Tisch  des  Reichen  begierig  sein  und  nicht  die  Schwäre 
zu  lecken.  Und  über  sie 3)  sagt  der  Prophet^):  Sie  sind  Hunde, 
die  gefrässig  sind  und  nicht  satt  werden  können.  Und  David 
sagt^):  sie  heulen  wie  Hunde  und  laufen  in  der  Stadt  umher. 

Und  er  sagt  am  Ende  des  Kapitels:  Und  es  geschah,  dass 
der  Reiche  starb  und  ward  begraben  und  ward  in  die  Qual  gewor- 
fen. Und  der  Arme  starb  auch,  und  die  Engel  trugen  ihn  in  Abra- 
hams Schooss.  Und  der  Reiche  hob  seine  Augen  auf  aus  der  Unter- 
welt und  aus  der  Qual  und  sah  Abraham  und  Lazarus  in  seinem 
Schooss.  Und  er  rief  mit  lauter  Stimme  und  sprach:  Vater 
Al)raham,  erbarme  dich  mein,  und  sende  Lazarus,  dass  er  komme 
und  mir  helfe  und  meine  Zunge  benetze  vor  dem  Brande,  denn 
ich  leide  grosse  Pein.  Sprach  zu  ihm  Abraham :  Gedenke,  mein 
Sohn,  dass  du  dein  Gutes  in  deinem  Leben  empfangen  hast,  und 
Lazarus  hat  sein  Böses  empfangen,  mm ")    aber    bittest    du   ihn 

1)  Deut.  6,  10.  11.  —  2)  das  bedeutet,  das  Crucitix,  das  sie  küssen  und 
auf  ihre  Augen  legen.  —  3)  Nämlich  die  Kinder  Israel  im  Gegensatz  zu 
den  ebengenannten  Heidenchristen. 

4)  Jes.  56,  11.  —  5)  Ps.  59,  6.  14. 

())  Hier  gibt  Aphr.   die   Worte   rvr  öt   udt  txkquxu'/.hiui  Luc.  10.  15 


320  Homilie  XX. 

und  er  hilft  dir  nicht,  denn  es  ist  eine  grosse  Kluft  zwischen 
uns  und  euch,  und  man  kann  nicht  von  euch  zu  uns  kommen 
und  auch  nicht  von  uns  zu  euch.  Sprach  er  zu  ihm:  Wenn 
nicht,  mein  Vater,  so  bitte  ich  dich,  dass  du  sendest  in  meines 
Vaters  Haus,  denn  ich  habe  fünf  Brüder,  dass  er  hingehe 
und  sie  ermahne,  dass  sie  nicht  sündigen  und  auch  kommen 
in  diese  Qual.  Und  es  sprach  zu  ihm  Abraham:  Sie  haben 
Mose  und  die  Propheten,  sie  mögen  dieselben  hören.  Sprach 
er  zu  ihm:  Nein,  Vater  Abraham,  sondern  es  soll  jemand  von 
den  Todten  zu  ihnen  gehen,  so  werden  sie  sich  bekehren.  Sprach 
zu  ihm  Abraham:  Hören  sie  Mose  und  die  Propheten  nicht,  so 
würden  sie  auch  nicht  glauben,  wenn  jemand  von  den  Todten 
zu  ihnen  ginge.  Wie  ich  oben  gesagt  habe:  Der  Reiche  ist 
das  Volk  und  der  Arme  ist  unser  Erlöser.  Wie  geschrieben 
steht'):  Der  Herr  wollte  ihn  demüthigen  und  ihn  leiden  lassen. 
Und  der  Apostel  sagt'-):  Um  euertwillen  ist  der  Reiche  arm 
geAvorden,  damit  ihr  durch  seine  Armuth  reich  würdet.  Und 
wiederum  spricht  er^^:  Er  erniedrigte  sich  selbst  und  ward  ge- 
horsam bis  zum  Tod,  ja  bis  zum  Tod  am  Kreuz.  Und  wenn 
er  sagt,  der  Reiche  störbe,  so  hat  der  Prophet  wahrhaftig  über 
sie  gesagt^):  Gott  der  Herr  wird  dich  sterben  lassen  und  wird  seine 
Knechte  mit  einem  anderen  Namen  nennen.  Seine  Knechte  sind 
nämlich  das  (Christen-) Volk  aus  den  Völkern  (Heiden).  Und  dass  er 
sie  mit  einem  andern  Namen  nennt,  das  ist,  dass  er  sie  Christen 
nennt,  d.  h.  Messiasgläubige,  und  nicht  Fürsten  Sodoms  und  Volk 
Gomorrhas  wie  jene.  Wie  uns  die  Predigt  der  12  Apostel  be- 
zeugt''), dass  daselbst  zu  Antiochien  die  Jünger  zuerst  Christen 
genannt  wurden.  Auch  der  Arme  starb,  und  die  Engel  trugen 
ihn    in   Abrahams   Schooss.     Wie   Maria    sprach  f')'    Sie   haben 


in  der  Form  wieder :  oiAic  Zi^iii  _-?  }j.i£a.*,  „heute  aberbittest  (lu  von 
ilim".  Also  auch  hier  ist  na^axakeTv  wie  in  Mt.  5,  4  (Aphr.  41,  11),  obwohl 
ein  anderes  Verb  wie  Mt.  5,  4  gewählt  ist,  in  dem  an  sich  möglichen 
aber  hier  unpassenden,  von  Peschito  nicht  acceptirten  Sinn  von  „bitten" 
gefasst.  Vgl.  Aphr.  390,  4  xr/v  naQÜxXrioix'  Kvxüiv  Luc.  (>,  24  übersetzt 
mit  ^osZoliÄ,  ,,eure  Bitte",  euren  Wunsch,  wo  Pesch.  ,, euren  Trost"  giebt. 
Vgl.  Zahn,  Forschungen  1,  S.  79.    Vgl.  S.  37. 

1)  Jes.  53,  10.  —  2)  2.  Cor.  S,  9.  —  3)  Phil.  2,  8.  —  4)  Jes.  65,  15.  — 
5)  Act.   11,  26. 

6)  Job.  20,  2;   Mt.  28,  ß  (Marc.   16,  G).     Es  ist  hier  von  Maria  Aehn- 


Die  Unterweisung'  von  der  Unterstützung;  der  Armen.  321 

unseren  Herrn  weggenommen,  und  ich  weiss  nicbt,  wo  sie  ihn 
hingetragen  haben.  Und  die  Engel  sprachen  zu  Maria:  Er  ist 
auferstanden  und  hingegangen  zu  dem.  der  ihn  gesandt  hat.  Und 
die  Engel  dienten  ihm,  wie  oben  gesagt  war  in  seinem  Evan- 
gelium'): Die  Engel  kamen  herab  und  dienten  Jesus.  Und 
auch  da  er  geboren  wurde,  priesen  die  Engel  und  sprachen-): 
Ehre  sei  Gott  im  Himmel  und  gute  Botschaft  den  Menschen- 
kindern. Und  der  Engel  Gabriel  verkündigte  von  seiner  Ge- 
burt. Und  Er  sprach  zu  seinem  Jünger  Simon  ^):  Meinest  du 
etwa,  dass,  wenn  ich  meinen  A'^ater  um  ein  Heer  von  Engeln 
des  Himmels  bitten  würde,  er  es  mir  nicht  geben  würde?  Und 
wiederum  sagt  er  zu  seinen  Jüngern'):  Ihr  Averdet  den  Him- 
mel offen  sehen  und  die  Engel  Gottes  ab-  und  aufsteigen  zu 
des  Menschen  Sohn.  Das  habe  ich  dir  geschrieben,  weil  ge- 
schrieben steht:  Da  der  Arme  gestorben  war,  trugen  ihn  die 
Engel  in  Abrahams  Schooss.  Und  wenn  er  sagt:  In  Abrahams 
Schooss  trugen  sie  ihn,  so  ist  das  das  Himmelreich.  Und 
wenn  Abraham  zu  dem  Reichen  sagt:  Es  ist  eine  grosse  Kluft 
zwischen  uns  und  euch,  und  von  euch  kommt  man  nicht  zu 
uns,  und  von  uns  nicht  zu  euch,  so  lehrt  er  damit,  dass  es 
nach  dem  Tod  und  der  Auferstehung  keine  Bekehrung  gibt. 
Die  Gottlosen  bekehren  sich  nicht  (mehr)  und  kommen  nicht 
zum  Reich,  und  die  Gerechten  sündigen  nicht  mehr  und 
kommen    nicht    in    die  Pein.     Das   ist   die   grosse  Kluft.     Und 

liches  gesagt  wie  bei  den  Synoptikern  von  den  Frauen  überhaupt.  Viel- 
leicht war  dies  aber  an  Joh.  20,  13  nicht  an  Joh.  20,  2  angehängt.  Nach  der 
Lesart  der  Handschrift  B  (wo  ooui  fehlt)  „und  die  Engel  dienen  ihm" 
.statt  „dienten  ihm"  würden  auch  diese  Worte  noch  zur  Engelrede  ge- 
hören, was  entschieden  nicht  die  Meinung  des  Aphr.  ist.  Auch  Ephr. 
Com.  S.  269  (quia  Maria  dubitavit,  quando  audierat  eum  surrexisse)  setzt 
eine  solche  Meldung  an  Maria  voraus,  wie  sie  Aphr.  ohne  Stütze  in  den 
kanonischen  Evangelien  den  Engeln  in  den  Mund  legt.  Beide,  Aphr.  u. 
Ephr.,  fanden  also  dies  bei  Tat.  Diät.  vor.  Vgl.  Zahn,  Forschungen  I,  S.  218. 

1)  Mt.  4,  11;  Marc.  1,  13. 

2)  Luc.  2,  14.  In  hom.  IX  S  4  tinden  wir  dieselbe  Stelle  citirt  in  der 
Form:  Friede  im  Himmel  und  Ehre  auf  Erden  und  eine  gute  Botschaft 
den  Menschen.  Aphr.  citirt  also  bei  dieser  Stelle  sehr  ungenau  nach  dem 
Gedächtniss.  Wir  haben  deshalb  auf  seine  .Vbwcichungen  von  Pesch.  keinen 
Werth  zu  legen.    Vgl.  S.  149  Anni.  2. 

3)  Mt.  20,  53.  —  4)  Joh.  1,  51. 

Texte  und  üntersucliuugen  III,  3.  4.  21 


;V22  Homilie  XX. 

wenn  er  ihn  bat,  dass  er  ihm  hälfe,  und  er  nicht  zu  seiner 
Hilfe  gesandt  ward,  so  lehrte  er  damit,  dass  an  diesem  Tag 
niemand  seinem  Nächsten  hilft.  Und  wenn  er  sagte:  Er  mag 
in  meines  Vaters  Haus  gehen  und  ihnen  verkündigen,  dass  sie 
nicht  sündigen,  und  er  zu  ihm  sprach:  Sie  haben  Mose  und 
die  Propheten,  lass  sie  dieselben  hören,  und  dieser  sprach:  Je- 
mand von  den  Todten  soll  zu  ilmeii  gehen,  so  werden  sie  sich 
bekehren:  so  ist  das  bekannt,  dass  dieses  A'olk  Mose  und  die 
Propheten  nicht  hörte,  und  Jesu,  der  von  den  Todten  auferstand, 
nicht  glaubte.  Und  wiederum  steht  geschrieben,  dass,  wer  da 
sündigt,  dessen  Schuld  durch  Almosen  gedeckt  werde.  Wie 
Daniel  zu  Nebukadnezar  sagte  '):  Deine  Sünden  löse  durch  Al- 
mosen und  deine  Missethat  durch  Barmherzigkeit  mit  den 
Schwachen. 

Und  der  Prophet  sagte  zu  den  Kindern  Israel  -j :  Darum  dass 
ihr  den  Armen  geschlagen  und  die  ausgewählten  Gaben  von  ihm  ge- 
nommen habt,  werdetihr  die  Häuser  von  behauenen  Steinen,  die  ihr 
gebaut  habt,  nicht  bewohnen,  und  den  Wein  der  lieblichen  Wein- 
berge, die  ihr  gepflanzt  habt,  werdet  ihr  nicht  trinken.  Und  siehe, 
wie  besorgt  Gott  ist  für  die  Armen.  Jesaia  sagte  nämlich  ■^) :  Die 
Armen  und  Unglücklichen  bitten  um  Wasser  und  haben  es  nicht, 
imd  ihi'e  Zunge  ist  trocken  vor  Durst.  Ich,  der  Herr,  will  sie  er- 
hören, der  Gott  Israels  wird  sie  nicht  verlassen,  und  darum,  dass 
ihre  Zunge  trocken  ist  voji  Mangel  an  Wasser,  will  ich  Bäche  auf 
den  Bergen  öffnen  und  auf  den  Feldern  Brunnen  und  will  in 
der  Wüste  Cedern  und  VVachholderstrauch  und  Myrthen  und 
Oelbaum  wachsen  lassen,  und  will  in  das  Feld  edle  Cy pressen 
zu  einander  setzen.  Die  Armen  und  Unglücklichen  nämlich,  die 
um  Wasser  bitten  und  keins  haben,  das  ist  das  Volk  aus  den 
A  ölkern;  und  das  Wasser  ist  die  Lehre  der  heiligen  Schriften, 
denn  ihre  Zunge  war  trocken  für  das  Lob.  Und  wenn  er  sagte: 
ich  will  AVasserbäche  öffnen  auf  den  Bergen  und  Brunnen  in 
den  Feldern;  so  sind  die  Berge  und  die  Felder  die  Menschen, 
die  Hohen  und  Niedern,  und  von  ihnen  flössen  Wasserbäche  und 
Flüsse;  und  er  sprach:  Ich  will  in  der  Wüste  Cedern  und  Wach- 
holder und  Myrthen  und  Oelbäume  pflanzen,  und  edle  Cypressen 
im  Felde.    Die  Wüste  nämlich    sind   die  Völker,  die  früher  wie 

1)  Dan.  4,  24.  —  2)  Arnos  .5,   11.  —  3)  Jes.  4J,   17—10. 


Die  UntprweiBung  von  der  Unterstützung  der  Armen.  323 

eine  öde  \\'üste  bescliaöeii  waren.  Und  die  Cedern  nnd  Wach- 
holder und  Myrtheu  imd  Oelbäume  sind  die  Priester  des  Volkes 
und  der  heilige  Bund,  deren  Zweige  edel  sind,  wie  diese  Bäume 
Sommers  und  Winters  schön  und  schattig  sind  durch  ihr  Laub.  Und 
(das  Wort)  ich  avüI  in  das  Feld  edle  Cypressen  zusammen  setzen, 
bedeutet,  dass  A'on  demüthigen  Menschen  die  Rede  und  Lehre 
des  Geistes  ausging,  deren  Geruch  angenehm  ist  wie  derjenige 
der  edlen  Cypresse.  Wie  der  Apostel  sagte  '):  An  allen  Orten  sind 
wir  ein  angenehmer  Geruch  Gottes.  L"nd  auch  zu  Hiob  sprachen 
seine  Freunde,  da  sie  ihn  verspotteten  in  seiner  Anfechtung  -} : 
Warum  geht  es  dir  also  ?  Du  hast  doch  nicht  etwa  die  Wittwe 
leer  fortgeschickt  und  den  Arm  der  Waisen  geschlagen  ?  LTnd 
hast  nicht  den  ^lüden  Wasser  zu  trinken  gegeben,  und  hast 
dem  Hungrigen  das  Brot  versagt,  und  hast  das  Pfand  der  Waisen 
weggeführt,  und  hast  den  Stier  der  Wittwe  gepfändet:'  Es  war 
ein  Mann,  der  sein  Feld  besäet  hat,  und  ein  harter  Herr  hat  es  ihm 
genommen.  Weil  du  solches  gethan  hast,  haben  dich  die  Schlin- 
gen umgeben,  und  die  Furcht  hat  dich  aus  der  Ruhe  geschreckt. 
Und  da  er  solches  von  ihnen  hörte,  vertheidigte  er  sich  vor  sich 
selbst.  Er  sprach  nämlich  zu  ihnen '^j:  Ich  war  die  Augen  für 
die  Blinden,  und  Füsse  für  die  Lahmen,  und  die  Nackten  wurden 
mit  der  A^'olle  meiner  Schafe  gewärmt.  Und  ich  erhob  meine  Hand 
nicht  gegen  die  Waisen,  sondern  wenn  ich  ihn  an  der  Thür  sah, 
Jialf  ich  ihm.  Die  Wittwe  liess  ich  nicht  leer  gehen,  und  mein  Brot 
ass  ich  nicht  allein,  sondern  die  W  aise  ass  davon.  Ich  zerbrach 
ilie  Backenzähne  des  LTebelthäters,  und  den  Raub  holte  ich  aus 
seinen  Zähnen;  und  ich  sprach:  Das  arme  Volk  will  ich  erlösen. 
Und  wiederum  sprach  er^j:  Meine  Thür  habe  ich  dem  Wande- 
rer geöffnet,  und  ich  habe  nicht  die  Augen  der  Wittwe  ver- 
finstert. Denn  wenn  ich  dieses  nicht  gethan  habe,  soll  meine 
Schulter  von  ihrer  Höhe  fallen  und  mein  Arm  aus  seiner  Pfanne 
gebrochen  werden.  Erbarmet  euch  mein,  erbarmet  euch  mein, 
meine  Freunde,  denn  die  Hand  des  Herrn  hat  mich  getroffen, 
und  nicht  wegen  meiner  Sünden  hat  mich  dies  getroffen. 

Und  unser  Herr  ermahnte  sehr  wegen  der  Armen,  und  er  spracli 
zu  dem  Herrn  des  Gastmahls''):  Wenn  du  ein  Mittags-  oder  Abend- 


1)  2.  Cor.  2,   1.").  —  2)  lob   22,  !l.  7.  «.  S.    10;  24,  3.    —    3)   lob  29,   IJ; 
31,  20,  17;  29,  17.  1^.  —   1)  lob  "il.  ;i2,  1(1,  22;   19,  21.  —  5)  Luc.  14,  12—14. 


324  Homilie  XX. 

mahl  machst,  so  lade  nicht  deine  Freunde  und  Verwandten  und 
auch  nicht  deine  reichen  Nachbarn,  damit  nicht  diese  auch  dich 
laden,  und  dieses  dein  Lohn  sei;  sondern  wenn  du  ein  Mahl 
machst,  so  lade  die  Armen,  die  Idioten,  die  Blinden  und  die 
Lahmen  und  diejenigen,  die  nichts  haben.  Und  wohl  dir,  wenn 
sie  nichts  haben  dir  zu  vergelten,  und  dein  Lohn  wird  sehi 
bei  der  Auferstehung  mit  den  Gerechten.  Und  wiederum  sprach 
er  1) :  Machet  euch  Freunde  mit  diesem  ungerechten  Mamon, 
damit,  wenn  es  fehlet,  sie  euch  aufnehmen  in  ihre  ewigen  Hüt- 
ten. Und  wer  sind  die  Freunde,  denen  die  eAvigen  Hütten  ge- 
hören, und  die  sich  die  Menschen  mit  dem  ungerechten  Mamon 
erwerben?  Die  Freunde  nämlich  sind  Gott  und  sein  Gesalbter, 
denen  die  ewigen  Hütten  gehori'n.  Wenn  jemand  von  dem,  was 
er  hat,  den  Armen  gibt,  so  befriedigt  er  den  Willen  Gottes 
und  Christi.  Wie  er  sagt^):  Das  ist  meine  Ruhe,  zu  erquicken 
die  Müden.  Und  unser  Herr  sagt-'):  Was  ihr  diesen  gethan 
habt,  das  habt  ihr  mir  gethan.  Und  er  spricht:  Machet  euch 
Freunde,  wie  Jesaia  sagt^):  Fürchte  dich  nicht,  mein  Knecht 
Jakob,  der  Same  Abrahams  ist  mein  Freund.  Und  unser  Herr 
sagte  zu  seinen  Jüngern  ■'):  Ich  habe  euch  Freunde  genannt,  denn 
Alles,  was  ich  von  meinem  Vater  gehört  habe,  habe  ich  euch 
mitgetheilt.  Das  sind  die  Freunde,  die  sich  die  Menschen  er- 
werben dadurch,  dass  sie  den  Armen  geben ;  und  „in  ihren  ewigen 
Hütten",  wo  die  Gerechten  ruhen,  ist  das  Haus,  das  nicht  mit 
Händen  gemacht  und  das  auch  nicht  von  der  Art  dieser  (irdischenj 
Geschöpfe  ist,  wie  der  Apostel  sagte*'). 

Und  wiederum  mahnte  unser  Herr  zur  Unterstützung  der 
Armen  und  Unglücklichen.  Er  sagte  nämlich ''j:  Sammelt  euch 
nicht  Schätze  auf  Erden,  wo  die  Diebe  nachgraben  und  stehlen, 
und  die  Motte  dareinkommt  und  zerstört;  sondern  sammelt  euch 
Schätze  im  Himmel,  einen  Schatz  ohne  Schaden ,  wo  die  Motte 
nicht  zerstört,  und  die  Diebe  nicht  stehlen.  Und  wo  euer  Schatz 
ist,  da  ist  euer  Herz.  Auch  der  Apostel  sagte  wiederum  über  die 
Apostel,  die  vor  ihm  waren  ^):  Nur  das  geboten  sie,  dass  wir  der 
Armen  gedächten,  und  ich  bin  fleissig  dieses  zu  thun.  Vnd  unser 
Herr  sagte  ^):  Selig-  sind,   die   da  arm  in  ihrem  Geiste  sind,  denn 

1)  Luc.  16,  9.  —  2)  Jes.  28,  12.  —  3)  Mt.  25;  40.  —  4)  Jes.  44,  2;  41. 
8.  10.  —  5)  Job.  15,  15.  —  (i)  2.  Cor.  5,  1.  —  7)  Mt.  (5,  19—21.  ~  8)  Galal. 
2,  10.  —  9)  Mt.  5,  3. 


Die  Unterweisung  von  der  Unterstützung  der  Armen.  325 

das  Himmelreich  ist  ihr.  Und  über  die  Reichen  sagte  er:  Wehe 
euch  Reichen,  die  ihr  eure  Bitte  ')  schon  empfangen  habt.  Und 
wer  sind  diese  Reichen,  die  ihre  Bitte  empfangen  haben,  anders  als 
das  erste  Volk,  das  nach  allem  Irdischen  trachtete  und  nicht 
nach  dem  Himmel,  wie  jener  Reiche,  der  viele  Schätze  sammelte 
und  nicht  reich  war  in  Gott;  und  wie  jener,  der  sich's  gut  gehen 
liess  in  allen  Reichthiimern,  und  hier  seine  Bitte  empfing,  und 
dem  nicht  melu*  gegeben  wurde,  als  er  bat.  Und  von  den  Armen 
sagte  er:  ihnen  gehört  das  Himmelreich.  Sagen  wir  etwa,  dass 
er  von  jedem,  der  arm  ist  an  Besitz  dieser  Welt,  redet?  Denn 
siehe,  es  gibt  Arme,  die  nichts  haben,  welche  Diebe  sind  und 
Mörder  und  Lügner  und  solche,  die  Uebelthaten  verrichten,  die 
gegen  das  Gesetz  sind:  gehört  etwa  diesen  das  Himmelreich? 
Das  sei  ferne!  sondern  die  Seligkeit  wird  den  Armen  im  Geiste, 
welche  Gott  fürchten,  gegeben,  solchen,  denen  ihr  Besitz  nicht 
angerechnet  wird  bei  ihrer  Gottesfurcht,  wenn  sie  ihn  nicht  in 
Unniässigkeit  gebrauchen:  Dem  reichen  Abraham,  der  geistlich 
arm  war  vor  seinem  Gott,  und  Isaak  und  Jakob,  seinen  Söhnen 
der  Verheissung.  die  in  seinen  Fusstapfen  wandelten  und  ihrem 
Gott  gefielen,  obgleich  sie  reich  waren.  lob,  der  reichste  Mann 
unter  den  Kindern  des  Ostens,  da  er  heimgesucht  wurde  an 
seinen  Kindern  und  seinem  Besitz,  liebte  seinen  Gott,  der  sie  ihm 
gegeben  hatte,  und  fluchte  Gott  nicht.  Das  sind  nämlich  die- 
jenigen, über  welche  der  Apostel  sagte-):  Die  in  Gastfreund- 
schaft lebten,  sind  diejenigen,  welche  Engel  aufnahmen.  Wer 
sind  nun  die  Gastfreunde  anders  als  Abraham  und  Loth  und 
lob  und  die  anderen  Gerechten,  die  Jenen  gleichen.  Und  siehe, 
mein  Lieber,  wie  diese  Väter  Gastfreundschaft  übten.  Als  Abraham 
jene  Engel  sah,  hielt  er  sie  für  Fremde  und  lief  ihnen  entgegen 
und  bat  sie  ■*),  dass  sie  in  seine  Hütte  gingen  und  bei  ihm  sich 
ausruheten,  damit  er  als  Fremdling  um  der  Gastfreundschaft  willen 
gesegnet  würde.      Und    darum   wurde  er   sehr   bewundert,   dass 

1)  Luc.  (3,  24.  Der  von  Aphr.  benützte  syrische  Schrifttext  übersetzt 
abweichend  von  Peschito  nuQaxaXflv  mit  ,, Bitten":  so  Mt.  5,4;  Aphr. 
4),  11  und  Luc.  16,  25;  Aphr.  383,  16.  Dem  entsprechend  wird  hier  Luc. 
6,  24  xitv  TiaQÜxXrjOiv  avxöiv  (statt  v^div)  mit  .oaZiii-c  ,,eure  Bitte", 
, .euren  Wunsch'',  übersetzt.    Vgl.  S.  318  Anm.  5. 

2)  Hebr.  13,  1.  —  3)  wörtlich:  ,,und  betete  sie  an"  d.  h.  machte  vor 
ihnen  seine  Verbeugung,  warf  sich  nieder. 


a2fi  Homilie  XX. 

er  als  grosser  Mann  sich  demüthigte  und  niederwarf  und  flehte 
und  bat,  dass  die  Fremdlinge  zur  Ruhe  bei  ihm  einkehren  soll- 
ten. Denn  iVbraham  hatte  allezeit  die  Gewohnheit,  dass  er  Fremd- 
linge bei  sich  aufnahm.  I^nd ')  da  er  diese  Engel  sah,  hielt  er 
sie  für  arme  Fremdlinge  und  lief  ihnen  entgegen  und  nahm  sie 
auf  als  Fremdlinge,  da  ihre  Majestät  vor  seinen  Augen  verbor- 
gen war.  Und  er  stand  über  ihnen  und  dienete  (doch)  ihnen. 
Und  er  gebot  Sarah,  dass  sie  mit  ihren  Händen  drei  Scheffel 
Semmel-Mehls  einmachen  solle,  offenbar  einen  Scheffel  für  den 
Mann,  aber  mit  vollem  Mass,  damit,  wenn  er  den  Lohn  empfange, 
man  ihm  auch  also  messe.  Und  weil  er  Gastfreundschaft  übte, 
empfing  er  den  Lohn  und  die  Verheissung,  dass  durch  seinen 
Samen  alle  Völker  gesegnet  werden  sollten.  Und  auch  Loth  '^) 
nahm  ebenso  die  Fremdlinge  auf,  und  Er  errettete  ihn  aus  Sodom, 
welches  die  Fremdlinge  hasste,  wie  Hesekiel  sagt'"*):  Das  war 
die  Sünde  Sodoms  und  seiner  Genossen,  dass  es  sich  der  Armen 
and  Unglücklichen  nicht  annahm.  Und  da  ich  solches  bei  ihnen 
sah,  zerstörte  icb  sie.  Und  auch  in  Zachäus',  des  sündigen  Zöll- 
ners, Haus  kam  unser  Herr,  und  er  sprach  zu  Ihm  "*):  Siehe 
mein  Herr,  die  Hälfte  meiner  Güter  gebe  ich  den  Armen,  und 
alles,  was  ich  betrogen  habe,  vergelte  ich  vierfach.  Und  es  sprach 
zu  ihm  unser  Herr:  Heute  ist  in  dieses  Haiis  das  Leben  ein- 
gekehrt. Und  auch  zu  dem  Reichen,  der  zu  unserem  Herrn  kam 
und  zu  ihm  sprach "') :    Was    soll  ich  thun,   dass    ich  das  ewige 

1)  Gen.  18,  2  ff.  -  2)  Gen.  19,  1  ff.  -  :'.)  Ezech.  16,  49.  50.  —  4)  Luc. 
19.  8.  9. 

5)  Marc.  10,  17.  19  —  25.  „Jedem,  der  die  fliessende  Darstellung  in 
Aphr.  liest  und  mit  irgend  einer  modernen  Synopsis  vergleicht,  inuss  es 
von  vornherein  wahrscheinlich  sein,  Aphr.  schöpfe  aus  einer  Evangelien- 
harmonie. Es  ist  doch  nicht  selbstverständlich,  dass  man  die  nur  Marc. 
10,  21  u.  Luc.  18,  22  erhaltenen  Worte  h'v  aoi  (oder  ot)  vozeQtZ  oder  ext 
h'v  (701  /.tiTtfi  als  Antwort  auf  die  nur  Mt.  19,  20  erhaltene  Frage  rl  tri 
vaxfQÖJ  folgen  lässt.  Allerdings  haben  einige  jüngere  griechische  Hand- 
schriften jene  Frage  auch  Marc.  10,  20  in  den  Text  aufgenommen  Sie 
findet  sich  auch  als  Randlesart  in  mehreren  Handschriften  der  Heracl. 
aber  wie  es  scheint  nirgendwo  in  deren  Text,  ebensowenig  in  Pesch.  Da 
Syr.  Cur.  fehlt,  so  wä,re  es  möglich,  aber  doch  sehr  unwahrscheinlich, 
dass  Aphr.  aus  dieser  ältesten  Evangelienübersetzung  diese  Frage  als 
ein  Stück  des  Marcus  geschöpft  hätte.  Aber  Aphr.  gibt  ja  auf  alle  Fälle 
einen  aus  Mi.  u.  Marc,  gemischten  Text.    Den  Vordersatz  ,,wenn  du  voll- 


Die  Unterweisung  von  der  Unterstützung  der  Armen.  327 

Leben  ererbe,  stprach  unser  Herr:  Du  sollst  nicht  eliebrechen, 
und  du  sollst  nicht  stehlen,  und  ehre  deinen  Vater  und  deine 
Mutter,  und  liebe  deinen  Nächsten  wie  dich  selbst.  Sprach  zu 
ihm  der  Mann:  Das  habe  ich  gethan  von  Jugend  auf),  aber 
was  fehlt  mir  noch?  Da  sah  ilm  Jesus  an  mit  liebendem  Blick 
und  sprach  zu  ihm:  Eins  fehlt  dir  noch:  wenn  du  vollkommen 
sein  willst,  so  gehe  hin  und  verkaufe  alles,  was  du  hast,  und 
gib  es  den  Armen,  und  nimm  dein  Kreuz  auf  dich,  und  folge 
mir  nach.  Und  da  der  Mann  das  hörte,  ward  er  sehr  traurig 
und  ging  nach  Hause  voll  Groll,  denn  er  war  sehr  reich  an 
Gütern.  Und  Jesus  sprach:  Sehet,  wie  schwer  ist  es  für  die, 
welche  auf  ihre  Güter  vertrauen,  dass  sie  in  das  Himmelreich 
eingehen.  Und  wiederum  sagte  er:  Es  ist  leichter,  dass  ein  Kameel 
durch  ein  Nadelöhr  gehe,  als  dass  ein  Reicher  in  das  Reich 
Gottes  komme.  Und  auch  der  Apostel  sagte-):  Derjenige  Säe- 
mann,  welcher  spärlich  säet,  wird  auch  spärlich  ernten.  Und 
wer  aber  in  Segen  säet,  Avird  auch  in  Segen  ernten.  Und 
im  Gutestliuji  lasst  uns  niclit  müde  werden  •'). 

kommen  sein  willst''  konnte  er  nur  aus  Mt.  li),  21  nehmen,  den  liebe- 
vollen Blick  Jesu  nur  aus  Marc.  10,  21.  (Weniger  Gewicht  ist  auf  die 
Forderung  des  Kreuztragens  zu  legen;  denn  Syr.  Cur.  hat  dies  auch  Mt. 
19,  21  in  den  Text  genommen.)  Und  dieses  beides  findet  sich  in  wört- 
licher Anführung  bei  Ephr.  als  Text  der  Harmonie  bezeugt.  Woher  also 
anders  als  aus  dieser  soll  Aphr.  jene  Combination  der  Frage  aus  Mt.  und 
der  Antwoi-t  aus  Marc,  oder  Luc.  haben?  Wie  kämen  ferner  zwei  nicht 
aus  der  gleichen  Quelle  schöpfende  Syrer  dazu,  anstatt  des  bei  allen 
Synoptikern  wesentlich  identischen  Spruchs  über  die  Schwierigkeit  des 
Eingehens  ins  Gottesreich  für  die  Reichen  (Mt.  19,  Tö;  Marc.  10,  23;  Luc. 
18,  24)  und  des  jedem  Gedächtniss  unauslöschlich  sich  einprägenden  Ver- 
gleichs vom  Kameel  und  Nadelöhr  (Mt.  19,  24;  Marc.  10,25;  Luc.  18,25) 
vielmehr  nur  den  das  Verständniss  erleichternden,  die  Schroftlieit  des  Ge- 
dankens mildernden  Spruch  zu  geben,  welchen  Marc.  10,  24  gibt?  Dazu 
kommt  dann  noch  die  gleiche  von  Pesch.  und  Heracl.  völlig  abweichende 
und  sehr  freie  Uebersetzung  von  Marc.  10.  21  O  iSl  'hjuoüg  t^nßkiyag  «vre« 
)}y(X7i7]0£v  avTÖf.  Diesem  letzten  Beweisgrund  kihmte  man  sich  wieder 
dadurch  entziehen,  dass  man  annähme,  in  dem  verlorenen  Marc,  des  Syr. 
Cur.  habe  diese  Uebersetzung  gestanden.  Aber  die  Citate  des  Aphr.  stim- 
men keineswegs  durchweg  mit  dem  Text  von  Syr.  Cur.  Sie  stimmen  nicht 
selten  gegen  alle  Syrische  Evangelienübersetzungen  mit  dem  von  Ephr. 
commentirten  Text  der  Harmonie".    Zahn,  Tat.  Diät.  S.  77  f. 

1)  Wörtlich:  seitdem   ich  Knabe  war.  —  2)  2.  Cor.  9,  0.  —  :V)  Gal.  ti,  9. 


328 


Homilie  XX. 


Diese  kurze  Ermahnung  habe  ich  dir  geschrieben,  mein 
Lieber,  über  die  Beschenkung  der  Armen.  Stärke  die  Geber,  damit 
sie  vor  sich  her  säen  den  Samen  des  Lebens,  wie  geschrieben 
steht'):  Verkündige  den  Gerechten,  so  wird  er  in  seiner  Lehi-e 
noch  zunelunen.  Und  jeden,  der  die  Armen  liebt,  ermuntere 
durch  diese  Ermahnungen,  damit  du  theil  habest  an  seiner 
Arbeit. 

Zu  Ende  ist  die  (Unterweisung)  von  der  Unterstützung 
der  Armen. 


1)  Prov.  9,  9. 


Die  Unterweisung  von  den  Verfolg'ung-en'). 

Ich  hörte  mit  grosser  Betrübniss  die  Schmähung,  da  die 
Unreinen^)  sagten:  Dieses  Volk,  das  aus  allen  Völkern  gesammelt 
ist,  hat  keinen  Gott;  und  da  die  Gottlosen  also  sprachen:  Wenn 
sie  nämlich  einen  Gott  haben,  warum  rächt  er  dann  sein  Volk 
nicht  ?  Und  noch  mehr  zog  sich  die  Wolke  über  mir  zusammen, 
da  auch  die  Juden  uns  schmähen,  und  sich  über  die  Kinder 
unseres  Volkes  erheben.  Es  traf  sich,  dass  eines  Tags  ein 
Mann,  der  ein  Weiser  der  Juden  genannt  wird,  mich  fragte  und 
sprach:  Jesus,  der  euer  Lehrer  genannt  wird,  hat  euch  geschrieben ''): 
Wenn  ihr  Glauben  habt  wie  ein  einziges  Senfkorn,  so  werdet 
ihr  zu  diesem  Felsen  sprechen:  Weiche,  so  wird  er  vor  euch 
weichen.     Und  auch  (wenn  ihr  saget),  er   soll  sich  heben  und 


1)  Sapur  II.  hat  die  Christen  zweimal  verfolgt  und  zwar  aus  poli- 
tischen Rücksichten,  weil  die  Christen  den  Feinden  der  Perser,  den  Rö- 
mern, zugethan  waren  (vgl.  Anm.  1  zur  hom.  V),  dann  aber  hauptsäch- 
lich aus  Interesse  für  die  nationale  Licht-  und  Feuerreligion  des  Zoroaster. 
S.  Justi,  Geschichte  der  Orient.  Völker  im  Alterthum  S.  4t!G.  Nöldeke, 
Tabari  S.  68  f.  Ueber  die  Christenverfolgungen  unter  Sapur  If.  s.  insbes. 
Iloffmann,  Auszüge  aus  syr.  Akten  persischer  Märtyrer  S.  9.  29  u.  A. 
Die  Mutter  Sapurs  hiess  nach  dem  Talmud  i-^c-in  k-S"x  und  wird  da  als 
sehr  judenfreundlich  und  von  grossem  Einfluss  auf  ihren  Sohn,  auch  als 
dieser  schon  erwachsen  ist,  geschildert.  Talmud  B.  b.  8*;  lO'^.  Taanith 
24b.  Nidda20''.  Zebahim  lie^.  Eine  Begünstigung  der  Juden  von  Seiten 
Sapurs  würde  die  Hoffnungen  derselben  auf  ihre  Wiederherstellung,  wie 
sie  in  mehreren  der  vorausgehenden  Homilien,  bes.  hom.  19  hervortritt, 
und  ihr  aggi'essives  Vorgehen  gegen  die  Christen  erklären. 

2)  Nämlich  die  Heiden. 

H)  Mt.  IT,  20.  21,21.  Den  Zusatz:  .=.^,^^1^  _i£,  ..vor  euch-,  der  in 
l'esch.  und  Syr.  Cur.  fehlt,  hat  Aplir.  mit  Ephr.  Com.  204  gemeinsam. 
Ebenso  fehlt  in  gleicher  Weise  bei  beiden  i-vzFv&fv  =  l^i^,  das  bei  Pesch.. 
und  ).A;i>c7i    _ifi,  das  bei  Syr.  Cur.  steht. 


:VM)  Honiilio  XXI. 

ins  Meer  fallen,  so  gelioicht  er  euch.  Und  ist  denn  so  in  eurem 
ganzen  Volk  nicht  ein  einziger  weiser  Mensch,  dessen  Gebet 
erhört  wird,  und  der  da  bittet  von  Gott,  dass  eure  Verfolgungen 
von  euch  ablassen?  Denn  also  steht  doch  geschrieben  für  euch 
in  dem  Wort,  dass  es  nichts  gebe,  was  ihr  nicht  thun  könntet. 

Und  da  ich  sah,  dass  er  lästerte  und  vieles  gegen  den  Weg  ^) 
redete,  ward  mein  Geist  erregt;  und  ich  wusste,  dass  er  keine 
Erklärung  der  Worte,  die  er  zu  mir  geredet,  annehmen  würde. 
Da  fragte  auch  ich  ihn  Worte  aus  dem  Gesetz  nnd  aus  den 
Propheten  (und  sprach  zu  ihm-)):  Meinet  ihr,  dass,  auch  nachdem 
ihr  zerstreut  seid,  Gott  mit  euch  sei?  Und  er  gestand  mir:  Ja. 
Gott  ist  mit  uns,  denn  Gott  hat  zu  Israel  gesprochen'^):  Auch 
in  den  Ländern  ihrer  Feinde  habe  ich  sie  nicht  verlassen,  und 
mein  Bund,  den  ich  mit  ihnen  geschlossen  habe,  hat  nicht  auf- 
gehört. Und  wiederum  sprach  ich  zu  ihm:  Es  ist  sehr  schön, 
dass  ich  von  dir  vernommen  habe,  dass  Gott  mit  euch  ist. 
Gegen  deine  Woi-te  will  auch  ich  dir  etwas  sagen.  Der  Pro- 
phet Jesaia  nämlich  sagt  zu  Israel  als  aus  dem  Munde  Gottes  '): 
Wenn  du  über  das  Meer  gehst,  so  bin  ich  bei  dir,  und  die 
Ströme  werden  dich  nicht  verschlingen,  und  wenn  du  auf  Feuer 
trittst,  wirst  du  nicht  versengt  werden,  und  die  Flamme  wird 
dich  nicht  verbrennen,  weil  der  Herr  dein  Gott  mit  dir  ist.  So 
ist  unter  eurem  ganzen  Volk  nicht  ein  einziger  guter,  gerechter 
und  weiser  Mann,  der  da  lebendig  über  das  Meer  gehe,  ohne 
dass  er  ertrinkt,  und  über  den  Fluss,  ohne  dass  er  ihn  ver- 
schlingt; und  er  trete  auf  das  Feuer  und  sehe,  ob  er  nicht  ver- 
sengt wird,  und  ob  die  Flamme  ihn  nicht  verbrennt.  Und  wenn 
du  mir  eine  Erklärung  bringst,  so  lass  ich  mich  doch  nicht 
von  dir  überzeugen,  wie  auch  du  von  mir  keine  Erklärung  der 
herausfordernden  Worte  annimmst. 

Und  wiederum  fragte  ich  ihn  ein  anderes  Wort,  das  im 
Hesekiel  geschrieben  steht,  welcher  sprach  zu  Jerusalem''): 
Sodom  und  ihre  Töchter  werden  gebaut  werden  wie  zuvor,  und 
du  und  deine  Töchter  werdet  sein  wie  zuvor.  Erkläre  mir  nun 
dieses  Wort.     Und   er  begann  sich  zu  vertheidigen  und  sprach 

1)  Ueber  die  Bezeichnung  der  christlichen  Religion  als  „der  Weg" 
siehe  Act.  IS,  25;  9,  2;  19,  9.  23;  22,  4;  24.   14.  22. 

2)  (  )  fehlt  in  B.  —  3)  Levit.  26,  44.  -  4)  Jes.  43,  2.  3.  —  5)  Ezech. 
Ifi,  .55. 


Die  ünterweisuDfr  von  ilon  Verfnlfrunfjen.  331 

ZU  mir:  Wenn  üott  durch  den  Propheten  zu  Jerusalem  sprach: 
Sodom  und  ihre  Töchter  werden  gebaut  werden  wie  zuvor,  und 
du  und  deine  Töchter  sollt  sein  wie  zuvor;  so  ist  dieses  die  Be- 
deutung des  Wortes:  Sodom  und  ihre  Töchter  werden  in  ihren 
Wohnsitzen  sein  wie  zuvor  und  werden  dienstbar  sein  unter  der 
Hand  Israels,  und  Jerusalem  und  ihre  Töchter  werden  in  dem 
Glanz  des  Reichs  sein  wie  zuvor.  Und  da  ich  von  ihm  diese  Ver- 
theidigung  hörte,  ward  er  sehr  verächtlich  in  meinen  Augen, 
und  ich  sprach  zu  ihm:  Wenn  die  Worte  des  Propheten  im 
Zorn  geredet  sind,  ist  dann  das  ganze  Wort  ein  Wort  des 
Zorns,  oder  ist  es  etwa  zum  Theil  ein  Wort  des  Zorns  und  zum 
Theil  ein  Wort  der  Gnade?  Und  er  sprach:  Das  Wort  des 
Zorns  ist  ganz  voll  Zorn,  und  es  ist  in  ihm  kein  Friede.  Und 
ich  sprach  zu  ihm:  Nun  da  du  mich  belehrt  hast,  dass  kein 
Friede  ist  im  Wort  des  Zorns,  so  höre  es  ohne  Zank  und  lästere 
nicht;  ich  will  dich  über  dieses  Wort  belehren.  Von  Anfang 
nämlich  bis  zum  Ende  ist  das  ganze  Wort  im  Zorn  geredet. 
Er  sagt  nämlich  zu  Jerusalem  ^) :  So  wahr,  als  ich  lebe,  spricht 
Gott  der  Herr:  Sodom  und  ihre  Töchter  haben  nicht  gethan, 
was  du  und  deine  Töchter  gethan  habt.  Und  er  sagt  zu  ihr: 
Schäme  dich  und  empfange  deine  Schande,  der  du  deine 
Schwestern  durch  deine  Sünden  überiroffen  hast.  Und  diese 
sind  gerechter  denn  du.  Und  noch  (weiter)  sagt  er:  Sodom 
und  ihre  Töchter  sind  gerechter  denn  Jerusalem  und  ihre  Töchter, 
und  Jerusalem  hat  Sodom  in  seinen  Sünden  übertroffen.  Und 
es  ist  verflucht  2),  dass,  wenn  Israel  versammelt  3)  wird,  in  Sodom 
und  Gomorrha  seine  Wohnung  sein  soll.  Denn  ihre  Rebe  ist 
von  der  Rebe  Sodoms  und  von  der  Pflanzung  Gomorrhas,  und  ihre 
Weinbeeren  sind  bitter,  und  ihre  Trauben  sind  Galle*).  Und 
auch  Jesaia  nannte  sie  Fürsten  von  Sodom  und  Volk  von  Go- 
morrha'). Wenn  nämlich  Israel  versammelt  wird,  soll  es  in 
Sodom  und  Gomorrha  wohnen  bei  den  Fürsten  Sodoms  und  bei 
dem  Volk  GomoiThas   und  bei  dem  Weinberg  Sodoms   und   der 

1)  Ezech.  16,  4S,  52. 

2)  Der  syr.  Text  hat  ^si  U>.,«^c,  was  keinen  klaren  Sinn  giVit ;  wir  haben 

deshalb  p.  conj.   gelesen   -■Ji   ).4^_*^c. 

■i)  Wright  liest  hier  p.  conj.  )J.££\.Lc,  ..genannt  wird",  .■aI.tI.:^;.  „ver- 
sammelt wird". 

4)  Deut.  32,  .S2.  —  5)  Jes.  1,  id. 


332  Homilie  XXI. 

Pflanzung  Gomorrhas;  damit  es  bittere  Trauben  esse  und  bittere 
Weinbeeren  lese  und  Schlangeneier  esse  und  sich  in  Spinnen- 
gewebe kleide  und  die  Herlinge  des  Weinbergs  gebrauche  und 
in  verworfenes  Silber  verwandelt  werde.  Und  Sodom  und  ihre 
Töchter,  welche  gerechter  sind  denn  Jerusalem,  werden  gebaut 
werden  wie  zuvor.  Und  Jerusalem,  das  Sodom  in  seinen  Sünden 
übertroifen  hat,  wird  in  seinen  Sünden  bleiben  und  in  seinem 
Verderben  verharren,  bis  zur  Erfüllung  der  bestimmten  Zeiten 
in  Ewigkeit.  Und  Hesekiel  sagt'):  Das  war  die  Sünde  Sodoms 
und  ihrer  Töchter,  dass  es  sich  der  Unglücklichen  und  Armen 
nicht  annahm,  und  da  ich  solches  bei  ihnen  sah,  zerstörte  ich 
sie.  Berechne  und  siehe,  wie  von  der  Zeit,  da  Sodom  zerstört 
wurde,  bis  dahin,  da  Jerusalem  gebaut  wurde,  es  89G  Jahre  sind. 
Von  der  Zeit,  da  Abraham  von  Gott  durch  den  Engel  die  Ver- 
heissung  bekam-):  Uebers  Jahr  um  diese  Zeit  werde  ich  zu  dir 
zurückkehren,  und  dein  Weib  Sarah  wird  einen  Sohn  haben;  von 
dieser  Zeit,  bis  Jakob  nach  Aegypten  zog,  sind  200  Jahre  ^). 
Und  die  Kinder  Jakobs  waren  in  Aegypten  205  Jahre  ^).  Und 
alle  Jahre,  seitdem  Isaak  empfangen  und  Sodom  zerstört  wurde, 
sind  4J9'')  Jahre.  Und  von  dem  Auszug  Israels  aus  Aegypten 
bis  Jerusalems  grosser  Bau  gebaut  wurde  durch  Salomo  und 
der  Tempel  gebaut  wurde ,  sind  480 '')  Jahre.  Also  sind  alle 
Jahre  von  der  Empfangniss  des  Isaak,  und  seitdem  Sodom  zer- 
stört wurde,  bis  zum  grossen  Bau  von  Jerusalem  896  Jahre. 
Und  von  dem  grossen  Bau  Jerusalems  bis  zur  Zerstörung  Jerusa- 
lems sind  es  425  Jahre.  Die  Summe  aller  Jahre  seit  der 
Zerstörung  Sodoms  bis  zur  Zerstörung  Jerusalems  ist  1321 
Jahre.  Alle  diese  Jahre  der  Zerstörung  Sodoms  und  ihrer 
Töchter  sind  vor  (der  Zerstörung)  Jerusalems.  Und  noch  ist  sie 
nicht  wieder  aufgebaut  '^),  die  doch  gerechter  war  als  Jerusalem. 
Nun  ist  die  ganze  Summe  der  Jahre  von  der  Zerstöning  Sodoms 
bis  zum  Jahre  655  der  Regierung  Alexanders,  des  Sohnes  des 
Philippus  von  Macedonien,  2076  Jahre.    Und  seit  der  Zeit,    da 


1)  Ezech.  16,  49.  50.  —  2)  Gen.  18,  14. 

3)  Bei  Angabe  der  Zahlen  liegen  oft'enbar  Schreibfehler  vor,  da  die 
einzelnen  Posten  die  unten  angeführte  Summe  nicht  ergeben.  Wright 
vermuthet,  dass  hier  zu  lesen  ist  204. 

4)  Vgl.  S.  335  Anm.  1.  —  .5)  Nach  Wright  409.  —  6)  Nach  Wright 
487.  —  7)  Wörtlich:  Noch  wohnt  sie  nicht. 


Die  Unterweisung  von  den  Verfolgungen.  333 

Jerusalem  durch  die  Babylonier  zerstört  wurde,  bis  zu  dieser 
Zeit  sind  955  Jahre  (vergangen).  Und  Jerusalem  stand  von 
seiner  Zerstörung  durch  die  Babylonier  jene  70  Wochen,  welche 
Daniel  über  dasselbe  bezeugt  hatte.  Und  alsdann  trat  die  zweite 
Zerstörung  ein  durch  die  Römer,  sodass  sie  in  Ewigkeit  nicht 
wieder  gebaut  werden  wird,  weil  sie  dem  Verderben  anheimgegeben 
ist  bis  zur  Erfüllung  der  bestimmten  Zeiten.  Uebrigens  aber 
sind  alle  Jahre  der  Zerstörung  Jerusalems,  der  ersten  und  der 
zweiten,  465  Jahre,  und  wenn  du  davon  abziehst  die  70  Jahre 
von  Babylon,  sind  es  ihrer  395  Jahre. 

Diese  ganze  Auseinandersetzung  habe  ich  dir  geschrieben,  weil 
die  Juden  sich  rühmen:  Es  ist  für  uns  bestimmt,  (wieder)  versam- 
melt zu  werden.  Denn  Avenn  Sodom,  dessen  Sünden  nicht  so  viele 
sind  wie  diejenigen  Jerusalems,  noch  nicht  aufgebaut  ist,  und  wir 
also  sprechen,  dass  es  in  Ewigkeit  uicht  aufgebaut  werden  wird,  wie 
wird  da  Jerusalem,  dessen  Sünden  zahlreicher  sind  als  die  Sodoms 
und  seiner  Töchter,  aufgebaut  werden?  Ueber  Sodom  hat  sich 
Gott  während  2076  Jahren  nicht  erbarmt,  Avollen  wir  da  sagen, 
dass  er  sich  über  Jerusalem  erbarmt,  bei  dem  erst  395  Jahre  seit 
dem  Tage  seiner  Zerstörung  vergangen  sind,  nach  der  Berech- 
nung, die  ich  dir  oben  geschrieben  habe?  Uebrigens  aber,  wenn 
er  gesagt  hat,  dass  Sodom  und  seine  Töchter  bewohnt  werden 
sollen  wie  zuvor,  und  wenn  er  zu  Jerusalem  sagt :  du  und  deine 
Töchter  werdet  sein  wie  zuvor,  dieses  Wort  bedeutet,  dass  sie  in 
Ewigkeit  nicht  bewohnt  werden  sollen.  Denn  auch  über  das 
Land,  über  das  der  Herr  zürnte,  sprach  der  Herr  folgenden  Fluch 
aus'):  Es  soll  nicht  besäet  werden  und  nichts  hervorbringen; 
kein  Kraut  soll  auf  ihm  mehr  wachsen,  sondern  es  soll  sein 
wie  Sodom  und  Gomorrha,  über  welche  der  Herr  zürnt,  und  mit 
welchen  er  sich  nicht  versöhnt.  Lass  dich  also  überzeugen,  o  Hörer, 
dass  Sodom  und  seine  Töchter  hi  Ewigkeit  nicht  bewohnt  sein 
werden,  sondern  sein  werden  wie  zuvor,  wie  zu  der  Zeit,  da  sie 
noch  nicht  bewohnt  waren;  und  wie  zu  der  Zeit,  da  der  Herr  über 
sie  /ürute  und  sich  nicht  mit  ihnen  versöhnte.  Und  Jerusalem 
und  seine  Töchter  werden  sein  wie  zuvor,  wie  zur  ersten  Zeit, 
du  der  Berg  der  Anioriter  noch  wüste  lag,  auf  welchem  Abraham 
den  Altar  baute,  da  er  seinen    Sohn  Isaak  auf  ihn  fesselte,  und 

1)  Deut.  20,  2-!. 


334  Homilie  XXI. 

wie  es  wüste  war  zur  Zeit,  da  David  den  Hügel  kaufte  von  dem 
Jebusiter  Oron  '  ,,  und  einen  Altar  darauf  baute.  Verstehe  and 
siehe,  dass  der  Berg,  auf  welchem  Abraham  seinen  Sohn  opferte, 
der  Berg  des  Jebusiters  ist,  welcher  ist  Jerusalem.  Und  der 
Ort  des  Hügels,  welchen  David  von  Oron  kaufte,  ist  der,  auf 
welchem  der  Tempel  gebaut  wurde.  So  ist  Jerusalem  in  der  Ver- 
wüstung wie  früher.  Und  verstehe:  Da  Hesekiel  dieses  Wort 
weissagte,  stand  Jerusalem  noch  in  seiner  Grösse,  und  seine  Be- 
wohner hatten  sich  empört  gegen  den  König  von  Babel,  und 
das  Wort,  das  der  Prophet  redete,  redete  er  in  Zorn  und  zur 
Schande  über  Jerusalem.  Verstehe  und  siehe,  o  Hörer,  wenn 
Gott  Sodom  und  seinen  Genossen  Hoffnung  gegeben  hätte,  so 
hätte  er  sie  nicht  mit  Feuer  und  Schwefel  zerstört^  (welches  doch 
das)  Zeichen  ist  des  jüngsten  Tages  der  Welt,  sondern  er  hätte 
sie  durch  eines  der  Reiche  zerstört,  damit  sie  gezüchtigt  würden; 
wie  geschrieben  steht,  dass  Jeremia,  da  er  den  Becher  des 
Zorns  trank  über  die  Völker  und  Reiche,  zu  einer  jeden  der 
Städte  sagte:  Nachdem  sie  den  Becher  getrunken,  will  ich  die 
Gefangenschaft  von  Elam  und  Tyrus  und  Sidon  und  der  Kindei- 
Amons  und  Moabs  wenden.  Und  über  ein  jedes  von  diesen  Reichen 
sprach  er:  Am  Ende  der  Tage  will  ich  seine  Gefangenschaft 
wenden-).  Und  wir  sehen,  dass  Tyrus  gebaut  wurde  und  reich 
war,  nachdem  es  70  Jahre  zerstört  war,  und  nachdem  es  seinen 
Hurenlohn  empfangen  hatte,  und  nachdem  es  mit  allen  Reichen 
gehurt  hatte;  und  es  nahm  die  Harfe  und  spielte  schön  und  sang 
viel.  Und  auch  die  Stätte  Elams  wurde  gebaut  und  ward  reich. 
Und  über  Babel  sprach  Jeremia-^):  Babel  wird  fallen  und  nicht 
wieder  aufstehen,  und  siehe,  bis  heute  und  bis  in  Ewigkeit  bleibt 
es  in  Verwüstung.  Und  auch  über  Jerusalem  sagt  er^):  Die 
Jungfrau  Israels  wird  fallen  und  nicht  wieder  aufstehen,  und 
wird  auf  der  Erde  liegen  gelassen  werden,  und  niemand  wird 
sein,  der  sie  aufrichte.  Wenn  diese  Weissagung,  welche  Jeremia 
über  Babel  gesprochen  hat,  wahr  ist,  so  ist  auch  die  über  Jeru- 
salem wahr  und  gewiss.  Und  Jesaia  spricht  zu  Jerusalem  •') :  Ich 
will  nicht  mehr  über  dich  zürnen  und  dich  nicht  mehr  schelten. 


1)  2.  Sam.  24,  18.  Hebr.:  n:--'«.  LXX:  yjQvu.  Luther:  Arafna.  Nach 
2.  Sam.  5,  4  und  1.  Chron.  12,  6  hat  David  Zion  erobert.  —  2)  Siehe  Ezech. 
25,  15.  VkI-  -iwch  48,  47;  40,  6.  39.  —  3)  Jerem.  51,  64.  —  4)  Arnos  5,  2. 
—  5)  Jes.  54,  9. 


Die  Unterweisung  von  den  Verfolgungen.  335 

Gewiss  zürnt  er  nicht  wieder  über  sie,  und  schilt  sie  auch  nicht 
in  Ewigkeit,  denn  in  ilirer  Verwüstung  schilt  er  sie  nicht  und 
sie  erzürnt  ihn  auch  nicht.  Und  wenn  sie  uns  verspotten:  Ihr 
werdet  verfolgt  und  nicht  erlöst,  so  mögen  die  sich  schämen, 
welche  allezeit  verfolgt  wurden  und  noch  viele  Jahre  (verfolgt 
werden),  Ins  sie  erlöst  werden.  Sie  wurden  in  Aegypten  ge- 
knechtet zweihundertfünfundzwanzig  Jahre  ').  Und  die  Midia- 
niter  knechteten  Israel  in  den  Tagen  Baraks  und  Deboras.  Und 
es  herrschten  über  sie  die  Moabiter  in  den  Tagen  Ahurs;  und 
die  Amoniter  in  den  Tagen  Nephtachs  -J,  und  die  Philister  in  den 
Tagen  Simsons  und  auch  in  den  Tagen  Elis  und  des  Propheten 
Samuel,  und  die  Edomiter  in  den  Tagen  Ahabs,  und  die  Assyrer 
in  den  Tagen  Hiskias,  und  der  König  von  Babel  rottete  sie  aus 
von  ihrem  Ort  und  zerstreute  sie;  und  obgleich  er  sie  sehr  heim- 
suchte und  züchtigte,  besserten  sie  sich  doch  nicht.  Wie  er  zu 
ihnen  sprach'^):  Vergeblich  habe  ich  eure  Kinder  geschlagen, 
und  sie  haben  keine  Zucht  angenommen.  Und  wiederum  spricht 
er*):  Ich  habe  die  Propheten  abgehauen  und  sie  durch  die  Rede 
meines  Mundes  getödtet.  Und  zu  Jerusalem  spricht  er^):  Lass 
dich  durch  Schmerzen  und  Schläge  züchtigen,  Jerusalem,  damit 
meine  Seele  sich  nicht  von  dir  wende.  Und  diese  verliessen  ihn 
und  beteten  die  Götzen  an,  wie  Jeremia  über  sie  spricht*'):  Geht 
zu  den  fernen  Inseln  und  sendet  nach  Kedar  und  erkundigt 
euch  sehr  und  sehet,  ob  es  dort  ist  wie  hier,  ob  die  Völker  ihre 
Götter  wechseln,  die  doch  keine  Götter  sind,  während  mein  Volk 
seine  Ehre  gegen  solches,  das  ihm  keinen  Gewinn  bringt, 
tauschet.  Staunet  ihr  Himmel  hierüber  und  erbebt  und  er- 
schrecket sehr,  spricht  der  Herr.  Denn  ein  zwiefaches  Unrecht 
hat  mein  Volk  gethan:  Mich  haben  sie  verlassen,  die  Quelle  des 
lebendigen  Wassers,  und  sind  hingegangen  und  haben  sich 
Brunnen  gegraben,  löcherige  Brunnen,  die  kein  Wasser  in  sich 
halten   können.     Die  l(")cherigen  Brunnen,  das  ist  die  Verehrung 

1)  Vgl.  S.  332  Anni.  4;  oben  waren  20.5  Jahre  genunnt.  —  2)  Luther: 
Jephtas.  —  3)  Jerem.  2,  .^0. 

4)  Hosea  6,  5.     Aphr.    hat   übereinstiumiend   mit  Pesch.   ]Ji^ii    1..2.ßis 

.aj]    Ll:^i\.xs,  ,, ich  habe  die  Propheten  abgehauen  und  .sie  getüdtet",  wäh- 
rend der   hebr.  Text  hat:  ü'n^r.  a-s-r:z  -riurr.  „Ich  habe  sie  abgehauen 
durch  die  Propheten  und  sie  getödtet". 
:•>)  .TereTii.  (i.  H.  —  (1)  .lerem.  2.    10  —  13. 


336  Homilie  XXI. 

der  Bilder  und  Götzen.  Und  was  die  Himmel  zum  Staunen 
bringt,  ist,  dass  sie  die  Heere  des  Himmels  A'erehrten,  wahrend 
doch  die  Himmel  den  Urtheilsspruch  empfangen ,  dass  ^)  sie  zu- 
sammengerollt werden  wie  ein  Buch,  und  dass  ihr  ganzes  Heer 
herabfallt. 

Diese  ganze  Rede  habe  ich  dir  geschrieben,  mein  Lieber, 
von  Anfang  an,  weil  ein  jüdischer  Mann  die  Kinder  unseres 
Volks  (Glaubensgenossen)  geschmäht  hat.  Uebrigens  aber  will 
ich  dir,  so  gut  ich  kann,  zeigen  von  den  Verfolgten,  dass  sie 
ihren  guten  Lohn  empfingen,  und  dass  die  Verfolger  in  Schande 
und  Schmach  geriethen.  Jakob  wurde  verfolgt,  uud  Esau  war 
der  Verfolger.  Jakob  empfing  den  Segen  und  die  Erstgeburt, 
und  Esau  wurde  von  beiden  ausgeschlossen.  Joseph  Avurde  ver- 
folgt, und  seine  Brüder  waren  die  Verfolger.  Joseph  wurde  er- 
höht, und  seine  Verfolger  fielen  vor  ihm  nieder,  und  seine  Träume 
und  Gesichte  wurden  erfüllt.  Und  der  verfolgte  Joseph  ist  das 
\'orbild  des  verfolgiieu  Jesus-).    Joseph  kleidete  sein  Vater  mit 

1)  Jesaia  34,  4. 

2)  Die  vorliegende  Homilie  ist  von  besonderer  Bedeutung,  weil  wir 
in  ihr  ganz  besonders  die  typische  Auflassung  des  alten  Testamentes  finden. 
Aphr.  gibt  sich  hierdurch  als  einen  Vorläufer  der  Antiochenischen  Schule 
zu  erkennen,  die  im  Gegensatz  zu  dem  dreifachen  Wortsinn  und  der  alle- 
gorischen Auslegung  des  Origenes  und  der  Alexandriner  die  Einheit  des 
Sinnes  und  die  Ableitung  desselben  durch  Beobachtung  des  Sprachge- 
brauchs des  einzelnen  Schriftstellers  und  der  Intentionen  in  den  einzelnen 
Stellen  festhält,  daneben  aber  die  typische  Auslegung  als  einen  „Neben- 
gebrauch' anwendet.  ..Das  Yerhältniss  zwischen  dem  alten  und  neuen 
Testamente  beruht  (nach  dem  Hauptvertreter  der  antiochenischen  Schule 
Theodor  von  Mopsueste)  auf  einer  parallelen  Reihe  von  Factis,  die  Gottes 
Weisheit  in  der  vorliegenden  Weise  geordnet  hat ;  die  fi-üheren  facta  sind 
die  Typen  der  späteren.  Das  neue  Testament  mit  seinen  Ereignissen  ist 
im  alten  präformirt.  Die  Wechselbeziehung  der  Testamente  ist  realer, 
nicht  litterarischer  Natur.  Die  Benutzung  alttestamentlicher  Stellen  im 
neuen  Testamente  beruht  auf  der  (jedenfalls  durch  göttliche  Leitung  ver- 
anlassten) hyperbolischen  Redeweise  der  hebräischen  Sprache,  die  über 
die  augenblickliche  Wirklichkeit  hinausgeht,  sodass  die  volle  Bewahr- 
iieitung  in  Christus  erfolgt,  was  die  göttliche  Vorsehung  so  geordnet  hat. 
Diese  Benutzung  geschieht,  ohne  Rücksicht  auf  den  ursprünglichen  Local- 
sinn  im  alten  Testamente,  sie  ist  ein  ., Nebengebrauch",  der  selbst  Text- 
veränderangen  nicht  zu  scheuen  braucht.  Die  Oftenbarung  im  alten  Te- 
stamente erfolgt  durch  Yermittelung  eines  inneren  Wahrnehmens,  sei  es 
eines  Sehens  oder  Hörens,  oder  beider  vereint,  der  Empfänger  der  Otfeu- 


Die  Unterweisung  von  den  Verfolgungen.  337 

einem  befrauzten  Rock,  und  Jesus  kleidete  sein  Vater  mit  einem 
Leibe  von  der  Jungfrau.  Joseph  liebte  sein  Vater  mehr  denn 
seine  Brüder;  und  Jesus  war  der  Freund  und  GeKebte  seines 
Vaters.  Joseph  hatte  Träume  und  sah  Gesichte;  und  Jesus  er- 
füllte die  Gesichte  und  die  Propheten.  Joseph  war  Hirte  mit 
seinen  Brüdern;  und  Jesus  ist  der  Oberhirte.  Da  Josephs  Vater 
ihn  sandte,  seine  Brüder  zu  besuchen,  sahen  sie  ihn  kommen  und 
sannen  darauf,  ihn  zu  tödteu;  und  da  der  Vater  Jesu  diesen 
sandte,  seine  Brüder  zu  besuchen,  sprachen  sie:  Das  ist  der  Erbe, 
kommt,  lasst  uns  ihn  tödten.  Joseph  warfen  seine  Brüder  in 
die  Grube;  und  Jesus  brachten  seine  Brüder  ins  Grab.  Joseph 
stieg  aus  der  Grube;  und  Jesus  stand  aus  dem  Grabe  auf.  Jo- 
seph wurde,  nachdem  er  aus  der  Grube  gestiegen  war,  Herr  über 
seine  Brüder;  und  Jesu,  nachdem  er  aus  dem  Grabe  auferstanden 
war,  gab  sein  Vater  einen  grossen  und  herrlichen  Namen,  dass  ihm 
seine  Brüder  unterthan  würden  und  seine  Feinde  unter  seine  Füsse 
gelegt  würden.  Da  Joseph  sich  seinen  Brüdern  zu  erkennen  gab, 
schämten  sie  sich  und  fürchteten  sich  und  wunderten  sich  über 
seine  Majestät;  und  wenn  Jesus  kommt  zur  letzten  Zeit  und 
sich  in  seiner  Majestät  offenbart,  dann  werden  sich  schämen 
und  fürchten  und  zittern  vor  ihm  seine  Brüder,  die  ihn  ge- 
kreuzigt haben.  Joseph  aber  wurde  nach  dem  Rath  des  Juda 
nach  Aegypten  verkauft;  und  Jesus  wurde  durch  Juda  Ischariot 
den  Juden  überliefert.  Da  sie  Joseph  verkauften,  gab  er  seinen 
Brüdern  keine  Antwort;  und  Jesus  sprach  nichts  und  gab  keine 
AntAvort  den  Richtern,  die  ihn  richteten.  Joseph  warf  sein  Herr 
ungerechter  Weise  ins  Gefängniss;  und  Jesum  verurtheilten  unge- 
rechter Weise  die  Kinder  seines  Volks.  Joseph  übergab  seine 
zwei  Gewänder,  das  eine  in  die  Hand  seiner  Brüder,  das  andere 
in  die  Hand  des  AVeibes  seines  Herrn;  und  Jesus  übergab  seine 
Kleider,  und  es  theilten  sie  unter  sich  die  Kriegskuechte.  Joseph 
war  30  Jahre  alt,  da  er  vor  Pliarao  stand  und  Herr  Avard  über 


barung  befindet  sich  während  derselben  meist  in  Ekstase.  Der  ekstatische 
Zustand  hindert  aber  nicht  seine  volle  Einsicht  in  den  Sinn  und  Ausgang 
der  ilim  verliehenen  und  zur  Weiterverbreitung  anvertrauten  göttlichen 
Mittheilungen.  Er  weiss,  dass  er  Typen,  Vorbilder  schaut,  die  neben  der 
unmittelbaren  Beziehung  auf  die  Gegenwart  und  die  nächste  Zukunft 
auch  eine  weitere  Beziehung  in  der  Person  und  Zeit  des  Messias  finden 
werden".  Merx,  die  Prophetie  des  Joel  und  ihre  Ausleger  S.  135. 
Texte  und  Untersuchuugeu  III,  3.  4.  22 


338  Homilie  XXI. 

Aegypten:  und  Jesus  war  ungefähr  30  Jahre  alt,  da  er  an  den 
Jordan  kam.  um  getauft  zu  werden,  und  den  Geist  empfing  und 
ausging  zu  predigen.  Joseph  vertheilte  unter  die  Aegypter  Brot: 
und  Jesus  vertheilte  unter  die  ganze  Welt  von  seinem  Lebens- 
brot. Joseph  nahm  die  Tochter  eines  gottlosen  unreinen ') 
Priesters;  und  Jesus  brachte  zu  sich  die  Gemeinde  aus  den  un- 
reinen Völkern.  Joseph  starb  und  ward  begraben  in  Aegypten; 
und  Jesus  starb  und  ward  begraben  in  Jerusalem.  Josephs  Ge- 
beine nahmen  seine  Brüder  aus  Aegypten  mit;  und  Jesum  er- 
weckte sein  Vater  von  den  Todten  und  nahm  seinen  Leib  za 
sich  in  den  Himmel,  ohne  dass  er  verweste. 

Und  auch  Mose  ward  verfolgt,  und  Jesus  ward  verfolgt. 
Da  Mose  geboren  Avurde,  verbargen  sie  ihn,  damit  er  nicht  ge- 
tödtet  wih'de  von  seinen  Verfolgern;  und  da  Jesus  geboren  war, 
flohen  sie  mit  ihm  nacli  Aegypten,  damit  ihn  nicht  tödtete  sein 
Verfolger  Herodes.  In  den  Tagen  Mose's,  da  er  geboren  wurde, 
wurden  die  Knaben  in  dem  Flusse  ertränkt;  und  bei  der  Geburt 
Jesu  wurden  die  Knaben  von  Bethlehem  und  der  Umgegend 
getödtet.  Zu  Mose  sprach  Gott  '^) :  Es  sind  gestorben  die  Männer, 
die  dir  nach  dem  Leben  getrachtet  hatten.  Und  zu  Joseph  sprach 
der  Engel  in  Aegypten''}:  Stehe  auf,  nimm  das  Kind  und  ziehe 
in  das  Land  Israel,  denn  es  sind  gestorben,  die  dem  Kinde  das 
Leben  zu  nehmen  suchten.  Mose  führte  sein  Volk  aus  der 
Knechtschaft  Pharaos;  und  Jesus  erlöste  alle  Völker  aus  der 
Knechtschaft  des  Satans.  Mose  wurde  erzogen  in  dem  Hause 
Pharaos;  und  Jesus  wurde  erzogen  in  Aegypten,  da  Joseph  mit 
ihm  dorthin  geflohen  war.  Eine  Miriam  stand  an  dem  Ufer 
des  Flusses,  da  Mose  auf  dem  Wasser  schwamm;  und  eine 
Miriam^)  gebar  Jesum,  nachdenj  der  Engel  Gabriel  ihr  dieVer- 
heissung  gegeben  hatte.  Da  Mose  das  Lamm  schlachtete,  wurden 
die  Erstgeborenen  der  Aegypter  getödtet;  und  da  sie  Jesum,  das 
wahre  Lamm,  kreuzigten,  starb  um  seines  Todes  willen  das  Volk, 
das  ihn  tödtete.  Mose  brachte  seinem  Volk  Manna  herab,  und 
Jesus   gab   seinen  Leib   den  Völkern.     Mose  machte  das  bittere 


n  d.  i.  heidnischen.  —  2)  Exod.  4,  19.  —  3)  Mt.  2,  20. 

4)  Im  Syrischen  ist  auch  der  Name  der  Maria,  der  Mutter  Jesu,  in 
hebräischer  resp.  aramäischer  Form  beibehalten  ^  bei  Peschito  mit  der 
Pnnktation  Mariam.  Die  babylonische  Punktation  der  Targumen  gibt 
auch  Mariam.  Clloss.  zu  Merx  Chrestoinath.  Targum.  unter  r'^r.  Exod.  lö,  2<». 


Die  ünteiweisuncy  von  den  Verfoliiuugen.  339 

Wasser  süss  durcli  Holz;  und  Jesus  machte  unsere  Bitterkeit 
süss  durcli  sein  Kreuz,  durcli  das  Holz  seines  Kreuzes.  Mose 
brachte  seinem  Volk  das  Gesetz  herab;  und  Jesus  gab  seine 
Testamente  den  Völkern.  Mose  brisiegte  Amalek  dadurch,  dass 
er  seine  Hände  ausbreitete;  und  Jesus  besiegte  den  Satan  durch 
das  Zeichen ')  seines  Kreuzes,  Mose  brachte  Wasser  aus  dem 
Felsen  für  sein  Volk:  und  Jesus  sandte  Simon,  den  Felsen,  aus. 
dass  er  seine  Lehre  unter  die  Völker  brächte.  Mose  nahm  die 
Decke  vor  seinem  Angesicht  weg,  und  Gott  redete  mit  ihm;  und 
Jesus  nahm  die  Decke  von  dem  Angesicht  der  Völker  weg,  dass 
sie  seine  Lehre  hörten  und  annähmen.  (Mose  legte  seine  Hand 
auf  seine  Boten,  und  sie  empfingen  das  Priesterthum:  und  Jesus 
legte  seine  Hand  auf  seine  Boten,  und  sie  empfingen  den  heiligen 
Geist)"- .  Mose  stieg  auf  den  Berg  und  starb  daselbst:  und  Jesus 
fuhr  geil  Himmel  und  setzte  sich  zur  Rechten  seines  Vaters. 

Und  auch  Josua  ^),  der  Sohn  Nuns,  wurde  verfolgt,  und  un- 
ser Erlöser  wurde  verfolgt.  Josua,  der  Sohn  Nuns,  wurde  von 
den  unreinen  Völkern  verfolgt;  und  Jesus,  unser  Erlöser,  wurde 
von  dem  thörichten  Volk  verfolgt.  Josua,  der  Sohn  Nuns,  nahm 
das  Erbe  von  seinen  Verfolgern  und  gab  es  seinem  Volk;  und 
Jesus,  unser  Erlöser,  nahm  das  Erbe  von  seinen  Verfolgern  und 
gab  es  den  fremden  Völkern.  Josua,  der  Sohn  Nuns,  Hess  die 
Sonne  am  Himmel  stillstehen  und  nahm  Rache  an  den  Völkern, 
die  ihn  verfolgten ;  und  Jesus,  unser  Erlöser,  liess  die  Sonne  am 
Mittag  untergehen,  damit  sich  schämte  das  verfolgende  Volk, 
das  ihn  kreuzigte.  Josua,  der  Sohn  Nuns,  theilte  das  Erbe  unter 
sein  Volk:  und  Jesus,  unser  Erlöser,  verheisst,  dass  er  den  Völ- 
kern das  Land  des  Lebens  geben  wolle.  Josua,  der  Sohn  Nuns, 
schenkte  der  Hure  Rahab  das  Leben:  und  Jesus,  unser  Erlöser, 
sammelte  die  ehebrecherische  Gemeinde  und  schenkte  ihr  das 
Leben.  Josua,  der  Sohn  Nuns,  zerstörte  und  warf  am  siebenten 
Tage  die  Mauern  Jerichos  nieder:  und  am  siebenten  Tage  Jesu, 
unseres  Erlösers,  am  Sabbath  der  Ruhe  Gottes,  wird  diese 
Welt  zerstört  werden  und  untergehen^).    Josua,  der  Sohn  Nuns, 

1)  B  durch  das  Leiden  seines  Kreuzes. 

2)  ( )  fehlt  bei  B. 

3)  Im  Syrischen    hat    der    Eigenname   Josua    und  Jesus    die    gleiche 

Form  ''^s-*-.. 

4)  Vgl.  Honiilic  II  S  l.^i. 

■)•)* 


340  Homilie  XXI. 

steinigte  den  Achar  ^;,  welcher  von  dem  Verbannten  gestohlen 
hatte;  und  Jesus,  unser  Erlöser,  schied  Juda  von  seinen  Mit- 
jüngern aus,  weil  er  von  dem  Geld  der  Armen  gestohlen  hatte. 
Josua,  der  Sohn  Nuns,  legte,  da  er  starb,  das  Zeugniss  nieder 
auf  sein  Volk;  und  Jesus,  unser  Erlöser,  legte,  da  er  aufgenom- 
men ward,  das  Zeugniss  nieder  auf  seine  Apostel. 

Und  auch  Jephthah -)  wurde  verfolgt,  vmd  Jesus  wurde  ver- 
folgt. Jephthah  vertrieben  seine  Brüder  aus  dem  Hause  seines 
Vaters;  und  Jesum  verfolgten  seine  Brüder  und  erhöheten  und 
kreuzigten  ihn.  Der  verfolgte  Jephthah  erhob  sich  zum  Haupte 
seines  Volkes;  und  der  verfolgte  Jesus  stand  auf  und  ward  der 
König  der  Völker.  Jephthah  that  ein  Gelübde  und  brachte  -*) 
die  Erstgeburt  seines  Leibes  als  Opfer  dar;  und  Jesus  stieg  hin- 
auf als  Opfer  seinem  Vater  für  alle  Völker. 

Und  auch  David  wurde  verfolgt,  und  Jesus  wurde  verfolgt. 
David  wurde  von  Samuel  gesalbt,  dass  er  König  sei  an  Sauls  Statt, 
der  gesündigt  hatte;  und  Jesus  wurde  von  Johannes  gesalbt,  dass 
er  Hohepriester  sei  anstatt  der  Priester,  welche  das  Gesetz  über- 
traten. David  wurde  verfolgt  nach  seiner  Salbung;  und  Jesus 
wurde  verfolgt  nach  seiner  Salbung.  David  herrschte  zuerst  über 
einen  Stamm  allein  und  darnach  über  ganz  Israel;  und  Jesus 
herrschte  zuerst  über  die  Wenigen,  welche  an  ihn  glaubten,  und 
am  Ende  herrscht  er  über  die  ganze  Welt.  David  war  dreissig 
Jahre  alt,  da  ihn  Samuel  salbte;  und  Jesus  war  ungefähr  dreissig 
Jahre  alt,  da  er  die  Auflegung  der  Hände  von  Johannes  empfing. 
David  nahm  zwei  Königstöchter;  und  Jesus  nahm  zwei  Königs- 
töchter, die  Gemeinde  des  Volkes  und  die  Gemeinde  der  Völker. 
David  vergalt  seinem  Feinde  Saul  Gutes;  und  Jesus  lehrte: 
Betet  für  eure  Feinde.  David  ist  das  Herz  Gottes;  und  Jesus 
ist  der  Sohn  Gottes.  David  empfing  das  Reich  seines  Verfolgers 
Saul;  und  Jesus  empfing  das  Reich  seines  Verfolgers  Israel. 
David  weinte  in  seinen  Klageliedern  über  seinen  Feind  Saul,  da 
dieser  starb;  und  Jesus  weinte  über  seine  Verfolgerin  Jerusa- 
lem, welche  verwüstet  Averden  sollte.    David  übergab   das  Reich 

1)  hebr.    Jos.  7,  1.  18  py;    1.  Chron.  2,  7   dagegen  tw;  im  Syr.  -f.^'^. 

2)  Syrisch  w«:n.sJ,  „Nephtach". 

3)  (TialQjkV  ^w«».I^s,  wörtlich:  Die  Oeftnung  seines  Leibes.  Vgl.  Exod. 
13.  12  u.  A. 


Die  Unterweisung  von  den  Verfolgungen.  341 

dem  Salomo  und  wurde  zu  seinen  Vätern  versammelt;  und  Jesus 
übergab  die  Schlüssel  dem  Simon  und  stieg  auf  und  ging  zu 
dem,  der  ihn  gesandt  hatte.  Wegen  Davids  wurden  die  Sünden 
seinen  Kindern  vergeben:  und  wegen  Jesu  wurden  die  Sünden 
den  Völkern  vergeben. 

Und  auch  Elia  wurde  verfolgt,  und  Jesus  wurde  ver- 
folgt. Den  Elia  verfolgte  die  Mörderin  Isebel;  und  Jesum 
verfolgte  die  verfolgende,  mörderische  Gemeinde.  Elia  ver- 
schluss den  Himmel  für  den  Regen  wegen  der  Sünden  Israels; 
und  Jesus  verschloss  bei  seiner  Ankunft  den  Geist  für  die  Pro- 
pheten wegen  der  Sünden  des  Volks.  Elia  vernichtete  die 
Diener  ')  Baals;  und  Jesus  trat  den  Satan  und  seine  Heere  nieder. 
Elia  machte  den  Sohn  der  Wittwe  lebendig;  und  Jesus  machte 
den  Sohn  der  Wittwe  lebendig  sammt  Lazarus  und  der  Tochter 
des  Obersten  der  Schule.  Elia  speiste  die  Wittwe  mit  wenigem 
Brot-);  und  Jesus  sättigte  Tausende  mit  wenigem  Brot.  Elia 
wurde  auf  einem  Wagen  zum  Himmel  aufgehoben;  und  unser  Er- 
löser fuhr  auf  und  setzte  sich  zur  Rechten  seines  Vaters.  Den  Geist 
Elias  empfing  Elisa;  und  Jesus  hauchte  in  das  Antlitz  seiner  Apostel. 

Und  auch  Elisa  wurde  verfolgt,  und  Jesus  Avurde  verfolgt. 
Elisa  wurde  von  Ahabs  Sohn,  dem  Sohn  des  Mörders,  verfolgt; 
und  Jesus  wurde  von  dem  mörderischen  Volk  verfolgt.  Elisa 
weissagte,  und  es  gab  Speise  in  Samarien;  und  Jesus  sprach: 
Wer  von  meinem  Leibe  isset  und  von  meinem  Blute  trinkt,  wird 
leben  in  Ewigkeit.  Elisa  sättigte  100  Männer  mit  wenigem  Brot; 
und  Jesus  sättigte  mit  5  Broten  4000,  ausser  den  Weibern  und 
Kindern.  Elisa  machte  Oel  aus  Wasser;  und  Jesus  machte  Wein 
aus  Wasser.  Elisa  erlöste  die  Wittwe  von  ihrem  Gläubiger:  und 
Jesus  erlöste  die  schuldigen  Völker.  Elisa  Hess  das  Eisen  schwim- 
men und  versenkte  das  Holz;  und  Jesus  hob  unsere  Versunken- 
heit  und  versenkte  unser  leichtfertiges  Wesen.  Auf  Elisas  Ge- 
beinen wurde  ein  Todter  lebendig;  und  auf  Jesu  Gebeine  wurden 
geworfen  und  wurden  lebendig  alle  Völker,  die  gestorben  waren 
in  ihren  Sünden. 

Und  auch  Hiskia  wurde  verfolgt,  und  Jesus  wurde  verfolgt. 
Hiskia  wurde  verfolgt  und  verspottet  von  Sanherib,  seinem  Feinde ; 
und  Jesus  wurde  verspottet  von   dem  thörichten  Volk.    Hiskia 


1)  A:  Die  Propheten  Baals.  —  2)  A:  wenigem  Mehl. 


342  Homilie  XXI. 

betete  und  besiegte  seinen  Feind:  und  durch  die  Kreuzigung 
Jesu  wurde  unser  Feind  besiegt.  Hiskia  war  der  König  von  ganz 
Israel;  und  Jesus  ist  der  König  aller  Völker.  Weil  Hiskia  er- 
krankte, wich  die  Sonne  rückwärts;  und  weil  Jesus  litt,  verlor 
die  Sonne  ihr  Licht').  Hiskia's  Feinde  wurden  todte  Leichname; 
und  Jesu  Feinde  wurden  unter  seine  Füsse  gethan.  Hiskia  war 
von  dem  Geschlechte  des  Hauses  David;  und  Jesus  war  ein 
Sohn  Davids  dem  Fleische  nach.  Hiskia  sprach-):  Friede  und 
Treue  soll  in  meinen  Tagen  sein;  und  Jesus  sprach  zu  seinen 
Jüngern^;:  Meinen  Frieden  lasse  ich  euch.  Hiskia  betete  und 
genas  von  seiner  Krankheit;  und  Jesus  betete  und  stand  aus  dem 
Grabe  auf.  Hiskia  lebte,  nachdem  er  von  seiner  Krankheit  auf- 
gestanden war.  noch  weitere  Jahre:  und  Jesus  empfing,  nachdem 
er  auferstanden  war,  grosse  Herrlichkeit.  Ueber  Hiskia  gewann, 
nachdem  er  noch  weiter  gelebt  hatte,  der  Tod  die  Herrschaft; 
und  über  Jesus  herrscht,  nachdem  er  auferstanden  ist,  der  Tod 
in  Ewigkeit  nicht  mehr. 

Und  auch  Josia  wurde  verfolgt,  und  Jesus  wurde  verfolgt. 
Josia  wurde  verfolgt,  und  es  tödtete  ihn  der  lahme  Pharao^): 
und  Jesus  wurde  verfolgt,  und  es  tödtete  ihn  das  Volk,  das  ge- 
lähmt war  durch  seine  Sünden.  Josia  reinigte  das  Land 
Israels  von  heidnischem  Wesen;  und  Jesus  reinigte  und  entfernte 
das  Heidenthum  von  der  ganzen  Erde.  Josia  ehrte  und  pries 
den  Namen  seines  Gottes;  und  Jesus  sprach-^):  ich  habe  ihn 
verherrlicht  und  will  ihn  verherrlichen.  Josia  zerriss  wegen  der 
Sünde  Israels  seine  Kleider;  und  Jesus  zerriss  wegen  der  Sünde 
des  Volkes  den  Vorhang  des  heiligen  Tempels.  Josia  sprach''): 
Gross  ist  der  Zorn,  der  über  dieses  Volk  kommt:  und  Jesus 
sprach'):  Es  wii'd  der  Zorn  kommen  über  dieses  Volk;  und  sie 
werden  fallen   durch   die  Schärfe   des   Schwertes.     Josia  brachte 


1)  Wörtlich:  „Verfinsterte  sich  die  Sonue  von  ihrem  Licht". 

2)  2.  Kön.  20,  19.  —  3)  Joh.  14,  27. 

4)  Pharao  Necho  in  der  Schlacht  bei  Megiddo  2.  Kön.  23,  29.  Den 
Namen  des  ägypt.  Königs  Necho  hat  auf  Grund  der  im  Targum  nieder- 
gelegten Midraschischen  jüdischen  Deutung  auch  die  Pesch.  durch  Ij-«,.^, 
..Lahm'-,  wiedergegeben  was  natürlich  falsch  ist.  Das  Wort  rt::  ist  durch 
D-^Vs-i  n53,  „lahm  an  beiden  Füssen",  gedeutet,  wie  schon  Kimchi  be- 
merkt hat. 

5)  Joh.  12,  28.  —  fi)   2.  Kön.  22,   13.  —  7)  Luc.  21,  23.  24. 


Die  Unterweisung  von  den  Verfolgungen.  343 

das  Heidenthum  aus  dem  heiligen  Tempel;  und  Jesus  trieb  die 
unreinen  Kaufleute  aus  dem  Hause  seines  Vaters.  lieber  Josia 
Av einten  und  klagten  die  Töchter  Israels,  wie  Jeremia  sagt ') : 
Die  Töchter  Israels  Aveinen  über  Josia:  und  über  Jesum  wein- 
ten und  klagten  die  Töchter  Israels,  wie  Sacharia  sagt^):  Das 
Land  wird  Aveinen,  die  einen  Stämme  über  die  anderen. 

Und  auch  Daniel  Avurde  verfolgt,  und  Jesus  wurde  verfolgt. 
Daniel  Avurde  von  den  Chaldäern  verfolgt,  der  Versammlung 
gottloser  Männer;  und  Jesum  verfolgten  die  Juden,  die  V^er- 
sammlung  ruchloser  Männer.  Daniel  verleumdeten  die  Chaldäer; 
und  Jesum  verleumdeten  die  Juden  vor  dem  Landpfleger.  Da- 
niel warfen  sie  in  die  Lihvengrube,  und  er  wurde  befreit  und 
stieg  siegreich  aus  ihr  hervor;  und  Jesum  legten  sie  in  das 
Grab,  und  er  stieg  herauf,  und  der  Tod  ward  nicht  Herr  über 
ihn.  lieber  Daniel  verkündigten  sie:  Wenn  er  in  die  Grube  ge- 
fallen ist,  Avird  er  nicht  wieder  heraufkommen;  und  über  Jesum 
sprachen  sie:  Xuu  er  gefallen  ist,  wird  er  nicht  wieder  auf- 
stehen. Vor  Daniel  AVurde  der  Mund  der  gierigen  und  mör- 
derischen LöAven  verschlossen;  und  vor  Jesu  wurde  der  Mund 
des  gierigen  Todes  verschlossen,  des  Vernichters  der  Formen.  Die 
Grube  des  Daniel  versiegelten  und  bewachten  sie  mit  Sorgfalt; 
und  das  Grab  Jesu  bewachten  sie  mit  Sorgfalt;  wie  sie  sagten •*) : 
Gebiete,  dass  man  das  Grab  verwahre.  Da  Daniel  heraufstieg, 
Avurden  seine  Verleumder  zu  Schanden ;  da  Jesus  auferstand, 
Avurden  zu  Schanden  alle,  die  ihn  gekreuzigt  hatten.  Dem  König-, 
der  Daniel  gerichtet  hatte,  Avar  es  sehr  leid,  dass  die  Chaldäer 
ungerechter  Weise  ihn  verleumdet  hatten;  und  Pilatus,  der 
Richter  Jesu,  war  sehr  betrübt,  da  er  wusste,  dass  die  Juden 
ungerechter  Weise  ihn  verleumdeten.  Durch  das  Gebet  des 
Daniel  zogen  die  Gefangeneu  seines  Volkes  von  Babel  hinauf; 
und  Jesus  betete  und  wandte  die  Gefangenschaft  aller  Völker. 
Daniel  legte  den  Traum  und  die  Gesichte  Nebukadnezars  aus: 
und  Jesus  deutete  und  legte  die  Gesichte  des  Gesetzes  und  der 
Propheten  aus.  Da  Daniel  das  Gesicht  Beltschazars  ausgelegt 
hatte,  empfing  er  den  dritten  Theil  *)  im  Reiche ;  und  da  Jesus 
die  Gesichte  und  die  Propheten  erfüllt  hatte,  übergab  ihm  sein 

1)  2.  Chron.  35,  25.  —  2)  Zach.  12,  12.    -  3)  Mt.  27,  ii4. 
4)  Die  Auffassung  „iler  Dritte  im  Reiche"  ist  falsch,  wie  U.A.  der  Gegen- 
satz im  folgenden  Satze  zeigt. 


344  Homilie  XXI. 

Vater  das  ganze  Reich  im  Himmel  und  auf  Erden.  Daniel  sah 
V\'underbares  und  sprach  Verborgenes;  und  Jesus  offenbarte  Ver- 
borgenes und  erfüllte,  was  geschrieben  war.  Daniel  Avurde  unter 
den  Geissein  für  sein  Volk  hin  weggeführt;  und  der  Leib  Christi 
ist  die  Geissei  für  alle  Völker.  Wegen  des  Daniel  wurde  der 
Zorn  des  Königs  über  die  Chaldäer  besänftigt,  und  sie  wurden 
nicht  getödtet^);  und  wegen  Jesu  wurde  der  Zorn  seines  Vaters 
über  alle  Völker  besänftigt,  und  sie  wurden  nicht  getödtet  und 
starben  nicht  durch  ihre  Sünden.  Daniel  bat  den  König,  und 
er  setzte  seine  Genossen  über  die  Stadt  Babel;  und  Jesus  bat 
Gott,  und  er  setzte  seine  Brüder,  nämlich  seine  Jünger  über  den 
Satan  und  sein  Heer.  Daniel  sprach  über  Jerusalem  2):  Bis  zur 
festgesetzten  Zeit  wird  sie  in  der  Verwüstung  bleiben.  Und  Jesus 
sprach  über  Jerusalem^):  Es  wird  in  ihr  kein  Stein  auf  dem 
anderen  gelassen  werden,  weil  sie  nicht  erkannt  hat  den  Tag 
ihrer  Grösse.  Daniel  sah  die  Wochen,  welche  auf  seinem  Volke 
bleiben  sollten;  und  Jesus  kam  und  erfüllte  sie. 

Und  auch  Hanania  und  seine  Brüder  wurden  verfolgt,  und 
Jesus  wurde  verfolgt.  Hanania  und  seine  Brüder  wurden  von 
Nebukadnezar  verfolgt;  und  Jesum  verfolgte  das  Volk  der  Juden. 
Hanania  und  seine  Brüder  wurden  in  den  Ofen  des  Feuers  ge- 
worfen, und  dieses  war  ihnen,  den  Gerechten,  kühl  wie  der 
Thau;  und  Jesus  stieg  in  den  Ort  der  Finsterniss  hinab  und 
zerbrach  seine  Thüren  und  führte  die  Gefangenen  heraus.  Hana- 
nia und  seine  Brüder  stiegen  aus  dem  Feuerofen,  imd  die  Flamme 
verbrannte  ihre  Verleumder;  und  Jesus  erwachte  zum  Leben  und 
stieg  aus  der  Finsterniss,  und  die  ihn  verleumdet  und  gekreuzigt 
haben,  werden  brennen  in  der  Flamme  am  Ende  (der  Tage).  Da 
Hanania  und  seine  Brüder  aus  dem  Feuerofen  stiegen,  erschrak 
und  fürchtete  sich  der  König  Nebukadnezar:  und  da  Jesus  von 
den  Todten  auferstand,  erschrak  und  fürchtete  sich  das  Volk,  das 
ihn  gekreuzigt  hatte.  Hanania  und  seine  Brüder  fielen  vor  dem 
Bild  des  Königs  von  Babel  nicht  nieder;  und  Jesus  hielt  die 
Völker  zurück  von  der  Verehrung  der  todten  Bilder.  Wegen 
des  Hanania  und  seiner  Brüder  priesen  die  Völker  und  Nationen 
Gott,  der  sie  aus  dem  Feuer  errettet  hatte;  und  wegen  Jesu  lob- 

1)  Dan.  2.  —  2)  Dan.  9,  27. 

3)  Luc.  19,  44.    Aphr.  stimmt  hiei'  mit  Syr.  Cuiet.  überein,  während 
PescMto  für  ,.den  Tag  ihrer  Grösse"  hat  „den  Tag  ihrer  Heimsuchung". 


Die  Unterweisung  von  den  Verfolgungen.  345 

preisen  alle  Völker  den,  der  seinen  Sohn  errettet  hat,  sodass 
er  die  Verwesung  nicht  gesehen  liat.  üeber  die  Kleider  des 
Hanania  und  seiner  Brüder  wurde  das  Feuer  nicht  Herr ;  und  über 
die  Leiber  aller  Gerechten,  die  da  glauben  an  Jesum,  vnrd  das 
Feuer  am  Ende  der  Tage  nicht  Herr. 

Und  auch  Mordechai  wurde  verfolgt,  und  Jesus  wurde  verfolgt. 
Mordechai  wurde  von  dem  gottlosen  Haman  verfolgt;  und  Jesus 
wurde  von  dem  abtrünnigen  Volke  verfolgt.  Mordechai  errettete 
durch  sein  Gebet  sein  Volk  aus  den  Händen  des  Haman ;  und  Jesus 
errettete  durch  sein  Gebet  sein  Volk  von  den  Händen  des  Satan.  Mor- 
dechai wurde  aus  den  Händen  seines  Verfolgers  errettet;  und  Jesus 
wurde  aus  den  Händen  seiner  Verfolger  befreit.  Weil  Mor- 
dechai sass  und  sich  in  einen  Sack  kleidete,  errettete  er  Esther 
und  sein  Volk  von  dem  Schwerte:  und  weil  Jesus  sich  in  einen 
Leib  kleidete  und  sich  erniedrigte,  erlöste  er  die  Gemeinde  und 
ihre  Kinder  von  dem  Tode.  Wegen  des  Mordechai  gefiel  Esther 
dem  Könige  und  ging  hinein  und  setzte  sich  an  den  Platz  der 
Waschti,  welche  nicht  seineu  Willen  gethan  hatte;  und  wegen 
Jesu  gefiel  die  Kirche  Gott  und  ging  ein  und  wurde  dem  König 
vermählt  anstatt  der  Synagoge,  die  seinen  Willeu  nicht  gethan 
hatte.  Mordechai  ermahnte,  dass  Esther  und  ihre  Jungfrauen 
fasteten,  und  sie  und  ihr  Volk  aus  den  Händen  des  Haman  er- 
rettet würden :  und  Jesus  ermahnte  seine  Gemeinde  und  ihre  Kinder, 
damit  sie  und  ihre  Kinder  von  dem  Zorn  errettet  würden.  Mordechai 
empfing  die  Ehre  seines  Verfolgers  Haman;  und  Jesus  empfing 
grosse  Ehre  von  seinem  Vater  für  seine  Verfolgung  durch  das 
thörichte  Volk.  Mordechai  trat  auf  den  Nacken  seines  Ver- 
folgers Haman:  und  Jesu  Feinde  wurden  unter  seine  Füsse  ge- 
legt. Vor  Mordechai  her  verkündigte  Haman  ^) :  So  wird  man 
einem  Mann  thun,  den  der  König  ehren  will;  und  Jesu  Herolde 
gingen  aus  von  dem  Volk,  das  ihn  verfolgt  hatte,  und  sprachen: 
Dieser  ist  Jesus,  der  Sohn  Gottes.  Das  Blut  Mordechais  wurde 
an  Haman  und  seinen  Kindern  gerächt:  und  das  Blut  Jesu  em- 
pfingen seine  Verfolger  auf  sich  und  ihre  Kinder. 

Diese  Erinnerungen  habe  ich  dir  geschrieben,  mein  Lieber, 
wegen  Jesu,  der  verfolgt  ward,  und  wegen  der  Gerechten,  die 
verfolgt    wurden,   damit    getröstet   würden    die  Verfolgten    von 

1)  Esther  6,  11. 


346  Homili.-  XXI. 

heute,  welche  imi  des  verfolgten  Jesu  willen  verfolgt  werden, 
denn  er  schreibt  uns  und  tröstet  uns  durch  sich  selbst.  Er  sagt 
nämlich^):  Wenn  sie  mich  verfolgt  haben,  so  werden  sie  auch 
euch  verfolgen.  Und  deshalb  werden  sie  euch  verfolgen,  weil 
ihr  nicht  von  der  Welt  seid:  wie  ich  nicht  von  ihr  gewesen  bin. 
Er  hat  uns  nämlich  zuvorgeschrieben-):  Es  werden  euch  über- 
antworten eure  Väter  und  eure  Brüder  und  eure  Verwandten; 
und  es  wird  euch  jedermann  hassen  um  meines  Namens  willen. 
Und  wiederum  lehrt  er  uns-^):  Wenn  sie  euch  vor  die  Fürsten 
und  vor  die  Obrigkeiten  und  vor  die  Könige,  welche  die  Welt 
beherrschen,  bringen,  so  sollt  ihr  nicht  vor  der  Zeit  euch  Sorge 
machen,  was  ihr  reden  sollt,  und  wie  ihr  euch  vertheidigeu  sollt. 
Und  ich  will  euch  den  Mund  und  AVeisheit  geben,  dass  euch 
eure  Feinde  nicht  überwinden  können :  denn  ihr  seid  es  nicht,  die 
da  reden,  sondern  der  heilige  Geist,  eures  Vaters  ist  es,  der 
durch  euch  redet.  Das  ist  der  Geist,  der  durch  den  Mund 
Jakobs^)  mit  Esau,  seinem  Verfolger,  redete;  und  der  Geist  der 
Weisheit,  der  vor  Pharao  durch  den  Mund  des  verfolgten  Joseph 
redete;  und  der  Geist,  der  durch  den  Mund  Moses  bei  allen 
Wundern  redete,  die  er  im  Lande  Aegypten  gethan  hat;  und  der 
Geist  der  Erkenutniss,  der  Josua,  dem  Sohn  Xuns,  gegeben  ward, 
da  Mose  ihm  seine  Hand  auflegte,  und  vernichtet  und  vor  ihm 
zu  Grunde  gerichtet  wurden  die  Völker,  die  ihn  verfolgten;  und 
der  Geist,  der  durch  den  Mund  des  verfolgten  David  sang, 
durch  welchen  er  sang  und  seinem  Verfolger  Saul  Erquickung 
verschaffte  vor  dem  bösen  Geist;  und  der  Geist,  der  Elia  be- 
kleidete, und  durch  welchen  er  Isebel  und  seinen  Verfolger  Ahab 
rügte;  und  der  Geist,  der  durch  Elisa  redete,  sodass  er  weis- 
sagte und  dem  König,  seinem  Verfolger,  kund  gab,  was  sich 
nach  dem  Tage  ereignen  würde;  und  der  Geist,  der  in  dem 
Munde  Michas  aufwallte,  da  er  seinen  Verfolger  Ahab  rügte 
und  zu  ihm  sprach  •^) :  Wenn  du  zurückkehren  wirst,  so  hat  auch 
der  Herr  nicht  durch  mich  geredet;  und  der  Geist,  der  Jeremia 


1)  Job.  15,  20;    17,  16.   —   2)  Mt.  24,  9;    10,  21.  22.    Luc.  21,  Ki.  17. 
Marc.  13,  12.  13. 

3)  Luc.  12,  11.  12.    Mt.  10,  18—20.    Luc.  21,  12—15.    Marc.  13,  11. 

4)  Symb.  Const. :  ;!ai  elg  z6  nvivfjia  x6  ayiov  xh  /.aXovv  Suc  T(öv  tiqo- 
(pr]T(öv.    Vgl.  Hom.  I  Schluss. 

5)  ].  Kön.  22,  28. 


Die  Unterweisung  von  den   Verfol^nnsfen.  1^47 

stärkte,  dass  er  kühn  auftrat  und  durch  ihn  ')  Zedekia  rügtf : 
und  der  Geist,  der  Daniel  und  seine  Genossen  im  Lande  Babel 
bewahrte;  und  der  Geist,  der  Mordechai  und  Esther  am  Ort 
ihrer  Gefangenschaft  errettete. 

Höre,  mein  Lieber,  folgende  Namen  der  Zeugen  und  Be- 
kenn er  und  Verfolgten.  Habel  wurde  getödtet,  und  sein  Blut 
schrie  aus  der  Erde.  Und  Jakob  wurde  verfolgt  und  floh  mid 
ward  ein  Fremdling.  Und  Joseph  Avurde  verfolgt  und  verkauft 
imd  in  die  Grube  geworfen.  Und  Mose  wurde  verfolgt  und 
floh  nach  Midian.  Und  Josua,  der  Sohn  Nuns,  wurde  verfolgt 
und  führte  Krieg.  Und  Nephtach  (Jephtha)  und  Simson  und 
Gideon  und  Barak  wurden  auch  verfolgt,  von  denen  der  selige 
Apostel  sagt-j:  Die  Zeit  ist  mir  zu  kurz,  dass  ich  ihre  Siege  er- 
zähle. Und  auch  David  wurde  verfolgt  von  Saul  und  ging  in 
die  Berge  und  in  die  Höhlen  und  in  die  Felder.  Und  auch 
Samuel  wurde  verfolgt  und  betrübt  über  Saul.  Und  Hiskia 
wiederum  wurde  verfolgt  und  mit  Anfechtung  bedrängt.  Und 
Elia  wurde  verfolgt  und  ging  in  die  Wüste.  Und  Elisa  wurde 
verfolgt  und  ward  ein  Fremdling.  Und  Micha  Avurde  verfolgt 
und  ward  ein  Fremdling-^).  Und  Jeremia  wurde  verfolgt,  und 
sie  warfen  ihn  in  die  schlammige  Cisterne.  Und  Daniel  wurde 
verfolgt  und  in  die  Löwengrube  gcAvorfen.  L^nd  auch  Hanania 
und  seine  Brüder  wurden  verfolgt  und  in  den  Feuerofen  ge- 
worfen. L^nd  Mordechai  und  Esther  und  die  Kinder ')  ihres 
Volkes  wurden  verfolgt  durcli  Haman.  Und  Juda  der  Makka- 
bäer^)  und  seine  Brüder  wurden  auch  verfolgt  und  ertrugen 
Schmach,  und  die  7  Brüder'),  die  Söhne  der  Seligen,  ertrugen 
in  bitteren  Plagen  Qualen  und  waren  Bekenner  und  Avahre 
Zeugen.  Und ')  der  greise  und  wohlbetagte  Eleasar  war  ein 
gutes  Vorbild  und  bekannte  und  ward  ein  vollkommener  Zeuge. 

Gross  und  überreich  ist  das  Zeugniss  Jesu,  der  an  Anfech- 
tung und  Bekenntniss  alle  Früheren  und  Späteren  übertraf.  Und 
nach  ihm  war  ein  gläubiger  Zeuge  Stephanus,  welchen  die  Juden 
steinigten.     Und    auch  Simon    und    Paulus    waren    vollkommene 

1)  Nämlich  den  C.ieist.  —  2)  Hebr.   11,  32. 

3)  B  hat  hier  nocli:    ,,ünd  Micha  wurde  verfolgt  und  ins  GefUngniss 
geworfen". 

4)  d  i.  die  Angehörigen  ihres  Volkes.  —  .5)  2.  Maccah.  8.  —   6)  2.  Mac- 
Ciib.  7.  --    7)  2.  Maccab.  fi,  18,  24. 


348  Homilie  XXI. 

Zeugen;  und  Jakob  und  Johannes  gingen  in  den  Fusstapfen 
ihres  Meisters  Christus  ').  Auch  von  den  Apostehi  an  bis  jetzt 
bekannten  allenthalben  und  gingen  hervor  wahre  Zeugen.  Und 
auch  über  unsere  Brüder  im  Westen  kam  in  den  Tagen  Dio- 
kletians grosse  Bedrängniss  und  Verfolgung,  über  die  ganze 
Gemeinde  Gottes,  in  ihrem  ganzen  Reiche.  Und  Gemeinden 
wurden  ausgerottet  und  vertilgt,  und  es  legten  viele  Bekenner 
und  Zeugen  Bekenntniss  ab.  Und  er  kehrte  sich  wieder  zu  ihnen 
in  Barmherzigkeit,  nachdem  sie  gezüchtigt  worden  waren.  Und 
auch  in  unseren  Tagen  geschah  dergleichen  auch  um  unserer  Sünden 
willen;  aber  auch  die  Schrift  stimmt  damit  überein.  Wie  unser  Er- 
löser sagt  ■-) :  Solches  muss  geschehen.  Und  auch  der  Apostel 
sagt:  Auch  über  uns  ist  diese  Wolke  des  Bekenntnisses  zu  unserer 
Ehre  gesetzt,  welches  Viele  ablegen  und  (darum)  getödtet  werden. 
Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  der  Verfolgung. 

1 )  Man  beachte  wohl,  class  Aphr.  nur  von  dem  Martyrium  des  Petrus 
und  Paulus,  des  Jakobus  und  Johannes  weiss,  und  die  Legenden  über  die 
Martyrien  anderer  Apostel  mit  Stillschweigen  übergeht 

2)  Mt.  24,  fi.    Luc.  21,  9. 


Die  Unterweisung'  vom  Tod  nnd  den  letzten 

Zeiten. 

Die  Rechtscliaffeuen  und  Gerechten  und  Guten  und  Weisen 
fürchten  sich  nicht  noch  zittern  vor  dem  Tode,  wegen  der  grossen 
Hoffnung,  die  vor  ihnen  ist,  und  sie  gedenken  alle  Zeit  des 
Todes,  als  des  Ausgangs,  und  des  jüngsten  Tags,  an  dem  die 
Menschen  ')  wiedergeboren  werden  sollen.  Und  sie  wissen,  dass 
durch  richterlichen  Beschluss  dem  Tod  die  Herrschaft  gegeben 
ist,  weil  Adam  das  Gebot  übertrat;  wie  der  Apostel  sagt'-^;:  Der 
Tod  herrschte  von  Adam  bis  auf  Mose  auch  über  die,  welche 
nicht  gesündigt  haben,  also  dass  er  auch  über  alle  Menschen 
gekommen  ist.  wie  er  über  Adam  gekommen  ist.  Wie  anders 
aber  erhielt  der  Tod  die  Herrschaft  von  Adam  bis  auf  Mose, 
als  da  Gott  Adam  das  Gebot  gab,  ihn  warnte  und  also  sprach  •') : 
An  dem  Tage,  da  du  von  dem  Baum  der  Erkeuntniss  des  Guten 
und  Bösen  essen  wirst,  wirst  du  des  Todes  sterben:  und  da  er 
das  Gebot  übertrat  und  von  dem  Baume  ass,  bekam  der  Tod 
die  Herrschaft  über  ihn  und  alle  seine  Kinder.  Auch  über  die, 
welche  nicht  sündigten,  berrsclite  der  Tod  um  der  Gebotsüber- 
tretimg Adams  willen  '). 

Warum  aber  sagt  er:  V^on  Adam  bis  auf  Mose  hat  der  Tod 
geherrscht,  wobei  der  Unverständige  meinen  könnte,  dass  der 
Tod  nur  von  Adam  bis  auf  Mose  Gewalt  gehabt  habe?  —  Wird 
es  ja  doch  richtig  verstanden  aus  dem  Wort,  das  er  sagt'):  Er 
ist  über  alle  Menschen  gekommen.  Über  alle  Menschen  abei- 
ist  er  gekommen,   das   heisst.  von  Mose  bis  zum  Ende  der  Welt. 


1)  A:  ,,an  deui  die  Menschen  gerichtet  werden  sollen". 

2)  Rom.  ö,  14.     Die  Lesart  des  Aphr.  unterscheidet   sich  wesentlich 
von  derjenigen  der  Pesch.,  die  mit  dem  griechischen  Text  übereinstimmt. 

3)  Gen.  2.  17.  —  4)  vgl.  Rom.  5,  14.   —  5)  Rom.  5,  12. 


350 


Homilie  XXn. 


Indessen  bat  es  Mose  verkündigt,  dass  sein  Keicli  ein  Ende 
hat.  Denn  da  Adam  das  Gebot  übertrat,  sodass  der  Tod  über 
seine  Kinder  verhängt  wurde,  meinte  der  Tod.  dass  er  alle 
Menschen  gefesselt  habe,  und  dass  er  ewig  König  über  sie  sein 
werde.  Und  da  Mose  kam,  da  verkündigte  er  die  Auferstehung; 
und  der  Tod  erkannte,  dass  sein  Reich  ein  Ende  habe.  Mose 
nämlich  sprach'):  Rüben  wird  leben  und  nicht  sterben  und  wird 
(leicht)  zählbar  sein.  Und  da  der  Heilige  Mose  berief  aus  dem 
Dornbusch,  sprach  er  also  zu  ihm  -) :  Ich  bin  der  Gott  Abra- 
hams, Isaaks  und  Jakobs.  Als  aber  der  Tod  dieses  Wort  hörte, 
gerieth  er  in  Zittern  und  Furcht  und  Angst  und  Aufregung, 
und  erkannte,  dass  er  nicht  für  ewig  König  sei  über  die  Menschen. 
Seit  der  Stunde,  da  er  hörte,  dass  Gott  zu  Mose  sprach:  Ich 
bin  der  Gott  Abrahams,  Isaaks  und  Jakobs,  wurde  es  lahm  in 
den  Händen  des  Todes ''),  da  er  erkannte,  dass  Gott  König  sei 
über  Todte  und  Lebendige,  und  dass  die  Menschen  aus  seiner 
Finsterniss  hervor  gehen  und  in  ihren  Leibern  auferstehen 
sollten.  Siehe,  auch  Jesus,  unser  Erlöser,  sprach,  da  er  dieses 
Wort  den  Saducäern  erwiderte,  da  sie  mit  ihm  über  die  Aufer- 
stehung der  Todten  stritten,  also^):  Gott  ist  nicht  ein  Gott  der 
Todten,  denn  ihm  leben  sie  alle. 

Und  um  den  Tod  zu  belehren,  dass  seine  Herrschaft  nicht 
ewig  sein  sollte  über  alle  in  der  Welt  Geborenen,  versetzte  er 
Henoch  zu  sich,  Aveil  er  ihm  wohlgefällig  war,  und  machte  ihn 
frei  von  dem  Tode;  und  er  erhob  ferner  Elia  in  den  Himmel, 
und  der  Tod  hatte  keine  Gewalt  über  ihn.  Und  Hanna  sprach-^): 
Der  Herr  tödtet  und  macht  lebendig;  er  führt  in  die  Unterwelt 
und  führt  wieder  heraus.  Und  Mose  wiederum  spricht  als  aus 
dem  Munde  seines  Gottes*^):  Ich  tödte  und  mache  lebendig.  Und 
wiederum  spricht  auch  der  Prophet  Jesaia'):  Deine  Todten 
werden  leben,  und  ihre  Leichname  werden  auferstehen;  und  die  da 
in  dem  Staube  liegen,  werden  erwachen  und  werden  dich  preisen. 


1)  Deut.  33,  6.  Aphr.  stimmt  hier  mit  Pesch.  überein,  hebr. :  -a'K-  -r-, 
"EC-;  r-na  -n-^'i  ra^-jsi,  ,, Rüben  lebe  und  sterbe  nicht,  und  er  sei  ein  ge- 
ringer Haufe".  Bickell  übersetzt  hier:  ,, Rüben  lebe  und  sterbe  nicht  und 
werde  zahlreich". 

2)  Exod.  3,  6. 

3)  Die  Bedeutung  der  Phrase:  ]Zc'^^  ^sicp-i-c  rru-i.  L^^^  ist  unge- 
wiss. —  4)  Luc.  20,  38.  —  '))  1.  Silin.  2,  ß.     -  (i)   Deut.  ;!2,  39.  —  7)  Jes.  2t;,  lli. 


Die  Unterweisung  vom  Toil  niul  den  letzten  Zeiten.  351 

Da  der  Tod  dieses  Alles  hörte,    ergriff  ihn  Yerwuüderuug    und 
er  sass  iu  Trauer. 

Und  als  Jesus,  der  Tödter  des  Todes,  kam  und  den  Leib 
von  dem  Samen  Adams  anlegte  und  in  seinem  Leibe  gekreuzigt 
wurde  und  den  Tod  schmeckte,  und  da  er  merkte,  dass  er  zu 
ihm  herniederkam,  da  wankte  er  von  seiner  Stätte  hinweg  und 
ward  bestürzt,  da  er  Jesum  sah,  und  verschloss  seine  Tliüren 
und  wollte  ihn  nicht  aufnehmen.  Da  zerbrach  er  seine  Tliüren 
und  ging  zu  ihm  ein  und  fing  an,  seinen  ganzen  Besitz  zu 
rauben.  Als  aber  die  Todten  das  Licht  in  der  Fiusteruiss  sahen, 
erhoben  sie  ihre  Häupter  aus  der  Gefangenschaft  des  Todes  und 
schauten  aus  und  sahen  den  Glanz  des  Königs  Christus.  Als- 
dann Sassen  die  Mächte  seiner  Finsterniss  in  Trauer,  w^eil  der 
Tod  von  seiner  Herrschaft  gestürzt  wurde.  Und  der  Tod 
schmeckte  die  Arznei,  die  ihn  tödtete,  und  seine  Hände  er- 
schlafften, und  er  erkannte,  dass  die  Todten  leben  und  befreit 
würden  von  seiner  Herrschaft.  Und  da  er  den  Tod  bedrängte 
durch  das  Rauben  seines  Besitzes,  jammerte  und  schrie  er  bitter- 
lich und  sprach:  Gehe  von  meiner  Wohnung  hinaus  und  betritt 
sie  nicht.  Wer  ist  der,  welcher  lebendig  in  meine  Wohnmig 
eintreten  darf?  L^nd  da  der  Tod  heftig  schrie,  wie  er  sah,  dass 
seine  Finsterniss  anfing  zu  weichen  und  von  den  Gerechten,  die 
da  schliefen,  etliche  aufstanden,  um  mit  ihm  hinaufzusteigen, 
und  da  er  ihm  verkündete,  dass.  wenn  er  kommen  werde  am 
Ende  der  Zeit,  er  alle  Gefesselten  aus  seiner  Herrschaft  befreien 
und  zu  sich  hinaufführen  werde,  damit  sie  das  Licht  sähen,  da 
liess  der  Tod  Jesum.  nachdem  dieser  sein  Werk  unter  den 
Todten  verrichtet  hatte,  aus  seiner  Wohnstätte  entweichen  und 
duldete  nicht,  dass  er  dort  blieb;  und  es  war  ihm  nicht  süss, 
ihn  zu  verschlingen  wie  bei  allen  Verstorbenen,  und  er  hatte 
keine  Gewalt  über  den  Heiligen,  und  dieser  wurde  nicht  der 
Verwesung  überlassen. 

LTnd  da  er  ihn  entweichen  liess  und  dieser  aus  seiner  Wolm- 
stätte  herausging,  liess  er  ihm  als  Gift  die  Verheissung  des 
Jjebens  zurück,  dass  nach  und  nach  seine  Herrschaft  vernichtet 
würde.  In  der  Weise,  wie  ein  Mann,  der  Todesgift  zu  sich  ge- 
nommen hat  in  der  Speise,  die  ihm  zum  Leben  gegeben  war, 
wenn  er  merkt  in  sich,  dass  er  Todesgift  in  der  Speise  be- 
kommen hat.   die   Speise    erbriclit.   iu   wekli(^  das   Todesgift  ge- 


352  Homilie  XXII. 

mischt  war,  das  Gift  aber  seine  Wirkung  in  den  Gliedern  zurück- 
lässt,  sodass  nach  und  nach  das  Gefüge  seines  Leibes  aufgelöst 
and  zerstört  wird,  so  ist  der  gestorbene  Jesus  der  Vernichter 
des  Todes  (geworden),  (Jesus,)  durch  welchen  das  Leben  regiert 
und  der  Tod  beseitigt  ist,  zu  welchem  gesprochen  ist'):  Tod, 
wo  ist  dein  Sieg? 

Nun  denn,  ihr  Kinder  Adams,  alle,  über  die  der  Tod  Herr- 
schaft hat,  gedenket  an  den  Tod  und  erinnert  euch  an  das 
Leben  und  übertretet  nicht  das  Gebot,  wie  euer  erster  Vater. 
0  ihr  Könige,  die  ihr  mit  Kronen  geschmückt  seid,  gedenket  an 
den  Tod,  der  die  Kronen  hinwegnimmt,  welche  auf  euren 
Häuptern  sitzen,  und  König  über  euch  ist  bis  zur  Zeit,  da  ihr 
zum  Gericht  auferstehet.  0  ihr  Vornehmen  und  Hohen  und 
Übermüthigen,  gedenket  an  den  Tod,  der  das  Hohe  vernichtet  '^) 
und  die  Glieder  auflöst  und  die  Zusammenfügung  trennt.  Es 
werden  der  Leib  und  seine  Gebilde  dem  Verderben  anheimgegeben, 
und  die  Hohen  werden  durch  den  Tod  gedemüthigt,  und  die 
Groben  und  Harten  werden  in  seiner  Finsterniss  verschlossen, 
und  er  nimmt  allen  Übermuth  hinweg,  und  sie  werden  ver- 
nichtet und  sind  Staub  bis  zum  Gerichte.  0  ihr  Reichen,  ge- 
denket an  den  Tod;  wenn  die  Zeit  da  ist,  dass  ihr  zu  ihm 
kommt,  dann  könnt  ihr  euch  bei  ihm  des  Reichthuras  und  des  Be- 
sitzes nicht  bedienen;  er  legt  euch  keine  leckeren  Speisen  vor  und 
bereitet  auch  keinen  lieblichen  Trank.  Dort  wird  der  Leib  der 
Verweichlichten,  die  sich's  wohl  sein  lassen,  vernichtet  und  sie 
ruhen  von  ihren  Genüssen  und  gedenken  ihrer  nicht.  Das  Ge- 
würm verzehrt  daselbst  ihre  Leiber,  und  sie  sind  mit  Finsterniss 
umkleidet  über  ihren  schönen  Gewändern.  Sie  erinnern  sich  ganz 
und  gar  nicht  mehr  dieser  Welt,  denn  der  Tod  verwirrt  sie, 
wenn  sie  zu  ihm  herabkommen.  Und  sie  sitzen  in  Trauer  und 
Todesschatten  und  gedenken  dieser  Welt  nicht  mehr,  bis  das 
Ende  kommt,  und  sie  zum  Gericht  auferstehen.  0  ihr  Räuber 
und  Unterdrücker  und  Beschädiger  des  Nächsten,  gedenket  an 
den  Tod  und  vermehret  eure  Sünden  nicht;  denn  dort  können 
sich  die  Sünder  nicht  mehr  bekehren.  Wer  des  Nächsten  Eigen- 
thum  geraubt  hat,  wü'd  sein  eigenes  nicht  besitzen,  und  er  geht 

1)  1.  Cor.  15,  55. 

2)  B  fügt  hier  noch  hinzu:  Und  die  Kronen  hinwegninimt.  Gedenke 
an  den  Tod,  der  das  Hohe  vernichtet. 


«  Die  Unterweisung  vom  Tod  und  den  letzten  Zeiten.  353 

an  den  Ort,  da  ^)  niemand  des  Reiclitlmms  sich  bedient;  und 
und  er  verliert  und  entbehrt  seine  Ehre,  und  seine  Sünden 
werden  verwahrt  bis  zum  Tag  des  Gerichts.  0  ihr,  die  ihr  auf 
diese  Welt  vertraut,  möchte  doch  diese  Welt  verächtlich  werden 
in  euren  Augen,  denn  ihr  seid  Fremdlinge  und  Gäste  darinnen 
und  wisset  nicht  den  Tag,  da  ihr  aus  derselben  hinweggeführt 
werdet.  Denn  plötzlich  kommt  der  Tod,  und  trennt  und  führt 
hinweg  die  geliebten  Kinder  von  ihren  Eltern,  und  die  Eltern 
trennt  er  von  den  geliebten  Kindern.  Er  führt  theure  einzige 
(Kinder)  zu  sich,  und  die  Eltern  werden  ihrer  beraubt  und 
fallen  der  Geringschätzung  anheim.  Er  trennt  theure  Freunde, 
und  ihre  Freunde  weinen  bitterlich  über  sie.  Er  führt  hinweg 
und  verschliesst  bei  sich  die  Schöngestalteten,  um  ihre  Gestalten 
zu  entstellen  und  zu  zerstören.  Und  die  Anmuthigen  von  Ge- 
sicht führt  er  zu  sich,  und  sie  werden  zu  Staub  bis  zum  Gericht. 
Er  führt  die  Bräute  von  ihren  Verlobten  hinweg  und  verschliesst 
sie  in  seinem  Brautgemach,  in  seiner  dunklen  Wohnung.  Und 
er  führt  hinweg  und  trennt  die  Verlobten  von  den  Jungfrauen, 
die  ihnen  bestimmt  und  in  ihrem  Namen  für  sie  geworben 
waren  2),  und  sie  sitzen  in  bitterer  Trauer  über  sie.  Er  führt 
zu  sich  und  nimmt  hinweg  alle  schönen  Jünglinge,  die  gehofft 
hatten,  dass  sie  den  Tod  bis  zum  Greisenalter  nicht  sehen  würden. 
Er  führt  hinweg  und  versammelt  bei  sich  geliebte  Kinder  von 
wenigen  Tagen,  an  denen  ihre  Eltern  sich  nicht  satt  sehen 
konnten.  Er  führt  zu  sich  die  Reichen  und  Vornehmen,  und 
ihre  Schätze  verlassen  sie  wie  die  Wellen  des  Meeres.  Er  führt 
zu  sich  die  geschickten  Künstler,  welche  die  Welt  mit  ihren 
wunderbaren  Werken  aufrichten.  Er  führt  zu  sich  die  Klugen 
und  Weisen,  und  sie  werden  zu  Thoren,  die  Gutes  und  Böses 
nicht  unterscheiden  können.  Und  er  führt  zu  sich  die  Reichen 
dieser  Welt,  und  ihre  ßesitzthümer  werden  vernichtet  und  bleiben 
nicht  bestehen  ewiglich.  Er  führt  zu  sich  die  Starken  und 
Helden,  und  ihre  Kraft  wird  gebrochen,  ninnut  ab  und  vergeht. 
Und  die  darauf  vertrauten,  dass  ihre  Kraft  nicht  abnehme,  deren 
Leiber  werden    am  Tage  des  Todes    bestattet  von   solchen,    die 

1)  A:  „da  Bitten  dem  Menschen  nichts  mehr  helfen". 

2)  Die  Ausdrucksweise  erklärt  sich  aus  der  morgenUlndischen  Art  der 
Werbung,  dass  der  Bräutigam  die  Braut  vor  der  Hochzeit  nicht  sah,  son- 
dern die  Werbung  durch  Dritte  besorgen  Hess. 

Texte  und  Uiitersuchiuigeii  III,  3.  4.  23 


354  Homilie  XXII. 

geringer  waren  als  sie.  Und  die  da  sicher  waren,  dass  sie  bei 
ihrem  Tod  in  Ehren  bestattet  würden,  die  trifft  es,  dass  sie  die 
Hunde  fressen;  und  die  da  sicher  sind,  dass  sie  im  Land  ihrer 
Gebiu-t  begraben  werden,  wissen  nicht,  ob  sie  im  Land  ihrer 
Gefangenschaft  schmachvoll  begraben  werden.  Und  denen,  die 
sicher  sind  auf  ihre  Schätze,  dass  sie  dieselben  ihren  Söhnen 
vererben  würden,  ist  es  verborgen,  ob  sie  nicht  von  ihren 
Feinden  beraubt  werden.  Der  Tod  führt  zu  sich  die  Tapferen 
und  Krieger,  die  da  gedachten,  die  weite  Welt  zu  verderben.  Der 
Tod  führt  weg  solche,  die  sich  mit  allerlei  Zierrath  schmückten, 
und  ein  Eselsbegräbniss  ^)  wird  ihnen  oft  zu  Theil,  wenn  sie  be- 
graben werden.  Der  Tod  herrscht  über  die  noch  Ungeborenen 
und  verschliesst  sie  bei  sich,  wenn  sie  noch  nicht  geboren  sind. 
Der  Tod  führt  zu  sich  die  Hochangesehenen  aus  ihren  Herrlich- 
keiten, und  sie  sind  in  Schande,  wenn  sie  zu  ihm  herab- 
kommen, an  seinen  finsteren  Ort,  da  kein  Licht  ist.  Er  scheut 
sich  nicht  vor  Königen,  die  Kronen  tragen,  und  weicht  nicht 
scheu  zurück  vor  hochmüthigen,  aufbrausenden  Ländereroberern. 
Der  Tod  sieht  nicht  die  Person  der  Angesehenen  2)  an  und  nimmt 
keine  Bestechung  von  den  Reichen.  Und  der  Tod  verachtet  nicht 
die  Armen  und  verschmähet  nicht,  die  da  nichts  haben.  Der 
Tod  ehrt  nicht  diejenigen,  welche  in  hohen  Würden  stehen,  und 
bei  ihm  werden  nicht  unterschieden  Gute  und  Böse,  er  unter- 
scheidet nicht  die  Greise  von  den  Knaben  in  der  Ehrenbezeigung. 
Und  die  Verständigen  macht  er  zu  Unverständigen.  Die  da  Be- 
sitz erwerben  und  laufen  und  sich  abmühen,  sind  dort  bei  ihm 
entblösst  von  ihren  Schätzen.  Er  führt  zu  sich  auf  gleiche 
Weise  die  Knechte  und  ihre  Herren,  und  dort  sind  die  Herren 
nicht  mehr  geehrt,  denn  die  Knechte.  Kleine  und  Grosse  sind 
daselbst,  und  sie  hören  nicht  die  Stimme  des  Unterdrückers^;; 
der  Knecht,  der  befreit  wird  von  seinem  Herrn,  denkt  dort 
nicht  an  den,  der  ihn  geknechtet  hat.  Der  Tod  fesselt  und  ver- 
schliesst bei  sich  die  Gefängnissverwalter  und  die  im  Gefängniss 
Liegenden.  Durch  den  Tod  sind  die  Gefangenen  losgelassen  und 
fürchten  sich  nicht  mehr  vor  ihren  Unterdrückern.  Es  fürchten 
sich  vor  dem  Tod  diejenigen,  die  hoch  angesehen  sind,  und  die 
Bedrängten    harren,    dass   sie   bald   hin  weggeführt   werden.     Es 


1)  Jer.  22,  19.  —  2)  B:  der  Kläger.  —  3)  lob  3. 


Die  Unterweisung  vom  Tod  und  den  letzten  Zeiten.  355 

zittern  vor  dem  Tode  alle  Reichen,  und  die  Armen  verlangen, 
dass  sie  Ruhe  finden  von  der  Arbeit.  Der  Tod  erschreckt  die 
Starken,  wenn  sie  an  ihn  gedenken,  und  die  Kranken  warten 
auf  ihn,  dass  durch  ihn  ihre  Schmerzen  aufhören.  Wiederum 
fürchten  sich  vor  dem  Tode  die  Jungen,  weil  sie,  wenn  er  über 
sie  kommt,  ihre  Vergnügungen  verlassen  müssen,  und  es  erflehen 
ihn  die  hochbetagten  Greise,  denen  das  tägliche  Brot  mangelt. 
Es  gedenken  an  den  Tod  die  Kinder  des  Friedens  und  vergeben 
und  vergessen  Zorn  und  Feindschaft.  Als  Fremdlinge  wohnen 
sie  in  dieser  Welt,  und  sie  bereiten  ihre  Wegzehrung  für  das, 
was  vor  ihnen  liegt.  An  dasjenige,  das  droben  ist,  denken 
sie,  und  um  das,  das  droben  ist,  sorgen  sie,  und  die  Dinge,  die 
unter  ihnen  sind,  verachten  ihre  Augen;  sie  senden  ihre  Schätze 
an  den  Ort,  wo  keine  Furcht  ist,  wo  keine  Motten  und  keine 
Diebe  sind.  Sie  wohnen  in  dieser  Welt  als  Fremdlinge  aus  einem 
fernen  Land  ^).  Sie  harren  darauf,  dass  sie  aus  dieser  Welt  ent- 
lassen Av erden  und  einkehren  zur  Stadt  der  Gerechten;  sie  machen 
sich  selbst  Mühe  an  dem  Ort  ihrer  Fremdlingschaft,  und  lassen 
sich  nicht  aufhalten  und  machen  sich  keine  Sorgen  in  der 
Fremde.  Alle  Tage  ist  ihr  Angesicht  nach  oben  gerichtet,  dass 
sie  eingehen  zur  Ruhe  ihrer  Väter.  Sie  sind  wie  die  Gefangenen 
in  dieser  Welt,  gleichwie  Geissein  des  Königs  werden  sie 
festgehalten.  Sie  haben  durchaus  keine  Ruhe  in  dieser  Welt. 
Und  es  ist  in  ihr  keine  Hoffnung,  die  ewig  dauert.  Die  da 
Güter  erwerben,  freuen  sich  ihrer  nicht,  und  die  da  Kinder 
zeugen,  betrübt  der  Tod;  die  da  Städte  bauen,  werden  nicht  in 
denselben  gelassen,  und  diejenigen,  die  sich  von  den  Thoren  nicht 
unterscheiden,  laufen  und  mühen  sich  um  allerhand  ab.  0  du 
unverständiger  Mensch,  der  du  deine  Hoffnung  auf  diese  Welt 
setzest.  Erinnere  dich,  mein  Lieber,  überlege  und  siehe  in  deinem 
Geist,  wer  von  den  früheren  Geschlechtern  in  dieser  Welt  zurück- 
gelassen ist,  der  da  bleibe  in  Ewigkeit.  Der  Tod  hat  die 
früheren  Geschlechter  hinweggeführt,  die  Starken  und  Kräftigen 
und  Weisen.  Wer  hätte  Schätze  gesammelt  und  sie  beim  Weg- 
gang mitgenommen?  Was  von  der  Erde  gesammelt  ist,  kehrt 
in  sie  zurück,  und  nackt  verlässt  der  Mensch  seine  Habe.     Die 


1)  )-cu_t»?   I'Z)    .»J-c ,   „aus    einem   l'ei-nen   Land",    ist    Conjektur    von 
Wright.  Die  Handschriften  hallen:  l^.»_«*V   ]^z]    ^^' ..geliebte  Bewohner". 


13 


356  Homilie  XXII. 

Weisen,  die  da  Güter  erwerben,  schicken  von  ihnen  voraus;  wie 
lob  sagt'):  Meine  Zeugen  sind  im  Himmel;  und  er  spricht: 
Meine  Brüder  und  Freunde  sind  bei  Gott.  Und  unser  Herr  hat 
denen,  die  Güter  besitzen,  geboten,  dass  sie  sich  Freunde  machen 
im  Himmel'^),  auch  dass  sie  sich  daselbst  Schätze  sammeln'^).  Ge- 
denke auch  du  an  den  Tod,  o  weiser  Schriftgelehrter,  damit 
dein  Herz  sich  nicht  überhebe  und  du  den  Richterspruch  nicht 
vergessest.  Der  Tod  lässt  nicht  die  Weisen  zurück,  auch  sieht 
er  nicht  die  Person  der  Klugen  an.  Der  Tod  führt  zu  sich  die 
weisen  Schriftgelehrten,  und  sie  vergessen,  was  sie  gelernt  haben, 
bis  zur  Zeit,  da  alle  Gerechten  auferstehen. 

An  jenem  Ort  vergisst  man  diese  Welt,  dort  gibt  es  keinen 
Mangel,  sie  lieben  sich  einander  mit  reicher  Liebe.  Ihre  Körper 
haben  keine  Schwere,  sondern  leicht  fliegen  sie,  wie  die  Tauben 
zu  ihren  Fluglöchern.  In  ihrem  Sinn  gedenken  sie  dort  an  gar 
nichts  Böses,  und  es  kommt  ihnen  nichts  Unreines  ins  Herz.  Dort 
gibt  es  keine  natürliche  Begierde,  und  entwöhnt  sind  sie  dort  von 
allen  Gelüsten,  denn  in  ihrem  Herzen  steigt  nicht  Gluth  und 
Schamlosigkeit  auf,  und  alle  Ursachen  der  Sünden  verschwinden 
vor  ihnen.  In  ihrem  Herzen  glüht  die  gegenseitige  Liebe,  und 
in  ihnen  bleibt  durchaus  kein  Hass  zurück.  Sie  haben  dort  nicht 
nöthig  Häuser  zu  bauen,  denn  sie  wohnen  im  Lichte,  in  den  Woh- 
nungen der  Heiligen;  sie  bedürfen  keiner  gewobenen  Kleider, 
denn  sie  sind  mit  dem  ewigen  Licht  umkleidet.  Sie  bedürfen 
nicht  der  Speise,  denn  sie  liegen  an  Seinem  Tisch  und  werden 
gespeist  in  Ewigkeit.  Die  Luft  ist  dort  lieblich  und  angenehm, 
sein  Licht  strahlend,  hell  und  schön.  Es  sind  dort  herrliche 
Bäume  gepflanzt,  deren  Früchte  niemals  fehlen,  deren  Blätter 
nicht  abfallen,  deren  Laub  herrlich  ist,  und  deren  Geruch  lieb- 
lich, und  deren  Geschmack  man  ewiglich  nicht  überdrüssig  wird. 
Jener  Ort  ist  weit  und  ohne  Ende;  und  seine  Ferne  sehen  seine 
Bewohner  wie  das,  was  nahe  ist.  Dort  wird  kein  Erbe  getheilt. 
Und  niemand  sagt  zu  seinem  Nächsten :  Das  ist  mein,  und  das 
ist  dein;  dort  wird  man  nicht  von  Habgier  gefesselt,  und  man 
irrt  sich  dort  auch  nicht  in  Bezug  auf  das  Gedächtniss;  dort 
liebt  niemand  einen  Nächsten  mit  grösserer  Verehrung  als  den 
anderen,   sondern  alle  lieben  einander    sehr   in   gleicher  Weise. 


1)  lob  16;  19.  20.  —  2)  Luc.  16,  9.  —  3)  Mt.  6,  20. 


Die  Unterweisung  vom  Tod  und  den  letzten  Zeiten.  357 

Dort  nehmen  sie  keine  Weiber  und  zeugen  keine  Kinder,  dort 
ist  der  Mann  nicht  vom  Weib  unterschieden,  sondern  alle  sind 
Kinder  des  himmlischen  Vaters,  wie  der  Prophet  sagt '):  Haben 
wir  nicht  alle  einen  Vater,  hat  uns  nicht  ein  Gott  geschaffen? 
Darüber,  dass  ich  gesagt  habe,  dass  sie  dort  keine  Weiber 
nehmen,  und  Mann  und  Weib  nicht  unterschieden  werden, 
belehren  uns  unser  Herr  und  sein  Apostel.  Unser  Herr  sagt 
nämlich-):  Diejenigen,  welche  jener  Welt  und  der  Auferstehung 
von  den  Todten  gewürdigt  werden,  freien'^)  nicht  und  lassen  sich 
auch  nicht  freien,  denn  sie  können  nicht  mehr  sterben,  sondern 
sie  sind  wie  die  Engel  im  Himmel  und  Kinder  Gottes.  Und 
der  Apostel  sagt^):  Da  ist  weder  Mann  noch  Weib,  weder  Knecht 
noch  Freier,  sondern  ihr  seid  alle  eins  in  Jesu  Christo.  Denn  Eva 
hat  Gott  zur  Fortpflanzung  von  Adam  unterschieden,  dass  sie 
die  Mutter  aller  Lebendigen  werde.  Aber  in  jener  Welt  gibt 
es  kein  Weib,  wie  es  auch  im  Himmel  kein  Weib  gibt,  und 
keine  Geburt  und  keinen  Gebrauch  der  Lust.  An  jenem  Ort 
ist  nichts  Mangelhaftes,  sondern  Vollkommenheit  und  Vollendung: 
die  Greise  sterben  nicht,  die  Jünglinge  werden  nicht  alt.  Weil 
die  Jünglinge  erwarten,  dass  sie  alt  werden  und  sterben,  nehmen 
sie  Weiber  und  zeugen  Kinder,  damit,  wenn  die  Väter  sterben, 
die  Kinder  an  ihre  Stelle  treten.  Das  Alles  geschieht  (nur)  in 
dieser  Welt;  denn  an  jenem  Ort  gibt  es  keinen  Mangel  und 
keine  Unvollkommenheit  und  keine  Begierde  und  keine  Geburt 
und  kein  Ende  und  keine  Auflösung  und  keinen  Tod  und  kein 
Aufhören  und  kein  Altwerden,  keinen  Hass  und  keinen  Zorn 
und  keinen  Neid  und  keine  Mühe  und  keine  Arbeit  und  keine 
Finsterniss  und  keine  Nacht  und  Lüge.  LTeberhaupt  gibt  es 
dort  keine  Unvollkommenheit;  sondern  jener  Ort  ist  voll  Licht 
und  Leben  und  Gnade  und  Fülle  und  Sättigung  und  Erneuerung 
und  Erbarmung  und  aller  seligen  Verheissungen,  die  geschrieben 
sind  imd  auch  nicht  aufgezeichnet  sind.  Denn  dort  gibt  es 
Dinge,  die  kein  Auge  gesehen  und  kein  Ohr  gehört  hat  und  in 
keines  Menschen  Herz  gekommen  sind,  was  nicht  gesagt  ist, 
und  was  kein  Mensch  aussprechen  kann.    Und  der  Apostel  sagt^): 

1)  Mal.  2,  10.  —  2)  Luc.  20,  35.  36. 

3)  Wörtlich:    nehmen  keine  Weiber,  und  die  Weiber  gehören   nicht 
Männern  an. 

4)  Gal.  3,  2b.  —  5)  1.  Cor.  2.  9. 


358  Homilie  XXII. 

Was  Gott  bereitet  hat  denen,  die  ihn  lieben,  das  können  die 
Menschen,  wenn  sie  auch  viel  reden,  doch  nicht  aussagen. 
Und  was  kein  Auge  gesehen  hat,  das  kann  man  nicht  beschreiben, 
und  dass  man  das,  was  kein  Ohr  gehört  hat,  vergleichen  kann 
mit  etwas,  was  ein  Ohr  gehört  und  ein  Auge  gesehen  hat,  darf 
man  nicht  sagen.  Und  wer  wollte  wagen  zu  sagen,  dass  das. 
was  in  kein  Herz  gekommen  ist,  dem,  was  in  ein  Herz  ge- 
kommen ist,  gleich  sei?  Aber  angemessen  ist  es,  dass  der  Redner 
jenen  Ort  vergleichsweise  nenne  Wohnung  Gottes,  Ort  des 
Lebens,  Ort  der  Vollkommenheit,  Ort  des  Lichts,  Ort  der  Herr- 
lichkeit, Sabbath  Gottes,  Tag  der  Ruhe,  Ruhe  der  Gerechten, 
Erquickung  der  Rechtschaffenen,  Wohnung  und  W^ohnstätte  der 
Gerechten  und  Heiligen,  Ort  unserer  Hoffnung,  Haus  unserer 
festen  Zuversicht,  Ort  unseres  Schatzes,  Ort,  wo  unsere  Arbeit 
aufhört,  unsere  Drangsale  ein  Ende  haben,  und  der  unser 
Seufzen  vergessen  macht;  also  ist  es  angemessen,  jenen  Ort  ver- 
gleichsweise zu  nennen. 

Weiter  führt  der  Tod  zu  sich  die  Könige  *) ,  die  in  Städten 
wohnen,  und  die  sich  stark  dünken  in  ihrer  Hoheit,  und  er  lässt 
nicht  zurück  die  Herren  der  Provinzen  (Statthalter);  der  Tod 
führt  gefangen  zu  sich  die  Fresser  2),  die  nicht  satt  werden  und 
sprechen:  Es  ist  genug,  und  er  zeigt  gegen  sie  eine  noch  grössere 
Gier,  als  die  ihrige  ist.  Der  Tod  führt  zu  sich  die  Räuber,  die 
ihr  Mitleid  nicht  zurückhält,  ihre  Nächsten  zu  berauben.  Der 
Tod  führt  zu  sich  die  Bedrücker,  und  durch  den  Tod  werden 
sie  an  ihrem  Frevel  verhindert.  Und  der  Tod  führt  zu  sich  die 
Unterdrücker,  und  die  Bedrückten  finden  Ruhe,  bis  sie  zu  ihm 
kommen.  Der  Tod  führt  zu  sich  diejenigen,  die  ihre  Nächsten 
verschlingen,  und  die  Bedrückten  und  Verfolgten  finden  ein 
wenig  Ruhe,  bis  auch  sie  hinweg  geführt  werden  und  dorthin 
gehen.  Und  der  Tod  führt  weg  solche,  die  da  viel  nachdenken; 
und  es  hört  auf  und  ist  zu  Ende,  was  sie  ausgesonnen  haben. 
Die  Menschen  erdenken  viele  Dinge,  und  der  Tod  kommt  plötz- 
lich über  sie,  und  sie  werden  hinweggeführt  und  gedenken  nicht 
mehr  an  das,  was  sie  erdacht  haben.  Mancher  denkt  vieles  auf 
Jahre  hin,  und  es  wird  ihm  weggenommen,  weil  er  morgen  nicht 


1)  A  fügt  hinzu:  die  mit  Kronen  geschmückt  sind. 

2)  A:  „die  Kinder". 


Die  Unterweisung  vom  Tod  und  den  letzten  Zeiten.  359 

mehr  ist.  Es  überhebt  und  rühmt  sich  ein  Mensch  über  seinen 
Nächsten,  und  es  kommt  der  Tod  über  ihn  und  macht  seinem 
Uebermuth  ein  Ende.  Der  Reiche  denkt.,  wie  er  seine  Schätze 
vermehre,  und  weiss  nicht,  dass  er,  auch  was  er  besitzt,  nicht 
behalten  wird.  Es  führt  der  Tod  zu  sich  alle  Menschen  und 
verschliesst  sie  in  seiner  Behausung  bis  zum  Gericht.  Auch  über 
diejenigen,  welche  nicht  gesündigt  haben,  ist  er  König  wegen  des 
ürtheilsspruchs,  den  Adam  durch  seine  Sünden  empfangen  hat. 

Und  es  kommt  der  Erlöser,  der  Tödter  des  Todes,  und 
beseitigt  seine  Herrschaft  von  den  Gerechten  wie  von  den 
Gottlosen,  und  die  Todten  stehen  auf  bei  der  gewaltigen 
Stimme,  und  dem  Tode  werden  alle  Gefangenen  genommen 
und  entrissen;  und  alle  Menschen  werden  zu  dem  Gericht  ver- 
sammelt, und  jeder  geht  an  den  ihm  bestimmten  Ort.  Die  Aufer- 
stehung der  Gerechten  geht  zum  Leben,  und  die  Auferstehung 
der  Gottlosen  wird  ^)  dem  Tode  überliefert.  Die  Gerechten,  welche 
das  Gebot  gehalten  haben,  gehen  und  kommen  nicht  ins  Gericht 
am  Tage  ihrer  Auferstehung;  wie  David  bat-):  Gehe  mit  deinem 
Knechte  nicht  ins  Gericht.  Auch  wird  sie  ihr  Herr  an  jenem 
Tage  nicht  erschrecken.  Erinnere  dich,  dass  auch  der  Apostel 
sagt  •') :  Wir  werden  die  Engel  richten.  Und  unser  Herr  spricht 
zu  seinen  Jüngern^):  Ihr  werdet  auf  12  Stühlen  sitzen  und 
werdet  die  12  Stämme  des  Hauses  Israel  richten.  Und  Hesekiel 
sagt^)  über  die  gerechten  Männer:  Sie  werden  die  Ohola  und  die 
Oholiba  richten.  Denn  wenn  er  sagt,  dass  die  Gerechten  die  Gott- 
losen richten  sollen,  so  gibt  er  ihnen  damit  zu  verstehen,  dass  sie 
nicht  in  das  Gericht  kommen  werden.  Und  über  den  Ausspruch 
des  Apostels:  Wir  werden  die  Engel  richten,  höre  meine  Belehrung. 

Die  Engel  nämlich,  v/ eiche  von  den  Aposteln  gerichtet 
werden,  sind  die  Priester,  die  gegen  das  Gesetz  gesündigt 
haben ;  wie  der  Prophet  sagt  *") :  Die  Lippen  des  Priesters  sollen 
die  Erkenntniss  bewahren,  und  das  Gesetz  soll  man  aus  ihrem 
Munde  fragen,  denn  er  ist  der  Engel  des  Herrn  der  Heer- 
schaaren.  Die  Engel,  welche  die  Priester  sind,  und  von  deren 
Munde  das  Gesetz  gefragt  wird,  werden  am  Ende  (der  Tage), 
wenn    sie    gegen    das    Gesetz   freveln,    von    den    Aposteln   und 

1)  A:  werden  dem  Gericht  überliefert. 

2)  Ps.  143,  2.-3)  1.  Cor.  6,  3.  —  4)  Mt.  19,  28.    Luc.  22,  30.  —  5) 
Ezech.  23,  4.5.  —  6)  Mal.  2,  7. 


360  Homilie  XXII. 

den  Priestern,  welche  das  Gesetz  halten,  gerichtet  werden.  Und  ^) 
die  Gottlosen  bestehen  nicht  im  Gericht,  noch  die  Sünder  in 
der  Gemeinde  der  Gerechten.  Und  wie  die  Gerechten,  die  in 
guten  Werken  vollkommen  sind,  nicht  ins  Gericht  kommen,  um 
gerichtet  zu  werden,  so  wird  auch  von  den  Gottlosen,  deren 
Sünden  zahlreich  sind,  und  deren  Schvildmass  übervoll  ist,  nicht 
gefordert,  dass  sie  vor  Gericht  kommen,  sondern  sobald  sie  aufer- 
standen sind,  kehren  sie  zum  Todtenreich  zurück;  wie  David 
sagt-):  Die  Gottlosen  werden  zum  Todtenreich  zurückkehren,  mid 
alle  Völker,  die  Gott  vergessen  haben.  Und.Jesaia  sagt  3):  Alle 
Völker  sind  wie  ein  Tropfen  am  Eimer  und  wie  das  Stäubchen 
an  der  Wagschale;  die  Inseln  werden  wie  Staub  zerstreut,  und 
alle  Völker  sind  wie  nichts  gerechnet  vor  ihm  und  sind  von  ihm 
zum  Untergang  und  Verderben  bestimmt.  Also  lerne  und  lass 
dich  überzeugen,  dass  alle  Völker,  die  Gott,  ihren  Scliöpfer,  nicht 
erkennen,  wie  nichts  geachtet  sind  vor  Gott  und  ins  Gericht 
nicht  kommen,  sondern  wenn  sie  auferstanden  sind,  sofort  zum 
Todtenreich  zurückkehren. 

Und  die  übrige  ganze  Welt,  die  da  Sünder  genannt  werden, 
werden  vor  Gericht  gestellt  und  zur  Verantwortung  gezogen. 
Diejenigen  nämlich,  welche  wenige  Mängel  haben,  tadelt  der 
Richter  und  bringt  sie  zur  Erkenntniss,  dass  sie  gesündigt  haben, 
und  gibt  ihnen  das  Leben  zum  Erbe  nach  dem  Gericht.  Ver- 
stehe auch,  wie  unser  Erlöser  in  seinem  Evangelium  uns  belehrt 
hat,  dass  jeder  nach  seiner  Arbeit  seinen  Lohn  empfängt.  Wer 
Geld  empfangen  hat,  zeigt  seinen  Gewinn  vor.  Wessen  Mine  und 
Talent  sich  verzehnfacht  hat,  empfängt  das  vollkommene  Leben, 
dem  nichts  mangelt;  und  wessen  Mine  und  Talent  fünf  andere 
gewonnen  hat,  empfängt  die  Hälfte  von  zehn.  Der  eine  wird 
über  zehn  Antheile  gesetzt,  der  andere  über  fünf.  Verstehe  und 
siehe,  wie  der  Gewinnst  von  fünf  geringer  ist,  als  der  von  zehn, 
und  dass  die  Arbeiter,  die  ihren  Lobn  fordern,  einen  Vorzug 
haben  vor  denen,  die  ihn  schweigend  hinnehmen.  Die  den  ganzen 
Tag  gearbeitet  haben,  empfangen  mit  freudigem  Angesicht  ihren 
Lohn  und  fordern  zuversichtlich,  dass  man  ihn  vermehre;  und 
die  eine  Stunde  gearbeitet  haben,  empfangen  ihn  schweigend  und 
wissen,    dass  sie    durch  Güte   begnadigt    worden    sind   und    das 


1)  Ps.  1,  5.  —  2)  Ps.  9,  17.  —  3)  Jes.  40,  15.  1' 


Die  Unterweisung  vom  Tod  und  den  letzten  Zeiten.  361 

Leben  erhalten  haben  ^).  Und  diejenigen  Sünder,  deren  Sünden 
zahlreich  sind,  werden  im  Gericht  vernrtheilt  und  gehen  in  die 
Qual,  und  von  da  an  bis  in  Ewigkeit  erhält  das  Gericht  Gewalt 
über  sie. 

Höre  weiter  auf  den  Apostel,  der  da  spricht-):  Jeder  empfängt 
nach  seiner  Arbeit  seinen  Lohn.  Wer  wenig  gearbeitet  hat, 
empfangt  seinen  Lohn,  wie  er  sich  abgemüht  hat,  und  wer  einen 
guten  Lauf  vollendet,  wird  gemäss  seinem  Lauf  belohnt.  Und 
auch  lob  sagt-^):  Das  sei  ferne  von  Gott,  dass  er  Unrecht  thue, 
und  das  sei  ferne  von  ihm,  dass  er  Sünde  begehe;  demi  er  ver- 
gilt dem  Menschen  nach  seinen  Werken,  und  ein  Mann  wird  es 
finden  nach  seinen  Wegen.  Und  auch  der  Apostel  sagt^):  Ein 
Stern  übertrifi't  den  anderen  durch  sein  Licht.  Also  ist  es  auch 
bei  der  Auferstehung  der  Todten.  So  wisse  nun,  dass  auch, 
wenn  die  Menschen  zum  Leben  eingehen,  eine  Belohnung  grösser 
ist  als  die  andere,  eine  Herrlichkeit  die  andere  übertriift,  und 
ein  Lohn  reicher  ist  als  der  andere,  und  eine  Stufe  höher  ist  als 
die  andere,  und  ein  Licht  schöner  nach  seinem  Ansehen  ist  als 
ein  anderes.  Die  Sonne  übertrifft  den  Mond,  und  der  Mond  ist 
grösser  als  die  Sterne,  die  mit  ihm  (leuchten).  L^nd  siehe,  wie 
auch  der  Mond  und  die  Sterne  unter  der  Herrschaft  der  Sonne 
sind,  und  Avie  ihr  Licht  von  dem  Glanz  der  Sonne  verschlungen 
Avird.  Und  die  Sonne  hat  neben  Mond  und  Sternen  keine  Herr- 
schaft, damit  sie  die  Nacht  nicht  aufhebe,  die  von  dem  Tag 
geschieden  ist.  Und  da  die  Sonne  geschaffen  wurde,  wurde  sie 
Licht  genannt.  Und  siehe,  Sonne,  Mond  und  Sterne,  sie  alle 
wurden  Lichter  genannt.  Aber  ein  Licht  übertrifft  das  andere. 
Die  Sonne  verdunkelt  das  Licht  des  Mondes,  und  auch  der  Mond 
verfinstert  das  Licht  der  Sterne;  und  ein  Stern  übertrifft  den 
anderen  durch  sein  Licht. 

Und  erwäge,  wie  es  auch  in  dieser  Welt  unter  den  Arbeitern 
und  gedungenen  Dienern,  die  mit  ihren  Genossen  arbeiten,  solche 
gibt,  die  für  einen  Tagelohn  ihren  Nächsten  miethen,  dass  er  täg- 
lich seinen  Arbeitslohn  empfangt,  und  solche,  die  für  einen  Monat 
gemiethet  werden  und  zu  seiner  Zeit  ihren  Lohn  für  diese  Zeit  be- 
rechnen und  in  Empfang  nehmen.    Der  Tagelohn  ist  verschieden 


1)  Vgl.  S.  91.  124.  —  2)  1.  Cor.  3,  8.  —  3)  lob  34,  10.  11.  —  4)  1.  Cor. 
15,  41.  42. 


362  Homilie  XXII. 

von  dem  Monatslobn,  und  der  Jahreslohn  ist  noch  grösser  als  der 
Monatslohn.  Und  auch  bezüglich  der  weltlichen  Obrigkeit  bedenke, 
wie  es  solche  gibt,  die  dem  Könige  durch  ihre  Arbeiten  gefallen 
und  Ehre  empfangen  von  den  Gewalthabern.  Der  Eine  empfängt 
von  dem  Könige  eine  Krone,  dass  er  Statthalter  sei  in  einer  der 
Provinzen.  Einem  Anderen  gibt  der  König  Landgüter  zur  Ver- 
waltung und  zeichnet  ihn  auch  durch  seine  Kleidung  aus  vor 
denen,  die  geringer  sind  als  er.  Wieder  Andere  empfangen  Ge- 
schenke und  Gaben,  und  die  Ehre  des  Einen  ist  verschieden  von  der- 
jenigen seines  Genossen.  Wieder  einem  Anderen  erweist  der  König 
die  Ehre,  dass  er  ihn  zum  Verwalter  über  seinen  ganzen  Schatz 
setzt.  Wieder  ein  Anderer  dient  dem  König  nach  seiner  geringen 
Begabung  und  hat  nur  für  das  tägliche  Brot  zu  sorgen. 

Auch  von  der  Strafe  behaupte  ich,  dass  sie  nicht  für  jeden 
gleich  ist.  Wer  viel  gesündigt  hat,  wird  hart  geplagt,  und  wer 
weniger  gesündigt  hat,  wird  weniger  geplagt.  Die  Einen  gehen 
in  die  äusserste  Finsterniss,  wo  Heulen  und  Zähneklappen  ist; 
Andere  fallen  ins  Feuer,  wie  sie  es  verdienen,  wovon  nicht  ge- 
schrieben ist,  dass  daselbst  Zähneklappen,  und  auch  nicht,  dass 
daselbst  Finsterniss  sei.  Wieder  Andere  werden  an  einen  anderen 
Ort  geworfen,  wo  ihr  Wurm  nicht  stirbt  und  ihr  Feuer  nicht 
erlischt,  und  sie  allem  Fleisch  ein  Gegenstand  des  Staunens  sind. 
Und  wieder  Anderen  wird  die  Thür  vor  dem  Angesicht  ver- 
schlossen, und  der  Richter  spricht  zu  ihnen:  Ich  kenne  euch 
nicht.  Nun  begreife,  dass,  wie  die  Belohnungen  nicht  bei  allen 
Menschen  gleich  sind,  so  auch  die  Strafen.  Die  Menschen  werden 
nicht  auf  dieselbe  Weise  gerichtet,  sondern  jedem  wird  nach 
seinen  Werken  vergolten,  denn  der  Richter  ist  mit  Gerechtigkeit 
bekleidet  und  sieht  nicht  die  Person  an. 

Und  wie  ich  dir  von  dieser  Welt  gezeigt  habe,  dass  von  den 
Ehren,  welche  die  Könige  und  Fürsten  dieser  Welt  ihren  Unter- 
thanen  erweisen,  die  eine  grösser  ist  als  die  andere,  so  will  ich  dir 
auch  hiervon  zeigen,  dass  es  sich,  wie  mit  den  guten  Gaben  der 
Könige,  welche  sie  denen,  die  sie  auszeichnen  wollen,  geben,  gerade 
so  auch  mit  den  Gefängnissen  und  Ketten  und  Banden  verhält,  den 
verschiedenen  Arten  von  Fesseln.  Der  Eine  begeht  gegen  den 
König  eine  grosse  Sünde,  und  er  wird  ohne  Untersuchung  dem  Tod 
überliefert;  ein  Anderer  lässt  sich  ein  Vergehen  zu  Schulden 
kommen  und  ist  nicht    des  Todes   schuldig;    er   wird    gefesselt. 


Die  Unterweisung  vom  Tod  und  den  letzten  Zeiten.  363 

bis  er  gerichtet  und  bestraft  ist,  und  der  König  ihm  seine  Sünde 
vergibt;  ein  Anderer  ist  dem  Herzen  des  Königs  theuer,  und 
er  wird  ausserhalb  des  Gefängnisses  ohne  Ketten  und  Banden 
in  Verwahrsam  gehalten.  Nun  ist  doch  ein  Unterschied  zwischen 
Tod  und  Gefängniss,  und  die  Strafe  des  Einen  ist  harter  als  die 
des  Anderen,  je  nach  Verdienst  seines  Verbrechens.  Komm 
doch  auch  zu  unserem  Erlöser .  der  da  spricht  ^) :  In  meines 
Vaters  Hause  sind  viele  Wohnungen. 

Es  streiten  sich,  mein  Lieber,  die  Menschen,  die  wenig  Ver- 
stand haben,  über  das,  was  ich  dir  geschrieben  habe,  und  sprechen: 
Welches  ist  denn  der  Ort,  wo  die  Gerechten  ihren  Lohn  empfangen, 
und  welches  ist  der  Ort,  wo  die  Qualen  sind,  und  wo  die  Sünder  die 
Strafe  für  ihre  Werke  empfangen?  0  Mensch,  der  du  solches 
denkst,  ich  will  dich  fragen,  sage  mir:  Warum  wird  der  Tod 
Tod  genannt,  und  warum  wird  das  Todtenreich  Todtenreich  ge- 
nannt? Denn  es  steht  geschrieben  -):  Da  Korah  und  seine  Genossen 
sich  wider  Mose  auflehnten,  da  öffnete  die  Erde  ihren  Mund  und 
verschlang  sie,  und  sie  fuhren  lebendig  in  das  Todtenreich.  Also 
war  es  der  Mund  des  Todtenreichs ,  der  sich  in  der  Wüste  ge- 
öffnet hatte.  Und  David  spricht-'):  Die  Gottlosen  werden  zum 
Todtenreich  zurückkehren.  Wir  sagen,  dass  in  das  Todtenreich, 
in  welchem  Korah  und  seine  Rotte  verschlungen  wurden,  die  Gott- 
losen kommen.  Gott  kann  nämlich,  wenn  er  will,  im  Himmel 
das  Leben  schenken,  und  wenn  es  ihm  gefällt,  auch  auf  Erden. 
Unser  Herr  Jesus  spricht  ^ , :  Selig  sind,  die  da  in  ihrem  Geiste  arm 
sind,  denn  das  Himmelreich  ist  ihr.  L^nd  einem  von  denen,  die 
mit  ihm  gekreuzigt  waren,  und  der  an  ihn  glaubte,  schwur  er''): 


1)  Joh.  14,  1.  —  2)  Num.  16,  32.  33.  —  3)  Ps.  9,  17.  —  4)  Mt.  5,  3. 

5)  Luc.  23,  43.  In  der  üebersetzung  von  ev  TCUQuösiaoi  mit  .  ji»  ^'^'■^ 
„im  Garten  Eden"  stimmen  Aphr.  zweimal  S.  2fi6,  3  und  Eplir.  dreimal 
Com.  243 — 245,  also  ohne  Frage  Tat.  Diät,  mit  Syr.  Cur.,  während  Pesch. 
und  Heracl.  Ua^y^s^  beibehalten  haben.     Zahn  214. 

Syr.  Cur.  hat:  ^^^  £J^  ]zrr\A  .»Isoi.?  jj^i^  .^  Ijj  j^]  .--ic^ 
Wahrlich  ich  sage  dir  heute:  Du  wirst  mit  mir  im  Garten  Eden  sein, 
während  Peschito  hat:  ]ja^yfS^  \zmJ.  «Vili.  jt'-^-'  -<  >^  )j)  j^)  _4^j 
Wahrlich  ich  sage  dir:  Heute  wirst  du  mit  mir  im  Paradiese  sein.  Der 
griechische  Text  lässt  beide  Verbindungen  zu,  nur  die  Stelle  des  Kommas 


364  Homilie  XXII. 

Du  wirst  mit  mir  im  Garten  Eden  sein.  Und  der  Apostel  sagt  *) : 
Wenn  die  Gerechten  auferstehen,  werden  sie  in  die  Höhe  fliegen 
unserem  Erlöser  entgegen.  Uebrigens  aber  sagen  wir  also :  Wahr 
ist,  was  unser  Erlöser  uns  gesagt  hat^:  Himmel  und  Erde  werden 
vergehen.  Und  der  Apostel  sagt  ^^):  Die  Hoffnung,  die  man  sieht, 
ist  keine  Hoffnung.  Und  der  Prophet  sagt  ^) :  Der  Himmel  wird 
wie  ein  Rauch  vergehen,  und  die  Erde  wird  wie  ein  Kleid  ver- 
alten, und  ihren  Bewohnern  wird  es  ebenso  ergehen.  Und  lob 
spricht  über  die,  welche  da  schlafen^):  Bis  die  Himmel  schwin- 
den, werden  sie  nicht  erwachen,  noch  von  ihrem  Schlaf  auf- 
stehen. Hieraus  lass  dich  überzeugen,  dass  diese  Erde,  in  welche 
die  Menschen  gesäet  sind,  und  die  Yeste  über  den  Menschen, 
welche  zur  Scheidung  zwischen  dem  oberen  Himmel  und  der 
Erde  dieses  Lebens  geschaffen  ist,  vergehen,  schwinden  und  ver- 
nichtet werden  wird.  Und  Gott  Avird  den  Menschen  ein  Neues 
bereiten,  und  sie  werden  ihr  Erbe  im  Himmelreich  ererben. 
Wenn  er  es  ihnen  auf  Erden  schenkt,  wird  es  Himmelreich  ge- 
nannt werden,  und  wenn  er  es  ihnen  im  Himmel  schenken  will, 
so  ist  es  gerade  so  leicht  für  ihn.  Denn  wenn  auch  die  weltlichen 
Könige  an  einem  Orte  wohnen,  so  wird  doch  Alles,  soweit  eines 
jeden  Herrschaft  reicht,  sein  Reich  genannt.  Und  die  helle  Sonne, 
die  am  Firmament  festgeheftet  ist,  breitet  ihre  Strahlen  überall- 
hin aus,  und  ihre  Herrschaft  umfasst  das  Meer  und  das  Trockene. 
Und  siehe,  auch  die  weltlichen  Fürsten  feiern  Gelage  und  Feste 


entscheidet,  ob  otjfisQov  mit  d/bii^v  ooi  ?.tyoj  oder   mit  ,«fr'  e^iov  eoy  iv 
riö  TtccQccöeiGü)  zu  verbinden  ist. 

Gegen  die  Verbindung  des  )J^3->  (ayfxsQOi')  mit  >^  \.i]  j^ias]  ^-».ia:] 
{diiirjv  ooi  liyo)),  die  wir  nur  bei  wenigen  griechiscben  Auslegern  finden, 
polemisirt  besonders  eifrig  Macar.  Magn.  III,  14  ed.  Blondel  p.  91,  da- 
gegen auch  He.  cod.  graec.  D  (welcher  Q^üqoh  vor  at'j/^ifQov  einschiebt). 
Bei  Aphr.  ist  hier  JA^s.^  weggelassen,  aber  das  Citat  Aphr.  227 
macht  es  unzweifelhaft,  dass  Aphr.  es  in  seinem  Evangelientext  gehabt 
hat  und  zwar  mit  jccnZ  »»iÄi;.  verbunden.  Bei  Ephr.  244.  245  wird  Luc. 
23,  43  dreimal  ohne  hodie  citirt,  aber  in  der  Auslegung  grade  dieses  betont 
und  ebenfalls  zum  2.  Theil  gezogen. 

1)  1.  Thessal.  4,  17.  Griech.  Text:  apnayijoö/ne&a  ir  vi(pt?.aig  dq 
ccTidvTTjoiv  Tov  xvQiov  flq  dtQa.  Luther:  Wir  werden  hingerückt  werden 
in  den  Wolken  dem  Herrn  entgegen  in  der  Luft. 

2)  Mt.  5,  18.  —  3)  Rom.  8,  24.  —  4)  Jes.  51,  6.  —  5)  lob  14,  12. 


Die  Unterweisung  vom  Tod  und  den  letzten  Zeiten.  365 

überall  und  in  jeder  Stadt,  und  wo  sie  hinkommen,  sind  ihre 
Feste  bei  ihnen,  und  überall,  wo  es  ihnen  gefällt,  bauen  sie 
Gefängnisse.  Denn  die  Sonne  vollendet  in  zwölf  Stunden  ihren 
Lauf  von  Osten  bis  nach  Westen.  Und  wenn  sie  ihren  Lauf 
vollendet  hat,  so  wird  ihr  Licht  durch  die  Nacht  verdeckt,  und 
die  Nacht  wird  nicht  gestört  durch  ihre  Herrschaft,  und  in  den 
Stunden  der  Nacht  setzt  die  Sonne  ihren  Kreislauf  fort  in  ihrem 
schnellen  Lauf,  und  beginnt  dann  von  neuem  ihren  Kreislauf 
nach  ihrer  Gewohnheit.  Von  der  Sonne  aber,  die  bei  dir  ist, 
o  Weiser,  von  deiner  Jugend  bis  zum  Ende  deines  Greisenalters, 
weisst  du  nicht,  wo  sie  in  der  Nacht  wandelt  und  im  Kreise  zur 
Stelle  ihres  Laufs  zurückkehrt  —  drängt  es  dich  da,  über  Dinge, 
die  dir  verborgen  sind.  Nachforschungen  anzustellen? 

Diese  Ermahnungen  habe  ich  geschrieben  für  unsere  Brüder 
und  Freunde,  die  Glieder  der  Gemeinde  Gottes,  dass  überall,  wo 
sie  hinkommen,  diejenigen,  die  sie  lesen,  auch  meiner  Wenigkeit 
in  ihrem  Gebet  gedenken  und  erkennen,  dass  auch  ich  ein  Sünder 
und  unvollkommen  bin.  Aber  das  ist  mein  Glaube,  was  ich  in 
den  aufgezeichneten  Kapiteln  zuvor  gesetzt  und  niedergeschrieben 
habe.  Das  Fundament  ist  der  Glaube,  und  auf  dem  Glauben 
ruhen  die  Werke,  die  ihm  zukommen.  Und  nach  dem  Glauben 
habe  ich  dir  über  die  beiden  Gebote  der  Liebe  und  nach  der 
Abhandlung  von  der  Liebe  über  das  Fasten  in  seiner  Begrün- 
dung und  seinem  Wirken  geschrieben.  Und  nach  dem  Fasten  habe 
ich  über  das  Gebet  mit  seinen  Früchten  und  seinem  Wirken  ge- 
schrieben. Und  nach  dem  Gebet  habe  ich  über  den  Krieg  ge- 
schrieben und  über  das,  was  Daniel  von  den  Weltreichen  schreibt. 
Und  nach  dem  Krieg  habe  ich  eine  Ermahnung  der  Bundes- 
brüder geschrieben.  Und  nach  den  Bundesbrüdern  habe  ich  über 
die  Busse  geschrieben.  Und  nach  der  Busse  habe  ich  über  die 
Auferstehung  der  Todten  geschrieben.  Und  nach  der  Auferstehung 
der  Todten  habe  ich  über  die  Demuth  geschrieben.  Und  nach 
der  Demuth  habe  ich  über  die  Hirten,  die  Lehrer,  geschrieben. 
LTnd  nach  den  Hirten  habe  ich  über  die  Beschneidung  geschrie- 
ben, deren  sich  das  Volk  der  Juden  rühmt.  Und  nach  der  Be- 
schneidung habe  ich  über  das  Pascha  und  über  den  Tag  des 
14.  (Nisan)  geschrieben.  Und  nach  dem  Pascha  habe  ich  über  den 
Sabbath  geschrieben,  auf  den  die  Juden  stolz  sind.  Und  nach  dem 
Sabbath  habe  ich  die  Ermahnung  geschrieben  gegen  die  in  un- 


366  Homilie  XXII. 

seren  Tagen  einreissende  Streitsucht.  Und  nach  dieser  Ermah- 
nung habe  ich  über  die  Speisen  geschrieben,  welche  die  Juden 
für  unrein  erklären.  Und  nach  den  Speisen  habe  ich  über  die 
Völker  geschrieben,  die  eingetreten  und  Erben  geworden  sind 
an  Stelle  des  ersten  Volks.  Und  nach  den  Völkern  habe  ich 
geschrieben  und  gezeigt,  dass  Gott  einen  Sohn  hat.  Und  nach 
dem  Sohn  Gottes  habe  ich  gegen  die  Juden  geschrieben,  welche 
über  das  jungfräuliche  Leben  lästern.  Und  nach  dieser  Verthei- 
digung  des  jungfräulichen  Lebens  habe  ich  wieder  gegen  die 
Juden  geschrieben,  die  da  sagen:  Es  ist  uns  bestimmt,  wieder 
versammelt  zu  werden.  Und  nach  dieser  Vertheidigung  habe 
ich  über  die  Geschenke  der  Armen  geschrieben.  Und  nach  den 
Armen  habe  ich  die  Abhandlung  von  den  Verfolgungen  geschrie- 
ben. Und  nach  den  Verfolgungen  habe  ich  endlich  über  den  Tod 
und  die  letzten  Zeiten  geschrieben. 

Diese  zweiundzwanzig  Reden  habe  ich  nach  den  zweiund- 
zwanzig Buchstaben  geschrieben.  Die  zehn  ersten  verfasste  ich 
im  Jahre  648 ^  nach  der  Regierung  Alexanders,  des  Sohnes 
Philipps  von  Macedonien,  wie  am  Schluss  derselben  bemerkt  ist, 
und  diese  zwölf  letzten  habe  ich  im  Jahre  655-)  des  Reichs 
der  Griechen  und  Römer,  nämlich  des  Reichs  Alexanders,  und 
im  35.  Jahre  des  persischen  Königs  geschrieben.  Ich  habe  die- 
selben nach  meiner  Fassungsgabe  geschrieben. 

Wenn  nämlich  jemand  diese  Reden  lesen  und  Worte  darin 
finden  wird,  die  mit  seiner  Ansicht  nicht  übereinstimmen,  so  soll 
er  nicht  darüber  spotten.  Denn  was  in  diesen  Kapiteln  ge- 
schrieben steht,  ist  nicht  nach  der  Ansicht  eines  einzelnen  Mannes 
geschrieben  und  auch  nicht  zur  Belehrung  eines  einzelnen  Le- 
sers, sondern  nach  der  Ansicht  der  ganzen  Gemeinde  und  zur 
Belehrung  über  den  ganzen  Glauben.  Und  wenn  sie  jemand 
liest,  um  Belehrung  daraus  zu  schöpfen,  so  ist  es  gut;  wenn  aber 
nicht,  so  muss  ich  sagen,  dass  ich  für  die  der  Belehrung  Zu- 
gänglichen geschrieben  habe  und  nicht  für  Spötter.  Und  wenn 
weiter  ein  Leser  Gegenstände  findet,  die  von  uns  auf  andere 
Weise  dargestellt  sind  als  von  einem  anderen  Weisen,  so  soll 
er  sich  dadurch  nicht  beunruhigen  lassen,  denn  jeder  redet  zu 
seinen  Zuhörern  je  nach  seiner  Fassungskraft.    Und  ich,  der  ich 


1)  337  p.  Cbr.  —  2)  344  p.  Chr. 


Die  Unterweisung  vom  Tod  und  den  letzten  Zeiten.  367 

dieses  geschrieben  habe,  sage,  wenn  manches  hiervon  mit  einem 
anderen  Lehrer  nicht  übereinstimmt,  also:  diese  Weisen  haben 
recht  geredet;  und  mir  schien  es  gut,  also  zu  reden.  Und  wenn 
jemand  über  irgend  einen  Punkt  zu  mir  reden  und  mich  über- 
zeugen kann,  so  nehme  ich  es  von  ihm  ohne  Streit  an.  Jeder, 
der  in  den  heiligen  Schriften,  den  früheren  und  späteren,  in  den 
beiden  Testamenten,  liest,  und  zur  Belehrung  liest,  lernt  und 
kann  lehren.  Und  wenn  er  über  das,  was  er  nicht  verstehen 
kann,  streitet,  so  empföngt  sein  Geist  keine  Belehrung.  Wenn 
er  aber  Worte  finden  wird,  die  für  ihn  zu  schwer  sind,  und  deren 
Bedeutung  er  nicht  versteht,  so  soll  er  also  sprechen:  Was  ge- 
schrieben ist,  ist  gut  geschrieben,  aber  ich  kann  es  nicht  ver- 
stehen. Und  wenn  er  über  Worte,  die  ihm  zu  schwer  sind,  ein- 
sichtsvolle Weise,  die  über  die  Lehre  nachforschen,  fragt,  und 
wenn  über  ein  und  dasselbe  Wort  zehn  Weise  zehnerlei  Aus- 
legung geben,  so  soll  er  das,  was  ihm  gefällt,  annehmen,  und 
über  das,  was  ihm  nicht  gefällt,  soll  er  nicht  die  Weisen  verspotten. 
Denn  das  Wort  Gottes  gleicht  der  Perle,  die  nach  allen  ihren 
Seiten,  nach  denen  du  sie  wendest,  ein  schönes  Ansehen  hat. 
Gedenke,  o  Lernender,  dass  auch  David  sagt^):  Ich  habe  von 
allen  Meistern  gelernt.  Und  der  Apostel  sagt-):  Alle  Schrift, 
die  im  Geiste  Gottes  ist,  lies,  und  prüfe  Alles,  und  das  Gute  be- 
halte, und  vor  allem  Bösen  fliehe.  Denn,  wenn  der  Tage  eines 
Menschen  so  viele  würden,  wie  alle  Tage  der  Welt  von  Adam 
an  bis  ans  Ende  der  Zeiten,  und  wenn  er  sässe  und  sänne  über 
die  heiligen  Schriften,  so  würde  er  doch  nicht  die  Macht  der 
Tiefe  der  Worte  erfassen.  L^nd  die  Weisheit  Gottes  kann  niemand 
ergründen,  wie    ich   dir  in   der  zehnten  Rede   geschrieben  habe. 

Uebrigens  aber  sind  die  Worte  aller  derjenigen  Lehrer,  die 
nicht  aus  dem  grossen  Schatze  schöpfen,  verächtlich  und  nichtig; 
denn  das  Bild  des  Königs  wird  überall,  wo  es  hinkommt,  an- 
genommen, und  die  falsche  Münze"*)  wird  verworfen  und  nicht 
angenommen. 

Und  wenn  jemand  sagen  wird:  Diese  Reden  hat  ein  Be- 
liebiger geschrieben,  so  möge  er  sie  nur  ernstlich  studiren  — 
sich  um  den  Verfasser  zu  bekümmern.  Avird  nicht  von  ihm  ver- 


1)  Ps.  119,  99. 

2)  1.  Tim.  4,  13;    2.  Tim.  3,  16;    1.  Thessal.  5,  21.  22. 

3)  Wörtlich:  diejenige,  bei  der  Betrug  oder  Falschheit  ist. 


368  Homilie  XXII. 

langt.  Auch  ich  habe  nach  meiner  Wenigkeit  dieses  geschrieben 
als  ein  Mensch,  der  von  Adam  geboren  und  von  der  Hand  seines 
Gottes  gemacht  ist,  der  ich  ein  Schüler  der  heiligen  Schriften 
bin.  Denn  unser  Herr  hat  gesagt '):  Jeder,  der  bittet,  empfängt, 
und  der  sucht,  findet,  und  der  da  anklopft,  dem  thut  man  auf. 
Und  der  Prophet  hat  gesagt  -) :  Ich  will  ausgiessen  meinen  Geist 
über  alles  Fleisch  in  den  letzten  Tagen,  und  sie  werden  weis- 
sagen. Wer  also  dieses  liest,  soll,  wie  ich  oben  geschrieben 
habe,  es  zur  Belehrung  lesen  und  soll  für  den  Verfasser  beten 
als  für  einen  gemeinschaftlichen  Bruder,  dass  durch  die  Bitte 
der  ganzen  Gemeinde  Gottes  seine  Sünden  vergeben  werden. 
Und  wer  es  liest,  erinnere  sich,  dass  geschrieben  steht •^):  Wer 
in  dem  Wort  unterrichtet  wird,  der  soll  mit  demjenigen,  der  ihn 
unterrichtet,  in  allen  Gütern  Gemeinschaft  halten.  Und  wieder 
steht  geschrieben^):  Der  Säende  und  der  Aerntende  sollen  sich 
zusammen  freuen.  Und  ■')  jeder  empfängt  nach  seiner  Arbeit 
seinen  Lohn.  Und*^)  es  ist  nichts  verborgen,  was  nicht  jeder- 
mann offenbart  werden  wird. 

Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  über  den  Tod  und  die  letzten  Zeiten. 
Zu  Ende  sind  die  22  Briefe  des  persischen  Weisen''). 


1)  Mt.  7,  8;  Luc.  11,  10.  Im  Schluss  dieses  Wortes:  ffil*  —*.m.L2,  „dem 
thun  sie  oder  thut  man  auf",  weicht  Aphr.  von  Pesch.,  Syr.  Cur.,  Griech. 
Text  und  Ephr.  ab,  welche  sämmtlich:  .'i.-,^  ^»»Zls^o,  „so  wird  euch 
aufgethan-'  haben. 

2)  Joel  2,  28.  —  3)  Gal.  6,  6.  —  4)  Joh.  4,  36.  —  5)  1.  Cor.  3,  8.  — 
6)  Mt.  10,  26.    Luc.  12,  2.  —  7)  fehlt  in  Handschrift  B. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere'). 

Ich  will  dir  schreiben  und  dich  belehren,  geliebter  Freund, 
über  diejenigen  Kapitel,  über  welche  du  mich  gefragt  hast;  über 
den  Segen,  welcher  in  der  Traube  verschlossen  ist;  dass  wegen 
der  gesegneten  Weinbeere  die  Traube  nicht  dem  Verderben  an- 
heimgegeben wurde.  Denn  in  den  Tagen  des  Jesaia  hatte  der 
Herr  der  Traube  sie  verderben  wollen;  und  es  wurde  ihm  in 
einem  Wort  gesagt-;:  Die  Traube  soll  nicht  verdorben  werden, 
denn  es  ist  ein  Segen  darin.  Und  weil  du  mich  gefragt  hast, 
ob  allezeit  Gerechte  und  Rechtschaffene  auf  Erden  gefunden 
werden,  so  will  ich  dich  von  diesem  Segen  überzeugen,  dass 
er  auf  alle  Geschlechter  überüiesst  bis  zu  seiner  Zeit.  Und 
ich  will  dich  auch  darüber  belehren,  worüber  du  mich  gefragt 
hast:  Warum  die  Gerechten  zuweilen  erhört  wurden,  wenn  sie 
beteten,  und  warum  zu  einer  anderen  Zeit  Gott  sie  nicht  hörte. 
Und  ich  will  dir  auch  schreiben  über  die  Jahre  der  früheren 
Geschlechter,  die  Berechnung  eines  jeden  einzelnen  Geschlechts 
bis  zu  der  Zeit,  da  Jerusalem  zerstört  und  die  Gnade  von  ihm 
genommen  wurde;  und  wie  wachsam  die  Gerechten  waren  über 
den  Segen,  der  von  ihnen  ausging,  bis  zu  der  Zeit,  da  durch 
Jesum  die  Übertragung  desselben  auf  die  Heiden  kam.  Übrigens 
aber  ist  es  gut,  die  Untersuchung  dieser  Dinge  zu  erkennen  und 
zu  verstehen;  aber  noch  mehr  gebühret  uns,  mit  reinem  Herzen  uns 
zu  fürchten  vor  dem  Geber  der  Worte,  der  uns  geschrieben  und  vor- 


1)  Aphr.  theilt  uns  am  Anfang  dieser  Homilie  selbst  die  Fragen  mit, 
auf  welche  dieselbe  die  Antwort  bringen  soll.  Veranlasst  waren  diese 
Fragen  durch  die  blutigen  Verfolgungen,  welche  über  die  Gemeinden 
durch  Sapur  II.  gebracht  wurden.  Ueber  die  Verfolgungen  unter  Sapur 
vgl.  Anm.  1   zu  hom.   XXI. 

2)  Jes.  65,  8. 

Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  4.  24 


370 


Homilie  XXIH. 


gestellt  hat,  class  die  Gottesfürchtigen  in  grosser  Mühe  und  vieler 
Furcht  und  durch  die  enge  Pforte  und  auf  dem  steilen  Pfade  wandeln. 

Zuerst,  mein  Lieber,  gebührt  uns  also,  dass  wir  uns  vor  dem 
Gerichte  Gottes  fürchten  und  vor  den  Worten  und  Geboten 
unseres  Heilandes,  der  da  sagt^):  Über  jedes  unnütze  Wort, 
das  die  Menschen  geredet  haben,  werden  sie  Rechenschaft 
geben  am  Tag  des  Gerichts.  Und  ferner  steht  geschrieben-): 
Aus  deinen  Worten  wirst  du  gerechtfertigt  werden,  und  aus 
deinen  Worten  wirst  du  verdammt  werden.  Und  weiter  steht 
o-eschrieben  3' :  Der  Mund  der  Menschen  wirft  sie  nieder;  und 
an  einer  anderen  Stelle  steht  geschrieben:  Der  Mund  des  Thoren 
bereitet  ihm  einen  Anstoss.  Und  gedenke  der  Worte  des 
Lehrers  der  Heiden,  der  da  spricht^):  Wir  müssen  alle  vor  dem 
Richterstuhle  Christi  stehen,  dass  einem  Jeglichen  an  seinem 
Leibe  vergolten  werde,  was  er  zuvor  gethan  hat,  es  sei  gut  oder 
böse.  Und  wiederum  sagt  er^):  Mit  Furcht  und  Zittern  rettet 
euer  Leben.  Und  wiederum  fährt  er  fort  uns  zu  ermahnen*'): 
Es  ist  ein  grosser  Schrecken,  in  die  Hände  des  lebendigen  Gottes 
zu  fallen.  Und  auch  die  seligen  Apostel  verkündigen"):  Wir 
müssen  durch  grosse  Trübsal  in  das  Reich  Gottes  eingehen.  Und 
wiederum  sagt  Er^):  Schrecklich  ist  der  Tag  des  Herrn;  und  wer 
kann  ihn  ertragen  ?  Heftig  und  grimmig  ist  sein  Zorn,  und  er  wird 
die  Erde  zur  Wüste  machen  und  ihre  Sünder  von  ihr  vertilgen. 

Denn  weil  der  erste  Mensch  der  Schlange  Gehör  geliehen 
hat,  empfing  er  zur  Strafe  den  Fluch,  dass  er  der  Schlange 
zur  Speise  dienen  solle;  und  der  Fluch  ging  auf  alle  seine  Kinder 
über.  Weil  er  nämlich  von  dem  Baum  der  Erkenntniss  gegessen 
hatte,  wurde  er  von  den  Früchten  des  Baumes  des  Lebens  aus- 
geschlossen, damit  er  nicht  von  demselben  esse  und  lebe  in 
Ewigkeit.  Daraus  erkennen  wir,  dass  darum,  weil  der  Mensch 
das  Gebot  durch  die  Verführung  des  Bösen  übertreten,  und  an- 


1)  Mt.  12,  36.  —  2)  Mt.  12,  37.  —  3)  Prov.  10,  10.  14. 

4)  2.  Cor.  0,  10.    In  der  Verbindung  von  otj^-s^  mit  '^j^i^J    statt 
mit  f*"^^^   stimmt  Aphr.  mit  Pesch.  überein.    Vgl.  S.  132  Anm.  2. 

5)  Phil.  2,  12.  —  6)  Hebr.  10,  31. 

7)  Act.  14,  21.  Pescb.  hat  statt  X^'i   JJ  Jiioj.£,  „durch  grosse  Trübsal", 
]|.A^  ).Jjii»oj.r:,  „durch  viel  Trübsal". 

8)  Joel  2,  11.    Jes.  13,  9. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  371 

masslicherweise  seinem  Schöpfer  gleich  sein  wollte,  durch  die  er- 
langte Unterscheidungsfälligkeit  ein  Zaun  entstand  zwischen  ihm 
und  dem  Baum  des  Lebens,  von  dessen  Früchten  der  Mensch 
durch  die  List  des  Bösen  zurückgehalten  wurde.  Und  der  Baum 
wurde  nach  dem  Gebot  des  grossen  ^Gottes)  durch  die  furcht- 
bare Lanze  und  durch  die  sich  drehende  Flamme  abgeschlossen. 
Und  auch  der  Mensch  konnte,  weil  er  eine  Empfindung  davon 
hatte  und  es  erkannte,  bis  zu  diesem  Baume  herankommen,  doch 
war  seine  Schwachheit  nicht  zureichend,  den  Zaun  zu  übersteigen. 
Deshalb  wurde  dieser  Baum  des  Lebens  mit  seiner  Lieblichkeit 
vor  den  Bedürftigen  nicht  zurückgehalten,  dass  sie  von  dem- 
selben ässen  und  das  Leben  hätten.  Da  Hess  er  seine  Aste  lang 
wachsen  und  breitete  seine  Zweige  aus  und  streckte  seine  Aste 
über  den  Zaun  und  warf  seine  Frucht  aus  Gnade  über  die  Grenze 
hinaus,  die  um  ihn  herumgelegt  war,  um  ihn  zu  schützen.  Und 
von  den  Menschen  ^vurde  wegen  der  verwirrten  und  quälenden 
Erkenntniss,  die  sie  unter  *)  vielen  Plagen  zuvor  gewonnen  hatten^ 
durch  diese  Art  der  Heilung  die  Androhung  des  Fluches  gelöst. 
Und  da  der  Feind  das  merkte,  schämte  er  sich  ein  wenig  in 
seiner  Seele  und  unterliess  seine  Nachstellungen  und  zürnte 
über  die  Frucht  und  die,  welche  sie  assen.  Und  sie  empfingen 
an  ihren  Leibern  das  Aufhören  des  Fluches;  und  die  w^ahre 
Weisheit  siegte  über  die  List  des  Bösen.  Und  die,  welche  die 
Frucht  assen,  wurden  bewahrt  wie  die  Weinbeere  in  der  Traube. 
Und  weil  wegen  des  Segens  (der  in  der  einen  Beere  vej-schlos- 
sen  war)  die  ganze  Traube  erhalten  wurde  bis  zur  Erfüllung  der 
Zeit,  welche  von  dem  Höchsten  bestimmt  war,  und  weil  über 
ihnen  das  über  den  Rest  der  Trauben  verhängte  Abschneiden 
sich  verzögerte,  wollten  sie  sich  nicht  bekehren  durch  die  Kraft 
des  Segens,  dass  sie  reif  und  süss  würden  von  ihrer  Bitterkeit, 
welche  sie  angenommen  hatten,  und  theilhaftig  würden  der 
Süssigkeit  der  Frucht,  da  die  Pflanze  durch  die  Weisheit  des 
Ackersmanns  gepflegt  war.  und  da  der  Pflanze  lange  Zeit  die 
Kraft  zu  helfen  und  die  Erkenntniss  ihres  Wertlies  als  Gabe 
der  Heilung  entzogen  war.  Und  beim  ()fi'nen  der  Thür  für  die 
Bitte  um  Frieden  floh  die  Finsterniss  aus  der  Seele  Vieler;  und 
beim  Aufo;ang  des  Lichts  der  Erkenntniss  und  beim  Fruchtbrino-en 


1)  A:    ,, lange  Zeit  hindurch"  statt  ,,mit  vielen  Plagen". 

24* 


372  Hoiuilie  XXIII. 

des  lichtspendendeu  Ölbaums,  in  welchem  das  Zeichen  des 
Mysteriums  des  Lebens  (das  Salböl)  ist,  durch  welches  die  Christen  ^) 
und  die  Priester  und  Könige  und  Propheten  vollendet  werden, 
erleuchtet  er  die  Finstern  und  salbt  die  Schwachen  und  bringt 
die  sich  Bekehrenden  herzu  durch  sein  verborgenes  Mysterium, 
und  denjenigen,  welche  drängen  und  zu  ihm  kommen,  träufelt 
er  seinen  Saft  in  ihre  verschlossenen  -)  Ohren,  und  sie  sehen  mit 
ihren  Augen  und  hören  mit  ihren  Ohren,  und  sie  stellen  sich 
seine  Grestalten  vor  in  den  Sinnen  ihrer  Gedanken  und  bemühen 
sich,  ohne  Aufhören  vorwärts  zu  laufen,  und  beschleunigen  ihren 
Lauf  und  vergessen,  was  hinter  ihnen  ist,  und  sie  können  zu  dem 
verborgenen  Gesichte  gelangen,  welches  sie  empfangen  haben, 
da  sie  ihn  schmeckten,  welches  ihnen  Gesänge  bildet,  damit  sie 
vor  dem  Bösen  flöhen,  und  alsdann  sind  sie  der  Sauerteig  der 
Gerechten  in  dieser  Welt,  durch  welche  die  Möglichkeit  zur 
Busse  gewährt  wird,  um  welcher  willen  auch  die  Sünder  auf 
Erden  gelassen  werden,  damit  sie  die  Verheissung  empfangen, 
dass  die  Sonne  der  Güte  über  ihnen  scheinen  solle.  Und  um 
der  Langmuth  des  Guten  willen  wird  das  Unkraut  mit  dem 
Weizen  erhalten,  damit  nicht,  wenn  der  Herr  der  Aussaat,  be- 
vor das  Unkraut  ausgewachsen  ist,  befehlen  wollte,  dass  es  aus- 
gerottet werde,  das  Verderben  auch  über  den  Weizen  komme, 
wenn  das  Unkraut  aus  demselben  vertilgt  wird;  sondern  der 
Regen,  der  den  guten  Samen  wachsen  lässt,  düngt  auch  das  Un- 
kraut, den  Samen  des  Bösen.  Und  das  thut  der  Gute  in  seiner 
Weisheit,  damit  die  künstliche  Lehre  der  Kinder  des  Bösen 
schwinde,  es  seien  zwei  Wurzeln  (Principien)  gelegt,  die  des 
Guten  und  des  Bösen  ^).  Denn  wenn  der  Kegen,  der  den  Weizen 
wachsen  lässt,  das  Unkraut,  den  Samen  des  Bösen,  schwächte, 
so  würde  klar  sein,  dass  zwei  Naturen  in  der  Schöpfung  in 
Wirksamkeit  gesetzt  werden;  aber  das  Wachsthum  der  Einen 
wie  der  Anderen  gedeiht  durch  Regen  und  Wind  und  Sonnen- 
schein, und  die  Creaturen  bezeugen  einen  Schöpfer,  durch  dessen 
Gebot  die  geschaffene  Welt  geleitet  wird. 

Denn  mehr  als  der  Bösen  sind  der  Guten  in  der  Welt, 
wegen  welcher  der  ausgeschüttete  Zorn  von  jenen  zurückgehalten 
wird.     Und  wenn    der  Zaun,   der  um  die  Bösen  ist,  zerbrochen 

1)  A:  ).Mi  aV,  ,,die  Gesalbten".  —  2)  A:    „in  die  inneren  Ohren".  — 
3)  Manichäer  und  Perser. 


Die  Unterweisung  von  der  "Weinbeere.  373 

wird,  und  keiner  unter  den  Guten  ist,  der  hinein  tritt,  dann  läuft 
das  Mass  der  Sünder  über  und  erweckt  den  Zorn  des  Höchsten. 
Und  um  des  Zornes  über  die  Bösen  willen  werden  die  Auser- 
wählten in  Rauch  gehüllt.  Und  wenn  das  Schwert  zum  Ver- 
derben den  Befehl  erhalten  hat,  dann  vernichtet  es  Sünder  und 
Gerechte,  weil  die  Gerechten  sich  nicht  beeilt  haben,  sich  in  die 
Bresche  zu  stellen,  wie  der  Prophet  sagt,  da  er  verkündigt^): 
Ich  suchte  unter  meinem  Volk  einen  Mann,  der  einen  Zaun 
machte,  und  der  sich  in  die  Bresche  stellte  zu  Gunsten  des  Lan- 
des, damit  ich  es  nicht  verderbe,  und  ich  fand  ihn  nicht. 

Und  wie  er  es  zuvor  gezeigt  hatte,  kam  dieses  über  die  Gerech- 
ten der  früheren  Geschlechter.  Es  waren  nämhch  zehn  Geschlech- 
ter vom  Hause  Adams  in  dem  Leben  des  Methusalah  bewahrt,  und 
zur  Zeit,  da  er  starb,  trat  die  Sintfluth  ein,  und  ging  die  Welt 
unter.  Und  sie  wurde  vernichtet  aus  Zorn.  Und  Noah  blieb 
übrig  von  den  Wassern  der  Sintfluth,  damit  von  ihm  die  zweite 
Welt  käme.  Und  in  dem  Leben  Noahs,  des  Mannes  der  Ruhe, 
sind  zehn  Geschlechter  eingeschlossen,  von  der  Sintfluth  an  und 
weiter.  Und  da  die  Zeit  erfüllt  und  er  gestorben  war,  wanderte 
Abraham  von  Ur  in  Chaldäa  aus.  Und  in  seiner  Langmuth  be- 
wies der  Höchste  seine  Gnade  an  den  Kananitern.  Da  das  Mass 
ihrer  Sünden  noch  nicht  voll  war,  wollte  er  sie  nicht  vertilgen. 
Er  führte  den  Samen  Abrahams  nach  Aegypten  und  verhiess 
Knechtschaft  über  den  Sohn  seiner  Gnade,  damit  die  Sünden  der 
Amoriter  voll  würden,  und  damit  seine  Wunder  an  ihren  Unter- 
drückern gesehen  würden.  Und  da  er  sie  mit  grosser  Kraft  aus- 
geführt hatte,  zeigte  er  ihnen  seine  Wunder.  In  der  Wüste 
speiste  er  sie  mit  der  Speise  seiner  Heiligen,  und  sättigte  sie 
mit  dem  Brot  der  Engel,  und  Hess  für  sie  Quellen  fliessen  an 
einem  Ort,  da  kein  Wasser  war.  Und  da  sie  seinen  Geist  er- 
bitterten und  ihn  erzürnten,  trat  Mose  in  die  Bresche  für  sein 
Volk.  Und  auch  während  des  Lebens  Aharons,  des  versöhnenden 
Hohepriesters,  der  Räucheropfer  während  des  Zorns  darbrachte, 
herrschten  ihre  Feinde  nicht  über  sie.  Und  bei  seinem  Tode 
auf  dem  Berge  Hör  stritt  ein  Kananiter,  der  König  von  Gerar, 
gegen  sie,  welcher  im  Süden  wohnte.  Und  während  des  Lebens 
Moses  fehlte  ihnen  nichts  zum  Unterhalt.    Und  bei  seinem  Tode 

1)  Ezeoh.  22,  30. 


374  Homilie  XXIII. 

auf  dem  Berge  Nebo  wurde  das  Manna  ihnen  genommen.  Und 
da  sein  Volk  aus  Ägypten  auszog,  führte  sie  Gott  durch  das 
schreckliche  Meer.  Und  da  er  den  Tyrannen  Pharao  ersäuft 
hatte,  nahm  Miriam  die  Cymbel  in  die  Hand  und  pries  herrlich 
ihren  Untergang.  Und  zur  Zeit,  da  Miriam  gestorben  war,  hatte 
das  Volk  kein  Wasser  zu  trinken.  Und  in  den  Tagen  des  Königs 
Hiskia  wurden  sie  vor  zwei  assyrischen  Königen  errettet,  und 
nach  dem  Tod  des  gerechten  Mannes  Avurden  seine  Söhne  als 
Geissei  zu  dem  König  von  Babel  geführt.  Und  Josia,  der  ge- 
rechte König,  reinigte  das  Land  Israel  von  heidnischem  Wesen. 
Und  er  starb  vor  dem  Unglück,  und  nach  seinem  Tode  wurden 
der  Bedrängnisse  Israels  viel.  Und  die  Könige,  ihre  Feinde, 
vertilgten  sie  aus  ihrem  Lande. 

Und  zur  Zeit,  da  das  Mass  ihrer  Sünden  überfloss,  wurde 
das  Gebet  der  Gerechten  nicht  mehr  erhört.  Der  Heilige  sprach 
nämlich  zu  Jeremia  zu  dieser  Zeit  ^) :  Wenn  Mose  und  Samuel 
vor  mir  stehen  würden,  so  würde  meine  Seele  an  diesem  Volk 
kein  Wohlgefallen  haben ;  sondern  ich  will  sie  von  meinem  An- 
gesicht wegführen,  und  sie  sollen  weggehen;  und  wenn  sie  sagen 
werden  zu  dir:  Wohin  sollen  wir  gehen?,  so  sprich  zu  ihnen: 
Ins  Schwert  und  in  die  Gefangenschaft  und  in  den  Hunger  und 
in  die  Seuche.  Vier  Plagen  will  ich  über  sie  bringen.  Und 
auch  zu  Hesekiel  spricht  Gott  2) :  Wenn  ich  das  Schwert  über  das 
Land  bringe,  und  wenn  das  Schwert  über  das  Land  kommt  oder 
ein  böses  Thier,  und  wenn  Noah  und  lob  und  Daniel  im  Lande 
wären,  so  wahr  als  ich  lebe,  spricht  der  Herr,  sie  würden  ihren 
Sohn  und  ihre  Tochter  nicht  erretten,  sondern  sie  würden  durch 
ihre  Gerechtigkeit  (nur)  sich  selbst  erretten,  und  das  Land  würde 
dem  Verderben  verfallen  sein.  Und  es  ist  vms  begreiflich,  dass 
der  Prophet  sehr  betrübt  war,  da  er  betete  und  nicht  erhört 
wurde.  Darum  eben  rechtfertigt  dies  der  Herr  ihm  durch  den 
Hinweis  auf  jene  drei  Gerechten,  weil  in  seinem  Herzen  der 
Gedanke  aufgestiegen  war:  Warum  wurden  Noah  und  lob  und 
Daniel  erhört,  ein  jeder  von  ihnen  in  seinem  Geschlecht,  und 
mein  Gebet  hört  Er  nicht?  Noah  wurde  erhört,  und  die  Kinder 
seines  Hauses  wurden  mit  ilim  vor  dem  Zorn  der  Sintüuth  er- 
rettet.   Und  lob  betete  für  seine  Freunde,  und  der  Herr  erfüllte 


1)  Jerem.  15,  1—3.  —  2)  Ezech.  14,  15  fi. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  375 

es  vor  ihm,  und  sie  geriethen  nicht  in  Schande.  Und  dem  Daniel 
wurde  durch  sein  Gebet  das  Geheimniss  geoffenbart,  und  seine 
Freunde  wurden  vor  dem  Zorn  des  Königs  errettet,  und  auch  die 
Weisen  von  Babel,  die  doch  bÖse  waren,  wurden  errettet  und  be- 
hielten das  Leben  durch  Daniels  Gebet.  Da  das  der  Prophet 
dachte,  rechtfertigte  es  ihm  der  Gute  in  seiner  gewohnten  Güte 
also:  Wenn  diese  drei  gerechten  Männer,  von  denen  ich  einen 
jeden  zu  seiner  Zeit ')  erhört  habe,  zu  dieser  Zeit  vor  mir  stün- 
den, so  würde  ich  sie  nicht  allein  bezüglich  der  Bösen  nicht 
erhören,  sondern  nicht  einmal  einen  Sohn  und  eine  Tochter 
würden  sie  erretten,  sondern  sie  würden  durch  ihre  Gerechtigkeit 
sich  selbst  erretten,  und  das  Land  würde  dem  Verderben  verfallen 
sein.  Da  Hess  sich  der  Prophet  durch  die  Rechtfertigung  seines 
Herrn  überzeugen. 

Ahnlich  diesem  Gedanken  dachte  auch  der  Prophet  Jere- 
mia  und  sprach:  Warum  wurden  Mose  und  Daniel  erhört,  ein 
jeder  von  ihnen  in  seiner  Zeit,  und  vor  meinem  Gebet  verbirgt 
sich  der  Herr  und  hört  es  nicht?  Denn  Mose  stand  in  der 
Bresche  für  sein  Volk  oftmals,  und  sie  wurden  nicht  vertilgt 
wegen  ihrer  Sünden.  Und  auch  Samuel  sühnte  sein  ganzes  Volk, 
dafür  dass  sie  einen  König  verlangt  und  sein  Königthum  ver- 
worfen hatten.  Und  wiederum  überzeugte  der  Gute  in  seiner 
Langmuth  den  Propheten  Jeremia"-^):  Wenn  Mose  und  Samuel 
zu  dieser  Zeit  vor  mir  stehen  würden,  würde  ich  sie  nicht  hören. 

Und  auch  zu  ihrer  Zeit  wurden  diese  gerechten  und  starken 
Männer  zuweilen  erhört,  wenn  sie  beteten;  zuweilen  beteten  sie 
und  wurden  nicht  erhört.  Mose,  der  grosse  Prophet  von  ganz 
Israel,  durch  dessen  Gebet,  wenn  es  angenommen  wurde,  sein 
Volk  oftmals  vor  dem  Zorn  errettet  wurde,  und  dessen  Gebet 
für  ganz  Israel  genügte,  —  wenn  er  zu  anderer  Zeit  betete,  so  ge- 
nügte sein  Gebet  nicht  für  seine  eigene  Person.  Denn  er  betete 
mit  Seufzen  und  flehete,  dass  er  hinübergehen  und  das  Land  der 
Verheissung  sehen  möchte.  Und  sein  Herr  sprach  zu  ihm-'):  Es 
sei  genug;  rede  nicht  weiter  vor  mir  dieses  Wort,  denn  ich  er- 
höre dich  nicht,  weil  ihr  euch  gegen  das  Wort  meines  Mundes 
widerspenstig  gezeigt  und  mich  nicht  geheiligt  habt  am  Hader- 


1)  Wörtlich:  ,,in  seinem  Geschlecht".  —  2)  Jerem.  15,  1.  —  3)  Num. 
20,  24;   27,  14. 


376  Homilie  XXIIl. 

Wasser.  0  wunderbare  Geheimnisse,  dass  die  Gerechten  nicht 
erhört  werden,  damit  sie  dadurch,  dass  sie  nicht  erhört  werden, 
gezüchtigt  werden  vor  dem  Gericht '),  damit  sie  am  Tag  der  Ver- 
geltung nicht  verklagt  werden.  Dadurch  wurde  Mose  gezüchtigt 
dafür,  dass  er  sich  widerspenstig  gezeigt  hatte,  und  sein  Gebet  wurde 
nicht  erhört,  und  er  kam  nicht    in    das  Land    der  Verheissung. 

Ich  sage,  meine  Brüder,  mit  gewisser  Zuversicht,  dass  alle- 
zeit, von  Anfang  bis  in  Ewigkeit,  Gerechte  und  Rechtschaffene 
auf  Erden  gefunden  werden.  Wie  geschrieben  steht  2):  Es  fehlte 
nicht  ein  Gerechter  vor  den  Augen  des  Herrn,  und  die  Welt 
hatte  keinen  Mangel  an  Rechtschaffenen.  Darüber  bezeugt  unser 
Erlöser  3):  Ich  bin  nicht  gekommen,  die  Gerechten  zur  Busse  zu 
rufen,  sondern  die  Sünder.  Weil  er  wollte,  dass  die  Sünder 
gerecht  würden,  kam  Christus;  denn  die  Gesunden  bedürfen  des 
Arztes  nicht,  denn  sie  haben  keine  Krankheit,  und  auch  die  Satten 
sind  nicht  hungrig  nach  ihm,  sind  es  nicht  vielmehr  Diejenigen, 
die  da  dürsten,  zu  trinken  und  erquickt  zu  werden?  Da  er  selbst 
also  ruft^):  Jeder,  der  da  dürstet,  komme  und  trinke.  Und  der 
Prophet  ruft'^):  Wohlan,  die  ihr  dürstet,  kommet  zum  Wasser 
und  nehmet  euch  ohne  Silber  und  ohne  Geld  Milch  und  Wein, 
Wein,  der  da  erfreut,  und  Milch,  die  da  nährt.  Und  der  Apostel 
sagt  hierüber  ^') :  Wie  kleinen  Kindern  in  Christo  habe  ich  euch 
Milch  zu  trinken  gegeben. 

Das  ist  das  grosse  Geheimniss,  das  der  Prophet  zuvor 
verkündigte.  Er  sprach  nämlich:  Jeder,  der  dürstet,  komme 
zum  Wasser.  Und  der  die  Propheten  erfüllt  hat,  sprach:  Jeder, 
der  dürstet,  komme  und  trinke.  Der  Prophet  sandte  sie  zur 
Quelle;  und  der  sie  tränket,  rief  sie  zum  Trinken.  Und  der 
Prophet  verkündigte:  Kommt  und  trinket  ohne  Geld  Wein 
und  Milch  von  dem,  dessen  Augen  röthlicher  sind  als  Wein,  und 
dessen  Zähne  weisser  sind  als  Milch ').    Und  nicht  wie  die  Lügen- 


1)  cl.  h.  ehe  das  Gericht  kommt. 

2)  Wo?  Diese  Stelle  weiss  auch  Wright  im  jetzigen  Kanon  der  Schrift 
nicht  nachzuweisen.  —  3)  Luc.  5,  32.  —  4)  Joh.  7,  37.  —  5)  Jes.  55,  1. 

6)  1.  Cor.  3,  2.  Aphr.  verbindet  J.m.*.^^i:  ]?ali.A!ik?  >^|,  wq  vrjTtioig  iv 
Xqioxw,  das  nach  der  jetzigen  Versabtheilung,  auch  von  Luther,  mit  dem 
Vorhergehenden  verbunden  ist,  mit  dem  Folgenden. 

7)  Vgl.  Genes.  49,  12  und  bemerke,  dass  Juda  als  Typus  von  Christus 
gefasst  ist. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  377 

Propheten,  welche  mit  den  Zähnen  knh-schen  und  Frieden  pre- 
digen. Und  wer  ihnen  nichts  ins  Maul  wirft,  über  den  verkün- 
digen sie  Krieg  ^).  Und  auch  nicht  gleich  den  gottlosen  Priestern 
und  Lügenpropheten,  die  für  Lohn  lehren  und  für  Geld  weis- 
sagen -),  und  die  Sünden  .des  Volks  essen  und  sich  selbst  in  ihre 
Missethat  stürzen.  Und  der  Priester'^)  ist  wie  das  Volk,  dadurch, 
dass  er  das  Volk  nicht  tadelt  in  seiner  Sünde,  und  der  Priester 
thut  wie  die  Sünde  des  Volkes.  L"nd  da  das  Wort  zu  seinem 
Erfüller  kam,  verkündigte  dieser  seinen  Aposteln^):  Umsonst 
habt  ihr  es  empfangen,  umsonst  gebet  es.  L^nd  darnach  baute 
der  Lehrer  der  Heiden  weiter^):  Umsonst  habe  ich  euch  das 
Evangelium  Christi  verkündigt.  Und  wiederum  sagte  er'''):  Ich 
wollte  euch  ohne  Lohn  das  Evangelium  geben. 

Und  hierdurch  ist  das,  was  ich  geschrieben  habe,  dass  alle  Zeit 
Gerechte  und  Rechtschaffene  auf  Erden  gefunden  werden,  ausser 
Zweifel.  Denn  wegen  der  Gerechten  lässt  der  Gute  seine  Sonne  auf- 
gehen über  die  Bösen  und  über  die  Guten,  und  du  lassest  regnen, 
damit  die  Gottlosen  gespeist  werden.  Denn  die  Gerechten  und 
Rechtschaffenen  sind  das  Salz  der  Erde;  wie  unser  Erlöser  zu 
seinen  seligen  Aposteln  sagt'):  Ihr  seid  das  Salz  der  Erde. 
Wenn  das  Salz  schmacklos  wird,  wird  die  Welt  sogleich  stin- 
kend und  verdirbt.  Gleich  wie  die  Seele  den  Körper,  so  tragen 
die  Gerechten  die  Erde;  wenn  die  Seele  entflieht,  fällt  der  Leib 
zusammen  und  wird  in  seiner  Xatur  vernichtet. 

Was  die  Augen  für  den  Leib  sind,  sind  die  Gerechten  für 
die  Erde.  Wenn  (das  Auge)  erblindet,  verliert  und  verändert 
der  Leib  seine  Schönheit  und  fängt  an  anzustossen  am  Mittag 
wie  in  der  Nacht,  und  kann  nicht  gerade  seine  Wege  gehen. 
Die  Arznei  des  Lebens  sind  die  Gerechten  in  dieser  Welt;  wenn 
sie  nicht  in  der  VA'elt  wären,  so  würde  die  Welt  verworfen  und 
vernichtet  vor  dem  Zorn.  Die  Welt  grünet,  wenn  die  Gerechten 
darin  sind,  wie  der  Garten  durch  die  Wasserquelle.  Wenn  die 
(Quelle  ausbleibt,  vertrocknen  die  Bäume  des  Gartens,  und  sie 
bringen  keinen  Nutzen  mehr  und  dienen  nicht  mehr  der  Seele 
zur  Ruhe.  Und  auch  seine  Reben  werden  ausgerottet  und  mit 
Feuer  verbrannt.     Und  wenn  Reben  gefunden  werden,  die  den 


1)  Micha  3,  b.  —  2)  Micha  3,  11.  —  3)  Hosea  4,  8.  9.  —  4)  Mt.  10,  8. 
—  5)  2.  Cor.  11,  7.  —  6)  1.  Cor.  9,  18.  —  7)  Mt.  5,  13. 


378  Homilie  XXIII. 

Ackersmanu  erfreuen,  dann  werden  sie  noch  mehr  gepflegt  und 
brinsren  noch  mehr  Früchte.  Es  wird  die  Welt  durch  das  Gebet 
der  Gerechten  erhalten,  wie  der  Teig  durch  die  Kraft  des  Sauer- 
teiges, und  ihr  verziehen.  Die  Gerechten  sind  die  Lenker  dieser 
Welt,  wie  das  Schiff  durch  die  Weisheit  seiner  Schiffer  gelenkt 
wird.  Es  senkt  sich  das  Schiff  in  die  bewegten  Wellen  und  wird 
hierhin  und  dorthin  getrieben  durch  die  starken  Wogen;  und 
die  weisen  Steuerleute  stehen  auch  Wache  und  führen  das  Schiff 
zum  Ort  der  Ruhe.  Wenn  das  Schiff  keine  Aveisen  Steuerleute 
hätte,  so  könnte  es  nicht  in  den  Hafen  laufen,  und  das  Schiff' 
würde  untersinken  und  seine  Waare  zu  Grunde  gehen.  Wenn 
keine  Gerechten  wären,  würden  die  Gottlosen  untergehen;  wenn 
keine  Gerechten  wären,  so  würden  die  Ungläubigen  nicht  er- 
nährt werden. 

Und  wenn  du  mich  fragen  wirst,  o  Hörer,  warum  gibt  es, 
wenn  Gerechte  und  Rechtschaffene  auf  Erden  sind,  zur  bösen 
und  bedrängten  Zeit  kein  Gebet,  das  erhört  wird,  so  möge  der 
Hörer  ohne  Streit  überlegen,  was  ich  ihm  oben  geschrieben 
habe,  dass  Mose,  der  grosse  Prophet  und  Führer  von  ganz  Is- 
rael, zuweilen  durch  sein  Gebet  sein  ganzes  Volk  sühnte,  und 
zu  anderer  Zeit  wurde  er  auch  für  sich  selbst  nicht  erhört;  und 
überlege  dann,  was  noch  grösser  denn  dieses  ist,  von  Jesu,  dem 
grossen  Erlöser  und  Sohn  Gottes:  Kämlich  um  der  Erhörung 
seines  Gebetes  willen,  das  angenommen  wurde,  wurde  Gott  mit 
seiner  Schöpfung  versöhnt;  wie  der  Apostel  sagt^):  Er  versöhnte 
uns  mit  seinem  Vater.  Und  zur  Zeit,  da  seine  Stunde  gekom- 
men war,  betete  er,  und  bat  und  flehete,  da  er  doch  nichts  be- 
durfte, und  sprach  2):  Mein  Vater,  wenn  es  möglich  ist,  so  gehe 
dieser  Kelch  von  mir;  und  das  Gebet  für  ihn  selbst  wurde  niclit 
erhört.  Zu  unserem  Vortheile  wurde  unser  Erlöser  nicht  er- 
hört. Denn  er  musste  sterben,  damit  er  uns  ein  Unterpfand 
gäbe,  dass  er  starb  wie  wir  und  den  Tod  vernichtete  und  auf- 
erstand und  uns  auferweckte  und  uns  verhiess,  dass  wir  leben 
werden.  Denn  wenn  er  erhört  worden  wäre,  da  er  den  Tod  zu 
meiden  bat,  da  er  mit  dem  Leibe  bekleidet  war,  wer  hätte  uns 
die  Auferstehung  gewiss  gemacht?  Er  tröstete  uns  durch  sei- 
nen Tod  und  erfreute  uns  durch  seine  Auferstehung.     Und  da- 


1)  2.  Cor.  .5,  18.  —  2)  Mt.  26,  39. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  379 

durch,  dass  er  sich  vor  dem  Tod  fürchtete,  hat  er  iu  seiner 
Weisheit  für  uns  gehandelt,  damit  wir  Hilfe  hätten,  damit  er 
allen  Menschen  klar  zeige  die  Schwachheit  seines  Leibes,  den 
er,  wie  wir,  angezogen  hatte.  Denn  wenn  er  nicht  geboren 
wäre  wie  wir,  so  hätte  es  für  ihn  den  Weg  zum  Tode  nicht 
gegeben.  Und  wenn  nicht  in  uns  von  seinem  Lebensgeiste  ge- 
wesen wäre,  so  hätte  er  uns  auch  nicht  das  Pfand  des  Lebens 
gegeben,  dass  wir  auferstehen  werden  wie  er.  Zuerst  ist  er  ge- 
storben durch  unsern  Tod,  damit  wir  durch  seinen  Tod  getröstet 
würden,  und  stand  auf  in  grosser  Kraft  ohne  Schwachheit, 
nachdem  er  den  Tod  überwunden  hatte,  und  von  seinem  Ort 
(d.  h.  des  Todes  =  L^nterwelt)  heraufgestiegen  war,  und  wir  freuten 
uns,  dass  unser  Tod  in  sein  Leben  verschlungen  sei.  Und  wir 
empfingen  das  Unterpfand  des  Lebens  durch  seinen  Tod.  Wenn 
Christus  nicht  gestorben  wäre  durch  den  Leib,  den  er  von  uns 
hatte,  so  hätte  er  uns  kein  Unterpfand  geben  können,  dass  wir 
zuversichtlich  annehmen,  dass  wir  von  dem  Tod  zum  Leben  er- 
wachen werden.  Aber  alle  Unterpfänder  hat  er  an  sich  selbst 
vollbracht,  und  wir  haben  von  ihm  zuversichtlich  das  Unter- 
pfand empfangen,   dass  wir  von  dem  Tode  auferstehen  werden. 

Wir  sind  nicht  betrübt  über  die  Geburt,  weil  er  wie  wir 
geboren  worden  ist.  Es  fehlt  uns  nichts  in  unsern  Krankheiten, 
denn  auch  er  ist  krank  gewesen  wie  wir;  und  er  mühte  sich 
ab  und  hungerte  auch,  damit  er  uns  fasten  lehrte.  Er  wurde 
vom  Schlaf  übermannt  und  litt  und  ward  versucht  an  seinem 
schwachen  Leibe,  damit  er  denen  helfen  könne,  die  versucht  werden. 

Verstehe  und  begreife  und  überzeuge  deine  Seele,  dass 
nothwendigerweise  das  Gebet  dieser  beiden  grössten  Propheten 
und  herrlichen  Hirten,  das  sie  für  sich  selbst  beteten,  nicht  er- 
hört werden  konnte.  Denn  ein  Testament  ist  nicht  giltig,  es 
sei  denn,  dass  der  sterbe,  der  es  geschrieben  hat.  Durch  Mose 
nämlich  war  der  Bund  dem  Volk  Israel  verheissen  worden,  dass 
er  ihnen  das  Land  der  Kananiter  zum  Erbe  geben  wollte.  Und 
durch  Jesum  war  der  Bund  verheissen  worden,  dass  er  den  Hei- 
den das  Land  des  Lebens  geben  wolle.  Mose  starb  jenseits  des 
Jordan,  und  das  Testament,  das  er  seinem  Volk  verheissen  hatte, 
wurde  giltig.  Und  Jesus  starb  in  dem  Land  unsers  Todes; 
und  das  Testament  wurde  giltig,  das  er  den  Völkern  verheissen 
hatte.     Denn   er   hatte   verheissen,   dass  er  ihnen  das  Land  des 


380  Homilie  XXIII. 

Lebens  geben  wolle.  Dem  Mose  zeigte  sein  Herr  das  Land  der 
Verheissung,  da  Israel  es  noch  nicht  ererbt  hatte,  und  Jesus, 
unser  Erlöser,  stand  von  den  Todten  auf  und  ging,  um  uns  das 
Land  zu  bereiten,  das  verheissen  war.  Wie  er  zu  seinen  Apo- 
steln sagte  ^j:  Ich  gehe  hin,  euch  die  Statte  zu  bereiten,  und 
alsdann  will  ich  kommen  und  euch  hinführen,  denn  wo  ich  bin, 
sollt  ihr  auch  sein.  Und  er  machte  uns  die  Verheissung  gewiss, 
dass  wir  bei  ihm  sein  werden;  und  belehrte  auch  seine  Apostel 
vor  der  Zeit,  da  sie  ihn  fragten  nach  den  Zeichen  seiner  Wie- 
derkunft, da  er  seine  drei  Jünger  mit  sich  nahm,  Simon  und 
Jakobus  und  Johannes:  Simon,  den  Felsen,  das  Fundament  der 
Gemeinde,  und  Jakobus  und  Johannes,  die  festen  Säulen  der 
Gemeinde,  und  diesen  drei  wahrhaftigen  Zeugen  das  Zeichen 
seiner  Wiederkunft  zeigte,  indem  er  sich  in  seiner  Erscheinung 
in  die  Gestalt  seiner  Wiederkunft  verwandelte,  da  Mose  und 
Elia  bei  ihm  waren.  Und  er  tröstete  die  Verstorbenen,  dass  es 
ihnen  bestimmt  ist  zu  leben,  wie  Mose,  der  erschienen  war.  und 
dass  (he  Lebendigen,  welche  übrig  bleiben  bis  zu  seiner  Wie- 
derkunft, hoffen,  dass  sie  hin  weggerafft  werden  ihm  entgegen,  wie 
Elia,  der  den  Tod  nicht  schmeckte  und  bei  ihm  erschienen  war. 

Er  zeigt  uns  nämlich,  dass  Mose,  der  grosse  Prophet,  und 
Jesus,  der  geliebte  Sohn,  zur  rechten  Zeit  erhört  wurden  und 
durch  ihr  Gebet  vieles  Volk  sühnten;  und  dass  zu  anderer  Zeit 
ihre  Bitten  ihnen  versagt  wurden;  damit  durch  diese  Belehrung 
Viele  getröstet  würden,  welche  bitten  und  nicht  erhört  werden, 
indem  sie  auf  den  Beweis  an  diesen  Männern  der  Kraft  merken, 
die,  als  sie  bei  ihrem  Gebet  nicht  erhört  wurden,  nicht  betrübt 
waren,  die  das  in  ihren  Sinn  aufnahmen  und  sich  fügten. 

An  dem  Vorbild  Moses  und  unsers  Erlösers  und  der  Pro- 
pheten und  der  früheren  Gerechten  lass  dich  noch  überzeugen 
und  belehren,  dass  Gerechte  auf  Erden  sind,  und  die  Welt  um 
der  Kechtschaffenen  willen  besteht.  Die  Welt  ist  nämlich  auf 
Gnade  gegründet;  wie  der  Prophet  sagt^j:  Die  Welt  wird  auf 
Gnade  erbaut  werden.  Und  das  ist  die  überreiche  Gnade,  dass  bis 
in  Ewigkeit  Gerechte  nicht  beseitigt  werden  in  der  Welt  ^).  Da- 

1)  .Toll.  14,  2.  3.  — 

2)  Auch  Wright  kann  diese  Stelle  in  unserem  Schriftkanon  nicht  nach- 
weisen. —  3)  A  fügt  hier  ein:  ,,uncl  nicht  mangeln.  Wenn  die  Gerechten 
fehlen  würden  in  der  Welt,  so  würde  dadurch"  etc. 


\ 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  381 

durch,  dass  das  Mass  der  Schuld  der  Sünder  überfliesst,  würde 
die  Welt  im  Zorn  zerfallen,  und  die  Gnade  würde  besiegt  werden 
von  der  Gerechtigkeit,  av eiche  Gericht  fordert.  Und  deshalb 
sind  die  Gerechten  auf  Erden  gelassen,  in  der  falschen  Welt, 
damit  um  ihrer  willen  die  Gerechtigkeit  nicht  siege  und  in  diese 
Welt  komme,  die  auf  Gnade  gegründet  ist,  um  Gericht  zu  for- 
dern, wo  kein  Gericht  ist.  Und  die  Gerechten  sind  in  dieser 
Welt  verborgen,  und  um  ihrer  willen  wird  sie  von  dem  Zorn 
nicht  vertilgt,  wie  die  Weinbeere,  die  in  der  Traube  verborgen 
war,  und  wie  wegen  der  Weinbeere  die  Traube  lange  Zeit  er- 
halten wurde.  Denn  also  hören  wir  das  Wort,  da  der  Prophet 
redete  und  zu  dem  Volke  sprach  i):  Wie  die  Weinbeere  in  der 
Traube  gefunden  wird,  und  ein  Mann  zum  andern  sagt:  Ver- 
dirb die  Traube  nicht,  denn  es  ist  ein  Segen  darin,  und  er 
sprach:  Also  will  ich  thun  wegen  meiner  Auserwählten  und 
will  alle  nicht  verderben  und  von  Jakob  Samen  ausführen  und 
von  Juda  den,  der  meinen  heiligen  Berg  erben  soll.  Die  Traube 
ist  das  Volk  Israel,  und  der  Segen,  der  darin  ist,  ist  der  König 
Christus.  Von  Anfang  war  diese  Weinbeere  verwahrt  in  Adam, 
dem  Erstgeborenen.  Und  wenn  er  auch  sündigte,  so  wurde  von 
ihm  doch  bewahrt  der  Same  der  Gerechten,  und  es  wairde  der 
Segen  bewahrt  in  Seth  und  allen  seinen  Geschlechtern.  Und  da 
alles  Fleisch  seinen  Weg  verderbte  auf  Erden,  wurde  der  Segen 
in  dem  Mann  der  Ruhe,  in  Noah,  erhalten,  und  er  wurde  ge- 
recht und  rechtschaffen  erfunden  unter  dem  verderbten  Ge- 
schlecht. Und  der  Segen  wurde  in  der  Holzarche  verwahrt,  und 
alle  Gottlosen  gingen  unter  in  dem  ausgegossenen  Zorn,  da  die 
AVeinbeere  aus  ihnen  ausgeschieden  und  weggenommen  war. 

Und  Noah  und  seine  Söhne  gingen  aus  der  Arche,  und  der 
Segen  wurde  in  Sem  verwahrt,  dem  Vater  der  Gerechten.  Denn 
der  Geist  bestimmte  es  so  durch  den  Mund  des  Mannes  der 
Ruhe,  da  er  seine  Söhne  nach  der  Sintfluth  segnete.  Er  sprach 
nämlich'^):  Gott  wird  Japhet  ausbreiten,  und  er  -wird  in  der 
Hütte  Sems  wohnen;  und  er  verfluchte  Kanaan,  den  Nachkommen 
Chams,  der  seinen  Vater  verspottet  hatte,  und  er  wurde  des 
Segens  beraubt.  Und  dieser  Segen  ging  durch  zehn  Geschlechter 
von  Noah  bis  Abraham.  Denn  er  lebte  nach  der  Sintfluth  noch 
dreihundert  fünfzig  Jahre,  und  seine  Söhne  und  Töchter  zeugten 
1)  Jes.  ()5,  8.  9.  —  2)  Gen.  9,  27. 


382  Homilie  XXIII. 

und  mehrten  sich  in  seinen  Tagen.  Und  da  sie  nach  Babel  kamen, 
dem  Land  der  Chaldäer,  verwirrte  Gott  daselbst  die  Sprachen  der 
ganzen  Erde.  Und  Noah  blieb  in  Ur  in  Chaldäa,  indem  er  zwei- 
hnndert  zwei  und  neunzig  Jahre  nach  der  Sintfluth  wohnte  und  den 
Segen  der  Gerechten  bewahrte  ^).  Und  es  wurde  Abraham  geboren 
in  Urin  Chaldäa.  im  Jahre  achthundert  zwei  und  neunzig  des  Lebens 
des  Noah,  lange  Zeit  nachdem  die  Sprachen  verwirrt  w^orden  waren. 
Und  da  Noah  neunhundert  fünfzig  Jahre  alt  war,  war  seine  Zeit 
erfüllt,  und  er  starb  in  gutem  Alter,  im  acht  und  fünfzigsten  Jahre 
des  Lebens  Abrahams.  Und  Noah  starb  in  Ur  in  Chaldäa.  Als- 
dann zog  Abraham  aus  Ur  in  Chaldäa,  und  ging  und  wohnte 
kurze  Zeit  in  Haran.  Und  von  Haran  führte  ihn  Gott  in  das 
Land  Kanaans,  des  Sohnes  Chams,  des  verfluchten  Samens,  über 
welchen  Knechtschaft  verheissen  war.  Und  da  Abraham  hundert 
Jahre  alt  war,  im  Jahre  vierhundert  zwei  und  neunzig  des 
Lebens  Sems,  des  Vaters  der  Gerechten,  da  wurde  Isaak  ge- 
boren, und  Sem  lebte,  nachdem  Isaak  geboren  war,  (noch) 
hundert  und  zwölf  Jahre.  L^nd  Isaak  zeugte  Jakob  und  Esau, 
da  er  sechzig  Jahi-e  alt  war.  Und  Sem  lebte,  nachdem  Jakob 
und  Esau  geboren  waren,  noch  zwei  und  sechzig  '^)  Jahre.  Und 
Abraham  starb  im  Alter  von  hundert  fünf  iind  siebzig  Jahren. 
Und  Sem  lebte  nach  dem  Tode  Abrahams  noch  sieben  und  dreissig 
Jahre.  Und  Isaak  war  hundert  sieben  und  dreissig  Jahre  alt,  da  er 
seinen  Sohn  Jakob  segnete,  in  Avelchem  der  Segen  der  Gerechten 
verborgen  war.  Und  Jakob  war  sieben  und  siebzig  Jahre  alt,  da  er 
nach  Haran  floh.  Und  im  Alter  von  vier  und  achtzig  Jahren  nahm 
er  Lea  und  Rahel.  Und  nach  hundert  und  zwölf  Jahren  des  Lebens 
Isaaks  starb  Sem,  im  zwei  und  fünfzigsten  Jahre  des  Lebens  Ja- 
kobs. Und  da  Jakob  sieben  und  neunzig  Jahre  alt  war,  sprach 
Gott  zu  ihm:  Kehre  zurück  in  das  Land  deiner  Väter,  und  ich 
will  dir  Gutes  thun  und  will  mit  dir  sein.  Und  Jakob  war  sieben 
und  neunzig  Jahre  alt,  da  er  von  Haran  zurückkehrte,  und  sein 
Vater  Isaak  war  hundert  sieben  und  fünfzig  Jahre  alt.  Und 
Isaak  lebte,  nachdem  Jakob  aus  Haran  zurückgekehrt  war,  noch 
drei  und  zwanzig  Jahre.  Und  im  drei  und  vierzigsten  Jahre 
seines   Segens,    und   drei   und   zwanzig   Jahre  nachdem   er    aus 

1)  Ueber  die  chronologischen  Berechnungen  Aphr.'s  vgl.   Einleitung 
S.  IX,  Anm.  u.  S.  XXXIX. 

2)  Also  muss   es  oben  heissen  122  —-jjaliZiZ  statt  112  Vri^-^'-^- 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  383 

Haran  zurückgekehrt  war,  starb  er  im  Alter  von  hundert  und 
achtzig  Jahren.  Und  Jakob  zog  nach  Ägypten  zwanzig  Jahre 
nachdem  sein  Yater  Isaak  gestorben  war,  und  zwei  und  zwanzig 
Jahre  nachdem  sein  Sohn  Joseph  nach  Ägypten  verkauft  worden 
war,  und  acht  und  sechzig  Jahre  nach  dem  Tode  Sems.  Und 
Jakob  war  in  Ägypten  siebzehn  Jahre  und  starb  im  Alter  von 
hundert  sieben  und  vierzig  Jahren,  und  fünfzig  Jahre  nachdem 
er  von  Haran  gekommen  war,  und  sieben  und  zwanzig  Jahre 
nachdem  sein  Vater  Isaak  gestorben  war.  Und  da  Jakob  starb, 
war  Joseph  sechs  und  fünfzig  Jahre  alt.  Und  der  Segen  ward 
in  Juda,  dem  Sohn  Jakobs,  verwahrt,  ehe  er  nach  Ägypten  zog. 
Und  Juda  zeugte  Perez  ').  Und  dieser  Segen  war,  da  Jakob  und 
Juda  nach  Ägypten  zogen,  in  den  Lenden  des  Perez  verborgen; 
und  Perez  zeugte  Chezron,  und  Chezron  zeugte  Aram,  und  Aram 
zeugte  Aminadab,  und  Aminadab  zeugte  Nachschon,  den  grössten 
unter  den  Kindern  Judas.  Und  nach  Aminadab  ruhte  er  auf 
Eleasar,  dem  Sohn  des  Priesters  Aharon,  und  von  ihm  wurde 
Pinehas  geboren;  und  von  Aminadab'-)  ging  der  Segen  des  König- 
thums  und  des  Priesterthums  aus;  die  Regierung  und  das  König- 
thum  von  Nachschon,  und  das  Priesterthum  von  der  Geburt  der 
Schwester  des  Nachschon,  welche  Pinehas  gebar,  der  den  Zorn 
Gottes  durch  seinen  Eifer  besänftigte.  Und  von  Nachschon  wurde 
Schalo  geboren;  und  Schalo  zeugte  Boas.  Und  von  Boas  ging  die 
Regierung  der  Könige  aus  durch  Boas  und  die  Moabitin  Ruth. 
Und  deshalb  nahm  Boas  die  Moabitin  Ruth,  damit  Loth 
Theil  hätte  an  dem  Segen  der  Gerechten;  und  von  dem  Sohn 
der  Ruth  wurde  das  Geschlecht  des  Hauses  David  geboren,  und 
von  ihrem  Samen  wurde  der  König  Christus  geboren.  Und  Gott 
verschmähte  nicht  die  Fremdlingschaft  Loths,  des  Brudersohnes 
Abrahams,  der  mit  ihm  ausgezogen  war  von  Haran.  Und  weil 
er  die  Fremdlinge  aufnahm  wie  sein  Oheim  Abraham,  Hess  Gott 
ihn  Theil  nehmen  an  dem  Segen  der  Gerechten  durch  die  Moa- 
bitin Ruth,  die  Boas  zum  Weibe  nahm.  Und  abermals  gedachte 
Gott  Loths  durch  die  Amonitin  Naema,  die  Salomo  zum  Weibe 
nahm,  und  die  den  König  Rehabeam  gebar.  Denn  Salomo  nahm 
viele  Weiber,  siebenhundert  Freie  und  dreihundert  Konkubinen. 

1 )  Vgl.  1 .  Chron.  2.  —  2)  Was  Aphr.  über  die  Verschwägernng  der  Stämme 
Juda  und  Levi  zur  Zeit  Nachschons  und  Eleasars  sagt,  könnte,  nach  der 
Vermuthung  Zahns  (Forschungen  I,S.S9),  auf  Julius  Afr.  Chron.  zurückgehen. 


384  Homilie  XXIII. 

Und  es  steht  nicht  geschrieben,  dass  er  von  seinen  tausend 
Weibern  Samen  hatte.  Aber  Rehabeam  wurde  von  der  Amo- 
nitin  Naema  geboren,  die  sein  Weib  war  seit  den  Lebzeiten 
seines  Vaters  David.  Denn  da  Salonio  die  Regierung  antrat, 
war  Rehabeam  ein  Jahr  alt.  Salomo  regierte  vierzig  Jahre,  und 
da  Salomo  starb,  ward  Rehabeam  König  im  Alter  von  ein  und 
vierzig  Jahren.  Und  Loth  nahm  Theil  an  dem  Segen  der  Ge- 
rechten durch  die  Moabitin  Ruth  und  durch  die  Amonitin  Naema, 
aus  den  beiden  Stämmen,  die  von  ihm   waren. 

Und  Boas  zeugte  Objad,  undObjad  zeugte  Isai,  undlsai  zeugte 
David;  und  dieser  Segen  ward  in  allen  Königen  vom  Hause  Juda 
verwahrt ,  von  David  bis  Jochania,  in  achtzehn  Königen.  David 
sündigte,  und  durch  den  Segen,  der  in  ihm  verborgen  war,  ward 
ihm  seine  Sünde  vergeben.  Und  Salomo  übertrat  das  Gresetz  und 
verliess  seinen  Gott.  Und  wegen  des  Segens,  der  in  ihm  und  seinem 
Samen  verborgen  war,  sprach  Gott  *) :  Ich  will  ihn  gross  machen 
sein  Leben  lang.  Und  Rehabeam  that  viel  Sünde.  Und  wegen 
des  Segens,  der  in  ihm  war,  sprach  Gott  -) :  Ich  will  nicht  das 
ganze  Reich  von  ihm  reissen,  sondern  will  ihm  eine  Leuchte 
machen  in  Jerusalem  wegen  meines  Knechtes  David.  Und  Abia, 
der  Sohn  Rehabeams,  sündigte,  und  wegen  des  Segens,  der  in 
ihm  war,  wurde  Jerobeam  und  sein  Heer  in  seine  Hand  ge- 
geben. Und  in  Assa  ward  der  Segen  der  Gerechten  warm,  und 
er  übte  Gerechtigkeit,  und  Gott  erhörte  sein  Gebet.  Und 
seine  Feinde  wurden  in  seine  Hände  gegeben.  Und  der  Segen 
wurde  in  Josaphat  verwahrt,  und  er  that,  was  vor  dem  Herrn 
recht  war.  Und  Joram  sündigte  viel,  und  wegen  des  Segens 
wurde  er  erhalten.  Und  er  sündigte  und  ward  nicht  vertilgt 
wie  das  Haus  Ahab,  da  er  doch  der  Schwiegersohn  des  Hauses 
Ahab  war,  und  Athalia,  die  Tochter  Amris,  des  Königs  von 
Israel,  ihn  verführte.  Und  die  Weinbeere  wurde  erhalten  in 
Joas,  dem  Sohne  Ahasias,  und  er  wurde  nicht  mit  seinen  Ge- 
schwistern getödtet,  da  Athalia  den  Samen  des  Königshauses 
vernichtete,  da  sie  sah,  dass  ihr  Sohn  Ahasia  durch  Jehu,  den 
Sohn  Jimschi's  ■^)  getödtet  war.     Und  Joas  sündigte  und  vergoss 


1)  1.  Kön.  11,  34.  —  2)  1.  Kön.  11,  34.  36. 

3)  Hebr.  u.  Luther:  Nimsi.  Jehu  war  der  Sohn  Josaphat's,  der  Enkel 
Nimsi's,  wird  aber  wie  hier  bei  Aphr.  auch  2.  Kön.  9,  20  u.  1.  Kön.  19,  16 
der  Sohn  Nimsi's  genannt. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  385 

unschuldiges  Blut,  und  lohnte  die  Güte  des  Priesters  Jojada  mit 
Undank,  und  vernichtete  dessen  Samen  nach  ihm^);  und  wegen 
des  Segens  wurde  sein  Same  erhalten;  und  Amuzia  stand  auf 
und  führte  die  Regierung  und  versündigte  sich  durch  Götzen 
und  betete  andere,  fremde  Götter  an;  und  wegen  des  Segens 
wurde  sein  Same  erhalten.  Und  Usia  trat  nach  ihm  auf,  und  er 
frevelte  am  Priesterthum,  und  er  hörte  ihn  nicht;  und  der  Hei- 
lige schlug  ihn  mit  der  Plage  des  Aussatzes  sein  Leben  lang. 
Und  Jotham  trat  in  die  Regierung  und  sündigte  viel,  und  wegen 
des  Segens  wurde  sein  Same  errettet.  Und  Ahas  trat  in  die 
Regierung  und  sündigte  viel  und  betete  todte  Götzen  an  und 
sprach:  Ihr  seid  meine  Götzen  und  meine  Herren,  und  euch  bete 
ich  an;  und  wegen  des  Segens  wurde  sein  Same  erhalten.  Und 
der  gerechte  König  Hiskia  erhob  sich  über  ganz  Juda  in  Jeru- 
salem; und  er  betete  und  fand  Gnade  vor  seinem  Gott,  und  sein 
Gebet  wurde  erhört,  und  er  vernichtete  seine  Feinde.  Und 
es  wirkte  herrlich  der  Segen  der  Gerechten,  der  in  ihm  war; 
er  ward  krank  und  betete  und  genas  von  seiner  Krankheit.  Und 
weil  es  nun  Leute  gibt,  mein  Lieber,  welche  Hiskia  anklagen: 
Warum  war  er  traurig  in  seiner  Krankheit,  dass  er  sterben 
sollte,  da  er  doch  grosse  Gerechtigkeit  geübt  hatte  vor  seinem 
Gott;  und  welchen  Gewinn  brachte  ihm  die  Verlängerung  seines 
(Lebens),  da  er  doch  in  dieser  Verlängerung  ein  Vergehen  auf 
sich  geladen  hat,  dadurch  dass  er  sich  vor  den  Boten  des  Königs 
von  Babel  seines  Reichthums  rühmte  und  nicht  den  Namen 
seines  Gottes  pries,  der  ihn  von  seiner  Ki'ankheit  gesund  ge- 
macht hatte  ?  —  so  wisse :  darum  war  nämlich  der  gerechte  König 
Hiskia  traurig,  weil  er  noch  keinen  Sohn  hatte,  und  weil  in 
seinen  Lenden  der  Segen  der  Gerechten  verborgen  war.  Und  er 
sprach  also  in  seinem  Seufzen:  Der  Segen,  der  durch  alle  früheren 
Geschlechter  geflossen  ist,  von  Adam  bis  zu  mir  in  sechs  und 
vierzig  Geschlechtern,  warum  ist  er  von  mir  nicht  ausgegangen, 
und  von  mir  an  die  Weinbeere  ausgelöscht  worden?  Denn  nun 
ist  die  Traube  dem  Verderben  übergeben.  Da  er  solches  dachte 
und   inbrünstig    betete,    kam    der  Prophet  Jesaia   zu  ihm  und 

1)  Der  Priester  Jojada  hatte  dem  Könige  Joas    das  Leben  gerettet 
und  ihn  als  sechsjährigen  Knaben  auf  den  Thron  gebracht.    2.  Kön.  11,  1  ft'. 
2.  Chron.  22,  10  tf.    Joas  Hess  nach  Jojada's  Tod  (2.  Chron.  24,  15)  dessen 
Sohn,  den  Propheten  Sacharja,  steinigen.    2.  Chron.  24,  20. 
Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  i.  25 


386  Homilie  XXIII. 

sprach  zu  ihm  i):  So  spricht  der  Herr:  Siehe,  ich  will  deine  Jahre 
verlängern,  fünfzehn  Jahre  sollst  du  noch  leben.  Und  er  schenkte 
ihm  noch  fünfzehn  Jahre;  alsdann  im  achtzehnten  Jahre  seiner 
Regierung,  und  im  dritten  Jahre  seines  weiteren  Lebens  '^)  zeugte 
er  Manasse;  neun  und  zwanzig  Jahre  nämlich  regierte  er,  vier- 
zehn Jahre  vorher  und  fünfzehn  Jahre  nachher,  und  es  wurde 
erfüllt  das  Wort,  da  geschrieben  stellt^):  Die  Gerechten  leben 
lange,  und  die  Jahre  der  Gottlosen  werden  verkürzt. 

Es  wurden  verkürzt  die  Jahre  des  verderbten  Geschlechts  in 
den  Tagen  Noahs,  und  des  sündhaften  Königreichs  des  Hauses 
Ephrem.  Und  er  liess  Hiskia  noch  länger  leben  und  auch  lob. 
Hiskia  liess  er  fünfzehn  Jahre  länger  leben,  und  lob  schenkte  er 
das  Doppelte  an  Jahren,  an  Besitz  und  an  Kindern.  Und  wenn 
Jemand  streiten  wollte,  lob  habe  nicht  in  Allem  das  Doppelte 
empfangen,  der  möge  sich  ohne  Streit  belehren  lassen.  Denn 
also  steht  geschrieben^):  Gott  schenkte  lob  darnach  mehr  als 
zuvor.  Und  es  wurden  ihm  sieben  Söhne  und  drei  Töchter  ge- 
boren. Und  sieben  Söhne  und  drei  Töchter  hatte  er  vorher  und 
nachher.  Wenn  die  Zeit  der  Auferstehung  kommt  in  der  Welt 
der  Gerechten,  empfängt  er  seine  Kinder  doppelt.  Und  da  er 
noch  war  in  dieser  Welt,  empfing  er  seinen  Besitz  in  Allem 
doppelt.  Und  es  ist  uns  auch  klar,  dass  ihm  Gott  auch  seine 
Jahre  doppelt  gegeben  hat;  wie  geschrieben  steht  ^):  lob  war  alt 
und  des  Lebens  satt  und  starb.  Nach  seiner  Heimsuchung  lebte 
lob  einhundert  und  vierzig  Jahre,  und  vor  seiner  Heimsuchung 
waren  es  siebzig  Jahre.  Und  es  erfüllte  sich  an  ihm  das 
Wort,  da  geschrieben  steht:  lob  empfing  das  Doppelte  von 
Allem,  seine  Jahre  und  seinen  Besitz  in  dieser  Welt,  und  seine 
Sühne  und  seine  Töchter  in  der  Welt  der  Gerechten.  Denn  der 
Künstler  ist  Herr  über  sein  Gebilde,  es  zu  verlängern  oder  zu 
verkürzen. 

Und  Manasse  wurde  geboren  als  ein  gottloser  Sohn  von 
einem  gerechten  Mann.  Und  er  sündigte  mehr  als  Alle  vor 
ihm.  Im  Alter  von  zwölf  Jahren  trat  er  die  Regierung  an,  und 
fünf  und  fünfzig  Jahre  regierte  er.  Und  wenn  er  auch  viel 
sündigte  und  Götzen  anbetete,  so  wurde  wegen  des  Segens  doch 
sein  Same  erhalten.    Und  er  zeugte  Amon.    Und  Amon  regierte 

1)  2.  Kön.  20,  6.  —  2)  Nach  seiner  Genesung.  —  3)  Prov.  10,  27.  — 
4)  lob  42,  12.  13.  —  5)  lob  42,  16.  17. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  387 

und  wandelte  in  den  Wegen  Manasses;  und  wegen  des  Segens, 
der  in  ihm  war,  führte  er  die  Regierung.  Und  von  ihm  wurde 
geboren  der  gerechte  Mann  Josia,  sein  Gedächtniss  sei  in  Segen. 
Er  brachte  das  heidnische  Wesen  aus  dem  Lande  Israel  in  den 
Tagen  seiner  Regierung,  Und  weil  die  Sünden  des  Volks 
hereinbrachen,  wurde  er  vor  dem  Unglück  hinweggenommen  '), 
und  es  kam  nicht  in  seinen  Tagen  über  das  Volk;  wie  die  Pro- 
phetin Hulda  geweissagt  hatte,  da  er  zu  ihr  sandte,  sie  zu 
fragen,  und  da  sie  ihm  sagen  Hess-):  So  sagt  der  Herr,  der  Gott 
Israels:  Weil  dein  Herz  zerbrochen  ist  und  du  traurig  gewesen 
bist  über  die  Sünden  des  Volkes,  da  du  die  Worte  des  Gesetzes 
hörtest,  darum  versammle  ich  dich  zu  deinen  Vätern,  und  du 
sollst  nicht  das  Unglück  sehen,  das  über  dieses  Volk  kommt. 
Und  er  ward  hinweggenoramen  vor  dem  Unglück,  da  der  lahme 
Pharao  3),  der  König  von  Aegypten,  ihn  tödtete.  Und  sein  Sohn 
Joahas  trat  in  die  Regierung,  und  weil  der  Segen  nicht  in  ihni 
war,  war  er  nicht  glücklich  in  dem  Königthum  des  Hauses  Da- 
vids. Er  regierte  drei  Monate,  und  darnach  führte  ihn  der 
lahme  Pharao,  der  König  von  Aegypten,  hinweg,  und  er  starb 
in  Aegypten,  und  sein  Gedächtniss  ward  vernichtet.  Und  es  re- 
gierte im  Reiche  Jojakim,  in  welchem  der  Segen  der  Gerechten 
verborgen  war.  Und  im  dritten  Jahre  seiner  Regierung  machte 
ihn  Nebukadnezar  tributpflichtig,  und  dieser  führte  Daniel  und  seine 
Genossen  als  Geissein  hinweg.  Und  er  diente  Nebukadnezar 
acht  Jahre,  und  da  er  viel  sündigte  und  abtrünnig  wurde, 
tödtete  ihn  Nebukadnezar,  und  sie  zogen  ihn  hinaus  und  warfen 
ihn  vor  die  Thore  Jerusalems,  und  er  wurde  mit  einem  Esels- 
begräbniss  begraben^).  Und  es  regierte  nach  ihm  sein  Sohn 
Jojakin.  Und  weil  in  ihm  der  Segen  der  Gerechten  verschlossen 
war,  regierte  er  drei  Monate.  Und  da  er  von  dem  König  von 
Babel  abtrünnig  wurde,  kam  das  Heer  der  Chaldaer  über  ihn  und 
führte  ihn  hinweg,  und  sie  kamen  nach  Babel.  Und  er  wurde 
siebenunddreissig  Jahre  in  Babel  gefangen  gehalten.  Und  da 
in  ihm  der  Segen  der  Gerechten  verborgen  war,  wurde  dem 
Volk  in  Jerusalem  Vergebung  geschenkt  wegen  der  Verun- 
reinigung (durch  Götzendienst).  Und  es  herrschte  über  sie,  den 
Rest  des  Reiches,  Zedekia.     Und  Jojakin  zeugte  in  Babel  Sala- 

1)  Wörtlich:  versammelt.  —  2)  2.  Kon.  22,  19.  20.  —   3)  Vgl.  S,  342 
Anm.  4.  —  4)  Vgl.  Jerem.  22,  18  f. 

25* 


388  Homilie  XXIII. 

tliiel.  Und  so  lauge  der  Segen  in  Babel  war,  führten  die  Baby- 
lonier  das  Reich  in  Ruhe  und  Frieden.  Und  da  Salathiel  im 
Lande  Babel  geboren  war,  war  der  Segen  der  Gerechten  in  ihm 
verschlossen.  Und  Salathiel  zeugte  Serubabel.  Und  da,  in  den 
Tagen  Serubabels,  kehrten  die  Grefangenen  von  Babel  zurück 
unter  dem  Schriftgelehrten  Esra,  unter  der  Regierung  des  Per- 
sers Koresch.  Und  Serubabel  war  bei  der  Gefangenschaft 
und  war  ihr  Fürst,  wie  der  Prophet  sagte  ^):  Serubabel,  der 
Sohn  Salathiels,  der  Fürst  Judas,  und  Josua,  der  Sohn  Josa- 
daks,  der  Hohepriester:  Dieses  sind  die  beiden  Oelkinder-),  die 
da  standen  vor  dem  Herrn  des  ganzen  Landes.  Und  da  sich  der 
Segen  von  Babel  nach  Jerusalem  wandte,  hörte  das  Reich  der 
Babylonier  auf,  und  es  herrschte  der  Perser  Koresch.  Nach  drei- 
undsechzig Jahren  wandte  sich  der  Segen  von  Babel  nach  Je- 
rusalem, von  der  Zeit  an,  da  Jojakin  gefangen  geführt  wurde, 
bis  zur  Rückkehr  der  Gefangenen  unter  Esra.  Und  Serubabel 
zeugte  Abjud,  und  Abjud  zeugte  Eliakim,  und  Eliakim  zeugte 
Asor,  und  Asor  zeugte  Zadok,  und  Zadok  zeugte  Akin,  und 
Akin  zeugte  Eliud,  und  Eliud  zeugte  Eleasar,  und  Eleasar  zeugte 
Mathan,  und  Mathan  zeugte  Jakub,  und  Jakub  zeugte  Joseph, 
und  Joseph  wurde  der  Vater  Jesu  Christi  genannt.  Und  Jesus 
wurde  von  der  Jungfrau  Maria  geboren  von  dem  Samen  des 
Hauses  David,  von  dem  heiligen  Geist ,  wie  geschrieben  steht  ^) : 


1)  Haggai  1,  1.  —  2)  Zachar.  4,  14. 

3)  Luc.  2,  4.  Auch  nach  Ephr.  Com.  26—29.  Eadem  Scriptura  dixit 
utrumque  Josephum  et  Mariam  esse  ex  domo  David.  Syr.  Curet.  fehlt  an 
dieser  Stelle.  Pesch.:  oii-^j-*,  ^Jico  oii-k^  i-.^  Icai  ^oiei^.]?  "^^^-^ 
y^hs>L2  ^^^j  lliwi  |-=  mZf^z:^  >2-»r^  >=^  !-•=??•  Hiernach  lässt  sich 
„mit  Maria  etc."  auch  auf  das  vorhergehende  ,,weil  er  vom  Hause  und 
Geschlechte  Davids  war"  beziehen.  Nach  dem  griechischen  Text  da- 
gegen: Sici  zo  elvai  uvxbv  £§  ol'xov  xal  TtaxQLäq  Jav^lö  aTtoyQäwaad-ai 
avv  MuQiaii  xy  £/xvT]OX£Vfitv^  avxiö  ovarj  tynio)  ist  nur  eine  Verbindung 
von  avv  MaQiufi  mit  dnoyQdxi'aad-ai  möglich.  Also  nicht  das  dnoyQä- 
tpccaS^ai,  wie  nach  dem  Griech.,  sondern  die  davidische  Abkunft  theilt 
Maria  mit  Joseph  nach  dem  Aphr.  und  Ephr.  gemeinsamen  Evangelien- 
text.   Vgl.  Zahn  a.  a.  0.  S.  118. 

Zahn  S.  264 f.  Die  Genealogien  der  Evangelien  sind  beides  Genea- 
logien Josephs,  und  Genealogien  Jesu  nur  insofern  als  Jesus  Josephs  Sohn 
ist.    So  hat's  auch  die  Kirche  verstanden,  solange  sie  überhaupt  in  solchen 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  389 

Joseph  und  Maria,  seine  Verlobte,  waren  beide  von  dem  Hause 
Davids.  Und  der  Apostel  bezeugt:  Jesus  Christus  war  von  Maria, 

Dingen  bei  Verstand  blieb.  Aber  einen  bequemen  Ausdruck  ihres  Glau- 
bens hat  sie  sehr  bald  nicht  darin  gefunden.  Entweder  besagen  diese 
Genealogien,  Jesus  sei  der  legitime  Erbe  der  dem  Hause  Davids  gegebenen 
Verheissung,  weil  er,  rechtlich  und  geschichtlich  betrachtet,  als  Sohn  Jo- 
sephs und  damit  Davids  geboren  wurde,  oder  sie  besagen,  dass  Jesus  der 
leibliche  Sohn  Josephs  gewesen  ist.  Ersteres  ist  die  Meinung  der  Evan- 
gelisten, welche  neben  diese  Genealogien  die  wunderbare  Erzeugung  Jesu 
aus  der  Jungfrau  Maria  stellen.  Letzteres  war  die  Meinung  verschiedener 
häretischer  Parteien  von  ältester  Zeit  an.  Beides  aber  entsprach  nicht 
der  vom  Anfang  des  2.  Jahrb.  an  sich  verbreitenden  und  befestigenden 
katholischen  Ansicht.  Wenn  etwas  ein  ,, heidenchristliches  Missverständ- 
niss"  zu  heissen  verdient,  so  ist  es  die  in  der  vorhandenen  Litteratur  zuerst 
durch  das  Protevangelium  des  Jakobus,  dann  durch  Justin  vertretene 
Meinung,  dass  Maria  eine  Davididin  sei,  und  dass  sie  das  sein  müsse,  da- 
mit Jesus  ein  Davidssohn  heissen  könne  ((Just.  dial.  43  (ed.  3.  Otto 
p.  142)  c.  45,  p.  1.50.  C.  100,  p.  356.  C.  120,  p.  428.  Protev.  Jacobi  C.  10. 
Ev.  apocryph.  ed.  Tischendorf  p.  20).  Diese  in  Bezug  auf  die  Roheit 
der  Voraussetzungen  mit  jener  häretischen  Ansicht  auf  gleicher  Linie 
stehende  Fiktion  wurde  im  2.  Jahrhundert  die  herrschende,  die  katho- 
lische, und  führte  später  consequenter  Weise  zu  den  unglücklichen  Ver- 
suchen, in  den  Evangelien  eine  Genealogie  der  Davididin  Maria  zu  suchen 
und  zu  finden  (Iren.  III,  21,  5.  Tertull.  adv.  Marc.  III,  17.  20  u.  öfter). 
Tat.  Diät,  theilt  diese  Ansicht.  Mag  er  den  prägnanten  Ausdruck 
dafür:  ,, Joseph  und  Maria,  seine  Verlobte,  waren  beide  aus  dem  Hause 
Davids"  (den  Aphr.  hier  citirt)  bereits  in  seiner  syrischen  Evangelien- 
übersetzung (Syr.  Cur.)  vorgefunden  haben,  welche  hier  defekt  ist,  oder 
mag  er  ihn  geschaffen  haben:  es  ist  der  Ausdruck  seiner  eigensten 
Ueberzeugung.  Im  anderen  Fall  würde  er  hier,  wenn  irgendwo,  seinem 
griechischen  Text  den  Vorzug  vor  dem  syrischen  gegeben  haben.  Hängt 
aber  die  davidische  Abkunft  Jesu  an  der  davidischen  Abkunft  der  Maria, 
welche  eben  um  jener  willen  fingirt  wurde,  so  haben  die  kanonischen 
Genealogien  keine  Bedeutung  mehr  für  den  Glauben;  sie  sind  eine  Anti- 
quität, die  man  stehen,  aber  auch  sogut  wie  unberücksichtigt  lässt. 

1)  Hieronym.  epist.  72  c.  5.  Relege  omnes  et  veteris  et  novi  testa- 
menti  libros  et  tantam  annorum  reperies  dissonantiam  et  numerorum  inter 
ludam  et  Israel,  id  est,  inter  regnum  utrumque  confusum  ut  huiuscemodi 
quaestionibus  haerere  non  tarn  studiosi  quam  otiosi  hominis  esse  videatur. 

Die  folgende  Genealogie  des  Aphr.  könnte  als  Beweis  dafür  angeführt 
werden,  dass  dieser  neben  Tat.  Diät.,  in  welchem  die  Genealogie  fehlt, 
unsere  kanonischen  Evangelien  benutzt  hätte.  Allerdings  liest  man  zweimal 
S.38S.392  (syr.  Text  S.472.  474)  ganz  dieselbe  genealogische  Reihe  von  Sala- 
thiel  bis  zu  Joseph,  dem  Mann  der  Maria,  welche  in  Mt.  1,12 — 16,  und  abge- 
sehen von  den  beiden  ersten  Namen  Salathiel  und  Zorobabel  weder  im  A.  T. 


390  Homilie  XXIII. 

von  dem  Samen  des  Hauses  David,  durch  den  heiligen  Geist. 
Joseph  wurde  der  Vater  Jesu  genannt,    da  er  doch  nicht  von 

noch  in  einer  anderen  vom  N.  T.  unabhängigen  Schrift  zu  finden  ist; 
und  es  stimmt  die  syrische  Umschreibung  der  Namen  des  griechischen 
Textes  ziemlich  buchstäblich  mit  Pesch.  überein.  Der  eigentliche  Zweck 
der  Abhandlung  ist  nicht,  die  Abstammung  Jesu  nachzuweisen;  aber  Aphr. 
zählt  doch  die  ganze  Reihe  von  Adam  bis  Jesus  her,  S.  392  (syr.  Text 
S.  473,  13  ff.).  Wenn  er  nun  die  daran  sich  anschliessende  chronologische 
Uebersicht  mit  den  Worten  beginnt :  Gott  schuf  und  erzeugte  den  Adam, 
also  Gott  als  den  Vater  Adams  vorstellt,  so  muss  das  an  Luc.  3,38  erinnern. 
Die  Reihe  und  die  Namensformen  von  Adam  bis  Abraham  sind  bei  Aphr. 
S.  392  (syr.  Text  473,  13  fi",  vgl.  474,  6  ff.),  wesentlich  die  der  Pesch.  Luc.  3, 
34—38  (Syr.  Cur.  fehlt),  nm-  dass  Aphr.  beharrlich  S.  392  vgl.  S.  395  (syr. 
Text  S.  473,  15,  vgl.  S.  477,  15)  j.A,a£?j  statt  ,  a',°?j  schreibt,  und  den  aus 
dem  LXX-Text  von  Gen.  11,  13  (cf.  Chron.  1,  24)  stammenden  Ka'ivüu 
oder  Kcävüv  Luc.  3,  36  fortlässt.  In  der  Reihe  von  Abraham  bis  David 
stimmt  Aphr.  mit  Mt.  1,  2 — 6  und  nicht  mit  Luc.  3,  31 — 34  des  griechischen 
Textes,  denn  er  hat  S.  383.  392  (syr.  Text  S.  465,  15;  473,  17)  statt  'Aöfxüv 
Tov  IAqvsI  oder  IAqu/x  (rot  '/cw^a,«)  Luc.  3,  33  nur  den  IAqü^  aus  Mt.  1,  3, 
wie  freilich  Pesch.  mit  manchen  Griechen  und  Lateinern  auch  Luc.  3,  33 
gibt.  Wenn  Aphr.  S.  383.  392  (syr.  Text  S.  465,  15;  473, 17)  mit  den  besten 
gi-iechischen  Handschriften  in  Luc.  3,  32  den  Sohn  des  Nachson,  welcher 
bei  Mt.  1,  4.  5  ^u/.ßoJv  heisst.  ).\a,  nennt,  so  ist  zu  bemerken,  dass  Syr. 
Cur.  auch  Mt.  1,  4.  5  diese  Form  hat.  Die  Königsliste  von  David  bis  Je- 
chonia  Aphr.  S.  384—387  [sjx.  Text  S.  466,  10  —  471,  20);  S.  392  (syr.  Text 
S.473,  18—20);  S.  398  f.  (syr.  Text  482  f.)  ist  überall  die  vollständige  der 
alttestamentlichen  Geschichtsbücher,  nicht  die  um  vier  Glieder  verkürzte 
des  kanonischen  Mt.,  auch  der  Pesch.  Die  drei  Mt.  1,  9  ausgestossenen 
Namen  hat  auch  Syr.  Cur.  hier  ergänzt;  den  vierten  (Jojakim),  der  Mt. 
1,  11  ausgestossen  ist,  nur  Aphr.  Als  wesentliche  und  unmittelbare  Vor- 
lage des  Aphr.  scheint  schon  nach  Vorstehendem  weder  Syr.  Cur.  noch 
Pesch.  gelten  zu  können.  Ein  Mann  von  seiner  vorwiegend  verständigen 
Richtung,  welcher  hier  zum  Theil  mit  grosser  Umständlichkeit  die  chrono- 
logischen und  genealogischen  Angaben  des  A.  T.  erörtert,  hätte  dies  alles 
nicht  so  ohne  Reflexion  auf  die  sehr  verschiedenen  Reihen  bei  Mt.  und 
Luc.  als  selbstverständlich  geschichtlich  geben  können,  wenn  ihm  Mt.  u. 
Luc.  vorlagen.  Während  er  die  Bücher  der  Könige  S.  398  (syr.  Text  482,  7) 
und  selbst  den  Galaterbrief  S.  397  (syr.  Text  4SI,  1)  zur  Stütze  seiner  chrono- 
logisch-genealogischen Aufstellungen  anruft,  fehlen  auch  hier  die  Namen 
, Evangelist",  ^Mt.",  ^Luc".  Hätte  er  deren  Bücher  gelesen,  so  würde  er  doch 
kaum  statt  der  75  (oder  74)  Glieder  von  Adam  bis  Joseph,  die  Luc.  gibt, 
und  statt  der  59  Glieder,  welche  sich  durch  Addition  der  19  Glieder  von 
Adam  bis  Tarah  zu  den  40  Gliedern  des  Mt.  ergeben,  ganz  zuversichtlich 
63  Glieder  von  Adam  bis  Joseph  berechnen  S.392  (syr.  Text  S.473, 4. 12).  Aphr. 
ist  der  üeberzeugung,  dass  nicht  nur  Joseph,  sondern  auch  Maria  aus  Davids 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  391 

seinem  Samen  geboren  war,  sondern  der  Vatername  wurde  von 
Adam  bis    auf    Joseph  übergeführt   durch   dreiundsechzig  Ge- 


Stamm  gewesen  sei,  und  er  legt  Gewicht  darauf;  aber  die  Versuchung, 
■welche  Anderen  die  Existenz  zweier  kanonischer  Genealogien  Jesu  ge- 
boten hat,  eine  derselben  auf  Maria  zu  deuten,  hat  jedenfalls  für  ihn 
noch  nicht  bestanden.  Er  sagt  S.  3SS  (syr.  Text  472,  IS):  „Und  Joseph  wurde 
der  Vater  Jesu  Christi  genannt,  und  Jesus  ward  geboren  von  der  Jungfrau 
Maria  von  dem  Samen  des  Hauses  Davids  vom  heiligen  Geist;  wie  geschrieben 
steht:  Joseph  und  Maria,  seine  Verlobte,  waren  beide  vom  Hause  Davids. 
Und  der  Apostel  bezeugt,  Jesus  Christus  war  von  Maria  vom  Samen  des 
Hauses  Davids  durch  den  heiligen  Geist".  Es  ist  also  hier  mit  einer 
sehr  ungenauen  Anführung  von  Rom.  1,  3.  4  ein  scheinbar  genaues 
apokryphes  Evangeliencitat  verbunden.  Dass  dasselbe  aber  nicht  auf 
irgend  welchen  Missbrauch  der  kanonischen  Genealogien  Jesu  von  Seiten 
des  Aphr.  und  auch  nicht  auf  eine  eigenthümliche  Verarbeitung  seiner 
Genealogien  in  Tat.  Diät,  zurückgeht,  sondern  auf  eine  auch  durch  Ephr. 
bezeugte  eigenthümliche  Gestalt  von  Luc.  2,  4.  5,  ist  durch  die  Anmerkung 
2U  Luc.  2,  4  bewiesen.  Die  Annahme  einer  direkten  Benützung  der  ka- 
nonischen Genealogien  durch  Aphr.  findet  hier  keine  Bestätigung,  und 
hat,  wie  gezeigt,  gerade  da,  wo  er  Kenntniss  der  von  Mt.  u.  Luc.  darge- 
botenen genealogischen  Materien  bekundet,  Wahrscheinlichkeitsgründe 
gegen  sich.  Daher  wird  die  Annahme  erlaubt  sein,  dass  Aphr.  jene  Kennt- 
niss aus  einem  genealogisch-chronologischen  Werk  oder  speciell  aus  einer 
Schrift  über  die  Abstammung  Jesu,  worin  Mt.  u.  Luc.  benützt  waren, 
geschöpft  hat.  Dionysius  Bar  Salibi  berichtet,  dass  ältere  syrische  Schrift- 
steller sich  auf  eine  Erklärung  des  Julius  Africanus  über  die  Weglassung 
der  Königsnamen  bei  Mt.  berufen  haben  (Curet.  Remains  of  a  very  ancient 
recension  of  the  fourGospels,  Pref.  p.  IXf.  Assemani  bibl.  or.II,  161  ff.).  Wenn 
man  sich  der  persönlichen  Beziehungen  des  Africanus  zumHof  vonEdessa  er- 
innert, und  wenn  man  vergleicht,  wie  bald  nach  ihrem  Erscheinen  Werke 
wie  die  „Theophanie"  des  Eusebius  ins  Syrische  übersetzt  worden  sind,  so 
kann  man  es  nicht  unwahrscheinlich  finden,  dass  die  Chronik  des  Africanus 
oder  auch  sein  Brief  an  Aristides  in  syrischer  Uebersetzung  dem  Aphr.  vor- 
lagen. Auf  Africanus  könnte  zurückgehen,  was  Aphr.  über  die  Ver- 
schwägerung der  Stämme  Juda  u.  Levi  zur  Zeit  Nachsons  u.  Eleasars 
sagt  S.  383  (syr.  Text  465,  17  ff.);  und  Zahn  (S.  89)  vermuthet,  dass  Aphr. 
von  demselben  die  wenig  fruchtbare  und  in  Bezug  auf  die  Zahlen  nicht 
zuverlässig  überlieferte  Berechnung  der  Danielschen  Jahrwocheu  empfangen 
hat  S.  3U7  ff.  (syr.  Text  36b  tf.):  S.  392  (syr.  Text  473,  7);  S.  39S  (syr.  Text 
483,  7  ff.,  auch  schon  36,  5  ff.  cf.  Routh  rel.  s.  11,  297  sq.  Eus.  ecl.  proph. 
ed.  Gaisford  p.  151 — 153).  Jedenfalls  aber  kann  der  Umstand,  dass  wir  die 
Quelle  der  an  diesem  einzigen  Punkt  über  die  Grenze  der  Evangelienhar- 
monie hinausgieifenden  Kenntniss  des  Aphr.  nicht  genau  nachweisen  können, 
nichts  an  dem  Resultat  ändern,  dass  das  einzige  Evangelium,  welches 
bei  den  syrischen  Christen  in  der  Umgegend  des  alten  Ninive  um  330—350 


392  Homilie  XXIII. 

schlechter.  Und  der  Vatername  wurde  von  Joseph  genommen 
und  auf  Christus  gelegt.  Von  Joseph  empfing  er  den  Vater- 
namen, von  Johannes  den  Priesternamen,  von  Maria  zog  er  den 
Leib  an  und  empfing  den  Namen  der  Geburt. 

Nach  dreiundsechzig  Wochen  Avurde  Christus  geboren  und 
getödtet.  Und  die  gesegnete  Weinbeere  Avnrde  von  der  Traube 
hinweggenommen,  und  die  ganze  Traube  wurde  dem  Verderben 
übergeben.  Und  der  Weinberg  wurde  wüste,  weil  es  an  Wein- 
gärtnern fehlte,  und  brachte  Herlinge  und  bittere  Früchte  her- 
vor; der  Weinstock  wurde  zerstört  und  die  Weinrebe  ausgerottet. 

Nun  empfange  die  Berechnung  der  dreiundsechzig  Ge- 
schlechter von  Adam  an,  bis  Christus  geboren  wurde.  Adam, 
Seth,  Enosch,  Kainan,  Mehalleel,  Jared,  Henoch,  Methusalah, 
Lamech,  Noah,  Sem,  Arpakschar,  Schalach,  Eber,  Paleg, 
Areu,  Sarug,  Nahor,  Tharah,  Abraham,  Isaak,  Jakub,  Juda, 
Perez,  Chezron,  Aram,  Aminadab,  Nachschon,  Schalo,  Boas,  Objad, 
Isai,  David,  Salomo,  Rehabeam,  Abia,  Assa,  Josaphat,  Joram, 
Ahasia,  Joahas,  Amuzia,  Usia,  Jotham,  Alias,  Hiskia,  Manasse, 
Amon,  Josia,  Jojakim,  Jojakin,  Salathiel,  Serubabel,  Abjud,  Elia- 
kim, Asor,  Zadok,  Akin,  Eliud,  Eleasar,  Mathan,  Jakub,  Joseph 
und  Jesus  der  Sohn  Gottes,  der  von  der  Jungfrau  Maria  geboren 
wurde,  und  als  dessen  Vater  Joseph  genannt  wurde. 

Nun  will  ich  beginnen,  dich  zu  belehren  über  die  Berech- 
nung der  Jahre  ^)  von  Adam  an  bis  zu  der  Berechnung,  die  ich 
zusammengeschrieben  und  dir  (eben;  mitgetheilt  habe.  Gott  schuf 
und  zeugte  Adam,  und  da  Adam  hundertunddreissig  Jahre  alt 
war,  zeugte  er  Seth,  und  Adam  lebte,  nachdem  er  Seth  gezeugt 
hatte,  achthundert  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist  neun- 
hundertdreissig  Jahre.  Bis  zum  einunddreissigsten  Jahi-e  des 
Lebens  Lamechs,  welcher  Noah  zeugte,  lebte  Adam,  und  er  starb 
im  neunten  Geschlecht. 

Und  Seth  lebte  hundertundfünf  Jahre  und  zeugte  Enosch, 
und  Seth  lebte,  nachdem  er  Enosch  gezeugt  hatte,  achthundert- 
undsieben Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist  neunhuudertund- 
zwölf  2)  Jahre.   Bis  zum  hundertundachtzigsten  Jahre  des  Lebens 

in  kirchlichem  Gebrauch  war,  eine  syrische  Evangelienharmonie,  und  zwar 
keine  andere  als  die  von  Ephr.  commentirte  war.    Zahn  S.  87 — 90. 

1)  Vgl.  Einleitung  S.  XIII  Anm.  2  und  S.  XLIX. 

2)  A  liest  919. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  393 

Lamechs  lebte  er,  zwei  Jahre  bevor  dieser  Noah  zeugte;  und  er 
starb  im  achten  Geschlecht. 

Und  Enosch  lebte  neunzig  Jahre  und  zeugte  Kainan,  und 
Enosch  lebte,  nachdem  er  Kainan  gezeugt  hatte,  achthundertund- 
fünfzehn Jahre;  die  Summe  seiner  Jahre  ist  neunhundertundfünf 
Jahre.  Und  Enosch  lebte  bis  zum  neunundsiebzigsten  Jahre 
des  Lebens  Noahs,  bis  zum  Jahre  fünf  hundert  ein  und  zwanzig 
vor  der  Sintfluth;  und  er  starb  im  achten  Geschlecht. 

Und  Kainan  lebte  siebzig  Jahre  und  zeugte  Mehalleel,  und 
Kainan  lebte,  nachdem  er  Mehalleel  gezeugt  hatte,  acht  hundert 
vierzig  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist  neun  hundert  und  zehn 
Jahre.  Und  Kainan  lebte  bis  zum  hundert  neun  und  siebzigsten 
Jahre  des  Lebens  Noahs,  bis  zum  Jahre  vierhundert  ein  und 
zwanzig  vor  der  Sintfluth;  und  er  starb  im  siebenten  Geschlecht. 

Und  Mehalleel  lebte  fünf  und  sechzig  Jahre  und  zeugte  Jared. 
Und  Mehalleel  lebte,  nachdem  er  Jared  gezeugt  hatte,  acht  hun- 
dert dreissig  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist  acht  hundert 
fünf  und  neunzig  Jahre;  und  Mehalleel  lebte  bis  zum  zwei  hun- 
dert vierzehnten  Jahre  des  Lebens  Noahs;  bis  zum  Jahre  drei 
hundert  sechs  und  achtzig  vor  der  Sintfluth;  und  er  starb  im 
sechsten  Geschlecht. 

Und  Jared  lebte  hundert  zwei  und  sechzig  Jahre  und  zeugte 
Henoch;  und  Jared  lebte,  nachdem  er  Henoch  gezeugt  hatte, 
acht  hundert  Jahre;  die  Summe  seiner  Jahre  ist  neun  hundert 
zwei  und  sechzig  Jahre.  Und  Jared  lebte  bis  zum  drei  hundert 
acht  und  siebzigsten  Jahre  des  Lebens  Noahs;  bis  zum  Jahre 
zwei  hundert  zwei  und  zwanzig  vor  der  Sintfluth,  und  er  starb 
im  fünften  Geschlecht. 

Und  Henoch  lebte  fünf  und  sechzig  Jahre  und  zeugte  Methu- 
salah;  und  Henoch  gefiel  Gott,  nachdem  er  Methusalah  gezeugt 
hatte,  drei  hundert  Jahre;  die  Summe  seiner  Jahre  ist  drei  hun- 
dert fünf  und  sechzig  Jahre.  Im  drei  hundertsten  Jahre  seines 
Sohnes  Methusalah,  im  hundert  dreizehnten  Jahre  des  Lebens 
Lamechs,  neun  und  sechzig  Jahre  bevor  er  Noah  zeugte,  sechs 
hundert  neun  und  sechzig  Jahre  vor  der  Siiitfluth,  versetzte  ihn 
Gott  in  den  Ort  des  Lebens  im  dritten  Geschlecht. 

Und  Methusalah  lebte  hundert  sieben  und  achzig  Jahre  und 
zeugte  Lamech ,  und  Methusalah  lebte,  nachdem  er  Lamech  ge- 
zeugt hatte,  sieben  hundert  zwei  und  achtzig  Jahre.    Die  Summe 


394  Homilie  XXIII. 

seiner  Jahre  ist  neun  hundert  neun  und  sechzig  Jahre.  Und 
Methusalah  lebte  bis  zum  sechs  hundertsten  Jahre  des  Lebens 
Noahs,  und  nach  seinem  Tode  ging  Noah  in  die  Arche,  und  die 
Sintfluth  war  zu  der  Zeit,  da  der  gerechte  Mann  starb;  und  er 
sah  Adam  hundert  ein  und  fünfzig  Jahre  und  Sem  sieben  und 
neunzig  Jahre,  und  er  starb  im  dritten  Geschlecht,  und  die  Welt 
ging  unter  im  Zorn  ^). 

Und  Lamech  lebte  hundert  zwei  und  achtzig  Jahre  und  zeugte 
Noah,  und  Lamech  lebte,  nachdem  er  Noah  gezeugt  hatte,  fünf 
hundert  fünf  und  neunzig  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist 
sieben  hundert  sieben  und  siebzig  Jahre.  Und  Lamech  lebte 
bis  zum  Jahre  fünfhundert  sechs  und  neunzig  des  Lebens  seines 
Sohnes  Noah;  vier  Jahre  vor  der  Sintfluth.  Und  sein  Vater 
Methusalah  lebte  nach  ihm  vier  Jahre,  und  alsdann  kam  die 
Sintfluth.  Und  Lamech  sah  Adam  acht  und  sechzig  Jahre-,  und 
starb  später  (als  dieser),  vier  Jahre  vor  der  Sintfluth,  im  zweiten 
Geschlecht. 

Und  Noah  Avurde  geboren  sechsundachtzig  Jahre  nach  dem 
Tode  Adams,  des  Erstgeborenen,  welcher  Seth  gezeugt  hatte; 
und  er  wurde  geboren  neun  Jahre  vor  dem  Tode  Seths,  welcher 
Enosch  gezeugt  hatte.  Im  Jahre  neunundsiebzig  des  Lebens 
Noahs  starb  Enosch,  welcher  Kainan  gezeugt  hatte.  Im  Jahre 
einhundertneunundsiebzig  des  Lebens  Noahs  starb  Kainan,  wel- 
cher Mehalleel  gezeugt  hatte.  Im  Jahre  zweihundertundvierzehn 
des  Lebens  Noahs  starb  Mehalleel,  welcher  Jared  gezeugt  hatte. 
Im  Jahre  dreihundertachtundsiebzig  des  Lebens  Noahs  starb  Jared, 
welcher  Henoch  gezeugt  hatte.  Neunundsechzig  Jahre  bevor 
Noah  geboren  werden  sollte,  wurde  Henoch  hiuweggenomnien, 
und  sein  Tod  wurde  nicht  gefunden,  sechshundertneunuudsechzig 
Jahre  vor  der  Sintfluth.  Im  sechshundertsten  Jahre  des  Lebens 
Noahs  starb  Methusalah.    Und  darnach  kam  die  Sintfluth.    Im 


1)  Aphr.  lässt  also  Methusalah  vor  Beginn  der  Sintfluth  sterben.  Nach 
Hieronymus  war  es  eine  famosa  quaestio  et  disputatione  omnium  eccle- 
siarum  ventilata,  wie  Methusalah  (nach  der  Itala)  noch  14  Jahre  nach  der 
Fluth  habe  leben  können,  ohne  in  die  Arche  zu  kommen.  Auch  Augustin 
nennt  sie  famosissima  (de  civit.  Dei  XV,  13),  die  man  indess  salva  fide 
christiana  nicht  zu  entscheiden  brauche  (de  pecc.  orig.  Hb.  II).  Doch  nur 
Hieronymus  löst  sie  richtig  dahin,  dass  Methusalah  nach  dem  hebr.  Texte 
im  Beginn  der  Fluth  gestorben  sein  müsse. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  395 

Jahre  fünf'liundertseclisundneunzig  des  Lebens  Noahs  starb  La- 
mech,  der  Vater  Noahs,  vier  Jahre  vor  seinem  Vater  Methu- 
salah.  Und  Xoah  war  sechshundert  Jahre  alt,  da  er  in  die  Arche 
ging,  in  demselben  Jahre,  da  Methusalah  starb.  Und  Noah 
war  in  der  Arche,  er  und  die  Kinder  seines  Hauses,  von  dem 
siebzehnten  Tage  des  anderen  Monats  an  bis  zum  siebenund- 
zwanzigsten Tage  des  anderen  Monats  im  folgenden  Jahre,  zwölf 
Monate  und  zehn  Tage.  Alsdann  ging  Noah  und  seine  Kinder 
aus  der  Arche.  Und  Noah  lebte  nach  der  Sintfluth  dreihundert 
und  fünfzig  Jahre  und  starb,  im  achtundfünfzigsten  Jahre  des 
Lebens  Abrahams.  Er  wurde  geboren  im  neunundsiebzigsten 
Jahre  des  Lebens  Enoschs  und  starb  im  achtundfünfzigsten 
Jahre  des  Lebens  Abrahams.  Er  sah  achtzehn  Geschlechter  vor 
ihm  und  nach  ihm. 

Sem  zeugte  in  einem  Alter  von  hundert  Jahren  Arpak- 
schar,  zwei  Jahre  nach  der  Sintfluth.  Und  Sem  lebte,  nachdem 
er  Arpakschar  gezeugt  hatte,  (noch)  fünfhundert  Jahre.  Die 
Summe  seiner  Jahre  ist  sechshundert  Jahre.  Und  er  starb  im 
Jahre  einhundert  und  zwölf  des  Lebens  Isaaks,  und  im  Jahre 
zweiundsiebzig  des  Lebens  Jakubs.  Sem  wurde  geboren  acht- 
undneunzig Jahre  vor  der  Sintfluth.  Er  wurde  geboren  in  den 
Jahren  Methusalahs  und  starb  in  den  Jahren  Jakubs.  Er  sah 
sechzehn  Geschlechter  vor  ihm  und  nach  ihm. 

Und  Arpakschar  lebte  fünfunddreissig  Jahre  und  zeugte 
Schalach.  Und  Arpakschar  lebte,  nachdem  er  Schalach  ge- 
zeugt hatte,  vierhundert  und  drei  Jahre.  Die  Summe  seiner 
Jahre  ist  vierhundert  achtunddreissig  Jahre.  Und  er  starb  im 
Jahre  einhundert  siebenundvierzig  des  Lebens  Abrahams  und  im 
Jahre  siebenundvierzig  des  Lebens  Isaaks,  im  zehnten  Geschlecht. 

Und  Schalach  lebte  dreissig  Jahre  und  zeugte  Eber.  Und 
Schalach  lebte,  nachdem  er  Eber  gezeugt  hatte,  noch  vier- 
hundert und  drei  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist  vierhundert 
und  dreiunddreissig  Jahre.  Und  er  starb  im  Jahre  zweiund- 
sechzig des  Lebens  Jakubs  und  im  Jahre  einhundert  zweiund- 
zwanzig des  Lebens  Isaaks,    im  zehnten   Geschlecht. 

Und  Eber  lebte  vierunddreissig  Jahre  und  zeugte  Paleg.  L^nd 
Eber  lebte,  nachdem  er  Paleg  gezeugt  hatte,  noch  vierhundert 
und  dreissig  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist  vierhundert  vier- 
undsechzio-  Jahre.     Und  er  starb  im  Jahre  einhundert    fünfund- 


396  Homilie  XXIII. 

zwanzig  des  Lebens  Jakubs,  fünf  Jahre  nachdem  Isaak  gestorben 
war,  im  zehnten  Geschlecht. 

Und  Paleg  lebte  dreissig  Jahre  und  zeugte  Areu,  und  Paleg 
lebte,  nachdem  er  Aren  gezeugt  hatte,  noch  zweihundert  und 
neun  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist  zweihundert  neunund- 
dreissig  Jahre.  Und  er  starb  im  Jahre  achtundvierzig  des  Lebens 
Abrahams,  im  sechsten  Geschlecht. 

Und  Areu  lebte  zweiunddreissig  Jahre  und  zeugte  Sarug. 
Und  Areu  lebte,  nachdem  er  Sarug  gezeugt  hatte,  noch  zwei- 
hundert und  sieben  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist  zwei- 
hundert neununddreissig  Jahre.  Im  Jahre  achtundsiebzig  des 
Lebens  Abrahams  starb  er,  drei  Jahre  nachdem  er  von  Haran 
ausgezogen  war,  im  fünften  Geschlecht. 

Und  Sarug  lebte  dreissig  Jahre  und  zeugte  Nahor.  Und 
Sarug  lebte,  nachdem  er  Nahor  gezeugt  hatte,  noch  zweihundert 
Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist  zweihundert  und  dreissig 
Jahre.  Und  er  starb  im  Jahre  einhundert  und  eins  des  Lebens 
Abrahams,  im  ersten  Jahre,  da  Isaak  geboren  war,  im  fünften 
Geschlecht. 

Und  Nahor  lebte  neunundzwanzig  Jahre  und  zeugte  Thara. 
Und  Nahor  lebte,  nachdem  er  Tharah  gezeugt  hatte,  noch  ein- 
hundert und  neunzehn  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist 
einhundert  und  achtundvierzig  Jahre.  Und  er  starb  im  neun- 
undvierzigsten Jahre  des  Lebens  Abrahams,  im  Jahre  neun- 
hundert neununddreissig  des  Lebens  Noahs,  im  Jahre  dreihundert 
neununddreissig  nach  der  Sintfluth;  und  Noah  lebte,  nachdem 
Nahor  gestorben  war,  noch  elf  Jahre.  Und  er  starb  im  dritten 
Geschlecht. 

Und  Tharah  lebte  siebzig  ')  Jahre  und  zeugte  Abraham. 
Und  Tharah  lebte,  nachdem  er  Abraham  gezeugt  hatte,  noch 
einhundert  und  fünfunddreissig  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre 
ist  zweihundert  und  fünf  Jahre.  Und  er  starb  im  Jahre  ein- 
hundert und  fünfunddreissig  des  Lebens  Abrahams,  im  Jahre 
fünfunddreissig  des  Lebens  Isaaks,  fünf  Jahre  bevor  Isaak  Re- 
bekka,  die  Tochter  Bethuels,  nahm;  er  starb  im  dritten  Geschlecht. 


1)  Pesch.  hat  75  Jahre.  Aphr.  stimmt  hiev  mit  dem  hehr.  Text  überein. 
Es  ist  nicht  zu  entscheiden,  ob  Aphr.  in  seinem  Exemplar  der  Pesch.  70 
gelesen,  oder,  wie  in  anderen  Fällen,  sich  jüdischen  Traditionen  ange- 
schlossen hat. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  397 

Und  Abraham  lebte  hundert  Jahre  und  zeugte  Isaak.  Und 
Abraham  lebte,  nachdem  er  Isaak  gezeugt  hatte,  noch  füufund- 
siebzig  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist  einhundert  fünfund- 
siebzig Jahre.  Und  er  starb  im  Jahre  fünfzehn  des  Lebens 
Jakubs.     Im  dritten  Geschlecht  starb  er. 

Und  Isaak  lebte  sechzig  Jahre  und  zeugte  Jakub.  Und 
Isaak  lebte,  nachdem  er  Jakub  gezeugt  hatte,  noch  einhundert 
und  zwanzig  Jahre.  Die  Summe  seiner  Jahre  ist  einhundert 
und  achtzig  Jahre.  Und  er  starb  im  Jahre  einhundert  und 
zwanzig  des  Lebens  Jakubs,  dreiundzwanzig  Jahre  nachdem 
Jakub  von  Haran  zurückgekehrt  war,  elf  Jahre  nachdem  Joseph 
nach  Aegypten  verkauft  Avorden  war,  zehn  Jahre  bevor  Jakub 
nach  Aegypten  zog.     Er  starb  im  vierten  Geschlecht. 

Und  Jakub  war  siebenundsiebzig  Jahre  alt,  da  sein  Vater 
Isaak  ihn  segnete;  und  im  Alter  von  vierundachtzig  Jahren  nahm 
er  Lea  und  ßahel,  die  Tochter  Labans.  Und  es  wurde  ihm  von 
Lea  geboren:  Ruhen  und  Simeon  und  Levi  und  Juda  und  Isa- 
schar und  Sebulon;  und  von  Rahel  Joseph  und  Benjamin;  und 
von  Bilha,  der  Magd  der  Rahel,  Gad  und  Asser,  und  von  Silpha, 
der  Magd  der  Lea,  Dan  und  Naphtali.  Diese  sind  die  zwölf 
Söhne  Jakubs;  und  Jakub  starb  im  Alter  von  hundert  sieben 
und  vierzig  Jahren,  siebzehn  Jahre  nachdem  er  nach  Aegypten 
gezogen  war.   Er  starb  im  vierten  Geschlecht. 

Von  Adam,  bis  Noah  in  die  Arche  ging,  smd  es  tausend 
sechs  hundert  ein  und  fünfzig  Jahre,  wie  im  Buch  der  Geschlech- 
ter geschrieben  steht.  Und  von  da  an,  da  Noah  aus  der  Arche 
ging,  bis  zur  Zeit,  da  Gott  seinen  Bund  aufrichtete  mit  Abraham, 
sind  dreihundert  sieben  und  achtzig  Jahre,  wie  im  Buch  der 
Geschlechter  geschrieben  steht.  Und  von  der  Verheissung  Abra- 
hams, bis  Jakub  nach  Aegypten  zog,  sind  zwei  hundert  fünf 
Jahre.  Und  die  Kinder  Israel  waren  in  Aegypten  zwei  hundert 
fünf  und  zwanzig  Jahre.  Von  der  Verheissung  Abrahams,  bis 
das  Volk  aus  Aegypten  auszog,  sind  vier  hundert  dreissig  Jahre; 
wie  der  Apostel  Paulus  bezeugt  und  spricht  ^) :  Den  Bund,  welcher 
angefangen  hat  vor  der  Zeit  durch  Gott  —  das  Gesetz,  das 
vierhundert  dreissig  Jahre  später  ist,  kann  diese  Verheissung 
nicht  verwerfen   und  aufheben.     Von  Adam   bis    zur  Sintfluth 

1)  Gal.  3,  17. 


398  Homilie  XXlIl. 

waren  es  tausend  sechs  hundert  ein  und  fünfzig  Jahre,  und  von 
der  Sintfluth,  bis  das  Volk  auszog  aus  Aegypten,  waren  es  acht 
hundert  sieben  Jahre. 

Mose  war  Führer  des  Volkes  in  der  Wüste  vierzig  Jahre. 
Josua,  der  Sohn  Nuns,  war  Führer  des  Volkes  fünf  und  zwanzig 
Jahre.  Juda  und  Athniel,  der  Sohn  Kenas',  waren  Führer  des 
Volkes  acht  und  vierzig  Jahre.  Und  Egion,  der  König  von  Moab, 
beherrschte  das  Volk  achtzehn  Jahre.  Ehur  war  Führer  des 
Volkes  achtzig  Jahre.  Nabin  knechtete  Israel  zwanzig  Jahre. 
Deborah  und  Barak  waren  Führer  des  Volkes  vierzig  Jahre.  Die 
Midianiter  knechteten  Israel  sieben  Jahre.  Gideon  war  Führer 
des  Volkes  vierzig  Jahre.  Abimelech,  der  Sohn  Gideons,  war 
Führer  des  Volkes  sechzig  Jahre.  Thola,  der  Sohn  Puas,  war 
Führer  des  Volkes  drei  Jahre.  Jair  war  Führer  des  Volkes  zwei 
und  zwanzig  Jahre.  Die  Philister  und  Amoniter  knechteten  Israel 
achtzehn  Jahre.  Neplitach  ^ )  war  Führer  des  Volkes  sechs  Jahre. 
Ebzan  war  Führer  des  Volkes  sieben  Jahre.  Elon  war  Führer 
des  Volkes  zehn  Jahre.  Akron^)  war  Führer  des  Volkes  acht  Jahre. 
Die  Philister  knechteten  Israel  vierzig  Jahre.  Simson  war  Führer 
des  Volkes  zwanzig  Jahre.  Eli  war  Führer  des  Volkes  vierzig 
Jahre.  Nach  Eli  war  die  Lade  im  Hause  Abinadabs  von  Gibea 
zwanzig  Jahre.  Samuel  war  Führer  des  Volkes  dreissig  Jahre. 
Saul  war  Führer  des  Volkes  vierzig  Jahre.  Diese  Jahre  der 
Führer  sind  sechs  hundert  fünf  und  fünfzig  ^).  (Uebrigens  aber 
steht  im  Buch  der  Könige  also  geschrieben^):  Im  Jahre  vier 
hundert  achtzig  des  Auszuges  der  Kinder  Israel  aus  Aegypten, 
im  vierten  Jahre  der  Regierung  Salomos,  da  er  das  Haus  Gottes 
anfing  zu  bauen;  so  sind  die  Jahre  berechnet.  Und  die  erste 
Rechnung  stimmt  nicht  mit  der  zweiten  ■^). 

David  regierte  vierzig  Jahre.  Salomo  regierte  vierzig  Jahre. 
Rehabeam  regierte  siebzehn  Jahre.  Abia  regierte  drei  Jahre. 
Assa  regierte  ein  und  vierzig  Jahre.  Josaphat  regierte  fünf  und 
zwanzig  Jahre.  Joram  regierte  acht  Jahre.  Ahasia  regierte  ein 
Jahr.  Athalia  regierte  sechs  Jahre.  Joas  regierte  vierzig  Jalire. 
Amuzia    regierte  drei  und  zwanzig  Jahre  ^).    Usia  regierte  zwei 


1)  Jephta.  —  2)  Abdon.  —  3)  In  Wirklichkeit  geben  die  obigen  Zahlen 
die  Summe  662. 

4)  1.  Kön.  6,  1.  —  5)  (  )  ist  wohl  Glosse  eines  späteren  Abschreibers. 
6)  Amazia  (Amuzia)  regierte  nach  Pesch.  und  dem  hebr.  Text  29  Jahre 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  399 

und  fünfzig  Jahre.  Jotham  regierte  sechzehn  Jahre.  Ahas  regierte 
sechzehn  Jahre.  Hiskia  regierte  neun  und  zwanzig  Jahre.  Manasse 
regierte  fünf  und  fünfzig  Jahre.  Amon  regierte  zwei  Jahre.  Josia 
regierte  ein  und  dreissig  Jahre.  Joahas  regierte  drei  Monate. 
Jojakim  regierte  elf  Jahre.  Jojakin  regierte  hundert  Tage.  Zedekia 
regierte  elf  Jahre.  Diese  Jahre  der  Könige  sind  vier  hundert 
fünf  und  fünfzig  Jahre  und  sechs  Monate  und  zehn  Tage.  Im 
dritten  Jahre  der  Regierung  Jojakims  kam  Nebukadnezar  nach 
Jerusalem  herauf  und  machte  das  Volk  tributpflichtig.  Und 
Israel  wohnte  in  Jerusalem,  nachdem  es  tributpflichtig  geworden 
war,  neun  und  zwanzig  ^)  Jahre  unter  Jojakim,  und  elf  Jahre 
unter  Zedekia.  Und  Jerusalem  blieb  in  seiner  Verwüstung  fünfzig 
Jahre,  sieben  mal  sieben  Jahre,  und  das  Land  fand  Ruhe  während 
seiner  Gefangenschaft,  da  sie  im  Lande  der  Feinde  waren,  weil  es 
keine  Ruhe  gefunden  hatte  bei  ihrer  Gefangenschaft,  da  sie  noch 
darinnen  waren.  Und  da  siebzig  Jahre  erfüllt  waren,  Hess  der 
Perser  Koresch  einen  Befehl  in  seinem  Reiche  ergehen  und 
verkündigte  ihnen  die  Rückkehr.  Und  nach  der  Rückkehr  wohnte 
Israel  in  Jerusalem  siebzig  Wochen,  wie  Daniel  geweissagt  hatte. 
Diese  Wochen  sind  vier  hundert  neunzig  Jahre.  Und  nach  dem 
Tode  des  Königs  Christus  wurde  Jenisalem  verwüstet,  und  wird 
nicht  wieder  bewohnt  sein  in  Ewigkeit.  Und  bis  zur  Erfüllung 
der  bestimmten  Zeiten  bleibt  es  in  der  Zefstörung.  Die  Wein- 
beere wurde  aus  der  Traube  genommen  und  die  Traube  dem 
Verderben  übergeben,  und  das  Volk  ist  von  der  Gnade  ausge- 
schlossen. 

Und  von  Jesus  ging  der  Segen  auf  die  Heiden  über.  Denn 
er  sprach  zu  den  Juden  "^):  Das  Reich  Gottes  wird  von  euch  ge- 
nommen und  einem  Volk  gegeben  werden,  das  Früchte  bringt. 
Und  zu  uns  spricht  er  ■^):  Ich  bin  bei  euch  bis  an  der  Welt  Ende. 

2.  Kön.  "14,  2.  2.  Chron.  25,  1.  Es  liegt  also  wohl  hier  bei  Aphr.,  der  ihn 
nur  23  Jahre  regieren  lässt,  ein  Irrthum  vor,  der  übrigens  auch  vielleicht 
erst  durch  einen  Abschreiber  hereingetragen  worden  ist. 

1)  Hier  liegt  ein  Irrthum  vor.  da  Jojakim  nur  11  Jahre  regierte. 

2)  Mt.  21,  43. 

3)  Mt.  28,  20.     Ebenso  in   der  Wortstellung  und  Abkürzung  S.  120 
Z.  7  nur  statt:    U^l^?   jViNi  a\  heisst  es  dort:   '(.V.l^.S   >&!-.*.?.    Pesch.: 

Syr.  Cur.  fehlt. 


400  Homilie  XXIII. 

Und  wiederum  spricht  er  i) :  Ihr  seid  in  mir,  und  ich  bin  in  euch. 
Und  der  Apostel  bezeugt 2):  Wenn  in  Jemand  von  euch  der 
Geist  Gottes  nicht  ist,  der  ist  nicht  sein.  Und  wiederum  spricht 
er  3);  Ihr  seid  der  Tempel  Gottes,  und  der  Geist  Christi  wohnet 
in  euch.  Und  der  Prophet  sagt'*):  Ich  will  in  ihnen  wohnen 
und  in  ihnen  wandeln.  Und  er  tröstet  uns  an  sich  selbst,  dass 
Avir  uns  nicht  fürchten  vor  den  Anfechtungen,  die  über  uns 
kommen ;  und  er  spricht  zu  uns  ^) :  Wenn  sie  mein  Wort  hörten 
und  hielten,  so  werden  sie  auch  das  eure  halten,  und  wenn  sie 
mich  verfolgten,  so  werden  sie  auch  euch  verfolgen.  Und  wiederum 
spricht  er  zu  uns'')*.  Ihr  seid  nicht  von  der  Welt,  wie  ich  nicht 
von  ihr  bin.  Und  er  spricht'):  Wenn  ihr  von  der  Welt  wäret, 
so  würde  die  Welt  das  Ihre  lieben.  Nun,  da  wir  solche  Gebote 
von  Jesus,  unserem  Erlöser,  empfangen  haben,  so  können  wir 
nicht  ausserhalb  der  Spuren,  in  denen  er  gewandelt  ist,  wandeln. 
Wenn  sie  Christum  verfolgt  haben,  so  werden  sie  auch  uns 
(verfolgen);  wenn  sie  Christum  gehasst  haben,  so  werden  sie 
auch  uns  (hassen) ;  weim  sie  Christum  gefesselt  haben,  so  werden 
sie  auch  uns  (fesseln) ;  wenn  sie  Christum  auf  seine  Backen  ge- 
schlagen haben,  so  werden  sie  es  auch  uns  thun.  Wenn 
Christus  gehtten  hat,  so  werden  auch  wir  (leiden).  Denn  gross 
ist  die  Gabe  des  Guten,  die  bei  uns  ist.  Ohne  dass  er  gezwungen 
war,  wollte  er,  dass  wir  von  unseren  Sünden  gerechtfertigt 
würden.  Und  da  er  doch  keinen  Nutzen  hat  von  unseren  guten 
Werken,  ermahnt  er  uns,  dass  wir  vor  ihm  recht  handeln.  Da 
wir  ihn  nicht  bitten  wollten,  zürnte  er  uns,  und  rief  uns  allezeit 
zu  ^) :  Bittet  und  nehmet,  und  wenn  ihr  suchet,  werdet  ihr  finden. 
Sein  Reichthum  sättigt,  wenn  man  bedürftig  ist.  Denn  es  ist 
Niemand,  der  da  spricht:  Ich  habe  genug  empfangen,  wenn  er 
von  seinem  herrlichen  Schatz  genommen  hat.  Er  hatte  sein 
Wohlgefallen  an  denen,  die  ihn  bitten,  und  rief  uns  allezeit  zu: 
Bittet  und  nehmet,  und  wenn  ihr  suchet,  werdet  ihr  finden.  Und 
wer  unter  denen,  die  gedrängt  werden,  von  ihm  zu  nehmen,  seinen 
Reichthum  geschmeckt  hat,  hat  wieder  das  Bedürfniss,  davon 
zu  nehmen.  Denn  wer  ist  wie  er,  der  da  spricht:  Bittet  und 
nehmet,  und  über  uns  zürnt,  wenn  wir  ihn  nicht  bitten  wollen? 


])  Joh.  14,  20.  —  2)  Rom.  8,  9.  —  3)  1.  Cor.  3,  16.  —  4)  2.  Cor.  6,  16. 
—  5)  Joh.  15,  20.  —  6)  Joh.  15,  19;  17,  16.  —  7)  Joh.  15,  19. 
8)  Mt.  7,  7. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  401 

Und  auch,  da  wir  ihn  nicht  baten,  sandte  er  uns  seine  Grabe, 
die  bei  uns  niemals  gefunden  Avorden  war.  Er  sandte  Christum 
als  Menschensohn,  damit  er  spotte  über  den  Bösen  und  seine 
Heere,  und  das  besiegte  Heer  von  uns  treibe.  Er  sandte  den 
Unschuldigen  zu  uns,  damit  er  gerichtet  und  verurtheilt  würde, 
damit  die  Schuldigen  unschuldig  wären  in  seinem  reinen  Gericht. 
Er  sandte  den  Starken  in  der  Gestalt  unserer  Schwachheit,  da- 
mit er  unsere  Schwachheit  stärke  über  die  Kraft  des  Bösen. 
Er  zog  den  Leib  von  Staub  an  und  legte  seine  Katur  ab,  und 
"verbarg  in  uns  das  Salz,  das  in  die  Fäulniss  eindringt  '),  damit, 
wenn  die  Schlange  herzukommen  wollte,  es  zu  essen,  diese  sich 
scheue  vor  dem  Salz,  das  sie  nicht  essen  kann.  Er  sandte  den 
Unschuldigen,  seinen  Sohn,  zu  uns,  damit  er  unseres  Todes 
sterbe,  damit  durch  ihn  der  Tod  beschämt  würde.  Gross  ist 
die  Gabe  des  Guten,  die  er  den  Gei-ingen  gibt,  er,  der  grösser 
ist  denn  sein  Sohn.  Was  muss  er  uns  wohl  geben,  da  er,  da 
wir  noch  grössere  Sünder  waren  als  jetzt,  diese  Gabe  zu  uns 
gesandt  hat  ?  Wenn  wir  gerecht  geworden  sind,  was  wird  er  uns 
da  anderes  geben  als  das  Leben  mit  dem,  der  zu  uns  gekommen 
ist,  er,  der  seines  Sohnes  nicht  verschonet  hat,  dass  er  ihn  in 
die  Schmach  schicke?   — 

Wunderbar  und  gross  ist  seine  Gabe,  die  bei  uns  ist.  Denn 
der  König  ging  aus  von  seinem  Ort.  um  uns  zu  heilen;  und  er 
wurde  die  Bahnen  des  schwachen  Leibes  geführt  bei  der  Geburt 
gleich  wie  wir,  und  in  Schmach  noch  mehr  wie  wir.  Das  alles 
duldete  er  für  uns,  und  als  das  Unterpfand  unseres  Lebens  em- 
pfingen wir  seine  Gabe.  Dieses  hatte  ich  zu  sagen,  dass  Gott 
keine  Gabe  hatte,  die  er  zu  uns  hätte  senden  können,  die 
grösser  wäre  als  diese. 

Und  da  er  kam,  nahm  er  von  uns  ein  Unterpfand  und  ging 
an  seinen  Ort  und  sprach  zu  uns-):  Ihr  seid  in  mir,  und  ich  bin 
in  euch.  Und  der  Apostel  sagt  ^) :  Er  hat  uns  hinaufgeführt  und 
zu  sich  gesetzt  in  den  Himmel.  Der  Erstling  unserer  Aufer- 
stehung ist  der  Leib,  den  er  von  uns  angezogen  hat.  Er  hat 
ihn  befreit  von  der  Knechtschaft  und  hat  ihn  zu  sich  erhöht 
und  hat  uns  gewiss  gemacht  seine   Yerheissungen,  dass  wir  bei 


1)  Hier  ist  eine  Lücke  in  A. 

2)  Job.  14,  20.  —  3)  Ephes.  2,  6. 

Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  4.  26 


402  Homilie  XXIII. 

ihm  sein  werden.  Denn  er  sagt  ausdrücklich  ^):  Wo  ich  bin, 
werdet  ihr  anch  sein.  Nun  wollen  wir  uns  freuen  des  Pfandes, 
das  von  uns  hinweggeführt  ist  und  in  der  Herrlichkeit  sitzet 
bei  dem  herrlichen  Könige.  Gross  ist  die  Gabe  des  Guten,  die 
bei  uns  ist,  dass  von  uns  der  König  ein  Pfand  hinweggeführt 
hat,  das  gleich  wie  er  ist,  und  gegen  das  er  Barmherzigkeit 
übet  und  es  bewahrt  bis  ans  Ende  2).  Das  ist  der  Menschensohn, 
der  Leib  von  Maria,  der  von  ims  hinweggeführt  ist  zum  Ort  des 
Lebens.  Und  der  schwache  Leib  ist  stark  geworden  und  hat 
eme  Herrlichkeit  empfangen,  die  grösser  und  wunderbarer  ist 
als  diejenige,  welche  Adam  in  seinem  Fall  verloren  hat. 

Wir  freuen  uns  deiner,  geliebter  Sohn,  der  uns  den  Weg 
vorausgewandelt  ist  dahin,  wohin  wir  wollen.  Wir  danken  dir, 
du  Arzt  unserer  Schmerzen,  der  du  in  uns  deinen  Geist  verborgen 
hast  als  Arznei  für  unsere  Leiber.  Wir  beten  dich  an,  deinen 
erhabenen  Vater,  der  uns  durch  dich  erhöht  und  uns  zu  sich 
gerufen  hat.  Wir  danken  durch  dich  der  Barmherzigkeit,  die 
dich  gesandt  hat,  der  an  uns  sein  Wohlgefallen  hatte,  dass  wir 
das  Leben  hätten  durch  den  Tod  seines  eingeborenen  Sohnes. 
Wir  preisen  durch  dich  den,  der  das  Wesen  hat  von  ihm  selbst, 
der  dich  von  seinem  Wesen  getrennt  und  dich  zu  uns  gesandt 
hat.  Wir  erheben  dich,  der  du  sitzest  in  der  Heiligkeit  dessen, 
der  sich  unsere  Leiber  geheiligt  hat  durch  das  Unterpfand,  das 
wir  empfangen  haben.  Wir  wollen  danken  mit  unserem  Munde, 
wie  es  gebühret  dem  Starken,  der  gekommen  ist,  damit  wir 
Schwachen  das  Leben  hätten.  Lasset  uns  täglich  erwachen,  Lob 
darzubringen  durch  den  geliebten  Sohn  dem  Vater,  der  ihn  ge- 
sandt hat.  Wir  wollen  uns  freuen  seiner  Gabe,  damit  er  auch 
an  uns  sich  erfreue.  Wir  wollen  durch  ihn  seinen  Vater  preisen, 
damit  auch  er  durch  uns  ihn  preiset.  Wir  wollen  um  die  Gabe 
bitten  von  dem  nothwendigen  Schatz.  Denn  das  ist  sein  Be- 
dürfniss,  dass  er  den  Dürftigen  das  Leben  gebe.  Denn  gross 
und  herrlich  ist  seine  Gabe,  die  bei  uns  ist,  der  das  Lob  fordert 
von  den  Kleinen,  der,  wenn  auch  wir  ihn  nicht  preisen,  doch 
preislich    ist,     und    wenn    wir     ihn    nicht     erheben,     erhaben 


1)  Joh.  14,  3. 

2)  Statt  Uscc_i*Z  haben  wir  gelesen  Uscaj»I^li.,  da  ersteres  keinen  klaren 
Sinn  gibt.    In  A  ist  hier  eine  Lücke. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  40cJ 

ist.  Denn  er  hat  das  Bedürfniss  zu  geben  und  will,  dass  wir 
bitten,  damit  er  durch  unsere  Bitten  das  Leben  gebe,  das  er 
verheissen  hat,  und  damit  wir  leben  bei  seinem  eingeborenen 
Sohn.  Seine  Sache  ist  es  zu  geben,  und  unsere  Sache  ist  es  zu 
bitten.  Sein  ist  das  Leben,  und  unsere  Sache  ist  es  zu  fliehen 
vor  dem  Tod.  Sein  ist  das  Leben,  und  uns  hat  er  gerufen,  dass 
wir  es  empfangen.  Sein  ist  die  Güte,  und  in  unsere  Hand  ist  es 
gelegt,  dass  wir  fliehen  vor  dem  Bösen.  Sein  ist  das  Leben,  und 
das  Licht  ist  bei  ihm,  und  uns  ermahnt  er  zu  fliehen  vor  der  Finster- 
niss  des  Todes.  Denn  es  ist  Niemand,  der  an  die  Grenze  seiner 
Schätze  komme,  und  Niemand,  der  die  Tiefe  seiner  Weisheit  verstehe. 
0  du  Guter  und  Freundlicher:  Oefi'ne  die  Thür  unseren 
Bitten,  merke  auf  unser  Gebet,  höre  unser  Flehen,  wie  dein 
Geliebter  uns  gelehrt  hat:  Betet  und  werdet  nicht  müde. 
Und  wiederum  antwortet  er  und  ermahnet  uns  '):  Betet,  dass  ihr 
nicht  in  Anfechtung  fallet.  Und  wiederum  schreibt  er  uns,  da- 
mit wir  deine  Freundlichkeit  erkennen,  und  er  spricht  ^) :  Es  gibt 
nichts,  das  ihr  in  eurem  Gebete  Gott  bitten  werdet,  das  er  euch 
nicht  geben  wird.  Und  auch  bitten  wir  nun  nicht  vor  dir  um 
unserer  guten  Werke  willen  oder  im  Vertrauen  auf  unsere  Ge- 
rechtigkeit, sondern  um  deiner  Barmherzigkeit  willen,  da  du  gütig 
und  freundlich  bist.  Denn  wir  beten  als  Schuldige  vor  dir,  und 
du  hörst  in  deiner  Güte  und  Freundlichkeit  unser  Gebet.  Wir 
beten  in  unserer  Schwachheit  vor  dir,  und  du  in  deiner  Stärke 
wirst  unsere  Bitten  nicht  zurückweisen.  Unsere  Hände  sind  aus- 
gebreitet, denn  unser  Herz  ist  bei  dir,  zu  dir  zu  flehen  und  dich 
7X1  bitten  um  Gnade.  Unsere  Seele  freuet  sich,  wenn  du  unser 
Gebet  erhören  wirst,  unsere  Sinne  sind  erwacht  zu  bitten  voll 
Zuversicht.  Oefi'ne  die  Ohren'^)  für  das  Gebet  nach  deinen  Worten, 
und  die  Augen  unseres  Herzens  sollen  zu  dir  in  die  Höhe  ge- 
richtet sein  ^).  Höre  unser  Gebet,  nimm  unsere  Bitten  an,  thue 
was  wir  wollen,  merke  und  höre  auf  unsere  Stimme'').  Siehe 
unsere  Knechtschaft  an,  schone  dein  Volk  zur  Zeit  seiner  An- 
fechtung. Beeile  deine  Gnade,  zeige  deine  Stärke.  Züchtige  uns 
nicht  in  deinem  Zorn    und  strafe   uns    nicht    in   deinem  Grimm. 

1)  Mt.  26,  41.  —  2)  Mt.  21,  22.    Job.  11,  22. 

3)  Hier  beginnt  A  wieder.  Vgl.  S.  400  Anm.  4.  Der  Text  scheint 
hier  verdorben.  —  4)  A:  ..geöffnet"  statt  „gerichtet".  —  5)  A:  Merke  auf 
unsere  Stimme. 

26* 


404  Homilie  XXIII. 

Wir  sind  dein  Volk  und  das  Gebilde  deiner  Hände,  das  Werk 
deiner  Finger.  Nach  deinem  Bild  hast  du  uns  geschaffen,  nach 
deinem  Ebenbild  uns  gemacht;  mit  deinen  Händen  hast  du  uns 
gebildet,  von  deinem  Geist  ist  in  uns.  Zürne  nicht  ewiglich  und 
stehe  nicht  ferne.  Da  wir  verirrt  waren,  hast  du  uns  erlöst. 
Da  wir  zerstreut  waren,  hast  du  uns  gesammelt;  da  wir  in 
Finsterniss  waren,  hast  du  uns  erleuchtet ;  da  wir  gefangen  waren, 
hast  du  uns  herausgeführt;  da  wir  eingeschlossen  waren,  hast 
du  uns  befreit;  da  wir  gefesselt  waren,  hast  du  uns  frei  gelassen 
aus  der  verschlossenen  Grube.  Da  wir  keine  Hoffnung  hatten, 
hast  du  uns  zu  deiner  Hoffnung  berufen.  Da  wir  Sünder  waren, 
hast  du  uns  gerecht  machen  wollen.  Da  wir  dich  nicht  baten, 
sandtest  du  uns  deinen  eingeborenen  Sohn.  Durch  sein  Blut  hast 
du  uns  erlöst.  Durch  ihn  haben  wir  dich  kennen  gelernt.  Du 
hast  ihn  gesandt  zu  uns,  da  wir  nicht  zu  dir  gerufen  hatten. 
Du  hast  ihn  angeklagt  um  unserer  Sünde  willen,  da  wir  dich 
nicht  gebeten  hatten.  Du  hast  ihn  in  das  Todtenreich  hinabgeführt, 
da  wir  dich  nicht  gedrängt  hatten.  Du  hast  ihn  erniedrigt  um 
unserer  willen,  da  wir  dich  (doch)  erzürnt  hatten.  Du  hast  uns 
erlöst  durch  sein  Leiden,  da  (doch)  unsere  Sünde  gross  vor  dir  war. 

Und  auch  nun,  da  wir  bitten,  und  da  wir  anbeten,  und  da 
wir  danken,  und  da  wir  deine  Gnade  preisen  durch  ihn,  höre 
unser  Gebet,  nimm  unser  Flehen  an,  siehe  an  unsere  Schmach 
und  merke  auf  unsere  Niedrigkeit.  Deine  Seele  erbarme  ^)  sich 
über  dein  beraubtes  Volk,  über  dein  Haus,  das  verwüstet  ist, 
über  deine  Altäre,  die  zerstört  sind,  über  deine  Priester,  die  ver- 
nichtet sind,  über  deinen  Bund,  der  verfolgt  ist,  über  deine  Schriften, 
die  verschlossen  sind,  über  unsere  Zerstreuung  und  über  unsere 
Beraubung;  gross  ist  unsere  Schande;  zerstreut  ist  unser  Volk, 
vergossen  wird  unser  Blut,  beschimpft  ist  unser  Bund.  Verschone 
unsere  Niedrigkeit    und    unsere  Schmach    und  unsere   Schande. 

Wen  sollen  wir  bitten,  der  unser  Gebet  erhörte,  zu  wem  sollen 
wir  gehen?  Siehe,  dein  sind  wir.  Du  hast  uns  gezüchtigt  in 
deinem  Zorn,  mache  uns  dir  zu  eigen  in  deiner  Gnade;  wir 
sind  in  Noth,  wende  dich  nicht  ab,  wenn  du  uns  erniedrigst; 
dein  Geist  verziehe  nicht  über  unserer  Niedrigkeit  und  Schmach, 
wie  dein  Prophet  gebeten  hat,   da  er  bedrängt   war  gleich  wie 

1)  Statt  >ciii.^Z,  „donnern",  haben  wir  p.  conj.  >ajk5Z,  „erbarme  sich", 
gelesen. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  405 

wir,  und  sprach:  Leite  mich  nicht  unter  der  Länge  deines  Zorns. 
Höre  unser  Gebet  wie  das  deines  Freundes  Mose;  und  den  Feinden 
werde  vergolten  wie  dem  Bedrücker  Pharao  ').  Merke  auf  unser 
Flehen,  wie  du  Josua  erhört  hast,  und  wie  Amalek  zerstört  und 
sein  Gedächtniss  vertilgt  wurde.  Du  bist  der  Gott  der  Ersten  und 
der  Letzten.  Du  hast  Mose  erhört  und  Pharao  ersäuft.  Du  hast 
Aharon  erhört,  und  die  Seuche  ^vT^irde  aufgehalten.  Du  wandtest 
deinen  Zorn  bei  dem  Eifer  des  Pinehas.  Und  du  hast  Josua,  dem 
Sohn  Nuns,  geholfen,  und  seine  Feinde  wurden  beschämt.  Du 
hast  Simson  erhört  zur  Zeit  seiner  Erniedrigung  und  hast  ihn 
an  den  erzürnten  Philistern  gerächt.  Du  hast  David  an  seinem 
Verfolger  Saul  gerächt,  und  hast  Gericht  über  ihn  gehalten  durch 
seinen  abtrünnigen  Sohn  Absalom.  Samuel  sühnte  vor  dir  sein 
Volk.  Du  zeigtest  deine  Grösse  über  die,  welche  dein  König- 
thum  verwarfen.  Du  hieltest  Gericht  über  den  verfolgten  Elia, 
und  durch  sein  Gebet  wurden  die  Propheten  Baals  vernichtet. 
Alicha  wurde  durch  deine  grosse  Barmherzigkeit  erhalten,  und 
sein  Verfolger  fiel  und  starb  im  Krieg.  Du  zeigtest  deine  Wunder 
an  den  Bedrückern  des  Elisa,  da  sie  nach  Samaria  kamen  und 
deine  Grösse  erkannten.  Du  erhörtest  Hiskia.  da  er  in  Anfech- 
tung bedrängt  war,  und  zeigtest  deine  Stärke  an  Sanherib  und 
seinem  Heer.  Du  erhörtest  Asa  und  halfest  Joschaphat -),  und 
sofort  rächtest  du  ihn  an  allen  seinen  Bedrückern.  Du  hörtest 
Jona  aus  der  Tiefe  des  Meeres  und  aus  dem  Bauch  des  Fisches 
und  aus  den  Wellen,  die  ihn  umgaben.  Du  hörtest  Daniel,  da 
er  in  die  Grube  geworfen  war,  und  rettetest  ihn  aus  dem  Rachen 
der  Löwen.  Du  halfest  Hanania  und  seinen  Brüdern  in  dem 
Feuerofen,  und  die  Flamme  verzehrte  die  Verläumder.  Du 
hörtest  Mordechai  und  Esther  in  ihrer  Anfechtung  und  befreitest 
dein  Volk,  und  der  Verfolger  Haman  wurde  beschämt.  Du 
holtest  Jeremia  aus  der  schlammigen  Cisterne  und  gäbest  ihm 
Gnade  vor  dem  König  in  Babel. 

Schone,  Herr,  die  Knechtschaft  deines  Volkes,  schone,  Herr, 
unsere  Bitte  und  erhöre  unser  Gebet.  Zerstört  ist  unser  Heilig- 
thum,  verwüstet  unser  Gotteshaus,  vernichtet  sind  unsere  Priester. 
Und  unser  Haupt  ist  verhüllt,  unsere  Jungfrauen  sind  geschwächt, 


1)  A:  Und  dem  Bedrücker  werde  vergolten,  wie  dem  Feinde  Pharao. 
1)  A:  J/.io&cIir.i'liat. 


406  Homilie  XXIII. 

und  unser  Bund  ist  zerstreut.  Schone,  Herr,  schone  die  Armen 
und  Fremdlinge  und  die  Beraubten,  die  keine  Ruhe  haben 
und  keine  Zufluchtsstätte.  Die  Wege  sind  verwüstet,  die  Pfade 
vernichtet:  imsere  Augen  sind  finster,  und  unser  Herz  ist  ge- 
ängstet.  Höre  unser  Gebet,  und  nimm  unser  Flehen  an.  Wenn 
wir  Unrecht  gethan  und  dich  erzürnt  haben,  so  verschone 
du  uns  um  deines  grossen  Namens  willen.  Wir  haben  keine 
andere  Hoffnung,  keine  Zuflucht,  keine  Ruhe  ausser  dir.  Denn 
dein  sind  die  Himmel,  und  dein  ist  die  Erde.  Dein  ist  der  Tag, 
und  dein  die  Nacht.  Sonne  und  Mond  hast  du  geschafi"en,  dich 
preisen  die  Meere  mit  ihren  Wellen,  die  du  in  Schranken  be- 
festigt hast,  und  die  dein  Gebot  halten.  Das  Meer  ist  in  Sand 
eingeschlossen  und  erfüllt  deinen  Willen.  Auf  dich  sehen  und 
hoffen  alle  Wesen.  Deine  Rechte  erreicht  alle  deine  Geschöpfe. 
Es  ist  nichts,  das  deinem  Willen  widerstehen  kann;  dein  sind 
die  Lichter  der  Veste;  die  Winde  und  Stürme  preisen  deinen 
Namen.  Zu  dir  blicken  auf  die  Thiere  des  Feldes  und  die  Vögel 
des  Himmels  und  die  Fische  des  Meeres.  Tritt  auf  zu  unserer 
Hilfe  mit  grosser  Kraft,  damit  alle  Völker,  die  auf  der  Erde  sind, 
erkennen,  dass  nichts  ist  wie  du,  und  nichts  ausser  dir.  Pharao 
sprach  zu  dir:  Wer  ist  Gott?  und  du  versenktest  ihn  wie 
ein  Kriegsheld  ins  schreckliche  Meer.  Sanherib  achtete  dich 
gleich  den  Göttern  der  Heiden,  und  du  machtest  ihn  zum  Scheu- 
sal und  offenbartest  deine  Grösse.  Du  halfest  Matathia,  da 
dein  Eifer  entbrannte.  Und  du  erhörtest  Juda  und  Simon  und 
seine  Brüder  und  halfest  ihnen  in  den  wunderbaren  Kriegen,  die 
du  durch  sie  führtest. 

Deine  Barmherzigkeit  erwache,  und  deine  Gnade  werde  offen- 
bar. Lass  den  Rest  deinem  beraubten  Volk.  Schaffe  Erneuerung 
deinem  Haus  in  unseren  Tagen,  erhebe  unser  Haupt,  das  durch 
unsere  Sünde  gebeugt  ist.  Nimm  das  Opfer  unseres  Volkes  an, 
und  unser  Gebet  möge  dir  angenehm  sein.  Möchten  geöffnet 
werden  die  verschlossenen  Thüren  und  hergestellt  werden  die 
zerstörten  Altäre.  Möchte  versammelt  werden  unser  beraubtes 
Volk,  und  möchten  wir  uns  freuen  der  Erneuerung  deines 
Hauses.  Möchte  das  Blut  der  Gerechten  zu  dir  schreien,  und 
deine  Ruhe  unter  ihnen  sein  wie  der  Duft  der  Salben.  Schone, 
Herr,  schone   die   Bescheidenheit   deines   Bundes  ^),   der   in   die 

1)  A:   Deines  Volkes. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  4(I7 

Hände  der  Bösen  gefallen  ist,  und  sie  freuen  sich  über  unsere 
Vernichtung.  Du  bist  gewöhnt,  unser  König,  deine  Gnade  zu 
zeigen,  und  wir  sind  allezeit  gewöhnt  ^j.  deine  Barmherzigkeit  zu 
bitten.  Wir  bitten  dich  im  Vertrauen  auf  deine  Freundlichkeit. 
Denn  deine  Güte  ist  auch  den  Bösen  nicht  verschlossen.  Deine 
Sonne  lassest  du  scheinen  über  die  Guten  und  über  die  Bösen  '■^). 
Deinen  Regen  lassest  du  strömen  über  die  Gerechten  und  Un- 
gerechten, denn  wir  wissen,  dass  du  allezeit  gewöhnt  bist,  die 
Bedrängten  zu  erhören.  Denn  je  und  je  hast  du  die  Verschlosse- 
nen erhört^)  und  den  Verfolgten  geholfen ^^  und  die  Schwachen 
gestärkt  und  die  Deraüthigen  erhöht  und  die  Beraubten^)  errettet 
und  die  Geplünderten  erlöst  und  die  Gefangenen  befreit  und 
die  Fmsteren  erleuchtet  und  die  Hungrigen  gespeiset  und  die 
Armen  reich  gemacht.  In  allen  Geschlechtern  haben  wir  gehört, 
dass  du  solches  deinen  Knechten  gethan  hast.  Denn  du  bist  es, 
der  uns  kund  gethan  hat*^):  Ich  bin  der  Erste  und  bin  der  Letzte. 
Du  bist  der  Gott  der  Ersten  und  der  Letzten.  Denn  dein  sind 
die  beiden  Welten  und  alles,  was  da  war  und  noch  kommen  soll. 
Zu  wem  sollen  wir  gehen,  der  uns  erhöre,  auf  wen  sollen  wir 
schauen,  der  uns  helfe')?  Auf  wen  sollen  wir  hoffen,  der  uns 
erlöse?  Zu  wem  sollen  wir  bitten,  der  unsere  Bitte  annehme? 
Dein  sind  wir,  und  du  bist  imser  Gott.  Das  sei  ferne  von  dir, 
dass  das  Blut  der  Gerechten  ^)  zugedeckt  bleibe,  das  im  Unrecht 
vergossen  ist.  Sondern  es  Avird  auf  den  glatten  Felsen  gegossen 
werden,  und  durch  dasselbe  der  Groll  zur  Vergeltung  aufsteigen. 
Das  sei  ferne  von  dir,  dass  deine  Gnade  durch  deinen  Zorn  zu- 
rilckgehalten  werde.  Denn  niemals  ist  deine  Güte  durch  unsere 
Bosheit  besiegt  worden,  und  deine  Gnade  um  unserer  Sünde 
willen  verschlossen  worden.  Deine  Natur  ist  nicht  um  unserer 
Sünde  willen  vernichtet^).     „Der   Gute"  ist   dein  Name.     Zeige 


])  A:  Deine  Geschöpfe  sind  gewöhnt.  —  2)  A:    , lassest   du  sclieinen 
über  die  Bösen*. 

3)  A:  Zu  allen  Zeiten  (=  je  und  je)  und  in  allen  Geschlechtern  hast 
du  die  Verschlossenen  erhört. 

4)  B:   und  die  Vertolgteu  erhört.  —  ö)  A;   die  Verfolgten.  —  6)  Jes. 
44,  6.  48,  12. 

7)  A:   Auf  wen  sollen  wir  hotten,  der  uns  erlöse,  auf  wen  sollen  wir 
schauen,  dass  wir  Hilfe  erlangen? 

8)  A:  unschuldiges  Blut.      Vgl.  Ezech.  24,   7.  8.  —  9)  A:  verwandelt. 


408  Homilie  XXIII. 

deine  Güte  *) ;  deine  Güte  an  uns,  und  deine  Gerechtigkeit  an  unseren 
Gegnern;  denn  bei  dir  werden  beide  gefunden,  in  deinen  Händen 
stehen  sie.  Wir  beten  dich  an  als  den,  der  das  Wesen  hat  von 
sich  selbst,  der  du  uns  aus  nichts  geschaffen  hast  und  gebildet 
nach  deinem  Ebenbilde,  und  von  deinem  lebendigen  Geist  in  uns 
gehaucht  und  uns  in  der  Welt  gelassen  hast  als  Bewohner  vor 
dir.  In  deinen  Händen  steht  unser  Tod  und  unser  Leben.  Was 
sind  die  Menschenkinder  vor  dir?  Wie  der  Rauch,  der  vom 
Topf  aufsteigt,  wie  die  Spreu,  die  der  Sturm  verweht,  wie  der 
Schatten  des  Abends,  wie  die  Morgenwolke,  wie  der  Staub,  der 
vergeht,  wie  die  Blume,  die  verwelket.  Wenn  du  willst,  so  sind  sie 
da,  und  wenn  du  nicht  willst,  so  sind  sie  nicht  da.  Wenn  du  auf  die 
Erde  schauest,  so  bebet  sie,  und  wenn  du  dein  Antlitz  abwendest,  so 
vergehen  ihre  Bewohner.  Dein  Wille  trägt  alle  deine  Geschöpfe-), 
und  dein  Gebot  ordnet  alle  Wesen.  Die  Sonne  scheinet  auf  dein 
Wort,  und  nach  deinem  Willen  umkreist  sie  deine  ganze  Schöpfung. 
Der  Mond  verändert  sich  in  wunderbarer  Weise,  und  du  hast  ihn  ge- 
setzt zur  Unterscheidung  der  Zeiten.  Deine  Lichter  hast  du  vertheilt 
an  der  Veste,  und  sie  zieren  alle  Geschöpfe'^).  Die  Winde  wehen 
nach  deinem  Willen,  und  von  Zeit  zu  Zeit  zeigen  sie  ihre  Kraft, 
durchwühlen  das  Meer  und  erschüttern  die  Berge  ^).  Und  wieder 
nach  deinem  Gebot  wehen  sie  sanft  in  deiner  Schöpfung.  Die 
Vögel  schwimmen  in  der  Luft  und  laufen  ihre  Pfade  wie  einen 
wohlbetretenen  Weg.  Und  auch  auf  gleiche  Weise  die  Fische 
im  Meer.  Die  Fische  sterben,  wenn  sie  an  die  Luft  kommen, 
und  die  Vögel  ertrinken,  wenn  sie  ins  Meer  fallen.  Dein  ist, 
was  da  ist,  und  von  dir  sind  alle  ihre  Naturen  unterschieden. 

Wir  verherrlichen  dich,  da  du  doch  in  Herrlichkeit  gekleidet 
bist;  wir  preisen  dich,  da  du  es  doch  nicht  bedarfst.  Wir  er- 
heben dich  aus  den  untersten  Tiefen.  Deine  Wohnung  ist  in  den 
Himmeln  der  Himmel.  Dein  Wille  ist  über  den  Himmeln  und 
dein  Gebot  unter  der  Erde.  Unsere  Hände  haben  dich  nicht 
gemacht,  und  unsere  Finger  sind  an  dir  nicht  müde  geworden. 
Wir  bilden  dich  in  unserm  Herzen  und  stellen  dich  vor  in  unserer 
Seele,  dich  sehen  unsere  Gedanken.  Wir  rufen  dich  Gott  und 
nennen   dich  Vater,   weil   du  uns  gezeugt  hast,   und  König  und 


1)  A  fügt  zu:  ,.gegen  uns".—  2)  A:  deine  ganze  Schöpfung.  —  3)A: 
alle  deine  Geschöpfe.  —  4)  B:  Singul. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  409 

Gott,  weil  du  uns')  berufen  hast.  Wir  wollten  dich  erfassen-) 
und  konnten  es  nicht;  wir  wollten  dich  messen,  und  du  hast  keine 
Gestalt.  Dein  Angesicht  ist  verdeckt,  und  deine  Kraft  ist  gross, 
und  deine  Majestät  ist  verborgen,  und  in  dir  hanget  die  Schöpfung^). 
Die  vielen  Wasser  sind  in  deiner  Faust  gehalten^),  die  hohen 
Berge  und  die  Höhen  hast  du  mit  der  Wage  gewogen.  Die  Erde  ist 
lang,  weit  und  breit,  und  ihr  Mass  ist  genug  zum  Schemel  deiner 
Füsse.  Du  hast  mit  deiner  Hand  den  Staub  der  Erde  gefasst, 
und  die  Himmel  sind  dein  Stuhl,  und  sie  können  dich  nicht  tragen.^) 
Und  wenn  auch  dein  Name  gross  ist  und  sehr  gross  deine 
Werke,  so  machst  du  deine  Grösse  doch  klein  genug  für  un- 
sere Zunge.  Unser  Mund  genügt  dir,  und  du  wohnst  in  uns,  du 
wohnst  in  den  Gerechten^),  und  der  Ort  ist  dir  weit  (genug). 
Deine  Grösse  gehet  ein  in  das  kleine  Herz.  Du  hast  uns  zu 
Tempeln  gemacht,  zur  Wohnung  deiner  Ehre;  und  du  nennst 
uns  Tempel'),  und  deine  Grösse  wandelt  in  uns,  wie  du  zuvor 
angekündigt^)  hast  durch  den  Mund  deiner  Propheten^):  Ich 
will  in  ihnen  wohnen  und  in  ihnen  wandeln.  Du  bleibest  bei  den 
Friedlichen  und  wohnest  in  den  Dem.üthigen  und  ruhest  in  den 
Friedlichen  und  Guten.  Du  hast  Wohlgefallen  an  denen,  die 
sich  bekehren  ^").  Du  schauest  nach  den  Gerechten  und  freuest 
dich  an  den  Armen,  du  borgest  von  den  Dürftigen  wie  ein  ge- 
ringer Mann.  Deine  Barmherzigkeit  hat  kein  Ende  und  deine 
Güte  kein  Mass.  Alle  Lippen  sind  dir  zu  wenig,  und  alle  Zungen 
genügen  dir  nicht;  wenn  ein  Mensch  dich  erfassen  will,  so  bleibt 
ihm  immer  noch  was  übrig,  und  wenn  er  seinen  Geist  ausstreckt, 
so  genügt  es  (doch)  nicht.  Wenn  er  seine  Gedanken  über  die 
Himmel  erhebt,  so  wird  er  doch  auf  Erden  wandelnd  gefunden, 
und  wenn  seine  Gedanken  in  die  Tiefe  tauchen,  so  kehrt  er  nach 
kurzer  Zeit  zu  seiner  Erde  zurück,  und  seine  Gedanken  hören 
auf.  Was  ist  über  dem  Himmel?  Wer  kann  das  sagen?  Was 
ist  unter  der  Erde?  Das  ist  nicht  zu  sagen.  Wodurch  ist  die 
Veste  ausgespannt,  oder  worin  hängt  der  Himmel  ?  Worauf  ruhet 
die  Erde,  oder  worin  ist  die  Tiefe  befestigt? 


1)  A:  weil  du  uns  geschafi'en  hast.  —  2)  wörtlich:  begrenzen,  bestim- 
men, definiren.  —  :J)  A:  deine  Schöpfung.  —  4)  A:  die  vielen  Wasser 
missest  du  mit  deiner  Faust.  —  .5)  A:  können  dich  nicht  fassen.  —  6)  A: 
in  deinen  Gerechten.  —  7)  A:  deine  Tempel.  —  8)  A:  uns  verkündigt  hast. 
—  9)  A;  der  Propheten.  2.  Cor.  ß,  16.—  10)  B:   du  hattest  Wohlgefallen. 


410  Homilie  XXIII. 

Wir  sind  von  Adam,  mid  von  da  wissen  wir  wenig.  Nur 
das  wissen  wir,  dass  ein  Gott  ist  und  einer  sein  Messias  und  ein 
Geist  und  ei  n  Glaube  und  eine  Taufe.  Mehr  als  dieses  frommt  uns 
nicht  zu  sagen.  Und  wenn  Avir  reden  werden,  werden  wir  fehlen, 
und  wenn  wir  es  untersuchen,  werden  wir  Schaden  leiden.  Es 
sind  viele,  die  den  Weg  verfehlt  und  den  Pfad  verlassen  haben 
und  in  Irrthum,  auf  den  Weg  des  Anstosses  gerathen  sind.  Sie 
sind  schwanger  und  sinnen  von  Worten  des  Verderbens.  Sie  weis- 
sagen Lüge  und  verlassen  Gott;  und  die  es  verstehen  wollen, 
sind  Thoren,  finster  in  der  Erkenntniss  und  tappen  im  Dunkeln. 
0  Adamskind,  der  du  Staub  bist  von  der  Erde,  der  du  stehst 
in  Gedanken,  die  zum  Verderben  führen,  deine  Seele  hat  andere 
Götter  erzeugt,  deine  Gedanken  sinnen,  was  sie  nicht  gesehen 
haben.  Du  bist  nicht  in  die  Höhe  gestiegen;  du  bist  an  die 
Erde  gefesselt.  Du  bist  nicht  in  die  Tiefe  hinabgestiegen,  dass 
du  wissest,  was  daselbst  ist.  Du  vergleichst  und  redest  über 
Dinge,  die  du  nicht  gesehen  hast.  Du  belügst  dich  selbst  und 
redest  Lüge  und  Falschheit.  Ich  Avill  dich  fragen,  sage  mir:  Was 
ist  die  Sonne,  die  du  gesehen  hast,  ihrem  Wesen  nach?  Ist  eine  Seele 
in  ihr?    Ist  Erkenntniss  in  ihr,   oder  ist  in  ihr  Unterscheidung? 

Wenn  du  dem  glauben  willst,  was  ich  dir  sage,  so  ist  es 
also:  Die  Sonne  und  der  Mond ')  sind  wie  Feuer  und  Wasser, 
welche  nicht  denken  und  unterscheiden.  Alles,  was  du  dem 
Feuer  gibst,  verschmäht  es  nicht,  und  weist  nicht  Böses  und 
Abscheuliches  zurück;  es  weiss  nicht,  was  es  ehrt,  und  unter- 
scheidet auch  nicht,  Avas  es  verschmäht.  Und  auch  das  Wasser 
ist  also;  es  ist  ein  Geschöpf  ohne  Unterscheidungsvermögen.  Die 
Sonne  und  der  Mond  und  die  Sterne  und  die  Winde  und  die  Blitze 
und  die  Wolken  und  das  Feuer  und  das  Wasser,  diese  alle  sind 
Geschöpfe,  die  einen  bestimmten  Lauf  haben.  Zum  Dienste  der 
Welt  sind  sie  von  Anfang  an  geschaffen,  und  wenn  sie  wandeln,  so 
ist  keine  Ueberlegung  in  ihnen.  Das  Feuer  frisst  Mist  und  Koth 
und  sagt  nicht,  es  ist  genug,  denn  das  ist  seine  Natur.  Die  Sonne 
scheint  auf  Leichname  und  Unflath  und  wärmt  sie  durch  ihre 
Kraft  und  hat  keine  Unterscheidung.  Das  Wasser  verschlingt  alle 
Unreinigkeit  und  vermischt  sich  mit  dem  Unflath  des  Mistes, 
und  es  hat  keine  Erkenntniss  der  Seele.  Alle  diese  Werke  des 
Himmels  und  der  Erde  sind  zum  Dienst  der  Welt  gemacht,  ohne 

1)  In  B  fehlt  „und  der  Mond". 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  411 

Seele;  und  auch  die  Erde,  welche  ruhig  steht,  wenn  man  sie  in 
ihren  Wurzeln  erschüttern  will.  Wisse,  o  Mensch,  der  du  kein 
Thor  bist,  dass  der  Wille  Gottes  alles  trägt,  und  dass  nichts 
ausser  seinem  Willen  ist.  Wir  aber,  die  da  wissen,  dass  Gott 
ein  einziger  Gott  ist,  lasst  uns  ihm  danken  und  ihn  anbeten  und 
loben  und  erheben  und  ehren  und  heiligen  und  preisen  seine 
Grösse  durch  Jesum  seinen  Sohn  '),  unseren  Erlöser,  der  uns  sich 
erwählt  und  uns  zu  ihm  gebracht  hat,  und  durch  welchen  wir 
ihn  erkannt  haben  und  seine  Anbeter  sind  und  das  heilige  Volk 
und  die  heilige  Kirche  und  Gemeinde.  Preis  und  Ehre  sei  dem 
Vater  und  seinem  Sohn  und  seinem  lebendigen  und  heiligen 
Geist,  aus  dem  Munde  aller,  die  ihn  loben,  in  der  Höhe  und  in 
der  Tiefe  in  alle  Ewigkeit.     Amen.     Amen. 

Als  das  erste  aller  guten  Werke  vor  Gott  Avird  das  gefor- 
dert, dass  man  glaubt,  dass  Gott  ein  einziger  Gott  ist,  und  dass 
man  bei  dem  Glauben  die  Gebote  hält.  Wenn  jemand  bekennt, 
dass  ein  Gott  sei,  und  er  übertritt  die  Gebote  und  hält  sie  nicht, 
so  ist  ihm  nicht  gewiss,  dass  ein  Gott  sei.  Wie  der  Lehrer 
der  Heiden  sagt 2):  Sie  bekennen,  dass  sie  Gott  erkennen,  aber 
mit  ihren  Werken  verleugnen  sie  ihn.  Und  auch  Jesaia  sagt^): 
Dies  Volk  ehrt  mich  mit  seinen  Lippen,  und  sein  Herz  ist  fern 
von  mir.  Und  David  sagt  ^) :  Mit  ihrem  Munde  segnen  sie,  und 
in  ihrem  Herzen  fluchen  sie.  Und  wie  können  sie  bekennen, 
•dass  sie  Gott  erkennen,  wenn  sie  ihn  mit  ihren  Werken  ver- 
leugnen? Wenn  jemand  glaubt,  dass  ein  Gott  ist,  und  er  thut 
nicht,  was  Gott  gebietet,  dann  ist  ihm  nicht  gewiss,  dass  ein 
Gott  ist.  Gott  hat  geboten'^):  Haltet  meine  Gebote  und  thut 
sie.  Und  wer  die  Gebote  Gottes  nicht  hält,  von  dem  ist 
klar,  dass  er  Gott  verleugnet,  denn  ihm  ist  der  Herr  der  Ge- 
bote nicht  gewiss.  Gott  spricht''):  Du  sollst  nicht  tödten.  du 
sollst  nicht  ehebrechen,  du  sollst  nicht  stehlen,  du  sollst  nicht 
falsches  Zeugniss  reden;  ehre  deinen  Vater  und  deine  Mutter; 
und  was  dir  unangenehm  ist,  das  thue  deinem  Nächsten,  nicht. 
Wer  nämlich  glaubt,  dass  Gott  die  Mörder  richtet,  wird  nicht 
tödten.  Und  wer  da  tödtet,  dem  ist  nicht  gewiss,  dass  ein  Gott 
ist.    Und  wer  da  weiss,  dass  Gott  die  Ehebrecher  richtet,  bricht 


1)  A:  seinen  erstgeborenen  Sohn.  —  2)  Tit.  1,16.   —  3)  Jes.  2!),  13.  — 
4)  Ps.  62,  5. 

5)  Levit.  22.  31.  —  6)  Mt.  1!),  18.   19. 


412  Homilie  XXIII. 

die  Ehe  nicht.  Und  wer  die  Ehe  bricht,  dem  ist  nicht  gewiss, 
dass  Gott  ist.  Und  wer  da  glaubt,  dass  Gott  die  Diebe  richtet, 
stiehlt  nicht;  und  wenn  er  stiehlt,  so  ist  ihm  nicht  gewiss,  dass 
Gott  ist.  Und  auch  alle  Gebote  sind  also.  Darüber  hinaus  ge- 
bietet unser  Erlöser  '):  Du  sollst  keinen  falschen  Eid  schwören. 
Und  wer  da  schwört,  soll  des  Gerichts  schuldig  sein.  Wem  da 
gewiss  ist,  dass  Gott  ein  einziger  Gott  ist,  wie  wird  der  bei  ihm 
schwören  und  lügen? 

Siehe,  wer  eins  von  diesen  Geboten  übertritt,  von  dem 
ist  klar,  dass  er  Gott  verleugnet;  noch  mehr  aber  ist  böse 
vor  Gott,  wer  da  schwört  und  lügt  bei  seinem  Eid.  Denn 
unser  Erlöser  gebietet  mit  grossem  Ernst  in  seiner  Lehre: 
Du  sollst  nicht  bei  den  Himmeln  schwören,  denn  sie  sind  Gottes 
Stuhl.  Denn  wenn  du  bei  dem  Himmel  falsch  schwörst,  wie 
kannst  du  deine  Augen  zum  Himmel  erheben  und  den  bitten, 
der  im  Himmel  wohnt?  Und  du  sollst  nicht  bei  der  Erde  schwören, 
denn  sie  ist  seiner  Füsse  Schemel  '^) ;  damit  nicht,  wenn  du  falsch 
schwörst  bei  der  Erde,  so  oft  du  auf  ihr  betest,  sie  unter  dir 
wanke,  der  du  bei  dem  Schemel  der  Füsse  Gottes  gelogen  hast. 
Und  auch  bei  Jerusalem  sollst  du  nicht  schwören,  denn  sie  ist 
die  Stadt  des  grossen  Königs,  damit  du  nicht,  wenn  du  bei  einem 
Ort  der  Verehrung  falsch  schwörest,  dich  schämest  daselbst  zu 
stehen  und  zu  beten,  und  dein  Gebet  von  dem  Haus,  bei  dem  du 
gelogen  hast,  nicht  aufsteige  und  nicht  nach  Wohlgefallen  ge- 
schehe. Und  auch  bei  deinem  Haupte  sollst  du  nicht  schwören; 
denn  du  vermagst  nicht  ein  einziges  Haar  schwarz  oder  weiss 
zu  machen,  damit  du  nicht,  wenn  du  bei  deinem  Haupte  falsch 
schwörst,  dein  Haupt  beschämest,  über  welchem  der  Name  deines 
Herrn  genannt  ist;  wie  der  Apostel  sagt  3):  Das  Haupt  des  Mannes 
ist  Christus. 

0  du,  der  du  bei  deinem  Haupte  falsch  schwörst,  wenn 
dir  gewiss  wären  die  drei  hohen  und  herrlichen'*)  Namen, 
die  über  deinem  Haupte  genannt  sind  —  Vater,  Sohn  und  heiliger 
Geist  —  da  du  das  Zeichen  des  Lebens  empfangen  hast,  wenn 
dir  die  Taufe  gewiss  wäre,  so  würdest  du  bei  deinem  Haupte 
nicht  lügen.     Und  wisse,  dass  du  keine  Macht  hast,  bei  deinem 

1)  A:    gebietet  Gott.  Levit.  19,  12.    Mt.  5,  34.  —  2)  A:  Der  Schemel 
unter  seinen  Füssen. 

3)  1.  Cor.  11,  3.  —  4)  „herrlichen-'  fehlt  bei  A. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  413 

Haupte  zu  schwören,  sondern  euer  Wort  sei:  Ja,  ja,  nein,  nein. 
Und  er  sagt^):  Was  darüber  ist,  das  ist  vom  Bösen.  Denn 
bei  den  Eiden  Gottes  zu  lügen  ist  grössere  Sünde  als  alle  Sünden, 
welche  die  Menschen  thun.  Wenn  ein  Mensch  eines  von  den 
Geboten  Gottes  übertritt,  dann  tritt  er  hin,  betet  und  bittet  Gott, 
dass  er  ihm  vielleicht  vergebe.  Wer  bei  Gott  schwört  und  lügt, 
wen  soll  der  bitten?  Wie  kann  er  Gott,  den  er  zum  Lügner 
gemacht  hat,  bitten?  Wie  kann  er  zu  Gott,  der  ihm  nicht  ge- 
wiss ist,  beten? 

Denn  die  Könige  Israels  thaten  grosse  und  schwere  Sün- 
den. Etliche  von  ihnen  verliessen  Gott  und  beteten  Götzen 
an:  und  etliche  von  ihnen  brachen  die  Ehe  mit  den  Weibern 
ihrer  Nächsten,  und  sie  tödteten  auch  und  hurten  auch,  und  sie 
wurden  nicht  so  sehr  beschuldigt,  wie  diejenigen  bestraft  wurden, 
welche  falsch  schwuren.  Der  gottlose  König  Nebukadnezar,  in 
dessen  Hände  das  ganze  Land  gegeben  wurde,  iiess,  nachdem 
das  Volk  Israel  in  seine  Hände  gegeben  war"-^),  und  indem  er 
Geissein  aus  ihnen  nach  Babel  führte'^),  sie  und  ihre  Könige  gegen 
ein  Gelübde  ohne  Eid  in  ihrem  Lande.  Indem  sie  ihm  gelobten: 
Wir  wollen  dir  dienen,  legte  Jojakim  ein  Gelübde  ab  ohne  Eid. 
Und  darnach  fiel  er  ab  und  brach  das  Gelübde,  und  nachdem  er  es 
gebrochen  hatte,  wurde  er  getödtet.  Und  er  setzte  seinen  Sohn 
Jojakin  nach  ihm  als  König  ein.  Und  er  legte  das  Gelübde  ab  ohne 
Eid :  Ich  will  nicht  abtrünnig  werden.  Und  er  brach  sein  Gelübde 
und  fiel  vom  König  von  Babel  ab.  Da  sandte  Nebukadnezar  ^)  und 
Hess  ihn  mit  Ketten  fesseln  und  führte  ihn  nach  Babel,  und  daselbst 
war  er  gefangen  siebenunddreissig  Jahre.  Und  er  setzte  seinen 
Onkel  Zedekia  als  König  ein.  Da  gedachte  und  rathschlagte 
Nebukadnezar:  Wie  lasse  ich  ihn  im  Königthum  mit  der  Gewiss- 
heit, dass  er  nicht  abfällt?  Und  seine  Räthe  sprachen  zu  ihm: 
Frage  die  Priester,  die  das  Gesetz  kennen.  Und  Nebukadnezar 
berief  die  Priester  und  sprach  zu  ihnen:  Wodurch  werde  ich 
gewiss,  dass  ihr  mir  dient  und  nicht  von  mir  abfallt?  Und  sie 
sprachen  zu  ihm:  Wir  und  unser  König'')  schwören  dir  bei  dem 
Gott  Israels  und  legen  ein  Gelübde  ab  bei  einem  Opfer,  das  auf 
dem   Altar  dargebracht  wird.     Alsdann   sprach  Nebukadnezar: 

1)  Mt.  5,  37.  —  2)  A:  Nachdem  ganz  Israel.  —  3)  B:  indem  er  sie  als 
Geissei  nach  Babel  führte.  —  4)  A:  der  König  Nebukadnezar. 
5)  A:  und  unsere  Könige. 


414  Homilie  XXIII. 

Ich  lasse  euch  schwören  bei  dem  Gott  Israels,  dass,  wenn  ihr 
euren  Schwur  brecht,  er  euch  in  meine  Hände  gibt,  und  ich 
lasse  euch  nicht  bei  den  Göttern  Babels  schAvören.  Alsdann 
brachten  sie  ein  Kalb,  der  König  Zedekia  und  die  Priester  und 
Obersten  (und  legten  ihre  Hände  auf  den  Kopf  des  Kalbes  und 
schlachteten  es) ').  Und  die  Priester  nahmen  von  dem  Blut  des 
Kalbes  und  gössen  es  rings  um  den  Altar,  und  sein  Fett  legten 
sie  auf  den  Altar  als  Brandopfer.  Und  sie  nahmen  das  Kalb 
und  theilten  es  in  zwei  Theile,  und  es  gingen  zwischen  seinen 
Theilen  hindurch  die  Obersten  von  Juda-)  und  die  Priester  und 
Lehrer  des  Volkes  und  der  König  Zedekia  mit  ihnen.  Und  sie 
legten  das  Gelübde  ab  mit  einem  Eid  bei  dem  Gott  Israels:  Wir 
wollen  nicht  abfallen.     Und  !Nebukadnezar  glaubte  ihnen. 

Und  darnach  brachen  sie  die  Eide  3)  des  Gottes  Israels  und 
fielen  von  dem  König  von  Babel  ab.  Und  zu  dieser  Zeit  weissagten 
ihnen  Jeremia  und  Hesekiel ;  Jeremia  in  Jerusalem  und  Hesekiel 
in  der  Gefangenschaft  in  Babel.  Und  da  sie  ihren  Eid  brachen 
und  abfielen,  rief  ihnen  der  Prophet  Jeremia  zu^):  0  ihr  Männer 
von  Juda  und  Bewohner  von  Jerusalem  und  König  Zedekia  und 
ganz  Juda,  dienet  dem  König  von  Babel,  so  werdet  ihr  leben, 
und  brechet  die  Eide  nicht,  die  ihr  geschworen  habt,  und  ge- 
denket an  das  Kalb,  das  ihr  in  zwei  Theile  getheilt  habt,  und 
seid  zwischen  den  Theilen  hindurchgegangen.  Und  sie  hörten 
den  Propheten  nicht,  und  da  er  noch  mehr  ihnen  zurief,  nahmen 
sie  ihn  und  warfen  ihn  in  eine  schlammige  Cisterne.  Und  etliche 
von  ihnen  sprachen^):  Kommt,  wir  wollen  ihn  auf  den  Mund 
schlagen    und    wollen    nicht    hören,    was    er    sagt. 

Und  auch  Hesekiel  sandte  zu  ihnen  aus  Babel  und  Hess  ihnen 
sagen:  Brechet  nicht  die  Eide  des  Gottes  Israels,  die  ihr  geschworen 
habt,  und  sie  hörten  ihn  nicht.  Und  da  sie  ihn  nicht  hörten, 
sprach  er  in  seiner  Weissagung^):  So  wahr  als  ich  lebe,  spricht 
der  Herr  der  Herren :  Zedekia,  der  bei  dem  Gott  Israels  gelogen 
und  meine  Eide  mit  Füssen  getreten  und  meinen  Bund  gebrochen 
hat,  will  ich  dafür  strafen.  Und  Jeremia  rief  und  ermahnte  sie"): 
Dienet  dem  König  von  Babel,  so  werdet  ihr  leben,  und  diese  Stadt 
soll  nicht  zur  Wüste  werden.     Und  sie  hörten  ihn  wieder  nicht. 


1)  (  )  fehlt  in  B.  —  2)  A:  von  Jerusalem.  —  3)  A:  Singul.  —  4)  Vgl. 
Jerem.  27,  12.  —  5)  Jerem.  18,  18. 

6)  Ezecli.  17,  18.   —   7)  Jerem.  27,  17. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  415 

Und  da  sie  die  Eide  brachen  und  den  Propheten')  nicht 
hörten,  kam  das  Heer  der  Chaldäer  über  sie  und  belagerte  Jeru- 
salem von  dem  neunten  Jahr  Zedekias  bis  zum  elften  Jahre.  Und 
auch  da  sie  abgefallen  waren,  sprach  Jeremia  zu  ihnen-} :  Gehet  her- 
aus zu  dem  König  von  Babel,  so  werdet  ihr  leben  und  nicht  ster- 
ben; und  sie  hörten  ihn  nicht.  Und  die  Stadt  Avar  in  Bedrängniss 
lange  Zeit,  da  sie  die  Chaldäer  neunzehn  Monate  belagerten,  von 
dem  zehnten  Tage  des  zehnten  Monats  im  neunten  Jahre,  der  da 
heisst  Konun  Achroi-'),  bis  zum  fünften  Monat  des  elften  Jahres. der 
da  heisst  Ob^).  Und  die  Stadt  wurde  eingenommen"')  am  neunten 
Tage  des  fünften  Monats.  Und  die  Chaldäer  drangen  in  Jerusalem 
ein  und  verbrannten  das  Haus  Gottes,  in  welchem  sie  die  falschen 
Eide  geschworen  hatten,  und  zerstörten  den  Altar,  auf  welchem 
sie  das  Eidesopfer  von  dem  Eideskalbe  dargebracht  hatten.  Und 
sie  nahmen  alle  Gefässe  vom  Dienste  des  Hauses  des  Gottes 
Israels  und  verbrannten  die  Häuser  der  Obersten,  welche  die 
falschen  Eide  geschworen  hatten.  Und  die  Priester  gingen  in 
die  Gefangenschaft  und  kamen  nach  Babel.  Und  da  Zedekia 
aus  der  Stadt  floh,  ergriif  ihn  das  Heer  der  Chaldäer  in  der 
Ebene  von  Jericho  und  fesselten  ihn  in  Ketten  und  die  Obersten, 
die  geschworen  hatten,  mit  ihm,  und  führten  ihn  zu  dem  König 
von  Babel,  in  das  Land  Chemath.  Und  es  steht  geschrieben^): 
Als  Richter  redete  er  mit  ihm  und  sprach  zu  ihm:  Warum  hast 
du  die  Eide  des  Gottes  Israels  gebrochen?  Kun  werde  ich  dich 
dafür  strafen.  Und  er  Hess  ihm  die  Augen  blenden  und  fesselte 
ihn  in  Ketten  (und  tödtete  seine  Kinder  vor  seinen  Augen) ') 
und  tödtete  die  Obersten,  welche  falsch  geschworen  hatten,  und 
ihn  führte  er  gefesselt  nach  Babel,  und  dort  war  er  bis  zu  dem 
Tage,  da  er  starb.  Und  er  zerstörte  Jerusalem  wegen  des  fal- 
schen Eides^),  und  ihr  Reich  wurde  Nebukadnezar  gegeben,  welcher 
an  Gott  glaubte,  der  seine  Eide'-)  rächt.  Deshalb  ermahnt  unser 
Erlöser''^):  Ihr  sollt  bei  euch  selbst  nicht  schwören,  denn  der 
Herr  wird  den  nicht  ungestraft  lassen,   der  bei  seinem  Namen 

1)  A:  Plural.  —  2)  Jerem.  38,  17.  —  b)  Uic^  ^cJ-=,  „Dezember', 
i_f^]    .di,  .Januar-'. 

4)  ^,  ,, August".  —  5)  B:  ,, wurde  beschrieben",  jedenfalls  Schreib- 
fehler. —  6)  Jerem.  52,  9.  —  7)  (  )  fehlt  in  A. 

8)  A:  Wegen  des  Eides,  den  sie  geschworen  hatten.  —  9)  A:  Singul. 
—   lU)  Mt.   5,  34.    Exod.  20,  7.  — 


416  Homilie  XXIII. 

falscli  schwört,  damit  iiiclit  jemand,  wenn  er  seinen  Mund 
ans  Schwören  gewöhnt,  alle  Zeit  in  Unruhe  sei,  darum  dass  er 
seinen  Mund  ans  Schwören  gewöhnt  und  seine  Zunge  den  Eid 
übertreten  hat. 

Und  wir  wissen,  mein  Lieber  ^),  dass  viele  Menschen  unter 
unsern  Brüdern  falsch  schwören  und  zum  Schwören  verleiten; 
und  sich  selbst  tödten  und  ihre  Nächsten  morden,  die  das  2)  Ge- 
bot übertreten,  das  unser  Erlöser  gelehrt  hat. 

Wir  haben  keine  Hoffnung  in  dieser  Welt,  und  Alles,  was  in  ihr 
ist,  ist  auf  Sand  gebaut.  Die  Welt  und  ihre  Dinge  bleiben  nicht. 
Ihre  Lust  fliegt  davon  mit  schnellen  Flügeln.  Nackt  kommen  die 
Menschenkinder  in  sie  herein,  und  gehen  aus  ihr  hinaus,  wie  sie 
hereingekommen  sind.  Die  nach  Reichthum  rennen,  besitzen  ihn 
nicht,  denn  er  wird  von  ihnen  genommen  und  anderen  gegeben. 
Die  da  Kinder  zeugen,  freuen  sich  ihrer  nicht.  Denn  es  be- 
gegnet ihnen,  dass  sie  ihnen  bittere  Erfahrungen  bereiten  3),  et- 
liche von  ihnen  durch  den  Tod,  etliche  von  ihnen  durch  Ge- 
fangenschaft; und  von  denen,  die  da  bleiben,  machen  etliche 
ihren  Eltern  Schande,  und  die  da  Gnade  finden,  auf  die  können 
sie  sich  nicht  verlassen,  denn  alsbald  drehen  sie  sich  wie  ein 
Rad.  Die  da  bauen  und  pflanzen,  mögen  sich  nicht  so  sehr 
darüber  freuen,  denn  ihre  Feinde  rauben  ihre  Schätze,  und  sie 
sehen  sie,  und  ihre  Seele  grämt  sich  (über  ihre  Arbeit,  welche 
in  Anderer  Hände  kommt)  "*!  Und  die  da  Städte  bauen  und 
Burgen  aufrichten,  die  triff't  es,  dass  sie  darin  nicht  gelassen 
w^erdeu,  dass  sie  ihre  Feinde  gefangen  führen,  und  dass  sie  ferne 
sind  von  dem  Ort,  da  sie  geboren  sind. 

Die  da  Weiber  freien  und  fröhlich  sein  wollen,  sterben 
und  verderben  in  kurzer  Zeit,  und  ihre  Bräute  gehören  Andern, 
solchen,  deren  Namen  sie  niemals  genannt  haben.  Die  da  laufen 
und  sich  abmühen  und  Schätze  sammeln  —  nach  ihrem  Tode 
gehören  diese  Andern,  und  ihre  Nächsten  freuen  sich  über  ihre 
Güter,  und  ihre  Hände  gelangen  nicht  an  ihre  Schätze.  Und 
die  Weiber,  die  nach  Schmuck  laufen  und  hofi'en,  an  ihren 
Kleidern  sich  zu  freuen  —  es  dauert  kurze  Zeit,  so  werden  diese 
zerrissen  über  den  Verstorbenen. 


1)  A  u.  B:  Plural.  —    2)  A:   Plural.  —  3)  Wörtlich:   Ihren   Gaumen 
bitter  machen.  —  4)  (  )  fehlt  in  A. 


Die  Unterweisung  von  der  Weinbeere.  417 

Das  ist  der  Bau,  der  auf  Sand  gebaut  ist,  und  bei  ihm  ist 
keine  Hoffnung,  dass  er  bleibe  in  Ewigkeit.  Unser  Schatz  ^)  ist 
an  dem  Ort  der  Verheissung,  und  wo  unser  Schatz  ist,  da  sollen 
unsere  Gedanken  auch  sein. 

Es  ist  nichts  grösser  als  die  Furcht  Gottes,  und  gepriesen 
ist  der  Mensch,  der  seine  Gebote  hält.  Es  sind  (aber)  2)  viele, 
die  da  weise  genannt  werden,  und  es  giebt  keine  Weisheit  als 
die  Furcht  Gottes. 

Diese  kurze  Erinnerung  habe  ich  dir  geschrieben,  mein  Lie- 
ber, worum  du  mich  gebeten  hast,  und  auch  was  du  nicht  ge- 
fordert hast;  damit  du  es  lernest  ^j  und  ich  Hilfe  erfahre.  Wer 
da  gibt,  freut  sich,  und  wer  empfangt,  der  rühmt.  Wer  da  säet 
auf  Hoffnung,  Avartet  auf  die  Frucht,  und  das  bebaute  Land,  in 
Avelches  der  Same  gefallen  ist,  bringt  Früchte  und  erfreut  den 
Landmann.  Wer  da  hat  und  gibt,  der  bittet  und  empfängt. 
LTnd  wer  da  hat  und  es  zurückhält,  der  ist  ein  Räuber.  Wer  da 
Geld  empfängt  und  Gewinn  bringt,  der  empfängt  Lob  und  Herr- 
schaft und  das  zehnte  Pfund.  Und  wer  das  Geld  verbii'gt,  von  dem 
wird  es  genommen,  und  er  wird  geschickt  an  den  Ort  der  faulen 
Knechte.  Wer  da  gibt  von  dem,  was  er  empfangen  hat,  dem 
wird  nichts  fehlen.  Und  wer  da  bittet  und  empfangt  von  dem 
Schatz  seines  Herrn,  den  ruft  sein  Herr,  dass  er  empfange,  und 
was  er  empfangen  hat,  das  gebe  er  dir,  wie  ers  empfangen  hat. 

Diesen  Brief,  mein  Lieber,  habe  ich  dir  geschrieben  im 
Monat  Ob  ^)  des  Jahres  656  nach  der  Regierung  Alexanders,  des 
Sohnes  PhiHpps  von  Macedonien  ^),  und  im  Jahre  36  des  Königs 
Schabur  von  Persien,  der  die  Verfolgung  veranlasst  hat,  im 
Jahre  5,  da  die  Gemeinden  ausgerottet  wurden,  im  Jahre  da  das 
grosse  Morden  der  Zeugen  war  im  Lande  des  Ostens,  nachdem 
ich  dir  die  22  Kapitel  geschrieben  hatte,  die  nach  den  Buch- 
staben geordnet  sind,  eine  nach  der  anderen.  Lies  und  lerne  sie 
und  gedenke  deines  P'reundes. 


1)  A:  Plural.  —  2)  „aber"  fehlt  in  A.  —  3)  B:  damit  du  den  Nutzen 
davon  habest. 

4)  Im  Monate  Ob  des  Jahres  Göf!  Seleuc.  =  im  August  345.  Fünf  Jahre 
vorher  33940  hatte  die  grosse  Verfolgung  begonnen.  Hiermit  stimmt 
überein  Martyr.  I,  15. 

5)  A:  der  die  Verfolgung  veranlasst  hat,  da  die  Gemeinden  ausge- 
rottet wurden,  im  Jahre  5,  da  das  grosse  Morden  war  etc. 

Texte  und  Untersuchungen  III,  3.  4.  27 


418  Homilie  XXIII. 

Zvi  Ende  ist  die  Unterweisung  von  dem  Segen  ^),  der  auf 
die  Gerechten  übergegangen  ist,  und  in  allen  früheren  Ge- 
schlechtern. 

Zu    Ende    sind '-)   nun   in  dieser   Schrift   alle  Briefe    des  Herrn 
Jakub,  des  persischen  Weisen,  welches  sind  22  an  der  Zahl  nach 

dem  Alphabet  und  eine  über  die  Weintraube. 

Ehre  sei  dem  Vater  und  dem  Sohne   und   dem  heiligen  Geiste 

in  alle  Ewigkeit.     Amen. 


1)  A:  Zu  Ende  ist  die  Unterweisung  von  der  Weinbeere. 

2)  Wörtlich:  zu  Ende  geschrieben  sind  etc. 


Verzeiehniss  der  Schriftcitate. 

Seite  Seite- 
Genesis  I,    6 240     Genesis  XVII,  10 167 

25 135                   XVIII,  2  ff. 326 

28 291                                14 332 

29.  30      .....     262                                19 21 

31   .......     297                                27 122 

U,     1—3 20.8  XIX,     1  ff.     ....  326 

2 203                       XXI,  20 174 

7 107  XXII,  18     ....  22.  193 

16.  17 227                      XXV,     6 175 

17 19S.  349                                  23 232 

24 297                  XXVII,  40 49 

III,  8 117                 XXVIII,  13 55 

16.  18           ....       98                   XXIX,     1 56 

IV,  7 117  XXXI,  38—40  ....  158 

9 121                  XXXII,  10 57 

VI,     3 20                XXXVI,  33 175 

7        ...  199.  204.  292  XXXIX,    9     ....  22.  201 

14 199                   XLIII,  32 263 

18 201  XLVI,  33.  34  .     .     .     .  26» 

VII,     1    .     .    145.  197.  198.  199  XLIX,     3.  4     ....  135 

4 199  10     .     .271.  287.  312 

IX,     3.  4 262                                  12 376 

6        44  29.  31  ....  134 

7 291                           L,  25 134 

25   .     .     .          '.         .49     Exodus  I,  22 173 

27  .     .    .                   .381                   n,  14 26 

X,  10  .                            .      78                 III,     5 282 

XV,     1 21                           6 350 

5 291                  IV,  16 281 

G 22  19  .     .     .               .     .  338 

9  ff. 54                          22 276 

13 22.  26  22.  23      .     .     .      281.  300 

16 26                         23 276 

XVI,  12 174.  175                          24 95 

XVIT,     5    .     .  160.  176.   193.  271                 VII,     1.  2 281 

27» 


420 


Yerzeichniss  der  Schriftcitate. 


Seite 

Exodus  VIII,     1 276 

25.  26     ...     .  263 

X,     7 249 

XII,     3—13    ....  179 

9 191 

11 191 

33 3Ul 

4Ü 26 

43—45    ....  185 

44 191 

45.  46     ...     .  190 

46.  .     .  179.   184.  191 
XIV,  12 301 

XVII,  9 4S 

12 12 

14 48 

XVIII,     2 95 

XIX,  10.  11          .     .     .  294 

15 294 

XX,     2  .....     .  9 

2.  4 25 

3 44 

7 415 

9—11    ....  196 

13.  14     ...     .  197 

17 44 

19 294 

XXIII,  10.  n     .     .      202.  315 

12 197 

22 51 

26 291 

XXXII,     1 136 

10 275 

32 33.  159 

32.  33     ...     .  275 

XXXIII,  2 51 

11 97 

XXXIV,  7 121 

14 281 

Leviticus  XI 260 

XIII,  45.  46     ...     .  302 

XVII,  13.  14     ...     .  262 

XVIII,  9  ff.       ....  197 
XIX,  12 411 


Seite 

Leviticus  XIX,  13 315 

17 252 

26.  31  .     .     .     .  18 

XX,  17  ff.     ...     .  197 

XXir,  31 411 

XXIII,  22 314 

XXIV,  16 44 

XXV,     5 315 

20—22      .     .     .  315 

36 210 

XXVI,  10 315 

12    .     .     4.  107.  205 

44 329 

Numeri  VII,     5—9 225 

XI,     5 264 

17 1U5 

XII,     3 146 

XIV.  18—20    ....  121 

XVI,  32.  33     .          .     .  363 

XX,  14—21    ...  174 

24.     .!     ...  375 

XXI,     5 317 

XXIII,  19 210 

XXIV,  21  ...     .      217.  277 
XXV,     6  ff".  .     .     .     .64.  96 

XXVII,  14.     .     .     .     .     .  375 

XXXIII,     4 263 

XXXV,  35 44 

Deuteron.   I,  17 212 

38 97 

II,     5.  6 174 

IV,     7.  8 317 

19 283 

V,  6 9 

7 44 

12—14      ....  196 

14   ..."...  197 

21 44 

VI,  5 25.  225 

10.  11       ....  318 

VII,  14 291 

VIII,     7.  9 315 

IX,  24   .     .     .     .      166.  302 

X,  16   ...     .       170.  172 

XI,     9.  12 315 


Verzeichniss  der  Schiii'tcitate. 


421 


Seite 

Deut.  XII,   15.  16.  23  .     .     .     .  197 

XIII,  6.  8.  10     ....  224 
9 44 

XIV,  1 282 

XV,  11 315 

XVI,     5.  6 185 

18.  19 212 

XVII,    6 43 

7 44 

XVIII,  10  f 18 

XIX,  10 44 

15 43 

XXII,     6 202 

XXIII.  3.  4.  7 175 

XXIV,  15 315 

19—22 314 

XXVIII,  43 277 

XXIX,  23 332 

XXXI,  17 277 

27.  29 302 

29 266 

XXXII,  10 166 

21  .   85.  186.271.  278.  302 

28 302 

32.     .     .     .  166.  273.  330 

39.     .  136.   144.  281.  350 

XXXIII,  6 135.  350 

19 271 

XXXI V,  .5.  0 135 

Josua  III,  16 13 

V,  2 171 

5 172 

13.  14 51 

IX,  27 277 

X,  12 241 

XXIV,  14—22 264 

Judic.  VII,  4 124 

4.  5   ......  124 

XV,  18.  19 265 

I.  Samuel   II,    6      ...      136.  350 

23—25  ....  224 

30      .     .223.  227.  232 

III,  14      ....  67.  267 

IV,  7—9     ....  226 
V,     S.  11     .     .     .     .  226 


I.  Samuel   XV,    2. 

14. 

29 

XVI.       7 

14 

II.  Samuel  VII,  14 

XII,  10 
13 
XX.  17- 
XXIV,  17 
18 
I.  Reg.  VI,     1     . 
XI,  34-3(1 
XV,  13     . 
XVII,     6     . 
XIX,     5     . 
15.  16 
16     . 
XXI,     9.  Kl 
XXII,  28     . 
II.  Reg.   II,  11     . 
15     . 

III,  15—17 

IV,  9.  1(1 

27  . 
V,  26.  27 

VI,  16     . 

32     . 

IX,     6.  7 

26     . 

31     . 

XVIII,  35     . 

XIX,  21-23 

23.  24 

28  . 
XX,     6     . 

12  ff. 

19     . 

XXII,  13     . 

19.  20 

I.  Chronic.       II. 

XIV,  11 

XXII,  10 

II.  C'hionic.  XIV,  11 

XV,     2 


3   .     . 
15.  22 


22 


Seite 

49 

267 

210 

233 

108 

282 

278 

121 

217 

159 

333 

398 

384 

96 

97 

97 

43 

233 

43 

346 

97 

13 

109 

97 

109 

296 

62 

109 

233 

45 

233 

72 

73 

72 

73 

386 

74 

342 

342 

387 

383 

225 

282 

58 

2ia> 


422  Verzeichniss  der  Schriftcitate. 

Seite 

11.  Chronic.  XXXII,  21     .     .     .  73     Ps.  XXXVII, 

XXXV,  25     .     .     .  343 

Esra  I,  2 313  XLI, 

3 300  XLV, 

Esther  III,     1 48  XLVII, 

VI.  11 345  XLIX, 

lob        II,     9 96  L, 

III 354 

XI,    2 234 

XII,  20 234  LI. 

XIV,  12 364 

XVI,  19.  20 356 

XIX,  21 323  LIII, 

XXII,     6.  7.  10.  9.  S     .     .  323  LVII, 

XXIV,     3 323  LIX, 

XXVII,     5.  6 14  LX,' 

XXVIII,  12 23S  LXIl! 

XXIX,  15.  17.  18    ...     .  323  ^XIX, 

XXXI,  16.  17.  20.  22.  32     .  322 

XXXIV,  10.  11 361  LXXIV 

XXXVIII,  41 202  LXXIX' 

XXXIX,     5.  6 202  LXXX' 

XLII,  12.  13 386  LXXXl' 

^^-  ^^ ^^^'  LXXXIL 

Psalm  I,     2.  3 95  t  yvvy 

5 360 

"•     ^ 285 

"I-  5 140  ™;;/j 

V,     4 66  ^"^^^^^\J^^' 

VIII,  20 55  ■^^' 

IX,  17 360.  363 

XV,  5 210  CIV, 

XVI,  10 288  CVI, 

XVIII,  44 289  CVIII, 

45.  46 276  CX, 

XIX,    4 7  CXII, 

XXII,  16-18. 287  CXyil, 

16.  17.  19.  20    .     .     ,  288  CXVIII, 

22 288.  289 

28 276  CXIX, 

XXIV,     7.  9 13 

XXXIII,  6 203  CXXI, 

XXXIV,  1 66  CXXXVII, 

XXXVI,  6 202  CXLIII, 

XXXVII,  15 47  CXLIV, 


Seite 

29 227 

35.  36  .  . 

71 

1—3   .  . 

316 

16.  .  .  . 

283 

1  .  .  .  . 

277 

1  .  .  . 

277 

13.  14  . 

24 

13—15  . 

267 

14.  .  . 

66 

4.  .  . 

121 

11  .  .  . 

10!» 

17.  .  . 

24 

2.  3.  . 

210 

8.  9.  . 

66 

6.  14  . 

318 

8.  .  . 

175 

5  .  .  . 

.  410 

21.  26  . 

.  289 

28. 

.  275 

2  .  .  . 

18 

7.  276 

1—3   . 

.   82 

8.  9.  13 

.  304 

5  .  .  . 

.   12 

6.  7  .  . 

.  282 

11  .  .  . 

7 

12.  .  . 

7 

6.  .  . 

275 

10.  11  . 

.  136 

1.  2  .  . 

283 

4.  .  . 

.   31 

27—29  . 

.  202 

30.  31  . 

.   64 

9.  .  . 

.  175 

3.  .  . 

.  286 

9.  .  . 

.  316 

1  .  .  . 

.  276 

20.  .  . 

.   55 

22.  .  . 

6 

99.  .  . 

.  367 

105  .  .  . 

. 

.  8.  9 

4.  .  . 

.  203 

7  . 

.   31 

2   .  .  .  .121.  359 

4.  .  . 

.  122 

Verzeichniss  der  Schriftcitate, 


423 


Seite 

Ps.  CXLVII,     9 202 

CXLVIII,     1 66 

Proverb.  IX,     9 327 

X,  10.  14      ....  370 

27 386 

XI,     5 145 

31 122 

XVI,     5 71 

19.  32      ....  145 

XVIII,  19 248 

XIX,  17 316 

XX,     6 14 

9 121 

XXV,  21 34 

XXVI,     6 13 

XXVIII,  13 120 

27 316 

XXIX,  23 217 

Eccles.  XXII,  7 107 

Jesaia   I,      2 67.  276 

7 282 

10  .  166.167.193.273.331 

11 25 

11.  12 66 

11—13 267 

15 61 

15—20 66 

16—18 268 

17 212 

II,      2 187 

2—4  .     .     .  271.  304.  305 

5.  6 273 

III,    13—15 212 

V,      1—6 304 

2 166.  273 

3 84 

5 213 

VII,      8 27 

14 286 

iX,      2 8 

6.  7 286 

X,    15 72 

XI.      2  ....••     .  8 

11 274.  305 

XIII,      9 370 


Seite 

Jesaia  XIV,  13 72 

15.  16 72 

25 73 

XXIII.  15.  17 77 

15fiF. 334 

XXVI,  17 133 

19     .     .     .136.  140.  350 

XXVIII,  12     .     64.  205.  314.  324 

16 6.  7 

XXIX,  13     .     .     .274.  312.  410 

XXX,     1 166 

XXXIII,  1  ...  27.  273.  302 
13  ...  .  187.  276 
13.  14 187 

XXXIV,  4 335 

5 175 

15—17 202 

XXXVI,  20 72 

XXXVII,  22—24 73 

24.  25 72 

29 73 

XL.     4.  5 278 

15 292 

15.  17 360 

28 204 

XLI,     4 284 

8 290 

8.  10 324 

17—19 322 

21 212 

XLII,     6 278 

XLIII,     2.  3 330 

24 204 

XLIV,     2 324 

6 406 

XLV,  13 313 

XLVIII,  12 406 

XLIX,     6 8.  275 

L,     1—4 203 

LI,     4 275 

6     .     .     .     .      227.  364 

LH,  11 83.  305 

13-15 287 

LIII,     2.  5 287 

7 24 


424 


Verzeichniss  der  Schriftcitate. 


Jesaia  LIII, 

9.  10 

10    . 

12    . 

LIV, 

9    . 

LV, 

1    . 

5    . 

6.  7 

10.  11 

LVI, 

4.  5 

10.  11 

11  . 

5—11 
6—8. 
LIX,  2  . 


LVIII, 


LXTI.    6.  7 

LXIII,     1    . 

LXV,     5    . 

6.  7 

8    . 

8.  9 

15    . 

20    . 

24    . 

LXYI,     2    . 

3    . 

16    . 

24    . 

Jerem.  II, 

10—13 

21  .     . 

30  .     . 

III, 

1  .     . 

7  .     . 

8  .     . 

12  .     . 

16  .     . 

22  .     . 

IV, 

4  .     . 

V, 

17  .     . 

22.  23 

14  .     . 

VL 

S  .     . 

16—18 

20  .     . 

30  .   83 

11 


166.  268. 


Seite 

187 

Jerem.    VII, 

4 

319 

4. 

5    . 

103. 

120 

13. 

16. 

333 

IX, 

23 

376 

23. 

24. 

205. 

276 

25. 

26. 

10 

XI, 

10 

139 

XTI, 

7 

205 

7. 

9    . 

134 

XV, 

1 

125 

1. 

2    . 

318 

1- 

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46 

15 

314 

19 

277 

XV], 

2. 

143 

19 

175 

XVII, 

5 

205 

16 

209 

XVIII, 

7- 

-10 

370 

18 

381 

XIX, 

10 

319 

XX. 

9 

188 

XXII, 

19 

60 

XXIII, 

1 

145. 

295 
267 

15 
29 

10 

XXV, 

5 

10 

11 

335 

12 

167. 

273 
335 

118 

XXVII, 

6. 
12 
17 

8    . 

118 

XXVIII, 

11 

269. 

304 

14 

118 

XXIX, 

5. 

6.  8 

185. 

193 

118 

10 
27 

176 

XXXI, 

31. 

32  . 

7S 

34 

239 

XXXV, 

13 

75 

XXXVIII, 

4 

335 

17 

186 

272 

XLIV, 

16 

.  24. 

274 

16. 

17  . 

273 

305 

L, 

17 

28. 


Seite 

5 

4.  283 

.  210 

71 

.  234 

170.  172 

.  193 

268.  304 

186.  273 

375 

268 

374 

404 

118 

296 

272 

95 

296 

9.  301 

413 

52 

75 


11 


160. 


Hb4 


187 


387 
254 
304 

76 
118 

81 

52 
2S2 
413 
414 
387 

81 
307 

52 
254 
193 
276 
210 
254 
414 
312 
272 

80 


Verzeichniss  der  Schriftcitate. 


425 


Jerem.  LI, 

7  . 
64. 

•     • 

LIL 

9. 

Lamentat. 

II,     fc 

. 

III,  27 

.  28 

IV,     1 

2 

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V,  If 

. 

Ezech.  III, 

17—21  . 

25. 

26  . 

IV 

13. 

14  . 

VIII 

12 

18 

IX, 

4 

8 

XI, 

13 

XII, 

27 

28 

XIII, 

4.  h 

lü.  11  . 

XIV, 

15  ff. 

XV, 

4 

4.    £ 

. 

XVI 

3 
45 

48 

48.  5 

2  . 

49.  50  . 

55 

XVII, 

18 

XVIII, 

7— 
8 
23 

10  . 

23.  c 

2 

XIX, 

12 

XX, 

11 

25.  2 

6  . 

36 

XXII, 

30 

XXIII, 

7— 
11 

9    . 

18.  1 

9  . 

45 

61. 


166 


Seite 

.     .       77 

Ezech.  XXV,  12  .     . 

.     334 

15  ff. 

.     414 

XXVIII,    2    .     . 

.     268 

3   .     . 

.       97 

14  .     . 

75 

14.  15 

268.  305 

16  .     . 

.     268 

XXIX,  18.  19 

.       76 

XXXIII,    7—9  . 

.       76 

11   .     . 

.     119 

18.  19 

.     254 

22  .     . 

.     185 

XXXIV,    2—19 

.     277 

3.  4.  5 

210.  277 

14.  31 

.     213 

XXXVII,    1—10 

.     213 

XLIII,    9  .     . 

.     213 

XL VIII,  47  .     . 

27 

XLIX,    6.  39 

.       27 

Daniel  II, 

31—33     . 

.     221 

34  .     .     . 

6 

34.  35      . 

.     374 

38  .     .     . 

.     304 

39.  40      . 

.     304 

43  .     .     . 

.     273 

44  .     . 

.     166 

III, 

23  .     .     . 

.     167 

27  .     .     . 

.     330 

TV, 

10—12     . 

325.  331 

20—22     . 

.     329 

24  .     .     . 

.     414 

27  .     .     . 

.     119 

30  .     .     . 

.     210 

33  .     .     . 

.     115 

V, 

26-28      . 

.     140 

VI, 

22  .     .     . 

273.  275 

VII, 

3—7       . 

.     268 

4  .     .     . 

.     269 

6  .     .     . 

.     212 

8  .     .     . 

210.  373 

9—13     . 

.     119 

18  .     .     . 

.     115 

24  .     . 

.     118 

25.  26      . 

.     359 

27  .     .     . 

la 


Seite 

31 

334 

75 

74 

76 

75 

76 

76 

119 

140 

119 

254 

160 

230 

160 

137 

4.  62 

334 

334 

77 

7 

7.  79 


78 
79 
10 
10 
77 
77 
321 
268 
80 
81 
312 
59 
80 
81 
74 
82 
74 
83.  85 
82 
83 


426 


Verzeichniss  der  Schriftcitate. 


Seite 

Daniel  VIII,    2fiF. 73 

20 74 

IX,     1—19     ....  307 

20—27     ....  309 

26.  27      ....  287 

27 344 

X,     1—3      ....  313 

11.  12      ....  51 

13 53 

Hosea  I,     4 45 

II,     2 274 

2.  15 274 

11 185 

in,     4 185 

IV,     6 223 

8.  9 377 

V,     7 274 

VI.  4.  5 302 

5     .     .     .       254.  302.  334 

VII,  13 302 

IX,  10—12.  16     ....  302 

15.  17 303 

X,     1.  6 303 

12 9.  10 

XI,     1 276 

1.  2 282 

12 303 

XIII,  9.  11 303 

XIV,  2 209 

9 204 

Joel  II,  11 91.  370 

28 276.  368 

Arnos  IV,    9.  11 304 

V,     2 333 

2.  16.  21.  22.  25     .  304 

11 322 

21 25.  267 

21.  22 267 

25 267 

VII,  16 2»4 

VIII,  9 10 

11 276 

IX,     7.  8 304 

Jona  III,     5—10 45 

10.  11 213 


Seite 

Micha  n,     3.  10 303 

III,  5.  11 377 

7 303 

10   .     in. 304 

IV,  1—3. 271 

VI,  2 212 

7.  Ä 267 

VII,     3 230 

4.  17 305 

Nahum  II,  14 305 

III,     1 305 

Habak.  II,  12 304 

Zephan.  III,  9     .     .     .     .      272.  305 

Haggai  I,  1 388 

8 305 

II,  5—8.  10 305 

Sachar.  I,     3 209 

14—17     ....  306 

II,     4—7.   12     ....  306 

11 272 

III,  9 8 

IV,  2.  6.  9 311 

7 7 

9 306 

14 388 

VII,  6 267 

XI,    9 160 

17 160 

XII,  12 343 

XIII,  7 289 

XIV,  5 304 

6.  7  .     .     .     .      288.  289 

Maleachi    I,  8 64 

10 268 

11 273 

14 64 

II,     6 114 

7 359 

8.  9.  11   .     .     .     .  305 

10 357 

17     ...     .      203.  305 

III,     2 91 

6.  7 30i 

7 302 

I.  MaccaL.    II,  32 204 


Verzeichniss  der  Schriftcitate. 


427 


Seite 

IL  Maccab.  VI,  18.  24      .     .     .  347 

VI— IX 82 

VII.  VIII    ....  347 

Matt.li.    I,  23 286 

II,  20 338 

III,  2 .  192 

9 56.  279 

IV,  11 320 

V,  3 323.  363 

3—12 35 

4 37 

5 145 

9 235.  258 

13 377 

14 9 

15 9 

iff 9 

17 23 

18 364 

20 25 

23.  24.     .     .     .  31.  63.  66 

24 231 

29 224 

34 411.  415 

34—36 412 

37 412 

39—41 149 

44 28 

46 28 

47 29 

VI.  6 60 

8 60 

12 31.  63 

15 29 

16 46 

19—21 323 

24 150 

VII,     2 215 

7 400 

8 368 

14 90 

16—18 256 

18 154 

24.  25 4 

VIII,     8 14 


Seite 

Matth.  VIIT,  20 102. 

IX,  13  .     .     .     .      126.  127-' 

24 140 

28 14 

29 14 

X,     8  .     .     .      3.  164.  377 

18—20     ....  346 

21.  22      ....  346 

26 368 

27 9 

34  ff. 38 

XI,     9 105 

13 23 

27  ...     .      105.  164 

28—30     ....  269 

XII,  36.  37      ....  370 

40 189 

XIII,  8 19 

XIV,  31 14 

XV,     8 312 

11 43.  260 

17—19     ....  260 

26 126 

XVI,  31 20 

XVII,  20 15.  328 

XVIII,     3 187 

7 70 

10 39.  108 

12-14     ....  127 

15—17     ....  253 

20 61 

21.  22      ....  29 

22 253 

23  ff. 32 

35 32 

XIX,  11 298 

18.  19      ....  411 

28 359 

XX,  12 91 

16 124 

XXI,  21 328 

22 14.  402 

43 399 

42 6 

44 7 


428 


Verzeichniss  der  Schriitcitate. 


Matth.XXII,  14 

28- 

-32 

37 

37- 

-40 

XXIII,    6. 

7   . 

9 

12 

15 

. 

25- 

-27 

XXIV,    2 

6 

9 

20 

35 

XXV,  21. 

23 

34. 

36. 

35 

39- 

-41 

40 

40. 

41. 

XXVI,  26- 

-28 

39 

41 

53 

74 

XXVII,  64 

XXVIII,    6 

19 

20 

Marc.  I, 

13      . 

11, 

17      . 

IV, 

21 
24      . 

V, 

36      . 
41      . 

VII, 

18-23 
27     .     . 

IX, 

23—24 

X, 

17.  19- 

25 

XI, 

23      . 

XII, 

10      . 

XIII, 

11      . 
12.  13 

XIV, 

22      . 
71      . 

44 


Seite  Seite 

124     Marc.  XVI,     6 319 

139                           16 14 

25                            17.  18 15 

21      Luc.  I,  13 51 

229  28 .149 

92                   30 51 

156              II,     1 86 

231                      4.  5 388 

260                    14 149.  320 

344            lU,     5.  6 278 

348                     8 56.  279 

346              V,  32 376 

206            VI,  24 325 

7                    27.  2S 28 

19                   30 231 

316  32 28 

65  33    ........  29 

149.  317                   35 29 

324                   35—37 34 

317  36 90 

188                    37.  38 29 

378  43—45      ....      154.  256 

402          Vll,     7 14 

320  14    .......     .  138 

121         VIII,  16 9 

343                    50 14 

319  IX,  59.  60 140 

7             X,  19 91.  111 

103.  399                   33 116 

320  XI,  10 368 

120                    13 9 

9                    33 9 

215          XII,     2 368 

14                    11.  12 346 

137                    19—21 317 

260         XIV,  11 71.  156 

120  12—14 323 

14                   26 225 

32G            XV,  6.  7.  10 127 

14                     7 120 

6                     8 9 

346                    16 317 

346                   32 120 

188         XVI,     9 324 

121  13    ........  150 


Verzeichniss  der  Scliriftcitate.  4*29 

Seite  Seite 

Luc.XVI,  14. 113     Joh.XI,  11 140 

19  tf. 317  22 402 

20.  21 317  23.  27 14 

22  ff. 328  43 138 

XVII,     3.  4 29.  253  XII,  26 162 

5 15  28 342 

XVIII,     1 66  35.  36 9.  278 

14 156  XIII.     6—15 192 

XIX,     8.  9 326  34 28 

14 6.  142  XIV,     1 363 

44 344  2.  3 379 

XX,  35.  36 357  3 102.  401 

38 350  10.  11 62 

46 229  20.     .     4.  62.  104.  399.  401 

XXI,     9 343  23 111 

10.  11 113  27 342 

12—15 346  XV,  12.     .    8.28.219.230.252 

16.  17 346  15 8.  289.   323 

23.  24 342  19.  20 399 

XXII,  19 188  20 346.  399 

30 359  XVI,  33 114 

XXIII,  43 227.  363    XVII,  6.  9.  1 1 139 

Joh.  I,  1 8.  139         16 346.  399 

5 8.  278     XIX,  15. 6 

11 9         36 191 

14 103.  139     XX,  2 319 

17 23     XXI,  15—17 161 

51 320   Act.  I.  5 192 

II,  19 190      IV.  11 6 

tu,  12.  23 143      XI,  26 319 

13 143    XIV,  21 370 

34 105     XIX,  3 192 

IV,  36 368   Rom.  I,  8.  4 388 

V,  22 105.  235  III,  6  ........  204 

25  .  . 139      IV,  3 169.  201 

25.  28.  29 131       V,  8 8 

VI,  56 61         10 s.  120 

VII,  37 .  57.  376         12 349 

VIII,  12 9.  278         14 349 

39—44 279  VI,  3  4.  ......  192 

X.  9 55.  161  9.  10     ....  .  195 

11 161     VII,  5 133 

12 191         12.  16 204 

16 191     VIll,  5 132 

30 6.  62.  104  9 132.  399 


430  Verzeichniss  der  Schriftcitate. 

Seite  Seite 

Rom.  VIII,  24 364  I.  Cor.  XV,  53.  54  .     .     .      112.  132 

XI,  17—21 279                             55 351 

Xm,     8 219      II.  Cor.  I,  24 248 

XV,     1 120                  II,  15 323 

I.  Cor.    I,  24 164                   V,     1 324 

27—30 233                           3 112 

II,     9 357                           8 107 

15 132  10 132.  370 

III,     2 376  18 218.  378 

8 361.  368                        21 114 

10 5  VI,  16   .     4.  62.   107.  205.  283. 

10—12 10  285.  295.  399.  408 

11 3.  5.  10              VIII,     9 319 

16   ....  4.  6.  60.  399                 IX,     6 326 

VI,     3 359                   X,  17 71 

5 248                 XI,     7 377 

VII,  26 298                         14 111 

VIII,     8 261                          15 111 

IX,    4.  5 98     Gal.  II,  10 323 

7 162             III,  11.  12 269 

18 377  17 22.  397 

24 114                     19 22 

27 120                     28 357 

X,     1 193              V,  12 177 

4 3             VI,     1 119 

27 262                       6 368 

XI,     3 55.  412                      9 327 

31 65      Ephes.  II,    6 103.  401 

XII,  31 32                 IV,  11 105 

XIII,     2  ff. 32.  219                        30 107 

13 12                   V,     2 8 

XV,  13—15 132                 VI,  14—17 191 

27.  28 105                         15—17 91 

29 132     Phil.   II,    8 319 

32.  33 132                        9—11 235 

36—38 130                      12 370 

40 131.  132      Col.  11,   12 192 

41.  42 361             IV,  11 248 

42-44 137      I.  Thess.  IV,  13 141 

44 107                                17. 364 

44.  45      .     .     .      111.   131                          V,   10 125 

49 Hl  21.  22     ....  367 

51    ...     .  112.  131.  141      I.   Tim.  I,     8 204 

51—54 112                           9 21 

52 112                         13 126 


Verzeichniss  der  Schriftcitate.  431 

Seite  Seite 

I.  Tim.  IV,    4.5 261  f.     Hebr.  IX,  11 24 

5 262                  X,  31 370 

18 367                 XI 13 

II.  Tim.  III,  16 367                        15.  16 134 

Tit.  I,  16 410                        32 347 

Hebr.  IV,     8.  9 204               XII,     1 348 

9 206                        13 120 

9.  11 31              XIII,     1 325 


DIE  ACTEN  DES  KAKPL  S,  DES  PAPYLUS  MD 
DER  AÜATHONIKE, 

EINE  URKUNDE  AUS  DER  ZEIT  M.  AUREL'S, 

UNTERSUCHT  VON 

ADOLF  HARNACK. 


I 


Texte  und  Untersuchuiigeu  111,  3.  i.  28 


In  dem  15.  Capitel  des  4.  Buches  der  Kircliengeschichte 
schliesst  Eusebius  sein  Excerpt  aus  dem  Bericht  über  das  Mar- 
tyrium des  Polykarp  und  seine  Mittheilungen  über  andere  gleich- 
zeitige Martyrien  in  Smyrna  mit  den  Worten: 

E^/jq  6h  xal  ulXcov  er  U^Q'/afico  ^cokti  rrjg  l4oiag  vjtofivrj- 
liaxa  (/.^/laQTVQrjxoTcov  ^tQSzai,  KaQjcov  xal  UajivÄov  xcd  yv- 
vaixög  jiya&ovixtjg,  (Ietcc  jiZeiozag  xal  öiajtQSjisig  ofzoXoylag 
LTi66§cog  TETsXsuofiei'cop. 

Da  Eusebius  unmittelbar  vorher  gesagt  hat,  er  habe  das^ 
Martyrium  des  Pionius  in  seine  grosse  Sammlung  von  Märtyrer- 
acten  aufgenommen,  in  der  unzweifelhaft  auch  die  Acten  des 
Martyriums  Polykarps  und  der  anderen  smyrnensischen  Märtyrer 
eine  Stelle  gefunden  hatten,  so  muss  man  annehmen,  dass  er  die 
hier  genannten  Berichte  jener  Sammlung  nicht  einverleibt  hat. 
Da  er  sie  aber,  wie  es  scheint,  in  Händen  gehabt  hat  (s.  das- 
,,Hträ  jiXdorag  xal  öiajtQSJislg  ofioXoyiag"),  so  darf  man,  sich 
seines  Verfahrens  in  ähnlichen  Fällen  erinnernd,  vielleicht  weiter 
schliessen,  dass  dieselben  ihm  zu  irgend  welchem  Anstoss  ge- 
reicht haben. 

Nicephorus  (h.  e.  III,  26^  hat  den  Eusebius  so  verstanden, 
dass  die  Martyrien  der  Drei  zu  Pergamus  in  dem  Todesjahre 
Polykarp's  stattgefunden  haben.  Das  sagt  Eusebius  nicht;  aber 
iinzweifelhaft  ist  seine  Meinung,  die  Martyrien  gehörten  in  die 
Zeit,  von  der  er  im  4.  Buche  der  Kirchengeschichte  überhaupt 
liandelt  (Zeit  der  Antonine). 

Karpus,  Papylus  und  Agathonike  finden  sich  in  allen  grösse- 
ren Martyrologien  und  haben  bei  Griechen  und  Lateinern  im 
Kirchenkalender  ihren  Festtag  ').     Wir  vermögen  sie  zurückzu- 

1)  Auf  die  Differenzen  lasse  ich  mich  nicht  ein.  Die  älteste  Über- 
lieferung nennt  den  13.  April,  an  welchem  Datum  die  Griechen  nicht 
festgehalten  haben;  sie  feiern  jetzt  den  13.  Octoberj  s.  Nilles,  Calend. 
I  p.  301. 

28* 


436  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

verfolgen  bis  zu  dem  letzten  uns  erreichbaren  Märtyrerkalender, 
welcher  wahrscheinlich  überhaupt  der  älteste  in  seiner  Art  (d.  h. 
als  umfassender  Kalender)  gewesen  ist  —  das  in  Nikome- 
dien  zwischen  365  und  380  entstandene,  von  einem  ari- 
anischen  Kleriker  abgefasste  Martyrologium  Orientale, 
welches  u.  A.  auf  der  von  Eusebius  angelegten  Martyriensamm- 
lung ruht  und  sowohl  dem  von  Wright  edirten  syrischen  Mar- 
tyrologium V.  J.  412,  als  dem  Martyrologium  Hieronymianum 
zu  Grunde  liegt,  ja  als  eine  Wurzel  sämmtlicher  Martyrien  zu 
gelten  hat  *). 

1)  Diese  Erkenntniss  verdankt  man  Duchesne  (Les  sources  du  Mar- 
tyrol.  Hieron.  [Extrait  des  Melanges  d'Archeologie  et  d'Histoire  publies 
par  riilcole  Fran9aise  de  Rome]  Rome  1885  p.  9 — 25  des  Separatabzugs). 
Egli  (Martyrien  und  Martyrologien  ältester  Zeit  1887)  ist  diese  Unter- 
suchung Duchesne's  bei  seiner  Bearbeitung  des  Wright 'sehen  syrischen 
Martyrologiums  v.  J.  412  leider  entgangen.  Auch  mir  war  sie  noch  un- 
bekannt, als  ich  eine  Anzeige  der  Egli'schen  Studie  in  der  Th.LZ.  1887 
Nr.  13  schrieb.  Allein  ich  treue  mich,  erst  nachträglich  auf  die  Du- 
chesne'sche  Arbeit  aufmerksam  geworden  zu  sein;  denn  die  Überein- 
stimmung unserer  Ergebnisse  bürgt  nun  für  ihre  Sicherheit.  Ich  schrieb 
(a.  a.  0.  Col.  301):  „Der  syrische  Kalender  scheint  mir  ganz  wesentlich 
die  Übersetzung  eines  nikomedisch -kleinasiatischen  Festkalenders 
mit  Eintragung  der  antiochenischen  und  alexandrinischen  Gedenktage  zu 
sein;  das  Abendland  ist  kaum  berücksichtigt".  Eben  dies  weist  Duchesne 
nach.  Ferner  habe  ich  auf  den  ,,Arius  Presbyter"  zu  Alexandria  6.  Juni 
[6.  Juli]  hingewiesen.  Duchesne  legt  ebenfalls  den  Finger  auf  diesen  und 
bemerkt  mit  Recht,  dass  die  Hochschätzung  des  Arius  in  einem  niko- 
medischen  Verzeichniss  aus  der  Zeit  vor  d.  J.  381  nicht  befremden  kann. 
Man  darf  es  demnach  für  sicher  halten ,  dass  eine  —  wahrscheinlich  die 
wichtigste  —  Wurzel  der  gesammten  Festkalender-Literatur  beider  Kir- 
chen arianischen  Ursprungs  ist,  ähnlich  wie  die  apostolischen  Constitu- 
tionen auch  häretischer  Her  unft  sind.  Die  Zeit  des  Festkalenders  wird 
durch  die  julianische  Verfolgung  einerseits,  durch  das  Concil  von  381 
andererseits  bestimmt.  Unterschieden  sind  ,,die  alten  Bekenner",  d.  h. 
die  aus  der  vordiocletianischen  Zeit,  und  die  späteren.  Für  jene  benutzte 
der  Kalender,  wie  Duchesne  unwidersprechlich  gezeigt  hat,  vornämlich 
die  ^^vvayojy?)  r<üv  clQyalwv  fiaQTVQiojv  Euseb's.  Nur  die  Acten  des  Karpus 
u.  s.  w.  hat  er  dort  nicht  gefunden,  da  sie  nach  dem ,  was  oben  bemerkt 
ist  und  später  noch  ausgeführt  werden  soll,  schwerlich  in  der  Svvayojyf'i 
gestanden  haben.  Aus  der  (verkürzten)  Bearbeitung  des  Syrers  v.  J.  412 
und  dem  Martyrologium  Hieron.  kann  der  Text  des  älteren  nikomedischen 
Festkalenders  noch  einigermassen  wiederhergestellt  werden  —  eine  loh- 
nende Arbeit!  Zum  13.  April  bemerkt  der  Syrer  (Egli,  a.  a.  O.  S.  14): 
„In  der  Stadt  Pergamus,  aus  der  Zahl  der  alten   Bekenner,  Cyrillus  der 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  437 

In  diesem  Kalender  waren  der  „Bischof"  Karpus,  der  „Diakon" 
Pap3'lus  (Paulus)  und  Agathonike  als  „alte  Bekenner"  bezeichnet 
und  standen  beim  13.  April.  Man  kannte  sie  also  als  Märtyrer 
der  vordiocletianischen  Zeit.  Auffallend  ist  der  Beisatz  „Bischof" 
und  „Diakon";  denn  Eusebius,  der  sonst  stets  die  Amtstitel  be- 
merkt und  kurz  vor  seiner  Angabe  über  unsere  MärtjTer  selbst 
dem  Marcioniten  Metrodorus  seinen  Titel  „Presbyter"  nicht  vor- 
enthalten hat,  bezeichnet  weder  den  Karpus  noch  den  Papylus 
als  Kleriker.  Indessen  das  könnte  immerhin  Zufall  sein,  resp. 
seinen  Grund  in  der  grossen  Kürze  des  Eusebius  haben. 

Ein  umfangreicher  Bericht  über  den  Märtyrertod  des  Karpus 
und  Genossen  in  griechischer  Sprache  war  längst  bekannt  und 
existirt  in  zahlreichen  Abschriften.  Die  Pariser  Nationalbiblio- 
thek besitzt  allein  mindestens  neun  (Nr.  1480.  1484.  1486.  1494. 
1495.  1503.  1512.  15J4.  1543)  in  kalendarischen  Martyrologien 
des  11 — 13.  Jahrb.  (zum  13.  October).  Sie  begmneu  sämmtlich 
—  ich  habe  sie  durchgesehen  —  mit:  „i/8fiv?jo&ai  rcöv  vjieq 
Xqiotov  jiad^övTCOv  eli:x8Q  luXo  ri  IvOirsXkq  xcä  co^eXifiov'^ 
und  schliessen  mit:  ,,:ji:kovrov  ygioziavoig  aovXov  jtvti\ua<ji  jco- 
v7]Qoig  ffioßsQccv  /iccöTiya  xal  rooovoc  jtäOL  öqooov  xal  aip&vöhg 
utfia  8ig  d6§av  xov  :jiaTQoz  xtI:'  Sie  führen  die  Namen  der 
Märt}Ter  correct  an,  bezeichnen  den  Karpus  als  Bischof  von 
Thyatira,  den  Papylus  als  Diakon,  rechtfertigen  durch  eine,  selbst 
in  späten  Martyrien  seltene  Häufung  der  Torturen  und  der  furcht- 
losen Bekenntnisse  den  kurzen  Bericht  des  Eusebius  ,.,«6Ta 
TiXelorag  xal  öiajigsjcslg  ofioXoyiag'  und  versetzen  die  Märtyrer 
in  die  Zeit  des  Decius. 

Dass  der  Bericht  wenig  glaubwürdig  ist,  haben  schon  die 
Gelehrten  des  17.  Jahrhunderts  und  die  Bollandisten  einge- 
sehen. Die  letzteren  haben  ihn  in  lateinischer  Sprache,  nach- 
dem er  schon  früher  veröffentlicht  war,  mit  einer  Einleitung  ab- 
Bischof, Agathonike  und  Paulus";  das  Martyrolog.  Hieron.:  „Pergami 
Asiae  Policarpi  episcopi  .  .  .  Agathonices  .  .  .  Pauli  diaconi".  Hiernach 
geht  die  Verwechselung  von  Papylus  und  Paulus  ebenso  auf  die  gemein- 
same Quelle,  den  nikomedischen  Festkalender,  zurück  wie  die  Bezeichnung 
der  Märtyrer  als  Kleriker.  Dagegen  lehrt  das  ,.Cyrillus"  neben  ,,Poly- 
carpus",  dass  die  Quelle  wohl  noch  den  richtigen  Namen  ..Karpus"  ge- 
boten hat,  den  beide  Bearbeiter  in  verschiedener  Weise  entstellt  haben. 
Sie  lautete  also:  „In  der  Stadt  Pergamus  aus  der  Zahl  der  alten  Bekenner 
der  Bischof  Karpus,  Agathonike  und  der  Diakon  Paulus". 


438  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

gedruckt  ^).  Euinart  hat  ihn  wohlweislich  nicht  in  seine  Samm- 
lung von  echten  Märtyreracten  aufgenommen. 

In  der  That  erweist  sich  der  Bericht  auf  den  ersten  Blick 
als  unglaubwürdig  und  als  ein  späteres  Fabricat.  Er  kann  un- 
möglich der  sein,  welcher  dem  Eusebius  vorgelegen  hat.  Auch 
bietet  er  an  sich  keine  Handhaben,  um  eine  ältere  Vorlage  aus 
ihm  auszuscheiden  -).  Zwar  schimmert  eine  solche,  z.  B.  in  dem, 
was  von  Agathonike  gesagt  ist,  deutlich  durch;  aber  wo  sie  be- 
ginnt, wie  weit  sie  reicht,  wie  sie  zu  fassen  ist,  darüber  ist  nichts 
zu  ermitteln.  Mit  Recht  hat  man  daher  seit  den  Tagen  der 
BoUandisten  diese  Acte  den  Bibliotheken  überlassen.  Nur  in 
einem  Punkte  sind  ihr  katholische  Gelehrte  gefolgt:  weil  sie 
das  iMartyrium  der  Drei  auf  die  Zeit  des  Decius  datirt,  so  nahmen 
sie  an,  Eusebius  müsse  sich  geirrt,  resp.  die  Drei  nur  desshalb 
im  Anschluss  an  Polykarp  und  Genossen  genannt  haben,  weil 
sie  geographisch  einigermassen  zusammengehören.  Man  traute 
also  einer  notorisch  fabricirten  Märtyreracte  mehr  als  dem 
Zeugniss  des  Historikers  Eusebius. 

So  lagen  die  Dinge,  als  Aube  im  Decemberheft  1881  der 
Kevue  Archeologique  p.  348  sq.  aus  dem  Cod.  Gr.  Par.  1468  einen 
Text  des  Martyriums  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike 
veröifentlichte ,  der  bisher  unbekannt  war,  von  dem  vulgären 
Text  sich  durchgreifend  unterschied  und  vor  Allem  viel  kürzer 
war-^).  Kurz  vorher  las  man  in  einer  Anmerkung  von  Zahn  zu 
seinem  Werke  „Tatian's  Diatessaron"  (1881)  S.  279:  „Ähnhch 
ist  die  Ausdrucksweise  in  den  echten  Acten  des  Karpus  u.  s.  w., 
welche,  wie  Eusebius  richtig  erkannte,  der  Zeit  des  M.  Aurelius 
angehören.  Sie  sollen  in  einem  der  folgenden  Theile  dieser  For- 
schungen abgedruckt  werden".  Zahn  hat  damals  —  und  m.  \\  . 
auch  bis  heute  —  nicht  angegeben,  wie  er  zu  den  echten 
Acten  des  Karpus  und  Genossen  gekommen  ist,  resp.  aus  wel- 
chem Codex  er  sie  geschöpft  hat.  Da  aber  die  drei  Ausdrücke, 
die  er  a.  a.  0.  aus  den  von  ihm  entdeckten  Acten  mitgetheilt 
hat,  mit  den  von  Aube  entdeckten  stimmen,    so  darf  man  für 


1)  Acta  SS.  April.  T.  II  p.  120— 12G. 

2)  Aube  (Rev.  archeol.  1S81  Dec.  p.  350):  ,,Le  canevas  primitif  etoutte 
sous  rillustration  est  indiscernable". 

3)  Wieder  abgedruckt  in:  Aube,  L'Eglise  et  L'Etat  dans  la  seconde 
muitie  du  III  e  siecle,  1885  p.  499  sq. 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  439 

gewiss  halten,  dass  Zahn  nimdestens  dieselbe  Recension,  wenn 
nicht  dieselbe  Handschrift  wie  Aube  benutzt  hat, 

Aube  hat  seinen  Fund  zwar  zweimal  publicirt,  aber  beide 
Male  ohne  Commentar.  Statt  eines  Commentars  hat  er  ein  gänz- 
lich oberflächliches  Raisonnement  gegeben.  Er  hat  keine  Ahnung 
von  der  Bedeutung  seines  Fundes  verrathen.  BeAveis  dafür  ist, 
dass  er  das  Martyrium  auf  Grund  einer  Kritik,  die  dieses  Namens 
nicht  werth  ist,  in  die  Zeit  des  Decius,  den  Bericht  also  frühe- 
stens in  die  2.  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts  gesetzt  hat. 

Der  Werth  des  Martyriums  wird  jedem  kundigen  Leser,  der 
dasselbe  in  Händen  gehabt,  einleuchten.  Die  Frage,  von  Zahn 
schon  vorläufig  entschieden,  in  welche  Zeit  es  gehört,  sicher  zu 
bestimmen,  war  mir  daher  ein  Anliegen.  Einen  Aufenthalt  in 
Paris  im  Herbst  vorigen  Jahres  wollte  ich  dazu  benutzen,  auch 
über  diese  Frage  ins  Klare  zu  kommen,  Allem  zuvor  aber  die 
Handschrift  selbst  einzusehen.  Ob  mir  letzteres  gelingen  würde, 
war  zweifelhaft;  denn  weder  Aube  noch  Zahn  hatten  die  Quelle 
angegeben  ^).  Zum  Glück  war  es  nicht  schwer,  auf  der  National- 
bibliothek die  betreffende  Handschrift  aufzuspüren.  Da  ich 
Aube's  Publication  nicht  zur  Hand  hatte,  so  habe  ich  das  Mar- 
tyrium nicht  collationirt,  sondern  abgeschrieben.  In  zweifelhaften 
Fällen  entschied  eine  Abschrift,  die  von  Gebhardt  i.  Jan.  1882 
genommen  hat  und  mir  bei  der  Correctur  zur  Verfügung  stellte  -). 

Im  Folgenden  gebe  ich  den  Text  des  Martyriums  nach  Aube's 

1)  Aube  hat  sie  allerdings  in  seinem  ersten  Aufsatz  (in  der  Rev.  Ar- 
cheol.)  genannt,  nicht  aber  in  dem  zweiten  Abdruck.  Nur  den  letzteren 
habe  ich  bis  zum  Januar  dieses  Jahres  gekannt,  da  ich  es  versäumt  hatte, 
die  Rev.  Archeol.  aufzuschlagen,  indem  ich  annahm,  Aube  habe  mit  gutem 
Grund  seine  Quelle  auch  dort  verschwiegen. 

2)  Cod.  Gr.  Biblioth.  Nat.  Par.  1468  fol.  134l>  — 136a.  Die  in  zwei 
Columnen  (37  Zeilen)  sehr  deutlich  geschriebene  Handschrift  stammt, 
wenn  ich  nicht  irre,  aus  dem  12.  Jalirh.  (kein  Iota  subscr. ,  Anfänge  der 
Wortabtheilung,  Accente)  und  aus  dem  Orient.  Im  J.  1669  ist  sie  in  die 
Nationalbibliothek  gekommen.  Voransteht  (an  17.  Stelle)  in  der  Hand- 
schrift das  Mart.  Tarachi,  Probi  etAndronici;  es  folgt  (an  19.  Stelle)  das 
Mart.  Longini.  Jenes  geht  auch  in  den  übrigen  Martyrologien ,  welche 
die  spätere  Recension  unseres  Martyriums  enthalten,  demselben  voran. 
Es  ist  überhaupt  ein  unerklärlicher  glücklicher  Zufall,  dass  sich  in  einer 
Handschrift,  die  sonst  in  Allem  den  anderen  gleichartig  ist,  die  ältere 
Recension  erhalten  hat.  —  Eine  lateinische,  übrigens  vielfach  fehlerhafte, 
Übersetzung  hat  Aube  angefertigt  und  zweimal  abgedruckt. 


440  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

und  meiner  Abschrift  sammt  einem  Commentar.  Hieran  wird  sich 
eine  Untersuchung  über  die  Zeit  des  Martyriums,  die  Abfassungs- 
zeit des  Berichtes,  den  Werth  dieser  Quelle  u.  s.  w.  anschliessen '). 

1)  Von  dem  Martyrium  des  Pionius  habe  ich  durchweg  abgesehen, 
weil  dasselbe  in  gidechischer  Sprache  noch  immer  nicht  publicirt  ist,  und 
weil  die  Verhältnisse  bei  unserer  Acte  viel  einfacher  liegen  als  bei  jenem. 
Das  Martyrium  Carpi  etc.  ist  viel  geeigneter,  ein  Licht  auf  die  Pionius- 
Frage  zu  werfen,  als  umgekehrt.  Aube,  der  das  Martyrium  des  Pionius 
in  die  Zeit  des  Decius  versetzt,  hat  augenscheinlich  eben  desshalb  ohne 
Bedenken  unser  Martyrium  in  dieselbe  Zeit  verlegt,  wobei  ihn  die  spä- 
tere Recension  desselben  mit  ihrer  ausdrücklichen  Erwähnung  des  Decius 
bestärkte. 

MaQThQiov  Tojv  aylcov  KuQjtov,  najcvZov  xcu 
l4ya&oviX7]g. 

1.    EvötjfiovvTog  rov   dv&vjcazov  hv  ÜSQyaficp  JtQoorjX^i]- 

Cod.  Gr.  Biblioth.  Nation.  Par.  Nr.  1468  fol.  134b  sq.  —  1.  A  (Aube) 
y.al  TlanvXov.  —  2.  M  (manuscr.)  uyaS^ojvlxi^q.  —  3.  M  tvSsi/^ovvzog. 


Überschrift]  Euseb.,  h.  e.  IV,  15,  48:  ''E^T^q  dh  xal  a?.kojv  vv  IIiQyä/xu) 
7i6?.st  rrjq  liaiuq  vnofJLvi'inuTa  ixejxuQTV^riicÖTojv  (pkQerut,  Kuqtiov  xcu  Tlu- 
TivXov  xul  yvvuixog  liyaQ^orixtjq,  iura  Tikflaruq  xal  Sianfientlq  bfxo?.oyiag 
t7iiö6§(oq  T£re?.ei(Ofiti'ü)v.  Syrisches  Martyrologium,  geschrieben  i.  J.  412, 
ed.  Wright,  s.  Egli,  Martyrien  und  Martyrologien  ältester  Zeit,  1887. 
S.  14 f.  (zum  13.  April):  ,In  der  Stadt  Pergamus,  aus  der  Zahl  der  alten 
Bekenner.  Cyrillus  der  Bischof,  Agathonike  und  Paulus".  Die  Verwech- 
selung von  „Krps"  und  „Krls"  ist  im  Syrischen  sehr  leicht;  übrigens  heisst 
Karpus  auch  in  einigen  lateinischen  Martyrologien  ,,Carulus",  resp.  Cy- 
rillus, auch  Polycarpus,  s.  Acta  Sanct.  April.  T.  II  p.  120.  Ebenso  ist  die 
Verwechselung  von  Papylus  und  Paulus  leicht  erklärlich,  und  wiederum 
nennen  auch  Lateiner  den  Betreuenden  „Paulus"  (Rufin,  Ado:  ,,Papi- 
rius"),  Bemerkenswerth  ist,  dass  schon  der  alte  Syrer,  resp.  das  zwischen 
365  und  380  entstandene  Martyrol.  Orientale,  Karpus  zum  Bischof  ge- 
macht hat;  in  der  späteren  Überlieferung  ist  er  durchweg  als  solcher  be- 
zeichnet. —  Ein  Karpus  wird  II  Tim.  4,  13  in  Troas  erwähnt  (ror  (felö- 
vrjv,  ov  dnD.emov  tv  T^mcSi  naQu  KÜQTto));  der  Name  ist  auf  Inschriften 
nicht  selten  nachgewiesen.  —  TIuTtvkoq  (so  accentuire  ich  nach  Pape- 
Benseler  s.  h.  v.)  und  l4ya&oyix>j  sind  nicht  häufige  Namen;  der  letztere 
ist  in  den  späteren  Recensionen  des  .Martyriums  ebenfalls  entstellt  worden. 

1.  'Evd»]fj.oTvToq  T.  ch'9:]  Der  Proconsul  Asiens,  der  zu  Ephesus  resi- 
dirte,  ist  natürlich  gemeint;  er  war  vielleicht  zu  einem  conventus  iuri- 
dicus  in  Pergamum  anwesend  (s.  Marquardt,  Rom.  Staatsverwalt.  1.  Bd 
1873  S.  182  ff.).  —  mQyd/iap]  S.  Apoc.  Joh.  2,  12  ff".    Euseb.,  h.  e.  V,  1,  17: 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  44 1 

oav   avTfp    Ol    fiaxc'cQioi   KctQjiog   xcä   IlajivXoQ,   (laQzvQeg  tov 
Xqiotov. 

2.  0  ÖS  avd^vxaroq  jtQoxa&ioag  l^ty  riq  xaXrj; 

3.  0  ÖS   (iccxaQiOQ  icf?/'    ro   jiqcöxov  xal  l^a'iQsrov  ovofia 
XQiGTiavög,  ei  ös  t6  Iv  reo  xöo^co  C,tjTsig^  Kägjcog. 

4.  0  di'&vjtarog  sijcsi''  syvcoorcd  001  üiävxcag  xa  jiQooxdy- 
fiaxa   xiöv  AvyovGxcov  jibql   xov  öslv   vfiäg  otßsiv  rovg  {^sovg 

3.  M  x(a}.h. 


ÄTzakov  nsfiya/iOirov  rcji  yävei,  gtvXov  xal  hSQalcafxa  zcöv  tvravQa  (in 
Lyon  und  Vienne)  dfl  yeyovöta.  —  JiQoat'j/ßtjaav]  S.  Le  Blant,  Les  Actes 
des  Martyrs  1S82  §  59  p.  142  sq.  s.v.  .,rapere"  ,,trahere"  „inducere".  Acta 
.Justini  1,  Euseb.,  h.  e.  IV,  15,  18:  II(JOoa/ß6VTog  tov  no).vxÜQ7tov  (  = 
Mart.  Polyc.  9),  h.  e.  V,  1,  S.  9.  —  fiuxÜQiot]  Die  sollenne  Bezeichnung 
für  Märtyrer,  im  2.  Jahrh.  aber  auch  noch  für  lebende  Christen  gebraucht. 
—  IxäQxvQfQ  r.  Xqiotov]  S.  Mart.  Polyc.  2. 

2.  7tQOxa9^ioai\  xad^ioca;  tnl  tov  ßijßuxoz,  s.  Le  Blant,  1.  c.  p.  145 
s.  V.  „sedens  pro  tribunali".  —  r/c  ^(^^-i/l  Dieses  ist  regelmässig  die  erste 
Frage,  s.  1.  c.  p.  156  sq. ;  dafür  steht  auch  manchmal  Tt'g  ei  (Act.  lustini). 

3.  ro  TtQiÖTOv  xal  e^aiQsrov  oro/na]  S.  Jacob.  2,  7 :  ro  xa?.6v  uvofia 
To  xh}Q^iv  etf)  viiäq.  I  Clem.  1,  1:  ro  asj-ivov  xal  neQißöijzov  xal  näotv 
dvS^QoJnoig  a^iaydntjxov  ovofxa.  Das  Wort  i^aiQSzog  auch  v.  8.  Zur 
Sache  s.  v.  34.  —  A'Qiaziavög]  Dies  war  seit  den  Tagen  Trajan's  fast  die 
ständige  Antwort  der  Christen  in  den  Processen.  (Mart.  Polyc.  10).  Wäh- 
rend aber  Karpus  doch  dann  seinen  „weltlichen"  Namen  nennt,  heisst  es 
von  Sanctus  im  Bericht  der  Gemeinde  von  Lyon:  .  .  .  ojoze  fxrjös  ro  i'diov 
xaTfiTiHv  oro/xa  f-ii'jZf-  f&rovc  ,«'/rf  nokeüjc  of^ev  t/v,  /ni]zs  ft  öov/.og  t] 
t?.(v&e(Jog  Hrj,  a/.).a  TiQoq  nävru  xä  eTt>jQa)Z}jfxtva  aTifXQivazo'  XQiozia- 
vöq  ei/iti  (Euseb.,  h.  e.  V,  1,  20).  —  x6  fv  ziö  xoo/noj]  Erst  in  späterer 
Zeit  kommt  der  Namenwechsel  bei  der  Taufe  vor;  aber  eben  solche 
Stellen,  wie  die  unsrige,  zeigen  eine  gewisse  Nichtachtung  des  weltlichen 
Namens  und  erklären  es,  wie  es  später  zu  Umnennungen  gekommen  ist, 
s.  z.  B.  die  Acta  Baisami  vom  J.  311:  ,, nomine  paterno  Balsamus  dicor, 
spirituali  vero  nomine,  quod  in  baptismo  accepi,  Petrus  dicor".  Namen- 
wechsel, weil  die  ursprünglichen  mit  Götzennamen  zusammenhingen,  bei 
Euseb.,  de  mart.  Palaest.  1 1 ;  Vorliebe  für  die  Namen  Petrus  und  Paulus 
bezeugt  von  Dionysius  Alex,  bei  Euseb.,  h.  e.  VII,  25. 

4.  aoi]  Karpus  wird  vom  Richter  als  die  wichtigere  Persönlichkeit 
betrachtet;  s.  den  Übergang  in  den  Plural  in  diesem  Vers  und  in  Vers  9.  — 
7t()0ör«j'//«r«]  S.  V.  45;  Act.  Justini  5.  —  Avyovazwv]  S.  den  Plural  ^f- 
(iuaziöv  V.  21,  dagegen  v.  11:  o  AiToxQäzüjQ,  und  vgl.  darüber  die  fol- 
gende Untersuchung  über  die  Abfassungszeit  des  Martyriums.  Ebendort 
wird  die  Frage  behandelt  werden  müssen,  ob  die  hier  genannten  „TiQoa- 
ruyixuTa"  sich  auf  die  vordecianische  Zeit  beziehen  können  oder  nicht. 


442  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

Tovq  ra  Jiavra  öioixovi'TCcg'  öd-ev  OvfißovXsvo}  vfiW  xQOöeXd^eTv 
y.cä  {^vöai. 

5.    KaQjtog  eijtsv  Ijco  XQLOxiavoq  dfii,  Xqiötov  rov  viov 

Tov   i^sov   OtßofiaL,    rov  kXd-ovxa  Iv   vOtbqoiq  xaiQoiq  Im  Oco- 

5  Tf/QW  /jiiMV  y.aX  QvoafJ£7'or  yjfmQ  rfjg  ji).cwj]q  rov  öiaß6?Mv,  roi- 

ovToig  61  döcöXoig  ov  i^vco.     6.    Jioisi  o  d-tlsig'    tfts  yccQ  aöv- 

rarov    d-voai    xißöf'jZoig   (paöfiaOiv   öaipiovcoir    ol   ya()   rovroig 


4.  M  i?.d^cüvTa. 


—  dioixotrrag]  von  Gott  wird  I  Clem.  20,  1  diolxTjoiq  gebraucht.  —  Mau 
beachte,  wie  sich  hier  und  weitei'hin  der  Proconsul  bemüht,  den  Ange- 
klagten zum  Opfern  zu  bewegen,  und  welche  Geduld  er  zeigt.  Das  stimmt 
mit  vielen  Beispielen  zusammen,  die  wir  aus  der  Zeit  von  Trajan  bis  Cara- 
calla  (s.  Tert.  ad  Scap.)  besitzen  {vjg  iO-og  uvxolq  [den  Richtern]  heisst 
es  sogar  IVhu-t.  Polj'c.  9),  während  es  mit  der  decianischen  Zeit  nicht 
so  gut  stimmt. 

5.  Dieses  Bekenntniss  trägt  den  Charakter  hohen  Alterthums.  — 
ÄQiGXiavöq  i:i(xi]  S.  Euseb.,  h.  e.  V,  1,  19  (ßlandina):  XQiaxiavi)  el/xi  xul 
nag'  i]füv  ovSkv  <puv?.ov  yivexai.  —  fV  voxtQOiq  icaiQOiq\  S.  I  Pet.  1,  20: 
(fuvtQWx^hvxoq  ^71  io'/äxov  xwv  /qÖvcov.  II  Clem.  14,  2:  o  Irjoovq  rjßuiv 
t(fuve()w9^7j  in  ko/äxiav  xojv  iiJ.itQüJv  'Iva  tj/xäq  GüjOfj  und  viele  ähnliche 
Stellen.  —  pt'ö«,«f  ror]  Im  N.  T.  stets  mit  ix  oder  uTiö  construirt;  zur  Sache 
Coloss.  1,  13:  oq  igvoaxo  rtfxüq  ix  xr^q  i^ovolaq  xov  oxöxovq.  I  Joh.  3,  S: 
dq  xovxo  i<pav£(J0jd-7]  b  vloq  xov  &eov,  'Iva  /.va?^]  xa  tQya  xov  6iaß6?.ov.  — 
zfjq  7i?MV7jq]  S.  V.  8.  19.  I  Joh.  4,  6:  x6  nvtvfxu  tyq  7i?.äv7jq.  I  Tim.  4,  1: 
Tivsv/xaoi  n'/.ävoiq.  Apoc.  20,  10:  6  ÖiäßoXoq  6  nkavcöv,  12,  9:  o  7i?.av(vr 
X7]v  oixovfxivijv  'oXrjv.  II  Clem.  1,7:  ip.krjaev  r^fiäq  xal  07i?My/via&fiq 
tGcoasv,  &eaoä,uevoq  iv  ijuiv  Tto?.?.7]v  tcXÜvtjv.  „ID.ävr]'^  ist  die  genaueste 
Bezeichnung  der  nachapostolischen  Gemeinden  für  den  sündigen  Zustand 
im  Heidenthum.  Umgekehrt  nennen  die  Heiden  das  Christenthum  „yr/ßr?/" 
(II  Clem.  13,  3).  —  6iaß6?.ov]  S.  v.  8.  17—19. 

6.  Iloiei  xx)..]   Polykarp  sagt  Mart.   11    =  Euseb.  IV,  15,  24):    (piQt 

0  ßovXsi.    Ahnliches  ist   in  den  Martyrien  sehr  häufig;    s.  Act.  lust.  5: 

01  (xÜQXVQtq  ttnov  nolei  o  &i?.eiq.  Acta  mart.  Scillit.  4:  „fac  quod  vis" 
(s.  Munter,  Primord.  eccles.  Arfric.  p.  221).  —  xißöi'j?.oiq  xx?..]  Karpus  be- 
zeichnet die  Götzenbilder  als  trügerische  (Euseb.  VII,  30,  6:  xi'ß6tj?.a  Si- 
6äyiJ.axa)  Erscheinungen  (Spukgestalten)  der  Dämonen;  das  folgende  xovxoiq 
bezieht  sich  auf  die  Dämonen,  die  hinter  den  an  sich  nichtigen  Götzen- 
bildern ihr  Wesen  treiben;  vgl.  besonders  die  Oratio  Tatian's.  Dass  die, 
welche  den  schlechten,  ehebrecherischen  und  mörderischen  Dämonen  dienen, 
ihnen  gleich  sind,  ist  auch  ein  Gedanke,  den  Tatian  vielfach  variirt  hat. 
Zu  (päofiaxa  vgl.  die  (pavxäaixaxa  xov  diaßö/.ov  Tat.  7,  6. 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  443 

dvovTEQ.  ofioioi  avrolq  bIö'lv.  7.  raöJisQ  yaQ  ol  aXtjü^iim  jtQoö- 
xvvyjTal  —  xara  tjjv  d^elav  vjtöfiv?]Oiv  zov  xvqIov,  ol  ev  jtvsv- 
fiari  xal  ahjd-HO,  jiqoOxvi'Ovvteq  zrö  d^scö  —  capo^uoiovvzai  ri/ 
dösij  rov  {^eov  xai  eiolv  {ist  avrov  dO-avazoi^  fitzaXaßoi'ztq 
zTJg  cdcoviov  ^cotjc  öiä  zov  Zoyov,  ovzcog  xal  ol  zovzoig  7m- 
TQSvovztq  acfofioiovvzai  zrj  y.azaiözi]ZL  zd5v  öaif/6rcov  xal  ovv 
avzotg  ctjcöXlvvzai  Iv  yeevv)j'  8.  dixr]  yaQ  öixaia  aOzlv  fisza 
zov  jtXavijOavzog  zov  avii^Qcojiov,  z6  e^aiQszov  xzlofia  zov  d-sov, 

4.  M  fxeriü.aßüJiTsg.  —  7.   Fortasse  iarlv  uvrolq. 


7.  Der  ganze  Vers  ist  nicht  nur  jolianneisch  gefärbt,  sondern  blickt 
auf  jolianneische  Verse  und  unter  ihnen  wiederum  auf  einen  bestimmten 
Vers  zurück.  Letzteres  zeigt  das  ausdrückliche  „y.axa  rtjv  d^eiav  vtiÖ^v^olv 
rov  ;iV(Jiov",  welches  übrigens,  wie  die  Stellung  lehrt,  sich  nicht  auf  den 
ganzen  Satz,  sondern  auf  die  Apposition  zu  TtQOOxvrtjTcd  bezieht.  Also 
ist  Joh.  4,  23  gemeint ;  ausserdem  kommen  Stellen  wie  I  Joh.  3 ,  2  (Joh. 
17,  22)  in  Betracht,  vgl.  Hebr.  7,  3:  difcoinoiojf^i'vog  xw  vuö  rov  Q-tor. 
Beachtenswerth  ist  aber,  dass  zwischen  dö^a  &eov  und  uojjj  alcövioq  der 
nicht  Johanneische,  hellenische  Begriff  „ud-caraog"  eingeschoben  ist,  den 
die  Apologeten  und  überhaupt  die  Christen  der  nachapostolischen  Zeit 
als  Griechen  bevorzugten.  Die  ganze  Haltung  der  vv.  5 — S  in  ihrer  Ab- 
hängigkeit von  Jonannes  einerseits  und  in  ihrer  apologetischen  Färbung 
andererseits  erinnert  am  meisten  an  Tatian,  vgl.  Orat.  7,  1:  ?.6yog  yu(> 
.  .  .  ti/.öva  r/7?  d&avaalag  zov  tlvS-Qü)7cov  enoirjosv,  "va,  waneQ  rj  d(pd^a(j- 
Gia  TiaQU  z(ü  S-e(ö,  rov  avrov  tqotiov  &eov  fiolQuv  äv&QOJTtog  fxera/.aßwv 
i/j^  xal  to  dd-ävarov.  —  fA£Ta).c'.[i6vTfg  .  .  .  did  rov  Ao/ov]  Hier  kann  „o 
/o/oc"'  nur  der  loersönlich  gedachte  Logos  sein,  Joh.  1,1;  vgl.  auch,  dass 
die  „Erinnerung"  des  Herrn  eine  d-tlu  vnö/Ltvtjaig  genannt  wird  {vnöiiV7j- 
Gig:  dieser  Ausdruck  stimmt  mit  der  ältesten  Form  der  Citate  von 
Hermworten  überein;  s.  Act.  20,  35:  jxvyjfioveveiv  x.  /.öycov  x.  xvqIov  Iij- 
aov,  I  Clem.  13,  1:  fis/uvr/fitvoi,  46,  7:  fxvTjO&jjxe ,  Polyc.  ep.  2:  fxvtjfzo- 
vsvovrsg).  Zu  dem  diu  rov  z.öyov  s.  H  Clem.  20,  5.  —  /xaxaioxtjxi]  S.  II 
Pet.  2,  18.  —  dno'/./.vvxcu  xx)..]  S.  Mtth.  10,  28:  d7(o?Jaai  iv  yttvvy. 

8.  Aixrj  (hy.aia]  S.  v.  40.  Jud.  6;  gemeint  sind  die  Dämonen;  ein  avxolg 
ist  kaum  zu  entbehren.  —  Dass  sich  Karpus  so  viel  mit  dem  Teufel  zu  schallen 
macht  (v,  17 — 19),  ist  vielleicht  daraus  zu  erklären,  dass  er  Perga- 
mener  ist  (Apoc.  Joh.  2,  12 f.:  xw  uyyt).v>  x?jg  tv  Ih^ydixio  ixx?.i]alag  .  .  . 
oLSu  Ttov  xccxoixstg,  önov  b  Q^QOVog  xov  ^axavä).  —  :i).ccvi'}Oavxog\  S.  v.  ö. 
—  igai'QSXov]  S.  v.  3 ;  zur  Sache  vgl.  die  häufigen  jüdischen,  griechischen 
und  christlichen  Aussagen,  dass  die  Welt  um  des  Menschen  willen  ge- 
schaffen sei.  Tatian,  Orat.  4,4:  d/jjnov(^>ylur  rrjv  vn  avxov  ytyevrif.dviiv 
'/dQiv  rißviv  7i(>oiJxvvtlv  ov  'hh'/M.  riyorev  'i]?uog  xal  as?.t'jvt]  rfi'  rjuäg'  eixa 
Tiiög  xovg  i,uoig  vn7]^)trag  7i(tooxvri'/aüj;    nwg  6l  §v?.a  xal  ?.td-ovg  v>for? 


444  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

liym  St)  xov  öiaßoXov,  rov  jcaQaytjZoJöavtog  olxaia  jtovr/Qta 
[rovg  öaifiorag]  am  xovro'  öihtv  yb'cooxs,  ard^vjiazs,  ,«/}  d^vsiv 
fie  TOVTOig. 

9.  0   dh    avd^vjtazoq   d^vnca&tic    t^i]'    ^vOars  rolg   d^solig 
5  xal  f/fj  iiojQaivtrs. 

10.  Kagjcog  vjcofisiöiäoag  eijtev  iV^eot,  ot  rov  ovQavov  xal 
TTJv  yyv  ovx  tjcoh/Oav,  ajtoXtöd^cooaiK 

11.  0    dv&vjiarog    djitv    d-voai  Os  ösl'    ovrcog   jccq  ixt- 

XiVOEV    O    AvXOXQaTCOQ. 

10  12.    Kc'cQjtog  eijtsv  ol  L.cöj'T8g  rolg  vtXQOig  ov  d^vovOLJK 

13.     0  avd^vjtarog  Eijtev  ol  d^eol  öoxovolv  öoi  rexQol  eivat; 

2.   Locus  coiTuptus  est;  M  rwv  praebet,  quod  expunxi,  rovq  Saliiovuq 
ex  arbitrio  inserens.  —  5.    M  nioijivixuL.  —  6.   AI  vTto^LÖiäoaq. 


dnoipavovfiai;  —  7taQC(L,?]XojatcvTog]  S.  Rom.  10,  19;  11,  11.  14;  I  Cor.  10, 
22.  —  Tiovij^la]  S.  Eph.  6,  12:  ra  ■nveviiaxixu  r^^  nonj^lag.  —  rovg  öal- 
/xovug]  Diese  Worte  habe  ich  eingesetzt,  weil  sie  nicht  zu  entbehren  sind; 
das  „teüv*  der  Handschrift  ist  unverständlich;  wahrscheinlich  sind  meh- 
rere Worte  ausgefallen.  —  Zum  Gedanken  des  Gerichts  über  die  Dämonen 
vgl.  wiederum  Tatian  c.  14;  über  das  Verhältniss  von  Teufel  und  Dämo- 
nen s.  Tatian,  c.  7,  5.  6. 

9.  &vaaT£]  S.  Traian.  ep.  ad  Plin.:  ,,ita  tarnen  ut  qui  negaverit  se 
Christianum  esse  idque  re  ipsa  manifestum  fecerit,  id  est  supplicando 
diis  nostris"*.  Act.  lust.  5.  —  fxojQalveze]  S.  I  Cor.  1,  23:  e&vsoi  dh  i-iojqIu. 
Plinius:  „superstitio  prava  immodica".  Ahnliches  sehr  oft  in  den  Mar- 
tyrien, bei  Celsus  und  anderen  Bestreitern  des  Christenthums.  Acta 
Scillit.  2:  „Proconsul  dixit:  Nolite  furoris  huius  insipientiae  participes 
fieri".  Dagegen  Tatian  c.  21,  1:  ov  ixcoQuivoßSv,  civd()£q  "ElhjViq,  ovös 
ki^QOvq  dncr/yt^J.ofti-v. 

10.  v7io/.i8ididaag]  S.  v.  38.  Dieses  Lachen  ist  ein  nicht  seltener  Zug 
in  den  Martyrien,  s.  auch  Minuc.  Felix  37:  „cum  [martyr]  strepitum  mor- 
tis et  horrorem  carnificis  inridens  inculcat".  —  &fot  xz?..]  Es  ist  eine 
Verwünschung,  dem  ai^e  rovg  dB-lovg  des  Polykarp  (Euseb.,  IV.,  15,  19) 
vergleichbar.  —  rov  ovQavov  ktX.]  Das  Charakteristische  des  christlichen 
Gottes  ist,  dass  er  der  Schöpfer  ist  (s.  v.  16);  auch  dieses  haben  die  Con- 
fessoren  häufig  in  den  Verhören  hervorgehoben  (vgl.  die  Apologeten). 

11.  Avxox()dxioQ]  Man  beachte  den  Singular;  anders  vv.  4.  21.  Acta 
lustini  5:  roJ  xov  AvxoiCQÜroQog  TiQOOxdyßaxi. 

12.  ol  ^wrrfc]  Die  Christen  sind  die  Lebendigen:  das  ist  johanneisch. 
Doch  kann  der  Ausdruck  auch  minder  prägnant  gefasst  werden.  —  ve- 
XQOi^]  II  Clem.  8,  1:  ngtöxav  fisv  oxi  ij/nüg  oi  t,(avxeg  xolg  vey.Qolg  ov 
&vofifv.  /Jiöaxy  6.  Praedic  Petri:  vexQU  vsxQoTg  n^oaipe^ovxeg  wg  Q-solg. 
I  Cor.  8,  4;  12,  2. 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  445 

J4.    Kagjtog  djttv  d^iXtiq  dxovOai;  ovroi  ovte  ai'&Qcojtoi 
ovTsg  JCOTS  s^?]Oav^  i'va  xal  anod^avcoGiV 

15.  Siluq  6\  fia&£tv  ort  a^/y^t'c  eöriv  rovro;  aQov  n)v 
niir^v  oov  aji  avrcöv  ijv  öoxeig  jtQoOfptQtir  avTOlg,  xai  yvmofj 
ort  ovd^tv  sioiv  vXt]  yrjq  vjiccQyovra  zal  zm  xQoi'oi  (pd^eiQO-  » 
fisva.  16.  o  yccQ  dsog  7]fi(öv  ir/Qorog  cov  xal  rovg  alojvag  jroitj- 
Cag,  avTog  acp^agzog  xai  almviog  öiaiiivm^  o  avrog  atl  mr 
(i7jT£  av$7]6n'  fi7]T£  jidoDöLV  tJuSr/ofiEVog^  ovTOi  6e  xal  yhovrai 
V7C0  dp&Qojjro3v  xal  fpd^eiQOVTai^  «)q  trpiiv^  vjto  rov  yQot^ov. 
17.  To  öi  XQipf^itvEir  xal  djtarav  avrovg  ////  d-av(iao}}g'  o  10 
ydg  öuißoXog  djt    aQyJjg   ütsöcov  Ix   xrjg  t2'ö6$,ov  avrov  rd^scog 

1.   M  dvS^QWTiojv.  —  5.   M  ovd-tv,  A  corr.  ov6er.  —  8.   M  (ilwaiv. 


14  sq.  d-tksiq  axotaai]  Dass  die  Richter  solche  Reden  zugelassen 
haben,  ist  mit  manchen  Beispielen  zu  belegen.  Mart.  Polyc.  10:  ßsra 
TiccQQTjOia?  axovs,  XQioxiavoQ  ei/xi'  sl  öh  &sXstg  tov  zov  /Qioriaviafiov  /itx- 
&eiv  Xöyov,  6oq  r^^tQav  xal  äxovaov.  —  ovre  ccvS-qcjtioi]  Die  Götter  sind 
solche  Todte,  die  niemals  gelebt  haben;  also  keine  euhemeristische  Er- 
klärung, sondern  die  bei  den  Christen  gewöhnlichere  Annahme,  dass  die 
Götter  identisch  sind  mit  den  Götzenbildern  (s.  z.  B.  die  Praedic.  Petri). 
hinter  denen  aber  die  Dämonen  lauern.  Die  Aufforderung  in  v.  1,5  ist 
nicht  originell,  sondern  entstammt  jener  Kritik,  die  sich  schon  bei  Jesajas 
und  in  Psalmen,  a.ndererseits  auch  bei  griechischen  Philosophen  (Cyni- 
kern)  findet  und  sich  in  v.  16  fortsetzt.  Die  ausführlichste  Darlegung 
über  die  Natur  der  Götter,  über  die  Frage,  ob  sie  gestorbene  Menschen 
oder  Naturkräfte  oder  Truggestalten  der  Dämonen  sind,  findet  sich  bei 
Tatian;  sie  bildet  einen  Haupttheil  seiner  „Rede*.  Mit  dem  Vr«  in  v.  14 
ist  eine  finale  Bedeutung  schwer  zu  vereinigen.  —  v?.i]]  Tatian,  Orat.  4,  4 
u.  an  andei'en  Stellen. 

16.  Wie  schon  die  Erwähnung  des  Logos  (v.  7)  den  gebildeten  Chri- 
sten beweist,  so  trägt  auch  die  Ausführung  hier  ein  philosophisches  Ge- 
präge, welches  an  die  Apologeten  erinnert;  s.  besonders  das  ayQOvoq  lov 
xal  rovq  aicüvag  nonjoag.  Dazu  Tatian,  Orat.  4,  3:  9e6g  b  xad-'  i/fiäg 
ovx  tyei  ovaraaiv  ev  yQÖvoj,  /novog  avaQyog  ojv  xal  avxog  vnuQywr  rwr 
oXcDV  aQyjj.  —  u)g  i-(prjv]  S.  v.  15. 

17.  yjirjOfifveiv  xal  aTtatca-]  Über  diese  trügerischen  Künste  der  Dä- 
monen hat  sich  Tatian  ausführlich  verbreitet,  s.  12,  13;  16,  3;  15,  11; 
16 — 21.  Die  mantischen  Künste  werden  von  ihm  als  uvriao(fiozevfiaTn 
TtaQaifOQiov  öaifxövcov  {\2,  13)  bezeichnet,  die  Zauberheilungen  als  diebisch- 
listiger Betrug.  —  öiäßoXog  an  «(>x^s]  S.  Joh.  8,  44:  dcccßoXog  dvO^t^xt)- 
Ttoxxövog  (Ire  aQ/jjg  xal  iv  ry  d^TjO^sia  ovx  iarrjxev.  I  Joh.  3,  8.  Tatian, 
Orat.  7,  5:  xal  tnsiS?)  xivi  (pQOvifxioxi'Qco  nuQa  rovg  Xotnovg  ovxi  Sia  xn 
TtQwxüyovov   ovi'f-^7jxo?.oi'rhijaar  xrX.    7,6:   b  TtQonoyovog  Saliivjv.  —  tv- 


446  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  AureFs. 

olxda  f/o'/JhtjQui  rtjV  jcqcc  top  ai'ih^cojtoi'  rov  i9^sov  oxoQ-p)v 
.  .  .,  xal  xazajiiSL,öfisvog  vxo  rcov  ay'uov  xovxoic,  avrayojviC^t- 
xuL  xal  jtQoxaxaoxsvd^ei  jtoXtiiovq  xal  jiQoZaf/ßavmv  axayyaX- 
Äti  Toig  iöloLQ'  18.  of/oia)c  xal  Ix  xcöv  xaO-^  rjiitgav  r/fiiv  ovfi- 
5  ßaivövxcov,  aQ/aioxtQOQ  cov  x(ß  'iqÖvco,  ajiojteiQaoag  xa  ovfi- 
ßi]00(i£va  jTQoXtyei,  äjcsQ  avxog  fieXXsi  xaxojtoielv  19.  syst 
yaQ  Ix  xTJg  ajtO(faO£Ojg  xov  ß^eoZ  xt/i^  aöixiav  \xaY\  x6  eiötvai, 
xal  xaxä  ovyymQrjOiv  ^£0?  xsiQccCei  xov  avd^Qcojtoi\  C^rjxcöv  jcXa- 


2.  Excidit  verbum;  A:  le  mot  pouvait  etre  analogue  ä  d(faiQH  ou 
acpaigelv  ßovkexai.  Rectius  conicias  no/.sfxeZ  vel  quid  similis.  —  M  aaza- 
7iet.6fifvog,  A  corr.  xuxaTiie'C.Ofxivoq.  —  3.  M  anayytXiL  (A  legit  dnayD.si).  — 
5.  M  (XQXforfQog.  —  A  coniec.  xov  yQOvov.  —  dTioneiQc'coag  ego,  unorcsiQaq 
M  et  A.  —  6.  M  /neXsi.  —  7.  xat  inserui;  nam  Aubii  versio:  „habet  enim 
ex  dei  declaratione  iniustitiam  scire",  tolerari  nequit  et  sensu  caret. 


äo^ov  tä^scog]  lud.  (5:  dyyiXovs  zovg  ftrj  xijQi]aavxaq  xtjv  eavxäiv  ixgyjjv 
«APvß  aTioliTtövzag  xo  i'äiov  otxrjxrjQiov.  —  olxsia]  S.  v.  8:  oixfla  7tovt]Qlrc, 
vgl.  Job.  8,  44:  oxav  A«P.j7  x6  ipevdog,  ix  xcüv  lölcov  XakeZ.  —  axoQyrjv] 
Das  Wort  fehlt  im  N.  T.,  obgleich  es  gerade  die  elterliche,  resp.  kind- 
liche Liebe  bezeichnet.  Zu  ergänzen  ist  (s.  das  dvxayiovl'i^eod-ai)  wohl 
ein  Wort  wie  „bekämpfen";  doch  ist  vielleicht  eine  ganze  Zeile  ausge- 
fallen. —  ayiüiv]  Die  Christen,  nicht  die  Engel  wie  Apoc.  12,  sind  ge- 
meint, s.  V.  47.  Bis  gegen  das  Ende  des  2.  Jahrhunderts  ist  die  Bezeich- 
nung ayioi  für  Christen  häufig  (s.  z.  B.  das  Martyrium  der  Lugduner) ;  dann 
wird  sie  sehr  selten.  V.  40:  o  ayiog  KÜQTtOQ.  —  nokkjxovq]  Dass  der 
Teufel  Kriege  erregt,  ist  eine  allgemeine  Anschauung  der  Apokalyptiker, 
s.  Apoc.  12,  12  und  sonst,  aber  auch  Tatian.  —  n^oXaixßüvwi']  So  wird  der 
Teufel  zum  Propheten,  indem  er  das  voraus  verkündet,  was  er  selbst  thun 
wird.  —  xolq  l6loiq\  Der  Gedanke  ist  johanneisch,  s.  Joh.  8,  44:  vfXHQ  ix 
xov  naxQoq  xov  Siußokov  ioxi. 

18.  Der  Teufel,  der  Kriege  erregt  und  die  Verfolgungen  der  Christen 
verursacht,  sagt  diese  wie  jene  voraus.  —  aQyccwxeQoq]  S.  Tatian  7:  o 
TiQmxöyovoq.  Das  Alter  verleiht  dem  Teufel  die  Erfahrung.  —  dnoTi^L- 
QÜoaq]  Er  macht  aus  den  Ereignissen  der  Vergangenheit  und  Gegenwart 
den  Schluss  auf  die  Zukunft.  Übrigens  sind  hier  zwei  Erklärungen  für 
die  Prophetie  des  Teufels  mit  einander  vermengt,  nämlich  erstlich  dass 
er  weissagen  kann,  weil  er  erfahren  ist,  und  zweitens  weil  er  das  Ge- 
weissagte selbst  verursacht. 

19.  uTiO(püoe(oq]  Der  Redende  denkt  höchst  wahrscheinlich  an  Genes. 
3  1.  4.  13;  s.  Method..  Conviv.  III,  6.  wo  der  Spruch  Gottes  über  Adam 
dnoifaoiq  heisst.  —  xal]  Befriedigend  ist  diese  Conjectur  nicht,  allein 
die  Verwandelung  des  nachfolgenden  x6  in  xov  oder  xiö  hilft  noch  we- 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  447 

vrjOaL   xTjq  evosßsiag.     20.   Jtsiod^tjzi  oiv  fioi,  vjcarixt,   ort  tv 

f(aTai6T7]Tl    lOT£   OV   filXQCt. 

21.  '0  av&vjcaTog  sijtsv  7ioXXä  läouc  oe  ffkvaQt/oai  dq 
ßXaotff/fiiav  f/ycr/ov  [oe]  xcöv  d^£c7jv  xal  rxöv  ^eßaoxcöv  i'va  oiv 
fii)  bJtl  jtXslov  ooi  ^JtQO'icoQriO}]^  d^vsig,  }/  zi  Xtyeig;  5 

22.  KccQjtog  sijtEV    aövvaxov   6x1  &vco,    ov  yaQ  jiodjioxb 

hd-VÖU    HÖOiXOLQ. 

23.  Ev&vg  ovv  IxeXevosv  avxov  xQffiaoß-evxa  s^so&ac  o 
de  txQaL,8v'  XQLOxiavog  eifii.  sjcl  jioXv  6h  ^sofisvog  txaf/rev 
xal  ovxixL  I0XVO8V  XaXTJocu.  10 

24.  Kai  adoag  xov  KaQjiov  o  avd^vjtaxog  ejcl  xov  Ilajtv- 
X.ov  txQtJttxo.  XJycop  avxov  ßovXevxfjg  ei; 

25.  0  6h  X.i'/ti'  JioXlxtjQ  ti^i. 


1.   M  ni'oO-ijTi.  —  3.    M  'f/.va()tiGai.  —  4.    os  ego. 


niger.  —  /tazä   ovy/ojQr^oiv  xx/..]    Hier  ist  deutlich  an  Hiob   gedacht.  — 
nkavTioai]  S.  v.  5. 

21.  <p).vaQT,ouL\  3  Joh.  lü:  /.oyoic  TiovtjQoT;  (fz-vaijcüv  r/ftäg.  —  Xf- 
ßaarüiv]  Die  Verachtung  der  Idole  umschliesst  auch  die  Verachtung  der 
Kaiserbilder;  s.  Plinii  ep. :  „cum  praeeunte  nie  deos  appellarent  et  ima- 
gini  tuae,  quam  propter  hoc  iusseram  cum  simulacris  numinum  afierri, 
Iure  ac  vino  supplicarent".  —  &i£iq  xv/..]  Der  Imperativ  ist  hier,  wie  in 
V.  33,  durch  eine  Frage  umschrieben. 

22.  TtojTioTe]  Karpus  scheint  von  Jugend  auf  Christ  gewesen  zu  sein, 
8.  die  Aussage  des  Papylus  v.  34. 

23.  xfitiJiuod^tvTu  SteG{)^cu]  S.  v.  35.  Der  Proconsul  sucht  den  Be- 
klagten durch  die  Folter  zum  Opfern  zu  bewegen,  wie  so  häufig;  s.  Mart. 
Polyc.  2:  .  .  .  xal  u/J.aig  noiy.i'/Mv  ßaoävcov  iötaig  xoXaC,önivoi,  'i'vcc,  ei 
(Sivi^B^elrj,  o  zvQavvoq  öiä  zT^g  int/AÖrov  xoXäoeojg  fig  UQvrioiv  avtovg  ZQtiptj, 
s.  auch  das  Martyrium  von  Lyon.  Zur  Art  der  Folter  vgl.  Le  Blant, 
a.  a.  0.  p.  163  sq.  s.  v.  ..pendere"  „suspendere"  ,, rädere'.  Tert. ,  Apolog. 
1 2 :  „unguibus  deraditis  latera  Christianorum".  Passio  Bonifacii  9 :  0  «()- 
^cov  ixtP.fvoev  XQfixuaQ^~,vui  uixbv  xal  evzövcog  ^eeo&at.  Andere  Beispiele 
der  Combination  von  ,. suspendere"  und  „rädere"  bei  Le  Blant  p.  16G.  — 
A'Qiaziarog  ti/ui]  S.  Euseb.,  V,  1,  20.  39.  Karpus  bleibt  bei  seinem  Be- 
kenntniss  und  stärkt  sich  durch  den  Ruf.  —  tm  no/.i  xv?..]  Der  Bericht 
ist  von  ergreifender  Schlichtheit. 

24.  ßov).fizj]c]  Als  solcher  war  ihm  Papylus  wohl  genannt;  über  die 
Fragen  nach  der  Condition,  Profession  und  dem  Rang  bei  der  Inquisition 
s.  Le  Blant,  a.  a.  0.  p.  157  f.  Bov/.evz?]g  ist  vielleicht  identisch  mit 
„decurio". 


448  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

26.  0  ai'&vjrarog  djttv  rircor  JioXttfjg; 

27.  UajivXoQ  eijrev  OvaxÜQcov. 

28.  0  avf^vjtarog  sijcsv  rtxva  txtig; 

29.  JJajivXog  eijtev   xal  jtoXXa  öiä  xbv  d^tov. 

5  30.    Eig  öe  rig  rmv   tx    rov   örjfiov  ißotjotv  liyow   xarä 

rrjv  JCLöxiv  avxov  xcöv  XQLOxiavcöv  liyu  xtxva  t/sir. 

31.  0  av&vjiaxog    tijttv    Öia  xi    iptvötj  Xkyojv  xa  xtxva 
tysiv; 

32.  üajivXog  eiJitv'    d^tXug  [lad^slv  öxi  ov  iptvdofiai^  dXX^ 
10  aXt]d-7j    X^iyco;    Iv    jcdotj    tJtaQxia    xal    jtoXti    sioiv   fiov    xtxva 

xaxa  O-eov. 

2.  M  d-vatTJ^mr.  —  10.  M  näai. 


26.  TioXitTjc]  Über  die  Frage  nach  dem  Wohnort  s.  Le  Blaut,  a.  a, 
0.  p.  159. 

27.  &vatti(j(ov]  S.  Apoc.  2,  18f.,  wo  diese  Stadt  auf  Pergaruus  folgt. 
Über  die  Christengemeinde  zu  Thyatira  s.  die  nachfolgende  Abhandlung. 
Act.  lust.  4:  '/i'pß^  ei7i£V  iyoj  anh  'ixorlov  zTjg  'pQvyiaq  aTioonaad^elq 
iv&ädf  ilijXvri^ci. 

28.  Die  Frage  ist  an  sich  ungewöhnlich,  zumal  an  zweiter  Stelle.  Ent- 
weder hat  man  anzunehmen,  dass  der  Berichterstatter  nur  solche  Fragen 
aufgezeichnet  hat,  an  die  sich  ihm  interessante  Antworten  knüpften  — 
das  ist  das  Wahrscheinliche  —  oder  man  muss  voraussetzen,  dass  der 
Richter  von  ,, Kindern"  des  Angeklagten  durch  das  Gerücht  Auffallendes 
gehört  hatte  und  dem  nachforschen  wollte. 

29.  S.  V.  32. 

30.  Solche  Zurufe  waren  bei  den  Christenprocessen  nicht  selten,  da 
sie  öffentlich  waren.  —  xaxd  t/;v  nlaxiv]  d.  h.  nach  dem  Sprachgebrauch 
der  Christen,  der  auf  ihrem  Glauben  beruhte  und  den  Heiden  bekannt 
war.  —  Texva]  Paulus  nennt  die  Galater  seine  Kinder  (Gal.  4,  19;  s.  auch 
I  Cor.  4,  15.  17);  in  den  Johannesbriefen  werden  die  Leser  häufig  als  rexva 
des  Schreibers  bezeichnet  (s.  besonders  den  2);  Barnabas  redet  seine  Leser 
als  „Söhne  und  Töchter"  an  (s.  auch  das  thxvov  fxov  Jid.  3,  1,  welches 
aber  aus  der  jüdisch-hagiographischen  Literatur  stammt);  Polykarp  ist 
den  Heiden  als  der  Vater  der  Christen  bekannt. 

32.  Papylus  war  nach  diesem  Selbstzeugniss  höchst  wahrscheinlich 
ein  dvTj^  dnooxoXixoq,  resp.  ein  dnöarokog  oder  7iQo<p?jtJ]g  d.  h.  ein  be- 
rufsmässiger Evangelist  oder  ein  Prophet;  nur  so  erklärt  sich,  wenn  ich 
nicht  irre,  das  ^sv  näoy  xtX^  Er  war  nicht  Beamter  der  Gemeinde  zu 
Thyatira,  obgleich  er  dort  das  Bürgerrecht  besass.  Für  die  Abfassungs- 
zeit des  Berichts  ist  dieser  Charakter  des  Papylus  wichtig.  —  ov  iptvöo- 
fjiai]  S.  Rom.  9,  1:  dX?j&eiav  ?.tya),  ov  xpevSofxai.  —  inaQyJa]  Darunter 
können  nicht  die  Districte  (regiones)  der  Provinz  Asien,  welche  Sulla  an- 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  449 

34.  üajtvXoq  sijcsv  ujto  V66t?]toq  d^tm  öovXtvoj^  xal  ov~ 
ötjcote  dScoXoiQ  Id^voa,  «22'  dfu  XQioriavög,  xal  jtXtov  tov- 
Tov  jIUQ^  iftov  axovoai  ovx  tx^cg'  ovöh  yccQ  fistCor  rovrov  7} 
xdXXiov  sOziv  Ti  sijcetv  f/e.  5 

35.  \4raxQ£fia(j{)-tig  6h  xcä  ovtog  xal  ^sofievog  C^vyag  xQtTg 
ijXXastv   xal   gxxunjv   ovx  töcoxev ,    aX)^   eng   yEvvalog  adXuxi^g 

djtSÖtXSTO    TOP    {^VflOV    TOV    aVXlXELfliVOV. 

36.  ^iSriv  6h  6  drd-vjrarog  rrjV  vjteQßdXXovöav  avTc5i>  vjio- 
[lovrjv  xeXsvst  avrovg  L,cövrag  xaSji'ai'  xal  xareQXOftiVOi  sojitv-  10 
60V  OL  d[i(p6T£Q0L  bJtl  TO  d^Kpid^iaxQOV ,  ojcmg  xaytwg  ajiaXXa- 

ycOÖLV   TOV   XOOflOV. 


4.  M  (j.eiC,oj.  —   10.  "^i  xaeZvai.  —  11.   M  onwc,  A  orccv  legit,  quod  in 
oö-'ßV  male  mutavit. 


geordnet  hat  (Marquardt  a.  a.  0.  S.  ISlf.),  verstanden  werden,  noch 
weniger  die  conventus  iuridici  (a.  a.  0.  S.  183  f.),  sondern  nur  Provinzen 
(s.  Texte  u.  Unters.  II,  5  S.  5).  —  räxva  xara  i9-f or]  d.  h.  , geistliche" 
Kinder. 

33.  d-v£Lq  xrl.]  S.  v.  21. 

34.  unb  veörrjxoq]  S.  Mart.  Polyc.  9:  oyöor'jy.ovxa  xal  t|  ert]  dov?.evoj 
XQiaxu).  I  Clem.  63,  3:  clvÖQaq  .  .  .  äno  viÖT7]xoq  dvaax^a<p£vxag  tojq  y^'r 
Qovq  Gixt/xnxwq  iv  Tjfxii'.  Acta  lustini  4:  Ilaicüv  elnev  und  xüJv  yovion' 
TtttQeiXt^ipaiJiev  X7jv  xaXijv  xavvTjv  ofioloyiav.  EvbXniaxoq  einev  ncc^a  xcüv 
yovsüDV  xdyu/  nccQBi?.rj<pa  XQtoxiavbq  eivai.  —  oidenoxe]  S.  v.  22.  —  nXiov 
XV?..]  S.  das  im  Martyrium  der  Lugdunenser  von  Sanctus  Erzählte  u.  oben 
V.  3.  Papylus  lehnt  es  ab,  eine  apologetisch-dogmatische  Rede  zu  halten, 
wie  Karpus. 

35.  jivaxQSßaoS^eiq  xxX.]  S.  v.  23.  —  'C,vyäq  xxX.]  „er  tauschte  drei 
Paare  ein"  d.  h.  er  wurde  dreimal  mit  je  zwei  Marterinstrumenten  am 
Körper  geschunden.  —  (pwvtjv  ovx  tdcDxsv]  Das  wird  oft  in  den  Mai-tyrien 
hervorgehoben.  —  yivrccloq  dd^^.rjxT^q]  Die  Verbindung  ist  häufig ;  s.  I  Clem. 
5,1:  tX&w/xfv  inl  xovq  tyyiaxa  yevoßtvovq  dd-krjxäq'  ).dß(o,uer  xijq  yf- 
vtüq  Tjf^wv  xcc  yevi'ula  vnoöeiyfjiaxa.  Euseb.,  h.  e.  V,  1,  1!).  36.  42,  etc. 
etc.  —  dvxixsifxtvov]  Die  Schildening  im  Martyrium  der  Lugdunenser  ist 
von  der  Auffassung  beherrscht,  dass  der  Märtyrer  direct  mit  dem  Teufel 
kämpft. 

36.  Tonevdov]  Dass  die  Märtyrer  zu  Gott  , .eilen"  wollen,  wird  in  den 
Martyrien  häufig  gesagt.  —  dfJLipii^iaxQOv]  S.  Euseb.  V,  1 ,  44.  Thecla 
soll  im  Theater  verbrannt  werden.  —  dnaU.ayöiaiv]  I  Clem.  5  ,  7  (von 
Paulus):  Qvxüjq  dnrjkXdyrj  xov  xoafjiov,  und  meine  Bemerkung  zu  dieser 
Stelle.  Mart.  Polyc.  3:  xov  ddixov  xal  dvofiov  ßlov  avxwv  dncO.kayT^vai 
ßovkofievoq;  s.  auch  unten  v.  39. 

Texte  und  Untevsuchungon  III,  3.  4.  29 


450  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

37.  Kai  jiQÖJToq  o  UajivXoQ  jtqo(j)j2.cüO-8iq  dq  xo  ^vlov 
arcoQd^(6&r] ,  xai  jtQooerex^i'vTog  rov  jcvQog  tv  tjOv^ioc  jiqoöev- 
^üfXEvog  jraQtöcoxsv  rijv  ipv/r'jv. 

38.  Kai    fisrä    rovxov  jtQooi]Xcod^Hq  o   KaQjiog  JiQOOefisi- 
5  öiaOtv  OL  öh  jtaQtOTojTSg  txjrhjooöfievoi  tXsyov  avzcp'  ti  toriv 

Öti  lyiXaOag; 

39.  0  (Te  fiaxaQiog  djtev  döov  rrjv  öö^av  xvqIov  xal 
lyciQip',  ä^ua  öe  xal  i\U(öv  ajttßXä'pjp  xal  ovx  dfd  ^troyog  rcöv 
vfi£TtQa)V  xaxmv. 

10  40.    iic    6s   o  <jTQari(DT?]g  r«   s^'-^"  £Jtixi&Elg  vg)7/:!tTii\   o 

ayiog  KccQjcog  XQSf/cofievog  djcsv  xal  fjfieig  rtjg  avrtjg  fa/rgog 
syevvrj&Tjfisv  Evag  xal  rrjv  avrrjv  GccQxa  ixofisv^  all  dq)OQcöv- 
Tfg  sig  ro  öixaoryQiov  ro  ah]9-iv6v  jtavra  vjcoftevojfiev. 

2.  dvcoQ&wS^?}  ego,  uvo(^)9^(ü&)j  M  et  A.  —  4.  M  zovzcov.  —  4  sq.  M  txqoo- 
ffiidiaafv.  —  7.  M  «'rfov.  —  10.  M  inatjx^ilg.  —  13.  M  vnofxivojfiev,  quod 
A  in  imofitvofiev  mutavit. 

37.  7iQoar]?M^}ftg]  S.  v.  3S;  das  war  die  Regel  auch  beim  Feuertode; 
aber  von  Polykarp  heisst  es  (Mart.  13):  (ii).k6vxo)v  6h  avztöv  xal  n^oorj- 
AoCv  elnev  „äcpers  ßs  ovrcoi;'  6  yccQ  dovq  vnofxeTvai  ro  TtvQ ,  öojoei  xal 
Xu>qIq  t:^Q  vfier^Quq  ix  xiöv  rjXmv  dacpccXelag  aaxvXxov  inifielvaL  xy  nvQö.^''. 
ik  rffc  ov  xux^>]).ü)auv,  TiQoaidrjoav  6)-  avxov.  —  dva>Qii-o)Q-rj\  S.  v,  46.  — 
nuQl-6(uxi:v]  S.  V.  41.  47;  Job.  19,  30.  —  Papylus,  der  wortkarge,  bleibt 
auch  hier  seinem  Charakter  treu,  während  Karpus  noch  auf  dem  Scheiter- 
haufen spricht. 

38.  Ti^oosfieiölcioev  .  .  .  iytkaaag]  S.  apost.  KO.  (Texte  u.  Unters.  II, 
5  p.  30):  döev  avxijv  f^udiöiaav.  MtnQia  elnev  ovxexi  eyelaaa. 

39.  rfo'lßv  xvQtov]  S.  Act.  7,  55:  (Ext(favog)  dxeviaag  etg  xbv  ovQa- 
vbv  e'löev  öö^av  (^eov  xal  'itjoovv  toxwxa  ex  de^icüv  rov  d^eov;  vgl.  die  Vi- 
sion der  Thecla  und  anderer  Märtyrer.  Der  „Herr"  ist  hier  Christus,  vgl. 
die  merkwürdige  Fortsetzung  in  v,  42.  Zum  Ausdruck  vgl.  Joh.  8,  56: 
\AßQaafi  b  naxtjQ  ificüv  ?]yaU.idoazo  't'vu  i6y  xrjv  ?j/iit()av  zrjv  eiii\v,  xal 
e'löev  xal  iyaQrj.  —  ßtzoyog']  Theilnehmer  hier  im  Sinne  des  sehen  Müssens, 
s.  Polyc.  bei  Euseb.,  h.  e.  V,  20,  7:  o3  xaXe  d-ee,  elg  o'iovg  /ue  xaiQovg  ze- 
zriQrixug,  'Iva  zovzojv  dvexoßai.    Zum  39.  u.  40.  Vers  s.  Mart.  Polyc.  2. 

40.  b  axQaxiüJXTjg]  S.  Mart.  Polyc.  16:  xo/JKpexxoQu.  —  dyiog]  Diese 
Bezeichnung  ist  nicht  auffallend;  v,  17  sind  die  Christen  überhaupt  dyioi 
genannt.  —  elnev]  Vgl.  den  Bericht  über  Attalus  bei  Euseb.  V,  1,  52.  — 
xal  rjfielg  xzX.]  Ähnliches  bei  den  Apologeten,  im  Zusammenhang  der  Ver- 
theidigung  wider  den  Vorwurf  unnatürlicher  Laster  (s.  Tert.,  Apol.  9).  — 
zTjg  (xtiZQbq  Evac]  Eva  kommt  in  der  urchristlichen  Literatur  sehr  selten 
vor.  Mir  sind  nur  vier  Stellen  bekannt.  —  dtfOQÜJvxeg]  Zum  Wort  Philipp. 
2,  23;  Hebr.  12,  2;  zur  Sache  I  Petr.  2,  23:  nuQeöLöov  Öe  rw  xqIvovxi  6i- 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  45] 

41.  Tavra  djtcov  xcd  jtQoa(ff:Qo^ävov  rov  jcvqoc  jtqoG7jv- 
sCiTO  liycov  evXoYriToq  d^  xvoie  'l/joov  Xqlots  vis  rov  {^tov, 
ort  y.arrj^Uooaz  xal  sfih  rov  afiaQzcoXov  ravrrjg  cov  rf/g  fisgi- 
doq'  -/cal  rovro  eljicov  ajttöcoxsi'  rtjv  tpv///v. 

42.  l4ya&oriy.rj  öt  riq  loxcöoa  xal  iöovoa  rijv  Öösai^ 
rov  xvQiov  r/V  i(fi]  o  Kagjcog  tcoQaxivai  xal  yvovoa  rrjv  xXtj- 
Giv    eivai  ovqccviov   evd^sog    eJttJQev   rtjv   (fcovrjv    ro   agiorov 

2.  A  leg.  ev/.oyiOToq. 


xuiiDC.  —  öixaoTr'jQLOv  /ii?..]  S.  V.  8:  öixrj  fiimda.  —  vnoixtvojjxiv]  Die  LA 
ist  erträglich,  aber  vnofitvofiev  ist  wohl  vorzuziehen. 

41.  Zum  Gebet  vgl.  IVlart.  Polyc.  14:  ev'/.oyw  ae,  ore  ^^icoaäq  fis  ZTjg 
rjß^Quc  xal  üjQuq  xuvxrjq,  xov  ).aßeTv  fi^Qog  iv  tc^id^fxiß  rdjv  ixaQXVQOJv 
XX?..  Aber  Polykarp  richtet  sein  Lobgebet  an  Gott.  —  xvqis  xx?..]  S.  das 
römische  Symbol  und  die  verwandten  Formen.  —  t/ih  xov  ufiuijxuj/.öv] 
Diese  Form  des  Sündenbekenntnisses  ist  nicht  gewöhnlich.  —  ^e^iiSu]  S. 
Coloss.  1,  12;  man  beachte  das  t7<*'  ^iitl  das  oov  und  vgl.  zu  xuvxrjq  aov 
xTfq  fiSQiöoq  Joh.  13,  8:  ovx  v/j£iq  /n^Qog  jxex^  if^iov.  Die  Färbung  des  Ge- 
dankens ist  johanneisch. 

42.  Mit  diesem  Verse  beginnt  der  merkwürdigste  Abschnitt  des  Mar- 
tyriums, der  aber  in  seiner  Originalität  und  in  der  Knappheit  der  Schil- 
derung den  Stempel  der  Wahrheit  trägt  und  das  hohe  Alter  des  Schrift- 
stücks verbürgt.  —  xic]  Dieses  Beiwort  soll  das  Unerwartete  des  nun  fol- 
genden Vorgangs  ebenso  ausdrücken  wie  das  taxtüacc.  eine  gewisse  Aga- 
thonike, eine  Christin,  stand  (zufällig)  unter  den  Zuschauem.  Häufig  ist 
in  den  Martyrien  berichtet,  dass  Christen  bei  den  Executionen  ihrer  Glau- 
bensgenossen mit  anwesend  waren.  —  16010a  xtjv  (SöSav  xx)..]  Das  ist  ein 
seltenes  und  schönes  Beispiel  für  die  Ansteckungskraft  von  Visionen.  Der 
Ausruf  des  Karpus  (v.  39)  hatte  dieses  Weib  in  Entzückung  versetzt  und 
sie  schaute  nun  auch  über  dem  schauerlichen  Richtplatz  die  ööca  xov 
XVQIOV.  —  yvovou  XTjv  x).7jaiv  flvui  ovqÜviov]  Zur  Form  s.  Hebr.  3,  1: 
xlTjOiq  tTiovQixvioq.  Der  Sinn  ist,  dass  Agathonike  erkennt,  der  Herr  rufe 
sie  in  diesem  Augenblick  zu  sich  in  den  Himmel  und  sie  müsse  folgen. 
Sie  entschliesst  sich,  verkündet  ihren  Entschluss  laut  und  macht,  wie  v.  43 
zeigt,  sofort  Anstalten,  ihn  auszuführen.  —  xo  uqioxov  xovxo]  Die  (Söcu 
xvijiov  sieht  sie  in  ihrer  Entzückung  als  eine  reichbesetzte  Frühstücks- 
tafel. Das  ist  wiederum  höchst  merkwürdig.  Man  wusste  aus  allgemeinen 
Andeutungen,  dass  es  Christen  im  2.  Jahrhundert  gegeben  hat,  welche 
das  „zu  Tische  Sitzen",  das  Essen  und  Trinken  im  Reiche  Gottes  und 
Sprüche  wie  Mtth.  22,  4:  l6ov  xo  a(Jiax6v  /nov  ijzolfAaxa,  Lc.  14,  15:  ^m«- 
xuQioq  öoxiq  (f^äytxai  aQxov  {li^naxor)  tv  Xfj  ßaai/.fla  xov  O-tov  (diese  bei- 
den Sprüche  sind  hier  combinirt)  streng  realistisch  fassten  —  Papias,  ja 
selbst  Irenäus,  schwelgte  in  der  Vorstellung  der  grossen  Weinstöcke  und 
der  üppigen  Weizenähren  im  Reiche  Gottes;  von  dem  Kleinasiaten  Ce- 

29* 


452  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

rovTo  £1/01    jjTolfiaOTai,   dal  ovv  fie  i^sraXaßovöav  (payBlv  rov 
tvdö^ov  aQiöTOV. 

43.  0  Ö£  örjfiog  sßöa  Xtycov  tXejjaöv  oov  top  vlov. 

44.  EiJiEi'  ÖS  Tj  (laxaQia  ^Ayad^oviy.ri'  d^sw  ex^i  rov  6vva- 
5  litvov  avxov  iXetjöai,    ori   avrög   ioriv  o  jtavrcov  3tQOVor}xiqq' 

tyco   de  l(p     m   7iäQuy.i;    xal   a:^oövoafiavtj    t«   ificcria   avrijg, 
cr/nXXiojfitvtj  irp/iJcZcoöei'  havxfjv  Im  ro  giUor. 

45.  Ol    de   löörzeg  ad^Qt'/vtjöav  Xeyoi'rsg'    Ssij'?]  xQiOig  xat 
aöixa  üiQOOxäyiiara. 

6.   M  w,  fortasse  leg.  o. 


rinth  heisst  es  (Euseb.,  h.  e.  III,  28,  2),  dass  er  gelehrt  habe  ii'cza  rrjv 
äväaxuoiv  miyeiov  tivai  rb  ßaoD.eiov  rov  Xqioxov  xal  näkiv  eTiiQ-i\ulaig 
xttl  7jdovaig  iv '^IfQovoa/Jjii  ztjv  adoxa  Tto^.irevoijävrjv  ^ovXeveiv;  er  sowohl 
wie  der  Apokalyptiker  Johannes  hat  von  einem  ydfJLOq  tOQxTjq  gesprochen 
(s.  wiederam  ev.  Sprüche)  — ,  aber  einen  so  concreten  Bericht,  wie  den 
hier  vorliegenden  (zu  vgl.  ist  das  Mart.  der  Perpetua  und  Felicitas),  be- 
sassen  wir  bisher  nicht.  Diese  Frühstücksvision  zusammen  mit  dem  frei- 
willigen Tode  des  Weibes  zeigt  uns,  wie  stark  in  Kleinasien  die  Disposi- 
tionen für  den  Montanismus  gewesen  sind,  und  sie  macht  es  auch  sehr 
erklärlich,  dass  Eusebius  in  seiner  Kirchengeschichte  dieses  Martyrium 
nicht  ausgeschrieben  hat.  Wie  Agathonike  hier  das  himmrlische  Frühstück 
erblickt,  so  war  es  nach  Tertullian  (adv.  Marc.  III,  24)  ein  auf  montani- 
stischer Prophetie  ruhender  Glaubenssatz,  dass  man  das  himmlische  Jeru- 
salem, bevor  es  erscheinen  werde,  am  Himmel  sehen  werde.  —  f//o/]  Man 
beachte  den  Individualismus.  —  cpayelv]  S.  Lc.  14,  15. 

43.  Auch  diese  Art  Theilnahme  des  Volkes  ist  nicht  selten;  s.  die 
Acten  des  Paulus  und  der  Thecla.  —  töv  viöv]  Sie  hatte  also  wahrschein- 
lich einen  jugendlichen  Sohn.  Zur  Form  Mtth.  17,  15:  iXerjaöv  /nov 
rov  v\6v. 

44.  &fov  lyßi  xx)..]  S.  Mtth.  10,  37.  —  ^leTjoai]  S.  Philipp.  2,  27:  ö 
d^eog  i])Jr]oev  uvxöv.  —  7r^ox'o»/r?/c]  S.  meine  Bemerkungen  zu  nQOvoelaQai 
Texte  u.  Unters.  II,  .5  S.  13.  —  TiaQfijXL]  S.  Mtth.  26,  50:  trcüQS,  ig)'  o 
TiÜQSi.  Zur  Sache  s.  die  Worte  der  Monica  kurz  vor  ihrem  Tode  (Aug., 
Confess.  IX,  26):  „Quid  hie  faciam  adhuc  et  cur  hie  sim,  nescio."  — 
dnodvaafxevrj  xxX.]  S.  die  Thecla-Acten;  eine  gewisse  Verwandtschaft  ist 
nicht  zu  verkennen. 

45.  id-Qrivrjaav]  In  den  Thecla-Acten  heisst  es:  iöäxQvafv  o  Tjye/nojv, 
und  von  den  mitleidigen  Weibern,  die  da  weinen,  wird  viel  erzählt.  — 
deivT]  xQiGtg  xx?..]  In  den  Thecla-Acten  rufen  die  umstehenden  Weiber 
xccxtj  xQiaiq,  dSixoq  dnöcpaaig,  und  tadeln  den  Richter.  Hier  befremden 
diese  Ausrufe,  da  Agathonike  nicht  hingerichtet  wird,  sondern  sich  selbst 
den  Tod  giebt.     Ist  hier  die  Nachbildung  eines  Zuges  der  schon  damals 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  453 

46.  l4voQ&co&HOa  öh  xal  rov  jivQog  atpafievij  acog  rglg 
tßÖjjOEV  sljtOVöa-  XVQIS^  XVQIE,  XVQIS  ßorjd^Ei  fioi,  JiQog  öS  yccQ 
xaxHpvfa. 

47.  Kcd  ovTcog  ajctöcoxsv  xo  jcvEviia  xal  EraXsi(ä&^t]  ovv 
rolg  ayioig'   [oiv  xä  Xdtpava  Xaß^Qalcog  ol  XQtöxiavol  dv£iX7]{i- 

1.  M  t^elg.  —  3.  A  vult  icuTi<fvyov.  —  4.  M  ize/.iojQ-ij.  —  5.  M  /«- 
r^Qküjg.  —  5  sq.  M  dvsdä/Lisvot  (s.  Kühner  I,  763). 

bekannten  Thecla-Legende  —  sie  ist  in  Kleinasien  entstanden  —  anzu- 
nehmen, oder  hat  man  die  Ausrufe  auf  die  ganze  Scene  zu  beziehen?  In 
jedem  Fall  sind  sie  störend. 

46.  'AvoQd^iod^Hoa]  Also  wurde  auch  sie  an  dem  Pfahl  aufgerichtet. 
Es  ist  nicht  gesagt,  wer  das  that.  Man  kann  aber  nur  an  den  Soldaten 
(v.  40)  denken.  Aber  wie  kommt  dieser  dazu,  einer  Wahnsinnigen,  die 
sich  selbst  den  Tod  giebt,  behilflich  zu  sein?  Die  Sache  ist  dunkel;  soll 
man  annehmen ,  dass  das  Weib  durch  sein  Benehmen  das  Leben  in  den 
Augen  de.'?  Richters  verwirkt  hat?  oder  war  sie  etwa  schon  als  Christin 
dem  Proconsul  denuncirt  und  bestätigte  nun  durch  ihr  Verhalten  die  An- 
klage? —  Auch  hier  erinnert  Manches  an  die  Thecla-Geschichte;  aber  wie 
sagenhaft  ist  diese,  und  wie  einfach  ist  dagegen  unser  Bericht!  Mtth.  15, 
25:  xvQis,  ßot'j&ei  (XOL. 

47.  rö  nvevi.ta\  S.  Joh.  19,  30:  nai)iöüjy.fv  xo  rtvivfxa,  oben  v.  37:  na- 
Qi^wy.Bv  xr,v  ilT/j,v,  v.  41:  dniöojyev  x.  \[\  —  Ein  Doppeltes  ist  bemerkens- 
werth,  1)  dass  Agathonike  sich  freiwillig  den  Tod  giebt,  2)  dass  der  Bericht- 
erstatter das  nicht  missbilligt.  Wir  haben  es  hier  mit  Montanisten  zu 
thun  oder  doch  mit  Leuten,  die  dem  Montanismus  sehr  nahe  standen  (man 
erinnere  sich,  dass  Papylus  aus  Thyatira  stammt).  Wir  kennen  einen 
Spruch  des  montanistischen  Parakleten,  der  lautet  (Tertull.,  de  fuga  9, 
vgl.  de  anima  55):  „Nolite  in  lectulis  nee  in  aborsibus  et  febribus  optare 
exire,  sed  in  martyriis ,  uti  glorificetur,  qui  est  passus  pro  vobis-'  (vgl. 
dazu  Bonwetsch,  Montanismus  S.  105—108).  Wie  anders  hat  die  Ge- 
meinde von  Smyrna  im  Bericht  über  ihre  Märtyrer  geurtheilt!  Mart.  Polyc. 
4  heisst  es  im  Anschluss  an  einen  traurigen  Fall,  der  vorgekommen  war: 
ovx  inaivovf/ev  xoig  TtccQad'töovxaq  tuvxovg,  tneiöri  01/  ovicog  öiSttOicsixo 
nayyD.iov.  Tertullian  erzählt  (ad  Scap.  5):  „Arrius  Antoninus  in  Asia 
cum  persequeretur  instanter,  omnes  illius  civitatis  Christiani  ante  tribu- 
nalia  eins  se  manu  facta  obtulerunt.  Tum  ille,  paucis  duci  iussis,  reliquis 
ait:  iö  6fi?.oi,  d  (^ü.exf  d7ioi^vi]oxtiv,  x(.>7]firovg  ?/  ßQOXovgP/txe.  Welchen 
Eindruck  das  Drängen  emiger  Christen  zum  Martyrium  auf  die  Heiden 
gemacht  hat,  zeigt  Justin,  Apol.  II,  4:  orcojg  6e  fc>'/  xig  einf^f  nävxsg  ovi' 
tuvxoig  (fovsvGuvxeg  7to^if-veox}e  rjörj  tcuqu  xbv  &sdv  xal  ii[.äv  nQÜyfjLuxu 
fii]  naQtysxe.  —  ixe?.£iw&Tj]  Vgl.  zu  diesem  Gebrauch  Lc.  13,  32;  Hebr. 
11,  40;  12,  23.  —  äyioig]  sei.  Karpus  und  Papylus.  Von  hier  ab  ist  der 
Schluss  conventionell.  —   leni'ccva]  S.   Mart.  Polyc.   18:    ovxcog  xf  ij/xsTc 


454  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

(itvoi  öucpvXasdv  siq  öo^av  Xqiotov  xcd  tjcairov  xcöv  (laQ- 
TVQo^v  avTOV,  ort  avtrö  jtQtJtei  ?/  66sa  y.di  xo  y.QaToq,  reo  jtaTQi 
xal  reo  vis  xal  rrp  ayico  jtvsvfiari,  rvr  xal  del  xal  sig  rovg 
alcovag  rcov  mmvmv.    ccfit'jv]. 

vOXBQOv  aveX6fj.i:V0i  ru  xiiinüxtQa  ?.(&ü}v  tioXvtbXmv  xal  6oxiuojT^Qa  vtcsq 
'/Qvaiov  ooxü  avTov,  dneO-tfieO^a  otiov  xal  dxökov^ov  7]v.  Iv^a  ojq  övva- 
xov  rj/xiv  ovvayofxsvoig  Iv  dyaUucxasi  xal  '/_aQä  naQt^si  ö  xvQioq  inixe- 
).Hv  X7jv  xov  naQXVQiov  avTov  ijfjitQav  ysvld-).iov.  Ebenso  instructiv  und 
zugleich  das  ,,?.aS-(^aiojg"  in  unserem  Verse  beleuchtend  ist  Euseb.  V, 
1,  61  sq.  Dazu  Acta  lustini  (5:  xivhg  6h  xwv  nioxöJv  kad^^akog  avx<5v  xcc 
ovjfiaxa  /.aßövxsg  xaxtx^fvxo  iv  xotioj  inatjöeiu),  ovvsQyaaäojjg  avtotg  XTJg 
yuQixog  xov  xvqIov  xx?..  —  oi  X^iaxiavoi]  Man  beachte,  dass  der  Verf. 
nicht  in  der  ersten  Person  spricht,  sondern  referirt.  —  eig  xxX.]  S.  Mart. 
Pol.  1.  c:  SLg  xe  xijv  xäiv  7tQ07]&?.7jx6x(av  /urt'jf^trjv  xal  xwv  nf).Xövx(üv  aa- 
XTjoiv  xe  xal  txoifxaoiav. 


Wer  diese  Märtyreracte  aufmerksam  liest  und  zucfleicli  einige 
Kenntniss  der  christlichen  Literatur,  speciell  der  Märtyreracten, 
des  2.  und  3.  Jahrhunderts  besitzt,  kann  schwerlich  darüber  im 
Zweifel  sein,  dass  das  Schriftstück  dem  2.,  und  nicht  dem  3., 
Jahrhundert  angehört.  Es  giebt  m.  E.  in  demselben  überhaupt 
nur  eine  einzige  Stelle,  welche  für  eine  spätere  Zeit  zu  sprechen 
scheint,  nämlich  den  Satz  v.  4 :  tyvojörai  6oi  Jiavrcog  rd  jiqoO- 
Orayftara  roJi'  Avyovorojv  jreQt  rov  öeiv  i\uäg  otßeiv  rovg 
d^eovg.  Hier  könnte  man  vermuthen,  der  Richter  erinnere  an 
ein  generelles  kaiserliches  Edict,  welches  allen  Christen  zu 
opfern  vorschreibe.  Damit  wäre  dann  allerdings  die  Zeit  des 
Decius  bezeichnet.  Allein  abgesehen  von  der  Haltung  des  Rich- 
ters in  diesem  Process,  welche  zu  jener  Zeit  keineswegs  stimmt, 
verbietet  sich  die  obige  Deutung  schon  durch  den  Plural  .^rcöv 
Avyovörmv".  Es  müsste  in  diesem  Fall  der  Singular  stehen, 
da  Decius  Aveder  einen  Mitregenten  gehabt  hat  noch  einen  Vor- 
gänger, der  bereits  ein  ähnliches  Edict  erlassen  hätte.  Also  ist 
die  betreffende  Stelle  so  zu  verstehen,  dass  an  kaiserliche  Edicte 
erinnert  wird,  welche  den  Richtern  vorschreiben,  von  förmlich 
angeklagten  Christen  die  Verehrung  der  Götterbilder,  resp. 
das  Opfern  vor  ihnen,  zu  verlangen.  Das  aber  ist  bekanntlich 
seit  dem  Trajan-Edict  die  Situation  der  Christen  im  Reiche  ge- 


Die  Acten  des  Karpus,  Fapylus  und  der  Agatlionike.  455 

wesen,  und  dieser  Modus  im  Processverfaliren  ist  von  Trajan  bis 
Marc  Aurel  immer  wieder  eingeschärft  worden  ';. 

Der  Einwurf,  der  gegen  ein  höheres  Alter  des  Schriftstücks 
erhoben  werden  könnte,  erledigt  sich  somit  nicht  nur,  sondern 
man  vermag  ihn  umzukehren  und  als. Stütze  für  die  Annahme, 
das  Schriftstück  stamme  aus  vordecianischer  Zeit,  zu  verwenden. 
Man  darf  aber  noch  einen  Schritt  weiter  gehen.  Das  Martp-ium 
des  Karpus  und  Genossen  hat  Eusebius  auf  Grund  von  ^.vjto- 
Uvi'ifiaxa''^  die  er  in  Händen  gehabt,  in  die  Zeit  Marc  Aurel's 
verlegt.  Die  Frage  ist  mithin  die:  weisen  die  neu  entdeckten 
Acten  auf  diese  Zeit?  Ist  diese  Frage  bejaht,  so  darf  auch  die 
andere  als  entschieden  gelten,  ob  wir  in  denselben  eben  das 
Sclu-iftstück  zu  erkennen  haben,  welches  Eusebius  vorlag.  Nun 
aber  ist  die  Art,  wie  Kaiser  hier  erwähnt  werden,  der  Ent- 
scheidung für  das  fragliche  Datum  günstig.  V.  4  ist  von  jiqoo- 
xccfy.axa  rcöv  Avyovorcov^  v.  21  von  einer  ß^.aacprjfcla  rcöj' 
^eßaoxcöv  die  Rede,  während  wir  v.  11  lesen:  ovxcoq  t/ciXtvotv 
o  AvxoxQcacoQ.  Das  ist  genau  so,  wie  in  dem  echten  Martyrium 
Justin's,  welches  in  die  Zeit  des  Marc  Aurel  und  Lucius  Verus 
fallt.  C.  2  heisst  es  dort:  jtQÖixov  jidod^t]XL  xoig  &^£oTg  xai 
vjtäxovoov  Totg  BccOiyievoii^  dagegen  c.  5:  ti^ai  reo  xov  Avxo- 
xQaxoQog  JCQOOxayfiaxt.  Hier  wie  dort  ist  eine  Mitregierung  an- 
zunehmen, zugleich  aber  ein  specielles  Edict  des  einen  der 
beiden  Kaiser,  wahrscheinHch  Marc  Aurel's,  in  Abwesenheit 
des  anderen  -). 

Indessen  könnte  die  auffallende  Erwähnung  der  Kaiser,  resp. 
des  Kaisers,  in  dem  Schriftstück  eine  Ungenauigkeit  sein;  daher 


1)  Traiani  ep.  ad  Plinium:  „ita  tarnen  ut  qui  negaverit  se  Christianum 
esse  idque  re  ipsa  manifestum  fecerit,  id  est  supplicando  diis  nostris  etc." 
Die  Einschärfungen  dieses  Gesetzes  z.  Z.  Marc  Aurel's  sind  bekannt.  Auf 
den  Anfang  des  Martyriums  Justin's  darf  man  sich  jedoch  nicht  berufen, 
da  er  erst  später  hinzugefügt  ist. 

2)  S.  Zahn,  Tatian  S.  279.  Man  hat  wahrscheinlich  auch  zu  beach- 
ten, dass  beide  Male,  wo  der  Singular  steht,  der  Titel  „Avtox(Jcczu)^)'' 
(Imperator)  sich  findet.  Hadrian  hat  dem  L.  Aelius,  Pius  dem  Marcus 
diesen  Titel  nicht  eingeräumt.  Dem  Commodus  hat  ihn  Marc  Aurel  zu- 
gestanden, ob  aber  früher  auch  schon  dem  Lucius  Verus,  vermag  ich  aus 
Mommsen,  Rom.  Staatsrecht,  2.  Bd.  2.  Abth.  (1875)  S.  1052f.  nicht  zu 
ersehen.  Als  pontifex  maximus  wenigstens  erscheint  L.  Verus  auf  Münzen 
und  römischen  Inschriften  nicht. 


456  ^"1^  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

stelle  icli  im  Folgenden  die  übrigen  Gründe  zusammen,  welche 
die  Annahme  erhärten,  dass  das  Martyrium  der  Zeit  Marc  Aurel's 
angehört.  Aus  ihnen  wird  zugleich  die  nicht  geringe  Bedeutung 
der  Acte  für  die  Geschichte  der  Kirche,  speciell  der  kleinasia- 
tischen, im  2.  Jahrh.  erhellen. 

1.  Die  Haltung  des  Richters  in  dem  Process,  seine  ausser- 
ordentliche Geduld,  seine  Langmuth  beim  Anhören  der  Rede2i 
des  Karpus,  sein  eifriges  Bemühen,  die  Angeklagten  erst  durch 
Zureden,  dann  durch  die  Folter  zum  Opfer  zu  bewegen,  stimmt 
mit  der  Haltung  der  Richter  in  Christenprocessen  des  2.  Jahr- 
hunderts überein.  ,,i2g  e&og  avroig  Ityeiv^'  heisst  es  von  den 
heidnischen  Richtern,  welche  die  augeklagten  Christen  durch  Zu- 
reden zum  Opfern  bewegen,  in  dem  Martyrium  Polycarpi  (c.  9). 
Unsere  Erzählung  ist  eine  Illustration  zu  diesen  Worten. 

2.  Nach  Form  und  Inhalt  stimmt  unser  Martyrium  mit  den 
anerkannt  echten  Martyrien  des  antoninischen  Zeitalters  überein, 
ohne  irgendwo  den  Eindruck  einer  Copie  hervorzurufen.  Der 
(Kommentar  wird  gezeigt  haben,  dass  es  in  enger  Verwandtschaft 
mit  dem  Mart.  Polykarp's,  dem  lugdunensischen  Martyrium,  dem 
Martyrium  Justin's  (und  den  Acten  der  Thecla)  steht.  Diese 
Schriftstücke  beleuchten  sich  gegenseitig. 

3.  Die  literarischen  Beziehungen  und  die  dogmatischen  An- 
deutungen unseres  Schriftstückes  verdienen  eine  besondere  Auf- 
merksamkeit und  sind  der  Annahme,  es  stamme  aus  der  Zeit 
Marc  Aurel's,  sehr  günstig.  Die  beiden  grossen  Bekenntnisse 
des  Karpus  (v.  5 — ^8:  14 — 20)  tragen,  wie  der  Commentar  ge- 
zeigt haben  wird,  bei  nicht  geringer  Selbständigkeit  ganz  das 
Gepräge  des  Christenthums  des  zweiten  Jahrhunderts.  Karpus 
ist  ein  gebildeter  Christ,  und  seine  Reden  erinnern  auffallend 
—  ohne  doch  von  ihr  abhängig  zu  sein  —  an  die  „Rede"  Ta- 
tians.  Der  Gegensatz  des  einen  Gottes  und  des  Teufels  sammt 
den  Dämonen,  ferner  das  Gericht  und  die  Gewissheit  des  un- 
sterblichen Lebens  beherrscht  die  Bekenntnisse.  Das  sind  frei- 
lich die  grossen  Themata  der  Bekenntnisse  der  meisten  ange- 
klagten Christen,  im  3.  und  4.  Jahrhundert  so  gut  wie  im  zwei- 
ten; aber  die  Art,  wie  sie  hier  behandelt  sind,  ist  dem  2.  Jahr- 
hundert eigenthümlich.  Auch  nicht  die  leiseste  Spur  weist  auf 
eine  spätere  Zeit  (die  an  sich  keineswegs  auffallende,  aber  doch 
einen  ungewöhnlich  breiten  Raum  umfassende  Besprechung  des 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  457 

Teufels  erklärt  sich  vortrefflich  aus  dem  Ort  der  Handlung,  Per- 
gamum,  Ojcov  o  d^gövoc  rov  ^axavct). 

Deutlich  sind  die  Bekenntnisse  von  dem  Johannesevange- 
lium abhängig;  johanneische  Reminiscenzen  durchziehen  die- 
selben, und  ein  Vers  (Joh.  4,  23)  ist  direct  citirt  (v.  7).  Das  ist 
aber  kein  Judicium  einer  späteren  Zeit;  vielmehr  lässt  sich  die- 
selbe Wahrnehmung  an  dem  etwa  gleichzeitigen  Martyrium  von 
Lyon  und  an  der  „Rede"  Tatian's  machen.  Auch  in  diesen  bei- 
den Schriftstücken,  von  denen  das  erstere  mit  unserer  Acte  bluts- 
verwandt ist  (der  Märtyrer  Attalus  in  Lyon  ist  aus  Pergamum. 
und  die  gallische  Christenheit  jener  Zeit  ist  eine  Tochter  der 
kleinasiatischen),  sind  die  johanneischen  Schriften  benutzt,  und 
die  Art  der  Beziehungen  auf  dieselben  stimmt  frappant  mit  den 
an  unserem  Schriftstück  gemachten  Wahrnehmungen  ').  Die  Art, 
wie  die  hellenistisch-apologetische  Denkweise  mit  der  des  Jo- 
hannesevangeliums in  den  Bekenntnissen  des  Karpus  verschmolzen 
und  doch  eine  realistisch-chiliastische  Betrachtung  festgehalten 
ist,  ist  unnachahmlich  und  trägt  den  Stempel  der  Ursprünglich- 
keit und  des  hohen  Alterthums. 

Um  der  Wichtigkeit  der  Sache  willen  seien  die  Beziehungen 
zu  dem  Johannesevangelium  hier  zusammengestellt:  das  directe 
Citat  findet  sich  v.  7:  oi  dhjüivol  ütQ007Cvv7]Tcä  — •  y.ara  Tf)v 
d-üav  vjc6fivt]öiv  rov  xvqiov,  ol  ev  jivevfcart  y.ai  aX?jß-eia  jcqog- 
xvrovvTEq  reo  d-sfp  (s.  Joh.  4,  23).  In  demselben  Vers  ist  der  Logos 
erwähnt  (Joh.  1,  1):  fieraXaßovreg  rr/g  cdwvlov  C,(Ofjg  öia  rov 
Xöyov;  ferner  erinnert  der  Gedanke  (1.  c),  dass  die  wahrhaftigen 
Anbeter  Gottes  durch  Christus  der  So^a  rov  d-eov  gleichgestaltet 
werden  {dg)OfioiovvTai),  an  Joh.  17,  22:  xdyco  rrjv  öo^av  tjv 
6k6co-/iäg  fioi  d^öcoxa  avroig,  und  an  I  Joh.  3,  2:  o'iöaf/sv  ort 
'öfioioi  avrcß  loöfiEd-a.  Zu  v.  5:  rov  IXihovra  av  voriQoig  xai- 
QOig  küti  ocorriQut  f/ficöv  xal  QVöä(i£vov  f/fiäg  t%  jckäm/g  rov 
diaßöXov  ist  1  Joh.  3,  8:  «c  rovro  IrpavEQoid-ri  o  viog  rov  d^sov 
iva  /.vor/  rd  egya  rov  öiaßoXov  (s.  I  Joh.  4,  6:  ro  jcvevfca  t^c 
ütXävrjc)  zu  vergleichen.  Sehr  deutlich  ist  die  Beziehung  auf 
Joh.  8,  44  und  I  Joh.  3,  8  in  v.  17.  Die  hier  stehenden  AVorte: 
o  diäßoXog    icjt'    d(>'/J/g    Jttocov   tx   rfjg  h'Öo^ov   avrov   rdsscog 


1)  Vgl.   die  Commentare  zur  Rede  Tatian's  und  zum  Martyrium  von 
Lyon  (von  Otto  und  Routh). 


458  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

oixtia  fioxOtjQia  .  .  .  ajtayytXXei  roiq,  Idioig,  können  nur  aus  den 
angeführten  Stellen  abgeleitet  werden  (man  beachte  namentlich, 
dass  der  Teufel  eigene  Menschen  besitzt).  Dann  aber  wird  es 
nicht  zufällig  sein,  dass  das  einige  Verse  nach  v.  44  bei  Johannes 
stehende  Wort  (8,  56):  ^AßQacqi  riya7.1m6axo  'iva  llö?]  ttjv  ^^t- 
Qüv  rrjv  tifitjv,  xai  elSer  xai  tyaQtj,  wiederum  an  einem  Satze 
des  Karpus  seine  Parallele  hat  (v.  39) :  iiÖov  rt]v  ö6$av  xvqIov 
xdi  lyaQf)i'.  Endlich  ist  darauf  hinzuweisen,  dass  das  in  der 
Subjectivität  der  Beziehung  auf  Christus  ungewöhnliche  Schluss- 
gebet des  Karpus:  „Gelobt  seist  Du,  Christus,  dass  Du  mich,  den 
Sünder,  dieses  Antheils  an  Dir  gewürdigt  hast"  (v.  41),  auf  die 
Fusswaschungserzählung  bei  Johannes  (13,  8f. :  ovx  tyeig  fitQoq 
fiET  t^uov  .  .  .  o  XeXovfitrog  ovx  tyti  yQtlav  vlipaoß^ai,  dXX  toriv 
xad-agog  öXog  xxl)  hinweist. 

Ausser  den  Beziehungen  auf  das  Johannesevangelium  sind 
in  dem  Martyrium  nur  noch  unzweifelhafte  Beziehungen  auf  die 
synoptischen  Evangelien  zu  finden.  Das  ajcollvvrai  Iv  jeew^] 
(v.  7)  stammt  aus  Mtth.  10,  28.  Aber  viel  interessanter  ist  in 
V.  42  ein  Satz  in  der  Rede  der  Agathonike.  Sie  sagt:  ro  agi- 
orov  rovTO  tfiol  rjTolfiaarai,  öel  ovv  fts  (.isxaXaßovöav  fpayslv 
xov  tvöo^ov  aQtoxov.  Dieser  Satz  ist  offenbar  aus  Mtth.  22,  4 
(to  (XQioxov  jwv  t/xotfiaxa)  und  Lc.  14,  15  {fiaxccQiog  oOxig  cpä- 
ysxai  agioxov  tv  xf]  ßaoiXeia  xov  ^eov)  combinirt.  Solch'  eine 
Combination  ist  nicht  nur  an  sich  wichtig  und  alterthümlich '), 
sondern  sie  bietet  hier  noch  ein  besonderes  Interesse,  weil  die 
LA,  in  Lc.  14,  15  streitig  ist.  Die  neueren  Textkritiker  geben 
nämlich  agxov  für  aQiOxov.  Allein  das  Letztere  hat  ausgezeich- 
nete Zeugen  für  sich  und  empfängt  nun  durch  unsere  Stelle  eine 
weitere  Bestätigung  ~). 

Paulusbriefe  oder  andere  urchristliche  Schriftstücke  sind  in 
dem  Martyrium  nicht  citirt  ^).  Was  ich  im  Commentar  an  Stellen 
zur  Yergleichung  angeführt  habe,  sollte  nur  zur  Erklärung  die- 
nen.   Die  wörtliche  Übereinstimmung  von  v.  12  (oi  C^cövxtg  xoig 


1)  Tatian's  Diatessaron  ist  für  uns  an  dieser  Stelle  lückenhaft;  s.  Zahn, 
a.  a.  0.  S.  187. 

2)  "Apiarov,  welches  Griesbach  aufgenommen  hat,  bieten  neun  Ma- 
juskelcodd.  (aber  nicht  sABD),  sehr  viele  Minuskeln,  der  Syrus  Cureton., 
der  Armenier,  Clemens  Alex.,  Basilius  etc. 

3)  Act.  7,  55  mag  in  v.  39  zu  Grunde  liegen. 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  459 

vey.QOli  ov  &vovoiv)  mit  II  Clem.  3,  1  (oi.  CcövTsg  roig  vaxQoTg 
^eolg  ov  d^vofier)  mag  zufällig  sein.  Diese  Redewendung  ist  ge- 
wiss oft  im  2.  Jahrhundert  gebraucht  worden  i).  Die  ausschliess- 
liche Beziehung  auf  die  vier)  Evangelien  erhöht  den  Eindruck 
des  Alterthümlichen,  während  doch  die  Benutzung  des  Johannes- 
evangeliums, wie  sie  im  Mart}T:ium  vorliegt,  es  nicht  rathsam 
macht,  mit  dem  Schriftstück  über  die  antoninische  Zeit,  resp. 
über  die  Zeit  Marc  Aurel's,  hinaufzugehen.  Dies  bestätigt  sich 
schliesslich  noch  durch  die  einzige  Citationsformel,  die  sich 
in  dem  Martyrium  findet;  denn  diese  Formel:  ^.xara  riji^  d-dav 
xnönvipLV"  (v.  7  in  Bezug  auf  Job.  4,  23)  entspricht  genau 
der  Stufe  des  sich  bildenden  NTlichen  Kanon,  wie  wir  sie  für 
die  Zeit  um  165  voraussetzen  müssen.  Einerseits  nämlich  trägt 
die  Formel  das  Gepräge  des  Alterthums,  sofern  sie  sich  auf  ein 
Herrnwort  bezieht,  resp,  nicht  die  Form  eines  Schriftcitats 
hat  'zu  beachten  ist  auch  der  specielle,  in  vno^ivrjOLQ  liegende 
Sinn),  andererseits  erweist  sie  sich  als  einer  jüngeren  Zeit  ange- 
hörig, sofern  1)  das  Herrnwort  bei  Johannes  steht  und  2)  zu 
vjcöfivriOLQ  das  Adjectivum  „göttlich"  gesetzt  ist-;. 

4.  Wer  das  Martyrium  aufmerksam  liest,  wird  sich  leicht 
überzeugen,  dass  bei  aller  Kürze  der  Schilderung  die  Charak- 
tere der  drei  Märtyrer  deutlich  und  geschlossen  hervortreten,  der 
bewegliche  und  bekenntnisseifrige  Karpus,  der  nicht  weniger  als 
neunmal  den  christlichen  Glauben  bezeugt  (5 — 8.  10.  12.  14 — 20. 
22.  23.  39.  40.  41)  und  dabei  stets  denselben  Tenor  in  seinen 
Reden  innehält  —  sie  tragen  eine  charakteristische  Färbung 
bei  verschiedener  Schattirung  — ,  der  schweigsame  Papylus,  der 
auf  dem  Scheiterhaufen  derselbe  bleibt  wie  vor  dem  Richter, 
endlich  die  fanatische  Agathonike.  Solch'  eine  Darstellung  könnte 
vielleicht  auch  einem  guten  Erzähler  gelingen,  aber  solche  waren 


1)  Doch  ist  noch  eine  andere,  fast  wörtliche  Übereinstimmung  zwi- 
schen dem  Martyrium  und  II  Clemens  vorhanden  (v.  5:  xov  f'A^orr«  ^v 
vaTti)OU  xaiQoZq  t:iL  acfjzijQi'fc  t^/j.(jjv  mit  14,  2:  t(favf()oj&7]  in  ia/ürcov 
T(Dv  ijfxetftjjv  'Iva  yf^äq  avjo),/);  indessen  auch  sie  beweist  nichts. 

2)  Zu  diesem  „O-hoq''  vgl.,  dass  auch  im  II.  Clemensbrief  ein  Herm- 
wort mit  o  i^eog  /.tyei  eingeführt  ist.  Beziehungen  auf  Herrnworte  bei 
Johannes  mit  directer  Citationsfoi-mel  im  Mart.  von  Lyon,  Euseb.  V,  1,  15: 
in'/.TiQOvTO  xb  vTtb  TOv  xvQiov  7]/x(ör  ilQi^fxtvov  oxi  i?.svafxcci  xuiQÖg,  iv 
oj  Tiäq  o  uTfoxxihuq  y.x)..  (Joh.  IG,  2). 


460  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

unter  den  Christen  rar.  Viel  näher  liegt  es,  aus  diesen  Zügen 
auf  die  Authenticität  der  Darstellung  zu  schliessen.  Ist  sie  aber 
im  Allgemeinen  authentisch,  so  weisen  noch  manche  Züge  auf 
das  2.  Jahrhundert,  resp.  auf  das  Zeitalter  Marc  AureVs.  Erst- 
lich sei  bemerkt,  dass  weder  Karpus  noch  Papylus  als  Kleriker 
bezeichnet  ist,  während  sie  doch  schon  in  dem  Martyrium  Orien- 
tale als  Bischof  und  Diakon  vorgeführt  werden  (aber  noch  nicht 
von  Eusebius).  Das  wäre  nun  an  sich  natürlich  keineswegs  ent- 
scheidend; allein  man  hat  zu  beachten,  dass  Papylus  nach  dem 
Bericht  unzweifelhaft  eine  Rangstellung  in  der  Kirche  ein- 
genommen hat.  Sogar  der  Pöbel  weiss,  dass  er  als  ein  Vater 
verehrt  wird,  und  er  selbst  sagt  (32;:  hv  jtaorj  ajiaQyJcc  xal 
jioXsi  sloiv  fiov  Tixva  xarä  ß^sov.  Welch'  eine  Stellung  hat 
Papylus  bekleidet?  Nach  dem  unzweideutigen  Selbstzeugniss 
kann  man  an  ein  Gemeindeamt  nicht  denken,  ja  überhaupt 
nicht  an  ein  Amt.  Es  bleibt  nichts  übrig,  als  anzunehmen,  dass 
Papylus  sich  in  diesen  Worten  als  wandernden  Evangelisten 
(Apostel)  resp.  als  wandernden  oder  durch  weit  verbreitete 
Schriften  wü'kenden  Propheten  bezeichnet  hat,  wie  wir  solche  aus 
der  Didache  und  für  die  Zeit  Marc  Aurel's  auch  aus  Luc! ans 
Peregrinus  Proteus  kennen.  Nur  ein  solcher  konnte  von  den 
„vielen  geistlichen  Kindern"  sprechen,  die  er  in  jeder  Provinz 
und  Stadt  habe.  Ich  darf  hier  auf  meine  Untersuchungen  über 
die  Apostel,  Propheten  und  Lehrer  verweisen  i)  und  dazu  auf 
den  2.  .Johannesbrief,  der  ja,  mag  man  über  ihn  urtheilen  Avie  man 
will,  jedenfalls  das  Schreiben  eines  kleinasiatischen  apostolischen 
Lehrers  an  seine  „Kinder"  ist.  Nach  dem  antoninischen  Zeit- 
alter hören  solche  XaXovvrsg  tot'  löyov  rov  &£ov,  die  in  meh- 
reren Gemeinden  zugleich  die  Stellung  eines  geistlichen  Vaters 
erworben  haben  —  ich  lasse  die  räthselhaften  pseudoclementi- 
nischen  Briefe  de  virg.  bei  Seite  — ,  auf  Wir  haben  mithin  hier  ein 
starkes  Zeugniss  für  die  Zugehörigkeit  unseres  Schriftstücks  zum 
Zeitalter  Marc  Aurel's  zu  erkennen.  —  Zweitens  ist  auf  die  Be- 
zeichnung der  Christen  als  ,,dyioi''''  (v.  17)  zu  verweisen.  Sie  ist 
auch  ein  Merkmal  einer  alten  Zeit.  Ich  erinnere  mich  nicht, 
dass  sie  nach  c.  ISO  noch  häufig  wäre.  —  Drittens,  und  damit 
kommen  wir  zu  dem  Wichtigsten,  ist  die  Geschichte  der  Aga- 
thonike  und  die  Art,  wie  sie  erzählt  wird,  der  sicherste  Be- 

1)  In  der  grossen  Ausgabe  der  „Apostellehre"  S.  93— 1S7. 


Die  Acten  des  Kaipus,  Papylus  und  der  Agathonike.  461 

weis,  dass  unser  Martyrium  und  der  Bericht  über  dasselbe 
dem  Zeitalter  Marc  Aurel's  angehört.  Ich  habe  im  Commentar 
den  Abschnitt  ausführlich  erörtert  und  darf  mich  daher  hier  kurz 
fassen.  Folgende  Punkte  sind  hervorzuheben:  1)  die  Vision  des 
Karpus  auf  dem  Scheiterhaufen  (v.  39):  aiöov  rtjv  öo^av  xvqiov, 
2)  die  Ansteckungskraft  dieser  Vision:  ein  bei  dem  Scheiter- 
haufen stehendes  christliches  Weib,  Agathonike,  ]\lutter  eines  un- 
mündigen Sohnes ,  sieht  sie  auch ,  3)  sie  beschreibt  die  Vision 
als  eine  herrliche  Mahlzeit,  die  ihr  bereitet  ist,  4)  sie  sieht 
zugleich  in  der  Vision  einen  speciellen  Ruf  an  sich,  das  Leben 
preiszugeben  und  im  Feuer  zu  Gott  aufzusteigen,  5)  sie  führt 
diesen  Entschluss  sofort,  trotz  der  Abmahnungen  der  umstehen- 
den Menge  —  nicht  der  Christen  —  aus  i),  6)  der  Berichter- 
statter missbilligt  das  nicht,  sondern  billigt  es  und 
zählt  die  Agathonike  zu  den  vollendeten  Märtyrern 
(v.  47:  xal  ovtcog  djctöcox^v  ro  jcvevfia  xal  areXeicod-rj  Ovv  roic 
ayloLc).  Alles  dies  ist  einerseits  so  eigenartig  und  stimmt  anderer- 
seits so  vortrefflich  zu  den  Nachrichten,  die  wir  über  kleinasia- 
tischen Märt>Terfanatismus  z.  B.  im  Martyrium  Polykarp's  be- 
sitzen (dort  wird  er  aber  gemissbilligt),  dass  man  nicht  zweifel- 
haft sein  kann,  hier  einen  kostbaren  Bericht  aus  der  Zeit  Marc 
Aurel's  zu  besitzen,  der  sowohl  auf  die  montanistischen  Dispo- 
sitionen in  Kleinasien  als  auf  Dichtung  und  Wahrheit  in  Lu- 
cian's  „Peregrinus  Proteus"  ein  helles  Licht  wirft. 

Auf  die  montanistischen  Dispositionen  —  aber  sind  nicht  viel- 
leicht Karpus,  Papylus  und  Agathonike  wirklich  Montanisten  ge- 
wesen? Eine  Stelle  in  dem  Bericht  kann  dafür  angeführt  werden. 
Papylus  sagt,  er  sei  Bürger  der  Stadt  Thyatira  (v.  27)  und  sei 
von  Jugend  auf  Christ  (v.  34).  Thyatira  ist  in  der  ältesten  Ge- 
schichte des  Christenthums  nicht  nur  aus  Apoc.  Joh.  2,  ISif.  be- 
kannt, wo  sie  nach  Pergamus  erwähnt  wird.  Wir  wissen  von  ihr 
auch  aus  Epiph.,  h.  51,  33.  Die  chronologischen  Angaben  dort 
habe  ich  DGesch.  I.  Bd.    2.  Aufl.  S.  617  zu  erklären  versucht  2); 


1)  Dass  die  Betheiligung  des  Richters  dabei  undeutlich  ist  und  die 
Ausrufe  der  Umstehenden  (v.  45)  nicht  recht  passen,  darauf  ist  im  Com- 
mentar hingewiesen.  Aber  das  Undeutliche  hier  bedroht  die  Deutlichkeit 
des  sonst  Berichteten  nicht. 

2)  S.  jedoch  auch  Lipsius,  Quellen  der  ältesten  Ketzergeschichte 
S.  109 ff.  und  Bonwetsch,  Montanismus  S.  145. 


462  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

soviel  ist  zweifellos,  dass  die  Aloger,  die  Gegner  der  Montani- 
sten und  der  johanneischen  Schriften,  behauptet  haben,  in  Thya- 
tira  existire  zu  ihrer  Zeit  (c.  170  ff.)  überhaupt  keine  katholische 
Gemeinde,  sondern  nur  eine  montanistische  resp.  häretische.  An 
der  Wahrheit  dieser  Behauptung  kann  nicht  gezweifelt  werden, 
und  ist  m.  W.  auch  nicht  gezweifelt  worden.  Also  stammte 
Papylus  aus  einer  Stadt,  in  der  im  Zeitalter  Marc  Aurel's 
der  Montanismus  ganz  und  gar  die  Oberhand  gewonnen  hatte. 
So  wichtig  das  ist,  so  trage  ich  doch  Bedenken,  Papylus  als 
einen  Montanisten  zu  bezeichnen;  denn  1)  nennt  er  sich  nur 
einen  Bürger  der  Stadt  Thyatira,  2)  ist  er  von  Jugend  auf  Christ 
gewesen,  hat  also  sein  Christenthum  zu  einer  Zeit  empfangen, 
wo  es  Montanismus  überhaupt  noch  nicht  gegeben  hat,  3)  ist 
er  höchst  wahrscheinlich  wandernder  Evangelist  resp.  Prophet 
gewesen;  das  ihm  eigenthümliche  Christenthum  kann  daher  nicht 
einfach  aus  seinem  Bürgerrecht  in  Thyatira  bestimmt  werden. 
Aber  wie  dem  auch  sein  mag  —  dass  wir  es  hier  mit  Chri- 
sten zu  thun  haben,  welche  die  Dispositionen  zeigen,  aus  denen 
der  Montanismus  hervorgegangen  ist  und  die  seine  Verbreitung 
erklären,  ist  unleugbar:  Pergamus,  Thyatira,  Agathonike,  der 
„Vater"  Papylus,  der  intensive  Gebrauch  des  Johannesevange- 
liums in  den  Reden  des  Karpus '),  die  Visionen,  das  herrliche 
Frühstück,  das  selbstgewählte  Martyrium,  der  beifällige  Bericht 
des  Erzählers  —  das  alles  stimmt  trefflich  zusammen  und  giebt 
ein  einheitliches  Bild  von  einer  Wirklichkeit,  die  wir  nur  in  der 
Zeit  Marc  Aurel's  und  dort  ohne  Schwierigkeit  in  der  Zeit  der 
Mitregierung  des  Lucius  Verus  wiederfinden  können.  Der  Be- 
richterstatter aber  verräth  deutlich  genug,  dass  er  selbst  in  diese 
Zeit  gehört.  Er  mag  gleich  nach  dem  Martyrium  oder  einige 
Jahre  später  geschrieben  haben  —  jedenfalls  ist  sein  Referat  so 
„echt",  wie  es  ein  solches,  wenn  es  nicht  Protocoll  ist,  nur  sein 
kann 2);   als  Parallele  vgl.  die  Praef.   der  Act.  Perpet.  et  Felic. 


1)  Über  Montanismus  und  Joh.-Ev.  s.  meine  Dogmengeschichte  Bd.  I, 
Buch  II  Cap.  3. 

2)  Die  in  v.  47  eingeklammerten  Worte  halte  ich  für  einen  späteren 
Zusatz;  sie  sind  conventionell  und  finden  sich  in  nicht  wenigen  Martyrien 
fast  gleichlautend  wieder.  Der  Zusatz  mag  aber  alt  sein  und  aus  der  Zeit 
stammen,  wo  man  das  Martyrium  an  dem  Festtag  der  Heiligen  vorzu- 
lesen begann. 


Die  Acten  des  Karpus.  Papylus  und  der  Agathonike.  463 

Dass  unsere  Acten  diejenigen  sind,  welche  Eusebius  in  Hän- 
den gehabt  hat,  bedarf  nun  wohl  keiner  weiteren  Beweisführung 
mehr.  Sie  stammen  aus  der  Zeit  Marc  Aurel's;  dorthin  hat  aber 
Eusebius  auf  Grund  seiner  Leetüre  das  Martyrium  der  drei  Ge- 
nossen versetzt.  Diese  sind  in  dem  Schriftstück  nicht  als  Kleriker 
bezeichnet;  auch  Eusebius  hat  sie  erwähnt,  ohne  ihnen  einen 
Titel  zu  geben.  Karpus  legt  in  dem  Schriftstück  eine  ganze 
Reihe  von  Bekenntnissen  ab:  Eusebius  spricht  von  sehr  vielen 
und  herrlichen  Bekenntnissen.  Endlich  —  Eusebius  hat  das  Schrift- 
stück eben  nur  erwähnt,  nicht  ausgeschrieben  und  höchst  wahr- 
scheinlich (s.  das  Eingangs  Bemerkte)  auch  nicht  in  seine  grosse 
Sammlung  von  Martyrien  aufgenommen.  Wir  finden  das  ganz 
in  der  Ordnung;  denn  schon  die  Frühstücksvision  war  nicht  in 
seinem  Sinne  und  der  selbstgewählte  Tod  der  Agathonike  musste 
ihm  vollends  höchst  anstössig  sein. 

Eine  christliche  Urkunde  ist  uns  also  in  dem  Cod.  Gr.  Par. 
Nr.  1468  wieder  geschenkt,  die  Eusebius  gelesen  hat  und  die 
wir  bisher  für  verloren  halten  mussten.  Sie  wirft  auf  das  klein- 
asiatische Christenthum  im  Zeitalter  Marc  Aurel's  ein  helles 
Licht  (dogmengeschichtlich  ist  die  Verbindung  von  Apologe- 
tischem, Johanneischem  imd  Realistisch-Chiliastischem  in  den 
Reden  des  Karpus  besonders  wichtig)  und  beleuchtet  zugleich 
eine  Stufe  in  der  Geschichte  des  sich  bildenden  NTlichen  Kanons. 


Es  erübrigt  noch,  einen  Blick  auf  die  vulgäre  Recension  der 
Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike  zu  werfen.  Das 
Wichtigste  ist,  dass  sie  das  Martyrium  der  Drei  in  die  Zeit  des 
Decius  versetzen,  den  sie  sogar  direct  eingreifen  lassen.  Wir 
haben  hier  also  einen  unumstösslichen  Beleg  dafür,  dass  man 
Martyrien  aus  dem  2.  in  das  3.  Jahrhundert,  resp.  aus  der  Zeit 
Marc  Aurel's  in  die  Zeit  des  Decius  geschoben  hat.  Wann  und 
warum  das  geschehen  ist,  mag  auf  sich  beruhen  —  erinnert  sei 
an  die  Beurtheilung  der  Lasfe  der  Christen  im  2.  Jahrhundert, 
wie  wir  sie  bei  Tertullian  und  noch  mehr  bei  Origenes  finden  — ; 
die  Thatsache  selbst  ist  bedeutsam,  weil  es  bei  mehr  als  einem 
Martyrium  noch  controvers  ist,  ob  es  in  die  Zeit  des  M.  Aurel 
oder  des  Decius  gehört. 

Unzweifelhaft   ist    in  der  vulgären  Recension  —  man  darf 


464  Eine  Urkunde  aus  der  Zeit  M.  Aurel's. 

sie  desshalb,  weil  schon  im  4.  Jahrhundert  Karpus  als  Bischof, 
Papjlus  als  Diakon  bezeichnet  ist,  doch  nicht  so  früh  ansetzen; 
sie  ist  viel  jünger  und  gehört  dem  Metaphrasten  an  —  die  ur- 
sprüngliche Relation  benutzt;  aber  sie  ist  so  übermalt,  dass  man 
die  Benutzung  eben  nur  wahrzunehmen  vermag.  Die  vul- 
gäre Recension  ist  etwa  vier-  bis  fünfmal  so  umfangreich  wie 
die  echte  und  beruht  fast  vollständig  auf  freier  Erfindung.  Kar- 
pus und  Papylus  sind  als  Bischof  und  Diakon  von  Thyatira  be- 
zeichnet, der  Letztere  zugleich  als  Arzt.  Sie  werden  dem  Decius 
als  gefährliche  Christen  denuncirt.  Dieser  sendet  einen  Special- 
richter, den  grausamen  und  füchsischen  Valerius,  nach  Asien.  An 
drei  Orten,  Thyatira,  Sardes  und  Pergamum  finden  Verhöre 
mit  den  Beklagten  statt.  Dazwischen  liegen  „Lauffoltern";  sie 
müssen  den  Weg  zwischen  je  zwei  Städten,  an  Pferde  angebun- 
den oder  hinter  einem  Wagen  laufend,  im  Eilmarsch  zurücklegen. 
An  Foltern  wird  Alles  aufgewendet,  was  es  giebt;  auch  alle 
Todesarten  (Steinigung,  Bestien,  Kalkgrube,  brennender  Ofen 
u.  s.  w.)  werden  versucht;  aber  die  Heiligen  bleiben  unversehrt, 
so  dass  sich  der  Richter  entschliessen  muss,  sie  köpfen  zu  lassen. 
Eingeschoben  ist  das  Martyrium  eines  ihrer  Diener,  des  Agatho- 
dorus,  welches  sie  abschrecken  soll,  ferner  ein  Erdbeben,  welches 
die  Götzenbilder  zertrümmert,  u.  s.  w.  Das  Alles  ist  erfunden; 
aber  an  folgenden  Punkten  tritt  die  alte  Vorlage  doch  hervor: 
1)  der  Richter  sucht  die  Angeklagten  immer  wieder  durch  Zu- 
reden zu  bewegen,  2)  die  Angeklagten  sind  von  Jugend  auf 
Christen,  3)  Papylus  wird  ausdrücklich  als  Kind  angesehener 
Eltern  in  Thyatira  bezeichnet,  4)  mit  einem  allgemeinen  Opfer- 
gebot in  Thyatira  beginnt  der  Process  (vielleicht  Missverständniss 
von  V.  4),  5)  die  Reden  des  Karpus  zeigen  Reminiscenzen  an 
die  Reden  in  der  ursprünglichen  Relation:  der  Satz,  dass  Gott 
zeitlos  sei,  aber  der  Schöpfer  und  Herr  der  Zeiten,  findet  sich 
dort  und  hier  (vgl.  c.  1  mit  v.  16)  und  ebenso,  dass  die  heid- 
nischen Götter  aus  todtem  Stoff  stammen  und  Werke  von  Men- 
schenhänden sind  (vgl.  c.  1.  3  mit  v.  12.  15),  weiter  6)  die  „Lauf- 
foltern" mögen  aus  v.  36  der  echten  Recension  {xal  y.ar£Qyo[ievoL 
iOJitvöov  Ol  ccf/qjOTSQOi  tjTi  TO  afiq^Ld^taxQOv)  entstanden  sein, 
7)  endlich  —  und  das  ist  das  Wichtigste  —  der  Metaphrast  hat 
die  Geschichte  der  Agathonike  weder  fortzulassen,  noch  durch- 
greifend  zu  bearbeiten,  noch  so  beizubehalten  gewagt,   wie  sie 


Die  Acten  des  Karpus,  Papylus  und  der  Agathonike.  4(55 

die  ursprüngliche  Recensiou  bot.  Die  Folge  davon  ist,  dass  er  mit 
wenigen  Worten  über  sie  hinweggegangen  ist  und  er,  der  sonst 
so  Redselige,  hier  kürzer  ist  als  der  echte  Bericht.  Alles, 
was  sich  über  Agathonike  findet,  ist  Folgendes:  Karpus  und 
Papylus  werden  in  einen  feurigen  Ofen  geworfen,  der  aber  so- 
fort zu  brennen  aufhört.  „Tunc  autem  venerabilis  Agathonica 
[sie  war  bisher  noch  gar  nicht  im  Bericht  genannt],  sancti  mar- 
tyris,  divini  inquam  Papyli,  vere  germana  soror,  cum  ipsis  in- 
gressa  in  ignem  est,  certaminum  aut  potius  coronarum  futura 
particeps.  Cum  autem  illos  rursum  excepisset  carcer,  rursum 
hymnis  et  orationibus  ad  deum  faciendis  vacare  inceperunt."  Nun 
werden  sie  zum  Richtplatz  geführt,  um  mit  dem  Schwert  hin- 
gerichtet zu  werden:  „ne  tunc  quideui  desereute  eos  sancta  Aga- 
thonica". Das  ist  Alles.  Diese  Kürze  ist  ebenso  beredt  wie  das 
Schweigen  des  Eusebius.  Der  Berichterstatter  war  augenschein- 
lich in  Verlegenheit,  obgleich  er  in  einer  Zeit  schrieb,  in  der 
man  die  Handlungsweise  alter  Heroen  —  als  solche  galten  die 
Christen  der  drei  ersten  Jahrhunderte  —  nicht  nach  dem  Mass- 
stab der  gemeinen  Moral  beurtheilte. 

So  gänzlich  werthlos  der  Bericht  des  Metaphrasten  ist,  so 
bezeugt  er  doch  die  alte  Vorlage;  aber  er  belehrt  zugleich  da- 
rüber, dass  es  unmöglich  ist,  aus  diesen  Berichten  der  späten 
byzantinischen  Zeit  die  alten  Vorlagen  durch  eine  innere  Kritik 
zu  ermitteln. 


Texte  und  Untersuchungen  III.  3.  4.  30 


Im  Martyrium  citirte  Scliriftstelle. 

Job.  4.  23 V.  7 

Im  Martyrium  benutzte  Scliriftstellen. 

Mt.  10,  28 V.     7  Job.  8,  44 v.  17 

Mt.  22,  4 V.  42  Job.  8,  56 v.  39 

Lc.  14,  15 V.  42  Job.  13,  8 v.  41 

Job.  1,  1 V.     7  I  Job.  3,  2 v.  7 

Im  Commentar  citirte  Sehriftstelleii. 

Gen.  3,  1  f. v.  19  Pbilipp.  2,  23 v.  40 

Bucb  Hiob .     v.  19  Pbilipp.  2,  27 v.  44 

Mt.  10,  37 V.  44  1  Tim.  4,   1 v.  5 

Mt.  15,  25 V.  46  II  Tim.  4,  13 Inscr. 

Mt.  17,  15 V.  43  Hebr.  3,  1 v.  42 

Mt.  26,  50 V.  44  Hebr.  7,  3 v.  7 

Lc.  13,  32 V.  47  Hebr.  11,  40 v.  47 

Job.  17,  22 V.     7  Hebr.  12,  2 v.  40 

Job.  19,  30 V.  37.  47  Hebr.  12,  23 v.  47 

Act.  7,  55 V.  39  I  Petr.  1,  20 v.  5 

Act.  20,  35 V.     7  I  Petr.  2,  23 v.  40 

Rom.  9,  1 V.  32  II  Petr.  2,  18 v.  7 

Rom.  10,  19 V.     8  I  Job.  3,  8 v.  5.  17 

Rom.  11,  11.  14 y.     8  I  Job.  4,  6 v.  5 

I  Cor.  1,  23 V.     9  III  Job.  10 v.  21 

I  Cor.  4,  15.  17 V.  30  Jacob.  2,  7 v.  3 

I  Cor.  8,  4 V.  12  Jud.  6 v.  8.  17 

I  Cor.  10,  22 V.     8  Apoc.  2,  12f. v.  1.  8 

I  Cor.  12,  2 V.  12  Apoc.  2,  18f. v.  27 

Gal.  4,  19 V.  30  Apoc.  12,  9 v.  5 

Epb.  6,  12 V.     8  Apoc.  12,  12 v.  17 

Col.  1,  12 V.  41  Apoc.  20,  10 v.  5 

Col.  1,  13 V.     5 


Druck  von  August  Pries  in  Leipzig. 


Verlag  der  J.  C.  HINRICHS'schen  Bucbhaudlimg  in  Leipzig. 

Patrum  apostolicorum  opera 

Textum  ad  fidem  codicum  et  graecorum  et  latinorum  adhibitis  praestautis- 

simis  editionibus  recensuerunt,  commeutario  exe^etico  et  historico  illustra- 

verunt,  apparatu    critico,   versione   latiiia   passiin   correcta,  prolegomenis, 

indicibus  iustruxerunt 

Oscar  de  Gebhardt  Adolfus  Haniack  Theodorus  Zahn. 

Editio  post  Dresselianam  alteram  tertia. 

1876—78.    3  Baude  iu  4  Abtheilungen.     16  M. 

Fasciculi  I.  partis  I.  Editio  secuiida. 

Clementi  Romani  epistulae 

Textum  ad  fidem  codicum  et  Alexandrini  et  Coustantinopolitani  nuper  inventi 

recensuerunt  et  illustraverunt 

Oscar  de  Gebhardt  et  Adolfus  Harnack. 

1876.     23S  S.     4  M.  50. 

Fascicnli  I.  partis  II.  Editio  secunda. 

Barnabae  epistulae 

graece  et  latine,  recensuerunt  atque  illustraverunt,  Papiae  quae  supersuut, 

Presbyterorum  reliquias  ab  Ireuaeo  servatas.  vetus  ecclesiae  romanae  sym- 

bolum,  epistolam  ad  Diognetmn  adjeceruut 

Oscar  de  Gebhardt  et  Adolfus  Harnack. 

1878.  272  S.     5  M. 

Fasciculns  II. 

Ignatii  et  Polycarpi  epistulae 

martyria  fragmenta,  recensuit  et  illustravit 
Theodorus  Zahn. 

1876.  464  Seiten.     8  M. 

Fasciculus  III. 

Hermae  pastor 

graece  addita  versione  latina  recentiore  e  codice  Palatino 

recensuerunt  et  illiistraverunt 

Oscar  de  Gebhardt  et  Adolfus  Harnack. 

1877.     372  S.     7  M. 

Patrum  apostolicorum  opera 

Textum  ad  fidem   codicum  et  graecorum  et  latinorum  adhibitis  praestan- 

tissimis  editionibus  recensuerunt 

Oscar  de  Gebhardt,  Adolfus  Harnack,  Theodorus  Zahn. 

Editio  minor.    1877.    VII  u.  219  8.    3  M. 


Verlag  der  J.  C.  HlNRICHS'schen  Buclihandlung  in  Leipzig. 

NOVUM  TESTAMENTUM  GRAECE. 

Ad  antiquissimos  testes  denuo  recensiüt 
apparatiiiii  critieiiiii  omni  studio  perfeetimi  apposuit 

commentatioiiem  isagogicam  praetexuit 

Constantinus  Tischendorf. 
£c1itio  octava  critica  luaior. 

Yol.  I.  et  II.  1869.  1S72.  2012  S.  38  M. 

Volumen  III.    Prolegomeiia 

scripsit  Casparus  Renatus  Gregory,  additis  curis  f  Ezrae  Abbot. 
Pars  prior.     1SS4.    (IV,  440  p.    8.)    10  M. 

Das  letzte  Heft  des  zweiten  Bandes  dieser  Ausgabe  erschien  am  Ende 
des  Jahres  1872  kurz  vor  der  Erkrankung  des  Verfassers.  Da  keine  Vor- 
arbeiten sich  unter  den  Papieren  Tischendorf's  befanden,  so  sah  sich 
Herr  Dr.  Gregory,  welcher  die  Bearbeitung  der  Prolegomena  im  Jahre  1S76 
übernommen  hatte,  genöthigt.  dieselben  ganz  unabhängig  auszuführen;  nur 
wenige  Seiten  konnten  aus  den  Prolegonienis  zu  der  editio  septiraa  ent- 
nommen Averden. 

Herr  Professor  Ezra  Abbot,  der  auf  diesem  Gebiete  eine  Autorität  war, 
hatte  die  Güte,  den  Herrn  Herausgeber  mit  Rath  und  That  zu  unterstützen. 

Die  zweite  Hälfte  mit  den  Minuskeln,  den  Versionen  und  den  kirch- 
lichen Schriftstellern  ist  bereits  längst  zum  grössten  Theil  fertig  geschrieben, 
und  wird  im  Laufe  des  nächsten  Jahres  erscheinen. 

Die  Prolegomena  zur  Editio  minor  können  erst  nach  der  Vollendimg 
der  zweiten  Hälfte  erscheinen. 


NOVUM  TESTAMENTUM  GRAECE. 

Ad  antiquissimos  testes  denuo  recensuit 

(lelectiique  critico  ac  prolegonienis  instrnxit 

Constant.  Tischendorf. 
Editio  critica  minor  ex  Till,  inaiore  desumpta. 

1877.  1060  S.  gebunden  10  M.  80. 

Um  den  Anforderungen  der  älteren  Studenten  und  der  angehenden 
Pfarrer  entgegenzukommen,  hat  Tischendorf  sich  entschlossen,  wie  bei  der 
siebenten,  so  auch  bei  der  achten  Auflage,  denselben  Text  in  einem  kleineren 
Format  wiederzugeben.  Diese  editio  minor  bietet  dann  auch  demgemäss 
einen  Auszug  aus  dem  kritischen  Apparat  der  grösseren  Ausgabe.  Die 
ausführlichen  Citate  aus  den  kirchlichen  Schriftstellern  fallen  weg.  Doch 
werden  die  Versionen  so  wie  zum  Theile  die  Minuskeln  berücksichtigt.  Die 
hauptsächlichsten  Lesarten  der  Unzialhandschriften  werden  aber,  und  das 
ist  das  Wichtigste,  ziemlich  ausführlich  mitgetheilt.  Es  ist  auch  erfreulich 
zu  sehen,  dass  diese  Ausgabe  lobende  Anerkennung  gefunden  hat,  nicht  nur 
in  Deutschland,  sondern  auch  in  England  und  Amerika.  '  Die  Prolegomena 
werden  ebenfalls  einen  der  Natur  der  Ausgabe  entsprechenden  Auszug  aus 
den  grösseren  enthalten  und  sofort  nach  Vollendung  derjenigen  zur  editio 
major  erscheinen. 


Druck  von  August  Pries  in  Leipzig. 


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JRONTO  -  5,     CANADA 

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